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DIE PRIMITIVE CULTÜR
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TüßKO-TATARISCHEN VOLKES.
DIE PRIMITIVE CULTIIR
TÜRKO-TATARISCHEN VOLKES
AUF GRÜÜD SrUACHUCHEU FOBSCIIÜNGEK
HERMANN VÄMB^RY,
LEIPZIG;
F. A. BEOOKHAUS
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Das Recht der TJebersetzung ist Torbehalten.
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MEINEN FREUNDEN UND PACH6EN0SSEN
DEN HEBBEN
J. W. REDHOUSE
UND
A. PA VET DE COURTEILLE
WIDME ICH DIESE BLÄTTER.
Vorwort,
In den Scklnsszeilen des Vorwortes zu meinem „Etymo-
logischen Worterbuche der turko - tatarischen Sprachen"
(Leipzig 1 878) habe ich darauf hingedeutet, dass bei genauer
Betrachtung des etymologischen Verhältnisses der einzelnen
Wortfamilien die culturgeschichtlichen Momente des turko-
tatarischen Volkes sich einem so zu sagen aufdrängen, und
dass ich auf diesen Theil meiner Studie nur deshalb nicht
Rücksicht genommen, weil ich die hierauf bezuglichen
Betrachtungen in einer selbständigen Schrift, die nicht
nur für den Turkologen, sondern auch für den Anthro-
pologen, ja vielleicht sogar für einen grossem Leserkreis
Interesse haben mag, zu veröffentlichen gedenke.
Diesem Versprechen soll nun in vorliegenden Blättern
nachgekommen werden. Beide Arbeiten ergänzen sich
einander insofern, als die etymologische Darstellung die
linguistischen Argumente der hier vorgebrachten cultur-
geschichtlichen Daten liefert, demzufolge denn auch von
jeder fernem Beweisführung abgesehen und auf den be-
treffenden Abschnitt, des „Etymologischen Wörterbuch"
hingewiesen wurde.
Ich will ferner nicht unerwähnt lassen, dass neben
diesem Motiv eine ähnliche, ebenfalls auf dem Gebiete
der Ural - altaischen Sprachen erschienene Arbeit, nämlich
VIII
„Die Culturworter der westfinnischen Sprachen" von
Dr. August Ahlquist (Helsingfors 1875), auf das Zu-
standekommen dieser Schrift nicht ohne Einfluss gewesen
ist. Sobald ich das Buch des verdienstvollen finnischen
Gelehrten in die Hand genommen hatte, begann ich mich
mit Vergleichungen über die primitive Cultur der West-
finnen und der Turko-Tataren zu beschäftigen, und obwol
erstgenannter Theil der ural-altaischen Rasse durch die
Annahme einer grossen Anzahl von Lehn- und Fremdwor-
tern mit dem durch und durch echt und genuin gebliebe-
nen innerasiatischen Türken den Vergleich kaum aushalten
kann, so hat dennoch die hier und da sich zeigende Con-
gruenz mir mehr als einen nützlichen Wink gegeben.
Herrn Dr. Ahlquist bin ich jedenfalls zu Dank verpflichtet.
Was das Sprachmaterial anbelangt, so sei hier nur in
Kürze erwähnt, dass gegenwärtiger Studie folgende ural-
altaische Sprachen zu Grunde liegen : Osmanisch (osm.), öa-
gataisch (cag.), uigurisch (uig.), kirgisisch (kirg.), kazanisch
(kaz.), altaisch (alt.), tschuvaschisch (cuv.), koibal-karaga-
sisch (k.k.), jakutisch (jak.), azerbaizanisch (az.), turkoma-
nisch (trkm.), mongolisch (mong.) und magyarisch (magy.).
Von den arischen Sprachen ist, neben den aus Curtius'
„Grundzüge der griechischen Etymologie'' (Leipzig 1858)
entnommenen Beispielen, auf das Slawische im allgemeinen,
auf das Neupersische und Tadschikische Bezug genommen,
während von den semitischen Sprachen zumeist das Ara-
bische berücksichtigt worden ist.
Budapest, im Jaimar 1879.
Hermann Vämbery.
Inhalt.
Seite
Vorwort vii
Einleitung 1
I. Der Mensch und der menschliche Körper 51
II. Geschlecht und Altersstadien 59
III. Die Familie 64
IV. Haus und Hof 73
V. Hausgeräth, Kleider und Stoffe 79
VI. Speisen und Getränke 90
VII. Jagd und Ackerhau 99
VIII. Handel und Gewerbe 105
IX. Die Waffen 116
X. Krieg und Friede 121
XI. Stände und Regierung 131
XII. Poesie, Musik, Tanz und Spiel « 141
XIII. Welt, Himmel, Sterne, Sonne und Mond 149
XIV, Witterungsverhältnisse und Himmelserscheinuugen . . . 164
XV. Land und Wasser 169
XVI. Das Thierreich .184
XVII. Das Pflanzenreich 211
XVIII. Die Farben 224
XIX. Gott und Religion 237
XX. Sittliche und abstracte Begriffe 255
Wort- und Sachregister 271
Einleitung,
i.
iithnographie oder Philologie, der körperliche Habitus
oder die menschliche Sprache, welches ist wol der Sto£P,
aus dem wir die beste Leuchte im dunkeln Labyrinth der
Stammesgenossenschaft der Volker erhalten? Diese Frage
wird allerdings hier nicht zum ersten mal aufgeworfen,
nicht zum ersten mal wird ihre grosse Wichtigkeit betont,
und in der That wird die Wissenschaft wenig Probleme
aufweisen können, zu deren Losung die einzelnen Theo-
rien sich so schroff einander gegenüberstehen, und die
hier bejahend, dort verneinend auftreten, wie eben bei
den Forschungen auf dem Gebiete des gegenseitigen Ver-
hältnisses der einzelnen Abtheilungen des Menschenge-
schlechtes. Nach den mannichfachen Wahrheiten, welche
die Linguistik bis heute beleuchtet hat, wird es selbst-
verständlich niemand mehr einfallen, bei der Einthei-
lung des Menschengeschlechtes in Hauptklassen — wir
mögen hier Blumenbach^s Fünfer- oder Cuvier's Dreier-
System oder PeschePs und Friedrich Müller^s Theorien
befolgen — die Sprache nicht als jenen Factor anzu-
erkennen, welcher bei der Grenzbestimmung der Haupt-
rassen unbedingt berücksichtigt werden muss. Man müsste
VAmböry, Caltur. 1
geradezu blind sein, um trotz des physiologischen Unter-
schiedes, der bezüglich der Hautfarbe, der Schädelbil-
dung, des Gesichtsausdruckes und des Korperbaues zwi-
schen Hindustanem, Persern, Slawen, Germanen und
Romanen besteht, das Band der engen Verwandtschaft
nicht wahrzunehmen, welches diese, heute unter so ver-
schiedenen lOimaten lebenden Mitglieder der grossen
arischen Familie vereinigt. Wenn daher trotz der Diver-
genz in den physischen Merkmalen das Licht der
Philologie bei der versuchten Aufklärung der Dunkelheit
uns zu Hülfe kommt, so dürfen wir andererseits wieder
nicht die sprachlichen Beweise als alleinseligmachend hin-
stellen, denn worin die Ethnographen und Philologen bis
heute entschieden gefehlt haben, das ist unsers Erachtens
nach die allzu stramme Exclusivität in ihren diesbezüg-
lichen Theorien, d. h. ihr Nichtbeachten der vollen Evi-
denzkraft des gesammten Materials der Beweisgründe.
Einseitigkeit ist überall, hier aber am meisten schädlich,
und um auf die aus besagtem Fehler resultirende Con-
fusion nur einigermassen hinzudeuten, wollen wir auf
beide Theorien einen flüchtigen Blick werfen.
Wer längere Zeit unter verschiedenen Völkern gelebt,
mit deren physischen und geistigen Eigenheiten sich ein-
gehend befasst, und wer namentlich jenen Erscheinungen
seine Aufmerksamkeit zugewendet hat, die bei Heimats-
wechsel, bei Veränderung des EJimas und der Lebens-
weise beim Menschen zum Vorschein kommen, der wird
wol bald zur Ueberzeugung gelangen, wie sehr der mensch-
liche Korper eben jenen äusserlichen und innerlichen Um-
gestaltungen unterliegt, und unterliegen muss, denen die
Thiere und Pflanzen bei ihrer üebersiedelung vom hei-
matlichen Boden unter einen fremden Himmelsstrich aus-
gesetzt sind.
Man erlaube mir in dieser Beziehung einige Beispiele
anzufahren. Ich habe vor vierzehn Jahren aus Mittelasien
einen jungen Oezbegen und mehrere Säckchen Samen-
körner der an den Ufern des Oxus in so vorzüglicher
Weise gedeihenden Melonenarten mitgebracht, in der
Hoffnung, letztere in den Sandboden der ungarischen .Nie-
derungen zu verpflanzen. Die Melonen waren nur im
ersten Jahre an Farbe und Grosse, aber nicht an Ge-
schmack gleich, im dritten und vierten Jahre hingegen
waren sie schon gänzlich entartet. Aber auch am jungen
Oezbegen vom untern Oxuslaufe sind so manche durch
das fremde Klima und veränderte Lebensweise hervorge-
rufene physische Merkmale zu bemerken. Die Contouren
seines Gesichtes sind im Vergleiche zu den scharfeckigen
Zügen seiner Landsleute rund geworden, und besonders
auffallend ist sein starker Bartwuchs, der möglicherweise
eine Ursache des in Chiwa ungebräuchlichen, ja durch
die Religion streng verbotenen Scherens, ihm heute schon
das Aussehen eines Ungarn verleiht, und unter seinen
Landsleuten würde er entschieden für einen Fremdling
angesehen werden.
Centralasien mit seinem bunten Volkergemisch von
Ariern, Semiten und Uralaltaiern dünkt uns besonders
jenes Feld, wo der Ethnolog unter den vorhandenen
Mischrassen am häufigsten auf Bäthsel stossend, einsehen
wird, wie vorsichtig man überhaupt mit den physiologi-
schen Beweisen umgehen muss, und dass ein befriedigen-
des Resultat nur dann zu erlangen sei, wo als Probirstein
nicht einzelne, sondern sämmtliche Factoren mitgewirkt
haben. Wenn daher Poesche („Die Arier", S. 8) wol mit
Recht die Behauptung aufstellt: „Sprache ist nur ein ein-
zelnes Moment in der Zahl derjenigen, welche bei Ein-
theilung des Menschengeschlechts in Rassen zu berück-
sichtigen sind", so würde ich dies auch bezüglich der
Physiologie thun; denn wenn uns zahlreiche Beispiele zur
1*
Verfugung stehen, wo Volker im Verlaufe eines oder
zweier Jahrhunderte ihre Sprache ganzlich vertauschten,
so werden wir nicht minder Gelegenheit haben, auch im
physischen Leben der Volker ähnlichen Fällen zu begeg-
nen, wo die allerdings grossere Zeitfrist von Jahrhunderten
hinreichend war, den Urtypus gänzlich zu verwischen, ja
dem Menschen jene Merkmale aufzuprägen, die infolge
der Eigenheiten des EJimas und der Lebensweise an den
dortigen Autochthonen zu bemerken sind.
Wir wollen Gesagtes durch andere Beispiele illustriren.
Die im Chanate von Bochara um Wardanzi und Waf-
kend herum ansässigen Araber, Abkömmlinge der Krie-
ger, welche sich unter Kuteibe dort niedergelassen, die
heute durchweg persisch reden, unterscheiden sich nur
wenig von der dortigen tadschikischen Bevölkerung. Ihre
Stammesgenossen dagegen im Süden Persiens, die von
Maskat und Oman dahin einwanderten, weil der klima-
tische Unterschied zwischen Südiran und dem Südosten
der Arabischen Halbinsel kein so wesentlicher ist, mit
ihren prägnant ausgedrückten Merkmalen der semitischen
Rasse fallen sofort auf. Von ähnlicher Natur sind unsere
Wahrnehmungen bei genauer Betrachtung der Sarten,
dieser türkisch redenden arischen Ureinwohner Central-
asiens, die einerseits von ihren arischen Brüdern, den
Tadschiks, nicht nur in Sprache, sondern auch in Korper-
bau und Physiognomie sich ebenso sehr unterscheiden,
als beide zusammen von den Ariern Persiens, andererseits
aber in dem Masse die markanten Züge des Sartenthums
verlieren, in welchem sie von dem gemeinsamen Stamme
am mittlem Jaxartes sich entfernen. Am auffallendsten
jedoch macht die Veränderung des Klimas und der Lebens-
weise bei dem türkischen Nomaden sich bemerklich, wenn
er die heimatliche Steppe verlassend inmitten einer ansäs-
sigen Bevölkerung sich niederlässt. Ein derartiges Bei-
spiel haben wir in den Oezbegen Centralasiens, deren
Nucleus aus einer kleinen Anzahl türkisch-mongolischer
Nomaden besteht, die nach dem Verfall der Goldenen
Horde im Anfange des 16. Jahrhunderts in den heutigen
Chanaten sich niederliessen und ihre Zahl durch die im
Laufe der Zeit von der nomadischen Existenz zur sess-
hafben Lebensweise übergegangenen Turaniem vermehrten.
Zugestanden nun, dass die Vermischung mit arischem
Blut infolge der allerdings nur sporadisch vorkommenden
Heirathen tadschikischer Mädchen und persischer Skla-
vinnen zur Veränderung der Basseneinheit wesentlich bei-
getragen, so wäre dieses allein noch bei weitem nicht
hinreichend, um den grossen Abstand zu erklären, der
heute zwischen Oezbegen und türkischen Nomaden sich
manifestirt, wenn es nicht eben jene Motive wären, die
aus der veränderten Lebensweise und aus den Bedingun-
gen eines fremden Himmels und Bodens hervorgegangen.
Diese Veränderung des physischen Habitus ist oft bei
der kleinsten Zeit- und Bassenverschiedenheit nachzuweisen,
und wir wollen unter anderm auf die in Teheran ansäs-
sigen turkomanischen Kriegsgeissein hindeuten, bei denen
man schon in der zweiten Generation Spuren der Rassen-
veränderung entdecken kann, und welche im vierten Ge-
schlecht von den iranischen Türken kaum zu unterscheiden
sind. Sowie Sonne, Boden und Wasser auf Pflanzen und
Thiere einen umgestaltenden Einfluss ausüben, so ist dies
auch beim Menschen der Fall, und wer dem körperlichen
Habitus in der Frage über die Rassengemeinschaft mehr
Beweiskraft zumuthen wollte als der Sprache, wie dies
Middendorf im vierten Bande seines Reisewerkes gegen-
über der Behauptung Castren's thut, weil letzterer (S. 12
in seinen „Ethnologischen Vorlesungen") die Physiologen
auf einem irretreibenden Meere schweben lässt — der
würde eben in den bei seinem Gegner gerügten Fehler
6
verfallen. Die Assimilation der Yolkerelemente vollzieht
sich allerdings nur infolge der anfangs unsteten Lebens-
weise und nur allmählich, doch sie ist eine unbestreitbare
Thatsache, und weil sie als solche, d. h. als Gegensatz
zur Stereotypie den physiologischen Argumenten die feste
Grundlage entzieht, so kann der körperliche Habitus allein
in der Rassenfrage nicht als Richtschnur dienen.
Diese Unzulänglichkeit der Beweiskraft wird bezüglich
der Sprache in gleicher Weise evident. Wenn das Phy-
sikum des Menschen durch den Einfluss eines fremden
Klimas und Bodens Veränderungen unterliegt, so ist die
Sprache, trotzdem sie infolge ihres engen Zusammen-
hanges mit der Vernunft als Repräsentant des mensch-
lichen Geistes auftritt, bei regerm Verkehr mit andern
Sprachen, d. h. mit anders gearteten Repräsentanten des
menschlichen Geistes, mitunter den grossten Umgestal-
tungen unterworfen. Wenn Entfernung vom heimatlichen
Boden und eine grossere Verschiedenheit in klimatischen
Eigenheiten in Farbe und Formen des menschlichen Kor-
pers einen Unterschied hervorzurufen im Stande sind,
wie jener, den wir heute zwischen zwei arischen Stammes-
genossen in Bengal und in Schweden wahrnehmen, so
müssen wir es als ganz natürlich finden, wenn eine räum-
lich und zeitlich grössere Entfernung vom gemeinsamen
Stamme, und der intensive Verkehr mit einem fremd-
sprachigen Volke das nationale Redeelement beeinflusst
und umgestaltet. Die einzelnen Phasen dieser Umgestal-
tung hängen natürlich mit dem Zahlengehalt, am meisten
jedoch mit dem Culturgrade der betreffenden Volker zu-
sammen. Bei Nomaden, wenn in der Minderzahl, ist die
Sprache ebenso leicht veränderlich wie die Sitten und
Gebräuche, und einige Jahrzehnte sind oft hinreichend^
um eine starke Imprägnirung mit fremden Elementen zu
erzeugen, was bei Halbnomaden schon weniger, bei ganz
Sesshaften aber nur schwer der Fall sein kann. Daher
stammen die zahlreichen Beispiele, wo die Sprache klei-
nerer Nomadengruppen oft im Verlauf eines einzigen
Jahrhunderts von der Sprache des grossem umgebenden
Nomadenvolkes absorbirt wurde. Wir sahen dies nament-
lich während des Einfalles der Mongolen in Mittelasien,
wo einzelne mongolische Kriegerhaufen, wenn von tür-
kisch oder persisch redenden Elementen eingeschlossen,
ihre Sprache bald aufgaben uiid heute nur noch an den
Stammes- und Geschlechtsnamen zu erkennen sind. Solche
sind unter andern die Noküsz-, Naiman- und Kitai-Ge-
schlechter der Oezbegen, die friiher Mongolen waren,
heute aber durchweg türkisch reden; femer die Hezares
zwischen Kabul und Herat, die trotz ihres historisch be-
wiesenen mongolischen Ursprungs der überwiegenden
Mehrzahl nach persisch reden, und bei denen das Mon-
goUsche stark untermischt nur bei jener kleinen Fraction
sich erhalten konnte, die in den minder zugänglichen Ber-
gen und Schluchten im Nordosten Herats dem gewaltigen
Strome des arischen Einflusses weniger ausgesetzt waren.
Als mächtigster Factor bei der Veränderung der
Sprachen wirkt entschieden der fremde Cultureinfluss, in-
dem er die fremdartigen Producte der menschlichen Ver-
nunft in jenem Kleide einführt, in welchem sie erzeugt
worden. Wo es sich um Cultureinflüsse bei halb oder
ganz sesshaften Volkerelementen handelt, dort kann das
Grundelement der Sprache nicht mehr so leicht erschüt-
tert werden, und es hat der fremde Einfluss in den mei-
sten Fällen nur auf den Wortschatz, seltener auf die
Sprachformen und auf die Syntax einzuwirken vermocht.
So finden wir z. B. im heutigen Englischen den Wort-
schatz mit lateinischen und normannischen Lehnwortern
stark gemischt, während das altgermanisch-grammatika-
lische Gebäude beinahe unversehrt sich erhalten hat.
8
Ebenso liess sich das Osmanische in seinen grammatika*
lischen Formen nicht im mindesten beeinträchtigeii, wäh-
rend in der Literatursprache die arabisch - persischen
Fremdworter das Türkische beinahe gänzlich verdrängt
und selbst die Volkssprache eine Unzahl von Lehnwörtern
angenommen hat.
Einer hierauf bezüglichen Ausnahme begegnen wir nur
im Persischen, und zwar sowol im Neupersischen Irans,
als im tadschikischen Dialekt Centralasiens, wo in beiden
Fällen der fremde Spracheinfluss selbst die Grammatik
angegriffen hat. Man sehe unter andern den Gebrauch
des afifixirten Pronomen possessivum m t» s in chanem^
chanet, chanes, anstatt des echt iranischen chand-men, cha-
nd'tu, chand'O oder es; ferner das tadschikische oiba iba
(dort hinein, hier hinein), wo der Locativsuffix &a, das
moderne türkische da nach regelrechter altaischer Art an
das persische an -in angehängt wurde, anstatt dem echt
iranischen der an ^ derin. Sehr auffallend ist ferner im
Tadschikisch-Persischen der Gebrauch der Participialform
anstatt des Perfectum, denn sowie der Oezbege kilgen,
Tcitken (er ist gekommen, er ist gegangen) sagt, ebenso
drückt der Tadschik dasselbe Tempus mit amedegiy reftegi
anstatt amede est und refte est aus. So wie bei einer theil-
weisen Veränderung der Sprache der fremde Cultureinfluss
sich am meisten thätig zeigt, ebenso gibt bei gänzlicher
Absorbirung nur Zahlenbestand und seltener der culturelle
oder politische Einfluss den Ausschlag und die geistige
Superiorität muss immer der materiellen Uebermacht
weichen. So wie die in Bildung weit vorangeschrittenen
Iranier Centralasiens inmitten der überwiegend türkischen
Bevölkerung Sarten wurden, d. h. die türkische Zunge
annahmen, ebenso ist der türkische Stamm der Bulgaren,
trotzdem er als Eroberer aufbrat, in verhältpissmässig
kurzer Zeit von den an der Donau ansässigen Slawen
slawisirt worden, und so ist aus den türkisch-tatarischen
Hunnen, die nach Vertreibung aus Pannonien an der
untern Wolga sich aufhielten und die daselbst ansässigen
Ugrier unterjochten, das heute als Magyaren bekannte
Mischyolk entstanden. Dieser Amalgamirungsprocess hat
auf den verschiedensten Funkten der Erde sich wiederholt,
denn überall muss nach den Gesetzen der Natur der phy-
sisch Schwächere dem physisch Starkem weichen.
Und was in dieser Beziehung auf so verschiedenen
Punkten Asiens auf Grund unzweideutiger geschichtlicher
Thatsachen sich nachweisen lässt, das kann von ähnlichen
Belegen durch die von der Völkerwanderung in Europa
hervorgerufenen Volkergruppirungen vielfach bestätigt
werden. Die Geschichte der Sprachen ist sich hierin in
allen Zeiten und Perioden gleichgeblieben, und der unbe-
fangene Ethnolog, der das dunkle Gewebe der Rassen-
genossenschaft durchblicken will, wird sich wol selbst
fragen müssen: wie kann man sich der Sprache, die solch
grossen Veränderungen unterliegt, als Medium bei der
Erörterung des Ursprunges eines Volkes bedienen, und
wie ist es gar denkbar, in ihr das nationale Monument
eines untrüglich hohen Alterthumes zu entdecken?
„Unsere Sprache ist auch unsere Geschichte^% sagt
ein grosser deutscher Sprachforscher. Ja sie ist auch die
Geschichte einer grossem Menschengesellschafb, einer sol-
chen Gesellschaft, die durch die compacten Massen ihres
hohem Zahlenbestandes, durch historische und klimatische
Zufälle vor dem zersetzenden Einflüsse auswärtiger Be-
rührungen mehr geschützt, in der nationalen Einheit we-
niger beeinträchtigt sich erhalten konnte. Aber sie ist
nicht die Geschichte kleinerer Gesellschaften, welche oben-
drein noch infolge der stiefmütterlichen Naturbedingungen
der Urheimat zerbröckelt und auseinandergestreut, und
schön des geringen Zahlengehaltes wegen auf den Wogen
10
des stürmisch bewegten Volkermeeres leicht hin- und her-
geworfen werden konnte, wie wir dies z. B. bei einzelnen
Brachstücken der ural-altaischen Rasse so vielfach in Er-
fahrung bringen. Wir haben uns vorsätzlich des coUec-
tiven Ausdruckes ural-altaische Rasse bedient, weil diese
auf dem ärmlichen Boden der Urheimat, auf weiten geo-
graphischen Strecken getrennt lebend, dem Zerfallen in
kleinere Fractionen von jeher mehr ausgesetzt war, und
weil eben bei diesem Menschengeschlecht der türkisch-
tatarische Stamm allein als derjenige betrachtet werden
muss, welcher verhältnissmässig selbst heute noch den
grossten Zahlenbestand aufweist, in seinen Gliedern und
Zweigen das frappanteste Bild der Zusammengehörigkeit
aufbewahrt, und der trotz der Ausdehnung nach dem
hohen Norden und fernen Westen in den Grenzen seiner
Urheimat noch immer in der grossten Majorität anzu-
treffen ist. Wo es sich um ein compactes Ganzes, wie
beim Türkenthum Centralasiens zwischen dem Thien Schaa
und dem Kaukasus, zwischen dem Jenissei und der Wolga
handelt, da haben wir eine ganz feste Grundlage, um den
Satz: „Unsere Sprache ist auch unsere Geschichtet^
ebenso sehr zur Geltung zu bringen, wie dies Grimm bei
den Deutschen thut, und dort können wir denn auch
bona fide der Sprache jene Beweiskraft zumuthen, die ihr
nach der von uns ausgesprochenen Ansicht auf dem For-
schungsgebiete der Ethnologie anderer, gleichviel ob ari-
scher oder semitischer Rassen, rechtlich zugemuthet wird
und werden kann.
Wenn wir daher den Grimmischen Satz: „Unsere
Sprache ist auch unsere Geschichte" beim Türkenvolke
in Anwendung bringen wollen und können, so müssen
wir vor allem darüber im Klaren sein, welche Geschichte
wir denn eigentlich mit dem Lichte der Sprache beleuch-
ten wollen. Die politische Vergangenheit kann es keines-
11
falls sein, in der Geschichte des Ursprungs kann die
Linguistik wol verwerthet werden, doch die zu Tage be-
forderten Resultate sind bisweilen von einer sehr proble-
matischen Natur, sodass es unsers Erachtens nach nur
die gesellschaftliche Vergangenheit, nur die Cul-
turgeschichte eines Volks sein kann, die von der
durch die Sprachforschung angezündeten Fackel
sich beleuchten, und in allen ihren Phasen sich
klar darlegeff lässt. Ja wir können mit Recht be-
haupten, dass ein derartiges Vorhaben, nämlich die Er-
schliessung der ursprünglichen Heimat und des ältesten
Culturzustandes eines Volkes mittels des in seiner Mutter-
sprache vorhandenen Beweismaterials, als das höchste und
lohnenswertheste Ziel der vergleichenden Philologie zu
betrachten sei. Es ist nicht unsere Absicht, auch nicht
unsere Aufgabe, uns in Erörterungen über allgemeine
Principien und Anschauungen auf diesem Gebiete der
Sprachphilosophie einzulassen; da doch die bekannten
Forscher bisher als Hauptquelle ihrer Untersuchungen
das Gebiet der arischen und semitischen Sprachen an-
nahmen, so wollen wir nun einem bisher ungebrauchten,
weil noch nicht ganz zugänglich gewesenen Beweismaterial
Rechnung tragen, d. h. wir wollen die culturgeschicht-
lichen Momente der turko-tatarischen Sprachen in Relief
bringen, deren Beweisfähigkeit mit der Beweiskraft an-
derer Sprachen vergleichen, um zu dem allerdings über-
raschend klingenden Resultat zu gelangen, dass die
Sprache dieser noch heute zumeist auf der pri-
mitiven Stufe der Cultur sich befindenden Völ-
ker, abgesehen von den culturhistorischen Mo-
menten des individuellen Nationallebens, auch
für die Geschichte der Vernunft der Menschheit
im allgemeinen an höchst werthvollen Winken
überaus reich ist, und dass unsere Sprachge-
12
lehrten, falls sie aus diesem krystallreinen Born
geschöpft hätten, mit weniger Mühe und zu weit
glänzendem Resultaten gelangt wären, als in
ihren diesbezüglichen Bemühungen mit dem abge-
nutzten, oft bis zur Unkenntlichkeit verwitter-
ten Sprachmaterial der arischen Volker.
IL
Zu dieser, wol etwas kühn scheinenden Ansicht haben
uns drei Hauptgründe bewogen, solche Gründe, die im
Geiste der altaischen, speciell aber der turko-tatarischen
Sprachen ruhen und den unparteiischen Forscher wol
leicht zu einer ähnlichen Ueberzeugung führen werden.
Erstens gestattet uns der agglutinative Charakter
der türkischen Sprache eine überaus klare und helle Ein-
sicht in das Wesen und in die Form der einzelnen Wor-
ter; es ist in denselben der Grundstoff von den später
hinzugefugten oder nur locker angehängten Affixen mit
Leichtigkeit zu unterscheiden, und da man in der That
nicht besonders weit zurückgreifen musste, um zu jener
Periode der Sprache zu gelangen, in welcher der mate-
rielle selbständige Sinn der heute als Affix fungirenden
Redetheile bestimmt werden konnte, so ist es ganz natür-
lich, dass die etymologische Zerlegbarkeit der türkischen
Worter weniger Schwierigkeiten bietet als ein ähnliches
Verfahren bei den sogenannten Flexionssprachen, wo Stoff
und Form, Wurzel und Partikel oft bis zur Unkenntlich-
keit ineinandergeknetet und vermischt ist« Nehmen wir
irgendein beliebiges Wort aus Curtius' „Grundzüge der
griechischen Etymologie", z. B. das S. 148 befindliche
griech. Ytyvoaxo (erkenne), indem wir an demselben das
skt. gänämi (cognosco), das lat. notio, gnarus, das ahd.
Jeanu, das goth. kann und da^ slaw. junati (kennen) an-
13
reihen, und stellen wir nun dem gegenüber den ent-
sprechenden Begri£P im Türkisch-Tatarischen, nämlich cag.
bilmek (wissen, kennen), uig. biliJc (Wissenschaft, Kennt-
niss, Zeichen), 6ag. hükürtmek (bekannt machen), osm.
hellemek (auswendiglernen), bilU (Bekanntschaft) u. s. w.,
wie aus §. 215 meines Etymologischen Wörterbuches er-
sichtlich ist — so wird man ohne weiteres von der
grossem Klarheit des türkischen Sprachstoffs sich über-
zeugen; denn während die Wurzel des griechischen Wor-
tes, das yv nur dem erfahrenen Auge des Linguisten er-
kenntlich sein kann, wird beim angeführten türkischen
Worte selbst der Laie auf den ersten Anblick in bil bei
das Grundelement entdecken, ja es wird bei einer wenig
sorgsamen Prüfung selbst jenes System ihm einleuchten,
welches die Sprache bei der Definition der von dem
Grundbegriff abstammenden ISebenbegriffe in den Deri-
vaten befolgt hat. So einfach und schlicht, so ungekünstelt
und natürlich wie das Verhältniss des lautlichen Zusam-
menhanges zwischen dem Grundworte und seinen spätem
Sprosslingen sich gestaltet, ebenso ist dies auch hinsicht-
lich des begrifflichen Zusammenhanges der Fall, und so wie
man beim Lichte der Lautlehre ohne halsbrecherische
Theorien in der etymologischen Zergliederung leicht ans
Ziel gelangt, ebenso ist der begriffliche Nexus ohne das
scharfgeschliffene Glas philosophischer Spitzfindigkeiten
leicht zu durchschauen. Ein begrifflicher Zusammenhang,
wie z. B. zwischen dem griech. xslpiai (liegen), dem lat.
quies und civis, dem ahd. Mwo (conjux) und dem slaw.
pokoj (Ruhe) ist im Türkischen nicht leicht erdenklich.
Hier hat sich alles in der Urfrische bewahrt, die mensch-
liche Vernunft und Sprache strahlen noch im Kleide der
Jungfräulichkeit, und so wie die Geisteskraft noch im An-
fangsstadium ihrer Thätigkeit, unter dem Begriff liegen
z. B. nur die Handlung des Sichausstreckens, des Sich-
14
ansbreitens, unter Ruhe nar das Ausschnaaben n. s. w.
▼ersteht, ebenso hat anch die äussere Form der diesen
Begrif&kreis interpretirenden Wörter von der Originalität
noch wenig eingebüsst.
Der zweite Vorzug, durch welchen das unserer For-
schung zu Grmnde liegende Sprachgebiet von den übrigen,
namentlich von dem arischen sich hervorthut, ist die mar-
kante Stabilität des Wortschatzes. Dieselbe rührt aller-
dings in erster Reihe von dem agglutinativen Charakter
her, welcher durch das Anschmieden und Einschmelzen
der spätem Zugaben den Grundstoff des Wortes viel
leichter entstellt und verändert als der Process des ein-
fachen Anhängens oder Anreihens. Hierin liegt denn
auch die Hauptursache des eminent stereotypen Charak-
ters, welcher die türkischen Sprachen auszeichnet, eine
Eigentbümlichkeit, der wir es zu verdanken haben, dass
trotz einer immensen geographischen Ausdehnung vom
eisigen Norden bis zum tiefen Süden, vom Drachensee
bis zur Adria, ja trotz einer zeitlichen Entfernung von
historisch nachweisbaren anderthalbtausend Jahren die vom
Hauptkorper losgetrennten Glieder, weder was den Sprach-
schatz noch was die Sprachformen anbelangt, sich der-
massen verändert haben, wie wir in ähnlichen Fällen auf
dem arischen Sprachgebiete wahrnehmen. Wir sprechen
demzufolge nur üblichkeitshalber von türkischen Sprachen,
da wir im Grunde genommen nur von Dialekten reden
sollten, und zwar Dialekte der Sprache jenes Türken-
volkes, das noch heute in der vermuthbaren Urheimat
weilt, d. h. jenen Theil Centralasiens bewohnt, der zwi-
schen den westlichen Ausläufern des Altaigebirges der
Steppe entlang gegen den Easpisee sich hinzieht. Zu
welcher Zeit die Jakuten oder andere Türkenstämme im
Norden Asiens von dem Gros des Volkes sich losgerissen,
welche Umstände sie in der bei den Wanderungen der
15
Menschheit allerdings ungewohnten Richtung von Süden
nach Norden gedrängt haben mögen, dies Hess sich vor-
derhand noch schwer ermitteln, aber der Jakute an der
untern Lena ist trotz der totalen Umgestaltung an Haut-
und Haarfarbe, an Physiognomie und Körperbau dennoch
Stocktürke, und konnte sich mit dem Bruder am Bospo-
rus, falls der zur grammatikalischen Nuancirung nothige
Culturgrad vorhanden wäre, leicht verständigen. Bei den
übrigen Ringen der grossen von Osten nach Westen sich
ziehenden Kette türkischer Volkerschaften fällt dieses
Verhältniss einer blos geringen dialektischen Verschieden-
heit noch mehr ins Auge. Der Oezbege aus Chokand
oder Chiwa, der christliche oder mohammedanische Ka-
zaner, der Turkomane, Azerbaizane und Osmane bilden
untereinander eine Sprachengemeinschaft von eben solch
prägnanten Zügen der Einheitlichkeit, wie z. B. die ein-
zelnen Theile der zwei Hauptgruppen der deutschen
Sprache, nämlich das Niederdeutsch und Hochdeutsch,
ja ich nehme keinen Anstand, die Behauptung zu wagen,
dass der Ostfriese und der Schweizer sich mit dem Zip-
ser oder dem siebenbürger Sachsen wol schwerer ver-
ständigen wird, als dies etwa zwischen Jakuten und
Teleuten mit dem Türken aus Anatolien oder Rumelien
der Fall sein kann.
In Ermangelung türkischer Sprachmonumente von
hohem Alterthume mag ein Vergleich bezüglich der Sta-
bilität mit den arischen Sprachen, wo dem Forscher das
schätzbare Material der Veden zur Verfugung steht, kaum
für thunlich erscheinen, ja die Altersstadien der aus der
Vergangenheit übriggebliebenen sprachlichen Ueberreste
der beiden Rassen variiren zu sehr voneinander, doch
kann uns dies nicht verhindern, die vorhandenen türki-
schen Literaturüberreste zu verwerthen, und zwar auch
schon deshalb, weil sie trotz der Spärlichkeit und eines
16
yerhältnissmässig jungem Datums zur Kräftigung unserer
Ansicht vollauf hinreichen.
Was die ältesten türkischen Sprachmonumente anbe-
langt, so erstrecken sich dieselben nur auf jene Eigen-
namen, welche in griechischen, lateinischen, arabischen
und persischen Geschichtsquellen aus der Periode des
ersten Erscheinens des Türkenvolkes zu uns gelangt sind.
Solche Quellen sind die Werke der byzantinischen Schrift-
steller, wie Porphyrogenitus, Dukas und Theophanes; die
der mittelalterlichen lateinisch schreibenden Autoren, und
die Werke von Tabari, Ihn Athir, Baihaki, Narschachi
u. s. w., in deren Schriften die vorkommenden türkischen
Eigennamen, wenn etymologisch zerlegt, für die Stabilität
des türkischen Wort- und Formschatzes ein glänzendes
Zeugniss ablegen. Mit den neuern, ungefähr neunhundert
Jahre alten Ueberresten verhält es sich noch besser. Hier
haben wir es schon mit langen Texten, wie dem des Ku-
datku Bilik oder der reichen Wortsammlungen in Pe-
trarca^s Arbeit über das Rumänische zu thun, und schon
der blos flüchtig angestellte Vergleich mit der Geschichte
anderer Sprachen wird uns von dem auffallend stereotypen
Charakter der türkischen Mundarten überzeugen. So wie
der uigurische Text des Kudatku Bilik heute jedem Ost-
turkestaner verständlich ist, ebenso wird der Nogai oder
kazaner Tatar ohne besondere Schwierigkeiten die vor
sechshundert Jahren aufgezeichneten Geschichtchen und
Sprüche der Petrarca'schen Handschrift verstehen. Ja
sogar die im Magyarischen übriggebliebenen türkischen
Sprachelemente unterscheiden sich nach einer Zeitfrist von
mehr als tausend Jahren so wenig von dem heutigen Tür-
kisch, dass man bei jedem einzelnen Worte den dialek-
tischen Ursprung genau bestimmen könnte. Braucht es
daher hervorgehoben zu werden, dass analoge Vorkomm-
nisse im Bereiche der arischen Sprachen unmöglich und
17
unerhört sind? Wo ist der Iranier, der einen Pehlevi-
Text versteht; wo der Eündu, der die Sakuntala ohne
Commentar zu lesen vermag, und wo der Deutsche, der
in einem althochdeutschen Texte sich ohne Anweisung
zurechtfinden kann? Dieses Verhältniss wird einigermassen
einleuchtend, da die Sprachen, welche keine Literatur,
wenigstens keine alte Literatur besitzen, ihren ursprüng-
lichen Charakter am reinsten und am längsten erhalten
haben; aber es berechtigt uns doch zur Annahme, dass
so wie die turko- tatarischen Sprachen im beträchtlichen
Zeiträume von tausend Jahren keinen wesentlichen Ver-
änderungen unterlagen, dieses auch in einer noch femern,
kaum zu ahnenden, wenigstens mit Zahlen nicht zu be-
stimmenden Vergangenheit der Fall gewesen sein mag,
und dass demgemäss die Sprache des Türkenvolkes, nach
dem Zeugniss der vorhandenen Beispiele zu urtheilen,
als eine im Laufe der Zeit am wenigsten verän-
derte Sprache erscheint.
Als Hauptursache dieser Stabilität figurirt selbstver-
ständlich die Seclusivität, in welcher die einzelnen
Völker der turko-tatarischen Rasse jahrtausendelang ver-
harrten, eine Seclusivität, die von den ethnischen Ver-
hältnissen der Nachbarwelt bedingt, bei den Nomaden
türkischer Zunge dieselben Resultate zu Tage gefordert,
wie bei andern noch heute in ganz- oder halbnomadischem
Zustande lebenden Steppenbewohnern. Im grossen Drän-
gen und Treiben der einzelnen Menschengeschlechter nach
bessern und klimatisch günstigem Wohnsitzen hat die
Rührigkeit und das Zuvorkommen immer den Ausschlag
gegeben.
Als die selbst heute noch schwerfälligen Türken, mit
dem Wunsche den Zauberbann der Steppenregionen zu
durchbrechen, zur Aufsuchung eines gemässigten Himmels*
Strichs und eines urbarem Bodens sich anschickten, da
Vftmböry, Galtur. 2
18
fanden sie im Süden sowol wie im Westen das Terrain
schon im Besitze arischer Volkerschaften, durch deren
Colturkreise sie wol hindiirchstürmten und auf eine Zeit
lang alles wüst und ode legten. Schliesslich mussten sie
aber, theils verdrängt, theils zersplittert, wieder unver-
richteter Dinge sich in die Steppenwelt zurückziehen,
ebenso wie die arabischen Nomaden, die, in glühender
Begeisterung für den Islam aus der Steppenheimat her-
vorbrechend, über drei Welttheile sich verbreiteten, Städte,
Länder und Reiche über den Haufen warfen, endlich aber
doch wieder als Nomaden, wenngleich als reichbeladene
Nomaden in die nackten und kahlen Ebenen und Thäler
Arabiens zurückkehrten, ohne feste Wohnsitze zu grün-
den ; denn wo das Entstehen neuerer Städte auf arabische
Urheberschaft sich zurückfuhren lässt, da müssen unter
denselben früher schon sesshafte, nicht aber nomadische
Araber verstanden werden. Ob wir daher diese frühere
Abgeschlossenheit der Türken als eine willkürliche oder,
wie eben erwähnt, als eine von den Umständen bedingte
auffassen, so>iel ist sicher, dass die turko -tatarischen
Volkerschaften mit fremden, d. h. mit arischen
Elementen erst in einer verhältnissmässig Jüngern
Zeit in Berührung traten, und dass diese Berüh-
rung, wenngleich hier und da eine starke Ver-
mengung, doch äusserst selten ein gänzliches
Aufgeben der nationalen Individualität nach sich
zog. Es wurden daher auch Osmanen, Azerbaüaner und
die übrigen moslimischen Türken nur nach gänzlicher
Abgeschnittenheit vom Mutterlande und nach Verlauf von
Jahrhunderten zu dem, was sie heute sind.
Diesem Umstände haben wir es zu verdanken ^ dass
die turko-tatarischen Sprachen das schon so oft bewun-
derte Kleid der krystallreinen Durchsichtigkeit bisjetzt
zu erhalten vermochten, und dass wir mittels dieses Vor-
19
zages über das früheste Geschichtsstadium der mensch-
lichen Vernunft eines beträchtlichen Theiles ded Menschen-
geschlechtes eine früher kaUm geahnte Helle zu verbreiten
im Stande sind. Ja wir können auf Grund linguistischer
Beweise dem Menschen türkischer Zunge ebenso viel Ver-
stand und Culturfähigheit vindiciren als dem Arier und
dem Semiten; ja wir können in der Geschichte seiner
primitiven Cultur, weil das bessere Licht seiner Sprache
uns grossere Helle verschafft, viel mehr Stoff zur Be-
wunderung finden, als bei ähnlichen Forschungen in der
dunkeln Vergangenheit der bisjetzt mit Vorliebe als aus-
schliesslich befähigt betrachteten Culturträger in der Ge-
sammtheit des Menschengeschlechtes.
in.
Vor allem wollen wir die culturgeschichtliche Bedeu-
tung der Sprachen im allgemeinen einer Prüfung unter-
werfen, und dann die speciell im Türkischen erlangten
Resultate mit ähnlichen Beispielen auf fremdem, nament-
lich arischem Sprachgebiete vergleichen. Wie fest und
unerschüttert auch unser Glaube an die von Darwin ver-
breiteten Theorien über Entstehung der Arten und über
Ursprung des Menschen sein mag, so wird doch heute
niemand mehr in Abrede stellen, dass der Mensch als ver-
nünftiges Wesen, wie Geiger in der Vorrede seines Buches
richtig bemerkt: „nirgends ohne Anfänge der Cultur, der
Staatenbildung und Sitte, und ohne eine gewisse Kunst
und Industrie gefunden worden ^^ und dass der etwaige
Unterschied zwischen dem Wilden auf Neuseeland und
dem auf der höchsten Culturstufe befindlichen Europäer
weniger in den Abstufungen der Fähigkeit und Kraft,
als vielmehr in der Uebung und Gewandtheit des Den-
kens bestehe; denn während letzterer im Laufe einer
Jahrtausende alten Cultur zum geistigen Kampfe sich
2*
20
geäswangen sah, ist ersterer von den Bedingungen einer
primitiven Lebensart zum Denken weniger angespornt
worden und hat Sinnesträgheit, aber nicht Sinnesmangel
verrathen. So wie die Sprache gewisser, selbst heute noch
auf einer niedem Culturstufe stehender Völker, was
Künstlichkeit des Baues und Logik der Begriffsentfaltung
anbelangt, die Sprache so mancher, einer alten und fort-
geschrittenen Bildung sich erfreuenden Volker in vielem
übertrifft, ebenso zeichnet der Gedankenlauf des primitiven
Menschen, wenn mit dem Ideengange des Bildungsmen-
schen verglichen, sich durch eine wunderbare Consequenz
und Gesetzmässigkeit, durch eine schlichte, aber nichts-
destoweniger alles umfassende, bisweilen auch tiefeindrin-
gende Thätigkeit aus. Es liegt in den mittels der Sprache
zum Ausdruck gelangten allerersten Regungen des mensch-
lichen Geistes mitunter eine ganze Geschichte nicht nur
des geistigen, sondern auch des physischen Lebens. Jeder
Begriff führt gewissermassen das Quellenmaterial seiner
Abstammung mit sich, und stände uns der gesammte
Wortschatz aus den verschiedenen Bildungsstadien eines
Volkes zur Verfügung, wir würden aus demselben am
besten ersehen, wie dieses Volk dachte, wie es ass und
trank, wie es sich kleidete, und wie weit sein Gesichts-
kreis auf dem Gebiete der es umgebenden Natur sich
erstreckt hat. Was dem Sinne fern blieb , das konnte
auch die Sprache nicht beschäftigen, daher sind auch die
Naturerscheinungen der Urheimat und die Vorkommnisse
des Alltagslebens der Menschen am besten aus den Ab-
spiegelungen in der Sprache zu erkennen. Die Sprache
der Gebirgsbewohner ist viel reicher an Bezeichnungen
für einzelne Theile und Gestaltungen der Berge, als die
Sprache der auf ebenem Boden Wohnenden, ebenso wie
die an den, Ufern der Seen, Meere und Flüsse lebenden
Volker, zumeist dem Fischfange obliegend, über Gattungen
21
der Fische, über Windrichtungen, über Fluten und Strö-
mungen viel mehr Bescheid wissen, als der Steppenbe-
wohner, der wiederum einen reichhaltigen Wortschatz über
Technik der Viehzucht besitzt.
Und merkwürdigerweise beeinflusst die Eigenthümlich-
keit der Natur und die mit derselben verbundene Sitten-
welt das Entstehen nicht nur der concreten, sondern auch
der abstracten Begri£Pe. Sich berathen, berathschla-
gen heisst z. B. im Türkischen heng-es-mek , der etymo-
logischen Grundbedeutung nach sich bequem machen,
sich Zeit lassen, sich breit machen (von heng =■
weit, geräumig), und nimmt Bezug auf die Sitte des Sich-
niederlassens behufs Unterredung und Besprechung, bevor
zur Handlung geschritten wird ; ebenso wie der Gegensatz
dieses Begriffes, nämlich asuJc = Eile, Uebereilung, ent-
standen ist, von as = überschreiten, über etwas rasch hin-
weggehen. Leben, Jugend, Alter und Tod ist hinsichtlich
des Menschen mit den auf das Wachsthum in der Pflanzen-
welt bezüglichen Begriffen analog. Man vergleiche z. B. :
jasil =-. grün, jas = feucht mit j(zs = jung,
kijsil = roth, reif r> ktjs = Mädchen, Jungfer,
kuru = dürr » hart = alt,
solmek = welken » ölmek = sterben.
So beruhen im Türkischen die Begriffe schreiben,
malen, zeichnen, Bild, Aussehen, Gesicht auf dem
Grundgedanken des Einschneidens, Ritzens und Gra-
virens, weil eben diese künstlerische Thätigkeit des Men-
schen sich zuerst in besagter Handlung manifestirte.
Während z. B. das lat. domU'S (Haus) mit dem griech.
SbfJio^ (Gebäude), hi^o (baue), dem deutsch, zim-mern^
engl, timb-er, goth. timr-jan verwandt, dem Grundwesen
nach ein Gebäude, ein Gezimmer bedeutet, bekundet das
türkische öj = Haus in seiner Verwandtschaft mit oj =
Tiefe, Grube, Vertiefung, Thal, ganz einfach die speciell
22
türkische Entstehung dieses Wortes, indem die Türken
von jeher unter Haus kein gebautes Ding wie die Arier,
sondern eine Aushöhlung, eine Vertiefung im Boden ver-
standen, wohin sie, um Schutz gegen die Unbill des
Winters zu suchen, sich zurückgezogen hatten, wie sie es
in der nomadischen Existenz noch heute thun. Während
ferner z. B. das lat. bellum = Krieg, nach Curtius, II, 43,
von dueUum stammend, dem etymologischen Werthe nach
ein Zweigefecht bedeutet, bürgt das türk. jagi = Krieg,
Feindseligkeit, den Inbegriff des Sichtrennens, Sichzer-
streuens, und bezeichnet das Aufgeben des eine Gesell-
schaft zusammenhaltenden einheitlichen Bandes, nämlich
des Friedens, welch letzteres Wort auch in der That durch
il^ der etymologischen Bedeutung nach Bund, Verband,
ausgedrückt ist.
Von der Annahme ausgehend, dass die menschliche
Vernunft in erster Beihe von den Erscheinungen der
Aussenwelt angeregt wird und nur im Verkehre mit der-
selben sich entwickelt, müssen wir es für ganz natürlich
finden, dass die Sprache in den stets fortlaufenden Cul-
turbewegungen sich auch solche fremde Begriffe aneignet,
und dieselben theils mittels Lehnwörtern, theils mittels Schö-
pfungen auf dem Gebiete des eigenen Sprachschatzes aus-
drückt. In dieser Richtung können wir verschiedene
Wahrnehmungen machen. Volker, die in dem Zustande
ihrer primitiven Cultur mit einer in Bildung viel mehr
fortgeschrittenen Gesellschaft zusammentreffen, lassen sich
selten die Zeit, die ihrem Gesichtskreise sich aufdrängen-
den neuern Begriffe aus dem eigenen Sprachmaterial
herauszubilden, sondern sie nehmen mit dem fremden Be-
griff auch zugleich das betreffende fremde Wort an, wäh-
rend andererseits der Mensch, solange er noch auf sich
allein angewiesen, bei der langsamen und allmählichen
Entfaltung seiner Geisteskraft zur Erkenntniss der noch
23
8o sehr complicirt scheinenden Begriffe abstracter und con-
creter Natur von sich selbst gelangt, und dieselben auch
mit der Hülfe des eigenen Sprachmaterials interpretirt.
Daher kommt es, dass die modernen Sprachen der arischen
und semitischen Volker eine Unzahl von Wörtern von-
einander entlehnt haben, während das Türkisch-Tatarische,
soweit aus dem Bilde seiner primitiven Cultur ersichtlich
ist, nur eine verschwindend kleine Anzahl von Fremd-
wortern, die insgesammt auf dem ersten Anblick zu er-
kennen sind, aufweist. Wenn wir z. B. Ahlquist's „Cul-
tur worter der westfinnischen Sprachen" zur Hand nehmen,
werden wir finden, dass die finnischen Volker vom Meer-
busen von Riga bis hinauf zur nordlichen Spitze des
Bottnischen Meerbusens — die dort gewiss keine Neu-
linge sind, da sie doch schon den Römern bekannt waren
— in ihrer geographischen Stellung zwischen Slawen und
Germanen , dennoch von letztern selbst solche Worter ent-
lehnt haben, die auf Gegenstände des Alltagslebens, ja auf
den primitivsten Zustand der Cultur sich beziehen, und die
im Türkischen fast durchweg als genuin anzutreffen sind.
Nachfolgende Liste wird uns einen hinreichenden Ein-
blick in dieses Verhältniss verschaffen. So vergleiche
man nur zu diesem Behufe:
FinniRch
Skandinavisch
Slawisch
Ttirkiflch
hepo (Pferd)
häppa
—
at
hmma (Schaf)
lamm
—
kuzu
siha (Schwein)
sugga
tonguz
kana (Hahn)
hana
—
ätäk
•
pelto (Acker)
Feld
tarlaJc
kirves (Axt)
—
kirvi
baÜa
kuokka (Hacke)
kroka
—
capa
qtra (Pflug)
hagra
—
sapan
jivät (Getreide)
—
javai
hugdaj
kryyni (Grütze)
gryn
—
tank
•
24
Finnisch Skandinavisch
Slawisch
Tfirkiscli
JcuUu (Gold)
guld
slato
aUln
JceUa (gelb)
—
gelta
sarik
sininen (blau)
—
sinij
kok
okTcuna (Fenster)
oJcna
tünglük
arkku (Kasten)
ark
—
sandik
•
pota (Topf)
potta
cömlek
Tcattüa (Kessel)
hatel
hotjol
kaean
•
saapas (Stiefel)
sopog
ötük
meri (Meer)
—
mori
tengiz
paatti (Boot)
hoat
kejmi
lotja (Schiff)
—
lodka
kajuk
arro (Ruder)
ära
esgek
penningi (Geld)
penning
tenge
Viwka (Wage)
—
••7 / ••
olcu
mies (Ehemann)
—
muz
koia
morsian (Braut)
—
marczios
kelin
naapuri (Nachbar)
nciho
u. s. w.
konsu
Aehnlich, wenngleich nicht identisch ist das Verhält-
niss der im Magyarischen sich vorfindenden entlehnten
Culturwörter, wo der Lowenantheil des fremden Gutes
dem Slawischen zugesprochen werden muss, weil die Sla-
wen als sesshafte Bevölkerung auf den Gefilden des alten
Pannoniens den von Nordost hereingebrochenen Ungarn
in Ackerbau, Handwerk und andern friedlichen Beschäf-
tigungen Unterricht gaben.
Setzen wir nun unsere Forschungen über das Ver-
hältniss der entlehnten Culturwörter in den übrigen euro-
päischen Sprachen fort, so werden wir zur Einsicht ge-
langen, dass im Russischen z. B. die turko-tatarischen
Lehnworter zumeist solche Begriffe repräsentiren, die von
dem allerdings nur schwachen moslimischen Bildungs-
geiste der benachbarten türkisch-tatarischen Welt auf die
25
damals in gesellschaftlicher und staatlicher Beziehung noch
niedriger stehenden Russen übergegangen sind, in ihrer
Totalitat jedoch insofern ein werthyoUes culturgeschicht-
liches Moment darlegen, indem jedes einzelne Lehnwort
sozusagen als Conterfei jener Bildungsstufe zu nehmen ist,
auf welcher die Russen zur Zeit ihrer Berührung mit den
turko-tatarischen Elementen gestanden. Wenn die Russen
z. B. den Tataren Worter als Tcdzna (Schatz) arab.-türk.
chcusina, jassak (Tribut) tat. jasaik (Gesetz), jasaul (Of-
fizier) tat jasaul (Aufseher), ein (Rangstufe) tat. ein
(Mass, Ordnung) entlehnten, so bekundet dies den unver-
kennbaren Grad grosserer Vertrautheit der Tataren mit
den staatlichen Institutionen; ebenso wie Worter*, als;
archaitich (Oberkleid) t. arJcälük, cadra (Schleier) t. catir
(Frauenmantel), Chalat (Schlafrock) t.-ar. chalai (Kleid,
Ehrenkleid), sunduk (Eiste) t. sanduk (Truhe), eharz
(Kost auf einer Reise) t.-ar. clmrz (Spesen), socha (Pflug)
t. soka (Pflugmesser), jachont (Edelstein) t.-ar. jakut
(Rubin), morin (Wallach) mong. morin (Pferd), isak
(Maulesel) t. isek (Esel), cakmar (Stampfe) t. cokmar
(Keule), saiga (Antilope) t. saiga, käban (Wildschwein)
t. kaban, kamis (Rohr) t. kamus^ kisla (Meierhof) t. kis^
lak (Winterquartier), kudus (böser Geist) t. kudus (wahn-
sinnig) u. s. w,, theils auf solche Kleidungsstücke, Ge-
räthe, Thiere u. s. w. sich beziehen, die nur durch den
Verkehr mit den Tataren in den Bekanntschaftskreis der
Russen gezogen worden sind.
Dieselben oder wenigstens ähnliche Ursachen liegen
dem im mittelalterlichen Abendlande eingedrungenen Ein-
flüsse der arabischen Sprache zu Grunde, denn nachdem
wir die Elemente der Arithmetik, der Medicin und der
Chemie von den Arabern gelernt haben, und nachdem wir
in so manchen Civilisationssachen bei ihnen in die Schule
gegangen sind, darf es gar nicht wundernehmen, wenn
26
wir in Ziffer das arab. Sifr, in Algebra das arab. AUffobr,
in chemise das arab. himis, in Oase das arab. Uadi (Thal,
Ebene), in Tammarinde das arab. Thamar hindi (indische
Fracht) u. s. w. erkennen, ebenso wie heute, nachdem
die Bildung des Westens die Cultur des Ostens über-
flügelt hat, Türken, Perser und Araber es sich wo! ge-
fallen lassen müssen. Worter wie: Politscha (Wechsel),
Politikaj Schemendufer (Eisenbahn), Telegraf, FarlamentOj
Subie (souspied) u. s. w. aufzunehmen, ja binnen kurzem
ein ganz respectables Fremdwörterbuch sich anzueignen.
Es ist wol nicht ausgeschlossen, dass Volker von einem
niedem Bildungsgrade auf die ihnen geistig überlegenen
Nachbarn hier und da allerdings nur geringen sprach-
lichen Einfluss ausüben, der zumeist auf Kernausdrücke
oder auf solche Gegenstände und Sitten sich bezieht, die
im gegenseitigen Verkehr, wenn auch von der allerkürze-
sten Dauer, von dem einen Theil auf den andern über-
gehen, so z. B. die im Englischen vorkommenden, dem
Hindostanischen entlehnten Worter, wie Ättar, Tiffin,
Curry ^ oder das türkische hosch (eitel, nichtig), welches
während des Krimkrieges von den britischen Soldaten
heimgebracht wurde, oder wie das deutsche Schabracke,
welches dem tatarischen caprdk (Decke) entlehnt ist; doch
im grossen und im allgemeinen ist es eine vom natür-
lichen Lauf der Dinge bedingte Thatsache, dass sowie
bei einzelnen Menschen der Jüngling zumeist den in Er-
fahrungen herangereiften Greis sich zum Muster nimmt,
ihn in Handlungen und Worten nachahmt, ebenso die
culturell jüngere Gesellschaft von der ihr vorangeschrit-
tenen altern sich belehren zu lassen pflegt, und mit den
fremden Sitten und Gebräuchen auch fremde Wörter an-
nimmt.
27
IV.
Um nun speciell auf die culturgeschichtliche Bedeu-
tung des türkisch-tatarischen Wortschatzes zurückzukom-
men, so werden bei eingehender Prüfung des in seiner
Gesammtheit und mit dem Stempel des vordialektischen
Zeitalters versehenen Sprachstoffes sich die zwei früher
schon kurz angedeuteten Vorzüge unserer Aufmerksam-
keit besonders empfehlen. Erstens dass die Culturwörter
der türkischen Sprache ungleich den einzelnen Abthei-
lungen der verwandten finnisch-ugrischen Mundarten eine
merkwürdige Originalität und Stabilität bewahrt
haben, d. h. es finden sich alle jene Begriffe, die einem
frühern Stadium der vorgeschichtlichen Vergangenheit der
menschlichen Vernunft sich aufdrängten, mit Hülfe des
eigenen Sprachmaterials interpretirt, und mit dem Gepräge
der primitiven Denkungsart des Urmenschen vor, und
legen ein beredtes Zeugniss dafür ab, dass das Gros des
türkischen Volkes viele viele Jahrtausende auf
sich allein angewiesen, ohne einen engen Ver-
kehr mit der Aussenwelt existirte, und dass fer-
ner die Zersplitterung in einzelne Stämme in
einem verhältnissmässig erst jungem Zeitab-
schnitte stattgefunden haben muss.
Würde dies nicht der Fall sein, und würde die von
geographischen Umständen ermöglichte Exclusivität nicht
den nothigen Schutz geleistet haben, so müsste z. B, das
Jakutische im Norden, und das im 12. Jahrhundert schon
bekannte Rumänische im Westen, von fremden Elementen
viel stärker durchdrungen sein, als sie es sind; ja wir
müssten in denselben geradezu einer solchen Anzahl von
Lehnwortern für die allerprimitivsten Begriffe begegnen,
wie in den finnisch-ugrischen Sprachen, wo Axt, Acker,
28
Kessel, Braut, Kachbar n. s. w. heute als Lehnwörter
vorkommen.
Dieser streng stereotype Charakter der Formen und
des Wortschatzes muss, wie schon erwähnt, bei ange-
stellten Vergleichungen zwischen den vorhandenen Sprach-
monumenten und den einzelnen Sprachen der Gegenwart
auffallen, und durfte selbst mit Bezug auf das allerent-
fernteste Alterthum nachgewiesen werden können. Wir
brauchen zu diesem Behufe nur die primitivsten Worter
der Sprache, nämlich die Benennung der einzelnen Kor-
pertheile ins Auge zu fassen, um zu sehen, welch geringen
Veränderungen sowol die Stammsilbe als auch das fertige
Wort ausgesetzt war. Wenn z. B. einzelne Korpertheile,
als: Fuss, Hand, Auge, Ohr als nomen agentis erscheinen,
vgl. at (gehen, schreiten) — at-ak (Fuss) ; cH (nehmen) —
ohik, el'ik (Hand); hör, hös (sehen) — Mz (Auge); hui
(hören) — Tcul-ak (Ohr); tut (fassen) — tut-kak (Lippe);
tis (brechen, zerbrechen) — tis (Zahn) u. s. w., so kann
es wol wenig bezweifelt werden, dass die betreffenden
Stammsilben, nämlich at, al, kor, kul, tut und tis, die
noch heute sich unverändert vorfinden, gewiss so alt sein
müssen, als der türkische Mensch, der mittels derselben
den fraglichen Begriffen zuerst Ausdruck verlieh. Da ein
solches Zeugniss von ünveränderlichkeit des Wort- und
Formenschatzes bisjetzt in keiner wissenschaftlich unter-
suchten Sprache sich nachweisen lässt, so kann auch die
Sprache des Türkenvolkes als jenes Idiom bezeichnet wer-
den, das sich verhältnissmässig am reinsten er-
halten hat, uns daher das beste Quellenmaterial
zur Erforschung der primitiven Culturzustände
des betreffenden Volkes liefert.
Dass unter solchen Umständen bei den türkischen
Mundarten das Verhältniss der Stammsprache sich
leichter als anderswo eruiren lässt — da wir es nur mit
29
Dialekten und nicht mit Tochtersprachen zu thun haben
— braucht wol kaum in Frage gestellt zu werden.
Als türkische Stammsprache verdient diejenige genannt
zu werden, die von jenem Theile des Türkenvolkes ge-
sprochen wird, der noch heute auf dem mit viel Wahr-
scheinlichkeit anzunehmenden Ursitze des ganzen Volkes
wohnt. Dessen Yerhältniss zu den einzelnen Zweigen ist
allerdings leicht sicherzustellen, dagegen entbehren seine
Beziehungen zu dem östlichen Nachbar, d. h. zum Mon-
golischen, noch immer eines klaren und positiven Auf-
schlusses, da trotz des Bundes einer nahen Verwandtschaft
das Türkische ebenso wenig für eine Tochtersprache des
Mongolischen, als umgekehrt, angenommen werden darf.
Andererseits hingegen ist es nicht zu verkennen, dass
Türken und Mongolen viel näher zueinander stehen, als diese
beiden zu den Finnen-Ugriern, die vom gemeinsamen ural-
altaischen Stamme sich zuerst losgetrennt haben und nach
dem hohen Norden gedrängt wurden. Wenn wir daher
bei der türkischen Stammsprache — worunter wir in
erster Reihe das Uigurische und das Altaische verstehen
— die aussergewohnliche Stabilität hervorzuheben berech-
tigt sind, so können wir nicht umhin, auch auf die mittels
derselben zum Ausdruck gelangte Entwickelung der
menschlichen Vernunft hinzudeuten, und namentlich auf
jene bei der Entfaltung des Begriffskreises sich zeigende
Logik aufmerksam zu machen. Es kann wol schwerlich
etwas Sinn- und Geistreicheres geben, als die Art und
Weise, in welcher irgendein Grundbegriff mit seinen noch
so sehr entfernten Derivaten abstracter und concreter
Natur zusammenhängt.
Nehmen wir z. B. den in §. 1 unsers „Etymologischen
Wörterbuchs" gebrachten Begriff von weiss, offen und
leer, und untersuchen wir einmal den weitern in diesem
Begriffskreis vorherrschenden Ideengang. Abgesehen da-
80
von, dass weiss, offen und leer ganz richtig für ver-
wandte Begriffe gehalten werden können, muss es in
fernerer Consequenz des Ideenganges als naturgemäss be-
trachtet werden, wenn mit dem Grundbegriffe weiss die
Helle, das Licht, der Mond, das Freie, die Oeffentlich-
keit und die Welt, wenn femer mit leer oder offen
hungrig, nüchtern, arm, Thür und Mund als eng verwandt
dargestellt wird. Betrachten wir weiter den unter §. 179
gebrachten Grundbegriff von fest, dicht und hart, und
fassen wir seine vielseitigen Derivata näher ins Auge. Wir
begegnen zuerst den Begriffen Menge, Vereinigung, Ge-
schlossenheit, Dichtheit und dessen bildliche Verwerthung
in schmollen (sich zusammenziehen) und sich betrüben;
zweitens finden wir das Motiv zur Benennung von a) ge-
schlossene dunkle Korper oder Räume, als: Hohle, Holle,
Ader, Gefangniss; b) erstarrte und harte Körper, als:
Eisen, Eis, Frost; c) da offen und Licht für identisch
gelten, auch deren Gegensatz, als: Finstemiss, Nebel,
Nacht u. s. w. Fast jeder Abschnitt des „ Etymologischen
Wörterbuchs" konnte als kräftigendes Beispiel der von
uns betonten geist- und sinnreichen Constitution des tür-
kischen Wortschatzes verwerthet werden, sodass dieser
Vorzug des Türkischen den Sprachphilosophen nicht ge-
nug empfohlen werden kann.
Was den Forscher aber in dieser Hinsicht noch mehr
anziehen muss, das ist die Congruenz des Ideenganges
in ein und demselben Begriffskreise der türkischen und
anderer, z. B. arischer Sprachen. Es kann nicht gleich-
gültig sein, wenn wir bemerken, wie der Mensch in einem
Winkel Asiens, inmitten der Abgeschlossenheit einer nack-
ten Steppenheimat, bei der Benennung des einen oder
andern ihm nahe liegenden Gegenstandes, oder bei der Be-
zeichnung des einen oder andern sich ihm aufdrängenden
Gefühles oder einer Empfindung entweder ganz genau
31
dieselbe oder eine ähnliche Entwickelung der Vernunft
kundgibt, wie der von ihm Tausende von Meilen ent-
fernt unter fremdem Himmelsstrich lebende Mensch —
ohne dass beide auf irgendeine Weise in geistiger oder
materieUer Berührung je miteinander gestanden haben.
Ob und wie diese analoge Thätigkeit der menschlichen
Vernunft zu etwaigen Theorien über den gemeinsamen
Ursprung des Menschengeschlechtes verwendet werden
könne, das wollen wir dem Sprachphilosophen von Fach
überlassen; für uns ist es hinreichend, das Factum selbst
zu registriren und einige hierauf bezügliche Beispiele vor-
zuführen, wo die türkischen meinem „Etymologischen
Wörterbuch", die arischen zumeist Curtius' ,, Grundzüge
der griechischen Etymologie^^ entnommen sind:
Arisch Turko-Tatarisch
Annas (Jahr) — annuliis ü, jil (Jahr) — ijil (Bug,
(Ring, Rundung). Rundung, Krümmung).
xaX6<; (sch5n) — skt. Tcaljds jdksi (schon), jdkuk (treflF-
(gesund), goth.%a«75 (heil). lieh, gut, fromm ),^ sak
(gesund, recht).
>cap7c6(; (Frucht, d* h. Ab-
geschnittene) — carpo
(schneide), dtsch. Herbst.
Tcis, Tees (schneiden), Tcüs,
Ms (Herbst, Schnittzeit,
Zeit des Scherens der
Schafe).
xpfvo (scheide), >cptrj(]^ (Rieh- jargamak (scheiden, spal-
ter)- ten), jar^uci (Richter),
jargu (ürtheil).
(xaxpoc (lang), fxaxap (bea-
tus), macte (gesegnet).
uluk (gross), ö^ö[/wa^(wach-
sen), oUajmak (segnen,
verehren).
32
Arisch
apY59oc (licht, weiss), ap^u-
poc (Silber).
Turko-Tatarisch
alc (weiss, licht), akce (Sil-
ber),
Xetp (Hand) — skt.
(rapio).
olik, elik (Hand), almäk
(nehmen, fassen).
Xiqpo^ (beraubt), xiP* talamak (berauben), dalj tal
(Witwe), X'^P^o (mache (nackt, leer), tul, dul
leer). (Witwe).
Xpto ( bestreiche ) , XP^t^^^
(Salbe), XP^^ (Farbe).
maUnak (eintunken, bestrei-
chen), maj, moj (Fett, But-
ter), 6(ya, moja (Farbe).
^epeo(;, skt. sthiras (fest),
lat. stenliSj stiria (Eis-
zapfen), stilla (Tropfen),
mhd. star (rigidum) —
dtsch. erstarren*
Um, tum (fest) — tam
(Tropfen), tong (Frost),
tofilu^ tolu (Hagel).
DQXU (schmelze), lat. täbes
(Flüssigkeit) — täbum
(Eiter).
mmeA; (schmelzen), irmak
(Fluss), irin (Eiter).
7cXTfiS'u(; (Menge) — lat. ple-
hes, populus (Volk), slaw.
pluk (Haufe), engl, ßock
(Heerde), dtsch. VoUc.
il (Bündniss, Vereinigung,
Volk, Friede), jilki, üki
(Heerde).
|jLs5i) (Wein), dtsch. Meth^ sücuk (süss), süzik (Wein),
slaw. med (Honig)«
Gegenüber dieser von uns hervorgehobenen Congruenz
des Ideenganges konnte allerdings die Einwendung ge-
33
macht werden, dass ähnliche Wahrnehmungen auch auf
andern Gebieten des menschlichen Denkens zu machen
seien, so z. B. in der Analogie gewisser Sitten, als: das
Behängen einzelner zumeist auf Anhohen befindlicher
Bäume oder Stauden mit Kleiderfetzen, das gegenseitige
Oeffnen der Armader bei einem Schwüre," und schliesslich
der Feuercultus bei den verschiedenen Volkern Asiens,
Afrikas und Amerikas, worin wir nicht minder augen-
fällige Punkte eines einheitlichen geistigen Verbandes des
ganzen Menschengeschlechtes erkennen müssen. Nun ja,
dies lässt sich keinesfalls in Abrede stellen, und unsere
angestellten Vergleichungen wollen einzig und allein dar-
auf hindeuten, dass die dem Menschen innewohnende
Denkkrafb in gar keinem Zusammenhange stehe, weder
mit der Schädelformation noch mit andern physischen
Eigenheiten, und dass Turko-Tataren oder Ural- Altaier
ebenso denkfähig und denkkräftig sein können wie ihre
Nebenmenschen arischer und semitischer Abkunft.
Auf keinem Gebiete der Philologie kann es leichter
sein, aus dem Bau der Sprache, es sei dies mit Bezug auf
den Formen- oder den Wortschatz, die künstlerische Voll-
kommenheit der menschlichen Vernunft in solch eclatanter
Weise hervorleuchten zu lassen, als eben auf dem Tür-
kischen. Wenn die Durchsichtigkeit des Grundstoffes den
Turkologen bisjetzt so sehr entzückt hat, so wird das
wundervolle Gebäude der Wortbildung um so mehr An-
ziehungskraft ausüben, als sie dem Culturhistoriker eine
sichere Leuchte verschaffet, mit deren Hülfe er das dunkle
Reich Jahrtausende alter Vergangenheit durchforschen,
und über die allerfrüheste Existenz eines nicht unbedeuten-
den Theiles des Menschengeschlechtes sichern Aufschluss
erlangen kann.
Vimbörji Cnltiir.
34
Y.
Welches sind denn eigentlich die berechtigten Vor-
stellungen von der primitiven Cultur des turko-tatarischen
Volkes? Eine Antwort hierauf ist um so leichter, wenn
wir in Erwägung ziehen, dass es in der jüngsten Ver-
gangenheit, ja gewissermassen noch heutzutage auf der
centralasiatischen Steppe nomadische Existenzen gibt, die
das Bild einer uralten primitiven Lebensweise wiedergeben,
ein Bild, dessen Alter, wenn wir die wenigen einer frem-
den Cultur entlehnten neuern Züge abstrahiren, sich leicht
auf Jahrtausende zurückfahren Hesse. Sowie Ahlquist
(S. 268) mit Recht bemerkt: „Man k^nn also aus der
Lebensweise und dem Culturzustande der ugrischen Fin-
nen auf die Lebensweise und die Culturstufe der Finnen
schliessen, die aus dem Osten in die Ostseeländer ein- [
wanderten", ebenso können wir die Behauptung wagen,
dass der kirgisische und der turkomanische Aul im An-
fang dieses Jahrhunderts, als der russische und west-
europäische Einfluss noch nicht so weit in das Herz
Asiens einzudringen vermochte, nicht wesentlich verschie-
den war von dem ältesten Culturzustande dieser Völker,
und dass namentlich der ärmere Theil der Steppenbe-
wohner, der gewisse fremdländische Gegenstände einer
verfeinerten Bildungswelt nicht zu erschwingen vermochte,
dieselbe Existenz fristete, in welcher seine Ahnen und
Urahnen vor dem Verkehr mit den Iraniem und vor
dem Einfalle der Araber in Transoxanien verharrten.
