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Full text of "Handbuch der Gewerbe-Hygiene auf experimenteller Grundlage"

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HEALTH  SCIENCES  STANDARD 


HX64075060 
R  A787  Eu5  1 876    Handbuch  der  Gewerbe 


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THE  LIBRARIES 
5J       COLUMBIA  UNIVERS1TY 


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1 


HEALTH  SCIENCES 
LIBRARY 


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http://www.archive.org/details/handbuchdergewerOOeule 


HANDBUCH 


DER 


GEWERBE-HYGIENE 


EXPERIMENTELLER  GRUNDLAGE 


BEARBEITET 


D*  HERMANN  EULENBERG, 

GEH.  OBEE-MEDICINAL-  UND  VORTRAGENDEM   RATHE  IM  MINISTERIUM  DER  GEISTLICHEN, 
UNTERRICHTS  -  UND  MEDIC1NAL-ANGELEOENHEITEN. 


MIT  65  HOLZSCHNITTEN. 


BERLIN  1876. 

VERLAG  VON  AUGUST  HIRSCHWALD. 

68.  UNTER  DEN  LINDEN  NW. 


Das  Uebersetzungsrecht  -wird  vorbehalten. 


Vorwort, 


öchon  gleich  nach  Veröffentlichimg  meiner  „Lehre  von  den  schädlichen 
nnd  giftigen  Gasen"  (Brannschweig  bei  Vieweg  1865)  beabsichtigte  ich, 
in  gleicher  Weise  die  in  der  Industrie  auftretenden  Dämpfe  einer  Bearbeitung 
zu  unterwerfen.  Das  Material  sammelte  sich  aber  immer  mehr  an  und  eine 
Menge  anderer  Gesichtspunete  machte  sich  geltend,  so  dass  der  ursprüngliche 
Plan  nicht  mehr  festgehalten  werden  konnte.  Da  meine  frühere  amtliche 
Thätigkeit  als  Regierungs-Medicinalrath  in  Cöln  mir  vielfach  Gelegenheit 
bot,  bei  den  Concessionirungen  von  Fabriken  mich  eingehender  mit  den 
verschiedenen  Industriezweigen  und  ihrem  Einfluss  auf  die  Gesundheit  der 
Arbeiter  zu  beschäftigen,  so  wurde  allmählig  das  ganze  Gebiet  der  Industrie 
in  den  Kreis  meiner  hygienischen  Untersuchungen  gezogen.  Indem  ich  aus 
eigener  Anschauung  die  vielfachen  sanitären  Nachtheile  kennen  lernte  und 
meine  Erfahrungen  durch  Reisen  im  In-  und  Auslande  zu  vermehren  suchte, 
gewann  ich  eine  praktische  Grundlage,  auf  welcher  ich  'zur  Verfolgung 
meines  Ziels  weiter  vorzugehen  vermochte.  Dazu  kam  aber  vorzüglich  die 
Unterstützung  Seitens  des  Herrn  Dr.  Vohl  in  Cöln,  welcher  als  ein  in  der 
chemischen  Technologie  gründlich  bewanderter  Chemiker  mir  während  meines 
dortigen  Aufenthaltes  seine  reichen  Erfahrungen  auf  diesem  grossen  Gebiete 
zur  Verfügung  stellte  und  es  mir  ermöglichte,  meine  Arbeit  zur  Durch- 
führung zu  bringen.  Um  das  Ziel,  welches  mir  vorschwebte,  nur  annähernd 
zu  erreichen,  mussten  sich  Medicin  und  Chemie  einander  ergänzen,  denn 
ein  Arzt  vermag  ohne  den  Chemiker  kaum  den  Pfad  zu  entdecken,  welcher 
zur  eigentlichen  Quelle  der  gesundheitlichen  Schäden  führt,  während  der 
Chemiker  des  Arztes  bedarf,  um  die  Einwirkung  auf  den  menschlichen 
Organismus  hinreichend  zu  würdigen.  Auch  erforderten  viele  Körper,  welche 
auf  ihre  giftige  Wirkung  bisher  noch  nicht  untersucht  worden  sind,  Versuche 
an  Thieren;  es  kam  somit  auch  auf  die  Beurtheilung  des  pathologisch- 
anatomischen Befundes  an,  während  die  Darstellung  dieser  Körper  und  die 
Prüfung  auf  ihre  Reinheit  sowie  der  chemische  Nachweis  der  Gifte  in  den 
Leichen  wiederum  in  das  Sonder -Gebiet  der  Chemie  fiel.    Die  in  dieser 


IV 


Vorwort. 


Beziehung  gewonnenen  Resnltate  verdanke  ich  ebenfalls  Herrn  Dr.  Vohl. 
Auch  hatte  Herr  Dr.  Pinner  hieraelbst  die  Frenndlichkeit,  mir  häufig 
Beinen  Ruth  auf  dem  Gebiete  der  Chemie  zu  ertheilen. 

Die  Versuche  an  Thieren  erscheinen  nicht  im  Gewände  exact- 
physiologischer  Methoden,  denn  einestheils  war  die  Menge  der  zu  prüfenden 
Körper  zn  gross,  um  hier  aüen  Airforderungen  an  ein  physiologisches  Ex- 
periment zu  genügen,  anderenteils  verboten  mir  auch  der  Raum  und  die 
Mannigfaltigkeit  der  zu  besprechenden  Gegenstände,  tiefer  in  die  Toxikologie 
einzudringen;  bei  manchen  Körpern  inJsle  ich  mich  daher  mit  dem  Hin- 
weis auf  diebetreffende  Literatur  «.der  mit  der  einfachen  Thatsache:  giftig 
oder  nicht  giftig,  begnügen.  Letzteres  Ergebniss  dürft.-  übrigens  bei  den 
vielen,  noch  ungeprüften  Körpern  immerhin  seinen  Werth  behalten  und  zur 
■strengen]  Sonderung  der  ge&hrlichen  und  ungeföhrÄchen  Substanzen  in  der 
Industrie  beitrauen. 

Wie  gross  noch  das  Feld  der  Forschung  ist,  geht  aus  jeder  Seite 
dieses  Werkes  hervor,  und  welche  Bedeutung  dasselbe  für  den  Arzt  hat. 
zeigt  Bich  -.hon  bei  einem  flüchtigen  üeberblicke  der  vielen  difterenten 
Körper,  welche  in  den  Gewerben  zur  Einwirkung  gelangen:  ich  bestrebte 
mich  deshalb,  die  verschiedenen  Substanzen  vorzugsweise  in  der  Weise  zu 
prüfen,  in  welcher  sie  bei  den  Gewerben  auftreten,  nämlich  in  der  Dampf- 
und Staubförm.  Sieht  man  von  zufälligen  Ingestionen  ab,  so  sind  es  in 
erster  Linie  stets  die  Respirationswege,  von  denen  aus  die  vorkommenden 
Schädlichkeiten  ihre  Wirkung  entfalten.  Es  mussten  daher  für  die  Ver- 
suche analoge  Verhältnisse  geschaffen  werden,  wie  sie  sich  bei  den  Fabrik- 
arbeitern vorfinden.  Bei  den  Staubart  en  war  mir  dies  noch  nicht  in 
ausreichendem  Grade  möglich;  aber  andere  Forscher  haben  bereits  an- 
gefangen, auch  bei  diesen  den  Weg  des  Experimentes  zu  beschreiten,  ein 
Beweis,  wie  sieh  immer  mehr  das  Bedürfniss  herausstellt,  die  Hygiene  einer- 
Beits  dem  Dilettantismus,  andererseits  der  blossen  Emphyrie  zu  entziehen 
und  der  exaeten  Forschung  zu  unterwerfen. 

Insoweit  es  der  grosse  Umfang  des  zu  bearbeitenden  Gebietes  ge- 
stattete, habe  ich  jenem  Bedürfniss  thunlichst  Rechnung  getragen  und 
glaube  um  so  mehr  behaupten  zu  dürfen,  dass  meine  Arbeit  wesentlich 
auf  einer  experimentellen  Grundlaue  beruht,  als  ich  auch  bei  vielen  tech- 
nischen Fragen  den  Hauptwerth  auf  genaue  Versuche  gelegt  habe. 

So  erschien  es  mir  auch  nicht  minder  wichtig,  die  Wirkung  der 
Gase  und  Dämpfe  auf  die  Vegetation  nach  eigenen  und  fremden  Beob- 
achtungen in  dem  erforderlichen  Grade  zu  würdigen. 

Bei  Concessions -Verleihungen  bleibt  diese  Frage  eine  sehr  beachtuugs- 
werthe  und  muss,  abgesehen  von  den  verschiedenen  Klagen  über  etwaige  Ver- 
gütung wegen  des  durch  Fabriken  herbeigeführten  Schadens,  um  so  mehr  mit 


Vorwort.  V 

möglichster  Bestimmtheit  beantwortet  werden,  als  gleichzeitig  die  Belästigung 
oder  Gesimdheits -Beschädigung  der  Anwohner  hierbei  in  Frage  kommt. 

Es  konnte  nicht  ausbleiben,  dass  manche  Gesiehtspuncte  berührt 
werden  mussten,  die  eigentlich  der  allgemeinen  Hygiene  angehören,  z.  B. 
die  Untersuchungen  über  Wasser,  Abfuhr  u.  s.  w.  Diese  wichtigen  Capitel 
konnten  aber  nicht  umgangen  werden,  weil  sie  mit  den  in  der  Industrie 
vorkommenden  Abfallwässern  im  innigsten  Zusammenhange  stehen. 

Ist  das  Vergüten  der  Krankheiten  in  der  Hygiene  der  leitende 
Grundsatz,  so  inuss  die  Beaufsichtigung  der  Gewerbe  immer  mehr  aus 
dem  engen  Rahmen  einer  gewerblichen  Sanitätspolizei  heraustreten  und 
eine  Gewerbe-Hygiene  schaffen,  welche  sich  mit  den  in  der  Industrie 
auftretenden  Schädlichkeiten  stetig  vertraut  macht  und  rechtzeitig  der 
Einwirkung  derselben  vorbeugt,  ohne  erst  ihre  gesundheitsschädlichen 
Folgen  abzuwarten. 

Die  grosse  Rolle,  welche  die  Chemie  in  den  Gewerben  spielt,  ver- 
anlasste mich,  die  betreffenden  Körper  zunächst  nach  ihrem  Vorkommen 
und  ihren  chemischen  Eigenschaften  zu  betrachten  und  hierauf  ihre  Be- 
arbeitung und  Verwerthung  folgen  zu  lassen. 

Wer  nicht  einigermassen  mit  der  Chemie  vertraut  ist,  wird  niemals 
festen  Fuss  in  der  Gewerbe -Hygiene  gewinnen,  da  die  chemische  Erklärung 
vieler  Processe  unumgänglich  nothwendig  ist,  um  über  die  sanitäre  Be- 
deutung technischer  Vorgänge  Aufklärung  zu  erlangen. 

Den  beigefügten  chemischen  Formeln,  welche  dies  Verständniss  erleich- 
tern sollen,  ist  die  moderne  Chemie  zu  Grunde  gelegt,  in  welcher  man 
sich  bald  heimisch  fühlen  wird,  wofern  man  sich  nur  deren  elementare 
Grundsätze  zu  eigen  gemacht  hat. 

Chemie,  Physik  und  Physiologie  bleiben  die  Fundamental- 
Wissenschaften  der  Hygiene,  denn  diese  beruht  nur  auf  der  Anwendung 
dieser  Naturwissenschaften.  Aber  auch  der  Pathologie  kann  man  noch 
nicht  entbehren,  so  lange  das  ideale  Ziel  der  Hygiene:  die  Verhütung  der 
Krankheiten,  noch  nicht  in  seinem  ganzen  Umfange  zu  erreichen  ist. 

Die  Pathologie  der  „Arbeiter-Krankheiten"  bleibt  daher  noch  ein  un- 
entbehrlicher Theil  der  Gewerbe -Hygiene  und  harrt  noch  mancher  dunkle 
Punct  wegen  der  Mannigfaltigkeit  der  schädlichen  Einflüsse  der  Aufhellung; 
denn  ausser  der  Einwirkung  der  Gewerbe  sind  auch  die  häuslichen  Ver- 
hältnisse der  Arbeiter,  die  Krankheitsanlage  und  die  ganze  Lebensweise  der- 
selben zu  berücksichtigen,  bevor  man  zu  einem  endgültigen  Urtheil  gelangt. 
Aus  diesem  Grunde  gehen  auch  die  Ansichten  über  diese  Krankheiten  oft 
weit  auseinander  und  dürften  namentlich  die  aus  den  vorliegenden  Erfah- 
rungen gewonnenen  statistischen  Schlüsse  nur  mit  Vorsicht  zu  verwerthen 
sein.      Freilich    ist    es    dringend   geboten,    geeiguetes  Material   zu    einer 


y"[  Vorwort. 

Gewerbe -Statistik  zu  sammeln;  es  werden  aber  noch  Jahrzeheude 
vergehen,  ehe  man  auch  nur  eine  leidlich  sichere  statistische  Grundlage 
gewinnt.  Zunächst  gehört  eine  ganz  genaue  Bekanntschaft  mit  den  tech- 
nischen Vorgängen  dazu,  um  ihren  Einnuss  auf  den  Organismus  beurtheileu 
zu  können;  es  ist  unmöglich  und  ganz  unzulässig,  aus  der  Berufsarbeit 
sofort  die  Ursache  einer  Krankheit  zu  erschliessen;  man  muss  vielmehr 
in  jedem  Einzel-Falle  mit  der  grössten  Sorgfalt  erwägen,  ob  und  inwiefern 
die  Art  der  Beschäftigung  oder  eine  Menge  anderer  Einwirkungen  an  der 
Entstehung  der  Krankheit  betheiligt  sind. 

Jeder  Beruf  hat  seine  Schädlichkeiten  und  der  Handwerker  befindet 
sich  oft  in  einer  weit  üblern  Lage  als  der  Fabrikarbeiter;  man  muss  daher 
alle  thatsächlichen  Verhältnisse  ergründen,  um  ihre  Beziehungen  zu  den 
vorhandenen  Krankheiten  ermessen  zu  können. 

In  der  Industrie  gibt  es  viele  Schäden,  die  sich  heilen  lassen,  wenn 
man  ihrem  Ursprünge  sorgfältig  nachforscht;  als  eine  Hauptaufgabe  habe 
ich  es  daher  betrachtet,  sowohl  die  Orientirung  der  Fachgenossen  in  der 
Technik  zu  erleichtern,  als  auch  die  bei  den  technischen  Vorgängen  in 
irgend  einer  Weise  zur  Geltung  kommenden  Schädlichkeiten  stets  all- 
seitig zu  beleuchten.  Die  Lösung  dieser  Aufgaben  ist  die  unerlässliche 
Bedingung  für  die  Mitwirkung  am  Aufbau  der  Gewerbe- Hygiene. 

Gleichzeitig  habe  ich  nicht  unterlassen,  auf  die  bewährten  thera- 
peutischen Mittel  bei  den  verschiedenen  Erkrankungen  aufmerksam  zu 
machen. 

Die  mit  dem  Nachweise  der  Literatur  verbundenen  „Erläuterungen" 
sollen  dazu  dienen,  manche  Puncte  weiter  auszuführen;  im  Texte  war  dies 
nicht  immer  zulässig,  wollte  man  nicht  Zusammengehöriges  zu  sehr  trennen. 

Die  sociale  Frage  der  Arbeiter  habe  ich  schon  wegen  ihrer  Aus- 
dehnung nicht  eingehend  bearbeitet  und  hierbei  hauptsächlich  auf  die  be- 
treffende Literatur  verwiesen.  Ebenso  habe  ich  die  Lage  der  eigentlichen 
Handwerker  nur  gelegentlich  berühren  können,  aber  doch  überall  auf  die 
sanitären  Schädlichkeiten  hingewiesen,  welche  bei  den  einzelnen  Manipu- 
lationen Beachtung  verdienen. 

Die  Holzschnitte  werden  hoffentlich  ihren  Zweck  erreichen  und  das 
Verfahren  bei  den  wichtigern  Fabricationszweigen  zur  deutlichen  Veran- 
schaulichung  bringen. 

Mit  dem  Bewusstsein,  das  Werk  mit  dem  lebhaftesten  Interesse  für 
die  Sache  abgefasst  zu  haben,  verbinde  ich  den  Wunsch,  dass  sich  die 
Theilnahme  grösserer  Kreise  diesem  wichtigen  Abschnitte  der  Gesundheits- 
lehre immer  mehr  zuwenden  möge. 

Berlin,  den  30.  April  1876. 

H.   EüLENBERG. 


Inhalts  -  Verzeiclmiss, 


Allgemeiner  Theil. 


Seite 

Einleitung 1 

Umfang  der  öffentlichen  Gesund- 
heitspflege            2 

Die  Entwicklung  der  gewerblichen 
Gesundheitspflege  in  den  ver- 
schiedenen Ländern      ....        5 


Seite 

Das  Concessionsverfahren  ...  16 
Allgemeine  sanitäre  Erfordernisse 

in  Fabriken 21 

Der    Arbeiter     ausserhalb     der 

Fabrik 33 


Specieller  Theil. 

Metalloide. 


Wasserstoff 38 

Wasserstoff  in  der  Industrie    .     .  39 

Chlor 41 

Chlorindustrie 43 

Chlorwasserstoffsäure 50 

Chlorwasserstoffsäure    in  der  In- 
dustrie       52 

Brom 53 

Bromwasserstoff 56 

Chlorbrom 57 

Jod 58 

Jodwasserstoffsätire 60 

Chlorjod 61 

Bromjod 62 

Brom-  und  Jodindustrie  ....  63 

Fluor 68 

Sauerstoff 71 

Gährung,  Fäulniss,  Verwesung     .  76 
Abschluss    des    Sauerstoffs.      In- 
dustrie der  Conserven  ....  80 

Ozon 90 

Ozon  in  sanitärer  Beziehung    .     .  96 

Ozon  in  der  Industrie      ....  98 
Sauerstoff  und  Wasserstoff. 

Wasser 99 

Die     verschiedenen     Arten     von 

Wässern 105 

Brunnenconstruction 113 

Pumpenconstruction 121 


Seite 

Destillation   des  Meereswassers     .  125 

Wasserstoffsuperoxyd 129 

Sauerstoff  und  Chlor.    Unter- 
chlorige  Säure 131 

Industrie    der    unterchlorig-    und 

chlorsauren  Alkalien     ....  133 

Schwefel 135 

Schwefelwasserstoff    .    .    .  141 
Wirkung  und  Vorkommen  in  der 

Industrie 145 

Wasserstoffsupersulfid 145 

Schwefel  und  Chlor    ....  146 

Schwefel  und  Sauerstoff  .     .  149 
Schweflige  Säure,  Fabrication  und 

Verwendung 149 

Schwefelsäure,  Wirkung  ders.  159 

Schwefelsäureindustrie      ....  161 

Selen 173 

Selenwasserstoff,  Wirkung  dess.    .  174 

Tellur 174 

Tellurwasserstoff,  Wirkung  dess.  174 

Stickstoff 174 

Die  atmosphärische  Luft ....  176 
Wirkung  der  feuchten  u.  trocknen 

Luft 178 

Verdünnte   und  comprimirte  Lnft  186 
Abhaltung  physikalischer  Einflüsse 

der  Atmosphäre.     Bekleidung  .  191 


VIII 


Inhalts  -  Verzeichniss. 


Seite 
Massregeln  zur  Beschaffung  einer 
reinen    Luft    1)   in  den  Werk- 
stätten       196 

2)  ausserhalb  der  Werkstätten      201 
Wegschaffung  der  menschlichen 

Dejeetionen,  der  Küchen-  und 
Hauswässer,  der  industriellen 
Abfälle 202 

3)  Bodencultur  und  Benutzung 
verschiedener  Dungstoffe  .     .     219 

Stickstoff   und   Wasserstoff. 

Ammoniak 221 

Ammoniakindustrie 223 

Ammonium  und  Schwefel.     .     233 
Ainmoniumsulfid,  Ammoniumsulf- 
hydrat       234 

Cloakengase 235 

Schwefeiammonium  in  der  Industrie   239 
Stickstoff  und  Sauerstoff      .     240 
Stickoxydul,    Stickstoffoxyd,    sal- 
petrige    Säure,     Untersalpeter- 
säure   240 

Salpetersäure 247 

Salpetersäureindustrie 250 

Phosphor 255 

Phosphordampf  in  der  Phosphor- 

industrie 256 

Rother    Phosphor,     Darstellung 

desselben 265 

Fabrication  der   Phosphorstreich- 
hölzer   267 

Phosphor  und  Wasser,  Phos- 
phorwasserstoff     273 

Phosphor  und  Halogene    .     .     275 
Phosphor    und    Sauerstoff, 
Unterphosphorige  Säure,   phos- 
phorige Säure,  Phosphorsäure  .     277 
Phosphorsäureindustrie     ....     281 

Arsen 282 

Arsenindustrie 284 

Arsen  undWasserstoff.  Arsen- 
wasserstoff   286 

Arsen  und  Halogene.     .     .     .     288 
Arsen  und  Sauerstoff.  Arsenig- 

säureanhydrid 290 

Arsenigsäureanhydrid-Industrie     .     293 
Künstliche  Blumenfabrication   .     .     299 

Arsensäure 300 

Arsen  und  Schwefel  ....     302 
Arsen  und  Phosphor      .     .     .     304 

Antimon 305 

Antimonindustrie 306 

Legirungen  von  Antimon,  Typen- 

giessen 307 

Antimon  und  Wasserstoff     .     309 
Antimon  und  Chlor    ....     310 
Antimon  und  Sauerstoff.   Tar- 
tarus stibiatus 311 

Antimon  und  Schwefel.     An- 
timontrisulfid,      Antimonpenta- 

sulfid 312 

Wisnmth 312 

Industrie    und    Verwendung    von 
Wismuth 313 


Seite 

Bor 314 

Technische  Verwendung  von  Bor     315 
Kohlenstoff  ..........    316 

Die  Kohle  als  Heizmaterial,  als 
Farbe,  als  Desinfections-  und 
Reductionsmittel 317 

Wiederbelebung  der  Knochen-  oder 
Klärkohle 325 

Gewinnung  der  Kohle  zur  Be- 
nutzung als  Brennmaterial    .     .     328 

Aufbereitung  der  Steinkohle    .     .     338 

Verkokung  der  Braunkohle  .     .     .     340 

Verkohlung  des  Holzes    ....     342 
Die  Verbindungen  des  Kohlenstoffs  .    344 

Kohlenstoff  und  Sauerstoff. 
Kohlenoxyd 344 

Kohlenoxysulfid 355 

Kohlensäureanhydrid 356 

Chlorkohlenoxyd  (Phosgengas)     .     361 

Kohlenstoff  und  Schwefel     .     362 

Schwefelkohlenstoff-Industrie    .     .     364 

Kohlenstoff  und  Wasserstoff    367 
Cx  Gruppe.  Methyl  Verbindungen    .    .    368 

Methylwasserstoff,    Methan  .     .     .     368 

Halogen  -  Sabstitutionspro- 
ducte  des  Methans,  Methyl- 
chlorid, Chloroform,  Bromoform, 
Jodoform 368 

Hydroxyl-Substitutionspro- 
ducte  des  Methans  ....    374 

Methylalkohol,  Holzgeist.  Industrie 
desselben 374 

Oxydationsproducte  desHolzgeistes, 
Ameisensäure 377 

Sulfo-Substitutionsproducte 
desMethans,  Methylmercaptan     378 

Nitrogen-Substitutionspro- 
ducte  des  Methans,  Amine.     379 

Cyangruppe.  Blausäure  in  der 
Industrie 380 

Cyankalium,Cyanammonium,  Cyan- 
silber  .. 383 

Ferrocyankalium,  Blutlaugensalz- 
industrie 386 

Cyan,  Cyan  in  der  Industrie    .     .     391 

Nitrocyanmethyl  (Knallsäure).  In- 
dustrie der  Zündhütchen  .     .     .     393 

Oxydationsproducte  der  Blau- 
säure. Cyansäure,  Cyanursäure    395 

Arsen-  und  phosphorhaltige 
Derivate  des  Methans     .     .     396 

Verbindungen     des    Methyls 

mit  Metallen 397 

C2Gruppe.  Aethyl Verbindungen    .    .    398 

Aethylwasserstoff,  Aethylen,  Ace- 
tylen 398 

Halogenderivate  des  Aethans    400 

Hydroxyl-Substitutionspro- 
ducte  des  Aethans.  Wein- 
geistindustrie   404 

Aether,  Aethyläther-Industrie  .     .     409 

Oxydationsproducte  des  Al- 
kohols, Aldehyd.  Verbindun- 
dungen  des  Aldehyds  mit  Halo- 
genen.    Chloral,  Bromal,  Jodal     411 


Inhalts  -Verzeichniss. 


IX 


Seite 

Essigsäure.  Essigindustrie    .     .     .     416 
Holzessig 421 

Dicarbonsäure  des  Aethans      422 

Oxalsäure,  Industrie  desselben      .     425 
Sulfo-Substitutionsproducte 
des  Aethans 425 

Nitrogen-Substitutionspro- 
ducte  des  Aethans  ....     428 
C3  Gruppe.  Propylverbindungen. 

Propylwasserstoff,  Propan     .     .     ;    430 

Halogen -Substit utionspro - 

ductedesPropans.     .     .     .     430 

Oxydationsproductedeslso- 
propylalkohols,  Aceton,  Es- 
siggeist     431 

Oxy dationsproduct  des  Pro- 
pan s.     Glycerin 433 

AllyWerbindungen.     Acrolein     434 

Nitrogen-  und  Sulfo-Sub- 
stitutionsproducte des  Pro- 

pans 435 

C4  Gruppe.  Butylverbindungen  .    .    .    436 

Butyhvasserstoff,  Butylen      .     .     .     436 

Hy  droxyl -Substit  utionspro  - 
ducte  des  Butvlwasser- 
stoffs     ....".....    436 

Gährungs-Butylalkohol.  Oxyda- 
tionsproducte  desselben     .     .     .     436 

Buttersäure 437 

Bernstein-,  Aepfel-  und  Weinsäure. 
Crotonaldehyd   u.  Crotonchloral    438 
C5Gruppe.  Amylverbindungen  .    .    .    439 

Amvlwasserstoff,   Amylen     .     .     .     440 

Halogen-Substitutionspro- 

ducte 440 

Hy  droxyl -Substitutionspr  o- 
ducte.  Amylalkohol,  Industrie 
desselben 441 

Oxydations  -Producte     des 
Amylalkohols.  Amylaldehyd, 
Baldriansäure 444 

Sulfo-  und  Xitro  gen-Substi- 

tutionsproducte 446 

C6  Gruppe.  Hexyl Verbindungen     .    .    448 

Oxydationsproducte.  Capronsäure, 
Citronensäure 448 

Sechsatomiger  Alkohol  der  Hexyl- 
gruppe.    Mannit.    Kitromannit  .     449 
Cr,  C8,  C9,  C10  Gruppe.    Caprinsäure, 

Palmitin-,  Stearinsäure  u. s.w.  .     .     450 
Fette _ .    451 

Oelindustrie.     Firnissindustrie    451 

Degras,  Gerberfett.  Fabrication 
desselben 458 

Talgindustrie.       Wachsin- 
dustrie. Bleichen  des  Palmöls.     458 

Seifenindustrie.  Harte,  "weiche 
Seifen.     Besondere  Arten  der».      467 

Stearinfabrieation.  Stearin- 
säurefabrication      ....     471 

Glycerin.       Xitr-oglycerin- 
industrie.    Dynamit  ....     481 
Kohlehydrate 490 

Zuckerindustrie.        Trauben- 
zuckerindustrie      491 


Seite 

Rohrzuckerindustrie 494 

Yerwerthung  derRunkelrübenrohr- 

zueker-Melasse 404 

Milchzuckei'industrie 508 

Stärkemehlindustrie.     Fabri- 
cation   aus  Weizen,    Kartoffeln 

und  Reis      ........  508 

Dextrinindustrie.    Gummi  .     .  515 

Bierbrauerei 517 

Die  Biermaterialien  und  ihre  Sur- 
rogate        524 

Der  Ausschank  des  Bieres    .  529 

Die  Pflanzenfaser 530 

Cellulose,   Nitrocellulose.   Schiess- 
baumwolle      530 

Papierindustrie 533 

Holz  -     und    Strohzeugfabrication, 

Papierzeugfabrication    ....  534 

Färben  des  Papiers 539 

Tapetenfabrication 541 

Baumwollindustrie    .     .     .     .  543 

Leinenindustrie 550 

Die  Thierfaser 553 

Wollindustrie 553 

Seidenindustrie 561 

Allgemeines  über  Beizen,    Zeug- 
druck und  Färberei 565 

Thierhänte 570 

Gerberei.     Lohgerberei      .     .     .  571 
Die  Weissgerberei,  Sämisch-  oder 

Oelgerberei 573 

Conserriren  der  thierischen  Häute  578 

Thierisehe  Abfälle 579 

Das  Haar   und  seine  Bearbeitung  579 

Das  Hutmacher- Gewerbe      .     .     .  580 

Federn 582 

Horngebilde 583 

Darmsaitenfabrication 584 

Leimindustrie 584 

Die  Knochen  u.  ihre  Verwerthung  586 
Die  Poudrette-Fabrication  .  .  .  589 
Die  Abdeckerei  und  die  Behand- 
lung der  Thiercadaver ....  590 
Gemenge  von  Kohlenwasserstoffen  .  592 
Photogen,  Mineralöl,  Sehieferöl  .  592 
Petroleum,  Erdöl,  Stein  öl     .     .     .  595 

Kreosot 597 

Leuchtgas 598 

Darstellung  der  Dachpappe.     Im- 

prägniren  des  Holzes    ....  603 
Gewinnung     der     leichten     und 

schweren  Theeröle 604 

Die  aromatischen  Körper 606 

Benzol,  Nitrobenzol 606 

Hy droxylderivate    des  Ben- 
zols.    Phenol,  Phenylsäure  .     .  609 

Phenolfarben 612 

Nitroproducte  des  Phenols. 

Pikrinsäure 613 

Amidoderirate    der    Pikrin- 
säure.    Pikraminsäure     .     .     .  617 
Di-  und  Trihydroxylderivate 
des  Benzols.    Oxypikrinsäure, 
Pvros'allussäure 61S 


Inhalts  -  Verzeiehniss. 


Seite 

A  nii  il  oderi  vat  o   des   Benzols. 

Anilin.    Darstellung  desselben  .     622 
Methylanilin,     Diphonylamin,     Di- 

amidobenzol,     Azo-   und  Diazo- 

verbindungen 622 

Toluol 623 

Chlorderivate     des    Toluols. 

Benzylchlorid 624 

Nitro-  und  Hyd  roxyl  der  i  vat e 

des  Toluols.     Kreosole,  Ben- 

zylalkohol,  Benzoesäure    .     .     .     624 
A  midoderi  vate   des  Toluols. 

T- »luidin 624 

Anilinfarbenindustrie  .    .    .     625 
Anilinroth,   Fuchsin,    Industrie 

Iben 626 

Leukanilin,  Geranosin  oderAnüin- 

ponceau 630 

Anilinviolett.     Triäthyl-,    Tri- 

methyl-    und  Triphenyianilin     .     631 
Anilinbla  u.    Triphenylrosanilin, 

Tritolnylrosanilin      .... 
Grüne    Farbstoffe       Aldehyd- 

grün,  Jodgrün,  Methylgrün  .     .     632 
Gelbe  F  a rbsto  ff e.   Cnxysanilin, 

Anilingelb,  Anilinorange  .     .     .     634 
Braune,   schwarze   und  graue 

Farbstoffe 

Auilinfarbenfabriken    .     .     .     635 

Xylol 638 

Cümol 639 

Cvmol 640 

Naphtalin 640 

Darstellung  von  Naphtalin   .     .     .     641 
Chlor-  und  Hydroxylderivate 

des  Naphtalin s 641 


Bei  te 

Chinon-,   Nitro-  und  Amido- 
derivate des  Naphtalin s     .  642 

Naphtalinindustrie 643 

N;iphtalinfarben 644 

Anthracen.     Anthracenfabrieation  .     .  644 

Alizarinindustrie 645 

Picolinbasen    .    .    .    ■    •    .    .    •    .  646 
Pyridin,  Picolin,  Lutidin,  Collidin, 
Parvolin.     Chinolin,     Leptidin, 

Cryptidin,  Pyrrol 647 

Kanipher 648 

Wirkung  der  Kamp  herdämpfe  .     .  648 

Aetherische  Oele 648 

Terpentinöl,      Fichtenöl,      Oleum 

Cadini 648 

Kautschuk 650 

Kautschukfabrication       Künstliche 

Schleifsteine 650 

Gntta-Percha 652 

Reinigung  desselben 653 

Proteinkörper 653 

Albumin  und  Casein 653 

Alkaloide 655 

Morphin,  Strychnin,  Nicotin     .     .  655 

Tabaksindustrie 656 

Silicium 659 

Darstellung    der    Kieselsäure    aus 

dem  Kieseiguhr 659 

Kieselflusssäure 660 

Glasindustrie 661 

Wasserglas 664 

Zinn 664 

Gewinnung  des  Metalls   ....  665 

Zinnindustrie 665 

Titan 668 


Metalle. 


Seite 

Kalinm    .    .    .    • 669 

Darstellung  v.  Kalium  im  Grossen. 

Pottasche,  Salpeterindustrie  .     .  669 

Schiesspulver 670 

Natrium 673 

Kochsalz 673 

Sodaindustrie 675 

Silber ^ 680 

Gewinnung    des   Silbers    aus   den 

Erzen  . 680   | 

Silberindustrie 682 

Calcium 684 

Kalkbrennerei 684 

Cementindustrie 686   I 

Gipsbrennerei 687   i 

Strontium 

Strontiumnitrat,  Rothfeuer    .     .     .  688 

Barium 

Barytindustrie 68| 

Magnesium 689 

Magnesiummetall 690   i 

Zink   .    ...........  690 

Hüttenmännische  Gewinnung  von 

Zink 691    i 


Seite 

Zinkiudustrie 695 

Kadmium 696 

Wirkung  d.Kadmiumverbihdungen  696 

Blei 697 

Physiologische  \Mrkung  von  Blei  697 
Hüttenmännische  Gewinnung  von 

Blei 701 

Bleiindustrie 703 

Bleiverbindungen.     Bleiglätte, 

Mennige,  Bleiweiss 706 

Bleizucker,  Bleiessig  u.  Bleifarben  712 

Kupfer 71?) 

Hüttenmännische  Gewinnung  von 

^  Kupfer 713 

Kupferindustrie 716 

Kupferverbindungen 727 

Quecksilber 728 

Physiologische  Wirkung  ....  728 
Hüttenmännische   Gewinnung   des 

Metalls 732 

Quecksilberindustrie 736 

Quecksilberverbindungen ....  739 

Eisen 742 


Inhalts  -Verzeichniss. 


XI 


Seite    I 


Hüttenmännische   Gewinnung   des 
Eisens.      Gusseisen.      Hohofen- 

process    

Darstellung     des     Schmiedeeisens 

und   Stahls 

Stahl-  und  Eisenindustrie     . 
Ausarbeitung  d.  Metalle.  Schleifen, 

Schleiferkrankheit 

Emailliren  der  Gusswaaren 

Eisenverbindungen 

Aluminium 

Alaunindustrie 

Fictilindustrie.     Thon-   und 

Steinwaaren 

Ultramarinindustrie 

Chrom 

Chromindustrie 

Chromfarben   ...."... 

Mangan  

Manganverbindungen 

Nickel 


743 

747 
749 

751 

755 
756 
757 

758 


759 
766 
767 
768 
774 
774 
775 
775 


Hüttenmännische  Behandlung  der 

Nickel-  und  Kobalterze     .     .     .  776 

Nickelindustrie 719 

Kobalt 779 

Kobaltverbindungen 780 

Kobaltfarben 781 

Thallium 782 

Technische  Verwendung.  Thallium- 

oxvdul 782 

Gold 782 

Gewinnung  von  Gold 782 

Goldindustrie 783 

Platin 784 

Gewinnung     des     Metalls.      Legi- 

rungen 784 

Palladium 785 

Iridium 785 

Osmium 785 

Molybdän .786 

Wolfram 787 

Uran 788 


Schlussbetrachtung 

Nachweis  der  Literatur  nebst  Erläuterungen 
Alphabetisches  Sachregister 


789 
807 
902 


Allgemeiner  Theil. 


Toute   question    d'hygiene   est 
aussi  une  question  morale. 


Einleitung. 


Je  mehr  in  den  frühesten  Zeiten  das  Jagd-  und  Nomadenleben  dem  Ackerbau 
wich,  desto  mehr  wurden  die  Menschen  auf  einen  festen  Wohnsitz  angewiesen. 
Erst  der  Ackerbau  fesselte  die  Menschen  an  die  Scholle -und  centralisirte  sie; 
die  weitere  Folge  davon  war  die  ungleiche  Vertheilung  des  Eigenthums,  da  Viele 
einen  Ueberschuss  erzielten,  dessen  sie  augenblicklich  nicht  bedurften.  Sie  tausch- 
ten ihn  deshalb  gegen)  andere  Bedürfnisse  oder  gegen  Grund  und  Boden  aus.  In 
diesem  Austausch  liegt  der  Keim  des  Handels  und  der  Industrie.  Mit  der  Zu- 
nahme der  Bedürfnisse  entstanden  die  verschiedenen  Gewerbe  und  aus  diesen 
entwickelte  sich  immer  mehr  ein  engeres  Zusammenleben  der  Menschen.  Dies 
schuf  Städte  und  Staaten.  Je  mehr  die  staatsbürgerliche  Gesellschaft  wuchs,  desto 
mehr  bedurfte  sie  des  Schutzes  sowohl  bezüglich  des  Besitzes  als  auch  der  eigenen 
"Wohlfahrt.  Schon  bei  den  ältesten  Völkern  findet  man  Vorschriften  und  Gesetze, 
welche  sich  auf  die  persönliche  Freiheit,  den  Schutz  des  Eigenthums  und  die 
leibliche  Wohlfahrt  beziehen.  Die  Assyrer,  Babylonier,  Aegypter,  Phönizier, 
Chinesen,  Israeliten,  Griechen  und  Römer  waren  schon  mit  den  wichtigsten  hygieni- 
schen Grundsätzen  bekannt  und  namentlich  Moses  kann  als  der  Schöpfer  der 
öffentlichen  Gesundheitspflege  betrachtet  werden.  Welchen  grossen  Werth  die 
Römer  auf  ein  gesundes  und  reines  Trinkwasser  legten,  dafür  sprechen  noch  die 
Ueberreste  ihrer  bewunderungswürdigen  Wasserleitungen.  Die  Unschädlichmachung 
der  Leichen,  die  Entfernung  der  Auswurfsstoffe  und  die  Vorsichtsmassregeln  bei 
Epidemien  kamen  in  mancher  Beziehung  bei  den  alten  Völkern  mehr  zur  Geltung 
als  jetzt.  Bei  dem  geringen  Umfange  der  Industrie  konnten  selbstverständlich 
auch  ihre  nachtheiligen  Einflüsse  noch  nicht  zur  Einwirkung  gelangen,  obgleich 
bei  den  Phöniziern  schon  die  Vorschrift  bestand,  dass  die  Purpurfärber  nicht  im 
nächsten  Bereiche  menschlicher  Wohnungen  ihre  Werkstätte  errichten  durften, 
weil  die  Abfälle  leicht  in  Fäulniss  übergingen  und  die  Luft  verunreinigten. 

In  der  Stadt  Rom  durften  sich  die  Wäscher  und  Walker,  welche  sich  des 
gefaulten  Urins  bedienten,  nicht  ansiedeln ;  sie  mussten  ihre  Werkstätten  entweder 
in  entlegenen  Strassen  oder  vor  den  Thoren  der  Stadt  errichten.  Behufs  Ausübung 
ihres  Gewerbes  war  es  ihnen  nur  gestattet,  an  den  Strassenecken  Gefässe  zur 
Aufsammlung  des  Urins  aufzustellen. 

Eulenberg,  Gewerbe -Hygiene.  1 


2  Einleitung. 

Mit  den  Fortschritten  der  Industrie  steigerten  sich  auch  die  mannigfaltigen 
Gefahren  für  die  Gesundheit  der  Menschen.  Zunächst  musste  rascher  und  reich- 
licher producirt  werden,  weshalb  das  Sonnenlicht  nicht  mehr  ausreichte.  Es 
musste  die  künstliche  Beleuchtung  hinzukommen,  um  die  an  die  Industrie  ge- 
stellten Anforderungen  zu  befriedigen.  Mit  der  künstlichen  Beleuchtung  trat  aber 
ein  neuer  schädlicher  Factor  ein,  indem  der  nachtheilige  Einfluss  auf  die  Augen 
und  Respirationsorgane  der  Arbeiter  nicht  ausbleiben  konnte.  Erst  mit  den  Fort- 
schritten der  Industrie  wurde  auch  eine  bessere  künstliche  Beleuchtung  angebahnt 
und  man  kann  behaupten,  dass  der  Grad  der  Vervollkommnung  derselben  gleichen 
Schritt  mit  der  Entwicklung  der  Industrie  hielt.  Andererseits  spannte  aber  die 
grössere  Anstrengung  und  anhaltende  Arbeit  die  Körperkräfte  mehr  ab,  während 
ein  unzureichender  Wechsel  von  Arbeit  und  Ruhe,  das  Zusammengedrängtsein  in 
engen  und  ungesunden  Räumen  etc.  neue  Uebel  schuf. 

Eine  neue  Epoche  in  der  Industrie  wird  durch  die  Einführung  der  Dam p f- 
kraft  bezeichnet.  Manche  körperliche  Anstrengung  konnte  jetzt  die  Dampfmaschine 
übernehmen,  wenn  nicht  andererseits  die  Gefahren  des  Maschinenbetriebes  und 
die  Einförmigkeit  der  Arbeit,  sowie  die  Manipulation  mit  giftigen  Substanzen  und 
der  Aufenthalt  in  Räumen  mit  extremen  Temperaturen  wiederum  viele  Schatten- 
seiten hervorgerufen  hätten. 

Mit  der  Entwicklung  der  Mechanik  gingen  die  Fortschritte  der  Chemie  Hand 
in  Hand.  Mit  diesen  wurden  aber  auch  immer  mehr  Substanzen  in  den  Kreis 
der  Industrie  hineingezogen,  welche  bei  der  Verarbeitung  oft  grosse  Gefahren  für 
die  Gesundheit  der  Arbeiter  in  sich  schlössen.  In  gleichem  Masse  machte  sich 
deshalb  die  Notwendigkeit  geltend,  diesen  schädlichen  Einflüssen  entgegen  zu 
treten.  Nicht  bloss  die  Arbeiter  und  die  Adjacenten  der  industriellen  Etablisse- 
ments waren  vor  den  Nachtheilen  der  Fabricationsmethode  zu  schützen,  sondern 
auch  die  Erzeugnisse  selbst  enthielten  oft  Stoffe,  welche  bei  der  Benutzung  nach- 
theilig einwirken  konnten.  Gleichzeitig  erforderte  der  Transport  und  die  Auf- 
bewahrung der  Producte  die  nothwendigen  Vorsichtsmassregeln. 

Umfang  der  öffentlichen  Gesundheitspflege. 

Um  aber  alle  Gefahren  dieser  Art  kennen  zu  lernen,  muss  man  sich  mit 
den  Eigenschaften  der  in  der  Industrie  vorkommenden  Substanzen,  sowie  mit 
ihrem  Einfluss  auf  die  menschliche  Gesundheit  bekannt  machen.  Die  Chemie 
muss  den  Nachweis  liefern,  von  welcher  Natur  und  Beschaffenheit  diese  Körper 
sind,  wo  und  in  welcher  "Weise  ihre  Benutzung  stattfindet,  während  die  Physio- 
logie, Pathologie  und  Toxikologie  ihre  Wirkung  auf  den  thierischen  Orga- 
nismus kennen  lehrt.  Das  physiologische  Experiment  ist  absolut  erforderlich,  um 
die  Wirkung  der  bekannten  Stoffe  immer  genauer  zu  erforschen  und  über  die 
Wirkung  neuer  chemischer  Verbindungen  sich  Klarheit  zu  verschaffen. 

Ein  Sanitätsbeamter,  welcher  die  öffentliche  Hygiene  befördern  will, 
muss  zunächst  auch  mit  den  Ursachen,  welche  in  den  verschiedenen  Lagen  des 
Lebens  die  öffentliche  Gesundheit  schädigen,  bekannt  sein.  In  vielen  Fällen  ver- 
mag er  aber  nur  ein  endgültiges  Urtheil  zu  fällen,  wenn  er  mit  dem  Gesammt- 
gebiet  der  Naturwissenschaften  vertraut  ist  und  die  verschiedensten  Einflüsse  zu 
würdigen  versteht,  welche  in  chemischer,  physicalischer  oder  physiologischer  Be- 
ziehung ihre  Wirkung  zu  enfalten  vermögen.  Die  verschiedenen  Vorgänge  über, 
auf  und  in  der  Erde,  die  Wirkung  des  Lichts,  der  Luft,  des  Wassers  und 


Einleitung.  3 

des  Bodens,  die  Einwirkung  der  Pflanzenwelt  und  der  niedrigsten  Orga- 
nismen etc.  müssen  die  gehörige  Berücksichtigung  finden,  da  es  sich  bei  den 
meisten  Untersuchungen  zunächst  um  die  allgemeinen  Lebensbedingungen  handelt} 
welche  selbst  bei  speciellen  Erörterungen  über  den  Einfluss  der  Industrie  auf  die 
Arbeiter  niemals  ausser  Acht  zu  lassen  sind;  denn  ausserhalb  der  Sphäre  seines 
Berufes  bleibt  der  Mensch  stets  Mensch  und  in  der  nothwendigen  Betheiligung 
an  den  allgemeinen  Lebensbedingungen  hört  aller  Unterschied  auf. 

Es  gibt  aber  viele  Einflüsse,  vor  deren  nachtheiliger  Einwirkung  sich  der 
Einzelne  nicht  zu  schützen  vermag.  Veranlasst  eine  Fabrik  eine  Menge  von  nach- 
theiligen Dämpfen,  welche  eine  ganze  Umgegend  zu  beschädigen  vermag,  herrschen 
epidemische  Krankheiten,  bei  denen  allgemeine  Massregeln  erforderlich  sind,  so 
muss  der  Staat  schützend  einschreiten.  Je  mehr  sich  die  Menschen  centralisirten 
und  je  grösser  die  Städte  wurden,  desto  mehr  wurde  eine  Medicinal- 
und  Sanitätspolizei  erforderlich,  d.  h.  eine  Anleitung,  wo  und  wie  die  Ver- 
waltung die  öffentliche  Gesundheit  vor  allgemeinen  Schädlichkeiten  zu  schützen 
hat.  Selbst  in  England,  wo  das  öffentliche  Gesundheitswesen  der  Selbstver- 
waltung der  Gemeinde  anheimfällt,  hat  man  einsehen  gelernt,  dass  dieselbe 
nicht  für  alle  Fälle  ausreicht,  sondern  dass  häufig  die  Gesetzgebung  ergänzend 
eintreten  muss,  um  die  nöthige  Sicherheit  zu  gewähren.  Ist  die  Polizei  eine 
staatliche  Einrichtung,  wodurch  der  Staatsbürger  bezüglich  seiner  Person  und 
seines  Vermögens  geschützt  wird,  wenn  die  Kraft  des  Einzelnen  hierzu  nicht  aus- 
reicht, so  sorgt  die  Medicinalpolizei  für  den  Schutz  der  Gesundheit  und  des 
Lebens  der  Staatsbürger,  wenn  die  individuelle  Kraft  die  auf  die  Gesundheit  und 
das  Leben  schädlich  einwirkenden  Einflüsse  weder  zu  verhüten  noch  aufzuheben 
vermag. 

So  lange  der  Mensch  als  Individuum  auftritt,  ist  er  selbst  verpflichtet,  für 
seine  Gesundheit  zu  sorgen  und  schädliche  Einflüsse  von  derselben  abzuwehren. 
Es  entspricht  nicht  mehr  dem  Geiste  unserer  Zeit,  wenn  sich  die  Verwaltung  um 
Verhältnisse  bekümmern  soll,  über  welche  der  Mensch  als  Individuum  gebieten 
kann  und  soll.  Wie  er  vernunftgemäss  leben,  sich  kleiden,  in  die  Ehe  treten 
soll  etc.,  dafür  hat  er  selbst  zu  sorgen. 

Schon  Zaekariae1)  sagt:  -Tausend  Gefahren  umlagern  den  Staat,  umlagern  die 
einzelnen  Menschen.  Soll  oder  will  die  Polizei  alle  die  Gefahren  beseitigen  oder 
wenigstens  möglichst  unschädlich  machen,  so  muss  sie  unausbleiblich  zum  Aeussersten 
in  der  Knechtschaft  führen;  denn  fast  alle  polizeilichen  Massregeln  sind  unmittelbar  oder 
mittelbar  zugleich  Beschränkungen  der  äussern  Freiheit  der  Unterthanen.  Ueberdies, 
je  weiter  eine  Regierung  ihre  Polizeigewalt  erstreckt,  desto  mehr  überhebt  sie  die  Unter- 
thanen der  Mühe,  selbst  für  ihr  Wohl  zu  sorgen,  selbst  wachsam,  erfinderisch  und  wag- 
haft zu  sein.  Ohnehin  sind  die  Menschen  zur  Trägheit  geneigt  genug,  als  dass  man 
ihnen  erst  ein  Ruhebett  zu  bereiten  brauchte." 

Anders  verhält  es  sich,  wenn  der  Mensch  in  den  Verkehr  des  Gesammtlebens 
hineintritt  und  ein  Theil  desselben  wird.  Hier  treten  schädliche  Einflüsse  auf, 
welche  er  durch  eigene  Kenntniss  nicht  zu  beurtheilen  und  durch  eigene  Kraft 
nicht  von  sich  abzuwehren  vermag.  Treten  Menschen-  und  Thierseuchen  auf, 
wird  die  Luft  verunreinigt,  das  Wasser  verdorben,  werden  die  Nahrungsmittel 
verfälscht  oder  entwerthet,  belästigen  industrielle  Etablissements  ganze  Gegenden, 
so  ist  es  die  Pflicht  der  Verwaltung  einzuschreiten,  die  Ursachen  dieser  Schäd- 
lichkeiten aufzusuchen  und  zu  vertilgen,  da  die  Kraft  des  Einzelnen  hierzu  nicht 
ausreicht.  Je  mehr  aber  die  Einzelnen  erkranken,  desto  mehr  ist  die  allgemeine 
Gesundheit  gefährdet,   weil  diese  nur  „durch  die  durchschnittliche  Höhe   der 

l* 


4  Einleitung. 

gesunden  Kraft  bei  allen  einzelnen  Individuen  getragen  wird.  Insofern  diese  durch- 
schnittliche Höhe  der  gesunden  Kraft  und  der  Schutz  derselben  bei  jedem  Einzelnen 
von  den  Einwirkungen  abhängt,  welche  der  Verkehr  des  Gesammtlebens  für  jeden 
Einzelnen  mit  oder  ohne  seiuen  Willen  mit  sich  bringt,  wird  die  allgemeine  Ge- 
sundheit zur  öffentlichen  Gesundheit."  *)  Das  öffentliche  Gesundheits- 
wesen repräsentirt  die  Summe  derjenigen  Massregeln  der  Verwaltung,  wodurch 
die  allgemeine  Gesundheit  gefördert,  vor  den  Gefahren,  welche  aus  dem  Verkehr 
des  Gesammtlebens  entstehen,  geschützt  und,  wenn  sie  Schaden  erlitten  hat, 
wieder  hergestellt  werden  soll.  Bis  jetzt  unterscheidet  man  Medicinal-  und 
Sanitätspolizei  in  der  Weise,  dass  man  unter  Medicinalpolizei  im  engeren 
Sinne  die  öffentliche  Krankenpflege,  das  eigentliche  Heilwesen,  d.  h.  alle  Mittel 
zur  Wiederherstellung  des  allgemeinen  Gesundheitszustandes  begreift, 
unter  Sanitätspolizei  die  Abhaltung  der  Krankheitsursachen  und  den 
Schutz  vor  schädlichen  und  gefährlichen  Einflüssen  versteht.  Beides,  die  Er- 
haltung und  Wiederherstellung  der  allgemeinen  Gesundheit,  gehört  zur  Aufgabe 
des  öffentlichen  Gesundheitswesens.  Die  Principien  der  Medicinal-  und 
Sanitätspolizei  sind  stets  dieselben.  Ebenso  fällt  die  öffentliche  Gesundheits- 
pflege (Hygiene),  welche  die  allgemeine  Gesundheit  zu  erhalten  und  zu  fördern 
hat,  mit  der  Sanitätspolizei  zusammen,  weil  durch  den  Schutz  der  Gesund- 
heit (Sanitätspolizei)  und  die  Förderung  derselben  (Gesundheitspflege)  dasselbe 
Ziel  verfolgt  wird.  Mau  kann  nur  insofern  einen  Unterschied  zulassen,  als  die 
Sanitätspolizei  einen  beschränkteren  Wirkungskreis  hat,  sich  hauptsächlich  auf 
die  Abhaltung  einzelner  Gefahren  beschränkt  und  ihre  Thätigkeit  nur  zeitweilig 
oder  in  aussergewöhnlichen  Fällen  eintreten  lässt.  Die  öffentliche  Gesund- 
heitspflege soll  dagegen  eine  regelmässige  und  ununterbrochene  Ueberwachung  der 
Gesuudheits Verhältnisse  und  der  dieselbe  beeinträchtigenden  Einflüsse  bezwecken. 

„Es  ist  noch  nicht  lange  her",  bemerkt  schon  J.  P.  Frank,3)  „dass  die  medicinische 
Polizei  beinahe  in  allen  Ländern  sich  mit  nichts  beschäftigte,  als  mit  Klagen  und  ohn- 
mächtigen Verwendungen  gegen  die  Quacksalber  und  Afterärzte:  höchstens  wurde  noch 
in  Pestzeiten  auf  Anstalten  gedacht ,  wodurch  man  gewisse  Vorkehrungen  und  Recepte 
im  Druck  bekannt  machte  und  Aerzten  und  Todtengräbern  ihre  Stelle  und  Verrichtung 
anwies.  In  gesunden  Zeiten,  ich  will  sagen,  wenn  keine  besondern  Seuchen  unter  dem 
Volke  herrschten,  war  man  wenig  genug  um  die  allgemeine  Gesundheitspflege 
bekümmert,  gleich  als  wären  es  nur  jene  Krankheiten,  welche  die  Provinzen  entvölkerten, 
und  als  wäre  der  Verlust  für"s  Vaterland  nicht  gleich,  es  sei,  dass  solches  seine  Bürger 
nach  Tausenden  an  einer  und  der  nämlichen  Seuche  oder  an  so  vielen  besondern  Krank- 
heiten und  Zuständen  verlöre.  Die  vielen  Unglücksfälle,  welchen  die  Menschen  in  jedem 
Gemeinwesen  entweder  durch  eigene  Unvorsichtigkeit  oder  durch  das  unbehutsame  Ver- 
fahren ihrer  Mitbürger  oder  sonst  durch  gewisse  heftig  wirkende  physische  Ursachen 
ausgesetzt  werden,  waren  nirgends  oder  gewiss  nur  an  wenigen  Orten,  wo  die  Vorsicht 
einem  thätigen  Menschenfreunde  das  Leben  und  Wohl  einer  Gesellschaft  anvertraut 
hatte,  der  Gegenstand  der  obrigkeitlichen  Aufsicht." 

Man  gelangt  immer  mehr  zur  Ueberzeugung,  dass  die  Sorge  für  die  allge- 
meinen Lebensbedingungen,  für  hinreichendes  Licht,  gute  Luft,  reines  Wasser 
und  unverfälschte  Nahrungsmittel  die  Wohlfahrt  eines  Volkes  am  besten  begründen. 
Bezüglich  der  öffentlichen  Gesundheit  sind  sich  alle  Stände  gleich;  denn  auch 
die  höhern  Stände  sind  nicht  gesichert,  wenn  die  niedern  einen  Krankheits- 
herd für  sie  bilden,  abgesehen  davon,  dass  die  Besitzenden  zu  doppelten  Aus- 
gaben veranlasst  werden,  wenn  man  nicht  zeitig  genug  die  Gesundheitsverhält- 
nisse der  niedern  Stände  berücksichtigt.  Die  Gesundheit  ist  stets  das  höchste  Gut, 
für  den  Arbeiter  ist  sie  das  Mittel  zum  Erwerben  und  für  den  Besitzenden  ist 
sie  die  Bedingung  zum  Genuss  des  Besitzes, 


Einleitung.  5 

Betrachtet  man  die  Medicin  vom  jetzigen  Standpunct  der  Wissenschaft,  so 
drängt  Alles  dahin,  für  sie  nicht  nur  die  Heilung,  sondern  auch  die  Prophylaxis  von 
Krankheiten  zu  vindiciren.  Wenn  auch  jeder  Arzt  die  letztere  stets  im  Auge  be- 
halten muss,  so  erfordert  doch  die  öffentliche  Gesundheitspflege  wegen  ihres 
grossen  Umfanges  besondere  Organe,  um  sie  in  Wirksamkeit  zu  setzen.  Man  könnte 
daher  die  Thätigkeit,  welche  die  Medicin  und  gesammte  Naturwissenschaft  an  der 
Hand  von  polizeilichen  oder  gesetzlichen  Anordnungen  auf  den  Schutz  vor 
Krankheiten  und  die  Pflege  der  öffentlichen  Gesundheit  applicirt,  als  Verwaltungs- 
Medicin  auffassen  und  zwar  im  Gegensatz  zur  Gerichts  -  Medicin,  welche 
die  Anwendung  der  medicinischen  Wissenschaft  auf  die  Rechtspflege  lehrt. 
Die  Gerichts-  und  Verwaltungs -Medicin  würde  somit  den  Umfang  der 
Thätigkeit  derjenigen  Medicinalbeamten  bezeichnen,  welche  nach  unsern  staatlichen 
Einrichtungen  gewöhnlich  beide  Discipline  repräsentiren.  Aber  schon  jetzt  macht 
sich  in  grossen  Städten  das  Bedürfniss  geltend,  die  Verwaltungs -Medicin  von 
der  Gerichts -Medicin  zu  trennen  und  die  erstere  besondern  Beamten  zuzuweisen, 
um  allen  Anforderungen  der  öffentlichen  Gesundheitspflege  entsprechen  zu  können. 
Das  Gebiet  derselben  ist  so  umfangreich,  dass  es  an  der  Zeit  ist,  einzelne  Zweige 
derselben  einer  besondern  Untersuchung  zu  unterwerfen. 

Wegen  der  grossartigen  Fortschritte  der  Industrie  und  der  damit  ver- 
bundenen jZunahme  der  schädlichen  Einflüsse  hat  man  bereits  eine  gewerb- 
liche Sanitätspolizei  unterschieden.  Aber  gerade  die  Gewerbe  und  die  In- 
dustrie erfordern  nicht  eine  zeitweilige,  sondern  eine  fortwährende  Ueber- 
wachung,  welche  als  ein  integrirender  Theil  der  öffentlichen  Gesundheitspflege 
zu  betrachten  ist;  es  muss  daher  eine  Gewerbe-Hygiene  in's  Leben  treten. 

Die  Nachtheile  vieler  Fabricationen  sind  nicht  nur  den  Arbeitern,  sondern 
auch  oft.  den  Fabricanten  selbst  unbekannt,  so  dass  die  Nichtbeachtung  derselben 
die  Gesundheit  und  das  Leben  vieler  Menschen  beständig  gefährdet.  Man  braucht 
in  dieser  Beziehung  nur  an  die  Manipulation  mit  den  verschiedensten  Giften  und 
die  explosive  Eigenschaft  mancher  Körper  zu  erinnern.  Der  erste  Fabricant  von 
Zündhölzchen,  Julien  Leroy  und  sein  Nachfolger  Daguer  Leroy,  sind  die  Opfer 
dieser  Fabrication  geworden,  während  der  Fabricant  Beilot  in  Prag  das  Augenlicht 
dabei  einbüsste.  Und  wie  viele  Menschen  sind  durch  die  Explosion  von  Dynamit- 
Fabriken  zu  Grunde  gegangen!  Nicht  nur  der  Maschinenbetrieb,  sondern  auch 
die  oft  weit  gefährlichere  Einwirkung  von  Staub,  Gasen  und  Dämpfen  bedürfen 
einer  beständigen  sanitären  Beaufsichtigung,  damit  zur  rechten  Zeit  die  geeigneten 
Präventiv- Mass  regeln  getroffen  werden  können. 

Die  Entwicklung  der  gewerblichen  Gesundheitspflege  in  den  verschiedenen  Ländern. 

Die  öffentliche  Gesundheitspflege  in  ihrer  Anwendung  auf  die  Gewerbe  und 
Industrie  muss  sich  die  Aufgabe  stellen,  die  materielle  Wohlfahrt  unter  der  arbei- 
tenden Classe  immer  mehr  zu  befördern  und  dadurch  auch  ihre  sittliche  Wohlfahrt 
zu  heben.  Alle  wichtigen  Erfindungen  und  Neuerungen  in  der  Industrie  berühren 
auch  die  öffentliche  Gesundheitspflege  und  ihre  Entwicklung  muss  gleichen  Schritt 
mit  der  der  Industrie  halten.  Schon  zur  Zeit  der  Zünfte  und  Innungen  bestand 
eine  Art  von  gewerblicher  Sanitätspolizei,  welche  jedoch  einen  beschränkten  Wir- 
kungskreis hatte.  Erst  mit  der  Freiheit  der  Gewerbe  trat  die  Aufforderung  ge- 
bieterisch heran,  eine  umfassendere  sanitätspolizeiliche  Beaufsichtigung  zu  be- 
werkstelligen. 


ß  Einleitung. 

Turgot  (f  1781),  Generalcontroleur  der  Finanzen  unter  Ludwig  XVI.,  gab  durch 
sein  berühmtes  Februar-Edict  von  1776  dem  Zunftwesen  den  Todesstoss.  ,,Indem  Gott 
dem  Menschen  Bedürfnisse  gab",  so  beginnt  dieses  Edict,  „und  ihm  die  Hülfsquellen 
der  Arbeil  anentbehrlich  machte,  hat  er  das  Recht  der  Arbeit  zum  Eigenthum  eines 
jeden  Menschen  gemacht.  Dieses  Eigenthum  ist  das  erste,  heiligste  und  unverjiihrbarste. 
Wir  aber  wollen  deshalb  diese  willkührliehe  Eigenschaft  abschaffen,  welche  dem  Dürf- 
tigen nicht  erlaubt,  von  seiner  Hände  Arbeit  zu  leben,  welche  den  Wetteifer  und  die 
Industrie  vernichtet  und  die  Talente  derjenigen  nutzlos  macht,  welche  durch  die  Ver- 
hältnisse vom  Eintritt  in  eine  Zunft  ausgeschlossen  werden." 

Im  April  1777  wurden  die  Arbeiter  in  ganz  Frankreich  für  frei  erklärt. 
Leider  wurden  im  Verlaufe  der  Zeit  wieder  neue  Monopole  unter  andern  Bedin- 
gungen ertheilt  und  die  frühern  Missbräuche  allmählig  wieder  hergestellt,  bis 
endlich  die  Revolution  vom  4.  August  1789  ein  Machtwort  sprach.  Die  Assemblee 
Constituante  verkündigte  durch  Decret  vom  2.  bis  17.  März  1791:  Es  wird  einem 
Jeden  freistehen,  ein  Geschäft  zu  machen  oder  ein  Handwerk,  eine  Kunst  oder 
ein  Gewerbe  zu  betreiben,  wie  er  es  für  gut  finden  wird. 

Was  in  Frankreich  erst  durch  Blutvergiessen  erreicht  wurde,  bahnte  iu 
England  der  grosse  Nationalökonom  Adam  Smith  durch  seiue  Lehrsätze  an,  bis 
sich  die  Freiheit  der  Arbeiter  immer  mehr  unter  allen  Culturvölkern  verbreitete. 
Wenn  man  von  den  Patentrechten  abstrahirt,  so  besteht  mit  Ausnahme  von 
Amerika  in  keinem  Lande  eine  so  absolute  Freiheit  der  Gewerbe  wie  in  Eng- 
land. Hier  gilt  der  Grundsatz,  nicht  die  geringste  Beschränkung  einer  gewerb- 
lichen Anlage  entgegenzustellen.  Man  fragt  nicht,  wo  und  wie  dieselbe  errichtet 
werden  soll.  Ob  und  inwiefern  dieselbe  mit  Nachtheil  verbunden,  ist  eine 
Frage  zweiter  Linie,  welche  gewöhnlich  erst  durch  die  Erfahrung  beantwortet 
wird.  In  England  war  überhaupt  die  Gesundheitspflege  bis  zum  Jahre  1848  keine 
Angelegenheit  der  Regierung,  was  sich  auch  in  der  neuesten  Zeit  nicht  wesent- 
lich geändert  hat.  Grundsätzlich  beschäftigt  sich  nur  die  Gemeinde,  die  Selbst- 
verwaltung, mit  dem  Gesundheitswesen.  Erst  gefährliche  Epidemien,  wie  die 
Cholera,  mussten  auch  hier  endlich  die  Ueberzeugung  verschaffen,  dass  die  Selbst- 
verwaltung vorzüglich  wegen  mangelhafter  Beurtheilung  der  einwirkenden  Schäd- 
lichkeiten nicht  überall  ausreicht. 

Die  bisher  gültigen  Gesetze  über  Abzugscanäle,  Wohnungs-  und  Bauver- 
hältnisse wurden  1848  in  die  „Act  for  promoting  the  Public  Health" 
(11,  12  Vict.  63.  1848)  aufgenommen,  welche  die  Grundlage  aller  sanitärer  Ver- 
ordnungen bildet.  Nur  der  Art.  64  beschäftigt  sich  mit  den  schädlichen  und  be- 
lästigenden Fabriken.  Neu  hierbei  war  nur  die  Organisation  der  General  und 
Local  Board  of  Health. 

Ein  Orts-Gesundheitsrath  (Local  Board  of  Health)  wird  von  grössern 
und  volkreichen  Ortschaften  gebildet,  wenn  entweder  ein  Zehntel  der  Steuerzahler 
es  verlangt  oder  die  Mortalitätsziffer  23  pro  Mille  übersteigt.  Ein  Central- 
Gesundheits-Amt  (General  Board  of  Health)  bildet  die  gerichtliche  Instanz 
bei  Beschwerden  und  ist  ermächtigt,  durch  Inspectoren  Untersuchungen  über  den 
Gesundheitszustand  der  Orte  und  Städte  anstellen  zu  lassen.  Die  Erfahrung  lehrte 
aber  bald,  dass  diese  Organisation  nicht  ausreichte  und  manche  Gemeinde  es 
scheute,  die  Kosten  für  die  Bildung  eines  Local  Board  of  Health  zu  bestreiten. 
Der  Staat  musste  sich  deshalb  ins  Mittel  legen  und  so  entstand  statt  des  General 
Board  of  Health  durch  Verordnung  vom  2.  August  1858  (The  Public  Health  Act 
Amendement.  21  u.  22.  Vict.  C.  97.)  das  Privy  Council,  eine  Art  von  mi- 
nisteriellem  Departement,    ein  königl.   Geheimer    Gesundheitsrath.    welcher 


Einleitung.  7 

aber  nur  dann  einschreitet,  wenn  die  Local  Boards  of  Health  ihre  Pflicht  ver- 
säumen. Er  bildet  somit  gleichsam  eine  höhere  Instanz  in  Sachen  der  Hygiene, 
erlässt  aber  auch  bei  gemeingefährlichen  Zuständen,  bei  Epidemien  etc.  besondere 
Verordnungen,  Ordresin    Council  (Königl.  Verordnungen4). 

Bei  Beschwerden,  welche  durch  gewerbliche  Anlagen  veranlasst  werden, 
entscheidet  niemals  die  Polizeibehörde,  sondern  jedem  Einzelnen  bleibt  es  über- 
lassen, seine  Klagen  über  Belästigungen  vorzubringen.  In  dieser  Beziehung  be- 
stimmt Nuisances  Removal  Act  vom  14.  August  1855  (18,  19.  Vict.  27), 
welche  an  die  Stelle  der  im  Jahre  1848  publicirten  „Nuisances  Removal  and  Diseases 
Prevention  Act"  trat,  Folgendes: 

„Wenn  eine  Lickterfabrik,  Schmelzhütte,  ein  Schnielzplatz,  eine  Seifensiederei,  ein 
Schlachthaus,  ein  Gebäude  oder  Platz,  welche  zum  Kochen  von  Abfällen  oder  Blut,  zum 
Kochen,  Brennen  oder  Stampfen  von  Knochen,  oder  eine  Fabrik,  ein  Gebäude  oder  Platz, 
welche  zu  einem  Handwerk,  Gewerbe,  Betriebe  (process)  oder  zur  Fabrication  benützt  wer- 
den, zu  irgend  einer  Zeit  von  einem  Gesundheitsbeamten  oder  zwei  qualificirten  jDraktischen 
Aerzten  der  Localbehörde  als  durch  ihre  Exhalationen  (effluvia)  schädlich  oder  belästigend 
für  die  Gesundheit  der  Nachbarschaft  bezeichnet  wird,  so  soll  die  Localbehörde  (the  local 
authority)  direct  vor  einem  Richter  Klage  erheben,  welcher  vor  zweien  in  kleiner  Sitzung  in 
ihrem  gewöhnlichen  Sitzungslocal  versammelten  Richtern  die  Person  vorladen  soll,  durch 
welche  oder  für  deren  Rechnung  (behalf)  die  Arbeit,  über  welche  man  sich  beklagt,  betrieben 
wird,  und  sollen  solche  Richter  die  Klage  untersuchen,  und  wenn  solchen  Richtern  es  scheint, 
dass  das  Gewerbe  oder  Geschäft,  welches  durch  die  verklagte  Person  betrieben  wird,  für  die 
Gesundheit  der  Einwohner  der  Nachbarschaft  schädliche  oder  belästigende  Exhalationen 
verursacht,  und  dass  eine  solche  Person  nicht  die  zweckmässigsten  Mittel  zur  Abhülfe 
solcher  Schädlichkeit  oder  zur  Vorbeugung  und  Verhütung  solcher  Exhalationen  ange- 
wendet hat,  so  soll  eine  so  sich  vergehende  Person  (sei  es  der  Eigenthümer  oder  Be- 
wohner (occupier)  der  Gebäude,  sei  es  der  Meister  oder  eine  andere  Person,  welche  von 
dem  Eigenthümer  oder  Pächter  beschäftigt  wird)  aivf  die  summarische  Ueb erfuhr ung 
eines  solchen  Vergehens  hin  in  eine  Summe  von  höchstens  5  Pfund  und  mindestens 
40  Schillinge  und  für  die  zweite  Contravention  in  die  Summe  von  100  Pfund  und  für  jede 
folgende  Contravention  in  eine  doppelt  so  grosse  Strafe,  wie  die  vorhergehende  war, 
verfallen;  immer  vorausgesetzt,  dass  die  Richter  ihr  Endurtheil  in  jedem  solchen  Falle 
unter  der  Bedingung  verschieben  können,  dass  die  verklagte  Person  innerhalb  einer 
angemessenen  Zeit  (within  a  reasonable  time)  diejenigen  Mittel  anwenden  wird,  welche 
die  gedachten  Richter  für  praktisch  halten  und  auszuführen  befehlen,  um  eine  solche 
Schädlichkeit  aufzuheben  oder  die  belästigenden  Wirkungen  solcher  Ausströmungen  zu 
massigen  oder  zu  verhüten,  oder  dass  sie  (die  verklagte  Person)  in  der  durch  diesen 
Act  vorgeschriebenen  Weise  Appell  einlegen  oder  sich  protokollarisch  verpflichten  wird, 
einen  solchen  Appell  zu  versuchen  und  demgemässs  appelliren  wird,  immer  vorausge- 
setzt, dass  die  im  Vorstehenden  enthaltenen  Verfügungen  sich  nicht  ausdehnen  und  nicht 
anwendbar  sein  sollen  auf  einen  Platz,  welcher  ausserhalb  der  Grenze  einer  grossen 
oder  kleinen  Stadt  oder  eines  bevölkerten  Districts  liegt."5) 

Dieses  Gesetz,  welches  die  Belästigungen  und  Nachtheile  der  Gewerbe  her- 
vorhebt, ist  viel  zu  allgemein  gehalten.  Die  Aufzählung  der  Gewerbe  ist  höchst 
unvollkommen:  die  Ausdrücke:  Handwerk,  Gewerbe,  Betrieb  oder  Fabrik  geben 
keine  hinreichende  Definition  und,  was  die  Hauptsache  ist,  es  bleibt  dem  indivi- 
duellen Ermessen  der  Richter,  welche  gewiss  keine  Sachverständigen  sind,  anheim- 
gegeben, ein  endgültiges  Urtheil  auszusprechen.  Ehe  es  aber  zu  einem  solchen 
Urtheil  kommt,  bleiben  dem  Verklagten  noch  viele  Mittel  und  Wege  offen,  den 
Process  weit  hinauszuschieben.  Auch  soll  es  häufig  in  England  vorkommen, 
dass  man  in  denselben  Localitäten  neben  den  gemassregelten  Gewerben  viel 
schädlichere  Fabricationen,  welche  keiner  Verordnung  unterworfen  sind,  antrifft. 
Andererseits  liegen  häufig  so  viele  Fabriken  in  einem  kleinen  Bezirk  zusammen, 
dass  die  Entscheidung  höchst  schwierig  ist,  wo  die  Quelle  der  schädlichen  und 
belästigenden  Einflüsse  aufzusuchen  und  zu  finden  ist.  Gerade  in  solchen  Fällen 
bleibt  der  Recurs  der  Nachbarschaft  ohne  Folge,  weil  es  fast  unmöglich  ist,  fest- 


8  Einleitung. 

zustellen,  welche  Fabrik  den  meisten  Schaden  zufügt,  abgesehen  davon,  dass 
die  Strenge  der  verschiedenen  Localbehürden  eine  sehr  verschiedene  ist,  wes- 
halb es  oft  vorkommt,  dass  dieselben  Gewerbe,  welche  an  gewissen  Orten  sehr 
gehemmt  sind,  an  anderen  wenig  oder  gar  nicht  beschränkt  werden.  Ausserdem 
hat  man  alle  Ursache,  die  bedeutenden  Processkosten  zu  scheuen,  da  es  sich  ge- 
wöhnlich um  Processe  handelt,  deren  Ausgang  gar  nicht  zu  übersehen  ist.  In 
England  muss  man  sich  deshalb  au  manche  Belästigungen  gewöhnen  und  jedesmal 
genau  erwägen,  ob  die  Erhebung  einer  Klage  Erfolg  verspricht. 

Für  die  in  England  geltenden  Grundsätze  ist  der  Art.  18  der  Nuisances 
Removal  Act  noch  besonders  charakteristisch,  da  nach  demselben  nur  unter  ge- 
wissen Bedingungen  das  Recht  ertheilt  wird,  schädliche  Etablissements  zu  be- 
suchen, weil  das  Gesetz  im  höchsten  Grade  die  Unabhängigkeit  des  Privateigen- 
thums  berücksichtigt  und  nur  unter  vielen  Schwierigkeiten  den  Zutritt  zu 
denselben  gestattet.  Wenn  die  Ortsbehörde  glaubt,  bestimmt  annehmen  zu  müssen, 
dass  auf  einem  Privatgrundstück  eine  Ursache  der  Belästigung  sich  vorfindet,  so 
darf  sie  oder  einer  ihrer  Beamten  verlangen,  zwischen  9  Uhr  des  Morgens  und 
6  Uhr  des  Abends  zur  Besichtigung  des  besagten  Grundstückes  zugelassen  zu  wer- 
den. Wurde  die  Zulassung  nicht  bewilligt,  so  konnte  jeder  die  Gerichtsbarkeit 
des  Ortes  vertretende  Richter,  wenn  die  Annahme  einer  Ursache  der  Belästigung 
vor  ihm  durch  einen  Eid  erhärtet  worden,  die  Person,  welche  das  Grundstück 
beaufsichtigt,  auffordern,  die  Localbehörde  oder  ihren  Beamten  zuzulassen.  Die 
Beschränkung  der  Eintrittsstunde  ist  seit  dem  Jahre  1862  weggefallen,  da  seit 
dieser  Zeit  vom  Handelsministerium  ressortirende  Regierungs-Inspectoren 
(Inspectors  of  Factories)  angestellt  worden,  welche  zu  jeder  Stunde  des  Tages 
und  der  Nacht  ohne  vorhergehende  Anmeldung  die  Fabriken  zu  besuchen  befugt 
sind.  Die  Aufmerksamkeit  dieser  Inspectoreu,  welche  keine  eigentlichen  Sachver- 
ständige sind,  richtet  sich  aber  hauptsächlich  auf  die  Prüfung  der  zum  Schutze  der 
Arbeiter  vor  Verletzungen  durch  Maschinen  getroffenen  Einrichtungen.  Auch  die 
Controle  der  Arbeitsstunden  und  die  Aufrechthaltung  der  Vorschriften  bezüglich 
des  Alters  der  vorhandenen  Kinder  liegt  ihnen  ob,  wohingegen  die  eigentliche 
sanitäre  Fürsorge  in  Betreff  anderer  schädlicher  Einflüsse  sie  nicht  beschäftigt. 
In  Kohlenbergwerken  wurde  der  Beförderungs-Maschine,  der  Beleuchtung, 
der  Instandhaltung  der  Grubenwerke  (Act  for  inspection  of  examiner  in  Great 
Britain  vom  14.  August  1850),  sowie  der  Ventilation,  Zimmerung  etc.  (23  u.  24 
Vict.  c.  151.  1860)  eine  grössere  Aufmerksamkeit  gewidmet.  Die  weitein  be- 
züglichen Verordnungen  fanden  einstweilen  in  der  „Coal  Mines  Regulation 
Act  vom  Jahre  1872"  ihren  Abschluss. 

Die  Beaufsichtigung  chemischer  Fabriken,  „The  alkali  works  Regu- 
lation Act  vom  Jahre  1863",  (26  u.  27  Vict.  c.  124)  wurde  vorzüglich  durch  Lord 
Derby  veranlasst,  nachdem  die  sauern  Dämpfe  der  Sodafabriken  und  metallurgi- 
schen Processe  grosse  Verwüstungen  angerichtet  und  fast  alle  Vegetation  in  der 
nächsten  Umgebung  solcher  Anstalten  vernichtet  hatte.  St.  Helene,  Newton  und 
Swansea  sind  noch  immer  beredte  Zeugen  für  diese  Thatsachen,  obgleich  vorge- 
schrieben worden,  dass  eine  Condensation  der  Salzsäure  bei  der  Sodafabrication 
auf  mindestens  95  %  der  aus  den  Oefen  hervorgehenden  Quantität  stattfinden 
sollte.  Uebrigens  hat  ein  Inspector  sämmtlicher  Alkali-Works  die  betreffenden 
Anstalten  selbst  zu  untersuchen  oder  durch  einen  Unterinspector  untersuchen  zu 


Einleitung.  9 

lassen.     Die  ßesorgniss,    durch  sanitäre  Massnahmen   störend  in   den  Betrieb  zu 
wirken,  lässt  jedoch  viele  Unzuträglichkeiten  zu. 

Ebenso  verhält  es  sich  mit  der  „Smoke  Nuisance  Abatement  Act"  vom 
1.  August  1854,  wonach  jede  in  der  Hauptstadt  bei  den  verschiedenen  Fabriken 
angewendete  oder  anzuwendende  Feuerung  derart  construirt  sein  muss,  dass  der 
aus  einer  solchen  Feuerung  hervorgehende  Russ  durch  dieselbe  verzehrt  oder  ver- 
branntwerden soll.  In  Wirklichkeit  kommt  nämlich  das  ganze  Gesetz  erst  zur  Sprache, 
wenn  eine  Klage  wegen  Belästigung  durch  Russ  erhoben  wird.  Auch  überlässt  das 
allgemeine  Gesetz  der  Localbehörde  einen  weiten  Spielraum,  innerhalb  dessen  sie  für 
die  vorhandene  Industrie  Ausnahmen  gewährt.  Auf  solche  Weise  gestattet  z.B.  Art.  45 
der  Local  Governement  Act  vom  2.  August  1858  (21  u.  22  Vict.  c.  98),  nach- 
dem er  den  Art.  58  der  Towns  Improvement  Clauses  Act  vom  21.  Juni  1847 
(10  u.  11  Vict.  c.  34)  wieder  in  Erinnerung  gebracht  und  incorporirt  hat,  Ausnahmen 

Unter  der  Beschränkung,  dass  die  oben  erwähnten  Anordnungen  bezüglich  des 
Verbotes  der  Russerzeugung  nicht  so  weit  gehen  sollen,  die  Verbrennung  des  ganzen 
Russes  bei  allen  und  einigen  der  folgenden  Fabi'iken  zu  bewirken,  nämlich  bei  der 
Koksfabrik,  beim  Calciniren  des  Eisenerzes  oder  Kalksteins,  bei  der  Fabrication  von 
Ziegeln,  Töpferwaaren,  künstlichen  Steinen,  Dachziegeln,  Röhren,  beim  Zugutemachen 
von  Erzen  oder  Mineralien,  beim  Schmelzen  der  Eisenerze,  beim  Raffiniren,  Puddeln 
und  Walzen  des  Eisens  und  anderer  Metalle,  beim  Schmelzen  des  Roheisens  oder  bei 
der  Glasfabrication  und  zwar  in  jedem  District,  in  welchem  die  Verordnungen  der  be- 
sagten Act  (der  Towns  Improvement  clauses  Act)  bezüglich  des  Verbotes  der  Russ- 
erzeugung noch  nicht  in  Kraft  sind  und  in  welchem  die  Ortsbehörde  entscheiden  wird, 
ob  eine  oder  mehrere  dieser  Operationen  in  Bezug  auf  die  Nichtverbrennung  des  ganzen 
Russes  während  einer  durch  dieselbe  Entscheidung  bestimmten  Frist  strafbar  sein  soll, 
welche  Frist  nicht  10  Jahre  überschreiten  darf,  aber  auf  einen  gleichen  oder  kürzeren 
Zeitraum  erneuert  werden  kann,  wenn  die  Localbehörde  es  für  passend  erklärt. 

Die  Belästigungen  durch  Fabrikanlagen  müssen  schon  einen  sehr  bedeuten- 
den Grad  erreicht  haben,  ehe  man  es  in  England  wagen  darf,  den  Rechtsweg  zu 
beschreiten.  Auch  die  Beschädigung  der  Arbeiter  durch  Staub,  schädliche  Gase 
etc.  hat  noch  nicht  die  nothwendige  Berücksichtigung  gefunden.  Bisher  hat  eigent- 
lich nur  die  Textil-Industrie  in  sanitärer  Beziehung  namentlich  durch  die  Ein- 
theilung  der  Arbeitszeit  wirkliche  Erfolge,  welche  auf  andern  Gebieten  von  gleicher 
Wichtigkeit  sind,  erreicht. 

Der  Fictil-Industrie  wendete  man  erst  die  öffentliche  Aufmerksamkeit 
zu,  nachdem  man  namentlich  in  den  Töpfereidistricten  von  Staffordshire  in 
Folge  der  langen  Arbeit  in  den  heissen  und  schlecht  oder  gar  nicht  ventilirten 
Trockenstuben  und  des  Einathmens  des  zum  Poliren  gebrauchten  Kieselstaubes, 
sowie  der  Einwirkung  der  hierzu  benutzten  metallischen  Lösungen  sehr  ungünstige 
Gesundheitsverhältnisse  angetroffen  hatte.  Alle  hierauf  Bezug  nehmende  Fabrik- 
gesetze, Factory  Acts  Exclusion  Acts  vom  Jahre  1864,  1867  mit  ihrem 
Nachtrag  vom  9.  August  1870:  „Factory  and  Workshops  Act"  beschäftigen 
sich  aber  hauptsächlich  nur  mit  der  Arbeitszeit  von  unerwachsenen  Personen  und 
Frauen,  obgleich  auch  von  Ventilations-Vorrichtungen,  welche  in  mit  Staub  an- 
gefüllten Localen  zu  errichten  sind,  die  Rede  ist.  Durch  die  „Local  Governe- 
ment Board  Act  vom  14.  August  1871"  (34  u.  35  Vict.  c.  70)  und  die  „Act  to 
amend  the  Law  relating  to  Public  Health"  vom  10.  August  1872  (35  u. 
36  Vict.  c.  79)  wurde  ein  neues  Ministerium  für  Armenweseu,  öffentliche  Ge- 
sundheitspflege und  Ortsverwaltung  geschaffen  und  dabei  England  in  städtische 
und  ländliche  Sanitäts-Districte  eingetheilt.  Dem  „Local  Governement  Board" 
werden  als  sanitärer  Centralbehörde    die    Genehmigung    von  Anleihen    der 


1  q  Einleitung. 

Orts- Sanitätsbehörde,  die  Beaufsichtigung  der  öffentlichen  Strassen,  die  Er- 
nennung und  Entlassung  von  Analytikern  zur  Ausführung  des  Gesetzes  gegen  Ver- 
fälschung der  Nahrongsmittel  und  Getränke,  die  bisherigen  Befugnisse  des  Mini- 
steriums des  Innern,  sowie  die  bisher  vom  Handelsministerium  ressortirende 
sanitäre  üeberwachung  der  Fabriken  und  der  Londoner  Wasserwerke 
übertragen. 

Bei  der  speciell  die  Industrie  betreffendes  englischen  Gesetzgebung  fällt 
aber  bezüglich  der  sanitären  Verordnungen,  welche  meistens  für  Schottland  und 
Irland  keine  Geltung  haben,  stets  das  Unsystematische  auf.  Die  vielfachen  Clausein 
entkräften  die  Principieu  der  Gesetzgebung  und  macheu  manche  Verordnung  ganz 
illusorisch.  Selbst  Verordnungen,  welche  durch  königliche  Decrete  und  Parlameuts- 
Acte  eiue  besondere  Kraft  erhalten,  verlieren  dadurch  ihre  Bedeutung,  dass  es 
nur  die  Localbehörde  ist,  welcher  die  Abfassung  und  Ausführung  derselben  zu- 
steht. Da  nun  die  Beurtheilung  und  Streuge  der  Behörden  eiue  sehr  verschiedene 
ist,  so  muss  sich  auch  nothwendigerweise  eine  grosse  Ungleichheit  der  Verord- 
nungen uud  Bestimmungen  ergeben.  Jedenfalls  haben  wir  noch  keine  Veranlas- 
sung,   England   bezüglich   der  Gewerbe-Hygiene  als   Musterstaat  aufzustellen. 

Unterwirft  man  die  vollständige  Freiheit  bei  der  Errichtung  von  industriellen 
Etablissements,  d.  h.  das  concessionslose  Verfahren,  eiuer  nähern  Erwägung, 
so  wird  man  seine  bedeutenden  Schattenseiten  nicht  verkenneu.  Wenn  nicht  schon 
bei  der  Anlage  einer  Fabrik  die  sanitären  Anordnungen  controlirt  werden,  so 
ist  es  in  den  meisten  Fällen  unmöglich,  während  des  spätem  Betriebes  das  Ver- 
säumte nachzuholen.  Bei  einer  ursprünglich  schlechten  Anlage  bleiben  alle  spätem 
Verbesserungen  unvollkommen.  Wie  beim  Bau  eines  Hauses  schon  beim  Entwerfen 
des  Bauplaus  die  verschiedenen  individuellen  Bedürfnisse  zu  berücksichtigen  sind, 
so  ist  es  bei  der  Anlage  einer  Fabrik  um  so  notwendiger,  gleich  von  vornherein 
die  baulichen  Einrichtungen,  die  Coustruction  der  Apparate  und  alle  sonstigen  Vor- 
kehrungen dem  spätem  Betriebe  genau  anzupassen,  da  alle  nachträglichen  Ver- 
besserungen besonders  dem  sanitären  Zwecke  selten  vollkommen  entsprechen. 
Dieser  verdient  aber  dieselbe  Berücksichtigung  wie  die  F'abricationsraethode,  denn 
die  Arbeiter  solleu  nicht  als  Werkzeuge,  deren  Abnutzung  uud  Zerstörung  gleich- 
gültig ist,  betrachtet  werden.  Auch  ökonomische  Gründe  sollen  nicht  über  Ein- 
richtungen, welche  das  Wohl  der  Arbeiter  erfordert,  entscheiden,  damit  nicht 
Gesundheit  und  Leben  eiuer  gewissenlosen  Sparsamkeit  zum  Opfer  fallen.  Bei 
der  gegenwärtigen  Production,  welche  nicht  nur  vielseitiger,  sondern  auch  in 
mancher  Beziehung  gefährlicher  geworden  ist,  erscheint  es  um  so  notwendiger, 
dass  der  Staat  die  Controle  übernimmt  uud  durch  ein  geregeltes  Concessions- 
verfahreu  die  Arbeiter  vor  Beschädigung  ihrer  Gesundheit  und  die  Anwohner 
vor  grosser  Belästigung  schützt.  Das  Concessionswesen  bietet  überhaupt  die  Mittel 
dar,  sowohl  den  Interessen  der  Industriellen  als  den  der  Arbeiter  und  Adjacenten 
gerecht  zu  werden,  wenu  bei  den  betreffenden  Untersuchungen  mit  S  ach  kenn  t- 
niss  verfahren  wird. 

In  Frankreich  bestimmte  das  Decret  vom  2.— 17.  März  1791,  dass  die 
Gewerbe,  obgleich  sie  an  und  für  sich  frei  wären,  die  bestehenden  und  noch  zu 
erlassenden  polizeilichen  Vorschriften  zu  beachten  hätten.  Die  Ordonnanz  vom 
12.  Februar  1801  berücksichtigte  die  Industrie  specieller,  jedoch  weniger  bezüg- 
lich der  Gesundheitsverhältnisse,  als  des  Beschwerdeverfahrens  de  commodo  et 
incommodo.     Unterm    15.  October  1810  erschien  alsdann   das   Decret  über  die 


Einleitung.  1 1 

Etablissements  insalubres  et  incoramodes,  welches  als  die  Grundlage  des  ge- 
werblichen Concessionsrechts  anzusehen  ist.  Die  leitenden  Bestimmungen 
für  das  Concessionsverfahreu  enthält  die  Ordonnauz  vom  14.  Januar  1815,  während 
das  Decret  vom  23.  März  1832  die  Competenzen  und  den  Beschwerdezug  ver- 
ordneten. Dabei  wurden  die  Gewerbe  bezüglich  ihrer  Gefährlichkeit  und  Be- 
lästigung classificirt. 

Nach  den  Decreten  vom  15.  October  1810,  vom  25.  März  1852  und  vom 
31.  November  1866  werden  die  gefährlichen,  gesundheitsnachtheiligen 
und  lästigen  Etablissements  in  3  Classen  getheilt.  Die  1.  C lasse  umfasst  die- 
jenigen, welche  entfernt  von  Wohnhäusern  stehen  müssen,  die  2.  Classe  diejenigen, 
welche  nicht  unbedingt  entfernt  von  Wohnhäusern  zu  stehen  brauchen,  deren 
Errichtung  aber  nur  gestattet  werden  darf,  nachdem  man  die  Ueberzeugung  ge- 
wonnen hat,  dass  die  darin  betriebenen  Arbeiten  so  ausgeführt  werden,  dass  sie 
die  Eigenthümer  der  Nachbargrundstücke  weder  belästigen,  noch  ihnen  Schaden  zu- 
fügen. Die  3.  Classe  umfasst  diejenigen  Etablissements,  deren  Errichtung  ohne 
Beanstandung  neben  Wohnhäusern  gestattet  ist,  welche  aber  der  Beaufsichtigung 
durch  die  Polizeibehörde  unterworfen  bleiben.6) 

Jede  Classification  der  Fabriken  hat  ihr  Bedenken  und  ist  auch  insofern 
unthunlich,  als  mit  dem  Fortschritt  der  Technologie  sich  theils  die  Darstellungs- 
methoden ändern,  theils  aber  auch  zur  Verwerthung  der  Nebenproducte  häufig 
Zweigfabricationen  nothwendig  werden,  welche  oft  dieselbe,  wenn  nicht  eine  noch 
grössere  sanitäre  Wichtigkeit  haben.  Eine  Ergänzung  der  Namenregister  im 
Verlaufe  von  mehreren  Jahren  reicht  nicht  aus,  da  sie  fast  jährlich  erforderlich 
wird.  Auch  ist  die  Eintheilung  der  Etablissements  nach  den  Graden  ihrer  Gefähr- 
lichkeit und  Belästigung  weder  exact  und  richtig,  noch  streng  durchzuführen.  So 
hat  man  z.  B.  die  Arsensäure-Fabrication  mittels  arseniger  Säure  und  Salpeter- 
säure in  die  1.  Classe  gesetzt,  wenn  die  Dämpfe  nicht  absorbirt  werden;  ge- 
schieht letzteres,  so  soll  die  Fabrication  zur  2.  Classe  gehören.  Sie  gehört  aber 
in  jedem  Falle  zur  1.  Classe,  da  sie  stets  mit  der  Entwicklung  eines  giftigen 
Staubes  verbunden  ist.  Die  Chlor-  und  Chlorkalk-Fabrication  hat  man 
in  die  2.  Classe  gesetzt,  obgleich  sie  unbedingt  zur  1.  gehört.  Die  Mennige- 
fabrication,  welche  ebenfalls  unbedingt  zur  1.  Classe  gehört,  hat  man  sogar 
der  3.  Classe  zugereiht. 

Häufig  hat  man  mehr  die  Schädlichkeit  oder  Gefährlichkeit  des  zu  erzielenden 
Productes,  als  die  Unzuträglichkeiten,  welche  während  der  Fabrication  auftreten, 
berücksichtigt.  Bekanntlich  können  aber  an  und  für  sich  unschädliche  Substanzen 
bei  ihrer  Darstellung  nicht  nur  belästigend,  sondern  auch  nachtheilig  einwirken. 
Betrachtet  man  z.  B.  die  Fabrication  von  schwefelsaurem  Eisenoxydul,  welche 
in  die  3.  Classe  gesetzt  worden  ist,  so  ist  das  zu  erzielende  Product  allerdings 
keine  giftige  Substanz,  aber  die  bei  der  Darstellung  desselben  auftretenden  höchst 
giftigen  und  gefährlichen  Gase  und  Dämpfe  gebieten  es  dringend,  dass  diese 
Fabrication  in  die  1.  Classe  gesetzt  wird,  vorausgesetzt,  dass  die  Fabrication  in 
einer  Lösung  von  metallischem  Eisen  in  verdünnter  Schwefelsäure  besteht.  Die 
dabei  auftretenden  übelriechenden  Kohlenwasserstoffe  veranlassen  nicht  nur 
eine  grosse  Belästigung,  sondern  das  sich  gleichzeitig  etwa  entwickelnde  Schwefel-, 
Phosphor-  und  Arsen  wasserstoffgas  ist  für  die  Gesundheit  der  Arbeiter 
und  Nachbarn  höchst  gefährlich.  Ferner  vereinigen  grossartige  Fabrikanlagen  die 
verschiedensten  Fabricationen  in  sich,    so  dass  man  nicht  selten    alle   3  Classen 


12  Einleitung. 

vod  Fabriken  vereinigt  fiudet.  Ausserdem  lässt  sich  das  Belästigende  und  Schäd- 
liche nicht  immer  genau  von  einander  trennen.  Alles  was  beständig  belästigt,  muss 
auch  schliesslich  schädlich  einwirken. 

Das  Gute,  welches  wir  Frankreich  verdanken,  besteht  in  dem  Concessions- 
v erfahren;  denn  die  staatliche  Ueberwaehung  der  Industrie  durch  Ertheiluug 
der  betreffenden  Concession  zu  einem  Betriebe  schliesst  sowohl  für  die  Industrie, 
als  für  die  Nachbarschaft  der  betreffenden  Fabriken  viele  Vortheile  und  Sicher- 
stelluugen  in  sich.  Der  Staat  schützt  einerseits  die  Industriellen  durch  Erthei- 
luug der  Concession  vor  willkürlichen  Chicaneu  der  Nachbarschaft,  indem  er  den 
Betrieb  gleichsam  sanctiouift,  während  andererseits  die  Nachbarschaft  der  Fabriken 
zeitig  genug  auf  die  möglichen  Nachtheile  aufmerksam  gemacht  wird,  welche  für 
sie  durch  den  Betrieb  einer  Fabrik  entstehen  können.  Mau  hat  vielfach  den 
schleppenden  Gang  der  Verhandlungen,  welcher  mit  dem  Coucessionsverfahreu 
verbunden  ist,  für  ein  Hinderuiss  im  industriellen  Leben  erklärt.  Dieser  Vor- 
wurf trifft  aber  iu  den  meisten  Fällen  weniger  die  Behörde  als  den  Coucessionär 
selbst,  namentlich  wenn  nur  höchst  unvollkommene  Beschreibungen  des  zu- 
künftigen Betriebes  geliefert,  keine  erläuternden  Zeichnungen  hinzugefügt,  die 
Erfordernisse  der  Gesetzgebung  ausser  Acht  gelassen  oder  häufig  Manipulationen 
und  die  dadurch  bedingten  Uebelstäude  verheimlicht  werden.  Durch  die  hier- 
aus nothwendig  entstehenden  nachträglichen  Erläuterungen  erwächst  nur  Zeit- 
verlust und  Aufchul)  des  Betriebes.  Wenn  der  Coucessionär  selbst  kein  Sach- 
verständiger ist,  so  muss  er  zeitig  genug  die  betreffenden  Techniker  zu  Rathe 
ziehen,  um  desto  schneller  zum  Ziele  zu  gelangen.  Die  Verwaltung  darf  höchstens 
auf  diejenigen  Puucte  aufmerksam  machen,  welche  einer  sorgfältigen  Erledigung 
bedürfen;  in  specielle  Angaben  kann  und  darf  sie  sich  nicht  einlassen,  weil  sie 
sonst  auch  für  die  Folgen  verantwortlich  bleibt,  wenn  die  Vorschläge  sich  in  der 
Praxis  uicht  bewähren  sollten. 

Das  französische  Concessiousverfahren  findet  sich  gegenwärtig  unter  gewissen 
Modalitäten  unter  den  wichtigsten  Culturvölkern  verbreitet.  Die  Gesundheits- 
räthe  (Consuls  d'hygiene  publique),  welche  für  ganz  Frankreich  seit  1848 
eingerichtet  siud,  sollen  auch  die  gesundheitlichen  Verhältnisse  in  Werkstätten 
überwachen,  lassen  aber,  wie  die  Sauitätscommissioneu  iu  Preussen,  bezüglich 
ihrer  Wirksamkeit  noch  Vieles  zu  wünschen  übrig.  Das  Comite  consultatif 
d'hygiene  de  France  scheint  eine  der  wissenschaftlichen  Deputation  für  das 
Medicinalwesen  iu  Preussen  ähnliche  Stellung  einzunehmen  und  zwar  dem 
.Ministerium  des  Innern  gegenüber. 

In  Belgien  wird  das  Concessiousverfahren  nur  mit  dem  Unterschiede  ge- 
handhabt, dass  die  selbstständigen  Organe  der  Selbstverwaltung,  die  Bürgermeister 
uud  uicht  das  Amt,  die  Concession  bewilligen.  Das  belgische  Gesetz  vom 
12.  November  1849  unterscheidet  Etablissements  dangereux,  insalubres  et  iu- 
commodes.  Das  Gefährliche  bezieht  sich  auf  die  Möglichkeit  von  Feuersbrünsten, 
Explosionen,  Niederschlägen  etc.,  das  Ungesunde  auf  schädliche  Dünste,  feste 
oder  flüssige  Abfälle,  das  Belästigende  auf  vielen  Staub,  Kohlenrauch,  heftige 
Geräusche,  unangenehme  Gerüche  etc. 

Auch  iu  Holland  verleiht  der  Bürgermeister  die  Concession,  aber  auf 
Gruudlage  eines  Gemeindebeschlusses.  Ueberhaupt  schliesst  sich  das  System  des 
Gesundheitswesens  in  beideu  Ländern  mehr  dem  englischen  an.  Auch  in  Belgien 
und  Holland  enthält  sich   die  Regierung  jedes   unmittelbaren  Eingriffes  und  nur 


EinleituBg.  13 

die  Gemeinden  repräsentiren  die  innere  Verwaltung,  obgleich  sieb,  auch  bier  das 
Bedürfniss  beransgestellt  bat,  für  wichtige  Gegenstände  der  Sanitätspobzei.  z.  B. 
für  Quarantaine  und  Begräbnisswesen,  allgemeine  Gesetze  zu  erlassen  und  der 
Selbstverwaltung  eine  staatliche  zur  Seite  zu  stellen.  In  Holland  bat  das  Gesetz 
vom  1.  Juni  1865  eine  Organisation  der  staatlichen  Verwaltung  an  die  Spitze 
der  örtlichen  Gemeindeverwaltungen  gesetzt.  Unter  demselben  Datum  sind  vier 
Gesetze  erlassen  worden,  von  denen  sich  drei  nur  mit  dem  Medicinalwesen  be- 
schäftigen, während  das  Gesetz  über  die  Organisation  der  Gesundheitsverwaltung 
die  Oberaufsicht  des  Staates  über  die  übrigens  selbstthätige  Gemeindeverwaltung 
regelt. 7) 

Obgleich  in  Belgien  die  Gesundheitspolizei  stets  noch  ihren  communalen 
Charakter  bebalten  hat,  so  erkennt  man  doch  immer  mehr  das  Recht  und  die 
Pflicht  des  Staates  an,  bei  wichtigen  Fragen  der  Sanitatspolizei  seihst  tbätig  ein- 
zugreifen. Das  Reglement  vom  26.  März  1842  hat  die  Academie  demedecine 
als  höchst  berathende  Behörde  eingesetzt,  während  die  provinziellen  Commissions 
de  sante.  welche  vom  Könige  ernannt  werden,  örtlich  berathende  Behörden 
sind  und  zugleich  auch  das  Recht  der  Praxis  für  Specialzweige  der  Heilkunde 
ertheilen  (Gesetz  vom  12.  März  1818).  Seit  1848  (Arr.  vom  12.  December  1848) 
sind  überall  Comites  locaux  de  salubrite  eingesetzt  worden,  welche  alle  sani- 
tätspolizeilichen Interessen  verhandeln  und  auch  die  Gewerbesanitätspolizei  berück- 
sichtigen. Dem  Ministerium  des  Innern  ist  die  gesammte  Gesundheitspflege  unter- 
geordnet. Dasselbe  lässt  durch  einen  Inspector  general  eine  noch  nicht  genau 
formulirte  Aufsicht  führen;  er  ist  vernichtet,  Bericht  zu  erstatten  und  Vorschläge 
zu  machen  (Arr.  vom  18.  Sept.  1845). 

In  Italien  ressortirt  die  öffentliche  Gesundheitspflege  ebenfalls  vom  Mini- 
sterium des  Innern,  nachdem  das  Regulativ  vom  8.  Juni  1865  durch  das  Gesetz 
vom  24.  November  1870  eine  grössere  Ausdehnung  erhalten  hat.  Als  ausübende 
Behörden  fungiren  im  Ministerium  der  Obergesundheitsrath.  bei  den  Prä- 
fecturen  die  Provinzial-Gesundheitsräthe  und  bei  den  Unterpräfecturen  die 
Bezirks-Gesundheitsräthe. 

Auch  in  Amerika  gibt  sich  das  regste  Interesse  für  Gesundheitspflege  kund. 
Einstweilen  hat  New-York  die  Initiative  in  diesem  Gebiete  ergriffen.  Unterm 
19.  Februar  1866  ist  nämlich  für  diese  Stadt  ein  Gesundheitsgesetz  (Metro- 
politan-Health-Bill)  erlassen  worden,  welches  1)  die  Einrichtung  eines  Stadt- 
Gesundbeitsdistrictes  nach  der  Zahl  der  Polizeirayons  und  2)  die  Einsetzung 
einer  Gesundheitsbehörde  für  jeden  dieser  Districte  bestimmt.  Letztere  ist 
zusammengesetzt  aus  4  Polizeicommissären,  dem  Hafen-Gesundheitsbeamten  und 
4  Gesundheitscommissären,  wovon  3  Aerzte  sein  müssen.  Die  Oberleitung  führt 
ein  Gesundheits-Superintendent  nebst  2  Assistenten.  Jede  Behörde  (Board) 
ernennt  noch  15  Districts-Inspectoren.  von  denen  10  erfahrene  und  mit  dem  be- 
treffenden Districte  vertraute  Aerzte  sein  müssen.  Ein  Gesundheits-Ingenieur 
prüft  ausserdem  noch  alle  Vorschläge,  überwacht  die  verschiedenen  Locabtäten 
und  hat  der  Behörde  bezügliche  Gutachten  abzuliefern.  Die  Behörde  (Board) 
wählt  ihre  eigenen  Beamten  und  der  Vorsitzende  ist  mit  allen  Machtbefugnissen 
ausgestattet,  welche  Kraft  des  Gesetzes  vom  1.  Mai  1865  dem  Stadt-Inspector 
(City-Inspector),  welcher  eiuem  prenssischen  Polizei-Präsidenten  entspricht,  zu- 
kommen. 8) 

Obgleich    die   Behörde    vorzugsweise    für    allgemeine    sanitäre    Verhältnisse 


14  Einleitung. 

thätig  ist,  so  scheint  doch  auch  die  Beaufsichtigung  der  Gewerbe  nicht  ausser 
ihrer  Befugniss  zu  liegen,  da  sie  alle  Amtspflichten  ausübt,  welche  sämnrtliche 
Sanitätsverhältnisse  von  New-York  und  Brooklyn  betreffen.  Sie  besitzt  einen 
vollständig  amtlichen  Charakter  mit  Executiv-Gewalt.  Ein  öffentliches  Be- 
schwerdebuch liegt  stets  auf.  iu  welchem  Jeder  auf  die  Schädlichkeiten,  welche 
Abhülfe  erheischen .  aufmerksam  machen  kann.  Alle  Gewerbe  sind  iu  Amerika 
ganz  frei.  Von  einem  Concessionsverfahren  kann  im  Lande  der  vollständigen 
Freiheit  nicht  die  Rede  sein. 

In  Deutschland  ist  es  die  Gewerbeordnung  für  das  deutsche  Reich 
vom  21.  Juni  18G9,  welche  das  Concessionsverfahren  vorschreibt.  Ein  grosser 
Theil  der  neuen  Gewerbeordnung  ist  den  frühern  preussischen  Gewerbegesetzen 
entnommen  wordeu.     §  16  derselben  lautet: 

-Zur  Errichtung  von  Anlagen,  welche  auf  die  örtliche  Lage  oder  die  Beschaffen- 
heit der  Betriebsstätte  für  die  Besitzer  oder  Bewohner  der  benachbarten  Grundstücke 
oder  für  das  Publicum  überhaupt  erhebliche  Gefahren.  Nachtheile  oder  Belästigungen 
herbeiführen  können,  ist  die  Genehmigung  der  nach  den  Landesgesetzen  zuständigen  Be- 
hörde erforderlieh.  Es  gehören  dahin:  Schiesspulver-Fabriken,  Anlagen  zur  Feuer- 
werkern und  zur  Bereitung  von  Zündstoffen  aller  Art,  Gasbereitungs-  und  Gasbewah- 
rungs-Anstalten,  Anstalten  zur  Destillation  von  Erdöl,  Anlagen  zur  Bereitung  von  Braun- 
kohlentheer. Stciukohlentheer  und  Kok.  sofern  bie  ausserhalb  der  Gewinnungsorte  des 
Materials  errichtet  werden,  Glas-  und  Russhütten,  Kalk-,  Ziegel-*)  und  Gypsöfen,  Anlagen 
zur  Gewinnung  roher  Metalle,  Röst-Ofen,  Metall-Giessereien,  sofern  sie  nicht  bloss  Tiegel- 
Giessereien  sind.  Hammerwerke,  chemische  Fabriken  aller  Art,  Schnellbleichen,  Firniss- 
siederek'ii.  Stärke-Fabriken,  mit  Ausnahme  der  Fabriken  zur  Bereitung  der  Kartoffelstärke, 
Stärke-Syrupsfabriken.  Wachstuch-,  Darmsaiten-.  Dachpappen-  und  Daehfilzfabriken, 
Leim-,  Thran-  und  Seifensiedereien,  Knochenbrennereien,  Knochendarren.  Knochenkoche- 
reieo  und  Knochen  -  Bleichen ,  Zubereitung*  -  Anstalten  für  Thierhaare.  Talgschmelzen, 
Schlächtereien,  Gerbereien,  Abdeckereien,  Poudretten-  und  Düngpulver-Fabriken,  Stau- 
anlagen für  Wassertriebwerke. 

Das  vorstehende  Verzeichniss  kann  je  uach  Eintritt  oder  Wegfall  der  im 
Eingang  gedachten  Voraussetzung  durch  Beschluss  des  Bundesraths,  vorbe- 
haltlich der  Genehmigung  des  nächstfolgenden  Reichstages,  abgeändert  werden. 
Eine  genauere  Präcisirung  des  Begriffes:  chemische  Fabrik,  würde  diesem 
Verzeichnisse  noch  einen  grössern  Spielraum  gelassen  haben.  Im  Grossen  und 
Ganzen  kann  man  nämlich  alle  Fabricationsmethoden  als  chemische  Processe  be- 
zeichnen, wobei  nicht  allein  die  äussere  Form  des  Rohproductes,  sondern  auch 
die  Elementarsubstanz  des  Bildungskörpers  verändert  oder  ein  anderer  Körper, 
welcher  vorher  nicht  frei  war,  nicht  auf  mechanischem  Wege  ausgeschieden 
wird.  So  gehören  Stärkefabriken  aus  Kartoffeln.  Reis>  Getreidemehl  nicht  zur 
Kategorie  chemischer  Fabriken,  weil  hier  nur  auf  mechanischem  Wege  das  fertig 
gebildete  Stärkemehl  ausgeknetet  wird.  Dagegen  ist  die  Stärkefabrication  aus 
Weizeu  mittels  der  Gährungsmethode  in  den  Bereich  der  chemischen  Fabriken 
zu  ziehen,  weil  hier  durch  den  Gährungsprocess  (durch  chemischen  Process)  der 
Kleber  zerstört  und  das  Stärkemehl  frei  gemacht  wird. 

Nach  einer  Verfügung  des  Ministeriums  der  Finanzen  vom  LI  Juli  1845 
gehören  in  Preussen  Färbereien  nicht  zu  deu  chemischen  Fabriken.  Sie  be- 
dürfen nur  daun  einer  besoudern  Erlaubnis*,  wenn  es  sich  bei  ihrer  Einrichtung 
um  die  Aulagen  von  Dampfkesseln  handelt  oder  mit  der  Färberei  auch  die  Dar- 
stellung chemischer  Präparate  verbunden  ist.  Dagegen  sollen  die  allgemeinen 
feuer-    und    baupolizeilichen   Vorschriften    bei   Färbereien    sowohl    wie   bei   jeder 

')  Fejdziegelöfen  Bind  ausgeschlossen.  Wenn  Kalk-  oder  Flechtöfen  nur  vorübergehend  zu  wirth- 
M-hafUicheu  Bedürfnissen  benutzt  werden,  so  genügt  für  dieselben  eine  ortspolizeiliche  Genehmigung. 
Kescr.  vom  15.  October  1849. 


Einleitung.  15 

andern  Anlage  zur  Berücksichtigung  kommen.  Andererseits  ist  jedoch  nicht  zu 
verkennen,  dass  viele  Färbereien  besonders  durch  ihre  Abflusswässer  höchst  ver- 
derblich einwirken  können,  wenn  sie  mit  nahegelegenen  Brunnen  in  Berührung 
kommen  oder  Flüsse  für  die  ökonomische  Benutzung  unbrauchbar  machen.  Zieht 
man  in  Betracht,  dass  die  Färbekunst  nur  in  einer  Reihe  aufeinanderfolgender 
chemischer  Processe  beruht,  so  sollte  den  Färbereien  in  sanitärer  Beziehung 
mehr  als  bisher  die  gebührende  Rücksicht  geschenkt  werden.  .  Es  würde  ganz 
naturgemäss  sein,  sie  zu  den  chemischen  Fabriken  zu  rechnen.  In  Preussen 
gilt  zwar  das  Gesetz  vom  28.  Februar  1843  über  die  Benutzung  von  Privatflüssen, 
Quellen  und  Seen  und  darf  das  zum  Betriebe  von  Färbereien,  Gerbereien,  Walken 
und  ähnlichen  Anlagen  benutzte  Wasser  keinem  Flusse  zugeleitet  werden,  wenn 
dadurch  der  Bedarf  der  Umgegend  an  reinem  Wasser  beeinträchtigt  oder  eine 
erhebliche  Belästigung  des  Publicums  verursacht  wird;  erfahrungsgemäss  werden 
aber  die  betreffenden  Klagen  selten  ausgefochten ,  wenn  die  Färbereien  etc.  nicht 
schon  bei  ihrer  ursprünglichen  Anlage  die  bezüglichen  erforderlichen  Anordnungen 
getroffen  haben  und  späterhin  nicht  mehr  in  der  Lage  sind,  denselben  nachzu- 
kommen. Die  Processe  schleppen  sich  dann  in  der  Regel  hin  und  schliesslich 
bleibt  es  bei  den  frühern  Ungehörigkeiten. 

Bei  Ertheilung  der  Concession  für  chemische  Fabriken  ist  in  Preussen 
nach  dem  Resc.  vom  23.  September  1855  (Minist.  Bl.  S.  188)  in  jede  derartige 
Concession  folgender  Vorbehalt  aufzunehmen: 

Wenn  die  Einrichtung  oder  der  Betrieb  der  Fabrik,  mögen  deshalb  Vorkehrungen 
oder  Bedingungen  besonders  vorgesehen  sein  oder  nicht,  demnächst  dem  Publicum  oder 
den  Nachbarn  zu  begründeten  Beschwerden  über  erhebliche  Nachtheile,  Gefahren  oder 
Belästigungen  Anlass  geben  sollte,  so  werden  durch  polizeiliche  Verfügung  diejenigen 
Veränderungen  in  der  Einrichtung  oder  im  Betriebe  vorgeschrieben  Averden,  welche  den 
Mängeln  Abhülfe  zu  gewähren  geeignet  sind,  und  bleiben  die  Unternehmer  solche  ohne 
Anspruch  auf  Entschädigung  zu  treffen  verpflichtet. 

Zu  diesen  Bedingungen  gehören  besonders  diejenigen  Anordnungen,  welche 
zum  Schutze  der  Arbeiter  gegen  Gefahr  für  Gesundheit  und  Leben 
nothwendig  sind. 

In  Preussen  sind  bezüglich  einzelner  Fabricationszweige,  z.  B.  der  Spiegel- 
fabriken, der  Fabrication  von  Phosphorzündhölzern  und  Anilinfarben  noch  beson- 
dere Bestimmungen  erlassen  worden.9)  Dasselbe  ist  der  Fall  in  Bayern,  welches 
erst  unter  dem  1.  Januar  1873  der  Gewerbeordnung  vom  21.  Juni  1869  beige- 
treten ist.10)  Für  Elsass  -  Lothringen  ist  nur  der  §29  derselben  gültig,  da  die 
französische  Gesetzgebung  erst  allmählig  zu  eliminiren  ist. 

Auch  in  0 esterreich  besteht  das  Concessionsverfahren.  Die  in  der  Ge- 
werbeordnung vom  20.  December  1859  aufgeführten  Betriebsanlagen  stimmen  im 
Ganzen  und  Grossen  mit  den  in  der  Gewerbeordnung  vom  21.  Juni  1869  für  das 
deutsche  Reich  unter  §  16  bezeichneten  überein.11) 

Wenn  der  Staat  das  Recht  hat,  Concessionen  zu  ertheilen  oder  zu  ver- 
weigern, so  müssen  die  Organe  desselben  auch  in  der  Lage,  sein,  an  die  Beurthei- 
lung  der  verschiedenen  Industriezweige  bezüglich  ihrer  Zu-  oder  Unzulässigkeit 
den  richtigen  Massstab  anzulegen.  Es  gibt  aber  bekanntlich  selbst  unter  Chemi- 
kern von  Fach  viele,  welche  mit  der  chemischen  Technologie  nicht  vertraut  sind. 
Letztere  verlangt  eine  reiche  Erfahrung,  ein  specielles  Studium  und  ein  sorgfältiges 
Verfolgen  der  Riesenfortschritte  dieser  Wissenschaft.  Die  Werke  über  chemische 
Technologie  schweigen  in  der  Regel  über  die  Nachtheile,  welche  der  industrielle 


]  6  Einleitung. 

Betrieb  auf  die  Gesundheit  der  Menschen  auszuüben  vermag.  Man  muss  Vieles 
gesehen,  geprüft,  viele  Erfahrungen  gesammelt  und  diese  durch  ein  gründliches 
Wissen  zum  richtigen  Verständniss  gebracht  haben,  ehe  man  zu  einem  bestimmten 
Urtheil  über  den  Einfluss  der  Industrie  auf  die  Gesundheit  berechtigt  ist. 

Von  manchen  Seiten  ist  der  unpraktische  Vorschlag  gemacht  worden,  zuerst 
den  Betrieb  einer  Anlage  zur  Probe  zu  eröffnen,  um  eventuell  die  Unzuträglich- 
keiten desselben  kennen  zu  lernen.  Ein  solcher  Probebetrieb  würde  schon  wegen 
der  kostspieligen  Ueberwachung,  wozu  sich  kein  Industrieller  verstehen  würde, 
unausführbar  sein..  Die  genaue  Prüfung  der  Anlage  vor  ihrer  Eröffnung  wird  stets 
die  Hauptsache  bleiben.  Medicinalbeamten  aber,  welche  sich  mit  dem  ganzen  Um- 
fange der  öffentlichen  Gesundheitspflege  beschäftigen  wollen,  müssen  den  Grund 
zu  ihrer  Befähigung  hierzu  schon  auf  Universitäten  legen  und  ihre  Studien  dem- 
gemäss  einrichten.  Eine  physicalische  und  chemische  Durchbildung  muss  die 
Grundlage  bilden,  auf  welcher  sie  den  Besuch  und  das  Studium  von  Fabriken 
und  Anlagen  erst  praktisch  verwerthen  können.  Lehrstühle  für  die  öffentliche 
Hygiene,  welche  neuerdings  als  ein  Hauptziel  erstrebt  werden,  können  nur 
dann  von  Bedeutung  sein,  wenn  sie  mit  Laboratorien  verbunden  sind,  in  welchen 
die  einschlägigen  Arbeiten  praktisch  ausgeführt  werden,  wozu  aber  stets  die 
physicalischen  und  chemischen  Kenntnisse  schon  vorausgesetzt  werden  müssen. 
Wie  Niemand  der  gerichtlichen  Medicin  sich  widmen  kann,  ohne  vorher  die  Arzuei- 
kunde  mit  ihren  sämmtlichen  Hülfswissenschaften  sich  angeeignet  zu  haben,  so 
ist  auch  die  öffentliche  Gesundheitspflege  nur  durch  die  Anwendung  der  Medicin, 
Chemie  und  Physik  auf  alle  das  öffententliche  Sanitätswesen  betreffende  Fragen 
zur  Durchführung  zu  bringen. 

Das  Concessionsverfahren 

Wird  die  Concession  zur  Errichtung  eiuer  industriellen  Anlage 
nachgesucht,  so  ist  in  sanitärer  Beziehung  zu  beachten  und  näher  zu  prüfen 
ob  durch  den  Betrieb  die  Gesundheit  der  Arbeiter  beschädigt  oder  die  nächste 
Umgebung  belästigt  oder  gefährdet  werden  kann. 

Es  sollen  zunächst  die  allgemeinen  Principien,  welche  hier  zur  Geltung 
kommen,  erörtert  werden.     Es  ist  zu  beurtheilen: 

A.    Die  Anlage  resp.  die  Gebäulichkeiten. 
Nach  der  Anweisung  zur  Gewerbe-Ordnung  für  das  Deutsche  Reich  muss  aus 
den  Vorlagen  der  Gewerbetreibenden  hervorgehen: 

1)  Die  Grosse  des  Grundstückes,  auf  welchem  die  Betriebsstätte  errichtet  werden 
-"II,  sowie  die  Bezeichnung,  welche  dasselbe  im  Hypothekenbuch  oder  Kataster  führt. 

2)  Die  gleichzeitige  Bezeichnung  der  Grundstücke,  welche  es  umgeben,  sowie  die 
Namen  der  Eigenthümer. 

3)  Die  Entfernung,  in  welcher  die  zum  Betriebe  bestimmten  Gebäude  oder  Ein- 
richtungen von  den  Gränzen  der  benachbarten  Grundstücke  und  Gebäulichkeiten,  sowie 
von  den  nächsten   Wegen  zu  liegen  kommen  sollen. 

Ueber  das  Mass  der  Entfernung  einer  gefährlichen  oder  schädlichen  Fabrik 

von   den   nächsten   Wohnungen   lassen   sich   keine    bestimmten   Normen   angeben. 

Das  französische  Gesetz  hat  5  Kilometer  und  ein  englisches  Gesetz  (the  Motropo- 

litan   Building  Act.  1844.   Act.  54,  58)  wenigstens  50  Fuss  (engl.)  angenommen. 

In  Belgien  hat  eine  königl.  Verordnung  vom  15.  August   1851    diese  Entfernung 

auf  200  Meter  festgesetzt,  wärend  der  im  Jahre  1875  zu  Brüssel  tagende  Gesund- 

heitscongress  300  Meter  für  nothwendig  hielt.    Es  lässt  sich  nur  nach  dem  concreten 


Einleitung.  1 7 

Fall  ein  bestimmtes  Urtheil  abgeben.  Manche  Fabricen  und  Anlagen,  wie  Schwefel- 
säurefabriken  und  Zinkhütten,  schaden  mehr  den  entfernt  liegenden  Wohnungen 
als  den  nächsten.  Zur  Grundlage  des  Urtheils  dient  im  Allgemeinen  die  höhere 
oder  tiefere  Lage  einer  Fabrik,  ihre  Umgebung  mit  hohen  Mauern,  die  Höhe  der 
Mauern,  die  rauchverzehrende  Einrichtung,  ganz  besonders  der  Strichwind  und 
der  Gebirgszug  der  nächsten  Umgebung. 

4)  Die  Höhe  und  Bauart  der  benachbarten  Gebäude,  sofern  zu  der  Betriebsstätte 
Feuerungsanlagen  gehören. 

5)  Die  Lage,  Ausdehnung  und  Bauart  der  Betriebsstätte,  die  Bestimmung  der  ein- 
zelnen Räume  und  deren  Einrichtung,  soweit  dieselbe  nicht  beweglich  ist. 

6)  Der  Gegenstand  der  Fabrication ,  soweit  dieselbe  innerhalb  der  Betriebsstätte 
erfolgt,  die  ungefähre  Ausdehnung,  sowie  die  Art  und  der  Gang  des  Betriebes;  bei 
chemischen  Fabriken  insbesondere  die  genaue  Bezeichnung  des  Fabricats  und  des  Her- 
gangs seiner  Gewinnung. 

7)  Die  Behörden,  bei  welchen  der  Antrag  eingereicht  wird,  haben  zu  prüfen,  ob 
gegen  die  Vollständigkeit  der  Vorlage  Etwas  zu  erinnern  ist.  Die  Bauzeichnungen  und 
Nivellements  sind  zu  dem  Behufe  den  zuständigen  Baubeamten,  die  Beschreibungen 
solcher  Anlagen,  welche  schädliche  Ausdünstungen  verbreiten,  dem  zuständigen  Medicinal- 
beamten  (resp.  einem  technischen  Sachverständigen)  vorzulegen.  Diese  haben  die  erfolgte 
Prüfung  auf  den  Vorlagen  zu  bescheinigen.  Finden  sich  Mängel,  so  ist  der  Unternehmer 
zur  Ergänzung  auf  kürzestem  Wege  zu  veranlassen. 

8)  Hinsichtlich  der  Feuergefährlichkeit  hat  man  noch  zu  unterscheiden,  ob  bei 
der  Fabrication  leicht  entzündliche  Körper  von  gas-  oder  dampfförmiger,  von  flüssiger 
oder  fester  Natur  vorkommen. 

Bei  gas-  oder  dampfförmigen  explosiven  Substanzen  ist  künstliche 
Beleuchtung  und  Ofenheizung  zu  vermeiden.  Die  Heizung  muss  mittels  erwärmten 
Wassers  oder  Wasserdampfes  geschehen  und  die  Beleuchtung  von  aussen  bewerk- 
stelligt werden.  Bei  Körpern,  welche  durch  Schlag  oder  Stoss  explodiren,  sind 
alle  Erschütterungen  und  Reibungen  zu  vermeiden.  Motoren  oder  in  Bewegung 
sich  befindliche  Maschin  entheile  dürfen  sich  nicht  im  Arbeitsraum  befinden.  Die 
Arbeitsräume  sind  ganz  zu  isoliren  und  namentlich  von  den  Vorrathsräumen  zu 
trennen.  Metalle  sind  so  viel  als  möglich  bei  der  Arbeit  zu  vermeiden.  Die 
Arbeitsräume  müssen  unterirdisch  liegen  und  von  Wällen  umgeben  sein.  Das 
Gebäude  selbst  darf  nicht  überwölbt  sein,  es  muss  aus  leichtem  Holzwerk  mit 
Pappbedachung  bestehen. 

Bei  flüssigen  feuergefährlichen  Substanzen  ist  eine  tiefere  Lage  der  Fabrik- 
sohle unter  das  umgebende  Terrain  nothwendig,  damit  flüssige  brennende  Reste 
nicht  nach  aussen  fliessen  können.  Handelt  es  sich  um  flüssige  explosive 
Substanzen,  z.  B.  um  Nitroglycerin,  so  darf  kein  Apparat  mit  einem  Erahnen 
versehen  sein,  um  alle  Reibung  zu  verhüten.  Am  besten  eignen  sich  hierzu  die 
sog.  Quetschhähne. 

Bei  feuergefährlichen  Substanzen,  wobei  keine  Explosion  zu  befürchten  ist, 
sind  Ueberwölbungen  der  Gebäude,  eiserne  Fenster  und  Thüren  nothwendig,  um 
bei  einem  Brand unglück  durch  einen  hermetischen  Verschluss  die  Erstickung  des 
Feuers  sofort  veranlassen  zu  können. 

9)  Sehr  wichtig  ist  die  Anlage  der  Dampfkessel,  da  in  Folge  von  Explosionen 
noch  jährlich  viele  Menschen  geopfert  werden.  Die  meisten  Staaten  haben  deshalb  auch 
Vorkehrungen  getroffen,  um  den  nachtheiligen  und  gefährlichen  Folgen,  denen  die  Ar- 
beiter ausgesetzt  sind,  soviel  als  möglich  vorzubeugen. 

In  Preussen  sind  die  desfallsigen  gesetzlichen  Bestimmungen  in  der  Aller- 
höchsten Cabinetsordre  vom  1.  Januar  1831,  vom  27.  September  1837,  im  Re- 
gulativ des  Handelsministeriums  vom  6.  September  1848  und  in  der  Circularver- 
fügung  desselben  Ministeriums  vom  19.  März  1852  enthalten. 

Eulenberg,  Gewerbe -Hygiene.  2 


18  Einleitung. 

Nach  der  Anweisung  zur  Gewerbeordnung  des  Deutschen  Reiches  sind 
alle  Anlagen,  zu  deren  Errichtung  es  einer  besondern  Genehmigung  bedarf, 
bezüglich  ihres  Betriebes  auch  für  die  Zukunft  derjenigen  polizeilichen  Aufsicht 
unterworfen,  welche  durch  besondere  Gesetze  oder  polizeiliche  Verordnungen  einge- 
führt ist.  Deshalb  bleiben  die  in  einzelnen  Landestheilen  bestehenden  Bestimmungen 
in  Betreff  der  regelmässig  wiederkehrenden  Revision  der  im  Betriebe  befindlichen 
Dampfkessel,  in  Preussen  namentlich  das  Gesetz,  betreffend  den  Betrieb  der 
Dampfkessel,  vom  7.  Mai  1856  nebst  dem  dazu  erlassenen  Regulativ  vom  23.  Aug. 
1856  (Minist.-Bl.  S.  210)  nach  wie  vor  in  Kraft. 

Bezüglich  der  Dampfkessel- Anlagen  sind  nach  den  Bestimmungen  des 
Regulativs,  betreffend  die  Anlage  von  Dampfkesseln,  vom  31.  August  1861  (Minist.- 
Bl.  S.  177)  und  für  bewegliche  Dampfkessel  der  Erlass  vom  13.  März  1855 
(Minist.-Bl.  S.  49)  massgebend. 

Ebenso  behalten  die  auf  Grund  des  Circular-Erlasses,  betreffend  die  Auf- 
stellung und  den  Gebrauch  von  Lokomobilen,  vom  13.  März  1855  (Minist.-Bl. 
S.  49)  ergangenen  Polizeiverordnungen  insoweit  ihre  Geltung,  als  sie  den  Betrieb 
der  beweglichen  Dajnpf  kessel  unter  die  besondere  Aufsicht  der  Ortspolizeibehörden 
gestellt  und  ihre  wechselnde  örtliche  Aufstellung  an  die  Beachtung  gewisser  Vor- 
sichtsmassregeln gebunden  haben. 

Auf  Grund  der  nach  §  24  der  Gewerbeordnung  ertheilten  Genehmigung 
können  die  beweglichen  Dampfkessel  zwar  an  jedem  beliebigen  Orte  aufgestellt 
und  in  Betrieb  gesetzt  werden,  ohne  dass  es  einer  wiederholten  Genehmigung 
bedarf,  es  sind  aber  die  für  den  Gebrauch  derselben  an  den  einzelnen  Orten 
erlassenen  Vorschriften  nach  wie  vor  zu  beachten. 

Die  Polizeibehörde  ist  befugt,  vor  dem  Beginn  des  Betriebes  einer  jeden 
gewerblichen  Anlage,  welche  der  Genehmigung  bedarf,  sich  durch  eine  Unter- 
suchung zu  überzeugen,  dass  die  Ausführung  der  Bedingungen  der  ertheilten 
Genehmigung  entspricht.  Bei  Dampf  kessel- Anlagen  ist  eine  solche  vorgängige 
Untersuchung  nothwendig.  Zur  Ausführung  derselben  ist  jeder  königl.  Bau- 
beamte und  Revierbeamte,  sowie  jeder  königl.  Eisenbahn-Maschinenmeister  befugt. 

Die  allgemeinen  polizeilichen  Bestimmungen  über  die  Anlegung  von 
Dampfkesseln  für  das  Deutsche  Reich  finden  sich  in  der  Bekanntmachung  des 
Reichskanzleramts  vom  29.  Mai  1871  (Reichs- Gesetzblatt  No.  23,  S.  122).  i2) 

In  Oesterreich  bildet  die  Verordnung  vom  11.  Februar  1854  die  Grund- 
lage, während  das  Edict  vom  15.  September  1858  forciert,  dass  die  Bedienung 
der  Dampfkessel  sich  einer  besondern  Prüfung  unterwirft.  Die  neueste  ausführliche 
Verordnung  datirt  vom  1.  September  1866. 

In  Nordamerika  sind  auf  Kosten  der  Gouvernements  wissenschaftliche  Unter- 
suchungen über  Explosionen  angestellt  worden,  nach  welchen  es  der  Einsicht  und 
Klugheit  jedes  Einzelnen  überlassen  bleibt,  von  der  erlangten  Kenntuiss  und  Er- 
fahrung den  nöthigen  Gebrauch  zu  machen. 

In  England  macht  das  Gesetz  jeden  Kesselbesitzer  für  den  Schaden  ver- 
antwortlich, der  durch  seine  Nachlässigkeit  den  Verunglückten  oder  deren  Fa- 
milien zugefügt  wird,  so  dass  derselbe  in  jedem  besondern  Falle,  je  nach  der 
Bestimmung  einer  Jury,  die  lebenslängliche  Pensionirung  jedes  Verwundeten  oder 
die  Versorgung  der  ganzen  Familie  jedes  Getödteten  übernehmen  muss.  In  Folge 
dieser  Einrichtung  haben  sich  in  Manchester  Vereine  von  Kesselbesitzern  zu 
dem  Zwecke  vereinigt,  alle  den  Mitgliedern  gehörige  Kessel  unter  die  Inspection 


Einleitung.  19 

und  Aufsicht  eiues  praktischen  Ingenieurs  und  zuverlässiger  Inspectoren  zu  stellen, 
welche  in  regelmässigen  Zwischenräumen  den  Zustand  jedes  Kessels  auf  das  Ge- 
naueste untersuchen.  Die  älteste  dieser  Gesellschaften,  Association  for  Preven- 
tion  of  Steam  Boiler  Explosions,  wurde  im  Jahre  1855  gegründet.  Spätere 
Gesellschaften  leisten  ausser  der  Inspection  der  Kessel  auch  noch  vollständigen 
Schadenersatz  für  jede  durch  Explosionen  entstandene  Zerstörung. 

Neuerdings  hat  das  Entschädigungsprincip  auch  in  Preussen  viele  An- 
hänger gefunden.13) 

In  Mannheim  ist  im  Jahre  1866  eine  Gesellschaft  zur  Ueberwachung  und 
Versicherung  von  Dampfkesseln  auf  Veranlassung  des  badischen  Handelsministeriums 
gegründet  worden  und  durch  freiwillige  Vereinigung  von  Dampfkesselbesitzern 
entstanden.  Ihre  Aufgabe  besteht  darin,  die  Dampfkessel- Anlagen  ihrer  Mitglieder 
durch  sachverständige  Ingenieure  revidiren  zu  lassen  und  zwar  äusserlich  wäh- 
rend des  Betriebes,  innerlich  und  in  den  Zügen  ausser  Betrieb,  um  dadurch  vor- 
handene Schäden  zu  entdecken  und  deren  Beseitigung  zu  veranlassen. 

10)  Die  Centrifugalmaschinen  (Centrifugen)  verdienen  eine  eben  so  grosse 
Beachtung,  wie  die  Dampfmaschinen.  Sie  können  während  des  Betriebes  durch  Bruch 
und  Zertrümmerung  explosionsähnliche  Wirkungen  hervorrufen.  Dieselben  müssen  immer 
tiefer  als  die  Arbeitsräume  liegen,  weil  beim  Zerplatzen  derselben  während  des  Betriebes 
die  einzelnen  Fragmente  sich  horizontal  bewegen  und  somit  den  ganzen  Arbeitsraum 
bestreichen  können. 

Die  Centrifugen  müssen  stets  mit  einer  Hülle  umgeben  sein,  welche  ausser- 
dem das  Umherschleudern  der  zerschmetterten  Theile  unmöglich  macht,  zu 
welchem  Zwecke  man  sie  noch  mit  Tauen  von  Hanf,  Eisen-  oder  Kupferdraht  um- 
wickelt. Auch  sollten  diese  Maschinen  niemals  von  Gusseisen,  sondern  von  ge- 
schlagenem Eisen  angefertigt  werden. 

Ventilatoren,  welche  bekanntlich  eine  senkrechte  Bewegung  haben,  können 
beim  Zerspringen  niemals  so  bedeutende  Verheerungen  veranlassen,  wie  die  Centri- 
fugen. Da  in  diesem  Falle  die  Fragmente  in  die  Höhe  geschleudert  werden,  so 
müssen  die  Ventilatoren  nicht  in  überbauten  Räumen,  sondern  wo  möglich  im 
Freien  oder  zwischen  hohen  Mauern  aufgestellt  werden. 

B.  Der  Betrieb  der  gewerblichen  Anlagen. 
Eine  allgemeine  Beurtheilung  desselben  ist  bei  der  grossen  Mannigfaltigkeit 
der  zu  bearbeitenden  Stoffe  sehr  schwierig.  Der  Betrieb  steht  oft  mit  den  ge- 
sundheitlichen Verhältnissen  im  innigsten  Zusammenhange,  wie  sich  aus  nach- 
folgender allgemeiner  Uebersicht  ergibt.  Man  kann  bezüglich  der  verschiedenen 
Manipulationen  beim  Betriebe  unterscheiden: 

I.    Mechanische  Zertheilung. 
1.  Trockene  Zertheilung.     Pulverisiren  und  Sieben. 

a)  Kommen  unschädliche  Substanzen  zur  Anwendung,  so  handelt  es  sich  * 
nur  um  Belästigung  durch  Staub,  z.  B.  beim  Mahlen,  Beuteln  in  Mahl- 
und  Stampfmühlen,  bei  Pulverisir-  und  Reibanstalten. 

b)  Handelt  es  sich  um  schädliche  Substanzen,  werden  giftige  Metall- 
oxyde, Bleiweiss,  Bleiglätte,  Mennige  gemahlen  und  gepulvert,  werden 
giftige  Erze  (Glasurerze,  arsenikalische  Nickel-Kobalt-Erze  etc.)  auf  Poch- 
werken bearbeitet,  so  ist  bei  unvorsichtiger  Handhabung  die  grösste  Ge- 
fahr für  die  Arbeiter  vorhanden.  Selbst  beim  Pulverisiren  von  Droguen, 
namentlich   von    sehr   reizenden    Substanzen,  z.  B.   von    Cayennepfeffer, 

2* 


20  Einleitung. 

Eupborbiumharz,  Gewürznelken  etc.  kann  eine  bedeutende  Reizung  der 
Nasenschleimhaut  entstehen.  Das  Pulverisiren  von  Rad.  Ipecacuanha 
erzeugt  bekanntlich  bei  manchen  Menschen  ein  vollständiges  Asthma, 

2.  Nasse  Zertheilung.    Mahlen  unter  Zusatz  vou  Wasser:  Schlemmen. 

a)  Unschädliche  Substanzen.  Theer-  und  Ockermühlen,  das  Fertig- 
stellen von  Farben  in  Teigform  gehören  hieher.  Das  abfliessende  Wasser 
kann  hier  nur  insofern  nachtheilig  einwirken,  als  die  Canäle,  welche  die- 
selben aufnehmen,  leicht  verschlammen. 

b)  Giftige  Substanzen.  Hieher  gehören:  Blei  weiss,  Massicot  -Schlemm- 
mühlen, Stossherde  bei  Bergwerken  etc.  Hier  sind  ganz  besonders  die 
Schlemmwässer  zu  beachten,  insofern  sie  giftige  Substanzen  suspendirt 
oder  gelöst  enthalten.  Auch  die  Zertheilung  von  Calomel  durch  Wasser- 
dampf gehört  hieher. 

3.  Zertheilung  durch  feurigen  Fluss  oder  Schmelzen.  Schrotfabri- 
cation,  Granuliren  von  Metallen,  Schlagloth  oder  Zink,  Weihrauchfabrication  etc. 
Die  beim  Schmelzen  aufsteigenden  Dünste  sind  sehr  beachtungswerth ,  wenn  sie 
aus  giftigen  Metallen  und  Metalloxyden  bestehen.  Kommt  Wasser  beim  Granuliren 
zur  Anwendung,  so  können  die  Abfiusswässer  wegen  ihres  Metallgehalts  schäd- 
lich einwirken. 

Bei  der  Weihrauchbereitung  wird  die  Umgegend  sehr  belästigt  und  die  Feuers- 
gefahr ist  wegen  der  sich  entwickelnden  ätherischen  Oele  gross.  Die  Abfluss- 
wässer enthalten  ätherische  und  übelriechende  (kreosothaltige)  Substanzen,  wes- 
halb sie  nicht  in  Schlinggruben  abgelassen  werden  dürfen.  Ausserdem  sind  sie 
sauer  durch  ihren  Ameisensäuregehalt  und  können  Metalle,  womit  sie  in  Berüh- 
rung kommen,  angreifen. 

II.    Die  Präparation  verschiedener  Substanzen,  wobei  das  Wasser  als  Medium  dient. 

Hieher  gehört  das  Ausziehen  und  Auslaugen  mittels  kalten  und  warmen 
Wassers  und  Wasserdämpfe 

1.  von  Substanzen,  welche  nicht  in  Fäulniss  übergehen.  Beim 
Extrahiren  der  Nutzhölzer  unterliegen  nur  die  Abflusswässer  der  Fäulniss,  ent- 
halten Gerbstoffe  und  dürfen  nicht  in  die  Schlinggruben  oder  Flüsse  abgeleitet 
werden,  weil  sie  die  Brunnen  verderben  resp.  die  Fische  vergiften. 

2.  Substanzen,  welche  sehr  leicht  in  Fäulniss  übergehen.  Das 
Schwellen  der  Häute,  des  Leimguts  etc.  Bei  der  Kartoffelstärkefabrication  unter- 
liegen die  Rückstände  und  das  mit  organischen  Substanzen  imprägnirte  Wasser 
leicht  dem  Fäulnissprocesse. 

3.  Substanzen,  welche  leicht  in  Fäulniss  übergehen  und  bei 
welchen  man  durch  die  Behandlung  mit  Wasser  einen  Fäulniss-  und 
Gährungsprocess  einleiten  will.  Weizenstärkefabrication ,  Indigofabrication, 
Flachsrösten,  Entkernen  der  Hörner,  Enthaaren  der  Häute  durch  Schwitzen, 
Reinigen  der  Knochen  durch  Maceration,  Darmsaiten-,  Pergament-  und  Käse- 
fabrication  etc. 

III.    Oxydationsprocesse. 
1.  Vollständige  Verbrennung.    Heizung   und   Beleuchtung   als   solche, 
wobei  Russ,  schädliche  Dämpfe  und  Gase  zu  beachten  sind.     Ferner  die  Anwen- 
dung der  Verbrennung  bei  der  Landwirtschaft,  das  Schiffein  und  Moorbrennen. 


Einleitung.  21 

2.  Partielle  Oxydationen.  Sämmtliche  Rost-  und  Reductionsprocesse, 
Staub,  Rauch,  Russ,  schädliche  Dämpfe  und  Gase,  Einwirkung  der  Hitze,  rascher 
Temperaturwechsel  und  Beschädigung  durch  Brand  kommen  hier  vor. 

3.  Oxydation  an  freier  Luft  durch  den  atmosphärischen  Sauerstoff. 

a)  Verwitterungsprocess  bei  gewöhnlicher  Temperatur.  Oxy- 
dation des  Schwefelkieses  und  der  Metallkiese  überhaupt  auf  den 
Halden  zur  Fabrication  von  Kupfer-,  Zink-  und  Eisenvitriol  oder  auch 
gemischten  Vitriolen,  Rasenbleiche,  Wiederbelebung  der  Gasreinigungs- 
substanzen etc. 

b)  Fäulniss-  und  Verwesungsprocess  bei  erhöhter  Temperatur. 
Schnellessigfabrication,  Bereitung  von  Butter-,  Milchsäure  etc. 

4.  Oxydation  durch  Säuren,  durch  die  Oxyde  des  Stickstoffs  und  Chlors, 
Beizen  der  Metalle  durch  Salpetersäure,  Darstellung  der  Oxalsäure  durch  Salpeter- 
säure, Farbenfabrication,  das  Affiniren  des  Silbers,  die  Scheidung  desselben  von 
Gold  und  Kupfer  durch  Schwefelsäure,  Darstellung  von  Eisenbeize  etc. 

IV.  Präparationen,  welche  avf  speciellen  chemischen  Processen,  auf  Zersetzung  und 
Verbindung  primärer  und  binärer  Art,  auf  chemischer  Affinität  beruhen. 

Hieher  gehören  die  metallurgischen  Processe,  die  verschiedensten  chemischen 
Fabriken,  die  Glasfabrication  etc. 

Es  würde  zu  weit  führen,  alle  Fabricationszweige  hier  genauer  zu  bezeichnen; 
sie  lassen  sich  leicht  unter  die  genannten  Rubriken  bringen.  Viele  industrielle 
Vorgänge  beruhen  ferner  nicht  auf  einem  einzigen  Processe,  sondern  schliessen 
eine  Summe  verschiedener  Processe  in  sich,  weshalb  es  nicht  ausbleiben  kann, 
dass  manche  Industriezweige  mehr  oder  weniger  zu  allen  vier  Kategorien  ge- 
rechnet werden  können.  So  kommt  z.  B.  bei  der  Glas-  und  Porzellanfabrication 
die  mechanische  Zertheilung,  die  Feuerung,  die  Oxydation  und  schliesslich  der 
chemische  Process,  die  Bildung  von  kieselsauren  Alkalien  und  alkalischen  Erden, 
zur  Sprache.     Ebenso  verhält  es  sich  mit  der  Alaunbereitung  aus  Braunkohlen. 

Allgemeine  sanitäre  Erfordernisse. 

1.  In  allen  Räumen  einer  Fabrik  sorge  man  für  hinreichend  frische  Luft.  Der 
Luftwechsel  muss  im  richtigen  Verhältniss  stehen  zu  der  Zahl  von  Personen,  welche 
in  den  Werkstätten  beschäftigt  sind,  sowie  zur  Zeit,  welche  sie  dort  zubringen. 
Auch  auf  alle  die  Luft  verderbenden  Ursachen,  namentlich  auf  den  Staub  etc. 
nehme  man  die  strengste  Rücksicht  und  sorge  um  so  mehr  für  einen  ununter- 
brochenen Luftwechsel,  je  leichter  die  Luft  durch  die  Art  der  Arbeit  verdorben 
wird.  In  grossen  Fabriken  kann  man  die  Dampfkraft  zur  Heizung  und  mechani- 
schen Ventilation  benutzen. 

2.  Die  Dampfheizung  ist  für  grössere  Räume  die  zweckmässigste,  weil 
sie  eine  gleichmässige  Temperatur  erzeugt  und  nicht  mit  Rauch  oder  schädlichen 
Dämpfen  verbunden  ist.  Besonders  ist  sie  auch  für  Fabriken  angezeigt,  welche 
durch  die  Beschaffenheit  der  Arbeit  feucht  sind. 

3.  Das  Tageslicht  sei  nicht  zu  grell  und  nicht  zu  mangelhaft.  Die  Schei- 
ben müssen  so  angebracht  werden,  dass  dieselben  die  Sonnenstrahlen  nicht 
zu  sehr  concentriren  und  dadurch  die  Wärme  in  den  Localen  unnöthiger- 
weise  erhöhen.  Die  Lage  der  Fenster  nach  Norden  ist  überall  vorzuziehen,  wo 
ohnehin  grosse  Hitze  durch  die  Art  der  Arbeit  entwickelt  wird.     Die  jetzt  vielfach 


■22 


Einleitung. 


eingeführte  Einrichtung,  wonach  die  Arbeitsräume  mit  einem  schiefen  nach 
Norden  gelegenen  Glasdache  (Shade  (Schatten) -Dächer)  versehen  werden,  hat 
rieh  überall  namentlich  bei  Spinnereien,  Webereien  und  Färbereien  bewährt. 

\.  Zur  künstlichen  Beleuchtung  eignet  sich  das  Gaslicht  am  besten, 
wenn  das  Leuchtgas  von  hinreichend  reiner  Beschaffenheit  ist.  Da  es  mehr  Sauer- 
stoff als  jede  andere  Beleuchtung  bedarf,  so  ist  bei  vieleu  Gasflammen  eine  aus- 
reichende Lufterneuerung  um  so  notwendiger. 

5.  Stets  werde  die  grösste  Reinlichkeit  beobachtet,  Ein  Ausscheuern  des 
Bodens  und  Tünchen  der  Wände  muss  wenigstens  einmal  jährlich  geschehen.  In 
geschlossenen  Räumen  vermeide  man  das  Tabakrauchen  und  namentlich  das 
Tabakkauen. 

6.  In  Fabrikräumen,  welche  zur  Bearbeitung  giftiger  Substanzen  dienen, 
dürfen  niemals  Speisen  oder  Getränke  genossen  werden.  Es  sind  stets  besondere 
E  s  s  - 1  u  b  e n  einzurichten. 

7.  Badeeinrichtungen  (Dampf bäder,  Wannenbäder,  Douchen,  Brausen  etc.) 
sollten  bei  grossen  Etablissements  niemals  fehlen,  da  Reinhaltung  des  Körpers 
eine  Hauptbedingung  zur  Erhaltung  der  Gesundheit  ist.  In  Fabriken,  welche 
giftige  Substanzen  bearbeiten,  namentlich  in  Bleiweissfabriken,  sind  sie  absolut 
nothwendig. 

