Skip to main content

Full text of "Die primitive cultur des turko-tatarischen volkes, auf grund sprachlicher forschungen erörtert"

See other formats


Google 



This is a digital copy of a book that was prcscrvod for gcncrations on library shclvcs bcforc it was carcfully scannod by Google as pari of a projcct 

to make the world's books discoverablc online. 

It has survived long enough for the Copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject 

to Copyright or whose legal Copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books 

are our gateways to the past, representing a wealth of history, cultuie and knowledge that's often difficult to discover. 

Marks, notations and other maiginalia present in the original volume will appear in this flle - a reminder of this book's long journcy from the 

publisher to a library and finally to you. 

Usage guidelines 

Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the 
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken Steps to 
prcvcnt abuse by commcrcial parties, including placing technical restrictions on automatcd qucrying. 
We also ask that you: 

+ Make non-commercial use ofthefiles We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for 
personal, non-commercial purposes. 

+ Refrain from automated querying Do not send aulomated queries of any sort to Google's System: If you are conducting research on machinc 
translation, optical character recognition or other areas where access to a laige amount of text is helpful, please contact us. We encouragc the 
use of public domain materials for these purposes and may be able to help. 

+ Maintain attributionTht GoogX'S "watermark" you see on each flle is essential for informingpcoplcabout this projcct andhclping them lind 
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it. 

+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are lesponsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just 
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other 
countries. Whether a book is still in Copyright varies from country to country, and we can'l offer guidance on whether any speciflc use of 
any speciflc book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search mcans it can bc used in any manner 
anywhere in the world. Copyright infringement liabili^ can be quite severe. 

Äbout Google Book Search 

Google's mission is to organizc the world's Information and to make it univcrsally accessible and uscful. Google Book Search hclps rcadcrs 
discover the world's books while hclping authors and publishers reach new audiences. You can search through the füll icxi of ihis book on the web 

at |http : //books . google . com/| 



Google 



IJber dieses Buch 

Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Realen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im 
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfugbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde. 
Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, 
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann 
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles 
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist. 

Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin- 
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat. 

Nu tzungsrichtlinien 

Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse 
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nie htsdesto trotz ist diese 
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch 
kommerzielle Parteien zu veihindem. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen. 
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien: 

+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese 
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden. 

+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen 
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen 
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen 
unter Umständen helfen. 

+ Beibehaltung von Google-MarkenelementenDas "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über 
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht. 

+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, 
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA 
öffentlich zugänglich ist, auch fiir Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist 
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig 
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der 
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben. 

Über Google Buchsuche 

Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google 
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser We lt zu entdecken, und unterstützt Au toren und Verleger dabei, neue Zielgruppcn zu erreichen. 
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter |http: //books . google .corül durchsuchen. 



'' J 



.: ^ 



fkofk n r t o» 




Ihm, 



»»»7 



••*«*«■ 




ft T E S SCIENTIA VgEITAI 



. i: 
; t 

: V 
I I. 



I "^ 



1 'I^ 



!i 









4 



I 

I 






■J 



/ 



J^- 



KB 



3^ 



r 



1 



DIE PRIMITIVE CULTÜR 



DES 



TüßKO-TATARISCHEN VOLKES. 



DIE PRIMITIVE CULTIIR 



TÜRKO-TATARISCHEN VOLKES 



AUF GRÜÜD SrUACHUCHEU FOBSCIIÜNGEK 



HERMANN VÄMB^RY, 



LEIPZIG; 
F. A. BEOOKHAUS 



-VL 



Das Recht der TJebersetzung ist Torbehalten. 



C7^j'S-7- '/'>/ 



MEINEN FREUNDEN UND PACH6EN0SSEN 



DEN HEBBEN 



J. W. REDHOUSE 



UND 



A. PA VET DE COURTEILLE 



WIDME ICH DIESE BLÄTTER. 



Vorwort, 



In den Scklnsszeilen des Vorwortes zu meinem „Etymo- 
logischen Worterbuche der turko - tatarischen Sprachen" 
(Leipzig 1 878) habe ich darauf hingedeutet, dass bei genauer 
Betrachtung des etymologischen Verhältnisses der einzelnen 
Wortfamilien die culturgeschichtlichen Momente des turko- 
tatarischen Volkes sich einem so zu sagen aufdrängen, und 
dass ich auf diesen Theil meiner Studie nur deshalb nicht 
Rücksicht genommen, weil ich die hierauf bezuglichen 
Betrachtungen in einer selbständigen Schrift, die nicht 
nur für den Turkologen, sondern auch für den Anthro- 
pologen, ja vielleicht sogar für einen grossem Leserkreis 
Interesse haben mag, zu veröffentlichen gedenke. 

Diesem Versprechen soll nun in vorliegenden Blättern 
nachgekommen werden. Beide Arbeiten ergänzen sich 
einander insofern, als die etymologische Darstellung die 
linguistischen Argumente der hier vorgebrachten cultur- 
geschichtlichen Daten liefert, demzufolge denn auch von 
jeder fernem Beweisführung abgesehen und auf den be- 
treffenden Abschnitt, des „Etymologischen Wörterbuch" 
hingewiesen wurde. 

Ich will ferner nicht unerwähnt lassen, dass neben 
diesem Motiv eine ähnliche, ebenfalls auf dem Gebiete 
der Ural - altaischen Sprachen erschienene Arbeit, nämlich 



VIII 

„Die Culturworter der westfinnischen Sprachen" von 
Dr. August Ahlquist (Helsingfors 1875), auf das Zu- 
standekommen dieser Schrift nicht ohne Einfluss gewesen 
ist. Sobald ich das Buch des verdienstvollen finnischen 
Gelehrten in die Hand genommen hatte, begann ich mich 
mit Vergleichungen über die primitive Cultur der West- 
finnen und der Turko-Tataren zu beschäftigen, und obwol 
erstgenannter Theil der ural-altaischen Rasse durch die 
Annahme einer grossen Anzahl von Lehn- und Fremdwor- 
tern mit dem durch und durch echt und genuin gebliebe- 
nen innerasiatischen Türken den Vergleich kaum aushalten 
kann, so hat dennoch die hier und da sich zeigende Con- 
gruenz mir mehr als einen nützlichen Wink gegeben. 
Herrn Dr. Ahlquist bin ich jedenfalls zu Dank verpflichtet. 
Was das Sprachmaterial anbelangt, so sei hier nur in 
Kürze erwähnt, dass gegenwärtiger Studie folgende ural- 
altaische Sprachen zu Grunde liegen : Osmanisch (osm.), öa- 
gataisch (cag.), uigurisch (uig.), kirgisisch (kirg.), kazanisch 
(kaz.), altaisch (alt.), tschuvaschisch (cuv.), koibal-karaga- 
sisch (k.k.), jakutisch (jak.), azerbaizanisch (az.), turkoma- 
nisch (trkm.), mongolisch (mong.) und magyarisch (magy.). 
Von den arischen Sprachen ist, neben den aus Curtius' 
„Grundzüge der griechischen Etymologie'' (Leipzig 1858) 
entnommenen Beispielen, auf das Slawische im allgemeinen, 
auf das Neupersische und Tadschikische Bezug genommen, 
während von den semitischen Sprachen zumeist das Ara- 
bische berücksichtigt worden ist. 

Budapest, im Jaimar 1879. 

Hermann Vämbery. 



Inhalt. 



Seite 

Vorwort vii 



Einleitung 1 

I. Der Mensch und der menschliche Körper 51 

II. Geschlecht und Altersstadien 59 

III. Die Familie 64 

IV. Haus und Hof 73 

V. Hausgeräth, Kleider und Stoffe 79 

VI. Speisen und Getränke 90 

VII. Jagd und Ackerhau 99 

VIII. Handel und Gewerbe 105 

IX. Die Waffen 116 

X. Krieg und Friede 121 

XI. Stände und Regierung 131 

XII. Poesie, Musik, Tanz und Spiel « 141 

XIII. Welt, Himmel, Sterne, Sonne und Mond 149 

XIV, Witterungsverhältnisse und Himmelserscheinuugen . . . 164 
XV. Land und Wasser 169 

XVI. Das Thierreich .184 

XVII. Das Pflanzenreich 211 

XVIII. Die Farben 224 

XIX. Gott und Religion 237 

XX. Sittliche und abstracte Begriffe 255 

Wort- und Sachregister 271 



Einleitung, 
i. 

iithnographie oder Philologie, der körperliche Habitus 
oder die menschliche Sprache, welches ist wol der Sto£P, 
aus dem wir die beste Leuchte im dunkeln Labyrinth der 
Stammesgenossenschaft der Volker erhalten? Diese Frage 
wird allerdings hier nicht zum ersten mal aufgeworfen, 
nicht zum ersten mal wird ihre grosse Wichtigkeit betont, 
und in der That wird die Wissenschaft wenig Probleme 
aufweisen können, zu deren Losung die einzelnen Theo- 
rien sich so schroff einander gegenüberstehen, und die 
hier bejahend, dort verneinend auftreten, wie eben bei 
den Forschungen auf dem Gebiete des gegenseitigen Ver- 
hältnisses der einzelnen Abtheilungen des Menschenge- 
schlechtes. Nach den mannichfachen Wahrheiten, welche 
die Linguistik bis heute beleuchtet hat, wird es selbst- 
verständlich niemand mehr einfallen, bei der Einthei- 
lung des Menschengeschlechtes in Hauptklassen — wir 
mögen hier Blumenbach^s Fünfer- oder Cuvier's Dreier- 
System oder PeschePs und Friedrich Müller^s Theorien 
befolgen — die Sprache nicht als jenen Factor anzu- 
erkennen, welcher bei der Grenzbestimmung der Haupt- 
rassen unbedingt berücksichtigt werden muss. Man müsste 

VAmböry, Caltur. 1 



geradezu blind sein, um trotz des physiologischen Unter- 
schiedes, der bezüglich der Hautfarbe, der Schädelbil- 
dung, des Gesichtsausdruckes und des Korperbaues zwi- 
schen Hindustanem, Persern, Slawen, Germanen und 
Romanen besteht, das Band der engen Verwandtschaft 
nicht wahrzunehmen, welches diese, heute unter so ver- 
schiedenen lOimaten lebenden Mitglieder der grossen 
arischen Familie vereinigt. Wenn daher trotz der Diver- 
genz in den physischen Merkmalen das Licht der 
Philologie bei der versuchten Aufklärung der Dunkelheit 
uns zu Hülfe kommt, so dürfen wir andererseits wieder 
nicht die sprachlichen Beweise als alleinseligmachend hin- 
stellen, denn worin die Ethnographen und Philologen bis 
heute entschieden gefehlt haben, das ist unsers Erachtens 
nach die allzu stramme Exclusivität in ihren diesbezüg- 
lichen Theorien, d. h. ihr Nichtbeachten der vollen Evi- 
denzkraft des gesammten Materials der Beweisgründe. 
Einseitigkeit ist überall, hier aber am meisten schädlich, 
und um auf die aus besagtem Fehler resultirende Con- 
fusion nur einigermassen hinzudeuten, wollen wir auf 
beide Theorien einen flüchtigen Blick werfen. 

Wer längere Zeit unter verschiedenen Völkern gelebt, 
mit deren physischen und geistigen Eigenheiten sich ein- 
gehend befasst, und wer namentlich jenen Erscheinungen 
seine Aufmerksamkeit zugewendet hat, die bei Heimats- 
wechsel, bei Veränderung des EJimas und der Lebens- 
weise beim Menschen zum Vorschein kommen, der wird 
wol bald zur Ueberzeugung gelangen, wie sehr der mensch- 
liche Korper eben jenen äusserlichen und innerlichen Um- 
gestaltungen unterliegt, und unterliegen muss, denen die 
Thiere und Pflanzen bei ihrer üebersiedelung vom hei- 
matlichen Boden unter einen fremden Himmelsstrich aus- 
gesetzt sind. 

Man erlaube mir in dieser Beziehung einige Beispiele 



anzufahren. Ich habe vor vierzehn Jahren aus Mittelasien 
einen jungen Oezbegen und mehrere Säckchen Samen- 
körner der an den Ufern des Oxus in so vorzüglicher 
Weise gedeihenden Melonenarten mitgebracht, in der 
Hoffnung, letztere in den Sandboden der ungarischen .Nie- 
derungen zu verpflanzen. Die Melonen waren nur im 
ersten Jahre an Farbe und Grosse, aber nicht an Ge- 
schmack gleich, im dritten und vierten Jahre hingegen 
waren sie schon gänzlich entartet. Aber auch am jungen 
Oezbegen vom untern Oxuslaufe sind so manche durch 
das fremde Klima und veränderte Lebensweise hervorge- 
rufene physische Merkmale zu bemerken. Die Contouren 
seines Gesichtes sind im Vergleiche zu den scharfeckigen 
Zügen seiner Landsleute rund geworden, und besonders 
auffallend ist sein starker Bartwuchs, der möglicherweise 
eine Ursache des in Chiwa ungebräuchlichen, ja durch 
die Religion streng verbotenen Scherens, ihm heute schon 
das Aussehen eines Ungarn verleiht, und unter seinen 
Landsleuten würde er entschieden für einen Fremdling 
angesehen werden. 

Centralasien mit seinem bunten Volkergemisch von 
Ariern, Semiten und Uralaltaiern dünkt uns besonders 
jenes Feld, wo der Ethnolog unter den vorhandenen 
Mischrassen am häufigsten auf Bäthsel stossend, einsehen 
wird, wie vorsichtig man überhaupt mit den physiologi- 
schen Beweisen umgehen muss, und dass ein befriedigen- 
des Resultat nur dann zu erlangen sei, wo als Probirstein 
nicht einzelne, sondern sämmtliche Factoren mitgewirkt 
haben. Wenn daher Poesche („Die Arier", S. 8) wol mit 
Recht die Behauptung aufstellt: „Sprache ist nur ein ein- 
zelnes Moment in der Zahl derjenigen, welche bei Ein- 
theilung des Menschengeschlechts in Rassen zu berück- 
sichtigen sind", so würde ich dies auch bezüglich der 
Physiologie thun; denn wenn uns zahlreiche Beispiele zur 

1* 



Verfugung stehen, wo Volker im Verlaufe eines oder 
zweier Jahrhunderte ihre Sprache ganzlich vertauschten, 
so werden wir nicht minder Gelegenheit haben, auch im 
physischen Leben der Volker ähnlichen Fällen zu begeg- 
nen, wo die allerdings grossere Zeitfrist von Jahrhunderten 
hinreichend war, den Urtypus gänzlich zu verwischen, ja 
dem Menschen jene Merkmale aufzuprägen, die infolge 
der Eigenheiten des EJimas und der Lebensweise an den 
dortigen Autochthonen zu bemerken sind. 

Wir wollen Gesagtes durch andere Beispiele illustriren. 
Die im Chanate von Bochara um Wardanzi und Waf- 
kend herum ansässigen Araber, Abkömmlinge der Krie- 
ger, welche sich unter Kuteibe dort niedergelassen, die 
heute durchweg persisch reden, unterscheiden sich nur 
wenig von der dortigen tadschikischen Bevölkerung. Ihre 
Stammesgenossen dagegen im Süden Persiens, die von 
Maskat und Oman dahin einwanderten, weil der klima- 
tische Unterschied zwischen Südiran und dem Südosten 
der Arabischen Halbinsel kein so wesentlicher ist, mit 
ihren prägnant ausgedrückten Merkmalen der semitischen 
Rasse fallen sofort auf. Von ähnlicher Natur sind unsere 
Wahrnehmungen bei genauer Betrachtung der Sarten, 
dieser türkisch redenden arischen Ureinwohner Central- 
asiens, die einerseits von ihren arischen Brüdern, den 
Tadschiks, nicht nur in Sprache, sondern auch in Korper- 
bau und Physiognomie sich ebenso sehr unterscheiden, 
als beide zusammen von den Ariern Persiens, andererseits 
aber in dem Masse die markanten Züge des Sartenthums 
verlieren, in welchem sie von dem gemeinsamen Stamme 
am mittlem Jaxartes sich entfernen. Am auffallendsten 
jedoch macht die Veränderung des Klimas und der Lebens- 
weise bei dem türkischen Nomaden sich bemerklich, wenn 
er die heimatliche Steppe verlassend inmitten einer ansäs- 
sigen Bevölkerung sich niederlässt. Ein derartiges Bei- 



spiel haben wir in den Oezbegen Centralasiens, deren 
Nucleus aus einer kleinen Anzahl türkisch-mongolischer 
Nomaden besteht, die nach dem Verfall der Goldenen 
Horde im Anfange des 16. Jahrhunderts in den heutigen 
Chanaten sich niederliessen und ihre Zahl durch die im 
Laufe der Zeit von der nomadischen Existenz zur sess- 
hafben Lebensweise übergegangenen Turaniem vermehrten. 
Zugestanden nun, dass die Vermischung mit arischem 
Blut infolge der allerdings nur sporadisch vorkommenden 
Heirathen tadschikischer Mädchen und persischer Skla- 
vinnen zur Veränderung der Basseneinheit wesentlich bei- 
getragen, so wäre dieses allein noch bei weitem nicht 
hinreichend, um den grossen Abstand zu erklären, der 
heute zwischen Oezbegen und türkischen Nomaden sich 
manifestirt, wenn es nicht eben jene Motive wären, die 
aus der veränderten Lebensweise und aus den Bedingun- 
gen eines fremden Himmels und Bodens hervorgegangen. 
Diese Veränderung des physischen Habitus ist oft bei 
der kleinsten Zeit- und Bassenverschiedenheit nachzuweisen, 
und wir wollen unter anderm auf die in Teheran ansäs- 
sigen turkomanischen Kriegsgeissein hindeuten, bei denen 
man schon in der zweiten Generation Spuren der Rassen- 
veränderung entdecken kann, und welche im vierten Ge- 
schlecht von den iranischen Türken kaum zu unterscheiden 
sind. Sowie Sonne, Boden und Wasser auf Pflanzen und 
Thiere einen umgestaltenden Einfluss ausüben, so ist dies 
auch beim Menschen der Fall, und wer dem körperlichen 
Habitus in der Frage über die Rassengemeinschaft mehr 
Beweiskraft zumuthen wollte als der Sprache, wie dies 
Middendorf im vierten Bande seines Reisewerkes gegen- 
über der Behauptung Castren's thut, weil letzterer (S. 12 
in seinen „Ethnologischen Vorlesungen") die Physiologen 
auf einem irretreibenden Meere schweben lässt — der 
würde eben in den bei seinem Gegner gerügten Fehler 



6 

verfallen. Die Assimilation der Yolkerelemente vollzieht 
sich allerdings nur infolge der anfangs unsteten Lebens- 
weise und nur allmählich, doch sie ist eine unbestreitbare 
Thatsache, und weil sie als solche, d. h. als Gegensatz 
zur Stereotypie den physiologischen Argumenten die feste 
Grundlage entzieht, so kann der körperliche Habitus allein 
in der Rassenfrage nicht als Richtschnur dienen. 

Diese Unzulänglichkeit der Beweiskraft wird bezüglich 
der Sprache in gleicher Weise evident. Wenn das Phy- 
sikum des Menschen durch den Einfluss eines fremden 
Klimas und Bodens Veränderungen unterliegt, so ist die 
Sprache, trotzdem sie infolge ihres engen Zusammen- 
hanges mit der Vernunft als Repräsentant des mensch- 
lichen Geistes auftritt, bei regerm Verkehr mit andern 
Sprachen, d. h. mit anders gearteten Repräsentanten des 
menschlichen Geistes, mitunter den grossten Umgestal- 
tungen unterworfen. Wenn Entfernung vom heimatlichen 
Boden und eine grossere Verschiedenheit in klimatischen 
Eigenheiten in Farbe und Formen des menschlichen Kor- 
pers einen Unterschied hervorzurufen im Stande sind, 
wie jener, den wir heute zwischen zwei arischen Stammes- 
genossen in Bengal und in Schweden wahrnehmen, so 
müssen wir es als ganz natürlich finden, wenn eine räum- 
lich und zeitlich grössere Entfernung vom gemeinsamen 
Stamme, und der intensive Verkehr mit einem fremd- 
sprachigen Volke das nationale Redeelement beeinflusst 
und umgestaltet. Die einzelnen Phasen dieser Umgestal- 
tung hängen natürlich mit dem Zahlengehalt, am meisten 
jedoch mit dem Culturgrade der betreffenden Volker zu- 
sammen. Bei Nomaden, wenn in der Minderzahl, ist die 
Sprache ebenso leicht veränderlich wie die Sitten und 
Gebräuche, und einige Jahrzehnte sind oft hinreichend^ 
um eine starke Imprägnirung mit fremden Elementen zu 
erzeugen, was bei Halbnomaden schon weniger, bei ganz 



Sesshaften aber nur schwer der Fall sein kann. Daher 
stammen die zahlreichen Beispiele, wo die Sprache klei- 
nerer Nomadengruppen oft im Verlauf eines einzigen 
Jahrhunderts von der Sprache des grossem umgebenden 
Nomadenvolkes absorbirt wurde. Wir sahen dies nament- 
lich während des Einfalles der Mongolen in Mittelasien, 
wo einzelne mongolische Kriegerhaufen, wenn von tür- 
kisch oder persisch redenden Elementen eingeschlossen, 
ihre Sprache bald aufgaben uiid heute nur noch an den 
Stammes- und Geschlechtsnamen zu erkennen sind. Solche 
sind unter andern die Noküsz-, Naiman- und Kitai-Ge- 
schlechter der Oezbegen, die friiher Mongolen waren, 
heute aber durchweg türkisch reden; femer die Hezares 
zwischen Kabul und Herat, die trotz ihres historisch be- 
wiesenen mongolischen Ursprungs der überwiegenden 
Mehrzahl nach persisch reden, und bei denen das Mon- 
goUsche stark untermischt nur bei jener kleinen Fraction 
sich erhalten konnte, die in den minder zugänglichen Ber- 
gen und Schluchten im Nordosten Herats dem gewaltigen 
Strome des arischen Einflusses weniger ausgesetzt waren. 
Als mächtigster Factor bei der Veränderung der 
Sprachen wirkt entschieden der fremde Cultureinfluss, in- 
dem er die fremdartigen Producte der menschlichen Ver- 
nunft in jenem Kleide einführt, in welchem sie erzeugt 
worden. Wo es sich um Cultureinflüsse bei halb oder 
ganz sesshaften Volkerelementen handelt, dort kann das 
Grundelement der Sprache nicht mehr so leicht erschüt- 
tert werden, und es hat der fremde Einfluss in den mei- 
sten Fällen nur auf den Wortschatz, seltener auf die 
Sprachformen und auf die Syntax einzuwirken vermocht. 
So finden wir z. B. im heutigen Englischen den Wort- 
schatz mit lateinischen und normannischen Lehnwortern 
stark gemischt, während das altgermanisch-grammatika- 
lische Gebäude beinahe unversehrt sich erhalten hat. 



8 

Ebenso liess sich das Osmanische in seinen grammatika* 
lischen Formen nicht im mindesten beeinträchtigeii, wäh- 
rend in der Literatursprache die arabisch - persischen 
Fremdworter das Türkische beinahe gänzlich verdrängt 
und selbst die Volkssprache eine Unzahl von Lehnwörtern 
angenommen hat. 

Einer hierauf bezüglichen Ausnahme begegnen wir nur 
im Persischen, und zwar sowol im Neupersischen Irans, 
als im tadschikischen Dialekt Centralasiens, wo in beiden 
Fällen der fremde Spracheinfluss selbst die Grammatik 
angegriffen hat. Man sehe unter andern den Gebrauch 
des afifixirten Pronomen possessivum m t» s in chanem^ 
chanet, chanes, anstatt des echt iranischen chand-men, cha- 
nd'tu, chand'O oder es; ferner das tadschikische oiba iba 
(dort hinein, hier hinein), wo der Locativsuffix &a, das 
moderne türkische da nach regelrechter altaischer Art an 
das persische an -in angehängt wurde, anstatt dem echt 
iranischen der an ^ derin. Sehr auffallend ist ferner im 
Tadschikisch-Persischen der Gebrauch der Participialform 
anstatt des Perfectum, denn sowie der Oezbege kilgen, 
Tcitken (er ist gekommen, er ist gegangen) sagt, ebenso 
drückt der Tadschik dasselbe Tempus mit amedegiy reftegi 
anstatt amede est und refte est aus. So wie bei einer theil- 
weisen Veränderung der Sprache der fremde Cultureinfluss 
sich am meisten thätig zeigt, ebenso gibt bei gänzlicher 
Absorbirung nur Zahlenbestand und seltener der culturelle 
oder politische Einfluss den Ausschlag und die geistige 
Superiorität muss immer der materiellen Uebermacht 
weichen. So wie die in Bildung weit vorangeschrittenen 
Iranier Centralasiens inmitten der überwiegend türkischen 
Bevölkerung Sarten wurden, d. h. die türkische Zunge 
annahmen, ebenso ist der türkische Stamm der Bulgaren, 
trotzdem er als Eroberer aufbrat, in verhältpissmässig 
kurzer Zeit von den an der Donau ansässigen Slawen 



slawisirt worden, und so ist aus den türkisch-tatarischen 
Hunnen, die nach Vertreibung aus Pannonien an der 
untern Wolga sich aufhielten und die daselbst ansässigen 
Ugrier unterjochten, das heute als Magyaren bekannte 
Mischyolk entstanden. Dieser Amalgamirungsprocess hat 
auf den verschiedensten Funkten der Erde sich wiederholt, 
denn überall muss nach den Gesetzen der Natur der phy- 
sisch Schwächere dem physisch Starkem weichen. 

Und was in dieser Beziehung auf so verschiedenen 
Punkten Asiens auf Grund unzweideutiger geschichtlicher 
Thatsachen sich nachweisen lässt, das kann von ähnlichen 
Belegen durch die von der Völkerwanderung in Europa 
hervorgerufenen Volkergruppirungen vielfach bestätigt 
werden. Die Geschichte der Sprachen ist sich hierin in 
allen Zeiten und Perioden gleichgeblieben, und der unbe- 
fangene Ethnolog, der das dunkle Gewebe der Rassen- 
genossenschaft durchblicken will, wird sich wol selbst 
fragen müssen: wie kann man sich der Sprache, die solch 
grossen Veränderungen unterliegt, als Medium bei der 
Erörterung des Ursprunges eines Volkes bedienen, und 
wie ist es gar denkbar, in ihr das nationale Monument 
eines untrüglich hohen Alterthumes zu entdecken? 

„Unsere Sprache ist auch unsere Geschichte^% sagt 
ein grosser deutscher Sprachforscher. Ja sie ist auch die 
Geschichte einer grossem Menschengesellschafb, einer sol- 
chen Gesellschaft, die durch die compacten Massen ihres 
hohem Zahlenbestandes, durch historische und klimatische 
Zufälle vor dem zersetzenden Einflüsse auswärtiger Be- 
rührungen mehr geschützt, in der nationalen Einheit we- 
niger beeinträchtigt sich erhalten konnte. Aber sie ist 
nicht die Geschichte kleinerer Gesellschaften, welche oben- 
drein noch infolge der stiefmütterlichen Naturbedingungen 
der Urheimat zerbröckelt und auseinandergestreut, und 
schön des geringen Zahlengehaltes wegen auf den Wogen 



10 

des stürmisch bewegten Volkermeeres leicht hin- und her- 
geworfen werden konnte, wie wir dies z. B. bei einzelnen 
Brachstücken der ural-altaischen Rasse so vielfach in Er- 
fahrung bringen. Wir haben uns vorsätzlich des coUec- 
tiven Ausdruckes ural-altaische Rasse bedient, weil diese 
auf dem ärmlichen Boden der Urheimat, auf weiten geo- 
graphischen Strecken getrennt lebend, dem Zerfallen in 
kleinere Fractionen von jeher mehr ausgesetzt war, und 
weil eben bei diesem Menschengeschlecht der türkisch- 
tatarische Stamm allein als derjenige betrachtet werden 
muss, welcher verhältnissmässig selbst heute noch den 
grossten Zahlenbestand aufweist, in seinen Gliedern und 
Zweigen das frappanteste Bild der Zusammengehörigkeit 
aufbewahrt, und der trotz der Ausdehnung nach dem 
hohen Norden und fernen Westen in den Grenzen seiner 
Urheimat noch immer in der grossten Majorität anzu- 
treffen ist. Wo es sich um ein compactes Ganzes, wie 
beim Türkenthum Centralasiens zwischen dem Thien Schaa 
und dem Kaukasus, zwischen dem Jenissei und der Wolga 
handelt, da haben wir eine ganz feste Grundlage, um den 
Satz: „Unsere Sprache ist auch unsere Geschichtet^ 
ebenso sehr zur Geltung zu bringen, wie dies Grimm bei 
den Deutschen thut, und dort können wir denn auch 
bona fide der Sprache jene Beweiskraft zumuthen, die ihr 
nach der von uns ausgesprochenen Ansicht auf dem For- 
schungsgebiete der Ethnologie anderer, gleichviel ob ari- 
scher oder semitischer Rassen, rechtlich zugemuthet wird 
und werden kann. 

Wenn wir daher den Grimmischen Satz: „Unsere 
Sprache ist auch unsere Geschichte" beim Türkenvolke 
in Anwendung bringen wollen und können, so müssen 
wir vor allem darüber im Klaren sein, welche Geschichte 
wir denn eigentlich mit dem Lichte der Sprache beleuch- 
ten wollen. Die politische Vergangenheit kann es keines- 



11 

falls sein, in der Geschichte des Ursprungs kann die 
Linguistik wol verwerthet werden, doch die zu Tage be- 
forderten Resultate sind bisweilen von einer sehr proble- 
matischen Natur, sodass es unsers Erachtens nach nur 
die gesellschaftliche Vergangenheit, nur die Cul- 
turgeschichte eines Volks sein kann, die von der 
durch die Sprachforschung angezündeten Fackel 
sich beleuchten, und in allen ihren Phasen sich 
klar darlegeff lässt. Ja wir können mit Recht be- 
haupten, dass ein derartiges Vorhaben, nämlich die Er- 
schliessung der ursprünglichen Heimat und des ältesten 
Culturzustandes eines Volkes mittels des in seiner Mutter- 
sprache vorhandenen Beweismaterials, als das höchste und 
lohnenswertheste Ziel der vergleichenden Philologie zu 
betrachten sei. Es ist nicht unsere Absicht, auch nicht 
unsere Aufgabe, uns in Erörterungen über allgemeine 
Principien und Anschauungen auf diesem Gebiete der 
Sprachphilosophie einzulassen; da doch die bekannten 
Forscher bisher als Hauptquelle ihrer Untersuchungen 
das Gebiet der arischen und semitischen Sprachen an- 
nahmen, so wollen wir nun einem bisher ungebrauchten, 
weil noch nicht ganz zugänglich gewesenen Beweismaterial 
Rechnung tragen, d. h. wir wollen die culturgeschicht- 
lichen Momente der turko-tatarischen Sprachen in Relief 
bringen, deren Beweisfähigkeit mit der Beweiskraft an- 
derer Sprachen vergleichen, um zu dem allerdings über- 
raschend klingenden Resultat zu gelangen, dass die 
Sprache dieser noch heute zumeist auf der pri- 
mitiven Stufe der Cultur sich befindenden Völ- 
ker, abgesehen von den culturhistorischen Mo- 
menten des individuellen Nationallebens, auch 
für die Geschichte der Vernunft der Menschheit 
im allgemeinen an höchst werthvollen Winken 
überaus reich ist, und dass unsere Sprachge- 



12 

lehrten, falls sie aus diesem krystallreinen Born 
geschöpft hätten, mit weniger Mühe und zu weit 
glänzendem Resultaten gelangt wären, als in 
ihren diesbezüglichen Bemühungen mit dem abge- 
nutzten, oft bis zur Unkenntlichkeit verwitter- 
ten Sprachmaterial der arischen Volker. 

IL 

Zu dieser, wol etwas kühn scheinenden Ansicht haben 
uns drei Hauptgründe bewogen, solche Gründe, die im 
Geiste der altaischen, speciell aber der turko-tatarischen 
Sprachen ruhen und den unparteiischen Forscher wol 
leicht zu einer ähnlichen Ueberzeugung führen werden. 

Erstens gestattet uns der agglutinative Charakter 
der türkischen Sprache eine überaus klare und helle Ein- 
sicht in das Wesen und in die Form der einzelnen Wor- 
ter; es ist in denselben der Grundstoff von den später 
hinzugefugten oder nur locker angehängten Affixen mit 
Leichtigkeit zu unterscheiden, und da man in der That 
nicht besonders weit zurückgreifen musste, um zu jener 
Periode der Sprache zu gelangen, in welcher der mate- 
rielle selbständige Sinn der heute als Affix fungirenden 
Redetheile bestimmt werden konnte, so ist es ganz natür- 
lich, dass die etymologische Zerlegbarkeit der türkischen 
Worter weniger Schwierigkeiten bietet als ein ähnliches 
Verfahren bei den sogenannten Flexionssprachen, wo Stoff 
und Form, Wurzel und Partikel oft bis zur Unkenntlich- 
keit ineinandergeknetet und vermischt ist« Nehmen wir 
irgendein beliebiges Wort aus Curtius' „Grundzüge der 
griechischen Etymologie", z. B. das S. 148 befindliche 
griech. Ytyvoaxo (erkenne), indem wir an demselben das 
skt. gänämi (cognosco), das lat. notio, gnarus, das ahd. 
Jeanu, das goth. kann und da^ slaw. junati (kennen) an- 



13 

reihen, und stellen wir nun dem gegenüber den ent- 
sprechenden Begri£P im Türkisch-Tatarischen, nämlich cag. 
bilmek (wissen, kennen), uig. biliJc (Wissenschaft, Kennt- 
niss, Zeichen), 6ag. hükürtmek (bekannt machen), osm. 
hellemek (auswendiglernen), bilU (Bekanntschaft) u. s. w., 
wie aus §. 215 meines Etymologischen Wörterbuches er- 
sichtlich ist — so wird man ohne weiteres von der 
grossem Klarheit des türkischen Sprachstoffs sich über- 
zeugen; denn während die Wurzel des griechischen Wor- 
tes, das yv nur dem erfahrenen Auge des Linguisten er- 
kenntlich sein kann, wird beim angeführten türkischen 
Worte selbst der Laie auf den ersten Anblick in bil bei 
das Grundelement entdecken, ja es wird bei einer wenig 
sorgsamen Prüfung selbst jenes System ihm einleuchten, 
welches die Sprache bei der Definition der von dem 
Grundbegriff abstammenden ISebenbegriffe in den Deri- 
vaten befolgt hat. So einfach und schlicht, so ungekünstelt 
und natürlich wie das Verhältniss des lautlichen Zusam- 
menhanges zwischen dem Grundworte und seinen spätem 
Sprosslingen sich gestaltet, ebenso ist dies auch hinsicht- 
lich des begrifflichen Zusammenhanges der Fall, und so wie 
man beim Lichte der Lautlehre ohne halsbrecherische 
Theorien in der etymologischen Zergliederung leicht ans 
Ziel gelangt, ebenso ist der begriffliche Nexus ohne das 
scharfgeschliffene Glas philosophischer Spitzfindigkeiten 
leicht zu durchschauen. Ein begrifflicher Zusammenhang, 
wie z. B. zwischen dem griech. xslpiai (liegen), dem lat. 
quies und civis, dem ahd. Mwo (conjux) und dem slaw. 
pokoj (Ruhe) ist im Türkischen nicht leicht erdenklich. 
Hier hat sich alles in der Urfrische bewahrt, die mensch- 
liche Vernunft und Sprache strahlen noch im Kleide der 
Jungfräulichkeit, und so wie die Geisteskraft noch im An- 
fangsstadium ihrer Thätigkeit, unter dem Begriff liegen 
z. B. nur die Handlung des Sichausstreckens, des Sich- 



14 

ansbreitens, unter Ruhe nar das Ausschnaaben n. s. w. 
▼ersteht, ebenso hat anch die äussere Form der diesen 
Begrif&kreis interpretirenden Wörter von der Originalität 
noch wenig eingebüsst. 

Der zweite Vorzug, durch welchen das unserer For- 
schung zu Grmnde liegende Sprachgebiet von den übrigen, 
namentlich von dem arischen sich hervorthut, ist die mar- 
kante Stabilität des Wortschatzes. Dieselbe rührt aller- 
dings in erster Reihe von dem agglutinativen Charakter 
her, welcher durch das Anschmieden und Einschmelzen 
der spätem Zugaben den Grundstoff des Wortes viel 
leichter entstellt und verändert als der Process des ein- 
fachen Anhängens oder Anreihens. Hierin liegt denn 
auch die Hauptursache des eminent stereotypen Charak- 
ters, welcher die türkischen Sprachen auszeichnet, eine 
Eigentbümlichkeit, der wir es zu verdanken haben, dass 
trotz einer immensen geographischen Ausdehnung vom 
eisigen Norden bis zum tiefen Süden, vom Drachensee 
bis zur Adria, ja trotz einer zeitlichen Entfernung von 
historisch nachweisbaren anderthalbtausend Jahren die vom 
Hauptkorper losgetrennten Glieder, weder was den Sprach- 
schatz noch was die Sprachformen anbelangt, sich der- 
massen verändert haben, wie wir in ähnlichen Fällen auf 
dem arischen Sprachgebiete wahrnehmen. Wir sprechen 
demzufolge nur üblichkeitshalber von türkischen Sprachen, 
da wir im Grunde genommen nur von Dialekten reden 
sollten, und zwar Dialekte der Sprache jenes Türken- 
volkes, das noch heute in der vermuthbaren Urheimat 
weilt, d. h. jenen Theil Centralasiens bewohnt, der zwi- 
schen den westlichen Ausläufern des Altaigebirges der 
Steppe entlang gegen den Easpisee sich hinzieht. Zu 
welcher Zeit die Jakuten oder andere Türkenstämme im 
Norden Asiens von dem Gros des Volkes sich losgerissen, 
welche Umstände sie in der bei den Wanderungen der 



15 

Menschheit allerdings ungewohnten Richtung von Süden 
nach Norden gedrängt haben mögen, dies Hess sich vor- 
derhand noch schwer ermitteln, aber der Jakute an der 
untern Lena ist trotz der totalen Umgestaltung an Haut- 
und Haarfarbe, an Physiognomie und Körperbau dennoch 
Stocktürke, und konnte sich mit dem Bruder am Bospo- 
rus, falls der zur grammatikalischen Nuancirung nothige 
Culturgrad vorhanden wäre, leicht verständigen. Bei den 
übrigen Ringen der grossen von Osten nach Westen sich 
ziehenden Kette türkischer Volkerschaften fällt dieses 
Verhältniss einer blos geringen dialektischen Verschieden- 
heit noch mehr ins Auge. Der Oezbege aus Chokand 
oder Chiwa, der christliche oder mohammedanische Ka- 
zaner, der Turkomane, Azerbaizane und Osmane bilden 
untereinander eine Sprachengemeinschaft von eben solch 
prägnanten Zügen der Einheitlichkeit, wie z. B. die ein- 
zelnen Theile der zwei Hauptgruppen der deutschen 
Sprache, nämlich das Niederdeutsch und Hochdeutsch, 
ja ich nehme keinen Anstand, die Behauptung zu wagen, 
dass der Ostfriese und der Schweizer sich mit dem Zip- 
ser oder dem siebenbürger Sachsen wol schwerer ver- 
ständigen wird, als dies etwa zwischen Jakuten und 
Teleuten mit dem Türken aus Anatolien oder Rumelien 
der Fall sein kann. 

In Ermangelung türkischer Sprachmonumente von 
hohem Alterthume mag ein Vergleich bezüglich der Sta- 
bilität mit den arischen Sprachen, wo dem Forscher das 
schätzbare Material der Veden zur Verfugung steht, kaum 
für thunlich erscheinen, ja die Altersstadien der aus der 
Vergangenheit übriggebliebenen sprachlichen Ueberreste 
der beiden Rassen variiren zu sehr voneinander, doch 
kann uns dies nicht verhindern, die vorhandenen türki- 
schen Literaturüberreste zu verwerthen, und zwar auch 
schon deshalb, weil sie trotz der Spärlichkeit und eines 



16 

yerhältnissmässig jungem Datums zur Kräftigung unserer 
Ansicht vollauf hinreichen. 

Was die ältesten türkischen Sprachmonumente anbe- 
langt, so erstrecken sich dieselben nur auf jene Eigen- 
namen, welche in griechischen, lateinischen, arabischen 
und persischen Geschichtsquellen aus der Periode des 
ersten Erscheinens des Türkenvolkes zu uns gelangt sind. 
Solche Quellen sind die Werke der byzantinischen Schrift- 
steller, wie Porphyrogenitus, Dukas und Theophanes; die 
der mittelalterlichen lateinisch schreibenden Autoren, und 
die Werke von Tabari, Ihn Athir, Baihaki, Narschachi 
u. s. w., in deren Schriften die vorkommenden türkischen 
Eigennamen, wenn etymologisch zerlegt, für die Stabilität 
des türkischen Wort- und Formschatzes ein glänzendes 
Zeugniss ablegen. Mit den neuern, ungefähr neunhundert 
Jahre alten Ueberresten verhält es sich noch besser. Hier 
haben wir es schon mit langen Texten, wie dem des Ku- 
datku Bilik oder der reichen Wortsammlungen in Pe- 
trarca^s Arbeit über das Rumänische zu thun, und schon 
der blos flüchtig angestellte Vergleich mit der Geschichte 
anderer Sprachen wird uns von dem auffallend stereotypen 
Charakter der türkischen Mundarten überzeugen. So wie 
der uigurische Text des Kudatku Bilik heute jedem Ost- 
turkestaner verständlich ist, ebenso wird der Nogai oder 
kazaner Tatar ohne besondere Schwierigkeiten die vor 
sechshundert Jahren aufgezeichneten Geschichtchen und 
Sprüche der Petrarca'schen Handschrift verstehen. Ja 
sogar die im Magyarischen übriggebliebenen türkischen 
Sprachelemente unterscheiden sich nach einer Zeitfrist von 
mehr als tausend Jahren so wenig von dem heutigen Tür- 
kisch, dass man bei jedem einzelnen Worte den dialek- 
tischen Ursprung genau bestimmen könnte. Braucht es 
daher hervorgehoben zu werden, dass analoge Vorkomm- 
nisse im Bereiche der arischen Sprachen unmöglich und 



17 

unerhört sind? Wo ist der Iranier, der einen Pehlevi- 
Text versteht; wo der Eündu, der die Sakuntala ohne 
Commentar zu lesen vermag, und wo der Deutsche, der 
in einem althochdeutschen Texte sich ohne Anweisung 
zurechtfinden kann? Dieses Verhältniss wird einigermassen 
einleuchtend, da die Sprachen, welche keine Literatur, 
wenigstens keine alte Literatur besitzen, ihren ursprüng- 
lichen Charakter am reinsten und am längsten erhalten 
haben; aber es berechtigt uns doch zur Annahme, dass 
so wie die turko- tatarischen Sprachen im beträchtlichen 
Zeiträume von tausend Jahren keinen wesentlichen Ver- 
änderungen unterlagen, dieses auch in einer noch femern, 
kaum zu ahnenden, wenigstens mit Zahlen nicht zu be- 
stimmenden Vergangenheit der Fall gewesen sein mag, 
und dass demgemäss die Sprache des Türkenvolkes, nach 
dem Zeugniss der vorhandenen Beispiele zu urtheilen, 
als eine im Laufe der Zeit am wenigsten verän- 
derte Sprache erscheint. 

Als Hauptursache dieser Stabilität figurirt selbstver- 
ständlich die Seclusivität, in welcher die einzelnen 
Völker der turko-tatarischen Rasse jahrtausendelang ver- 
harrten, eine Seclusivität, die von den ethnischen Ver- 
hältnissen der Nachbarwelt bedingt, bei den Nomaden 
türkischer Zunge dieselben Resultate zu Tage gefordert, 
wie bei andern noch heute in ganz- oder halbnomadischem 
Zustande lebenden Steppenbewohnern. Im grossen Drän- 
gen und Treiben der einzelnen Menschengeschlechter nach 
bessern und klimatisch günstigem Wohnsitzen hat die 
Rührigkeit und das Zuvorkommen immer den Ausschlag 
gegeben. 

Als die selbst heute noch schwerfälligen Türken, mit 
dem Wunsche den Zauberbann der Steppenregionen zu 
durchbrechen, zur Aufsuchung eines gemässigten Himmels* 
Strichs und eines urbarem Bodens sich anschickten, da 

Vftmböry, Galtur. 2 



18 

fanden sie im Süden sowol wie im Westen das Terrain 
schon im Besitze arischer Volkerschaften, durch deren 
Colturkreise sie wol hindiirchstürmten und auf eine Zeit 
lang alles wüst und ode legten. Schliesslich mussten sie 
aber, theils verdrängt, theils zersplittert, wieder unver- 
richteter Dinge sich in die Steppenwelt zurückziehen, 
ebenso wie die arabischen Nomaden, die, in glühender 
Begeisterung für den Islam aus der Steppenheimat her- 
vorbrechend, über drei Welttheile sich verbreiteten, Städte, 
Länder und Reiche über den Haufen warfen, endlich aber 
doch wieder als Nomaden, wenngleich als reichbeladene 
Nomaden in die nackten und kahlen Ebenen und Thäler 
Arabiens zurückkehrten, ohne feste Wohnsitze zu grün- 
den ; denn wo das Entstehen neuerer Städte auf arabische 
Urheberschaft sich zurückfuhren lässt, da müssen unter 
denselben früher schon sesshafte, nicht aber nomadische 
Araber verstanden werden. Ob wir daher diese frühere 
Abgeschlossenheit der Türken als eine willkürliche oder, 
wie eben erwähnt, als eine von den Umständen bedingte 
auffassen, so>iel ist sicher, dass die turko -tatarischen 
Volkerschaften mit fremden, d. h. mit arischen 
Elementen erst in einer verhältnissmässig Jüngern 
Zeit in Berührung traten, und dass diese Berüh- 
rung, wenngleich hier und da eine starke Ver- 
mengung, doch äusserst selten ein gänzliches 
Aufgeben der nationalen Individualität nach sich 
zog. Es wurden daher auch Osmanen, Azerbaüaner und 
die übrigen moslimischen Türken nur nach gänzlicher 
Abgeschnittenheit vom Mutterlande und nach Verlauf von 
Jahrhunderten zu dem, was sie heute sind. 

Diesem Umstände haben wir es zu verdanken ^ dass 
die turko-tatarischen Sprachen das schon so oft bewun- 
derte Kleid der krystallreinen Durchsichtigkeit bisjetzt 
zu erhalten vermochten, und dass wir mittels dieses Vor- 



19 

zages über das früheste Geschichtsstadium der mensch- 
lichen Vernunft eines beträchtlichen Theiles ded Menschen- 
geschlechtes eine früher kaUm geahnte Helle zu verbreiten 
im Stande sind. Ja wir können auf Grund linguistischer 
Beweise dem Menschen türkischer Zunge ebenso viel Ver- 
stand und Culturfähigheit vindiciren als dem Arier und 
dem Semiten; ja wir können in der Geschichte seiner 
primitiven Cultur, weil das bessere Licht seiner Sprache 
uns grossere Helle verschafft, viel mehr Stoff zur Be- 
wunderung finden, als bei ähnlichen Forschungen in der 
dunkeln Vergangenheit der bisjetzt mit Vorliebe als aus- 
schliesslich befähigt betrachteten Culturträger in der Ge- 
sammtheit des Menschengeschlechtes. 

in. 

Vor allem wollen wir die culturgeschichtliche Bedeu- 
tung der Sprachen im allgemeinen einer Prüfung unter- 
werfen, und dann die speciell im Türkischen erlangten 
Resultate mit ähnlichen Beispielen auf fremdem, nament- 
lich arischem Sprachgebiete vergleichen. Wie fest und 
unerschüttert auch unser Glaube an die von Darwin ver- 
breiteten Theorien über Entstehung der Arten und über 
Ursprung des Menschen sein mag, so wird doch heute 
niemand mehr in Abrede stellen, dass der Mensch als ver- 
nünftiges Wesen, wie Geiger in der Vorrede seines Buches 
richtig bemerkt: „nirgends ohne Anfänge der Cultur, der 
Staatenbildung und Sitte, und ohne eine gewisse Kunst 
und Industrie gefunden worden ^^ und dass der etwaige 
Unterschied zwischen dem Wilden auf Neuseeland und 
dem auf der höchsten Culturstufe befindlichen Europäer 
weniger in den Abstufungen der Fähigkeit und Kraft, 
als vielmehr in der Uebung und Gewandtheit des Den- 
kens bestehe; denn während letzterer im Laufe einer 
Jahrtausende alten Cultur zum geistigen Kampfe sich 

2* 



20 

geäswangen sah, ist ersterer von den Bedingungen einer 
primitiven Lebensart zum Denken weniger angespornt 
worden und hat Sinnesträgheit, aber nicht Sinnesmangel 
verrathen. So wie die Sprache gewisser, selbst heute noch 
auf einer niedem Culturstufe stehender Völker, was 
Künstlichkeit des Baues und Logik der Begriffsentfaltung 
anbelangt, die Sprache so mancher, einer alten und fort- 
geschrittenen Bildung sich erfreuenden Volker in vielem 
übertrifft, ebenso zeichnet der Gedankenlauf des primitiven 
Menschen, wenn mit dem Ideengange des Bildungsmen- 
schen verglichen, sich durch eine wunderbare Consequenz 
und Gesetzmässigkeit, durch eine schlichte, aber nichts- 
destoweniger alles umfassende, bisweilen auch tiefeindrin- 
gende Thätigkeit aus. Es liegt in den mittels der Sprache 
zum Ausdruck gelangten allerersten Regungen des mensch- 
lichen Geistes mitunter eine ganze Geschichte nicht nur 
des geistigen, sondern auch des physischen Lebens. Jeder 
Begriff führt gewissermassen das Quellenmaterial seiner 
Abstammung mit sich, und stände uns der gesammte 
Wortschatz aus den verschiedenen Bildungsstadien eines 
Volkes zur Verfügung, wir würden aus demselben am 
besten ersehen, wie dieses Volk dachte, wie es ass und 
trank, wie es sich kleidete, und wie weit sein Gesichts- 
kreis auf dem Gebiete der es umgebenden Natur sich 
erstreckt hat. Was dem Sinne fern blieb , das konnte 
auch die Sprache nicht beschäftigen, daher sind auch die 
Naturerscheinungen der Urheimat und die Vorkommnisse 
des Alltagslebens der Menschen am besten aus den Ab- 
spiegelungen in der Sprache zu erkennen. Die Sprache 
der Gebirgsbewohner ist viel reicher an Bezeichnungen 
für einzelne Theile und Gestaltungen der Berge, als die 
Sprache der auf ebenem Boden Wohnenden, ebenso wie 
die an den, Ufern der Seen, Meere und Flüsse lebenden 
Volker, zumeist dem Fischfange obliegend, über Gattungen 



21 

der Fische, über Windrichtungen, über Fluten und Strö- 
mungen viel mehr Bescheid wissen, als der Steppenbe- 
wohner, der wiederum einen reichhaltigen Wortschatz über 
Technik der Viehzucht besitzt. 

Und merkwürdigerweise beeinflusst die Eigenthümlich- 
keit der Natur und die mit derselben verbundene Sitten- 
welt das Entstehen nicht nur der concreten, sondern auch 
der abstracten Begri£Pe. Sich berathen, berathschla- 
gen heisst z. B. im Türkischen heng-es-mek , der etymo- 
logischen Grundbedeutung nach sich bequem machen, 
sich Zeit lassen, sich breit machen (von heng =■ 
weit, geräumig), und nimmt Bezug auf die Sitte des Sich- 
niederlassens behufs Unterredung und Besprechung, bevor 
zur Handlung geschritten wird ; ebenso wie der Gegensatz 
dieses Begriffes, nämlich asuJc = Eile, Uebereilung, ent- 
standen ist, von as = überschreiten, über etwas rasch hin- 
weggehen. Leben, Jugend, Alter und Tod ist hinsichtlich 
des Menschen mit den auf das Wachsthum in der Pflanzen- 
welt bezüglichen Begriffen analog. Man vergleiche z. B. : 
jasil =-. grün, jas = feucht mit j(zs = jung, 

kijsil = roth, reif r> ktjs = Mädchen, Jungfer, 

kuru = dürr » hart = alt, 

solmek = welken » ölmek = sterben. 

So beruhen im Türkischen die Begriffe schreiben, 
malen, zeichnen, Bild, Aussehen, Gesicht auf dem 
Grundgedanken des Einschneidens, Ritzens und Gra- 
virens, weil eben diese künstlerische Thätigkeit des Men- 
schen sich zuerst in besagter Handlung manifestirte. 
Während z. B. das lat. domU'S (Haus) mit dem griech. 
SbfJio^ (Gebäude), hi^o (baue), dem deutsch, zim-mern^ 
engl, timb-er, goth. timr-jan verwandt, dem Grundwesen 
nach ein Gebäude, ein Gezimmer bedeutet, bekundet das 
türkische öj = Haus in seiner Verwandtschaft mit oj = 
Tiefe, Grube, Vertiefung, Thal, ganz einfach die speciell 



22 

türkische Entstehung dieses Wortes, indem die Türken 
von jeher unter Haus kein gebautes Ding wie die Arier, 
sondern eine Aushöhlung, eine Vertiefung im Boden ver- 
standen, wohin sie, um Schutz gegen die Unbill des 
Winters zu suchen, sich zurückgezogen hatten, wie sie es 
in der nomadischen Existenz noch heute thun. Während 
ferner z. B. das lat. bellum = Krieg, nach Curtius, II, 43, 
von dueUum stammend, dem etymologischen Werthe nach 
ein Zweigefecht bedeutet, bürgt das türk. jagi = Krieg, 
Feindseligkeit, den Inbegriff des Sichtrennens, Sichzer- 
streuens, und bezeichnet das Aufgeben des eine Gesell- 
schaft zusammenhaltenden einheitlichen Bandes, nämlich 
des Friedens, welch letzteres Wort auch in der That durch 
il^ der etymologischen Bedeutung nach Bund, Verband, 
ausgedrückt ist. 

Von der Annahme ausgehend, dass die menschliche 
Vernunft in erster Beihe von den Erscheinungen der 
Aussenwelt angeregt wird und nur im Verkehre mit der- 
selben sich entwickelt, müssen wir es für ganz natürlich 
finden, dass die Sprache in den stets fortlaufenden Cul- 
turbewegungen sich auch solche fremde Begriffe aneignet, 
und dieselben theils mittels Lehnwörtern, theils mittels Schö- 
pfungen auf dem Gebiete des eigenen Sprachschatzes aus- 
drückt. In dieser Richtung können wir verschiedene 
Wahrnehmungen machen. Volker, die in dem Zustande 
ihrer primitiven Cultur mit einer in Bildung viel mehr 
fortgeschrittenen Gesellschaft zusammentreffen, lassen sich 
selten die Zeit, die ihrem Gesichtskreise sich aufdrängen- 
den neuern Begriffe aus dem eigenen Sprachmaterial 
herauszubilden, sondern sie nehmen mit dem fremden Be- 
griff auch zugleich das betreffende fremde Wort an, wäh- 
rend andererseits der Mensch, solange er noch auf sich 
allein angewiesen, bei der langsamen und allmählichen 
Entfaltung seiner Geisteskraft zur Erkenntniss der noch 



23 



8o sehr complicirt scheinenden Begriffe abstracter und con- 
creter Natur von sich selbst gelangt, und dieselben auch 
mit der Hülfe des eigenen Sprachmaterials interpretirt. 
Daher kommt es, dass die modernen Sprachen der arischen 
und semitischen Volker eine Unzahl von Wörtern von- 
einander entlehnt haben, während das Türkisch-Tatarische, 
soweit aus dem Bilde seiner primitiven Cultur ersichtlich 
ist, nur eine verschwindend kleine Anzahl von Fremd- 
wortern, die insgesammt auf dem ersten Anblick zu er- 
kennen sind, aufweist. Wenn wir z. B. Ahlquist's „Cul- 
tur worter der westfinnischen Sprachen" zur Hand nehmen, 
werden wir finden, dass die finnischen Volker vom Meer- 
busen von Riga bis hinauf zur nordlichen Spitze des 
Bottnischen Meerbusens — die dort gewiss keine Neu- 
linge sind, da sie doch schon den Römern bekannt waren 
— in ihrer geographischen Stellung zwischen Slawen und 
Germanen , dennoch von letztern selbst solche Worter ent- 
lehnt haben, die auf Gegenstände des Alltagslebens, ja auf 
den primitivsten Zustand der Cultur sich beziehen, und die 
im Türkischen fast durchweg als genuin anzutreffen sind. 
Nachfolgende Liste wird uns einen hinreichenden Ein- 
blick in dieses Verhältniss verschaffen. So vergleiche 
man nur zu diesem Behufe: 



FinniRch 


Skandinavisch 


Slawisch 


Ttirkiflch 


hepo (Pferd) 


häppa 


— 


at 


hmma (Schaf) 


lamm 


— 


kuzu 


siha (Schwein) 


sugga 




tonguz 


kana (Hahn) 


hana 


— 


ätäk 

• 


pelto (Acker) 


Feld 




tarlaJc 


kirves (Axt) 


— 


kirvi 


baÜa 


kuokka (Hacke) 


kroka 


— 


capa 


qtra (Pflug) 


hagra 


— 


sapan 


jivät (Getreide) 


— 


javai 


hugdaj 


kryyni (Grütze) 


gryn 


— 


tank 

• 



24 



Finnisch Skandinavisch 


Slawisch 


Tfirkiscli 


JcuUu (Gold) 


guld 


slato 


aUln 


JceUa (gelb) 


— 


gelta 


sarik 


sininen (blau) 


— 


sinij 


kok 


okTcuna (Fenster) 




oJcna 


tünglük 


arkku (Kasten) 


ark 


— 


sandik 

• 


pota (Topf) 


potta 




cömlek 


Tcattüa (Kessel) 


hatel 


hotjol 


kaean 

• 


saapas (Stiefel) 




sopog 


ötük 


meri (Meer) 


— 


mori 


tengiz 


paatti (Boot) 


hoat 




kejmi 


lotja (Schiff) 


— 


lodka 


kajuk 


arro (Ruder) 


ära 




esgek 


penningi (Geld) 


penning 




tenge 


Viwka (Wage) 


— 




••7 / •• 

olcu 


mies (Ehemann) 


— 


muz 


koia 


morsian (Braut) 


— 


marczios 


kelin 


naapuri (Nachbar) 


nciho 
u. s. w. 




konsu 



Aehnlich, wenngleich nicht identisch ist das Verhält- 
niss der im Magyarischen sich vorfindenden entlehnten 
Culturwörter, wo der Lowenantheil des fremden Gutes 
dem Slawischen zugesprochen werden muss, weil die Sla- 
wen als sesshafte Bevölkerung auf den Gefilden des alten 
Pannoniens den von Nordost hereingebrochenen Ungarn 
in Ackerbau, Handwerk und andern friedlichen Beschäf- 
tigungen Unterricht gaben. 

Setzen wir nun unsere Forschungen über das Ver- 
hältniss der entlehnten Culturwörter in den übrigen euro- 
päischen Sprachen fort, so werden wir zur Einsicht ge- 
langen, dass im Russischen z. B. die turko-tatarischen 
Lehnworter zumeist solche Begriffe repräsentiren, die von 
dem allerdings nur schwachen moslimischen Bildungs- 
geiste der benachbarten türkisch-tatarischen Welt auf die 



25 

damals in gesellschaftlicher und staatlicher Beziehung noch 
niedriger stehenden Russen übergegangen sind, in ihrer 
Totalitat jedoch insofern ein werthyoUes culturgeschicht- 
liches Moment darlegen, indem jedes einzelne Lehnwort 
sozusagen als Conterfei jener Bildungsstufe zu nehmen ist, 
auf welcher die Russen zur Zeit ihrer Berührung mit den 
turko-tatarischen Elementen gestanden. Wenn die Russen 
z. B. den Tataren Worter als Tcdzna (Schatz) arab.-türk. 
chcusina, jassak (Tribut) tat. jasaik (Gesetz), jasaul (Of- 
fizier) tat jasaul (Aufseher), ein (Rangstufe) tat. ein 
(Mass, Ordnung) entlehnten, so bekundet dies den unver- 
kennbaren Grad grosserer Vertrautheit der Tataren mit 
den staatlichen Institutionen; ebenso wie Worter*, als; 
archaitich (Oberkleid) t. arJcälük, cadra (Schleier) t. catir 
(Frauenmantel), Chalat (Schlafrock) t.-ar. chalai (Kleid, 
Ehrenkleid), sunduk (Eiste) t. sanduk (Truhe), eharz 
(Kost auf einer Reise) t.-ar. clmrz (Spesen), socha (Pflug) 
t. soka (Pflugmesser), jachont (Edelstein) t.-ar. jakut 
(Rubin), morin (Wallach) mong. morin (Pferd), isak 
(Maulesel) t. isek (Esel), cakmar (Stampfe) t. cokmar 
(Keule), saiga (Antilope) t. saiga, käban (Wildschwein) 
t. kaban, kamis (Rohr) t. kamus^ kisla (Meierhof) t. kis^ 
lak (Winterquartier), kudus (böser Geist) t. kudus (wahn- 
sinnig) u. s. w,, theils auf solche Kleidungsstücke, Ge- 
räthe, Thiere u. s. w. sich beziehen, die nur durch den 
Verkehr mit den Tataren in den Bekanntschaftskreis der 
Russen gezogen worden sind. 

Dieselben oder wenigstens ähnliche Ursachen liegen 
dem im mittelalterlichen Abendlande eingedrungenen Ein- 
flüsse der arabischen Sprache zu Grunde, denn nachdem 
wir die Elemente der Arithmetik, der Medicin und der 
Chemie von den Arabern gelernt haben, und nachdem wir 
in so manchen Civilisationssachen bei ihnen in die Schule 
gegangen sind, darf es gar nicht wundernehmen, wenn 



26 

wir in Ziffer das arab. Sifr, in Algebra das arab. AUffobr, 
in chemise das arab. himis, in Oase das arab. Uadi (Thal, 
Ebene), in Tammarinde das arab. Thamar hindi (indische 
Fracht) u. s. w. erkennen, ebenso wie heute, nachdem 
die Bildung des Westens die Cultur des Ostens über- 
flügelt hat, Türken, Perser und Araber es sich wo! ge- 
fallen lassen müssen. Worter wie: Politscha (Wechsel), 
Politikaj Schemendufer (Eisenbahn), Telegraf, FarlamentOj 
Subie (souspied) u. s. w. aufzunehmen, ja binnen kurzem 
ein ganz respectables Fremdwörterbuch sich anzueignen. 
Es ist wol nicht ausgeschlossen, dass Volker von einem 
niedem Bildungsgrade auf die ihnen geistig überlegenen 
Nachbarn hier und da allerdings nur geringen sprach- 
lichen Einfluss ausüben, der zumeist auf Kernausdrücke 
oder auf solche Gegenstände und Sitten sich bezieht, die 
im gegenseitigen Verkehr, wenn auch von der allerkürze- 
sten Dauer, von dem einen Theil auf den andern über- 
gehen, so z. B. die im Englischen vorkommenden, dem 
Hindostanischen entlehnten Worter, wie Ättar, Tiffin, 
Curry ^ oder das türkische hosch (eitel, nichtig), welches 
während des Krimkrieges von den britischen Soldaten 
heimgebracht wurde, oder wie das deutsche Schabracke, 
welches dem tatarischen caprdk (Decke) entlehnt ist; doch 
im grossen und im allgemeinen ist es eine vom natür- 
lichen Lauf der Dinge bedingte Thatsache, dass sowie 
bei einzelnen Menschen der Jüngling zumeist den in Er- 
fahrungen herangereiften Greis sich zum Muster nimmt, 
ihn in Handlungen und Worten nachahmt, ebenso die 
culturell jüngere Gesellschaft von der ihr vorangeschrit- 
tenen altern sich belehren zu lassen pflegt, und mit den 
fremden Sitten und Gebräuchen auch fremde Wörter an- 
nimmt. 



27 



IV. 

Um nun speciell auf die culturgeschichtliche Bedeu- 
tung des türkisch-tatarischen Wortschatzes zurückzukom- 
men, so werden bei eingehender Prüfung des in seiner 
Gesammtheit und mit dem Stempel des vordialektischen 
Zeitalters versehenen Sprachstoffes sich die zwei früher 
schon kurz angedeuteten Vorzüge unserer Aufmerksam- 
keit besonders empfehlen. Erstens dass die Culturwörter 
der türkischen Sprache ungleich den einzelnen Abthei- 
lungen der verwandten finnisch-ugrischen Mundarten eine 
merkwürdige Originalität und Stabilität bewahrt 
haben, d. h. es finden sich alle jene Begriffe, die einem 
frühern Stadium der vorgeschichtlichen Vergangenheit der 
menschlichen Vernunft sich aufdrängten, mit Hülfe des 
eigenen Sprachmaterials interpretirt, und mit dem Gepräge 
der primitiven Denkungsart des Urmenschen vor, und 
legen ein beredtes Zeugniss dafür ab, dass das Gros des 
türkischen Volkes viele viele Jahrtausende auf 
sich allein angewiesen, ohne einen engen Ver- 
kehr mit der Aussenwelt existirte, und dass fer- 
ner die Zersplitterung in einzelne Stämme in 
einem verhältnissmässig erst jungem Zeitab- 
schnitte stattgefunden haben muss. 

Würde dies nicht der Fall sein, und würde die von 
geographischen Umständen ermöglichte Exclusivität nicht 
den nothigen Schutz geleistet haben, so müsste z. B, das 
Jakutische im Norden, und das im 12. Jahrhundert schon 
bekannte Rumänische im Westen, von fremden Elementen 
viel stärker durchdrungen sein, als sie es sind; ja wir 
müssten in denselben geradezu einer solchen Anzahl von 
Lehnwortern für die allerprimitivsten Begriffe begegnen, 
wie in den finnisch-ugrischen Sprachen, wo Axt, Acker, 



28 

Kessel, Braut, Kachbar n. s. w. heute als Lehnwörter 
vorkommen. 

Dieser streng stereotype Charakter der Formen und 
des Wortschatzes muss, wie schon erwähnt, bei ange- 
stellten Vergleichungen zwischen den vorhandenen Sprach- 
monumenten und den einzelnen Sprachen der Gegenwart 
auffallen, und durfte selbst mit Bezug auf das allerent- 
fernteste Alterthum nachgewiesen werden können. Wir 
brauchen zu diesem Behufe nur die primitivsten Worter 
der Sprache, nämlich die Benennung der einzelnen Kor- 
pertheile ins Auge zu fassen, um zu sehen, welch geringen 
Veränderungen sowol die Stammsilbe als auch das fertige 
Wort ausgesetzt war. Wenn z. B. einzelne Korpertheile, 
als: Fuss, Hand, Auge, Ohr als nomen agentis erscheinen, 
vgl. at (gehen, schreiten) — at-ak (Fuss) ; cH (nehmen) — 
ohik, el'ik (Hand); hör, hös (sehen) — Mz (Auge); hui 
(hören) — Tcul-ak (Ohr); tut (fassen) — tut-kak (Lippe); 
tis (brechen, zerbrechen) — tis (Zahn) u. s. w., so kann 
es wol wenig bezweifelt werden, dass die betreffenden 
Stammsilben, nämlich at, al, kor, kul, tut und tis, die 
noch heute sich unverändert vorfinden, gewiss so alt sein 
müssen, als der türkische Mensch, der mittels derselben 
den fraglichen Begriffen zuerst Ausdruck verlieh. Da ein 
solches Zeugniss von ünveränderlichkeit des Wort- und 
Formenschatzes bisjetzt in keiner wissenschaftlich unter- 
suchten Sprache sich nachweisen lässt, so kann auch die 
Sprache des Türkenvolkes als jenes Idiom bezeichnet wer- 
den, das sich verhältnissmässig am reinsten er- 
halten hat, uns daher das beste Quellenmaterial 
zur Erforschung der primitiven Culturzustände 
des betreffenden Volkes liefert. 

Dass unter solchen Umständen bei den türkischen 
Mundarten das Verhältniss der Stammsprache sich 
leichter als anderswo eruiren lässt — da wir es nur mit 



29 

Dialekten und nicht mit Tochtersprachen zu thun haben 

— braucht wol kaum in Frage gestellt zu werden. 

Als türkische Stammsprache verdient diejenige genannt 
zu werden, die von jenem Theile des Türkenvolkes ge- 
sprochen wird, der noch heute auf dem mit viel Wahr- 
scheinlichkeit anzunehmenden Ursitze des ganzen Volkes 
wohnt. Dessen Yerhältniss zu den einzelnen Zweigen ist 
allerdings leicht sicherzustellen, dagegen entbehren seine 
Beziehungen zu dem östlichen Nachbar, d. h. zum Mon- 
golischen, noch immer eines klaren und positiven Auf- 
schlusses, da trotz des Bundes einer nahen Verwandtschaft 
das Türkische ebenso wenig für eine Tochtersprache des 
Mongolischen, als umgekehrt, angenommen werden darf. 
Andererseits hingegen ist es nicht zu verkennen, dass 
Türken und Mongolen viel näher zueinander stehen, als diese 
beiden zu den Finnen-Ugriern, die vom gemeinsamen ural- 
altaischen Stamme sich zuerst losgetrennt haben und nach 
dem hohen Norden gedrängt wurden. Wenn wir daher 
bei der türkischen Stammsprache — worunter wir in 
erster Reihe das Uigurische und das Altaische verstehen 

— die aussergewohnliche Stabilität hervorzuheben berech- 
tigt sind, so können wir nicht umhin, auch auf die mittels 
derselben zum Ausdruck gelangte Entwickelung der 
menschlichen Vernunft hinzudeuten, und namentlich auf 
jene bei der Entfaltung des Begriffskreises sich zeigende 
Logik aufmerksam zu machen. Es kann wol schwerlich 
etwas Sinn- und Geistreicheres geben, als die Art und 
Weise, in welcher irgendein Grundbegriff mit seinen noch 
so sehr entfernten Derivaten abstracter und concreter 
Natur zusammenhängt. 

Nehmen wir z. B. den in §. 1 unsers „Etymologischen 
Wörterbuchs" gebrachten Begriff von weiss, offen und 
leer, und untersuchen wir einmal den weitern in diesem 
Begriffskreis vorherrschenden Ideengang. Abgesehen da- 



80 

von, dass weiss, offen und leer ganz richtig für ver- 
wandte Begriffe gehalten werden können, muss es in 
fernerer Consequenz des Ideenganges als naturgemäss be- 
trachtet werden, wenn mit dem Grundbegriffe weiss die 
Helle, das Licht, der Mond, das Freie, die Oeffentlich- 
keit und die Welt, wenn femer mit leer oder offen 
hungrig, nüchtern, arm, Thür und Mund als eng verwandt 
dargestellt wird. Betrachten wir weiter den unter §. 179 
gebrachten Grundbegriff von fest, dicht und hart, und 
fassen wir seine vielseitigen Derivata näher ins Auge. Wir 
begegnen zuerst den Begriffen Menge, Vereinigung, Ge- 
schlossenheit, Dichtheit und dessen bildliche Verwerthung 
in schmollen (sich zusammenziehen) und sich betrüben; 
zweitens finden wir das Motiv zur Benennung von a) ge- 
schlossene dunkle Korper oder Räume, als: Hohle, Holle, 
Ader, Gefangniss; b) erstarrte und harte Körper, als: 
Eisen, Eis, Frost; c) da offen und Licht für identisch 
gelten, auch deren Gegensatz, als: Finstemiss, Nebel, 
Nacht u. s. w. Fast jeder Abschnitt des „ Etymologischen 
Wörterbuchs" konnte als kräftigendes Beispiel der von 
uns betonten geist- und sinnreichen Constitution des tür- 
kischen Wortschatzes verwerthet werden, sodass dieser 
Vorzug des Türkischen den Sprachphilosophen nicht ge- 
nug empfohlen werden kann. 

Was den Forscher aber in dieser Hinsicht noch mehr 
anziehen muss, das ist die Congruenz des Ideenganges 
in ein und demselben Begriffskreise der türkischen und 
anderer, z. B. arischer Sprachen. Es kann nicht gleich- 
gültig sein, wenn wir bemerken, wie der Mensch in einem 
Winkel Asiens, inmitten der Abgeschlossenheit einer nack- 
ten Steppenheimat, bei der Benennung des einen oder 
andern ihm nahe liegenden Gegenstandes, oder bei der Be- 
zeichnung des einen oder andern sich ihm aufdrängenden 
Gefühles oder einer Empfindung entweder ganz genau 



31 



dieselbe oder eine ähnliche Entwickelung der Vernunft 
kundgibt, wie der von ihm Tausende von Meilen ent- 
fernt unter fremdem Himmelsstrich lebende Mensch — 
ohne dass beide auf irgendeine Weise in geistiger oder 
materieUer Berührung je miteinander gestanden haben. 
Ob und wie diese analoge Thätigkeit der menschlichen 
Vernunft zu etwaigen Theorien über den gemeinsamen 
Ursprung des Menschengeschlechtes verwendet werden 
könne, das wollen wir dem Sprachphilosophen von Fach 
überlassen; für uns ist es hinreichend, das Factum selbst 
zu registriren und einige hierauf bezügliche Beispiele vor- 
zuführen, wo die türkischen meinem „Etymologischen 
Wörterbuch", die arischen zumeist Curtius' ,, Grundzüge 
der griechischen Etymologie^^ entnommen sind: 

Arisch Turko-Tatarisch 

Annas (Jahr) — annuliis ü, jil (Jahr) — ijil (Bug, 
(Ring, Rundung). Rundung, Krümmung). 



xaX6<; (sch5n) — skt. Tcaljds jdksi (schon), jdkuk (treflF- 
(gesund), goth.%a«75 (heil). lieh, gut, fromm ),^ sak 
(gesund, recht). 



>cap7c6(; (Frucht, d* h. Ab- 
geschnittene) — carpo 
(schneide), dtsch. Herbst. 



Tcis, Tees (schneiden), Tcüs, 
Ms (Herbst, Schnittzeit, 
Zeit des Scherens der 
Schafe). 



xpfvo (scheide), >cptrj(]^ (Rieh- jargamak (scheiden, spal- 
ter)- ten), jar^uci (Richter), 
jargu (ürtheil). 



(xaxpoc (lang), fxaxap (bea- 
tus), macte (gesegnet). 



uluk (gross), ö^ö[/wa^(wach- 
sen), oUajmak (segnen, 
verehren). 



32 



Arisch 
apY59oc (licht, weiss), ap^u- 
poc (Silber). 



Turko-Tatarisch 
alc (weiss, licht), akce (Sil- 
ber), 



Xetp (Hand) — skt. 
(rapio). 



olik, elik (Hand), almäk 
(nehmen, fassen). 



Xiqpo^ (beraubt), xiP* talamak (berauben), dalj tal 
(Witwe), X'^P^o (mache (nackt, leer), tul, dul 

leer). (Witwe). 



Xpto ( bestreiche ) , XP^t^^^ 
(Salbe), XP^^ (Farbe). 



maUnak (eintunken, bestrei- 
chen), maj, moj (Fett, But- 
ter), 6(ya, moja (Farbe). 



^epeo(;, skt. sthiras (fest), 
lat. stenliSj stiria (Eis- 
zapfen), stilla (Tropfen), 
mhd. star (rigidum) — 
dtsch. erstarren* 



Um, tum (fest) — tam 
(Tropfen), tong (Frost), 
tofilu^ tolu (Hagel). 



DQXU (schmelze), lat. täbes 
(Flüssigkeit) — täbum 
(Eiter). 



mmeA; (schmelzen), irmak 
(Fluss), irin (Eiter). 



7cXTfiS'u(; (Menge) — lat. ple- 
hes, populus (Volk), slaw. 
pluk (Haufe), engl, ßock 
(Heerde), dtsch. VoUc. 



il (Bündniss, Vereinigung, 
Volk, Friede), jilki, üki 
(Heerde). 



|jLs5i) (Wein), dtsch. Meth^ sücuk (süss), süzik (Wein), 
slaw. med (Honig)« 
Gegenüber dieser von uns hervorgehobenen Congruenz 
des Ideenganges konnte allerdings die Einwendung ge- 



33 

macht werden, dass ähnliche Wahrnehmungen auch auf 
andern Gebieten des menschlichen Denkens zu machen 
seien, so z. B. in der Analogie gewisser Sitten, als: das 
Behängen einzelner zumeist auf Anhohen befindlicher 
Bäume oder Stauden mit Kleiderfetzen, das gegenseitige 
Oeffnen der Armader bei einem Schwüre," und schliesslich 
der Feuercultus bei den verschiedenen Volkern Asiens, 
Afrikas und Amerikas, worin wir nicht minder augen- 
fällige Punkte eines einheitlichen geistigen Verbandes des 
ganzen Menschengeschlechtes erkennen müssen. Nun ja, 
dies lässt sich keinesfalls in Abrede stellen, und unsere 
angestellten Vergleichungen wollen einzig und allein dar- 
auf hindeuten, dass die dem Menschen innewohnende 
Denkkrafb in gar keinem Zusammenhange stehe, weder 
mit der Schädelformation noch mit andern physischen 
Eigenheiten, und dass Turko-Tataren oder Ural- Altaier 
ebenso denkfähig und denkkräftig sein können wie ihre 
Nebenmenschen arischer und semitischer Abkunft. 