Da mit Hinblick auf die oft betonte Originalität der
türkischen Cultur wörter, und mit Berücksichtigung dieses
Vorzuges über andere ural-altaische, und noch mehr
über arische und semitische Sprachen, die verschwin-
dend kleine Anzahl der Lehnworter sich genau nach-
weisen lässt, so können wir mit ziemlicher Sicherheit
35
sagen, dass es einzig und allein die arische, resp. die alt-
iranische Culturwelt war, die schon im grauen Alterthume
auf das Türkenvolk den ersten bildenden Einfluss aus-
geübt hatte. Von den alten Sitzen der iranischen Welt
aus den heutigen Oxus- und Jaxartesländern, sowie aus
den ostlichen Vorposten im heutigen Alti-shehr, oder aus
deren nordwestlichen Irrenzmarken an der untern Wolga,
woher iranische Bildung zu Türken und Ugriern in glei-
cher Weise gelangte, schienen die spärlichen Funken einer
vorgeschrittenen Bildung zu den Türken in der urheimat-
lichen Steppenwelt gedrungen zu sein, und dass es nur
altiranischer und nicht chinesischer Cultureinfluss gewesen
sein konnte, das beweist uns eben die Sprache, in welcher
die Namen der aus südlichem Breitengraden in die ver-
muthliche Urheimat importirten Gegenstande, Eieider oder
Thierarten nie in chinesischen, aber durchweg in ira-
nischenFremd- undLehnwörtern anzutreffen sind.
Was wir unter türkischer Urheimat verstehen, das kann
demnach nur auf das mit den alten Ursitzen der Iranier
im Norden benachbarte Gebiet sich erstrecken, sowie wir
unter dem türkischen Urmenschen nur jenen Menschen
verstehen können, der sich desselben Idioms bediente, das
wir heute als selbständige Sprache der Türken kennen,
eine Sprache aus deren etymologischer Zergliederung uns
wieder der Urzustand nur desjenigen Volkes, das wir das
Türkenthum nennen, zu Tage treten kann. Wie bei keinem
Volke auf Erden, ebenso liesse sich auch bei den Tür-
ken die Zeit ihrer Einwanderung in die sogenannte Ur-
heimat nur schwer oder gar nicht ermitteln. Mit der
Sprache verhält es sich jedoch anders; da diese sozusagen
die geschriebene Geschichte seiner frühesten gesellschaft-
lichen Entwicklung bildet und nur ihm allein eigen ist
und eigen war, so muss die Vermuthung: der Türke
konnte früher irgendeine andere Sprache gesprochen haben,
86
schon ipso facto ans dem Bereiche der Möglichkeit aus-
geschlossen werden.
um nun zum Gesammtbilde der primitiven Cultur der
Türken überzugehen, muss .gleich im vorhinein bemerkt
werden, dass wir es hier mit einem in seinem innersten
Wesen noch durch und durch nomadischen Volke zu thun
haben, dessen überwiegende Mehr^hl seit undenklichen
Zeiten auf den weiten mit Gras und Schilf bedeckten
Niederungen mit seinen Pferde-, Schaf- und Kamelheer-
den umherirrte, nur von Milch, Fleisch und Fett der
Thiere sich nährte, und nur mit den Häuten' der Thiere
sich kleidet«. Neben diesen muss es schon in der Urzeit
eine Minderzahl des Türkenvolkes gegeben haben, die in-
folge günstigerer Verhältnisse des Bodens und des Kli-
mas sich mit Landbau beschäftigten, ohne jedoch hierin
von fremden Völkern unterrichtet worden zu sein, denn
während z. B. von den Slawen, als den Ackerbaulehrern
der Germanen und Magyaren, so manche auf dieses Fach
bezügliche Benennungen in der Sprache der Deutschen
und Ungarn sich erhalten haben, weißt das Türkische
auch nicht die geringste Spur von derartigen Lehnwor-
tern auf. Wol ist es aus der Natur der Dinge erklär-
lich, dass der Viehzucht und dem Ackerbau der Lebens-
unterhalt mittels Jagd und Fischfang vorangegangen sein
muss, doch bietet die Sprache hierzu nur einen schwachen
Anhaltepunkt. Auf der Jagd schien man sich früher der
Netze und Schlingen, die aus gedrehten Baum- oder
Pflanzenfasern bereitet wurden, statt der Hau^ und Stich-
waffen bedient zu haben, da der Mensch auf der weiten
Ebene in Ermangelung von Reitthieren, wozu man sich
nur später verhelfen hatte, dem flüchtigen Wild nicht
nahe kommen konnte; und der Fischfang muss, wie dies
noch heute der Fall ist, nur eine Nebenbeschäftigung ge-
bildet haben, ungleich dem Leben der finnisch-ugrischen
37
Volker, bei denen Jagd und Fischfang den Hauptnahrungs-
zweig ausgemacht hatte, wie wir dies noch heute bei den
Wogulen und Ostjaken sehen. Man muss im allgemeinen
mit Hinblick auf die von der Natur der Heimat bedingten,
bei dem Gros des Türkenvolkes noch heute tief eingewur-
zelte Wanderlust, Hang nach Abenteuern und Liebe zu
den Thieren, die Türken als die eingefleischtesten Noma-
den des gesammten bisher bekannten Menschengeschlech-
tes bezeichnen, in welcher Hinsicht unter den Volkern
Asiens nur die Kinder der arabischen Wüste ihnen einiger-
massen nahe kommen; w^der von den Urvolkern Afrikas
noch Amerikas und Australiens Hesse sich Aehnliches nach-
weisen.
unter Haus verstand man ursprünglich eine Grube,
eine Vertiefung im Boden, und die allererste Wohnung,
nämlich catma = Zelt, d. h. das Zerlegbare, eigentlich
das Zusammensetzbare, war für das Wanderleben berech-
net; dies ebenso wie sämmtliche durchweg mit genuinen
Namen bezeichneten Hausgeräthe und Einrichtungen lie-
fern uns das beste Zeugniss von der Originalität der be-
treffenden Erfindungen.
Mit Ausnahme der aus Erzen bereiteten Gegenstände,
und in erster Reihe der eisernen Waffen, haben die Tür-
ken in sämmtlichen Zweigen der zur nomadischen Existenz
unentbehrlichen Hausindustrie sich schon früh ausgezeich-
net, ja ihre hierauf bezügliche Kunstfertigkeit muss den
benachbarten, einer hohem Cultur sich erfreuenden Ariern
schon frühzeitig aufgefallen sein. Zu den Gewerben ur-
türkischen Charakters gehören unter andern die Bereitung
des Leders, des Filzes, der Teppiche, des Pfeilbogens
und des Beit- und Sattelzeuges. Besonders hervorgehoben
zu werden verdient die Geschicklichkeit in der Vieh- und
namentlich in der Pferdezucht, worin die Türken von je-
her sich hervorthaten. Aus dem Thierreiche waren Pferd,
38
Rind, Esel, Kamel, Hund, Schaf, Katze, Hyäne, Tiger,
Fuchs, Marder schon in der Urzeit gekannt, während
z. B. Ziege und Leopard, wie aus deren fremden Namen
sich schliessen lässt, aus einem südlichem Breitengrade
in die Urheimat gelangten. Von den Vögeln sind Falke,
Geier, Adler, Kukuk, Schwan, Gans, Ente, Huhn und
Tauben als heimisch zu betrachten; von den Getreidearten
ist nur das früheste Bekanntsein von Hirse und Weizen
sicherzustellen.
So allgemein und ureigen wie die Art und Weise,
mittels welcher der türkische Urmensch sämmtliche zu
seinem Lebensunterhalt erforderliche Mittel und Geräthe
sich angeschafit, und in dieser Hinsicht aus eigenen Kräf-
ten sich auf einen bedeutenden Grad der primitiven Cul-
tur zu schwingen gewusst hat, ebenso allgemein sind die
gesellschafllichen Institutionen, die schon aus dem ersten
Stadium des Zusammenlebens, ohne irgendein fremdes
Zuthun herauswuchsen und mit dem treuen Gepräge des
echten Türkenthums, in der Individualität des dem frem-
den Einflüsse entrückt gebliebenen Nomaden noch heute
zu erkennen sind. Hierher gehört in erster Beihe der streng
patriarchalische Charakter des Familien wesens, dessen
Geist von der Familie in die Genossenschaft, des Auls,
vom Aul zum Stammes- und Zweigesoberhaupte, und von
diesem zu der später entstandenen Würde des Kaan oder
Chan (Fürst) übergegangen war. Mit der Begierung Hand
in Hand ging das Schaffen der Gesetze, welche alters-
gewohnten, daher geheiligten Sitten und Gebräuchen ent-
springend schon früh in höchster Achtung standen und
zu Begulativen des privaten und öff'entlichen Lebens wur-
den. Die Beligion, soweit uns bekannt von jeher der
Schamanismus — Beste des Thiercultus sind noch in der
Furcht und Achtung vor dem Wildschwein zu entdecken
— ist ebenfalls türkisch -tatarischer Geistesrichtung ent-
39
sprangen, indem wir in den Grundprincipien derselben
den Reflex jenes Verhältnisses entdecken, das zwischen
dem zur Denkkraft heranreifenden Menschen und der ihn
umgebenden furchterregenden Steppennatur sich gestalten
musste. Gegen die unsichtbaren Herren der Welt', d. h.
gegen die Gotter oder Geister, glaubte man sich einiger-
massen sicherzustellen, indem man zum Schaman (Prie-
ster), richtiger zu dessen unsichtbarer geistiger Kraft
seine Zuflucht nahm, so wie man andererseits zur Abwehr
der sichtbaren Feinde des Menschen, d. h. gegen Raub-
thiere, sich untereinander schon früh vereinigt haben muss.
In dieser Vereinigung, d. h. in der Jagdgesellschaft, liegt
der Grund des türkischen Militärwesens, daher die Iden-
tität ehemaliger Jagdchargen und heutiger höherer mili-
tärischer politischer Würden. Man vergleiche z. B. kous,
kus = Jagd, mit kous, kogus = Hausgesinde, Gefolge; hus-
legi =■ Jagdaufseher, mit kuSbegi = Vezier; karaul = Trei-
ber auf der Jagd, mit karaül = Vorposten u. s. w. Nur
in Anbetracht des Umstandes, dass der türkische Ur-
mensch auf seiner öden Heimat zur Abwehr der vielsei-
tigen Unbill mehr Kraft entfalten musste, als der Mensch
unter andern günstigem Regionen, mag es einigermassen
erklärlich werden, dass das Türkenvolk schon in der
frühesten Phase seiner Existenz hinsichtlich der Organi-
sation seiner Wehrkraft den Menschen arischer und semi-
tischer Abstammung weit übertraf; dass er in personlicher
Tapferkeit im Kampfe mit den rauhen Elementen und in
jeglichen Entbehrungen sich von jeher auszeichnete, und
dass er schliesslich, wie es die natürliche Folge der Sache
mit sich bringen musste, den friedlichen Beschäftigungen
nie besonders geneigt, zur Pflege der friedlichen Künste
sich nur schwer anschicken konnte, und dass er Krieg
und Kampf dem ruhigen Leben vorzog. Aus dem Schä-
fer, der seine Heerde auf üppigen Fluren und Triften, in
40
anmuthigen Thälern weidet, konnte der Zauber der idyl-
lischen Natur ebenso leicht einen friedfertigen Menschen
machen, als der Hirt, der sein Vieh unter den Schrecken
einer grauenvollen Wüstennatur gegen die auf der von
allen Seiten her offenen Steppe sich herumtummelnden
Baubthiere zu vertheidigen hatte, nothgedrungen zum wil*
den Krieger sich umgestalten musste. Der eine konnte
mit der Schalmei spielen, der andere musste stets die
blanke Waffe in der Hand halten, und hierin ist auch
der Grund zu suchen, warum die Hirtenvolker arischer
Abstammung, von bessern klimatischen und territorialen
Verhältnissen begünstigt, leichter zu Culturvolkern wur-
den, als Turko- Tataren oder die ganze ural-altaische
Rasse, gegenüber welcher es in gewissen vom arischen
Kassenegoismus verblendeten Kreisen Mode geworden ist,
das harte Verdict der Culturunfahigkeit auszusprechen.
VI.
Diese Verschiedenheit in den Culturverhälinissen der
arischen und altaischen Basse — richtiger gesagt, die Ur-
sache, warum letztere bisjetzt nur auf der Stufe der pri-
mitiven Cultur verblieben, während erstere im raschen
Fortschritte die älteste und mächtigste Verbreiterin der
Cultur geworden — ist es, die wir im Schlusskapitel
unserer Einleitung nun etwas ausführlicher darstellen
wollen. Vor allem müssen wir die Bemerkung voraus-
schicken, dass unter dem Ausdruck „primitive Cultur
der Türken", dessen wir uns in diesen Blättern bedienen,
nicht jene Phase der menschlichen Existenz verstanden
werden muss, die, von den Anthropologen als Urzustand
der Wilden bezeichnet, den Forschungen eines Lubbock,
Tylor, Waitz u. a. als Grundlage dient. Der von uns
behandelte primitive Culturgrad der Türken weist auch
41
keine einzige der Schattenseiten auf, welche das Sitten-
bild der Wilden verdunkeln. Vom Weibercommunismus,
von Polygamie oder Polyandrie findet sich keine Spur,
und das Familienband ist ebenso fest und innig wie im
civilisirten Westen, anstatt locker zu sein oder gänzlich
zu fehlen, wie dies bei vielen Wilden der Fall ist. Wir
begegnen einer Gesellschaft mit einer wenngleich patri-
archalischen, doch stabilen Regierungsform, mit Gesetzen,
mit Achtung vor der Tugend, mit Abscheu vor dem
Laster, und es diinkt uns daher keinesfalls zulässig, wenn
Lubbock z. B. in Besprechung gewisser Sitten Kirgisen,
Kalmücken und Turkomanen mit Neuseeländern und ame-
rikanischen Wilden auf gleiche Stufe stellt. Es ist höchst
wahrscheinlich, dass dem von uns besprochenen primitiven
Culturzustande der Zustand der Wildheit vorangegangen
sein muss, doch von diesem kann in vorliegenden Blättern
auch schon deshalb nicht die Rede sein, weil unser Be-
weismaterial, nämlich die Sprache, als Dolmetscherin der
schon erwachten und zum Ausdruck gelangten Vernunft,
von der ganz primitiven, thierähnlichen Existenz keinen
Aufschluss geben kann.
Ebenso müssen wir auch all jenen Ansichten und Mei-
nungen entgegentreten, die in der modernen Wissenschaft
von der Culturblüte der Ural- Altaier in Mittel- und West-
asien noch vor dem Auftreten der Semiten und Arier
verbreitet sind. Ohne auf den bereits erledigten Streit in
Angelegenheit der sumerischen oder akkadischen Schrift-
monumente zu reflectiren, können wir nicht umhin uns
dahin auszusprechen, dass die aus den Keilinschriften an-
geblich entzifferten ural-altaischen Sprachüberreste auf
einer noch sehr schwachen Basis ruhen, indem die be-
treffenden Forscher in der Unmöglichkeit, die unentbehr.
liehe Leuchte einer türkisch-tatarischen oder finnisch-ugri-
schen, geschweige denn einer ural-altaischen Stammsprache
42
anzuzünden, bisher doch nur in der Dunkelheit herum-
tappen, folglich zur Bekräftigung ihrer Angaben auch kein
einziges Moment anführen können, das in den Formen
und dem Wortschatze nach den Gesetzen der Lautverän-
derung und der Begriffsverwandtschaft der ural-altaischen
Sprachen für unantastbar gefunden werden konnte. Wo
stehen wir noch heute in der Erörterung der Grund-
sprachen der drei Hauptstämme, d. h. der Mongol-Man-
dschuen, der Turko- Tataren und der Finn-Ugrier, um
schon jetzt auf eine mehrere tausend Jahre alte gemein-
same ural-altaische Stammsprache — denn nur eine solche
könnte massgebend sein — zurückgreifen zu wollen?
Also wie gesagt, die Behauptung, irgendein unbekanntes
ural-altaisches Volk und dessen Bildungswelt sei der Cul-
turepoche der Assyrer und Meder, ja sogar der Arier in
Indien vorangeschritten, kann, inwiefern man auf ural-
altaisch linguistische Argumente fussen wollte, keine Be-
rechtigung finden. Die ural-altaische Rasse, speciell das
turko-tatarische Volk, hat wol Spuren seiner Cultur im
Westen Asiens und im Osten Europas zurückgelassen,
doch geschah dies nur vor Anfang des Mittelalters, und
erstreckt sich zumeist nur auf jene Bereiche des mensch-
lichen Denkens, in welchen die urwüchsigen Nomaden
über andere friedliche sesshafte Völker sich hervorthaten.
Dieser Einfluss der turko-tatarischen Cultur ist ganz klar
jener Strasse entlang wahrzunehmen, auf welcher besagte
Völker ihre Wanderungen gegen Südwest und Nordwest
unternahmen, und bezieht sich zumeist auf Viehzucht,
Militärwesen und auf Regierungsangelegenheiten. Bei
voller Würdigung dieses Umstandes wird es erklärlich,
wie die bedeutende Anzahl türkischer Wörter, als: kai-
mak (Rahm), Jsömek (Hülfe), kaici (Schere), jem (Futter)^^
jarak (Waffe), tamgha (Siegel), i^as (Augenbrau^, chan
43
(Fürst), chane (Haus)*, kuc (Widder), kus (Falke), cak-
mak (Feuerstein), wrdw. (Lager), ü (Volk), cörek (Brot)
u. 8. w., in die neupersische Sprache gelangen konnten;
denn zugestanden, dass die meisten dieser Lehnworter aus
der mongolisch-türkischen Herrschaft stammen, und durch
Werke wie das Tarichi Wassaf literarische Verbreitung
geftinden, wäre es doch nicht schwer, selbst im Texte des
puristisch-iranischen Konigsbuches solche Worte herauszu-
finden, deren türkischer Ursprung keinem Zweifel unter-
liegt. Hierauf gestützt wollten wir ,dcnn auch die Meinung
wagen, dass die Türken nicht nur erst zur Zeit Jezde-
zird's, sondern schon lange vor demselben theils von Nor-
den, theils von Nordosten her in Iran einbrachen. Wenn-
gleich die Sonderbenennung der Oxus- und Jaxartesländer
mit dem Namen Turan in ethnischer Beziehung sich nicht
motiviren lässt, da die Autochthonen auch dort Iranier
waren, so wäre es doch unmöglich, in den Nomaden der
an Iran angrenzenden Steppenregionen andere Völker-
elemente als Turko-Tataren zu vermuthen, da es nur Men-
schen eines fremden Stammes sein konnten, aus deren
auffallend fremden Gesichtszügen die iranische Mythe das
Bild des Schreckens und des Ungeheuers malte, ebenso
wie es nur Turanier sein konnten, gegen deren kriege-
risches Ungestüm die Einwohner des alten Dschordscha-
niens von Alexander dem Grossen Schutz erflehten, der
auch zu diesem Behufe die sogenannte Hyrkanische Mauer
erheben Hess, ein Seitenstück zu der grossen Mauer in
China, und zu dem Steinwall der Araber im Norden des
alten Derbend, in welchen drei Bieseitbauten culturbe-
fiissene Volker Schutz gegen die verheerendenl Einfälle
türkischer Nomaden suchten.
* In ier Volkssprache chune von der türkischen Stammsilbe /cow,
chon SS sich niederlassen. Vgl. türk. kondk = Wohnung.
44
Was den Einfluss der turko- tatarischen primitiven
Cultur im Osten Europas anbelangt, so beschränkt sich
derselbe auf jene spärlichen Ueberreste, die von den
Magyaren gegen Ende des 9. Jahrhunderts auf ihrem
Zuge von der Wolga in ihr heutiges Vaterland importirt
wurden. Es ist allerdings noch sehr fraglich, ob man die
im Magyarischen schon zur Zeit der Einwanderung dieses
Volkes vorhandenen türkischen Culturworter eben als
Lehnworter betrachten sollte, da unsers Erachtens die
Magyaren trotz des vorwiegend finnisch-ugrischen Cha-
rakters ihrer heutigen Sprache als ein Mischvolk ugri-
scher und turko-tatarischer Elemente zu betrachten sind.
Doch gleichviel ob ursprünglich oder entlehnt, finden wir in
diesen Sprachüberresten einen beredten Zeugen der inten-
siven und extensiven Bedeutung der türkischen Cultur
jener Zeit, einer solchen Cultur, die von den südwestlichen
Thälern, des Thien-Schan, und vom Altai bis an den
Pruth und an die Donau sich erstreckt hatte, und den
verschiedensten Volkerelemen-ten, als Avaren, Petschenegen,
Chazaren und Kumaniern, vorleuchtete. Bei einer Prüfung
der türkischen Culturworter im Magyarischen wird es
sich herausstellen, dass die aus dem Bereiche der Agri-
cultur und Viehzucht stammenden Worte theilweise cuva-
sischen Ursprung verrathen (als: magy. 6or;w = Kalb, cuv.
puru; magy. ^arZo = Sichel, cuv. sorla; magy. tino = junges
Rind, cuv. tina = Rind; magy. disznö = Schwein, cuv.
sisna u. s. w.), theilweise aber den Stempel des echten
uralten Türkenthums, ich mochte fast sagen der türki-
schen Stammsprache an sich tragen, und in dieser Be-
ziehung sehr häufig dem Turkologen bei seinen etymologi-
schen Forschungen zu Hülfe kommen. So : magy. huisa =
Weizen, türk. hudaj; magy. arpa = Gerste, türk. arpa;
magy. dara = Gries, türk. tarik = Grütze; magy. $ilma =
Apfel, türk. älma; magy. torZo = Stoppelfeld, türk. tarläk.
45
tarla = Feld; magy. öJiör = Ochs, türk. öJcti^; magy. Jcos =
Widder, türk. äöc; magy. wnö = Kuhkalb, iurk, ünüJc; magy.
toklö, türk. tokli = einjähriges Schaf; magy. tyuJc = Henne,
türk. ^auÄ;.
Nicht minder interessant sind die auf Religion und
staatliche Einrichtungen Bezug habenden türkischen Cul-
turworter im Magyarischen, als: magy. egy-liäz = Gottes-
haus, Herrenhaus, vom türk. ege^ eje = Herr, Gott, und
Ädi = Haus; magy. ördög = Teufel, türk. örtüJc = böser
Geist; magy. turul = der geheiligte Vogel der Magyaren
zur Zeit der Einwanderung, türk. turgul, turgaul = Falke;
magy. tör-veny = Gesetz, türk. töre, törü = Gesetz, An-
ordnung; magy. esM = Schwur, türk. icki = Trank (von
and icmei := schworen, eigentl. Schwur trinken); magy.
sereg = GeeTj türk. cm5r = Truppe, Heer u. s. w. Von
Interesse sind ferner die aus der Periode des persischen
Einflusses stammenden: magy. Isten^ pers. udan (Gott);
magy. arwawy = List, pers. ahriman (böser Geist);
magy. napj pers. op, wop, nah (Sonne, Helle) u. s. w.
Diese Worter haben noch lange vor der Berührung
dieses Volkes mit der an der untern Wolga sich aus-
breitenden parsischen Cultur in der Sprache der Ma-
gyaren Eingang geAindea, und geben im ganzen ge-
nommen uns ein recht anschauliches Bild jener von zwei
Richtungen herkommenden, sozusagen miteinander rivali-
sirenden Culturstromungen , denen die kleinern, durch in-
nere Kriege und durch den Anprall neuerer Völkermassen
zersplitterten Völkermassen der Turko-Tataren und Finnen-
Ugrier ausgesetzt waren, und die denn auch während der
Krystallisirung der Sprachen auf den Wortschatz einge-
wirkt hatten, wie wir dies z. B. noch bei den Wogulen
bemerken, die h«ute an der Sosswa wohnen und dennoch
in ihrer Sprache persische Wörter aufweisen, wie: nan
(Brot); sat (hundert); Bathjar pers. hachtijar (Eigenname).
46
Wenn daher von einer alten ural-altaischen Cultur die
Rede sein konnte, so müsste man nur besagte Bildungswelt
der Turko-Tataren ins Auge fassen, eine Bildung, die wol
durch und durch genuin, doch nur von primitiver Natur ist,
und die trotz des geistigen Fortschrittes der benachbarten
Gesellschaften arischer und semitischer Abstammung und
trotz der weltgeschichtlichen Rolle, die den Türken selbst zu-
gefallen, selbst nach einem mehr denn zweitausend-
jährigen ununterbrochenen Verkehr mit fremden
Elementen immer nur stabil, immer nur stationär
geblieben ist.
Wie aussergewohnlich dieser Umstand auch scheinen
mag, so werden wir bei einer eingehenden Forschung
nach den Ursachen zur Einsicht gelangen, dass hier nicht
ethnische, sondern historische Beweggründe den Ausschlag
geben. Es wird sich uns vor allem die Wahrnehmung
aufdrängen, dass wir mit einer jungem Gesellschaft zu
thun haben, mit einem solchen Theile des Menschen-
geschlechtes, der auf der Bühne der Weltbegebenheiten
später auftrat^ und zwar zu einer solchen Zeit die Gren-
zen der Urheimat zu überschreiten anfing, als Volker an-
derer Rassen die südlich und westlich gelegenen zur Cul-
turentwickelung von der Natur aus mehr begünstigten
Ländereien schon längst in Besitz genommen und auf den-
selben dermassen festen Fuss gefasst hatten, dass eine
Absorbirung oder gänzliche Verdrängung unmöglich ge-
worden war. Wenn wir ferner gleich annehmen, dass die
Türken vor mehr als zweitausend Jahren im Süden gegen
das heutige Turkestan und im Westen über die Wolga
hinaus sich auszudehnen begonnen hatten, so darf doch
nicht übersehen werden, dass diese Ausdehnung nur spo-
radisch und nur in kleinen Haufen stattgefunden, und dass
es eben dieser allen exclusiv nomadischen Völkerschaften
abgehende Geist der einheitlichen Handlung war, der
47
jeden Erfolg im vorhinein vereiteln musste. Von der
Zahlengrosse der vorgeschichtlichen Bewegungen arischer
Volkerschaften vermag selbst die kühnste Phantasie sich
kaum eine Vorstellung zu machen, doch gestattet uns
schon der Beginn des geschichtlichen Zeitalters in einige,
wenngleich vage Vermuthungen uns einzulassen, und so
dürfte denn auch die Behauptung gewagt werden, dass
Volkerhaufen von einem Umfange, wie z. B. der der
Gothen^ bei den Üral-Altaiern sich nie auf einmal in Be-
wegung gesetzt hatten, sich auch nicht setzen konnten,
die entsprechende Wirkung daher auch nothgedrungen
ausbleiben musste. In ähnlicher Weise hat es sich mit
den später geschichtlich nachweisbaren Bewegungen der
Türken verhalten. Die türkischen Reiterhaufen, die im
Dienste der Samaniden und Bujiden standen, waren ge-
wiss nicht viel zahlreicher als jene Hülfstruppen, mit denen
die Araber unter Kuteibe in den Oxusländern sich zu
messen hatten, und wenngleich die geschichtliche Ueber-
lieferung das Auftreten der Seldschukiden in grossen Zügen
schildert, so dürfen wir im Grunde genommen diese sowie
andere Strömungen des Türkenvolkes nur im Lichte jenes
Eindrucks des Schreckens betrachten, welchen diese Krie-
ger nicht wegen des grossen Zahlenbestandes, sondern in-
folge der militärischen Ueberlegenheit und der Wildheit
ihrer Sitten allenthalben verbreiteten. So sei beispiels-
halber nur der Osmanen erwähnt, die ganz Anatolien und
einen .Theil Osteuropas eroberten und dennoch nur aus
höchstens 25000 Mann türkischer Abstammung bestanden,
und welche, die fremden unterjochten Elemente in sich
aufnehmend, heute auf mehrere Millionen sich belaufen.
Dort, wo der Zahlenbestand die materielle Kraft im
vorhinein illusorisch macht, dort kann und wird der gei-
stige Aufschwung und der üebergang von der primitiven
Cultur zur fortschrittlichen Bildungswelt von rein natio-
48
nalem Charakter selten und schwer ßich erwirken lassen.
Hierbei müssen noch zwei andere nicht minder wichtige
Umstände in Anschlag gebracht werden. Erstens, dass
die minderzählige Gesellschaft, selbst nach der gewaltsamen
Besitznahme der neuen Heimat, die Waffe der Verthei-
digung nie aus der Hand legen kann, und in dieser trau-
rigen Nothwendigkeit vom friedlichen Werke des geisti-
gen Fortschreitens thatsächlich abgehalten ist. Zweitens
pflegt dieser kriegerische Geist dermassen in Fleisch und
Blut zu dringen, dass derartige minderzählige Volker,
selbst dort und dann, wo keine gebieterische Nothwendig-
keit mehr vorliegt, der Liebe zum Kriegshandwerk schon
gewohnheitshalber sich nicht entledigen können. Seit wir
das Türkenthum kennen, hat es sich als der stereotype
und professionelle Soldatenstand Asiens präsentirt, und
während die Türken für den geringen Lohn einer mate-
riellen Suprematie das Handwerk übten, konnten andere,
wie Iranier und Araber, unter dem Schutze türkischer
Waffen den Künsten und Wissenschaften obliegen.
Und was von den Türken gesagt wurde, das passt mit
geringer Ausnahme auf die ganze ural-altaische Rasse.
Wenn die Westfinnen im Norden und die JVJagyaren im
Osten Europas trotz alledem, wa,s Staatenbildung, Gesit-
tung und geistiges Leben anbelangt, unbehelligt von den
Schattenseiten der ural-altaischen Rasseneigenheit, neben
den arischen Elementen auf der Bahn der modernen Cultur
rüstig fortschreiten, ja die mit ihnen ostlich benachbarten
Arier, so z. B. die Slawen, hoch überragen, so können
wir hierin nur eine glänzende Bestätigung jener Ansicht
finden, dass Denkkraft und geistiges Vermögen Ariern
sowol wie Ural-Altaiern in gleicher Weise eigen ist und
eigen sein kann, dass aber andererseits dem zeitweiligen
Hervorragen gewisser Gesellschaften auf dem Gebiete des
Denkens und des Sinnens nicht ethnische, sondern einzig
49
und allein politisch -sociale und bisweilen auch geogra*
phische Motive zu Grunde liegen.
Hiermit muss selbstverständlich auch die Theorie der
Altersverschiedenheit der Volker aus dem Bereiche der
gesunden Combinationen geschieden werden. Nicht Völker,
sondern nur Gesellschaften dürfen als jung oder alt be-
zeichnet werden, denn erstere sind so alt wie die Mensch-
heit selbst, während letztere je nach dem Geiste der sie
belebenden Institutionen in den Altersstadien variiren
können. Zugegeben daher, dass Magyaren und Westfin-
nen als die in Europa ansässigen Fractionen der ural-
altaischen Basse in den Culturbestrebungen der modernen
Welt no'ch im Stadium des Jugendalters sich befinden,
von welchem sie ohne Zweifel gleich ihren arischen Nach-
barn im Westen zur volligen Bliite heranreifen werden,
so steht ein ähnlicher Fortschritt bei ihren Stammesge-
nossen in Asien leider nur schwer in Aussicht. Die grosse
Mehrzahl dieser Völker, zersplittert und zertheilt, sind
schon heute vom Zauberbanne der russischen Suprematie
allzu fest umschlungen, als dass sie am Vorabende einer
gänzlichen Entnationalisirung den Uebergangsprocess von
der primitiven Cultur zur höhern Cultur im Kleide der
nationalen Selbständigkeit durchmachen könnten. Dies
war gewissermassen auch in den vergangenen Jahrhun-
derten der Fall, da es während der Culturperioden der
Seldschukiden^ Timuriden und Osmanen,. abgesehen von
dem theils pioslimisch- arabischen, theils iranischen, folg-
lich fremden Ursprünge jener Bildungswelt, schon an
einer tiirkischen Volksmajorität fehlte, die als Substrat
der nationalen Cultur, als Basis einer türkischen Bildung
hätte dienen können. Auch die noch unabhängig geblie-
benen Ural-Altaier, als Türken, Mongolen und Tungusen,
unterliegen in dieser Beziehung noch zu sehr den Chan-
cen des Riesenkampfes, welchen die europäische Civili-
V&mb<ry, Cultur. 4
50
sation gegen die moslimische und buddhistische Bildungs-
welt fuhrt. Es kann daher von einer zukünftigen tür-
kisch-nationalen Culturwelt, im europäischen Sinne dieses
Wortes, schon deshalb nur schwer die Rede sein, weil
eben der weitere Fortbestand des nationalen Lebens stark
gefährdet ist, indem das heute noch unabhängige Türken-
thum dem mächtigen Anprall des in Asien entnationali-
sirend auftretenden arischen Bildungsgeistes wol kaum
widerstehen kann.
I.
Der Mensch und der menschliche Körper.
^^n der Annahme ausgehend, dass der Mensch im
Kindesalter die seiner Wahrnehmungskraft näher stehenden
einzelnen Gegenstände leichter bezeichnen kann als das
verschiedene Theile umfassende Ganze, darf es uns gar
nicht wundern, wenn wir in den allerersten Cultursta-
dien irgendeiner Gesellschaft dasselbe Unvermögen hin-
sichtlich der allgemeinen Benennungen, d. h. der Sammel-
namen entdecken. Die Umschreibung des griechischen
Wortes für Mensch^ nämlich „Zweif üssler", sowie das Ver-
hältniss des hebräischen adom (Mensch) zu adoma (Erde),
des litauischen iemo = Erde und imow^5 = Menschen, und
des lat. Jiomo zu humus ist auf dem türk. Sprachgebiete
unbekannt.* Das für Mensch gebrauchte Tci§i Iciß oder
Tcisi drückt eben den Begriff von Wesen aus, denn man
sagt: er Tcüi = männliches Wesen, d. h. Mann, und cha-
tun TciSi = weibliches Wesen, d. h. Weib. Kisi^ alt. Tciß^
* Das uig. jdlguk oglani = Mensch, wörtl. Sohn des Irrthums,
der Vergänglichkeit, ist eine Religionsmotiyen entnommene bildliche
Umschreibung.
4*
52
das zu kes = jemand in einem solchen Verhältnisse steht
wie das mong. Tcümon = Mensch zum türk.-tat. leim =
jemand, dünkt mir in der wörtlichen Uebersetzung ein
Einzelner, ein Gesonderter zu bedeuten, ein Gegensatz
zu hütün = Volk, l^ation, Gesammtheit, und stammt von
Tces^ Ä«s = trennen, sondern, schneiden. Vgl. das arab.
ferd = Person, Individuum, auch einzeln, allein.
Es ist nur mit Hinblick auf die Auffassung nomadi-
scher Völker, nach welcher der Mann als der eigentliche
vollkommene Mensch angesehen wird (vgl. magy. emher =
Mensch, Mann, Gemahl), dass Jcisi^ besonders im Altai-
schen, speciell für männliches Wesen gebraucht wird.
Das Türkenvolk hatte allerdings eine specielle Bezeich-
nung für homo^ nämlich das Wort türJc von törük oder
türük (vgl. §. 179), folglich Geschöpf, Mensch im allge-
meinen. (Vgl. töröngöi = Mensch, Geschöpf im Altaischen,
namentlich in der von Radioff gebrachten Mythe über
die Welterschaffung, Bd. 1, S. 159.) Das Wort war da-
her vorhanden und später ist die Bezeichnung für Mensch
auf Nation übertragen worden und das Verhältniss zwi-
schen türk und töre (erzeugen, hervorbringen) findet
ein analoges Beispiel im lat. natio^ im slaw. rod (Ge-
schlecht) und rodit (erzeugen), magy. nemzet (Nation) und
nemzeni (erzeugen) und schliesslich auf dem türk. Sprach-
gebiete selbst, wo 6ag. tire Stamm, alt. törol Geschlecht,
jak. törül Abkunft bedeutet, üebrigens darf uns der Um-
stand, dass der Türke unter dem Begriffe Mensch sich
nur allein verstand, gar nicht auffallen, denn eine ähn-
liche Etymologie liegt dem Worte deutsch, teutsch,
dessen Grundbedeutung Volk, Leute, ist, zu Grunde,
ebenso auch im Worte Slowak, Slawjanin = Slawe,
von Slowa = Wort, Rede, wobei als redendes Wesen,
folglich Mensch, in erster Reihe der Slawe bezeichnet
wird.
53
Einer ähnlichen Wahrnehmung begegnen wir auch im
Worte für Thier, welches im Türkischen gänzlich fehlt
und heute unter einem dem Arabischen entlehnten Aus-
drucke haiwan =■ Thier, d. h. das Lebende, oder Mal =
Vermögen, Besitz, vorkommt.
Wenn es im Anfang an einer concreten Bezeichnung
für Mensch und Thier mangelte und gewissermassen noch
heute mangelt, wie dies bei vielen uns bekannten Sprachen
der Fall ist, so hat die türkische Sprache auch in der
Bezeichnung des Leibes oder Körpers einen mit den
iibrigen Sprachen verwandten Ideengang befolgt. Gövde,
göbde, göbdeJo* = Korper, heisst der etymologischen Bedeu-
tung nach das Angeschwollene, der Leichnam, das Aas,
und so wie das deutsche Wort Leichnam im Alterthum
den Leib im allgemeinen bezeichnete (vgl. engl, corpse,
lat. corpus) und so wie das griechische Wort SüfJia bei
Homer als auf den todten Korper bezüglich erwähnt wird,
ebenso ist das türkische Wort gövde von der primitiven
Bedeutung des todten Leibes auf Korper im allgemeinen
übergegangen. Merkwürdig ist es, dass die sinnreiche
Vermuthung Geiger's**, dass der Leib als Fleisch, resp.
als Speise aufgefasst wird, im Türkischen ihre Kräftigung
findet, indem hier, in den altem, durch fremden Einfluss
minder entstellten Sprachtheilen für Körper das Wort et^
oder et'öe = Leibeigen, existirt, ein Wort, da3 heute
überall in der Bedeutung von Fleisch vorkommt.
Der Unbestimmtheit gegenüber, welche sich in der
* Göhdek eventuell gövdekj kövdek führen wir deshalb als die
verhältnissmässig älteste Form an, weil bei den meisten mehrsilbigen
auf Consonante auslautenden Wörtern das Wegfallen eines früher be-
standenen Gutturale sich vermuthen lässt. So uig. karakf cag., osm.
kara = Augapfel; adak-ada = Insel u. s. w.
** Ursprung und Entwickelung der menschlichen Sprache und
Vernunft, II, 136.
n
54
allgemeinen Bezeichnung des Menschen und des mensch-
lichen Korpers kundgibt, tritt die Benennung der einzel-
nen Korpertheile mit einer um so prägnantem KJar-
heit hervor und legt ein glänzendes Zeugniss für die so
oft betonte geist- und sinnreiche Wortbildung der Türken-
sprachen dar. Die verschiedenen Korpertheile sind näm-
lich a) nach der ihnen zufallenden Thätigkeit, b) nach
der äussern Form, in welcher sie erscheinen, und c) nach
der örtlichen Stellung benannt.
Die erste Kategorie ist selbstverständlich die grosste
und reichhaltigste und führt im innem Werthe der
Wortbedeutung mitunter eine ganz minutiöse Detaillirung
der Function des betreffenden Körpertheiles in sich.
Auge heisst der Seher (vgl. Mz-Tcör §. 83); Okr heisst
der Hörer (vgl. kulak §. 99); Augenlid heisst der
Deckel (vgl. kapak §. 81); Augapfel heisst der Blick
(vgl. karak §. 83); Lippe heisst der Fanger (vgl. tutak
§. 193); Zahn heisst der Zerbrecher (vgl. tis §. 38)
Hand heisst der Nehmer, Greifer (vgl. elih olik §. 15)
Zunge heisst der Redner, Sprecher (vgl. Hl §. 188)
Gaumen heisst tangla^ der Koster, der Schmecker
(vgl. lang §. 181); Fnss heisst der Geher (vgl. atak §. 27);
Knie und Einbogen heissen Stützer oder Stützpunkt
(vgl. tir^ ti/s §. 191) u. s. w.
In die zweite Kategorie, wo die Formbeschreibung als
Richtschnur diente, gehören: Nase^ der Wortbedeutung
nach Spitze, der hervorragende Theil, daher die
Analogie des Ausdruckes für Nase und Vorgebirge (vgl.
borun §. 210); Mund^ wortl. Oeffnung (vgl. agiz, avuz
§. 1); EeUe^ wortl. der enge Weg, Engpass (vgl.
hog^ lag §. 204); Augenwimper, wortl. Stachel (vgl.
kirpik §. 91).
So ist auch die Grundbedeutung der Worter für
Korperhaare (füg) und ein einzelnes Kopfhaar (kil) Sta-
55
chel, und tüg sowol als kil liegen den Begriflfen Dorn,
Speer, Spiess und sonstigen langen spitzigen Gegenstän-
den zu Grunde. Aus der Grundbedeutung des speciell
für Kopfhaare im allgemeinen gebrauchten Wortes, näm-
lich aus dem osm. sac^ trk. coc, kir. saS, wird die ur-
sprünglich lange Form des Kopfhaares ersichtlich, denn
die Stammsilbe sac, cac hat die Bedeutung von herab -
wallen, herabhängen. Vgl. sacak = Franse, sa^ =
herabhängendes Tuch. Fanst heisst dem etymologischen
Werthe nach geschlossen, d. h. die geschlossene, und
die Handfläche offen, d. h. die o£Peno Hand (vgl. jum-
ruh §. 147 und aja §. 1). Der Grundbegriff von Braue
ist Bogen, Bug (vgl. IcaS §. 74), von Bmst Wölbung
(vgl. Icögüs §. 72); von Basen Vertiefung, Hohle
(vgl. Tcojun §. 98); von Hoden das Herabhängende
(vgl. susak §. 24 und enük §. 35); von penis der Nagel
(vgl. cüg §. 203); von Ader der hohle, verborgene
Weg (vgl. tamur §. 179); von Bauch die Grube, die
Hohle (vgl. Jcarin und kar §. 22); von Gebärmutter die
Finsterniss (vgl. tünerik §. 179); von Schenkel oder
Hüfte der runde, fleischige Theil (vgl. put §. 225);
von Hals oder Nacken der Begriff des Länglichen,
Langen (vgl. hoj^ bojun §. 205) u. s. w.
Was schliesslich die nach ihrer Oertlichkeit benannten
Korpertheile betrifft, so finden wir solche in bas = Kopf,
eigentl. der oberste, höchste Theil (vgl. bas,baj
§. 205); in dln oder kabak = Stirn, eigentl. der vordere
Theil (vgl. §. 11), eine Wortbildung analog mit dem
engl, forehead und pers. pisane = Stirn von pis = vorn;
im Worte köt oder kic = podex^ eigentl. der Hintertheil,
Hintere (vgl. kat §. 98) ; in taban = Sohle, eigentl. Grund,
untere Theil u. s. w. (vgl. tab §. 172).
Charakteristisch in der Benennungstheorie der einzel-
nen Korpertheile dünkt uns unter anderm, dass das Wort
56
für Bart im Türkischen (s<ikal) vorderhand etymologisch
sich gar nicht erklären lasst, demnach als entlehnt er-
scheint, was uns im Hinblick auf die Bartlosigkeit der
primitiven Türkenrasse im Grunde genommen gar nicht
wundem sollte; wogegen die Benennung desScliniirrbartes^
bißk und burut, in der Grundbedeutung der Stammsilbe den
Begriff von gross, voran in sich schiiessend, uns einiger-
massen die Wichtigkeit erklärt, welche diesem Theile des
Haarwuchses in den verschiedenen Altersstadien des
Mannes zufällt. So heisst osm. bijtkli = Jüngling, wortl.
der Schnurrbärtige; 6ag. huruti cikkan = herangewachsen,
wortl. dem der Schnurrbart schon herausgekommen. Vgl.
ferner burut kesimi = Stadium der männlichen Beife, wortl.
das Zustutzen des Schnurrbartes.
Ferner ist es nicht ohne Interesse wahrzunehmen, dass
die Sprache des Türken unter den Thieren keine Vier-
f üssler bezeichnet , sondern in . gegebenen Fällen den
Vorderf üssen den Namen kol = Arm, Hand, den Bünter-
füssen den Namen put oder ajak = Fuss beilegt. Es
existirt im allgemeinen keine Sonderung in der Benennung
der einzelnen Korpertheile des Menschen und des Thieres,
und selbst dort, wo die Natur unterscheidende Merkmale
geschaffen, geht die Sprache der Sonderbenennung aus
dem Wege^ wie oben erwähnt bei Vorder- und Hinter-
f üssen, ebenso auch beim Worte Schwanz (kuj-ruk, kut-
ruk^f das der Stammsilbe kuj, kut = hinter, rückwärts
(vgl. §. 74) entsprungen ist. Es muss hier ausdrücklich
bemerkt werden, dass dies nicht so sehr der Sprachen-
armuth als vielmehr jenem sozusagen innigen Verhältnisse
zuzuschreiben ist, in welchem der primitive Mensch zu
dem ihm nahe stehenden Thiere sich befindet, dem er als
Viehzüchter zugethan ist und dem er keine nur Gering-
schätzung bekundende Sonderbenennung geben wird. An
das Zärtlichkeitsverhältniss zwischen dem Menschen und
57
dem ihm nahe stehenden Hausthiere, das ich seinerzeit
unter türkischen Nomaden zu beobachten Gelegenheit
hatte, hat mich meine jüngste Erfahrung unter den Vieh-
züchtern in Tirol lebhaft erinnert» Hier sowie dort die-
selbe Schonung und dieselben Liebesworte, und hier so-
wie dort wird ein Schimpfname eher dem Menschen als
dem Hausthier gegeben.
Zu der Erörterung der verschiedenen Korpertheile
wollen wir noch jene Auffassung hinzufttgen, welche in
der Benennung der Functionen der einzelnen Korpertheile
zum Ausdruck gelangt ist. Es ist vor allem interessant
zu wissen, dass der turko-tatarische Urmensch die mensch-
liche Seele, den Geist oder das Leben nach 'jener Er-
scheinung benannte, welche dasselbe am untrüglichsten
manifestirt. Es ist dies der Athem oder Athemzug (tin^
Um, vgl. §. 189), zugleich auch Dampf, Dunst, in wel-
cher Form der primitive Mensch eben den Athem be-
trachtet, der der Benennung des Begriffes Seele, Leben
zu Grunde liegt. Dunsten, dampfen, athmen und leben
sind daher identische Begriffe, denen das synonyme soluh
= Athemzug insofern sich anreihen lässt, als auch dieses
der Stammsilbe sol, sal, sei = Wind, Luft entsprungen,
eigentlich Wehen, Hauchen bedeutet. Neben dieser Be-
zeichnung für Seele, Leben, gibt es aber noch eine
andere, die auf das Gedeihen, Fortexistiren Bezug hat
und der Stammsilbe jas = feucht, nass, grün, entspringt
und von der weiter unten die Rede sein wird. Selbst-
verständlich muss hier das im heutigen Sprachgebrauche
stark verbreitete tirik, tiri, diri = lebendig (vgl. §. 186)
auch in Betracht kommen, doch ist dasselbe nur eine
bildliche Umschreibung, indem es eigentlich im Sinne von
rührig, beweglich aufzufassen ist.
Vom Begriff Leben auf die Function der einzelnen
Korpertheile übergehend, bedürfen die Begriffe sehen,
58
gehen und boren wol keiner besondem Erörterung, da
das Motiv der Benennung dieser Glieder mit der ihnen
zufallenden Thätigkeit im engsten Zusammenbange steht.
Nur behufs Ergänzung wollen wir einiges nachtragen,
und unter anderni sei hier erwähnt, dass der turko- tata-
rische Urmensch die eigentliche Sehkraft dem Augapfel
zuschrieb, indem er diesen karak, kara = den Seher be-
nannte. Der Nexus zwischen boren und Ohr ist ein
uralter und stammt aus jener Zeit, als der finn-ugriscbe
Stamm vom turko -tatarischen noch nicht getrennt war,
denn heute ist boren schon durch secundären Begriff aus-
gedrückt, nämlich durch verstehen, auffassen und be-
greifen. Vgl. ok = Sinn und okmak = boren (vgl. §. 48),
ferner is = Verstand und isitmek^ ursprüngl. is-ümeh =
verstehen. Schliesslich sei noch des Begriffs sterben er-
wähnt, der so wie leben mit grünen, blühen identisch,
bei den Turko -Tataren mit welken analog ist, wie aus
dem Vergleiche Slmek = sterben und sölmeh * = welken,
ersichtlich wird. Dieser Nexus der Ideen, allerdings ein
höchst natürlicher, lässt sich um so besser erklären, wenn
wir jene bei primitiven Menschen vorhandene Anschauung
in Betracht ziehen, nach welcher nicht nur der Mensch,
sondern alle von uns leblos benannten Objecte eine Seele
besitzen, die dem Wasser, dem Wind, dem Feuer, dem
Laub der Bäume und dem Grashalm die Kraft der Be-
wegung verleihen, folglich derselben ebenso wie der
Mensch im Laufe der Zeit auch verlustig gehen können.
* Das Yerschwindea des sibillanten Anlautes lässt sich am besten
im gegenwärtigen Verhältnisse zwischen dem Jakutischen und andern
Turksprachen nachweisen.
59
IL
Geschlecht nnd Altersstadien.
Einen geschlechtlichen Unterschied hat das türkische
Volk von jeher nur bei lebendigen Dingen gemacht, und
bei Menschen sowol wie bei Thieren wird das mannliche
Geschlecht als die wahre Personification der Stärke,
Macht und Gewalt dargestellt, ebenso wie das weibliche
Geschlecht immer als das schwache und leidende bezeich-
net wird. Das Verhältniss zwischen den lat. vis — vir
finden wir im turk.-tat. er = Kraft, Mühe, Plage, und er
Mann noch deutlicher ausgedrückt, während Weib im 6ag.
jBaife (wortl. schwach), im alt. üjdege (wörtl. die Häus-
liche), im uig. €v6i = die Häusliche, das Weib, und im osm.
kari (wortl. alt) benannt, die Qualification des Schwäch-
lichen, Zurückgezogenen und Altersschwachen klar genug
bezeichnet.
In Anbetracht unserer heutigen und schon vor alten
Zeiten gemachten Wahrnehmungen im Leben der noch
in primitiven Culturzuständen befindlichen Türken, wie
z. B. Kirgisen und Turkomanen, wo dem weiblichen
Theile der Gesellschaft die harte, fast aufreibende Arbeit
der Häuslichkeit zufällt, während die Männer zumeist ein
träges Dasein fristen, mag eine derartige Beurtheilung
des weiblichen Geschlechtes wol ein Widerspruch er-
scheinen; doch ist dem nicht so. Nach Auffassung der
Nomaden ist jede Beschäftigung im Kreise des Zeltes
nur ein leichtes Spiel, und als die eigentliche Kraft und
Stärke bedingende Arbeit wird die Aufsicht und Ver-
theidigung des Auls, das Führen der Waffen gegen feind-
liche Stämme und das Aufsuchen der passenden Weide-
60
und Lagerplätze betrachtet, eine Arbeit, an welcher die
Frauen sich nie betheiligen und nicht betheiligen dürfen.
Ändere Benennungen des Weibes gewähren uns einen
Einblick in das Verhältniss gesellschaftlicher Stadien bei-
der Geschlechter. Das 6ag. chatun, khatun, alt. Jchatif
osm. Jcadin = ¥rBJif Weib, bedeutet im etymologischen
Sinne des Wortes Genosse, Geselle (vgl. hat §. 88),
folglich ein Wesen, zu dem man sich im Leben gesellt
hat (vgl. CUV. joldas = Frau, eigentl. Gefährtin, und kirg.
jar = Frau, eigentl. Freund); während das bei den Oez-
begen gebräuchliche ai-6a^«7c = Weib, wortl. weiss-
köpfig, an das magy. feher sjsemely = Weih ^ wortl.
weisse Person erii^nert, wo nicht die weisse Kopf-
bedeckung der Frauen, sondern die Gesichtsfarbe hervor-
gehoben wird, worin das Weib von dem stets im Freien
sich bewegenden, sonn- und wettergebräunten Manne
sich unterscheidet. Uebrigens wurde in der Geschlechts-
bezeichnung auch der physischen Merkmale Rechnung
getragen, indem tisi, tisüJc^ disi = das Weibchen, weib-
lichen Geschlechtes, bei Thieren und Menschen an-
gewendet, der Grundbedeutung nach Loch, durch-
löchert, mit der hebr. Wortbildung wdiatÄ = löchern,
und neJcebhä = Weib, analog ist. Eine andere, den phy-
sischen Merkmalen zu Grunde liegende Bezeichnung des
weiblichen Geschlechtes finden wir in der Stammsilbe
em, am^ en, aw, aus welcher die Namen aller auf die
Unterschiedlichkeit des weiblichen Korpers Bezug habenden
Korpertheile hervorgegangen sind. Brust (em-cik), säu-
gen (em-meh)^ Vulva (am)^ Mutter (an-a, en-e)^ Tante
(nene) haben ein und dasselbe Etymon, doch gilt dies
nur hinsichtlich des Menschen, denn bei den Thieren
dient für generische Bezeichnung erkeJc oder ata bei dem
Männchen und tisi bei dem Weibchen. Hinsichtlich der
letztern beiden Namen muss hervorgehoben werden, dass
61
dieselben nur bei solchen Tbieren Anwendung finden, die
dem Kreise der Beobachtung und des Verkehres fern
stehen, folglich nicht in die Kategorie der Hausthiere, zu
deren Erkenntniss wir hiermit einen neuen Beleg erlan-
gen, gehörten. Bei den Hausthieren ist das Männchen
vom Weibchen mittels eines ganz andern, mitunter auch
mehrern speciellen Namen gekennzeichnet. So z. B. at
(Pferd); Stute hingegen hat schon zwei Namen, nämlich
hisrah und hajtal oder hije*^ ersteres im West-, letzteres
im Osttürkischen gebräuchlich. Buga (Stier); für Kuh
hingegen gibt es ünekj inek und sigir; koj (Schaf) hat
für das Männchen koc, tekke und erkic für das Weibchen ;
sagin (in einigen Gegenden nur Mutterschaf, von s<xg =
melken; vgl. sagir^ sigir = Kuh). It (Hund), kanzik
(Hündin), kaban (Wildschwein), migecin (Sau). Nächst
den Hausthieren ist, was die Sonderbenennung des ver-
schiedenen Geschlechtes anbelangt, noch jenes Wild zu
erwähnen, mit dem der Türke auf seinen Jagden häufig
in Berührung kam. So der Hirsch, von welchem das
Männchen in Mittelasien Huna, das Weibchen kilcakci
heisst; ferner das Reh, dessen Männchen hogu und Weib-
chen Matal heisst; der Enterich wird mit dem Namen
sonu^ die Ente mit borcin bezeichnet u. s. w.
Es offenbart sich hier jener ganz natürliche Reichthum
und die Bildungsfähigkeit der Sprachen, der wir da und
dort begegnen, wo es sich um Begriffe handelt, die am
häufigsten vorkommen, und wo die Klarheit eine genaue
Detaillirung unumgänglich nothig macht.
Was das Alter und seine verschiedenen Stadien anbe-
* Bij-e und baj-tal sind gemeinsamen Ursprunges, beiden liegt
die Stammsilbe bij^ baj ^ bej (vgl. &cp-MW = Madame; femer magy.
öZ'Vegy = Witwe, von öz = alleinstehend, und vegy-bege-beje =*
Frau) zu Grunde.
62
langt, 80 hat der Türke zu der ihn umgebenden Natur
sich gewandt und namentlich die Begriffe von den ein-
zelnen Phasen des Pflanzenlebens dem Leben der Men-
schen und Thiere angepasst. Analog mit dem Verhält-
nisse zwischen dem deutschen Alter und goth. alan =
wachsen, lat. älere = nähren, ist das Verhältniss des
türk. jas-amak = leben, zu jas, jasil = nass, grün.
Leben ist daher so viel wie grünen, gedeihen, und
so wie der Begriff von jang^ lebenskräftig mit der Stamm-
silbe jas = grün, nass ausgedrückt ist, ebenso ist der
Gegensatz, nämlich alt^ lebensmüde, mittels kari =
alt, d.h. trocken, dürr (koru) bezeichnet; ja wenn wir
nicht irren, steht öZ = sterben, zu 5ö7 = welken, verwel-
ken in nächster Verwandtschaft. Jung im allgemeinen
heisst Jcicik jas, d. h. kleines Alter, und Bejahrtheit uluk
jas^ d. h. grosses Alter oder Leben. Der primitive Aus-
druck für Kind ist oMan (vgl. §. 50) und bäla. Ersteres
heisst der Sprössling im allgemeinen; letzteres, dessen
Etymon uns unbekannt ist, dient als Bezeichnung des
zartesten Alters. Noch haben wir für diesen Begriff die
Worter toku, eigentlich das Geborene, und im weitern
Sinne jauru, jauruk (richtiger jakuruk von jakurmak =
nähren, pflegen), der Wortbedeutung nach etwas was
gepflegt wird. Jauruk ist im Osttürkischen für Kind,
im Westtürkischen für junge Vogel gebraucht, während
das CUV. jevr und kirg. jaur zaur den Anverwandten,
Nachkommen im allgemeinen bezeichnet. Vgl. magy. gyer-
mek=^ Kind ^ Nachkomme. Jüngling und Jungfer wer-
den wie in andern Sprachen durch entsprechende bildliche
Umschreibung verdolmetscht. So 6ag. Jigit (vgl. §. 35)
und osm. deli kanli (^juvenis)^ der Wortbedeutung nach
der Frische, der Warmblütige, Heissblütige, wo-
ran als passendes Seitenstück H^ (^puella^ virgo)^ eigentl.
feurig (vgl. §. 93) sich anreiht. Der Mann heisst im
63
reifen Alter er, wie schon erwähnt zugleich auch die Be-
nennung für Kraft und Stärke, während für die Bezeich-
nung seines Alters entweder alt und ak sakalli = grau,
graubärtig, oder kart, kari, karcik (vgl. §. 84) gebraucht
werden. Der Geschlechtsunterschied wird übrigens auch
bei den einzelnen Mitgliedern der Familie mehr nuancirt,
als dies bei andern bekannten Sprachen der Fall ist; so
aga = älterer Bruder, egeci = ältere Schwester, ini = jün-
gerer Bruder, ^iwgfi? = jüngere Schwester.
Bei Nomaden von solch reinem Schlage, wie die Türken
von jeher waren und noch heute sind, darf es uns gar
nicht wundernehmen, dass die Sprache in der Bezeich-
nung der verschiedenen Altersstufen der Thiere sich reich-
haltiger zeigt als in der Benennung der menschlichen
Altersstadien, ja viel reicher als die Sprache anderer noch
im nomadischen Zustande lebender Volker. Das Füllen
heisst im ersten Jahre kolum und urgaci, ersteres das
männliche, letzteres das weibliche, im zweiten taj, im
dritten gonan, im vierten donan oder donacin, im fünften
tolum und im sechsten cirgau, Kalb heisst im allgemei-
nen hozau oder bo^agu, hozgu, cuv. pru, (magy. horju);
doch auch hier gibt es Unterschiede, denn bei Kirgisen
und Karakalpaken heisst das einjährige B,ind basmuJc, das
zweijährige öJcse oder ökse, das dreijährige gonan ökm,
das vierjährige donan öküz, während bei den Oezbegen
das sechs Monate alte Kalb özek, das einjährige Bind
huzau, das zweijährige tana, das dreijährige ögüzce (Oechs-
chen), das vierjährige ögüz heisst. Aehnliche Verhält-
nisse treten in der Benennung des Kamelfüllens, der
jungen Schafe und Ziegen hervor. Das junge Kamel
heisst butu^ das Lamm kuzu, das zweijährige Schaf toklu,
das dreijährige icek u. s. w.
Es ist ganz natürlich, dass der Mensch dem Gegen-
stande oder dem Wesen, das ein Hauptmittel seiner Exi-
64
stenz bildet, dem er aus vitalen Interessen ganz zuge-
than ist, seine ungetlieilte Aufmerksamkeit schenkt und
die genaueste Beobachtung zutheil lassen wird. Daher
denn auch die minutiöse Benennung der Altersverschie-
denheit bei den Thieren beider Geschlechter, eine Detail-
lirung, die wir selbst bei den menschlichen Altersstadien
vermissen, und daher denn auch die ähnliche Erscheinung
bei der Beschreibung des Zeltes und andere in der Exi-
stenz der Nomaden eine Hauptrolle spielender Gegen-
stände.
III.
Die Famüie,
Das in den vorhergegangenen Blättern betonte* Unver-
mögen der türkischen Sprachen in Bezeichnung der
Sammelnamen oder allgemeinen Begriffe ist auch beim
Worte für Familie ersichtlich. Dieser Begriff wird aus-
gedrückt durch die Umschreibung von bala-mka, d. h.
Kind und Gesinde, oder durch coluk-cozuk^ d« h. Leute
und Kind, oder schliesslich durch das correctere öj =
Haus, Haus und Hof, Wohnung« Nur für Familie im
weitern Sinne des Wortes haben wir uruk und uruk kajas.
Ersteres bedeutet Abkunft, letzteres Abkunfl und Zu-
sammengehörige, folglich die Familie im weitern Sinne
des Wortes, d. h. der Stamm oder das Geschlecht, wor-
unter man im Türkischen, wie aus betreffenden Etymolo-
gien ersichtlich ist, nicht einen Zustand der Sklaverei
wie im Lateinischen (vgl. familia und famülus), sondern
das Yerhältniss der Innigkeit und Zusammengehörigkeit
ausgedrückt haben wollte.
65
Das Haupt einer Wohnung, d. h. Familie, ist der
Vater, ata, ein Wort, welches auch in der Bedeutung
von stark, männlich vorkommt, denn man sagt ata börü =
der männliche Wolf, ata Icaz = der Gänserich, mit einem
Wort ein Ausdruck, der den Inbegriff von Obrigkeit,
Oberaufsicht, Herrschaft, ja all jener Attribute in sich
schliesst, die dem Vater oder Hausherrn laut der patriar-
chalischen Verfassung der Familie eigen sind. Auch der
Begriff Ahnen wird durch dieses Wort wiedergegeben,
nämlich atalar (eigentl. Vater), und im Zusammenhange
mit der Achtung und der Ehrfurcht, welche den Ahnen
und Vorältern bezeugt wird, heissen „weise Sprüche"
oder „Sprichworter" atalar sö^i = das Wort der Väter.
Ganz verschieden von dieser Bedeutung und im vollen
Einklänge mit der Stellung, welche das Weib im primi-
tiven Stadium der Gesellschaft einnimmt, haben wir für
den Begriff Mutter überall ana oder ene^ welchem die
Stammsilbe an, en zu Grunde liegt, folglich ursprünglich
Weib, Amme bedeutet, und nicht Hausfrau oder Her-
rin, und in der That betrachtet die Frau ihren Gemahl als
einen, der ihr Schutz gewährt, daher die Benennung Ge-
mahl cag. ApusJca (Väterchen) und osm. hom (Alter).
Die subordinirte Stellung des Weibes in der Familie ist
auch aus der Benennung der übrigen weiblichen Mit-
glieder ersichtlich; so haben wir zur Benennung des
altern Bruders das Wort aga (vgl. §. 5), zugleich ein
Ehrentitel in der Bedeutung von Oberster, von der
Stammsilbe ah = grau, wozu egeci (zusammengesetzt
aus ege, aga = alt ^ gross, und eci, eM = Weihj Schwe-
ster) = die ältere Schwester, doch nie gebraucht
wird, während die Benennung der Jüngern Schwester,
nämlich singil, den Zärtlichkeitsbegriff Junge, Kleine
in sich schliesst. Es ist nur der Ausdruck des Bedauerns
und des Mitleids, welcher sich im osm. Worte kari =
V&mböry, Cultur. 5
66
Weib, eigentl. alt, die Alte oder im jak. ämäJcstn^Silie Frau,
eigentL Abgeplagte, sich abspiegelt. Für den Begriff Ge-
sehwlster hat der Türke Jcardas, karindas, d. h. Bauchge-
fährte, oder toian, richtiger bir tokkan^ d.h. der Mitgeborene.
Es sind dies Benennungen, welche an und für sich
auf jenes Band der Liebe und der Innigkeit hindeuten,
durch welches die Geschwister miteinander verbunden
sind, allerdings Benennungen, denen gegenüber der in-
nere Werth der entsprechenden Worter in den arischen
und semitischen Sprachen nur matt und bedeutungslos
erscheinen muss. Die Genauigkeit in der Bezeichnung
der einzelnen Mitglieder des engern Familienverbandes
manifestirt sich auch bei den Namen der weitern Ver-
wandten. Der Onkel väterlicherseits heisst dbaga^ der
mütterlicherseits tagaj oder daji. Aehnliche Verhält-
nisse walten ob in der Benennung der Tanten, Ge-
schwisterkinder u. s. w., mit einem Worte, zwischen all
jenen Mitgliedern, die durch das enge Band der Bluts-
verwandtschaft miteinander verbunden sind, während die
infolge des Heirathens aus fremden Familien eingetretenen
Mitglieder den ganz passenden Namen von ügej oder
üvej = fremd, resp. katin oder kajin = hineingefügt,
führen. So ügej ata und ügej ana = Stiefvater und Stief-
mutter (wortl. fremder Vater, fremde Mutter), katin ata und
kajin ana = Schwiegervater und Schwiegermutter (wortl.
hinzugefügte Aeltem) u. s. w.
Da für den Begriff Familie das Wort üj^ öj = Haus,
existirt, so ist es ganz natürlich, dass der Begriff Hel-
rathen mit öjlenmek, evlenmek, wortl. sich ein Haus, d. h.
Familie schaffen, sich ansiedeln, wiedergegeben ist, eine
Wortbildung analog mit dem magy. hdzasodni = heirathen,
welches von höus = Haus stammt. In Anbetracht des
Umstandes, dass die Ehe bei den Nomaden noch heute
in den meisten Fällen von den Aeltern und zwar nicht
67
selten im zarten Alter der Kinder abgeschlossen wird, so
ist das Freien in dem Sinne, in welchem wir es auf-
fassen, ganz unbekannt, und es wird auch dieser Begriff
mit der Umschreibung kiisga harmdk (wortl. zu einem
Mädchen gehen) verdolmetscht, ein Stadium der Heiraths-
sitte, dem der Mädchenraub, heute nur im Spiele sym-
bolisirt vorangegangen sein muss. Der Bräutigam heisst
daher entweder (az.) Jcöregen, eigentl. der Beschauer,
oder güvej, uig. gubek, Jcübek, dem innern Werthe der
Stammsilbe nach der Vertraute, Anvertraute, Treue (vgl.
güv-enmek, küh-enmek^^aiGh verlassen, vertrauen, und
uig. Mt;-^c = Zutrauen), ferner das deutsche treu und
trauen, engl, truth und betroth u. s. w. Die Braut
hingegen az. adakli, d. h. die Versprochene, von adak
= Versprechen, Gelübde, und cag. osm. gelin oder
kelin, d.h. die Kommende (vgl. gd-mek, ÄoZ-meÄ; = kom-
men), weil sie ins Haus des Mannes geht und letzterer
ihren Austritt aus dem älterlichen Hause mit einem KcUim,
alt. kälin, d. h. Ersatz, das was zurückbleibt, von kalma^
= bleiben*, vergüten muss, während die Hochzeltsgabe^
die das Mädchen mitbringt, in ebenso richtiger Weise ko-
santi, wortl. das Mitgegebene, das Hinzugefügte (vgl. §. 80)
heisst. Ersteres besteht bekanntermassen aus Geld oder
Vieh, letzteres hingegen aus Kleidern und solchen Gegen-
ständen, die zur Einrichtung eines Zeltes nothwendig sind.
Der etymologischen Bedeutung des Wortes chatun oder
khatun=^ Frau, d. h. Zugefügt, Genosse, haben wir schon
Erwähnung gethan, es erübrigt daher Hoch der Begriffe
ledig und Witwe zu erwähnen. Für erstem haben wir jak.
hosko, von der Stammsilbe bos, 605 = leer, oder das dem
Persischen entlehnte osm. bekiar (wortl. unbeschäftigt).
* Vielleicht auch von Jcaliriy kallm = Haufen, Menge, eine grös-
sere Zahlenquantität?
5*
68
für letztern hingegen tul oder dul, wortl. verlassen, ein-
zeln, allein, und im k. k. die Umschreibung er d'öfe = mannlos.
Es zeigt daher die Sprache uns wieder das älteste
Bild aus dem Sittenleben der Türken mit einer Treue, die
wir anderswo selten finden, ein Bild, das seit Jahrtau-
senden an Einfachheit nichts verloren hat, und das selbst
durch den allgewaltigen Einfluss des Islam in seinen
Hauptzügen nicht beeinträchtigt werden konnte. Ob in
Anbetracht der Resultate anthropologischer Forschungen,
nach welchen die Festigkeit des Familienbandes im ganz
primitiven Stadium des Menschen stark in Zweifel gesetzt
ist, wir in der von uns als primitiv bezeichneten Cultur
der Türken nicht etwa schon einen fortschrittlichen Grad
der Bildung annehmen sollten, mag sich vielen als Frage
aufwerfen. Nach unserer Anschauung jedoch, wo der
Anfang der Sprache mit dem Beginn der Existenz für
gleichzeitig erklärt wird, wäre es schwer, wenn nicht
unmöglich, in Combinationen über den Bestand einer
altern als der im Zeugniss der Sprache niedergelegten
Bildungsperiode sich einzulassen. Vom Einfluss einer
modernern Bildung als des Islam oder des Christenthums
kann auch schon deshalb keine Rede sein, weil jene
Türkenstämme, die dem Islam fern blieben und dem Chri-
stenthume sich nur in der Neuzeit genähert haben, d. h.
welche in ihren socialen Lebensbedingungen die primitiven
Merkmale ihrer Rasse länger und reiner bewahrt haben,
wie die Jakuten und Tschuwaschen, speciell in der Be-
zeichnung der verschiedenen Verwandtschaftsgrade einen
überraschenden Reichthum der Sprache zur Schau tragen.
So führt Zolotnitzky in seinem Wurzel Wörterbuch der
tschuvaschischen Sprache folgende sechzig verschiedene Ver-
wandtschaftsgrade an, denen wir im Bereiche der mosli-
misch-türkischen Mundarten nicht immer die entsprechende
Benennung gegenüberstellen können:
69
•
Deutsch
Öuv.
6ag.
Osm.
1
Vater
adi, aü
ata
bäba
2
Mutter
anne, anni
ana
ana^ nene
3
Sohn
Ml
ogul
oul
4
Tochter
kir
•
hiz
m
kiz
•
5
Schwiegersohn
kürüü
küjau
güvej
6
Schwiegertochter
kin, kimü
kelin
gelin
7
Kinder des Sohnes
Ivildan tugan
—
—
8
Kinder der Tochter
kirdan tugan
—
9
Aelterer Bruder
ptdce
aga
*
10
Jüngerer Bruder
silim
im
—
11
A eitere Schwester
appa, akka
egeci
12
Jüngere Schwester
jimik
singil
—
13
Gemahl der altern Schwester
jtsna
jezde
eniite
14
Gemahl der Jüngern Schwester
kürä
—
15
Frau des altern Bruders
jlnie
jinge
jenge
16
Frau des jungem Bruders
kin
17
Anverwandter im allgemeinen
per tuvanin
Ivile
uruk kajas
**
18
Grossvater (väterL Seite)
az'atte
uluJc ata
dede
19
Grossmutter (väterl. Seite)
az^anne
uluk ana
9
nene
20
Grossvater (mütterl. Seite)
kog*azl
—
21
Grossmutter (mütterl. Seite)
kog^amaj
22
Onkel (älterer Bruder des
mo6ej
emeke, dba-
amuza
Vaters)
•
ja
(arab.)
23
Onkel (jüngerer Bruder des
Vaters)
picce
24
Onkel (mütterl. Seite)
asla, kokku
tagaj
dajl
25
Frau des altern Onkels
kin-emej
26
Frau des jungem Onkels
jinge
27
Tante (älter als Vater und
Mutter)
mun akka
aja
tejze, ha-
la (arab.)
28
Tante (jünger als Vater und
akka, appa
—
Mutter)
29
Gemahl der altem Tante
moöej
—.
30
Gemahl der Jüngern Tante
fisna
— [ka
•
31
Gemahl
ar-zin
erybaj,apui-
koza
m
* Im Osmanischen mit böjük kardas = grosser, d. h. älterer Bru-
der umschrieben.
** osm. familia, akraba (arab.).
70
•
Deutsch
Cuv.
6ag.
Osm.