8.  Die  Aborte  müssen  allen  Anforderungen  der  Gegenwart  entsprechen  und 
in  hinreichender  Anzahl  und  Trennung  vorhanden  sein,  wenn  verschiedene  Ge- 
schlechter iu  Fabriken  beschäftigt  sind. 

9.  Tags-  und  Nachtsarbeiten  sind  unzulässig.  Nur  der  Wechsel  von  Ruhe 
und  Arbeit  kann  die  Gesundheit  erhalten.  Arbeiter,  welche  während  des  Tages 
arbeiten,  dürfen  nie  zu  Nachtsarbeiten  herangezogen  werden.  Wenn  das  ameri- 
kanische Princip:  „8  Stunden  für  die  Arbeit,  8  Stunden  für  den  Schlaf,  8  Stun- 
den für  das  Studium  und  die  Müsse11  auch  noch  nicht  für  europäische  Verhält- 
nisse angebracht  ist,  so  erkennt  man  doch  immer  mehr  an,  dass  ein  Ueber- 
arbeiten  nicht  nur  für  die  Arbeiter  schädlich,  sondern  auch  für  die  Fabri- 
canten  nicht  gewinnbringend  ist.  Humane  Fabricanten  sind  längst  zu  der  Ueber- 
zeugung  gekommen,  dass  bei  massiger  Arbeit  mehr  geleistet  wird  als  bei  einer 
überangestrengten  und  die  Arbeiter  bei  einer  11  stündigen  Arbeit  mehr  verdienen 
als  bei  einer  12stündigeu.14) 

Das  Ueberarbeitssystem  (Overworking  System)  ist  in  England  schon 
längst  als  eine  Unmenschlichkeit  erkannt  worden,  nachdem  man  durch  genaue 
Untersuchungen  die  iu  dieser  Beziehung  herrschenden  Missbräuche  entdeckt  und 
die  „Early  Closing  movement"  vom  Jahre  1838  die  Hauptveranlassung  dazu 
gegeben  hatte.  Nach  amtlichen  Berichten  erlagen  in  London  ehedem  jährlich 
Tausende  den  übermässigen  Anstrengungen. 

Die  „Early  Closing  Association"  hat  zuerst  in  Eugland  den  halben  freien 
Sonnabend  (the  Saturday  half-holiday)  eingeführt,  welcher  bis  zur  Stunde 
noch  fortbesteht.  Uebrigens  ist  nicht  zu  verkennen,  dass  die  englischen  Sitten, 
nach  welchen  am  Sonntage  keine  Einkäufe  gemacht  werden,  diesen  halben  freien 
Tag  für  die  Arbeiter  durchaus  erheischen.  Leider  finden  aber  auch  an  diesem  Tage 
die  meisten  Trunkenheiten  statt,  wozu  der  verabfolgte  Lohn  die  Veranlassung 
gibt.  Andererseits  haben  sich  auch  wiederum  als  Gegendamm  gegen  diese 
Sittenlosigkeit  Vereine  zur  Hebung  des  socialen  und  religiösen  Lebens  ge- 
bildet, worunter  die  „Young  Men's  Christian  Association",  die  „Church  of  Eng- 


Einleitung.  23 

land  Young  Men's  Societies"  und  die  _Evening  Classes  for  Young  Men"  die  her- 
vorragendsten sind. 

Uebermässige  Arbeiten,  welche  dem  Lohn  nicht  entsprechen,  haben  unter 
den  arbeitenden  Classen  hauptsächlich  die  vielen  Unzufriedenheiten  erregt.  Da- 
durch entstanden  zuerst  die  Arbeitseinstellungen  (Strikes),  welche  sowohl 
für  die  Arbeiter  als  für  die  Fabricanten  den  grössten  Verlust  herbeiführten. 
Die  weitern  Folgen  waren  alsdann  socialistische  Vereinigungen,  weiche  eine 
tyrannische  Herrschaft  auf  die  Thätigkeit  des  Arbeiters  ausüben,  indem  jedes  Mit- 
glied derselben  ein  blindes  Werkzeug  in  der  Hand  des  Vorstandes  ist,  dessen 
Befehle  er  unbedingt  bei  Gefahr  seiner  Existenz  ausüben  muss. 

"Wie  früher  die  Zünfte  auf  die  Arbeiter  so  wirkten  später  die  „  Strikes u  der 
Arbeiter  auf  die  Arbeitgeber  ein.  indem  sie  letztern  die  höchsten  Löhne  vor- 
schrieben und  Zeit  und  Art  der  Arbeit  bestimmten.  Die  Zahl  solcher  Vereine  ist 
noch  immer  gross.  Die  National- Association  of  United  Trades  in  London 
besitzt  nicht  nur  eine  grosse  Zahl  von  Mitgliedern,  sondern  auch  ein  bedeutendes  Ver- 
mögen. Weder  Gewalt  noch  Gesetz  vermochten  bisher  diese  Uebelstände  gänzlich 
zu  tilgen.  Humanität  Seitens  der  Arbeitgeber  und  erhöhte  Bildung  Seitens  der 
Arbeiter  müssen  Hand  in  Hand  gehen,  um. die  richtigen  Anschauungen  über  Pro- 
duction  und  Vertheilung  des  Geldes  immer  mehr  anzubahnen.  Die  Fabricanten 
müssen  Verständniss  und  Herz  für  die  Noth  der  Arbeiter  haben,  nicht  unnöthig 
die  Löhne  verringern,  sondern  in  Einklang  mit  ihrem  Verdienst  bringen.  Ein 
gegenseitiges  Besprechen  und  offenes  Darlegen  der  factischen  Verhältnisse  führt 
am  ehesten  zum  Ziel  und  zur  Versöhnung.15) 

10)  Art  und  Dauer  der  Arbeit.  Accordarbeiten  heben  die  moralische 
Kraft  und  das  Interesse  der  Arbeiter  an  ihrem  Beruf;  sie  gewöhnen  an  Fleiss 
und  Pünctlichkeit.  Sie  sind  nur  dann  nicht  zulässig,  wenn  es  sich  um  die 
Fabrication  explosiver  Substanzen  handelt,  weil  gerade  durch  übereiltes  Reiben 
und  Stossen  am  leichtesten  Entzündungen  herbeigeführt  werden. 

Die  Dauer  der  Arbeit  Seitens  des  Staates  vorzuschreiben,  wird  stets  schwierig 
sein;  die  Industrie  hängt  zu  sehr  von  den  Zeitereignissen  und  vielen  Zufälligkeiten 
ab,  so  dass  zu  einer  Zeit  die  Bestellungen  sich  häufen  und  zur  andern  Zeit  die 
Nachfragen  gering  sind.  Demgemäss  wird  auch  bald  mehr,  bald  weniger  produ- 
cirt,  folglich  müssen  alsdann  auch  die  Arbeitsstunden  variiren. 

In  einigen  Ländern  ist  die  Arbeitszeit  von  16  Stunden  für  Erwachsene  auf 
13,  12  und  ll1'..  Stunden  reducirt  worden  und  man  hat  gefanden,  dass  grössere 
Leistungen  und  ein  besseres  Verdienst  die  Folgen  dieser  Reduction  sind. 

In  Frankreich  ist  seit  1848  und  im  Canton  Glarns  durch  das  Gesetz  vom 
10.  August  1864  die  tägliche  Arbeitszeit  auf  12  Stunden  festgestellt  worden.  Auch 
darf  in  diesem  Canton  zur  Nachtszeit  gar  nicht  in  den  Fabriken  gearbeitet  wer- 
den. Wenn  auch  die  Erfahrung  gemacht  worden,  dass  bei  einer  gesetzlich  vor- 
geschriebenen Arbeitszeit  häufig  durch  _Ueberstunden"  das  Gesetz  umgangen 
wird,  so  hat  sich  doch  das  Princip  nach  den  in  England  gemachten  Erfahrungen 
als  richtig  bewiesen.  Ausnahmen  von  der  Regel  werden  immerhin  durch  die 
Umstände  geboten  sein.  Man  kann  auch  zugeben,  dass  die  Verschiedenheit  der 
Fabricationszweige  und  der  damit  verbundenen  körperlichen  Anstrengungen  nicht 
selten  einen  gewissen  Spielraum  in  der  Arbeitsdauer  gestatten  darf.  Die  Hu- 
manität der  Arbeitgeber  und  die  Einsicht  der  Arbeiter  muss  alsdann  das  richtige 
Mass   auszumitteln   suchen.     Dazu  kommt,   dass  manche  in    sanitärer   Beziehung 


24  Einleitung. 

gefährliche  Arbeiten  nicht  beständig  von  denselben  Persönlichkeiten  verrichtet 
werden  dürfen.  Sehr  häufig  ist  ein  Wechsel  der  Arbeit  erforderlich,  um  nicht 
den  Grund  zu  bleibenden  Gesundheitsstörungen  zu  legen.  Auch  manche  mit 
körperlichen  Anstrengungen  verbundene  Beschäftigungen  müssen  zeitlich  mehr 
begrenzt  werden  als  leichtere  Verrichtungen,  bei  deneu  die  Maschine  die  Kräfte 
liefert. 

Die  englische  Fabrikgesetzgebung  erstreckte  sich  wesentlich  nur  auf  die 
Arbeitszeit  von  jungen  männlichen  und  weiblichen  Persouen  und  Hess 
formell  die  Arbeit  der  Erwachsenen  frei.  Da  jedoch  die  Arbeit  der  er- 
wachsenen Arbeiter  namentlich  in  der  Textil -Industrie  von  der  Mithülfe  der 
jungen  Arbeiter  und  Frauen  abhängig  bleibt,  so  musste  die  gesetzliche  Beschrän- 
kung der  Arbeitszeit  der  letztern  noth wendig  eine  Herabsetzung  der  allgemeinen 
Arbeitszeit  zur  Folge  haben. 

Es  hat  sehr  heftige  Kämpfe  gekostet,  ehe  es  zum  Abscbluss  dieser  wich- 
tigen Angelegenheit  gekommen  ist  und  die  Fabricauten  nothgedrungen  den  ge- 
setzlichen Anordnungen  sich  fügen  mussten.  Die  Vortheile,  welche  der  einheitliche 
Arbeitstag  zuuächst  der  Textil-Iudustrie  brachte,  können  jedoch  nicht  in  gleichem 
Grade  den  übrigen  Industriezweigen  zu  Theil  werden.  In  der  Textil -Industrie 
konnte  die  Abkürzung  des  Arbeitstages  durch  eiue  vermehrte  Production  ausge- 
glichen werden;  statt  der  Menschenhände  mussten  daher  sinnreich  construirte 
Maschinen  die  Massenproduction  liefern.  Es  ist  factisch,  dass  die  englische  Fabrik- 
gesetzgebung vorzugsweise  den  unmittelbaren  Anstoss  „zur  Einführung  zeit- 
sparender Maschinen1"  gegeben  hat. 

Die  Gesetzgebung  hatte  für  die  ganze  arbeitende  Classe  die  wohlthätigsten 
Wirkungen  durch  die  Herstellung  eines  einheitlichen  und  abgekürzten  Arbeitstages. 
Der  Zwang  der  fixen  Anfangs-  und  Endstunden  wirkt  als  eine  heilsame  Schranke 
ebensowohl  gegen  Lässigkeit  als  gegen  übertriebene  Hast,  welche  beide  für  Moral 
und  Gesundheit  verderblich  sind.  Die  längern  freien  Nachmittagstunden,  an 
welchen  die  auf  Hilfsarbeit  angewiesenen  Personen  gerade  wie  die  erwachsenen 
Arbeiter  theilnehmen,  geben  mehr  Zeit  und  Gelegenheit  zur  Pflege  des  Familien- 
lebens, so  dass  die  Abkürzung  des  Arbeitstages,  wenn  sie  von  der  arbeiten- 
den Classe  richtig  benutzt  wird,  eins  der  vorzüglichsten  Mittel  zu  ihrer 
Hebung  werden  kann.  Glücklicherweise  beginnen  schon  heute  Arbeiter  und  Unter- 
nehmer allgemein  den  Werth  einzusehen,  den  die  durch  die  Regelung  der  Arbeits- 
zeit herbeigeführte  Stetigkeit  der 'Arbeit  und  Lebensgewohnheiten  für  alle  Interessen 
besitzt,  und  so  ist  es  gekommen,  dass  die  Fabrikgesetzgebung,  welche  bei  ihrem 
ersten  Entstehen  als  eine  Ungeheuerlichkeit  und  ein  vorweg  verfehltes  Experiment 
verhöhnt,  als  Beschränkung  der  persönlichen  und  wirthscbaftlichen  Freiheit  ange- 
griffen und  missachtet  worden  ist,  heute  in  England  als  eine  der  Grundlagen  der 
socialen  Reform  und  eine  der  wohlthätigsten  staatlichen  Einrichtungen  anerkannt 
wird.11') 

11)  Kinder-  und  Frauenarbeit.  Wenn  Kinder  in  den  Kreis  der  Indu- 
strie gezogen  werden,  so  ist  es  Pflicht  des  Staates,  über  das  körperliche  und 
sittliche  Wohl  derselben  zu  wachen,  da  sie  selbst  noch  nicht  im  Stande  sind, 
sich  zu  schützen  und  vor  schädlichen  Einflüssen  zu  bewahren,  welche  gerade  in 
der  Industrie  in  grösstem  Umfange  sich  geltend  machen. 

Die  Zeitverhältnisse  haben  die  Beschäftigung  der  Kinder  und  Frauen  in  der 
Industrie   veranlasst.     Die   vermehrte  Concurrenz  und  Production  nöthigten  zur 


Einleitung.  25 

wohlfeilem  Fabrication  und  zur  Herbeischaffung  billiger  Kräfte.  Kinder  und 
Frauen  mussten  deshalb  die  leichtern  Arbeiten  übernehmen.  Am  unglücklichsten 
war  ihr  Zustand  in  englischen  Bergwerken,  in  welchen  Trunksucht  und  Sitten- 
losigkeit  auch  die  Gemüther  der  Frauen  verhärtete.  Schon  im  Jahre  1796  haben 
die  englischen  Aerzte  Aitkin  und  Percival  zuerst  auf  den  Missbrauch  der  jugend- 
lichen Kräfte  in  der  englischen  Industrie  hingewiesen.  Robert  Peel  schlug  1802 
und  1819  eine  Bill  vor,  um  die  Arbeit  der  Kinder  in  den  Baumwollspinnereien 
zu  regeln,  bedeutende  Erfolge  wurden  jedoch  nicht  erzielt.  Glücklicher  waren 
die  Bemühungen  von  Lord  Ashley.  Als  Resultat  der  neuen  Untersuchungen  wurde 
am  29.  August  1833  ein  „Act  to  regulate  the  labour  of  children  and 
young  persons  in  the  mills  and  factories  of  the  United  Kiugdom"  (3  and 
4  Guill.  IV.  Cap.  103)  dem  Parlamente  vorgelegt. 

Aber  erst  die  Fabrikacte  vom  6.  Juni  1844  (7  Vict.  c.  15)  setzte  für  die 
Textil-Industrie  die  Arbeitszeit  der  Kinder  von  8 — 13  Jahren  auf  6\'2  Stunden 
herab.  Das  Gesetz  vom  8.  Juni  1847  (10  Vict.  c.  29)  bestimmte  für  alle  jungen 
Personen  und  Frauen  die  Arbeitsdauer  auf  11  Stunden  täglich  und  vom  1.  Mai 
1848  auf  10  Stunden.  Es  entstand  jedoch  ein  heftiger  Kampf  gegen  dies  Zehn- 
stundengesetz, bis  durch  das  Gesetz  vom  5.  August  1850  (13  und  14  Vict. 
v.  54)  ein  Nornialarbeitstag  für  alle  jungen  Personen  und  Frauen  auf  die  Zeit 
von  6  Uhr  früh  bis  6  Uhr  Abends  eingeführt  wurde.  Die  gesetzlichen  1V2  Stun- 
den Mahlzeit  wurden  innerhalb  dieser  12  Stunden  verlegt,  so  dass  die  wirkliche 
Arbeitsdauer  in  den  ersten  5  Wochentagen  auf  10r2  Stunden  festgesetzt  wurde, 
da  Sonnabends  die  Arbeit  nach  2  Uhr  Nachmittags  aufhört. 

Das  Gesetz  von  1850  regulirt  noch  heute  die  Arbeitszeit  der  grössten  Zahl 
der  Fabrikarbeiter.  Da  es  aber  die  Arbeit  der  Kinder  (8 — 13)  noch  unter  der 
Herrschaft  des  Gesetzes  von  1844  Hess,  so  entstand  dadurch  eine  grosse  Unzu- 
träglichkeit, indem  die  neue  Arbeitszeit  (6  Uhr  Vormittags  bis  6  Uhr  Nachmittags) 
mit  dem  alten  Arbeitstage  (51 2  Uhr  Vormittags  und  8V2  Uhr  Nachmittags)  nicht 
in  Uebereinstimmung  zu  bringen  war.  Um  nun  den  Arbeitstag  der  Kinder  jenem 
der  jungen  Personen  und  Frauen  anzupassen,  verbot  das  Gesetz  vom  20.  August 
1853  (16  und  17  Vict.  c.  104)  Kinder  vor  6  Uhr  Morgens  und  nach  6  Uhr  Abends, 
resp.  im  Winter  vor  7  Uhr  Morgens  und  nach  7  Uhr  Abends  zu  beschäftigen. 
Mit  diesem  Gesetze  fanden  die  gesetzlichen  Beschränkungen  der  Arbeitszeit  für 
die  Textil-Industrie  ihren  Abschluss.  Sie  sind  als  der  Ausgangspunct  aller 
spätem  sanitären  Massregeln  dieser  Art  zu  betrachten. 

Das  Gesetz  versteht  unter  Kindern  Arbeiter  vom  8.  resp.  9.  Lebensjahr 
bis  zum  zurückgelegten  13.,  unter  jungen  Personen  Arbeiter  vom  Beginn  des 
14.  bis  zum  Abschluss  des  18.  Lebensjahrs,  unter  jungen  Frauen  weibliche 
Arbeiterinnen  vom  Beginne  des  19.  Lebensjahres. 

Kinder  und  junge  Leute  dürfen  in  Fabriken  nicht  eher  zugelassen  werden, 
als  bis  sie  von  den  durch  die  Fabrikinspectoren  hierzu  ernannten  Aerzten  körper- 
lich untersucht  worden  sind.  Schiefheiten  und  Difformitäten  des  Körpers  in  Folge 
zu  früher  und  anstrengender  Arbeiten  waren  früher  in  den  englischen  Fabriken  nicht 
selten  und  das  „Schiefbein"  (Factory  leg)  hatte  eine  traurige  Berühmtheit  erlangt. 

Auch  den  Rädern,  Hebeln  und  Werkzeugen,  welche  in  unmittelbarer  Ver- 
bindung mit  der  Dampfmaschine  stehen,  namentlich  den  horizontalen  Transmissions- 
cylindern  und  Rädern,  wurde  eine  grössere  Aufmerksamkeit  gewidmet  und  eine 
Umzäunung  derselben  angeordnet.    Eine  häufige  Nichtbeachtung  dieser  Vorschrift 


26 


Einleitung. 


hatte  das  Gesetz  vom  30.  Juli  1856  (19  und  20  Vict.  c  38)  zur  Folge.  Bei  statt- 
gefundenen Verletzungen  niuss  der  Fabrikbesitzer  binnen  24  Stunden  den  Arzt 
des  Fabrikdistrictes  schriftlich  benachrichtigen,  wenn  dies  nicht  schon  Seitens  des 
Arbeiters  geschehen  ist.  Der  Arzt  setzt  den  Fabrikinspector  davon  in  Kennt- 
Qiss,  welcher  einen  Bericht  an  die  Staatsbehörde  einschickt,  die  nach  Umstäuden 
eine  Klage  auf  Entschädigung  erheben  kann.17) 

Wie  bedeutend  übrigens  die  Betheiliguug  der  Kinder  und  Frauen  an  der 
Textil-Industrie  im  Vereinigten  Königreich  ist,  geht  aus  folgendem  dem  Parlament 
1870  vorgelegten  Ausweis  für  18G8  hervor: 


Bezeichnung 
der 

Fabri- 

Kinder anter 

13  Jahren 

Männliche 

junge 
Personen 

Arbeiter- 
innen über 

Gesammt- 

zahl  der 

geschützten 

Personen 

Erwachsene 

männliche 

Arbeiter 

Gesannnt- 
Arbeiter- 

Industrie 

ken 

Mliiinl. 

Weibl. 

zwischen 
13  u.  18  J. 

13  Jahre 

über 
18  Jahre 

Anzahl 

Baumwolle 

2,549 

22,244 

19,430 

34,324 

220,605 

299,152 

104,461 

403,613 

Schaafwolle 

1,G58 

:u;58 

2,867 

12,921 

55,366 

76,470 

43,192 

119,662 

Shoddy 
Kammwolle 

104 

140 

72 

293 

1,579 

2,188 

1,103 

3,291 

703 

11,534 

14,535 

9,641 

71,451 

107,864 

24,712 

132,576 

Flachs 

405 

1,810 

2,862 

10,730 

81,348 

97,155 

22,179 

119,334 

Banf 

26 

18 

2 

314 

1,111 

1,472 

731 

2  202 

Pferdehaar 

17 

17 

35 

90 

788 

947 

187 

M34 

Jute 

41 

305 

328 

1,261 

10,122 

12,057 

2,154 

14,211 

Elast.  Wo  U  Stoffe 

45 

2 

5 

496 

1,629 

2,177 

1,689 

3,866 

Filz 

4 

— 

— 

2 

6 

12 

11 

23 

Wirkwaaren 

93 

41 

12 

653 

3,468 

4,267 

2,406 

6,673 

Maschinenspitzen 

186 

370 

191 

765 

2,293 

3,805 

3,136 

6,941 

Seide 

591 

1,295 

3,560 

2,508 

25,250 

33,204 

8,374 

41,578 

6,422 

41,434 

43,899 

73,998 

475,016 

640,769 

214,335 

855,104 

In  England  wurde  ferner  bezüglich  der  Beschäftigung  der  Kinder  und  Frauen 
in  Kohlen-  und  Eisenbergwerken  durch  das  Gesetz  vom  10.  August  1842 
bestimmt,  dass  junge  Mädchen  und  Frauen  zu  Grubenarbeiten  nicht  verwendet 
werden  sollen.  Dies  Gesetz  ist  jedoch  fast  gar  nicht  zur  Ausführung  gelangt. 
Die  „Goal  Mines  Regulation  Act"  (1872,  35  und  36  Vict.  c.  76)  fügt  noch  die 
unterirdische  Gewinuung  von  Schiefer  und  feuerfestem  Thon  hinzu.  Zu 
diesen  Beschäftigungen  sollen  keiue  Knaben  unter  10  Jahren  und  keine  weib- 
lichen Personen  irgend  welchen  Alters  zugelassen  werden.  Knaben  zwischen 
10 — 12  Jahren  können  mit  ministerieller  Erlaubniss  in  einzelnen  Bergwerken 
beschäftigt  werden,  aber  nicht  länger  als  6  Tage  in  der  Woche  und  nicht  länger 
als  6  Stunden  des  Tages,  wenn-  sie  mehr  als  3  Tage  in  der  Woche  arbeiten. 
Niemals  darf  die  Tagesarbeit  mehr  als  10  Stunden  betragen. 

Kinder  zwischen  12  und  16  Jahren  dürfen  unterirdisch  uie  länger  als 
54  Stunden  in  einer  Woche  und  nie  länger  als  10  Stunden  au  einem  Tage  arbeiten. 

Bei  Arbeiten  über  der  Erde  bleiben  Kinder  unter  10  Jahren  aus- 
geschlossen. Für  Kinder  unter  13  Jahren,  so  wie  für  weibliche  und  männliche  Ar- 
beiter unter  18  Jahren  gelten  die  obigen  Bestimmungen  mit  der  Massgabe,  dass 
männliche  Personen  unter  18  Jahren  und  Frauen  überhaupt  niemals  in  den  Stunden 
zwischen  1  Uhr  Abends  und  5  Uhr  Morgens,  ebenso  wenig  an  Sonntagen  und  nach 
2  Uhr  Nachmittags  an  Sonnabeuden  zu  beschäftigen  sind. 

Auf  jede  Arbeitsperiode  über  5  Stunden  müssen  \l2  Stunde  und  auf  jede 
Arbeitsperiode  über  8  Stunden  wenigstens  lty.  Stunden  Arbeitspausen  für  die 
Mahlzeiten  allen  weiblichen  Personen  überhaupt  uud  allen  männlichen  unter 
18  Jahren  gewährt  werden. 


Einleitung.  27 

Die  Eigenthüiner  oder -Dirigenten  der  Bergwerke  haben  Register  zu  führen, 
in  welchen  das  Nationale  der  Arbeiter,  die  Art  der  Arbeit  und  die  betreffende 
Beschäftigungszeit  einzutragen  sind.  Dasselbe  ist  zu  jeder  Zeit  den  controliren- 
den  Polizeibeamten  vorzulegen. 

In  Spitzenmanufacturen  wurde  durch  das  Gesetz  vom  6.  August  1861 
(24  und  25  Vict.  c.  117)  die  Beschäftigung  von  Knaben  über  16  Jabren  mit  einer 
Arbeitsdauer  von  9  Stunden  und  die  der  Frauen  mit  einer  solchen  von  12  Stunden 
gestattet. 

Weitere  Ausdehnungen  erhielten  diese  Bestimmungen  durch  die  Fabrik- 
gesetze, Factory  Acts.  Die  Factory  Act  Extension  Act  von  1864  (27 
und  28  Vict.  c.  48),  welche  sich  mit  der  Fabrication  von  Thonwaaren,  Zünd- 
hölzchen, Zündhütchen,  Patronen,  sowie  mit  Papiertapeten-Drucke- 
reien und  Baumwollsammt-Scherereien  beschäftigt,  verbietet  die  Beschäf- 
tigung von  Kindern  unter  12  Jahren  in  diesen  Fabriken.  Warum  aber  nur  uner- 
wachsenen Personen,  d.  h.  solchen  unter  18  Jahren  oder  Frauen  verboten  ist  in 
denjenigen  Räumen,  welche  zur  Anfertigung  von  Zündhölzeben  dienen,  ihre  Mahl- 
zeiten einzunehmen,  ist  nicht  einzusehen,  da  sich  ein  solches  Verbot  auf  alle  Arbeiter 
erstrecken  muss. 

Die  Factory  Act  Extension  Act  von  1867  (30  und  31  Vict.  c.  103) 
bezieht  sich  auf  alle  Hohöfen.  Eisen-  und  Kupferwerke,  Maschinen- 
werkstätten, Metallschmelzereien,  Gummi-  und  Kautschuk-Fabriken, 
Papier-  und  Tabak-Fabriken.  Glashütten,  Buchdruckereien  und  Buch- 
binder-Werkstätten und  alle  Etablissements,  in  welchen  jährlich  50  und  mehr 
Personen  wenigstens  100  Tage  gemeinschaftlich  beschäftigt  werden. 

Bei  Glasöfen  soll  keine  Frauensperson  und  kein  Knabe  unter  12  Jahren, 
in  Metallschleifereien  kein  Kind  unter  11  Jahren  beschäftigt  werden.  In 
jeder  Fabrik,  in  welcher  Polir-  und  Schleifarbeiten  vorgenommen  werden 
und  ein  starker  Staub  sich  entwickelt,  sollen  entsprechende  Ventilationsvorrich- 
tungen getroffen  werden;  Abweichungen  vom  Normalarbeitstage  der  Textil-Industrie 
sind  nach  Umständen  zulässig.  So  dürfen  namentlich  in  Buchdruckereien 
Knaben  über  16  Jahre  an  alternirenden  Wochen  des  Nachts,  in  Buchbindereien 
junge  Leute  über  14  Jahre,  auch  Frauen  14  Stunden,  in  Papierfabriken  und 
Glashütten  junge  Leute  überhaupt  die  gebräuchlichen  Stunden  arbeiten,  wenn 
die  wöchentliche  Stundenzahl  60  nicht  übersteigt. 

In  Hoböfen,  Eisenhütten,  Papierfabriken,  grossen  Buchdrucke- 
reien und  mit  Wasser  getriebenen  Werken  ist  auch  die  Nachtsarbeit  ge- 
stattet, aber  in  nicht  mehr  als  6,  in  Hohöfen  und  Papiermühlen  in  nicht  mehr 
als  7  Nächten  innerhalb  14  Tagen.  Ausserdem  ist  es  dem  Ermessen  des  Mini- 
steriums des  Innern  anheimgestellt,  bei  diesen  Festsetzungen  der  Arbeitszeit 
den  Gewohnheiten  und  Bedürfnissen  die  gebührende  Rücksicht  zu 
widmen. 

Durch  die  Factory  and  Workshop's  Act  vom  9.  August  1870  wurde  die 
Bleaching  and  Dying  Works  Act  vom  Jahre  1864  aufgehoben  und  ausdrücklich 
bestimmt,  dass  die  Arbeitszeit  unerwachsener  Personen  und  der  Frauen  in  che- 
mischen Bleichereien  und  Türkischroth-Färbereien  auf  IOV2  Stunden 
festgesetzt  und  die  Nachtsarbeit  für  dieselben  ganz  verboten  sei.  obgleich  sich 
auch  bei  allen  diesen  Verordnungen  erleichternde  Modificationen  in  nachtheiliger 
Weiss  bemerkbar  machten. 


2g  Einleitung. 

Das  Werk  statten -Gesetz,  Workshop  RegulationActvom21.  August 
18G7  (30  uud  31  Vict.  c.  14G)  für  das  Kleingewerbe  bestimmt  den  allgemeinen 
Arbeitstag  für  Kinder  von  6  Uhr  Vormittags  bis  8  Uhr  Abends,  für  junge  Per- 
sonen und  Frauen  von  5  Uhr  Vormittags  bis  9  Uhr  Abends.  Auch  die  Schul- 
pflicht wird  hierbei  auf  einen  lOstüodigen  Schulbesuch  in  der  Woche  festgesetzt. 
Die  Controle  hierüber  fehlt  aber  ganz.  Zieht  man  ferner  in  Betracht,  dass  die 
Communal- Sanitätsbeamten  bei  der  Beaufsichtigung  der  Werkstätten  zuvor  eine 
Anklage  beim  Friedensrichter  über  Unzuträglichkeiteu  erheben  müssen,  ehe  sie 
die  Werkstätten  betreten  dürfen,  so  lässt  sich  leicht  ermessen,  dass  die  Durch- 
führung dieses  Gesetzes  höchst  mangelhaft  bleiben  musste.  Die  geregelte  Ver- 
bindung von  Arbeit  und  Schulbesuch  wie  bei  der  Textil-Industrie  wird  hierbei 
niemals  zu  erreichen  sein,  weil  bei  allen  andern  Industriezweigen  viel  weniger 
Kinder  beschäftigt  werden,  weil  viele  Fabricanten  in  Folge  der  Fabrikgesetze 
so  viel  als  möglich  schulpflichtige  Kinder  entlassen  haben  und  weil  sich  über- 
haupt von  den  laxen  Schulvorschriften  des  Werkstätten-Gesetzes  nicht  viel 
erwarten  lässt. 

Obgleich  die  englische  Fabrikgesetzgebung  auf  Volksbildung  weniger  Ein- 
fluss  gehabt  hat  und  die  Schulvorschriften  nur  auf  die  Kinder,  d.  h.  auf  8  bis 
13jährige  beschränkt  blieben,  so  sind  die  Schulbestimmungen  der  Fabrikacte  doch 
darum  merkwürdig,  „weil  sie",  wie  von  Plener  bemerkt,  „zuerst,  wenn  auch  ohne 
principielle  Formulirung,  den  Grundsatz  des  Schulzwanges,  welcher  der  frühern 
englischen  Gesetzgebung  und  Auffassung  fremd  war  und  selbst  heute  nach  dem 
Volksschulgesetze  von  1870  dem  Ermessen  localer  Behörden  überlassen  ist,  zum 
erstenmal  aussprach  und  wenigstens  auf  einem  bestimmten  Gebiete  verwirklichte. 
Die  Schulvorschriften  der  allerersteu  Fabrikgesetze  waren  wenig  wirksam,  einmal 
weil  die  Schulstunden  zu  beliebigen  Tageszeiten  genommen  werden  konnten,  wie 
dies  den  ungleichen  und  unregelmässigen  Arbeitszeiten  von  1844  entsprach,  und 
weil  die  allgemeine  Aufsicht  ziemlich  lässig  gehandhabt  wurde.  Erst  mit  der 
zwangsweisen  Einführung  der  sog.  doppelten  Reihen,  welche  die  Arbeitsdauer  für 
Kinder  auf  die  Hälfte  des  gewöhnlichen  Arbeitstags  herabsetzte  und  für  die  andere 
Tageshälfte  innerhalb  bestimmter  Stunden  den  Schulbesuch  vorschrieb,  gelang  ein 
wirksamer  Fortschritt."18) 

Unzweifelhaft  ist  der  wohlthätige  Einfluss,  welchen  die  Fabrikgesetzgebung 
auf  die  sanitären  Verhältnisse  der  Arbeiter  in  der  Textil-Industrie  aus- 
geübt hat.  Bekannt  ist  es  ja,  dass  gerade  -die  armen,  geistig  und  körperlich  ver- 
kommenen Kinder  in  der  Textil-Industrie  für  Menschenfreunde,  unter  denen  ganz 
besonders  Lord  Shaftesbury  hervorleuchtet,  eine  dringende  Aufforderung  abgaben, 
die  lauge  Arbeitsdauer  abzukürzen,  die  Nachtsarbeit  abzuschaffen  und  das  Auf- 
nahmsalter  der  Kinder  zu  erhöhen.  Je  mehr  sich  aber  die  öffentliche  Aufmerk- 
samkeit diesen  Uebelständen  zuwandte,  desto  mehr  entdeckte  man,  was  noch  in 
Bezug  auf  Ventilation,  Reinlichkeit  der  Arbeitsräume,  auf  Schutz  vor  den  Maschi- 
nen, auf  nothwendige  Wasch-  und  Baderäume  etc.  zu  leisten  war.  Mau  kann 
kühn  behaupten,  dass  die  reformatorische  Bewegung  im  sanitären  Gebiete  der 
Industrie  wiederum  den  Anstoss  zur  Ausbildung  der  öffentlichen  Gesund- 
heitspflege gegeben  hat;  denn  uothwendig  musste  sich  der  Blick  erweitern  und 
der  Gedanke  lag  nahe,  dass  Alles,  was  auf  einem  kleinen  und  beschränkten  Ge- 
biete schädlich  auf  die  Gesundheit  der  Arbeiter  einwirkt,  in  grössern  Verhältnissen 
auch   die  öffentliche  Gesundheit  nachtheilig  berühren  muss.     Es   ist  daher  kein 


Einleitung.  29 

zufälliges  Ereigniss,  sondern  eine  nothwenclige  Folge  dieser  grossartigen  Reform- 
bewegung, dass  gleichzeitig  der  Sinn  für  die  Hebung  der  öffentlichen  Gesundheit 
erwachte  und  die  Anbahnung  der  Städtereinigung  durch  Canalisirung,  Wasser- 
leitungen und  eine  geregelte  Bauordnung  ganz  vorzugsweise  in  den  grössern  engli- 
schen Fabrikstädten  begonnen  hat. 

In  Frankreich  machte  zuerst  Sismondi19)  auf  den  Missbrauch  der  jugend- 
lichen Kräfte  in  den  Fabriken  aufmerksam.  Späterhin  widmete  die  Societe 
industrielle  de  Mulhouse  diesem  Gegenstande  ihre  Aufmerksamkeit,  bis  die 
Academie  des  sciences  morales  et  politiques  beschloss,  den  Zustand  der 
arbeitenden  Gassen  durch  zwei  ihrer  Mitglieder  an  Ort  und  Stelle  untersuchen 
zu  lassen.  Es  waren  Villerrne  und  Benoiston  de  Chateaunau,  welche  im 
Jahre  1839  den  betreffenden  Bericht  abstatteten.20) 

Hieraus  entstand  das  Gesetz  vom  22.  März  1841  (loi  relative  au  travail 
des  enfants  dans  les  manufactures,  usines  et  ateliers),  welches  die  erste  Fabrik- 
ai'beitsordnung  repräsentirt.  Nach  demselben  dürfen  Kinder  erst  im  Alter  von 
8  Jahren  in  den  Fabriken  zugelassen  werden;  in  ungesunden  und  gefährlichen 
Fabriken  darf  dies  nicht  vor  dem  16.  Jahr  geschehen. 

Vom  8.  bis  12.  Lebensjahre  darf  die  Arbeit  nicht  länger  als  8  Stunden  bei 
einstündiger  Ruhe  dauern  und  vom  12.  bis  16.  Jahre  werden  12  Arbeitsstunden  be- 
willigt. Jedes  in  einer  Fabrik  arbeitende  Kind  muss  bis  zum  Alter  von  12  Jahren 
den  Unterricht  in  Schulen  benutzen.  Die  Maine  führt  durch  besondere  Kinder- 
arbeitsbücher (Livrets)  die  Aufsicht  über  diese  Bestimmungen,  welche  jedoch 
noch  keine  besondere  Gesetzeskraft  erhielten,  da  die  inzwischen  ausgebrochene 
Revolution  es  verhinderte,  dass  diese  Vorschläge  den  Kammern  zur  nähern  Er- 
wägung vorgelegt  wurden. 

Im  Jahre  1850  erklärte  sich  der  Conseil  general  de  ragriculture,  des  manu- 
factures et  du  commerce,  welcher  nochmals  von  der  Regierung  mit  der  Prüfung 
eines  hierauf  bezüglichen  Entwurfes  vom  15.  Februar  1847  beauftragt  wurde,  zu 
Gunsten  desselben. 

Das  Gesetz  vom  22.  Februar  1851,  betreffend  die  Lehrcontracte,  bestimmt  die 
wirkliche  Arbeitszeit  für  Lehrlinge  unter  10  Jahren  auf  täglich  10  Stunden,  für  Lehr- 
linge von  14  bis  16  Jahren  auf  12  Stunden  und  verbot  die  Nachtsarbeit  der  Lehr- 
linge unter  16  Jahren.  Im  Ganzen  und  Grossen  ist  man  bei  diesen  Bestimmungen, 
welche  bezüglich  der  Fabrikschulen  noch  unvollkommen  sind,  stehen  geblieben. 

In  Belgien  hat  man  seit  1849  diesem  Gegenstande  die  nothwendige  Auf- 
merksamkeit geschenkt.  Durch  Königl.  Beschluss  vom  7.  September  1843  wurde 
eine  Commission  mit  der  nähern  Untersuchung  beauftragt.  Der  betreffende  Gesetz- 
entwurf wurde  aber  verworfen,  bis  der  Minister  des  Innern,  Rogier,  in  Folge  des 
1852  in  Brüssel  tagenden  Gesundheits-Congresses  und  durch  die  Zustimmung  des 
im  Jahre  1856  zu  Brüssel  versammelten  Wohlthätigkeits-Congresses  ein  Gesetz 
entwarf,  welches  die  Zustimmung  der  Deputirten  und  Handelskammer  fand. 

Hiernach  werden  Kinder  beiderlei  Geschlechts  unter  12  Jahren  von  der 
Arbeit  in  Fabriken  ausgeschlossen.  Frauen,  Mädchen  und  Kinder  unter  18  Jahren 
dürfen  an  Sonn-  und  Feiertagen  in  Fabriken  nicht  arbeiten.  Zu  allen  Zeiten 
haben  die  Beamten  freien  Zutritt  in  die  Fabriken  und  Werkstätten.21) 

Bezüglich  der  Kohlenbergwerke  enthält  das  Gesetz  vom  2.  Mai  1837 
zweckmässige  Bestimmungen,  welche  durch  die  ministerielle  Verordnung  vom 
19.  Januar  1850  und  den  König!.  Beschluss  v-om  1.  Mai  1850  erweitert  wurden.22) 


30  Einleitung. 

Belgien  ist  übrigens  das  einzige  Land,  welches  Frauen  und  Mädchen  noch 
nicht  gesetzlich  von  den  unterirdischen  Arbeiten  ausgeschlossen  hat,  weil  man 
von  der  Ansicht  ausgeht,  dass  viele  Wirtschaften  im  entgegengesetzten  Falle 
ihrer  einzigen  Einnahmequelle  beraubt  würden,  ohne  jedoch  zu  bedenken,  wie  viele 
andere  Nachtheile  dadurch  für  die  Familie  entstehen.  Ohne  Zweifel  werden  die- 
jenigen Familien,  welche  auf  solche  Weise  am  meisten  Geld  verdienen,  auch  am 
meisten  ausgeben,  weil  eben  jeder  geregelte  Haushalt  fehlt.  Factisch  ist  es,  dass 
solche  Frauen  viel  häufiger  erkranken,  durch  die  schwere  Arbeit  Störungen  der 
Schwangerschaft  erleiden  und  deshalb  häufig  abortiven.  -'3) 

In  der  Schweiz  haben  die  Fabrikgesetze  die  Arbeiten  der  Kinder  und 
Frauen  geregelt,  so  in  Aargau  das  Gesetz  vom  16.  Mai  1862,  in  Basel-Stadt 
das  vom  15.  November  1869,  in  Glarus  das  vom  29.  September  1872.  Nach 
letzterm  sind  alltagsschulpflichtige  Kinder  (bis  zum  vollendeten  13.  Jahre)  in  keiner 
Fabrik  zu  verwenden.  Frauenspersonen  dürfen  vor  und  nach  ihrer  Niederkunft 
im  Ganzen  während  6  Wochen  nicht  in  den  Fabriken  arbeiten.  Die  Arbeitszeit 
dauert  jetzt  dort  allgemein  von  6  bis  11  Uhr  Vormittags  uud  von  12  bis  6  Uhr 
Nachmittags. 24) 

Die  gemeinnützige  Gesellschaft  zu  Zürich  hat  sich  die  Regelung  der  wichtig- 
sten Arbeiterfragen  zur  Aufgabe  gemacht  und  in  dieser  Beziehung  durch  Wort 
uud  Schrift  nützlich  und  erfolgreich  gewirkt.25) 

In  Oesterreich  wurde  schon  in  den  Jahren  1781  und  1816  auf  die  Be- 
schäftigung der  Kinder  und  Mädchen  Rücksicht  genommen.  Eine  Verordnung 
vom  5.  Januar  1836  und  16.  Juli  1839  enthält  specielle  Bestimmungen  über  den 
Unterricht  und  die  Arbeit  der  Kinder.  Hiernach  durften  Kinder  unter  12  Jahren 
nicht  in  den  Fabriken  zugelassen  werden;  auch  mussten  sie  vor  ihrer  Aufnahme 
ärztlich  untersucht  werden. 

Unter  dem  29.  Juli  1846  wurde  diese  Bestimmung  dahiu  modificirt,  dass 
Kinder  bereits  vor  dem  9.  Lebensjahr  zuzulassen  sind,  wenn  sie  den  vorgeschrie- 
benen Unterricht  benutzen.  Die  Arbeitszeit  für  Kinder  unter  12  Jahren  soll 
10  Stunden  und  für  Kinder  über  12  Jahren  12  Stunden  betragen. 

In  Preussen  beginnt  mit  einer  Circular-Verfügung  des  Ministers  der  geist- 
lichen Angelegenheiten  vom  27.  April  1827  die  Fürsorge  für  die  jugendlichen 
Arbeiter,  woran  sich  das  Rescript  vom  15.  November  1828  anschloss,  bis  die  Aller- 
höchste Cabinetsordre  vom  6.  April  1839  diese  Angelegenheit  definitiv  regelte, 
indem  hierdurch  das  Regulativ  über  die  Beschäftigung  jugendlicher  Arbeiter  in 
Fabriken  vom  9.  März  1839  bestätigt  wurde.  Der  Schulbesuch  wurde  durch  das 
Gesetz  vom  16.  Mai  1853  und  die  Circ.-Verf.  der  Minister  für  Handel,  der  geist- 
lichen Angelegenheiten  und  des  Innern  vom  18.  August  1853  noch  bestimmter 
formulirt. 

Die  Principien  dieser  Verordnung  siud  in  die  Gewerbe-Ordnung  für 
das  Deutsche  Reich  vom  21.  Juni  1869  übergegangen. 

Nach  §  128  dürfen  Kinder  unter  12  Jahren  zu  regelmässigen  Beschäftigungen  in 
den  Fabriken  nicht  zugelassen  werden.  Dies  darf  vor  vollendetem  14.  Lebensjahre  nur 
dann  geschehen,  wenn  sie  täglich  einen  mindestens  dreistündigen  Schulunterricht  in  einer 
von  der  hohem  ^  erwnltungsbehördc  genehmigten  Schule  erhalten.  Ihre  Beschäftigung 
darf  6  Stunden  täglich  nicht  übersteigen.  Im  Allgemeinen  dürfen  junge  Leute  vor  dem 
16.  Lebensjahre  nicht  über  10  Stunden  täglich  beschäftigt  sein. 

Nach  §  129  dürfen  die  Arbeitsstunden  nicht  vor  o1'.,  Uhr  Morgens  beginnen  und 
nicht  über  8l/2  TJhr  Abends  dauern. 

Die  Annahme  jugendlicher  Arbeiter  in  einer  Fabrik  darf  nicht  eher  erfolgen,  bevor 


Einleitung.  31 

der  Ortspolizei-Behörde  Anzeige  davon  gemacht  worden  und  die  Väter  oder  Vormünder 
derselben  dem  Arbeitgeber  ein  Arbeitsbuch,  eingehändigt  haben,  welches  mit  Rubriken 
für  das  Nationale  des  Arbeiters,  des  Vaters,  für  die  Schurverhältnisse,  den  Eintritt  in 
die  Anstalt  und  Austritt  aus  derselben  versehen  ist. 

Im  Bereiche  der  Bergwerke  und  Aufbereitungsanstalten  führen  die  Berg- 
behörden die  Aufsicht  über  diese  Vorschriften  und  die  Revierbeamten  vertreten 
die  Ortspolizeibehörden.  Schon  mittels  Erlasses  der  Ministerien  des  Innern  und 
für  Handel  vom  12.  August  1854  wurde  die  Annahme  von  Kindern  unter  16  Jahren 
in  den  Bergwerksgruben  (unter  Tage)  für  unzulässig  erklärt.  Auch  soll  das 
sog.  Haspelziehen  oder  Karrenlaufen  auf  ansteigenden  Bahnen  unter  den 
Arbeiten  über  Tage  nicht  weiter  geduldet  wTerden.  In  Kupferbergwerken 
ist  kein  Kind  zuzulassen,  welches  nicht  vorher  von  einem  Arzte  dazu  geeignet 
erklärt  worden  ist.  Frauen  dürfen  in  keinem  Bergwerke  unterirdisch  beschäf- 
tigt werden. 

Die  Circ.-Verf.  der  Minister  für  Handel,  der  geistlichen  Angelegenheiten  und 
des  Innern  vom  18.  August  1853  nahm  auch  noch  Rücksicht  auf  die  sanitären 
Verhältnisse  der  Localitäten,  auf  die  Vermeidung  resp.  Beschränkung  der  Arbeiten 
von  Mädchen  unter  16  Jahren  mit  Knaben  oder  Männern  in  denselben  Räumen, 
namentlich  in  den  Cigarrenfabriken  und  Buchdruckereien.  Auch  sollte 
erwogen  werden,  welche  Beschäftigungen  für  jugendliche  Arbeiter  nicht  geeignet 
sind  und  welche  Vorsichtsmassregeln  nöthig  erscheinen,  um  den  schädlichen 
Folgen  zulässiger  Beschäftigungen  vorzubeugen.  Wo  viel  Staubbildung  statt- 
findet und  Vorkehrungen  behufs  Sicherung  der  Circulation  der  frischen  Luft  aus- 
nahmsweise nicht  ausführbar  sind,  hat  man  für  die  Ablösung  der  jugendlichen 
Arbeiter  in  angemessenen  Zwischenräumen  zu  sorgen.  Die  Beschäftigung  jugend- 
licher Arbeiter  mit  der  Handhabung  giftiger  Stoffe  ist  ganz  zu  verbieten  oder 
nur  an  genau  zu  controlirende  Bedingungen  und  Vorschriften  zu  knüpfen.  Bei 
Beschäftigung  in  dauernd  gebückter  Stellung  sind  Vorkehrungen  zu  treffen, 
welche  eine  Verkrümmung  des  Rückgrats  oder  sonstige  Xachtheile  für  die  Ge- 
sundheit verhüten.  Wo  keine  Fabrikin spectoren  angestellt  sind,  haben  die 
betreffenden  Departementsräthe  so  oft  als  thunlich  sich  von  der  Ausführung 
dieser  Vorschriften  zu  überzeugen. 

Für  das  Deutsche  Reich  ist  von  dem  Reichskanzleramt  ein  Programm  der 
durch  Beschluss  des  Bundesraths  vom  31.  Januar  1874  angeordneten  Erhebungen 
zur  Erörterung  der  Frage  über  die  Erweiterung  des  gesetzlichen  Schutzes  der  in 
Fabriken  beschäftigten  Frauen  und  Minderjährigen  entworfen  worden.  Der  Erlass 
des  betreffenden  Gesetzes  steht  noch  in  Aussicht. 

12.  Fabrikinspectoren.  Die  Controle  der  bestehenden  gesetzlichen  Be- 
stimmungen ist  überall,  namentlich  aber  in  der  Industrie,  ein  Haupterforderniss, 
wenn  das  Gesetz  nicht  ein  todter  Buchstabe  bleiben  soll. 

Die  Gewerbe-Ordnung  für  das  Deutsche  Reich  schreibt  die  Anstellung  von 
Fabrikinspectoren  nicht  bestimmt  vor.  Der  §  132  sagt  nur,  dass  da,  wo  die 
Aufsicht  über  die  Ausführung  der  bestehenden  Bestimmungen  eigenen  Beamten 
übertragen  ist,  denselben  bei  Ausübung  dieser  Aufsicht  alle  amtlichen  Befugnisse 
der  Ortspolizei-Behörden,  insbesondere  das  Recht  zur  jederzeitigen  Revision  der 
Fabriken  zustehen.  In  Preussen  sind  in  allen  industriereichen  Districten  Fabrik- 
inspectoren angestellt,  weiche  aber  bisher  nur  die  Arbeit  der  jungen  Personen 
und  die  Maschinen   bezüglich  der  nothwendigen  Umzäunung  controliren. 

In  der  Schweiz,  speciell  im  Canton  Zürich,  stiess  ihre  Ernennung  anfangs 


32  Einleitung. 

auf  Schwierigkeiten .  weil  man  dort  die  Gemeindeschulpfleger  für  die  geeignetesten 
Behörden  zur  Ueberwachung  des  Fabrikgesetzes  hielt.  Eine  besondere  Fabrik- 
commission entschied  sich  doch  schliesslich  für  das  Institut  der  Fabrikinspec- 
toren.  Diese  sollen  nämlich  nicht  nur  Vertreter  der  Arbeiter  sein, 
sondern  auch  die  Interessen  der  Fabrikherrn  und  der  Industrie  über- 
haupt wahrnehmen  und  nach  beiden  Seiten  vermittelnd  einwirken. 

Im  Schosse  dieser  Commission  wurde  auch  der  Wunsch  ausgesprochen, 
dass  die  Inspectionen  im  Interesse  der  Kinder  noch  auf  manche  andere  Werk- 
stätte und  auf  die  Hausindustrie  ausgedehnt  werden  möchten,  da  sie  dort  recht 
oft  viel  notwendiger  seien.  Man  berichtete,  dass  Mädchen,  welche  kaum  aus 
der  Alltagsschule  entlassen  seien,  zuweilen  vom  frühen  Morgen  bis  in  die  späte 
Nacht  am  Webestuhl  beschäftigt  würden,  wodurch  die  vielen  Fälle  von  Schwind- 
sucht vorkämen.  Andererseits  verschwieg  man  sich  jedoch  nicht,  dass  eine  weitere 
Ausdehnung  der  Inspectionen  auf  Nichtfabriken  als  ein  zu  gefährlicher  Eingriff 
in  Privat-  und  Familienverhältnisse  erscheine,  obgleich  man  nicht  verkannte,  dass 
Menschenscliutzvereine  oft  weit  notwendiger  sind  als  Thiersclintzvereine.  Man 
müsste  vertrauen,  dass  Kirchen-,  Schul-  und  Gemeindepflege  und  gemeinnützige 
Gesellschaften  ihre  segensreiche,  das  Volk  erziehende  Wirksamkeit  in  dieser 
Beziehung  immer  weiter  ausdehnen  und  im  Bunde  mit  der  wachsenden  geistigen 
Bildung  dazu  beitragen  würden,  eine  öffentliche  Meinung,  eine  Volkssitte  und 
Volksjury  heranzubilden,  welche  solche  hartherzige  Behandlung  und  Ausnutzung 
der  Arbeitskräfte  von  Kindern  und  Frauen  öffentlich  an  den  Pranger  stellen.  Aus 
diesen  Gründen  glaubte  man  auch  auf  die  Fabrikinspectionen  kein  grosses  Ge- 
wicht legen  zu  dürfen,  weil  man  die  Mittel  zur  Abhülfe  von  Uebelständen 
des  Fabrikwesens  mehr  im  Volke  selbst  und  in  seinem  Leben  als  in 
den  Regierungen  und  in  Gesetzen  suchen  müsse.26)  Uebrigens  wurde  von 
der  Fabrikcommission  selbst  zugestanden,  dass  mancher  Fabrikbesitzer  mit  Rück- 
sicht auf  die  Inspectionen  vielleicht  bessere  Vorkehrungen  in  sanitärer  Hinsicht 
treffen  und  einen  Ehrenpunct  darin  erblicken  würde,  gute  Einrichtungen  zeigen 
zu  können,  dass  es  ferner  auf  gewisse,  namentlich  unerwachsene  Arbeiter  günstig 
und  ermunternd  einwirken  würde,  wenn  sie  sähen,  dass  man  ihre  Interessen  zu  fördern 
und  die  Kinder  zu  schützen  wünsche.  Ferner  erwähnte  ein  Fabricant,  dass  man 
Aufseher,  Werkführer  und  Meister  zuweilen  durch  Hinweis  auf  die  Inspection  an- 
sporne, ihre  Pflichten,  namentlich  auch  in  Betreff  der  Annahme  von  nicht 
schulpflichtigen  Kindern  und  ihrer  Behandlung,  gewissenhaft  zu  erfüllen. 
Diese  Gründe  sind  wichtig  genug,  um  für  das  Institut  der  permanenten 
Fabrikinspectiou  mit  aller  Entschiedenheit  das  Wort  zu  ergreifen.  Der  Fabri- 
cant, welcher  sich  täglich  im  gewohnten  Kreise  bewegt,  übersieht  am  ehesten  die 
in  sanitärer  Hinsicht  der  Fabricationsmethode  anklebenden  Mängel  oder  er 
achtet  sie  für  viel  zu  gering,  um  an  Abhülfe  derselben  zu  denken.  Der  Fabrik- 
arbeiter hat  keine  Einsicht  in  die  seiner  Gesundheit  drohenden  Gefahren  und  be- 
kümmert sich  selten  um  den  daraus  erwachsenden  Schaden.  Fabrikinspectoren, 
welche  Sinn  und  Herz  für  das  Wohl  der  Menschheit  haben  und  dabei  wirkliche 
Sachkenntniss  besitzen,  können  in  doppelter  Beziehung  segensreich  wirken.  Sie 
sind  für  den  Fabricanten  ein  Sporn,  seine  Fabrik  den  Anforderungen  der  gewerb- 
lichen Gesundheitspflege  gemäss  einzurichten;  sie  sind  für  den  Arbeiter  eine 
Beruhigung,  indem  er  dadurch  die  Ueberzeugung  gewinnt,  dass  man  ein  Interesse 
für  sein  Wohl  und  Wehe  an  den  Tag  legt  und  zwar  in  der  Voraussetzung,  dass 


Einleitung.  33 

sie  gewissenhaft  verfahren,  weder  einseitig  das  Interesse  der  Fabricanten  oder 
Arbeiter  vertreten,  noch  einseitig  am  Buchstaben  des  Gesetzes  halten,  sondern 
ihre  Thätigkeit  und  Sachkenntniss  auf  Alles  ausdehnen,  was  sie  mit 
den  An  fordernngen  der  öffentlichen  Gesundheitspflege  nicht  in  Ueber- 
einstimmung  finden.  Von  diesem  Gesichtspuncte  aus  kann  man  von  Plener 
beistimmen,  wenn  er  den  englischen  Fabrikinspectoren  das  Zeugniss  unermüdlicher 
Thätigkeit,  gewissenhafter  Pflichterfüllung  und  grosser  geschäftlicher  Tüchtigkeit 
gibt,  da  sie  den  grössten  Theil  des  Jahres  auf  Reisen  zubrächten,  fortwährend 
Fabriken  und  Schulen  besuchten,  alle  Beschwerden  entgegen  nähmen  und  die  An- 
klagen wegen  Gesetzesübertretungen  erhöben.  Ihre  halbjährlichen  Berichte  erklärt 
er  für  eine  ausführliche  und  lehrreiche  periodische  Darstellung  der  wichtigsten  Seiten 
des  industriellen  Lebens.  Sicherlich  versprechen  alle  Anordnungen  der  Gemein- 
den oder  Unternehmer  nur  dann  einen  Erfolg,  wenn  die  staatliche  Beaufsichtigung 
mit  Umsicht  und  Strenge  durchgeführt  wird.  -') 

Der  gegenwärtige  Etat  für  die  Fabrikinspection  ist  folgender:  2  Inspectoren 
mit  je  1000  Pfd.  Sterl.  Gehalt  und  150  Pfd.  Sterl.  für  Schreib-  und  Reiseauslagen, 
2  Hülfsinspectoren  mit  je  700  Pfd.  Sterl.,  40  Unterinspectoren  mit  Gehältern  von 
3 — 500  Pfd.  Sterl.  Die  beiden  letztern  Classen  erhalten  besondere  Reisevergütung 
und  12  Sh.  für  jede  auswärts  zugebrachte  Nacht.  Für  Bergwerke  sind  1  In- 
spector  mit  710  Pfd.  Sterl.  und  12  Kohlenwerkinspectoren  mit  6—800  Pfd.  Sterl. 
Gehalt  angestellt.  Der  Staatshaushalt  für  1871—72  enthält  für  die  Ausgabe  der 
erstem  Art  zusammen  25,347  Pfd.  Sterl.  und  für  die  der  zweiten  13,710  Pfd.  Sterl. 

Der  Arbeiter  ausserhalb  der  Fabrik. 

Personne  n'a  le  pcmvoir  de  sauver  l'ouvrier 
du  pauperisme,  si  ce  n'est  1'ouvrier  lui  meme. 
Jules  Simon. 

Wenn  man  den  Arbeiter  nicht  nur  in  der  Fabrik  sondern  auch  ausser- 
halb derselben  berücksichtigen  will,  um  ihm  die  Mittel  und  Wege  für  seine  sitt- 
liche, geistige  und  körperliche  Wohlfahrt  an  die  Hand  zu  geben,  so  tritt  man 
hiermit  der  grossen  Arbeiterfrage  näher,  welche  zum  socialen  Gebiete,  dem  grossen 
Kampfplatze  der  Gegenwart,  führt.  Dieser  Gegenstand  kann  hier  nur  in  grossen 
Zügen  einer  Betrachtung  unterworfen  werden,  indem  bloss  auf  die  wichtigsten 
Puncte  Rücksicht  genommen  und  für  das  Specielle  auf  die  betreffende  Literatur 
verwiesen  werden  wird.28)    In  erster  Linie  steht: 

1)  Die  Sorge  für  Reinlichkeit.  Die  Beobachtung  der  Reinlichkeit  ist 
eine  Hauptbedingung  zur  Erhaltung  der  Gesundheit,  zur  Hebung  der  Ordnungs- 
hebe und  Veredlung  der  Sitte.  Schon  im  Alterthum  stand  die  Bildung  der  Völker 
in  der  höchsten  Blüthe,  als  die  öffentlichen  Bade-  und  Waschanstalten  sich  nicht 
nur  durch  Pracht,  sondern  auch  durch  freie  Benutzung  und  Zweckmässigkeit 
auszeichneten.  In  Frankreich  hat  ein  Gesetz  vom  3.  Februar  1851  dem  Minister 
für  Handel  und  Ackerbau  einen  Credit  von  600,000  Frcs.  bewilligt,  um  die  Ein- 
richtung öffentlicher  Bade-  und  Waschanstalten  zu  befördern,  welche  der  arbei- 
tenden Classe  entweder  unentgeltlich  oder  gegen  geringe  Zahlung  offen  stehen. 
Nirgends  wird  aber  ein  ergiebigerer  Gebrauch  von  Bädern  als  in  England  ge- 
macht, und  es  ist  nicht  zweifelhaft,  dass  hierdurch  die  kräftige  Constitution  des 
englischen  Arbeiters  mit  bedingt  wird.  Schon  das  Gesetz  von  1847  (Bath-  and 
Wash-Houses  Act)  gestattete  jeder  Gemeinde,  Anleihen  behufs  Errichtung  von  Bade- 
anstalten für  die  arbeitende  Classe  zu  machen.   Am  wenigsten  haben  in  Deutsch- 

Eulenberg,  Gewerbe-Hygiene.  3 


34  Einleitung. 

land  die  öffentlichen  Bade-  und  Waschanstalten  die  noth wendige  Verbreitung  ge- 
funden; die  Bäder  sind  noch  zu  theuer  uud  die  Waschanstalten  noch  zu  selten. 
In  Berlin  existiren  seit  1856  und  1858  immer  nur  noch  2  grössere  Waschanstalten. 
Selbst  die  Einrichtungen  für  die  Zufuhr  des  Wassers  siud  nicht  ausreichend  und 
unsere  Wasserleitungen  entsprechen  durchaus  nicht  dem  allgemeinen  Bedürf- 
nisse. Die  Wasserzufuhr  ist  eine  der  wichtigsten  und  fruchtbarsten  Aufgaben 
der  öffentlichen  Gesundheitspflege.29) 

2)  Turn-  und  Schwimmübungen  sind  auch  für  viele  Arbeiter  als  höchst 
wichtige  Mittel  zur  Erhaltung  der  Gesundheit  zu  betrachten.30) 

3)  Die  Sorge  für  passende  Arbeiterwohnungen  gehört  zu  den  schwie- 
rigsten Aufgaben  der  öffentlichen  Gesundheitspflege.  Eine  gute  Wohnung  be- 
festigt die  Familienbande,  hebt  den  Sinn  für  das  Schöne  und  befördert  das  Be- 
wusstsein  der  eigenen  Selbstständigkeit;  das  System  der  getrenntenWohnungen 
(Maisonnets,  Cottages,  Allotment-system)  hat  deshalb  auch  den  entschiedensten 
Vorzug  vor  dem  Casernensystem  (Hotels  garnis,  the  common  lodging  houses). 
In  Bezug  auf  die  Beschaffung  von  guten  Arbeiterwohnungen  ist  England  wiederum 
mit  einem  glänzenden  Beispiele  vorangegangen  und  Männer  wie  der  Fabricant 
Akroyd,  die  Herzöge  von  Northumberland  und  Bedfort,  sowie  der  grosse 
Wohlthäter  Peabody,  haben  sich  in  dieser  Beziehung  die  schönsten  Denkmäler 
gesetzt.  In  neuerer  Zeit  wird  das  Genossenschaft sprineip  auch  auf  den 
Häuserbau  angewendet.  Solche  Nutz- Bau- Gesellschaften  (Beneflt-Building 
Societies)  existiren  schon  viele  in  England,  namentlich  solche,  welche  sich  nach 
einer  im  Voraus  bestimmten  Zeitdauer  wieder  auflösen.  Man  unterscheidet  deshalb 
begrenzte  Gesellschaften  von  den  permanenten.31)  Diese  grosse  Aufgabe 
harrt  aber  noch  immer  auf  eine  zeitgemässe  Erledigung,  nachdem  man  das  Wohl- 
thätigkeitsprineip  der  „gemeinnützigen  Baugesellschaften"  und  „Wohnungsvereine" 
aufgegeben  hat.  Selbst  die  in  mancher  Beziehung  anerkennungswerthe  Fürsorge 
mancher  Fabricanten  für  die  Wohnungen  ihrer  Arbeiter  wird  insofern  als  mangel- 
haft anerkannt,  als  die  Leistungen,  welche  der  Arbeiter  dem  Fabricanten  gegenüber 
zu  übernehmen  hat,  seine  Abhängigkeit  vermehren  und  möglicherweise  eine  neue 
Art  von  Hörigkeit  darstellen  könnten.  In  der  Schweiz  neigt  man  sich  immer 
mehr  der  Ansicht  hin,  den  Arbeitern  und  kleinen  Bauunternehmern  den  Bau  und 
die  Einrichtung  der  Wohnungen  zu  überlassen,  dabei  denselben  aber  den  Erwerb 
des  betreffenden  Gruudstücks  zu  erleichtern,  event,  baare  Vorschüsse  zur  Be- 
streitung der  Kosten  oder  Credit  bei  Vorschussvereinen  gegen  Verbürgung  zu  be- 
schaffen oder  auch  ein  Capital  auf  Hypothek  zu  vermitteln.  Jedenfalls  dürfte 
dies  ein  geeignetes  Mittel  sein,  die  Thatkraft,  Sparsamkeit  und  Beharrlichkeit  des 
deutschen  Arbeiters  zu  beleben  und  in  diesen  Eigenschaften  einen  Wetteifer  mit 
dem  englischen  Arbeiter  anzuregen. 

4.  Sorge  für  eine  passende  Ernährung.  Sache  des  Staates  ist  es, 
die  Beschaffung  der  Lebensmittel  zu  erleichtern  und  jede  Verfälschung  derselben 
mit  den  strengsten  Strafen  zu  ahnden.  Sache  der  öffentlichen  Gesundheitspflege 
ist  es,  die  schändlichen  Betrügereien  auf  diesem  Gebiete  aufzudecken,  welche  dem 
Arbeiter  gegenüber  gleichsam  einen  langsamen  Mord  repräsentiren.32) 

In  grossem  Fabriken  ist  gegenwärtig  vielfach  die  löbliche  Sitte  eingeführt, 
durch  die  Bereitung  der  Nahrungsmittel  im  Grossen  namentlich  den  entfernt 
wohnenden  Arbeitern  eine  zweckmässige  Nahrung  zu  verschaffen.  In  grosseu 
Städten  verdienen  die  „Volksküchen"  die  weiteste  Verbreitung,  wie  sie  Vorzugs- 


Einleitung.  35 

weise  in  Berlin  seit  1866  bestehen.33)  Niederlagen  von  Lebensmitteln,  welche 
Ton  „Arbeitervereinen"  errichtet  werden,  gibt  es  nur  in  England,  denn  die  nach 
Schalze-Delitzsch  errichteten  Consumvereine  kommen  weder  dem  Lohn- 
noch  Handarbeiter,  höchstens  dem  Handwerker  zu  Gute.  Für  die  eigentlichen 
Arbeiter  ist  in  dieser  Beziehung  noch  nicht  viel  geschehen,  bei  welchen  es 
ausserdem  auf  eine  rationelle  Auswahl  und  Verwendung  der  Nahrungsmittel, 
d.  h.  auf  einen  geregelten  Haushalt  ankommt.  Hier  ist  das  Gebiet,  auf  welchem 
allein  Frauen  ihrer  Aufgabe  nachzukommen  und  das  Wohl  der  Familie  zu  be- 
gründen haben.  Die  „Frauenfrage"  ist  vielfach  ventilirt  und  eine  Menge  von 
wohlthätigen  Vereinen  begründet  worden,  aber  es  fehlt  noch  immer  an  einem 
Verein,  welcher  die  Ausbildung  der  Mädchen  aus  dem  Arbeiterstande 
zu  ordentlichen  Hausfrauen  bezweckt.  Es  thut  Noth,  „Männerschutz- 
vereine  gegen  unordentliche  Frauen"  zu  bilden,  denn  der  reichlichste  Ver- 
dienst bleibt  bei  einer  unordentlichen  und  unvernünftigen  Hausfrau  gleich  dem 
Füllen  des  Danaidenfasses. 

5)  Arbeiter-Genossenschaften.  Die  Vereinigung  der  Arbeiter  zur  ge- 
meinschaftlichen Selbstbewirthschaftung  ihrer  Ersparnisse  (Cooperatives  societies) 
erstrebt  die  Bildung  einer  Arbeiter -Genossenschaft  (Working  men"s  association), 
welche  bisher  nur  auf  englischem  Boden  sich  entwickelt  hat.  Unerwähnt  darf  in 
dieser  Beziehung  die  „Rochdale  Society  of  equitable  Pioneers"  in  Lancashire  nicht 
bleiben.  Arme  "Weber,  welche  nicht  mehr  durch  „Strikes"  sondern  durch  „Co- 
operation" ihre  Lage  zu  verbessern  suchten,  wurden  im  Jahre  1844  die  Stifter 
dieses  Vereins.  Sie  nennten  sich  „Pioneers",  weil  sie  als  Bahnbrecher  auf  einem 
neuen  Gebiete  auftreten  wollten.  Wahrscheinlich  waren  sie  durch  Richard 
Owen's  System  der  gegenseitigen  Hülfeleistung  (mutual  assistance)  dazu  angeregt 
worden.  Schon  im  Jahre  1863  zählte  der  Verein  3900  Mitglieder  mit  einem  Ver- 
mögen von  43,325  L.  Es  wurden  kleine  Läden  (Branche-Stores)  errichtet,  welche 
ans  den  Hauptniederlageu  mit  dem  Nöthigen  zum  Einkaufspreise  versehen  waren, 
indem  die  Distributiv-Associationen  (Consumvereine  im  weitern  Sinne)  für 
den  gemeinsamen  Ein-  und  Verkauf  allerlei  Lebensbedürfnisse  für  den  Arbeiter 
sorgten  und  die  Productiv- Associationen  die  Selbstfabrication  vieler  der 
ersten  Lebensbedürfnisse  betrieben.34)  Die  auf  deutschem  Boden  entstandene 
Genossenschaftsbewegung  unterscheidet  sich  insofern  wesentlich  von  der 
englischen,  als  der  materielle  Xothstand  der  Arbeiter  letztere  veranlasst  hat, 
während  man  in  Deutschland  vom  theoretischen  Standpunct  aus  die  sociale  Frage 
in  die  Hand  nahm,  als  die  Berliner  allgemeine  Gewerbe-Ausstellung  im  Jahre 
1845  die  Preussische  Regierung  veranlasste,  einen  Verein  für  die  Hebung  und 
das  Wohl  der  arbeitenden  Classen  zu  gründen  und  aus  einem  Centralverein 
verschiedene  Localvereine  hervorgehen  zu  lassen.  Hiergegen  protestirte  der  „Ber- 
liner Handwerkerverein",  weil  er  von  der  Ansicht  ausgiug.  dass  durch 
Prämien- Sparcassen  die  Ersparnisse  der  Arbeiter  nur  der  Grossindustrie  zu 
niedrigem  Zinsfuss  zugeführt  würden.  Man  griff  deshalb  zu  den  in  Berlin  entstande- 
nen Liedtke'  sehen  Sparvereinen,  welche  sich  von  den  jetzigen  Consumvereinen 
dadurch  unterschieden,  dass  die  Lohnersparnisse  der  Arbeiter  nicht  unter  Theil- 
nahme  der  Arbeiter,  sondern  allein  von  Menschenfreunden  behufs  Anschaffung 
von  Lebensbedürfnissen  verwaltet  wurden.  Indem  der  Berliner  „Localverein" 
auch  die  Arbeiter  zum  Einsammeln,  Ankauf  und  zur  Vertheilung  der  Lebens- 
bedürfnisse an  ihre  Genossen  heranziehen  wollte,   beabsichtigte  man  hiermit  die 


36  Einleitung. 

„Selbsterhebung  der  arbeitenden  Classe"  an  die  Stelle  der  „bevormundenden  He- 
bung" zn  setzen.  Diese  Idee  fand  aber  an  massgebender  Stelle  keinen  Beifall, 
weshalb  die  Projecte  nicht  ausgeführt  wurden.  Nach  verschiedenen  Versnshen 
trat  Schulze-Delitzsch  wiederum  mit  dem  Princip  der  Selbsthülfe  auf,  um  die 
Arbeiter  nach  dem  englischen  Beispiele  zu  Selbstproducenten  und  Capitalisten 
zu  machen  und  zwar  im  Gegensatz  zu  Lassalle,  welcher  das  System  der  Staats- 
hülfe  für  den  Arbeiter  aufstellte.  Die  Schulze-Delitzsch'schen  Genossenschaften 
sind  nur  Handwerker- Genossenschaften  geblieben,  indem  die  Credit- 
Genossenschaften  oder  Vorschussvereine  dem  Handwerker  und  kleinen 
Unternehmer  Credit  verleihen,  sobald  er  einen  Bürgen  für  sich  stellen  kann,  die 
Rohstoff-  und  Gonsumvereine  aber  den  Mitgliedern  zu  gewerblichen  und 
Haushaltuugszwecken  dienen. 

Die  Productiv-Genossenschaften  haben  in  Deutschland  noch  keine 
Aussicht  auf  Erfolg.  Die  einzigen  Beispiele  dieser  Art  liefern  die  Maschinenbauer 
in  Chemnitz  und  die  Shawlweber  in  Berlin.  Dagegen  lässt  sich  vom  Tantiemelohn 
weit  Erspriesslicheres  erwarten  und  hat  Berlin  bereits  einen  bisher  gelungenen 
Versuch  dieser  Art  in  einer  Broncefabrik  aufzuweisen.  Er  liefert  fast  dieselben 
materiellen  und  moralischen  Erfolge  wie  die  Productiv-Genossenschaften,  ist  da- 
gegen in  der  Ausführung  viel  weniger  schwierig.  Auch  die  Züricher  Fabrikcom- 
mission erkennt  zwar  die  Schattenseite  des  Tautiemelohus  an,  fordert  aber  doch 
recht  dringend  zur  Durchführung  dieses  fruchtbringenden  Gedankens  auf. 

6.  Unter  st  ützuugs  vereine.  Dieselben  beziehen  sich  auf  Zeiten  der 
Krankheit  oder  Arbeitsunfähigkeit  und  sind  in  den  meisten  Ländern  staatlich  ge- 
regelt. Für  das  Deutsche  Reich  ist  durch  die  Gewerbeordnung  vom  21.  Juni 
1869  (Tit.  VIII  §§  140,  141)  die  Verpflichtung,  einer  mit  einer  Innung  verbunde- 
nen oder  ausserhalb  derselben  bestehenden  Kranken-,  Hülfs-  oder  Sterbe- 
casse  für  selbstständige  Gewerbetreibende  beizutreten,  aufgehoben.  Die 
(liesfälligen  Anordnungen  für  Gesellen,  Gehülfen  und  Fabrikarbeiter  sind 
in  Kraft  geblieben.  Die  Vorschriften  wegen  der  Knappschafts-Vereine  regelt 
das  Berggesetz  vom  24.  Juni  1865  und  für  die  beim  Bau  von  Eisenbahnen  be- 
schäftigten Arbeiter  gilt  die  Verordnung  vom  21.  December  1846. 35) 

7.  Verhütung  von  Streitigkeiten  zwischen  Arbeitern  und  Arbeit- 
gebern. Die  Gewerbegerichte  (Chambre  de  prudhommes,  Boards  of  con- 
ciliation  and  arbitration)  beabsichtigen,  ein  gutes  Verhältniss  zwischen  Arbeitern 
und  Fabricanten  zu  sichern  und  zn  unterhalten.  In  Frankreich  bestanden  sie 
schon  im  Mittelalter,  denn  im  Jahre  1452  stellte  bereits  König  Renatus  prud1- 
hommes  in  Marseille  an,  welche  damals  die  Streitigkeiten  zwischen  Schiffern  und 
Fischern  zu  schlichten  hatten.  Dann  waren  es  besonders  die  Verordnungen  der 
Gilden,  deren  Beachtung  Seitens  der  Meister  und  Arbeiter  sie  zu  überwachen 
hatten  Erst  nach  der  französischen  Revolution  wurden  sie  mit  der  Aufhebung 
der  Gilden  die  Vermittler  zwischen  Arbeitern  und  Fabricanten.  Die  Gewerbe- 
gerichte haben  sich  stets  als  eine  sehr  nützliche  Einrichtung  bewährt. 

8.  Sittliche  und  geistige  Hebung  der  Arbeiter.  Dass  die  Art  der 
Arbeit  auch  einen  Einfluss  auf  das  geistige  Wesen  der  Arbeiter  ausübt,  kann  nicht 
geleugnet  werden,  wenn  man  beobachtet,  dass  der  Eiseubahnaibeiter  oft  hart 
und  rauh  wie  das  zu  bearbeitende  Metall  ist,  der  Weber  von  Kattun-  und  Seide- 
stoffen nicht  selten  eine  Vorliebe  für  Putz  zeigt  oder  die  Spitzenarbeiterinnen 
und  Nätherinnen  neben  einem  guten  Geschmack  in  ihrem  ganzen  Auftreten  feinere 


Einleitung.  37 

Manieren  documentiren. 36)  Andererseits  drückt  sich  auch  oft  die  Einseitigkeit 
einer  Beschäftigung  im  ganzen  Wesen  des  Arbeiters  aus.  Immerhin  ist  der  Ar- 
beiter verpflichtet,  die  schädlichen  Einflüsse  des  Bernfes  mit  sittlichen  und  geistigen 
Waffen  zu  bekämpfen.  Wissen  ist  Macht!  Dieser  Ausspruch  gilt  auch  dem  Arbeiter- 
stande: denn  je  mehr  der  Arbeiter  begreifen  lernt,  dass  Jeder  ein  Theil  des  grossen 
Ganzen  ist  und  der  Unterschied  der  Stände  nur  in  der  Lösung  verschiedener  Auf- 
gaben liegt,  desto  weniger  wird  er  über  sein  Schicksal  murren,  sondern  in  dem 
ihm  beschiedenen  Berufe  durch  treue  Pflichterfüllung  seine  Befriedigung  finden. 
Die  Arbeit  ist  die  Bedingung,  aber  nicht  der  Zweck  des  Lebens.  Lebenszweck 
ist  die  sittliche  und  geistige  Vervollkommnung.  Die  Bedingungen  dazu  müssen 
auch  dem  Arbeiter  durch  Unterricht,  durch  zweckmässige  Bildungsmittel,  geistige 
Genüsse  und  Erholungen  gewährt  werden.  „  Arbeiter-Bildungsvereine"  sind 
als  die  wichtigsten  Mittel  hierzu  zu  betrachten  und  daher  auf  jede  mögliche  Weise 
zu  befördern.37) 


Specicller  Theil. 


Metalloide. 

Wasserstoff  H. 

Wasserstoff  kommt  selten  frei,  sondern  vorzugsweise  mit  andern  Elementen  verbunden 
vor  und  bildet  nicht  nur  einen  Bestandteil  des  Wassers,  sondern  fast  aller  organischen 
Körper.  Mit  Chlor,  Schwefel  und  Stickstoff  verbunden,  tritt  er  in  vulcanischen 
Gegenden,  in  Verbindung  mit  Kohlenstoff  in  Kohlengruben  auf  Die  lebenden  Pflanzen 
liefern  nur  eine  spärliche  Menge  von  H,  indem  sie  durch  die  Wurzeln  das  im  Regen- 
wasser enthaltene  Am m  oniak  aufnehmen  und  bei  der  Zersetzung  desselben  im  Finstern 
II  durch  die  Blätter  an  die  Atmosphäre  abgeben. 

Dargestellt  wird  Wasserstoff  durch  Zersetzung  des  Wassers:  a)  mittels 
des  electrischen  Stromes;  b)  mittels  der  Metalle  der  Alkalien  (Natrium,  Kalium)  bei 
gewöhnlicher  Temperatur,  mittels  der  Metalle  der  Erdalkalien  bei  der  Siedhitze  und 
clurch  Eisen,  Zink,  Zinn  und  Kohle  in  der  Rothgluth;  c)  bei  gewöhnlicher  Temperatur 
durch  Zink  (»der  Eisen  unter  Beihülfe  einer  Säure  (Salz-  oder  Schwefelsäure).  Hierbei 
kommt  es  sehr  auf  die  Reinheit  der  anzuwendenden  Substanzen  an,  damit  sich  nicht, 
wenn  das  Eisen  mit  Kohle,  Schwefel  oder  Phosphor,  oder  das  Zink  mit  Arsen  ver- 
unreinigt ist,  gleichzeitig  Arsen-,  Schwefel-,  Kohlen-  oder  Phosphorwasserstoff  bildet. 

Wasserstoffgas  ist  geruch-,  färb-,  geschmacklos  und  dadurch  charakteristisch,  dass 
es  der  leichteste  Körper  auf  unserer  Erde  ist.  Spec  Gew.  =  0,0C93.  Nach  Uraham  be- 
sitzt das  Palladium  (wie  Platin,  Iridium,  Eisen)  die  Eigenschaft,  Wasserstoff  zu  ver- 
dichten resp.  einzuschliessen.  Er  brennt  mit  blasser  Flamme  (die  philosophische  Lampe 
der  Alchimisten),  kann  aber  unter  gewöhnlichen  Verhältnissen  das  Brennen  nicht  unter- 
halten. Ausser  durch  brennende  Körper  und  den  electrischen  Strom  kann  seine  Ent- 
zündung durch  poröse  Körper  (Platinschwamm.  Platinmohr,  Platinfolie),  welche  an 
ihrer  Oberfläche  Sauerstoff  verdichten,  vermittelt  werden.  Durch  die  rasche 
Verbindung  von  0  und  H  entwickelt  sich  momentan  eine  Summe  von  Wärmeeinheiten, 
welche  das  Metall  ins  Glühen  bringt,  die  Entzündungstemperatur  des  Wasserstoffs  er- 
reicht und  alsdann  das  zuströmende  Gas  entzündet,  wie  es  beim  /)ö7icm'/w'sehen  Feuer- 
zeug der  Fall  ist 

Eine  Kugel  von  reinem  Thon  und  Platinschwarz  bringt  die  Verbindung  von  2  V, 
Th.  H  und  1  V.  Th.  0  oder  5  V.  Tb.,  atmosphärischer  Luft  ohne  Explosion  zu  Stande. 
Da  sich  dieses  Gemisch  sonst  mit  Explosion  entzündet,  so  heisst  es  Knallgas.  Bei 
seiner  Verbrennung  wird  der  uns  bekannte  höchste  Grad  der  Hitze,  circa  4000°  C  erzeugt. 
Es  wird  daher  in  der  Technik  zum  Schmelzen  von  Metallen  oder  sclrwer  schmelzbaren 
Substanzen  benutzt.  Mit  Chlor  verbindet  sich  H  bei  Einwirkung  des  directen  Sonnen- 
lichts direct  unter  Feuererscheinung  und  heftiger  Explosion.  Im  zerstreuten  Lichte  ge- 
schieht die  Verbindung  allmählig  ohne  Feuererscheinung. 

Einwirkung  von  Wasserstoff  anf  den  thierischen  Organismus.  Wegen  der 
häufigen  Verunreinigung  des  Wasserstoffs  hat  man  demselben  früher  giftige  Eigenschaften 
beigelegt,  welche  dem  reinen  Wasserstoff  gänzlich  fehlen,  da  er  massenhaft  von  Menschen 
und  Thieren  eingeathmet  werden  kann,  ohne  dass  der  geringste  Nachtheil  dadurch 
entsteht.1) 

Schon  der  bekannte  Luftschiffer  Pi/d/re  de  Ho: irr  athmete  das  Wasserstoffgas  bei 
öffentlichen  Versuchen  mit  demselben  im  Jahre  1783  in  mehreren  kräftigen  Zügen  ohne 
Schaden  ein.  Er  hatte  sogar  die  Kühnheit,  dasselbe  beim  Ausathmen  anzuzünden.  Bei 
fortgesetzter  Inhalation  von  purem  Wasserstoff  kann  der  Tod  schliesslich  nur  durch 
Mangel  an  Sauerstoff  eintreten. 


Wasserstoff.  39 


Wasserstoff  in  der  Industrie. 


Wegen  seiner  grossen  specifischen  Leichtigkeit  bat  der  Wasserstoff  bei  der 
Luftschifffahrt  beim  Füllen  der  Luftballons  eine  grosse  Rolle  gespielt.  Schon 
die  Gebrüder  Montgolfier  gingen  beim  Bau  des  ersten  Ballons  von  dem  Ge- 
danken aus,  denselben  mit  einem  Gase,  welches  leichter  als  die  atmosphärische 
Luft  sei,  zu  füllen.  Da  sie  glaubten,  dass  das  Aufsteigen  und  Schweben  der 
Wolken  in  der  Luft  durch  Electricität  bedingt  sei,  suchten  sie  ein  mit  electrischen 
Eigenschaften  begabtes  Gas  darzustellen,  welches  sie  durch  Verbrennen  von  Stroh 
und  einer  thierischen  Substanz,  z.  B.  von  Wolle  etc.,  zu  erhalten  glaubten.  Als 
sie  diese  Verbrennung  unter  einem  aus  Taffet  construirten  Ballon  ausführten,  stieg 
derselbe  in  die  Höhe,  aber  selbstverständlich  nicht  in  Folge  eines  aufgenommenen 
eigentümlichen  Gases,  welches  man  damals  Gas- Montgolfier  nannte,  sondern 
durch  die  verdünntere  Luft,  welche  im  Innern  des  Ballons  durch  die  Wärme  aus- 
gedehnt und  folglich  leichter  wurde.  Erst  Charles  gebrauchte  den  Wasserstoff 
als  das  leichteste  Gas  zum  Füllen  der  Luftballons,  so  dass  man  von  da  an  Mont- 
golfieren  und  Charlieren  unterschied,  bis  späterhin  der  Wasserstoff  vom 
Leuchtgase  verdrängt  wurde. 

In  der  Industrie  kann  eine  sehr  reichliche  Entwicklung  von  Wasserstoff 
bisweilen  gefährliche  Folgen  haben,  wenn  die  Fabrikräume  damit  angefüllt  werden 
und  in  Folge  seiner  Vermischung  mit  atmosphärischer  Luft  ein  explosives 
Geraisch  entsteht.  Schon  häutig  sind  auf  diese  Weise  Unglücksfälle  herbei- 
geführt worden.  Ein  solches  Unglück  ereignete  sich  z.  B.  in  einem  chemischen 
Laboratorium,  als  25  Pfund  metallischen  Zinks  mit  der  hinreichenden  Menge 
wässriger  Schwefelsäure  übergössen  wurden;  nachdem  das  Laboratorium  bald  mit 
einer  grossen  Menge  Wasserstoff  angefüllt  war.  wurde  zufällig  eine  Pfanne  mit 
glühenden  Holzkohlen  hineingetragen,  worauf  sofort  eine  so  heftige  Explosion 
entstand,  dass  nicht  nur  alle  Scheiben  sondern  auch  die  eisernen  Fensterrahmen 
herausgeschleudert  wurden. 

Auch  unter  andern  Bedingungen  und  bei  andern  Vorfällen  kann  der  Wasser- 
stoff mit  atmosphärischer  Luft  vermischt  zur  Explosion  gelangen.  Dies  kann  z.  B. 
bei  der  Darstellung  der  Essigsäure  unter  besondern  Umständen  der  Fall  sein. 
In  neuerer  Zeit  geschieht  dieselbe  nämlich  häufig  durch  Zersetzung  von  holzessig- 
saurem Calcium  mit  Schwefel-  oder  Salzsäure  in  gusseisernen 
Kesseln.  Durch  das  Eisen  der  Kesselwandungen  kann  sich  das  Wasser  bei 
Gegenwart  freier  Salz-  oder  Schwefelsäure  zersetzen  und  Wasserstoff  bilden,  welcher 
beim  Oeffnen  der  Probirhähne  und  bei  zufälliger  Berührung  der  ausströmenden 
Gase  mit  Feuer  sich  alsdann  entzündet,  so  dass  Zersprengungen  der  Apparate  er- 
folgen. Ein  solches  Unglück  ereignete  sich  vor  einigen  Jahren  in  einer  Fabrik. 
Der  zersprungene  Kessel  hatte  einen  Arbeiter  sogleich  getödtet,  indem  ein  grosser 
Eisensplitter  den  Kopf  desselben  getroffen  hatte;  ein  Eisendraht  lag  in  seiner 
Nähe  und  war  deshalb  die  Annahme  höchst  wahrscheinlich,  dass  er  denselben 
glühend  durch  einen  verstopften  Erahnen  des  Zersetzungskessels  geführt  und  auf 
diese  Weise  die  Explosion  des  ausströmenden  Gasgemisches  veranlasst  hatte.  Um 
ein  solches  Unglück  zu  verhüten,  erscheint  es  nothwendig,  dass  bei  dieser  Fabrica- 
tionsmethode  die  gusseisernen  Kessel  im  Innern  mit  einem  bleifreien  Email,  z.  B. 
mit  Borax-Email,  überzogen  werden.  Noch  besser  ist  die  Anwendung  von  kupfernen, 
inwendig  verzinnten  Kesseln. 


40  Wasserstoff. 

Auch  in  Dampfkesseln  kann  sich  Wasserstoff  entwickeln,  wenn  dieselben 
mit  Wasser,  welches  Chloride  und  Magnesiumsalze  enthält,  gespeist  werden. 
Es  bildet  sich  hierbei  Chlormagnesium,  welches  zerfällt  und  zur  Bildung  von 
freier  Salzsäure  Veranlassung  gibt.  Dieselbe  wirkt  auf  das  Eisen  der  unbedeckten 
Kesselfläche  ein  und  erzeugt  durch  Zerlegung  des  Wasserdampfes  freien  Wasser- 
stoff. Bei  Reparaturen  und  Reinigungen  der  Dampfkessel  kann  alsdann  leicht 
eine  Explosion  erfolgen,  wenn  die  Arbeiter  zu  früh  mit  einem  Lichte  in  den  Kessel 
steigen  und  das  Gemisch  von  Wasserstoff  mit  atmosphärischer  Luft  entzünden. 
Auf  diese  Weise  sind  namentlich  auf  Seedampfschiffen  schon  Explosionen 
vorgekommen.  Es  ist  unter  allen  Umständen  stets  zweckmässiger,  das  Mannloch 
der  Dampfkessel  einige  Zeit  geöffnet  zu  lassen,  ehe  man  das  Einsteigen  von 
Menschen  gestattet,  damit  das  Gasgemisch  Zeit  zum  Ausströmen  hat. 

Beim  Verbleien  oder  Verzinnen  des  Eisenblechs  tritt  oft  so  viel 
Wasserstoff  auf,  dass  er  entzündet  werden  kann  (S.  Verzinnen).  Man  muss  daher 
stets  dafür  sorgen,  dass  er  sich  in  geschlossenen  Räumen  nicht  anhäuft,  um  die 
Gefahr  der  Explosion  zu  vermeiden. 

Das  Knallgas  (die  Mischung  von  Wasserstoff  und  Sauerstoff)  kommt  in 
der  Industrie  häufig  zur  Anwendung.  Zur  Darstellung  künstlicher  ächter  Edel- 
steine, z.  B.  des  Rubins  etc.,  zum  Schmelzen  der  Platinmetalle  hat  man  die  Kuall- 
gasflarame  häufig  benutzt.  Das  erste  Knallgasgebläse  fertigte  der  Engländer 
Newman  an  und  brachte  dabei  das  Princip  der  Davy'schen  Sicherheitslampe 
in  Anwendung,  nach  welchem  die  Flamme  nicht  durch  die  feinen  Oeffnungen  eines 
Drahtnetzes  hindnrchschlägt,  weil  sie  hierdurch  eine  so  grosse  Abkühlung  erfährt, 
dass  die  Entzündungstemperatur  sich  nicht  bis  ins  Innere  fortpflanzt.  Man  muss  nur 
die  Vorsicht  gebrauchen,  dass  das  Drahtnetz  stets  unverletzt  bleibt  und  sich  nicht 
bis  zur  Entzündungstemperatur  des  Knallgases,  welche  bei  der  Rothgluth  liegt, 
erhitzt.  Neuerdings  legt  man  in  die  Ausströmungsröhre  statt  der  Drahtsiebe 
Drahtbündel  ein.  Aber  auch  bei  der  grössten  Vorsicht  sind  Explosionen  nicht 
ausgeschlossen,  weshalb  das  Knallgasgebläse  längere  Zeit  ausser  Gebrauch  kam, 
bis  Maugham  seinen  Hahn  erfand,  dessen  Construction  ein  Ausströmen  der  Gase 
in  gesonderten  Röhren  und  eine  Mischung  derselben  erst  dicht  vor  der  Entzün- 
dungsstelle gestattete.  Durch  die  Stellung  der  Hähne  der  Gasometer  lässt  man 
Wasser-  und  Sauerstoff  im  Verhältniss  von  2 :  1  austreten. 

Ein  solches  Gebläse  wird  zu  den  mannigfaltigsten  Schmelzungen,  namentlich 
zum  Löthen  der  Metalle  benutzt.  Da  man  hierbei  kein  Loth,  d.  h.  keine 
Mischung  von  verschiedenen  Metallen,  deren  Schmelzpunct  unter  dem  des  zu 
löthenden  Metalls  UVgt,  bedarf,  so  schmilzt  man  mittels  dieser  Flamme,  welche 
keine  Oxydation  bewirkt,  die  Ränder  der  zu  löthenden  Metallstücke  und  fügt 
sie  sofort  zusammen.  Die  Verbindungen  dieser  Art  sind  viel  fester  als  die 
Verlöthnngen,  welche  leicht  oxydirt  und  zerfressen  werden,  da  das  Loth  nament- 
lich bei  zinnernen  Gefässeu,  welche  zum  Messen  oder  Aufbewahren  saurer 
Flüssigkeiten  dienen,  von  diesen  leichter  als  das  reine  Metall  angegriffen  wird. 
Es  ist  daher  sehr  zu  bedauern,  dass  man  das  Knallgasgebläse  beim  Löthen 
von  Gold,  Kupfer,  Blei  und  Zink  noch  zu  wenig  gebraucht.  Seine  Anwen- 
dung in  den  Pariser  Bijouteriefabriken  ist  dadurch  sehr  erleichtert  worden,  dass 
man  den  Wasserstoff  aus  einem  Gasbehälter  austreten  lässt  und  mittels  eines 
Blasebalgs  nur  atmosphärische  Luft  zuführt.  Die  älteste  Methode  dieser  Art  des 
Löthens  bestand  im  Gebrauch  des  blossen  Wasserstoffs,   wobei  sich  aber  unter 


Chlor.  41 

Umständen  leicht  Knallgas  bilden  kaun,  welches  alsdann  bei  Entzündungen  Ex- 
plosionen veranlasst. 

Kalk  wird  bekanntlich  im  Knallgasgebläse  weissglühend.  Man  nennt  dieses 
Licht  nach  seinem  Erfinder,  einem  englischen  Ingenieur,  Drummond'sches  oder 
Hydroxygengaslicht.  In  Leuchttürmen  dient  es  als  Signallicht;  auch  zu 
mikroskopischen  Yergrösserungen  und  zur  Darstellung  der  sogen.  Xebelbilder 
(Dissolving  views)  wird  es  benutzt, 

In  der  Chemie  dient  der  Wasserstoff  wegen  seiner  grossen  Verwandtschaft 
mit  dem  Sauerstoff  bei  erhöhter  Temperatur  als  Reductionsmittel. 


Chlor  Cl. 

Chlor  tritt  nur  in  Verbindungen  auf:  unter  diesen  ist  die  mit  Natrium  theils  in 
krystallisirtem  Zustande  (Steinsalzlager),  theils  in  wässriger  Lösung  (Meerwasser.  Salinen) 
ausserordentlich  verbreitet.     Im  Thier-  und  Pflanzenreich  fehlt  diese  Verbindung  nie. 

Zur  Darstellung  von  Chlor    benutzt  man,    seitdem  Schneie  1774  seine  berühmte 
Abhandlung  über  Braunstein   geschrieben  hat,   eine  Mischung  von  Braunstein  (Mn02) 
mit  Salzsäure  oder  eine  solche  von  Braunstein,  Kochsalz  und  Schwefelsäure.   In  letzterem 
Falle  liefert  Kochsalz  und  Schwefelsäure  die  Salzsäure  (s.  Chlorwasserstoffsäure). 
Mn02  -f-  4  H  Cl  =  MnCl2  +  C1C1  +  2H20 

Chlor  ist  ein  grünlich-gelbes  (y/.iupdc),  verdichtbares  Gas  und  durch  seinen  durch- 
dringenden Geruch  zu  erkennen;  es  ist  2,4ömal  schwerer  als  die  Luft,  35.5mal  schwerer 
als  Wasserstoff.  Es  lässt  sich  aus  einem  Gefäss  in  das  andere  giessen,  ist  nicht  brenn- 
bar und  unterhält  auch  nicht  die  Verbrennung.  Chlor  verbindet  sich  fast  mit  allen 
Elementen,  ganz  besonders  mit  Wasserstoff.  Mit  dem  in  organischen  Verbindun- 
gen enthaltenen  Wasserstoff  vermag  es  unter  Feuererscheinung  zusammenzutreten.  Ein 
Wachslicht  brennt  daher  im  Chlorgase  fort,  vreü  Wachs  Kohlenwasserstoffe  als 
Verbrennungsproducte  liefert.  Während  der  Wasserstoff  im  Chlor  weiter  verbrennt, 
scheidet  sich  der  Kohlenstoff  als  Russ  aus.  Wasser  absorbirt  bei  10°  2,75  Vol  Chlor- 
gas, bei  höherer  Temperatur  nur  1.8  Vol.  Dieses  Chlorwasser  zersetzt  sich  allmählig, 
fndem  Sauerstoff  frei  wird  und  Salzsäure  entsteht. 

2  Cl  -f-  H20  =  2  H  Cl  4-  0 

Durch  dieses  Verhalten  gewinnt  Chlor  seine  Bedeutung  als  Desinfections  mittel, 
weil  nascirender  Sauerstoff  befähigter  als  der  atmosphärische  ist,  sich  mit  leicht  oxydir- 
baren  Substanzen  zu  verbinden,  und  daher  Miasmen  und  Contagien  leichter  zu  zerstören 
vermag.  Aus  diesem  Grunde  ist  Chlor  ein  kräftiges,  wenn  auch  indirectes  Oxydations- 
mittel, nicht  minder  ein  Bleichmittel,  indem  es  alle  organischen  Farben  zerstört. 
Es  vermag  aber  auch  Farben  unter  Umständen  zu  erzeugen.  Tränkt  man  nämlich 
Streifen  von  weissem  Fliesspapier  mit  Tinct.  Guaj.  (1  :  24)  und  trocknet  dieselben,  so 
erscheinen  sie  farblos,  in  einer  verdünnten  Chlorlösung  wird  jedoch  das  Papier  blau, 
weil  Chlor  das  Wasser  zersetzt,  den  Wasserstoff  aufnimmt  und  den  freien  Sauerstoff 
liefert,  welcher  alsdann  die  bekannte  oxydirende  Einwirkuno-  auf  das  Guajakharz  ausübt 
(S.  Ozon). 

Hierauf  beruht  "auch  die  Ansicht  über  die  Wirkung  des  Chlors  bei  der  Bleiche. 
Es  gibt  nämlich  keine  färbende  Verbindung  der  organischen  Welt,  welche  keinen  Wasser- 
stoff enthält.  Dieses  Wasserstoffs  bemächtigt  sich  das  Chlor,  so  dass  der  aus  der  organi- 
schen Substanz  und  aus  dem  Wasser  freiwerdende  Sauerstoff  die  Verbindung  oxydirt 
und  ihrer  färbenden  Eigenschaft  beraubt. 

Nach  einer  andern  Ansicht  bedingt  schon  der  aus  der  Verbindung  austretende 
Wasserstoff  eki  Zerfallen  des  färbenden  Körpers  und  in  den  meisten  Fällen  ein  Schwin- 
den der  färbenden  Eigenschaft  desselben. 

Einwirkung  von  Chlor  auf  den  thierischen  Organismus.  Versetzt  man  Thiere 
plötzlich  in  eine  Chlor-Atmosphäre,  so  verlangsamt  sich  die  Respiration,  wahrscheinlich 
weil  die  Thiere  das  Inspiriren  zu  vermeiden  suchen.  Ein  Glottiskrampf  konnte  hierbei 
nicht  beobachtet  werden:  erst  nach  3  Minuten  entsteht  bei  Kaninchen  Taumel  und 
Schwindel  bis  zum  Hinfallen;  unter  leichten  convulsivischen  Zuckungen  in  den  Extre- 
mitäten und  tiefen  krampfhaften  Inspirationen  tritt  nach  5  Min.  schon  der  Tod  ein.  Dies 
kurze  Krankheitsbild  wiederholt  sich  in  den  Fällen,  wo  geringere  Mengen  von  Chlor- 
dämpfen tödtlich  einwirken,  nur  macht  sich  hier  vorher  die  heftige  Reizung  der  Schleim- 


40  Chlor. 

haut  der  Nase,  des  Mundes  und  der  Augen  durch  reichliche  schleimige  Absonderung 
geltend.  Eine  Opalisirung  der  Hornhaut  bildet  sich  durch  die  Coagulation  der  albu- 
minösen  Gebilde.  Kaninchen  können  in  einer  Atmosphäre  von  einem  Proc.  Cl.  zu 
Grunde  gehen.  .  _ " 

Der  Leichenbefund  charakterisirt  sich  bei  den  durch  Chlor  umgekommenen 
Thieren  durch  eine  braunrothe.  Bcbwarz  gefleckte  Lunge.  Die  Schleimhaut  der  Trachea 
und  Bronchien  ist  braunroth  injicirt  und  ein  feinblasiger  Schaum  füllt  die  feinsten 
Bronchien  bis  in  den  Larynx  aus.  Einzelne  Partien  der  Lungen  erhalten  dadurch 
eine  ödematöse  Beschaffenheit,"  während  andere  dicht  und  fest  sind.  Diese  Verdichtung 
kann  nur  von  der  entstandenen  Salzsäure  herrühren ,  -während  die  flüssigen  Exsudate 
eher  der  reizenden  Einwirkung  des  freien  Chlors  angehören.  Das  Blut  ist  immer  dick- 
flüssig, bisweilen  auch  feinkörnig;  es  färbt  die  Haut  schmutzigbraun,  ist  klebrig,  von 
dunkelbraunrother  bis  Bchwarzhcb.rotb.er  Farbe,  je  nachdem  das  Chlor  längere  oder 
kürzere  Zeit  eingewirkt  hat.1) 

In  vieler  Beziehung  stimmt  hiermit  der  Obductionsbefund  bei  Menschen  überein. 
Camoron*'  fand  bei  der  Obduction  eines  Matrosen,  welcher  auf  einem  mit  Chlorkalk 
und  Natriumsulfat  beladenen  Schiffe  eines  Morgens  todt  gefunden  wurde,  30  Stunden 
nach  dem  Tode  blasses,  aber  nicht  livides  Gesieht,  erweiterte  Pupillen,  Schaum  vor  den 
Nasenlöchern  und  dem  Munde,  die  Lippen  weiss  und  etwas  geschwollen,  das  Zahnfleisch 
wie  gebleicht,  das  Epitheliom  stellenweise  auf  der  Zunge  und  den  Lippen  erweicht. 
Die  Halsaefässe  zeigten  sich  gefüllt,  die  Lungen  nur  hyperämisch,  aber  nicht  von  sehr 
dunkler  Farbe,  die  Bronchien  mit  schaumiger  und  blutiger  Flüssigkeit  ange- 
füllt, die  Trachea  durch  Gefässinjection  geröthet  und  das  ganze  Yenensvstem  von  Blut 
strotzend.  Die  linke  Herzhälfte  war  leer  und  die  rechte  mit  dunklem  Blute  angefüllt. 
An  den  Unterleibsorganen  fand  sich  nichts  Abnormes.  Die  Schädelknochen  waren  blut- 
reich, die  Oberfläche  des  Gehirns  und  seine  Häute  zeigten  schwach  angefüllte  Gefässe, 
dagegen  waren  die  Sinus  angefüllt.  Die  Gehirnsubstanz  fest  und  normal.  Ganz  unver- 
kennbar trat  aber  beim  Einschneiden  in  die  Hirnventrikel  ein  Geruch  nach  Chlor 
auf.  welcher  bei  der  Eröffnung  der  Unterleibshöhle  nicht  bemerkbar  war. 

Die  primäre  Einwirkung  von  Chlor  gibt  sich  stets  durch  eine  Reizung  der 
Respirationswege  kund.  Es  entsteht  Husten,  Schnupfen.  Heiserkeit,  schmerzhaftes 
Schlucken  oder  entzündliche  Affection  des  Kehlkopfs.  Der  Husten  kann  sich  zu 
einer  solchen  Heftigkeit  steigern,  dass  nicht  selten  Blut  aus  Nase  und  Mund 
stürzt.  In  einem  concreten  Falle  wurde  sogar  hierdurch  ein  Riss  im  Trommelfelle 
hervorgerufen.  Zerreissung  der  Lungenalveoleu  und  die  dadurch  erzeugte  Lun- 
genblutung kann  Todesursache  werden.3)  Taumel  und  Schwindel  steigert  sich  bis- 
weilen bis  zum  bewusstlosen  Hinstürzen  oder  der  asphyktische  Zustand  tritt  plötzlich 
ohne  alle  Vorboten  ein.  An  der  frischen  Luft  schwindet  in  der  Regel  die  grösste 
Gefahr;  nicht  selten  bleibt  aber  in  solchen  Fällen  ein  von  der  Stirnbeinhöhle  bis 
zur  Protuberant.  oeeip.  strahlender  Schmerz  zurück. 

In  einer  Chloratmosphäre  verliert  man  Geschmack  und  Geruch.  Indem  sicli 
das  Chlor  mit  allen  thierischen  Häuten,  namentlich  mit  den  Schleimhäuten  ver- 
bindet, empfindet  man  nur  Geruch  und  Geschmack  nach  den  hierbei  entstandenen 
gechlorten  Albuminaten. 

Behandelt  man  frisches  Ochsenblut  mit  Chlor,  so  wird  es  sogleich  schwarz  und  bei 
fortgesetztem  Zuleiten  von  Chlor  erstarrt  es  zu  einer  chocoladebraunen  Masse.  Auch 
das  mit  i  Theilen  Wasser  verdünnte  Blut  wird  durch  Chlor  chocoladebraun  und  dick. 
Bei  längerer  Einwirkung  scheidet  sich  ein  lederbraunes  Coagulum  ab.  Die  abfiltrirte 
hellgelbe  Flüssigkeit  enthält  Eisenchlorid  und  zeigt  im  Spectrum  keine  Blutbänder  mehr. 

Falk*)  bezeichnet  den  Tod  der  durch  Chlor  umgekommenen  Thiere.als  eine  Herz- 
lähmung  und  nimmt  bei  dieser  Vergiftung  eine  aUmählig  fortschreitende  Depression 
der  Herzthätigkeit  an.  Ob  das  Chlor  an  sich  oder  erst  bei  seinem  Uebergange  in  Salz- 
säure als  Herzgift  einwirkt,  wird  wohl  nur  nach  den  concreten  Fällen  zu  beurtheilen 
sein.  Um  die  tödtliche  Wirkung  zu  erzeugen ,  scheint  dieser  Uebergang  nicht  noth- 
wendig  zu  sein .  da  namentlich  in  dem  Cameron'schen  Falle  im  Gehirn  sich  noch  ein 
deutlicher  Geruch  nach  Chlor  wahrnehmen  Hess. 

Nach  dem  Sectionsbefunde  bei  Thieren  documentirt  sich  dieser  Uebergang 
ganz  entschieden  durch  feste  und  dichte  Partien  der  Lungen,  da  eine  solche  Ver- 
änderung des  Lungengewebes  sich  stets  bei  den  durch  salzsaures  Gas  umgekommenen 
Thieren  findet.     (S.  Salzsäure.) 


Chlorindustrie.  43 

Als  Schutzmittel  gegen  Chlor  ist  das  Riechen  an  mit  Alkohol  befeuch- 
tetes Ammoniumcarbonat  vorgeschlagen  worden,  indem  ersterer  gegen  das  freie 
Chlor  und  das  Ammoniak  gegen  die  gebildete  Salzsäure  wirken. 

Für  Arbeiter  in  Chlorfabriken  ist  das  Tragen  von  in  blossem  Alkohol  ge- 
tauchten Schwämmen  vor  Mund  und  Nase  mehr  zu  empfehlen,  da  sich  hierdurch 
unschädliche  Chloralkoholverbindungen  bilden.  Die  Inhalation  von  Schwefel- 
wasserstoff ist  zu  verwerfen,  ebensowenig  das  vonBolley  empfohlene  Riechen 
an  Anilin  anzurathen,  welches  zwar  die  scharfe  Geruchsempfindung  und  das 
Kratzen  im  Schlünde  aufhebt,  dagegen  aber  Chloranilin  bildet,  dessen  schäd- 
licher Einfluss  auf  die  Arbeiter  zu  befürchten  ist. 

Wenn  angeblich  Arbeiter  in  Fabriken,  in  denen  sich  viel  Chlor  entwickelt, 
häufig  an  Pyrosis  leiden,  so  ist  diese  Säurebildung  im  Magen  nur  mit  den  ver- 
schluckten Chlordämpfen  in  Verbindung  zu  bringen.  Auch  will  man  bei  Menschen 
und  Thieren,  welche  häufig  und  längere  Zeit  in  einer  Chloratmosphäre  verweilen, 
eine  auffallende  Abmagerung  beobachtet  haben;  eine  Erscheinung,  welche  nur 
mit  der  gebildeten  Salzsäure  und  ihrer  nachtheiligen  Wirkung  zusammenhängen 
kann.  Die  Behauptung,  dass  Arbeiter  in  Chlorkalkfabriken  epidemischen  Krank- 
heiten, namentlich  der  Cholera  weniger  ausgesetzt  sind,  findet  in  eigenen  und 
fremden  Beobachtungen  keine  Bestätigung.  Die  Cholera  kommt  auch  bei  Arbei- 
tern vor,  welche  fast  täglich  mehr  oder  weniger  mit  Chlordämpfen  in  Berührung 
kommen. 

Die  Einwirkung  des  Chlors  auf  die  Pflanzenwelt  besteht  in  der  Zerstö- 
rung des  Chlorophylls,  dessen  spectrales  Absorptionsvermögen  verloren  geht.  Die 
Pflanzen  werden  in  kurzer  Zeit  nankinggelb  und  welken  schnell. 

Chlorindustrie. 
A.  Chlorkalkfabrication.   Unter  chlorigsau  res  Calcium  Ca  (C10)2  kommt  in 
reinem  Zustande  nicht  vor  und  nur  ein  Gemenge  von  Calciumchlorid  (Chlorcalcium 
Ca  Cl2)  mit  uuterchlorigsaurem  Calcium  ist  als  Chlorkalk,    Bleichkalk 
(Calcaria  chlorata)  bekannt. 

Er  gehört  zu  den  wichtigsten  Artikeln  in  der  Technik  und  wird  in  grossen 
Mengen  namentlich  in  Sodafabriken  fabricirt,  wo  man  die  abfallende  Salzsäure 
zu  seiner  Darstellung  benutzt. 

Seine  Fabrication  zerfällt  1.  in  die  Darstellung  des  gelöschten  Kalkes,  des 
Calciumhydrats  Ca(OH)2,  da  das  Calciumoxyd  CaO  (Kalk,  gebrannter  Kalk)  als 
solches  kein  Chlor  aufnimmt. 

In  der  Regel  bewirkt  man  das  Löschen  des  Kalkes  in  der  Weise,  dass  derselbe 
auf  eine  grössere  Fläche  ausgebreitet  und  mit  einer  Giesskanne  besprengt  wird.  Mittels 
zeitweiligen  Umwendens  und  wiederholten  Besprengens  zerfallen  die  Steine  zu  einem 
leichten  Pulver.  Alles  fremde  Gestein  und  der  ungelöscht  gebliebene  Kalk  werden 
aussortirt. 

Es  entwickelt  sich  hierbei  stets  Kalkstaub,  weshalb  sich  der  Arbeiter  nicht 
vor  den  Wind  stellen  darf.  Der  Kalkstaub  reizt  besonders  die  Schleimhäute  des 
Auges,  der  Nase  und  des  Rachens;  selten  dringt  er  tiefer  in  die  Respirations- 
wege ein.  Das  Sieben  (Beuteln)  des  Kalkes  oder  Pulverisiren  sollte  nur  in 
geschlossenen  Kasten  vorgenommen  werden.  Nach  einer  andern  Methode  breitet 
man  auf  grossen  siebartig  durchlöcherten  und  mit  erhabenen  Rändern  versehenen 
Schaufeln  den  Kalk  aus  und  taucht  diese  in  Wasser. 


44 


Chlor. 


Schon  Ramazzini  schildert  die  „dicken  und  scharfen  Dünste",  welche  sich 
heim  Kalklöschen  entwickeln,  als  schädlich  für  die  Augen  und  Luftwege  der 
Arbeiter.  Da  hierbei  aber  sehr  viele  Wasserdämpfe  auftreten,  so  wird  hierdurch 
die  reizende  Einwirkung  dieser  Dämpfe  sehr  gemildert. 

Den  gelöschten  Kalk  wirft  man  zunächst  auf  Haufen,  beutelt  den  pulverig  zerfallenen 
Theil  und  behandelt  die  hartem  Stücke  noch  in  einem  Pulverisirungsapparat.  Beim  Weg- 
schaufeln, Transiociren  etc.  des  Kalkhydratpulvers  ist  aber  Staubbildung  niemals  ganz 
zu  vermeiden. 

2.  Darstellung  von  Chlor.  Verwendet  man  hierzu  nur  Braunstein  und 
Salzsäure,  so  reicht  die  Erwärmung  mittels  Wasserdämpfe  aus,  welche  in  einen 
Kasten  von  Holz  oder  Mauerwerk,  in  welchem  die  Chloreutwicklungsgefässe  stehen, 
geleitet  werden.  Zu  letztern  benutzt  man  in  kleinern  Fabriken  die  aus  Chemnitz 
zu  beziehenden  thönernen  Gefässe,  welche  in  jeder  beliebigen  Form  dargestellt 
werden. 

Die  Hälse  der  Entwicklungsgefässe  ragen  aus  einem  hölzernen  Deckel,  dessen  Fugen 
sorgfältig  mit  Filz  zu  verschliessen  sind,  hervor.  Die  Säure  lässt  man  durch  einen  nach 
dem  Welt  er 'sehen  System  gebogenen  bleiern  oder  gläsernen  Trichter  (Fig.  1.  a)  zufliessen 
und  bewirkt  hierdurch  gleichzeitig  einen  Verschluss.  Bei  h 
gibt  man  den  Braunstein  ein,  verschliesst  die  Oeffnung  mit 
einem  hölzernen  Keil,  überbindet  mit  Kautschuk  und  über- 
zieht das  Ganze  mit  einem  aus  Thon  und  Gyps  bereiteten 
Kitt.  Bei  o  tritt  das  Chlor  aus  und  das  Rohr  d  dient  zum 
Ablassen  des  Rückstandes,  der  Manganchlor ürlauge. 
Während  des  Betriebes  wird  letzteres  mittels  eines  hölzernen 
Zapfens  verschlossen.  Ueberall  ist  eine  sorgfältige  Verkittung 
anzubringen. 

Der  Schwerpunct  liegt  in  sanitärer  Beziehung 
auf  dem  sorgfältigen  Verschluss  der  Apparate,  damit  sich 
keiue  Chlordämpfe  im  Fabrikraum  verbreiten.  Dieses 
Ziel  muss  bei  jedem  Apparate  erstrebt  werden,  wenn 
auch  die  Construction  der  Entwicklungsgefässe  nach  den 
localen  Verhältnissen  sehr  verschieden  ist  und  sich  nach 
der  Menge  des  zu  verwendenden  Chlors  richtet. 

Die  Mischung  von  Kochsalz,  Braunstein  und  Schwefel- 
säure, welche  eine  stärkere  Erhitzung  erfordert,  wird  wegen 
der  massenhaft  producirten  Salzsäure  seltener  benutzt.  Vielfach  bestehen  die  Entwick- 
lungsgefässe aus  Steingut  -  Ballons ,  welche  in  mit  Wasser  gefüllten  gusseisernen 
Kesseln  stehen  und  über  freiem  Feuer  erhitzt  werden;  oder  man  treibt  Wasserdämpfe 
in  das  Wasser  ein. 

Zweckmässig  ist  es,  den  Braunstein  mittels  eines  unten  geschlossenen  und  siebartig 
durchlöcherten  Cylinders  in  das  Entwicklungsgefäss  zu  bringen,  nachdem  vorher  die 
Säure  eingelassen  worden  ist.  Zur  Abkühlung  des  sich  entwickelnden  Chlors  wird  das- 
selbe noch  durch  zwei  leere  Ballons  geleitet,  ehe  es  in  den  Condensationsraum  gelangt. 

In  sehr  grossen  Fabriken  benutzt  man  auch  grosse  cubische  Sandsteintröge,  welche 
aber  im  Allgemeinen  nicht  zweckmässig  sind.  Sie  müssen  inwendig  mit  Theer  getränkt 
werden,  um  der  Einwirkung  der  Säure  zu  widerstehen  *) 

Die  Eigenschaft  des  Kupferchlorids  (Cu  OL,),  in  der  Hitze  in  Chlor  und 
Kupferchlorür  zu  zerfallen  (2Cu  Cl2  =  Cu,  Cl2  +  Cl2),  hat  D-acon  benutzt,  um  Chlor 
im  Grossen  darzustellen.  Da  das  zurückbleibende  Kupferchlorür  leicht  wieder  Sauer- 
stoff aufnimmt  und  sich  dadurch  in  Kupfero  xy  chlorid  verwandelt,  welches  durch 
Salzsäure  wieder  in  Kupferchlorid  übergeführt  werden  kann,  so  verspricht  der  con- 
tinuirliche  Gang  dieses  Processes  für  die  Industrie  grosse  Erfolge. 

Zur  Zeit  werden  thönerne  Steine  oder  Röhren  mit  einer  concentrirten  Lösung  von 
Kupfersulfat  imprägnirt  und  in  Retorten  und  Canäle  gebracht,  welche  von  aussen  zu 
heizen  sind,  während  eine  (am  besten  vorher  erwärmte)  Mischung  von  Salzsäuregas  und 
Luft    hindurchgeleitet    wird.       Anfänglich    tritt    Schwefelsäure    neben    salzsauren 


*)  Chlor-  und  Bromindustrie   haben  vieles  Gemeinsame,   weshalb   in  Betreff  der  Construction  der  Apparate 
auf  letzere  verwiesen  wird.     Auch  die  Behandlung  der  Rückstände  ist  dieselbe. 


Chlorkalkfabrication.  45 

Dämpfen  auf,  deren  Absorption  zn  bewirken  ist.  Es  bildet  sich  Kupferchlorid  und 
der  oben  erwähnte  Process  gebt  continuirlich  vor  sich.  Der  gute  Erfolg  hängt  von  einer 
sorgfältigen  Regelung  der  Temperatur  ab,  welche  400°  nicht  übersteigen  darf. 

In  England  ist  man  noch  um  die  Vervollkommnung  dieses  Verfahrens  und  die  Con- 
struction  von  zweckmässigen  Apparaten  sehr  bemüht.5) 

3.  Die  Absorption  des  Chlorgases  geschieht  am  besten  in  steinernen  Kam- 
mern, die  inwendig  durch  einen  Anstrich  mit  eingekochtem  Theer  verdichtet 
sind.  Das  Galciumhydrat  wird  auf  dem  Boden  auf  Sandsteinplatten  in  einer 
Höhe  von  6  Zoll  ausgebreitet.  Das  Durchkrücken  der  Masse  wird  nicht  mehr  vor- 
genommen. Am  Boden  der  Kammern  finden  sich  hölzerne  Thüren  zum  Betreten 
des  Raumes,  welche  während  des  Betriebes  mit  Lehm  verkittet  und  durch  eiserne 
Bolzen  befestigt  werden. 

Nach  vollendeter  Absorption  wird  die  Kammer  mittels  eines  Rohrs 
mit  einem  kräftig  ziehenden  Schornstein  in  Verbindung  gesetzt,  um  das  rück- 
ständige freie  Chlor  zu  entfernen.  "Wenn  die  Thüren  geöffnet  sind,  wird  der 
fertige  Chlorkalk  ausgekrückt;  die  letzten  Reste  werden  zusammengekehrt.  Der 
Arbeiter,  welcher  zu  diesem  Zweck  die  Kammer  betritt,  muss  sich  vor  Mund 
und  Nase  einen  feuchten  Schwamm  binden. 

Beim  Verpacken  des  Chlorkalks  ist  darauf  zu  achten,  dass  er  in  aus  trock- 
nem  Holze  angefertigten  Fässern  fest  eingestampft  wird;  auch  muss  er  gehörig 
abgekühlt  sein,  um  Alles  zu  vermeiden,  was  die  freiwillige  Zersetzung  des  Chlor- 
kalks begünstigt.  Man  zieht  die  kältere  und  kühlere  Jahreszeit  für  die  Chlor- 
kalkfabrication vor,  da  die  Erfahrung  bewiesen  hat,  dass  in  den  warmen  Mo- 
naten sich  leicht  chlorsaures  Calcium  Ca(C]03)2  und  Chlorcalcium  CaCl2 
bildet. 

3Ca(C10)2  =  Ca(C103)2  -f-  2CaCl2. 

Chlorkalk  muss  überhaupt  an  kühlen  und  vor  Licht  geschützten  Orten  auf- 
bewahrt und  deshalb  in  den  Fabriken  sofort  auf  Fässer  gepackt  werden. 

Einige  Fabricanten  benutzen  Kalkmilch  statt  des  Calciurnhydrats,  wenn  sie  die 
Lösung  des  Chlorkalks  sofort  für  den  eigenen  Bedarf  verwenden.  Man  gebraucht  dazu 
in  der  Regel  Retorten,  welche  im  Sandbade  erwärmt  werden  und  deren  Hälse  in  einen 
steinernen,  die  Kalkmilch  enthaltenden  Trog  münden  und  zwar  unmittelbar  über  dem 
Niveau.  Die  Kalkmilch  muss  dabei  durch  ein  Rührwerk  in  Bewegung  gesetzt  werden. 
Man  muss  auch  hier  für  eine  sorgfältige  Lutirung  des  Apparates  sorgen. 


Der  Vorgang  bei  der  Darstellung  von  Chlorkalk,  sowie  bei  seiner  Verwendung  ist 
folgender: 

2CaO  +  4C1=  Ca(C10)2  +  CaCL. 
Meistens  enthält  er  aber  auch  noch  Calciumhydrat,  welches  bei  der  Lösung  des  Chlor- 
kalks   in  Wasser    grösstentheils  ungelöst   bleibt.     Ein   Zusatz  von   Salzsäure  macht   die 
unterchlorige  Säure  frei  und  bildet  Chlorcalcium 

Ca(C10;2  +  2HC1  =  CaCl2  +  2HC10 ; 
die  unterchlorige  Säure  zersetzt  sich  jedoch  sofort  mit  der  Salzsäure  in  Wasser  und  Chlor. 

HC10  4-  HCl  =  H20  +  2C1. 
Auf  diese  Weise    kann   der  Chlorkalk  wie  freies  Chlor   wirken    und  beruht  seine 
desinficirende   und   bleichende  Vvirkung   in   dieser  Zersetzung   durch  Salzsäure.     Durch 
Kochen  mit  WTasser  verwandelt  er  sich  sofort  in  chlorsaures  Calcium  und  Chlorcalcium. 

Die  Benutzung  des  Chlorkalks  zur  Desinfection  von  Wäsche,  Kleidern  etc. 
in  den  Haushaltungen  führt  für  die  Wäscherinnen  viele  Beschwerden  beim 
Waschen  herbei,  da  der  Kalk  sich  mit  der  Seife  verbindet  und  die  Hände  wund 
macht.  Es  entsteht  eine  Art  Verkleisterung,  wenn  die  Gegenstände  nach  dem 
Chlorkalkbad  sogleich  mit  Seife  gewaschen  werden.    Um  dies  zu  verhüten,  müssen 


46  Chlor. 

sie  nach  dem  Chlorkalkbade  zunächst  in  einer  Sodalösung  ausgewaschen  werden; 
deshalb  zieht  man  hierbei  eine  Bleichflüssigkeit,  welche  aus  gleichen  Theilen 
Chlorkalk  und  Bittersalz  bereitet  wird,  vor.  Man  übergiesst  das  Gemenge  mit 
Wasser  und  lässt  es  einige  Zeit  stehen.  Es  bildet  sich  unterchlorigsaures 
Magnesium  und  der  belästigende  Aetzkalk  wird  ausgeschieden. 

B.  Chlorbleiche.  Schon  Scheele  kannte  die  bleichende  Eigenschaft  des  Chlors 
und  einige  Jahre  später  versuchte  Berthollet  die  Chlorbleiche  statt  der 
Rasenbleiche  einzuführen,  wozu  er  zuerst  Chlorwasser  gebrauchte.  Später 
benutzte  er  statt  des  Wassers  Pottasche  und  Soda  als  Absorptionsmittel,  bis 
Tennant  in  Glasgow  1799  zuerst  den  Chlorkalk  darstellte.  Gegenwärtig  liefert 
eine  Auflösung  desselben  noch  immer  die  gebräuchlichste  Bleichflüssigkeit.  Alle 
Bleichflüssigkeiten  dieser  Art  bedürfen  aber  noch  eines  Säurezusatzes,  um  das  Chlor 
frei  zu  machen. 

Mit  der  fortgesetzten  Einwirkung  der  chlorhaltigen  Substanz  auf  die  Fasern 
war  auch  eine  grössere  Zerreissbarkeit  derselben  verbunden;  es  mussten  daher 
noch  Mittel  in  Anwenduug  kommen,  welche  dieser  zerstörenden  Einwirkung  des 
Chlors  entgegenwirkten.  Zu  diesem  Zwecke  wurden  vorzugsweise  schweflig- 
saure oder  auch  unterschwefligsaure  Salze  benutzt,  welche  deshalb  den 
Namen  Antichlor  erhielten.  Die  Manipulation  selbst  heisst  Antichloriren, 
findet  jedoch  vorzugsweise  beim  Papierzeug,  seltener  bei  Gespinnsten  statt. 

Verfahren  bei  der  Chlor-  oder  Schnellbleiche  für  baumwollene  oder  leinene 
Stoffe.  Man  muss  hierbei  1.  die  Yorbereitungsarbeiten  und  2.  das  eigentliche  Bleich- 
verfahren unterscheiden. 

1)  Zu  den  Vorbereituugsarbeiten  gehören  ausser  dem  Zeichnen,  Zu- 
sammenheften der  Zeuge 

a.  das  Sengen  der  Fasern  von  der  Oberfläche  der  baumwollenen  Stoffe, 
welches  mit  einem  brenzlichen  Geruch  verbunden  ist;  deswegen  hat  man 
in  den  betreffenden  Arbeitsräumen  einiger  Fabriken  mechanische  Ex- 
haustoren  angebracht,  welche  die  dabei  auftretenden  empyreumatischen, 
höchst  unangenehm  riechenden  und  die  Luft  verderbenden  Substanzen 
abführen ; 

b.  das  Waschen  in  lauem  Walser  mittels  Waschräder  und  Waschmaschinen 
als  ein  einfacher  Reinigung-sact  zur  Entfernung  der  Schlichte; 

c.  das  Beuchen  oder  Einlangen  zur  Entfernung  der  Fette;  man  bedient 
sich  dazu  vorzugsweise  bei  baumwollenen  Stoffen  der  Kalkmilch*).  Die 
Beuchkessel  sind  verschieden  construirt  und  werden  entweder  auf  freiem 
Feuer  geheizt  oder  mit  Wasserdämpfen  behandelt. 

d.  Das  Säuren,  d.  h.  das  mit  Schwefelsäure  versetzte  Bad,  folgt  hier- 
auf, um  die  durch  Fette  und  Harze  entstandenen  Kalkseifen  zu  besei- 
tigen. Bei  ganz  feinen  Stoffen  gebraucht  man  saure  Molken,  während 
nur  bei  ordinären  und  groben  Zeugen  die  nie  eisenfreie  Salzsäure  des 
Handels  zulässig  ist. 


*)  Seifen  werden  nur  bei  der  Rasenbleiche  benutzt.  Ueberhaupt  unterliegen  die 
verschiedenen  Manipulationen  noch  verschiedenen  Einschränkungen  je  nach  der  Art  der 
Zeuge.  So  sind  z.B.  bei  Stoffen,  welche  türkischroth  gefärbt  werden,  oder  bei  Lein- 
wand das  Beuchen  mit  Kalk  und  das  nachfolgende  Säurebad  nicht  zweckmässig.  Hier 
kommen  nur  die  Laugen  zur  Anwendung. 


Chlorbleiche.  47 

e.  Nach  einem  sorgfältigen  Auswaschen  wird  das  Beuchen  in  schwachen 
Laugen  vorgenommen,  indem  man  Kalium-  oder  Natriumcarbonat  mit 
Kalkmilch  zusammenbringt,  um  Kalium-  oder  Natriumhydrat  dar- 
zustellen, welches  in  der  entsprechenden  Verdünnung  zum  Auskochen 
der  Zeuge  benutzt  wird. 

Bei  der  Bereitung  dieser  Laugen  sind  dieselben  Vorsichtsmassregeln  zu 
beachten,  welche  bei  diesem  Vorgange  in  Seifensiedereien  noch  zur  Sprache 
kommen  werden*). 

Beim  Bewegen  der  Zeuge  in  den  Beuchkesseln  und  bei  der  Herausnahme 
derselben  entwickeln  sich  wie  in  Färbereien  massenhafte  Wasserdämpfe,  für 
deren  Abzug  man  möglichst  Sorge  tragen  muss,  da  sie  auf  die  Arbeiter  jeden- 
falls sehr  belästigend  einwirken.  Die  Erzeugung  eines  starken  Zuges  würde  für  die 
durch  die  Wasserdämpfe  erhitzten  Arbeiter  in  mannigfacher  Beziehung  schädlich 
sein;  es  ist  deshalb  vorzuziehen,  die  Beuchkufen  unter  einem  gemeinschaftlichen 
Dampffange  aufzustellen  und  auch  in  der  First  des  Gebäudes  Oeffnungen  oder 
Fenster,  welche  nach  der  Richtung  des  Windes  zu  handhaben  sind,  anzubringen. 
Eine  kräftige  Aspiration  mittels  eines  geheizten  Schornsteins  hat  sich  hierbei 
am  besten  bewährt. 

Der  Boden  der  Fabrik  muss  von  beiden  Seiten  nach  der  Mitte  zu  abfallen, 
damit  das  Wasser  gehörig  abfliessen  kann.  Zweckmässig  ist  es  ausserdem,  den 
Stand  der  Arbeiter  mit  Holzgittern  zu  belegen,  da  selbst  Holzschuhe  nicht  immer 
vor  dem  massenhaft  abfliessenden  Wasser  schützen. 

Dass  die  Arbeiter  bei  der  Schnellbleiche  vorzugsweise  zur  Schwindsucht 
neigen,  wie  von  mancher  Seite  behauptet  worden,  ist  durch  keine  zuverlässige 
Erfahrung  bewiesen.  Dagegen  steht  es  fest,  dass  der  Flachs-  und  Hanffaser 
ein  eigenthümlicher  Geruch  anhaftet,  welcher  schon  beim  Behandeln  derselben 
mit  blossem  Wasser,  noch  mehr  bei  der  Einwirkung  der  Laugen  auftritt  und 
weniger  für  die  Arbeiter  als  ganz  besonders  für  die  Nachbarschaft  höchst  be- 
lästigend wird,  da  bei  den  erstem  schon  die  Macht  der  Gewohnheit  mitspricht. 
Handelt  es  sich  aber  um  Handge  spinn  st,  welches  während  des  Spinnens  mit 
Speichel  benetzt  worden  ist,  so  treten  ammoniakalische  und  vielleicht  auch 
noch  andere  flüchtige  organische  Stoffe  auf,  welche  einen  höchst  widrigen  Ge- 
ruch verbreiten,  beim  ersten  Auftreten  die  Augen  zum  Thränen  reizen  und  bei 
einzelnen  Individuen  Ekel  und  Uebelsein  erzeugen  können. 

Auch  kommt  es  nicht  selten  vor,  dass  das  Handgespinnst  beim  ersten  Ein- 
weichen einen  starken  rauch-  oder  kreosotähulichen  Geruch  entwickelt;  derselbe 
rührt  von  der  Eigenschaft  der  Flachsfaser,  den  Rauch  stark  zu  absorbiren,  her 
und  ist  namentlich  wiederum  für  die  Adjacenten  höchst  unangenehm**). 

Das  Wundwerden  der  Hände  der  Arbeiter  durch  die  Einwirkung  der  Laugen 
wird  nur  durch  eine  zu  grosse  Concentration  derselben  oder  durch  Nachlässigkeit 
hervorgerufen.  In  einer  geregelten  Bleicherei  wird  schon  das  Interesse  der  Fabri- 
canten  auf  die  Vermeidung  dieser  Zufälligkeiten  gerichtet  sein,  da  eine  schwache 
Lange  häufig  besser  als  eine  zu   starke  auf  die  Unreinigkeiten    einwirkt.     Das 

*)  Bei  den  feinsten  Sorten  von  Leinwand  ist  die  Rasenbleiche  nicht  zu 
umgehen.  Nach  mehrtägigem  Ansetzen  der  Leinwand  in  Wasser  wechseln  Beuchen, 
Spülen,  Waschen  und  Rasenbleiche  mehrmals  nach  einander  ab,  ehe  schliesslich 
ein  schwaches  Chlor bad  an  die  Reihe  kommt. 

**)  Kommen  Thranseifen  zur  Anwendung,  so  treten  auch  alle  flüchtigen  Riechstoffe, 
der  Seife  mit  auf. 


48  Chlor. 

Verbrennen  der  Arbeiter  durch  die  Lange  in  Folge  von  Ueberspritzen  und  Ueber- 
sprudeln  durch  einen  zu  starken  Dampfstrahl  kann  bei  gehöriger  Aufmerksamkeit 
vermieden  werden. 

Die  Behauptuug,  dass  die  Dämpfe  der  Laugen  Asphyxie  erzeugen  können, 
gehört  ins  Reich  der  Fabelu.  Der  bezügliche  Fall,  welchen  Patissier6)  als  Be- 
weis für  eine  solche  Einwirkung  der  Laugendämpfe  anführt,  betrifft  nur  eine 
Asphyxie  durch  Kohlendunst.  Derselbe  bedürfte  kaum  einer  Widerlegung,  wenn 
er  nicht  von  verschiedenen  Schriftstellern,  selbst  von  Tardieu,  citirt  worden 
wäre;  denn  die  Alkali nität  der  Flüssigkeit  geht  nicht  in  den  Dampf  über  und  es 
bleibt  stets  nur  das  massenhafte  Auftreten  der  Wasserdämpfe  der  belästigende 
Factor. 

Die  Abfallwässer  beim  Beuchen  mittels  blossen  Wassers,  welches 
die  Schlichte,  die  ausgenutzten  Laugen,  die  Seifenwässer  etc.  aufnimmt,  sind  ge- 
wöhnlich von  dunkelbrauner  Farbe  und  reich  an  organischen  Substanzen.  Es 
ist  sehr  zweckmässig,  dieselben  mit  einem  geringen  Ueberschuss  von  Kalkmilch 
zu  versetzen,  um  dadurch  die  fetten  und  organischen  Substanzen  möglichst  zu 
binden  und  zu  präcipitiren.  Der  gebildete  Niederschlag  ist  zur  Darstellung  von 
Kalkseife  zu  benutzen,  während  die  schwach  alkalische  Flüssigkeit  frei 
abgelassen  werden  kann;  nur  ist  darauf  zu  achten,  dass  sie  nicht  in  kleine  fisch- 
reiche oder  der  ökonomischen  Benutzung  dienende  Wasserläufe  gerathen.  Ge- 
schieht dies,  so  werden  die  einer  solchen  Verunreinigung  preisgegebenen  Flüsse 
oder  Bäche  nach  allen, vorliegenden  Erfahrungen  in  beiden  Beziehungen  werthlos. 

Bisweilen  ist  es  rathsam,  die  sauren  und  alkalischen  Abfallwässer 
zu  vermischen.  Namentlich  ist  dies  zu  empfehlen,  wenn  beim  Beuchprocess  statt 
der  Pottasche  die  Lauge  der  Holzasche  direct  verwendet  wird.  Die  Rückstände 
bestehen  dann  aus  düngkräftigen  Mineralsubstanzen  (Kalk,  Magnesia,  Phosphor- 
säure etc.),  welche  durch  die  Vermischung  mit  den  sauren  Wässern  gleichsam 
aufgeschlossen  und  zur  Berieselung  sehr  gut  verwerthet  werden  können. 

Sämmtliche  Abflusswässer  verdienen  mehr  Beachtung,  als  ihnen  bisher  zu 
Theil  geworden  ist.  Die  „Beucbwässer",  womit  man  gewöhnlich  sämmtliche 
abfallende  Wässer  bezeichnet,  stehen  nicht  mit  Unrecht  überall  in  sehr  üblem  Rufe, 
wenn  der  Abfluss  derselben  in  der  Willkür  der  Fabricanten  liegt.  Sie  bedürfen 
derselben  Berücksichtigung  wie  die  Abfallwässer  der  Wollfabriken.  (M.  vergl.  diese.) 

2)  Das  eigentliche  Bleichverfahren.  Der  Chlor-  oder  Bleichkalk 
ist  das  Hauptbleich ungsmaterial.  Seltner  werden  die  unterchlorigsauren  Alka- 
lien benutzt.  (Man  vergl.  die  Fabrication  der  unterchlorigsauren  Alkalien.) 

Man  unterscheidet  bei  der  Benutzung  des  Chlorkalks  folgende  Manipulationen: 

a.  Man  bringt  die  Zeuge  zuerst  in  eine  verdünnte  Chlorkalklösung  und  lässt 
sie  in  derselben  längere  Zeit  entweder  bei  gewöhnlicher  oder  erhöhter  Tempe- 
ratur stehen.  Sie  wird  so  lange  benutzt  bis  sie  noch  ein  Bleichen  bei  den 
Zeugen  hervorruft.  Die  Bleichflüssigkeit  befindet  sich  in  einem  ausgemauerten 
oder  mit  Blei  ausgelegten  Bassin  und  wird  in  der  Regel  mittels  eines  Pump- 
werks in  den  über  ihr  stehenden  Bleichbottich  gehoben  resp.  aus  demselben 
nach  gemachtem  Gebrauche  in  das  Bassin  wieder  abgelassen. 

b.  Zu  den  nun  folgenden  Säurebädern  wird  bei  Anwendung  von  Chlorkalk 
nur  Salzsäure  benutzt.  In  Folge  des  sich  hierbei  entwickelnden  Chlors  tritt 
jetzt  erst  der  eigentliche  B  leichprocess  ein.  Gewöhnlich  bleiben  die  Zeuge 
10 — 12  Stunden  im  Säurebad  liegen,  wodurch  gleichzeitig  die  noch  anhaftenden 
Kalkthcilc  durch  Bildung  von  Chlorcalcium  entfernt  werden. 

In  sanitärer  Beziehung  ist  darauf  zu  achten,  dass  die  Bleichbottiche  mit 

einem  gut  schliessenden  Deckel  versehen  sind.     Ein  Abzugsrohr  nach  dem  Schorn- 


Chlorbleiche.  49 

stein  ist  mit  einem  Schieber  versehen,  um  denselben  nach  beendigter  Arbeit  öffnen 
zu  können.  Bei  aller  Sorgfalt  ist  ein  schwacher  Chlorgehalt  in  der  Atmosphäre 
nicht  zu  vermeiden.  Derselbe  darf  jedoch  niemals  eine  solche  Höhe  erreichen,  dass 
er  zu  ernstlichen  Befürchtungen  für  die  Gesundheit  der  Arbeiter  Anlass  bietet. 
Immerhin  ist  daher  auch  aus  diesem  Grunde  die  Beschaffung  hoher  und 
geräumiger  Arbeitslocale  erforderlich.  Ganz  besonders  muss  das  Abzugsrohr  der 
Bleichbottiche  nach  dem  Schornstein  gegen  Ende  des  Processes  durch  Oeffnen  des 
Schiebers  in  volle  Wirksamkeit  treten,  damit  beim  Entleeren  derselben  das  über- 
schüssige Gas  in  den  Schornstein  und  nicht  in  den  Fabrikraum  gelangt.  Vorzugsweise 
sind  es  die  baumwollenen  Stoffe  und  das  Papierzeug,  welche  dieser  Chlor- 
bleiche  unterworfen  werden. 

c.  Das  Auskochen  in  einer  Lösung  von  Soda  oder  Aetznatron  folgt 
auf  das  Auspressen  der  Stoffe  nach  dem  Chlorbade.  Alsdann  zieht  man  die 
Zeuge  wieder 

d.  durch  ein  Säurebad  und  schliesst  mit  einem  gründlichen  Auswaschen. 
Zur  Entfernung  des  Wassers  bedient  man  sich  allgemein  der  Centrifugalmaschinen 

und  Presswalzen.  Das  Stärken  der  Zeuge  in  der  Textil-Industrie,  welches  schon  zur 
Appretur  derselben  gehört,  geschieht  mittels  eines  Walzwerks,  dessen  unterste  Walzen 
in  einem  mit  Kleister  gefüllten  Troge  sich  drehen.  Das  Trocknen  wird  durch  Trocken- 
maschinen, welche  aus  hohlen  durch  Dampf  geheizten  Trommeln  bestehen,  bewirkt, 
während  das  Kalandern  im  Besprengen  des  Zeuges  mit  Wassertropfen  und  im 
Pressen  zwischen  kleinen  Walzen  besteht.  Bei  einem  grossartigen  Betriebe  folgen  diese 
Manipulationen  systematisch  auf  einander,  wovon  die  letztern  rein  mechanischer  Natur 
sind  und  höchstens  wegen  der  damit  verbundenen  erhöhten  Temperatur  in  den  Arbeits- 
räumen Beachtung  verdienen. 

Beim  Blei chprocesse  ist  noch  die  Thatsache  zu  erwähnen,  dass  die  Arbeiter 
hierbei  bisweilen  an  einem  Augenübel  leiden,  welches  der  Blendung  der  Tou- 
risten auf  Schnee-Alpen  ähnlich  ist  und  besonders  dann  eintritt,  wenn  die  Bleicherei 
den  directen  Sonnenstrahlen  ausgesetzt  ist.  Die  Bleichereien  müssen  deshalb 
mit  der  Fensterfront  stets  nach  Norden  liegen,  um  Nachtheile  dieser  Art  zu  ver- 
meiden. 

Die  beim  Bleichprocesse  (2  a.  b.)  entstehenden  Abfall w äs s er  enthalten 
Chlorcalcium,  sind  aber  noch  als  saure  Wässer  zu  betrachten,  welche  nach- 
theilig auf  die  gemauerten  Canäle  einwirken,  aber  auch  nicht  in  Schlinggruben 
oder  fischreiche  Bäche  abgelassen  werden  dürfen.  Nur  in  grosse  Wasserläufe 
dürfen  sie  direct  abgeführt  werden.  Ueber  ihre  Verwerthung  vergleiche  man  die 
Papierindustrie.  Die  beim  spätern  Laugen-  und  Säurebad  (c.  d.)  resul- 
tirenden  Wässer  lassen  sich  vermischen  und  dadurch  um  so  eher  unschädlich 
machen,  als  sie  überhaupt  von  sehr  geringer  Concentration  sind. 

Es  kommt  bisweilen  in  den  Magazinen  der  Bleichereien  ein  Zerspringen 
der  mit  Chlorkalk  gefüllten  Fässer  vor,  welches  oft  irrthümlich  als  eine  Explosion 
aufgefasst  wird.  Ein  solches  Ereigniss  kann  dann  eintreten,  wenn  der  Chlor- 
kalk resp.  die  unterchlorige  Säure  sich  in  der  Weise  zersetzt,  dass  auf  der  einen 
Seite  Chlorcalcium  entsteht  und  auf  der  andern  freies  Sauerstoffgas  entweicht. 
Letzteres  bedingt  durch  seine  Expansion  das  Zersprengen  der  Fässer,  wenn  sie 
hermetisch  verschlossen  sind.  Man  hat  zur  Verhütung  einer  solchen  Gefahr  nur 
dafür  zu  sorgen,  dass  solche  Fässer  einen  zweckmässigen  Verschluss  haben,  wobei 
das  Austreten  der  Luft  ermöglicht  ist. 

Chlor  kommt  zum  Bleichen  der  Wolle,  der  Seide  und  des  Strohs  niemals 
zur  Anwendung,  wohl  aber  noch  beim  Bleichen  der  Waschschwämme,  des 
Elfenbeins,    der  von   ihrem  Fette  befreiten  Knochen,    des  Glycerins,    der 

Eulenberg,  Gewerbe-Hygiene.  4 


50  Chlor. 

Fourniere  in  der  Kunsttischlerei  etc.  und  sind  daher  hier  dieselben  Vorsichts- 
massregeln bezüglich  des  Schutzes  der  Arbeiter  mehr  oder  weniger  erforderlich. 
Vielseitige  Verwendung  findet  der  Chlorkalk  noch  in  der  Kattundruckerei,  um 
verschiedene  Zeichnungen  auf  farbigem  Grunde  zu  erzeugen;  namentlich  bei  der 
Krapp-  und  Türkischrothfärberei  dient  er  als  sogenannte  Fress-  oder  Aetz- 
beize.  Weisse  Zeichnungen  auf  dunklem  Grunde  erhält  man  nämlich,  wenn  man 
mit  Chlorkalk,  Thonerde  und  Gummi  versetzte  Weinsteinsäure  mittels  Formen 
auf  die  ausgefärbten  Kattune  druckt;  durch  die  Chlorentwicklung  an  den  be- 
druckten Stellen  wird  die  Farbe  zerstört  und  treten  alsdann  die  Zeichnungen 
nach  dem  Spülen  weiss  auf.  Will  man  andere  Farben  hervorrufen,  so  setzt 
man  der  Weiusteinsäure  solche  Farben  zu,  welche  durch  Chlor  nicht  zerstört 
werden.  Zu  blauen  Farben  eignet  sich  z.  B.  das  Pariser  Blau;  eine  gelbe 
Farbe  entsteht,  wenn  man  das  Gemisch  von  Weinsteinsäure,  Chlorkalk  etc.  mit 
Bleinitrat  versetzt.  Chlor  verwandelt  alsdann  letzteres  in  weisses  Chlorblei, 
welches  durch  ein  nachträgliches  Bad  von  Kaliumchromat  in  das  gelbe  Blei- 
chromat  verwandelt  wird.  Das  Verfahren  ist  übrigens  so  mannigfaltig,  dass  die 
ausführliche  Erläuterung  desselben  mehr  zum  Gebiete  der  Technologie  gehört. 
Die  hervorgehobenen  Gesichtspuncte  sollen  nur  für  die  Beurtheilung  der  sani- 
tären Verhältnisse  einen  Anhalt  bieten.  Die  Druckereien  und  Färbereien 
machen  überhaupt  den  ergiebigsten  Gebrauch  von  den  verschiedensten  metallischen 
Verbindungen,  deren  Verbleib  im  Interesse  der  öffentlichen  Gesundheit  der  sorg- 
fältigsten Controle  bedarf.  Es  wird  sich  noch  häufig  Gelegenheit  finden,  hierauf 
zurückzukommen. 

Chlorwasserstoffsäure  HCl  oder  Salzsäure,  Acid.  muriatic.  s.  hydrochloratum. 

Salzsäure  kommt  frei  in  der  Natur  nur  sparsam  in  den  Gasen  der  Vulcane 
und  in  den  Bächen  und  Quellen  in  der  Nähe  derselben  vor.  Bei  vielfachen  industriellen 
Processen,  bei  Feldziegeleien,  bei  der  "Verhüttung  von  Kobalt-  und  Nickelerzen,  bei 
Soda-  und  Glasfabriken,  bei  der  Reinigung  der  Platinerze  wird  man  sie  häufig  in  der 
Umgebung  der  betreffenden  Etablissements  nachweisen  können. 