Auf keinem Gebiete der Philologie kann es leichter 
sein, aus dem Bau der Sprache, es sei dies mit Bezug auf 
den Formen- oder den Wortschatz, die künstlerische Voll- 
kommenheit der menschlichen Vernunft in solch eclatanter 
Weise hervorleuchten zu lassen, als eben auf dem Tür- 
kischen. Wenn die Durchsichtigkeit des Grundstoffes den 
Turkologen bisjetzt so sehr entzückt hat, so wird das 
wundervolle Gebäude der Wortbildung um so mehr An- 
ziehungskraft ausüben, als sie dem Culturhistoriker eine 
sichere Leuchte verschaffet, mit deren Hülfe er das dunkle 
Reich Jahrtausende alter Vergangenheit durchforschen, 
und über die allerfrüheste Existenz eines nicht unbedeuten- 
den Theiles des Menschengeschlechtes sichern Aufschluss 
erlangen kann. 



Vimbörji Cnltiir. 



34 



Y. 

Welches sind denn eigentlich die berechtigten Vor- 
stellungen von der primitiven Cultur des turko-tatarischen 
Volkes? Eine Antwort hierauf ist um so leichter, wenn 
wir in Erwägung ziehen, dass es in der jüngsten Ver- 
gangenheit, ja gewissermassen noch heutzutage auf der 
centralasiatischen Steppe nomadische Existenzen gibt, die 
das Bild einer uralten primitiven Lebensweise wiedergeben, 
ein Bild, dessen Alter, wenn wir die wenigen einer frem- 
den Cultur entlehnten neuern Züge abstrahiren, sich leicht 
auf Jahrtausende zurückfahren Hesse. Sowie Ahlquist 
(S. 268) mit Recht bemerkt: „Man k^nn also aus der 
Lebensweise und dem Culturzustande der ugrischen Fin- 
nen auf die Lebensweise und die Culturstufe der Finnen 
schliessen, die aus dem Osten in die Ostseeländer ein- [ 

wanderten", ebenso können wir die Behauptung wagen, 
dass der kirgisische und der turkomanische Aul im An- 
fang dieses Jahrhunderts, als der russische und west- 
europäische Einfluss noch nicht so weit in das Herz 
Asiens einzudringen vermochte, nicht wesentlich verschie- 
den war von dem ältesten Culturzustande dieser Völker, 
und dass namentlich der ärmere Theil der Steppenbe- 
wohner, der gewisse fremdländische Gegenstände einer 
verfeinerten Bildungswelt nicht zu erschwingen vermochte, 
dieselbe Existenz fristete, in welcher seine Ahnen und 
Urahnen vor dem Verkehr mit den Iraniem und vor 
dem Einfalle der Araber in Transoxanien verharrten. 

Da mit Hinblick auf die oft betonte Originalität der 
türkischen Cultur wörter, und mit Berücksichtigung dieses 
Vorzuges über andere ural-altaische, und noch mehr 
über arische und semitische Sprachen, die verschwin- 
dend kleine Anzahl der Lehnworter sich genau nach- 
weisen lässt, so können wir mit ziemlicher Sicherheit 



35 

sagen, dass es einzig und allein die arische, resp. die alt- 
iranische Culturwelt war, die schon im grauen Alterthume 
auf das Türkenvolk den ersten bildenden Einfluss aus- 
geübt hatte. Von den alten Sitzen der iranischen Welt 
aus den heutigen Oxus- und Jaxartesländern, sowie aus 
den ostlichen Vorposten im heutigen Alti-shehr, oder aus 
deren nordwestlichen Irrenzmarken an der untern Wolga, 
woher iranische Bildung zu Türken und Ugriern in glei- 
cher Weise gelangte, schienen die spärlichen Funken einer 
vorgeschrittenen Bildung zu den Türken in der urheimat- 
lichen Steppenwelt gedrungen zu sein, und dass es nur 
altiranischer und nicht chinesischer Cultureinfluss gewesen 
sein konnte, das beweist uns eben die Sprache, in welcher 
die Namen der aus südlichem Breitengraden in die ver- 
muthliche Urheimat importirten Gegenstande, Eieider oder 
Thierarten nie in chinesischen, aber durchweg in ira- 
nischenFremd- undLehnwörtern anzutreffen sind. 
Was wir unter türkischer Urheimat verstehen, das kann 
demnach nur auf das mit den alten Ursitzen der Iranier 
im Norden benachbarte Gebiet sich erstrecken, sowie wir 
unter dem türkischen Urmenschen nur jenen Menschen 
verstehen können, der sich desselben Idioms bediente, das 
wir heute als selbständige Sprache der Türken kennen, 
eine Sprache aus deren etymologischer Zergliederung uns 
wieder der Urzustand nur desjenigen Volkes, das wir das 
Türkenthum nennen, zu Tage treten kann. Wie bei keinem 
Volke auf Erden, ebenso liesse sich auch bei den Tür- 
ken die Zeit ihrer Einwanderung in die sogenannte Ur- 
heimat nur schwer oder gar nicht ermitteln. Mit der 
Sprache verhält es sich jedoch anders; da diese sozusagen 
die geschriebene Geschichte seiner frühesten gesellschaft- 
lichen Entwicklung bildet und nur ihm allein eigen ist 
und eigen war, so muss die Vermuthung: der Türke 
konnte früher irgendeine andere Sprache gesprochen haben, 



86 

schon ipso facto ans dem Bereiche der Möglichkeit aus- 
geschlossen werden. 

um nun zum Gesammtbilde der primitiven Cultur der 
Türken überzugehen, muss .gleich im vorhinein bemerkt 
werden, dass wir es hier mit einem in seinem innersten 
Wesen noch durch und durch nomadischen Volke zu thun 
haben, dessen überwiegende Mehr^hl seit undenklichen 
Zeiten auf den weiten mit Gras und Schilf bedeckten 
Niederungen mit seinen Pferde-, Schaf- und Kamelheer- 
den umherirrte, nur von Milch, Fleisch und Fett der 
Thiere sich nährte, und nur mit den Häuten' der Thiere 
sich kleidet«. Neben diesen muss es schon in der Urzeit 
eine Minderzahl des Türkenvolkes gegeben haben, die in- 
folge günstigerer Verhältnisse des Bodens und des Kli- 
mas sich mit Landbau beschäftigten, ohne jedoch hierin 
von fremden Völkern unterrichtet worden zu sein, denn 
während z. B. von den Slawen, als den Ackerbaulehrern 
der Germanen und Magyaren, so manche auf dieses Fach 
bezügliche Benennungen in der Sprache der Deutschen 
und Ungarn sich erhalten haben, weißt das Türkische 
auch nicht die geringste Spur von derartigen Lehnwor- 
tern auf. Wol ist es aus der Natur der Dinge erklär- 
lich, dass der Viehzucht und dem Ackerbau der Lebens- 
unterhalt mittels Jagd und Fischfang vorangegangen sein 
muss, doch bietet die Sprache hierzu nur einen schwachen 
Anhaltepunkt. Auf der Jagd schien man sich früher der 
Netze und Schlingen, die aus gedrehten Baum- oder 
Pflanzenfasern bereitet wurden, statt der Hau^ und Stich- 
waffen bedient zu haben, da der Mensch auf der weiten 
Ebene in Ermangelung von Reitthieren, wozu man sich 
nur später verhelfen hatte, dem flüchtigen Wild nicht 
nahe kommen konnte; und der Fischfang muss, wie dies 
noch heute der Fall ist, nur eine Nebenbeschäftigung ge- 
bildet haben, ungleich dem Leben der finnisch-ugrischen 



37 

Volker, bei denen Jagd und Fischfang den Hauptnahrungs- 
zweig ausgemacht hatte, wie wir dies noch heute bei den 
Wogulen und Ostjaken sehen. Man muss im allgemeinen 
mit Hinblick auf die von der Natur der Heimat bedingten, 
bei dem Gros des Türkenvolkes noch heute tief eingewur- 
zelte Wanderlust, Hang nach Abenteuern und Liebe zu 
den Thieren, die Türken als die eingefleischtesten Noma- 
den des gesammten bisher bekannten Menschengeschlech- 
tes bezeichnen, in welcher Hinsicht unter den Volkern 
Asiens nur die Kinder der arabischen Wüste ihnen einiger- 
massen nahe kommen; w^der von den Urvolkern Afrikas 
noch Amerikas und Australiens Hesse sich Aehnliches nach- 
weisen. 

unter Haus verstand man ursprünglich eine Grube, 
eine Vertiefung im Boden, und die allererste Wohnung, 
nämlich catma = Zelt, d. h. das Zerlegbare, eigentlich 
das Zusammensetzbare, war für das Wanderleben berech- 
net; dies ebenso wie sämmtliche durchweg mit genuinen 
Namen bezeichneten Hausgeräthe und Einrichtungen lie- 
fern uns das beste Zeugniss von der Originalität der be- 
treffenden Erfindungen. 

Mit Ausnahme der aus Erzen bereiteten Gegenstände, 
und in erster Reihe der eisernen Waffen, haben die Tür- 
ken in sämmtlichen Zweigen der zur nomadischen Existenz 
unentbehrlichen Hausindustrie sich schon früh ausgezeich- 
net, ja ihre hierauf bezügliche Kunstfertigkeit muss den 
benachbarten, einer hohem Cultur sich erfreuenden Ariern 
schon frühzeitig aufgefallen sein. Zu den Gewerben ur- 
türkischen Charakters gehören unter andern die Bereitung 
des Leders, des Filzes, der Teppiche, des Pfeilbogens 
und des Beit- und Sattelzeuges. Besonders hervorgehoben 
zu werden verdient die Geschicklichkeit in der Vieh- und 
namentlich in der Pferdezucht, worin die Türken von je- 
her sich hervorthaten. Aus dem Thierreiche waren Pferd, 



38 

Rind, Esel, Kamel, Hund, Schaf, Katze, Hyäne, Tiger, 
Fuchs, Marder schon in der Urzeit gekannt, während 
z. B. Ziege und Leopard, wie aus deren fremden Namen 
sich schliessen lässt, aus einem südlichem Breitengrade 
in die Urheimat gelangten. Von den Vögeln sind Falke, 
Geier, Adler, Kukuk, Schwan, Gans, Ente, Huhn und 
Tauben als heimisch zu betrachten; von den Getreidearten 
ist nur das früheste Bekanntsein von Hirse und Weizen 
sicherzustellen. 

So allgemein und ureigen wie die Art und Weise, 
mittels welcher der türkische Urmensch sämmtliche zu 
seinem Lebensunterhalt erforderliche Mittel und Geräthe 
sich angeschafit, und in dieser Hinsicht aus eigenen Kräf- 
ten sich auf einen bedeutenden Grad der primitiven Cul- 
tur zu schwingen gewusst hat, ebenso allgemein sind die 
gesellschafllichen Institutionen, die schon aus dem ersten 
Stadium des Zusammenlebens, ohne irgendein fremdes 
Zuthun herauswuchsen und mit dem treuen Gepräge des 
echten Türkenthums, in der Individualität des dem frem- 
den Einflüsse entrückt gebliebenen Nomaden noch heute 
zu erkennen sind. Hierher gehört in erster Beihe der streng 
patriarchalische Charakter des Familien wesens, dessen 
Geist von der Familie in die Genossenschaft, des Auls, 
vom Aul zum Stammes- und Zweigesoberhaupte, und von 
diesem zu der später entstandenen Würde des Kaan oder 
Chan (Fürst) übergegangen war. Mit der Begierung Hand 
in Hand ging das Schaffen der Gesetze, welche alters- 
gewohnten, daher geheiligten Sitten und Gebräuchen ent- 
springend schon früh in höchster Achtung standen und 
zu Begulativen des privaten und öff'entlichen Lebens wur- 
den. Die Beligion, soweit uns bekannt von jeher der 
Schamanismus — Beste des Thiercultus sind noch in der 
Furcht und Achtung vor dem Wildschwein zu entdecken 
— ist ebenfalls türkisch -tatarischer Geistesrichtung ent- 



39 

sprangen, indem wir in den Grundprincipien derselben 
den Reflex jenes Verhältnisses entdecken, das zwischen 
dem zur Denkkraft heranreifenden Menschen und der ihn 
umgebenden furchterregenden Steppennatur sich gestalten 
musste. Gegen die unsichtbaren Herren der Welt', d. h. 
gegen die Gotter oder Geister, glaubte man sich einiger- 
massen sicherzustellen, indem man zum Schaman (Prie- 
ster), richtiger zu dessen unsichtbarer geistiger Kraft 
seine Zuflucht nahm, so wie man andererseits zur Abwehr 
der sichtbaren Feinde des Menschen, d. h. gegen Raub- 
thiere, sich untereinander schon früh vereinigt haben muss. 
In dieser Vereinigung, d. h. in der Jagdgesellschaft, liegt 
der Grund des türkischen Militärwesens, daher die Iden- 
tität ehemaliger Jagdchargen und heutiger höherer mili- 
tärischer politischer Würden. Man vergleiche z. B. kous, 
kus = Jagd, mit kous, kogus = Hausgesinde, Gefolge; hus- 
legi =■ Jagdaufseher, mit kuSbegi = Vezier; karaul = Trei- 
ber auf der Jagd, mit karaül = Vorposten u. s. w. Nur 
in Anbetracht des Umstandes, dass der türkische Ur- 
mensch auf seiner öden Heimat zur Abwehr der vielsei- 
tigen Unbill mehr Kraft entfalten musste, als der Mensch 
unter andern günstigem Regionen, mag es einigermassen 
erklärlich werden, dass das Türkenvolk schon in der 
frühesten Phase seiner Existenz hinsichtlich der Organi- 
sation seiner Wehrkraft den Menschen arischer und semi- 
tischer Abstammung weit übertraf; dass er in personlicher 
Tapferkeit im Kampfe mit den rauhen Elementen und in 
jeglichen Entbehrungen sich von jeher auszeichnete, und 
dass er schliesslich, wie es die natürliche Folge der Sache 
mit sich bringen musste, den friedlichen Beschäftigungen 
nie besonders geneigt, zur Pflege der friedlichen Künste 
sich nur schwer anschicken konnte, und dass er Krieg 
und Kampf dem ruhigen Leben vorzog. Aus dem Schä- 
fer, der seine Heerde auf üppigen Fluren und Triften, in 



40 

anmuthigen Thälern weidet, konnte der Zauber der idyl- 
lischen Natur ebenso leicht einen friedfertigen Menschen 
machen, als der Hirt, der sein Vieh unter den Schrecken 
einer grauenvollen Wüstennatur gegen die auf der von 
allen Seiten her offenen Steppe sich herumtummelnden 
Baubthiere zu vertheidigen hatte, nothgedrungen zum wil* 
den Krieger sich umgestalten musste. Der eine konnte 
mit der Schalmei spielen, der andere musste stets die 
blanke Waffe in der Hand halten, und hierin ist auch 
der Grund zu suchen, warum die Hirtenvolker arischer 
Abstammung, von bessern klimatischen und territorialen 
Verhältnissen begünstigt, leichter zu Culturvolkern wur- 
den, als Turko- Tataren oder die ganze ural-altaische 
Rasse, gegenüber welcher es in gewissen vom arischen 
Kassenegoismus verblendeten Kreisen Mode geworden ist, 
das harte Verdict der Culturunfahigkeit auszusprechen. 

VI. 

Diese Verschiedenheit in den Culturverhälinissen der 
arischen und altaischen Basse — richtiger gesagt, die Ur- 
sache, warum letztere bisjetzt nur auf der Stufe der pri- 
mitiven Cultur verblieben, während erstere im raschen 
Fortschritte die älteste und mächtigste Verbreiterin der 
Cultur geworden — ist es, die wir im Schlusskapitel 
unserer Einleitung nun etwas ausführlicher darstellen 
wollen. Vor allem müssen wir die Bemerkung voraus- 
schicken, dass unter dem Ausdruck „primitive Cultur 
der Türken", dessen wir uns in diesen Blättern bedienen, 
nicht jene Phase der menschlichen Existenz verstanden 
werden muss, die, von den Anthropologen als Urzustand 
der Wilden bezeichnet, den Forschungen eines Lubbock, 
Tylor, Waitz u. a. als Grundlage dient. Der von uns 
behandelte primitive Culturgrad der Türken weist auch 



41 

keine einzige der Schattenseiten auf, welche das Sitten- 
bild der Wilden verdunkeln. Vom Weibercommunismus, 
von Polygamie oder Polyandrie findet sich keine Spur, 
und das Familienband ist ebenso fest und innig wie im 
civilisirten Westen, anstatt locker zu sein oder gänzlich 
zu fehlen, wie dies bei vielen Wilden der Fall ist. Wir 
begegnen einer Gesellschaft mit einer wenngleich patri- 
archalischen, doch stabilen Regierungsform, mit Gesetzen, 
mit Achtung vor der Tugend, mit Abscheu vor dem 
Laster, und es diinkt uns daher keinesfalls zulässig, wenn 
Lubbock z. B. in Besprechung gewisser Sitten Kirgisen, 
Kalmücken und Turkomanen mit Neuseeländern und ame- 
rikanischen Wilden auf gleiche Stufe stellt. Es ist höchst 
wahrscheinlich, dass dem von uns besprochenen primitiven 
Culturzustande der Zustand der Wildheit vorangegangen 
sein muss, doch von diesem kann in vorliegenden Blättern 
auch schon deshalb nicht die Rede sein, weil unser Be- 
weismaterial, nämlich die Sprache, als Dolmetscherin der 
schon erwachten und zum Ausdruck gelangten Vernunft, 
von der ganz primitiven, thierähnlichen Existenz keinen 
Aufschluss geben kann. 

Ebenso müssen wir auch all jenen Ansichten und Mei- 
nungen entgegentreten, die in der modernen Wissenschaft 
von der Culturblüte der Ural- Altaier in Mittel- und West- 
asien noch vor dem Auftreten der Semiten und Arier 
verbreitet sind. Ohne auf den bereits erledigten Streit in 
Angelegenheit der sumerischen oder akkadischen Schrift- 
monumente zu reflectiren, können wir nicht umhin uns 
dahin auszusprechen, dass die aus den Keilinschriften an- 
geblich entzifferten ural-altaischen Sprachüberreste auf 
einer noch sehr schwachen Basis ruhen, indem die be- 
treffenden Forscher in der Unmöglichkeit, die unentbehr. 
liehe Leuchte einer türkisch-tatarischen oder finnisch-ugri- 
schen, geschweige denn einer ural-altaischen Stammsprache 



42 

anzuzünden, bisher doch nur in der Dunkelheit herum- 
tappen, folglich zur Bekräftigung ihrer Angaben auch kein 
einziges Moment anführen können, das in den Formen 
und dem Wortschatze nach den Gesetzen der Lautverän- 
derung und der Begriffsverwandtschaft der ural-altaischen 
Sprachen für unantastbar gefunden werden konnte. Wo 
stehen wir noch heute in der Erörterung der Grund- 
sprachen der drei Hauptstämme, d. h. der Mongol-Man- 
dschuen, der Turko- Tataren und der Finn-Ugrier, um 
schon jetzt auf eine mehrere tausend Jahre alte gemein- 
same ural-altaische Stammsprache — denn nur eine solche 
könnte massgebend sein — zurückgreifen zu wollen? 

Also wie gesagt, die Behauptung, irgendein unbekanntes 
ural-altaisches Volk und dessen Bildungswelt sei der Cul- 
turepoche der Assyrer und Meder, ja sogar der Arier in 
Indien vorangeschritten, kann, inwiefern man auf ural- 
altaisch linguistische Argumente fussen wollte, keine Be- 
rechtigung finden. Die ural-altaische Rasse, speciell das 
turko-tatarische Volk, hat wol Spuren seiner Cultur im 
Westen Asiens und im Osten Europas zurückgelassen, 
doch geschah dies nur vor Anfang des Mittelalters, und 
erstreckt sich zumeist nur auf jene Bereiche des mensch- 
lichen Denkens, in welchen die urwüchsigen Nomaden 
über andere friedliche sesshafte Völker sich hervorthaten. 
Dieser Einfluss der turko-tatarischen Cultur ist ganz klar 
jener Strasse entlang wahrzunehmen, auf welcher besagte 
Völker ihre Wanderungen gegen Südwest und Nordwest 
unternahmen, und bezieht sich zumeist auf Viehzucht, 
Militärwesen und auf Regierungsangelegenheiten. Bei 
voller Würdigung dieses Umstandes wird es erklärlich, 
wie die bedeutende Anzahl türkischer Wörter, als: kai- 
mak (Rahm), Jsömek (Hülfe), kaici (Schere), jem (Futter)^^ 
jarak (Waffe), tamgha (Siegel), i^as (Augenbrau^, chan 



43 

(Fürst), chane (Haus)*, kuc (Widder), kus (Falke), cak- 
mak (Feuerstein), wrdw. (Lager), ü (Volk), cörek (Brot) 
u. 8. w., in die neupersische Sprache gelangen konnten; 
denn zugestanden, dass die meisten dieser Lehnworter aus 
der mongolisch-türkischen Herrschaft stammen, und durch 
Werke wie das Tarichi Wassaf literarische Verbreitung 
geftinden, wäre es doch nicht schwer, selbst im Texte des 
puristisch-iranischen Konigsbuches solche Worte herauszu- 
finden, deren türkischer Ursprung keinem Zweifel unter- 
liegt. Hierauf gestützt wollten wir ,dcnn auch die Meinung 
wagen, dass die Türken nicht nur erst zur Zeit Jezde- 
zird's, sondern schon lange vor demselben theils von Nor- 
den, theils von Nordosten her in Iran einbrachen. Wenn- 
gleich die Sonderbenennung der Oxus- und Jaxartesländer 
mit dem Namen Turan in ethnischer Beziehung sich nicht 
motiviren lässt, da die Autochthonen auch dort Iranier 
waren, so wäre es doch unmöglich, in den Nomaden der 
an Iran angrenzenden Steppenregionen andere Völker- 
elemente als Turko-Tataren zu vermuthen, da es nur Men- 
schen eines fremden Stammes sein konnten, aus deren 
auffallend fremden Gesichtszügen die iranische Mythe das 
Bild des Schreckens und des Ungeheuers malte, ebenso 
wie es nur Turanier sein konnten, gegen deren kriege- 
risches Ungestüm die Einwohner des alten Dschordscha- 
niens von Alexander dem Grossen Schutz erflehten, der 
auch zu diesem Behufe die sogenannte Hyrkanische Mauer 
erheben Hess, ein Seitenstück zu der grossen Mauer in 
China, und zu dem Steinwall der Araber im Norden des 
alten Derbend, in welchen drei Bieseitbauten culturbe- 
fiissene Volker Schutz gegen die verheerendenl Einfälle 
türkischer Nomaden suchten. 



* In ier Volkssprache chune von der türkischen Stammsilbe /cow, 
chon SS sich niederlassen. Vgl. türk. kondk = Wohnung. 



44 

Was den Einfluss der turko- tatarischen primitiven 
Cultur im Osten Europas anbelangt, so beschränkt sich 
derselbe auf jene spärlichen Ueberreste, die von den 
Magyaren gegen Ende des 9. Jahrhunderts auf ihrem 
Zuge von der Wolga in ihr heutiges Vaterland importirt 
wurden. Es ist allerdings noch sehr fraglich, ob man die 
im Magyarischen schon zur Zeit der Einwanderung dieses 
Volkes vorhandenen türkischen Culturworter eben als 
Lehnworter betrachten sollte, da unsers Erachtens die 
Magyaren trotz des vorwiegend finnisch-ugrischen Cha- 
rakters ihrer heutigen Sprache als ein Mischvolk ugri- 
scher und turko-tatarischer Elemente zu betrachten sind. 
Doch gleichviel ob ursprünglich oder entlehnt, finden wir in 
diesen Sprachüberresten einen beredten Zeugen der inten- 
siven und extensiven Bedeutung der türkischen Cultur 
jener Zeit, einer solchen Cultur, die von den südwestlichen 
Thälern, des Thien-Schan, und vom Altai bis an den 
Pruth und an die Donau sich erstreckt hatte, und den 
verschiedensten Volkerelemen-ten, als Avaren, Petschenegen, 
Chazaren und Kumaniern, vorleuchtete. Bei einer Prüfung 
der türkischen Culturworter im Magyarischen wird es 
sich herausstellen, dass die aus dem Bereiche der Agri- 
cultur und Viehzucht stammenden Worte theilweise cuva- 
sischen Ursprung verrathen (als: magy. 6or;w = Kalb, cuv. 
puru; magy. ^arZo = Sichel, cuv. sorla; magy. tino = junges 
Rind, cuv. tina = Rind; magy. disznö = Schwein, cuv. 
sisna u. s. w.), theilweise aber den Stempel des echten 
uralten Türkenthums, ich mochte fast sagen der türki- 
schen Stammsprache an sich tragen, und in dieser Be- 
ziehung sehr häufig dem Turkologen bei seinen etymologi- 
schen Forschungen zu Hülfe kommen. So : magy. huisa = 
Weizen, türk. hudaj; magy. arpa = Gerste, türk. arpa; 
magy. dara = Gries, türk. tarik = Grütze; magy. $ilma = 
Apfel, türk. älma; magy. torZo = Stoppelfeld, türk. tarläk. 



45 

tarla = Feld; magy. öJiör = Ochs, türk. öJcti^; magy. Jcos = 
Widder, türk. äöc; magy. wnö = Kuhkalb, iurk, ünüJc; magy. 
toklö, türk. tokli = einjähriges Schaf; magy. tyuJc = Henne, 
türk. ^auÄ;. 

Nicht minder interessant sind die auf Religion und 
staatliche Einrichtungen Bezug habenden türkischen Cul- 
turworter im Magyarischen, als: magy. egy-liäz = Gottes- 
haus, Herrenhaus, vom türk. ege^ eje = Herr, Gott, und 
Ädi = Haus; magy. ördög = Teufel, türk. örtüJc = böser 
Geist; magy. turul = der geheiligte Vogel der Magyaren 
zur Zeit der Einwanderung, türk. turgul, turgaul = Falke; 
magy. tör-veny = Gesetz, türk. töre, törü = Gesetz, An- 
ordnung; magy. esM = Schwur, türk. icki = Trank (von 
and icmei := schworen, eigentl. Schwur trinken); magy. 
sereg = GeeTj türk. cm5r = Truppe, Heer u. s. w. Von 
Interesse sind ferner die aus der Periode des persischen 
Einflusses stammenden: magy. Isten^ pers. udan (Gott); 
magy. arwawy = List, pers. ahriman (böser Geist); 
magy. napj pers. op, wop, nah (Sonne, Helle) u. s. w. 
Diese Worter haben noch lange vor der Berührung 
dieses Volkes mit der an der untern Wolga sich aus- 
breitenden parsischen Cultur in der Sprache der Ma- 
gyaren Eingang geAindea, und geben im ganzen ge- 
nommen uns ein recht anschauliches Bild jener von zwei 
Richtungen herkommenden, sozusagen miteinander rivali- 
sirenden Culturstromungen , denen die kleinern, durch in- 
nere Kriege und durch den Anprall neuerer Völkermassen 
zersplitterten Völkermassen der Turko-Tataren und Finnen- 
Ugrier ausgesetzt waren, und die denn auch während der 
Krystallisirung der Sprachen auf den Wortschatz einge- 
wirkt hatten, wie wir dies z. B. noch bei den Wogulen 
bemerken, die h«ute an der Sosswa wohnen und dennoch 
in ihrer Sprache persische Wörter aufweisen, wie: nan 
(Brot); sat (hundert); Bathjar pers. hachtijar (Eigenname). 



46 

Wenn daher von einer alten ural-altaischen Cultur die 
Rede sein konnte, so müsste man nur besagte Bildungswelt 
der Turko-Tataren ins Auge fassen, eine Bildung, die wol 
durch und durch genuin, doch nur von primitiver Natur ist, 
und die trotz des geistigen Fortschrittes der benachbarten 
Gesellschaften arischer und semitischer Abstammung und 
trotz der weltgeschichtlichen Rolle, die den Türken selbst zu- 
gefallen, selbst nach einem mehr denn zweitausend- 
jährigen ununterbrochenen Verkehr mit fremden 
Elementen immer nur stabil, immer nur stationär 
geblieben ist. 

Wie aussergewohnlich dieser Umstand auch scheinen 
mag, so werden wir bei einer eingehenden Forschung 
nach den Ursachen zur Einsicht gelangen, dass hier nicht 
ethnische, sondern historische Beweggründe den Ausschlag 
geben. Es wird sich uns vor allem die Wahrnehmung 
aufdrängen, dass wir mit einer jungem Gesellschaft zu 
thun haben, mit einem solchen Theile des Menschen- 
geschlechtes, der auf der Bühne der Weltbegebenheiten 
später auftrat^ und zwar zu einer solchen Zeit die Gren- 
zen der Urheimat zu überschreiten anfing, als Volker an- 
derer Rassen die südlich und westlich gelegenen zur Cul- 
turentwickelung von der Natur aus mehr begünstigten 
Ländereien schon längst in Besitz genommen und auf den- 
selben dermassen festen Fuss gefasst hatten, dass eine 
Absorbirung oder gänzliche Verdrängung unmöglich ge- 
worden war. Wenn wir ferner gleich annehmen, dass die 
Türken vor mehr als zweitausend Jahren im Süden gegen 
das heutige Turkestan und im Westen über die Wolga 
hinaus sich auszudehnen begonnen hatten, so darf doch 
nicht übersehen werden, dass diese Ausdehnung nur spo- 
radisch und nur in kleinen Haufen stattgefunden, und dass 
es eben dieser allen exclusiv nomadischen Völkerschaften 
abgehende Geist der einheitlichen Handlung war, der 



47 

jeden Erfolg im vorhinein vereiteln musste. Von der 
Zahlengrosse der vorgeschichtlichen Bewegungen arischer 
Volkerschaften vermag selbst die kühnste Phantasie sich 
kaum eine Vorstellung zu machen, doch gestattet uns 
schon der Beginn des geschichtlichen Zeitalters in einige, 
wenngleich vage Vermuthungen uns einzulassen, und so 
dürfte denn auch die Behauptung gewagt werden, dass 
Volkerhaufen von einem Umfange, wie z. B. der der 
Gothen^ bei den Üral-Altaiern sich nie auf einmal in Be- 
wegung gesetzt hatten, sich auch nicht setzen konnten, 
die entsprechende Wirkung daher auch nothgedrungen 
ausbleiben musste. In ähnlicher Weise hat es sich mit 
den später geschichtlich nachweisbaren Bewegungen der 
Türken verhalten. Die türkischen Reiterhaufen, die im 
Dienste der Samaniden und Bujiden standen, waren ge- 
wiss nicht viel zahlreicher als jene Hülfstruppen, mit denen 
die Araber unter Kuteibe in den Oxusländern sich zu 
messen hatten, und wenngleich die geschichtliche Ueber- 
lieferung das Auftreten der Seldschukiden in grossen Zügen 
schildert, so dürfen wir im Grunde genommen diese sowie 
andere Strömungen des Türkenvolkes nur im Lichte jenes 
Eindrucks des Schreckens betrachten, welchen diese Krie- 
ger nicht wegen des grossen Zahlenbestandes, sondern in- 
folge der militärischen Ueberlegenheit und der Wildheit 
ihrer Sitten allenthalben verbreiteten. So sei beispiels- 
halber nur der Osmanen erwähnt, die ganz Anatolien und 
einen .Theil Osteuropas eroberten und dennoch nur aus 
höchstens 25000 Mann türkischer Abstammung bestanden, 
und welche, die fremden unterjochten Elemente in sich 
aufnehmend, heute auf mehrere Millionen sich belaufen. 

Dort, wo der Zahlenbestand die materielle Kraft im 
vorhinein illusorisch macht, dort kann und wird der gei- 
stige Aufschwung und der üebergang von der primitiven 
Cultur zur fortschrittlichen Bildungswelt von rein natio- 



48 

nalem Charakter selten und schwer ßich erwirken lassen. 
Hierbei müssen noch zwei andere nicht minder wichtige 
Umstände in Anschlag gebracht werden. Erstens, dass 
die minderzählige Gesellschaft, selbst nach der gewaltsamen 
Besitznahme der neuen Heimat, die Waffe der Verthei- 
digung nie aus der Hand legen kann, und in dieser trau- 
rigen Nothwendigkeit vom friedlichen Werke des geisti- 
gen Fortschreitens thatsächlich abgehalten ist. Zweitens 
pflegt dieser kriegerische Geist dermassen in Fleisch und 
Blut zu dringen, dass derartige minderzählige Volker, 
selbst dort und dann, wo keine gebieterische Nothwendig- 
keit mehr vorliegt, der Liebe zum Kriegshandwerk schon 
gewohnheitshalber sich nicht entledigen können. Seit wir 
das Türkenthum kennen, hat es sich als der stereotype 
und professionelle Soldatenstand Asiens präsentirt, und 
während die Türken für den geringen Lohn einer mate- 
riellen Suprematie das Handwerk übten, konnten andere, 
wie Iranier und Araber, unter dem Schutze türkischer 
Waffen den Künsten und Wissenschaften obliegen. 

Und was von den Türken gesagt wurde, das passt mit 
geringer Ausnahme auf die ganze ural-altaische Rasse. 
Wenn die Westfinnen im Norden und die JVJagyaren im 
Osten Europas trotz alledem, wa,s Staatenbildung, Gesit- 
tung und geistiges Leben anbelangt, unbehelligt von den 
Schattenseiten der ural-altaischen Rasseneigenheit, neben 
den arischen Elementen auf der Bahn der modernen Cultur 
rüstig fortschreiten, ja die mit ihnen ostlich benachbarten 
Arier, so z. B. die Slawen, hoch überragen, so können 
wir hierin nur eine glänzende Bestätigung jener Ansicht 
finden, dass Denkkraft und geistiges Vermögen Ariern 
sowol wie Ural-Altaiern in gleicher Weise eigen ist und 
eigen sein kann, dass aber andererseits dem zeitweiligen 
Hervorragen gewisser Gesellschaften auf dem Gebiete des 
Denkens und des Sinnens nicht ethnische, sondern einzig 



49 

und allein politisch -sociale und bisweilen auch geogra* 
phische Motive zu Grunde liegen. 

Hiermit muss selbstverständlich auch die Theorie der 
Altersverschiedenheit der Volker aus dem Bereiche der 
gesunden Combinationen geschieden werden. Nicht Völker, 
sondern nur Gesellschaften dürfen als jung oder alt be- 
zeichnet werden, denn erstere sind so alt wie die Mensch- 
heit selbst, während letztere je nach dem Geiste der sie 
belebenden Institutionen in den Altersstadien variiren 
können. Zugegeben daher, dass Magyaren und Westfin- 
nen als die in Europa ansässigen Fractionen der ural- 
altaischen Basse in den Culturbestrebungen der modernen 
Welt no'ch im Stadium des Jugendalters sich befinden, 
von welchem sie ohne Zweifel gleich ihren arischen Nach- 
barn im Westen zur volligen Bliite heranreifen werden, 
so steht ein ähnlicher Fortschritt bei ihren Stammesge- 
nossen in Asien leider nur schwer in Aussicht. Die grosse 
Mehrzahl dieser Völker, zersplittert und zertheilt, sind 
schon heute vom Zauberbanne der russischen Suprematie 
allzu fest umschlungen, als dass sie am Vorabende einer 
gänzlichen Entnationalisirung den Uebergangsprocess von 
der primitiven Cultur zur höhern Cultur im Kleide der 
nationalen Selbständigkeit durchmachen könnten. Dies 
war gewissermassen auch in den vergangenen Jahrhun- 
derten der Fall, da es während der Culturperioden der 
Seldschukiden^ Timuriden und Osmanen,. abgesehen von 
dem theils pioslimisch- arabischen, theils iranischen, folg- 
lich fremden Ursprünge jener Bildungswelt, schon an 
einer tiirkischen Volksmajorität fehlte, die als Substrat 
der nationalen Cultur, als Basis einer türkischen Bildung 
hätte dienen können. Auch die noch unabhängig geblie- 
benen Ural-Altaier, als Türken, Mongolen und Tungusen, 
unterliegen in dieser Beziehung noch zu sehr den Chan- 
cen des Riesenkampfes, welchen die europäische Civili- 

V&mb<ry, Cultur. 4 



50 

sation gegen die moslimische und buddhistische Bildungs- 
welt fuhrt. Es kann daher von einer zukünftigen tür- 
kisch-nationalen Culturwelt, im europäischen Sinne dieses 
Wortes, schon deshalb nur schwer die Rede sein, weil 
eben der weitere Fortbestand des nationalen Lebens stark 
gefährdet ist, indem das heute noch unabhängige Türken- 
thum dem mächtigen Anprall des in Asien entnationali- 
sirend auftretenden arischen Bildungsgeistes wol kaum 
widerstehen kann. 



I. 
Der Mensch und der menschliche Körper. 



^^n der Annahme ausgehend, dass der Mensch im 
Kindesalter die seiner Wahrnehmungskraft näher stehenden 
einzelnen Gegenstände leichter bezeichnen kann als das 
verschiedene Theile umfassende Ganze, darf es uns gar 
nicht wundern, wenn wir in den allerersten Cultursta- 
dien irgendeiner Gesellschaft dasselbe Unvermögen hin- 
sichtlich der allgemeinen Benennungen, d. h. der Sammel- 
namen entdecken. Die Umschreibung des griechischen 
Wortes für Mensch^ nämlich „Zweif üssler", sowie das Ver- 
hältniss des hebräischen adom (Mensch) zu adoma (Erde), 
des litauischen iemo = Erde und imow^5 = Menschen, und 
des lat. Jiomo zu humus ist auf dem türk. Sprachgebiete 
unbekannt.* Das für Mensch gebrauchte Tci§i Iciß oder 
Tcisi drückt eben den Begriff von Wesen aus, denn man 
sagt: er Tcüi = männliches Wesen, d. h. Mann, und cha- 
tun TciSi = weibliches Wesen, d. h. Weib. Kisi^ alt. Tciß^ 



* Das uig. jdlguk oglani = Mensch, wörtl. Sohn des Irrthums, 
der Vergänglichkeit, ist eine Religionsmotiyen entnommene bildliche 
Umschreibung. 

4* 



52 

das zu kes = jemand in einem solchen Verhältnisse steht 
wie das mong. Tcümon = Mensch zum türk.-tat. leim = 
jemand, dünkt mir in der wörtlichen Uebersetzung ein 
Einzelner, ein Gesonderter zu bedeuten, ein Gegensatz 
zu hütün = Volk, l^ation, Gesammtheit, und stammt von 
Tces^ Ä«s = trennen, sondern, schneiden. Vgl. das arab. 
ferd = Person, Individuum, auch einzeln, allein. 

Es ist nur mit Hinblick auf die Auffassung nomadi- 
scher Völker, nach welcher der Mann als der eigentliche 
vollkommene Mensch angesehen wird (vgl. magy. emher = 
Mensch, Mann, Gemahl), dass Jcisi^ besonders im Altai- 
schen, speciell für männliches Wesen gebraucht wird. 
Das Türkenvolk hatte allerdings eine specielle Bezeich- 
nung für homo^ nämlich das Wort türJc von törük oder 
türük (vgl. §. 179), folglich Geschöpf, Mensch im allge- 
meinen. (Vgl. töröngöi = Mensch, Geschöpf im Altaischen, 
namentlich in der von Radioff gebrachten Mythe über 
die Welterschaffung, Bd. 1, S. 159.) Das Wort war da- 
her vorhanden und später ist die Bezeichnung für Mensch 
auf Nation übertragen worden und das Verhältniss zwi- 
schen türk und töre (erzeugen, hervorbringen) findet 
ein analoges Beispiel im lat. natio^ im slaw. rod (Ge- 
schlecht) und rodit (erzeugen), magy. nemzet (Nation) und 
nemzeni (erzeugen) und schliesslich auf dem türk. Sprach- 
gebiete selbst, wo 6ag. tire Stamm, alt. törol Geschlecht, 
jak. törül Abkunft bedeutet, üebrigens darf uns der Um- 
stand, dass der Türke unter dem Begriffe Mensch sich 
nur allein verstand, gar nicht auffallen, denn eine ähn- 
liche Etymologie liegt dem Worte deutsch, teutsch, 
dessen Grundbedeutung Volk, Leute, ist, zu Grunde, 
ebenso auch im Worte Slowak, Slawjanin = Slawe, 
von Slowa = Wort, Rede, wobei als redendes Wesen, 
folglich Mensch, in erster Reihe der Slawe bezeichnet 
wird. 



53 

Einer ähnlichen Wahrnehmung begegnen wir auch im 
Worte für Thier, welches im Türkischen gänzlich fehlt 
und heute unter einem dem Arabischen entlehnten Aus- 
drucke haiwan =■ Thier, d. h. das Lebende, oder Mal = 
Vermögen, Besitz, vorkommt. 

Wenn es im Anfang an einer concreten Bezeichnung 
für Mensch und Thier mangelte und gewissermassen noch 
heute mangelt, wie dies bei vielen uns bekannten Sprachen 
der Fall ist, so hat die türkische Sprache auch in der 
Bezeichnung des Leibes oder Körpers einen mit den 
iibrigen Sprachen verwandten Ideengang befolgt. Gövde, 
göbde, göbdeJo* = Korper, heisst der etymologischen Bedeu- 
tung nach das Angeschwollene, der Leichnam, das Aas, 
und so wie das deutsche Wort Leichnam im Alterthum 
den Leib im allgemeinen bezeichnete (vgl. engl, corpse, 
lat. corpus) und so wie das griechische Wort SüfJia bei 
Homer als auf den todten Korper bezüglich erwähnt wird, 
ebenso ist das türkische Wort gövde von der primitiven 
Bedeutung des todten Leibes auf Korper im allgemeinen 
übergegangen. Merkwürdig ist es, dass die sinnreiche 
Vermuthung Geiger's**, dass der Leib als Fleisch, resp. 
als Speise aufgefasst wird, im Türkischen ihre Kräftigung 
findet, indem hier, in den altem, durch fremden Einfluss 
minder entstellten Sprachtheilen für Körper das Wort et^ 
oder et'öe = Leibeigen, existirt, ein Wort, da3 heute 
überall in der Bedeutung von Fleisch vorkommt. 

Der Unbestimmtheit gegenüber, welche sich in der 



* Göhdek eventuell gövdekj kövdek führen wir deshalb als die 
verhältnissmässig älteste Form an, weil bei den meisten mehrsilbigen 
auf Consonante auslautenden Wörtern das Wegfallen eines früher be- 
standenen Gutturale sich vermuthen lässt. So uig. karakf cag., osm. 
kara = Augapfel; adak-ada = Insel u. s. w. 

** Ursprung und Entwickelung der menschlichen Sprache und 
Vernunft, II, 136. 



n 



54 

allgemeinen Bezeichnung des Menschen und des mensch- 
lichen Korpers kundgibt, tritt die Benennung der einzel- 
nen Korpertheile mit einer um so prägnantem KJar- 
heit hervor und legt ein glänzendes Zeugniss für die so 
oft betonte geist- und sinnreiche Wortbildung der Türken- 
sprachen dar. Die verschiedenen Korpertheile sind näm- 
lich a) nach der ihnen zufallenden Thätigkeit, b) nach 
der äussern Form, in welcher sie erscheinen, und c) nach 
der örtlichen Stellung benannt. 

Die erste Kategorie ist selbstverständlich die grosste 
und reichhaltigste und führt im innem Werthe der 
Wortbedeutung mitunter eine ganz minutiöse Detaillirung 
der Function des betreffenden Körpertheiles in sich. 
Auge heisst der Seher (vgl. Mz-Tcör §. 83); Okr heisst 
der Hörer (vgl. kulak §. 99); Augenlid heisst der 
Deckel (vgl. kapak §. 81); Augapfel heisst der Blick 
(vgl. karak §. 83); Lippe heisst der Fanger (vgl. tutak 
§. 193); Zahn heisst der Zerbrecher (vgl. tis §. 38) 
Hand heisst der Nehmer, Greifer (vgl. elih olik §. 15) 
Zunge heisst der Redner, Sprecher (vgl. Hl §. 188) 
Gaumen heisst tangla^ der Koster, der Schmecker 
(vgl. lang §. 181); Fnss heisst der Geher (vgl. atak §. 27); 
Knie und Einbogen heissen Stützer oder Stützpunkt 
(vgl. tir^ ti/s §. 191) u. s. w. 

In die zweite Kategorie, wo die Formbeschreibung als 
Richtschnur diente, gehören: Nase^ der Wortbedeutung 
nach Spitze, der hervorragende Theil, daher die 
Analogie des Ausdruckes für Nase und Vorgebirge (vgl. 
borun §. 210); Mund^ wortl. Oeffnung (vgl. agiz, avuz 
§. 1); EeUe^ wortl. der enge Weg, Engpass (vgl. 
hog^ lag §. 204); Augenwimper, wortl. Stachel (vgl. 
kirpik §. 91). 

So ist auch die Grundbedeutung der Worter für 
Korperhaare (füg) und ein einzelnes Kopfhaar (kil) Sta- 



55 

chel, und tüg sowol als kil liegen den Begriflfen Dorn, 
Speer, Spiess und sonstigen langen spitzigen Gegenstän- 
den zu Grunde. Aus der Grundbedeutung des speciell 
für Kopfhaare im allgemeinen gebrauchten Wortes, näm- 
lich aus dem osm. sac^ trk. coc, kir. saS, wird die ur- 
sprünglich lange Form des Kopfhaares ersichtlich, denn 
die Stammsilbe sac, cac hat die Bedeutung von herab - 
wallen, herabhängen. Vgl. sacak = Franse, sa^ = 
herabhängendes Tuch. Fanst heisst dem etymologischen 
Werthe nach geschlossen, d. h. die geschlossene, und 
die Handfläche offen, d. h. die o£Peno Hand (vgl. jum- 
ruh §. 147 und aja §. 1). Der Grundbegriff von Braue 
ist Bogen, Bug (vgl. IcaS §. 74), von Bmst Wölbung 
(vgl. Icögüs §. 72); von Basen Vertiefung, Hohle 
(vgl. Tcojun §. 98); von Hoden das Herabhängende 
(vgl. susak §. 24 und enük §. 35); von penis der Nagel 
(vgl. cüg §. 203); von Ader der hohle, verborgene 
Weg (vgl. tamur §. 179); von Bauch die Grube, die 
Hohle (vgl. Jcarin und kar §. 22); von Gebärmutter die 
Finsterniss (vgl. tünerik §. 179); von Schenkel oder 
Hüfte der runde, fleischige Theil (vgl. put §. 225); 
von Hals oder Nacken der Begriff des Länglichen, 
Langen (vgl. hoj^ bojun §. 205) u. s. w. 

Was schliesslich die nach ihrer Oertlichkeit benannten 
Korpertheile betrifft, so finden wir solche in bas = Kopf, 
eigentl. der oberste, höchste Theil (vgl. bas,baj 
§. 205); in dln oder kabak = Stirn, eigentl. der vordere 
Theil (vgl. §. 11), eine Wortbildung analog mit dem 
engl, forehead und pers. pisane = Stirn von pis = vorn; 
im Worte köt oder kic = podex^ eigentl. der Hintertheil, 
Hintere (vgl. kat §. 98) ; in taban = Sohle, eigentl. Grund, 
untere Theil u. s. w. (vgl. tab §. 172). 

Charakteristisch in der Benennungstheorie der einzel- 
nen Korpertheile dünkt uns unter anderm, dass das Wort 



56 

für Bart im Türkischen (s<ikal) vorderhand etymologisch 
sich gar nicht erklären lasst, demnach als entlehnt er- 
scheint, was uns im Hinblick auf die Bartlosigkeit der 
primitiven Türkenrasse im Grunde genommen gar nicht 
wundem sollte; wogegen die Benennung desScliniirrbartes^ 
bißk und burut, in der Grundbedeutung der Stammsilbe den 
Begriff von gross, voran in sich schiiessend, uns einiger- 
massen die Wichtigkeit erklärt, welche diesem Theile des 
Haarwuchses in den verschiedenen Altersstadien des 
Mannes zufällt. So heisst osm. bijtkli = Jüngling, wortl. 
der Schnurrbärtige; 6ag. huruti cikkan = herangewachsen, 
wortl. dem der Schnurrbart schon herausgekommen. Vgl. 
ferner burut kesimi = Stadium der männlichen Beife, wortl. 
das Zustutzen des Schnurrbartes. 

Ferner ist es nicht ohne Interesse wahrzunehmen, dass 
die Sprache des Türken unter den Thieren keine Vier- 
f üssler bezeichnet , sondern in . gegebenen Fällen den 
Vorderf üssen den Namen kol = Arm, Hand, den Bünter- 
füssen den Namen put oder ajak = Fuss beilegt. Es 
existirt im allgemeinen keine Sonderung in der Benennung 
der einzelnen Korpertheile des Menschen und des Thieres, 
und selbst dort, wo die Natur unterscheidende Merkmale 
geschaffen, geht die Sprache der Sonderbenennung aus 
dem Wege^ wie oben erwähnt bei Vorder- und Hinter- 
f üssen, ebenso auch beim Worte Schwanz (kuj-ruk, kut- 
ruk^f das der Stammsilbe kuj, kut = hinter, rückwärts 
(vgl. §. 74) entsprungen ist. Es muss hier ausdrücklich 
bemerkt werden, dass dies nicht so sehr der Sprachen- 
armuth als vielmehr jenem sozusagen innigen Verhältnisse 
zuzuschreiben ist, in welchem der primitive Mensch zu 
dem ihm nahe stehenden Thiere sich befindet, dem er als 
Viehzüchter zugethan ist und dem er keine nur Gering- 
schätzung bekundende Sonderbenennung geben wird. An 
das Zärtlichkeitsverhältniss zwischen dem Menschen und 



57 

dem ihm nahe stehenden Hausthiere, das ich seinerzeit 
unter türkischen Nomaden zu beobachten Gelegenheit 
hatte, hat mich meine jüngste Erfahrung unter den Vieh- 
züchtern in Tirol lebhaft erinnert» Hier sowie dort die- 
selbe Schonung und dieselben Liebesworte, und hier so- 
wie dort wird ein Schimpfname eher dem Menschen als 
dem Hausthier gegeben. 

Zu der Erörterung der verschiedenen Korpertheile 
wollen wir noch jene Auffassung hinzufttgen, welche in 
der Benennung der Functionen der einzelnen Korpertheile 
zum Ausdruck gelangt ist. Es ist vor allem interessant 
zu wissen, dass der turko-tatarische Urmensch die mensch- 
liche Seele, den Geist oder das Leben nach 'jener Er- 
scheinung benannte, welche dasselbe am untrüglichsten 
manifestirt. Es ist dies der Athem oder Athemzug (tin^ 
Um, vgl. §. 189), zugleich auch Dampf, Dunst, in wel- 
cher Form der primitive Mensch eben den Athem be- 
trachtet, der der Benennung des Begriffes Seele, Leben 
zu Grunde liegt. Dunsten, dampfen, athmen und leben 
sind daher identische Begriffe, denen das synonyme soluh 
= Athemzug insofern sich anreihen lässt, als auch dieses 
der Stammsilbe sol, sal, sei = Wind, Luft entsprungen, 
eigentlich Wehen, Hauchen bedeutet. Neben dieser Be- 
zeichnung für Seele, Leben, gibt es aber noch eine 
andere, die auf das Gedeihen, Fortexistiren Bezug hat 
und der Stammsilbe jas = feucht, nass, grün, entspringt 
und von der weiter unten die Rede sein wird. Selbst- 
verständlich muss hier das im heutigen Sprachgebrauche 
stark verbreitete tirik, tiri, diri = lebendig (vgl. §. 186) 
auch in Betracht kommen, doch ist dasselbe nur eine 
bildliche Umschreibung, indem es eigentlich im Sinne von 
rührig, beweglich aufzufassen ist. 

Vom Begriff Leben auf die Function der einzelnen 
Korpertheile übergehend, bedürfen die Begriffe sehen, 



58 

gehen und boren wol keiner besondem Erörterung, da 
das Motiv der Benennung dieser Glieder mit der ihnen 
zufallenden Thätigkeit im engsten Zusammenbange steht. 
Nur behufs Ergänzung wollen wir einiges nachtragen, 
und unter anderni sei hier erwähnt, dass der turko- tata- 
rische Urmensch die eigentliche Sehkraft dem Augapfel 
zuschrieb, indem er diesen karak, kara = den Seher be- 
nannte. Der Nexus zwischen boren und Ohr ist ein 
uralter und stammt aus jener Zeit, als der finn-ugriscbe 
Stamm vom turko -tatarischen noch nicht getrennt war, 
denn heute ist boren schon durch secundären Begriff aus- 
gedrückt, nämlich durch verstehen, auffassen und be- 
greifen. Vgl. ok = Sinn und okmak = boren (vgl. §. 48), 
ferner is = Verstand und isitmek^ ursprüngl. is-ümeh = 
verstehen. Schliesslich sei noch des Begriffs sterben er- 
wähnt, der so wie leben mit grünen, blühen identisch, 
bei den Turko -Tataren mit welken analog ist, wie aus 
dem Vergleiche Slmek = sterben und sölmeh * = welken, 
ersichtlich wird. Dieser Nexus der Ideen, allerdings ein 
höchst natürlicher, lässt sich um so besser erklären, wenn 
wir jene bei primitiven Menschen vorhandene Anschauung 
in Betracht ziehen, nach welcher nicht nur der Mensch, 
sondern alle von uns leblos benannten Objecte eine Seele 
besitzen, die dem Wasser, dem Wind, dem Feuer, dem 
Laub der Bäume und dem Grashalm die Kraft der Be- 
wegung verleihen, folglich derselben ebenso wie der 
Mensch im Laufe der Zeit auch verlustig gehen können. 



* Das Yerschwindea des sibillanten Anlautes lässt sich am besten 
im gegenwärtigen Verhältnisse zwischen dem Jakutischen und andern 
Turksprachen nachweisen. 



59 



IL 

Geschlecht nnd Altersstadien. 

Einen geschlechtlichen Unterschied hat das türkische 
Volk von jeher nur bei lebendigen Dingen gemacht, und 
bei Menschen sowol wie bei Thieren wird das mannliche 
Geschlecht als die wahre Personification der Stärke, 
Macht und Gewalt dargestellt, ebenso wie das weibliche 
Geschlecht immer als das schwache und leidende bezeich- 
net wird. Das Verhältniss zwischen den lat. vis — vir 
finden wir im turk.-tat. er = Kraft, Mühe, Plage, und er 
Mann noch deutlicher ausgedrückt, während Weib im 6ag. 
jBaife (wortl. schwach), im alt. üjdege (wörtl. die Häus- 
liche), im uig. €v6i = die Häusliche, das Weib, und im osm. 
kari (wortl. alt) benannt, die Qualification des Schwäch- 
lichen, Zurückgezogenen und Altersschwachen klar genug 
bezeichnet. 

In Anbetracht unserer heutigen und schon vor alten 
Zeiten gemachten Wahrnehmungen im Leben der noch 
in primitiven Culturzuständen befindlichen Türken, wie 
z. B. Kirgisen und Turkomanen, wo dem weiblichen 
Theile der Gesellschaft die harte, fast aufreibende Arbeit 
der Häuslichkeit zufällt, während die Männer zumeist ein 
träges Dasein fristen, mag eine derartige Beurtheilung 
des weiblichen Geschlechtes wol ein Widerspruch er- 
scheinen; doch ist dem nicht so. Nach Auffassung der 
Nomaden ist jede Beschäftigung im Kreise des Zeltes 
nur ein leichtes Spiel, und als die eigentliche Kraft und 
Stärke bedingende Arbeit wird die Aufsicht und Ver- 
theidigung des Auls, das Führen der Waffen gegen feind- 
liche Stämme und das Aufsuchen der passenden Weide- 



60 

und Lagerplätze betrachtet, eine Arbeit, an welcher die 
Frauen sich nie betheiligen und nicht betheiligen dürfen. 
Ändere Benennungen des Weibes gewähren uns einen 
Einblick in das Verhältniss gesellschaftlicher Stadien bei- 
der Geschlechter. Das 6ag. chatun, khatun, alt. Jchatif 
osm. Jcadin = ¥rBJif Weib, bedeutet im etymologischen 
Sinne des Wortes Genosse, Geselle (vgl. hat §. 88), 
folglich ein Wesen, zu dem man sich im Leben gesellt 
hat (vgl. CUV. joldas = Frau, eigentl. Gefährtin, und kirg. 
jar = Frau, eigentl. Freund); während das bei den Oez- 
begen gebräuchliche ai-6a^«7c = Weib, wortl. weiss- 
köpfig, an das magy. feher sjsemely = Weih ^ wortl. 
weisse Person erii^nert, wo nicht die weisse Kopf- 
bedeckung der Frauen, sondern die Gesichtsfarbe hervor- 
gehoben wird, worin das Weib von dem stets im Freien 
sich bewegenden, sonn- und wettergebräunten Manne 
sich unterscheidet. Uebrigens wurde in der Geschlechts- 
bezeichnung auch der physischen Merkmale Rechnung 
getragen, indem tisi, tisüJc^ disi = das Weibchen, weib- 
lichen Geschlechtes, bei Thieren und Menschen an- 
gewendet, der Grundbedeutung nach Loch, durch- 
löchert, mit der hebr. Wortbildung wdiatÄ = löchern, 
und neJcebhä = Weib, analog ist. Eine andere, den phy- 
sischen Merkmalen zu Grunde liegende Bezeichnung des 
weiblichen Geschlechtes finden wir in der Stammsilbe 
em, am^ en, aw, aus welcher die Namen aller auf die 
Unterschiedlichkeit des weiblichen Korpers Bezug habenden 
Korpertheile hervorgegangen sind. Brust (em-cik), säu- 
gen (em-meh)^ Vulva (am)^ Mutter (an-a, en-e)^ Tante 
(nene) haben ein und dasselbe Etymon, doch gilt dies 
nur hinsichtlich des Menschen, denn bei den Thieren 
dient für generische Bezeichnung erkeJc oder ata bei dem 
Männchen und tisi bei dem Weibchen. Hinsichtlich der 
letztern beiden Namen muss hervorgehoben werden, dass 



61 

dieselben nur bei solchen Tbieren Anwendung finden, die 
dem Kreise der Beobachtung und des Verkehres fern 
stehen, folglich nicht in die Kategorie der Hausthiere, zu 
deren Erkenntniss wir hiermit einen neuen Beleg erlan- 
gen, gehörten. Bei den Hausthieren ist das Männchen 
vom Weibchen mittels eines ganz andern, mitunter auch 
mehrern speciellen Namen gekennzeichnet. So z. B. at 
(Pferd); Stute hingegen hat schon zwei Namen, nämlich 
hisrah und hajtal oder hije*^ ersteres im West-, letzteres 
im Osttürkischen gebräuchlich. Buga (Stier); für Kuh 
hingegen gibt es ünekj inek und sigir; koj (Schaf) hat 
für das Männchen koc, tekke und erkic für das Weibchen ; 
sagin (in einigen Gegenden nur Mutterschaf, von s<xg = 
melken; vgl. sagir^ sigir = Kuh). It (Hund), kanzik 
(Hündin), kaban (Wildschwein), migecin (Sau). Nächst 
den Hausthieren ist, was die Sonderbenennung des ver- 
schiedenen Geschlechtes anbelangt, noch jenes Wild zu 
erwähnen, mit dem der Türke auf seinen Jagden häufig 
in Berührung kam. So der Hirsch, von welchem das 
Männchen in Mittelasien Huna, das Weibchen kilcakci 
heisst; ferner das Reh, dessen Männchen hogu und Weib- 
chen Matal heisst; der Enterich wird mit dem Namen 
sonu^ die Ente mit borcin bezeichnet u. s. w. 

Es offenbart sich hier jener ganz natürliche Reichthum 
und die Bildungsfähigkeit der Sprachen, der wir da und 
dort begegnen, wo es sich um Begriffe handelt, die am 
häufigsten vorkommen, und wo die Klarheit eine genaue 
Detaillirung unumgänglich nothig macht. 

Was das Alter und seine verschiedenen Stadien anbe- 



* Bij-e und baj-tal sind gemeinsamen Ursprunges, beiden liegt 
die Stammsilbe bij^ baj ^ bej (vgl. &cp-MW = Madame; femer magy. 
öZ'Vegy = Witwe, von öz = alleinstehend, und vegy-bege-beje =* 
Frau) zu Grunde. 



62 

langt, 80 hat der Türke zu der ihn umgebenden Natur 
sich gewandt und namentlich die Begriffe von den ein- 
zelnen Phasen des Pflanzenlebens dem Leben der Men- 
schen und Thiere angepasst. Analog mit dem Verhält- 
nisse zwischen dem deutschen Alter und goth. alan = 
wachsen, lat. älere = nähren, ist das Verhältniss des 
türk. jas-amak = leben, zu jas, jasil = nass, grün. 
Leben ist daher so viel wie grünen, gedeihen, und 
so wie der Begriff von jang^ lebenskräftig mit der Stamm- 
silbe jas = grün, nass ausgedrückt ist, ebenso ist der 
Gegensatz, nämlich alt^ lebensmüde, mittels kari = 
alt, d.h. trocken, dürr (koru) bezeichnet; ja wenn wir 
nicht irren, steht öZ = sterben, zu 5ö7 = welken, verwel- 
ken in nächster Verwandtschaft. Jung im allgemeinen 
heisst Jcicik jas, d. h. kleines Alter, und Bejahrtheit uluk 
jas^ d. h. grosses Alter oder Leben. Der primitive Aus- 
druck für Kind ist oMan (vgl. §. 50) und bäla. Ersteres 
heisst der Sprössling im allgemeinen; letzteres, dessen 
Etymon uns unbekannt ist, dient als Bezeichnung des 
zartesten Alters. Noch haben wir für diesen Begriff die 
Worter toku, eigentlich das Geborene, und im weitern 
Sinne jauru, jauruk (richtiger jakuruk von jakurmak = 
nähren, pflegen), der Wortbedeutung nach etwas was 
gepflegt wird. Jauruk ist im Osttürkischen für Kind, 
im Westtürkischen für junge Vogel gebraucht, während 
das CUV. jevr und kirg. jaur zaur den Anverwandten, 
Nachkommen im allgemeinen bezeichnet. Vgl. magy. gyer- 
mek=^ Kind ^ Nachkomme. Jüngling und Jungfer wer- 
den wie in andern Sprachen durch entsprechende bildliche 
Umschreibung verdolmetscht. So 6ag. Jigit (vgl. §. 35) 
und osm. deli kanli (^juvenis)^ der Wortbedeutung nach 
der Frische, der Warmblütige, Heissblütige, wo- 
ran als passendes Seitenstück H^ (^puella^ virgo)^ eigentl. 
feurig (vgl. §. 93) sich anreiht. Der Mann heisst im 



63 

reifen Alter er, wie schon erwähnt zugleich auch die Be- 
nennung für Kraft und Stärke, während für die Bezeich- 
nung seines Alters entweder alt und ak sakalli = grau, 
graubärtig, oder kart, kari, karcik (vgl. §. 84) gebraucht 
werden. Der Geschlechtsunterschied wird übrigens auch 
bei den einzelnen Mitgliedern der Familie mehr nuancirt, 
als dies bei andern bekannten Sprachen der Fall ist; so 
aga = älterer Bruder, egeci = ältere Schwester, ini = jün- 
gerer Bruder, ^iwgfi? = jüngere Schwester. 

Bei Nomaden von solch reinem Schlage, wie die Türken 
von jeher waren und noch heute sind, darf es uns gar 
nicht wundernehmen, dass die Sprache in der Bezeich- 
nung der verschiedenen Altersstufen der Thiere sich reich- 
haltiger zeigt als in der Benennung der menschlichen 
Altersstadien, ja viel reicher als die Sprache anderer noch 
im nomadischen Zustande lebender Volker. Das Füllen 
heisst im ersten Jahre kolum und urgaci, ersteres das 
männliche, letzteres das weibliche, im zweiten taj, im 
dritten gonan, im vierten donan oder donacin, im fünften 
tolum und im sechsten cirgau, Kalb heisst im allgemei- 
nen hozau oder bo^agu, hozgu, cuv. pru, (magy. horju); 
doch auch hier gibt es Unterschiede, denn bei Kirgisen 
und Karakalpaken heisst das einjährige B,ind basmuJc, das 
zweijährige öJcse oder ökse, das dreijährige gonan ökm, 
das vierjährige donan öküz, während bei den Oezbegen 
das sechs Monate alte Kalb özek, das einjährige Bind 
huzau, das zweijährige tana, das dreijährige ögüzce (Oechs- 
chen), das vierjährige ögüz heisst. Aehnliche Verhält- 
nisse treten in der Benennung des Kamelfüllens, der 
jungen Schafe und Ziegen hervor. Das junge Kamel 
heisst butu^ das Lamm kuzu, das zweijährige Schaf toklu, 
das dreijährige icek u. s. w. 

Es ist ganz natürlich, dass der Mensch dem Gegen- 
stande oder dem Wesen, das ein Hauptmittel seiner Exi- 



64 

stenz bildet, dem er aus vitalen Interessen ganz zuge- 
than ist, seine ungetlieilte Aufmerksamkeit schenkt und 
die genaueste Beobachtung zutheil lassen wird. Daher 
denn auch die minutiöse Benennung der Altersverschie- 
denheit bei den Thieren beider Geschlechter, eine Detail- 
lirung, die wir selbst bei den menschlichen Altersstadien 
vermissen, und daher denn auch die ähnliche Erscheinung 
bei der Beschreibung des Zeltes und andere in der Exi- 
stenz der Nomaden eine Hauptrolle spielender Gegen- 
stände. 



III. 

Die Famüie, 

Das in den vorhergegangenen Blättern betonte* Unver- 
mögen der türkischen Sprachen in Bezeichnung der 
Sammelnamen oder allgemeinen Begriffe ist auch beim 
Worte für Familie ersichtlich. Dieser Begriff wird aus- 
gedrückt durch die Umschreibung von bala-mka, d. h. 
Kind und Gesinde, oder durch coluk-cozuk^ d« h. Leute 
und Kind, oder schliesslich durch das correctere öj = 
Haus, Haus und Hof, Wohnung« Nur für Familie im 
weitern Sinne des Wortes haben wir uruk und uruk kajas. 
Ersteres bedeutet Abkunft, letzteres Abkunfl und Zu- 
sammengehörige, folglich die Familie im weitern Sinne 
des Wortes, d. h. der Stamm oder das Geschlecht, wor- 
unter man im Türkischen, wie aus betreffenden Etymolo- 
gien ersichtlich ist, nicht einen Zustand der Sklaverei 
wie im Lateinischen (vgl. familia und famülus), sondern 
das Yerhältniss der Innigkeit und Zusammengehörigkeit 
ausgedrückt haben wollte. 



65 

Das Haupt einer Wohnung, d. h. Familie, ist der 
Vater, ata, ein Wort, welches auch in der Bedeutung 
von stark, männlich vorkommt, denn man sagt ata börü = 
der männliche Wolf, ata Icaz = der Gänserich, mit einem 
Wort ein Ausdruck, der den Inbegriff von Obrigkeit, 
Oberaufsicht, Herrschaft, ja all jener Attribute in sich 
schliesst, die dem Vater oder Hausherrn laut der patriar- 
chalischen Verfassung der Familie eigen sind. Auch der 
Begriff Ahnen wird durch dieses Wort wiedergegeben, 
nämlich atalar (eigentl. Vater), und im Zusammenhange 
mit der Achtung und der Ehrfurcht, welche den Ahnen 
und Vorältern bezeugt wird, heissen „weise Sprüche" 
oder „Sprichworter" atalar sö^i = das Wort der Väter. 

Ganz verschieden von dieser Bedeutung und im vollen 
Einklänge mit der Stellung, welche das Weib im primi- 
tiven Stadium der Gesellschaft einnimmt, haben wir für 
den Begriff Mutter überall ana oder ene^ welchem die 
Stammsilbe an, en zu Grunde liegt, folglich ursprünglich 
Weib, Amme bedeutet, und nicht Hausfrau oder Her- 
rin, und in der That betrachtet die Frau ihren Gemahl als 
einen, der ihr Schutz gewährt, daher die Benennung Ge- 
mahl cag. ApusJca (Väterchen) und osm. hom (Alter). 
Die subordinirte Stellung des Weibes in der Familie ist 
auch aus der Benennung der übrigen weiblichen Mit- 
glieder ersichtlich; so haben wir zur Benennung des 
altern Bruders das Wort aga (vgl. §. 5), zugleich ein 
Ehrentitel in der Bedeutung von Oberster, von der 
Stammsilbe ah = grau, wozu egeci (zusammengesetzt 
aus ege, aga = alt ^ gross, und eci, eM = Weihj Schwe- 
ster) = die ältere Schwester, doch nie gebraucht 
wird, während die Benennung der Jüngern Schwester, 
nämlich singil, den Zärtlichkeitsbegriff Junge, Kleine 
in sich schliesst. Es ist nur der Ausdruck des Bedauerns 
und des Mitleids, welcher sich im osm. Worte kari = 

V&mböry, Cultur. 5 



66 

Weib, eigentl. alt, die Alte oder im jak. ämäJcstn^Silie Frau, 
eigentL Abgeplagte, sich abspiegelt. Für den Begriff Ge- 
sehwlster hat der Türke Jcardas, karindas, d. h. Bauchge- 
fährte, oder toian, richtiger bir tokkan^ d.h. der Mitgeborene. 

Es sind dies Benennungen, welche an und für sich 
auf jenes Band der Liebe und der Innigkeit hindeuten, 
durch welches die Geschwister miteinander verbunden 
sind, allerdings Benennungen, denen gegenüber der in- 
nere Werth der entsprechenden Worter in den arischen 
und semitischen Sprachen nur matt und bedeutungslos 
erscheinen muss. Die Genauigkeit in der Bezeichnung 
der einzelnen Mitglieder des engern Familienverbandes 
manifestirt sich auch bei den Namen der weitern Ver- 
wandten. Der Onkel väterlicherseits heisst dbaga^ der 
mütterlicherseits tagaj oder daji. Aehnliche Verhält- 
nisse walten ob in der Benennung der Tanten, Ge- 
schwisterkinder u. s. w., mit einem Worte, zwischen all 
jenen Mitgliedern, die durch das enge Band der Bluts- 
verwandtschaft miteinander verbunden sind, während die 
infolge des Heirathens aus fremden Familien eingetretenen 
Mitglieder den ganz passenden Namen von ügej oder 
üvej = fremd, resp. katin oder kajin = hineingefügt, 
führen. So ügej ata und ügej ana = Stiefvater und Stief- 
mutter (wortl. fremder Vater, fremde Mutter), katin ata und 
kajin ana = Schwiegervater und Schwiegermutter (wortl. 
hinzugefügte Aeltem) u. s. w. 

Da für den Begriff Familie das Wort üj^ öj = Haus, 
existirt, so ist es ganz natürlich, dass der Begriff Hel- 
rathen mit öjlenmek, evlenmek, wortl. sich ein Haus, d. h. 
Familie schaffen, sich ansiedeln, wiedergegeben ist, eine 
Wortbildung analog mit dem magy. hdzasodni = heirathen, 
welches von höus = Haus stammt. In Anbetracht des 
Umstandes, dass die Ehe bei den Nomaden noch heute 
in den meisten Fällen von den Aeltern und zwar nicht 



67 

selten im zarten Alter der Kinder abgeschlossen wird, so 
ist das Freien in dem Sinne, in welchem wir es auf- 
fassen, ganz unbekannt, und es wird auch dieser Begriff 
mit der Umschreibung kiisga harmdk (wortl. zu einem 
Mädchen gehen) verdolmetscht, ein Stadium der Heiraths- 
sitte, dem der Mädchenraub, heute nur im Spiele sym- 
bolisirt vorangegangen sein muss. Der Bräutigam heisst 
daher entweder (az.) Jcöregen, eigentl. der Beschauer, 
oder güvej, uig. gubek, Jcübek, dem innern Werthe der 
Stammsilbe nach der Vertraute, Anvertraute, Treue (vgl. 
güv-enmek, küh-enmek^^aiGh verlassen, vertrauen, und 
uig. Mt;-^c = Zutrauen), ferner das deutsche treu und 
trauen, engl, truth und betroth u. s. w. Die Braut 
hingegen az. adakli, d. h. die Versprochene, von adak 
= Versprechen, Gelübde, und cag. osm. gelin oder 
kelin, d.h. die Kommende (vgl. gd-mek, ÄoZ-meÄ; = kom- 
men), weil sie ins Haus des Mannes geht und letzterer 
ihren Austritt aus dem älterlichen Hause mit einem KcUim, 
alt. kälin, d. h. Ersatz, das was zurückbleibt, von kalma^ 
= bleiben*, vergüten muss, während die Hochzeltsgabe^ 
die das Mädchen mitbringt, in ebenso richtiger Weise ko- 
santi, wortl. das Mitgegebene, das Hinzugefügte (vgl. §. 80) 
heisst. Ersteres besteht bekanntermassen aus Geld oder 
Vieh, letzteres hingegen aus Kleidern und solchen Gegen- 
ständen, die zur Einrichtung eines Zeltes nothwendig sind. 
Der etymologischen Bedeutung des Wortes chatun oder 
khatun=^ Frau, d. h. Zugefügt, Genosse, haben wir schon 
Erwähnung gethan, es erübrigt daher Hoch der Begriffe 
ledig und Witwe zu erwähnen. Für erstem haben wir jak. 
hosko, von der Stammsilbe bos, 605 = leer, oder das dem 
Persischen entlehnte osm. bekiar (wortl. unbeschäftigt). 



* Vielleicht auch von Jcaliriy kallm = Haufen, Menge, eine grös- 
sere Zahlenquantität? 

5* 



68 

für letztern hingegen tul oder dul, wortl. verlassen, ein- 
zeln, allein, und im k. k. die Umschreibung er d'öfe = mannlos. 
Es zeigt daher die Sprache uns wieder das älteste 
Bild aus dem Sittenleben der Türken mit einer Treue, die 
wir anderswo selten finden, ein Bild, das seit Jahrtau- 
senden an Einfachheit nichts verloren hat, und das selbst 
durch den allgewaltigen Einfluss des Islam in seinen 
Hauptzügen nicht beeinträchtigt werden konnte. Ob in 
Anbetracht der Resultate anthropologischer Forschungen, 
nach welchen die Festigkeit des Familienbandes im ganz 
primitiven Stadium des Menschen stark in Zweifel gesetzt 
ist, wir in der von uns als primitiv bezeichneten Cultur 
der Türken nicht etwa schon einen fortschrittlichen Grad 
der Bildung annehmen sollten, mag sich vielen als Frage 
aufwerfen. Nach unserer Anschauung jedoch, wo der 
Anfang der Sprache mit dem Beginn der Existenz für 
gleichzeitig erklärt wird, wäre es schwer, wenn nicht 
unmöglich, in Combinationen über den Bestand einer 
altern als der im Zeugniss der Sprache niedergelegten 
Bildungsperiode sich einzulassen. Vom Einfluss einer 
modernern Bildung als des Islam oder des Christenthums 
kann auch schon deshalb keine Rede sein, weil jene 
Türkenstämme, die dem Islam fern blieben und dem Chri- 
stenthume sich nur in der Neuzeit genähert haben, d. h. 
welche in ihren socialen Lebensbedingungen die primitiven 
Merkmale ihrer Rasse länger und reiner bewahrt haben, 
wie die Jakuten und Tschuwaschen, speciell in der Be- 
zeichnung der verschiedenen Verwandtschaftsgrade einen 
überraschenden Reichthum der Sprache zur Schau tragen. 
So führt Zolotnitzky in seinem Wurzel Wörterbuch der 
tschuvaschischen Sprache folgende sechzig verschiedene Ver- 
wandtschaftsgrade an, denen wir im Bereiche der mosli- 
misch-türkischen Mundarten nicht immer die entsprechende 
Benennung gegenüberstellen können: 



69 



• 


Deutsch 


Öuv. 


6ag. 


Osm. 