32
Gemahlin
artm (arah.)
joldas
Tchatun
kart
•
33
Schwiegervater \ des Mannes
Schwiegermutter} Aeltem
hon eze
m
kajin ata
kafin ata
34
konlm
kajin ana
käjinana
35
i Schwieger- ) des Weihes Ael-
( altem ) tem
kon eme
•
36
kon agu
—
37
Schwager (des Mannes Bruder)
piagam,iskei
kajin aga
kajin, ba-
zanak
38
Schwager (des Weihes Bruder)
kon iskam
m
int
39
( Schwägerin (des Mannes und
( d. Weibes ältere Schwester)
kon egeniy
^ ■ • ^ •
40
41
42
kon eges
kajtn egect
haldlz
\ Schwägerin (des Mannes
poldlr, pol-
43
1 oder des Weihes jüngere*
diru, pol-
kajin singil
44
^ Schwester)
dire
45
Schwager (Bruder oderSchwe-
ster der Frau)
pozjana
—
46
Bräutigam
kace
atagliküjau
güvej
47
Braut
sorasni klr
kelin
gelin
48
Stellvertreter des Vaters
ctdaUk [am
atalik
49
Stellvertreter der Mutter
ktjmatUk
60
Bräutigamführer
mun-kürü
—
51
Brautführer
kizin kürü
•
52
Hochzeitsbegleiter
toj kah'k
53
Schwäger
kuda
•
54
Schwägerinnen
tukla6
55
Stiefvater
aza sorl
üge jata
üvej ata
56
Stiefmutter
ama sorl
ügej ana
üvej ana
57
Stiefsohn
Ivll sorl
ügej ogul
üvej oul
58
Stieftochter
kir sori
•
ügej kiz
üvej Hz
59
(Adoptivkinder und Pflege-
/10A*/*41
asrägan ha-
60
kinder
VoTWO
la
Dieser Reichthum der Sprache, diese sozusagen haar-
spalterische Genauigkeit in der Bezeichnung der einzelnen
Mitglieder der Familie muss in erster Reihe jenem engen
* Im russischen Texte mit Dewer (Schwager), Zolowka (Schwägerin),
Schurin (Bruder der Frau) und Swojatschka (Mannes Bruder) wieder-
gegeben , Wörter, die im Deutschen nur schwer sich präcisiren lassen.
71
Bande zugeschrieben werden, durch welches der Mensch
im primitiven Stadium der Bildung an die Seinigen sich
gebunden fühlt. All sein Sinnen und Trachten erstreckt
sich nur auf diesen engen Kreis, und je mehr er von
demselben in die Aussenwelt sich entfernt, d. h. je mehr
er in den einzelnen Phasen einer vorschreitenden Bildung
seine Sinne andern Dingen zuwendet, desto schneller
schwindet besagter Zug des patriarchalischen Lebens und
damit auch die scrupulos genaue Erklärung der einzelnen
Verwandtschaftsgrade. Wenn wir bezüglich dieses Punk-
tes das von Lubbock entworfene Bild des Familienver-
hältnisses der wilden Menschen mit andern Rassen ver-
gleichen, so wird unsere Erfahrung allerdings zu Gunsten
der Türken sprechen, indem die etymologische Zerglie-
derung der betreflFenden Verwandtschaftsbegriflfe einen un-
verkennbaren Grad der Zärtlichkeit und Anhänglichkeit
verrathen.
Bei der Besprechung der Familienverhältnisse des
turko-tatarischen Volkes darf nicht unerwähnt bleiben,
dass von der Ylelweiberei nirgends eine Spur anzutreffen
ist; eine übrigens ganz naturgemässe Folge primitiver
gesellschaftlicher Zustände, welche diese Unsitte auch
schon deshalb überall ausschli essen, weil die Vielweiberei
zu allen Zeiten ein Ausfluss des Luxus, ein Ergebniss
besondern materiellen Wohlstandes war, der bei dem
Menschen der primitiven Cultur doch nicht anzunehmen
ist, wie dies übrigens auch noch heute bei den Nomaden
sich wahrnehmen lässt. Die Sprache hat nur ein'specielles
Wort für Kebsweib, nämlich Jcirnak im Oezbegischen,
dessen Etymologie mir unbekannt ist, wenn nicht etwa
demselben die Stammsilbe Jcir, Tciis =■ Mädchen, zu Grunde
liegt und etwa aus kir-inäk =^ jvmges Mädchen, kleines
Weib, entstanden sein mag, wie eine ähnliche Composi-
tion im Mongolischen, nämlich hdkkan ewe == Kebsweib,
72
wortl. kleines Weib, zeigt. So fehlen auch die Benen-
nungen für Hure und Bastard^ für welche wir nur per-
sische Lehnworter haben, nämlich im Osttürkischen luli^
im Westtürkischen ruspi oder uruspu (Hure) und pic
(Bastard). Der Abstand, welcher in der Sittenreinheit
zwischen dem von einer fremden Cultur angekränkelten
Türken und seinem auf der Steppe wohnenden Stamm-
genossen noch heute besteht, wird nach einem längern
Aufenthalt unter Turkomanen und Karakalpaken sofort
ins Auge fallen, denn, ob in Afrika oder in Asien, gewisse
Laster werden nur durch die sogenannten Culturträger
eingeschleppt. Der Mensch im primitiven Zustande mag
die absonderlichsten Begriffe von Besitzverhältnissen und
andern Bedingungen des Zusammenlebens haben, derartige
Laster sind ihm gänzlich unbekannt.
Wir dürfen besonders nicht ausser Acht lassen, dass
die Innigkeit des Familienwesens und die mit derselben
verbundene Reinheit des Blutes bei den Nomaden und
folglich bei den Türken in vorzüglicher Weise immer der
Gegenstand grosster Fürsorge war. Im primitiven Zu-
stande des gesellschaftlichen Zusammenlebens ist es eben
einzig und allein der Familienverband, welcher gegen
Willkür und Uebergriffe Schutz verleiht, und je zahl-
reicher eine Familie, desto grosser auch das Ansehen,
dessen sich die einzelnen Mitglieder derselben erfreuen.
Hierunter wird natürlich die Familie im weitern Sinne
des Wortes verstanden und im Osten mit Jcot Jcut, im
Westen mit soj = Gattung, Geschlecht, Clan, bezeichnet.
Bei den Osmanen und iranischen Türken hat dieses Wort
schon seine Bedeutung eingebüsst, bei dem mittelasiati-
schen Nomaden hat es jedoch noch sein volles Gewicht,
und kudaman = die zu ein und demselben Clan Gehörigen
oder Stammverwandte, ist gleichbedeutend mit kardas =
Bruder, oder süt kardas = Milchbruder.
73
IV.
Hans und Hof.
Bei einem Volke, das der grossen Mehrzahl nach selbst
heute noch das Haus, d.h. einen festen Wohnsitz, nicht
kennen will und demselben das leichtbewegliche luftige
Zelt vorzieht, darf es uns gar nicht wundernehmen,
wenn es in der frühesten Epoche seines Lebens unter
Wohnstätte und W^ohnung nur den von der Natur seinen
Bedürfnissen und den klimatischen Verhältnissen seiner
Urheimat entsprechend angewiesenen Punkt Erde versteht.
Das turko- tatarische Wort öj oder ev, welches heute in
der Bedeutung von Haus^ Wohnung, vorkommt, muss
dem innern Werthe nach mit Vertiefung, Thal tiefe,
Thal, übersetzt werden und ist identisch mit der Stamm-
silbe 0; = graben, ausgraben, vertiefen, zugleich aber ein
nomen für Vertiefung, Thal, Grube, Tiefe u. s. w. Deri-
vate derselben Stammsilbe sind noch ferner jak. uja =
Nest, CUV. oj = Thalgegend , k. k. o/a/c = Schlucht , und
nach der normalen Laut Veränderung des auslautenden j
in ^, cag. otah, osm. oda = Zimmer, Zelt, alt. odu =
Stall, jak. üt = Loch, cuv. odar = Zufluchtsort für Schafe,
magy. ödw = Hohle, Grube u. s. w., wie solche in §. 47
angeführt sind. Wenn wir daher nach der ersten Wohn-
art der türkischen Volkerschaften forschen wollen, so
müssen wir von der heutigen Lebensweise der Nomaden
urtheilend zur Ueberzeugung gelangen, dass der Türke
in seinem Urzustände eine Wohnung eigentlich nur wäh-
rend der rauhen Jahreszeit gehabt, und dass diese zu-
meist in solchen Thälern und Vertiefungen gewählt wur-
den, die den von Nordost hereinbrechenden eisigen
74
Stürmen weniger ausgesetzt, dem Menschen und seinen
Hausthieren eine Zufluchtsstätte bieten konnten, wie dies
übrigens auch noch heute bei Kazaken, Kirgisen, Kip-
tschaken und Turkomanen geschieht, die bei Eintritt der
rauhen Jahreszeit von den höher gelegenen Theilen der
Steppe nach Thaltiefen und Schluchten sich zurückziehen,
um daselbst den Winter zu verbringen; ja wie dies selbst
bei den alten Germanen der Fall war, deren Häuser nach
Tacitus hohlenförmig bis zur Hälfte in der Erde sich
befanden.
Unter solchen Verhältnissen konnte selbstverständlich
von einem Hause, d. h. von einem festen stabilen Wohn-
orte keine Rede sein; die Wohnung musste, um den Be-
dingungen des Nomadenlebens zu entsprechen, transpor-
tabel und demzufolge auch zerlegbar sein, daher das
Wort catma oder catir* = Zelt^ von catmdk == zusammen-
legen, zusammensetzen, neben welchen oj in kara-oj, dk-
oj nur als eine allgemeine Benennung für Wohnung,
Wohnsitz, figurirt, in analoger Bedeutung mit dem Worte
jurt heute fast überall mit Heimat^ Land, Vaterland,
übersetzt, der Grundbedeutung nach jedoch Tiefe, Loch
(vgl. osm. jurti = das Loch) von der Stammsilbe jar, jor
= spalten, graben, vertiefen (vgl. §. 145). Dem Zelte,
als der ersten Wohnung, ist auch schon von jeher die
grosste Aufmerksamkeit zugewendet worden, und die
einzelnen Theile desselben sind theils nach der Form,
theils nach der Beschaffenheit des Dienstes, den sie beim
* Man will in cadir eine Verdrehung des ursprünglichen pers.
iardur {cihar dur = Vier Säulen) erkennen. Erstens ist jedoch
cihardur eine ungewöhnliche Composition und könnte keinesfalls für
Zelt oder Haus genommen werden; zweitens beweist eben das im
Sinne Zelt gebrauchte osttürkische öatmaj welches mit catir analogen
Ursprungs ist, den rein türkischen Charakter dieses Wortes.
75
Gesammtbau verrichten, benannt. So: Kerege = das
gitterartige, dehnbare, von iermeJc = dehnen^ welches die
Seitenwand vertritt , und mit welchem je nach Belieben
ein kleiner oder grösserer Kreis gebildet wird. Diese
Kerege's werden mittels Riemen an Pflocken (ok) befestigt
und haben im obern, mittlem und untern Theile einen
besondern Riemen; cangarak = das Gerippe des Daches,
der Dachstuhl, aus gebogenen Stäben gebildet, an dessen
oberstem Ende die radähnliche OefFnung tünglik = das
Fenster, Lichtloch (von j^ww^r = Licht, §. 181) sich be-
findet; m7c = Thür, Schwelle, eigentlich das zu Ueber-
tretende, von es, as = iibertreten , denn die Stelle der
eigentlichen Thür vertritt der Torluk = Vorhang (vgl.
§. 197), welcher mittels der torluk iagi = Vorhangschnur,
oben befestigt wird. So haben auch die einzelnen Filz-*
theile, mit welchen das Gerippe überzogen wird, eine
der betreffenden Function entsprechende Benennung; fer-
ner die verschiedenen Gürtel, als hilhag = Mittelgurt, jan-
iag = Seitengurt, grosse und kleine Pflocke ka^uk^ mit-
tels welcher das leichte Gebäude während der Stürme
befestigt wird. Der Ehrenplatz im Innern des Zeltes
heisst tör, wortlich oben, das Juxtaoppositum eden, wort-
lich unten, während man unter omk = Feuerstätte
(von ot = Feuer, brennen), das Haus, die Familie im all-
gemeinen versteht, weil dies der eigentliche Sammelplatz
der Weiber, Kinder und Greise, mit einem Worte
des schwächern und schutzbedürftigen Theiles der Fami-
lie ist. Im bildlichen Sinne wird daher Heerd für Hei-
mat, Familie gehalten, und als Centrum zugleich auch
als der sicherste Platz der Behausung betrachtet.
Neben dem Zelte ist in einer, aller Wahrscheinlichkeit
nach spätem Periode der Begriff von feste Woliniing
entstanden, nämlich japi, ^apw = Gebäude , welches in
analytischer Bedeutung mit dem betreffenden Worte in
76
andern Sprachen übereinstimmt. So wie bei angestelltem
Vergleiche zwischen dem deutschen bauen und dem
schwed. ho = wohnen, ahd. hüa = wohnen, slaw. hiwat =
wohnen, wir den gemeinsamen Ursprung der für die Be-
griffe Wohnen und Bauen vorhandenen Wörter sofort er-
kennen werden, ebenso wird das gegenseitige Verhältniss
des türkischen jap = machen, und japi = Gebäude, in be-
zeichnender Weise auf den Unterschied hindeuten, der
einerseits zwischen dem japi, also der gemachten, gebau-
ten Wohnung, und dem catma, d. h. der zusammenlegbaren
besteht, andererseits aber auch zwischen den Zeitwörtern,
welche die Handlung des Wohnens bezeichnen. Bei den
Nomaden heisst wohnen konmak, d. h. sich niederlassen,
(hiervon konaJc = Haus im Osmanischen), bei den Ansäs-
sigen hingegen oturmak, d. h. sich setzen, stehen bleiben.
Erstere Handlung hat einen temporären, letztere einen de-
finitiven Charakter. Die feste Wohnung, richtiger gesagt
deren Hauptbestandtheil, nämlich die Mauer, heisst auch
tam^ eigentlich die Stammsilbe der Wörter für dicht, fest,
dunkel, verschlossen, Hölle, Gefängniss u. s. w. Der Oez-
hege gebraucht daher noch heute das Um oder tarn öj =
Steingebäude seines Gehöftes, zur Kornkammer und Stal-
lungen, während er selbst mit Vorliebe daj mitten im
Hofe aufgeschlagene Zelt bewohnt. Ja wir haben es mit
eingefleischten Nomaden zu thun, weshalb es uns gar nicht
wundern soll, Haus, Gefängniss und Hölle von ein und
derselben Wurzel abgeleitet zu sehen (vgl. §. 179).
So wie die Sprache über die Beschaffenheit des ersten
Wohnsitzes Aufschluss gibt, ebenso lehrt uns wieder die
Sprache, dass Städte und Dörfer den Türken von jeher
fremd waren, da sie noch heute mit Lehnwörtern bezeichnet
werden. Das mongolische Balik = Stadt bedeutet seinem
innern Werthe nach den Wohnort eines Fürsten von Bai
= Fürst, und das heute gebräuchliche Schehir = Stadt
77
ist arabischen, Jcöj = Dorf persischen Ursprunges.* Die
Anhäufung mehrerer nebeneinander befindlicher Wohnsitze
fuhrt den Namen atd^ uig. und alt. HZ, in älterer Form
agil und tgil^ eigentlich Haufe von ak ig (vgl. §. 7) an-
häufen, daher agil auch als Bezeichnung für Schafheerde,
Schafstall, gilt und nicht im Sinne von Kreis aufzufassen
ist, wie dies bisweilen bei Verwechselung dieses Wortes
mit dem gleichlautenden agil = der Hof des Mondes, ge-
schieht. Was den Kreis, die Umzäunung eines Schutz-
ortes für Thiere anbelangt, so haben wir hierfür die spe-
cielle Benennung uig. huruk (Umfriedung), alt. komm
(Wehre, Lager), cag. osm. ^oruk^ koru (Stall, Thiergarten)
und cuv. kornaii (geschützter Platz). KtiruJc, koru wird
auch im Sinne unsers Wortes Hof gebraucht, obwol
selbstverständlich bei Völkern, wo der Ackerbau nur eine
untergeordnete Nebenbeschäftigung bildet, der Begriff von
Hof eigentlich nicht nothig ist und die Abrundung des
um die Zelte herum befindlichen Stück Landes nur bei
fester Ansiedelung gebieterisch werden konnte.
Der zu Haus und Hof Gehörige heisst öjlük, d. h. der
Einheimische, der Mensch, der eine Heimat hat, und
so wie das ausser dem Bereiche des Wohnsitzes befind-
liche Land mit jaban ~ wüst, eigentl. leer, öde (vgl.
§. 119), und CO? = Wüste, eigentl. nackt, dürr (vgl.
§. 166) bezeichnet wird, ebenso wird dem Fremden der
Name jabanzi oder jat beigelegt. Beide Ausdrücke, wie
dies übrigens aus der Grundbedeutung der Stammsilbe
ersichtlich ist, sind Synonyme der Eigenschaftswörter
arm, verlassen, elend (vgl. das deutsche Wort elend der Ur-
bedeutung nach fremd, ferner das arabische (/ÄaW6= fremd,
welches im Osmanischen statt arm, verlassen, gebraucht
* Ahlquist, S. 183 , irrt indem er das arab. kaVa = Festung für
tatarisch hält.
78
wird), und Nichts kann die Liebe und Anhänglichkeit des
primitiven Menschen zu seinem Heimatsort besser schil-
dern als eben jener Sprachgebrauch, nach welchem der
von der Heimat in die Fremde Gerathene als arm und
elend bezeichnet wird, indem das Wort Fremde identisch
mit Elend und Verlassenheit ist. In diesem Sinne ist
auch jener ausserordentliche Grad von Freundschaft und
Liebe aufzufassen, mit welcher der türkische Nomade zu
allen Zeiten den Gast^ den Mann aus fremden Gegenden
aufnahm. Der Araber nennt den Gast ganz einfach mu-
safir, d. h. der Zugereiste; das hierfür existirende Wort
in den arischen Sprachen als lat. hospes^ deutsch Gast,
slaw. host, zeigt infolge des Zusammenhanges mit pflegen,
nähren, schon mehr Innigkeit, wird aber in Hinsicht der
Zärtlichkeit weit übertro£fen vom türkischen mmn oder
cücün = Gast, der Grundbedeutung nach der Süsse, der
Herzige, von der Stammsilbe süc, cwc = süss, lieb. An diese
Benennung des Gastes reiht sich das 6ag. honak = der
sich Niederlassende, auch Niederlassung, und alt. ajiUi =
der zum Gehöfte (^ajil aul^ Gehörige. In Bezeichnung
des Begriffes Nachbar^ welcher z. B. den Finnen fremd
war* und den arischen Volkern entlehnt wurde, bedienen
sich die Türken einer mit der arischen analogen Wort-
bildung, denn konsu =- Nachbar, älter konsuk, stammt von
^oww5maA = zusammenwohnen, sich zusammen niederlassen,
sowie das deutsche Nachbar, das aus nah-boer (nahe
wohnender), slaw. sosed, das aus su sedit = zusammen-
sitzen), pers. Jiemsaje, das aus hem — saje = Schatten-
genosse entstanden ist,* wo in seiner ziemlich sinnreichen
Weise der an ein heisses Klima gewohnte Perser, als
Nachbar, den mit ihm unter ein und demselben Schatten
Weilenden bezeichnet.
♦ S. Ahlquist, S. 220.
V
79
V.
Hausgeräth, Kleider nnd Stoffe.
Dort wo die Häuslichkeit in Ermangelung eines festen
Wohnsitzes unserer Aufmerksamkeit wenig Stoff bietet,
wird selbstverständlich die Detaillirung des Hausgeräthes
auch wol einen beschränkten Kaum einnehmen müssen.
Da wir im vorliegenden Falle es nicht mit der Behausung
eines an der Wolga, am Oxus oder am Jaxartes ansässi-
gen, von fremden Cultureinflüssen stark imprägnirten
Turko- Tataren, sondern mit der primitiven Wohnstätte
des vorgeschichtlichen Ural-Altaiers zu thun haben, so kann
wol mit Recht behauptet werden, dass ein einziger üeber-
blick zur Musterung des ganzen Hausgeräthes hinreicht.
Von Mobeistücken kann, wie leicht erklärlich, gar keine
Rede sein. Was heute im jak. oron, kaz. urun, cuv. virin,
cag. urun für den Begriff von Bett^ Bettstelle, Thron,
Sessel existirt, ist, wie der Werth der Stammsilbe beweist,
nur das allgemeine Wort für Anhohe, erhöhter Platz (vgl.
§. 64) und dürfte ursprünglich nicht als ausschliesslicher
Sitz oder Lagerplatz gedient haben. Zum Sitzen schon
deshalb nicht, weil im türkischen Asien* von jeher das
Sitzen mit unterschlagenen Beinen beliebt war und hierzu
die niedere flache Oertlichkeit zweckdienlicher ist als eine
Erhöhung; aber auch zum Liegen nicht, weil das für die-
sen Begriff existirende Wort, nämlich jataJc = Lager, jai-
mak = liegen, wie aus der Stammsilbe jat = eben, flach,
ersichtlich ist, sich theils auf das Ausbreiten des zum Lager
* Stühle kommen übrigens selbst heute nur in China, Japan, Hinter-
indien vor.
80
bestimmten Gegenstandes, theils auf das Ausstrecken des
Korpers bezieht (vgl. §. 138). Selbst der Osmane, der
unter allen Türken im vorgerücktesten Stadium der Cul-
tur sich befindet, breitet sein Baumwollbett so wie der
Kirgise sein Filzstück auf der Erde aus. Vgl. osm. döseh
= Bett, und dösemek = ausbreiten, ferner jastik = Pol-
ster, Kissen, wörtlich Lehne, Stütze, von jasta = slu-
lehnen, und in der That wird das Polster bei den Noma-
den Innerasiens beim Sitzen nur anstatt einer Stütze unter
dem Arme gebraucht.
Das älteste Hausgeräth bestand aus Säcken oder
Hüllen zum Verschliessen , Bedecken und Transportiren
der Mundvorräthe, so cag. Jcdb = Schüssel, Sack, kapcuk
= Tasche, alt. JcapciJc = Sack, jak. Jcappar = eine grosse
Tasche u. s. w., die insgesammt aus weichen Stoffen ver-
fertigt wurden, zu denen sich später die aus harten Stoffen
verfertigte Truhe oder Kiste sandilc, sindik, von silnmak,
stginmak = bewahren, beschützen, sich gesellt hat, ein
Möbelstück, das später auch zu den Russen (jsundtüc)
und von diesen zu den finnisch-ugrischen Völkerschaften
übergegangen ist.*
Eine hervorragende Stelle nahm von jeher der Kessel
(kazan^ cuv. korari) ein, der Wortbedeutung nach eine Aus-
höhlung, ein hohler Körper, von kaz, fear (graben, höhlen
vgl. §. 22), welcher als Hauptkochgeschirr verwendet, und
als Speiser, Nährer, im Zusammenhange mit dem Dank-
barkeitsgefühle für Gottesgaben, in gewissem Ansehen, ja
in Achtung stand. „Den Kessel umstürzen" heisst soviel
wie jemand hungern lassen, die Nahrung versagen, und
wie sehr der Kessel selbst in spätesten Zeiten bei den meist
gegen Westen gezogenen Mitgliedern des Türkenvolkes in
Ehren gestanden, beweist die Achtung, welche die Jani-
* S. Ahlquist S. 135.
81
tscharen dem Regimentskessel bezeugten, dem das Epithet
acherif =^ edel, beigelegt und der in feierlichen Aufzügen
selbst der Fahne vorangetragen wurde. Bei den Noma-
den fordert es die Anstandssitte, dass der Kessel im Zelte
oberhalb aller Hausgeräthe aufgehängt sowie im Zuge
auf das vorderste Kamel geladen werde, und so wie
bei der Ernrichtung eines Haushaltes die Anschaffung
eines Kessels die erste Sorge ist, ebenso wird das Ab-
handenkommen dieses Geschirrs immer für das schlimmste
Omen angesehen. Als zum Kessel gehörig betrachtet
man den Dreifuss (üc-ajak) und Löffel (kasuk)^ eigentl.
der Kratzer, von kas, kas (kratzen, schaben), ein Instru-
ment, das nicht die Function eines Löffels vertritt, denn
hierzu dient noch heute die Hand, sondern zum Abkratzen
der am Boden des Kessels angebrannten Speisen benutzt
wird. Geschirre alten Gebrauches sind ^fi7t(m = Ledersack^
und cömlek = Napf ^ die beide solchen Stammsilben ent-
springen, nämlich tul, toi und com, cäm^ 6um^ welche die
Grundbedeutung von voll. Fülle, in sich schliessen (vgl.
magy. ^cim7d= Ledersack und fd'm= füllen), und ebenso wie
kob = Vase zur Aufnahme flüssiger Körper dienten. Hier-
her gehört auch der tursuk, d. i. ein zum Aufbewahren des
Kimis benutzter Ledersack, der Grundbedeutung nach der
Säuerer, der Gärer, von turs, fürs = sauer, wie wir dies
weiter unten (s. Speise und Getränke) sehen werden; fer-
ner canak = Topf^ ursprünglich caganak = Höhlung, hohler
Raum, Concavität, von cak = ausschlagen, aushohlen
(vgl. §. 77), welches zum 6ag. caganak = Hafen, Meer-
busen, in einem solchen Verhältniss steht, wie das deutsche
Hafen (Topf), Hafner (Topfer) zu Hafen; und schliesslich
kumgan^ kujumgan = Glesskanne von kujmak = giessen.
Das Hausgeräth, welches zum Bereiten und Vorsetzen
der Speisen dient, führt im ältesten Sprachdenkmale den
V6inb6ry, Cnlttir. 9
82
gemeinsamen Namen edis, t7ii = Gefas8, wo nicht der
Begriff des Fassens zu Grunde liegt, sondern der des
Machens, Bereitens, analog dem deutschen Zeug.
Eine bedeutende Rolle spielten in der Haushaltung der
Nomaden die Teppiehe oder Decken, welche theils als
Hülle des Zeltes, theils als Unterlage beim Sitzen oder Lie-
gen schon in der frühesten Zeit im Gebrauche gewesen sein
müssen. Wir haben zur Bezeichnung dieser Gegenstande
zwei scheinbar voneinander getrennte, dem etymologischen
Bestände nach eng miteinander verwandte Worte, nämlich
cag. kigijs, osm. klijs^^ kir. hjavis, alt. Tcebis-Tcijiz^ welche
bald für Teppich, bald für Filz gebraucht werden, insge-
sammt von der Stammsilbe Iceb, kev, kej, kij (bedecken,
bekleiden, verhüllen) abstammen, und in dem Etymon ihre
eigentliche Bestimmung bezeichnend, ganz einfach für Be-
kleidung des Bodens oder des menschlichen Korpers zu
nehmen sind. Für die älteste Gattung dieses Stoffes muss
selbstverständlich der Filz angesehen werden, dessen Be-
reitung bekanntermassen auf einer höchst einfachen Pro-
cedur beruht, indem die aufgeschichtete Schafwolle oder
Kamelhaare mit Wasser besprengt, infolge des kleberigen
Fettes in eine feste Masse verwandelt, dann gepresst und
gewalkt werden, sodass nach einer Arbeit von kaum drei
Tagen ein schmiegsamer und wasserdichter Stoff fertig
ist. Der Teppich = kece = kleine Decke, Diminutivum
von kejieie (denn die primitive Form des gewebten Teppichs
ist klein und länglich) konnte dagegen nur mit viel Arbeit
zu Stande gebracht werden und ist im Grunde genommen
selbst heute noch als Luxusartikel zu betrachten, der nur
in der Haushaltung der Reichern vorkommt. Dass übrigens
der Filz älter als der Teppich sei, beweist auch. die alte
Sitte der Fürstenwahl, bei welcher der neuemannte Fürst
nicht auf einem Teppich, was im Sinne des Pompes wol
entsprechender wäre, sondern auf einem weissen Filz-
83
stucke, als Zeichen der verliehenen Suprematie, in die
Höhe gehoben wird.
Für den Begriff des Kleidens haben wir in den turko-
tatarischen Sprachen zwei verschiedene Worter, welche
uns auf jene primitive Anschauungsweise zurückführen,
aus welcher die Bedeckung des nackten Körpers (nackt
heisst jalang^ eigentl. glatt, ledig, leer, und czplak, cuplak^
eigentl. abgeschält, hüllenlos, bloss) hervorgegangen ist.
Diese Wörter sind: a) 6ag. ton = Kleid, alt. ton = Decke,
Oberkleid, der Grundbedeutung nach die Hülle eines
Körpers, daher öag. tun = Hautund Wolle (vgl. japa =
Decke und Schafwolle), osm. jün = Wolle, öuv. sjün =
Wolle, Gefieder, jak. ön = Wolle. Es ist hieraus ersicht-
lich, dass in der Bekleidung das V^rhältniss des Thieres
zu seinem Felle oder Gefieder eine Nachahmung gefunden,
und die ersten Kleidungsstücke bestanden auch in der
That nur aus den den Thieren abgezogenen Fellen oder
Häuten, folglich pellibus vestiti, wie Cäsar die alten Briten
schildert. Diese Sitte reicht noch bis in die Neuzeit her-
auf, denn der junge Kirgise liebt es noch heute, aus der
glanzvollen Haut des Füllens sich ein Oberkleid zu be-
reiten, an dem der Schweif als Zierrath beibehalten wird,
ebenso wie die Magyaren bei ihrem ersten Auftreten im
alten Pannonien ein mit der Kopfhaut noch versehenes
Pantherfell umhängten; wie mir Turkomanen erzählten,
kleideten sich diese wilden Söhne der Steppe noch vor hun-
dert Jahren ausschliesslich in Schaf häute. Für den analogen
Ursprung der Wörter, welche zur Bezeichnung der Hülle
des Thieres und der Bekleidung des Menschen dienen,
sprechen noch folgende Beispiele: 6ag. japinzi = Ober-
kleid, ^*ajpM/<: = Hülle, Decke, ^'a^a; = Wolle (magy. gyapju
= Wolle, folglich Hülle des Schafes), welche insgesammt
von der Stammsilbe jap (zudecken, bedecken, verhüllen)
abstammen; ferner: 6ag. böriiJc^ jak. härgäsäy alt. pürük =
6*
84
Kappe, Kopfbedeckung, osm. börJc = Mantel, 6ag. lörün-
geh = Schleier, Oberkleid, welche von hörümek = verhül-
len, bedecken, abstammen und gemeinsamen Ursprunges
sind mit iarUy boru = Thierhaut, Fell, b) Jcetim, Jcejim^
gijim = Anzug, Kleid, von der Stammsilbe Tcet^ Jcej, gij (an-
ziehen, anlegen, vgl. §. 74), eigentl. auf sich nehmen, auf den
Rücken nehmen, daher die Redensart osm. drti acik = er
ist nackt, wortl. sein Rücken ist leer, oder cag. ton egi*
nine oUdi = er hat sich bekleidet, wörtl. er hat ein Kleid
auf seine Schulter genommen. Dieser zweite Begriff des
Bekleidens, dem magy. felöltem = auf sich nehmen, dem
deutschen anziehen, und dem lat. induo nicht unähnlich,
dünkt uns nur eine secundäre Art des Bekleidens zu sein,
und bezieht sich aller Wahrscheinlichkeit nach auf den
Gebrauch der Oberkleider, die mehr umgehängt als ange-
legt wurden. Wenn wir daher besagte Stammsilben im
Vereine mit kap (verhüllen, bedecken) ins Auge fassen,
so haben wir den Etymon beinahe sämmtlicher zur Be-
nennung der Kleider bei den turko-tatarischen , Volkern
dienenden Worter.
Was die Detaillirung der Kleidungsstücke betrifft,
80 muss natürlich vor allem sowol das klimatische Ver-
hältniss der Urheimat als auch jene streng exclusive Lebens-
weise, in welcher die Türken sich befanden, in Erwägung
gezogen werden, um zu begreifen, dass hier von jeher die
grösste Einfachheit vorherrschte. Als Eopfbedecknng
figurirt im weitesten Kreise^ der Kälpag oder kavuh, beide,
wie aus der Grundbedeutung der Stammsilbe ersichtlich, von
der runden, hohlen, aufgeblasenen Form so benannt (vgl.
§• 73), eine Form, welche die Filzhüte und Pelzmützen auch
noch heute beibehalten haben. Aehnliches ist auch im kir.
tumaga, tumak (Pelzmütze) ausgedrückt, indem dieses Wort
von iom = schliessen, binden, verhüllen entstanden, ur-
sprünglich Name jener Kappe war, mit welcher man dem
85
Jagdvogel die Augen verhüllt, vgl. alt. iomogolo = den
Mund oder Kopf verbinden, ausserdem aber auch noch
als Grundbedeutung der Worter für Knäuel, Kugel, figu-
rirt und mit tumar (s. vireiter unten) identisch ist. JBörk,
der längliche Pelzhut, stammt von börük = Hülle, Be-
deckung, und das kir. ieokele (Frauenkopfputz) dünkt mir
von ceör-irfe= Kopf winde, wie es in der That aus meh-
rern um den Kopf gewundenen Tüchern besteht, entstanden
zu sein. Eine ähnliche Bedeutung liegt auch dem später in
Mode gekommenen Worte für Turban zu Grunde, so : 6ag.
selUj salla^ osm. sartk und calmaj von sar^ sdl, cdl (herum-
winden, umschlagen). Das Hauptstück unter den Klei-
dern, ein langer vireiter Rock, führt die Namen ceJcmefiy
capan, auch ton oder käba, von denen das erstere nur Tuch,
den Stoff aus dem es bereitet wird, bedeutet, letztere
aber, wie schon erwähnt lüeid, Hülle, Decke im allge-
meinen heissen. So bedeutet auch das Wort für Hemd
Kleid im allgemeinen, nämlich Jcüjümlek, küjnek und günt"
lek von küj, kij (ankleiden, anziehen), und eben aus dieser
Ermangelung eines speciellen Wortes, nicht minder aber
auch aus dem Umstände, dass Leinwand erst die Erfin-
dung einer spätem Periode ist, wird es klar, dass das
Hemd in den ersten Bildungsstadien gänzlich fehlte, ja
von den Nomaden ganz ärmster Klasse auch heute noch
wenig gebraucht ist. Ein ähnliches Yerhältniss ist auch
beim Worte für Beinkleid bemerklich, denn ton oder
iston^ icton, womit dieses Kleidungsstück benannt wird,
bedeutet Kleid, Unterkleid im allgemeinen, und das osm.
iälwar =Hose, ist bekanntermassen dem Persischen ent-
lehnt. Lehnworter sind femer dtibhe^ kaftan, hirka, und
osm. nimten, salta, setri u. s. w.; mit einem Worte, die
Annahme, dass die Bekleidung nur aus einem einzigen
Stücke bestanden, ist unter allen Umständen berechtigt.
Die FassbeUeidung findet sich in zwei genuinen Wor-
86
ten ausgedruckt, nämlich ia Tcefs^ Jcevis, Jcevüs oder Jceös,
eigentl. Schub von Jceb, Jcev (bedecken, yerbüllen) und in
ötüJcj ütük, itiik = Stiefel, eigentl« Ueberzug, von der
Stammsilbe Öt (übergehen, überziehen), folglich eine solche
Bekleidung, die über den schon vorhandenen Tcevs (Schuhe)
angelegt wurde, wie dies übrigens in Centralasien noch
heute der Fall ist, wo der Stiefel immer über eine andere
Fussbekleidung gezogen wird. Aelter als Tcevs und ötük
dünkt uns das cag. caruh, carmuk, uig. cermen, eine Be-
schuhung, welche aus einem um den Fuss gewickelten
Lappen besteht, der mit einer Schnur befestigt wird,
folglich eine Gattung von Sandalen von der Stammsilbe
car, cer = wickeln, umbinden. Dieser Fussbekleidung be-
dienen sich noch heute die ärmern Volksklassen in Central-
asien, besonders aber die Nomaden auf dem Marsche
durch die von der Sonnenglut erhitzten Sandstrecken, auf
welchen zu gewissen Jahreszeiten der glühende Boden das
Barfussgehen absolut unmöglich macht.
Als Ergänzungsstücke der Kleider, richtiger zur Be-
festigung derselben um den Korper dienten: Kur, kursak,
osm. ktisak = Gürtel^ der etymologischen Bedeutung nach
der Schutz, die Umfriedung, der in der Neuzeit aus einem
Tuch gebildet wird, ursprünglich aber aus einem Stricke,
üpy jüp, bestanden haben muss, daher noch das magy. öv
= Gürtel. Ausserdem haben wir noch das Wort biV)ag
= Lendenbinde, ein dünner mehreremal um den Korper
gewickelter Gürtel. Ferner der Knopf^ cag. tügme, osm.
döjnie, alt. iügün, öuv. tümme, eigentl. der Binder, Schlies-
ser, nicht nach der Form, wie das deutsche Knopf,
Knospe, Knauf, engl, iudy hutton, sondern nach der dem-
selben zufallenden Thätigkeit so benannt; und die Schnalle^
Spange^ cag. tc^a, toka^ eigentl. der Zusammenbringer,
ein Ding, das die Endtheile eines Kleidungsstückes an*
einander anheftet. Hierher gehört noch die Tasche^ welche
87
ursprünglich unbekannt war in der heutigen Form, d» h.
am Kleide angenäht, weshalb auch dafür nur Lehnwörter
existiren, nämlich das arab. it6, ie6*, und das pers. chaU
tar. Eine an der Seite herabhängende Tasche muss da-
gegen schon früh existirt haben, denn hierfür besteht das
Wort janzik^ cag. jancuk, von jan-acük = Seitenoffnung;
ferner terJci, Ranzen, Sattelsack, eigentl. der Sammler, von
termeky sammeln. Sehr bezeichnend ist das Vorhandensein
eines allgemeinen Wortes für Handsclmli^ cag. eltiven,
osm. eldiven^ k. k. elt'eJc, eigentl. der Handverstecker, wo
man die Hand hineinsteckt (vgl. §. 203). Dies deutet auf
die rauhen klimatischen Verhältnisse der Urheimat hin,
und es hat sich im Turko-Tatarischen besser erhalten als
im Finnisch-Ugrischen, wo das dem Slawischen entlehnte
rukkanen vorkommt.**
Wenn wir von den Kleidungsstücken auf jene Stoffe
übergehen, deren die Turko-Tataren sich zuerst bedienten,
so werden wir nach genauer Früfting der für solche Be-
griffe vorhandenen Benennungen zur Ueberzeugung ge-
langen, dass sowol die Benennungen für Hanf und Flac]ts>
nämlich kendir und keten, als auch das Wort für Lein-
wand^ theils dem Persischen, theils dem Arabischen ent-
lehnt, und die betreffenden Stoffe erst in einer verhältniss-
mässig neuem Periode zu den Türken gelangt sind. So
wie der persische Ursprung der Wörter Jceten und kendir
ausser Zweifel steht, trotzdem letzteres weit nach Norden
gedrungen, und sogar bei den Magyaren als altea tür-
kisches Lehnwort vorkommt, ebenso wenig kann der ara-
bische Ursprung des Wortes bejs, Leinwand, bestritten
v^erden, trotzdem letzteres im Osttürkischen in der Form
* Das magy. eseh ist dem Türkischen and nicht dem Finnisch.-
Ugrischen entlehnt, wie Ahlquist, S. 151, meint.
** S. Ahlquist, S. 152.
88
von pöZy möz, vorkommt. Noch mehr tritt dieses Verhält-
niss beim Worte für Tuch^ coka^ hervor, welches seiner
Stammsilbe nach analog mit tok, weben, d. h. zusammen-
fügen (vgl. §. 173), im Grunde genommen nur ein Ge-
webe heisst. Kleider weben gehört übrigens auch bei
andern Volkern in die Periode der fortgeschrittenen Cultur
und dürfte bei den Nomaden xax' ^^o^i^v auch gar nicht
gesucht werden. Als ältester Stoff muss, wie schon er-
wähnt, der Filz betrachtet werden, dem zunächst die
Flecht-, Dreh- und Spinnarbeiten stehen, denn für spin-
nen und drehen ist die analoge Bezeichnung cag. öri^-
mek^ ürümek, alt. ürmek, 6uv. arla — daher örük, örme^
örüy uruk (Gespinst, Gewebe, Geflecht, Zopf), öreke
(Spinnrad), örcük (Spindel, Kreisel) u. s. w., ebenso wie
i6, ipy jüp (Garn, Zwirn, Strick, Gewinde) von ijy iv
(drehen, winden) stammt. Auch das hierher gehörige
ipekj jipeky Seide^ heisst in der Grundbedeutung ganz ein-
fach ein Gewinde, denn wenngleich dieser Artikel im heu-
tigen Mittelasien von China aus früher Verbreitung fand
als in andern Theilen Westasiens, so war er nur den ira-
nischen Ureinwohnern der heutigen Chanate, nicht aber
den auf der Steppe lebenden Turaniem bekannt. Es ist
bisher nur eine einzige Faserpflanze vorgekommen, näm-
lich das torha^ eine wilde Pflanze, aus deren faseriger B.inde
ein seidenartiges Garn und Gewebe bereitet, das als alter
Zierath und Umschlag für fürstliche Handschreiben er-
wähnt wird, so von Mir Ali Sir im Garaib es Sagir; heute
ist es jedoch allmählich ausser Gebrauch gerathen.
Schliesslich wollen wir noch die als Ergänzung der
Kleidungsstücke dienenden Schmuck- und Ziergegen-
stände erwähnen, die trotz der Spärlichkeit und Primiti-
vität immer einer Beachtung werth sind. Für den Begriff
von zieren, schmücken haben wir die Stammsilbe his^
bea, deren concreto Bedeutung einschneiden, graviren.
89
in Analogie mit bic (schneiden) ist. So wie beim mensch-*^
lieben Körper das Bemalen, Färben, Anstreichen einerseits,
das Einschneiden und Graviren andererseits als erste Stufe
des Zierens und Schmückens gedient hat, ebenso muss
dies auch bei leblosen Körpern, bei Hausgeräthen und
Kleidungsstücken der Fall gewesen sein, und zwar haben
Südländer, d. h. nackt umhergehende Menschen, ihre Kör-
perhaut bemalt oder tätowirt, während der Mensch im
Norden den Zierath und den Schmuck an seinen Klei-
dern angebracht hat. Die gemeinschaftliche Stammsilbe
der Wörter für zieren und graviren findet ihr Seitenstück
in der Begriffsanalogie zwischen dem deutschen Schmuck
und Schminke, so auch zwischen dem jak. ön, in (Farbe)
und dem 6ag. ining^ ünäng (Schminke, Gesichtsfarbe). Ob
nun aus dem etymologischen Verhältnisse der angeführten
Wörter auf die früher bei den Turko-Tataren bestandene
Sitte des Tätowirens gefolgert werden kann, wäre in An-
betracht des Vorhandenseins hierauf bezüglicher sprach-
licher Beweisgründe wol als Hypothese aufzustellen, ob-
wol das heutige Sittengemälde hiervon nur eine sehr ge-
ringe Spur aufweist. Der Begriff von zierlich und schmuck
ist ferner noch mit dem Beiworte klein, winzig, ausge-
drückt, vgl. im, cece = klein, schmuck, schön (in der
Kindersprache). Von ähnlicher Bedeutung ist auch inzi,
minzi, wovon ersteres in der Variation von jifizi, jün£ü
auch für Perle gebraucht wird. Schmuckgegenstände, die
aus der ersten Periode stammen, sind folgende: tomar oder
komar (wörtl. Knauf, Knäuel), ein Päckchen, in welchem
früher aus Holz, in der Neuzeit aus Metallen angefertigte
Talismane oder Zaubermittel aufbewahrt werden und das
bei Kindern auf der Kopfbedeckung angenäht, bei Erwach-
senen um den Leib gehängt getragen wird. Dieses Schmuck-
object dünkt uns aber nur nach der Einführung des Islam zur
Aufbewahrung der mit kabbalistischen Zeichen versehenen
90
.Papierstreifen gedient zn haben, firoher mag es einen Fe-
tisch, einen Zanbergegenstand oder Medidn enthalten
haben, nicht ungleich den Medidnsackchen, von denen
Lnbbock nach Catlin spricht.* Femer banzuk oder manr-
zuk = Koralle, der etymologischen Bedeutung nach eine
kleine Beere*% ein kleiner runder Korper, schon an
und für sich der Inbegriff des Schonen und Zierlichen ;
Jnlezik, Mlekzik = A.TXBh2L\iA^ ursprungl. Jnlektik von bileh
=■ Handgelenk, und tik (vgl. ddiven S. 86); önguttük =
Halsgehänge, eigentL das von vom Getragene, und schliess-
lich jüzük^ alt. jüstik = Ring, Fingerring, ursprunglich aber
der Gesichtsring, Nasenring, wie aus der Etymologie des
alt. Wortes ersichtlich ist, eine Sitte, richtiger eine Un-
art, in welcher die Türkinnen Centralasiens noch heute
ihren Geschlechtsgenossen in Afrika und Amerika nach-
ahmen.
VI.
Speisen und Getränke.
Was die Sprachphilosophie hinsichtlich der ersten
Nahrung des Menschen und deren Zubereitungsweise nur
mittels mancher aus weiter Feme und aus den verschieden-
sten Altersstadien des semitischen und arischen Sprachen-
gebietes herbeigeholten Beispielen annähernd zu beweisen
im Stande ist, das kann bei den turko-tatarischen Mund-
* On the origin of ciyilisation and the primitive condition of man,
S. 245.
** Aus muh, mug ist nach normaler Lautveränderung (g ^^ng, so
mogol = mongoT) mung und münz -mono geworden. Der Grundgedanke
ist eben der runde feste Körper. Ygl. §. 204.
91
arten auf den ersten Griff und bei der ersten Umschau
gelingen. Aus dem Umstände, dass die Worter für Fleisch
und Speise ein und demselben Stamme entspringen (man
vergleiche nämlich es [esremeJc] = fressen, es^ as = Speise,
mit et =■ Fleisch, uig. et = Korper [in et-öz = Leibeigen],
ferner das hebr. leckem = Brot, Nahrung, mit dem arab.
Za%m = Fleisch), nicht minder aber auch in Anbetracht,
dass das Ergebniss der Jagd in solchen Zonen, wo die
Vegetation immer eine dürftige war, dem Menschen als
erstes Nahrungsmittel diente, müssten die Türken in dem
frühesten Stadium ihrer Existenz als entschieden fleisch-
essend bezeichnet werden. Doch lässt eben dieser etymo-
logische Beweisgrund auch zur Geltendmachung einer an-
dern Theorie sich verwerthen, denn das Wort für Fmclit
und Obst^ nämlich jemis, jimiSy ist geradezu ein Com-
positum Yon jem-isi = l^Bszeug oder Esswaaren, folglich
das Essen, die Kost im allgemeinen. Die allerdings wich-
tige Frage, ob der Türke in dem primitivsten Zustande
seiner Existenz zuerst Fleisch- oder Pflanzenesser war, lässt
sich daher aus der Sprache schwer ermitteln, da dieselbe
beide Fälle als möglich voraussetzt, was übrigens der
Wahrscheinlichkeit am nächsten liegt, denn sonst würde
die Sprache im vordialektischen Zeitalter die Begriffe
Fleisch und Frucht nicht als das Essen, die Kost par
excellence bezeichnet haben. Einen entschieden festem
Anhaltspunkt finden wir in der Etymologie, wenn wir
untersuchen, ob die ersten Nahrungsmittel bereitet wur-
den, und wie diese Bereitung mittels Kochens oder Bratens
vor sich ging.
Was Geiger im Y. Abschnitte seines Buches nur mittels
einer auf grosser Belesenheit und tiefem Studium basiren-
den Forschung hinsichtlich der Begriffsanalogie des Kochens
oder Bratens am Feuer mit dem Reifen an der Sonne sagt,
das legt uns die türkische Sprache ganz klar auf die Hand.
92
FU-meh heisst nämlich sowol koclieil und braten^ als
auch reifen oder reif werden, denn man sagt: etpiser, das
Fleisch kocht oder bratet; almapUer, der Apfel reift; or-
talik piier^ es kocht alles vor Hitze , und die Participien
pismis oder pisken werden als Beiwort für gekocht, ge-
braten, reif, zeitig, in gleicher Weise gebraucht. Wenn
daher für die Begriffe des Bratens, Kochens am Feuer
und des Reifens, Weichwerdens an der Sonne (vgl. neu-
pers. puchte, gekocht, gebraten , reif, weich) ein und das-
selbe Wurzel wort vorhanden ist, so wird es nicht beson-
ders schwer sein zu ermitteln, dass man zum Mürb- oder
Weichmachen des Fleisches sich zuerst nicht des Feuers,
sondern der Sonnenwärme bediente, ebenso wie dies noch
heute bei der Zubereitung des gedorrten Fleisches der
Fall ist, welches pastirma (von pistirmeJc, pisiitirmek =
kochen oder braten lassen) heisst.
Im engen Zusammenhange mit dem Genüsse der Früchte
und des Fleisches stand auch die schon uralte Bekannt-
schaft mit der Milch und den aus derselben gewonnenen
Speisen. Milch heisst süt, nach der Grundbedeutung der
Stammsilbe süss, geschmackvoll (vgl. sücuk, §. 171),
vielleicht der süsse Trank par excellence, wenn solcher
dem Wasser gegenübergestellt ist. Mit demselben Worte
wird auch in einigen Theilen des türkischen Sprachgebie-
tes, so im altem Gagatai der Wein und Sorbet bezeichnet,
eine Benennung, welche lebhaft an einen analogen Sprach-
gebrauch im Persischen erinnert, nämlich an das gegen-
seitige Verhältniss zwischen sir = Milch, sirin = süss, und
sirini = Sorbet; ferner an das merkwürdig' analoge Ver-
hältniss zwischen dem deutschen Wein, lat. vinum und
dem skt. vena = Geliebter, dän. ven = Freund und lat. vi-
nülus r= lockend, reizend (bei Plautus).* Eine der ältesten
♦ S. Geiger, ü, 161.
93
ans der Milch bereiteten Speisen dünkt uns das karut^
irrthümlich mit Käse übersetzt, da dies im Grunde ge-
nommen nur Milch im getrockneten Zustande ist. Das
JE^urut (von kurumah = trocknen) ist eine Art in Säuerung
übergegangene condensirte Milch, welche in runden Kü-
gelchen an der Sonne getrocknet, zumeist auf längerer
Reise gebraucht wird; alsdann aufgeweicht und zerrieben
gibt das Kurut eine Art von Airan = saure Milch. Dem
Worte Airan^ richtiger Agiran, liegt die Stammsilbe agu
= bitter, sauer, zu Grunde. Airan gehört ebenfalls zu
den ersten Nahrungsmitteln der Steppenbewohner, ebenso
wie das jogurt, jourt = dicke, d. h. gestockte oder ge-
ronnene Milch, von jokun, jogun = dick (vgl. §§. 7 und 49),
und katik = gestockte Milch, von kat^ hart, fest, dicht
(vgl. §. 87). Vgl. das von Tacitus bei der Beschreibung
der Lebensweise der alten Germanen angeführte lac con-
cretum, ein Hauptnahrungsmittel, das noch heute bei den
Türken mittels künstlicher Säuerung erzeugt wird und selbst
bei den in der Cultur meist vorgeschrittenen Osmanen ein
beliebtes Nahrungsmittel ist.
Für Butter haben die Türken den allgemeinen Namen
majy eigentl. sari maj = gelbe Butter, wenn im frischen,
unausgelassenen Zustande, sonst führt sie den allgemeinen
Namen jag, ag, Fett, nach der anderseitigen Verwerthung
der Stammsilbe zu urtheilen, von der Grundbedeutung
Schmiere, Schmalz (vgl. §§. 120 und 131) abgeleitet, unter
Bahm^ kajmak, versteht man im Türkischen Schaum,
Obers, d. h. was aufwallt, in die Höhe kommt, von der
Stammsilbe kaj, aufkochen, aufwallen. In Anbetracht des
Umstandes, dass Butter selbst heute noch bei den Noma-
den Centralasiens wenig beliebt und dem Fett der Schafe,
Kamele und Pferde der Vorzug gegeben wird, wäre es
nicht schwer, wenigstens hypothetisch hinzustellen, dass
Butter — deren Bereitung viel umständlicher ist als das
94
Erlangen des Schmalzes von dem ausgelassenen Fett der
Thiere — nur für das Product einer spätem Periode zu
halten sei, ebenso wie die Bereitung von Käse^ wofür wir
im Öagataischen das specielle Wort turdk (vgl. magy. turö
= Käse) besitzen, welches fälschlich vom slawischen twa-
rog abgeleitet wird, da eben das Gegentheil der Fall ist,
und welches, indem unter turdk eine gesalzene Milchspeise
verstanden wird, wie aus der Etymologie des Wortes
selbst, von iur, sur = gesalzen (vgl. §. 198), am besten er-
sichtlich ist. Dass für Käse bei der grossen Mehrzahl der
Türken heute nur das dem Neupersischen entlehnte Wort
pejnir vorkommt, sei nur nebenbei bemerkt.
Eine allerdings wichtige Frage bleibt es immer, wie
schon früher erwähnt, ob die vegetabilische Kost den
Fleisch- und Milchspeisen vorangegangen oder ob erstere
von dem primitiven Menschen der turko-tatarischen Rasse
nur in einer spätem Periode und vielleicht nur dort ge-
kannt wurde, wo die Beschaffenheit des Bodens oder die
Nachbarschaft eines ansässigen civilisirten Volkes dies er-
möglicht hatte.
Die Gemeinsamkeit des Ursprungs der Worter für
Fleisch und Speise haben wir schon hervorgehoben, ebenso
das ähnliche Yerhältniss zwischen Obst und Speise, hier
wollen wir nur hinzufügend bemerken, dass während Obst
und Speise für identische Begriffe gelten, die Zubereitung
der Speisen aus vegetabilischen Stoffen in den turko-
tatarischen Sprachen nur schwer und einen höchst unde-
finirten Ausdruck gefunden, denn wir sehen z. B. dass
das Wort für Brot — ungleich dem Verhältnisse dieses
Wortes in andern Sprachen, wie des deutschen Brot und
Braten; lat. panis, lit. pena-s (Futter), pe-nu (nähren) —
nicht als eine definitiv zubereitete gebackene Speise, son-
dern als Synonym der Worter für Saat, Anbau, Getreide,
zu nehmen ist, denn ekmek heisst ebenso wol Brot als
95
säen, anbauen und Saat. Eine ähnliche Bewandtniss hat
es mit dem altern Worte tarik im Uigurischen, die Be-.
nennung des Nahrungsmittels der Armen, dem als Gegen-
satz das Älva (arab. Halwa) die Nahrung der Kelchen
gegenübergestellt ist, Tariky das im spätem Gebrauche
für Grütze, Kleienbrot angewendet wird, bedeutet im
Grunde genommen ebenfalls nur Saat, Anbau, vgL tari-
mak == säen, anbauen (eigentl. ausstreuen), tarlak^ farla =
Ackerfeld u. s. w.
Als Resultat unserer Zusammenstellung wird daher
hervortreten: 1) dass Brot im Turko- Tatarischen keine
specielle Benennung hat; 2) dass ungleich dem Verhält-
nisse zwischen dem lat.^^am^und dem lit.jpe-WM. (nähren),
oder dem slaw. cÄ?;e6 = Brot, Getreide und Nahrung^
im Worte für Brot ursprünglich nicht der Begriff für
Nahrung und Speise im allgemeinen enthalten ist und dies
daher nur aus einem spätem Zeitalter stammt, wie wir
solches im Abschnitte über Ackerbau sehen werden.
Unserer Ansicht, dass das als Hauptnahrungsmittel
dienende Gericht mit dem allgemeinen Namen Speise oder
Nahrung belehnt wird, steht ein anderes neueres Beispiel
kräftigend zur Seite. Reis hat unter den Türken theils
von China, theils von Persien und Centralasien her Ver-?
breitung gefunden, und während unter den Westtürken,
deren Tafel reichlicher bestellt ist, mit der fremden Speise
auch der fremde Name Pllau^ Püaf, sich erhalten, begeg-
nen wir unter den ansässigen Osttürken, wo das Reisgericht
die Hauptspeise ausmacht, nur Reis als Frucht unter dem
fremden Namen birind, das Gericht selbst aber heisst as
= Speise, Nahrung, das Essen par excellence. Vgl. as-
amak = essen, asuk = Nahrungsmittel u. s. w.
Von den übrigen Arten der vegetabilischen Kost wird
weiter unten die Rede sein; hier sei nur zum Schlüsse be-
merkt, dass die Steppenbewohner im Norden der Chanate
96
noch vor einigen Jahrzehnten, als der Verkehr mit den
angrenzenden mehr cultivirten Ländereien noch erschwert
war, Brot und vegetabilische Kost im allgemeinen als eine
grosse Seltenheit betrachteten, und ich selbst habe noch
von Kasaken reden hören, die Zeit ihres Lebens kein
Brot zu Gesicht bekommen hatten.
Trotz des Vorhergesagten wäre es doch unzulässig zu
behaupten, dass die Existenz von bereiteten Speisen sich
nicht auf ein verhältnissmässig sehr hohes Alter zurück*«'
führen Hesse. Hierfür spricht die Benennung einzelner
Gerichte, welche in der Sprache von heute in grosster
geographischer Entfernung lebenden Türkenstämmen anzu-
treffen ist, und die nur aus dem Zeitalter des frühesten
Zusammenlebens stammen kann. Solche Gerichte sind
unter andern das Kasii, eine mit Pferdefleisch und Pferde-
fett gefüllte Wurst (Jcazi selbst bedeutet Höhlung, von
hae = graben, höhlen) ; das Bisbarmak (wörtl. Fünffinger)
aus länglich zerschnittenen Fleischstücken, auch aus ge-
hacktem Fleische bestehend; femer das Börek (wörtl.
Mütze, Tasche), eine Mehlspeise in der Form der in
Deutschland bekannten Maultascheu, mit gehacktem Schaf-
fleisch gefüllt, £7iwa(f= Mehlspeise, von nm = Mehl und
OS = Speise, eigentl. eine dicke Mehlsuppe; ebenso von
bülamaö oder bulamuk^ von Z^teiCama^ = rühren 'und ac, ai
= Gericht, welches nicht nur in den Abhängen des Thien-
Schan, sondern auch bei den Halbnomaden Anatoliens be-
kannt ist; schliesslich das türkisch scheinende dorha, cohra
== Suppe, eine Verdrehung des arabischen schurh, schuruh,
ein Getränk, ein Trank.
Von den Getränken, d. h. von den bereiteten oder
geistigen Getränken , können ausser dem schon erwähnten
Airan, das Klmls und Beza als aus hohem Alterthume
herrührend bezeichnet werden. Der Ursprung des erst-
genannten Wortes kann noch nicht mit Bestimmtheit an-
97
gegeben werden. Dieses mittels Gärung aus Stutenmilch
erzeugte stark sauere Getränk wird bei den Kirgisen und
Turkomanen in der Weise bereitet, dass man die mit Sauer-
stoff versehene Milch in einem Ledersack so lange hin?-
und herschüttelt, bis die Säure sich ganz verbreitet hat;
nachdem diese Operation mehrmals vorgenommen worden,
wird der Kimis eine geraume Zeit stehen gelassen, bis er
den beliebten ätzend sauern Geschmack erhält. Ob nun
das betreffende Wort von der Stammsilbe kirn = schütteln,
rühren, beuteln, abstammt, oder ob Mmiis selbst den con-
creten Begriff von Säure in sich schliesst (vgl. Jcir, Tcimisir
dich = Sauerampher; baäkir. komujs-luJc = Pflanzensäure),
muss noch immer als offene Frage betrachtet werden.
Hinsichtlich des zweiten Getränkes sind wir schon mehr
in Klarheit. Boza, ein aus Hirse, Gerste und Sonstigem
gegorenes Getränk, kommt schon im Kudatku Bilik in der
Form von hör mit sarab^ d. h. Wein interpretirt, vor und
kann hiermit dem magy. hör = Wein zur Seite gestellt
werden. Da hos hos den Grundbegriff von kochen, sieden,
enthält, so gibt der Name uns den besten Aufschluss so-
wol über das Entstehen als über den allgemeinen Charak-
ter dieses Getränkes, in welchem wir ein durch natürliche
oder künstliche Gärung oder Säuerung erzeugtes Getränk
erblicken müssen, ebenso wie im alt., kaz. sira (vgl. magy«
ser^ Bier), das heute mit Bier {russ. piwo) übersetzt wird.
In unserm Abschnitte über Speisen und Getränke kön-
nen wir nicht umhin auch jene Ausdrücke zu erwähnen,
in welchen die Begriffe von dem verschiedenen Geschmack
enthalten sind, und in denen sich das Bild eines ebenso
einfachen als sinnreichen Ideenganges widerspiegelt. Wir
haben es hier vornehmlich mit drei Geschmacksbegriffen
zu thun: 1) Sfiss^ welches entweder den Grundbegriff von
geschmackvoll, angenehm, gefällig gibt (vgl. tat = Ge-
schmack und Süsse, tatli = 8US8^ geschmackvoll, und tch
V&mb^ry, Cultur. 7
98
tanmak = Gefallen finden und schmecken), oder mit dem
Eigenschafts Worte zierlich, nett, klein paraphrasirt wird,
(vgl. sü6ük — 6ü6ük = su98^ hübsch, voll). 2) Sauer ^ und
zwar entweder künstliche oder natürliche Säure. Im
ersten Falle, nämlich turi, turuS, liegt demselben die
Stammsilbe tur-^sur (Salz, gesalzen) zu Grunde, da die
künstliche Säure meist mittels Salz erzeugt wird (vgl. magy.
sav = Salz, und savanyu = sauer); im zweiten Falle,
nämlich akSi, eJcsi, von der Stammsilbe ak (vgl. aku =3
Gift, starke Säure), die Benennung eines giftigen bitter-
saueren Stoffes, von der wir in der Form eines selbstän-
digen Wortes wol wenig wissen, das aber als Compositum
in dem entferntesten Gliede unsers Sprachgebietes anzu-
treffen ist. 3) Bitter^ das ebenfalls von der besagten
Stammsilbe ak gebildet wird, indem das dag. aö-i, osm.
a£'i, k. k. at^-ik, jak. o^-i (bitter) nach der normal statt-
gefundenen Veränderung des auslautenden k aus aku, agu
(Gift) entstanden ist.
Zum Schlüsse sei hier noch erwähnt, dass die Begriffe
essen und trinken an und für sich in den türkischen, und
ebenso auch in andern verwandten altaischen Sprachen
durch lautlich verwandte Worter ausgedrückt werden.
Man vergleiche zu diesem Behufe das öag. is-irmak, osm.
is-ürmek (beissen, fressen) mit 6ag. is-ürmek (sich betrin-
ken, saufen); jak. as (Speise), is (trinken); magy. esz-ik
(isst), isZ'ik (trinkt). Ja sogar im Neupersischen ist dies
der Fall, vgl. cAorcTen = essen und trinken, woraus nun
allerdings sich vermuthen lässt, dass die Grundbedeutung
der betreffenden Wörter im Turko-Tatarischen eigentlich
zu sich nehmen, einnehmen sei, was um so einleuch-
tender war, wenn wir mit der Stammsilbe es, is (essen,
trinken), iS^is-is-üe (innen, inwendig) vergleichen.
99
VII.
Jagd nnd Ackerbau.
Wenn wir, wie aus etymologischen Beweisgründen er-
sichtlich ist, das Fleisch als erstes Nahrungsmittel der
Turko-Tataren bezeichnen können, so muss selbstverständ-
lich die Jagd^ als das Mittel, wodurch das Fleisch erlangt
wurde, unsere Aufmerksamkeit in erster Reihe in An-
spruch nehmen, jährend nun in andern Sprachen das
Jagen mit solchen Wortern verdolmetscht ist, die die
Handlung des Jagens ^ Nachjagens oder Fangens in sich
schliessen (vgl. deutsch jagen auf Wild, franz. chasser,
slaw. gnjat = treiben und lovif = fangen), liegt im Turko-
Tatarischen dem betreffenden Ausdrucke die Stammsilbe
cig, aVf d. h. Netz, Geflechte, zu Grunde, was uns ganz
klar beweist, dass die primitive Art des Fangens der wil-
den Thiere, vielleicht in Ermangelung entsprechender
Waffen, nicht mittels Nachjagens, sondern mit Hülfe auf-
gestellter Netze, Fallen und Schlingen bewerkstelligt wurde.
Ag, Äa, Au, Av heisst daher nicht nur Netz, sondern auch
Jagd, Wild, ebenso wie avlamdk mit dem Netze fangen
und jagen zugleich bedeutet. Vgl ferner alt. an = Wild,
Hirsch, mit anda = jagen , anöi = Jäger, ein Yerhältniss,
welches an das deutsche Wild — wildern, Wilderer erin-
nert. Diese primitive Art des Fangens der wilden Thiere
ist selbst heute noch bei einigen Nomaden im Norden der
Chanate im Gebrauche, und muss zu einer Zeit, als die Wurf-
und Hauwaffen weniger zugänglich waren, eine allgemeine
gewesen sein. Man bedient sich zu diesem Behufe eines aus-
gespannten Netzes oder einer Scblinge aus starken Stricken,
und nachdem das Wild sich darin verstrickt hat, eilt der im
Hinterhalte lauernde Jäger herbei, um das Thier zu erlegen.
Bisweilen — und dies ist in den Niederungen des untern
7*
100
Jaxartes noch heute anzutreffen — wird eine mit scharfem
Beile oder Schwert versehene Falle aufgestellt (ygUur, turak,
tuzak §. 197), wobei das Wild durch plötzliches Aufschnel-
len der todlichen Waffe sich selbst den Todesstoss versetzt.
Mit Gesagtem soll jedoch nicht behauptet sein, dass
die Steppenbewohner in ihrer Urheimat, wo die weiten
unabsehbaren Ebenen das Jagen nach Wild am meisten
ermöglichen, in Herbeischaffung ihres Fleischbedarfs nur
ausschliesslich den Gebrauch der Netze, Schlingen und
Fallen gekannt hätten. Es sind Beweise vorhanden, dass
das Erlegen der Tbiere mittels Jagens auch schon sehr
alt ist, indem das hierfür existirende allgemeine Wort,
nämlich Icus, uns den nothigen Aufschluss gibt, zu gleicher
Zeit aber uns auch ein interessantes etymologisches Ver-
hältniss zeigt. Kov, Jcog ist die Stammsilbe des Wortes
für treiben, j^g^n, nachrennen, laufen u. s. w., dessen nomen
verbale kovas-kdus-kus, das Jagen, das Treiben, die Jagd
bedeutet. Nun ist aber in ganz früher Zeit zu diesem Jagen
eine gewisse Gattung von Vögeln abgerichtet worden, als
Falken, Sperber u. a., und von der Benennung der Jagd
und des Jagdvogels hat in einem Theile des türkischen
Sprachgebietes der Vogel iin allgemeinen seinen Namen
erhalten. So finden wir das Räthsel gelöst, dass während
in Ostturkestan und bei den Kara-Eirgisen das Wort avis
ausschliesslich ucar (d. h. der Fliegende) heisst, Jagd,
Jagdvogel und Falke hingegen den Namen hus führen,
während in den Chanaten letztgenanntes Wort für Vogel
im allgemeinen und für Jagd gebraucht wird, im Azer-
baiianischen und Osmanischen jedoch kus nur ausschliess-
lich Vogel bedeutet. Wir gehen daher keinesfalls allzu
weit, wenn wir behaupten, dass das Abrichten gewisser
Arten von Raubvögeln von den Turko-Tataren in der aller-
frühesten Zeit schon prakticirt wurde. Abgesehen von dem
unzweideutigen etymologischen Beweisgrunde, spricht auch
101
die Natur der alten Heimat für diese Annahme, da der
Mensch auf der unabsehbaren Ebene schon früh auf ein Mit-
tel sinnen musste, mittels dessen er dem durch allzu grosse
Behendigkeit ihm überlegenen Thiere beikommen konnte.
Die grosse Bedeutung und Wichtigkeit, welche der
Jagd als Hauptnahrungszweig beigelegt wurde, erhellt aus
dem Umstände, dass einzelne auf diese Beschäftigung Be-
zug habende Ausdrücke bei Bezeichnung gesellschaftlicher
Verhältnisse Verwendung fanden. Wir finden nämlich das
Wort' kous, kus im Cagataischen schon in der Bedeutung
von Gesinde, Hofleute, wobei wir die Jagd, das Jagd-
gefolge als Substract der Dienerschaft nehmen können.
So ist auch der in Mittelasien bekannte Titel kus-hegi
(Minister) in der wortlichen Uebersetzung als Oberhaupt
der Dienerschaft, resp. der Jagd und des Jagdgefolges zu
nehmen, ebenso wie das osm. kous^ welches heute in der
Bedeutung von Gesindezimmer vorkommt, im Grunde als
Jagdgehülfe, Gehülfe und Diener aufzufassen ist.
Wenn wir die Jagd daher als das erste und haupt-
sächlichste Mittel zum Erwerb der Nahrung bezeichnen,
so können wir doch nicht umhin, auch des Ackerbaues
in zweiter Linie zu erwähnen, und zwar als einer solchen
Beschäftigung, welcher die Turko- Tataren, ohne hierin
durch einen auswärtigen Einfluss angeleitet worden zu
sein, schon in der frühesten Zeit oblagen. Wol mag eine
derartige Hypothese bei einem Volke, das von jeher den
Feldbau mit Widerwillen betrieb und selbst heute hierzu
sozusagen noch gezwungen werden muss, für allzu kühn
beurtheilt werden; die überführenden Beweise der Sprache,
welche in dieser Hinsicht eine erkleckliche Anzahl £:e-
nuiner Worter aufzeigt, können jedoch nicht mit Still-
schweigen übergangen werden, denn sie sprechen deut-
licher als all die conträren, aus unsern Erfahrungen über
die Lebensweise der heutigen Nomaden stammenden Theo-
102
rien. Während z. B. bei den verwandten ural-altaischen
Volkerschaften , nämlich bei den Finn*Ugriem, der Aus-
druck für den Begriff Aeker gänzlich fehlt und hierfür
ein dem Deutschen entlehntes Wort gebraucht wird (vgl.
finn. pelto, esthn. pöldj läpp, pöldö, magy. föld)*^ finden
wir im Turko-Tatarischen gebräuchlich tarlaJk-tarla, der
Grundbedeutung nach: der Ort, an welchem angebaut oder
gesäet wird**; femer: taranci = Ackersmann^ Anbauer,
Säer, von der Stammsilbe tat = säen, anbauen, auch aus-
streuen (vgl. §. 176), in welch letzterer Bedeutung des
Wortes wir die klarste und trefiTendste Verdolmetschung
des Begriffes vom Feldbau haben.
Nicht minder bezeichnend ist der Name für das Haupt-
geräth, nämlich für den Pflug« Auch hier haben die
Finnen sowol als die Magyaren das betreffende Wort
jenen Völkern entlehnt, von denen sie den Ackerbau er-
lernt haben (vgl. finn. aura = Pflug mit schwed. ärja =
pflügen, und das magy. eZ;6= Pflug mit dem deutschen Egge\
während die Sprache der Türken dafür das Wort sapan oder
sapan-^temir = der Einschneider, das einschneidende Eisen,
von sap (einhauen, einschneiden u. s. w.) abstammend,
aufweist; auch tis =Füug (bei den Sarten), eigentl. der Zahn,
der Brecher. Auch andere zum Ackerbau gehörige Werk-
zeuge sind genuin, so: cag. bdj Haue; baita, Axt,
Hacke; capa, Haue; cigrik, das Rad der Irrigations-
maschine. Besonders hervorzuheben ist, dass die bei
künstlicher Bewässerung des Bodens eine Hauptrolle spie-
lenden Kanäle eine ihrer Beschaffenheit entsprechende
Benennung haben und für die frühe Bekanntschaft der
Türken mit diesem Theile des Ackerbaues Zeugniss ab-
legen. Es gibt nämlich noch heute in Mittelasien zweierlei
♦ Ahlquist, S. 26, magy. föld auch Erde, szdniöföld.
♦* Vgl. iiMlak, jajlak, külak.
103
Gattung von Graben, von welcher der eine oder der
natürliche arik oder arna (von der Stammsilbe ar = gra-
ben, schneiden, vgL §. 133) genannt wird, d. h. ein solcher,
den der Fluss sich selbst gebrochen, und welcher nur später
geregelt oder erweitert wurde. Der zweite Name ist jap
= der gemachte, der gebaute Kanal (vgl. jap = machen,
bauen), welcher von arih ausgehend, auf längere Strecken
zwischen die urbar zu machenden Felder geleitet wird.
Höchst charakteristisch für das Verhältniss des Boden-
besitzes der primitiven Türken ist der Umstand, dass von
einer Abrundung oder Abgrenzung kaum die Rede war,
denn für den BegriiBf Grenze existirt kein specielles Wort;
das zuweilen hierfür gebrauchte hirak oder k^i bedeutet
ganz einfach Rand, Ufer, d. h. wo etwas abbricht, auf-
hört. Ein ähnliches Verhältniss ist übrigens auch bei den
Deutschen und Ungarn anzutreffen, wenn wir das magy.
hcUdr = Grenze vergleichen mit dem slaw. chotor und das
deutsche Grenze mit dem slaw. hranica = Grenze, eigentl.
Schutz, Wehre, von hranit. Die Slawen waren schon
früher Ackerbauer als Deutsche und Magyaren, weshalb
auch darauf bezügliche Begriffe in ihrer Sprache früher
Ausdruck finden musstcn.
Um daher über die unter den Turko-Tataren schon in
frühester Periode bestandene Agricultur eine richtige Auf-
fassung zu erlangen, müssen wir vor allem die betreffenden
heutigen Zustände der Nomaden in Berücksichtigung ziehen.