Die  Stollen  wässer  sehr  schwefelkieshaltiger  Steinkohlenfiötze  enthalten  nicht  selten 
freie  Salzsäure,  wenn  das  Kohlenlager  Steinsalz  enthält  und  die  Schwefelkiese  der  Ver- 
witterung stark  unterworfen  sind;  sie  sind  daher  beim  Ablassen  sehr  zu  berücksichtigen, 
damit  sie  nicht  die  Vegetation  zerstören  resp.  die  Fische  in  den  Flüssen  tödten. 

Im  Magensafte  kommt  flüssige  Chlorwasserstoffsäure  in  verhältnissmässig  kleinen 
Mengen  vor. 

Dargestellt  wurde  die  gasförmige  Salzsäure  zuerst  durch  Priestley  1772.   Gegen- 
wärtig wird  sie  durch  TJebergiessen  von  Kochsalz  (10  Th.)  mit  Schwefelsäure  (18  Th.) 
und  Wasser  (6  Th.)  unter  Mitwirkung  einer  gelinden  Erwärmung  gewonnen.    Als  Neben- 
product  fällt  sie  bei  der  Sodafabrication  in  grosser  Menge  ab. 
NaCl  +  H2S04  =  NaHS04  +  HCl. 

Auf  das  entstandene  primäre  oder  saure  Natriumsulfat  (NaHS04)  wirkt  in  der 
Hitze  noch  ein  Molecül  NaCl  ein,  wodurch  neben  secundärem  oder  neutralem  Natrium- 
sulfat (Na2S04)  wiederum  Salzsäure   sich  bildet. 

NaCl  -f-  NaIIS04  =  Na3S04  4-  HCl. 

Chlorwasserstoff  ist  gasförmig,  von  stechendem  Gerüche,  farblos,  nicht  stark  sauer, 
zieht  Feuchtigkeit  aus  der  Luft  an,  raucht  deshalb  stark  an  der  Luft,  brennt  nicht  und 
unterhält  auch  das  Brennen  nicht.  Er  ist  verdichtbar  und  wird  von  Wasser  sehr  begierig 
absorbirt.  Bei  0°  absorbirt  Wasser  sein  500faches,  bei  10°  sein  450faches  Volumen  an  Gas. 
Eine  Säure  von  40%  HCl,  welche  an  der  Luft  stark  raucht  und  ein  spec.  Gew.  von  1,2  hat, 
ist  die  Salzsäure  des  Handels;  sie  ist  stets  arsenhaltig.  Die  medicinische  Salz- 
säure enthält  o0°/0  HCl,  raucht  nicht  stark  an  der  Luft  und  hat  das  spec.  Gew.  1,160. 
Eine  Säure  von  1,060  spec.  Gew.  raucht  nicht  an  der  Luft  und  wird  durch  Vermischen 
der  letztern  Säure  mit  dem  gleichen  Volumen  Wasser  dargestellt.  Sie  heisst  Acidum 
hydrochloricum  dilutum  und  kommt  in  der  Medicin  und  Chemie  am  häufigsten 
zur  Anwendung;  sie  hat  einen  stark  sauren  Geschmack,  ist  von  ätzender  Wirkung  und 
röthet  Lackmuspapier  sehr  stark. 


Chlorwasserstoffsäure.  51 

Einwirkung  der  Clilorwasserstoffsänre  auf  den  thierischen  Organismus,  l)  Eine 
Taube  wird  unter  eine  Glasglocke  gebracht.  *)  Beim  Eindringen  der  Dämpfe,  welche  aus 
Kochsalz  und  Schwefelsäure  entwickelt  wurden,  sogleich  Blinzeln,  Putzen  der  Augen, 
Röthung  derselben.  Nach  1  M.  Schwanken,  Kothabgang,  Dyspnoe  mit  weitem  Oeffnen  des 
Schnabels.  Nach  der  sofortigen  Herausnahme  die  heftigsten  Convulsionen,  welche 
die  Taube  hin  und  her  schleudern.  Nach  21/2  M.  bleibt  sie  liegen,  athmet  ein  paar  Mal 
krampfhaft  auf  und  stirbt  nach  3  M.;  Hornhaut  auf  beiden  Seiten  sehr  trübe.  Die 
Section  verunglückte. 

2)  Ein  starkes  Kaninchen  unter  der  Glasglocke.  Beim  Eintritt  der  Dämpfe  Blinzeln, 
Putzen  der  Schnauze,  Thränen  der  Augen  bei  10  unregelmässigen  Inspir.  binnen  1/iM. ; 
Ausathmen  eines  weissen  Dampfes  (Wasserdampf  mit  Salzsäure).  Nach  10  M.  neue 
Zufuhr  der  Dämpfe,  bis  eine  trübe  Atmosphäre  entsteht.  Das  Kaninchen  erhebt  sich 
und  putzt  stark  die  Schnauze.  Nach  14  M.  allmähliges  Herabsinken  aus  der  aufrechten 
Stellung;  8  angestrengte  Inspir.  binnen  1/i  M.;  nach  22  M.  neue  Einleitung  der  Dämpfe; 
ruhiges  Liegen  bei  geschlossenen  Augen  und  angestrengter  Respiration.  Nach  21  M. 
nochmaliges  Erheben  und  Putzen  der  Schnauze.  Nach  28  M.  Zuleitung  der  Dämpfe  bis 
zur  leichten  Trübung  der  Atmosphäre.  Ruhiges  Sitzen  bei  zurückgezogenem  Kopfe  und 
16  sehr  angestrengten  Inspir.  binnen  1/i  M. 

Nach  30  M.  Herausnahme  des  Thieres.  Cornea  opalisirt,  Augen  mit  Thränen- 
ffüssigkeit  angefüllt;  häufiges  Schütteln  des  Kopfes  und  Putzen  der  Schnauze.  Nach  3  M.  32 
Inspir.  binnen  l/i  M.  in  der  Bauchlage.  Diese  beschleunigte  Respiration  hält  eine  Stunde 
lang  an  und  geht  dann  in  eine  kurze,  oberflächliche  über.  Am  zweiten  Tage  7  angestrengte 
Inspir.  binnen  1/i  M. ;  häufiges  Aufschreien;  geringes  Schleimrasseln  in  den  Bronchien. 
Am  dritten  Tage  noch  7  angestrengte  Inspirationen;  oft  lautes  Jammern.  Gegen  10  Uhr 
fällt  es  bisweilen  auf  die  Seite;  hierauf  sehr  heftiger  Husten  mit  Erschütterung  des 
ganzen  Körpers.  Gegen  1  Uhr  nur  3  Inspir.  binnen  1/i  M.;  alsdann  Zusammensinken 
und  gegen  2  Uhr  Tod  unter  kurzen,  krampfhaften  Inspirationen. 

Section  nach  21  Stunden.  Die  Augen  mit  verdicktem  Schleim  verklebt,  Cornea 
auf  beiden  Seiten  opalisirt.  Todtenstarre  stark.  Schädelhöhle:  Pia  mater  überall  sehr 
hyperämisch.  Am  hintern  Rande  der  beiden  Hemisphären  ein  geronnenes  Blutklümpchen, 
welches  von  einer  dünnen  Schicht  blutiger  Flüssigkeit  umgeben  ist.  Plex.  venös,  spin. 
mit  geronnenem  Blute  angefüllt.  Von  der  Medull.  obl.  an  bis  zu  den  Rückenwirbeln 
hin  ein  ganz  dünnes,  flüssiges  Blutextravasat  auf  der  Dura  mater.  Brusthöhle:  Die 
Lunge  überall  hell-  und  braunroth  marmorirt.  Der  mittlere  rechte  Lungenlappen 
dunkelbraun,  fest  und  im  Wasser  untersinkend;  der  rechte  untere  und  der 
linke  obere  Lappen  baten  theilweise  dieselbe  Beschaffenheit,  nur  die  Ränder  sind  hier 
etwas  hellroth.  Das  Parenchym  an  diesen  Stellen  dunkelbraunroth  und  nicht 
knisternd  beim  Einschneiden.  Auf  den  Schnittflächen  wenig  flüssiges,  dunkles, 
schwach  sauer  reagirendes  Blut.  An  den  lufthaltigen  Stellen  tritt  ein  feiner  Schaum  aus. 
Auf   der  braunroth  injicirten  Trachealschleimhaut   eine   dünne  Lage  schleimiger,    blutig 

fefärbter  Flüssigkeit.  Das  ganze  Herz  strotzt  von  dickem  geronnenem  Blute.  Unter- 
eibshöhle:  Leber  braunroth  und  reich  an  dickflüssigem  Blute.  In  der  Ven.  cav.  inf. 
nur  geronnenes  Blut.  Galle  flüssig  und  dunkelbraun.  Nieren  nicht  blutreich;  Milz 
blauroth.  Der  Magen  mit  unverdautem  grünem  Futter  und  viel  Flüssigkeit  angefüllt. 
Urinblase  leer.  Auf  der  Oberfläche  sämmtlicher  Gedärme  starke  Injection.  Wenig 
flüssiges,  dunkelbraunrothes,  an  der  Luft  sich  mehr  röthendes  Blut.  Die  Blntkügelchen- 
sind  grösstentheils  normal;  einzelne  haben  einen  gekerbten  Rand. 

Die  salzsaureu  Dämpfe  erzeugen  eine  Reizung  aller  Schleimhäute,  mit  denen 
sie  in  Contact  kommen.  Bei  Thieren  zeigt  sich  Blinzeln  mit  den  Augen,  Röthung 
derselben,  vermehrte  Thränenabsonderung  und  Stechen  in  der  Nasenschleimhaut, 
welches  zum  Jucken  nöthigt;  bei  längerer  Einwirkung  der  Dämpfe  treten  alle 
Erscheinungen  einer  starken  Dyspnoe  ein;  dazu  kommt  eine  Trübung  der  Cornea, 
welche  in  Corrosion  übergehen  kann.  Bei  Kaninchen  erfolgt  der  Tod  nicht  so 
rasch  wie  bei  Chlordämpfen.  Als  Sectionsbefund  ist  in  allen  Fällen  die  festere 
und  dichtere  Beschaffenheit  einzelner  Lungenlappen  charakteristisch,  welche 
sicher  mit  der  Coagulation  von  Albuminaten  zusammenhängt  und  den  Eintritt 
des  Todes  mit  bedingt. 

Versetzt  man  defibrinirtes  Blut  mit  verdünnter  Salzsäure,  so  wird  es  schwarz - 


*)  Die  Glasglocke  ist  an  der  obern  Wölbung  mit  zwei  Hälsen  versehen,  um  Gase 
und  Dämpfe  aus-  und  eintreten  zu  lassen;  unten  ist  sie  offen  und  steht  auf  einer  Glas- 
platte.    Ihr  cubischer  Inhalt  beträgt  7655  C.-Ctm. 


4* 


52  Chlor. 

braun.  Bei  der  Prüfung  mittels  des  Speetroseops  zeigt  sieh  ein  Band  im  Roth 
zwischen  den  Fraunhofer'schen  Linien  A  und  B,  welches  durch  ein  Alkali  wieder 
schwindet. 

Je  mehr  die  Alkaliuität  des  Blutes  abnimmt,  desto  sicherer  ist  der  tödtliche 
Ausgang;  diese  Alteration  des  Blutes  dürfte  bei  der  Einwirkung  der  salzsauren 
Dämpfe  nicht  ausser  Acht  zu  lassen  sein;  sie  kanu  auch  beim  Eiuatlimen  von 
Chlor  mehr  oder  weniger  vorkommen,  wenn  durch  die  Beschlagnahme  des  Wasser- 
stoffs Salzsäure  gebildet  wird. 

Alle  diese  Vorgänge  müssen  sich  beim  Eiuatlimen  der  sauren  Dämpfe  eher 
und  schneller  ausbilden,  als  bei  der  Aufnahme  der  Säure  durch  den  Magen. 
Dass  dabei  die  Circulation  selbst  beeinträchtigt  wird  und  eine  allmählig  zu- 
nehmende Depression  der  Herzthätigkeit  die  Folge  ist,  leuchtet  eiu,  indem,  wie 
Goltz  und  Bobrik  nachgewiesen  haben  wollen,  die  Mineralsäaren  zwar  nicht 
direct  auf  die  Herzganglien,  wohl  aber  auf  die  regulatorischen  Centra 
deletär  einwirken7).  Bei  den  durch  salzsaures  Gas  umgekommenen  Thieren 
fällt  stets  die  Menge  des  geronnenen  Blutes  auf;  mit  seiner  dunkelbraun- 
rothen  Farbe  hängt  die  braunrothe  Injection  der  Schleimhaut  der  Bronchien  und 
Trachea,  sowie  die  dunkelbraunrothe  Farbe  der  Lunge  zusammen.  Bei  der  Ver- 
dichtung des  Lungenparenchyms  fehlt  dagegen  die  schaumigflüssige  Absonderung 
auf  der  Schleimhaut  der  Respirationswege,  welche  sich  nach  Chlor-Einwirkung 
stets  in  einem  auffallenden  Grade  zeigt.  — 

In  der  Industrie  hat  die  bei  der  Sodafabrication  abfallende  Salzsäure 
stets  zu  vielen  Klagen  Veranlassung  gegeben.  Es  ist  noch  nicht  lange  her,  dass 
man  namentlich  in  Belgien  in  den  Sodafabriken  die  Ursachen  einer  vermehrten 
Sterblichkeit  unter  der  dortigen  Bevölkerung  suchte.  Die  Hinfälligkeit  dieser  Be- 
schuldigung ist  durch  die  von  der  Belgischen  Regierung  im  Jahre  1855  angeord- 
nete Commission  von  Sachverständigen  hinreichend  bewiesen  worden.8)  Ob- 
gleich epidemische  Krankheiten  dort  keinen  günstigem  Boden  als  anderswo  ge- 
funden haben,  so  ist  doch  nicht  in  Abrede  zu  stellen,  dass  die  massenhaft  ins 
Freie  ausströmende  Salzsäure  für  den  Menschen  eine  grosse  Belästigung,  für  die 
Pflanzenwelt  aber  eine  bedeutende  Schädigung  herbeiführt.  Beides  beobachtet 
man  schon  bei  Töpfereien,  wo  das  Kochsalz  zum  Glasiren  gebraucht  wird  und 
salzsaures  Gas  entweicht. 

Von  geringerer  Bedeutung  ist  das  Auftreten  der  Salzsäure  bei  der  künst- 
lichen Düngerbereitung,  in  Glasfabriken  und  bei  Feldziegelöfen. 
Menschen  mit  reizbaren  Lungen  empfinden  die  Belästigung  am  meisten  durch  den 
beständigen  Husten,  welchen  das  Gas  erzeugt,  wohingegen  viele  Arbeiter  bekannt- 
lich davon  unberührt  bleiben,  wenn  sie  sich  an  die  Einwirkung  desselben  gewöhnt 
haben.  Für  die  Arbeiter  bleibt  der  Umstand  immer  günstig,  dass  die  Entwicklung 
des  Gases  fast  nie  in  geschlossenen  Räumen  stattfindet  und  daher  auch  die  Ein- 
wirkung desselben  sich  höchst  selten  in  prägnanter  Weise  bemerkbar  macht.  Aus 
Rücksicht  auf  die  Adjacenten  uud  die  zunächst  befindliche  Vegetation  ist  es  jedoch 
stets  geboten,  auf  die  Unschädlichmachung  des  salzsauren  Gases  zu  dringen.  Neuer- 
dings werden  auch  die  Fabricanten  schon  aus  pecuniären  Rücksichten  veranlasst, 
die  salzsauren  Dämpfe  anderweitig  zu  verwerthen. 

Dass  das  salzsaure  Gas  auf  die  Vegetation  den  nachtheiligsten  Einfluss  aus- 
übt, ist  ausser  Frage  gestellt.  Die  erwähnte  Belgische  Commission  nahm  an,  dass 
noch  in  einer  Entfernung  von  2000  Meter  von   der  Fabrik  die  Wirkung  auf  die 


Chlorwasserstoffsäure.  53 

Vegetation  bemerkbar  wird,  obgleich  die  Lage  der  Fabrik,  Witterung  und  Wind- 
richtung diese  Ausdehnung  sehr  modificiren.  Je  mehr  die  Luft  Wasserdampf 
enthält,  desto  rascher  werden  auch  die  sauren  Gase  condensirt  und  auf  die  Erde 
niedergeschlagen,  was  man  besonders  beim  Thau  bemerkt,  Erfolgt  die  Einwirkung 
intensiv,  so  vertrocknen  die  Blätter  der  Bäume,  werden  schwarzgrau  und  rollen 
sich  ein;  bei  allmähliger  Einwirkung  fallen  sie  meistens  ab.  Die  Rinde  verdickt  sich, 
haftet  fester  am  Stamme  und  wirkt  dadurch  störend  auf  die  Säftecirculation. 
Die  Bänder  des  Blattgrüns  treten  im  Spectrum  nur  modificirt  auf,  werden  also  nicht 
wie  durch  Chlor  gänzlich  zerstört.  Unter  den  Bäumen  sind  die  Weissbuche 
und  Obstbäume  am  meisten,  die  Eiche,  Erle  und  Birke  am  wenigsten  für  die  Ein- 
wirkung empfänglich. 

Die  Getreidepflanzen  leiden  während  der  Blüthezeit  am  meisten;  sie  ge- 
deihen zwar  im  Halm,  liefern  aber  zur  Erntezeit  keiue  Körner.  Unter  den  Nutz- 
pflanzen sind  es  die  Bohnen,  Felderbsen  und  der  Flachs,  welche  mehr  oder 
weniger  gefleckt,  schwarz  und  trocken  erscheinen,  während  die  Kartoffelpflanzen 
den  kräftigsten  Widerstand  leisten.  Die  Blätter  von  Crataegus  und  wildem 
Wein  können  noch  in  einer  Entfernung  von  1000  Metern  afficirt  werden.  Auch 
der  Weinstock  zeigt  sich  gegen  das  Gas  empfindlich.9)  Alle  Wasserpflanzen 
sollen  ganz  besonders  gegen  saure  Dämpfe  reagiren.  Je  constanter  die  Windströ- 
mung nach  einer  bestimmten  Richtung  hin  ist,  desto  auffälliger  wird  sich  selbst- 
verständlich die  Wirkung  auf  die  betreffende  Vegetation  zeigen. 


Brom.    Br. 


Brom  wurde  zuerst  vou  Baiard  in  der  Mutterlauge  des  Meerwassers,  alsdann  von 
Liebig  in  der  Kreutznacher  Mutterlauge  aufgefunden.  Es  kommt  überhaupt  in  Salz- 
ablagerungen, Salzsoolen  und  kochsalzhaltigen  Mineralquellen  an  Magnesium  und  Natrium 
gebunden  und  niemals  frei  vor.  Auch  in  den  Pflanzen  und  Thieren  des  Meeres,  in 
der  Steinkohle,  in  der  Braunkohle  und  in  den  mexicanischen,  hauptsächlich  aus  Chlor- 
silber bestehenden  Silbererzen  findet  es  sich.     Sein  Name  rührt  von  pptöfjioe  (Gestank)  her. 

Es  wird  dargestellt  wie  Chlor,  indem  man  Bromnatrium  mit  Braunstein  und 
Schwefelsäure  erwärmt.  Für  die  Darstellung  im  Grossen  benutzt  man  die  Mutter- 
lauge der  Salinen,  die  Asche  gewisser  Meerespflanzen,  namentlich  Fucus-Arten, 
wobei  wie  beim  Chlor  auf  die  Dichtheit  der  Apparate  vorzugsweise   zu  achten  ist. 

Brom  zeichnet  sich  dadurch  aus,  dass  es  als  das  einzige  nicht  metallische  Element 
bei  gewöhnlicher  Temperatur  flüssig  ist:  je  nach  den  dünnem  oder  dickern  Schichten  er- 
scheint es  dunkelroth  bis  dunkelbraunroth  und  hat  ein  spec.  Gew.  von  2,97.  Sein  Geruch 
ist  chlorähnlich,  sein  Geschmack  sehr  scharf  und  herb.  Bei  —  24,5  °C.  wird  Brom  fest  und 
geht  in  eine  blättrige,  stahlblaue,  metallglänzende,  dem  Jod  ähnliche  Masse  über.  Bei 
+  63°  siedet  und  verflüchtigt  es  sich  zu  gelbrotken  Dämpfen,  welche  fünfmal  schwerer 
als  atmosphärische  Luft  sind.  In  30  Theilen  Wasser  ist  es  löslich:  die  rothe  Flüssigkeit 
heisst  Bromwasser.  Alkohol,  Aether  und  Schwefelkohlenstoff  lösen  es  leichter  auf. 
Bromhydrat  (Br2  +  10H2O)  entsteht,  wenn  Brom  mit  Wasser  von  etwa  0°  in  Be- 
rührung kommt.  Auf  gleiche  Weise  bildet  sich  Chlorhydrat.  Mit  Chlor  hat  Brom 
in  seinem  chemischen  Verhalten  überhaupt  die  grösste  Aehnlichkeit,  namentlich  ist  seine 
grosse  Verwandtschaft  mit  dem  Wasserstoff  fast  ebenso  gross,  da  es  gerade  wie  Chlor 
Wasserstoffverbindungen  zersetzt. 

Mit  einigen  einfachen  Körpern,  mit  Arsen,  Antimon  und  Phosphor  verbindet  es 
sich  unter  Feuererscheinung.  Mit  ätherischen  Oelen,  mit  Haaren,  Holzspänen,  Federn, 
zusammengepresster  Baumwolle,  Sägemehl  in  Berührung  gebracht,  können  Bromdämpfe 
ebenfalls  ein  Entflammen  bewirken.  Dieser  Umstand  ist  beim  Transport  von  Brom  wohl 
zu  beachten  _  und  ist  es  deshalb  erforderlich,  die  dickwandigen  Gläser,  welche  Brom 
enthalten,   mit  Infusorienerde  zu  verpacken. 

Das  Brom  wirkt  zwar  wie  Chlor  bleichend  nnd  auch  desinficirend,  die  reizende 
Wirkung  der  Bromdämpfe  und  der  höchst  widerliche  Geruch  der  neugebildeten  Sub- 
stanzen beim  Desinfectionsverfahren  empfehlen  jedoch  Brom  als  Desinfectionsmittel  nicht. 


54  Brom. 

In  der  Photographie,  in  chemischen  Laboratorien  und  Anilinfarben- 
fabriken wird  es  vielfach  benutzt.  Die  Verwendung  von  Bromaethyl  und  Brom- 
amvl  in  letztem  ist  jedoch  sehr  beschränkt  worden.  In  der  Industrie  sind  die  Broni- 
dämpfe  in  sanitärer  Beziehung  am  wichtigsten. 

Einwirkung  von  Brom  anf  den  thierisehen  Organismus.  1)  Ein  kleines  Kaninchen 
sitzt  im  Holzkasten.*)  Vi  GC.  Brom  kommt  zur  Verdunstung.  Häufiges  Schliessen 
der  Augen  und  unregelmässige  Respiration.  Nach  5  M.  Zu.-atz  von  1/t  CC.  Ruhiges 
Sitzen    mit    geschloss«  gen.      Kurzer    Husten,     11    unregelmässige    Inspirationen 

hinnen  V-i  IC;  nach  9  M.  Putzen  der  Schnauze  und  Unruhe.  Nach  15  M.  kurze  Un- 
ruh^, dann  Stillsitzen  mit  zurückgezogenem  Kopfe  hei  7  unregelmässigen  Inspir.  Nach 
•-'-  VL  l/s  CC-  Brom.  Nach  42  M.  leichtes  Schwanken  heim  Sitzen  mit  stark  zurück- 
gezogenem Kopfe;  nach  ^4  M.  Nass werden  der  Nase:  5  sehr  angestrengte  Inspir.:  die 
Barthaare  an  der  Spitze  versengt;  Augen  geschlossen.  Nach  46  M.  1  CC.  Brom.  Nach 
49  M.  stark  1  »yspnoe  und  Zittern  der  Vorderbeine.  Nach  60  M.Herausnahme  des  Thieres. 
Cornea  Leicht  getrübt;  Schleimrasseln  in  den  Bronchien,  Herzschlag  nicht  beschleunigt. 
Am  zweiten  Tage  Schleimrasseln  und  Rhonch.  sonorus,  9  tiefe  Inspir.  binnen  2/4  M.  Auf 
der  linken  Cornea  noch  eine  erbsen grosse  weisse  Trübung  Häufiges  Putzen  der  Schnauze. 
Am  3  .  4.,  5.  und  6.  Tage  ruhiges  \  erhalten,  geringe  Fresslust  und  Sehleimrasseln  bei  ziem- 
lich freier  Respiration.  Arn  7.  Tage  frisst  es  lebhaft,  am  8.  Tage  20  mehr  angestrengte 
Inspir.  binnen  V«  M..  Schleimrasseln  geringer.  Die  Cornea  ist  wieder  hell.  Gegen 
Abend  ßchreit  es  heftig  und  anhaltend.  Am  folgenden  Morgen  wird  es  todt  in  starker 
Gliederstarre  gefunden,  Section  sofort.  Schädelhöhle:  Die  Kopfknochen  blutig  in- 
filtrirt.  Dura  mater  massig,  Pia  mater  aber  sehr  hyperämisch,  so  dass  die  ganze  Ober- 
fläche des  Gehirns  rosaroth  erscheint.  An  der  hintern  untern  Fläche  der  beiden  He- 
misphären geronnenes  Blut  auf  einer  kleinen  Fläche  von  3  Linien  Durchmesser.  An  der 
Oberfläche  "des  Kleinhirns  und  in  der  Umgebung  der  Medull.  oblong,  dieselbe  Hyperä- 
mie. Plex.  venös,  spin.  massig  angefüllt.  Die  Wirbelknochen  selbst  sind  blutreich. 
Brusthöhle:  Linke  Lunge  rosaroth  mit  einzelnen  rothbraunen  Marmorirungen;  letztere 
walteten  bei  der  rechten  Lunge  vor.  Der  rechte  untere  Lappen  ganz  dunkelbraun  mit 
einzelnen  hellen,  erweiterten  Lungenbläschen:  an  der  untern  Fläche  schwarze  Ekchy- 
mosen  im  Umfange  einer  Erbse  und  kleinen  Bohne.  Die  Farbe  des  Parenchyms  ent- 
sprach der  äussern  Färbung.  An  den  dunkelbraunen  Stellen  fehlte  das  Knistern 
beim  Durchschneiden.  Aus  den  Schnittflächen  floss  dunkelviolettrothes  Blut  aus.  welches 
an  der  Luft  hellkirschroth  wurde.  Trachea  von  aussen  blauroth;  ihre  Schleimhaut 
intensiv  roth  gefärbt  und  bis  zu  den  feinsten  Bronchien  hin  mit  einer  Schleimlage 
bedeckt.  Die  ganze  rechte  Herzhälfte  und  der  linke  Vorhof  mit  geronnenem  Blute 
angefüllt.  Nur  wenig-  flüssiges  Blut  zeigte  sich  im  Allgemeinen.  Unterleibshöhle: 
Leber  von  normaler  Farbe  und  wenig  blutreich.  Magen  mit  Futter  angefüllt:  seine 
Schleimhaut  normal.     Milz  blassroth,  Harnblase  mit  blassgelbem  Urin  angefüllt. 

2]  Ein  mittelgrosses  Kaninchen  sitzt  in  der  Glasglocke.  60  Tropfen  Brom  werden 
aus  einem  kleinen  Glasballon  allmählig  in  Dampfform  eingetrieben.  Beim  Auftreten  der 
Dämpfe  in  der  Glasglocke  sogleich  Unruhe,  Schliessen  der  Augen.  Husten,  Zurückziehen 
des  Kopfes.  Nach  4  M.  Schwanken.  Bauchlage.  Opalisirung  der  Hornhaut  Die  Bart- 
haare  erscheinen  versengt.  Nach  ü  M.  erscheint  die  Atmosphäre  der  Glocke  gelb.  Nach 
7  M.  8  unregelmässige  Inspir.  binnen  */,  M.  Alle  weissen  Haare  werden  gelbbraun. 
nach  10  M.  die  Barthaare  fast  ganz  aufgelöst.  Ruhiges  Verhalten.  Nach  12  M.Haare  wie 
verfilzt.  Nach  14  M.  Einblasen,  nachdem  die  Atmosphäre  wieder  klar  geworden.  Das 
linke  Auge  mit  Eiter  angefüllt.  Husten.  8  Inspir.;  nach  16  M.  beschwerliche  Respiration 
mit  Aufblasen  der  Backen.  Nach  25  M.  ist  der  ganze  Körper  in  Unruhe,  während 
sieh  das  Maul  bei  jeder  Inspiration  weit  öffnet:  8  Inspir.  binnen  V*  M.  Herausnahme 
des  Thieres  nach  20  M.:  es  bleibt  ruhig  sitzen.  Die  angestrengte  Respiration  bleibt: 
bei  jeder  Inspiration  wird  ein  weisser  Dampf  (Brom Wasserstoff ?)  ausgestossen.  Die  Zahl 
der  Inspirationen  vermindert  sich  immer  mehr  und  Abends  10  Uhr  (6  Stunden  nach  dem 
Experiment;  ist  es  dem  Tode  nahe.     Am  andern  Morgen  wird  es  in  Starre  gefunden. 

Section  nach  24  Stunden.  Beide  Augen  mit  "Eiter  verklebt  und  die  Hornhaut 
opalisirt.  Schädelhöhle:  Kopfknochen  blutig  infiltrirt.  Dura  mater  wenig.  Pia 
mater  sehr  stark  hyperämisch.  Am  hintern  untern  Rande  der  beiden  Hemisphären  zwei 
geronnene.  2  und  3  Linien  lange  und  1  Linie  breite  und  dicke  Blutklümpcken.  In  der 
Umgebung  der  Medull.  oblong,  eine  ganz  dünne  und  durchsichtige  Blutschicht.  Plex. 
ven.  spin.  mit  geronnenem  und  flüssigem  Blute  angefüllt.     Brusthöhle:    Vom  Larynx 

*)  Der  Holzkasten  ist  viereckig,  an  zwei  Seiten  mit  Scheiben  und  in  der  Decke 
mit  mehreren,  mittels  Pfropfen  zu  verschliessenden  Oeffnungen  versehen.  Eine  runde 
Oeffnung  in  einer  der  hölzernen  Wände  dient  zum  Einlassen  der  Thiere  und  wird  mit 
einer  Kapsel  verschlossen.     Sein  cubischer  Inhalt  beträgt  37050  C.-Ctm. 


Brom.  55 

bis  zu  den  feinsten  Bronchien  eine  zarte  croupöse  Schicht  und  im  Larynx  noch  etwas 
eitrige  Flüssigkeit.  Die  Schleimhaut  selbst  stark  geröthet  und  sammetartig  geschwollen. 
Die  Lungen  überall  schwärzlich  roth,  nur  an  der  vordem  Oberfläche  und  an  den  untern 
Rändern  mit  flachen,  erbsen-  bis  bohnengrossen,  erweiterten  Lungenbläschen  von  hell- 
rother  Farbe  besetzt.  An  der  Luft  röthet  sich  die  Lunge  zur  dunkeln  Kirschröthe;  sie 
ist  überall  sehr  blutreich  und  wenig  knisternd  beim  Durchschneiden.  Aus  den  dunkeln, 
fast  schwarzrothen  Schnittflächen  fliesst  dunkles  Blut  und  aus  den  feinsten  Bronchial- 
ästchen  viel  gelblicher  Schaum  aus.  Unterleibshöhle:  Leber  blassbraun,  massig 
blutreich.  Die  Leberzellen  arm  an  Fett;  Galle  hellgrün.  Milz  blassroth.  Die  Schleim- 
haut des  Magens  normal:  Nieren  normal;  Harnblase  mit  gelbem  Urin  angefüllt,  in  dem 
Brom  deiitlich  nachgewiesen  werden  konnte:  Stärkemehl  wurde  mit  Wasser  gekocht  und 
mit  Urin  vermischt,  beim  Zusatz  von  einigen  Tropfen  Chlorwasser  bildete  sich  ein 
orangerother  Niederschlag. 

Die  Wirkung  der  Bromdämpfe  stimmt  in  den  Hauptpuncten  mit  der  der 
Chlordämpfe  überein.  Die  Reizung  der  Conjunctiva,  die  Opalisirung  der  Horn- 
haut, die  vermehrte  Absonderung  auf  der  Nasenschleimhaut  und  der  Hustenreiz 
finden  sich  auch  bei  den  Bromdämpfen  wieder.  Dagegen  ist  die  Reizung  der 
Respirationswege  dadurch  charakteristisch,  dass  sie  schon  nach  6  Stunden  eine 
exquisite  croupöse  Bronchitis  zur  Folge  haben  kann,  und  zwar  war  dies  beim 
zweiten  Versuche  der  Fall,  nachdem  60  Tropfen  Brom  binnen  26  Minuten  in 
einem  engen  Räume  zur  Verdampfung  gekommen  waren.  Beim  ersten  Versuche 
erfolgte  der  Tod  erst  nach  8  Tagen,  nachdem  die  Verdunstung  von  2  C.-C.  Brom 
in  einem  grössern  Räume  stattgefunden  hatte. 

Am  Sectionsbefunde  fiel  die  geröthete  und  mit  einem  croupösen  Ex- 
sudate bedeckte  und  sammetartig  geschwollene  Schleimhaut  der  Luftröhre  auf.  In 
Folge  der  dem  Tode  vorausgehenden  Dyspnoe  zeigten  sich  einzelne  Lungenbläschen 
emphysernatös  erweitert,  während  das  Lungenparenchym  sehr  hyperämiscb«  war 
und  an  mehreren  Stellen  beim  Durchschneiden  kein  Knistern  wahrnehmen  Hess.  Das 
Blut  war  dunkel  gefärbt,  von  theils  dickflüssiger,  theils  geronnener  Beschaffenheit. 

Beim  Menschen  kann  durch  intensive  Einwirkung  der  Bromdämpfe  plötzlich 
Bewusstlosigkeit  und  Hinstürzen  erfolgen  und  zwar  ganz  in  derselben  Weise,  wie 
man  dies  auch  bei  Chlordämpfen  beobachtet. a)  Es  sind  solche  Vorkommnisse  zu 
den  Unglücksfällen  zu  rechnen,  da  Jeder  sich  den  heftig  zum  Husten  reizenden 
Bromdämpfen  so  bald  als  möglich  entziehen  kann.  Bei  der  Darstellung  von 
Brom  eisen  wird  durch  den  unvorsichtigen  Zusatz  von  Brom  zu  Eisenfeilspänen 
eine  sehr  bedeutende  Menge  Wärme  frei,  welche  eine  plötzliche  und  sehr  starke 
Entwicklung  von  Bromdämpfen  veranlasst  und  Unglücksfälle  der  oben  erwähnten 
Art  herbeiführen  kann.  Um  diese  zu  verhüten,  muss  nämlich  Brom  mittels  einer 
Pipette  nur  tropfenweise  den  im  Wasser  suspendirten  Eisenfeilspänen  zuge- 
fügt werden. 

Die  Inhalation  von  Wasser  dämpfen  ist  in  solchen  Unfällen  von  guter  Wir- 
kung; während  des  bewusstlosen  Zustandes  sind  sie  mittels  einer  Compressions- 
pumpe  und  eines  Kautschukrohrs  einzutreiben ;  ist  das  Bewusstsein  zurückgekehrt, 
so  muss  die  Inhalation  noch  consequent  fortgesetzt  werden,  bis  die  schlimmsten 
Symptome  beseitigt  sind.  —  Auf  die  Vegetation  wirkt  Brom  ebenso  schädlich 
wie  Chlor  ein. 

Bei  äusserer  Einwirkung  des  Broms  entstehen  Verletzungen  der  Haut  wie 
nach  Verbrennungen.  Solche  Zufälle  können  leicht  in  Bromfabriken  entstehen, 
wenn  unglücklicherweise  ein  Gefäss  zerbricht.  Waschungen  mit  einer  schwachen 
Kalilauge  sind  hier  am  Platze,  um  die  weitere  Einwirkung  des  freien  Broms  zu 
verhüten2). 


58  Brom. 

Bromwasserstoff.    HBr. 

Bromwasserstoff  ist  in  jüngster  Zeit  in  den  vuleanischen  Eruptionen  des  Vesuvs 
und  Aetnas  nachgewiesen  worden. 

Man    stellt    es    aus   Phosphorbromid    dar.     Um  Phosphor  und  Brom  nicht 
direct  zusammenzubringen,  weil  sonst  heftige  Explosionen  entstehen  würden,  nimmt 
man  eine  doppelt  gebogene  Glasröhre,  in  welche  man  bei  a  (Fig. 2.)  etwas  Brom,  bei  h  einige 
Stückchen    Phosphor   einschüttet    und    den    Schenkel  cd  mit 
Glassplittern,  die  mit  Wasser  befeuchtet  sind,  anfüllt.  Fig.  2. 

Bei  vorsichtiger  Erwärmung  von  Brom  verbinden  sich 
seine  Dämpfe  mit  Phosphor  zu  Phosphorbromid.  welches 
unter  Wasserzersetzung  phosphorige  Säure  und  Bromwasser- 
stoff bildet.  Letzteres  entweicht  durch  die  Gasleitungs- 
röhre c 

PBr3  -f-  3H20  =  3HBr  +  PH303 

Der  Bromwasserstoff  ist  ein  coercibles,  farbloses,  an  der  Luft  dicke  weisse  Nebel 
verbreitendes  und  dem  Chlorwasserstoff  sehr  ähnliches  Gas  von  stechendem  Geruch.  Chlor 
scheidet  von  ihm  Brom  ab  und  bildet  mit  dem  "Wasserstoff  Chlorwasserstoff.  Brom- 
wasserstoff  ist  in  Wasser  sehr  leicht  löslich:  die  Lösung  ist  der  wässrigen  Salzsäure 
sehr  ähnlich,  raucht  an  der  Luft  schmeckt  und  reagirt  sauer.  Beim  Erwärmen  gibt  sie 
ßromwas.-erstoff  ab  und  siedet  bei  126°.  An  der  Luft  wird  diese  Säure  roth,  weil  ein 
Theil  davon  durch  den  atmosphärischen  Sauerstoff  in  freies  Brom  und  Wasser  zerlegt 
wird. 

2HBr  +  0  =  ILO  -f-  2Br. 

Einwirkung  von  Bromwasserstoff  auf  den  thierischen  Organismus.  Eine  Taube 
sitzt  unter  der  Glasglocke  und  hat  8  Inspirationen  binnen  1/4  M  Sobald  der  aus  Phosphor 
und  Brom  bei  Gegenwart  von  Wasser  entwickelte  Bromwasserstoff  eintritt,  entsteht  Un- 
ruhe, Blinzeln  und  Kothentleerung :  alsdann  ruhiges  Stehen.  Nach  2  M.  wird  der 
Schnabel  feucht.  Nach  4  M.  wieder  Unruhe  und  Schwanken.  Nach  10  M.  bei  neuer 
Zufuhr  Blinzeln  und  Schütteln  mit  dem  Kopfe;  alsdann  Schwanken.  Niederfallen  und 
Wiederaufstehen;  11  angestrengte  Inspir.  binnen  1/i  M.  Nach  15  M.  neue  Zufuhr  und 
bald  darauf  heftiges  Schlagen  mit  den  Flügeln.  Nach  18.  M.  ruhiges  Sitzen.  Nach  20  M. 
Herausnahme  der  Taube.  Sie  geht  sogleich  ohne  Schwanken  einher.  Nach  6  M.  noch 
1 1  Inspir.  bei  gesteigerter  Herzthätigkeit.  Das  Auge  ist  klar,  die  Pupille  unverändert 
geblieben.  Die  Inspiration  regulirt  sich  allmählig,  so  dass  nach  1  Stunde  wieder  8  In- 
spirationen binnen  1/i  M.  vorhanden  sind.     Krankheitserscheinungen  folgten  nicht. 

Aus  diesem  Versuche  geht  hervor,  dass  die  Inhalation  der  Broinwasserstoff- 
säure  eine  schwache  Betäubung,  Taumel,  Dyspnoe  uud  eine  vermehrte  Frequenz 
der  Herzschläge  erzeugt.  Mau  hat  somit  eiue  schwache  Bromwirkung  vor  sich, 
welche  dadurch  erklärlich  ist,  dass  sich  Bromwasserstoff  in  Berührung  mit  thie- 
rischen  Gebilden  insofern  gleich  den  Bromalkalimetalleu  verhält,  als  Brom  aus- 
tritt, welches  sich  mit  den  erstem  verbindet;  beim  Freiwerden  des  Wasserstoffs 
entsteht  nur  Wasser,  während  sich  bei  den  Bromalkalimetallen  noch  kohlen- 
saure Alkalien  bilden.  Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass  grössere  Mengen  dieser 
Verbindung  gefährlichere  Erscheinungen  hervorrufen,  namentlich  wenn  man  die 
Versuche  mit  der  flüssigen  Säure  damit  vergleicht;  die  Schwierigkeit,  ein  hin- 
reichendes Quantum  des  Gases  darzustellen ,  verhinderte  die  Wiederholung  der 
Versuche. 

Bei  der  subcutanen  Injection  von  Bromwasserstoffsäure  beobachtete  Stei- 
nauer  an  Kaltblütern  nach  einer  Gabe  von  0,06 — 0,3  Grm.  Seltnerwerden  der 
Respiration  und  der  Herzschläge,  sowie  Störungen  der  Motilität;  die  electrische  Reiz- 
barkeit der  Nerven  und  Muskeln  blieb  noch  lange  nach  dem  Tode  erhalten.  Gaben 
über  0,5  Grm.  wirkten  bei  Kaninchen  tödtlich.  Zuerst  sank  die  Pulsfrequenz  bei 
geringem  Ansteigen  der  Respiration;  nach  ruhigem  Verhalten  trat  dann  Taumel, 
Unbeweglichkeit,  unregelmässige  und  beschleunigte  Herzaction  nebst 
Sinken  der  Respirationsfrequenz  ein.  Bei  diastolischem  Herzstillstande  erfolgte 
der  Tod.3) 


Chlorbrom.  57 

Hiernach  treten  auch  bei  der  subcutanen  Application  der  Bromwasserstoff- 
säure fast  dieselben  Erscheinungen  wie  bei  der  Inhalation  des  Gases  auf;  nur 
zeigen  sie  sich  intensiver.  Die  Hauptwirkung  wird  aber  nach  der  obigen  Auf- 
fassung nur  dem  Brom  zufalleu,  wobei  die  Beobachtung  nicht  uninteressant  ist, 
dass  sich  in  dieser  Verbindung  gerade  die  Einwirkung  von  Brom  auf  das  Gehirn 
durch  den  Eintritt  von  Schwindel  und  Taumel  schneller  bemerkbar  macht,  als 
wenn  bloss  Bromdämpfe  einwirken. 

Chlorbrom.    BCI. 

Chlorhrom  bildet  sich,  -wenn  man  Chlor  über  überschüssiges  Brom  leitet;  es  ent- 
steht eine  rothgelbe,  flüchtige  Flüssigkeit  von  durchdringendem  Gerüche,  welche  röth- 
lichgelbe  Dämpfe  ausstÖsst;  sie  löst  sich  in  Wasser  auf  und  wirkt  bleichend.  Mit 
Alkalien  zusammengebracht,  gibt  Chlorbrom  ein  bromsaures  Salz  und  die  entsprechende 
Chlorverbindnng. 

Wirkung  von  Chlorbrom  auf  den  thierischen  Organismus.  Ein  mittelgrosses  Ka- 
ninchen sitzt  unter  der  Glasglocke.  Beim  Eintritt  der  Dämpfe  in  die  Glocke  Unruhe, 
Putzen  der  Schnauze,  Husten.  Nach  2  M.  schrumpfen  die  Barthaare  zusammen,  der 
Athem  stockt  und  die  Augen  schliessen  sich.  Nach  3  M.  aufrechte  Stellung  mit 
zurückgezogenem  Kopfe.  Ohren  gelb  gerändert.  Nach  9  M.  schwellen  die  Augenlieder 
an;  ein  weisser  dicker  Schleim  zwischen  denselben.  Ausathmen  von  weissen  Dämpfen. 
Die  Atmosphäre  der  Glocke  hat  einen  röthlichen  Schimmer.  Putzen  der  Nase,  Unruhe 
und  dann  wieder  ruhiges  Sitzen.  Nach  19  M.  ist  das  ganze  Fell  gelb.  Angestrengtes 
Athmen  mit  geöffnetem  Munde;  9  Inspir.  binnen  1/4  M.  Die  Atmosphäre  der  Glocke  ist 
gelblichbraun.  Nach  20  M.  Herausnahme.  Cornea  auf  beiden  Seiten  opalisirt.  Das 
Thier  bleibt  anfangs  ruhig  sitzen;  nach  8  M. läuft  es  umher,  stösst  aber  wegen  Blindheit  gegen 
alle  Gegenstände  und  verfällt  kurz  darauf  in  die  heftigsten  Convulsionen.  Nach  9  M. 
noch  einige  krampfhafte  Inspirationen  mit  Schleim  rasseln  und  nach  11  M.  Tod.  Aus 
Maul  und  Nase  stürzt  weisser  Schaum,  welcher  Lackmuspapier  sehr  stark  röthet. 
Section  nach  24  Stunden.  Schädelhöhle:  Pia  mater  überall  sehr  hyperämisch.  Auf 
den  Corp.  quadrig.  2  geronnene  Blutklümpchen,  welche  3  Linien  lang  und  1  Linie  dick 
sind.  Plex.  venös,  spin.  massig  angefüllt.  Auf  der  Dura  mater  eine  ganz  dünne, 
flüssige  Blutschicht.  Brusthöhle:  Lungen  sehr  ausgedehnt  und  von  blassrother  Farbe 
mit  zarten  braunrothen  Marmorirungen ;  überall  auf  der  Oberfläche  erweiterte  Lungen- 
bläschen. Auf  den  Schnittflächen  blassgelber  Schaum  und  etwas  flüssiges  Blut.  Der  Schaum 
füllte  sowohl  die  feinsten  Bronchien  als  auch  die  ganze  Luftröhre  bis  zum  Kehlkopf 
aus.  Schleimhaut  sehr  intensiv  geröthet  und  sammetartig  geschwollen  bis  zum  Kehlkopf 
hin.  Bei  der  chemischen  Uutersuchung  der  Lunge  konnte  Brom  deutlich  nachgewiesen 
werden.  Die  rechte  Herzhälfte  und  der  linke  Vorhof  sind  ganz  mit  geronnenem  Blute 
angefüllt.  Unterleibshöhle:  Leber  braunroth  und  blutreich.  Das  Blut  ist  flüssig; 
Galle  dunkelgrün.  Auch  in  der  Leber  konnte  Brom  chemisch  nachgewiesen  werden. 
Milz  und  Nieren  normal.  Auf  den  dünnen  Gedärmen  die  gewöhnliche  Gefässinjection; 
in  den  grössern  Venen  geronnenes  und  flüssiges  Blut;  das  flüssige  Blut  waltete  aber 
vor,  hatte  eine  braunrothe  Farbe  und  wurde  an  der  Luft  kirschroth.  Viele  Blutkügelchen 
gekerbt  und  ungleich. 

Bei  der  Entwicklung  der  Dämpfe  von  Chlorbrom  macht  sich  die  reizende 
"Wirkung  von  Chlor  und  Brom  gleichzeitig  geltend.  Die  Wirkung  von  Brom 
äussert  sich  schon  durch  das  Zusammenschrumpfen  der  Barthaare  der  Thiere  und 
die  Entzündung  der  Augenlieder,  während  die  Opalisirung  der  Hornhaut  der 
gleichzeitigen  Einwirkung  von  Chlor  und  Brom  angehört.  Die  Anfüllung  der 
Bronchien  mit  Schaum  war  eine  Folge  der  höchst  irritirenden  Wirkung  dieser 
Verbindung.  Man  kann  sicher  annehmen,  dass  der  Tod  durch  Erstickung 
erfolgte. 

Man  benutzt  Chlorbrom  in  der  Photographie,  sowohl  zum  Niederschlagen  der 
Silbersalze  (Negativ-Bilder),  als  auch  zum  Fixiren  der  Positiv-Bilder;  Silbernitratlösung 
erzeugt  nämlich  damit  eine  gelblichweisse  Fällung  von  Silberbromid,  welches  sich 
vom  Chlorsilber  nur  durch  seine  weit  geringere  Löslichkeit  in  Ammoniak  unter- 
scheidet.4) 


58 


.Tod. 


Jod.   J. 


Jod  wurde  durch  Courtoia  im  Jahre  1811  '  entdeckt;  seitdem  hat  man  es  als 
einen  sehr  verbreiteten  Körper  kennen  gelernt.  Die  CAa/m'schep  Angaben  über  sein 
freies  Vorkommen  in  der  Lufl  und  im  Regenwasser  haben  sich  jedoch  nicht  bestätigt. 
Meistens  findet  es  ßich  an  Metalle  gebunden  in  Begleitung  von  Chlor  und  Brom.  Auch 
in  vielen  Mineralien,  im  Gichtstaub  der  Hohöfen,  in  der  Ackererde,  im  Torf,  im  Höhen- 
rauch, in  vielen  Seethieren,  in  Süsswasserthieren,  Süsswasserpflanzen,  ja  sogar  in  der 
Milch  und  in  Eiern  hat  man  es  nachgewiesen. 

Bei  der  Bearbeitung  der  Asche  vieler  Strandpflanzen,  insbesondere  der  Fucus- Arten, 
and  Algen  (in  Frankreich  und  Spanien  Varec,  in  Schottland  Kelp  genannt)  auf 
Soda  bleiben  Mutterlaugen  zurück,  welche  neben  Bromnatrium  Jodnatrium  enthalten. 
Wim  unterwirft  die  Laugen  unter  Zusatz  von  Braunstein  und  Salzsäure  der  Destillation, 
wobei  die  Joddämpfe  in  Glasbaüons  aufgefangen  werden.  Das  Product  wird  durch 
Sublimation  gereinigt.  Die  grössten  Fabriken  dieser  Art  finden  sich  in  Cherbourg, 
Brest,  Glasgow  und  in  der  irischen  Grafschaft  Donegal. 

Auch  die  Mutterlaugen  der  Kalisalpeterfabriken,  welche  Chilisalpeter  verwenden, 
sind   sehr  jodhaltig  und  können   zur  Gewinnung  von  Jod  verarbeitet  werden. 

Jod  bildet  schwärzlich-stahlblaue,  graphitblättrige  Krystalle,  welche  metallisch  glän- 
zen, sieh  alxr  bei  jeder  Temperatur  verflüchtigen.  Bei  180°  destillirt  es  und  ent- 
wickeli  intensiv  violette  (M>8t]s)  Dampfe,  welche  unter  allen  gas-  und  dampfförmigen 
Körpern  die  schwersten  sind,  da  ihr  spec.  Gew.  8,G5  beträgt.  Sein  Schmelzpunct  liegt 
bei    107°.     Jod    hat   einen   eigentümlichen,    safranähnlichen    Geruch.      Im   Allgemeinen 

i  es  die  organischen  Körper  nicht  so  leicht  wie  Brom  und  Chlor.  Es  ist  in 
7000  Th.  Wasser  löslich:  Alkohol.  Aether,  Chloroform,  Benzol,  Schwefelkohlenstoff  und 
tue  löslichen  Jodalkalien  sind  dagegen  gute  Lösungsmittel. 

Stärkekleister  ist  das  empfindlichste  Reagens  auf  Jod.  Jodkaliumhaltiger  Stärke- 
kleister wird  durch  Ozon  unter  Abscheidung  von  Jod  gebläut,  worauf  das  Princip 
der  bisherigen  Ozonometer  beruht.  Auch  Brom  und  Chlor  scheiden  Jod  aus  ihren 
Metallverbindungen  aus.  Mit  Phosphor,  Schwefel  und  den  Metallen  verbindet  es  sich 
direct. 

Einwirkung  von  Jod  auf  den  thierischen  Organismus,  l)  Ein  mittelgrosses  Ka- 
ninchen sitzt  im  grossen  Glaskasten,  welcher  in  der  Sonne  steht*).  36  Ctgrm.  Jod  werden 
in  einer  Schüssel  aufgestellt.  Bei  36°C.  füllt  sich  alsbald  der  Kasten  mit  blauvioietten 
Dampfen.  Hierauf  die  grösste  Unruhe,  Aufspringen,  starkes  Speicheln  und  Röthung 
der  Nase.  Der  Speichel  tliesst  in  langen  Fäden  aus.  Heftiges,  jämmerliches  Schreien 
bei  unzählbarer  Respiration  und  heftigem  Herzklopfen.  Indem  das  Kaninchen  herum- 
springt und  sich  auf  die  Hinterbeine  erhebt,  fällt  es  beständig  auf  die  Seite  und  rück- 
lings.  Nachdem  kaum  20  Ctgrm.  innerhalb  10  M.  verdunstet  sind,  wird  das  Jod  heraus- 
genommen  und  der  Kasten  aus  der  Sonne  gestellt.  Das  Kaninchen  bleibt  noch  6  Stunden 
lang  im  Kasten,  verhält  sieh  ruhig  und  athmet  noch  mit  Anstrengung.  Zuletzt  15  Inspir. 
binnen  ]/4  M.  Nach  der  Herausnahme  ruhiges  Verhalten.  Die  weissen  Haare  sind  gelb 
gefärbt. :  die  obere  Hälfte  beider  Hornhäute  ist  opalisirt.  Das  Thier  verräth  grossen 
Durst.  Rhonclms  sonorus  in  der  ganzen  Brust  und  vermehrtes  Herzklopfen.  Am  folgen- 
den Tage  schält  sich  das  Epithelium  der  Hornhaut  ab.  10  angestrengte  Inspir.  binnen 
V4  M-  Am  3.  Tage  wird  es  todt  gefunden.  Auf  der  linken  Hornhaut  noch  eine  geringe  Trü- 
bung. —  Section  nach  24  Stunden.  Schädelhöhle:  Dura  mater  massig,  Pia  mater  sehr 
stark  injicirt,  namentlich  an  der  Basis  des  Gehirns;  hier  finden  sich  in  der  Nähe  des 
hintern  Randes  der  beiden  Hemisphären  zwei  erbsengrosse,  geronnene  Blutklumpchen. 
Plex.  venös,  spin.  mit  geronnenem  Blute  angefüllt.  Brusthöhle:  Die  rechte  Lunge 
braunroth  und  mit  hellziegelrothen,  erbsengrossen  Erweiterungen  der  Lungenbläschen 
besetzt.  Der  linke  obere  Lappen  ist  leberbraun,  fest  und  sinkt  im  Wasser  unter;  die 
übrige  Partie  dieser  Lunge  ist  blauroth.  Auf  den  Durchschnittsflächen  wenig  Blut  und 
blutiger  Schaum :  letzterer  findet  sich  auch  in  den  Bronchien.  Die  Schleimhaut  der  Luft- 
röhre etwas  geschwollen,  stark  geröthet  und  an  einzelnen  Stellen  des  Epitheliums  beraubt. 
An  andern  Stellen  war  es  abgelöst  und  Hess  sich  in  kleinen  Streifen  abziehen.  Das  ganze 
Herz  mit  geronnenem  Blut  angefüllt,  ebenso  die  grössern  Blutgefässe.  Es  floss  nirgends 
flüssiges  Blut  aus.  Unterleibshöhle:  Leber  von  normaler  brauner  Farbe,  enthält 
etwas  dickflüssiges  Blut;  Milz  blassroth;  Nieren  blutreich. 


*)  Auf  einer  blechernen,  flachen  und  mit  einem  Rande  umgebenen  Schüssel  sitzt 
das  Kaninchen,  worüber  der  Glaskasten  gestülpt  und  mittels  Sand  luftdicht  verschlossen 
wird.  Im  obern,  dachförmig  construirten  Räume  befinden  sich  Oeffnungen,  welche  mit 
Pfropfen  versehen  sind  und  eventuell  zur  Zuleitung  der  Gase  und  Dämpfe  benutzt  wer- 
den.   Der  cubische  Inhalt  beträgt  circa  72000  C.-Ctm. 


Jod  59 

2)  Ein  mittelgrosses  Kaninchen  sitzt  im  grossen  Kasten.  24  Ctgrm.  Jod  kommen 
zur  Verdunstung,  während  die  Sonne  auf  den  Kasten  scheint.  Nach  5  M.  Ausfluss  von 
klaren  Schleimtropfen  aus  dem  Maule.  Violette  Dämpfe  sind  sichtbar.  Blinzeln  mit  den 
Augen.  Nach  15  M.  ist  weiter  keine  Erscheinung  als  starkes  Speicheln  eingetreten. 
Zusatz  von  24  Ctgrm.  Jod.  Nach  30  M.  Putzen  der  Nase;  es  liegt  abwechselnd  auf  dem 
Bauche  und  stellt  sich  auf  die  Hinterfüsse.  Schliessen  der  Augen.  Nach  40  M.  geringes 
Schwanken  beim  Aufstehen;  alsdann  wieder  Bauchlage  mit  gespreizten  Vorderbeinen. 
Nach  45  M.  12  Jnspir.  binnen  l/t  M.  Sitzen  mit  zurückgezogenem  Kopfe ;  es  erscheint  wie 
betäubt  und  schreckt  oft  wie  aus  dem  Schlafe  auf.  Nach  50  M.  momentanes  Schwanken 
und  Anlehnen  an  die  Wand  des  Kastens.  Nach  75  M.  angelehntes  Sitzen  mit  zurück- 
gezogenem Kopfe;  Putzen  der  Schnauze;  Aufhusten.  Nach  2  Stunden  8  angestrengte 
Inspir.  binnen  1/4  M.  Dann  Herausnahme  Starkes  Herzklopfen;  Hornhaut  opalisirt 
mit  geringer  Schleimabsonderung  in  den  Augenwinkeln.  Am  folgenden  Tage  freie  Bewe- 
gung.    Am  dritten  Tage  normales  Verhalten. 

3)  Dasselbe  Kaninchen  wurde  einige  Tage  nachher  in  die  Glasglocke  gebracht,  in 
welche  die  violetten  Dämpfe  von  Jod  eingeblasen  wurden,  nachdem  letzteres  ausserhalb 
derselben  durch  Wasser  erwärmt  worden  war.  Das  Thier  wird  sogleich  unruhig  und  erhebt 
sich  auf  die  Hinterbeine.  Die  weissen  Haare  werden  gelb.  Nach  2  M. Putzen  der  Schnauze, 
momentanes  Schliessen  der  Augen.  Nach  6  M.  Zurückziehen  des  Kopfes.  Nach  13  M. 
bei  wiederholter  Einleitung  der  Dämpfe  vermehrte  Unruhe,  Putzen  der  Schnauze,  Nass- 
werden der  Nasenschleimhaut  und  Trübwerden  der  Augen.  Nach  15  M.  Schwanken, 
Husten,  Anlehnen  an  die  Wand  des  Kastens.  Nur  5  Inspir.  binnen  V4  M.  in  aufrechter 
Stellung.  Nach  23  M.  Zufuhr  der  Dämpfe,  worauf  jedesmal  stärkeres  Putzen  der 
Schnauze  folgt.  Dann  wieder  aufrechte  Stellung  mit  zurückgezogenem  Kopfe  und  bei 
häufigem  Husten.  Nach  30  M.  Hornhaut  opalisirt;  Thränen  der  Augen;  alle  weissen 
Haare  sind  gelb  gefärbt.  Alsdann  Herausnahme  des  Kaninchens.  Es  bewegt  sich 
sogleich  und  sucht  dunkle  Ecken  auf;  Respiration  bleibt  verlangsamt.  Am  folgenden 
Tage  freiere  Bewegung  und  wiederum  20  Inspir.  binnen  1/4  M.:  wenig  Eiter  in  den  Augen- 
winkeln und  die  Hornhaut  nur  noch  schwach  opalisirt.  An  den  folgenden  Tagen  bemerkt 
man  nichts  Besonderes  an  demselben. 

In  der  Industrie  sind  es  nur  die  Jod  dämpfe,  welche  nachtheilig  auf  die 
Gesundheit  der  Arbeiter  einwirken  können.  Aus  den  vorhergehenden  Experimenten 
geht  zunächst  die  höchst  irritirende  Wirkung  des  Joddampfes  hervor.  Alle 
Schleimhäute,  mit  denen  ein  solcher  Dampf  in  Contact  kommt,  werden  im  höchsten 
Grade  gereizt,  weshalb  starkes  Speicheln,  Blinzeln  mit  den  Augen,  Putzen  der 
Nase  und  Husten  die  vorherrschenden  Symptome  bei  den  Thieren  sind.  Die 
Hornhaut  wird  opalisirt,  ihr  Epithelium  schält  sich  ab  oder  die  Bindehaut  ent- 
zündet sich  unter  Absonderung  einer  schleimigen  Flüssigkeit.  Bei  der  weitern 
Einwirkung  befällt  (in  ähnlicher  "Weise  wie  bei  Bromdämpfen)  Taumel  und 
Schwindel  die  Thiere;  sie  vermögen  sich  nicht  mehr  auf  den  Beinen  zu  halten, 
die  Herzaction  ist  vermehrt,  die  Respiration  beschleunigt  sich  oder  wird  sehr  be- 
schwerlich, regulirt  sich  aber  bald  wieder,  wenn  die  Thiere  an  die  freie  Luft  gebracht 
werden,  während  bei  ihrem  längern  Verweilen  in  einer  jodhaltigen  Atmosphäre 
schliesslich  der  Tod  in  Folge  von  Entzündung  der  Respirationsorgane  eintritt.  In 
letzterm  Falle  erfolgte  der  Tod  erst  am  3.  Tage,  nachdem  nur  20  Ctgr.  Jod  zur 
Verdunstung  gekommen  waren,  das  Thier  aber  noch  6  Stunden  lang  in  der  jod- 
haltigen Atmosphäre  verweilt  hatte  (Erster  Versuch).  Ein  anderes  Kaninchen 
konnte  2  Stunden  lang  ohne  bleibenden  Schaden  in  einem  Kasten  verweilen, 
in  welchem  48  Ctgr.  Jod  zur  Verdunstung  kamen  (Zweiter  Versuch).  Ein  drittes 
Kaninchen  verweilte  eine  halbe  Stunde  lang  ohne  Nachtheil  in  der  Glasglocke, 
deren  Atmosphäre  durch  Joddampf  violett  gefärbt  war.  Die  Joddämpfe  bedürfen 
somit  stets  einer  längern  Zeit,  ehe  sie  ihre  Wirkung  vollständig  entfalten. 

Am  Sectionsbefunde  fiel  die  geschwollene  und  geröthete  Schleimhaut 
der  Trachea  auf,  welche  an  einzelnen  Stellen  ihres  Epithels  ganz  beraubt  war; 
an   andern  Stellen  Hess  sich  dasselbe  in  kleinen  Streifen  abziehen.     Der  linke 


60  Jod- 

obere Lungenlappen  war  hepatisirt   und   die  ganze  rechte  Lunge   bot  ein  ausge- 
prägtes Emphysem  dar.     Fast  alles  Blut  war  geronnen  oder  dickflüssig. 

Reim  Menschen  erzeugen  Joddämpfe  in  nicht  zu  starker  Einwirkung  zu- 
nächst Schwere  im  Kopfe.  Hustenreiz,  Ermüdung  und  bisweilen  einen  fieberhaften 
Zustand,  welcher  einige  Tage  anhalten  kann  und  mit  dem  Lockerwerden  des 
Hn-ten;.  in  der  Regel  uachlässt.  Der  Husten  pflegt  aber  längere  Zeit  anzuhalten.5) 
Das  Augeuthräuen.  Niessen  und  Husteu  nöthigt  zum  sofortigen  Verlassen  des 
Locals.  in  welchem  solche  Dämpfe  verbreitet  sind.  Gefährlichere  Folgen,  wie  sie 
sich  aus  den  Versuchen  an  Thieren  ergeben,  sind  bei  Menschen  noch  nicht  be- 
obachtet worden.  Der  _ Jodschnupfen "  scheint  sich  nach  den  in  französischen 
Fabriken  gemachten  Erfahrungen  bisweilen  auszubilden.  Selbst  bei  Photo- 
graphen, welche  bekanntlich  am  meisten  mit  Joddämpfen  in  Berührung  kommen, 
hat  mau  >elteu  bleibende  Nachtheile  beobachtet,  welche  auch  bei  einiger  Vorsicht 
zu  verhüten  sind,  da  sich  die  Dämpfe  in  einem  geschlossenen  Räume  entwickeln 
und  die  Menge  derselben  nur  gering  ist.  Nur  bei  einem  Photographen  mit  cruden 
Tuberkeln  schien  die  häufige  Einwirkung  der  Joddämpfe  nicht  ohne  Einfluss  auf 
die  spätere  Eutwickluug  dieser  Krankheit  geblieben  zu  sein.  Jedenfalls  dürfte 
denjenigen  Autoren  nicht  beizustimmen  sein,  welche  die  Joddämpfe  als  Desinfec- 
tiousmittel  empfehlen  (s.  Jodoform). 

Als  Gegengift  von  Quecksilber-,  Blei-,  Strychniu-,  Bruciu-  und  Atropin- 
Vergiftung  wird  Jod  nebst  seinen  Präparaten  empfohlen. 

Alle  Pflanzen  werden  durch  freies  Jod  getödtet.  während  die  Jodalkalien 
von  denselben  ohne  Nachtheil  aufgenommen  werden.  Die  Pflanzen  häufen  die 
Jodalkalien  während  ihres  Lebeusprocesses  an,  Thiere  scheiden  dagegen  alle  ihnen 
zuseführteu  Jodalkalien  wieder  aus.  So  sind  bekanntlich  die  Meerstrandgewächse 
reich  an  Jodverbindungen:  die  Thiere  des  Meeres  enthalten  nur  Spuren  von  Jod, 
aber  etwas  mehr  Brom. 

Technische  Verwendung  finden  Jod  uud  seine  Präparate  in  der  Photo- 
graphie und  in  Anilinfarbenfabriken.  In  letztern  sind  es  besonders  Jod- 
aethyl  und  Jodmethyl,  welche  früher  noch  mehr  als  jetzt,  nachdem  die  Dar- 
Btellnngsweise  der  Theerfarben  einen  neuen  Umschwung  erfahren  hat.  im  Gebrauch 
waren.  Die  Photographen  bedienen  sich  auch  der  Verbindungen  des  Jods  mit 
Ammonium,  Cadmium  uud  Lithium. 

Jodwasserstoffsäure.    HJ. 

Jodwasserstoff  •wird  in  ähnlicher  Weise  dargestellt  -wie  Bromwasserstoff,  indem 
man  Phosphorjodid   durch  Wasser  zersetzt, 

PJ3  +  3H20  =  PH30,  +  3HJ. 
Auch  gewinnt  man  ihn  durch  Erwärmen  von  Natriumsulfit  mit  Jod  und  Wasser.  Er  ist 
ein  farbloses  Gas  von  4.4-1  spec.  Gew..  raucht  an  der  Luft  und  wird  vom  Wasser  zu  einer 
rauchenden  Flüssigkeit  absorbirt.  Diese  Lösung  lässt  sich  auch  in  der  Weise  darstellen, 
das?  man  Jod  in  Wasser  vertheilt  und  Schwefelwasserstoff  hineinleitet,  bis  alles  Jod 
verschwunden  ist. 

1I,S4-2J=2HJ4-  S. 
Bei  127°  destillirt    dann    eine  Säure  von  1.56  spec.  Gewicht    über,    welche    sich   an   der 
Luft    unter    Jodausscheidung   zersetzt.      Dieselbe  erfolgt   auch  durch  Zusatz  von  Brom 
und  Chlor. 

Einwirkung  von  Jodwasserstoffsäure  auf  den  thierischen  Organismus,  l)  EineTaube 
sitzt  unter  der  Glasglocke.  Gleich  beim  Eindringen  der  Dämpfe,  welche  aus  schweflig- 
saurem Natrium.  Jod  und  Wasser  dargestellt  wurden,  Blinzeln  mit  den  Augen  und  Putzen 
derselben  bei  grosser  Unruhe  und  sehr  beschleunigter  Respiration.     Thränen  der  Augen 


Jodwasserstoffsäure.  6 1 

und  Ausfluss  von  Schleim  aus  den  Nasenlöchern.  Nach  4  M.  angestrengtes  Athmen  mit 
jedesmaligem  Oeffnen  des  Schnabels.  9  Inspir.  binnen  x/4  M.;  nach  6  M.  starke  Con- 
vulsionen,  worauf  nach  einigen  krampfhaften  Inspirationen  mit  weitem  Oeffnen  des 
Schnabels  der  Tod  erfolgt.  Ein  dumpfer  Herzschlag  ist  noch  ein  paar  Minuten  lang 
hörbar.     Die  Hornhaut  ist  nicht  getrübt. 

Section  nach  24  Stunden.  Pia  mater  stark  injicirt.  Plex.  venös,  spin.  ent- 
halten nur  geronnenes  Blut-  Ein  feiner  Blutfaden  verläuft  über  die  ganze  Dura  mater. 
Brusthöhle:  Beide  Lungen  sind  theils  hell-  und  dunkelkirschroth,  theils  braunroth 
gefärbt.  Auf  den  Schnittflächen  geronnene  Biutklümpchen  uud  blutiger  Schleim.  Der 
grösste  Theil  des  Parenchyms  ist  fest,  knistert  nicht  beim  Durchschneiden 
und  sinkt  in  Wasser.  Die  ganze  Trachealschleimhaut  schwach  braunroth  injicirt. 
Im  Herzen  geronnenes  und  krümliges  Blut.  In  allen  grössern  Gefässen  geronnenes 
Blut.  Unterleibshöhle:  Leber  schwärzlichbraun,  Galle  dunkelbraun;  sonst  die  ge- 
wöhnliche Injection.  Das  sparsame  flüssige  Blut  ist  dunkelroth  und  wird  an  der  Luft 
hellkirschroth.      Chemisch  konnte  Jod  in  den  Lungen  nachgewiesen  werden. 

2)  Ein  mittelgrosses  Kaninchen  wird  in  die  halb  mit  Dämpfen  angefüllte  Glocke 
gebracht.  Sogleich  die  grösste  Unruhe  und  starkes  Putzen  der  Schnauze.  Nach  3.  M. 
neue  Zufuhr  der  Dämpfe;  20  angestrengte  und  unregelmässige  Inspir.  binnen  1/i  M.; 
nach  5  M.  Schliessen  der  Augen  bei  ruhigem  Sitzen  und  11  Inspirationen.  Der  Zustand 
bleibt  derselbe;  deshalb  Herausnahme  nach  15  M.  Eine  weisse  schleimige  Flüssig- 
keit füllt  die  Augen.  Praecipitirtes  Jod  zeigt  sich  an  den  Haaren.  Häufiges  Husten 
bei  Schleimrasseln.  Am  folgenden  Tage  ruhiges  Verhalten  bei  häufigem  Husten  und 
starkem  Schleimrasseln.  7  angestrengte  Inspir.  binnen  Vi  M.  Am  3.  Tage  steigert  sich 
die  Dyspnoe.  Aengstliches  Lmherlaufen  oder  ruhiges  Sitzen  bei  zurückgezogenem 
Kopfe.     Die  Respiration  wird  immer  seltner  und  angestrengter.     Tod  gegen  Mittag. 

Section  nach  6  Stunden.  Pia  mater  stark  injicirt.  Ein  erbsengrosses  Blut- 
coagulum  am  hintern  untern  Rande  der  beiden  Hemisphären.  Plex.  venös,  spin.  ent- 
halten nur  geronnenes  Blut.  Auf  der  Dura  mater  eine  ganz  dünne  flüssige  Blutschicht. 
Brusthöhle:  Vom  Larynx  bis  zu  den  Bronchien  hin  ist  das  Epithelium  aufgelockert 
und  gleicht  der  zarten  Schicht  eines  entzündlichen  Exsudats.  Unter  derselben  ist  die 
Schleimhaut  geröthet.  Die  Lungen  zinnoberroth  mit  braunrothen  Marmorirungen;  der 
mittlere  rechte  Lappen  leberbraun,  fest  und  auf  seinen  Schnittflächen  geronnenes 
Blut  und  röthlicher  Schaum.  Die  untere  Fläche  der  Lunge  vorzugsweise  von .  braun- 
rother  Farbe;  auf  der  Oberfläche  der  linken  und  an  den  Rändern  der  rechten  Lunge 
viele  ausgedehnte  Lungenbläschen.  Im  rechten  Herzen  und  im  linken  Vorhof  schwarzes 
geronnenes  Blut.  Fast  gar  kein  flüssiges  Blut  scheidet  sich  aus.  An  der  Luft  wird 
es  hellkirschroth.  Blutkügelcken  normal.  Unterleibshöhle:  Leber  schwärzlich- 
braun und  reich  an  dickflüssigem  Blute.  Uebrigens  die  gewöhnliche  Injection  auf  der 
Oberfläche  der  Eingeweide  und  eine  starke  Anfüllung  der  Venen  mit  geronnenem 
oder  dickflüssigem  Blute.  In  Lunge  und  Leber  konnte  Jod  chemisch  nachgewiesen 
werden. 

Die  experimentellen  Versuche  ergeben  eine  vollständige  Gleichheit  in  der 
Wirkung  des  freien  Jods  und  des  Jodwasserstoffs  bei  der  Inhalation,  nur  mit  dem 
Unterschiede,  dass  letzterer  rascher  eine  gefährliche  Wirkung  entfaltet.  Die 
Dämpfe  des  Jodwasserstoffs  erzeugen  wie  freies  Jod  eine  irritirende  Wirkung 
auf  allen  Schleimhäuten,  weshalb  Blinzeln  mit  den  Augen,  Augenthränen,  ver- 
mehrte Nasenabsonderung,  Husten  und  erschwerte  Respiration  entstehn.  Bei 
energischer  Einwirkung  sterben  Tauben  sehr  rasch  unter  Convnlsionen  und 
höchst  angestrengter  Respiration;  Kaninchen  sterben  nachträglich  an  den  Folgen 
der  Lungenentzündung.  Zieht  man  das  Verhalten  des  Jodwasserstoffs  gegen 
Membranen  in  Betracht,  so  erklärt  sich  das  gleichartige  Verhalten  des  Jodwasser- 
stoffs und  des  freien  Jods  bei  der  Inhalation,  da  der  Jodwasserstoff  seinen  Jod- 
gehalt an  die  thierische  Substanz  abgiebt  und  sich  damit  verbindet,  während  der 
Wasserstoff  Wasser  liefert.  Es  findet  somit  hier  ganz  dasselbe  Verhältniss  wie 
beim  Bromwasserstoff  statt. 

Chlorjod.   JCI. 

Einfach-Clllorjod  stellt  eine  gelbröthliche  ölige  Flüssigkeit  von  stechendem  Ge- 
ruch  und  adstringirendem  Geschmack   dar,    welche   sieh  in  Wasser   und  Weingeist  mit 


62  ^d. 

gelber  Farbe,  in  letzterm  aber  unter  Zersetzung  auflöst.  Um  es  darzustellen,  wird  Jod 
mit  4  Th.  ehlorsaurem  Kalium  erwärmt.  Unter  Entwicklung  von  Sauerstoff  destillirt  Chlor- 
jod über.  Durch  längeres  Einleiten  von  Chlor  in  diese  Verbindung  entsteht  Dreifach- 
Chlorjod  JC13  in  pomeranzengelben  Krystallen. 

Benutzt  wird  Einfach-Chlorjod  in  wässriger  Lösung  in  der  Photographie  und  iu 
Anilinfarbenfabriken,  namentlich  zur  Darstellung  der  grünen  Farben. 

Einwirkung  von  Chlorjod  auf  den  thierischen  Organismus.  Eine  Taube  sitzt  unter 
der  Glasglocke.  Bei  Einleitung  des  Dampfes,  welcher  aus  Jod  und  ehlorsaurem  Kalium 
dargestellt  wurde,  entstehen  sogleich  grosseUnruhe,  Blinzeln,  Putzen  der  Augen  und  Husten. 
Nach  1  M.  starkes  Thränen  der  Augen  und  Ausfliessen  von  flüssigem  Schleim  aus  den 
Nasenlöchern.  Nach  3  M.  werden  die  weissen  Federn  gelb.  Nach  5  M.  geschwollene 
Augenlieder.  In  der  Bauchlage  sehr  angestrengtes  Athmen  mit  Aufsperren  des  Schnabels. 
Nach  6  M.  heftige  Convulsionen.  Nach  7  M.  7  tiefe  Inspir.  mit  jedesmaligem  weitem 
Oeffnen  des  Schnabels.  Alsdann  Herausnahme  der  Taube.  Sie  bleibt  auf  dem  Bauche 
mit  ausgestreckten  Füssen  liegen.  Sehr  beschleunigter  Herzschlag.  Nach  7  M.  6  weniger 
angestrengte  Inspir.  binnen  1/4  M.:  Cornea  opalisirt.  Nach  In  M.  steht  sie  aufrecht. 
Am  folgenden  Tage  12  Inspir.  binnen  1ji  M.  mit  schwachem  Oeffnen  des  Schnabels. 
Braune  Krusten  an  den  Augenliedern:  Cornea  trüb  weisslich;  vorherrschende  Bauchlage; 
Nasenöffnung  mit  Schleim  angefüllt.  Heisere  Stimme  und  hartes,  rauhes  Respiriren,  als 
ob  die  Luft  durch  eine  metallene  Röhre  ginge,  eine  Erscheinung,  welche  man  be- 
kanntlich bei  croupkranken  Kindern  beobachtet.  Herzschlag  normal.  9  Inspirationen 
binnen  l/4  M.  Am  3.  Tage  stirbt  sie  Morgens  früh,  nachdem  sie  vorher  einigemal  krampf- 
haft inspirirt  hatte. 

*  Section  nach  20  Stunden.  Cornea  ganz  opalisirt,  Augenlieder  noch  geschwollen 
und  auf  der  innern  Seite  mit  einer  schleimigen,  schwach  blutigen  Flüssigkeit  bedeckt. 
Hirnhäute  massig  inficirt.  Plex.  venös,  spin.  angefüllt.  Beim  Oeffnen  der  Wirbel 
fliessen  einige  Tropfen  dunkelkirschrothen  Bluts  aus.  Brusthöhle:  Lungen  kirschroth 
und  in  Wasser  schwimmend;  auf  den  Schnittflächen  etwas  geronnenes  Blut  und  feiner 
Schaum.  Die  Schleimhaut  der  ganzen  Luftröhre  ist  mit  einer  festen  croupösen  Schicht 
bedeckt,  in  welcher  man  unter  dem  Mikroskope  faseriges  Gewebe  und  Zellen  beobachtet. 
Dieselbe  Schicht  setzt  sich  über  die  Zunge,  die  Mundhöhle  sowie  auch  die  Speiseröhre 
bis  zum  Kröpfe,  welcher  leer  ist,  fort.  In  der  Mundhöhle  lässt  sich  die  croupöse  Masse 
in  dicken  Klümpchen,  in  der  Speiseröhre  und  in  der  Trachea  die  Neubildung  als  zusam- 
menhängende Haut  erkennen.  Unter  dem  croupösen  Exsudat  war  überall  die  Schleimhaut 
geschwollen  und  geröthet.  In  allen  grössern  Blutgefässen  geronnenes  Blut.  Ebenso  in  der 
rechten  Herzhälfte  und  im  linken  Vorhof  festes  geronnenes  Blut.  Unterleibshöhle: 
Leber  schwärzlichbraunroth  und  geronnenes  Blut  enthaltend.  Nieren  und  Milz  normal. 
Auf  der  Oberfläche  der  Eingeweide  die  gewöhnliche  Injection.  Flüssiges  Blut  findet  sich 
fast  gar  nicht  vor.  An  den  Stellen  des  Tellers,  wo  Lunge  und  Leber  auflagen,  bildeten 
sich  hellrothe  Blutflecke.     Jod  liess  sich  in  der  Lunge  chemisch  nachweisen. 

Die  vereinte  Wirkung  von  Chlor  und  Jod  erzeugte  ein  Krankheitsbild, 
welches  die  grösste  Aehnlichkeit  mit  der  häutigen  Bräune  hatte.  Die  heisere 
Stimme,  die  erschwerte  Respiration  und  das  rauhe  Athmen  sprachen  schon  wäh- 
rend des  Lebens  für  eine  Kehlkopfsaffection.  Die  Section  ergab,  dass  das  crou- 
pöse Exsudat  sich  von  der  Trachea  sowohl  in  die  Mundhöhle  als  auch  in  die 
Speiseröhre  bis  zum  Kröpfe  ausdehnte.  Die  Auflagerung  erwies  sich  auch  bei  der 
mikroskopischen  Untersuchung  als  fibrinöse,  während  die  unter  ihr  liegende 
Schleimhaut  geschwollen  und  stark  geröthet  war.  Der  Tod  war  die  erklärliche 
Folge  dieses  Krankheitszustandes. 

Bromjod.    Brj. 

Broinjod  wurde  in  der  Weise  dargestellt,  dass  30  Grm.  Brom  mit  30  Grm.  Jod 
vermischt  und  der  Destillation  unterworfen  wurden,  worauf  sich  rothbraune  Dämpfe 
entwickelten. 

Bromjod  findet  Verwendung  in  der  Photographie  zum^Empfindlichmachen  der 
Platten  und  zum  Niederschlagen  des  Silbers,  sowie  zum  Aetzen  der  metallischen  Photo- 
graphieplatton. 

Einwirkung  von  Bromjod  auf  den  thierischen  Organismus.  Ein  starkes  Kaninchen 
sitzt  unter  der  Glasglocke.  Eine  nach  Aequivalenten-Mengen  bereitete  MischuDg  von  Brom 


Bromjod.  63 

und  Jod  -wurde  erwärmt.  Beim  Eindringen  der  Dämpfe  in  die  Glocke  sogleich  Unruhe, 
Schliessen  der  Augen,  Aufrechtstehen  und  Zurückziehen  des  Kopfes.  Stockende  Respi- 
ration. Nach  2  M-  starkes  Putzen  der  Schnauze,  nach  3  M.  11  ungleiche,  bloss  an  der 
Nase  bemerkbare  Inspir.  binnen  x  \  M.  Hellbraune  Glockenluft.  ><ack  4  M.  die  Augen 
mit  Schleim  angefüllt.  Nach  6  M.  12  sehr  angestrengte  Inspir.  mit  tiefem  Einziehen 
der  Weichen.  Hierauf  wieder  starkes  Reiben  der  Schnauze.  Nach  10  M.  14  angestrengte 
Inspir.  mit  Aufblasen  der  Backen.  Herausnahme  des  Thieres.  Augen  stark  ver- 
klebt, Cornea  auf  beiden  Seiten  opalisirt:  ruhiges  Verhalten  und  angestrengte  Respi- 
ration. Nach  4  M.  17  leichte  Inspirationen.  Nach  ö  M.  läuft  es  umher,  stösst  aber 
gegen  alle  Gegenstände  an.  Nach  6  M.  stürzt  es  im  Laufe  hin  und  verfällt  in  Tetanus, 
wobei  eine  grosse  Masse  gelblichen  Schaums  aus  dem  Maule  stürzt.  Nach  einigen 
krampfhaften  Inspirationen  Tod.  Der  Schaum  reagirte  stark  sauer;  ein  Beweis,  dass  sich 
eine  Wasserstoffsäure  gebildet  hatte. 

Section  nach  6  btunden.  Leichenstarre  noch  nicht  ausgebildet.  Beide  Hornhäute 
trübe.  Das  rechte  Auge  ist  mit  blutiger  Flüssigkeit  angefüllt;  das  linke  tritt  stark  her- 
vor. Hirnhäute  stark  injicirt.  Plex.  ven.  spin.  stark  angefüllt.  Im  \ erlaufe  der 
Halswirbel  ein  dünner  flüssiger  Bluterguss  auf  der  Dura  mater.  Brusthöhle:  Lungen 
ausgedehnt  und  mit  blassrothen,  braun-  und  sehwärzlichbraunrothen  Flecken  besetzt; 
erstere  bestehen  aus  erweiterten  Lungenbläschen.  Den  sehwärzlichbraunrothen  Flecken 
an  der  untern  Fläche  der  untern  Lungenlappen  entsprach  ein  ähnlich  gefärbtes,  beim 
Durchschneiden  nicht  knisterndes  Parenchym.  Die  Lungen  schwimmen  im  "Wasser:  auf 
den  Durchschnittsflächen  etwas  flüssiges  Blut  und  viel  gelblicher  Schaum,  welcher  alle 
Bronchien  und  die  Luftröhre  bis  zum  Kehlkopf  hin  anfüllt.  Die  Schleimhaut  der  Luft- 
röhre bis  zum  Kehlkopf  hin  dunkelroth  injicirt.  In  dem  die  Luftröhre  umgebenden 
Zellgewebe  ein  dünnes  Blutextravasat.  Im  rechten  Herzen  dickes  geronnenes  Blut.  In 
der  Brusthöhle  hatte  sich  etwas  frischrofcb.es  flüssiges  Blut  angesammelt.  TJnter- 
leibshöhle:  Leber  von  braunrother  Farbe  und  blutreich;  Galle  dunkelbraun:  Milz 
bläulichroth ;  Nieren  in  der  Corticalsubstanz  blutreich.  Die  grössern  Venen  stark  ange- 
füllt. Flüssiges  Blut  war  vorherrschend  und  hatte  eine  dunkelkirschrothe  Farbe,  welche 
an  der  Luft  etwas  heller  wurde.  Viele  Blutkügelchen  mit  gezacktem  Rande.  In  der 
Leber  und  Lunge  konnte  Jod  recht  gut,  Brom  nur  in  Spuren  nachgewiesen  werden. 

Bromjod  erzeugte  die  heftigste  Reizung  in  den  Respirationsorganen.  Gerade 
wie  beim  Chlorbrom  bildete  sich  ein  massenhafter  Schaum  in  den  Bronchien, 
welcher  auch  noch  die  Luftröhre  bis  zum  Larynx  füllte.  Während  derselbe  mit 
grosser  Macht  aus  dem  Maule  des  Versuchsthieres  stürzte,  starb  dieses  unter  teta- 
nischen  Krämpfen,  so  dass  auch  hier  Erstickung  den  Tod  bewirkte.  Diese  heftige 
Reizung  der  Respirationswege  wird  weder  durch  Brom,  noch  durch  Jod  allein 
hervorgerufen;  ein  Beweis,  class  dem  Bromjod  eine  eigenthümliche  Wirkung 
zukommt.  Für  den  Erstickungstod  spricht  der  Leichenbefund,  besonders  der  Zu- 
stand der  Luftwege;  die  schwärzlichen,  nur  nadelkopfgrossen  Flecke  unter  dem 
Lungenfell  glichen  vollkommen  den  vielbesprochenen  subpleuralen  Ekchymosen. 


Brom-  und  Jodindustrie. 

Die  Bromindustrie  hat  in  der  neuesten  Zeit  wegen  der  grossartigen  Ver- 
wendung von  Brom  und  seinen  Präparaten  eine  bedeutende  Ausdehnung  erhalten. 
Ausser  dem  Kelp  oder  Varec  waren  es  besonders  die  letzten  Laugen  der  Salinen, 
sowie  die  Mutterlauge  des  Nordseewassers  auf  der  Insel  Wangeroge,  welche  schon 
früher  für  die  Bromdarstellung  benutzt  worden  sind,  während  seit  1865  auf  dem 
Continent  Stassfurt  bei  Magdeburg  die  wichtigste  Productionsstelle  ist. 

Das  dortige  Abraumsalz,  welches  grösstentheils  aus  Chlorkali urn  und  Chlor- 
magnesium besteht,  enthält  nicht  unbedeutende  Mengen  von  Brommetallen  und 
zwar  hauptsächlich  von  Brommagnesiuni  und  Bromnatrium.  Indem  das  Abraum- 
salz auf  Chlorkalium  bearbeitet  wird,  häuft  sich  der  Bromgehalt  in  der  Mutter- 
lauge an.  Man  concentrirt  die  35°  B.  starke,  durch  Erkalten  von  Chorcalcium 
möglichst  befreite  Carnallit-Mutteiiauge  durch  weiteres  Eindampfen  auf  höchstens 


(34  Brom-  und  Jodindustrie. 

40"  B.  Beim  Erkalten  bis  25°  krystallisirt  viel  Chlormagnesium  ((MgCl2H- 
6H20)  aus  und  die  zurückbleibende  Mutterlauge  enthält  0,3—0,5%  Brom  als 
Brommagnesium. 

Man  behandelt  dieselbe  wie  bei  der  Chlordarstellung  in  Trögen  von  3  Cbm. 
Capacität  mit  falschem  Boden,  welche  aus  einem  besonderen,  den  Säuren  wider- 
stehenden Stein*)  dargestellt  werden,  mit  der  entsprechenden  Menge  Braunstein 
and  Schwefelsäure  unter  Mithülfe  eines  am  Boden  sich  verzweigenden  Dampfrohrs. 
Eine  Platte  von  demselben  Material  mit  Mannloch  und  Oeffnungen  zum  Ein- 
giessen  der  Bromlauge  und  der  Säure  verschliesst  die  Tröge.  Statt  der  Dampf- 
spirale kann  auch  Wasserdampf  durch  ein  Steinzeugrohr  eingeführt  werden. 
Alle  Fugen  werden  mit  plastischem  Thon  verschlossen.  Häufig  werden  die  Brom- 
laugen durch  eine  Dampfspirale  vorgewärmt.  Jede  Füllung  beträgt  in  Stassfurt 
4  Centner.  —  Die  alsbald  auftretenden  rothen  Bromdämpfe  condensiren  sich  in 
Kühlröhren  aus  Thon  und  werden  in  einer  vorgeschlagenen  Woulff  sehen 
Flasche  aufgefangen.  Die  Verbindung  zwischen  diesen  und  dem  Kühlrohr  wird 
mittels  eines  gläsernen  Verstosses  vermittelt.  Die  Flasche  ist  dreifach  tubulirt 
und  mit  einem  Sicherheitstrichter.  sowie  mit  einem  zweckmässigen  Glasheber  zur 
Entfernung  des  Bromwassers  versehen.  In  der  Flasche  bildet  sich  nämlich 
eine  untere  (Brom)  und  eine  obere  Schicht  (Bromwasser).  Die  noch  nicht  con- 
densirten  Dämpfe  gehen  in  einen  mit  nassen  Eisenabfällen  gefüllten  Topf  über, 
um  hier  vollständig  absorbirt  zu  werden.  Wenn  sich  gegen  Ende  der  Operation 
immer  mehr  Chlor  (als  grüner  Dampf)  entwickelt,  unterbricht  man  dieselbe. 

Das  gewonnene  Brom  ist  stets  mit  Chlor  und  mehr  oder  weniger  mit  Blei 
aus  dem  bleiernen  Dampfrohr  verunreinigt. 

Die  Reetifieation  des  Broms  wird  in  tubulirten,  in  einer  Sandcapelle 
lagernden  Glasretorten  mit  gläsernen,  von  Wasser  umspülten  Vorlagen  unter  sorg- 
fältiger Verkittung  vorgenommen.  Die  nicht  verdichteten  Dämpfe  gelangen  durch 
eine  mit  Natronlauge  gefüllte  Woulff  sehe  Flasche  und  "alsdann  noch  durch  einen 
offenen,  mit  derselben  Flüssigkeit  gefüllten  Topf.  Um  es  vollständig  von  Chlor 
zu  reinigen,  schüttelt  man  es  mit  Bromkalium,  damit  sich  Chlorkalium  bildet. 

Der  Rückstand  bei  der  Reetifieation  stellt  eine  dicke,  dunkle  Masse  dar, 
welche  organische  Brom  Verbindungen  enthält;  letztere  werden  wieder  in  die 
Tröge  zurückgegelieu.  Um  das  Auftreten  von  Bleiverbindungeu  zu  vermeiden,  hat 
man  immer  mehr  die  bleiernen  Dampfspiralen  zur  Erhitzung  der  Laugen  in  den 
Trögen  zu  beseitigen  und  durch  thönerne  zu  ersetzen  gesucht. 

Das  flüssige  Brom  gelangt  aus  den  Vorlagen  in  Flaschen,  welche  über  dem 
Boden  mit  einem  Glashahn  versehen  sind.  Man  lässt  dasselbe  durch  den  Hahn 
in  die  Versan dt fla sehen  abfliessen,  welche  gut  eingeriebene  Glasstöpsel  und 
eine  Tectur  aus  Harzlack,  Thon  und  Pergamentpapier  haben  müssen.  Sie  fassen 
ungefähr  4  —  5  Pfund  Brom  und  werden  je  vier  davon  in  eine  mit  Kleie  oder 
Sägespänen  eingefütterte  Kiste  mit  vier  Abtheilungen  verpackt.  Der  Transport 
auf  Eisenbahnen  wird  nur  bedingungsweise  zugelassen.  Die  Gefahr,  welche  mit 
dem  Versenden  des  Broms  verbunden  ist,  führt  immer  mehr  dahin,  die  Darstel- 
lung von  Bromkalium  oder  Eisenbromiden  mit  der  von  Brom  zu  verbinden. 
Man  condensirt  zu  diesem  Zweck  das  Brom  in  drei  Woulff  sehen  Flaschen,  deren 


*    Man  geht  gegenwärtig  mit  dem  Plan  um,  aus  Schiefertafeln  die  Apparate  dar- 
zustellen. 


Brom-  und  Jodindustrie.  65 

erste  das  flüssige  Brom  aufnimmt,  während  die  zweite  Bromkaliumlauge  resp. 
Eisenbromürlauge,  die  dritte  Kalilauge  resp.  Eisendrehspäne  enthält.  Die  aus  der 
ersten  wenig  gekühlten  Vorlage  entweichenden  Bromdämpfe  sind  chlorhaltig 
und  geben  in  der  Bromidlösung  ihr  Chlor  ab;  indem  an  seine  Stelle  Brom  aus 
den  Bromiden  tritt,  gelangen  sie  als  reines  Brom  in  die  dritte  Vorlage,  wo  sie  mit 
den  Eisendrehspänen  resp.  der  Kalilauge  sofort  reine  Bromverbindungen  eingehen. 

Bei  der  Benutzung  von  Eisenabfällen  entsteht  zuerst  ein  Gemisch  von 
Eisenchlorid  (Fe2Cl6)  und  Eisenbromid  (Fe2Br6).  Das  Chlor  treibt  aber  all- 
mäblig  das  Brom  aus,  welches  mit  dem  Eisen  des  dritten  Gefässes  Eisenbromür- 
bromid  (Fe3Br8)  bildet;  letzteres  kann  durch  Kaliumcarbonat  leicht  zersetzt 
werden.  In  der  Kalilauge  entsteht  zuerst  Brom-  und  Chlorkalium,  bromsaures 
und  chlorsaures  Kalium.  Das  Chlor  zersetzt  die  Bromverbindungen  und  es  destil- 
lirt  reines  Brom  in  die  dritte  Flasche  mit  Kalilauge  über;  diese  wird  mit  Kohle 
geglüht  und  auf  Bromkalium  verarbeitet.     (S.  Bromkalium  S.  68.) 

In  Stassfurt  wird  auf  diese  Weise  Eisen bromürbromid  als  teigartige 
Masse  von  65  —  70%  Brom  in  den  Handel  gebracht;  es  kann  in  Steintöpfen, 
Blechgefässen,  selbst  Holzfässern  verpackt  und  versandt  werden. 

Die  Manganlaugen  exhaliren  nach  beendigter  Operation  noch  immer 
Brom-  und  Chlordämpfe;  ihre  Entleerung  wird  in  Stassfurt  in  folgender  Weise 
bewirkt:  Längs  der  Destillirgefässe  läuft  ein  gemauerter  Canal  hin,  durch  welchen 
der  grosse  Schornstein  der  Fabrik  einen  mächtigen  Luftstrom  in  entgegengesetzter 
Richtung  zur  ablaufenden  Lauge  hindurchzieht.  Der  Canal  hat  eine  solche  Lage, 
dass  die  Abflussöffnungen  der  Steinkufen  in  denselben  münden;  vor  jeder  Kufe 
befindet  sich  in  der  Verdachung  des  Canals  ein  Schieber,  welchen  man  herauszieht, 
wenn  der  Zapfen  ausgeschlagen  werden  soll.  Auf  diese  Weise  werden  die  Ar- 
beiter nicht  in  nachtheiliger  Weise  von  den  Dämpfen  der  Manganlaugen  berührt, 
obgleich  in  den  Werkstätten  ein  Geruch  nach  Brom  nicht  zu  vermeiden  ist.  — 
Zweckmässig  würde  es  sein,  beim  Ablassen  der  Manganlaugen  einen  Dampfstrom 
in  die  Tröge  zu  leiten,  um  die  Brom-  und  Chlordämpfe  zu  verdünnen  und  den 
Abfluss  der  Laugen  zu  beschleunigen. 

Die  Atmosphäre  im  Rectificationsraum  pflegt  angreifender  als  im  Destilla- 
tionsraume  zu  sein;  die  Arbeiter  haben  aber  diesen  Raum  nur  vorübergehend  zu 
betreten.  —  Das  Umgiessen  des  Broms  geschieht  in  Holzkasten,  durch  welche  der 
Fabrikschornstein  einen  heftigen  Luftstrom  hindurchtreibt;  in  der  Regel  begnügen 
sich  aber  die  Arbeiter,  welche  bereits  eine  Uebung  in  dieser  Manipulation  erlangt 
haben,  Mund  und  Nase  mit  einem  feuchten  Tuche  zu  verbinden. 

Die  Erfahrung  hat  übrigens  ergeben,  dass  sich  nur  Arbeiter  mit  gesunden 
Respirationsorganen  in  diesen  Fabriklocalen  beschäftigen  dürfen;  Asthmatiker 
werden  am  meisten  afficirt.  Auch  soll  der  Genuss  von  Spirituosen  die  Disposi- 
tion zum  Erkranken  vermehren,  weshalb  in  Stassfurt  derselbe  allen  Arbeitern  auf 
das  Strengste  verboten  ist.  Neben  einer  kräftigen  Nahrung  hat  sich  der  Genuss 
fetter  Speisen,  wie  Butter,  Speck  u.  s.w.,  sehr  wohlthätig  erwiesen;  eine  Er- 
fahrung, welche  auch  in  Fabrikstätten  mit  metallischen  Dämpfen  (Gelbgiesse- 
reien,  Arsenikhütten  u.  s.  w.)  seit  langer  Zeit  bestätigt  worden  ist.  Iu  Stassfurt 
sollen  die  Arbeiter  angeblich  während  der  Zeit  der  dortigen  Bromindustrie  stets 
gesund  geblieben  sein,  wenn  sie  sich  der  geistigen  Getränke  enthielten. 

Eine  sehr  wichtige  Frage  bleibt  noch  die  Behandlung  resp.  Verwerthung 
der  Manganlaugen;   ihr   freier  Abfluss  dürfte    nie  gestattet  werden;    Mangan- 

Eulenberg,  Gewerbe -Hygiene.  5 


66 


Brom-  und  Jodindustrie. 


chlorür  und  die  verschiedenen  Chloride  der  Mutterlaugen  werden,  in  Senkgruben 
abgelassen,  alle  benachbarten  Brunnen  verderben,  in  kleinen  Wasserläufen  alle  Fisch- 
zucht vernichten  und  jede  Vegetation,  mit  welcher  sie  in  Berührung  kommen,  zer- 
stören. In  Stassfurt  werden  sie  in  nicht  geringer  Concentration  frei  in  ein  kleines 
Gebirgswasser,  die  Ocker,  welche  in  die  Saale  mündet,  abgelassen.  Der  nachtheilige 
Einfluss  der  Rückstände  auf  die  Vegetation  hat  sich  aber  auch  schon  in  einem  hohen 
Grade  herausgestellt,  so  dass  bald  die  bezüglichen  Massregeln  im  öffentlichen 
Interesse  getroffen  werden  müssen,  (üeber  die  Verwerthung  der  Rückstände  vergl. 
man :  Manganchlorür. 6) 

Die  Jodindustrie   in  Glasgow    ist   gegenwärtig   die  grossartigste.     Man  be- 
nutzt dazu  die  verschiedeneu  See-   und  Seestrandgewächse  (Fucus  serratus  und 
nodosus,  Laminaria  digitata),  welche  getrocknet  und  in  Gruben  verbrannt  werden; 
die  Asche  wird  in  Wasser  gelöst,  filtrirt,  durch  Abdampfen   und  Krystallisation 
von  den  kohlensauren  und  schwefelsauren  Alkalien  und  Chlormetallen  möglichst 
befreit.     Die  zurückbleibende  Mutterlauge  ist  die  Jodlauge,  welche  Jodnatrium, 
Schwefelnatrium  und  unter  schwefligsaures  Natrium  neben  Chlornatrium    enthält; 
es  wird    ihr  Schwefelsäure    zugesetzt,    um    den  Schwefel  auszuscheiden,    was 
unter    starker    Entwicklung    von  Schwefelwasserstoff   geschieht.     Wenn    die 
Operation  nicht  entfernt  von  menschlichen  Wohnungen  im  Freien  vorgenommen 
werden  kann,  so  hat  man  sorgfältig  für   die  Ableitung  dieses  Gases  zu  sorgen, 
damit  es  die  Arbeiter  und  die  Umgebung  nicht  belästige  oder  gefährde.    Alsdann 
wird  die  Lauge  mit  Braunstein  und  Schwefelsäure  der  Destillation   unterworfen, 
die  in  gusseisernen  Kesseln  mit  kleinem  Helm  vorgenommen  wird;  letzterer  wird 
bei  sorgfältiger  Lutirung  mit  Vorlagen  verbunden,  welche  aus  Steinzeug  be- 
stehen und  Flaschen  ohne  Boden  darstellen,  deren  Boden  aber  von  einer  ein- 
setzbaren Thonplatte  gebildet  wird,   um  das  spätere  Herausnehmen  des  Jods 
für  die  Arbeiter  zu  erleichtern  und  dieselben  den  Dämpfen  desselben  weniger  aus- 
zusetzen.    In  der  Mitte  dieses  Bodens  befindet  sich   eine  Oeffnung,   welche  das 
Helmrohr  resp.  die  Hälse  der  vorhergehenden  Flaschen  aufnimmt;  als  Lutirungs- 
mittel  dient  nasser  Thon.     Anfangs  gehen    hier  Chlor-    und  Bromdämpfe 
über,  welche  absorbirt  werden  müssen;    treten  die  Joddämpfe  auf,   so  ist  die 
letzte  Vorlage  mittels  eines  Glasrohrs  mit  einem  Gefäss  mit  Kalilauge  zu  verbin- 
den. —  Die  Rückstände  werden  wie  bei  der  Chlor-  und  Bromindustrie  behandelt. 

Da  bei  dieser  Methode  schon  beim  Einäschern  viele  Jod-  und  Brommetalle  ver- 
loren geben,  auch  späterhin  ein  Verlust  an  Jod  durch  Bildung  von  Bronijud  oder  Chlor- 
jod nicht  zu  vermeiden  ist,  so  hat  man  die  Seetange  der  trocknen  Destillation 
unterworfen,  wobei  neben  den  bekannten  kohlenwasserstoffhaltigen,  flüssigen  und  testen 
Destillationsproductcn  u.  s.  w.  Salzsäure,  Brom-  und  Jodwasserstoffsäure  neben  brom- 
und  jodhaltigen  Kohlenwasserstoffen  auftreten.  Das  wässerige  und  olartige  Destillat 
( Wasser  und  Theer  )  wird  in  geschlossenen  Gefässen  mit  concentnrter  Natronlauge  be- 
handelt wodurch  die  organischen  Jod-  und  Bromverbindungen,  sowie  die  freien  \\  asser- 
stoffsäuren  dieser  Körper  zerlegt  und  das  Jod  und  Brom   vom  Kali  gebunden  werden. 

Die  alkalischen  Laugen,  welche  ausserdem  noch  mit  organischen  Sauren  und 
Basen  (namentlich  Ammoniak)  überladen  sind,  werden  zur  Gewinnung  der  letzteren 
mittels  Wasserdämpfe  abgeblasen.  (S.Ammoniak.)  Die  schwach  kaustischen  Laugen 
werden  hierauf  etwas  eingedampft,  nach  der  Filtration  mit  Schwefelsäure  neutrahsirt  und 
mit  einer  Mischung  von  Kupfervitriol  und  Bleiacetat  gefällt.  Alles  Jod  schlägt 
sich  beim  Ueberschuss  des  Kupfersalzes  als  Kupferjodür  (Cu2J,),  die  einzige  Jod- 
verbindung des  Kupfers,  und  alles  Brom  als  Bromblei  (Bleibromid  PbBr2)  nieder 
(s.  Kupferjodür).  ,  .   ,  .  •  ,  ,. 

Der  Niederschlag  wird  von  der  Flüssigkeit  geschieden ,  das  Filtrat  auf  die  orga- 
nischen Säuren  (S.  Trockene  Destillation)  verarbeitet  und  das  Präcipitat  entweder  durch 
Auskochen   mit  siedendem  Wasser,   worin  sich  Bromblei  löst,  in  seine  Bestandteile 


Brom-  und  Jodindustrie.  67 

getrennt  oder  gradezu  mit  Braunstein  und  Salzsäure  der  Destillation  unterworfen,  wobei 
Jodbrom  entsteht,  welches  durch  ein  kaustisches  Alkali  zerlegt  wird. 

Obgleich  diese  Methode  die  grossen  Vortheile  hat,  dass  die  Nebenproducte 
Verwendung  finden,  auch  die  Asche  beim  Auslaugen  Natriumcarbonat  und  für  die 
Düngung  werthvolle  Substanzen  (Kaliumsalze,  phosphorsaure  Salze,  lösliche  Kieselsäure- 
Verbindungen,  Magnesiumsalze  u.  s.  w.)  liefert,  so  ist  sie  trotzdem  fast  in  Vergessenheit 
gerathen.  Die  sanitären  Massregeln  stimmen_  mit  den  bei  der  Ammoniakfabrication 
mittels  trockne r  Destillation  erforderlichen  Vorkehrungen  überein. 

Bei  der  Darstellung  des  Kalisalpeters  aus  dem  Chilisalpeter  (s.  Natrium) 
häufen  sich  nicht  unbedeutende  Mengen  von  Jodmetallen  in  der  Mutterlauge 
an.  Dies  ist  besonders  mit  dem  in  Peru  gewonnenen  Chilisalpeter  der  Fall,  so  dass 
der  Jodhandel  dort  bedeutend  geworden  ist;  man  behandelt  die  Lauge  mit  saurem 
schwefligsaurem  Natrium  und  Kupfersulfat,  um  Kupferjodür  zu  erhalten,  welches 
als  Jodkupfer  eine  bedeutende  Handelswaare  geworden  ist,  da  es  60 — 66  pCt.  Jod 
enthält.  In  Deutschland  wird  jetzt  Jod  fast  nur  aus  Jodkupfer  dargestellt,  indem 
man  es  mit  concentrirter  Schwefelsäure  unter  geringem  Zusatz  von  Salpeter  der 
Destillation  unterwirft.  Um  Jod  aus  der  Lauge  direct  zu  erhalten,  wird  zuerst 
Jodwasserstoffsäure  dargestellt  und  diese  mittels  salpetriger  Säure  zersetzt. 

Bei  der  Joddarstellung  ist  noch  in  sanitärer  Beziehung  der  Umstand 
wichtig,  dass  durch  Kupfersulfat  auch  Kupfercyanür  gefällt  wird,  wenn  das 
zur  Darstellung  des  Kaliumnitrats  benutzte  Kaliumsalz  Pottasche  aus  der  Rüben- 
melasse war.  In  diesem  Falle  würde  der  Niederschlag  aus  Kupfercyanür  und 
Kupferjodür  bestehen,  aus  welchem  sich  alsdann  bei  der  Destillation  Jod cy an 
resp.  Cyanwasserstoffgas  entwickeln  würde.  Diese  flüchtigen  und  sehr  ge- 
fährlichen Substanzen  können  unter  Umständen  den  Tod  der  Arbeiter  herbei- 
führen, wenn  sie  sich  denselben  zu  sehr  aussetzen.  Um  solchen  Gefahren  vorzu- 
beugen, fügt  man  zum  Kupferniederschlag  vor  dem  Zusätze  der  Schwefelsäure  ge- 
pulvertes Kaliumchromat  hinzu;  es  entwickelt  sich  dann  das  Cyan  als  solches 
und  kann  unter  die  Feuerung  geleitet  werden. 

Uebrigens  ist  hervorzuheben,  dass  auch  in  der  Jod  lauge,  welche  bei  der 
bisherigen  gebräuchlichen  Behandlung  der  Asche  des  Kelp  entsteht,  nicht  selten 
geringe  Mengen  von  Cyanverbindungen  enthalten  sind,  so  dass  in  der  letzten 
üestillations -Vorlage  die  farblosen,  nadeiförmigen  Krystalle  von  Jodcyan  vor- 
kommen können  (vgl.  Jodcyan). 

Das  technisch  dargestellte  Jod  bedarf  noch  einer  Sublimation,  welche  in 
Glas-  oder  Steingutretorten  vorgenommen  wird,  deren  Boden  mit  trocknem  Sande 
beschüttet  ist,  um  das  im  Jod  etwa  enthaltene  Wasser  aufzunehmen.  Die  Re- 
torte ist  bis  zum  Ausmündungsrohr  in  Sand  gebettet,  damit  sich  kein  Jod  am 
Retortenhalse  ausscheidet  und  alles  Jod  in  die  Vorlage  getrieben  wird;  letztere 
besteht  aus  hohen  Glascylindern.  Die  Joddämpfe  führt  man  an 
der  Seite  (Fig.  3  a)  ein.  Der  Glasdeckel  (b)  hat  einen  Sandverschluss 
und  ist  mit  einer  fast  bis  auf  den  Boden  reichenden  Scheide- 
wand (c)  versehen,  welche  den  Raum  in  zwei  fast  gleiche  Hälf- 
ten theilt.  Die  schweren  Joddämpfe  verdichten  sich  und  fallen 
auf  den  abnehmbaren  Thonboden;  die  leichten  flüchtigen  Pro- 
ducte,  namentlich  Jodwasserstoff,  entweichen  durch  den  Tu- 
bulus  (d)  und  werden  durch  Kalilauge  absorbirt.  Bei  einiger 
Aufmerksamkeit  werden  die  Arbeiter  auf  diese  "Weise  vollkom- 
men vor  den  Joddämpfen  geschützt. 

In  sanitärer  Beziehung  ist  wiederholt  bei  der  Jodindustrie 

5* 


68  Fluor. 

hauptsächlich  die  vollkommene  Condensation  der  Joddämpfe  hervorzuheben, 
wofür  übrigens  auch  der  Fabricant  selbst  besorgt  ist,  um  keinen  pecuniären 
Verlust  zu  erleiden;  es  hängt  daher  Alles  von  guten  Vorlagen  ab.  Die  Arbeiter 
leiden  am  meisten  bei  der  Herausnahme  des  Jods  und  sind  daher  die  oben 
erwähnten  Flaschen  mit  beweglichem  Boden  als  Vorlagen  sehr  zu  empfehlen,  um 
das  überdestillirte  oder  sublimirte  Jod  auf  eine  bequemere  und  raschere 
Weise  zu  gewinnen  und  die  reizende  Einwirkung  der  Joddämpfe  auf  die  Schleim- 
haut der  Augen,  Nase  und  Respirationswege  zu  vermeiden.  Wo  diese  Vorsicht 
nicht  beachtet  wird,  bildet  sich  alsdann  bei  Arbeitern  ein  chronischer  Schnupfen 
aus  (s.  S.  60);  sonst  sind  sie  nach  den  bisherigen  Erfahrungen  keinen  besonderen 
Krankheiten  unterworfen,  wenn  sie  massig  leben  und  sich  nicht  unnöthigerweise 
den  Joddämpfen  aussetzen.  Nur  bei  undichten  Lutirungen  kommt  es  am  häufigsten 
vor,  dass  sich  Gesundheitsstörungen  bemerkbar  machen;  Husten,  Augenthränen 
und  Kopfschmerzen  sind  gewöhnlich  die  vorherrschenden  Symptome,  welche 
aber  in  frischer  Luft  bald  verschwinden.  Es  gibt  übrigens  auch  Personen,  welche 
mit  einer  ganz  besonderen  Empfindlichkeit  gegen  die  Einwirkung  der  Joddämpfe 
behaftet  und  daher  genöthigt  sind,  Fabriken  dieser  Art  ganz  zu  vermeiden;  sehr 
lästige  und  chronisch  verlaufende  Halsreizungen  sind  sonst  die  Folgen. 

Was  die  Brom-  und  Jodsalze  betrifft,  so  kommt  Kaliumbromid ,  Bromkalium 
KBr.  als  solches  in  den  Salzsorten  und  im  Meereswasser  spärlich  vor;  in  Verbindung 
mit  anderen  Alkalien  zeigt  sich  Brom  häufiger.  Man  stellt  es,  wie  schon  erwähnt 
worden,  dar,  indem  man  Kaliumhydrat  so  lange  mit  Brom  versetzt,  bis  dieses 
entfärbt  wird.  Die  Lösung  dampft  man  ein;  da  sich  aber  gleichzeitig  hierbei  brom- 
saures Kalium  bildet,  so  muss  man  noch  den  Rückstand  mit  Kohle  erhitzen,  um  dieses 
zu  entfernen. 

6  Br  •+■  6  KHO  =  5  KBr  +  KBr03  +  3  H,0 
KBrOj  +  3  C  =  KBr.  +  3  C02. 
Durch  Lösen  und  Abdampfen  erhält  man  glasglänzende  Würfel,  welche  in  Wasser  und 
Alkohol  löslich  sind. 

Kaliumjodid,  Jodkalium  KJ.  kommt  in  der  Natur  fast  nur  in  Begleitung  von 
Bromkalium  vor  und  wird  künstlich  in  analoger  Weise  wie  Bromkalium  dargestellt;  es 
krystallisirt  ebenfalls  in  Würfeln.  Die  wässerige  Lösung  besitzt  die  Eigenschaft,  noch 
viel  Jod  aufzunehmen. 

Reibt  man  Jod  mit  Eisenfeilspänen  zusammen,  so  bildet  sich  Eisenj  odürjodid, 
welches,  durch  Kaliumcarbonat  zersetzt,  ebenfalls  Jodkalium  liefert,  daneben  aber  auch 
Eisenoxyduloxyd  und  Kohlensäure. 

Fe3  J8  -f-  4  K2  C03  =  8  K J  +  Fe3  04  +  4C02. 


Fluor  F. 


Fluor  ist  in  freiem  Zustande  noch  nicht  bekannt;  möglicherweise  ist  es  ein  Gas, 
welches  mit  allen  MetalleD,  namentlich  auch  mit  Wasserstoff  Verbindungen  eingeht. 
Die  Verbindung  mit  Calcium  ist  als  Fl  ussspath,  und  mit  Natrium  und  Aluminium  als 
Kryolith  bekannt.  In  den  Knochen  und  im  Schmelz  der  Zähne  ist  es  ebenfalls  an 
Kalium  gebunden1);  auch  hat  man  es  in  den  vorweltlichen  Ueberresten  der  Liasfor- 
mation,  in  den  Coprolithen  und  in  der  Asche  des  rheinischen  Schiefers  (Blätterschiefers) 
nachgewiesen. 

Fluorwasserstoff  HF.,  Flusssäure,  Fluorwasserstoffsäure. 

Fluorwasserstoff  wird  durch  Destillation  von  Fluor  calci  um  (Flussspath  CaF2) 
mit  Schwefelsäure  dargestellt  und  zwar  in  bleiernen  oder  kupfernen  verplatinirten  oder 
Platinagefässen. 

CaF2  +  H2.  S04  =  CaS04  4-  2  HF. 

Die  Vorlage  muss  mit  einem  Bleirohr  versehen  sein,  um  etwa  mit  der  Luft  ent- 
weichendes Gas  in  ein  Gefäss  mit  Wasser  zu  leiten.    Alle  Fugen  sind  sorgfältig  zu  verkitten. 

Die  Flusssäure  ist  bei  gewöhnlicher  Temperatur  ein  farbloses,  stechend  riechendes 
und  stark   rauchendes   Gas,    welches   sich  bei  starker  Abkühlung   zu   einer  Flüssigkeit 


Fluor.  69 

verdienten  lässt,  mit  wenig  Wasser  aber  schon  eine  farblose,  stark  rauchende,  bei 
+  19,4°  C  siedende  Flüssigkeit  darstellt;  sie  erzeugt  auf  der  Haut  tief  fressende 
Wunden  und  absorbirt  Wasser  unter  bedeutender  Erhitzung.  Die  Säure  lässt  sich  nur 
in  Flaschen  von  Gutta-Percha  oder  Blei  aufbewahren.  Mit  dem  Kieselsäureanhydrid 
Si02  und  allen  kieselsauren  Verbindungen  bildet  sie  das  gasförmige  Fluorsilicium  und 
Wasser. 

Si02  +  4HF  =  SiF4  +  2  H20. 

Die  Flusssäure  wird  deshalb  in  der  Technik  vielfach  zum  Aetzen  von  Glas  oder 
Porzellan  angewendet;  man  benutzt  hierzu  sowohl  die  dampfförmige,  wie  flüssige  Säure, 
und  zwar  macht  jene  eine  matte,  letztere  eine  glänzende  oder  durchsichtige  Aetzung. 
Diese  Kunst  des  Aetzens  wurde  schon  1670  von  Heinrich  Schwankhard  in  Nürnberg 
erfunden. 

Einwirkung  der  Fluorwasserstoffsäure  auf  den  thierischen  Organismus,  l)  Eine 
Taube  sitzt  in  dem  kleinen  Kasten,  dessen  Fenster  mit  Copalfirniss  überzogen 
waren.  1  l/2  Unzen  Flussspath  wurden  mit  2 —  3facher  Schwefelsäure  destillirt; 
sogleich  beim  Eintritt  des  Gases  heftiges  Schütteln  des  Kopfes  und  Putzen  der  Augen. 
Nach  2  M.  starke  Schleimabsonderung  aus  dem  Schnabel;  heftiges  Schütteln  und 
Putzen  der  Augen  bei  grosser  Unruhe.  Nach  7  M.  geringes  Schwanken  beim  Gehen; 
nach  8  M.  ruhiges  Sitzen  bei  starker  Anschwellung  der  Augenlieder.  Nach  9  M.  17  ange- 
strengte Inspirationen  binnen  %M. ;  nach  10  M.  Herausnahme  der  Taube.  Cornea  nicht 
opalisirt;  Schnabel  ganz  nass;  Herzschlag  sehr  beschleunigt  und  angestrengte  Respiration. 
ISlach  7  M.  noch  18  Inspirationen  binnen  l/4  M.;  wässeriger  Durchfall,  welcher  nicht  sauer 
reagirt;  dagegen  reagirt  der  aus  dem  Schnabel  fliessende  Schleim  stark  sauer.  Nach 
einer  Stunde  starkes  Schleimrasseln  beim  Athmen;  Abends  spät  ganz  heisere  Stimme, 
sonst  ruhigeres  Athmen  bei  häufigem  Strecken  des  Halses.  Am  anderen  Morgen 
gegen  6  Uhr  läuft  sie  noch  eine  kurze  Strecke  umher  und  stürzt  dann  todt  hin. 

Section  10  Stunden  hernach.  Schädelhöhle:  Gehirnhäute  massig  injicirt; 
über  der  Dura  mater  des  Rückenmarks  ein  ganz  dünnes,  wässriges  Blutextravasat. 
Brusthöhle:  Die  Schleimhaut  der  ganzen  Kehlkopfshöhle  ist  gerÖthet,  vom  Epithelium 
entblösst,  welches  aufgelockert  das  Lumen  fast  vollständig  wie  ein  Pfropfen  verschliesst ; 
in  dem  die  untere  Hälfte  der  Trachea  umgebenden  Zellgewebe  ein  dünnes  Blutextravasat. 
Hier  ist  die  Schleimhaut  nur  stellenweise  injicirt,  unterhalb  der  Theilung  aber  mit  einer 
dünnen  Lage  blutigen  Schleims  bedeckt.  Lungen  von  zinnoberrother  Farbe,  nur  an 
der  untern  Hälfte  auf  beiden  Seiten  blau  gefleckt.  Das  Parenchym  ist  hellroth;  auf 
den  Schnittflächen  fliesst  flüssiges  Blut  aus  Das  Herz  strotzt  von  flüssigem,  schwarz- 
rothem  Blute,  welches  an  der  Luft  langsam  mit  Ausscheidung  eines  klaren,  gelben 
Serums  gerinnt  und  dunkelkirschroth  wird;  Blutkügelchen  normal.  Unterleibs - 
höhle:    Leber  und  Nieren  schwärzlich-braun  und  sehr  blutreich. 

2)  Ein  grosses  Kaninchen  sitzt  in  demselben  Kasten.  Bei  der  Einleitung  des  Gases 
starkes  Putzen  der  Schnauze  und  Stocken  der  Respiration;  Augen  geschlossen.  Nach 
4  M.  sehr  starkes  Speicheln,  so  dass  der  Speichel  tropfenweise  aus  dem  Maul  fliesst; 
nach  7  M.  grosse  Unruhe  und  Husten,  abwechselnd  mit  starkem  Putzen  der  Schnauze. 
Nach  15  M.  Herausnahme  des  Kaninchens. 

Eiteriger  Schleim  in  den  Augen;  mitten  über  die  Cornea  zieht  sich  eine  1%  Linien 
breite  Opalisirung.  26  Inspirationen  binnen  %  M.  bei  starkem  Schleimrasseln  in  der  Nasen- 
höhle; die  Nasenöffnung  stark  geröthet.  Nach  2  Stunden  12  angestrengte  Inspirationen; 
das  Thier  steckt  seine  Schnauze  häufig  in  kaltes  Wasser.  Am  2ten  Tage  ruhiges 
Verhalten ;  die  Augen  sind  mit  Schleim  verklebt  und  die  Hornhaut  ist  ganz  weiss  und 
undurchsichtig.  Am  3ten  Tage  ist  die  linke  Hornhaut  wieder  klar,  das  Auge  aber 
noch  mit  eiterigem  Schleim  augefüllt;  das  rechte  obere  Augenlied  ist  gespalten  und  die 
Hornhaut  trübe  und  runzelig.  Am  öten  Tage  ist  das  rechte  obere  Augenlied  durch 
Eiterung  zerstört,  so  dass  die  obere  Hälfte  des  Bulbus  bloss  liegt;  Conjunctiva  auf 
beiden  Seiten  geschwollen,  geröthet  und  mit  eiterigem  Schleim  bedeckt.  Starkes 
Schleimrasseln  in  der  Nasenhöhle.  Allgemeinbefinden  bessert  sich;  am  lOten  Tage  ist 
auch  der  rechte  Bulbus  durch  Vereiterung  ganz  atrophisch  geworden.  Das  linke  Auge 
ist  noch  häufig  durch  eiterigen  Schleim  verklebt;  sonst  bemerkt  man  'ausser  dem 
Schleimrasseln  in  der  Nasenhöhle  nichts  Auffallendes  am  Thiere,  indem  die  Fresslust 
vollständig  wieder  eingetreten  ist.  Da  die  Wunde  gar  keine  Tendenz  zur  Heilung 
zeigt,  so  wird  das  Kaninchen  am  40ten  Tage  nach  dem  Experimente  durch  Kohlenoxyd 
getödtet. 

Bei  der  Section  fand  sich  vom  rechten  Bulbus  noch  ein  bohnengrosser  Rest; 
auch  der  grösste  Theil  der  Augenlieder  war  vereitert.  Das  rechte  Nasenbein  und  die 
obere  Hälfte  des  rechten  Oberkiefers  waren  bloss  mit  schwachgelben,  dünnen  Borken 
bedeckt;  nach  Abwaschen  derselben  trat  der  Knochen  zu  Tage.  Das  rechte  Nasenbein 
war    aus    seiner  Verbindung    gelöst    und    Hess    sich   leicht    entfernen;    auf   dem  Boden 


70  Fluor. 

beider  Nasenhöhlen  fand  sich  eine  G  Linien  lange  und  3-4  Linien  breite  granulirende, 
bochrothe  und  mit  dickem  Eiter  bedeckte  Fläche.  Die  ganze  Wunde  verbreitete  einen 
böchsl  ekelhaften  Geruch,  wie  er  bei  cariösen  Geschwüren  vorzukommen  pflegt.  Der 
übrige  Leichenbefund  hing  mit  der  stattgefundenen  Einwirkung  des  Kohlcnoxydes  zu- 
sammen. 

Weun  die  Dämpfe  der  Fluorwasserstoffsäure  mit  "Wasser  zusammenkommen, 
so  werden  sie  condensirt;  ihre  Wirkung  auf  den  Thierorganismus  ist  alsdann 
gleich  der  der  flüssigen  Fluorwasserstoffsäure.  Aus  diesem  Grunde  wurde  im 
obigen  Experimente  das  Auge  des  Kaninchens  vorzugsweise  afficirt,  weil  durch 
die  vermehrte  Thränenflüssigkeit  die  Absorption  der  Dämpfe  stattfand,  und 
somit  ihre  Einwirkung  auf  das  Auge  und  seine  Umgebung  veranlasst  wurde. 
Die  flüssige  Fluorwasserstoffsäure  wirkt  sofort  ätzend  und  erzeugt  fressende 
Geschwüre,  welche  sich  in  die  Tiefe  und  Breite  ausdehnen,  so  dass  im  vorliegen- 
den Falle  der  ganze  Bulbus  des  Thieres  atrophisch  zu  Grunde  ging  und  die 
Augeulieder  sogar  in  den  Eiterungsprocess  hineingezogen  wurden,  bis  schliesslich 
selbst  das  Nasenbein  und  der  Oberkiefer  nekrotisch  wurden. 

Bei  Arbeitern,  welche  zum  Aetzen  der  Gläser  die  dampfförmige  Säure  ver- 
wenden, hat  man  ebenfalls  Ulcerationen  auf  der  Schleimhaut  der  Augenlieder 
bis  zu  ihrer  Spaltung  beobachtet;  auch  die  Nasenöffnung,  das  Zahnfleisch  und 
die  Mundschleimhaut  können  schwären.  Die  Nägel  werden  gewöhnlich  an  ihrer 
Lunula  corrodirt;  die  Aetzung  dringt  immer  tiefer  ein  und  erzeugt  ein  Absterben 
und  Abstossen  des  Nagels.  Die  Reizung  der  Respirationsschleimhaut  gibt  sich 
durch  Husten  und  eiterigen  Ausfluss  kund.  Bei  der  den  Dämpfen  der  Fluor- 
wasserstoffsäure ausgesetzt  gewesenen  Taube  verschloss  das  aufgelockerte  Epi- 
theiium  das  Lumen  des  Larynx  vollständig,  während  auf  der  Schleimhaut  der  Luft- 
röhre und  der  Nasenhöhle  ein  blutiger  Schleim  abgelagert  war. 

Rabuteau2)  berichtet  über  einen  Vorfall,  welcher  sich  in  einer  chemischen 
Fabrik  zu  Paris  ereignete,  wo  wenige  Tropfen  der  Säure  mit  den  Fingern  in 
Berührung  kamen  und  einen  heftigen,  brennenden,  drei  Tage  anhaltenden,  mit 
Fieber  und  Schlaflosigkeit  verbundenen  Schmerz  erzeugtem  Es  entstand  ein  tief 
um  sich  fressendes  Geschwür,  welches  erst  nach  Monatsfrist  vernarbte.  Auf  die 
Oberhaut  eines  Hundes  wurden  3  Tropfen  gebracht,  wodurch  rasch  eine  leichte 
Verhärtung  und  ein  in  3  Tagen  abfallender  trockener  Schorf  entstand;  nach 
Application  eines  Tropfens  auf  die  entblösste  Haut  bildete  sich  ein  indurirtes 
Geschwür  aus,  welches  sich  mehrmals  mit  einem  weichen,  später  abfallenden 
Schorfe  bedeckte  und  erst  in  3  Wochen  heilte. 

Auch  bei  dem  oben  erwähnten  Kaninchen  war  die  Bildung  eines  weichen 
und  bröckligen  Schorfes,  unter  welchem  die  Eiterung  und  der  Substanz- 
verlust immer  tiefer  drang,  charakteristisch.  Alle  durch  Fluorwasserstoffsäure 
erzeugten  Geschwüre  haben  eine  entschiedene  Tendenz  zur  Zerstörung  und  ge- 
langen äusserst  schwierig  zur  Heilung  resp.  Vernarbung;  neutralisirende  Mittel, 
wie  Alkalien,  sind  ganz  wirkungslos.  Der  Seltenheit  des  Falles  wegen  ist  hier  eine 
von  King3)  mitgetheilte  Beobachtung  zu  erwähnen,  nach  welcher  1/2  Unze  dieser 
Flüssigkeit  getrunken  wurde  und  35  Min.  nachher  der  Tod  eintrat.  Bei  der  Section 
zeigte  sich  Röthung  der  Schleimhaut  der  Trachea  und  Bronchien.  In  der  Mund- 
höhle, in  der  Epiglottis  und  im  Verlaufe  des  Oesophagus  war  mehr  oder  weniger 
das  Epithelium  abgestreift.  Der  Magen  war  mit  schwarzer  Flüssigkeit  angefüllt 
und  die  Magenschleimhaut  selbst  stellenweise  schwarz;  Erosionen  fanden  sich 
nirgends.     Das  Blut  reagirte  sauer. 


Sauerstoff.  71 

Bei  der  technischen  Verwendung  der  Flusssäure  kittet  man 
zum  Aetzen  von  Glas  zwei  Glasscheiben  zusammen,  so  dass  zwei  Flächen 
geschützt  sind.  Die  beiden  äusseren  Oberflächen  werden  mit  dem  sogenannten 
Aetzguss,  einer  Mischung  von  Wachs,  Asphalt  und  peruvianischem  Terpentin, 
bestrichen.  Mit  einem  Metallgriffel  gravirt  man  die  betreffenden  Zeichnungen  in 
den  Aetzgrund  ein ;  diese  Scheiben  setzt  man  alsdann  in  einen  Bleikasten, 
welcher  aus  einem  besondern,  mit  einer  Mischung  von  Flussspath  und  Schwefel- 
säure versehenen  Apparat  mit  den  Dämpfen  der  Flusssäure  gespeist  wird.  Hat 
der  Apparat  seinem  Zwecke  gedient,  so  wird  er,  nachdem  er  vollständig  erkaltet 
ist,  im  Freien  oder  unter  einem  gut  ziehenden  Rauchfange  geöffnet.  Die  Arbeiter 
haben  hierbei  die  grösste  Vorsicht  zu  gebrauchen;  um  sich  vor  der  Einwirkung 
dieser  Dämpfe  zu  sichern,  ist  es  vorzuziehen,  an  dem  Eutwicklungskasten  ein 
Bleirohr  anzubringen,  welches  den  Ueberschuss  der  Dämpfe  direct  in  einen 
Wasserbehälter  leitet.  Auf  diese  Weise  erhält  man  zugleich  noch  die  flüssige 
Flusssäure  und  schützt  sich  am  besten  gegen  die  giftigen  Dämpfe.  Bei  diesem 
Aetzprocess  entsteht  durch  die  Einwirkung  der  Flusssäure  auf  das  Glas  resp. 
auf  Kieselsäureanhydrid  Siliciumfluorid  und  Wasser.4) 


Sauerstoff  0. 

Sauerstoff  bildet  mit  Stickstoff  die  Atmosphäre,  welche  aus  21  Vol.  oder  23  je- 
wichtsprocenten  Sauerstoff  und  79  resp.  77%  Stickstoff  besteht;  Wasser  enthält 
88,89  Gewichtsprocent  davon.  Ausserdem  ist  er  der  wichtigste  Bestandtheil  aller  die 
Erdoberfläche  bildenden  festen  und  flüssigen  Stoffe.  In  chemischer  Beziehung  ist 
er  das  erste  Glied  der  zweiwerthigen  Metalloide.  Die  bisher  beobachteten  Schwan- 
kungen in  dem  Sauerstoffgehalt  der  Luft  sind  unbedeutend;  jedenfalls  herrscht  eine 
Gleichförmigkeit  der  Bestandteile  der  Luft  vor,  welche  zum  Fortbestehen  der  Organis- 
men auch  absolut  nothwendig  ist.  Der  gewöhnliche  oder  inactive  Sauerstoff  der  Luft 
stellt  ein  Gemenge  mit  Stickstoff  dar. 

Dargestellt  wird  er:  1)  durch  Elektrolyse  des  Wassers;  2)  durch  Erhitzen  des 
Quecksilber-Oxyds;  3)  durch  starkes  Glühen  von  Braunstein,  welcher  hierbei  '/3  seines 
Sauerstoffs  entlässt  und  sich  in  Manganoxyduloxyd  verwandelt. 

3Mn02  =  Mn304  +  2  0. 

4)  Durch  Erhitzen  von  Braunstein  und  Schwefelsäure;  es  bildet  sich  Mangansulfat 
und  die  Hafte  des  Sauerstoffs  tritt  aus. 

5)  Die  häufigste  Darstellungsmethode  ist  die  durch  Erhitzen  von  Kaliumchlorat 
(Kali  chloricum),  welches  seinen  ganzen  Sauerstoffgehalt  hierbei  abgibt  und  in  Kalium- 
chlorid (Chlorkalium)  übergeht. 

KC103  =  KCl  +  3  0. 

6)  Durch  Erhitzen  von  Kaliumchromat  und  Schwefelsäure;  es  entsteht  Chrom- 
sulfat und  die  Hälfte  des  Sauerstoffs,  welcher  ozonisirt  ist,  wird  frei. 

7)  Behandelt  man  eine  dicke,  mit  etwas  Kobaltsesquioxyd  versetzte  Kalkmilch 
mit  Chlor,  so  verwandelt  die  unterchlorige  Säure  des  Chlorkalks  das  Kobaltsesquioxyd 
in  die  unbeständige  Kobaltsäure,  welche  im  Entstehungsmoment  in  Sauerstoff  und 
Sesquioxyd  zerfällt. 

Co203  -f-  3  [CaCl(OCl)]  =  3CaCl2  +  2Co03 
2Co03  =  Co203  +  03. 
Diese  Darstellungsweise  eignet  sich  sehr,    um  in  Krankensälen    durch    Entwicklung 
von  Sauerstoff  desinficirend  zu  wirken.  *) 

8)  Zu  technischen  Zwecken  hat  schon  Deville  durch  Glühen  von  Zinksulfat 
Sauerstoff  dargestellt.  Unter  Entweichimg  von  schwefliger  Säure  und  Sauerstoff  geht 
das  Salz  in  Zinkoxyd  über;  beide  Gase  werden  durch  eine  alkalische  Lösung  getrieben, 
wobei  die  schweflige  Säure  an  das  Alkali  tritt  und  der  Sauerstoff  aufgefangen  wird. 
Leitet  man  schweflige  Säure  durch  Wasser,  in  welchem  Zinkoxyd  suspendirt  ist,  so 
entsteht  Zinksulfit,  welches  sich  an  der  Luft  in  Zin  ksulf at  verwandelt  und  wiederum 
für  diesen  Process  verwendet  werden  kann. 


72 


Sauerstoff. 


9)  Die  Darstellung  des  Sauerstoffs  durch  Gewinnung  desselben  aus  der  Atmosphäre, 
welche  bereits  von  Bomaingault  durch  Glühen  von  Äetzbaryt  und  Ueberführen  des- 
selben in  Bariunisuperoxyd  angebahnt  worden,  hat  in  neuerer  Zeit  grosse  Fortschritte 
gemacht.     Für  die  Industrie  benutzt   man   gegenwärtig  vorzugsweise    Kupferchlorür 

10)  Eine  andere  Methode  beruht  auf  der  verschiedenen  Löslichkeit  des  Sauerstoffs 
und  Stickstoffs  im  Wasser;  1000  V.  Wasser  absorbiren  nämlich  46  V.  Sauerstoff  und 
mir  25  V.  Stickstoff  bei  Atmosphärendruck.  Malk-t  hat  einen  Apparat  construirt, 
durch  welchen  er  Luft  unter  einem  Druck  von  5  Atmosphären  in  grosse  eiserne  Cylinder 
presst  und  die  vom  Wasser  absorbirte  Luft  in  1,  2,  3  oder  4  Cylinder  treten  lässt,  um 
möglichst  sauerstoffreiche  Luft  zu  erhalten.  Die  Kosten  der  Triebkraft  stehen  der  Ein- 
führung dieses  Verfahrens  in  die  Industrie  noch  entgegen. 

11)  Marechal  und  Tessie  du  Motai/  stellen  mangansaures  Natrium  durch  Zu- 
sammenschmelzen von  Braunstein  und  Natriumhydrat  an  der  Luft  dar. 

MnOa  +  2  Na  HO  -f-  0  =  Na2  Mn04  -f-  H20. 

Wird  Wasserdampf  über  dieses  Salz  geleitet,  so  wird  der  Sauerstoff  frei  und 
das  Salz  zerfällt  wieder  in  Braunstein  und  Natriumhydrat.  Beim  Schmelzen  der  beiden 
letzteren  Substanzen  an  der  Luft  oxydirt  sich  das  Gemenge  wieder  und  es  ist  daher 
eigentlich  nur  der  Sauerstoff  der  Luft,  welcher  bei  der  Zersetzung  durch  Wasser- 
dampf gewonnen  wird.  Dasselbe  Gemenge  kann  immer  wieder  von  Neuem  benutzt  werden. 
Der  hierzu  nothwendige  Apparat  hat  grosse  Aehnlichkeit  mit  demjenigen  für  Leucht- 
gasbereituug.  Die  Retorten  sind  mittels  Röhren  für  die  Zuleitung  des  Luftstromes  und 
des   Wasserdampfes  mit  einander  verbunden.2) 

Sauerstoff  ist  ein  färb-,  geruch-,  geschmackloses  und  permanentes  Gas,  welches 
\im  einem  starken  Magneten  angezogen  wird;  vom  Wasser  wird  es  nur  in  geringer 
Menge  absorbirt.  Mit  allen  einfachen  Stoffen  geht  der  Sauerstoff  sehr  zahlreiche  und 
wichtige  Verbindungen  ein,  welche  man  im  Allgemeinen  Oxyde  nennt;  erfolgt  eine 
solche  Vereinigung  unter  Feuererscheinung,  so  heisst  sie  Verbrennung. 

Der  Name  Sauerstoff  (Oxygenium)  rührt  von  Lavoisier  her,  welcher  die  StahPsche 
Theorie  des  Phlogiston  stürzte  und  den  Sauerstoff  für  den  einzigen  Säureerzeuger  hielt. 
Viel  später   hat  man  nachgewiesen ,  dass  nicht  alle  Säuren  Sauerstoff  enthalten. 

Physiologische  Bedeutung  des  Sauerstoffs.  Der  Sauerstoff  ist  einer  der  we- 
sentlichsten Factoreu  des  thierischen  Lebensprocesses.  Der  Verbrauch  dieses 
Gases  wird  reichlich  durch  seine  Production  mittels  der  Pflanzen  gedeckt^;  es 
besteht  somit  ein  inuiger  Zusammenhang  zwischen  Thier-  und  Pflanzenleben. 
Das  Thier  nimmt  den  Sauerstoff  durch  die  Lungeu  in  das  Blut  auf,  d.  h.  die 
Blutkörperchen  besitzen  vorzugsweise  die  Eigenschaft,  den  Sauerstoff  zu  binden 
resp.  ihn  aus  einem  Gasgemische  gleichsam  zu  extrahiren.  Diese  Absorptionskraft 
ist  so  gross,  dass  stets  verhältnissmässig  viel  Sauerstoff  vom  Blut  resp.  von  den 
Blutkörperchen  aufgenommen  wird;  es  wird  stets  ein  geringeres  Volumen  Luft 
exspirirt  als  inspirirt. 

Manche  Thatsachen  dürften  dafür  sprechen,  dass  die  Aufnahme  des  Sauerstoffs 
von  den  Blutkügelchen  lediglich  in  einer  absorbirenden  Anziehung,  gleichsam  in 
einer  Verdichtung  oder  Aufspeicherung  durch  Flächenanziehung  in  diesen  organi- 
sirten  Körperchen  besteht,  dass  aber  von  einer  chemischen  Verbindung  im 
gewöhnlichen  Sinne  nicht  die  Rede  sein  kann;  auch  lässt  sich  eine  derartige  che- 
mische Verbindung  zwischen  einem  organisirten  Körper  als  solchen  und  einem 
Elemente  nicht  nachweisen.  Die  Aufnahme  von  Sauerstoff  durch  die  Blut- 
körperchen kann  man  sich  fast  analog  derjenigen,  welche  der  Sauerstoff  durch 
Platinschwarz  erfährt,  oder  auch  ähnlich  der  Absorptionsfähigkeit  der  Kohle  vor- 
stellen. Es  ist  nicht  möglich,  durch  Aufhebung  des  Druckes  dem  Platinschwarz  den 
Sauerstoff  zu  entziehen ;  vollständig  gelingt  dies  auch  bei  den  Blutkörperchen  nicht. 
Niemand  wird  das  mit  Sauerstoff  beladene  Platinschwarz  als  eine  chemische  Ver- 
bindung betrachten,  weil,  wenn  dies  der  Fall  wäre,  diese  oxydhaltige  Verbin- 
dung sich  entweder  als  eine  salzfähige  Basis  oder  als  eine  Säure  verhalten  müsste. 
Platiuschwarz,    welches    mit  Sauerstoff   gesättigt   ist,   löst    sich  unter  Sauerstoff- 


Sauerstoff.  73 

entwicklung  in  schmelzendem  Blei  und  bildet  damit  eine  Legirung.  Diese  Auf- 
lösung könnte  nicht  stattfinden,  wenn  das  Platinschwarz  nicht  seine  sämmtlichen 
Eigenschaften  als  freies  Metall  behalten  hätte.  Die  Wärme  allein,  z.  B.  das 
Glühen  reicht  hin,  das  Platinschwarz  seines  Sauerstoffs  zu  berauben. 

Aehnlich  erscheint  das  Verhalten  der  Blutkörperchen,  welche  den  Sauerstoff 
beim  Erwärmen  abgeben  und  beim  Erkalten  wieder  aufnehmen.  Die  Blut- 
körperchen sind  daher  die  Träger  des  Sauerstoffs  und  führen  ihn  auf  ihrer  weit 
verzweigten  Bahn  durch  den  Thierkörper;  sie  vermitteln  den  Oxydationsprocess 
in  allen  seinen  Theilen,  wodurch  eine  gleichmässige  Verbrennung  und  eine  be- 
ständige Wärmequelle  erzeugt  wird. 

Wenn  man  von  einer  gänzlichen  Unabhängigkeit  des  Druckes  bezüglich  der  Auf- 
nahme des  Sauerstoffes  Seitens  der  Blutkörperchen  spricht,  so  ist  hierbei  zu  bedenken, 
dass  von  einer  absoluten  Unabhängigkeit  nicht  die  Rede  sein  kann.  Schon  durch  die 
Versuche,  die  Blutgase  mittels  einer  Luftpumpe  zu  entfernen,  wird  der  Beweis  ge- 
liefert, dass  die  Aufnahme  des  Sauerstoffs  seitens  der  Blutkörperchen  von  einem  gewissen 
Drucke  wohl  abhängig  ist. 

Diese  Kraft  der  Blutkörperchen,  den  Sauerstoff  aus  Gasgemischen  zu  extrahiren, 
muss  mit  der  Abnahme  desselben  immer  mehr  geschwächt  werden,  so  dass  bei  einer 
gewissen  Verdünnung  auch  die  frequentesten  Athemzüge  nicht  mehr  hinreichen,  den  für 
das  Leben  nothwendigen  Sauerstoff  aufzunehmen  Das  schnellere  Athmen  auf  hohen 
Gebirgen,  also  in  verdünnter,  sauerstoffärmerer  Luft,  ist  unter  andern  Ursachen  auch 
hierauf  zu  beziehen. 

Dass  bei  momentaner  Abhaltung  des  Sauerstoffs  nicht  sofort  der  Tod  eintritt,  be- 
ruht indessen  auf  dem  Vermögen  der  Blutkörperchen ,  ein  Plus  von  Sauerstoff  in 
sich  aufzunehmen  und  somit  auf  eine  kurze  Zeit  hin  den  Organen  noch  einen  noth- 
dürftigen  Antheil  von  Sauerstoff  zu  bieten;  wäre  dies  nicht  der  Fall,  so  würde  nie- 
mals ein  Wiederbelebungsversuch  bei  Scheintodten  mit  Erfolg  gekrönt  werden.  Wird 
umgekehrt  dem  Thierkörper  eine  grössere  Menge  von  Sauerstoff,  als  zum  Leben  noth- 
wendig  ist,  geboten,  so  nehmen  die  Blutkörperchen  doch  ein  entsprechendes  Plus  von 
Sauerstoff  auf;  dagegen  verkürzt  sich  die  Zeit,  in  welcher  sie  das  nothwendige  Quantum 
absorbiren,  weshalb  die  Athemzüge  weniger  frequent  werden  (s.  comprimirte  Luft). 

Darüber  kann  kein  Zweifel  mehr  herrschen,  dass  der  Sauerstoff  nie  sofort  zur 
Oxydation  bis  zu  den  letzten  Producten  der  Verbrennung  verwendet  wird;  er  muss 
jedenfalls  längere  oder  kürzere  Zeit  im  Organismus  verweilen  und  die  dadurch  ein- 
geleitete Oxydation  verschiedene  Stadien  durchlaufen,  ehe  die  Verbrennungsproducte  iu 
den  bekannten  Formen  auftreten  können.  Durch  seine  Fähigkeit,  die  verbrauchten 
Bestandtheile  des  Thierkörpers  in  die  einfachsten  Verbindungen,  den  Kohlenstoff  in 
Kohlensäure,  den  Wasserstoff  in  Wasser  zu  verwandeln  und  den  Stickstoff  zuletzt  in 
der  Form  von  Harnstoff,  Harnsäure,  Ammoniak  etc.  zur  Ausscheidung  zu  bringen,  stellt 
er  das  mächtigste  Agens  des  Rückbildungsprocesses  dar. 

Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  auch  das  Auftreten  von  leichtem  Kohlen- 
wasserstoff in  der  exhalirten  Luft  auf  einer  Abspaltung  desselben  während  des  Oxy- 
dationsprocesses  beruht.  In  der  organischen  und  unorganischen  Chemie  gibt  es  Tau- 
sende von  Beispielen  für  diesen  Vorgang;  ein  solcher  ist  jedenfalls  wahrscheinlicher  als 
die  Annahme,  dass  jene  Gase  aus  dem  Darme  in  Folge  von  Diffusion  in's  Blut  ge- 
langen. 

Sauerstoff  befördert  nicht  bloss  den  Rückbildungsprocess,  sondern  ist 
auch  das  erste  und  unentbehrlichste  Glied  in  der  Kette  der  Factoren,  welche 
den  Anbildungsprocess  einleiten.  Die  vielen  sich  hieran  knüpfenden  physio- 
logischen und  pathologischen  Fragen  noch  weiter  zu  verfolgen,  würde  hier  zu  weit 
führen,  es  sei  daher  nur  noch  gestattet,  auf  die  von  Rosenthal  entdeckte  That- 
sache  aufmerksam  zu  machen,  nach  welcher  durch  reichliche  Zufuhr  von  Sauer- 
stoff zum  arteriellen  Blute  des  Thieres  das  Athmungsbedürfniss  aufgehoben  und 
der  mit  Apnoe  bezeichnete  Zustand  hervorgerufen  wird,  in  welchem  die  Respira- 
tionsbewegung sistirt. 

In  sanitärer  Beziehung  ist  auch  das  Einathmen  einer  sehr  sauerstoff- 
reichen Luft   zu    erwähnen;     es    tritt   hierbei   nach    den  Untersuchungen  von 


74  Sauerstoff. 

Regnault,  Reiset3)  und  W.  Müller4)  keine  grössere  Menge  von  Kohlensäure 
mit  der  exsph  irten  Luft  aus.  als  wenn  die  gewöhnliche  atmosphärische  Luft 
eingeathmet  wird,  vorausgesetzt,  dass  man  das  Experiment  nur  auf  einen  Tag 
aasdehnt.  Hierbei  ist  alter  wohl  zu  beachten,  dass  bei  einer  vermehrten  Sauerstoff- 
zufuhr und  gleichzeitig  gesteigerten  Kraftproduction  schliesslich  auch  eiue 
vermehrte  Kohlensäureaushauchung  stattfinden  muss. 