1 


Vater 


adi, aü 


ata 


bäba 


2 


Mutter 


anne, anni 


ana 


ana^ nene 


3 


Sohn 


Ml 


ogul 


oul 


4 


Tochter 


kir 

• 


hiz 

m 


kiz 

• 


5 


Schwiegersohn 


kürüü 


küjau 


güvej 


6 


Schwiegertochter 


kin, kimü 


kelin 


gelin 


7 


Kinder des Sohnes 


Ivildan tugan 


— 


— 


8 


Kinder der Tochter 


kirdan tugan 


— 




9 


Aelterer Bruder 


ptdce 


aga 


* 


10 


Jüngerer Bruder 


silim 


im 


— 


11 


A eitere Schwester 


appa, akka 


egeci 




12 


Jüngere Schwester 


jimik 


singil 


— 


13 


Gemahl der altern Schwester 


jtsna 


jezde 


eniite 


14 


Gemahl der Jüngern Schwester 


kürä 


— 




15 


Frau des altern Bruders 


jlnie 


jinge 


jenge 


16 


Frau des jungem Bruders 


kin 






17 


Anverwandter im allgemeinen 


per tuvanin 
Ivile 


uruk kajas 


** 


18 


Grossvater (väterL Seite) 


az'atte 


uluJc ata 


dede 


19 


Grossmutter (väterl. Seite) 


az^anne 


uluk ana 

9 


nene 


20 


Grossvater (mütterl. Seite) 


kog*azl 




— 


21 


Grossmutter (mütterl. Seite) 


kog^amaj 






22 


Onkel (älterer Bruder des 


mo6ej 


emeke, dba- 


amuza 




Vaters) 


• 


ja 


(arab.) 


23 


Onkel (jüngerer Bruder des 
Vaters) 


picce 






24 


Onkel (mütterl. Seite) 


asla, kokku 


tagaj 


dajl 


25 


Frau des altern Onkels 


kin-emej 






26 


Frau des jungem Onkels 


jinge 






27 


Tante (älter als Vater und 
Mutter) 


mun akka 


aja 


tejze, ha- 
la (arab.) 


28 


Tante (jünger als Vater und 


akka, appa 


— 






Mutter) 








29 


Gemahl der altem Tante 


moöej 


—. 




30 


Gemahl der Jüngern Tante 


fisna 


— [ka 


• 


31 


Gemahl 


ar-zin 


erybaj,apui- 


koza 

m 



* Im Osmanischen mit böjük kardas = grosser, d. h. älterer Bru- 
der umschrieben. 
** osm. familia, akraba (arab.). 



70 



• 


Deutsch 


Cuv. 


6ag. 


Osm. 


32 


Gemahlin 


artm (arah.) 
joldas 


Tchatun 


kart 

• 


33 


Schwiegervater \ des Mannes 
Schwiegermutter} Aeltem 


hon eze 

m 


kajin ata 


kafin ata 


34 


konlm 


kajin ana 


käjinana 


35 


i Schwieger- ) des Weihes Ael- 
( altem ) tem 


kon eme 

• 






36 


kon agu 




— 


37 


Schwager (des Mannes Bruder) 


piagam,iskei 


kajin aga 


kajin, ba- 
zanak 


38 


Schwager (des Weihes Bruder) 


kon iskam 

m 


int 




39 


( Schwägerin (des Mannes und 
( d. Weibes ältere Schwester) 


kon egeniy 


^ ■ • ^ • 




40 
41 
42 


kon eges 


kajtn egect 


haldlz 


\ Schwägerin (des Mannes 


poldlr, pol- 






43 


1 oder des Weihes jüngere* 


diru, pol- 


kajin singil 




44 


^ Schwester) 


dire 






45 


Schwager (Bruder oderSchwe- 
ster der Frau) 


pozjana 




— 


46 


Bräutigam 


kace 


atagliküjau 


güvej 


47 


Braut 


sorasni klr 


kelin 


gelin 


48 


Stellvertreter des Vaters 


ctdaUk [am 


atalik 




49 


Stellvertreter der Mutter 


ktjmatUk 






60 


Bräutigamführer 


mun-kürü 


— 




51 


Brautführer 


kizin kürü 

• 






52 


Hochzeitsbegleiter 


toj kah'k 






53 


Schwäger 


kuda 

• 






54 


Schwägerinnen 


tukla6 






55 


Stiefvater 


aza sorl 


üge jata 


üvej ata 


56 


Stiefmutter 


ama sorl 


ügej ana 


üvej ana 


57 


Stiefsohn 


Ivll sorl 


ügej ogul 


üvej oul 


58 


Stieftochter 


kir sori 

• 


ügej kiz 


üvej Hz 


59 


(Adoptivkinder und Pflege- 


/10A*/*41 


asrägan ha- 




60 


kinder 


VoTWO 


la 





Dieser Reichthum der Sprache, diese sozusagen haar- 
spalterische Genauigkeit in der Bezeichnung der einzelnen 
Mitglieder der Familie muss in erster Reihe jenem engen 



* Im russischen Texte mit Dewer (Schwager), Zolowka (Schwägerin), 
Schurin (Bruder der Frau) und Swojatschka (Mannes Bruder) wieder- 
gegeben , Wörter, die im Deutschen nur schwer sich präcisiren lassen. 



71 

Bande zugeschrieben werden, durch welches der Mensch 
im primitiven Stadium der Bildung an die Seinigen sich 
gebunden fühlt. All sein Sinnen und Trachten erstreckt 
sich nur auf diesen engen Kreis, und je mehr er von 
demselben in die Aussenwelt sich entfernt, d. h. je mehr 
er in den einzelnen Phasen einer vorschreitenden Bildung 
seine Sinne andern Dingen zuwendet, desto schneller 
schwindet besagter Zug des patriarchalischen Lebens und 
damit auch die scrupulos genaue Erklärung der einzelnen 
Verwandtschaftsgrade. Wenn wir bezüglich dieses Punk- 
tes das von Lubbock entworfene Bild des Familienver- 
hältnisses der wilden Menschen mit andern Rassen ver- 
gleichen, so wird unsere Erfahrung allerdings zu Gunsten 
der Türken sprechen, indem die etymologische Zerglie- 
derung der betreflFenden Verwandtschaftsbegriflfe einen un- 
verkennbaren Grad der Zärtlichkeit und Anhänglichkeit 
verrathen. 

Bei der Besprechung der Familienverhältnisse des 
turko-tatarischen Volkes darf nicht unerwähnt bleiben, 
dass von der Ylelweiberei nirgends eine Spur anzutreffen 
ist; eine übrigens ganz naturgemässe Folge primitiver 
gesellschaftlicher Zustände, welche diese Unsitte auch 
schon deshalb überall ausschli essen, weil die Vielweiberei 
zu allen Zeiten ein Ausfluss des Luxus, ein Ergebniss 
besondern materiellen Wohlstandes war, der bei dem 
Menschen der primitiven Cultur doch nicht anzunehmen 
ist, wie dies übrigens auch noch heute bei den Nomaden 
sich wahrnehmen lässt. Die Sprache hat nur ein'specielles 
Wort für Kebsweib, nämlich Jcirnak im Oezbegischen, 
dessen Etymologie mir unbekannt ist, wenn nicht etwa 
demselben die Stammsilbe Jcir, Tciis =■ Mädchen, zu Grunde 
liegt und etwa aus kir-inäk =^ jvmges Mädchen, kleines 
Weib, entstanden sein mag, wie eine ähnliche Composi- 
tion im Mongolischen, nämlich hdkkan ewe == Kebsweib, 



72 

wortl. kleines Weib, zeigt. So fehlen auch die Benen- 
nungen für Hure und Bastard^ für welche wir nur per- 
sische Lehnworter haben, nämlich im Osttürkischen luli^ 
im Westtürkischen ruspi oder uruspu (Hure) und pic 
(Bastard). Der Abstand, welcher in der Sittenreinheit 
zwischen dem von einer fremden Cultur angekränkelten 
Türken und seinem auf der Steppe wohnenden Stamm- 
genossen noch heute besteht, wird nach einem längern 
Aufenthalt unter Turkomanen und Karakalpaken sofort 
ins Auge fallen, denn, ob in Afrika oder in Asien, gewisse 
Laster werden nur durch die sogenannten Culturträger 
eingeschleppt. Der Mensch im primitiven Zustande mag 
die absonderlichsten Begriffe von Besitzverhältnissen und 
andern Bedingungen des Zusammenlebens haben, derartige 
Laster sind ihm gänzlich unbekannt. 

Wir dürfen besonders nicht ausser Acht lassen, dass 
die Innigkeit des Familienwesens und die mit derselben 
verbundene Reinheit des Blutes bei den Nomaden und 
folglich bei den Türken in vorzüglicher Weise immer der 
Gegenstand grosster Fürsorge war. Im primitiven Zu- 
stande des gesellschaftlichen Zusammenlebens ist es eben 
einzig und allein der Familienverband, welcher gegen 
Willkür und Uebergriffe Schutz verleiht, und je zahl- 
reicher eine Familie, desto grosser auch das Ansehen, 
dessen sich die einzelnen Mitglieder derselben erfreuen. 
Hierunter wird natürlich die Familie im weitern Sinne 
des Wortes verstanden und im Osten mit Jcot Jcut, im 
Westen mit soj = Gattung, Geschlecht, Clan, bezeichnet. 
Bei den Osmanen und iranischen Türken hat dieses Wort 
schon seine Bedeutung eingebüsst, bei dem mittelasiati- 
schen Nomaden hat es jedoch noch sein volles Gewicht, 
und kudaman = die zu ein und demselben Clan Gehörigen 
oder Stammverwandte, ist gleichbedeutend mit kardas = 
Bruder, oder süt kardas = Milchbruder. 



73 



IV. 

Hans und Hof. 

Bei einem Volke, das der grossen Mehrzahl nach selbst 
heute noch das Haus, d.h. einen festen Wohnsitz, nicht 
kennen will und demselben das leichtbewegliche luftige 
Zelt vorzieht, darf es uns gar nicht wundernehmen, 
wenn es in der frühesten Epoche seines Lebens unter 
Wohnstätte und W^ohnung nur den von der Natur seinen 
Bedürfnissen und den klimatischen Verhältnissen seiner 
Urheimat entsprechend angewiesenen Punkt Erde versteht. 
Das turko- tatarische Wort öj oder ev, welches heute in 
der Bedeutung von Haus^ Wohnung, vorkommt, muss 
dem innern Werthe nach mit Vertiefung, Thal tiefe, 
Thal, übersetzt werden und ist identisch mit der Stamm- 
silbe 0; = graben, ausgraben, vertiefen, zugleich aber ein 
nomen für Vertiefung, Thal, Grube, Tiefe u. s. w. Deri- 
vate derselben Stammsilbe sind noch ferner jak. uja = 
Nest, CUV. oj = Thalgegend , k. k. o/a/c = Schlucht , und 
nach der normalen Laut Veränderung des auslautenden j 
in ^, cag. otah, osm. oda = Zimmer, Zelt, alt. odu = 
Stall, jak. üt = Loch, cuv. odar = Zufluchtsort für Schafe, 
magy. ödw = Hohle, Grube u. s. w., wie solche in §. 47 
angeführt sind. Wenn wir daher nach der ersten Wohn- 
art der türkischen Volkerschaften forschen wollen, so 
müssen wir von der heutigen Lebensweise der Nomaden 
urtheilend zur Ueberzeugung gelangen, dass der Türke 
in seinem Urzustände eine Wohnung eigentlich nur wäh- 
rend der rauhen Jahreszeit gehabt, und dass diese zu- 
meist in solchen Thälern und Vertiefungen gewählt wur- 
den, die den von Nordost hereinbrechenden eisigen 



74 

Stürmen weniger ausgesetzt, dem Menschen und seinen 
Hausthieren eine Zufluchtsstätte bieten konnten, wie dies 
übrigens auch noch heute bei Kazaken, Kirgisen, Kip- 
tschaken und Turkomanen geschieht, die bei Eintritt der 
rauhen Jahreszeit von den höher gelegenen Theilen der 
Steppe nach Thaltiefen und Schluchten sich zurückziehen, 
um daselbst den Winter zu verbringen; ja wie dies selbst 
bei den alten Germanen der Fall war, deren Häuser nach 
Tacitus hohlenförmig bis zur Hälfte in der Erde sich 
befanden. 

Unter solchen Verhältnissen konnte selbstverständlich 
von einem Hause, d. h. von einem festen stabilen Wohn- 
orte keine Rede sein; die Wohnung musste, um den Be- 
dingungen des Nomadenlebens zu entsprechen, transpor- 
tabel und demzufolge auch zerlegbar sein, daher das 
Wort catma oder catir* = Zelt^ von catmdk == zusammen- 
legen, zusammensetzen, neben welchen oj in kara-oj, dk- 
oj nur als eine allgemeine Benennung für Wohnung, 
Wohnsitz, figurirt, in analoger Bedeutung mit dem Worte 
jurt heute fast überall mit Heimat^ Land, Vaterland, 
übersetzt, der Grundbedeutung nach jedoch Tiefe, Loch 
(vgl. osm. jurti = das Loch) von der Stammsilbe jar, jor 
= spalten, graben, vertiefen (vgl. §. 145). Dem Zelte, 
als der ersten Wohnung, ist auch schon von jeher die 
grosste Aufmerksamkeit zugewendet worden, und die 
einzelnen Theile desselben sind theils nach der Form, 
theils nach der Beschaffenheit des Dienstes, den sie beim 



* Man will in cadir eine Verdrehung des ursprünglichen pers. 
iardur {cihar dur = Vier Säulen) erkennen. Erstens ist jedoch 
cihardur eine ungewöhnliche Composition und könnte keinesfalls für 
Zelt oder Haus genommen werden; zweitens beweist eben das im 
Sinne Zelt gebrauchte osttürkische öatmaj welches mit catir analogen 
Ursprungs ist, den rein türkischen Charakter dieses Wortes. 



75 

Gesammtbau verrichten, benannt. So: Kerege = das 
gitterartige, dehnbare, von iermeJc = dehnen^ welches die 
Seitenwand vertritt , und mit welchem je nach Belieben 
ein kleiner oder grösserer Kreis gebildet wird. Diese 
Kerege's werden mittels Riemen an Pflocken (ok) befestigt 
und haben im obern, mittlem und untern Theile einen 
besondern Riemen; cangarak = das Gerippe des Daches, 
der Dachstuhl, aus gebogenen Stäben gebildet, an dessen 
oberstem Ende die radähnliche OefFnung tünglik = das 
Fenster, Lichtloch (von j^ww^r = Licht, §. 181) sich be- 
findet; m7c = Thür, Schwelle, eigentlich das zu Ueber- 
tretende, von es, as = iibertreten , denn die Stelle der 
eigentlichen Thür vertritt der Torluk = Vorhang (vgl. 
§. 197), welcher mittels der torluk iagi = Vorhangschnur, 
oben befestigt wird. So haben auch die einzelnen Filz-* 
theile, mit welchen das Gerippe überzogen wird, eine 
der betreffenden Function entsprechende Benennung; fer- 
ner die verschiedenen Gürtel, als hilhag = Mittelgurt, jan- 
iag = Seitengurt, grosse und kleine Pflocke ka^uk^ mit- 
tels welcher das leichte Gebäude während der Stürme 
befestigt wird. Der Ehrenplatz im Innern des Zeltes 
heisst tör, wortlich oben, das Juxtaoppositum eden, wort- 
lich unten, während man unter omk = Feuerstätte 
(von ot = Feuer, brennen), das Haus, die Familie im all- 
gemeinen versteht, weil dies der eigentliche Sammelplatz 
der Weiber, Kinder und Greise, mit einem Worte 
des schwächern und schutzbedürftigen Theiles der Fami- 
lie ist. Im bildlichen Sinne wird daher Heerd für Hei- 
mat, Familie gehalten, und als Centrum zugleich auch 
als der sicherste Platz der Behausung betrachtet. 

Neben dem Zelte ist in einer, aller Wahrscheinlichkeit 
nach spätem Periode der Begriff von feste Woliniing 
entstanden, nämlich japi, ^apw = Gebäude , welches in 
analytischer Bedeutung mit dem betreffenden Worte in 



76 

andern Sprachen übereinstimmt. So wie bei angestelltem 
Vergleiche zwischen dem deutschen bauen und dem 
schwed. ho = wohnen, ahd. hüa = wohnen, slaw. hiwat = 
wohnen, wir den gemeinsamen Ursprung der für die Be- 
griffe Wohnen und Bauen vorhandenen Wörter sofort er- 
kennen werden, ebenso wird das gegenseitige Verhältniss 
des türkischen jap = machen, und japi = Gebäude, in be- 
zeichnender Weise auf den Unterschied hindeuten, der 
einerseits zwischen dem japi, also der gemachten, gebau- 
ten Wohnung, und dem catma, d. h. der zusammenlegbaren 
besteht, andererseits aber auch zwischen den Zeitwörtern, 
welche die Handlung des Wohnens bezeichnen. Bei den 
Nomaden heisst wohnen konmak, d. h. sich niederlassen, 
(hiervon konaJc = Haus im Osmanischen), bei den Ansäs- 
sigen hingegen oturmak, d. h. sich setzen, stehen bleiben. 
Erstere Handlung hat einen temporären, letztere einen de- 
finitiven Charakter. Die feste Wohnung, richtiger gesagt 
deren Hauptbestandtheil, nämlich die Mauer, heisst auch 
tam^ eigentlich die Stammsilbe der Wörter für dicht, fest, 
dunkel, verschlossen, Hölle, Gefängniss u. s. w. Der Oez- 
hege gebraucht daher noch heute das Um oder tarn öj = 
Steingebäude seines Gehöftes, zur Kornkammer und Stal- 
lungen, während er selbst mit Vorliebe daj mitten im 
Hofe aufgeschlagene Zelt bewohnt. Ja wir haben es mit 
eingefleischten Nomaden zu thun, weshalb es uns gar nicht 
wundern soll, Haus, Gefängniss und Hölle von ein und 
derselben Wurzel abgeleitet zu sehen (vgl. §. 179). 

So wie die Sprache über die Beschaffenheit des ersten 
Wohnsitzes Aufschluss gibt, ebenso lehrt uns wieder die 
Sprache, dass Städte und Dörfer den Türken von jeher 
fremd waren, da sie noch heute mit Lehnwörtern bezeichnet 
werden. Das mongolische Balik = Stadt bedeutet seinem 
innern Werthe nach den Wohnort eines Fürsten von Bai 
= Fürst, und das heute gebräuchliche Schehir = Stadt 



77 

ist arabischen, Jcöj = Dorf persischen Ursprunges.* Die 
Anhäufung mehrerer nebeneinander befindlicher Wohnsitze 
fuhrt den Namen atd^ uig. und alt. HZ, in älterer Form 
agil und tgil^ eigentlich Haufe von ak ig (vgl. §. 7) an- 
häufen, daher agil auch als Bezeichnung für Schafheerde, 
Schafstall, gilt und nicht im Sinne von Kreis aufzufassen 
ist, wie dies bisweilen bei Verwechselung dieses Wortes 
mit dem gleichlautenden agil = der Hof des Mondes, ge- 
schieht. Was den Kreis, die Umzäunung eines Schutz- 
ortes für Thiere anbelangt, so haben wir hierfür die spe- 
cielle Benennung uig. huruk (Umfriedung), alt. komm 
(Wehre, Lager), cag. osm. ^oruk^ koru (Stall, Thiergarten) 
und cuv. kornaii (geschützter Platz). KtiruJc, koru wird 
auch im Sinne unsers Wortes Hof gebraucht, obwol 
selbstverständlich bei Völkern, wo der Ackerbau nur eine 
untergeordnete Nebenbeschäftigung bildet, der Begriff von 
Hof eigentlich nicht nothig ist und die Abrundung des 
um die Zelte herum befindlichen Stück Landes nur bei 
fester Ansiedelung gebieterisch werden konnte. 

Der zu Haus und Hof Gehörige heisst öjlük, d. h. der 
Einheimische, der Mensch, der eine Heimat hat, und 
so wie das ausser dem Bereiche des Wohnsitzes befind- 
liche Land mit jaban ~ wüst, eigentl. leer, öde (vgl. 
§. 119), und CO? = Wüste, eigentl. nackt, dürr (vgl. 
§. 166) bezeichnet wird, ebenso wird dem Fremden der 
Name jabanzi oder jat beigelegt. Beide Ausdrücke, wie 
dies übrigens aus der Grundbedeutung der Stammsilbe 
ersichtlich ist, sind Synonyme der Eigenschaftswörter 
arm, verlassen, elend (vgl. das deutsche Wort elend der Ur- 
bedeutung nach fremd, ferner das arabische (/ÄaW6= fremd, 
welches im Osmanischen statt arm, verlassen, gebraucht 



* Ahlquist, S. 183 , irrt indem er das arab. kaVa = Festung für 
tatarisch hält. 



78 

wird), und Nichts kann die Liebe und Anhänglichkeit des 
primitiven Menschen zu seinem Heimatsort besser schil- 
dern als eben jener Sprachgebrauch, nach welchem der 
von der Heimat in die Fremde Gerathene als arm und 
elend bezeichnet wird, indem das Wort Fremde identisch 
mit Elend und Verlassenheit ist. In diesem Sinne ist 
auch jener ausserordentliche Grad von Freundschaft und 
Liebe aufzufassen, mit welcher der türkische Nomade zu 
allen Zeiten den Gast^ den Mann aus fremden Gegenden 
aufnahm. Der Araber nennt den Gast ganz einfach mu- 
safir, d. h. der Zugereiste; das hierfür existirende Wort 
in den arischen Sprachen als lat. hospes^ deutsch Gast, 
slaw. host, zeigt infolge des Zusammenhanges mit pflegen, 
nähren, schon mehr Innigkeit, wird aber in Hinsicht der 
Zärtlichkeit weit übertro£fen vom türkischen mmn oder 
cücün = Gast, der Grundbedeutung nach der Süsse, der 
Herzige, von der Stammsilbe süc, cwc = süss, lieb. An diese 
Benennung des Gastes reiht sich das 6ag. honak = der 
sich Niederlassende, auch Niederlassung, und alt. ajiUi = 
der zum Gehöfte (^ajil aul^ Gehörige. In Bezeichnung 
des Begriffes Nachbar^ welcher z. B. den Finnen fremd 
war* und den arischen Volkern entlehnt wurde, bedienen 
sich die Türken einer mit der arischen analogen Wort- 
bildung, denn konsu =- Nachbar, älter konsuk, stammt von 
^oww5maA = zusammenwohnen, sich zusammen niederlassen, 
sowie das deutsche Nachbar, das aus nah-boer (nahe 
wohnender), slaw. sosed, das aus su sedit = zusammen- 
sitzen), pers. Jiemsaje, das aus hem — saje = Schatten- 
genosse entstanden ist,* wo in seiner ziemlich sinnreichen 
Weise der an ein heisses Klima gewohnte Perser, als 
Nachbar, den mit ihm unter ein und demselben Schatten 
Weilenden bezeichnet. 



♦ S. Ahlquist, S. 220. 



V 



79 



V. 

Hausgeräth, Kleider nnd Stoffe. 

Dort wo die Häuslichkeit in Ermangelung eines festen 
Wohnsitzes unserer Aufmerksamkeit wenig Stoff bietet, 
wird selbstverständlich die Detaillirung des Hausgeräthes 
auch wol einen beschränkten Kaum einnehmen müssen. 
Da wir im vorliegenden Falle es nicht mit der Behausung 
eines an der Wolga, am Oxus oder am Jaxartes ansässi- 
gen, von fremden Cultureinflüssen stark imprägnirten 
Turko- Tataren, sondern mit der primitiven Wohnstätte 
des vorgeschichtlichen Ural-Altaiers zu thun haben, so kann 
wol mit Recht behauptet werden, dass ein einziger üeber- 
blick zur Musterung des ganzen Hausgeräthes hinreicht. 
Von Mobeistücken kann, wie leicht erklärlich, gar keine 
Rede sein. Was heute im jak. oron, kaz. urun, cuv. virin, 
cag. urun für den Begriff von Bett^ Bettstelle, Thron, 
Sessel existirt, ist, wie der Werth der Stammsilbe beweist, 
nur das allgemeine Wort für Anhohe, erhöhter Platz (vgl. 
§. 64) und dürfte ursprünglich nicht als ausschliesslicher 
Sitz oder Lagerplatz gedient haben. Zum Sitzen schon 
deshalb nicht, weil im türkischen Asien* von jeher das 
Sitzen mit unterschlagenen Beinen beliebt war und hierzu 
die niedere flache Oertlichkeit zweckdienlicher ist als eine 
Erhöhung; aber auch zum Liegen nicht, weil das für die- 
sen Begriff existirende Wort, nämlich jataJc = Lager, jai- 
mak = liegen, wie aus der Stammsilbe jat = eben, flach, 
ersichtlich ist, sich theils auf das Ausbreiten des zum Lager 



* Stühle kommen übrigens selbst heute nur in China, Japan, Hinter- 
indien vor. 



80 

bestimmten Gegenstandes, theils auf das Ausstrecken des 
Korpers bezieht (vgl. §. 138). Selbst der Osmane, der 
unter allen Türken im vorgerücktesten Stadium der Cul- 
tur sich befindet, breitet sein Baumwollbett so wie der 
Kirgise sein Filzstück auf der Erde aus. Vgl. osm. döseh 
= Bett, und dösemek = ausbreiten, ferner jastik = Pol- 
ster, Kissen, wörtlich Lehne, Stütze, von jasta = slu- 
lehnen, und in der That wird das Polster bei den Noma- 
den Innerasiens beim Sitzen nur anstatt einer Stütze unter 
dem Arme gebraucht. 

Das älteste Hausgeräth bestand aus Säcken oder 
Hüllen zum Verschliessen , Bedecken und Transportiren 
der Mundvorräthe, so cag. Jcdb = Schüssel, Sack, kapcuk 
= Tasche, alt. JcapciJc = Sack, jak. Jcappar = eine grosse 
Tasche u. s. w., die insgesammt aus weichen Stoffen ver- 
fertigt wurden, zu denen sich später die aus harten Stoffen 
verfertigte Truhe oder Kiste sandilc, sindik, von silnmak, 
stginmak = bewahren, beschützen, sich gesellt hat, ein 
Möbelstück, das später auch zu den Russen (jsundtüc) 
und von diesen zu den finnisch-ugrischen Völkerschaften 
übergegangen ist.* 

Eine hervorragende Stelle nahm von jeher der Kessel 
(kazan^ cuv. korari) ein, der Wortbedeutung nach eine Aus- 
höhlung, ein hohler Körper, von kaz, fear (graben, höhlen 
vgl. §. 22), welcher als Hauptkochgeschirr verwendet, und 
als Speiser, Nährer, im Zusammenhange mit dem Dank- 
barkeitsgefühle für Gottesgaben, in gewissem Ansehen, ja 
in Achtung stand. „Den Kessel umstürzen" heisst soviel 
wie jemand hungern lassen, die Nahrung versagen, und 
wie sehr der Kessel selbst in spätesten Zeiten bei den meist 
gegen Westen gezogenen Mitgliedern des Türkenvolkes in 
Ehren gestanden, beweist die Achtung, welche die Jani- 



* S. Ahlquist S. 135. 



81 

tscharen dem Regimentskessel bezeugten, dem das Epithet 
acherif =^ edel, beigelegt und der in feierlichen Aufzügen 
selbst der Fahne vorangetragen wurde. Bei den Noma- 
den fordert es die Anstandssitte, dass der Kessel im Zelte 
oberhalb aller Hausgeräthe aufgehängt sowie im Zuge 
auf das vorderste Kamel geladen werde, und so wie 
bei der Ernrichtung eines Haushaltes die Anschaffung 
eines Kessels die erste Sorge ist, ebenso wird das Ab- 
handenkommen dieses Geschirrs immer für das schlimmste 
Omen angesehen. Als zum Kessel gehörig betrachtet 
man den Dreifuss (üc-ajak) und Löffel (kasuk)^ eigentl. 
der Kratzer, von kas, kas (kratzen, schaben), ein Instru- 
ment, das nicht die Function eines Löffels vertritt, denn 
hierzu dient noch heute die Hand, sondern zum Abkratzen 
der am Boden des Kessels angebrannten Speisen benutzt 
wird. Geschirre alten Gebrauches sind ^fi7t(m = Ledersack^ 
und cömlek = Napf ^ die beide solchen Stammsilben ent- 
springen, nämlich tul, toi und com, cäm^ 6um^ welche die 
Grundbedeutung von voll. Fülle, in sich schliessen (vgl. 
magy. ^cim7d= Ledersack und fd'm= füllen), und ebenso wie 
kob = Vase zur Aufnahme flüssiger Körper dienten. Hier- 
her gehört auch der tursuk, d. i. ein zum Aufbewahren des 
Kimis benutzter Ledersack, der Grundbedeutung nach der 
Säuerer, der Gärer, von turs, fürs = sauer, wie wir dies 
weiter unten (s. Speise und Getränke) sehen werden; fer- 
ner canak = Topf^ ursprünglich caganak = Höhlung, hohler 
Raum, Concavität, von cak = ausschlagen, aushohlen 
(vgl. §. 77), welches zum 6ag. caganak = Hafen, Meer- 
busen, in einem solchen Verhältniss steht, wie das deutsche 
Hafen (Topf), Hafner (Topfer) zu Hafen; und schliesslich 
kumgan^ kujumgan = Glesskanne von kujmak = giessen. 
Das Hausgeräth, welches zum Bereiten und Vorsetzen 
der Speisen dient, führt im ältesten Sprachdenkmale den 

V6inb6ry, Cnlttir. 9 



82 

gemeinsamen Namen edis, t7ii = Gefas8, wo nicht der 
Begriff des Fassens zu Grunde liegt, sondern der des 
Machens, Bereitens, analog dem deutschen Zeug. 

Eine bedeutende Rolle spielten in der Haushaltung der 
Nomaden die Teppiehe oder Decken, welche theils als 
Hülle des Zeltes, theils als Unterlage beim Sitzen oder Lie- 
gen schon in der frühesten Zeit im Gebrauche gewesen sein 
müssen. Wir haben zur Bezeichnung dieser Gegenstande 
zwei scheinbar voneinander getrennte, dem etymologischen 
Bestände nach eng miteinander verwandte Worte, nämlich 
cag. kigijs, osm. klijs^^ kir. hjavis, alt. Tcebis-Tcijiz^ welche 
bald für Teppich, bald für Filz gebraucht werden, insge- 
sammt von der Stammsilbe Iceb, kev, kej, kij (bedecken, 
bekleiden, verhüllen) abstammen, und in dem Etymon ihre 
eigentliche Bestimmung bezeichnend, ganz einfach für Be- 
kleidung des Bodens oder des menschlichen Korpers zu 
nehmen sind. Für die älteste Gattung dieses Stoffes muss 
selbstverständlich der Filz angesehen werden, dessen Be- 
reitung bekanntermassen auf einer höchst einfachen Pro- 
cedur beruht, indem die aufgeschichtete Schafwolle oder 
Kamelhaare mit Wasser besprengt, infolge des kleberigen 
Fettes in eine feste Masse verwandelt, dann gepresst und 
gewalkt werden, sodass nach einer Arbeit von kaum drei 
Tagen ein schmiegsamer und wasserdichter Stoff fertig 
ist. Der Teppich = kece = kleine Decke, Diminutivum 
von kejieie (denn die primitive Form des gewebten Teppichs 
ist klein und länglich) konnte dagegen nur mit viel Arbeit 
zu Stande gebracht werden und ist im Grunde genommen 
selbst heute noch als Luxusartikel zu betrachten, der nur 
in der Haushaltung der Reichern vorkommt. Dass übrigens 
der Filz älter als der Teppich sei, beweist auch. die alte 
Sitte der Fürstenwahl, bei welcher der neuemannte Fürst 
nicht auf einem Teppich, was im Sinne des Pompes wol 
entsprechender wäre, sondern auf einem weissen Filz- 



83 

stucke, als Zeichen der verliehenen Suprematie, in die 
Höhe gehoben wird. 

Für den Begriff des Kleidens haben wir in den turko- 
tatarischen Sprachen zwei verschiedene Worter, welche 
uns auf jene primitive Anschauungsweise zurückführen, 
aus welcher die Bedeckung des nackten Körpers (nackt 
heisst jalang^ eigentl. glatt, ledig, leer, und czplak, cuplak^ 
eigentl. abgeschält, hüllenlos, bloss) hervorgegangen ist. 
Diese Wörter sind: a) 6ag. ton = Kleid, alt. ton = Decke, 
Oberkleid, der Grundbedeutung nach die Hülle eines 
Körpers, daher öag. tun = Hautund Wolle (vgl. japa = 
Decke und Schafwolle), osm. jün = Wolle, öuv. sjün = 
Wolle, Gefieder, jak. ön = Wolle. Es ist hieraus ersicht- 
lich, dass in der Bekleidung das V^rhältniss des Thieres 
zu seinem Felle oder Gefieder eine Nachahmung gefunden, 
und die ersten Kleidungsstücke bestanden auch in der 
That nur aus den den Thieren abgezogenen Fellen oder 
Häuten, folglich pellibus vestiti, wie Cäsar die alten Briten 
schildert. Diese Sitte reicht noch bis in die Neuzeit her- 
auf, denn der junge Kirgise liebt es noch heute, aus der 
glanzvollen Haut des Füllens sich ein Oberkleid zu be- 
reiten, an dem der Schweif als Zierrath beibehalten wird, 
ebenso wie die Magyaren bei ihrem ersten Auftreten im 
alten Pannonien ein mit der Kopfhaut noch versehenes 
Pantherfell umhängten; wie mir Turkomanen erzählten, 
kleideten sich diese wilden Söhne der Steppe noch vor hun- 
dert Jahren ausschliesslich in Schaf häute. Für den analogen 
Ursprung der Wörter, welche zur Bezeichnung der Hülle 
des Thieres und der Bekleidung des Menschen dienen, 
sprechen noch folgende Beispiele: 6ag. japinzi = Ober- 
kleid, ^*ajpM/<: = Hülle, Decke, ^'a^a; = Wolle (magy. gyapju 
= Wolle, folglich Hülle des Schafes), welche insgesammt 
von der Stammsilbe jap (zudecken, bedecken, verhüllen) 
abstammen; ferner: 6ag. böriiJc^ jak. härgäsäy alt. pürük = 

6* 



84 

Kappe, Kopfbedeckung, osm. börJc = Mantel, 6ag. lörün- 
geh = Schleier, Oberkleid, welche von hörümek = verhül- 
len, bedecken, abstammen und gemeinsamen Ursprunges 
sind mit iarUy boru = Thierhaut, Fell, b) Jcetim, Jcejim^ 
gijim = Anzug, Kleid, von der Stammsilbe Tcet^ Jcej, gij (an- 
ziehen, anlegen, vgl. §. 74), eigentl. auf sich nehmen, auf den 
Rücken nehmen, daher die Redensart osm. drti acik = er 
ist nackt, wortl. sein Rücken ist leer, oder cag. ton egi* 
nine oUdi = er hat sich bekleidet, wörtl. er hat ein Kleid 
auf seine Schulter genommen. Dieser zweite Begriff des 
Bekleidens, dem magy. felöltem = auf sich nehmen, dem 
deutschen anziehen, und dem lat. induo nicht unähnlich, 
dünkt uns nur eine secundäre Art des Bekleidens zu sein, 
und bezieht sich aller Wahrscheinlichkeit nach auf den 
Gebrauch der Oberkleider, die mehr umgehängt als ange- 
legt wurden. Wenn wir daher besagte Stammsilben im 
Vereine mit kap (verhüllen, bedecken) ins Auge fassen, 
so haben wir den Etymon beinahe sämmtlicher zur Be- 
nennung der Kleider bei den turko-tatarischen , Volkern 
dienenden Worter. 

Was die Detaillirung der Kleidungsstücke betrifft, 
80 muss natürlich vor allem sowol das klimatische Ver- 
hältniss der Urheimat als auch jene streng exclusive Lebens- 
weise, in welcher die Türken sich befanden, in Erwägung 
gezogen werden, um zu begreifen, dass hier von jeher die 
grösste Einfachheit vorherrschte. Als Eopfbedecknng 
figurirt im weitesten Kreise^ der Kälpag oder kavuh, beide, 
wie aus der Grundbedeutung der Stammsilbe ersichtlich, von 
der runden, hohlen, aufgeblasenen Form so benannt (vgl. 
§• 73), eine Form, welche die Filzhüte und Pelzmützen auch 
noch heute beibehalten haben. Aehnliches ist auch im kir. 
tumaga, tumak (Pelzmütze) ausgedrückt, indem dieses Wort 
von iom = schliessen, binden, verhüllen entstanden, ur- 
sprünglich Name jener Kappe war, mit welcher man dem 



85 

Jagdvogel die Augen verhüllt, vgl. alt. iomogolo = den 
Mund oder Kopf verbinden, ausserdem aber auch noch 
als Grundbedeutung der Worter für Knäuel, Kugel, figu- 
rirt und mit tumar (s. vireiter unten) identisch ist. JBörk, 
der längliche Pelzhut, stammt von börük = Hülle, Be- 
deckung, und das kir. ieokele (Frauenkopfputz) dünkt mir 
von ceör-irfe= Kopf winde, wie es in der That aus meh- 
rern um den Kopf gewundenen Tüchern besteht, entstanden 
zu sein. Eine ähnliche Bedeutung liegt auch dem später in 
Mode gekommenen Worte für Turban zu Grunde, so : 6ag. 
selUj salla^ osm. sartk und calmaj von sar^ sdl, cdl (herum- 
winden, umschlagen). Das Hauptstück unter den Klei- 
dern, ein langer vireiter Rock, führt die Namen ceJcmefiy 
capan, auch ton oder käba, von denen das erstere nur Tuch, 
den Stoff aus dem es bereitet wird, bedeutet, letztere 
aber, wie schon erwähnt lüeid, Hülle, Decke im allge- 
meinen heissen. So bedeutet auch das Wort für Hemd 
Kleid im allgemeinen, nämlich Jcüjümlek, küjnek und günt" 
lek von küj, kij (ankleiden, anziehen), und eben aus dieser 
Ermangelung eines speciellen Wortes, nicht minder aber 
auch aus dem Umstände, dass Leinwand erst die Erfin- 
dung einer spätem Periode ist, wird es klar, dass das 
Hemd in den ersten Bildungsstadien gänzlich fehlte, ja 
von den Nomaden ganz ärmster Klasse auch heute noch 
wenig gebraucht ist. Ein ähnliches Yerhältniss ist auch 
beim Worte für Beinkleid bemerklich, denn ton oder 
iston^ icton, womit dieses Kleidungsstück benannt wird, 
bedeutet Kleid, Unterkleid im allgemeinen, und das osm. 
iälwar =Hose, ist bekanntermassen dem Persischen ent- 
lehnt. Lehnworter sind femer dtibhe^ kaftan, hirka, und 
osm. nimten, salta, setri u. s. w.; mit einem Worte, die 
Annahme, dass die Bekleidung nur aus einem einzigen 
Stücke bestanden, ist unter allen Umständen berechtigt. 
Die FassbeUeidung findet sich in zwei genuinen Wor- 



86 

ten ausgedruckt, nämlich ia Tcefs^ Jcevis, Jcevüs oder Jceös, 
eigentl. Schub von Jceb, Jcev (bedecken, yerbüllen) und in 
ötüJcj ütük, itiik = Stiefel, eigentl« Ueberzug, von der 
Stammsilbe Öt (übergehen, überziehen), folglich eine solche 
Bekleidung, die über den schon vorhandenen Tcevs (Schuhe) 
angelegt wurde, wie dies übrigens in Centralasien noch 
heute der Fall ist, wo der Stiefel immer über eine andere 
Fussbekleidung gezogen wird. Aelter als Tcevs und ötük 
dünkt uns das cag. caruh, carmuk, uig. cermen, eine Be- 
schuhung, welche aus einem um den Fuss gewickelten 
Lappen besteht, der mit einer Schnur befestigt wird, 
folglich eine Gattung von Sandalen von der Stammsilbe 
car, cer = wickeln, umbinden. Dieser Fussbekleidung be- 
dienen sich noch heute die ärmern Volksklassen in Central- 
asien, besonders aber die Nomaden auf dem Marsche 
durch die von der Sonnenglut erhitzten Sandstrecken, auf 
welchen zu gewissen Jahreszeiten der glühende Boden das 
Barfussgehen absolut unmöglich macht. 

Als Ergänzungsstücke der Kleider, richtiger zur Be- 
festigung derselben um den Korper dienten: Kur, kursak, 
osm. ktisak = Gürtel^ der etymologischen Bedeutung nach 
der Schutz, die Umfriedung, der in der Neuzeit aus einem 
Tuch gebildet wird, ursprünglich aber aus einem Stricke, 
üpy jüp, bestanden haben muss, daher noch das magy. öv 
= Gürtel. Ausserdem haben wir noch das Wort biV)ag 
= Lendenbinde, ein dünner mehreremal um den Korper 
gewickelter Gürtel. Ferner der Knopf^ cag. tügme, osm. 
döjnie, alt. iügün, öuv. tümme, eigentl. der Binder, Schlies- 
ser, nicht nach der Form, wie das deutsche Knopf, 
Knospe, Knauf, engl, iudy hutton, sondern nach der dem- 
selben zufallenden Thätigkeit so benannt; und die Schnalle^ 
Spange^ cag. tc^a, toka^ eigentl. der Zusammenbringer, 
ein Ding, das die Endtheile eines Kleidungsstückes an* 
einander anheftet. Hierher gehört noch die Tasche^ welche 



87 

ursprünglich unbekannt war in der heutigen Form, d» h. 
am Kleide angenäht, weshalb auch dafür nur Lehnwörter 
existiren, nämlich das arab. it6, ie6*, und das pers. chaU 
tar. Eine an der Seite herabhängende Tasche muss da- 
gegen schon früh existirt haben, denn hierfür besteht das 
Wort janzik^ cag. jancuk, von jan-acük = Seitenoffnung; 
ferner terJci, Ranzen, Sattelsack, eigentl. der Sammler, von 
termeky sammeln. Sehr bezeichnend ist das Vorhandensein 
eines allgemeinen Wortes für Handsclmli^ cag. eltiven, 
osm. eldiven^ k. k. elt'eJc, eigentl. der Handverstecker, wo 
man die Hand hineinsteckt (vgl. §. 203). Dies deutet auf 
die rauhen klimatischen Verhältnisse der Urheimat hin, 
und es hat sich im Turko-Tatarischen besser erhalten als 
im Finnisch-Ugrischen, wo das dem Slawischen entlehnte 
rukkanen vorkommt.** 

Wenn wir von den Kleidungsstücken auf jene Stoffe 
übergehen, deren die Turko-Tataren sich zuerst bedienten, 
so werden wir nach genauer Früfting der für solche Be- 
griffe vorhandenen Benennungen zur Ueberzeugung ge- 
langen, dass sowol die Benennungen für Hanf und Flac]ts> 
nämlich kendir und keten, als auch das Wort für Lein- 
wand^ theils dem Persischen, theils dem Arabischen ent- 
lehnt, und die betreffenden Stoffe erst in einer verhältniss- 
mässig neuem Periode zu den Türken gelangt sind. So 
wie der persische Ursprung der Wörter Jceten und kendir 
ausser Zweifel steht, trotzdem letzteres weit nach Norden 
gedrungen, und sogar bei den Magyaren als altea tür- 
kisches Lehnwort vorkommt, ebenso wenig kann der ara- 
bische Ursprung des Wortes bejs, Leinwand, bestritten 
v^erden, trotzdem letzteres im Osttürkischen in der Form 



* Das magy. eseh ist dem Türkischen and nicht dem Finnisch.- 
Ugrischen entlehnt, wie Ahlquist, S. 151, meint. 
** S. Ahlquist, S. 152. 



88 

von pöZy möz, vorkommt. Noch mehr tritt dieses Verhält- 
niss beim Worte für Tuch^ coka^ hervor, welches seiner 
Stammsilbe nach analog mit tok, weben, d. h. zusammen- 
fügen (vgl. §. 173), im Grunde genommen nur ein Ge- 
webe heisst. Kleider weben gehört übrigens auch bei 
andern Volkern in die Periode der fortgeschrittenen Cultur 
und dürfte bei den Nomaden xax' ^^o^i^v auch gar nicht 
gesucht werden. Als ältester Stoff muss, wie schon er- 
wähnt, der Filz betrachtet werden, dem zunächst die 
Flecht-, Dreh- und Spinnarbeiten stehen, denn für spin- 
nen und drehen ist die analoge Bezeichnung cag. öri^- 
mek^ ürümek, alt. ürmek, 6uv. arla — daher örük, örme^ 
örüy uruk (Gespinst, Gewebe, Geflecht, Zopf), öreke 
(Spinnrad), örcük (Spindel, Kreisel) u. s. w., ebenso wie 
i6, ipy jüp (Garn, Zwirn, Strick, Gewinde) von ijy iv 
(drehen, winden) stammt. Auch das hierher gehörige 
ipekj jipeky Seide^ heisst in der Grundbedeutung ganz ein- 
fach ein Gewinde, denn wenngleich dieser Artikel im heu- 
tigen Mittelasien von China aus früher Verbreitung fand 
als in andern Theilen Westasiens, so war er nur den ira- 
nischen Ureinwohnern der heutigen Chanate, nicht aber 
den auf der Steppe lebenden Turaniem bekannt. Es ist 
bisher nur eine einzige Faserpflanze vorgekommen, näm- 
lich das torha^ eine wilde Pflanze, aus deren faseriger B.inde 
ein seidenartiges Garn und Gewebe bereitet, das als alter 
Zierath und Umschlag für fürstliche Handschreiben er- 
wähnt wird, so von Mir Ali Sir im Garaib es Sagir; heute 
ist es jedoch allmählich ausser Gebrauch gerathen. 

Schliesslich wollen wir noch die als Ergänzung der 
Kleidungsstücke dienenden Schmuck- und Ziergegen- 
stände erwähnen, die trotz der Spärlichkeit und Primiti- 
vität immer einer Beachtung werth sind. Für den Begriff 
von zieren, schmücken haben wir die Stammsilbe his^ 
bea, deren concreto Bedeutung einschneiden, graviren. 



89 

in Analogie mit bic (schneiden) ist. So wie beim mensch-*^ 
lieben Körper das Bemalen, Färben, Anstreichen einerseits, 
das Einschneiden und Graviren andererseits als erste Stufe 
des Zierens und Schmückens gedient hat, ebenso muss 
dies auch bei leblosen Körpern, bei Hausgeräthen und 
Kleidungsstücken der Fall gewesen sein, und zwar haben 
Südländer, d. h. nackt umhergehende Menschen, ihre Kör- 
perhaut bemalt oder tätowirt, während der Mensch im 
Norden den Zierath und den Schmuck an seinen Klei- 
dern angebracht hat. Die gemeinschaftliche Stammsilbe 
der Wörter für zieren und graviren findet ihr Seitenstück 
in der Begriffsanalogie zwischen dem deutschen Schmuck 
und Schminke, so auch zwischen dem jak. ön, in (Farbe) 
und dem 6ag. ining^ ünäng (Schminke, Gesichtsfarbe). Ob 
nun aus dem etymologischen Verhältnisse der angeführten 
Wörter auf die früher bei den Turko-Tataren bestandene 
Sitte des Tätowirens gefolgert werden kann, wäre in An- 
betracht des Vorhandenseins hierauf bezüglicher sprach- 
licher Beweisgründe wol als Hypothese aufzustellen, ob- 
wol das heutige Sittengemälde hiervon nur eine sehr ge- 
ringe Spur aufweist. Der Begriff von zierlich und schmuck 
ist ferner noch mit dem Beiworte klein, winzig, ausge- 
drückt, vgl. im, cece = klein, schmuck, schön (in der 
Kindersprache). Von ähnlicher Bedeutung ist auch inzi, 
minzi, wovon ersteres in der Variation von jifizi, jün£ü 
auch für Perle gebraucht wird. Schmuckgegenstände, die 
aus der ersten Periode stammen, sind folgende: tomar oder 
komar (wörtl. Knauf, Knäuel), ein Päckchen, in welchem 
früher aus Holz, in der Neuzeit aus Metallen angefertigte 
Talismane oder Zaubermittel aufbewahrt werden und das 
bei Kindern auf der Kopfbedeckung angenäht, bei Erwach- 
senen um den Leib gehängt getragen wird. Dieses Schmuck- 
object dünkt uns aber nur nach der Einführung des Islam zur 
Aufbewahrung der mit kabbalistischen Zeichen versehenen 



90 

.Papierstreifen gedient zn haben, firoher mag es einen Fe- 
tisch, einen Zanbergegenstand oder Medidn enthalten 
haben, nicht ungleich den Medidnsackchen, von denen 
Lnbbock nach Catlin spricht.* Femer banzuk oder manr- 
zuk = Koralle, der etymologischen Bedeutung nach eine 
kleine Beere*% ein kleiner runder Korper, schon an 
und für sich der Inbegriff des Schonen und Zierlichen ; 
Jnlezik, Mlekzik = A.TXBh2L\iA^ ursprungl. Jnlektik von bileh 
=■ Handgelenk, und tik (vgl. ddiven S. 86); önguttük = 
Halsgehänge, eigentL das von vom Getragene, und schliess- 
lich jüzük^ alt. jüstik = Ring, Fingerring, ursprunglich aber 
der Gesichtsring, Nasenring, wie aus der Etymologie des 
alt. Wortes ersichtlich ist, eine Sitte, richtiger eine Un- 
art, in welcher die Türkinnen Centralasiens noch heute 
ihren Geschlechtsgenossen in Afrika und Amerika nach- 
ahmen. 



VI. 

Speisen und Getränke. 

Was die Sprachphilosophie hinsichtlich der ersten 
Nahrung des Menschen und deren Zubereitungsweise nur 
mittels mancher aus weiter Feme und aus den verschieden- 
sten Altersstadien des semitischen und arischen Sprachen- 
gebietes herbeigeholten Beispielen annähernd zu beweisen 
im Stande ist, das kann bei den turko-tatarischen Mund- 



* On the origin of ciyilisation and the primitive condition of man, 
S. 245. 

** Aus muh, mug ist nach normaler Lautveränderung (g ^^ng, so 
mogol = mongoT) mung und münz -mono geworden. Der Grundgedanke 
ist eben der runde feste Körper. Ygl. §. 204. 



91 

arten auf den ersten Griff und bei der ersten Umschau 
gelingen. Aus dem Umstände, dass die Worter für Fleisch 
und Speise ein und demselben Stamme entspringen (man 
vergleiche nämlich es [esremeJc] = fressen, es^ as = Speise, 
mit et =■ Fleisch, uig. et = Korper [in et-öz = Leibeigen], 
ferner das hebr. leckem = Brot, Nahrung, mit dem arab. 
Za%m = Fleisch), nicht minder aber auch in Anbetracht, 
dass das Ergebniss der Jagd in solchen Zonen, wo die 
Vegetation immer eine dürftige war, dem Menschen als 
erstes Nahrungsmittel diente, müssten die Türken in dem 
frühesten Stadium ihrer Existenz als entschieden fleisch- 
essend bezeichnet werden. Doch lässt eben dieser etymo- 
logische Beweisgrund auch zur Geltendmachung einer an- 
dern Theorie sich verwerthen, denn das Wort für Fmclit 
und Obst^ nämlich jemis, jimiSy ist geradezu ein Com- 
positum Yon jem-isi = l^Bszeug oder Esswaaren, folglich 
das Essen, die Kost im allgemeinen. Die allerdings wich- 
tige Frage, ob der Türke in dem primitivsten Zustande 
seiner Existenz zuerst Fleisch- oder Pflanzenesser war, lässt 
sich daher aus der Sprache schwer ermitteln, da dieselbe 
beide Fälle als möglich voraussetzt, was übrigens der 
Wahrscheinlichkeit am nächsten liegt, denn sonst würde 
die Sprache im vordialektischen Zeitalter die Begriffe 
Fleisch und Frucht nicht als das Essen, die Kost par 
excellence bezeichnet haben. Einen entschieden festem 
Anhaltspunkt finden wir in der Etymologie, wenn wir 
untersuchen, ob die ersten Nahrungsmittel bereitet wur- 
den, und wie diese Bereitung mittels Kochens oder Bratens 
vor sich ging. 

Was Geiger im Y. Abschnitte seines Buches nur mittels 
einer auf grosser Belesenheit und tiefem Studium basiren- 
den Forschung hinsichtlich der Begriffsanalogie des Kochens 
oder Bratens am Feuer mit dem Reifen an der Sonne sagt, 
das legt uns die türkische Sprache ganz klar auf die Hand. 



92 

FU-meh heisst nämlich sowol koclieil und braten^ als 
auch reifen oder reif werden, denn man sagt: etpiser, das 
Fleisch kocht oder bratet; almapUer, der Apfel reift; or- 
talik piier^ es kocht alles vor Hitze , und die Participien 
pismis oder pisken werden als Beiwort für gekocht, ge- 
braten, reif, zeitig, in gleicher Weise gebraucht. Wenn 
daher für die Begriffe des Bratens, Kochens am Feuer 
und des Reifens, Weichwerdens an der Sonne (vgl. neu- 
pers. puchte, gekocht, gebraten , reif, weich) ein und das- 
selbe Wurzel wort vorhanden ist, so wird es nicht beson- 
ders schwer sein zu ermitteln, dass man zum Mürb- oder 
Weichmachen des Fleisches sich zuerst nicht des Feuers, 
sondern der Sonnenwärme bediente, ebenso wie dies noch 
heute bei der Zubereitung des gedorrten Fleisches der 
Fall ist, welches pastirma (von pistirmeJc, pisiitirmek = 
kochen oder braten lassen) heisst. 

Im engen Zusammenhange mit dem Genüsse der Früchte 
und des Fleisches stand auch die schon uralte Bekannt- 
schaft mit der Milch und den aus derselben gewonnenen 
Speisen. Milch heisst süt, nach der Grundbedeutung der 
Stammsilbe süss, geschmackvoll (vgl. sücuk, §. 171), 
vielleicht der süsse Trank par excellence, wenn solcher 
dem Wasser gegenübergestellt ist. Mit demselben Worte 
wird auch in einigen Theilen des türkischen Sprachgebie- 
tes, so im altem Gagatai der Wein und Sorbet bezeichnet, 
eine Benennung, welche lebhaft an einen analogen Sprach- 
gebrauch im Persischen erinnert, nämlich an das gegen- 
seitige Verhältniss zwischen sir = Milch, sirin = süss, und 
sirini = Sorbet; ferner an das merkwürdig' analoge Ver- 
hältniss zwischen dem deutschen Wein, lat. vinum und 
dem skt. vena = Geliebter, dän. ven = Freund und lat. vi- 
nülus r= lockend, reizend (bei Plautus).* Eine der ältesten 



♦ S. Geiger, ü, 161. 



93 

ans der Milch bereiteten Speisen dünkt uns das karut^ 
irrthümlich mit Käse übersetzt, da dies im Grunde ge- 
nommen nur Milch im getrockneten Zustande ist. Das 
JE^urut (von kurumah = trocknen) ist eine Art in Säuerung 
übergegangene condensirte Milch, welche in runden Kü- 
gelchen an der Sonne getrocknet, zumeist auf längerer 
Reise gebraucht wird; alsdann aufgeweicht und zerrieben 
gibt das Kurut eine Art von Airan = saure Milch. Dem 
Worte Airan^ richtiger Agiran, liegt die Stammsilbe agu 
= bitter, sauer, zu Grunde. Airan gehört ebenfalls zu 
den ersten Nahrungsmitteln der Steppenbewohner, ebenso 
wie das jogurt, jourt = dicke, d. h. gestockte oder ge- 
ronnene Milch, von jokun, jogun = dick (vgl. §§. 7 und 49), 
und katik = gestockte Milch, von kat^ hart, fest, dicht 
(vgl. §. 87). Vgl. das von Tacitus bei der Beschreibung 
der Lebensweise der alten Germanen angeführte lac con- 
cretum, ein Hauptnahrungsmittel, das noch heute bei den 
Türken mittels künstlicher Säuerung erzeugt wird und selbst 
bei den in der Cultur meist vorgeschrittenen Osmanen ein 
beliebtes Nahrungsmittel ist. 

Für Butter haben die Türken den allgemeinen Namen 
majy eigentl. sari maj = gelbe Butter, wenn im frischen, 
unausgelassenen Zustande, sonst führt sie den allgemeinen 
Namen jag, ag, Fett, nach der anderseitigen Verwerthung 
der Stammsilbe zu urtheilen, von der Grundbedeutung 
Schmiere, Schmalz (vgl. §§. 120 und 131) abgeleitet, unter 
Bahm^ kajmak, versteht man im Türkischen Schaum, 
Obers, d. h. was aufwallt, in die Höhe kommt, von der 
Stammsilbe kaj, aufkochen, aufwallen. In Anbetracht des 
Umstandes, dass Butter selbst heute noch bei den Noma- 
den Centralasiens wenig beliebt und dem Fett der Schafe, 
Kamele und Pferde der Vorzug gegeben wird, wäre es 
nicht schwer, wenigstens hypothetisch hinzustellen, dass 
Butter — deren Bereitung viel umständlicher ist als das 



94 

Erlangen des Schmalzes von dem ausgelassenen Fett der 
Thiere — nur für das Product einer spätem Periode zu 
halten sei, ebenso wie die Bereitung von Käse^ wofür wir 
im Öagataischen das specielle Wort turdk (vgl. magy. turö 
= Käse) besitzen, welches fälschlich vom slawischen twa- 
rog abgeleitet wird, da eben das Gegentheil der Fall ist, 
und welches, indem unter turdk eine gesalzene Milchspeise 
verstanden wird, wie aus der Etymologie des Wortes 
selbst, von iur, sur = gesalzen (vgl. §. 198), am besten er- 
sichtlich ist. Dass für Käse bei der grossen Mehrzahl der 
Türken heute nur das dem Neupersischen entlehnte Wort 
pejnir vorkommt, sei nur nebenbei bemerkt. 

Eine allerdings wichtige Frage bleibt es immer, wie 
schon früher erwähnt, ob die vegetabilische Kost den 
Fleisch- und Milchspeisen vorangegangen oder ob erstere 
von dem primitiven Menschen der turko-tatarischen Rasse 
nur in einer spätem Periode und vielleicht nur dort ge- 
kannt wurde, wo die Beschaffenheit des Bodens oder die 
Nachbarschaft eines ansässigen civilisirten Volkes dies er- 
möglicht hatte. 

Die Gemeinsamkeit des Ursprungs der Worter für 
Fleisch und Speise haben wir schon hervorgehoben, ebenso 
das ähnliche Yerhältniss zwischen Obst und Speise, hier 
wollen wir nur hinzufügend bemerken, dass während Obst 
und Speise für identische Begriffe gelten, die Zubereitung 
der Speisen aus vegetabilischen Stoffen in den turko- 
tatarischen Sprachen nur schwer und einen höchst unde- 
finirten Ausdruck gefunden, denn wir sehen z. B. dass 
das Wort für Brot — ungleich dem Verhältnisse dieses 
Wortes in andern Sprachen, wie des deutschen Brot und 
Braten; lat. panis, lit. pena-s (Futter), pe-nu (nähren) — 
nicht als eine definitiv zubereitete gebackene Speise, son- 
dern als Synonym der Worter für Saat, Anbau, Getreide, 
zu nehmen ist, denn ekmek heisst ebenso wol Brot als 



95 

säen, anbauen und Saat. Eine ähnliche Bewandtniss hat 
es mit dem altern Worte tarik im Uigurischen, die Be-. 
nennung des Nahrungsmittels der Armen, dem als Gegen- 
satz das Älva (arab. Halwa) die Nahrung der Kelchen 
gegenübergestellt ist, Tariky das im spätem Gebrauche 
für Grütze, Kleienbrot angewendet wird, bedeutet im 
Grunde genommen ebenfalls nur Saat, Anbau, vgL tari- 
mak == säen, anbauen (eigentl. ausstreuen), tarlak^ farla = 
Ackerfeld u. s. w. 

Als Resultat unserer Zusammenstellung wird daher 
hervortreten: 1) dass Brot im Turko- Tatarischen keine 
specielle Benennung hat; 2) dass ungleich dem Verhält- 
nisse zwischen dem lat.^^am^und dem lit.jpe-WM. (nähren), 
oder dem slaw. cÄ?;e6 = Brot, Getreide und Nahrung^ 
im Worte für Brot ursprünglich nicht der Begriff für 
Nahrung und Speise im allgemeinen enthalten ist und dies 
daher nur aus einem spätem Zeitalter stammt, wie wir 
solches im Abschnitte über Ackerbau sehen werden. 

Unserer Ansicht, dass das als Hauptnahrungsmittel 
dienende Gericht mit dem allgemeinen Namen Speise oder 
Nahrung belehnt wird, steht ein anderes neueres Beispiel 
kräftigend zur Seite. Reis hat unter den Türken theils 
von China, theils von Persien und Centralasien her Ver-? 
breitung gefunden, und während unter den Westtürken, 
deren Tafel reichlicher bestellt ist, mit der fremden Speise 
auch der fremde Name Pllau^ Püaf, sich erhalten, begeg- 
nen wir unter den ansässigen Osttürken, wo das Reisgericht 
die Hauptspeise ausmacht, nur Reis als Frucht unter dem 
fremden Namen birind, das Gericht selbst aber heisst as 
= Speise, Nahrung, das Essen par excellence. Vgl. as- 
amak = essen, asuk = Nahrungsmittel u. s. w. 

Von den übrigen Arten der vegetabilischen Kost wird 
weiter unten die Rede sein; hier sei nur zum Schlüsse be- 
merkt, dass die Steppenbewohner im Norden der Chanate 



96 

noch vor einigen Jahrzehnten, als der Verkehr mit den 
angrenzenden mehr cultivirten Ländereien noch erschwert 
war, Brot und vegetabilische Kost im allgemeinen als eine 
grosse Seltenheit betrachteten, und ich selbst habe noch 
von Kasaken reden hören, die Zeit ihres Lebens kein 
Brot zu Gesicht bekommen hatten. 

Trotz des Vorhergesagten wäre es doch unzulässig zu 
behaupten, dass die Existenz von bereiteten Speisen sich 
nicht auf ein verhältnissmässig sehr hohes Alter zurück*«' 
führen Hesse. Hierfür spricht die Benennung einzelner 
Gerichte, welche in der Sprache von heute in grosster 
geographischer Entfernung lebenden Türkenstämmen anzu- 
treffen ist, und die nur aus dem Zeitalter des frühesten 
Zusammenlebens stammen kann. Solche Gerichte sind 
unter andern das Kasii, eine mit Pferdefleisch und Pferde- 
fett gefüllte Wurst (Jcazi selbst bedeutet Höhlung, von 
hae = graben, höhlen) ; das Bisbarmak (wörtl. Fünffinger) 
aus länglich zerschnittenen Fleischstücken, auch aus ge- 
hacktem Fleische bestehend; femer das Börek (wörtl. 
Mütze, Tasche), eine Mehlspeise in der Form der in 
Deutschland bekannten Maultascheu, mit gehacktem Schaf- 
fleisch gefüllt, £7iwa(f= Mehlspeise, von nm = Mehl und 
OS = Speise, eigentl. eine dicke Mehlsuppe; ebenso von 
bülamaö oder bulamuk^ von Z^teiCama^ = rühren 'und ac, ai 
= Gericht, welches nicht nur in den Abhängen des Thien- 
Schan, sondern auch bei den Halbnomaden Anatoliens be- 
kannt ist; schliesslich das türkisch scheinende dorha, cohra 
== Suppe, eine Verdrehung des arabischen schurh, schuruh, 
ein Getränk, ein Trank. 

Von den Getränken, d. h. von den bereiteten oder 
geistigen Getränken , können ausser dem schon erwähnten 
Airan, das Klmls und Beza als aus hohem Alterthume 
herrührend bezeichnet werden. Der Ursprung des erst- 
genannten Wortes kann noch nicht mit Bestimmtheit an- 



97 

gegeben werden. Dieses mittels Gärung aus Stutenmilch 
erzeugte stark sauere Getränk wird bei den Kirgisen und 
Turkomanen in der Weise bereitet, dass man die mit Sauer- 
stoff versehene Milch in einem Ledersack so lange hin?- 
und herschüttelt, bis die Säure sich ganz verbreitet hat; 
nachdem diese Operation mehrmals vorgenommen worden, 
wird der Kimis eine geraume Zeit stehen gelassen, bis er 
den beliebten ätzend sauern Geschmack erhält. Ob nun 
das betreffende Wort von der Stammsilbe kirn = schütteln, 
rühren, beuteln, abstammt, oder ob Mmiis selbst den con- 
creten Begriff von Säure in sich schliesst (vgl. Jcir, Tcimisir 
dich = Sauerampher; baäkir. komujs-luJc = Pflanzensäure), 
muss noch immer als offene Frage betrachtet werden. 
Hinsichtlich des zweiten Getränkes sind wir schon mehr 
in Klarheit. Boza, ein aus Hirse, Gerste und Sonstigem 
gegorenes Getränk, kommt schon im Kudatku Bilik in der 
Form von hör mit sarab^ d. h. Wein interpretirt, vor und 
kann hiermit dem magy. hör = Wein zur Seite gestellt 
werden. Da hos hos den Grundbegriff von kochen, sieden, 
enthält, so gibt der Name uns den besten Aufschluss so- 
wol über das Entstehen als über den allgemeinen Charak- 
ter dieses Getränkes, in welchem wir ein durch natürliche 
oder künstliche Gärung oder Säuerung erzeugtes Getränk 
erblicken müssen, ebenso wie im alt., kaz. sira (vgl. magy« 
ser^ Bier), das heute mit Bier {russ. piwo) übersetzt wird. 
In unserm Abschnitte über Speisen und Getränke kön- 
nen wir nicht umhin auch jene Ausdrücke zu erwähnen, 
in welchen die Begriffe von dem verschiedenen Geschmack 
enthalten sind, und in denen sich das Bild eines ebenso 
einfachen als sinnreichen Ideenganges widerspiegelt. Wir 
haben es hier vornehmlich mit drei Geschmacksbegriffen 
zu thun: 1) Sfiss^ welches entweder den Grundbegriff von 
geschmackvoll, angenehm, gefällig gibt (vgl. tat = Ge- 
schmack und Süsse, tatli = 8US8^ geschmackvoll, und tch 

V&mb^ry, Cultur. 7 



98 

tanmak = Gefallen finden und schmecken), oder mit dem 
Eigenschafts Worte zierlich, nett, klein paraphrasirt wird, 
(vgl. sü6ük — 6ü6ük = su98^ hübsch, voll). 2) Sauer ^ und 
zwar entweder künstliche oder natürliche Säure. Im 
ersten Falle, nämlich turi, turuS, liegt demselben die 
Stammsilbe tur-^sur (Salz, gesalzen) zu Grunde, da die 
künstliche Säure meist mittels Salz erzeugt wird (vgl. magy. 
sav = Salz, und savanyu = sauer); im zweiten Falle, 
nämlich akSi, eJcsi, von der Stammsilbe ak (vgl. aku =3 
Gift, starke Säure), die Benennung eines giftigen bitter- 
saueren Stoffes, von der wir in der Form eines selbstän- 
digen Wortes wol wenig wissen, das aber als Compositum 
in dem entferntesten Gliede unsers Sprachgebietes anzu- 
treffen ist. 3) Bitter^ das ebenfalls von der besagten 
Stammsilbe ak gebildet wird, indem das dag. aö-i, osm. 
a£'i, k. k. at^-ik, jak. o^-i (bitter) nach der normal statt- 
gefundenen Veränderung des auslautenden k aus aku, agu 
(Gift) entstanden ist. 

Zum Schlüsse sei hier noch erwähnt, dass die Begriffe 
essen und trinken an und für sich in den türkischen, und 
ebenso auch in andern verwandten altaischen Sprachen 
durch lautlich verwandte Worter ausgedrückt werden. 
Man vergleiche zu diesem Behufe das öag. is-irmak, osm. 
is-ürmek (beissen, fressen) mit 6ag. is-ürmek (sich betrin- 
ken, saufen); jak. as (Speise), is (trinken); magy. esz-ik 
(isst), isZ'ik (trinkt). Ja sogar im Neupersischen ist dies 
der Fall, vgl. cAorcTen = essen und trinken, woraus nun 
allerdings sich vermuthen lässt, dass die Grundbedeutung 
der betreffenden Wörter im Turko-Tatarischen eigentlich 
zu sich nehmen, einnehmen sei, was um so einleuch- 
tender war, wenn wir mit der Stammsilbe es, is (essen, 
trinken), iS^is-is-üe (innen, inwendig) vergleichen. 



99 
VII. 

Jagd nnd Ackerbau. 

Wenn wir, wie aus etymologischen Beweisgründen er- 
sichtlich ist, das Fleisch als erstes Nahrungsmittel der 
Turko-Tataren bezeichnen können, so muss selbstverständ- 
lich die Jagd^ als das Mittel, wodurch das Fleisch erlangt 
wurde, unsere Aufmerksamkeit in erster Reihe in An- 
spruch nehmen, jährend nun in andern Sprachen das 
Jagen mit solchen Wortern verdolmetscht ist, die die 
Handlung des Jagens ^ Nachjagens oder Fangens in sich 
schliessen (vgl. deutsch jagen auf Wild, franz. chasser, 
slaw. gnjat = treiben und lovif = fangen), liegt im Turko- 
Tatarischen dem betreffenden Ausdrucke die Stammsilbe 
cig, aVf d. h. Netz, Geflechte, zu Grunde, was uns ganz 
klar beweist, dass die primitive Art des Fangens der wil- 
den Thiere, vielleicht in Ermangelung entsprechender 
Waffen, nicht mittels Nachjagens, sondern mit Hülfe auf- 
gestellter Netze, Fallen und Schlingen bewerkstelligt wurde. 
Ag, Äa, Au, Av heisst daher nicht nur Netz, sondern auch 
Jagd, Wild, ebenso wie avlamdk mit dem Netze fangen 
und jagen zugleich bedeutet. Vgl ferner alt. an = Wild, 
Hirsch, mit anda = jagen , anöi = Jäger, ein Yerhältniss, 
welches an das deutsche Wild — wildern, Wilderer erin- 
nert. Diese primitive Art des Fangens der wilden Thiere 
ist selbst heute noch bei einigen Nomaden im Norden der 
Chanate im Gebrauche, und muss zu einer Zeit, als die Wurf- 
und Hauwaffen weniger zugänglich waren, eine allgemeine 
gewesen sein. Man bedient sich zu diesem Behufe eines aus- 
gespannten Netzes oder einer Scblinge aus starken Stricken, 
und nachdem das Wild sich darin verstrickt hat, eilt der im 
Hinterhalte lauernde Jäger herbei, um das Thier zu erlegen. 
Bisweilen — und dies ist in den Niederungen des untern 

7* 



100 

Jaxartes noch heute anzutreffen — wird eine mit scharfem 
Beile oder Schwert versehene Falle aufgestellt (ygUur, turak, 
tuzak §. 197), wobei das Wild durch plötzliches Aufschnel- 
len der todlichen Waffe sich selbst den Todesstoss versetzt. 
Mit Gesagtem soll jedoch nicht behauptet sein, dass 
die Steppenbewohner in ihrer Urheimat, wo die weiten 
unabsehbaren Ebenen das Jagen nach Wild am meisten 
ermöglichen, in Herbeischaffung ihres Fleischbedarfs nur 
ausschliesslich den Gebrauch der Netze, Schlingen und 
Fallen gekannt hätten. Es sind Beweise vorhanden, dass 
das Erlegen der Tbiere mittels Jagens auch schon sehr 
alt ist, indem das hierfür existirende allgemeine Wort, 
nämlich Icus, uns den nothigen Aufschluss gibt, zu gleicher 
Zeit aber uns auch ein interessantes etymologisches Ver- 
hältniss zeigt. Kov, Jcog ist die Stammsilbe des Wortes 
für treiben, j^g^n, nachrennen, laufen u. s. w., dessen nomen 
verbale kovas-kdus-kus, das Jagen, das Treiben, die Jagd 
bedeutet. Nun ist aber in ganz früher Zeit zu diesem Jagen 
eine gewisse Gattung von Vögeln abgerichtet worden, als 
Falken, Sperber u. a., und von der Benennung der Jagd 
und des Jagdvogels hat in einem Theile des türkischen 
Sprachgebietes der Vogel iin allgemeinen seinen Namen 
erhalten. So finden wir das Räthsel gelöst, dass während 
in Ostturkestan und bei den Kara-Eirgisen das Wort avis 
ausschliesslich ucar (d. h. der Fliegende) heisst, Jagd, 
Jagdvogel und Falke hingegen den Namen hus führen, 
während in den Chanaten letztgenanntes Wort für Vogel 
im allgemeinen und für Jagd gebraucht wird, im Azer- 
baiianischen und Osmanischen jedoch kus nur ausschliess- 
lich Vogel bedeutet. Wir gehen daher keinesfalls allzu 
weit, wenn wir behaupten, dass das Abrichten gewisser 
Arten von Raubvögeln von den Turko-Tataren in der aller- 
frühesten Zeit schon prakticirt wurde. Abgesehen von dem 
unzweideutigen etymologischen Beweisgrunde, spricht auch 



101 

die Natur der alten Heimat für diese Annahme, da der 
Mensch auf der unabsehbaren Ebene schon früh auf ein Mit- 
tel sinnen musste, mittels dessen er dem durch allzu grosse 
Behendigkeit ihm überlegenen Thiere beikommen konnte. 

Die grosse Bedeutung und Wichtigkeit, welche der 
Jagd als Hauptnahrungszweig beigelegt wurde, erhellt aus 
dem Umstände, dass einzelne auf diese Beschäftigung Be- 
zug habende Ausdrücke bei Bezeichnung gesellschaftlicher 
Verhältnisse Verwendung fanden. Wir finden nämlich das 
Wort' kous, kus im Cagataischen schon in der Bedeutung 
von Gesinde, Hofleute, wobei wir die Jagd, das Jagd- 
gefolge als Substract der Dienerschaft nehmen können. 
So ist auch der in Mittelasien bekannte Titel kus-hegi 
(Minister) in der wortlichen Uebersetzung als Oberhaupt 
der Dienerschaft, resp. der Jagd und des Jagdgefolges zu 
nehmen, ebenso wie das osm. kous^ welches heute in der 
Bedeutung von Gesindezimmer vorkommt, im Grunde als 
Jagdgehülfe, Gehülfe und Diener aufzufassen ist. 

Wenn wir die Jagd daher als das erste und haupt- 
sächlichste Mittel zum Erwerb der Nahrung bezeichnen, 
so können wir doch nicht umhin, auch des Ackerbaues 
in zweiter Linie zu erwähnen, und zwar als einer solchen 
Beschäftigung, welcher die Turko- Tataren, ohne hierin 
durch einen auswärtigen Einfluss angeleitet worden zu 
sein, schon in der frühesten Zeit oblagen. Wol mag eine 
derartige Hypothese bei einem Volke, das von jeher den 
Feldbau mit Widerwillen betrieb und selbst heute hierzu 
sozusagen noch gezwungen werden muss, für allzu kühn 
beurtheilt werden; die überführenden Beweise der Sprache, 
welche in dieser Hinsicht eine erkleckliche Anzahl £:e- 
nuiner Worter aufzeigt, können jedoch nicht mit Still- 
schweigen übergangen werden, denn sie sprechen deut- 
licher als all die conträren, aus unsern Erfahrungen über 
die Lebensweise der heutigen Nomaden stammenden Theo- 



102 

rien. Während z. B. bei den verwandten ural-altaischen 
Volkerschaften , nämlich bei den Finn*Ugriem, der Aus- 
druck für den Begriff Aeker gänzlich fehlt und hierfür 
ein dem Deutschen entlehntes Wort gebraucht wird (vgl. 
finn. pelto, esthn. pöldj läpp, pöldö, magy. föld)*^ finden 
wir im Turko-Tatarischen gebräuchlich tarlaJk-tarla, der 
Grundbedeutung nach: der Ort, an welchem angebaut oder 
gesäet wird**; femer: taranci = Ackersmann^ Anbauer, 
Säer, von der Stammsilbe tat = säen, anbauen, auch aus- 
streuen (vgl. §. 176), in welch letzterer Bedeutung des 
Wortes wir die klarste und trefiTendste Verdolmetschung 
des Begriffes vom Feldbau haben. 

Nicht minder bezeichnend ist der Name für das Haupt- 
geräth, nämlich für den Pflug« Auch hier haben die 
Finnen sowol als die Magyaren das betreffende Wort 
jenen Völkern entlehnt, von denen sie den Ackerbau er- 
lernt haben (vgl. finn. aura = Pflug mit schwed. ärja = 
pflügen, und das magy. eZ;6= Pflug mit dem deutschen Egge\ 
während die Sprache der Türken dafür das Wort sapan oder 
sapan-^temir = der Einschneider, das einschneidende Eisen, 
von sap (einhauen, einschneiden u. s. w.) abstammend, 
aufweist; auch tis =Füug (bei den Sarten), eigentl. der Zahn, 
der Brecher. Auch andere zum Ackerbau gehörige Werk- 
zeuge sind genuin, so: cag. bdj Haue; baita, Axt, 
Hacke; capa, Haue; cigrik, das Rad der Irrigations- 
maschine. Besonders hervorzuheben ist, dass die bei 
künstlicher Bewässerung des Bodens eine Hauptrolle spie- 
lenden Kanäle eine ihrer Beschaffenheit entsprechende 
Benennung haben und für die frühe Bekanntschaft der 
Türken mit diesem Theile des Ackerbaues Zeugniss ab- 
legen. Es gibt nämlich noch heute in Mittelasien zweierlei 



♦ Ahlquist, S. 26, magy. föld auch Erde, szdniöföld. 
♦* Vgl. iiMlak, jajlak, külak. 