In Anbetraeht der schon längst bestehenden zwei Haupt-
abtheilungen, nämlich der köcek und comru, d. i. der wan-
dernden und ansässigen Nomaden, ist es nicht schwer zu
errathen, dass erstere mit der Viehzucht sich ausschliess-
lich beschäftigend von dem Ackerbau sich gänzlich fern
hielten, während letztere, wenngleich ebenfalls Steppen-
bewohner und mit Viehzucht beschäftigt, die Cultivirung
einiger urbaren, an Flüssen gelegenen Landstriche schon
104
frühzeitig betrieben hatten. Im Laufe der Zeit und je
mehr man sich den festen Wohnsitzen benachbarter Völker
näherte, hat dieses Verhältniss sich gewissermassen ver-
ändert, indem der Anbau von Garten- und Hülsenfrüchten
unter allen Nomaden Verbreitung fand, und die comruVs
auch Getreide und Futtersaat bauten, ja ausserdem selbst
einige Zweige der primitiven Industvie und etwas Handel
trieben. Dieses Verhältniss hat sich bis heutzutage noch
aufrecht erhalten, nur mit dem Unterschiede, dass die
cofnrui% bei den Turkomanen z. B. als Kaufleute betrach-
tet, schon der bedeutenden Anzahl halber für gleichbe-
rechtigt gehalten werden, während diese Klasse der No-
maden auf dem nordlichen Steppengebiete als arm und
elend angesehen werden und hier das Wort comri selbst
als gleichbedeutend mit Bettler gebraucht wird.
Man müsste im allgemeinen hinsichtlich des Ackerbaus
unter den Volkern des vorgeschichtlichen Zeitalters nicht
so sehr die verschiedenen Phasen ihrer Cultur als vielmehr
den Grad ihrer Stabilität auf ein und demselben Land-
striche zum Ausgangspunkte des hierauf bezüglichen Kri-
teriums nehmen, da es fast undenkbar ist, dass der Mensch,
wenn er jahrhundertelang in ein und derselben Region
verweilt, nicht auf die Idee gekommen wäre, den Boden
zu bebauen und demselben das zur Nahrung nothige Wachs-
thum zu entlocken. Poesche deutet auf diesen Umstand
in seinem Buche „Die Arier", S. 96, ganz richtig hin,
indem er hervorhebt, dass die aus der alten Heimat ziehen-
den Arier im Ackerbau nachliessen, bei einer längern spä-
tem Sesshafligkeit denselben wieder aufnahmen, und trotz
der uralten Existenz der Bodencultur bei den Ariern den
Namen des Haup^erkzeuges, den Pflug, slaw. plug^ von
den Slawen entlehnten. Bei den Turko-Tataren lässt sich
bis vor zweitausend Jahren keine grossere Trennung ver-
muthen, und da das damals schon krystallisirte Sprach-
105
material für die Werkzeuge des Ackerbaues gemeinsame
Namen aufweist, so kann der uralte Bestand dieser Be-
schäftigung auch keinem Zweifel unterworfen weiden.
Micht trotzdem, sondern weil diese Beschäftigung sich
heute nur sporadisch vorfindet, mochten wir die Behaup-
tung wagen, dass die Völker der turko-tatarischen Rasse
schon im grauen Alterthume, dort wo die Bodenverhält-
nisse es gestatteten, den Ackerbau betrieben haben, und
nur im entgegengesetzten Falle sich ausschliesslich von
der Viehzucht nährten und infolge dessen dem Nomaden-
leben oblagen. Der Mensch wird eben das, wozu ihn die
Natur macht, und da diese auf grösserer Ausdehnung
nicht gleichartig ist, so ist es selbstverständlich, dass dies
auch die Lebensweise des Menschen nicht sein kann. So-
wie es daher von jeher unter den Turko -Tataren, in der
zumeist aus Steppenregionen bestehenden Urheimat, in der
überwiegenden Mehrzahl Nomaden gab, ebenso haben die
auf dem fruchtbarem und besser bewässerten Steppen-
rande Wohnenden auch den Ackerbau betrieben.
VIII.
Handel und Gewerbe.
Keine Sprache der Alten und Neuen Welt hat es ver-
mocht, die frühe Existenz und den Ursprung des Handels
in der für diesen Begriff vorhandenen Bezeichnung so klar
niederzulegen als das Türkisch-Tatarische. Älis-weris =^
der Handel^ beisst nämlich der etymologischen Bedeutung
nach das Nehmen und Geben (von almak, nehmen,
und wermekj geben), und ebenso heisst der erste Theil
106
dieses Compositum Kauf oder Einkauf, wie der zweite
Verkauf. Die Begriffe Handel und Tausch oder Tausch-
handel sind daher identisch, und durch ein und dasselbe
Wort wiedergegeben. Ausserdem gibt es aber noch andere
Worter, welche den Begriff des Ein- und Verkaufens in-
terpretiren, doch sind diese von secundärer Bedeutung.
So z. B. tegismek, dejismek = vertauschen, eigentlich mittels
Substituirung des entsprechenden Werthes etwas erlangen,
von der Stammsilbe feg, tey, (?e^' = Werth, Preis, Gleich-
gewicht (vgl. §. 173); femer ^a^maA; = verkaufen, eigentl.
losschlagen, absetzen, in der ursprünglichen Bedeutung
des Wortes: etwas aus der Hand geben, ohne den betref-
fenden Werth dafür zu erhalten (vgL §. 154). Neben
diesem verhältnissmässigen Reichthum der Sprache in Be-
zeichnung des allgemeinen Begriffs muss es auffallen, dass
es für die Benennung eines Handelsplatzes oder Marktes
kein allgemeines Wort gibt, denn das hierfür bestehende,
dem Persischen entlehnte haisar, das auch im magy. vdsär
= Markt, sich vorfindet, hat erst nach der Berührung mit
den iranischen Elementen seinen Eingang gefunden und
deutet ganz klar darauf hin, dass die ersten Handelstrans-
actionen mit den Kauf leuten nur auf dem Durchzuge durch
das Gebiet der Nomaden gepflogen wurden. Es drückt
daher das Wort für Kaufmann in seiner ältesten Form,
nämlich sart, zugleich auch den Begriff Wanderer, Fremd-
ling* aus, und es werden denn auch mit diesem Namen
noch heute die türkisch redenden Iranier, mit rein irani-
schem Typus, bezeichnet als die ersten mit dem Türken-
volke verkehrenden Kaufleute. Um so interessanter ist es
aber zu erfahren, dass Handelsgesellschaften schon in der
* Auf einem analogen Ideengang beruht das in Centralasien ge-
brauchte persische Lehnwort saudagar = Kaufmann, welches wört-
lich, der mit Melancholie Behaftete, der Herumirrende bedeutet.
107
frühesten Zeit bekannt waren, indem die Uiguren in dem
Worte für Karavane, arkiij nicht nur die fahrende Han-
delsgesellschaft, sondern die Handelsgesellschaft im allge-
meinen verstanden, eine Bedeutung, in welcher dieses
Wort noch heute bei den Altaiern gebraucht wird, und
zwar in etymologischer Bichtigkeit, denn arka heisst
Schutz, Gefährte, und arkii gegenseitiger Schutz, Gesell-
schaft.* Ebenso ist in 6ag. sergi, uig. terki = Ausstellung
der Waare, Auskramung, Kram^ von ser-^ter = ausbreiten,
ein altes genuines Wort zu finden, das an die primi-
tive Art der Feilbietung, nämlich an das Ausbreiten
der zum Kauf angebotenen Waare auf der Erde, wie dies
Kaufleute noch heute unter Nomaden zu thun pflegen^
erinnert; sergi hat merkwürdigerweise in der mit fremden
Elementen stark überladenen osmanischen Sprache sich
noch erhalten, indem der nach alter Gewohnheit im Ra-
mazan abgehaltene feierliche Markt diesen Namen führt,
so auch die Buden während des Noruzfestes in Chiwa.
Da das erste Stadium des Handels überall der Tausch-
9
handel war, so konnte auch der Begriff Preis anfangs
nur im Worte Werth, entsprechend Gleichgewicht, sei-
nen Ausdruck finden. Das türk. tegeTy dejer ==■ Werth,
gleich, aufwiegend, ist analogen Ursprunges mit den Wor-
ten für Gewicht, Gleichgewicht und Geld, nämlich mit
deng, teng und tengCy und so wie die Frage des Käufers:
Was kostet dies? mit: Was verlangst du dafür (buna ne
istersin) an die Transaction im Tauschhandel erinnert,
ebenso ist es die Antwort des Verkäufers: mumm dejeri
soldur = dessen Werth ist jenes, d. h. nach unserer mo-
dernen Redensart: es kostet so und soviel. Auch der
* Hierdurch wird auch das pers. Kenoanj Kiartoan richtig gestellt,
indem es nicht als kar-rewan = gehendes Geschäft oder Handel, son-
dern als kiaV'hany Geschäftsschutz, Handelsschutz, aufgefasst werden
muss.
108
Bergriff zahlen^ bezahlen, ist den Bedingungen des
Tauschhandels entsprechend, denn das hierfür existirende
Wort cag. ötemeJc und tülemeh; jak. tolui; alt. tolö; cuv.
tül u. s. w. heisst seiner concreten Bedeutung nach gegen-
überstellen, als Ersatz, als Entgelt hinstellen, von der
Stammsilbe öt-üt^ tül =■ gegenüber. Geld muss daher in
frühester Zeit identisch gewesen sein mit dem Ausdrucke
Gleichgewicht, Gewicht im allgemeinen, wie dies aus dem
oben erwähnten Worte tenge am besten ersichtlich ist, mit
welchem noch heute in Centralasien die am meisten currente
Münze bezeichnet wird. Geld im allgemeinen heisst fast
durchgänglich al'ce, d. i. Silber, da nur dieses Erz allein
und nicht Gold Verwendung gefunden hatte. Auch wurde
Silber selbstverständlich nicht in geprägten Münzen, son-
dern in massiven Klumpen auf der Wage als entsprechen-
der Werththeil abgewogen, woran die in Ostturkestan
noch heute vorkommenden jamhu's oder Silberklumpen in
der Form unserer Gewichtmaasse erinnern, die in verschie-
dener Form mit zwei Oehren versehen iip Handel abge-
wogen werden. Mit akce steht noch in anidoger Bedeu-
tung ^armaÄj = Münze, Geld, eigentl. ^anmaÄ:, scheiden,
trennen, folglich eine Scheidemünze.
Wenn wir demnach diese Bemerkungen zusammen-
fassen, so wird sich als Resultat ergeben, dass man bei
den Turko-Tataren — ungleich den Finnen und finnisch-
ugrischen Stämmen, wo unter Geld die als Waarenartikel
meist gangbaren Eichhorn- und Marderfelle verstandien
wurden* — sich schon sehr frühzeitig des Silbers als Geld
bediente; demzufolge konnten die Rauchwaaren in der vor-
geschichtlichen Zeit bei ihnen nicht jene wichtige Rolle
spielen wie bei den weiter im Norden ansässigen Stamm-
verwandten.
* Vgl. Ahlquist, S. 189.
109
Im engen Zasammeuhange mit dem Handel steht Maass
und Gewicht^ und eine Berücksichtigung der verschiedenen
Benennungen für die Längen-, Gewicht- und Raummaasse
kann, als zu diesem Abschnitte gehörig, nicht unterbleiben.
Hierbei müssen allerdings nicht die heutigen oder jüngst
vergangenen Zustande der in so grosser geographischer
Ausdehnung, in so verschiedeneu Lebensverhältnissen, und
durch so mannichfache fremde Cultureinflüsse vonein-
ander getrennten Volker ins Auge gefasst werden; wir.
dürfen also nicht die von einem fortgeschrittenen Stadium
der Bildung bedingten Neuerungen, sondern die primitiven
Lebensverhältnisse in Berücksichtigung ziehen. Auf diese
Weise vorgehend wird sich uns die Wahrnehmung auf-
drängen, dass anfangs nur die Messung der Länge und
des Gewichtes gekannt wurde, sowie dass man für die
Bestimmung des Raummaasses gar keinen Sinn hatte. Es
findet sich nämlich zur Bestimmung des Raummaasses fast
nirgends ein genuines Wort vor, während für Längen-
maass und Gewicht verschiedene, mit der Natur und mit
dem Gebrauche betreffender Messgeräthe übereinstimmende
Wörter existiren. Für Quantität im allgemeinen haben
wir das alte Wort Jcem (im Alt. noch gebraucht in der
Verbalform kemdi = messen), ein Wort, welches uns iden-
tisch dünkt mit Jceb = Muster, Bild; ferner das Wort
ölcü, olci = Maass, eigentlich das schon Gemessene, der
concreten Bedeutung nach Theil, Bruchstück; schliesslich
im Osttürkischen cen = Mass, das mit ten, ten = Gleich-
gewicht, verwandt ist. Zur Messung der Länge sind wie
überall Theile des Menschenkörpers gebraucht worden,
nämlich der Arm (kol) und die Spanne (karis). Aus er-
sterm ist Jculac, Klafter^ wörtl. Armlänge, entstanden,
und noch heute misst man die Länge auf dem ausge-
streckten Arm vom Schulterbein bis zur Daumenspitze.
Was das letztere Wort anbelangt, so scheint aus l^aris,
110
Spanne 9 nach Wegfallen des gutturalen Anlautes und
nach Hinzugabe dQS Adverbialaffixes in das hauptsächlich
im Westtürkischen gebrauchte arsun, arsin = El]e\ her-
vorgegangen zu sein, denn karis selbst, welches heute
Spanne bedeutet, ist mit aris = die Hälfte, Arm-
länge, nämlich vom Ellenbogen bis zur Spitze des Mittel-
fingers, verwandt.
In vollkommenem Einklänge mit der Natur der ebenen
.Steppenheimat sind die alten Bezeichnungen für die
Streckenlänge, wofür es zwei verschiedene Maassbestim-
mungen gibt: a) Cakirim oder cagrim = Meile^ der Wort-
bedeutung nach aber Kuf, d. h. soweit der Ruf, das Ru-
fen (von cakirmak^ rufen) oder die menschliche Stimme im
allgemeinen dringt, welches an das finn. peninJculma =
Meile (eigentl. soweit das Hundegebell zu hören ist) er-
innert, b) Karagan^ alt. karaan = soweit das Auge sieht,
der Horizont (von karamak, sehen). Es wird hiernach
von selbst ersichtlich, dass a) eine Bezeichnung für kür-
zere, b) für längere Strecken vorstellt.
Zur Bestimmung der Korperschwere oder des Gewichtes
muss von jeher die Wage^ tarti oder ceki^ bestanden haben.
Beiden Wortern liegt die Stammsilbe tart oder 6ek =
ziehen, herabziehen, zu Grunde und dies kennzeichnet ganz
klar die noch heute gebrauchte Balancirwage, wo die
Waare auf einer Seite, der Stein, welcher die Stelle des
Gewichtes vertritt (daher die Bedeutung des Wortes tos
= Stein und Gewicht) als Gegengewicht von der andern
Seite herabhängt. Gleichen Ursprung bekundet auch das
Wort hatman = Pfund, von hat = untergehen, sinken, d. h.
ein Beschwerer, mittels dessen der andere Theil der Ba-
lancirwage herabgedrückt wird.
Ich habe an die Spitze dieses Abschnittes auch die
fiewerbe gestellt, doch können die hierauf bezüglichen
Bemerkungen, wenn wir uns darunter eine gewerbtrei-
111
bende Klasse, etwa im modernen Sinne des Wortes vor-
stellen, einen nur negativen Charakter haben. So wie der
türkische Steppenbewohner noch bis in die Gegenwart
hinein die zu seinem Lebensunterhalt nothigen Mittel, als
Haus, Kleider, Nahrung, Waffen, Pferdegeschirr u. s. w.,
selbst bereitet und an die fremde Industrie sich nur da
und dort wendet, wo es sich um eine Neuerung handelt,
die im Stoffe sowol als in der Anfertigungsweise ihm un-
bekannt ist — ebenso und noch mehr muss dies in frühem
Zeiten der Fall gewesen sein. „In den abgelegenen Thei-
len unsers Landes", sagt Ahlquist (S. 55), „ist die Ver-
theilung der Arbeit noch so wenig vorgeschritten, dass
der Bauer nicht nur sein Ackerbau- und Hausgeräth so-
wie die Zeuge zu seiner Bekleidung, sondern grossten-
theils auch die dazu erforderlichen Werkzeuge selbst ver-
fertigt. Mehr noch als zu unserer Zeit mag dies früher
der Fall gewesen sein, als der einsame Waldbewohner in
dieser Hinsicht auf sich selbst angewiesen war, und alles,
dessen er und seine Familie bedurfte, selbst mit derselben
verfertigte."
Während nach einer richtigen Beurtheilung Ahlquist's
bei den finnisch-ugrischen Völkerschaften das Handwerk
des Schmiedens schon ziemlich früh betrieben worden zu
sein scheint, indem die Schmiedewaaren der Finnen in
späterer Zeit wegen ihrer Brauchbarkeit berühmt waren,
können wir bei den Türken selbst hierauf bezüglich keinen
sichern Anhaltspunkt finden. Der Schmied heisst im
Finnischen seppä, alias der Meister (vgl. lat. faher)^, im
Türkischen jedoch temirii oder timurii^ eigentl. der Eisen-
mann, von ^zmur = Eisen, und dem Eigenschafbspartikel
H oder et, folglich sowol der Bereiter als auch der Ver-
käufer der Eisenwaaren, wie dies auch bei den übrigen
Gewerben vorkommt. Zu bemerken ist jedoch, dass eben
diese Zusammensetzung bei solchen Zweigen der Industrie
112
anzutreffen ist, die auf ein späteres, in der Cultur schon
vorgeschrittenes Stadium schliessen lassen, denn für die
Verfertiger von Zelten, Waffen, Pferdegeschirr und son-
stigen bei der primitivsten Lebensweise unentbehrlichen
Gegenstanden existirt gar keine specielle Benennung, und
dies berechtigt uns zu der ganz naturgemässen Folgerung,
dass eine diesfallsige Kunstfertigkeit gar nicht in die Ka-
tegorie der speciellen Handwerke gerechnet, sondern als
von jedermann ausgeübt oder auszuübend betrachtet wurde.
Aus diesem Umstände wird es erklärlich, dass im Ost-
türkischen die Ausdrücke catirci (Verfertiger von Zelten),
tokumci (Verfertiger von Pferdegeschirr), telpeJcci (Verfer-
tiger von Pelzmützen), in der Bedeutung von speciellen
Handwerkern ebenso fremdartig klingen, als iimurci
(Schmied), ötükci (Stiefelmacher), Jcujumci (Erzgiesser) als
Benennung ausschliesslich Gewerbtreibender gelten können.
Als Illustration des Gesagten sei ferner angeführt, dass
die specielle Benennung des Gerberliandwerkes gänzlich
fehlt, indem für den Begriff gerben ganz einfach das
Wort bearbeiten gebraucht wird. Teri islemek, wörtl.
die Haut bearbeiten, heisst gerben, so wie das russ. Jcoßa
ividjelowcU = eine Haut ausarbeiten, und wie das magy.
timdr = Gerber, welches aus dem Persischen stammend
Bewirthung, Bearbeitung heisst. Einen ähnlichen Ideen-
gang bekundet das osm. seplemek = gerben^ welches von
sep, sib, sob = gut, recht, abgeleitet, dem innern Werthe
nach zurichten, bereiten, herrichten bedeutet; das osm.
sep = Lohe (z. B.: bu kürkin sepi fenadir = die Lohe
dieses Pelzes ist schlecht) darf nicht als ein Kunstwort
aufgefasst werden. Unter Ausarbeiten oder Gerben ver-
steht man in erster Linie das Reinigen der Haut von den
Haaren; das ausgearbeitete Fell heisst dsJa^er jargak, alt.
jaru^ und dessen etymologische Bedeutung ist glatt, kahl,
glänzend, von der Stammsilbe jar (vgl. §. 128).
113
Speciell technische Ausdrücke zur Bezeichnung der
Werkzeuge und der Ingredienzen der Gewerbe sind im
Turko-Tatarischen zumeist genuinen Ursprunges, d. h. sie
sind von dem Bildungsgeist der Sprache geschaffen worden,
und nicht wie in den finnisch-ugrischen Sprachen der Mehr-
zahl nach entlehnt. Hierbei muss selbstverständlich nicht
der heutige Wortschatz der ansässigen Türken, bei denen
mit fremden Cultureinflüssen auch fremde Gewerbe Ein-
gang gefunden, sondern der des womöglich noch in Ab-
geschlossenheit sich vorfindenden Nomaden als Ausgangs-
punkt unserer Forschungen dienen, und es fallen denn
auch alle auf das heutige Industrieleben Bezug haben-
den Ausdrücke schon deshalb ausserhalb des Bereiches
unserer Studie, weil die Mehrzahl der heimischen Gewerbe
noch in einem höchst primitiven Stadium sich befindet
und die Bezeichnung der ins Fach schlagenden Geräthe
daheim erfunden und türkisch benannt worden ist. So
wie toJcumak = weben dem Wortwerthe nach identisch
ist mit nebeneinanderlegen, zusammenstellen, und im Ca-
gataischen die Redensart: burja tokumdk = eine Matte
weben, rectius flechten, statthaft ist, ebenso ist das Wort
für spinnen: effirmek, ejirmek, evirmek, ivirmek gleich-
bedeutend mit drehen, winden, und tfp = Strick, iplik =
Garn, muss der Stammsilbe nach für Gewinde, Geflechte
(vgl. §. 37) gehalten werden. Dieselbe Stammsilbe liegt
auch dem osm. öreke, cag. urcuky kaz. uröik = Spindel
(vgl. magy. orso) , auf welcher der Faden gedreht wird,
zu Grunde.
So ziemlich gleich ist das Verhältniss anderer Ge-
werbe und der zu denselben nöthigen Geräthschaflen. Im
Worte für nähen tikmek, dikmek^ bedeutet die Stamm-
silbe tik, dik, einen länglichen spitzigen Körper. Tiken^
digen heisst Dorn, welcher als primitive Nähnadel, Steck-
nadel zum Heften der Kleider verwendet worden zu sein
Vftmböry, Gultur. g
114
scheint, und igne = Nadel ist auch aus dieser Stammsilbe
nach Abwerfung des dentalen Anlautes entstanden. Bei
den Arbeiten in Holz finden wir die Grundidee des Ab-
schabens, Hackens und Schneidens in erster Reihe aus-
gedrückt. So osm. dogramazi = Tischler, von dogramah
= zerstückeln, zerhacken; 6ag. jonuzi = Tischler, Zim-
mermann, von jowwmaÄ; = hobeln, schnitzen; während die
hierzu gehörenden Werkzeuge als: ialta = Axt (wortl.
Spalter, vgl. §. 206); Jica/b = Messer, cag. 6ie^i = Säge
(wörtl. Schneider, vgl. §. 217); horgu oder 6wrw = Bohrer
(wortl. Zwicker, Kneiper); Zce^er = Hobelmesser (wortl.
Schneider, vgl. §. 106); Icajci, Mjci= Schere (wortl. Ab-
schneider, vgl. §. 91), insgesammt ganz deutlich die ihnen
zufallende Thätigkeit interpretiren.
Wir können diesen Abschnitt nicht schliessen, ohne
auf das hierher gehörige Zahlensystem und den Begriff
zählen im allgemeinen einzugehen. Vor allem muss es
auffallen, dass die Stammsilbe des Wortes für zählen zu-
gleich auch den Begriff denken, wähnen, urtheilen aus-
drückt, in concreter Hinsicht aber (vgl. uig. sakj sag, cag.
saj, san, osm. 5a;l = Zahl, mit sagis, säkis = Gedanke;
cag. sajirmdlc = absondern) die Handlung des Absonderns,
Trennens, Sonderstellens bedeutet. Aus der Analogie
zwischen sajmdk, zählen, und sajirmak, absondern, tren-
nen, verringern, klein machen, wird allerdings die Hand-
lung des Zählens, als die Eintheilung eines grossem com-
pacten ganzen Korpers in kleinere Theile auf eine logisch
wunderbare Weise ersichtlich gemacht, d. h. der turko-
tatarische Urmensch hat das Zählen als eine Zergliederung
des einheitlich Ganzen aufgefasst und in der Benennung
der einzelnen Zahlworter einer bildlichen Umschreibung
Ausdruck verliehen, die uns nur aus wenigen Beispielen
einleuchtend wird, im grossen und ganzen aber heute
schon unbegrifflich ist. So unterliegt es keinem Zweifel,
115
dass selbst die Namen der sieben Grundzahlen, denn ur-
sprünglich haben die Türken ein Siebenzahlsystem, wie
sie heute vorliegen, einer bedeutenden Veränderung unter-
legen sind. Der Grundgedanke von Zwei = ehi^ iki, ist
hinzufügen, paaren, von ek (vgl. §. 32), während dem
Zahl Worte Fünf das Bild der Hand zu Grunde lag, wie
wir dies in der betreffenden Zehnerzahl sehen, wenn wir
elliJc = fünfzig, mit eliJc = Hand vergleichen, oder das pers.
pen£ = fünf dem pers. penze = Faust gegenüberstellen; so
bedeutet bei den Eskimos Zwanzig die geeammte Finger-
zahl des Menschen, und in Labrador heisst Taleh Hand
und fünf (Lubbock, S. 336). Das Zahlwort Tausend =
ming beruht auf dem Worte müng, uig. mün = eine grosse,
unbestimmte Menge*, und so heisst auch im Koibal-Karagas-
sischen bir Jcup (ein Sack) 100 Rubel, und im Osmanischen
leise aJcce (ein Beutel Geld) 500 Piaster. Schliesslich sei hier
noch des Wortes tümen erwähnt, das in der Bedeutung
von 10000 vorkommt und im Grunde genommen Haufe,
Menge (vgl. §. 179) bedeutet.
Was das Siebenersystem anbelangt, so scheint es erst
in der Neuzeit, d. h. nach engerer Berührung mit den
fremden iranischen Elementen ins Zehnersystem sich umi-
gestaltet zu haben, denn das Oezbegische in den drei
Chanaten gebraucht noch heute ike kern on = zwei weniger
zehn für acht und hir kern on == eins weniger zehn für
neun, und an den anderswo gehrsLUchlichen sekiz, sikiz ==
acht und tokuß = neun ist es sofort zu bemerken, dass
wir hier ein Compositum vor uns haben, in sek-iz näm-
lich seki'Siz = zwei weniger (^seki mag eine ältere Form
von eki =. zwei sein, im Jakutischen ist heute sehr häufig
ein s- Anlaut zu finden, wo die übrigen Sprachen einen
einfachen Vocal haben) und in tok-uz, iok oder tek-siz =i
* Vgl. meine „Uigurisclie Sprachmonumente", S. 228, Sp. 2.
8*
116
eins weniger. Das ursprüngliche Vorhandensein eines
Siebenersystems ist auch im Magyarischen und in den
übrigen finnisch-ugrischen Sprachen nachzuweisen (vgl-
Hunfalvi, „Ethnographie von Ungarn", S. 154) und am
meisten leuchtet die Wichtigkeit dieser Zahl aus dem reli-
giösen und bürgerlichen Leben hervor, denn Sieben war
bei den turko- tatarischen Völkern von jeher eine heilige
Zahl. So hat der böse Geist Erlik bei den Altaiern sie-
ben Throne vor seiner Thür, die Ahnen heissen bei den
Kirgisen ^'eff atalar =die sieben Väter, die Fabel der Al-
taier spricht von sieben Wölfen, die in sieben Tagen
kamen u. s. w., mit einem Worte, wir finden die Zahl
Sieben bei den Türken in derselben, vielleicht noch grossem
Achtung als bei vielen andern Völkern Asiens.
IX.
Die Waffen.
In vorhergehenden Blättern ist schon mehrmals die
Armuth der primitiven Sprache zur Bezeichnung allgemei-
ner Begriffe erwähnt worden. Im turko-tatarischen Worte
für Waflfe müssen wir wieder eine derartige Wahrnehmung
machen, denn das hierfür mit wenig Ausnahme gebrauchte
jarak, von ^aramaÄ; = bereiten, herrichten, zurichten, ent-
spricht seinem etymologischen Werthe dem deutschen
Rüstung, Ausstaffirung, Ausrüstung, nicht unähnlich dem
gegenseitigen Verhältnisse zwischen dem skt. ara-m pas-
send, lat. ar-ma = Waffe*, ferner zwischen dem finn.
a5(»**=: Waffe und Geräth, und asetan=^in Ordnung stellen;
zwischen dem russ. orudie = Geräth, Werkzeug und oru-
* Vgl. Curtius, S. 304. ** Vgl Ahlquist, S. 238.
117
zie = Waffe. Derselbe Ideengang liegt dem alt. jepsel =
Waffe, zu Grunde, indem die Stammsilbe jep = herrichten,
bereiten, machen bedeutet. Wir dürfen daher auf unserm
Sprachgebiete, so wie anderswo, unter Waffe ein Geräth,
ein Werkzeug verstehen; die eigentliche Gebrauchsbedeu-
tung, d. h. ob dieses Werkzeug zum Angriffe oder zur
Vertheidigung diente, wird aus der Benennung der ein-
zelnen Waffenstucke hervortreten. Es ergibt sich daher
aus der etymologischen Bedeutung des türkischen Wortes
für Waffen ganz klar, dass der Urmensch bei den Turko-
Tataren, so wie anderswo, in den Waffen ein zu seiner
Kleidung und zu seinem Lebensunterhalt unentbehrliches
Ganze ansah und dieselben immer mit sich und auf sich
trug. Welches wol die ursprünglichste Waffe gewesen
sein mag, und ob dieselbe eher zur Offensive als zur
Defensive gebraucht wurde, das ist eine Frage, die mit
Hinblick auf die Verwandtschaft der Begriffe Fleisch und
Speise wol leicht zu entscheiden wäre; wir. wollen und
dürfen uns jedoch in weitgehende Speculationen einst-
weilen nicht einlassen und wollen uns lieber hier mit der
Detaillirung der einzelnen Waffenstücke beschäftigen.
Unter den Hau- und Schneldewaffen begegnen wir
zuerst der Axt und Schwingkeule. Die erstere heisst
halta, die zweite bälga\ die Stammsilbe beider Worter be-
deutet zertrennen, zerschlagen, zertheilen, und trotz der
verschiedenen Form, in welcher heute beide Waffen vor-
kommen, steht der analoge Ursprung der betreffenden
Worter ausser Zweifel. Von ähnlicher Beschaffenheit und
ähnlichem Ursprünge ist ein anderes für Keule speciell
gebrauchtes Wort, nämlich das cag. 6okum, von cokmak
= hauen, schlagen, so auch das verwandte öokuc =■ Ham-
mer und cokmar oder coÄ;man = Knittel. ein mit rundem
Knopf versehener Stock, welcher in dieser Form vom
Baume abgeschnitten, als Muster der später so erzeugten
118
Waffen gedient haben muss. Die Keule, wofür wir noch
ein anderes Wort, nämlich osm. hozdagan, eigentl. hoz-
durgan = der Auseinanderschlager, haben, scheint im Ver-
eine mit der Axt, wie die zahlreichen üeberreste aus der
Steinzeit uns belehren, das erste Werkzeug gewesen zu
sein, das der Mensch zur Vertheidigung oder zum An-
griffe gebrauchte, denn die Schneid- und Stichwaffen,
deren Erzeugung schon einen gewissen Grad von Kunst-
fertigkeit voraussetzt, können nur in einem vorgerück-
tem Stadium der Bildung enttanden sein.
Während in den Benennungen für Keule, Axt u. s. w.
die Grundidee des Zerschlagens , Zerhauens enthalten
ist, finden wir im Worte für Schwert = hilic die Bedeu-
tung des Schneidens, Schnitzens, Zerschneidens, Zer-
stückeins, von Ml, hir (schneiden), vorherrschend. Dem
Schwerte zunächst reihet sich als Schneidewaffe das Messer
= iicak, jak. hisak^ von hicmak, hicmek = schneiden,
zerschneiden; es waren dies blanke Waffen, zu denen im
frühesten Entstehen auch eine Scheide gemacht wurde,
welches Wort im Turko-Tatarischen kin^ ursprüngl. Tcijin
heisst, der Grundbedeutung nach Bekleidung, Hülle (vgl.
§. 74). Auch zur Bezeichnung der Stichwaffe gibt es
ein specielles Wort, nämlich das uig., cag., mong. und
osm. zida, alt. jida Lanze^ Speer; dies wird zwar nicht so
viel gebraucht als das dem Persischen entlehnte najze, rich-
tiger nejze, doch dünkt uns zida, da wir über dessen ety-
mologische Bedeutung im unklaren sind, nicht so genuin
als das heute uns nur im übertragenen Sinne bekannte
5awiaifc = Fahne, von ^animaZ;=aufstecken, worunter nicht
so sehr das Aufgesteckte, als vielmehr die lange Stange zu
verstehen ist, mit welcher etwas aufgesteckt wird, richtiger
der Aufstecker, durch die Partikel ak ein nomen agentis so
wie licak = der Schneider, das Messer, von hie (schneiden);
i*owaÄ;==der Gast, der Sichniederlassende, von kon (sich
119
niederlassen) u. s. w. In dieser Annahme bestärkt uns
ein anderes, älteres Wort für Fahne, nämlich tug, kir.
tiJcme, von der Stammsilbe tug, tük, iik = ein langer spitzi-
ger Korper, Stange, Pfahl (vgl. §. 203), eigentlich die
Stange, welche mit einem Rossschweife versehen als ur-
sprüngliche Form der turko- tatarischen Fahne bekannt
ist; ja wenn wir nicht irren, liegt dem persischen nej-^e
(Lanze) ein ähnlicher Ideengang zu Grunde, indem dies
aus naj, nej == Kohr, Gerte entstanden ist. Andere
Waffen, als Ichanmr = der Dolch, Jcama = ein zwei-
schneidiges, langes Messer, dem Persischen entlehnt, sind
nur auf dem westlichen Sprachgebiete anzutreffen.
Wenn wir nun auf die Schiess- und Wurfwaffen über-
gehen, so werden wir zuerst der ScUeuder^ sakman auch
taslau, wortl. Werfer, begegnen, die noch heute in Mittel-
asien als Kinderspielzeug in der auch bei uns in Europa
bekannten alten Form besteht. SakmaJc, analog mit sac-
mdk, heisst schwingen, hin- und herwerfen, streuen, tasla-
mdk heisst werfen, weiter befordern, und das Geworfene
oder der Wurf tds. Merkwürdigerweise versteht man
unter diesem Worte heute Stein im allgemeinen, obwol
es im Grunde genommen ursprünglich nur Wurf, Ge-
schoss bedeutet (vgl. oÄ= Pfeil §. 7) und mit den verschie-
denen auf das Erdreich bezüglichen Wörtern in gar keiner
Verwandtschaft steht. Wenn wir daher in der Schleuder
die erste Schiesswaffe und im Stein oder der Erdscholle
1. 1. Icesek (von kes-mek^ schneiden, trennen, absondern),
das erste Geschoss uns vorstellen, so wird selbstverständ-
lich der Bogen und Pfeil nur als eine solche Waffe auf-
gefasst werden müssen, die schon mehr erfinderischen
Geist erheischt, und daher das Erzeugniss einer spätem
Periode ist. Das halbdunkle Verhältniss, welches zwi-
schen dem skt.ar-a?a-5 = gebogen, ara<m- 5 ;= Ellenbogen,
und dem lat. ar-cu-s, zwischen dem pers. Äemer = Run-
120
düng, und Tceman = Bogen besteht, findet sich auch im
t. t.yaj,ye;= Bogen vor, denn dasselbe verhält sich zu ej^jej
(biegen, neigen vgl. §.31) ungefähr so wie das deutsche Bug
zu Bogen, oder das slaw. luTca^ Krümmung, zu JtiÄ, Bo-
gen. Ebenso klar wie die Etymologie des Wortes für
Bogen ist auch die des Wortes für 8eline^ nämlich Älm,
das von Mr (kir-pik, Wimper), M, Haar, stammt, und uns
belehrt, dass die Sehne zuerst aus Haaren, wahrscheinlich
Pferdehaaren, wie noch heute üblich, bestand. Der Pfeil,
überall ok genannt, muss seiner etymologischen Bedeutung
nach als Wurf, Geschoss, aufgefasst werden, vgl. ok =
Flintenkugel und oMamak = werfen, schleudern, eigentlich
in die Hohe werfen, von der Stammsilbe oft = hoch, er-
haben. Auch der Eöclier hat einen genuinen, seiner Be-
schaffenheit ganz entsprechenden Namen, nämlich das kirg.
tigis von tikmek, hineinstecken (vgl. magy. tege^f =
Kocher), während das häufiger gebrauchte sadak mehr
als Hülle, Bekleidung für Bogen und Pfeil zu nehmen
ist, so im Öagataischen kilic sadagi = die Scheide des
Schwertes. In Hinsicht auf die Verschiedenheit der
Schiesswafien gibt es auch für den Begriff schiessen zwei
verschiedene Zeitworter. Mit der Flinte schiessen heisst
miltik oder tiifenk atmäk, d. h. werfen, während das
Schiessen mit dem Bogen entweder durch jaj tartmak =
den Bogen ziehen, anziehen, oder durch jaj jasmak = den
Bogen erflachen lassen, ausgedrückt wird. An Bogen und
Schleuder lässt sich noch eine primitive, speciell bei No-
maden anzutreffende Wurfwaffe, nämlich das zum Ein-
fangen der wilden Pferde gebrauchte Lazzo anreihen, das
im Kirgisischen kuruk, eigentlich Schlinge heisst (vgl.
magy. hurok = Schlinge) , von der Stammsilbe kur (auf-
stellen, auflegen); die verbale Form wird mittels kurük
atmak = Schlinge werfen oder schleudern ausgedrückt.
Auch der Gebrauch der Schutzwaffen oder der Ge-
121
räthschaften zur Abwehr scheint sehr früh bekannt ge-
wesen zu sein. Von diesen wollen wir in erster Reihe
des Panzers erwähnen, wofür wir zwei verschiedene Be-
nennungen haben: das ältere und speciell als Brustbe-
kleidung gebrauchte saut^ savut, eigentl. der Schützer, von
sautmdk = beschützen, unversehrt halten (vgl. §. 122), und
das verhältnissmässig neuere töre = Wehr, Brustwehr, der
Wortbedeutung nach etwas Gemachtes, zum Schutze Er-
hobenes, von töremeh = schaffen, aufrichten, und mehr als
Schutzmauer zu nehmen. Ferner finden wir den Schild
=^kälkanj eigentl. Schirm, Obdach, der etymologischen
Bedeutung nach das Erhobene, das in die Höhe Gehaltene
(^gl* §• '73)) ^^ ^^ besten ersichtlich ist aus den ver-
wandten kirg., alt. Jcalka = Schutzdach gegen Wind und
Sonne, halkazan = Seelenschutz. In die Klasse der Schutz-
mittel im Kampf gehören noch Teuren = Wagenburg, Tour-
gfan = Festung, und Äwrwm = Umfriedung, von welchen
im nächstfolgenden Abschnitte die Rede sein wird.
X.
Krieg nnd Friede.
Um den Leser mit dem Ideengange vertraut zu machen,
welcher dem türkischen Worte für Krieg zu Grunde liegt,
und um annähernd zu zeigen, was die Turko-Tataren wol
unter diesem Worte verstehen, müssen wir der Reihen-
ordnung der einzelnen Abschnitte ein wenig vorgreifen
und einen Blick auf das Wort für Volk, Nation werfen.
Dieser Begriff wird nämlich mit ü oder hütim ausgedrückt,
von denen ersteres so wol als das zweite die concrete Be-
deutung von gebunden, vereint, vollkommen, ver-
sammelt u. s. w. enthält. Aber nicht nur auf Volk, als
122
auf das durch Stammesverwandtschaft verbundene, ver-
einte Ganze bezieht sich das Wort, sondern auch auf das
gegenseitige, ungestörte Yerhältniss zweier Theile der Ge-
sellschaft oder zweier Volkerschaften; denn Friede heisst
ebenfalls il, d. h. verbunden, vereint (vgl. den analogen
Ideengang im slaw. mr = Bauernschaft, Gemeinde und
Friede). Es ist daher ganz natürlich, dass der diesem
Begriff entgegengesetzte Zustand, nämlich Unfriede, Krieg,
mit dem Juxtaoppositum von gebunden, mit getrennt,
zerstreut, d. h.jagi oder jau^ sALjuu^ ^irg. zau, bezeich-
net wird (vgl. §. 125).* Von dem schonen Bilde der
Identität der Begriffe Friede und Volk wird noch weiter
unten die Rede sein, hier sei nur hervorgehoben, dass
nach der bei dem primitiven Menschen massgebenden Auf-
fassung von den socialen Zuständen, Feindseligkeit und
Krieg noch zwei voneinander verschiedene Begriffe sind,
d. h. ein Volk oder ein Stamm kann und pflegt auch
einander jahrelang jagt = getrennt oder feindselig gegen-
überzustehen , ohne dass es unmittelbar zu einem that-
sächlichen Ausbruch der Feinds'eligkeiten , worunter man
den eigentlichen Krieg versteht^ kommen muss. Für die-
ses Wort existirt das ältere Jcarga^ osm., cag. gauga oder
JcaugUy der Grundbedeutung nach Verwirrung, Aufruhr,
Auflauf, während der eigentliche Kampf, Treffen, Zusam-
menschlagen, die Sclilaclit^ tohus, toküs, dögüs, döjäs^ von
ioh — töJc — dög (schlagen) benannt wird. Am Kriege, rich-
tiger Kampfe, haben von jeher nicht sämmtliche Mitglie-
der eines Stammes oder Volkes, sondern nur die zu die-
sem Behufe gewählten und zusammengebrachten Männer
sich bethelligt, die demnach die Kriegsversammlung, das
Kriegsheer oder die Armee ausmachten. Letzterwähnter
* Jag = dag ist ausserdem noch vorhanden in jagir = Wunde
infolge des Sattels am Kücken der Thiere, Aufreibung.
123
Begriff ist daher in vollem Einklänge mit seinem Ent-
stehen im Turko-Tatarischen mit ceriJc, ceri oder mit ko-
sufiy Tcousun wiedlergegeben. Certk stammt von cer, ter=^
sammeln, zusammenbringen (vgl. §. 182), daher der Aus-
druck cerik tarimdk = eine Armee aufstellen, wortl. einen
Haufen zusammenbringen, und cerilz tagitmdk = eine
Armee auf losen, wortl. einen Haufen zerstreuen. Kosun
stammt von Tcos = zusammenfügen, zusammenstellen (vgl.
§. 80). Neben cerik und kosun^ welche die eigentliche,
infolge des Aufgebotes der obersten Verwaltung zu Stande
gekommene Armee repräsentirt, gibt es noch andere ge-
nuine Benennungen für kleinere Kriegerhaufen, als ala-
man oder haranta, welche aus einem noch frühern Stadium
der gesellschaftlichen Zustände entspringen und richtiger
gesagt an jenes Zeitalter erinnern, in welchem einzelne
Stämme ohne das Band der Gemeinsamkeit sich gegen-
seitig befehdeten, d. h. beraubten und plünderten. Das
erstere dieser zwei Worte lautet in der altern Form alak-
•
man (von alak = Nehmer, und man = thum) und kann
daher mit Kaubgesellschaft übersetzt werden, denn nicht
nur die Älamans der heutigen Turkomanen können in
diesem Sinne des Wortes aufgefasst werden, sondern man
hat unter denselben von jeher die von der Armee auf
Beute ausgeschickten kleinern Kriegerhaufen verstanden.
Von ähnlichem Ursprünge ist auch das kirg. haranta =
Raubzug, richtiger harumta^ von barum = Vieh, Vermögen.
Nach der Auslegung Ilminski's* ist dies eine gewaltsame
Pfändung zwischen zwei streitführenden Parteien, nachdem
eine friedliche Aussöhnung unmöglich geworden; die allge-
meine Bedeutung von Raubzug ist erst spätem Ursprunges.
Saranta oder harumta erinnert übrigens lebhaft an das
* Geographische und Statistische Materialien zur Beschreibung
der kirgisischen Steppe (1865), S. 257.
124
skt. Wort für Krieg, nämlich an gavishti, welches wort-
lich genommen Begehren nach Kühen, Kühe suchen heisst.
In Anbetracht der unsteten Lebensweise und der armen,
nackten urheimatlichen Natur, in welcher das turko-tata-
rische Volk von jeher sich befand, darf es nicht wunder-
nehmen, wenn das Kriegshandwerk von alters her stark
ausgebildet war, und wenn die Technologie des Kriegs-
wesens einen durchweg genuinen Charakter aufweist, wo-
bei wir nicht so sehr auf die im Tüzükat-i-Timur über
das Kriegswesen enthaltenen Regeln und Institutionen
Bezug nehmen, als vielmehr auf jene Zustände, die nach
dem Zeugnisse linguistischer Monumente schon lange, ja
sehr lange bestanden und neben dem erwähnten Gesetz-
buche Timur^s auch nach dem Jasau-Cengiz als Basis ge-
dient haben müssen. In den hierauf bezüglichen Aus-
drücken finden wir ein klares und ausdrückliches Bild
des kriegerischen Lebens, aus dessen einzelnen Zügen die
Entstehungsgeschichte der verschiedenen Kriegsarten und
Kriegsbräuche uns einleuchtend wird. Das erste Kriegs-
zeichen, richtiger die Erklärung des Kriegs, wird durch
die Redensart tug MtürmeJc oder kaldirmak == den Speer
(d. h. die Fahne) emporhalten oder erheben, ausgedrückt,
da dies der uralten Sitte gemäss ein Zeichen zum Auf-
bruche war, ebenso wie das entgegengesetzte tug tikmek
= den Speer in die Erde stecken, als Signal des Still-
stehens gehalten wird. Dies erinnert an die altmagyarische
Sitte, wo bei dem Ausbruch des Krieges als Aufgebot
zum Kampfe ein von Blut triefendes Schwert im Lande
herumgetragen wurde. Der Ort, an welchem nach gege-
benem Zeichen die Krieger zusammenkommen, heisst luh
car und biiUas, von hul^ richtiger in der Reciprocitätsform
hulus = sich einfinden, und der mit der Bestimmung eines
solchen Ortes Beauftragte führte den Namen hulcar hegi
= Aufseher des Stelldicheins. Zur Benennung der ver-
125
scfaiedenen Theile des Truppenkorpers sind, wie überall,
die Glieder des menschlichen Korpers als Basis genom-
men worden. Bas (Kopf) heisst die Spitze, ongkol und
solkol (Rechte und Linke) die beiden Flügel der Armee,
während die Arantgarde den passenden Namen Harauly
^rat«Z = Aufsucher, von aramakf karamdk (suchen, um-
herschauen), die Arrlferegarde den Namen böheöl=Z\X'
schliesser, Beschliesser, von hökemeJc (beschliessen) führt.
Für Wache gibt es zwei Ausdrücke: Karaul oder Kara-
guly die Wache im allgemeinen, von karamak (sehen, um-
schauen), und cagdauly der für eine bestimmte Zeit aus-
gestellte Posten, von cag (Zeit) und cagdamak oder cag-
laniak (eine Zeit abwarten). Der Flankier heisst capkur
oder capkulin, von capkulamak (wiederholt angreifen), der
Angriff oder Einfall hingegen capau^ von capmak (ein-
schlagen, einfallen), und die ScMaelitrelhe wird jasäl
genannt, vonya^amaÄ;=machen, ordnen, folglich Ordnung,
und der dieselbe herstellt jasaul = Ordner, heute eine
Hofcharge. Ganz treffend ist auch der Begriff von sie-
gen und dessen Gegensatz besiegt werden^ unterliegen,
ausgedrückt. Für ersteres haben wir das Verbum jeng-
mekj eigentl. der Leichtere, Behendere, Frischere sein, von
jeng, Jew = frisch, neu, leicht, oder ökte bolmak, eigentl.
im Vortheil sein; für letzteres hingegen nebst der passiven
Form des jengmek, d. h. jengümek, noch das positive sin-
mak, eigentl. gebrochen werden. Ausserdem werden die
betreffenden Begriffe noch mittels der bildlichen Umschrei-
bung von basmak (drücken, unterdrücken) und alt etmek
(jemand unter sich bringen) wiedergegeben.
Fahren wir nun in Erörterung der Einzelheiten fort,
so werden wir unter anderm die charakteristische Wahr-
nehmung machen, dass die Türken für Gefangene kein
genuines Wort besitzen, indem das hierfür gebrauchte alt.,
6ag. olmy olca. Beute, Beuteantheil bedeutet, und mit dem
126
Verhältnisse der Gefangenschaft auch nicht im entfernte-
sten in Berührung steht. Aus dem Umstände, dass die
Benennung der Gefangenen und der Beute ganz identisch
ist, mag wol gefolgert werden, dass die im Kampfe leben-
dig in die Hände gefallenen Feinde als Beute, d. h. ein
zur Vertheilung bestimmtes Gut (vgl. oZ-ö7 = theilen; öl-
ceJc = Antheil, §. 63) betrachtet, in das Eigenthum des
Siegers übergegangen, hiermit auch der Freiheit verlustig
geworden sind. Ein dermassen zu Stande gekommenes
Verhältniss wäre zwar mit unserm BegriflPe von Sklayerel^
aber nicht der Gefangenschaft, resp. Kriegsgefangenschaft
identisch, und in der That hat die türkische Sprache nur
für den ersten dieser Begriflfe eine specielle Benennung,
nämlich das Wort hd (vgl. §. 99), in der wörtlichen
Uebersetzuog Höriger, das zum veralteten, heute nur in
den finn-ugrischen Sprachen vorkommenden kul (hören)
sich so verhält, wie das slaw. sluga (Diener) zum Verbum
slusat (hören). Neben Tcul wird allerdings heute auch
noch das echt türkische Wort Tcöle für Sklave gebraucht,
doch müssen wir gleich im vorhinein bemerken, dass dies
in der altern Form Izöjle ursprünglich Diener, Gehülfe,
Aushülfe bedeutet und von häj, Tcüj (sich anlehnen, stützen,
sich mit etwas aushelfen) stammt (vgl. §. 111). In den
heutigen turko -tatarischen Sprachen werden Sklave und Ge-
fangener ausserdem noch mit dem arab. mr, osm. jesir, oder
mit dem pers. hende bezeichnet, von welchen letzteres ganz
klar auf Band, Fessel hindeutet; dem gegenüber bekundet
das türkische Wort eine entschieden mildere Auffassung, und
in der That ist den Türken selbst das Wort Kette in ge-
nuiner Form unbekannt, da man hierfür das pers. zenzir ge-
braucht. Andere auf Sklaverei Bezug habende Worter, wie
hogra und hogdk (Hals- oder Fussfessel) sind in der ur-
sprünglichen Form mehr als Werkzeuge zur Zähmung der
Thiere als zur Gefangennahme des Menschen aufzufassen.
127
Auf diesem Gebiete kommt noch die Stammsilbe tut
= fangen, erwischen, richtiger aber festhalten, halten, vor,
in dem Worte für Geisel^ nämlich cag. tutah oder tut-
• kun, das keinesfalls mit Sklave, d. h. ein seines freien
Willens beraubtes Individuum, wie wir dies in Baber's
Schriften antreffen, sondern mit Bürge, Geissei übersetzt
werden muss. Kriegsgeiseln, oder Bürgen für das Ein-
halten der getroffenen Vereinbarungen, waren im Gegen theil
von jeher ein Gegenstand ehrenhafter Behandlung, daher
das turkm., cag. akojlu = Geisel ^ wortl. Bewohner eines
weissen Zeltes, da zur Unterbringung der aus dem feind-
lichen Lager eingetroffenen Bürgen weisse Ehrenzelte, wie
solche auch bei neuvermählten Eheleuten üblich sind, auf-
geschlagen werden. Aus dem Mangel eines speciellen
Ausdruckes für Sklave, Kriegsgefangener wird es erklär-
lich, dass auch das mit letzterm zusammenhängende Löse-
geld in der Gestalt eines speciellen Ausdruckes fehlt,
denn das <5ag. iüUhir, osm. Jcelehir wird nur als Losegeld
bei Zurückerlangung in Verlust gerathener Gegenstände
gebraucht.
Für Gesandter und Bote haben wir die genuinen
Worter ilci, von il- el (voraus), und jolauc, von jol (Weg)
und jollamak (schicken).
Für Dolmetseli haben wir das aus dem Türkischen
ins Russische und ins Deutsche übergegangene genuine
Wort tihneJi, von til (Zunge, Sprache), ursprüngl. tilmekzi
(Redner), welches Wort irrigerweise vom russ. tölk^ toi-
hovaf (erklären) abgeleitet wird.
Zur Bezeichnung von Lager-^ Stand- und Schutz-
plätzen gibt es im Turko- Tatarischen drei, den Zweck
und die Beschaffenheit derartiger Vorrichtungen genau
definirende Ausdrücke. Unter Lager = urdu ist im all-
gemeinen das Stillstehen, das Innehalten auf dem Marsche
ausgedrückt. Urdu heisst wortlich das Aufgeschlagene,
128
von urmdk = schlagen, einschlagen, daher urdu umtai,
pers. urdu eeden^ m^gy* iäbwrt ütni, sogar deutsch Lager
au&chlagen, was theils auf das Aufischlagen des Zeltes,
theils aber auch auf das Aufpflanzen der als Fahne die-«
nenden Lanze Bezug hat. Für die Richtigkeit dieser
Etymologie des Wortes spricht die entgegengesetzte Hand-
lung des Aufbrechens, nämlich urdu kaldirmakj wortl.
Lager aufheben. Bei den Schutzplätzen müssen wir drei
verschiedene Gattungen unterscheiden: a) Küren ^ fälsch-
lich mit Wagenburg übersetzt, da dies nur Ring, Zaun,
Umzäunung bedeutet, und aus Wagen auch schon des-
halb nicht gebildet werden konnte, da dieses Fahrzeug
den Türken zu allen Zeiten fremd, und so wie in alten
Zeiten mittels des (chinesischen?) Lehnwortes Kang*^ so
auch in der Neuzeit durch das arab.-pers. araba bezeichnet
wird; denn mit Recht sagt Poesche („Die Arier^', S. 73):
„Der Wagen ist eine Erfindung des Waldlandes, das Rei-
ten eine Erfindung der Steppe.^^ Woraus die als Mren
bekannte Umfriedung wol bestanden haben mag, mnss als
oflTene Frage hingestellt werden; Wagen oder andere
Fahrzeuge waren bei denselben keinesfalls verwendet.
b) Siginza = eine kleine Festung, von siginmak = sich
schützen, sich unter ein Obdach oder Schirm stellen.
c) Kurgan = Festung^ Ton hurumdk, hurmdk = schützen,
wehren (vgl. §. 86). In keiner dieser Benennung muss
übrigens eine im militärischen Sinne des Wortes aufge-
fasste Baulichkeit, als vielmehr der Grundbegriff eines
Schutzbaues im allgemeinen vermuthet werden, denn so
wie die Bezeichnungen von Stall, Haus, Thiergarten
u. 8. w. von derselben Stammsilbe wie Festung, Burg
u. s. w. entstanden, ebenso ist es auch höchst wahrschein-
lich, dass es eben letzterwähnte Bauten waren, aus wel-
* Kangli « Wagen, nach Abulgazi von dem Geräusch so genannt.
129
eben die Idee der Wehrplätze bei Kriegsunternehmungen
hervorgegangen ist.
Von der innern Bedeutung des Wortes für Friede
haben wir schon im Eingang dieses Abschnittes gespro-
chen, indem wir die Identität des Wortes ü = Friede mit
ü = Volk und der Stammsilbe il = binden, hervorgehoben,
wobei die Begriflfsanalogie zwischen dem russ. mir = Welt,
und mir = Friede, als Seitenstück ins Auge fallen muss.
Als weiterer Beleg dieses Zusammenhanges diene ferner
die auf den Friedensschluss bezügliche Redensart: aralari
il oder iekilc wi = Sind sie in Frieden, wortl.: Ist ihr
gegenseitiges Verhältniss gebunden? Oder das Gegen-
theil: olarjagi mi = Sind sie in Feindschaft; wortl.: Sind
sie zerstreut? Oder auch: aralari cözük mw, bozuk mu =
Sind sie feindschaftlich gesinnt, wortl.: Ist ihr gegenseiti-
ges Verhältniss getrennt oder aufgelost? Es ist daher
ganz klar, dass ebenso wie Friede den concreten Begriff
von Verbindung, Vereinigung ausdrückt, so wurde der
Friedensschluss von jeher mittels eines Ringes symbolisirt,
wie wir dies in den alten Sculpturen persischer Monu-
mente wahrnehmen. Frieden schliessen und sich verbin-
den sind daher analoge Begriffe, und so ist denn auch
das im Westtürkischen gebrauchte Wort für Friede, näm-
lich baris, erklärlich, indem dies in der Reciprocitätsform
des Verbum bar = gehen , wortl. zueinandergehen , sich
gegenseitig besuchen, bedeutet; ebenso auch das cag. ja-
ras = Friede, welches der etymologischen Bedeutung nach
sich gegenseitig anpassen, oder sich aussöhnen heisst.
Auch das Friedenanbieten, richtiger die Unterwerfung der
besiegten Partei, ist sammt der üblichen Sitte in dem be-
treffenden Worte ausgedrückt. Um die Gnade des Sie-
gers zu erflehen, muss der Besiegte oder dessen Gesandter
barhaupt und barfuss, mit dem blossen Schwerte um den
Hals gehängt, im Lager des Siegers erscheinen, daher das
V&mbäry, Cultur. 9
130
y erhum' jaUharmak = &ehen^ bitten, wortl. nackt gehen,
früher beim Ansuchen um Frieden, gebraucht auf den Be-
griff instandigst bitten übergegangen ist, ebenso wie der
Ausdruck da?^a6aw= Feigling, wortl. einer dessen Sohle
nackt ist, bedeutet.
Bevor wir unsern Abschnitt über Krieg und Friede
schliessen, wollen wir noch auf eine hierher gehörende
Eigenthümlichkeit der Sprache aufmerksam machen, näm-
lich auf die Parole nn Krieg, uran, oran oder (nach
Abuska) ören genannt, welche nach Baber^s Aussage zu
Kriegszeiten aus zwei Worten bestand, von welchen das
eine auf den einzelnen Stamm, beide auf die Armee Be-
zug hatten. Dieses dünkt mir jedoch eine Sitte spätem
Ursprunges, denn in der ältesten Zeit war die Parole eine
einfache, auf die einzelnen Stämme bezügliche, mittels
welcher im Schlachtengetümmel oder in der Dunkelheit
der Nacht das vom Stamme getrennte Individuum seine
Angehörigen zu erkennen und aufzufinden im Stande war.
Ich habe diese sonderbare Sitte selbst in Erfahrung ge-
bracht, und das Schauerliche der Scene, als auf einem
nächtlichen Marsche durch die Hyrkanische Steppe das
verzweiflungsvolle uran eines in stockfinsterer Nacht ver-
irrten Turkomanen zu unsern Ohren drang, ist mir ewig
unvergesslich. Der Mann schrie aus Leibeskräften ein
mir unbekanntes Wort, die turkomanische Reisegesell-
schaft lauschte lange beklommenen Herzens, doch der
Ruf blieb unerwidert. „Es ist ein Tekke-Uran",
horte ich sagen, man ging seines Weges, und der Ver-
irrte setzte sein Angstgeschrei noch eine Zeit lang fort.
Das Interessante an diesen Urans ist, dass sie sämmt-
lich uralten Ursprunges sind und von jener Zeit her-
rühren, ^als die heute weit voneinander getrennten Stämme
noch miteinander lebten. So war von jeher
131
die Parole des Stammes Kijat: urdsan
)) » » » Mangit: tdlaj
» » » » Kennegez: cauU
)) » )) » Kitai: uluta
» )) » )) Kungrat: capügan
u. s. w., Worter, die sich sonderbarerweise bei den be-
treffenden Stämmen nicht nur türkischer, heute schon in
Sonderstellung lebender Abtheilungen, als Kirgisen, Tur-
komanen und Oezbegen, sondern auch bei mongolischen
Völkerschaften unverändert erhalten haben, und folglich
Sprachüberreste jener uralten Zeit sind, in welcher Tür-
ken und Mongolen noch ein und dasselbe Volk waren.
XI.
Stände und Regierung.
Wie im vorhergehenden Abschnitte schon bemerkt
worden ist, enthält die türkisch- tatarische Benennung für
Volk und Nation den allgemeinen JBegriff von ganz, ge-
schlossen, vereinigt, d. h. einer Versammlung. Vgl. cag.
ü = Volk, ilki = Heerde, mit il = binden; uig. hutün =
Volk, mit iütün = ganz, vereint; alt.^on = Volk, mit jum
= vereinigen. Es ist dies eine Wortbildung, welche an
das lat. pO'pul-us, pleb-s (nach Curtius von schwellen,
gross sein), noch mehr aber an das gegenseitige Verhält-
niss zwischen dem deutschen Volk, sisLw. pluJcj polk =
Volk, Haufe, und engl, flock = Heerde, erinnert, und die
nach einer naturgetreuen Auffassung unter Volk und Na-
tion eine Anhäufung und Versammlung von Menschen
verstehen lässt. Mit Volk, Nation identificirt sich auch
9*
132
der Begriff von Heimat oder Vaterland, mit einem Worte
Land, und Izaju ildin sen kann ebenso sehr mit „Aus
welchem Volke bist du?" als mit „Von welchem Lande
bist du?'' übersetzt werden. Wir haben ausser den er-
wähnten im Uigurischen noch eine Bezeichnung für Volk
im Worte iura, eigentlich schwarz, demnach eine Anspie-
lung theils auf Haufen, Menge, theils ^uf die niedere
Schicht oder untere Klasse, der gegenüber der Adel =
manap, von der Stammsilbe man == oben, obenan (vgl.
§. 234), als der auserwählte Theil.der Gesellschaft, auch
als Obrigkeit sich präsentirt. Diese Unterscheidung zwi-
schen einer obern und untern Klasse« ist auch anderseitinr
ausgedrückt, nämlich in kara söngeJc = Schwarzbeinige,
d. h. Volk, und ak söngek = Weissheiinge^ d. h. Adel,
wobei die aristokratische Distinction wol nicht in der hete-
rogenen Farbe der Beine, als in dem Ursprung, in wel-
cher Bedeutung das Wort Bein zu nehmen ist, gesucht
werden muss; ebenso wenig wie man im vierten Stande
der alten Arier, nämlich in den Sudras, die ebenfalls die
„Schwarzen" genannt werden, eine Farbenverschiedenheit
von den etwa weissem und hellfarbigem Kasten der Brah-
manen, Kschatrias und Vaisyas suchen kann. Es ist da-
her mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, dass die Haupt-
eintheilung in zwei Klassen von uraltem Ursprünge sei
und eigentlich der patriarchalischen Verfassung der Fami-
lie entlehnt worden ist. AJ^älar = die Grauen, und Ata-
Zar== die Väter, galten von jeher als Bezeichnung für
Vorgesetzte und Männer höherer Stellung und höhern
Ranges, aus denen mit der Zeit ein besonderes Geschlecht
von aristokratischer Färbung sich herausgebildet hat, das
ebenso sehr des Ansehens und der Achtung des gesamm-
ten Volkes sich erfreute, als das Oberhaupt im engen
Kreise seiner Familie und der Aksdkal = Graubart, im
weitern Kreise seines Geschlechtes.
133
Trotzdem wir uns, und zwar mit vollem Rechte, die
socialen Zustände der ältesten Turko - Tataren sowie auch
der übriffen Volker der Welt in rein nomadischer Form
vorstellen, muss es uns doch ziemlich befremden, dass die
Sprache schon sehr früh zwischen Ansässigen und Nicht-
ansässlgen^ d. h. Nomaden, einen Unterschied macht, wo-
durch wir zur Vermuthung angeregt werden, dass das
Wanderleben bei der grossen Masse, als von der Witte-
rungsverschiedenheit ausfliessend, nur in einer Verände-
rung der Wohnplätze im Sommer und im Winter bestand;
und dass es zweitens solche Stämme oder Völkerschaften
gab, die nie eine stete Heimat hatten und in beständigem
Wanderleben sich befanden. Es ist daher mit Hinsicht
auf letztere, dass die Benennungen Tcöcek = Nomade, Her-
umzügler, von Jcöc = aufbrechen, herumziehen, jürük = No-
made, von jür = ziehen, gehen, und hazdk = Vagabund,
von dem veralteten kam, neuer ae oder gez = irren, herum-
gehen, entstanden und Anwendung gefunden haben, mit
welch letzterer Bezeichnung, nämlich mit hazak, das turkom.
gezek oder gezek il = Wandervolk, im Gegensatz zu comru
oder comuc'il = sesshaftes Volk, übereinstimmt.
Was die Eintheilung des Volkes in Stämme und Ge-
schlecliter anlangt, so können wir das Entstehen derarti-
ger ethnischer Configuration bei den Nomaden selbst noch
heute in nächster Nähe beobachten. Sobald irgendeine
Familie den theils mittels Gewalt ergriflTenen, theils als
Erbtheil ihr zugefallenen Weidegrund zu eng und zur
Nährung des Viehstandes für unzureichend findet, muss
auch allmählich die Trennung vom Stamme, das Brechen
des engern Familienbandes vor sich gehen. Der sozusagen
vom gemeinsamen Stamme der Familie losgetrennte Theil,
der den Namen tire, d. h. Bruchstück, von tir, Jcir = bre-
chen (vgl. §. 191), fuhrt und von uns als Zweig bezeich-
net wird, pflegt nun seinen Namen entweder von jener
134
Persönlichkeit zu nehmen, unter deren Leitung die Los-
trennung stattgefunden hat, oder von der geographischen
Benennung der neuen Weideplatze, mitunter auch von
irgendeinem Spitznamen, der alsdann in der ethnischen
Nomenclatur als Eigenname stehen bleibt. Von Tire, dessen
etymologische Bedeutung Bruchtheil, und das nur in freier
Uebersetzung für Zweig genommen werden kann, ent-
stehen dann später nach besagtem Processe die uruJcs =
Familie, richtiger Sprossling, von urmak = ausschlagen,
sprossen, hervorspriessen, unter welchem Worte man so-
wol die unter einem Familienvater stehende Haushaltung
als auch die Gesammtheit der nähern Verwandten ver-
steht. Nach nomadischer Auffassung der Affinitätsgrade
wird, wie ich mir seinerzeit personlich erklären liess, die
Grenze des uruk durch sieben Vorväter definirt, daher man
unter dem Ausdrucke jeti ata (wortl. sieben Väter) Ah-
nen, Vorältem im allgemeinen versteht; was über diese
Zahl hinaus sich erstreckt, wird als der weite Ver-
wandtschaflskreis, d. h. als der Stamm betrachtet. Für
die Zusammengehörigkeit der verschiedenen tire's (Stämme)
hat der Nomade ein schon verhältnissmässig geringeres
Verständniss, und der Begriff Volk, Nation, was er unter
il versteht, kann ihn schon weniger erwärmen, als die auf
Grundlage einer engem Verwandtschaft ruhende Einthei-
lung der Tire's und der üruVs.
Trotzdem das Aufbrechen grosserer Volksmassen in
kleinern Abtheilungen eine mit der Zeit fortlaufende ge-
wesen, so gibt doch die betreffende Nomenclatur der
Stämme einen wichtigen Anhaltspunkt zur Eruirung des
diesbezüglichen Verhältnisses im grauen Alterthume. Wir
finden z. B. heute noch einzelne Stammesnamen, wie
Kitai, Sajat, Nogai, Mangit u. s. w., die entschieden
mongolischen Anklanges, als Stammesbenennungen nicht
nur verschiedenen Türkenstämmen, sondern auch den
135
Mongolen eigen sind. Wol darf der Einfluss der letz-
tern, namentlich unter Dschengiz, nicht unberücksich-
tigt bleiben, doch ist diese Namensverwandtschaft noch
vor der Zeit der Mongolenherrschaft zu erkennen und
muss daher weit altern Datums sein.
Was die oberste Leitung des Volkes, die Fürsten-
würde ^ anbelangt, so wäre es allerdings von höchstem
Interesse zu eruiren, wie weit zurück in der Vergangen-
heit die Existenz eines Fürsten sich nachweisen lässt, und
von welch etymologischer Grundlage das hierfür bestehende
Wort sei. Dass bei den turko- tatarischen, ja bei den
ural-altaischen Völkern im allgemeinen der Titel Chakan
Kakan, entsprechend unserm Fürst, König und Herrscher,
schon sehr früh bestanden habe, dafür bürgt die histo-
rische Ueberlieferung aus der ältesten Zeit, namentlich die
Kunde vom Bekanntsein dieses Titels bei Chazaren, alten
Magyaren, Avaren und andern den byzantinischen Ge-
schichtsschreibern bekannten ural-altaischen Völkerschaf-
ten. Der gemeinsame Gebrauch dieses Wortes legt wol
ein beredtes Zeugniss für den engern Verwandtschaftsgrad
jener ethnischen Elemente ab. Wir wissen, dass aus Cha-
kan, welches im Mongolischen noch beinahe unverändert
in Chakan = Fürst vorkommt, das alt. kaan, cag. chan —
welches die Sultane dei? Türkei noch heute als Fürsten-
titel sich beilegen — entstanden; doch hinsichtlich der
Grundbedeutung, richtiger hinsichtlich der Etymologie
dieses Wortes sind wir so ziemlich im Dunkeln. Mit
Hinblick auf die Bedeutung der mong. Stammsilbe chagh
= untersuchen, prüfen, trennen, scheiden, und mit Berück-
sichtigung des im Türkischen als nomen agentis auftreten-
den Partikels gan, kan, liesse sich einigermassen das Amt
eines Richters, Aufsehers, Urtheilsfällers vermuthen; wäh-
rend andererseits, nach der Verwandtschaft des auslauten-
den k mit b in kak-an, eine ältere Form von kaban=Eber^
136
noch heute Symbol der Starke, Männlichkeit (vgl. magy.
han = das Männchen bei gewissen Tbieren) als Hypothese
nicht ausgeschlossen ist, und wonach also der Name des
in der Urzeit, wie wir weiter unten sehen werden, meist
gefürchteten Thieres als Attribut und Titel des Herr-
schers gebraucht wurde.
Wenn wir bezüglich des ältesten Titels der Fürsten
nur auf Hypothesen angewiesen sind, so ist es mit andern
ebenfalls auf das höchste Amt bezüglichen Titeln schon
besser bestellt. Unter diesen nimmt die erste Stelle ein
das uig. üih = Fürst, Herrscher, von der Stammsilbe ü
(voraus, zuerst), der innern Bedeutung zufolge der Vor-
gesetzte, der Vorderste, dem noch das synonyme uig. ilci
= Herr, Fürst, und das cuv. Utk = der Aelteste, zur Seite
gestellt werden kann. Ilik und Ilci kommen im {C^udatku
Bilik vor, stammen daher aus der ältesten Bildungsperiode
des Türkenvolkes, und geben der Vermuthung Raum,
dass Chahan, welches den Uiguren nicht unbekannt war,
als entschiedener Ueberrest jener Zeit zu halten ist, in
welcher die seit geschichtlicher Erinnerung uns bekannte
Trennung der einzelnen Volkergruppen noch nicht vor
sich gegangen war und das Türkenvolk mit den mongo-
lisch-manzuischen Elementen zusammen lebte.
Als speciell türkisch und aus dem grauen Alterthume
stammend dünkt uns der Titel Chunkiar, osm. Hünkar,
Hünkiar, nicht etwa das Wort, das rein persischen Ur-
sprunges ist, sondern dessen Bedeutung, die tief im Leben
der türkischen Nomaden wurzelt und von dem Verhält-
nisse der Familie auf das des Staates übergegangen ist.
Im nomadischen Familienleben wird nämlich das älteste,
stärkste und erfahrenste Mitglied mit dem heiligen Amte
der Blutrache betraut und bei einigen Stämmen als kan
(jöder (Blutspäher), bei andern als chunkiar (wortl. dessen
Angelegenheit das Blut ist) bezeichnet, und in der That
137
wird die höbe Wichtigkeit dieser Pflicht durch nichts so
sehr in Relief gebracht als durch den Umstand, dass die
Obliegenheit desselben zum Ehrentitel des Familien- oder
Stammeshauptes, und später ein Attribut der Fürstenwürde
geworden ist.
Wenn wir daher in den erwähnten Titulaturen die
höchste, d. h. Fürsten- oder Herrscherwürde erblicken,
Würden, die bei keiner Gesellschaft, folglich auch bei der
turko-tatarischen nicht fehlen konnten — trotzdem einige
Nomaden, wie z. B. die Turkomanen, eine solche anzu-
erkennen noch bis heute sich weigern — so können wir
nicht umhin, in den vorhandenen Sprachmonumenten noch
andere Obrigkeiten mit wahrscheinlich engerm Wirkungs-
kreise zu entdecken. Zu diesen, in der ursprünglichen
Form und Bedeutung nur Stammesoberhäuptem gehören :
a) Kalga^ Titel der Fürsten der Nogai- und Krimtataren,
der Wortbedeutung nach Schutz, Schirm (vgl. §. 73), und
b) das im weitern Sinne für Fürst, Oberhaupt gebrauchte
hijj big, heg, bej, dem sprachlich das magy. fej = Kopf
am nächsten steht, und das mit dem turk.-tat. baj, boj,
bij = reich, erhaben, angesehen (vgl. §. 205), eng verbun-
den ist. Gleich dem roman. capitano, dem pers. serdar,
dem arab. r^ und dem deutschen Hauptmann, steht
baj in lautlicher und begrifflicher Verwandtschaft mit bas,
6as= Haupt, und das uig. 6asci = Oberhaupt ist gleichen
Werthes mit dem osm. bese, ein Ehrentitel unter den
Dorfbewohnern Anatoliens.