Bei  einer  VermehruDg  des  Sauerstoffgehaltes  der  Luft  kann  auch  eine  ent- 
sprechende Vermehrung  der  Kohlensäure  längere  oder  kürzere  Zeit  ohne  schädliche 
Wirkung  bleiben.  So  fanden  Regnault  und  Reiset,  dass  Thiere  in  einer  Luft, 
welche  anderthalb  bis  zwei  Mal  so  viel  Sauerstoff  wie  die  atmosphärische  Luft  enthält, 
auch  bei  einem  Gehalte  von  "17—23  pCt.  Kohlensäure  seihst  nach  22 — 26  Stunden  noch 
ungehindert  athmen  können. 

Man  kann  Kaninchen  und  Tauben  mehrere  Stunden  lang  in  reinem  Sauerstoff 
athmen  lassen,  ohne  einen  bleibenden  Nachtheil  davon  zu  erfahren,  vorausgesetzt  dass 
die  exspirirte  Luft  einen  gehörigen  Abzog  hat. 

Im  Anfange  dieser  Experimente  war  jedoch  eine  reizende  Einwirkung  des  Sauer- 
stoffs nicht  zu  verkennen,  indem  die  Thiere  häufig  aufhusteten,  eine  feuchte  Nase  und 
eine  sehr  beschleunigte  Respiration  bekamen,  bis  sieh  nach  30  —  40  Minuten  wieder  Alles 
ausglich.  An  der  freien  Luft  zeigte  sich  häufig  noch  eine  erhöhte  Temperatur  und 
ein  beschleunigter  Herzschlag;  auch  trat  einige  Mal  vermehrter  Durst  ein.  Thomas 
Reid*)  will  sogar  bei  einem  Hunde,  welchen  er  täglich  G  Stunden  lang  während 
14  Tage  und  alsdann  noch  14  Tage  lang  in  kürzerer  Zeit  reinen  Sauerstoff  inhaliren 
Hess,  eine  Lungenentzündung  erzeugt  haben :  er  sorgte  dabei  für  den  Abzug  der  durch 
Exspiration  verschlechterten  Luft.  Am  Ende  der  Versuche  konnte  der  Hund  fast*  gar 
nicht  mehr  athmen  und  schreien;  seine  Respiration  wurde  hörbar,  pfeifend  und 
mühsam.  Nachdem  er  getödtet  worden,  fand  sich  in  der  rechten  Brusthöhle  vieles  mit 
Blutklümpchen  vermehrtes  Serum  und  eine  rothe,  geschwollene  Pleura,  während  die 
rothen  Lungen  beträchtliche  Verhärtungen  zeigten. 

Die  Wirkungen  des  Sauerstoffs  bei  diesem  Experimente  können  sehr  leicht  auf  eine 
Verunreinigung  des  Gases  zurückgeführt  werden,  da  die  damaligen  Methoden,  Sauer- 
stoffgas zu  bereiten,  noch  mit  vielen  Mängeln  behaftet  waren,  welche  eine  Verunreini- 
gung des  Gases  sehr  leicht  ermöglichten. 

Eigene  Versuche  bestätigen  die  Beobachtungen  von  Demargvay6),  dass  15 — 30 
Liter  0  ohne  nachtheilige  Folgen  eingeathmet  werden  können.  Man  beobachtet  dabei 
im  Allgemeinen  folgende  Symptome:  Die  ersten  Inhalationen  erregen  meistens  ein  an- 
genehmes Gefühl  von  Wärme  im  Munde,  im  Schlünde  und  in  der  Brust,  welches  bisweilen 
nach  dem  Epigastrium  ausstrahlt,  aber,  sehr  bald  wieder  verschwindet.  Dieses  Gefühl 
kann  auch  ganz  fehlen  oder  bei  krankhaften  Zuständen  heftig  sein,  wie  es  z.  B.  bei 
solchen  Phthisischen,  welche  sich  nicht  für  diese  Behandlung  eignen,  häufig  gefunden 
wird ;  gleichzeitig  wird  der  Puls  um  4 — 20  und  mehr  Schläge  schneller  und  härter, 
jedoch  nur  für  kurze  Zeit,  In  seltenen  Fällen  trat  keine  Beschleunigung,  manchmal 
sogar  eine  schwache  Verzögerung  der  Pulsschläge  ein:  mehrere  Personen  wollten  wäh- 
rend der  Inspiration  auch  ein  erhöhtes  Gefühl  von  Wärme  in  der  Haut  haben.  Die 
Wirkungen  auf  die  Sinne  und  das  Nervensystem  sind  nicht  sehr  deutlich  und  werden 
sehr  abweichend  angegeben;  seitens  der  Verdauungsorgane  tritt  zunächst  ein  gestei- 
gerter Appetit  hervor,  was  auf  einen  beschleunigten  Rückbildungsprocess  hinweist. 

Die  Injection  von  Sauerstoff  in  das  Venensystem  erfordert  dieselbe  Vorsicht  wie 
die  Injection  von  atmosphärischer  Luft,  da  bei  grösseren  Mengen  desselben  Ausdehnung 
des  rechten  Herzens  und  Ansammlung  von  schäumigem  Blute  in  den  Lungen  er- 
folgen kann. 

In  die  Vena  portarum  konnte  Demarquay  grössere  Mengen  von  Sauerstoff  ohne 
Schaden  einspritzen,  wobei  er  die  in  physiologischer  Beziehung  interessante  Beobach- 
tung machte,  dass  die  Milz  darnach  scharlachroth,  härter  und  voluminöser  wurde, 
während  das  venöse  Blut  in  seiner  Farbe  stets  unverändert  blieb. 

Die  reizende  Einwirkung  des  reinen  Sauerstoffs  auf  wunde  Hautstellen  ist  schon 
längst  bekannt ;  machen  wir  doch  täglich  die  Erfahrung,  dass  schon  die  Einwirkung 
des  atmosphärischen  Sauerstoffs  auf  frische  Wunden  deren  Heilung  verlangsamt,  weshalb 
wir  durch  eine  sorgfältige  Verhüllung  derselben,  durch  den  sogenannten  Verband,  die 
Reizung  der  Luft  abzuhalten  suchen. 

Nach  der  Beobachtung  von  Demarqvay  ist  diese  "Wirkung  des  reinen  Sauer- 
stoffs auf  Wrunden  stets  dieselbe,  gleichviel  ob  er  dem  Organismus  durch  Injection  in 
die  Venen  oder  durch  Inspiration  einverleibt  wird,  oder  ob  die  afficirten  Stellen  nur 
mit  einer  Atmosphäre  dieses  Gases  umgeben  werden. 


Sauerstoff.  75 

Werden  Thiere  in  eine  abgeschlossene  Atmosphäre  von  reinem  Sauer- 
stoff gebracht,  so  leben  dieselben  in  einer  solchen  länger  als  in  einem  ebenso  grossen 
Lufträume,  sterben  aber  doch  schliesslich  und  zwar  zu  einer  Zeit,  wo  noch  so  viel  Sauer- 
stoff in  derselben  vorhanden  ist,  dass  glimmende  Körper  noch  entzüudet  werden. 
Bei  der  Section  findet  sich  dann  nur  eine  erhöhte  Gefässinjection  und  eine  Hyperämie 
der  Lungen,  Leber  und  Nieren.  Demargnai/  zieht  aus  dieser  Thatsache  den  Schluss, 
dass  der  Sauerstoff  selbst  zur  Todesursache  werde  und  nicht  die  durch  die  Exhalation 
der  Versuchsthiere  eingetretene  Verschlechterung  der  umgebenden  Atmosphäre.  Jeden- 
falls befördert  letztere  den  Eintritt  des  Todes,  weil  der  Sauerstoff  vom  Blute  nicht 
mehr  absorbirt  und  die  Kohlensäure  nicht  mehr  aus  demselben  ausgeschieden  wird,  so 
dass  der  nothwendige  Austausch  beider  Gase  wesentlich  gestört  wird. 

Die  reizende  Einwirkung  des  puren  Sauerstoffs  auf  das  Blut  ist  übrigens 
schon  a  priori  anzunehmen,  weil  er  in  der  atmosphärischen  Luft  dem  Volumen 
nach  nur  zu  einem  Fünftel  enthalten  ist;  auch  sprechen  die  Folgen  eines  län- 
gern Aufenthaltes  in  comprimirter  Luft  für  eine  nachtheilige  "Wirkung  grosser 
und  concentrirter  Mengen  von  Sauerstoff.  Nur  in  der  richtigen  Vermischung 
resp.  Verdünnung  ist  er  ein  normaler  Lebensreiz  und  steht  dem  wichtigen  Processe 
der  Belebung  und  Erregung  der  Blutkörperchen  d.  h.  der  Blutbildung  vor;  denn 
es  ist  wohl  unzweifelhaft,  dass  die  normale  Blutbiklung  durch  den  Contact  mit 
dem  atmosphärischen  Sauerstoff  beeinflusst  wird.  Andererseits  spricht  auch  der 
Zustand  des  Blutes  bei  der  Absorption  des  Sauerstoffs  mit;  venöses  Blut  mit 
träger  Circulation  kann  eine  stärkere  Einwirkung  des  Sauerstoffs  ertragen  als 
ein  reizbares  Gefässsystem,  bei  welchem  leicht  Ueberreizung  eintritt.  Es  ist  eine 
häufige  Erfahrung,  dass  dieselbe  Luftbeschaffenheit  nicht  auf  alle  Individuen  die- 
selbe Wirkung  äussert,  dass  die  Einen  sich  an  der  Meeresküste  unter  einem 
höhern  Luftdrucke,  die  Anderen  dagegen  auf  Höhen  unter  einem  verminderten 
Luftdrucke  wohler  fühlen. 

Quellen  des  Sauerstoffs.  Der  Sauerstoff  der  Atmosphäre  wird  trotz  des  un- 
geheuren Verbrauchs  constant  erhalten,  weil  die  Pflanzen  ihn  beständig  reprodu- 
ciren.  In  diesen  findet  die  Sauerstoffentwicklung  nur  im  Tageslichte  statt;  bei 
Abwesenheit  des  Lichtes  hört  dieselbe  allmählig  auf,  bis  zuletzt  die  Entwicklung 
von  Kohlensäure  eintritt. 

Die  Behauptung,  dass  die  Pflanzen  den  Sauerstoff  bei  Nacht  absorbiren,  ist 
durch  kein  Experiment  bewiesen  worden.  Nur  die  Pilze  nehmen  Tag  und 
Nacht  Sauerstoff  auf  und  bilden  in  dieser  Beziehung  gleichsam  einen  Uebergang 
vom  Pflanzen-  zum  Thierreich.  Die  Pflanzen  geben  einen  Theil  der  Kohlensäure  an 
die  Atmosphäre  zurück,  welche  sie  in  Folge  der  Verdunstung  durch  die  Blätter 
aus  dem  Wasser  des  Bodens  aufgenommen  haben.  Aehnlich  wie  im  Sonnenlicht 
verhalten  sich  die  Pflanzen  auch  während  der  Mondbeleuchtung,  indem  sie  Kohlen- 
säure aufnehmen  und  den  Sauerstoff  an  die  Atmosphäre  abgeben. 

'Unzweifelhaft  sind  die  Pflanzen  als  ein  geeignetes  Mittel  für  die  Luft- 
verbesserung zu  betrachten ;  die  Forstcultur  hat  daher  auch  in  dieser  Beziehung 
eine  grosse  Bedeutung.  Zu  Städten  und  Ortschaften,  welche  in  einer  waldreichen 
Flur  liegen,  dringen  erfahrungsgemäss  seltener  epidemische  Krankheiten,  wenig- 
stens fehlt  ihnen  die  Intensität,  mit  welcher  sie  volkreiche  Städte  mit  spärlicher 
Vegationswelt  befallen.  Beim  Studium  der  geographischen  Verbreitung  der  Krank- 
heiten  sollte  man  hierauf  mehr  Rücksicht  nehmen  als  bisher  geschehen  ist,  und 
überhaupt  die  Pflanzengeographie  nicht  ausser  Acht  lassen. 

Es  kann  nicht  genug  empfohlen  werden,  die  Strassen  der  Städte  mit  Bäumen  zu 
bepflanzen  oder  innerhalb  der  Städte  grosse  Parkanlagen  zu  errichten,  da  sie  ausser 
den    Annehmlichkeiten,    welche    sie   im  Sommer    gewähren,    die    besten   Luftreinigungs- 


76  Sauerstoff. 

apparate  abgeben  und  deshalb  für  grosse  Städte,  die  Depots  aller  schädlichen  Dünste, 
anentbehrlich  sind.  Namentlich  sollte  mau  stets  darauf  bedacht  sein,  grosse  Kranken- 
häuser nur  ausserhalb  der  Städte  oder  wenigstens  in  der  Mitte  von  grossen  Gärten  an- 
gelegen Für  den  Winter  würde  es  sehr  "zweckmässig  sein,  Gewächshäuser  mit  den 
Krankenhäusern  zu  verbinden,  am  auch  während  dieser  Jahreszeit  den  Kranken  den 
wohlth&tigen  Einfiuss  der  Pflanzenwelt  zu  bieten 

Manche  Sitten  und  Gebräuche  deuten  darauf  hin.  dass  man  schon  instinctmässig 
nach  diesem  Mittel  greift  So  bestreut  man  in  Schweden  die  Wohn-  und  Kranken- 
staben  mit  Tannenreisern:  so  umstellt  man  im  Orient  die  Krankenbetten  mit  grünen 
Zweigen  oder  traut   die   Kranken   in  den   duftenden   Wald. 

Wenn  die  frische  Luft  das  echte  Lebenselement  ist,  so  muss  die  Hauptsorge  der 
öffentlichen  Gesundheitspflege    darauf  gerichtet    sein,    den   lautern  Born  derselben  nicht 

gen  zu  lassen.  AI-  Rom  und  Athen  in  Blüthe  standen,  wurde  auch  in  sanitärer 
Beziehung  am  meisten  für  das  öffentliche  Wohl  gesorgt  und  die  gymnastischen  Hebungen 
im  Freien  bildeten  einen  Baupttheil  der  Erziehung.  Als  das  Christenthum  auftrat,  war 
es  mehr  das  Seelen-,  als  das  Körperheil,  welches  der  Menschen  Sinn  und  Denken 
erfüllte,  und  als  das  Mittelalter  den  Geisl  ganzlich  in  Fessel  schlug,  dachte  man  noch 
viel  weniger  an   öffentliche   Hygiene. 

Im  12.  Jahrhundert  hiess  Paris  noch  mit  Recht  Lutetia,  die  Stadt  des  Kothes,  und 
erst  gegen  Ende  desselben  begann  man  dort  mit  der  Strassenpflasterung.  Sehr  langsam 
wurden  Missbrauche  und  Uebelstände,  welche  die  Gesundheit  gefährden,  beseitigt;  aber 
auch  jetzt  noch  begegnet  man  überall  in  grossen  Städten  tausend  Schwierigkeiten,  wenn 
es  -ich  darum  handelt,  nur  das  Notwendigste  in's  Werk  zu  .setzen.  Ist  die  Furcht  vor 
ansteckenden  Krankheiten  oft  übertrieben,  so  ist  man  andererseits  nicht  selten  gleich- 
ordne geuen  Gefahren,  welche  uns  täglich  im  eignen  Hause  durch  Beeinträchtigung  des 
Belebenden  Einflusses  des  Sauerstoffes  drohen. 

Gährung,  Fäulniss,  Verwesung. 

„Seit  der  Eutdeekuug  des  Sauerstoffs",  sagt  v.  Lieb  ig  in  seineu  chemischen 
Briefen,  „hat  die  civilisirte  Welt  eine  Umwälzung  in  Sitten  und  Gebräuchen 
erfahren.  Die  Kenntniss  der  Zusammensetzung  der  Atmosphäre,  der  festen  Erd- 
rinde, des  Wassers,  ihr  Einfiuss  auf  das  Leben  der  Pflanzen  und  Thiere  knüpfen 
sich  an  diese  Entdeckung.  Der  vortheilhafte  Betrieb  zahlloser  Fabriken  und  Ge- 
werbe, die  Gewinnung  von  Metallen  stehen  damit  in  engster  Verbindung;  man 
kanu  sagen,  dass  der  nationale  Wohlstaud  der  Staaten  um  das  Mehrfache  dadurch 
seit  dieser  Zeit  erhöht  worden  ist,  dass  das  Vermögen  jedes  Einzelnen  damit  zu- 
genommen hat."  Iu  unzähligen  Vorgängen  des  Lebens  begegnen  wir  dem  Sauer- 
stoff. Wie  alles  Leben  durch  ihn  bedingt  ist,  so  werden  auch  nach  dem  Absterben 
der  Organismen  die  eintretenden  Veränderungen,  welche  die  organischen  Gebilde 
erleiden,  vorzugsweise  durch  die  Einwirkung  des  atmosphärischen  Sauerstoffs 
herbeigeführt  und  finden  mit  der  Zurückführuug  dieser  Gebilde  in  die  ursprüng- 
liche Form  ihren  Abschluss. 

Auf  organische  Körper  wirkt  der  Sauerstoff  in  der  Weise  ein,  dass  er  die  com  - 
plicirten  Molecüle  durch  Oxydation  in  einfachere  zerlegt.  Die  Processe,  welche  durch 
ihn  eingeleitet  werden,  sind,  sobald  seine  Wirkung  bei  gewöhnlicher  Temperatur  erfolgt, 
Verwesung,  Fäulniss  und  unter  gewissen  Bedingungen  auch  Gährung.  Fäulniss 
und  Verwesung  sind  ein  fortschreitender  Oxydationsprocess,  bei  welchem  schliesslich 
der  Kohlenstoff  in  Kohlensäure,  der  Wassserstoff  in  Wasser  und  der  Stickstoff 
in  Ammoniak  übergeführt  wird. 

Es  versteht  >ieh  von  selbst,  dass  das  Zerfallen  der  hoch  constituirten  Molecüle,  der 
Eiweisskörper  und  Kohlehydrate  in  die  obengenannten  Stoffe  nicht  ohne  Ueber^ang 
stattfindet,  und  eine  grosse  Reihe  von  intermediären,  einfacheren  organischen  Stoffen 
entsteht.  So  sind  im  faulenden  Pferdefleisch  nachgewiesen  worden:  Ameisensäure,  Essig- 
säure, Buttersäure,  Baldriansäure,  Caprylsäure,  Pelargonsäure,  Benzoesäure,  Milchsäure, 
Bernsteinsäure.  Aceton,  die  Aminbasen  des  Methyls,  Aethyls,  Propyls  und  Amyls, 
Leucin  und  Tyrosin. 

Die  Fäulniss  tritt  bei  unzureichendem,  die  Verwesung  bei  hinreichendem  Luft- 
zutritt ein.  so  dass  bei  der  Verwesung  die  Endproducte  der  Zersetzung:  Kohlensäure, 
Ammoniak  und  Wasser  als  Hauptproducte  auftreten,    während   bei   der  Fäulniss  sich 


Gährung.  77 

vorzüglich  die  intermediären  Producte  zeigen.   Der  Schwefel  der  Proteinstoffe  verwandelt 
sich  hierbei  stets  in  Schwefelwasserstoffgas. 

Unter  Gährung,  welche  für  die  Industrie  von  der  höchsten  Bedeutung  ist,  ver- 
steht man  das  Zerfallen  an  sich  beständiger  Stoffe  bei  Gegenwart  von  lebenden  Orga- 
nismen oder  verwesenden  Proteinstoffen  (Ferment).  Die  meisten  Zuckerarten  sind 
gährungsfähige  Substanzen  und  zerfallen  bei  Gegenwart  lebender  Hefe  in  Alkohol 
und  Kohlensäure,  bei  Gegenwart  faulender  Proteinstoffe,  wozu  fast  alle  Eiweiss- 
körper  gehören,  in  Milchsäure  und  diese  wiederum  in  Buttersäure. 

Die  Ansichten  über  die  Gährung  sind  bekanntlich  getheilt;  Liebjghäit  sie  für  einen 
mechanischen,  Pastei/r  für  einen  physiologischen  Process.  Nach  Liebig  werden  die  Mole- 
cüle  des  g  ährungsfähigen  Stoffes  (des  Zuckers)  durch  den  ununterbrochenen  Stoff- 
wechsel der  Hefen  gleichsam  in  Mitleidenschaft  gezogen  ;  die  sich  stets  verändernden 
Hefezellen  sind  nach  ihm  im  Stande,  ihre  eigene  molecüläre  Bewegung  auf  die  Zucker- 
molecüle  zu  übertragen.  Nach  Pastevr  -wird  dagegen  der  Zucker  durch  den  Lebenspro- 
cess  der  Hefezellen  zersetzt,  er  dient  ihnen  als  Nahrung  und  wird  schliesslich  von  ihnen 
als  Alkohol  und  Kohlensäure  ausgeschieden. 

Die  Natur  des  Fermentes  bedingt  die  Art  des  Zerfallens  gährungsfähiger  Körper; 
man  unterscheidet  hiernach  dieWeingährung,  Milchsäuregährung  und  schleimige  Gährung. 
1)  Weingährung.  Ueberlässt  man  einen  klaren  zuckerhaltigen  Pflanzensaft  unter 
Luftzutritt  bei  einer  Temperatur  von  20—24°  und  bei  Gegenwart  von  stickstoffhaltigen 
Substanzen  sich  selbst,  so  wird  er  zunächst  trübe,  entwickelt  Kohlensäure  unter  Erwär- 
mung und  bleibt  je  nach  der  Temperatur,  dem  Gehalte  an  Zucker  und  der  Natur  der 
stickstoffhaltigen  Substanzen  so  lange  in  Zersetzung  begriffen,  als  noch  Zucker  vorhanden  ist. 

Nach  Beendigung  der  Kohlensäureentwicklung  scheidet  sich  je  nach  der  Temperatur 
eine  bis  dahin  suspendirte  Substanz,  die  Hefe,  entweder  nach  oben  (Oberhefe)  oder 
nach  unten  (Unterhefe)  aus  der  Flüssigkeit  aus,  welche  jetzt  klar  erscheint  und  statt 
des  Zuckers  neben  Weingeist  die  höheren  Alkohole  (Fusel),  aber  auch  noch 
Glycerin  und  Bernsteinsäure  enthält. 

C6H1206  =  2C2H60  +  2C02. 

Bringt  man  eine  solche  Hefe  bei  derselben  Temperatur  in  eine  frische  und  reine 
Zuckerlösung,  so  zerfällt  der  Zucker  unter  Bildung  derselben  Producte  bis  zu  einem 
bestimmten  Grade.  Enthält  die  Zuckerlösung  auch  Proteinstoffe,  so  kann  eine  geringe 
Menge  Hefe  jede  beliebige  Quantität  Zucker  in  Alkohol  und  Kohlensäure  verwandeln. 

Die  Weingährung  erfolgt  stets  unter  dem  Einflüsse  der  Lebensthätigkeit  der 
Hefezellen  (Bierhefe,  Torula  cerevisiae  Blondeau),  mag  man  der  zuckerhaltigen  Lösung 
die  Bierhefe  zusetzen  oder  in  derselben  entstehen  lassen,  wenn  die  Verhältnisse  der 
Flüssigkeit  dieses  gestatten.  Bevor  die  Gährung  beginnt,  entwickeln  sich  stets  Pflanzen- 
keime  in  der  gährungsfähigen  Flüssigkeit,  Gewöhnlich  findet  man  neben  Torula  cere- 
visiae auch  noch  Penicillium  glaucum. 

Der  Saft  von  Trauben  und  andern  Früchten  gährt  nur  bei  Luftzutritt,  was  bei  mit 
Hefe  versetzter  Zuckerlösung  nicht  nothwendig  ist.  Meistens  haben  gährende  Substanzen 
das  Bestreben,  der  Luft  und  andern  Körpern  den  Sauerstoff  zu  entziehen:  der  Gäh- 
rungsprocess  ist  deshalb  nur  bei  fortwährendem  Luftzutritt  möglich.7) 

2)  Milchsäuregährung.  Wird  eine  Zuckerlösung  mit  faulenden  Proteinstoffen  (altem 
Käse)  bei  30—35°  stehen  gelassen,  so  entsteht  nach  einigen  Tagen  ebenfalls  eine  Gäh- 
rung, aber  der  Zucker  zerfällt  hierbei  grade  auf  in  Milchsäure  (C6H,206  =  2C3He03). 
Die  Gährung  hört  alsdann  auf,  weil  die  freie  Milchsäure  der  Gährung  entgegenwirkt; 
wird  jedoch  die  freie  Milchsäure,  sobald  sie  sich  bildet,  neutralisirt,  was  man  durch 
Zusatz  von  Kreide  zum  Gährungsgemisch  erreicht,  so  vergährt  der  Zucker  vollständig. 
Hierbei  bleibt  jedoch  der  Process  nicht  stehen,  sondern  es  wird  die  entstehende  Milch- 
säure unter  Wasserstoff- und  Kohlensäureentwicklung  in  Buttersäure  übergeführt,  so 
dass  man  nebst  milchsaurem  Calcium  stets  buttersaures  erhält. 

2C3H603  =  C4Hs02  +  2C02  +  4H. 
Auch  bei  der  Milchsäuregährung  entsteht  ein  hefeartiger  Pilz,  welcher  sich  nach 
vollendeter  Gährung  als  grauer  Niederschlag  am  Boden  des  Gefässes  absetzt;  er  besteht 
aus  kleinen  Kügelchen,  welche  kleiner  als  die  der  Bierhefe  sind  und  theils  einzeln,  theils 
in  Klumpen  vorkommen.  Die  Milchsäurehefe  (Penicillium  glaucum)  ist  im  Stande,  in 
reiner  Zuck erlösung  eine  Milchsäuregährung  bis  zu  einem  gewissen  Grade  zu  erzeugen, 
in  proteinhaltiger  Lösung  dagegen  jede  beliebige  Menge  Zucker  in  Milchsäure  über- 
zuführen. Tritt  in  proteinhaltigen  Säften  eine  freiwillige  Gährung  ein,  so  ist  dieselbe 
bald  Milchsäuregährung,  bald  Weingährung,  meistens  beides  zugleich.  Schwach  alka- 
lische Flüssigkeiten  begünstigen  die  Entwicklung  der  Milchsäurehefe,  schwach  saure  da- 
gegen die  der  Weinhefe. 

3)  Schleimgährnng.  Zuweilen  geht  Rohrzucker  (C,2H220u)  bei  Gegenwart  von 
stickstoffhaltigen    Substanzen   an  der  Luft  in  Schleimgährung   über;    es    entwickelt 


7^  Sauerstoff. 

sich  hierbei  neben  Kohlensäure  und  Wasserstoff  Mann it  (C(-,JI,4U6),  ein  eigentümliches 
Gummi  und  eine  schleimige  Materie.  Die  Schlei  m  hefe  licsieht  aus  rosenkranzartigen 
Kugeln  von  0,0012  0,0014  Mm.  Durchmesser  und  bewirkt  in  eiweisshaltigen  Zucker- 
lösungen ein  Zerfallen  des  Zuckers  in  Mannit,  K  i»li  I  e  n  s  a  u  re  und  Gummi.  Frischer 
Rübensari  wird  an  der  Lull  schleimig  und  enthall  alsdann  Mannit,  Gummi,  Milchsäure 
und  unkryetallisirbaren  Zucker. 

Setzt  man  den  lYisi  lieu  Saft  der  Mohrrübe  einer  Temperatur  von  30— 40<>  aus,  so 
verwandeH  sich  der  in  ihm  enthaltene  Rohrzucker  in  Traubenzucker,  Mannit,  Milchsäure 
und  in  ein  dem  arabischen  Gummi  isomeres   Gummi. 

Viele  Umstände  vermögen  die  Gährung  im  Allgemeinen  zu  hindern.  Hieher  gehören: 
die  Abhaltung  der  Luft,  grosse  Trockenheit,  Frostkälte,  Siedhitze  und  antiseptische 
Mittel,  in  welcher  Weise  diese  Wirkung  erfolgt,  lässt  sich,  je  nachdem  man  der  einen 
oder  andern  Gährungstheorie  huldigt,  verschieden  erklären;  so  kann  man  die  ver- 
hinderte Gährung  entweder  durch  Abhaltung  des  Sauerstoffs  oder  ilw  in  der  Luft  ver- 
I. leiteten  organisirten  Keime  erklären.  Die  Hitze  wirkt  entweder  so,  dass  sie  alle  Fer- 
ähnlich  wie  das  Albumin  verändert,  welches  als  coagulirtes  der  Gährung  oder 
Fäulniss  nur  srUi-  schwer  unterliegt,  oder  dass  sie  die  Keime  und  Sporen  tödtet.  Anti- 
septische  Mittel  wirken  entweder  chemisch  durch  Wasserentziehung,  Zersetzung  des 
Ferments,  Sauerstoffentziehung  oder  Tödtung  der  organisirten  Mikrozoen. 

Für  das  praktische  Leben  haben  alle  Pilze  eine  grosse  Bedeutung  und  in 
sofern  noch  ein  wichtiges  sanitäres  Interesse  als  sie  entweder  die  Luft 
verbessern  oder  verschlechtern.  Was  z.  B.  die  Schimmelpilze  betrifft,  so 
verhalten  sie  sich  nach  de  Bary  zur  Hefe  wie  Verwesung  zum  Gährungs- 
process.8)  In  der  That  bemerkt  mau  auch  beim  Auftreten  der  Schimmelpilze  eine 
Beschleunigung  der  Verwesung,  indem  sie  die  Zurüekführung  der  todten  Substanz 
in  ihre  Bildungsstoffe  zu  befördern  vermögen.  Das  Pilzfei],  welches  auf  der  Kar- 
toffel- und  Fruchtbranntwein-Schlempe  sich  entwickelt,  ist  sogar  ein  mächtiges 
Absorbens  für  Schwefelwasserstoff. 

Die  Abfälle  bei  der  Extractbereituug  aus  Pflanzen  hauchen,  wenn  sie  in 
Fänlniss  übergehen,  höchst  stinkende  Effluvien  aus;  sie  liefern  aber  einen 
ganz  besonders  günstigen  Boden  für  Schimmelbildung,  womit  alsdann  der 
Geruch  aufhört  und  die  ganze  Masse  allmählig  zerbröckelt.  Dasselbe  ist  bei 
Krapp  und  den  Farbhölzern  in  Färbereien  der  Fall.  In  ähnlicher  Weise  wirken 
grüne  Algen  auf  Wasser,  welches  mit  zersetzten  organischen  Substanzen  ver- 
unreinigt ist,  durch  Beförderung  des  Verwesungsprocesses  verbessernd  ein,  gerade 
wie  manche  im  Wasser  lebende  Infusorien  (die  Navicula-  und  Gallionella-Arten, 
so  wie  Chlamidomouas  pulviculus)  als  Sauerstoffs-Eutwickler  zu  betrachten  sind 
und  deshalb  den  Uebergang  der  Fänlniss  in  Verwesung  befördern.  Ganz  be- 
sonders liefern  Stärkemehl,  die  Cellulose  und  die  Amylaceen  überhaupt  einen 
günstigen  Boden  für  viele  Pilze ;  es  ist  bekaunt,  dass  in  Stärkemehlfabriken 
die  feuchten  Fenster  sich  sehr- bald  mit  einem  Ueberzug  von  grünen  Algen  be- 
decken. Wenn  ferner  die  Leinwand  feucht  zusammengelegt  wird  und  längere 
Zeit  liegen  bleibt,  so  nennt  man  sie  verstockt,  d.  h.  sie  wird  mürbe  und 
unterliegt  dem  Verwesungsprocesse  bei  gleichzeitiger  Pilzbilduug;  auf  dieselbe 
Weise  wird  Baumwolle  und  Wolle  verstockt.  Sind  Leinwand,  Wolle  oder  Baum- 
wolle mit  Krankheitsstoffen  inficirt,  so  kann  man  sicher  sein,  dass  das  Contagium 
während  des  Verstocktseins,  d.h.  während  der  Pilzbildung,  zerstört  worden  ist. 
Alle  höheren  Pilzformen  verschlechtern  die  Luft,  indem  sie  den  Sauerstoff 
absorbiren  und  Kohlensäure  aushauchen;  am  nachtheiligsten  wirkt  in  dieser  Be- 
ziehung der  Hausschwamm,  welcher  in  allen  Wohnräumen  die  für  die  Respira- 
tion zuträgliche  Luft  vermindert.  In  unterkellerten  Räumen  entwickelt  sich  der 
Hausschwamm  selten;  wo  Kellerräume  nicht  anzubringen  sind,  müssen  deshalb 
hohle  Räume    unter   den  Fussböden    angelegt    werden,    welche    durch    Züge    mit 


Contagien.  79 

dem  Schornstein  oder  durch  kleine,  mit  verschliessbaren  Rosetten  versehene 
Canäle  mit  der  äusseren  Luft  in  Verbindung  stehen.  Der  Boden  unter  den 
Dielen  ist  mit  trockenem  Sande  zu  bestreuen;  die  Lagerhölzer  müssen  von 
Eichenholz  und  mit  Zinkchlorid  imprägnirt  sein  und  dürfen  nicht  bis  an  die 
Mauer  stossen. 

In  faulenden  Kartoffeln  und  Rüben  kommt  eine  Pilzbildung  vor, 
welche  eine  so  vermehrte  Kohlensäure-Entwicklung  veranlassen  kann,  dass  das 
unvorsichtige  Betreten  von  verschlossen  gewesenen  Gruben,  in  welchen  solche 
faulende  Vegetabilien  lagern,  Asphyxie  und  Tod  zur  Folge  haben  kann.  — 

Die  Parasitenthiere  hat  man  bekanntlich  schon  zu  verschiedenen  Zeiten 
zur  Erklärung  der  Entstehungsweise  vieler  Krankheiten  benutzt.  Die  Hypothese, 
dass  namentlich  epidemische  Krankheiten  durch  das  Eiudringeu  sehr  kleiner 
thierischer  oder  pflanzlicher  Wesen  oder  deren  Keime  in  den  Thierkörper  ent- 
ständen, ist  sehr  alt  und  finden  sich  Andeutungen  davon  schon  bei  den  römi- 
schen Autoren  Varro  und  Columella.  Nach  der  Entdeckung  der  Infusorien 
durch  Leuwenhoek  gewann  diese  Ansicht  einen  günstigen  Boden,  bis  sie  sich  in 
der  neueren  Zeit  immer  mehr  zu  der  Lehre  vom  Contagium  animatum  aus- 
gebildet hat.  Die  Ursachen  der  epidemischen  Krankheiten  sollen  demnach  spe- 
cifischer  Natur  sein  und  die  Specificität  der  Ursachen  in  eigenthümlichen,  ver- 
schiedenen Organismen  beruhen.9) 

Dass  bei  verschiedenen  Krankheiten  bestimmte  Pilzformen  vorkommen,  ist 
eine  sichere  Thatsache;  in  vielen  Fällen  bleibt  es  aber  noch  fraglich,  ob  der  Pilz 
die  Ursache  oder  nur  die  Folge  der  Krankheit  ist,  ob  der  Pilz  die  Krankheit  ein- 
leitet oder  nur  zufällig  den  für  seine  Entwicklung  günstigen  oder  nothwendigen 
Boden  findet.  Alle  diese  möglichen  Vorkommnisse  sind  in  den  concreten  Fällen 
noch  festzustellen,  um  zur  endgültigen  Entscheidung  hierüber  zu  gelangen. 

Die  Ansicht,  dass  die  Contagien  wie  ein  Ferment  wirken,  ist  ebenfalls 
nicht  neu  und  wurzelt  schon  in  den  Lehren  des  van  Helmont  und  Sylvius. 
Die  gegenwärtig  namentlich  in  England  beliebte  Bezeichnung  der  Infectionskrank- 
heiten  als  zymotische  beruht  ja  auch  auf  der  Gährungs-  oder  Ferment- 
theorie; diese  schien  durch  Liebig's  Forschungen  über  Gährung  eine  natur- 
wissenschaftliche Grundlage  zu  gewinnen. 

Jedenfalls  ist  es  zweifellos,  dass  der  Gährungsprocess  im  lebendigen  Orga- 
nismus ein  anderer  sein  wird,  als  in  der  Retorte.  Wenn  die  Chemie  wenigstens 
40  Arten  von  Gährungen  unterscheidet,  so  werden  sich  im  Organismus  die  ver- 
schiedenen Gährungsarten  mit  ihren  Modificationen  gewiss  noch  auf  eiue  grössere 
Anzahl  belaufen;  wahrscheinlich  entstehen  auch  mehrere  „Gährungsprocesse"  zu 
gleicher  Zeit.  Es  kann  sich  hierbei  nur  um  ein  Bild  handeln,  in  dem  die  Mit- 
wirkung des  thierischen  Organismus  die  verschiedenen  Modificationen  bedingt. 
Diese  Mitwirkung  ist  nach  der  Aufnahme  der  Noxe  für  die  Entwicklung  der 
Krankheit  wesentlich;  denn  wenn  man  auch  der  Parasitentheorie  huldigt,  wird 
man  nicht  annehmen  können,  dass  der  Parasit  selbstständig  und  unabhängig  vom 
Organismus  sich  entwickle. 

Man  kann  annehmen,  dass  ein  gesunder  Organismus  vorherrschend  Oxy- 
dationsproducte  erzeugt,  wobei  Spaltungs-  und  Reductionsprocesse  in  den 
Hintergrund  treten;  Spaltungsvorgänge  ohne  Mitwirkung  der  Oxydation  dürften 
dem  thierischen  Leben  stets  feindlich  sein.  Bei  den  vielfachen  physiologischen 
Vorgängen  während  des  Lebensprocesses   spielt  der  Oxydationsprocess  die  wich- 


80  Sauerstoff. 

tigste  Rolle.  Die  ergiebige  Benutzung  des  Sauerstoffs  ist  daher  schliesslich  die 
wichtigste  Lebensbedingung  und  die  schrankenlose  Wirkung  des  Sauerstoffs  das 
Mittel,  um  die  Luft  in  dem  für  das  Leben  notwendigen  Zustande  zu  erhalten  und 
Krankheitsstoffe  in  derselben  zu  tilgen.  Dem  oxydirenden  Einfluss  des  Sauer- 
stoffs unterliegen  sowohl  die  Schizomyceten  oder  Mikrozoen  als  auch  sonstige 
Fäulnissproducte,  und  sicher  ist  es,  dass  in  diesem  Puncte  die  verschiedenen  An- 
sichten sich  einigen,  mag  man  der  Parasiten-  oder  Gährungstheorie  huldigen;  denn 
die  verschiedenen  Bestrebungen,  Coutagien  und  Miasmen  zu  zerstören,  werden 
in  der  ungehinderten  Herrschaft  des  Sauerstoffs  gipfeln. 

Abschluss  des  Sauerstoffs.  Wenn  man  vegetabilische  oder  thierische  Sub- 
stanzen vor  freiwilliger  Zersetzung  schätzen  will,  so  schliesst  man  den  atmo- 
sphärischen Sauerstoff  von  denselben  ab.  Schon  in  den  ältesten  Zeiten  bewahrte 
man  Früchte  in  Oel  auf,  wovon  noch  die  heutigen  Ausgrabungen  von  Hercula- 
num  und  Pompeji  Zeugniss  ablegen.  Zu  demselben  Zwecke  bestreicht  man  Eier 
mit  Fett  oder  taucht  sie  in  Kalkmilch  ein.  Die  Industrie  derConserven  hat 
in  der  neuesten  Zeit  einen  grossen  Umfang  erreicht  und  die  Kunst,  Gemüse, 
Früchte  und  Fleischspeisen  in  frischer  Beschaffenheit  zu  erhalten,  übt  einen  sehr 
wohlthätigen  Einfluss  auf  unsern  Haushalt  aus. 

Man  hat  verschiedene  Methoden  benutzt,  um  die  verschiedenen  Bedingungen 
zu  erfüllen,  welche  eine  Zersetzung  der  organischen  Stoffe  resp.  die  Einwirkung 
des  Sauerstoffs  auf  dieselben  verhüten;  hierbei  kommt  es  ausser  der  Abhaltung 
der  Luft  auch  noch  auf  das  Fernhalten  der  Fermente  und  des  Wassers  an. 

Hiernach  kann  man  folgende  Methoden  unterscheiden:  1)  Zerstörung  sämmt- 
licher  Fermente  durch  Siedhitze  und  Abhaltung  der  atmosphärischen 
Luft  resp.  der  Sporen  und  Pilze  (nach  der  Parasitentheorie).  Das  Apperfsche 
Verfahren10)  besteht  darin,  dass  man  die  Gemüse  oder  Fleischspeisen  nach  der  ge- 
wohnten Methode  zubereitet,  Büchsen  aus  Weissblech  damit  füllt,  dieselben  mit  einem 
Deckel  in  der  Weise  verlöthet,  dass  man  zum  Entweichen  der  durch  die  Wärme  aus- 
gedehnten Luft  eine  kleine  Oeffnung  lässt  und  alsdann  die  Gefässe  einige  Stunden  lang  in 
einem  mit  Wasser  gefüllten  Kessel  einer  Hitze  von  100°  C.  aussetzt.  Während  der  Erhitzung 
löthet  man  die  offen  gelassene  Stelle  zu.  Das  sicherste  Zeichen  für  den  hermetischen 
Verschluss  ist  die  coneave  Einbiegung  der  beiden  Böden. 

_  Es  fallen  häufig  kleine  Partikelchen  der  Löthung  in  die  Speisen;  wenn  auch  der 
geringe  Bleigebalt  derselben  bei  der  späteren  Zubereitung  der  Speise  kaum  zur  Gel- 
tung kommen  kann,  so  ist  ein  solches  Ereigniss  doch  möglichst  zu  vermeiden.  Jones 
bringt  auf  die  betreffenden  Büchsen  ein  kleines  Röhrchen  und  setzt  dieses,  während  die 
gefüllten  Büchsen  in  kochendem  Wasser  stehen,  mit  einem  Räume  in  Verbindung,  aus 
welchem  die  Luft  ausgetrieben  worden.  Die  Speisen  brauchen  dann  nicht  einer  zu 
hohen  Temperatur  ausgesetzt  zu  werden,  so  dass  namentlich  Fleisch  Geschmack  und 
Farbe  besser  behält. 

Mayet11)  empfiehlt  die  Erwärmung  der  Früchte  und  Fruchtsäfte  durch  Wasser- 
dampf bis  zu  84°  C,  wodurch  nicht  bloss  das  Ferment  zerstört,  sondern  bei  Vegeta- 
bilien  auch  das  Wachs  flüssig  gemacht  wird,  welches  ein  Zusammenkleben  der  Stoffe 
und  dadurch  Schutz  vor  der  atmosphärischen  Luft  gewährt. 

Hiernach  leuchtet  ein,  wie  verwerflich  die  Methode  der  Fleischer  ist,  Kalb- 
mnl  Hammelfleisch  mittels  eines  Blasebalgs  aufzublasen,  weil  dadurch  noch  mehr  Sauer- 
stoff zugeführt  und  die  Zersetzung  befördert  wird  ;  geschieht  dies  Aufblasen  mit  dem 
Munde,  so^ist  diese  Procedur  ekelhaft  und  sollte  polizeilich  verboten  werden. 

2)  Conservirung  durch  Kälte.  Zu  jeder  Art  von  Fäulniss  ist  ein  gewisser 
Wärmegrad  erforderlich:  am  meisten  wird  sie  durch  eine  warme  Luft  von  20  —  25°  R. 
befördert.  So  wie  die  Siedhitze  die  Fermente  zerstört,  so  verhütet  auch  Frostkälte  die 
Fäulniss,  wie  wir  im  täglichen  Leben  beobachten.  Im  Sommer  benutzt  man  die  niedere 
Temperatur  des  Kellers  oder  die  bekannten  Eis  schränke,  um  Fäulniss  von  unseren 
Nahrungsmitteln  abzuhalten 

3.  Conse  r  virung  d  urch  ein  facheAbhaltung  der  atmosphärischen  Luft. 

Hierher  gehört  das  älteste  Verfahren,  wonach  man  Früchte  in  Oel  legt,  welches 
nicht  leicht   ranzig  wird,    z.  B.  gutes  Olivenöl ;    bei    den  Früchten  kann  der    Stiel  frei 


Industrie  der  Conserven.  81 

bleiben,  damit  eine  gewisse  Abdunstung  der  Flüssigkeiten  möglich  ist.  Geschmolze- 
nes Paraffin  hat  sich  für  diesen  Zweck  nicht  bewährt.  Petroleum,  Benzin,  Naphtalin, 
Glycerin  etc.  können  in  ähnlicher  Weise  durch  Abhaltung  der  atmosphärischen  Luft 
wirken,  eignen  sich  aber  nicht  zum  Aufbewahren  von  Speisen.  Das  Einschmelzen  von 
Fleisch,  namentlich  von  gebratenem,  in  Fett  ist  ein  bekanntes  Conservirungsmittel. 
Eier  legt  man  in  Häcksel,  Sägespäne  etc.,  um  die  atmosphärische  Luft  abzuhalten; 
das  Einlegen  derselben  in  Kalkwasser  soll  ihnen  einen  unangenehmen  Geschmack  ver- 
leihen.12) 

Beim  Einmachen  der  Früchte  in  Zucker  löst  sich  derselbe  in  dem  wäs- 
serigen Safte,  welchen  er  aus  den  Früchten  auszieht  und  verwandelt  sich  dadurch 
in  einen  dicken  Syrup,  welcher  keiner  Gährung  fähig  ist  und  die  atmosphärische  Luft 
abschliesst.  Sehr  gut  ist  es,  die  dafür  bestimmten  Gefässe  auszuschwefeln,  weil  als- 
dann, grade  wie  beim  Schwefeln  des  Weins,  der  atmosphärische  Sauerstoff  durch  die 
schwefelige  Säure  gebunden  wird. 

Nach  der  Parasitentheorie  hemmt  jede  Säure  die  Pilzvegetation.  Gasarten,  welche 
die  Verbrennung  nicht  unterhalten,  wie  Kohlensäure  und  Ammoniak,  eignen  sich 
auch  zur  Conservirung  von  thierischen  und  vegetabilischen  Stoffen,  wahrscheinlich  durch 
Abhaltung  des  Sauerstoffs.  Für  Pflanzenstoffe  nnd  gegohrene  Flüssigkeiten  empfiehlt 
sich  besonders  die  Kohlensäure ;  so  kann  man  auch  Milch  längere  Zeit  aufbewahren, 
wenn  man  sie  erst  sieden  lässt,  alsdann  mit  Kohlensäure  schwängert  und  zuletzt  in 
Flaschen  hermetisch  verschliesst. 

4.    Conservirung  durch  einfache  Wasserentziehung. 

Das  Trocknen  und  Dörren  der  Früchte  an  der  Luft  oder  in  Trockenstuben  bei 
allmählig  einwirkender  Wärme  ist  das  bekannteste  Verfahren. 13)  Masson '  s  Methode 
besteht  in  dem  Trocknen  der  Pflanzen  bei  massiger  Temperatur  (28 — 30°  R.)  in  einer 
Trockenstube,  bis  das  überschüssige  Wasser,  welches  die  Fäulniss  der  Pflanzenstoffe 
befördern  würde,  entfernt  ist ;  schliesslich  werden  sie  mittels  der  hydraulischen  Presse 
stark  zusammengedrückt.  Hierher  gehört  auch  die  condensirte  Milch,  welche  nament- 
lich auf  grossen  Reisen  sehr  zweckmässig  ist,  zur  künstlichen  Ernährung  der  Neu- 
geborenen sich  aber  weniger  eignet.  In  England  kommt  ein  getrocknetes  Fleischpulver 
unter  dem  Namen  Pemmican  vor,  welches  vielfach  zur  Verproviantirung  von  See- 
schiffen benutzt  wird;  auch  der  berühmte  John  Franklin  hatte  solches  bei  der  Nord- 
polexpedition an  Bord.  Eobertoii's  Extract  of  beef  stellt  ein  feines  hellbraunes 
Pulver   dar. 

Bei  der  Wasserentziehung  ist  zu  beachten,  dass  auch  die  Eiweisskörper  des 
Fleisches  oder  der  Vegetabilien  im  ausgetrockneten  Znstande  durch  die  Einwirkung  des 
Sauerstoffs  nicht  verändert  werden;  dieselben  trocknen  bei  einer  Temperatur  von  -i8°R.  aus, 
ohne  zu  coaguliren,  zeigen  aber  später  in  kaltem  Wasser  wieder  ihre  frühern  Eigenschaften. 
Das  zu  trocknende  Fleisch  wird  gewöhnlich  mit  Kochsalz  und  Salpeter  eingerieben, 
um  zuvor  das  in  den  eiweisshaltigen  Säften  gebundene  Wasser  aufzunehmen  und  das 
Eiweiss  durch  Entziehung  eines  Theiles  des  Wassers  mehr  vor  Fäulniss  zu  schützen. 
Auch  durch  vorheriges  Behandeln  des  Fleisches  mit  heissem  Wasser  wird  Gerinnung 
des  Eiweisses  und  theilweise  Abscheidung  des  Wassers  bewirkt.  Das  blosse  Austrocknen 
des  Fleisches  wird  nur  unter  besonders  günstigen  Umständen  die  Fäulniss  abhalten. 
Das  Einpökeln  des  Fleisches  schützt  ebenfalls  durch  Entziehung  des  Wassers 
vor  Fäulniss;  die  entstehende  Salzlake  enthält  aber  auch  einen  bedeutenden  Antheil  an 
Eiweiss  und  Kroatin,  wodurch  ein  Theil  der  Nährkraft  des  Fleisches  verloren  geht. 

Der  Alkohol  wirkt  in  gleicher  Weise  durch  Entfernung  des  zur  Fäulniss  thie- 
rischer  Substanzen  nothweudigen  Wassers  fäulnisswidrig  und  ausserdem  durch  allmäh- 
ligen  Uebergang  in  Essig,  wenn  er  den  vorhandenen  Sauerstoff  aufnimmt;  so  beruht 
auch  die  fäulnisswidrige  Wirkung  des  Aethers  auf  der  Wasserentziehung. 

Gebraucht  man  Essig  zum  Einmachen  der  Früchte,  so  entzieht  er  denselben 
einestheils  das  Wasser  und  hält  anderntheils  die  Oxydation  der  Früchte  auf,  geht  aber 
selbst  allmählig  in  Wasser  und  Kohlensäure  über  und  schützt  durch  seine  eigene  Um- 
wandlung die  Früchte  vor  der  Einwirkung  des  Sauerstoffs.  -  Die  in  England  auf  diese 
Weise  eingemachten  Früchte,  worunter  das  sogenannte  Mixe d  pickle  am  bekanntesten 
ist,  sind  fast  immer  kupferhaltig,  weil  bei  der  Bereitung  kupferne  Gefässe  gebraucht 
werden. 

Wird  Fleisch  in  Essig  gelegt,  so  gelangt  das  Eiweis  zur  Coagulation  ;  ähnlich- 
wirkt Milchsäure  fäulnisswidrig  ein,  weshalb  sich  Fleisch  in  saurer  Milch  sehr 
gut  erhält. 

5)  Conservirung  durch  Erzeugung  einer  organischen  Säure.  Beim 
Einmachen  der  Gemüse  wird  der  in  denselben  enthaltene  Zucker  in  Milchsäure  über- 
geführt, welche  alsdann  der  organischen  Substanz  gegenüber  schützend  auftritt.  Beim 
Einmachen  der  Bohnen,  des  Sauerkrauts  und  der  Rüben  erzeugt  sich  als  Neben- 
product    stets   Baldrian-,   Butter-  und   Propionsäure;    sind  die    Vegetabilien  schwefel- 

Enlenberg,  Gewerbe -Hygiene.  " 


g2  Sauerstoff. 

baltig,  so  entwickelt  sich  auch  Schwefelwasserstoff,  welches  vorzugsweise  bei  Rüb- 
stielen und  Bohnen,  weniger  beim  Sauerkraut  der  Fall  ist. 

Bei  eingemachten  Gemüsen  überzieht  sich  fast  immer  der  Pökel  mit  einer 
Schimmelhaut,  wodurch  Bämmtlicher  Geruch  verschwindet:  beseitigt  man  dieselbe,  so 
werden  die  verschiedenen  organischen  Säuren  exhalirt,  and  dies  hört  erst  dann  auf,  wenn 
sich  diese  schützende  Docke  der  Pilzvegetation  wieder  gebildet  hat. 

6)  Conservirung  durch  Räuchern.  Das  Räuchern  beruht  auf  der  Imprägnirung 
des  Fleisches  mit  dem  im  Rauche  enthaltenen  Kreosot  ;  man  reibt  das  Fleisch  vorher 
iiiii  Sulz  ein  and  bangt  es  in  Rauchkammern  auf.  Der  Rauch  von  den  Beeren  und  dem 
Holze  des  Wachholders  ist  der  beste  und  theilt  dem  Fleische  ein  eigenthümliches  Aroma 
mit:  Rauch  von  Buchen-  und  Eichenholz  ist  besser  als  der  von  Tannen-  oder  Fichten- 
holz. Man  bindet  das  Fleisch  in  Leinwand  ein  oder  bestreut  es  vorher  mit  Kleie,  um 
das  Anhängen  von  Russ  an  dem  Fleisch  zu  verhüten. 

Denselben  Zweck  kann  man  erreichen,  wenn  man  das  Fleisch  einigemal  mit  Holz- 
essig bestreicht  und  alsdann  in  der  Luft  zum  Trocknen  aufhängt;  es  trocknet  aber 
hierbei  häufig  stärker  aus  als  beim  Räuchern.  Wahrscheinlich  wird  eine  Atmo- 
sphäre, welche  Kreosotdampf  enthält,  dasselbe  leisten,  da  die  fäulnisswidrigen  Eigenschaften 
des  Rauches  und  des  Holzessigs  doch  nur  auf  dem  Kreosotgehalt  beruhen:  jedenfalls  hat 
das  Räuchern  einen  entschiedenen  Vortheil  vor  dem  Einpökeln,  da  dabei  Nichts  von  den 
'  nahrhaften  Bestandteilen  des  Fleisches  verloren  geht. 

Kreosot  verleiht  dem  Fleische  eher  einen  unangenehmen  Beigeschmack;  es 
verdient  daher  der  Vorschlag  von  Krönig  Beachtung,  welcher  zu  30  Grm.  Kochsalz  nur 
1  Tropfen  Kreosot  zusetzt.  Vermischt  man  1  Th.  dieser  Mischung  mit  1000  Th.  ge- 
hacktem, von  Fett  befreitem  Fleisch  und  hüllt  dasselbe  in  natürliche  oder  künstliche 
Därme,  so  soll  sich  dasselbe  vortrefflich  conserviren. u) 

7)  Conservirung  durch  chemische  Stoffe  Pikrinsäure,  Pflanzenalkaloide, 
wie  Chinin,  Strychnin,  ferner  Opium  u.  s.  w.  halten  die  Fäulniss  thierischer  Körper 
kräftig  auf,  was  auch  in  Bezug  auf  Vergiftung  beaehtungswerth  ist.  Aehnlich  verhält 
es  sich  mit  den  unterschwefligsauren,  schwefiigsauren  Saizen,  dem  salzsauren  Barium, 
Zinksulfat,  Alaun,  Sublimat  und  Arsenik,  Substanzen,  welche  bekanntlich  zur  Erhaltung- 
menschlicher  Leichname  vielfach  in  Anwendung  kommen. 

Im  Norden,  namentlich  Schweden,  wird  die  Borsäure,  Aseptin,  als  ein  sehr 
wirksames  Mittel  gerühmt  und  besonders  zur  Conservirung  der  Milch  und  des  Fleisches 
sehr  häufig  benutzt.15)  Ein  Gemisch  von  Borsäure  und  Alaun  zu  gleichen  Theilen 
nennt  man  doppeltes  Aseptin  und  bezweckt  dadurch  Aufhebung  der  das  äussere 
Ansehen  des  Fleisches  schädigenden  Einwirkung  des  Eichenholzes  der  Fässer,  welche 
zum  Transport  dienen.  Von  nicht  geringer  Bedeutung  scheint  die  Salicylsäure  zu 
werden  (s.  diese). 

Es  ist  hier  nothwendig,  auf  die  Conservirung  und  Behandlung  des 
Getreides  näher  einzugehen,  denn  kein  materielles  Interesse  steht  höher  als 
die  Sorge  um  das  tägliche  Brot,  welches  neben  dem  Fleische  den  ersten  Rang 
unter  den  Nahrungsmitteln  einnimmt.  Die  Pflanzen,  welche  unser  Brot  liefern, 
haben  auch  insofern  den  höchsten  Wertb,  als  sie  den  Menschen  fast  nach  allen 
Zonen  hin  begleiten,  sich  überall  aeclimatisiren  und  mit  Erfolg  anbauen  lassen. 

Was  zunächst  die  Conservirung  des  Getreides  betrifft,  so  fällt  gegen- 
wärtig das  lästige  Umschaufeln  des  Getreides  weg,  wodurch  man  früher  dasselbe 
vor  Insektenfrass,  Feuchtigkeit  u.  s.  w.  schützen  musste;  man  bedient  sich  statt 
dessen  einer  systematischen  Ventilation  des  Speichers  oder  einer  Drainage  des 
Getreides,  um  die  hinreichende  Austrocknung  desselben  durch  den  reichlichen 
Zutritt  der  frischen  Luft  zu  bewirken.  In  einzeluen  Gegenden  wird  durch  sogen. 
Silos,  geschlossene  Räume  unter  oder  über  der  Erde,  das  Getreide  conservirt, 
indem  man  dadurch  alle  Feuchtigkeit  der  Luft  abzuhalten  sucht,  *6) 

Das  Sieben  und  Messen  des  Getreides  erzeugte  früher  sehr  viel  Slanb 
und  gab  es  wenig  Sieber  oder  Fruchtmesser,  welche  nicht  an  chronischem 
Lungenkatarrh  litten,  während  die  damit  verbundenen  körperlichen  Anstrengungen 
nicht  selten  die  Ausbildung  von  Hernien  veranlassten.  Gegenwärtig  wird  durch 
zweckmässige  mechanische  Einrichtungen  an  Zeit  und  Mühe  gespart  und  der 
Nutzen,  welcher  hieraus  den  Industriellen  erwächst,  kommt  auch  der  Hygiene  zu  Gute. 


Die  Müllerei.  83 

Die  Behandlung  des  Getreides  auf  Mühlen  ist  Jahrtausende  lang  die- 
selbe geblieben  und  erst  langsam  vervollkommneten  sich  die  zum  Mahlen  dienen- 
den Werkzeuge.  Lange  Zeit  war  das  einfache  Schroten  des  Getreides  die 
wichtigste  Manipulation,  bis  man  später  zur  Trennung  der  Kleie  vom  Mehle  über- 
ging und  neuerdings  ein  Mühlensystem  geschaffen  hat,  welches  auf  eine 
eclatante  Weise  beweist,  wie  vortrefflich  sich  hygienische  und  industrielle  Zwecke 
vereinigen  lassen.  Amerika,  England  und  Belgien  haben  vorzugsweise  das  alte 
Mühlensvstem  gründlich  erschüttert  und  die  sinnreichsten  Maschinen  eingeführt. 

Die  erste  Vorbereitung  beim  Mahlen  besteht  in  der  Reinigung  des 
Getreides.  Dasselbe  geschieht  in  einer  aufrecht  stehenden  Trommel  aus  ge- 
lochtem Blech  oder  einem  Drahtgewebe,  in  welcher  sich  eine  mit  Flügeln  ver- 
sehene Welle  rasch  umdreht.  Das  hineinfallende  Getreide  wird  von  den  Flügeln 
gefasst,  an  den  Mantel  geschleudert  und  durch  einander  gerieben:  der  dabei  ab- 
geriebene Schmutz  u.  s.  w.  dringt  in  einer  förmlichen  Staubwolke  durch  die  Patzen 
oder  Oeffnuugen  der  Trommel  heraus.  Um  die  Arbeiter  aber  vor  diesem  in  Mund, 
Nase  und  Lunge  eindringenden  Staub  zu  schützen,  wird  der  ganze  Apparat  mit 
einem  dichten  Mantel  umgeben,  welcher  oben  eine  Röhre  hat.  die  in  eine  zweite 
Kammer  einmündet;  hier  befindet  sich  ein  Saugapparat,  welcher  allen  Schmutz 
und  Staub  fortsaugt  und  in  dieser  zweiten  Kammer  niederfallen  lässt.  Alsdann 
bewirkt  die  Auslieferungsmaschine  (Tireur)  die  Entfernung  der  Wicken, 
Raden  und  runden  Körper,  um  schliesslich  das  Getreide  noch  einer  Puhlmann- 
schen  oder  Sec'schen  Reinigungsmaschine  zu  unterwerfen;  häufig  sind  diese 
Maschinen  zu  einem  System  verbunden. 

Aus  der  Reiniguogskammer  gelangt  das  Getreide  mittels  eines  nach  dem 
Princip  der  Baggermaschine  construirten  und  in  einer  geschlossenen  Röhre  sich 
bewegenden  Elevators  (Xoria.  Jacobsleiter)  nach  der  sogenannten  Korn- 
schnecke*), welche  das  Getreide  zunächst  zu  den  Quetschwalzen  bringt,  um 
namentlich  den  Weizen  massig  zu  drücken;  häufig  wird  er  auch  direct  in  den 
Behälter  über  die  Schrotgänge  geführt.  Der  Schrot  wird  mittels  des  Elevators 
gehoben  und  in  die  Kühlstöcke  (Hopperboy's  **)  geführt,  welche  ihn  auf  die 
Mehlcy linder  vertheilen;  von  dem  Mehlcylinder  geht  er  direct  auf  die  Gries- 
sortirer  (s.  Hochmüllerei). 

Es  ist  hierbei  zunächst  die  Flachmüllerei  und  Ho  chmüllerei  zu  unter- 
scheiden: bei  der  Flachmüllerei,  der  ältesten  Methode,  -wird  sowohl  der  Kern  als  die 
Hülse  fein  gemahlen,  wozu  man  sich  besonders  der  harten,  fein  und  scharf  gemachten  fran- 
zösischen Steine,  welche  dicht  aufeinander  laufen,  bedient.  Hierbei  wird  das  Mablproduct 
ziemlieh  warm  und  mass  deshalb  durch  Ventilatoren  gekühlt  werden.     Die  neueste  Ein- 


*)  Schnecken  heissen  die  nach  dem  Princip  der  Archimedischen  Schraube  con- 
struirten walzenförmigen  Schrauben,  welche  sich  ebenfalls  in  einem  geschlossenen  Ge- 
häuse bewegen. 

**)  Der  Hopperboy  oder  amerikanische  Abkühler  besteht  aus  einer  in  der 
Mitte  einer  Kammer  senkrecht  stehenden  Achse  mit  zwei  oder  mehr  etwa  3  Dm  über 
dem  Fussboden  an  ihr  befestigten  horizontalen  Armen  von  3  —  4  M.  Länge:  sie  dreht 
sich  langsam  (etwa  ömal  in  der  Minute)  um.  Kleine  hölzerne,  gegen  die  Länge  schief 
gestellte  Brettchen  befinden  sich  unter  den  Armen  und  streichen  mit  dem  unteren  Rande 
über  den  glatten  Fussboden.  wodurch  das  Schrot  nicht  nur  umgerührt,  sondern  auch 
von  der  Ausschüttungsstelle  der  Noria  näher  nach  der  Achse  hin  bewegt  wird,  wo  es 
durch  eine  Oeffhung  im  Fussboden  in  die  Mehlcylinder  fällt:  hierdurch  verliert  das 
Schrot  nicht  bloss  Wärme,  sondern  auch  Feuchtigkeit.  Auf  dieselbe  Weise  behandelt 
man  auch  das  Mehl,  welches  aber  in  eine  Metallröhre  fällt  und  alsdann  durch  die  Noria 
zur  Beutelmaschine  gefühlt  wird.  Wo  aber  der  Ventilator  wie  in  Fig.  4  zur  Anwendung 
kommt,  ist  die  Benutzung  des  Abkühlers  nicht  immer  erforderlich. 

6* 


M 


Sauerstoff. 


rieht  ung  dieser  Art  findet  sich  in  Fig.  4  abgebildet.  «  ist  der  befestigte  Bodenstein, 
Läufer,  «reicher  sich  an  einer  senkrecht  stehenden  Achse  in  einer  horizontalen 
Ebene  umdreht  Beide  Steine  sind  mit  einem  Gehäuse  umgeben,  in  welches  der  Venti- 
lat.«r  ■  einmündet  und  die  Luft  ansaugt.  Damit  nicht  das  Mahlgut,  sondern  bloss  Luft 
in  den  Ventilator  dringe,  ruht  ein  Rahmen  mit  eingespanntem  Tuche  ('■)  über  den  Steinen. 
Auf  di  wird  sowohl  der  Staubbildung,  als  auch  der  Erwärmung  des  Mahlgutes 

und  der  Kleisterbildung  vorgebeugt.  Bei/  befindet  sich  eine  senkrecht  stehende  Schnecke, 
das  Mahlgut  wiederum  einem  Elevator  zuführt,  mittels  dessen  es  in  die  Sieb- 
oud  Beutelmaschine  gelangt,  wenn  die  Kleie  von  den  Mehlsorten  geschieden  werden 
-..IL  was  bisweilen  auch  noch  durch  die  Bäcker  geschieht.  Wird  die  Kleie  nicht  geschieden. 
Bondern  mit  verbacken,  so  erhält  man  das  sogenannte  Roggen-  oder  Schwarzbrot. 
Von  der  Beutelmaschine  wird  das  Mehl  durch  Röhren  in  die  Mehlkammer  geleitet, 
wo  das  Mischen  des  Mehls  mittels  einer  mit  Stäben  versehenen  centrifugirenden 
Holzscheit)«  .  weihe  in  einen;  Gehäuse  läuft  und  alle  Staubwirkung  verhütet,  bewirkt 
wird.  Das  Mehl  wird  alsdann  durch  eiserne  Röhren,  wenn  es  nicht  schon  in  der  Beutel- 
maschine mittels  einer  hölzernen  Schnecke  direct  einem  solchen  Mehlrohr  zugeführt 
worden  ist,  nach  unten  in  die  Säcke  geleitet:  jedes  Mehlrohr  hat  in  seinem  unteren  Ende 
eine  Klappe,  welche  man  nach  Belieben  öffnet  und  schliesst.  Auf  diese  Weise  ist 
vom  Anfange  bis  zum  Ende  des  Mahlprocesses  ein  Verlust  am  Mahlgute 
oder    irgend   eine  schädliche  Staubbildung  unmöglich. 

Fig.  4. 


Die  Hochmüllerei  (  Weissmahlen.  Mahlen  vonGries)  erfordert  ein  wieder- 
holtes Mahkn  des  Getreides  mittels  harter,  grob  geschärfter  und  weit  gestellter  Mühl- 
steine. Beim  ersten  Mahlen.  Wim  oben  erwähnten  Schroten,  erhält  man  meistens  ge- 
brochene Körner  (Graupen)  und  oberflächlich  abgestossene  Kleie.  Das  Mehl  entfernt 
man  durch  Beuteln,  während  man  die  Mischung  von  Graupe  und  Kleie  mit  einer  Sortir- 
ma sehine  behandelt,  wobei  man  leichte  Kleie,  noch  nicht  vollständig  ansgemahlene 
Kleie,  feine  Mehlkörner  (Griesmehl).  grobes  Mehl  und  Graupen  erhält.  Die  letzteren 
Producta  unterwirft  man  wiederum  einem  besonderen  Mahlprocesse  und  verfährt  auf  die- 
selbe "\\  eise  wie  vorher,  bis  das  körnige  Mehl  eine  hinreichende  Feinheit  erlangt  hat. 
E-  kommt  als  Griesmehl  in  den  Handel  oder  man  mahlt  es  noch  zu  ganz  feinem  Mehle 
(Weissmahlen),  welches  auch  Kaisermehl  genannt  und  namentlich  in  Wien  und  Paris 
zum  Backen  des  feinen  Brotes  benutzt  wird*). 

*)  lgnaz  Bauer,  gest.  1842  zu  Leobersdorf  bei  Wien,  ist  der  Erfinder  der  Hochmüllerei. 


Die  Müllerei.  85 

Bezüglich  des  Griesmehls  ist  noch  zu  bemerken,  dass  von  8  Gängen  stets  dieselben 
6  Gänge  zum  Schroten  bestimmt  sind,  während  der  siebente  die  guten  (Vorschuss) 
und  der  achte  die  schlechten  Griese  ausmahlt;  letztere  liefern  das  sogenannte  Mittel- 
mehl. Das  Mehl  von  den  auf  dem  siebenten  Gange  ausgemahlenen  guten  Griesen  ver- 
mischt sich  unmittelbar  bei  dem  Austritt  aus  dem  Cylinder  mittels  einer  Schnecke  mit 
dem  aus  dem  Schrot  ausgebeutelten  Mehle.  Die  geringen  Griese,  welche  sich  aus  der 
Vermahlung  des  Schrotes  ergeben,  werden  schliesslich  noch  durch  die  Cabanes'sche 
Griesputzmaschine  gereinigt;  die  hierdurch  erzielten  Griese  werden  mit  den  guten 
Griesen  vermählen,  während  die  übrig  bleibenden  zum  Mittelmehl  gelangen.  Die  fer- 
tigen Mehle  laufen  dann  in  die  Mehlkammer,  von  wo  aus  sie  eingesackt  werden. 

In  ein  neues  Stadium  scheint  die  ganze  Müllerei  gegenwärtig  durch  die  Ein- 
führung von  Wegniann's  Porzellan-Walzenstuhl  zu  treten,  wobei  das  Ge- 
treide nach  geschehener  Reinigung  durch  ein  System  von  Walzen  läuft,  dessen 
Vortheile  sich  bis  jetzt  schon  in  der  Vereinfachung  der  ganzen  Müllerei,  in  der 
Beseitigung  sämmtlicher  Griesputzmaschinen,  in  der  Erzielung  eines  grösseren 
Quantums  hellen  reineren  Mehles  und  in  der  Unmöglichkeit,  die  Qualität  dessel- 
ben durch  die  Vermahlung  zu  verderben,  herausgestellt  haben. 

Zu  erwähnen  sind  noch  die  Schälmühlen,  welche  die  Erhaltung  der  Gestalt  der 
Getreidekörner  bezwecken,  wie  dies  beim  Reis  und  bei  den  Graupen  der  Fall  ist. 
Da  es  hierbei  auf  die  Abscheidung  der  Hülsen  oder  Bastschichten  ankommt,  so  heisst 
der  ganze  Process  Schälen,  welches  besonders  bei  der  Gerste  und  beim  Reis,  seltner 
beim  Weizen  vorgenommen  wird.  Nur  von  der  faserigen  Schale  befreite,  aber  in  ihrer 
Gestalt  wenig  veränderte  Gerstenkörner  heissen  geschälte  Gerste,  Graupen;  sind 
bei  ihnen  auch  die  Spitzen  entfernt  worden,  so  heissen  sie  Perlgerste,  Perlgraupen. 

Die  Einrichtung  der  Schälmühlen  stimmt  im  Ganzen  und  Grossen  mit  der  der 
Mahlmühlen  überein;  nur  ist  der  Läufer  mit  einem  Behälter  eingeschlossen,  welcher 
inwendig  mit  Weissblech,  welches  eine  Art  Raspe  darstellt,  bekleidet  ist.  Der  Zwischen- 
raum zwischen  Läufer  und  Bütte  wird  mit  den  Getreidekörnern  ausgefüllt ;  durch  die 
rauhe  äussere  Fläche  des  Läufers  werden  die  Körner  mitgeführt,  übereinander  und  gegen 
die  raspenförmigen  Bleche  geschoben,  wodurch  die  Hülsentheile  mehr  abgerieben  als 
abgeschält  werden.  Zur  Entfernung  der  geschälten  Körner  dient  eine  Oeffnung  in  der 
Seitenwand  der  Bütte  oder  im  Bodenstein;  diese  sowohl  als  auch  die  Oeffnung  im 
Deckel  der  Bütte  zum  Eingeben  der  Körner  sind  mit  Schiebern  versehen,  welche  sich 
automatisch  öffnen  und  schliessen,  wenn  der  Läufer  eine  bestimmte  Zahl  von  Umdrehun- 
gen gemacht  hat.  Damit  die  Körner  nicht  zwischen  Läufer  und  Bodenstein  gerathen, 
vermehrt  man  die  Umdrehungsgeschwindigkeit  der  Läufer  und  bewirkt  einen  starken 
Luftstrom  von  der  Mitte  zur  Peripherie  dadurch,  dass  man  die  Kerben  auf  der  unteren 
Fläche  des  Läufers  tief  aushaut.  Die  Mahl  flächen  der  Mühlsteine  werden  bekannt- 
lich mit  Furchen,  Einschnitten  oder  Rippen  versehen  (Hauschlag),  wozu  man  sich  in  der 
Regel  eines  Hammers  mit  meisselförmig  zugeschärften  Enden  von  Stahl  bedient.  Gegen- 
wärtig gebraucht  man  in  den  neueren  Mühlen  stets  eine  mit  einem  Diamant  versehene 
Steinschärf- Maschine  hierzu,  wodurch  die  für  die  Müller  höchst  gefährliche  Hau- 
arbeit ganz  umgangen  wird ;  mit  der  Einführung  dieser  Maschine  kann  man  einen 
grossen  sanitären  Fortschritt  begrüssen.  Die  Zeichnung  der  Linien  ist  je  nach 
dem  Zweck,  den  man  beim  Mahlen  erreichen  will,  verschieden. 

Es  ist  häufig  behauptet  worden,  dass  Ausbesserungen  der  beschädigten  Stellen  an 
Mühlsteinen  auch  durch  Eingiessen  von  Blei  bewirkt  würden;  da  das  Blei  während 
des  Mahlens  abgerieben  und  mit  dem  Mehl  vermischt  würde,  so  seien  hierdurch  beim 
späteren  Genuss  des  Mehls  Vergiftungen  herbeigeführt  worden.  Sehr  erfahrene  und  in- 
telligente Müller  stellen  dies  in  Abrede,  da  es  sehr  unpraktisch  sein  würde,  ein  so  weiches 
Metall  hierzu  zu  wählen;  fast  ausnahmslos  wird  eine  Mischung,  deren  Hauptbestand- 
teil Alaun  ist,  bei  solchen  Vorkommnissen  benutzt.17) 

Je  feiner  die  Sorten  werden  sollen,  desto  öfter  wird  das  Schälen  wiederholt. 
Damit  Reis  und  Perlgerste  glänzend  erscheinen,  werden  sie  noch  polirt;  dies  ge- 
schieht wie  das  Schälen,  nur  wählt  man  zum  Beschläge  des  äusseren  Behälters  des 
Läufers  ein  feines  Drahtgewebe. 

Um  namentlich  dem  Reis  eine  bläuliche  Farbe  zu  geben,  werden  die  Körner 
beim  Poliren  mit  einer  Auflösung  von  Indigo  in  rauchender  Schwefelsäure  be- 
sprengt;  eine  Methode,  welche  in  sanitärer  Beziehung  nicht  zu  empfehlen  ist. 

Wirft  man  einen  Rückblick  auf  das  ganze  Mühlensystem,  so  wird  man  nicht 
verkennen,  dass  die  Mühlenbesitzer  immer  mehr  genöthigt  werden,  sich  den  Fort- 


gß  Sauerstoff. 

schritten  desselben  anzuschliessen.  Je  mehr  dieselben  sich  aber  geltend  machen, 
desto  mehr  werden  auch  die  hervorgehobenen  gesundheitsschädlichen  Einflüsse 
dieses  Gewerbes  schwinden. 

Bei  dem  jetzigen  Mühlensystem  ist  jedoch  noch  auf  einen  Umstand  Rück- 
sicht zu  nehmen,  welcher  zu  grossen  Gefahren  Veranlassung  geben  kann;  geht 
nämlich  ein  Gang  leer  oder  sind  die  Steine  sehr  dicht  gestellt,  so  entstehen  häufig 
Funken,  welche  eine  geringe  Menge  des  Mahlgutes  entzünden.  Das  fortglimmende 
Mehl  kann  durch  den  Elevator  befördert  werden,  ohne  diesen  zu  beschädigen; 
ist  es  im  Beutelkasten  oder  Exhaustorkasten  angelangt,  so  wird  der  Luftzutritt  und 
damit  die  Verbrennung  sehr  begünstigt;  die  Entzündung  kann  sich  alsdann  durch  die 
ganze  Mühle  fortpflanzen  und  die  Explosion  derselben  herbeiführen.  Auch  ist  der 
Fall  schon  vorgekommen,  dass  sich  der  durch  eine  Erschütterung  aufgewirbelte 
Mehlstaub  an  einer  Solaröllampe  ohne  Cylinder  entzündet  hat;  es  ist  daher  der 
Gebrauch  tragbarer  Lichter  in  Mühlen  zu  vermeiden. 

Das  zum  weitern  Transport  bestimmte  Mehl  muss  möglichst  trocken  sein 
nm\  ist  daher  einer  besonderen  Trocknung  zu  unterwerfen;  wird  ein  solches  Mehl 
noch  mittels  der  hydraulischen  Presse  behandelt,  so  eignet  es  sich  durch  seine 
compendiöse  Form  namentlich  für  Kriegsproviant.  —  Die  Verpackung  des 
Mehls  in  Fässern  wird  vielseitig  getadelt,  weil  es  den  sogenannten  Fassgeruch 
annimmt,  wobei  der  Kleber  in  eine  lösliche  Modification  übergehen  soll. 

Behandlung  des  Mehls.  Um  das  Mehl  wohlschmeckender  und  verdaulicher  zu 
machen,  unterwirft  mau  es  in  der  primitivsten  Form  dem  Anteigeu,  d.  h.  dem 
Mischen  mit  Wasser  und  dem  spätem  Erhitzen  mit  heissen  Steinen,  um  das 
Stärkemehl  in  Kleister  und  die  stickstoffhaltigen  Bestandteile  in  eine  mehr 
assimilirbare  Form  zu  verwandeln.  Hierher  gehören  das  ungesäuerte  Brot  der 
Juden  (Passahbrot)  und  der  Schiffszwieback.  Erst  später  begegnet  man  dem 
angesäuerten  Brote;  wird  nämlich  das  Mehl  mit  Wasser  gemengt  und  sich  selbst 
überlassen,  so  treten  alle  Stadien  der  Zersetzung  wie  bei  einem  Fruchtsafte  ein.  Die 
stickstoffhaltigen  Bestandtheile,  die  Proteinstoffe,  nehmen  Sauerstoff  auf  und 
bilden  ein  Ferment;  es  tritt  eine  wahre  weinige  oder  Alkohol-Gährung 
ein,  welche  aber  bald  in  Essig-  und  Milchsäure-Gährung  übergeht.*)  Dabei  bläht 
sich  der  Teig  durch  die  Entwicklung  von  Kohlensäure  auf  (das  Gehen  des 
Teigs)  und  die  vorherrschenden  Säuren  wirken  lösend  auf  das  Pflanzeneiweiss 
und  die  phosphorsauren  Erden  ein.  Ein  solcher  sauer  reagirender  Teig  heisst 
Sauerteig;  derselbe  beschleunigt  als  Ferment  den  Vorgang  der  sauren  Gäh- 
rung  (Milchsäure-Gährung),  wenn  er  frischem  Teige  zugesetzt  wird. 

Hemmt  man  diese  beständig  fortschreitende  Zersetzung  nicht,  so  wird  der  Teig 
weich  (übergegangener  Sauerteig),  und  schliesslich  entsteht  eine  nach  Butter-, 
Baldriansäure  und  Schwefelwasserstoff  riechende  schleimige  Flüssigkeit,  welche  als 
Nahrungsmittel  nicht  verwendet  werden  kann.  Zersetzungen  dieser  Art  können  aber, 
wie  schon  oben  (S.  80)  erwähnt  worden,  durch  eine  Hitze  von  100°  C.  aufgehalten 
werden.  Diese,  benutzt  man  auch  beim  gährenden  Brotteige,  indem  man  letztern  in 
geschlossene,  über  die  Temperatur  des  siedenden  Wassers  erhitzte  Räume  (Backöfen) 
I «ringt  und  so  lange  hier  verweilen  lässt,  bis  die  ganze  Teigmasse  durch  und  durch 
eine  Temperatur  erhalten  hat,   welche  den  Gährungs-  resp.  Zersetzungsprocess  aufhebt. 

Während  dieser  _  Erhitzung  geht  das  unzersetzte  Anvylum  in  Kleister  und 
Dextrin  über;  die  im  Teige  sich  entwickelnde  Kohlensäure  wird  durch  die  Wärme 
ausgedehnt,  wodurch  der  Teig  aufgetrieben  und  ausgedehnt  wird  (Aufgehen  des 
Brotes),    während   der   äussere  Theil  durch   die  hohe  Temperatur  ausgetrocknet  und 

*)  Die  Bemühungen,  den  hier  auftretenden  Alkohol  zu  verwerthen,  haben  noch  zu 
keinem  befriedigenden  Resultate  geführt. 


Das8*  Brotbacken.  87 

einer  Art  von  trockener  Destillation  unterworfen  wird  (Krustenbildung).  Diese 
Manipulationen  nennt  man  das  Backen  des  Teiges  und  die  dabei  eintretenden  chemi- 
schen Veränderungen  desselben  die  Panification  oder  Brotbildung. 

Dieser  Vorgang  erleidet  in  der  Praxis  unendlich  viele  Modifikationen ;  diese 
bestehen  hauptsächlich  darin,  dass  man  1)  die  Kleie  mehr  oder  weniger  vom  feinen 
Mehle  trennt  (Weissbrot)  oder  demselben  zusetzt(Schwarzbrot);  2)  dass  man  das 
Mehl   der  verschiedenen  Samenarten    mengt    (gemischtes    oder    gemengtes  Brot); 

3)  dass  man  das  Getreide  bloss  schrotet  und  die  ganze  Masse  verbackt  (Schrotbrot); 

4)  dass  man  statt  des  Wassers  Milch  nimmt  und  dadurch  den  Nährwerth  erhöht 
(Milchbrot);  5)  dass  man  den  Sauerteig  durch  Hefe  .ersetzt  (Weissbrot)  oder 
durch  Amoniunicarbonat,  nach  Iriebig  durch  Binatriumcarbonat  und  Salzsäure,  nach 
Horsford  durch  saures  phosphorsaures  Calcium  und  Binatriumcarbonat  das  Aufgehen 
des  Teigs  erzielt;  6)  dass  man  bezüglich  des  Backverfahrens  eine  ein-  und  zweimalige 
Wiederholung  eintreten  lässt  (Zwie-  oder  Triback)  l8). 

Beim  mechanischen  Betriebe  der  Bäckerei  mit  Einschluss  der  Luxusbäckerei 
(Conditorei)  schleppen  sich  noch  alte  Gewohnheiten  fort,  welche  nur  langsam  dem 
Fortschritt  der  Neuzeit  weichen.  Bäcker  leiden  nicht  bloss  durch  den  Mehlstaub,  son- 
dern auch  durch  körperliche  Anstrengungen  beim  Anmengen  des  Teiges,  sowie  durch 
starken  und  plötzlichen  Temperaturwechsel;  der  „Bäckerhusten"  ist  allgemein 
bekannt,  während  die  vielfachen  Verdauungsstörungen  häufig  mit  einer  unregelmässigen 
und  unzweckmässigen  Lebensweise  zusammenhängen.  Die  bei  Conditoren  so  häufig 
vorkommenden  schlechten  Zähne  sind  unzweifelhaft  die  Folge  vom  häufigen  Genuss  des 
Zuckers. 

Der  Mehlstaub  beim  Beuteln  könnte  auf  das  geringste  Mass  zurückgeführt 
werden,  wenn  der  Verschluss  des  Mehlkastens  ein  ausreichender  sein  und  nur  einige 
Sorgfalt  auf  den  Schutz  der  Respirationswege  durch  Vorbinden  eines  Tuches  vor  Mund 
und  Nase  verwendet  werden  würde.  Die  körperlichen  Anstrengungen  beim  Teigkneten 
können  durch  die  Maschinenkraft  ersetzt  werden,  namentlich  auch  in  solchen  Gegenden, 
in  welchen  der  Teig  für  Schwarzbrot  durch  Treten  mit  den  Füssen  bearbeitet  wird; 
so  sind  z.  B.  in  Frankreich  einfache  Kneter  eingeführt,  welche  mit  mehreren  Armen 
versehen  sind  und  durch  ein  Rad  in  Bewegung  gesetzt  werden;  hierdurch  wird  derselbe 
Zweck  wie  durch  die  Hände  des  Arbeiters  erzielt  und  auch  den  Anforderungen  der 
Reinlichkeit  mehr  entsprochen. 

Die  Backöfen  für  grossartige  Bäckereien  gestatten  einen  fortwährenden  Betrieb, 
wenn  das  Feuer  in  der  Mitte  des  Ofens  liegt  und  man  den  Gang  der  Flamme  mittels 
Zügen  regelt.  Am  meisten  Verbreitung  verdienen  die  rotirenden  Backöfen  schon 
deshalb,  weil  dabei  nicht  auf  der  Sohle  des  Backofens  gebacken  wird;  sie  sind  kreis- 
rund und  in  der  Mitte  des  flachen  Kreisgewölbes  hängt  eine  Scheibe,  welche  denselben 
fast  ganz  ausfüllt  und  worauf  man  das  Brot  legt,  so  dass  dasselbe  nur  einen  Zoll  hoch 
über  dem  erhitzten  Boden  schwebt  und  von  der  eigentlichen  Gluth  desselben  nicht 
berühi-t  wird. 

Der  neueste  Fortschritt  besteht  in  der  Construction  der  Backöfen  mit  Heiss- 
wasserheizung,  deren  Vortheile  neben  der  Ersparniss  an  Brennmaterial  auch  in 
sanitärer  Beziehung  hervorzuheben  sind,  da  die  strahlende  Gluth  des  Feuers  mit  ihrer 
schädlichen  Einwirkung  wegfällt;  es  kommt  hierbei  nur  auf  eine  solide  Construction  der 
Röhren  an,  damit  nicht  ein  Zersprengen  derselben  stattfindet,  wie  dies  schon  vor- 
gekommen ist. 

Das  Brotbacken.  Das  bis  jetzt  gebräuchliche  Brotbacken  verdient  in  sani- 
tärer Beziehung  insofern  noch  eine  Beaufsichtigung,  als  nicht  selten  altes  Holz, 
welches  mit  arsenikalischem,  kupfer-,  blei-  oder  zinkhaltigem  Farbenanstrich  ver- 
sehen ist,  zum  Heizen  des  Backofens  benutzt  wird.  Abgesehen  davon,  dass  die  hierbei 
entstehenden  Holzkohlen  die  betreffenden  basischen  Metallsalze  enthalten  und  bei 
ihrer  anderweitigen  Benutzung  durch  Ausbreitung  metallischer  Dämpfe  schädlich 
einwirken,  bleibt  auch  der  Boden  des  Backofens  mit  diesen  Oxyden  mehr  oder 
weniger  bedeckt,  weil  sie  specifisch  schwerer  als  die  Holzkohlen  sind  und  daher 
durchfallen.  Dadurch  können  auch  die  Backwaaren  mit  diesen  Oxyden  verun- 
reinigt werden  und  konnte  in  einem  concreten  Falle  deutlich  nachgewiesen  wer- 
den, dass  an  einem  fertig  gestellten  Zwieback  0,05—0,1  Grm.  zinkhaltiges  Blei- 
oxyd haftete.  Solche  Oxyde  haben  eine  schmutzig-blassgelbe  Farbe  und  unter- 
scheiden   sich    wenig    von   der   Farbe    der    Backwaaren;    der  Consument    wird 


gg  Sauerstoff. 

daher  am  so  weuiger  veranlasst,  die  Backwaare  von  dieser  Verunreinigung  zu 
befreien. 

Bei  Verwendung  eines  Holzes,  welches  einen  Anstrich  von  Schweinfurter 
Grün  hat,  verflüchtigt  sich  ausserdem  das  Arsenik  und  lagert  sich  im  Schorn- 
stein ab.  Durch  die  Einwirkung  der  Kohle  auf  die  Metalle  in  der  Oelfarbe 
werden  diese  zuerst  reducirt  und  durch  die  erhöhte  Temperatur  in  Dampf 
übergeführt,  welcher  wiederum  durch  die  Einwirkung  des  atmosphärischen  Sauer- 
stoffs eine  Veränderung  erleidet,  so  dass  abermals  Metalloxyde  entstehen,  welche 
meistens  an  den  weniger  heissen  Theilen  des  Ofens  sich  niederschlagen  und 
festsetzen.  Beim  Einschieben  des  Brotes  in  den  Ofen  werden  durch  den  sich 
entwickelnden  Wasserdampf  die  an  seiner  oberen  Decke  haftenden  Metalloxyde 
zum  Herabfallen  gebracht;  die  schädliche  Verunreinigung  der  Backwaaren  mit 
denselben  ist  alsdann  die  natürliche  Folge. 

In  einem  Dorfe  wurde  der  Gemeinde-Backofen  mit  einem  Gartenzaun,  der 
mit  Schweinfurter  Grün  angestrichen  war,  geheizt ;  sämmtliche  Brote  wurden 
hierdurch  vergiftet  und  zwar  musste  das  Ereigniss  in  diesem  Falle  um  so  eher 
eintreten,  als  bei  einem  freistehenden  Backofen  die  flüchtigen  und  giftigen  Ver- 
bindungen sich  leichter  ablagern  konnten  als  bei  einem  Ofen,  der  beständig  in 
Betrieb  ist. 

Eine  ebenso  grosse  Beachtung  verdienen  alte  Eisenbahnschwellen,  wenn  sie 
zum  Heizen  der  Backöfen  benutzt  werden.  Es  ist  bekannt,  dass  sie  früher  noch  häufiger 
als  jetzt  mit  verschiedenen  Metalllösungen  imprägnirt  wurden,  um  dieselben  zu  con- 
serviren;  werden  sie  verbrannt,  so  ist  der  mögliche  Schaden  durch  die  Beschaffenheit 
der  zum  Conserviren  benutzten  Metalle  (Sublimat,  Chlorbarium,  Chlorzink,  Kupfer-  oder 
Zinkvitriol  etc.)  bedingt.  Die  schädlichsten  Folgen  hat  der  Sublimat,  welcher  sich  als 
solcher  verflüchtigt,  während  beim  Chlorbarium  Bariumcarbonat  entsteht  und  die  übrigen 
Metalle  die  entsprechenden  Oxyde  liefern. 

Das  Verfälschen  des  Mehls,  welches  in  neuerer  Zeit  in  grossartigem 
Massstabe  betrieben  wird,  ist  in  sanitärer  Beziehung  von  grosser  Wichtigkeit; 
gewöhnlich  geschieht  es  schon  auf  den  Mahlmühlen,  weil  hier  ein  innigeres 
Mischen  leichter  ermöglicht  ist.  Die  gewöhnlichen,  geflissentlichen  Zusätze  be- 
stehen, abgesehen  von  dem  Mehle  anderer  und  gemischter  Getreidearten,  in 
Schwerspath,  Gips,  Lenzin,  Chinaklei,  Aluminiumsilicaten,  Magnesiumsilicat,  In- 
fusorienerde etc.  Am  häufigsten  wird  Schwerspath  benutzt,  so  dass  besondere 
Mühleu  sich  mit  dem  Mahlen  des  Schwerspathes  nur  zu  diesem  Zwecke  beschäftigen. 

Gewissenlose  Bäcker  setzen  beim  Anmachen  des  Teigs  bisweilen  Kupfer- 
vitriol, Zink vitriol  oder  Alaun  hinzu;  mitunter  kommen  auch  zwei  dieser 
Substanzen  vor.  In  Belgien  benutzt  man  am  häufigsten  Kupfervitriol, 
welches  einen  grösseren  Wasserzusatz  gestattet  und  dadurch  die  Brotausbeute 
vermehrt;  auch  soll  dadurch  angegangenes  Mehl  noch  verwerthet,  eine  schönere 
Krustenbildung  erzielt,  die  weisse  Farbe  des  Brotes  erhöht  und  das  Austrocknen 
mehr  hinausgeschoben  werden. 

In  einem  concreten  Falle  kamen  3  Sorten  von  Weissbrod  zur  Untersuchung,  welche 
aus  Belgien  stammten. 

Der  Aschengehalt  betrug  im  Innern  bei 


Zinkoxyd 

Thonerde. 

I.  2,01660% 

mit      0,0350 

0,0222. 

IL  5,3662% 

„         0,0311 

0,0613. 

IL  4,6990% 

„        0,0309 

0,0593. 

Da  gutes  Weissbrot  durchschnittlich  1,07—1,50%  Asche  enthält,  so  musste  man 
schon  aus  dem  hohen  Aschengehalt  einen  Verdacht  auf  fremdartige  Beimischungen 
schöpfen. 19) 


Sauerste  ff.  89 

Blauholztinctur  soll  den  Alaun  auf  eine  rasche  Weise  durch  eine  dunkelrothe 
oder  pur purröthliche  Färbung  nachweisen.  Unverfälschtes  Brot  wird  dadurch  nur 
strohgelb  gefärbt.  Bei  1/8%  Alaungehalt  ist  der  durch  die  Tinctur  bewirkte  röthlich- 
gelbe  Fleck  mit  einem  blaugrauen  Saum  versehen.  Mittels  des  Mikroskops  erkennt 
man  aber  auf  dem  Fleck  noch  deutlich  blaue  Puncte;  diese  lassen  sich  auch  noch 
bei  %  °/„  Alaun  nachweisen,  obgleich  sich  alsdann  der  graublaue  Rand  nicht  mehr  deut- 
lich zeigt. 

Verunreinigung  des  Mehls  mit  Mutterkorn.  Um  Roggenmehl  auf 
Mutterkorn  zu  prüfen,  hat  Böttcher  ein  einfaches  Verfahren  angegeben:  Man 
überschüttet  eine  Probe  des  betreffenden  Mehls  in  einem  Reagensgläschen  mit  dem 
gleichen  Volumen  Essigäther,  fügt  einige  Kry Stallfragmente  von  Oxalsäure  hinzu 
und  erhitzt  das  Ganze  vorsichtig  einige  Minuten  lang  bis  zum  Kochen;  erscheint  beim 
Erkalten  die  über  dem  Mehle  stehende  Flüssigkeit  mehr  oder  weniger  röthlich 
gefärbt,  so  war  Mutterkorn  im  Mehle   vorhanden. 

Gemischte  Mehlsorten.  Schwierig  ist  die  Unterscheidung  der  verschiedenen 
Mehlsorten  in  einem  Gemenge.  Abgesehen  von  der  mikroskopischen  Prüfung  der 
Stärkemehlkörperchen  ist  hier  noch  die  Beschaffenheit  des  Klebers  (des  Gemenges 
von  Pflanzenfibrin ,  Pfianzenleim  und  Pflanzencasein)  zu  erwähnen,  da  er  bezüg- 
lich der  Beschaffenheit  und  Menge  in  den  verschiedenen  Mehlsorten  differirt.  Das 
Weizenmehl  ist  am  reichsten  an  Kleber  und  lässt  sich  derselbe  durch  Auskneten 
mittels  Wassers  leicht  darstellen.  Je  mehr  er  sich  dehnen  lässt,  je  mehr  seine 
Farbe  gelblichbraun  erscheint,  desto  backfähiger  wird  sich  der  Weizen  erweisen,  so  dass 
nach  dem  Urtheile  der  Praktiker  es  hierbei  weniger  auf  die  Quantität,  als  auf  die 
Qualität  des  Klebers  ankommt.  Je  mehr  der  Kleber  kurz  abreisst,  desto  weniger 
ist  das  Mehl  als  ein  „gesundes"  zu  betrachten.  Den  Klebergehalt  als  Erkennnungs- 
zeichen  für  die  verschiedenen  Mehlsorten  zu  benutzen,  unterliegt  jedoch  vielen  Schwie- 
rigkeiten. 

Im  Roggenmehl  hat  der  Kleber  stets  eine  schleimige,  schwärzliche,  ungleiche 
und  klebende  Beschaffenheit.  Der  Kleber  im  Gerstenmehl  ist  schmutzig-röthlich  und 
bildet  korkzieherähnliche,  trockene  Stränge,  während  das  Hafermehl  einen  schwärzlich- 
gelben und  weiss  punctirten  Kleber  zeigt.  Wenn  nun  aber  die  verschiedenen  Mehl- 
sorten untereinander  gemischt  sind,  so  muss  sich  die  Schwierigkeit,  die  Beschaffenheit 
des  Klebers  als  diagnostisches  Mittel  zu  benutzen,  steigern.  Einigermassen  vermag 
noch  die  Menge  des  Klebers  hierüber  zu  entscheiden,  namentlich  wenn  es  sich  um  die 
in  Steuerangelegenheiten  oft  vorkommende  Frage:  ob  Weizenmehl  mit  Roggenmehl  ver- 
mischt ist,  handelt.20) 

In  sanitärer  Beziehung  ist  die  Vermischung  des  Weizen-  oder  Roggenmehls 
mit  dem  Bohnenmehle  aus  der  Pferdebohne  (Vicia  faba)  wichtiger,  da  hierdurch  das 
Brot  feucht  und  klebrig  wird;  dabei  enthält  dies  Mehl  eine  stickstoffhaltige  Substanz, 
welche  leicht  den  Fäulnissprocess  befördert  und  Ammoniakbildung  zur  Folge  hat,  wes- 
halb das  Brot  auf  dem  Durchschnitt  oft  faulig  riecht.  Vermischt  man  die  Krume  mit 
Liq.  Kai.  caust.,  so  entwickelt  sich  alsbald  Ammoniak.  Betupft  man  ein  solches  Brot 
mit  einer  Lösung  von  Pottasche  und  Aetzkali  zu  gleichen  Theilen  in  8  Th.  destillirten 
Wassers,  so  erhält  man  einen  intensiv  braun rothen  Fleck  (beim  Roggenbrot  einen 
gelben,  bei  Buchweizenmehl  einen  braunen). 

Die  Beimengung  dieses  Mehls  gestattet  beim  Anteigen  noch  einen  Zusatz  von 
10%  Wasser,  wodurch  auch  eine  Gewichtsvermehrung  veranlasst  wird.  Nach  den  vor- 
liegenden Erfahrungen  hat  schon  ein  Zusatz  von  5%  Bohnenmehl  zum  Getreidemehl 
eine  nachtheilige  Einwirkung  auf  die  Verdauung  zur  Folge,  namentlich  treten  leicht 
Durchfälle  ein.  — 

Kehren  wir  zum  Sauerstoff  zurück,  so  ist  noch  zu  erwähnen,  dass  man 
auch  bei  vielen  andern  Vorgängen  im  täglichen  Leben  darauf  angewiesen  ist, 
die  Einwirkung  des  Sauerstoffs  durch  chemische  Mittel  aufzuheben;  will  man 
z.  B.  die  in  Schornsteinen  entstehenden  Brände  rasch  löschen,  so  gebraucht  man 
dazu  Schwefel,  um  dem  Feuer  den  ihm  zum  Fortbestehen  notwendigen  Sauer- 
stoff zu  entziehen.  Wenn  Schwefel  mit  blassblauer  Farbe  brennt,  so  erzeugt  sich 
bekanntlich  schweflige  Säure.  Um  nun  Schornsteinbrände  rasch  zu  ersticken, 
lässt  man  im  Schornstein  eine  Handvoll  Schwefelfäden  verbrennen;  die  sich  ent- 
wickelnde schweflige  Säure,  welche  in  die  Esse  aufsteigt,  mischt  sich  mit  der  Luft, 
wodurch  alsdann  dem  Feuer  die  Nahrung  resp.  der  Sauerstoff  entzogen  wird.  Die 
Buch  er 'sehen  Feuerlöschdosen,  welche  aus  Salpeter,  Schwefel,  Kohle  und  etwas 


90  Sauerstoff. 

Eisenoxyd  bestehen,  halten  denselben  Zweck;  das  Eisenoxyd  dient  nur  zur  Färbung 
der  Mischung,  während  der  Salpeter  den  Sauerstoff  zur  Verbrennung  des  Schwefels 
und  der  Kohle  liefert,  so  dass  hier  schweflige  Säure  und  Kohlensäure  zum  Löschen 
des  Feuers  dienen. 

Znfnhr  von  Sauerstoff  liei  technischen  Forgängen.     Es  ist  nicht  möglich,  die 

verschiedenen  Vorgänge  in  der  Technik,  welche  eine  Zufuhr  von  Sauerstoff  erfor- 
dern, speciell  aufzuführen. 

Ausser  der  Heizung,  Beleuchtuug  und  Feuerung,  welche  au  einem 
andern  Orte  zur  Sprache  kommen,  ist  hier  nur  die  Rasenbleiche  oder  das 
Bleichen  der  Farben  an  der  Luft  zu  erwähnen,  da  dieser  Vorgang  auf  eiuem 
Oxydationsprocesse  beruht.  Leinwand  oder  Baumwolle  ist  gewöhnliche  Holz- 
faser, welche  entweder  durch  schon  in  der  Pflanze  enthaltene  oder  bei  der  Dar- 
stellung hinzugekommene  organische  Substanzen  mehr  oder  weniger  gefärbt  ist. 
Benetzt  man  Leinwand  oder  Baumwolle  mit  Wasser  und  setzt  sie  dem  Sonnen- 
lichte aus.  so  wird  der  Sauerstoff  der  das  Zeug  berührenden  Luft  sich  vorzugs- 
weise auf  die  leicht  oxydabeln  Farbstoffe  werfen  und  Wasser  und  Kohlensäure 
erzeugen.  In  dem  Masse,  als  die  färbenden  Substanzen  hierdurch  schwinden, 
nimmt  auch  das  Gewicht  der  Stoffe  ab,  da  mit  ihnen  auch  die  Elemente  einer 
gewissen  Menge  Holzfaser  mit  dem  Sauerstoff  Verbindungen  eingegangen  sind. 
Mit  der  Zeit  entsteht  eine  der  Papiermasse  ähnliche  Substanz;  je  länger  der 
Sauerstoff  eingewirkt  hat,  um  so  mehr  ist  alsdann  der  Zusammenhang  der  Holz- 
faser zerstört.  Die  Papier-  und  Lumpenbleiche  besteht  häufig  darin,  dass  man 
die  alten  Lumpen  in  den  Papierfabriken  durch  einen  Fäulnissprocess  bleicht  (siehe 
Papierfabrication). 

Ozon.  Ol  Aetiver  Sauerstoff  wird  in  der  Luft  stets  nur  in  geringer  Menge 
augetroffen:  dieselbe  nimmt  aber  im  Laufe  des  Jahres  regelmässig  ab  und 
zu.  Im  November  ist  die  Ozonreaction  am  geringsten  und  im  Frühjahr  nament- 
lich im  März  am  deutlichsten.  Nach  Berigny  sollen  die  absoluten  Maxima  und 
Minima  genau  6  Monate  auseinander  liegen;  nach  Prestel  steht  die  Stärke  der 
Reaction  in  eiuem  bestimmten  Verhältniss  zur  Stärke  und  Wirkung  des  Windes. 
Besonders  ist  die  Färbung  des  Ozonometers  bei  den  seewärtskommeucleu 
X-,  NW-  und  W-Wiuden  stärker,  als  bei  den  Landwinden*).  Die  Wirkung 
der  kräftigem  Luftströmung  auf  das  Ozonometer  schreibt  man  dem  dadurch  be- 
dingten stärkern  Aneinanderreihen  der  eiuzelnen  Luftmolecüle  zu,  wodurch  der 
elektrische  Zustand  vermehrt  wird;  andererseits  wird  durch  eine  kräftige  Luft- 
strömung auch  die  Wasserverduustung  vermehrt.  Dass  Ozon  beim  Verdunsten 
des  Wassers  auftritt  und  Feuchtigkeit  überhaupt  ein  Hauptvermittler  der  Ozon- 
wirkung ist,  hat  bereits  Schönbein  hervorgehoben.  Neuerdings  ist  diese  That- 
sache  durch  v.  Gorup-Besanez21)  und  Lender2'-)  auf  Grund  vielfacher  Messun- 
gen immer  mehr  bestätigt  worden.  Man  kann  daher  um  so  sicherer  auf  Ozon- 
bildung rechnen,  je  mehr  die  Verduustuug  des  Wassers  durch  Luftbewegung  be- 
fördert wird. 

Bei  hochgelegenen  und  mit  reichlicher  Vegetation  umgebenen  Ortschaften  findet 
sich  ein  relativ  reicher  Ozongehalt  vor :     dagegen  vermögen  Verunreinigungen  der  Luft. 

*)  Je  nach  der  Lage  eines  Landes  zum  Meere  variiren  deshalb  auch  die  ozonreichen 
Winde. 


OZOD.  91 

durch  faulende  organische  Substanzen  etc.  den  Ozongehalt  bedeutend  zu  vermindern. 
In  Krankensälen,  in  engen  Gassen  und  an  niedrig  gelegenen  Plätzen  erhält  man  selten 
Ozonreactionen;  in  Krankenhäusern  hat  man  bekanntlich  bei  der  stärksten  und  anhal- 
tenden Ventilation  bisher  noch  keine  Spur  von  Ozon  nachweisen  können. 

Wo  Ozon  in  freier  Luft  vorkommt,  steht  es  nach  Strm-e  in  sehr  nahem  Zusammen- 
hange mit  Wasserstoffsuperoxyd  und  Ammoniumnitrit;  i\  Gorup-Besanez  nennt 
diese  drei  Körper  eine  eng  verbundene  Trias  und  alle  in  der  Luft  möglichen  Bildungs- 
weisen derselben  sind  auf  eine  vorgängige  Polarisation,  auf  ein  Activwerden  des  Sauer- 
stoffs, d.  h.  auf  die  Bildung  von  Ozon  zurückzuführen. 

Es  bildet  sich  das  Ozon  durch  elektrische,  elektrolytische  und  chemische  Actionen. 
S'-hönbpin  wies  zuerst  nach,  dass  eine  riechende  Substanz  im  Sauerstoff  enthalten  sei, 
welchen  man  durch  die  Fo/fa'sche  Wasserzersetzung  erhält;  er  nannte  daher  diesen 
Körper  Ozon  (von  o£etv,  riechen).  Ebenso  entsteht  er  bei  langsamer  Oxydation  des 
Phosphors;  giesst  man  zu  einem  Stück  reinen  Phosphors  in  einem  Glase  so  viel  Wasser, 
dass  es  bis  zur  Hälfte  bedeckt  wird,  und  lässt  das  Glas  einige  Stunden  bei  einer  Tem- 
peratur von  18— 20°  C  unter  leichtem  Verschlusse  stehen,  so  ozonisirt  sich  der  Sauer- 
stoff, indem  der  knoblauchartige  Geruch  des  Phoi'phors  schwindet  und  dem  charakteri- 
stischen des  Ozons  Platz  macht. 

Reichlicher  entwickelt  sich  Ozon,  wenn  man  übermangansaures  Kalium  oder  Kaliuni- 
chromat  mit  Schwefelsäure  behandelt;  das  Ozon  zeigt  aber  hier  nur  im  Eutstehungs- 
nioment  seine  charakteristischen  Eigenschaften  und  ist  stets  mit  inactivem  Sauerstoff 
vermischt.  Die  sicherste  Methode  besteht  in  der  Darstellung  mittels  des  Induetions- 
apparates,  wenn  man  den  Inductionsstrom  durch  Sauerstoffgas  gehen  lässt.  Loew  fand 
in  einem  kräftigen  Luftstrom,  den  er  in  die  Flamme  eines  Bunsen'schen  Brenners  ein- 
leitete und  auf  die  geeignete  Weise  auffing,  einen  reichlichen  Ozongehalt;  wahrschein- 
lich tritt  Ozon  bei  allen  Oxydationen  und  bei  der  Verbrennung  auf*). 

Ozon  zeichnet  sich  durch  ein  stärkeres  Oxydationsvermögen  vor  dem  gewöhnlichen 
inactiven  Sauerstoff  aus;  hierdurch  ist  es  im  Stande,  stinkende  Gase  und  Eftluvien  so- 
fort zu  zerstören.  Es  oxydirt  sogar  Silber  in  Silbersuperoxyd,  Phosphor  in  phosphorige 
Säure,  Arsen  iu  arsenige  Säure ,  verwandelt  Ammoniak  in  Salpetersäure  und  Wasser, 
Weingeist  in  Aldehyd,  Essigsäure  in  Ameisensäure  und  Thallium oxydul  in  schwarzes 
Oxyd;  Thalliumpapier  gebraucht  man  deshalb  auch  als  Reagens  auf  Ozon.  Durch 
Fällung  von  schwefelsaurem  Thalliumoxydul  mit  Barytwasser  stellt  man  eine  lOprocen- 
tige  Lösung  von  T  halliumoxydulhyd  rat  dar,  mit  welcher  man  schwedisches  Filtrir- 
papier  in  der  Weise  tränkt,  dass  jeder  Quadratcentimeter  des  Papiers  etwa  1  Mgrm. 
Oxydul  enthält.  Durch  rasches  Trocknen  erhält  man  alsdann  das  Thalliumpapier,  welches 
übrigens  weit  weniger  empfindlich  ist  als  Jodkaliumstärkepapier;  ist  ersteres  schwach 
gefärbt,  so  bläut  es  sich  jedoch  durch  Zusatz  von  Guajaktinctur.  Freie  Untersalpeter- 
säure, Chlor,  Brom  und  namentlich  Wasserstoffsuperoxyd  bläuen  ebenfalls  Jodkalium- 
stärkepapier. Um  nun  Wasserstoffsuperoxyd  von  Ozon  zu  unterscheiden,  eignet  sich  das 
Thalliumpapier  sehr  gut  zu  Controlversuchen,  da  Wasserstoffsuperoxyd  das  durch 
Thalliumoxyd  gebräunte  Papier  rasch  ausbleicht.  Freie  salpetrige  oder  Salpeter- 
säure, welche  nur  höchst  ausnahmsweise  in  der  Atmosphäre  vorkommen,  bläuen 
Guajaktinctur  und  das  Jodkaliumstärkepapier,  vermögen  aber  nicht  das  Thalliumoxydul 
in  Thalhumoxyd  zu  verwandeln.  Freies  Chlor  und  Brom  werden  nur  unter  ganz  be- 
sondern Umständen  zur  Sprache  kommen  können;  daher  wird  es  sich  fast  nur  um  die 
Unterscheidung  von  Wasserstoffsuperoxyd  und  Ozon  handeln;  zwei  Körper,  die  sich  in 
ihrer  Wirkung  bekanntlich  sehr  nahe  stehen. 

Schönhein  unterschied  den  elektronegativen  activen  Sauerstoff  (Ozon)  und  den  elek- 
tropositiven  (Antozon).  Meissner  suchte  diese  Lehre  weiter  auszubilden  und  nahm  an, 
dass  bei  jeder  Oxydation  Ozon  und  Antozon  gleichzeitig  gebildet  würden;  v.  Babo  und 
Weltzien  bezweifelten  schon  die  Existenz  von  Antozon  entschieden,  bis  die  Untersuchungen 
von  Engler  und  Nasse  ergeben  haben,  dass  Antozon  nur  Wasserstoffsuperoxyd  ist. 

Lopw  bestätigte  diese  Versuche,  nimmt  aber  doch  noch  3  Modifikationen  des  Sauer- 
stoffs an:  gewöhnlichen  Sauerstoff  (00),  Ozon  (00)0  und  Antozon  (0);  letz- 
terer soll  in  lockerer,  mehr  physicalischer  als  chemischer  Verbindung  im  Terpentinöl 
gelöst  und  im  Stande  sein,  mit  Wasser  direct  das  Superoxyd  des  Wasserstoffs  zu  bilden. 

*)  Nach  Struve  soll  sich  bei  jeder  Verbrennung  und  jeder  Athmung  Ozon,  Wasser- 
stoffsuperoxyd und  Ammoniumnitrit  bilden,  wovon  aber  nur  letzteres  der  Unter- 
suchung zugänglich  sei. 

Es  ist  hierbei  an  die  Untersuchung  von  Chalvier  zu  erinnern,  nach  welcher  auch 
der  Wasserstoff  durch  die  Einwirkung  der  Elektricität  in  den  Zustand  der  Activität 
gesetzt  wird,  welche  der  elektrisirte  Wasserstoff  dadurch  bekundet,  dass  er  sich  mit  dem 
atmosphärischen  Stickstoff  zu  Ammoniak  zu  verbinden  und  frisch  bereitetes  Silberoxyd 
zu  reduciren  vermag. 


92  Sauerstoff. 

Nicht  allein  Terpentinöl,  sondern  auch  Petroleum,  alle  natürlichen  und  künst- 
lichen flüssigen  Kohlenwasserstoffe,  Bittermandelöl,  ätherische  Oele,  das  Alkarsin. 
Stanuäthyl,  Stibmethyl  und  Stibäthyl  beladen  sich  bei  Einwirkung  des  Lichtes 
gleichsam  mit  dein  Sauerstoff  der  Luft,  verwandeln  denselben  in  Ozon  und  ver- 
mögen  dasselbe  wieder  leicht  auf  andere  Körper  zu  übertragen;  man  nennt  sie 
daher  Ozonbildner.  Unter  diesen  steht  aber  das  Terpentinöl  oben  an,  da  es 
beim  Schütteln  mit  Luft  2%  Sauerstoff  in  der  Form  des  ozonisirten  Sauerstoffs 
aufnimmt  und  in  diesem  Zustande  wieder  andere  Körper  oxydiren  kann,  z.  B. 
schweflige  Säure  in  Schwefelsäure,  Phosphor  in  Phosphorsäure,  Indigo  in  Pikrin- 
säure und  Isatin. 

Andrews  und  Toit  hatten  schon  gefundeu,  dass  während  der  Bildung  des 
Ozons  beim  Durchgänge  des  elektrischen  Funkens  durch  Sauerstoffgas  eine  Ver- 
dichtung stattfinde,  dass  demnach  Ozon  schwerer  als  Sauerstoff  sein  müsse. 
Hierauf  gründete  Odling  seine  Ozontheorie,  wonach  das  Sauerstoffmolecül  2  Atome 
und  Ozonmolecül  3  Atome  hat.  Wie  die  Formel  für  Sauerstoff  O2  ist,  so  ist  sie 
für  Ozon  O3,  so  dass  seine  oxydirende  Kraft  nur  in  der  Leichtigkeit  beruht,  wo- 
mit jedes  Molecül  sein  drittes  Sauerstoffatom  verliert.  Soret  entdeckte  1865, 
dass  die  meisten  Substanzen  bloss  das  dritte  Atom  Sauerstoff  des  Ozons  aufneh- 
men, während  Terpentiuöl  und  die  übrigen  genannten  Körper  die  Fähigkeit  be- 
sitzen, das  ganze  Ozonmolecül  zu  absorbiren.  Diese  Auffassung  entspricht  am 
meisten  den  wirklichen  Thatsachen  und  dürfte  es  demnach  angemessen  erschei- 
nen, von  dem  Meissner'schen  und  Loew 'sehen  Antozon  ganz  abzusehen.23) 

Die  Wirkung  des  Ozons  auf  manche  Farbstoffe  bedarf  noch  einer  genauem 
Erörterung;  die  schon  erwähnte  Eigenschaft  der  Guajaktinctur,  durch  Ozon 
gebläut  zu  werdeu,  steht  im  Gegensatz  zur  Indigolösung,  welche  dadurch  ent- 
bläut wird. 

Vermischt  man  einige  Tropfen  altes,  am  Lichte  gestandenes  Terpentinöl  mit 
Guajaktinctur,  so  wird  sie  sich  nicht  immer  sofort  bläuen,  wohl  aber  augen- 
blicklich, wenn  man  Blut,  Eisenvitriollösung  oder  Platinmohr  zusetzt;  eine  Me- 
thode, welche  auch  behufs  Untersuchung  von  Blutflecken  angewendet  wird.  Solche 
Körper  nun,  welche  eine  raschere  Ozonisiruug  vermitteln,  hat  man  Ozouträger 
genannt;  Ozonbildner  und  Ozonträger  müssen  übrigens  nebeneinander  liegen.  Im 
Allgemeinen  kann  man  behaupten,  dass  alle  Körper,  welche  nicht  oxydirt  werden 
können,  auch  kein  Ozon  freimachen. 

Die  Löslichkeit  von  Ozon  im  Wasser  ist  vielfach  bestritten  worden.  Nach 
Carius  vermag  Wasser  nur  wenig  Ozon  zu  absorbiren;  nach  3  Versucheu 
absorbirten  1000  Cbc.  Wasser  im  Mittel  4,40  Cbc.  Ozon  bei  0°  und  0,76  M.24) 

Einwirkung  des  Ozons  anf  den  Thierkürper.  1 )  Es  wurden  8  Grm.  Kalihyper- 
manganicum  mit  Schwefelsäure  übergössen  uncl  die  sich  entwickelnden  Gase  unter  den 
geeigneten  Vorsichtsmassregeln  in  eine  Glasglocke,  unter  der  ein  mittelgrosses  Kaninchen 
sass,  mittels  einer  Compressionspumpe  eingeblasen. 

Im  Anfange  des  Versuchs  30  Inspirationen  während  x/4  Minute  bei  grosser  Unruhe ; 
Zusammenkneifen  der  Augen;  mehrmaliges  Husten  und  Niessen.  Nach  3  M.  Stillstehen 
der  Respiration,  Nasswerden  der  Schnauze,  Zurückziehen  des  Kopfes  in  den  Nacken. 
Nach  5  Minuten  ruhiges  Sitzen  bei  zurückgezogenem  Kopfe;  dann  Putzen  der  Nase  und 
mehrmaliges  Husten  und  Niessen;  letzteres  wiederholt  sich  bei  jeder  neuen  Zufuhr  der 
Dämpfe.  Nach  15  M.  6  leichte  Inspirationen  binnen  1/i  M.;  Putzen  der  Nase;  Augen 
trübe.  Nach  35  M.  Lecken  mit  der  Zunge,  7  Inspirationen  mit  geringem  Aufblähen  der 
Backenmuskeln.  Nach  40  M.  derselbe  Zustand  bei  zurückgezogenem  Kopfe;  daher 
Herausnahme  des  Thieres,  weil  sich  kein  Ozon  mehr  entwickelte. 

Der  untere  linke  Augenliedrand  ist  mit  einem  ganz  feinen,  weissen  Schaum  bedeckt, 
welcher  neutral  reagirte.    8  Inspirationen  bleiben  noch,  die  Ohren  fühlen  sich  sehr  heiss 


Ozon.  93 

an,  der  Herzschlag  sehr  vermehrt:  übrigens  ruhiges  Verhalten  und  Aufsuchen  von 
dunklen  Stellen.  Noch  nach  5  M.  Putzen  des  Maules  und  Lecken  mit  der  Zunge;  erst 
nach  1  Stunde  wird  die  Respiration  wieder  normal. 

2)  Eine  ausgewachsene  Taube  hat  anfangs  12  Inspirationen  binnen  Vi  M.  Sobald  die 
Dämpfe  in  die  Glocke  eindringen,  zeigen  sich  grosse  Unruhe,  Aufhusten,  Schmecken  mit 
der  Zunge  und  Zusammenkneifen  der  Augen;  der  Schnabel  wird  nass.  Nach  4  Min. 
beständiger  Husten  mit  einem  eigenthümlichen  tronipetenartigen  Ton;  Blinzeln  mit  den 
Augen.  Nach  10  M.  9  Inspirationen:  die  Exspiration  bestand  in  dem  eigenthümlichen 
Husten,  welcher  bis  zum  Schlüsse  des  Experimentes  anhielt  ;  ausserdem  Schmecken  mit 
dem  Schnabel  und  Blinzeln  mit  den  Augen.  Nach  SO  M.  Aufhören  der  Gasentwicklung, 
daher  Herausnahme  der  Taube. 

Vermehrtes  Herzklopfen,  Rhonchus  sibilans  in  den  Bronchien.  Der  Husten  hält 
noch  10  M.  lang  an;  nach  20  Minuten  wird  er  seltener.  Nach  1/2  Stunde  noch  Schleim- 
rasseln  in  der  Trachea;  ruhiges  Verhalten.  Nach  3/4  Stunden  wieder  12  Inspirationen. 
Am  andern  Morgen  noch  weniger  lebhaft,  aber  scheinbar  gesund:  Nachkrankheiten  ent- 
standen nicht. 

3)  Der  Sauerstoff  der  atmosphärischen  Luft  wurde  ozonisirt  und  zwar  mittels  des 
■  S/67i/-er'schen  Inductionsapparates  und  der  r.  ßaAo'schen  Röhre  unter  den  geeigneten  Vor- 
sichtsmassregeln, d.  h.  unter  Wegnahme  der  Kohlensäure  und  des  Wassers.  Ein  Ka- 
ninchen wurde  unter  die  Glocke  gebracht,  welche  mit  dem  erwähnten  Apparate  in  Verbin- 
dung stand;  letzterer  wurde  durch  einen  continuirlichen  trocknen  Luftstrom  gespeist, 
der  nun,  nachdem  er  ozonisirt  war,  in  die  Glocke  gelangte.  Anfang  des  Experi- 
mentes um  3  Uhr:  häufiges  Aufhusten  und  Putzen  des  Maules.  Nach  45  M.  Urinlassen 
und  18  Inspirationen  binnen  V4  M.  Nach  1  Stunde  Seitenlage,  schweres  Athmen, 
Schliessen  der  Augen,  Thränen  derselben  und  häufiges  Lecken  mit  der  Zunge.  Nach 
1  St.  45  M.  Einschlafen  und  wieder  Aufspringen;  Zurückziehen  des  Kopfes  in  den 
Nacken.  Nach  1  St.  50  M.  starkes  Husten  und  Putzen  :  nach  2  St.  kaum  bemerkbare 
Respiration.  Nach  3  St.  beständige  ruhige  Lage  mit  zurückgezogenem  Kopfe;  der  Kopf 
fällt  bisweilen  auf  die  Seite,  wird  aber  sofort  wieder  grade  gerichtet.  Nach  3  St.  15  M. 
12  Inspirationen  binnen  1/4  M. :  Anlehnen  an  die  Wand.  Nach  4}/2  St.  dasselbe  Verhal- 
ten bei  ruhiger  Bauchlage  mit  geschlossenen  Augen:  18  Inspirationen.  Nach  5  St.  24  M. 
ganz  kurze  und  oberflächliche  Inspiration  bei  ruhigem  Verhalten.  Alsdann  Herausnahme 
des  Kaninchens  ;  es  bewegt  sich  sofort  und  bleibt  dann  ruhig  sitzen.  Häufiges  Putzen 
des  Mauls  :   die  Respiration  wird  bald  normal. 

4)  Schwartzenbach25)  bediente  sich  einer  durch  Phosphor  in  grossen  Glascylindern 
möglichst  stark  ozonisirten  Luft,  welcher  Thiere  ausgesetzt  wurden;  ein  zweiter  gleich 
grosser  Glascylinder  wurde  dann  mit  seiner  Oeffnung  über  den  erstem  gekehrt  und  nun 
das  Verhalten  des  im  letztern  befindlichen  Thieres  geprüft.  Bei  Kaninchen  trat  bald 
eine  beträchtliche  Dyspnoe  und  Verlangsamung  der  Respiration  ein:  es  floss  eine  schau- 
mige klare  Flüssigkeit  aus  Mund  und  Nase,  bis  nach  mehreren  Stunden  der  Tod  unter 
suffocatorischen  Erscheinungen  entweder  im  Cylinder  oder,  nachdem  das  Thier  aus  dem- 
selben entfernt  war,  erfolgte.  Bei  der  Section  fanden  sich  die  Alveolen,  Bronchien  und 
Trachea  bis  zum  Larynx  hinauf  mit  derselben  klaren  Flüssigkeit  angefüllt,  welche  wäh- 
rend des  Lebens  aus  Nase  und  Mund  geflossen  war.  Das  Herz,  die  Vena  cava  inf.  und 
die  Venen  der  Eingeweide  waren  mit  schwärzlichem  Blute  stark  gefüllt. 

5)  Häcker2(>)  benutzte  bei  seinen  Versuchen  den  v.  ßa//o'schen  Apparat  und  zur 
Elektrisirung  einen  grossen  /sWim^or/f'schen  Inductionsapparat.  Die  Elektrisirung  ge- 
schah durch  zwei  Elemente:  in  einer  Stunde  passrrten  18 — 19  Liter  Luft  die  Glocke, 
unter  der  die  Thiere  sassen.  Er  beobachtete  nach  kurzer  Zeit  bei  einem  jungen  Kaninchen 
Verlangsamung  der  Respiration  und  eine  sich  steigernde  Dyspnoe,  welche  sich  durch 
Aufrichten  des  Vorderkörpers,  Ueberbeugen  des  Kopfes  nach  hinten  und  Oeffnen  der 
Nasenflügel  kundgab.  Nach  einer  halben  Stunde  trat  aus  Nase  und  Mund  eine  helle 
Flüssigkeit,  welche  die  Umgebung  des  Mundes  und  der  Nase  bis  zum  Ende  des  Ver- 
suches, welcher  eine  Stunde  dauerte,  feucht  erhielt;  Lippen  und  Ohren  zeigten  eine 
livide  Färbung.  Aus  der  Glocke  entfernt,  erholte  sich  das  Thier  bald.  Nach  2  Tagen 
wurde  der  Versuch  mit  demselben  Erfolge  wiederholt;  in  der  darauf  folgenden  Nacht 
trat  der  Tod  ein.  Am  andern  Morgen  fand  sich  bei  der  Section  am  untern  Theile  der 
Trachea  und  in  den  grössern  Bronchien  eine  ziemlich  beträchtliche  Injection.  Die  beiden 
untern  Lappen  der  Lungen  waren  zum  grössern  Theile  vollständig  ver- 
dichtet und  Hessen  sich  nicht  aufblasen:  die  übrigen  Partien  der  Lungen  sehr 
blutreich;  Ueberfüllung  des  rechten  Herzens  mit  venösem  Blute;  die  Vena  cava.  inferior 
und  die  übrigen  Unterleibsvenen  stark  ausgedehnt. 

Bei  einer  jungen  Katze  zeigte  sich  nach  20  M.  ein  heftiger  Ausfluss  schaumiger  Flüs- 
sigkeit aus  Nase  und  Mund,  dabei  Verlangsamung  der  Respiration  und  Dyspnoe:  gegen 
Ende  einer  Stunde  krampfhaftes  Abdominalathmen,  wobei  das  Thier  mit  geöffnetem 
Maule  kläglich  schrie.      Aus  der  Glocke  entfernt,  erholte  es  sich  erst  nach  einer  halben 


94  Sauerstoff. 

Stunde.  Beim  2.  und  3.  Versuche  zeigten  sich  ähnliche  Erscheinungen;  heim  4.  Ver- 
suche wurde  der  [nductionsapparat  durch  3  Elemente  in  Bewegung  gesetzt.  Die  erwähn- 
ten Symptome  traten  fasl  sogleich  mit  der  höchsten  Heftigkeit  auf;  unter  langsamem, 
krampfhaftem  Atlunen  fiel  das  Thier  nach  50  M.  in  der  Glocke  zu  Boden  und  zeigte 
einige  Zuckungen.  Aus  der  Glocke  entfernt,  starb  es  nach  ein  paar  Athemzügen.  Bei 
der  sofort  angestellten  Section  erschienen  die  Lungen  stellenweise  tief  geröthet  und  blut- 
reich,  an  den  Rändern  stark  emphysematös;  die  Bronchien,  Trachea  und  Larynx  mit 
schaumiger,  farbloser  Flüssigkeit  angefüllt:  aus  den  Schnittflächen  des  Lungenparenchyms 
strömt  eine  schaumige,  etwas  blutig  gefärbte  Flüssigkeit  aus.  Geringe  Injection  im 
untern  Theile  der  Trachea  und  in  den  grössern  Bronchien.  Das  rechte  Herz,  die  Vena 
<av.  inf.  und  die  Venen  der  Eingeweide  stark  mit  schwärzlichem  Blnte  angefüllt. 

An  einem  Huhne  steigerten  sich  erst  beim  3.  Versuche,  nachdem  2  einstündige 
Versuche  vorhergegangen  waren,  die  Respirationsbeschwerden  bedeutend;  nach  50  M. 
fiel  es  zu  Boden  und  starb  unter  Couvulsionen.  Sectionsbefund  derselbe,  wie  bei  der 
Katze. 

6)   Dewar  und  Mac  Hendrik  tödteten  mittels  des  durch  Iuduction  ozonisirten  Sauer- 
stoffs, welcher  höchstens  10%  Ozon  enthielt,  Kaninchen,   Mäuse  und  kleine  Vogel,    und 
zwar  die  beiden   letztern    innerhalb   20  Minuten.      Die  Respiration  wurde   dadurch  ver- ' 
langsamt,  der  Puls  geschwächt  und  das  Blut  venös.2') 

Aus  diesen  Versuchen  geht  mit  Bestimmtheit  hervor,  dass  Ozon  ein  starkes 
Reizmittel  für  die  Respirationswege  ist.  Bei  Menschen  bewirkt  die  Inhalation  von 
ozonreicher  Luft  sofort  einen  starken  Schnupfen,  welcher  noch  längere  und  kürzere 
Zeit  anhalten  kann,  selbst  wenn  man  sich  der  Einwirkung  des  Ozons  entzogen 
hat;  ebenso  fehlt  selten  eine  mehr  oder  weniger  grosse  Reizung  des  Kehlkopfs. 
Bei  Thieren  gibt  sich  die  Irritation  der  Schleimhäute  durch  starkes  Putzen  der 
Nase  und  des  Mauls,  Niessen  und  häufiges  Aufhusten  kund;  weiterhin  verlang- 
samt sich  die  Respiration,  es  tritt  Dyspnoe  ein  und  in  Folge  der  Reizung  der 
Bronchialschleimhaut  sondert  sich  viel  Feuchtigkeit  ab,  welche  besonders  bei 
Katzen  aus  Nase  und  Mund  fliesst. 

Bei  einem  Kaninchen  (1  Versuch)  entstand  eine  Augenentzündung,  welche 
die  grösste  Aehnlichkeit  mit  einer  rheumatischen  Entzündung  hatte.  Vögel,  na- 
mentlich Tauben,  scheinen  eine  grössere  Widerstandsfähigkeit  gegen  die  Wirkun- 
gen der  ozonisirten  Luft  zu  besitzen.  Es  hängt  aber  ganz  besonders  von  der 
Stärke  und  schnellern  Wiederholung  der  elektrischen  Einwirkung  ab,  ob  sich  die 
Wirkung  in  ihrer  ganzen  Intensität  äussert. 

Wenn  Hacker  einen  starken  Ruhm  kor  ff 'sehen  Apparat  mit  2 — 3  starken 
Bunsen'schen  Elementen  benutzte,  so  musste  er  auch  eine  stärkere  Wirkung 
erzeugen.  Die  einfache  Bronchialreizung,  welche  sich  im  2.  Versuche  bei  einer 
Taube  deutlich  zu  erkennen  gab,  kann  sich  bis  zu  einer  Entzündung  des  Lungen- 
parenchyms steigern,  wie  sich  bei  der  Section  des  Kaninchens  (No.  5)  zeigte; 
dabei  findet  sich  die  Schleimhaut  der  Bronchien  und  der  Trachea  nicht  selten 
injicirt.  Selbst  die  Verlangsamung  und  schliessliche  Unterdrückung  der  Inspiration 
dürfte  theilweise  auf  eine  Reizung  des  N.  laryng.  sup.,  dessen  Endigungen  in  der 
Schleimhaut  des  Larynx  verlaufen,  zurückzuführen  sein28).  Diese  Verlangsamung 
der  Respiration  tritt  nicht  ein,  wenn  man,  wie  Schwarzenbach  gezeigt  hat, 
die  Thiere  mittels  einer  in  eine  Trachealwunde  eingeführten  Röhre  die  ozonisirte 
Luft  einathmeu  lässt,  so  dass  letztere  die  Larynxschleimhaut  nicht  berührt. 

Die  reichliche  Absonderung  der  Flüssigkeit  in  deu  Bronchien  und  Alveolen, 
überhaupt  die  Erscheinungen  eines  acuten  Lungenödems  lassen  sich  nur  durch 
die  reizende  Einwirkung  der  ozonisirten  Luft  erklären.  Füllt  diese  Flüssigkeit 
schliesslich  alle  Respirationswege  aus,  so  muss  auch  der  normale  Gasaustausch 
gehindert  werden  und  schliesslich  der  Tod  durch  Erstickung  erfolgen;  dafür 
spricht  auch  die  starke  venöse  Hyperämie,  welche  sich  namentlich  in  den  Lungen, 


Ozon.  95 

im  rechten  Herzen  und  in  den  grössern  Venen  kundgab.  Ausser  der  primären 
reizenden  Einwirkung  der  ozonisirten  Luft  ist  jedoch  auch  noch  eine  Secundär- 
wirkung  derselben  anzunehmen,  welche  in  dem  Einfluss  der  gebildeten  Zer- 
setzuDgsproducte  thierischer  Flüssigkeiten  auf  die  Schleimhäute  besteht.  Die 
wässrigen  Absonderungen  der  Schleimhäute  reagiren  nämlich  häufig 
sauer. 

Wird  defibrinirtes  Ochsenblut  mit  ozonisirter  Luft  behandelt,  so  nimmt  es 
eine  saure  Reaction  an,  was  unzweifelhaft  das  Auftreten  einer  freien  Säure  be- 
kundet. Die  Analyse  ergibt  einen  Gehalt  an  freier  Salzsäure,  welche  in  Folge 
der  Bildung  von  Oxalsäure  entsteht;  die  Oxalsäure  zerlegt  nämlich  das  Koch- 
salz des  Blutes  und  bildet  schwer  lösliches  Natrinmoxalat,  in  Folge  dessen  freie 
Salzsäure  auftritt. 

C204H2  +  2NaCl  =  Na2C204  +  2HC1. 

Indem  schliesslich  der  Blutfarbstoff  alterirt  wird,  schwinden  im  Spectrum 
die  normalen  Blutbänder  und  das  Säüreband  im  Roth  tritt  auf.  Wird  die 
Ozoneinwirkung  noch  länger  fortgesetzt,  so  wird  der  Blutfarbstoff  vollständig  zer- 
stört; auch  die  Blutkügelchen  werden  angegriffen,  sehen  ungleich,  zerissen  und 
zerfallen  aus. 

Froschblutzellen  werden  nach  Huizinga29)  sehr  schnell  angegriffen;  sie 
schwellen  rasch  auf,  werden  farblos  mit  glänzenden,  starkkörnigen  Kernen  und  kaum 
wahrnehmbaren  Contouren.  Das  entfärbte  Stroma  erscheint  angefressen  und  be- 
kommt unregelmässige  Umrisse;  endlich  verschwindet  auch  dieses  und  der  Kern 
ist  nur  übrig  geblieben,   welcher  weiterhin  wenig  alterirt  wird. 

Schon  diese  Tbatsachen  machen  es  höchst  wahrscheinlich,  dass  Ozon  in  circu- 
lirendem  Blute  nicht  enthalten  ist  und  den  Process  der  Oxydation  nicht  unter- 
stützt. Ferner  wird  nach  den  Versuchen  von  Hacker  die  Kohlensäureproduction 
bei  den  Thieren  durch  vermehrten  Ozongehalt  der  Einathmungsluft  resp.  durch 
Einathmung  elektrisirter  atmosphärischer  Luft  in  keiner  Weise  geändert,  weder 
vermehrt  noch  vermindert. 

Ginge  der  active  Sauerstoff  der  ozonisirten  Luft  in  das  Blut  über,  so  müsste 
selbstverständlich  die  Kohlensäureproduction  bedeutend  zunehmen;  da  dies  aber 
nach  den  Untersuchungen  von  Hacker  nicht  der  Fall  ist,  so  haben  wir  einen 
weitern  Beweis  dafür,  dass  das  Ozon  nicht  in  das  Blut  gelangt;  der  vermehrte 
Ozongehalt  der  Luft  hat  somit  keinen  directen  Einfluss  auf  den  Stoffwechsel.  Es 
würde  zu  weit  führen,  die  verschiedenen  Ansichten,  welche  sich  hierüber  in  der 
Literatur  finden,  ausführlicher  mitzutheilen.  Lewisson,  Kühne  und  Scholz, 
sowie  A.  Schmidt  und  Huizinga  sprechen  sich  für  den  Ozongehalt  des  Blutes 
aus.30)  Pokrowsky  nimmt  dagegen  kein  Ozonisirungsvermögen  und  keinen  Ozon- 
gehalt des  Blutes  an;  er  weist  darauf  hin,  wie  unsicher  der  Nachweis  des  Ozons 
im  Blute  durch  die  Guajak- Reaction  sei,  da  die  Guajaktinctur  durch  alle  oxy- 
direnden  Substanzen  gebläut  werde.31) 

Jedenfalls  ist  es  unwahrscheinlich,  dass  die  Pflanzen  Ozon  entwickeln,  wenn 
man  bedenkt,  dass  eine  Chlorophyll lösung  durch  Ozon  gänzlich  zerstört  wird 
und  die  Bänder  derselben  im  Spectrum  vollständig  schwinden.  Bringt  man 
frische  Blätter  in  ozonisirte  Luft,  so  werden  sie  gelblich  und  bleichen  allmählig 
gänzlich. 

Alles  führt  zur  Annahme,  dass  der  inactive  Sauerstoff  in  dem  Moment 
in  ozonisirten  Sauerstoff  übergeht,    in  welchem    er    sich    mit  einem 


96  Sauerstoff. 

andern  Körper  verbindet ;  es  ist  aber  noch  nicht  bestimmt  bewiesen, 
dass  er  auch  als  ozonisirter  Sauerstoff  die  organischen  Processe  ver- 
mittelt. 

Ozon  in  sanitärer  Beziehung.  Thatsache  ist  es,  dass  in  allen  Räumen  und 
Wohnungen,  in  welchen  die  Luft  stagnirt,  ein  Ozonmangel  eintritt  und  hiermit 
die  Gesuudheitsverhaltnis.se  nachtheilig  berührt  werden.  Ebenso  ist  der  Ozon- 
gehalt überall  da,  wo  übelriechende  Gase  und  Dämpfe  vorwalten,  ein  geringer, 
weil  unter  solchen  Verhältnissen  viele  oxydable  Substanzen  in  die  Atmosphäre 
übergeben,  welche  das  Ozon  attaqniren  und  zerstören.  Der  schädliche  Einfiuss 
der  stinkenden  Effluvien  auf  die  Gesundheit  der  Menschen  wird  vorzugsweise 
auf  diesen  Umstand  zurückzuführen  sein,  weshalb  alle  Stinkstoffe  aus  der  Jsähe 
der  menschlichen  Wohnungen  zu  entfernen  sind,  um  die  Eiuwirkung  einer  frischen 
und  belebenden  Luft  zu  ermöglichen.  Wenn  es  auch  noch  nicht  möglich  ist,  den 
Ozongehalt  der  Luft  beliebig  zu  vermehren,  so  stehen  uns  doch  viele  Mittel  zu 
Gebote,  um  die  Hindernisse  hinwegzuräumen,  welche  der  Entwicklung  und  Ein- 
wirkung des  Ozons  hemmend  entgegentreten.  In  den  Wohnungen  und  namentlich 
in  Räumen  für  Kranke  ist  es  die  Reinlichkeit  im  Allgemeinen  und  die  Erneue- 
rung der  Luft  durch  eine  zweckmässige  Luftströmung,  wodurch  das  Stagniren 
der  Atmosphäre  verhütet  und  die  Entwicklung  von  Ozon  befördert  wird. 
Das  Oeffnen  der  Fenster  reicht  aber  nicht  immer  aus;  es  müssen  häufig  Thüren 
und  Fenster  geöffnet  werden,  um  die  Luftbewegung  zu  bewirken.  Die  Aengst- 
lichkeit,  wromit  jeder  geringste  Luftzug  als  eine  Schädlichkeit  betrachtet  wird,  ist 
in  den  wenigsten  Fällen  begründet.  Die  Engländer  liefern  den  Beweis,  wie  auch 
in  dieser  Beziehung  die  Macht  der  Gewohnheit  eine  grosse  Rolle  spielt,  wie  Ge- 
sunde und  Kranke  gleich  grosse  Vortheile  aus  der  Einwirkung  der  frischen  Luft 
ziehen,  wenn  auch  zugegeben  werden  niuss,  dass  das  eine  Hautorgan  im  Ertragen 
der  Luftströmungen  unempfindlicher  ist  als  das  andere  und  Rücksichten  auf  die 
Individualität  oft  geboten  sind.32) 

Von  grosser  Bedeutung  ist  die  Thatsache,  dass  eine  starke  Verdunstung 
eine  Elektricitätsentwicklung  zur  Folge  hat  und  die  Luft  elektrisirt;  sie  wird 
hierdurch  auf  secundärem  Wege  ozonisirt.  Ein  Verdunsten  des  Wassers  durch 
die  Ofenwärme  während  des  Winters  und  eiu  tägliches  Reinigen  des  Fussbodens 
mittels  nasser  Tücher  während  des  Sommers  führt  stets  eine  Erfrischung  der  Luft 
herbei.  Geölte  Fussböden  sind  deshalb  für  alle  Wohnräume  von  grösstem 
Vortheil,  um  das  Abwaschen  derselben  täglich  vornehmen  zu  können,  ohne  dass 
man  ein  lästiges  Feuchtbleiben  dabei  zu  befürchten  hat.  Stinkende  Aborte  inner- 
halb der  Wohnungen  sind  immer  als  die  grössten  Feinde  des  Ozons  zu  fürchten. 

Das  Verdampfen  aromatischer  Substanzen  hat  hinsichtlich  der  Ozon- 
entwicklung dieselbe  Bedeutung  wie  das  Verdampfen  des  Wassers;  die  früher  viel 
benutzteu  Wachholderräucherungen  gehören  in  diese  Kategorie.  Haller 
hat  im  allgemeinen  Krankenhause  zu  Wien  nachgewiesen,  dass  Ozonpapiere, 
welche  12 — 24  Stunden  oberhalb  der  Oeffnung  einer  irdenen  glasirten  Spuck- 
schale, in  welcher  auf  ein  Schwämmchen  getropftes  Oleum  Juniperi  verdampfte, 
an  den  Rändern  deutliche  Ozonspureu  zeigten. 

Hierher  gehört  auch  die  Verdampfung  von  Terpentinöl,  welche  in  zweck- 
mässiger Weise  vorgenommen  namentlich  bei  Infectionskrankheiten  ihre  grosse 
Bedentuug  hat,  wenn  die  Umstände  Luftströmungen  verbieten. 


Sauerstoff.  97 

Die  Chlorkupferlampe  würde  denselben  Zweck  erreichen,  wenn  hier 
nicht  die  ansehnliche  Entwicklung  von  Salzsäuren  Dämpfen  nachtheilig  einwir- 
ken könnte.  Räucherungen  mit  Essig,  das  Aufhängen  von  mit  Essig  oder  mit 
Chlorkalklösung  und  Essigsäure  durchtränkten  Tüchern  sind  von  demselben 
Gesichtspuncte  aus  zu  betrachten;  im  letztern  Falle  bildet  sich  Chloressig- 
säure, welche  keinen  unangenehmen  Geruch  hat  und  daher  die  belästigenden 
Chlorräueherungen  ersetzen  kann. 

Mit  Unrecht  ist  auch  das  Döbereiner'sche  Essiglämpchen  in  Ver- 
gessenheit gerathen,  welches  für  einzelne  Krankenstuben  sehr  gute  Dienste  leistet 
und  auf  der  Thatsache  beruht,  dass,  wenn  Platinmohr  oder  Platinschwramm  mit 
Alkohol  befeuchtet  wird,  sich  letzterer  oxydirt  und  Aldehyd  neben  Essigsäure, 
Essigsäureäthyläther  und  Wasser  entsteht.  Bei  diesem  Processe  wird  so  viel 
Wärme  frei,  dass  der  Platinschwamm  in's  Glühen  kommt,  wodurch  die  Ver- 
dunstung ununterbrochen  vor  sich  geht. 

Eine  sehr  zweckmässige  Modification  dieser  Einrichtung  ist  folgende,  welche 
die  wärmste  Empfehlung  verdient :  Man  überzieht  eine  Glaskugel  von  1  Zoll 
Durchmesser  mit  Platinmohr  und  bringt  sie  auf  einen  fingerdicken  Docht,  welcher 
in  einer  oben  sich  trichterförmig  erweiternden  Glasröhre  angebracht  wird;  letz- 
tere wird  in  ein  entsprechendes  mit  Alkohol  angefülltes  Glas  eingesetzt.  Die 
Kugel  muss  oben  eine  hohle  Spitze  haben,  welche  abgeschnitten  wird,  damit  der 
während  der  Erhitzung  in  der  Kugel  sich  ausdehnendeu  Luft  durch  diese  Oeff- 
nung  ein  Ausgang  verschafft  wird.     (S.  Fig.  5.) 

Fig.  5.  So  vorgerichtet  kann  die  Kugel  von  selbst  in's  Glühen 

gerathen,  wenn  die  Platinmohrschicht  ziemlich  stark  und 
der  Alkohol  wasserfrei  ist;  da  aber  Letzteres  selten  der 
Fall  ist,  so  zündet  man  die  Dochtspitzen  an  und  löscht 
sie  nach  kurzer  Zeit  wieder  aus,  wodurch  alsdann  das 
erhitzte  Platinmohr  in  ein  vollständiges  Glühen  geräth. 
Setzt  man  dem  Alkohol  noch  ätherische  Oele  hinzu,  so 
kann  man  sich  gleichzeitig  den  Genuss  des  Wohlgeruches 
dieser  Oeldämpfe  verschaffen.*) 

Die  meisten  aromatischen  Substanzen  können  als 
Ozon  träger  betrachtet  werden.  Der  Gebrauch  der  Par- 
füms dürfte  daher  nicht  bloss  einen  ästhetischen,  sondern 
auch  einen  sanitären  Zweck  haben,  ist  somit  für  Alle  zu 
empfehlen,  welche  viel  mit  Kranken  in  Berührung  kom- 
men. Acetum  aromaticum,  Vinaigre  des  quatres  voleurs  heisst  nicht  mit  Unrecht 
auch  Pestessig,  weil  er  eben  als  Aromaticum  Schutz  gegen  Ansteckung  gewählt. 
Bei  den  Vorgängen  in  der  Natur  sind  es  ganz  besonders  die  durch  die 
Winde  bewirkten  Luftströmungen,  welche  die  schädlichen  Gase  und  Dämpfe 
vernichten  und  die  Entwicklung  von  Ozon  befördern;  von  derselben  Bedeutung 
sind  die  Gewitter,  welche  mit  ihren  elektrischen  Entladungen  den  atmospliä- 
rischen  Sauerstoff  wieder  neu  beleben.  Inwiefern  ein  grösserer  oder  geringerer 
Ozongehalt  in  der  Luft  auf  die  Entstehung  von  Krankheiten  influirt,  ist  noch 
nicht  mit  Bestimmtheit  ermittelt  worden.      Es  ist  nur  wahrscheinlich,   dass   ein 

•  *)  Die  Verbindung  von   gleichen  Theilen  Ol.  Ligni  Jump.,   Acid.  acet.  mit  2  Th. 

Aether  ist  sowohl  für  diesen  Zweck,  als  auch  zum  einfachen  Verdunstenlassen  in  Kranken- 
häusern sehr  empfehlenswerth. 

Eulenberg,  Gewerbe-Hygiene.  7 


Cjg  Sauerstoff. 

relativ  stärkerer  Ozongehalt  auf  die  Entstehung  von  Influenza  und  katarrhalischen 
Erscheinungen  begünstigend  einwirkt,  während  umgekehrt  ein  Fehlen  von  Ozon- 
gehalt  jedenfalls  um  so  nachtheiliger  einwirken  muss,  wenn  putride  Effluvien  die 
Luft  dieses  Körpers  beraubt  haben.  Schlachtfelder,  auf  denen  die  Leichen  nicht 
tief  genug  beerdigt  worden  sind  oder  Massen  von  Thiercadavern  offen  dem 
Fäulnissprocesse  unterliegen,  können  auf  diese  Weise  epidemische  Krankheits- 
processe  erzeugeu. 