103 

Gattung von Graben, von welcher der eine oder der 
natürliche arik oder arna (von der Stammsilbe ar = gra- 
ben, schneiden, vgL §. 133) genannt wird, d. h. ein solcher, 
den der Fluss sich selbst gebrochen, und welcher nur später 
geregelt oder erweitert wurde. Der zweite Name ist jap 
= der gemachte, der gebaute Kanal (vgl. jap = machen, 
bauen), welcher von arih ausgehend, auf längere Strecken 
zwischen die urbar zu machenden Felder geleitet wird. 

Höchst charakteristisch für das Verhältniss des Boden- 
besitzes der primitiven Türken ist der Umstand, dass von 
einer Abrundung oder Abgrenzung kaum die Rede war, 
denn für den BegriiBf Grenze existirt kein specielles Wort; 
das zuweilen hierfür gebrauchte hirak oder k^i bedeutet 
ganz einfach Rand, Ufer, d. h. wo etwas abbricht, auf- 
hört. Ein ähnliches Verhältniss ist übrigens auch bei den 
Deutschen und Ungarn anzutreffen, wenn wir das magy. 
hcUdr = Grenze vergleichen mit dem slaw. chotor und das 
deutsche Grenze mit dem slaw. hranica = Grenze, eigentl. 
Schutz, Wehre, von hranit. Die Slawen waren schon 
früher Ackerbauer als Deutsche und Magyaren, weshalb 
auch darauf bezügliche Begriffe in ihrer Sprache früher 
Ausdruck finden musstcn. 

Um daher über die unter den Turko-Tataren schon in 
frühester Periode bestandene Agricultur eine richtige Auf- 
fassung zu erlangen, müssen wir vor allem die betreffenden 
heutigen Zustände der Nomaden in Berücksichtigung ziehen. 
In Anbetraeht der schon längst bestehenden zwei Haupt- 
abtheilungen, nämlich der köcek und comru, d. i. der wan- 
dernden und ansässigen Nomaden, ist es nicht schwer zu 
errathen, dass erstere mit der Viehzucht sich ausschliess- 
lich beschäftigend von dem Ackerbau sich gänzlich fern 
hielten, während letztere, wenngleich ebenfalls Steppen- 
bewohner und mit Viehzucht beschäftigt, die Cultivirung 
einiger urbaren, an Flüssen gelegenen Landstriche schon 



104 

frühzeitig betrieben hatten. Im Laufe der Zeit und je 
mehr man sich den festen Wohnsitzen benachbarter Völker 
näherte, hat dieses Verhältniss sich gewissermassen ver- 
ändert, indem der Anbau von Garten- und Hülsenfrüchten 
unter allen Nomaden Verbreitung fand, und die comruVs 
auch Getreide und Futtersaat bauten, ja ausserdem selbst 
einige Zweige der primitiven Industvie und etwas Handel 
trieben. Dieses Verhältniss hat sich bis heutzutage noch 
aufrecht erhalten, nur mit dem Unterschiede, dass die 
cofnrui% bei den Turkomanen z. B. als Kaufleute betrach- 
tet, schon der bedeutenden Anzahl halber für gleichbe- 
rechtigt gehalten werden, während diese Klasse der No- 
maden auf dem nordlichen Steppengebiete als arm und 
elend angesehen werden und hier das Wort comri selbst 
als gleichbedeutend mit Bettler gebraucht wird. 

Man müsste im allgemeinen hinsichtlich des Ackerbaus 
unter den Volkern des vorgeschichtlichen Zeitalters nicht 
so sehr die verschiedenen Phasen ihrer Cultur als vielmehr 
den Grad ihrer Stabilität auf ein und demselben Land- 
striche zum Ausgangspunkte des hierauf bezüglichen Kri- 
teriums nehmen, da es fast undenkbar ist, dass der Mensch, 
wenn er jahrhundertelang in ein und derselben Region 
verweilt, nicht auf die Idee gekommen wäre, den Boden 
zu bebauen und demselben das zur Nahrung nothige Wachs- 
thum zu entlocken. Poesche deutet auf diesen Umstand 
in seinem Buche „Die Arier", S. 96, ganz richtig hin, 
indem er hervorhebt, dass die aus der alten Heimat ziehen- 
den Arier im Ackerbau nachliessen, bei einer längern spä- 
tem Sesshafligkeit denselben wieder aufnahmen, und trotz 
der uralten Existenz der Bodencultur bei den Ariern den 
Namen des Haup^erkzeuges, den Pflug, slaw. plug^ von 
den Slawen entlehnten. Bei den Turko-Tataren lässt sich 
bis vor zweitausend Jahren keine grossere Trennung ver- 
muthen, und da das damals schon krystallisirte Sprach- 



105 

material für die Werkzeuge des Ackerbaues gemeinsame 
Namen aufweist, so kann der uralte Bestand dieser Be- 
schäftigung auch keinem Zweifel unterworfen weiden. 
Micht trotzdem, sondern weil diese Beschäftigung sich 
heute nur sporadisch vorfindet, mochten wir die Behaup- 
tung wagen, dass die Völker der turko-tatarischen Rasse 
schon im grauen Alterthume, dort wo die Bodenverhält- 
nisse es gestatteten, den Ackerbau betrieben haben, und 
nur im entgegengesetzten Falle sich ausschliesslich von 
der Viehzucht nährten und infolge dessen dem Nomaden- 
leben oblagen. Der Mensch wird eben das, wozu ihn die 
Natur macht, und da diese auf grösserer Ausdehnung 
nicht gleichartig ist, so ist es selbstverständlich, dass dies 
auch die Lebensweise des Menschen nicht sein kann. So- 
wie es daher von jeher unter den Turko -Tataren, in der 
zumeist aus Steppenregionen bestehenden Urheimat, in der 
überwiegenden Mehrzahl Nomaden gab, ebenso haben die 
auf dem fruchtbarem und besser bewässerten Steppen- 
rande Wohnenden auch den Ackerbau betrieben. 



VIII. 

Handel und Gewerbe. 

Keine Sprache der Alten und Neuen Welt hat es ver- 
mocht, die frühe Existenz und den Ursprung des Handels 
in der für diesen Begriff vorhandenen Bezeichnung so klar 
niederzulegen als das Türkisch-Tatarische. Älis-weris =^ 
der Handel^ beisst nämlich der etymologischen Bedeutung 
nach das Nehmen und Geben (von almak, nehmen, 
und wermekj geben), und ebenso heisst der erste Theil 



106 

dieses Compositum Kauf oder Einkauf, wie der zweite 
Verkauf. Die Begriffe Handel und Tausch oder Tausch- 
handel sind daher identisch, und durch ein und dasselbe 
Wort wiedergegeben. Ausserdem gibt es aber noch andere 
Worter, welche den Begriff des Ein- und Verkaufens in- 
terpretiren, doch sind diese von secundärer Bedeutung. 
So z. B. tegismek, dejismek = vertauschen, eigentlich mittels 
Substituirung des entsprechenden Werthes etwas erlangen, 
von der Stammsilbe feg, tey, (?e^' = Werth, Preis, Gleich- 
gewicht (vgl. §. 173); femer ^a^maA; = verkaufen, eigentl. 
losschlagen, absetzen, in der ursprünglichen Bedeutung 
des Wortes: etwas aus der Hand geben, ohne den betref- 
fenden Werth dafür zu erhalten (vgL §. 154). Neben 
diesem verhältnissmässigen Reichthum der Sprache in Be- 
zeichnung des allgemeinen Begriffs muss es auffallen, dass 
es für die Benennung eines Handelsplatzes oder Marktes 
kein allgemeines Wort gibt, denn das hierfür bestehende, 
dem Persischen entlehnte haisar, das auch im magy. vdsär 
= Markt, sich vorfindet, hat erst nach der Berührung mit 
den iranischen Elementen seinen Eingang gefunden und 
deutet ganz klar darauf hin, dass die ersten Handelstrans- 
actionen mit den Kauf leuten nur auf dem Durchzuge durch 
das Gebiet der Nomaden gepflogen wurden. Es drückt 
daher das Wort für Kaufmann in seiner ältesten Form, 
nämlich sart, zugleich auch den Begriff Wanderer, Fremd- 
ling* aus, und es werden denn auch mit diesem Namen 
noch heute die türkisch redenden Iranier, mit rein irani- 
schem Typus, bezeichnet als die ersten mit dem Türken- 
volke verkehrenden Kaufleute. Um so interessanter ist es 
aber zu erfahren, dass Handelsgesellschaften schon in der 



* Auf einem analogen Ideengang beruht das in Centralasien ge- 
brauchte persische Lehnwort saudagar = Kaufmann, welches wört- 
lich, der mit Melancholie Behaftete, der Herumirrende bedeutet. 



107 

frühesten Zeit bekannt waren, indem die Uiguren in dem 
Worte für Karavane, arkiij nicht nur die fahrende Han- 
delsgesellschaft, sondern die Handelsgesellschaft im allge- 
meinen verstanden, eine Bedeutung, in welcher dieses 
Wort noch heute bei den Altaiern gebraucht wird, und 
zwar in etymologischer Bichtigkeit, denn arka heisst 
Schutz, Gefährte, und arkii gegenseitiger Schutz, Gesell- 
schaft.* Ebenso ist in 6ag. sergi, uig. terki = Ausstellung 
der Waare, Auskramung, Kram^ von ser-^ter = ausbreiten, 
ein altes genuines Wort zu finden, das an die primi- 
tive Art der Feilbietung, nämlich an das Ausbreiten 
der zum Kauf angebotenen Waare auf der Erde, wie dies 
Kaufleute noch heute unter Nomaden zu thun pflegen^ 
erinnert; sergi hat merkwürdigerweise in der mit fremden 
Elementen stark überladenen osmanischen Sprache sich 
noch erhalten, indem der nach alter Gewohnheit im Ra- 
mazan abgehaltene feierliche Markt diesen Namen führt, 
so auch die Buden während des Noruzfestes in Chiwa. 
Da das erste Stadium des Handels überall der Tausch- 

9 

handel war, so konnte auch der Begriff Preis anfangs 
nur im Worte Werth, entsprechend Gleichgewicht, sei- 
nen Ausdruck finden. Das türk. tegeTy dejer ==■ Werth, 
gleich, aufwiegend, ist analogen Ursprunges mit den Wor- 
ten für Gewicht, Gleichgewicht und Geld, nämlich mit 
deng, teng und tengCy und so wie die Frage des Käufers: 
Was kostet dies? mit: Was verlangst du dafür (buna ne 
istersin) an die Transaction im Tauschhandel erinnert, 
ebenso ist es die Antwort des Verkäufers: mumm dejeri 
soldur = dessen Werth ist jenes, d. h. nach unserer mo- 
dernen Redensart: es kostet so und soviel. Auch der 



* Hierdurch wird auch das pers. Kenoanj Kiartoan richtig gestellt, 
indem es nicht als kar-rewan = gehendes Geschäft oder Handel, son- 
dern als kiaV'hany Geschäftsschutz, Handelsschutz, aufgefasst werden 
muss. 



108 

Bergriff zahlen^ bezahlen, ist den Bedingungen des 
Tauschhandels entsprechend, denn das hierfür existirende 
Wort cag. ötemeJc und tülemeh; jak. tolui; alt. tolö; cuv. 
tül u. s. w. heisst seiner concreten Bedeutung nach gegen- 
überstellen, als Ersatz, als Entgelt hinstellen, von der 
Stammsilbe öt-üt^ tül =■ gegenüber. Geld muss daher in 
frühester Zeit identisch gewesen sein mit dem Ausdrucke 
Gleichgewicht, Gewicht im allgemeinen, wie dies aus dem 
oben erwähnten Worte tenge am besten ersichtlich ist, mit 
welchem noch heute in Centralasien die am meisten currente 
Münze bezeichnet wird. Geld im allgemeinen heisst fast 
durchgänglich al'ce, d. i. Silber, da nur dieses Erz allein 
und nicht Gold Verwendung gefunden hatte. Auch wurde 
Silber selbstverständlich nicht in geprägten Münzen, son- 
dern in massiven Klumpen auf der Wage als entsprechen- 
der Werththeil abgewogen, woran die in Ostturkestan 
noch heute vorkommenden jamhu's oder Silberklumpen in 
der Form unserer Gewichtmaasse erinnern, die in verschie- 
dener Form mit zwei Oehren versehen iip Handel abge- 
wogen werden. Mit akce steht noch in anidoger Bedeu- 
tung ^armaÄj = Münze, Geld, eigentl. ^anmaÄ:, scheiden, 
trennen, folglich eine Scheidemünze. 

Wenn wir demnach diese Bemerkungen zusammen- 
fassen, so wird sich als Resultat ergeben, dass man bei 
den Turko-Tataren — ungleich den Finnen und finnisch- 
ugrischen Stämmen, wo unter Geld die als Waarenartikel 
meist gangbaren Eichhorn- und Marderfelle verstandien 
wurden* — sich schon sehr frühzeitig des Silbers als Geld 
bediente; demzufolge konnten die Rauchwaaren in der vor- 
geschichtlichen Zeit bei ihnen nicht jene wichtige Rolle 
spielen wie bei den weiter im Norden ansässigen Stamm- 
verwandten. 



* Vgl. Ahlquist, S. 189. 



109 

Im engen Zasammeuhange mit dem Handel steht Maass 
und Gewicht^ und eine Berücksichtigung der verschiedenen 
Benennungen für die Längen-, Gewicht- und Raummaasse 
kann, als zu diesem Abschnitte gehörig, nicht unterbleiben. 
Hierbei müssen allerdings nicht die heutigen oder jüngst 
vergangenen Zustande der in so grosser geographischer 
Ausdehnung, in so verschiedeneu Lebensverhältnissen, und 
durch so mannichfache fremde Cultureinflüsse vonein- 
ander getrennten Volker ins Auge gefasst werden; wir. 
dürfen also nicht die von einem fortgeschrittenen Stadium 
der Bildung bedingten Neuerungen, sondern die primitiven 
Lebensverhältnisse in Berücksichtigung ziehen. Auf diese 
Weise vorgehend wird sich uns die Wahrnehmung auf- 
drängen, dass anfangs nur die Messung der Länge und 
des Gewichtes gekannt wurde, sowie dass man für die 
Bestimmung des Raummaasses gar keinen Sinn hatte. Es 
findet sich nämlich zur Bestimmung des Raummaasses fast 
nirgends ein genuines Wort vor, während für Längen- 
maass und Gewicht verschiedene, mit der Natur und mit 
dem Gebrauche betreffender Messgeräthe übereinstimmende 
Wörter existiren. Für Quantität im allgemeinen haben 
wir das alte Wort Jcem (im Alt. noch gebraucht in der 
Verbalform kemdi = messen), ein Wort, welches uns iden- 
tisch dünkt mit Jceb = Muster, Bild; ferner das Wort 
ölcü, olci = Maass, eigentlich das schon Gemessene, der 
concreten Bedeutung nach Theil, Bruchstück; schliesslich 
im Osttürkischen cen = Mass, das mit ten, ten = Gleich- 
gewicht, verwandt ist. Zur Messung der Länge sind wie 
überall Theile des Menschenkörpers gebraucht worden, 
nämlich der Arm (kol) und die Spanne (karis). Aus er- 
sterm ist Jculac, Klafter^ wörtl. Armlänge, entstanden, 
und noch heute misst man die Länge auf dem ausge- 
streckten Arm vom Schulterbein bis zur Daumenspitze. 
Was das letztere Wort anbelangt, so scheint aus l^aris, 



110 

Spanne 9 nach Wegfallen des gutturalen Anlautes und 
nach Hinzugabe dQS Adverbialaffixes in das hauptsächlich 
im Westtürkischen gebrauchte arsun, arsin = El]e\ her- 
vorgegangen zu sein, denn karis selbst, welches heute 
Spanne bedeutet, ist mit aris = die Hälfte, Arm- 
länge, nämlich vom Ellenbogen bis zur Spitze des Mittel- 
fingers, verwandt. 

In vollkommenem Einklänge mit der Natur der ebenen 
.Steppenheimat sind die alten Bezeichnungen für die 
Streckenlänge, wofür es zwei verschiedene Maassbestim- 
mungen gibt: a) Cakirim oder cagrim = Meile^ der Wort- 
bedeutung nach aber Kuf, d. h. soweit der Ruf, das Ru- 
fen (von cakirmak^ rufen) oder die menschliche Stimme im 
allgemeinen dringt, welches an das finn. peninJculma = 
Meile (eigentl. soweit das Hundegebell zu hören ist) er- 
innert, b) Karagan^ alt. karaan = soweit das Auge sieht, 
der Horizont (von karamak, sehen). Es wird hiernach 
von selbst ersichtlich, dass a) eine Bezeichnung für kür- 
zere, b) für längere Strecken vorstellt. 

Zur Bestimmung der Korperschwere oder des Gewichtes 
muss von jeher die Wage^ tarti oder ceki^ bestanden haben. 
Beiden Wortern liegt die Stammsilbe tart oder 6ek = 
ziehen, herabziehen, zu Grunde und dies kennzeichnet ganz 
klar die noch heute gebrauchte Balancirwage, wo die 
Waare auf einer Seite, der Stein, welcher die Stelle des 
Gewichtes vertritt (daher die Bedeutung des Wortes tos 
= Stein und Gewicht) als Gegengewicht von der andern 
Seite herabhängt. Gleichen Ursprung bekundet auch das 
Wort hatman = Pfund, von hat = untergehen, sinken, d. h. 
ein Beschwerer, mittels dessen der andere Theil der Ba- 
lancirwage herabgedrückt wird. 

Ich habe an die Spitze dieses Abschnittes auch die 
fiewerbe gestellt, doch können die hierauf bezüglichen 
Bemerkungen, wenn wir uns darunter eine gewerbtrei- 



111 

bende Klasse, etwa im modernen Sinne des Wortes vor- 
stellen, einen nur negativen Charakter haben. So wie der 
türkische Steppenbewohner noch bis in die Gegenwart 
hinein die zu seinem Lebensunterhalt nothigen Mittel, als 
Haus, Kleider, Nahrung, Waffen, Pferdegeschirr u. s. w., 
selbst bereitet und an die fremde Industrie sich nur da 
und dort wendet, wo es sich um eine Neuerung handelt, 
die im Stoffe sowol als in der Anfertigungsweise ihm un- 
bekannt ist — ebenso und noch mehr muss dies in frühem 
Zeiten der Fall gewesen sein. „In den abgelegenen Thei- 
len unsers Landes", sagt Ahlquist (S. 55), „ist die Ver- 
theilung der Arbeit noch so wenig vorgeschritten, dass 
der Bauer nicht nur sein Ackerbau- und Hausgeräth so- 
wie die Zeuge zu seiner Bekleidung, sondern grossten- 
theils auch die dazu erforderlichen Werkzeuge selbst ver- 
fertigt. Mehr noch als zu unserer Zeit mag dies früher 
der Fall gewesen sein, als der einsame Waldbewohner in 
dieser Hinsicht auf sich selbst angewiesen war, und alles, 
dessen er und seine Familie bedurfte, selbst mit derselben 
verfertigte." 

Während nach einer richtigen Beurtheilung Ahlquist's 
bei den finnisch-ugrischen Völkerschaften das Handwerk 
des Schmiedens schon ziemlich früh betrieben worden zu 
sein scheint, indem die Schmiedewaaren der Finnen in 
späterer Zeit wegen ihrer Brauchbarkeit berühmt waren, 
können wir bei den Türken selbst hierauf bezüglich keinen 
sichern Anhaltspunkt finden. Der Schmied heisst im 
Finnischen seppä, alias der Meister (vgl. lat. faher)^, im 
Türkischen jedoch temirii oder timurii^ eigentl. der Eisen- 
mann, von ^zmur = Eisen, und dem Eigenschafbspartikel 
H oder et, folglich sowol der Bereiter als auch der Ver- 
käufer der Eisenwaaren, wie dies auch bei den übrigen 
Gewerben vorkommt. Zu bemerken ist jedoch, dass eben 
diese Zusammensetzung bei solchen Zweigen der Industrie 



112 

anzutreffen ist, die auf ein späteres, in der Cultur schon 
vorgeschrittenes Stadium schliessen lassen, denn für die 
Verfertiger von Zelten, Waffen, Pferdegeschirr und son- 
stigen bei der primitivsten Lebensweise unentbehrlichen 
Gegenstanden existirt gar keine specielle Benennung, und 
dies berechtigt uns zu der ganz naturgemässen Folgerung, 
dass eine diesfallsige Kunstfertigkeit gar nicht in die Ka- 
tegorie der speciellen Handwerke gerechnet, sondern als 
von jedermann ausgeübt oder auszuübend betrachtet wurde. 
Aus diesem Umstände wird es erklärlich, dass im Ost- 
türkischen die Ausdrücke catirci (Verfertiger von Zelten), 
tokumci (Verfertiger von Pferdegeschirr), telpeJcci (Verfer- 
tiger von Pelzmützen), in der Bedeutung von speciellen 
Handwerkern ebenso fremdartig klingen, als iimurci 
(Schmied), ötükci (Stiefelmacher), Jcujumci (Erzgiesser) als 
Benennung ausschliesslich Gewerbtreibender gelten können. 
Als Illustration des Gesagten sei ferner angeführt, dass 
die specielle Benennung des Gerberliandwerkes gänzlich 
fehlt, indem für den Begriff gerben ganz einfach das 
Wort bearbeiten gebraucht wird. Teri islemek, wörtl. 
die Haut bearbeiten, heisst gerben, so wie das russ. Jcoßa 
ividjelowcU = eine Haut ausarbeiten, und wie das magy. 
timdr = Gerber, welches aus dem Persischen stammend 
Bewirthung, Bearbeitung heisst. Einen ähnlichen Ideen- 
gang bekundet das osm. seplemek = gerben^ welches von 
sep, sib, sob = gut, recht, abgeleitet, dem innern Werthe 
nach zurichten, bereiten, herrichten bedeutet; das osm. 
sep = Lohe (z. B.: bu kürkin sepi fenadir = die Lohe 
dieses Pelzes ist schlecht) darf nicht als ein Kunstwort 
aufgefasst werden. Unter Ausarbeiten oder Gerben ver- 
steht man in erster Linie das Reinigen der Haut von den 
Haaren; das ausgearbeitete Fell heisst dsJa^er jargak, alt. 
jaru^ und dessen etymologische Bedeutung ist glatt, kahl, 
glänzend, von der Stammsilbe jar (vgl. §. 128). 



113 

Speciell technische Ausdrücke zur Bezeichnung der 
Werkzeuge und der Ingredienzen der Gewerbe sind im 
Turko-Tatarischen zumeist genuinen Ursprunges, d. h. sie 
sind von dem Bildungsgeist der Sprache geschaffen worden, 
und nicht wie in den finnisch-ugrischen Sprachen der Mehr- 
zahl nach entlehnt. Hierbei muss selbstverständlich nicht 
der heutige Wortschatz der ansässigen Türken, bei denen 
mit fremden Cultureinflüssen auch fremde Gewerbe Ein- 
gang gefunden, sondern der des womöglich noch in Ab- 
geschlossenheit sich vorfindenden Nomaden als Ausgangs- 
punkt unserer Forschungen dienen, und es fallen denn 
auch alle auf das heutige Industrieleben Bezug haben- 
den Ausdrücke schon deshalb ausserhalb des Bereiches 
unserer Studie, weil die Mehrzahl der heimischen Gewerbe 
noch in einem höchst primitiven Stadium sich befindet 
und die Bezeichnung der ins Fach schlagenden Geräthe 
daheim erfunden und türkisch benannt worden ist. So 
wie toJcumak = weben dem Wortwerthe nach identisch 
ist mit nebeneinanderlegen, zusammenstellen, und im Ca- 
gataischen die Redensart: burja tokumdk = eine Matte 
weben, rectius flechten, statthaft ist, ebenso ist das Wort 
für spinnen: effirmek, ejirmek, evirmek, ivirmek gleich- 
bedeutend mit drehen, winden, und tfp = Strick, iplik = 
Garn, muss der Stammsilbe nach für Gewinde, Geflechte 
(vgl. §. 37) gehalten werden. Dieselbe Stammsilbe liegt 
auch dem osm. öreke, cag. urcuky kaz. uröik = Spindel 
(vgl. magy. orso) , auf welcher der Faden gedreht wird, 
zu Grunde. 

So ziemlich gleich ist das Verhältniss anderer Ge- 
werbe und der zu denselben nöthigen Geräthschaflen. Im 
Worte für nähen tikmek, dikmek^ bedeutet die Stamm- 
silbe tik, dik, einen länglichen spitzigen Körper. Tiken^ 
digen heisst Dorn, welcher als primitive Nähnadel, Steck- 
nadel zum Heften der Kleider verwendet worden zu sein 

Vftmböry, Gultur. g 



114 

scheint, und igne = Nadel ist auch aus dieser Stammsilbe 
nach Abwerfung des dentalen Anlautes entstanden. Bei 
den Arbeiten in Holz finden wir die Grundidee des Ab- 
schabens, Hackens und Schneidens in erster Reihe aus- 
gedrückt. So osm. dogramazi = Tischler, von dogramah 
= zerstückeln, zerhacken; 6ag. jonuzi = Tischler, Zim- 
mermann, von jowwmaÄ; = hobeln, schnitzen; während die 
hierzu gehörenden Werkzeuge als: ialta = Axt (wortl. 
Spalter, vgl. §. 206); Jica/b = Messer, cag. 6ie^i = Säge 
(wörtl. Schneider, vgl. §. 217); horgu oder 6wrw = Bohrer 
(wortl. Zwicker, Kneiper); Zce^er = Hobelmesser (wortl. 
Schneider, vgl. §. 106); Icajci, Mjci= Schere (wortl. Ab- 
schneider, vgl. §. 91), insgesammt ganz deutlich die ihnen 
zufallende Thätigkeit interpretiren. 

Wir können diesen Abschnitt nicht schliessen, ohne 
auf das hierher gehörige Zahlensystem und den Begriff 
zählen im allgemeinen einzugehen. Vor allem muss es 
auffallen, dass die Stammsilbe des Wortes für zählen zu- 
gleich auch den Begriff denken, wähnen, urtheilen aus- 
drückt, in concreter Hinsicht aber (vgl. uig. sakj sag, cag. 
saj, san, osm. 5a;l = Zahl, mit sagis, säkis = Gedanke; 
cag. sajirmdlc = absondern) die Handlung des Absonderns, 
Trennens, Sonderstellens bedeutet. Aus der Analogie 
zwischen sajmdk, zählen, und sajirmak, absondern, tren- 
nen, verringern, klein machen, wird allerdings die Hand- 
lung des Zählens, als die Eintheilung eines grossem com- 
pacten ganzen Korpers in kleinere Theile auf eine logisch 
wunderbare Weise ersichtlich gemacht, d. h. der turko- 
tatarische Urmensch hat das Zählen als eine Zergliederung 
des einheitlich Ganzen aufgefasst und in der Benennung 
der einzelnen Zahlworter einer bildlichen Umschreibung 
Ausdruck verliehen, die uns nur aus wenigen Beispielen 
einleuchtend wird, im grossen und ganzen aber heute 
schon unbegrifflich ist. So unterliegt es keinem Zweifel, 



115 

dass selbst die Namen der sieben Grundzahlen, denn ur- 
sprünglich haben die Türken ein Siebenzahlsystem, wie 
sie heute vorliegen, einer bedeutenden Veränderung unter- 
legen sind. Der Grundgedanke von Zwei = ehi^ iki, ist 
hinzufügen, paaren, von ek (vgl. §. 32), während dem 
Zahl Worte Fünf das Bild der Hand zu Grunde lag, wie 
wir dies in der betreffenden Zehnerzahl sehen, wenn wir 
elliJc = fünfzig, mit eliJc = Hand vergleichen, oder das pers. 
pen£ = fünf dem pers. penze = Faust gegenüberstellen; so 
bedeutet bei den Eskimos Zwanzig die geeammte Finger- 
zahl des Menschen, und in Labrador heisst Taleh Hand 
und fünf (Lubbock, S. 336). Das Zahlwort Tausend = 
ming beruht auf dem Worte müng, uig. mün = eine grosse, 
unbestimmte Menge*, und so heisst auch im Koibal-Karagas- 
sischen bir Jcup (ein Sack) 100 Rubel, und im Osmanischen 
leise aJcce (ein Beutel Geld) 500 Piaster. Schliesslich sei hier 
noch des Wortes tümen erwähnt, das in der Bedeutung 
von 10000 vorkommt und im Grunde genommen Haufe, 
Menge (vgl. §. 179) bedeutet. 

Was das Siebenersystem anbelangt, so scheint es erst 
in der Neuzeit, d. h. nach engerer Berührung mit den 
fremden iranischen Elementen ins Zehnersystem sich umi- 
gestaltet zu haben, denn das Oezbegische in den drei 
Chanaten gebraucht noch heute ike kern on = zwei weniger 
zehn für acht und hir kern on == eins weniger zehn für 
neun, und an den anderswo gehrsLUchlichen sekiz, sikiz == 
acht und tokuß = neun ist es sofort zu bemerken, dass 
wir hier ein Compositum vor uns haben, in sek-iz näm- 
lich seki'Siz = zwei weniger (^seki mag eine ältere Form 
von eki =. zwei sein, im Jakutischen ist heute sehr häufig 
ein s- Anlaut zu finden, wo die übrigen Sprachen einen 
einfachen Vocal haben) und in tok-uz, iok oder tek-siz =i 



* Vgl. meine „Uigurisclie Sprachmonumente", S. 228, Sp. 2. 

8* 



116 

eins weniger. Das ursprüngliche Vorhandensein eines 
Siebenersystems ist auch im Magyarischen und in den 
übrigen finnisch-ugrischen Sprachen nachzuweisen (vgl- 
Hunfalvi, „Ethnographie von Ungarn", S. 154) und am 
meisten leuchtet die Wichtigkeit dieser Zahl aus dem reli- 
giösen und bürgerlichen Leben hervor, denn Sieben war 
bei den turko- tatarischen Völkern von jeher eine heilige 
Zahl. So hat der böse Geist Erlik bei den Altaiern sie- 
ben Throne vor seiner Thür, die Ahnen heissen bei den 
Kirgisen ^'eff atalar =die sieben Väter, die Fabel der Al- 
taier spricht von sieben Wölfen, die in sieben Tagen 
kamen u. s. w., mit einem Worte, wir finden die Zahl 
Sieben bei den Türken in derselben, vielleicht noch grossem 
Achtung als bei vielen andern Völkern Asiens. 



IX. 

Die Waffen. 



In vorhergehenden Blättern ist schon mehrmals die 
Armuth der primitiven Sprache zur Bezeichnung allgemei- 
ner Begriffe erwähnt worden. Im turko-tatarischen Worte 
für Waflfe müssen wir wieder eine derartige Wahrnehmung 
machen, denn das hierfür mit wenig Ausnahme gebrauchte 
jarak, von ^aramaÄ; = bereiten, herrichten, zurichten, ent- 
spricht seinem etymologischen Werthe dem deutschen 
Rüstung, Ausstaffirung, Ausrüstung, nicht unähnlich dem 
gegenseitigen Verhältnisse zwischen dem skt. ara-m pas- 
send, lat. ar-ma = Waffe*, ferner zwischen dem finn. 
a5(»**=: Waffe und Geräth, und asetan=^in Ordnung stellen; 
zwischen dem russ. orudie = Geräth, Werkzeug und oru- 



* Vgl. Curtius, S. 304. ** Vgl Ahlquist, S. 238. 



117 

zie = Waffe. Derselbe Ideengang liegt dem alt. jepsel = 
Waffe, zu Grunde, indem die Stammsilbe jep = herrichten, 
bereiten, machen bedeutet. Wir dürfen daher auf unserm 
Sprachgebiete, so wie anderswo, unter Waffe ein Geräth, 
ein Werkzeug verstehen; die eigentliche Gebrauchsbedeu- 
tung, d. h. ob dieses Werkzeug zum Angriffe oder zur 
Vertheidigung diente, wird aus der Benennung der ein- 
zelnen Waffenstucke hervortreten. Es ergibt sich daher 
aus der etymologischen Bedeutung des türkischen Wortes 
für Waffen ganz klar, dass der Urmensch bei den Turko- 
Tataren, so wie anderswo, in den Waffen ein zu seiner 
Kleidung und zu seinem Lebensunterhalt unentbehrliches 
Ganze ansah und dieselben immer mit sich und auf sich 
trug. Welches wol die ursprünglichste Waffe gewesen 
sein mag, und ob dieselbe eher zur Offensive als zur 
Defensive gebraucht wurde, das ist eine Frage, die mit 
Hinblick auf die Verwandtschaft der Begriffe Fleisch und 
Speise wol leicht zu entscheiden wäre; wir. wollen und 
dürfen uns jedoch in weitgehende Speculationen einst- 
weilen nicht einlassen und wollen uns lieber hier mit der 
Detaillirung der einzelnen Waffenstücke beschäftigen. 

Unter den Hau- und Schneldewaffen begegnen wir 
zuerst der Axt und Schwingkeule. Die erstere heisst 
halta, die zweite bälga\ die Stammsilbe beider Worter be- 
deutet zertrennen, zerschlagen, zertheilen, und trotz der 
verschiedenen Form, in welcher heute beide Waffen vor- 
kommen, steht der analoge Ursprung der betreffenden 
Worter ausser Zweifel. Von ähnlicher Beschaffenheit und 
ähnlichem Ursprünge ist ein anderes für Keule speciell 
gebrauchtes Wort, nämlich das cag. 6okum, von cokmak 
= hauen, schlagen, so auch das verwandte öokuc =■ Ham- 
mer und cokmar oder coÄ;man = Knittel. ein mit rundem 
Knopf versehener Stock, welcher in dieser Form vom 
Baume abgeschnitten, als Muster der später so erzeugten 



118 

Waffen gedient haben muss. Die Keule, wofür wir noch 
ein anderes Wort, nämlich osm. hozdagan, eigentl. hoz- 
durgan = der Auseinanderschlager, haben, scheint im Ver- 
eine mit der Axt, wie die zahlreichen üeberreste aus der 
Steinzeit uns belehren, das erste Werkzeug gewesen zu 
sein, das der Mensch zur Vertheidigung oder zum An- 
griffe gebrauchte, denn die Schneid- und Stichwaffen, 
deren Erzeugung schon einen gewissen Grad von Kunst- 
fertigkeit voraussetzt, können nur in einem vorgerück- 
tem Stadium der Bildung enttanden sein. 

Während in den Benennungen für Keule, Axt u. s. w. 
die Grundidee des Zerschlagens , Zerhauens enthalten 
ist, finden wir im Worte für Schwert = hilic die Bedeu- 
tung des Schneidens, Schnitzens, Zerschneidens, Zer- 
stückeins, von Ml, hir (schneiden), vorherrschend. Dem 
Schwerte zunächst reihet sich als Schneidewaffe das Messer 
= iicak, jak. hisak^ von hicmak, hicmek = schneiden, 
zerschneiden; es waren dies blanke Waffen, zu denen im 
frühesten Entstehen auch eine Scheide gemacht wurde, 
welches Wort im Turko-Tatarischen kin^ ursprüngl. Tcijin 
heisst, der Grundbedeutung nach Bekleidung, Hülle (vgl. 
§. 74). Auch zur Bezeichnung der Stichwaffe gibt es 
ein specielles Wort, nämlich das uig., cag., mong. und 
osm. zida, alt. jida Lanze^ Speer; dies wird zwar nicht so 
viel gebraucht als das dem Persischen entlehnte najze, rich- 
tiger nejze, doch dünkt uns zida, da wir über dessen ety- 
mologische Bedeutung im unklaren sind, nicht so genuin 
als das heute uns nur im übertragenen Sinne bekannte 
5awiaifc = Fahne, von ^animaZ;=aufstecken, worunter nicht 
so sehr das Aufgesteckte, als vielmehr die lange Stange zu 
verstehen ist, mit welcher etwas aufgesteckt wird, richtiger 
der Aufstecker, durch die Partikel ak ein nomen agentis so 
wie licak = der Schneider, das Messer, von hie (schneiden); 
i*owaÄ;==der Gast, der Sichniederlassende, von kon (sich 



119 

niederlassen) u. s. w. In dieser Annahme bestärkt uns 
ein anderes, älteres Wort für Fahne, nämlich tug, kir. 
tiJcme, von der Stammsilbe tug, tük, iik = ein langer spitzi- 
ger Korper, Stange, Pfahl (vgl. §. 203), eigentlich die 
Stange, welche mit einem Rossschweife versehen als ur- 
sprüngliche Form der turko- tatarischen Fahne bekannt 
ist; ja wenn wir nicht irren, liegt dem persischen nej-^e 
(Lanze) ein ähnlicher Ideengang zu Grunde, indem dies 
aus naj, nej == Kohr, Gerte entstanden ist. Andere 
Waffen, als Ichanmr = der Dolch, Jcama = ein zwei- 
schneidiges, langes Messer, dem Persischen entlehnt, sind 
nur auf dem westlichen Sprachgebiete anzutreffen. 

Wenn wir nun auf die Schiess- und Wurfwaffen über- 
gehen, so werden wir zuerst der ScUeuder^ sakman auch 
taslau, wortl. Werfer, begegnen, die noch heute in Mittel- 
asien als Kinderspielzeug in der auch bei uns in Europa 
bekannten alten Form besteht. SakmaJc, analog mit sac- 
mdk, heisst schwingen, hin- und herwerfen, streuen, tasla- 
mdk heisst werfen, weiter befordern, und das Geworfene 
oder der Wurf tds. Merkwürdigerweise versteht man 
unter diesem Worte heute Stein im allgemeinen, obwol 
es im Grunde genommen ursprünglich nur Wurf, Ge- 
schoss bedeutet (vgl. oÄ= Pfeil §. 7) und mit den verschie- 
denen auf das Erdreich bezüglichen Wörtern in gar keiner 
Verwandtschaft steht. Wenn wir daher in der Schleuder 
die erste Schiesswaffe und im Stein oder der Erdscholle 
1. 1. Icesek (von kes-mek^ schneiden, trennen, absondern), 
das erste Geschoss uns vorstellen, so wird selbstverständ- 
lich der Bogen und Pfeil nur als eine solche Waffe auf- 
gefasst werden müssen, die schon mehr erfinderischen 
Geist erheischt, und daher das Erzeugniss einer spätem 
Periode ist. Das halbdunkle Verhältniss, welches zwi- 
schen dem skt.ar-a?a-5 = gebogen, ara<m- 5 ;= Ellenbogen, 
und dem lat. ar-cu-s, zwischen dem pers. Äemer = Run- 



120 

düng, und Tceman = Bogen besteht, findet sich auch im 
t. t.yaj,ye;= Bogen vor, denn dasselbe verhält sich zu ej^jej 
(biegen, neigen vgl. §.31) ungefähr so wie das deutsche Bug 
zu Bogen, oder das slaw. luTca^ Krümmung, zu JtiÄ, Bo- 
gen. Ebenso klar wie die Etymologie des Wortes für 
Bogen ist auch die des Wortes für 8eline^ nämlich Älm, 
das von Mr (kir-pik, Wimper), M, Haar, stammt, und uns 
belehrt, dass die Sehne zuerst aus Haaren, wahrscheinlich 
Pferdehaaren, wie noch heute üblich, bestand. Der Pfeil, 
überall ok genannt, muss seiner etymologischen Bedeutung 
nach als Wurf, Geschoss, aufgefasst werden, vgl. ok = 
Flintenkugel und oMamak = werfen, schleudern, eigentlich 
in die Hohe werfen, von der Stammsilbe oft = hoch, er- 
haben. Auch der Eöclier hat einen genuinen, seiner Be- 
schaffenheit ganz entsprechenden Namen, nämlich das kirg. 
tigis von tikmek, hineinstecken (vgl. magy. tege^f = 
Kocher), während das häufiger gebrauchte sadak mehr 
als Hülle, Bekleidung für Bogen und Pfeil zu nehmen 
ist, so im Öagataischen kilic sadagi = die Scheide des 
Schwertes. In Hinsicht auf die Verschiedenheit der 
Schiesswafien gibt es auch für den Begriff schiessen zwei 
verschiedene Zeitworter. Mit der Flinte schiessen heisst 
miltik oder tiifenk atmäk, d. h. werfen, während das 
Schiessen mit dem Bogen entweder durch jaj tartmak = 
den Bogen ziehen, anziehen, oder durch jaj jasmak = den 
Bogen erflachen lassen, ausgedrückt wird. An Bogen und 
Schleuder lässt sich noch eine primitive, speciell bei No- 
maden anzutreffende Wurfwaffe, nämlich das zum Ein- 
fangen der wilden Pferde gebrauchte Lazzo anreihen, das 
im Kirgisischen kuruk, eigentlich Schlinge heisst (vgl. 
magy. hurok = Schlinge) , von der Stammsilbe kur (auf- 
stellen, auflegen); die verbale Form wird mittels kurük 
atmak = Schlinge werfen oder schleudern ausgedrückt. 
Auch der Gebrauch der Schutzwaffen oder der Ge- 



121 

räthschaften zur Abwehr scheint sehr früh bekannt ge- 
wesen zu sein. Von diesen wollen wir in erster Reihe 
des Panzers erwähnen, wofür wir zwei verschiedene Be- 
nennungen haben: das ältere und speciell als Brustbe- 
kleidung gebrauchte saut^ savut, eigentl. der Schützer, von 
sautmdk = beschützen, unversehrt halten (vgl. §. 122), und 
das verhältnissmässig neuere töre = Wehr, Brustwehr, der 
Wortbedeutung nach etwas Gemachtes, zum Schutze Er- 
hobenes, von töremeh = schaffen, aufrichten, und mehr als 
Schutzmauer zu nehmen. Ferner finden wir den Schild 
=^kälkanj eigentl. Schirm, Obdach, der etymologischen 
Bedeutung nach das Erhobene, das in die Höhe Gehaltene 
(^gl* §• '73)) ^^ ^^ besten ersichtlich ist aus den ver- 
wandten kirg., alt. Jcalka = Schutzdach gegen Wind und 
Sonne, halkazan = Seelenschutz. In die Klasse der Schutz- 
mittel im Kampf gehören noch Teuren = Wagenburg, Tour- 
gfan = Festung, und Äwrwm = Umfriedung, von welchen 
im nächstfolgenden Abschnitte die Rede sein wird. 



X. 

Krieg nnd Friede. 

Um den Leser mit dem Ideengange vertraut zu machen, 
welcher dem türkischen Worte für Krieg zu Grunde liegt, 
und um annähernd zu zeigen, was die Turko-Tataren wol 
unter diesem Worte verstehen, müssen wir der Reihen- 
ordnung der einzelnen Abschnitte ein wenig vorgreifen 
und einen Blick auf das Wort für Volk, Nation werfen. 
Dieser Begriff wird nämlich mit ü oder hütim ausgedrückt, 
von denen ersteres so wol als das zweite die concrete Be- 
deutung von gebunden, vereint, vollkommen, ver- 
sammelt u. s. w. enthält. Aber nicht nur auf Volk, als 



122 

auf das durch Stammesverwandtschaft verbundene, ver- 
einte Ganze bezieht sich das Wort, sondern auch auf das 
gegenseitige, ungestörte Yerhältniss zweier Theile der Ge- 
sellschaft oder zweier Volkerschaften; denn Friede heisst 
ebenfalls il, d. h. verbunden, vereint (vgl. den analogen 
Ideengang im slaw. mr = Bauernschaft, Gemeinde und 
Friede). Es ist daher ganz natürlich, dass der diesem 
Begriff entgegengesetzte Zustand, nämlich Unfriede, Krieg, 
mit dem Juxtaoppositum von gebunden, mit getrennt, 
zerstreut, d. h.jagi oder jau^ sALjuu^ ^irg. zau, bezeich- 
net wird (vgl. §. 125).* Von dem schonen Bilde der 
Identität der Begriffe Friede und Volk wird noch weiter 
unten die Rede sein, hier sei nur hervorgehoben, dass 
nach der bei dem primitiven Menschen massgebenden Auf- 
fassung von den socialen Zuständen, Feindseligkeit und 
Krieg noch zwei voneinander verschiedene Begriffe sind, 
d. h. ein Volk oder ein Stamm kann und pflegt auch 
einander jahrelang jagt = getrennt oder feindselig gegen- 
überzustehen , ohne dass es unmittelbar zu einem that- 
sächlichen Ausbruch der Feinds'eligkeiten , worunter man 
den eigentlichen Krieg versteht^ kommen muss. Für die- 
ses Wort existirt das ältere Jcarga^ osm., cag. gauga oder 
JcaugUy der Grundbedeutung nach Verwirrung, Aufruhr, 
Auflauf, während der eigentliche Kampf, Treffen, Zusam- 
menschlagen, die Sclilaclit^ tohus, toküs, dögüs, döjäs^ von 
ioh — töJc — dög (schlagen) benannt wird. Am Kriege, rich- 
tiger Kampfe, haben von jeher nicht sämmtliche Mitglie- 
der eines Stammes oder Volkes, sondern nur die zu die- 
sem Behufe gewählten und zusammengebrachten Männer 
sich bethelligt, die demnach die Kriegsversammlung, das 
Kriegsheer oder die Armee ausmachten. Letzterwähnter 



* Jag = dag ist ausserdem noch vorhanden in jagir = Wunde 
infolge des Sattels am Kücken der Thiere, Aufreibung. 



123 

Begriff ist daher in vollem Einklänge mit seinem Ent- 
stehen im Turko-Tatarischen mit ceriJc, ceri oder mit ko- 
sufiy Tcousun wiedlergegeben. Certk stammt von cer, ter=^ 
sammeln, zusammenbringen (vgl. §. 182), daher der Aus- 
druck cerik tarimdk = eine Armee aufstellen, wortl. einen 
Haufen zusammenbringen, und cerilz tagitmdk = eine 
Armee auf losen, wortl. einen Haufen zerstreuen. Kosun 
stammt von Tcos = zusammenfügen, zusammenstellen (vgl. 
§. 80). Neben cerik und kosun^ welche die eigentliche, 
infolge des Aufgebotes der obersten Verwaltung zu Stande 
gekommene Armee repräsentirt, gibt es noch andere ge- 
nuine Benennungen für kleinere Kriegerhaufen, als ala- 
man oder haranta, welche aus einem noch frühern Stadium 
der gesellschaftlichen Zustände entspringen und richtiger 
gesagt an jenes Zeitalter erinnern, in welchem einzelne 
Stämme ohne das Band der Gemeinsamkeit sich gegen- 
seitig befehdeten, d. h. beraubten und plünderten. Das 
erstere dieser zwei Worte lautet in der altern Form alak- 

• 

man (von alak = Nehmer, und man = thum) und kann 
daher mit Kaubgesellschaft übersetzt werden, denn nicht 
nur die Älamans der heutigen Turkomanen können in 
diesem Sinne des Wortes aufgefasst werden, sondern man 
hat unter denselben von jeher die von der Armee auf 
Beute ausgeschickten kleinern Kriegerhaufen verstanden. 
Von ähnlichem Ursprünge ist auch das kirg. haranta = 
Raubzug, richtiger harumta^ von barum = Vieh, Vermögen. 
Nach der Auslegung Ilminski's* ist dies eine gewaltsame 
Pfändung zwischen zwei streitführenden Parteien, nachdem 
eine friedliche Aussöhnung unmöglich geworden; die allge- 
meine Bedeutung von Raubzug ist erst spätem Ursprunges. 
Saranta oder harumta erinnert übrigens lebhaft an das 



* Geographische und Statistische Materialien zur Beschreibung 
der kirgisischen Steppe (1865), S. 257. 



124 

skt. Wort für Krieg, nämlich an gavishti, welches wort- 
lich genommen Begehren nach Kühen, Kühe suchen heisst. 
In Anbetracht der unsteten Lebensweise und der armen, 
nackten urheimatlichen Natur, in welcher das turko-tata- 
rische Volk von jeher sich befand, darf es nicht wunder- 
nehmen, wenn das Kriegshandwerk von alters her stark 
ausgebildet war, und wenn die Technologie des Kriegs- 
wesens einen durchweg genuinen Charakter aufweist, wo- 
bei wir nicht so sehr auf die im Tüzükat-i-Timur über 
das Kriegswesen enthaltenen Regeln und Institutionen 
Bezug nehmen, als vielmehr auf jene Zustände, die nach 
dem Zeugnisse linguistischer Monumente schon lange, ja 
sehr lange bestanden und neben dem erwähnten Gesetz- 
buche Timur^s auch nach dem Jasau-Cengiz als Basis ge- 
dient haben müssen. In den hierauf bezüglichen Aus- 
drücken finden wir ein klares und ausdrückliches Bild 
des kriegerischen Lebens, aus dessen einzelnen Zügen die 
Entstehungsgeschichte der verschiedenen Kriegsarten und 
Kriegsbräuche uns einleuchtend wird. Das erste Kriegs- 
zeichen, richtiger die Erklärung des Kriegs, wird durch 
die Redensart tug MtürmeJc oder kaldirmak == den Speer 
(d. h. die Fahne) emporhalten oder erheben, ausgedrückt, 
da dies der uralten Sitte gemäss ein Zeichen zum Auf- 
bruche war, ebenso wie das entgegengesetzte tug tikmek 
= den Speer in die Erde stecken, als Signal des Still- 
stehens gehalten wird. Dies erinnert an die altmagyarische 
Sitte, wo bei dem Ausbruch des Krieges als Aufgebot 
zum Kampfe ein von Blut triefendes Schwert im Lande 
herumgetragen wurde. Der Ort, an welchem nach gege- 
benem Zeichen die Krieger zusammenkommen, heisst luh 
car und biiUas, von hul^ richtiger in der Reciprocitätsform 
hulus = sich einfinden, und der mit der Bestimmung eines 
solchen Ortes Beauftragte führte den Namen hulcar hegi 
= Aufseher des Stelldicheins. Zur Benennung der ver- 



125 

scfaiedenen Theile des Truppenkorpers sind, wie überall, 
die Glieder des menschlichen Korpers als Basis genom- 
men worden. Bas (Kopf) heisst die Spitze, ongkol und 
solkol (Rechte und Linke) die beiden Flügel der Armee, 
während die Arantgarde den passenden Namen Harauly 
^rat«Z = Aufsucher, von aramakf karamdk (suchen, um- 
herschauen), die Arrlferegarde den Namen böheöl=Z\X' 
schliesser, Beschliesser, von hökemeJc (beschliessen) führt. 
Für Wache gibt es zwei Ausdrücke: Karaul oder Kara- 
guly die Wache im allgemeinen, von karamak (sehen, um- 
schauen), und cagdauly der für eine bestimmte Zeit aus- 
gestellte Posten, von cag (Zeit) und cagdamak oder cag- 
laniak (eine Zeit abwarten). Der Flankier heisst capkur 
oder capkulin, von capkulamak (wiederholt angreifen), der 
Angriff oder Einfall hingegen capau^ von capmak (ein- 
schlagen, einfallen), und die ScMaelitrelhe wird jasäl 
genannt, vonya^amaÄ;=machen, ordnen, folglich Ordnung, 
und der dieselbe herstellt jasaul = Ordner, heute eine 
Hofcharge. Ganz treffend ist auch der Begriff von sie- 
gen und dessen Gegensatz besiegt werden^ unterliegen, 
ausgedrückt. Für ersteres haben wir das Verbum jeng- 
mekj eigentl. der Leichtere, Behendere, Frischere sein, von 
jeng, Jew = frisch, neu, leicht, oder ökte bolmak, eigentl. 
im Vortheil sein; für letzteres hingegen nebst der passiven 
Form des jengmek, d. h. jengümek, noch das positive sin- 
mak, eigentl. gebrochen werden. Ausserdem werden die 
betreffenden Begriffe noch mittels der bildlichen Umschrei- 
bung von basmak (drücken, unterdrücken) und alt etmek 
(jemand unter sich bringen) wiedergegeben. 

Fahren wir nun in Erörterung der Einzelheiten fort, 
so werden wir unter anderm die charakteristische Wahr- 
nehmung machen, dass die Türken für Gefangene kein 
genuines Wort besitzen, indem das hierfür gebrauchte alt., 
6ag. olmy olca. Beute, Beuteantheil bedeutet, und mit dem 



126 

Verhältnisse der Gefangenschaft auch nicht im entfernte- 
sten in Berührung steht. Aus dem Umstände, dass die 
Benennung der Gefangenen und der Beute ganz identisch 
ist, mag wol gefolgert werden, dass die im Kampfe leben- 
dig in die Hände gefallenen Feinde als Beute, d. h. ein 
zur Vertheilung bestimmtes Gut (vgl. oZ-ö7 = theilen; öl- 
ceJc = Antheil, §. 63) betrachtet, in das Eigenthum des 
Siegers übergegangen, hiermit auch der Freiheit verlustig 
geworden sind. Ein dermassen zu Stande gekommenes 
Verhältniss wäre zwar mit unserm BegriflPe von Sklayerel^ 
aber nicht der Gefangenschaft, resp. Kriegsgefangenschaft 
identisch, und in der That hat die türkische Sprache nur 
für den ersten dieser Begriflfe eine specielle Benennung, 
nämlich das Wort hd (vgl. §. 99), in der wörtlichen 
Uebersetzuog Höriger, das zum veralteten, heute nur in 
den finn-ugrischen Sprachen vorkommenden kul (hören) 
sich so verhält, wie das slaw. sluga (Diener) zum Verbum 
slusat (hören). Neben Tcul wird allerdings heute auch 
noch das echt türkische Wort Tcöle für Sklave gebraucht, 
doch müssen wir gleich im vorhinein bemerken, dass dies 
in der altern Form Izöjle ursprünglich Diener, Gehülfe, 
Aushülfe bedeutet und von häj, Tcüj (sich anlehnen, stützen, 
sich mit etwas aushelfen) stammt (vgl. §. 111). In den 
heutigen turko -tatarischen Sprachen werden Sklave und Ge- 
fangener ausserdem noch mit dem arab. mr, osm. jesir, oder 
mit dem pers. hende bezeichnet, von welchen letzteres ganz 
klar auf Band, Fessel hindeutet; dem gegenüber bekundet 
das türkische Wort eine entschieden mildere Auffassung, und 
in der That ist den Türken selbst das Wort Kette in ge- 
nuiner Form unbekannt, da man hierfür das pers. zenzir ge- 
braucht. Andere auf Sklaverei Bezug habende Worter, wie 
hogra und hogdk (Hals- oder Fussfessel) sind in der ur- 
sprünglichen Form mehr als Werkzeuge zur Zähmung der 
Thiere als zur Gefangennahme des Menschen aufzufassen. 



127 

Auf diesem Gebiete kommt noch die Stammsilbe tut 
= fangen, erwischen, richtiger aber festhalten, halten, vor, 
in dem Worte für Geisel^ nämlich cag. tutah oder tut- 
• kun, das keinesfalls mit Sklave, d. h. ein seines freien 
Willens beraubtes Individuum, wie wir dies in Baber's 
Schriften antreffen, sondern mit Bürge, Geissei übersetzt 
werden muss. Kriegsgeiseln, oder Bürgen für das Ein- 
halten der getroffenen Vereinbarungen, waren im Gegen theil 
von jeher ein Gegenstand ehrenhafter Behandlung, daher 
das turkm., cag. akojlu = Geisel ^ wortl. Bewohner eines 
weissen Zeltes, da zur Unterbringung der aus dem feind- 
lichen Lager eingetroffenen Bürgen weisse Ehrenzelte, wie 
solche auch bei neuvermählten Eheleuten üblich sind, auf- 
geschlagen werden. Aus dem Mangel eines speciellen 
Ausdruckes für Sklave, Kriegsgefangener wird es erklär- 
lich, dass auch das mit letzterm zusammenhängende Löse- 
geld in der Gestalt eines speciellen Ausdruckes fehlt, 
denn das <5ag. iüUhir, osm. Jcelehir wird nur als Losegeld 
bei Zurückerlangung in Verlust gerathener Gegenstände 
gebraucht. 

Für Gesandter und Bote haben wir die genuinen 
Worter ilci, von il- el (voraus), und jolauc, von jol (Weg) 
und jollamak (schicken). 

Für Dolmetseli haben wir das aus dem Türkischen 
ins Russische und ins Deutsche übergegangene genuine 
Wort tihneJi, von til (Zunge, Sprache), ursprüngl. tilmekzi 
(Redner), welches Wort irrigerweise vom russ. tölk^ toi- 
hovaf (erklären) abgeleitet wird. 

Zur Bezeichnung von Lager-^ Stand- und Schutz- 
plätzen gibt es im Turko- Tatarischen drei, den Zweck 
und die Beschaffenheit derartiger Vorrichtungen genau 
definirende Ausdrücke. Unter Lager = urdu ist im all- 
gemeinen das Stillstehen, das Innehalten auf dem Marsche 
ausgedrückt. Urdu heisst wortlich das Aufgeschlagene, 



128 

von urmdk = schlagen, einschlagen, daher urdu umtai, 
pers. urdu eeden^ m^gy* iäbwrt ütni, sogar deutsch Lager 
au&chlagen, was theils auf das Aufischlagen des Zeltes, 
theils aber auch auf das Aufpflanzen der als Fahne die-« 
nenden Lanze Bezug hat. Für die Richtigkeit dieser 
Etymologie des Wortes spricht die entgegengesetzte Hand- 
lung des Aufbrechens, nämlich urdu kaldirmakj wortl. 
Lager aufheben. Bei den Schutzplätzen müssen wir drei 
verschiedene Gattungen unterscheiden: a) Küren ^ fälsch- 
lich mit Wagenburg übersetzt, da dies nur Ring, Zaun, 
Umzäunung bedeutet, und aus Wagen auch schon des- 
halb nicht gebildet werden konnte, da dieses Fahrzeug 
den Türken zu allen Zeiten fremd, und so wie in alten 
Zeiten mittels des (chinesischen?) Lehnwortes Kang*^ so 
auch in der Neuzeit durch das arab.-pers. araba bezeichnet 
wird; denn mit Recht sagt Poesche („Die Arier^', S. 73): 
„Der Wagen ist eine Erfindung des Waldlandes, das Rei- 
ten eine Erfindung der Steppe.^^ Woraus die als Mren 
bekannte Umfriedung wol bestanden haben mag, mnss als 
oflTene Frage hingestellt werden; Wagen oder andere 
Fahrzeuge waren bei denselben keinesfalls verwendet. 

b) Siginza = eine kleine Festung, von siginmak = sich 
schützen, sich unter ein Obdach oder Schirm stellen. 

c) Kurgan = Festung^ Ton hurumdk, hurmdk = schützen, 
wehren (vgl. §. 86). In keiner dieser Benennung muss 
übrigens eine im militärischen Sinne des Wortes aufge- 
fasste Baulichkeit, als vielmehr der Grundbegriff eines 
Schutzbaues im allgemeinen vermuthet werden, denn so 
wie die Bezeichnungen von Stall, Haus, Thiergarten 
u. 8. w. von derselben Stammsilbe wie Festung, Burg 
u. s. w. entstanden, ebenso ist es auch höchst wahrschein- 
lich, dass es eben letzterwähnte Bauten waren, aus wel- 



* Kangli « Wagen, nach Abulgazi von dem Geräusch so genannt. 



129 

eben die Idee der Wehrplätze bei Kriegsunternehmungen 
hervorgegangen ist. 

Von der innern Bedeutung des Wortes für Friede 
haben wir schon im Eingang dieses Abschnittes gespro- 
chen, indem wir die Identität des Wortes ü = Friede mit 
ü = Volk und der Stammsilbe il = binden, hervorgehoben, 
wobei die Begriflfsanalogie zwischen dem russ. mir = Welt, 
und mir = Friede, als Seitenstück ins Auge fallen muss. 
Als weiterer Beleg dieses Zusammenhanges diene ferner 
die auf den Friedensschluss bezügliche Redensart: aralari 
il oder iekilc wi = Sind sie in Frieden, wortl.: Ist ihr 
gegenseitiges Verhältniss gebunden? Oder das Gegen- 
theil: olarjagi mi = Sind sie in Feindschaft; wortl.: Sind 
sie zerstreut? Oder auch: aralari cözük mw, bozuk mu = 
Sind sie feindschaftlich gesinnt, wortl.: Ist ihr gegenseiti- 
ges Verhältniss getrennt oder aufgelost? Es ist daher 
ganz klar, dass ebenso wie Friede den concreten Begriff 
von Verbindung, Vereinigung ausdrückt, so wurde der 
Friedensschluss von jeher mittels eines Ringes symbolisirt, 
wie wir dies in den alten Sculpturen persischer Monu- 
mente wahrnehmen. Frieden schliessen und sich verbin- 
den sind daher analoge Begriffe, und so ist denn auch 
das im Westtürkischen gebrauchte Wort für Friede, näm- 
lich baris, erklärlich, indem dies in der Reciprocitätsform 
des Verbum bar = gehen , wortl. zueinandergehen , sich 
gegenseitig besuchen, bedeutet; ebenso auch das cag. ja- 
ras = Friede, welches der etymologischen Bedeutung nach 
sich gegenseitig anpassen, oder sich aussöhnen heisst. 
Auch das Friedenanbieten, richtiger die Unterwerfung der 
besiegten Partei, ist sammt der üblichen Sitte in dem be- 
treffenden Worte ausgedrückt. Um die Gnade des Sie- 
gers zu erflehen, muss der Besiegte oder dessen Gesandter 
barhaupt und barfuss, mit dem blossen Schwerte um den 
Hals gehängt, im Lager des Siegers erscheinen, daher das 

V&mbäry, Cultur. 9 



130 

y erhum' jaUharmak = &ehen^ bitten, wortl. nackt gehen, 
früher beim Ansuchen um Frieden, gebraucht auf den Be- 
griff instandigst bitten übergegangen ist, ebenso wie der 
Ausdruck da?^a6aw= Feigling, wortl. einer dessen Sohle 
nackt ist, bedeutet. 

Bevor wir unsern Abschnitt über Krieg und Friede 
schliessen, wollen wir noch auf eine hierher gehörende 
Eigenthümlichkeit der Sprache aufmerksam machen, näm- 
lich auf die Parole nn Krieg, uran, oran oder (nach 
Abuska) ören genannt, welche nach Baber^s Aussage zu 
Kriegszeiten aus zwei Worten bestand, von welchen das 
eine auf den einzelnen Stamm, beide auf die Armee Be- 
zug hatten. Dieses dünkt mir jedoch eine Sitte spätem 
Ursprunges, denn in der ältesten Zeit war die Parole eine 
einfache, auf die einzelnen Stämme bezügliche, mittels 
welcher im Schlachtengetümmel oder in der Dunkelheit 
der Nacht das vom Stamme getrennte Individuum seine 
Angehörigen zu erkennen und aufzufinden im Stande war. 
Ich habe diese sonderbare Sitte selbst in Erfahrung ge- 
bracht, und das Schauerliche der Scene, als auf einem 
nächtlichen Marsche durch die Hyrkanische Steppe das 
verzweiflungsvolle uran eines in stockfinsterer Nacht ver- 
irrten Turkomanen zu unsern Ohren drang, ist mir ewig 
unvergesslich. Der Mann schrie aus Leibeskräften ein 
mir unbekanntes Wort, die turkomanische Reisegesell- 
schaft lauschte lange beklommenen Herzens, doch der 
Ruf blieb unerwidert. „Es ist ein Tekke-Uran", 
horte ich sagen, man ging seines Weges, und der Ver- 
irrte setzte sein Angstgeschrei noch eine Zeit lang fort. 
Das Interessante an diesen Urans ist, dass sie sämmt- 
lich uralten Ursprunges sind und von jener Zeit her- 
rühren, ^als die heute weit voneinander getrennten Stämme 
noch miteinander lebten. So war von jeher 



131 

die Parole des Stammes Kijat: urdsan 
)) » » » Mangit: tdlaj 

» » » » Kennegez: cauU 

)) » )) » Kitai: uluta 

» )) » )) Kungrat: capügan 

u. s. w., Worter, die sich sonderbarerweise bei den be- 
treffenden Stämmen nicht nur türkischer, heute schon in 
Sonderstellung lebender Abtheilungen, als Kirgisen, Tur- 
komanen und Oezbegen, sondern auch bei mongolischen 
Völkerschaften unverändert erhalten haben, und folglich 
Sprachüberreste jener uralten Zeit sind, in welcher Tür- 
ken und Mongolen noch ein und dasselbe Volk waren. 



XI. 

Stände und Regierung. 

Wie im vorhergehenden Abschnitte schon bemerkt 
worden ist, enthält die türkisch- tatarische Benennung für 
Volk und Nation den allgemeinen JBegriff von ganz, ge- 
schlossen, vereinigt, d. h. einer Versammlung. Vgl. cag. 
ü = Volk, ilki = Heerde, mit il = binden; uig. hutün = 
Volk, mit iütün = ganz, vereint; alt.^on = Volk, mit jum 
= vereinigen. Es ist dies eine Wortbildung, welche an 
das lat. pO'pul-us, pleb-s (nach Curtius von schwellen, 
gross sein), noch mehr aber an das gegenseitige Verhält- 
niss zwischen dem deutschen Volk, sisLw. pluJcj polk = 
Volk, Haufe, und engl, flock = Heerde, erinnert, und die 
nach einer naturgetreuen Auffassung unter Volk und Na- 
tion eine Anhäufung und Versammlung von Menschen 
verstehen lässt. Mit Volk, Nation identificirt sich auch 

9* 



132 

der Begriff von Heimat oder Vaterland, mit einem Worte 
Land, und Izaju ildin sen kann ebenso sehr mit „Aus 
welchem Volke bist du?" als mit „Von welchem Lande 
bist du?'' übersetzt werden. Wir haben ausser den er- 
wähnten im Uigurischen noch eine Bezeichnung für Volk 
im Worte iura, eigentlich schwarz, demnach eine Anspie- 
lung theils auf Haufen, Menge, theils ^uf die niedere 
Schicht oder untere Klasse, der gegenüber der Adel = 
manap, von der Stammsilbe man == oben, obenan (vgl. 
§. 234), als der auserwählte Theil.der Gesellschaft, auch 
als Obrigkeit sich präsentirt. Diese Unterscheidung zwi- 
schen einer obern und untern Klasse« ist auch anderseitinr 
ausgedrückt, nämlich in kara söngeJc = Schwarzbeinige, 
d. h. Volk, und ak söngek = Weissheiinge^ d. h. Adel, 
wobei die aristokratische Distinction wol nicht in der hete- 
rogenen Farbe der Beine, als in dem Ursprung, in wel- 
cher Bedeutung das Wort Bein zu nehmen ist, gesucht 
werden muss; ebenso wenig wie man im vierten Stande 
der alten Arier, nämlich in den Sudras, die ebenfalls die 
„Schwarzen" genannt werden, eine Farbenverschiedenheit 
von den etwa weissem und hellfarbigem Kasten der Brah- 
manen, Kschatrias und Vaisyas suchen kann. Es ist da- 
her mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, dass die Haupt- 
eintheilung in zwei Klassen von uraltem Ursprünge sei 
und eigentlich der patriarchalischen Verfassung der Fami- 
lie entlehnt worden ist. AJ^älar = die Grauen, und Ata- 
Zar== die Väter, galten von jeher als Bezeichnung für 
Vorgesetzte und Männer höherer Stellung und höhern 
Ranges, aus denen mit der Zeit ein besonderes Geschlecht 
von aristokratischer Färbung sich herausgebildet hat, das 
ebenso sehr des Ansehens und der Achtung des gesamm- 
ten Volkes sich erfreute, als das Oberhaupt im engen 
Kreise seiner Familie und der Aksdkal = Graubart, im 
weitern Kreise seines Geschlechtes. 



133 

Trotzdem wir uns, und zwar mit vollem Rechte, die 
socialen Zustände der ältesten Turko - Tataren sowie auch 
der übriffen Volker der Welt in rein nomadischer Form 
vorstellen, muss es uns doch ziemlich befremden, dass die 
Sprache schon sehr früh zwischen Ansässigen und Nicht- 
ansässlgen^ d. h. Nomaden, einen Unterschied macht, wo- 
durch wir zur Vermuthung angeregt werden, dass das 
Wanderleben bei der grossen Masse, als von der Witte- 
rungsverschiedenheit ausfliessend, nur in einer Verände- 
rung der Wohnplätze im Sommer und im Winter bestand; 
und dass es zweitens solche Stämme oder Völkerschaften 
gab, die nie eine stete Heimat hatten und in beständigem 
Wanderleben sich befanden. Es ist daher mit Hinsicht 
auf letztere, dass die Benennungen Tcöcek = Nomade, Her- 
umzügler, von Jcöc = aufbrechen, herumziehen, jürük = No- 
made, von jür = ziehen, gehen, und hazdk = Vagabund, 
von dem veralteten kam, neuer ae oder gez = irren, herum- 
gehen, entstanden und Anwendung gefunden haben, mit 
welch letzterer Bezeichnung, nämlich mit hazak, das turkom. 
gezek oder gezek il = Wandervolk, im Gegensatz zu comru 
oder comuc'il = sesshaftes Volk, übereinstimmt. 

Was die Eintheilung des Volkes in Stämme und Ge- 
schlecliter anlangt, so können wir das Entstehen derarti- 
ger ethnischer Configuration bei den Nomaden selbst noch 
heute in nächster Nähe beobachten. Sobald irgendeine 
Familie den theils mittels Gewalt ergriflTenen, theils als 
Erbtheil ihr zugefallenen Weidegrund zu eng und zur 
Nährung des Viehstandes für unzureichend findet, muss 
auch allmählich die Trennung vom Stamme, das Brechen 
des engern Familienbandes vor sich gehen. Der sozusagen 
vom gemeinsamen Stamme der Familie losgetrennte Theil, 
der den Namen tire, d. h. Bruchstück, von tir, Jcir = bre- 
chen (vgl. §. 191), fuhrt und von uns als Zweig bezeich- 
net wird, pflegt nun seinen Namen entweder von jener 



134 

Persönlichkeit zu nehmen, unter deren Leitung die Los- 
trennung stattgefunden hat, oder von der geographischen 
Benennung der neuen Weideplatze, mitunter auch von 
irgendeinem Spitznamen, der alsdann in der ethnischen 
Nomenclatur als Eigenname stehen bleibt. Von Tire, dessen 
etymologische Bedeutung Bruchtheil, und das nur in freier 
Uebersetzung für Zweig genommen werden kann, ent- 
stehen dann später nach besagtem Processe die uruJcs = 
Familie, richtiger Sprossling, von urmak = ausschlagen, 
sprossen, hervorspriessen, unter welchem Worte man so- 
wol die unter einem Familienvater stehende Haushaltung 
als auch die Gesammtheit der nähern Verwandten ver- 
steht. Nach nomadischer Auffassung der Affinitätsgrade 
wird, wie ich mir seinerzeit personlich erklären liess, die 
Grenze des uruk durch sieben Vorväter definirt, daher man 
unter dem Ausdrucke jeti ata (wortl. sieben Väter) Ah- 
nen, Vorältem im allgemeinen versteht; was über diese 
Zahl hinaus sich erstreckt, wird als der weite Ver- 
wandtschaflskreis, d. h. als der Stamm betrachtet. Für 
die Zusammengehörigkeit der verschiedenen tire's (Stämme) 
hat der Nomade ein schon verhältnissmässig geringeres 
Verständniss, und der Begriff Volk, Nation, was er unter 
il versteht, kann ihn schon weniger erwärmen, als die auf 
Grundlage einer engem Verwandtschaft ruhende Einthei- 
lung der Tire's und der üruVs. 

Trotzdem das Aufbrechen grosserer Volksmassen in 
kleinern Abtheilungen eine mit der Zeit fortlaufende ge- 
wesen, so gibt doch die betreffende Nomenclatur der 
Stämme einen wichtigen Anhaltspunkt zur Eruirung des 
diesbezüglichen Verhältnisses im grauen Alterthume. Wir 
finden z. B. heute noch einzelne Stammesnamen, wie 
Kitai, Sajat, Nogai, Mangit u. s. w., die entschieden 
mongolischen Anklanges, als Stammesbenennungen nicht 
nur verschiedenen Türkenstämmen, sondern auch den 



135 

Mongolen eigen sind. Wol darf der Einfluss der letz- 
tern, namentlich unter Dschengiz, nicht unberücksich- 
tigt bleiben, doch ist diese Namensverwandtschaft noch 
vor der Zeit der Mongolenherrschaft zu erkennen und 
muss daher weit altern Datums sein. 

Was die oberste Leitung des Volkes, die Fürsten- 
würde ^ anbelangt, so wäre es allerdings von höchstem 
Interesse zu eruiren, wie weit zurück in der Vergangen- 
heit die Existenz eines Fürsten sich nachweisen lässt, und 
von welch etymologischer Grundlage das hierfür bestehende 
Wort sei. Dass bei den turko- tatarischen, ja bei den 
ural-altaischen Völkern im allgemeinen der Titel Chakan 
Kakan, entsprechend unserm Fürst, König und Herrscher, 
schon sehr früh bestanden habe, dafür bürgt die histo- 
rische Ueberlieferung aus der ältesten Zeit, namentlich die 
Kunde vom Bekanntsein dieses Titels bei Chazaren, alten 
Magyaren, Avaren und andern den byzantinischen Ge- 
schichtsschreibern bekannten ural-altaischen Völkerschaf- 
ten. Der gemeinsame Gebrauch dieses Wortes legt wol 
ein beredtes Zeugniss für den engern Verwandtschaftsgrad 
jener ethnischen Elemente ab. Wir wissen, dass aus Cha- 
kan, welches im Mongolischen noch beinahe unverändert 
in Chakan = Fürst vorkommt, das alt. kaan, cag. chan — 
welches die Sultane dei? Türkei noch heute als Fürsten- 
titel sich beilegen — entstanden; doch hinsichtlich der 
Grundbedeutung, richtiger hinsichtlich der Etymologie 
dieses Wortes sind wir so ziemlich im Dunkeln. Mit 
Hinblick auf die Bedeutung der mong. Stammsilbe chagh 
= untersuchen, prüfen, trennen, scheiden, und mit Berück- 
sichtigung des im Türkischen als nomen agentis auftreten- 
den Partikels gan, kan, liesse sich einigermassen das Amt 
eines Richters, Aufsehers, Urtheilsfällers vermuthen; wäh- 
rend andererseits, nach der Verwandtschaft des auslauten- 
den k mit b in kak-an, eine ältere Form von kaban=Eber^ 



136 

noch heute Symbol der Starke, Männlichkeit (vgl. magy. 
han = das Männchen bei gewissen Tbieren) als Hypothese 
nicht ausgeschlossen ist, und wonach also der Name des 
in der Urzeit, wie wir weiter unten sehen werden, meist 
gefürchteten Thieres als Attribut und Titel des Herr- 
schers gebraucht wurde. 

Wenn wir bezüglich des ältesten Titels der Fürsten 
nur auf Hypothesen angewiesen sind, so ist es mit andern 
ebenfalls auf das höchste Amt bezüglichen Titeln schon 
besser bestellt. Unter diesen nimmt die erste Stelle ein 
das uig. üih = Fürst, Herrscher, von der Stammsilbe ü 
(voraus, zuerst), der innern Bedeutung zufolge der Vor- 
gesetzte, der Vorderste, dem noch das synonyme uig. ilci 
= Herr, Fürst, und das cuv. Utk = der Aelteste, zur Seite 
gestellt werden kann. Ilik und Ilci kommen im {C^udatku 
Bilik vor, stammen daher aus der ältesten Bildungsperiode 
des Türkenvolkes, und geben der Vermuthung Raum, 
dass Chahan, welches den Uiguren nicht unbekannt war, 
als entschiedener Ueberrest jener Zeit zu halten ist, in 
welcher die seit geschichtlicher Erinnerung uns bekannte 
Trennung der einzelnen Volkergruppen noch nicht vor 
sich gegangen war und das Türkenvolk mit den mongo- 
lisch-manzuischen Elementen zusammen lebte. 

Als speciell türkisch und aus dem grauen Alterthume 
stammend dünkt uns der Titel Chunkiar, osm. Hünkar, 
Hünkiar, nicht etwa das Wort, das rein persischen Ur- 
sprunges ist, sondern dessen Bedeutung, die tief im Leben 
der türkischen Nomaden wurzelt und von dem Verhält- 
nisse der Familie auf das des Staates übergegangen ist. 
Im nomadischen Familienleben wird nämlich das älteste, 
stärkste und erfahrenste Mitglied mit dem heiligen Amte 
der Blutrache betraut und bei einigen Stämmen als kan 
(jöder (Blutspäher), bei andern als chunkiar (wortl. dessen 
Angelegenheit das Blut ist) bezeichnet, und in der That 



137 

wird die höbe Wichtigkeit dieser Pflicht durch nichts so 
sehr in Relief gebracht als durch den Umstand, dass die 
Obliegenheit desselben zum Ehrentitel des Familien- oder 
Stammeshauptes, und später ein Attribut der Fürstenwürde 
geworden ist. 