Schliesslich müssen wir noch jene Würden und Titel
verzeichnen, die nach dei^ Auffassungen des primitiven
Menschen jenem Mitmenschen ertheilt werden, der durch
Stärke oder personliche Tapferkeit bei der Vertheidigung
des Gemeinwohles sich hervorthut. Solche sind: Alup, alp^-
Held^ oberster Krieger, cuv. ölip = Herr, von der Stamm-
silbe ol, til (hoch, erhaben); komg, kojsa, (/oiaÄ = Held,
138
vom concreten Jcoza = gross, welches in diesem Sinne noch
heute im Osmanischen gebraucht ist. In welchem Maasse
der Begriff von Hohe und Grosse mit der Herrscher-
würde im Zusammenhange steht ^ ist am besten aus der
alten Sitte ersichtlich, nach welcher der zum Herrscher
oder Oberhaupt Auserkorene von seinen Mitbürgern theils
auf den Händen, wie dies noch heute bei den Ungarn
und auch anderswo üblich ist, theils auf ein Stück Filz
gesetzt, wie in Mittelasien, in die Höhe gehoben wird.
Kötürmek=^ in die Hohe heben, erheben, ist daher auch
für auserlesen, auserkoren gebraucht, ja im üigurischen
heisst Jcötrüm Fürst, d. h. der Erhobene.
Nicht minder interessant ist das Verzeichniss der zur
Fürstenwürde gehörigen Attribute, wie solche in dem
ältesten türkischen Sprachdenkmale sich vorfinden. Die-
selben sind: a) Tw5r=Fahne, eigentl. Speer, und bajdag (von
baj =■ Fürst, und dag == Zeichen, also ein fürstliches Ab-
zeichen), woraus das neuere hajrak = Fahne entstanden ist.
b) Tamga = Siegel^ oder tapu = Stempel, wovon ersteres,
wie aus der Stammsilbe tarn = Tropfen, ersichtlich, an
jene uralte Sitte erinnert, nach welcher die Bekräftigung
des Wortes, so wie beim Schwur (vgl. weiter unten)
mittels eines Tropfens dem eigenen Körper entnommenen
Blutes vollzogen wurde. Später scheinen die Fürsten die
ganze flache Hand wahrscheinlich ins Blut des Schlacht-
opfers getaucht und auf das Document gedrückt zu haben,
wofür die noch heute bei den Sultanen der Türkei unter
dem Namen Tugra* (wörtl. Gesetz) existirende, ein Bild
der offenen Hand mit den fünf Fingern darstellende fürst-
liche Unterschrift am meisten spricht. Was den tapu an-
belangt, das heute nur noch als Stempel, Merkzeichen der
Thiere gebraucht wird, so scheint dies ein anderes, allem
* Tugra in der Schrift, ausgesprochen wird es iura. Vgl. töre §. 197.
139
Anscheine nach untergeordnetes Zeichen der fürstlichen
Unterschrift gewesen zu sein. Etymologisch heisst tapu
ganz einfach Druck, Spur, Eindruck, e) lühk, Jcüng^ im
Uigurischen die Trominel (alt. tüng-ereh^ worunter die
im alten Religionswesen der Türken, nämlich im Schama-
nenglauben, die Hauptrolle spielende Trommel, die nur
und. auch dann im Religionsdienste im Kriege Verwendung
gefunden, verstanden werden muss. Ob der den Türken
begleitende Kam (Schamane) die Trommel während des
Kampfes gerührt, lässt sich wol vermuthen, aber nicht
nachweisen; soviel ist sicher, dass der Trommelschläger
selbst heute, bei der Parade sowol wie in der Schlacht
nie von der Seite des Fürsten weichen darf. In diesen
drei Attributen sind gar leicht die Symbole der drei höch-
sten Würden zu erkennen, indem die Fahne den obersten
Kriegsherrn, das Siegel das Gesetz und dessen Beschützer^
die Trommel hingegen die alte Religion kennzeichnet, und
merkwürdigerweise hat eine mehr als tausendjährige Ver-
gangenheit und der das nationale Leben von Grund auf
tödtende moslimische Einfluss hier nur wenig zu verän-
dern vermocht, denn die Chane Centralasiens haben noch
bis in die Neuzeit bei ihrem öffentlichen Erscheinen Fahne,
Siegel und Trommel als Embleme der höchsten Würde
mit sich geführt.
Das helle und klare Licht, welches die Sprachen in
allen Phasen der Culturentwickelung des türkisch -tata-
rischen Menschen uns verschafft, kann als wolthuende
Leuchte auch auf dem Gebiete jener abstracten Begriffe
gebraucht werden, wo anderswo, selbst bei den gebildet-
sten Völkern noch heute die grösste Dunkelheit herrscht.
Diese Bemerkung hat zunächst auf die Bezeichnung für
das Wort Gesetz Bezug, wo ein einziger Blick hinreicht,
um uns zu beweisen, dass es von jeher bei den Türken
zweierlei Gesetze gegeben hat, nämlich Gesetze, die eine
uo
alte Gewohnheit, ein in Fleisch und Blut des Volkes ge-
drungener Gebrauch oder Sitte geschaffen, und die uig. toka^
öag. töre, alt. jan heissen, was der Grundbedeutung nach
Mode, Sitte, Gebrauch bezeichnet, wie aus den be-
treffenden Stellen meines etymologischen Wörterbuches er-
sichtlich ist. Diese Jahrtausende alte Bildungsgeschichte be-
nannter Worter wiederholt sich durch ein jüngeres Bei-
spiel im Turkomanischen, wo nämlich Gesetz mit deb aus-
gedrückt wird, das in gleicher Weise entstanden, nämlich
eine Verdrehung des arab. edeb = Sitte ^ Gebrauch, ist.
Neben diesen Ton uralten Gewohnheiten durch die Zeit
zu Gesetzen gestempelten Lebensnormen und Regulativen
müssen schon früh auch andere von den Fürsten oder den
befehlenden Stammesoberhäuptern erlassene Gesetze be-
standen haben, die den Namen jasau führten, ein Wort,
welches von jas = machen, ordnen, abstammt (vgl. jasal
= Richtschnur, Norm-, Regulative, und jasdk = Ordner,
Gesetz, §. 134), folglich neben dem Naturgesetz in der Form
eines gemachten Gesetzes figurirt. Diese beiden Gesetze
genossen schon sehr früh eine hohe Achtung, und in kei-
ner Sprache ist das Verhältniss des regierenden Ober-
hauptes der Gesellschaft zu den bestehenden Gesetzen so
klar ausgedrückt als im Türkisch-Tatarischen, wo Gesetz
und Fürst Synonyme sind, denn töre heisst sowol. Gesetz
als Fürst, wie dies im Uigurischen auch bei toka der Fall
ist. Mit jasau in der Wortbildung übereinstimmend haben
wir noch ein anderes Wort für Gesetz, nämlich tüzÜk,
von tüss = eben, gerade, Ordnung (vgl. §. 202), was eben-
falls als Befehl oder erlassenes Gesetz zu nehmen ist.
Genuin und dem Geiste der primitiven gesellschaftlichen
Zustände entsprungen, wie die' bisherigen Begriffe von
Regierung sich präsentiren, ebenso klar und einleuchtend
sind auch andere hierher gehörige Begriffe. So heisst
z. B. Richter jarguci, wortl. der Fntscheider, der Trenner
141
von Zwistigkeiten, und jargu=^ 'Richier&prwch^ Entschei-
dung, von jargamak = trennen, entscheiden, während der
Befehl, Erlass des Fürsten, mit dem einfachen Namen
das Schreiben, jarlik (von der veralteten Stammsilbe jar
= schreiben, öag., osm. ja0, magy. ir = schreiben) be-
zeichnet wird. Vgl. arab. chatt; engl, writ u. s. w.
So wie die Verschiedenheit der Gesetze aus dem ety-
mologischen Werthe der betreffenden Wörter hervorleuch-
tet, ebenso lässt sich dies auch in den Wörtern für Steuer
nachweisen. Wir haben nämlich zwei Ausdrücke für
Steuer: a) cag. bergt, birgt, osm. vergi, von der Stamm-
silbe ber, ver (geben), folglich eine aus eigenem Gutdün-
ken und freiwillig hervorgegangene Abgabe oder Beisteuer
zu irgendeinem gemeinsamen Zwecke; und b) salgit die
ausgeworfene, folglich von Seite der Obrigkeit her nach
stattgefundener Vertheilung bestimmte Abgabe, von säl=^
werfen, resp. salgimdk = allmählich auswerfen. Neben
diesen figurirt noch für Steuer die Benennung adak, rich-
tiger ein Gelübde, das Verheissene, das Versprochene, von
adamdk = versprechen, verheissen; der Wortbedeutung
nach muss dies auf gewisse für religiöse Zwecke bestimmte
Gaben Bezug haben.
XII.
Poesie, Musik, Tanz und Spiel.
Die Poesie im natürlichen Gewände und in der un-
gekünstelten Form hat von jeher beim primitiven Men-
schen mehr Pflege und Verehrung gefunden als bei den
auf einer höhern Bildungsstufe befindlichen Gesellschaften.
U2
Im Zelte des schlichten Nomaden widerhallen Lieder wol
häufiger als in den Steinbauten civilisirter Länder, und
da der Mensch infolge der tödtenden Monotonie der Steppe
— wo das Auge auf stunden-, ja auf tagelang weite
Strecken ohne Anhaltspunkt für Abwechslung und Zer-
streuung umherschweift — zu Phantasiegebilden mehr
seine 'Zuflucht nehmen muss als der inmitten einer regen
und bewegten Welt lebende Culturmensch, so ist es ganz
natürlich, dass Dichtung mit dem geistigen Wesen des
primitiven Menschen in solch enger Verbindung steht,
und schon längst gestanden hat, wie Trank und Speise
mit der physischen Existenz in einem unzertrennlichen
Verhältnisse stehen. Und trotzdem darf es infolge des
schon oft erwähnten Unvermögens zur Bezeichnung eines
coUectiven BegriflFes, uns nicht wundernehmen, wenn wir
dichten und Dichtung mit dem einfachen ajtmak und aj-
tim, d. h. sagen und Sage, interpretirt finden ; der Begriff
einer speciellen Poesie wird nur in den aus Dialogen be-
stehenden Liebesweisen zwischen der Jugend beider Ge-
schlechter ausgedrückt. Kos aitmak heisst nämlich singen
und dichten zu gleicher Zeit, wörtl. paar oder gepaart
reden, einen Dialog unterhalten, und kos aitim oder Tco-
suk^ alt. ko^on, heisst das Verspaar, Vers oder der eine
Theil des Dialoges, vom obigen aitmak und von der
Stammsilbe kos = paar, vereint, gereimt. Der Ursprung
dieser Auffassung kann bei jener bis in die Neuzeit unter
den Nomaden sich erhaltenden Sitte nachgewiesen werden,
nach welcher die Jugend in ihren Liebesspielen durch
Dialoge sich zu unterhalten pflegt, indem der Jüngling
seine Geliebte mit einem oft metrisch geordneten Satze
anredet, worauf diese ebenfalls metrisch und zwar im
Keime antworten muss. Derartige Liebes- oder Scherz-
dialoge haben von jeher den Ausgangspunkt poetischer
Erzeugnisse gebildet, woran sich andere Gattungen der
143
Kedekunst anreiben, je nachdem sie aus der Verschieden-
heit des menschlichen Alters oder aus den mannichfachen
Erscheinungen auf dem Gebiete des gesellschaftlichen
Lebens hervorgegangen sind, oder auf Schilderungen der
Natur und des Klimas Bezug haben. Zu diesen geboren
in erster Linie die Märchen^ cag. irteki, von irte = früh,
zeitig, also ein Bericht über früher Geschehenes oder Ver-
gangenes, über ein Ereigniss oder eine Geschichte, da
man sich bei Erzählung derartiger Märchen den Anschein
gibt, wahrheitsgetreu über einen Zufall zu berichten.
(Vgl. magy. reg = alt, reg =früh mit rege = Mähr.) Im
entgegengesetzten Falle, wo man z. B. in Thierfabeln
Hunde, Füchse, Krähen u. s. w. reden lässt, bedient man
sich wol nicht mehr der Benennung irteJci, sondern im
Westtürkischen des arab. mesel und im Osttürkischen des
tapMr^ d. h. das zu Errathende, Räthsel, nicht zu ver-
wechseln mit dem kirg.-ozbeg. dumbälc = Räthsel, richtiger
ein verstecktes Wort, das während der Unterhaltung zum
Losen gegeben wird; der etymologischen Bedeutung nach
stammt dies ab von jum, iwm = geschlossen, verknüpft. Vgl.
jumak, £uma^=KnsLuf, Knäuel, dessen geschlossene Form als
bildliche Darstellung des räthselhaften Sinnes gebraucht wird.
Eine bedeutende Rolle in der urwüchsigen Poese spie-
len Sitten- und Moralspruche^ richtiger Sprichworter,
heh-söZj worü. Bilderwort, auch atdlar sözi = Sprüche
der Väter, oder borungjcilar-söjsi = Sprüche d^r Vorher-
gegangenen genannt. In diesen spiegelt sich die Quint-
essenz der Lebensphilosophie der Turko-Tataren und sie
pflanzen sich fort durch mündliche Ueberlieferung, nicht
nur bei Einzelnen, wie dies bei Liedern und Märchen der
Fall ist, sondern bei der Gesammtheit des Volkes.
Dass im Turko-Tatarischen für den Begriff Gedicht,
Rede und Lied nur ein und dasselbe Wort sich vorfin-
det, darf um so weniger befremden, als erstens singen
144
und sprechen mit ein und derselben nur mit der Zeit
lautlich veränderten Stammsilbe ausgedrückt wird (das
jak. ät, CUV. ad = singen, ist nächst verwandt mit dem
osm. ejt, eit, und cag. ait = reden, nicht minder aber auch
mit dem osm. öt = singen, das heute aber nur bei Vögeln
gebraucht wird), und als zweitens die gebundene Rede
im rhythmischen Wohlklange der Recitirung die erste Mo-
dulation der Töne bekundend, an und für sich schon der
Uebergang von der einfachen Rede zur primitiven Ge-
sangsweise bildet. Der Gesang des Urmenschen, wie wir
dies heute noch bei den Turko-Tataren wahrnehmen kön-
nen, unterscheidet sich immer nur wenig von dem durch
eine ausserordentliche Gemüthsbewegung beeinflussten Auf-
sagen oder Hersagen. Im Osttürkischen versteht man
unter kos aitmak ebenso wol dichten, recitiren, als sin-
gen; so auch im Westtürkischen, wo türld oder sarhi
söjlemeJc, wörtl. ein Gedicht reden, für singen gebraucht
ist, eigentl. türkisch reden, ungefähr wie das europäische
romanisch und Bomanze.
Wenn Darwin die Frage aufgeworfen, ob der Mensch
früher gesungen oder geredet habe, so wird der Sprach-
geist des Türkischen ihn sofort belehren, dass der turko-
tatarische Urmensch zwischen singen und reden gar kei-
nen Unterschied gekannt, beide daher für identische Be-
griffe gehalten und, wie die eben angeführten Beispiele
zeigen, auch noch heute hält.
Es gibt aber demungeachtet ein genuines Wort für
Lied, Gesang, nämlich ^Vr, zir (vgl. §. 141), das, trotz-
dem es auch die Stammsilbe für Jauchzen, Frohlocken
ist, im Grunde genommen mit dem Worte für weinen,
wehklagen, aufschreien, gemeinsamen Ursprunges ist.
Diese nach der europäischen Auffassung von Lied und
Gesang einen grellen Widerspruch bekundende Erschei-
nung wird durch den Umstand erklärt, dass die Lieder
145
aller asiatischen, besonders aber der ural-altaiseben Vol-
ker den Ausdruck einer düstern Gemüthsstimmung, einer
tiefen Wehmuth wiedergebend, dem innersten Wesen nach
in der That mehr Klage- als Freudenlieder genannt zu
werden verdienen. Das magy. Sprichwort „Sirva vigad
a magyar^^ (weinend belustigt sich der Ungar) ist eine
ganz passende Interpretation zu diesem Ideengange. So
vgl. man auch das arab. hassana = traurig sein, mit dem
hebr. chazan =■ Sänger, und das gegenseitige Verhältniss
des türk.-tat. jir, dir, cir = singen, jauchzen, rufen,
schreien, zujig, zig, cig, cur und ctgfeV= weinen, rufen (vgK
engl, to cry = weinen und rufen), wird sofort in gehöriger
Beleuchtung hervortreten.
Auch über die Beschaffenheit der ersten Musiklnstm-
mente gibt uns die Sprache den nothigen Aufschluss.
Für spielen, Musik machen im allgemeinen, haben wir
das Wort cdlmak, seiner coacretcn Bedeutung nach schla-
gen, hauen. Die ersten Instrumente waren demnach
Schlag- oder Streichinstrumente, und so wie man koluz
cdlmak = Violine spielen, d. h. schlagen, dütara cdlmak ==
Guitarre spielen, d. h. schlagen, sagt, ebenso ist die
Redensart horu cdlmak = Trompete blasen, d. h. schlagen,
nej caZmaÄ; = Flöte schlagen, oder düdük calmak = Fteife
schlagen im Gebrauche, und unter calgi = da.s Schlagen,
versteht man den allgemeinen Begriff von Musik. Als
erstes, seiner Form nach primitivstes Instrument muss
die Bohrpfeife^ cag. sipozga (vgl. §. 142), osm. islik, an-
genommen werden, deren beide Stammsilben sip, siv und
is den Grundbegriff von blasen, pfeifen enthalten. Aehn-
liches ist auch der Fall mit 6orw=Troinpete, eigentl. Rohr,
Röhre, während ä:o5«^ = Geige schon auf das Stadium
einer fortgeschrittenen Bildung hindeutet, indem das be-r
treffende Wort, hergeleitet von Ä;ofr=hohl, leer (vgl.
köbur = Futteral, koburzuk = Kiste), das Verständniss für
Vämböry, Cultur. 10
146
eine künstliche Resonanz bekundet. Dieselbe Grundidee
ist im uig. Worte für Trommel, Mnk, vertreten, dessen
Stammsilbe Icün, kul einen leeren, hohlen Schall (vgl-
§. 117) bedeutet, während das nicht minder alte alt. tun*
^ür = Trommel, eine Art Kesselpauke, von tüng = rund,
Runde, mit Hinblick auf die Form des Instrumentes so
genannt wird. Was ausser den erwähnten noch heutzu-
tage unter den Turko- Tataren sich vorfindende Instru-
mente anlangt, so sind dieselben zumeist theils dem
Arabischen (als davul = Pauke, von tahl; tef = Hand-
trommel, von def)^ theils dem Persischen entlehnt (als:
;efw/na = Trompete; iteman = Geige , eigentl. der Bogen;
dutara = Guitarre).
Für Tanz und Spiel haben die Türken ein und das-
selbe Wort, nämlich oj-un, ebenso wie dies auch bei eini-
gen Volkern des arischen Stammes der Fall ist. Vgl.
slaw. igrcdi = tanzen und spielen; deutsch Tanz und Tand,
und sowie Tand, tändeln, als Gegensatz zu ernst, wahr
und getreu aufzufassen ist, ebenso steht das turko-tatarische
oj (osm. q;aZanma/b=tändeln, schäkern, scherzen) als Juxta-
oppositum dem cm, sin = echt, wahr gegenüber. Nur
das Osmanische hat ein scheinbar genuines Wort für tan-
zen, nämlich tepmeh, das aber im Grunde genommen (vgl.
§. 58) treten, trippeln bedeutet. Es darf ferner nicht über-
sehen werden, dass oj, oj-n-a auch in der concreten Be-
deutung von hin- und herbewegen, schaukeln vorkommt
(so: jüreJc cynar = das Herz bewegt sich, tamar ojnar =
der Puls schlägt u. s. w.), woraus sich nun allerdings
auch folgern lässt, dass die Stammsilbe oj nicht in der
primären Bedeutung von hin- und herbewegen, folglich
tanzen, sondern nur in der abstracten Bedeutung von
Spiel und Scherz zu nehmen sei. Welche dieser beiden
Auffassungen die eigentlich richtige, ist vorderhand schwer
zu entscheiden. Soweit aus dem Sittengemälde der heuti-
147
gen Türken sich nachweisen lässt,, scheint der Tanz, eine
Gliederbewegung des vom Frohsinn bewegten Menschen,
hier so wie überall sich zuerst im Auffahren und Hin«
und Herspringen manifestirt zu haben, ohne dass es je
zum gesellschaftlichen oder Kreistanze, wie wir solchen
beim Urmenschen auf andern Theilen der Erde wahr-
nehmen, gekommen sei. Für eine solche Annahme spricht
am meisten die im Wesen des Türken von jeher in prägnan-
ter Weise hervortretende Schwerfälligkeit des Geistes
und des Korpers, seine mit dem traurigen Bilde der
Steppennatur eng zusammenhängende düstere, wehmuth-
volle Gemüthsstimmung und sein ausgesprochener Wider-
wille, durch leichte oder behende Korperbewegung etwa
Leichtfertigkeit des Sinnes zu verrathen. Gleichviel ob
in der Steppe oder im Culturleben, in Jahrhunderte alten
festen Wohnsitzen, der über dreissig Jahre alte Türke
wird es höchst unanständig finden, durch rasches Gehen
oder durch sonstige flinke Bewegung des Korpers die
Aufmerksamkeit seines Nebenmenschen auf sich zu lenken.
Das Springen geziemt nur dem Jüngling, das Tanzen hin-
gegen nur dem Mädchen. Abgesehen von der Rolle des
Tanzes in Keligionsgebräuchen, mag diese Auslegung auch
bei andern Volkern der nordlichen Hälfte Asiens ange--
wendet werden, doch bei keinem mit so vielem Anrechte
als beim Turko-Tataren , sodass die allerdings sonderbar
klingende Behauptung, der türkische Urmensch habe im
Tanze nie besondere Belustigung gefunden, ohne Schwie-
rigkeit aufgestellt werden könnte.
Hinsichtlich der Spiele verhält es sich schon ganz
anders. Das Spiel, ojun, wie aus der Stammsilbe ersicht-
lich, ist vom Grundbegriffe des Verstellens, Täuschens
und Scherzens hervorgegangen, und basirt sich daher auf
die Handlung des Nachnahmens, in welcher der Mensch
von jeher die beste Ursache der Unterhaltung und der
10*
US
Zerstreuung gefunden hat. So ist z. B. das unter dem
Namen kök büri = grüner Wolf* benannte Hochzeit-
spiel, bei welchem die berittene Männergesellschaft dem
voranjagenden Mädchen das im Schose haltende Lamm
eptreissen will, wobei die Jungfer ihrem Besieger einen
Kuss, widrigenfalls aber Peitschenhiebe ertheilt, eine An-
spielung auf die früher auch unter den Türken bestandene
Sitte des Mädchenraubes, in welchem eigentlich die Ko-
ketterie und der scheinbare spröde Sinn des weiblichen
Geschlechtes, und nicht eine Anspielung auf die brutale
Mächt des Mannes, wie Lubbock meint, personificirt ist.
Im Anrennen und im Sichumfassen während des Zwei-
kampfes (cag. Teures j osm. liüles, von Mr = Ring, vgl.
§. 86) wird der Zweikampf zwischen Thieren, namentlich
zwischen Widdern, nachgeahmt, ebenso wie im Aufstei-
genlassen des iS«r = Drachen, das nicht nur als Kinder-
spiel, sondern als Belustigung der Erwachsenen bei den
Türken längst besteht, die Erinnerung an irgendeinen my-
thischen Vogel lebt.
Auch alte Gewinnstspiele lassen sich nachweisen, und
zwar in dem noch bestehenden aSilfi und Tpumalalf. Er-
steres, der Wortbedeutung nach Knochelbein, besteht aus
dem Aufwerfen von f ünf Knochelchen von Schafen; je nach
dem Fallen, d. h. ob mit der spitzigen, flachen oder schar-
fen Seite nach oben zu, wird über den Einsatz entschie-
den. Da die betreffenden Ausdrücke, als ceke^ dlci
und tava^ jen^r Sprachperiode entspringen, in welcher die
heutige Trennung der verschiedenen Stämme noch nicht
stattgefunden, so mag die uralte Existenz dieses Spieles
keinem Zweifel unterliegen. Was das kumalak (= Koth-
kügelchen der Schafe) betrifft, so ist dies heute auf
der Steppe nur als Kinderspiel bekannt. Es besteht aus
* Grüner Wolf ist ein phantastischer Name gleich unserm Blaubart.
fünf oder sieben Kügelchen, von denen ein Theil in die
Hohe geworfen, und während die Rechte denselben mit
einem Griff auffangen muss, soll dieselbe Hand den andern
Theil durah den aus dem Zeigefinger und Daumen gebil-
deten Bogen der Linken durchtreiben. Dieses Spiel, mit
Steinchen ausgeführt, ist in Ungarn und auch in der
Türkei bei den Kindern noch anzutreffen, und zwar merk-
würdigerweise in derselben Form wie in Mittelasien.
XIIL
Welt, Himmel, Sterne, Sonne und Mond.
Azun, das türkische Wort für Welt, hat den Inbegriff
von offen, klar, hell, Licht, und steht zu aMJc, acuJc =
offen, klar, in gleichem Verhältnisse, wie, um einen ana-
logen Ideengang in andern Sprachen zu erwähnen, das
magy. vildg = Licht und vildg = Welt, sowie slaw. swjet
= Welt und swjet = Licht zueinander sich befinden. In
a£un^ welches nur in altern Sprachdenkmälern vorkommt,
ist andererseits auch die Idee einer religiösen oder mythi-
schen Auffassung ausgedrückt, indem hiermit die Tages-
helle oder Oberwelt bezeichnet wird, dem als Gegensatz
tamuk oder tamu = Unterwelt, eigentl. finstere, dunkle
Welt, von tarn, tum (vgl. §. 179) gegenübersteht. Diese
Bezeichnung einer lichten und finstern, d. h. einer obern
und untern Welt, ist etymologisch auch im Arabischen
nachzuweisen, wenn wir nämlich das arab. |jjj^> = Welt
i"it -j J = niedrig, unten, vergleichen, dessen Gegensatz
obere Welt uns wol unbekannt ist, denn das hierfür
bestehende Alem soll nach Anschauung der Orientalisten,
150
nicht der Orientalen, fremden Ursprunges sein. Es gibt
aber im Türkischen auch noch ein anderes Wort für
Welt, nämlich ortalik = Gemeinsamkeit, alles was vor-
handen ist, von oWa = Mitte, Oeffentlichkeit,# worunter
selbstverständlich die den Menschen umgebende, d. h. un-
mittelbare Welt ausgedrückt ist, während adun die Welt
im weitesten Sinne des Wortes, das Weltall, bedeutet.
Es ist ferner noch zu erwähnen das uig. jalinguk^ auch
jdlanguk= Welt, aber im bildlichen Sinne des Wortes,
indem dies Täuschung, Illusion bedeutet und auf eine
buddhistische oder moslimische Religionsspeculation zu-
rückzuführen ist. Ebenso hat auch das Uigurische für
Schöpfung ein genuines Wort, nämlich törctilmis, d. h.
das Erschaffengewordene.
Wenn daher in der verschiedenartigen Benennung der
Welt die Spur einer geistigen und physischen Auffassung
sich nachweisen lässt, so darf es nicht überraschen, ein
derartiges Verhältniss im turko -tatarischen Worte für
Himmel um so deutlicher, klarer und sinnreicher ausge-
drückt zu finden. Zur Bezeichnung des BUmmels dienen
drei verschiedene Worte: a) kök, zugleich auch blau und
grün, wo der Himmelskörper seinem äussern Wesen,
seiner Farbe nach in der dem physischen Auge sich dar-
stellenden Beschaffenheit gekennzeichnet ist, und wo, wie
wir dies weiter unten sehen werden, als Grundgedanke
die Farbe figurirt, nicht aber umgekehrt, wie nach flüch-
tiger und ungenügender Würdigung des Sprachmaterials
bisher angenommen wurde, b) Cag. tengri oder tingri,
jak. tanara, alt. teuere^ osm. tanri oder tarij der Himmel
als strahlender, scheinender Körper, der weite uner-
messliche Lichtraum, von tang, ting^ tüng = scheinen,
leuchten (vgl. §. 181), und als solcher, der das mensch-
liche Gemüth am meisten mit Verwunderung erfüllt, zu-
gleich auch der Inbegriff des höchsten Wesens, der Gott-
151
heit, des Schöpfers dieses Lichtraumes, folglich Gott,
Einem ähnlichen Verhältnisse begegnen wir auf dem ari-
schen Sprachgebiete , wenn wir das skt. dio = leuchten,
Himmel, deva-s = Gott, griech. Sta-Xo^ = hell, Zeus,
und das lat. die-s und De-us miteinander vergleichen.*
Heutzutage kommt besagtes Wort allerdings nur im Jaku-
tischen in der concreten Bedeutung von Himmel vor (vgl.
chines. ihiän^^ und in den meisten türkischen Sprachen
heisst tatfgri entschieden Gott, Schopfer, gleich einem
ähnlichen Gebrauche anderer Sprachen, wo Himmel und
Gott identisch sind. Die wichtige Rolle, welche der Him-
mel in der frühesten Zeit bei den Türken gespielt haben
muss, nämlich zur Zeit als der Schamanismus noch der
herrschende Glaube war, erhellt am besten aus einigen
Schamanengebeten der Altajer, wo der Ausdruck Jcaan
tengere = Fürst-Himmel, wie das deutsche „Herrgott" vor-
kommt. So im Anrufen des höchsten Wesens ,,Örögi
Ahi<x8 Kaan tengere^ jerge TcSk cagargan^ agasga pur ca-
gargan!^^** (O du allerhöchste Abiai§ du Herr-Himmel,
der du auf der Erde Gras, auf den Bäumen Blätter wach-
sen lässt!) u. s. w. Kaan tengere = Herr-Himmel, Fürst-
Himmel, ist der ständige Ausdruck für Gott, wo es sich
um eine aus alten Gebetsformeln stammende Anrufung an
Gott handelt, und diese enge Verbindung zwischen der
Göttlichkeit und dem die Welt umspannenden Himmel ist na-
mentlich dort am prägnantesten ausgedrückt, wo der fremde
Cultureinfluss auf dem grossen ural-altaischen Gebiete
noch keinen Eingang gefunden. Mit Recht bemerkt daher
C. Sarokin***: „Den Anhängern des Schamanismus oder
* Vgl. Curtius, II, 201.
** Grammatika altaiskago jazika, p. 147.
♦** Puteschestwie k'Wogulam (Heise zu den Wogulen), S. 35 (citirt
nach Zolotnitzky).
152
des schwarzen Glaubens gilt der Himmel als das höchste
Wesen, auf das die übrigen untergeordneten Geister, wie
Erde, Sonne, Mond, Sterne, Berge, Flüsse und alle ausser-
gewohnlichen Dinge folgen. Zwischen der Erde und dem
Himmel befinden sich die von letzterm erschaffenen Gei-
ster, die auf Anordnungen des Himmels den Menschen
zu guten oder bösen Thaten stimmen." c) Meng oder
man = die Hohe, das Oben (vgl. §. 233), eine allgemeine
Benennung der allerhöchsten Region, denn die definitive
Bedeutung von Himmel ist nur im jak. mängge und im
magy. menny anzutreffen, während in andern hierher ge-
hörenden Sprachen die mit diesem Worte zusammenhän-
genden Beispiele als Eigenschaftsworter vorkommen. So
uig. meng-lci = himmlisch, ewig (vgl. menghi ata = Gott,
der himmlische Vater); möngJcü = ewig ^ unsterblich. An
dieses Wort für Himmel schliesst sich noch an in Bezug
auf analoge Wortbildung und Bedeutung das turko-tatar.
«cma^ = Paradies, Himmel, dem, so wie dies bei meng
der Fall ist, die Stammsilbe uc = oben, hoch (vgl. §. 65)
zu Grunde liegt; wenngleich heute nur im concreten Sinne
von Paradies vorkommend, ist dies im weitern Sinne des
Wortes doch in der Bedeutung von überirdisch, hö-
here Sphäre aufzufassen, was übrigens aus dem Gegen-
satz, nämlich aus tamuk = Holle ^ wörtl. untere, finstere
Welt, am besten sich erklären lässt.
Wie aus Gesagtem ersichtlich, haben die turko-tatarischen
Volker in den verschiedenartigen Benennungen des Him-
mels denselben mehr in geistig-religiöser Hinsicht aufge-
fasst und in den entsprechenden Variationen als: jak.
tanara^ alt. tengeri, cag. tengri, osm. tanri und tari, cuv.
tara die Gottheit und das höchste Wesen bezeichnet. In
der That hat auch dieses Wort, dort wo der Schamanen-
glaube sich länger erhalten konnte, selbst heute noch
einen bedeutenden Wirkungskreis, und so wie der Tschu-
1
I
f
— I
153
wascBe noch heute einen Sjuldi-tora = Siernengoit^ Chwjeh
tora = Sonnengott, Oich-tora = Mondgott u. s. w. kennt,
ebenso hat der Jakute den Ausdruck Gott-Himmel selbst
in christlich-religiösen Dingen noch beibehalten. So heisst
im Jakutischen Kirche tanara ziätä (Tanara^s Haus), das
heilige Abendmahl tanara asa (Tanara's Nahrung), Feier-
tag tanara Jcün (Taiiara's Tag) u. s- w. Dieses cuv. tora^
osm. tari auch tarim (Gott, mein Gott), muss als Ueber-
gangspunkt zwischen dem turko-tatar. tengri^ tangri, tenri^
tanara und dem wogulisch-ostjakischen toorm, torm, tarm,
tarom angesehen werden und kann daher weder mit dem,
nach phantastischer Etymologie', vom skandinavischen oder
normannischen abgeleiteten Thor, noch auch mit der im
ganzen ural-altaischen Sprachgebiete bekannten Stamm-
silbe tor, tör, ^cr = erschaffen, erzeugen, etwas gemein
haben.
Gehen wir nun zum türkischen Worte für Sterne
über, so werden wir finden, dass auch hier, so wie bei
dem Worte für obere Welt und Himmel, der Grundbe-
griff des Lichtes, Feuers, Glanzes und der Helle ausge-
drückt worden ist. Dem cag. joldti0, osm. jildiz^ jak.
sulus, kaz. jondug, kirg. zulduz liegt die Stammsilbe jil^
jal, jol oder zil, zal, io{ = strahlen, glänzen, leuchten, zu
Grunde (vgl. §. 126) und Stern heisst demzufolge seiner
wörtlichen Bedeutung nach Licht, Glanz, Helle. Vgl.
magy. csiUog =. glänzen, strahlen mit csillag = Stern, fer-
ner uig. jdlak = Fackel mit jolduz = Stern , cag. jilman
= glänzend mit jdlduz = Stern, osm. jäldiz = Vergoldung
mit ßldiz = Stern. Mit Hinblick auf die uralten noma-
dischen Verhältnisse der turko-tatarischen Volker, nicht
minder aber auf den Umstand, dass Nomaden, wie wir
dies bei den Arabern wahrnehmen, mit dem Laufe der
Sterne vollauf vertraut, das Sterneudach in aller Einzel-
heit kennen, muss es ziemlich überraschen, dass die Stern-
154
künde der türkischen Steppenbewohner sich verhältniss-
mässig weniger entwickelt hat als bei andern Volkern
auf ähnlicher Culturstufe. Möglich dass ein diesfallsiger
Unterschied zwischen den Nomaden des Nordens und den
Nomaden des Südens von der Natur der Dinge ausfliesst,
indem der Himmel der nördlichen Steppenregionen minder
klar, und die Lichter des nördlichem Firmaments minder
strahlend als z. B. im südlichen Arabien, die Aufmerksam-
keit des Menschen nicht in solchem Maasse auf sich ziehen,
auch nicht jenen Einfluss auf die Gedanken und alltäg-
liche Handlungsweise ausüben konnten wie z. 6. in der
Urheimat des semitischen ^Volkes. Es muss nämlich als
Thatsache bezeichnet werden, dass die astronomische
Nomenclatur der türkischen Sprachen eine sehr dürftige
ist, obwol andererseits die Art und Weise, wie die ein-
zelnen Sterne und Sterngruppen benannt sind, nur in we-
nigen Fällen fremden, aller Wahrscheinlichkeit nach per-
sischen Cultureinfluss bekunden, in den meisten Fällen
jedoch von einer nationalen und localen Verhältnissen
zu Grunde liegenden Auffassung Zeugniss ablegen. Alles
in allem genommen hat das Türkische nur für folgende
Sterne eine specielle Benennung: 1) der Nordstern^ uig.
altin ka£!uk=^ der goldene Pfahl, cag. temir kazukz= eiserne
Pfahl, von der scheinbaren Unbeweglichkeit so genannt.
2) Die von diesem in der Gruppe des Kleinen Bären am
meisten entfernten zwei Sterne führen den Namen Tcok-ho^at
und ak-bojsat, d. h. weisser und blauer Schimmel, während
3) die zwischen beiden befindlichen drei Sternchen arkan
joldue = Stricksterne heissen, indem diese als ein Seil
betrachtet werden, mittels dessen jene Pferde an den
Eisen pfähl, d. i. Nordstern, angebunden sind. 4) Der
Grosse Bär Jeti-karakci =^d\e sieben Räuber, die nach
einer echt nomadischen Auffassung als den erwähnten
Pferden nachstellend in bildlicher Darstellung bezeichnet
155
werden. 5) Sekiii joldu/s = die Acht Sterne, die auf der
Steppe am ostlichen Horizont erscheinen, acht Tage lang
sichtbar sind, am neunten verschwinden, um am zehnten
wieder hervorzutreten, und so im Laufe eines Monats
dreimal erscheinen. Unter diesen Sternen befindet sich
der als Ungliicksstern bekannte zejan-joldus = Skorpion-
Stern*, in Mittelasien und in Persien - auch Kerwankus =
der Karawanentödter genannt, weil die Karawanen, infolge
seiner Aehnlichkeit mit dem Orion in demselben ein Zei-
chen des hereinbrechenden Morgen erblickend, dieThiere
zu Tode jagen, um zur Zeit auf der Station anzulangen**»
6) Der Morgenstern^ colban, alt. cölbön, auch colman^ öuv.
sorim hos sjuldiri (Stern der Morgenrothe), von der Stamm-
silbe do2= glänzen (vgl. §. 126), so benannt nach dem
auffallenden Glanz, mit dem er aufgeht. Er wird in Mit-
telasien mit der öuvaäischen Benennung übereinstimmend
auch lang jdlduei = Stern der Morgenrothe geheissen und
für das Symbol ausserordentlicher Schönheit gehalten, so
wie der entsprechende persische Name, nämlich Zohra, im
Mythus die Stelle der Venus vertritt. 7) Das Sieben-
gestirn oder die Pelejaden, in den meisten türkischen
Sprachen üVcer, oder infolge stattgefundener Lautverschie-
bung ürkel und ürker genannt; da infolge dessen der Aus-
laut der Stammsilbe nicht bestimmt werden kann, so lässt
sich der Ursprung und die wortliche Bedeutung dieses
Wortes nicht nachweisen. 8) Die Milclistrasse führt im
östlichen und nordlichen Sprachgebiete einen genuinen,
mit der volksthümlichen Auffassung übereinstimmenden
Namen, d. h. kirg. kus doli, trkm. kuslar joli = der Weg
* Badagow II, 363. In Persien ist dieser Stern unter dem Namen
OtiduM oder Akreb ebenfalls bekannt.
♦* Mit dieser Auffassung mag auch das jak. argac sulus = rück-
wärtiger (hinterlistiger?) Stern zusammenhängen.
156
der Vogel, oder cuv. Icajik chor sjole^ taz. h'jJc Icaz juli
= Weg der wilden Gänse, da die Zugvogel im allgemei-
nen in einer mit der Milchstrasse parallel laufenden Rieh«
tung, nämlich von Nordost gegen Sudwest ziehen; ein
Ideengang , der auch in dem primitiv osttiirkischen Hazi"
lar joli = Weg der Pilger, zu Grunde liegt, da die Strasse
der heiligen Orte des Islams, wenn von Centralasien ans
angetreten, in dieser Richtung geht. Diese türkische Be-
nennung der Milchstrasse ist vom Oa^ataischen ins Os-
manische und Azerbaiianische übergegangen, wo der
Sprachgebrauch mit der geographischen Thatsache selbst-
verständlich heute im Widerspruch steht. In diesen zwei
westtürkischen Mundarten gibt es aber ausserdem noch
eine andere Benennung der Milchstrasse, nämlich saman
ogrisi = Strohdieb, dem persischen JcaJikesan = Strohzieher
nachgebildet, wonach dieses Himmelsbild mit jener Strasse
verglichen wird, auf welcher Stroh transportirt wird und wo
die abfallenden Strohhalme eine Spur hinterlassen.
Der allgemeinen Auffassung nach werden die Sterne
als einzelne Himmelslichter betrachtet, die zur Nachtzeit
angezündet und bei heranbrechendem Morgen wieder aus-
gelöscht werden. Daher die Redensart joldu0 jarudi =
der Stern ist aufgegangen, d. h. erhellt, und jölduB sündi
= der Stern ist untergegangen, d. h. ausgelöscht, ein
Ausdruck, der auch auf Sternschnuppen angewendet wird.
In Bezug auf die beiden grössten Himmelskörper, näm-
lich Sonne und Mond^ hat der primitive Mensch der turko-
tatarischen Rasse ebenfalls einer mit der Natur der Dinge
ganz übereinstimmenden Auffassung Raum gegeben, indem
es den erstem als den brennenden, zündenden, letz-
tern hingegen als den leuchtenden, hellen und klaren
Korper bezeichnet. Das Wort für Sonne, uig. Jcün, osm.
gün-eSy kaz. kön, ist aus der Zusammenziehung des pri-
157
mitiven Jcüjün, von der Stammsilbe Jcüj^ Icuj, guj = bren-
nen, zünden, entstanden; von der ursprünglichen Form
dieses Wortes hat sich die erste Silbe noch im cag. koj-
as^ kuj-as^ jak. Jcuj-as = Sonne erhalten, und in der That
wird in Mittelasien selbst Mn und kojas abwechselnd für
Sonne gebraucht. So ist auch das im ältesten Sprach-
monument vorhandene Wort für Sonne, nämlich jasik^
von jas, jis, Is = Helle, Licht entstanden, welche Stamm-
silbe von jak-is, jagis, jais = das Brennen, Leuchten zu-
sammengezogen ist. Von ähnlicher Abstammung ist auch
das CUV. chwjel = Sonne, da nach den Kegeln der Laut-
veränderung das tschuvaschische ch w je l dem türkischen
k ja s entspricht.*
Als Personification der Wärme, der belebenden Kraft,
ja des Lebens selbst, spielt kün = Sonne in der Ursprungs-
sage des gesammten Türkischen eine hervorragende Rolle,
indem Kün-chan = Fürst -Sonne auf der genealogischen
Tafel an die Spitze des rechten Flügels und Kök-chan
(entsprechend dem alt. Kaan-Tengere) an die Spitze
des linken Flügels gestellt wird, denen sodann die übrigen
Fürsten als Tengt^'Chan= Fursi-Meer^ «7if7df«>-cÄaw = Fürst-
Stern und Tak'Chun = Fürst '^erg unterstehen.** Sonne
und Tag sind daher bei den turko-tatarischen, ja bei der
Mehrzahl der ural-altaischen Völker gemeinsame Begrlflfe,
vgl. finn. päirä = Tag und Sonne ; magy. nap = Tag und
Sonne — ja selbst im Neupersischen ist dies gewisser-
maassen nachzuweisen, wenn wir rw-8^=:Tag, mit ruS'en =
hell, licht vergleichen; und so wie die schwarze dunkle
Nacht als Bild des Unheils und Unglücks gebraucht wird,
ebenso ist in consequenter Weise die Sonne das Emblem
* Vgl. Zolotnitzky, S. 153.
** Vgl. Tewarichi ali Seldzuk. Manuscript im Besitze der üniver-
sitätsbibliothek in Leiden.
158
des Lebens, Glücks und der Glückseligkeit. Daher die
Redensart cag. künüm jarudi = das Glück war mir gün*
etig (wortl. meine Sonne ist erglänzt), oder tangri bet^gej
kün körgetj sin =Goit möge dich glücklich machen (wortl.
Gebe Gott, dass du die Sonne sehest). Diese synonyme
Bedeutung von Sonne und Glück, welche im turko-tatar. kiin
vorliegt, tritt im Tschuvaschischen noch prägnanter hervor,
indem hier Chwjd tora = Sonnengott, als eine Gottheit
des Guten angesehen wird, da sie Wärme und Licht spen-
det, ebenso wie die Jakuten dem Feuer die besten Bissen
ihrer Speisen vorlegen, der Sonne aber gar nichts opfern,
weil sie dieselbe nicht fürchten. und sie nur als Quelle
des Guten betrachten,* im Gegensatze zu den Südländern,
in deren Mythen die Sonne immer als Symbol des
Schrecklichen und Mächtigen dargestellt wird.
Im Zusammenhange mit kün (Sonne und Tag) stehen
sowol die verschiedenen Zeitabschnitte eines Tages als
auch die Benennung der vier Himmelsgegenden. Wo der
Begriff Tag durch Helle, Glanz ausgedrückt wird, dort
muss selbstverständlich der Gegensatz, nämlich die Nacht,
den Inbegriff der Finsterniss und Dunkelheit enthalten.
Tun, tan (die Nacht) ist daher die Stammsilbe der auf
Dunkelheit, Dichtheit und Geschlossenheit bezüglichen
Worter (vgl. §. 179, III), und so wie das Eigenschafts-
wort weiss = aÄ;, aj auf Tageslicht und Helle Bezug hat,
ebenso ist dies hinsichtlich schwarz = A^ara beim Worte
für Nacht der Fall. Tageshelle, Tageslicht und Licht im
allgemeinen ist ein Begriff, der auf den weiten Grenzen
unsers Sprachgebietes durch Worter, die von gleichbe-
deutenden Stammsilben jakj jar, jis = glänzen, leuchten,
fitrahlen, stammen, ausgedrückt ist, vgl. 6ag. Jdb^«=Licht,
* So erzählt Schtschukin in seinen „Pajezdka w^ Jakutsk" (Reise
in Jakutsk), S. 276 fg. (nach Zolotnitzky).
159
osin. isik = Helle, Licht, uig. jaruk = hell, licht, und ja-
Äm=Blitz, Lichtstrahl, ^*a5wamaÄ=blitzen u. s. w.,* ebenso
wie dem Gegensatze von Licht, nämlich Dunkelheit^ fast
überall Jcarangu, das Beschafienheitswort kara == schwarz
zu Grunde liegt. Was die verschiedenen Tageszeiten
anlangt, so heisst die Morgenrothe ganz einfach tang,
d. h. Helle, Klare, und da die Strahlen des sich verbrei*
tenden Lichtes, namentlich auf der Steppe, nicht allmäh-
lich, sondern aufschiessend sich verbreiten, so ist der
Ausdruck: tang atar = die Tageshelle schiesst, d. b.
bricht heran, ein den localen Verhältnissen angemessener.
Die hierauf folgende erste Morgenstunde^ in welcher die
Dunkelheit mit der Tageshelle zusammenstosst, führt den
Namen kusluh kousluk, von kousmak == zusammenkommen,
sich vereinigen; die darauf folgende Zeit heisst gern kus-
luk = früher Morgen , und gegen Mittag kaia kusluk =
dicker Morgen. Tos = Hittag^ zugleich auch gegen-
über, bezieht sich auf jenen Zeitabschnitt, wenn die Sonne
der Erde gerade gegenüber zu stehen kommt, mit welcher
Auffassung das Wort Ikindi, von ikinmek^ ekinmek = sich
neigen, zur Bezeichnung der spätem Nachmittagsstun-
den^ wenn die Sonne sich neigt, gebraucht wird; undLso
wie das Wort für Morgen^ nämlich ir, er, irte, erte gleich-
bedeutend ist mit früh, zeitlich, zeitig, ebenso ist kize^
geze Abend eng verwandt mit kiz, ged = spät. Die Abend-
dämmerung heisst karalti, wörtl. das Schwarz- oder Dun-
kelwerden.
Hinsichtlich der yier Himmelsgegenden finden wir
eine mit den arischen Völkern analoge Ideenrichtung aus-
gedrückt, wie in: kün ^0Ä;t« = Sonnenaufgang, kün bati =^
* Nur im Osmanischen wird Licht, Helle sonderbarerweise auch
durch ajdtnUk (wörtl. Mondschein, von ey^Mond, tünluk = Schein)
interpretirt.
160
Sonnenuntergang, fw5 = Süden, d. h. Mittag, und tun =^
Nord, d, h. Nacht (vgl. k. k. tan = Nord und Nacht,
magy. ejsjsak = Nord und Nacht). Ausserdem gibt es
aber noch eine andere speciell türkische Bezeichnung, die
aber nur im Uigurischen des Kudatku Bilik vorkommt,
wo der Ost mit 0^(7 = vorn, West mit Ä?a^ = rücklings,
hinten, Nord mit Z;o^ = unten, und Süden mit tos ^ohcn^
gegenüber, ausgedrückt ist.
Wie schon oben erwähnt worden ist, stammt das turko-
tatarische Wort für Mond aj^ 6uv. oj-Hc, jak. ij von der
Grundsilbe ah, ag, aj (vgl. §. 5) = weiss, klar, hell, licht,
ebenso auch der Mondhof a^lü, agil, der Grundbedeutung
nach Leuchte, Licht. Ebenso wie bei den meisten Volkern
der Mond als Zeitbestimmung gebraucht und mit Monat
identisch ist, so ist dies auch beim turko-tatar. aj der
Fall. Die Eintheilung in Wochen scheint jedoch spätem
Ursprunges zu sein, denn trotzdem die Siebenzahl bei den
ural-altaischen Volkern von jeher eine bedeutende Bolle
spielte, so kann doch das heute gebräuchliche pers. Ha/ta
= Woche, vom pers« heft = sieben^ nur neuern Gebrau-
ches sein, da die Unterabtheilung eines Monats mit dem
Erscheinen des Mondes zusammenhängend, früher aus dem
Zeiträume von vierzehn Tagen bestand, indem die erste
Hälfte Jew^ri-o; = Neumond, die andere Hälfte eski-aj =
Altmond, benannt wurde, und aj toldi ==■ YoUmond als
Scheidewand der beiden Abschnitte gedient hat. In ähn-
licher Weise ist die Benennung der verschiedenen Monate
des Jahres zuerst der persischen und dann der arabisch-
moslimischen Culturwelt entlehnt worden, denn die primi-
tive hierauf bezügliche Nomenclatur, welche selbst heute
noch bei den Nomaden im Gebrauche ist, muss als den
praktischen Anschauungen eines Hirtenvolkes entsprechend
von uraltem Ursprünge sein. Diese genuin türkische Nomen-
clatur der Monateist mit geringen Unterschieden folgende:
161
1) Ilk jas aß, auch Norus aß = der Monat des Frühlings-
anfang (März); 2) koj Tcozladi = das Lammen der Schafe
(Anfang April) ; 3) hije iajladi = das Fohlen der Stute
(Ende April und anfangs Mai). Hierauf folgt 4) Kuralaj
= die Wind- und Regenzeit des Frühlings, beginnt am
10. Mai, nach andern auch bes ifcowaÄ; = fünf Gäste be-
nannt, nach deren Verlauf die Winterquartiere abgebro-
chen werden. 5) Jaj ajV = Sommermonat (Juni), auf
welchen das öilleh (pers.) und temue, tomos (arab.) Zeit-
abschnitte der heissen Jahreszeit folgen, ohne yon den
Türken mit einem speciellen Namen definirt zu sein.
6) Komm, Icömm, auch JcGJ-kö^i, Jcösü*= das Schneiden,
richtiger Scheren der Schafe, von welchem Worte das
heute allgemein gebrauchte höz, hos =^ Herlbst entstanden
ist; eine Zeitabtheilung, die Anfang August beginnt und
bis Mitte October dauert, und mit welcher die bei den
Kirgisen und Turkomanen gebräuchliche Unterabtheilung
h'öjük bagladir = dsis Aufbinden des Sackes (unter dem
Schafe, um die allzu frühe Belegung zu verhindern) und
Jcößih aladir = das Abnehmen des Sackes übereinstimmt.
7) jSoAwm = die Schlachtzeit, da beim Eintritt der kalten
Witterung die Herrichtung des zum Räuchern bestimmten
Fleisches in Angriff genommen wird. 8) Kirg. aTcpan,
tdkpan, trkm. JcatJcan = die strengste Winter- oder Frost-
zeit. 9) Ära ' aj = der Zwischenmonat, welcher zwischen
den beiden moslimischen Feiertagen Kurban-bajram und
Ramazan-bajram fällt, folglich neuern Datums, sowie denn
auch die übrigen bei den Nomaden vorkommenden Zeit-
benennungen**, die dem moslimischen Cultureinflusse ent-
sprungen, hier nicht berücksichtigt werden können.***
* lieber kös, Ms, kis = schneiden, vermindern vgl. §. 106.
** Vgl. Budagow, Srawnitelnij Slowar turetzko-tatarskich narecij,
I, 172.
*** Man vergleiche hiermit einige jak. Monatsnamen, als: kulun
Vämböry, CuUur. H
162
Wie dem Leser aus dieser Nomenclatur der Monate
ersichtlich wird, hat bei der Eintheilung der Zeit und
deren speciellen Benennung die Lebensweise eines Hirten-
volkes als leitender Grundsatz gedient^ und es darf nicht
befremden, wenn wir demselben auch in unsern Nachfor-
schungen über den Ursprung der Namen der Jahres-
zeiten begegnen. So wie die Zahl der Monate weder
mit der von einem gewissen Culturstadium ausfliessenden
Zwolfersystem übereinstimmt, noch eine definitive Zeitab-
grenzung voraussetzt, ebenso wenig kann dies bei der Be-
zeichnung und Bestimmung der einzelnen Jahreszeiten der
Fall sein. Strenggenommen haben die Türken in der
Urzeit nur zwei sich unterscheidende Jahreszeiten gekannt,
nämlich den Sommer und den Winter. Unter ersterm
hat man von jeher jenen Zeitabschnitt verstanden, wo
nach Verlauf der rauhen und kalten Witterung der Vieh-
züchter sein in Thalvertiefungen oder geschützten Orten
bewohntes Versteck oder seinen Zufluchtsort verlassen und
mit den Heerden auf den mit frischem Grase bedeckten
Ebenen oder Flächen sich ausbreiten konnte. Jassi =
Ebene, ^a^ = Sommer, und jW = ausbreiten , ausdehnen
sind beinahe ganz identische Wörter und es liegt den-
selben ein und dieselbe Stammsilbe zu Grunde (vgl.
§. 138), deren Variante mit auslautendem j heute nur dia-
lektische Verschiedenheit bekundet. So z. B. werden jajz-
jaj anstatt Sommer und Frühsommer bald hier, bald dort
abwechselnd gebraucht. Es waltet im allgemeinen kein
genauer Unterschied zwischen beiden Begriffen vor, und
Sommer kann mit Bestimmtheit als Umschreibung für die
tutar = dsi;a Entwöhnen des Füllen (März); hus ustar t; = Monat des
Eisschmelzens (April); lam l/a == Roggenlege-Monat (Mai); halaganga
kirär Ij = Monat des Eingehens ins Zelt (September) u. s. w. Dasselbe
ist auch im Tschuvaschischen der Fall. Vgl. Zolotniteky, S. 191-— 199.
163
Zeit des Ausbreitens der Heerden ausgelegt werden* (vgl.
jazüamak und jaßamak == sich ausbreiten, auf die Weide
oder Steppe gehen und den Sommer zubringen). Was
hingegen die zweite Jahreszeit, nämlich den Winter anbe-
langt, welcher fast durchweg Ms oder Jets benannt wird,
so lasst in diesem Worte sich leicht die Zusammenziehung
von Icaj-is (hais-Ms) das Schneestobern, das Schneien er-
kennen, und so wie dem Jakuten noch heute Schnee und
Jahr identische Begriffe sind, und ferner so wie das skt.
hima = Schnee zum lat. hiems = Winter sich verhält,
ebenso gestaltet sich das Verhältniss des turko-tat. kar,
haj (vgl. §. 89) zu i?« = Winter, welch letzteres daher
in seiner Grundbedeutung für Schnee, Schneegestober zu
nehmen ist.
Wir hätten schliesslich noch von der Benennung des
Jahres selbst zu reden, das theils jil^ theils il oder ijl
genannt wird. Von diesen Formen dünkt uns die letztere
als die richtige und primitive, wenigstens stimmt hierfür
sowol die alte arabische Schreibart J^l, als auch die
uigurische Transscription des betreffenden Wortes, am
meisten aber die einzig möglich scheinende etymologische
Verwandtschaft, denn t7, ijl ist allem Anscheine nach eine
Zusammenziehung von ijil = sich wenden, sich kreisen
(vgl. §.31), und der Begriff Jahr wäre demzufolge gleich-
bedeutend mit Wendekreis, Cyklus (vgl. hebr. iana
= Jahr und miina = Kepetition, lat. annus = Jahr mit
annulus =^l^vag)^ d. h. eine Bunde der von den klimati-
schen Einflüssen bedingten Zeitabschnitte oder Monate,
die, wie wir schon erwähnt, nicht mit der Erscheinung
des Mondes, sondern mit der nomadischen Beschäftigung
oder den Witterungsverhältnissen im Zusammenhang stehen.
* Dieser Auffassung zufolge dünkt mir mit jaz-jaj auch das magy.
nyaj = Heerde und nyär = Sommer einigermassen im Zusammenbang
zu stehen.
11*
164
Um den sich hier zeigenden klaren und sinnigen Ideen-
gang vollauf würdigen zu können, vergleiche man den
Ursprung dieses Wortes in andern Sprachen, namentlich
das auf Sprachen- und Gedankenarmuth sich gründende
wirre Verhältniss des slaw. 7iödiwa = Uhr, Stunde, und
god = Jahr, dem skand, aar = Jahr und Stunde, des
deutschen Jahr — Uhr mit dem lat. Äora, und man wird
den merkwürdigen Geist, der in der türk.-tat. Wortbil-
dung sich manifestirt, nicht genug bewundern können.
Nicht minder zutrefiPend ist die Bezeichnung des allge-
meinen Begriffes von Zelt^ in dessen genuinen Namen
uig. üt, alt. üj der Grundbegriff von Theil (hinsichtlich
W vgl. üje §. 207), Bruchtheil, Stück zu suchen ist, da-
her unter dem türk. Worte für Zeit ein Theil, ein Bruch-
stück der Totalität, d. h. der Ewigkeit zu verstehen ist.
Für diese Annahme spricht noch das verhältnissmässig
neuere 6ag. cag^ cak = Zeit und Stunde, eigentlich Ab-
schnitt, Zeitabschnitt (vgl. §. 77).
XIV.
Witterungsverliältiiisse und Himmels-
erseheinungen.
Bei den semitischen Volkern, namentlich bei den
Arabern ist der Begriff Wetter identisch mit Luft. Bei
den Türken, sowie bei einigen arischen Volkern ist diese
Analogie bezüglich des Begriffes Zeit zu bemerken, denn
trotzdem heute bei der moslimischen Türkenwelt fast
allenthalben das arab. hawa (Luft) für Wetter gebraucht
wird, so ist doch bei den von fremden Cultureinflüssen
weniger berührten Elementen, namentlich im Altaischen,
165
hierfür üt, üj (d. h. Zeit) anzutreffen (vgl. magy. idö =
Zeit und Wetter). Mit aja^ (von a; = klar, offen)
wird das helle , lautere Wetter, mit alt. jut (eigentl.
unrein, schlecht), 6ag. tuthm (eigentl. verhüllt), das
unklare, dunkle Wetter bezeichnet. Ein ähnlicher Ideen-
gang liegt den Wortern für Bauch und Nebel zu
Grunde, indem ersteres, nämlich tütün, tutun von tut =
fest, dicht (vgl. §. 193), letzteres tuman yon tom, tum
= dicht, geschlossen (vgl. §. 179) stammt. Rauch und
Nebel figuriren daher einfach als dicke Luft, mitunter
aber auch als graue Luft. Vgl. pus = Nebel mit bos =
grau. Einen interessanten Spielraum hat jel, jil oder siäl^
Sil (vgl. §. 142), welches sowol für Wind als auch für
Luft gebraucht wird, und die Auffassung, nach welcher
die Luft als ein schwebender Korper, als etwas Wehen-
des dargestellt ist, findet Analogie unter andern im magy.
U^heg = schweben und levegö = Luft. Aehnliches ist auch
der Fall mit der Identität der Begriffe Luft, Wind, Kühle
und Kälte, denn von cag. jel, cuv. sil, jak. siäl ist selin,
serin oder «aZ-H« = kühl, salig, cuv. solilc^ saV'Uk =
kalt entstanden (vgl. §. 162), und dieses etymologische
Verhältniss des betreffenden Wortes wird um so mehr
einleuchten, wenn wir auf analoge Fälle in andern Sprachen,
so z. B. deutsch Wind und Winter, magy. szel = Wind,
tel = Winter, besonders aber auf die klimatische Be-
schaffenheit der Urheimat der Türken hindeuten, wo die
rauhe, kalte Jahreszeit eben mit dem Eintreffen des fro-
stigen aus dem Nordosten Asiens hereinbrechenden Win-
des seinen Anfang nimmt.
Was den Begriff Feuer selbst anbelangt, so hat der
turko-tatarische Urmensch gleich im vorhinein dieses Element
in zwei unterschiedliche Stadien getheilt. Er bezeichnete
nämlich ein erwachendes Feuer, das mittels Reibung ins
Leben gerufen wurde, und ein aufloderndes, aufflackern-
166
des Feuer. Für ersterea haben wir die Benennnug ofy
das Fener im allgemeinen, der Brand, welches ich mit
oUoj = erwachen zu vergleichen geneigt wäre; für das
zweite al-au, jal-in = Flamme, wobei at jal theils mit
dem mongolischen ghal = Feuer, theils mit den fiun-ugri-
schen, namentlich mit läpp, ioll^ 6erem. tul, wotjak. til =
Feuer verwandt, aus jener uralten Periode stammt, in
welcher der ganze ural - altaische Stamm noch vereint
lebte, und mit (d 61 ul=^ oh&n auf, hoch, eigentlich das
aufsteigende Feuer, verglichen werden kann. Nur der
Benennung der Hitze und Wärme^ nämlich Ichs, kis, liegt
der eigentliche Begriff für brennen uöd glühen zu Grunde,
so Am = feurig, warm , und nach Verschwinden des gut-
turalen Anlautes iz-issi^issizak = Wärme, warm (vgl.
§. 93), wobei das Stammwort kis (vgl. io5 = Glut) auf
das ursprungliche Tcoj^ Jcuj^ Jcüj (vgl. koj-as = Sonne §. 116)
zurückzuführen ist.
Sehr treffend ist der turko-tatarische Name für Wolke,
nämlich 6ag.-osm. bulut, alt. pulut, jak. bilit, cuv. püU,
allem Anschein nach aus buh, buu, bugh, puu (Dampf,
Dunst), resp. puul, buül (dampfen, dünsten) entstanden
(vgl. §. 224), und infolge des analogen Ursprunges mit
dem betreffenden Worte in den übrigen ural-altaischen
Sprachen (vgl. magy. felhö, finn. pilvi^ wotjakisch piJjem,
mordwaisch pel, deremissisch pöl = Wolke) datirt sich dies
noch aus jener uralten Zeit, als die Sonderstellung der ein-
zelnen Mitglieder dieser grossen Familie noch nicht so
ausgeprägt war. Charakteristisch ist hingegen die Er-
scheinung auf dem türkischen Sprachgebiete, dass für
Begen kein selbständiges Wort existirt und nur mit einer
höchst primitiven Umschreibung zum Ausdrucke gelangt
ist. Jagmur = Regen heisst nämlich in seiner etymolo-
gischen Bedeutung das Fallende (vgl. §. 121), und die
verbale Form es regnet wird mit jagmur jagar (wörtl.
167
das Fallende fällt) ausgedrückt. Diese Dürftigkeit der
an genuiner Wortbildung sonst reichen Sprache kann
nur durch den Umstand einigermaassen erklärt werden,
dass der Regen in jenen Theilen der alten Welt, wo wir
die Urheimat der Türken vermuthen, eben zu den Selten-
heiten gehört, dass die Agricultur auch in den angren-
zenden Culturgebieten von jeher mittels künstlicher Be-
wässerung bewerkstelligt werden konnte, und dass z. B.
der Regen auf den südlichen Abhängen des Thien-shans,
worunter man kein belebendes Nass, sondern den alles ver-
nichtenden flüchtigen Sand versteht, noch heute dem
Landmaune als ein Schreckenswort klingt. So wie der
Regen nur mittels eines durch Umschreibung entstandenen
Wortes benannt wird, ebenso sind sonderbarerweise ge-
wisse mit der Kälte zusammenhängende Erscheinungen
nicht dem Wesen, sondern der Farbe nach benannt wor-
den. Tong = Frost ist identisch mit dem Begriflfe dick,
starr und hart (vgl. §. 179); das Wort für Eis hingegen,
nämlich huis^ bus, mu0 ist schon von der Farbe entlehnt,
denn bujs:, ursprünglich ho0, hör, bedeutet grau, gräulich,
weisslich. Vgl. bor = Kreide. Ebenso ist 6ag. kirau, alt.
kuru = Reif von Jcir = schimmelgrau, grau entstanden,
und nicht vice versa, wie nach dem Urtheile von ähn-
lichen Beispielen auf dem arischen Sprachgebiete ange-
nommen werden konnte, da hir =grau, wie aus der Er-
klärung des betreffenden Wortes unter dem Abschnitte
über die Farben ersichtlich, aus einem andern Grund-
begriff hervorgegangen ist.
Was die ausserge wohnlichen Naturerscheinungen an-
belangt, so tragen die betreffenden Benennungen zumeist
den Charakter jener Wirkung, in welcher dieselben dem
primitiven Menschen sich vorstellen. Der Sturm ^ der
auf der Steppe entweder durch schwarze Wolken oder
durch wild einherjagende dichte Sandmassen den Horizont
168
plötzlich verdunkelnd auftritt, heisst osm. huran, cag.
buragan, alt. porogon^ von hurmaJc^ hurumalc = Yerhullen,
bedecken, verdunkeln, während der Schneesturm, das
Schneegestober, oder der mit Schnee vermengte Regen
den Namen kaj führt, worunter die Stammsilbe Jcar (Jcaj?)
= Schnee vermuthet werden kann. Donnern wird ganz
einfach durch cag. JcüJcrernek, osm. gürlemeJc ausgedrückt,
eigentlich: einen hohlen Schall geben, schallen, hallen,
dröhnen, und nur behufs genauer Definirung wird das
Substantivum JcöJc Jcükremesi oder gölc gürüliüsi = das
Schallen des Himmels, d. h. der Donner^ genannt. Bei den
Jakuten und Tschu vaschen ist anstatt schallen, hallen
die Umschreibung von reden und singen gebraucht
worden. So: jak. ätär bilU = die sprechende, d. h. don-
nernde Wolke; 6uv. asVadl ada^ = der Alte singt, d. h.
der Himmel donnert. Unter Blitz versteht der Türke
einen Licht- oder Feuerstrahl, daher uig. jasln = Blitz,
von jas (leuchten, strahlen); cag. cakin, von cakmak
(funkeln); alt. jdlkin, von Ja?l = brennen, glänzen; osm.
^'IZdlrlm = Blitz , und j ildir amai: = glsLUzcn. Zu verwun-
dern ist es einigermaassen , dass die auf den Steppen
häufig vorkommende Fata morgana sprachlich nur mit
dem einfachen Namen sagim, d. h. Wahn, Phantasie,
bezeichnet ist, trotzdem dieselbe einen reichhaltigen Aus-
gangspunkt im Sagenkreise der Nomaden bildet. Noch
weniger präcisirt ist im Türkischen der Begriff für Regen-
bogen^ welchen die osm. Volkssprache Alaim saghma
nennt, vom arab. alaim- i-sema^ d. h. Himmelszeichen,
eine Erscheinung, die sonst auch mit dem entlehnten
Kaust Kii0ah (arab.) , d. h. der Bogen des Wolkenengels
Kuzah, genannt wird. Merkwürdigerweise gibt es wenig
Erscheinungen, wo die Verschiedenheit der Benennung so
sehr auffallen würde wie eben beim Regenbogen. Auf
der östlichen Grenze des türk. Sprachgebietes heisst er
169
alt. solongo (ein mit dem Mongolischen gemeinsames Wort),
etwa von alt. solun = verwundern, Staunen. Weiter
gegen Westen im Cag. und Kaz. Salavat Jcüperi oder
Jcöprüsü^ d.h. die Brücke der Gebete, und auf der Hyr-
kanischen Steppe habe ich ihn Chidr köprüsü = die Brücke
des Propheten Elias nennen hören, was insgesammt dar-
auf hindeutet, dass die Türken im Zeitalter der primitiven
Cultur für den Regenbogen kein specielles Wort gehabt,
oder dass es später abhanden gekommen ist. Von selte-
nern Himmelserscheinungen, wie Sonnen- oder Mond-
finsternisse ist zu erwähnen, dass nach Aussage der
Sprache der primitive Mensch der turko-tatarischen Kasse
das zeitweilige Verschwinden dieser Lichtkorper sich der-
maassen erklärt, dass er sie in die Gefangenschaft gerathen
zu sein glaubte; die Benennung hün tutulmasi = Sonnen-
finsterniss, wortl. Gefangenschaft der Sonne, steht demnach
so ziemlich in Uebereinstimmung mit der Ansicht anderer
Wilden, die in dieser Erscheinung irgendeinen gewalt-
samen Angriff oder Kaub besagter Himmelskörper ver-
muthen (vgl. Lubbock, S. 156 und 157).
XV.
Land und Wasser.
Zur Bezeichnung der Erde als einen allgemeinen Be-
griff oder einen grossen Korper ist die Sprache der Turko-
Tataren unfähig, und sie gleicht in dieser Beziehung dem
Magyarischen, wo das Wort für Erde, nämlich föld, dem
deutschen „Feld" entlehnt ist. Die heute für den Be-
griff Erde auf dem ganzen türkischen Sprachgebiete
gebrauchten Wörter sind : jir oder jer, der Grund-
170
bedeutiing nach Raum, Ort, Platz (vgl. §. 139); ferner
toprai, iuprdk, eigentlich der Ort, auf welchem man
herumtritt (vgl. §. 172), Boden, Grund; in beiden muss
daher eine Umschreibung, eine bildliche Darstellung, aber
keine specielle Benennung gesucht werden. Ganz anders
verhält es sich jedoch mit dem Begriff Erde, wo diese
als festes Land dem Begriff Wasser gegenübergestellt ist.
Hier haben wir das alte, aber genuine und concrete hok,
zugleich auch ein Beschaffenheitswort von der Bedeutung
dürr, trocken, als dessen Gegensatz iigi = das Wasser,
figurirt, denn im Kudatku Bilik (vgl. meine „Uigurischen
Sprachmonumente", S. 78), wo von den vier Elementen
die Rede ist, heisst es: „Töref^i, etirdi küi, jel^ ögä^
ÄoÄ", d. h. er schuf, er machte Feuer, Wind, Wasser
und Erde. Mit Ausnahme des Windes sind die Elemente
hier mit solchen Namen benannt, die heute nur als Stamm-
silben in den einzelnen Sprachen fortleben, aus dem
innern Werthe der Grundbedeutung jedoch über die uralte
Bezeichnung der betreffenden Worter uns den besten
Aufschluss geben. Um speciell die Bezeichnung der Erde
als festes, trockenes Land in Relief zu bringen, sei er-
wähnt, dass kok in der neuern Form kak (vgl. §. 76)
heute sowol dürr, trocken, als trockenes Land, nament-
lich den harten Lehmboden der Steppe bedeutet; die hier-
von entstandenen kara und kuru = schwarz und trocken,
sind selbstverständlich synonym für Erde und Land. Wir
finden demgemäss die Erde schon in der frühesten Phase
der turko-tatarischen Sprachen als synonym mit schwarz
und dunkel dargestellt; daher ist die heutige Redensart
kara jer = schwarze Erde, und das uig. jah'0 jer = dunkle
Erde, ein Metapher für die irdische, vergängliche Welt,
dem der Himmel tingri^ d. h. der leuchtende Korper,
gegenübergestellt ist. Von der. bildlichen Bedeutung der
Synonyme schwarze Erde wird noch im Abschnitte
171
über die Farben die Rede sein; hier sei nur bemerkt, dass
die analoge pers. Redensart chaki siah = schwarze Erde,
dem Türkischen nicht als Muster gedient hat, sondern blos
ein Ausfluss gleichen Ideenganges ist, obwol, nebenbei
bemerkt, das neupersische cÄa4 = Erde, neben dem alt-
persischen semin^ slaw. ^r^wiZ/a = Erde, entschieden tür-
kischen Ursprunges ist.