Sumpfgegenden    sind   uicht   wegen    des  fehlenden   Ozongehaltes   für    die 

jheu  schädlich;  eiuzelne  Autoren  wollen  sogar  dort  einen  relativ  vermehrten 
Ozongehalt  nachgewiesen  haben.  (Man  vergl.  Sumpf.)  Auf  dem  Marschboden 
sind  es  stets  die  Zersetzungen  organischer  Substanzen,  welche  um  so  verderb- 
licher einwirken,  je  mehr  durch  Bauten  etc.  der  Boden  aufgewühlt  wird  und  der 
putride  Process  an  der  Luft  seinen  Abschluss  findet.  Si) 

Fast  alle  Beobachtungen  stimmen  darin  überein,  dass  in  grossen  Städten 
die  Ozonbeobachtungen  ein  sehr  verschiedenes  Resultat  haben  und  häufig  ganz 
locale  Ursachen  auf  den  Ozougehalt  der  Luft  influiren;  auch  hier  sind  es 
meistens  die  stiukenden  organischen  Effluvien,  welche  die  belebende  Einwirkung 
des  Ozons  unmöglich  machen. 

Die  Entfernung  aller  Stinkstoffe,  eine  zweckmässige  Anlage  der  Strassen, 
nicht  zu  hohe  Häuser  in  engen  Strassen,  hinreichende  Hofräume  und  eine  ge- 
ordnete  Beseitigung  der  Abfallstoffe  gehören  zu  den  ersten  und  hauptsächlichsten 
Forderungen,  welche  man  an  die  Hygiene  der  Städte  stellen  muss;  auch  hier  ist 
es  die  Reinlichkeit,  welche  die  Basis  aller  Bestrebungen  sein  muss.  Eine  sorg- 
fältige Reinigung  und  häufige  Besprengung  der  Strassen  während  des  Sommers 
bedingt  aus  den  oben  angeführten  Gründen  eine  Erfrischung  der  Luft,  welche 
stets  durch  das  Zusammenwohnen  vieler  Menschen  geboten  wird.  Nicht  häufig 
genug  kann  man  darauf  aufmerksam  machen,  dass  grade  das  Besprengen  mit 
Wasser  nicht  allein  die  Entfernung  des  höchst  lästigen  und  für  die  Respirations- 
organe schädlichen  S taubes,  sondern  ganz  vorzugsweise  die  Ozonisirung  der 
Luft  um  so  sicherer  bewirkt,  je  mehr  die  Verdunstung  durch  Luftbewegung 
gefördert   wird. 

Ozon  in  der  Industrie. 

AVas  zunächst  die  Darstellung  von  Ozon  im  Grossen  betrifft,  so  hat 
zuerst  Loew  in  den  Vereinigten  Staaten  ein  Verfahren  angegeben,  welches  auf 
der  Thatsache  beruht,  dass,  wenn  Luft  durch  eine  Flamme  geblasen  wird,  sie 
sich  zum  Theil  in  Ozon  verwandelt.  Der  betreffende  Apparat  besteht  in  einer 
Anzahl  Bunsenscher  Brenner;  durch  Röhren,  welche  in  einer  gewissen  Ent- 
fernung horizontal  über  den  Brennern  angebracht  sind,  wird  kalte  Luft  gegen  die 
Flamme  geblasen.  Den  Röhren  gegenüber  ist  eine  Anzahl  von  Trichtern  ange- 
bracht, um  das  sich  auhäufende  Ozon  zu  sammeln. 

Ein  ähnliches  Verfahren  ist  neuerdings  in  England  patentirt  worden,  um 
das  so  erhaltene  Ozon  mit  ausfliessendem  Alkohol  in  Berührung  zu  bringen  und 
dadurch  aas  Alkohol  direct  Essigsäure  zu  bilden.  Dass  bei  der  Rasenbleiche 
auch  Ozon  eine  Holle  spielt,  ist  unzweifelhaft;  bei  der  Elfenbeinbleiche  lässt 
man  Elfenbein  wochenlang  in  Photogen  oder  andern  verwandten  Oelen  liegen,  um 
es  alsdann  starkem  Sonnenlicht  und  der  Luft  auszusetzen.  w7obei  letztere  ozonisirt 
wird  und  bleichend  einwirkt. 


Wasser.  99 

Für  die  Darstelluug  von  Ozon  im  Kleinen  bleibt  die  geräuschlose  Entladung 
in  mit  Sauerstoff  gefüllten  Inductionsröbren  mittels  des  Ruh mkorff 'sehen  Appa- 
rates das  beste  Verfahren;  die  Siemens'schen  luductionsröhren  haben  sich  hierbei 
sehr  gut  bewährt.3*) 

Sauerstoff  und  Wasserstoff. 

1)  Wasser  (H20). 

Wasser  stellt  eine  farblose  klare  Flüssigkeit  dar,  welche  geruch-  und  ge- 
schmacklos ist,  bei  4-4°  ihre  grösste  Dichtigkeit  hat  und  bei  — 0U  krystallisirt, 
d.  h.  sich  in  Eis  verwandelt.  Bei  760  Mm.  B.  liegt  der  Siedepunct  des  Wassers 
bei  100°  C;  es  verdunstet  bei  allen  Temperaturgraden,  reagirt  neutral  und 
geht  mit  vielen  Körpern,  sowohl  einfachen  als  zusammengesetzten,  Verbindungen 
ein,  welche  man  Hydrate  nennt.  Es  ist  unentbehrlich  für  das  Thier-  und 
Pflanzenleben  und  ein  nie  fehlender  Bestandteil  unserer  Atmosphäre. 

Der  eigentliche  Wasser  dampf  ist  bei  einer  Temperatur  von  100°  C.  völlig  farb- 
los, gasförmig  und  unsichtbar;  entzieht  ihm  die  Umgebung  Wärme,  so  verwandelt  er 
sich  in  einen  weissen  Nebel  und  bildet  kleine  Luftbläschen,  welche  mit  einer  Wasser- 
hülle umgeben  sind  (Nebelbläschen).  Findet  die  Abkühlung  noch  weiter  statt,  wird  also 
die  Luft  in  den  Bläschen  noch  mehr  zusammengezogen,  so  berühren  sich  schliesslich  die 
Umhüllungswandungen,  wodurch  alsdann  ein  Tröpfchen  gebildet  wird. 

Auf  der  Möglichkeit,  die  Dämpfe  zu  verdichten,  beruht  der  Hauptunterschied 
zwischen  diesen  und  den  permanenten  Gasen,  welche  luftförmig  bleiben.  Neuerdings 
sind  jedoch  viele  gasförmige  Körper,  welche  bisher  nur  als  solche  bekannt  waren. 
als  Dämpfe  von  Flüssigkeiten  erkannt  worden,  deren  Siedepuncte  weit  unter  dem  Ge- 
frierpunet  des  Wassers  liegen.  Es  gehört  aber  ein  hoher  Grad  von  Druck  oder  eine 
bedeutende  Temperaturerniedrigung  dazu,  um  solche  gasförmigen  Körper  flüssig  oder 
fest  zu  machen;  mit  Aufhebung  dieser  Agentien  nehmen  sie  rasch  wieder  ihren  früheren 
Aggregatzustand  an. 

Eigentlich  ist  der  Stickstoff  das  einzige  Gas,  welches  man  nach  dem  jetzigen 
Stande  der  Wissenschaft  für  permanent  erklären  muss,  da  für  den  Sauerstoff  und 
Wasserstoff  insofern  eine  Ausnahme  anzunehmen  ist,  als  man  ersterem  im  Platinmohr 
und  Platinschwarz  und  letzterem  im  Wasserstoff-Palladium  einen  festen  oder  auch  einen 
flüssigen  Aggregatzustand  zuschreiben  muss. 

Der  Wasserdampf  ist  für  die  Industrie  von  der  grössten  Wichtigkeit,  da  er 
Wärme  nnd  Kraft  repräsentirt;  die  Wärme  desselben  gebraucht  man  zum  Kochen, 
Trocknen  und  Heizen,  während  die  Benutzung  der  Spannkraft  der  Wasserdämpfe  als 
bewegende  Kraft  die  grossartigste  Umwälzung  in  der  Industrie  hervorgerufen  hat. 

Das  kochende  Wasser  erzeugt  durch  die  ganze  Masse  der  Flüssigkeit  Dampfbläs- 
chen. Mit  der  Abnahme  des  Druckes  resp.  Luftdruckes  nimmt  auch  der  Siedepunct 
des  Wassers  ab,  so  dass  dieser  bei  verschiedenen  Barometerständen  .an  verschiedenen 
Höhepuncten  ein  verschiedener  ist,  weshalb  auch  umgekehrt  der  Siedepunct  massgebend 
ist  für  die  Elevation  eines  Ortes  über  der  Meeresfläche. 

Durch  künstliche  Erniedrigung  des  Luftdruckes  beschleunigt  man  in  der 
Technik  häufig  das  Verdampfen  des  Wassers,  namentlich  beim  Abdampfen  von 
Flüssigkeiten,  wobei  die  zu  gewinnende  Substanz,  einer  erhöhten  Temperatur  ausgesetzt, 
eine  Zersetzung  erleiden  würde  Um  nun  den  Luftdruck  zu  vermindern,  evaeuirt  man  ent- 
weder mittels  der  Luftpumpe  oder  durch  Verdichtung  des  sich  entwickelnden  Wasser- 
dampfes mittels  Abkühlung.  Hierauf  beruht  die  Construction  der  Vacuumpfannen 
in  der  Zuckersiederei :  da  man  den  Zuckersaft  nur  bis  65  —  70°  erhitzen  darf,  so  ver- 
dünnt man  die  Luft  über  dem  Flüssigkeitsspiegel  und  vermindert  hiermit  den  auf  der 
Flüssigkeit  lastenden  Druck.  Dasselbe  Verfahren  hat  man  auch  bei  der  Leim  sie  der  ei 
und  Gelatinebereitung  eingeführt. 

Durch  die  Verstärkung  des  Luftdruckes  auf  die  Oberfläche  des  Wassers 
kann  umgekehrt  der  Siedepunct  beliebig  erhöht  werden;  im  bekannten  Papini sehen 
Topfe  kann  das  Wasser  bis  zu  265°  erhitzt  werden  und,  wenn  die  Gefässe  den  Druck 
aushalten  können,  noch  höher.  Man  wendet  ein  solches  unter  hohem  Druck  über  seinen 
gewöhnlichen  Siedepunct  erhitztes  Wasser  zum  Auflösen  und  Ausziehen  verschie- 
dener Substanzen  in  der  Leimsiederei,  Färberei,  bei  der  Petroleumrecti- 
fication  mit  gleichzeitiger  Zerstörung  des  Paraffins,  bei  der  Trennung  der  fetten 
Säuren  vom  Glycerin,  zur  Darstellung  des  Stearins,  des  Wasserglases  u.  s.  w. 

7* 


100  Sauerstoff  und  Wasserstoff. 

an,  indem  ausser  dem  Wasser  auch  die  gespannten  Dumpfe  mehr  disponirt  sind.  Zer- 
setzungen einzuleiten  and  Verbindungen  zu  befördern. 

Ueberhitzte  Wasserdämpie  stellt  mau  durch  Leiten  von  Dampfen  durch  ein 
stark  erhitztes  Röhrensystem  bei  gewöhnlichem  atmosphärischem  Drucke  dar:  man  ge- 
braucht sie  beim  Verkohlungsprocesse  der  Schiesspulverkohle,  heim  Gyps- 
brennen,  bei  der  Destillation  des  Stearins,  Harzes  u.  s.  w. 

Die  Spannkraft  des  Wasserdampfes  nimmt  bekanntlich  mit  der  Wärmezufuhr  zu, 
wenn  der  Kaum,  in  welchem  er  sich  befindet,  unverändert  bleibt,  d  h.  die  Erwärmung 
in  einem  geschlossenen  Gefässe  stattfindet. 

Der  Wasserdampf  kommt  iu  neuerer  Zeit  häufig  als  Heizungsmate- 
rial zur  Anwendung,  indem  er  seine  Wärme  an  die  Wandungen  der  metalleneu 
Rühren,  welche  er  durchläuft,  unter  Condensation  abgibt.  Die  Dampfheizung 
eignet  sich  am  besten  für  grosse  Fabrikanlagen,  da  die  "Wärme  ohue  nenneus- 
werthen  Verlust  auf  bedeutende  Entfernungen  übertragen  werden  kann;  selbst  bei 
ungünstigen  Verhältnissen,  z.  B.  bei  hohen  Fenstern  und  dünnen  Wänden,  vermag 
man  hohe  Temperaturgiade  zu  erzielen.  Dagegen  ist  die  Anlage  kostspielig  und 
meistens  uur  da  auszuführen,  wo  man  über  eine  Dampfmaschine  resp.  bereits  vor- 
handenen Wasserdampf  gebieten  kann.  Auch  die  Entfernung  des  Condeusa- 
tionswassers  ist  oft  mit  Schwierigkeit  zu  bewirken;  ebenso  ist  ein  störendes 
Geräusch  in  den  Röhren  besonders  beim  Anlassen  und  Abkühlen  der  Heizung 
nicht  zu  vermeiden. 

Am  vortheilhaftesten  ist  die  Dampfhe  izung  in  Fabriken,  welche  Hochdruck- 
maschinen benutzen,  wobei  der  abgeblasene  Dampf  zur  Verwendung  kommen  kann. 
Als  Centralheizung  für  Schulen,  Kirchen  und  grosse  Räume  überhaupt  und  selbst  in 
neuester  Zeit  auch  vielfaltig  für  Privathäuser  eignet  sich  ganz  vorzüglich  die  Warm- 
wasserheizung. 

Man  unterscheidet  Wasserheizungen  mit  Hoch-,  Mittel-  und  Niederdruck; 
erstere  werden  auch  als  Heisswasse r heiz ungen,  die  beiden  letzteren  als  Warm- 
wasserheizungen unterschieden. 

Bei  den  Hochdruckheizungen  wird  das  Wasser  bis  zu  170°  C.  erhitzt,  wozu 
man  nach  Perkins  ein  Röhrensystem  benutzt,  dessen  sechster  Theil  in  Form  einer 
Spirale  aufgewickelt  ist  und  in  einem  Ofen  erhitzt  wird.  Die  Circulationsröhren  haben 
circa  22  Mm.  inneren  und  33  Mm.  äusseren  Dmchmesser  und  sind  aus  Schmiedeeisen 
geschweisst;  die  Verbindung  der  einzelnen  Röhren  geschieht  durch  Verschraubung 
mittels  Muffen  mit  Rechts-  und  Links  Gewinden,  während  die  Verzweigung  durch  beson- 
dere T-  und  Kreuzstücke  bewirkt  wird.  Die  Röhren  vermögen  im  kalten  Zustande  etwa 
200  Atmosphären  Druck  auszuhalten,  die  Festigkeit  nimmt  aber  in  der  Spirale  mit  der 
Zeit  bedeutend  ab,  da  hier  die  Röhre  von  aussen  stets  rothglühend  wird.  Das  ganze 
System  ist  mit  Wasser  gefüllt  und  am  höchsten  Puncte  mit  einem  Expansionsgefässe 
versehen.  Dies  besteht  in  einem  Wasserkasten,  in  welchen  ein  vom  obersten  Puncte 
der  Leitung  abgehendes  Rohr  einmündet;  dies  ist  jedoch  durch  ein  Ventil  geschlossen, 
und  nur  wenn  der  Druck  durch  Expansion  des  eingeschlossenen  Wassers  über  die  zu- 
lässige Höhe  steigt,  wird  das  Ventil  gehoben  und  es  tritt  Wasser  in  den  Kasten  ein, 
bis  der  Druck  so  weit  nachgelassen  hat,  dass  das  Ventilgewicht  das  Ventil  wieder 
schliesst,  was  sofort  geschieht,  wenn  der  normale  Druck  wieder  erreicht  ist.  Nimmt 
aber  alsdann  der  Druck  noch  mehr  ab,  was  beim  Erkalten  des  ganzen  Systems  stets 
stattfindet,  so  tliesst  durch  ein  zweites  nach  innen  sich  öffnendes  Ventil  wieder  Wasser 
in  das  System  hinein,  bis  der  normale  Druck  aufs  Neue  erreicht  ist. 

Die  Circulationsröhren  werden  theils  am  Boden  in  mit  Gittern  überdeckten 
Rinnen,  theils  hinter  den  Fussleisten,  theils  in  Form  von  Spiralen  in  sogenannten 
Oefen  gelegt. 

Das  ganze  System  enthält  verhältnissmässig  wenig  Wasser  und  ist  deshalb  rasch 
anzuheizen,  kühlt  sich  aber  auch  eben  so  rasch  wieder  ab;  es  ist  nur  vortheilhaft  für 
grössere  Locale,  wo  es  auf  eine  rasche  Erwärmung  ankommt,  zeichnet  sich  durch  Ein- 
lachheit, sowie  Billigkeit  im  Betriebe  und  in  der  Anlage  aus  und  lässt  sich  auch  in 
alten  Gebäuden  einrichten. 

\\\\\  man  gleichzeitig  Ventilation  bezwecken,  so  reicht  ohne  complicirte  Vor- 
richtungen dieses  System  nicht  aus;  auch  hat  es  den  Nachtheil,  da  s  es  wegen  der 
raschen  Alikühlung  eine  anhaltende  Heizung  erforderlich  macht,  die  Gefahr  des  Ein- 
frierens nahe  liegt  und  in  staubigen  Localen  leicht  durch  ein  Versengen  der  Staubtheil- 
chen  ein  unangenehmer  Geruch  entsteht.    Die  Röhren  können  ausserdem  leicht  platzen, 


Wasserheizung.  101 

da  sich  das  Expansionsventil  unter  Umständen  festsetzen  kann,  was  namentlich  bei  man- 
gelnder Beaufsichtigung  leicht  eintritt;  unangenehm  ist  ferner  die  grosse  Strahlung  in 
der  Nabe  der  Heizröhren  resp.  Oefen. 

Bei  Mitteldruckheizungen  wird  das  Wasser  bis  etwa  3—4  Atmosphären 
erhitzt,  wonach  auch  die  Stärke  der  Röhren  bemessen  ist.  Auch  hier  wird  das  "Wasser 
in  Röhren,  welche  im  Feuer  liegen,  erwärmt:  die  Zahl  und  der  Durchmesser  derselben 
richten  sich  nach  der  Grösse  der  zu  erwärmenden  Räume.  Der  Complex  derselben 
stellt  somit  eine  Art  von  Röhren-Dampfkessel  dar  xxnd  tritt  an  die  Stelle  des  Dampf- 
kessels bei  der  Niederdruckheizung.  Das  System  eignet  sich  am  besten  für  lang- 
gestreckte Gebäude,  z.  B.  Krankenanstalten:  die  Gefahr  des  Platzens  ist  hier  auf  ein 
Minimum  reducirt. 

Die  Niederdruckheizung  enthält  sehr  viel  Wasser,  welches  nicht  in  den 
Röhren  selbst,  sondern  in  einem  besondern  Kessel  erwärmt  wird,  aus  diesem  an  der 
höchsten  Stelle  aus-  und  an  der  niedrigsten  eintritt.  Das  Wasser  wird  nur  massig 
erhitzt,  etwa  bis  zu  80°,  d.  h.  nie  bis  zum  Kochpunct;  es  steigt  nun  entweder  direct 
bis  zum  höchsten  Puncte  des  Systems  und  verzweigt  sich  von  da  nach  den  verschiedenen 
Oefen,  welche  somit  im  absteigenden  Zweige  liegen,  oder  aber  es  steigt  in  einem  sanft 
aufsteigenden  Rohre  der  Decke  des  Kellers  entlang  und  zertheilt  sich  nach  den  ein- 
zelnen  Oefen,  welche  alsdann  im  aufsteigenden  Strome  liegen. 

Dieses  System  hat  zwrei  Vortheile:  1)  das  Hauptrohr  liegt  an  der  Decke  des 
Kellers,  also  in  einer  Schicht,  welche,  wenn  sie  einmal  erwärmt  ist,  dasselbe  nicht  ab- 
kühlt ;  der  Wärmeverlust  ist  also  geringer,  als  wenn  das  Hauptrohr  auf  der  Diele  des 
Bodens  liegt,  wo  es  stets  auf's  Neue  die  kalte  Luft  erwärmen  muss;  2)  werden  die 
Oefen  mit  heisserem  Wasser  gespeist,  wenn  sie  ihr  Wasser  aus  dem  aufsteigenden 
Zweige  erhalten 

Die  Leitungsröhren  sind  von  Guss-  oder  Schmiedeeisen  und  haben  je  nach  der 
Grösse  des  Systems  am  Ausgangspuncte  der  Leitungen  bis  150  Mm.  lichten  Durch- 
messer, welcher  von  Abzweigung  zu  Abzweigung  sich  reducirt,  aber  im  Minimum  nicht 
unter  20  Mm.  beträgt.  Die  auf  dem  Boden  verlaufenden  Röhren  können  ebenfalls  mit 
Gusseisengittern  bedeckt  werden.  Das  Expansionsgefäss  ist  mit  Filz  oder  schlechten 
Wärmeleitern  vor  Abkühlung  zu  schützen  und  mit  einem  gut  schliessenden  eisernen 
Deckel  zu  versehen. 

Sobald  das  Wasser  durch  seine  Ausdehnung  in  Folge  der  Erwärmung  bis  über 
die  als  normaler  Wasserstand  angenommene  Linie  steigt,  besteht  unter  andern  Einrich- 
tungen eine  darin,  dass  das  Wasser  durch  ein  Signalrohr  nach  dem  Keller  abfliesst.  Ist 
das  Expansionsgefäss  bei  Beginn  der  Feuerung  leer,  so  kann  keine  Wassercirculation 
stattfinden  ;  geräth  das  Wasser  im  Kessel  und  im  Steigrohr  in's  Kochen  und  steigt  der  Dampf 
alsdann  durch  das  Signalrohr  nieder,  so  ist  dies  ein  Zeichen,  dass  es  an  Wasser  fehlt 
und  die  Pumpe  angesetzt  werden  muss,  welche  neben  dem  Wasserkessel  im  Keller  auf- 
gestellt ist  und  mit  dem  Rücklaufrohr  in  Verbindung  steht. 

Zur  Sicherheit  gegen  mögliche  Gefahren  muss  der  Deckel  des  Expansionsgefässes 
nicht  darauf  befestigt,  sondern  nur  aufgelegt  werden. 

Der  Feuerungskessel  besteht  häufig  aus  2  concentrischen  Cylindern,  zwischen 
denen  das  Wassei"  circulirt,  indem  es  fortwährend  durch  das  Steigrohr  fortgeht  und 
durch  die  Fallröhren  wieder  zuüiesst 

Am  zweckmässigsten  bringt  man  die  Kesselanlage  in  dem  mittlem  Theile  des  Sou- 
terrains an:  Röhrenkessel  werden  vorzugsweise  beim  Mitteldrucksystem  gewählt. 
Es  empfiehlt  sich,  den  der  Stichflamme  ausgesetzten  Theil  des  Kesselmauerwerks  aus 
besten  Chamotte-Steinen  herzustellen.  Bei  rationeller  Construction  ist  auch  die  Anlage 
einer  Rauchverbrennung  zweckmässig.  Was  die  Rohrleitung  betrifft,  so  verdienen  die 
Flant  seh  en  röhr  en  den  Vorzug,  die  Zweigröhren  sind  aus  Schmiedeeisen  mit  Flantschen 
oder  aus  Kupfer  herzustellen. 

Die  Regulirun  gshähn  •  bestimmen  die  Circulationsgeschwindigkeit  des  zu  den 

verschiedenen  Wasseröfen  fliessenden  Wassers,  so  dass  entweder  alles  Wasser  oder  ein 

Theil  desselben  durch  letztere  geht.     Auch  kann  man  bestimmte 

Abtheilungen  aus  der  Leitung  ausschalten.     . 

F<g-  Ö.  Einige  Ingenieure  verwerfen  alle  Hähne    und   ersetzen   sie 

durch  eine  Art  kleiner  Was  s  er  schieb  er. 

Wasseröfen.  Die  Höhe  derselben  variirt  nach  der  Grösse 
und  Lage  der  zu  heizenden  Zimmer;  sie  sind  aus  Eisenblech  ge- 
löthet  und  werden  hauptsächlich  nach  2  Systemen  gebaut:  1)  Man 
construirt  Cylinder,  durch  welche  der  Strom  des 
Wassers  circulirt,  während  durch  mehrere  im  Innern  liegende 
2 — üzöllige  Röhren  (Fig.  6  a),  welche  die.  obere  und  untere  Wand 
verbinden,  Luft  von  unten  nach  oben  hindurchstreicht.  Die  Heiz- 
fläche   besteht    somit    aus    dem  Cylindermantel,    der    von    innen 


102 


Sauerstoff  und  Wasserstoff, 


erwärmt  die  Wärme  nach  aussen  abgibt,  und  aus  den  Röhren,  welche  von  aussen  mit 
dem   heissen   Wasser  umspült   weiden   und  die  Wärme  nach  innen  abgeben. 

2)  Es  besteht  ein  System  von  Rohren,  durch  welche  das  Wasser 
circulirt  und  welche  die  Wärme  nach  aussen  abgeben:  dieselben  sind  oben  und  unten 
durch  flache  Kasten  verbunden.     Die  Heizfläche  besteht  aus  der  Oberfläche  der  Röhren 

und  Kasten  (Fig.  7).     Dies  System  kommt  vorzugs- 
Fiat   7.  weise  zur  Anwendung:    man  kann  auch  noch  Röhren 

hindurchziehen,  so  dass  Wärme  nach  innen  abgegeben 
wird  und  Luftcirculation  eintritt. 


Das  erste  System  ist  das  älteste  und 
gebräuchlichste,  macht  aber  viele  Reparaturen 
erforderlich,  da  es  ausserordentlich  viel  Lötharbeit 
bedingt.  Es  eignet  sich  am  besten  für  Kirchen 
und  grosse  Versammlungsorte,  um  grosse  Räume 
bei  hohen  Kältegraden  rasch  zu  erwärmen. 

Das  zweite  System  ist  in  dieser  Beziehung- 
wesentlich  besser  und  auch  überhaupt  mehr  im 
Gebrauch. 

Die  Warmwasserheizung  hat  im  Allge- 
meinen den  Vortheil  einer  angenehmen  und  erquickenden  Erwärmung,  einer 
leichten  Verbindung  mit  Ventilation,  einer  raschen  Regulirung  der  Wärme,  welche 
bei  Heisswasserheizung  fast  unmöglich  ist,  und  massiger  Betriebskosten.  Das 
grosse  Wärmereservationsvermögen  des  "Wassers  bedingt  nahezu  constante  Wärme- 
abgabe noch  lange  nach  Schluss  der  Feuerung;  die  Wärme  ist  wegen  der  geringen 
Strahlung  eine  sehr  wohlthuende. 

Ihr  Nachtheil  besteht  in  den  bedeuternden  Anlagekosten;  auch  erfordert 
die  Bedienung  Sorgfalt  und  namentlich  Sachkenntniss,  da  ohne  diese  Reparaturen 
nicht  zu  umgehen  sind. 

In  Berlin  hat  sich  die  Warmwasserheizung  für  Verwaltungsgebäude  und 
mehrere  Schulen  sehr  gut  bewährt.  Die  Möglichkeit,  Wasser  auch  horizontal 
leicht  zu  leiten,  spricht  namentlich  für  die  nützliche  Verwendung  desselben  in 
Gebäuden  mit  langgedehutem  Grundriss.  Die  Warmwasserheizung  hat  auch  noch 
den  grossen  Vortheil,  dass  man  die  Heizkörper  direct  an  und  unter  die 
abkühlenden  Fenster  placiren  und  durch  ihre  Strahlun-g  das  Gefühl 
der  Kühlung  fast  ganz  compensiren  kann;  dabei  bewirkt  sie  eine  gleich- 
massigere  Vertheilung  der  W7ärme,  vermeidet  Schmutz,  Staub  und  bei  Schulen 
namentlich  die  Störung  des  Unterrichts.1) 

Combinirte  Luft-  und  Wasserheizung.  Erst  in  der  neuesten  Zeit  hat 
man  dieses  System,  welches  ein  gutes  Resultat  verspricht,  eingeführt.  Der 
Wasserheizapparat  resp.  Kessel  ist  im  Souterrain  aufgestellt.  Die  Heizkörper 
(Schlangen  oder  Register)  stehen  auf  dem  Grunde  eines  senkrechten  Canals, 
welcher  zu  dem  zu  heizenden  Räume  führt,  so  dass  für  jeden  Raum  ein  beson- 
derer Canal  und  besondere  Heizkörper  construirt  werden;  der  Heizapparat  resp. 
Dampfkessel  versieht  die  Heizkörper  mit  heissem  Wasser.  Der  Vortheil  besteht 
darin,  dass  man  nur  senkrechte  Canäle  anlegt,  so  dass  die  durch  das  heisse 
Wasser  erwärmte  Luft  sich  schnell  und  ohne  alle  Reibung  in  die  verschiedenen 
Räume  erhebt  (conf.  Luftheizung). 

Diese  Einrichtung  eignet  sich  auch  ganz  vorzüglich  dazu,  um  die  frische 
Luft,  welche  den  Sälen  der  grösseren  Krankenhäuser  zuzuführen  ist,  zu  erwär- 
men.    Ein  Canal,   welcher  vom  Luftschacht  ausgeht,  führt  die  frische  Luft,   wie 


Die  Wandlung  des  Wassers.  103 

es  im  hiesigen  Krankenhause  am  Friedrichshain  der  Fall  ist.  einem  im  Souterrain 
gelegenen  Räume  zu,  in  welchem  die  Heizkörper  aufgestellt  sind.  Dieser  Raum 
hat  im  Fussbodeu  des  Saales  eine  quadratische  Oeffhung.  welche  seitlich  noch 
mit  Heizkörpern  und  einem  Gitterwerk  für  die  ausströmende  erwärmte  Luft  bis 
zu  einer  gewissen  Höhe  (1  —  l1 2  Meter)  umgeben  ist.  Das  Ganze  wird  oben  mit 
einer  entsprechenden  Platte  versehen,  um  eine  gefällige  Form  herzustellen. 

Der  grosse  Vortheil  besteht  darin,  dass  die  einströmende  Luft  niemals  über- 
hitzt werden  kann  uud  daher  ihre  belebende  Einwirkung  nicht  einbüsst;  nach 
der  Grösse  des  Saales  bringt  man  eine  oder  zwei  solcher  Vorrichtungen  an. 

Die  Wanderung  und  Wandlung  des  Wassers. 

Die  tausendfältigen  Wanderungen  und  Wandlungen  des  Wassers  im  grossen 
Haushalte  der  Natur  sind  die  Ursachen  der  gewaltigsten  Phänomene  in  der- 
selben; sie  bieten  dem  Forscher  unstreitig  das  grösste  Interesse  dar.  Die  Ver- 
dampfung des  Wassers  bei  allen  Temperaturen  über  und  unter  0°  ist  die  Ursache 
eines  beständigen  Wassergehaltes  unserer  Atmosphäre.  Die  Meere,  Flüsse, 
Seen,  alle  Gewässer,  die  feuchte  Erdoberfläche  u.  s.  w.  sind  in  beständiger  Ver- 
dunstung begriffen.  Ebenso  trägt  das  Pflanzen-  und  Thierlebeu  durch  ununter- 
brochene Wasserverdunstung  nicht  minder  zu  dem  ständigen,  wenn  auch  wechseln- 
den Wassergehalt  unserer  Atmosphäre  bei. 

Da  bei  gesteigerter  Temperatur  die  Wasserverdunstung  zunimmt,  so  ist  es 
leicht  erklärlich,  dass  der  Wassergehalt  unserer  Atmosphäre  bedeutenden  Schwan- 
kungen ausgesetzt  sein  muss  und  dass  je  nach  den  Jahres-  und  Tageszeiten  der 
Wassergehalt  wechseln  wird. 

Die  Wasserverdunstung  gehört  zu  den  grossartigsten  Processen  in  der  Natur; 
sie  repräsentirt  im  Pflanzen-  und  Thierleben  eine  mächtige  Kraft,  welche  die 
Säftebewegung  hauptsächlich  bedingt  und  die  Ernährung  befördert.  Andererseits 
wird  das  Wasser  bei  Temperaturabnahme  aus  der  Luft  ausgeschieden  und  kommt 
in  Form  von  Regen,  Thau  oder  Schnee  wieder  zur  Erde  zurück  und  bildet  die 
Quellen,  welche  zu  Bächen,  Flüssen  oder  Strömen  anwachsen,  um  im  Ocean  ver- 
einigt der  Verdunstung  wiederum  ein  unerschöpfliches  Material  zu  liefern. 

Es  ist  eine  bekannte  Thatsache.  dass  die  Reichhalti°-keit  der  Quellen  mit  der 
Regenmenge  in  einem  bestimmten  Verhältnisse  steht,  weshalb  die  Gebirge  die  meisten 
Quellen  liefern,  weil  es  hier  häufiger  regnet  und  das  zu  Boden  gefallene  Regenwasser 
wegen  der  niedern  Temperatur  nicht  rasch  verdunstet,  namentlich  wenn  eine  schützende 
Walddecke  hinzukommt. 

Auf  dem  unterirdischen  Wege,  welchen  das  Wasser  macht,  kommt  es  mit  ver- 
schiedenen Bodenbestandtheilen  in  Berührung:  es  nimmt  einen  Theil  derselben  auf 
und  verändert  hiernach  seine  Bestandtheile.  Schon  Plinius  sagt:  Tales  sunt  aquae, 
qualis  est  terra,  per  quam  fluunt. 

Eine  Hauptbedingung  zur  Auflösung  der  mineralischen  Bestandtheile  ist  der  Kohlen- 
säuregehalt des  Wassers:  dieser  Vorgang  wird  durch  hydrostatischen  Druck  und 
eine  geeignete  Temperatur  begünstigt. 

In  angebauten  Ebenen,  namentlich  wenn  das  Terrain  aus  Sand  und  Geröll  besteht, 
können  nur  zufällig  vorhandene,  tiefer  liegende  Thonschichten  das  zu  rasche  und  tiefe 
Eindringen  des  Regenwassers  verhindern.  Durch  die  Wälder  wird  dasselbe  in  seinem 
Abfluss  aufgehalten  und  in  seiner  Verdunstung  beschränkt:  die  schonungslose 
Fällung  der  Wälder  wird  daher  mit  der  Zeit  nicht  bloss  Mangel  an  Brenn- 
stoff, sondern  auch  an  Wasser  und  folglich  ein  Verkümmern  der  übrigen 
"Vegetation  bedingen  und  den  allgemeinen  Wohlstand  des  Landes  ge- 
fährden. 

Für  die  Vegetation  ist  das  Wasser  von  der  allergrössten  Wichtigkeit,  da  durch 
ein  Verdunsten  desselben,  wie  schon  erwähnt  worden,  hauptsächlich  die  Saftbewegung 
in  den  Pflanzen  veranlasst  wird.     Die  Blätter   nehmen  theils  die  gasförmigen  Körper 


104  Sauerstoff  und  Wasserstoff. 

auf  und  übernehmen  die  Verdunstung  des  Wassers,  während  die  Wurzeln  zur  Auf- 
nahme des  Wassers  und  der  in  demselben  enthaltenen  mineralischen  Nahrungsmittel 
neben  aufgelösten  Gasen  dienen.  Je  kräftiger  nun  dir»  Verdunstung  ist,  desto  schneller 
findet  einsteigen  der  Säfte  von  Asl  zu  Ast  stall  und  desto  rascher  nehmen  die  Wurzeln 
Wasser  auf,  wenn  es  reichlich  dargeboten  wird 

Wirkt  abwechselnd  grosse  Nässe  und  Kälte,  besonders  nach  grosser  Hitze,  auf  die 
Pflanzen  ein,  so  leiden  sie  durch  die  mit  Wasserdampf  gesättigte  Atmosphäre;  denn  die 
Pflanzen  sind  nicht  befähigt,  ihre  Verdunstung  regelnnissig  fortzusetzen.  Das  Wasser 
wird  zwar  durch  Endosmose  von  ihnen  aufgenommen,  aber  in  Folge  der  unterdrückten 
Verdunstung  kann  es  nicht  mehr  der  Zufuhr  entsprechend  austreten,  so  dass  häufig  ein 
Zersprengen  der  Gefässe  im  Innern  der  Pflanzen  eintritt  und  hierdurch  auch  zuletzt 
Absterben  durch  Fäulniss  bedingt  wird. 

Hierauf  beruht  hauptsächlich  die  Kartoffelkrankheit,  die  Hopfenkrank- 
heit, das  Bersten  und  Aufspringen  der  Weintrauben,  wenn  plötzlich  ein  an- 
hallender Regen  eintritt. 

Ist  im  Sommer  die  Verdunstung  durch  die  Blätter  stärker  als  die  Aufnahme  des 
Wassers  durch  die  Wurzeln,  so  kränkeln  die  Pflanzen  wegen  zu  geringer  Wasserzufuhr, 
bringen  aber  häufig  durch  Blätterabwurf  die  Verdunstung  mit  der  Aufnahme  in's  Gleich- 
gewicht. 

Nach  Liebig  besitzt  die  Ackerkrume  ein  grosses  Vermögen,  der  feuchten  Luft 
den  Wasserdampf  zu  entziehen  und  in  ihren  Poren  zu  verdichten:  mai  kann  behaup- 
ten, dass  sie  in  dieser  Beziehung  allen  porösen  Körpern  und  sogar  der  Schwefelsäure 
fleichstehl  Nur  aus  dieser  Absorptionskraft  der  Ackerkrume  für  das  Wasser  ist  der 
Imstand  zu  erklären,  dass  den  Pflanzen  auch  während  eines  trocknen  Sommers  oder  in 
den  Tropen  hinreichendes  Wasser  geboten  wird,  weil  während  der  Nacht  die  atmosphä- 
rische Feuchtigkeit  energisch  vom  Boden  absorbirt  wird. 

Der  Wassergehalt  des  Bodens  ist  somit  ein  nothwendiges  Erforderniss  für  das 
Gedeihen  der  Pflanzenwelt.  Das  Wasser  vermittelt  aber  nicht  allein  die  Bewegung  des 
Saftes,  den  Üebergang  der  mineralischen  Bestandteile  des  Bodens  durch  die  Wurzeln 
in  die  Pflanzen,  sondern  bildet  auch  selbst  ein  unentbehrliches  Ernährungselement  für 
dieselben. 

Es  ist  unzweifelhaft,  dass  das  Wasser  mit  der  Bildung  und  dem  Bestehen  aller 
organisirten  Gebilde  auf  der  Erde  im  Zusammenhange  steht;  sogar  die  meisten  Mine- 
ralien enthalten  das  Wasser  theils  chemisch  gebunden,   theils  mechanisch  beigemengt. 

Bei  den  Pflanzen  waltet  das  Wasser  vor  den  festen  Theilen  vor  und  zwar  in 
verschiedenen  Verhältnissen  nach  der  Natur  derselben  Alle  Nahrungsmittel  und  nament- 
lich die  Obstarten  sind  sehr  wasserreich:  Aepfel  und  Birnen  enthalten  z.  B  80°/0,  Möhren 
6G%.  Kartoffeln  69—75%,  Getreide  17%,  Erbsen  15%,  Pflaumen  und  Spargel  96— 
98%  Wasser. 

Den  Wassergehalt  der  thierischen  Körper  schätzt  mau  im  Allgemeinen  auf 
mehr  als  dreiviertel  des  ganzen  Gewichts;  das  Wasser  findet  sich  fast  in  allen  Theilen 
des  thierischen  Körpers  und  namentlich  in  den  flüssigen  Gebilden. 

Die  starren  Theile,  wie  die  Knochen  und  Zähne,  sind  wasserärmer.  Das  Männer- 
blut enthält  73  —  80%,  das  Frauenblut  75  84%,  das  Gehirn  73-80%,  das  Muskel- 
fleisch 77,17%,  die  Bänder  enthalten  77%,  die  Leber  68%,  die  Sehnen  50%  und  die 
Schienbeinknochen  46%  Wasser. 

Ein  solcher  Procentgehalt  ist  natürlich  sehr  verschieden,  da  auch  im  Thierkörper 
das  Wasser  mannigfaltige  Wandlungen  durchläuft,  in  denen  es  mehr  oder  weniger  frei  wird 
und  durch  Haut  und  Lunge  nach  den  individuellen  Verhältnissen,  sowie  nach  der  Tempe- 
ratur der  Atmosphäre  flüssig  oder  dampfförmig  wieder  ausgeschieden  wird. 

Bezüglich  der  Art  und  Weise,  wie  die  verschiedenen  Körper  das  Wasser 
aufgenommen  haben  und  der  Form,  in  welcher  es  von  der  Substanz  fest- 
gehalten wird,  unterscheidet  man: 

1.  Das  hygroskopische  Wasser,  welches  aus  der  Luft  aufgenommen  wird 
und  grösstenteils   auf  der  Porosität   der  Körper   resp.  Flächenanziehung  beruht, 

2.  Das  Krystallisationswasser,  ein  locker  gebundenes  Wasser,  welches 
nicht  aus  der  Substanz  ausgeschieden  werden  kann,  ohne  ein  gänzliches  Zer- 
fallen des  Körpers  zu  veranlassen,  wie  es  bei  vielen  Salzen  der  Fall  ist. 

3.  Das  Alkajest-Wasser,  d.  h.  dasjenige  Wasser,  welches  als  allgemeines 
Auflösungsmittel  im  Blute,  in  der  Lymphe,  im  Speichel  und  in  den  übrigen 
thierischen  Flüssigkeiten,  sowie  im  Safte  der  Pflanzen  vorkommt. 


Verschiedene  Arten  von  Wässern.  105 

Es  gibt  auch  Körper,  welche  als  Wasserverbindungen  angenommen  werden, 
wobei  man  sich  die  Elemente  des  Wassers  in  der  Substanz  als  fest  verbun- 
den denkt,  z.  B.  bei  den  Kohlehydraten  (Zucker,  Stärkemehl).  Wird  die  Ver- 
bindung durch  irgend  einen  Einfluss,  wie  durch  Wärme,  veranlasst,  Wasser 
abzugeben,  so  zerfällt  auch  hier  die  Verbindung  auf  Kosten  der  Wasserbilduug; 
letztere  Form  des  Austritts  kommt  bei  den  vitalen  Processen  des  Thierkörpers 
häufig  vor. 

Aus  allen  diesen  Thatsacheu  geht  zur  Genüge  hervor,  wie  unentbehrlich 
das  Wasser  für  alles  Geschaffene  und  namentlich  für  die  lebendigen  Organismen 
ist;  neben  dem  Sauerstoff  spielt  es  die  allerwichtigste  Rolle  im 
grossen  und  bewunderungswürdigen  Haushalte  der  Natur.  Schon  Hip- 
pocrates  hat  in  seinem  berühmten  ßuche:  Fiept  <yipa>v,  üSarwv,  tottwv,  dieses  wich- 
tigste Lebensbedürfniss  gewürdigt  und  seinen  mächtigen  Einfluss  auf  Gesundheit 
und  Krankheit  hervorgehoben. 

In  Betreff  der  Einwirkung  unreineu  Wassers  auf  den  Pflanzen-  und  Thier- 
Organismus  sei  nur  im  Allgemeinen  bemerkt,  dass  erstere  keine  alkalischeu, 
sondern  viel  eher  saure  Wässer  vertragen,  wohingegen  Thiere  leichter  durch  den 
anhaltenden  Genuss  von  sauren  Wässern  afficirt  weYden. 

Zu  den  Hauptaufgaben  der  öffentlichen  Gesundheitspflege  gehört  die  Sorge 
für  ein  gutes  und  die  physiologischen  Functionen  des  Organimus  beförderndes 
Wasser. 

Die  verschiedenen  Arten  von  Wässern  und  ihre  Zusammensetzung. 

Das  reinste  Wasser  ist  gewöhnlich  das  Regenwasser;  es  enthält  wie 
das  Gletschereis  die  Bestandtheile  der  atmosphärischen  Luft.  In  der  Nähe  des 
Meeres  findet  sich  bisweilen  Chlorwasserstoffsäure  und  nach  Gewittern 
freie  und  gebundene  Salpetersäure  in  demselben  vor;  Ammoniak  ist 
gewöhnlich  an  Salpetersäure  oder  Kohlensäure  gebunden.  Im  Sommer  ist  der 
Salpetersäuregehalt  und  im  Winter  der  Ainmoniakgehalt  bedeutender;  Spuren 
von  Kali,  Natron,  Kalk,  Magnesia  und  Eisensalzen  rühren  mehr  von  zufälligen 
Verunreinigungen  durch  Staub  etc.  her.  So  ist  es  auch  in  sanitärer  Beziehung 
sehr  wichtig,  dass  man  nicht  selten  Blei  und  Zink,  welches  von  den  betref- 
fenden Dachrinnen  herrührt,  im  Regenwasser  antrifft. 

Die  schweflige  Säure,  welche  als  Verbrennungsproduct  in  der  Atmosphäre 
vorkommt,  wird  ebenfalls  vom  Regen wasser  aufgenommen,  fällt  mit  dem  Regen 
nieder,  greift  nicht  selten  da,  wo  sie  sehr  reichlich  vorkommt,  die  Bedachung  an, 
bedingt  eine  erhebliche  Vermehrung  der  aufgelösten  Metalloxyde  und  verleiht  da- 
durch dem  Regenwasser  nachtheilige  Eigenschaften.  In  gleicher  Weise  wirkt  die 
Nachbarschaft  einer  Essigfabrik,  deren  Exhalationen  die  Lösung  der  Metalle 
bedingen  und  deshalb  sehr  unangenehme  Folgen  haben  können. 

Alles  Wasser  enthält  Gase  resp.  atmosphärische  Luft;  in  derselben  ist  der 
Sauerstoffgehalt  höher  als  in  der  Atmosphäre.  Schneewasser  ist  das 
sauerstoffreichste  und  bezüglich  seiner  Reinheit  dem  Regenwasser  am  ähnlichsten. 
Aehnlich  verhält  es  sich  mit  dem  Eiswasser;  man  hat  daher  den  Vorschlag 
gemacht,  schlechtes  Wasser  durch  Gefrierenlassen  zu  verbessern;  eine  Methode, 
welche  jedenfalls  nicht  ausreichend  ist 

Quell-  und  Flusswasser  enthält  häufig  Vs  Sauerstoff  auf  %  Stickstoff; 
dieser   höhere    Sauerstoffgehalt   kommt   ganz    besonders    den    Fischen    zu    Gute. 


10(5  Sauerstoff  und  Wasserstoff. 

Kohlensäure  kommt  als  gebundene  und  freie  vor;  letztere  verschwindet  bei 
Tempei  aturerhöhung  und  bei  Bewegungen  des  Wassers.  Da  der  Kohlensäure- 
gehalt des  Wassers  die  Auflösung  des  Kalkes  bedingt,  so  ist  es  erklärlich,  dass 
durch  Entweichen  dieses  Gases  der  Kalkgehalt  abnehmen  muss.  Je  weiter  das 
Wasser  von  der  (Quelle  sich  entfernt,  desto  mehr  fallen  deshalb  die  Kalksalze 
nieder,  weil  eben  die  Kohlensäure  entweicht  und  dieselben  nicht  mehr  aufgelöst 
erhält.  Je  nachdem  das  Wasser  viel  oder  wenig  Kalksalze  enthält,  nennt  man 
es  hart  oder  weich;  wegen  des  geringen  Gehaltes  an  Kalksalzen  ist  namentlich 
das  Flusswasser  gewöhnlich  weicher  als  das  Brunnenwasser. 

Das  Flusswasser  zeichnet  sich  besonders  durch  einen  geringen  Gehalt  an 
alkalischen  Erden  und  Alkalisalzen  resp.  an  festem  Rückstande  aus;  die  festen 
Bestandteile  sind  entweder  suspendirt  (Schlamm,  Trübung)  oder  gelöst.  Erstere 
besteheu  grösstenteils  aus  Thousilicaten,  letztere  aus  Kalksalzen  und  den  Salzen 
der  Alkalien.  Da  organische  stickstoffhaltige  Substanzen  im  Flusswasser  in  viel 
grösseren  Mengen  als  in  anderen  Wässern  vorhanden  sind,  so  fehlen  auch  die 
salpetersauren  und  Ammoniumsalze  selten  in  ihm. 

Die  geschlossenen  resp  stillstehenden  Wässer,  z.  B.  Teiche  etc.  be- 
halten, obschon  sie  durch  die  Excremente  der  in  ihnen  lebenden  Thiere  verunreinigt 
werden,  die  Reinheit,  welche  für  die  Existenz  dieser  Thiere  erforderlich  ist:  höchst 
wahrscheinlich  spielen  hier  der  grössere  Sauerstoffgehalt  des  Wassers  so  wie  die  Pflanzen- 
welt eine  grosse  Rolle  mit. 

Das  Sumpfwasser  enthält  neben  viel  Alkalien  und  Mangan  auch  noch  eine 
erhebliche  Menge  aufgelöster  Kieselsäure,  aber  weniger  kohlensaure  Salze;  das 
Mangan  kann  man  als  den  Sauerstoffträger,  welcher  die  Verwesung  befördert,  betrachten. 

Im  Allgemeinen  ist  das  Sump  fwa  sser  nicht  als  gesundheitsschädlich  zu  betrach- 
ten, so  lange  die  Vegetation  in  demselben  fortbesteht :  wird  aber  diese  durch  irgend  eine 
Ursache  unterdrückt  oder  aufgehoben,  so  geht  der  lebendige  Sumpf  in  einen  todten 
über,  welcher  alsdann  alle  Fäulnissproducte,  die  überhaupt  bei  faulenden  und  verwesenden 
Pflanzenstoffen  auftreten  können,  liefert.  Eigentliche  Sümpfe  nennt  man  stehende 
Gewässer,  welche  bloss  eine  Speisung  durch  atmosphärisches  Wasser,  aber  keinen  Ab- 
fluss  haben  und  wobei  der  Boden  ein  Einsickern  nicht  gestattet.  Letzteres  ist  durch 
den  thonartigen  Untergrund  bedingt;  deshalb  finden  sich  Sümpfe  nur  in  ge- 
wissen Gegenden,  namentlich  da,  wo  Braunkohlenformationen  vorhanden  sind,  welche  das 
Vorkommen  des  blauen  Letten  als  Untergrund  bedingen.  In  Wäldern,  wo  das  Wasser 
schwieriger  zur  Verdunstung  kommt,  wird  die  Sumpfbildung  begünstigt;  bisweilen 
sammelt  sich  das  Wasser  auch  vor  Abhängen  an  und  zieht  nur  zum  kleinsten  Theil 
in  die  Erde  hinein,  wodurch  alsdann  unter  begünstigenden  Umständen  ein  Sumpf 
entsteht. 

Solche  stehenden  Gewässer  geben  zu  einer  üppigen  Vegetation  verschiedener 
Wasserpflanzen  Veranlassung:  ausser  Ledum  palustre,  Lotus  uliginosus  sind  es  beson- 
ders die  Sphagnum-Arte  n,  die  Torfmoose,  welche  hier  einen  günstigen  Boden  finden. 
Sie  verursachen  durch  den  jährlichen  Abwurf  ihrer  Wurzel  und  alten  Blatt-  und  Ranken- 
bildung die  Entstehung  einer  holzfaserähnlichen  Masse,  welche  unter  Wasser  der 
weiteren  Zersetzung  unterliegt  und  alsdann  ihre  Mineralsubstanz  in  löslicher  Form  dem 
Wasser  mittheilt:  diese  dient  wiederum  zur  Ernährung  der  nächsten  Vegetation,  wohin- 
gegen der  eigentliche  holzfaserähnliche  Theil  unter  Abgabe  von  gasförmigen  Produc- 
ten  als  humose  Substanz  ausgeschieden  wird  und  so  zur  Bildung  von  Torf  Veranlas- 
sung gibt.  Da  letzterer  auch  noch  nach  Jahrzehnten  einer  fortwährenden  weiteren  Ver- 
wesung unterliegt,  so  wird  er  immer  wasserstoffärmer  und  kohlenstoffreicher;  seine 
Structur  wird  nach  und  nach  eine  festere  und  dadurch  zur  Benutzung  als  Brennmate- 
rial geeigneter. 

Die  gasförmigen  Producte  des  verwesenden  holzfaserähnlichen  Theils  liefern 
die  sogenannten  Sumpfgase,  welche  hauptsächlich  aus  leichtem  Kohlenwasser- 
stoff und  Kohlensäure  bestehen.  Schwefelwasserstoff  und  der  die  Menschen 
noch  immer  irreleitende  P  ho  spho  rwasserstoff  können  hier  unmöglich  entstehen,  da 
1)  ein  zu  grosser  Sauerstoffgehalt  des  Wassers  durch  die  Vegetation  bedingt  ist  und  2)  das 
Vorwalten  verschiedener  Metalloxyde,  wie  Mangan  und  Eisen,  das  Auftreten  dieser 
Gase  gar  nicht  zulassen.  In  Sümpfen  und  Mooren  bilden  sich  nämlich  stets  Rasen- 
erze, Eisenoxydmassen,  welche  mit  phosphorsaurem,  basisch  schwefelsaurem  Eisen  und 


Sumpfwasser.  1 07 

etwas  Schwefeleisen  gemengt  sind:  Bohnerz  besteht  namentlich  aus  diesen  Bestand- 
teilen. 

Aus  Allem  ist  ersichtlich,  dass  nicht  jeder  Sumpf  an  und  für  sich  einen  schäd- 
lichen Einfluss  ausübt,  was  auch  schon  daraus  hervorgeht,  dass  verschiedene  Thiere  in 
und  an  Sümpfen  leben.  Bekanntlich  leben  Frösche,  Unken,  Vipern,  Salamander  im 
Sumpfwasser,  während  Schnepfen,  Störche  und  Dickhäuter  vorzugsweise  an  den  Sümpfen 
verweilen:  mehrere  der  verschiedenen  Arten  des  Wasserhuhns  leben  sogar  während 
der  ganzen  Brutzeit  auf  dem  Wasser  in  Nestern.  Jeder  Su  mpf- bedingt  aber 
stets  eine  Erhöhung  der  atmophärischen  Feuchtigkeit. 

Die  Feuchtigkeitszunahine  wird  durch  drei  Ursachen  herbeigeführt.  1)  Die 
Temperatur  des  Sumpfes  als  eines  stillstehenden  Wassers  steigt  während  des  Som- 
mers mit  der  erhöhten  Lufttemperatur,  es  wird  daher  im  Verhältniss  zur  Höhe  der  letztern 
auch  eine  vermehrte  Wasserverdunstung  stattfinden ;  2)  bildet  die  Siimpfvegetation  eine 
unendlich  vergrösserte  Oberfläche,  welche  stets  die  Verdunstung  einer  entsprechenden 
Wassermenge  zulässt  und  zwar  unabhängig  von  der  Temperatur,  da  das  Wasser  bei 
jedem  Temperaturgrade  verdunstet;  nur  hat  man  es  in  der  kälteren  Jahreszeit  mit 
einer  nasskalten  und  in  der  wärmeren  mit  einer  feuchtwarmen  Atmosphäre  zu 
thun.  Endlich  3)  reissen  die  Gase,  welche  sich  aus  dem  Sumpfe  reichlich  entwickeln 
(Kohlensäure,  Sumpfgas,  Stickstoff),  stets  Wassertheilchen  mit  sich  fort  und 
tragen  auf  diese  Weise  ebenfalls  zur  Vermehrung  der  atmosphärischen  Feuchtigkeit  bei. 

Dazu  kommt  ein  zweiter  Factor:  es  ist  nämlich  seit  langer  Zeit  bekannt, 
dass  die  Luft  der  Sumpfgegenden  vorzugsweise  viele  pflanzliche  Organis- 
men enthält.  Die  ersten  Untersuchungen  sind  in  dieser  Beziehung  von  Moscati 
in  den  Reisfeldern  von  Toscana  gemacht  worden,  indem  derselbe  durch  mit  Eis  ge- 
füllte Glaskolben,  welche  er  in  einiger  Entfernung  vom  Boden  aufhing,  die  Feuchtigkeit 
der  Luft  zu  verdichten  suchte.  Aennliche  Versuche  stellte  Brocchi  in  Rom  und  in  den 
Sümpfen  des  Languedoc  an.  Auf  diese  Weise  erhielt  man  eine  Flüssigkeit,  welche  wegen 
ihres  Gehaltes  an  organischen  Stoffen  sehr  bald  in  Fäulniss  überging  und  bei  einigen 
Thieren,  welche  dieselbe  genossen,  tödtliche  Wirkung  erzeugt  haben  soll(?),  bei  anderen 
aber  wirkungslos  blieb;  die  Sumpfluft  betrachtet  man  deshalb  als  Sumpfmiasma 
und  bezeichnet  sie  als  Malaria  (Ai'ia  cattiva). 

Die  neuesten  Untersuchungen  über  die  Sumpfluft  rühren  von  SaUsbun/*)  her, 
die  derselbe  in  den  malariareichen  Thälern  der  Flüsse  Ohio  und  Missisippi  anstellte. 
Er  behauptet,  im  Speichel,  Mund-  und  Nasenschleim,  sowie  constant  im  Urin  der 
Kranken,  in  dem  über  Pfützen  und  sumpfigem  Boden  aufgefangenen  Condensations- 
wasser  und  in  der  Luft  in  einer  Höhe  von  35  —  60  Fuss,  an  einigen  Orten  bis  100  Fuss 
über  der  Ebene,  sehr  kleine  Zellen,  einzeln  oder  aneinander  gereiht,  mit  einem  deutlich 
unterscheidbaren  Kern  und  einer  zarten  Zellenmembran  gefunden  zu  haben,  welche  er 
für  zur  Species  Palmella  gehörige  Algenzellen  hielt.  Dieselben  sollen  nur  wäh- 
rend der  Nacht  in  den  vom  Boden  aufsteigenden  feuchten  Exhalationen  suspendirt 
sich  in  die  Luft  erheben  und  bald  nach  Aufgang  der  Sonne  wieder  auf  den  Boden 
zurückfallen. 

Diese  Beobachtung  bedarf  jedoch  noch  sehr  der  Bestätigung,  und  namentlich  ist  die 
Beschreibung  der  Zellen  noch  viel  zu  ungenau  und  nicht  charakteristisch  genug,  um  daraus 
schon  einen  bestimmten  Schluss  ziehen  zu  können.  lVood3)laebt  mit  Recht  hervor, 
dass  die  Palmella  als  chlorophyllhaltige  Pflanze  des  Lichtes  bedarf  und  deshalb  im 
Thierkörper  nicht  fortkommen  kann.  Er  und  ein  anderer  Arzt  schliefen  monatelang  in  Zim- 
mern, in  welchen  mehrere  Palmella- Arten  gezogen  wurden,  und  verschluckten  ausserdem  zu 
Tausenden  von  diesen  Püänzchen,  ohne  von  Intermittens  befallen  zu  werden.  Nur  so  viel 
steht  fest,  dass  die  Sumpffieber,  die  intermittirenden  und  remittirenden  Fieber  mit  be- 
sonderen Bodenverhältnissen  und  der  mit  ihnen  correspondirenden  Luftbeschaffenheit  in 
causalem  Zusammenhang  stehen.  Mit  höchster  Wahrscheinlichkeit  spielt  hier  neben  dem 
hohen  Feuchtigkeitsgehalt  der  Luft  die  Fäulniss  von  vegetabilischen 
Stoffen  eine  Hauptrolle. 

Die  Erfahrung,  dass  manche  Lungenkranke  sich  in  der  Nähe  von  Sümpfen  wohler 
fühlen,  weshalb  man  sogar  Sumpfluft  gegen  Lungentuberkulose  empfohlen  hat,  spricht 
dafür,  dass  die  reizende  Einwirkung  des  atmosphärischen  Sauerstoffs  durch  die 
Sumpfgase  modificirt  wird.  Andererseits  kann  aber  auch  die  belebende  Einwirkung 
des  Sauerstoffs  auf  das  Blut  und  den  Stoffwechsel  gesunder  Menschen  dadurch  bedeu- 
tend alterirt  werden,  so  dass  beim  Hinzutritt  einer  beständig  feuchten  Atmosphäre 
leicht  Veranlassung  zur  Entstehung  von  intermittirenden  Fiebern  gegeben  wird; 
jedenfalls  soll  man  keine  Wohnungen  in  der  Nähe  von  Sümpfen  errichten;  gänzlich 
unzulässig  ist  dies,  wenn  es  sich  um  öffentliche  Anstalten,  Schulen,  Seminare  u.  s.  w. 
handelt. 

Bei  der  Frage  über  den  Einfluss  der  Sümpfe  auf  die  Gesundheit  der 
Menschen  und  Thiere  muss  man  stets  die  Veränderungen,  welchen  ein  Sumpf  aus- 


108  Sauerstoff  and  Wasserstoff. 

gesetzt  sein  kann,  berücksichtigen.  Sobald  nämlich  die  Vegetation  des  Sumpfes  schwindet 
sei  es  durch  gewaltige  Naturereignisse,  grosse  Trockenheit  u.  s.  w.  oder  durch  Kunst, 
so  treten  die  Ursachen,  welche  das  Auftreten  der  Fäulnissproducte  verhindern,  in  den 
Hintergrund.  Die  Sauerstoffzufuhr  durch  die  Pflanzen  wird  alsdann  gänzlich 
abgeschnitten  und  dadurch  der  Fäulniss-  resp.  Verwesungsprocess  in  ein  ganz 
anderes  Stadium  gebracht,  wobei  nicht  allein  Sumpfgas  und  Kohlensäure,  sondern  auch 
Schwefelwasserstoff,  Buttersäure,  Baldriansäure  u.  s.  w.  auftreten:  gleich- 
zeitig verschwindet  alle  Thierwelt  und  der  Sumpf  ist  im  wahren  Sinn  des  Wortes  ein 
todter  geworden.  Erst  nachdem  das  Wasser  gänzlich  verdunstet  oder  abgeführt  und 
der  Sumpf  trocken  gelegt  worden  ist.  bildet  sich  auf  der  humosen  Substanz  eine  Gras- 
narbe, welche  besonder.-  mit  Rume.x  -  Arten  und  Orchideen  versehen  ist.  Tritt  dage- 
gen durch  zu  grosse  Wasserzufuhr  ein  U  eb  er  schwemmen  dieser  Grasnarbe  ein, 
kommt  dazu  im  Winter  noch  der  Frost,  so  verschwindet  nicht  bloss  das  Gras,  sondern 
auch  die  übrigen  Pflanzen  gehen  durch  Absterben  der  Wurzel  und  Zerstörung  der 
Keimfähigkeit  ihrer  Samen  im  Frühjahr  zu  Grunde:  bleibt  alsdann  das  Wasser  im 
Sommer  stehen,  so  tritt  wiederum  die  Vegetation  der  ersteren  Art  ein,  womit  sich  gleich- 
zeitig die  Thierwelt  wieder  einfindet. 

Diese  sind  die  sogenannten  regenerirten  Sümpfe,  womit  alsdann  die  schäd- 
lichen Einflüsse  für  die  Thierwelt  wieder  verschwinden:  hier  kann  besonders  der  erhöhte 
Feuchtigkeitsgehalt  der  Atmosphäre  zu  Erkältungskrankheiten  oder  bei  vorhandener 
.Disposition  der  Constitution  zu  Malaria  Veranlassung  geben.  —  Dagegen  bietet  der 
todte  Sumpf  alle  ätiologischen  Momente  dar,  welche  bei  Thieren  Milzbrand,  bei 
Menschen  die  Entwicklung  von  Cholera,  Typhus  und  anderen  Fieberkrankheiten  be- 
fördern können.  Die  Austrocknung  des  Haarlemer  Meeres  hat  den  besten  Aufschluss 
über  alle  diese  Verhältnisse  geliefert,  da  sich  dort  je  nach  den  verschiedenen  Zuständen, 
welche  durch  die  Trockenlegung  herbeigeführt  wurden,  auch  die  verschiedenen  Einflüsse 
geltend  machten. 

Der  Morast  ist  stets  ein  todter  Sumpf,  da  jede  Vegetation  und  alles  animalische 
Leben  in  demselben  fehlen:  auch  die  künstlich  angelegte  Flachsröstgrube  ist  ein  Morast 
Moor,  Torfmoor  ist  stets  ein  lebendiger  Sumpf:  Bruch  wird  gewöhnlich  ein  Sumpf 
genannt,  welcher  mit  grösseren  baumartigen  Pflanzen,  namentlich  mit  Eschen  und  Erlen 
bewachsen  ist. 

Die  Brackwässer  an  Flüssen  und  Meeren,  eine  Vermischung  von  Salz-  und 
Süsswasser,  stellen  ein  Mittelding  von  Morast  und  Sumpf  dar.  In  der  ersten  Periode 
nähern  sie  sich  mehr  dem  Sumpfe  und  werden  durch  das  Verdunsten  oder  Zurücktreten 
des  Wassers,  wobei  die  spärliche  Vegetation  und  die  Thierwelt  gänzlich  vernichtet 
werden,  allmähkg  in  einen  Morast  verwandelt:  hiermit  beginnt  und  vermehrt  sich  als- 
dann auch  ihr  schädlicher  Einfluss  auf  die  Gesundheit  der  Menschen. 

Wasseransammlungen,  welche  zur  Seite  von  Flüssen,  Bächen  u.  s.  w.  ent- 
stehen, mit  dem  Spiegel  des  Flusses  fallen  oder  steigen  oder  auch  ganz  verschwinden, 
wenn  der  Flussspiegel  unter  ihr  Niveau  sinkt,  können  nicht  als  Sümpfe  bezeichnet 
werden.  Dagegen  sind  die  Deltas  verschiedener  Flüsse,  z.  B.  des  Nil,  Po,  der  Donau, 
Weichsel  u.  s.  w.  lebendige  Sümpfe,  welche  durch  theilweise  Trockenlegung  einen  gün- 
stigen Boden  für  den  Anbau  verschiedener  Nährpflanzen,  z.  B.  von  Sumpfhirse,  Reis, 
Mais  u.  s.  w.  bieten. 

Reisfelder  werden  hauptsächlich  nach  der  Ernte  ungesund,  wenn  die  zurück- 
gebliebenen Wurzelstöcke  in  dem  feuchten  Terrain  der  Verwesung  unterliegen.  Auch 
die  Pontinischen  Sümpfe  sind  bekanntlich  im  Sommer,  wenn  das  Wasser  durch 
Verdunstung  zurücktritt  und  die  Vegetation  in  Abnahme  begriffen  ist,  am  schädlichsten. 
Wäre  es  möglich,  in  allen  Sumpfgegenden  perennirende  und  sich  regenerirende  Sumpf- 
pflanzen anzubauen,  so  würden  sie  alle  gefährlichen  Eigenschaften  verlieren. 

Der  Vorschlag  des  amerikanischen  Schiffslieutenants  Maury,  Sümpfe  mit  Heli- 
anthus  annuus  zu  bepflanzen,  wird  bei  dem  eigentlichen  Sumpfe  auf  eine  absolute  Un- 
möglichkeit stossen,  dagegen  in  den  Fällen  angezeigt  sein,  wenn  das  Terrain  nur  im 
Frühjahr  sumpfiger  Natur  ist  und  somit  der  Entwicklung  dieser  Pflanze  bei  der  dazu 
erforderlichen  Wärme  eine  grosse  Wasserzufuhr  bietet,  aber  während  der  Blüthezeit 
durch  die  kräftige  Entwicklung  der  Blätter  so  weit  ausgetrocknet  wird,  dass  der  Samen- 
bildung, welche  stets  bei  verminderter  Verdunstung  stattfindet,  kein  Hinderniss  in  den 
Weg  tritt.  Die  Brackwässer  sind  wegen  ihres  Salzgehalts  und  der  gleichzeitig 
verwesenden  stickstoffhaltigen  Substanzen  sehr  beachtungswerth:  die  verwesenden 
Fische  und  Couchilien,  welche  mit  dem  Fortgehen  des  Wassers  sich  nicht  entfernen 
können,  führen  eine  ächte  Fäulniss  unter  Entwicklung  von  Seh wefelamrnonium, 
flüchtigen  Fettsäuren  etc.  und  damit  einen  höchst  unangenehmen  Geruch  herbei. 

Die  Art  und  Weise  der  Zersetzung  in  solchen  Morästen  wird  durch  die  speeifische 
Einwirkung  der  sich  entwickelnden  Producte  auf  Metalloxyde  erklärt.  So  gibt  z.  B. 
faulendes  Blut  im  ersten  Stadium  sehr  übelriechende  Gase,   welche   in  den  betreffenden 


Trinkwasser».  109 

Metalloxydlösungeu  keine  Sehwefelmetalle  erzeugen:  sie  sind  grösstenteils  reducirender 
Wirkung,  ibrer  eigentlieben  Natur  nach  aber  nicht  näher  erforscht.  Erst  viel  später  er- 
halten sie  das  Vermögen,  Schwefelmetalle  zu  erzeugen,  offenbar  in  Folge  des  Auftretens 
von  Schwefelwasserstoff  und  Ammonium.  Zuletzt  hört  auch  diese  Wirkung  auf  und  nun 
sind  es  nur  noch  die  Metalloxyde  der  alkalischen  Erden,  welche  durch  die  sich  ent- 
wickelnden Gase  in  kohlensaure  Salze  verwandelt  werden. 

Wenn  ein  Fluss  aufgehalten  und  seine  Strömung  vermindert  wird,  z.  B.  wenn 
an  einzelnen  Stellen  Wehre  angebracht  werden ,  so  entsteht  bei  der  geeigneten  Tempe- 
ratur, welche  wenigstens  13°  C,  betragen  muss,  Fäulniss  im  Schlamme  des 
Flussbettes.  Nach  Frankland*)  besteht  die  zuverlässigste  und  empfindlichste  Probe,  um 
den  im  Wasser  vor  sich  gehenden  Fäulnissprocess  nachzuweisen,  in  der  Bestimmung  des 
relativen  Verhältnisses  von  Sauerstoff  zum  Stickstoff  in  den  im  Wasser  gelösten  und  von 
ihm  absorbirten  Gasen. 

Das  normale  Verhältniss  des  in  den  aufgelösten  Gasen  enthaltenen  Sauerstoffs  zum 
Stickstoff  muss  1  :  2,02  betragen.  Sobald  das  Wasser  in  Fäulniss  übergebt,  verändert 
sich  dieses  Verhältniss,  indem  der  Sauerstoff  des  Wassers  grösstentheils  verzehrt  wird; 
so  fand  Frankland  in  einem  Flusse,  welcher  fauligen  Geruch  entwickelte  und  eine  Tem- 
peratur von   15,5°  C.  hatte,  das  Verhältniss  ces  Sauerstoffs  zum  Stickstoff  wie  1:25. 

Nicht  unerwähnt  kann  hier  das  Bilsch-  oder  sogenannte  Kielwasser  der 
Schiffe  bleiben.  Als  eine  Mischung  von  See- und  Regenwasser  ist  es  um  so  mehr  dem 
Fäulnissprocess  unterworfen,  als  die  verschiedensten  Abfälle,  Ratten  u.  s.  w.  in  dasselbe 
gelangen;  der  ekelerregende  Geruch  desselben  macht  schon  viele  Menschen  see- 
krank. Die  Schiffshygiene  liegt  in  dieser  Beziehung  noch  sehr  im  Argen  und  die  Ver- 
suche, die  vielfach  hier  vorkommenden  sanitätswidrigen  Umstände  zu  beseitigen,  könnten 
noch  mit  mehr  Energie  betrieben  werden.  Ob  nicht  das  häufige  Vorkommen  der  Cho- 
lera, selbst  des  gelben  Fiebers,  Typhus  u.  s.  w.  mit  solchen  localen  Einflüssen  in  Ver- 
bindung steht,  bedürfte  noch  einer  genauem  Untersuchung.  Korn-,  Reis-  und  Zucker- 
ladungen sind  in  Bezug  auf  die  Verunreinigung   des  Bilschwassers    am   berücbtigsten. 5) 

Trink-  und  Brunnenwasser. 

Die  grosse  Bedeutung  eines  guten  Trinkwassers  hat  sich  schon  im  frühesten 
Alterthum  geltend  gemacht.  Die  Brunnen  dienten  häufig  als  Versammlungsort 
und  wurden  dadurch  der  Mittelpunct  von  Ansiedelungen.  Sowohl  im  alten,  als 
im  neuen  Testamente  wird  das  Trinkwasser  als  das  wichtigste  Lebensbedürfniss 
bezeichnet;  selbst  in  bildlicher  Beziehung  bedeutet  Wasser  Mark  und  Saft  des 
Lebens.  Und  doch  konnte  diese  grosse  Wahrheit  wieder  in  Vergessenheit  ge- 
rathen!  Erst  seitdem  die  Erweiterung  der  Städte,  die  Verderbniss  des  Unter- 
grundes und  der  vielfältige  Genuss  filtrirten  Cloakenwassers  die  öffentliche  Ge- 
sundheitspflege wieder  neu  belebt  haben,  wurde  auch  dem  Trinkwasser  die  gebührende 
Sorgfalt  von  Neuem  zugewendet. 

Die  Bestandtheile  des  Trink-  und  Brunnenwassers  kann  man  eintheilen: 
1)  in  Erdalkalien,  namentlich  Kalk  und  Magnesia;  2)  in  Alkalien,  hauptsäch- 
lich Natron  und  Kali;  3)  in  Metalloxyde,  besonders  die  Oxyde  von  Eisen  und 
Mangan;  4)  in  Säuren,  unter  denen  Schwefelsäure  und  Kohlensäure  selten  fehlen. 

Bei  Wasser  aus  Alluvialboden  kommen  auch  Salpetersäure,  salpetrige  Säure, 
Quellsäure,  Quellsalzsäure,  Humussäure,  seltener  Phosphorsäure  vor.  Gelangen 
putride  Stoffe  in  das  Trinkwasser,  so  lassen  sich  Spuren  von  Essigsäure,  Pro- 
pion-,  Butter-  und  Essigsäure  nachweisen. 

Gang  bei  der  qualitativen  Analyse  des  Wassers.  Man  beachte  zunächst  die  phy- 
sicalischen  Eigenschaften:  Farbe,  Geruch,  Geschmack,  Klarheit  oder  Trübsein.  In  letz- 
terem Falle  muss  das  Mikroskop  über  die  Natur  der  suspendirten  oder  abgelagerten 
Stoffe  entscheiden;  man  prüfe  ferner  das  Verhalten  gegen  Reagenspapier  und  bei  er- 
höhter Temperatur. 

Die  Summe  der  fixen  Bestandtheile  wird  in  der  Weise  bestimmt,  dass  man 
200  Ccm.  des  Wassers  in  einer  tarirten  Platinschale  abdampft,  den  Rückstand  bei  120°  C. 
bis  zum  constanten  Gewicht  trocknet  und  abwiegt. 

Durch  Glühen  des  Rückstandes  bis  zur  Zerstörung  der  organischen  Gemengtheile, 
Befeuchten  mit  Ammoniumcarbonat  und   abermaliges  Trocknen    bis  120°  C.  erhält  man 


\\Q  Sauerstoff  und  Wasserstoff. 

annäherungsweise  die  Summe  der  organischen  Bestandtheile.  Hierbei  ist  jedoch  zu  be- 
rücksichtigen, dass  die  Magnesium-,  Aluminium-  und  Eisenoxydsalze  durch  Glühen  ihre 
Säuren  ganz  oder  theilweise  verlieren,  sowie  dass  salpetersaure  und  essigsaure  Salze 
partiell  zersetzt  werden. 

Durch  Kochen  weiden  Wässer,  welche  die  Bicarbonate  von  Calcium,  Magnesium 
und  Eisen  enthalten,  selten  getrübt:  ist  dies  der  Fall,  so  wird  bis  zur  vollständigen 
Klärung  gekocht  und  nach  vollständigem  Absetzen  des  Niederschlags  filtrirt. 

War  Eisen  vorhanden,  so  ist  dieses  mitgefällt  worden:  es  färbt  das  weisse  Prä- 
cipitat  gelblich  oder  rothlich.  Genauer  wird  Eisen  im  Wasser  nachgewiesen,  wenn  zum 
unveränderten  Wasser  Ammoniumsulfhydrat  gesetzt  wird,  da  hierdurch  ein  grünschwarzer 
oder  hei  Gegenwart  von  Thonerde  ein  weisslich- grüner  Niederschlag  entsteht.  Die 
Thonerde  wird  als  weisser  gallertartiger  Niederschlag  durch  Ammoniak  gefällt,  welcher 
bei  Gegenwart  von  Eisen  bräunlich  wird.  Die  durch  Erwärmen  mit  Ammoniak  resp. 
Ammoniumsulfhydrat  von  Thonerde  und  Eisen  befreite  Flüssigkeit  wird  filtrirt. 

War  Schwefelammonium  verwendet  worden,  so  wird  der  Schwefelwasserstoff  durch 
Digestion  mit  Salzsäure  unter  Zusatz  von  Salpetersäure  zerstört  und  der  ausgeschiedene 
Schwefel  abfiltrirt.  Das  ammoniakalisch  gemachte  Filtrat  wird  so  lange  mit  Oxalsäure 
versetzt,  als  dadurch  noch  ein  Niederschlag  entsteht.  Es  wird  hierdurch  Kalk  gefällt; 
hat  sich  dieser  nun  durch  gelindes  Erwärmen  gänzlich  ausgeschieden,  so  wird  auf's 
Neue  filtrirt. 

Ein  Theil  des  Filirats  wird  mit  Natriumphosphat  erwärmt:  ein  krystallinischer 
Niederschlag  bekundet  die  Anwesenheit  von  Magnesiumsalzen.  Der  andere  Theil  der 
Flüssigkeit  wird  abgedampft  und  bis  zur  Verjagung  der  Ammoniumsalze  geglüht.  Der 
Rückstand  wird  in  wenig  Wasser  gelöst,  ein  Theil  mit  Platinchlorid  und  Alkohol  ver- 
netzt: ein  orangegelber  Niederschlag  beweist  die  Gegenwart  von  Kaliumsalzen.  Der 
andere  Theil  wird  mit  absolutem  Alkohol  übergössen  und  dieser  angezündet:  eine  gelbe 
Flammenfärbung  verräth  die  Gegenwart  von  Natriumsalzen. 

Beide  Reactionen  können  auch  auf  die  Weise  verbunden  werden,  dass  ein  höchst 
feiner  Platindraht  in  die  Lösung  getaucht  und  damit  möglichst  beladen  wird;  wird  dieser 
Draht  nun  in  einer  Flamme  glühend  gemacht,  so  erscheint  dieselbe  bei  Natriumgehalt 
gelb  gefärbt.  Betrachtet  man  dieselbe  hierauf  durch  ein  blaues  Kobaltglas,  so  erscheint 
sie  bei  Gegenwart  von  Kaliumgehalt  roth. 

Da  in  den  gewöhnlichen  Wässern  der  Gehalt  an  Magnesium-  und  Alkalisalzen  ein 
unbedeutender  ist,  so  erscheint  es  zweckmässiger,  die  von  dem  Calciumoxalat  abfiltrirte 
Flüssigkeit  nicht  zu  theilen,  sondern  dieselbe  direct  abzudampfen,  die  Ammoniumsalze 
durch  Glühen  zu  verjagen  und  den  Rückstand  mit  einer  concentrirten  Oxalsäurelösung 
zu  übergiessen,  wieder  abzudampfen  und  zu  glühen.  Das  Residuum  wird  mit  Wasser 
ausgekocht,  wobei  Magnesiumsalze  ungelöst  bleiben,  welche  nach  dem  Abfiltriren  für 
sich  ebensowohl  vsie  das  Filtrat  auf  Alkalien  näher  untersucht  werden  können. 

Ammoniak  wird  am  besten  besonders  in  einer  neuen  Portion  Wasser  dadurch 
nachgewiesen,  dass  man  eine  grössere  Menge  nach  dem  Ansäuern  mit  Salzsäure  durch 
Abdampfen  concentrirt  und  Phosphor  molybdänsäure  hinzufügt.  Nach  einigem 
Stehen  in  einem  Ammoniakdämpfen  nicht  zugänglichen  Gefässe  scheidet  sich  bei  Gegen- 
wart von  Ammoniak  ein  citronen gelber  pulvriger  Niederschlag  aus. 

Diese  Methode  ist  zuverlässiger  als  die  Anwendung  des  AVs.s^r'schen  Reagens, 
der  bekannten  Mischung  von  Jodquecksilber,  Jodkalium  und  Aetzkali,  da  bei  Gegen- 
wart von  organischen  Körpern  durch  dieses  Mittel  auch  eine  Färbung  veranlasst 
werden  kann. 

Sind  auf  diese  Weise  die  gewöhnlich  vorkommenden  Basen  in  einem  Wasser 
dargethan  worden,  so  werden  die  Säuren  am  bequemsten  in  einzelnen  Proben  nachge- 
wiesen. 

Kohlensäure  fehlt  fast  nie.  Beim  gelinden  Erwärmen  des  Wassers  entweicht 
sie  in  perlenden  Blasen,  während  sich  die   gelösten  Erdcarbonate  ausscheiden. 

Schwefelsäure  gibt  mit  Chlorbarium  einen  weissen,  in  Wasser  und  verdünnter 
Salzsäure  unlöslichen  Niederschlag. 

Chlorwasserstoff  säure  gibt  mit  Silbernitratlösung  einen  weissen  käsigen,  in 
Salpetersäure  unlöslichen,  in  Ammoniak  löslichen,  am  Sonnenlicht  sich  schwärzenden 
Niederschlag. 

Salpetersäure  wird  dadurch  nachgewiesen,  dass  in  einer  Porzellanschale  eine 
Probe  Wasser  mit  absolut  chemisch  reiner  Schwefelsäure  übergössen  wird, 
nachdem  vorher  einige  Tropfen  einer  wässrigen  Brucinlösun  g  zugefügt  worden;  wird 
die  Mischung  durcheinander  gerührt,  so  bringen  auch  Spuren  von  Salpetersäure  eine 
mehr  oder  minder  hervortretende  rot  he  Färbung  hervor.  Man  muss  hierbei  aber  von 
der  chemischen  Reinheit  der  Schwefelsäure  überzeugt  sein.6) 

Der  Nachweis  der  salpetrigen  Säure  ist  schwierig.  Man  empfiehlt  zu  dem 
Ende  20  CC.  des  zu  untersuchenden  Wassers  in  einem  Reagensgläschen  mit  1 CC.  Stärke- 


Trinkwasser.  111 

kleister  und  0,5  CC.  Jodkaliumlösung  ( 1  :  200)  zu  versetzen  und  stehen  zu  lassen  ;  bei 
Spuren  von  salpetriger  Säure  soll  sieb  die  Flüssigkeit  nach  einigen  Minuten  sehwach 
violettblau,  bei  stärkerm  Gehalt  schön  blau  färben.  Hierbei  ist  nur  zu  bedenken,  dass 
durch  dieses  Verfahren  die  salpetrige  Säure  mit  der  Salpetersäure,  zusammen  bestimmt 
wird  T). 

Schwefelwasserstoff  schwärzt  in's  "Wasser  getauchtes  Bleipapier  und  erzeugt 
mit  Nitropiussidnatrium  nach  Zusatz  von  Kali  eine  vorübergehende  schöne  Purpur- 
färbung. 

Werden  bei  der  qualitativen  Probe  grössere  Mengen  von  Chlor,  Schwefelsäure  und 
namentlich  von  Salpetersäure  gefunden,  so  ist  eine  quantitative  Analyse  des  Wassers 
erforderlich:  diese  wird  im  Allgemeinen  nach  den  bekannten  analytischen  Methoden 
ausgeführt.  Die  Salpetersäure  wird  als  Ammoniak  oder  Stickoxyd  und  die  orga- 
nischen Beimengungen  werden  durch  Kaliumhypermanganat  bestimmt.  Letz- 
teres weist  jedoch  nur  das  Vorhandensein  von  organischen  Stoffen  überhaupt  nach:  die 
Frage  nach  Art  und  Menge  der  organischen  Stoffe  wird  dadurch  nicht  einmal  annähernd 
erledigt 

Fleck  8)  empfiehlt  zum  Nachweis  organischer  Substanzen  im  Brunnenwasser  eine 
alkalische  Silberoxydullösung,  nämlich  17,0  Grm.  Silbernitrat,  50,0  Grm.  unterschweflig- 
saures  Natrium,  48,0  Grm.  Natriumhydrat  auf  1  Liter  Aq.  destill.  10  CC.  davon  sollen 
für  100  CC.  des  zu  untersuchenden  W  assers  verwendet  werden.  Nach  Blasa  vermag  man 
jedoch  nach  dieser  Methode  die  organischen  Substanzen  im  Brunnenwasser  nur  sum- 
marisch annähernd  zu  bestimmen:  Veooo  Urin  kann  mit  dieser  Mischung  nicht  mehr 
nachgewiesen  werden,  selbst  dann  nicht,  wenn  man  500  CC.  davon  benutzt.9) 

Bei  Untersuchung  des  Trinkwassers  kann  der  Gebrauch  des  Mikroskops  nicht 
mehr  umgangen  werden,  da  auch  das  Vorhandensein  der  kleinsten  Organismen,  welche 
an  der  Grenze  des  Thier-  und  Pflanzenlebens  stehen,  schon  von  vornherein  einen  Schluss 
auf  die  schlechte  Beschaffenheit  des  Wassers  erlauben.  Die  Schizomyceten  leben  nur 
von  den  in  Auflösung  und  Fäulniss  übergegangenen  stickstoffhaltigen  organischen  Ver- 
bindungen. Weisse  bräunliche  Flöckchen  oder  Häutchen  (Zoogloea)  verleihen  dem 
Wasser  häufig  eine  opalisirende  Trübung;  bewegliche  Bacterien  trüben  eine  Flüssigkeit 
gleichmässig,  während  die  ruhenden  sich  als  freier  Bodensatz  ansammeln  und  ein  feines 
Häutchen  an  der  Oberfläche  bilden.  Ein  Wasser,  welches  diesen  Mikrozoen  eine  Brutstätte 
liefert,  ist  als  Nahrungsmittel  gänzlich  zu  verwerfen.  Auch  Wasserpilze  (Mycelien) 
sind  stets  verdächtig,  da  sie  nach  der  Art  und  Weise  ihrer  Ernährung  das  Vorhanden- 
sein von  zersetzten  stickstoffhaltigen  thierischen  oder  pflanzlichen  Substanzen  vermuthen 
lassen:  namentlich  steht  Crenothrix  polyspora  in  üblem  Rufe. 

Die  Grundwasser-Alge  (Palmella  floeculosa)  ist  ganz  unschädlich  und  das  Vor- 
handensein von  Diatomeen  und  grünen  Algen  spricht  sogar  für  reines  Wasser.  Auf 
Seeschiffen  überlässt  man  das  Trinkwasser  nicht  selten  sich  selbst,  indem  man  die  Ober- 
fläche desselben  mit  einem  schwimmenden  Tuch  bedeckt;  es  bilden  sich  alsdann  massen- 
haft Algen,  welche  als  Sauerstoffquelle  den  Verwe  sungsprocess  beschleunigen,  die  ver- 
wesbare Substanz  consumiren  und  das  theilweise  verdorbene  Wasser  wieder  trinkbar 
machen.  In  Bucharest  macht  man  das  trübe  Wasser  der  Dumbo  witza  dadurch  trink- 
bar, dass  man  es  in  Tonnen,  welche  inwendig  mit  Algen  bekleidet  sind,  in  der  Stadt 
verkauft.  Dieses  Wasser  ist  sogar  sehr  beliebt  und  ein  altes  Volkslied  hat  den  Refrain: 
„Dumbowitza  süsses  Wasser!  wer  es  trinkt,  kann's  nie  vergessen." 

Was  die  Infusorien  betrifft,  so  weisen  nach  Ferd.  Gohn  die  Monaden,  Glaucoma 
scintillans,  Cyclidium  oxytricha,  Pellionella  und  Lameila,  Amphileptus,  Mellagris  etc.  auf 
die  Gegenwart  von  Fäulnissproducten  hin;  nur  die  Navicula-  und  Gallionella-Arten 
machen  eine  Ausnahme  (s.  Sauerstoff.)  Für  die  Reinheit  des  Wassers  spricht  das  Vor- 
handensein der  zur  Gattung  der  Kieferfüsse  (Entrom astraeeen)  gehörenden  und  mit  un- 
bewaffnetem Auge  sichtbaren  Thierchen,  so  lange  sie  sich  im  Wasser  lebenskräftig  be- 
wegen. Hierher  gehören  der  Wasserfloh  (Cypris  conchacea),  der  Hüpferling  und  die 
Wasserläuse  (Daphnia  pulex,  Cyclops  quadicornis,  Cyclops  staphylinus).  In  einem  Wasser, 
dessen  Genuss  dem  Menschen  schädlich  ist,  sterben  auch  diese  Thierchen  ab;  treiben 
ihre  Cadaver  in  einem  solchen  Wasser  herum,  so  liefert  dies  den  sichersten  Beweis,  dass 
es  verdorben  und  als  Getränk  schädlich  ist.10) 

Die  Menge  von  fremden  Substanzen,  welche  sich  in  unreinem  Brunnenwasser 
auffinden  lassen,  ist  wegen  ihrer  Mannigfaltigkeit  nicht  ausführlich  anzugeben.  Beispiels- 
weise ist  zu  erwähnen,  dass  Lrbert  im  Breslauer  Trinkwasser  fand:  Splitter  von  faulem 
Holz,  Gänsefeder,  Fäden  von  Wolle,  Baumwolle,  Flachs,  Reste  von  Mückenlarven, 
Tracheen  von  Insekten,  Fäcalstoffe  als  bräunliche  Flocken  im  Zusammenhange  mit  deut- 
lichen Nahrungsstoffen,  Pflanzenzellen,  Spiralgefässen,  verwestes  Pflanzengewebe,  theils 
Zungenepithel,  Leptothrixfäden,  Rattenhaare,  Flügel  einer  Fliege,  Fussglieder  einer 
Spinne,  Splitter  von  Kalk,  Kiesel,  Eisen  etc.11)  » 


\)2  Sauerstoff  und  Wasserstoff. 

Nach  Koch  in  St.  Petersburg  unterliegt  es  keinem  Zweifel,  dass  die  breiten 
Bandwürmer  (Bothriocephalus  latus)  auf  den  Menschen  mittels  des  Trinkwassers  und  zwar 
meist  als  Embryonen  oder  auch  als  Eier  übertragen  werden  können;  die  Embryonen 
könnten  sich  in  süssem  Wasser  in  den  Eiern  entwickeln  und  in  demselben  wandern. 
Mit  dem  Flusswasser  könnten  sie  als  Getränk  in  den  Daim  der  Säugethiere  übertragen 
werden  und  sich  dort  nach  einiger  Zeit  zu  geschlechtsreifen  breiten  Bandwürmern  ent- 
wickeln. Bekanntlich  kommt  der  Bothriocephalus  latus  nur  in  den  westlichen  Provinzen 
und  östlichen  Gouvernements  von  Russland,  sowie  in  der  Schweiz,  in  Schweden  und  in 
Polen  vor. 

Schmidt  will  in  dem  schlechten  Brunnenwasser  zu  Dorpat  sogar  nicht  selten  Em- 
bryonen von  Distonia ,  Bothriocephalus  u.  s.  w.  gefunden  haben.  Mosler  nimmt  an, 
dass  die  Einführung  von  Ascaridcneiern  mit  dem  Trinkwasser  zur  Entwicklung  von 
Spulwürmern  im  Darmcanal  nicht  genüge,  obgleich  andere  Autoren  unreines  Trinkwasser 
für  geeignet  halten,  Helminthen  zu  verbreiten.12;  Ausserdem  sind  noch  zufällige  metal- 
lische Verunreinigungen  des  Trinkwassers,  z.  B.  mit  Blei  beim  Gebrauch  von  Bleiröhren, 
zu  beachten. 

Nicht  grade  selten  werden  die  Brunnenwässer  mit  Phenol  ( Carbolsäure),  das 
aus  den  Gasröhren  in's  Wasser  dringt,  verunreinigt;  1  Th.  davon  lässt  sich  noch  in 
57100  Th.  Wasser  auf  folgende  Weise  erkennen:  Man  setzt  Bromwasser  zu  dem  zu 
untersuchenden  Wasser,  wodurch  sich  entweder  sofort  ein  gelblichweisser  flockiger 
Niederschlag  ausscheidet  oder,  bei  grosser  Verdünnung,  sich  nach  mehreren  Stunden  ein 
krystallinischer  Niederschlag  bildet  Der  Niederschlag  wird  mit  Natriumamalgam  ge- 
schüttelt und  schwach  ei  wärmt,  wodurch  das  Phenol  wieder  restituirt  wird  und  leicht 
erkannt  werden  kann:  sehr  zweckmässig  ist  es,  in  einem  solchen  Falle  grosse  Mengen  des 
Wassers  zu  destilliren  und  einen  Theil  ues  Destillats  zu  untersuchen.  Die  feinste  Reac- 
tion  auf  Phenol  besteht  darin ,  dass  man  dasselbe  mit  einer  von  salpetriger  Säure  voll- 
kommen freien  Quecksilberoxydulnitratlösung  versetzt ;  beim  Kochen  entsteht  alsdann 
unter  Reduction  des  Quecksilbers  eine  rothe  Färbung  der  Flüssigkeit. 

Schliesslich  verdient  hier  noch  die  Untersuchung  des  Wassers  mittels  des  elek- 
trischen Lichtes  nach  John  Tyndall  Erwähnung,  welche  nur  insofern  ein  gutes  Hülfs- 
mittel  gewährt,  als  dabei  der  prägnante  Unterschied  zwischen  verschiedenen  Brunnen- 
wässern sogleich  in  die  Augen  fällt.  Wenn  man  nämlich  den  Strahl  einer  elektrischen 
Lampe  durch  mehrere  Flaschen  Wasser  fallen  lässt,  so  ist  die  Bahn  desselben  um  so 
deutlicher,  je  grösser  die  Menge  der  darin  enthaltenen  festen  Theile  ist,  welche  das 
Licht  zerstreuen;  unsichtbar  bleiben  aber  die  darin  gelösten  Verunreinigungen. 

Die  Erfordernisse,  welche  man  an  ein  gutes  Trinkwasser  stellen  soll,  lassen 
sich  nach  den  vorliegenden  Erfahrungen  iu  folgender  Weise  formuliren: 

1)  Ein  gutes  Trinkwasser  soll  klar,  färb-  und  geruchlos  sein. 

2)  In  100,000  Th.  Wasser  dürfen  enthalten  sein: 

an  festen  Rückständen     10—50  Th.  (0,10-0,50  Grm.  im  Liter) 

an  Gesammtkalk    .     .     18  —  20  -    (0,18  —  0,20  -     -    ) 

an  Salpetersäure     .     .     0,4  -  0,6 

an  organ.  Substanzen  .     1,0  -  5,0 

an  Chlor 0,2  -  0,8 

an  Schwefelsäure  .  .  0,2  -  6,0 
Was  die  organischen  Substanzen  betrifft,  so  ist  noch  zu  erwähnen,  dass  die 
Ansichten  über  die  Menge  des  zu  verbrauchenden  Kaliumhypermanganats,  um 
ein  Trinkwasser  als  brauchbar  zu  erklären,  noch  sehr  differiren.  Nach  Petten- 
kofer  darf  ein  trinkbares  Wasser  höchstens  5  Theile  durch  übermangansaures 
Kalium  zerstörbare  organische  Substanzen  auf  100,000  Th.  (im  Liter  50  M^r. 
entsprechend  10  Mgr.  KMn04)  enthalten;  Reichardt  gestattet  dagegen  bei 
Wasserleitungswasser  nur  einen  Verbrauch  von  2—4  Mgr.  KMn04  auf  1  Liter. 

Nach  allen  Erfahrungen  dürfte  im  Ganzen  und  Grossen,  wenn  man  es  nicht 
mit  einem  torfigen  Boden  zu  thun  hat,  der  Pettenkofer'schen  Ansicht  beizu- 
treten sein,  wobei  jedoch  nicht  zu  vergessen  ist,  dass  es  sich  bei  der  Be- 
nutzung des  Kaliumhypern  anganats  nur  um  eine  oberflächliche  Prüfung  han- 
deln kann. 


(0,004-0,006    - 

-     ) 

(0,010-0,050    - 

-    ) 

(0,002-0,008    - 

-    ) 

(0,002-0,063    - 

-    ) 

Construction  der  Brunnen.  113 

3)  Ein  Gehalt  an  Ammoniak  weist  auf  die  Notwendigkeit  hin,  das 
Brunnenwasser  zu  verbessern. 

4)  Grössere  Mengen  von  Nitraten  sind  stets  verdächtig,  wenn  das  "Wasser 
nicht  aus  einem  Kalkboden  stammt,  welcher  stets  mehr  oder  weniger  salpeter- 
saure Salze  enthält;  finden  sich  neben  denselben  noch  Chloride  und  Phos- 
phate, so  kann  man  in  den  meisten  Fällen  auf  einen  verdächtigen  Ursprung 
dieser  Verbindungen  schliessen. 

5)  Der  Kohlensäuregehalt  bedingt  nicht  immer  die  Güte  des  Wassers; 
der  Ursprung  der  Kohlensäure  muss  stets  massgebend  sein. 

6)  Die  Temperatur  des  Wassers  darf  nur  geringen  Schwankungen  unter- 
worfen sein. 

7)  Als  Trinkwasser  eignet  sich  am  besten  ein  nicht  zu  hartes  Quellwasser. 

8)  Filtrirtes  Flusswasser  kann  als  Trinkwasser  den  Anforderungen  der  Hy- 
giene entsprechen  und  unter  Umständen  das  Quellwasser  ersetzen. 

9)  Bedingen  die  örtlichen  Verhältnisse  die  Benutzung  des  Regenwassers,  so 
muss  für  die  richtige  Art  der  Ansammlung  und  der  Aufbewahrung  Sorge  ge- 
tragen werden.  13) 

Construction  der  Brunnen  in  sanitärer  Beziehung.  Die  öffentlichen  Brunnen 
bedürfen  ganz  besonders  der  polizeilichen  Beaufsichtigung,  um  sie  vor  jeder 
Verunreinigung  zu  schützen;  man  sollte  solche  Brunnen  wie  ein  Heiligthum 
betrachten  und  ihnen  die  hohe  Bedeutung,  welche  sie  in  den  frühesten  Zeiten  und 
bei  den  ältesten  Völkern  genossen,  wiedergeben. 

Alle  Brunnen  müssen  hinreichend  entfernt  von  allen  Schling-  und  Senk- 
gruben liegen;  der  Quellstein  muss  einen  hermetischen  Verschluss  haben;  alles 
Spülen  und  Waschen  unter  der  Ausgussröhre  ist  zu  verbieten  und  die  nächste 
Umgebung  einer  jeden  Pumpe  bedarf  ein  höher  liegendes  Geschränk,  um  alle 
überirdische  Zuflüsse  zu  verhüten.  Die  Rinnsteine  der  Strassen  dürfen  niemals 
über  oder  dicht  neben  den  Brunnenkesseln  liegen  und  müssen  überhaupt  so  an- 
gelegt werden,  dass  die  Strassenunreinigkeiten  nicht  durch  das  Gewölbe  und  die 
Seitenwände  des  Brunnenkesselmauerwerks  einsickern  können. 

Was  den  Brunnen  selbst  betrifft,  so  muss  er  so  stark  gebaut  sein,  dass 
er  dem  Druck  des  Erdreichs  genügend  widerstehen  und  auch  den  Zufluss  soge- 
nannter falscher  Quellen  abhalten  kann;  er  muss  deshalb  vollständig  ausge- 
mauert sein  und  der  dazu  benutzte  Mörtel  muss  hydraulischen  Kalk  enthal- 
ten. Das  als  Baumaterial  zu  verwendende  Gestein  darf  nicht  durch  seine 
Porosität  den  Zufluss  fremder  Wässer  gestatten  oder  selbst  mehr  oder  weniger 
lösliche  Substanzen  enthalten,  die  durch  allmählige  Auflösung  ein  Auflockern  des 
Gesteins  hervorrufen.  So  dürfen  z.  B.  die  als  Baumaterial  zu  verwendenden 
Bruchsteine  nicht  gypshaltig  sein  oder  Adern  von  Gyps  enthalten;  sie  würden 
bei  längerer  Dauer  der  Einwirkung  des  Wassers  nicht  widerstehen  können  und 
das  Wasser  sehr  gypshaltig  inachen. 

Bei  der  Verwendung  gebrannter  Ziegel  ist  zu  bemerken,  dass  man  so- 
genannte bleiche  oder  halb  gebrannte  Steine  zum  Mauerwerk  des  Kessels  nie  ver- 
wenden darf,  weil  diese  den  porösen  Gesteinen  vollständig  entsprechen;  dieselben 
müssen  sich  vielmehr  in  einem  halbverglasten  Zustande  (Klinker)  befinden  oder 
aber,  was  noch  besser  ist,  man  glasirt  dieselben  mit  Kochsalz. 

Ganz   ähnlich    verhalten    sich    die    sogenannten  Schmelzen,    d.  h.   solche 

Enlenberg,  Gtewerbe-Hygiene.  8 


114 


Sauerstoff  und  Wasserstoff. 


Fig. 


Ziegelsteine,  die  im  heissesten  Theile  des  Ofens  durch  ein  wirkliches  Verglasen  der 
Silicate  auf  Kosten  des  im  Thone  enthaltenen  Kalkes  und  Eisenoxyds  in  einen  ge- 
schmolzenen Zustand  übergegangen  sind. 

Das  sogenannte  Brunnenrad  oder  der  Brunuenkranz  sollte  immer  nur  aus 
altem  gutem  Eichenholze  bestehen  und  nicht,  wie  es  so  häufig  geschieht,  aus 
Buchenholz  angefertigt  werden. 

Die  Brunnen  müssen  eine  gewisse  Tiefe  haben,  welche  sich  erst  nach  ver- 
schiedenen Versuchen  normiren  lässt.  Je  näher  sich  unreine  Stoffe  (Senkgruben, 
Aborte  u.  s.  w.)  finden,  desto  tiefer  müssen  die  Brunnen  sein,  weil  durch  die 
grössere  Tiefe  die  putriden  Stoffe  einer  längeren  Filtration  unterworfen  werden, 
als  wenn  sie  auf  gleichem  Niveau  mit  dem  Brunnen  stehen. 

Brunnen  durch  Einführung  von  Röhren  so  zu  verbessern,  dass  hierbei 
die  Quelle  des  Zuflusses  der  schädlichen  Substanzen  vermindert  wird,  lässt  nur 
dann  auf  ein  gutes  Resultat  hoffen,  wenn  dadurch  die  Kiesschicht,  d.  h.  die  des- 
inficirende  und  filtrirende  Bodenmasse  so  vermehrt  wird,  dass  sie  als  ein  Absor- 
bens  für  diese  Stoffe  auftreten  kann. 

In  flachen  Gegeuden,  namentlich  in  den  Niederungen,  in  welchen  das  Brunnen- 
wasser viele  organische,  leicht  in  Fäulniss  übergehende  Bestandtheile  enthält,  hat 

sich  folgende  Einrichtung  (Fig.  8)  als  sehr 
nützlich  erwiesen.  Hier  sind  nicht  bloss 
die  Mauerwände  wasserdicht  mit  hydrau- 
lischem Mörtel  hergestellt  (^4),  sondern 
auch  die  Sohle  des  Brunnens  wird  durch 
eine  Beton-  oder  Cementschicht  (B) 
wasserdicht  abgeschlossen.  Durch  diese 
Schicht  wird  ein  thönernes  Rohr  (C), 
welches  an  beiden  Enden  Oeffnungen 
hat  und  mit  reinem  Sand,  Kies,  Kohle 
oder  anderen  Filtrationsmitteln  bis  oben  an- 
gefüllt ist,  in  der  Weise  durchgeführt,  dass 
es  unten  noch  ein  Stück  in  den  Boden 
hinein-  und  oben  über  den  Wasserspiegel 
hervorragt. 

Das  von  allen  Seiten  andrängende 
Untergrund wasser  findet  an  den  unteren 
Oeffnungen  des  Rohres  C  einen  Ausweg, 
wird  in  dasselbe  hineingedrückt,  passirt  die  in  demselben  befindlichen  fütrirenden 
Substanzen  und  tritt  an  den  oberen  Oeffnungen  wieder  aus,  von  wo  aus  der  Brunnen- 
kessel gefüllt  wird.  Bei  Erneuerung  des  Filters  wird  das  Rohr  herausgenommen, 
neu  gefüllt  und  beim  Einsatz  in  die  Betonschicht  unten  am  Umfange  mit  Cement 
zur  Dichtung  verstrichen.  Die  Grösse  der  Oeffnungen  und  des  Rohrs  richtet  sich 
nach  dem  Grade  des  Wasserreichthums  und  muss  hierüber  eine  mit  einem  thöner- 
nen  Rohre  vorgenommene  Probe  entscheiden;  nötigenfalls  kann  man  bei  geringem 
Wasserzufluss  auch  zwei  Röhren  anbringen. 

Immer  sind  die  Bodenverhältnisse  und  die  sogenannten  Schichtungen  bei  der  An- 
lage von  neuen  Brunnen  von  Wichtigkeit;  die  zu  Tage  geförderten  Erdschichten  müssen 
über  die  P'rage  entscheiden,  ob  man  bloss  das  Niveau  des  Wassers  benutzen  oder  das 
Trinkwasser  aus  einer  tiefern  Erdschicht  entnehmen  soll. 

Die  Brunnen   bei   den   Terrainverhältnissen   eines   Flussgebietes,   wobei   die   Bett- 


Einfluss  des  Terrains  auf  Brunnen.  115 

bildung  und  das  Abdachungsverhältniss  der  Geschiebe  und  Gerolle  mitsprechen,  ent- 
nehmen ihr  Wasser  eigentlich  nur  aus  dem  über  der  ersten  Thonschicht  liegenden  Kies- 
bestande. Es  ist  dies  gleichsam  die  Mischungsschicht  für  den  Austausch  des  Meteor- 
resp.  Flusswassers  mit  den  durch  künstliche  Infiltration  eingeführten  fremden  Stoffen 
aus  Latrinen,  Schlinggruben  u.  s.  w. 

Das  Wasser  in'solchen  Brunnen  steht  stets  auf  gleichem  Niveau  mit  dem  Flusse, 
d.  h.  die  Höhe  des  Wassers  im  Brunnen  ist  gleich  der  Höhe  des  Wassers  im  Flusse, 
minus  des  durch  die  Friction  -während  des  Durchsickerns  entstandenen.  Minderdruckes. 
Es  wird  daher,  wenn  man  auch  von  gleichem  Niveau  spricht,  stets  eine  geAvisse 
Differenz  zwischen  dem  Wasserstande  des  Brunnens  und  dem  des  Flusses  obwalten. 
Ist  in  dieser  Mischungsschicht,  welche  gleichsam  als  ein  grosses  desinficirendes  Filter 
anzusehen  ist,  der  Brunnen  weit  genug  von  der  putriden  Quelle  entfernt,  so  wird  man 
auch  in  diesem  Bezirke  gutes  Wasser  erhalten  können. 

Handelt  es  sich  um  die  Versorgung  der  Städte  mit  Wasser  oder  um  Öffentliche 
Brunnen,  so  ist  es  stets  erforderlich,  solche  Wasseranlagen  in  möglichst  grosser  Entfer- 
nung von  den  Städten  in  der  Mischungsschicht  anzulegen  und  auf  diese  Weise  eine  Fil- 
tration zu  bewerkstelligen,  welche  durch  die  Kunst  viel  schwieriger  zu  erzeugen  ist.  Das 
Steigen  und  Fallen  der  Flüsse  gibt  stets  den  Impuls  der  bewegenden  Kraft,  welche  ein 
inniges  Mischen  der  verschiedenartigen  in  der  Mischungszone  vorkommenden  Flüssig- 
keiten bedingt,  weshalb  namentlich  in  den  an  grossen  Flüssen  gelegenen  Städten  kurz 
nach  dem  Hochwasser  alle  Brunnen  schlechter  sind.  Aus  derselben  Ursache  sind  die 
Brunnen  caeteris  paribus  um  so  besser,  je  entfernter  sie  vom  Wasser  liegen. 

Artesische  Brunnen.  Es  ist  unzweifelhaft,  dass  man  jedenfalls  gutes  Wasser 
erlangen  würde,  wenn  man  es  ausserhalb  des  Bereiches  dieser  Mischungszone  erhalten 
könnte.  Die  Erfahrung  hat  dargethan,  dass  in  den  meisten  Gegenden  unter  der  Kies- 
schicht fast  überall  eine  Thonschicht  vorkommt,  welche  dem  über  ihr  befindlichen 
Wasser  nicht  gestattet,  in  die  Tiefe  zu  dringen.  Diese  Thonschicht  ist  eine  schützende 
Decke,  und  wenn  man  sie  durchbricht  und  den  über  ihr  befindlichen  sogenannten  wilden 
Wässern  den  Zufluss  nicht  gestattet,  so  erhält  man  unter  allen  Verhältnissen  ein  reines 
und  gutes  Trinkwasser. 

Solche  Brunnen  nennt  man  artesische;  sie  können  ein  hohes  und  tiefes 
Niveau  haben.  Im  letzteren  Falle  tritt  das  Wasser  nicht  überirdisch  aus  und  nur  bei 
einem  hohen  Niveau  wird  das  Wasser  gleichzeitig  in  die  Höhe  getrieben  und  zwar  ent- 
sprechend dem  hydrostatischen  Drucke,  welcher  auf  dasselbe  wirkt. 

Einfluss  bestimmter  Terrain  Verhältnisse  auf  die  Brunnen.  Wie  sehr  die  Terrain- 
verhältnisse auf  alle  diese  Fragen  influiren.  ersieht  man  am  deutlichsten,  wenn  man  die 
geologischen  Verhältnisse  einer  bestimmten  Gegend  erörtert.  In  der  Rheinniederung 
z.B.,  welche  am  Siebengebirge  beginnt  und  sich  bis  nach  Holland  erstreckt,  liegt  an 
der  Oberfläche  ausser  stellenweise  aufgeschüttetem  Boden  und  Bauschutt,  dessen  Alter 
bis  in  die  Römerzeit  reicht,  unter  der  Dammerde  ein  Lehmlager  (Ziegelerde  in 
Mergel  und  Löss  übergehend)  von  verschiedener  Stärke:  nur  selten  übersteigt  dasselbe 
15  Fuss.  Alsdann  folgt  in  einem  Niveau  von  32  —  38  Fuss  über  dem  Nullpunct  des 
Pegels  Kies  von  sehr  verschiedener  Grösse  und  mit  gröberem  und  feinerem  ganz  thon- 
freiem  Sande  vermischt.  Dieser  Kies  und  Sand  reicht  bis  zu  den  tiefsten 
Stellen  des  Rheinbettes  unter  den  Nullpunct  des  Pegels.  Nur  in  den 
alten  Flussbetten,  welche  als  langgestreckte  schmale  Vertiefungen  .durch  die  Thalfläche 
ziehen,  finden  sich  unter  der  Dammerde  ein  blauer,  schwärzlicher,  zäher  Thon  und 
dünne  Lager  torfähnlicher  Substanzen,  worauf  das  allgemeine  Kies-  und  Sandlager  folgt. 
An  den  Rändern  und  Abhängen  dieser  früher  sumpfigen  und  morastigen  Flussbetten  ist 
der  Lehm  und  Thon  abwechselnd  gemengt:  der  Thon  bildet  über  dem  Kieslager  eine 
Wasserdichte  Decke,  da  ohne  eine  solche  keine  Versumpfung  hätte  eintreten  können. 

Im  Kiese  und  Sande  wird  nicht  eher  Wasser  getroffen,  als  bis  man  zur  Tiefe  des 
Wasserstandes  im  Rheine  gelangt  ist;  unter  dieser  Tiefe  steigert  sich  der  Zufluss  des 
Wassers  im  Arerhältniss  zum  Drucke.  Mit  dem  Rheinspiegel  sinkt  und  steigt  das  Wasser 
in  den  Brunnen.  Ueber  dem  Wasserspiegel  ist  die  Kieslage  immer  trocken:  selbst  bei 
anhaltendem  Regen,  welcher  namentlich  im  Sommer  1867  bedeutend  war,  dringt  das 
Wasser  von  der  Oberfläche  aus  in  keiner  Weise  durch  das  Lehmlager:  deshalb  können 
auch  Schmutz-  und  Tagewässer  zweckmässig  construirte  Brunnen  nicht  verunreinigen. 

Nur  die  leichte  Durchdringlichkeit  der  Kies-  und  Sandlage,  welche  den  Boden  der 
Rheinfläche  bildet,  macht  einestheils  die  Anlage  von  Brunnen  und  anderntheils  die  An- 
lage von  Senk-  und  Schlinggruben  möglich.  Alle  Flüssigkeiten,  welche  von  oben  dieser 
Lage  zugeführt  werden,  sinken  mit  Leichtigkeit  darin  bis  zum  Wasserspiegel  nieder  und 
vermischen  sich  mit  der  die  ganze  Kieslage  durchdringenden  und  mit  dem  Rhein  in  un- 
behinderter Verbindung  stehenden  Wassermasse;  durch  das  fortwährende  Steigen  und 
Fallen  des  Rheins  kann  diese  Vermischung   nur   erleichtert  werden.     Bekanntlich   bleibt 


1]ß  Sauerstoff  und  Wasserstoff. 

der  Rheinspiegel  selten  längere  Zeit  derselbe:  durch  seine  Bewegungen  werden  nun  die 
schädlichen  Flüssigkeiten,  welche  mittels  Schlinggruben  in  die  Kieslage  kommen,  in  dem 
zunächst  gelegenen  Boden  verbreitet  und  dem  Wasser  zugeführt,  welches  die  Brun- 
nen speist. 

Die  Thonschicht  liegt  an  den  Ufern  des  Rheins  so  tief,  dass  sie  durch  Bohr- 
versuche    noch    nicht    aufgefunden   worden   ist:    auch  hat   noch   kein    einziger   Brunnen 

schützende  Thonschicht  erreicht,  unter  welcher  das  Wasser  möglicherweise  nicht 
mit  putriden  Stoffen  vermischt  werden  kann:  bei  allen  noch  so  tiefen  Bauten  hat  man 
bisher  immer  Kies  gefunden.  Dies  ist  das  Schicksal  aller  Deltaländer:  so  sind  die 
Mündangsländer  der  Donau,  der  Weichsel,  des  Nils,  des  Ganges,  des  Amazonenstroms, 
des  gelbes  Flusses  in  China  u.  B-  w.  gleich  denen  des  Rheins  situirt.  Aus  diesem  Grunde 
sind  in  der  Rheingegend  die  Schling-  und  undichten  Abtrittsgruben  die 
Yerderber  aller  Brunnen  14) 

Schädlichkeit  der  Versickemugsgruben.  Es  ist  eine  Hauptaufgabe  der  Sanitäts- 
polizei, 1)  jede  Stadt  sowohl  in  ihrer  Luft,  als  in  ihrem  Untergrunde  von  faulenden  Un- 
einigkeiten frei  zu  erhalten:  2)  der  Bevölkerung  ein  solches  Trinkwasser  zu  liefern, 
welches  mit  Fäcal6toffen  in  keiner  Weise  verunreinigt  werden  kann:  3)  alle  Abtritts- 
Schlinggruben  zu  vernichten,  welche  eine  solche  Verunreinigung  des  Trinkwassers  er- 
möglichen. 

In  an  grossen  Flüssen,  wie  am  Rheine,  gelegenen  Städten  hat  man  mehrmals  die 
Wahrnehmung  gemacht,  dass  grade  nach  Ueberschwemmungen  nicht  selten  epidemische 
Krankheiten  auftreten  und  zwar  namentlich  in  den  tiefer  gelegenen  Stadttheilen.  wo  durch 
das  Steigen  des  Flusswassers  die  Brunnen  und  Schlinggruben  in  ein  Niveau  gebracht 
werden  und  beim  Zurücktreten  der  Fluth  ein  leichteres  Vermischen  der  verschiedenen, 
specifisch  ungleichen  Flüssigkeiten  eintreten  muss.  Selbstverständlich  nimmt  dies  Ver- 
mischen mit  der  höheren  Lage  der  Wohnungen  ab.  Dauert  die  Fluth  nur  kurze  Zeit, 
so  ist  diese  Vermischung  in  den  höher  gelegenen  Stadttheilen  sehr  wenig  wahrnehmbar; 
das  Wasser  in  Bonn  macht  z.  B.  den  Weg  vom  Rhein  bis  zum  Bahnhof  —  eine  Ent- 
fernung von  15  Minuten  - —  binnen  drei  Tagen. 

Je  wässeriger  der  Inhalt  der  Gruben  ist.  je  mehr  man  sich  also  der  Wasserciosets 
bedient,  um  so  mehr  wird  die  Flüssigkeit  die  Erdschicht  durchdringen  und  sich  mit  den 
naheliegenden  Brunnenwässern  vermischen.  Ferner  ist  zu  beachten,  dass  die  Brunnen 
tiefer  als  die  Schlinggruben  liegen,  dass  aber  die  Flüssigkeit  in  den  letzteren  ein  höheres 
-peeifisches  Gewicht  als  das  Brunnenwasser  hat,  weshalb  sie  sich  nach  dem  leicht  durch- 
dringlichen Untergrund  begibt  und  mit  dem  leichteren  Wasser  des  Erdreichs,  welches 
die  Brunnen  speist,  vermengt. 

Diese  Vermischung  der  verschiedenen  Flüssigkeiten  wird  auch  dadurch  nicht  ver- 
hütet, wenn  die  Schlinggruben  in  eine  tiefere  Lage  als  in  die  der  Brunnen  münden:  denn 
auch  hier  muss  theils  durch  den  Unterschied  des  speeifischen  Gewichts,  theils  durch  den 
hydrostatischen  Druck  und  theils  durch  die  Diffusion  der  Flüssigkeiten  ein  Mischen  der 
beiden  Flüssigkeiten  stattfinden.  Allerdings  begünstigt  das  Erdreich  die  Zersetzung  resp. 
Entmischung  der  putriden  Flüssigkeiten  ganz  bedeutend:  jedoch  ist  bei  diesem  natür- 
lichen Desinfectionsmittel  sehr  wohl  zu  beachten,  dass  diese  Zurückführung  in  die  un- 
schädlichen Endproducte  bei  der  geringen  Zufuhr  des  atmosphärischen  Sauerstoffs  eine 
höchst  langsame  ist  und  grade  die  intermediären,  zwischen  Fäuln  iss  und  voll- 
ständiger Oxydation  stehenden  Substanzen  es  sind,  welche  durch  ihre  Vermischung 
mit  dem  Trinkwasser  höchst  nachtheilig  auf  den  thierischen  Organismus  einwirken. 

Wenn  die  Analyse  von  städtischen  Trinkwässern  so  häufig  einen  Gehalt  an  orga- 
nischen Stoffen  nachweist,  so  sind  es  hauptsächlich  diese  intermediären  Stoffe,  welche 
die  Schädlichkeit  dieser  Wässer  bedingen. 

Ein  zweiter  Factor,  welcher  das  Aufsteigen  der  Flüssigkeiten  nach  oben  resp.  ein 
Vermischen  der  verschiedenen  Flüssigkeiten  im  Erdboden  bedingt,  beruht  auf  der  Ver- 
dunstung der  Erdoberfläche,  weshalb  namentlich  in  heissen  und  trocknen  Sommern 
jener  Umstand  eintritt. 

Ganz  ähnlich  wirkt  eine  starke  Benutzung  des  Brunnens,  was  bezüglich  der 
öffentlichen  Brunnen  sehr  zu  beachten  ist:  erfahrungsgemäss  wird  das  Wasser  stark 
benutzter  Brunnen  ärmer  an  fixen  Bestandtheilen  und  zwar  deshalb,  weil  beim  raschen 
Ersatz  det  V,  assers  im  Brunnen  dem  erstem  keine  hinreichende  Zeit  gelassen  wird,  sieb 
mit  den  Mineralsubstanzen  des  Boden.-  zu  sättigen.  Dagegen  sind  alle  leicht  löslichen 
Chloride,  die  Nitrate  und  die  organischen  putriden  Stoffe  desto  reichlicher  darin  ver- 
treten, wenn  in  der  Nähe  öffentlicher  Brunnen  der  Boden  mit  Fäcalstoffen  impräg- 
nirt  i-t. 

Wasserdichte  (cemontirtel  Brunnenschächte,  welche  auch  durch  abgesenkte 
eiserne  Röhren  repräsentirt  werden,  können  zwar  das  seitliche  Eindringen  von 
putriden  Stoffen  verhindern,  ob  aber  dadurch  auch  das  Eindringen  derselben  von  unten 


Brunnen.  117 

verhütet  wird,  hängt  von  localen  Terrainverhältnissen  ab.  In  an  Flüssen  gelegenen 
Städten  kann  durch  das  Variiren  des  Flussniveaus  nie  eine  Ruhe  im  Grundwasser 
eintreten  und  keine  scharfbegrenzteMischungszone  sich  bilden;  es  ist  des- 
halb auch  nicht  möglich,  mit  positiver  Bestimmtheit  die  Grenze  zu  bestimmen,  wo  das 
Vermischen  der  putriden  Stoffe  mit  dem  Grundwasser  aufhört. 

Hat  man  es  dabei  wie  in  den  Rheingegenden  mit  einer  Kalk-  und  Sandschicht  zu 
thun,  so  wird  durch  die  Porosität  derselben  eiu  unendlich  rasches  Diffundiren  der  ver- 
schiedenen Flüssigkeiten  bedingt.  Ist  die  Sand-  oder  Kiesschicht  sehr  fein  und  thon- 
arm,  so  kann  von  einer  wirklichen  Begrenzung  der  Mischungszone  noch  weniger  die 
Rede  sein ;  die  Flüssigkeiten  werden  alsdann  von  der  Erdschicht  wie  von  einem  porösen 
Schwämme  aufgesaugt.  Fehlt  es  dabei  noch  an  einer  die  verschiedenen  Schichten  von 
einander  trennenden  Thonp  chicht,  so  ist  ein  unbegrenztes  Mischen  der  in  die 
Kiesschicht  eindringenden  Flüssigkeiten  ermöglicht;  das  Absenken  von 
Rohren  in  den  Brunnen  vermag  alsdann  das  Trinkwasser  nicht  vor  der  Verunreinigung, 
welche   durch  die  Schlinggruben  in  das  Erdreich  dringen,  zu  schützen. 

Wenn  sich  diese  Nachtheile  in  den  an  Flüssen  gelegenen  Städten  noch  nicht  überall 
in  prägnanter  Weise  kundgegeben  haben,  so  verdankt  man  dies  grösstentheils  dem  zu 
Zeiten  eintretenden  Auswaschen  des  Bodens  resp.  Verdünnen  der  putriden  Flüssigkeiten 
durch  das  Steigen  des  Flusswassers;  freilich  während  solcher  Ueberschwemmungen  und 
kurz  nach  denselben  machen  sich,  wie  schon  erwähnt  worden,  die  schädlichen  Einflüsse  und 
Folgen  oft  besonders  geltend.  Mag  auch  in  den  Theorien,  nach  welchen  ein  mit  faulenden 
organischen  Substanzen  imprägnirtes  Grundwasser  in  causale  Verbindung  mit  der  Ent- 
stehung von  epidemischen  Krankheiten,  namentlich  von  Cholera  und  Typhus  gebracht 
wird,  Manches  streitig  sein,  so  fordert  uns  schon  allein  die  Sorge  für  ein  gutes 
Trinkwasser  auf,  alle  Abtritts  -  Schlinggruben  gänzlich  auszurotten  und 
mit  diesem  schlechten  und  nicht  mehr  haltbaren  System  zu  brechen. 

Absorbirende  oder  verschluckende  Brunnen  (Puits  absorbants)  hat  man 
in  einigen  Gegenden  von  Frankreich  errichtet,  um  eine  Menge  von  Abfallwässern  unter- 
zubringen. Es  richtet  sich  nur  nach  den  Terrainverhältnissen,  ob  sie  ohne  Schaden  be- 
nutzt werden  können;  letzteres  ist  nur  möglich,  wenn  sie  in  einer  isolirten  Mischungs- 
schicht, welche  nicht  mit  einem  Flussgebiete  in  directer  Verbindung  steht,  angelegt 
werden.  Sie  können  deshalb  auch  nur  eine  sehr  vereinzelte  locale  Anwendung  finden, 
und  sind  sie  z  B.  an  den  Ufern  des  Niederrheins  gänzlich  zu  verwerfen,  da  die  dortigen 
Terrainverhältnisse  ihre  Anlage  verbieten. 

Die  Schlinggruben  für  Küchenwasser,  Seifenwasser  etc.  kann  man  wegen 
ihres  leichten  Verschlammens  für  weniger  schädlich  als  die  Abtritts-Schlinggruben  halten, 
da  sie  schliesslich,  wenn  sie  angefüllt  sind,  zum  häufigen  Reinigen  nöthigen  und  somit 
dem  eigentlichen  Zwecke  des  Schlingens  weniger  entsprechen.  Auch  ist  ihr  Inhalt  in 
qualitativer  Beziehung  weniger  gefährlich  als  der  der  Abtritts-Schlinggruben,  weil  man 
es  bei  letztern  mit  den  leicht  löslichen  Chloriden  und  salpetersauren  Salzen  zu  thun  hat 
und  hierdurch  das  Durchtränken  des  Erdbodens  mit  organischen  Substanzen  begünstigt 
wird.  Am  zweckmässigsten  ist  es,  die  sogenannten  Küchenwässer  in  die  öffentlichen 
Canäle  der  Stadt  abfliessen  zu  lassen. 

Schliesslich  muss  die  Reinerhaltung  des  Bodens  die  Hauptsorge  und  das 
immer  mehr  zu  erstrebende  Ziel  einer  jeden  Stadt  oder  Gemeinde  sein. 

•  Die  von  v.  Pettenkofer  wieder  angeregte  Grundwasserfrage  steht  seit  vielen  Jahren 
auf  der  Tagesordnung,  weil  man  einen  Zusammenhang  von  epidemischen  Krankheiten  mit 
dem  Stande  des  Grundwassers  zu  finden  glaubte.  In  Berlin  ist  letzterer  insofern  von 
Wichtigkeit,  als  eine  zu  grosse  Feuchtigkeit  des  Bodens  dadurch  bedingt  wird,  nament- 
lich wenn  das  Grundwasser  schon  bei  einer  Tiefe  von  3 — 4  Fuss  unter  der  Oberfläche 
angetroffen  wird;  dass  hierdurch  die  Fundamente  der  Häuser,  namentlich  die  Keller- 
wohnungen nachtheilig  berührt  werden  müssen,  bedarf  keiner  weitern  Erörterung. 

Die  hiesigen  Untersuchungen  haben  ergeben,  dass  das  Grundwasser  hauptsächlich 
von    atmosphärischen    Niederschlägen    abstammt    und    die    Strömung    desselben 

fegen  die  Spree  hin  gerichtet  ist;    seine  Temperatur  war  am  niedrigsten,  wenn  es  seinen 
ochsten  Stand  erreicht  hatte,  und  umgekehrt  am  höchsten,  je  stärker  es  sank.15) 

Das  Hauptgewicht  ist  auf  die  häufige  Verunreinigung  des  Grundwassers  mit  putriden 
Stoffen  zu  legen,   die  stets  mit  dem  Zurücktreten  des  Grundwassers  in  Folge  der  statt- 

fehabten  Ausspülung  des  Bodens  sich  am  meisten  bemerkbar  machen  wird.  Je  höher 
as  Grundwasser  steigt,  desto  mehr  und  desto  leichter  wird  es  den  Boden  auslaugen, 
beim  Sinken  aufgewühlte  unreine  Stoffe  nach  sich  ziehen  und  in  diesem  Zustande  auch 
nicht  ohne  Einfluss  auf  die  Beschaffenheit  der  Brunnenwässer  bleiben. 

Wenn  den  Städten  kein  Quellwasser  zugeführt  werden  kann,   so  muss  den 

Brunnen  eine  um  so  grössere  Sorgfalt  gewidmet  und  ihre  Verunreinigung  als  ein 

Verbrechen  an  der  öffentlichen  Gesundheit  betrachtet  werden. 


118  Sauerstoff  uud  Wasserstoff. 

Darüber  dürfte  kein  Zweifel  herrschen,  dass  namentlich  Typhus  und  Cho- 
lera in  vielen  Fällen  in  einem  ätiologischen  Verhältniss  zum  Genuss  eines 
schlechten,  mit  organischen  Fäulnissproducteu  verunreinigten  Wassers  stehen.  In 
dieser  Beziehung  ist  namentlich  die  Beobachtung  von  Ballard  lfi)  beachtungs- 
werth,  welcher  in  der  Nähe  von  London  eine  ganz  beschränkte  Typhusepidemie 
mit  höchster  Wahrscheinlichkeit  auf  den  Genuss  von  Milch,  die  mit  fauligem, 
durch  Canalinhalt  verunreinigtem  Wasser  vermischt  worden  war,  zurückführen 
konnte.  In  mehreren  Fällen  liegt  der  Nachweis  vor,  dass  der  Typhus  in  Städten 
nur  in  dem  Gebiete  sich  entwickelte,  wo  die  Einwohner  auf  den  Genuss  eines 
wirklich  schlechten  Trinkwassers  angewiesen  waren,  während  derjenige  Theil  der 
Bevölkerung,  welchem  gutes  Quellwasser  zu  Gebote  stand,  frei  davon  blieb. 

Ausser  vielen  anderen  Autoren,  die  dem  unreinen  Trinkwasser  eine  wich- 
tige Rolle  bei  der  Entstehung  von  Typhus  zuschreiben,  spricht  sich  Lebert  ganz 
entschieden  für  diese  Ansicht  aus  und  nennt  den  Abdominaltyphus  das  en- 
demische, die  Cholera  das  epidemische  Barometer  für  schlechtes  Brunnen-  und 
Trinkwasser.  1T) 

Es  ist  übrigens  uicht  zu  verkennen,  dass  man  sich  bei  den  bezüglichen 
ätiologischen  Forschungen  eine  Einseitigkeit  zu  Schulden  kommen  lässt,  wrenn 
man  nur  einem  Factor  Rechnung  trägt;  uud  was  versteht  man  unter  schlech- 
tem Trinkwasser?  Doch  nur  solches,  welches  mit  putriden  Stoffen  oder  inter- 
mediären Fäulnissproducten  verunreinigt  ist,  während  man  nicht  berechtigt  ist, 
die  Chloride.  Nitrate  u.  s.  w.  desselben  von  vornherein  als  Krankheitsursachen 
hinzustellen  und  alle  Brunnen,  welche  ein  solches  Wasser  liefern,  zu  verdächti- 
gen. In  dieser  Beziehung  spielt  das  post  hoc  ergo  propter  hoc  noch  eine  zu  grosse 
Rolle,  so  dass  es  immer  geboten  erscheint,  bei  der  Trinkwasserfrage  nur  zuver- 
lässige Thatsachen  und  strenge  Beobachtungen  gelten  zu  lassen. 

Auch  in  der  Thierheilkunde  will  man  die  Beobachtung  gemacht  haben,  dass 
beim  Rindvieh  der  Milzbrand  entsteht,  wenn  es  Wasser  aus  Brunnen,  zu  dem 
die  Mistjauche  Zutritt  hat,  oder  aus  Teichen,  deren  Wasser  mit  vielen  faulenden 
vegetabilischen  Substanzen  geschwängert  ist,  säuft.  Es  machen  sich  hierbei  übri- 
gens dieselben  Erfahrungen  wie  beim  Erkranken  der  Menschen  geltend;  kräftige 
und  stärkere  Thiere  überwinden  häufig  die  einwirkenden  Schädlichkeiten,  bei  an- 
deren zeigen  sich  die  Folgen  erst  nach  Wochen  oder  Monaten,  während  wieder 
andere  kurze  Zeit  nach  dem  Genuss  au  Blutzersetzung  und  Lähmung  zu  Gründe 
gehen. 

Immer  werden  die  in  Zersetzung  begriffenen  Substanzen,  ganz  be- 
sonders wenn  sie  thierischer  Natur  sind  und  mittels  des  Wassers  rascher 
und  reichlicher  dem  Blute  zugeführt  werden,  mehr  oder  weniger  nach  der  indivi- 
duellen Constitution  und  Disposition  Krankheitsprocesse  zu  erzeugen  vermögen. 
Dies  ist  um  so  sicherer  der  Fall,  wenn  gleichzeitig  noch  andere  schädliche,  in  der 
ganzen  Lebensweise  begründete  Factoren  hinzutreten,  deren  Erforschung  eine 
nicht  minder  wichtige  Aufgabe  ist. 

Reinigung  des  Wassers.  Die  Reinigung  des  Wassers  mittels  Filtration 
ist  besonders  für  technische  Zwecke  wichtig,  wenn  es  sich  darum  handelt, 
aufgeschwemmten  Schlamm  und  ähnliche  Unreinigkeiten  zu  entfernen. 

Flusswasser  mittels  Filtration  zu  reinigen  und  dadurch  als  Trinkwasser  zu 
verwerthen,  ist  eine  traurige  Noth wendigkeit  geworden,  obgleich  die  filtrirenden 
Substanzen:  Kies,  Flusssand,  Wolle  u.  s.  w.  nur  die  gröberen  suspendirten 


Reinigung  des  Wassers  mittels  Filtration.  119 

Bestandteile,  wie  Erde,  Thon  und  Schmutz,  zurückhalten,  aber  auch  die  Kohlen- 
säure theilweise  oder  ganz  iu  sich  aufnehmen.  Dabei  kann  die  Anwendung  der 
Wolle,  welche  in  neuester  Zeit  vorgeschlagen  worden  ist,  zu  manchem  Bedenken 
Veranlassung  geben,  da  die  filtrirende  Substanz  selbst  der  Verwesung  unterliegen 
und  somit  zu  einer  Verunreinigung  des  Wassers  durch  organische  Substanzen 
führen  kann. 

In  London  will  man  die  Beobachtung  gemacht  haben,  dass  in  gewissen 
Stadtvierteln,  welche  mit  filtrirtem  Flusswasser  versorgt  werden,  die  Cholera  mit 
ungleicher  Intensität  auftrat,  je  nachdem  von  einer  bestimmten  Wasserleitungs- 
Anstalt  das  Wasser  geliefert  wurde;  der  Bezirk  der  einen  Anstalt  hatte  nachweis- 
lich mehr  Kranke  als  der  der  anderen. 

Man  hat  auch  die  Thierkohle  und  den  Thon  als  filtrirende  Substanzen 
vorgeschlagen;  wenn  hierdurch  jedenfalls  die  Riech-  und  Farbstoffe  beseitigt 
werden,  so  ist  jedoch  erwiesen,  dass  nicht  alle  aufgelösten  organischen  Stoffe 
zurückgehalten  werden.  Die  Kohle  muss  ausserdem  stets  nach  einiger  Zeit  wieder 
ausgeglüht  werden,  wenn  sie  ihre  Wirkung  behalten  soll. 18) 

Unter  den  verschiedenen  Filtrirmethoden  ist  die  Schottische  Gravita- 
tions-Filtrirmethode  zu  nennen,  wobei  drei  terrassenförmig  übereinander  auf- 
gestellte Filtrir-Reservoirs  in  Thätigkeit  sind;  zwischen  den  Filtern  befinden  sich 
Räume  von  wasserdichtem  Mauerwerk. 

Fon'vielle  wendet  gleichzeitig  einen  hydrostatischen  Druck  an,  indem  der 
Sammler  12  Meter  hoch  über  dem  Filtrir-Apparat  steht;  bei  seinem  „Filtre  plon- 
geur"  liegen  die  filtrirenden  Substanzen  (Kies,   Sand,  Flockwolle)  im  Wasser.  19) 

Die  städtischen  Wasserleitungen  behufs  Filtration  von  Flusswasser  bestehen 
aus  der  Wasserhebungs-,  Filtrir-  und  Wasservertheilungs- Anlage. 
Anstatt  das  Flusswasser  direct  zu  benutzen,  ist  es  zweckmässiger,  in  der  nächsten 
Nähe  des  Flusses  Brunnen  zu  taufen,  um  auf  diese  Weise  die  erste  Filtration  zu 
bewirken.  Von  hier  aus  wird  das  Wasser  durch  die  Wasserhebungsmaschine  in 
die  Filtrirbassins  gefördert;  diese  werden  in  der  Regel  von  Erddämmen  ein- 
geschlossen, welche  mit  einem  Thonschlag  bedeckt  und  mit  Steinen  abgepflastert 
werden.  Die  Filtrirschicht  besteht  aus  einer  Bruchsteinlage,  aus  Lehmsteinen 
und  einer  Kieslage,  über  welche  schliesslich  eine  Sandschicht  angebracht  wird. 

Das  filtrirte  Wasser  gelangt  durch  gusseiserne  Röhren  in  das  Reinwasser- 
Reservoir  im  Maschinenhause,  wird  von  dort  zu  dem  Hochreservoir  gehoben  und 
gelangt  alsdann  mittels  der  Abfallsrohrleitung  nach  dem  Rohrnetz  der  Stadt. 

Für  manche  industrielle  Zwecke,  für  Bleichereien,  Gerbereien,  Färbereien, 
Papierfabriken,  Brauereien,  Leim-  und  Zuckersiedereien,  sowie  zum  Speisen  der 
Dampfkessel  reicht  das  filtrirte  Flusswasser  vollkommen  aus;  für  den  Genuss 
bietet  es  nur  unter  Umständen  die  Garantie  eines  gesunden  und  schmackhaften 
Trinkwassers  dar,  wenn  man  nämlich  über  die  Benutzung  eines  Flusswassers, 
welches  noch  frei  von  schädlichen  Zuflüssen  ist,  gebieten  kann  oder  die  Anlage 
grosser  Brunnen  in  der  Nähe  des  Flusses  ermöglicht  ist.20) 

Um  trübes  Flusswasser  klar  zu  machen,  reichen  sehr  geringe  Mengen 
von  Alaun  aus;  bekanntlich  bedienen  sich  die  Chinesen  des  cubischen  Alauns 
zum  Klären  des  Wassers  des  gelben  Flusses.  Durch  die  Zersetzung  des  Alauns 
bildet  sich  nämlich  Calciumsulfat,  welches  präcipitirt  wird,  während  die 
freigewordene  Thonerde  (Aluminium  hydrat)  die  der  Humussäure  ähnlichen 
Säuren  sowie  alle  Riech-  und  Farbstoffe  absorbirt    und  sich   mit  ihnen  nieder- 


120  Sauerstoff  and   Wasserstoff. 

schlägt.  Von  den  aufgelösten  organischen  Körpern  sind  es  nur  die  albumin-  und 
casei'nhaltigen  Bestandteile,  nicht  aber  die  leim  haltigen,  welche  hierbei  präcipitirt 
werden. 

Auch  durch  Kochen  kann  manches  unreine  Wasser  rein  und  geniessbar 
gemacht  werden,  weil  dadurch  gleichzeitig  mit  dem  Kalke  nicht  nur  andere  mine- 
ralische, sondern  auch  viele  organische  Bestandtheile  abgeschieden  werden. 

Gyps  lässt  sich  am  besten  schon  durch  einfaches  Erwärmen  des  Wassers 
entfernen,  da  er  im  heisseu  Wasser  weniger  löslich  ist,  als  im  kalten;  er 
schiäst  sich  mit  dem  Calciumcarbonat  uieder;  eine  Eigenschaft,  welche  er  mit 
vielen  baldriansauren  Salzen,  namentlich  mit  baldriansaurem  Zink  und  Cal- 
cium theilt.  Gvps  ist  als  Bestaudtheil  des  Trinkwassers  auch  deshalb  noch 
beachtungswerth.  weil  er  in  Berührung  mit  organischen  Stoffen  leicht  Schwefel- 
calcium  resp.  Schwefelwasserstoff  erzeugt  und  alsdann  das  Wasser  ungeuiess- 
bar  macht. 

Für  die  Industrie  ist  ein  grosser  Kalkgehalt  des  Wassers  oft 
nachtheilig;  schon  beim  gewöhnlichen  Waschen  in  den  Haushaltungen  muss  be- 
kanntlich bei  einem  kalkreichen  Wasser  mehr  Seife  gebraucht  werden  als  bei 
einem  weichen  Wasser,  da  die  Kalksalze  die  Seife  zerlegen  und  sich  mit  der  Talg- 
und  Oelsäure  derselben  zu  talg-  uud  ölsaurem  Calcium  verbinden,  während  an- 
dererseits ein  auflösliches  Xatriumsalz  entsteht. 

Die  Kalksalze  kann  man  vor  dem  Gebrauche  des  Wassers  mit  Seifenspiritns 
oder  etwas  Opodeldoc  niederschlagen  und  annähernd  nachweisen:  diese  Methode 
ist  aber  unsicher.  Für  technische  Zwecke  präcipitirt  mau  sie  mit  Natrium-  oder 
Kaliumcarbouat;  ist  der  Kalk  an  Kohlensäure  gebunden,  so  setzt  man  Kalk- 
wasser hinzu,  damit  sich  der  Kalk  mit  der  freien  Kohlensäure,  welche  die  Auf- 
löslichkeit  des  Calciumcarbonats  bedingt,  wieder  zu  Calciumcarbonat  verbindet; 
dieser  schlägt  sich  dann  allmählig  nieder. 

Durch  Kalk  können  auch  Eisen,  Magnesia  und  Humussäure  nieder- 
geschlagen werden;  diese  Methode  ist  deshalb  besonders  in  Papierfabriken 
angezeigt. 

In  den  Haushaltungen  wirft  man  oft  Kochsalz  in  die  Brunnen  zur  angeb- 
lichen Verbesserung  des  Wassers;  es  können  hierdurch  nur  vorübergehend  die 
niedrigen  Organismen  im  Wasser  vernichtet  werden  und  einen  bedeutenden  Zweck 
erreicht  man  dadurch  nicht.  Früher  war  es  auch  sehr  gebräuchlich,  Eisen  feile, 
Blechschnitzel,  Drehspäne  u.  s.  w.  in  die  Brunnen  zu  werfen;  durch  die 
Einwirkung  der  Luft  bildet  sich  allmählig  kohlensaures  Eisenoxydul,  welches  sich 
im  Wasser  mehr  oder  weniger  löst  und  ganz  besonders  die  Humussäure  festhält, 
so  dass  durch  dieses  Verfahren  alle  humosen  Substanzen  sicher  weggeschafft 
werden.  Durch  Kochen  oder  längeres  Stehenlassen  des  Wassers  an  der  Luft  tritt 
die  Kohlensäure  wieder  aus  und  das  Oxydul  verwandelt  sich  in  Eisenoxyd- 
hydrat, welches  niederfällt. 

Folgendes  Verfahren  hat  sich  bei  der  Reinigung  des  Maaswassers,  worauf 
namentlich  die  am  unteren  Theile  ihres  Laufes  gelegenen  Ortschaften  für  ihr 
Trinkwasser  angewiesen  sind,  vollkommen  bewährt:  Auf  jedes  Liter  Wasser  werden 
0,032  Grm.  trocknes  Eisenchlorid  in  der  nöthigen  Menge  destillirten  Wassers 
gelöst  zugesetzt;  nach  dem  Umrühren  lässt  man  das  Wasser  36  Stunden  lang 
stehen,  bis  sich  ein  flockiger  Niederschlag  abgesetzt  hat.  Obgleich  die  Unter- 
suchung die  Bildung  von  freier  Salzsäure  nicht  nachgewiesen  hat,   so   zieht  man 


Construction  der  Pumpen.  121 

es  doch  vor,  dem  Wasser  einige  Stunden  vor  seinem  Gebrauche  noch  eine  dem 
angewendeten  Eisensalze  äquivalente  Menge  krystallisirter  Soda  (0,055  Grm.  für 
das  Liter)  zuzusetzen. 

Schwere  Metalle  können  aus  natürlichen  oder  zufälligen  Ursachen  in  das 
Wasser  gelangen.  Die  natürlichen  Ursachen  hängen  von  dem  Vorbandensein  ver- 
erzten  Gesteins  ab,  welches  durch  den  Gehalt  des  Wassers  an  Sauerstoff  und 
Kohlensäure  gleichsam  einem  Verwitterungsprocess  unterliegt  und  die  löslichen 
Salze  dem  Wasser  zuführt;  zufällig  können  solche  Metalle,  z.  B.  durch  die  Lei- 
tung des  Wassers,  in  dasselbe  gelangen.  Wasser  in  Bleicysternen  wird  immer 
bleihaltig;  fliesst  dasselbe  durch  Bleiröhren  bei  Abschluss  der  atmosphärischen 
Luft,  so  findet  keine  Auflösung  statt.  Lufthaltiges  destillirtes  Wasser  löst  davon 
am  meisten  auf;  es  bildet  sich  zuerst  Bleioxyd,  welches  sich  als  Bleicarbonat 
niederschlägt.  Am  allerleichtesten  lösen  warme  Wasserdämpfe  Blei  auf,  wenn 
die  atmosphärische  Luft  Zutritt  hat;  man  sieht  dies_  besonders,  wenn  bei  der 
Destillation  die  Wasserdämpfe  Bleiröhren  passiren*). 

Organische  Substanzen,  wie  Baldrian-  und  Buttersäure,  wirken  auf  alle 
Bleisalze  und  sogar  auf  das  sonst  unlösliche  Bleisulfat  lösend  ein;  ein  Umstand, 
welcher  die  grösste  Beachtung  verdient.  Ausser  diesen  organischen  Säuren  be- 
günstigt auch  das  Vorwalten  der  Chloride  und  Nitrate  im  Brunnenwasser  die 
Aufnahme  des  Bleies.  Bei  frischen  bleiernen  Pumpenröhren  ist  das  Wasser, 
welches  in  der  ersten  Zeit  herausbefördert  wird,  stets  bleihaltig;  hat  sich  später 
im  Innern  der  Röhre  eine  Incrustation  von  Sulfaten  und  Carbonaten  des  Metalls 
gebildet,  so  ist  wegen  der  unter  gewöhnlichen  Verhältnissen  unlöslichen  Beschaffen- 
heit dieser  Salze  keine  weitere  Gefahr  bei  dem  Gebrauche  solcher  Pumpen  ver- 
bunden, wenn  sie  nicht  durch  das  Wasser  mechanisch  nach  oben  befördert  werden. 

Man  soll  jedoch  nie  alte,  schon  bei  Wasserleitungen  gebrauchte  Röhren  für 
Pumpen  verwenden,  weil  dann  andere  Bestandteile  des  neuen  Brunnenwassers, 
welche  dem  ersteren  Wasser  fremd  waren,  die  Incrustationen  möglicherweise  auf- 
zulösen vermögen. 

Construction  der  Pumpen.  Hierbei  niuss  es  stets  Grundsatz  bleiben,  so 
viel  als  möglich  das  Blei  zu  vermeiden;  die  Bleistiefelaufsätze,  welche  über 
dem  Kolben  das  gehobene  Wasser  aufnehmen,  bieten  namentlich  dem  Wasser  ganz 
unnöthigerweise  eine  grosse  metallische  Oberfläche  dar. 

Sind  solche  Aufsätze  nöthig,  so  ist  es  in  sanitätspolizeilicher  und  auch  in 
pecuniärer  Beziehung  zweckmässiger,  sie  aus  Eisen  zu  construiren;  dasselbe  gilt 
auch  bezüglich  des  Steigrohrs.  Ebenso  sind  die  kleinen  Befestigungslap- 
pen, welche  zur  Unterstützung  der  Pumpe  und  des  Saugrohrs  dienen,  zu  vermeiden, 
da  sie,  der  feuchten  Atmosphäre  ausgesetzt,  der  Oxydation  leicht  unterworfen 
sind  und  somit  viel  leichter  eine  Verunreinigung  des  Wassers  ermöglichen,  wes- 
halb in  solchen  Fällen  den  Brunnen  mehr  von  oben,  als  von  unten  Blei  zuge- 
führt werden  kann. 