Wenn wir daher in den erwähnten Titulaturen die 
höchste, d. h. Fürsten- oder Herrscherwürde erblicken, 
Würden, die bei keiner Gesellschaft, folglich auch bei der 
turko-tatarischen nicht fehlen konnten — trotzdem einige 
Nomaden, wie z. B. die Turkomanen, eine solche anzu- 
erkennen noch bis heute sich weigern — so können wir 
nicht umhin, in den vorhandenen Sprachmonumenten noch 
andere Obrigkeiten mit wahrscheinlich engerm Wirkungs- 
kreise zu entdecken. Zu diesen, in der ursprünglichen 
Form und Bedeutung nur Stammesoberhäuptem gehören : 

a) Kalga^ Titel der Fürsten der Nogai- und Krimtataren, 
der Wortbedeutung nach Schutz, Schirm (vgl. §. 73), und 

b) das im weitern Sinne für Fürst, Oberhaupt gebrauchte 
hijj big, heg, bej, dem sprachlich das magy. fej = Kopf 
am nächsten steht, und das mit dem turk.-tat. baj, boj, 
bij = reich, erhaben, angesehen (vgl. §. 205), eng verbun- 
den ist. Gleich dem roman. capitano, dem pers. serdar, 
dem arab. r^ und dem deutschen Hauptmann, steht 
baj in lautlicher und begrifflicher Verwandtschaft mit bas, 
6as= Haupt, und das uig. 6asci = Oberhaupt ist gleichen 
Werthes mit dem osm. bese, ein Ehrentitel unter den 
Dorfbewohnern Anatoliens. 

Schliesslich müssen wir noch jene Würden und Titel 
verzeichnen, die nach dei^ Auffassungen des primitiven 
Menschen jenem Mitmenschen ertheilt werden, der durch 
Stärke oder personliche Tapferkeit bei der Vertheidigung 
des Gemeinwohles sich hervorthut. Solche sind: Alup, alp^- 
Held^ oberster Krieger, cuv. ölip = Herr, von der Stamm- 
silbe ol, til (hoch, erhaben); komg, kojsa, (/oiaÄ = Held, 



138 

vom concreten Jcoza = gross, welches in diesem Sinne noch 
heute im Osmanischen gebraucht ist. In welchem Maasse 
der Begriff von Hohe und Grosse mit der Herrscher- 
würde im Zusammenhange steht ^ ist am besten aus der 
alten Sitte ersichtlich, nach welcher der zum Herrscher 
oder Oberhaupt Auserkorene von seinen Mitbürgern theils 
auf den Händen, wie dies noch heute bei den Ungarn 
und auch anderswo üblich ist, theils auf ein Stück Filz 
gesetzt, wie in Mittelasien, in die Höhe gehoben wird. 
Kötürmek=^ in die Hohe heben, erheben, ist daher auch 
für auserlesen, auserkoren gebraucht, ja im üigurischen 
heisst Jcötrüm Fürst, d. h. der Erhobene. 

Nicht minder interessant ist das Verzeichniss der zur 
Fürstenwürde gehörigen Attribute, wie solche in dem 
ältesten türkischen Sprachdenkmale sich vorfinden. Die- 
selben sind: a) Tw5r=Fahne, eigentl. Speer, und bajdag (von 
baj =■ Fürst, und dag == Zeichen, also ein fürstliches Ab- 
zeichen), woraus das neuere hajrak = Fahne entstanden ist. 
b) Tamga = Siegel^ oder tapu = Stempel, wovon ersteres, 
wie aus der Stammsilbe tarn = Tropfen, ersichtlich, an 
jene uralte Sitte erinnert, nach welcher die Bekräftigung 
des Wortes, so wie beim Schwur (vgl. weiter unten) 
mittels eines Tropfens dem eigenen Körper entnommenen 
Blutes vollzogen wurde. Später scheinen die Fürsten die 
ganze flache Hand wahrscheinlich ins Blut des Schlacht- 
opfers getaucht und auf das Document gedrückt zu haben, 
wofür die noch heute bei den Sultanen der Türkei unter 
dem Namen Tugra* (wörtl. Gesetz) existirende, ein Bild 
der offenen Hand mit den fünf Fingern darstellende fürst- 
liche Unterschrift am meisten spricht. Was den tapu an- 
belangt, das heute nur noch als Stempel, Merkzeichen der 
Thiere gebraucht wird, so scheint dies ein anderes, allem 



* Tugra in der Schrift, ausgesprochen wird es iura. Vgl. töre §. 197. 



139 

Anscheine nach untergeordnetes Zeichen der fürstlichen 
Unterschrift gewesen zu sein. Etymologisch heisst tapu 
ganz einfach Druck, Spur, Eindruck, e) lühk, Jcüng^ im 
Uigurischen die Trominel (alt. tüng-ereh^ worunter die 
im alten Religionswesen der Türken, nämlich im Schama- 
nenglauben, die Hauptrolle spielende Trommel, die nur 
und. auch dann im Religionsdienste im Kriege Verwendung 
gefunden, verstanden werden muss. Ob der den Türken 
begleitende Kam (Schamane) die Trommel während des 
Kampfes gerührt, lässt sich wol vermuthen, aber nicht 
nachweisen; soviel ist sicher, dass der Trommelschläger 
selbst heute, bei der Parade sowol wie in der Schlacht 
nie von der Seite des Fürsten weichen darf. In diesen 
drei Attributen sind gar leicht die Symbole der drei höch- 
sten Würden zu erkennen, indem die Fahne den obersten 
Kriegsherrn, das Siegel das Gesetz und dessen Beschützer^ 
die Trommel hingegen die alte Religion kennzeichnet, und 
merkwürdigerweise hat eine mehr als tausendjährige Ver- 
gangenheit und der das nationale Leben von Grund auf 
tödtende moslimische Einfluss hier nur wenig zu verän- 
dern vermocht, denn die Chane Centralasiens haben noch 
bis in die Neuzeit bei ihrem öffentlichen Erscheinen Fahne, 
Siegel und Trommel als Embleme der höchsten Würde 
mit sich geführt. 

Das helle und klare Licht, welches die Sprachen in 
allen Phasen der Culturentwickelung des türkisch -tata- 
rischen Menschen uns verschafft, kann als wolthuende 
Leuchte auch auf dem Gebiete jener abstracten Begriffe 
gebraucht werden, wo anderswo, selbst bei den gebildet- 
sten Völkern noch heute die grösste Dunkelheit herrscht. 
Diese Bemerkung hat zunächst auf die Bezeichnung für 
das Wort Gesetz Bezug, wo ein einziger Blick hinreicht, 
um uns zu beweisen, dass es von jeher bei den Türken 
zweierlei Gesetze gegeben hat, nämlich Gesetze, die eine 



uo 

alte Gewohnheit, ein in Fleisch und Blut des Volkes ge- 
drungener Gebrauch oder Sitte geschaffen, und die uig. toka^ 
öag. töre, alt. jan heissen, was der Grundbedeutung nach 
Mode, Sitte, Gebrauch bezeichnet, wie aus den be- 
treffenden Stellen meines etymologischen Wörterbuches er- 
sichtlich ist. Diese Jahrtausende alte Bildungsgeschichte be- 
nannter Worter wiederholt sich durch ein jüngeres Bei- 
spiel im Turkomanischen, wo nämlich Gesetz mit deb aus- 
gedrückt wird, das in gleicher Weise entstanden, nämlich 
eine Verdrehung des arab. edeb = Sitte ^ Gebrauch, ist. 
Neben diesen Ton uralten Gewohnheiten durch die Zeit 
zu Gesetzen gestempelten Lebensnormen und Regulativen 
müssen schon früh auch andere von den Fürsten oder den 
befehlenden Stammesoberhäuptern erlassene Gesetze be- 
standen haben, die den Namen jasau führten, ein Wort, 
welches von jas = machen, ordnen, abstammt (vgl. jasal 
= Richtschnur, Norm-, Regulative, und jasdk = Ordner, 
Gesetz, §. 134), folglich neben dem Naturgesetz in der Form 
eines gemachten Gesetzes figurirt. Diese beiden Gesetze 
genossen schon sehr früh eine hohe Achtung, und in kei- 
ner Sprache ist das Verhältniss des regierenden Ober- 
hauptes der Gesellschaft zu den bestehenden Gesetzen so 
klar ausgedrückt als im Türkisch-Tatarischen, wo Gesetz 
und Fürst Synonyme sind, denn töre heisst sowol. Gesetz 
als Fürst, wie dies im Uigurischen auch bei toka der Fall 
ist. Mit jasau in der Wortbildung übereinstimmend haben 
wir noch ein anderes Wort für Gesetz, nämlich tüzÜk, 
von tüss = eben, gerade, Ordnung (vgl. §. 202), was eben- 
falls als Befehl oder erlassenes Gesetz zu nehmen ist. 
Genuin und dem Geiste der primitiven gesellschaftlichen 
Zustände entsprungen, wie die' bisherigen Begriffe von 
Regierung sich präsentiren, ebenso klar und einleuchtend 
sind auch andere hierher gehörige Begriffe. So heisst 
z. B. Richter jarguci, wortl. der Fntscheider, der Trenner 



141 

von Zwistigkeiten, und jargu=^ 'Richier&prwch^ Entschei- 
dung, von jargamak = trennen, entscheiden, während der 
Befehl, Erlass des Fürsten, mit dem einfachen Namen 
das Schreiben, jarlik (von der veralteten Stammsilbe jar 
= schreiben, öag., osm. ja0, magy. ir = schreiben) be- 
zeichnet wird. Vgl. arab. chatt; engl, writ u. s. w. 

So wie die Verschiedenheit der Gesetze aus dem ety- 
mologischen Werthe der betreffenden Wörter hervorleuch- 
tet, ebenso lässt sich dies auch in den Wörtern für Steuer 
nachweisen. Wir haben nämlich zwei Ausdrücke für 
Steuer: a) cag. bergt, birgt, osm. vergi, von der Stamm- 
silbe ber, ver (geben), folglich eine aus eigenem Gutdün- 
ken und freiwillig hervorgegangene Abgabe oder Beisteuer 
zu irgendeinem gemeinsamen Zwecke; und b) salgit die 
ausgeworfene, folglich von Seite der Obrigkeit her nach 
stattgefundener Vertheilung bestimmte Abgabe, von säl=^ 
werfen, resp. salgimdk = allmählich auswerfen. Neben 
diesen figurirt noch für Steuer die Benennung adak, rich- 
tiger ein Gelübde, das Verheissene, das Versprochene, von 
adamdk = versprechen, verheissen; der Wortbedeutung 
nach muss dies auf gewisse für religiöse Zwecke bestimmte 
Gaben Bezug haben. 



XII. 

Poesie, Musik, Tanz und Spiel. 

Die Poesie im natürlichen Gewände und in der un- 
gekünstelten Form hat von jeher beim primitiven Men- 
schen mehr Pflege und Verehrung gefunden als bei den 
auf einer höhern Bildungsstufe befindlichen Gesellschaften. 



U2 

Im Zelte des schlichten Nomaden widerhallen Lieder wol 
häufiger als in den Steinbauten civilisirter Länder, und 
da der Mensch infolge der tödtenden Monotonie der Steppe 
— wo das Auge auf stunden-, ja auf tagelang weite 
Strecken ohne Anhaltspunkt für Abwechslung und Zer- 
streuung umherschweift — zu Phantasiegebilden mehr 
seine 'Zuflucht nehmen muss als der inmitten einer regen 
und bewegten Welt lebende Culturmensch, so ist es ganz 
natürlich, dass Dichtung mit dem geistigen Wesen des 
primitiven Menschen in solch enger Verbindung steht, 
und schon längst gestanden hat, wie Trank und Speise 
mit der physischen Existenz in einem unzertrennlichen 
Verhältnisse stehen. Und trotzdem darf es infolge des 
schon oft erwähnten Unvermögens zur Bezeichnung eines 
coUectiven BegriflFes, uns nicht wundernehmen, wenn wir 
dichten und Dichtung mit dem einfachen ajtmak und aj- 
tim, d. h. sagen und Sage, interpretirt finden ; der Begriff 
einer speciellen Poesie wird nur in den aus Dialogen be- 
stehenden Liebesweisen zwischen der Jugend beider Ge- 
schlechter ausgedrückt. Kos aitmak heisst nämlich singen 
und dichten zu gleicher Zeit, wörtl. paar oder gepaart 
reden, einen Dialog unterhalten, und kos aitim oder Tco- 
suk^ alt. ko^on, heisst das Verspaar, Vers oder der eine 
Theil des Dialoges, vom obigen aitmak und von der 
Stammsilbe kos = paar, vereint, gereimt. Der Ursprung 
dieser Auffassung kann bei jener bis in die Neuzeit unter 
den Nomaden sich erhaltenden Sitte nachgewiesen werden, 
nach welcher die Jugend in ihren Liebesspielen durch 
Dialoge sich zu unterhalten pflegt, indem der Jüngling 
seine Geliebte mit einem oft metrisch geordneten Satze 
anredet, worauf diese ebenfalls metrisch und zwar im 
Keime antworten muss. Derartige Liebes- oder Scherz- 
dialoge haben von jeher den Ausgangspunkt poetischer 
Erzeugnisse gebildet, woran sich andere Gattungen der 



143 

Kedekunst anreiben, je nachdem sie aus der Verschieden- 
heit des menschlichen Alters oder aus den mannichfachen 
Erscheinungen auf dem Gebiete des gesellschaftlichen 
Lebens hervorgegangen sind, oder auf Schilderungen der 
Natur und des Klimas Bezug haben. Zu diesen geboren 
in erster Linie die Märchen^ cag. irteki, von irte = früh, 
zeitig, also ein Bericht über früher Geschehenes oder Ver- 
gangenes, über ein Ereigniss oder eine Geschichte, da 
man sich bei Erzählung derartiger Märchen den Anschein 
gibt, wahrheitsgetreu über einen Zufall zu berichten. 
(Vgl. magy. reg = alt, reg =früh mit rege = Mähr.) Im 
entgegengesetzten Falle, wo man z. B. in Thierfabeln 
Hunde, Füchse, Krähen u. s. w. reden lässt, bedient man 
sich wol nicht mehr der Benennung irteJci, sondern im 
Westtürkischen des arab. mesel und im Osttürkischen des 
tapMr^ d. h. das zu Errathende, Räthsel, nicht zu ver- 
wechseln mit dem kirg.-ozbeg. dumbälc = Räthsel, richtiger 
ein verstecktes Wort, das während der Unterhaltung zum 
Losen gegeben wird; der etymologischen Bedeutung nach 
stammt dies ab von jum, iwm = geschlossen, verknüpft. Vgl. 
jumak, £uma^=KnsLuf, Knäuel, dessen geschlossene Form als 
bildliche Darstellung des räthselhaften Sinnes gebraucht wird. 

Eine bedeutende Rolle in der urwüchsigen Poese spie- 
len Sitten- und Moralspruche^ richtiger Sprichworter, 
heh-söZj worü. Bilderwort, auch atdlar sözi = Sprüche 
der Väter, oder borungjcilar-söjsi = Sprüche d^r Vorher- 
gegangenen genannt. In diesen spiegelt sich die Quint- 
essenz der Lebensphilosophie der Turko-Tataren und sie 
pflanzen sich fort durch mündliche Ueberlieferung, nicht 
nur bei Einzelnen, wie dies bei Liedern und Märchen der 
Fall ist, sondern bei der Gesammtheit des Volkes. 

Dass im Turko-Tatarischen für den Begriff Gedicht, 
Rede und Lied nur ein und dasselbe Wort sich vorfin- 
det, darf um so weniger befremden, als erstens singen 



144 

und sprechen mit ein und derselben nur mit der Zeit 
lautlich veränderten Stammsilbe ausgedrückt wird (das 
jak. ät, CUV. ad = singen, ist nächst verwandt mit dem 
osm. ejt, eit, und cag. ait = reden, nicht minder aber auch 
mit dem osm. öt = singen, das heute aber nur bei Vögeln 
gebraucht wird), und als zweitens die gebundene Rede 
im rhythmischen Wohlklange der Recitirung die erste Mo- 
dulation der Töne bekundend, an und für sich schon der 
Uebergang von der einfachen Rede zur primitiven Ge- 
sangsweise bildet. Der Gesang des Urmenschen, wie wir 
dies heute noch bei den Turko-Tataren wahrnehmen kön- 
nen, unterscheidet sich immer nur wenig von dem durch 
eine ausserordentliche Gemüthsbewegung beeinflussten Auf- 
sagen oder Hersagen. Im Osttürkischen versteht man 
unter kos aitmak ebenso wol dichten, recitiren, als sin- 
gen; so auch im Westtürkischen, wo türld oder sarhi 
söjlemeJc, wörtl. ein Gedicht reden, für singen gebraucht 
ist, eigentl. türkisch reden, ungefähr wie das europäische 
romanisch und Bomanze. 

Wenn Darwin die Frage aufgeworfen, ob der Mensch 
früher gesungen oder geredet habe, so wird der Sprach- 
geist des Türkischen ihn sofort belehren, dass der turko- 
tatarische Urmensch zwischen singen und reden gar kei- 
nen Unterschied gekannt, beide daher für identische Be- 
griffe gehalten und, wie die eben angeführten Beispiele 
zeigen, auch noch heute hält. 

Es gibt aber demungeachtet ein genuines Wort für 
Lied, Gesang, nämlich ^Vr, zir (vgl. §. 141), das, trotz- 
dem es auch die Stammsilbe für Jauchzen, Frohlocken 
ist, im Grunde genommen mit dem Worte für weinen, 
wehklagen, aufschreien, gemeinsamen Ursprunges ist. 
Diese nach der europäischen Auffassung von Lied und 
Gesang einen grellen Widerspruch bekundende Erschei- 
nung wird durch den Umstand erklärt, dass die Lieder 



145 

aller asiatischen, besonders aber der ural-altaiseben Vol- 
ker den Ausdruck einer düstern Gemüthsstimmung, einer 
tiefen Wehmuth wiedergebend, dem innersten Wesen nach 
in der That mehr Klage- als Freudenlieder genannt zu 
werden verdienen. Das magy. Sprichwort „Sirva vigad 
a magyar^^ (weinend belustigt sich der Ungar) ist eine 
ganz passende Interpretation zu diesem Ideengange. So 
vgl. man auch das arab. hassana = traurig sein, mit dem 
hebr. chazan =■ Sänger, und das gegenseitige Verhältniss 
des türk.-tat. jir, dir, cir = singen, jauchzen, rufen, 
schreien, zujig, zig, cig, cur und ctgfeV= weinen, rufen (vgK 
engl, to cry = weinen und rufen), wird sofort in gehöriger 
Beleuchtung hervortreten. 

Auch über die Beschaffenheit der ersten Musiklnstm- 
mente gibt uns die Sprache den nothigen Aufschluss. 
Für spielen, Musik machen im allgemeinen, haben wir 
das Wort cdlmak, seiner coacretcn Bedeutung nach schla- 
gen, hauen. Die ersten Instrumente waren demnach 
Schlag- oder Streichinstrumente, und so wie man koluz 
cdlmak = Violine spielen, d. h. schlagen, dütara cdlmak == 
Guitarre spielen, d. h. schlagen, sagt, ebenso ist die 
Redensart horu cdlmak = Trompete blasen, d. h. schlagen, 
nej caZmaÄ; = Flöte schlagen, oder düdük calmak = Fteife 
schlagen im Gebrauche, und unter calgi = da.s Schlagen, 
versteht man den allgemeinen Begriff von Musik. Als 
erstes, seiner Form nach primitivstes Instrument muss 
die Bohrpfeife^ cag. sipozga (vgl. §. 142), osm. islik, an- 
genommen werden, deren beide Stammsilben sip, siv und 
is den Grundbegriff von blasen, pfeifen enthalten. Aehn- 
liches ist auch der Fall mit 6orw=Troinpete, eigentl. Rohr, 
Röhre, während ä:o5«^ = Geige schon auf das Stadium 
einer fortgeschrittenen Bildung hindeutet, indem das be-r 
treffende Wort, hergeleitet von Ä;ofr=hohl, leer (vgl. 
köbur = Futteral, koburzuk = Kiste), das Verständniss für 

Vämböry, Cultur. 10 



146 

eine künstliche Resonanz bekundet. Dieselbe Grundidee 
ist im uig. Worte für Trommel, Mnk, vertreten, dessen 
Stammsilbe Icün, kul einen leeren, hohlen Schall (vgl- 
§. 117) bedeutet, während das nicht minder alte alt. tun* 
^ür = Trommel, eine Art Kesselpauke, von tüng = rund, 
Runde, mit Hinblick auf die Form des Instrumentes so 
genannt wird. Was ausser den erwähnten noch heutzu- 
tage unter den Turko- Tataren sich vorfindende Instru- 
mente anlangt, so sind dieselben zumeist theils dem 
Arabischen (als davul = Pauke, von tahl; tef = Hand- 
trommel, von def)^ theils dem Persischen entlehnt (als: 
;efw/na = Trompete; iteman = Geige , eigentl. der Bogen; 
dutara = Guitarre). 

Für Tanz und Spiel haben die Türken ein und das- 
selbe Wort, nämlich oj-un, ebenso wie dies auch bei eini- 
gen Volkern des arischen Stammes der Fall ist. Vgl. 
slaw. igrcdi = tanzen und spielen; deutsch Tanz und Tand, 
und sowie Tand, tändeln, als Gegensatz zu ernst, wahr 
und getreu aufzufassen ist, ebenso steht das turko-tatarische 
oj (osm. q;aZanma/b=tändeln, schäkern, scherzen) als Juxta- 
oppositum dem cm, sin = echt, wahr gegenüber. Nur 
das Osmanische hat ein scheinbar genuines Wort für tan- 
zen, nämlich tepmeh, das aber im Grunde genommen (vgl. 
§. 58) treten, trippeln bedeutet. Es darf ferner nicht über- 
sehen werden, dass oj, oj-n-a auch in der concreten Be- 
deutung von hin- und herbewegen, schaukeln vorkommt 
(so: jüreJc cynar = das Herz bewegt sich, tamar ojnar = 
der Puls schlägt u. s. w.), woraus sich nun allerdings 
auch folgern lässt, dass die Stammsilbe oj nicht in der 
primären Bedeutung von hin- und herbewegen, folglich 
tanzen, sondern nur in der abstracten Bedeutung von 
Spiel und Scherz zu nehmen sei. Welche dieser beiden 
Auffassungen die eigentlich richtige, ist vorderhand schwer 
zu entscheiden. Soweit aus dem Sittengemälde der heuti- 



147 

gen Türken sich nachweisen lässt,, scheint der Tanz, eine 
Gliederbewegung des vom Frohsinn bewegten Menschen, 
hier so wie überall sich zuerst im Auffahren und Hin« 
und Herspringen manifestirt zu haben, ohne dass es je 
zum gesellschaftlichen oder Kreistanze, wie wir solchen 
beim Urmenschen auf andern Theilen der Erde wahr- 
nehmen, gekommen sei. Für eine solche Annahme spricht 
am meisten die im Wesen des Türken von jeher in prägnan- 
ter Weise hervortretende Schwerfälligkeit des Geistes 
und des Korpers, seine mit dem traurigen Bilde der 
Steppennatur eng zusammenhängende düstere, wehmuth- 
volle Gemüthsstimmung und sein ausgesprochener Wider- 
wille, durch leichte oder behende Korperbewegung etwa 
Leichtfertigkeit des Sinnes zu verrathen. Gleichviel ob 
in der Steppe oder im Culturleben, in Jahrhunderte alten 
festen Wohnsitzen, der über dreissig Jahre alte Türke 
wird es höchst unanständig finden, durch rasches Gehen 
oder durch sonstige flinke Bewegung des Korpers die 
Aufmerksamkeit seines Nebenmenschen auf sich zu lenken. 
Das Springen geziemt nur dem Jüngling, das Tanzen hin- 
gegen nur dem Mädchen. Abgesehen von der Rolle des 
Tanzes in Keligionsgebräuchen, mag diese Auslegung auch 
bei andern Volkern der nordlichen Hälfte Asiens ange-- 
wendet werden, doch bei keinem mit so vielem Anrechte 
als beim Turko-Tataren , sodass die allerdings sonderbar 
klingende Behauptung, der türkische Urmensch habe im 
Tanze nie besondere Belustigung gefunden, ohne Schwie- 
rigkeit aufgestellt werden könnte. 

Hinsichtlich der Spiele verhält es sich schon ganz 
anders. Das Spiel, ojun, wie aus der Stammsilbe ersicht- 
lich, ist vom Grundbegriffe des Verstellens, Täuschens 
und Scherzens hervorgegangen, und basirt sich daher auf 
die Handlung des Nachnahmens, in welcher der Mensch 
von jeher die beste Ursache der Unterhaltung und der 

10* 



US 

Zerstreuung gefunden hat. So ist z. B. das unter dem 
Namen kök büri = grüner Wolf* benannte Hochzeit- 
spiel, bei welchem die berittene Männergesellschaft dem 
voranjagenden Mädchen das im Schose haltende Lamm 
eptreissen will, wobei die Jungfer ihrem Besieger einen 
Kuss, widrigenfalls aber Peitschenhiebe ertheilt, eine An- 
spielung auf die früher auch unter den Türken bestandene 
Sitte des Mädchenraubes, in welchem eigentlich die Ko- 
ketterie und der scheinbare spröde Sinn des weiblichen 
Geschlechtes, und nicht eine Anspielung auf die brutale 
Mächt des Mannes, wie Lubbock meint, personificirt ist. 
Im Anrennen und im Sichumfassen während des Zwei- 
kampfes (cag. Teures j osm. liüles, von Mr = Ring, vgl. 
§. 86) wird der Zweikampf zwischen Thieren, namentlich 
zwischen Widdern, nachgeahmt, ebenso wie im Aufstei- 
genlassen des iS«r = Drachen, das nicht nur als Kinder- 
spiel, sondern als Belustigung der Erwachsenen bei den 
Türken längst besteht, die Erinnerung an irgendeinen my- 
thischen Vogel lebt. 

Auch alte Gewinnstspiele lassen sich nachweisen, und 
zwar in dem noch bestehenden aSilfi und Tpumalalf. Er- 
steres, der Wortbedeutung nach Knochelbein, besteht aus 
dem Aufwerfen von f ünf Knochelchen von Schafen; je nach 
dem Fallen, d. h. ob mit der spitzigen, flachen oder schar- 
fen Seite nach oben zu, wird über den Einsatz entschie- 
den. Da die betreffenden Ausdrücke, als ceke^ dlci 
und tava^ jen^r Sprachperiode entspringen, in welcher die 
heutige Trennung der verschiedenen Stämme noch nicht 
stattgefunden, so mag die uralte Existenz dieses Spieles 
keinem Zweifel unterliegen. Was das kumalak (= Koth- 
kügelchen der Schafe) betrifft, so ist dies heute auf 
der Steppe nur als Kinderspiel bekannt. Es besteht aus 



* Grüner Wolf ist ein phantastischer Name gleich unserm Blaubart. 



fünf oder sieben Kügelchen, von denen ein Theil in die 
Hohe geworfen, und während die Rechte denselben mit 
einem Griff auffangen muss, soll dieselbe Hand den andern 
Theil durah den aus dem Zeigefinger und Daumen gebil- 
deten Bogen der Linken durchtreiben. Dieses Spiel, mit 
Steinchen ausgeführt, ist in Ungarn und auch in der 
Türkei bei den Kindern noch anzutreffen, und zwar merk- 
würdigerweise in derselben Form wie in Mittelasien. 



XIIL 

Welt, Himmel, Sterne, Sonne und Mond. 

Azun, das türkische Wort für Welt, hat den Inbegriff 
von offen, klar, hell, Licht, und steht zu aMJc, acuJc = 
offen, klar, in gleichem Verhältnisse, wie, um einen ana- 
logen Ideengang in andern Sprachen zu erwähnen, das 
magy. vildg = Licht und vildg = Welt, sowie slaw. swjet 
= Welt und swjet = Licht zueinander sich befinden. In 
a£un^ welches nur in altern Sprachdenkmälern vorkommt, 
ist andererseits auch die Idee einer religiösen oder mythi- 
schen Auffassung ausgedrückt, indem hiermit die Tages- 
helle oder Oberwelt bezeichnet wird, dem als Gegensatz 
tamuk oder tamu = Unterwelt, eigentl. finstere, dunkle 
Welt, von tarn, tum (vgl. §. 179) gegenübersteht. Diese 
Bezeichnung einer lichten und finstern, d. h. einer obern 
und untern Welt, ist etymologisch auch im Arabischen 
nachzuweisen, wenn wir nämlich das arab. |jjj^> = Welt 
i"it -j J = niedrig, unten, vergleichen, dessen Gegensatz 
obere Welt uns wol unbekannt ist, denn das hierfür 
bestehende Alem soll nach Anschauung der Orientalisten, 



150 

nicht der Orientalen, fremden Ursprunges sein. Es gibt 
aber im Türkischen auch noch ein anderes Wort für 
Welt, nämlich ortalik = Gemeinsamkeit, alles was vor- 
handen ist, von oWa = Mitte, Oeffentlichkeit,# worunter 
selbstverständlich die den Menschen umgebende, d. h. un- 
mittelbare Welt ausgedrückt ist, während adun die Welt 
im weitesten Sinne des Wortes, das Weltall, bedeutet. 
Es ist ferner noch zu erwähnen das uig. jalinguk^ auch 
jdlanguk= Welt, aber im bildlichen Sinne des Wortes, 
indem dies Täuschung, Illusion bedeutet und auf eine 
buddhistische oder moslimische Religionsspeculation zu- 
rückzuführen ist. Ebenso hat auch das Uigurische für 
Schöpfung ein genuines Wort, nämlich törctilmis, d. h. 
das Erschaffengewordene. 

Wenn daher in der verschiedenartigen Benennung der 
Welt die Spur einer geistigen und physischen Auffassung 
sich nachweisen lässt, so darf es nicht überraschen, ein 
derartiges Verhältniss im turko -tatarischen Worte für 
Himmel um so deutlicher, klarer und sinnreicher ausge- 
drückt zu finden. Zur Bezeichnung des BUmmels dienen 
drei verschiedene Worte: a) kök, zugleich auch blau und 
grün, wo der Himmelskörper seinem äussern Wesen, 
seiner Farbe nach in der dem physischen Auge sich dar- 
stellenden Beschaffenheit gekennzeichnet ist, und wo, wie 
wir dies weiter unten sehen werden, als Grundgedanke 
die Farbe figurirt, nicht aber umgekehrt, wie nach flüch- 
tiger und ungenügender Würdigung des Sprachmaterials 
bisher angenommen wurde, b) Cag. tengri oder tingri, 
jak. tanara, alt. teuere^ osm. tanri oder tarij der Himmel 
als strahlender, scheinender Körper, der weite uner- 
messliche Lichtraum, von tang, ting^ tüng = scheinen, 
leuchten (vgl. §. 181), und als solcher, der das mensch- 
liche Gemüth am meisten mit Verwunderung erfüllt, zu- 
gleich auch der Inbegriff des höchsten Wesens, der Gott- 



151 

heit, des Schöpfers dieses Lichtraumes, folglich Gott, 
Einem ähnlichen Verhältnisse begegnen wir auf dem ari- 
schen Sprachgebiete , wenn wir das skt. dio = leuchten, 
Himmel, deva-s = Gott, griech. Sta-Xo^ = hell, Zeus, 
und das lat. die-s und De-us miteinander vergleichen.* 
Heutzutage kommt besagtes Wort allerdings nur im Jaku- 
tischen in der concreten Bedeutung von Himmel vor (vgl. 
chines. ihiän^^ und in den meisten türkischen Sprachen 
heisst tatfgri entschieden Gott, Schopfer, gleich einem 
ähnlichen Gebrauche anderer Sprachen, wo Himmel und 
Gott identisch sind. Die wichtige Rolle, welche der Him- 
mel in der frühesten Zeit bei den Türken gespielt haben 
muss, nämlich zur Zeit als der Schamanismus noch der 
herrschende Glaube war, erhellt am besten aus einigen 
Schamanengebeten der Altajer, wo der Ausdruck Jcaan 
tengere = Fürst-Himmel, wie das deutsche „Herrgott" vor- 
kommt. So im Anrufen des höchsten Wesens ,,Örögi 
Ahi<x8 Kaan tengere^ jerge TcSk cagargan^ agasga pur ca- 
gargan!^^** (O du allerhöchste Abiai§ du Herr-Himmel, 
der du auf der Erde Gras, auf den Bäumen Blätter wach- 
sen lässt!) u. s. w. Kaan tengere = Herr-Himmel, Fürst- 
Himmel, ist der ständige Ausdruck für Gott, wo es sich 
um eine aus alten Gebetsformeln stammende Anrufung an 
Gott handelt, und diese enge Verbindung zwischen der 
Göttlichkeit und dem die Welt umspannenden Himmel ist na- 
mentlich dort am prägnantesten ausgedrückt, wo der fremde 
Cultureinfluss auf dem grossen ural-altaischen Gebiete 
noch keinen Eingang gefunden. Mit Recht bemerkt daher 
C. Sarokin***: „Den Anhängern des Schamanismus oder 



* Vgl. Curtius, II, 201. 
** Grammatika altaiskago jazika, p. 147. 
♦** Puteschestwie k'Wogulam (Heise zu den Wogulen), S. 35 (citirt 
nach Zolotnitzky). 



152 

des schwarzen Glaubens gilt der Himmel als das höchste 
Wesen, auf das die übrigen untergeordneten Geister, wie 
Erde, Sonne, Mond, Sterne, Berge, Flüsse und alle ausser- 
gewohnlichen Dinge folgen. Zwischen der Erde und dem 
Himmel befinden sich die von letzterm erschaffenen Gei- 
ster, die auf Anordnungen des Himmels den Menschen 
zu guten oder bösen Thaten stimmen." c) Meng oder 
man = die Hohe, das Oben (vgl. §. 233), eine allgemeine 
Benennung der allerhöchsten Region, denn die definitive 
Bedeutung von Himmel ist nur im jak. mängge und im 
magy. menny anzutreffen, während in andern hierher ge- 
hörenden Sprachen die mit diesem Worte zusammenhän- 
genden Beispiele als Eigenschaftsworter vorkommen. So 
uig. meng-lci = himmlisch, ewig (vgl. menghi ata = Gott, 
der himmlische Vater); möngJcü = ewig ^ unsterblich. An 
dieses Wort für Himmel schliesst sich noch an in Bezug 
auf analoge Wortbildung und Bedeutung das turko-tatar. 
«cma^ = Paradies, Himmel, dem, so wie dies bei meng 
der Fall ist, die Stammsilbe uc = oben, hoch (vgl. §. 65) 
zu Grunde liegt; wenngleich heute nur im concreten Sinne 
von Paradies vorkommend, ist dies im weitern Sinne des 
Wortes doch in der Bedeutung von überirdisch, hö- 
here Sphäre aufzufassen, was übrigens aus dem Gegen- 
satz, nämlich aus tamuk = Holle ^ wörtl. untere, finstere 
Welt, am besten sich erklären lässt. 

Wie aus Gesagtem ersichtlich, haben die turko-tatarischen 
Volker in den verschiedenartigen Benennungen des Him- 
mels denselben mehr in geistig-religiöser Hinsicht aufge- 
fasst und in den entsprechenden Variationen als: jak. 
tanara^ alt. tengeri, cag. tengri, osm. tanri und tari, cuv. 
tara die Gottheit und das höchste Wesen bezeichnet. In 
der That hat auch dieses Wort, dort wo der Schamanen- 
glaube sich länger erhalten konnte, selbst heute noch 
einen bedeutenden Wirkungskreis, und so wie der Tschu- 



1 

I 

f 



— I 



153 

wascBe noch heute einen Sjuldi-tora = Siernengoit^ Chwjeh 
tora = Sonnengott, Oich-tora = Mondgott u. s. w. kennt, 
ebenso hat der Jakute den Ausdruck Gott-Himmel selbst 
in christlich-religiösen Dingen noch beibehalten. So heisst 
im Jakutischen Kirche tanara ziätä (Tanara^s Haus), das 
heilige Abendmahl tanara asa (Tanara's Nahrung), Feier- 
tag tanara Jcün (Taiiara's Tag) u. s- w. Dieses cuv. tora^ 
osm. tari auch tarim (Gott, mein Gott), muss als Ueber- 
gangspunkt zwischen dem turko-tatar. tengri^ tangri, tenri^ 
tanara und dem wogulisch-ostjakischen toorm, torm, tarm, 
tarom angesehen werden und kann daher weder mit dem, 
nach phantastischer Etymologie', vom skandinavischen oder 
normannischen abgeleiteten Thor, noch auch mit der im 
ganzen ural-altaischen Sprachgebiete bekannten Stamm- 
silbe tor, tör, ^cr = erschaffen, erzeugen, etwas gemein 
haben. 

Gehen wir nun zum türkischen Worte für Sterne 
über, so werden wir finden, dass auch hier, so wie bei 
dem Worte für obere Welt und Himmel, der Grundbe- 
griff des Lichtes, Feuers, Glanzes und der Helle ausge- 
drückt worden ist. Dem cag. joldti0, osm. jildiz^ jak. 
sulus, kaz. jondug, kirg. zulduz liegt die Stammsilbe jil^ 
jal, jol oder zil, zal, io{ = strahlen, glänzen, leuchten, zu 
Grunde (vgl. §. 126) und Stern heisst demzufolge seiner 
wörtlichen Bedeutung nach Licht, Glanz, Helle. Vgl. 
magy. csiUog =. glänzen, strahlen mit csillag = Stern, fer- 
ner uig. jdlak = Fackel mit jolduz = Stern , cag. jilman 
= glänzend mit jdlduz = Stern, osm. jäldiz = Vergoldung 
mit ßldiz = Stern. Mit Hinblick auf die uralten noma- 
dischen Verhältnisse der turko-tatarischen Volker, nicht 
minder aber auf den Umstand, dass Nomaden, wie wir 
dies bei den Arabern wahrnehmen, mit dem Laufe der 
Sterne vollauf vertraut, das Sterneudach in aller Einzel- 
heit kennen, muss es ziemlich überraschen, dass die Stern- 



154 

künde der türkischen Steppenbewohner sich verhältniss- 
mässig weniger entwickelt hat als bei andern Volkern 
auf ähnlicher Culturstufe. Möglich dass ein diesfallsiger 
Unterschied zwischen den Nomaden des Nordens und den 
Nomaden des Südens von der Natur der Dinge ausfliesst, 
indem der Himmel der nördlichen Steppenregionen minder 
klar, und die Lichter des nördlichem Firmaments minder 
strahlend als z. B. im südlichen Arabien, die Aufmerksam- 
keit des Menschen nicht in solchem Maasse auf sich ziehen, 
auch nicht jenen Einfluss auf die Gedanken und alltäg- 
liche Handlungsweise ausüben konnten wie z. 6. in der 
Urheimat des semitischen ^Volkes. Es muss nämlich als 
Thatsache bezeichnet werden, dass die astronomische 
Nomenclatur der türkischen Sprachen eine sehr dürftige 
ist, obwol andererseits die Art und Weise, wie die ein- 
zelnen Sterne und Sterngruppen benannt sind, nur in we- 
nigen Fällen fremden, aller Wahrscheinlichkeit nach per- 
sischen Cultureinfluss bekunden, in den meisten Fällen 
jedoch von einer nationalen und localen Verhältnissen 
zu Grunde liegenden Auffassung Zeugniss ablegen. Alles 
in allem genommen hat das Türkische nur für folgende 
Sterne eine specielle Benennung: 1) der Nordstern^ uig. 
altin ka£!uk=^ der goldene Pfahl, cag. temir kazukz= eiserne 
Pfahl, von der scheinbaren Unbeweglichkeit so genannt. 

2) Die von diesem in der Gruppe des Kleinen Bären am 
meisten entfernten zwei Sterne führen den Namen Tcok-ho^at 
und ak-bojsat, d. h. weisser und blauer Schimmel, während 

3) die zwischen beiden befindlichen drei Sternchen arkan 
joldue = Stricksterne heissen, indem diese als ein Seil 
betrachtet werden, mittels dessen jene Pferde an den 
Eisen pfähl, d. i. Nordstern, angebunden sind. 4) Der 
Grosse Bär Jeti-karakci =^d\e sieben Räuber, die nach 
einer echt nomadischen Auffassung als den erwähnten 
Pferden nachstellend in bildlicher Darstellung bezeichnet 



155 

werden. 5) Sekiii joldu/s = die Acht Sterne, die auf der 
Steppe am ostlichen Horizont erscheinen, acht Tage lang 
sichtbar sind, am neunten verschwinden, um am zehnten 
wieder hervorzutreten, und so im Laufe eines Monats 
dreimal erscheinen. Unter diesen Sternen befindet sich 
der als Ungliicksstern bekannte zejan-joldus = Skorpion- 
Stern*, in Mittelasien und in Persien - auch Kerwankus = 
der Karawanentödter genannt, weil die Karawanen, infolge 
seiner Aehnlichkeit mit dem Orion in demselben ein Zei- 
chen des hereinbrechenden Morgen erblickend, dieThiere 
zu Tode jagen, um zur Zeit auf der Station anzulangen**» 
6) Der Morgenstern^ colban, alt. cölbön, auch colman^ öuv. 
sorim hos sjuldiri (Stern der Morgenrothe), von der Stamm- 
silbe do2= glänzen (vgl. §. 126), so benannt nach dem 
auffallenden Glanz, mit dem er aufgeht. Er wird in Mit- 
telasien mit der öuvaäischen Benennung übereinstimmend 
auch lang jdlduei = Stern der Morgenrothe geheissen und 
für das Symbol ausserordentlicher Schönheit gehalten, so 
wie der entsprechende persische Name, nämlich Zohra, im 
Mythus die Stelle der Venus vertritt. 7) Das Sieben- 
gestirn oder die Pelejaden, in den meisten türkischen 
Sprachen üVcer, oder infolge stattgefundener Lautverschie- 
bung ürkel und ürker genannt; da infolge dessen der Aus- 
laut der Stammsilbe nicht bestimmt werden kann, so lässt 
sich der Ursprung und die wortliche Bedeutung dieses 
Wortes nicht nachweisen. 8) Die Milclistrasse führt im 
östlichen und nordlichen Sprachgebiete einen genuinen, 
mit der volksthümlichen Auffassung übereinstimmenden 
Namen, d. h. kirg. kus doli, trkm. kuslar joli = der Weg 



* Badagow II, 363. In Persien ist dieser Stern unter dem Namen 
OtiduM oder Akreb ebenfalls bekannt. 

♦* Mit dieser Auffassung mag auch das jak. argac sulus = rück- 
wärtiger (hinterlistiger?) Stern zusammenhängen. 



156 

der Vogel, oder cuv. Icajik chor sjole^ taz. h'jJc Icaz juli 
= Weg der wilden Gänse, da die Zugvogel im allgemei- 
nen in einer mit der Milchstrasse parallel laufenden Rieh« 
tung, nämlich von Nordost gegen Sudwest ziehen; ein 
Ideengang , der auch in dem primitiv osttiirkischen Hazi" 
lar joli = Weg der Pilger, zu Grunde liegt, da die Strasse 
der heiligen Orte des Islams, wenn von Centralasien ans 
angetreten, in dieser Richtung geht. Diese türkische Be- 
nennung der Milchstrasse ist vom Oa^ataischen ins Os- 
manische und Azerbaiianische übergegangen, wo der 
Sprachgebrauch mit der geographischen Thatsache selbst- 
verständlich heute im Widerspruch steht. In diesen zwei 
westtürkischen Mundarten gibt es aber ausserdem noch 
eine andere Benennung der Milchstrasse, nämlich saman 
ogrisi = Strohdieb, dem persischen JcaJikesan = Strohzieher 
nachgebildet, wonach dieses Himmelsbild mit jener Strasse 
verglichen wird, auf welcher Stroh transportirt wird und wo 
die abfallenden Strohhalme eine Spur hinterlassen. 

Der allgemeinen Auffassung nach werden die Sterne 
als einzelne Himmelslichter betrachtet, die zur Nachtzeit 
angezündet und bei heranbrechendem Morgen wieder aus- 
gelöscht werden. Daher die Redensart joldu0 jarudi = 
der Stern ist aufgegangen, d. h. erhellt, und jölduB sündi 
= der Stern ist untergegangen, d. h. ausgelöscht, ein 
Ausdruck, der auch auf Sternschnuppen angewendet wird. 



In Bezug auf die beiden grössten Himmelskörper, näm- 
lich Sonne und Mond^ hat der primitive Mensch der turko- 
tatarischen Rasse ebenfalls einer mit der Natur der Dinge 
ganz übereinstimmenden Auffassung Raum gegeben, indem 
es den erstem als den brennenden, zündenden, letz- 
tern hingegen als den leuchtenden, hellen und klaren 
Korper bezeichnet. Das Wort für Sonne, uig. Jcün, osm. 
gün-eSy kaz. kön, ist aus der Zusammenziehung des pri- 



157 

mitiven Jcüjün, von der Stammsilbe Jcüj^ Icuj, guj = bren- 
nen, zünden, entstanden; von der ursprünglichen Form 
dieses Wortes hat sich die erste Silbe noch im cag. koj- 
as^ kuj-as^ jak. Jcuj-as = Sonne erhalten, und in der That 
wird in Mittelasien selbst Mn und kojas abwechselnd für 
Sonne gebraucht. So ist auch das im ältesten Sprach- 
monument vorhandene Wort für Sonne, nämlich jasik^ 
von jas, jis, Is = Helle, Licht entstanden, welche Stamm- 
silbe von jak-is, jagis, jais = das Brennen, Leuchten zu- 
sammengezogen ist. Von ähnlicher Abstammung ist auch 
das CUV. chwjel = Sonne, da nach den Kegeln der Laut- 
veränderung das tschuvaschische ch w je l dem türkischen 
k ja s entspricht.* 

Als Personification der Wärme, der belebenden Kraft, 
ja des Lebens selbst, spielt kün = Sonne in der Ursprungs- 
sage des gesammten Türkischen eine hervorragende Rolle, 
indem Kün-chan = Fürst -Sonne auf der genealogischen 
Tafel an die Spitze des rechten Flügels und Kök-chan 
(entsprechend dem alt. Kaan-Tengere) an die Spitze 
des linken Flügels gestellt wird, denen sodann die übrigen 
Fürsten als Tengt^'Chan= Fursi-Meer^ «7if7df«>-cÄaw = Fürst- 
Stern und Tak'Chun = Fürst '^erg unterstehen.** Sonne 
und Tag sind daher bei den turko-tatarischen, ja bei der 
Mehrzahl der ural-altaischen Völker gemeinsame Begrlflfe, 
vgl. finn. päirä = Tag und Sonne ; magy. nap = Tag und 
Sonne — ja selbst im Neupersischen ist dies gewisser- 
maassen nachzuweisen, wenn wir rw-8^=:Tag, mit ruS'en = 
hell, licht vergleichen; und so wie die schwarze dunkle 
Nacht als Bild des Unheils und Unglücks gebraucht wird, 
ebenso ist in consequenter Weise die Sonne das Emblem 



* Vgl. Zolotnitzky, S. 153. 
** Vgl. Tewarichi ali Seldzuk. Manuscript im Besitze der üniver- 
sitätsbibliothek in Leiden. 



158 

des Lebens, Glücks und der Glückseligkeit. Daher die 
Redensart cag. künüm jarudi = das Glück war mir gün* 
etig (wortl. meine Sonne ist erglänzt), oder tangri bet^gej 
kün körgetj sin =Goit möge dich glücklich machen (wortl. 
Gebe Gott, dass du die Sonne sehest). Diese synonyme 
Bedeutung von Sonne und Glück, welche im turko-tatar. kiin 
vorliegt, tritt im Tschuvaschischen noch prägnanter hervor, 
indem hier Chwjd tora = Sonnengott, als eine Gottheit 
des Guten angesehen wird, da sie Wärme und Licht spen- 
det, ebenso wie die Jakuten dem Feuer die besten Bissen 
ihrer Speisen vorlegen, der Sonne aber gar nichts opfern, 
weil sie dieselbe nicht fürchten. und sie nur als Quelle 
des Guten betrachten,* im Gegensatze zu den Südländern, 
in deren Mythen die Sonne immer als Symbol des 
Schrecklichen und Mächtigen dargestellt wird. 

Im Zusammenhange mit kün (Sonne und Tag) stehen 
sowol die verschiedenen Zeitabschnitte eines Tages als 
auch die Benennung der vier Himmelsgegenden. Wo der 
Begriff Tag durch Helle, Glanz ausgedrückt wird, dort 
muss selbstverständlich der Gegensatz, nämlich die Nacht, 
den Inbegriff der Finsterniss und Dunkelheit enthalten. 
Tun, tan (die Nacht) ist daher die Stammsilbe der auf 
Dunkelheit, Dichtheit und Geschlossenheit bezüglichen 
Worter (vgl. §. 179, III), und so wie das Eigenschafts- 
wort weiss = aÄ;, aj auf Tageslicht und Helle Bezug hat, 
ebenso ist dies hinsichtlich schwarz = A^ara beim Worte 
für Nacht der Fall. Tageshelle, Tageslicht und Licht im 
allgemeinen ist ein Begriff, der auf den weiten Grenzen 
unsers Sprachgebietes durch Worter, die von gleichbe- 
deutenden Stammsilben jakj jar, jis = glänzen, leuchten, 
fitrahlen, stammen, ausgedrückt ist, vgl. 6ag. Jdb^«=Licht, 



* So erzählt Schtschukin in seinen „Pajezdka w^ Jakutsk" (Reise 
in Jakutsk), S. 276 fg. (nach Zolotnitzky). 



159 

osin. isik = Helle, Licht, uig. jaruk = hell, licht, und ja- 
Äm=Blitz, Lichtstrahl, ^*a5wamaÄ=blitzen u. s. w.,* ebenso 
wie dem Gegensatze von Licht, nämlich Dunkelheit^ fast 
überall Jcarangu, das Beschafienheitswort kara == schwarz 
zu Grunde liegt. Was die verschiedenen Tageszeiten 
anlangt, so heisst die Morgenrothe ganz einfach tang, 
d. h. Helle, Klare, und da die Strahlen des sich verbrei* 
tenden Lichtes, namentlich auf der Steppe, nicht allmäh- 
lich, sondern aufschiessend sich verbreiten, so ist der 
Ausdruck: tang atar = die Tageshelle schiesst, d. b. 
bricht heran, ein den localen Verhältnissen angemessener. 
Die hierauf folgende erste Morgenstunde^ in welcher die 
Dunkelheit mit der Tageshelle zusammenstosst, führt den 
Namen kusluh kousluk, von kousmak == zusammenkommen, 
sich vereinigen; die darauf folgende Zeit heisst gern kus- 
luk = früher Morgen , und gegen Mittag kaia kusluk = 
dicker Morgen. Tos = Hittag^ zugleich auch gegen- 
über, bezieht sich auf jenen Zeitabschnitt, wenn die Sonne 
der Erde gerade gegenüber zu stehen kommt, mit welcher 
Auffassung das Wort Ikindi, von ikinmek^ ekinmek = sich 
neigen, zur Bezeichnung der spätem Nachmittagsstun- 
den^ wenn die Sonne sich neigt, gebraucht wird; undLso 
wie das Wort für Morgen^ nämlich ir, er, irte, erte gleich- 
bedeutend ist mit früh, zeitlich, zeitig, ebenso ist kize^ 
geze Abend eng verwandt mit kiz, ged = spät. Die Abend- 
dämmerung heisst karalti, wörtl. das Schwarz- oder Dun- 
kelwerden. 

Hinsichtlich der yier Himmelsgegenden finden wir 
eine mit den arischen Völkern analoge Ideenrichtung aus- 
gedrückt, wie in: kün ^0Ä;t« = Sonnenaufgang, kün bati =^ 



* Nur im Osmanischen wird Licht, Helle sonderbarerweise auch 
durch ajdtnUk (wörtl. Mondschein, von ey^Mond, tünluk = Schein) 
interpretirt. 



160 

Sonnenuntergang, fw5 = Süden, d. h. Mittag, und tun =^ 
Nord, d, h. Nacht (vgl. k. k. tan = Nord und Nacht, 
magy. ejsjsak = Nord und Nacht). Ausserdem gibt es 
aber noch eine andere speciell türkische Bezeichnung, die 
aber nur im Uigurischen des Kudatku Bilik vorkommt, 
wo der Ost mit 0^(7 = vorn, West mit Ä?a^ = rücklings, 
hinten, Nord mit Z;o^ = unten, und Süden mit tos ^ohcn^ 
gegenüber, ausgedrückt ist. 

Wie schon oben erwähnt worden ist, stammt das turko- 
tatarische Wort für Mond aj^ 6uv. oj-Hc, jak. ij von der 
Grundsilbe ah, ag, aj (vgl. §. 5) = weiss, klar, hell, licht, 
ebenso auch der Mondhof a^lü, agil, der Grundbedeutung 
nach Leuchte, Licht. Ebenso wie bei den meisten Volkern 
der Mond als Zeitbestimmung gebraucht und mit Monat 
identisch ist, so ist dies auch beim turko-tatar. aj der 
Fall. Die Eintheilung in Wochen scheint jedoch spätem 
Ursprunges zu sein, denn trotzdem die Siebenzahl bei den 
ural-altaischen Volkern von jeher eine bedeutende Bolle 
spielte, so kann doch das heute gebräuchliche pers. Ha/ta 
= Woche, vom pers« heft = sieben^ nur neuern Gebrau- 
ches sein, da die Unterabtheilung eines Monats mit dem 
Erscheinen des Mondes zusammenhängend, früher aus dem 
Zeiträume von vierzehn Tagen bestand, indem die erste 
Hälfte Jew^ri-o; = Neumond, die andere Hälfte eski-aj = 
Altmond, benannt wurde, und aj toldi ==■ YoUmond als 
Scheidewand der beiden Abschnitte gedient hat. In ähn- 
licher Weise ist die Benennung der verschiedenen Monate 
des Jahres zuerst der persischen und dann der arabisch- 
moslimischen Culturwelt entlehnt worden, denn die primi- 
tive hierauf bezügliche Nomenclatur, welche selbst heute 
noch bei den Nomaden im Gebrauche ist, muss als den 
praktischen Anschauungen eines Hirtenvolkes entsprechend 
von uraltem Ursprünge sein. Diese genuin türkische Nomen- 
clatur der Monateist mit geringen Unterschieden folgende: 



161 

1) Ilk jas aß, auch Norus aß = der Monat des Frühlings- 
anfang (März); 2) koj Tcozladi = das Lammen der Schafe 
(Anfang April) ; 3) hije iajladi = das Fohlen der Stute 
(Ende April und anfangs Mai). Hierauf folgt 4) Kuralaj 
= die Wind- und Regenzeit des Frühlings, beginnt am 
10. Mai, nach andern auch bes ifcowaÄ; = fünf Gäste be- 
nannt, nach deren Verlauf die Winterquartiere abgebro- 
chen werden. 5) Jaj ajV = Sommermonat (Juni), auf 
welchen das öilleh (pers.) und temue, tomos (arab.) Zeit- 
abschnitte der heissen Jahreszeit folgen, ohne yon den 
Türken mit einem speciellen Namen definirt zu sein. 

6) Komm, Icömm, auch JcGJ-kö^i, Jcösü*= das Schneiden, 
richtiger Scheren der Schafe, von welchem Worte das 
heute allgemein gebrauchte höz, hos =^ Herlbst entstanden 
ist; eine Zeitabtheilung, die Anfang August beginnt und 
bis Mitte October dauert, und mit welcher die bei den 
Kirgisen und Turkomanen gebräuchliche Unterabtheilung 
h'öjük bagladir = dsis Aufbinden des Sackes (unter dem 
Schafe, um die allzu frühe Belegung zu verhindern) und 
Jcößih aladir = das Abnehmen des Sackes übereinstimmt. 

7) jSoAwm = die Schlachtzeit, da beim Eintritt der kalten 
Witterung die Herrichtung des zum Räuchern bestimmten 
Fleisches in Angriff genommen wird. 8) Kirg. aTcpan, 
tdkpan, trkm. JcatJcan = die strengste Winter- oder Frost- 
zeit. 9) Ära ' aj = der Zwischenmonat, welcher zwischen 
den beiden moslimischen Feiertagen Kurban-bajram und 
Ramazan-bajram fällt, folglich neuern Datums, sowie denn 
auch die übrigen bei den Nomaden vorkommenden Zeit- 
benennungen**, die dem moslimischen Cultureinflusse ent- 
sprungen, hier nicht berücksichtigt werden können.*** 



* lieber kös, Ms, kis = schneiden, vermindern vgl. §. 106. 
** Vgl. Budagow, Srawnitelnij Slowar turetzko-tatarskich narecij, 
I, 172. 
*** Man vergleiche hiermit einige jak. Monatsnamen, als: kulun 

Vämböry, CuUur. H 



162 

Wie dem Leser aus dieser Nomenclatur der Monate 
ersichtlich wird, hat bei der Eintheilung der Zeit und 
deren speciellen Benennung die Lebensweise eines Hirten- 
volkes als leitender Grundsatz gedient^ und es darf nicht 
befremden, wenn wir demselben auch in unsern Nachfor- 
schungen über den Ursprung der Namen der Jahres- 
zeiten begegnen. So wie die Zahl der Monate weder 
mit der von einem gewissen Culturstadium ausfliessenden 
Zwolfersystem übereinstimmt, noch eine definitive Zeitab- 
grenzung voraussetzt, ebenso wenig kann dies bei der Be- 
zeichnung und Bestimmung der einzelnen Jahreszeiten der 
Fall sein. Strenggenommen haben die Türken in der 
Urzeit nur zwei sich unterscheidende Jahreszeiten gekannt, 
nämlich den Sommer und den Winter. Unter ersterm 
hat man von jeher jenen Zeitabschnitt verstanden, wo 
nach Verlauf der rauhen und kalten Witterung der Vieh- 
züchter sein in Thalvertiefungen oder geschützten Orten 
bewohntes Versteck oder seinen Zufluchtsort verlassen und 
mit den Heerden auf den mit frischem Grase bedeckten 
Ebenen oder Flächen sich ausbreiten konnte. Jassi = 
Ebene, ^a^ = Sommer, und jW = ausbreiten , ausdehnen 
sind beinahe ganz identische Wörter und es liegt den- 
selben ein und dieselbe Stammsilbe zu Grunde (vgl. 
§. 138), deren Variante mit auslautendem j heute nur dia- 
lektische Verschiedenheit bekundet. So z. B. werden jajz- 
jaj anstatt Sommer und Frühsommer bald hier, bald dort 
abwechselnd gebraucht. Es waltet im allgemeinen kein 
genauer Unterschied zwischen beiden Begriffen vor, und 
Sommer kann mit Bestimmtheit als Umschreibung für die 



tutar = dsi;a Entwöhnen des Füllen (März); hus ustar t; = Monat des 
Eisschmelzens (April); lam l/a == Roggenlege-Monat (Mai); halaganga 
kirär Ij = Monat des Eingehens ins Zelt (September) u. s. w. Dasselbe 
ist auch im Tschuvaschischen der Fall. Vgl. Zolotniteky, S. 191-— 199. 



163 

Zeit des Ausbreitens der Heerden ausgelegt werden* (vgl. 
jazüamak und jaßamak == sich ausbreiten, auf die Weide 
oder Steppe gehen und den Sommer zubringen). Was 
hingegen die zweite Jahreszeit, nämlich den Winter anbe- 
langt, welcher fast durchweg Ms oder Jets benannt wird, 
so lasst in diesem Worte sich leicht die Zusammenziehung 
von Icaj-is (hais-Ms) das Schneestobern, das Schneien er- 
kennen, und so wie dem Jakuten noch heute Schnee und 
Jahr identische Begriffe sind, und ferner so wie das skt. 
hima = Schnee zum lat. hiems = Winter sich verhält, 
ebenso gestaltet sich das Verhältniss des turko-tat. kar, 
haj (vgl. §. 89) zu i?« = Winter, welch letzteres daher 
in seiner Grundbedeutung für Schnee, Schneegestober zu 
nehmen ist. 

Wir hätten schliesslich noch von der Benennung des 
Jahres selbst zu reden, das theils jil^ theils il oder ijl 
genannt wird. Von diesen Formen dünkt uns die letztere 
als die richtige und primitive, wenigstens stimmt hierfür 
sowol die alte arabische Schreibart J^l, als auch die 
uigurische Transscription des betreffenden Wortes, am 
meisten aber die einzig möglich scheinende etymologische 
Verwandtschaft, denn t7, ijl ist allem Anscheine nach eine 
Zusammenziehung von ijil = sich wenden, sich kreisen 
(vgl. §.31), und der Begriff Jahr wäre demzufolge gleich- 
bedeutend mit Wendekreis, Cyklus (vgl. hebr. iana 
= Jahr und miina = Kepetition, lat. annus = Jahr mit 
annulus =^l^vag)^ d. h. eine Bunde der von den klimati- 
schen Einflüssen bedingten Zeitabschnitte oder Monate, 
die, wie wir schon erwähnt, nicht mit der Erscheinung 
des Mondes, sondern mit der nomadischen Beschäftigung 
oder den Witterungsverhältnissen im Zusammenhang stehen. 

* Dieser Auffassung zufolge dünkt mir mit jaz-jaj auch das magy. 
nyaj = Heerde und nyär = Sommer einigermassen im Zusammenbang 
zu stehen. 

11* 



164 

Um den sich hier zeigenden klaren und sinnigen Ideen- 
gang vollauf würdigen zu können, vergleiche man den 
Ursprung dieses Wortes in andern Sprachen, namentlich 
das auf Sprachen- und Gedankenarmuth sich gründende 
wirre Verhältniss des slaw. 7iödiwa = Uhr, Stunde, und 
god = Jahr, dem skand, aar = Jahr und Stunde, des 
deutschen Jahr — Uhr mit dem lat. Äora, und man wird 
den merkwürdigen Geist, der in der türk.-tat. Wortbil- 
dung sich manifestirt, nicht genug bewundern können. 
Nicht minder zutrefiPend ist die Bezeichnung des allge- 
meinen Begriffes von Zelt^ in dessen genuinen Namen 
uig. üt, alt. üj der Grundbegriff von Theil (hinsichtlich 
W vgl. üje §. 207), Bruchtheil, Stück zu suchen ist, da- 
her unter dem türk. Worte für Zeit ein Theil, ein Bruch- 
stück der Totalität, d. h. der Ewigkeit zu verstehen ist. 
Für diese Annahme spricht noch das verhältnissmässig 
neuere 6ag. cag^ cak = Zeit und Stunde, eigentlich Ab- 
schnitt, Zeitabschnitt (vgl. §. 77). 



XIV. 

Witterungsverliältiiisse und Himmels- 

erseheinungen. 

Bei den semitischen Volkern, namentlich bei den 
Arabern ist der Begriff Wetter identisch mit Luft. Bei 
den Türken, sowie bei einigen arischen Volkern ist diese 
Analogie bezüglich des Begriffes Zeit zu bemerken, denn 
trotzdem heute bei der moslimischen Türkenwelt fast 
allenthalben das arab. hawa (Luft) für Wetter gebraucht 
wird, so ist doch bei den von fremden Cultureinflüssen 
weniger berührten Elementen, namentlich im Altaischen, 



165 

hierfür üt, üj (d. h. Zeit) anzutreffen (vgl. magy. idö = 
Zeit und Wetter). Mit aja^ (von a; = klar, offen) 
wird das helle , lautere Wetter, mit alt. jut (eigentl. 
unrein, schlecht), 6ag. tuthm (eigentl. verhüllt), das 
unklare, dunkle Wetter bezeichnet. Ein ähnlicher Ideen- 
gang liegt den Wortern für Bauch und Nebel zu 
Grunde, indem ersteres, nämlich tütün, tutun von tut = 
fest, dicht (vgl. §. 193), letzteres tuman yon tom, tum 
= dicht, geschlossen (vgl. §. 179) stammt. Rauch und 
Nebel figuriren daher einfach als dicke Luft, mitunter 
aber auch als graue Luft. Vgl. pus = Nebel mit bos = 
grau. Einen interessanten Spielraum hat jel, jil oder siäl^ 
Sil (vgl. §. 142), welches sowol für Wind als auch für 
Luft gebraucht wird, und die Auffassung, nach welcher 
die Luft als ein schwebender Korper, als etwas Wehen- 
des dargestellt ist, findet Analogie unter andern im magy. 
U^heg = schweben und levegö = Luft. Aehnliches ist auch 
der Fall mit der Identität der Begriffe Luft, Wind, Kühle 
und Kälte, denn von cag. jel, cuv. sil, jak. siäl ist selin, 
serin oder «aZ-H« = kühl, salig, cuv. solilc^ saV'Uk = 
kalt entstanden (vgl. §. 162), und dieses etymologische 
Verhältniss des betreffenden Wortes wird um so mehr 
einleuchten, wenn wir auf analoge Fälle in andern Sprachen, 
so z. B. deutsch Wind und Winter, magy. szel = Wind, 
tel = Winter, besonders aber auf die klimatische Be- 
schaffenheit der Urheimat der Türken hindeuten, wo die 
rauhe, kalte Jahreszeit eben mit dem Eintreffen des fro- 
stigen aus dem Nordosten Asiens hereinbrechenden Win- 
des seinen Anfang nimmt. 

Was den Begriff Feuer selbst anbelangt, so hat der 
turko-tatarische Urmensch gleich im vorhinein dieses Element 
in zwei unterschiedliche Stadien getheilt. Er bezeichnete 
nämlich ein erwachendes Feuer, das mittels Reibung ins 
Leben gerufen wurde, und ein aufloderndes, aufflackern- 



166 

des Feuer. Für ersterea haben wir die Benennnug ofy 
das Fener im allgemeinen, der Brand, welches ich mit 
oUoj = erwachen zu vergleichen geneigt wäre; für das 
zweite al-au, jal-in = Flamme, wobei at jal theils mit 
dem mongolischen ghal = Feuer, theils mit den fiun-ugri- 
schen, namentlich mit läpp, ioll^ 6erem. tul, wotjak. til = 
Feuer verwandt, aus jener uralten Periode stammt, in 
welcher der ganze ural - altaische Stamm noch vereint 
lebte, und mit (d 61 ul=^ oh&n auf, hoch, eigentlich das 
aufsteigende Feuer, verglichen werden kann. Nur der 
Benennung der Hitze und Wärme^ nämlich Ichs, kis, liegt 
der eigentliche Begriff für brennen uöd glühen zu Grunde, 
so Am = feurig, warm , und nach Verschwinden des gut- 
turalen Anlautes iz-issi^issizak = Wärme, warm (vgl. 
§. 93), wobei das Stammwort kis (vgl. io5 = Glut) auf 
das ursprungliche Tcoj^ Jcuj^ Jcüj (vgl. koj-as = Sonne §. 116) 
zurückzuführen ist. 

Sehr treffend ist der turko-tatarische Name für Wolke, 
nämlich 6ag.-osm. bulut, alt. pulut, jak. bilit, cuv. püU, 
allem Anschein nach aus buh, buu, bugh, puu (Dampf, 
Dunst), resp. puul, buül (dampfen, dünsten) entstanden 
(vgl. §. 224), und infolge des analogen Ursprunges mit 
dem betreffenden Worte in den übrigen ural-altaischen 
Sprachen (vgl. magy. felhö, finn. pilvi^ wotjakisch piJjem, 
mordwaisch pel, deremissisch pöl = Wolke) datirt sich dies 
noch aus jener uralten Zeit, als die Sonderstellung der ein- 
zelnen Mitglieder dieser grossen Familie noch nicht so 
ausgeprägt war. Charakteristisch ist hingegen die Er- 
scheinung auf dem türkischen Sprachgebiete, dass für 
Begen kein selbständiges Wort existirt und nur mit einer 
höchst primitiven Umschreibung zum Ausdrucke gelangt 
ist. Jagmur = Regen heisst nämlich in seiner etymolo- 
gischen Bedeutung das Fallende (vgl. §. 121), und die 
verbale Form es regnet wird mit jagmur jagar (wörtl. 



167 

das Fallende fällt) ausgedrückt. Diese Dürftigkeit der 
an genuiner Wortbildung sonst reichen Sprache kann 
nur durch den Umstand einigermaassen erklärt werden, 
dass der Regen in jenen Theilen der alten Welt, wo wir 
die Urheimat der Türken vermuthen, eben zu den Selten- 
heiten gehört, dass die Agricultur auch in den angren- 
zenden Culturgebieten von jeher mittels künstlicher Be- 
wässerung bewerkstelligt werden konnte, und dass z. B. 
der Regen auf den südlichen Abhängen des Thien-shans, 
worunter man kein belebendes Nass, sondern den alles ver- 
nichtenden flüchtigen Sand versteht, noch heute dem 
Landmaune als ein Schreckenswort klingt. So wie der 
Regen nur mittels eines durch Umschreibung entstandenen 
Wortes benannt wird, ebenso sind sonderbarerweise ge- 
wisse mit der Kälte zusammenhängende Erscheinungen 
nicht dem Wesen, sondern der Farbe nach benannt wor- 
den. Tong = Frost ist identisch mit dem Begriflfe dick, 
starr und hart (vgl. §. 179); das Wort für Eis hingegen, 
nämlich huis^ bus, mu0 ist schon von der Farbe entlehnt, 
denn bujs:, ursprünglich ho0, hör, bedeutet grau, gräulich, 
weisslich. Vgl. bor = Kreide. Ebenso ist 6ag. kirau, alt. 
kuru = Reif von Jcir = schimmelgrau, grau entstanden, 
und nicht vice versa, wie nach dem Urtheile von ähn- 
lichen Beispielen auf dem arischen Sprachgebiete ange- 
nommen werden konnte, da hir =grau, wie aus der Er- 
klärung des betreffenden Wortes unter dem Abschnitte 
über die Farben ersichtlich, aus einem andern Grund- 
begriff hervorgegangen ist. 

Was die ausserge wohnlichen Naturerscheinungen an- 
belangt, so tragen die betreffenden Benennungen zumeist 
den Charakter jener Wirkung, in welcher dieselben dem 
primitiven Menschen sich vorstellen. Der Sturm ^ der 
auf der Steppe entweder durch schwarze Wolken oder 
durch wild einherjagende dichte Sandmassen den Horizont 



168 

plötzlich verdunkelnd auftritt, heisst osm. huran, cag. 
buragan, alt. porogon^ von hurmaJc^ hurumalc = Yerhullen, 
bedecken, verdunkeln, während der Schneesturm, das 
Schneegestober, oder der mit Schnee vermengte Regen 
den Namen kaj führt, worunter die Stammsilbe Jcar (Jcaj?) 
= Schnee vermuthet werden kann. Donnern wird ganz 
einfach durch cag. JcüJcrernek, osm. gürlemeJc ausgedrückt, 
eigentlich: einen hohlen Schall geben, schallen, hallen, 
dröhnen, und nur behufs genauer Definirung wird das 
Substantivum JcöJc Jcükremesi oder gölc gürüliüsi = das 
Schallen des Himmels, d. h. der Donner^ genannt. Bei den 
Jakuten und Tschu vaschen ist anstatt schallen, hallen 
die Umschreibung von reden und singen gebraucht 
worden. So: jak. ätär bilU = die sprechende, d. h. don- 
nernde Wolke; 6uv. asVadl ada^ = der Alte singt, d. h. 
der Himmel donnert. Unter Blitz versteht der Türke 
einen Licht- oder Feuerstrahl, daher uig. jasln = Blitz, 
von jas (leuchten, strahlen); cag. cakin, von cakmak 
(funkeln); alt. jdlkin, von Ja?l = brennen, glänzen; osm. 
^'IZdlrlm = Blitz , und j ildir amai: = glsLUzcn. Zu verwun- 
dern ist es einigermaassen , dass die auf den Steppen 
häufig vorkommende Fata morgana sprachlich nur mit 
dem einfachen Namen sagim, d. h. Wahn, Phantasie, 
bezeichnet ist, trotzdem dieselbe einen reichhaltigen Aus- 
gangspunkt im Sagenkreise der Nomaden bildet. Noch 
weniger präcisirt ist im Türkischen der Begriff für Regen- 
bogen^ welchen die osm. Volkssprache Alaim saghma 
nennt, vom arab. alaim- i-sema^ d. h. Himmelszeichen, 
eine Erscheinung, die sonst auch mit dem entlehnten 
Kaust Kii0ah (arab.) , d. h. der Bogen des Wolkenengels 
Kuzah, genannt wird. Merkwürdigerweise gibt es wenig 
Erscheinungen, wo die Verschiedenheit der Benennung so 
sehr auffallen würde wie eben beim Regenbogen. Auf 
der östlichen Grenze des türk. Sprachgebietes heisst er 



169 

alt. solongo (ein mit dem Mongolischen gemeinsames Wort), 
etwa von alt. solun = verwundern, Staunen. Weiter 
gegen Westen im Cag. und Kaz. Salavat Jcüperi oder 
Jcöprüsü^ d.h. die Brücke der Gebete, und auf der Hyr- 
kanischen Steppe habe ich ihn Chidr köprüsü = die Brücke 
des Propheten Elias nennen hören, was insgesammt dar- 
auf hindeutet, dass die Türken im Zeitalter der primitiven 
Cultur für den Regenbogen kein specielles Wort gehabt, 
oder dass es später abhanden gekommen ist. Von selte- 
nern Himmelserscheinungen, wie Sonnen- oder Mond- 
finsternisse ist zu erwähnen, dass nach Aussage der 
Sprache der primitive Mensch der turko-tatarischen Kasse 
das zeitweilige Verschwinden dieser Lichtkorper sich der- 
maassen erklärt, dass er sie in die Gefangenschaft gerathen 
zu sein glaubte; die Benennung hün tutulmasi = Sonnen- 
finsterniss, wortl. Gefangenschaft der Sonne, steht demnach 
so ziemlich in Uebereinstimmung mit der Ansicht anderer 
Wilden, die in dieser Erscheinung irgendeinen gewalt- 
samen Angriff oder Kaub besagter Himmelskörper ver- 
muthen (vgl. Lubbock, S. 156 und 157). 



XV. 

Land und Wasser. 

Zur Bezeichnung der Erde als einen allgemeinen Be- 
griff oder einen grossen Korper ist die Sprache der Turko- 
Tataren unfähig, und sie gleicht in dieser Beziehung dem 
Magyarischen, wo das Wort für Erde, nämlich föld, dem 
deutschen „Feld" entlehnt ist. Die heute für den Be- 
griff Erde auf dem ganzen türkischen Sprachgebiete 
gebrauchten Wörter sind : jir oder jer, der Grund- 



170 

bedeutiing nach Raum, Ort, Platz (vgl. §. 139); ferner 
toprai, iuprdk, eigentlich der Ort, auf welchem man 
herumtritt (vgl. §. 172), Boden, Grund; in beiden muss 
daher eine Umschreibung, eine bildliche Darstellung, aber 
keine specielle Benennung gesucht werden. Ganz anders 
verhält es sich jedoch mit dem Begriff Erde, wo diese 
als festes Land dem Begriff Wasser gegenübergestellt ist. 
Hier haben wir das alte, aber genuine und concrete hok, 
zugleich auch ein Beschaffenheitswort von der Bedeutung 
dürr, trocken, als dessen Gegensatz iigi = das Wasser, 
figurirt, denn im Kudatku Bilik (vgl. meine „Uigurischen 
Sprachmonumente", S. 78), wo von den vier Elementen 
die Rede ist, heisst es: „Töref^i, etirdi küi, jel^ ögä^ 
ÄoÄ", d. h. er schuf, er machte Feuer, Wind, Wasser 
und Erde. Mit Ausnahme des Windes sind die Elemente 
hier mit solchen Namen benannt, die heute nur als Stamm- 
silben in den einzelnen Sprachen fortleben, aus dem 
innern Werthe der Grundbedeutung jedoch über die uralte 
Bezeichnung der betreffenden Worter uns den besten 
Aufschluss geben. Um speciell die Bezeichnung der Erde 
als festes, trockenes Land in Relief zu bringen, sei er- 
wähnt, dass kok in der neuern Form kak (vgl. §. 76) 
heute sowol dürr, trocken, als trockenes Land, nament- 
lich den harten Lehmboden der Steppe bedeutet; die hier- 
von entstandenen kara und kuru = schwarz und trocken, 
sind selbstverständlich synonym für Erde und Land. Wir 
finden demgemäss die Erde schon in der frühesten Phase 
der turko-tatarischen Sprachen als synonym mit schwarz 
und dunkel dargestellt; daher ist die heutige Redensart 
kara jer = schwarze Erde, und das uig. jah'0 jer = dunkle 
Erde, ein Metapher für die irdische, vergängliche Welt, 
dem der Himmel tingri^ d. h. der leuchtende Korper, 
gegenübergestellt ist. Von der. bildlichen Bedeutung der 
Synonyme schwarze Erde wird noch im Abschnitte 



171 

über die Farben die Rede sein; hier sei nur bemerkt, dass 
die analoge pers. Redensart chaki siah = schwarze Erde, 
dem Türkischen nicht als Muster gedient hat, sondern blos 
ein Ausfluss gleichen Ideenganges ist, obwol, nebenbei 
bemerkt, das neupersische cÄa4 = Erde, neben dem alt- 
persischen semin^ slaw. ^r^wiZ/a = Erde, entschieden tür- 
kischen Ursprunges ist. 