In Bezug auf die Beschaffenheit der Erde oder des
Bodens finden wir in den allerdings dürftigen Bezeich-
nungen von takir = fester, glatter, ebener Boden (von
fori = eben, vgl. §. 175), cUci oder a/cw = Lehmboden
(von aZ = rothlich, gefärbt?), und Ä;a;a = felsiger Boden^
Fels (von kaj = hart. Stein, vgl. §. 87), äusserst wenig,
was zu Schlüssen auf die geologischen Verhältnisse der
Urheimat der Türken berechtigen würde. Interessant ist
nur der schon hervorgehobene Umstand *, dass fast durch-
gängig auf dem ganzen Sprachgebiete der Türken der
Begriff Stein heute mittels tas oder tas ausgedrückt ist,
was der Grundbedeutung nach als Wurf, Geschoss, folg-
lich als ein Stück Stein zu nehmen ist, da für Stein selbst
ursprünglich das Wort kaja = Fels bestanden haben muss,
wie dies aus den Beispielen anderer ural-altaischen Spra-
chen (vgl. magy. äö, finnisch kivi, ceremissisch M, wogu-
lesch keu = Stein) ersichtlich ist. Einen viel bessern An-
haltepunkt gewähren uns hingegen die auf die äussere
Form der Erde bezüglichen Namen, wo die Sprache in
der bekannten schlichten und einfachen Weise die ver-
schiedenen Bodenformationen darstellt. Die Ebene heisst
entweder jazi (von jass^ jat = breit, gedehnt, vgl. §. 138)
oder täla (von tal, ^e? = gross, weit, vgl. §. 176), oder
auch osm. ova^ eigentlich Niederung, Tiefe (von oj, ov =
ausgehöhlt, vgl. §. 47). Es sind dies Benennungen,
* Vgl. S. 119.
172
welche den distinctiTen Charakter der BodenformatioD an
sich tragen, andererseits aber der Vennnthnng Baom
geben, dass das dem etymologischen Wortsion mehr ent-
sprechende tahir (siehe oben) die primitivere Bezeidmong
sei, da dieselbe in der geographischen Nomenclatur häu-
figer vorkommt, vgl. Kizü-takir (in Chiwa), Kara-iakir
(anweit Merw) vl s. w. Für den Begriff Berg haben wir
tak^ dag oder alt. fti, von der Stammsilbe tok^ tak (vgl.
§. 194) hoch, Hohe = aufsteigen, erheben, folglich An-
höhe, Erhebung; als dessen Gegensatz hat sich tere^ teri,
uig. tere-jer =^T)MAy Thalgegend, ganz folgerichtig ge-
bildet aus ter (vgl. §. 176) = breit, gedehnt.
In Anbetracht dessen, dass wüste, leere Steppen-
regionen den hervorragenden Charakterzug der Urheimat
der turko'tatarischen Völker bildeten, ist es ganz natür-
lich, dass der Begriff Steppe vielartig ausgedrückt ist.
In erster Reihe begegnen wir dem meist verbreiteten cd/,
ein Wort von der Grundbedeutung welk, wüst, nackt
(vgl. §. 166), worunter man die unbewohnte, selbst für
nomadische Zwecke nicht verwerthbare Erde versteht, wo
die sengenden Sonnenstrahlen das grüne Kleid des Früh-
lings schon im Keime welk und dürr macht, und welche
dem von der Viehzucht Lebenden schon in der Urzeit
als Schreckensbild galt. Cölde = in der Wüste, ist ana-
log mit unserer Redensart im Freien, in der Ferne, dem
als Gegensatz ojda oder o;de = daheim, eigentl. in der
Thal tiefe, die von der Natur bedingte erste Wohnungs-
stätte entspricht. Einen cÖl wol ähnlichen Ideengang be-
kunden auch die andern Benennungen der Wüste. So
das osm. jdban (yon jab, ^'at; = eitel, leer, vgl. §. 119),
uig. bosuJr (von ioÄ = wÜ8t, leer, vgl. §. 122) und das
alt. cen jer = weites Feld, da ein solches nach den localen
Bodenverhältnissen der Altaier, wo Tfaalgegenden vor-
herrschen, mit Heide, Steppe identisch gehalten wird.
173
Am prägnantesten jedoch ist der Begriflf der Nacktheit
und Armuth der Steppe ausgedrückt im Worte jcägin.,
worunter die aus der Ferne Seen gleichenden Salzflächen
bezeichnet werden und dem die Stammsilbe jdl = kahl,
nackt, glänzend (vgl. §. 127) zu Grunde liegt. Schliess-
lich sei hier noch des in der heutigen Bedeutung wol
verallgemeinerten, ursprünglich aber eine ganz feine geo-
gnostische Distinction bekundenden Tdr^s erwähnt, worunter
man im Altaischen noch heute einen Berg, eine Anhöhe
versteht, und worunter eigentlich das aus der Steppe sich
emporhebende Hochlandplateau verstanden werden muss,
welches sozusagen als ein kantiges Bruchstück erscheint,
daher die Analogie des Wortes mit der Stammsilbe Mr ==
brechen.
Nachdem wir von der Oberfläche der Erde und ihren
Gestaltungen gesprochen, wollen wir nun auf die im
Innern der Erde verborgenen festen Korper, d. h. auf die
Mineralien übergehen, und gleich im vorhinein bemerken,
dass, obwol heute für diesen Begriff im allgemeinen kein
specieller Name mehr besteht, dennoch nach dem etymo-
logischen Werthe eines Erzes zu urtheilen, ein solcher
früher existirt haben muss. Wir zielen hiermit auf das
Wort Jcömü^, kömüs oder kümüs, welches trotz seiner
heutigen allgemein verbreiteten Bedeutung von Silber,
dennoch der Stammsilbe körn = bergen , verstecken ent-
springt und der wortlichen Grundbedeutung nach für
das Verborgene, das Versteckte zu nehmen ist, mit
welchem Verhältnisse das mongolische chorgholacho = sich
verstecken und chorghoUsin =^ Blei (Erz?) übereinstimmt.
In unsern Untersuchungen über die Namen der meist be-
kannten Mineralien wird uns ersichtlich werden, dass die
betreffenden Namen theils mit Bezug auf die Substanz,
theils mit Hinsicht auf das Aeussere, d. h. auf die Farbe
der verschiedenen Erze entstanden sind. So finden wir
174
z. B. Silber^ ausser dem schon erwähnten Namen, fast
durchgängig mit akce = das Weissliche, von oi = weiss;
Gold hingegen mit dltin oder ki^ü, zugleich auch Farben-
namen für roth, bezeichnet (vgl. sanskr. ar^ = flammen
mit argantu, lat. argentum^ griech. ap^uptov apxTO?). Eine
dem Golde analoge Bezeichnung hat auch das eben-
falls rothe Kupfer im Jakutischen, wo dieses Erz den
Namen altan führt; den Motiven der Wortbildung zufolge
erinnert dies an das von Ahlquist (S. 70) schon betonte
Verhältniss zwischen dem litauischen ruda = Erz, rauda
= rothe Farbe , oder dem goth. rauds = roth und rauda
= Eisenocker, Was nun die Bezugnahme auf die Sub-
stanz anbelangt, so begegnen wir einem solchen Ideen-
gange in hervorragender Weise in der Benennung zweier
Erzgattungen, erstens in temir, timir = lEl8eny das ohne
Zweifel aus der Stammsilbe Um, ^em = fest, dicht, stark
(vgl. §. 178) hervorgegangen, und in laMr, pakir, alt.
pakras = Kupfer^ welchem die Stammsilbe bak, pak =
fest, hart zu Grunde liegt. Mit dieser Anspielung auf
die Substanz hat der primitive Mensch der turko^tat.
Rasse, dem Erze als Erdgattungen vorkamen, auf die
härtere und festere Qualität, durch welche Mineralien von
der gewöhnlichen Erde sich unterscheiden, hindeuten
wollen, wie wir dies bereits in analogem Falle beim Be-
griff Stein, Fels sahen, und wie denn auch Eisen selbst
heute noch bildlich für fest, hart, zähe gebraucht wird.
Vgl. temir kazik = Nordstern, d. h. «der unbewegliche
Pfahl; temir Aaw = Eisenblut, d.h. unerschrocken; temir
ias = Eisenkopf, d. h. halsstarrig, unbeugsam u. s. w.
Dass bei unserer derartigen Auffassung von dem Ur-
sprünge der verschiedenen Benennungen der Erze die
hochwichtige Frage: welches wol das erste dem turko-
tatarischen Urmenschen bekannte *Erz gewesen sei, der
Entscheidung wol wenig nahe gerückt werden könne,
175
liegt auf der Hand. Wenn Culturhistoriker die so ziem-
lich unanfechtbare Theorie aufstellen: Der Gebrauch des
Eisens bedeute eine Epoche in der Culturgeschichte, weil
dieses Erz, nicht so wie Gold, Silber und Kupfer im
gediegenen Zustande gefunden, sondern durch den Process
des Schmelzens erst gewonnen werden muss — so stimmt,
wie wir eben sahen, die Sprache der Türken einer solchen
Ansicht wol wenig bei, sie gibt uns wenigstens auch nicht
den geringsten Anhaltpunkt bezüglich der frühern oder
spätem Bekanntschaft der turko- tatarischen Völker mit
der in Frage stehenden einen oder andern Erzgattung,
während doch andererseits eben die etymologische Erör-
terung uns mit der nothigen Erklärung an die Hand
geht. So lässt sich mit ziemlicher Sicherheit annehmen,
dass Blei und Bronze im frühesten Culturstadium unbe-
kannt, bei den Türken durch benachbarte und verwandte
Volker eingeführt werden, da im Türkischen hierfür keine
genuinen Benennungen, sondern nur Lehnwörter vor-
handen sind. Das osm. Mrsun^ £ag. kurgasun, alt. kor-
goßn stammt vom mongolischen chorghoUsin = Blei; ebenso
auch das £ag. zes, alt. jes vom mongolischen dzes, wobei
jedoch hervorgehoben werden mnsS) dass während mit
diesem 6agataischen Worte heute Bronze bezeichnet wird,
dasselbe im Altaischen und Mongolischen aber entschieden
Messing und Kupfer bedeutet. * Diese schwankende De-
finition des fraglichen Begriffes ist an und für sich hin-
reichend, um das Fremdartige dieser Erzgattung ausser
Zweifel zu stellen, denn wo die Wortbildung auf heimi-
schem festen Boden sich bewegt, ist dies nicht der Fall,
wie wir dies eben beim rothen und weissen Erz, d. i. bei
Gold und Silber gesehen, und wie wir noch ferner
* Vgl. Grammatik, alt.-jak. II, 174, und Schmidt, Mong. Wörter-
buch, S. 301. a.
176
wahrnehmen können in Tcükür oder Mhürt = Schwefel,,
eigentl. das Brennbare, von Tcüj = brennen* (vgl.
§. 116) und bor = Kreide, eigentl. weiss, grau (vgl.
§. 221).
Wenn wir daher unsere über die verschiedenen Erze
gegebenen dürftigen Notizen recapituliren, so wird es
trotz aller menschenmöglichen Anstrengung uns nicht ge-
lingen, die Existenz der von den Paläontologen angenom-
menen Hauptculturepochen, d. h. eines Stein-, Bronze-
und Eisenalters, bei den primitiven Menschen der turko-
tatarischen Rasse sprachlich nachzuweisen. Nur mit
Hinblick auf die Identität des Wortes für Geschoss und
Stein (s. S. 119 und 171) ist eine geringe Ausnahme
erdenklich. Auch die Analogie des Begriffes Erz und
Bronze, das aber nur im gegenseitigen Verhältnisse zum
Mongolischen besteht, als wenn sozusagen unter Erz zu-
erst die Bronze verstanden worden wäre, verdient einiger-
maassen Beachtung; im allgemeinen jedoch ist das Wort
für Eisen, temir^ ebenso echt türkisch, und bezeichnet
im gleichen Maasse Erz, d. h. einen festen harten Korper,
ohne Berücksichtigung seines eine fortgeschrittene Cultur*
epoche bekundenden Auftretens. Wollten wir uns in
weitgebende Speculationen einlassen, so konnten wir auf
Grund etymologischer Beweisgründe wol die Vermuthung
wagen, dass den Türken unter allen Mineralien Silber,
Gold und Kupfer, infolge des von der grauen Erde ab-
stechenden glänzenden Colorits zuerst bekannt geworden,
und dass das Eisen = temir, timir oder timur erst später
* kür ist gleicli gur (in ui-gur^ tin-gur u. s. w.) eine Bildungs-
silbe für Eigenschaftswörter. Eine mit dem türk. kükürt = Schwefel
verwandte Wortbildung zeigen finn. tuUkivi = Schwefel, eigentl.
Feuerstein, mordwinisch palt gaudir = Schwefel, von pali = bren-
nend (Ahlquist, S. 73).
177
iffü
in Gebrauch kam, und ebenso sehr in Ermangelung be-
•'-' sonderer Farbenverschiedenfaeit von der Erde, nicht nach
V dem Aeussern, sondern nach der innem Beschaffenheit,
d. h. nach der Festigkeit und Härte benannt wurde. Doch
^'^ wäre eine solche Theorie nicht ganz stichhaltig, denn
"^ ' während Gold, Silber und Kupfer heute und schon längst
^? auf dem ganzen Sprachgebiete abwechselnd Jcömüs, dUin,
3'^ altan, Icuil und akce heissen, beweist das überall gleich-
02^ lautende und gleichbedeutende temir = Eisen, dass es dem
ife Yordialektischen Zeitalter entsprungen sei, folglich einen
altern Namen trage und auch von älterer Zeit her bekannt
sei. Es dünkt uns daher am klügsten, mit paläontologischen
Urtheilen vorderhand noch zurückzuhalten.
rr'
Dl
IE
IK
SIE
Ih
f-
n
i
/
Nachdem wir im Eingang dieses Abschnittes die Grund-
bedeutung des Wortes für Erde als trocken, schwarz oder
dunkel dargestellt, darf es nicht befremden, wenn wir im
Worte für Wasser^ als in dem entsprechenden Juxtaoppo-
situm die Grundbedeutung von feucht, nass und glän-
zend, klar entdecken. Es steht nämlich ausser Zweifel,
dass dem heute für Wasser überall gebrauchten sw, jak.
te, mong. usun^ das im JE^adutku Bilik vorkommende ügi
= Wasser als ein älteres und primitiveres Wort voran-
steht, denn trotzdem ügi heute fast gänzlich ausser Ge-
brauch ist, lässt sich dasselbe dennoch auf jene alte Pe-
riode zurückführen, in welcher die Turko-Tataren von den
Finn-Ugriern noch nicht getrennt waren, da an ügi sich
magy. ügy = Wasser, FIuss, ostjak. jog-ja = Wasser, Fluss
in unverkennbarer Weise anreihen. Nur nachdem ügi aus
dem speciell turko- tatarischen Sprachgebiete verdrängt,
hat das verhältnissmässig neuere suh, suv, ^i<; = Wasser
(vgl. §. 167) Verbreitung gefunden, ein Wort, das nicht
so sehr die Substanz, d. h. die Nässe oder Flüssigkeit,
V4mb6ry, Gultur. 12
178
als vielmehr die Aeusserlichkeit des betreffenden Elemen-
tes, d. h. die Helle, den Glanz interpretirt. Nach die-
ser Auffassung ist es erklärlich, dass sub im Uigurischen
auch Glanz, Helle, Ehre bedeutet, und subluk ebenso sehr
auch für wässerig gebraucht wird, als auch für glänzend ,
geehrt. Als aufklärende Analogie dient hierbei das Neu-
persische, wenn wir nämlich ap = Sonne, Helle (in af-i-
tab, a/^-i-^aJ = Sonne, eigentl. Sonnenschein, vgl. mdh=
Mond mit waÄ-i-^a6 = Mondschein), nah, na|7 = klar,
hell, und ab, ap = Wasser und Glanz (vgl. ab'dar= glän-
zend , ab-rui = Gesichtsglanz, Ehre) nebeneinanderstellen.
Soviel vom gegenseitigen Verhältnisse des altern ügi
zu den neuern sub oder $u. Was nun die Grundbedeu-
tung von feucht und nass anbelangt, so wird es gleich
auf den ersten Anblick ersichtlich, dass diese Grundidee
im Turko - Tatarischen nur bei grossem Wassermassen
zum Ausdruck gelangt, indem die Stammsilbe und zu-
gleich das Beschaffenheits wort /id7, t)7=feucht, nass, dem cag.
l'öl, osm. göl, k. k. hol, hol = See, und mong. ghol = Fluss
zu Grunde liegt. Dieses ist die älteste genuine Benen-
nung grosserer Wasserkorper, was auf die sehr frühe Be-
kanntschaft der Turko-Tataren mit Seen hindeutet, wäh-
rend andererseits die Benennung des Flusses — voraus-
gesetzt, dass dieses im Türkischen früher nicht ghol gewesen
— nirgends in einem speciellen Worte anzutreffen ist.
Fluss wird nämlich entweder su (Wasser) oder akkan su
(fliessendes Wasser) benannt, und das osm. az. caj bedeutet
eigentlich Bach und ist verwandt mit dem öag. saj =
ein kleines Wasser, nach Baber ganz richtig sül derja der-
lerki kiiin su aka, jazin akmaja = ein solches Wasser,
das im Winter fliesst, im Sommer nicht fliesst; das osm.
irmak (vgl. §. 45) hingegen fliessendes Wasser.
In Anbetracht des Gesagten ist es um so interessanter,
das Motiv, von welchem die Türken bei der Benennung
179
des Meeres ausgingen, näher ins Auge zu fassen. Dieses
heisst fast durchgängig tingiz, tengi/sf, oder 6uv. tingirj uig.
tenggi0, ein Wort, welches seiner etymologischen Bedeu-
tung nach uns ganz unverständlich wäre, ständen nicht
andere, zwar minder gebrauchte Bezeichnungen dieses Be-
griffes zu unserer Verfügung, mittels welcher der verbor-
gene Etymon ans Tageslicht gebracht werden kann. Ten-
güs hat nämlich zwei Synonyme: a) das alt. tdla = Meer,
von ^aZ= weit, breit (vgl. §. 176), zugleich aber auch
Steppe, Ebene (vgl. kirg. daZa = Steppe), und b) das
osm. engin =^ offene See, weites Meer, von mg, m=:weit,
breit (vgl. §. 103); hieraus lässt sich erkennen, dass die
Grundidee dieses Wortes das Weite, Breite, Grenzen-
lose ist, womit die Stammsilbe teng^ ting = flach, eben, in
Verbindung gebracht werden kann (vgl. mong. tengeri == aus-
gedehnte Sandflächen)*; die etymologische Bedeutung vom
Worte tmgis ist daher, ebenso wie von tala und engin, ent-
schieden für ausgedehnt, weit zu nehmen. Es fragt
sich nun allerdings, warum die Sprache bei Benennung des
Sees mit grösserer Consequenz und mit mehr Deutlich-
keit vorgegangen, als beim Worte für Meer; die Antwort
hierauf ist in den geographischen Verhältnissen der muth-
masslichen Urheimat der Turko-Tataren zu suchen, in
welcher Seen, d. h. kleinere Wasserkorper, häufiger vor-
kommen, während das Meer nach unserer Auffassung die-
ses Wortes den Türken nur später zu Gesicht gekommen
war. Unter dem türkischen Worte tengiz können dahec
von Rechts wegen nur grossere Seen oder Binnenmeere
verstanden werden, während kleinere Wasserflächen oder,
um uns bestimmter auszudrücken, solche, deren Umfang im
Bereiche des menschlichen Gesichtskreises liegen, mit dem
Namen Ml bezeichnet werden. So wird z. B. der Balchasch
* Prschewalsky, engl. Ausgabe, I, 233.
12*
180
und Aral heute vorzugsweise tengü = Meer genannt, wäh-
rend bei kleinern Wassermassen, so: Issik-Tcöl (Warmer
See), Äla-Jcöl (Bunter See), Kara-Jcöl (Schwarzer See),
äor-Jcol (Salzsee), mit hol, gol bezeichnet sind.
Hinsichtlich anderer Gestaltungen, die Wasser und
Land zusammen bilden, bewährt sich die Sprache in der
mit Recht bewunderten Kunstfertigkeit und durch die
häufig hervorgehobene Klarheit und Durchsichtigkeit.
Unter Bucht und Hafen versteht der Türke eine durch
das Wasser verursachte Aushöhlung, daher cagandk =
Bucht, von cdk, resp. ^aÄ:an = sich aushohlen, und das
Verhältniss zwischen cdkanak = Topf, Hefen, und cagandk
= Bucht findet ein ganz analoges Beispiel im deutschen
Hafen und Hefen und im magy. oböl = Höhlung, Busen
und Bucht. Wenn Bucht oder Hafen als ein Einbruch
des Wassers in das Land aufgefasst wurde, so ist es ganz
natürlich, dass eine ähnliche Bildung in das Meer hinein,
nämlich eine Landspitze^ für eine Hervorragung, d. h.
ein pars protrudens genommen und demgemäss bezeichnet
wurde. Das hierauf bezügliche türkische Wort ist hurun
(vgl. §. 210), welches zugleich auch Nase bedeutet, eine
Ideenverbindung analog mit dem russ. noss = Nase und
Landspitze, sowie auch mit dem skand. nä^ =^ Nase und
Vorgebirge.
Sehr trejBFend ist die türkische Benennung der Insel.
Wir haben hier zwei von verschiedenem Ideengang stam-
mende Wörter: 1) uig. atah, cag. ata, kaz. atau, osm.
ada, in welchen das alttürkische atak = Fuss, Stand,
möglicherweise ursprünglich atak jeri = der Ort, wo man
Fuss fassen kann, als Gegensatz zu dem ringsumher be-
findlichen Meere. 2) Aral, oder wie dies im Altaischen
noch deutlicher ausgedrückt ist ortalik = der Zwischen-
raum, das Binnenland, von ara = zwischen (vgl. §. 19).
Nicht minder klar ist die Bezeichnung der Begriffe seicht
181
und tief, indem ersteres durch saj (= klein, gering, vgl^
§. 175, vgl. in dieser Beziehung das vorhererwähnte caj
= Bach), letzteres durch terin^ telin (vgl. §. 177) = unten,
nieder, ausgedrückt ist.
In Zusammenhang mit unserer früher gemachten An-
deutung, dass die Türken in der Urzeit mit dem Meere
nicht in Berührung gestanden und nur kleinere Wasser-
korper kannten, mag auch jener Umstand gebracht wer-
den, dass ihre Sprache für ScMffe, d. h. grossere Wasser-
fahrzeuge, keinen genuinen, wenigstens etymologisch nicht
zerlegbaren Namen aufweist, während für dad Wort Boot
oder Nachen^ d. h. für kleinere Fahrzeuge, zweierlei ge-
nuine Bezeichnungen existiren. Budagow hält das turko-
tat. Jcemi, Jcimi, gemi, mit welchem heute das Schiff im
allgemeinen bezeichnet wird, für ein persisches Lehnwort,
eine Ansicht, die allerdings noch sehr zu bezweifeln ist;
doch muss andererseits anerkannt werden, dass dieses
Wort ein etymologisches Räthsel bildet, und nur im
äussersten Falle dürfte ein Vergleich mit dem mong.
uimo*=^ Boot gewagt werden. Um so mehr tritt hin-
gegen die dem türkischen Sprachgeiste innewohnende
Klarheit bei den genuinen Wortern für Boot hervor. Hier
haben wir das sogar im hohen Norden bekannte kajuky
kajik, JcajaJc, und das turkom. tajmil^ tejmil vor uns«
Beide haben die analoge Stammsilbe Tcaj oder taj (vgl.
§. 175) = gleiten, schlüpfen, rutschen; und Icajuk, ein
regelrechtes nomen agentis, würde demnach der Gleitende,
Schlüpfende bedeuten, eine Ideenverbindung, die sich auch
im mong. uma-c/^o = seh wiinmen und wmo = Boot, im
lat. naU'ta und wat;e-5, im griech. tcX^-o = schwimmen
und schiffen nachweisen lässt. Was die übrigen zur Schiff-
* uimo verhält sich zu Icemi ebenso, wie das cag. äöwicä == Hülfe
zum gleichbedeutenden mong. ömek.
182
fahrt gehörigen Werkzeuge anbelangt, so steht deren dürf-
tige, allerdings genuine Nomenclatur unserer Annahme,
dass die Türken stets nur Flüsse oder kleinere Seen zu
befahren verstanden, kräftigend zur Seite. Das Buder^
cag. esgeJc, osm. küreJc, bedeutet ganz einfach Schaufel,
ebenso das Steuerruder, welches (in Chiwa) has esgek oder
ulu esgek = grosse Schaufel, osm. dümen (vom italien. ii-
mone) heisst. Dass der Anker früher unbekannt war, er-
hellt aus dem Umstände, dass dieses Wort noch heute
mittels temir^ d. h. Eisen, ausgedrückt wird, das persische
Lehnwort lenger ist nur selten gebraucht. Schliesslich
sei noch des Segels erwähnt, welches den genuinen Namen
jelken führt, von jel = Wind ^ resp. jellemek = Wind
machen, daher ursprünglich jelleken, jelken \ wozu wir eine
analoge Wortbildung im slaw. wjetrilo = Segel, von wjetr
= Wind, sowie im pers. hadban = Segel, von 6ad=Wind,
antreffen. Diese genuine Bezeichnung eines in der Schiff-
fahrt auf grossem Wasserstrecken wichtigen Geräthes
konnte sehr leicht eine unserer frühern Behauptung, dass
die Türken in ihrer Urheimat das Meer nicht kannten,
entgegengesetzte Vermuthung aufkommen lassen; doch
wäre eine solche Annahme mit Hinblick auf die ortlichen
Verhältnisse Centralasiens keinesfalls berechtigt. Am un-
tern Oxus und auch auf andern Flüssen, deren Ufergebiet
in der weiten, ebenen und dem Winde stets ausgesetzten
Steppe sich befindet, sind auch noch heute Segel in vollem
Gebrauche, was gewiss auch schon sehr früh, namentlich
auf den Binnenseen der Fall gewesen sein muss, ohne dass
das Meer den menschlichen Geist zu dieser Erfindung
angeregt hätte.
183
XVI.
Das Thierreich.
Bei einem schon infolge der Bodenverhältnisse seiner
Heimat mit der Viehzucht sich in eminenter Weise be-
schäftigenden Volke, wie die Turko-Tataren in ältesten
Zeiten gewesen waren und es noch heute sind, darf es
nicht im mindesten überraschen, dass die Sprache, und
namentlich die klar durchsichtigen Redeelemente der tür-
kischen Sprache, uns über das früheste Verhältniss des
Menschen zu den wilden Thieren wie zu den Hausthieren
seiner Bekanntschaft einen jeden Zweifel ausschliessenden
Aufschluss geben, und dass das Turko -Tatarische hier
ebenso wie auf den übrigen Gebieten unserer Forschung die
bekannten Sprachen der Welt hinsichtlich des Reichthumes
und der Helle des verbreiteten Lichtes vielfach übertrifft.
Angesichts des im Laufe dieser Schrift mehrmals be-
tonten, und in der Sprache uncultivirter Volker überall
bemerkbaren Unvermögens zu allgemeinen Benennungen,
darf es nicht wundernehmen, wenn wir für Thier ebenso
wie für Mensch kein specielles, genau definirtes Wort vor-
finden. Für Haus- und Nutzthiere im allgemeinen bedient
sich der Türke des mit der moslimischen Cultur einge-
drungenen haiwan (eigentl. ein Lebendes, von haj = leben)
oder des mehr verbreiteten mal (eigentl. Gut, Vermögen),
das sonderbar genug sogar bis ins Mongolische gedrungen,
ungefähr wie das finnische waw^a = Vieh, das dem altn.
not, nöd entlehnt worden. In Bezug auf den Ideengang
erinnert dies an das Verhältniss des lat. pectis zu pecunia,
des slaw. lichwo = Vieh und Profit, und des magy. joszdg
= Vieh und Vermögen, Habe. Im Kirgisischen bedient
184
man sich des Wortes barum, barim (vgl. magy. barom =
Vieh), dessen Grundbedeutung wol ebenfalls Besitz, Eigen-
thum (von bar, var, vgl. §. 209) ist.
Was der Turko -Tatar im primitiven Zeitalter seiner
Existenz unter Thier verstand, das hat, wie aus sprach-
lichen Beweisen sich ergibt, nur auf das Wild oder auf
wilde Thiere im allgemeinen sich bezogen. Hier haben
wir drei verschiedene Benennungen vor uns: 1) Das alt.
cddi, von den Verfassern der Altaiskago Grammatika über-
setzt mit diki zwjer = wildes Thier, seinem etymologischen
Ursprünge zufolge entweder von al= wild, fremd (vgl.
§. 14) oder von a!=: nehmen, vielleicht im Sinne eines
Raubthieres aufzufassen. Aldi erinnert zwar an das magy.
ällat = Thier ^ hat aber mit demselben keine philologisch
nachweisbare Gemeinschaft. 2) Kijik, Jciik, gejik = Wild
und zugleich Hirsch, woraus ersichtlich wird, dass in ge-
wissen Theilen des türkischen Sprachgebietes unter Wild
zuerst der Hirsch verstanden wurde, denn in anderer
Weise konnte die Gemeinsamkeit des Begriffes wol nicht
ausgelegt werden; dass Kijik trotz seiner heute allgemein
verbreiteten Bedeutung von Hirsch ursprünglich Wild
hiess, bestätigt das von gleicher Stammsilbe stammende
alt. Verbum kijiksi = verwildern , wild werden. 3) Ang^
an^ an und lan, von welchen Varianten erstere mit Aus-
nahme des Westtürkischen durchgängig sogar im Mongo-
lischen vorkommt in der concreten Bedeutung von Wild,
wildes Thier, während die letztern, nämlich an und
Zaw*, im Osten und im Westen des grossen Sprachgebietes
als Partikel in den Namen der den Türken von der
ältesten Zeit her bekannten wilden Thiere, richtiger
Kaubthiere anzutreffen ist. Solche Namen sind: Ars-
* Lan scheint uns, da es den consonantalen Anlaut beibehalten
hat, die ältere und primitive Form.
185
lan = Löwe, in der wortlichen Bedeutung das starke Wild,
von uig. ars, am(?) = stark, und lan, kap -lan = Tiger ^
wortl. Raubthier, von kap = erhaschen, ergreifen; Hrt-lan
= Hyäne, wortl. das rauhe Thier, von Mrt, sirt = rauh; hu-
Zaw = wilder Esel, wortl. das Renn thier, von ku, kov =
jagen, rennen (vgl. §. 95), weil dieses Thier den Steppen-
bewohner nie in seine Nähe kommen lässt und in der
That selbst noch heute als Beispiel der Flüchtigkeit und
Schnei Ifussigkeit erwähnt wird; jü-an^jü-lan = Schlange,
von ^VZj^wZ— glatt (vgl. §. 144), daher wortl. das gleitende
oder glatte Thier. Von ähnlicher Zusammensetzung sind
noch die Namen folgender Thiere, als: i^i;-aw=F Eidechse,
Ä;aJ-aw=Eber, sic-an oder 5icÄaw=Maus, kuj-an und taus-
aw = Hase, Awr-aw (alt.) = wilde Ziege, deir^ an =G2ize\le
u. s. w. In Anbetracht der erwähnten zehn Thier-
namen kann es allerdings kein blinder Zufall sein, dass
sie insgesammt auf lan oder an enden.
Schliesslich wollen wir noch das mit ang lautlich und
begrifflich verwandte aj und dessen Variante at hervor-
heben, das ebenfalls in der Bedeutung von Wild vor-
kommt, und zwar in dem mythischen Worte aj-gir, uig.
at'kir = Ungeheuer, das fabelhafte Thier der Steppe,
dasselbe was der Perser mit dem Gul-i-hijahan bezeich-
net, ein unbändiges Wesen, ein Wildfang; es wird daher
mit dem Worte ajgir noch heute bei den Altaiern der
Hengst, das leitende Pferd eines ganzen Gestütes bezeichnet.
Der Umstand, dass der primitive Mensch der turko-
tatarischen Rasse nur für Wild und Raubthiere, nicht aber
für Haus- und Nutzthiere eine allgemeine Benennung auf-
zeigt, kann darin seine Erklärung finden, dass erstere,
ein Gegenstand der Furcht und des Schreckens, ihm in
ihrer Gesammtheit als das Bild der Gefahr stets vor-
schwebten und seine Sinne beschäftigten, während letztere,
mit denen er sich allmählich vertraut gemacht hatte, viel-
mao sich iJ< -
Vieh), des^i^
thom (roll '
Was d.
Existenz u
lieben Ür-
wilde T!j
wir drei
tUdi, TO!
setzt nii
Ursprii
§. 14)
Raub:
dOat
nach
und
ist
187
If *•*. Viehzucht vorhanden waren, ebenso wie
^, y ' atzten Falle nach der richtigen Annahme
/■'" len ural-altaischen stammverwandten Finn-
'-' 1 der unwirthbaren Heimat im hohen Nor-
agd und Fischfang angewiesen waren, das
. der Hund als die ersten Hausthiere ange-
1 müssen. Einen fernem Beleg zu dieser
den wir noch heute in dem Umstände, dass
acht, trotz der verschwindend geringen Äus-
t welcher sie bei den türkischen Nomaden sich
in den sumpfigen Waldgegenden noch im-
egt wird; daher ihr Vorhandensein bei den
.ken am Deltagebiete des Oxus und im vergan-
hrhundert an der Mündung des Syr-Derjas, und
;Dn auch ihr allmähliches Abhandenkommen und
3tzung durch Schafzucht dort, wo die türkischen
emente vom baumreichen Lande in die Steppe ge-
worden waren. Wo eine Sprache, wie dies
rko-Tatarischen der Fall ist, sowol in Bezeichnun-
ler verschiedenen Gattungen als auch in den ein-
Q Altersstadien des Hornviehes einen so reichen
ischatz aufweist, und in solch genauer Detaillirung
ergeht, wie wir dies im Abschnitte über Geschlecht
1 Altersstadien (S. 63) gesehen, dort muss die Yleh-
cht einen sehr bedeutenden Zweig des Lebensunter-
iltes ausgemacht haben und mit der Existenz des be-
• :effenden Volkes eng verbunden gewesen sein , obwol
^ jeute und schon seit historischem Gedenken bei dem tür-
vkischen Nomaden die Schafzucht die erste Stelle ein-
nimmt, und obwol das Rindfleisch heute als Nahrungsstoff
\j'''^' ^®^ allen Türken, ja in ganz West- und Mittelasien nur
' -c höchst selten gebraucht wird.
--'««s Nach den vorausgeschickten Bemerkungen wird es
nicht ohne Interesse sein, die lautlichen und begrifflichen
'^i»
188
Veränderungen ins Auge zu fassen, in denen jenes turko-
tatarisehe Wort für Bind heute im Gebrauche ist. Die
älteste Form und Bedeutung ist entschieden das uig. ot,
cag. oj = Stier, denn so finden wir es wenigstens in dem
seines hohen Alters wegen berühmten tatarischen Cyklus
als ot oder oj jili = das Jahr des Stieres, d. h. das zweite
Jahr in jenem Cyklus. Im Altaischen finden wir schon
uj in der Bedeutung von Kuh, trotzdem das seinem ety-
mologischen Ursprünge nach richtig benannte slgir = Kuh,
von sag=me\ken, also Melkthier, auch noch im Gebrauche
ist. Merkwürdigerweise wird sigir wieder im Osmani-
sehen, Azerbaizanischen und Kazanischen für Stier und
Rind im allgemeinen gebraucht, obwol in den ersten zwei
Sprachen hierfür die genau definirten Namen buga (Stier)
und ünek oder ineJc (Kuh, vgl. magy. ünö = Kuhkalb)
existiren. Aehnlich ist es auch mit sokum. sukum der
Fall, welches der Grundbedeutung nach (von sok = schla-
gen, vgl. §. 163), eigentlich Schlachtvieh heisst, hier
und da aber für Rind und Rindvieh genommen wird.
Mit der Viehzucht muss in gleichem Grade der Wich-
keit und schon ebenso lange her bei den Turko- Tataren
die Pferdezuclit bestanden haben, da das Pferd hier,
nicht so wie bei andern Völkern blos zum Reiten und
Fahren, sondern dem Menschen als Nahrung gedient hat.
Das Melken der Stuten, die Bereitung eines geistigen
Getränkes aus der Pferdemilch, und das Namensregister
der verschiedenen Gerichte und Würste, die vom Pferde-
fleisch bereitet werden und wurden, sind von jeher bei
den übrigen Völkern Asiens als türkisch-tatarische Specia-
litat betrachtet worden. Bei den Arabern z. B., die seit
erdenklichen Zeiten im Rufe geschickter und fleissiger
Pferdezüchter stehen, waren Kimis, Pferdewurst und die
mit gehacktem Pferdefleisch gefüllte Mehlspeise (börek) nie
im Gebrauche und noch weniger als Lieblingsgerichte auf-
189
gezählt, was übrigens auch aus dem Umstände sich einiger-
maassen erklären lässt , dass die Semiten, wie A. von Kremer
richtig bemerkt, das Pferd als nützliches Hausthier erst
spät kennen gelernt haben.* Trotzdem wir in unserer
Besprechung die Betrachtungen über das Rind den Er-
örterungen über die Pferdezucht und das Pferd voraus-
schickten, soll es nicht befremden, wenn wir die Bekannt-
schaft der Turko-Tataren mit letztgenanntem Thiere doch
eine verhältnissmässig ältere, und wenn ich mich so aus-
drücken kann, intensivere nennen. In dieser Annahme
bestärkt uns am meisten der aus der Sprache fliessende
Beweisgrund, denn während das Rind, wie wir eben ge-
zeigt haben, in verschiedenen, wol lautlich verwandten,
aber begrifflich, namentlich betreffs des Genus oft dia-
metral sich gegenüberstehenden Benennungen vorkommt,
heisst das Pferd noch heute auf dem ganzen turko- tata-
rischen Sprachgebiete af, und wird unter diesem Worte
vorzugsweise das männliche Pferd, der Hengst verstan-
den (vgl. alt. aj-gir, uig. at-Mr)^ ebenso wie mit ojy ot =
Rind ursprünglich der Stier bezeichnet wurde. Daraus
folgt, dass at noch vor der Dialectbildung, vor der Zer-
splitterung des grossen turko -tatarischen Stammes be-
standen, daher auch sich intact erhalten hat, während
ojy ot, ut und sigir aus jener Periode datiren, als das
Türken volk in benachbarter, aber in getrennter Stellung
lebte. Allerdings hat diese Gemeinsamkeit des Namens
nur auf dt allein Bezug, denn die betreffenden Benennun-
gen für Stute und Füllen z. B. zeigen schon eine Diver-
genz, so cag. bajtal und bije, osm. Msrak =^Siute^ wäh-
rend die Bezeichnung der verschiedenen Altersstadien
* Semitisclie Culturentlehnungen aus dem Pflanzen- und Thier-
reiche von A. von Kremer (Stuttgart 1875), S. 15.
190
sich so ziemlich gleich geblieben ist. Abgesehen von
diesen etymologischen Beweisen sind die Bodenverhält-
nisse des centralasiatischen Hochlandes, namentlich der
Steppenregionen von solcher Beschaffenheit, die eine Fort-
pflanzung des Pferdes am meisten ermöglichen, und sowie
die Prairie in Südamerika, die Puszta in Ungarn und die
Wüsten in Arabien noch jetzt die Pferdezucht fordern,
ebenso günstig waren die Steppenregionen des innerasia-
tischen Hochlandes, kir genannt, gewiss schon in der
Urzeit sowol für die Pferdezucht als auch für die Exi-
stenz der wilden Pferdeheerden mit dem genuinen Namen
jilki, von jil^ «7 = vereinigen, versammeln, bezeichnet,
während Rinderheerden oder Schafheerden keinen spe-
ciellen Namen haben. Hieraus lässt sich auch die Be-
rühmtheit erklären, deren die Pferde Centralasiens in der
Gegenwart sowol als im Alterthume bei den benachbarten
Völkern, ja sogar im südlichen Indien sich erfreuten, und
wir gehen keinesfalls fehl , wenn wir in unsern Forschun-
gen über die geographische Verbreitung der Hausthiere
die Urheimat des Pferdes in die von den Türken be-
wohnten Gegenden Hochasiens verlegen, da es von hier
aus theils im wilden Zustande, theils auch zahm den
eminent kriegerischen Herrn auf dem Rücken tragend, in
Iran erschien und von diesem Lande zu den Semiten
übergegangen war, wie A. von Kremer* aus dem arab./ara5
{fars^ pars) vermuthet. Ob daher die den Romern und
Griechen unter dem Sammelnamen Scythen bekannten
Völkerschaften arischen oder turanischen Ursprunges ge-
wesen sein mögen. Eins ist sicher, dass sie Kinder der
Steppe waren und eben durch ihre enge Verbindung mit
dem Pferde auffielen und sich gefürchtet machten. Nicht
Semitische Culturentlehnungen, S. 15.
191
leicht findet sich ein Volk , dessen Existenz mit dem Pferde
so eng verwachsen ist und war, wie das der Turko- Ta-
taren, und so wie der Ausdruck '„zu Pferd" mit dem
Begriffe vollkommen, vornehm identisch ist, ebenso ist
dessen Gegensatz „zu Fuss" jajan^ j(^j(^h i^t^aÄ, zugleich
auch das Synonym für niedrig, elend und gemein.
Dem Pferde zunächst muss auch das Kamel den
Turko-Tataren noch in der frühesten Phase ihrer Existenz
bekannt gewesen sein; hierfür sprechen wenigstens, wie
beim Pferde, sowol sprachliche Beweisgründe, als auch
die mit der Natur dieses Thieres übereinstimmenden Ver-
hältnisse des Bodens und des Klimas der Urheimat der
Türken. Das Kamel heisst nämlich mit geringer laut-
licher Verschiedenheit uig. töie^ töbek; tsLg.Jöve^ töje und
tüje; alt. töö (was auf ein früheres iögö hindeutet); osm.
deve — ein Wort, dem die Stammsilbe töb^ töv oder töff^
d. h. die Grundbedeutung für Hügel (vgl. töbe^ töpe^ tüJce
= Hügel), Hocker, Knaul u. s. w. zu Grunde liegt, wonach
das türkische Wort Kamel im Sinne von hügelartig,
höckerig aufzufassen ist; der Ideenverbindung nach er-
innert dies an den arabischen Namen dieses Thieres, näm-
lich an Gamäl^ von der Wurzel gml = anhäufen , ansam-
meln, also gleichfalls Haufe, Hocker. Es verdient hier-
bei besonders erwähnt zu werden, dass die Sprache keinen
Unterschied zwischen ein- und zweihöckerigen Kamelen
macht und diese letztere Gattung höchstens durch Um-
schreibung, nämlich mit iJci örküclük töje = zweihöckeri-
ges Kamel bezeichnet. Erwägen wir diesen Umstand,
dass die in Bezeichnung der Gattungen, des Geschlechtes,
der Altersstadien und sonstigen Details der Hausthiere
sonst so reichhaltige Sprache hier so karg geblieben ist,
und fügen wir die Bemerkung hinzu, dass diese doppelt-
höckerigen, langhaarigen, kräftig aussehenden Thiere
noch heute den Namen ner^ vom persischen ner = mann-
192
lieh *, fuhren, so wird es bald einleuchtend werden, dass
diese Gattung der Kamele, deren vorzüglichste Qualität
selbst noch heute in der Umgegend von Andchoj anzu-
treffen ist, ursprünglich aus der Heimat der alten Iranier
zu den Türken gekommen, und dass demgemäss unsere
Benennung das baktrische Kamel eine ganz richtige
ist. In dieser Annahme werden wir noch mehr bestärkt
durch den Umstand, dass das wilde Kamel, vne Prsche-
walsky deren ganze Heerden in der Umgebung des Lob-
nors sah, nur aus der Species der einhöckerigen bestand,
und solche waren es auch, welche im grauen Alterthume
auf den Steppen Centralasiens umherirrend von dem
turko- tatarischen Urmenschen gezähmt und zum Dienste
verwendet wurden.
Was mit Bezug auf Pferd und Kamel gesagt wurde,
passt auch auf das dritte Reit- und Lastthier, den Esel^
der in keinem Theile der uns bekannten Welt von so
hohem Wüchse und solch kräftiger Form angetroffen
wird wie in den Oasenländern Turkestans, von wo aus
die bessere Gattung dieses geduldigen Lastthieres
nach Arabien und Aegypten von jeher und noch heute
importirt wird. Seiner Abstammung nach ist der Esel
nicht auf dem eigentlichen Gebiete der Turko-Tataren zu
Hause, sondern er stammt aus der Heimat der stamm-
verwandten Mongolen; es lässt sich dies wenigstens nach
der Etymologie des türkischen Namens dieses Thieres
vermuthen, ein Wort, das sich nirgends so rein erhalten
hat, wie im Mongolischen. Das türk.-tat. esek^ estk^ esik
(Esel) wird etymologisch nur dann erst verständlich,
wenn wir dasselbe mit dem mong. eldsige = Esel ver-
* Budagow ist entschieden im Irrthum, indem er in seinem Wörter-
buche, II, 276, ner (lat. aner) als ein kirg.-cag. Wort hinstellt.
193
gleichen. Eldsik oder eUik (dieses Wort kommt als Orts-
name in Bochara vor) dünkt uns aber eine Verdrehung
des al^cih = etwas roth, rothlich, welche Farben-
bezeichnung der türkischen Benennung des Esels zu
Grunde liegt, da dies auch in der That die Farbe des
noch heute auf den centralasiatischen Steppen umherschwei-
fenden wilden Esels ist, von dem das zahme Langohr
abstammt. Auch die Semiten haben den Esel das rothe
Thier genannt (vgl. arab. 7»amr = roth und himar, hebr.
hemör = Esel). A. von Kremer hat recht, wenn er in der
ihm eigenen geist- und witzreichen Schreibweise hierüber
sich folgendermassen äussert*: „Dieser wilde Esel, der
wegen seiner Flüchtigkeit von jeher ein Hauptgegenstand
des orientalischen Jagdsports war, ist zweifelsohne der
Urahn des zahmen Hausesels, der durch die Civilisation,
die er über sich ergehen lassen musste, nicht blos seinen
Freiheitssinn einbüsste, sondern selbst die Farbe lassen
musste und, um so zu sagen, unter seiner Last ergraute,
aber bei den Semiten (und wie wir sahen, auch bei den
Ural -Altaiern) den Namen nach seiner ursprünglichen
Farbe beibehielt." Da der Esel eben nur als Reit- oder
Lastthier und nicht wie das Rind, Pferd und Kamel dem
Menschen auch zugleich als Nahrung diente — denn
Eselsfleisch ist von den Türken zu allen Zeiten verschmäht
worden — so ist seiner Pflege weniger Sorgfalt zuge-
wendet worden, und hat auch die Sprache sich weniger
mit ihm beschäftigt, als mit den ersterwähnten Thieren;
wir vermissen daher auch bei ihm gänzlich jene auf das
Altersstadium beider Geschlechter Bezug habenden Be-
zeichnungen, denn ana isek = Eselin heisst wortlich Mutter-
Esel, und das in den Chanaten gebräuchliche maca^ mace
'* Vgl. a. a. 0., S. 13.
VAmb^ry , Cultur, ^3
194
ist eine Verdrehung des pars, made = Weibchen. Nur
im zarten Alter gibt die Sprache ihm eine Sonder-
benennung, sonst aber werden seine Jahre nicht mit
gonan^ dönen u. s. w., sondern mit einfachen Zahlen be-
zeichnet.
Wir können an dieser Stelle nicht die Frage über-
gehen, ob das Maulthier den Turko -Tataren schon in
der frühesten Zeit bekannt war, oder ob dies erst in der
Neuzeit infolge iranischer Cultureinflüsse dahin gelangte.
In Anbetracht eines dem Islam zugeschriebenen Verbotes *j
namentlich aber des grossen Widerwillens der türkischen
Nomaden gegen die Erzeugung des Maulthieres — da
man dies als eine Schändung der edeln Pferderasse an-
sieht und weshalb auch diese Mischgattung in Central-
asien nur äusserst selten vorkommt — müsste man ge-
radezu das Maulthier als fremd betrachten. Die Sprache
widerspricht indess einer solchen Annahme, denn das
Thier hat im Türkischen einen genuinen Namen, nämlich
katir^ von Ä;a^ = mischen, mengen, folglich Mischthier,
ähnlich dem magy. öszver = Maulthier, d. h. Mischblut,
und möglicherweise auch dem lateinischen mulus^ welches
aus [lu^Xdi; = Zucht- oder Springesel entstanden, in dieser
Form mit dem slaw. mKskü^ müska^ deutsch mischen, ver-
wandt sein muss, obgleich Hehn* eine solche Affinität
für unstatthaft hält und das Verhältniss zwischen dem
lat. mulus und dem roman. meler unberücksichtigt lässt.
Ebenso wie diese Entstellung des unter allen Hausthieren
von jeher am meisten geschätzten Pferdes bei den Türken
von der Zeit an, als durch Berührung mit ansässigen
* Auch bei den Juden war die Kreuzung der Bässen, ja sogar
die Mischung verschiedener Fäden in einem Stoffe (Schathness) ver-
boten.
** Hehn, Culturpflanzen und Hausthiere, S. 423.
195
Volkern das wilde Wan^rleben in eine halbnomadische
Existenz verwandelt wurde, gang und gebe war, ebenso
dünkt uns auch die mittels Castrirung erzeugte Gattung
von Wallaclien von uraltem Gebrauche, denn nicht nur
haben die Türken hierfür ein genuines Wort, sondern
dasselbe stammt sogar noch aus der Zeit vor der Dialekt-
bildung, wie aus nächstfolgenden Vergleichungen ersicht-
lich ist. Vgl. dläa aclita = Wallache mit dem mong.
akta = Wallache, dktolacho = kurz oder zusammen-
geschrumpft sein , ferner mit dem türk. ak — sak = hin-
kend, fehlerhaft, eJcsiJc = mangelhaft, krank u. s. w.;
der Name Wallach bedeutet daher im Türkischen das
Verstümmelte, das Fehlerhafte.
Während es uns bisjetzt mit geringer Ausnahme ge-
lungen ist, in der türkischen Benennung der Hausthiere
einen gewissen Zusammenhang mit deren äusserer Form
und Erscheinung herauszufinden, wollen unsere ähn-
lichen Forschungen hinsichtlich des Schafes zu keinem
irgend befriedigenden Resultat führen. Das Schaf, 6ag.
koj^ osm. kojun^ mong. chonin^ bietet gar keinen Anhalte-
punkt zu etymologischen Erörterungen und nur als Cu-
riosum kann erwähnt werden, dass mit diesem Namen,
d. h. mit kojan^ alt. kojin^ der wilde Hase bezeichnet wird,
und dass die wilde Ziege oder Steinbock alt. kuran heisst.
In koj^ welches die ältere Form ist, eine Identität mit
io; = nieder, klein — etwa das kleine Thier zur Unter-
scheidung der früher erwähnten grössern Hausthiere —
entdecken zu wollen, darf nur als kühne Hypothese be-
trachtet werden. Mehr Wahrscheinlichkeit bietet der
Vergleich mit koc und koc-kar = das wilde Schaf, das
Ovis poli^ das noch heute im wilden Zustande auf der
Hochebene von Pamir anzutreffen ist und für den Urahn
des zahmen Schafes gelten mag. Dies bestätigen noch
13*
196
audere sprachliche Verbindungen zwischen der zahmen
und wilden Gattung dieses Tbieres; so z. B. dass koc^
kockar heute überall der Name des Widders ist, und be-
kanntermaassen wird die Benennung des Genus masculinum
als die allgemeine Bezeichnung der fraglichen Gattung
gebraucht. Ferner heisst tekke in einigen Theilen der
Widder, in andern hingegen der Steinbock; ein ähnliches
Verhältniss waltet auch ob zwischen dem alt. serheh und
dem cag. S(?rÄ:e = Bock und Steinbock, mit einem Worte,
die Scheidewand zwischen dem. zahmen und wilden Schafe
ist noch nicht gänzlich gewichen. In Anbetracht der
Identität des koj mit koc tritt die etymologische Bedeu-
tung des Wortes für Schaf um so besser hervor, wenn
wir dem Gesagten noch hinzufügen, dass, während hoc
und kockar bald in der Bedeutung von Widder, bald in
der von Ovis poli vorkommt, wir für das wilde Schaf
im allgemeinen noch einen andern speciellen Namen, näm-
lich arkar (von ar-kar) haben, wodurch es nun klar er-
sichtlich wird, dass kar (Varianten: kur^ ghur^ gur) blos
als Affix figurirt und wir nur die Stammsilben koc und
ar vor uns haben, die beide den Grundbegriff der Stärke
und Kraft repräscntiren, daher denn auch die Hörner
dieser Thiere als die ältesten Embleme der Macht und
des Ansehens bekannt sind. Jedenfalls muss dieses Thier
schon in der Urzeit den türkischen Steppenbewohnern
bekannt gewesen sein, denn erstens hat die Sprache für
die kleinsten Einzelheiten über Zucht, Gattung und Alters-
stadien des Schafes ebenso viel, ja mitunter noch mehr
genuine Benennungen als bei Rind, Pferd und Kamel;
zweitens spielt das Schaf im Sittenleben, in den Be-
lustigungen und Moralsprüchen des Türken eine wichtige
Rolle, wie fast keines der Hausthiere, selbst das Pferd nicht
ausgenommen (vgl. den Abschnitt über Spiele und Belusti-
gungen); und drittens wird es demjenigen, der dem Schafe
197
in Asien einige Aufmerksamkeit widmet, wol nicht entgehen
können, dass die berühmten Rassen Anatoliens, als ki-
wirzlh und haraman^ unserm europäischen Schafe hin-
sichtlich der Vortrefflichkeit des Fleisches vielfach über-
legen, dennoch hinter dem Schafe Persiens und letzteres
wieder hinter dem Schafe Centralasiens weit zurückbleibt.
Ueber die Vorzüge der scythischen Schafe hat schon der
Vater der Geschichte gesprochen, und da diese Vorzüge,
noch heute unbestritten, von den Bodenverhältnissen wol
sporadisch, aber dann um so mehr begünstigt werden, so
unterliegt es keinem Zweifel, dass dieses Thier in der
dunkeln Urzeit schon den Türken gekleidet und genährt
hat, ja bei ihm das Haus- und Nutzthier xaT i^oxT^v ge-
worden ist.
Von der Ziege lässt sich keinesfalls Aehnliches
sagen. Schon der Name 6ag. Izeci oder Icecki^ alt. eski^
osm. Tcezi, deutet, auf arischen Ursprung. Vgl. deutsch
Mte^ schwed. Jciddey get^ slaw. Jcoza u. s. w. Diesem mehr
in südlichen Regionen und in felsigen Gebirgen vorkom-
menden Thiere musste schon wegen seiner Vorliebe zu
den aromatischen Stauden und den hartblätterigen Ge-
sträuchen, wie Hehn richtig bemerkt*, in den Niederun-
gen der türkischen Steppenheimat die Hauptbedingungen
der Existenz abgehen, und es ist selbst heute nur in den
Alpengegenden des Thien-shan bei den Karakirgisen und
bei den Altaiern anzutreffen.
Schliesslich sei unter den Hausthieren noch des Hun-
des Erwähnung gethan, der als treuer Begleiter eines
Jäger- und Hirtenvolkes bei den Turko- Tataren zu glei-
cher Zeit mit den eben besprochenen Hausthieren sich
eingefunden haben muss. In der That spielt er schon in
der mythischen Vorzeit gewisser Türkenstämme eine Rolle,
* Vgl. a. a. 0., S. 72.
198
indem unter andern die Kirgisen ihren Ursprung von
einem Hunde ableiten, laut einer allerdings höchst unpoe-
tischen Sage, nach welcher vierzig Mädchen kir^-ktjsr (da-
her kir-gijs?!) mit einem Hunde in unnatürlichem Ver-
hältnisse lebend, die Urahnen der Kirgisen in die Welt
gesetzt hätten. Femer figurirt der Hund in der Schopfangs-
mythe des Menschen bei den Stämmen zwischen der Bija
und dem Tom nach einer von Radioff* veröffentlichten
Fabel. Den sichersten Beweis aber für die Bekanntschaft
des türkischen Urmenschen mit diesem Thiere finden wir
im Wortschatze der Sprache, die mit Ausnahme im nord-
lichen Theile des turko-tatarischen Sprachgebietes die Be-
zeichnung if, et, üt' (Hund) aufbewahrt, folglich noch
aus dem Zeitalter vor dem Zerfallen in einzelne Stämme
datirt, und die selbst im entfernten Westen neben dem
dort mehr gebrauchten Köpek (Hund) sich noch erhalten
hat. Seinem etymologischen Inhalte nach bedeutet dieses
Wort nieder, unten (die Stammsilbe et = unten kommt
nur mit dem AdverbialsufHx en in eden^ eten = das Unten,
der untere Tbeil des Zeltes, vor), denn trotz der schon
erwähnten Rolle in der Mythensage, und ungeachtet des
wichtigen Dienstes, den dieses treue Hausthier dem Hirten
und Jäger geleistet haben muss, ist der Hund, nach dem
Zeugniss der Sprache zu urtheilen, weit entfernt geehrt
zu werden, auch bei den Türken von jeher ein Gegen-
stand der Verachtung, Geringschätzung, zugleich aber
auch des Mitleides gewesen. Gleichviel ob bei Kirgisen
in der Steppe, oder bei dem raffinirtesten Türken in
Stambul wird die Redensart: itden alcak ■=^ gemeiner
(niedriger) als der Hund, als grösster Schimpf angesehen,
* Proben der Volksliteratur der türkischen Stämme Südsibiriens,
I, 285.
199
und das Scheltwort it oglt = S6im eines Hundes, ist
ebenso genuin türkisch als das gleichbedeutende ibn Jcelb
der Araber und das raziia di cane der Italiener einer
analogen Anschauung Ton dem Hunde entsprungen. So
wie die allgemeine Benennung des Rindes, Pferdes und
Kamels zugleich auch die Bezeichnung des männlichen
Geschlechtes dieser Thiere ausdrückt, ebenso muss unter
ity etj üt der Hund verstanden werden, denn die Hündin
heisst überall kandiih, von der Wurzel Ä;an, kam == binden,
demgemäss die sich anbindende oder verbundene, mit
Hinblick auf den geschlechtlichen Umgang dieser Thiere;
der junge Hund hingegen heisst in dem reiner erhaltenen
Osttürkischen Meile, eigentl. das Junge, das Kleine,
was auch im finn-ugrischen, resp. im estnischen kuf^
sik^ votjakischen kuta, magy. kutya = Hund zu finden und
keinesfalls arischen Ursprunges ist, wie Ahlquist* ver-
muthet. Hingegen muss von den Benennungen der Katze^
osm. kedi, ^ag. müsük oder pisük^ alt. mönsük im
vorhinein bemerkt werden , dass sie arischen , resp.
persischen Ursprunges sind; demgemäss muss auch dieses
Thier, das von den Nomaden wol zu keiner Zeit als
Hausthier betrachtet worden ist, für fremd angesehen
werden.
Nachdem wir am Leitfaden der sprachlichen For-
schungen zur Erkenntniss all jener Haus- und Nutzthiere
gelangt, welche dem primitiven Menschen der turko-tata-
rischen Rasse in der ersten Phase seiner Existenz gedient
haben, wollen wir nun uns desselben Mediums bedienen,
um auch die wilden Thiere der türkischen Urheimat
kennen zu lernen. Hier müssen wir in erster Reihe des
Schweines^ selbstverständlich des Wildschweines erwähnen,
denn im zahmen Zustande war dieses Thier selbst in den
* Ahlquist, Culturwörter , S. 2.
200
Torislamitischen Zeiten den Türken unbekannt, da die
Verwendung des Schweines als Hausthier vor allem eine
sesshafte, ackerbautreibende Existenz bedingt. Der ge-
nuine Name des Schweines ist tonggue, tongu/g, osm. donuj^^
domu^, von der Stammsilbe tong mit der Variante coffg =
stark, mächtig, gross, eine Etymologie, die uns dann voll-
ständig einleuchten wird, wenn wir die Furcht und den
Schrecken zur Genüge kennen, den dieses in den schilf-
und sumpfreichen Niederungen in Hunderte, ja Tausende
umfassenden Rudeln umherirrende Wild dem Nomaden
oder dem Halbnomaden Turkestans noch heute einfiosst.
Eine einzige Nacht genügt, um grosse mit üppigem Grase
bedeckte Triften oder die Melonen- und Bohnenfelder
eines ganzen Stammes in eine der schrecklichsten Wüste-
neien zu verwandeln, und der fürchterliche Ruf tongu2
Jcelir (das Wildschwein kommt), mit welchem in nächt-
licher Stille der am Ende einer Zeltgruppe wohnende No-
made das Herannahen dieses Thieres seinen in Schlaf
versunkenen Nachbarn anzeigt, um sie zur Abwehr zu
versammeln, ist in der That das Schrecklichste, was sich
denken lässt. Auch in der weitern Detaillirung dieses
Thieres tritt besagter Grundgedanke hervor. So ist unter
andern im Texte des Kudatku Bilik der Ausdruck iongguz
2ajtn = dem Schweine ähnlich, immer als Gleichniss
der supremen Stärke und Ausdauer angeführt, und auch
der turkomanische Dichter Machdumkuli sagt von seinen
Helden tonuedej Jcelir = er tritt gleich dem Schweine fest
und beharrlich auf. Während ferner, wie schon oft er-
wähnt, bei den Hausthieren das männliche mit dem gene-
rischen Namen des Ganzen bezeichnet ist, macht die
Sprache hier, sowie bei andern wilden Thieren eine Aus-
nahme, indem tongue Schwein im allgemeinen, der Eber
aber Ikaban, die Sau miJcectn und das Ferkel cörpe heisst.
Nun muss bei kaban besonders hervorgehoben werden,
201
dass es zugleich als Metapher der Kraft, Stärke und
Männlichkeit gebraucht wird, und es gehört keine beson-
dere Kühnheit dazu, in diesem Worte, nachdem das la-
biale b verschwunden, den Ursprung des Titels kan, früher
kaan = Fürst, Herrscher, zu entdecken. Annähernd an
diesen Ideengang ist auch die Bedeutung des magy. 7can,
ursprünglich Schwein im allgemeinen, daher kan'äsjsi =
Schweinhirt, sowie juk-dsz = Schafhirt, zugleich aber
die Bedeutung von Eber, in vad iaw = Wildschwein,
schliesslich aber auch Männchen, Mannthier im allgemei-
nen, als Äaw-Ä;w^ya=der Hund, Jan -ma(?5Ä:a= Kater u. s. w.
Eine weitere hierher gehörende Congruenz zwischen dem
Türkisch -.Tatarischen und dem Finn-Ugrischen existirt
noch zwischen magy. csörÄc = Ferkel und 6ag. cörpe, so
auch in der Ideenverbindung zwischen dem oben erwähn-
ten Ä;a6aM = Eber und Äaan = Herr, Fürst, und dem finn.
tero5a=Eber, nach Ahlquist* im Grunde genommen männ-
lich, von wro = Mann. Mit einem Worte: der Eber oder
das Schwein, denn diese Begriflfe waren in der vordialek-
tischen Sprache der Türken identisch, ist als Personifi-
cation der Kraft und Beharrlichkeit anzusehen, und auch
nur der Bär, uig. atik, öag. ajik, osm. aß^ steht ihm
in dieser bildlichen Bedeutung nahe. Ob nun dieses
Wort, wie ich im §. 26 meines Etymologischen Wörter-
buches vermuthete, mit a^a = Vater, Grossvater, Alter,
in der That zu verbinden, oder ob die Stammsilbe at mit
dem eingangs dieses Abschnittes besprochenen at, aj, dem
Inbegriffe von Thier, Wild, Ungeheuer, verwandt sei,
konnte allerdings vorderhand nicht mit Bestimmtheit an-
gegeben werden. Bruder Petz, bei so vielen Volkern
arischer und semitischer Abkunft als das Prototyp der
Grobheit, Plumpheit und Ungewaschenheit — denn der
* S. 19.
202
persische chirs und arabische dt4hb pflegen auch nicht als
Mignon der Zartheit zu gelten — unterscheidet sich in
der Auffassung der Turko -Tataren nur insofern, als ihm
hier auch die Ehre der Tapferkeit und der Macht zutheil
wird, denn a^^TfeZa^w = bärengleich , ist begrifflich identisch
mit arslanlaju = lowenähulich , d. h. tapfer , beherzt,
eine bildliche Bezeichnung, welche bei den Türken nur
mittels Anspielung auf diese drei Thiergattungen , d. h.
auf Lowe, Wildschwein und Bär, Ausdruck findet.
Als den Menschen minder schrecklich, aber den Heer-
den um so gefährlicher, war von jeher der Wolf, cag.
6wn, uig. bürü, osm. kurd^ diese Plage der Schafzüchter
und der l^omaden im allgemeinen betrachtet. Der Wolf
hat von jeher das Stigma des Diebstahles und des ver-
wegenen Baubes auf der Stirn getragen; er hat daher
ausser den erwähnten Benennungen auch noch andere,
wie bei den Tataren an der Wolga und den Kirgisen Jcaskir
oder KasJcir, d. h. Davonrenner, im Tschuvaschischen eben-
falls kaskir, ferner Vurum CMre = Langschweif (vgl. magy.
farkas=Wo\{^ und /arifc=Schweif), Tokmak Chüre, d. h.
Schlägelschweif und im ironischen Sinne Pigambar jittt^
d. h. der Hund des Schutzgeistes der Hirten.* Was je-
doch die meist vorherrschenden Benennungen betrifft,
nämlich büri, bürü und kurd, kurt^ so beruht erstere auf
der Stammsilbe bür, bor, bor = grau, eisgrau, in welcher
Farbe der Wolf am meisten vorkommt, und letztere, aus-
schliesslich im Westtürkischen gebräuchlich, scheint uns
mit dem neupersischen gurk, kurk verwandt zu sein. Dass
der Wolf in den Sagen und Mythen, in den Sprichwör-
tern und Spielen der Turko- Tataren von alters her eine
* Zolotnitzky, S. 202, Pejgamber ist selbstverständlich das gleich-
lautende persische Wort für Prophet.
203
wichtige Rolle spielt, ist ganz natürlich; es sei unter an-
derm nur auf das Jcökbüri = der grüne Wolf (S. 148), wo-
mit etwas Unmögliches ausgedrückt werden soll, und auf
das türkische Blindekuhspiel hingedeutet, welches mit die-
sem Thiere in Verbindung gebracht, büri-kapar, d. h. der
Wolf fängt, genannt wird.
So wie unsere Betrachtungen über das Thierreich den
Kreis muthmaasslicher oder festbegründeter Thatsachen aus
dem vorgeschichtlichen Leben der Türken immer mehr
und mehr erweitern, so werden wir hinsichtlich des Fuch-
ses die Erfahrung machen, dass dieses Thier, obwol als
Metapher der Schlauheit und Verschmitzheit gebraucht,
auf das innere Leben der Nomaden jedoch, wo er im
Grunde genommen für seine Bänke nur einen engen Spiel-
raum fand, keinen besondern Einfiuss auszuüben vermocht
hatte. Und dennoch ist der türkische Name dieses Thie-
res alt, ja uralt, denn er stammt aus jener Periode, als
Turko -Tataren und Finn-Ugrier vereint noch ein und
dieselbe Sprache hatten. Dem türkischen Worte osm.
tilMy kaz. tölJcö, alt. tülhü, cuv. til, liegt die ural-altaische
Stammsilbe tül, ^«7 = Feuer, roth (vgl. finn. tule, mord-
winisch tu = Feuer) zu Grunde. Wie der Wolf mit
dem Epitheton der Graue, so ist der Fuchs als der
Rothe, Feurige bezeichnet, denn hierfür ist tül-ii
zu nehmen. Dies erinnert ganz lebhaft an die analoge
Ideenverwandtschaft, welche zwischen diesem Thiernamen
und der rothen Farbe in der arischen, speciell in der
deutschen Sprache besteht, wo das rothliche Pferd Fuchs
genannt wird und z. B. im tiroler Dialekt fuchselt für
roth, rothlich gebraucht wird.
Von der felinen Gattung der wilden Thiere hat die
Urzeit nur zwei Thiere aufzuweisen, die beide genuine
Namen besitzen. Es ist dies kaplan = der Tiger, und ars-
lan = der Fanther, möglicherweise auch Leopard, aber
204
keinesfalls Lowe, wie die turko-tatarischen Sprachen, so-
gar auch das Mongolische, dieses Wort heute übersetzen.
Angenommen, dass Panther und Tiger nach Aussage der
Naturforscher aus Süden so weit gegen Norden vorgedrun-
gen sein mögen, so ist dies doch keinesfalls vom Löwen
anzunehmen und ebenso wenig ist dieser heute in der ver-
muthlichen Urheimat der Türken zu finden, während: Tiger
und Panther schon seit uralten Zeiten im Süden und Nor-
den der Steppenregion des heutigen Turkestans in den
Röhrichten und an den waldigen Ufern der Flüsse und
Seen zu Hause waren. Die Unklarheit über die geogra-
phische Verbreitung dieser Fleischfresser in den von Tür-
ken bewohnten Ländern scheint nur von der fehlerhaften
Definition der Thiernamen herzurühren. Der Name ars-
lan, seiner etymologischen Bedeutung nach das starke
Thier, wird in Mittelasien heute weder auf den Panther
noch auf den Leoparden angewendet, indem ersterer bars,
pars^ ein persisches Lehnwort, von dem auch unser Pan-
ther stammt, letzterer hingegen jol-hars (wortl. Weg-Pan-
ther) heisst; ja wir gehen keinesfalls irre, wenn wir in
dem alten und genuinen arslan einen Sammelnamen die-
ser Raubthiere, incl. des echt türkisch benannten Tigers,
d. h. Icaplan, entdecken. Das Vorhandensein eines per-
sischen Lehnwortes (6ar5, pars) zur detaillirten Be-
zeichnung dieser Thiere kann daher die Annahme, dass
die Urheimat der Türken nicht das Vaterland des
Tigers, Panthers und Leoparden sei, in keiner Weise be-
kräftigen.
Wir haben diese flüchtigen Bemerkungen von den
Wild- und Raubthieren vorhergehen lassen, können aber
nicht umhin zu bemerken, dass das Wild, welchem der
primitive Mensch der turko-tatarischen Rasse von jeher
die grösste Aufmerksamkeit zuwendete, unstreitig der
Hirsch und die Antilope war; es beweist dies wenigstens
205
die Sprache, welche gerade dieser Wildgattung die grosste
Aufmerksamkeit zugewendet hat. In Anbetracht des Um-
standes, dass das Wild im allgemeinen altaisch Tcijik heisst,
kann es uns nicht befremden, in dieser Sprache den Hirsch
und die Antilope ak-lcijik, wortl. weisses Wild, benannt
zu finden. In dem culturell mehr vorgeschrittenen Oagatai
heisst^das Männchen huna oder borge, die Hirschkuh hin-
gegen kücakci, die Antilope im allgemeinen sojgun, kirg.
saiga, von saj, soj = irren, schwärmen, schweifen (vgl.
§. 149), dessen Männchen jedoch bogu und das Weibchen
mar dl. Vgl. &«e^a= Stier, folglich ein Annäherungspunkt
zwischen dem wilden und zahmen Rind. Schliesslich
müssen wir noch eines andern mehr im Westen verbrei-
teten Namens der Antilope erwähnen, nämlich zeiran,
kirg. dzeren, von icr= flink, und an = Wild. Ebenso wie
die betreffenden Benennungen der beiden Thiergattungen
häufig untereinander verwechselt werden, so herrscht die
Verschiedenheit der Anwendung auch in den einzelnen
Theilen des Sprachgebietes vor, was uns jedoch nicht ver-
hindern kann, in der Reichhaltigkeit der Sprache gerade
in Betreff dieser Thiere die früher betonte Intensivität der
Bekanntschaft aufrecht zu halten.
Wir haben schon anderseitig bemerkt, dass dem Tür-
kischen die allgemeine Benennung des Tegels abgeht,
denn das im äussersten Osten gebräuchliche ucar bedeutet
schlechthin der Fliegende, und das mehr verbreitete kus
ist im Grunde genommen als Jagd, Jagdvogel aufzufassen.
Dieser Umstand allein genügt, die Vermuthung zu er-
wecken, dass dem primitiven Menschen der turko-tatari-
sehen Rasse das Federvolk sich zuerst als Raubthiere prä-
sentirte, und dass er später, den Instinct dieser Thiere
verwerthend, es selbst zum Raub oder zur Jagd abrich-
tete. Bei der Benennung dieser Vogelart ist auch ein
gleichmässiger Ideengang bemerkbar, indem fast sämmt-
206
#
liehe nach der schwarzen oder braunen Farbe ihres Ge-
fieders benannt worden sind. So cag. kara-kus = Adler
(^Äquüa imperialis), worü. der schwarze Vogel, cag., alt.
karcuga, A;am'^a=Habiclit^ d. h. der Schwarzschopf; osm.
Ä;ar^aZ= Adler, wortl. Schwarzfarbige, während der speciell
zur Jagd abgerichtete Vogel, der Falke^ tugan, wortl.
der Aufsteigende, Auffliegende heisst, von tuk, tok (vgl.