Dies  wird  erklärlich,  wenn  man  bedenkt,  dass  durch  das  Aufpumpen  von 
kaltem  Wasser  an  den  obern  Theilen  des  bleiernen  Steigrohrs,  sowie  am  untern 
Theile  des  oben  im  Brunnen  befindlichen  Bleistiefels  und  an  den  Befestigungs- 
lappen derselben  sich  aus  den  wärmeren  Liiftschichten  Wasserdämpfe  mit  ihren 

*)  1075  CC.  Wasser  ergaben  bei  der  Destillation  durch  bleierne  Röhren  0,275  Grm. 
Bleisulfat.  Das  dazu  verwendete  Wasser  enthielt  in  100  Grm.  0,089  Ammoniak,  0,051  Gyps 
(wasserfrei),  0,002  Kieselsäure  und  0,010  Phosphorsäure. 


122  Sauerstoff  und  Wasserstoff. 

verschiedenen  Verunreinigungen  (Ammoniak,  Salpeters.  Salze  u.  s.  w.)  niederschla- 
gen, welche  die  Oxydation  des  Bleies  hervorrufen  und  bei  ihrem  Abfliessen  oder 
Abtropfen  das  oxydirte  resp.  gelöste  und  suspendirte  Bleioxyd  dem  Brunnen  zu- 
führen. Es  ist  auch  eine  bekannte  Thatsache,  dass  bei  solchen  Ein- 
richtungen von  Pumpen  das  Brunnenwasser  im  Sommer  bleihaltiger 
als  im  Winter  ist. 

Hat  sich  in  Folge  der  Oxydation  stickstoffhaltiger  orgauischer  Substanzen 
Ammoniak  im  Wasser  gebildet,  so  wirkt  es  durch  seine  Gegenwart  sehr 
fördernd  auf  die  Oxydation  von  Blei,  Kupfer,  Zink  und  Eisen  ein.  Das 
Kupfer  gelangt  sogar  auf  diese  Weise  in  gelöster  Form  in's  Wasser  und  zwar  in 
ammouiakalischen  Knpferoxydverbindungen;  kupferne  Röhren  sollten  deshalb  nie 
zu  Wasserleitungen  und  Brunnen  gebraucht  werden.  Auch  bei  der  Destillation 
des  Wassers  durch  kupferne  Schlaugengewinde  wird  dem  übergehenden  Wasser 
stets  Kupfer  mitgetheilt;  so  ergaben  in  eiuem  concreten  Falle  100  Grra.  destillirtes 
Wasser  0,002  Kupferoxyd. 

Zinkene  Röhren  sind  insofern  unschädlich,  als  sich  durch  die  Einwir- 
kung von  Ammoniak  unlösliche  basische  Verbindungen  bilden;  sie  stehen 
daher  in  dieser  Beziehung  in  gleicher  Linie  mit  den  bleiernen  Röhren  und  haben 
insofern  noch  einen  Vorzug  vor  letzteren,  als  sich  diese  Verbindung  rasch  bildet 
und  das  Metall  vor  weiteren  Eingriffen  schützt;  sie  sind  aber  dennoch  stets  zu 
verwerfen. 

Bei  eisernen  Leitungsröhren  entsteht  leicht  ein  Niederschlag  von  ba- 
sischem kohlensaurem  Eisenoxydul  und  Eisenoxyd,  welches  viel  Ammoniak 
bindet,  womit  alsdann  jede  weitere  Zersetzung  aufgehoben  ist.  Wird  aber  koch- 
salzhaltiges Wasser,  z.  B.  bei  Salinen,  durch  eiserne  Röhren  geleitet,  so  wird  das 
Eisen  angegriffen;  es  bilden  sich  Wülste  und  Risse,  welche  die  Leitung  sehr 
behindern. 

Die  besten  Leitungsröhren  für  Wasser  sind  die  thönernen  und  inwendig 
gut  glasirten  Röhren  und  nur  diese  sollten  zur  Verwendung  kommen. 

Kesselstein.  Beim  Kochen  des  Wassers  scheidet  sich  ein  Theil  der  Mineral- 
bestandtheile  desselben  aus  und  dieser  umschliesst  auch  mehr  oder  weniger  die  orga- 
nischen Substanzen.  Diese  krustenähnliche  Ausscheidung,  welche  man  Kessel- 
stein zu  nennen  pflegt,  hat  eine  sehr  verschiedenartige  Zusammensetzung  und 
nicht  bloss  eine  polizeiliche  Bedeutung  bezüglich  der  Entstehung  von  Explo- 
sionen, sondern  er  verdient  auch  in  sanitärer  Bedeutung  grosse  Beachtung. 

Man  nimmt  einen  weichen  und  einen  harten  Kesselstein  an;  beide  Arten 
unterscheiden  sich  häufig  schon  durch  ihre  Farbe,  indem  ersterer  durch  den  Gehalt  an 
Eisenoxydhydrat  gelblichgrau,  letzterer  dagegen  durch  das  Vorhandensein  humus- 
ähnlicher Verbindungen  braun  bis  braunschwarz  gefärbt  ist.  Der  weiche  Kessel- 
stein besteht  hauptsächlich  aus  kohlensaurem,  schwefelsaurem,  phosphorsaurem  Cal- 
cium, kohlensaurem  Magnesium,  einer  geringen  Menge  von  Silicaten,  stets  aus  Eisenoxyd- 
hydrat, Manganoxyduloxyd  und  bisweilen  auch  aus  Arsen ;  man  kann  annehmen,  dass  unter 
100  Brunnen  wohl  80  einen  Kesselstein  liefern,  der  einen  Arsengehalt  hat. 

Der  harte  Kesselstein  besteht  ausser  den  eben  angegebenen  Bestandtheilen 
noch  aus  grossen  Mengen  von  humussaurem  Calcium  und  kieselsauren  Verbindungen;  das 
Auftreten  der  letzteren  in  erheblicher  Menge  bedingt  die  Härte  und  Festigkeit  des  Steins. 
Vorzugsweise  sind  es  die  Wässer,  welche  aus  sumpfigen  Gegenden,  aus  Torfmooren  oder 
Braunkohlenlagern  gewonnen  werden,  die  den  harten  Kesselstein  bilden. 

Wenn  der  weiche  Kesselstein  schon  Schwierigkeit  bei  der  Erzeugung  von  Wasser- 
dämpfen in  geschlossenen  Gefässen  bietet,  so  thut  dies  der  harte  um  so  mehr;  ersterer 
kann  durch  sogenannte  Vorwärmer  aus  dem  Speisewasser  grösstentheils  entfernt  werden, 
wenn  man  nicht  das  Incrustiren   der  Kessel  durch  bestimmte  Zusätze  zum  Wasser  zu 


Kesselstein.  ]  23 

verhindern  sucht.  So  sind  z.  B.  Chlorbarium  zur  Fällung  des  Calcium sulfats  uud  etwas 
Kalkmilch  zur  Fällung  des  Calciumcarbonats  Mittel,  welche  man  in  dieser  Beziehung 
in  der  neuesten  Zeit  mit  dem  besten  Erfolg  anwendet.21) 

Der  harte,  kieselhaltige  Kesselstein  bietet  dagegen  seiner  Entfernung  oder  Zer- 
theilung  viel  grössere  Schwierigkeiten  dar;  er  setzt  sich  nämlich  erst  dann  aus  dem 
Wasser  ab,  wenn  dies  eine  gewisse  Concentration  erhalten  hat,  weshalb  Vorwärmer  hier- 
bei nicht  mit  Erfolg  anzuwenden  sind. 

Der  harte  Kesselstein  lagert  sich  so  fest  an  das  Eisen  au,  dass  man  ihn 
nur  mit  Hammer  und  Meissel  entfernen  kann;  wenn  nun  die  Ablagerung  einige 
Linien  dick  geworden  ist,  so  müssen  bei  der  schlechten  Wärmeleitungsfähigkeit 
des  Steins  die  Eisenplatten  in's  Glühen  gebracht  werden,  um  den  Kesselinhalt  in's 
Sieden  zu  bringen.  Dadurch  ist  aber  eine  Zersetzung  der  in  dem  Kesselstein  ent- 
haltenen organischen  Substanzen  unvermeidlich,  deren  Producte  theils  brenzlicher 
Natur  sind,  theils  aus  den  bei  der  trockenen  Destillation  auftretenden  Gasen  be- 
stehen; letztere  sind:  Kohlensäure,  gasförmige  und  flüssige  Kohlen- 
wasserstoffe, Kohlenoxyd,  Ammoniak,  Schwefelwasserstoff  resp. 
Schwefelammonium.  Alle  diese  Producte  bieten  ein  sanitäres  Interesse  dar;  es 
werden  nämlich  die  Dampfkessel  häufig  in  der  Art  gereinigt,  dass  man,  nachdem 
das  Feuer  ausgezogen  worden,  das  siedende  Wasser  aus  dem  Kessel  abfliessen 
lässt.  Da  nun  aber  durch  die  sehr  hohe  Temperatur  des  Feuerraums,  sowie  der 
über  diesem  zunächst  liegenden  Kesselplatte  die  Zersetzung  der  organischen  Sub- 
stanz des  Kesselsteins  bedingt  wird,  so  kann  nach  der  Entfernung  des  Wassers 
aus  dem  Kessel  noch  eine  weitere  Zersetzung  des  Kesselsteins  stattfinden,  und 
werden  die  dabei  sich  entwickelnden  Gase  den  Kesselraum,  wenn  auch  nur  in 
verdünntem  Zustande,  erfüllen. 

Wird  nun  ein 'solcher  Kessel  nach  dem  Abkühlen  von  einem  Arbeiter  be- 
treten, so  wird  letzterer  der  Einwirkung  dieses  Gasgemisches  ausgesetzt  sein  und 
mehr  oder  weniger  von  dem  schädlichen  Einflüsse  desselben  getroffen  werden. 

Zur  Bestätigung  der  eben  ausgesprochenen  Ansichten  wurde  ein  Kesselstein  einer 
Eisenbahn -Werkstätte,  welcher  sehr  kiesel-  und  humussäurehaltig  war,  in  eine  Verbren- 
nungsröhre von  streng  flüssigem  Glase  in  einem  Liebifächen  Verbrennungsofen  einer  er- 
höhten Temperatur  bis  zur  Pothglühhitze  ausgesetzt.  Die  sich  entwickelnden  Dämpfe 
und  Gase  waren  brennbar;  sie  enthielten  besonders  flüssige  Kohlenwasserstoffe, 
theerähnliche  Substanzen  und  waren,  nachdem  Ammoniak  und  Schwefel- 
wasserstoff ausgeschieden  worden,  befähigt,  in  einer  Auflösung  von  Palladium- 
chlorür  einen  bedeutenden  schwarzen  Niederschlag  zu  erzeugen,  welcher  unzweifelhaft 
Kohlenoxyd-Palladium  war.  Der  Kesselstein  resp.  der  Kesselschlamm  aus  den 
Dampfkesseln  der  Seeschiffe  bietet  die  Bedingungen  zur  Bildung  dieser  Gasgemische  im 
höchsten  Grade  dar;  namentlich  muss  hier  auch  durch  die  Ansammlung  und  Zersetzung 
thierischer  Substanzen  eine  beträchtliche  Bildung  von  Ammoniak  und  andern  schäd- 
lichen Gasen  hervergerufen  werden.  Dass  dies  keine  theoretischen  Anschauungen  sind, 
beweisen  die  wirklich  vorgekommenen  Unglücksfälle  bei  Arbeitern  und  Matrosen,  welche 
die  Dampfkessel  sogleich  nach  kaum  geschehener  Abkühlung  betreten.  Fanssagriv.es  22) 
beschreibt  einen  solchen  von  Bourel-Ronciere  beobachteten  Fall  ausführlich  und  hebt 
dabei  mit  Recht  hervor,  dass  es  sich  hierbei  um  keine  einfache  Asphyxie,  sondern  um 
eine  wahre  Vergiftung  handle.  Auch  theilt  er  nicht  die  Ansicht  von  Bourel-Ronciere, 
dass  Ammoniak  allein  die  gefährlichen  Zufälle  hervorgerufen  habe,  sondern  er  nimmt 
an,  dass  sich  mit  dem  Ammoniak  „eines  der  feinen  Gifte  verbunden  habe,  welches  die 
Chemie  noch  nicht  dargestellt  und  nicht  isolirt  habe,  das  jedoch  bei  der  Zersetzung  der 
organischen  Substanzen  entstände".  Glücklicherweise  ist  die  Chemie  wohl  im  Stande,  hier- 
über Aufklärung  zu  verschaffen;  auch  sind,  wie  oben  erörtert  worden  ist,  die  Bedin- 
gungen zur  Entstehung  dieser  Gifte  hinreichend  bekannt  und  ihre  Verschiedenheit  ist 
nur  von  der  verschiedenen  Beschaffenheit  der  Kesselsteine  abhängig. 

Es  kann  daher  auch  nicht  auffällig  sein,  dass  nicht  bei  allen  Dampfkesseln  die 
Entwicklung  der  genannten  Gase  stattfindet,  weil  eben  der  Gehalt  an  organischen  Sub- 
stanzen im  Kesselstein  sehr  variabel  ist. 

Der  Arbeiter,  über  welchen  Fonssagrives  berichtet,   hatte  6 — 8  Minuten  lang  im 


124  Sauerstoff  und  Wasserstoff. 

Dampfkessel  des  Schiffes  „Bisson"  verweilt:  nachdem  er  mit  Mühe  dieser  schädlichen 
Atmosphäre  entrissen  worden  war,  bot  er  folgende  Erscheinungen  dar:  Vollständige 
Asphyxie  hei  bläulichen  Ohren,  bläulicher  Färbung  der  Lippen,  angeschwollenen  äusse- 
ren Jugularvenen:  dabei  die  Bulbi  eonvulsiviseh  in  die  Orbita  hineingezogen,  aufge- 
hobene Respiration,  die  Pupillen  ohne  Reaction,  die  Extremitäten  schlaff  und  unempfind- 
lich gegen  äussere  Reizmittel.  Langsame  Wiederkehr  der  Respiration,  wobei  der  Ver- 
unglückte wie  ein  wiederbelebter  Ertrunkener  nach  Luft  schnappte;  Congestion  zum 
Kopfe,  kaum  fühlbarer  Puls  und  sehr  gesunkene  Temperatur  der  Extremitäten.  Die 
Innenfläche  der  Mundlippen  und  das  Zahnfleisch  waren  mit  einem  zarten,  weissen 
Hauchen  bedeckt,  als  ob  diese  Theile  mit  HölleDstein  bestrichen  worden  wären;  über 
die  untere  Hälfte  der  Cornea  zog  sich  ein  querer  Streifen  von  weisser  Opalisirung, 
dabei  zusammengezogene  Pupille  und  Injection  der  Conjuuctiva. 

Als  nach  einiger  Zeit  die  Sensibilität  wiederkehrte,  schloss  der  Kranke  die  bisher 
halbgeschlossenen  Augenlieder  krampfhaft:  diese  Lichtscheu  schwaud  erst  nach  mehre- 
ren Tagen.  Durch  Anwendung  von  äusseren  Reizmitteln  und  die  Einleitung  der  künst- 
lichen Respiration  mittels  Erweiterung  und  Compression  des  Brustkorbes  besserte  sich 
allmählig  die  Athmung.  der  Puls  hob  und  beschleunigte  sich  mit  der  wiederkehrenden 
äusseren  Wärme 

Bei  jeder  Athembowcgung  quoll  viel  Schleim  hervor  und  erst  dann  regulirte  sich 
die  Respiration,  als  es  dem  Kranken  möglieh  wurde,  selbstständig  eine  Menge  blutigen 
Schleimes  auszuwerfen.  Auf  dies  Stadium  der  Asphyxie  folgte  ein  Stadium  der  hefti  g- 
sten  Krämpfe;  es  zeigte  sich  Trismus,  Zähneknirschen,  tetanische  Contractur  der 
oberen  Extremitäten  und  der  Nackenmuskeln  mit  nach  hinten  zurückgezogenem  Kopfe. 
Diese  Symptome  hielten  eine  Viertelstunde  lang  an.  worauf  ein  unruhiges  Hin-  und  Her- 
werfen des  Körpers  und  eine  ganz  unregelmässige  Bewegung  der  Arme  mit  abwechseln- 
der Flexion  und  Extension  der  Sehenkel  eintrat. 

Gegen  S  Uhr  erfolgte  der  Unfall :  gegen  10  Uhr  trat  nach  dieser  Periode  der  Un- 
ruhe Schlaf  ein:  bis  9  Uhr  hatte  der  Kranke  keinen  Laut  von  sich  gegeben.  Das  Sen- 
sorium  blieb  26  Stunden  lang  getrübt,  worauf  eine  starke  fieberhafte  Reaction  eine  Blut- 
entziehung nöthig  machte.  Am  5.  Tage  Reconvalescenz :  eine  grosse  allgemeine  Schwäche 
hielt   aber  noch  längere  Zeit  an. 

Die  Symptomatologie  dieses  Falles  spricht  mit  ganzer  Bestimmtheit  für  eine 
Intoxication  durch  giftige  Gase.  Die  Opalisirung  der  Cornea  und  die  Ent- 
färbung der  Schleimhaut  der  Muudlippen  sowie  des  Zahnfleisches  führen  zu- 
nächst auf  eine  amraoniakalische  Einwirkung  hin.  Ammoniakgas  vermag 
aber  nicht  die  zwei  bestimmt  ausgesprochenen  Stadien  von  Asphyxie  und  Con- 
vulsionen  hervorzurufen;  dieses  Krankheitsbild  spricht  mehr  für  die  stattge- 
habte Einwirkung  von  Schwefelammonium.  Bezüglich  der  Opalisirung  der 
Cornea  hat  Schwefelammonium  dieselbe  Wirkung  wie  reines  Ammoniakgas,  er- 
zeugt aber  ausserdem  noch  sehr  rasch  Asphyxie  und  tetanische  Krämpfe. 
Die  tetanische  Erstarrung  einzelner  Muskelpartien  kommt  vorzugsweise  bei  der 
Einwirkung  von  Schwefelwasserstoff  und  Schwefelammonium  vor;  ebenso  möchte 
die  starke  Reizung  der  Bronchialschleimhaut  als  eine  Folge  von  eingeathmetem 
Schwefelammonium  zu  betrachten  sein. 

Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  auch  gleichzeitig  Kohlenoxydgas  ein- 
gewirkt hat;  um  hierüber  positive  Gewissheit  zu  erlangen,  hätte  man  den 
Kesselstein  des  betretenen  Dampfkessels  einer  sorgfältigen  chemischen  Analyse 
unterwerfen  müssen,  was  in  dem  betreffenden  Falle  nicht  geschehen  ist. 

Aus  allen  diesen  Thatsachen  geht  nun  mit  Bestimmtheit  hervor,  dass  die 
Entfernung  des  Kesselsteins  aus  Dampfkesseln  für  die  Arbeiter  unter  Umständen 
mit  grosser  Gefahr  verbunden  seiu  kann.  Die  Vorsicht  erfordert  es,  dass 
man  in  allen  Fällen  die  zum  Ausströmen  der  Gase  nothwendige 
Zeit  abwarten  muss,  ehe  die  Arbeiter  hineinsteigen.  Bei  Seeschiffen 
geschieht  die  Manipulation  zur  Entfernung  des  Kesselsteins  gewöhnlich  sehr 
rasch,  so  dass  man  häufig  kaum  die  zur  Abkühlung  der  Dampfkessel  nothwendige 
Zeit  abwartet,  daher  auch  hier  am  meisten  Fälle  von  Intoxicationen  vorkommen. 


Reinigung  des  Meerwassers  durch  Destillation.  125 

Die  Reinigung  und  Darstellung  des  Trinkwassers  aus  dem  Meerwasser  mittels 
Destillation.  Von  der  grössten  Wichtigkeit  ist  die  Beschaffung  guten  Trinkwassers 
für  die  Schiffsmannschaft.  Das  Mitführen  von  süssem  Wasser  in  inwendig  verkohl- 
ten Tonnen  kann  selten,  namentlich  für  längere  Zeit,  dem  Zwecke  entsprechen; 
derartiges  Wasser  ist  arm  an  Kohlensäure  und  schmeckt  fade.  Besser  haben  sich 
eiserne  Wasserbehälter  bewährt,  obgleich  sie  durch  die  bedeutende  Oxydation 
der  inneren  Flächen  sich  schnell  abnutzen. 

Man  hat  lange  Zeit  Versuche  angestellt,  um  das  Meerwasser  durch  Destil- 
lation trinkbar  zu  machen,  und  man  ist  auch  schliesslich  nach  unzähligen  Ver- 
suchen dahin  gekommen,  sich  auf  diese  Weise  ein  gutes  Trinkwasser  zu  ver- 
schaffen; es  ist  selbstverständlich,  dass  durch  eine  blosse  Destillation  das  Ziel 
kaum  erreicht  werden  kann,  es  muss  vielmehr  allen  Bestandtheilen  des  Meer- 
wassers Rechnung  getragen  werden. 

Fasst  man  die  Bestandteile  des  Meerwassers  näher  in's  Auge,  so  ergibt  sich,  dass 
sie  sowohl  organischer,  als  auch  unorganischer  Natur  sind.  Bezüglich  der  organischen  Be- 
standteile ist  zu  bemerken,  dass  dieselben  entweder  durch  zahllose  Organismen  oder 
durch  die  Excremente  der  im  Meere  lebenden  Thiere  bedingt  werden;  diese  organischen 
Bestandtheile  geben  dem  Destillate  einen  widerlichen,  fischähnlichen  Geschmack  und 
müssen  deshalb  vorweg  beseitigt  werden.  Von  einer  grauenerregenden  Beschaffenheit 
ist  besonders  das  Wasser  in  manchen  Häfen,  so  dass  es  nicht  einmal  zum  Reinigen  der 
Schiffe  zu  benutzen  ist,  weil  es  leicht  Infectionsstoffe  in  die  verschiedenen  Räume  zu 
übertragen  vermag. 

Bezüglich  der  anorganischen  Bestandtheile  ist  zu  bemerken,  dass  vorzugsweise 
Chlormagnesium  die  Güte  des  Destillats  beeinträchtigt;  alle  anderen  Mineralbestand- 
theile,  Kochsalz,  Kalk,  Alkalien,  Schwefelsäure,  Brom,  Jod  u.  s.  w. ,  können  bei  der  De- 
stillation nicht  nachtheilig  einwirken.  Das  Meerwasser  muss  deshalb,  ehe  es  zur  Destil- 
lation kommt,  einer  vorläufigen  Behandlung  behufs  Ausscheidung  dieser  die  Destillation 
benachteiligenden  Substanzen  unterworfen  werden. 

Das  Meerwasser  wird  zu  diesem  Zweck  in  grossen  eisernen  Behältern  mit  Kalk- 
milch unter  Zusatz  von  Gerbstoff  behandelt,  und  zwar  setzt  man  zuerst  Kalkmilch 
zu,  rührt  eine  Viertelstunde  lang  das  Gemisch  um  und  bringt  es  alsdann  durch  einge- 
leitete Wasserdämpfe  auf  eine  Temperatur  von  50  —  60°  C. ;  hierdurch  wird  alles  orga- 
nische Leben  zerstört  und  die  von  den  Organismen  herrührenden  albuminösen  Gebilde 
coaguliren.  Ferner  wird  das  Chlormagnesium  durch  den  Aetzkalk  bei  der  Wärme 
zersetzt  und  sämmtliche  Magnesia  ausgefällt;  behufs  raschen  Präciprtirens  setzt  man  alsdann 
die  Gerbstofflösung  hinzu.  Was  die  Menge  des  Kalkzusatzes  betrifft,  so  muss  man  diese 
durch  mehrfache  vergleichende  Versuche  zu  ermitteln  suchen;  es  ist  nämlich  für  den 
Wohlgeschmack  des  Wassers  unerlässlich,  dass  kein  Kalk  im  Ueberschuss  vorhanden 
ist.  Würde  man  z.  B.  die  Destillation  nach  einem  überschüssigen  Kalkzusatze  machen, 
so  bekommt  das  Wasser  einen  höchst  faden,  unangenehmen  Geschmack  und  zwar  in 
Folge  von  ammoniakalischen  Verbindungen,  welche  sich  aus  den  organischen  Substanzen, 
die  sich  im  Wasser  noch  immer  vorfinden,  bilden.  Während  der  Erwärmung  durch 
Wasserdämpfe  entsteht  stets  ein  widerlicher  ammoniakalischer  Geruch,  welcher  eben  nur 
von  der  Zersetzung  der  organischen  Bestandtheile  herrühren  kann. 

Nach  der  vollständigen  Klärung  wird  das  Wasser  der  Destillation  unterworfen, 
welche  nur  so  lange  fortgesetzt  wird,  bis  das  Sechsfache  des  Kesselinhalts  durchdestil- 
lirt  ist.  Die  Destillation  wird  in  schmiedeeisernen  Kesseln  mit  einer  Haube  und  Schlange 
von  Zinn  vorgenommen. 

Die  Kühlung  geschieht  mit  präparirtem  Meerwasser,  um  die  Wärme  zu  benutzen 
und  das  Wasser  vorzuwärmen.  Würde  man  dem  WTasser  keinen  Kalk  zusetzen,  d.  h. 
würde  man  die  Magnesia  dadurch  nicht  vorher  ausgefällt  haben,  so  würde  sich  das 
Chlormagnesium  während  des  letzten  Stadiums  der  Destillation  zersetzen  und  eine 
Entwicklung  von  Salzsäure  hervorrufen,  welche  mit  in  das  Destillat  übergehen  resp. 
die  Kühlapparate  zerstören  und  das  Wasser  durch  Metalloxyde  verunreinigen  würde. 

Man  hat  überhaupt  sehr  dafür  zu  sorgen,  dass  der  Destillationsapparat  niemals 
Blei  oder  bleihaltiges  Zinn  enthält;  denn  es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  dann 
das  Trinkwasser  bleihaltig  wird.  Die  auf  französischen  Schiffen  beobachtete  „Colique 
seche"  ist  weiter  nichts  als  Bleikolik;  sie  ist  auf  der  französischen  Kriegsmarine 
häufig,  auf  der  Handelsmarine  und  auf  der  englischen  Flotte  fast  gar  nicht  beobachtet 
worden.  Alle  neueren  Untersuchungen  von  Leferre,  Dupre  und  Vilette  unterstützen 
keineswegs  die  frühere  Ansicht,  dass  die  „Colique  seche"  eine  Tropenkrankheit  sei.    Je 


]26  Sauerstoff  und  Wasserstoff. 

grössere  Sorgfalt  die  Marineärzte  auf  die  Verminderung  der  schädlichen  Einwirkungen 
verwendet,  haben,  desto  seltener  ist  auch  die  Krankheit  geworden;  hierzu  gehört  namentlich 
die  sorgfältige  Beaufsichtigung  der  Destillation  des  Seewassers.23)  Das  Destillat  muss  reines 
destillirtes  Wasser  Bein,  welches  jedoch  wegen  Mangels  an  Kohlensäure,  Mineralsubstanzen 
and  Sauerstoff  einen  weichen  Geschmack  hat;  um  nun  dasselbe  wohlschmeckend  zu 
machen,  lässl  man  es  in  grossen  Steingutgefässen  einen  Cascaden-Apparat  passiren,  wie 
sich  aus  Fig.  9  ergibt. 

Das  mit  Luft  geschwängerte  Wasser  gelangt  alsdann 
pi      <!^\  auf  ein  zweites  Filtergefäss,  welches  ebenfalls  aus  Steingut 

besteht  und  mit  haselnussgrossen  Stücken  von  Kiesel  und 
carrarischem  Marmor  in  wechselnden  Schichten  gefüllt  ist. 
Hier  nimmt  das  Wasser  Calciumcarbonat  auf;  man  will 
nämlich  die  Erfahrung  gemacht  haben,  dass  kalkfreies 
Wasser,  längere  Zeit  getrunken,  die  Verdauung  stört. 

Mit  einem  auf  diese  Weise  präparirten  Wasser 
werden  auch  häufig  künstliche  Mineralwässer,  nament- 
lich Selterswasser  auf  Schiffen  dargestellt.  Zu  bemerken 
ist  jedoch,  dass  das  ganze  Verfahren  bei  stürmischer 
Seebewegung  schwierig  auszuführen  und  manchen 
Störungen  unterworfen  ist. 
Neuerdings  ist  daher  auf  allen  Schiffen  der  deutschen  Marine  der  Nor- 
mandy'sche  Destillatiousapparat  eingeführt  worden,  welcher  so  construirt  ist,  dass 
schon  während  der  Destillation  dem  darin  destillirten  Wasser  atmosphärische  Luft 
zugeführt  wird ;  jedoch  ist  die  Art  und  Weise,  wie  diese  Luftmischung  geschieht, 
keine  praktische  und  zweckmässige,  da  nach  der  Einrichtung  des  Apparats  die 
Luft  dem  bald  reinen,  bald  unreinen  Kühlwasser  entnommen  wird.  Auch  kommt 
es  bei  unruhiger  See  vor,  dass  mittels  der  Röhre,  welche  die  Luft  dem  destillir- 
ten Wasser  zuführt,  Kühlwasser  zum  Destillat  überstürzen  kann.  Von  grösserem 
Werthe  ist  der  Filterapparat  aus  Knochenkohle,  durch  welchen  schliesslich  das 
destillirte  Wasser  hindurch  fliesst,  damit  nicht  bloss  die  organischen  Stoffe,  son- 
dern auch  die  gebildete  Salzsäure  hier  aufgenommen  werden. 

Abgesehen  von  den  am  Apparate  noch  anzubringenden  Verbesserungen  soll 
das  Resultat  bisher  im  Allgemeinen  ein  befriedigendes  gewesen  sein,  wenn  nicht  die 
unzureichende  Menge  des  Wassers,  welche  der  Apparat  liefert,  zu  beklagen  wäre; 
auch  dürfte  das  erwähnte  vorbereitende  Verfahren  nicht  zu  umgehen  sein.24) 

Zum  Kühleu  des  Trinkwassers  wendet  man  jetzt  wieder  das  schon  von  den  Rö- 
mern und  Griechen  benutzte  Verfahren  an.  Zu  dem  Ende  wird  das  Wasser  in  poröse 
Thongefässe  gegeben;  dasselbe  wird  von  der  Thonmasse  aufgenommen  und  verdunstet 
auf  der  äusseren  Seite  auf  Kosten  der  Wärme,  welche  das  Wasser  besitzt.  Diese  Thon- 
gefässe müssen  von  sehr  kieselsäurereichem  Thon  angefertigt  werden  und  das  Brennen 
derselben  muss  bei  hoher  Temperatur  stattfinden.  Ist  der  Thon  fett  und  war  die  Tem- 
peratur nicht  hinreichend  hoch,  so  theilen  diese  Gefässe  dem  Wasser  einen  unangenehmen 
Erdgeschmack  mit. 

Die  mechanische  Aufsaugung  des  Wassers.  Die  Anziehungskraft  der  Erd- 
körper dem  Wasser  gegenüber  ist  eine  ausserordentlich  mächtige.  Wir  kennen 
keine  Substanz,  weder  einfacher  noch  zusammengesetzter  Natur,  welche  nicht 
mehr  oder  minder  das  Vermögen  besitzt,  Wasser  in  ihre  Substanz,  d.  h.  in  ihre 
Poren,  aufzunehmen;  wenigstens  verdichten  die  festesten  Substanzen  Wasser  an 
ihrer  Oberfläche.  Die  Structur  hat  allerdings  einen  wesentlichen  Einfluss  auf  diese 
Anziehungskraft,   so  dass  poröse  Körper  eher  und  mehr  Wasser  aufnehmen   als 

*)  a  Rohr  mit  Krahnen  zum  Zufliessen  des  Wassers.  I>)  Rohr  für  den  Austritt 
der  Luft,  c  Luftlöcher  für  das  Eindringen  der  Luft,  d  Syphon  zum  Abfluss  des  mit 
Luft  geschwängerten  Wassers. 


Die  mechanische  Aufsaugung  de?  Wassers.  127 

eine  dichte  und  feste  Substanz:  jedoch  selbst  das  Spiegelglas  condensirt  stets  an 
seiner  Oberfläche  eine  gewisse  Menge  Wasser,  die  durch  das  Auge  nicht  wahr- 
nehmbar ist.  Wird  z.  B.  ein  Spiegelglas  in  Luft  gebracht,  welche  man  vorher 
über  Chlorcalcium  hat  streichen  lassen,  und  streut  nun  in  diesen  Raum,  in 
welchen  das  Spiegelglas  gebracht  worden,  unter  Abschluss  der  Luft  wasserfreies 
Kupferchlorid.  welches  bekanntlich  eine  dunkel  lederbraune  Farbe  hat.  so  ver- 
wandelt es  sich  alsbald  in  einen  schönen  smaragdgrünen  Körper,  in  die  Wasser- 
verbindung des  Kupferchlorids.  Sind  die  Körper  poröser  Natur,  aber  nicht  aus 
der  organischen  Welt,  so  ist  die  Kraft,  mit  welcher  das  Wasser  festgehalten  wird. 
so  gross,  dass  erst  beim  vollständigen  Glühen  das  Wasser  ausgetrieben  wird.  So 
zieht  z.  B.  der  gebrannte  Thon  mit  der  grössten  Begierde  nicht  allein  Wasser 
aus  der  Atmosphäre,  sondern  ist  auch  befähigt,  chemischen  Verbindungen  das 
Hydratwasser  zu  entziehen.  Dieses  Verhalten  des  Thons  ist  deshalb  für  die  Vege- 
tation von  der  grössten  Wichtigkeit,  da  grade  diese  Eigenschaft  ihn  befähigt. 
nach  heissen  trocknen  Tagen  während  des  Nachts  die  mit  Wasser  geschwängerte 
Luft  gleichsam  auszutrocknen,  das  Wasser  in  sich  aufzunehmen  und  der  Pflanze 
wieder  zuzuführen. 

Bei  weitem  energischer  absorbiren  die  organischen  Substanzen,  z.  B.  Holz. 
Fleischfaser.  Haare,  Hornsubstanz  in  trocknein  Zustande  n.  s.  w.  den  Wasser- 
dampf. Das  Holz  ist  bekanntlich  aus  feinen  Fasern  zusammengesetzt  und  des- 
halb befähigt,  40— 50  Procent  Wasser  zubinden;  selbst  das  lufttrockne  Holz  ent- 
hält durchschnittlich  noch  25  —  30  Procent  Wasser.  Wird  Holz  mit  heissem  Wasser 
ausgekocht,  um  alle  Salze  aus  demselben  zu  entfernen,  und  alsdann  bei  120°  in 
einem  luftverdünnten  Räume  getrocknet,  so  besitzt  man  in  diesem  Körper  eine 
Substanz,  deren  Kraft,  Wasser  mechanisch  aufzunehmen,  nur  mit  der  energisch- 
sten chemischen  Thätigkeit.  mit  Hydratbildung,  verglichen  werden  kann.  Das 
Wasser  wird  wirklich  mechanisch  aufgenommen  und  bildet  nicht  eine  chemische 
Verbindung  mit  dem  Holze:  dies  erhellt  daraus,  dass  das  Wasser  den  Raum,  welchen 
es  früher  besessen  hat,  wieder  einzunehmen  und  dadurch  das  Volumen  der  Holz- 
faser zu  vermehren  vermag  (Quellen  des  Holzes).  Die  Kraft,  mit  welcher  das 
Wasser  aufgenommen  wird,  ist  so  gewaltig,  dass  dem  Aufquellen  des  Holzes 
keine  Kraft  widerstehen  kann.  Um  noch  ein  anderes  Beispiel  dieser  Art  anzu- 
führen, ist  das  Sprengen  der  Schädel  mittels  quellender  Erbsen  zu  erwähnen. 

Obgleich  nun  diese  Kraft  so  unendlich  gross  ist  und  deshalb  in  der  Technik 
noch  manche  Anwendung  finden  könnte,  so  tritt  sie  doch  auch  häufig  dem  Menschen 
hemmend  entgegen  und  veranlasst  ausser  mechanischen  Zerstörungen  auch  die 
Beschleunigung  der  Fäulniss  und  Verwesung,  weil  eben  das  Wasser,  welches  stets 
grössere  Mengen  Sauerstoff  als  die  atmosphärische  Luft  enthält,  auch  den  meisten 
Substanzen  eine  Sauerstoffquelle,  welche  Fäulniss  und  Verwesung  befördert. 
darbietet. 

Die  Bildung  des  Holzschwammes  wird  z.  B.  durch  diese  Eigenschaft  des 
Holzes  begünstigt.  Es  ist  leicht  ersichtlich,  dass  die  organischen  Substanzen, 
welche  das  Vermögen  in  so  hohem  Grade  besitzen,  Wasser  mechanisch  zu  binden. 
um  so  eher  der  Zerstörung  unterworfen  sind,  wenn  sie  abwechselnd  trockner 
und  feuchter  Luft  ausgesetzt  sind:  auf  einem  solchen  raschen  und  häufigen 
Wechsel  beruht  das  Faulen  des  Segeltuches,  der  Zeltdecken,  der  Schiffstaue  u.  s.  w, 

Das  Bestreichen  mit  Fett.  Theer,  Asphalt  u.  s.  w.  hat.  abgesehen  von  der 
solchen  Körpern  eigenthümlichen  antiseptischen  Eigenschaft,  auch  eine  rein  mecha- 


128  Sauerstoff  and  Wasserstoff. 

nische  Wirkung,  insofern  diese  das  Wasser  nicht  aufnehmenden  Substanzen  die 
Poren  erfüllen  und  für  das  Eindringeu  des  Wassers  verschliessen*). 

Hat  eine  organische  Substanz  sich  über  dem  Gefrierpunct  mit  Wasser  ge- 
sättigt und  tritt  alsdann  plötzlich  Frost  ein.  der  natürlich  von  aussen  nach  innen 
das  Wasser  zum  Gefrieren  bringt,  so  sind  von  aussen  her  die  Poren  schon  längst 
geschlossen,  wenn  im  inuern  Kern  das  Wasser  zur  Kristallisation  kommt. 

Durch  die  Aufnahme  des  Wassers  haben  die  einzelnen  Fasern  schon  ihre 
grösstmöglichste  Ausdehnung  erhalten  und  ein  jedes  Plus  von  Kraft  muss  sie  zum 
Zerspringen  und  Zerplatzen  zwingen.  Es  darf  daher  nicht  auffallend  erscheinen, 
dass  von  Wasser  durchtränkte  Gebilde  durch  rasch  eintretenden  Frost  zerplatzen 
können.  Ein  solches  Zerspringen  findet  auch  bei  Mineralien,  z.  B.  beim  Sand- 
stein, bei  der  Grauwacke  u.  s.  w.,  und  zwar  in  der  Form  des  Abblätterns  statt: 
der  Verwitterungsprocess  bei  der  Ackerkrume  wird  durch  diesen  Vorgang  mächtig 
unterstützt. 

Selbstverständlich  beeinfiusst  die  mechanische  Wasseraufnahnie  auch  den 
Feuchtigkeitszustand  der  die  Substanz  zunächst  umgebenden  Atmosphäre  und  zwar 
zunehmend  mit  der  steigenden  Temperatur. 

Das  Aufsauguugsvermögen  resp.  das  mechanische  Aufnehmen  des  Wassers 
durch  Capillarität  bedingt  auch  die  Feuchtigkeit  der  unteren  Geschosse 
bei  Gebäuden,  bei  welchen  man  ein  Baumaterial  poröser  Art  angewendet  hat. 
Um  dieses  zu  verhüten,  ist  es  zweckmässig,  Isolir schichten  anzulegen,  wozu 
sich  am  besten  der  Asphalt  wegen  seiner  Undurchdringlichkeit  für  das  Wasser 
eignet,  der  gleichzeitig  hier  als  Bindemittel  dient.  Man  gebraucht  dazu  auch  Glas- 
platten.  welche  aus  den  Schlacken  der  Hohöfen  bereitet  werden,  oder  Metall- 
platten von  Blei,  Zink  u.  s.  w.  Feuchte  Wohnungen  entstehen  meistens  durch 
diese  mechanische  Kraft  der  Aufnahme  des  Wassers,  können  aber  auch  durch  physi- 
calisch-chemische  Eigenschaften  der  Baumaterialien  dem  atmospärischen  und 
flüssigen  Wasser  des  Bodens  gegenüber  eingeleitet  oder  vermehrt  werden.  Hygrosko- 
pische Substanzen,  welche  das  Feuchtwerden  der  Wohnungen  mit  bedingen,  sind: 
Chlorkalium,  Chlornatrium,  Chlorcalcium,  Chlormagnesium,  die  salpe- 
trigsauren und  salpetersauren  Salze  von  Calcium,  Magnesium,  Natrium,  sowie  orga- 
nisch saure  Salze,  die  Producte  der  Fäulniss  und  Verwesung  organischer  Stoffe,  wie 
baldriansaure  und  buttersaure  Salze,  Chlorammonium,  Salpeter  und  Ammonium- 
nitrat. Alle  diese  Substanzen  und  die  Gelegenheiten  zur  Bildung  derselben  müssen 
vom  Mauerwerk  der  Häuser  abgehalten  werden  wenn  es  sich  um  die  wichtige 
Autgabe  handelt,  trockne  und  gesunde  Wohnungen  zu  beschaffen. 

In  manchen  Städten  herrscht  die  üble  Gewohnheit,  dass  man  wegen  Mangels 
eines  naheliegenden  Brunnens  das  Wasser  der  Strassanrinnen  aufstaut  und  zur 
Bereitung  des  Mörtels  anwendet.  Durch  dies  schmutzige  "Wasser  wird  eine  grosse 
Menge  stickstoffhaltiger  organischer  Substanzen  in  das  Mauerwerk  eingeführt, 
welche  der  Fäulniss  resp.  der  Salpetersäurebildung  unterliegen,  so  dass  ein  Feucht- 
w erden  der  Wände  die  unausbleibliche  Folge  davon  sein  wird  ;  ausserdem  ent- 
hält das  Strassenriunenwasser  an  und  für  sich  schon  eine  Menge  zerfliesslicher 
hygroskopischer  Salze. 

Backsteine  gehören  selbstverständlich  zur  Kategorie  des  gebrannten  Thons 


Ein  Kitt,  welcher  Holzgegenstände  vollkommen  wasserdicht  macht,  be- 
steht aus  3  Th.  Irischen  deübrinirten  Blutes  und  ^  Ti).  zu  Staub  gelöschten  Kalks 
nebst  einem  geringen  Zusatz   von  Alaun. 


Die  mechanische  Aufsaugung  des  Wassers.  129 

und  nehmen  "Wasser  sehr  begierig  auf  und  zwar  nicht  bloss  das  flüssige  des 
Bodens,  sondern  auch  das  in  der  Atmosphäre  als  Dampf  verbreitete;  je  stärker 
die  Ziegel  gebrannt  sind,  um  so  weniger  besitzen  sie  dies  Vermögen. 

Sandsteine  absorbiren  ebenfalls  die  Feuchtigkeit  und  können  nur  dann 
für  Häuserbauten  ohne  Xachtheil  benutzt  werden,  wenn  in  den  Umfassungs- 
mauern ein  hohler  Raum  angebracht  wird. 

Basalt  wirkt  eigentlich  nur  durch  seine  schlechte  Wärmeleitung,  wodurch 
er  befähigt  ist,  die  einmal  aufgenommene  Wärme  längere  Zeit  festzuhalten  und 
an  seiner  Oberfläche  die  Wasserdämpfe  der  ihn  umgebenden  wärmeren  Luft  nieder- 
zuschlagen; er  lässt  deshalb  die  Feuchtigkeit  in  einem  Räume  als  tropfbarflüssig 
erscheinen.  Will  man  Keller,  z.  B.  beim  Aufbewahren  des  Weines  u.  s.  w..  feucht 
halten,  so  mauert  man  sie  mit  Basalt  aus. 

Am  schlechtesten  ist  bezüglich  des  Wasseraufsaugungsvermögens  derPise- 
bau,  welcher  nicht  selten  aus  gewöhnlicher  Erde,  Schlamm  aus  Teichen,  Strassen- 
koth,  etwas  Lehm  und  sogar  xMistjauche  dargestellt  wird;  abgesehen  von  der 
hygroskopischen  Beschaffenheit  dieser  Substanzen  können  auch  die  verfaulten  or- 
ganischen Stoffe  von  Einfluss  sein.  Derartige  Gebäude  sind  meistens  als  Salpeter- 
anlagen zu  betrachten. 

Bei  Kellerwohnungen  wird  die  Feuchtigkeit  der  Fundamente  und  der 
aufsteigenden  Mauern  gewöhnlich  durch  das  Erdreich  bedingt;  auch  können  sie, 
wenn  darin  Wasserdämpfe,  z.  B.  durch  Kochen,  den  Aufenthalt  vieler  Menschen  und 
dergleichen,  entwickelt  werden,  die  Gesundheit  schädigen,  weil  alsdann  der  Wasser- 
dampf an  den  Wänden  condensirt  herabfliesst  und  hierdurch  eine  höchst  ungesunde 
Atmosphäre  erzeugt  wird.25) 

2)  Wasserstoffsuperoxyd  H202. 

Wasserstoffsuperoxyd  kommt  bei  gewissen  elektrischen  Zuständen  im  atmo- 
sphärischen Wasser  vor.  Schonbein  hat  überall,  wo  Ozonbildung  stattfindet,  auch  Wasser- 
stoffsuperoxyd frei  in  der  Natur  gefunden. 

Künstlich  wird  es  durch  Zersetzung  von  Bariumsuperoxyd  mit  verdünnter  Salz- 
säure dargestellt,  wobei  sich  Chlorbarium  bildet. 

Ba02  +  2C1H  =  BaCl2  +  H202. 

Durch  Verdunsten  der  wässerigen  Lösung  unter  der  Luftpumpe  erhält  man  eine 
farblose,  syrupartige  Flüssigkeit,  die  sich  schon  bei  15 —  20°  Wärme  zersetzt. 

H202  zeichnet  sich  wegen  der  leichten  Abgabe  des  0  durch  seine  oxydirende 
Wirkung  aus,  zerstört  deshalb  alle  organischen  Farben  und  bleicht,  indem  sein  0  an 
die  färbende  Substanz  tritt  und  mit  ihr  farblose  Verbindungen  bildet. 

Absolut  säurefreies  Wasserstoffsuperoxyd  soll  sich  monatelang  unzersetzt  auf- 
bewahren lassen  und  deshalb  Aussicht  auf  eine  vielseitigere  Verwendung  gewähren.26) 

Einwirkung  von  Wasserstoffsuperoxyd  auf  den  thierischen  Organismus.  Von 
einer  directen  Einwirkung  desselben  kann  wohl  keine  Rede  sein,  da  es  sofort  sein 
zweites  Sauerstoffmolecül  an  seine  Umgebung  abgibt;  bei  jeder  Berührung  mit 
einer  organischen  Substanz  zerfällt  es. 

Assmuth27)  hat  über  den  Einfluss  von  H202  auf  die  Ausscheidung  der 
Kohlensäure  experimentirt,  indem  dasselbe  in:s  Blut  eingespritzt  oder  in  den 
Magen  eingeführt  wurde;  er  glaubte  darnach  nur  eine  grössere  Eigenwärme  als 
Wirkung  annehmen  zu  müssen.  Dass  man  kein  bestimmtes  Resultat  bezüglich 
der  Menge  der  ausgeschiedenen  Kohlensäure  erhielt,  ist  erklärlich;  wenn  man  aber 
Spuren  von  H202  im  Harn  gefunden  haben  will,  so  ist  dies  wegen  seiner  leichten 
Zersetzbarkeit  unmöglich. 

Die  Einwirkung   von   Wasserstoffsuperoxyd    und    Ozon    ist    fast   identisch, 

Eulenberg,  Gewerbe -Hygiene.  9 


1  30  Sauerstoff  und  Wasserstoff. 

weshalb  die  Annahme  von  Schönbein  gerechtfertigt  erscheint,  dass  sich  bei  der 
Ozonisirung  feuchter  Luft  H202  erzeugt. 

Auf  den  Blutfarbstoff  wirkt  es  ebenso  zerstörend  wie  Ozon  ein,  indem  das 
Blut  braun  wird  und  in  Folge  einer  Bildung  von  Natriumoxalat  und  freier  Salz- 
säure sauer  reagirt  (s.  Ozon). 

Nach  Stoehr2s)  entsteht  bei  Berührung  von  säurefreiem  H202  mit  Blut 
eine  stürmische  Gasentwicklung,  wobei  die  Blutfarbe  rasch  durch  Gelbroth  in  ein 
blasses  Gelb  übergeht,  die  Flüssigkeit  nach  5 — 6  Minuten  ziemlich  klar  und  bei 
längerem  Stehen  farblos,  schwach  opalisirend  wird,  dabei  einen  graublauen 
Fluorescenzkegel  zeigt  und  am  Boden  ein  weisses  flockiges  Coagulum  absetzt. 

Diese  Erscheinungen  können  nur  durch  eine  sehr  energische  Einwirkung 
von  H202  hervorgerufen  werden;  das  weisse  Coagulum  besteht  aus  Albumin  und 
bildet  sich  immer  bei  der  Einwirkung  von  H202  auf  das  Blut.  Bei  schwachen 
Lösungen  erscheinen  die  Blutkörperchen  nur  geschrumpft  oder  gezackt,  während 
sie  bei  stärkern  Lösungen  schliesslich  ganz  zerstört  werden,  grade  wie  es  bei 
Ozonwirkuug  der  Fall  ist.  Die  weissen  Blutkörperchen  zeigen  keine  Veränderung; 
im  Spectrum  verschwinden  die  Hämoglobinstreifen  und  nur  bei  säurehaltiger 
Lösung  tritt  der  Häraatinstreif  im  Roth  auf. 

Nach  Stoehr  soll  das  Contagium  der  Diphteritis  und  des  Schankers  durch 
Wasserstoffsuperoxyd  vernichtet  werden;  die  morphologische  und  chemische  Ver- 
änderung der  Wundsecrete,  der  croupösen  und  diphtheritischen  Exsudate  durch 
HoO;  kann  als  das  Resultat  der  kräftigen  Oxydation  und  der  dadurch  entstehenden 
sauren  Producte  betrachtet  werden. 

Vorkommen  von  Wasserstoffsuperoxyd  in  der  Technik.  In  der  Technik  scheint 
H202  beim  Rasenbleichprocesse  und  bei  dem  durch  Elektricität  eingeleiteten 
Bleichprocesse  von  Zucker  und  Leinwand  dieselbe  Rolle  wie  Ozon  zu  spielen. 
Dass  bei  der  Rasenbleiche  H202  höchst  wahrscheinlich  mitwirkt,  geht  aus 
den  Untersuchungen  von  Heiur.  Struve  hervor.  Derselbe  hat  H202  nachge- 
wiesen im  Schnee,  Regenwasser  und  besonders  bei  starken  Gewitterregengüssen; 
auch  in  der  Luft  resp.  im  Wasserdampf  der  Luft  ist  H202  aufgefunden 
worden. 

Die  Methode,  nach  welcher  dasselbe  in  den  verschiedenen  Niederschlägen  der 
Atmosphäre,  sowie  in  der  Luft  aufgefunden  wird,  kann  als  eine  ziemlich  sichere  an- 
gesehen  werden. 

Bei  Schnee,  Regen  etc.  nimmt  Striae  100  C.  C.  des  zu  prüfenden  Wassers, 
setzt  demselben  4  Tropfen  einer  klaren  Lösung  von  Bleioxyd-Kali  und  alsdann  einige 
Tropfen  von  basisch  essigs.  Blei  zu,  bis  ein  deutlicher  Niederschlag  entstanden  ist; 
darauf  schüttelt  man  gut,  lässt  absetzen  und  sammelt  den  Niederschlag  nach  einigen 
Stunden  auf  einem  kleinen  Filter,  auf  welchem  man  ihn  mit  destillirtem  Wasser 
auswäscht.  War  in  chm  Walser  Wasserstoffsuperoxyd  auch  nur  spurweise  enthalten, 
so  hat  sich  dafür  eine  entsprechende  Menge  von  Bleisuperoxyd  gebildet-  Um  die 
Gegenwart  des  letztern  darzuthun,    nimmt  man  2  kleine  Porzellanschalen,    gibt  in  jede 

2  Tropfen  d<  stillirtes  Wasser  und  1  Tropfen  Jodkaliumstärkelösung  und  trägt  mittels 
eines  Glasstabes  eine  Spur  von  dem  erhaltenen  Niederschlage  in  jede  Porzellanschale  ein; 
ist  nur  eine  Spur  Bleisuperoxyd  vorhanden,  so  tritt  in  Folge  von  Abseheidung  freien 
Jod's  aus  dem  Jodkalium  eine  lebhaft  blaue  Färbung  von  Jodstärke  ein. 

Diese  Reaetion  kann  noch  empfindlicher  gemacht  werden,  wenn  man  1  Tropfen 
verdünnter  Essigsäure  zusetzt. 

Nach  Struve  enthält  das  Schnee-  und  Hagelwasser  mehr  davon  als  das 
Regenwasser  bei  Gewitterregen,  am  wenigsten  findet  sich  im  gewöhnlichen  Regen- 
wasser.   Um  in  der  Luft  dasselbe  nachzuweisen,  werden  Glasgefässe  mit  Eis  gefüllt 


Wasserstoffsuperoxyd.  1 3  l 

und  das  auf  die  Glaskugel  sich  niederschlagende  Wasser  prüft  man  alsdann  nach 
der  oben  angegebenen  Methode. 

Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  das  rasche  Bleichen  im  Februar,  März 
und  April,  die  sogenannte  Frühjahrsbleiche,  wobei  häufig  die  Stoffe  mit 
Wasser,  welches  von  Schnee  und  Hagel  herrührt,  getränkt  werden,  mit  der  Ein- 
wirkung von  Wasserstoffsuperoxyd  in  Verbindung  steht.  Es  trifft  diese  Erfahrung 
auch  mit  dem  hohen  Ozongehalt  der  Luft  in  diesen  Monaten  zusammen,  was 
ebenfalls  dafür  spricht,  dass  Ozon  Wasserstoffsuperoxyd  zu  erzeugen  vermag  und 
überhaupt  in  allernächster  Beziehung  zu  diesem  steht. 

Sauerstoff  und  Chlor. 

1)  Untercll lorige  Säure  HCIO  kommt  nur  in  wässriger  Lösung  vor:  frei  wird 
sie  erhalten,  wenn  man  Chlor  auf  mit  Wasser  geschlemmtes  Quecksilberoxyd  einwirken 
lässt,  wobei  das  entstehende  Quecksilberchlorid  mit  dem  Quecksilberoxyd  eine  schwer- 
lösliche Verbindung  eingeht. 

Die  freie  Säure  ist  ein  rötklichgelbes  Gas,  welches  wie  Chlor  riecht  und  durch 
Salzsäure  in  Chlor  und  Wasser  zerfällt. 

HCIO  +  HCl  =  H20  +  2C1. 

Einwirkung  der  unterchlorigen  Säure  auf  den  thierischen  Organismus.  Eine 
Taube  sitzt  unter  der  Glasglocke,  welche  mit  den  Dämpfen  der  unterchlorigen  Säure 
augefüllt  ist.  Sogleich  Blinzeln  mit  den  Augen  und  Schütteln  des  Kopfes,  Husten  und 
Putzen  der  Augen.  Nach  1  M.  Würgen,  Nasswerden  des  Schnabels,  Augen  geschlossen, 
Kothabgang  bei  beständigem  Husten.  Nach  3  M.  Schwanken  und  alsdann  Niedersitzen 
bei  unterdrückter  Respiration;  häufiges  starkes  Aufhusten.  Nach  5  M.  5  Iuspirat.  binnen 
1/i  M.;  nach  10  M.  Herausnahme  der  Taube.  Sie  bleibt  bei  beschwerlichem  Athmen 
auf  dem  Bauche  liegen;  nach  2  M.  6  beschwerliche  Inspirationen  bei  geringem  Schleim- 
rasseln; Augen  geschlossen.  Nach  4  M.  geht  sie  ein  paar  Schritte  schwankend  einher; 
aus  dem  Schnabel  fliesst  eine  schleimige  weisse  Flüssigkeit;  der  Athem  wird  immer  be- 
schwerlicher und  langsamer.  Nach  14  M.  leichte  Convulsionen  in  der  Rückenlage;  nach 
15  M.  Tod. 

Section  nach  24  Stunden.  Schädelhöhle:  die  vordem  Kopfknochen  blutig 
injicirt:  Hirnhäute  ziemlich  blutreich,  vorzüglich  aber  an  der  Basis  des  Gehirns.  Am 
hintern  Rande  der  linken  Hemisphäre  ist  ein  kleiner  Blutstropfen  aus  der  Dura  mater 
ausgetreten;  Plex.  ven.  spin.  mit  dickflüssigem,  schwarzem.  Blute  angefüllt.  Brust- 
höhle: das  Zellgewebe  in  der  Umgebung  der  Trachea  stark  injicirt;  Trachealsehleim- 
haut  in  der  obern  Hälfte  massig  injicirt,  in  der  untern  Hälfte  mit  einer  aufgelockerten 
Epithelialschicht  bedeckt,  nach  deren  Lösung  die  rothbraune  Schleimhaut  zu  Tage 
tritt.  Unterhalb  der  Theilung  lagert  ein  blutiger  Schaum ;  die  Oberfläche  der  Lungen 
sieht  mit  Ausnahme  der  Ränder  schmutzig  -  hellbraun  aus.  Auch  das  Parenchym 
hat  eine  ähnliche  Farbe  und  zeigt  auf  den  Durchschnittsflächen  dickflüssiges,  schwarzes 
und  mit  kleinen  geronnenen  Klümpchen  vermischtes  Blut;  nur  am  untern  Rande  der 
beiden  Lungen  ist  das  Parenchym  von  etwas  heller  Farbe.  In  beiden  Vorhöfen  des 
Herzens  dickflüssiges  schwarzrothes  Blut,  welches  in  dünnem  Schichten  dunkelkirschroth 
erscheint.  Die  Umrandung  der  Blutkügelchen  ist  vielfach  punctirt;  einzelne  sind  zer- 
fallen oder  contrahirt.  Unterleibs  höhle :  Leber  schwarz  dunkelbraun  und  ziemlich 
blutreich;  in  den  grossem  Venen  dickflüssiges  dunkles  Blut;  Nieren  normal. 

2)  Chlorige  Säure  HC10a  wird  durch  Erwärmen  eines  Gemenges  von  Kalinm- 
chlorat  mit  Arsenigsäureanhydrid  und  etwas  Salpetersäure  gewonnen.  Die  Temperatur 
darf  hierbei  nie  45—  50  °C.  übersteigen;  auch  darf  das  Gemenge  keine  Chloride  enthal- 
ten, weil  sonst  heftige  Explosionen  entstehen. 

Die  übergehenden  Dämpfe  müssen  in  einem  auf — 20  °  C.  abgekühlten  Gefässe  auf- 
gefangen werden:  sie  sehen  dunkel  grünlichgelb  aus,  5 — (i  Vol  davon  werden  von  I  V- 
Wasser  gelöst.  Es  bildet  sich  eine  rothbranne  Lösung  von  ätzendem,  schrumpfendem 
Geschmacke,  welche  gelbe  Flecke  auf  der  Haut  erzeugt  Beim  Erwärmen  oder  bei  Be- 
rührung mit  Schwefel,  Eisen,  Phosphor  und  Arsen  detonirt  die  gasförmige  Säure  sehr 
heftig,  worauf  bei  ihrer  Darstellung  sehr  zu  achten  ist;  sie  hat  kein  technisches  Inte- 
resse und  ist  nur  in  ihren  Salzen  bekannt. 

3)  Unterchlorsäure,  Chlorsäare-ChlorigsäureanhyiMd  C1304  entsteht,  wenn  die 
Salze  der  Chlorsäure  mit  Schwefelsäure  im  Wasserbade  erwärmt  werden;  es  ist  ein 
dunkelgelbes,  zwischen  60— 63  °  C.  explosives  Gas,  welches  sich  bei  —20  °  zu  einer 
rothen  Flüssigkeit  condensirt.    Bei  der  Darstellung  können  leicht  Explosionen  entstehen. 

9* 


132  Sauerstoff  und  Chlor. 

Einwirkung  des  Gases  auf  den  thierisehen  Organismus.  Eiue  Taube,  welche 
unter  der  Glasglocke  sass,  wurde  beim  Eindringen  der  Dämpfe  sehr  unruhig,  sprang  in 
die  Höhe,  blinzelte  mit  den  Augen  und  hustete  beständig.  Nach  5M.  Nasswerden  des 
Schnabels  und  beständiges  Husten  ;  nach  7  M.  starkes  Schwanken  nach  der  rechten 
Seite.  Nach  10  M.  hustet  sie  bei  jeder  Inspiration;  nach  '25  M.  angestrengte  Respiration 
bei  offenem  Schnabel;  der  Husten  klingt  jetzt  heiser  und  trocken.  Nach  30  M.  Heraus- 
nahme der  Taube.  Die  Atmosphäre  der  Glocke  hatte  bis  zum  Schlüsse  des  Experi- 
mentes eine  gelbliche  Farbe  behalten.  Der  Husten  halt  an  und  hat  einen  heisern 
Bräune-Ton  j  Schleim  flieset  aus  den  Nasenlöchern  und  die  Augenlieder  sind  geschwollen. 
Fresslust  nicht  gestört;  beschwerliche  Respiration  und  ein  heiserer  Husten  halten  bis  zum 
7.  Tage  bei  starkem  Durste  an.  Erst  nach  28  Tagen  ist  die  Respiration  normal;  weitere 
Nachkrankheiten  traten  nicht  ein. 

4)  Chlorsäure  HC103  ist  nur  in  wässriger  Lösung,  welche  stark  sauer  reagirt,  be- 
kannt; man  erhält  sie  durch  Zersetzung  des  in  Wasser  gelösten  Bariumchlorats  mittels 
Schwefelsäure. 

ßa  VC103)2  -f-  H2S04  =  BaSCu  +  HC103. 

Der  Chlorsäure  entsprechen  die  Brom-  und  Jodsäure,  welche  in  analoger  Weise 
dargestellt  werden.  Die  chlorsauren  Salze  sind  sämmtlich  in  Wasser  löslich;  das 
chlorsaure  Kalium  ist  das  bekannteste  unter  ihnen. 

Chlorsaures    Kalium,    Kali  umchlorat    KC103,    Kali   chloricum  wird    in 
Laboratorien  durch  Einleiten  von  Chlor    in    eine   heisse  concentrirte  Kalilauge  erhalten; 
das  sich  dabei  bildende  Kaliumchlorid  wird  durch  Umkrystallisiren  entfernt. 
6KHO  +  6C1  =  5KC1  H-  KC103  +  3H20. 

j)  Ueberelllorsäure  HCIO4  wird  durch  Destillation  von  überchlorsaurem  Kalium  mit 
dem  vierfachen  Ueberschuss  von  Schwefelsäure  gewonnen.  Das  zuerst  übergehende 
Destillat  erstarrt;  unterwirft  man  dieses  einer  nochmaligen  Destillation,  so  spaltet  es  sich 
in  zwei  Flüssigkeiten:  1)  in  die  reine  Ueberchlorsäure  HC104  als  eine  bei  110° 
siedende,  an  der  Luft  rauchende  und  ätzende  Flüssigkeit,  welche  mit  wenig  Wasser 
nadeiförmige  Krystalle  mit  1  Mol.  Wasser  liefert;  diese  haben  die  Zusammensetzung 
HCIO4  -f-  H20;  2)  in  eine  bei  203°  siedende  ölige  Flüssigkeit  mit  2  Mol.  Wasser: 
HC104  -f-  2H30. 

Der  Ueberchlorsäure  entsprechen  die  Ueberbrom säure  HBr04  und  Leber- 
jodsäure HJO4. 

Einwirkung  der  Ueberchlorsäure  auf  den  thierisehen  Organismus.  1)  Eine 
mittelgrosse  Taube  sitzt  unter  der  Glasglocke.  Sobald  die  Dämpfe,  welche  durch  De- 
stillation von  überchlorsaurem  Kalium  mit  Schwefelsäure  dargestellt  wurden,  in  die 
Glocke  dringen,  entsteht  Blinzeln  mit  den  Augen  und  Husten.  Nach  4  M.  beständiger, 
sehr  erschütternder  Husten;  nach  15  M.  dieselben  Erscheinungen,  nur  fliesst  viel  Schleim 
aus  dem  Schnabel.  Herausnahme  der  Taube,  weil  die  Entwicklung  der  Dämpfe  auf- 
hörte ;  sie  behält  noch  3  Stunden  lang  einen  bald  feuchten,  bald  trocknen  Husten, 
welcher  am  andern  Tage  seltner  wird,  während  die  Stimme  heiser  bleibt.  Am  3.  Tage 
sind  alle  krankhaften  Erscheinungen  verschwunden. 

2 )  Eine  mittelgrosse  Taube  sitzt  unter  der  Glocke.  Sobald  die  Dämpfe  der  Säure 
in  die  Glocke  dringen,  entsteht  Blinzeln  mit  den  Augen  und  Husten;  nach  4  M.  heftiger, 
erschütternder  Husten.  Nach  7  M.  7  mit  Husten  begleitete  Exspirationen  binnen  '/j  M. ; 
nach  15  M  sind  noch  dieselben  Erscheinungen  vorhanden.  Herausnahm  e  der  Taube, 
welche  ebenfalls  3  Stunden  lang  noch  einen  bald  feuchten,  bald  trocknen  Husten  behält. 
Am  folgenden  Tage  ist  der  Husten  seltner,  aber  die  Stimme  noch  heiser;  am  3.  Tage 
ist  die  Taube  wieder  hergestellt. 

Halt  man  eine  Rückschau  auf  die  Wirkung  der  Chlorsäuren  in  physiolo- 
gischer Beziehung,  so  ist  die  unterchlorige  Säure  auf  gleiche  Stufe  mit  dem 
Chlor  zu  stellen,  weil  sie  eine  Quelle  von  freiem  Chlor  ist.  Man  könnte  sie  als 
Paradigma  für  die  Chlorwirkung  aufstellen,  wenn  mau  namentlich  den  Obductions- 
befuud  beim  obigen  Versuche  in  Betracht  zieht;  denn  es  liess  sich  hier  ganz  ent- 
schieden nur  die  Wirkung  des  Chlors  nachweisen.  Nirgends  bot  das  Lungen- 
gewebe die  feste  und  dichte  Beschaffenheit  dar,  welche  entsteht,  wenn  Chlor  in 
Salzsäure  übergegangen  ist  und  als  solche  eingewirkt  hat.  Dabei  zeigte  sich  die 
reizende  Wirkung  auf  die  Schleimhaut  der  Luftröhre  in  besonders  prägnanter 
Weise  an  der  Auflockerung  des  Epitheliums ;  auch  das  Blut  war  wie  bei 
Chlor  dickflüssig  und  duukel.     Je  höher  die  Oxydation  steigt,  desto  mehr  spricht 


Unterchlorige  Säure.  133 

sich  die  reine  Säureeinwirkung  aus;  damit  tritt  die  Wirkung  der  Säure  in  den  Vorder- 
grund und  die  des  Radicals  in  den  Hintergrund.  Die  Unterchlorsäure  macht 
gleichsam  den  Uebergang  und  lässt  kaum  noch  die  charakteristische  Einwirkung 
von  Chlor  erkennen,  da  selbst  eine  Taube  den  Dämpfen  derselben  30  Minuten 
lang  ohne  bleibenden  Schaden  ausgesetzt  werden  konnte.  Die  Chlorsäure  ist 
an  und  für  sich  nicht  flüchtig  und  kann  daher  als  Dampf  nicht  inhalirt  werden. 
Die  Ueberchlor säure  wirkte  auf  die  Versuch sthiere  nur  reizend  ein,  indem 
dadurch  ein  anhaltender  Husten  hervorgerufen  wurde;  aber  selbst  Tauben  konnten 
15  Minuten  lang  in  den  Dämpfen  derselben  verweilen,  ohne  nachhaltig  afficirt 
zu  werden;  auch  verloren  sich  der  Husten  und  die  heisere  Stimme  nach  dem  Ver- 
suche weit  schneller  als  nach  der  Einwirkung  der  Unterchlorsäure. 

Industrie  der  unterchlorig-  und  chlorsauren  Alkalien. 

Die  unterchlorigsauren  Alkalien  kommen  nur  in  Lösungen  vor.  da  sie  sich 
beim  Eindampfen  zersetzen.  Man  unterscheidet  in  der  Technik  das  unter- 
chlorigsaure  Kalium  (Eau  de  Javelle)  und  das  unterchlorigsaure  Na- 
trium (Eau  de  Labarraque);  Grouvellers  Bleichflüssigkeit  ist  unter- 
chlorigsaures  Magnesium. 

Bei  der  Darstellung  der  Bleichflüssigkeiten  wird  das  Chlor  wie  bei 
der  Chlorfabrication  gewonnen  und  aus  dem  Entwicklungsgefässe  in  einen  Ballon 
geleitet,  welcher  eine  Lösung  von  Kalium-  oder  Natriumcarbonat  enthält.  Indem 
sich  unterchlorigsaures  Kalium  und  Chlorkalium  unter  Entweichen  von  Kohlen- 
säure bilden,  fährt  man  mit  der  Einleitung  des  Chlors  nur  so  lange  fort,  bis  noch 
einige  Procente  der  unzersetzten  kohlensauren  Alkalien  zurückbleiben. 

Häufig  versetzt  man  auch  Chlorkalk,  welchen  man  von  seinen  unlöslichen 
Theilen  befreit  hat,  mit  den  kalten  Lösungen  der  kohlensauren  Alkalien,  wobei 
sich  dann  durch  gegenseitige  Zersetzung  unterchlorigsaures  Alkali  und  Calcium- 
carbonat bilden;   letzteres  wird  als  unlöslich  durch  Decantiren  abgeschieden. 

In  sanitärer  Beziehung  kommen  die  bei  der  Chlordarstellung  angegebenen 
Vorsichtsmassregeln  zur  Beachtung.  Nach  der  Grösse  des  Betriebes  richten  sich 
auch  die  Apparate;  die  Rückstände,  die  Manganlaugen,  sind  selbstverständ- 
lich dieselben;  einfacher  und  weniger  belästigend  ist  deshalb  die  zweite  Methode 
der  Darstellung  mittels  Chlorkalks. 

Verwendung  finden  die  Bleich flüssigkeiten  in  derselben  Weise  wie  der 
Chlorkalk;  es  sind  daher  auch  hauptsächlich  die  Stoffe  von  vegetabilischen 
Fasern,  welche  damit  behandelt  werden. 

Chlorsaures  Kalium,  Kaliumchlorat  KC103.     Im  Grossen  wird   es  durch  Ein- 
leiten von  Chlor  in  einen  dünnen  Brei  von  Calci urnhydrat  (Kalkmilch)  und  Chlor- 
kalium dargestellt;    es  entsteht  zunächst  chlorsaures  Calcium,  welches  durch 
Chlorkalium  in  Chlorcalcium  und  chlorsaures  Kalium  übergeführt  wird. 
6Ca(HO)2  -1-  6C12  =  5CaCl2  +  Ca(C103)2  +  6H,0 
Ca(C103)2  +  2KC1  =  CaCl2  -f  2KC103. 
Das  Salz  stellt  kleine  glänzende  Blättchen  dar;  die  reichlichen  Rückstände 
von  Chlorcalcium  sind  hierbei  zu  beachten,  da  sie  niemals  frei  abfiiessen  dürfen. 

Das  Kaliumchlorat  ist  eines  der  stärksten  Oxydationsmittel  und  erzeugt  in 
Verbindung,  mit  manchen  Körpern  eine  heftige  Explosion,  wenn  ein  Schlag  oder  Stoss 
einwirkt  Hierher  gehören :  1 )  einfache  Körper,  wie  Schwefel,  Phosphor,  Arsen,  Selen 
und  Tellur:  2)  die  zusammengesetzten  Körper,  wie  die  meisten  Schwefelmetalle,  Schwefel- 


134  Sauerstoff  und  Chlor. 

antimon,  Schwefelblei,  Schwefelquecksilber,  Schwefelarsen  etc  ;  3)  organische  Körper, 
wie  Zucker.  Stärkemehl  und  arabischer  Gummi;  4)  organisch-saure  Salze,  wie  pikrin- 
saures  Kalium.  Wird  es  mit  letzterm  zusammengerieben,  so  entsteht  eine  furchtbare  Ex- 
plosion; die  Kenntniss  dieser  Thatsachen  ist  sehr  wichtig,  um  die  Entstehung  vieler 
möglichen  Unglücksfalle  zu  verhüten.  Von  verschiedenen  Säuren  wird  Kai.  chloric.  mit 
Heftigkeit  zersetzt,  z.  B.  mit  concentrirter  Schwefelsäure  explosionsähnlich  :  mit  Salz- 
säure entwickelt  es  Chlor. 

KClOs  +  6HC1  =  KCl  -+-  3H20  +  6C1. 

Eine  technische  Verwendung  findet  es  bei  der  Darstellung  von  Zünd- 
massen, namentlich  bei  der  Darstellung  der  phosphorfreien  Streichhölzchen, 
sowie  in  der  Lustfeuerwerkerei  und  in  der  Kriegsfeuerwerkerei  zur  Erzeu- 
gung von  brillanten  Buntfeuern  oder  Signalfeuern,  je  nachdem  man  zu  einem 
Geraenge  von  chlorsaurem  Kalium  und  Schwefel  oder  Schwefelnatrium  etc.  noch 
salpetersaure  Strontianerde  (rothe  Farbe)  oder  Kupferoxyd  (blaue  Farbe)  oder 
salpeters.  Barium  (grüne  Farbe)  zusetzt;  durch  Vermischeu  dieser  Salze  erzeugt 
man  die  verschiedensten  Farben. 

Eine  grosseBedeutung  hatKaliumchlorat  für  die  Darstellung  derZündspiegel- 
sätze  bekommen,  welche  durch  die  vorschnellende  Züudnadel  explodiren  und  aus 
chlorsaurem  Kalium  uud  Schwefelantimon  bestehen.  Häufig  wählt  man  von 
ersterm  5  und  von  letzterm  4  Th.;  hierbei  bilden  sich  bei  der  Verpuffung  Anti- 
monoxyd und  schweflige  Säure. 

Der  in  Preussen  gebräuchliche  Züudpillensatz  soll  aus  ä  Th.  chlor- 
saurem Kalium,  4  Th.  Schwefelautimon  und  etwas  Schwefel  bestehen;  auch  be- 
nutzt man  an  andern  Orten  Gemenge  von  chlorsaurem  Kali,  Schwefelantimon, 
Zucker,  Blutlaugensalz  und  Bleisuperoxyd. 

Bei  grössern  Quantitäten  ist  stets  die  feuchte  Bearbeitung  durchaus 
erforderlich,  indem  nur  das  mit  Wasser  und  dünnem  Kleister  vermengte  chlorsaure 
Kalium  den  übrigen  Bestandtheilen  hinzuzufügen  ist.  Das  Mengen  geschieht 
auf  Papier  mittels  eines  Holzspatels;  das  trockne  Mengen  sollte  auch  bei  kleinen 
Quantitäten  verboten  werden.  Aus  der  teigigen  Masse  formt  man  Stangen  auf 
einem  Brettchen  und  presst  aus  diesen  die  Zündpilleu  mittels  einer  Kugelform 
von  entsprechender  Grösse  aus,  um  sie  in  die  Höhlungen  der  Spiegel  einzulegen, 
wenn  man  nicht  den  Gebrauch  einer  siebartigen,  durch  eine  verschiebbare  Platte 
verschlossenen  Metallplatte  vorzieht.  In  letzterm  Falle  drückt  man  die  Masse, 
nachdem  die  Platte  weggenommen  worden,  in  die  unten  bereit  stehenden  Spiegel, 
in  welche  sie  zum  Trocknen  gelangen.  Das  Einpressen  der  Zündmasse  in 
die  Spiegel  geschieht  durch  Aufdrücken  eines  dreikantigen  Stempels  mittels  einer 
Hebelpresse,  nachdem  man  die  Zündmasse  mit  lose  eingelegten  Pillen  in  eine 
passende  Stanze  gebracht  hat,  Da  der  Stempel  so  construirt  ist,  dass  bei  einer 
etwaigen  Explosion  das  Entweichen  der  Gase  stattfindet,  so  ist  diese  Arbeit  mit 
keiner  Gefahr  verbunden. 

Die  Militär zündna de lpatrone  besteht  aus  dem  Geschoss,  dem  Zündspiegel, 
der  Zündpille,  der  Pulverladung  und  der  Papierhülse  mit  einem  Tuchboden. 

Die  Chassepotpatronen  enthalten  Zündhütchen  mit  Knallquecksilber:  die 
dazu  gebräuchlichen  Mischungen  bestehen  im  Allgemeinen  aus  chlorsaurem  Kali.  Knall- 
quecksilber, Salpeter,  Schwefel,  Leim  oder  Gummi  (s.  Zündhütchenfabrication). 

In  der  artilleristischen  Technik  hat  das  chlorsaure  Kalium  eine  beschränkte 
Anwendung,  weil  durch  ein  solches  Pulver  die  eisernen  Läufe  der  Feuerwaffen  zu  stark 
angegriffen,  auch  die  Mannschaften  bei  der  Bedienung  der  Geschütze  durch  das  frei- 
werdende Chlor  zu  sehr  belästigt  werden. 

Man  hat  verschiedene  Compositionen  für  solche  Pulversorten  angegeben,  bei  denen 
das  chlorsaure  Kalium  häufig  den  Salpeter  ersetzt.  Am  meisten  bekannt  ist  das  weisse 
Pulver  von   Au<jendrr,    welches   aus  chlorsaurem  Kalium,    Blutlaugensalz   und   weissem 


Schwefel.  135 

Zucker  besteht;  es  soll  gefahrlos  sein,  wenn  es  ganz  frei  von  beigemengten  Kohlen- 
oder Schwefeltheilchen  ist,  eine  Angabe,  welcher  jedoch  von  mancher  Seite  widersprochen 
wird.  Sicher  ist,  dass  Manipulationen  mit  grösseren  Quantitäten  aller  Mischungen  von 
chlorsaurem  Kalium  namentlich  in  der  Sprengtechnik  mit  vielen  Gefahren  verbunden  sind. 

Ausser  in  Feuerwerksmischungen  ist  die  Benutzung  des  Kaliumchlorats  als 
Oxydationsmittel  und  Sauerstoffquelle  in  Laboratorien  und  chemischen 
Fabriken  nicht  minder  wichtig. 

In  der  Zeugdruckerei  dient  es  wie  Chlorkalk  zur  Erzeugung  gewisser 
Farbennüancen.  Zu  diesem  Zwecke  werden  die  mit  der  Farbe  aus  Kaliumchlorat 
gedruckten  Zeuge  einem  Dampfdrucke  von  einigen  Atmosphären  ausgesetzt,  wobei  das 
Kaliumchlorat  sich  zersetzt  und  oxydirend  resp.  zerstörend  auf  den  Farbstoff  ein- 
wirkt, so  dass  Veränderungen  desselben  die  nothwendigen  Folgen  sind;  diese  sind 
jedoch  vorher  uicht  zu  bestimmen  und  daher  durch  kleine  Proben  zu  ermitteln. 
Die  früheren  Tauchzündhölzchen  beruhten  auf  der  Zersetzung  des  Kalium- 
chlorats mittels  Schwefelsäure. 

Ueberchlor saures  Kalium,  Kaliumhyperclilorat  (RC104)  erhält  man  durch  Er- 
hitzen von  chlorsaurem  KaHum  auf  ungefähr  360°.  Das  gleichzeitig  auftretende  Chlor- 
kalium wird  durch  Umkrystallisiren  ausgeschieden:  es  ist  in  kaltem  Wasser  viel  schwerer 
löslich  als  in  heissem. 

Seine  Verwendung  ist  viel  beschränkter  als  die  von  Kaliumchlorat,  obgleich  es 
sich  ähnlich  wie  dieses  verhält,  sich  aber  nicht  so  leicht  zerlegt. 


Schwefel  S. 


Der  Schwefel  kommt  im  Mineralreich  in  grösster  Verbreitung  vor;  die  Glänze, 
Kiese  oder  Blenden  bilden  die  eigentlichen  Schwefelerze  oder  Schwefelmetalle.  In 
gediegenem  Zustande  findet  er  sich  in  Italien  (Sicilien),  Croatien,  Polen,  Lüneburg,  am 
rothen  Meere  u.  s.w.;  in  vulcanischen  Eruptionen:  in  den  sogenannten  Solfataren 
fehlt  er  nie.  Der  erdige  Schwefel  ist  mit  fremden  Mineralien,  der  grüne  oder 
rothe  natürliche  mit  bituminösen  Substanzen,  Arsen  oder  Selen  gemengt. 

Die  Bergleute,  welche  in  Schwefelgruben  (Solfaren)  arbeiten,  heissen  in  Italien 
Picconieri,  weil  sie  sich  zum  Ausspalten  der  Schwefelerze  aus  den  Gängen  eines 
schweren  Hammers  (Piccone)  bedienen;  nur  sehr  selten  und  zwar  bei  einer  Gangart 
aus  dem  härtesten  Kalkstein  bedient  man  sich  des  Schiesspulvers  zum  Sprengen.  Die 
Breite  der  Galerien  beträgt  2  —  21/2  M.,  während  die  Höhe  von  der  Dicke  und  Härte 
des  umschliessenden  Gesteins  abhängt;  um  sie  vor  dem  Einstürzen  zu  sichern,  unter- 
stützt man  die  Wände  durch  Mauerwerk.  Der  Transport  der  Erze  geschieht  durch 
acht-  bis  zehnjährige  Jungen  (Manuali),  welche  das  Erz  auf  Schulter  und  Rücken  tragen. 
Bei  100  M.  tiefen  Gruben  muss  man  schon  zur  Bewältigung  des  Wassers  zu  Maschinen 
seine  Zuflucht  nehmen,  abgesehen  von  den  gesundheitsschädlichen  Einflüssen,  welche  hier 
einwirken.      Nur    in    wenigen    Schwefelgruben    sind    die    hierzu    nothwendigen    Fahr- 

falerien  resp.  die  Förderungen  in  Schachten  eingeführt,  obgleich  in  neuerer  Zeit  der 
ortschritt  hierin  nicht  zu  verkennen  ist.  Das  geförderte  Erz  wird  an  der  Mündung 
der  Schwefelgrube  auf  Haufen  geworfen,  welche  dann  von  besonderen  Beamten  ge- 
messen werden.  1) 

Schwefel  ist  ferner  ein  nie  fehlender  Bestandtheil  des  Pflanzen-  und  Thierreichs. 
Unter  den  Pflanzen  sind  es  besonders  die  Cruciferen,  die  Zwiebel,  der  Knoblauch,  die 
Asa  foetida  u.s.  w. ,  welche  schwefelreiche  Verbindungen   enthalten:    alle  Proteine   oder 

!)rotein ähnliche  Verbindungen  enthalten  Schwefel.  In  den  Ausdünstungen  des  mensch- 
ichen  Körpers  und  unter  den  Gasen  im  Darmcanal  zeigt  sich  mehr  oder  weniger 
Schwefel  in  der  Pbrm  von  H2S. 

Aus  den  schwefelsauren  Salzen  des  Bodens,  welche  wohl  nirgends  fehlen,  gelangt 
der  Schwefel  in  die  Pflanzen  und  alsdann  weiter  mittels  der  vegetabilischen  Nahrungs- 
mittel in  den  Thierkörper. 

Der  Schwefel  ist  im  Wasser  unauflöslich,  geschmack-  und  fast  ganz  geruchlos; 
wird  er  gerieben,  so  verflüchtigen  sich  in  Folge  der  durch  Reibung  entstandenen  Wärme 
Schwefeltheilchen,  welche  den  bekannten  Schwefelgeruch  haben.  In  Aether  und  Alkohol 
ist  er  schwer,  in   ätherischen  Flüssigkeiten    und   beim  Sieden  leichter  und  in  Schwefel- 


13fi  Schwefel. 

kohlenstoff  bei  gewöhnlicher  Temperatur  sehr  leicht  Löslieh;  aus  der  Lösung  krystalli- 
sirt  er  in  Octaedern. 

Wird  der  Schwefel  auf  160°  erhitzt,  so  wird  er  dickflüssig  und  bei  -f-  230°  ztiha ; 
über  diese  Temperatur  hinaus  erhitzt,  wird  er  dünnflüssiger.  Giesst  man  ihn  alsdann  in 
einem  dünnen  Strahl  in  kaltes  Wasser,  so  entsteht  eine  dunkelbraune,  durchsichtige  und 
elastische  Masse,  welche  erst  nach  längerer  Zeit  fest  wird  und  die  ursprüngliche  Farbe 
wieder  bekommt,  aber  amorph  ist:  dieser  amorphe  Schwefel  ist  in  Schwefelkohlen- 
stoff unlöslich  und  geht  allmahlig  theilweise  in  octaedrischen  Schwefel  über.  Bei 
langsamer  Erkaltung  des  geschmolzenen  Schwefels  entstehen  Krystalle  von  rhombi- 
schen Prismen,  welche  jedoch  wiederum  in  Octaeder  übergehen. 

Der  Schwefel  siedet  bei  420°,  wobei  er  aber  mit  der  Luft  nicht  in  Berührung 
kommen  darf,  da  sein  Entzündupgspunct  weit  unter  seinem  Siedepunct,  nämlich  bei 
260°  liegt:  das  Entzündungsproduct  ist  Schwefligsäureanhydrid  S02.  Hält  man  bei  der 
Destillation  des  Schwefels  die  Vorlage  recht  kühl,  so  condensiren  sich  die  Dämpfe  zu 
einem  gelben  Pulver,  welches  man  Schwefelblumen  nennt;  sie  sind  zum  Theil  amor- 
pher Schwefel,  daher  in  Schwefelkohlenstoff  nicht  vollständig  löslich.  Erwärmt  sich  aber 
die  Vorlage  bis  zu  111°,  so  verdichtet  sich  der  Schwefel  zu  einer  Flüssigkeit,  welche  zu 
krystallinischem  Schwefel  erstarrt. 

Die  leichte  Entzündlichkeit  des  Schwefels  ist  seit  den  ältesten  Zeiten  bekannt, 
weshalb  ihn  Paracelsus  für  die  wahre  Feuermaterie  ansah,  an  deren  Stelle  das  später  von 
Stahl  angenommene  Phlogiston  trat;  man  sah  es  als  denjenigen  Bestandtheil  einer 
Substanz  an,  durch  welchen  sie  erst  zum  Verbrennen  befähigt  war,» bis  späterhin 
durch  die  Entdeckung  des  Sauerstoffs  die  antiphlogistische  Theorie  begrün- 
det wurde. 

Der  Schwefel  ist  in  seinem  chemischen  Verhalten  dem  Sauerstoff  am  ähnlichsten, 
da  er  sich  mit  allen  übrigen  Elementen,  namentlich  mit  den  Metallen  verbindet;  fast 
immer  erfolgt  diese  Verbindung  unter  Feuererscheinung,  wenn  der  Schwefel  dampfförmig 
einwirkt. 

Einwirkung  der  Schwefel  dämpfe  auf  den  thierischen  Organismus,  l  Drachme 
Schwefel  wurde  bei  einer  Temperatur,  welche  120°  nicht  überstieg,  geschmolzen;  die 
sich  bildenden  Dämpfe  wurden  in  die  Glasglocke,  unter  welcher  sich  ein  mittelgrosses 
Kaninchen  befand,  geleitet.  Schon  nach  1  M.  trat  ein  Thränen  und  Blinzeln  der  Augen 
ein.  Nach  2  M.  ruhiges  Verhalten  in  der  Bauchlage;  15  sehr  unregelmässige  Inspira- 
tionen. Nach  24  M.  hatte  sich  der  Schwefel  an  der  Nasenöffnung  abgelagert;  häufiges 
Schliessen  der  Augen.  Nach  %  Stunden  18  unregelmässige  Inspirationen;  stärkere  Rei- 
zung der  Augen  trat  nicht  ein.  Bei  der  darauf  folgenden  Herausnahme  zeigte  sich  nichts 
Auffallendes;  das  Kaninchen  blieb  gesund. 

Wir  selbst  empfanden  nach  der  Einwirkung  der  Dämpfe  ausser  einem  ge- 
linden Kratzen  im  Halse  ein  leichtes  Brennen  in  den  Augen,  welches  zum  Wischen 
uöthigte,  grade  als  ob  ein  fremder  Körper  in's  Auge  gerathen  wäre;  bei  vielen 
Menschen  steigert  sich  jedoch  die  Reizung  der  Augen  nicht  selten  zu  einer  wirk- 
lichen Conjunctivitis  mit  starker  Thränenabsonderung. 

Bei  einzelnen  Arbeitern,  welche  sich  beständig  mit  dem  Auflösen  des 
Schwefels  beschäftigen  und  längere  Zeit  der  Einwirkung  der  Schwefeldämpfe  aus- 
setzen, kann  sich  eine  heftige,  bis  zur  Blenorrhoe  steigende  Augenentzün- 
dung ausbilden.  Manche  Menschen  sind  in  dieser  Beziehung  so  empfindlich  für 
die  Einwirkung  des  Schwefels,  dass  häufig  schon  das  in  der  Nähe  der  Augen  auf 
Stirn  und  Nase  abgelagerte  Schwefel  pul  ver,  wenn  dasselbe  als  Schüttelmixtur 
gegen  Hautreizungen  angewendet  wird,  die  Augen  afficirt,  ohne  dass  man  das 
etwaige  Hineinfallen  des  Schwefelpulvers  in  die  Augen  beschuldigen  kann.  Wahr- 
scheinlich hängt  diese  Erscheinung  mit  dem  baldigen  Uebergange  des  fein  ver- 
theilten  Schwefels  in  schweflige  Säure  zusammen,  da  diese  ebenfalls  Reizun- 
gen der  Conjunctiva  erzeugt  (s.  schweflige  Säure). 

In  Frankreich  finden  die  Schwefelblumen  eine  ausgedehnte  Verwendung  als  Mittel 
gegen  die  Traubenkrankheit,  welcher  der  bekannte  Pilz  Oidium  Tuckeni  zu 
Grunde  liegt;  um  den  Schwefel  aufzustäuben,  bedient  man  sich  der  sogen.  Troddel- 
büchsen, welche  ein  conisches,  mit  einem  durchlöchertet!  Deckel  versehenes  Rohr  aus 
Weissblech  darstellen  und  mit  Schwefclblumen  halb  gefüllt  sind.   Auf  dem  Deckel  sind 


Gewinnung    dos  Schwefels.  137 

Wolldochte  wie  die  Borsten  eines  Pinsels  befestigt:  beim  Schütteln  dringt  der  Schwefel 
zwischen  den  Dochten  sehr  vertheilt  aus. 

Auch  bedient  man  sich  eines  Blasebalgs  ohne  Ventil,  welcher  beim  Zudrücken 
durch  den  vorderen  Ansatz,  einen  siebartigen  Behälter,  den  Schwefelstaub  austreten  lässt. 

Bei  diesem  Verfahren  sind  die  Arbeiter  stets  dem  Schwefelstaube  ausgesetzt 
und  hat  die  Erfahrung  die  charakteristische  Einwirkung  desselben  auf  die  Augen 
hinreichend  bewiesen.  Es  bildet  sich  hierbei  häufig  eine  Conjunctivitis  aus,  wobei 
die  Augen  anschwellen  und  starker  Thränenfiuss  eintritt;  bei  grosser  Lichtscheu 
verbreiten  sich  strahlende  Schmerzen  von  den  Augen  nach  der  Stirugegend  hin 
und  exaeerbiren  namentlich  im  Sonnenschein,  wohingegen  die  Erscheinungen  wäh- 
rend der  Nacht  nachlassen;  auch  kaltes  Wasser  erleichtert  die  Krankheit,  Diese 
Nachtheile  würden  vermieden  werden,  wrenn  man  den  Schwefel  mittels  eines 
Wasserstauberzeugers  (Pulverisateur)  appliciren  würde. 2) 

Die  Ausbringung  des  Schwefels.  Man  unterscheidet  die  Gewinnung  des 
Schwefels  aus  Schwefelerzen  und  aus  Kiesen. 

1)  Die  Gewinnung  des  Schwefels  aus  Schwefelerzen.  In  Sicilien 
wurden  früher  die  Schwefelerze  in  grossen  Meilern  (Calcarelle)  verbrannt,  wobei 
die  benachbarten  Felder  durch  die  auftretende  schweflige  Säure  ausserordentlichen 
Schaden  erlitten;  gegenwärtig  bedient  man  sich  mehr  einer  Art  von  Schacht- 
öfen (Calcaroni),  welche  aber  in  sanitärer  Beziehung  noch  Vieles  zu  wünschen 
übrig  lassen.     Meistens  giesst  man  den  geschmolzenen  Schwefel  in  grosse  Brote. 

Das  Bestreben,  die  Oefen  zu  verbessern  und  den  Verlust  an  Schwefel  zu  ver- 
meiden, macht  sich  auch  in  Italien  geltend.  Am  meisten  Aussicht  auf  Erfolg  verspricht 
die  von  den  Gebrüdern  Thomas  in  Palermo  eingeführte  Methode,  den  Schwefel  durch 
gespannten  Wasser  dampf  aus  den  Erzen  auszuschmelzen.  3) 

In  andern  Gegenden  von  Italien,  z.  B.  in  einigen  Solfaren  der  Romagna,  bedient 
man  sich  gusseiserner  Retorten  und  Vorlagen,  welche  man  paarweise  aufstellt  und  daher 
Doppion i  nennt;  dies  ist  eine  rohe  Art  der  Destillation,  wobei  mit  dem  Schwefel  noch 
viele  erdige  Theile  vermischt  bleiben. 

2)  Gewinnung  des  Schwefels  aus  Kiesen.  Bei  seiner  bergmänni- 
schen Gewinnung  ist  zunächst  der  Umstand  beachtenswerth ,  dass  die  Ein- 
wirkung des  atmosphärischen  Sauerstoffs  in  Schwefelkiesgruben  chemische  Pro- 
cesse  veranlassen  kann,  welche  eine  sanitäre  Würdigung  verdienen.  Erstlich 
werden  die  blossgelegten  Lager  durch  den  atmosphärischen  Sauerstoff  bei  Gegen- 
wart von  Wasser  theilweise  oxydirt,  d.  h.  in  schwefelsaures  Eisenoxydul  und  freie 
Schwefelsäure  verwandelt;  letztere  kann  auf  die  theilweise  entschwefelten  Kiese 
in  der  Art  einwirken,  dass  eine  Entwicklung  von  Schwefelwasserstoff  die  Folge 
ist.  Kommt  der  Schwefelkies  in  feiner  Zertheilung  vor,  sei  es  nun  in  einer 
Thon-  oder  Braunkohlenschicht,  so  kann  nach  der  Förderung  zweitens  durch 
die  energische  Einwirkung  des  atmosphärischen  Sauerstoffs  •  sogar  eine  Entzün- 
dung stattfinden,  welche  dann  Veranlassung  zur  Entwicklung  schwefliger  Säure 
gibt.  Unter  denselben  Umständen  können  auch  angehauene  Lager  resp.  auf- 
gefahrne  Strecken  zur  Entzündung  kommen;  ist  ein  solcher  Brand  entstanden, 
so  kann  nur  ein  Abschliessen  der  atmosphärischen  Luft  durch  Decken  der  Luft- 
schächte ihn  löschen.  Aus  diesem  Grunde  eignen  sich  verschiedene  Braun- 
kohlenlager nicht  zum  Abbau  für  Brennmaterial,  geben  aber  alsdann  ein  vorzüg- 
liches Material  zur  Darstellung  von  Alaun  (s.  Alaun). 

Werden  Schwefelkieslager  von  überirdischen  Wässern  durchdrungen,  so 
treten  letztere  mit  einem  bedeutenden  Gehalte  an  Eisenvitriol  zu  Tage,  welcher 
sich  auf  Kosten  des  im  Wasser  enthaltenen  Sauerstoffs  gebildet  hat;  man  nennt 
solche  zu  Tage  tretende  Wässer  auch  Ocker-  und  Vitriolquellen. 


1-38  Schwefel. 

Schwefelkies  FeS2  (zweifach  Schwefeleisen)  gibt  einen  Theil  seines  Schwefels 

grade   so  ab   wie  Braunstein  als   Superoxyd   einen  Tbeil  seines  Sauerstoffs.     Er 

findet  sich   häufig  in   Steinkohlen,    Braunkohlen,    im  Thonschiefer,    in    der  Lias- 

formatiou,  im  bituminösen  Schiefer  und  andern  Gebirgsarten  als  Reductionsproduct 

der  Sulfate  den  betreffenden  Mineralien  beigemengt. 

Der  Strahl-  oder  Wasserkies  ist  eine  minder  verbreitete  Modification  desselben 
und   zeichnet    sich   durch  verschiedentlich   grössern  Gehalt    an  Arsenkies    aus;    wenn 

i'eder  rohe  Schwefel  mehr  oder  weniger  arsenhaltig  ist,  so  ist  es  der  aus   dem  Wasser- 
;ies  dargestellte  ganz  besonders. 

Seit  der  Sicilianischen  Schwefelfrage  sind  die  Schwefelkiese  zur  Darstellung  von 
Schwefel  und  schwefliger  Säure  erst  recht  in  Aufnahme  gekommen.  Sicilien  liefert 
gegenwärtig  noch  den  meisten  Schwefel  für  die  Pulverfabrication,  aber  eine  verhältniss- 
mässig  geringe  Menge  desselben  benutzt  man  noch  bei  der  Schwefelsäurefabrication ; 
zu  letzterer  liefern  die  Pyrite  (Schwefelkiese)  fast  9/io  des  notwendigen  Schwefel- 
quantums. Die  in  Deutschland  benutzten  Schwefelkiese  stammen  grÖsstentheils  aus  dem 
Siegenschen,  während  Frankreich  sie  aus  der  Nähe  von  Lyon  bezieht;  Spanien,  Portugal 
und  Norwegen  versorgen  England. 

Zur  Darstellung  des  Schwefels  bedient  man  sich  in  Böhmen,  Sachsen 
und  Schlesien  gewöhnlich  eines  Ofens,  in  welchem  ein  System  von  schiefliegenden, 
runden,  thönernen  und  nach  unten  sich  verengenden  Röhren  eingemauert  ist. 
Der  sich  verflüchtigende  Schwefel  gelaugt  theils  als  Dampf,  theils  als  Flüssigkeit 
in  eine  geschlossene  und  mit  Wasser  gefüllte  resp.  gesperrte  Vorlage,  welche 
meistens  aus  einem  eisernen  Kasten  besteht;  ausserdem  bildet  sich  stets  schwef- 
lige Säure,  deren  Beseitigung  resp.  Unschädlichmachung  zu  bewirken  ist.  In 
Schweden  bedient  man  sich  der  continuirlicheu  Schwefelöfen,  welche  den 
Kalköfen  sehr  ähnlich  sind. 

Der  Rückstand  besteht  aus  Einfach-Schwefeleisen,  Eisensulfid  FeS, 
welches  sich  an  der  Luft  schliesslich  in  basisch-schwefelsaures  Eisenoxyd  ver- 
wandelt. Da  aber  dieses  Salz  auf  das  daneben  liegende  Einfach-Schwefeleisen 
einwirken  kann,  so  ist  eine  Entwicklung  von  Schwefelwasserstoff  bedingt,  wo- 
durch alsdann  das  Eisensalz  stets  auch  Oxydul  nebst  freiem  Schwefel  enthalten 
kann.  Es  dürfen  deshalb  die  Abbräude  nicht  auf  die  Halden  gestürzt  werden; 
man  muss  sie  unter  Wasser  halten,  um  eine  Selbstentzündung  zu  verhüten,  welche 
die  Entwicklung  von  schwefliger  Säure  und  Schwefelsäure  bedingen  würde.*) 

Der  Rohschwefel  aus  den  Schwefelgruben  bildet  grosse  unregelmässige 
Klumpen  von  schmutziggelber  oder  braungelber  Farbe;  der  aus  dem  Schwefel- 
kies erhaltene  Rohschwefel  (Tropf seh wefel)  hat  dagegen  eine  schmutzig- 
grünliche oder  röthliche  Farbe  und  enthält  ausser  den  mechanisch  beigemengten 
Unreinlichkeiten  besonders  Schwefelarsen.  Alle  Substanzen,  welche  wie  Arsen, 
Selen  etc.  mit  dem  Schwefel  flüchtige  Verbindungen  bilden,  gehen  nämlich  bei 
der  Destillation  mit  demselben  über. 

Die  Reinigung  des  Schwefels  geschieht  auf  3fache  Art:  1)  durch  Saigerung, 
2)  durch  Destillation  und  3)  durch  ein  combinirtes  Verfahren,  d.h.  durch 
die  Vereinigung  der  Saigerung  mit  der  Destillation. 

Die  Saigerung  bezweckt,  den  Schwefel  von  den  erdigen  Substanzen  zu 
befreien;  es  geschieht  dies  bei  einer  Temperatur,  welche  seinen  Schmelzpunct 
nicht  weit  überschreitet.  Man  benutzt  dazu  grosse  thönerne  oder  gusseiserne 
Gefässe,  die  am  Boden  eine  Oeffnung  oder  eine  Röhre  haben,  welche  unter 
Wasser  mündet.    Die  Beschickung  geschieht  in  der  Weise,  dass  man  zunächst  eine 


*)  Ueber  die  Schwefelgewinnung  aus  Sodarückständen   siehe  Sodafabrication. 


Reinigung  des  Schwefels.  139 

Schicht  von  Kieselsteinen  und  grobem  Quarzsand  bildet,  worauf  das  Saigergut 
kommt;  bei  hermetischem  Verschluss  und  Erwärmung  der  Gefässe  fliesst  der 
geschmolzene  Schwefel,  durch  die  erwähnten  Schichten  filtrirt,  in  die  Vorlagen  ab. 

Die  Destillation  geschah  früher  vorzugsweise  in  Kolben  mit  thönernen 
Helmen  in  Galeerenöfen;  letztere  mündeten  in  thönerne  Krüge,  die  im  Boden 
eine  Oeffnung  hatten,  aus  welcher  der  condensirte  Schwefel  in  ein  mit  Wasser 
gefülltes  Gefäss  abgelassen  wurde.  Das  Schwefelarsen  verdichtete  sich  im 
Helm,  wo  es  zeitweise  herausgenommen  wurde,  um  als  Rauschgelb  in  den 
Handel  zu  kommen;  die  Rückstände  in  den  Kolben  hiessen  Rossschwefel,  weil 
sie  vielfach  von  Pferdeärzten  benutzt  wurden. 

Späterhin  ging  man  zu  Schwefelöfen  über,  nach  deren  ursprünglichen  Ein- 
richtung der  Schwefel  in  einem  gusseisernen  mit  Helm  versehenen  Kessel  erwärmt 
wird,  um  die  Schwefeldämpfe  mittels  eines  Canals  in  eine  grosse  aus  Backstein 
erbaute  Kammer  zu  leiten.  In  der  obern  Wölbung  der  Kammer  ist  ein  Abzugs- 
canal  mit  Klappe  angebracht,  welche  bloss  den  Austritt  der  warmen  Luft,  aber 
nicht  das  Eindringen  der  äussern  Luft  gestattet;  eine  solche  Klappe  schützt 
grade  wie  das  Sicherheitsventil  beim  Dampfkessel  vor  Brand  und  audern  Un- 
glücksfällen, weil  sich  die  Temperatur  dadurch  regeln  lässt. 

Will  man  bloss  Schwefelblumen  darstellen,  so  wird  die  Destillation  von 
Zeit  zu  Zeit  unterbrochen,  damit  sich  die  Wände  der  Kammer  abkühlen  können 
und  ihre  Temperatur  nicht  den  Schmelzpunct  des  Schwefels  errreicht.  Um 
Stangenschwefel  zu  gewinnen,  gestattet  die  Einrichtung  des  Apparats  auch 
das  Giessen  des  geschmolzenen  Schwefels  in  Formen. 

Michel  in  Marseille  begründete,  Feisat,  Lamy,  Dujardin  und  Cle- 
ment verbesserten  diese  Oefen  in  der  Weise,  dass  sie  einen  continuirlichen  Be- 
trieb gestatten.  Es  findet  hierbei  eine  Combination  der  Saigerung  und  De- 
stillation insofern  statt,  als  man  einen  besondern  Schmelzkessel  als  Vorwärmer 
benutzt,  welcher  mittels  einer  Röhre  mit  dem  Destillationskessel  verbunden  ist; 
letzterer  wird  durch  die  abfallenden  Verbrennungsgase  erwärmt.  Der  geschmolzene 
Schwefel  wird  mit  Zurücklassung  der  Rückstände  nach  Belieben  in  den  Destilla- 
tionskessel abgelassen,  so  dass  keine  directe  Beschickung  des  letztern  erforderlich 
ist,  beim  Einfüllen  jede  Berührung  der  äussern  Lnft  mit  den  heissen 
Schwefeldämpfen  verhütet  und  dadurch  die  Gefahr  einer  Explo- 
sion bedeutend  vermindert  wird;  Vortheile,  welche  auch  in  sanitärer 
Beziehung  hoch  anzuschlagen  sind.  Somit  gehen  auch  bei  der  Schwefelgewin- 
nung die  Verbesserungen  in  der  Technik  mit  den  sanitären  Vortheilen 
Hand  in  Hand. 

Entfernung  von  Arsen  ans  dem  Schwefel.  Man  benutzt  hierzu  Calci  um- 
nitrat,  weil  dasselbe  eine  unlösliche  arsenige  und  arseniksaure  Verbindung 
bildet,  welche  durch  blosse  Decantation  vom  geschmolzenen  Schwefel  getrennt 
wird.  Arsenikalische  Dämpfe  bilden  sich  hierbei  nicht;  es  handelt  sich  bloss  um 
eine  zweckmässige  Entfernung  des  Calciumarseniats. 

Auswaschen  der  Schwefelblumen.  Die  Schwefelblumen  enthalten  stets 
Schwefelsäure,  da  die  in  den  Kammern  vorhandene  Luft  die  Bildung  von 
schwefliger  Säure  veranlasst,  welche  von  den  Schwefelblumen  absorbirt  und  durch 
die  stets  in  der  atmosphärischen  Luft  vorhandene  Feuchtigkeit  in  Schwefelsäure 
übergeführt  wird;  man  reinigt  den  Schwefel  davon  durch  Auswaschen  mit 
Wasser. 


140  Schwefel. 

Da  aber  die  ia  der  Technik  gereinigten  Schwefelbluraea  häufig  noch  mehr 
oder  weniger  Arsen  enthalten,  so  hat  sich  herausgestellt,  dass  sie  beim  Aus- 
waschen mit  Wasser,  d.  h.  bei  Gegenwart  von  Sauerstoff  und  Wasser,  das 
Arsen  als  arsenige  Säure  abgeben  und  dem  Wasser  mittheilen,  welches  des- 
halb nicht  in  Schlinggruben  oder  an  solchen  Orten  abgelassen  werden  darf, 
wo  es  mit  Brunnen  in  Berührung  kommen  könnte;  es  muss  stets  mit  Kalk  ver- 
setzt werden.     Nur  die  sorgfältig  gewaschenen  Schwefelblumeu  sind  arsenfrei. 

Im  höchst  fein  vertheilteu  Zustande  bilden  sowohl  die  Schwefelblumen 
als  auch  die  Schwefelmilch  (der  aus  alkalischen  Polysulfideu  durch  Säuren  ab- 
geschiedene Schwefel)  allmählig  an  der  Luft  schweflige  Säure,  welche  ihrerseits 
in  Schwefelsäure  übergeht.  Es  sollte  daher  bei  Feuerwerkskörpern  Schwefel 
niemals  iu  Form  von  Schwefelblumeu  zur  Anwendung  kommen,  da  aus  den 
dabei  zu  benutzenden  chlorsauren  Salzen  durch  die  Schwefelsäure  Chlorsäure 
frei  gemacht  und  eine  Entzündung  des  Schwefels  herbeigeführt  werden  kann. 
Durch  eine  auf  diese  Weiss  entstandene  Explosion  zog  sich  ein  Chemiker  so  be- 
deutende Brandwuuden  zu,  dass  er  an  den  Folgen  derselben  starb. 

DieVerwendnng  des  Schwefels  ist  sehr  bedeutend,  namentlich  bei  derFabrication 
des  Schiesspulvers,  der  Schwefelsäure,  bei  der  Darstellung  der  Schwefel- 
hölzer und  Schwefelfädeu,  beim  Schwefeln  der  Weinfässer,  der  Wolle, 
Seide.  Strohhüte  und  Korbmacherarbeiten.  Die  Kammern,  welche  zum  Schwefeln 
dienen,  sind  mit  hermetisch  verschlossenen  Thüren  und  Fenstern  und  unter  der 
Decke  mit  Stangen  zum  Aufhängen  der  verschiedenen  Stoffe  versehen;  eiserne 
Schalen,  in  welchen  der  Schwefel  verbrennt,  sind  in  den  vier  Ecken  der  Kammer 
aufgestellt.  Um  nach  Erforderniss  frische  Luft  eintreten  zu  lassen,  befindet  sich 
in  der  Thür  über  dem  Fussboden  eine  kleine  Schiebethür.  Da  die  Zeuge  und 
Stoffe  stark  angefeuchtet  werden,  so  muss  der  Fussboden  mit  Fliessen  versehen 
sein  und  sich  rinnenartig  nach  einer  Seite  hin  neigen,  damit  das  herabtröpfelnde 
Wasser  ab  fliessen  kann.  An  der  Decke  sollte  ein  nach  dem  Schornstein  führen- 
des Rohr  angebracht  sein,  das  namentlich  am  Schlüsse  der  Arbeit  bei  gleich- 
zeitigem Oeffneu  der  Schiebethür  in  volle  Thätigkeit  tritt,  um  die  schweflige 
Säure  vollständig  auszutreiben,  ehe  die  Arbeiter  diesen  Raum  betreten. 
Wegen  der  specifischen  Schwere  des  Gases  ist  der  kräftige  Zug  eines  Schorn- 
steins erforderlich,  welchen  man  nötigenfalls  durch  eine  besondere  Feuerung 
verstärkt. 

Ist  der  Betrieb  sehr  bedeutend,  so  entsteht  die  Frage,  ob  das  Gas  nicht 
vorher  absorbirende  oder  oxydirende  Mittel  zu  bestreichen  hat,  ehe  es  durch  den 
Schornstein  in  die  Atmosphäre  tritt  und  die  Adjacenten  belästigt.  Erforderlichen- 
falls empfiehlt  es  sich,  zwischen  dem  Schornstein  und  dem  Verbrennungsraum 
Hürden  aufzustellen,  auf  denen  mit  Kalkmilch  befeuchtete  Hobelspäne  lagern; 
dies  ist  ein  einfaches,  billiges  und  in  vielen  Fällen  auch  ausreichendes  Verfahren, 
um  die  schweflige  Säure  grösstentheils  zu  absorbiren. 

In  der  Korbmacherei  wird  häufig  ein  grosser,  mit  einem  dicht  schliessen- 
den  Deckel  versehener  Kasten  benutzt,  welcher  ebenfalls  mit  einem  Schornstein  in 
Verbindung  stehen  muss. 

Das  Stroh  für  die  Hutfabrication  wird  meistens  vom  Sommerweizen 
gewonnen,  der  hierzu  besonders  cultivirt  wird.  Die  ganze  Pflanze  wird  vor  voll- 
ständiger Reife  zuerst  einer  Rasenbleiche  und  nach  Behandlung  mit  Wasserdämpfen 
dem  Schwefeln  ausgesetzt.    Dieses  geschieht  in  einem  bodenlosen  Kasten,  der  am 


Verwendung  des  Schwefels.  141 

oberen  Ende  mit  einem  Netz,  auf  welchem  das  Stroh  ausgebreitet  wird,  versehen 
ist;  ein  überfassender  Deckel  wird  aufgelegt,  sobald  der  Schwefel  auf  einem 
darunter  gestellten  Kohlenbecken  in's  Brennen  geräth.  Nach  3  —  4  Stunden  wird 
das  Stroh  nochmals  eine  Nacht  hindurch  auf  Rasen  ausgebreitet  und  alsdann  ge- 
wöhnlich mittels  eines  besonderen  Werkzeugs  gespalten. 

Das  Schwefeln  darf  nur  in  einem  grossen  und  luftigen  Schuppeu,  der  mit 
einem  Abzugsrohre  versehen  ist,  vorgenommen  werden. 

Bei  der  "Wolle  ist  es  die  weisse  wollene  Waare,  welche,  bevor  sie  in  den 
Handel  kommt,  geschwefelt  wird  und  zwar  entweder  mittels  der  gasförmigen  oder 
flössigen  schwefligen  Säure;  im  letztern  Falle  taucht  man  die  Wolle  in  mit 
schwefliger  Säure  versetztes  Wasser  ein.  Man  schwefelt  die  Wolle  im  Fliess,  als 
Garn  oder  Zeug;   Seide  wird  wie  die  Wolle  gebleicht  (s.  schweflige  Säure). 

Seitdem  Goodyear  aus  Connecticut  die  Entdeckung  gemacht  hat,  dass 
Kautschuk  und  Gutta  Percha  durch  Schwefel  unempfindlich  gegen  Temperatur- 
veränderung werden,  d.  h.  ihre  Elasticität  behalten,  ist  das  Vulcanisiren  von  Kaut- 
schuk und  Gutta  Percha  ein  grossartiger  Industriezweig  geworden.  Obgleich  man 
jetzt  nicht  mehr  den  geschmolzenen  Schwefel,  sondern  eine  Mischung  von  Schwefel- 
kohlenstoff und  Chlorschwefel  anwendet,  so  werden  doch  auch  noch  Schwefel  und 
Schwefelmetalle  mechanisch  in  die  Gummiwaaren  eingeknetet. 

Ferner  gebraucht  man  den  Schwefel  zur  Darstellung  sehr  vieler  pharmaceu- 
tischer  und  chemischer  Präparate,  zur  Darstellung  von  Abdrücken,  zur  Berei- 
tung des  Eisenkitts  (1  Th.  Schwefel,  1  —2  Th.  Salmiak  und  40  Th.  Eisenfeile), 
sowohl  zur  Erleichterung  und  Verbreitung  der  Entzündung  als  auch  zum  Feuer- 
löschen (s.  Sauerstoff). 

Bei  der  Präparation  des  Stangenschwefels  für  die  Schiesspulver- 
fabrication  geschieht  das  Mahlen  desselben  häufig  unter  Wasser;  die  dabei 
abfallenden  Wässer  können,  abgesehen  von  arseniger  Säure,  auch  Schwefelsäure 
enthalten,  weshalb  sie  grade  wie  die  Waschwässer  der  Schwefelblumen  zu  be- 
handeln sind. 

Schwefel  und  Wasserstoff. 

l)  Schwefelwasserstoff,  Hydrothionsäure  (H2S)  tritt  überall  auf,  wo  organische 
Gebilde,  welche  schwefelsaure  Salze  oder  sonstige  schwefelhaltige  Substanzen  enthalten, 
in  Zersetzung  übergehen  resp.  der  Verwesung  unterliegen.  Beim  Flachsrösten,  in  Loh- 
gerbereien, in  den  Abzugscanälen  grosser  Städte,  in  Abtrittsgruben,  in  Stärkemekl- 
und  Darmsaitenfabriken,  in  Knochen  siedereien  und  bei  sehr  vielen  chemischen  und  tech- 
nischen Processen,  namentlich  bei  der  Bearbeitung  der  Gaswässer  auf  Ammoniak,  ent- 
wickelt sich  Schwefelwasserstoff.  Bleibt  Meereswasser  in  Pfützen  stehen  und  bildet  _ so 
das  sogenannte  Brackwasser,  so  entwickelt  es  Schwefelwasserstoff,  wenn  es  reich 
an  Seethieren  ist.  Ebenso  verhält  es  sich  mit  den  Grachten  der  holländischen  Städte, 
in  welchen  viele  organische  Stoffe  verfaulen,  ferner  mit  den  Mündungen  grosser  und  an 
organischen  Stoffen  reicher  Flüsse  in  das  Meer,  wo  sehr  reichlich  Schwefelwasserstoff 
auftritt,  wenn  die  organischen  Substanzen  bei  Gegenwart  von  schwefelsauren  Salzen  in 
Fäulniss  übergehen.  Derselbe  Process  findet  auch  im  Mineralreiche  statt,  wenn  schwefel- 
saure Salze  durch  die  Gegenwart  von  organischen  Substanzen  reducirt  werden;  der 
Kohlenstoff  der  letzteren  verbindet  sich  nämlich  mit  dem  Sauerstoff  der  Säure  all- 
mählig  in  der  Weise,  dass  das  Sauerstoffsalz  in  ein  Schwefelmetall  übergeht,  welches 
wiederum  durch  die  Einwirkung  der  Kohlensäure  des  Wassers  zersetzt  wird,  so  dass 
sich  schliesslich  Schwefelwasserstoff  und  ein  kohlensaures  Salz  bilden  kann. 

Auf  diese  Weise  gelangt  Schwefelwasserstoff  in  die  Quellwässer  und  tritt  mit 
diesen  zu  Tage.  In  der  Kegel  finden  sich  auch  die  Schwefelquellen  in  der  Nähe 
von  schwefelsauren  Salzlagern,  von  Gypsgebirgen,  Kohlenflötzen,  bituminösem  Schiefer 
und  überall  da,  wo  verwesende  organische  Substanzen  lagern.  In  Kohlengruben 
kommt  H2S  selten  vor;  etwas  häufiger  zeigt  er  sich  in  Erzgruben. 


142  Schwefel  und  Wasserstuft. 

Der  Sehwefelgehalt  des  Schlammes  verschiedener  Schwefelbäder  entsteht 
durch  Abscheidung  des  Schwefels  aus  dem  Schwefelwasserstoff.  Selbst  gewöhnliche 
Brunnen,  welche  schwefelsaure  Salze  enthalten,  können  durch  organische  Körper, 
hölzerne  Pumpenröhren,  hölzerne  Brunnenräder  oder  Brunnenkufen  Schwefelwasser- 
stoff haltig  werden,  wenn  diese  Gegenstände  nicht  ;ms  Eichenholz,  sondern  aus  leicht 
verwesbarem  Fichten-  oder  Tannenholz  angefertigt  und  nicht  ganz  vom  Wasser  be- 
deckt sind. 

In  den  sogenannten  Fnmarolen  oder  Solfataren  entsteht  Schwefelwasserstoff  durch 
die  Reduction  der  schwefelsauren  Salze  in  Schwefelmetalle  und  die  Zersetzung  letzterer 
mittels  Wasserdämpfe. 

In  jungem  W  ein  bildet  sich  Schwefelwasserstoff  durch  die  Zersetzung  schwefel- 
haltiger organischer  Salze,  die  in  den  Tranben  enthalten  sind.  Im  Tabakrauch 
findet  er  sich  in  der  Verbindung  von  Schwefelammonium;  er  wird  dargestellt  durch 
Einwirkung  von  verdünnter  Schwefelsäure  auf  Eisensulfid. 

Fe  S  +  H2  S04  =  Fe  S04  4- H2  S. 
Er  ist  ein  farbloses,    verdichtbares,    nach  faulen  Eiern  riechendes  Gas,    das  mit  blauer 
Flamme  zu  Wasser  und  Schwefelsäureanhydrid  verbrennt:  H2S  +  3  0  =  H20-1-S02. 

Bei  gewöhnlicher  Temperatur  nimmt  Wasser  1  Volumtheile  davon  auf;  bei  Zunahme 
des  angewendeten  Druckes  nimmt  selbstverständlich,  wie  bei  der  Kohlensäure,  die  Menge 
des  gelösten  Gases  zu.  Es  bildet  sich  hierdurch  Seh wef elwasserstoffwasser, 
welches  häutig  statt  des  Gases  zur  Anwendung  kommt;  an  der  Luft  zersetzt  es  sich 
allmählig  durch  die  Einwirkung  des  Sauerstoffs  unter  Ausscheidung  von  Schwefel: 
H2S -f  0  =  H20-+-S.  Andere  oxydirende  Mittel,  wie  Salpetersäure,  schweflige  Säure, 
wirken  ebenso,  während  Chlor,  Brom  und  Jod  den  Wasserstoff  binden.  Mit  Metallen 
bildet  das  Gas  bei  erhöhter  Temperatur  Sulfide  und  scheidet  Wasserstoff  ab:  glühende 
Metalloxyde  verwandelt  es  in  Wasser  und  Sulfide,    Sein  spec.  Gewicht  ist  1,177.  *J 

In  feuchter  Luft  und  bei  Gegenwart  von  porösen  Körpern,  z.  B.  von  Leinwand, 
geht  der  aus  Schwefelwasserstoff  niedergeschlagene  feine  Schwefel  (Lac  sulphuris )  in 
schweflige  Säure  und  bald  in  Schwefelsäure  über,  wodurch  namentlich  Leinwand  leicht 
zerstört  wird;  hierdurch  erklärt  sich  der  Umstand,  dass  beim  Gebrauch  von  Schwefel- 
bädern Handtücher,  Vorhänge  u.  s.  w.  leicht  zerstört  werden. 

Einwirkung  von  Schwefelwasserstoff  aal   den   thierischen   Organismus.     Die 

Versuche  mit  Schwefelwasserstoff  an  Thieren  haben  den  Beweis  geliefert,  dass  diese  viel 
heftiger  auf  dies  Gas  reagiren,  als  Menschen.  Frühere  Mittheilungen5)  können  wir 
noch  dahin  ergänzen,  dass  bei  Tauben  schon  V4000  Volumproc.  des  Gases  Würgen  und 
Erbrechen  erzeugen  kann.  Einige  Tauben  ertrugen  zwar  V1000  Volumproc,  konnten  sich 
dabei  aber  nicht  auf  den  Füssen  halten  und  verriethen  deutlich  eine  angestrengte  und 
unregelmässige  Respiration.  Andere  Tauben  stürzen  schon  bei  dieser  Einwirkung  hin, 
erheben  sich  zwar,  bleiben  aber  schwankend  stehen  und  geben  eine  starke  Dyspnoe  durch 
häufiges  Aufsperren  des  Schnabels  kund.  Werden  sie  nach  o —  6  Minuten  an  die  Luft 
gebracht,  so  erholen  sie  sich  wieder:  bleiben  sie  aber  10  12  M.  dem  Gase  ausgesetzt, 
so  sterben  sie  unter  leichten  Zuckungen.  Kaninchen  verfallen  schon  bei  Vzoo'Vclump1"00- 
in  die  heftigsten  Convulsionen. 

Die  Vergiftung  tritt  ein,  mag  das  Gas  inhalirt  in  die  Arterien  und  Venen  ein- 
gespritzt oder  dem  Magen  und  Darmcanal  zugeführt  werden6).  Bei  Thieren  bestehen 
die  ersten  Zeichen  der  Vergiftung  in  allgemeiner  Unruhe,  beschleunigter,  beschwer- 
licher Respiration  und  einem  schwankenden  Gange:  letzterer  kündigt  gewöhnlich  den 
baldigen  Eintritt  der  heftigsten  Convulsionen  unter  Pupillenverengerung  an.  Tonische 
nnd  klonische  Krämpfe  folgen  oft  wechselsweise  aufeinander ,  die  Pupille  erweitert  sich 
und  der  Tod  tritt  unter  tetanischen  Erscheinungen  ein. 

Beim  Sectionsbefund  ist  die  Hyperämie  der  Häute  des  Gehirns  und 
Rückenmarks  constant;  bisweilen  zeigen  sich  auch  Extravasate  von  dünnem,  flüssigem 
Blute.  Die  Farbe  der  Lunge  vorn  schmutzig  hellroth  auf  dunkelbraunem 
Grunde,  nach  hinten  dunkelbraun  oder  dunkelblau.  Viel  weisser  oder  röthlieh 
gefärbter  Schaum  in  den  Bronchien  bis  zur  Trachea:  die  Schleimhaut  von  Gefässinjectionen 
dunkelbraun  geröthet.  Das  rechte  Herz  mit  theils  flüssigem,  theils  geronnenem  Blute 
angefüllt.  Bei  plötzlichem  Tode  zeigt  sich  stets  ein  von  Blut  strotzendes 
Herz;  das  Blut  ist  vorherrschend  flüssig  und  von  dunkelrother  oder 
dunkelbrauner  Farbe,  Alle  wichtigeren  Unterleibsorgane  und  die  grösseren  Venen 
sind  reich  au  solchem  Blute. 

Bei  Menschen  hat  man  die  Vergiftung  vorzugsweise  in  Fabriken  beob- 
achtet, in  denen  Schwefelwasserstoff  sehr  reichlich  entwickelt  wird.  In  einer 
Atmosphäre,   welche  nur  geringe  Mengen  von  Schwefelwasserstoff  enthält,   treten 


Schwefelwasserstoff.  1 43 

Kopfweh,  Schwindel,  Appetitlosigkeit,  bisweilen  auch  Uebelkeit  oder  Erbrechen 
mit  kaltem  Schweiss  ein ,  Erscheinungen,  welche  nach  der  individuellen  Empfäng- 
lichkeit mehr  oder  weniger,  früher  oder  später  eintreten;  denn  hinreichend 
bekannt  ist  es,  dass  einige  Menschen  auch  auf  kleine  Mengen  des  Gases  sehr 
heftig  reagiren.  Solche  Individuen  sind  absolut  genöthigt,  jede  Entwicklungsstätte 
von  Schwefelwasserstoffgas  sofort  zu  verlassen. 

Auf  die  Augen  der  Arbeiter  übt  das  Gas  oft  eine  eigenthümliche  Ein- 
wirkung aus ;  zuerst  entsteht  ein  heftiges  Brennen  um  die  Augenlieder;  sie 
röthen  und  entzünden  sich  unter  bedeutender  Anschwellung,  so  dass  das  Oeffnen 
der  Augen  fast  unmöglich  wird.*) 

Heftigere  Einwirkungen  treten  ein,  wenn  die  Arbeiter  plötzlich  von  einem 
starken  Strom  des  Gases  getroffen  werden,  was  gewöhnlich  durch  Undichtigkeit 
der  betreffenden  Apparate  oder  auch  durch  Unvorsichtigkeit  veranlasst  wird.  In 
einem  solchen  Falle  stürzen  die  Arbeiter  oft  hin,  als  seien  sie  von  einer  Kugel  ge- 
troffen; alle  Glieder  werden  starr  und  unbeweglich,  die  Augen  verdrehen  sich  und 
die  Brust  hebt  sich  röchelnd  auf  und  nieder.  Werden  die  Betroffenen  rasch  an 
die  Luft  gebracht  und  am  Kopf  mit  kaltem  Wasser  gewaschen  oder  besprengt, 
so  kehrt  das  Bewusstsein  nach  einigen  Minuten  wieder;  es  bleibt  nur  eine  Er- 
müdung und  Zerschlagenheit  der  Glieder  zurück.  Selbstverständlich  erfolgt  der 
Tod,  wenn  nicht  rasche  Hülfe  eintritt  und  der  Hingestürzte  iu  der  Schwefelwasser- 
stoff-Atmosphäre liegen  bleibt.  Nach  allen  Erfahrungen  sind  letale  Fälle  jedoch 
höchst  selten  und  es  fehlt  bisher  das  Ergebniss  der  an  solchen  Verunglückten  an- 
gestellten Obductionen. 

Sehr  bemerkenswerth  ist  die  Thatsache,  dass  bisweilen  mit  der  wieder- 
kehrenden Beweglichkeit  der  Glieder  die  heftigste  Tobsucht  eintreten  kann, 
so  dass  die  Kranken  kaum  zu  bändigen  sind,  da  sie  in  der  heftigsten  Weise  um 
sich  schlagen  und  dadurch  für  andere  gefährlich  werden;  solche  Tobsuchts- 
anfälle können  sich  wochenlang  wiederholen,  ehe  Genesung  eintritt.7)  Diese 
Fälle  von  heftigster  Erregung  des  Central-Nervenapparates  werfen  einiges  Licht 
auf  die  Art  der  Wirkung  des  Schwefelwasserstoffs  und  beweisen,  dass  diese  Ver- 
giftung nicht  bloss  auf  der  Entziehung  des  Sauerstoffs  beruht,  wie  Kaufmann 
und  Rosenthal8)  behaupten. 

Zuerst  hat  Hoppe  -Seyler9)  nachgewiesen,  dass  die  ursprünglicheEinwirkung 
von  Schwefelwasserstoff  auf  das  Blut  in  einer  Trennung  des  locker  gebundenen 
Sauerstoffs  vom  Hämoglobin  beruhe,  so  dass  die  Absorptionsstreifen  des  sauer- 
stofffreien Hämoglobins  auftreten;  dieser  Vorgang  erfordert  aber  stets  einige 
Zeit.  Als  Zeichen  der  weitern  Zersetzung  erscheint  alsdann  ein  Absorptions- 
streifen im  Roth  und  zwar  nach  dem  Grade  der  Verdünnung  iu  der  Gegend  von 
65  oder  67  —  70  oder  72  der  Scala  des  Spectralapparats,  dessen  Fraunhofer'sche 
Linien  C  auf  61  und  D  auf  80  der  Scala  stehen.  Er  hat  das  Charakteristische,  dass 
er  bleibt,  wenn  man  Schwefelammonium  zusetzt,  während  alle  Hämatinlösungen 
bei  diesem  Zusatz  nur  die  von  Stokes  beschriebenen  Streifen  des  reducirten 
Hämatins  zeigen,  welche  im  Grün  des  Sonuenspectrums  liegen.  Dieses  durch 
Schwefelwasserstoff  gebildete  Product  ist  bisher  noch  nicht  isolirt  worden;  es 
zerlegt  sich  aber  bei  der  weitern  Einwirkung  von  Schwefelwasserstoff  und  alsdann 
bildet  sich  eine  in  dünnen  Schichten   olivengrüne,    in   dickern  Schichten   braun- 

*)  Am  zweckmässigsten  sollen  sich  Waschungen  von  0,002  Grm.  Sublimat  auf  !!0  Grm. 
Wasser  hiergegen  erwiesen  haben.  • 


144  Schwefel  and  Wasserstoff. 

rothe  Substanz  ohne  Absorptionsstreifen.  Diese  Resultate  der  Spectralunter- 
suchungen  konnten  zwar  bei  vergifteten  Kaltblütern,  aber  noch  nicht  bei  lntoxi- 
cationen  von  Menschen  durch  Schwefelwasserstoff  bestätigt  werden.  In  Betreff  des 
Zersetzungsprocesses  im  Blute  ist  bei  dieser  Vergiftung  noch  nichts  Bestimmtes 
ermittelt  worden.  Sicher  ist,  dass  von  Menschen  Schwefelwasserstoff  eingeatlimet 
werden  kann,  ohne  dass  er  dauernde  Alteration  im  Blute  erzeugt;  wäre  dies 
nicht  der  Fall,  so  würde  es  unerklärlich  bleiben,  dass  Arbeiter  sich  wochenlang 
in  einer  Schwefelwasserstoff -Atmosphäre  aufhalten,  dass  Kranke  längere  Zeit 
Schwefelbäder  gebrauchen  und  sich  sogar  Schwefelwasserstoffgas-Inhalationscuren 
unterwerfen  können,  ohne  dass  dadurch  eine  der  Wirkung  des  Schwefelwasser- 
stoffgases eigenthümliche  Gesundheitsstörung  sich  kundgibt. 

Wenn  bloss  die  Entziehung  von  Sauerstoff  durch  den  Schwefelwasserstoff 
die  Ursache  der  auftretenden  Symptomenreihe  (Erweiterung  der  Pupille,  Dyspnoe, 
Convulsionen,  Lähmung,  besonders  Lähmung  des  Herzens)  wäre,  so  muss  man  es 
mit  Hoppe -Seyler  auffallend  finden,  dass  Thiere,  welche  durch  Schwefelwasser- 
stoff umgekommen  sind,  noch  Sauerstoff  im  Blute  enthalten,  während  bei  Ent- 
ziehung des  Sauerstoffs  der  Athmungsluft  das  Blut  noch  bei  Lebzeiten  schwarz 
und  fast  frei  von  Sauerstoff  erscheint.  Mittels  Aspiration  lässt  sich  auf  das 
Bestimmteste  nachweisen,  dass  bei  durch  Schwefelwasserstoff  umgekommenen 
Thieren  ein  Theil  des  eingeathmeten  Gases  nur  absorbirt  war  und  wieder  frei 
gemacht  werden  konnte. 10) 

Die  blitzschnelle  Wirkung  des  Schwefelwasserstoffs  erinnert  in  vieler  Be- 
ziehung an  die  Blausäure,  an  eine  plötzliche  Depression  der  Central -Apparate 
und  speciell  der  Circulations-  und  Athmungscentren.  Ein  von  Blut  strotzend  ange- 
fülltes Herz  fällt  bei  dem  plötzlichen  Tode  ganz  besonders  auf,  wohingegen  in  den 
Lungen  die  Hyperämie  viel  weniger  ausgeprägt  ist. 

Schwindel,  sowie  die  tonischeu  und  klonischen  Krämpfe  weisen  deutlich 
auf  die  Reizung  des  Gehirns  und  der  Medulla  oblongata  hin.  Zugleich  beweisen 
die  Tobsuchts anfalle  bei  Menschen,  dass  die  Erregung  dieser  Ceutren  längere 
Zeit  anhalten  kann,  ohne  zu  Lähmung  oder  bleibenden  Veränderungen  im  Nerven- 
system zu  führen,  wie  denn  überhaupt  die  baldige  Erholung  nach  plötzlichem 
Hinstürzen  der  Menschen  in  Folge  der  Inhalation  des  Gases  dafür  spricht,  dass  es 
durch  die  Lungen  schnell  ausgeschieden  werden  kann. 

In  der  Industrie  tritt  der  Schwefelwasserstoff  sehr  häufig  auf.  Es  würde  zu 
weit  führen,  hier  die  eiuzelnen  Proceduren,  bei  welchen  dies  der  Fall  ist,  aufzuführen ; 
bei  den  bezüglichen  chemischen  Processen  wird  hiervon  die  Rede  sein.  Um  die 
Arbeiter  in  Fabriken  vor  der  Einwirkung  des  Schwefelwasserstoffs  zu  schützen, 
sind  Sorgfalt,  Aufmerksamkeit  und  das  Verhüten  des  Auftretens  dieses  Gases  in 
den  Fabrik  räumen  das  sicherste  und  nothwendigste  Mittel.  Das  vielfach  empfohlene 
Chlor  ist  schon  au  und  für  sich  schädlich  und  kann  weder  als  Schutzmittel  noch 
als  Gegenmittel  zur  Anwendung  kommen. 

Bei  Unglücksfällen  ist  der  sofortige  Transport  au  die  frische  Luft  nebst 
Begiessungen  mit  kaltem  Wasser  das  erste  und  beste  Mittel;  tritt  nicht 
sehr  bald  ein  günstiger  Erfolg  ein,  so  soll  man  die  Einleitung  der  künstlichen 
Respiration  niemals  unterlassen.  Ob  in  verzweifelten  Fällen  die  Blut-Transfusion 
von  Nutzen  sein  würde,  ist  noch  nicht  versucht  worden;  um  dieses  Mittel  zu 
ergreifen,  müsste  wenigstens  noch  der  Herzschlag  wahrnehmbar  sein. 

Auf  die  Pflanzenwelt  wirkt  Schwefelwasserstoff  als  Gas  wenig  oder  gar 


Schwefelwasserstoff  in  der  Industrie.  145 

nicht  ein;  wird  es  aber  als  solches  oder  in  Wasser  gelöst  den  Wurzeln  zuge- 
führt, oder  wird  eine  abgeschnittene  Pflanze  mit  der  Schnittfläche  in  Schwefel- 
wasserstoffwasser gesetzt,  so  stirbt  sie  bald  ab. 

Schwefelwasserstoff  in  der  Industrie. 

Schwefelwasserstoff  ist  bei  allen  Analysen  ein  unentbehrliches  Reagens 
und  wird  deshalb  bei  sehr  vielen  chemischen  Processen  verwendet;  auch  dient 
er  zur  Trennung  der  fremden  Metalle  bei  den  Nickel-  und  Kobalterzen. 

Zur  Darstellung  von  Schwefelfarben,  namentlich  von  Antimonzinnober, 
kann  Schwefelwasserstoff  benutzt  werden,  indem  man  ihn  in  eine  wässrige,  nicht 
zu  saure  Lösung  von  Butyrum  Antimonii  einleitet,  (Man  vergl.  unterschweflig- 
saures  Natrium.)  Früher  benutzte  man  H2S  in  der  Kattundruckerei,  um  auf 
dem  Zeuge  eine  gelbe  Farbe  hervorzubringen;  ein  Kadmiumsalz  oder  arsenige 
Säure  wurde  nämlich  aufgedruckt  und  dann  das  Zeug  durch  Schwefelwasser- 
stoffwasser gezogen.  Um  verschiedenen  Metallwaaren  ein  anderes  Ansehen  und 
eine  braune  oder  violette  Färbung  zu  geben,  bringt  man  sie  mit  Schwefelwasser- 
stoff zusammen;  damit  die  Farbe  haften  bleibt,  werden  nachher  die  Gegenstände 
mit  einem  Firniss  überzogen. 

Zum  Versilbern  der  Phosphorzündhölzchen  wird  Schwefelwasserstoff  in 
die  Trockenkammern  eingeleitet,  wobei  er  sich  mit  dem  in  der  Zündmasse  vor- 
handenen Blei  zu  einem  silberweissen  Ueberzug  verbindet. 

Auch  zum  Bleichen  hat  man  Schwefelwasserstoff  benutzt;  der  Wasserstoff 
desselben  bemächtigt  sich  nämlich  des  Sauerstoffs  der  färbenden  Substanzen,  bildet 
Wasser  und  vernichtet  durch  diesen  Process  die  Farbe.  Der  ausgeschiedene  Schwefel 
(Lac  sulphuris)  wird  auf  dem  Zeuge  oder  auf  den  Fasern  unendlich  fein  vertheilt 
niedergeschlagen.  Es  ist  schon  mehrmals  erwähnt  worden,  dass  dieser  fein  ver- 
theilte  Schwefel  bei  Gegenwart  von  Feuchtigkeit  in  schweflige  resp.  Schwefelsäure 
verwandelt  wird,  wodurch  diese  Bleichmethode  häufig  dieselbe  zerstörende  Nach- 
wirkung wie  der  Chlorkalk  hat.  Um  diese  zu  vermeiden,  hat  man  vorge- 
schlagen, die  Zeuge  nach  dem  Bleichen  durch  ein  verdünntes  Soda-  oder  Pott- 
aschenbad zu  ziehen,  wodurch  nicht  allein  die  gebildete  Säure  neutralisirt,  sondern 
auch,  da  die  Einwirkung  warm  geschieht,  der  grösste  Theil  des  niedergeschlagenen 
Schwefels  gelöst  wird  und  Schwefelleber  entsteht;  letztere  geht  aber  be- 
kanntlich mit  thierischen  Substanzen  eine  Verbindung  ein,  welche  mit  einem  üblen 
Geruch  behaftet  ist.  Die  auf  solche  Weise  gebleichten  Zeuge  haben  deshalb  einen 
oft  widerlichen,  bisweilen  krankmachenden  Geruch. 

Hahnemann's  Weinprobe  besteht  in  einem  mit  Schwefelwasserstoff  ge- 
sättigten Wasser,  dem  Weinsteinsäure  zugesetzt  wird;  sie  war  zur  Zeit  der 
Weinfälschungen  mittels  Blei  sehr  im  Gebrauch  und  insofern  von  grossem  Werthe, 
als  auch  der  Laie  sich  schnell  mittels  dieses  Prüfungsmittels  von  einem  Blei- 
gehalt des  Weins  überzeugen  konnte. 

2)  Wasserstoffsupersulfid,  flüssiger  Schwefelwasserstoff,  geschwefelter  Schwefel- 
wasserstoff H2S2  stellt  eine  tropfbare,   im  reinsten  Zustande  dünne,  gewöhnlich  ölartige 
Flüssigkeit  von  bernsteingelber  Farbe  und  widerlichem  Geruch  dar  und  wird  durch  Be- 
handeln von  Calciumpolysulfid  mit  überschüssiger  Salzsäure  dargestellt. 
CaS5  +  2C1H  =  CaCl2  +  ILS2  +  3S. 
Der  freiwerdende  Schwefel  bleibt  in  H2S2  gelöst,    Die  Zersetzung  der  Flüssigkeit 
erfolgt   schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur;     sie   löst    sich  wenig  in  Wasser,    dagegen 
leicht  in  Aether.     Die  Lösung  zersetzt  sich  aber  auch  bald  in  S  und  H2S. 
Eulenberg,  Gewerbe -Hygiene.  10 


140  Schwefel  und  Chlor. 

Einwirkung    des    Wasserstoffsupersulfids    anf    den    tliierisehen    Organismus. 

20  Tropfen  dieser  Flüssigkeit  wurden  auf  den  Boden  des  hölzernen  Kastens,  in  welchem 
ein  starkes  Kaninchen  sass.  gegossen:  sofort  trat  grosse  Unruhe  ein:  das  Thier  schloss 
die  Augen  und  schwankte.  Nach  ;  0  Secunden  Hinstürzen  unter  den  heftigsten  Convul- 
sionen  und  starker  Verengerung  der  Pupille:  nach  1  Min.  vollständige  Asphyxie, 
nur  in  den  Bauchmuskeln  schwache  convulsivisehe  Bewegungen.  Nach  2  Min.  ist  der 
Tod  eingetreten  und  die  Pupille  stecknadelkopfgross  contrahirt:  die  Cornea 
sieht  rann  und  zerfressen  aus 

Bei  der  Section  erscheint  die  Farbe  der  Lungen  hellroth,  hyperämisch,  das 
ganze  Herz  .-trotzt  von  flüssigem  rothbraunen  Blute,  welches  an  der  Luft  eine 
intensiv  rot  he  Farbe  annimmt.11) 

Der  geschwefelte  Schwefelwasserstoff  entwickelt  hiernach  eine  starke  toxische 
Wirkung,  unterscheidet  sich  aber  entschieden  und  namentlich  dadurch  von  dem 
gewöhnlichen  Schwefelwasserstoff,  dass  er  eine  besondere  Reizung  der  pupillen- 
verengernden Fasern  erzeugt,  die  Cornea  arrodirt,  schliesslich  aber  in  der  läh- 
menden Einwirkung  auf  die  Herzfunction  mit  dem  gewöhnlichen  Schwefelwasserstoff 
übereinstimmt.  Das  rothbraune  Blut  zeichnet  sich  durch  die  schnelle  Aufnahme 
von  Sauerstoff  an  der  Luft  aus. 

Dieser  Körper  verdient  in  wissenschaftlicher  Beziehung  eine  eingehende 
Untersuchung  und  bei  seinem  Auftreten  in  der  Industrie  die  grösste  Beachtung, 
da  er  den  Menschen   unzweifelhaft  gleich   gefährlich   wie  den   Thieren   sein  wird. 

In  industrieller  Beziehung  ist  es  wichtig,  dass  jener  Körper  bei  der 
Reinigung  der  Rohöle,  welche  aus  Petroleum  von  Cauada  und  Boghead.  aus  der 
Braunkohle,  der  Blätterkohle  und  dem  Posidonienschiefer  gewonnen  werden,  ent- 
stehen kann,  wenn  nach  der  Behandlung  dieser  schwefelhaltigen  Kohlen- 
wasserstoffe mit  Natronlauge  noch  Schwefelsäure  zur  Einwirkung  gelangt. 
Auch  kann  bei  der  Bereitung  von  Lac  sulphuris  flüssiger  Schwefelwasserstoff  ent- 
stehen, wenn  unvorsichtigerweise  die  Schwefelleberlösung  in  die  verdünnte  Säure 
(statt  umgekehrt)  getröpfelt  wird,  wobei  sich  der  Wasserstoff  mit  sämmtlichem 
Schwefel  verbunden  als  eine  ölartige  Flüssigkeit  ausscheidet. 

Schwefel  und  Chlor. 

1)  S<  hwefelclilorür  S2C12  bildet  sich,  wenn  durch  Schwefelsäure  von  Wasser  be- 
freites Chlor  über  geschmolzenen  Schwefel  geleitet  und  die  entstandene  Flüssigkeit  von 
dem  überschüssigen  Schwefel  in  eine  Vorlage  abdestillirt  wird. 

Eine  braunrothe,  ölige  Flüssigkeit  von  erstickendem  Gerüche  und  stark  saurem 
Gesehmacke,  welche  an  der  Luft  raucht,  bei  139°  siedet  und  durch  Wasser  in  Salzsäure, 
Schwefligsäureanhydrid  und  Schwefel  zerfällt. 

2S2Cl2  +  2H,0  =  S02  +  tHCl4-3S. 
Da    die  Flüssigkeit  viel  Schwefel   aufzulösen   vermag,   so   wird   sie  mit  Schwefel- 
kohlenstoff gemischt  fast  allgemein  zum  Vuleanisiren  des  Kautschuks  gebraucht:    durch 
dieses  Verfahren  ist   das   mechanische  Einkneten   des  Schwefels   bei    vielen  Waaren  fast 
ganz  in  Wegfall  gekommen. 

Einwirkung  von  Sclnvefelchloi  iir  auf  den  tliierisehen  Organismus.  1)  Das 
Schwefelchlorür  befindet  sich  in  einer  birnförmig  gebogenen  Glasröhre.  Die  Dämpfe 
werden  kalt  in  die  Glasglocke,  unter  welcher  eine  Taube  sitzt,  getrieben.  Sogleich 
Unruhr.  Blinzeln  mit  den  Augen,  Ausfluss  von  Schleim  aus  dem  Schnabel,  Putzen 
der  Augen.  Kothentleerung  nach  10  Kolbenstössen:  nach  3  Minuten  Aufsperren  des 
Schnabels:  beim  Versuche,  den  rechten  Fuss  zu  erheben,  schwaches  Schwanken  Nach 
6  M.  nochmals  10  Kolbenstösse:  beständiges  Blinzeln  mit  den  Augen  und  Putzen 
derselben:  nach  9  M.  9  Inspirationen,  sonst  ruhiges  Verhalten  bei  geschlossenen  Augen : 
nach  14  M  5  Kolbenstösse:  Husten,  Putzen  der  Augen:  nach  20  M.  Herausnahme 
der  Taube,  welche  sogleich  umhergeht.  Der  aus  dem  Schnabel  fliessende  Schleim  rea- 
irt  sauer.     Nach   15  M.  starkes  Niesen  und  Husten;   nach  3  Stunden  normale  Respira- 


Schwefelchlorür.  ~[  47 

tion  bei  geringem  Schleimrasseln.  Am  zweiten  Tage  scharfes,  trocknes  Inspiriren;  am 
dritten  Tage  schwaches  Schleimrasseln,  12  Inspirationen  binnen  1/i  M.:  weitere  Nach- 
krankheiten entstanden  nicht. 

2)  Ein  kleines  Kaninchen  sitzt  unter  der  Glasglocke,  in  Avelche  die  Dämpfe  etwas 
erwärmt  eingetrieben  werden.  Anfangs  20  Inspirationen:  nach  10  Kolbenstössen 
Schliessen  der  Augen  und  Bauchlage;  nach  3  M.  9  Inspirat,:  nach  5  M.  krampfhafte 
Zuckungen  in  den  Beinen  mit  zurückgezogenem  Kopfe,  beschleunigter  Respiration  und 
jämmerlichem  Aufschreien.  Sofort  Herausnahme  des  Thiers  in  vollständiger  Asphyxie, 
welche  eine  halbe  Minute  anhält;  alsdann  kurze  und  leichte  convulsivische  Bewegungen, 
nach  denen  es  sich  erhebt.  Nach  2  M.  18  angestrengte  Inspirat.  binnen  1/1  M.;  Cornea  auf 
beiden  Seiten  opalisirt,  schleimige  Absonderung  in  den  Augen,  das  rechte  Auge  steht 
etwas  hervor.  Nach  15  M.  22  unregelmässige  Inspirat.,  Bauchlage  mit  ausgespreizten 
Hinterbeinen;  nach  3  Stunden  wenig  angestrengte  Respiration  bei  schwachem  Schleim- 
rasseln. Am  zweiten  Tage  ist  das  linke  Auge  theilweise  verklebt  und  mit  wenig  Eiter 
angefüllt,  rechtes  Auge  vollständig  verklebt:  16  etwas  angestrengte  Inspirat,  binnen  1/4  M., 
Rhonch.  sibilans,  geringe  Fresslust,  häufiges  Zittern  des  Kopfes.  —  Am  dritten  Tage 
ruhiges  Verhalten,  15  angestrengte  Inspirat.:  in  beiden  Augen  eitrige  Flüssigkeit,  die 
Conjunctiva  bulbi  stark  entzündet:  Rhonch.  sibilans  und  sonorus.  Gegen  Abend  winde 
es  in  sitzender  Stellung  todt  gefunden. 