In Bezug auf die Beschaffenheit der Erde oder des 
Bodens finden wir in den allerdings dürftigen Bezeich- 
nungen von takir = fester, glatter, ebener Boden (von 
fori = eben, vgl. §. 175), cUci oder a/cw = Lehmboden 
(von aZ = rothlich, gefärbt?), und Ä;a;a = felsiger Boden^ 
Fels (von kaj = hart. Stein, vgl. §. 87), äusserst wenig, 
was zu Schlüssen auf die geologischen Verhältnisse der 
Urheimat der Türken berechtigen würde. Interessant ist 
nur der schon hervorgehobene Umstand *, dass fast durch- 
gängig auf dem ganzen Sprachgebiete der Türken der 
Begriff Stein heute mittels tas oder tas ausgedrückt ist, 
was der Grundbedeutung nach als Wurf, Geschoss, folg- 
lich als ein Stück Stein zu nehmen ist, da für Stein selbst 
ursprünglich das Wort kaja = Fels bestanden haben muss, 
wie dies aus den Beispielen anderer ural-altaischen Spra- 
chen (vgl. magy. äö, finnisch kivi, ceremissisch M, wogu- 
lesch keu = Stein) ersichtlich ist. Einen viel bessern An- 
haltepunkt gewähren uns hingegen die auf die äussere 
Form der Erde bezüglichen Namen, wo die Sprache in 
der bekannten schlichten und einfachen Weise die ver- 
schiedenen Bodenformationen darstellt. Die Ebene heisst 
entweder jazi (von jass^ jat = breit, gedehnt, vgl. §. 138) 
oder täla (von tal, ^e? = gross, weit, vgl. §. 176), oder 
auch osm. ova^ eigentlich Niederung, Tiefe (von oj, ov = 
ausgehöhlt, vgl. §. 47). Es sind dies Benennungen, 



* Vgl. S. 119. 



172 

welche den distinctiTen Charakter der BodenformatioD an 
sich tragen, andererseits aber der Vennnthnng Baom 
geben, dass das dem etymologischen Wortsion mehr ent- 
sprechende tahir (siehe oben) die primitivere Bezeidmong 
sei, da dieselbe in der geographischen Nomenclatur häu- 
figer vorkommt, vgl. Kizü-takir (in Chiwa), Kara-iakir 
(anweit Merw) vl s. w. Für den Begriff Berg haben wir 
tak^ dag oder alt. fti, von der Stammsilbe tok^ tak (vgl. 
§. 194) hoch, Hohe = aufsteigen, erheben, folglich An- 
höhe, Erhebung; als dessen Gegensatz hat sich tere^ teri, 
uig. tere-jer =^T)MAy Thalgegend, ganz folgerichtig ge- 
bildet aus ter (vgl. §. 176) = breit, gedehnt. 

In Anbetracht dessen, dass wüste, leere Steppen- 
regionen den hervorragenden Charakterzug der Urheimat 
der turko'tatarischen Völker bildeten, ist es ganz natür- 
lich, dass der Begriff Steppe vielartig ausgedrückt ist. 
In erster Reihe begegnen wir dem meist verbreiteten cd/, 
ein Wort von der Grundbedeutung welk, wüst, nackt 
(vgl. §. 166), worunter man die unbewohnte, selbst für 
nomadische Zwecke nicht verwerthbare Erde versteht, wo 
die sengenden Sonnenstrahlen das grüne Kleid des Früh- 
lings schon im Keime welk und dürr macht, und welche 
dem von der Viehzucht Lebenden schon in der Urzeit 
als Schreckensbild galt. Cölde = in der Wüste, ist ana- 
log mit unserer Redensart im Freien, in der Ferne, dem 
als Gegensatz ojda oder o;de = daheim, eigentl. in der 
Thal tiefe, die von der Natur bedingte erste Wohnungs- 
stätte entspricht. Einen cÖl wol ähnlichen Ideengang be- 
kunden auch die andern Benennungen der Wüste. So 
das osm. jdban (yon jab, ^'at; = eitel, leer, vgl. §. 119), 
uig. bosuJr (von ioÄ = wÜ8t, leer, vgl. §. 122) und das 
alt. cen jer = weites Feld, da ein solches nach den localen 
Bodenverhältnissen der Altaier, wo Tfaalgegenden vor- 
herrschen, mit Heide, Steppe identisch gehalten wird. 



173 

Am prägnantesten jedoch ist der Begriflf der Nacktheit 
und Armuth der Steppe ausgedrückt im Worte jcägin., 
worunter die aus der Ferne Seen gleichenden Salzflächen 
bezeichnet werden und dem die Stammsilbe jdl = kahl, 
nackt, glänzend (vgl. §. 127) zu Grunde liegt. Schliess- 
lich sei hier noch des in der heutigen Bedeutung wol 
verallgemeinerten, ursprünglich aber eine ganz feine geo- 
gnostische Distinction bekundenden Tdr^s erwähnt, worunter 
man im Altaischen noch heute einen Berg, eine Anhöhe 
versteht, und worunter eigentlich das aus der Steppe sich 
emporhebende Hochlandplateau verstanden werden muss, 
welches sozusagen als ein kantiges Bruchstück erscheint, 
daher die Analogie des Wortes mit der Stammsilbe Mr == 
brechen. 

Nachdem wir von der Oberfläche der Erde und ihren 
Gestaltungen gesprochen, wollen wir nun auf die im 
Innern der Erde verborgenen festen Korper, d. h. auf die 
Mineralien übergehen, und gleich im vorhinein bemerken, 
dass, obwol heute für diesen Begriff im allgemeinen kein 
specieller Name mehr besteht, dennoch nach dem etymo- 
logischen Werthe eines Erzes zu urtheilen, ein solcher 
früher existirt haben muss. Wir zielen hiermit auf das 
Wort Jcömü^, kömüs oder kümüs, welches trotz seiner 
heutigen allgemein verbreiteten Bedeutung von Silber, 
dennoch der Stammsilbe körn = bergen , verstecken ent- 
springt und der wortlichen Grundbedeutung nach für 
das Verborgene, das Versteckte zu nehmen ist, mit 
welchem Verhältnisse das mongolische chorgholacho = sich 
verstecken und chorghoUsin =^ Blei (Erz?) übereinstimmt. 
In unsern Untersuchungen über die Namen der meist be- 
kannten Mineralien wird uns ersichtlich werden, dass die 
betreffenden Namen theils mit Bezug auf die Substanz, 
theils mit Hinsicht auf das Aeussere, d. h. auf die Farbe 
der verschiedenen Erze entstanden sind. So finden wir 



174 

z. B. Silber^ ausser dem schon erwähnten Namen, fast 
durchgängig mit akce = das Weissliche, von oi = weiss; 
Gold hingegen mit dltin oder ki^ü, zugleich auch Farben- 
namen für roth, bezeichnet (vgl. sanskr. ar^ = flammen 
mit argantu, lat. argentum^ griech. ap^uptov apxTO?). Eine 
dem Golde analoge Bezeichnung hat auch das eben- 
falls rothe Kupfer im Jakutischen, wo dieses Erz den 
Namen altan führt; den Motiven der Wortbildung zufolge 
erinnert dies an das von Ahlquist (S. 70) schon betonte 
Verhältniss zwischen dem litauischen ruda = Erz, rauda 
= rothe Farbe , oder dem goth. rauds = roth und rauda 
= Eisenocker, Was nun die Bezugnahme auf die Sub- 
stanz anbelangt, so begegnen wir einem solchen Ideen- 
gange in hervorragender Weise in der Benennung zweier 
Erzgattungen, erstens in temir, timir = lEl8eny das ohne 
Zweifel aus der Stammsilbe Um, ^em = fest, dicht, stark 
(vgl. §. 178) hervorgegangen, und in laMr, pakir, alt. 
pakras = Kupfer^ welchem die Stammsilbe bak, pak = 
fest, hart zu Grunde liegt. Mit dieser Anspielung auf 
die Substanz hat der primitive Mensch der turko^tat. 
Rasse, dem Erze als Erdgattungen vorkamen, auf die 
härtere und festere Qualität, durch welche Mineralien von 
der gewöhnlichen Erde sich unterscheiden, hindeuten 
wollen, wie wir dies bereits in analogem Falle beim Be- 
griff Stein, Fels sahen, und wie denn auch Eisen selbst 
heute noch bildlich für fest, hart, zähe gebraucht wird. 
Vgl. temir kazik = Nordstern, d. h. «der unbewegliche 
Pfahl; temir Aaw = Eisenblut, d.h. unerschrocken; temir 
ias = Eisenkopf, d. h. halsstarrig, unbeugsam u. s. w. 

Dass bei unserer derartigen Auffassung von dem Ur- 
sprünge der verschiedenen Benennungen der Erze die 
hochwichtige Frage: welches wol das erste dem turko- 
tatarischen Urmenschen bekannte *Erz gewesen sei, der 
Entscheidung wol wenig nahe gerückt werden könne, 



175 

liegt auf der Hand. Wenn Culturhistoriker die so ziem- 
lich unanfechtbare Theorie aufstellen: Der Gebrauch des 
Eisens bedeute eine Epoche in der Culturgeschichte, weil 
dieses Erz, nicht so wie Gold, Silber und Kupfer im 
gediegenen Zustande gefunden, sondern durch den Process 
des Schmelzens erst gewonnen werden muss — so stimmt, 
wie wir eben sahen, die Sprache der Türken einer solchen 
Ansicht wol wenig bei, sie gibt uns wenigstens auch nicht 
den geringsten Anhaltpunkt bezüglich der frühern oder 
spätem Bekanntschaft der turko- tatarischen Völker mit 
der in Frage stehenden einen oder andern Erzgattung, 
während doch andererseits eben die etymologische Erör- 
terung uns mit der nothigen Erklärung an die Hand 
geht. So lässt sich mit ziemlicher Sicherheit annehmen, 
dass Blei und Bronze im frühesten Culturstadium unbe- 
kannt, bei den Türken durch benachbarte und verwandte 
Volker eingeführt werden, da im Türkischen hierfür keine 
genuinen Benennungen, sondern nur Lehnwörter vor- 
handen sind. Das osm. Mrsun^ £ag. kurgasun, alt. kor- 
goßn stammt vom mongolischen chorghoUsin = Blei; ebenso 
auch das £ag. zes, alt. jes vom mongolischen dzes, wobei 
jedoch hervorgehoben werden mnsS) dass während mit 
diesem 6agataischen Worte heute Bronze bezeichnet wird, 
dasselbe im Altaischen und Mongolischen aber entschieden 
Messing und Kupfer bedeutet. * Diese schwankende De- 
finition des fraglichen Begriffes ist an und für sich hin- 
reichend, um das Fremdartige dieser Erzgattung ausser 
Zweifel zu stellen, denn wo die Wortbildung auf heimi- 
schem festen Boden sich bewegt, ist dies nicht der Fall, 
wie wir dies eben beim rothen und weissen Erz, d. i. bei 
Gold und Silber gesehen, und wie wir noch ferner 



* Vgl. Grammatik, alt.-jak. II, 174, und Schmidt, Mong. Wörter- 
buch, S. 301. a. 



176 

wahrnehmen können in Tcükür oder Mhürt = Schwefel,, 
eigentl. das Brennbare, von Tcüj = brennen* (vgl. 
§. 116) und bor = Kreide, eigentl. weiss, grau (vgl. 
§. 221). 

Wenn wir daher unsere über die verschiedenen Erze 
gegebenen dürftigen Notizen recapituliren, so wird es 
trotz aller menschenmöglichen Anstrengung uns nicht ge- 
lingen, die Existenz der von den Paläontologen angenom- 
menen Hauptculturepochen, d. h. eines Stein-, Bronze- 
und Eisenalters, bei den primitiven Menschen der turko- 
tatarischen Rasse sprachlich nachzuweisen. Nur mit 
Hinblick auf die Identität des Wortes für Geschoss und 
Stein (s. S. 119 und 171) ist eine geringe Ausnahme 
erdenklich. Auch die Analogie des Begriffes Erz und 
Bronze, das aber nur im gegenseitigen Verhältnisse zum 
Mongolischen besteht, als wenn sozusagen unter Erz zu- 
erst die Bronze verstanden worden wäre, verdient einiger- 
maassen Beachtung; im allgemeinen jedoch ist das Wort 
für Eisen, temir^ ebenso echt türkisch, und bezeichnet 
im gleichen Maasse Erz, d. h. einen festen harten Korper, 
ohne Berücksichtigung seines eine fortgeschrittene Cultur* 
epoche bekundenden Auftretens. Wollten wir uns in 
weitgebende Speculationen einlassen, so konnten wir auf 
Grund etymologischer Beweisgründe wol die Vermuthung 
wagen, dass den Türken unter allen Mineralien Silber, 
Gold und Kupfer, infolge des von der grauen Erde ab- 
stechenden glänzenden Colorits zuerst bekannt geworden, 
und dass das Eisen = temir, timir oder timur erst später 



* kür ist gleicli gur (in ui-gur^ tin-gur u. s. w.) eine Bildungs- 
silbe für Eigenschaftswörter. Eine mit dem türk. kükürt = Schwefel 
verwandte Wortbildung zeigen finn. tuUkivi = Schwefel, eigentl. 
Feuerstein, mordwinisch palt gaudir = Schwefel, von pali = bren- 
nend (Ahlquist, S. 73). 



177 



iffü 



in Gebrauch kam, und ebenso sehr in Ermangelung be- 

•'-' sonderer Farbenverschiedenfaeit von der Erde, nicht nach 

V dem Aeussern, sondern nach der innem Beschaffenheit, 

d. h. nach der Festigkeit und Härte benannt wurde. Doch 

^'^ wäre eine solche Theorie nicht ganz stichhaltig, denn 

"^ ' während Gold, Silber und Kupfer heute und schon längst 

^? auf dem ganzen Sprachgebiete abwechselnd Jcömüs, dUin, 

3'^ altan, Icuil und akce heissen, beweist das überall gleich- 

02^ lautende und gleichbedeutende temir = Eisen, dass es dem 

ife Yordialektischen Zeitalter entsprungen sei, folglich einen 

altern Namen trage und auch von älterer Zeit her bekannt 

sei. Es dünkt uns daher am klügsten, mit paläontologischen 

Urtheilen vorderhand noch zurückzuhalten. 



rr' 



Dl 

IE 

IK 

SIE 

Ih 

f- 

n 
i 



/ 



Nachdem wir im Eingang dieses Abschnittes die Grund- 
bedeutung des Wortes für Erde als trocken, schwarz oder 
dunkel dargestellt, darf es nicht befremden, wenn wir im 
Worte für Wasser^ als in dem entsprechenden Juxtaoppo- 
situm die Grundbedeutung von feucht, nass und glän- 
zend, klar entdecken. Es steht nämlich ausser Zweifel, 
dass dem heute für Wasser überall gebrauchten sw, jak. 
te, mong. usun^ das im JE^adutku Bilik vorkommende ügi 
= Wasser als ein älteres und primitiveres Wort voran- 
steht, denn trotzdem ügi heute fast gänzlich ausser Ge- 
brauch ist, lässt sich dasselbe dennoch auf jene alte Pe- 
riode zurückführen, in welcher die Turko-Tataren von den 
Finn-Ugriern noch nicht getrennt waren, da an ügi sich 
magy. ügy = Wasser, FIuss, ostjak. jog-ja = Wasser, Fluss 
in unverkennbarer Weise anreihen. Nur nachdem ügi aus 
dem speciell turko- tatarischen Sprachgebiete verdrängt, 
hat das verhältnissmässig neuere suh, suv, ^i<; = Wasser 
(vgl. §. 167) Verbreitung gefunden, ein Wort, das nicht 
so sehr die Substanz, d. h. die Nässe oder Flüssigkeit, 

V4mb6ry, Gultur. 12 



178 

als vielmehr die Aeusserlichkeit des betreffenden Elemen- 
tes, d. h. die Helle, den Glanz interpretirt. Nach die- 
ser Auffassung ist es erklärlich, dass sub im Uigurischen 
auch Glanz, Helle, Ehre bedeutet, und subluk ebenso sehr 
auch für wässerig gebraucht wird, als auch für glänzend , 
geehrt. Als aufklärende Analogie dient hierbei das Neu- 
persische, wenn wir nämlich ap = Sonne, Helle (in af-i- 
tab, a/^-i-^aJ = Sonne, eigentl. Sonnenschein, vgl. mdh= 
Mond mit waÄ-i-^a6 = Mondschein), nah, na|7 = klar, 
hell, und ab, ap = Wasser und Glanz (vgl. ab'dar= glän- 
zend , ab-rui = Gesichtsglanz, Ehre) nebeneinanderstellen. 

Soviel vom gegenseitigen Verhältnisse des altern ügi 
zu den neuern sub oder $u. Was nun die Grundbedeu- 
tung von feucht und nass anbelangt, so wird es gleich 
auf den ersten Anblick ersichtlich, dass diese Grundidee 
im Turko - Tatarischen nur bei grossem Wassermassen 
zum Ausdruck gelangt, indem die Stammsilbe und zu- 
gleich das Beschaffenheits wort /id7, t)7=feucht, nass, dem cag. 
l'öl, osm. göl, k. k. hol, hol = See, und mong. ghol = Fluss 
zu Grunde liegt. Dieses ist die älteste genuine Benen- 
nung grosserer Wasserkorper, was auf die sehr frühe Be- 
kanntschaft der Turko-Tataren mit Seen hindeutet, wäh- 
rend andererseits die Benennung des Flusses — voraus- 
gesetzt, dass dieses im Türkischen früher nicht ghol gewesen 
— nirgends in einem speciellen Worte anzutreffen ist. 
Fluss wird nämlich entweder su (Wasser) oder akkan su 
(fliessendes Wasser) benannt, und das osm. az. caj bedeutet 
eigentlich Bach und ist verwandt mit dem öag. saj = 
ein kleines Wasser, nach Baber ganz richtig sül derja der- 
lerki kiiin su aka, jazin akmaja = ein solches Wasser, 
das im Winter fliesst, im Sommer nicht fliesst; das osm. 
irmak (vgl. §. 45) hingegen fliessendes Wasser. 

In Anbetracht des Gesagten ist es um so interessanter, 
das Motiv, von welchem die Türken bei der Benennung 



179 

des Meeres ausgingen, näher ins Auge zu fassen. Dieses 
heisst fast durchgängig tingiz, tengi/sf, oder 6uv. tingirj uig. 
tenggi0, ein Wort, welches seiner etymologischen Bedeu- 
tung nach uns ganz unverständlich wäre, ständen nicht 
andere, zwar minder gebrauchte Bezeichnungen dieses Be- 
griffes zu unserer Verfügung, mittels welcher der verbor- 
gene Etymon ans Tageslicht gebracht werden kann. Ten- 
güs hat nämlich zwei Synonyme: a) das alt. tdla = Meer, 
von ^aZ= weit, breit (vgl. §. 176), zugleich aber auch 
Steppe, Ebene (vgl. kirg. daZa = Steppe), und b) das 
osm. engin =^ offene See, weites Meer, von mg, m=:weit, 
breit (vgl. §. 103); hieraus lässt sich erkennen, dass die 
Grundidee dieses Wortes das Weite, Breite, Grenzen- 
lose ist, womit die Stammsilbe teng^ ting = flach, eben, in 
Verbindung gebracht werden kann (vgl. mong. tengeri == aus- 
gedehnte Sandflächen)*; die etymologische Bedeutung vom 
Worte tmgis ist daher, ebenso wie von tala und engin, ent- 
schieden für ausgedehnt, weit zu nehmen. Es fragt 
sich nun allerdings, warum die Sprache bei Benennung des 
Sees mit grösserer Consequenz und mit mehr Deutlich- 
keit vorgegangen, als beim Worte für Meer; die Antwort 
hierauf ist in den geographischen Verhältnissen der muth- 
masslichen Urheimat der Turko-Tataren zu suchen, in 
welcher Seen, d. h. kleinere Wasserkorper, häufiger vor- 
kommen, während das Meer nach unserer Auffassung die- 
ses Wortes den Türken nur später zu Gesicht gekommen 
war. Unter dem türkischen Worte tengiz können dahec 
von Rechts wegen nur grossere Seen oder Binnenmeere 
verstanden werden, während kleinere Wasserflächen oder, 
um uns bestimmter auszudrücken, solche, deren Umfang im 
Bereiche des menschlichen Gesichtskreises liegen, mit dem 
Namen Ml bezeichnet werden. So wird z. B. der Balchasch 



* Prschewalsky, engl. Ausgabe, I, 233. 

12* 



180 

und Aral heute vorzugsweise tengü = Meer genannt, wäh- 
rend bei kleinern Wassermassen, so: Issik-Tcöl (Warmer 
See), Äla-Jcöl (Bunter See), Kara-Jcöl (Schwarzer See), 
äor-Jcol (Salzsee), mit hol, gol bezeichnet sind. 

Hinsichtlich anderer Gestaltungen, die Wasser und 
Land zusammen bilden, bewährt sich die Sprache in der 
mit Recht bewunderten Kunstfertigkeit und durch die 
häufig hervorgehobene Klarheit und Durchsichtigkeit. 
Unter Bucht und Hafen versteht der Türke eine durch 
das Wasser verursachte Aushöhlung, daher cagandk = 
Bucht, von cdk, resp. ^aÄ:an = sich aushohlen, und das 
Verhältniss zwischen cdkanak = Topf, Hefen, und cagandk 
= Bucht findet ein ganz analoges Beispiel im deutschen 
Hafen und Hefen und im magy. oböl = Höhlung, Busen 
und Bucht. Wenn Bucht oder Hafen als ein Einbruch 
des Wassers in das Land aufgefasst wurde, so ist es ganz 
natürlich, dass eine ähnliche Bildung in das Meer hinein, 
nämlich eine Landspitze^ für eine Hervorragung, d. h. 
ein pars protrudens genommen und demgemäss bezeichnet 
wurde. Das hierauf bezügliche türkische Wort ist hurun 
(vgl. §. 210), welches zugleich auch Nase bedeutet, eine 
Ideenverbindung analog mit dem russ. noss = Nase und 
Landspitze, sowie auch mit dem skand. nä^ =^ Nase und 
Vorgebirge. 

Sehr trejBFend ist die türkische Benennung der Insel. 
Wir haben hier zwei von verschiedenem Ideengang stam- 
mende Wörter: 1) uig. atah, cag. ata, kaz. atau, osm. 
ada, in welchen das alttürkische atak = Fuss, Stand, 
möglicherweise ursprünglich atak jeri = der Ort, wo man 
Fuss fassen kann, als Gegensatz zu dem ringsumher be- 
findlichen Meere. 2) Aral, oder wie dies im Altaischen 
noch deutlicher ausgedrückt ist ortalik = der Zwischen- 
raum, das Binnenland, von ara = zwischen (vgl. §. 19). 
Nicht minder klar ist die Bezeichnung der Begriffe seicht 



181 

und tief, indem ersteres durch saj (= klein, gering, vgl^ 
§. 175, vgl. in dieser Beziehung das vorhererwähnte caj 
= Bach), letzteres durch terin^ telin (vgl. §. 177) = unten, 
nieder, ausgedrückt ist. 

In Zusammenhang mit unserer früher gemachten An- 
deutung, dass die Türken in der Urzeit mit dem Meere 
nicht in Berührung gestanden und nur kleinere Wasser- 
korper kannten, mag auch jener Umstand gebracht wer- 
den, dass ihre Sprache für ScMffe, d. h. grossere Wasser- 
fahrzeuge, keinen genuinen, wenigstens etymologisch nicht 
zerlegbaren Namen aufweist, während für dad Wort Boot 
oder Nachen^ d. h. für kleinere Fahrzeuge, zweierlei ge- 
nuine Bezeichnungen existiren. Budagow hält das turko- 
tat. Jcemi, Jcimi, gemi, mit welchem heute das Schiff im 
allgemeinen bezeichnet wird, für ein persisches Lehnwort, 
eine Ansicht, die allerdings noch sehr zu bezweifeln ist; 
doch muss andererseits anerkannt werden, dass dieses 
Wort ein etymologisches Räthsel bildet, und nur im 
äussersten Falle dürfte ein Vergleich mit dem mong. 
uimo*=^ Boot gewagt werden. Um so mehr tritt hin- 
gegen die dem türkischen Sprachgeiste innewohnende 
Klarheit bei den genuinen Wortern für Boot hervor. Hier 
haben wir das sogar im hohen Norden bekannte kajuky 
kajik, JcajaJc, und das turkom. tajmil^ tejmil vor uns« 
Beide haben die analoge Stammsilbe Tcaj oder taj (vgl. 
§. 175) = gleiten, schlüpfen, rutschen; und Icajuk, ein 
regelrechtes nomen agentis, würde demnach der Gleitende, 
Schlüpfende bedeuten, eine Ideenverbindung, die sich auch 
im mong. uma-c/^o = seh wiinmen und wmo = Boot, im 
lat. naU'ta und wat;e-5, im griech. tcX^-o = schwimmen 
und schiffen nachweisen lässt. Was die übrigen zur Schiff- 



* uimo verhält sich zu Icemi ebenso, wie das cag. äöwicä == Hülfe 
zum gleichbedeutenden mong. ömek. 



182 

fahrt gehörigen Werkzeuge anbelangt, so steht deren dürf- 
tige, allerdings genuine Nomenclatur unserer Annahme, 
dass die Türken stets nur Flüsse oder kleinere Seen zu 
befahren verstanden, kräftigend zur Seite. Das Buder^ 
cag. esgeJc, osm. küreJc, bedeutet ganz einfach Schaufel, 
ebenso das Steuerruder, welches (in Chiwa) has esgek oder 
ulu esgek = grosse Schaufel, osm. dümen (vom italien. ii- 
mone) heisst. Dass der Anker früher unbekannt war, er- 
hellt aus dem Umstände, dass dieses Wort noch heute 
mittels temir^ d. h. Eisen, ausgedrückt wird, das persische 
Lehnwort lenger ist nur selten gebraucht. Schliesslich 
sei noch des Segels erwähnt, welches den genuinen Namen 
jelken führt, von jel = Wind ^ resp. jellemek = Wind 
machen, daher ursprünglich jelleken, jelken \ wozu wir eine 
analoge Wortbildung im slaw. wjetrilo = Segel, von wjetr 
= Wind, sowie im pers. hadban = Segel, von 6ad=Wind, 
antreffen. Diese genuine Bezeichnung eines in der Schiff- 
fahrt auf grossem Wasserstrecken wichtigen Geräthes 
konnte sehr leicht eine unserer frühern Behauptung, dass 
die Türken in ihrer Urheimat das Meer nicht kannten, 
entgegengesetzte Vermuthung aufkommen lassen; doch 
wäre eine solche Annahme mit Hinblick auf die ortlichen 
Verhältnisse Centralasiens keinesfalls berechtigt. Am un- 
tern Oxus und auch auf andern Flüssen, deren Ufergebiet 
in der weiten, ebenen und dem Winde stets ausgesetzten 
Steppe sich befindet, sind auch noch heute Segel in vollem 
Gebrauche, was gewiss auch schon sehr früh, namentlich 
auf den Binnenseen der Fall gewesen sein muss, ohne dass 
das Meer den menschlichen Geist zu dieser Erfindung 
angeregt hätte. 



183 



XVI. 

Das Thierreich. 

Bei einem schon infolge der Bodenverhältnisse seiner 
Heimat mit der Viehzucht sich in eminenter Weise be- 
schäftigenden Volke, wie die Turko-Tataren in ältesten 
Zeiten gewesen waren und es noch heute sind, darf es 
nicht im mindesten überraschen, dass die Sprache, und 
namentlich die klar durchsichtigen Redeelemente der tür- 
kischen Sprache, uns über das früheste Verhältniss des 
Menschen zu den wilden Thieren wie zu den Hausthieren 
seiner Bekanntschaft einen jeden Zweifel ausschliessenden 
Aufschluss geben, und dass das Turko -Tatarische hier 
ebenso wie auf den übrigen Gebieten unserer Forschung die 
bekannten Sprachen der Welt hinsichtlich des Reichthumes 
und der Helle des verbreiteten Lichtes vielfach übertrifft. 

Angesichts des im Laufe dieser Schrift mehrmals be- 
tonten, und in der Sprache uncultivirter Volker überall 
bemerkbaren Unvermögens zu allgemeinen Benennungen, 
darf es nicht wundernehmen, wenn wir für Thier ebenso 
wie für Mensch kein specielles, genau definirtes Wort vor- 
finden. Für Haus- und Nutzthiere im allgemeinen bedient 
sich der Türke des mit der moslimischen Cultur einge- 
drungenen haiwan (eigentl. ein Lebendes, von haj = leben) 
oder des mehr verbreiteten mal (eigentl. Gut, Vermögen), 
das sonderbar genug sogar bis ins Mongolische gedrungen, 
ungefähr wie das finnische waw^a = Vieh, das dem altn. 
not, nöd entlehnt worden. In Bezug auf den Ideengang 
erinnert dies an das Verhältniss des lat. pectis zu pecunia, 
des slaw. lichwo = Vieh und Profit, und des magy. joszdg 
= Vieh und Vermögen, Habe. Im Kirgisischen bedient 



184 

man sich des Wortes barum, barim (vgl. magy. barom = 
Vieh), dessen Grundbedeutung wol ebenfalls Besitz, Eigen- 
thum (von bar, var, vgl. §. 209) ist. 

Was der Turko -Tatar im primitiven Zeitalter seiner 
Existenz unter Thier verstand, das hat, wie aus sprach- 
lichen Beweisen sich ergibt, nur auf das Wild oder auf 
wilde Thiere im allgemeinen sich bezogen. Hier haben 
wir drei verschiedene Benennungen vor uns: 1) Das alt. 
cddi, von den Verfassern der Altaiskago Grammatika über- 
setzt mit diki zwjer = wildes Thier, seinem etymologischen 
Ursprünge zufolge entweder von al= wild, fremd (vgl. 
§. 14) oder von a!=: nehmen, vielleicht im Sinne eines 
Raubthieres aufzufassen. Aldi erinnert zwar an das magy. 
ällat = Thier ^ hat aber mit demselben keine philologisch 
nachweisbare Gemeinschaft. 2) Kijik, Jciik, gejik = Wild 
und zugleich Hirsch, woraus ersichtlich wird, dass in ge- 
wissen Theilen des türkischen Sprachgebietes unter Wild 
zuerst der Hirsch verstanden wurde, denn in anderer 
Weise konnte die Gemeinsamkeit des Begriffes wol nicht 
ausgelegt werden; dass Kijik trotz seiner heute allgemein 
verbreiteten Bedeutung von Hirsch ursprünglich Wild 
hiess, bestätigt das von gleicher Stammsilbe stammende 
alt. Verbum kijiksi = verwildern , wild werden. 3) Ang^ 
an^ an und lan, von welchen Varianten erstere mit Aus- 
nahme des Westtürkischen durchgängig sogar im Mongo- 
lischen vorkommt in der concreten Bedeutung von Wild, 
wildes Thier, während die letztern, nämlich an und 
Zaw*, im Osten und im Westen des grossen Sprachgebietes 
als Partikel in den Namen der den Türken von der 
ältesten Zeit her bekannten wilden Thiere, richtiger 
Kaubthiere anzutreffen ist. Solche Namen sind: Ars- 



* Lan scheint uns, da es den consonantalen Anlaut beibehalten 
hat, die ältere und primitive Form. 



185 

lan = Löwe, in der wortlichen Bedeutung das starke Wild, 
von uig. ars, am(?) = stark, und lan, kap -lan = Tiger ^ 
wortl. Raubthier, von kap = erhaschen, ergreifen; Hrt-lan 
= Hyäne, wortl. das rauhe Thier, von Mrt, sirt = rauh; hu- 
Zaw = wilder Esel, wortl. das Renn thier, von ku, kov = 
jagen, rennen (vgl. §. 95), weil dieses Thier den Steppen- 
bewohner nie in seine Nähe kommen lässt und in der 
That selbst noch heute als Beispiel der Flüchtigkeit und 
Schnei Ifussigkeit erwähnt wird; jü-an^jü-lan = Schlange, 
von ^VZj^wZ— glatt (vgl. §. 144), daher wortl. das gleitende 
oder glatte Thier. Von ähnlicher Zusammensetzung sind 
noch die Namen folgender Thiere, als: i^i;-aw=F Eidechse, 
Ä;aJ-aw=Eber, sic-an oder 5icÄaw=Maus, kuj-an und taus- 
aw = Hase, Awr-aw (alt.) = wilde Ziege, deir^ an =G2ize\le 
u. s. w. In Anbetracht der erwähnten zehn Thier- 
namen kann es allerdings kein blinder Zufall sein, dass 
sie insgesammt auf lan oder an enden. 

Schliesslich wollen wir noch das mit ang lautlich und 
begrifflich verwandte aj und dessen Variante at hervor- 
heben, das ebenfalls in der Bedeutung von Wild vor- 
kommt, und zwar in dem mythischen Worte aj-gir, uig. 
at'kir = Ungeheuer, das fabelhafte Thier der Steppe, 
dasselbe was der Perser mit dem Gul-i-hijahan bezeich- 
net, ein unbändiges Wesen, ein Wildfang; es wird daher 
mit dem Worte ajgir noch heute bei den Altaiern der 
Hengst, das leitende Pferd eines ganzen Gestütes bezeichnet. 

Der Umstand, dass der primitive Mensch der turko- 
tatarischen Rasse nur für Wild und Raubthiere, nicht aber 
für Haus- und Nutzthiere eine allgemeine Benennung auf- 
zeigt, kann darin seine Erklärung finden, dass erstere, 
ein Gegenstand der Furcht und des Schreckens, ihm in 
ihrer Gesammtheit als das Bild der Gefahr stets vor- 
schwebten und seine Sinne beschäftigten, während letztere, 
mit denen er sich allmählich vertraut gemacht hatte, viel- 



mao sich iJ< - 
Vieh), des^i^ 
thom (roll ' 

Was d. 
Existenz u 
lieben Ür- 
wilde T!j 
wir drei 
tUdi, TO! 
setzt nii 
Ursprii 
§. 14) 
Raub: 
dOat 
nach 
und 



ist 



187 



If *•*. Viehzucht vorhanden waren, ebenso wie 

^, y ' atzten Falle nach der richtigen Annahme 

/■'" len ural-altaischen stammverwandten Finn- 

'-' 1 der unwirthbaren Heimat im hohen Nor- 

agd und Fischfang angewiesen waren, das 
. der Hund als die ersten Hausthiere ange- 
1 müssen. Einen fernem Beleg zu dieser 
den wir noch heute in dem Umstände, dass 
acht, trotz der verschwindend geringen Äus- 
t welcher sie bei den türkischen Nomaden sich 
in den sumpfigen Waldgegenden noch im- 
egt wird; daher ihr Vorhandensein bei den 
.ken am Deltagebiete des Oxus und im vergan- 
hrhundert an der Mündung des Syr-Derjas, und 
;Dn auch ihr allmähliches Abhandenkommen und 
3tzung durch Schafzucht dort, wo die türkischen 
emente vom baumreichen Lande in die Steppe ge- 
worden waren. Wo eine Sprache, wie dies 
rko-Tatarischen der Fall ist, sowol in Bezeichnun- 
ler verschiedenen Gattungen als auch in den ein- 
Q Altersstadien des Hornviehes einen so reichen 
ischatz aufweist, und in solch genauer Detaillirung 
ergeht, wie wir dies im Abschnitte über Geschlecht 
1 Altersstadien (S. 63) gesehen, dort muss die Yleh- 
cht einen sehr bedeutenden Zweig des Lebensunter- 
iltes ausgemacht haben und mit der Existenz des be- 
• :effenden Volkes eng verbunden gewesen sein , obwol 
^ jeute und schon seit historischem Gedenken bei dem tür- 
vkischen Nomaden die Schafzucht die erste Stelle ein- 
nimmt, und obwol das Rindfleisch heute als Nahrungsstoff 
\j'''^' ^®^ allen Türken, ja in ganz West- und Mittelasien nur 
' -c höchst selten gebraucht wird. 

--'««s Nach den vorausgeschickten Bemerkungen wird es 

nicht ohne Interesse sein, die lautlichen und begrifflichen 



'^i» 



188 

Veränderungen ins Auge zu fassen, in denen jenes turko- 
tatarisehe Wort für Bind heute im Gebrauche ist. Die 
älteste Form und Bedeutung ist entschieden das uig. ot, 
cag. oj = Stier, denn so finden wir es wenigstens in dem 
seines hohen Alters wegen berühmten tatarischen Cyklus 
als ot oder oj jili = das Jahr des Stieres, d. h. das zweite 
Jahr in jenem Cyklus. Im Altaischen finden wir schon 
uj in der Bedeutung von Kuh, trotzdem das seinem ety- 
mologischen Ursprünge nach richtig benannte slgir = Kuh, 
von sag=me\ken, also Melkthier, auch noch im Gebrauche 
ist. Merkwürdigerweise wird sigir wieder im Osmani- 
sehen, Azerbaizanischen und Kazanischen für Stier und 
Rind im allgemeinen gebraucht, obwol in den ersten zwei 
Sprachen hierfür die genau definirten Namen buga (Stier) 
und ünek oder ineJc (Kuh, vgl. magy. ünö = Kuhkalb) 
existiren. Aehnlich ist es auch mit sokum. sukum der 
Fall, welches der Grundbedeutung nach (von sok = schla- 
gen, vgl. §. 163), eigentlich Schlachtvieh heisst, hier 
und da aber für Rind und Rindvieh genommen wird. 

Mit der Viehzucht muss in gleichem Grade der Wich- 
keit und schon ebenso lange her bei den Turko- Tataren 
die Pferdezuclit bestanden haben, da das Pferd hier, 
nicht so wie bei andern Völkern blos zum Reiten und 
Fahren, sondern dem Menschen als Nahrung gedient hat. 
Das Melken der Stuten, die Bereitung eines geistigen 
Getränkes aus der Pferdemilch, und das Namensregister 
der verschiedenen Gerichte und Würste, die vom Pferde- 
fleisch bereitet werden und wurden, sind von jeher bei 
den übrigen Völkern Asiens als türkisch-tatarische Specia- 
litat betrachtet worden. Bei den Arabern z. B., die seit 
erdenklichen Zeiten im Rufe geschickter und fleissiger 
Pferdezüchter stehen, waren Kimis, Pferdewurst und die 
mit gehacktem Pferdefleisch gefüllte Mehlspeise (börek) nie 
im Gebrauche und noch weniger als Lieblingsgerichte auf- 



189 

gezählt, was übrigens auch aus dem Umstände sich einiger- 
maassen erklären lässt , dass die Semiten, wie A. von Kremer 
richtig bemerkt, das Pferd als nützliches Hausthier erst 
spät kennen gelernt haben.* Trotzdem wir in unserer 
Besprechung die Betrachtungen über das Rind den Er- 
örterungen über die Pferdezucht und das Pferd voraus- 
schickten, soll es nicht befremden, wenn wir die Bekannt- 
schaft der Turko-Tataren mit letztgenanntem Thiere doch 
eine verhältnissmässig ältere, und wenn ich mich so aus- 
drücken kann, intensivere nennen. In dieser Annahme 
bestärkt uns am meisten der aus der Sprache fliessende 
Beweisgrund, denn während das Rind, wie wir eben ge- 
zeigt haben, in verschiedenen, wol lautlich verwandten, 
aber begrifflich, namentlich betreffs des Genus oft dia- 
metral sich gegenüberstehenden Benennungen vorkommt, 
heisst das Pferd noch heute auf dem ganzen turko- tata- 
rischen Sprachgebiete af, und wird unter diesem Worte 
vorzugsweise das männliche Pferd, der Hengst verstan- 
den (vgl. alt. aj-gir, uig. at-Mr)^ ebenso wie mit ojy ot = 
Rind ursprünglich der Stier bezeichnet wurde. Daraus 
folgt, dass at noch vor der Dialectbildung, vor der Zer- 
splitterung des grossen turko -tatarischen Stammes be- 
standen, daher auch sich intact erhalten hat, während 
ojy ot, ut und sigir aus jener Periode datiren, als das 
Türken volk in benachbarter, aber in getrennter Stellung 
lebte. Allerdings hat diese Gemeinsamkeit des Namens 
nur auf dt allein Bezug, denn die betreffenden Benennun- 
gen für Stute und Füllen z. B. zeigen schon eine Diver- 
genz, so cag. bajtal und bije, osm. Msrak =^Siute^ wäh- 
rend die Bezeichnung der verschiedenen Altersstadien 



* Semitisclie Culturentlehnungen aus dem Pflanzen- und Thier- 
reiche von A. von Kremer (Stuttgart 1875), S. 15. 



190 

sich so ziemlich gleich geblieben ist. Abgesehen von 
diesen etymologischen Beweisen sind die Bodenverhält- 
nisse des centralasiatischen Hochlandes, namentlich der 
Steppenregionen von solcher Beschaffenheit, die eine Fort- 
pflanzung des Pferdes am meisten ermöglichen, und sowie 
die Prairie in Südamerika, die Puszta in Ungarn und die 
Wüsten in Arabien noch jetzt die Pferdezucht fordern, 
ebenso günstig waren die Steppenregionen des innerasia- 
tischen Hochlandes, kir genannt, gewiss schon in der 
Urzeit sowol für die Pferdezucht als auch für die Exi- 
stenz der wilden Pferdeheerden mit dem genuinen Namen 
jilki, von jil^ «7 = vereinigen, versammeln, bezeichnet, 
während Rinderheerden oder Schafheerden keinen spe- 
ciellen Namen haben. Hieraus lässt sich auch die Be- 
rühmtheit erklären, deren die Pferde Centralasiens in der 
Gegenwart sowol als im Alterthume bei den benachbarten 
Völkern, ja sogar im südlichen Indien sich erfreuten, und 
wir gehen keinesfalls fehl , wenn wir in unsern Forschun- 
gen über die geographische Verbreitung der Hausthiere 
die Urheimat des Pferdes in die von den Türken be- 
wohnten Gegenden Hochasiens verlegen, da es von hier 
aus theils im wilden Zustande, theils auch zahm den 
eminent kriegerischen Herrn auf dem Rücken tragend, in 
Iran erschien und von diesem Lande zu den Semiten 
übergegangen war, wie A. von Kremer* aus dem arab./ara5 
{fars^ pars) vermuthet. Ob daher die den Romern und 
Griechen unter dem Sammelnamen Scythen bekannten 
Völkerschaften arischen oder turanischen Ursprunges ge- 
wesen sein mögen. Eins ist sicher, dass sie Kinder der 
Steppe waren und eben durch ihre enge Verbindung mit 
dem Pferde auffielen und sich gefürchtet machten. Nicht 



Semitische Culturentlehnungen, S. 15. 



191 

leicht findet sich ein Volk , dessen Existenz mit dem Pferde 
so eng verwachsen ist und war, wie das der Turko- Ta- 
taren, und so wie der Ausdruck '„zu Pferd" mit dem 
Begriffe vollkommen, vornehm identisch ist, ebenso ist 
dessen Gegensatz „zu Fuss" jajan^ j(^j(^h i^t^aÄ, zugleich 
auch das Synonym für niedrig, elend und gemein. 

Dem Pferde zunächst muss auch das Kamel den 
Turko-Tataren noch in der frühesten Phase ihrer Existenz 
bekannt gewesen sein; hierfür sprechen wenigstens, wie 
beim Pferde, sowol sprachliche Beweisgründe, als auch 
die mit der Natur dieses Thieres übereinstimmenden Ver- 
hältnisse des Bodens und des Klimas der Urheimat der 
Türken. Das Kamel heisst nämlich mit geringer laut- 
licher Verschiedenheit uig. töie^ töbek; tsLg.Jöve^ töje und 
tüje; alt. töö (was auf ein früheres iögö hindeutet); osm. 
deve — ein Wort, dem die Stammsilbe töb^ töv oder töff^ 
d. h. die Grundbedeutung für Hügel (vgl. töbe^ töpe^ tüJce 
= Hügel), Hocker, Knaul u. s. w. zu Grunde liegt, wonach 
das türkische Wort Kamel im Sinne von hügelartig, 
höckerig aufzufassen ist; der Ideenverbindung nach er- 
innert dies an den arabischen Namen dieses Thieres, näm- 
lich an Gamäl^ von der Wurzel gml = anhäufen , ansam- 
meln, also gleichfalls Haufe, Hocker. Es verdient hier- 
bei besonders erwähnt zu werden, dass die Sprache keinen 
Unterschied zwischen ein- und zweihöckerigen Kamelen 
macht und diese letztere Gattung höchstens durch Um- 
schreibung, nämlich mit iJci örküclük töje = zweihöckeri- 
ges Kamel bezeichnet. Erwägen wir diesen Umstand, 
dass die in Bezeichnung der Gattungen, des Geschlechtes, 
der Altersstadien und sonstigen Details der Hausthiere 
sonst so reichhaltige Sprache hier so karg geblieben ist, 
und fügen wir die Bemerkung hinzu, dass diese doppelt- 
höckerigen, langhaarigen, kräftig aussehenden Thiere 
noch heute den Namen ner^ vom persischen ner = mann- 



192 

lieh *, fuhren, so wird es bald einleuchtend werden, dass 
diese Gattung der Kamele, deren vorzüglichste Qualität 
selbst noch heute in der Umgegend von Andchoj anzu- 
treffen ist, ursprünglich aus der Heimat der alten Iranier 
zu den Türken gekommen, und dass demgemäss unsere 
Benennung das baktrische Kamel eine ganz richtige 
ist. In dieser Annahme werden wir noch mehr bestärkt 
durch den Umstand, dass das wilde Kamel, vne Prsche- 
walsky deren ganze Heerden in der Umgebung des Lob- 
nors sah, nur aus der Species der einhöckerigen bestand, 
und solche waren es auch, welche im grauen Alterthume 
auf den Steppen Centralasiens umherirrend von dem 
turko- tatarischen Urmenschen gezähmt und zum Dienste 
verwendet wurden. 

Was mit Bezug auf Pferd und Kamel gesagt wurde, 
passt auch auf das dritte Reit- und Lastthier, den Esel^ 
der in keinem Theile der uns bekannten Welt von so 
hohem Wüchse und solch kräftiger Form angetroffen 
wird wie in den Oasenländern Turkestans, von wo aus 
die bessere Gattung dieses geduldigen Lastthieres 
nach Arabien und Aegypten von jeher und noch heute 
importirt wird. Seiner Abstammung nach ist der Esel 
nicht auf dem eigentlichen Gebiete der Turko-Tataren zu 
Hause, sondern er stammt aus der Heimat der stamm- 
verwandten Mongolen; es lässt sich dies wenigstens nach 
der Etymologie des türkischen Namens dieses Thieres 
vermuthen, ein Wort, das sich nirgends so rein erhalten 
hat, wie im Mongolischen. Das türk.-tat. esek^ estk^ esik 
(Esel) wird etymologisch nur dann erst verständlich, 
wenn wir dasselbe mit dem mong. eldsige = Esel ver- 



* Budagow ist entschieden im Irrthum, indem er in seinem Wörter- 
buche, II, 276, ner (lat. aner) als ein kirg.-cag. Wort hinstellt. 



193 

gleichen. Eldsik oder eUik (dieses Wort kommt als Orts- 
name in Bochara vor) dünkt uns aber eine Verdrehung 
des al^cih = etwas roth, rothlich, welche Farben- 
bezeichnung der türkischen Benennung des Esels zu 
Grunde liegt, da dies auch in der That die Farbe des 
noch heute auf den centralasiatischen Steppen umherschwei- 
fenden wilden Esels ist, von dem das zahme Langohr 
abstammt. Auch die Semiten haben den Esel das rothe 
Thier genannt (vgl. arab. 7»amr = roth und himar, hebr. 
hemör = Esel). A. von Kremer hat recht, wenn er in der 
ihm eigenen geist- und witzreichen Schreibweise hierüber 
sich folgendermassen äussert*: „Dieser wilde Esel, der 
wegen seiner Flüchtigkeit von jeher ein Hauptgegenstand 
des orientalischen Jagdsports war, ist zweifelsohne der 
Urahn des zahmen Hausesels, der durch die Civilisation, 
die er über sich ergehen lassen musste, nicht blos seinen 
Freiheitssinn einbüsste, sondern selbst die Farbe lassen 
musste und, um so zu sagen, unter seiner Last ergraute, 
aber bei den Semiten (und wie wir sahen, auch bei den 
Ural -Altaiern) den Namen nach seiner ursprünglichen 
Farbe beibehielt." Da der Esel eben nur als Reit- oder 
Lastthier und nicht wie das Rind, Pferd und Kamel dem 
Menschen auch zugleich als Nahrung diente — denn 
Eselsfleisch ist von den Türken zu allen Zeiten verschmäht 
worden — so ist seiner Pflege weniger Sorgfalt zuge- 
wendet worden, und hat auch die Sprache sich weniger 
mit ihm beschäftigt, als mit den ersterwähnten Thieren; 
wir vermissen daher auch bei ihm gänzlich jene auf das 
Altersstadium beider Geschlechter Bezug habenden Be- 
zeichnungen, denn ana isek = Eselin heisst wortlich Mutter- 
Esel, und das in den Chanaten gebräuchliche maca^ mace 



'* Vgl. a. a. 0., S. 13. 

VAmb^ry , Cultur, ^3 



194 

ist eine Verdrehung des pars, made = Weibchen. Nur 
im zarten Alter gibt die Sprache ihm eine Sonder- 
benennung, sonst aber werden seine Jahre nicht mit 
gonan^ dönen u. s. w., sondern mit einfachen Zahlen be- 
zeichnet. 

Wir können an dieser Stelle nicht die Frage über- 
gehen, ob das Maulthier den Turko -Tataren schon in 
der frühesten Zeit bekannt war, oder ob dies erst in der 
Neuzeit infolge iranischer Cultureinflüsse dahin gelangte. 
In Anbetracht eines dem Islam zugeschriebenen Verbotes *j 
namentlich aber des grossen Widerwillens der türkischen 
Nomaden gegen die Erzeugung des Maulthieres — da 
man dies als eine Schändung der edeln Pferderasse an- 
sieht und weshalb auch diese Mischgattung in Central- 
asien nur äusserst selten vorkommt — müsste man ge- 
radezu das Maulthier als fremd betrachten. Die Sprache 
widerspricht indess einer solchen Annahme, denn das 
Thier hat im Türkischen einen genuinen Namen, nämlich 
katir^ von Ä;a^ = mischen, mengen, folglich Mischthier, 
ähnlich dem magy. öszver = Maulthier, d. h. Mischblut, 
und möglicherweise auch dem lateinischen mulus^ welches 
aus [lu^Xdi; = Zucht- oder Springesel entstanden, in dieser 
Form mit dem slaw. mKskü^ müska^ deutsch mischen, ver- 
wandt sein muss, obgleich Hehn* eine solche Affinität 
für unstatthaft hält und das Verhältniss zwischen dem 
lat. mulus und dem roman. meler unberücksichtigt lässt. 
Ebenso wie diese Entstellung des unter allen Hausthieren 
von jeher am meisten geschätzten Pferdes bei den Türken 
von der Zeit an, als durch Berührung mit ansässigen 



* Auch bei den Juden war die Kreuzung der Bässen, ja sogar 
die Mischung verschiedener Fäden in einem Stoffe (Schathness) ver- 
boten. 
** Hehn, Culturpflanzen und Hausthiere, S. 423. 



195 

Volkern das wilde Wan^rleben in eine halbnomadische 
Existenz verwandelt wurde, gang und gebe war, ebenso 
dünkt uns auch die mittels Castrirung erzeugte Gattung 
von Wallaclien von uraltem Gebrauche, denn nicht nur 
haben die Türken hierfür ein genuines Wort, sondern 
dasselbe stammt sogar noch aus der Zeit vor der Dialekt- 
bildung, wie aus nächstfolgenden Vergleichungen ersicht- 
lich ist. Vgl. dläa aclita = Wallache mit dem mong. 
akta = Wallache, dktolacho = kurz oder zusammen- 
geschrumpft sein , ferner mit dem türk. ak — sak = hin- 
kend, fehlerhaft, eJcsiJc = mangelhaft, krank u. s. w.; 
der Name Wallach bedeutet daher im Türkischen das 
Verstümmelte, das Fehlerhafte. 

Während es uns bisjetzt mit geringer Ausnahme ge- 
lungen ist, in der türkischen Benennung der Hausthiere 
einen gewissen Zusammenhang mit deren äusserer Form 
und Erscheinung herauszufinden, wollen unsere ähn- 
lichen Forschungen hinsichtlich des Schafes zu keinem 
irgend befriedigenden Resultat führen. Das Schaf, 6ag. 
koj^ osm. kojun^ mong. chonin^ bietet gar keinen Anhalte- 
punkt zu etymologischen Erörterungen und nur als Cu- 
riosum kann erwähnt werden, dass mit diesem Namen, 
d. h. mit kojan^ alt. kojin^ der wilde Hase bezeichnet wird, 
und dass die wilde Ziege oder Steinbock alt. kuran heisst. 
In koj^ welches die ältere Form ist, eine Identität mit 
io; = nieder, klein — etwa das kleine Thier zur Unter- 
scheidung der früher erwähnten grössern Hausthiere — 
entdecken zu wollen, darf nur als kühne Hypothese be- 
trachtet werden. Mehr Wahrscheinlichkeit bietet der 
Vergleich mit koc und koc-kar = das wilde Schaf, das 
Ovis poli^ das noch heute im wilden Zustande auf der 
Hochebene von Pamir anzutreffen ist und für den Urahn 
des zahmen Schafes gelten mag. Dies bestätigen noch 

13* 



196 

audere sprachliche Verbindungen zwischen der zahmen 
und wilden Gattung dieses Tbieres; so z. B. dass koc^ 
kockar heute überall der Name des Widders ist, und be- 
kanntermaassen wird die Benennung des Genus masculinum 
als die allgemeine Bezeichnung der fraglichen Gattung 
gebraucht. Ferner heisst tekke in einigen Theilen der 
Widder, in andern hingegen der Steinbock; ein ähnliches 
Verhältniss waltet auch ob zwischen dem alt. serheh und 
dem cag. S(?rÄ:e = Bock und Steinbock, mit einem Worte, 
die Scheidewand zwischen dem. zahmen und wilden Schafe 
ist noch nicht gänzlich gewichen. In Anbetracht der 
Identität des koj mit koc tritt die etymologische Bedeu- 
tung des Wortes für Schaf um so besser hervor, wenn 
wir dem Gesagten noch hinzufügen, dass, während hoc 
und kockar bald in der Bedeutung von Widder, bald in 
der von Ovis poli vorkommt, wir für das wilde Schaf 
im allgemeinen noch einen andern speciellen Namen, näm- 
lich arkar (von ar-kar) haben, wodurch es nun klar er- 
sichtlich wird, dass kar (Varianten: kur^ ghur^ gur) blos 
als Affix figurirt und wir nur die Stammsilben koc und 
ar vor uns haben, die beide den Grundbegriff der Stärke 
und Kraft repräscntiren, daher denn auch die Hörner 
dieser Thiere als die ältesten Embleme der Macht und 
des Ansehens bekannt sind. Jedenfalls muss dieses Thier 
schon in der Urzeit den türkischen Steppenbewohnern 
bekannt gewesen sein, denn erstens hat die Sprache für 
die kleinsten Einzelheiten über Zucht, Gattung und Alters- 
stadien des Schafes ebenso viel, ja mitunter noch mehr 
genuine Benennungen als bei Rind, Pferd und Kamel; 
zweitens spielt das Schaf im Sittenleben, in den Be- 
lustigungen und Moralsprüchen des Türken eine wichtige 
Rolle, wie fast keines der Hausthiere, selbst das Pferd nicht 
ausgenommen (vgl. den Abschnitt über Spiele und Belusti- 
gungen); und drittens wird es demjenigen, der dem Schafe 



197 

in Asien einige Aufmerksamkeit widmet, wol nicht entgehen 
können, dass die berühmten Rassen Anatoliens, als ki- 
wirzlh und haraman^ unserm europäischen Schafe hin- 
sichtlich der Vortrefflichkeit des Fleisches vielfach über- 
legen, dennoch hinter dem Schafe Persiens und letzteres 
wieder hinter dem Schafe Centralasiens weit zurückbleibt. 
Ueber die Vorzüge der scythischen Schafe hat schon der 
Vater der Geschichte gesprochen, und da diese Vorzüge, 
noch heute unbestritten, von den Bodenverhältnissen wol 
sporadisch, aber dann um so mehr begünstigt werden, so 
unterliegt es keinem Zweifel, dass dieses Thier in der 
dunkeln Urzeit schon den Türken gekleidet und genährt 
hat, ja bei ihm das Haus- und Nutzthier xaT i^oxT^v ge- 
worden ist. 

Von der Ziege lässt sich keinesfalls Aehnliches 
sagen. Schon der Name 6ag. Izeci oder Icecki^ alt. eski^ 
osm. Tcezi, deutet, auf arischen Ursprung. Vgl. deutsch 
Mte^ schwed. Jciddey get^ slaw. Jcoza u. s. w. Diesem mehr 
in südlichen Regionen und in felsigen Gebirgen vorkom- 
menden Thiere musste schon wegen seiner Vorliebe zu 
den aromatischen Stauden und den hartblätterigen Ge- 
sträuchen, wie Hehn richtig bemerkt*, in den Niederun- 
gen der türkischen Steppenheimat die Hauptbedingungen 
der Existenz abgehen, und es ist selbst heute nur in den 
Alpengegenden des Thien-shan bei den Karakirgisen und 
bei den Altaiern anzutreffen. 

Schliesslich sei unter den Hausthieren noch des Hun- 
des Erwähnung gethan, der als treuer Begleiter eines 
Jäger- und Hirtenvolkes bei den Turko- Tataren zu glei- 
cher Zeit mit den eben besprochenen Hausthieren sich 
eingefunden haben muss. In der That spielt er schon in 
der mythischen Vorzeit gewisser Türkenstämme eine Rolle, 



* Vgl. a. a. 0., S. 72. 



198 

indem unter andern die Kirgisen ihren Ursprung von 
einem Hunde ableiten, laut einer allerdings höchst unpoe- 
tischen Sage, nach welcher vierzig Mädchen kir^-ktjsr (da- 
her kir-gijs?!) mit einem Hunde in unnatürlichem Ver- 
hältnisse lebend, die Urahnen der Kirgisen in die Welt 
gesetzt hätten. Femer figurirt der Hund in der Schopfangs- 
mythe des Menschen bei den Stämmen zwischen der Bija 
und dem Tom nach einer von Radioff* veröffentlichten 
Fabel. Den sichersten Beweis aber für die Bekanntschaft 
des türkischen Urmenschen mit diesem Thiere finden wir 
im Wortschatze der Sprache, die mit Ausnahme im nord- 
lichen Theile des turko-tatarischen Sprachgebietes die Be- 
zeichnung if, et, üt' (Hund) aufbewahrt, folglich noch 
aus dem Zeitalter vor dem Zerfallen in einzelne Stämme 
datirt, und die selbst im entfernten Westen neben dem 
dort mehr gebrauchten Köpek (Hund) sich noch erhalten 
hat. Seinem etymologischen Inhalte nach bedeutet dieses 
Wort nieder, unten (die Stammsilbe et = unten kommt 
nur mit dem AdverbialsufHx en in eden^ eten = das Unten, 
der untere Tbeil des Zeltes, vor), denn trotz der schon 
erwähnten Rolle in der Mythensage, und ungeachtet des 
wichtigen Dienstes, den dieses treue Hausthier dem Hirten 
und Jäger geleistet haben muss, ist der Hund, nach dem 
Zeugniss der Sprache zu urtheilen, weit entfernt geehrt 
zu werden, auch bei den Türken von jeher ein Gegen- 
stand der Verachtung, Geringschätzung, zugleich aber 
auch des Mitleides gewesen. Gleichviel ob bei Kirgisen 
in der Steppe, oder bei dem raffinirtesten Türken in 
Stambul wird die Redensart: itden alcak ■=^ gemeiner 
(niedriger) als der Hund, als grösster Schimpf angesehen, 



* Proben der Volksliteratur der türkischen Stämme Südsibiriens, 
I, 285. 



199 

und das Scheltwort it oglt = S6im eines Hundes, ist 
ebenso genuin türkisch als das gleichbedeutende ibn Jcelb 
der Araber und das raziia di cane der Italiener einer 
analogen Anschauung Ton dem Hunde entsprungen. So 
wie die allgemeine Benennung des Rindes, Pferdes und 
Kamels zugleich auch die Bezeichnung des männlichen 
Geschlechtes dieser Thiere ausdrückt, ebenso muss unter 
ity etj üt der Hund verstanden werden, denn die Hündin 
heisst überall kandiih, von der Wurzel Ä;an, kam == binden, 
demgemäss die sich anbindende oder verbundene, mit 
Hinblick auf den geschlechtlichen Umgang dieser Thiere; 
der junge Hund hingegen heisst in dem reiner erhaltenen 
Osttürkischen Meile, eigentl. das Junge, das Kleine, 
was auch im finn-ugrischen, resp. im estnischen kuf^ 
sik^ votjakischen kuta, magy. kutya = Hund zu finden und 
keinesfalls arischen Ursprunges ist, wie Ahlquist* ver- 
muthet. Hingegen muss von den Benennungen der Katze^ 
osm. kedi, ^ag. müsük oder pisük^ alt. mönsük im 
vorhinein bemerkt werden , dass sie arischen , resp. 
persischen Ursprunges sind; demgemäss muss auch dieses 
Thier, das von den Nomaden wol zu keiner Zeit als 
Hausthier betrachtet worden ist, für fremd angesehen 
werden. 

Nachdem wir am Leitfaden der sprachlichen For- 
schungen zur Erkenntniss all jener Haus- und Nutzthiere 
gelangt, welche dem primitiven Menschen der turko-tata- 
rischen Rasse in der ersten Phase seiner Existenz gedient 
haben, wollen wir nun uns desselben Mediums bedienen, 
um auch die wilden Thiere der türkischen Urheimat 
kennen zu lernen. Hier müssen wir in erster Reihe des 
Schweines^ selbstverständlich des Wildschweines erwähnen, 
denn im zahmen Zustande war dieses Thier selbst in den 



* Ahlquist, Culturwörter , S. 2. 



200 

Torislamitischen Zeiten den Türken unbekannt, da die 
Verwendung des Schweines als Hausthier vor allem eine 
sesshafte, ackerbautreibende Existenz bedingt. Der ge- 
nuine Name des Schweines ist tonggue, tongu/g, osm. donuj^^ 
domu^, von der Stammsilbe tong mit der Variante coffg = 
stark, mächtig, gross, eine Etymologie, die uns dann voll- 
ständig einleuchten wird, wenn wir die Furcht und den 
Schrecken zur Genüge kennen, den dieses in den schilf- 
und sumpfreichen Niederungen in Hunderte, ja Tausende 
umfassenden Rudeln umherirrende Wild dem Nomaden 
oder dem Halbnomaden Turkestans noch heute einfiosst. 
Eine einzige Nacht genügt, um grosse mit üppigem Grase 
bedeckte Triften oder die Melonen- und Bohnenfelder 
eines ganzen Stammes in eine der schrecklichsten Wüste- 
neien zu verwandeln, und der fürchterliche Ruf tongu2 
Jcelir (das Wildschwein kommt), mit welchem in nächt- 
licher Stille der am Ende einer Zeltgruppe wohnende No- 
made das Herannahen dieses Thieres seinen in Schlaf 
versunkenen Nachbarn anzeigt, um sie zur Abwehr zu 
versammeln, ist in der That das Schrecklichste, was sich 
denken lässt. Auch in der weitern Detaillirung dieses 
Thieres tritt besagter Grundgedanke hervor. So ist unter 
andern im Texte des Kudatku Bilik der Ausdruck iongguz 
2ajtn = dem Schweine ähnlich, immer als Gleichniss 
der supremen Stärke und Ausdauer angeführt, und auch 
der turkomanische Dichter Machdumkuli sagt von seinen 
Helden tonuedej Jcelir = er tritt gleich dem Schweine fest 
und beharrlich auf. Während ferner, wie schon oft er- 
wähnt, bei den Hausthieren das männliche mit dem gene- 
rischen Namen des Ganzen bezeichnet ist, macht die 
Sprache hier, sowie bei andern wilden Thieren eine Aus- 
nahme, indem tongue Schwein im allgemeinen, der Eber 
aber Ikaban, die Sau miJcectn und das Ferkel cörpe heisst. 
Nun muss bei kaban besonders hervorgehoben werden, 



201 

dass es zugleich als Metapher der Kraft, Stärke und 
Männlichkeit gebraucht wird, und es gehört keine beson- 
dere Kühnheit dazu, in diesem Worte, nachdem das la- 
biale b verschwunden, den Ursprung des Titels kan, früher 
kaan = Fürst, Herrscher, zu entdecken. Annähernd an 
diesen Ideengang ist auch die Bedeutung des magy. 7can, 
ursprünglich Schwein im allgemeinen, daher kan'äsjsi = 
Schweinhirt, sowie juk-dsz = Schafhirt, zugleich aber 
die Bedeutung von Eber, in vad iaw = Wildschwein, 
schliesslich aber auch Männchen, Mannthier im allgemei- 
nen, als Äaw-Ä;w^ya=der Hund, Jan -ma(?5Ä:a= Kater u. s. w. 
Eine weitere hierher gehörende Congruenz zwischen dem 
Türkisch -.Tatarischen und dem Finn-Ugrischen existirt 
noch zwischen magy. csörÄc = Ferkel und 6ag. cörpe, so 
auch in der Ideenverbindung zwischen dem oben erwähn- 
ten Ä;a6aM = Eber und Äaan = Herr, Fürst, und dem finn. 
tero5a=Eber, nach Ahlquist* im Grunde genommen männ- 
lich, von wro = Mann. Mit einem Worte: der Eber oder 
das Schwein, denn diese Begriflfe waren in der vordialek- 
tischen Sprache der Türken identisch, ist als Personifi- 
cation der Kraft und Beharrlichkeit anzusehen, und auch 
nur der Bär, uig. atik, öag. ajik, osm. aß^ steht ihm 
in dieser bildlichen Bedeutung nahe. Ob nun dieses 
Wort, wie ich im §. 26 meines Etymologischen Wörter- 
buches vermuthete, mit a^a = Vater, Grossvater, Alter, 
in der That zu verbinden, oder ob die Stammsilbe at mit 
dem eingangs dieses Abschnittes besprochenen at, aj, dem 
Inbegriffe von Thier, Wild, Ungeheuer, verwandt sei, 
konnte allerdings vorderhand nicht mit Bestimmtheit an- 
gegeben werden. Bruder Petz, bei so vielen Volkern 
arischer und semitischer Abkunft als das Prototyp der 
Grobheit, Plumpheit und Ungewaschenheit — denn der 

* S. 19. 



202 

persische chirs und arabische dt4hb pflegen auch nicht als 
Mignon der Zartheit zu gelten — unterscheidet sich in 
der Auffassung der Turko -Tataren nur insofern, als ihm 
hier auch die Ehre der Tapferkeit und der Macht zutheil 
wird, denn a^^TfeZa^w = bärengleich , ist begrifflich identisch 
mit arslanlaju = lowenähulich , d. h. tapfer , beherzt, 
eine bildliche Bezeichnung, welche bei den Türken nur 
mittels Anspielung auf diese drei Thiergattungen , d. h. 
auf Lowe, Wildschwein und Bär, Ausdruck findet. 

Als den Menschen minder schrecklich, aber den Heer- 
den um so gefährlicher, war von jeher der Wolf, cag. 
6wn, uig. bürü, osm. kurd^ diese Plage der Schafzüchter 
und der l^omaden im allgemeinen betrachtet. Der Wolf 
hat von jeher das Stigma des Diebstahles und des ver- 
wegenen Baubes auf der Stirn getragen; er hat daher 
ausser den erwähnten Benennungen auch noch andere, 
wie bei den Tataren an der Wolga und den Kirgisen Jcaskir 
oder KasJcir, d. h. Davonrenner, im Tschuvaschischen eben- 
falls kaskir, ferner Vurum CMre = Langschweif (vgl. magy. 
farkas=Wo\{^ und /arifc=Schweif), Tokmak Chüre, d. h. 
Schlägelschweif und im ironischen Sinne Pigambar jittt^ 
d. h. der Hund des Schutzgeistes der Hirten.* Was je- 
doch die meist vorherrschenden Benennungen betrifft, 
nämlich büri, bürü und kurd, kurt^ so beruht erstere auf 
der Stammsilbe bür, bor, bor = grau, eisgrau, in welcher 
Farbe der Wolf am meisten vorkommt, und letztere, aus- 
schliesslich im Westtürkischen gebräuchlich, scheint uns 
mit dem neupersischen gurk, kurk verwandt zu sein. Dass 
der Wolf in den Sagen und Mythen, in den Sprichwör- 
tern und Spielen der Turko- Tataren von alters her eine 



* Zolotnitzky, S. 202, Pejgamber ist selbstverständlich das gleich- 
lautende persische Wort für Prophet. 



203 

wichtige Rolle spielt, ist ganz natürlich; es sei unter an- 
derm nur auf das Jcökbüri = der grüne Wolf (S. 148), wo- 
mit etwas Unmögliches ausgedrückt werden soll, und auf 
das türkische Blindekuhspiel hingedeutet, welches mit die- 
sem Thiere in Verbindung gebracht, büri-kapar, d. h. der 
Wolf fängt, genannt wird. 

So wie unsere Betrachtungen über das Thierreich den 
Kreis muthmaasslicher oder festbegründeter Thatsachen aus 
dem vorgeschichtlichen Leben der Türken immer mehr 
und mehr erweitern, so werden wir hinsichtlich des Fuch- 
ses die Erfahrung machen, dass dieses Thier, obwol als 
Metapher der Schlauheit und Verschmitzheit gebraucht, 
auf das innere Leben der Nomaden jedoch, wo er im 
Grunde genommen für seine Bänke nur einen engen Spiel- 
raum fand, keinen besondern Einfiuss auszuüben vermocht 
hatte. Und dennoch ist der türkische Name dieses Thie- 
res alt, ja uralt, denn er stammt aus jener Periode, als 
Turko -Tataren und Finn-Ugrier vereint noch ein und 
dieselbe Sprache hatten. Dem türkischen Worte osm. 
tilMy kaz. tölJcö, alt. tülhü, cuv. til, liegt die ural-altaische 
Stammsilbe tül, ^«7 = Feuer, roth (vgl. finn. tule, mord- 
winisch tu = Feuer) zu Grunde. Wie der Wolf mit 
dem Epitheton der Graue, so ist der Fuchs als der 
Rothe, Feurige bezeichnet, denn hierfür ist tül-ii 
zu nehmen. Dies erinnert ganz lebhaft an die analoge 
Ideenverwandtschaft, welche zwischen diesem Thiernamen 
und der rothen Farbe in der arischen, speciell in der 
deutschen Sprache besteht, wo das rothliche Pferd Fuchs 
genannt wird und z. B. im tiroler Dialekt fuchselt für 
roth, rothlich gebraucht wird. 

Von der felinen Gattung der wilden Thiere hat die 
Urzeit nur zwei Thiere aufzuweisen, die beide genuine 
Namen besitzen. Es ist dies kaplan = der Tiger, und ars- 
lan = der Fanther, möglicherweise auch Leopard, aber 



204 

keinesfalls Lowe, wie die turko-tatarischen Sprachen, so- 
gar auch das Mongolische, dieses Wort heute übersetzen. 
Angenommen, dass Panther und Tiger nach Aussage der 
Naturforscher aus Süden so weit gegen Norden vorgedrun- 
gen sein mögen, so ist dies doch keinesfalls vom Löwen 
anzunehmen und ebenso wenig ist dieser heute in der ver- 
muthlichen Urheimat der Türken zu finden, während: Tiger 
und Panther schon seit uralten Zeiten im Süden und Nor- 
den der Steppenregion des heutigen Turkestans in den 
Röhrichten und an den waldigen Ufern der Flüsse und 
Seen zu Hause waren. Die Unklarheit über die geogra- 
phische Verbreitung dieser Fleischfresser in den von Tür- 
ken bewohnten Ländern scheint nur von der fehlerhaften 
Definition der Thiernamen herzurühren. Der Name ars- 
lan, seiner etymologischen Bedeutung nach das starke 
Thier, wird in Mittelasien heute weder auf den Panther 
noch auf den Leoparden angewendet, indem ersterer bars, 
pars^ ein persisches Lehnwort, von dem auch unser Pan- 
ther stammt, letzterer hingegen jol-hars (wortl. Weg-Pan- 
ther) heisst; ja wir gehen keinesfalls irre, wenn wir in 
dem alten und genuinen arslan einen Sammelnamen die- 
ser Raubthiere, incl. des echt türkisch benannten Tigers, 
d. h. Icaplan, entdecken. Das Vorhandensein eines per- 
sischen Lehnwortes (6ar5, pars) zur detaillirten Be- 
zeichnung dieser Thiere kann daher die Annahme, dass 
die Urheimat der Türken nicht das Vaterland des 
Tigers, Panthers und Leoparden sei, in keiner Weise be- 
kräftigen. 

Wir haben diese flüchtigen Bemerkungen von den 
Wild- und Raubthieren vorhergehen lassen, können aber 
nicht umhin zu bemerken, dass das Wild, welchem der 
primitive Mensch der turko-tatarischen Rasse von jeher 
die grösste Aufmerksamkeit zuwendete, unstreitig der 
Hirsch und die Antilope war; es beweist dies wenigstens 



205 

die Sprache, welche gerade dieser Wildgattung die grosste 
Aufmerksamkeit zugewendet hat. In Anbetracht des Um- 
standes, dass das Wild im allgemeinen altaisch Tcijik heisst, 
kann es uns nicht befremden, in dieser Sprache den Hirsch 
und die Antilope ak-lcijik, wortl. weisses Wild, benannt 
zu finden. In dem culturell mehr vorgeschrittenen Oagatai 
heisst^das Männchen huna oder borge, die Hirschkuh hin- 
gegen kücakci, die Antilope im allgemeinen sojgun, kirg. 
saiga, von saj, soj = irren, schwärmen, schweifen (vgl. 
§. 149), dessen Männchen jedoch bogu und das Weibchen 
mar dl. Vgl. &«e^a= Stier, folglich ein Annäherungspunkt 
zwischen dem wilden und zahmen Rind. Schliesslich 
müssen wir noch eines andern mehr im Westen verbrei- 
teten Namens der Antilope erwähnen, nämlich zeiran, 
kirg. dzeren, von icr= flink, und an = Wild. Ebenso wie 
die betreffenden Benennungen der beiden Thiergattungen 
häufig untereinander verwechselt werden, so herrscht die 
Verschiedenheit der Anwendung auch in den einzelnen 
Theilen des Sprachgebietes vor, was uns jedoch nicht ver- 
hindern kann, in der Reichhaltigkeit der Sprache gerade 
in Betreff dieser Thiere die früher betonte Intensivität der 
Bekanntschaft aufrecht zu halten. 