§. 194), so wie fliegen im allgemeinen identisch mit auf-
steigen ist. Vgl. uc, «i = hoch, Höhe (vgl. §. 64) mit
ucmak = fliegen, in die Höhe fahren. Ein anderer heute
in Mittelasien zumeist bekannter Raub- und Jagdvogel,
nämlich börküt {Aquila fulvd) dünkt uns von der Kappe
= börk, die ihm auf der Jagd angelegt wird, so benannt
worden zu sein. Noch gibt es einen Vogel, dessen Name
aus dem vordialektischen Zeitalter herrührt, nämlich der
Kranich^ auf dem ganzen Sprachgebiete, selbst im Mon-
golischen turna genannt, auch als £mblem der Herrschaft
gebraucht. Vgl. magy. drarw=Kranich und turul=mjihi'
scher Vogel im Wappenschilde Attila's. Von den Wasser-
vögeln hat die Sprache der Ente die meiste Aufmerksam-
keit zugewendet, denn nebst dem allgemeinen Namen ördek
heisst der Enterich sona und das Weibchen boröin, während
es nach Aussage Mir Ali Sir's, des grössten Kenners der
cagataischen Sprache,* eine ganze Namensliste gibt von den
verschiedenen Gattungen dieses den Jägern zu allen Zeiten
beliebten, und in den Flüssen und Seen Mittelasiens noch
heute in grosser Menge sich vorfindenden Wasservogels.
Es fehlt nun allerdings eine dem entsprechende Reich-
haltigkeit der Sprache in Betreff der Oans^ die ohne
Rücksicht auf Geschlechts- und Gattungs Verschiedenheit
* Vgl. Muhakemet el Lugetein in Quatremfere's Chrestomathie,
I«' Fase, S. 15.
207
Tcasi, öuv. chor heisst*, doch scheint mir die Vermuthung
Ablquisfs allzukübn, dieses turko- tatarische Wort mit
dem deutschen Gans, schwed. gäs^ engl, goose, russ. gus
in. Zusammenhang zu bringen und daher als ein arisches
Lehnwort darzustellen. Die Gans ist heute in Central-
asien weniger verbreitet, und besonders den Jägern min-
der zugänglich als die Ente, doch wäre der Charakter als
heimischer Vogel schwer in Abrede zu stellen; ebenso
wenig wie dies hinsichtlich des Schwan^s^ cag. kugu, alt.
huUj der Fall sein kann, der, in der neuern Sprache bis-
weilen als wilde Gans angesehen, schon in uralten Zeiten
in den Seen und Sümpfen der innerasiatischen Niederungen
existirt haben muss.
Einen um so bessern Anhaltspunkt hingegen gibt uns
die Sprache bezüglich der sehr frühen Bekanntschaft der
Turko-Tataren mit der Henne^ fast überall takuk, tank,
und nur in dem zwölfjährigen Cyklus tchaku genannt, ein
nomen agentis, wie aus der Endsilbe ersichtlich, und zwar
des Verbums tak, ^oÄ;=gebären, erzeugen, resp. Eier legen.
Ei heisst denn auch im fernen Ostturkestan noch heute
tochum = Erzeugtes, ein echt türkisches Wort, das sich im
Neupersischen tochm in der Bedeutung von Samen erhal-
ten hat; in letzterer Sprache heisst das Ei noch heute
tochmi-murg = Hübnersamen. Es ist hier vorsätzlich in
erster Beihe der Henne und nicht des Hahnes gedacht,
weil dieser gackernde Sultan des Misthaufens im Türki-
schen keinen speciellen Namen hat, sondern einerseits mit
dem persischen Lehnwort choros (vgl. c%oroiiäßn= schreien),
andererseits z. B. im Kazanischen mit ätak, wortl. der
Sänger, bezeichnet ist. Diese undefinirte und gewisser-
maassen ungenügende Bezeichnung des Huhnes lässt es
* Ata kaz = Gänserich.
208
vermuthen, dass dieser Vogel aus dem benachbarten ira-
nischen Culturlande zu den Türken gelangte, denn iu
Uebereinstiüamung mit Hehn's Aeusserung (S. 233): „Je
mehr ein Volk vom nomadischen Hirtenleben zur festen
Ansiedelung überzugehen sich anschickte, desto leichter
musste dies den geschlossenen Hof belebende körnerfres-
sende von Fuchs und Wiesel verfolgte Hausgeflügel bei
ihnen Aufnahme, bleibende Stätte und Gedeihen finden",
konnte das Huhn bei den urnomadischen Türken sich nie
besonders heimisch finden. Für das Ei gibt es ausser
dem erwähnten uig. tohum noch dem Namen jumurtJca,
osm. jumurta, eigentl. die Runde (vgl. §. 147); vgl. magy.
wöwy=Ei (h'Ämowy = Hühnerei, ?wciwiOMy = Gänseei) und
monyo-ru = rund, oval.
Genuin türkische Benennungen haben ferner die Taube^
nämlich öag. Tcüvürzin, osm. güverdin, alt. Jcüüle, von der
Stammsilbe küv, Ä^i = girren, krächzen, folglich die Gir-
rende. Ebenso die Trappe^ öag. tugdak oder togli tug^
däk, der wortlichen Bedeutung zufolge der Bergähnliche,
von tug, tak'= Berg, Hohe, und dag, deJc = gleich, ähnlich.
Dieser bekanntermaassen straussähnliche Vogel, auf san-
digen Flächen und Niederungen zu Hause, ist auch auf
den Puszten Ungarns anzutreffen, und zwar mit demsel-
ben, nur lautlich veränderten Namen, vgl. magy. iußok =
Trappe, mit turko-tat. tugdak, osm. tujdak, tüdäk; auch in
Persien, wohin er aus Mittelasien gelangte, wird er mit
dem türkischen Namen benannt, während im Gegensatze
der aus Iran nach Mittelasien gelangte Storch als Fremd-
ling nur unter dem fremden, resp. persischen Namen lej-
lek, ursprüngl. leklek, bekannt ist.
Zum Schlüsse wollen wir der Fledermaus und der
Eale Erwähnung thun. Erstere führt den echt türki-
schen Namen cag. jarkanat, d. h. Kahlfiügel, oder
osm. jarasa, was wortlich ebenfalls nackt oder kahl
209
bedeutet; es ist dabei ganz richtig die Federlosigkeit
als Charakteristicum angeführt. Die zweite, nämlich
die Eule, heisst bajktis, von 6a; = Zauber und kus =
Vogel, also der Zaubervogel, der lichtscheue Bote der un-
heilschwangern Nacht, der nur in der Dunkelheit um-
herzuschleichen wagt. Die Kirgisen nennen daher auch
den einheimischen Bettler hajgus = Eule, weil er in
Scham ob seines Elends nur im Zwielicht der Abend-
dämmerung an der Thür erscheint und unsichern Schrittes
auftritt.
Es ist nicht meine Aufgabe, auch geht mir die Fähig-
keit dazu ab, alle übrigen Gebiete der Fauna, d. h. über
Amphibien, Fische, Insekten, Arachnoiden, Crustaceen und
Würmer in fachmännischer Einzelheit zu besprechen, um
hiermit die Behauptung aufs neue zu bekräftigen, dass
die Turko-Tataren allen Thieren, deren Existenzbedingun-
gen mit den klimatischen Verhältnissen und der Boden-
beschaffenheit der Urheimat in Einklang gebracht werden
können, zumeist solche Namen gaben, deren Grundbedeu-
tung bald auf die Farbe, bald auf die äussere Form, bald
wieder auf die eine oder andere Eigenheit des betreffen-
den Thieres Bezug nimmt, und dass die Sprache auch
hier, so wie bei andern Dingen, das treue untrügliche
Conterfei des zu benennenden Gegenstandes oder Wesens
in sich schliesst.
Zum Schluss dieses etwas mehr als gewöhnlich langen
Abschnittes seien noch einige allgemeine Bemerkungen hin-
zugefügt. Fliegen und Kücken z. B. haben einen gemein-
samen Nainen, nämlich singek oder sinek (vgl. magy. sjsunyog
= Mücke), von der Stammsilbe sing = saugen (vgl. §. 163),
folglich der Sauger, Einsauger, eine ganz richtige Charakteri-
stik dieses Thierchens ; nur im Osmanischen wird behufs Un-
terscheidung die Mücke sivri sinek, wortl. spitzige Fliege,
V&mbdry, Cultur. 14
210
genannt. Der Käfer im allgemeinen heisst böcek, hözek\
von der Stammsilbe höt^ büt, zumeist die Wurzel solcher
Wörter, die einen runden, kugelartigen Korper bezeichnen,
weshalb auch dieses Wort seiner etymologischen Be-
deutung nach für Pünktchen, Kügelchen zu neh-
men ist.
Charakteristisch dünkt uns immer, dass die erwähnte
Stammsilbe büt zugleich auch der Name der Laus ist,
allerdings kein blos dem Zufall zuzuschreibendes Zusammen-
treffen, wenn wir in Betracht ziehen, dass dieses Thier-
chen unter den Nomaden in schrecklicher Weise verbreitet,
als das Insekt par excellence betrachtet wird. Bei den
Namen anderer Insekten ist wieder theils der Farbe, theils
der einen oder andern Eigenheit Rechnung getragen wor-
den. So zeigt der Name des Flohes^ cag. bürge, bürgü,
osm. pire, den Grundgedanken des Kneifens, Zwickens,
Stechens, von der Stammsilbe bür (vgl. §. 227), und so
heisst auch bei den Kirgisen der Habicht bürü, weil er
mit den Krallen sein Opfer kneift.* Der Mistkäfer
(Gymnopleurus) wird seiner Farbe entsprechend der
Schwarzbraune genannt kongujn, von ä:öw^= schwarzbraun.
Die Spinne heisst cag. örgemzi, osm. örümzek, von örü-
mek = flechten, spinnen.
Wurm im allgemeinen heisst hurt (vgl. alt. kurc=^
spitzig, lang, Ät(rw = leer, dürr), aber auch sogulcan, von
sogulmak, sohulmak = sich hineinstecken, sich hineinbohren;
diese letztere Bezeichnung bezieht sich zumeist auf die
Würmer iin menschlichen Leibe. Schlange und SlLOr-
pion haben einen lautlich verwandten Namen, nämlich
orstere cag. jilan, kir, zilan, letztere zijan\ die gemein-
same Stammsilbe jil, iil, zij bedeutet glatt.
* Vgl. Budagow.
211
So viel einstweilen über die Thiemamen im Türkischen
und über die aus der etymologischen Zergliederung der
betreffenden Worter, sowol auf die Beschaffenheit der
Fauna als auch auf die geographische Verbreitung der
einzelnen Gattungen zu erlangenden Aufschlüsse. Wir
sind allerdings noch weit entfernt über eine vollständige
Liste der Thiernamen zu verfügen, doch ist selbst das
vorhandene Material hinreichend genug, ims mehr als
einen Einblick in die weite Vergangenheit, namentlich in
das Bild der frühesten Existenz jener primitiven Volker-
schaften zu verschaffen, und der unparteiische Forscher
wird zugestehen müssen, dass wir beim klaren und
hellen Lichte turko- tatarischer Sprachstudien zu Resul-
taten gelangen können, die nicht minder überzeugend
sind, als die hierauf bezüglichen Ergebnisse ähnlicher For-
schungen auf dem arischen und semitischen Sprachgebiete,
oder anderweitige Deductionen paläontologischer Beweis-
gründe.
XVII.
Das Pflanzenreich.
Wenn wir im Eingange des vorhergehenden Abschnittes
es betonten, dass die Sprache eines nomadischen Volkes,
dessen Lebensbedingungen mit der Viehzucht so eng ver-
bunden sind, über so manche Einzelheiten der Fauna im
vorgeschichtlichen Zeitalter uns einen nicht zu unter-
schätzenden Aufschluss gebe, so kann dies selbstverständ-
lich hinsichtlich der Flora auch schon deshalb nicht in
solchem Maasse der Fall sein, weil dieses Reich der
14*
212
Natur auf der vorwiegend i^us nackten Steppen und kahlen
Bergen bestehenden Urheimat der Türken nie einer be-
sondern Blüte sich erfreut haben konnte. Die durch die
Sprache zum Ausdrucke gelangte Thätigkeit des mensch-
lichen Geistes kann in Extensivität und Intensivität sich
eben nur so v^reit erstrecken, als die Grenzen des als Sub-
strat dienenden Gegenstandes reichen. Boden, Klima und
Beschäftigung haben ebenso sehr ihre mannichfachen Ein-
drücke in der Sprache zurückgelassen, als die verschiede-
nen Regungen des Geistes und Gemüthes, und weil
das grüne Kleid der Erde in dem unsere Forschungen
betreffenden Theile der Erde von jeher ein dürftiges war,
so können dem entsprechend auch die hierauf bezüglichen
Erörterungen nur auf einen engen Raum sich erstrecken,
und das verbreitete Licht kann nicht jene durchdringende
Helle besitzen.
Im Pflanzenreiche hat die Aufmerksamkeit des primi-
tiven Menschen in erster Reihe seine eigene Nahrung und
in zweiter Reihe die Nahrung der Thiere auf sich gezogen.
Von der heute keinem Zweifel mehr unterliegenden Theo-
rie ausgehend, dass der Mensch von Natur aus herbivor,
und nur später carnivor wurde, müssen die verschiedenen
Obstgattungen als die erste Nahrung betrachtet werden,
eine Annahme, welche uns denn auch die türkische Sprache
einigermaassen bekräftigt, denn das Wort für Obst^ d. h.
jemis oder jimis (vgl. magy. gyimöcs und gyümöcs = Obst),
bedeutet etymologisch, wie schon früher erwähnt wurde,
Esswaare, Geniessbares, von jejim-isi-jejimiS' jemis, d. h.
das Ding zum Essen, folglich die Speise, die Nahrung
par excellence; eine Benennung des Obstes, die hinsicht-
lich der Klarheit die Verdolmetschung dieses Begriffes in
andern Sprachen bei weitem übertrifft. So wie die erste
Nahrung des Menschen, nämlich das Obst ganz einfach
die Esswaare benannt wurde, ebenso enthält die Benen-
213
nung der Hauptnahrung des Thieres, nämlich das Oras^
den Grundbegriff des Wachsthumes der Pflanze im weitern
Sinne des Wortes. Der am meisten verbreitete Name
des Grases ist nämlich ot, welches Wort den labialen
Anlaut des altern bot, bot, büt, bit (vgl. §. 205) = hoch,
erhaben, in die Hohe kommen, wachsen u. s. w., verloren
hat und mit Gewächs, Pflanze zu übersetzen ist ; bei einer
analogen Ideenverbindung können wir dies selbst noch auf
dem Gebiete der turko - tatarischen Sprachen beobachten,
so z. B. im kirg. ösün = Pflanze, Gewächs, was von ös
= hoch, wachsen abstammt. Das zweite Motiv, welches
der Benennung des Grases zu Grunde liegt, sind die be-
grifflich identischen und etymologisch verwandten Wörter
für grün und nass, indem alt. köJc und das azerbai-
zanische güj = Gras, mit göJc = grün und blau, ferner
das alt. Ölöng, cuv. oKÄ; = Gras und 6ag. wZew^f = Wiese,
mit ö7, ÄöZ = nass, feucht verwandt ist.
In unsern Betrachtungen über die Ess- und Nutz-
pflanzen des primitiven Menschen der turko -tatarischen
Rasse werden wir daher beim Lichte sprachlicher Unter-
suchungen um so leichter zu den angestrebten Resultaten
gelangen, wenn wir in Erwägung ziehen, dass der Lebens-
unterhalt mit den Bedingungen des Klimas und der
Bodenbeschaffenheit in vollem Einklänge stehend, auf dem
von uns besprochenen Theile der Alten Welt bisjetzt
keinen wesentlichen Veränderungen unterworfen war und
etwaigen durch Kunst und eine höhere Cultur hervorzu-
bringenden Neuerungen und Verbesserungen erst in der
nächsten Zukunft ausgesetzt ist. Sehen wir uns z. B. zu-
erst nach den verschiedenen bei den Türken heute be-
kannten Obstgattungen um, so werden wir finden, dass
als heimische Gattungen nur der Apfel und die Pflaume
allein betrachtet werden können. Ersterer hat einen
genuin türkischen Namen, nämlich dlma^ der Wortbedeu-
214
tung nach die rothe, bunte Frucht (von aZ = roth, bunt,
und ma, resp. mak, muk = Beere, Frucht), letztere hingegen
heisst üruk, ein zweifelsohne türkisches Wort, dessen ety-
mologische Bedeutung uns noch unbekannt ist, wobei wir
jedoch bemerken müssen, dass mit diesem Namen im cag.
auch die Marille bezeichnet ist, ein interessanter Finger-
zeig über das Verwandtschaftsverhältniss beider Gattungen.
Wol ist von den übrigen Obstgattungen, um nur einige
zu erwähnen, die Pfirsiche und die Birne auch stark
verbreitet, doch haben beide schon fremde, d. h. persische
Namen , denn erstere heisst seftalu (von pers. seft = grob,
gross, und aZw = Pflaume), letztere armud^ richtiger am-
rud. Dieser sprachliche Beweis berechtigt uns zur An-
nahme, dass vor alten, allerdings sehr alten Zeiten beide
Obstgattungen aus dem südlichen Iran ins tatarische Hoch-
land eingeführt worden sind, wo diese Obstgattungen
selbst heute bei weitem nicht so gut gedeihen als in
Persien. Eine ähnliche Bewandtniss hat es auch mit dem
Granatapfel^ der Nuss^ der Maulbeere und der Mandel^
deren arabisch -persische Namen, nämlich nar, zeviz, tut
und badam entschieden auf den fremden Ursprung hin-
deuten. Nicht zu übersehen ist hierbei, dass die Frucht
niederer Stauden und Gesträuche, nämlich die Beere^
einen genuinen von der Form entlehnten Namen hat,
nämlich mug und muk (vgl. kizamuk = rothe Beeren,
Blattern, karamuk= schwarze Beeren), und dass gerade
dieses Wort (zugleich auch die Stammsilbe vieler solcher
Worter, die einen kleinern runden Korper bezeichnen) in
der Benennung so mancher oft heterogenen Fruchtarten
anzutreffen ist. Aus der primitiven Form der Stämmsilbe
muk, mug (vgl. magy. mag = Kern, Korn) ist nach nor-
maler Lautveränderung hug, bog (vgl. §. 204), bong^ bonz^
borz entstanden, Varianten, die unter anderm in den
Namen runder kornerartiger Früchte zu erkennen sind.
215
wie in borc-ak = Erbse^ hord = Pfefferkorn, am reinsten
aber in bug-daj = Weizen, d. h. kornähnlich, folglich von
nicht ganz runder, ovaler Form. Mit Ausnahme des
Pfefferkorns, das wegen seiner Aehnlichkeit mit der Erbse
eine türkische Benennung erhielt, sind diese als heimische
Fruchtgattungen zu betrachten. In Bezug auf den Wei-
zen, bugdaj, sei hier ausdrücklich bemerkt, dass diese
Getreideart, obwol uralt und mit einem genuinen türki-
schen Namen benannt, auf einem verhältnissmässig nur
beschränkten Baum verbreitet gewesen sein muss, und
dass demzufolge auch die Hirse, d. h. tarik, tari, tara
von entschieden älterm Ursprung ist. Für diese An-
nahme sprechen in evidenter Weise erstens die Sprache
selbst, zweitens die kargen Notizen des ältesten türki-
schen literarischen Monuments, nämlich des Kudat^u
Bilik. Was den sprachlichen Beweis anbelangt, so wollen
wir hervorheben, dass tarik, tari^ tara in der wortl. Be-
deutung Saat, Anbau heisst (vgl. §. 176), folglich ist
unter Hirse die Saat oder Anbau par excellence verstan-
den worden, ebenso wie mit ut^ at sowol das Vieh im
allgemeinen, zugleich aber auch Rind und Pferd, die
ersten Nutzthiere der turko-tatarischen Bekanntschaft, be-
zeichnet worden sind. Die Sinnesart des Menschen lässt
sich in diesem Punkte wol nirgends beirren, denn so wie
z. B. der Russe unter chljeb Getreide, Brot und Nahrung,
der Magyare unter elet Leben und Getreide versteht, und
so wie man in vielen andern Sprachen die Bezeichnung
der zumeist gebrauchten Gattung der Benennung des
Ganzen zu substituiren pflegt, ebenso ist das analoge
Verhältniss zwischen dem turko-tat. tarik = Saat, Anbau,
und tarik = Hirse entstanden. Auch die alten Arier
sollen in der Hirse ihre Hauptnahrung gefunden haben
vgl. Poesche, S. 97, und Plinius, der dieses Getreide
^^omnium fncgum feriilissimum'^ nennt und hinzufügt „ea:
216
uno grano sextari terni gignuntur, seri debet in umidis^^^
gibt uns die beste Ursache an, warum der Mensch auf
der primitiven Culturstufe dieser Pflanze zuerst seine
Aufmerksamkeit zugewendet hat. Hinsichtlich des Be-
weisgrundes des Kiidatku Bilik sei in Erinnerung ge-
bracht, dass dort in der Lebensschilderung der untersten
Volksklasse die Hirse als die einzige Volksnahrung, ja
als die Nahrung des armen Menschen dargestellt wird,
lind nicht der Weizen, dessen Cultivirung günstigere
Bodenverhältnisse beansprucht, mehr der künstlichen oder
natürlichen Bewässerung bedürftig und schliesslich nicht
so ausgiebig ist als die Hirse, die selbst am Steppenrande
gedeiht.
Dass ausser dem Weizen unter den bei uns vorkom-
menden Getreidegattungen der Türke im innern Asien
weder den Boggen noch den Hafer je cultivirt habe,
steht ebenso ausser Zweifel, als wir mit voller Sicherheit
annehmen können, dass die Gerste, fast überall arpa,
nur mong. arhaj, kondomisch saliJc as (^= kaltes Gericht?)
genannt, also noch im vor dialektischen Zeitalter der
Sprache bekannt gewesen sein muss, obwol wir über die
etymologische Bedeutung dieses, aller Wahrscheinlichkeit
nach aus ar und baj zusammengesetzten Wortes noch im
Dunkeln sind. Die Gerste, eine Pflanze, die selbst in
kalten nordlichen Regionen gedeiht, scheint ursprünglich
mehr dem Menschen als Nahrung gedient zu haben, und
zwar finden wir arpa- a5 = Gerstengericht in derselben
Kategorie mit dem früher erwähnten turik = Hirse, als
Bauernkost, als Nahrung der ärmern Volksklassen dar-
gestellt. Schliesslich wollen wir des heute in Mittelasien
stark verbreiteten und als Pferdefutter gebrauchten Zügeri
=^ holcus Sorghum^ Erwähnung thun, aber nur um etwai-
gem Irrthume vorzubeugen, nach welchem dieser Name
der heute zumeist auf dem turanischcn Hochlande gebauten
217
Hirsenart für alttürkisch gehalten in^ erden dürfte; dies ist
jedoch keineswegs der Fall, denn das Wort ist persi-
schen Ursprunges, und zügeri, züveri ist eine Verdrehung
des iranischen mvari, rectius zu-hari = gerstenähnlich.
Von den andern, theils dem Menschen, theils den
Thieren dienenden Gewächsen lässt es sich mit Bestimmt-
heit nachweisen, dass die Melone und der Kürbis auf
den frühesten Wohnplätzen der Türken heimische Pflan-
zen waren, ja bezüglich der Melone kann man die Be-
hauptung wagen, dass sie von der Urheimat der Turko-
Tataren über Persien nach Westasien und Europa einge-
führt wurde. Wir werden nämlich bei genauer Betrach-
tung der verschiedenen Qualität dieser Fruchtgattung zur
Ueberzeugung gelangen, dass die heute in der Steppe
und in dem Steppenrande der centralasiatischen Länder
gebaute Melone die beste aller bekannten Gattungen sei,
weil eben die dortigen Bodenverhältnisse dieser Pflanze
am gedeihlichsten sind, und weil — um einen analogen
Fall zu citiren — die Kirsche in Kerasun und in den be-
nachbarten Gegenden Kleinasiens, von wo aus sie zu uns
gelangte, grosser, schmackhafter und duftender ist als
die unserige, so mag dieser Zusammenhang zwischen Vor-
züglichkeit und altem heimatlichen Boden unserer Voraus-
setzung in Betreff der Melone kräftigend zur Seite stehen.
Dass ich Melone und Kürbis hier vereint vorführe, ge-
schieht nicht nur infolge der analogen Form dieser Frucht,
sondern weil die turko-tatarischen Sprachen beiden einen
lautlich und begrifflich verwandten Namen gegeben haben,
indem die Melone Tcavun, Icabun^ der Kürbis hingegen
Tcabah. Jcavak heisst, und zwar von der Stammsilbe kab
(vgl. §. 71), der Inbegriff von hohl, rund, aufgeblasen
u. s. w. (Vgl. slaw. dynja = Melone, nach Miklosich von
dqnq^i = anschwellen. Im etymologischen Sinne des
Wortes ist daher Melone als Rundung, hohler Körper
218
aufzufassen. Das von der Melone Gesagte bezieht sich
selbstverständlich nur auf die Zuckermelone, denn die
Wassermelone (^cucumis citrullus) hat schon keinen ge-
nuinen türkischen Charakter mehr, sie wird überall unter
den Türken Icarpuz oder charbuz^ vom pers. charbuza*
stammend, genannt, ist selbst heute unter den Türken
Innerasiens weniger gepflegt als die Zuckermelone, und
selbst die Bodenverhältnisse des Ursitzes der Türken sind
ihrem Wachsthume bei weitem nicht so günstig als in
Persien oder in Indien, bekanntlich ihrem Mutterlande.
In ähnlicher Weise verhält es sich auch mit andern Arten
der Cucurbitaceen, namentlich aber mit der Gurke ^ die
überall mit fremden Namen und zwar im Osttürkischen
mit dem pers. badreng, im Westtürkischen mit dem arab.
hijar benannt wird, was entschieden auf eine spätere
Einfuhrung hindeutet.
Eine in jeder Hinsicht interessante Frage bildet die
schon frühe Existenz des Welnstoekes in der alten Hei-
mat der Türken, denn trotzdem der Wein, eine Erfindung
der Semiten, wie Hehn** richtig bemerkt, den Turko-
Tataren selbst heute noch unbekannt, scheint die Wein-
traube dennoch im vordialektischen Zeitalter in der
Sprache sich eingebürgert zu haben, wofür die fast über-
all gleichlautende Benennung ümm, mong. üdsüm^ den
besten Beweis liefert, ein Wort, dessen echttürkischer
Ursprung gar nicht zu bezweifeln ist, und von üz = Saft
(alt. US = Fett) stammend, der etymologischen Bedeutung
zufolge als saftige Frucht zu nehmen, was in Anbe-
»yj jÄ. char-huza, zusammengesetzt von char = rauh, wild, und
hoza = apfelartige Fruchtgattung, vgl. J.^twÄ. = rauher Apfel.
Vgl. altslaw. krastavici = cucumis, eigentl. rauhe Frucht. Hehn,
Culturpflanzen , S. 225.
** Vgl. S. 26.
219
tracht des im Vergleiche zu andern Früchten besonders
reichen Saftgehaltes der Trauben eine höchst passende
Benennung ist. Wenn wir nun von unserm oft betonten
Standpunkte ausgehen, dass Objecte mit genuiner und
noch obendrein mit einer solchen logisch richtigen Be-
nennung schon seit uralten Zeiten heimisch gewesen sein
müssen, so wird Hehn's Annahme, dass das eigentliche
Vaterland des Weinstockes in den Gegenden südlich vom
Südrande des Kaspischen Meeres zu suchen sei, nur in-
sofern rectificirt werden müssen, dass wir zu diesen Ufer-
landen des Südens auch noch die urbaren Oasenländer
im Osten des Kaspischen Meeres hinzufügen. Wir können
daher der Vermuthung Raum geben, dass die Traube
sowol als die Melone, denn beide treten zumeist in nach-
barlicher Freundschaft auf, aus den schon im mythischen
Älterthume ihrer Fruchtbarkeit wegen berühmten turani-
schen Hochländern nach dem Norden des heutigen Irans
und von da weiter gegen Westen sich verbreitete, denn
so wie die Melonen sind auch die Trauben Mittelasiens
unvergleichlich süsser, geschmackvoller und grosser als
die bestbekannten Gattungen dieser Frucht Persiens und
anderer Theile Westasiens. Dies kann ich aus persön-
licher Erfahrung constatiren, sowie ich im allgemeinen
den Umstand hervorheben würde, dass die meisten Obst-
gattungen auf einer Wanderung vom Innern Asiens gegen
Europa Schritt für Schritt an Farbenpracht, Zuckergehalt
und Schmackhaftigkeit einbüssen, und dass unsere auf
noch so hoher Stufe der Vollkommenheit stehende Horti-
cultur diesem Nachtheile nicht abzuhelfen vermag. Von
den vielen Beispielen sei hier nur eins angeführt. In
Nord- und Mitteleuropa sind die Pfirsiche Spaniens, Süd-
frankreichs und Italiens hochberühmt; die Pfirsiche, wie
der Name zeigt aus Persien zu uns eingeführt, sind in
der Türkei z. B. schon besser und schöner als die ge-
* Kendir, kender, magy. kender, bald für Lein, auf dem türkischen
Sprachgebiete bald für Hanf genommen, und auf dem ganzen Sprach-
gebiete bekannt, mag wol ältesten Gebrauches sein, doch hat der
Name, im Türkischen unerklärlich, einen allzu persischen Anklang.
I
220
nannten europäischen Gattungen und gedeihen selbstver-
ständlich in Persien in dem alten Mutterlande am aller- •
besten, obwol nicht übersehen werden darf, dass eine
verwandte Obstgattung, nämlich die Pflaume und Marille,
d. h. älu, im alten Sogdien die höchste Stufe der Vor-
züglichkeit erreicht, und alu-i-bochara, d. h. bocharaer
Pflaumen sind schon seit lange und noch heute ein Lecker-
bissen selbst für Iran.
Von den übrigen Nutz- oder Nährpflanzen scheint
mir die zum Pferdefutter dienende gemeine Luzerne
(mendicago sativa) unter den Türken von jeher heimisch
gewesen zu sein. Sie hat einen genuin türkischen Namen
cag. jonusJca, osm. joma^ von der Stammsilbe jon = dünn,
hager, folglich die dünne, etwa dünnblätterige Pflanze.
Hingegen sind die in die Kategorie der Industriegewächse
gehörenden Feldpflanzen , als: BanmwoUe^ Hanf^ Lein'^^
Reis^ Mohn^ Sesam^ Krapp u. s. w. entschieden fremden
Ursprunges und verhältnissmässig neuern Datums, und
als einzige Ausnahme kann nur der TorJpa, torho oder
turkuj eine Art Seidenbast gelten, von welchem, wie man
mir mittheilte, früher Kleider, jetzt aber nur Stricke und
Bindfaden bereitet wurden. Der Torka wächst wild in
den Wäldern, hat die Form eines 4 — 5 Fuss hohen Ge-
sträuches und einen rothlich braunen Stamm, daher der
Name torJca. torJcu = rothbraun.
Eine bedeutende Rolle als Nährpflanze scheinen von
jeher die Zwiebel und der Knoblanch^ noch heute be-
liebte Nationalgerichte des Türken, gespielt zu haben,
denn beide haben einen genuinen, auf die specielle Bauart
221
der Pflanze bezüglichen Namen, indem die Zwiebel sogan,
sojgan heisst, wörtl. die sich Abschälende, von soj (vgl.
§. 148), der Knoblauch sarimsdk, wörtl. das Gewindähnliche,
Gew^indeartige, von sarim = Gewinde, und sak = ähnlich.
Hinsichtlich der Baumgewächse finden wir in dem
vorhandenen Beweismaterial der Sprache wol den schwäch-
sten Anhaltpunkt und zwar aus dem ganz natürlichen
Grunde, weil das Volk der Turko-Tataren sich von jeher
mit Vorliebe in den baumlosen, seiner nomadischen Exi-
stenz am meisten entsprechenden Ebenen aufgehalten, in
baumreichen Berglehnen sich nur mit Widerwillen nieder-
gelassen, und Waldungen als die Wohnstätte der seinen
Heerden gefährlichen ßaubthiere von jeher gemieden hat.
Schon der Begriflf Baum selbst wird mit einem auf ver-
schiedene Umschreibungsart beruhenden Worte ausge-
drückt. W^ährend wir einerseits das zumeist verbreitete
agac^ jigac, ijgac in der concreten Bedeutung von Baum
ins Auge fassen, ein Wort, das auf der Stammsilbe ag,
jig =z hoch ^ aufwärts, beruht, folglich Gewächs im allge-
meinen bedeutet, wird es andererseits uns auffallen, dass
mit diesem Worte im Öagataischen z. B. auch noch Stock,
Stab, ein abgebrochener Zweig bezeichnet wird, ebenso
wie umgekehrt das Wort tal im Osttürkischen Baum
(arftor), im Westtürkischen hingegen nur Zweig (osm.
dal) bedeutet und im Altaischcn geradezu als Name einer
Baumgattung, nämlich Sand weide, vorkommt; idl^ das im
Grunde genommen etymologisch als Stamm, einzeln
stehender Korper aufzufassen ist. Angesichts dieser
schwankenden Definition des Grundwortes selbst wird es
wol nicht befremden, wenn wir in Betreff der Namen der
verschiedenen Baumgattungen, d. h. über die Ursache der
Benennungen überhaupt, als auch über die etymologische
Zergliederung der betreffenden Wörter ohne jeglichen Auf-
schluss bleiben. Während z. B. Jcatvak im Osmanischen
222
selbst bald Platane, bald Linde, im Kasanischen und
Baäkiriscben hingegen Gesträuche, Staude bedeutet, finden
wir andererseits wieder das Wort tereJc bald für Pappel,
bald wieder für Espe, und taranghu bald für Tamariske,
bald für Elaeagnus, wofür das specielle dijde besteht.
So heisst Fichte im Osten des türkischen Sprachgebie-
tes arca (vgl. magy. hdrs = Linde), im Westen cam
a^racl = Harzbaum , und für Eiche z. B., die aus kli-
matischen Gründen der türkischen Urheimat gänzlich ge-
fehlt hat und jenen Gegenden noch heul^ fehlt, hat das
Osttürkische gar kein Wort, und das Westtürkische be-
dient sich des persischen mise oder mese. So zeigt auch
die Sprache einen gewissen Grad des Unvermögens zur
genauen Definition des Begriffes Wald^ das zumeist mit-
tels Umschreibung ausgedrückt worden ist. Im Osten,
d. h. im Altaischen , heisst der Wald jis, eine Contraction
des Wortes Jl^'li = Haufen, Menge, dem sich wieder das
osm. orman = Wald , tat. urman = Tannenwald anreiht,
von ur = Anschwellung, Haufen und dem CollectivsufBx
man, men; während das speciell in Mittelasien gebrauchte
togaj, tohaj etymologisch Unterwald oder die mit Gestrüpp
bewachsene Flussinsel bedeutet.
Nur in Bezug auf die Vegetation der Steppe, dieses
mit der frühesten Existenz der Turko -Tataren eng zu-
sammenhängenden Erdreiches, klärt sich einigermaassen
das Dunkel, insofern die hier vorherrschende Vegetation
mit solchen Namen benannt ist, deren Grundbedeutung
mit der Qualität oder äussern Form der betreffenden
Pflanzen in Zusammenhang steht. So heisst z. B. ein
selbst im Flugsand vorkommender, bisweilen fünf Fuss
hoher Baum, von dem es bekannt ist, dass er mit der
kleinsten Anstrengung sammt Wurzel ausgerissen wer-
den kann, ganz richtig söMJc, von söJcmeJc = sxisreissen^
trennen, umwerfen (vgl. §. 199); und so heisst auch der
223
seiner aussergewohDÜcben Dürre und sozusagen Stein-
härte wegen bekannte Strauch Haloxylofi Amtnoden^
dran ganz folgerichtig saksaul oder saksaul, weil dieses
Wort von sak saÄ; = dürr, trocken stammt, und saksaul
(von saksamaK) eigentl. das Gedorrte bedeutet. Dass
diese Sandstaude, eben infolge ihrer ausserordentlichen
Härte, wenn angezündet, eine Glut erzeugt, die anhal-
tender als die der besten Steinkohlen ist, davon hatte ich
mehrmals Gelegenheit, mich personlich zu überzeugen.
Es ist auch bei andern Gattungen der Steppenvegetation
eine durch geringe oder gar keine dialektische Unterschied-
lichkeit gekennzeichnete Benennung zu bemerken. So
heisst z.B. das Schilf fast überall saz, ein Name, der
auch der betreffenden Sumpfgegend beigelegt wird (vgl.
den analogen Fall im magy. sds = Schilf, und sär =
Koth) und das Rohr oder Röhricht kamis oder komuL
Schliesslich wollen wir noch hervorheben, dass für
Blume kein specielles Wort existirt, denn das hierfür
vorhandene cicek oder cecek bedeutet ganz einfach Zier,
Zierath, Schmuck, von der Stammsilbe cic, ccc (vgl.
§. 171), und dem entsprechend vermissen wir auch in der
Sprache etwaige Benennungen der verschiedenen Blumen-
arten.
Alles in allem genommen wird dem Leser die ein-
gangs gemachte Bemerkung wol einleuchten, dass die
Sprache nur über diejenigen Theile der Flora einigen
Aufschluss gibt, die dem Menschen selbst auf der primi-
tiven Stufe der Cultur unentbehrlich sind, dass aber
demungcachtet diese kurzen und spärlichen Notizen uns
von bedeutendem Nutzen werden, wenn wir beim Lichte
philologischer Forschung zur Aufstellung der geographi-
schen Grenzen der alten Heimat des turko -tatarischen
Volkes uns anschicken wollen. Spätere wissenschaftliche
Resultate, als genauere Bezeichnung der Arten und cor-
224
recte Nomenclatur in den türkischen Mundarten, mögen
allerdings mehr Licht verbreiten, doch vorderhand müssen
wir uns selbst mit diesem schwachen Funken begnügen.
XVIII.
Die Farben.
Wer im dritten Buche von L. Geiger's „Ursprung
und Entwickelung der menschlichen Sprache und Ver-
nunft" die treffende Bemerkung liest, dass nirgends wie
bei der Farbenempfindung eine grossere Möglichkeit
bestimmter objectiver Erkenntniss des quantitativen Ver-
hältnisses neben so lebhaft qualitativisch-subjectiver Unter-
scheidung stattfindet — und zu dieser Aussage die von
weit und breit zusammengebrachten, mitunter dem luftigen
Gebäude der Dichtung entlehnten Beweisgründe anreiht,
dem wird sich wol mehr wie einmal die Frage aufdrängen:
Um wie viel leichter wäre das betreffende Bild zu ent-
werfen, und auch um wie viel klarer wäre es gewesen,
wenn der ausgezeichnete Forscher anstatt in dem abge-
nutzten arisch -semitischen Sprachschatze herumzusuchen,
seinen Blick dem kry stallreinen Material der ural-altai-
schen, speciell den türkisch -tatarischen Sprachen zuge-
wendet hätte? Bei den hier uns zu Gebote stehenden
Mitteln tritt weder die Gefahr verschwommener Sprach-
formen hervor, noch der berechtigte Zweifel an die Be-
weisfähigkeit jener Angaben, die einer erhitzten Phantasie
poetischer Begeisterung entsprungen. Wie bei der Be-
nennung vieler bisher erwähnter Gegenstände kommt auch
beim Ausdrucke der Farbenempfindung der schlichte.
225
naturgetreue Gang der menschlichen Vernunft zum Vor-
schein, und ebenso ungekünstelt und farbenkräftig spiegelt
sich fragliches Bild in der Sprache ab.
Schon der Begriff Farbe selbst wird in materieller
Hinsicht aufgefasst und entweder als eine von der Natur
verliehene oder künstlich beigebrachte Hülle dargestellt.
Wir müssen demnach im Türkischen zweierlei Bezeich-
nung dieses Begriffes unterscheiden und zwar zunächst die
natürliche, gewissen Korpern theils vom Entstehen an,
theils im spätem Wachsthum eigene Farbe, die entschie-
den als Hülle, Kleid, äussere Fläche und Aussenseite be-
trachtet, mit uig. üng^ cag. öng, jak. ön, in bezeichnet
wird, ein Wort, das, wie aus §. 196 ersichtlich, an jün^
^iiM = Haut, Wolle, Zierde, kaz. ;?on = Wolle, Vogelfedern,
CUV. 5;ww = Wolle, Vogelfedern u. s. w., sich anreiht und
ganz einfach als Kleid, Bekleidung, Aussenseite und Antlitz
aufzufassen ist. Hierher gehört der Begriffsanalogie nach
auch das cag. mengte, osm. 6em> = Gesichtsfarbe, vom
Stammworte men, mm — oben, obenauf, Aeusseres. Das
zweite Wort für Farbe, nämlich cag. hojdk^ osm. boja^ uig.
hotah^ bedeutet seinem etymologischen Werthe nach An-
strich, Schmiere, denn es stammt von hoj, 6öZ; = Schmutz,
Unflat (vgl. magy. fos = Unflat und fös-teni = färben,
ferner osm. Mr = Schmutz und uig. , cag. Iclr-is = Farbe,
Aeusseres), wonach der Begriff malen mit beschmieren,
Malerei hingegen mit Beschmierung, Beschmutzung iden-
tisch ist. Nachdem wir nun die allerdings interessante
Unterscheidung zwischen den von der Natur erzeugten
und künstlich geschaffenen Farben hervorgehoben, müssen
wir vor allem die Frage aufwerfen, ob die im Türkischen
vorhandenen Farbennamen ursprünglich aus speciell auf
die Farbenempfindung bezüglichen Stamm- oder Wurzel-
wörtern entstanden, oder ob sie etwa von jener äussern
Hülle entlehnt worden sind, in welcher einige dem Men-
V6mbäry, Cultur. 15
226
sehen in seiner allerfrühesten Existenz vorkommenden Ob-
jecte dem Auge sich dargestellt haben. Inwiefern die Frage
auf dem allgemeinen Gebiete der Sprachengeschichte be-
jaht oder verneint werden könne, muss der Sprach-
philosophie überlassen werden. Wir haben hier ausschliess-
lich mit dem Farbensinn einer einzelnen Abtheilung des
Menschengeschlechtes, nämlich des Türkenvolkes zu thun,
und können nicht umhin, auf Grund leichtfasslicher sprach-
licher Beweise die Behauptung aufzustellen, dass sämmt-
liche im Turko-Tatarischen vorhandenen Far-
bennamen, von der Natur sozusagen abgelauscht,
als einfache Eigenschaftsworter gewisser Ele-
mentarbegrife figuriren, oder um mich klarer aus-
zudrücken, dass roth dem Feuer, blau dem Was-
ser, grün dem Wachsthum u. s. w. entlehnt wor-
den ist, daher denn auch nicht die geringste Spur
von jenem Hin- und Herschwanken zu bemerken
ist, welches dem Menschen im grauen Alterthume
der arischen und semitischen Rasse in Betreff der
Farbenunterscheidung zugeschrieben wird.
Diese Procedur hat es ermöglicht, dass die Türken,
nicht wie die Chinesen fünf, oder wie die Griechen vier,
sondern sechs Grundfarben annehmen, und dieselben als
von Stoffnamen in leicht erkennlicher Weise abzuleitende
Farbenadjective correct zu bezeichnen im Stande sind. Es
ist dies allerdings ein Vorzug über andere Sprachen, auf
den die Philosophen nicht genug aufmerksam gemacht
werden können, wie auch im allgemeinen die Farbennamen
der türkischen Sprache so manche auf diesem Gebiete
mühsam aufgestellte Theorie über den Haufen werfen, in-
dem es sich herausstellt, dass die ehrwürdigen Literatur-
monumente einer Jahrtausende alten Culturepoche in der
Ursprungs- und Entwickelungsgeschichte der menschlichen
VeiMunft und Sprache keine solchen Factoren abgeben
227
können, wie die von fremden Cultureinfiüssen unbehelligte
rein erhaltene Sprache einer primitiven Menschenrasse.
Wie der Leser sich überzeugen wird, sind die den Tür-
ken in der frühesten Existenz bekannten sechs Grund-
farben: weiss, roth, schwarz, gelb, grün und blau, mit
denen wir uns der Reihe nach beschäftigeij wollen.
a) Weiss = aÄ;, ag, zugleich aber auch der Inbegriff von
offen, klar, hell, leer, daher im Grunde genommen das
Negative einer Farbenbezeichnung, oder farblos (vgl. §§.
1 und 5); weiss ist in derThat als analog mit rein, offen
aufgefasst auch in diesem Sinne in den Sprachgebrauch
übergegangen. Vgl. jüjs akligi = Weisse des Antlitzes,
Makellosigkeit, Offenheit, Klarheit des Aussehens, womit
in gleichem Maasse Ehre, Achtung, Ansehen und Ehr-
würdigkeit ausgedrückt wird, wie dessen Gegensatz jü0
Icaraligi = Schwärze, Dunkelheit des Antlitzes, Schmach
und Schande bedeutet. Es ist daher auch üblich, den
Verbrechern in einigen Theilen Centralasiens , wenn sie
aus dem Gefängnisse geholt coram publice vor dem Rich-
ter zu erscheinen haben, das Gesicht mit Koth oder mit
einer schwarzen Farbe anzustreichen, um damit zu be-
zeigen, dass sie der Reinheit oder der Weisse des Ant-
litzes verlustig geworden sind. Mit ak wird aber ausser-
dem noch die nächste Nuance von weiss, nämlich grau
ausgedrückt, worunter allerdings nicht dunkelgrau, denn
hierfür gibt es ein specielles Wort, sondern hellgrau,
silbergrau verstanden werden muss, in welchem Falle diese
Farbe sich wenig oder gar nicht unterscheidet, soweit es den
bildlichen Werth von weiss betrifft. Ak sakdl = weisser, d.h.
grauer Bart ist begrifflich analog mit dem engl, aldermafij
dem lat. senior^ dem pers. ris sefid u. s. w., und aga =
der Aeltere, der Ehrwürdige, der Vorgesetzte, steht in
gleichem Verhältnisse zu aÄ = grau wie das deutsche „Graf*'
zu „grau". Angesichts dieser doppelten Bedeutung von
15*
228
ah (weiss und grau) darf nicht unberücksichtigt bleiben,
dass die türkische Sprache für grau auch noch ein ande-
res Wort hat, nämlich 60^, alt. po^y eigentl. schimmelgrau,
welches mit dem cag., uig. 6or = Kreide verwandt ist, und
vorzugsweise als Farbenbezeichnung bei Pferden und an-
dern Thieren vorkommt. So cag. boj^-at, alt. jpor-wZ =
Schimmel, und ^emir jporw = Eisenschimmel; ferner nach
stattgefundener Mouillirung des auslautenden r in bei
po0, 2?W5 = Nebel (graue Luft) und bei 6m^, pu0, muz, mus
= Eis, wobei eine blosse Farbendefinition, aber keine spe-
cielle Benennung der gefrornen Flüssigkeit vorliegt. Dass
ioz dem primitiven ior entsprungen, unterliegt keinem
Zweifel; ob jedoch vorliegender Farbenname begrifflich
der Kreide entlehnt ist, oder ob ior ursprünglich weiss
bedeutete, wäre schwer zu unterscheiden, obwol das magy.
feiler y fejer hierzu einen schwachen Anhaltspunkt bietet.
Wahrscheinlicher ist jedenfalls die erste Hypothese.
Wie an den betreffenden Stellen unserer Abhandlung
schon erwähnt wurde, liegt die Stammsilbe ah oder in
ihrer normalen Lautveränderung von ag^ aj, az, ac einer
•grossen Anzahl theils auf weiss und hell, theils auf offen,
leer und klar Bezug habende Wörter (vgl. §§. 1 — 8) zu
Grunde. Weiss ist die Grundbedeutung des Wortes für
Mond (vgl. o; = Mond mit ag= weiss), und weisslich, näm-
lich agil, heisst der Hof des Mondes; ebenso ist auch die
etymologische üebersetzung des Wortes für Silber, näm-
lich ak-ce weisslich, während das Weltall mittels az-un
(Oeffentlichkeit), das heitere Wetter mittels aj-az (IQar-
heit) ausgedrückt ist.
b) Both und hoclirotli^ wovon ersteres mit hizil, letz-
teres mit dl ausgedrückt wird, sind zwei lautlich getrennte,
aber begrifflich miteinander eng verbundene Worter, denn
hizil stammt von fe>= Feuer, Glut (vgl. §. 93), und al ist
identisch mit al,jal, mong. ghal = Feuer ^ Flamme, auf-
I
229
loderndes Feuer (vgl. §. 126). Höchst sinnreich, wie die
Benennung der zwei Hauptnuancen der rothen Farbe ent-
standen, können wir nicht umhin, gleich im Anfang zu
bemerken, dass Mz, Uz, die Stammsilbe für die auf Feuer,
Glut, Hitze und Wärme bezüglichen Worter, heute als
specielle Bezeichnung des Wortes Feuer nicht mehr ge-
braucht wird, denn hierfür haben wir im Osten das echt
türkische ot, im Osmanischen das dem Persischen entlehnte
ates, während dl oder jdl mit den Varianten II, jll, zil
(vgl. §§. 10 und 126) entschieden den Inbegriff von hoch-
roth, rothlich, strahlend, glänzend, blitzend, flammend
u. s. w. in sich schliesst. Wenngleich sich annehmen
lässt, dass ursprünglich die beiden Farbennamen in An-
betracht ihres heterogenen Ursprunges einen so ziemlich
abgegrenzten Begriffskreis hatten, so konnte dieser im
Laufe der Zeit sich nicht erhalten, und es ist namentlich
in den Derivaten, welche leblose Dinge bezeichnen, bald
die Stammsilbe hiz, bald al als Grundwort verwendet
worden. Ich sage mit Vorsatz bei leblosen Dingen, denn
wo es sich um Ausdrücke handelt, die menschliche, gleich-
viel ob moralische oder physische Eigenheiten bezeichnen
sollen, finden wir Mz vorzugsweise angewendet. So Mz=^
Mädchen (vgl. §. 93), Tcizgin = zornig, d. h. feurig, eigentl.
gerothet infolge des aufgeregten Gemüthes, cuv. Jcirle =
schön vom menschlichen Antlitz, eigentl. roth (eine häu-
fige Begriffs Verwechselung; vgl. russ. Icrasno = roth ^ mit
slaw. Jcrasni= schon). Bei leblosen Dingen hingegen tritt
die allerdings später erfolgte Verwechselung in besonders
markanter Weise beim Worte für Gold hervor. Dieses
Metall wird nämlich beinahe auf dem ganzen Sprachge-
biete sowol Mzil als auch alün, d. h. das ßothe upd Hoch-
rothe genannt (vgl. ferner jak. a?fan = Kupfer, d. h. rothes
[Erz?j), ebenso wie Silber akce, d. h. das Weissliche. Da
beide Farbennamen, wie wir früher hervorgehoben, von
230
genau defiuirten Substantiven, nämlich von Helle und
Feuer abstammen, so unterliegt es keinem Zweifel, dass
hier der Begriff des Metalls durch den der Farbe ver-
mittelt worden ist, und zwar derartig, dass die Frage
durch sich selbst gelost erscheint, deren Nichtbeantwor-
tung Steinthal* bei Geiger rügt, nämlich die nicht genü-
gende Ermittelung eines Processes: wie zwei so verschie-
dene Begriffe wie ein Stoff und die Eigenschaft einer
Farbe zusammenfliessen. Der Mensch hat allerdings das
Feuer, eins der wichtigsten Elemente, eher gekannt und
benannt, als dies bei dem etwaigen Ausdrücken seiner
Farbenempfindungen der Fall gewesen sein konnte. Vom
Begriffe Feuer entstand der Farbenname roth und von
diesem ging es als Eigenschaftswort und Name auf das
fragliche Metall über.
Aber nicht nur der Name der Grundfarbe, sondern
auch die Bezeichnungen der betreffenden Nuancen als
braun oder rotlibraun stehen mit dem Begriffe Feuer
oder Wärme in engem Zusammenhange, wie aus dem
türkischen Farbennamen ^*aA«> = braun ersichtlich ist; dies
steht zum Stammworte jah = brennen , zünden in einem
Verhältnisse wie das deutsche brennen zu braun, bräu-
nen, ursprünglich bedeutete jakiz dunkelbraun, daher
die stereotype Redensart im Texte des Kudatku !Bilik von
jakiz jer, was die neuern Sprachen mit kara jer = schwarze
Erde wiedergeben; heute jedoch finden wir dieses Wort
im Osmanischen für fuchsroth oder Fuchs als Pferdefarbe.
Wenn L. Geiger in seinem Abschnitte über die Far-
ben auf den Umstand hindeutet, dass roth und schwarz
sich etymologisch vereinigt findon, ohne dies aus dem
Wortlaute der Literatur monumente des Alterthums zur
* Der Ursprung der Sprache im Zusammenhange mit den letzten
Fragen alles Wissens (Berlin 1877), S. 206.
231
Genüge beweisen zu können, so sind wir in dieser Hin-
sicht im Türkischen viel besser darah, denn wir können
in dem Worte für braun so zu sagen den Uebergangspunkt
entdecken, wenn wir das Wort für schwarz daneben stellen,
c) Schwarz = kara ist nämlich demselben Gesichtskreise
entsprungen wie roth, und beruht ebenfalls auf dem Grund-
gedanken der Wärme, Hitze und der von letztern ver-
ursachten Dürre. Die Stammsilbe dieses Wortes ist kaJc
= trocken, dürr, woraus das transitiv-active hakurmak =
dörren, trocknen, später nach normaler Absorbirung des
inlautenden Gutturalen kaurmak (vgl. osm. kavurmdk ^r
rosten, dorren) und das Adjectiv kaurak, kauruk, resp.
kara = schwarz und kuru = trocken entstanden ist. Der
analoge Ursprung beider Eigenschaftsworter, die nicht
nur lautlich, sondern auch begrifflich miteinander eng ver-
bunden sind, macht es erklärlich, dass heute kara sowol
in der Bedeutung von schwarz als auch von Erde, trocke-
nes Land, als Gegensatz zum Wasser, gebraucht wird,
und dass eben beide BegriflFe als ganz identisch erscheinen.
Wir werden weiter unten sehen, wie aus dem Gegensatze
von trocken, nämlich von nass und feucht, die Namen
heller, lichter Farben entstehen, und wollen hier nur con-
statiren, dass, so wie die weisse Farbe einerseits die Klar-
heit, die Helle und die Welt, andererseits die Ehre und
Achtung interpretirt, die schwarze als entsprechender
Gegensatz sowol Finsterniss, Dunkelheit und Unterwelt,
Holle, als auch Schande, Schmach und Unglück symboli-
sirt. Wie bei den übrigen Völkern war bei den Tür-
ken von jeher schwarz das Zeichen der Trauer und der
Düsterheit (vgl. karangu = ün^ier^ eigentl. schwärzlich, fer-
ner karak = Schaden, Plünderung), und unter kara versteht
der dem Schamanenglauben noch heute treu gebliebene
Altaier die bösen Geister, den Teufel, ja die Quintessenz
der Bosheit. Vgl. alt. oj-karazi = der böse Hausgeist, der
232
nach dem Hinscheiden eines Familiengliedes als Würg-
engel (a?cZail=Nehmer) im Hause zurückbleibt und durch
die Zauberformel des Schamans verscheucht werden muss.
Charakteristisch ist es, dass dieser Farbenname, vielleicht
infolge der der Schwärze und der Finsterniss zugeschrie-
benen Fürchterlichkeit, in einigen Theilen des ostlichen
Sprachgebietes in derBedeutung von ungeheuer, überaus
gross vorkommt. So Icara agac, d. i. die in Mittelasien
der Grösse halber bekannte Ulme, wortl. schwarzer Baum;
kara-bas^ d. i. das grosste unter gewissen Hausthieren,
wörtl. schwarzer Kopf; kara Jcurum, d. i. die grosse Stadt,
kara janijs (alt.) = ganz allein, d. h. der Superlativ dieses
Eigenschaftswortes u. s. w. ; ja möglicherweise ist fcara= Volk
und schwarz aus demselben Motive entstanden. Dieser Ideen-
gang, noch mehr aber der Zusammenhang des Begriffes hart,
trocken, dürr einerseits und das Verhältniss der eine lange
Existenz voraussetzenden Reife, d. h. das Endresultat einer
langen Lebensdauer andererseits, machen es erklärlich, dass
der primitive Mensch der turko -tatarischen Kasse, in einer
nicht genug zu bewundernden sinnigen Weise den Begriff
des Alters und der Bejahrtheit an den der Trockenheit,
Dürre und Schwärze anknüpfend, das Wort für alt aus
derselben Stammsilbe gebildet hat, wie die Wörter für
trocken und schwarz. Kari = Qlt^ bejahrt, steht nämlich
zu Jara = schwarz und Ä;wrw = trocken in demselben Ver-
hältniss, in welchem jas = jung zu jas = nass und jasil =
grün sich befindet, wie wir dies bereits im zweiten Abschnitte
über Geschlecht und Altersstadien hervorgehoben haben.
Der Mensch hat in genauer Beobachtung der Naturgesetze
die verschiedenen Phasen des Wachsthums der Pflanzen zur
Bezeichnung der einzelnen Stadien seines Lebensalters sich
als Muster hingestellt, daher die sowol lautliche als begriff-
liche Identität der Jugend mit dem saftigen üppigen Grün und
die des Alters mit dem ausgetrockneten schwarzen Aeussern
233
der Pflanzen. — So wie neben der specifisch rothen Farbe
nach gleichem Ideengange und aus begriflflich verwandtem
Stammworte der Farbenname für rothbraun (jakiz) her-
vorgegangen, ebenso ist mit kara eng verwandt Hr dunkel-
braun, eine Abstufung des Schwarzen, und ebenso wie
hara schwarz und Erde bedeutet, so heisst Mr braun und
zugleich Feld.
d) Gelb = sarik, sar% druckt nicht wie in andern Spra-
chen die Farbenempfindung des Hellen, Strahlenden und
Glänzenden aus, wie wir dies im gegenseitigen Verhält-
nisse zwischen dem arab. ^aÄa& = Gold und 5aÄa6=roth-
lich, dem slaw. j^Za^o = Gold und ife^i = gelb, dem pers. iser
= Gold und ^erd = gelb u. s. w. wahrnehmen, sondern es
bildet im Gegentheile den Inbegriff der Blässe, des fahlen
und welken Aeussern, wie uns dies aus der etymologischen
Zergliederung des betreffenden Wortes ersichtlich wird.
So wie den Worten kara, kuru und kari die Stammsilbe
kaJc zu Grunde liegt, so haben wir in sari, sara die Stamm-
silbe sak in der neuern Form 5aJ = trocken, dürr, und
nach einem analogen Processe wie bei kara ist aus sakur-
mdk, saurmak (gelb werden), sauruk, sarik, sari entstan-
den. Es ist sonderbar, dass nicht blos in den arischen
und semitischen Sprachen Gold als Stoffname mit dem
Farbennamen gelb eng zusammenhängt; wir finden einen
ähnlichen Ideengang selbst auf dem Gebiete der ural-altai-
schen Sprachen , nämlich im finnisch-ugrischen Kreise aus-
gedrückt, wenn wir das wogulische sorn% syrjänische mrni,
mag/, arany = Gold, mit dem turko-tat. sari = gelb ver-
gleichen, und auch die von Ahlquist* vermuthete Annähe-
rung an das Sanskrit wort hiranya im Zend zaranya^ das
er via Mittelasien zu den Finn-Ugriern kommen lässt,
können wir nicht ausser Acht lassen. Wie gesagt, gelb
* S. 72.
234
ist, wie der etymologische Werth des Wortes bezeugt,
bei den Türken von jeher die Farbe des Siechthums, des
Verblühens und des Verfalles gewesen; mengzi atmis = er
hat die Farbe verloren, und saramis =■ er ist gelb gewor-
den, sind gleichbedeutende Begriffe für fahl, bleich und
blass , und wenn Ewald * in seinem Buche über die
Farbenbewegung, von der Vorliebe der Romer für das
Gelbe ausgehend, der Ansicht ist, dass die Auffassung
von Gelb, heute bei uns die Leibfarbe des Neides, sich
im Laufe der Zeit und mit dem Wechsel der leitenden
Culturvölker verschoben haben muss, so scheint er das
sprachliche Verhältniss dieses türkischen Farbennamens
nicht berücksichtigt zu haben. Und dennoch beruht der
türkische Ausdruck dieser Farbenempfindung und ihre
Verwerthung auf dem Gebiete der Metaphern auf einem
naturgetreueren Ideenverhältniss als bei den übrigen so-
genannten altern Culturvolkern !
Wir haben soeben auf die Begriffsanalogie der Jugend
mit dem üppigen. Grün, des Alters mit der Schwärze und
Dürre der Pflanzen hingedeutet; wir wollen mm das Bild
durch mittlere Farbenabstufungen ergänzen, indem wir
auf die in der Sprache zum Ausdruck gelangte Identifi-
cirung der reifern Jugend mit roth und Feuer (vgl. ddi
kanli und i?>, §. 93), und des reifern zum Alter sich
neigenden Lebensstadiums mit gelb, als mit der Periode
des Welkwerdens, hinweisen.
e) und f) Blau und grün wollen wir deshalb unter
einer Rubrik besprechen, weil erstens die betreffenden
Farbennamen im Türkischen ein und demselben, wenn-
gleich nicht lautlich identischen Stoffworte entlehnt wor-
den, und zweitens, weil sie in dem alltäglichen Gebrauche
auf gewissen Theilen des Sprachgebietes häufig mitein-
* Berlin 1876, Erste Hälfte, S. 60.
235
ander verwechselt werden, trotzdem dort, wo dies der
Fall ist, eine genau definirte Bezeichnung der zwei ver-
schiedenen Farben nicht unbekannt geblieben ist. Die
Farbenempfindung des Blau hat der Türke von jeher,
wenigstens soweit durch vorhandene Sprachdenkmäler sich
dies nachweisen lässt, mit Tcöh ausgedrückt, ein Wort,
welches die ältere Form des im Kudatku Bilik angeführ-
ten üki, w^i= Wasser ist*; wir sehen demnach auch das
Eigenschaftswort blau dem Wortwerthe nach für Farbe des
Wassers an, ebenso wie das neupersische ahi = blau,
welches von ab = Wasser, und das modern arabische
mawi = blau, das von ma = Wasser stammt. So viel von
der Etymologie dieses Wortes. Bezüglich seiner Bedeu-
tungssphäre haben wir schon kurz angedeutet, dass es ab-
wechselnd bald in der Bezeichnung der blauen, bald der
grünen Farbe vorkommt, so cag. TcöU = dunkelblau und
grün. Gras, Wiese, Laub der Bäume, az. güj = Gtsls
und giijlemeJc = grünen^ mong. JcüJce = grün. Es ist dies
eine Begrifi'sverwechselung, der wir auch in den ältesten
Literaturmonumenten arischer Völker, ja des gesammten
Alterthums begegnen und die sich daraus erklären lässt,
dass die beiden Farben, als eine Nuancirung des Dunkeln,
der optischen Auffassung anfangs sich gleichsam als iden-
tisch vorstellten, eine Gemeinsamkeit, die, abgesehen .von
der empirischen Seite, auch aus der den vorhandenen
türkischen Wortern für grün und blau zu Grunde liegen-
den analogen Ideenverbindung hervorleuchtet. Ein zweites
höchst interessantes Moment bietet das türkische Wort
Jcök, da dasselbe ausser blau und grün auch noch Himmel,
und zwar den maleriellen Himmel im Gegensatze zu
tangri = der geistige Himmel, bedeutet und hiermit sich
* lieber das Verschwinden des anlautenden Ic vgl. mein „Etymo-
logisches Wörterbuch", S. XII.
1
236
in vollen Widerspruch stellt zu unsern aus den ältesten
Literaturen in dieser Beziehung gemachten Erfahrungen.
Während Geiger* es mit Recht auffallend und verwun-
dernswerth findet, dass die vedischen Lieder und nicht
minder die Avesta, die Bibel, der Koran und selbst die
Homerischen Gedichte der Bläue des Himmels, welche
doch in den Heimatländern fast aller dieser Bücher mit
ganz besonderm Reize wirkt, trotz überall nahe liegender
und oft dringender, wie man glauben mochte gebieteri-
scher Gelegenheit, niemals die entfernteste Erwähnung
thun, finden wir im Türkischen den Himmel nicht nur
schon früh als blau bezeichnet, sondern beide BegriflFe,
nämlich Blau und Himmel, eng verbunden, als ein und
dasselbe dargestellt. Ist schon diese Congruenz an und
für sich hinreichend, das türkische höh nicht als eine
neuere Wortbildung, wie dies beim früher erwähnten
pers. abi und arab. mawi der Fall ist, zu betrachten —
denn die Benennung des Begriffes Gras, Wiese und Ge-
wächs im allgemeinen kann doch nicht auf eine spätere
Periode gesetzt werden — so muss der Umstand, dass
der Himmel als der Blaue (höh) und nie als der Grüne
(JdsiT) vorkommt, mit der Genuinität des Farben wertes
auch die uralte Existenz dieses Farbenbegriffes sicher
stellen. Wir können daher mit Sicherheit annehmen, dass
wenngleich die arischen Völker im grauen Alterthume,
wenigstens in jenem, in welchem die Veden entstanden,
die blaue Farbe entweder nicht zu unterscheiden oder
derselben keine specielle Benennung zu geben vermochten,
die den Ariern in der Cultur weit zurückstehenden Türken
die blaue Farbe und den entsprecHenden Farbennamen
schon früh, ja seit dem Bestehen ihrer Sprache gekannt
haben.
* s
S. 250.
237
Gehen wir zur Erörterung des Wortes für grün, cag.
jasil, osm. jesil über, so werden wir sofort bemerken, dass
diesem das Stammwort jas = feucht, nass zu Grunde liegt,
und so wie blau als Farbe des Wassers, grün als in
engem Zusammenhange mit Nässe und Feuchtigkeit dar-
gestellt wird. Hier finden wir aufs neue den an die Natur-
gesetze des Wachsthums der Pflanzen sich anlehnenden
Ideengang , indem die in ihren Fasern noch Feuchtig-
keit enthaltende Pflanze als lebend und gedeihend, daher
grün erscheint (vgl. lat. vireo, viridis, altdtsch. grdni=-
grün, engl. ^roi{; = wachsen, türk. Jai = nass, ja^/i = grün
und j'aÄ=jung, Jugend), ebenso wie im entgegengesetzten
Falle die ihrer Lebenssäfte verlustig gewordene ausgedörrte
Pflanze als schwarz, d. h. als in der Farbe des Todes,
Verderbens und Unterganges dargestellt wird. In Grün
ist noch heute das Leben und die Hoffnung, in Schwarz
der Tod und das Unglück symbolisirt.
XIX.
Gott und Religion.
In Anbetracht der bei den Semiten so reichlich ent-
wickelten theosophischen und religiösen Speculation, fin-
den wir schon längst die Ansicht verbreitet, dass diese
eigenartige Richtung des menschlichen Geistes bei den-
jenigen Völkern in vorzüglicher Weise Wurzel gefasst,
und mit einer bis zum Monotheismus geführten Conse-
quenz verfolgt wurde, die vom monotonen Charakter der
unabsehbaren Steppenheimat contemplativ geworden, und
238
wo das menschliche Auge von der imposanten Unbegrenzt-
heit des Horizontes zum Anstaunen und zur Bewunde-
rung der schaffenden und belebenden Kraft des Weltalls
sich vielmehr hingerissen fühlte, als unter andern terri-
torialen und klimatischen Verhältnissen. Um nach meinen
eigenen personlichen Erfahrungen zu urtheilen, übt die
Steppennatur, wie ich solche wochenlang auf meiner Reise
zwischen Persien und Chiwa zu beobachten Gelegenheit
hatte, auf das menschliche Gemüth einen entschieden mehr
anregenden und packenden Einfluss aus, als die höchste
Alpenregion mit ihren zerklüfteten Felsenkolossen und mit
ihren im wunderbarsten Farbenprisma glänzenden Schnee-
häuptern. Und dennoch muss sich uns die Wahrnehmung
aufdrängen, dass wenngleich die Steppennatur sich überall
gleichbleibt, der in derselben lebende Mensch, allerdings
infolge verschiedenartiger Einflüsse von aussen her, nicht
ein und denselben Pfad der Ideenwelt einschlägt; denn
während die in und neben der Arabischen Wüste wohnen-
den Semiten von jeher durch religiöse Speculationen sich
hervorthaten, tritt bei einem andern mehr nordlich wohnen-
den Steppenvolke, nämlich bei den Türko-Tataren, in dieser
Beziehung ein geistiges Unvermögen und der kälteste In-
differentismus zum Vorschein, indem der Schamanismus,
dieses uralte Religionswesen der Turanier, mit seinem
Trommellärra, Zauberspuk und seinen Geisterformeln sich
nur wenig über den Fetischcultus des wildesten Afrikaners
erhebt. Wenn also diese Verschiedenheit der menschlichen
Geistesrichtung uns auf den ersten Anblick befremdet, so
wird andererseits eine eingehende Prüfung der Sachlage
uns belehren, dass hier weniger ethnische Eigenheit oder
Bodenbeschaffenheit, als vielmehr Zeitraum und Verschie-
denheit des Klimas den Ausschlag geben. Im Süden näm-
lich gedeiht nicht nur das Pflanzenreich schneller und
üppiger, sondern auch der menschliche Geist thut sich
A
239
durch eine raschere Entfaltung und durch eine regere
Thätigkeit hervor. Daher hat auch der bei den Semiten
früher vorhandene Fetischdienst in verhältnissmässig kur-
zerer Zeit dem mehr rationalen Monotheismus Platz ge-
macht, und deshalb bedurfte auch die jahrtausendelang
stationär gebliebene Cultur der Türken unter einem
hohem Breitengrade eines grossem Zeitmaasses und eines
starkem Impulses von aussen her zu diesem Processe der
Umgestaltung und zu diesem Fortschritte.
Schon die Art und Weise, wie der Begriff Religion
auf dem, einem fremden Einflüsse minder zugänglichen
Sprachgebiete im Anfang zum Ausdruck gelangte, kenn-
zeichnet vollständig unsere Ansicht. Wir finden nämlich
dort, wo das arabisch- moslimische dm= Glaube unbekannt
geblieben, für diesen Begriff noch heute die Worte jan
oder jo^ioJc (alt.), der Wortbedeutung nach Art, Manier,
Sitte und Anstand, was folglich ganz einfach als Lebens-
norm, Verhaltungsregel oder Gesetz aufgefasst werden
kann, wonach der Mensch sich verhalten muss, um An-
spruch auf Anstand zu haben; es ist daher, wie wir wei-
ter unten sehen werden, der eine Religion habende, gott-
kennende , gottfürchtende Mensch ins Stadium einer
hohem Bildung getreten, und dies erinnert uns an ein
ähnliches, im christlich- lateinischen pa^am«5=Heide, eigentl.
Dorfbewohner, hervortretendes Verhältniss. Jangi jok hisi
= ein Mensch ohne Gesetz, Sitte, d. h. ohne Religion, ist
ein Schimpfausdruck gleichbedeutend mit dem modern-
islamischen Jcafir = ungläubig, d. h. der Ausbund aller
Schlechtigkeit. Der Begriff Religion trägt daher, soweit
aus dem hierfür bestehenden Ausdrucke ersichtlich, die
Anschauung eines mehr socialen als geistig- religiösen In-
stituts in sich und weicht in dieser Hinsicht entschieden
ab von dem arisch-europäischen „Glaube", ßdeSy und dem
arab. iman und dem hebr. ämunah^ in welchen Wörtern
240
der Grundgedauke des Glaubens und Vertrauens und
der Zuversicht in das höchste Wesen ausgedrückt ist.
Es kann selbstverständhch nicht die Angabe dieser
Schrift sein, die Dogmen und Theorien des Schamanen-
glaubens, wie er in den allerdings heute schon abgeschwäch-
ten Formen unter den ural-altaischen Volkern des nord-
östlichen Asiens vorliegt, oder wie dessen Geist in den
durch Radioff veröffentlichten höchst werthvoUen Literatur-
proben der Türken Südsibiriens unserer Erkenntniss nahe
kommt, eingehend zu erörtern. Dieser Aufgabe gedenken
wir in der speciellen Arbeit über die Ethnographie des
Türkenvolkes uns zu entledigen. Da wir uns die Erfor-
schung der primitiven Culturverhältnisse des türkisch-tata-
rischen Volkes zum Ziel gesteckt haben, tritt hier die
Nothwendigkeit an uns heran, den uralten Zustand, ja die
Entstehungsphasen dieses eminent turanischen Glaubens
im Lichte sprachlicher Auseinandersetzungen einer Prü-
fung zu unterwerfen, indem wir es versuchen wollen, je-
nen innigen Zusammenhang in Relief zu bringen,
der zwischen dem auf religiöse und überirdische
Begriffe Bezug habenden Wortschatz einerseits
und dem Geiste der uns bekannten Lehren des
Schamanenglaubens andererseits besteht. Wir
wollen uns daher zuerst mit dem als Gottheit darge-
stellten höchsten Wesen beschäftigen. Wie schon in
dem Abschnitte über Himmel, Sterne u. s. w. erwähnt,
waren die Begriffe Himmel und Gott fast bei allen Völ-
kern der ural-altaischen Rasse von jeher identisch, indem
unter demselben der geistige Himmel, das die Welt um-
spannende Firmament, und der dem Urmenschen zumeist
als Object des Staunens, der Verwunderung und der
Furcht sich präsentirende Lichtkörper (vgl. ^aw^=Helle
und tangri =IIiminel) verstanden wurde. Dieser Himmels-
gott, diese Personification des allerhöchsten Wesens scheint
241
im Laufe der Zeit untergeordnete Gotter oder dienst-
thuende Geister erhalten zu haben, denen das Schalten
und Walten der einzelnen Elemente und die Vermittelung
zwischen Gott und den Menschen, d. h. die Belohnung
oder die Bestrafung derselben übertragen worden ist, da
nach echt altaischen Begriffen derartige Dienstleistungen
dem höchsten Wesen, als unter seiner Würde stehend,
doch nicht zugemuthet werden können. Ein ähnliches
Verhältniss findet nach Chwolsohn auch im Sabaismus
seinen Ausdruck, und so soll auch z. B. im Glauben der
Permer Heiden der oberste Gott Jen sich nur mit den
allerhöchsten Geschäften abgeben, ähnlich dem Jumo der
Tscheremissen, während die Verwaltung einzelner Gebiete,
wie der Flüsse, Wälder, Felsen und des Feuers, unter-
geordneten Geistern anvertraut wurde.* Dieser höchste
Gott nun hat auch in der That seinen speciellen Namen
im Altaischen beibehalten, nämlich in der Bezeichnung alt.