Section  nach  16  Stunden.  Linke  Cornea  in  der  Mitte  stark  opalisirt.  Röthe 
und  Anschwellung  der  gesammten  Conjunctiva,  welche  mit  zähen  weissen  Fäden  bedeckt 
ist:  Gliederstarre  sehr  stark.  Schädelhöhle:  Hirnhäute  hyperämisch.  Ein  6  Linien 
langes  und  1  Linie  breites,  mit  geronnenem  Blute  angefülltes  Gefäss  liegt  auf  den  Corp. 
quadrig.  und  ist  von  einer  sehr  zarten,  strahlenförmigen  Lage  Blutes  umgeben.  Auch 
auf  der  unteren  Fläche  der  Medull.  oblong,  befindet  sich  ein  ganz  oberflächliches,  aus 
geronnenem  Blute  bestehendes  Extravasat:  Plex.  venös,  spinal,  massig  angefüllt. 
Brusthöhle:  Beide  Lungen  vorherrschend  rothbraun,  vielfältig  mit  blassrothen, 
erbsengrossen  Erweiterungen  der  Lungenbläschen  versehen;  alle  braunen  Partien  knistern 
nicht  beim  Durchschneiden;  aus  den  Schnittflächen  dringt  eine  schleimig-blutige  Flüssig- 
keit hervor.  Die  einzelnen  Lungenlappen  schwimmen  auf  dem  Wasser,  einzelne  braune 
Partien  derselben  sinken  aber  vollständig  unter.  Unter  dem  Mikroskope  bemerkt  man 
in  der  blutigen  Flüssigkeit  des  braunen  Parenchyms  viele  „Entzündungskugeln".  In  allen 
Herzhöhlen,  vorzugsweise  im  rechten  Vorhof,  viel  geronnenes  Blut.  Die  Trachealschleim- 
haut  geröthet  und  injicirt,  an  einzelnen  Stellen  lässt  sich  das  aufgelockerte  Epithe- 
lium  abschälen.  Unterleibshöhle:  Leber  blassbraun,  enthält  aber  dunkles,  dick- 
flüssiges Blut;  Galle  braungelb.  Milz  blassblau;  Magen  mit  Futter  angefüllt;  Nieren 
in  der  Corticalsubstanz  blutreich;  in  den  grössenen  Venen  geronnenes  Blut.  Alles  Blut 
ist  vorherrschend  geronnen  und  schwärzlich  braunroth,  es  scheidet  fast  kein  Serum 
aus  und  geht  an  der  Luft  in  dunkle  Kirschröthe  über,  viele  Blutkügelchen  sind  ganz 
zerfallen. 

Beim  Inhaliren  der  Dämpfe  von  Schwefelchloriir  wirken  die  Zersetzungs- 
producte  desselben,  schweflige  Säure  und  Salzsäure,  ein.  Wenn  man  sich 
die  Wirkung  dieser  beiden  Substanzen  vergegenwärtigt,  so  muss  ihr  Zusammen- 
wirken die  grösste  Reizung  in  den  Respirationswegen  verursachen.  Ausfluss 
einer  wässerigen  Flüssigkeit  aus  Nase  und  Mund,  Stechen  in  den  Augen,  Opali- 
sirung  der  Hornhaut  und  Husten  sind  die  ersten  Symptome  der  irritirenden  Wir- 
kung. Die  Entstehung  einer  Conjunctivitis  gehört  besonders  der  Wirkuug  der 
schwefligsauren  Dämpfe  an,  während  die  erschwerte  oder  beschleunigte  Respira- 
tion Effect  der  beiden  Säuren  ist;  der  asphyktische  Zustand  und  die  leichten 
convulsivischen  Bewegungen  dürften  aber  eher  auf  die  schweflige  Säure  zurück- 
zuführen sein.  Erfolgt  der  Tod  nicht  rasch,  sondern  erst  am  dritten  oder  vierten 
Tage,  so  gehen  die  Thiere  in  Folge  der  Lungenaffection  zu  Grunde. 

Wenn  Delpech  nach  Einwirkung  der  Dämpfe  von  Schwefelchlorür  bloss 
eine  sehr  heftig  reizende  Wirkung  und  keine  Symptome  von  Paralyse  beobachtet 
hat,  so  ist  diese  Wahrnehmung  begründet;  wenn  er  aber  Thiere  6  —  7  Tage 
lang  in  einem  Kasten  den  Dämpfen  von  Schwefelchlorür  ausgesetzt  haben  will, 
ohne  dass  der  Tod  hierauf  erfolgt  ist,  so  kann  diese  Beobachtung  nur  richtig 
sein,  wenn  sehr  geringe  Mengen  dieses  Körpers  zur  Einwirkung  gelangt  sind. 

10* 


1  |s  Schwefel  and  Chlor. 

Verwendung  findet  Schwefelchloriir  in  Verbindung  mit  Schwefelkohlen- 
stoff beim  Vulcanisiren  des  Kautschuks,  wobei  sich  aber  in  sanitärer  Beziehung 
hauptsächlich  die  Einwirkung  des  letzteren  kund  gibt  (s.  Schwefelkohlenstoff). 

2  Sehwefelehlorid  SCla  entstellt  durch  Einleiten  von  überschüssigem  Chlor  in 
Schwefel,  lässt  sich  aber  nicht  abdestilliren  Durch  Wasser  zersetzt  es  sich  in  ähnlicher 
wie  Schwefelchlornr  und  .-teilt  eine  dunkelrothe,  beständig  Chlor  ausstossende 
Flüssigkeit  dar,  die  häufig  im  Schwefelchlornr  enthalten  i:-t.  für  sich  aber  keine  Ver- 
wendung findet. 

Schwefeltetrachlorid  SC13  ist  nur  in  Verbindung  mit  einigen  Metallchloriden 
bekannt  Brom  löst  Schwefel  reichlich  auf  und  bildet  eine  dem  Chlorschwefel  ähnliche 
Flüssigkeit  Jod  und  Schwefel  vereinigen  sich  bei  gelinder  Erwärmung:  Schwefel- 
jodür  >_•!_•  -Teilt  eine  schwarzgraue  geschmolzene  Masse  dar. 

Einwirkung  von  Sehwefelehlorid  auf  den  thierisehen  Organismus.  Chlor 
wurde  in  Scbwefelchlorür  geleitet  und  die  Mischung  erwärmt.  Die  sich  bildenden 
Dämpfe  wurden  in  3  Kolbenstössen  in  die  Glasglocke,  unter  welcher  ein  grosses  Kanin- 
chen sass,  getrieben.  Sogleich  starkes  Blinzeln  der  Augen  und  grosse  Unruhe:  nach  2  M. 
nochmals  2  Kolbenstösse :  Zusammenkauern  und  kaum  sichtbares  Athmen.  Nach  3  M. 
7  Inspirat.  binnen  J4  M.;  nach  4M.  12  Inspirat.,  wobei  sich  das  Maul  ein  wenig  öffnet: 
Ansammlung  einer  schleimigen  Flü.-sigkeit  in  den  Augenwinkeln  nebst  Opalisirung  der 
Hornhaut.  Nach  9  M.  sehr  beschwerliche  Respiration  mit  Einziehen  der  Weichenliegend : 
nach  12  M  5  Kolbens  -  -  gleich  grosse  Unruhe  und  heftiges  Putzen  der  Schnauze: 
starkes  Zurückziehen  des  Kopfes  und  Hinfallen.  Nach  15  M.  9  unregelmässige  Inspir.: 
alsdann  Herausnahme  des  Kaninchen:-.  Augen-  und  Maulschleimhaut  reagirt  stark 
snuer:  Ammoniak,  vor  das  Maul  gehalten,  erzeugt  deutliche  weisse  Dämpfe:  die  Augen- 
lieder sind  mit  Schleim  verklebt:  die  Conjunct.  palpebr.  geröthet.  die  Cornea  auf  beiden 
Seiten  opalisirt.  Nach  2  M.  9  Lnspir.  binnen  l  4  5l  :  in  der  Brust  Rhonch.  sibil.  und 
sonor.;  Herzschlag      -  mal.    Nach  6  M.  sehr  angestrengte  Inspirationen ;  schwerfällige 

Abend.-:  10  mit  Schleimrasseln  verbundene  Inspir.  Am  zweiten  Tage  ruhiges 
Verhalten;  Augen  verklebt:  Rhonch.  sibil.  und  sonor..  Respiration  weniger  ange- 
strengt: Fresslust  gering.  Gegen  Mittag  tiefe  und  seltene  Inspirat.  bei  zuiückgezoge- 
nem  Kopfe:  unter  progressiver  Abnahme  der  Athmung  tetanisches  Strecken  und  Tod. 

ion  nach  15  Stunden.  Hornhaut  auf  beiden  Seiten  milch  weiss;  Conjunct.  palp. 
geröthet.  Scbleimfäden  überziehen  die  Cornea.  Schädelhöhle:  Hirnhäute  sehr  hyper- 
ämiscb,  auf  den  Corp.  quadrig.  ein  '■'■  Linien  langes  und  1  Linie  breites,  mit  geronnenem 
Blute  angefülltes  Gefäss;  an  der  Basis  cerebri  erscheinen  sämmtliche  Gefässe  ausgedehnt 
und  angefüllt:  ein  feiner  strahlenförmiger  Kranz  von  ausgetretenem  Blute  umgibt  die- 
selben. Plex.  venös,  spin.  im  Verlaufe  der  Halswirbel  mit  geronnenem  Blute  ange- 
füllt. Brusthöhle:  Beide  untere  Lungenlappen  schwarzbraunroth  mit  hellrothen  Rän- 
dern, die  hintere  Hälfte  des  mittleren  rechten  Lappens  von  derselben  Farbe;  die  übrigen 
Partien  heüroth  und  dunkelbraunroth  marmorirt.  Das  der  dunkel  gefärbten  Oberfläche 
chende  Parenchym  ist  fest,  nicht  knisternd  und  schwimmt  unter  dem  Spiegel  des 
-:  der  mittlere  rechte  Lappen  sinkt  im  Wasser  vollständig  unter.  Auf  den  Durch- 
schnittsflachen  sehr  viel  Schaum  von  sehwaehgelblicher  Färbung:  er  füllt  die  Bronchien 
bis  zum  Larynx  aus.  In  der  blutigen  Flüssigkeit,  welche  man  beim  Durchschneiden 
des  testen  Parenehyms  erhält .  entdeckt  man  viele  Exsudatkörperchen  und  Zellen.  Die 
Trachealschleimhaut  ist  bis  zum  Larynx  mit  einer  aufgelockerten  Epithelialschich t 
bedeckt,  nach  deren  Ablösung  die  tief  braune  Schleimhaut  zu  Tage  tritt.  Unterleibs- 
höhle: Die  braunrothe  Leber  enthält  viel  dickflüssiges,  schwarzes  Blut:  Galle  dunkel- 
grün. Die  Schleimhaut  des  mit  Futter  angefüllten  Magens  ist  normal:  Harnblase 
angefüllt;  sonst  überall  injicirte  Blutgefässe.    Wenig  flüssiges  Blut  hatte  sich  ausgeschie- 

-  blieb  flüssig  an  der  Luft  und  wurde  kirschroth:  viele  Blutkügelchen  erscheinen 
eckig  und  ungleich  gerändert. 

S  awefelchlorid  zersetzt  sich  mit  Wasser  im  ersten  Stadium  in  unter- 
schweflige Säure  und  Salzsäure:  2SC12  -+-  3H20  =  H2S2C\  +  4 HCl.  Die 
gebildete  unterschweflige  Sänre  zerlegt  sich  aber  sofort  weiter  in  schweflige 
Scänre.  Schwefel  und  Wasser:  H2S203  =  S02 -|- H20  +  S.  Die  Dämpfe  von 
Schwefelchlorid  müssen  daher  von  ähnlicher  Wirkung  sein  wie  die  von  Schwefel- 
chloriir: hierfür  sprechen  auch  die  Symptomatologie  und  der  Leichenbefund  bei 
ihn  dnreh  diese  Dämpfe  umgekommenen  Thieren. 


.  Schweflige  Säure.  149 

Schwefel  und  Sauerstoff. 

1)  Schweflige  Sälire  H2S03  existirt  nur  in  Form  von  Salzen;  werden  diese 
durch  eine  stärkere  Säure  zersetzt,  so  zerfällt  H2S03  sofort  in  Wasser  und  Schweflig- 
s  äure- Anhydrid  (S02),  welches  im  gewöhnlichen  Leben  schweflige  Säure  heisst.  S02 
findet  sich  überall,  wo  schwefelhaltige  Substanzen  verbrannt  werden,  also  überall,  wo 
Steinkohlen  verbrennen  oder  Schwefelmetalle  geröstet  werden,  in  der  Nähe  von  Schwefel- 
säure- und  Ultramarinfabriken,  bei  den  Halden  der  Alaunwerke  u.s.w. :  in  vulcanischen 
Eruptionen  fehlt  es  selten.  In  der  Technik  tritt  dasselbe  bei  der  Reduction  der  Schwefel- 
säure auf,  z.  B.  in  Glas-  und  Stearinsäurefabriken,  bei  der  Reinigung  des  Petroleums, 
der  Theeröle  und  bei  der  Darstellung  des  Paraffins  u.  s.  w.  Wo  bisher  von  schwefliger 
Säure  die  Rede  gewesen  ist,  war  darunter  stets  das  Schwefligsäur  e  -  Anhydrid  zu 
verstehen. 

Man  stellt  das  Anhydrid  dar:  1)  durch  Verbrennen  von  Schwefel  in  den  soge- 
nannten Schwefelkammern  zum  Bleichen  von  pflanzlichen  und  thierischen  Substanzen; 
2)  durch  Einwirkung  von  organischen  Substanzen,  namentlich  Holzkohle.  Sägespänen 
u.  dergl. ,  auf  Schwefelsäure;  die  schweflige  Säure  ist  alsdann  mit  Kohlensäure  und 
etwas  Kohlenoxyd  vermischt.  Beide  Methoden  werden  fast  nur  in  der  Technik  benutzt; 
bei  letzterer  geschieht  die  Absorption  in  einem  System  von  Woulff'schen  Flaschen, 
wobei  die  aus  dem  letzten  Gefässe  ausströmenden  Gase  (Kohlenoxyd  und  Kohlensäure) 
unter  den  Rost  einer  Feuerung  geleitet  werden  müssen.  3)  Durch  Einwirkung  mancher 
Metalle,  namentlich  von  Kupfer,  auf  heisse  Schwefelsäure  unter  Bildung  von  Kupfersulfat. 

2  Ho  S04  +  Cu  =  Cu  S04  +  2  H20  +  S  02. 
4)  Durch  Zersetzung  von  schwefligsauren  Salzen  mittels  einer  stärkeren  Säure.    In  beiden 
letzteren  Fällen  erhält  man  die  Säure  rein.     Zum  täglichen  Gebrauch  in  Haushaltungen 
behufs  Vertilgung  von  Obstflecken,  Bleichen  von  Wolle,  Seide  u.  s.  w.  kann  man  sich  zur 
Zersetzung  der  schwefligsauren  Salze  des  gewöhnlichen  Weinessigs  bedienen. 

Das  Anhydrid  ist  ein  farbloses  Gas  von  starkem,  erstickendem  Gerüche,  welches 
weder  die  Verbrennung  noch  das  Athmen  zu  unterhalten  vermag;  es  geht  leicht  in  den 
flüssigen  Zustand  über.  Die  flüssige  Säure  siedet  bei  — 10°  C,  verdampft  unter  der 
Glocke  der  Luftpumpe  und  unter  gewöhnlichem  Atmosphärendruck;  Wasser  absorbirt 
ungefähr  sein  öofaches  Volumen  des  Gases.  Bei  ungehindertem  Luftzutritt  bildet  sich 
in  der  wässerigen  Lösung  bald  Schwefelsäure  H2S04;  ein  Zusatz  von  Chlor,  Brom 
und  Jod  bewirkt  dasselbe. 

S02  +  2H..0  +  2C1  =  H2S04  4-  2  HCL 

Mit  trocknem  Sauerstoff  verbindet  sich  das  Gas  nicht;  nur  unter  Mitwirkung  einer 
Hitze  von  300°  C.  und  von  Platinschwamm  bildet  sich  Schwefelsäureanhydrid  S03; 
Salpetersäure ,  Chromsäure  und  andere  ihren  Sauerstoff  leicht  abgebende  Arerbindungen 
oxydiren  S02  und  werden  selbst  dadurch  reducirt.  Auf  dieser  reducir enden  Kraft 
beruht  sein  Vermögen,  bleichend  auf  manche  Pflanzenfaser  zu  wirken  und  die  Fäulniss 
und  zu  verhindern. 

Einwirkung  der  schwefligen  Säure  auf  den  thierischen  Organismus,  l)  Ein  kleines 
Kaninchen  wird  unter  die  Glasglocke  gebracht  und  eine  wässerige  Lösung  von  1  Drachme 
saurem  schwefligsaurem  Ammonium  erhitzt;  die  Dämpfe  werden  sofort  in  die  Glocke 
geleitet.  Beim  Beginn  des  Versuchs  sogleich  Unruhe,  Thränen  der  Augen  und  Putzen 
der  Nase;  nach  1  Min.  11  Inspirationen;  nach  3  M.  bei  erneuerter  Zuleitung  grössere 
Unruhe;  das  Thier  erhebt  sich,  die  Cornea  wird  trübe  und  der  Kopf  zieht  sich  zurück, 
die  Nasenöffnuug  ist  geröthet.  Nach  8  M.  9  angestrengte  Inspirationen,  wobei  das  Thier 
sich  nicht  mehr  aufrecht  erhalten  kann.  Nach  der  Herausnahme  bleibt  es  ruhig  sitzen. 
Nach  3  M.  15  weniger  angestrengte  Inspirat.,  starkes  Schleimrasseln  in  der  Luftröhre, 
vermehrter  Herzschlag;  nach  3  Stunden  läuft  es  im  Hofe  umher  und  lässt  sich  schwer 
einfangen.  Am  folgenden  Tage  noch  Rhonch.  sibilans  und  mucosus  in  den  Bronchien. 
Am  3.  Tage  14  angestrengte  Inspirat.,  häufiges  Husten:  nach  4  Tagen  20  sehr  ange- 
strengte Inspirat.  bei  häufigem  Husten.  Fresslust  ungestört;  gegen  Abend  vermehrte 
Dyspnoe.  Am  5.  Tage  wird  das  Thier  todt  in  der  Starre  gefunden.  Section  gegen 
Mittag.  Linke  Cornea  opalisirt  in  Form  eines  schmalen  graden  Streifens.  Pia  mater 
sehr  stark  hyperämisch.  Die  Gefässchen  erscheinen  schwärzlich;  ein  6'"  langes  und 
1/2"'  breites  Gefäss  mit  schwarzem  Blutcoagulum  liegt  auf  den  Corp.  quadrig.  und  ist 
mit  etwas  flüssigem  Blute  umgeben.  PI  ex.  ven.  spin.  stark  mit  geronnenem  Blute 
angefüllt.  Zwischen  Dura  mater  und  Wirbel  stellenweise  eine  dünne  Lage  von  Blut. 
Brusthöhle:  Die  Luftröhre  siehtvon  aussen  bläulich  aus,  unter  demLarynx  beginnt  eine 
dünne  Lage  einer  aufgelockerten  Epitheliumschicht,  welche  sich  bis  zum  Eintritt 
der  Bronchien  in  die  Lungen  ausdehnt;  unter  derselben  sieht  die  Schleimhaut  dunkelroth  aus. 
Beide  Lungen  von  braun  rother  Farbe;    der  untere  rechte  Lappen  hat  an   seinem 


150  Schwefel   und  Sauerstoff. 

untern  Drittheile  eine  blassrothe  Farbe  mit  Emphysembildung,  während  2/3  davon  nach 
oben  tief  dunkelbraunroth  erscheinen.  Diese  Partie  sinkt  im  Wasser  und  knistert 
nicht  beim  Durchschneiden.  Der  linke  obere  Lappen  ist  grösstentheils  emphy se- 
in atös;  der  linke  untere  Lappen  ist  nur  am  Rande  emphy sematös,  sonst  braun-  und 
hellroth  marmorirt;  sein  Parenchym  hat  dieselbe  Farbe.  Auf  den  Schnittflächen  tritt 
weisser  resp.  blutig  gefärbter  Schaum  hervor:  nur  sehr  wenig  flüssiges  Blut  findet 
sich  ;  weisser  Schaum  tritt  aus  den  feinsten  Bronchien  überall  hervor  und  setzt  sich  in 
geringerm  Grade  bis  zum  Larynx  fort.  In  der  Brusthöhle  hat  sich  wenig  flüssiges, 
dunkelkirschrothes  Blut  mit  einem  Stich  in's  Violette  angesammelt,  welches  bald  eine 
syrupartige  Beschaffenheit  annimmt.  In  dünnen  Schichten  wird  es  an  der  Luft  etwas 
hellroth,  beim  Eintrocknen  braunrot h:  Blutkügelchen  vielfach  granulirt.  Das  ganze 
Herz  ist  mit  geronnenem  Blute  angefüllt.  Unterleibshöhle:  Leber  ist  hellbraun  und 
enthält  ziemlich  viel  schwarzes,  dickflüssiges  Blut;  in  der  Gallenblase  dunkelgrüne  Galle. 
Milz  blassblauroth ;  Magen  mit  unverdauten  Fwtterresten  angefüllt,  Schleimhaut  normal. 
Die  Corticalsubstanz  der  Niere  sehr  blutreich;    in  der  Harnblase  dunkelgelber  Urin. 

2)  0  Drachmen  saures  sehwefligsaures  Ammonium  werden  erwärmt  und  die  sich 
stark  entwickelnden  Dämpfe  in  die  Glocke,  in  der  sich  ein  mittelgrosses  Kaninchen 
befindet,  eingeblasen.  Etwa  der  20.  Tlieil  der  Lösung  wird  verbraucht;  sogleich  grosse 
Unruhe,  Putzen  der  Nase,  Erheben  des  Körpers  und  Schliessen  der  Augen.  Nach  4  M. 
sinkt  es  auf  den  Boden,  erhebt  sich  dann  wieder  und  sinkt  zur  Seite;  beim  nochmaligen 
Erheben  schwankt  es  bedeutend.  Respirationsbewegung  kaum  bemerkbar;  nach  10  M. 
kurze  convulsivische  Bewegungen  unter  Urinabgang  und  plötzlicher  Tod.  Cornea  opali- 
sirt;  das  Epithelium  an  einzelnen  Stellen  abgelöst,  die  Augen  mit  Thränen  gefüllt.  Sec- 
tion  nach  18  Stunden.  Gehirnhäute  stark  hyperämisch,  namentlich  an  der  Basis;  auf 
den  Corp.  quadrig.  ein  kleines  wurstförmiges,  geronnenes  Blutklümpchen,  umgeben  von 
einer  sehr  dünnen  Lage  flüssigen  Blutes.  PI  ex.  ven.  spin.  mit  geronnenem  und  flüssi- 
gem Blute  angefüllt.  Beim  Zusammendrücken  der  geöffneten  Wirbelsäule  tritt  eine 
dünne  flüssige  Blutlage  zwischen  Wirbel  und  Dura  mater  hervor.  Brusthöhle:  Lun- 
gen hellroth  mit  rothbraunen  Marmorirungen,  letztere  namentlich  auf  der  hintern  Fläche 
der  beiden  untern  Lappen.  Tracheaischleimhaut  von  den  Bronchien  bis  zum  Larynx  mit 
einer  Lage  Schaum  bedeckt,  braunroth  injicirt  und  sammetartig  geschwollen;  auch 
von  aussen  sah  die  Trachea  braunroth  aus.  Parenchym  der  Lungen  dunkelbraun,  auf  den 
Durchschnittsflächen  viel  Schaum  und  etwas  flüssiges  Blut;  an  den  Rändern  der  obern 
Lappen  Emphysem.  In  der  rechten  Herzhälfte  geronnenes  und  wenig  flüssiges  Blut, 
der  Herzmuskel  injicirt.  Unterleibshöhle:  Leber  hellbraun  und  reich  an  dickflüssigem 
Blute.  Milz  blassroth ;  Nieren  in  der  Corticalsubstanz  sehr  blutreich.  In  den  grössern 
Venen  dickflüssiges  Blut,  welches  in  dünnen  Lagen  dunkelroth  mit  einem  Stich  in's  Vio- 
lette erscheint  und  an  der  Luft  eine  helle  Kirschröthe  annimmt;  Blutkügelchen  vielfältig 
zerrissen.     Das  flüssige  Blut  trocknet  ein,  ohne  Serum  auszuscheiden. 

Bei  Thieren  folgen,  wenn  das  Gas  plötzlich  und  in  grosser  Menge  ein- 
wirkt, wildes  Umherrennen,  Hinstürzen,  Convulsionen  uud  Tod  rasch  aufeinander 
(binnen  P/2 — 2M.);  Vögel  sind  am  empfindlichsten  und  selbst  Frösche  ertragen 
S02  schlechter  als  Kohlenoxyd.  Bei  nicht  zu  rascher  Zuleitung  des  Gases  empfin- 
den die  Thiere  starken  Reiz  in  der  Nase,  es  zeigt  sich  Dyspnoe,  viel  Schleim 
sammelt  sich  im  Munde  an,  die  Cornea  trübt  sich  und  ein  asphyktischer  Zustand 
führt  unter  leichten  Zuckungen  oder  Convulsionen  binnen  8 — 12  M.  zum  Tode; 
Erscheinungen,  welche  für  Glottiskrampf  sprechen,  treten  nicht  auf.  Die  Fähig- 
keit der  schwefligen  Säure,  auf  ihrer  Wanderschaft  Sauerstoff  aufzunehmen, 
führt  ihre  höhere  Oxydation  herbei  und  stempelt  sie  zu  einem  Sauerstoffräuber. 
Durch  diese  Sa uer st offent Ziehung  vermag  sie  jedenfalls  den  physiologischen 
Respirationsprocess  zu  stören,  obgleich  sie  unzweifelhaft  auch  als  SO2  in 
die  Lunge  eindringt;  hierfür  spricht  der  Umstand,  dass  sich  bei  Kaninchen 
durch  die  Inhalation  von  S02  Verdichtungen  des  Lungenparenchyms  ausbilden 
können,  wie  aus  dem  1.  Versuche  hervorgeht.  Die  Absorptionsfähigkeit  der 
thierischen  Membranen  für  die  schweflige  Säure  möchte  vorzugsweise  als  die 
Ursache  jener  Erscheinung  zu  betrachten  sein,  weil  die  von  den  Geweben 
aufgenommene  schweflige  Säure  die  Coagulation  der  Eiweisskörper  hervor- 
ruft.    Die    Opalisirung    der  Cornea  entsteht  ebenfalls  in  Folge    der  Verbindung 


Wirkung  der  schwefligen  Säure.  151 

von  S02  mit  den  Häuten.  Dieser  Thatsache  widerspricht  nicht  die  weniger 
energische  Einwirkung  der  Dämpfe  der  Schwefelsäure  (s.  Schwefelsäure),  da  die 
thierischen  Parenchyme  weniger  die  Eigenschaft  besitzen,  sich  direct  mit  den 
Dämpfen  der  Schwefelsäure  zu  verbinden.  Im  Blute  verwandelt  sich  die  schweflige 
Säure  allmählig  in  Schwefelsäure  und  kann  in  diesem  auf  dem  Wege  der  Analyse 
durch  Chlorbarium  nachgewiesen  werden. 

Erfolgt  der  Tod  rasch  in  Folge  intensiver  Einwirkung  der  Säure  im  ge- 
schlossenen Räume,  so  lassen  die  sehr  heftige  Dyspnce,  der  asphyktische 
Zustand  und  die  convulsivischen  Bewegungen  eine  Affection  der  nervösen 
Centralapparate  nicht  verkennen;  die  veränderte  Blutbeschaffenheit  dürfte  hierbei 
ebenfalls  nicht  ohne  Mitwirkung  sein. 

Wird  defibrinirtes  Ochsenblut  direct  mit  schwefliger  Säure  behandelt,  so 
wird  es  dunkelroth,  dunkelbrauu  und  zuletzt  bei  weiterer  Einwirkung  schwarz 
und  dick.  Das  mit  Wasser  verdünnte  Blut  wird  sogleich  schwarz  und  behält 
diese  Farbe  an  der  Luft,  wird  aber  allmählig  gallertartig  wie  bei  der  Einwirkung 
von  Mineralsäuren. 

Bei  der  Section  fällt  das  geronnene  und  dickflüssige  Blut  ganz  besonders 
auf.  Selbst  in  den  Gefässen  der  weichen  Hirnhaut  trifft  man  coagulirte  Blut- 
klümpchen  (vgl.  No.  1  und  2  der  Versuche).  Die  Lungenfarbe  ist  dunkelbraun, 
bisweilen  cacaofarbig;  Emphysem  fehlt  selten.  Viel  Schaum  tritt  überall  auf  den 
Durchschnittsflächen  des  Lungenparenchyms  hervor  und  füllt  alle  Bronchialver- 
zweigungen bis  zur  Trachea  an;  das  aufgelockerte  Epithelium  spricht  für  die 
ätzende  Wirkung,  welche  auf  der  Wasserentziehung  beruht  und  zum  letalen 
Ausgange  mit  beiträgt.  Die  Schleimhaut  der  Trachea  ist  von  Gefässinjectionen 
braunroth  und  sammetartig  geschwollen.  Unter  den  Unterleibsorganen  sind  die 
Nieren  vorherrschend  hyperänrisch.  Die  Blutfarbe  ist  schmutzigbraunroth,  röthet 
sich  aber  an  der  Luft.  Der  Spectralapparat  zeigt  den  Absorptionsstreifen  des 
Hämatins  in  saurer  Lösung,  das  sogenannte  Säureband  im  Roth  zwischen  den 
Fraunhofer'schen  Linien  A  und  B. 

Bei  Menschen  gibt  sich  die  Wirkung  der  schwefligen  Säure  stets  durch  die 
Reizung  der  Respirationswege  kund.  Sie  erzeugt  zunächst  ein  stechendes  Ge- 
fühl auf  der  Nasenschleimhaut  und  ein  Kratzen  im  Halse,  womit  ein  trockner, 
heftiger  und  mehr  oder  weniger  anhaltender  Husten  verbunden  ist.  Dieser  heftige 
Reiz  nöthigt  die  Menschen,  eine  Atmosphäre,  welche  reich  an  schwefliger  Säure 
ist,  alsbald  zu  verlassen,  weshalb  eine  tödtliche  Einwirkung  derselben  nicht  so 
leicht  vorkommt.12)  Selbst  während  des  Schlafes  wird  man  dadurch  zeitig  genug 
geweckt,  um  der  drohenden  Gefahr  zu  entfliehen.  Die  angeblichen  Fälle  von 
Selbstmord  durch  schweflige  Säure  sind  zu  dürftig  mitgetheilt,  um  daraus  zuver- 
lässige Schlüsse  zn  ziehen.  In  chemischen  Fabriken,  in  welchen  man  schweflige 
Säure  darstellt,  kann  durch  Springen  der  Apparate  ein  momentan  massenhaftes 
Auftreten  dieser  gasförmigen  Säure  veranlasst  werden,  so  dass  die  zunächst 
stehenden  Arbeiter  von  starker  Brustbeklemmung  und  dem  heftigsten  Husten 
befallen  werden  können,  wobei  Blut  aus  Nase  und  Mund  stürzt;  auf  diese 
Weise  können  auch  Todesfälle  eintreten.  Plinius  soll  79  n.  Ch.  angeblich  durch 
die  schwefligsauren  Gase  bei  den  Eruptionen  des  Vesuvs  umgekommen  sein.  Bei 
wiederholter  Einwirkung  nicht  zu  grosser  Mengen  schwefliger  Säure  hat  man 
Eingenommenheit  des  Kopfes  und  selbst  asphyktische  Zustände  beobachtet; 
so  wird   der  Fall  berichtet,  dass  ein  Mitglied  eiuer  Familie,  welche  in  einer  Korb- 


15"2  Schwefel   und  Sauerstoff. 

fabrik  wohnte,  in  der  Räucherungen  mit  schwefliger  Säure  vorgenommen  wurden, 
zuerst  Benommenheit  des  Kopfes  empfand  und  späterhin  bei  erneuter  Einwirkung 
dieses  Gases  in  einen  asphyktischen  Zustand  verfiel,  aus  dem  es  erst  nach 
3  Stunden  mittels  ärztlicher  Hülfe  erweckt  werdeu  konnte.™) 

Bei  dem  mannigfachen  Auftreten  der  schwefligen  Säure  in  der  Industrie 
sind  es  namentlich  die  Ultramarinfabrication,  die  Phosphorfabrication  und 
Schwefelsäurefabrication,  bei  welchen  von  ihrer  Einwirkung  auf  die  Arbeiter 
die  Rede  sein  kann.  Vorzugsweise  wird  bei  letzterer  die  Beschäftigung  an  den 
Verbrennungsöfen  der  Kiese  zu  einer  sehr  angesunden  und  verdient  iu  sanitärer 
Beziehung  die  aufmerksamste  Berücksichtigung. 

Beim  Verbrennen  von  Schwefelkies  ist  es  aber  nicht  allein  die  schweflige 
Säure,  sondern  es  sind  auch  die  arsenikalischen  Dämpfe,  welche  hier  zu 
beachten  sind.  Dazu  kommt  noch,  dass  dieselben  Arbeiter  häufig  auch  das 
zur  Darstellung  der  Salpetersäure  dienende  Gemisch  von  Schwefelsäure  und 
Salpeter  in  dem  Verbrennungsofen  aufzustellen  resp.  aus  demselben  herauszuholen 
haben,  wobei  sie  alsdann  mehr  oder  weniger  den  salpetersauren  Dämpfen  aus- 
gesetzt sind.  Bei  vorhandenen  Krankheitszuständen  ist  deshalb  die  Entscheidung 
sehr  schwierig,  welche  nachtheiligen  Einflüsse  eingewirkt  haben,  da  sich  diese 
selten  so  charakteristisch  äussern,  dass  prägnante  Symptome  die  Diagnose  erleich- 
tern. Die  Ursache  hiervon  liegt  in  der  Verdünnung  der  einwirkenden  Gase  und 
Dämpfe  sowie  in  den  meist  hohen  und  luftigen  Räumlichkeiten,  in  welchen 
grade  die  Verbrennungsöfen  liegen.  Nur  eine  lange  und  wiederholte  Einwirkung 
der  Schädlichkeiten  wird  schliesslich  ein  complicirtes  Krankheitsbild  hervorrufen, 
für  dessen  Zustandekommen  auch  noch  der  starke  Luftzug  in  den  Fabrikräumen 
in  Rede  kommen  kann.  So  ist  z.  B.  in  der  Nähe  der  Bleikammern  der  Geruch 
nach  schwefliger  Säure  meistens  iutensiv  und  doch  wird  dieselbe  sich  hier  fast 
nie  als  solche  geltend  machen,  weil  bei  der  losen  Bedachung  der  Fabrik  eine 
beständige  Luftströmung  auf  den  Gängen  zu  den  Bleikammern  herrscht;  hier- 
durch entstehen  viel  leichter  Katarrhe  und  Rheumatismen  als  Iutoxicationen  durch 
schweflige  Säure. 

Hirt14)  behauptet,  dass  die  schweflige  Säure,  wenn  sie  verdünnt  inhalirt 
wird,  in  einigen  Fällen  einen  wohlthätigen  Einfluss  auf  die  Verdauung  durch 
die  Erhöhung  des  Appetits  ausübe.  In  den  industriellen  Verhältnissen,  in  welchen 
die  schweflige  Säure  auftritt,  haben  wir  nie  eine  ähnliche  Beobachtung  gemacht, 
was  auch  kaum  möglich  sein  dürfte,  da  S02  namentlich  in  Schwefelsäurefabriken 
fast  nie  rein,  sondern  grade  da,  wo  sie  sich  am  meisten  geltend  macht,  stets  in 
Gemischen  mit  andern  Gasen  und  Dämpfen  auftritt. 

Immerhin  ist  aber  festzuhalten,  dass  die  schweflige  Säure  ein  sehr  diffe- 
rentes  Gas  ist,  welches  nicht  bloss  eine  örtliche  Reizung  der  Respiratiouswege, 
sondern  auch  eine  Alteration  des  Blutes  mit  allen  ihren  nachtheiligen  Folgen  für 
Ernährung  und  Blutbildung  bedingen  und  ein  Siechthum  erzeugen  kann,  das 
man  bei  Fabrikarbeitern  häufig  in  den  weiten  Rahmen  des  chronischen 
Lungenkatarrhs  oder  der  Dyspepsie,  Säurebildung  etc.  zu  bringen  geneigt 
ist  (s.  Schwefelsäure). 

Zeller15)  spricht  von  einer  chronischen  Vergiftung  durch  schwef- 
lige Säure,  welche  er  in  den  Trockenräumen  für  Zuckerrüben  beobachtet  haben 
will.  Die  Zuckerrüben  werden  daselbst  auf  einem  eisernen  Drahtgeflecht  durch 
Hitze,    die   sich  aus  mit  Koks  geheizten  Backsteiuöfeu    entwickelt,    getrocknet, 


Einfluss  der  schwefligen  Säure  auf  die  Vegetation.  153 

wobei  sich,  bekanntlich  neben  schwefliger  Säure  auch  noch  erhebliche  Mengen  von 
Kohlenoxyd  und  Kohlensäure  bilden.  Auch  dies  Gasgemisch  wird  verschiedene 
Krankheitszustände  bedingen,  je  nachdem  das  eine  oder  andere  Gas  vorwaltet;  es 
wird  chronische  Leiden  erzeugen,  wenn  es  in  einem  verdünnten  Zustande  zur 
Einwirkung  gelangt  und  die  den  geringen  Mengen  der  Gase  entsprechenden  Krank- 
heitserscheinungen hervorruft,  welche  langsam  fortschleichen  und  fast  unmerklich 
den  Organismus  zerrütten,  indem  eben  die  Schädlichkeit  zwar  nicht  anhaltend, 
aber  doch  immer  aufs  Neue  einwirkt.  Ebenso  wird  man  bei  den  Arbeitern  in 
den  Schwefelsäurefabriken  häufig  chronische  Gesundheitsstörungen  beobachten 
können,  ohne  dass  man  ein  charakteristisches  und  den  mannigfachen  dort  vor- 
kommenden Gasen  und  Dämpfen  entsprechendes  Krankheitsbild  zu  entwerfen 
vermag.  Höchstens  sind  es  verschiedene  Augenaffectionen,  die  man  der 
specifischen  Einwirkung  der  schwefligen  Säure  zuschreiben  kann,  eine  Wirkung, 
welche  beim  Schwefel  beginnt  und  bei  seinen  verschiedenen  Verbindungen  sich 
wiederholt  (s  Schwefel).  Hauptsächlich  ist  es  die  Conjunctiva  der  Augenlieder 
und  des  Bulbus,  welche  durch  Schwefel  afficirt  wird:  auch  entstehen  nach  den 
vorliegenden  Erfahrungen  ausser  Kopfschmerzen  und  Zittern  namentlich 
Brustbeklemmung,  Dyspnoe  und  eine  Art  von  trocknem  und  convulsi- 
vischem  Asthma,  wenn  in  einem  eingeschlossenen  Räume  schweflige  Säure  längere 
Zeit  in  verdünntem  Zustande  eingeathmet  wird,  während  sich  die  intensivere 
Einwirkung  auf  die  Schleimhaut  der  Respirationswege  und  das  Lungenparenchym 
nicht  kund  gibt. 

Die  Wirkung  der  schwefligen  Säure  auf  die  Vegetation  tritt  bei  metal- 
lurgischen Processen,  beim  Zinkhüttenbetrieb  aus  Blende,  bei  der 
Schwefelsäure-  und  ültramarinfabrication,  beim  Rösten  der  Alaun- 
erze,  bei  der  Glas-  und  Steariusäurefabrication  vorzugsweise  auf. 
Meistens  ist  die  schweflige  Säure  bereits  in  der  Atmosphäre  zu  Schwefelsäure 
oxydirt,  ehe  sie  auf  den  Boden  gelangt ;  die  Wirkung  der  schwefligen  und 
Schwefelsäure  wird  sich  namentlich  dann  zeigen,  wenn  die  Atmosphäre  wasserreich 
ist.  Nur  starker  Regen  schwächt  die  Wirkung  ab,  weil  dadurch  ein  Abwaschen 
der  Pflanzen  erfolgt;  sie  ist  aber  auch,  wie  bei  allen  schädlichen  Einflüssen  dieser 
Art,  während  der  Still  Standsperiode  der  Vegetation  am  schwächsten;  bei  den 
Nadelhölzern  wirkt  die  schweflige  Säure  jedoch  im  Sommer  und  Winter  nach- 
theilig ein;  die  Krankheit  derselben,  die  man  als  „Schütten"  bezeichnet,  dürfte 
hauptsächlich  dem  Einflüsse  dieser  Säure  zuzuschreiben  sein. 

Lauhhölzer  leiden  am  meisten  in  der  Blüthezeit,  namentlich  wenn  im  Früh- 
jahr Nebel  eintreten,  welche  die  schweflige  Säure  auf  die  sich  entwickelnde  Blüthe 
niederschlagen.  Obstbäume,  die  früh  zur  Blüthe  gelangen,  z.  B.  Aprikosen, 
Pfirsiche,  die  Pflaumenarten  etc.  können  auf  diese  Weise  derart  afficirt  werden,  dass 
sie  ihre  Blüthenknospen  abwerfen.  Es  kann  dann  höchstens  noch  zur  Entwick- 
lung von  Blättern  kommen;  wiederholt  sich  aber  dann  die  schädliche  Ein- 
wirkung, so  tritt  eine  vollständige  Erschöpfung  ein,  wenn  auch  die  Wurzel  in- 
tact  bleibt. 

Futterkräuter  leiden  am  meisten  während  ihrer  kräftigen  Vegetationszeit; 
die  Blätter  werden  zuerst  duukler,  mehr  braungelb,  alsdann  braun  und  zuletzt 
gelb.  Fast  alle  sauren  Gase  üben  diese  Wirkung  aus.  Ein  Topf  mit  Brassica 
olerac.  wurde  unter  eine  Glocke  gebracht,  die  nur  1IiqY.  Proc.  schwefliger  Säure 


l,r,4  Schwefel  und  Sauerstoff. 

enthielt,;  nach  45  M.  zeigte  sich  schon  ein  vollständiges  Hinwelken  der  Blätter; 
ihre  Farbe  ging  in  eine  schinutzig-bräunliehgrüne  über.  Mau  nimmt  gewöhnlich 
au,  dass  eine  Atmosphäre,  welche  5—10  V.  Th.  der  Säure  auf  1000  V.  Th.  enthält, 
eiue  nachtheilige  Einwirkung  auf  die  Vegetation  auszuüben  vermag. 

Unschädlichmachung  der  schwefligen  Säure.  Bei  dem  häufigen  Auftreten  und 
dem  mannigfachen  schädlichen  Einfluss  dieser  Säure  ist  es  von  der  grössten 
Wichtigkeit,  die  Mittel  uud  Wege  kennen  zu  lernen,  durch  welche  sie  unschädlich 
gemacht  wird.  Man  kann  hier  absorbireude  und  oxydirende  Mittel  unter- 
scheiden. 

1)  Zu  den  absorbirenden  Mitteln  gehören  Wasser,  Alkalien,  alkalische 
Erden,  Metalloxyde  und  organische  Substanzen  (feuchte  Sägespäne).  Wasser 
und  Alkalien  reichen  nicht  aus,  wenn  es  sich  darum  handelt,  die  bei  grossen  chemischen 
Processen  auftretende  Säure  unschädlich  zu  machen.  Kalk  verkrustet  sich  leicht  durch 
die  Bildung  von  schwefligsaurem  Calcium,  wodurch  die  Absorption  von  schwef- 
liger Säure  aufhört;  bei  Üeberschuss  von  schwefliger  Säure  bildet  sich  auch  saures 
schwefligsaures  Calcium,  welches  einen  Theil  der  schwefligen  Säure  freimacht.  Würde 
in  Kalkmilch  ein  Rubrer  angebracht,  so  dass  der  schwefligen  Säure  immer  neue  Be- 
rührungsflächen dargeboten  würden,  so  könnte  unter  Umständen  der  Zweck  für  längere 
Zeit  erreicht  weiden.  Bei  Anwendung  von  Calciumcarbonat  wirkt  die  sich  ent- 
wickelnde Kohlensäure  begünstigend  auf  die  Absorption  ein,  da  das  gebildete  schwer- 
lösliche schwefligsaure  Calcium  von  der  Kohlensäure  mechanisch  weggedrückt  wird;  bei 
gehörigem  Wrasserzufluss  würde  alsdann  das  gebildete  schwefligsaure  Calcium  stets  weg- 
gespült. Sind  aber  noch  andere  Gase,  z.  B.  salpetersaure  und  salzsaure,  vorhanden,  so 
werden  diese  durch  die  Kohlensäure  mechanisch  mit  fortgerissen. 

Metalloxyde,  wie  Eisenoxyd,  Kupferoxyd  u.  s.  vv.,  sind  besonders  bei  Röst- 
processen  zu  benutzen,  wenn  die  schweflige  Säure  in  grosser  Menge  auftritt;  schliess- 
lich lässt  man  alsdann  das  Gas  nasses  Calciumcarbonat  durchstreichen.  Brauneisen- 
stein, Eisenocker,  überhaupt  eisenoxydhydrathaltiges  Gestein  eignen  sich 
ganz  besonders  zur  Bindung  von  S02,  da  sich  hierbei  seh wefelsaures  Eisenoxydul 
bildet,  welches  in  concentrirter  Lösung  gewonnen  werden  kann.  Im  Anfange  der  Reac- 
tiou  entsteht  schwefligsaures  Eisenoxydul  neben  schwefelsaurem. 

Fr2  03  +  2  S02  =  Fe  S03  +  Fe  S04. 
Ersteres    geht    durch    die    Einwirkung    des    atmosphärischen    Sauerstoffs    allmählig    in 
Eisenvitriol  (Eisensulfat,  Ferrosulfat)  FeS04  +  7H20  über. 

Wendet  man  Malachit  (Kupfercarbonat  CuC03)  oder  andere  kupferoxydhaltige 
Erze  an,  so  bildet  sich  durch  die  Einwirkung  von  S02  Kupfervitriol. 

2  (Cu  0)  4-  S02  =  Cu  S04  +  Cu. 
Sägespäne,  vorher  auf  Platten  erwärmt,  geben  ein  vortreffliches  Absorptionsmittel  für 
S02   ab,    wenn   sie   an  Ort   und   Stelle   zum   Bleichen   von   Wolle,   Seide  u.  s.  w.  benutzt 
werden  können. 

2)  Zu  den  Oxydationsmitteln  gehören  Bleisuperoxyd  (Mennige),  verdünnte 
Ch  rom  säurelösung  und  Mangan  super  oxyd  (Braunstein  Mn02).  Sie  binden  das 
Oxydationsproduct,  führen  es  als  neutrale  Substanz  weg  und  sind  vorzugsweise  da 
anzuwenden,  wo  S02  in  grosser  Verdünnung  auftritt.  Bleisuperoxyd  und  die 
Chromsäurelösung  (Kaliumchromat  mit  Schwefelsäure)  sind  nur  da  anwendbar,  wo 
der  Kostenpunct  nicht  massgebend  ist.  Der  Braunstein  bietet  in  jeder  Beziehung 
bedeutende  Vortheile  dar;  er  ist  billig  und  verwandelt  mit  grosser  Energie  S02  selbst 
bei  grosser  Verdünnung  durch  indifferente  Gase  in  Unter  schwefelsaure  (Dithion- 
säure  H2S20«)*),  wobei  Mangausuperoxyd  in  unterschwefelsaures  Mangan  übergeht. 

Ist  S02  mit  Stickoxyd  und  Untersalpeter  säure  gemischt,  so  verliert  Man- 
gansuperoxyd   die   Hälfte    seines    Sauerstoffs,    während    die  Untersalpetersäure 


*)  Der  Name  Thionsäure  rührt  von  Detov  (Schwefel)  her;  Dithionsäure 
existirt  nur  in  wässeriger  Lösung;  ihr  Mangansalz  bildet  sich,  wenn  man  S02  in 
Wasser,  in  dem  gepulverter  Braunstein  vertheilt  ist,  leitet. 

Mn02  +  2S02  =  MnS20G. 
In  wäseriger  Lösung  zerfällt   die  Säure   in    Schwefelsäure    und    Schwell  ig- 
sä  u  rean  hy  d  ri  d. 

H2S20G  =  H2S04  4-S08. 


Technische  Verwendung  der  schwefligen  Säure.  155 

unter  Stickstoffentwicklung  vollständig  ihren  Sauerstoff  einbiisst;  sämmtlicher  Sauerstoff 
wirft  sich  auf  S02  und  bildet  damit  Schwefelsäure,  die  sich  mit  dem  Manganoxydul 
zunächst  zu  schwefelsaurem  Manganoxy d  ul  verbindet  (s.  Mangan). 

In  der  neueren  Zeit  benutzt  man  die  bei  chemischen  Processen  ab- 
fallende SOo  möglichst  zur  Fabrication  der  Schwefelsäure,  wenn  ihre 
Menge  eine  ausreichende  ist.  Durch  die  Einleitung  von  S02  in  die  Blei- 
kammern kommt  das  Princip  der  Unschädlichmachung  dieser  Dämpfe 
auch  am  sichersten  zur  Geltung,  wenn  die  localen  Verhältnisse  oder  das 
zu  verarbeitende  Erz  die  Scnwefelsäurefabrication  gestatten  (s.  Zink- 
blende). 

3)  Es  ist  hier  noch  zu  erwähnen,  dass  durch  gegenseitige  Einwirkung  von  S02 
und  Schwefelwasserstoffwasser  Penthathionsäure  H2S506  unter  Ausscheidung  von 
Schwefel  entsteht*). 

5S02  +  5H2S  =  H2S506  +  4H20  +  5S 

Zur  Zerstörung  von  H2S  ist  daher  S02  ein  vortreffliches  Mittel  und  werden  auf  diese 
Weise  beide  Gase  unschädlich  gemacht. 

Die  technische  Verwendung  der  schwefligen  Säure.  Sie  findet  in  vierfacher  Weise 
statt:  1)  als  Bleichmittel  für  thierische  stickstoffhaltige  Substanzen  (Seide,  Wolle, 
Federn,  Badeschwamm,  Leim,  Borsten,  Darmsaiten),  für  Stroh-  und  Korb  mach  er- 
waaren.  Man  unterscheidet  das  Bleichen  mit  flüssiger  und  gasförmiger 
schwefliger  Säure;  in  letzterem  Falle  findet  das  sogenannte  Schwefeln  statt.  Die 
schweflige  Säure  wirkt  ganz  anders  wie  Chlor  beim  Bleichen,  sie  verbindet  sich 
hierbei  mit  den  Farbstoffen  der  organischen  Gebilde  zu  farblosen  Verbindungen. 
Wenn  aus  letzteren  durch  eine  stärkere  Säure  die  schweflige  Säure  wieder  aus- 
geschieden wird,  so  tritt  entweder  die  ursprüngliche  Farbe  oder  die  Modification 
derselben  durch  die  stärkere  Säure  auf.  Es  ist  deshalb  auch  erklärlich,  warum 
die  durch  schweflige  Säure  gebleichten  Stoffe  allmählig  ihre  ursprüngliche  Farbe 
wieder  annehmen,  weil  die  schweflige  Säure  bei  Gegenwart  von  Wasser  auch  in 
organischen  Verbindungen  sehr  begierig  den  atmosphärischen  Sauerstoff  aufnimmt 
und  Schwefelsäure  bildet,  welche  nun  zersetzend  auf  den  andern  Theil  der 
schwefligsauren  Farbenverbindung  einwirkt. 

Thierische  Stoffe,  wie  Haare,  Wolle,  Seide  u.  s.  w.,  werden  durch  Chlor  in 
ihrer  Structur  verändert;  namentlich  verliert  die  Wolle  dadurch  ihre  Elasticität;  es 
muss  deshalb  die  schweflige  Säure  zur  Anwendung  kommen.  Da  diese  Stoffe  mehr  oder 
weniger  schwefelhaltig  sind  und  durch  die  allmählig  sich  bildende  Schwefelsäure  atta- 
quirt  werden,  so  tritt  hier  bei  der  Zersetzung  der  chemischen  Verbindung  Schwefel- 
wasserstoff auf.  Wickelt  man  die  so  gebleichten  Stoffe  in  Bleipapier  ein,  so  wird 
dasselbe  um  so  mehr  geschwärzt  werden,  je  längere  Zeit  seit  dem  Bleichprocess  ver- 
flossen ist.  Der  unangenehme  Geruch,  den  die  auf  diese  Weise  gebleichten,  namentlich 
wollenen  Stoffe  behalten,  rührt  von  der  Zersetzung  der  thierischen  Substanz  durch  die 
gebildete  Schwefelsäure  her;  um  denselben  zu  vermeiden,  müssen  daher  solche  Stoffe 
durch  eine  verdünnte  Lösung  von  Natriumkarbonat  gezogen  werden. 

Beim  Schwefeln  der  Stoffe  tritt  auch  häufig  Schwefeldampf  auf,  der  sich 
auf  das  Zeug  ablagert  und  zu  einer  beständigen  und  schwachen  Entwicklung  von  H2S 
Veranlassung  geben  kann,  wenn  dies  nachträgliche  Bad  unterlassen  wird. 

2)  Als  Desoxydationsmittel  ist  die  schweflige  Säure  zur  Reduction  der 
Arsensäure,  der  chromsauren  Salze,  zum  Ausfällen  von  Selen  und  Tellur  u.  s.  w. 
und  ganz  besonders  bei  der  Scnwefelsäurefabrication  von  grosser  Bedeutung  (s.  die 
betreffenden  Artikel). 

3)  Als  antiseptisches  Mittel  dient  sie  zum  Schwefeln  des  Weins,  des 
Hopfens,  zum  Conserviren  des  Fleisches,  beim  Raffiniren  des  Zuckers  u.  s.  w.    Die 


*)  Die  Trithionsäure  H2S306  existirt  nur  in  Salzen  und  die  Tetrathion- 
säure  H2S406  nur  in  wässeriger  Lösung;  beide  Säuren  haben  keine  technische  Be- 
deutung. 


156  Schwefel  und  Sauerstoff. 

Versuche  von  Braconuot,  Fleisch  und  Gemüse  mittels  der  schwefligen  Säure 
frisch  zu  erhalteu,  haben  sich  indess  nicht  bewährt  und  mau  benutzt  sie  in  dieser 
Richtung  vorzugsweise  zur  Erhaltung  der  eingemachten  Früchte,  indem  man  in 
dem  für  die  Aufnahme  der  Früchte  bestimmten  Gefässe  Schwefel  abbrennen  lässt. 

Auf  der  Eigenschaft  von  S02,  Fäulniss  und  Gährung  aufzuheben,  beruht  auch 
das  Schwefeln  des  Weins.  Sie  wirkt  dadurch,  dass  sie  theils  mit  den  stickstoff- 
haltigen Substanzen  gährungsunfähige  Verbindungen  eingeht  und  theils  die  Einwirkung 
des  Sauerstoffs  abhält,  indem  sie  ihn  anzieht  und  sich  dadurch  allmählig  in  Schwefel- 
säure umwandelt :  diese  hat  in  sehr  kleinen  Mengen  kaum  Einfluss  auf  den  Geschmack 
des  Weines,  da  sie  bei  jungen  Weinen  genug  Kalk  findet,  um  als  Gyps  präcipitirt  zu 
werden.  Wo  S02  noch  nicht  diese  Umwandlung  gemacht  hat,  erzeugt  sie  bei  reizbaren 
Constitutionen  manchmal  eine  lästige  Eingenommenheit  des  Kopfes,  namentlich  im 
Vorderkopfe.  Bei  den  südlichen  zuckerreichen,  aber  gerbsäurearmen  Weinen  ist  dies 
Verfahren  absolut  erforderlich.  In  betrügerischer  Weise  wird  auch  bisweilen  der 
Traubenmost,  ehe  er  zur  Gährung  kommt,  auf  stark  geschwefelte  Fässer  gebracht; 
indem  S02  auf  die  fermentbildenden  Substanzen  einwirkt,  hebt  sie  die  Gährung  auf  oder 
verzögert  sie  wenigstens.  Die  Weine  bekommen  dadurch  anfangs  einen  lieblichen  Ge- 
schmack und  ein  schönes  Bouquet,  sind  aber  nachher  wegen  der  Bildung  von  Schwefel- 
säure dem  Sauerwerden  sehr  ausgesetzt*). 

Durch  das  Schwefeln  des  Hopfens  bezweckt  man  die  Erhaltung  des  äthe- 
rischen Oels,  das  ausser  dem  stickstoffhaltigen  Bitterstoff  (Lupulin)  und  der  Gerb- 
säure zu  den  wichtigsten  Bestandteilen  des  Hopfens  gehört  und  dem  Biere  vorzüglich 
das  Aroma  und  den  Geschmack  verleiht. 

Das  Hopfenöl  enthält  einen  Kohlenwasserstoff,  der  zu  den  Amylverbin- 
dungen  gehört  und  durch  Aufnahme  von  Sauerstoff  in  Baldriansäure  übergeht,  wo- 
durch der  alte  Hopfen  einen  unangenehmen  Käsegeruch  erhält. 

Durch  das  bchwefeln  wird  die  Einwirkung  des  atmosphärischen  Sauerstoffs  abge- 
halten, ohne  dass  der  Hopfen  dadurch  nachtheilige  Eigenschaften  erhält.  Weil  man  aber 
auf  diese  Weise  auch  dem  alten  und  gebräunten  Hopfen  eine  frischere  Farbe  beizubringen 
sucht,  ist  in  Baiern  das  Schwefeln  des  Hopfens  verboten :  im  Regierungsbezirk  Mittel- 
franken  war  dasselbe  nur  für  den  Export-Hopfen  erlaubt.  **) 

4)  Als  Desinfectionsmittel  reicht  die  schweflige  Säure  in  manchen 
Fällen  aus,  oft  wird  sie  aber  in  dieser  Beziehung  von  Chlor  übertroffen.  Tritt 
nämlich  die  schweflige  Säure  mit  organischen  Substanzen  zusammen,  so  hebt  sie 
bei  vielen  pflanzlichen  Gebilden  (Hefe,  Algen.  Conferven  u.  s.  w.)  die  Lebensfunc- 
tion  auf.  ohne  ihre  Constitution  zu  zerstören;  bei  Chlor  findet  dagegen  eine  voll- 
ständige Umwandlung  resp.  Zerstörung  der  Gebilde  statt,  indem  es  mit  deren  Wasser- 
stoff Salzsäure  bildet. 

Am  sichersten  werden  die  Kleider  der  Krätzkranken  durch  das  Verbrennen 
von  Schwefel  desinficirt:  in  den  Hospitälern  existiren  für  diese  Procedur  besondere,  aus 
Eisen  construirte  Heizkammern.    Zur  Heilung  der  Krätze  wurden   früher  in  Frankreich 


*)  Die  Methode  von  Pastrur  verdient  hier  erwähnt  zu  werden ,  nach  welcher 
junge  Rothweine  behufs  besserer  Conservirung  einer  Erwärmung  von  CO0  ausgesetzt 
wercTen:  die  gut  gefüllten  und  verkorkten  Flaschen  werden  auf  Stroh  liegend  in  einem 
Wasserbade  etwa  \'2  Stunde  auf  60  —  65°  C.  erwärmt.  Solche  Weine  sollen  an  Geruch, 
Geschmack  und  Reife  bedeutend  edler  werden,  auch  vor  dem  Bitter  werden  geschützt 
bleiben. 

**)  Alten  und  verdorbenen  Hopfen  erkennt  man  übrigens  leicht  durch  eine  Loupe, 
da  diesem  die  glänzenden  gelben,  das  ätherische  Oel  enthaltenden  Drüschen  auf  dem 
Fruchtboden  fehlen.  Der  chemische  Nachweis  wird  durch  Ausziehen  mit  Wasser  ge- 
liefert, welches  man  alkalisch  macht  und  dann  mit  Nitroprussidnatrium  versetzt; 
bei  vorhandener  schwefliger  Säure  bildet  sich  eine  intensiv  rothe  Farbe.  Man  kann  auch 
den  Hopfen  auf  glühende  Kupferplatten  legen,  wobei  sich  der  Schwefel  in  schweflige 
Säure  verwandelt  und  durch  den  Geruch  verräth,  wenn  nämlich  das  Schwefeln  höchst 
roh  ausgeführt  ist  und  der  Schwefel  als  Substanz  am  Hopfen  haftet.  Die  neueste  Me- 
thode zur  Conservirung  des  Hopfens  besteht  in  einem  njch  geheim  gehaltenen 
chemischen  und  mechanischen  Verfahren:  auch  ist  man  der  Darstellung  eines  brauch- 
baren Hopfen  ext  racts  näher  getreten. 


Fabrication  der  wässrigen  schwefligen   Säure. 


157 


vielfach  Bäder  von  gasförmiger  schwefliger  Säure  benutzt,  wobei  jedoch  grosse  Vorsicht 
nothwendig  ist.16) 

Wendet  man  die  gasförmige  schweflige  Säure  in  Wohnräumen  an,  so  muss 
man  Vorhänge.  Betten  und  überhaupt  Gespinnste  aus  Pflanzenfasern  entfernen,  weil  die 
aus  der  schwefligen  Säure  entstehende  Schwefelsäure  zerstörend  auf  die  Pflanzenfaser 
einwirkt.  Will  man  übrigens  die  entwickelte  schweflige  Säure  rasch  wieder  aus  einem 
Räume  entfernen ,  so  erzeuge  man  mittels  eines  Gemisches  von  Salpeter  und  Schwefel- 
säure salpeter saure  Dämpfe,  damit  sich  die  rascher  entfernbare  Untersalpeter- 
säure sowie  Schwefelsäur  e  bilden;  Istztere  verbindet  sich  innig  mit  dem  Kalkmörtel. 

Zur  Desinfection  der  Wäsche,  Kleider  u.  s.  w.  eignet  sich  die  wässerige 
schweflige  Säure  am  besten:  wird  sie  zum  Beuchen  benutzt,  so  ist  zu  beachten, 
dass  die  Arbeiter,  welche  viel  mit  der  wässerigen  schwefligen  Säure  in  Berührung 
kommen,  an  den  Händen  eine  aufgeweichte  Haut  bekommen.  Die  Epidermis  erscheint 
graugelb  und  blättert  sich  an  manchen  Stellen  ab;  namentlich  leiden  der  Daumen  und 
Zeigefinger,  wenn  mit  diesen  die  eingebeuchten  Gegenstände,  die  zwischen  Walzen  laufen, 
ausgedehnt  werden:  es  müssen  deshalb  Kautschuküberzüge  bei  dieser  Arbeit  angelegt 
werden. 

Fabrication  der  wässerigen  schwefligen  Säure  und  der  schwefligsauren  Salze  im 

Grossen.    Es  ist  hierbei  besonders  auf  den  Schutz  der  Arbeiter  vor  der  schwefligen 

Säure  zu  achten.    Folgende  Methode  ist  in  sanitärer  Beziehung  sehr  zu  empfehlen: 

Zum  Verbrennen  des  Schwefels  benutzt  man  einen  röhrenförmigen,  ziemlich  hohen 
eisernen  Schwefelofen  (Fig.  10.  A).     Die   sich   entwickelnde   schweflige  Säure  passirt  ein 

Fig.  10. 


Kühlrohr  (ß),  welches  durch  zuströmendes  Wasser  abgekühlt  wird;  alsdann  gelangen 
die  Dämpfe  in  einen  länglichen,  mit  Blei  ausgefütterten  Kasten _  (Absorptionsgefäss  D), 
in  dessen  Innern  Scheidewände  derart  angebracht  sind,  dass  sich  das  Gas  schlangen- 
förmig  hindurchwinden  muss.  Bei  0  ist  ein  Gefäss  mit  Wasserverschluss  für  die  Auf- 
nahme der  Condensationsflüssigkeit.  Der  Boden  des  Kastens  ist  stark  geneigt;  das  Gas 
tritt  an  der  tiefsten  Stelle  ein.  Der  Kasten  muss  beständig  abgekühlt  werden.  Die  Ab- 
sorptionsflüssigkeit (Wasser  bei  der  Darstellung  von  wässeriger  schwefliger  Säure,  Soda- 
lauge bei  der  von  schwefligsaurem  Natrium)  befindet  sich  in  einem  besonderen  Reser- 
voir (E)  oberhalb  des  Absorptionsgefässes  und  zwar  an  einer  dem  Eintritt  der  schwefligen 
Säure  entgegengesetzten  Steile.  Die  Flüssigkeit  fliesst  in  einem  continuirlicken  Strome 
in  das  Absorptionsgefäss  (bei.F),  muss  also  die  verschiedenen  Abtheilungen  allmählig 
ausfüllen  und  fliesst  an  der  tiefsten  Stelle,  wo  die  schweflige  Säure  eintritt,  durch  ein 
Sförmig  gebogenes  Rohr  (G)  in  einen  Canal  (H)  ab.  Trotz  dieser  sinnreichen  Vorrichtung 
ist  die  Absorption  selten  so  vollkommen,  dass  nicht  schliesslich  schweflige  Säure  dem  Ab- 


l')g  Schwefel  und  Sauerstoff. 

sorptionsgefässe  leicht  entweicht;  zur  Bindung  desselben  wird  das  abströmende  Gas  durch 
das  Rohr  (/)  in  ein  Gefäss  (A.°)  geleitet,  welches  mit  kry stallisirter  Soda  angefüllt 
ist.  Man  wählt  dieses  Salz,  weil  es  mehr  Krvstallwasser  als  das  schwefligsaure  Natrium 
enthalt.  Es  wird  alsdann  bei  der  Absorption  von  S02  durch  das  Natriumcarbonat  so  viel 
Wasser  frei,  dass  das  sclnvefligsaure  Salz  durch  das  unter  dem  siebförmigen  Boden  an- 
gebrachte S  förmige  Rohr  (.V)  in  den  Ballon  N  geführt  wird.  Das  abströmende  Gas, 
fast  nur  aus  Kuhlen  säure  bestehend,  entweicht  durch  das  Rohr  L  in  den  Schornstein 
und  das  unveränderte  Natriumcarbonat  bleibt  im  Gefässe  zurück.17) 

Die  solnvefligsauren  Salze,  Snltite,  entstehen  ausser  durch  Einleiten  von  SO.,  in 
Wasser,  in  dem  eine  Basis  gelöst  ist,  auch  mittels  gegenseitiger  Zersetzung  eines 
Alkalisulfits  durch  die  Salzlösung  eines  andern  Metalls.  An  der  Luft  gehen  alle  Sulfite 
in  Sulfate  über. 

K2S03  +  0  =  K2S04. 
Alle,  Säuren  /ersetzen  die  schwefligsauren  Salze   in  S02  und  das  Salz  der  betref- 
fenden Säure. 

K3S03+2HC1=2KC1  +  H30  +  S03. 

Dadurch  nehmen  sie  als  Mittel  zum  Bleichen  und  zum  De  sin  ficiren  dieselbe  Stellung 
wie  die  untersc  h  we  fligsauren  Salze,  die  Hyposulfite,  ein;  letztere  Art  der 
Darstellung  von  S02  ist  für  viele  Zwecke  passender,  leichter  ausführbar  und  auch  in 
sanitärer  Beziehung  geeigneter,  als  die  durch  Verbrennen  des  Schwefels. 

Unter  den  Sulfiten  kommen  am  häufigsten  vor:  Natriumsulfit,  Natrum  sul- 
furosum  und  zwar  als  secundäres  oder  neutrales  Na2S03  und  als  primäres  oder  saures 
NaHS03:  auch  Calcium  sulfit  Ca2S03  tritt  bei  vielen  technischen  Processen  auf. 

2)  Unterschweflige  Sänre  H2S203.  Sie  wurde  von  Vavqvr-lin  1800  in  ihrer  Ver- 
bindung mit  Natrium  entdeckt  und  ist  nur  in  Verbindung  mit  Basen  bekannt.  Im 
Grossen  stellt  man  das  unterschwefligsaure  Salz  dar.  indem  man  die  entsprechenden 
Mischlingsgewichte  der  Schwefelmetalle  mit  schwefligsauren  Salzen  in  wässeriger 
Lösung  zusammenbringt.  Es  kann  dies  füglich  geschehen,  indem  man  das  Schwefel- 
alkali bei  Gegenwart  von  Wasser  dem  atmosphärischen  Sauerstoff  längere  Zeit  aussetzt. 
(Man  vergl.  die  Rückstände  bei  der  Sodafabrication.) 

Nicht  minder  häufig  stellt  man  die  Salze  durch  Kochen  wässeriger  Lösungen  eines 
schwefligsauren  Salzes  mit  Schwefel  dar;  man  setzt  das  Kochen  mit  Schwefel  so  lange 
fort,  bis  der  Ueberschuss  des  Schwefels  geschmolzen  ist. 

Na2S03+S  =  Na2S,,03. 

Wird  die  unterschweflige  Säure  mittels  einer  stärkeren  Säure,  z.  B  Schwefelsäure, 
aus  dem  Salze  geschieden,  so  zerfällt  sie  sofort  in  schweflige  Säure,  Schwefel  und  das 
betreffende  Natriumsalz. 

N2  S2  03  +  H2  S04  =  Na,  S04  4-  S02  +  S  +  H2  0. 

Technische  Verwendung  der  nnterschwefligsauren  Alkalien.  Am  meisten 
wird  das  unterschwefligsaure  Natrium  (Natriumhyposulfit,  Natrum  sub- 
sulfnrosum)  N2S2O3  benutzt  und  zwar  zur  Extraction  des  Chlorsilbers  bei  der 
Silbergewinnung  aus  den  Rückständen  der  Photographie,  zur  Scheidung  des 
Arsens  aus  Kobalt-  und  Nickelerzen,  zur  Scheidung  des  Zinns  von  Antimon  und 
Arsen,  zur  Reduction  verschiedener  Farbstoffe,  z.  B.  des  Indigos  beim  Drucken; 
auch  dient  es  zur  Darstellung  verschiedener  Farben,  namentlich  des  Antimon- 
zinnobers, indem  man  es  in  eine  saure  Antimonlösung  bringt.  Da  es  sämmt- 
liche  Silbersalze,  namentlich  Chlor-,  Jod-  und  Bromsilber  leicht  löst,  so  ist 
es  in  der  Photographie  und  Dagnerreotypie  unentbehrlich;  Chlor,  Jod  und  Brom 
werden  durch  die  Lösung  des  Salzes  in  ihre  Wasserstoffverbindungen  übergeführt. 
Als  Antichlor,  behufs  Entfernung  von  Chlor  aus  dem  Papier,  kann  der  gefällte 
Schwefel  wegen  seiner  Oxydation  zu  S02  und  H2S04  nachtheilig  werden;  oft 
zieht  man  deshalb  Natriumsulfit  vor.  Beim  Versetzen  des  Natriumhyposulfits 
mit  Säuren  ist  stets  auf  die  reichliche  Entwicklung  von  SOo  zu  achten.  Eine 
wässrige  Lösung  des  Salzes  mit  Salzsäure  wird  häufig  zum  Bleichen  vegetabilischer 
Stoffe,   namentlich  von  Seide  und  feinen  Strohsachen,   sowie  zum  Desinficiren 


Schwefelsäure.  ]  59 

benutzt.  Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  bei  der  Anwendung  des  Gaskalks 
zu  Desinfectionszwecken  der  Gehalt  an  unterschwefligsauren  Salzen  mitwirkt. 
Die  Zersetzung  durch  Säuren  darf  nie  in  Gefässen  ans  Eisen  oder  Zink  vor- 
genommen werden,  weil  diese  Metalle  unter  Wasserstoffentwicklung  von  der 
Zersetzungssäure  gelöst  werden  und  sich  alsdann  Schwefelwasserstoff  in  Masse 
entwickelt.  In  der  Pyrotechnik  dient  Natriumhyposulfit  zur  Darstellung  vou 
unterschwefligsaurem  Blei  PboS203. 

3)  Schwefelsäure  H2S04.  In  der  Nähe  der  Vulcane  entsteht  die  frei  in  der  Natur 
vorkommende  Schwefelsäure  durch  Oxydation  der  schwefligen  Säure.  In  Südamerika 
befindet  sich  ein  an  einem  Vulcan  an  den  Anden  entspringender  Essig fluss  (Rio  Vi- 
nagre),  welcher  sehr  grosse  Mengen  Schwefel-  und  Salzsäure  dem  Meere  zuführt:  auch 
in  Nordamerika  und  in  Java  gibt  es  schwefelsäurehaltige  Gewässer.  Die  grossartigsten 
Verbrennungsprocesse  schwefelhaltiger  Verbindungen  im  Innern  der  Erde  müssen  hier 
die  schweflige  Säure  liefern,  welche  durch  weitere  Oxydation  in  Schwefelsäure  übergeht. 

In  Verbindung  mit  Basen  ist  die  Schwefelsäure  über  die  ganze  Erde  verbreitet; 
hierher  gehören  z.  B.  Gyps,  Schwerspath,  Alaun,  Glaubersalz,  Bittersalz,  die  Vitriole 
von  Eisen,  Kupfer,  Zink,  Kobalt,  Uran  etc. 

Bödeker  und  T/os'-kel  haben  im  Speicheldrüsengewebe  einer  gi'ossen  Schnecke  in 
Sicilien  (Dolium  Galea  Lam.)  Schwefelsäure  und  Salzsäure  nebst  schwefelsauren  und 
andern  Salzen  nachgewiesen;  wird  eine  solche  Schnecke  gereizt,  so  spritzt  sie  mit 
grosser  Kraft  dieses  Secret  hervor. 

Banilius  Valentimis  beschreibt  im  15.  Jahrhundert  zuerst  die  Darstellung  der 
Schwefelsäure  genauer;  sie  wurde  bis  zum  1 5.  Jahrhundert  fast  ausschliesslich  aus  dem 
Eisenvitriol  gewonnen,  wie  es  gegenwärtig  noch  in  der  Nähe  von  Goslar  geschieht. 
Leferre  und  Lempi-y  führten  im  17.  Jahrhundert  die  Verbrennung  von  Schwefel  und 
Salpeter  ein;  als  Protestanten  mussten  sie  unter  Ludwig  XIV.  nach  England  fliehen 
und  verbreiteten  hier  diese  neue  Methode  der  Darstellung.  So  entstand  die  erste  Fabrik 
zu  Richmond  bei  London,  wodurch  England  ausschliesslich  den  Markt  mit  Schwefel- 
säure bekam  und  der  Name:  „Englische  Schwefelsäure"  fast  allgemein  eingeführt 
wurde. 

Statt  der  zur  Fabrication  benutzten  gläsernen  Glocken  und  Ballons  errichtete 
Feebuk  in  Birmingham  1746  grosse,  inwendig  mit  Blei  ausgeschlagene  Kammern  aus 
Mauerwerk  und  ermöglichte  dadurch  erst  eine  reichliche  Production  von  Schwefelsäure. 
In  Frankreich  entstand  1774  die  erste  Fabrik  dieser  Art  und  gegen  Ende  des  vorigen 
Jahrhunderts  wurde  in  den  Rheinlanden  von  Backenberg  zu  Bonn  die  Schwefelsäure- 
Industrie  eingeführt.  Man  hat  mit  Recht  behauptet,  dass  die  Schwefelsäurefabrication 
in  allen  Ländern  einen  Massstab  für  die  allgemeine  Entwicklung  der  Industrie  liefert. 

Auch  gegenwärtig  wird  die  Schwefelsäure  noch  in  Bleikammern  dargestellt;  man  ver- 
brennt Schwefel  oder  vorzugsweise  Schwefelkies  und  leitet  die  entstandene  schweflige 
Säure  in  die  Bleikammern,  wo  sie  mit  Salpetersäuredämpfen  zusammentrifft  und  zu 
Schwefelsäure  sich  oxydirt.  Bei  diesem  Processe  ist  es  von  der  grössten  Wichtigkeit, 
dass  sich  die  Salpetersäure  stets  regenerirt,  so  dass  man  mit  kleinen  Mengen  Salpeter- 
säure grosse  Mengen  Schwefelsäure  darstellen  kann.  Damit  die  durch  die  schweflige 
Säure  reducirte  Salpetersäure  sich  regenerire,  sind  Wasser  und  Sauerstoff  notn- 
wendig;  es  wird  nämlich  die  Salpetersäure  durch  die  schweflige  Säure  in  Unter- 
salpetersäure übergeführt,  während  Schwefelsäure  H.i,S04  entsteht. 
2HN03  +  S03  =  H2  S04  +  2N02. 

Die  Untersalpetersäure  zerlegt  sich  durch  Wasser  wieder  in  Salpetersäure  und 
Stickstoff  oxvd- 

3N02  H-  H20  =  2HNO3  4-  NO. 

Das  Stickoxyd  verbindet  sich  alsdann  direct  mit  dem  Sauerstoff  der  Luft  zu 
Untersalpetersäure  NO  +  0  =  N02,  welche  bei  Gegenwart  von  Wasser  wieder 
Salpetersäure  und  Stickoxyd  gibt,  so  dass  eigentlich  der  Sauerstoff  der 
Luft  die  Oxydation  der  schwefligen  Säure  durch  Vermittlung  der  Sal- 
petersäure bewirkt;  daher  muss  in  den  Kammern  stets  Wasser  und 
Sauerstoff  vorhanden  sein.  Das  Wasser  wird  in  die  Kammern  in  _  Form  von 
Wasserdampf  geführt;  der  Sauerstoff  gelangt  zugleich  mit  der  schwefligen  Säure 
hinein.  Es  wird  nämlich  beim  Verbrennen  des  Schwefels  der  Zug  in  den  Oefen  so 
regulirt,  dass  überschüssige  Luft  stets  vorhanden  ist.  Die  so  entstehende  Säure  (Kam- 
mersäure) darf  nicht  zu  concentrirt  sein,  weil  concentrirte  Schwefelsäure  mit  Unter- 
salpetersäure   eine   krystallinische    Verbindung    (Kammerkrystalle    HS03(N02))    bildet, 


1(30  Schwefel   und  Sauerstoff. 

welche  die  Kammern  stark  angreift  und  ausserdem  einen  Verlust  an  Salpetersäure  her- 
beiführt.1" 

Die  rohe  oder  englische  Schwefelsäure,  Aeidum  sulfuricum  erudum,  ist  eine 
dicke,  ölige  Flüssigkeit,  die  bei  0°  grosse  farblose  Krvstalle  mit  1  Molec.  Wasser 
von  der  Zusammensetzung:  HjSO^  -+-  ILO  absetzt;  ihr  spee.  Gewicht  ist  1,83,  ihr  Wasser- 
gehall v  "  ,,.  Sie  zieht  mit  grosser  Begierde  Feuchtigkeit  an  und  dient  deshalb  zum  Aus- 
trocknen der  Gas«»:  auch  zerstört  sie  viele  organische  Körper,  indem  sie  ihnen  Wasser- 
stoff und  Sauerstoff  entzieht  und  den  Kohlenstoff  frei  macht:  sie  verkohlt  daher  Bolz. 
Kork  und  ähnliche  Körner.  Mit  Wasser  vermischt  sie  sich  in  allen  Verhältnissen  und 
unter  grosser  Temperaturerhöhung;  man  darf  daher  nie  Wasser  zur  Schwefelsäure 
uie-sen,  sondern  man  muss  umgekehrt  letztere  in  dünnem  Strahl  zum  Wasser  zufiiessen 

Durch  Destillation  der  rohen  Schwefelsäure  erhält 'man  die  reine  destillirte 
Schwefelsäure,  Aeidum  sulfuricum  mit  einem  Wassergehalt  von   1,5%. 

Schwefelsäureanliydrid  S03  erhält  man  durch  Erwärmen  der  rauchenden 
Schwefelsäure  in  langen  farblosen  Prismen:  es  raucht  sehr  stark  an  der  Luft. 

Früher  stellte  man  namentlich  in  Nordhausen  Schwefelsäure  aus  Eisensulfat  (FeS04) 
dar.  welches  in  thönernen  röhrenartigen  Retorten  geglüht  wurde,  wobei  SOj  und  S03 
entstand. 

2FeS04  =  Fe.,03  +  SO,.  +  S03. 
Sobald  S03  aber  mit  Wasser  zusammentrifft,  bildet  sich  sofort  Schwefelsäure. 

S03  +  HoO  =  H,S04. 
Gewöhnlich  nimmt  man  nur  wenig  Wasser,  das  zur  TJeberfübrung  des  Schwefelsäure- 
anhydrids S03v  in  Schwefelsäure  nicht  ausreicht:  man  erhält  daher  das  in  Schwefel- 
säure aufgelöste  Schwefelsäureanhydrid  oder  die  rauchende  Schwefelsäure 
(Nordhäuser  Vitriolöl),  eine  dicke  ölige,  meistens  bräunlich  gefärbte,  an  der  Luft 
rauchende  Flüssigkeit,  aus  welcher  bei  gelindem  Erwärmen  das  Schwefelsäureanhydrid 
abdestillirt   werden  kann. 

Einwirkung  der  dampfförmigen  englischen  Schwefelsäure  auf  den  thierischen 

Organismus.  Ein  mittelgrosses  Kaninchen  sitzt  unter  der  Glasglocke,  während  4Grm.  Acid. 
sulph  conc  verdampft  werden :  die  Dämpfe  ei  zeugen  eine  weissliche  Atmosphäre  in  der 
Glocke.  Bei  der  ersten  Einwirkung  derselben  wird  das  Thier  unruhig  und  schreit  auf; 
als  es  herausgenommen  und  dann  nach  einer  halben  Stunde  wieder  in  eine  dichtere 
Dampf atmosphäre  gebracht  worden,  bleibt  es  ruhig.  Nach  3  M.  18  Inspirationen:  nach 
5  M.  Putzen  des  iiauls  und  nach  10  M.  unruhige  Bewegungen:  nach  20  M.  starker 
Husten.  Bei  neuer  Zufuhr  der  Dämpfe  Putzen,  Husten  und  Zurückziehen  des  Kopfes, 
wobei  die  Augen  ein  wenig  thränen.  Nach  1  Stunde  treten  keine  weitern  Veränderungen 
ein;  die  Zahl  der  Inspir.  bleibt  18.  Bei  der  darauf  folgenden  Herausnahme  bewegt  es 
sich  sogleich  und  die  Respiration  regulirt  sich:  Nachkrankheiten  zeigten  sich  in  keiner 
Weise. 

Dampf  förmige  Schwefelsäure  greift  den  tb.ieriscb.en  Organismus  nur 
wenig  an,  weil,  wie  schon  erwähnt  worden,  die  thierischen  Gewebe  sich  weniger 
innig  mit  den  Schwefelsäuredämpfen  zu  verbinden  vermögen;  ausserdem  senken 
sich  die  Dämpfe  bekanntlich  schnell  zu  Boden  und  nehmen  sehr  begierig  Wasser 
auf,  wodurch  stets  nur  eine  verdünnte  Säure  zur  Wirkung  gelangt. 

Der  irritirende  Effect  der  Dämpfe  gibt  sich  durch  den  Reiz,  welchen  sie 
auf  der  Nasen-  und  Kehlkopfschleimhaut  erzeugen,  hinreichend  kund,  indem  die 
Thiere  jedesmal  bei  neuer  Zufuhr  der  Dämpfe  heftig  Nase  und  Maul  putzen  und 
häufig  aufhülfen;  diese  Einwirkung  lässt  aber  alsbald  nach,  sobald  sich  die 
Dämpfe  auf  den  Boden  gesenkt  haben.  Bei  fortdauernder  Zufuhr  derselben  würde 
allerdings  die  corrosive  Einwirkuug  zunehmen  und  schlimmsten  Falls  durch  die 
Beschädigung  der  Respirationswege  schliesslich  Erstickung  entstehen. 

In  der  Industrie  tritt  die  dampfförmige  Schwefelsäure  nicht  häufig  auf. 
Ausser  in  Schwefelsäurefabriken  entwickelt  sich  davon  am  meisten  bei  Zugute- 
machung  der  Nickel-  und  Kobalterze,  wenn  saures  schwefelsaures  Kalium  oder 
Natrium  bei  der  Glühhitze  einwirkt;  auch  kommt  sie  bei  der  Darstellung  der 
rauchenden  Schwefelsäure  aus  eleu  sauren  schwefelsauren  Alkalien  vor.    Da  jedoch 


Schwefelsäurekidustrie.  161 

diese  verschiedenen  Processe  meistens  in  Räumen,  in  welchen  sich  eine  hin- 
reichende Ventilation  befindet,  vorgenommen  werden,  so  fällt  die  nachtheilige  Ein- 
wirkung der  dampfförmigen  Schwefelsäure  in  der  Industrie  nicht  sofort  in  die 
Augen. 

Es  ist  übrigens  nicht  unwahrscheinlich,  dass  in  den  Fällen,  wo  Arbeiter  über 
Magensäure,  gestörte  Verdauung  und  ihre  Folgen  klagen,  vorzugsweise  die  ver- 
schluckten schwefelsäurehaltigen  Dämpfe  (selbstverständlich  auch  wenn  diese  als 
Oxydationsproduct  der  schwefligen  Säure  einwirken)  als  Ursache  solcher  Leiden 
anzusehen  sind.  Es  ist  dies  um  so  wahrscheinlicher,  als  bekanntlich  in  Fabriken, 
in  welchen  viele  Chlordämpfe  auftreten,  ähnliche  Zustände  bei  den  Arbeitern 
vorkommen.  Die  Dämpfe  der  Schwefelsäure  werden  aber  wegen  ihrer  specifischen 
Schwere  weniger  leicht  die  Arbeiter  afficiren,  während  die  schweflige  Säure  länger 
in  der  Atmosphäre  verweilt,  hier  oxydirt  wird  und  alsdann  als  Schwefelsäure  sich 
geltend  machen  kann. 

Ueber  die  schliesslichen  Folgen  der  Seitens  der  Arbeiter  eingeathmeten 
oder  aufgenommenen  Schwefelsäure  in  Bezug  auf  die  Störung  der  physiologischen 
Processe  fehlen  noch  genauere  Untersuchungen.  Ob  und  inwieweit  das  Blut  die 
aufgenommene  Säure  noch  zu  neutralisiren  vermag,  ob  nicht  zuletzt  die  All- 
gemeinwirkungen der  Säure,  nämlich  die  Ernährungsstörungen  und  die  fettigen 
Degenerationen  der  verschiedenen  Unterleibsorgane,  eintreten  werden,  dürfte  noch 
näher  festzustellen  sein  und  eine  sorgfältige  Beobachtung  der  betreffenden  Arbeiter 
erheischen.  Es  gilt  dies  in  gleichem  Masse  von  der  dampfförmigen  Einwirkung 
anderer  Mineralsäuren. 

Schwefelsä  u  rei  ndustri  e. 

Da  in  neuester  Zeit  fast  nur  Schwefelmetalle  und  unter  diesen  ganz  beson- 
ders der  Schwefelkies  (Eisenkies,  Pyrit,  Eisenbisulfid  FeSg)  zur  Dar- 
stellung der  Schwefelsäure  benutzt  werden,  so  erscheint  es  zweckmässig,  das  dabei 
übliche  Verfahren  hier  in  erster  Linie  zu  erörtern,  zumal  es  in  sanitärer  Be- 
ziehung die  meiste  Aufmerksamkeit  verdient.  Es  sind  hierbei  verschiedene  wichtige 
Puncte  zu  beachten,  um  die  Arbeiter  vor  Schädigung  ihrer  Gesundheit  und  die 
Adjacenten  vor  grosser  Belästigung  zu  schützen. 

Die  Aufspeicherung  des  Rohmaterials.  Der  mit  bituminösen  Fossilien  ge- 
mengte und  daher  feine  Schwefelkies  entzündet  sich  sehr  leicht;  er  darf  deshalb 
nicht  frei  auf  dem  Boden  lagern,  damit  nicht  durch  Feuchtigkeit  eine  schliesslich 
bis  zur  Entzündung  sich  steigernde  Oxydation  eintrete;  der  Fussboden  des  Lager- 
raums muss  ganz  trocken,  wasserdicht,  wo  möglich  asphaltirt  sein,  damit  nicht 
die  etwaigen  Oxydationsproducte  in  den  Boden  dringen  und  benachbarte  Brunnen 
verderben. 

Die  Aufbereitung  oder  Zerkleinerung  des  Schwefelkieses.  Dieselbe  geschieht 
entweder  mittels  Maschinen  oder  durch  Handarbeit  mit  Hämmern.  Es  entsteht 
hierbei  ein  für  die  Arbeiter  höchst  gefährlicher  S  t  a  u  b ,  welcher  die  Respirations- 
organe bis  zum  Bluthusten  reizen  kann;  er  verdient  daher  die  grösste  Be- 
achtung und  gehört  zu  den  Hauptschädlichkeiten  bei  der  Schwefelsäurefabrication. 
Die  Arbeiter  müssen  sich  durch  Vorbinden  von  Schwämmen  vor  Nase  und  Mund 
sorgfältig  vor  dem  Einathmen  dieses  Staubes  schützen. 

Der  Röstprocess.  Derselbe  bezweckt  die  Ueberführung  des  Schwefels  im 
Kiese  in  die  schweflige  Säure  S02.     Die  hierbei  gebräuchlichen  Oefen  sind  sehr 

Eulenberg,  Gewerbe-Hygiene.  11 


Iß2  Schwefel  und  Wasserstoff. 

verschieden  construirt  und  es  ist  für  die  Beuriheilung  der  Schwefelsäurefabrication 
absolut  noth  wendig,  wenigstens  die  wichtigsten  derselben  kennen  zu  lernen. 

Röhrenöfen.  In  Schweden  und  Norwegen  wird  der  Schwefelkies  noch  in 
schiefliegenden  Röhren  (Röhrenöfen)  geröstet;  die  Schwefelsäure  ist  hierbei  mit 
deu  verschiedenen  Metalloxyden  verunreinigt  und  nur  zu  metallischen  Processen 
brauchbar. 

Kilns.  In  England  heissen  die  Kiesöfen  Kilns  und  stellen  Schachtöfen 
dar,  wovon  oft  mehrere  kreisförmig  um  einen  gemeinschaftlichen  Schornstein  ge- 
stellt sind.  Der  Ofen  mit  starkem  horizontalen  Roste  ist  von  dickem  Mauerwerk 
umgeben  and  wird  durch  beliebiges  Brennmaterial  vor  der  Beschickimg  stark  er- 
hitzt, Die  zerkleinerten  Kiese  werden  durch  eine  Oeffnung  im  oberen  Theile  des 
Ofens  eingetragen  und  zwar  so  lange,  bis  die  Kiesschicht  ungefähr  80  Ctm.  hoch 
ist.  Die  Luft  tritt  durch  deu  Aschenfall  unter  dem  Rost  ein  und  kann  ihr  Zu- 
tritt mittels  eines  Schiebers  beliebig  regulirt  werden;  beim  Nachfüllen  soll  der 
Schieber  ganz  geschlossen  sein,  damit  der  Zug  nur  durch  die  Füllöffnung  eintritt 
und  die  Arbeiter  nicht  zu  sehr  von  den  Dämpfen  zu  leiden  haben. 

Das  Beschicken  der  Oefen  ist  bei  schlechter  Construction  derselben  mit 
grosser  Belästigung  für  die  Arbeiter  verbunden,  wenn  nämlich  der  Luftstrom  ein 
so  starker  ist,  dass  beim  Oeffnen  des  Fülltrichters  nicht  unerhebliche  Mengen  von 
S02  entweichen.  Die  Arbeiter  können  bei  keinem  anderen  Processe  in  der 
Schwefelsänrefabrication  einem  grösseren  sanitären  Nachtheile  ausgesetzt  sein  als 
bei  diesem;  ebenso  beruht  grade  in  dieser  Procedur  häufig  auch  eine  Quelle  der 
Belä  itigung  für  die  Adjacenten. 

Je  ärmer  die  Kiese  an  Schwefel  sind,  desto  häufiger  ist  das  Nachfüllen  er- 
forderlich und  desto  häufiger  wiederholt  sich  der  genannte  Nachtheil;  es  sind 
daher  Massregeln  zu  treffen,  um  diesem  vorzubeugen.  Zweckmässig  ist  bei 
Schachtöfen  die  Verwendung  eines  besonderen  Füllkastens,  welcher  einen 
mobilen  Boden  resp.  Scheibenschieber  hat  und  luftdicht  auf  den  Fülltrichter  passt; 
der  obere  Deckel  ist  mit  einem  abwärts  gerichteten  Rande  versehen,  der  in 
eine  Rinne  eiugreift  und  mit  einem  Sandverschluss  versehen  ist.  Wenn  die  Kiese 
eingegeben  sind,  wird  der  Deckel  aufgelegt,  der  ganze  Kasten  auf  den  Fülltrichter 
aufgesetzt  uud  alsdann  der  Scheibenschieber  geöffnet,  wodurch  die  Entweichung 
von  SOo  nach  aussen  verhütet  wird. 

Das  Ausziehen  des  abgerösteten  Erzes  ist  in  sanitärer  Beziehung 
ein  eben  so  wichtiger  Act.  Die  schwefelreichen  Pyrite  enthalten  durchschnittlich 
I  2°/0  Arsen;    ein  Theil   derselben  tritt  während  der  Verbrennung  mit  S02 

aus,  ein  anderer  bleibt  an  Eisen  gebunden  im  Rückstande;  werden  nun  die 
glühenden  Massen  ausgezogen,  so  exhaliren  sie  ausser  S02  auch  Arsen  und  ar- 
senige Säure.  Diese  Rückstände  dürfen  daher  zur  Abkühlung  sich  nicht  selbst 
aberlassen  bleiben,  sie  müssen  so  rasch  als  möglich  abgelöscht  werden,  um  der 
Entwicklung  dieser  schädlichen  Gase  und  Dämpfe  vorzubeugen.  Ausserdem 
würden  sie  sich  an  der  freien  Luft  sehr  bald  in  Eisenvitriol  verwandeln, 
der  durch  Regen  weggespült  werden  kann  und  zwar  zum  Nachtheile  der  zu- 
nächst gelegenen  Vegetation  und  Wasserläufe;  sie  sind  deshalb  in  mit  Wasser 
gefüllte  cementirte  Gruben  zu  bringen,  in  welchen  sich  Kasten  mit  Böden  von 
eisernen  Drahtsieben  befinden.  Sobald  der  Röstrückstand  einen  solchen  Kasteu 
gefüllt  hat,  wird  er  durch  eiuen  Krahnen  aufgewunden,  das  Wasser  zum  Ablaufen 
gebracht  und  der  Inhalt  entleert;    da  das  Löschwasser  durch  das  Hineinwerfen 


Der  Röstprocess.  163 

der  heissen  Kiesabbrände  grösstentheils  verdampft,  so  muss  stets  neues  Wasser 
zufliessen. 

Ein  -weiterer  Fortsehritt  in  der  Schwefelsäurefabrication  nahm  mehr  auf  die  Form 
des  Rostes  Rücksicht.  Um  namentlich  grössere  Kiesstücke  (Stuck,  Stuff)  zu  ver- 
brennen, wurden  Roststäbe  eingeführt,  welche  entweder  drehbar  sind  oder  fest 
liegen.  In  Frankreich  hat  man  sich  schon  lange  der  drehbaren  Roststa.be  bedient, 
während  in  Belgien  und  an  vielen  Orten  in  Deutschland  die  Roste  noch  fest  sind;  diese 
haben  den  sanitären  Nachtheil,  dass  die  Arbeiter  die  Abbrände  mit  langen  eisernen 
Haken  auskratzen  und  sich  dabei  den  schwefligsauren  Dämpfen  im  höchsten  Grade  aus- 
setzen müssen.  Gemindert  wird  diese  gefährliche  Arbeit  dadurch,  dass  ein  grosser 
Canal  unter  dem  Rost  beginnt  und  mit  dem  Schornstein  in  "Verbindung  steht,  um  den 
beim  Ausleeren  entstehenden  Qualm  absaugen  zu  lassen:  späterhin  wird  der  Canal 
durch  einen  Schieber  wieder  vom  Schornstein  geschieden.  Der  bewegliche  Rost, 
wobei  die  Roststäbe  ganz  ausgezogen  werden  können,  gestattet  ein  directes  Ablassen 
der  Abbrände  in  einen  unter  dem  Ofen  stehenden  Erzhund  oder  noch  besser  in  ein  mit 
Wasser  gefülltes  Bassin.  Dieser  Aschenraum  muss  aber  ebenfalls  mit  dem  Schornstein 
in  Verbindung  gesetzt  werden  können,  um  die  schweflige  Säure,  welche  von  den  Kies- 
abbränden  exhalirt  wird,  abzuleiten.  Auf  diese  Weise  wird  die  schweflige  Säure 
wenigstens  nach  Aussen  abgeführt  und  alsdann  um  so-  mehr  verdünnt,  je  höher 
der  Schornstein  liegt.  Ein  möglichst  hoher  Schornstein  ist  daher  stets  die 
Hauptbedingung,  wenn  es  sich  um  die  Concession  einer  Schwefelsäure- 
fabrik handelt.  Bei  einem  grossartigen  Betriebe  müsste  aber  die  in  dieser  Weise 
auftretende  schweflige  Säure  vor  ihrem  Eintritt  in  den  Schornstein  auch  noch  durch 
einen  Canal,  welcher  mit  den  die  schweflige  Säure  absorbirenden  oder  oxydirenden 
Mitteln  beschickt  würde  (s.  S.  154),  geleitet  werden,  damit  die  Adjacenten  und  die  be- 
nachbarte Vegetation  keinen  Schaden  dadurch  erleiden.  Selten  geht  man  aber  in  den 
zu  treffenden  Massregeln  so  weit,  weshalb  auch  die  Klagen  der  Nachbarschaft  von 
Schwefelsäurefabriken  sehr  häufig  laut  werden  und  zwar  in  den  meisten  Fällen  mit 
Recht.  Die  Bemühungen,  die  Kiesöfen  zu  verbessern,  verfolgen  bisher  mehr  industrielle 
Zwecke,  d.  h.  die  gehörige  Ausnutzung  der  Erze,  und  nur  bei  einigen  Oefen  hat  man 
wenigstens  auch  auf  den  benutz  der  Arbeiter  Rücksicht  genommen. 

Stucköfen  oder  Stuffkiesöfen.  Der  in  der  Rheinprovinz  und  an  vielen 
anderen  Orten  zu  verarbeitende  Schwefelkies  hat  meistens  die  Grösse  von  Bruch- 
steinen, welche  man,  wie  oben  erwähnt  worden,  zur  Grösse  von  Hühnereiern 
zerklopft  oder  mittels  mechanisch  getriebener  Steinbrecher  behandelt.  Es  entsteht 
hierbei  der  sehr  zu  beachtende  Staub  und  ca.  20 — 25%  Gries,  der  am  besten 
in  dem  nachher  zu  erwähnenden  Schlich-  oder  Schüttofen  verwerthet  oder 
mit  Thon  oder  Lehm  zu  Batzen  geformt  wird,  um  im  Stuffkiesöfen  verbrannt 
zu  werden. 

Die  Kiesstücke  werden  durch  Füllthüren  (Fig.  11.  6,  e,  b\  die  nach  dem  Char- 
giren sofort  hennetisch  verschlossen  werden,  auf  die  in  gusseisernen  Lagern  drehbaren 
elliptischen  Roststäbe  (»,  a,  «)  gebracht,  wo  sie  in  einer  Schicht  von  40 — 47  Ctm.  lagern 
und  ohne  jeden  Zusatz  von  Brennmaterial  verbrennen,  nachdem  der  Ofen  in  Betrieb 
gesetzt  worden.     Der  Zutritt  der  Luft  wird  durch  die  Thüren  (d,  c/,  d)  regulirt. 

Beim  Oeffnen  der  Füllthüren  und  beim  Chargiren  treten  stets  die  schwefligsauren 
Dämpfe  auf;  deshalb  ist  der  Aufenthalt  in  den  Ofenhäusern  der  schädlichste  bei  der  ganzen 
Schwefelsäurefabrication  und  zwar  um  so  mehr,  weil  man  selten  geeignete  Massregeln 
zur  schnellen  Ableitung  dieser  Dämpfe  trifft.  Zwar  versieht  man  diese  Ofenhäuser  mit 
hohem  Dache,  deckt  sie  mit  losen  Dachpfannen  und  bringt  zuweilen  auch  noch  Dachreiter 
an,  den  Arbeitern  wird  jedoch  hierdurch  wenig  Schutz  gewährt,  den  Adjacenten  aber 
die  grösste  Belästigung  bereitet.  Rauchfänge  über  den  Füllthüren,  die  mit  dem 
Fabrikschornstein  in  Verbindung  stehen,  würden  die  Arbeiter  einigermassen  schützen 
und  der  Umgegend  diese  sauren  Gase  wenigstens  in  weit  verdünnterem  Zustande 
zuführen. 

Die  eisernen  Einsätze  in  den  Fallthüren  (b  b)  enthalten  ein  Beobachtungsloch, 
welches  während  des  Betriebes  mit  einem  eisernen  conischen  Stopfen  geschlossen  ist. 
Bei  c  ist  der  Deckel  vorgestellt,  g  ist  der  Raum,  in  dem  die  Kiese  auf  den  Rost- 
stäben lagern,  bei  e,  />,  i  liegen  die  Canäle,  durch  welche  die  sich  bildenden  Gase  mittels 
des  Rohres  k  in  die  daneben  liegenden  Bleikammern  ziehen  (Fig.  1 1  u.  12). 

Um  bei  kleineren  Reparaturen  an  den  Bleikammern  in  den  Stand  gesetzt  zu 
werden,  die  Ofengase  anstatt  in  die  Kammern,  direct  in  den  Schornstein  eintreten  zu 
lassen,  ist   bei   l  ein   Schieber  angebracht;    wird    derselbe    geöffnet,   so   entweichen  die 

11* 


164 


Schwefel  und  Sauerstoff. 
Fig.  11. 


Fig.  12. 


Ofengase  durch  den  Canal  m  in  den  Schornstein,  jedenfalls  zur  grossen  Belästigung  der 
Adjacenten  und  zur  Schädigung  der  zunächst  befindlichen  Vegetation.  Man  ersieht  hier- 
aus, welche  üble  Nachbarschaft  eine  Schwefelsäurefabrik  unter  Umständen  sein  kann, 
wenn  die  geeigneten  Präventivmassregeln,  die  man  in  der  Neuzeit  zu  treffen  vermag, 
unterlassen  worden  sind.  Die  Stuffkiesöfen  der  bezeichneten  Art  werden 
immer  am  meisten  Belästigung  für  die  Arbeiter  und  die  Nachbarschaft  in 
sich  schliessen. 

Sind  die  Kiese  ausgebrannt,  so  werden  sie  durch  Drehen  der  mit  einem  vier- 
kantigen Theile  aus  dem  Ofen  herausragenden  Roststäbe  «  mittels  eines  passenden 
Schlüssels  in  den  Aschenfall  oo  allgelassen  (Fig.  11). 

Schlich-  oder  Schüttöfen.  Gerstendörfer  hat  das  Verdienst,  für  die 
Vervollkommnung  des  Röstprocesses  sehr  viel  beigetragen  zu  haben.  In  den  ur- 
sprünglichen Oefen  fiel  der  Schlich  durch  eine  Reihe  thönerner,  prismenförmiger 
Stangen  und  musste  15  Reihen  dieser  Erzträger  passiren,  ehe  er  nach  unten  in 
eine  Vertiefung  fiel.  Durch  eine  Oeffnung  am  unteren  Theile  des  Ofens  wurden 
Röststäbe  eingelegt  und  auf  dem  dadurch  gebildeten  Rost  das  Brennmaterial  (Holz 
oder  Kohle)  verbrannt,  um  den  Ofen  in  Betrieb  zu  setzen;  alsdann  wurden  die 
Röststäbe  wieder  herausgezogen  und  die  zum  Rösten  noth wendige  Luft  durch 
einen  besonderen  Canal  zugeleitet. 

Die  neueste  Verbesserung  dieser  Oefen  findet  sich  in  Fig.  13.  u.  14.  Das  Röstgut  fällt 
hier  in  einem   Strahl  durch  eine  trichterförmige  Vertiefung   zwischen  zwei  emaillirten 


Der  Röstprocess. 


165 


Fig.  13. 


Walzen  (Fig.  14.  c)  auf  die  Bänke 
(Fig.  13.  u.  14.  c).  Selbstverständlich 
lässt  sich  auch  hierbei  ein  Füllkasten 
verwenden,  um  bei  Einfüllung  des 
Schlichs  den  Staub  zu  vermeiden. 

Der  Abzug  der  Gase  geschieht  durch 
vier  in  der  Seite  des  Deckgewölbes  an- 
gebrachte Oeffnungen  (Fig.  13.  a)  und 
zwar  möglichst  weit  vom  einfallenden 
Strom  des  zu  verbrennenden  Röstgutes 
entfernt;  von  diesen  münden  allemal 
je  zwei  mit  seitlichen  Zügen  (Fig.  13.  bb) 
direct  nach  rückwäi'ts  in  die  Flugstaub- 
kammer (Fig.  14./).  In  dieser  gibt  ein 
gemauerter  Vorhang  dem  Gasstrome 
eine  niedergehende  Richtung. 

Eiserne  Einsätze  (Fig.  14.  g)  mit  Beob- 
achtungslöchern liegen  vor  den  Bänken 
(e).  Durch  diese  Oeffnungen  tritt  die 
Verbrennungsluft  ein,  aus  welchen  zu 
diesem  Zwecke  die  Thonstopfen  heraus^ 
genommen  werden.  Hierbei  muss  es 
Grundsatz  bleiben,  im  oberen  Theile 
möglichst  viele  Luft  und  unten  zur  Ver- 
meidung der  Abkühlung  des  Ofens  mög- 
lichst wenig  Luft  eintreten  zu  lassen. 
Dieser  natürliche  Luftzug  soll  sich  besser 
als  die  Anwendung  von  gepresster  und 
erwärmter  Luft  bewähren. 


Fig.  14. 


Der  Ofen  wird  durch  eine  seitlich  gelegene  Feuerung  (Fig.  14.  d)  in  Betrieb 
gesetzt;  man  kann  hier  auch  nöthigenfalls  bei  der  Röstung  selbst  mit  Brennmaterial 
nachhelfen.  Die  Abbrände  werden  durch  Drehen  einer  Schnecke  (Fig.  14.  b)  in  den 
untergestellten  Erzhund  (/)   abgelassen,   da   die  Platte   unter  dem  Sammelraum  (Je)   eine 


16G 


Schwefel  und  Sauerstoff. 


viereckige  Oeffnung  frei  lässt.  durch  welche  die  Abbrände  in  das  gusseiserne  Gehäuse  / 
gelangen.  Die  Abbrände  selbst  verhindern  den  Zutritt  der  Luft  in  den  Röstraum:  da  sich 
aber  auch  aus  diesen  stets  noch  eine  beträchtliche  Menge  schwefliger  Säure  zur 
grossen  Belästigung  der  Arbeiter  entwickelt.  ?o  ist  in  dem  freien  Theile  unter  dem 
Öfen  in  einer  Ecke  ein  kleiner,  nach  dem  Schornstein  führender  Zug  (Fig.  14.  e)  von 
etwa  IG  Quadratzoll  Querschnitt  angebracht.  Um  das  Saugen  durch  diese  Oeffnung  zu 
befördern,  versetzt  man  die  vordere  Seite  des  Zuganges  unter  dem  Oefen  mit  zwei 
Blechen  (Fig.  14.  /><)•  Hört  die  Entwicklung  von  schwefliger  Säure  auf,  so  bedeckt  man 
die  Oeffnung  des  Canals  (?)  mit  einer  Platte,  um  die  kalte  und  die  übrigen  Feuerungen 
behindernde  Luft  vom  Kamin  abzuhalten. 19) 

Durch  diese  Einrichtung  ist  jedenfalls  ein  wichtiger  sanitärer  Yortheil  geliefert: 
auch  geht  die  Röstung  ihren  ruhigen  Gang  weiter,  ohne  dass  die  Arbeiter  beim  Auf- 
geben des  Röstgutes  von  dem  entsetzlichen  Qualm  betroffen  werden. 

Eine  Modifikation  des  Gerstendörfer'schen  Ofens  rührt  von  Hasenclever 
und  Heibig  her.  Die  feinen  Kiese  rösten  mit  der  Wärme  der  St  uffki  es  Ver- 
brennung und  liegen  auf  Thonplatten,  welche  um  38°  gegen  die  Horizontale 
geneigt  sind.  Sechs  solcher  Platten  sind  vorhanden  und  erfordern  wegen  des 
Neigungswinkels  eine  bedeutende  Höhe  des  Ofens:  sie  liegen  alternirend  an  der 
Ofenwand,  so  dass  die  Röstgase  schraubenförmig  im  Ofen  aufsteigen  und  bei  h  in 
die  Bleikammer  gelangen. 


Fig.  1i 


Die  feinen  Kiese  werden  oben  in 
eine  trichterartige  Oeffnung  des  Ofens 
aufgegeben  (Fig.  15),  bilden  hier  einen 
Verschluss  und  rutschen  in  dem  Masse 
auf  der  geneigten  Ebene  (b)  in  den 
Aschenfall  herab,  als  unten  eine  gerippte 
Walze  (ß)  die  Abbrände  wegnimmt.  Der 
Aschenfall  (</)  ist  1  Meter  breit,  3  Meter 
tief  uud  so  hoch  angelegt,  dass  die  Ab- 
brände in  Erzhunde  entleert  werden 
können.  Der  Stuffkiesofen  (e)  liegt 
seitlich  und  befindet  sich  in  dessen  Decke 
eine  Oeffnung  zum  Chargiren  (/).  Beim 
Aufgeben  der  feinen  Kiese  sind  in 
sanitärer  Beziehung  dieselben  Vor- 
sichtsmassregeln  wie  bei  den  Schachtöfen 
zu  treffen.  Bei  g  liegen  die  Roststäbe. 
Bei  der  ganzen  Einrichtung  ist  die 
Verbrennung  von  Stuffwerk  ein  inte- 
grirender  Theil  und  die  Erfinder  haben 
hierbei  vorzugsweise  die  Benutzung  der 
Kiesabfälle,  welche  beim  Brechen  der 
Stückkiese  mit  dem  Steinbrecher  resul- 
tiren  und  im  Stuffofen  nicht  geröstet 
werden  können,  im  Auge  gehabt,  weil 
die  Benutzung  von  Gries  in  der  Form 
von  Batzen  den  Oefen  nicht  nützlich  sei. 
Andere  Fabricanten  behaupten  jedoch, 
dass  solche  Batzen  ohne  >iachtheil  für 
den  Ofengang  auch  im  Stuffkiesofen  ver- 
brannt werden  können:  weitere  Erfah- 
rungen müssen  hierüber  noch  endgültig 
entscheiden.  Die  Abbrände  im  Stuffkies- 
ofen werden,  wie  oben  angegeben  wor- 
den, behandelt. 

In  sanitärer  Beziehung  ist  es  nicht  unwichtig,  dass  unter  den  Rosten  ein 
langer  Canal  mit  dem  Schornstein  in  Verbindung  steht,  obgleich  man  ursprünglich  damit 
einen  geringern  Verlust  von  schwefliger  Säure  bei  einer  neuen  Beschickung  des  Ofens 
zu  erreichen  suchte.  Der  Canal  ist  so  gross,  dass  ein  Wagen  unter  den  Rost  geschoben 
werden  kann,  um  die  Kiesabbrände  direct  aufzunehmen. 20) 

Der  Ofen  von  Olivier  und  Perret  verfolgt  denselben  Zweck  wie  der 

Hasencleversche;    er   ist    ursprünglich    Stuffkiesofen  mit    drehbaren  Roststäben, 


Reinigung  der  schwefligen  Säure.  1G7 

wie  ein  solcher  in  Fig.  11  u.  12  abgezeichnet  worden.  Ueber  den  zum  Beschicken 
dienenden  Oeffnungen  sind  aber  noch  sieben  horizontale  Thonplatten  in  senkrechten 
Abständen  von  20  Ctm.  angebracht,  auf  welchen  das  zu  röstende  Gries  ausge- 
breitet wird.  Die  betreffenden  Abbräude  werden  durch  Oeffnungen  in  den  Seiten- 
wänden ausgezogen;  über  der  obersten  Platte  sind  Bleipfannen  behufs  Concen- 
tration  der  Kammersäure  aufgestellt. 

Der  Röstofen  von  Stetefeldt  stellt  einen  hohen  Schacht  dar,  in  den 
die  Erze  oben  mittels  einer  Schüttelvorrichtung  eingetragen  werden,  während  die 
Abbrände  unten  in  der  Vorderwand  ausgezogen  werden;  zwei  seitlich  vom  Ofen 
aufgestellte  Generatoren  liefern  die  nöthige  Wärme.  Die  Gase  treten  sammt  dem 
fortgerissenen  Flugstaub  durch  einen  Fuchs  in  Flugstaubkammern;  vorher  wird 
aber  der  Flugstaub  durch  einen  dritten  hinter  dem  Fuchs  aufgestellten  Generator 
erhitzt  und  abgeröstet. 21) 

Der  Röstprocess  wird  somit  sehr  verschiedenartig  ausgeführt  und  hat 
man  bei  der  Prüfung  einer  Concession  in  erster  Linie  die  Art  der  Oefen  und  das 
hierbei  zu  beobachtende  Verfahren  einer  sorgfältigen  Erwägung  zu  unterziehen, 
um  hiernach  den  Einfluss  der  Fabrication  auf  die  Arbeiter  und  die  Adjacenten 
richtig  würdigen  zu  können. 

Die  Reinigung  der  schwefligen  Säure.  Sie  ist  zweifacher  Art,  erstlich  be- 
züglich der  mechanisch  mitgerissenen  Substanzen  (Flugaschen)  und  zweitens  der 
gas-  oder  dampfförmigen  Verunreinigung  wegen.  Hervorzuheben  siud:  unveränderter 
Schwefelkies,  Selen,  Eisen-,  Zink-,  Blei-  und  Thalliumoxyd.  S02  muss  von  diesen 
Substanzen  namentlich  von  dem  Eisen  gereinigt  werden,  weil  die  Schwefelsäure 
sonst  zu  vielen  technischen  Zwecken,  wie  in  der  Färberei,  unbrauchbar  werden 
würde. 

Flugstaubkammer.  Ein  viereckiger  mit  dichten,  möglichst  kalkfreien 
Steinen  und  Theermörtel  gemauerter  und  gewölbter  Raum  (Fig.  16  a),  welcher 
gleich  hinter  dem  Ofen  (A)  liegt  und  mit  Scheidewänden  versehen  ist,  repräsen- 
tirt  die  Flugstaubkammer,  wodurch  die  Circulation  der  Dämpfe  verlangsamt 
werden  soll.  Die  schwersten  Metalloxyde  fallen  schon  grösstentheils  in  der  ersten 
kleinern  Hälfte  nieder,  während  das  leichtere  Zinkoxyd  sich  erst  in  der  zweiten 
grössern  Hälfte  ablagert. 

Zur  vollständigen  Ausscheidung  der  arsenigen  Säure  sowie  des  metallischen 
Arsens  lässt  man  S02  eine  sogenannte  Condensationskammer  (C)  passiren, 
die  mit  groben  Koksstücken  gefüllt  und  durch  einen  schwachen  Wasserdampf- 
strahl gespeist  wird;  diese  Kammer  bildet  auch  gleichsam  einen  Kühlraum  für 
S02  und  scheidet  das  Arsen  bis  auf  ein  Minimum  aus  S02  ab. 

Es  ist  hierbei  das  in  sanitärer  Beziehung  wichtige  Ausräumen  und  Rei- 
nigen der  Flugstaubkammer  zu  erwähnen.  Wenn  die  Kiesöfen  gelöscht  sind, 
wird  zunächst  Wasserdampf  eingeleitet,  um  alle  S02  auszutreiben  und  die  staub- 
förmige Masse  anzufeuchten.  Beim  Betreten  der  Flugstaubkammern  müssen  alle 
Vorsichtsmassregeln,  die  überhaupt  bei  solchen  erforderlich  sind,  zur  Anwendung 
kommen  (s.  Blei  und  Arsen).  Der  Inhalt  der  Kammer  wird  auf  Gewinnung  von 
Thallium  und  Selen  benutzt;  letzteres  befindet  sich  grösstentheils  im  sogen. 
Selenschlamm,  welcher  aus  Bleisulfat  und  den  Bestandtheilen  des  Flugstaubes 
besteht.  Die  mit  arseniger  Säure  imprägnirten  Koks  der  Condensations- 
kammer werden  alle  2 — 3  Jahre  entfernt  und  in  England  vorzugsweise  als 
Brennmaterial  bei  der  Dampfkesselfeuerung  benutzt.    Dieses  Verfahren  ist  zwar 


168 


Schwefel  und  Sauerstoff. 


Fig.  16. 


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kurz  und  einfach,  entspricht  aber  nicht  den  Anforderungen  der  öffentlichen  Ge- 
sundheitspflege. Geschieht  dies  Verbrennen  bei  dem  sogenannten  Rauchverzehrer, 
so  findet  sich  ein  grosser  Theil  des  Arsens  in  der  Russkammer  wieder,  so  dass 
bei  der  Verwendung  eines  solchen  Russes  auf  diese  giftige  Beimengung  wohl  zu 
achten  ist. 

Diese  Koks  müssten  in  geschlossenen  Räumen  ausgeglüht  oder  aber  mit 
einer  verdünnten  Natronlauge  behandelt  werden;  die  resultirende  Lauge  ist  mit 
verdünnter  Schwefelsäure  zu  neutralisiren.  um  alsdann  die  ausgeschiedene  arsenige 
Säure  entsprechend  zu  verwertheu.  Diese  Reinigungsmethode  fällt  natürlich  bei 
Benutzung  des  reinen  (sicilianischen)  Schwefels  weg;  der  bei  der  Sodafabrication 
abfallende  Schwefel  (s.  Sodafabrication)  dürfte  jedoch  zu  ähnlichen  Vorsichts- 
massregeln auffordern,  da  er  in  Folge  der  Darstellung  arsenikhaltig  ist  und  daher 
die  Anwendung  einer  Condensationskammer  gebietet. 

Das  Vermischen  der  schwefligen  Sänre  mit  Salpetersäure  resp.  Untersalpeter- 
sänre.  In  der  zweiten  Bleikammer  (Fig.  16,  Dil)  stehen  terassenförmig  auf- 
gestellte Schalen  aus  Steingut,  auf  welche  Salpetersäure  aus  Gefässen.  die  ausser- 
halb der  Bleikammer  sich  befinden,  entweder  permanent  oder  intermittirend 
herunterfliesst.  *)    Der  Schornsteinzug.  welcher  die  Gase  weiter  führt,  wird  durch 

*)  Die  Bleikanimern  ruhen  gewöhnlich  auf  einer  hölzernen  Zimmerung  und  sind  mit 
einer  lockern  Bedachung  versehen.  Es  kommt  bisweilen  vor.  dass  Holzwespen  (Sirex- 
Artenl  die  Bleikammern  anbohren,  wenn  sie  sich  einen  Ausweg  aus  dem  Holzwerk 
suchen  und  auf  diesem  Wege  selbst  die  Bleiplatten  angreifen. 


Vermischen  der  schwefligen  Säure  mit  Salpetersäure.  .        169 

Einleiten  eines  Dampfstrorns  befördert;  derselbe  tritt  zunächst  in  die  hinter  der 
Condensationskarnmer  liegende  Vorkammer  (Tambour,  Fig.  16,  J5),  dann  in 
die  erste,  dritte  und  vierte  Kammer  (DI,  III,  IV).  Gleichzeitig  wird  die  schweflige 
Säure  auf  diese  Weise  mit  der  hinreichenden  Menge  Wa  s  s  e  r  und  L  u  f t  versorgt, 
um  in  Berührung  mit  Salpetersäure  den  oben  beschriebenen  Process  durchzu- 
machen.*) 

Gay-Lussac'sche  Koksthürme.  Ehe  die  Gase  in  die  fünfte  Kammer  gelangen, 
passiren  sie  in  einigen  Fabriken  noch  einen  flachen,  durch  die  äussere  Luft  ab- 
gekühlten und  mit  Querwänden  versehenen  bleiern  Kasten  und  bei  ihrem  Austritt 
aus  der  fünften  Kammer  nochmals  einen  ähnlichen  Abkühlungsraum,  damit  das 
Wasser  in  den  Gasen  und  Dämpfen  condensirt  und  die  in  den  Gay-Lussac'schen 
Koksthürmen  herabfliessende  Kammersäure  nicht  durch  eine  zu  grosse  Verdünnung 
an  der  Absorptionsfähigkeit  für  Stickoxyd  resp.  Untersalpetersäure  einbüsst.  Hinter 
der  letzten  Kammer  sind  nämlich  mit  Koks  gefüllte  Cylinder  (Koksthürme)  als 
Condensationsapparate  (Fig.  16  u.  17,  EE)  aufgestellt,  durch  welche  von  oben  nach 
unten  concentrirte  Schwefelsäure  fliesst,  während  die  gasförmigen  Stickstoff  Ver- 
bindungen aus  den  Bleikammern  unten  in  den  Thurm  geleitet  und  bei  dem  Auf- 
steigen von  der  herabfliessenden  Schwefelsäure  absorbirt  werden.**)  Die  unten 
abfliessende,  mit  den  Stickstoffverbindungen  gesättigte  Schwefelsäure  gelangt  in 
die  Bleikammern  zurück,  um  neue  Mengen  schwefliger  Säure  zu  Schwefelsäure 
zu  oxydiren.  Zur  gleichmässigen  Vertheilung  der  Schwefelsäure  ist  über  dem 
Thurm  ein  Segner'sches  Rad  anzubringen;  dadurch,  dass  dasselbe  durch  die 
ausfliessende  Schwefelsäure  in  rotirende  Bewegung  gesetzt  wird,  erreicht  man 
diesen  Zweck  vollständig.  Es  sollte  keine  Concession  zur  Schwefel- 
säurefabrication  verliehen  werden,  ohne  dass  dem  Concessionär 
die  Einschaltung  eines  solchen  Koksthurmes  zur  Bedingung  gemacht 
würde,  da  sonst  die  Uebelstände,  welche  der  Nachbarschaft  durch  die  aus  dem 
Schornstein  entweichenden  Gase  bereitet  werden,  nicht  zu  beseitigen  sind. 

Vorzugsweise  ist  es  die  schweflige  Säure,  welche  bei  Unterlassung  ihrer 
vorschriftsmässigen  Absorption  nicht  bloss  Menschen,  sondern  auch  den  Thieren, 
besonders  den  Pferden,  höchst  unangenehm  ist.  In  einem  concreten  Falle  wm-de 
ein  in  der  Nachbarschaft  gelegener  Exercierplatz  fast  unbrauchbar,  weil  die  Pferde 
in  Folge  der  exhalirten  schwefligen  Säure  von  einer  beständigen  Unruhe  und 
einem  quälenden  Hustenreiz  befallen  wurden  und  die  Exercitien  dadurch  eine  be- 


*)  Neuerdings  wird  statt  Wasserdampf  Wasserstaub  empfohlen,  der  nach 
dem  Princip  des  bekannten  Pulverisateurs  dargestellt  wird ;  es  soll  hierdurch  an  Brenn- 
material gespart  werden. 

**)  Nach  Winkler' s  Untersuchungen  wird  St  ickoxycl  nicht  von  Schwefelsäurehydrat 
absorbirt;  auch  Stickoxyd  und  Sauerstoff  vereinigten  sich  im  6ra?/-Lvssac'schen 
Condensator  nicht  wie  sonst  zu  Untersalpeter  säure,  sondern  es  entstehe  nur  sal- 
petrige Säure  auch  bei  Sauerstoffübersckuss ;  dagegen  erfolge  die  Vereinigung  von 
Schwefelsäurehydrat  mit  salpetriger  Säure  sehr  lebhaft;  eine  Temperatur- 
erhöhung löse  diese  chemische  Verbindung  nicht,  wohl  aber  der  Zutritt  von  Wasser; 
sie  befinde  sich  in  den  Bleikammerkrystallen  in  festem  Zustande,  im  Ga?j-Lvssac'sch.en 
Thurme  aber  in  der  abfliessenden  Schwefelsäure  in  aufgelöster  flüssiger  Form. 

Unter  Salpeter  säure  bilde  im  flüssigen  und  gasförmigen  Zustande  mit  Schwefel- 
säurehydrat eine  sehr  lose  chemische  Verbindung,  welche  durch  Erhitzen  völlig  auf- 
gehoben werde,  wobei  die  Untersalpetersäure  entweder  unverändert  entweiche  oder  sich 
in  salpetrige  Säure,  die  mit  der  Schwefelsäure  in  chemische  Verbindung  trete,  sowie 
in  entweichendes  Sauerstoffgas  zerlege.  Schwefelsäure  und  Salpetersäure 
bilden  wahrscheinlich  nur  mechanische  Gemische,  bei  der  Erhitzung  zerfallen  sie  aber  in 
entweichende  Salpetersäure,  Sauerstoff  und  nitrose  Schwefelsäure. 


170  Schwefel  und  Sauerstoff. 

deutende  Störung  erlitten.  Unter  den  verschiedenen  Baumsorten  werden  vor- 
zugsweise die  Pappelu  vollständig  entblättert.  Die  Nachbarschaft  wird  je  nach  der 
Windrichtung  belästigt;  wenigstens  in  einer  Entfernung  von  15— 20  Minuten  wirkt 
die  schweflige  Säure  noch  auf  die  Respirations-  und  Geruchsorgane  ein.  (Man 
vergl.  schweflige  Säure.) 

Die  aus  der  letzten  Kammer  austretenden  Gase  und  Dämpfe  können  vermischt 
sein:  1)  mit  viel  Stickoxyd,  wenn  zu  wenig  und  zur  Oxydation  desselben  nicht  aus- 
reichende Luft  in  den  Kämmen)  war:  2")  mit  viel  Untersalpeter  säure,  wenn  es  an 
Wasser  und  schwefliger  Säure  gefehlt  hat:  3)  mit  viel  schwefliger  Säure,  wenn  der 
\N  asserdampf  und  die  Untersalpetersäure  unzureichend  waren. 

Bei  der  Fabricathm  ist  daher  namentlich  darauf  zu  sehen,  dass  die  sieh  bildende 
Untersalpetersänre  sogleich  wieder  zersetzt  wird:  nur  bei  rasch  auf  einander  folgender 
Entstehung  und  Zersetzung  derselben  verläuft  die  Schwefelsäurebildung  ungestört:  die 
rothen  Dämpfe  der  Untersalpetersäure  dürfen  sich  deshalb  bei  einer  guten  Fabrication 
niemals  massenhaft  in  den  Bleikammern  bilden;  Mangel  an  Wasserdampf  erschwert  ihre 
Zerlegung. 

Ist  die  Absorption  der  Gase  und  Dämpfe  in  den  Gay-L>/ssac' sehen  Thürmen  eine 
so  vollständige,  dass  die  oben  aus  dem  Thurme  entweichende  Luft  vollständig  entfärbt 
ist,  so  bedarf  es  in  der  Regel  keiner  weitern  Einrichtung.  Sollten  aber  noch  Dämpfe  der 
schwefligen  Säure  entweichen,  so  könnte  man  auf  den  Gai/-L>/ssac'seh.en  Apparat  noch 
einen  Absorption  sthurm  (Fig.  16.  F)  folgen  lassen,  der  in  zwei  gleiche,  mit  Braunstein 
ausgefüllte  Hälften  getheilt  ist.  Unten  hat  die  Mittelwand  einen  kreisförmigen  Ausschnitt, 
damit  die  auf  der  einen  Seite  hinabsteigenden  Gase  und  Dämpfe  durch  diesen  in  der 
andern  Hälfte  hinaufsteigen.  Bei  Gegenwart  von  Wasser  beschleunigt  sich  die  Bildung 
von  schwefelsaurem  Manganoxydul    s.  schwell.  Säure).   Der  Canal  ec  verbindet  die  Thürme. 

In  einigen  Fabriken  wird  statt  der  fertigen  Salpetersäure  ein  Gemisch  von  Sal- 
peter mit  Schwefelsäure  zur  jedesmaligen  Darstellung  der  Salpetersäure  benutzt.*)  In 
diesem  Falle  entstehen  aus  dem  fast  nie  fehlenden  Kochsalzgehalt  des  Salpeters  Salz- 
säure Dämpfe:  treten  sie  in  einem  gegebenen  Falle  in  erheblicher  Menge  auf.  so 
würde  es  erforderlich  sein,  schliesslich  noch  einen  mit  Wasserberieselung  versehenen  Koks- 
thurm  (Fig.  15. g)  anzubringen.  Das  sauer  abfließsende  Wasser  darf  aber  nicht  zur 
Speisung  der  Kammern  benutzt  werden,  da  es  arsenhaltige  Salzsäure  enthalten 
kann.     Der  Thurm  g  steht  mittels  des  Canals  g  mit  dem  Schornstein  H  in  Verbindung. 

Die  im  Gay -L us sac" sehen  Apparate  gewonnene  nitrose  Schwefelsäure 
wird  in  den  meisten  Fabriken  noch  einer  Denitrification  unterworfen.  Man 
bringt  alsdann  die  Säure,  was  stets  durch  eine  Pumpe  oder  Dampfdruckvonichtung 
geschieht,  in  einen  mit  Koks  gefüllten  und  vor  der  Vorkammer  stehenden  Cylinder 
(Fig.  15  u.  10,  J),  den  Denitrificateur,  in  dem  durch  eingeleiteten  Wasserdampf 
die  beständig  zufliessende  Verbindung  von  Schwefelsäure  mit  Stickoxyden 
zerlegt  wird.  Die  gasförmig  sich  entwickelnden  Stickoxyde  werden  der  Vorkammer 
wieder  zugeführt,  während  man  die  Schwefelsäure  in  die  erste  Bleikammer  leitet.22) 

Glover'scher  Thurm.  Der  neuerdings  in  die  Schwefelsäurefabrication  einge- 
führte Glover'sche  Thurm  bezweckt  ebenfalls  eine  Denitrification  neben  einer 
besseren  Verwerthung  der  heissen  schwefligen  Säure.  Ein  solcher  Thurm  besteht 
aus  einem  Bleikasten  von  4  —  8  M.  Höhe  und  etwa  6 — 10  Q.-M.  Grundfläche; 
iuwendig  ist  er  mit  einer  Steiuschicht  ausgefüttert  und  im  Innern  mit  groben 
Saudsteiubrocken  und  Ziegelsteinen  angefüllt.  Dieses  Material  muss  seiner  Be- 
schaffenheit nach  der  heissen  Schwefelsäure  widerstehea  können.  Unten  in  den 
Thurm  treten  die  heissen  Gase  der  Röstöfen  ein,  concentriren  die  Schwefelsäure 


•)  Zu  diesem  Zwecke  -teilt  man  bei  Schwefelöfen  gusseiserne  Tiegel,  welche 
dieses  Gemisch  enthalten,  in  den  verbrennenden  Schwefel;  nach  vollendeter  Zersetzung 
ersetzt  man  sie  durch  neu  beschickte.  Bei  Schwefelkiesöfen  placirt  man  sie  in  der 
Regel  am  Ausgange  des  Canals,  der  die  schweflige  Säure  in  die  Bleikammer  leitet. 
In  sanitärer  Beziehung  ist  dies  Verfahren,  mag  man  es  ausführen  wie  man  will,  ein 
sehr  nachtheibges.  da  die  Arbeiter  dabei  stets  den  ausströmenden  Gasen  und  Dämpfen 
ausgesetzt  sind.  Etwas  schneller  kann  diese  Manipulation  ausgeführt  werden,  wenn  man 
kleine  gusseiserne,  auf  Schienen  laufende  Wagen  dazu  benutzt. 


Concentration  der  Kammersäure.  171 

auf  1,7  V.-G.  und  werden  oben  abgekühlt  den  Bleikammern  zugeführt.  Oben 
wird  nämlich  ein  Gemenge  von  Kammersäure  und  nitroser  Schwefel- 
säure aus  dem  Gay-Lussac'schen  Apparate  eingelassen,  welches  sich  im 
Thurm  vertheilt  und  mit  der  schwefligen  Säure  in  Berührung  kommt;  die 
dabei  sich  entwickelnden  Wasserdämpfe  zersetzen  die  nitrose  Schwefelsäure  voll- 
ständig unter  Mitwirkung  der  schwefligen  Säure,  so  dass  die  concentrirte  Säure 
aus  dem  Glover'schen  Thurm  ganz  frei  von  Stickstoffverbindungen  ist.  Von  be- 
sonderer Wichtigkeit  sind  hierbei  Vorkehrungen  zum  Auffangen  des  Flugstaubes 
und  zweckmässige  Materialien,  damit  sich  der  Apparat  nicht  verstopft.  Die  ge- 
wonnene Säure  ist  nur  für  die  Sodafabrication,  Darstellung  von  Superphosphat  und 
ähnlichen  Producten  zu  verwerthen,  aber  weniger  für  die  Bereitung  von  Sulfat, 
das  für  die  Fabrication  von  weissem  Glase  dienen  soll. 23) 

Reinigung  der  Kammersäure.  Die  gewöhnlichsten  Verunreinigungen  sind 
schweflige  Säure,  Selen,  Thallium,  Blei,  arsenige  Säure  und  die  Oxyde  des  Stick- 
stoffs; zur  Beseitigung  des  Arsens  benutzt  man  entweder  Schwefelwasserstoff 
oder  Schwefelbarium.  Die  Oxyde  des  Stickstoffs  entfernt  man  durch  Zusatz  von 
Ammoniumsulfat  oder  Erhitzen  mit  etwas  Oxalsäure;  auch  die  Behandlung  der 
Säure  mit  schwefligsaurem  Gase  ist  zweckmässig. 

Concentration  der  Kammersäure.  Sie  wird  bei  einem  spec.  Gewicht  von  1,5 
oder  bei  50°  B.  abgezogen;  man  benutzt  zu  ihrer  Concentration  Eindampf- 
pfannen aus  Blei,  die  auf  gusseisernen  Platten  stehen,  oder  Bleipfannen  mit 
oberschlägiger  Feuerung.  Bei  letzterm  Verfahren  entweichen  beträchtliche  Mengen 
von  Schwefelsäure  mit  den  Feuerungsgasen;  dasselbe  ist  daher  nicht  zu 
empfehlen.  Benutzt  man  gespannten  Wasserdampf,  so  wird  die  Säure  in 
mit  Blei  ausgekleideten  Holzkasten  abgelassen,  auf  deren  Boden  Bleischlangen 
liegen,  durch  welche  der  Dampf  strömt;  hierbei  verflüchtigt  sich  gar  keine 
Schwefelsäure. 

Vielfach  stellt  man  auch  die  Bleipfannen  (Fig.  16.  m)  auf  die  Kiesbrenner 
(Fig.  11./);  erstere  werden  aber  oft  undicht  und  verderben  alsdann  den  Ofen.  — 
Auch  die  heissen  Dämpfe  der  schwefligen  Säure,  die  aus  dem  Kiesbrenner 
zugeleitet  werden,  hat  man  zur  Concentration  benutzt.  Der  hierzu  dienende  Apparat 
besteht  aus  einem  Deckel  aus  Bleiplatten,  welcher  glockenartig  über  der  Schwefel 
säure  in  Bleipfannen  steht.    Die  Gase  treten  in  die  erste  Bleikammer  zurück. 

Zur  weitem  Concentration  der  auf  60°  B.  eingedampften  Säure  gehört  eine 
das  Blei  angreifende  Temperatur.  Um  das  spec.  Gewicht  der  Säure  von  1,85  zu 
erreichen,  muss  daher  der  zweite  Concentrationsact  in  Platingefässen  vorge- 
nommen werden.  Mau  benutzt  auch  besondere  Glasgefässe  hierzu,  namentlich 
unter  Zusatz  von  einigen  Stücken  dichter  Gasretortenkohle,  wobei  die  ab- 
destillirte  Säure  auf  1  Liter  nur  20  Ccm.  schweflige  Säure  enthalten  soll,  welche 
sich  durch  einen  trocknen  Luftstrom  abtreiben  lässt.  Bei  gusseisernen  Retorten 
muss  aber,  da  es  sich  bei  dieser  Concentration  um  eine  Destillation  handelt, 
das  Dampfleitungsrohr  und  das  Kühlrohr  von  Piatina  sein;  ebenso  ist  für  das 
Ueberziehen  der  concentrirten  Säure  in  die  zur  Versendung  dienenden  Krüge  oder 
Ballons  ein  besonderer,  aus  Piatina  construirter  Heber  nothwendig. 

Da  die  Räume,  in  welcher  die  Concentration  und  Destillation  der  Säure  vor- 
genommen wird,  in  der  Regel  gross  und  luftig  sind,  so  kann  von  einer  Belästi- 
gung hier  nicht  die  Rede  sein.  Häufig  kann  man  sogar  beobachten,  dass  Sperlinge 
oder  Schwalben  in  solchen  Localen  ihre  Nester  bauen   und   dadurch   den  Beweis 


172  Schwefel   und   Sauerstoff. 

von  der  Unschädlichkeit  der  Luft  liefern.  Die  Gefahr  vor  der  Schädigung  der 
Arbeiter  befindet  sich,  wie  schon  mehrmals  betont  worden,  bei  den  Kiesbrenuern, 
während  beim  Austritt  der  Gase  uud  Dämpfe  aus  der  letzten  Bleikammer  mehr  die 
Rücksicht  auf  die  Adjacenten  und  die  Vegetation  der  Umgegend  zur  Sprache 
kommt. 

Wird  bei  der  Schwefelsäurefabrication  arsenfreier  Schwefel  ver- 
braunt, so  ist  bei  einem  aufmerksamen  Betriebe  und  bei  der  Benutzung  von  flüs- 
siger Salpetersäure  die  Gefahr  für  die  Arbeiter  weit  geriuger :  auch  die  Fing- 
st au  b  kämm  er  fällt  hier  weg.  Die  Brenner  sind  so  eingerichtet,  dass  kalte 
Luft  unter  die  Eisenplattte.  auf  welcher  der  Schwefel  verbrennt,  geleitet  werden 
kann,  damit  die  Gase  nicht  zu  heiss  iu  die  Bleikammern  gelangen.  Man  leitet 
deshalb  auch  die  Gase  vorher  durch  lange  Röhren  oder  Canäle  in  einen  Kühlraum 
oder  sucht  auf  andere  Weise  diesen  Zweck  zu  erreichen;  man  hat  auch  beson- 
dere Schwefelöfen  mit  continuirlicher  Verbrennung  des  Schwefels  construirt. 
Das  übrige  Verfahren  stimmt  mit  dem  bereits  beschriebenen  überein. 

Die  Verwendung  der  Schwefelsäure  ist  ausserordentlich  mannigfaltig  und 
gibt  es  nur  wenig  technische  Processe,  bei  denen  die  Schwefelsäure  nicht  irgend 
eine  Aufgabe  zu  übernehmen  hat.  So  dient  sie  z.  B.  zur  Darstellung  der  meisten 
andern  Säuren  und  der  wichtigsten  Salze,  zur  Scheidung  des  Goldes  vom  Silber 
und  des  Silbers  von  Kupfer,  sowie  zur  Darstellung  anderer  Elemente,  z.  B.  von 
Phosphor,  Jod.  Brom,  Sauerstoff.  Wasserstoff  u.  s.  w..  zur  Reinigung  organischer 
Substanzen,  z.  B.  des  Rüböls,  des  Petroleums,  Paraffins.  Talgs,  der  Wolle  u.  s.  w., 
zum  Verseifen  der  Fette  und  Oele.  als  Auflösuugsmittel  zur  Bereitung  von  Krapp- 
und  Theerfarben.  in  den  Färbereien  und  Druckereien  überhaupt,  zur  Darstellung 
von  Pergamentpapier,  Nitroglycerin  und  Schwefeläther,  in  der  Galvanoplastik,  als 
Austrocknungsmittel.  zum  Verzinnen  und  Verzinken,  zum  Beizen  des  Kupfers  und 
Messings  u.  s.  w. .  in  der  Poudrett-  und  Wichsfabrication;  bei  letzterer  verbindet 
sie  sich  mit  dem  Kalk  in  Knochenschwarz  und  bildet  damit  Calciumsulfat  (Gyps), 
welches  die  Kohle  vertheilt  und  den  Glauz  hebt. 

Rauchende  (Nordhäuser)  Schwefelsäure.  Dieselbe  findet  weniger  Verwendung 
und  wird  hauptsächlich  noch  in  Böhmen,  im  Erzgebirge,  in  Schlesien  und  am 
Harze  fabricirt. 

Je  sorgfältiger  die  Calcination  des  Eisensulfats  geschieht,  desto  weniger 
entwickelt  sich  SOo.  Immerhin  ist  es  nothwendig.  die  Vorlagen  mit  einem  System 
von  Woulff 'sehen  Flaschen  aus  Steingut,  welche  coucentrirte  Schwefelsäure  ent- 
halten, zu  verbinden.  Die  nicht  absorbirten  Gase  lässt  man  dann  in  den  Schorn- 
stein entweichen. 

Vielfach  wird  auch  der  Rückstand  bei  der  Salpetersäurefabrication,  das  primäre 
(saure)  Natriunisulfat,  in  feuerfesten  Thonretorten  und  bei  Hellrothgluth  der  Destillation 
unterworfen.  Die  entweichenden  Dämpfe  von  S03  leitet  man  in  66grädige  concentrirte 
Schwefelsäure,  welche  sehr  kühl  zu  halten  ist. 

Man  hat  hier  sehr  darauf  zu  achten,  dass  bei  Erschöpfung  des  sauren  Natrium- 
sulfats die  Vorlage  sofort  entfernt  -wird,  weil  sonst  die  Säure  in  das  Destillationsgefäss 
zurücktritt  und  ein  vollständiges  Zerschmettern  desselben  bewirken  kann.  Der 
Rückstand  besteht  aus  neutralem  Natriumsulfat.  Die  Säure  hat  eim-n  coustanten  Gehalt 
an  S03.  ist  frei  von  S03  und  wird  deshalb  vorzugsweise  zum  Auflösen  von  Indigo 
und  in  Laboratorien  zur  Darstellung  von  S03  benutzt.  In  Russland  dient  sie  auch  zur 
Reinigung  der  rohen  Torf-  und  Braunkohlenöle. 

Je  stärker  sie  ist.  desto  mehr  entwickelt  sie  an  der  Luft  weisse  Dämpfe:  eine 
Erscheinung,  welche  nur  in  der  grossen  Verwandtschaft  des  in  ihr  enthaltenen  Schwefel- 
säureanhydrids zum  Wasser  beruht.  Jeder  Tropfen  der  Säure,  welche  man  in  kaltes 
Wasser  fallen  lässt,  erregt  ein  zischendes  Geräusch. 


Selen.  173 

Der  Transport  der  englischen  Schwefelsäure  geschieht  in  Glasballons,  die 
mit  Weidengeflecht  umgeben  sind.  Die  Stöpsel  aus  Steingut  werden  mit  Schwefel 
eingegossen  und  erhalten  eine  Umhüllung  von  Lehm  und  rohem  Packtuch. 

Die  rauchende  Schwefelsäure  kommt  in  viereckigen  Töpfen  mit 
Schraubenstöpseln  aus  Steingut  in  den  Handel;  die  Stöpsel  werden  ebenfalls  mit 
Schwefel  vergossen. 

Beim  Transport  auf  Eisenbahnen  müssen  nach  dem  Betriebs -Reglement 
für  die  Eisenbahnen  vom  10.  Juni  1870  (R.  G.-Bl.  S.  10)  alle  Mineralsäuren  ge- 
trennt verladen,  sorgfältig  verpackt  und  in  mit  Handhaben  versehenen  Korb- 
geflechten eingeschlossen  werden. 

Der  Transport  auf  Schiffen  ist  der  sicherste,  wenn  die  Flaschen  vor 
Regen  und  Sonne  geschützt  sind;  beim  Ausladen  müssen  sie  auf  waagschalen- 
ähnlichen Vorrichtungen  und  nicht  an  den  Handhaben  herausgezogen  werden. 

Der  Transport  auf  Frachtfuhrwerken  sollte  möglichst  vermieden  werden; 
jedenfalls  sollte  man  sich  in  Städten  nur  der  auf  Federn  ruhenden  und  mit 
Fächern  versehenen  "Wagen  bedienen,  in  welche  man  die  Ballons  seitlich  ein- 
schiebt. Platzt  ein  Ballon,  so  muss  die  verschüttete  Säure,  wenn  augenblicklich 
keine  grössern  Quantitäten  Wasser  zu  Gebote  stehen,  sofort  mit  Erde  überschüttet 
werden.  Der  Schaden,  der  sonst  der  ledernen  Fussbekleidung  zugefügt  wird,  ist 
bekannt  genug. 

In  einem  geschlossenen  Räume  kann  die  verschüttete  concentrirte  Säure 
noch  dadurch  schädlich  wirken,  dass  sie  die  Verpackung  (Stroh,  Weidengeflecht 
u.  s.  w.)  angreift  und  zur  Entwicklung  von  erheblichen  Mengen  schwefliger 
Säure  neben  flüchtigen  organischen  Säuren  Anlass  gibt.  So  berichtet  Vohl  über 
einen  auf  einem  Fahrzeuge  vorgekommenen  Fall,  in  welchem  durch  den  Wellen- 
schlag einige  Ballons  zersprungen  waren;  die  in  das  Schiff  ausgelaufene  Säure 
war  die  Veranlassung,  dass  der  betreffende  Schiffer  in  Folge  der  hierbei  auf- 
tretenden Gase  und  Dämpfe  von  einer  heftigen  Augenentzündung  und  asthmati- 
schen Beschwerden  befallen  wurde.24) 


Selen  Se. 

Selen  ist  ein  steter  Begleiter  des  Schwefels  und  ihm  in  allen  seinen  Verbindungen 
sehr  ähnlich;  in  der  Natur  kommt  es  als  Selenblei  und  Selensilber  vor.  Dargestellt 
wird  es  aus  dem  Selenschlamm,  welcher  in  manchen  Schwefelsäurefabriken  aus  dem 
Absätze  der  Bleikammern  gewonnen  wird,  in  dem  er  als  selenigsaures  Blei  vorkommt 
und  aus  dem  benutzten  Schwefel  oder  Schwefelkies  stammt. 

Selen  stellt  ein  rothes  Pulver  dar,  das  man  durch  Reduction  der  selenigen  Säure 
erhält  und  welches  wie  der  Schwefel  in  mehreren  Modificationen  vorkommt.  Das  ge- 
schmolzene und  rasch  erkaltete  Selen  ist  von  schwarzer  Farbe  und  spröder  Beschaffen- 
heit. Bei  seiner  Erhitzung  auf  96°  steigt  seine  Temperatur  plötzlich  sehr  bedeutend  und 
es  verwandelt  sich  hierbei  in  einen  eisengrauen  krystallinischen  Körper;  sein  Schmelz- 
punct  liegt  bei  217°  und  sein  Siedepunct  bei  700°.  An  der  Luft  verbrennt  es  zu 
Selenigsäureanhydrid  Se02-     Ausserdem  ist  die  Selensäure  B^SeO^  bekannt. 

Die  selenige  Säure  H2Se03  bildet  sich  beim  Auflösen  des  Anhydrids  in  Wasser 
oder  beim  Auflösen  von  Selen  in  Salpetersäure. 

Selenwasserstoff  H2Se  soll  in  den  Gasen  mancher  Vulcane  vorkommen.  Man 
stellt  ihn  durch  Zersetzen  von  Seleneisen  mit  Salzsäure  dar.  Ein  farbloses,  brenn- 
bares, coercibles  Gas  von  furchtbar  stechendem  Gerüche,  welches  sich  durch  den  atmo- 
sphärischen Sauerstoff  sehr  leicht  in  Selen  und  Wasserstoff  zersetzt.  Verschiedene  Metall- 
salze werden  durch  das  Gas  mit  eigenthümlicher  Farbe  gefällt. 


1 7  4  Tellur. 