Wir haben schon anderseitig bemerkt, dass dem Tür- 
kischen die allgemeine Benennung des Tegels abgeht, 
denn das im äussersten Osten gebräuchliche ucar bedeutet 
schlechthin der Fliegende, und das mehr verbreitete kus 
ist im Grunde genommen als Jagd, Jagdvogel aufzufassen. 
Dieser Umstand allein genügt, die Vermuthung zu er- 
wecken, dass dem primitiven Menschen der turko-tatari- 
sehen Rasse das Federvolk sich zuerst als Raubthiere prä- 
sentirte, und dass er später, den Instinct dieser Thiere 
verwerthend, es selbst zum Raub oder zur Jagd abrich- 
tete. Bei der Benennung dieser Vogelart ist auch ein 
gleichmässiger Ideengang bemerkbar, indem fast sämmt- 



206 

# 

liehe nach der schwarzen oder braunen Farbe ihres Ge- 
fieders benannt worden sind. So cag. kara-kus = Adler 
(^Äquüa imperialis), worü. der schwarze Vogel, cag., alt. 
karcuga, A;am'^a=Habiclit^ d. h. der Schwarzschopf; osm. 
Ä;ar^aZ= Adler, wortl. Schwarzfarbige, während der speciell 
zur Jagd abgerichtete Vogel, der Falke^ tugan, wortl. 
der Aufsteigende, Auffliegende heisst, von tuk, tok (vgl. 
§. 194), so wie fliegen im allgemeinen identisch mit auf- 
steigen ist. Vgl. uc, «i = hoch, Höhe (vgl. §. 64) mit 
ucmak = fliegen, in die Höhe fahren. Ein anderer heute 
in Mittelasien zumeist bekannter Raub- und Jagdvogel, 
nämlich börküt {Aquila fulvd) dünkt uns von der Kappe 
= börk, die ihm auf der Jagd angelegt wird, so benannt 
worden zu sein. Noch gibt es einen Vogel, dessen Name 
aus dem vordialektischen Zeitalter herrührt, nämlich der 
Kranich^ auf dem ganzen Sprachgebiete, selbst im Mon- 
golischen turna genannt, auch als £mblem der Herrschaft 
gebraucht. Vgl. magy. drarw=Kranich und turul=mjihi' 
scher Vogel im Wappenschilde Attila's. Von den Wasser- 
vögeln hat die Sprache der Ente die meiste Aufmerksam- 
keit zugewendet, denn nebst dem allgemeinen Namen ördek 
heisst der Enterich sona und das Weibchen boröin, während 
es nach Aussage Mir Ali Sir's, des grössten Kenners der 
cagataischen Sprache,* eine ganze Namensliste gibt von den 
verschiedenen Gattungen dieses den Jägern zu allen Zeiten 
beliebten, und in den Flüssen und Seen Mittelasiens noch 
heute in grosser Menge sich vorfindenden Wasservogels. 
Es fehlt nun allerdings eine dem entsprechende Reich- 
haltigkeit der Sprache in Betreff der Oans^ die ohne 
Rücksicht auf Geschlechts- und Gattungs Verschiedenheit 



* Vgl. Muhakemet el Lugetein in Quatremfere's Chrestomathie, 
I«' Fase, S. 15. 



207 

Tcasi, öuv. chor heisst*, doch scheint mir die Vermuthung 
Ablquisfs allzukübn, dieses turko- tatarische Wort mit 
dem deutschen Gans, schwed. gäs^ engl, goose, russ. gus 
in. Zusammenhang zu bringen und daher als ein arisches 
Lehnwort darzustellen. Die Gans ist heute in Central- 
asien weniger verbreitet, und besonders den Jägern min- 
der zugänglich als die Ente, doch wäre der Charakter als 
heimischer Vogel schwer in Abrede zu stellen; ebenso 
wenig wie dies hinsichtlich des Schwan^s^ cag. kugu, alt. 
huUj der Fall sein kann, der, in der neuern Sprache bis- 
weilen als wilde Gans angesehen, schon in uralten Zeiten 
in den Seen und Sümpfen der innerasiatischen Niederungen 
existirt haben muss. 

Einen um so bessern Anhaltspunkt hingegen gibt uns 
die Sprache bezüglich der sehr frühen Bekanntschaft der 
Turko-Tataren mit der Henne^ fast überall takuk, tank, 
und nur in dem zwölfjährigen Cyklus tchaku genannt, ein 
nomen agentis, wie aus der Endsilbe ersichtlich, und zwar 
des Verbums tak, ^oÄ;=gebären, erzeugen, resp. Eier legen. 
Ei heisst denn auch im fernen Ostturkestan noch heute 
tochum = Erzeugtes, ein echt türkisches Wort, das sich im 
Neupersischen tochm in der Bedeutung von Samen erhal- 
ten hat; in letzterer Sprache heisst das Ei noch heute 
tochmi-murg = Hübnersamen. Es ist hier vorsätzlich in 
erster Beihe der Henne und nicht des Hahnes gedacht, 
weil dieser gackernde Sultan des Misthaufens im Türki- 
schen keinen speciellen Namen hat, sondern einerseits mit 
dem persischen Lehnwort choros (vgl. c%oroiiäßn= schreien), 
andererseits z. B. im Kazanischen mit ätak, wortl. der 
Sänger, bezeichnet ist. Diese undefinirte und gewisser- 
maassen ungenügende Bezeichnung des Huhnes lässt es 



* Ata kaz = Gänserich. 



208 

vermuthen, dass dieser Vogel aus dem benachbarten ira- 
nischen Culturlande zu den Türken gelangte, denn iu 
Uebereinstiüamung mit Hehn's Aeusserung (S. 233): „Je 
mehr ein Volk vom nomadischen Hirtenleben zur festen 
Ansiedelung überzugehen sich anschickte, desto leichter 
musste dies den geschlossenen Hof belebende körnerfres- 
sende von Fuchs und Wiesel verfolgte Hausgeflügel bei 
ihnen Aufnahme, bleibende Stätte und Gedeihen finden", 
konnte das Huhn bei den urnomadischen Türken sich nie 
besonders heimisch finden. Für das Ei gibt es ausser 
dem erwähnten uig. tohum noch dem Namen jumurtJca, 
osm. jumurta, eigentl. die Runde (vgl. §. 147); vgl. magy. 
wöwy=Ei (h'Ämowy = Hühnerei, ?wciwiOMy = Gänseei) und 
monyo-ru = rund, oval. 

Genuin türkische Benennungen haben ferner die Taube^ 
nämlich öag. Tcüvürzin, osm. güverdin, alt. Jcüüle, von der 
Stammsilbe küv, Ä^i = girren, krächzen, folglich die Gir- 
rende. Ebenso die Trappe^ öag. tugdak oder togli tug^ 
däk, der wortlichen Bedeutung zufolge der Bergähnliche, 
von tug, tak'= Berg, Hohe, und dag, deJc = gleich, ähnlich. 
Dieser bekanntermaassen straussähnliche Vogel, auf san- 
digen Flächen und Niederungen zu Hause, ist auch auf 
den Puszten Ungarns anzutreffen, und zwar mit demsel- 
ben, nur lautlich veränderten Namen, vgl. magy. iußok = 
Trappe, mit turko-tat. tugdak, osm. tujdak, tüdäk; auch in 
Persien, wohin er aus Mittelasien gelangte, wird er mit 
dem türkischen Namen benannt, während im Gegensatze 
der aus Iran nach Mittelasien gelangte Storch als Fremd- 
ling nur unter dem fremden, resp. persischen Namen lej- 
lek, ursprüngl. leklek, bekannt ist. 

Zum Schlüsse wollen wir der Fledermaus und der 
Eale Erwähnung thun. Erstere führt den echt türki- 
schen Namen cag. jarkanat, d. h. Kahlfiügel, oder 
osm. jarasa, was wortlich ebenfalls nackt oder kahl 



209 

bedeutet; es ist dabei ganz richtig die Federlosigkeit 
als Charakteristicum angeführt. Die zweite, nämlich 
die Eule, heisst bajktis, von 6a; = Zauber und kus = 
Vogel, also der Zaubervogel, der lichtscheue Bote der un- 
heilschwangern Nacht, der nur in der Dunkelheit um- 
herzuschleichen wagt. Die Kirgisen nennen daher auch 
den einheimischen Bettler hajgus = Eule, weil er in 
Scham ob seines Elends nur im Zwielicht der Abend- 
dämmerung an der Thür erscheint und unsichern Schrittes 
auftritt. 

Es ist nicht meine Aufgabe, auch geht mir die Fähig- 
keit dazu ab, alle übrigen Gebiete der Fauna, d. h. über 
Amphibien, Fische, Insekten, Arachnoiden, Crustaceen und 
Würmer in fachmännischer Einzelheit zu besprechen, um 
hiermit die Behauptung aufs neue zu bekräftigen, dass 
die Turko-Tataren allen Thieren, deren Existenzbedingun- 
gen mit den klimatischen Verhältnissen und der Boden- 
beschaffenheit der Urheimat in Einklang gebracht werden 
können, zumeist solche Namen gaben, deren Grundbedeu- 
tung bald auf die Farbe, bald auf die äussere Form, bald 
wieder auf die eine oder andere Eigenheit des betreffen- 
den Thieres Bezug nimmt, und dass die Sprache auch 
hier, so wie bei andern Dingen, das treue untrügliche 
Conterfei des zu benennenden Gegenstandes oder Wesens 
in sich schliesst. 

Zum Schluss dieses etwas mehr als gewöhnlich langen 
Abschnittes seien noch einige allgemeine Bemerkungen hin- 
zugefügt. Fliegen und Kücken z. B. haben einen gemein- 
samen Nainen, nämlich singek oder sinek (vgl. magy. sjsunyog 
= Mücke), von der Stammsilbe sing = saugen (vgl. §. 163), 
folglich der Sauger, Einsauger, eine ganz richtige Charakteri- 
stik dieses Thierchens ; nur im Osmanischen wird behufs Un- 
terscheidung die Mücke sivri sinek, wortl. spitzige Fliege, 

V&mbdry, Cultur. 14 



210 

genannt. Der Käfer im allgemeinen heisst böcek, hözek\ 
von der Stammsilbe höt^ büt, zumeist die Wurzel solcher 
Wörter, die einen runden, kugelartigen Korper bezeichnen, 
weshalb auch dieses Wort seiner etymologischen Be- 
deutung nach für Pünktchen, Kügelchen zu neh- 
men ist. 

Charakteristisch dünkt uns immer, dass die erwähnte 
Stammsilbe büt zugleich auch der Name der Laus ist, 
allerdings kein blos dem Zufall zuzuschreibendes Zusammen- 
treffen, wenn wir in Betracht ziehen, dass dieses Thier- 
chen unter den Nomaden in schrecklicher Weise verbreitet, 
als das Insekt par excellence betrachtet wird. Bei den 
Namen anderer Insekten ist wieder theils der Farbe, theils 
der einen oder andern Eigenheit Rechnung getragen wor- 
den. So zeigt der Name des Flohes^ cag. bürge, bürgü, 
osm. pire, den Grundgedanken des Kneifens, Zwickens, 
Stechens, von der Stammsilbe bür (vgl. §. 227), und so 
heisst auch bei den Kirgisen der Habicht bürü, weil er 
mit den Krallen sein Opfer kneift.* Der Mistkäfer 
(Gymnopleurus) wird seiner Farbe entsprechend der 
Schwarzbraune genannt kongujn, von ä:öw^= schwarzbraun. 
Die Spinne heisst cag. örgemzi, osm. örümzek, von örü- 
mek = flechten, spinnen. 

Wurm im allgemeinen heisst hurt (vgl. alt. kurc=^ 
spitzig, lang, Ät(rw = leer, dürr), aber auch sogulcan, von 
sogulmak, sohulmak = sich hineinstecken, sich hineinbohren; 
diese letztere Bezeichnung bezieht sich zumeist auf die 
Würmer iin menschlichen Leibe. Schlange und SlLOr- 
pion haben einen lautlich verwandten Namen, nämlich 
orstere cag. jilan, kir, zilan, letztere zijan\ die gemein- 
same Stammsilbe jil, iil, zij bedeutet glatt. 



* Vgl. Budagow. 



211 

So viel einstweilen über die Thiemamen im Türkischen 
und über die aus der etymologischen Zergliederung der 
betreffenden Worter, sowol auf die Beschaffenheit der 
Fauna als auch auf die geographische Verbreitung der 
einzelnen Gattungen zu erlangenden Aufschlüsse. Wir 
sind allerdings noch weit entfernt über eine vollständige 
Liste der Thiernamen zu verfügen, doch ist selbst das 
vorhandene Material hinreichend genug, ims mehr als 
einen Einblick in die weite Vergangenheit, namentlich in 
das Bild der frühesten Existenz jener primitiven Volker- 
schaften zu verschaffen, und der unparteiische Forscher 
wird zugestehen müssen, dass wir beim klaren und 
hellen Lichte turko- tatarischer Sprachstudien zu Resul- 
taten gelangen können, die nicht minder überzeugend 
sind, als die hierauf bezüglichen Ergebnisse ähnlicher For- 
schungen auf dem arischen und semitischen Sprachgebiete, 
oder anderweitige Deductionen paläontologischer Beweis- 
gründe. 



XVII. 

Das Pflanzenreich. 

Wenn wir im Eingange des vorhergehenden Abschnittes 
es betonten, dass die Sprache eines nomadischen Volkes, 
dessen Lebensbedingungen mit der Viehzucht so eng ver- 
bunden sind, über so manche Einzelheiten der Fauna im 
vorgeschichtlichen Zeitalter uns einen nicht zu unter- 
schätzenden Aufschluss gebe, so kann dies selbstverständ- 
lich hinsichtlich der Flora auch schon deshalb nicht in 
solchem Maasse der Fall sein, weil dieses Reich der 

14* 



212 

Natur auf der vorwiegend i^us nackten Steppen und kahlen 
Bergen bestehenden Urheimat der Türken nie einer be- 
sondern Blüte sich erfreut haben konnte. Die durch die 
Sprache zum Ausdrucke gelangte Thätigkeit des mensch- 
lichen Geistes kann in Extensivität und Intensivität sich 
eben nur so v^reit erstrecken, als die Grenzen des als Sub- 
strat dienenden Gegenstandes reichen. Boden, Klima und 
Beschäftigung haben ebenso sehr ihre mannichfachen Ein- 
drücke in der Sprache zurückgelassen, als die verschiede- 
nen Regungen des Geistes und Gemüthes, und weil 
das grüne Kleid der Erde in dem unsere Forschungen 
betreffenden Theile der Erde von jeher ein dürftiges war, 
so können dem entsprechend auch die hierauf bezüglichen 
Erörterungen nur auf einen engen Raum sich erstrecken, 
und das verbreitete Licht kann nicht jene durchdringende 
Helle besitzen. 

Im Pflanzenreiche hat die Aufmerksamkeit des primi- 
tiven Menschen in erster Reihe seine eigene Nahrung und 
in zweiter Reihe die Nahrung der Thiere auf sich gezogen. 
Von der heute keinem Zweifel mehr unterliegenden Theo- 
rie ausgehend, dass der Mensch von Natur aus herbivor, 
und nur später carnivor wurde, müssen die verschiedenen 
Obstgattungen als die erste Nahrung betrachtet werden, 
eine Annahme, welche uns denn auch die türkische Sprache 
einigermaassen bekräftigt, denn das Wort für Obst^ d. h. 
jemis oder jimis (vgl. magy. gyimöcs und gyümöcs = Obst), 
bedeutet etymologisch, wie schon früher erwähnt wurde, 
Esswaare, Geniessbares, von jejim-isi-jejimiS' jemis, d. h. 
das Ding zum Essen, folglich die Speise, die Nahrung 
par excellence; eine Benennung des Obstes, die hinsicht- 
lich der Klarheit die Verdolmetschung dieses Begriffes in 
andern Sprachen bei weitem übertrifft. So wie die erste 
Nahrung des Menschen, nämlich das Obst ganz einfach 
die Esswaare benannt wurde, ebenso enthält die Benen- 



213 

nung der Hauptnahrung des Thieres, nämlich das Oras^ 
den Grundbegriff des Wachsthumes der Pflanze im weitern 
Sinne des Wortes. Der am meisten verbreitete Name 
des Grases ist nämlich ot, welches Wort den labialen 
Anlaut des altern bot, bot, büt, bit (vgl. §. 205) = hoch, 
erhaben, in die Hohe kommen, wachsen u. s. w., verloren 
hat und mit Gewächs, Pflanze zu übersetzen ist ; bei einer 
analogen Ideenverbindung können wir dies selbst noch auf 
dem Gebiete der turko - tatarischen Sprachen beobachten, 
so z. B. im kirg. ösün = Pflanze, Gewächs, was von ös 
= hoch, wachsen abstammt. Das zweite Motiv, welches 
der Benennung des Grases zu Grunde liegt, sind die be- 
grifflich identischen und etymologisch verwandten Wörter 
für grün und nass, indem alt. köJc und das azerbai- 
zanische güj = Gras, mit göJc = grün und blau, ferner 
das alt. Ölöng, cuv. oKÄ; = Gras und 6ag. wZew^f = Wiese, 
mit ö7, ÄöZ = nass, feucht verwandt ist. 

In unsern Betrachtungen über die Ess- und Nutz- 
pflanzen des primitiven Menschen der turko -tatarischen 
Rasse werden wir daher beim Lichte sprachlicher Unter- 
suchungen um so leichter zu den angestrebten Resultaten 
gelangen, wenn wir in Erwägung ziehen, dass der Lebens- 
unterhalt mit den Bedingungen des Klimas und der 
Bodenbeschaffenheit in vollem Einklänge stehend, auf dem 
von uns besprochenen Theile der Alten Welt bisjetzt 
keinen wesentlichen Veränderungen unterworfen war und 
etwaigen durch Kunst und eine höhere Cultur hervorzu- 
bringenden Neuerungen und Verbesserungen erst in der 
nächsten Zukunft ausgesetzt ist. Sehen wir uns z. B. zu- 
erst nach den verschiedenen bei den Türken heute be- 
kannten Obstgattungen um, so werden wir finden, dass 
als heimische Gattungen nur der Apfel und die Pflaume 
allein betrachtet werden können. Ersterer hat einen 
genuin türkischen Namen, nämlich dlma^ der Wortbedeu- 



214 

tung nach die rothe, bunte Frucht (von aZ = roth, bunt, 
und ma, resp. mak, muk = Beere, Frucht), letztere hingegen 
heisst üruk, ein zweifelsohne türkisches Wort, dessen ety- 
mologische Bedeutung uns noch unbekannt ist, wobei wir 
jedoch bemerken müssen, dass mit diesem Namen im cag. 
auch die Marille bezeichnet ist, ein interessanter Finger- 
zeig über das Verwandtschaftsverhältniss beider Gattungen. 
Wol ist von den übrigen Obstgattungen, um nur einige 
zu erwähnen, die Pfirsiche und die Birne auch stark 
verbreitet, doch haben beide schon fremde, d. h. persische 
Namen , denn erstere heisst seftalu (von pers. seft = grob, 
gross, und aZw = Pflaume), letztere armud^ richtiger am- 
rud. Dieser sprachliche Beweis berechtigt uns zur An- 
nahme, dass vor alten, allerdings sehr alten Zeiten beide 
Obstgattungen aus dem südlichen Iran ins tatarische Hoch- 
land eingeführt worden sind, wo diese Obstgattungen 
selbst heute bei weitem nicht so gut gedeihen als in 
Persien. Eine ähnliche Bewandtniss hat es auch mit dem 
Granatapfel^ der Nuss^ der Maulbeere und der Mandel^ 
deren arabisch -persische Namen, nämlich nar, zeviz, tut 
und badam entschieden auf den fremden Ursprung hin- 
deuten. Nicht zu übersehen ist hierbei, dass die Frucht 
niederer Stauden und Gesträuche, nämlich die Beere^ 
einen genuinen von der Form entlehnten Namen hat, 
nämlich mug und muk (vgl. kizamuk = rothe Beeren, 
Blattern, karamuk= schwarze Beeren), und dass gerade 
dieses Wort (zugleich auch die Stammsilbe vieler solcher 
Worter, die einen kleinern runden Korper bezeichnen) in 
der Benennung so mancher oft heterogenen Fruchtarten 
anzutreffen ist. Aus der primitiven Form der Stämmsilbe 
muk, mug (vgl. magy. mag = Kern, Korn) ist nach nor- 
maler Lautveränderung hug, bog (vgl. §. 204), bong^ bonz^ 
borz entstanden, Varianten, die unter anderm in den 
Namen runder kornerartiger Früchte zu erkennen sind. 



215 

wie in borc-ak = Erbse^ hord = Pfefferkorn, am reinsten 
aber in bug-daj = Weizen, d. h. kornähnlich, folglich von 
nicht ganz runder, ovaler Form. Mit Ausnahme des 
Pfefferkorns, das wegen seiner Aehnlichkeit mit der Erbse 
eine türkische Benennung erhielt, sind diese als heimische 
Fruchtgattungen zu betrachten. In Bezug auf den Wei- 
zen, bugdaj, sei hier ausdrücklich bemerkt, dass diese 
Getreideart, obwol uralt und mit einem genuinen türki- 
schen Namen benannt, auf einem verhältnissmässig nur 
beschränkten Baum verbreitet gewesen sein muss, und 
dass demzufolge auch die Hirse, d. h. tarik, tari, tara 
von entschieden älterm Ursprung ist. Für diese An- 
nahme sprechen in evidenter Weise erstens die Sprache 
selbst, zweitens die kargen Notizen des ältesten türki- 
schen literarischen Monuments, nämlich des Kudat^u 
Bilik. Was den sprachlichen Beweis anbelangt, so wollen 
wir hervorheben, dass tarik, tari^ tara in der wortl. Be- 
deutung Saat, Anbau heisst (vgl. §. 176), folglich ist 
unter Hirse die Saat oder Anbau par excellence verstan- 
den worden, ebenso wie mit ut^ at sowol das Vieh im 
allgemeinen, zugleich aber auch Rind und Pferd, die 
ersten Nutzthiere der turko-tatarischen Bekanntschaft, be- 
zeichnet worden sind. Die Sinnesart des Menschen lässt 
sich in diesem Punkte wol nirgends beirren, denn so wie 
z. B. der Russe unter chljeb Getreide, Brot und Nahrung, 
der Magyare unter elet Leben und Getreide versteht, und 
so wie man in vielen andern Sprachen die Bezeichnung 
der zumeist gebrauchten Gattung der Benennung des 
Ganzen zu substituiren pflegt, ebenso ist das analoge 
Verhältniss zwischen dem turko-tat. tarik = Saat, Anbau, 
und tarik = Hirse entstanden. Auch die alten Arier 
sollen in der Hirse ihre Hauptnahrung gefunden haben 
vgl. Poesche, S. 97, und Plinius, der dieses Getreide 
^^omnium fncgum feriilissimum'^ nennt und hinzufügt „ea: 



216 

uno grano sextari terni gignuntur, seri debet in umidis^^^ 
gibt uns die beste Ursache an, warum der Mensch auf 
der primitiven Culturstufe dieser Pflanze zuerst seine 
Aufmerksamkeit zugewendet hat. Hinsichtlich des Be- 
weisgrundes des Kiidatku Bilik sei in Erinnerung ge- 
bracht, dass dort in der Lebensschilderung der untersten 
Volksklasse die Hirse als die einzige Volksnahrung, ja 
als die Nahrung des armen Menschen dargestellt wird, 
lind nicht der Weizen, dessen Cultivirung günstigere 
Bodenverhältnisse beansprucht, mehr der künstlichen oder 
natürlichen Bewässerung bedürftig und schliesslich nicht 
so ausgiebig ist als die Hirse, die selbst am Steppenrande 
gedeiht. 

Dass ausser dem Weizen unter den bei uns vorkom- 
menden Getreidegattungen der Türke im innern Asien 
weder den Boggen noch den Hafer je cultivirt habe, 
steht ebenso ausser Zweifel, als wir mit voller Sicherheit 
annehmen können, dass die Gerste, fast überall arpa, 
nur mong. arhaj, kondomisch saliJc as (^= kaltes Gericht?) 
genannt, also noch im vor dialektischen Zeitalter der 
Sprache bekannt gewesen sein muss, obwol wir über die 
etymologische Bedeutung dieses, aller Wahrscheinlichkeit 
nach aus ar und baj zusammengesetzten Wortes noch im 
Dunkeln sind. Die Gerste, eine Pflanze, die selbst in 
kalten nordlichen Regionen gedeiht, scheint ursprünglich 
mehr dem Menschen als Nahrung gedient zu haben, und 
zwar finden wir arpa- a5 = Gerstengericht in derselben 
Kategorie mit dem früher erwähnten turik = Hirse, als 
Bauernkost, als Nahrung der ärmern Volksklassen dar- 
gestellt. Schliesslich wollen wir des heute in Mittelasien 
stark verbreiteten und als Pferdefutter gebrauchten Zügeri 
=^ holcus Sorghum^ Erwähnung thun, aber nur um etwai- 
gem Irrthume vorzubeugen, nach welchem dieser Name 
der heute zumeist auf dem turanischcn Hochlande gebauten 



217 

Hirsenart für alttürkisch gehalten in^ erden dürfte; dies ist 
jedoch keineswegs der Fall, denn das Wort ist persi- 
schen Ursprunges, und zügeri, züveri ist eine Verdrehung 
des iranischen mvari, rectius zu-hari = gerstenähnlich. 

Von den andern, theils dem Menschen, theils den 
Thieren dienenden Gewächsen lässt es sich mit Bestimmt- 
heit nachweisen, dass die Melone und der Kürbis auf 
den frühesten Wohnplätzen der Türken heimische Pflan- 
zen waren, ja bezüglich der Melone kann man die Be- 
hauptung wagen, dass sie von der Urheimat der Turko- 
Tataren über Persien nach Westasien und Europa einge- 
führt wurde. Wir werden nämlich bei genauer Betrach- 
tung der verschiedenen Qualität dieser Fruchtgattung zur 
Ueberzeugung gelangen, dass die heute in der Steppe 
und in dem Steppenrande der centralasiatischen Länder 
gebaute Melone die beste aller bekannten Gattungen sei, 
weil eben die dortigen Bodenverhältnisse dieser Pflanze 
am gedeihlichsten sind, und weil — um einen analogen 
Fall zu citiren — die Kirsche in Kerasun und in den be- 
nachbarten Gegenden Kleinasiens, von wo aus sie zu uns 
gelangte, grosser, schmackhafter und duftender ist als 
die unserige, so mag dieser Zusammenhang zwischen Vor- 
züglichkeit und altem heimatlichen Boden unserer Voraus- 
setzung in Betreff der Melone kräftigend zur Seite stehen. 
Dass ich Melone und Kürbis hier vereint vorführe, ge- 
schieht nicht nur infolge der analogen Form dieser Frucht, 
sondern weil die turko-tatarischen Sprachen beiden einen 
lautlich und begrifflich verwandten Namen gegeben haben, 
indem die Melone Tcavun, Icabun^ der Kürbis hingegen 
Tcabah. Jcavak heisst, und zwar von der Stammsilbe kab 
(vgl. §. 71), der Inbegriff von hohl, rund, aufgeblasen 
u. s. w. (Vgl. slaw. dynja = Melone, nach Miklosich von 
dqnq^i = anschwellen. Im etymologischen Sinne des 
Wortes ist daher Melone als Rundung, hohler Körper 



218 

aufzufassen. Das von der Melone Gesagte bezieht sich 
selbstverständlich nur auf die Zuckermelone, denn die 
Wassermelone (^cucumis citrullus) hat schon keinen ge- 
nuinen türkischen Charakter mehr, sie wird überall unter 
den Türken Icarpuz oder charbuz^ vom pers. charbuza* 
stammend, genannt, ist selbst heute unter den Türken 
Innerasiens weniger gepflegt als die Zuckermelone, und 
selbst die Bodenverhältnisse des Ursitzes der Türken sind 
ihrem Wachsthume bei weitem nicht so günstig als in 
Persien oder in Indien, bekanntlich ihrem Mutterlande. 
In ähnlicher Weise verhält es sich auch mit andern Arten 
der Cucurbitaceen, namentlich aber mit der Gurke ^ die 
überall mit fremden Namen und zwar im Osttürkischen 
mit dem pers. badreng, im Westtürkischen mit dem arab. 
hijar benannt wird, was entschieden auf eine spätere 
Einfuhrung hindeutet. 

Eine in jeder Hinsicht interessante Frage bildet die 
schon frühe Existenz des Welnstoekes in der alten Hei- 
mat der Türken, denn trotzdem der Wein, eine Erfindung 
der Semiten, wie Hehn** richtig bemerkt, den Turko- 
Tataren selbst heute noch unbekannt, scheint die Wein- 
traube dennoch im vordialektischen Zeitalter in der 
Sprache sich eingebürgert zu haben, wofür die fast über- 
all gleichlautende Benennung ümm, mong. üdsüm^ den 
besten Beweis liefert, ein Wort, dessen echttürkischer 
Ursprung gar nicht zu bezweifeln ist, und von üz = Saft 
(alt. US = Fett) stammend, der etymologischen Bedeutung 
zufolge als saftige Frucht zu nehmen, was in Anbe- 



»yj jÄ. char-huza, zusammengesetzt von char = rauh, wild, und 

hoza = apfelartige Fruchtgattung, vgl. J.^twÄ. = rauher Apfel. 

Vgl. altslaw. krastavici = cucumis, eigentl. rauhe Frucht. Hehn, 
Culturpflanzen , S. 225. 
** Vgl. S. 26. 



219 

tracht des im Vergleiche zu andern Früchten besonders 
reichen Saftgehaltes der Trauben eine höchst passende 
Benennung ist. Wenn wir nun von unserm oft betonten 
Standpunkte ausgehen, dass Objecte mit genuiner und 
noch obendrein mit einer solchen logisch richtigen Be- 
nennung schon seit uralten Zeiten heimisch gewesen sein 
müssen, so wird Hehn's Annahme, dass das eigentliche 
Vaterland des Weinstockes in den Gegenden südlich vom 
Südrande des Kaspischen Meeres zu suchen sei, nur in- 
sofern rectificirt werden müssen, dass wir zu diesen Ufer- 
landen des Südens auch noch die urbaren Oasenländer 
im Osten des Kaspischen Meeres hinzufügen. Wir können 
daher der Vermuthung Raum geben, dass die Traube 
sowol als die Melone, denn beide treten zumeist in nach- 
barlicher Freundschaft auf, aus den schon im mythischen 
Älterthume ihrer Fruchtbarkeit wegen berühmten turani- 
schen Hochländern nach dem Norden des heutigen Irans 
und von da weiter gegen Westen sich verbreitete, denn 
so wie die Melonen sind auch die Trauben Mittelasiens 
unvergleichlich süsser, geschmackvoller und grosser als 
die bestbekannten Gattungen dieser Frucht Persiens und 
anderer Theile Westasiens. Dies kann ich aus persön- 
licher Erfahrung constatiren, sowie ich im allgemeinen 
den Umstand hervorheben würde, dass die meisten Obst- 
gattungen auf einer Wanderung vom Innern Asiens gegen 
Europa Schritt für Schritt an Farbenpracht, Zuckergehalt 
und Schmackhaftigkeit einbüssen, und dass unsere auf 
noch so hoher Stufe der Vollkommenheit stehende Horti- 
cultur diesem Nachtheile nicht abzuhelfen vermag. Von 
den vielen Beispielen sei hier nur eins angeführt. In 
Nord- und Mitteleuropa sind die Pfirsiche Spaniens, Süd- 
frankreichs und Italiens hochberühmt; die Pfirsiche, wie 
der Name zeigt aus Persien zu uns eingeführt, sind in 
der Türkei z. B. schon besser und schöner als die ge- 



* Kendir, kender, magy. kender, bald für Lein, auf dem türkischen 
Sprachgebiete bald für Hanf genommen, und auf dem ganzen Sprach- 
gebiete bekannt, mag wol ältesten Gebrauches sein, doch hat der 
Name, im Türkischen unerklärlich, einen allzu persischen Anklang. 



I 



220 

nannten europäischen Gattungen und gedeihen selbstver- 
ständlich in Persien in dem alten Mutterlande am aller- • 
besten, obwol nicht übersehen werden darf, dass eine 
verwandte Obstgattung, nämlich die Pflaume und Marille, 
d. h. älu, im alten Sogdien die höchste Stufe der Vor- 
züglichkeit erreicht, und alu-i-bochara, d. h. bocharaer 
Pflaumen sind schon seit lange und noch heute ein Lecker- 
bissen selbst für Iran. 

Von den übrigen Nutz- oder Nährpflanzen scheint 
mir die zum Pferdefutter dienende gemeine Luzerne 
(mendicago sativa) unter den Türken von jeher heimisch 
gewesen zu sein. Sie hat einen genuin türkischen Namen 
cag. jonusJca, osm. joma^ von der Stammsilbe jon = dünn, 
hager, folglich die dünne, etwa dünnblätterige Pflanze. 
Hingegen sind die in die Kategorie der Industriegewächse 
gehörenden Feldpflanzen , als: BanmwoUe^ Hanf^ Lein'^^ 
Reis^ Mohn^ Sesam^ Krapp u. s. w. entschieden fremden 
Ursprunges und verhältnissmässig neuern Datums, und 
als einzige Ausnahme kann nur der TorJpa, torho oder 
turkuj eine Art Seidenbast gelten, von welchem, wie man 
mir mittheilte, früher Kleider, jetzt aber nur Stricke und 
Bindfaden bereitet wurden. Der Torka wächst wild in 
den Wäldern, hat die Form eines 4 — 5 Fuss hohen Ge- 
sträuches und einen rothlich braunen Stamm, daher der 
Name torJca. torJcu = rothbraun. 

Eine bedeutende Rolle als Nährpflanze scheinen von 
jeher die Zwiebel und der Knoblanch^ noch heute be- 
liebte Nationalgerichte des Türken, gespielt zu haben, 
denn beide haben einen genuinen, auf die specielle Bauart 



221 

der Pflanze bezüglichen Namen, indem die Zwiebel sogan, 
sojgan heisst, wörtl. die sich Abschälende, von soj (vgl. 
§. 148), der Knoblauch sarimsdk, wörtl. das Gewindähnliche, 
Gew^indeartige, von sarim = Gewinde, und sak = ähnlich. 
Hinsichtlich der Baumgewächse finden wir in dem 
vorhandenen Beweismaterial der Sprache wol den schwäch- 
sten Anhaltpunkt und zwar aus dem ganz natürlichen 
Grunde, weil das Volk der Turko-Tataren sich von jeher 
mit Vorliebe in den baumlosen, seiner nomadischen Exi- 
stenz am meisten entsprechenden Ebenen aufgehalten, in 
baumreichen Berglehnen sich nur mit Widerwillen nieder- 
gelassen, und Waldungen als die Wohnstätte der seinen 
Heerden gefährlichen ßaubthiere von jeher gemieden hat. 
Schon der Begriflf Baum selbst wird mit einem auf ver- 
schiedene Umschreibungsart beruhenden Worte ausge- 
drückt. W^ährend wir einerseits das zumeist verbreitete 
agac^ jigac, ijgac in der concreten Bedeutung von Baum 
ins Auge fassen, ein Wort, das auf der Stammsilbe ag, 
jig =z hoch ^ aufwärts, beruht, folglich Gewächs im allge- 
meinen bedeutet, wird es andererseits uns auffallen, dass 
mit diesem Worte im Öagataischen z. B. auch noch Stock, 
Stab, ein abgebrochener Zweig bezeichnet wird, ebenso 
wie umgekehrt das Wort tal im Osttürkischen Baum 
(arftor), im Westtürkischen hingegen nur Zweig (osm. 
dal) bedeutet und im Altaischcn geradezu als Name einer 
Baumgattung, nämlich Sand weide, vorkommt; idl^ das im 
Grunde genommen etymologisch als Stamm, einzeln 
stehender Korper aufzufassen ist. Angesichts dieser 
schwankenden Definition des Grundwortes selbst wird es 
wol nicht befremden, wenn wir in Betreff der Namen der 
verschiedenen Baumgattungen, d. h. über die Ursache der 
Benennungen überhaupt, als auch über die etymologische 
Zergliederung der betreffenden Wörter ohne jeglichen Auf- 
schluss bleiben. Während z. B. Jcatvak im Osmanischen 



222 

selbst bald Platane, bald Linde, im Kasanischen und 
Baäkiriscben hingegen Gesträuche, Staude bedeutet, finden 
wir andererseits wieder das Wort tereJc bald für Pappel, 
bald wieder für Espe, und taranghu bald für Tamariske, 
bald für Elaeagnus, wofür das specielle dijde besteht. 
So heisst Fichte im Osten des türkischen Sprachgebie- 
tes arca (vgl. magy. hdrs = Linde), im Westen cam 
a^racl = Harzbaum , und für Eiche z. B., die aus kli- 
matischen Gründen der türkischen Urheimat gänzlich ge- 
fehlt hat und jenen Gegenden noch heul^ fehlt, hat das 
Osttürkische gar kein Wort, und das Westtürkische be- 
dient sich des persischen mise oder mese. So zeigt auch 
die Sprache einen gewissen Grad des Unvermögens zur 
genauen Definition des Begriffes Wald^ das zumeist mit- 
tels Umschreibung ausgedrückt worden ist. Im Osten, 
d. h. im Altaischen , heisst der Wald jis, eine Contraction 
des Wortes Jl^'li = Haufen, Menge, dem sich wieder das 
osm. orman = Wald , tat. urman = Tannenwald anreiht, 
von ur = Anschwellung, Haufen und dem CollectivsufBx 
man, men; während das speciell in Mittelasien gebrauchte 
togaj, tohaj etymologisch Unterwald oder die mit Gestrüpp 
bewachsene Flussinsel bedeutet. 

Nur in Bezug auf die Vegetation der Steppe, dieses 
mit der frühesten Existenz der Turko -Tataren eng zu- 
sammenhängenden Erdreiches, klärt sich einigermaassen 
das Dunkel, insofern die hier vorherrschende Vegetation 
mit solchen Namen benannt ist, deren Grundbedeutung 
mit der Qualität oder äussern Form der betreffenden 
Pflanzen in Zusammenhang steht. So heisst z. B. ein 
selbst im Flugsand vorkommender, bisweilen fünf Fuss 
hoher Baum, von dem es bekannt ist, dass er mit der 
kleinsten Anstrengung sammt Wurzel ausgerissen wer- 
den kann, ganz richtig söMJc, von söJcmeJc = sxisreissen^ 
trennen, umwerfen (vgl. §. 199); und so heisst auch der 



223 

seiner aussergewohDÜcben Dürre und sozusagen Stein- 
härte wegen bekannte Strauch Haloxylofi Amtnoden^ 
dran ganz folgerichtig saksaul oder saksaul, weil dieses 
Wort von sak saÄ; = dürr, trocken stammt, und saksaul 
(von saksamaK) eigentl. das Gedorrte bedeutet. Dass 
diese Sandstaude, eben infolge ihrer ausserordentlichen 
Härte, wenn angezündet, eine Glut erzeugt, die anhal- 
tender als die der besten Steinkohlen ist, davon hatte ich 
mehrmals Gelegenheit, mich personlich zu überzeugen. 
Es ist auch bei andern Gattungen der Steppenvegetation 
eine durch geringe oder gar keine dialektische Unterschied- 
lichkeit gekennzeichnete Benennung zu bemerken. So 
heisst z.B. das Schilf fast überall saz, ein Name, der 
auch der betreffenden Sumpfgegend beigelegt wird (vgl. 
den analogen Fall im magy. sds = Schilf, und sär = 
Koth) und das Rohr oder Röhricht kamis oder komuL 

Schliesslich wollen wir noch hervorheben, dass für 
Blume kein specielles Wort existirt, denn das hierfür 
vorhandene cicek oder cecek bedeutet ganz einfach Zier, 
Zierath, Schmuck, von der Stammsilbe cic, ccc (vgl. 
§. 171), und dem entsprechend vermissen wir auch in der 
Sprache etwaige Benennungen der verschiedenen Blumen- 
arten. 

Alles in allem genommen wird dem Leser die ein- 
gangs gemachte Bemerkung wol einleuchten, dass die 
Sprache nur über diejenigen Theile der Flora einigen 
Aufschluss gibt, die dem Menschen selbst auf der primi- 
tiven Stufe der Cultur unentbehrlich sind, dass aber 
demungcachtet diese kurzen und spärlichen Notizen uns 
von bedeutendem Nutzen werden, wenn wir beim Lichte 
philologischer Forschung zur Aufstellung der geographi- 
schen Grenzen der alten Heimat des turko -tatarischen 
Volkes uns anschicken wollen. Spätere wissenschaftliche 
Resultate, als genauere Bezeichnung der Arten und cor- 



224 

recte Nomenclatur in den türkischen Mundarten, mögen 
allerdings mehr Licht verbreiten, doch vorderhand müssen 
wir uns selbst mit diesem schwachen Funken begnügen. 



XVIII. 

Die Farben. 

Wer im dritten Buche von L. Geiger's „Ursprung 
und Entwickelung der menschlichen Sprache und Ver- 
nunft" die treffende Bemerkung liest, dass nirgends wie 
bei der Farbenempfindung eine grossere Möglichkeit 
bestimmter objectiver Erkenntniss des quantitativen Ver- 
hältnisses neben so lebhaft qualitativisch-subjectiver Unter- 
scheidung stattfindet — und zu dieser Aussage die von 
weit und breit zusammengebrachten, mitunter dem luftigen 
Gebäude der Dichtung entlehnten Beweisgründe anreiht, 
dem wird sich wol mehr wie einmal die Frage aufdrängen: 
Um wie viel leichter wäre das betreffende Bild zu ent- 
werfen, und auch um wie viel klarer wäre es gewesen, 
wenn der ausgezeichnete Forscher anstatt in dem abge- 
nutzten arisch -semitischen Sprachschatze herumzusuchen, 
seinen Blick dem kry stallreinen Material der ural-altai- 
schen, speciell den türkisch -tatarischen Sprachen zuge- 
wendet hätte? Bei den hier uns zu Gebote stehenden 
Mitteln tritt weder die Gefahr verschwommener Sprach- 
formen hervor, noch der berechtigte Zweifel an die Be- 
weisfähigkeit jener Angaben, die einer erhitzten Phantasie 
poetischer Begeisterung entsprungen. Wie bei der Be- 
nennung vieler bisher erwähnter Gegenstände kommt auch 
beim Ausdrucke der Farbenempfindung der schlichte. 



225 

naturgetreue Gang der menschlichen Vernunft zum Vor- 
schein, und ebenso ungekünstelt und farbenkräftig spiegelt 
sich fragliches Bild in der Sprache ab. 

Schon der Begriff Farbe selbst wird in materieller 
Hinsicht aufgefasst und entweder als eine von der Natur 
verliehene oder künstlich beigebrachte Hülle dargestellt. 
Wir müssen demnach im Türkischen zweierlei Bezeich- 
nung dieses Begriffes unterscheiden und zwar zunächst die 
natürliche, gewissen Korpern theils vom Entstehen an, 
theils im spätem Wachsthum eigene Farbe, die entschie- 
den als Hülle, Kleid, äussere Fläche und Aussenseite be- 
trachtet, mit uig. üng^ cag. öng, jak. ön, in bezeichnet 
wird, ein Wort, das, wie aus §. 196 ersichtlich, an jün^ 
^iiM = Haut, Wolle, Zierde, kaz. ;?on = Wolle, Vogelfedern, 
CUV. 5;ww = Wolle, Vogelfedern u. s. w., sich anreiht und 
ganz einfach als Kleid, Bekleidung, Aussenseite und Antlitz 
aufzufassen ist. Hierher gehört der Begriffsanalogie nach 
auch das cag. mengte, osm. 6em> = Gesichtsfarbe, vom 
Stammworte men, mm — oben, obenauf, Aeusseres. Das 
zweite Wort für Farbe, nämlich cag. hojdk^ osm. boja^ uig. 
hotah^ bedeutet seinem etymologischen Werthe nach An- 
strich, Schmiere, denn es stammt von hoj, 6öZ; = Schmutz, 
Unflat (vgl. magy. fos = Unflat und fös-teni = färben, 
ferner osm. Mr = Schmutz und uig. , cag. Iclr-is = Farbe, 
Aeusseres), wonach der Begriff malen mit beschmieren, 
Malerei hingegen mit Beschmierung, Beschmutzung iden- 
tisch ist. Nachdem wir nun die allerdings interessante 
Unterscheidung zwischen den von der Natur erzeugten 
und künstlich geschaffenen Farben hervorgehoben, müssen 
wir vor allem die Frage aufwerfen, ob die im Türkischen 
vorhandenen Farbennamen ursprünglich aus speciell auf 
die Farbenempfindung bezüglichen Stamm- oder Wurzel- 
wörtern entstanden, oder ob sie etwa von jener äussern 
Hülle entlehnt worden sind, in welcher einige dem Men- 

V6mbäry, Cultur. 15 



226 

sehen in seiner allerfrühesten Existenz vorkommenden Ob- 
jecte dem Auge sich dargestellt haben. Inwiefern die Frage 
auf dem allgemeinen Gebiete der Sprachengeschichte be- 
jaht oder verneint werden könne, muss der Sprach- 
philosophie überlassen werden. Wir haben hier ausschliess- 
lich mit dem Farbensinn einer einzelnen Abtheilung des 
Menschengeschlechtes, nämlich des Türkenvolkes zu thun, 
und können nicht umhin, auf Grund leichtfasslicher sprach- 
licher Beweise die Behauptung aufzustellen, dass sämmt- 
liche im Turko-Tatarischen vorhandenen Far- 
bennamen, von der Natur sozusagen abgelauscht, 
als einfache Eigenschaftsworter gewisser Ele- 
mentarbegrife figuriren, oder um mich klarer aus- 
zudrücken, dass roth dem Feuer, blau dem Was- 
ser, grün dem Wachsthum u. s. w. entlehnt wor- 
den ist, daher denn auch nicht die geringste Spur 
von jenem Hin- und Herschwanken zu bemerken 
ist, welches dem Menschen im grauen Alterthume 
der arischen und semitischen Rasse in Betreff der 
Farbenunterscheidung zugeschrieben wird. 

Diese Procedur hat es ermöglicht, dass die Türken, 
nicht wie die Chinesen fünf, oder wie die Griechen vier, 
sondern sechs Grundfarben annehmen, und dieselben als 
von Stoffnamen in leicht erkennlicher Weise abzuleitende 
Farbenadjective correct zu bezeichnen im Stande sind. Es 
ist dies allerdings ein Vorzug über andere Sprachen, auf 
den die Philosophen nicht genug aufmerksam gemacht 
werden können, wie auch im allgemeinen die Farbennamen 
der türkischen Sprache so manche auf diesem Gebiete 
mühsam aufgestellte Theorie über den Haufen werfen, in- 
dem es sich herausstellt, dass die ehrwürdigen Literatur- 
monumente einer Jahrtausende alten Culturepoche in der 
Ursprungs- und Entwickelungsgeschichte der menschlichen 
VeiMunft und Sprache keine solchen Factoren abgeben 



227 

können, wie die von fremden Cultureinfiüssen unbehelligte 
rein erhaltene Sprache einer primitiven Menschenrasse. 
Wie der Leser sich überzeugen wird, sind die den Tür- 
ken in der frühesten Existenz bekannten sechs Grund- 
farben: weiss, roth, schwarz, gelb, grün und blau, mit 
denen wir uns der Reihe nach beschäftigeij wollen. 

a) Weiss = aÄ;, ag, zugleich aber auch der Inbegriff von 
offen, klar, hell, leer, daher im Grunde genommen das 
Negative einer Farbenbezeichnung, oder farblos (vgl. §§. 
1 und 5); weiss ist in derThat als analog mit rein, offen 
aufgefasst auch in diesem Sinne in den Sprachgebrauch 
übergegangen. Vgl. jüjs akligi = Weisse des Antlitzes, 
Makellosigkeit, Offenheit, Klarheit des Aussehens, womit 
in gleichem Maasse Ehre, Achtung, Ansehen und Ehr- 
würdigkeit ausgedrückt wird, wie dessen Gegensatz jü0 
Icaraligi = Schwärze, Dunkelheit des Antlitzes, Schmach 
und Schande bedeutet. Es ist daher auch üblich, den 
Verbrechern in einigen Theilen Centralasiens , wenn sie 
aus dem Gefängnisse geholt coram publice vor dem Rich- 
ter zu erscheinen haben, das Gesicht mit Koth oder mit 
einer schwarzen Farbe anzustreichen, um damit zu be- 
zeigen, dass sie der Reinheit oder der Weisse des Ant- 
litzes verlustig geworden sind. Mit ak wird aber ausser- 
dem noch die nächste Nuance von weiss, nämlich grau 
ausgedrückt, worunter allerdings nicht dunkelgrau, denn 
hierfür gibt es ein specielles Wort, sondern hellgrau, 
silbergrau verstanden werden muss, in welchem Falle diese 
Farbe sich wenig oder gar nicht unterscheidet, soweit es den 
bildlichen Werth von weiss betrifft. Ak sakdl = weisser, d.h. 
grauer Bart ist begrifflich analog mit dem engl, aldermafij 
dem lat. senior^ dem pers. ris sefid u. s. w., und aga = 
der Aeltere, der Ehrwürdige, der Vorgesetzte, steht in 
gleichem Verhältnisse zu aÄ = grau wie das deutsche „Graf*' 
zu „grau". Angesichts dieser doppelten Bedeutung von 

15* 



228 

ah (weiss und grau) darf nicht unberücksichtigt bleiben, 
dass die türkische Sprache für grau auch noch ein ande- 
res Wort hat, nämlich 60^, alt. po^y eigentl. schimmelgrau, 
welches mit dem cag., uig. 6or = Kreide verwandt ist, und 
vorzugsweise als Farbenbezeichnung bei Pferden und an- 
dern Thieren vorkommt. So cag. boj^-at, alt. jpor-wZ = 
Schimmel, und ^emir jporw = Eisenschimmel; ferner nach 
stattgefundener Mouillirung des auslautenden r in bei 
po0, 2?W5 = Nebel (graue Luft) und bei 6m^, pu0, muz, mus 
= Eis, wobei eine blosse Farbendefinition, aber keine spe- 
cielle Benennung der gefrornen Flüssigkeit vorliegt. Dass 
ioz dem primitiven ior entsprungen, unterliegt keinem 
Zweifel; ob jedoch vorliegender Farbenname begrifflich 
der Kreide entlehnt ist, oder ob ior ursprünglich weiss 
bedeutete, wäre schwer zu unterscheiden, obwol das magy. 
feiler y fejer hierzu einen schwachen Anhaltspunkt bietet. 
Wahrscheinlicher ist jedenfalls die erste Hypothese. 

Wie an den betreffenden Stellen unserer Abhandlung 
schon erwähnt wurde, liegt die Stammsilbe ah oder in 
ihrer normalen Lautveränderung von ag^ aj, az, ac einer 
•grossen Anzahl theils auf weiss und hell, theils auf offen, 
leer und klar Bezug habende Wörter (vgl. §§. 1 — 8) zu 
Grunde. Weiss ist die Grundbedeutung des Wortes für 
Mond (vgl. o; = Mond mit ag= weiss), und weisslich, näm- 
lich agil, heisst der Hof des Mondes; ebenso ist auch die 
etymologische üebersetzung des Wortes für Silber, näm- 
lich ak-ce weisslich, während das Weltall mittels az-un 
(Oeffentlichkeit), das heitere Wetter mittels aj-az (IQar- 
heit) ausgedrückt ist. 

b) Both und hoclirotli^ wovon ersteres mit hizil, letz- 
teres mit dl ausgedrückt wird, sind zwei lautlich getrennte, 
aber begrifflich miteinander eng verbundene Worter, denn 
hizil stammt von fe>= Feuer, Glut (vgl. §. 93), und al ist 
identisch mit al,jal, mong. ghal = Feuer ^ Flamme, auf- 



I 



229 

loderndes Feuer (vgl. §. 126). Höchst sinnreich, wie die 
Benennung der zwei Hauptnuancen der rothen Farbe ent- 
standen, können wir nicht umhin, gleich im Anfang zu 
bemerken, dass Mz, Uz, die Stammsilbe für die auf Feuer, 
Glut, Hitze und Wärme bezüglichen Worter, heute als 
specielle Bezeichnung des Wortes Feuer nicht mehr ge- 
braucht wird, denn hierfür haben wir im Osten das echt 
türkische ot, im Osmanischen das dem Persischen entlehnte 
ates, während dl oder jdl mit den Varianten II, jll, zil 
(vgl. §§. 10 und 126) entschieden den Inbegriff von hoch- 
roth, rothlich, strahlend, glänzend, blitzend, flammend 
u. s. w. in sich schliesst. Wenngleich sich annehmen 
lässt, dass ursprünglich die beiden Farbennamen in An- 
betracht ihres heterogenen Ursprunges einen so ziemlich 
abgegrenzten Begriffskreis hatten, so konnte dieser im 
Laufe der Zeit sich nicht erhalten, und es ist namentlich 
in den Derivaten, welche leblose Dinge bezeichnen, bald 
die Stammsilbe hiz, bald al als Grundwort verwendet 
worden. Ich sage mit Vorsatz bei leblosen Dingen, denn 
wo es sich um Ausdrücke handelt, die menschliche, gleich- 
viel ob moralische oder physische Eigenheiten bezeichnen 
sollen, finden wir Mz vorzugsweise angewendet. So Mz=^ 
Mädchen (vgl. §. 93), Tcizgin = zornig, d. h. feurig, eigentl. 
gerothet infolge des aufgeregten Gemüthes, cuv. Jcirle = 
schön vom menschlichen Antlitz, eigentl. roth (eine häu- 
fige Begriffs Verwechselung; vgl. russ. Icrasno = roth ^ mit 
slaw. Jcrasni= schon). Bei leblosen Dingen hingegen tritt 
die allerdings später erfolgte Verwechselung in besonders 
markanter Weise beim Worte für Gold hervor. Dieses 
Metall wird nämlich beinahe auf dem ganzen Sprachge- 
biete sowol Mzil als auch alün, d. h. das ßothe upd Hoch- 
rothe genannt (vgl. ferner jak. a?fan = Kupfer, d. h. rothes 
[Erz?j), ebenso wie Silber akce, d. h. das Weissliche. Da 
beide Farbennamen, wie wir früher hervorgehoben, von 



230 

genau defiuirten Substantiven, nämlich von Helle und 
Feuer abstammen, so unterliegt es keinem Zweifel, dass 
hier der Begriff des Metalls durch den der Farbe ver- 
mittelt worden ist, und zwar derartig, dass die Frage 
durch sich selbst gelost erscheint, deren Nichtbeantwor- 
tung Steinthal* bei Geiger rügt, nämlich die nicht genü- 
gende Ermittelung eines Processes: wie zwei so verschie- 
dene Begriffe wie ein Stoff und die Eigenschaft einer 
Farbe zusammenfliessen. Der Mensch hat allerdings das 
Feuer, eins der wichtigsten Elemente, eher gekannt und 
benannt, als dies bei dem etwaigen Ausdrücken seiner 
Farbenempfindungen der Fall gewesen sein konnte. Vom 
Begriffe Feuer entstand der Farbenname roth und von 
diesem ging es als Eigenschaftswort und Name auf das 
fragliche Metall über. 

Aber nicht nur der Name der Grundfarbe, sondern 
auch die Bezeichnungen der betreffenden Nuancen als 
braun oder rotlibraun stehen mit dem Begriffe Feuer 
oder Wärme in engem Zusammenhange, wie aus dem 
türkischen Farbennamen ^*aA«> = braun ersichtlich ist; dies 
steht zum Stammworte jah = brennen , zünden in einem 
Verhältnisse wie das deutsche brennen zu braun, bräu- 
nen, ursprünglich bedeutete jakiz dunkelbraun, daher 
die stereotype Redensart im Texte des Kudatku !Bilik von 
jakiz jer, was die neuern Sprachen mit kara jer = schwarze 
Erde wiedergeben; heute jedoch finden wir dieses Wort 
im Osmanischen für fuchsroth oder Fuchs als Pferdefarbe. 

Wenn L. Geiger in seinem Abschnitte über die Far- 
ben auf den Umstand hindeutet, dass roth und schwarz 
sich etymologisch vereinigt findon, ohne dies aus dem 
Wortlaute der Literatur monumente des Alterthums zur 



* Der Ursprung der Sprache im Zusammenhange mit den letzten 
Fragen alles Wissens (Berlin 1877), S. 206. 



231 

Genüge beweisen zu können, so sind wir in dieser Hin- 
sicht im Türkischen viel besser darah, denn wir können 
in dem Worte für braun so zu sagen den Uebergangspunkt 
entdecken, wenn wir das Wort für schwarz daneben stellen, 
c) Schwarz = kara ist nämlich demselben Gesichtskreise 
entsprungen wie roth, und beruht ebenfalls auf dem Grund- 
gedanken der Wärme, Hitze und der von letztern ver- 
ursachten Dürre. Die Stammsilbe dieses Wortes ist kaJc 
= trocken, dürr, woraus das transitiv-active hakurmak = 
dörren, trocknen, später nach normaler Absorbirung des 
inlautenden Gutturalen kaurmak (vgl. osm. kavurmdk ^r 
rosten, dorren) und das Adjectiv kaurak, kauruk, resp. 
kara = schwarz und kuru = trocken entstanden ist. Der 
analoge Ursprung beider Eigenschaftsworter, die nicht 
nur lautlich, sondern auch begrifflich miteinander eng ver- 
bunden sind, macht es erklärlich, dass heute kara sowol 
in der Bedeutung von schwarz als auch von Erde, trocke- 
nes Land, als Gegensatz zum Wasser, gebraucht wird, 
und dass eben beide BegriflFe als ganz identisch erscheinen. 
Wir werden weiter unten sehen, wie aus dem Gegensatze 
von trocken, nämlich von nass und feucht, die Namen 
heller, lichter Farben entstehen, und wollen hier nur con- 
statiren, dass, so wie die weisse Farbe einerseits die Klar- 
heit, die Helle und die Welt, andererseits die Ehre und 
Achtung interpretirt, die schwarze als entsprechender 
Gegensatz sowol Finsterniss, Dunkelheit und Unterwelt, 
Holle, als auch Schande, Schmach und Unglück symboli- 
sirt. Wie bei den übrigen Völkern war bei den Tür- 
ken von jeher schwarz das Zeichen der Trauer und der 
Düsterheit (vgl. karangu = ün^ier^ eigentl. schwärzlich, fer- 
ner karak = Schaden, Plünderung), und unter kara versteht 
der dem Schamanenglauben noch heute treu gebliebene 
Altaier die bösen Geister, den Teufel, ja die Quintessenz 
der Bosheit. Vgl. alt. oj-karazi = der böse Hausgeist, der 



232 

nach dem Hinscheiden eines Familiengliedes als Würg- 
engel (a?cZail=Nehmer) im Hause zurückbleibt und durch 
die Zauberformel des Schamans verscheucht werden muss. 
Charakteristisch ist es, dass dieser Farbenname, vielleicht 
infolge der der Schwärze und der Finsterniss zugeschrie- 
benen Fürchterlichkeit, in einigen Theilen des ostlichen 
Sprachgebietes in derBedeutung von ungeheuer, überaus 
gross vorkommt. So Icara agac, d. i. die in Mittelasien 
der Grösse halber bekannte Ulme, wortl. schwarzer Baum; 
kara-bas^ d. i. das grosste unter gewissen Hausthieren, 
wörtl. schwarzer Kopf; kara Jcurum, d. i. die grosse Stadt, 
kara janijs (alt.) = ganz allein, d. h. der Superlativ dieses 
Eigenschaftswortes u. s. w. ; ja möglicherweise ist fcara= Volk 
und schwarz aus demselben Motive entstanden. Dieser Ideen- 
gang, noch mehr aber der Zusammenhang des Begriffes hart, 
trocken, dürr einerseits und das Verhältniss der eine lange 
Existenz voraussetzenden Reife, d. h. das Endresultat einer 
langen Lebensdauer andererseits, machen es erklärlich, dass 
der primitive Mensch der turko -tatarischen Kasse, in einer 
nicht genug zu bewundernden sinnigen Weise den Begriff 
des Alters und der Bejahrtheit an den der Trockenheit, 
Dürre und Schwärze anknüpfend, das Wort für alt aus 
derselben Stammsilbe gebildet hat, wie die Wörter für 
trocken und schwarz. Kari = Qlt^ bejahrt, steht nämlich 
zu Jara = schwarz und Ä;wrw = trocken in demselben Ver- 
hältniss, in welchem jas = jung zu jas = nass und jasil = 
grün sich befindet, wie wir dies bereits im zweiten Abschnitte 
über Geschlecht und Altersstadien hervorgehoben haben. 
Der Mensch hat in genauer Beobachtung der Naturgesetze 
die verschiedenen Phasen des Wachsthums der Pflanzen zur 
Bezeichnung der einzelnen Stadien seines Lebensalters sich 
als Muster hingestellt, daher die sowol lautliche als begriff- 
liche Identität der Jugend mit dem saftigen üppigen Grün und 
die des Alters mit dem ausgetrockneten schwarzen Aeussern 



233 

der Pflanzen. — So wie neben der specifisch rothen Farbe 
nach gleichem Ideengange und aus begriflflich verwandtem 
Stammworte der Farbenname für rothbraun (jakiz) her- 
vorgegangen, ebenso ist mit kara eng verwandt Hr dunkel- 
braun, eine Abstufung des Schwarzen, und ebenso wie 
hara schwarz und Erde bedeutet, so heisst Mr braun und 
zugleich Feld. 

d) Gelb = sarik, sar% druckt nicht wie in andern Spra- 
chen die Farbenempfindung des Hellen, Strahlenden und 
Glänzenden aus, wie wir dies im gegenseitigen Verhält- 
nisse zwischen dem arab. ^aÄa& = Gold und 5aÄa6=roth- 
lich, dem slaw. j^Za^o = Gold und ife^i = gelb, dem pers. iser 
= Gold und ^erd = gelb u. s. w. wahrnehmen, sondern es 
bildet im Gegentheile den Inbegriff der Blässe, des fahlen 
und welken Aeussern, wie uns dies aus der etymologischen 
Zergliederung des betreffenden Wortes ersichtlich wird. 
So wie den Worten kara, kuru und kari die Stammsilbe 
kaJc zu Grunde liegt, so haben wir in sari, sara die Stamm- 
silbe sak in der neuern Form 5aJ = trocken, dürr, und 
nach einem analogen Processe wie bei kara ist aus sakur- 
mdk, saurmak (gelb werden), sauruk, sarik, sari entstan- 
den. Es ist sonderbar, dass nicht blos in den arischen 
und semitischen Sprachen Gold als Stoffname mit dem 
Farbennamen gelb eng zusammenhängt; wir finden einen 
ähnlichen Ideengang selbst auf dem Gebiete der ural-altai- 
schen Sprachen , nämlich im finnisch-ugrischen Kreise aus- 
gedrückt, wenn wir das wogulische sorn% syrjänische mrni, 
mag/, arany = Gold, mit dem turko-tat. sari = gelb ver- 
gleichen, und auch die von Ahlquist* vermuthete Annähe- 
rung an das Sanskrit wort hiranya im Zend zaranya^ das 
er via Mittelasien zu den Finn-Ugriern kommen lässt, 
können wir nicht ausser Acht lassen. Wie gesagt, gelb 

* S. 72. 



234 

ist, wie der etymologische Werth des Wortes bezeugt, 
bei den Türken von jeher die Farbe des Siechthums, des 
Verblühens und des Verfalles gewesen; mengzi atmis = er 
hat die Farbe verloren, und saramis =■ er ist gelb gewor- 
den, sind gleichbedeutende Begriffe für fahl, bleich und 
blass , und wenn Ewald * in seinem Buche über die 
Farbenbewegung, von der Vorliebe der Romer für das 
Gelbe ausgehend, der Ansicht ist, dass die Auffassung 
von Gelb, heute bei uns die Leibfarbe des Neides, sich 
im Laufe der Zeit und mit dem Wechsel der leitenden 
Culturvölker verschoben haben muss, so scheint er das 
sprachliche Verhältniss dieses türkischen Farbennamens 
nicht berücksichtigt zu haben. Und dennoch beruht der 
türkische Ausdruck dieser Farbenempfindung und ihre 
Verwerthung auf dem Gebiete der Metaphern auf einem 
naturgetreueren Ideenverhältniss als bei den übrigen so- 
genannten altern Culturvolkern ! 

Wir haben soeben auf die Begriffsanalogie der Jugend 
mit dem üppigen. Grün, des Alters mit der Schwärze und 
Dürre der Pflanzen hingedeutet; wir wollen mm das Bild 
durch mittlere Farbenabstufungen ergänzen, indem wir 
auf die in der Sprache zum Ausdruck gelangte Identifi- 
cirung der reifern Jugend mit roth und Feuer (vgl. ddi 
kanli und i?>, §. 93), und des reifern zum Alter sich 
neigenden Lebensstadiums mit gelb, als mit der Periode 
des Welkwerdens, hinweisen. 

e) und f) Blau und grün wollen wir deshalb unter 
einer Rubrik besprechen, weil erstens die betreffenden 
Farbennamen im Türkischen ein und demselben, wenn- 
gleich nicht lautlich identischen Stoffworte entlehnt wor- 
den, und zweitens, weil sie in dem alltäglichen Gebrauche 
auf gewissen Theilen des Sprachgebietes häufig mitein- 



* Berlin 1876, Erste Hälfte, S. 60. 



235 

ander verwechselt werden, trotzdem dort, wo dies der 
Fall ist, eine genau definirte Bezeichnung der zwei ver- 
schiedenen Farben nicht unbekannt geblieben ist. Die 
Farbenempfindung des Blau hat der Türke von jeher, 
wenigstens soweit durch vorhandene Sprachdenkmäler sich 
dies nachweisen lässt, mit Tcöh ausgedrückt, ein Wort, 
welches die ältere Form des im Kudatku Bilik angeführ- 
ten üki, w^i= Wasser ist*; wir sehen demnach auch das 
Eigenschaftswort blau dem Wortwerthe nach für Farbe des 
Wassers an, ebenso wie das neupersische ahi = blau, 
welches von ab = Wasser, und das modern arabische 
mawi = blau, das von ma = Wasser stammt. So viel von 
der Etymologie dieses Wortes. Bezüglich seiner Bedeu- 
tungssphäre haben wir schon kurz angedeutet, dass es ab- 
wechselnd bald in der Bezeichnung der blauen, bald der 
grünen Farbe vorkommt, so cag. TcöU = dunkelblau und 
grün. Gras, Wiese, Laub der Bäume, az. güj = Gtsls 
und giijlemeJc = grünen^ mong. JcüJce = grün. Es ist dies 
eine Begrifi'sverwechselung, der wir auch in den ältesten 
Literaturmonumenten arischer Völker, ja des gesammten 
Alterthums begegnen und die sich daraus erklären lässt, 
dass die beiden Farben, als eine Nuancirung des Dunkeln, 
der optischen Auffassung anfangs sich gleichsam als iden- 
tisch vorstellten, eine Gemeinsamkeit, die, abgesehen .von 
der empirischen Seite, auch aus der den vorhandenen 
türkischen Wortern für grün und blau zu Grunde liegen- 
den analogen Ideenverbindung hervorleuchtet. Ein zweites 
höchst interessantes Moment bietet das türkische Wort 
Jcök, da dasselbe ausser blau und grün auch noch Himmel, 
und zwar den maleriellen Himmel im Gegensatze zu 
tangri = der geistige Himmel, bedeutet und hiermit sich 



* lieber das Verschwinden des anlautenden Ic vgl. mein „Etymo- 
logisches Wörterbuch", S. XII. 



1 



236 

in vollen Widerspruch stellt zu unsern aus den ältesten 
Literaturen in dieser Beziehung gemachten Erfahrungen. 
Während Geiger* es mit Recht auffallend und verwun- 
dernswerth findet, dass die vedischen Lieder und nicht 
minder die Avesta, die Bibel, der Koran und selbst die 
Homerischen Gedichte der Bläue des Himmels, welche 
doch in den Heimatländern fast aller dieser Bücher mit 
ganz besonderm Reize wirkt, trotz überall nahe liegender 
und oft dringender, wie man glauben mochte gebieteri- 
scher Gelegenheit, niemals die entfernteste Erwähnung 
thun, finden wir im Türkischen den Himmel nicht nur 
schon früh als blau bezeichnet, sondern beide BegriflFe, 
nämlich Blau und Himmel, eng verbunden, als ein und 
dasselbe dargestellt. Ist schon diese Congruenz an und 
für sich hinreichend, das türkische höh nicht als eine 
neuere Wortbildung, wie dies beim früher erwähnten 
pers. abi und arab. mawi der Fall ist, zu betrachten — 
denn die Benennung des Begriffes Gras, Wiese und Ge- 
wächs im allgemeinen kann doch nicht auf eine spätere 
Periode gesetzt werden — so muss der Umstand, dass 
der Himmel als der Blaue (höh) und nie als der Grüne 
(JdsiT) vorkommt, mit der Genuinität des Farben wertes 
auch die uralte Existenz dieses Farbenbegriffes sicher 
stellen. Wir können daher mit Sicherheit annehmen, dass 
wenngleich die arischen Völker im grauen Alterthume, 
wenigstens in jenem, in welchem die Veden entstanden, 
die blaue Farbe entweder nicht zu unterscheiden oder 
derselben keine specielle Benennung zu geben vermochten, 
die den Ariern in der Cultur weit zurückstehenden Türken 
die blaue Farbe und den entsprecHenden Farbennamen 
schon früh, ja seit dem Bestehen ihrer Sprache gekannt 
haben. 



* s 



S. 250. 



237 

Gehen wir zur Erörterung des Wortes für grün, cag. 
jasil, osm. jesil über, so werden wir sofort bemerken, dass 
diesem das Stammwort jas = feucht, nass zu Grunde liegt, 
und so wie blau als Farbe des Wassers, grün als in 
engem Zusammenhange mit Nässe und Feuchtigkeit dar- 
gestellt wird. Hier finden wir aufs neue den an die Natur- 
gesetze des Wachsthums der Pflanzen sich anlehnenden 
Ideengang , indem die in ihren Fasern noch Feuchtig- 
keit enthaltende Pflanze als lebend und gedeihend, daher 
grün erscheint (vgl. lat. vireo, viridis, altdtsch. grdni=- 
grün, engl. ^roi{; = wachsen, türk. Jai = nass, ja^/i = grün 
und j'aÄ=jung, Jugend), ebenso wie im entgegengesetzten 
Falle die ihrer Lebenssäfte verlustig gewordene ausgedörrte 
Pflanze als schwarz, d. h. als in der Farbe des Todes, 
Verderbens und Unterganges dargestellt wird. In Grün 
ist noch heute das Leben und die Hoffnung, in Schwarz 
der Tod und das Unglück symbolisirt. 



XIX. 

Gott und Religion. 

In Anbetracht der bei den Semiten so reichlich ent- 
wickelten theosophischen und religiösen Speculation, fin- 
den wir schon längst die Ansicht verbreitet, dass diese 
eigenartige Richtung des menschlichen Geistes bei den- 
jenigen Völkern in vorzüglicher Weise Wurzel gefasst, 
und mit einer bis zum Monotheismus geführten Conse- 
quenz verfolgt wurde, die vom monotonen Charakter der 
unabsehbaren Steppenheimat contemplativ geworden, und 



238 

wo das menschliche Auge von der imposanten Unbegrenzt- 
heit des Horizontes zum Anstaunen und zur Bewunde- 
rung der schaffenden und belebenden Kraft des Weltalls 
sich vielmehr hingerissen fühlte, als unter andern terri- 
torialen und klimatischen Verhältnissen. Um nach meinen 
eigenen personlichen Erfahrungen zu urtheilen, übt die 
Steppennatur, wie ich solche wochenlang auf meiner Reise 
zwischen Persien und Chiwa zu beobachten Gelegenheit 
hatte, auf das menschliche Gemüth einen entschieden mehr 
anregenden und packenden Einfluss aus, als die höchste 
Alpenregion mit ihren zerklüfteten Felsenkolossen und mit 
ihren im wunderbarsten Farbenprisma glänzenden Schnee- 
häuptern. Und dennoch muss sich uns die Wahrnehmung 
aufdrängen, dass wenngleich die Steppennatur sich überall 
gleichbleibt, der in derselben lebende Mensch, allerdings 
infolge verschiedenartiger Einflüsse von aussen her, nicht 
ein und denselben Pfad der Ideenwelt einschlägt; denn 
während die in und neben der Arabischen Wüste wohnen- 
den Semiten von jeher durch religiöse Speculationen sich 
hervorthaten, tritt bei einem andern mehr nordlich wohnen- 
den Steppenvolke, nämlich bei den Türko-Tataren, in dieser 
Beziehung ein geistiges Unvermögen und der kälteste In- 
differentismus zum Vorschein, indem der Schamanismus, 
dieses uralte Religionswesen der Turanier, mit seinem 
Trommellärra, Zauberspuk und seinen Geisterformeln sich 
nur wenig über den Fetischcultus des wildesten Afrikaners 
erhebt. Wenn also diese Verschiedenheit der menschlichen 
Geistesrichtung uns auf den ersten Anblick befremdet, so 
wird andererseits eine eingehende Prüfung der Sachlage 
uns belehren, dass hier weniger ethnische Eigenheit oder 
Bodenbeschaffenheit, als vielmehr Zeitraum und Verschie- 
denheit des Klimas den Ausschlag geben. Im Süden näm- 
lich gedeiht nicht nur das Pflanzenreich schneller und 
üppiger, sondern auch der menschliche Geist thut sich 



A 



239 

durch eine raschere Entfaltung und durch eine regere 
Thätigkeit hervor. Daher hat auch der bei den Semiten 
früher vorhandene Fetischdienst in verhältnissmässig kur- 
zerer Zeit dem mehr rationalen Monotheismus Platz ge- 
macht, und deshalb bedurfte auch die jahrtausendelang 
stationär gebliebene Cultur der Türken unter einem 
hohem Breitengrade eines grossem Zeitmaasses und eines 
starkem Impulses von aussen her zu diesem Processe der 
Umgestaltung und zu diesem Fortschritte. 

Schon die Art und Weise, wie der Begriff Religion 
auf dem, einem fremden Einflüsse minder zugänglichen 
Sprachgebiete im Anfang zum Ausdruck gelangte, kenn- 
zeichnet vollständig unsere Ansicht. Wir finden nämlich 
dort, wo das arabisch- moslimische dm= Glaube unbekannt 
geblieben, für diesen Begriff noch heute die Worte jan 
oder jo^ioJc (alt.), der Wortbedeutung nach Art, Manier, 
Sitte und Anstand, was folglich ganz einfach als Lebens- 
norm, Verhaltungsregel oder Gesetz aufgefasst werden 
kann, wonach der Mensch sich verhalten muss, um An- 
spruch auf Anstand zu haben; es ist daher, wie wir wei- 
ter unten sehen werden, der eine Religion habende, gott- 
kennende , gottfürchtende Mensch ins Stadium einer 
hohem Bildung getreten, und dies erinnert uns an ein 
ähnliches, im christlich- lateinischen pa^am«5=Heide, eigentl. 
Dorfbewohner, hervortretendes Verhältniss. Jangi jok hisi 
= ein Mensch ohne Gesetz, Sitte, d. h. ohne Religion, ist 
ein Schimpfausdruck gleichbedeutend mit dem modern- 
islamischen Jcafir = ungläubig, d. h. der Ausbund aller 
Schlechtigkeit. Der Begriff Religion trägt daher, soweit 
aus dem hierfür bestehenden Ausdrucke ersichtlich, die 
Anschauung eines mehr socialen als geistig- religiösen In- 
stituts in sich und weicht in dieser Hinsicht entschieden 
ab von dem arisch-europäischen „Glaube", ßdeSy und dem 
arab. iman und dem hebr. ämunah^ in welchen Wörtern 



240 

der Grundgedauke des Glaubens und Vertrauens und 
der Zuversicht in das höchste Wesen ausgedrückt ist. 