Ican tengere^ d. h. Fürst-Himmel oder Fürst-Gott, während
tengere allein, wenn auch nicht mehr im Altaischen, so
doch im Mongolischen, die Geister des Erd- und Himmels-
raumes bezeichnet. Ein ähnlicher Fall lässt sich im Tschu-
vaschischen wahrnehmen, wo die oberste Gottheit als Sjüldi
Tora, d. h. höchster Tora (von tanri, tari) dargestellt ist,
während dessen untergebene Gottheiten nur in Begleitung
des ihren Dienst kennzeichnenden Namens vorkommen.
So: ivil chir sjoradagan ^ora = der die Kinder beschützende
Tora, mol sjoradagan fora=der das Vermögen beschü-
tzende Tora u. s. w. Dass dieser höchste Gott schon
gleich im Anfang eine bedeutende Anzahl von Eigenschafts-
wortern hatte, wie wir dies im Islam bei den neunundneunzig
Epitheta AUah's und im Buddhismus bei einer noch grossem
Anzahl wahrnehmen, bedarf keiner besondern Erwähnung,
* Vgl. Zolotnitzky, S. 146.
VÄmböry, Cultur. 16
242
und nur als ein hiermit im Zusammenhange stehender
und unsere Forschung in erster Reihe interessirender Um-
stand muss hier hervorgehoben werden, dass diese Epi-
theta, oder einzelne derselben, im Laufe der Zeit die Form
selbständiger Substantiven angenommen haben und heute
als vermeinte ursprünglich specielle Benennungen der Gott-
heit bei den turko -tatarischen Volkern theils mündlich,
theils schriftlich gang und gebe sind. Diese sind: 1) das
uig. ohan, 6ag. ogan = Gott, eigentl. der Allwissende oder
Verstehende, von der Stammsilbe oÄ= begreifen, verstehen;
2) das 6ag. bajat oder 6ya^ = Gott, eigentl. der Hohe,
Allerhöchste, von der Stammsilbe haj, hij = hoch, erhaben,
(vgl. §. 205), und mit diesem begrifflich analog ist 3) das
uig., alt. menggi, möngM = der Ewige, der Himmlische,
von meng, möng =^hoch (vgl. §. 233), das übrigens bisweilen
auch in der Form von menggi a^a= himmlischer Vater oder
Vater in der Hohe vorkommt; 4) das alt. hairahan=G ott^
Gottheit, eigentl. der barmherzige, mitleidige Fürst oder
Gott, von kairmak, Tcajlrmdk = bemitleiden, und Tcan = Fürst.
Als Ergänzung zu diesen Benennungen der höchsten
Gottheit sei noch erwähnt, erstens das bisher als etymo-
logisches Räthsel bekannte altosmanische colab = Gott,
dessen Zusammenhang mit celebi = Herr, Gottesmann, reli-
giös, folglich vornehm, sofort auffiel, ohne von dem Geiste
der türkischen Lautlehre zur Ueberzeugung gebracht zu
werden, dass celebi nicht von colab ^ sondern nur von ca-
lab stammen könne, und dass letzteres eine Zusammen-
setzung von cal — aba, d. h. grauer oder greiser Vater oder
Ahn, eine türkische Interpretirung der auch bei andern
Völkern bekannten Auffassung der Gottheit sei. (Vgl.
alt. a6ea5= Gott, eigentl. alter grauer Vater.) Zweitens
Icudaj oder chudaj, das persische cJiuda =^Goit, Herr, das
sonderbarerweise an der Ostgrenze des Sprachgebietes,
nämlich bei den von dem iranischen Einflüsse am entfern-
243
testen liegenden Altaiern am meisten gebraucht ist. Dies
erinnert uns an einige andere ähnliche Fälle, nämlich an
das magy. isten = Gott, das mit dem pers. i^dan identisch
ist, und an die Existenz des ebenfalls pers. nan = Brot
unter den Wogulen im hohen Norden. Drittens das uig.
iti, <^ag. ege oder ige = Gott ^ Herrgott, eigentl. Besitzer,
Eigenthümer (vgl. §. 30), das im Grunde genommen nur
als Anrufung gebraucht, im Sprachgebrauche der Altaier
jedoch in der einer normalen Lautveränderung entsprechen-
der Form ee als untergeordnete Gottheit, als Geist vor-
kommt. So: tu-eezi = der Berggeist, jU eezi = der Wald-
geist, SU em = der Wassergeist u. s. w.
Was nun diese Gottheiten zweiten Ranges, diese dem
Menschen Schaden oder Nutzen bringenden Geister an-
langt, so hat die Sprache mit erstem, nämlich mit den
wohlthuenden Genien sich nicht so eingehend beschäftigt
als mit den bösen, die als Gegenstand der Furcht und
des Schreckens fortwährend in der Einbildung und auf
der Zunge waren. Unter diesen spielt der Erlik oder
Ertik*=^ der Gott der Unterwelt, der Repräsentant der
Bosheit und der schädlichen Kraft, die Hauptrolle. Das
Wort selbst bedeutet der Kräftige, der Mächtige und hat
sich auch im Magyarischen erhalten in der Form ördög=^
Teufel. Mit Bezug auf diese bösen Geister ist auch die
Sitte der Opfer und Spenden entstanden, indem der pri-
mitive Mensch dadurch ihren Zorn zu beschwichtigen und
das Unheil abzuwenden versuchte, so wie er durch Ge-
fälligkeitsbezeigung die Gunst seines Nebenmenschen zu
erwerben gewohnt war. Ueber das Wesen und die Be-
schaffenheit der Opfer geben uns die Sprachmonumente
* Die Suffixe lik und tik wechseln miteinander, so ist das moderne
li, lu, lü, welches eine Eigenschaft bezeichnet, im Altaischen stets
mit tif tUj tu ausgedrückt, z. B. dag. küliili, alt. külküitü—l^chevlich.
16*
244
einige sehr werthvolle Winke an die Hand. So ist adag
= dä8 Gelübde, wie aus dem Wortlaute ersichtlich, eigent-
lich nur das Versprechen oder Verheissen eines Opfers,
von a^= sagen, sprechen (vgl. §. 4); darauf folgt das
cacitifc = Opfer, eigentl. das Ausgestreute, das Gespendete,
eine Art Libation theils in flüssigen Korpern, theils in
kleinern Objecten, welche den die gefürchteten Geister
repräsentirenden Penaten hingestreut wurden. So wie das
Haupt der bösen Geister mittels des complimentirenden
Ausdruckes „der Mächtige" gewonnen werden sollte,
ebenso führen die Götzen im allgemeinen den Zärtlich-
keitsnamen wreÄrew = Alter , Alterchen, von alt. ürek, öag.
ireg^ magy. öre5f = alt; denn das fiir den BegriflP Götzen
erst in der islamitischen Periode entstandene put^ but^ eher
ein Schimpfwort der Götzen, ist persischen Ursprunges.
Gleichen Sinnes und Alters mit caclik ist das bei der
strengen Controle des Islams heute nur noch im Aber-
glauben lebende iji$ = Opfer aufzufassen. Mir ist dieses
Wort unter den Turkomanen in der Bedeutung von Todten-
mahl oder das zum Todtenmahle gebackene Brot (vgl.
„Cagataische Sprachstudien", S. 240) vorgekommen, und
nur nach später angestellten Vergleichen auf den übrigen
Theilen des türkischen Sprachgebietes konnte mir dessen
eigentlicher Sinn einleuchten. Zolotnitzky berichtet in sei-
ner interessanten Studie über die Tschu vaschen (S. 150) von
einem Halbgotte mcfe, den Sbojew in seinen „Zamjetki o
Cuvaöach"* („Bemerkungen über die Tschuvaschen",
S. 124) als einen solchen Geist darstellt, der Krankheiten
über die Menschen schickt, und der durch aus säuerlicher
* Lautlich ist das cuv. irich mit dem turkom. ijis analog, da das
öuv. r dem turk. j
» ch, k » »8
entspricht.
245
Mehlspeise und Lämmern bestehenden Geschenken nach
der Meinung der Jomzen (Priester) besänftigt werden muss.
Diese bei den Tschuvaschen von den Opfergaben auf die Zeit .
selbst übergegangene Benennung findet sich auch bei den
Minusinskischen Tataren in der Form von ieih = gehei-
ligtes, zum Opfer bestimmtes Thier, bei den Altaiern als
ijik und bei den Jakuten als Utk vor und bedeutet etymo-
logisch das Gesendete, das Ausgesetzte, von der Stamm-
silbe ij, it (vgl. §. 28), woraus wir ersehen, dass dieses
Wort mit dem schon erwähnten adak begrifflich identisch,
und von dem eigentlichen concreten Opfer sich nur inso-
fern unterscheide, dass es, namentlich bei Thieren, solche
Opfer gab, die mit einem Zeichen versehen noch eine
längere Zeit am Leben erhalten wurden. Spuren dieser
Sitte finden sich selbst noch heute vor, indem das zum
moslimischen Kurban-Bajram bestimmte Schaf oder Kamel
von den türkischen Nomaden monate-, bisweilen jahrelang
vorher auserkoren wird, während man es mit einem Bande
oder mit blauen Korallen geschmückt frei umhergehen
lässt.
Forschen wir nun, gestützt auf sprachliche Beweis-
gründe, nach dem eigentlichen Grundgedanken, der aus
dem Religionsgefühle, d. h. aus der Furcht vor einem
höhern Wesen oder vor der höchsten Allmacht ausge-
flossen (wie Lubbock, S. 133, bemerkt: ^^Their deities
are evtl, not good''), so werden wir ohne jegliche An-
strengung entdecken, dass beim primitiven Menschien der
turko-tatarischen Kasse die Idee der höchsten Gott-
heit mit dem Begriffe der unbegrenzten, dem
menschlichen Blicke unzugänglichen geheimen
Urkraft identisch gewesen, und dass er in allen
ihm unerklärlichen Erscheinungen und Vor-
kommnissen des Lebens eben nur den Einfluss
und die Wirkung dieser geheimen Kraft sah.
246
• *
Nur 80 wird es erklärlich, warum z. B. der Begriff
Zauber^ dieses allergrossten Factors in der Glaubenswelt
der Turanier, mit iag, baj, ioj^ büj, d.h. Band, Fessel,
ausgedrückt ist, und warum das primitive Wort für
Zauberformel, d. h. zur Herbeischaffung der geheimen
Kraft, arbag (von ar = Kraft und bag = Band) Kraft —
Fessel heisst. Arbag, heute in der Bedeutung von Zau-
bermärchen, Mär, Sage im allgemeinen bekannt, besteht
eigentlich aus jenen kurzen mystischen Sätzen und Redens-
arten, mit welchen der kam (Schamane) oder die kam
chatun (Schamanenfrau) den Zauber losen, richtiger die
geheime Kraft fesseln will; bevor man zu (biner derartigen
Function sich anschickt, wird, wo z. B. von Heilung
eines kranken Gliedes bei Menschen oder Thieren die
Rede ist, auch in der That zuerst der symbolische Ver-
band angelegt, um so zu sagen die geheime Kraft nicht
nur mittels Worten, sondern auch thatsächlich zu binden,
sowie im entgegengesetzten Falle der Begriff „entzaubern"
mittels der Umschreibung das Band losen oder aufbin-
den, bagi cözmek^ ausgedrückt wird. Mit diesen physi-
schen Mitteln zur Bekämpfung der geistigen Macht geht
Hand in Hand der im Schamanenglauben uralte Gebrauch
der Trommel, alt. tüngür^ uig. hüng (vgl. S. 71, IV.), in-
dem man mittels des, dem Gehörorgan des Naturmenschen
ungewohnten und erschreckenden Lärmes die als geheime
Kraft wirkenden Geister einschüchtern und verscheuchen
zu können glaubt; daher auch die aussergewohnliche
Tracht, das furchteinjagende Aeussere und die absonder-
lichen Gesticulationen der Schamanen während ihres Opfer-
dienstes , ihrer Beschworungen oder Verwünschungen.
Und so wie der Grundgedanke der Gottheit, selbst nach
einer mehr als zwolfhundertjährigen Bekehrung zum Is-
lam beim türkischen Steppenbewohner noch immer ein
und derselbe geblieben, d. h. so wie z. B. der Turkomane
247
— ich meine den noch nicht in den Klauen des Molla
mürbe gewordenen Turkomanen — seinen Allah, Kudaj
oder Tanri, diesen Herrn seiner grauenvollen Steppen-
heimat mehr fürchtet als liebt, ebenso hat die stramm
monotheistische Tendenz der arabischen Glaubenslehre es
nicht vermocht, den sozusagen in den Gliedern des
Türkenthumes steckenden Schamanenspuk zu vertreiben.
Die Function eines kam unter den Altaiern und eines
Jomzen unter den Tschuvaschen ist im streng moslimischen
Mittelasien auf den Dervisch und an den Bachäi (Trouba-
dour) übergegangen. Die hohe bunte Mütze, das lange
weite faltenreiche Kleid, das über die Schultern herab-
wallende lange Haar, das inartikulirte dumpfe Geschrei
und die wilden Sprünge, alles hat sich erhalten, mit Aus-
nahme der das crasse Heidenthum bekundenden Trommel,
die übrigens durch modernere Musikinstrumente, wie die
zweisaitige Violine (Äo6o^), vertreten ist. Ebenso wie
vor Tausenden von Jahren werden noch heute Geister
beschworen und zwar mittels Opfer, wie wir dies beim
Ijis unter den Turkomanen wahrnehmen; man behangt
Rinder und Pferde mit Zauberfetzen, man versucht Krank-
heiten, Skorpionenbisse durch den bestmöglichen Spuk
zu heilen, denn gleichwie im primitiven Zustande das
ganze Religionsgefühl in der Furcht vor der geheimen
Macht sich concentrirte, so hat auch der heutige Tura-
nier inmitten der ewigen Schrecken vor der sengenden
Sonne auf den wasserlosen Steppen und vor den Sand-
und Schneestürmen seiner heimatlichen Natur nur in dem
Gefühle der steten Furcht und Angst sein Religions-
bewusstsein geoffenbart.
Da Religion von Anfang an nicht ohne Religions-
diener bestehen konnte, so ist es von besonderm Inter-
esse, den Ursprung jener Wörter zu untersuchen, mit
welchen die Priester des alten Glaubens benannt wurden
248
und die selbst heute in der moslimisch- türkischen Welt
sich erhalten haben. Hier begegnen wir zuerst dem
Worte kam, entsprechend dem in Europa gebrauchten
Schamane (im eigentlichen Sinne des Wortes aber Zau-
berer, Arzt, Priester), welch letzteres bekanntermaassen
aus dem Tungusischen zu uns übergegangen ist, wo es
Geisterbeschwörer bedeutet (vgl. chinesisch samen öder
simen = Diener Buddha's). Zolotnitzky will kam mit dem
6uv. jom (in jom-za^^ mit jak. ojon und dem tungusi-
schen sam vergleichen, ein Vorgehen, das nach den Ge-
setzen der betreffenden Lautlehre gewissermaassen zu
rechtfertigen wäre, das uns aber zur Eruirung der Grund-
bedeutung dieses Wortes von keinem Nutzen sein kann.
Es ist möglich, dass das cuv. jom viel leichter mit dem
finn. jum-ala, öeremiss. jumo, syrjän. jen = Himmel,
oder vielleicht mit dem ainoischen kamoi * verglichen, da-
her als Gottesmann oder Himmelsdiener aufgefasst wer-
den konnte; dies lässt sich aber nicht als positive Be-
hauptung aufstellen, und wir müssen einstweilen den Ur-
sprung dieses Wortes als eine offene Frage betrachten,
obwol das gegenseitige Verhältniss zwischen kam = Arzt,
kamlamak =. heilen, und hammak, kamlamak = binden
(etwa die Macht der bösen Geister binden?) zu so man-
chen Conjecturen ermuntert. Viel besser sind wir daran
mit der etymologischen Erkenntniss des Wortes •iaksi
oder lachst^ das in der Bedeutung von Improvisator,
Zauberer und Wunderdoctor vorkommt, und das ganz
einfach eine Verdrehung des ursprünglichen hakici =
Seher, Prophet, Augur ist. Diese Auslegung findet ihre
Bestätigung durch ein anderes hierauf bezügliches Wort,
nämlich durch das kazanische kürümci oder küre^e = Zau-
* Vgl. das Wörterbuch Dawidow's in der Beilage zu Krusenstern's
Reise, III, 3i4 (nach Zolotnitzky). ^
249
berer, Seher, von hür = sehen, und sehr interessant ist es
zu beobachten, welche Begriffsverwandlung eben das Wort
baksi, bachsi in der spätem Periode durchgemacht hat.
In den frühesten Stadien der Cultur ein Name jener
Menschen, von denen vermuthet wurde, dass sie über die
zur Erkenntniss überirdischer Dinge nothige Sehkraft
verfugen, folglich geistige Seher, ist der Bachsi im Laufe
der Zeit zum Zauberer, und da dies mit den Glaubens-
principien des Islam nicht mehr vereinbar war, zum wan-
dernden Poeten, Tausendkünstler und Arzt geworden,
der gleichsam als der Schatten des im raschen Untergehen
begriffenen alten Glaubenssternes nur in jene Zeltengruppe
sich wagt, wo es keine beturbanten MoUakopfe gibt und
wo der entnationalisirende Giftsame der mohammedani-
schen Lehre noch nicht zur Genüge emporgeschossen ist.
Von den in den Bereich der Religion fallenden Sitten
und Gebräuchen und dem Aberglaulben wollen wir zuerst
eines wol mit fremden Namen benannten, aber sonder-
barerweise schon seit alten Zeiten und auch heute vor-
zugsweise bei den Turko- Tataren anzutreffenden Zaubers
erwähnen. Es ist dies der Gebrauch des Jada-tasi =
Jadastein, der BezoaVy pers. sangi-jada, arab. haiar ul
matar (Regenstein) genannt und von vermeinten Kennern
der Zauberformel betreffs Herbeizauberung von Regen,
Schnee und kühler Witterung, auch zur Heilung von
Skorpionenstichen gebraucht wird. Nach dem Religions-
mythus hat Japhet, der Urahn der Türken, diesen Stein,
auf welchem der Name Gottes zuerst geschrieben war,
von Noe erhalten, weshalb er in der übrigen Welt
in Verlust gerathen und nur noch bei den Türken, als
den Abkömmlingen Japhet's, zu finden sei. Diese speciell
türkisch-nationale Charakteristik dieses Aberglaubens findet
auch in der Sprache ihre Bekräftigung, denn obwol jada
persischen Ursprunges ist (vgl. zeud. jatu, neupers. zadit
250
= Zauber), so hat dieses Wort das grosste Terrain auf
dem türkischen Sprachgebiete; es ist im Mongolischen
gebraucht, kommt unter den Altaiern und Kirgisen vor
(vgl. jadalamak= Regen beschworen) und ist selbst den
Osmanen bekannt unter der Form zadu = Hexe, altes
Weib. Nach Aussage des chinesischen Schriftstellers Si-
jui-win-dzan-lu findet sich dieser Stein im Magen der Kühe
und Pferde vor, wird auch bisweilen im Schwänze der
Eidechse und im Kopfe des Wildschweines angetroffen.
Wenn die Turkestaner um Regen beten, erzählt femer
der Chinese, wird der Jada- Stein an die Gerte einer
Sandweide gebunden und ins reine Wasser gelegt, wor-
auf sofort der Regen eintritt. Wenn sie klares Wetter
wünschen, wird der in ein Säckchen gelegte Stein an den
Schweif des Pferdes befestigt, und schliesslich im Gürtel
getragen, wenn man den Eintritt kühler Witterung ver-
langt. * Wie leicht erklärlich, zielt der chinesische Autor
mit seiner Bemerkung auf die dem Islam noch fremd ge-
bliebenen Türken von exclusiv nomadischer Existenz, wie
solche im Nordwesten des Himmlischen Reiches bekannt
waren, und es ist höchst wahrscheinlich, dass wir es hier
mit einem eminent türkisch -tatarischen Aberglauben zu
thun haben, der im Volke noch heute lebt, vor einigen
Jahrhunderten noch officiell im Gebrauche war ** und von
dem nur der Name fremd ist.
Von besonderer Bedeutung und von hohem Alterthume
war der Gebrauch des Wahrsagens oder Prophezeiens,
das nach türkischer Auffassung dieses Begriffes weder
den Sinn des deutschen Wahrsagens noch des griechischen
Voraussehens enthält, sondern in der wortlichen Bedeu-
tung Gutes sagen, einen guten Rath ertheilen bezeichnet.
* Vgl. Budagow, Wörterbuch, II, 352.
♦* Vgl. meine Geschichte Bochara's, II, 94.
251
Das hierfür vorhandene Wort uig. jahurmdk^ öag. jaur-
mak, alt. juurmak stammt von jah = gut, behaglich, pas-
send (vgl. §. 122) und erinnert an das analoge Verhält-
niss zwischen dem magy. j6 = gut und jö-sol = prophe-
zeiet. Dem Wahrsager, kam oder lachst, lag es daher
ob, die durch irgendeine unvorhergesehene Begebenheit
oder durch einen Traum erzeugte Beklemmung und Angst
zum Guten auszulegen, und den zur Abwendung des ge-
fürchteten Uebels nothigen Rath zu ertheilen. Die zumeist
gebräuchlichen Wahrsagungen, wie aus dem Texte des selbst
im Islam vorherrschenden Aberglaubens ersichtlich, waren
erstens auf gewisse Körpertheile der geopferten Thiere
gegründet; so z. B. die Lage der Eingeweide, das Schulter-
blatt der Schafe, Kamele und Kinder (bei Lappländern,
Mongolen und Tungusen in gleicher Weise anzutreffen,
nur dass die Basis der Prophetie, d. h. die Sprünge auf
dem gebratenen Beine, in verschiedener Weise gedeutet
wird); zweitens auf Einflüsse des Windes, anderer Natur-
erscheinungen und das Aufsteigen des Rauches, drittens
auf arithmetische Spiele mit Steinchen oder mit kumalak
(Excrementen der Schafe).
Als im engsten Zusammenhange mit den Opfern
stehend müssen ausser den Wahrsagungen auch die Fest-
und Feiertage angesehen werden. Diese werden im Tür-
kischen mit toj bezeichnet, was identisch mit tok = satt,
gesättigt, eigentl. Festessen, Sättigung bedeutet, und
dessen Entstehung uns sofort einleuchtet, wenn wir in
Erinnerung bringen, dass im Schamanencultus noch heute
das geopferte Thier als Mahlzeit der betreffenden Gesell-
schaft dient. Die Opfermahlzeit bildet daher den Grund-
gedanken der turko-tat. Feiertage, welche daher Ess-,
nicht aber Feier- oder Ruhetage waren. Toj (vgl. magy.
tor) heisst noch heute cag. Festessen, Hochzeit und Fest-
lichkeit im allgemeinen, und aus toj-günü = der Tag des
252
Festessens, ist das osm. düjün, (7%ien = Feiertag ent-
standen.
Nicht minder interessant ist die Entstehung des
Schwurest insofern auch dieser mit der Ceremonie des
Opfers im Zusammenhange steht. Als religiöse Betheue-
rung oder Bekräftigung irgendeines Gelübdes, gegebenen
Wortes oder getroffenen üebereinkommens konnte der
regelrechte Schwur nur bei Gelegenheit eines Opfers voll-
zogen werden, wobei die beiden Schworenden durch
einen Trunk Blutes aus dem geschlachteten Opfer als
durch das heiligste Mittel sich verbanden; als diese Sitte
später umgangen wurde, öffneten die Schworenden sich
gegenseitig die Armader, liessen ihr Blut in ein Gefäss
fliessen und tranken dasselbe» Schworen heisst daher
im Türkischen and icmek^ wortl. Segen trinken, richtiger
Opfer trinken (vgl. 18), und Schwur and icki = Segens-
trank. Auch im Neupersischen wird schworen in ähn-
licher Weise ausgedrückt, nämlich mit sokend churden =
einen Eid trinken, wobei mir saukend ein Compositum zu
sein scheint, dem das türk.-tat. and'zxi Grunde liegt.
Diese Art des Schwörens oder des feierlichen Gelöbnisses
hat sich nicht minder treu im Magyarischen erhalten. Die
alten Chroniken berichten von der Sitte des Oeffuens der
Armader und des gemeinschaftlichen Bluttrankes *, und
das selbst heute noch gebrauchte magy. Wort für Schwur,
nämlich eskü^ ist rein türkischen Ursprunges und mit dem
oben erwähnten icki, ickü = Trank identisch. ** Mit dem
* Diese Sitte wird noch heute in Afrika prakticirt. So erzählt
Stanley in seinem vor der Geographischen Gesellschaft in London
am 7. Februar 1878 gehaltenen Vortrage: „After making marks in
each others arms and exchanging blood, there was a treaty of peace
as firm, I thought, as any treaty of peace made in Europe."
Proceed. of the Roy. Geogr. Society, Vol. XXII, No. II, p. 151.
♦* Budenz findet in seiner Kritik meiner türk.-magyarischen Gleich-
nisse diese Analogie nicht statthaft und motivirt seine Ansicht da-
253
Untergänge des heidniseben Glaubens ist diese alttura-
niscbe Art des Schworens aucb abbanden gekommen,
doch eine andere mit ihr verwandte Sitte, nämlich das
dldomds = gemeinsamer Trank bei Abschliessung eines
Vertrages, beim Handel oder bei einem sonstigen üeber-
einkommen, ist noch heute gang und gebe, ja es bedarf
keiner besondern Anstrengung, in der Stammsilbe dieses
magy. Wortes, nämlich in ald, zugleich das Stammwort
für Segen, das turko-tat. älJc, and (vgl. §. 18), zu er-
kennen.
Als mit den Religionsansichten des turko -tatarischen
Urmenschen in Zusammenhang stehend müssen wir noch
des Wahnsinnes erwähnen, und zwar ist dies nicht dem
moslimisch - arabischen Cultureinflusse zuzuschreiben, son-
dern jener genuinen Auffassung, die auch andern asiati-
schen Volkern eigen ist. Das türk.-tat. JcuturmaJc = wahn-
sinnig werden, stammt von A;«^ = Seele, Geist, sehliesst
folglich die Anspielung auf einen durchgeistigten beseelten
Zustand in sich, wie wir dies auch ausgedrückt finden
im arab. memun = wahnsinnig (von £in = böser Geist)
oder im pers. diwane = wahnsinnig (von diw = Teufel),
also ein von bösen Geistern Besessener. Im heutigen
Sprachgebrauche bezieht sich Itutur, hitdur mehr auf den
mit, dass im Türkischen nur and-icki gebraucht wird. Ein grtlnd-
licher Philolog, wie Budenz, konnte doch einsehen, dass bei Com-
posita oft das Hauptsubstantivum wegfällt, und dass sein mir ent-
gegengesetzter Vergleich des magy. eskü = Schwur mit dem finn. käske
= befehlen als nur bei den Haaren hergezogen noch weniger statt-
haft ist. Vgl. Nyelvtudomanyi közlem6nyek S. 98. In Bezug auf das
Wegfallen des Hauptwortes bei ähnlichen Composita möchte ich
unter anderm auf das magy. aldomäa = Friedenstrank, Segenstrank,
hindeuten, das im Grunde genommen nur Segen bedeutet und von
dem das Wo.rt ital = Trank weggefallen ist. Vgl, kirg. kösüm «
Schur , statt dün kösümü = Wollschur u. s. w.
254
tollen Zustand der Thiere und auf gewisse, eben dem
bösen Geiste zugeschriebene Krankheiten, wie Krätze und
andere bösartige Ausschläge, als wenn dergleichen Uebel
sozusagen von dem im Menschen wohnenden bösen Geist
erzeugt worden wären; doch findet sich Ä«^wr, kuduz auch
in Bezug auf Menschen angewendet. Vgl. turkom. huduß
= der Bettelmonch, der wandernde Derwisch, der Diwane
der Perser, dessen von überspannter Religionsbegeisterung
hervorgerufener Zustand der Ekstase und der Schwärmerei
für identisch mit. Wahnsinn, Bewusstlosigkeit seiner irdi-
schen Existenz gehalten wird. So wie Icut = Geist, Seele,
Leben dem Worte für Wahnsinn zu Grunde liegt, ebenso
bildet es das Stammwort des Ausdruckes für Glück,
Glückseligkeit (vgl. kut ^= Glück, ktitluk= selig); es lässt
sich daher auch der Zusammenhang erklären, der nach
echt orientalischer Auffassung zwischen Wahnsinn und
dem Zustand geistiger Seligkeit besteht und der, wie
schon erwähnt, kein Ausfluss moslimischer Denkungs*
weise, sondern, wie der sprachliche Beweis im Türki-
schen uns zeigt, im Geiste der Turko- Tataren ebenso
entstanden ist, wie bei den Iraniern und Semiten.
Wenn wir nun zum Schlüsse dieses Aufsatzes unsere
Betrachtungen über die frühern Glaubenszustände der
Turko -Tataren, soweit selbe aus der Sprache ersichtlich
werden, resumiren, so wird sich aus denselben ergeben,
dass unter den von den Ethnologen angenommenen Sta-
dien der Religionsbildung der Fetischismus sich wol
wenig nachweisen lässt, vom Totemismus jedoch noch
untrügliche Zeichen vorhanden sind.
255
XX.
Sittliche und abstracto Begriffe.
Es ist bekanntermaassen von Geiger und von andern
zur Genüge bewiesen worden, dass die Begriffe sittlicher
Eigenschaflen in den meisten Sprachen schon fertig auf-
treten und, wenn analysirt, als physische Eigenschaften,
als bildliche Darstellung materieller Grundworter erschei-
nen. Bei dem in vielen Fällen bis zur Unkenntlichkeit
abgenutzten Sprachstoffe der arischen und auch der semi-
tischen Mundarten ist die Erörterung dieses Verhältnisses,
beziehentlich die Zurückführung des geistigen Sinnes auf
seinen physischen Ursprung selbstverständlich viel schwe-
rer, und die zu Tage geforderten Resultate müssen dem-
zufolge einem grossem und begründetem Zweifel unter-
liegen, als dies auf dem gleichen Forschungsgebiete der
ural-altaischen, speciell der turko- tatarischen Sprachen
der Fall sein kann. Wir haben hier noch ausserdem den
grossen Vortheil zur Seite, zu erkennen, in welcher
Weise der Ideengang des primitiven turko -tatarischen
Menschen sich von dem seines arischen Nachbars unter-
scheidet. Die Entwickelung der menschlichen Sprache
und der Vernunft hat überall die von der umgebenden
Natur und von äussern Einflüssen bedingten Phasen
durchgemacht; und so wie beim Arier infolge eines längern
Culturlebens und einer früher stattgefundenen Trennung,
nicht minder aber wegen der grossem räumlichen Ver-
schiedenheit der einzelnen Mitglieder des gesammten Ur-
volkes, die Gebilde des menschlichen Sinnes heute schon
in einer mehr künstlerischen, vollendeten Form auftreten,
ebenso hat bei den Turaniern, die noch im Kindesalter
ihres Culturlebens sich befinden, ausserdem aber bisjetzt
256
in merklicher Abgeschlossenheit sich erhielten, die Sprache
und die Vernunft in gleicher Weise das Kleid der unge-
schminkten Einfachheit und der Schlichtheit besser be-
wahren können ; krystallrein und durchsichtig wie die
Sprache selbst geblieben, ebenso einfach und ungezwungen
erscheinen die durch dieselbe geschaffenen Metaphern und
Umschreibungen.
Fangen wir einmal bei den ganz gewohnlichen ästhe-
tischen Begriffen an und sehen wir wie die Begriffe sehön
oder unschLÖn ausgedrückt worden sind. Ersterm (uig.
hörk^ JcörüJc; cag. Mregen; az. görceJc; osm. görükU, güzeV)
liegt die Stammsilbe Äör, gor = sehen zu Grunde. Unter
schön versteht man daher ansehnlich, sehenswerth, und
dem gleichen Ideengang begegnet man in einem im ost-
lichen Sprachgebiete gebrauchten Worte, nämlich dem
cag. jaksiy az. jachsi, kirg. jalcsi, das der Stammsilbe jak
= schmecken, behagen, Wohlsein, entsprungen ist und
eigentlich als angenehm, behaglich, geziemend (vgl. osm.
jaklslk = passend) aufzufassen ist. Begrifflich verwandt
sind auch die betreffenden Worte in den arischen Spra-
chen, wo z. B. pers. chob schon und gut, slaw. Tcrasni
roth und schön bedeutet.
Wenn also schön seinem Wortwerthe nach behaglich,
genehm, passend und ansehnlich bedeutet, so sollte man
doch annehmen, dass unschön oder hässlich durch unan-
sehnlich, des Sehens unwürdig ausgedrückt worden sei.
Dies ist jedoch nicht der Fall. Die turko -tatarischen
Sprachen haben für diese Eigenschaftsbezeichnung gar kein
specielles Wort, denn das hierfür gebrauchte 6ag. pis^
alt. pijar und osm. cirJcin hat die Grundbedeutung von
schmuzig, unflätig, unrein, der Gegensatz von ari, arik
= rein.
Schon mit etwas mehr Klarheit und Consequenz er-
scheinen die Begriffe von gut und nngut oder schleeht^
257
wo aus den Derivaten einer und derselben Stammsilbe ein
interessanter Zusammenhang der auf Tugend und Laster
bezüglichen verwandten Begriffe zum Vorschein kommt.
Wie aus §. 3 unsers „Etymologischen Wörterbuches" er-
sichtlich, repräsentirt die Stammsilbe aj mit den ihr laut-
lich verwandten Formen den Inbegriff von gut, schon,
fromm, edel, gesund u. s. w., ja eine ganze Fülle von Be-
griffsanalogien. Dieses aj — denn ich halte das auslau-
tende j für eine verhältnissmässig primitive Lautform —
reiht sich aber zunächst an die noch ältere Form ah =^
weiss, klar, offen, hell, und wir gelangen hiermit zu
dem natürlichen Schlüsse, dass gut, fromm, edel, schon
u. s. w. ebenso sehr dem Grundgedanken offen, klar und
hell entlehnt worden, als im entgegengesetzten Sinne das
Verborgene, Geschlossene, Beschmuzte und Dunkle den
Concretismus des abstracten unschön, ungut, imedel ge-
geben hat. Um dies anschaulicher zu machen, haben wir
nur das uig. ethü, öag. ejkü, osm. ejü, eji = gut ^ schon;
jak. a;V = Gottheit, Schöpfung, Schopfer; uig. a;?* = Tu-
gend vorzuführen, und denselben die Juxtaopposita pi$
= unschön ( eigen tl. dunkel, grau), cirhin = garstig
(eigentl. befleckt) und Tcötü = schlecht (eigentl. dicht,
dunkel) gegenüberzustellen. Rein, offen, klar ist daher
der concrete Begriff, aus dem das abstracte tugendhaft,
\ gut, schon und deren Gegensätze entstanden, wie dies
I im Uigurischen noch am anschaulichsten wird, wenn wir
9
ar-sik = edel, fromm, gut und das frühere aj-i = Tugend
dem uig. a-5z>, aj-sü = unedel, lasterhaft, schlecht gegen-
überstellen.
Es wäre allerdings eine lohnenswerthe Arbeit, den
; ganzen Wortschatz, der auf die sittlichen und abstracten
Begriffe Bezug hat, vorzuführen, um jenes interessante
I Verhältniss zur Veranschaulichung zu bringen, welches
zwischen der Grundlage des physischen Begriffes und der
V&mb^ry, Cultar. I7
i
258
demselben entsprungenen geistigen Abstraction besteht.
Dies ist natürlich im engen Rahmen unserer Arbeit und
angesichts des vorgesteckten Zieles unthunlich, und wir
müssen uns daher mit solchen Beispielen begnügen, die
bei der Erörterung der Entwickelungsgeschichte der Cultur
nicht übergangen werden können.
Tapfer und feig. Tapfer wird in den meisten Fällen
für identisch angesehen mit beherzt, beseelt, daher ist
auch als meist verbreitet die Umschreibung dieses Be-
griffes mit könüllüJc, gönüllü, von Jcöngül, gönül = Herz,
anzutreffen. Nun muss aber bemerkt werden, dass Jcöngül
selbst keinesfalls für ein concretes Substantivum, etwa als
ein Korpertheil, d. h. als Blutgefäss, sondern schon als
ein abstracter Begriff, nämlich als Feuer, Eifer, Begei-
sterung (vgl. §. 116) zu nehmen, weshalb tapfer hier nur
im Sinne von begeistert, beseelt, aufzufassen ist. Gleich
abstracten Ursprunges ist auch das nicht minder verbrei-
tete batir^ hatur, irrthümlich vom pers. bahadur abgeleitet,
das von hat = hoch, erhaben (vgl. §. 205) abstammt und
begrifflich an das synonyme ulipy älp = tapfer sich an-
reiht, AI sowol als bat, beziehentlich baj^ repräsentiren
den Inbegriff von hoch, erhaben, ausgezeichnet, und
müssen eher als der Name eines Titels angesehen werden,
durch welchen der infolge physischer Tapferkeit über
Seinesgleichen Hervorragende beehrt worden ist. Diesem
nähert sich auch einigermaassen das für tapfer gebrauchte
cicen, cecen, das seiner Grundbedeutung nach zierlich,
süss, schön, klug bedeutet (vgl. §. 171) und eine Art
Liebkosungs- oder Zärtlichkeitswort ist, das dem im
Volke geliebten und geschätzten Helden ertheilt wurde;
ebenso wie das dem Mongolischen entlehnte kirg. alt.
mergen, merken, das in den türkischen Sprachen für guter
Schütze, tapfer, gebraucht ist, ursprünglich aber merge =
weiss, kunstvoll, meisterhaft (Schmidt, S. 215 b) bedeutet.
259
Nur bei den Nomaden, namentlich bei den Altaiern und
Tiirkomanen existirt für tapfer ein Wort von entschieden
concreter Grundlage, nämlich dlgir oder algur, von al=
nehmen, folglich Einer, der etwas nehmen, erwischen, er-
greifen kann. Algir Jcisi=der tapfere Mann, müsste eigent-
lick mit liomo rapax übersetzt werden, und der ganz pri-
mitive Begriff der Tapferkeit ist auch nicht im Sinne einer
Gegenwehr, sondern des Angreifens oder Anprallens aus-
gedrückt. Von der Identität der Begriffe Tapferkeit,
Stärke und Männlichkeit haben wir schon früher ge-
sprochen.
In Bezug auf den Gegensatz von tapfer, nämlich feig,
müssen wir allerdings in erster Reihe gönülsii^=herz\os^
muthlos, verzeichnen, doch gibt es noch eine, ich mochte
sagen ursprünglichere Bezeichnung in dem Worte bos, cag.
bosang = {eig^ leer, lose, locker, jemand dessen Inneres von
Eifer, Feuer und Muth leer ist; so auch in der bildlichen
Bezeichnung von jumsak^ alt. jimijak, eigentl. weich,
morsch, zusammengedrückt. Vgl. dtsch. feig und weich,
slaw. mjagTci = weich und feig. Am urwüchsigsten ist aber
dieser Begriff ausgedrückt in der Umschreibung dal taban
= barfuss, nacktfuss, ein Ideengang, der in Verbindung
mit dem osm. jajan, <5ag. jajdk, uig. jatdk = zu Fuss, uns
jene einem eminenten Reitervolke charakteristische Auf-
fassung zeigt, nach welcher der hoch zu Ross Sitzende in
gleichem Maasse die Macht, Kraft und den Muth reprä-
sentirt, wie der zu Fuss Einhergehende mit Armuth,
Schwäche und Muthlosigkeit identificirt wird. Diese spe-
ciell turanische Anschauung finden wir im osm. seti antii
janinda jajan kälirsin=^ du stehst weit unter ihm, wörtl.
du bleibst zu Fuss neben ihm, und im gegenseitigen Ver-
hältnisse des magy. galog==zi\ Fuss und gr?/aZa^= schmähen,
verachten. Die dem Begriffe Tapferkeit zu Grunde lie-
gende Auffassung des geistigen und körperlichen Vorzuges
17*
260
tritt um so starker hervor, wenn wir die Wörter für Di6b
und Bäuber näh^r ins Auge zu fassen und dieselben in
ihrem etymologischen Werthe vorstellen. Dieb, cag. ogri,
osm, ouri, alt. uurci^ heisst der Grundbedeutung nach der
Verheimlicher, der im Stillen oder Verborgenen Handelnde
(vgl. §. 98); ebenso auch Äiaraia = Räuber, eigentl. der
Späher, Forscher, von karakmah, karamak= sehen ^ nach-
spüren. Es wird hierbei ersichtlich, dass beide ursprüng-
lich als der eigentlichen Tapferkeit entbehrend im Lichte
der Feigheit und des Unedeln, ohne jenen Nimbus des
Heroenthums dargestellt sind, dessen sich diese Berufs-
niänner unter den heutigen Nomaden erfreuen.
Mit tapfer und feig hängen begrifflich zusammen die
Eigenschaftsworter grausam und mild^ insofern ersteres
vom Standpunkte eines wildkriegerischen rauhen Volks-
geistes ebenso wenig als ein Laster wie letzteres als eine
Tugend dargestellt ist. Grausam ist in der Mehrzahl der
Mundarten mittels kati oder katik, eigentl. hart, streng,
ausgedrückt und bedeutet folglich einen Menschen, dessen
Gefühle steinern, durch einen von aussen her geübten Ein-
fluss nicht erweicht werden können. Diese Auffassung
bringt den fraglichen Begriff an Standhaftigkeit, Festig-
keit und Unerschütterlichkeit, und demzufolge an Tapfer-
keit nahe, und in der That finden wir im Osmanischen
für grausam das Wort jaujif^ javuz^ der etymologischen
Bedeutung nach kriegerisch, tapfer (vgl.^aw §. 119). Wenn
Grausamkeit durch Härte, so. ist selbstverständlich die
Milde symbolisirt dqrch weich, morsch, und ebenso wie
ersteres begrifflich mit tapfer, so ist letzteres mit feig ana-
log, und wird demnach in diesem Sinne, wenngleich nicht
als entschiedenes Laster, doch als geistiger Fehler oder als
Gebrechen hingestellt. Als Synonym mit ytem^6^= weich und
mild figurirt noch das cag. ^«t;a5=sachte, leise,. langsam, alt.
jobus pai=^e\ii friedliches, sanftes Haupt, indem die Stamm-
261
silbe der beiden jorn, jov, Job, jog^ den Inbegriff von mürb,
weich, zusammengedrückt, enthält und im weitern Sinne
als bescheiden dem Eigenschaftsworte stolz^ hochfahrend
gegenübersteht.
Auf dem westlichen Sprachgebiete hat der fremde mos^
limische Cultureinfluss hierfür ein Lehnwort geschaffen ,
nämlich das arabische magrur oder fodhtil, doch im Osten
und in den altern Sprachmonumenten finden wir das ge-
nuin türk., uig. Mvee, Jcevea, 6ag. kövek, Jcevek = hohl^ auf-
geblasen, womit eigentlich auf die den Stolz bekundende,
hoch getragene, vorgestreckte Brust hingedeutet wird, als
wenn der Mensch im Gefühle des Stolzes und des Gross-
thuns die Brust, an und für sich als hohler Körper dar-
gestellt (S. 71. n.), aufblasen würde. Aus diesem etymolo-
gischen Sachverhalt ist der ethische Zusammenhang zwi-
schen stolz, aufgeblasen, leer, eitel xmd nichtig zu erkennen,
denn diese Eigenschaftsworter sind in den türkischen
Mundarten (vgl. §. 71) homogenen Ursprunges und ver-
leihen durch diese philosophische Ideenrichtung dem Geiste
der Wortbildung einen Glanz, wie er nur selten anzutref-
fen ist. In Uebereinstimmuog mit diesem Ideengange
stehen auch andere Benennungen für stolz und eitel; das
alt. ülu küündü (grosser Eifer), ulu sagistu (von grossen
Gedanken) und das cag., osm. kurmak, kurunmak=^ sich
posiren, sich aufziehen, aufrichten, denen als naturgemässer
Gegensatz die Handlung des Herablassens als Grundge-
danke für bescheiden gegenübersteht. So alcak köniillü
= niedern Eifers oder Herzens, oder das uig. köngül alkit-
mak = d3LS Herz oder den Eifer erniedrigen, von der Stamm-
silbe aZ = unten, nieder.
Verfolgen wir nun das Entstehungsbild dieser ethischen
Begriffe weiter, so werden wir finden, dass die Mehrzahl
derselben, soweit sie auf den Menschen sich beziehen, mit
demjenigen Theile des menschlichen Körpers in engen Zu-
262
sammenhang gebracht sind, von dem sie als ausfliessend
dargestellt oder welchem sie als specielle Function zuge-
schrieben worden sind.
So werden z. B. Freude und Eummer theils als Er-
weiterung, theils als Beengung oder Beklemmung des Bu-
sens oder Herzens dargestellt. Das ursprünglichste Wort
für Freude ist entschieden das alt. Jcüün, cag. Jcönül, im
heutigen Sprachgebrauche Herz, Lust, Begier, Verlangen ;
im kondomischen Dialekt findet sich noch MJ-Zem'=Liebe,
dem bekanntermaassen die Stammsilbe M^*=brennen (vgl.
§. 116) zu Grunde liegt. Nun hat sich aber aus diesem
abstracten Worte das concrete Herz gebildet, und dort
wo Freude mit Icönül ausgedrückt wird, findet immer
eine Umschreibung mit weit öder offen statt. So Jcönü-
lüm acildi = ich bin erfreut, mein Herz hat sich geöffnet,
oder uig. Jcöngül JcengliJci^= Freude^ Herzens weite. Prägnan-
ter ist diese Ideenrichtung im uig. JcüvenmeJc, cag., osm.
güvenmeh= sich freuen, eigentl. sich hohl oder weit machen,
wodurch Freude und Stolz als identische Begriffe erschei-
nen, wie sie es nach der ethischen Auffassung des primi-
tiven Menschen in der That auch sind, ebenso wie wir
dies anderseitig z. B. im arabischen ^^ wahrnehmen,
dessen Bedeutung weit, selig, geräumig und glücklich ist,
oder in der arabischen Redensart mebstit dl kalb = freudig,
d. h. erweiterten Herzens. Es liegt übrigens in der Na-
tur der Orientalen im allgemeinen und der an die weite
Steppenheimat gewohnten Turko -Tataren im besondern,
dass die Begriffe Freude, Wohlbehagen, Geräumigkeit und
Bequemlichkeit identisch sind. Ein grosser Raum, die
freie Bewegung, Freiheitsgefühl und Freude sind eng
miteinander verwandt, daher die unbegrenzte Liebe des
Türken zur Räumlichkeit, das in dem Sprich worte culmi-
nirt: „Tar jerde jemeh jemeJcden 'se hol jerde dajdk jcmcsi
jejdir^', d. h. statt im engen Räume Speisen zu bekommen.
263
ist es besser im weiten Räume Prügel zu bekommen. Eng,
zusammengedrückt, dicht und hart sind daher die Grund-
begriffe für ünbehaglichkeit, Unfreude, Kummer, Sorge,
Elend und Beklemmung, was am besten einleuchten wird,
wenn wir §. 87 unsers „Etymologischen Wörterbuches"
durchsehen, namentlich die auf jene Gefühlsausdrücke Be-
zug habenden Worte nebeneiqanderstellen. So uig. hatih
= hart — toÄw = Sorge, Kummer; cag. Äc>;w = dicht, fest
— Äa^^« = Sorge, Kummer; uig. Ä;i5 = eng — cag. hiskar-
waA = zürnen; osm. dar = eng — dargrm = zornig, beengten
Herzens u. s. w. Vgl. arab. c?ÄaiÄ;-wZ-Ä;a76 = Beengung
des Herzens, d. h. Zorn, Kummer, Aerger.
Die Räumlichkeitsverhältnisse finden wir noch ton-
angebend in den Begriffen freigebig und geizig^ indem
ersteres durch acih-elik oder Ä:ew^-eKÄ= weite oder offene
Hand, letzteres durch tar-elik oder 5«Ä-eKÄ; = enghändig
ausgedrückt ist. Für Geiz, geizig ist überdies noch ein
mit letzterm verwandtes selbständiges Wort vorhanden,
nämlich das osttürkische sok, der Inbegriff von Dichtheit
Enge und Gebundenheit oder Gedrücktheit; es bezieht
sich dies aber nicht nur auf die Hand, sondern auch auf
das Auge, indem 50Ä;wr=blind (gebundenen Blickes, des-
sen Gegensatz aeih Ä;ö^ = offenes Auge) und das uig. süh
=taub (gebundenen Ohres) von den genannten Stamm-
silben abstammen. Hierher gehört auch das in der Ver-
balform bekannte 5oZ;-ZamaÄ = geizig sein, beneiden, wörtl.
eng, d. h. engherzig sein.
Lüge und Wahrheit. Wir stellen diese beiden Be-
griffe nebeneinander, obwol sonderbarerweise die hierauf
bezuglichen speciellen Ausdrücke weder lautlich noch be-
grifflich in irgendeinem Verhältnisse zueinander stehen,
d. h. sie können in etymologischer Hinsicht nicht als Ge-
gensätze aufgefasst werden. Wahr ist theils synonym mit
gerade (vgl, dogru = gerade und wahr), theils auch mit
264
eben, glatt (vgl. aw=währ, getreu mit ^cw=eben, glatt und
cen=£benm.aass, Proportion), Wenn daher wahr als der
abstracte Begriff der Glätte, Ebenheit, auf welcher der
menschliche Sinn ohne aufgehalten zu werden oder be-
irrt zu sein, aufgefasst wird, sollte man doch annehmen,
dass der Begriff Lüge und Falschheit der diametral ge-
genüberstehenden Sinnesrichtung entsprungen sei. Dies ist
jedoch nicht der Fall, denn die Worter für Lug und Trug be-
ruhen auf einem ganz andern Ideengange. Das zumeist ge-
bräuchlioheyaZ^a» oder jaZa«=falsch, unwahr, istderStamm-
silbe ^*aZ= glänzen, scheinen, glatt oder leer sein, entsprun-
gen; der Grundgedanke des Wortes ist daher: das nur dem
Anscheine nach aber nicht in der Wirklichkeit Existirende.
Mit diesem jal scheint mir auch im Gegensatze zu meiner
frühern Behauptung (S. 13 meines „Etymologischen Wör-
terbuches") aZ= Trug, List und aZäamaA; = täuschen ver-
wandt zu sein, Trug und Täuschung sind nicht nur eine
bildliche Darstellung des Glänzenden, sondern richtiger
gesägt des Kahlen, Nackten und Nichtigen (vgl. deutsch
nackt und nicht mit dem engl, nought), und aus diesem
Grunde wird uns auch ; das gegenseitige Verhältniss er-
klärlich des turko-tat. ^'oÄ = nicht, nichtig, zujoj-an, juj-an
= lügnerisch, betrügerisch, falsch, und zu iö^f-i = Lüge,
Verleumdung, kirg. ioÄ-maÄ= verleumden, jak. suok = nicht
vorhanden,
8cliand6 und Ehre sind ebenfalls Begriffe ohne jeg-
lichen etymologischen Zusammenhang. Ehre beruht ent-
weder auf dem physischen Begriff der Höhe und Erhaben-
heit, daher cag. oZcamaÄ = verehren, achten, von öZ = hoch,
gross, jak. alga = segnen ^ verherrlichen, oder auf dem
Grundbegriff der Schwere, des Gewichtes und des Wer-
thes itn allgemeinen, wie wir dies im gegenseitigen Ver-
hältnisse finden zwischen akir = schwer und akirlamaJc =
achten, ehren. Schwere, Gewichtigkeit oder dessen Syno-
265
nyine Langsamkeit und Saumseligkeit, zwei lautlich und
begrifflich verwandte Eigenschaften — denn akir heisst
schwer und langsam zugleich — zieren den Menschen
nach echt türkischer Anschauung und nach uralten ethi-
schen Principien ebenso sehr, als das Leichte, Hastige
und Voreilige im Handeln und Denken ihn nur entehren
und seinen moralischen Werth herabsetzen wurden. Wäh-
rend es bei uns in Europa gewiss nur Wenige gibt, die
im Epitheton Klotz, klotzartig etwas Schmeichelhaftes fin-
den würden, ist bei den Turko^Tataren im etymologischen
Sinne des Wortes gerade das Entgegengesetzte der Fall^
denn alt. Jcund heisst plump, dick, cag. künde = Klotz, jak.
Jcündü=vf erthyoU^ in Ehren gehalten, alt. kündüle =^sichteuy
und csLg.Jcönlemek = ehren; wie auch ausdem Juxtaoppositum
jöng, jeng = leichi^ gering, das Verbum jengmek =^hesiegenj
herunterbringen, erniedrigen, entstanden ist. In Bezug auf
den Begriff Schande, Schmach und Unehre nähert sich
der turko- tatarische Ideengang demjenigen, der in den
betreffenden arisch-europäischen Worten zum Ausdruck ge-
langt. Schon Geiger hat (S. 182) auf das Verhältniss
aufmerksam gemacht, das zwischen dem deutschen lästern
= schimpfen und lästern = zerfleischen, zerfetzen (nach Ade-
lung), dem schwed! sJcämma = verderben und sJcämma ut=
beschämen besteht, indem er mit Recht darauf hingewie-
sen, dass die Begriffe Laster, Schande, Schimpf vom
Körperlichen ausgehend eigentlich eine Verletzung^ des
Korpers und der Haut bedeuten. In dem von uns be-
handelten Sprachkreise tritt dieses Verhältniss noch klarer
hervor, wenn wir unter andern das Verbum inc-itmek =
beleidigen mit inc-mek oder Jenc-tweÄ = quetschen, zer-
stossen, beschädigen vergleichen. Noch prägnanter tritt
dieses Verhältniss hervor bei einem Vergleiche zwischen
sög-mek, ^öjfc-w^ifc = schimpfen, lästern (sök-üs, söj'üs=^
Schimpf, Fluch) und sökmek = niederreissen^ zu Grunde
266
richten, ausreissen; hier wird es ganz evident, dass die
moralische Erniedrigung von der physischen gleichartigen
. Handlungsweise ausgegangen, wie wir dies nicht minder
klar im gegenseitigen Yerhältniss zwischen dem deutschen
schänden und schinden beobachten. Weiter jedoch kann
die Congruenz mit den germanischen Sprachen nicht fort-
geführt werden, denn das Verbum sich schämen, oder
Scham beruht schon auf einem andern Ideengang. Das
turko-tat. uj-at, oj-a^ = Scham , woraus das Verbum uj-aV-
mak, uj-anmak und otanmak = sich schämen entstanden, be-
ruht eigentlich auf dem concreten Begriff des Sichver-
steckens, Sichzuruckziehens, und ist verwandt mit dem alt.
oj'lo = entfliehen, sich zurückziehen, und oj-t-to = zurück.
Scham ist daher nach der Auffassung des turko-tatarischen
Urmenschen identisch mit dem Begriffe sich verstecken,
sich zurückziehen, und der in den europäisch-arischen Spra-
chen geläufige Ausdruck vor Scham erröthen oder die
Schamrothe muss dem Geiste der turko-tatarischen Spra-
chen auch schon deshalb fern sein, weil hier roth mehr
zur Symbolisirung des Eifers und Feuers, des Zornes und
der Erregtheit gebraucht wird.
Wir müssen daher aus diesem Grunde Zorn^ Elfer und
Neid unter ein und dieselbe Rubrik stellen, und in der
That sind die betreffenden Worte in den türkischen Mund-
arten theils der Stammsilbe Äw/ = brennen, zünden (vgl.
§. 116), theils der Stammsilbe Ä«> = Glut, Feuer, Wärme
(vgl. §• 93) entsprungen. So alt. Mww = Eifer, Gier, cag.
iwMC = neidisch, osm. künü = ^eid; ferner cag. huganc=^
Neid, ÄtjarmaÄ = zürnen, osm. Ä&dirwaÄ; = erzürnen- u. s. w.
Es ist allerdings charakteristisch, dass während wir den
Gesichtsausdruck des Neides als blass, gelb und bleich
bezeichnen, der Türke einer verschieden psychologischen
Auffassung folgend, hier die Rothe, d. h. die Farbe des
Feuers als bezeichnendes Merkmal aufstellt. Und dennoch
267
scheint er logisch, soweit die GemüthsstimmuDg des Men-
schen in verschiedenen Zonen voneinander abweicht, Recht
zu haben. Nach seiner Beurtheilung ist der Neid, als
Gegensatz der kalten Gleichgültigkeit und des blassen In-
differentismus, eine Erwärmung, eine durch innere Bewe-
gung der Leidenschaften erzeugte Erglühung des mensch-
lichen Gemüthes, die im Seelenspiegel , also im Gesicht,
nicht in Blässe oder Bleiche, sondern in der mit dem Feuer
analogen Farbe, d. h. mit roth reflectiren muss. Nur wo
das innere Feuer erlischt, wo der Eifer schwindet, d. i,
im Zustande der Furcht und des Schreckens^ lässt auch
der Geist der türkischen Sprachen den Menschen erblas-
sen oder erbleichen, wie wir dies wahrnehmen in der Re-
densart iengzi oder mengzi uctu = er ist vor Schrecken er-
blasst, wortl. seine Gesichtsfarbe ist ausgelöscht
oder verschwunden.
In Bezug auf die Galle stimmt der turanische Ideen-
gang mit dem der andern Sprachen überein, da hiermit
der Begriff Zorn identisch (vgl. §. 56) ist, wobei aber der
Umstand hervorgehoben werden muss, dass öd, öY = Galle
nur als abstractes Wort des concreten o^ = Feuer figurirt,
wie dies ersichtlich ist aus dem lautlichen üebergang iy,
uig. c>;-^c = Brunst (vgl. deutsch brennen mit Brunst).
Schliesslich wollen wir noch zwei auf den Begriff Zorn
bezügliche Worter anführen, nämlich das uig. bosmak=:^
zürnen, böse sein, von 605 ^15 = kochen, sieden, und das
osm. JcaJcim = Zorn, von Jcah = dürr.
Glanhe und Hoffhung sind identische Begriffe, welche
auf den verschiedenen Theilen des Sprachgebietes abwech-
selnd füreinander gebraucht werden; vgl. alt. «^ew = hof-
fen, cag. isan = glauben, jak. itägäi = glauben u. s. w. Es
gibt aber ausserdem noch ein genau definirtes Wort für
diesen Begriff, nämlich das osttürkische hüt^ püt=g\auheny
eine' Abstraction vom physischen Begriff hüt^ &öf = fe8t,
268
gebunden, vereint. Glauben ist daher von dem concreten
Sichanschliessen, Sichverbinden abgeleitet und erinnert an
ein ähnliches Verhältniss in den arischen, namentlich in
den lateinischen und litasla wischen Sprachen. Vgl. auch alt-
hochdeutsch wära = Bündniss, russ. wjera = Glaube, Zu-
versicht; goth. ^rawan = trauen und trausti = ^unduisa.
Das speciell für Hoffnung gebrauchte cag. irim, was zu-
gleich augurium bedeutet, stammt von lr-w«ei = sein, ge-
schehen, eintreffen, und ist als Zufall, Wendung aufzufassen.
King und dumm sind Begriffe, die in erster Reihe
mit den Grundwörtern us und ok = Verstand, Sinn zu-
sammenhängen und im negativen Sinne auf das Unver-
mögen der geistigen Kraft hindeuten. Wenn ich nicht
irre, liegt diesen beiden abstracten Begriffen das concreto
graben, nachgraben, suchen, forschen zu Grunde, denn
zu einem solchen Ergebnisse gelangen wir, wenn wir oh
oder oj = Sinn, Gedanke mit oj = graben, und us, is =
Verstand, Verständniss, mit «>, is = nachforschen ver-
gleichen, und wir hätten daher ein Verhältniss vor uns,
welches an das deutsche grubein, d. h. nachdenken, sin-
nen erinnert. Beide türkischen Grundwörter unterscheiden
sich heute nur insofern voneinander, dass ok das Ver-
stehen, Begreifen ausdrückt und in diesem Sinne nur in
dem ältesten Sprachdenkmale vorkommt, während die
näcMste Variante oj den Inbegriff des Denkens in sich
schliesst, us, es und is aber als fertiger Sinn, als Kunst
und geistiges Vermögen auftritt Hinsichtlich der Stamm-
silbe ^a^-^ay=: wähnen, beachten und zählen haben wir
uns schon früher ausgesprochen (vgl. S. 114). Das Eigen-
schaftswort dumm findet sich zumeist in einer umschrie-
benen Form vor. So alt. aly, cag. äluk, eigentl. befangen,
von al = nehmen, langen, tintek, tentek = tölpelhaft
(mong. tenek = dumm), von tin = ruhen, erschlaffen ; osm.
fcöw = Tölpel, von bim, »wem = altern, schwach werden-
269
Von dem Grund worte ok = Sinn, Verständniss, ist
ausser dem Verbum okmak = verstehen, boren, aucb noch
der allerdings weit später entstandene Begriff lesen =
okumak abgeleitet. Diese Begriffsanalogie, dass nämlich
lesen und verstehen als ganz identisch auftreten, kann
uns nur dann vollauf einleuchten, wenn wir hervorheben,
dass die Schrift anfänglich eine Ideographie, richtiger
gesagt eine Bild Schneiderei oder Bildhauerei war, die
vielleicht nicht so sehr in der Nachahmung lebendiger
Wesen als im Eingraben oder Einritzen gewisser Zeichen
sich manifestirte. Dieser Umstand erhellt am besten,
wenn wir die im Türkischen für den Begriff schreiben
existirenden Worter untersuchen. Wir finden hier näm-
lich, dass von der Stammsilbe hit, bet, hie, bec in der
Grundbedeutung von schneiden, einschneiden, die Worte
uig. bicik = Schrift
alt. piciJc = Schrift, Buch
6ag. bitmek = schreiben, peceh = Zeichen, petek = Brief
jak. bit = Anzeichen , bieik = Verzierung u. s. w.
entsprungen sind, ebenso wie von der Stammsilbe jir^
sjir^ sür in der Grundbedeutung von ritzen, graben und
zeichnen, die Worte
alt. sür = zeichnen, schreiben
CUV. sßr = zeichnen, schreiben (vgl. magy. ir = schreiben)
k. k. sirben == Striche ziehen
6ag. jaf'-lik = das Schreiben
osm. jojg = schreiben u. s. w.
entlehnt sind (vgl. §§. 159 und 217). Abgesehen daher
von dem Ursprünge des griech. yg(X(fo und des lat. scrihOy
sowie von dem gegenseitigen Verhältnisse zwischen dem
griech. ypajji-fxa, deutsch grab-en und dem slaw. greb-at,
wird es durch die gegebenen Beispiele ersichtlich, dass
die Turko- Tataren das Schreiben, Graviren, Zeichnen
für identische Begriffe hielten , und so wie aus dem
270
Buchenstab oder der Kerbe der alten Germanen der
deutsche Buchstabe entstanden, ebenso figurirt das alt-
türkische hetik^ hitik = Schnitzerei, Gravirung, heute als
Schrift oder Geschriebenes. (Vgl. magy. hetü = Buch-
stabe, allem Anzeichen nach dem Türkischen entlehnt, und
zwar von hetik, betük = Schrift.) Dieser Umstand mag
allein hinreichen, die Vermuthung aufzustellen, dass die
turko-tatarischen Urmenschen sich nicht der Knotenzeichen
(bei den alten Romanen Quipu oder Quippu oder bei den
Chinesen Ho-tü und Lo-schu gienannt)* bedienten, um
etwas der Vergessenheit zu entreissen, sondern gleich von
Anfang an auf die Methode des Schreibens oder Gravi-
rens kamen.
* Vgl. Lubbock, S. 36.
Wort- und Sachregister.
(Die Zahlen beziehen >ioh auf die Seiten.)
Abend 159.
Aberglauben 249.
Acker 102.
Ackerbau 101.
Ader 55.
Adler 206.
Airan 93.
Alt 62. 232.
Alter 61.
Altmond 160.
Anker 182.
Ansässige 133.
Antilope 204.
Apfel 213.
Armee 122.
Arri^regarde 125.
Asik 148.
Augapfel 54.
Auge 54.
Augenlid 54.
Augenwimper 54.
Avantgarde 125.
Axt 114. 117.
Birne 214.
Bitter 98.
Blau 234.
Blei 174.
Blitz 168.
Blume 223.
Bogen 119.
Bohrer 114.
Boot 181.
Bote 127.
Boza 96.
Braten 92.
Braue 55.
Braun 230.
Braut 67.
Bräutigam 67.
Bronze 174.
Brot 94.
Bruder 65.
Brust 55.
Bucht 180.
Busen 55.
Butter 93.
Bart 56.
Bastaxd 72.
Bauch 55.
Baum 221.
Baumwolle 220.
Bär 201.
Beinkleid 85.
Berg 172.
Bescheiden 261.
Besiegt werden 125.
Bett 79.
Decke 82.
Dichten 142.
Dichtung 142.
Dieb 260.
Dolmetsch 127.
Donner 168.
Dörfer 76.
Drache 148.
Dreifuss 81.
Dumm 268.
Dunkelheit 159.
272
Ebene 171.
Ehre 264.
Ei 207. 208.
Eifer 266.
Eis 167. 228.
Eisen 174.
Ellenbogen 54.
Ente 206.
Erbse 215.
Erde 169.
Erste Morgenstunde 159.
Esel 192.
Essen 98.
Eule 208.
Fahne 138.
Falke 206.
Familie 64.
Farbe 225.
Fata Morgana 168.
Faust 55.
Feiertage 251.
Feig 258.
Feste Wohnung 75,
Festtage 251.
Festung 128.
Feuer 165.
Filz 82.
Flachs 87.
Fledermaus 208,
Fleisch 91.
Fliege 209.
Floh 210.
Fluss 178,
Frau 60,
Freien 67.
Freigebig 263.
Freude 262.
Freund 77.
Friede 122. 129.
Frost 167.
Frucht 91.
Fuchs 203.
Furcht 267.
Fürstenwürde 135.
Fuss 54.
Fussbekleidung 85.
Gans 206.
Gast 78.
Gaumen 54.
Gebärmutter 55.
Gefangene 125.
Geige 145. 247.
Geisel 127.
Geizig 263.
Gelb 233.
Geld 108.
Gerste 216.
Gesandter 127.
Geschlecht 133.
Geschwister 66.
Gesetz 139.
Gewerbehandwerk 112.
Gewicht 109.
Giesskanne 81.
Glaube 267.
Gold 174. 209. 233.
Gottheit 240.
Granatapfel 214.
Gras 213.
Grau 227.
Grausam 260.
Grenze 103.
Grosser Bär 154.
Grün 213. 234.
Gurke 218.
Gürtel 86.
Gut 256.
Habicht 206.
Hafen 180.
Hafer 216.
Hahn 207.
Haloxylon Ammodendron 223.
Hals 55.
Hand 54.
Handel 105.
Handelsgesellschaft 106.
273
Handfläche 55.
Handschuh 87.
Hanf 87. 220.
Haus 73.
Hauwaffen 117.
Heimat 74.
Heirathen 66.
Held 137.
Hemd 85.
Henne 207.
Herbst 161.
Himmel 150.
Himmelsgegenden 159.
Hirsch 204.
Hirse 215.
Hitze 166.
Hobelmesser 114.
Hochfahrend 261.
Hochroth 228.
Hochzeitsgabe 67.
Hoden 55.
Hoffnung 267.
Hund 197.
Hure 72.
Hüfte 55.
Hündin 199.
Insel 180.
Jagd 99.
Jahr 163.
Jogurt 93.
Jung 62.
Jungfer 62.
Jüngling 62.
Kalt 165.
Kamel 191.
Kanal 102.
Katze 199.
Kaufmann 106.
Käfer 210.
Käse 94.
V&mbäry, ^ultur.
Kehle 54.
Kessel 80.
Kimis 96.
Kind 62.
Kissen 80.
Kiste 80.
Klafter 109.
Kleiden 83.
Kleiner Bär 154.
Klug 268.
Knie 54.
Knoblauch 220.
Knopf 86.
Kochen 92.
Kopf 55.
Kopfbedeckung 84.
Kopfhaare 55.
Köcher 120.
Kok bürü 143. 203.
Körper 53.
Kram 107.
Kranich 206.
Krapp 220.
Kreide 167. 176. 228.
Krieg 121.
Kriegserklärung 124.
Kumulak 148.
Kummer 262.
Kupfer 174.
Kurut 93.
Kürbis 217.
Lagerplatz 127.
Landspitze 180.
Lanze 118.
Laus 210.
Lazzo 120.
Leben 57,
Ledersack 81.
Ledig 67.
Leib 53.
Lein 220.
Leinwand 87.
Leopard 203.
Lesen 269.
1«
274
Licht 158,
Lied 143,
Lippe 54.
Löffel 81.
Lösegeld 12T.
Löwe 185. 204,
Luft 165.
Luzerne 220.
Lüge ^63.
Maass 109,
Mandel 214.
Mann 59.
Marille 214.
Markt 106.
Maulbeere 214.
Maulthier 194.
Märchen 143.
Meer 179.
Melone 217.
Mensch 51.
Messer 114. 118.
Milch 92.
Milchstrasse 155.
Mild 260.
Mineralien 173.
Mistkäfer 210.
Mittag 159.
Mohn 220.
Mond 156. 160. 228.
Mondfinstemiss 169.
Moral 143.
Morgen 159.
Morgenröthe 159.
Morgenstern 155.
Mund 54.
Musikinstrumente 145.
Mutter 65.
Mücke 209.
Nadel 114..
Napf 81.
Nase 54.
Nation 121. ^31.
Nähen 113.
Nebel 165. 228.
Neid 206.
Neumond 160.
Nichtansässige 133.
Nomaden 133.
J^ordstem 154. 174.
Nuss 214.
Oberwelt 149.
Obst 91. 212.
Ohr 54.
Opfer 243.
Panther 203.
Panzer 121.
Parole 130.
. Pelejaden 155.
Penis 55.
Perle 89.
Pfefferkorn 215.
Pfeil 119. 120.
Pferdezucht 188.
Pfirsiche 214.
Pflanzen 211. -
Pflaume 213.
Pflug 102.
Pjlau 95.
Plänkler 125.
Podex 55.
Poesie 141.
Polster 80.
Preis 107.
Prophezeien 250.
Nachbar 78.
Nachen 181.
Nachmittagsstunden 159.
Nacken 55.
Kahm 93.
Rauch 165.
Räuber 260.
Regen 166.
275
Regenbogen 168.
Reif 167.
Reis 220.
Religion 239.
Richter 140.
Rind 188.
Rock 85.
Roggen 216.
Rohrpfeife 145.
Roth 228.
Rothbraun 230.
Ruder 182.
Sack 80. '
Sauer 98.
Schaf 195.
Schande 264.
Scheide 118.
Schenkel 55.
Schere 114. •
Schiesswaffen 119.
Schiff 181.
Schild 121.
Schilf 223.
Schlacht 122.
Schlachtreihe 125.
Schlange 210.
Schlecht 256.
Schleuder 119.
Schmied 111.
Schmuckgegenstände 88.
Schnalle 86.
Schneidewaffen 117.
Schnurrbart 56.
Schön 256.
Schrecken 267.
Schreiben 269.
Schutzplatz 127.
Schutzwaffen 120.
Schwan 207.
Schwanz 56.
Schwarz 231.
Schwefel 176.
Schwein 199.
Schwert 118.
Schwester 65.
Schwingkeule 117.
Schwur 252.
Segel 182.
Sehne 120.
Seide 88.
Sesam 220.
Siebengestirn 155.
Siegel 138.
Siegen 125.
Silber 174. 228.
Sittensprüche 143.
Sklaverei 126.
Skorpion 210.
Sohle 55.
Sommer 162.
Sonne 156.
Sonnenfinsteruiss 169.
Spange 86.
Spanne 110.
Speer 118.
Speise 91.
Spenden 243.
Spiel 146. 147.
Spinne 210.
Spinnen 88.
Sprichwörter 65. 143.
Stamm 133.
Standplatz 127.
Städte 76.
Stein 171.
Steppe 172.
Sterben 58.
Stern 153.
Steuer 141.
Stirn 55.
Stoffe 87.
Stolz 261.
Storch 208.
Sturm 167.
Süss 97.
Tageshelle 159.
Tanz 146.
Tapfer 258.