Es kann selbstverständhch nicht die Angabe dieser 
Schrift sein, die Dogmen und Theorien des Schamanen- 
glaubens, wie er in den allerdings heute schon abgeschwäch- 
ten Formen unter den ural-altaischen Volkern des nord- 
östlichen Asiens vorliegt, oder wie dessen Geist in den 
durch Radioff veröffentlichten höchst werthvoUen Literatur- 
proben der Türken Südsibiriens unserer Erkenntniss nahe 
kommt, eingehend zu erörtern. Dieser Aufgabe gedenken 
wir in der speciellen Arbeit über die Ethnographie des 
Türkenvolkes uns zu entledigen. Da wir uns die Erfor- 
schung der primitiven Culturverhältnisse des türkisch-tata- 
rischen Volkes zum Ziel gesteckt haben, tritt hier die 
Nothwendigkeit an uns heran, den uralten Zustand, ja die 
Entstehungsphasen dieses eminent turanischen Glaubens 
im Lichte sprachlicher Auseinandersetzungen einer Prü- 
fung zu unterwerfen, indem wir es versuchen wollen, je- 
nen innigen Zusammenhang in Relief zu bringen, 
der zwischen dem auf religiöse und überirdische 
Begriffe Bezug habenden Wortschatz einerseits 
und dem Geiste der uns bekannten Lehren des 
Schamanenglaubens andererseits besteht. Wir 
wollen uns daher zuerst mit dem als Gottheit darge- 
stellten höchsten Wesen beschäftigen. Wie schon in 
dem Abschnitte über Himmel, Sterne u. s. w. erwähnt, 
waren die Begriffe Himmel und Gott fast bei allen Völ- 
kern der ural-altaischen Rasse von jeher identisch, indem 
unter demselben der geistige Himmel, das die Welt um- 
spannende Firmament, und der dem Urmenschen zumeist 
als Object des Staunens, der Verwunderung und der 
Furcht sich präsentirende Lichtkörper (vgl. ^aw^=Helle 
und tangri =IIiminel) verstanden wurde. Dieser Himmels- 
gott, diese Personification des allerhöchsten Wesens scheint 



241 

im Laufe der Zeit untergeordnete Gotter oder dienst- 
thuende Geister erhalten zu haben, denen das Schalten 
und Walten der einzelnen Elemente und die Vermittelung 
zwischen Gott und den Menschen, d. h. die Belohnung 
oder die Bestrafung derselben übertragen worden ist, da 
nach echt altaischen Begriffen derartige Dienstleistungen 
dem höchsten Wesen, als unter seiner Würde stehend, 
doch nicht zugemuthet werden können. Ein ähnliches 
Verhältniss findet nach Chwolsohn auch im Sabaismus 
seinen Ausdruck, und so soll auch z. B. im Glauben der 
Permer Heiden der oberste Gott Jen sich nur mit den 
allerhöchsten Geschäften abgeben, ähnlich dem Jumo der 
Tscheremissen, während die Verwaltung einzelner Gebiete, 
wie der Flüsse, Wälder, Felsen und des Feuers, unter- 
geordneten Geistern anvertraut wurde.* Dieser höchste 
Gott nun hat auch in der That seinen speciellen Namen 
im Altaischen beibehalten, nämlich in der Bezeichnung alt. 
Ican tengere^ d. h. Fürst-Himmel oder Fürst-Gott, während 
tengere allein, wenn auch nicht mehr im Altaischen, so 
doch im Mongolischen, die Geister des Erd- und Himmels- 
raumes bezeichnet. Ein ähnlicher Fall lässt sich im Tschu- 
vaschischen wahrnehmen, wo die oberste Gottheit als Sjüldi 
Tora, d. h. höchster Tora (von tanri, tari) dargestellt ist, 
während dessen untergebene Gottheiten nur in Begleitung 
des ihren Dienst kennzeichnenden Namens vorkommen. 
So: ivil chir sjoradagan ^ora = der die Kinder beschützende 
Tora, mol sjoradagan fora=der das Vermögen beschü- 
tzende Tora u. s. w. Dass dieser höchste Gott schon 
gleich im Anfang eine bedeutende Anzahl von Eigenschafts- 
wortern hatte, wie wir dies im Islam bei den neunundneunzig 
Epitheta AUah's und im Buddhismus bei einer noch grossem 
Anzahl wahrnehmen, bedarf keiner besondern Erwähnung, 



* Vgl. Zolotnitzky, S. 146. 

VÄmböry, Cultur. 16 



242 

und nur als ein hiermit im Zusammenhange stehender 
und unsere Forschung in erster Reihe interessirender Um- 
stand muss hier hervorgehoben werden, dass diese Epi- 
theta, oder einzelne derselben, im Laufe der Zeit die Form 
selbständiger Substantiven angenommen haben und heute 
als vermeinte ursprünglich specielle Benennungen der Gott- 
heit bei den turko -tatarischen Volkern theils mündlich, 
theils schriftlich gang und gebe sind. Diese sind: 1) das 
uig. ohan, 6ag. ogan = Gott, eigentl. der Allwissende oder 
Verstehende, von der Stammsilbe oÄ= begreifen, verstehen; 
2) das 6ag. bajat oder 6ya^ = Gott, eigentl. der Hohe, 
Allerhöchste, von der Stammsilbe haj, hij = hoch, erhaben, 
(vgl. §. 205), und mit diesem begrifflich analog ist 3) das 
uig., alt. menggi, möngM = der Ewige, der Himmlische, 
von meng, möng =^hoch (vgl. §. 233), das übrigens bisweilen 
auch in der Form von menggi a^a= himmlischer Vater oder 
Vater in der Hohe vorkommt; 4) das alt. hairahan=G ott^ 
Gottheit, eigentl. der barmherzige, mitleidige Fürst oder 
Gott, von kairmak, Tcajlrmdk = bemitleiden, und Tcan = Fürst. 
Als Ergänzung zu diesen Benennungen der höchsten 
Gottheit sei noch erwähnt, erstens das bisher als etymo- 
logisches Räthsel bekannte altosmanische colab = Gott, 
dessen Zusammenhang mit celebi = Herr, Gottesmann, reli- 
giös, folglich vornehm, sofort auffiel, ohne von dem Geiste 
der türkischen Lautlehre zur Ueberzeugung gebracht zu 
werden, dass celebi nicht von colab ^ sondern nur von ca- 
lab stammen könne, und dass letzteres eine Zusammen- 
setzung von cal — aba, d. h. grauer oder greiser Vater oder 
Ahn, eine türkische Interpretirung der auch bei andern 
Völkern bekannten Auffassung der Gottheit sei. (Vgl. 
alt. a6ea5= Gott, eigentl. alter grauer Vater.) Zweitens 
Icudaj oder chudaj, das persische cJiuda =^Goit, Herr, das 
sonderbarerweise an der Ostgrenze des Sprachgebietes, 
nämlich bei den von dem iranischen Einflüsse am entfern- 



243 

testen liegenden Altaiern am meisten gebraucht ist. Dies 
erinnert uns an einige andere ähnliche Fälle, nämlich an 
das magy. isten = Gott, das mit dem pers. i^dan identisch 
ist, und an die Existenz des ebenfalls pers. nan = Brot 
unter den Wogulen im hohen Norden. Drittens das uig. 
iti, <^ag. ege oder ige = Gott ^ Herrgott, eigentl. Besitzer, 
Eigenthümer (vgl. §. 30), das im Grunde genommen nur 
als Anrufung gebraucht, im Sprachgebrauche der Altaier 
jedoch in der einer normalen Lautveränderung entsprechen- 
der Form ee als untergeordnete Gottheit, als Geist vor- 
kommt. So: tu-eezi = der Berggeist, jU eezi = der Wald- 
geist, SU em = der Wassergeist u. s. w. 

Was nun diese Gottheiten zweiten Ranges, diese dem 
Menschen Schaden oder Nutzen bringenden Geister an- 
langt, so hat die Sprache mit erstem, nämlich mit den 
wohlthuenden Genien sich nicht so eingehend beschäftigt 
als mit den bösen, die als Gegenstand der Furcht und 
des Schreckens fortwährend in der Einbildung und auf 
der Zunge waren. Unter diesen spielt der Erlik oder 
Ertik*=^ der Gott der Unterwelt, der Repräsentant der 
Bosheit und der schädlichen Kraft, die Hauptrolle. Das 
Wort selbst bedeutet der Kräftige, der Mächtige und hat 
sich auch im Magyarischen erhalten in der Form ördög=^ 
Teufel. Mit Bezug auf diese bösen Geister ist auch die 
Sitte der Opfer und Spenden entstanden, indem der pri- 
mitive Mensch dadurch ihren Zorn zu beschwichtigen und 
das Unheil abzuwenden versuchte, so wie er durch Ge- 
fälligkeitsbezeigung die Gunst seines Nebenmenschen zu 
erwerben gewohnt war. Ueber das Wesen und die Be- 
schaffenheit der Opfer geben uns die Sprachmonumente 



* Die Suffixe lik und tik wechseln miteinander, so ist das moderne 
li, lu, lü, welches eine Eigenschaft bezeichnet, im Altaischen stets 
mit tif tUj tu ausgedrückt, z. B. dag. küliili, alt. külküitü—l^chevlich. 

16* 



244 

einige sehr werthvolle Winke an die Hand. So ist adag 
= dä8 Gelübde, wie aus dem Wortlaute ersichtlich, eigent- 
lich nur das Versprechen oder Verheissen eines Opfers, 
von a^= sagen, sprechen (vgl. §. 4); darauf folgt das 
cacitifc = Opfer, eigentl. das Ausgestreute, das Gespendete, 
eine Art Libation theils in flüssigen Korpern, theils in 
kleinern Objecten, welche den die gefürchteten Geister 
repräsentirenden Penaten hingestreut wurden. So wie das 
Haupt der bösen Geister mittels des complimentirenden 
Ausdruckes „der Mächtige" gewonnen werden sollte, 
ebenso führen die Götzen im allgemeinen den Zärtlich- 
keitsnamen wreÄrew = Alter , Alterchen, von alt. ürek, öag. 
ireg^ magy. öre5f = alt; denn das fiir den BegriflP Götzen 
erst in der islamitischen Periode entstandene put^ but^ eher 
ein Schimpfwort der Götzen, ist persischen Ursprunges. 
Gleichen Sinnes und Alters mit caclik ist das bei der 
strengen Controle des Islams heute nur noch im Aber- 
glauben lebende iji$ = Opfer aufzufassen. Mir ist dieses 
Wort unter den Turkomanen in der Bedeutung von Todten- 
mahl oder das zum Todtenmahle gebackene Brot (vgl. 
„Cagataische Sprachstudien", S. 240) vorgekommen, und 
nur nach später angestellten Vergleichen auf den übrigen 
Theilen des türkischen Sprachgebietes konnte mir dessen 
eigentlicher Sinn einleuchten. Zolotnitzky berichtet in sei- 
ner interessanten Studie über die Tschu vaschen (S. 150) von 
einem Halbgotte mcfe, den Sbojew in seinen „Zamjetki o 
Cuvaöach"* („Bemerkungen über die Tschuvaschen", 
S. 124) als einen solchen Geist darstellt, der Krankheiten 
über die Menschen schickt, und der durch aus säuerlicher 



* Lautlich ist das cuv. irich mit dem turkom. ijis analog, da das 

öuv. r dem turk. j 
» ch, k » »8 
entspricht. 



245 

Mehlspeise und Lämmern bestehenden Geschenken nach 
der Meinung der Jomzen (Priester) besänftigt werden muss. 
Diese bei den Tschuvaschen von den Opfergaben auf die Zeit . 
selbst übergegangene Benennung findet sich auch bei den 
Minusinskischen Tataren in der Form von ieih = gehei- 
ligtes, zum Opfer bestimmtes Thier, bei den Altaiern als 
ijik und bei den Jakuten als Utk vor und bedeutet etymo- 
logisch das Gesendete, das Ausgesetzte, von der Stamm- 
silbe ij, it (vgl. §. 28), woraus wir ersehen, dass dieses 
Wort mit dem schon erwähnten adak begrifflich identisch, 
und von dem eigentlichen concreten Opfer sich nur inso- 
fern unterscheide, dass es, namentlich bei Thieren, solche 
Opfer gab, die mit einem Zeichen versehen noch eine 
längere Zeit am Leben erhalten wurden. Spuren dieser 
Sitte finden sich selbst noch heute vor, indem das zum 
moslimischen Kurban-Bajram bestimmte Schaf oder Kamel 
von den türkischen Nomaden monate-, bisweilen jahrelang 
vorher auserkoren wird, während man es mit einem Bande 
oder mit blauen Korallen geschmückt frei umhergehen 
lässt. 

Forschen wir nun, gestützt auf sprachliche Beweis- 
gründe, nach dem eigentlichen Grundgedanken, der aus 
dem Religionsgefühle, d. h. aus der Furcht vor einem 
höhern Wesen oder vor der höchsten Allmacht ausge- 
flossen (wie Lubbock, S. 133, bemerkt: ^^Their deities 
are evtl, not good''), so werden wir ohne jegliche An- 
strengung entdecken, dass beim primitiven Menschien der 
turko-tatarischen Kasse die Idee der höchsten Gott- 
heit mit dem Begriffe der unbegrenzten, dem 
menschlichen Blicke unzugänglichen geheimen 
Urkraft identisch gewesen, und dass er in allen 
ihm unerklärlichen Erscheinungen und Vor- 
kommnissen des Lebens eben nur den Einfluss 
und die Wirkung dieser geheimen Kraft sah. 



246 



• * 



Nur 80 wird es erklärlich, warum z. B. der Begriff 
Zauber^ dieses allergrossten Factors in der Glaubenswelt 
der Turanier, mit iag, baj, ioj^ büj, d.h. Band, Fessel, 
ausgedrückt ist, und warum das primitive Wort für 
Zauberformel, d. h. zur Herbeischaffung der geheimen 
Kraft, arbag (von ar = Kraft und bag = Band) Kraft — 
Fessel heisst. Arbag, heute in der Bedeutung von Zau- 
bermärchen, Mär, Sage im allgemeinen bekannt, besteht 
eigentlich aus jenen kurzen mystischen Sätzen und Redens- 
arten, mit welchen der kam (Schamane) oder die kam 
chatun (Schamanenfrau) den Zauber losen, richtiger die 
geheime Kraft fesseln will; bevor man zu (biner derartigen 
Function sich anschickt, wird, wo z. B. von Heilung 
eines kranken Gliedes bei Menschen oder Thieren die 
Rede ist, auch in der That zuerst der symbolische Ver- 
band angelegt, um so zu sagen die geheime Kraft nicht 
nur mittels Worten, sondern auch thatsächlich zu binden, 
sowie im entgegengesetzten Falle der Begriff „entzaubern" 
mittels der Umschreibung das Band losen oder aufbin- 
den, bagi cözmek^ ausgedrückt wird. Mit diesen physi- 
schen Mitteln zur Bekämpfung der geistigen Macht geht 
Hand in Hand der im Schamanenglauben uralte Gebrauch 
der Trommel, alt. tüngür^ uig. hüng (vgl. S. 71, IV.), in- 
dem man mittels des, dem Gehörorgan des Naturmenschen 
ungewohnten und erschreckenden Lärmes die als geheime 
Kraft wirkenden Geister einschüchtern und verscheuchen 
zu können glaubt; daher auch die aussergewohnliche 
Tracht, das furchteinjagende Aeussere und die absonder- 
lichen Gesticulationen der Schamanen während ihres Opfer- 
dienstes , ihrer Beschworungen oder Verwünschungen. 
Und so wie der Grundgedanke der Gottheit, selbst nach 
einer mehr als zwolfhundertjährigen Bekehrung zum Is- 
lam beim türkischen Steppenbewohner noch immer ein 
und derselbe geblieben, d. h. so wie z. B. der Turkomane 



247 

— ich meine den noch nicht in den Klauen des Molla 
mürbe gewordenen Turkomanen — seinen Allah, Kudaj 
oder Tanri, diesen Herrn seiner grauenvollen Steppen- 
heimat mehr fürchtet als liebt, ebenso hat die stramm 
monotheistische Tendenz der arabischen Glaubenslehre es 
nicht vermocht, den sozusagen in den Gliedern des 
Türkenthumes steckenden Schamanenspuk zu vertreiben. 
Die Function eines kam unter den Altaiern und eines 
Jomzen unter den Tschuvaschen ist im streng moslimischen 
Mittelasien auf den Dervisch und an den Bachäi (Trouba- 
dour) übergegangen. Die hohe bunte Mütze, das lange 
weite faltenreiche Kleid, das über die Schultern herab- 
wallende lange Haar, das inartikulirte dumpfe Geschrei 
und die wilden Sprünge, alles hat sich erhalten, mit Aus- 
nahme der das crasse Heidenthum bekundenden Trommel, 
die übrigens durch modernere Musikinstrumente, wie die 
zweisaitige Violine (Äo6o^), vertreten ist. Ebenso wie 
vor Tausenden von Jahren werden noch heute Geister 
beschworen und zwar mittels Opfer, wie wir dies beim 
Ijis unter den Turkomanen wahrnehmen; man behangt 
Rinder und Pferde mit Zauberfetzen, man versucht Krank- 
heiten, Skorpionenbisse durch den bestmöglichen Spuk 
zu heilen, denn gleichwie im primitiven Zustande das 
ganze Religionsgefühl in der Furcht vor der geheimen 
Macht sich concentrirte, so hat auch der heutige Tura- 
nier inmitten der ewigen Schrecken vor der sengenden 
Sonne auf den wasserlosen Steppen und vor den Sand- 
und Schneestürmen seiner heimatlichen Natur nur in dem 
Gefühle der steten Furcht und Angst sein Religions- 
bewusstsein geoffenbart. 

Da Religion von Anfang an nicht ohne Religions- 
diener bestehen konnte, so ist es von besonderm Inter- 
esse, den Ursprung jener Wörter zu untersuchen, mit 
welchen die Priester des alten Glaubens benannt wurden 



248 

und die selbst heute in der moslimisch- türkischen Welt 
sich erhalten haben. Hier begegnen wir zuerst dem 
Worte kam, entsprechend dem in Europa gebrauchten 
Schamane (im eigentlichen Sinne des Wortes aber Zau- 
berer, Arzt, Priester), welch letzteres bekanntermaassen 
aus dem Tungusischen zu uns übergegangen ist, wo es 
Geisterbeschwörer bedeutet (vgl. chinesisch samen öder 
simen = Diener Buddha's). Zolotnitzky will kam mit dem 
6uv. jom (in jom-za^^ mit jak. ojon und dem tungusi- 
schen sam vergleichen, ein Vorgehen, das nach den Ge- 
setzen der betreffenden Lautlehre gewissermaassen zu 
rechtfertigen wäre, das uns aber zur Eruirung der Grund- 
bedeutung dieses Wortes von keinem Nutzen sein kann. 
Es ist möglich, dass das cuv. jom viel leichter mit dem 
finn. jum-ala, öeremiss. jumo, syrjän. jen = Himmel, 
oder vielleicht mit dem ainoischen kamoi * verglichen, da- 
her als Gottesmann oder Himmelsdiener aufgefasst wer- 
den konnte; dies lässt sich aber nicht als positive Be- 
hauptung aufstellen, und wir müssen einstweilen den Ur- 
sprung dieses Wortes als eine offene Frage betrachten, 
obwol das gegenseitige Verhältniss zwischen kam = Arzt, 
kamlamak =. heilen, und hammak, kamlamak = binden 
(etwa die Macht der bösen Geister binden?) zu so man- 
chen Conjecturen ermuntert. Viel besser sind wir daran 
mit der etymologischen Erkenntniss des Wortes •iaksi 
oder lachst^ das in der Bedeutung von Improvisator, 
Zauberer und Wunderdoctor vorkommt, und das ganz 
einfach eine Verdrehung des ursprünglichen hakici = 
Seher, Prophet, Augur ist. Diese Auslegung findet ihre 
Bestätigung durch ein anderes hierauf bezügliches Wort, 
nämlich durch das kazanische kürümci oder küre^e = Zau- 



* Vgl. das Wörterbuch Dawidow's in der Beilage zu Krusenstern's 
Reise, III, 3i4 (nach Zolotnitzky). ^ 



249 

berer, Seher, von hür = sehen, und sehr interessant ist es 
zu beobachten, welche Begriffsverwandlung eben das Wort 
baksi, bachsi in der spätem Periode durchgemacht hat. 
In den frühesten Stadien der Cultur ein Name jener 
Menschen, von denen vermuthet wurde, dass sie über die 
zur Erkenntniss überirdischer Dinge nothige Sehkraft 
verfugen, folglich geistige Seher, ist der Bachsi im Laufe 
der Zeit zum Zauberer, und da dies mit den Glaubens- 
principien des Islam nicht mehr vereinbar war, zum wan- 
dernden Poeten, Tausendkünstler und Arzt geworden, 
der gleichsam als der Schatten des im raschen Untergehen 
begriffenen alten Glaubenssternes nur in jene Zeltengruppe 
sich wagt, wo es keine beturbanten MoUakopfe gibt und 
wo der entnationalisirende Giftsame der mohammedani- 
schen Lehre noch nicht zur Genüge emporgeschossen ist. 
Von den in den Bereich der Religion fallenden Sitten 
und Gebräuchen und dem Aberglaulben wollen wir zuerst 
eines wol mit fremden Namen benannten, aber sonder- 
barerweise schon seit alten Zeiten und auch heute vor- 
zugsweise bei den Turko- Tataren anzutreffenden Zaubers 
erwähnen. Es ist dies der Gebrauch des Jada-tasi = 
Jadastein, der BezoaVy pers. sangi-jada, arab. haiar ul 
matar (Regenstein) genannt und von vermeinten Kennern 
der Zauberformel betreffs Herbeizauberung von Regen, 
Schnee und kühler Witterung, auch zur Heilung von 
Skorpionenstichen gebraucht wird. Nach dem Religions- 
mythus hat Japhet, der Urahn der Türken, diesen Stein, 
auf welchem der Name Gottes zuerst geschrieben war, 
von Noe erhalten, weshalb er in der übrigen Welt 
in Verlust gerathen und nur noch bei den Türken, als 
den Abkömmlingen Japhet's, zu finden sei. Diese speciell 
türkisch-nationale Charakteristik dieses Aberglaubens findet 
auch in der Sprache ihre Bekräftigung, denn obwol jada 
persischen Ursprunges ist (vgl. zeud. jatu, neupers. zadit 



250 

= Zauber), so hat dieses Wort das grosste Terrain auf 
dem türkischen Sprachgebiete; es ist im Mongolischen 
gebraucht, kommt unter den Altaiern und Kirgisen vor 
(vgl. jadalamak= Regen beschworen) und ist selbst den 
Osmanen bekannt unter der Form zadu = Hexe, altes 
Weib. Nach Aussage des chinesischen Schriftstellers Si- 
jui-win-dzan-lu findet sich dieser Stein im Magen der Kühe 
und Pferde vor, wird auch bisweilen im Schwänze der 
Eidechse und im Kopfe des Wildschweines angetroffen. 
Wenn die Turkestaner um Regen beten, erzählt femer 
der Chinese, wird der Jada- Stein an die Gerte einer 
Sandweide gebunden und ins reine Wasser gelegt, wor- 
auf sofort der Regen eintritt. Wenn sie klares Wetter 
wünschen, wird der in ein Säckchen gelegte Stein an den 
Schweif des Pferdes befestigt, und schliesslich im Gürtel 
getragen, wenn man den Eintritt kühler Witterung ver- 
langt. * Wie leicht erklärlich, zielt der chinesische Autor 
mit seiner Bemerkung auf die dem Islam noch fremd ge- 
bliebenen Türken von exclusiv nomadischer Existenz, wie 
solche im Nordwesten des Himmlischen Reiches bekannt 
waren, und es ist höchst wahrscheinlich, dass wir es hier 
mit einem eminent türkisch -tatarischen Aberglauben zu 
thun haben, der im Volke noch heute lebt, vor einigen 
Jahrhunderten noch officiell im Gebrauche war ** und von 
dem nur der Name fremd ist. 

Von besonderer Bedeutung und von hohem Alterthume 
war der Gebrauch des Wahrsagens oder Prophezeiens, 
das nach türkischer Auffassung dieses Begriffes weder 
den Sinn des deutschen Wahrsagens noch des griechischen 
Voraussehens enthält, sondern in der wortlichen Bedeu- 
tung Gutes sagen, einen guten Rath ertheilen bezeichnet. 



* Vgl. Budagow, Wörterbuch, II, 352. 
♦* Vgl. meine Geschichte Bochara's, II, 94. 



251 

Das hierfür vorhandene Wort uig. jahurmdk^ öag. jaur- 
mak, alt. juurmak stammt von jah = gut, behaglich, pas- 
send (vgl. §. 122) und erinnert an das analoge Verhält- 
niss zwischen dem magy. j6 = gut und jö-sol = prophe- 
zeiet. Dem Wahrsager, kam oder lachst, lag es daher 
ob, die durch irgendeine unvorhergesehene Begebenheit 
oder durch einen Traum erzeugte Beklemmung und Angst 
zum Guten auszulegen, und den zur Abwendung des ge- 
fürchteten Uebels nothigen Rath zu ertheilen. Die zumeist 
gebräuchlichen Wahrsagungen, wie aus dem Texte des selbst 
im Islam vorherrschenden Aberglaubens ersichtlich, waren 
erstens auf gewisse Körpertheile der geopferten Thiere 
gegründet; so z. B. die Lage der Eingeweide, das Schulter- 
blatt der Schafe, Kamele und Kinder (bei Lappländern, 
Mongolen und Tungusen in gleicher Weise anzutreffen, 
nur dass die Basis der Prophetie, d. h. die Sprünge auf 
dem gebratenen Beine, in verschiedener Weise gedeutet 
wird); zweitens auf Einflüsse des Windes, anderer Natur- 
erscheinungen und das Aufsteigen des Rauches, drittens 
auf arithmetische Spiele mit Steinchen oder mit kumalak 
(Excrementen der Schafe). 

Als im engsten Zusammenhange mit den Opfern 
stehend müssen ausser den Wahrsagungen auch die Fest- 
und Feiertage angesehen werden. Diese werden im Tür- 
kischen mit toj bezeichnet, was identisch mit tok = satt, 
gesättigt, eigentl. Festessen, Sättigung bedeutet, und 
dessen Entstehung uns sofort einleuchtet, wenn wir in 
Erinnerung bringen, dass im Schamanencultus noch heute 
das geopferte Thier als Mahlzeit der betreffenden Gesell- 
schaft dient. Die Opfermahlzeit bildet daher den Grund- 
gedanken der turko-tat. Feiertage, welche daher Ess-, 
nicht aber Feier- oder Ruhetage waren. Toj (vgl. magy. 
tor) heisst noch heute cag. Festessen, Hochzeit und Fest- 
lichkeit im allgemeinen, und aus toj-günü = der Tag des 



252 

Festessens, ist das osm. düjün, (7%ien = Feiertag ent- 
standen. 

Nicht minder interessant ist die Entstehung des 
Schwurest insofern auch dieser mit der Ceremonie des 
Opfers im Zusammenhange steht. Als religiöse Betheue- 
rung oder Bekräftigung irgendeines Gelübdes, gegebenen 
Wortes oder getroffenen üebereinkommens konnte der 
regelrechte Schwur nur bei Gelegenheit eines Opfers voll- 
zogen werden, wobei die beiden Schworenden durch 
einen Trunk Blutes aus dem geschlachteten Opfer als 
durch das heiligste Mittel sich verbanden; als diese Sitte 
später umgangen wurde, öffneten die Schworenden sich 
gegenseitig die Armader, liessen ihr Blut in ein Gefäss 
fliessen und tranken dasselbe» Schworen heisst daher 
im Türkischen and icmek^ wortl. Segen trinken, richtiger 
Opfer trinken (vgl. 18), und Schwur and icki = Segens- 
trank. Auch im Neupersischen wird schworen in ähn- 
licher Weise ausgedrückt, nämlich mit sokend churden = 
einen Eid trinken, wobei mir saukend ein Compositum zu 
sein scheint, dem das türk.-tat. and'zxi Grunde liegt. 
Diese Art des Schwörens oder des feierlichen Gelöbnisses 
hat sich nicht minder treu im Magyarischen erhalten. Die 
alten Chroniken berichten von der Sitte des Oeffuens der 
Armader und des gemeinschaftlichen Bluttrankes *, und 
das selbst heute noch gebrauchte magy. Wort für Schwur, 
nämlich eskü^ ist rein türkischen Ursprunges und mit dem 
oben erwähnten icki, ickü = Trank identisch. ** Mit dem 



* Diese Sitte wird noch heute in Afrika prakticirt. So erzählt 
Stanley in seinem vor der Geographischen Gesellschaft in London 
am 7. Februar 1878 gehaltenen Vortrage: „After making marks in 
each others arms and exchanging blood, there was a treaty of peace 
as firm, I thought, as any treaty of peace made in Europe." 
Proceed. of the Roy. Geogr. Society, Vol. XXII, No. II, p. 151. 

♦* Budenz findet in seiner Kritik meiner türk.-magyarischen Gleich- 
nisse diese Analogie nicht statthaft und motivirt seine Ansicht da- 



253 

Untergänge des heidniseben Glaubens ist diese alttura- 
niscbe Art des Schworens aucb abbanden gekommen, 
doch eine andere mit ihr verwandte Sitte, nämlich das 
dldomds = gemeinsamer Trank bei Abschliessung eines 
Vertrages, beim Handel oder bei einem sonstigen üeber- 
einkommen, ist noch heute gang und gebe, ja es bedarf 
keiner besondern Anstrengung, in der Stammsilbe dieses 
magy. Wortes, nämlich in ald, zugleich das Stammwort 
für Segen, das turko-tat. älJc, and (vgl. §. 18), zu er- 
kennen. 

Als mit den Religionsansichten des turko -tatarischen 
Urmenschen in Zusammenhang stehend müssen wir noch 
des Wahnsinnes erwähnen, und zwar ist dies nicht dem 
moslimisch - arabischen Cultureinflusse zuzuschreiben, son- 
dern jener genuinen Auffassung, die auch andern asiati- 
schen Volkern eigen ist. Das türk.-tat. JcuturmaJc = wahn- 
sinnig werden, stammt von A;«^ = Seele, Geist, sehliesst 
folglich die Anspielung auf einen durchgeistigten beseelten 
Zustand in sich, wie wir dies auch ausgedrückt finden 
im arab. memun = wahnsinnig (von £in = böser Geist) 
oder im pers. diwane = wahnsinnig (von diw = Teufel), 
also ein von bösen Geistern Besessener. Im heutigen 
Sprachgebrauche bezieht sich Itutur, hitdur mehr auf den 



mit, dass im Türkischen nur and-icki gebraucht wird. Ein grtlnd- 
licher Philolog, wie Budenz, konnte doch einsehen, dass bei Com- 
posita oft das Hauptsubstantivum wegfällt, und dass sein mir ent- 
gegengesetzter Vergleich des magy. eskü = Schwur mit dem finn. käske 
= befehlen als nur bei den Haaren hergezogen noch weniger statt- 
haft ist. Vgl. Nyelvtudomanyi közlem6nyek S. 98. In Bezug auf das 
Wegfallen des Hauptwortes bei ähnlichen Composita möchte ich 
unter anderm auf das magy. aldomäa = Friedenstrank, Segenstrank, 
hindeuten, das im Grunde genommen nur Segen bedeutet und von 
dem das Wo.rt ital = Trank weggefallen ist. Vgl, kirg. kösüm « 
Schur , statt dün kösümü = Wollschur u. s. w. 



254 

tollen Zustand der Thiere und auf gewisse, eben dem 
bösen Geiste zugeschriebene Krankheiten, wie Krätze und 
andere bösartige Ausschläge, als wenn dergleichen Uebel 
sozusagen von dem im Menschen wohnenden bösen Geist 
erzeugt worden wären; doch findet sich Ä«^wr, kuduz auch 
in Bezug auf Menschen angewendet. Vgl. turkom. huduß 
= der Bettelmonch, der wandernde Derwisch, der Diwane 
der Perser, dessen von überspannter Religionsbegeisterung 
hervorgerufener Zustand der Ekstase und der Schwärmerei 
für identisch mit. Wahnsinn, Bewusstlosigkeit seiner irdi- 
schen Existenz gehalten wird. So wie Icut = Geist, Seele, 
Leben dem Worte für Wahnsinn zu Grunde liegt, ebenso 
bildet es das Stammwort des Ausdruckes für Glück, 
Glückseligkeit (vgl. kut ^= Glück, ktitluk= selig); es lässt 
sich daher auch der Zusammenhang erklären, der nach 
echt orientalischer Auffassung zwischen Wahnsinn und 
dem Zustand geistiger Seligkeit besteht und der, wie 
schon erwähnt, kein Ausfluss moslimischer Denkungs* 
weise, sondern, wie der sprachliche Beweis im Türki- 
schen uns zeigt, im Geiste der Turko- Tataren ebenso 
entstanden ist, wie bei den Iraniern und Semiten. 

Wenn wir nun zum Schlüsse dieses Aufsatzes unsere 
Betrachtungen über die frühern Glaubenszustände der 
Turko -Tataren, soweit selbe aus der Sprache ersichtlich 
werden, resumiren, so wird sich aus denselben ergeben, 
dass unter den von den Ethnologen angenommenen Sta- 
dien der Religionsbildung der Fetischismus sich wol 
wenig nachweisen lässt, vom Totemismus jedoch noch 
untrügliche Zeichen vorhanden sind. 



255 



XX. 

Sittliche und abstracto Begriffe. 

Es ist bekanntermaassen von Geiger und von andern 
zur Genüge bewiesen worden, dass die Begriffe sittlicher 
Eigenschaflen in den meisten Sprachen schon fertig auf- 
treten und, wenn analysirt, als physische Eigenschaften, 
als bildliche Darstellung materieller Grundworter erschei- 
nen. Bei dem in vielen Fällen bis zur Unkenntlichkeit 
abgenutzten Sprachstoffe der arischen und auch der semi- 
tischen Mundarten ist die Erörterung dieses Verhältnisses, 
beziehentlich die Zurückführung des geistigen Sinnes auf 
seinen physischen Ursprung selbstverständlich viel schwe- 
rer, und die zu Tage geforderten Resultate müssen dem- 
zufolge einem grossem und begründetem Zweifel unter- 
liegen, als dies auf dem gleichen Forschungsgebiete der 
ural-altaischen, speciell der turko- tatarischen Sprachen 
der Fall sein kann. Wir haben hier noch ausserdem den 
grossen Vortheil zur Seite, zu erkennen, in welcher 
Weise der Ideengang des primitiven turko -tatarischen 
Menschen sich von dem seines arischen Nachbars unter- 
scheidet. Die Entwickelung der menschlichen Sprache 
und der Vernunft hat überall die von der umgebenden 
Natur und von äussern Einflüssen bedingten Phasen 
durchgemacht; und so wie beim Arier infolge eines längern 
Culturlebens und einer früher stattgefundenen Trennung, 
nicht minder aber wegen der grossem räumlichen Ver- 
schiedenheit der einzelnen Mitglieder des gesammten Ur- 
volkes, die Gebilde des menschlichen Sinnes heute schon 
in einer mehr künstlerischen, vollendeten Form auftreten, 
ebenso hat bei den Turaniern, die noch im Kindesalter 
ihres Culturlebens sich befinden, ausserdem aber bisjetzt 



256 

in merklicher Abgeschlossenheit sich erhielten, die Sprache 
und die Vernunft in gleicher Weise das Kleid der unge- 
schminkten Einfachheit und der Schlichtheit besser be- 
wahren können ; krystallrein und durchsichtig wie die 
Sprache selbst geblieben, ebenso einfach und ungezwungen 
erscheinen die durch dieselbe geschaffenen Metaphern und 
Umschreibungen. 

Fangen wir einmal bei den ganz gewohnlichen ästhe- 
tischen Begriffen an und sehen wir wie die Begriffe sehön 
oder unschLÖn ausgedrückt worden sind. Ersterm (uig. 
hörk^ JcörüJc; cag. Mregen; az. görceJc; osm. görükU, güzeV) 
liegt die Stammsilbe Äör, gor = sehen zu Grunde. Unter 
schön versteht man daher ansehnlich, sehenswerth, und 
dem gleichen Ideengang begegnet man in einem im ost- 
lichen Sprachgebiete gebrauchten Worte, nämlich dem 
cag. jaksiy az. jachsi, kirg. jalcsi, das der Stammsilbe jak 
= schmecken, behagen, Wohlsein, entsprungen ist und 
eigentlich als angenehm, behaglich, geziemend (vgl. osm. 
jaklslk = passend) aufzufassen ist. Begrifflich verwandt 
sind auch die betreffenden Worte in den arischen Spra- 
chen, wo z. B. pers. chob schon und gut, slaw. Tcrasni 
roth und schön bedeutet. 

Wenn also schön seinem Wortwerthe nach behaglich, 
genehm, passend und ansehnlich bedeutet, so sollte man 
doch annehmen, dass unschön oder hässlich durch unan- 
sehnlich, des Sehens unwürdig ausgedrückt worden sei. 
Dies ist jedoch nicht der Fall. Die turko -tatarischen 
Sprachen haben für diese Eigenschaftsbezeichnung gar kein 
specielles Wort, denn das hierfür gebrauchte 6ag. pis^ 
alt. pijar und osm. cirJcin hat die Grundbedeutung von 
schmuzig, unflätig, unrein, der Gegensatz von ari, arik 
= rein. 

Schon mit etwas mehr Klarheit und Consequenz er- 
scheinen die Begriffe von gut und nngut oder schleeht^ 



257 

wo aus den Derivaten einer und derselben Stammsilbe ein 
interessanter Zusammenhang der auf Tugend und Laster 
bezüglichen verwandten Begriffe zum Vorschein kommt. 
Wie aus §. 3 unsers „Etymologischen Wörterbuches" er- 
sichtlich, repräsentirt die Stammsilbe aj mit den ihr laut- 
lich verwandten Formen den Inbegriff von gut, schon, 
fromm, edel, gesund u. s. w., ja eine ganze Fülle von Be- 
griffsanalogien. Dieses aj — denn ich halte das auslau- 
tende j für eine verhältnissmässig primitive Lautform — 
reiht sich aber zunächst an die noch ältere Form ah =^ 
weiss, klar, offen, hell, und wir gelangen hiermit zu 
dem natürlichen Schlüsse, dass gut, fromm, edel, schon 
u. s. w. ebenso sehr dem Grundgedanken offen, klar und 
hell entlehnt worden, als im entgegengesetzten Sinne das 
Verborgene, Geschlossene, Beschmuzte und Dunkle den 
Concretismus des abstracten unschön, ungut, imedel ge- 
geben hat. Um dies anschaulicher zu machen, haben wir 
nur das uig. ethü, öag. ejkü, osm. ejü, eji = gut ^ schon; 
jak. a;V = Gottheit, Schöpfung, Schopfer; uig. a;?* = Tu- 
gend vorzuführen, und denselben die Juxtaopposita pi$ 
= unschön ( eigen tl. dunkel, grau), cirhin = garstig 
(eigentl. befleckt) und Tcötü = schlecht (eigentl. dicht, 
dunkel) gegenüberzustellen. Rein, offen, klar ist daher 
der concrete Begriff, aus dem das abstracte tugendhaft, 
\ gut, schon und deren Gegensätze entstanden, wie dies 

I im Uigurischen noch am anschaulichsten wird, wenn wir 

9 

ar-sik = edel, fromm, gut und das frühere aj-i = Tugend 
dem uig. a-5z>, aj-sü = unedel, lasterhaft, schlecht gegen- 
überstellen. 

Es wäre allerdings eine lohnenswerthe Arbeit, den 

; ganzen Wortschatz, der auf die sittlichen und abstracten 

Begriffe Bezug hat, vorzuführen, um jenes interessante 

I Verhältniss zur Veranschaulichung zu bringen, welches 

zwischen der Grundlage des physischen Begriffes und der 

V&mb^ry, Cultar. I7 



i 



258 

demselben entsprungenen geistigen Abstraction besteht. 
Dies ist natürlich im engen Rahmen unserer Arbeit und 
angesichts des vorgesteckten Zieles unthunlich, und wir 
müssen uns daher mit solchen Beispielen begnügen, die 
bei der Erörterung der Entwickelungsgeschichte der Cultur 
nicht übergangen werden können. 

Tapfer und feig. Tapfer wird in den meisten Fällen 
für identisch angesehen mit beherzt, beseelt, daher ist 
auch als meist verbreitet die Umschreibung dieses Be- 
griffes mit könüllüJc, gönüllü, von Jcöngül, gönül = Herz, 
anzutreffen. Nun muss aber bemerkt werden, dass Jcöngül 
selbst keinesfalls für ein concretes Substantivum, etwa als 
ein Korpertheil, d. h. als Blutgefäss, sondern schon als 
ein abstracter Begriff, nämlich als Feuer, Eifer, Begei- 
sterung (vgl. §. 116) zu nehmen, weshalb tapfer hier nur 
im Sinne von begeistert, beseelt, aufzufassen ist. Gleich 
abstracten Ursprunges ist auch das nicht minder verbrei- 
tete batir^ hatur, irrthümlich vom pers. bahadur abgeleitet, 
das von hat = hoch, erhaben (vgl. §. 205) abstammt und 
begrifflich an das synonyme ulipy älp = tapfer sich an- 
reiht, AI sowol als bat, beziehentlich baj^ repräsentiren 
den Inbegriff von hoch, erhaben, ausgezeichnet, und 
müssen eher als der Name eines Titels angesehen werden, 
durch welchen der infolge physischer Tapferkeit über 
Seinesgleichen Hervorragende beehrt worden ist. Diesem 
nähert sich auch einigermaassen das für tapfer gebrauchte 
cicen, cecen, das seiner Grundbedeutung nach zierlich, 
süss, schön, klug bedeutet (vgl. §. 171) und eine Art 
Liebkosungs- oder Zärtlichkeitswort ist, das dem im 
Volke geliebten und geschätzten Helden ertheilt wurde; 
ebenso wie das dem Mongolischen entlehnte kirg. alt. 
mergen, merken, das in den türkischen Sprachen für guter 
Schütze, tapfer, gebraucht ist, ursprünglich aber merge = 
weiss, kunstvoll, meisterhaft (Schmidt, S. 215 b) bedeutet. 



259 

Nur bei den Nomaden, namentlich bei den Altaiern und 
Tiirkomanen existirt für tapfer ein Wort von entschieden 
concreter Grundlage, nämlich dlgir oder algur, von al= 
nehmen, folglich Einer, der etwas nehmen, erwischen, er- 
greifen kann. Algir Jcisi=der tapfere Mann, müsste eigent- 
lick mit liomo rapax übersetzt werden, und der ganz pri- 
mitive Begriff der Tapferkeit ist auch nicht im Sinne einer 
Gegenwehr, sondern des Angreifens oder Anprallens aus- 
gedrückt. Von der Identität der Begriffe Tapferkeit, 
Stärke und Männlichkeit haben wir schon früher ge- 
sprochen. 

In Bezug auf den Gegensatz von tapfer, nämlich feig, 
müssen wir allerdings in erster Reihe gönülsii^=herz\os^ 
muthlos, verzeichnen, doch gibt es noch eine, ich mochte 
sagen ursprünglichere Bezeichnung in dem Worte bos, cag. 
bosang = {eig^ leer, lose, locker, jemand dessen Inneres von 
Eifer, Feuer und Muth leer ist; so auch in der bildlichen 
Bezeichnung von jumsak^ alt. jimijak, eigentl. weich, 
morsch, zusammengedrückt. Vgl. dtsch. feig und weich, 
slaw. mjagTci = weich und feig. Am urwüchsigsten ist aber 
dieser Begriff ausgedrückt in der Umschreibung dal taban 
= barfuss, nacktfuss, ein Ideengang, der in Verbindung 
mit dem osm. jajan, <5ag. jajdk, uig. jatdk = zu Fuss, uns 
jene einem eminenten Reitervolke charakteristische Auf- 
fassung zeigt, nach welcher der hoch zu Ross Sitzende in 
gleichem Maasse die Macht, Kraft und den Muth reprä- 
sentirt, wie der zu Fuss Einhergehende mit Armuth, 
Schwäche und Muthlosigkeit identificirt wird. Diese spe- 
ciell turanische Anschauung finden wir im osm. seti antii 
janinda jajan kälirsin=^ du stehst weit unter ihm, wörtl. 
du bleibst zu Fuss neben ihm, und im gegenseitigen Ver- 
hältnisse des magy. galog==zi\ Fuss und gr?/aZa^= schmähen, 
verachten. Die dem Begriffe Tapferkeit zu Grunde lie- 
gende Auffassung des geistigen und körperlichen Vorzuges 

17* 



260 

tritt um so starker hervor, wenn wir die Wörter für Di6b 
und Bäuber näh^r ins Auge zu fassen und dieselben in 
ihrem etymologischen Werthe vorstellen. Dieb, cag. ogri, 
osm, ouri, alt. uurci^ heisst der Grundbedeutung nach der 
Verheimlicher, der im Stillen oder Verborgenen Handelnde 
(vgl. §. 98); ebenso auch Äiaraia = Räuber, eigentl. der 
Späher, Forscher, von karakmah, karamak= sehen ^ nach- 
spüren. Es wird hierbei ersichtlich, dass beide ursprüng- 
lich als der eigentlichen Tapferkeit entbehrend im Lichte 
der Feigheit und des Unedeln, ohne jenen Nimbus des 
Heroenthums dargestellt sind, dessen sich diese Berufs- 
niänner unter den heutigen Nomaden erfreuen. 

Mit tapfer und feig hängen begrifflich zusammen die 
Eigenschaftsworter grausam und mild^ insofern ersteres 
vom Standpunkte eines wildkriegerischen rauhen Volks- 
geistes ebenso wenig als ein Laster wie letzteres als eine 
Tugend dargestellt ist. Grausam ist in der Mehrzahl der 
Mundarten mittels kati oder katik, eigentl. hart, streng, 
ausgedrückt und bedeutet folglich einen Menschen, dessen 
Gefühle steinern, durch einen von aussen her geübten Ein- 
fluss nicht erweicht werden können. Diese Auffassung 
bringt den fraglichen Begriff an Standhaftigkeit, Festig- 
keit und Unerschütterlichkeit, und demzufolge an Tapfer- 
keit nahe, und in der That finden wir im Osmanischen 
für grausam das Wort jaujif^ javuz^ der etymologischen 
Bedeutung nach kriegerisch, tapfer (vgl.^aw §. 119). Wenn 
Grausamkeit durch Härte, so. ist selbstverständlich die 
Milde symbolisirt dqrch weich, morsch, und ebenso wie 
ersteres begrifflich mit tapfer, so ist letzteres mit feig ana- 
log, und wird demnach in diesem Sinne, wenngleich nicht 
als entschiedenes Laster, doch als geistiger Fehler oder als 
Gebrechen hingestellt. Als Synonym mit ytem^6^= weich und 
mild figurirt noch das cag. ^«t;a5=sachte, leise,. langsam, alt. 
jobus pai=^e\ii friedliches, sanftes Haupt, indem die Stamm- 



261 

silbe der beiden jorn, jov, Job, jog^ den Inbegriff von mürb, 
weich, zusammengedrückt, enthält und im weitern Sinne 
als bescheiden dem Eigenschaftsworte stolz^ hochfahrend 
gegenübersteht. 

Auf dem westlichen Sprachgebiete hat der fremde mos^ 
limische Cultureinfluss hierfür ein Lehnwort geschaffen , 
nämlich das arabische magrur oder fodhtil, doch im Osten 
und in den altern Sprachmonumenten finden wir das ge- 
nuin türk., uig. Mvee, Jcevea, 6ag. kövek, Jcevek = hohl^ auf- 
geblasen, womit eigentlich auf die den Stolz bekundende, 
hoch getragene, vorgestreckte Brust hingedeutet wird, als 
wenn der Mensch im Gefühle des Stolzes und des Gross- 
thuns die Brust, an und für sich als hohler Körper dar- 
gestellt (S. 71. n.), aufblasen würde. Aus diesem etymolo- 
gischen Sachverhalt ist der ethische Zusammenhang zwi- 
schen stolz, aufgeblasen, leer, eitel xmd nichtig zu erkennen, 
denn diese Eigenschaftsworter sind in den türkischen 
Mundarten (vgl. §. 71) homogenen Ursprunges und ver- 
leihen durch diese philosophische Ideenrichtung dem Geiste 
der Wortbildung einen Glanz, wie er nur selten anzutref- 
fen ist. In Uebereinstimmuog mit diesem Ideengange 
stehen auch andere Benennungen für stolz und eitel; das 
alt. ülu küündü (grosser Eifer), ulu sagistu (von grossen 
Gedanken) und das cag., osm. kurmak, kurunmak=^ sich 
posiren, sich aufziehen, aufrichten, denen als naturgemässer 
Gegensatz die Handlung des Herablassens als Grundge- 
danke für bescheiden gegenübersteht. So alcak köniillü 
= niedern Eifers oder Herzens, oder das uig. köngül alkit- 
mak = d3LS Herz oder den Eifer erniedrigen, von der Stamm- 
silbe aZ = unten, nieder. 

Verfolgen wir nun das Entstehungsbild dieser ethischen 
Begriffe weiter, so werden wir finden, dass die Mehrzahl 
derselben, soweit sie auf den Menschen sich beziehen, mit 
demjenigen Theile des menschlichen Körpers in engen Zu- 



262 

sammenhang gebracht sind, von dem sie als ausfliessend 
dargestellt oder welchem sie als specielle Function zuge- 
schrieben worden sind. 

So werden z. B. Freude und Eummer theils als Er- 
weiterung, theils als Beengung oder Beklemmung des Bu- 
sens oder Herzens dargestellt. Das ursprünglichste Wort 
für Freude ist entschieden das alt. Jcüün, cag. Jcönül, im 
heutigen Sprachgebrauche Herz, Lust, Begier, Verlangen ; 
im kondomischen Dialekt findet sich noch MJ-Zem'=Liebe, 
dem bekanntermaassen die Stammsilbe M^*=brennen (vgl. 
§. 116) zu Grunde liegt. Nun hat sich aber aus diesem 
abstracten Worte das concrete Herz gebildet, und dort 
wo Freude mit Icönül ausgedrückt wird, findet immer 
eine Umschreibung mit weit öder offen statt. So Jcönü- 
lüm acildi = ich bin erfreut, mein Herz hat sich geöffnet, 
oder uig. Jcöngül JcengliJci^= Freude^ Herzens weite. Prägnan- 
ter ist diese Ideenrichtung im uig. JcüvenmeJc, cag., osm. 
güvenmeh= sich freuen, eigentl. sich hohl oder weit machen, 
wodurch Freude und Stolz als identische Begriffe erschei- 
nen, wie sie es nach der ethischen Auffassung des primi- 
tiven Menschen in der That auch sind, ebenso wie wir 
dies anderseitig z. B. im arabischen ^^ wahrnehmen, 
dessen Bedeutung weit, selig, geräumig und glücklich ist, 
oder in der arabischen Redensart mebstit dl kalb = freudig, 
d. h. erweiterten Herzens. Es liegt übrigens in der Na- 
tur der Orientalen im allgemeinen und der an die weite 
Steppenheimat gewohnten Turko -Tataren im besondern, 
dass die Begriffe Freude, Wohlbehagen, Geräumigkeit und 
Bequemlichkeit identisch sind. Ein grosser Raum, die 
freie Bewegung, Freiheitsgefühl und Freude sind eng 
miteinander verwandt, daher die unbegrenzte Liebe des 
Türken zur Räumlichkeit, das in dem Sprich worte culmi- 
nirt: „Tar jerde jemeh jemeJcden 'se hol jerde dajdk jcmcsi 
jejdir^', d. h. statt im engen Räume Speisen zu bekommen. 



263 

ist es besser im weiten Räume Prügel zu bekommen. Eng, 
zusammengedrückt, dicht und hart sind daher die Grund- 
begriffe für ünbehaglichkeit, Unfreude, Kummer, Sorge, 
Elend und Beklemmung, was am besten einleuchten wird, 
wenn wir §. 87 unsers „Etymologischen Wörterbuches" 
durchsehen, namentlich die auf jene Gefühlsausdrücke Be- 
zug habenden Worte nebeneiqanderstellen. So uig. hatih 
= hart — toÄw = Sorge, Kummer; cag. Äc>;w = dicht, fest 
— Äa^^« = Sorge, Kummer; uig. Ä;i5 = eng — cag. hiskar- 
waA = zürnen; osm. dar = eng — dargrm = zornig, beengten 
Herzens u. s. w. Vgl. arab. c?ÄaiÄ;-wZ-Ä;a76 = Beengung 
des Herzens, d. h. Zorn, Kummer, Aerger. 

Die Räumlichkeitsverhältnisse finden wir noch ton- 
angebend in den Begriffen freigebig und geizig^ indem 
ersteres durch acih-elik oder Ä:ew^-eKÄ= weite oder offene 
Hand, letzteres durch tar-elik oder 5«Ä-eKÄ; = enghändig 
ausgedrückt ist. Für Geiz, geizig ist überdies noch ein 
mit letzterm verwandtes selbständiges Wort vorhanden, 
nämlich das osttürkische sok, der Inbegriff von Dichtheit 
Enge und Gebundenheit oder Gedrücktheit; es bezieht 
sich dies aber nicht nur auf die Hand, sondern auch auf 
das Auge, indem 50Ä;wr=blind (gebundenen Blickes, des- 
sen Gegensatz aeih Ä;ö^ = offenes Auge) und das uig. süh 
=taub (gebundenen Ohres) von den genannten Stamm- 
silben abstammen. Hierher gehört auch das in der Ver- 
balform bekannte 5oZ;-ZamaÄ = geizig sein, beneiden, wörtl. 
eng, d. h. engherzig sein. 

Lüge und Wahrheit. Wir stellen diese beiden Be- 
griffe nebeneinander, obwol sonderbarerweise die hierauf 
bezuglichen speciellen Ausdrücke weder lautlich noch be- 
grifflich in irgendeinem Verhältnisse zueinander stehen, 
d. h. sie können in etymologischer Hinsicht nicht als Ge- 
gensätze aufgefasst werden. Wahr ist theils synonym mit 
gerade (vgl, dogru = gerade und wahr), theils auch mit 



264 

eben, glatt (vgl. aw=währ, getreu mit ^cw=eben, glatt und 
cen=£benm.aass, Proportion), Wenn daher wahr als der 
abstracte Begriff der Glätte, Ebenheit, auf welcher der 
menschliche Sinn ohne aufgehalten zu werden oder be- 
irrt zu sein, aufgefasst wird, sollte man doch annehmen, 
dass der Begriff Lüge und Falschheit der diametral ge- 
genüberstehenden Sinnesrichtung entsprungen sei. Dies ist 
jedoch nicht der Fall, denn die Worter für Lug und Trug be- 
ruhen auf einem ganz andern Ideengange. Das zumeist ge- 
bräuchlioheyaZ^a» oder jaZa«=falsch, unwahr, istderStamm- 
silbe ^*aZ= glänzen, scheinen, glatt oder leer sein, entsprun- 
gen; der Grundgedanke des Wortes ist daher: das nur dem 
Anscheine nach aber nicht in der Wirklichkeit Existirende. 
Mit diesem jal scheint mir auch im Gegensatze zu meiner 
frühern Behauptung (S. 13 meines „Etymologischen Wör- 
terbuches") aZ= Trug, List und aZäamaA; = täuschen ver- 
wandt zu sein, Trug und Täuschung sind nicht nur eine 
bildliche Darstellung des Glänzenden, sondern richtiger 
gesägt des Kahlen, Nackten und Nichtigen (vgl. deutsch 
nackt und nicht mit dem engl, nought), und aus diesem 
Grunde wird uns auch ; das gegenseitige Verhältniss er- 
klärlich des turko-tat. ^'oÄ = nicht, nichtig, zujoj-an, juj-an 
= lügnerisch, betrügerisch, falsch, und zu iö^f-i = Lüge, 
Verleumdung, kirg. ioÄ-maÄ= verleumden, jak. suok = nicht 
vorhanden, 

8cliand6 und Ehre sind ebenfalls Begriffe ohne jeg- 
lichen etymologischen Zusammenhang. Ehre beruht ent- 
weder auf dem physischen Begriff der Höhe und Erhaben- 
heit, daher cag. oZcamaÄ = verehren, achten, von öZ = hoch, 
gross, jak. alga = segnen ^ verherrlichen, oder auf dem 
Grundbegriff der Schwere, des Gewichtes und des Wer- 
thes itn allgemeinen, wie wir dies im gegenseitigen Ver- 
hältnisse finden zwischen akir = schwer und akirlamaJc = 
achten, ehren. Schwere, Gewichtigkeit oder dessen Syno- 



265 

nyine Langsamkeit und Saumseligkeit, zwei lautlich und 
begrifflich verwandte Eigenschaften — denn akir heisst 
schwer und langsam zugleich — zieren den Menschen 
nach echt türkischer Anschauung und nach uralten ethi- 
schen Principien ebenso sehr, als das Leichte, Hastige 
und Voreilige im Handeln und Denken ihn nur entehren 
und seinen moralischen Werth herabsetzen wurden. Wäh- 
rend es bei uns in Europa gewiss nur Wenige gibt, die 
im Epitheton Klotz, klotzartig etwas Schmeichelhaftes fin- 
den würden, ist bei den Turko^Tataren im etymologischen 
Sinne des Wortes gerade das Entgegengesetzte der Fall^ 
denn alt. Jcund heisst plump, dick, cag. künde = Klotz, jak. 
Jcündü=vf erthyoU^ in Ehren gehalten, alt. kündüle =^sichteuy 
und csLg.Jcönlemek = ehren; wie auch ausdem Juxtaoppositum 
jöng, jeng = leichi^ gering, das Verbum jengmek =^hesiegenj 
herunterbringen, erniedrigen, entstanden ist. In Bezug auf 
den Begriff Schande, Schmach und Unehre nähert sich 
der turko- tatarische Ideengang demjenigen, der in den 
betreffenden arisch-europäischen Worten zum Ausdruck ge- 
langt. Schon Geiger hat (S. 182) auf das Verhältniss 
aufmerksam gemacht, das zwischen dem deutschen lästern 
= schimpfen und lästern = zerfleischen, zerfetzen (nach Ade- 
lung), dem schwed! sJcämma = verderben und sJcämma ut= 
beschämen besteht, indem er mit Recht darauf hingewie- 
sen, dass die Begriffe Laster, Schande, Schimpf vom 
Körperlichen ausgehend eigentlich eine Verletzung^ des 
Korpers und der Haut bedeuten. In dem von uns be- 
handelten Sprachkreise tritt dieses Verhältniss noch klarer 
hervor, wenn wir unter andern das Verbum inc-itmek = 
beleidigen mit inc-mek oder Jenc-tweÄ = quetschen, zer- 
stossen, beschädigen vergleichen. Noch prägnanter tritt 
dieses Verhältniss hervor bei einem Vergleiche zwischen 
sög-mek, ^öjfc-w^ifc = schimpfen, lästern (sök-üs, söj'üs=^ 
Schimpf, Fluch) und sökmek = niederreissen^ zu Grunde 



266 

richten, ausreissen; hier wird es ganz evident, dass die 
moralische Erniedrigung von der physischen gleichartigen 
. Handlungsweise ausgegangen, wie wir dies nicht minder 
klar im gegenseitigen Yerhältniss zwischen dem deutschen 
schänden und schinden beobachten. Weiter jedoch kann 
die Congruenz mit den germanischen Sprachen nicht fort- 
geführt werden, denn das Verbum sich schämen, oder 
Scham beruht schon auf einem andern Ideengang. Das 
turko-tat. uj-at, oj-a^ = Scham , woraus das Verbum uj-aV- 
mak, uj-anmak und otanmak = sich schämen entstanden, be- 
ruht eigentlich auf dem concreten Begriff des Sichver- 
steckens, Sichzuruckziehens, und ist verwandt mit dem alt. 
oj'lo = entfliehen, sich zurückziehen, und oj-t-to = zurück. 
Scham ist daher nach der Auffassung des turko-tatarischen 
Urmenschen identisch mit dem Begriffe sich verstecken, 
sich zurückziehen, und der in den europäisch-arischen Spra- 
chen geläufige Ausdruck vor Scham erröthen oder die 
Schamrothe muss dem Geiste der turko-tatarischen Spra- 
chen auch schon deshalb fern sein, weil hier roth mehr 
zur Symbolisirung des Eifers und Feuers, des Zornes und 
der Erregtheit gebraucht wird. 

Wir müssen daher aus diesem Grunde Zorn^ Elfer und 
Neid unter ein und dieselbe Rubrik stellen, und in der 
That sind die betreffenden Worte in den türkischen Mund- 
arten theils der Stammsilbe Äw/ = brennen, zünden (vgl. 
§. 116), theils der Stammsilbe Ä«> = Glut, Feuer, Wärme 
(vgl. §• 93) entsprungen. So alt. Mww = Eifer, Gier, cag. 
iwMC = neidisch, osm. künü = ^eid; ferner cag. huganc=^ 
Neid, ÄtjarmaÄ = zürnen, osm. Ä&dirwaÄ; = erzürnen- u. s. w. 
Es ist allerdings charakteristisch, dass während wir den 
Gesichtsausdruck des Neides als blass, gelb und bleich 
bezeichnen, der Türke einer verschieden psychologischen 
Auffassung folgend, hier die Rothe, d. h. die Farbe des 
Feuers als bezeichnendes Merkmal aufstellt. Und dennoch 



267 

scheint er logisch, soweit die GemüthsstimmuDg des Men- 
schen in verschiedenen Zonen voneinander abweicht, Recht 
zu haben. Nach seiner Beurtheilung ist der Neid, als 
Gegensatz der kalten Gleichgültigkeit und des blassen In- 
differentismus, eine Erwärmung, eine durch innere Bewe- 
gung der Leidenschaften erzeugte Erglühung des mensch- 
lichen Gemüthes, die im Seelenspiegel , also im Gesicht, 
nicht in Blässe oder Bleiche, sondern in der mit dem Feuer 
analogen Farbe, d. h. mit roth reflectiren muss. Nur wo 
das innere Feuer erlischt, wo der Eifer schwindet, d. i, 
im Zustande der Furcht und des Schreckens^ lässt auch 
der Geist der türkischen Sprachen den Menschen erblas- 
sen oder erbleichen, wie wir dies wahrnehmen in der Re- 
densart iengzi oder mengzi uctu = er ist vor Schrecken er- 
blasst, wortl. seine Gesichtsfarbe ist ausgelöscht 
oder verschwunden. 

In Bezug auf die Galle stimmt der turanische Ideen- 
gang mit dem der andern Sprachen überein, da hiermit 
der Begriff Zorn identisch (vgl. §. 56) ist, wobei aber der 
Umstand hervorgehoben werden muss, dass öd, öY = Galle 
nur als abstractes Wort des concreten o^ = Feuer figurirt, 
wie dies ersichtlich ist aus dem lautlichen üebergang iy, 
uig. c>;-^c = Brunst (vgl. deutsch brennen mit Brunst). 
Schliesslich wollen wir noch zwei auf den Begriff Zorn 
bezügliche Worter anführen, nämlich das uig. bosmak=:^ 
zürnen, böse sein, von 605 ^15 = kochen, sieden, und das 
osm. JcaJcim = Zorn, von Jcah = dürr. 

Glanhe und Hoffhung sind identische Begriffe, welche 
auf den verschiedenen Theilen des Sprachgebietes abwech- 
selnd füreinander gebraucht werden; vgl. alt. «^ew = hof- 
fen, cag. isan = glauben, jak. itägäi = glauben u. s. w. Es 
gibt aber ausserdem noch ein genau definirtes Wort für 
diesen Begriff, nämlich das osttürkische hüt^ püt=g\auheny 
eine' Abstraction vom physischen Begriff hüt^ &öf = fe8t, 



268 

gebunden, vereint. Glauben ist daher von dem concreten 
Sichanschliessen, Sichverbinden abgeleitet und erinnert an 
ein ähnliches Verhältniss in den arischen, namentlich in 
den lateinischen und litasla wischen Sprachen. Vgl. auch alt- 
hochdeutsch wära = Bündniss, russ. wjera = Glaube, Zu- 
versicht; goth. ^rawan = trauen und trausti = ^unduisa. 
Das speciell für Hoffnung gebrauchte cag. irim, was zu- 
gleich augurium bedeutet, stammt von lr-w«ei = sein, ge- 
schehen, eintreffen, und ist als Zufall, Wendung aufzufassen. 
King und dumm sind Begriffe, die in erster Reihe 
mit den Grundwörtern us und ok = Verstand, Sinn zu- 
sammenhängen und im negativen Sinne auf das Unver- 
mögen der geistigen Kraft hindeuten. Wenn ich nicht 
irre, liegt diesen beiden abstracten Begriffen das concreto 
graben, nachgraben, suchen, forschen zu Grunde, denn 
zu einem solchen Ergebnisse gelangen wir, wenn wir oh 
oder oj = Sinn, Gedanke mit oj = graben, und us, is = 
Verstand, Verständniss, mit «>, is = nachforschen ver- 
gleichen, und wir hätten daher ein Verhältniss vor uns, 
welches an das deutsche grubein, d. h. nachdenken, sin- 
nen erinnert. Beide türkischen Grundwörter unterscheiden 
sich heute nur insofern voneinander, dass ok das Ver- 
stehen, Begreifen ausdrückt und in diesem Sinne nur in 
dem ältesten Sprachdenkmale vorkommt, während die 
näcMste Variante oj den Inbegriff des Denkens in sich 
schliesst, us, es und is aber als fertiger Sinn, als Kunst 
und geistiges Vermögen auftritt Hinsichtlich der Stamm- 
silbe ^a^-^ay=: wähnen, beachten und zählen haben wir 
uns schon früher ausgesprochen (vgl. S. 114). Das Eigen- 
schaftswort dumm findet sich zumeist in einer umschrie- 
benen Form vor. So alt. aly, cag. äluk, eigentl. befangen, 
von al = nehmen, langen, tintek, tentek = tölpelhaft 
(mong. tenek = dumm), von tin = ruhen, erschlaffen ; osm. 
fcöw = Tölpel, von bim, »wem = altern, schwach werden- 



269 

Von dem Grund worte ok = Sinn, Verständniss, ist 
ausser dem Verbum okmak = verstehen, boren, aucb noch 
der allerdings weit später entstandene Begriff lesen = 
okumak abgeleitet. Diese Begriffsanalogie, dass nämlich 
lesen und verstehen als ganz identisch auftreten, kann 
uns nur dann vollauf einleuchten, wenn wir hervorheben, 
dass die Schrift anfänglich eine Ideographie, richtiger 
gesagt eine Bild Schneiderei oder Bildhauerei war, die 
vielleicht nicht so sehr in der Nachahmung lebendiger 
Wesen als im Eingraben oder Einritzen gewisser Zeichen 
sich manifestirte. Dieser Umstand erhellt am besten, 
wenn wir die im Türkischen für den Begriff schreiben 
existirenden Worter untersuchen. Wir finden hier näm- 
lich, dass von der Stammsilbe hit, bet, hie, bec in der 
Grundbedeutung von schneiden, einschneiden, die Worte 

uig. bicik = Schrift 

alt. piciJc = Schrift, Buch 

6ag. bitmek = schreiben, peceh = Zeichen, petek = Brief 

jak. bit = Anzeichen , bieik = Verzierung u. s. w. 
entsprungen sind, ebenso wie von der Stammsilbe jir^ 
sjir^ sür in der Grundbedeutung von ritzen, graben und 
zeichnen, die Worte 

alt. sür = zeichnen, schreiben 

CUV. sßr = zeichnen, schreiben (vgl. magy. ir = schreiben) 

k. k. sirben == Striche ziehen 

6ag. jaf'-lik = das Schreiben 

osm. jojg = schreiben u. s. w. 
entlehnt sind (vgl. §§. 159 und 217). Abgesehen daher 
von dem Ursprünge des griech. yg(X(fo und des lat. scrihOy 
sowie von dem gegenseitigen Verhältnisse zwischen dem 
griech. ypajji-fxa, deutsch grab-en und dem slaw. greb-at, 
wird es durch die gegebenen Beispiele ersichtlich, dass 
die Turko- Tataren das Schreiben, Graviren, Zeichnen 
für identische Begriffe hielten , und so wie aus dem 



270 

Buchenstab oder der Kerbe der alten Germanen der 
deutsche Buchstabe entstanden, ebenso figurirt das alt- 
türkische hetik^ hitik = Schnitzerei, Gravirung, heute als 
Schrift oder Geschriebenes. (Vgl. magy. hetü = Buch- 
stabe, allem Anzeichen nach dem Türkischen entlehnt, und 
zwar von hetik, betük = Schrift.) Dieser Umstand mag 
allein hinreichen, die Vermuthung aufzustellen, dass die 
turko-tatarischen Urmenschen sich nicht der Knotenzeichen 
(bei den alten Romanen Quipu oder Quippu oder bei den 
Chinesen Ho-tü und Lo-schu gienannt)* bedienten, um 
etwas der Vergessenheit zu entreissen, sondern gleich von 
Anfang an auf die Methode des Schreibens oder Gravi- 
rens kamen. 



* Vgl. Lubbock, S. 36. 



Wort- und Sachregister. 



(Die Zahlen beziehen >ioh auf die Seiten.) 



Abend 159. 
Aberglauben 249. 
Acker 102. 
Ackerbau 101. 
Ader 55. 
Adler 206. 
Airan 93. 
Alt 62. 232. 
Alter 61. 
Altmond 160. 
Anker 182. 
Ansässige 133. 
Antilope 204. 
Apfel 213. 
Armee 122. 
Arri^regarde 125. 
Asik 148. 
Augapfel 54. 
Auge 54. 
Augenlid 54. 
Augenwimper 54. 
Avantgarde 125. 
Axt 114. 117. 



Birne 214. 
Bitter 98. 
Blau 234. 
Blei 174. 
Blitz 168. 
Blume 223. 
Bogen 119. 
Bohrer 114. 
Boot 181. 
Bote 127. 
Boza 96. 
Braten 92. 
Braue 55. 
Braun 230. 
Braut 67. 
Bräutigam 67. 
Bronze 174. 
Brot 94. 
Bruder 65. 
Brust 55. 
Bucht 180. 
Busen 55. 
Butter 93. 



Bart 56. 
Bastaxd 72. 
Bauch 55. 
Baum 221. 
Baumwolle 220. 
Bär 201. 
Beinkleid 85. 
Berg 172. 
Bescheiden 261. 
Besiegt werden 125. 
Bett 79. 



Decke 82. 
Dichten 142. 
Dichtung 142. 
Dieb 260. 
Dolmetsch 127. 
Donner 168. 
Dörfer 76. 
Drache 148. 
Dreifuss 81. 
Dumm 268. 
Dunkelheit 159. 



272 



Ebene 171. 

Ehre 264. 

Ei 207. 208. 

Eifer 266. 

Eis 167. 228. 

Eisen 174. 

Ellenbogen 54. 

Ente 206. 

Erbse 215. 

Erde 169. 

Erste Morgenstunde 159. 

Esel 192. 

Essen 98. 

Eule 208. 



Fahne 138. 
Falke 206. 
Familie 64. 
Farbe 225. 
Fata Morgana 168. 
Faust 55. 
Feiertage 251. 
Feig 258. 

Feste Wohnung 75, 
Festtage 251. 
Festung 128. 
Feuer 165. 
Filz 82. 
Flachs 87. 
Fledermaus 208, 
Fleisch 91. 
Fliege 209. 
Floh 210. 
Fluss 178, 
Frau 60, 
Freien 67. 
Freigebig 263. 
Freude 262. 
Freund 77. 
Friede 122. 129. 
Frost 167. 
Frucht 91. 
Fuchs 203. 
Furcht 267. 
Fürstenwürde 135. 



Fuss 54. 
Fussbekleidung 85. 



Gans 206. 
Gast 78. 
Gaumen 54. 
Gebärmutter 55. 
Gefangene 125. 
Geige 145. 247. 
Geisel 127. 
Geizig 263. 
Gelb 233. 
Geld 108. 
Gerste 216. 
Gesandter 127. 
Geschlecht 133. 
Geschwister 66. 
Gesetz 139. 

Gewerbehandwerk 112. 
Gewicht 109. 
Giesskanne 81. 
Glaube 267. 
Gold 174. 209. 233. 
Gottheit 240. 
Granatapfel 214. 
Gras 213. 
Grau 227. 
Grausam 260. 
Grenze 103. 
Grosser Bär 154. 
Grün 213. 234. 
Gurke 218. 
Gürtel 86. 
Gut 256. 



Habicht 206. 

Hafen 180. 

Hafer 216. 

Hahn 207. 

Haloxylon Ammodendron 223. 

Hals 55. 

Hand 54. 

Handel 105. 

Handelsgesellschaft 106. 



273 



Handfläche 55. 
Handschuh 87. 
Hanf 87. 220. 
Haus 73. 
Hauwaffen 117. 
Heimat 74. 
Heirathen 66. 
Held 137. 
Hemd 85. 
Henne 207. 
Herbst 161. 
Himmel 150. 
Himmelsgegenden 159. 
Hirsch 204. 
Hirse 215. 
Hitze 166. 
Hobelmesser 114. 
Hochfahrend 261. 
Hochroth 228. 
Hochzeitsgabe 67. 
Hoden 55. 
Hoffnung 267. 
Hund 197. 
Hure 72. 
Hüfte 55. 
Hündin 199. 



Insel 180. 



Jagd 99. 
Jahr 163. 
Jogurt 93. 
Jung 62. 
Jungfer 62. 
Jüngling 62. 



Kalt 165. 
Kamel 191. 
Kanal 102. 
Katze 199. 
Kaufmann 106. 
Käfer 210. 
Käse 94. 

V&mbäry, ^ultur. 



Kehle 54. 
Kessel 80. 
Kimis 96. 
Kind 62. 
Kissen 80. 
Kiste 80. 
Klafter 109. 
Kleiden 83. 
Kleiner Bär 154. 
Klug 268. 
Knie 54. 
Knoblauch 220. 
Knopf 86. 
Kochen 92. 
Kopf 55. 

Kopfbedeckung 84. 
Kopfhaare 55. 
Köcher 120. 
Kok bürü 143. 203. 
Körper 53. 
Kram 107. 
Kranich 206. 
Krapp 220. 
Kreide 167. 176. 228. 
Krieg 121. 
Kriegserklärung 124. 
Kumulak 148. 
Kummer 262. 
Kupfer 174. 
Kurut 93. 
Kürbis 217. 



Lagerplatz 127. 
Landspitze 180. 
Lanze 118. 
Laus 210. 
Lazzo 120. 
Leben 57, 
Ledersack 81. 
Ledig 67. 
Leib 53. 
Lein 220. 
Leinwand 87. 
Leopard 203. 
Lesen 269. 



1« 



274 



Licht 158, 
Lied 143, 
Lippe 54. 
Löffel 81. 
Lösegeld 12T. 
Löwe 185. 204, 
Luft 165. 
Luzerne 220. 
Lüge ^63. 



Maass 109, 
Mandel 214. 
Mann 59. 
Marille 214. 
Markt 106. 
Maulbeere 214. 
Maulthier 194. 
Märchen 143. 
Meer 179. 
Melone 217. 
Mensch 51. 
Messer 114. 118. 
Milch 92. 
Milchstrasse 155. 
Mild 260. 
Mineralien 173. 
Mistkäfer 210. 
Mittag 159. 
Mohn 220. 
Mond 156. 160. 228. 
Mondfinstemiss 169. 
Moral 143. 
Morgen 159. 
Morgenröthe 159. 
Morgenstern 155. 
Mund 54. 

Musikinstrumente 145. 
Mutter 65. 
Mücke 209. 



Nadel 114.. 
Napf 81. 
Nase 54. 
Nation 121. ^31. 
Nähen 113. 
Nebel 165. 228. 
Neid 206. 
Neumond 160. 
Nichtansässige 133. 
Nomaden 133. 
J^ordstem 154. 174. 
Nuss 214. 



Oberwelt 149. 
Obst 91. 212. 
Ohr 54. 
Opfer 243. 



Panther 203. 
Panzer 121. 
Parole 130. 
. Pelejaden 155. 
Penis 55. 
Perle 89. 
Pfefferkorn 215. 
Pfeil 119. 120. 
Pferdezucht 188. 
Pfirsiche 214. 
Pflanzen 211. - 
Pflaume 213. 
Pflug 102. 
Pjlau 95. 
Plänkler 125. 
Podex 55. 
Poesie 141. 
Polster 80. 
Preis 107. 
Prophezeien 250. 



Nachbar 78. 
Nachen 181. 
Nachmittagsstunden 159. 
Nacken 55. 



Kahm 93. 
Rauch 165. 
Räuber 260. 
Regen 166. 



275 



Regenbogen 168. 
Reif 167. 
Reis 220. 
Religion 239. 
Richter 140. 
Rind 188. 
Rock 85. 
Roggen 216. 
Rohrpfeife 145. 
Roth 228. 
Rothbraun 230. 
Ruder 182. 



Sack 80. ' 
Sauer 98. 
Schaf 195. 
Schande 264. 
Scheide 118. 
Schenkel 55. 
Schere 114. • 
Schiesswaffen 119. 
Schiff 181. 
Schild 121. 
Schilf 223. 
Schlacht 122. 
Schlachtreihe 125. 
Schlange 210. 
Schlecht 256. 
Schleuder 119. 
Schmied 111. 

Schmuckgegenstände 88. 
Schnalle 86. 
Schneidewaffen 117. 
Schnurrbart 56. 
Schön 256. 
Schrecken 267. 
Schreiben 269. 
Schutzplatz 127. 
Schutzwaffen 120. 
Schwan 207. 
Schwanz 56. 
Schwarz 231. 
Schwefel 176. 
Schwein 199. 
Schwert 118. 



Schwester 65. 
Schwingkeule 117. 
Schwur 252. 
Segel 182. 
Sehne 120. 
Seide 88. 
Sesam 220. 
Siebengestirn 155. 
Siegel 138. 
Siegen 125. 
Silber 174. 228. 
Sittensprüche 143. 
Sklaverei 126. 
Skorpion 210. 
Sohle 55. 
Sommer 162. 
Sonne 156. 

Sonnenfinsteruiss 169. 
Spange 86. 
Spanne 110. 
Speer 118. 
Speise 91. 
Spenden 243. 
Spiel 146. 147. 
Spinne 210. 
Spinnen 88. 
Sprichwörter 65. 143. 
Stamm 133. 
Standplatz 127. 
Städte 76. 
Stein 171. 
Steppe 172. 
Sterben 58. 
Stern 153. 
Steuer 141. 
Stirn 55. 
Stoffe 87. 
Stolz 261. 
Storch 208. 
Sturm 167. 
Süss 97. 



Tageshelle 159. 
Tanz 146. 
Tapfer 258.