Einwirkung  von  Selenwasserstoff  anf  den  thierischen  Organismus.     Das  Gas 

nimmt  unter  den  irritirenden  Gasen  den  ersten  Platz  ein.  Sobald  es  mit  der  Schleim- 
haut der  Augen,  Nase  oder  der  Kespirationswege  in  Berührung  kommt,  schlägt  sich 
Selen  auf  dieselbe  nieder  und  erzeugt  den  heftigsten  Reiz,  der  erst  mit  dem  Aus- 
stossen  dieses  fremden  Körpers  nachlässt.  Das  Selen  wirkt  fast  nur  örtlich,  indem  es  sich 
auf  die  Schleimhäute  mit  einer  Festigkeit,  welche  der  von  Farbstoffen  auf  Zeugen  ähnlich 
ist,  ablagert;  dadurch  kann  der  Tod  erfolgen,  wenn  grössere  Mengen  des  Gases  ein- 
geathmet  werden.1) 

Die  technische  Verwendung  von  Selen  ist  noch  geringfügig;  bis  jetzt  wird 
es  fast  nur  zur  Anfertigung  von  Medaillen  gebraucht:  stets  hat  man  aber  die  grösste 
Vorsicht  anzuwenden,  wenn  Selendämpl'e  auftreten. 


Tellur  Te. 


Tellur  ist  ein  sehr  seltenes  Metall,  welches  entweder  gediegen,  oder  in  Verbindung 
mit  Gold,  Wismuth  und  Blei  hauptsächlich  in  Siebenbürgen  vorkommt;  es  wird  aus 
dem  Tellurwismuth  dargestellt,  hat  aber  bis  jetzt  noch  keine  technische  Verwendung 
gefunden. 

Das  Tellur  ist  silberweiss,  stark  metallisch  glänzend:  es  schmilzt  bei  500°  C.  und 
destillirt  in  der  Weissgluthhitze  im  Wasserstoffstrom  unverändert  über.  An  der  Luft 
verbrennt  es  mit  blaugrüner  Farbe  zum  Anhydrid  der  tellurigen  Säure  Te02,  das  auch 
beim  Rösten  der  Tellurmetalle  auftritt.     Es  kommt  häufig  mit  Arsen  vor. 

Tellnrige  Säure  H2Te03  wird  durch  Auflösen  von  Tellur  in  concentrirter  Salpeter- 
säure erhalten.     Tellursähre  hat  die  Formel:  H2Te04. 

Tellurwasserstoff  H3Te  wird  aus  Tellureisen  und  Salzsäure  erhalten  und  ent- 
spricht dem  Schwefelwasserstoff  in  chemischer  Beziehung  vollständig.  Das  Gas  hat  eine 
schwache  irritirende  Wirkung,  ist  aber  sonst  ganz  ungefährlich.1) 

C.  G,  ijmdi/i-)  hat  angeblich  mit  Telluro  xyd  experimentirt,  welches  wahrschein- 
lich tellurige  Säure  war.  Drei  Gran  davon  erzeugten  bei  einem  Hunde  Erbrechen, 
während  ein  Kaninchen  4  Gran  ohne  Schaden  nahm  und  erst  nach  10  Gran  am  dritten 
Tage  starb.  Bei  Eröffnung  der  Bauchhöhle  nahm  man  einen  eigenthümlichen  Geruch 
wahr,  welcher  sehr  an  Knoblauch  erinnerte  und  beim  Aufschneiden  der  Eingeweide 
noch  stärker  wurde.  Die  Schleimhaut  des  Magens  löste  sich  leicht  ab,  in  der  Nähe 
des  Pylorus  fand  sich  eine  Menge  schwarzen,  dintenartigen  Schleims,  welcher  die 
ganzen  dünnen  Därme,  sowie  die  dicken  bis  an  den  Mastdarm  erfüllte,  sich  mit 
Schwierigkeit  wegwaschen  Hess  und  den  erwähnten  Geruch  besonders  auffallend  zeigte. 
Der  knoblauchartige  Geruch  und  der  dintenartige  Schleim  im  Darm  deuten  darauf  hin, 
dass  die  Tellurverbindung  im  thierischen  Organismus  reducirt  worden:  jedenfalls  wäre 
zur  genauem  Constatirung  dieser  Reduction  die  Analyse  des  erwähnten  schwarzen 
Schleims  nothwendig  gewesen.  Würde  das  Tellur  speeifisch  giftige  Eigenschaften  besitzen, 
so  hätten  sich  solche  beim  Tellurwasserstoff  zeigen  müssen,  da  hier  das  Tellur  in  un- 
endlich fein  vertheiltem  Zustande  ausgeschieden  wird:  nur  das  etwa  beigemengte  Arsen 
kann  hier  giftig  einwirken. 


Stickstoff  N. 


Stickstoff  kommt  gasförmig  nur  in  der  atmosphärischen  Luft  frei  vor,  welche 
70  Vol.-Proc.  oder  77  Gew.-Proc.  davon  enthält.  Der  gebundene  Stickstoff  macht 
einen  wichtigen  Bestandtheil  der  pflanzlichen  und  thierischen  Organismen  aus  und  ist 
deshalb  für  die  Ernährung  der  organischen  Welt  von  der  grössten  Bedeutung.  Die 
Pflanzen  assimiliren  den  Stickstoff  aus  seinen  Verbindungen  mit  Sauerstoff  und  Wasser- 
stoff (Salpetersäure,  Ammoniak),  während  der  thierische  Organismus  kohlenwasserstoff- 
haltiger  Stickstoffverbindungen  zur  Assimilation  und  zum  Aufbau  bedarf.  Die  Pflanzen 
müssen  daher  den  Stickstoff  zuerst  in  diejenige  Form  bringen,  die  ihn  befähigt,  den 
Thieren  Existenz  und  Gedeihen  zu  verleihen,  und  es  ist  das  Pflanzeneiweiss  der  Futter- 
kräuter, das  von  dem  Thier  in  Fleisch  verwandelt  wird.  Das  fleischfressende  Thier 
führt  die  von  den  Pflanzen  gelieferten  Stickstoffverbindungen  schliesslich  wieder  in 
Harnstoff  resp.  in  Ammoniak  und  Salpetersäure  zurück.  So  tritt  bei  der  Wanderung 
und  Wandlung  des  Stickstoffs  derselbe  ewige  Kreislauf  ein,  wie  er  auch  beim  Verbrauch 
und  hei  der  Iteproduction  des  Sauerstoffs  dem  Pflanzen-  und  Thierleben  gegenüber 
bemerkt   wird.     In  der  anorganischen  Natur  findet  sich  der  Stickstoff  vorzugsweise 


Stickstoff.  175 

in  den  salpetersauren  Salzen  und  Ammonium  Verbindungen.  In  Gasquellen  ist  er  gewöhn- 
lich von  Kohlensäure  begleitet,  was  auch  in  unterirdischen,  lange  verschlossen  gewesenen 
Räumen  der  Fall  ist,  wenn  in  Folge  von  Fäulnis s-  und  Verwesungsprocessen  der  Sauer- 
stoff verschwunden  ist. 

Dargestellt  wird  der  Stickstoff  durch  Erhitzen  einer  concentrirten  Auflösung 
von  salpetrigsaurem  Ammonium,  Ammoniumnitrit  NH4N03,  wobei  eine  Zer- 
legung in  Wasser  aus  Stickstoff  stattfindet. 

NH4N02  =  2N  +  2H20. 

Die  Versuche,  den  atmosphärischen  Stickstoff  aus  der  atmosphärischen  Luft  zu 
gewinnen  und  für  die  Technik  zu  verwerthen,  sind  noch  nicht  zum  Abschluss  gekommen. 

Der  Stickstoff  ist  geruch-,  färb-  und  geschmacklos,  wird  auch  nicht  vom  Magneten 
angezogen:  nur  selten  verbindet  er  sich  direct  mit  den  übrigen  Elementen.  Auch  vom 
Wasser  wird  er  wenig  absorbirt.     Spec.  Gew.  0,972. 

Die  physiologische  Bedeutung  des  atmosphärischen  Stickstoffes 
beruht  lediglich  nur  in  der  Verdünnung  des  Sauerstoffs;  wird  durch  absichtliche 
Inhalation  des  Stickstoffs  diese  Verdünnung  so  hoch  gesteigert,  dass  keine  Oxy- 
dation des  Blutes  mehr  möglich  ist,  so  ist  die  Grenze  zwischen  Leben  und  Tod 
sehr  schmal,  wenn  nicht  sofort  für  erneute  Zufuhr  von  Sauerstoff  gesorgt  wird. 
Der  Vorschlag  von  Sanderson  und  Murray,  durch  Stickstoffinhalationen 
Anästhesie  hervorzurufen,  ist  daher  ein  sehr  gefährlicher;  sie  beoabachteten  dabei 
zuerst  Beschleunigung  des  Pulses  und  der  Respiration;  später  wurde  der  Puls 
langsam  und  unregelmässig,  während  das  Gesicht  eine  livide  Färbung  bekam; 
Anästhesie  soll  binnen  3  —  4  Minuten  eingetreten  sein.  Einem  Patienten  konnte 
während  derselben  ein  Zahn  schmerzlos  ausgezogen  werden. 

Nach  den  an  Thieren  angestellten  Versuchen  tritt,  wenn  sie  in  eine  Stickstoff- 
Atmosphäre  versetzt  werden,  sofort  eine  sehr  beschleunigte  Respiration,  hierauf  starke 
Dyspnoe  ein.  Bei  Tauben  zeigt  sich  dann  Würgen,  Erbrechen ;  danach  erfolgt  im 
Verlaufe  von  25  Minuten  unter  heftigen  Convulsionen  der  Tod.  Bei  allmähliger 
Vermehrung  des  Stickstoffs  vereinigt  sich  die  Dyspnoe  mit  Schwindel  und  Taumel,  ehe 
der  Suffocationstod  eintritt. 

Die  Section  zeigt  eine  starke  Hyperämie  des  Gehirns,  bisweilen  ein  flüssiges 
Blutextravasat  in  der  Umgebung  der  Medulla  oblong.,  flüssiges  Blut  beim  Einschneiden 
der  Brustmuskeln,  schwache  Injection  der  Trachealschleimhaut,  welche  hier  und  da  mit 
einer  dünnen  Lage  blutigen  Serums  bedeckt  ist.  Aus  den  Schnittflächen  der  Lungen 
tritt  flüssiges  und  dunkles  Blut  aus.  Das  Herz  ist  in  allen  Höhlen  strotzend  mit  Blut 
von  der  nämlichen  Beschaffenheit  angefüllt;  dieselbe  Hyperämie  findet  sich  in  den  Unter- 
leibsorganen. Die  Section  liefert  somit  alle  Erscheinungen,  wie  sie  auch  bei  der  auf 
mechanische  Weise  herbeigeführten  Abhaltung  des  Sauerstoffs,  d.  h.  bei  Erstickung, 
vorkommen. 

Stickstoff  in  sanitärer  Beziehung.  Der  Verwesungs-  und  Fäulnissprocess 
liefert  vorzugsweise  Producte,  die  auch  noch  nach  Jahrtausenden  befähigt  sind, 
in  feuchtem  Zustande  den  atmosphärischen  Sauerstoff  zu  ihrer  weitern  Zerlegung 
zu  verwenden  und  auf  diese  Weise  die  Atmosphäre  stickstoffreicher  zu  machen. 
Es  kann  demnach  nicht  befremden,  dass  beim  Braunkohlen-  und  Stein- 
kohlenabbau die  sogenannten  „schlechten  Wetter"  entstehen;  sie  können  eben 
so  gut  durch  die  gebildete  Kohlensäure,  wie  auch  durch  den  restirenden  Stick- 
stoff der  Atmosphäre  bedingt  werden.  Wo  der  Stickstoff  vorwaltet,  heissen  sie 
„böse  Wetter";  ist  dagegen  der  Proceutgehait  der  Kohlensäure  bedeutender,  so 
nennt  man  sie  „matte  Wetter".  In  letzterer  Zeit  ist  besonders  die  Absorp- 
tionsfähigkeit der  Braunkohle  für  den  atmosphärischen  Sauerstoff  und  die  Er- 
zeugung einer  stickstoffreichen  Luft  in  der  Umgebung  der  Braunkohlenhalden 
nachgewiesen  worden. 

In  den  Gruben  der  bituminösen  Fossilen,  speciell  in  den  Kohlenbergwerken, 
kann   der  Stickstoff  80  —  86  Proceut  betragen;     bei  84°  löschen   gewöhnlich   die 


176  Stickstoff. 

Lampen  aus  und  Schwindel  und  Taumel,  welcher  die  Arbeiter  befällt,  ist  für  die- 
selben eine  strenge  Aufforderung,  sich  aus  einer  solchen  Atmosphäre  zu  entfernen. 

In  Brunnen,  die  lange  verschlossen  gewesen  sind,  ist  der  Gehalt  an 
Kohlensäure  gewöhnlich  grösser  als  der  an  Stickstoff;  der  Tod  kann  äusserst 
rasch  eintreten,  wenn  man  ohne  alle  Vorsichtsmassregeln  solche  Brunnen  betritt. 
Es  genügt  nicht,  durch  Herablassen  eines  Lichtes  sich  davon  zu  überzeugen,  ob 
dasselbe  noch  hinreichenden  Sauerstoff  zur  Verbrennung  findet,  denn  die  gefähr- 
lichsten Zustände  sind  erfahrungsgemäss  auch  in  dtn  Fällen  erfolgt,  in  denen 
das  Licht  noch  eine  kurze  Zeit  fortbrannte;  es  ist  daher  nothwendig,  diese  Prü- 
fung nicht  auf  eine  ganz  kurze  Zeit  zu  beschränken,  sondern  wenigstens  15  bis 
20  Minuten  darauf  zu  verwenden. 

Die  atmosphärische  Luft. 

Luft,  Licht  und  Wärme  stellen  die  Trias  dar,  welche  im  engen  Bunde 
alles  Leben  auf  der  Erde  bedingt.  Die  reine  Luft  ist  ein  fast  stets  gleichmässi- 
ges  Gemenge  von  Sauerstoff  und  Stickstoff;  diese  stellen  die  essentiellen 
Bestandtheile  der  Atmosphäre  dar.  Zu  den  durch  chemische  und  physicalische 
Processe  auf  der  Erde  nothwendig  bedingten  Luftbestandtheilen  gehören  die 
Kohlensäure  und  der  Wasserdampf. 

Die  Kohlensäure  ist  erst  im  Jahre  1774  durch  den  schwedischen  Chemiker 
Bergmann  nachgewiesen  worden:  dann  stellte  Saussvre  in  den  Jahren  1809  und  1827  zu 
Genf  gründlichere  Untersuchungen  hierüber  an  und  fand,  dass  in  10000  R. -TL  Luft 
durchschnittlich  -4,15  G.-Th.  Kohlensäure  enthalten  sind.  Die  grösste  Menge  davon 
betrug  nach  seinen  Untersuchungen  5,74  G.-Th.  und  die  geringste  3,15  G.-Th. 

Mannigfaltige  Verhältnisse  haben  jedoch  Einüuss  auf  den  grössern  oder  geringern 
Gehalt  an  Kohlensäure.  Da  die  Pflanzen,  um  nur  einige  dieser  Einflüsse  hervorzuheben, 
bekanntlich  während  der  Nacht  Kohlensäure  abgeben  und  zwar  proportional  dem  ver- 
dunstenden Wasser,  so  könnte  letztere  anscheinend  in  einer  pflanzenreichen  Gegend  auch 
des  Nachts  reichlicher  als  am  Tage  vorkommen.  Ist  der  Boden  aber  feucht,  so  nimmt 
er  die  Kohlensäure  begierig  auf  und  bedingt  dadurch  wieder  eine  Verminderung  der 
Kohlensäure  der  Luft,  während  die  Kohlensäure  des  Bodens,  wenn  letzterer  austrocknet, 
mit  dem  entweichenden  Wasserdampfe  in  die  Atmosphäre  wieder  zurücktritt.  Das  letztere 
Verhalten  des  Bodens  findet  nicht  selten  im  März  und  in  der  Mitte  September  bis  zur 
Mitte  October  statt,  wo  sich  durchschnittlich  der  reichlichste  Kohlensäuregehalt  der  Luft 
in  unserm  Klima*  findet. 

Es  muss,  wenn  man  das  Wasser  als  Träger  der  Kohlensäure  betrachtet,  die  Luft 
nach  eingetretenem  Nebel  oder  Regen  ärmer  an  Kohlensäure  werden,  im  entgegen- 
gesetzten Falle  wird  nach  Regenwetter  bei  eintretendem  klarem  Wetter  und  Erhöhung 
der  Lufttemperatur  die  Kohlensäure  entsprechend  der  Verdunstung  zunehmen. 

Dass  die  Bildung  von  Kohlensäure  im  Boden  durch  den  Regen  gefördert 
werden  kann,  ist  insofern  unzweifelhaft,  als  durch  die  Befeuchtung  der  humösen  Stoffe 
der  Verwesungsprocess  wieder  angeregt  wird. 

Inwiefern  die  Luft  im  Boden  in  die  Wohnungen  überzugehen  und  nachtheilig 
auf  deren  Insassen  einzuwirken  vermag,  ist  bis  jetzt  noch  nicht  durch  verbürgte  That- 
sachen  ermittelt  worden,  wenn  man  von  den  Fällen  absieht,  in  welchen  zufällig  Leucht- 
gas, durch  den  Boden  in  Parterre -Wohnungen  eingedrungen,  Intoxicationen  hervorgerufen 
hat.  Die  Processe  der  organischen  Verbindungen  im  Boden  sind  noch  nicht  annähernd 
erforscht  und  erst  mit  dem  Nachweise  der  Kohlensäure  im  Boden  hat  man  die  be- 
züglichen, immerhin  sehr  dankenswerthen  Untersuchungen  begonnen. x) 

Wie  in  der  Luft  so  wirken  auch  im  Boden  unendlich  viele  und  verschiedenartige 
Ursachen  auf  die  Vermehrung  oder  Verminderung  der  Kohlensäure  ein;  jedoch  erreicht 
erfahrungsgemäss  die  Vermehrung  der  atmosphärischen  Kohlensäure  nur  ein 
bestimmtes  und  überall  fast  gleiches  Maximum. 

Nach  den  in  Rostock2]  vom  18.  October  1868  bis  31.  Juli  1871  angestellten  Beob- 
achtungen belief  sich  die  Kohlensäure  in  10000  Th.  Luft  im  Mittel  im  Jahre  1868  auf 
4,401  G.-Pr.  oder  2,894  V.-Pr.,  im  Jahre  1869  auf  4,375  G.-Pr.  oder  2,866  V.-Pr.,  im 
Jahre  1870  auf  4,409  G.-Pr.  oder  2,905  V.-Pr.,  im  Jahre  1871  auf  4,58  G.-Pr.  oder 
3,012  V.-Pr.;  das  Maximum  betrug  am  23.  October  1868  5,20  G.-Pr.  oder  3,42  V.-Pr., 
das  Minimum  am  29.  November  1868  3,43  G.-Pr.  oder  2,25  V.-Pr. 


Die  atmosphärische  Luft.  177 

Die  Grenze  dieser  Schwankungen  stimmt  mit  den  von  Saussure,  Boussingault  und 
Levy  an  den  verschiedensten  Orten  der  "Welt  gemachten  Untersuchungen  überein. 

Auch  in  den  höchsten  Schichten  der  Atmosphäre  findet  sich  Kohlensäure;  in  der 
Regel  sind  aber  die  niederen  Schichten  der  Luft  kohlensäurereicher  als  die  höhern  und 
zwar  vermöge  des  höhern  spec.  Gew.  der  Kohlensäure. 

Bei  den  unerschöpflichen  Quellen  der  Kohlensäure,  welche  auf  der  Erde  verbreitet 
sind,  ist  es  eine  der  wunderbarsten  Erscheinungen,  dass  sich  die  Schwankungen  des 
Kohlen  Säuregehaltes  in  bestimmten  Grenzen  bewegen  und  die  Menge  derselben  nie  einen 
extremen  Grad  erreicht.  Es  ist  einleuchtend,  dass  der  Einfluss  der  Pflanzenwelt  und 
die  Anziehung  des  Bodens  von  ganz  gewaltiger  Wirkung  sind,  um  in  dieser  Beziehung 
stets  das  Gleichgewicht  in  der  Atmosphäre  wieder  herzustellen,  und  was  der  Boden 
und  die  Pflanzen  nicht  aufnehmen,  wird  durch  die  bewegte  Luft,  die  Winde,  in  weite 
Entfernungen  übergeführt. 

Der  Wassergehalt  der  Luft  ist  ein  Bestandtheil  derselben,  welcher  für  die 
Ernährung  der  Pflanzen  und  das  "Wohlbefinden  der  Thierwelt  von  grösstem  Eiu- 
flusse  ist. 

Das  "Wasser  kommt  in  drei  verschiedenen  Zuständen  in  der  Luft  vor:  1)  in 
Form  von  Dampf  als  unsichtbares  Gas;  2)  in  Form  von  Nebelbläschen  bei  der 
"Wolkenbildung  und  bei  den  eigentlichen  Nebeln;  3)  gleichsam  als  compactes, 
niedergeschlagenes  Wasser  in  zwei  verschiedenen  Aggregatzuständen,  als  flüs- 
siges Wasser,  als  Regen  oder  niederfallender  Nebel,  oder  aber  als  Schnee  und 
Hagel  in  krystallinischeni  Zustande. 

Wir  haben  hier  vorzugsweise  dem  in  der  Luft  dampfförmig  enthaltenen 
Wasser  Rechnung  zu  tragen,  wogegen  bezüglich  der  anderen  Zustände  des  Wassers 
auf  die  Meteorologie  verwiesen  werden  muss.  3) 

Auch  der  Wassergehalt  der  Luft  unterliegt  vielen  Schwankungen.  Die  Aus- 
dehnung der  Wasserflächen,  mit  welchen  die  Luft  in  Berührung  kommt,  die  Richtung  der 
Winde,  je  nachdem  sie  grosse  Wasserflächen  bestrichen  haben,  sowie  die  Beschaffenheit 
des  Bodens  sind  nur  bezüglich  der  herrschenden  Temperatur  auf  den  Wassergehalt  ein- 
wirkend und  massgebend.  Je  wärmer  die  Luft  ist,  desto  mehr  Wasser  nimmt  sie  auf, 
weil  sich  der  Sättigungspunct  resp.  die  Sättigungsfähigkeit  der  Luft  für  den 
Wasserdampf  mit  der  Zunahme  der  Temperatur  steigert.  So  enthält  die  Luft 
im  Zustande  der  Sättigung  bei  +  35°  C.  an  Wasser  dampf  26,5  Gran,  bei  +25°  15.8  Gr., 
bei  -f-  100  658  q1%  l^ei  +0°  3,6  Gr.,  bei  -  20°  0,89  Gr.  {August).  In  heissen  Gegenden 
ist  deshalb  der  Wassergehalt  der  Luft  im  Allgemeinen  viel  bedeutender  als  in  den 
gemässigten  und  in  diesen  wieder  bedeutender  als  in  den  kalten.  Bei  allen  klimatischen 
Erscheinungen  steigert  sich  im  Allgemeinen  der  Wassergebalt  der  Luft  mit  der  zuneh- 
menden Temperatur,  also  in  unserm  Klima  gewöhnlich  von  Mai  bis  September;  je  mehr 
die  Temperatur  dann  sinkt,  desto  mehr  nimmt  auch  der  Wassergehalt  ab. 

Die  Luft  enthält  fast  immer  weniger  Feuchtigkeit  als  sie  aufzunehmen  vermag, 
sie  befindet  sich  fast  nie  im  Sättigungszustande;  man  kann  gewöhnlich  nur  er- 
forschen, ob  sie  sich  mehr  oder  weniger  dem  Sättigungspuncte  nähert.  Die  Luft  ist  um 
so  durchsichtiger,  je  mehr  sie  entsprechend  der  Temperatur  den  Sättigungspunct  er- 
reicht; sie  gibt  alsdann  zu  der  Erscheinung  Veranlassung,  dass  alle  entfernten  Gegen- 
stände gleichsam  näher  rücken. 

Wenn  ein  hoher  Feuchtigkeitsgehalt  der  Atmosphäre  vorhergegangen  und  dann 
eine  Temperaturerniedrigung  eingetreten  ist,  so  wird  der  Wasserdampf  als  Nebel  nieder- 
geschlagen; er  gibt  zur  Bildung  von  Wolken  Veranlassung,  und  es  entsteht  trübes 
Wetter,  bis  schliesslich  das  Wasser  als  Regen  der  Erde  zurückgegeben  wird. 

Der  Regen  hängt  somit  mit  dem  Sättigungspunct  der  Luft  und  der  herrschenden 
Temperatur  eng  zusammen.  Wird  eine  mit  Feuchtigkeit  bei  einer  bestimmten  Temperatur 
gesättigte  Luft  auch  nur  um  ein  Minimum  abgekühlt,  so  muss  sich  dieser  Abkühlung 
entsprechend  eine  gewisse  Wassermenge  ausscheiden,  welche  sich  in  der  erwähnten 
Regen-  und  Wolkenbildung  kundgibt. 

Man  muss  besonders  den  Unterschied  zwischen  absoluter  und  relativer 
Feuchtigkeit  der  Luft  festhalten.  Die  absolute  Feuchtigkeit,  d.  h.  die  auf  0°  R. 
und  28  Zoll  Barometerstand  reducirte,  steigt  im  Allgemeinen  mit  der  zunehmenden 
und  fällt  mit  der  abnehmenden  Temperatur;  dagegen  fällt  die  relative  Feuchtig- 
keit der  Luft,  d.  h.  der  der  jedesmaligen  Temperatur  proportionale  Feuchtigkeits- 
gehalt derselben,  mit  der  zunehmenden  und  steigt  mit  der  abnehmenden  Temperatur. 
Die  relative  Feuchtigkeit  verhält  sich  somit  ganz  entgegengesetzt  dem  absoluten 
Wassergehalte  der  Luft;  da  letztere  in  den  kälteren  Monaten  dem  Sättigungspunct 
Eulenberg,  Gewerbe -Hygiene.  12 


1  78  Die  atmosphärische  Luft. 

näher  ist  als  in  den  wärmeren,  so  wird  die  Luft  der  kälteren  Monate  eine  feuchte  und 
die  der  wärmeren  Monate  eine  trockne  genannt,  obgleich  die  Luft  im  Sommer  reicher 
an  Wasserdampf  ist  als  im   Winter. 

Die  Bestimmung  der  Luftfeuchtigkeit  ist  in  sanitärer  Beziehung  wichtig; 
schon  seit  den  ältesten  Zeiten  hat  man  hierzu  hygroskopische  Körper  benutzt  und 
bereits  im  Buch  der  Richter  (Cap.  6,  v.  37)  findet  sich  eine  Anleitung  hierzu. 

Der  feuchten  Luft  steht  die  trockne  gegenüber  und  es  ist  io  sanitärer 

Beziehung  wichtig,  die  Wirkung  der  verschiedenen  Luftbeschaffenheit  näher  kennen 

zu  lernen,  wozu  ausser  dem  Wassergehalte  auch  noch  die  verschiedenen  Grade 

ihrer  Ausdehnung  und  Conipression  gehören. 

1)  Wirkung  der  feuchten  Luft  auf  den  thierischen  Organismus.  Da  hierbei 
ausser  der  Feuchtigkeit  auch  die  Temperatur  zu  berücksichtigen  ist,  so  muss  man 
a)  die  feuchte  und  warme,  b)  die  feuchte  und  kühle  Luft  unterscheiden. 

a)  Eine  mit  Feuchtigkeit  gesättigte  und  warme  Luft  wird  als  schwül  em- 
pfunden; da  ihr  das  Vermögen  fehlt,  mehr  Wasserdampf  aufzunehmen,  so  scheidet 
sich  die  auf  der  Haut  ausgetretene  Feuchtigkeit  tropfförmig  ab  und  bildet  den 
Schweiss.  Unter  diesen  Verhältnissen  kanu  bekanntlich  eine  Temperatur  von  20" 
oft  drückender  und  unangenehmer  einwirken  als  eine  Temperatur  von  30  u  C.  Man 
sagt:  „Die  Sonne  sticht",  wenn  die  Sonne  eine  an  Wasserdampf  sehr  reiche 
Atmosphäre,  gleichsam  eine  compactere  Luft  antrifft,  auf  welche  sie  die  Wärme 
übertragen  kann. 

Die  feuchte  und  heisseLuft  findet  sich  hauptsächlich  in  den  Tropen  und  er- 
zeugt neben  dem  erschöpfenden  Schweisse  eine  Erschlaffung  aller  Functionen;  die  Krank- 
heit, welche  unter  dem  Namen:  Hitzschlag,  Heat-stroke  oder  auch  Sonnenstich  be- 
kannt ist,  entsteht  vorzugsweise  bei  feuchter  Hitze;  sie  ist  kein  Vorrecht  der  Tropen, 
sondern  tritt  unter  begünstigenden  Umständen  auch  in  unserm  Klima  auf  und  wird 
namentlich  bei  Märschen  oder  anstrengenden  Arbeiten  im  Sommer  nicht  selten  beobachtet. 
Der  Name  rSonnenstich"  ist  insofern  ein  ungeeigneter,    als  die  Krankheit   auch  im  ab- 

feschlossenen  Räume,  in  grossen  Versammlungslocalen  und  in  manchen  industriellen 
itablissements  vorkommen  kann.  Als  Vorläufer  der  Krankheit  zeigen  sich  häufig 
Schwindel,  Kopfschmerzen,  Durst,  Athembeklemmung  mit  Hallucinationen  und  Illusio- 
nen. Ihr  Wesen  beruht  in  einer  bedeutend  gesteigerten  Körpertemperatur,  welche  um  so 
mehr  zunimmt,  je  mehr  die  wässerige  Secretion  der  Haut  abnimmt:  während  des  Lebens 
hat  man  in  der  Achselhöhle  schon  Temperaturen  von  40 — 45°  C.  beobachtet. 

Bei  den  Leichen  fällt  am  meisten  die  Hyperämie  und  Hämorrhagie  der  emphyse- 
matösen  Lungen  auf:  die  Hyperämie  kann  sich  bis  zur  Lungenapoplexie  steigern.  Flüs- 
siges Blut  erfüllt  gewöhnlich  das  rechte  Herz,  während  die  Hyperämie  in  den  Unter- 
leibsorganen  fehlen  kann. 

Versuche  an  Thieren  ergaben,  dass  grössere  Kaninchen  eine  Temperatur  von 
40°  C.  eine  halbe  Stunde  lang  ertrugen,  während  bei  43°  C.  der  Tod  nach  40  Minuten 
unter  Convulsionen  eintrat;  Tauben  starben  bei  45°  C.  schon  nach  15  Minuten  und  junge 
Meerschweinchen  erlagen  einer  Temperatur  von  55°  C.  binnen  16  Minuten. 

1.  Versuch.  Ein  grosses  Kaninchen  wurde  in  den  grossen  Glaskasten  gebracht. 
Die  Temperatur  wird  durch  heisse  Wasserdämpfe  nach  3  M.  auf  34°  C  gesteigert,  wobei 
die  Respiration  sich  beschleunigt.  Nach  5  M.  ist  die  Athmung  bei  40°  C.  ganz  ober- 
flächlich und  im  höchsten  Grade  beschleunigt;  nach  13  M.  Seitenlage,  nach  23  M.  Aus- 
fluss  von  Speichel,  krampfhaftes  Zucken  in  den  hintern  Extremitäten;  nach  35  M. 
Herausnahme.  Die  Temperatur  im  Kasten  betrug  40°  C  ,  die  Körperwärme  des  heraus- 
genommenen Kaninchens  42°  C. ;  seine  Augen  prominiren,  sind  anfangs  unempfindlich 
reagiren  aber  alsbald  wieder:  es  bleibt  in  der  Seitenlage  liegen.  Herzschlag  und  Respi- 
ration sehr  beschleunigt,  Nasenschleimhaut  stark  geröthet;  nach  10  M.  in  eine  sitzende 
Stellung  gebracht,  bleibt  es  in  derselben;  nach  16  M.  geht  es  vorwärts,  bleibt  aber  oft 
wie  gelähmt  stehen;  die  Ohren  fühlen  sich  noch  sehr  heiss  an:  Temperatur  in  der 
Schenkelbeuge  35°  C.     Erst  nach  einer  Stunde  tritt  eine  bemerkbare  Erholung  ein. 

2.  Versuch.  Eine  ausgewachsene  Taube  sitzt  im  Glaskasten.  Beim  Einleiten  der 
Dämpfe  Unruhe,  Kratzen  am  Kopfe,  Blinzeln  mit  den  Augen,  Putzen  der  Augen  auf  den 
Flügeln.  Temperatur  der  Dämpfe  30°  C.  Nach  2  M.  Ausstrecken  des  Halses,  Aufsperren 
des  Schnabels,  Flugversuche:  nach  5  M.  45°  C.  Wärme:  grosse  Unruhe;  nach  6  M. 
Temper.  46°  C.:    beständiges  Taumeln,   schlägt  mit   den   Flügeln,    fällt   hin    und   richtet 


Wirkung  der  feuchten  Luft  auf  den  thierischen  Organismus.  179 

sich  wieder  auf:  bei  angestrengter  Respiration  Aufsperren  des  Schnabels.  Nach  8  M. 
fällt  die  Temperatur  beim  Nachlass  der  Zuleitung  der  Dämpfe  auf  4:,°  C.  Die  Taube 
bleibt  kurze  Zeit  auf  dem  Bauche  liegen:  Eintritt  von  starken  Convulsionen  und  Liegen- 
bleiben mit  stark  zurückgezogenem  Kopfe;  dann  Vibriren  des  ganzen  Körpers.  Nach 
12  M.  verlangsamte,  aber  sehr  angestrengte  Inspiration,  nach  15  M.  45°  C,  tetanischer 
Krampf,  8  krampfhafta  Inspirationen  binnen  V4  M.;  nach  17  M.  Herausnahme  des 
Thiers.  Vollständige  Asphyxie,  Körpertemperatur  45°  C,  nach  3  M.  sehr  schwacher  und 
immer  mehr  abnehmender  Herzschlag,  im  Schlünde  40°  C-,  nach  1  Stunde  noch  32°  C. 
unter  den  Flügeln.     Tod  nach  1  Stunde  15  Alinuten. 

Sectio  n  14  Stunden  hernach.  Gehirnhäute  massig  injicirt:  in  der  Umgebung  der 
Med.  oblong,  etwas  flüssiges  Blut.  Die  Plex.  ven.  spin.  _  massig  angefüllt.  Das  Zell- 
gewebe in  der  Umgebung  der  Trachea  blutig  infiltrirt;  die  Lungenvenen  von  normaler 
Farbe,  beim  Einschneiden  fliesst  dunkelrothes,  flüssiges  Blut  aus.  Die  Schleimhaut  der 
Bronchien  und  der  Luftröhre  kurz  oberhalb  ihrer  Theilung  rothbraun  injicirt,  Die 
rechte  Herzhälfte  strotzt  von  flüssigem  und  geronnenem  Blute,  die  linke  enthält  nur 
wenig  flüssiges  Blut,  Die  dunkelbraune  Leber  ist  blutreich:  im  serösen  Blatte  des  Darm- 
canals  eine  starke  Gefässinjection. 

3.  Versuch.  Ein  junges  Meerschweinchen  wurde  in  einen  grossen  Glasballon 
gebracht,  dessen  Boden  mit  feuchtem  Sande  bedeckt  war;  er  stand  in  einer  Schale  mit 
Wasser,  welches  durch  heisse  Wasserdämpfe  auf  eine  beliebige  Temperatur  gebracht 
werden  konnte.  Durch  den  den  Glasballon  nur  lose  verschliessenden  Kork  wurde  das 
Thermometer  eingeführt,  Nach  5  M.  Temperatur:  30°  C.  Grosse  Unruhe  des  Thieres: 
nach  6  M.  beschleunigt  sich  schon  die  Respiration:  nach  10  M,  bei  40°  C.  die  grösste 
Unruhe,  Hin-  und  Herrennen;  nach  12  M.  bei  45°  C.  unzählbare,  ganz  oberflächliche 
Respirationen.  Nach  14  M.  bei  50°  C.  ist  die  Nase  feucht,  die  Augen  thränen,  vor 
Mattigkeit  bleibt  das  Thier  liegen.  Nach  15  M.  sind  die  hintern  Extremitäten  ausge- 
streckt und  bewegungslos:  gleich  darauf  bei  55°  C.  heftige,  mit  Tetanus  wechselnde 
Convulsionen.  Nach  einigen  krampfhaften  Inspirationen  erfolgt  der  Tod  nach  16  M. 
Temperatur  im  Mastdarm  50°  C. 

Section  sogleich.  Die  Gehirnhäute  namentlich  in  der  Umgebung  des  Klein- 
hirns injicirt.  Die  Plex  venös,  spin.  sehr  blutreich.  Die  rechte  Herzhälfte  mit 
geronnenem  und  flüssigem  Blute  angefüllt,  die  linke  ist  fast  leer;  auch  in  den  grössern 
Blutgefässen,  namentlich  in  den  Ven.  jugular.,  fand  sich  geronnenes  und  flüssiges  Blut. 
Lungen  dunkelbraun  und  sehr  blutreich;  an  der  Luft  färbten  sich  nur  die  Ränder  hell- 
roth;  das  die  Trachea  umgebende  Zellgewebe  weich  und  blutreich,  die  Schleimhaut  der- 
selben schwach  injicirt.  Die  Leber  dunkelbraun  und  blutreich :  Milz  hellroth;  Nieren 
sehr  hyperämiseh;  die  Harnblase  mit  klarem  Urin  gefüllt.  Auffallend  war  die  sofort 
nach  dem  Tode  eintretende  Leichenstarre:  die  linke  Cornea  zeigte  eine  geringe 
Opalisirung.  4J 

Es  ist  eine  bekannte  Thatsache,  dass  die  Steigerung  der  innern  Körper- 
temperatur grosse  Gefahr  für  das  Leben  bedingt;  es  würde  aber  zu  weit  führen, 
die  hieran  sich  knüpfenden  Folgerungen  hier  weiter  zu  erörtern;  es  sei  daher 
nur  noch  hervorgehoben,  dass  der  Hitzschlag  um  so  eher  eintritt,  je  weniger 
die  Luft  bewegt  und  je  mehr  sie  mit  Feuchtigkeit  gesättigt  ist. 
Die  Erfahrung  hat  auch  bewiesen,  dass  bei  Soldaten  der  Hitzschlag  auf  Märschen 
in  geschlossenen  ColonneD,  in  Hohlwegen,  beim  Aufenthalt  in  Zelten,  in  Schiffen 
u.  s.  w.  weit  eher  sich  zeigt,  als  beim  Marschiren  im  Freien  über  weite  Ebenen 
und  in  kleinen  Colonnen,  wo  die  stärker  bewegte  Luft  der  Perspiration,  nament- 
lich der  wässerigen  Ausdünstung  nicht  hemmend  entgegentritt.5) 

Die  heisse  und  feuchte  Luft  in  der  Industrie.  Eine  solche  Luft  findet  sich 
meistens  bei  allen  denjenigen  Gewerben,  bei  denen  frei  auftretende  Wasser- 
dämpfe zur  Anwendung  kommen,  z.  B.  in  Decantiranstalten,  bei  der  chemischen 
Reinigung  der  Bettfedern,  beim  Ausschmelzen  des  Talges  durch  Wasserdämpfe,  bei 
der  Leim-  und  Knochensiederei,  in  Salinen  und  verschiedenen  chemischen  Fa- 
briken. In  Färbereien  und  Waschanstalten  ist  die  Temperatur  gewöhnlich  nicht 
hoch  und  steigert  sich  höchstens  zu  30  —  35°  C.  Der  Nachtheil  ist  hierbei  um 
so  geringer,  je  mehr  den  Arbeitern  Gelegenheit  gegeben  wird,-  mit  der  Arbeit  zu 
wechseln,  oder  je  mehr  die  Ventilation  eine  Ausgleichung  der  innern  Temperatur 

12* 


IgO  Die  atmosphärische  Luft. 

mit  der  äussern  ermöglicht.  Wenn  Swift6)  in  einer  Waschanstalt  Krankheits- 
fälle, die  mit  dem  sogenaunten  „Sonnenstich"  Aehnlichkeit  hatten,  beobachtet 
haben  will,  so  müssen  hier  noch  andere  Umstände  eingewirkt  haben,  da  die  dort 
herrschende  Temperatur  fast  nie  die  Körperwärme  übersteigt  und  also  der  für 
die  Entstehung  des  Hitzschlags  nothwendige  Factor  fehlt. 

Sehr  nachtheilig  sind  die  Einwirkungen  der  Kohlenbergwerke,  deren 
Temperatur  sich  bekanntlich  mit  der  Tiefe  steigert  und  nicht  selten  30  —  38°  C. 
beträgt,  weshalb  die  Arbeiter  meistens  ohne  Kleider  arbeiten  müssen.  Mehr  oder 
weniger  vereinigen  sich  hier  alle  Nachtheile  der  feucht- heissen  Tropenluft,  nur 
mit  dem  Unterschiede,  dass  in  den  Bergwerken  eine  Einwirkung  von  aussen  fast 
gar  uicht  stattfindet  und  deshalb  die  Temperatur- Verhältnisse  viel  constanter 
sind,  indem  die  Luftwärme  durch  die  Erdwärme  bedingt  wird.  Ausser  der 
Feuchtigkeit  und  Wärme  der  Luft  kommen  auch  noch  der  grössere  Kohlensäure- 
gehalt, der  Staub  u.  s.  w.  derselben  hinzu,  um  die  Lebensweise  der  Kohlengruben- 
Arbeiter  zu  einer  der  ungesundesten  zu  machen;  eine  nicht  zu  lange  Arbeits- 
zeit —  höchstens  6  Stunden  —  muss  daher  als  das  Maximum  betrachtet  werden. 
Regelmässiger  Wechsel  der  unterirdischen  Arbeit  mit  Beschäftigung  im  Freien, 
Badeeinrichtuugen  für  die  Bethätigung  der  Hautfunction  und  passende  Räume, 
welche  ein  Umkleiden  beim  Verlassen  des  Bergwerks  gestatten,  sind  nothwendige 
Requisite  und  verhüten  den  Nachtheil  des  Aufenthalts  unter  der  Erde,  wenn 
eine  regelmässige  Lebensweise  und  namentlich  eine  Enthaltsamkeit  in  Spirituosis 
hinzutreten. 

Eine  therapeutische  Benutzung  der  heissen  und  feuchten  Luft  findet  beim  Ge- 
brauch der  russischen  Dampf bäder  statt,  deren  Nutzen  bei  Arbeitern,  welche  wegen 
Staub,  Schmutz  u.  s.  w.  auf  eine  Hautcultur  ganz  besonders  angewiesen  sind,  nicht  hoch 
genug  anzuschlagen  ist. 

Man  kann  übrigens  hier  die  interessante  Beobachtung  machen,  dass  der  Durst 
im  russischen  Dampfbade  in  weit  erhöhterm  Grade  als  im  römischen  Bade,  d,  h.  bei  der 
heissen  und  mehr  trocknen  Luft,  eintritt.  Der  Grund  hiervon  dürfte  in  der  gehinderten 
Perspiration  während  des  Verweilens  in  der  heissen  und  feuchten  Luft,  sowie  in  der 
hieraus  nothwendig  entstehenden  grössern  innern  Erhitzung  liegen,  wodurch  das  Ver- 
langen nach  Getränken  bedingt  wird,  während  in  der  heissen  und  mehr  trocknen  Luft 
des  römischen  Bades  die  reichliche  wässerige  Hautausdünstung  zur  Mässigung 
der  grossen  innern  Erhitzung  beiträgt.  Ein  zu  langer  Aufenthalt  im  russischen  Dampf- 
bade kann  daher  auch  die  Erscheinungen  des  Hitzschlags  hervorrufen:  geringere  Grade 
desselben,  welche  sich  grade  wie  in  mit  Menschen  vollbesetzten  Theatern  vorzugsweise  als 
Ohnmachtsanfälle  documentiren,  kommen  gar  nicht  selten  vor. 

b)  Feuchte  und  kühle  Luft  findet  sich  während  der  kälteren  Jahreszeit 
vorzugsweise  in  Sumpfgegenden  (s.  Sumpf);  in  geschlossenen  Räumen 
führt  diese  Luftbeschaffenheit  leicht  zur  Schimmelbildung.  Da  die  eingeschlossene 
Luft  gewöhnlich  wärmer  ist  als  die  Wandungen  der  Wohnräume,  so  entziehen 
letztere  der  sie  berührenden  Luftschicht  Wärme  und  es  wird  deshalb  im  Verhält- 
niss  zur  Wärmeabnahme  Wasser  in  dieser  ßerührungsschicht  ausgeschieden, 
welches  sich  auf  der  Oberfläche  der  Wandungen  verdichtet  und  namentlich  in  der 
wärmern  Jahreszeit  leicht  Schimmelbildung  veranlasst. 

Neue  Häuser  entwickeln,  auch  wenn  sie  ausgetrocknet  zu  sein  scheinen,  beim 
Bewohnen  stets  Feuchtigkeit,  weil  die  ausgeathmete  Kohlensäure  auf  den  Mörtel  in  der 
Weise  einwirkt,  dass  sich  das  II  y  drat  wasser  im  Kalke  des  Mörtels  ausscheidet,  wenn 
sich  die  Kohlensäure  mit  dem  Kalke  verbunden  hat.  Es  ist  deshalb  zweckmässig,  dass 
alle  neuen  Häuser  vor  dem  Bewohnen  mit  Kohlen-  oder  Koksfeuerungen  geheizt 
werden,  damit  das  Verbrcnnungsproduct,  die  Kohlensäure,  auf  eine  zweckmässigere 
Weise  denselben  Erfolg  erzielt.  Neuerdings  hat  zwar  v.  Petienkofer  diese  chemische. 
Erklärung  zurückgewiesen  und  die  Wirkung  des  Kohlenfeuers  nur  auf  die  Wärme  be- 
zogen,   indem   er   die  Feuchtigkeit  der  Wände   in   Neubauten   auf  die  Niederschläge 


Kellerwohnungen.  181 

von  Wasser  aus  der  Luft  auf  die  Wand  zurückführt;  indess  dürfte  dem  Hydrat- 
wasser nicht  jeder  Antheil  an  dieser  Erscheinung  abzusprechen  sein.  Freilich  muss  die 
häufige  Lüftung  der  Zimmer  und  die  Austrocknung  durch  Wärme  hinzukommen,  um 
Neubauten  vollständig  trocken  zu  machen. 7) 

Die  Entscheidung  der  Frage,  ob  eine  Wohnung  trocken  sei,  ist  sehr  schwierig, 
da  die  Mittel  zur  Erforschung  eines  bestimmten  Grades  von  Feuchtigkeit  nicht  ganz 
zuverlässig  sind.  Gewöhnlich  bedient  man  sich  hierzu  chemischer  Substanzen,  welche 
den  Wasserdampf  der  Luft  begierig  aufnehmen;  zu  diesen  gehören:  entwässertes  Kupfer- 
sulfat, Schwefelsäure,  bei  100°  C.  ausgetrocknete  Sägespäne,  Aetzkali  oder  Aetzkalk, 
namentlich  aber  bei  100°  getrocknetes,  nicht  geschmolzenes,  kalkfreies  Chlor  calcium. 
Man  wiegt  von  diesen  bestimmte  Mengen  ab,  leitet  ein  gewisses  Quantum  Luft  mittels 
Aspiration  darüber  und  prüft  dann  die  Gewichtszunahme.  Vorzuziehen  ist  es,  eine 
Mörtel  probe  auf  ihr  mechanisch  gebundenes  Wasser  zu  untersuchen;  man  muss  aber 
an  verschiedenen  Stellen  der  Wand  Proben  entnehmen,  sie  sorgfältig  zerkleinern,  wiegen, 
bei  100°  austrocknen  und  wiederum  wiegen.  Es  dürften  4 —  5  Gewichtsprocent  Wasser 
im  Mörtel  als  die  sanitär  zulässige  Grenze  hierbei  gelten.8) 

Feuchte  Wohnungen  sind  meistens  kühl  und  ihre  Schädlichkeit  besteht  haupt- 
sächlich in  zwei  Ursachen,  erstlich  in  dem  gestörten  Austausch  der  Luft  wegen  der  mit 
Wasser  gefüllten  Poren  der  Wände  und  zweitens  in  Störungen  unserer  Wanne -Oeco- 
nomie,  weil  kalte  Wände  unsere  Wärmeabgabe  durch  Strahlung  einseitig  steigern  und 
hierdurch  weiterhin  zu  verschiedenen  Erkältungskrankheiten  Anlass  geben  können. 
Dazu  kommt  endlich  noch ,  dass  nasskalte  Wände  die  Wärme  besser  leiten  als  trockne 
und  auch  die  Producte  der  Respiration  und  Perspiration  sich  wegen  der  gestörten 
Ventilation  mehr  anhäufen  und  zu  Gesundheitsstörungen  beitragen.  Die  wichtigste  sa- 
nitäre Bedingung  bei  Neubauten  besteht  daher  in  einer  sorgfältigen  Auswahl  der  Bau- 
materialien, welche  die  erforderliche  Porosität  besitzen  und  ein  Verdunsten  der 
Feuchtigkeit  gestatten.  Gebieten  die  localen  Verhältnisse  die  Benutzung  eines  nicht  aus- 
trocknenden oder  undurchlässigen  Materials,  so  kann  mau  den  Nachtheilen  desselben  oft 
durch  die  Herstellung  eines  Hohlraums  zwischen  der  Giebel-  und  innern  Mörtelwand 
vorbeugen;  geschieht  dies  nicht,  so  bleibt  die  Wohnung  stets  feucht,  weil  das  Wasser 
nicht  verdunsten  kann  und  sich  auf  der  undurchlässigen  Wand  niederschlagen  muss. 

In  vielen  Städten,  wie  in  Liverpool,  London,  Manchester,  Prag  und  Lille,  sind 
viele  Arbeiter  auf  Kellerwohnungen  angewiesen;  im  Jahre  1864  waren  in  Berlin 
9,18  pCt.  aller  Einwohner  Kellerbewohner.9)  Die  sanitären  Erfordernisse,  welche 
man  an  eine  Kellerwohnung  zu  stellen  hat,  sind  folgende: 

1;  In  keiner  Kellerwohnung  darf  es  an  Licht,  Luft,  Ventilation  und  Isolirschichten 
fehlen ;  sie  sollten  nur  in  solchen  Häusern  angelegt  werden,  die  an  einem  freien  Platze 
oder  in  Strassen  liegen,  deren  Häuser  bis  zur  Traufkante  nicht  höher  sind  als  die  Breite 
der  Strassen  beträgt. 

2)  Keine  Kellerwohnung  darf  in  einem  Inundationsgebiete,  welches  das  Aufsaugen 
der  Flüssigkeit  verhindert,  liegen. 

3)  Der  Fussboden  muss  wenigstens  0,9  —  1  Meter  hoch  über  dem  höchsten  Stande 
des  Grundwassers  liegen  und  von  der  aufsteigenden  Feuchtigkeit  isolirt  sein,  was  ent- 
weder durch  stillstehende  Luft  (einen  hohlen  Boden)  oder  durch  undurchlässige  Sub- 
stanzen (Asche,  Kohlenkleie  u.  s.  w.)  bewerkstelligt  wird,  wenn  man  das  Estrichen  des 
Bodens  nicht  vorzieht.  Ein  betonirter  Fussboden  muss  wenigstens  0,15  Meter  dick  sein, 
worauf  erst  das  Balkenlager  und  die  Dielung  folgen  darf. 

4)  Von  grossem  Vortheil  ist  die  Anbringung  von  Hohlräumen  in  den  Umfas- 
sungsmauern, um  gleichzeitig  Austrocknung  und  Ventilation  zu  bewirken. 

5)  Die  Zimmer  müssen  nach  der  Zahl  der  Bewohner  einen  hinreichenden  Umfang 
und  eine  Höhe  von  wenigstens  3  Meter  haben. 

6)  Die  Decke  der  Zimmer  liege  0,9  — 1,3  Meter  über  dem  Niveau  der  Strasse, 
damit  die  Fensterfläche  wenigstens  0,7  Quadratmeter  betrage,  um  eine  vollständige  Ven- 
tilation ermöglichen  zu  können.  Die  Schwierigkeit,  welche  schlecht  angelegte  Keller- 
wohnungen der  Ventilation  entgegenstellen ,  gehört  zu  den  grössten  Schattenseiten  der- 
selben. Fensterschachte  sind  sehr  vortheilhaft ,  wenn  dabei  das  Fenster  an  der 
äussern  Seite  auf  Strassenhöhe  angelegt  wird,  damit  sich  keine  Unreinigkeiten  im  Schachte 
ansammeln  können. 

7)  Im  Winter  muss  eine  passende  Feuerstätte  die  Ventilation  bewirken,  welche 
ausserdem  noch  entweder  durch  die  erwähnten  Züge  in  den  Umfassungsmauern  oder 
auch  durch  Benutzung  der  übrigen  Kamine  im  Souterrain  benutzt  wird. 

8)  Bruch-  oder  Basaltsteine  dürfen  nie  zum  Aufbau  von  Kellerwohnungen  benutzt 
werden,  weil  sie  stets  feucht  bleiben  und  solche  Wohnungen  zur  Kategorie  der 
Felsenkeller  gehören  würden. 

9)  Sand-  oder  Kiesboden  oder  sandiger  Lehm  bildet  die  beste  Grundlage  für 
Kellerwohnungen. 


182  Die  atmosphärische  Luft. 

Werden  die  Kellerwohnungen  nach  diesen  Regeln  eingerichtet,  so  haben  sie  sogar 
entschiedene  V  ortheile  vor  den  höheren  Stockwerken,  auf  welche  die  Arbeiterclasse 
grosser  Städte  sonst  noch  angewiesen  ist.  Die  Kellerwohnung  ist  im  Sommer  weniger 
heiss,  im  Winter  weniger  kalt  als  ein  oberes  Stockwerk  :  der  Mittellose  hat  daher  schon  einen 
grossen  Vortheil  durch  den  geringern  Verbrauch  von  Brennmaterialien,  wenn  er  im  Winter 
eine  gute  Kellerwohnung  besitzt.  Es  ist  eine  durchaus  falsche  Ansieht,  dass  der  Erd- 
boden beständig  Wärme  entzieht,  er  schützt  vielmehr  vor  einem  raschen  Temperatur- 
wechsel: der  tiefste  Stand  der  Temperatur  in  einer  Kellerwohnung  liegt  gewöhnlich 
nicht  unter  +9°.  Auch  schützt  die  Kellerwohnung  vor  Ungeziefer,  da  namentlich  die 
Wanze  sich  nie  in  unterirdischen  Räumen  aufhält.  Bei  Dachwohnungen  findet  sich  in 
allen  diesen  Puncten  das  Gegentheil:  wer  sich  von  dem  Ungemach  derselben  überzeugt 
hat,  wird  um  so  wärmer  den  guten  Kellerwohnungen  das  Wort  reden.  Alle  Nach- 
theile einer  schlechten  Kellerwohnung  bieten  die  Kasematten  gleichsam  als  über- 
irdische Keller. 10) 

In  der  Industrie  koiniut  die  feuchte  uud  kühle  Luft  bei  sehr  vielen  Be- 
schäftigungen zur  Geltung,  namentlich  beim  Schlemmen  und  Reinigen  der  Erze, 
beim  Wollwaschen,  beim  Spülen  in  kaltem  Wasser  überhaupt,  beim  Rauhen  in  Tuch- 
fabriken, bei  der  Lohgerberei,  bei  der  Leirnfabrication,  beim  Reinigen  der  Caldaunen 
u.s.w.  Es  tritt  hier  häufig  die  Durchnässung  der  Kleidungsstücke  hinzu,  wes- 
halb je  nach  der  Art  der  Arbeit  auf  eine  zweckmässige  Bekleidung  Bedacht  zu 
nehmen  ist.  Hier  muss  die  eigene  Sorgfalt  des  Arbeiters  das  Richtige  wählen, 
um  sich  vor  bleibendem  Schaden  zu  schützen. 

2)  Die  Wirkung  der  trocknen  Luft  auf  den  thierisclien  Organismus.  Auch 
hier  hat  man  einen  Unterschied  zu  statuiren,  je  nachdem  die  Trockenheit  a)  mit 
Hitze  oder  b)  mit  Kälte  verbunden  ist. 

a)  Trockne  und  heisse  Luft  in  der  Industrie.  Es  kommt  dabei  die  leuchtende 
Wärme  und  die  hohe  Temperatur  in  geschlossenen  Räumen  zur  Einwirkung.  Die 
erstere  wirkt  stets  einseitig  und  macht  sich  beim  Heizen  der  Dampfkessel11),  bei  den 
Glasöfen,  in  den  Gasfabriken,  Koksbrennereien,  bei  metallurgischen  Processen  u.s.w. 
geltend.  Ganz  besonders  setzt  das  Verarbeiten  des  glühenden  Eisens,  das  Pud  dein, 
die  Arbeiter  der  strahlenden  Hitze  aus.  Märten12)  fand  bei  einer  Lufttemperatur  von 
16  —  17°  C.  in  einer  Entfernung  von  l1 '3  Schritten  vom  Puddelofen  +51,2°  C.  und  in  einer 
Entfernung  von  3  Schritten  H-43 —  44°  C.  Sechs  Schritte  vom  Ofen  entfernt  sank  das 
Thermometer  in  5  Minuten  auf  -f-28°  C.;  an  heissen  Sommertagen  soll  die  Hitze  bis 
auf  -i-Gi0  C.  steigen.  Die  Puddler  sind  ununterbrochen  %  —  '/2  Stunde  dieser  Gluth 
ausgesetzt  und,  wie  die  Schweisser  und  Walzer,  mit  leinenen  oder  wollenen  Beinkleidern 
und  gleichen  Schweisskitteln  bekleidet,  welche  sie  nach  zwölfstündiger  Schicht  mit  Hemd 
uud  Jacke  resp.  Kittel  vertauschen.  An  Hohöfen  betrug  bei  derselben  Luftwärme 
die  Temperatur  vor  der  Eintragöffnung  +53  —  54°  C,  fünf  Schritte  entfernt  +40°  C. 
und  am  Aufzuge  der  Gicht  -+-  32,5°  C.  Je  niedriger  die  Lufttemperatur  ist,  desto  grösser 
sind  natürlich  die  Temperaturdifferenzen,  welche  bei  ihrer  plötzlichen  Einwirkung  noth- 
wendigerweise  Erkältungen  bedingen,  wenn  auch  die  Macht  der  Gewöhnung  hier 
mitspricht.  Wechsel  der  Kleidung.  Hautcultur  durch  häufige  Bäder,  unter  Umständen 
auch  Oeleinreibungen  u.  s.  w.  vermögen  manchen  Nachtheilen  vorzubeugen. 

Nach  Lariyham  stieg  auf  einer  Fahrt  an  der  Küste  von  Oberguinea  bei  Sierra 
Leone  die  Hitze  auf  dem  Verdecke  eines  Tages  auf  35°  R.  und  am  Schürloch  des  Dampf- 
kessels auf  45°  R.  Ein  Heizer  stürzte  zu  Boden  und  starb  binnen  43  Minuten;  bei 
der  Section  fand  sich  im  rechten  Seitenventrikel  und  im  mittleren  Lappen  der  linken 
Hirnhemisphäre  ein  Blutextravasat. 

Bekanntlich  vermag  auch  die  strahlende  Sonnenhitze  bei  Arbeiten  im  Freien 
Gehirnkrankheiten  und  consecutive  Geistesstörungen  hervorzurufen,  ein  Krankheits- 
zustand, der  vom  eigentlichen  Hitzschlage  wohl  zu  unterscheiden  ist. 

Trockne  und  heisse  Luft  in  einem  mehr  oder  weniger  geschlossenen  Räume 
findet  sich  in  grossen  Bäckereien,  Kochanstalten,  ebenso  in  Zucker-,  Stärke- 
mehl-, Dextrinfabriken,  beim  Trocknen  der  Formen  zum  Lehmguss  in  Eisen- 
giessereien,  beim  Ausräumen  grosser  Destillirkessel,  in  den  verschiedenen 
Trockenstuben  u.s.w.  Die  trockne  heisse  Luft  wirkt  insofern  nicht  so  nach- 
theilig wie  die  heisse  und  feuchte  Luft  ein,  als  die  vermehrte  wässerige  Haut- 


"Wirkung  der  trocknen  Luft  auf  den  thierischen  Organismus.  183 

ausdünstung  der  zu  starken  Steigerung  der  innern  Körpertemperatur  stets  mehr 
oder  weniger  entgegenwirkt.  Edwards  hat  experimentell  nachgewiesen,  dass  in 
trockner  warmer  Luft  die  Menge  der  durch  die  Haut  ausgeschiedenen  Flüssigkeit 
zehnmal  grösser  als  in  feuchter  und  warmer  Luft  ist.  Auf  die  Dauer  kann  sich 
aber  der  Organismus  lediglich  durch  das  Uebermass  der  Ausdünstungen  er- 
schöpfen. 

Bei  Thierversuchen  ist  ein  auffälliger  Unterschied  zwischen  feuchter  und  heisser, 
sowie  trockner  und  heisser  Luft  weniger  zu  constatiren,  weil  bekanntlich  bei  Kaninchen 
und  Vögeln  die  tropfbar  flüssige  Seeretion  der  Haut  fehlt.  Unter  mehreren  Ver- 
suchen sei  nur  der  folgende  erwähnt:  Ein  Kaninchen  mittler  Grösse  wurde  15  Minuten 
lang  einer  trocknen  Hitze  von  40°  C.  und  dann  eben  so  lang  einer  solchen  von 
45°  ausgesetzt.  Bei  seiner  Herausnahme  aus  dem  Glasballon  Hess  sich  im  Mastdarm 
eine  Temperatur  von  45°  C,  dabei  starke  Verengerung  der  Pupillen  nebst  Schleim- 
rasseln in  den  Bronchien  bei  oberflächlichen  Inspirationen  und  sehr  beschleunigtem  Herz- 
schlage nachweisen.  Nach  17  M.  noch  13  Inspir.  binnen  l/4  M. ;  die  Application  des 
Ferrum  candens  in  der  Nackengegend  brachte  keine  Reaction  mehr  hervor.  Unter  pro- 
gressiver Abnahme  des  Herzschlages  trat  der  Tod  nach  einer  Stande  ein;  Leichenstarre 
zeigte  sich  sofort. 

Nach  den  Versuchen  von  Bernard  soll  schon  bei  einer  Temperatur  von  4-  45°  C. 
die  ATitalität  des  Muskelgewebes  und  besonders  die  des  Herzmuskels  zerstört  werden, 
kein  Muskel  reagire  dann  mehr  auf  mechanische  oder  elektrische  Reizung,  womit 
der  oben  erwähnte  Versuch  vollständig  übereinstimmt.  Das  Muskelgewebe  gehe  in  einen 
Zustand  von  Rigidität  über,  welcher  sich  gar  nicht  von  der  Leichenstarre  unterscheide. 
Diese  Erscheinung  betrachtet  er  mit  Bestimmtheit  als  das  Resultat  der  Wirkung  der 
Hitze  auf  den  Muskelsaft,  welcher  bei  +45°  C.  coagiüire.  Sicher  trat  die  Leichenstarre 
bei  allen  Versuchsthieren  sofort  nach  dem  Tode  ein. 

In  der  Industrie  verdienen  die  extremen  Hitzegrade  mehr  Beachtung,  als 
ihnen  bisher  zu  Theil  geworden  ist.  Bei  den  Badewärtern  in  den  römisch- 
irischen Bädern  beobachtet  man.  dass  sogar  eine  kurz  dauernde  Hitze  von  50°  C. 
keinen  bleibenden  Schaden  bewirkt,  wenn  eine  Abkühlung  mittels  kalter  Douchen 
darauf  folgen  kann.  Anders  verhält  es  sich  aber  bei  längerem  Aufenthalt  in  ge- 
schlossenen Räumen  mit  heisser  Luft.  Es  sind  besonders  die  Trockenstuben  in 
Zuckerfabriken  und  die  sogenannten  Gummirstuben  in  der  Seidenmanufactur, 
welche  auf  die  Dauer  auch  die  kräftigste  Constitution  zerrütten.  Wenn  irgendwo 
ein  geregelter  Wechsel  der  Arbeit  nothwendig  erscheint,  so  ist  es  hier  der  Fall; 
Arbeiter,  welche  schon  frühzeitig  die  nachtheiligen  Folgen,  Abmagerung,  Schwäche 
u.  s.  w.,  zeigen,  sollten  ganz  von  dieser  Beschäftigung  ausgeschlossen  bleiben.  Hier 
würde  die  Beaufsichtigung  Seitens  verständiger  Fabrikinspectoren  ganz  beson- 
ders am  Platze  sein. 13) 

Luftheizung.  Es  ist  hier  der  Ort,  der  Luftheizung  zu  erwähnen,  welche  in  letz- 
terer Zeit  als  Centralheizung  immer  mehr  Eingang  findet,  nachdem  die  bezüglichen  Ein- 
richtungen sich  zusehends  vervollkommnet  haben.  Trotzdem  kann  man  nicht  in 
Abrede  stellen,  dass  sich  mit  dieser  Centralheizung  eine  erhöhte  Wasserentziehung  ver- 
bindet, die  schon  aus  der  in  Bewegung  gesetzten  warmen  Luft  resultirt. 
Diese  Thatsache  gibt  sich  durch  das  Reissen  der  hölzernen  Möbel  hinreichend  kund  und 
bedingt  auch  eine  vermehrte  Abgabe  von  Wasserdampf  durch  Haut  und  Lungen.  Man 
sucht  diesem  Uebelstande  bekanntlich  so  viel  als  möglich  dadurch  vorzubeugen,  dass 
man  die  warme  Luft  über  eine  Wasserfläche  streichen  lässt,  ehe  sie  in  die  Wohnräume 
eintritt. 

Centralheizapparate  von  Reinhardt,  Böhm',  Heckmann  und  Kelling  werden  neuer- 
dings viel  genannt 

Der  Apparat  von  Böhm  eignet  sich  sehr  gut  für  nicht  zu  grosse  Verhältnisse.  Hier 
verbreitet  sich  ein  nicht  sehr  hoher  ausgemauerter  Feuerkasten  etwas  nach  rechts  und 
links.  Links  steht  auf  demselben  ausserhalb  der  Mauerung  ein  etwa  meterhohes  Rohr, 
welches  zur  Aufnahme  des  Brennstoffs  dient,  der  nach  dem  Füllprincip  in  dem  Verhält  - 
niss,  als  er  auf  dem  Roste  verzehrt  wird,  nachrutscht.  Rechts  erhebt  sich  ein  etwa 
1,5  Meter  hohes  Rohr,  in  welchem  das  Feuer  zunächst  aufsteigt,  um  dann  in  zwei 
plattgedrückte  Rohre  einzutreten  und  darin  getheilt  niederzugehen;  unten  vereinigen  sie 


1^4  Die  atmosphärische  Luft. 

sieh  alsdann  zu  dem  gemeinsamen  Rauchrohr.  Ueberall  sind  Reinigungsthüren  auge- 
bracht und  der  Zutritt  der  Luft  zum  Brennstoff  lässt  sich  gut  reguliren. 

Der  Beckmann' sc  he.  Apparat  wird  in  einer  besondern  gemauerten  Kammer 
aufgestellt  und  von  aussen  geheizt.  Er  besteht  aus  drei  Haupttheilen:  1)  dem  Feuer- 
herd, -welcher  mit  feuerfesten  Steinen  bekleidet  ist,  um  ein  Glühendwerden  desselben 
zu  verhindern;  ein  Wasserbehälter  unter  demselben  dient  als  Aschenkasten;  2)  der 
Wärmezerstreuer  ist  mit  dem  Feuerherd  durch  ein  horizontales  Rohr  verbunden, 
welches  wie  alle  Eisentheile  durch  eiserne  Strahlen  verstärkt  ist.  Der  Wärmezerstreuer 
ist  so  construirt,  dass  er  den  Rauch-  und  Feuerstrom  zertheilt  und  wieder  zusammen- 
zieht, um  möglichst  vielfache  Flächen  darzubieten,  welche  die  Wärme  an  die  äussere 
Luft  abgeben.  Er  leitet  schliesslich  den  Feuerstrom  nach  demjenigen  Theile,  welcher 
die  Verbindung  3)  mit  dem  aus  Eisen  construirteu  Rauchkamin  vermittelt.  Ein  Theil 
des  zum  Rauchabzuge  dienenden  Apparates  besteht  aus  Eisenblech,  um  sich  den  gege- 
benen baulichen  Verhältnissen  anzuschliessen. 

Am  untern  Theile  der  Heiz  kämm  er  (Calorifere)  fliesst  die  kalte  zu  erwär- 
mende Luft  ein  und  trifft  hier  mit  einem  Theile  des  Wärmezerstreuers  zusammen.  Die 
Luft  zieht  durch  die  Wärmecanäle,  welche  auf  der  Höhe  der  Heizkammer  abgehen, 
zu  den  betreffenden  Räumen.  Die  Einströmung  soll  auf  Kopf  höhe  erfolgen:  in  den 
meisten  Fällen  liegt  die  Einströmungsöffnung  kurz  oberhalb  des  Bodens.  Die  erstere 
Einrichtung  ist  vorzuziehen,  da  hierbei  kein  Luftstrom  bemerkbar  wird.  Die  ein- 
strömende warme  Luft  steigt  nach  der  Decke  und  senkt  sich  an  den  Wänden,  wo  sie 
abgekühlt  wird,  auf  den  Fusshoden.  In  der  Heizkammer  befinden  sich  mit  Wasser 
angefüllte  Rinnen,  die  sich  anfüllen  und  reinigen  lassen  und  deren  Wasserstand  von 
aussen  beobachtet  wird. 

Die  in  den  Mauern  liegenden  Abzugscan äle  verlaufen  senkrecht  und  haben 
sowohl  an  der  Decke  als  über  dem  Fussboden  eine  E'  itrittsöffnung.  Die  erstere 
wird  bei  zu  starker  Hitze,  namentlich  bei  Beleuchtung,  oder  auch  im  Sommer  und 
Winter  kurze  Zeit  des  Morgens  behufs  rascher  Ventilation  benutzt.  Im  Dachraum 
münden  die  Abzugscanäle  in  einen  Mantel  aus,  der  durch  den  Rauchkamin  des 
Apparates  erwärmt  wird. 

Das  neuerdings  vom  Ingenieur  Kelling  in  Dresden  eingeführte  Central- 
Heizungssystem  unterscheidet  sich  dadurch  von  den  bisherigen  Systemen,  dass 
die  erwärmte  Luft  in  Kachelschlote  strömt.  Ein  solcher  Kachelschlot  sieht 
wie  ein  mittelgrosser  Ofen  aus,  der  die  Luft  1  Meter  über  dem  Fussboden  in 
die  Wohnräume  ausströmen  lässt;  sie  kann  auch  vor  dem  Einströmen  mit  frischer 
Luft  gemischt  werden. 

Für  die  Ableitung  der  verdorbenen  Luft  dienen  auch  hier  verticale  Ven- 
tilatiouscanäle  in  den  Giebeln  und  Zwischenräumen,  welche  an  der  Decke  (für 
den  Sommer)  und  am  Fussboden  (für  den  Wiuter)  eine  Oeffnung  haben,  aber 
nach  unten  zu  nach  dem  Souterrain  verlaufen  und  hier  mit  Aspirationsschorn- 
steinen in  Verbindung  stehen. 

Luftheizungen  eignen  sich  im  Allgemeinen  mehr  zu  Schulen  und  Kranken- 
häusern als  zu  Fabriklocalen,  in  denen  die  Dampfheizung  als  Centralheizung  stets 
den  Vorzug  behalten  wird. 

b)  Der  trocknen  und  kalten  Lnft  sind  die  Arbeiter  während  der  kälteren 
Jahreszeit  bei  allen  Beschäftigungen  ausgesetzt,  bei  denen  durch  Feuerstätten  er- 
wärmte Locale  nicht  zulässig  sind,  z.  B.  in  Dynamitfabriken  und  bei  der  Verfertigung 
anderer  explosiver  oder  feuergefährlicher  Substanzen,  obgleich  gegenwärtig  durch 
die  Warmwasserheizung  ohne  alle  Gefahr  für  die  Erwärmung  der  Arbeitsräume 
gesorgt  werden  kann. 

Höhere  Kältegrade,  Frostkälte,  werden  in  der  Industrie  künstlich  zur  Erzie- 
lung besonderer  Zwecke  hervorgerufen.  Kälte  wird  erzeugt:  1)  durch  Auflösung  oder 
Verflüssigung  fester  Körper  (Salze),  2)  durch  Verdampfung  einer  flüchtigen  Flüssigkeit, 
3)  durch  Ausdehnung  stark  comprimirter  Gase. 

ad  1)  Die  bekannteste  Mischung  besteht  aus  3  Th.  Eis  und  1  Th.  Kochsalz, 
deren  sich  namentlich  die  Conditoren  zur  Bereitung  des  Fruchteises  bedienen.  Die 
Salzgemenge  bestehen  aus  2  Th.  Ammoniumnitrat,  1  Th.  Salmiak  und  3  Th.  Wasser, 
oder  aus  3  Th.  Salmiak,  2  Th.  Salpeter,  4  Th.  kryst.  Glaubersalz    und  9  Th.  Wasser. 


Trockne  und  kalte  Luft.  135 

Zu  einem  Gefrierapparate  gekört  in  der  Regel  ein  Zinntopf,  welcher  die 
Cremes  aufnimmt,  und  ein  grösseres  Gefäss  von  Holz  oder  verzinntem  Kupfer; 
der  Zwischenraum  wird  mit  der  Kältemischung  ausgefüllt,  die  fortwährend  gerührt 
werden  muss,  damit  Salz  und  Eis  sich  innig  berühren  und  ersteres  sich  nicht  senkt, 
weil  sonst  seine  Einwirkung  auf  das  Eis  aufgehoben  wird.  Neuerdings  sind  besondere 
Apparate  für  Eisbereitung  construirt  worden.  Bei  der  Unsicherheit  über  den  Procent- 
satz der  Zinnlegirung  ist  es  immer  rathsam,  Zinngeschirre  für  die  Aufnahme  der 
Cremes  oder  Syrupe  zu  vermeiden,  wenn  auch  die  schon  öfter  vorgekommenen  Vergif- 
tungen durch  Vanilleeis  mehr  auf  eine  verdorbene  Vanille  als  auf  eine  metallische 
Vergiftung  hinweisen;  jedoch  ist  letztere,  wenn  schlechte,  bleihaltige  Zinngefässe  ver- 
wendet worden  sind,  nicht  ausgeschlossen.  Man  hat  auch  Vergiftungen  nach  dem  Ge- 
nuss  von  Fruchteis  beobachtet.14) 

ad  2)  Um  Kälte  durch  freiwillige  Verdampfung  zu  erzeugen,  gebraucht  man 
Aether,  namentlich  Methyläther.  Es  gibt  besondere  Aethermaschinen  nach 
Perkins,  Harriso?!,  Siebe  und  Andern;  den  Methyl äther  hat  TeUier  in  Paris  eingeführt. 
Ausserdem  ist  die  Kohlensäure  behufs  Kälteerzeugung  vorgeschlagen  worden.  Be- 
kannter ist  die  Ammoniakmaschine  von  Carre;  die  Luftpumpen- Schwefel- 
säuremaschine bezweckt  ursprünglich  nur  die  Herstellung  der  sogen.  Carafe  frappee, 
d.  h.  die  Kühlung  des  Trinkwassers  durch  Eis. 

ad  o)  Die  Kälte  durch  Espansioneignetsich  mehr  für  industrielle  Zwecke. 
Die  Luft  wird  durch  wiederholtes  Comprimiren  bis  zu  einer  Dichtigkeit  von  etwa 
2%  Atmosphären  gebracht,  wobei  sie  sich  auf  ungefähr  120  Grad  Wärme  erhitzt.  Diese 
heisse  Luft  wird  durch  ein  in  einem  Kühlgefäss  liegendes  Schlangenrohr  gepresst,  wo 
ihr  100  Grad  von  ihrer  Wärme  genommen  werden,  so  dass  sie  auf  20  Grad  abgekühlt 
wird.  Lässt  man  nun  diese  Luft  sich  wieder  bis  zu  ihrer  frühern  gewöhnlichen 
Atmosphären  Spannung  ausdehnen,  so  fehlen  ihr  die  durch  das  Wasser  genommenen 
100  Grad  Wärme;  da  sie  vorhin  20  Grad  Wärme  gehabt  hat  und  davon  100  Grad  ab- 
gibt, so  entstehen  80  Grad  Kälte.  In  Wirklichkeit  entstehen  gewöhnlich  40 — 50  Grad 
Kälte,  da  immer  Einiges  von  der  Kälte  verloren  geht. 

Eine  Dampfmaschine  bewegt  fortwährend  den  Kolben   einer  Compressionspumpe 
und    presst    die   bis    zu    dem   gewünschten   Grade    zusammengepresste  Luft   durch   das 
Schlangenrohr  in  dem  Kühlfass  und  weiter  bis  zu  dem  Expansionscylinder,  wo  die  Luft" 
sich  frei  ausdehnend  die  niedrige  Temperatur  erhält. 

Man  kann  nun  die  kalte  Luft  direct  zur  Abkühlung  grosser  Räume,  wie  z.B. 
von  Versammlungssälen,  Theatern,  grossen  Hospitälern,  Schiffscajüten ,  Heizerständen, 
namentlich  Bierkellem  etc.  benutzen,  indem  man  den  kalten  Luftstrom  einfach  sich 
dort  hinein  ergiessen  lässt.  Auf  diese  Weise  würde  auch  das  beste  Mittel  zur  Conser- 
vation  von  Fleisch,  zur  Abkühlung  von  Getreidevorräthen,  um  deren  Selbst- 
erwärmung zu  verhüten,  zur  Kühlhaltung  von  Brennereien,  Stearin-  und  Paraf- 
finfabriken geliefert  werden.  Bezüglich  der  Ventilation  hat  eine  solche  Luft  noch 
den  grossen  Vortheil,  dass  sie  vollständig  frei  von  schädlichen  organischen  Bei- 
mengungen ist. 

Lässt  man  den  kalten  Luftstrom  in  einen  geeignet  eonstruirten  Gefrier-Apparat, 
in  den  fortwährend  Wasser  einfiiesst,  strömen,  so  kann  er  auch  zur  Eiserzeugung 
benutzt  werden,  obgleich  das  hierdurch  producirte  Eis  weniger  cohärent  als  das  natür- 
liche ist.  Der  grösste  Vortheil  ist  aber  schon  durch  die  beliebige  Erzeugung  einer 
kalten  Luft  geboten  und  werden  die  technischen  Verdienste,  welche  sich  in  dieser 
Richtung  Franz    Windhausen  erworben  hat,  immer  mehr  Anerkennung  finden. 15) 

Einwirkung  der  Kälte  auf  Getränke.  Gefrorenes  Bier  lässt  alle  stickstoff- 
haltigen Substanzen  fallen  und  ist  deshalb  der  Nachgährung  weniger  unterworfen;  das 
sogen.  Eisbier  ist  in  manchen  Gegenden  ein  beliebtes  Getränk,  da  ein  Theil  seines 
Wassers  durch  den  Frost  ausgeschieden  worden  ist.  Wird  frisch  gekelterter  Most 
einem  so  hohen  Kältegrade  ausgesetzt,  dass  er  theilweise  gefriert,  so  kann  man  den 
flüssig  gebliebenen  und  abgegossenen  Theil  monatelang  aufbewahren,  ohne  dass  er  in 
Gährung  übergeht,  weil  die  stickstoffhaltige,  Fermente  bildende  Substanz  durch  den  Frost 
zur  Coagulation  und  Ausscheidung  gebracht  worden  ist. 

Einwirkung  des  Frostes  auf  Pflanzen.  Bei  den  lebenden  Pflanzen  werden 
die  verschiedenen  Säfte  durch  den  Frost  untereinander  gemischt,  welche  beim  Aufthauen 
durch  das  Zurückbleiben  der  fermentbildenden  Substanz  alsdann  um  so  schneller  der 
Zersetzung  unterliegen.  Durch  den  Frost  verderben  Knollengewächse,  wie  die  Kar- 
toffeln; Früchte  wie  Aepfel  und  Birnen  gehen  bekanntlich  nach  dem  Aufthauen  sehr 
rasch  in  Fäulniss  und  Gährung  über.  Bei  gefrornen  und  wieder  aufgethauten  Früchten 
findet  man  fast  alle  Producte,  die  auch  entstehen,  wenn  man  die  betreffenden  frischen 
Früchte  zu  einer  Emulsion  verreibt  und  sie  alsdann  einige  Zeit  sich  selbst  überlässt. 

Unter  Umständen  kann  ein  und  dieselbe  Pflanze  bei  einem  höhern  oder  niedern 
Kältegrade   erfrieren,  je  nachdem  ihr  Saft  coneentrirter  oder  verdünnter  ist.      Die  Au- 


18ß  Die  atmosphärische  Luft. 

sieht,  dass  Pflanzen  mit  speckigen  Blatteten  dem  Froste  leichter  erliegen,  ist  eine  irrige; 
es  gibt  z.  B.  Sedumarten,  welche  den  höchsten  Kältegrad  ertragen  können;  auch 
einige  Cacteen  können  einer  Kälte  von  10°  widerstehen. 

Ein  rascher  Temperaturwechscl  schädigt  die  Pflanzen  ebenso  gut  wie  die  Thiere 
werden  gefrorne  Kartoffeln  oder  Aepfel   rasch   in   eine  warme  Luft  gebracht,   so   unter- 
liegen sie   allen    schädlichen   Folgen  des  Frostes,    während   sie   durch    allmähliges    Auf- 
thauen  bisweilen  wieder  geniessbar  werden  können. 

Sind  stärkemehlhaltige  Früchte,  Knollen,  ■/..  B.  Kartoffeln,  durch  und  durch  ge- 
froren, so  enthalten  sie  einen  nicht  unerheblichen  Zuckergehalt,  sogenannten  gestaltlosen 
Zucker,  während  pectinhaltige  Früchte,  z.  B.  Rüben,  Aepfel  u.  s.  w.,  nach  dem  Froste 
Pectinsäure  enthalten. 

3)  Verdünnte  Lnft.  In  manchen  "Verhältnissen  des  Lebens  tritt  die  Frage  über 
die  Wirkung  der  ausgedehnten  oder  comprimirten  Luft  an  uns  heran.  Die  Luft  auf 
Berghohen  ist  arm  an  Kohlensäure  und  Wasserdampf  und,  weil  sie  verdünnter 
ist,  auch  relativ  ärmer  an  Sauerstoff.  Die  Respirationsorgane  müssen  deshalb  auf  Berg- 
höhen zu  grösserer  Thätigkeit  angeregt  werden,  um  durch  vermehrte  Athemzüge  den 
für  die  Existenz  des  Organismus  nothwendigen  Sauerstoff  aufzunehmen,  weshalb  man  in 
neuerer  Zeit  die  Einwirkung  der  Höhenluft  in  vielen  Fällen  als  eine  Gymnastik  der 
Respirationsorgane  betrachtet.  Bergbewohner  zeichnen  sich  häufig  durch  einen  breiten 
Brustkorb,  kräftige  Lungen,  feste  Muskeln  und  geringe  Fettablagerung  aus;  sie  bedür- 
fen weniger  Nahrung,  repräsentiren  gleichsam  im  Gegensatze  zu  den  Thalbewohnern 
eine  mehr  arterielle  Constitution. 

Der  verminderte  Luftdruck  äussert  schon  auf  einer  Höhe  von  1550  bis 
1900  Meter  seine  Wirkung;  bei  einer  Höhe  von  5300  Meter  ist  die  Luft  um  die  Hälfte 
verdünnt.  Hier  findet  sich  die  Grenze  der  von  Menschen  bewohnbaren  Bergeshöhen  und 
zwar  bei  einem  Barometerstande  von  190  Mm. 

Die  Folgen  des  verminderten  Luftdruckes  sind:  eine  reichlichere  Ver- 
dunstung von  Wasser  durch  Haut  und  Lungen,  daher  Verminderung  der  Harnsecretion, 
der  Temperatur  des  Körpers,  eine  beschleunigte  Respiration  und  ein  frequenter  Puls 
wegen  des  angeregten  Respiration  sprocesses,  vermehrter  Blutandrang  nach  der  Peri- 
pherie des  Körpers  und  Ausdehnung  der  im  Blute  enthaltenen  Gase,  wes- 
halb nicht  selten  Erweiterung  und  schliesslich  Zerreissung  der  Blutgefässe  oder  ein 
Durchpressen  des  Blutes  auf  die  Mund-,  Nasen-,  Augen-,  Ohren-  und  Lungenschleim- 
haut erfolgt,  ferner  das  Gefühl  von  grosser  Ermüdung.  Die  Wehe  /'sehe  Theorie,  dass 
durch  den  verminderten  Luftdruck  die  correspondirenden  Gelenkflächen  nicht  mehr  hin- 
reichend aneinandergepresst  werden  und  deshalb  Ermüdung  entstehe ,  ist  durch  Ed. 
Rose  erschüttert  worden.16) 

Die  grosse  Ermüdung  und  Abspannung  wird  als  ein  Hauptsymptom  der  sogen. 
Bergkrankheit  betrachtet,  welche  sich  ausserdem  noch  durch  Kopfweh,  Athem- 
beklemmung,  Appetitmangel  und  grosse  Niedergeschlagenheit  charakterisirt.  Die  Be- 
wohner der  Hochebenen  in  den  Andenketten  auf  einer  Höhe  von  2600  -4050  Meter 
beweisen  übrigens,  dass  frühzeitige  Gewöhnung  selbst  die  Nachtheile  eines  verminderten 
Luftdrucks  ausgleicht.  17) 

Die  Ermüdung  auf  Berghohen  soll  sich  von  der  durch  körperliche  Anstrengung 
entstandenen  dadurch  unterscheiden,  dass  sie  nach  kurzer  Ruhe  wieder  verschwindet. 
Sie  wird  auch  von  Luftschiffern  in  bedeutender  Höhe  empfunden,  bei  denen  die  ge- 
nannten Erscheinungen  sich  überhaupt  um  so  rascher  und  intensiver  zeigen  werden,  je 
schneller  sie  aus  einer  dichten  Atmosphäre  in  eine  sehr  verdünnte  versetzt  werden. 
Sogar  fieberhafte  Regungen  (Bergfieber)  befallen  bisweilen  Menschen,  welche  aus 
Niederungen  auf  Berge  ziehen,  obgleich  man  bei  allen  diesen  Krankheitszuständen 
auch  noch  andere  ätiologische  Momente,  wie  Wärme  und  Kälte,  Ruhe  oder  Bewegung 
der  Luft,  Wassergehalt  und  elektrisches  Verhalten  derselben  berücksichtigen  muss.18) 

In  neuerer  Zeit  hat  Bert  verschiedene  Thiere  dem  Einfluss  bald  plötzlicher,  bald 
allmähliger  Luftverdünnung  ausgesetzt  und  sowohl  den  Luftdruck ,  bei  dem  das  Thier 
starb,  als  auch  die  Zusammensetzung  der  verdünnten  Luft  im  Augenblick  des  Abster- 
bens  der  Thiere  bestimmt.  Das  Resultat  stimmt  mit  den  bisherigen  Erfahrungen  über 
den  Einfluss  des  verminderten  Luftdrucks  überein.  Er  fand,  dass  die  Thiere  bei  einer 
plötzlichen  Erniedrigung  des  Luftdrucks  auf  18 — 15  Ctm.  Quecksilber  starben  und  zwar 
gleich  schnell,  ob  die  Luft  erneuert  wurde  oder  nicht.  Bei  einer  allmähligen  Vermin- 
derung des  Luftdruckes  und  gleichzeitiger  Erneuerung  der  Luft  ist  es  bei  genügender 
Vorsicht  möglich,  dass  die  Thiere  selbst  unter  sehr  niedrigem  Luftdrucke  noch  eine 
längere  Zeit  leben.19) 

Die  Luftschiffer  pflegen  mit  Sauerstoff  gefüllte  Ballons  mitzuführen,  von  dem 
sie  Gebrauch  machen,  wenn  die  Wirkung  der  zu  sehr  verdünnten  Luft  eintritt.20) 

4)  Comprimirte  Lnft.  Der  vermehrte  Luftdruck  wird  wie  der  verminderte 
Luftdruck    sowohl   in   physicalischer   als   auch   in  chemischer  Beziehung  seine  Wirkung 


Comprimirte  Luft.  187 

äussern.  Die  nächste  Wirkung  davon  ist  Verminderung  der  Hautausdünstung  und 
Lungenaushauchung,  Zunahme  der  Lungencapacität  und  Verdrängen  des  Blutes  von  der 
Peripherie  zum  Centrum;  dabei  stellt  sich  bisweilen  eine  vermehrte  Thätigkeit  der 
Nieren  ein. 

Die  comprimirte  Luft  dringt  in  alle  Höhlen,  selbst  in  die  Tub.  Eustach.  ein, 
allmählig  stellt  sich  aber  das  Gleichgewicht  zwischen  innerem  und  äusserem  Drucke 
wieder  her;  widerstehen  die  zarten  Blutgefässe  diesem  Drucke  nicht,  so  können  sie 
zerreissen.21) 

Die  chemische  Einwirkung  des  vermehrten  Luftdruckes  besteht  vorzüglich 
in  der  vermehrten  Sauerstoff  zufuhr  bei  einem  verminderten  Luft-Volumen.  Die 
nächste  Folge  davon  ist  Verlangsamung  des  Pulses  und  der  Respiration;  mit  jedem 
Athemzuge  erfolgt  anfangs  ein  stärkerer  Gasaustausch,  demnach  auch  eine  vollständigere 
Ausscheidung  der  Kohlensäure,  bis  sich  späterhin  die  Kohlensäureausscheidung  wieder 
relativ  zur  Luftdichtigkeit  vermindert,  d.  h.  accommodirt. 

Ein  gesunder  Mensch  macht  durchschnittlich  20  Respirationen  in  der  Minute  und 
nimmt  bei  jedem  Athemzuge  30  K.-Z  Luft  auf;  kann  die  Lunge  wegen  Krankheit  nur 
20  K.-Z.  aufnehmen,  so  muss  sich  die  Zahl  der  Respirationen  um  30  vermehren.  Wird 
nun  dem  Kranken  eine  Luft  geboten,  welche  z.  B.  um  1/3  Atmosphäre  verdichtet  ist,  so 
enthalten  20  K.-Z.  dieselbe  Quantität  Sauerstoff  wie  30  K.-Z  der  gewöhnlichen  Luft; 
die  kranke  Lunge  braucht  daher  in  solcher  Luft  nur  20  Respirationen  zu  machen. 

Hierdurch  wird  das  physiologische  Gesetz  nur  bestätigt,  dass  der  Mensch  stets 
gleich  viel,  d  h.  so  viel  Sauerstoff  aufnimmt,  als  er  grade  bedarf  und  deshalb  die  An- 
zahl der  Athemzuge  der  vorhandenen  Sauerstoffmenge  accommodirt.  Ein  gesunder 
Mensch  muss  daher  in  comprimirter  Luft  weniger  tief  und  langsamer  athmen.  *) 

In  industrieller  und  sanitärer  Beziehung  ist  die  Beschäftigung  der 
Arbeiter  in  comprimirter  Luft  bei  Berg-  und  Brückenbau  hervorzuheben. 

In  Frankreich  wurden  1839  die  ersten  Versuche  dieser  Art  gemacht.  Viel- 
fältig hat  man  dazu  glockenförmige  Apparate  (Cylinder)  benutzt,  in  welche  die 
Arbeiter  hineinstiegen,  während  der  wieder  geschlossene  Apparat  in's  Wasser  ge- 
lassen und  mittels  einer  Luftpumpe  beständig  so  lange  mit  Luft  gespeist  wurde, 
bis  alles  Wasser  aus  dem  Cylinder  entfernt  worden. 

Die  gegenwärtigen  Apparate  bestehen  1)  aus  der  Luftschleuse,  die 
sich  über  dem  Wasser  befindet,  aus  Eisenblech  construirt  und  mit  Ventilen 
und  Thüren  versehen  ist.  Auf  dem  Boden  führt  eine  Thür  2)  in  den  cylinder- 
formigen  Steigeschacht;  derselbe  liegt  im  Wasser  und  wird  mittels  eines 
Rohrs  (der  Luftröhre),  welches  mit  einer  durch  Dampf  getriebenen  Luftdruck- 
pumpe in  Verbindung  steht,  beständig  mit  Luft  angefüllt.  In  dem  Grade,  als 
dieses  geschieht,  fliesst  das  Wasser  seitlich  aus  demselben  aus.  Sobald  dies 
stattgefunden  hat,  senkt  sich  3)  die  Luftkammer  oder  Glocke,  die  Fortsetzung 
des  Steigeschachts,  wie  ein  Brunnenkranz  auf  den  Grund  des  Wassers;  die 
Arbeiter  steigen  hinab  und  beginnen  ihre  Arbeit.  In  der  Luftschleusse  bleiben 
Arbeiter  als  Handlanger  zurück;  damit  diese  sich  zeitweilig  mit  den  Arbeitern 
in  der  Luftkammer  in  Verbindung  setzen  können,  werden  bestimmte  Ventile  ge- 
öffnet, welche  das  Aus-  und  Eintreten  der  comprimirten  Luft  gestatten  und  da- 
durch das  Oeffnen  und  Verschliessen  der  Thüren  ermöglichen. 

Durch  das  fortwährende  Zupumpen  neuer  atmosphärischer  Luft  soll  die  im 
Cylinder  sich  befindliche  und  von  der  Respiration  oder  Beleuchtung  herrührende 
Kohlensäure  verdrängt  und  verdünnt,  sowie  gleichzeitig  hinreichender  Sauer- 
stoff zugeführt  werden.  Ein  ausreichender  Luftwechsel  findet  aber  selten  statt, 
da  die  Erfahrung  zeigt,  dass  die  Arbeiter  nicht  selten  in  Folge  des  eingeathmeten 


*)  Wenn  Sperlinge  bei  einem  Luftdruck  von  20  Atmosphären  sterben,  so  schreibt 
Bert  den  Tod  der  giftigen  Wirkung  des  Sauerstoffs  und  nicht  dem  Drucke  als  solchem 
zu.  Bei  sehr  niedrigem  Drucke  trete  Erstickung  aus  Sauerstoffmangel,  bei  sehr  hohem 
Drucke  Vergiftung  ein. 


1S8  Diß  atmosphärische  Luft 

Russes,   welchen  die  Beleuchtung  absetzt,    an    Schwarzspucken   leiden;    eine 
zweckmässige  und  gute  Beleuchtung  ist  daher  ein  Haupterforderniss. 

Folgende  Symptome  hat  man  bei  den  betreffenden  Arbeitern  wahrgenommen: 

1)  Ohrenschmerzen,  welche  am  häufigsten  in  Folge  des  eingedrückten  Trom- 
melfells entstehen  und  am  besten  durch  Schneuzen  und  häutiges  Niederschlucken  des 
Speichels  gelindert  werden,  indem  dadurch  die  Luft  in  die  Tub.  Eust.  getrieben  und 
ein  Gegendruck  gegen  die  von  aussen  drückende  Luft  ausgeübt  wird. 

Magnus  *-)  beobachtete  diese  Symptome  bei  einzelnen  Personen  schon  bei 
Vg  Atmosphärendruck  und  bei  anderen  erst  bei  2  Atmosphärendruck  und  mehr.  Das 
schmerzhafte  Trommelfell  zeigt  eine  fast  gleichmässige  Röthe,  die  bei  den  höhern 
Graden  des  Druckes  in  Scharlachrothe  übergeht. 

Ein  Kranker,  welcher  kein  Trommelfell  hatte,  fühlte  nicht  den  geringsten 
Schmerz.  Wenn  eine  mechanische  Verstopfung  oder  organische  Verschliessung  der  Tub. 
Eustach.  vorhanden  ist  oder  der  oben  beschriebene  1  alsalva'schß  Schluckversuch  aus 
Ungeschicklichkeit  nicht  gelingt,  so  kann  Zerreissung  des  Trommelfells  herbeigeführt 
werden. 

2)  Abstumpfung  des  Gehörs,  Geruchs-  und  Tastsinns.  Namentlich 
hört  man  schlechter  und  selbst  die  eigene  Stimme  erscheint  uns  dumpf,  weil  sich  die 
Schallwellen  in  einer  comprimirten  Luft  nicht  so  leicht  bewegen  und  fortpflanzen. 

3)  Scheinbar  vermehrtes  Schwitzen.  Die  auf  der  Haut  sich  aus- 
scheidende Flüssigkeit  besitzt  nicht  das  Vermögen,  bei  dem  hohen  Luftdruck  und  dem 
starken  Feuchtigkeitsgehalt  der  umgebenden  Luft  zu  verdunsten:  sie  muss  sich  in 
Tropfenform  auf  der  äussern  Haut  ansammeln  und  abfliessen.  Hierdurch  unterscheidet 
sich  die  Wirkung  der  comprimirten  Luft  in  der  Taucherglocke  wesentlich  von  der  im 
pneumatischen  Apparat,  weil  erstere  mehr  eine  mit  Feuchtigkeit  gesättigte  Luft  repräsen- 
tirt.  Auch  ist  die  Temperatur  im  Innern  der  Apparate  stets  höher  als  im  Freien;  sie 
kann  dort  27  u  C.  betragen,  wenn  das  Thermometer  im  Freien  nur  17°  C.  zeigt. 

4)  Verlangsamung  der  Respiration  bei  geringerer  Ausdehnung  des  Brust- 
kastens. Es  ist  erwähnt  worden,  dass  der  Mensch  in  einer  comprimirten  und  deshalb 
compacteren  Luft  nur  einer  geriügern  Anzahl  von  Athemzügen  und  einer  geringern  Aus- 
dehnung des  Brustkastens  bedarf,  um  die  zu  seinem  Leben  nothwendige  Sauerstoff- 
menge zu  erhalten. 

Bezüglich  der  ausgeathmeten  Kohlensäure  muss  sich  anfangs  eine  Vermin- 
derung derselben  ergeben,  da  das  Blut  unter  einem  erhöhten  Druck  auch  eine  grössere 
Menge  von  Kohlensäure  gebunden  hält.  Erst  nachdem  ein  vollständiges  Gleichgewicht 
zwischen  den  im  Körper  enthaltenen  Gasen  und  der  äussern  Atmosphäre  eingetreten  ist, 
wird  sich  scheinbar  eine  Vermehrung  der  ausgeathmeten  Kohlensäure  zeigen, 
welche  aber  nur  proportional  dem  eingeathmeten  Sauerstoff  ist.  Sobald  der  Druck  nach- 
lässt,  sobald  also  ein  geringerer  Druck  auf  dem  Blute  und  dessen  Gasen  lastet,  werden 
sich  äqual  dieser  Druckverminderung  die  gleichsam  durch  den  höhern  Druck  gefesselten 
Gase  entwickeln.  Es  wird  also  scheinbar  eine  grössere  Kohlensäureausscheidung  statt- 
finden, indem  das  Plus  von  Kohlensäure  schon  früher  vorhanden  war. 

Bei  einem  plötzlichen  Wechsel  resp.  Aufheben  des  äussern  Druckes  kann  ein 
Zerreissen  der  Lungenzellen  oder  Blutgefässe  durch  die  momentane  Expansion  eintre- 
ten. Bei  organischen  Herzfehlern  will  man  sogar  schon  Berstung  des  Herzens  beob- 
achtet haben. 

5)  Verlangsamung  des  Pulses.  Er  fällt  nicht  selten  auf  55  Schläge  in 
der  Minute. 

6)  Langsamere  Muskelbewegungen.  Meistens  fühlt  man  sich  nur  in  der 
ruhigen  Lage  erleichtert.  Bewegung  veranlasst  bei  den  meisten  Personen  Athem- 
beschwerden  und  Ermüdung,  so  dass  Gehen,  Steigen  und  selbst  das  Sprechen  bei  steifer 
Zunge  schwer  fallen;  bisweilen  tritt  Stottern  ein.  Wenn  Franrois23)  bei  den  Arbeitern 
eine  leichtere  Beweglichkeit  beobachtet  hat,  so  konnte  diese  Wirkung  nur  in  der  indi- 
viduellen Constitution  begründet  sein. 

7)  Steigerung  des  Appetits  in  der  ersten  Periode  der  Pression;  späterhin 
nimmt  er  bei  den  meisten  Arbeitern  ab.  Ueberhaupt  ist  der  Stoffwechsel  nur  anfangs 
vermehrt,  so  lange  die  comprimirte  Luft  als  ein  neuer  und  fremder  Reiz  auf  den 
Organismus  einwirkt  und  ein  vollständiges  Gleichgewicht  noch  nicht  stattgefunden  hat. 

8)  Die  Reizung  der  Augen  und  der  Husten  mit  schwärzlichem  Aus- 
wurf, sowie  der  schwarze  Anflug  an  der  Nase.  Diese  Symptome  werden  nur  durch  die 
Verbrennungsproducte  des  Beleuchtungsmaterials  hervorgerufen;  Kerzen  mit  Baumwollen- 
docht geben  besonders  einen  belästigenden  Rauch  und  brennen  bei  3  Atmosphärendruck 
schon  binnen  15  Minuten  ab.  Petroleumlampen  sind  vorzuziehen,  weil  der  Kohlenstoff 
vollständiger  verbrennt  und  keinen  Russ  bildet;  am  besten  ist  das  elektrische  Licht. 

9)  Die  Luft  im  Apparat  wird  sehr  verschlechtert,  wenn  man  sich  beim  Sprengen 


Comprimirte  Luft.  189 

von  Felsen  der  Schwefelfäden  zum  Anzünden  des  Pulvers  bedient,  deren  Verbren- 
nungsproduct,  die  schweflige  Säure,  sieb  dann  nocb  mit  ihrem  nachtheiligen  Einffuss 
auf  die  Gesundheit  der  Arbeiter  geltend  macht.  Man  darf  zur  Zündung  sich  nur  des 
Galvanismus  bedienen. 

Zufälle  nach  der  Entschleussung.  Wenn  die  Arbeiter  den  Apparat  zu  rasch 
verlassen,  können  folgende  ernste  Zufälle  eintreten: 

1)  Nasen-,  Ohren-  und  Lungenbliitungen,  weil,  -\vie  schon  erwähnt  worden, 
durch  die  Differenz  des  innern  und  äussern  Luftdrucks  zarte  Blutgefässe  zerreissen 
können,  wenn  die  Lungenluft  sich  momentan  um  Vieles  wieder  ausdehnt  und  nicht  augen- 
blicklich den  gewöhnlichen  Ausweg  finden  kann. 

2)  Ohrensausen  und  Ohrenschmerzen  treten  wie  anfangs  ein,  wobei  man 
das  Gefühl  hat,  als  ob  die  Luft  aus  dem  innern  Gaumen  nach  dem  Ohre  dränge;  das 
Trommelfell  wird  dabei  nach  aussen  gedrängt. 

3)  Brustbeklemmung  mit  frequentem  Pulse.  Die  Blutwallungen  zu  den 
Lungen  und  zum  Gehirn  können  so  heftig  werden,  dass  ein  bewusstloses  Hinstürzen 
erfolgt.  Es  kann  Apoplexie  entstehen  oder  es  bildet  sich  eine  Symptomengruppe  aus, 
welche  mit  der  beim  Hitzschlag  (Sonnenstich)  geschilderten  grosse  Aehnhchkeit  hat. 
Auch  die  Sectionsresultate  in  einem  concreten  Todesfälle  stimmen  in  mehreren 
Puncten  mit  dem  Leichenbefunde  beim  Hitzschlag  überein24].  Es  fanden  sich  Hyperämie 
der  Hirnhäute,  eine  starke  Anschoppung  der  Lungen  bei  geringer  Crepitation  an  der 
Basis  derselben,  das  Herz  mit  flüssigem  schwarzem  Blute  angefüllt.  Hyperämie  der 
Nieren,  Leber,  Milz  und  des  Magens  und  eine  eontrahirte  Urinblase.  Das  Blut  war 
dunkel,  was  aus  dem  beeinträchtigten  Austausch  der  Respirationsproducte  resultirt:  es 
röthete  sich  dagegen  das  aus  der  Ader  gelassene  Blut  sehr  schnell  an  der  Luft,  weil  es, 
unter  erhöhtem  Drucke  mit  Kohlensäure  geschwängert,  diese  nun  bei  vermindertem 
Drucke  um  so  leichter  wieder  fahren  Hess. 

i)  Ein  lästiges  Hautjucken,  von  den  Franzosen  ..Puces"  genannt. 

5)  Frostgefühl  in  Folge  des  stattgefundenen  starken  Schwitzens. 

6)  Heftige  Muskelschmerzen  in  den  Armen,  Schultern  und  am  Thorax,  Er- 
scheinungen, welche  sich  ebenfalls  auf  die  Differenz  zwischen  dem  äussern  und  innern 
Drucke  resp.  auf  die  Ausdehnung  der  Gase  in  den  Muskeln  zurückführen  lassen.  So 
beobachtete  Franko is  bei  einem  Arbeiter  eine  bedeutende  und  schmerzhafte  Anschwellung 
der  linken  Regio  mammaria,  welche  dem  vollen  Busen  einer  Frau  glich  und  durch  die 
Application  von  ein  paar  blutigen  Schröpfköpfen  rasch  gehoben  wurde.  Nachkrank- 
heiten bestehen  bisweilen  in  Taubheit,  Otitis,  Bronchitis,  grosser  Schwäche,  bedeutender 
Abmagerung,  Zurückhaltung  des  Urins  und  Paresis:  letztere  beruht  wahrscheinlich  in 
passiven  Congestionen  im  Gebiete  der  Plex.  venös,  spinal.  Die  Abmagerung  ist  wegen 
der  bedeutenden  Oxydation  der  Kohlehydrate  und  der  profusen  Hautausscheidung  bei 
längerem  Aufenthalte  in  comprimirter  Luft  erklärlich. 

Nach  den  bisherigen  Erfahrungen  über  die  Arbeiter  in  comprimirter  Luft  ergibt 
sich  in  sanitärer  Beziehung"  Folgendes: 

1)  Ein  4%  Atmosphärendruck  ist  das  Maximum,  welches  noch  ertragen 
wird,  wenigstens  besser  als  ein  entsprechender  Luftverdünnungsgrad. 

2)  Beim  Verlassen  des  Apparates  ist  die  grösste  Vorsicht  zu  beob- 
achten. Die  Entschleussung  muss  zur  Verhütung  gefährlicher  Zufälle  nur  allmählig 
erfolgen ,  so  dass  keine  plötzliche  Ausgleichung  in  der  Differenz  des  Luftdrucks  eintritt, 
was  um  so  gefährlicher  ist,  je  höher  der  Atmosphärendruck  gewesen  ist.  Unter  Um- 
ständen, namentlich  beim  Eintritt  einer  tiefen  Ohnmacht,  muss  der  Arbeiter  in  den 
Apparat  zurückgebracht  werden,  um  unter  der  Einwirkung  der  von  Neuem  und  all- 
mählig comprimirten  Luft  sich  zu  erholen.25) 

3)  Ein  Lebensalter  zwischen  18  —  35  Jahren  verträgt  die  Arbeit  am  besten; 
dieses  soll  auch  bei  der  sogenannten  lymphatischen,  venösen  und  scrophulösen  Constitu- 
tion der  Fall  sein. 

4)  Leute  mit  chronischen  Herz-  und  Lungenkrankheiten  oder  mit  grosser  Nei- 
gung zu  Congestionen  oder  Hämorrhagien  vertragen  die  Arbeit  schlecht.  Auch  die 
erethische,  mit  häufiger  Hämoptoe  verbundene  Form  von  Lungentüberculose  passt  nicht 
für  einen  längern  Aufenthalt  in  comprimirter  Luft,  während  die  torpide  Form  derselben 
sich  mehr  dafür  eignet.  Zu  dieser  Form  wird  auch  der  Fall  gehören,  welcher  einen 
Arbeiter  betraf,  der  nach  der  Beobachtung  von  Foley  26)  mit  einer  grossen  Vomica  be- 
haftet war,  nach  einer  zweimonatlichen  Arbeit  in  comprimirter  Luft  ein  gutes  xVussehen 
bekam  und  kräftig  wurde.  Sonst  liefert  das  Stadium  der  Erweichung  bei  der  Lungen- 
tüberculose im  Allgemeinen  eine  Contraindication  für  den  Aufenthalt  in  compri- 
mirter Luft. 

5)  Vor  dem  Eintritt  in  den  Apparat  müssen  sich  die  Arbeiter  mit  warmen  resp. 
dicken  Kleidern  versehen,  um  sie  nachher  vor  der  Entschleussung  sogleich  anziehen 
zu  können. 


190  Die  atmosphärische  Luft. 

6)  Nach  der  Ent  schien  ssung  sind  Frottirungen  der  Haut  und  körperliche 
Bewegungen  sehr  zweckmässig,  um  die  peripheren  Blutgefässe  zu  entlasten. 

7)  Arbeiter,  welche  während  der  Arbeit  beunruhigende  Symptome  dargeboten 
halien,  dürfen   dieselbe  nicht  wieder  aufnehmen. 

S)  Gegen  das  Hautjucken  nützen  am  besten  kalte  Waschungen,  trockne  und 
blutige  Schröpfköpfe.  Gegen  Gliederschmerzen  empfiehlt  Fratifoia  ölige,  mit  Belladonna. 
(  Ipium  oder  Campher  versetzte  Einreibungen  der  Haut. 

9)  Auf  eine  zweckmässige  Beleuchtungsmethode  ist  grosses  Gewicht  zu  legen. 

10)  Das  Verstopfen  des  äusseren  Gehörganges  mit  Baumwolle  ist  eher  schädlich 
als  nützlich. 

11)  Bei  Otalgien  nützt  das  Eintröpfeln  von  Ol.  Hyosciam.  coct. 

12)  Congestionen  zum  Gehirn  und  zu  den  Lungen  müssen  nach  allgemeinen  thera- 
peutischen Grundsätzen  behandelt  werden. 

13)  Um  4  und  mehr  Atmosphären  anwenden  zu  können  und  dabei  alle  gefähr- 
lichen Erscheinungen  zu  vermeiden,  ist  der  Rath  von  Bert  sehr  beachtenswerth.  Man 
soll  nämlich  in  diesem  Falle  der  Gebläsemaschine  statt  reiner  Luft  eine  Mischung  von 
Luft  und  Stickstoff  liefern,  welche  derart  berechnet  ist,  dass  der  Druck  des  Sauerstoffs 
einen  gewissen  geringen  Werth  nicht  übersteigt.  Im  Allgemeinen  ist  aber  ein  Druck 
von  4  Atmosphären  nur  ausnahmsweise  zu  gestatten;  bei  2 —  3  Atmosphärendruck 
soll  man  nur  in  Schichten  von  4.  höchstens  6  Stunden  arbeiten.  Bei  einer  Wassertiefe 
von  32  Fuss  ist  1  Atmosphären  druck  schon  ausreichend. 

Ein  anderweitiger  Nachtheil  bei  Wasserbauten  besteht  namentlich  darin,  dass 
die  Arbeiter  stets  in  einem  mit  Feuchtigkeit  vollständig  gesättigten  Medium  arbeiten, 
wobei  sie  nicht  selten  bis  an  die  Schenkel  im  Wasser  stehen.  Nicht  minder  ist  beim 
Bergbau  die  Wirkung  der  feuchten  comprimirten  Luft  zu  berücksichtigen.27) 
Ueberhaupt  erfordern  diese  täglich  an  Ausdehnung  gewinnende  Arbeiten  auch  eine  sorg- 
fältigere sanitäre  Beachtung,  welche  ebenso  den  Industriellen  wie  den  Aerzten  obliegt. 

Zufällige  Bestandteile  der  Atmosphäre.  Sie  werden  hier  nur  kurz  erwähnt, 
da  das  Nähere  sich  bei  den  einzelnen  Körpern  vorfindet.  1)  Ammoniak.  Sein  Vor- 
kommen ist  sehr  variabel  und  nur  von  localen  Verhältnissen  abhängig:  wo  zahlreiche 
Feuerstätten  sich  finden,  wird  Ammoniak  selten  vermisst  werden.  2)  Salpetersäure 
kommt  stets  in  Verbindung  mit  Ammoniak  vor.  3)  Salzsäure  wird  namentbch  in 
üistricten,  in  welchen  sich  viele  Sodafabriken  befinden,  angetroffen :  in  Manchester  hat 
man  zu  Zeiten  8 — 9%  nachgewiesen.  4)  Schweflige  Säure  und  Schwefelsäure 
treten  überall  auf,  wo  Steinkohlen  verbrannt  werden.  5)  Kohlenwasserstoff  findet 
sich  meistens  in  Sumpfgegenden.  6)  Kohlenoxyd  und  Schwefelwasserstoff  wird 
man  selten  in  der  Atmosphäre  nachweisen  können.  7)  Metallische  Beimischungen 
der  verschiedensten  Art  hängen  namentlich  von  den  verschiedenen  Hüttenprocessen  ab. 
8)  Zum  Staube  der  Atmosphäre  tragen  alle  Naturreiche  bei.  Zum  mineralischen 
Staube  gehören  die  Partikelchen  von  Sandstein,  Granit,  Marmor,  Eisen  oder  andere 
einer  bestimmten  Gegend  angehörige  Mineralien.  Der  Frost  erzeugt  vorzüglich  den 
Mineralstaub,  indem  er  unter  Mithülfe  des  Windes  ganze  Berge  allmählig  erniedrigt  und 
tiefe  Spalten  in  die  Sandsteinfelsen  u.  s.  w.  unter  Mitwirkung  von  Regen  und 
Schnee  bohrt.28) 

Im  vegetabilischen  Staube  entdeckt  man  die  Gewebsfragmente  der  verschie- 
densten Pflanzen:  der  Blüthenstaub  wird  bekanntheh  vom  Regen  so  massenhaft 
niedergeschlagen,  dass  er  den  Ursprung  zu  den  Sagen  von  Blut-  und  Schwefel  regen  ge- 
liefert hat,  namentlich  ist  der  Pollen  der  Nadelhölzer  als  Schwefelregen  bekannt.  Auf 
stehenden  Gewässern  bildet  der  Blüthenstaub  eine  schleimige  Haut,  welche  zahllose 
Infusorien  beherbergt  und  beim  Platzregen  die  bekannten  Schleimblasen  erzeugt.  Die 
Stärkemehlkörperchen,  welche  Pom-het  in  allen  Weltgegenden  und  an  allen  Orten  nach- 
gewiesen haben  will,  sind  nach  Ehrenberg  nur  Morpholithe,  d.  h.  unorganische,  in 
ihrer  Krystallbildung  wahrscheinlich  zurückgebliebene  Stoffe. 

Im  Staube  organischen  Ursprungs  findet  man  dann  die  Hautfragmente  von 
allen  möglichen  Insecten,  Epithelialzellen  aller  Art,  Haare  der  verschiedensten  Thiere. 
Die  von  Ehrenberg  aufgefundenen  Infusorien  sind  kieselschalig  bepanzert:  die  Bacillarien, 
Eunotia  amphioxys  und  Pinularia  borsalis.  finden  sich  im  Staube  fast  aller  Welttheile. 
Im  rothen  Passatstaube  fand  E,  unter  548  dem  unbewaffneten  Auge  ganz  entzogepen 
Gebilden  192  Polygastern- A  rten,  welche  vorzugsweise  den  Süsswassergebilden  an- 
gehören und  oft  scheintodt  in  der  Atmosphäre  schweben,  um  später  durch  hinzutretende 
Feuchtigkeit  zur  neuen  Entwicklung  zu  gelangen.29) 

Dass  lebensfähige  Keime  der  verschiedensten  Art  in  der  Luft  vorkommen,  ist 
nicht  mehr  zweifelhaft :  Cunningham  vermochte  zu  Kalkutta  innerhalb  24  Stunden  eine 
Zahl  von  30—300  organisirter  Körperchen  in  der  Luft  nachzuweisen.  Dagegen 
ist  es  bisher  nicht  gelungen,    einen  bestimmten  Zusammenhang   der  in  der  Luft  schwe- 


Abhaltung  physicalischer  Einflüsse  der  Atmosphäre.  191 

benden  Keime  mit  epidemischen  und  contagiosen  Krankheiten  darzuthun.30)  Die  Anschau- 
ungen von  Caslinn)  hierüber  beruhen  auf  keinen  bestimmten  Thatsachen  und  bewegen 
sich  in  Phantasien.  Nur  in  der  Luft  über  Cloaken  und  Düngerhaufen  will  man  Bac- 
terienkeime  nachgewiesen  haben;  diese  finden  sich  aber  bekanntlich  auch  in  allen  ge- 
schlossenen Bäumen,  in  welchen  die  Luft  durch  Perspiration,  Bespiration  oder  Fäulniss- 
processe  verdorben  ist. 

Wenn  man  den  Luftstaub  den  „Schmutz  der  Atmosphäre"  genannt  hat,  so  kann 
man  den  Begen  und  die  Gewitter  als  die  mächtigsten  Desinfectoren  der  Luft  be- 
trachten, da  namentlich  der  Begen  Alles ,  was  er  in  der  Luft  findet,  mit  sich  zur  Erde 
reisst,  so  dass  sich  aus  dem  Begenwasser  die  Natur  und  Menge  der  Stoffe,  die  auf 
diese  Weise  der  Atmosphäre  entzogen  werden ,  annähernd  berechnen  lassen.  Nach  den 
auf  der  Pariser  Sternwarte  angestellten  Untersuchungen  wurden  im  Laufe  eines  Jahres 
folgende  Mengen  von  Stoffen,  welche  zugleich  für  die  Ernährung  der  Pflanzen  von  Be- 
deutung sind,  dem  Boden  im  Umfange  eines  preussischen  Morgens  zugeführt: 

4,13  Pfund  Ammoniak, 
36,52       .,        Salpetersäure, 

3,25       ..       Chlor, 

9,06       „       Kalk, 

3,99  „  Bittererde. 
Wenn  für  die  auffallend  grosse  Menge  dieser  Substanzen  auch  che  Bichtung  der 
herrschenden  Winde  mitsprechen  dürfte,  so  steht  doch  so  viel  zweifellos  fest,  dass  der 
Begen  alle  Gase,  wie  Kohlensäure,  Ammoniak,  Schwefelwasserstoff  u.  s.  w.,  alle  Dämpfe 
und  alle  der  Luft  beigemengte  Staubtheile  auf  die  Erde  niederschlägt  und  somit  einen 
ganz  bedeutenden  Factor  für  die  Erhaltung  der  allgemeinen  Gesundheit  repräsentirt. 

Man  hat  schon  längst  die  Beobachtung  gemacht,  dass  in  regenreichen  Jahren  die 
Zahl  der  Kranken  verhältnissmässig  eine  geringe  ist;  nach  den  in  Greenwich  beobach- 
teten jährlichen  Kegenmengen  hat  man  statistisch  festgestellt,  dass  für  den  Zeitraum  von 
1854 — 1865  die  grösste  Sterblichkeitsziffer  in  England  und  Wales  von  23,9  mit  dem 
kleinsten  Begenfall  im  Jahre  1864,  und  die  kleinste  Todeszahl  von  21,2  auf  das  Jahr  1860 
mit  der  grössten  Begenmenge  fiel. 

Der  Schnee  wirkt  wie  der  Begen  reinigend  auf  die  Luft  ein  und  findet  man  in 
jenem  Alles  wieder,  was  der  Begen  zur  Erde  führt;  Schnee  und  Begen  wirken  somit 
auf  eine  grossartige  Weise  durch  Attraction  und  Praecipitirung  fremdartiger  Bestand- 
teile der  Atmosphäre.  Die  Winde  wirken  in  gleicher  Weise  wie  Schnee  und  Begen; 
auch  tragen  sie  dazu  bei,  frischere  und  reinere  Luft  aus  andern  Gegenden  zuzuführen. 

Je  nachdem  die  Winde,  welche  bekanntlich  stets  durch  Temperaturveränderungen 
in  der  Luft  entstehen,  verschiedene  Gegenden,  Meere  oder  Gebirge  bestreichen,  besitzen 
sie  allerdings  auch  verschiedene  Eigenschaften.  Manches  Land  hat  seine  ominösen 
Winde,  welche  mehr  oder  weniger  regelmässig  Aviederkehren  und  bezüglich  des  Ver- 
haltens in  Kleidung,  Lebensweise  u.  s.  w.  besondere  "Vorsichtsmassregeln  erfordern  (Mon- 
soon,  Samum,  Chamsin,  Harmattan,  Scirocco  u.  s.  w.). 

Im  Allgemeinen  aber  sind  Begen,  Schnee  und  Wind  als  die  natürlichen  Beini- 
gungsmittel  der  Atmosphäre  zu  betrachten.  Ein  Gewitter  mit  Begen  und  Wind  ge- 
staltet bekanntlich  oft  die  ganze  Atmosphäre  um  und  verleiht  dadurch  für  alle  organi- 
sirten  Wesen  eine  Quelle  des  grössten  Wohlbehagens.  Die  Frage  nach  dem  Wetter 
ist  somit  keine  banale  Phrase,  sondern  ..gleichbedeutend  mit  der  Frage  nach  dem  Be- 
finden".32) 

Abhaltung  physicalischer  Einflüsse  der  Atmosphäre. 
Die  Bekleidung. 

Um  über  Zweck  und  Wirkung  der  Kleidung  zu  einer  klaren  Anschauung  zu 
gelangen,  ist  es  erforderlich,  die  Begriffe  von  Wärmeleitung  und  Wärme- 
strahlung näher  zu  erläutern. 

Eine  bekannte  Thatsache  ist  es,  dass  ein  warmer  Körper  in  einer  kältern 
Umgebung  sich  mit  dieser  in  ein  thermisches  Gleichgewicht  setzt;  diese  Erschei- 
nung wird  durch  verschiedene  Vorgänge  hervorgebracht.  Man  stelle  sich  zunächst 
eine  heisse  Metallkugel  vor,  die  sich  in  einem  kalten  Zimmer  befindet;  zunächst 
kühlen  sich  durch  verschiedene  noch  zu  besprechende  Processe  die  oberflächlichen 
Partien  ab;  in  dem  Masse  aber,  wie  dies  geschieht,  fliesst  Wärme  von  dem  heissen 
Innern  zu  dem  kältern  Aeussern.  Diesen  Wärmefluss,  welcher  immer  von  den 
heissern  Theilchen  zu  den  unmittelbar  anliegenden  kältern  Theilchen  geht? 


192  Die  atmosphärische  Luft. 

nennt  man  Wärmeleitnng.  Auch  die  Oberfläche  der  Kugel  verliert  Wärme 
durch  Leitung  au  die  sie  berührenden  Lufttheilchen;  der  hieraus  hervorgehende 
Wärmeverlust  ist  um  so  grösser,  je  bedeutender  die  Temperaturdifferenz  zwischen  Me- 
tall und  Luft  ist.  Lässt  man  einen  Blasebalg  auf  die  Kugel  einwirken  und  ersetzt 
dadurch  die  von  der  Kugel  erwärmte  Luft  fortwährend  durch  kältere,  so  beschleu- 
nigt man  die  Abkühlung.  Jedoch  auch  ohne  unser  Zuthun  wird  die  erwärmte 
Luft  in  gewissem  Masse  fortwährend  durch  die  Wirkung  der  Schwere  entfernt; 
die  dicht  an  der  Kugel  befindliche  Luft  ist  nämlich  wärmer  und  daher  leichter 
als  die  entferntere  kältere  und  wird  daher  von  dieser  in  die  Höhe  getrieben  und 
von  ihr  ersetzt.  Durch  diesen  Luftstrom  wird  also  die  Abkühlung  befördert, 
während  die  Wärme  dabei  stets  durch  Leitung  von  der  Kugel  an  die  Luft  ab- 
fliesst.  Man  hat  der  Abkühlung  durch  Luft-  oder  Flüssigkeitsströme 
einen  besondern  Namen  gegeben,  englisch:  Convection;  deutsch  etwa:  Wärme- 
strömung. Bei  der  letztern  bewegt  sich  die  Wärme  mit  ihrem  Träger,  bei  der 
Wärmeleitung  in  ihrem  Träger. 

Bringt  man  einen  kalten  festen  Körper  in  die  Nähe  der  Kugel,  so  findet 
man,  dass  sie  sich  rascher  abküht;  durch  die  Anwesenheit  des  kaltem  Körpers 
ist  die  Temperatur  der  die  Kugel  berührenden  Luftschicht  nicht  merklich  geän- 
dert worden.  Da  der  Verlust  durch  Wärmeleitung  nach  aussen  nur  von  der 
Temperaturdifferenz  zwischen  der  Kugel  und  diesen  Luftschichten  herrührt,  so 
muss  ein  anderer  Vorgang  Ursache  der  gesteigerten  Abkühlungsgeschwindigkeit 
sein.     Diesen  Vorgang  nennt  man  Wärmestrahlung. 

Zum  bessern  Verständniss  sollen  folgende  Angaben  dienen.-  Von  jedem 
Körper  gehen  Wirkungen  in  die  Ferne  aus,  welche  physicalisch  von  ganz  gleicher 
Art  sind  wie  die  Wirkungen,  welche  leuchtende  Körper  aussenden;  das  Aus- 
gesandte nennt  man  Lichtstrahlen,  wenn  es  unsere  Netzhaut  erregend  Licht- 
empfindung erzeugt,  Wärmestrahlen,  insofern  es  auf  unser  Gemeingefühl 
sowie  auf  das  Thermometer  einwirkt. 

Wenn  verschiedene  Körper  gleicher  Temperatur  sich  in  einer  Hülle  von  der- 
selben Temperatur  befinden,  so  muss  das  Gesammtquantum  der  Wärme,  welche 
einer  der  Körper  ausstrahlt,  gleich  derjenigen  sein,  die  er  von  der  gesammten 
auf  ihn  fallenden  Wärmestrahlung  absorbirt  (Prevost). 

Ist  einer  der  Körper  wärmer  als  die  andern,  so  nimmt  er  weniger  Wärme 
durch  die  Strahlung  der  Umgebung  auf,  als  er  durch  seine  eigene  Strahlung  ver- 
liert; daher  sinkt  die  Temperatur  des  wärmern  und  steigt  die  des  kältern  Kör- 
pers. In  diesem  Sinne  ist  die  Abkühlung  der  Metallkugel  durch  Strahlung  in 
dem  kalten  Zimmer  aufzufassen. 

Die  Gesammtquantität  der  Wärme,  die  ein  Körper  aussendet  (emittirt), 
wächst  hiernach  mit  seiner  eigenen  Temperatur.  Sie  hängt  aber  ausser  der  Tem- 
peratur auch  von  der  Natur  des  strahlenden  Körpers  ab;  überzieht  man  näm- 
lich die  Seitenfläche  eines  hohlen  mit  kochendem  Wasser  gefüllten  Metallwürfels 
mit  Russ,  so  findet  man,  dass  die  berusste  Fläche  mehr  Wärme  ausstrahlt 
als  eine  der  blanken  Flächen,  obwohl  im  Beginne  des  Versuchs  der  Metallwürfel 
überall  gleiche  Temperatur  hat.  In  einer  blank  polirten  Theekanne  hält  sich 
z.  B.  der  Thee  gut  warm;  würde  mau  dieselbe  berussen,  so  würde  der  Thee  weit 
rascher  kalt  werden. 

Wenn  strahlende  Wärme  auf  einen  Körper  auffällt,  so  wird  ein  Theil 
reflectirt,  ein  Theil  durchgelassen,   ein  Theil  absorbirt.     Der  Werth  des  absor- 


Abhaltung  physicalischer  Einflüsse  der  Atmosphäre.  193 

birten  Antheils  hängt  von  der  Beschaffenheit  des  Körpers  ab;  der  Russ, 
welcher  bei  gleicher  Temperatur  mehr  Wärme  aussendet  als  das  Metall,  absorbirt 
auch  einen  grösserD  procentischen  Theil  der  auffallenden  Strahlung  als  dieses. 
Diejenigen  Körper,  weiche  einen  merklichen  Theil  auffallender  Strahlung  durch- 
lassen, nennt  man  diatherman;  man  findet  nun,  dass  eiu  und  derselbe  Körper 
für  die  aus  verschiedenen  Wärmequellen  stammenden  Strahlungen  verschieden 
diatherman  ist,  d.  h.  dass  er  verschieden  aliquote  Theile  der  verschiedenen  auf- 
fallenden Strahlungen  durchlässt.  Glas  lässt  Sonnenwärme  gut  durch,  ist  aber 
für  Ofenwärme  wenig  diatherman,  daher  man  gläserne  Ofenschirme  anwendet. 
Durch  diese  und  ähnliche  Thatsachen  ist  man  darauf  geführt  worden,  verschie- 
dene Wärmefarben  zu  unterscheiden;  die  Sonnenwärme  muss  eine  andere 
Mischung  von  Wärmefarben  enthalten  als  die  Ofenwärme.33) 

Man  hat  seit  langer  Zeit  einen  Zusammenhang  zwischen  Emission  und 
Absorption  experimentell  aufgefunden,  der  sich  allgemein  dahin  aussprechen 
lässt,  dass  ein  Körper  in  dem  Masse  wie  er  stärker  absorbirt  als  andere  Körper, 
auch  stärker  als  dieser  emittirt;  ein  Beispiel  hierfür  liefert  das  oben  beschriebene 
Verhalten  von  Russ  und  blankem  Metall.  Den  zu  Grunde  liegenden  allgemeinen 
Satz  hat  mit  voller  Schärfe  Kirchhoff  bewiesen.  Folgender  Ausspruch  enthält 
einen  Theil  dieses  Satzes:  „Wenn  ein  Körper  bei  gegebener  Temperatur  gewisse 
bestimmte  Wärmefarben  aussendet,  andere  nicht,  so  absorbirt  er  bei  dieser  Tem- 
peratur, wenn  Strahlungen  verschiedener  Farbe  auf  ihn  fallen,  von  denjenigen, 
welche  er  aussendet,  von  den  andern  nicht." 

Nach  dieser  Abschweifung  über  die  Wärmestrahlung  sind  noch  andere  Ur- 
sachen der  Abkühlung  zu  betrachten.  Befeuchtet  man  die  heisse  Metallkugel,  so  kühlt 
sie  sich  rascher  ab;  dieses  Phänomen  studirt  man  am  besten,  wenn  man  zwei 
gleiche  Thermometer  nebeneinander  aufstellt  und  die  Kugel  des  einen  mit  einem 
feuchten  Lappen  umgibt  (August's  Psychometer).  Das  feuchte  Thermometer 
wird  dann  eine  niedrigere  Temperatur  zeigen  als  das  trockne,  und  zwar  wird  die 
Temperaturdifferenz  eine  um  so  grössere  sein,  je  mehr  Wasserdampf  die  umge- 
bende Luft  aufnehmen  kann;  sie  kann  um  so  mehr  aufnehmen,  ein  je  gerin- 
geres Quantum  sie  davon  enthält  und  je  höher  ihre  Temperatur  ist.  Die  Abküh- 
lung, welche  das  feuchte  Thermometer  erfährt,  rührt  daher,  dass  Wasser  von  dem 
feuchten  Lappen  verdampft;  beim  Verdampfen  des  Wassers  wird  Wärme  ver- 
braucht (latente  Wärme),  welche  die  Thermometerkugel  und  das  Quecksilber  her- 
geben müssen.  Die  Verdunstung  als  Ursache  der  Abkühlung  spielt  in 
unserm  Körper  gleichfalls  eine  bedeutende  Rolle;  es  ist  hierbei  nicht  zu  übersehen, 
dass  ausser  der  Verdampfung  des  Schweisses  die  Perspiratio  insensibilis  wesent- 
lich zur  Mässigung  der  Körpertemperatur  beiträgt. 

Aus  dem  Vorstehenden  ergibt  sich,  dass  verschiedene  Vorgänge  Abkühlung 
hervorbringen:  Wärmeleitung,  Wärmefortführung,  Wärmestrahlung  und 
Verdunstung.  Alle  diese  Vorgänge  kommen  bei  der  Abkühlung  des  menschlichen 
Körpers  in  Betracht;  um  die  Functionen  der  Kleider  nicht  nur  im  Allgemeinen, 
sondern  auch  die  verschiedenen  Wirkungen  verschiedener  Stoffe  und  Bekleidungs- 
arten zu  verstehen,  muss  man  untersuchen,  wie  jene  Vorgänge  von  der  Natur  und 
Art  der  Bekleidung  abhängen  und  durch  eine  passende  Wahl  derselben  in  zweck- 
mässiger Weise  geregelt  werden  können. 

Von  diesen  Gesichtspuncten  aus   wird    die  Wahl   der  Kleidungsstücke    zu 

Eulenberg,  Gewerbe -Hygiene.  13 


1  94  T>io  atmosphärische  Luft. 

treffen  sein,  um  den  Körper  vor  Abkühlung  zu  bewahren,   und  sollen  im  Nach- 
folgenden nur  einige  Corollarieu  deu  vorstehenden  Hauptsätzen  zugefügt  werden. 

Für  die  Verminderung  unseres  Wärmeverlustes  durch  Strahlung  kommt 
zuvörderst  in  Betracht,  dass  unsere  Kleidungsstücke  nicht  diathermau  sind; 
wichtiger  ist  aber,  dass  diese  zugleich  schlechte  Wärmeleiter  sind. 

Versuche  über  die  wärmeleitende  Kraft  bestimmter  Stoffe  stellte  zuerst 
Rumford3*)  an  und  fand,  dass  Leinwand  und  Baumwolle  die  Wärme  am  schnellsten,  Pelz  und 
Eiderdunen  die  Wärme  am  langsamsten  leiten:  dazwischenlagen  bezüglich  dieser  Eigen- 
schaft die  Schafwolle  und  rohe  Seide.  Gleichzeitig  fand  er,  dass  auch  die  Dichtigkeit  und 
innere  Structur  dieser  Substanzen,  d.  h.  die  Lage  ihrer  Theile  zu  einander,  hierbei  von 
Eiufluss  ist,  so  dass  die  Luft,  welche  die  Zwischenräume  der  Bekleidunosgegenstände 
einnimmt,  beim  Zusammenhalten  der  Warme  eine  wichtige  Rolle  spielt.  Die  Thatsache, 
dass  es  der  Luftgehalt  der  Kleider  ist,  welcher  den  Wärmeabfluss  von  unserm  Körper 
mässigt,  hat  dann  auch  Metfoni  nachgewiesen.  Es  kommt  daher  auch  auf  die  Art  des 
Gewebes  an,  um  Erwärmung  zu  erzielen;  ein  lockeres  und  poröses  Gewebe  bietet  den 
schlecht  leitenden  Luftschichten  viele  kleine  Zwischenräume  dar  und  erwärmt  deshalb 
unter  Umständen  mehr  als  ein  dichter  und  glatter  Stoff. 

Krieger*5)  ist  später  zu  fast  gleichen  Resultaten  gelaugt,  In  folgender  Reihe 
hat  er  die  Procente  angegeben,  um  welche  die  Stoffe  die  Wärmeleitung  hemmen: 
dünnes  Seidenzeug  3%,  Guttaperchatuch  4%,  Shirting  b%,  Leinwand  b%,  dickeres 
Seidenzeug  6  /„',  dickere  hausgemachte  Leinwand  9  %,  Waschleder  10  — 12%,  Flanell  14?;, 
Winterbuckskin  IG  — 26*  Doppelstoff  25  —  31%.  Ebenso  macht  er  auf  die  Dichtigkeit 
und  Feinheit  der  Zeuge,  sowie  auf  die  Art  der  Bekleidung  aufmerksam:  zwei  Lagen 
von  Flanell  erwärmen  mehr,  weil  die  Zwischenräume,  welche  zwischen  Haut  und  Be- 
kleidung liegen,  die  Wärmebewegung  sehr  bedeutend  hemmen.  Im  Winter  ziehen  wir 
bekanntlich  zwei  Röcke  übereinander  an  und  erreichen  'dadurch  eher  Erwärmung  als 
durch  einen  verhältnissmässig  dickern  Stoff:  bekannt  ist  auch  die  Sitte  der  Frauen, 
durch  viele  Umhängsei  dünnerer  Stoffe  dickere  zu  ersetzen.  Zwei  Hemden  übereinander 
angezogen,  befördern  die  Erwärmung  ganz  bedeutend:  mit  Baumwolle  wattirte  Seide 
kommt  fast  dem  Pelz  gleich.  Beim  Leder-  und  Pelzwerk  kommt  auch  noch  seine  grössere 
Undurchdringlichkeit  für  die  äussere  Luft  hinzu.  Wie  bedeutend  der  von  der  Körper- 
oberüäche  aufsteigende  Luftstrom  ist,  hat  »,  Pettenkofpr  durch  den  Anemometer  nach- 
gewiesen; die  Windflügel  bewegen  sich  bei  warmer  Luft  langsamer,  bei  kalter  Luft 
schneller,  wenn  man  dieses  Instrument  in  der  ruhigen  Luft  eines  Zimmers  ganz  einfach 
zwischen  Rock  und  Weste  hält. 

Der  Wärmeverlust  durch  Verdunstung  gibt  sich  ganz  besonders  deut- 
lich bei  schwitzeuder  Haut  kund;  im  Sommer  schwitzt  die  Haut,  um  die  Wärme 
durch  Verdunstung  herabzusetzen.  Der  Neger  würde  in  der  Hitze  umkommen, 
wenn  ihm  nicht  durch  den  reichlichen  Schweiss  und  die  damit  verbundene  Ver- 
dunstung Kühlung  verschafft  würde. 

Bekannt  ist  der  mit  der  reichlichen  wässerigen  Hautabsonderung  verbundene 
unangenehme  Geruch  der  Neger;  nimmt  er  instinetmässig  häufig  noch  Oel-  oder  Fett- 
einreibungen zu  Hülfe,  so  wird  auf  der  eingeölten  Oberfläche  der  Haut  die  Wärme- 
ausstrahlung befördert.  Bei  vielen  Menschen  kann  man  beobachten,  wie  Fetteinreibungen 
jedesmal  ein  fröstelndes  Gefühl  erzeugen.  —  Im  Sommer  und  Herbst  wird  die  kühle 
Abendluft  bei  der  feuchten  Haut  mehr  empfunden  als  die  kalte,  aber  trockne  Winter- 
luft: schon  ein  geringer  Grad  von  Kälte  kann  bei  feuchter  Luft  sehr  unangenehm  ein- 
wirken, so  dass  das  Thermometer  nicht  immer  allein  den  Massstab  liefern  kann,  ob  wir 
uns  wärmer  oder  kühler  bekleiden  sollen.  Das  Schlafen  in  feuchten  Betten  und  das 
Wohnen  in  feuchten  Räumen  ist  grade  wegen  der  grössern  Abkühlung  der  Haut  schäd- 
lich und  führt  deshalb  leicht  Erkältungskrankheiten  herbei:  „Erkältungen"  entstehen 
am  ehesten,  wenn  die  insensible  Verdunstung  plötzliche  Veränderungen  erfährt. 

Dass  der  Luftdruck,  d.  h.  die  Dichtigkeit  der  Luft  Einfluss  auf  die  Schnelligkeit 
der  Verdunstung  hat,  ist  bereits  durch  Wumförd  nachgewiesen  worden;  je  geringer  der 
Luftdruck  ist,  desto  rascher  erfolgt  die  Verdunstung:  auf  hohen  Bergen  ist  deshalb  die 
Wärmeabgabe  eine  grössere  als  in  der  Ebene.  Andererseits  ist  zu  betouen,  dass  auch 
mit  der  Stärke  der  Luftströmung  die  Verdunstung  zunimmt.  Versuche  von  Uouiier  und 
von  Falk  erweisen  grade,  wie  geeignete  Kleidung  den  Wärmeverlust  durch  Verdunstung 
bei  windiger  Witterung  herabsetzen  kann.3G)  Die  Kleidungsstücke  dürfen  den  Ver- 
dunstungsprocess  auf  der  Haut  nicht  stören,  wenn  wir  uns  behaglich  fühlen  sollen. 

Weiterhin  ist  der  interessante  experimentelle  Nachweis  geliefert  worden,  dass 
grade    die    schlechten  Wärmeleiter    der  Luft   am   leichtesten   den  Durchgang   gestatten 


Abhaltung  physicäliseher  Einflüsse  der  Atmosphäre.  1 95 

und  die  Verdunstung  befördern,  weil  mit  der  leichten  Permeabilität  der  Zeuge  für  die 
Luft  auch  eine  grössere  "Verdunstungsoberfläche  und  mit  dieser  eine  günstige  Bedingung 
zur  Dampfbildung  geboten  wird;  sie  verhüten  die  unter  Umständen  so  höchst  nach- 
theilige Condensation  des  der  Haut  entströmenden  Wasserdampfes  und  erzeugen  des- 
halb auch  weniger  als  luftdichte  Zeuge  das  Gefühl  der  Kälte.  Unter  den  mit  Gummi- 
lösungen überzogenen  Stoffen,  den  sogenannten  Mackintosh  -  Röcken ,  sammeln  sich  be- 
kanntlich stets  die  wässerigen  Ausscheidungen  der  Haut  als  Wasserniederschlag  an. 

Die  Dichtigkeit  der  Zeuge  ist  wegen  ihrer  geringem  Permeabilität  für  die  Luft 
vorzugsweise  bei  windigem  und  kaltem  Wetter  am  Platze.  Da  bei  bewegter  Luft  die 
Wärmeabgabe  durch  Verdunstung  eine  grössere  ist,  so  suchen  wir  um  so  mehr  den  Ein- 
druck derselben  auf  die  Haut  abzuhalten;  hierzu  eignet  sich  am  besten  die  lederne 
Bekleidung  oder  das  Pelz  werk.  Tartaren,  Türken,  Perser  tragen  häufig  lederne  Jacken 
und  Hosen,  wie  wir  sie  bei  Jägern,  Forstleuten  und  Bergbewohnern  antreffen ;  Sämisch- 
Leder  ist  für  die  Bekleidung  am  geeignetsten.  Ihm  nahe  steht  das  Seidenzeug  bezüglich 
der  geringen  Durchgängigkeit  der  Luft;  seidene  Stoffe  eignen  sich  daher  vorzugsweise 
für  Oberkleider,  jedenfalls  besser  als  zum  Tragen  auf  blosser  Haut.  Von  Schweiss 
durchnässt  erzeugt  Seide  fast  eben  so  leicht  wie  Leinwand  Abkühlung  der  Haut. 

Die  Absorptionsfähigkeit  der  Stoffe  für  die  wässerige  Ausschei- 
dung der  Haut,  für  den  Schweiss,  ist  bezüglich  der  Bekleidung  von  der 
grössten  Bedeutung. 

Ueber  die  Fähigkeit  der  Bekleidungsstoffe,  tropfbar  flüssiges  Wasser  aufzunehmen 
und  abzugeben,  hat  zuerst  QaiiMer  Versuche  angestellt,  welche  durch  r.  Pettenkofer37)ver- 
vollständigt  wurden:  dieser  fand  in  Bezug  auf  die  beiden  wichtigsten  Kleidungsstoffe,  die 
Leinwand  und  Wolle,  dass  jene  Eigenschaft  bei  Schafwolle  viel  mehr  als  bei  Lein- 
wand hervortritt.  Von  einer  benetzten  Fläche  Leinwand  verdunstet  auch  das  Wasser 
schneller  als  von  einer  gleichen  Fläche  Flanell,  weshalb  die  nasse  Leinwand  auch 
eine  niedrigere  Temperatur  annimmt  als  ein  nasses  Stück  Wolle. 

Das  Experiment  bestätigt  somit  die  alltägliche  Erfahrung,  dass  durch  Schweiss 
durchnässte  Leinwand  auf  der  Körperoberfläche  ein  viel  grösseres  Kältegefühl  erzeugt 
als  feuchter  Flanell;  eben  so  verhält  es  sich  mit  der  hygroskopischen  Seide,  welche  in 
dieser  Beziehung  der  Leinwand  näher  als  dem  Flanell  steht.  Feuchte  Leinwand  schliesst 
sich  auch  der  Körperoberfläche  viel  mehr  an  als  Flanell,  der  selbst  im  feuchten 
Zustande  noch  mehr  oder  weniger  Zwischenräume  darbietet  und  stets  eine  gewisse 
Elasticität  behält.  Baumwolle  hält  die  Mitte  zwischen  Leinwand  und  Flanell  und  eignet 
sich  für  manche  Constitutionen  mit  sehr  reizbarer  Haut  besser  als  Flanell;  Seide 
hat  immerhin  als  schlechterer  Wärmeleiter  den  Vorzug  vor  der  Leinwand  und  erzeugt 
auch  wegen  der  Natur  der  einzelnen  Fasern  mehr  Reibung  auf  der  blossen  Haut.  Es 
ist  endlich  noch  die  wichtige  Thatsache  zu  erwähnen,  dass  bei  der  Aufnahme  von  tropfbar 
flüssigem  Wasser,  deutlicher  aber  bei  der  Absorption  des  Wasserdampfes,  eine  Tem- 
peraturzunahme nachzuweisen  ist,  und  dass  somit  auch  die  Kleidungsstücke  durch  ihre 
hygroskopische  Eigenschaft  dazu  beitragen,  den  Wärmeverlust  durch  die  menschliche  Haut 
zu  moderiren.38) 

Was  die   Farbe  der  Kleidungsstücke  betrifft,    so  hat  dieselbe  auf  die  Ab- 
sorption der  von  dunklen  Körpern  ausstrahlenden  Wärme  keinen  Einfluss. 

Mel/oiü  überzog  einen  Würfel  auf  verschiedenen  Seiten  mit  schwarzem,  rothern  und 
weissem  Sammet,  füllte  den  Würfel  mit  heissem  Wasser  und  stellte  ihu  der  Therrnosäule 
gegenüber.  Sämmtliche  Sammetoberflächen  bewirkten  trotz  ihrer  verschiedenen  Färbung 
denselben  Ausschlag  der  Multiplicatornadel,  ein  Beweis,  dass  die  Ausstrahlung  der  Kleider, 
welche  unsern  Körper  bedecken,  von  ihrer  Farbe  unabhängig  ist.  Dagegen  hat  die 
Farbe  einen  bedeutenden  Einfluss  auf  die  Absorption  der  leuchtenden  Wärme, 
z.  B.  der  Sonnenstrahlen;  zur  Abhaltung  der  Sonnenstrahlen  ist  daher  die  Farbe  mehr 
als  das  Gewebe  der  Kleidungsstücke  zu  berücksichtigen.  Die  ersten  Versuche  hierüber 
stellte  Franklin  an,  indem  er  fand,  dass  Schnee  am  schnellsten  unter  schwarzem,  am 
langsamsten  unter  weissem  Tuche  schmolz.  Diese  Versuche  nahmen  später  Humphry 
T)avy  (1799)  und  Start,  in  Edinburg  auf.39) 

Bezüglich  der  geringern  oder  grössern  Fähigkeit  der  Farben  für  die  Absorption 
der  leuchtenden  Wärme  nimmt  man  gewöhnlich  an,  class  auf  Weiss  und  Grau  Gelb, 
Roth,  Blau  und  zuletzt  Schwarz  folgen. 

Krieger  fand,  wenn  er  die  Absorption  der  leuchtenden  Wärme  durch  Shirting 
==  100  setzte,  folgende  Scala:  Weiss  =  100,  Blassgelb  =>  162,  Dunkelgelb  ==  140, 
Hellgrün  =  155,  Dunkelgrün  —  168,  Türkischroth  =  165,  Halbblau  =  198  und 
Schwarz  =  208. 

Hiernach  absorbirt  Schwarz  die  leuchtende  Wärme  um  das  Doppelte  mehr  als 

13* 


196  Die  atmosphärische  Luft. 

Weiss,  in  der  Mitte  steht  Grün,  Thatsachen,  welche  bei  der  Auswahl  der  farbigen 
Kleidungsstücke  nach  Jahreszeit,  Klima  und  Wetter  massgebend  sein  sollten. 

Auch  in  diesem  Puucte  ist  die  Erfahrung  der  Theorie  vorausgeeilt:  bekannt  ist 
es,  dass  die  Beduinen  und  Araber  anter  der  Gluth  der  Sonne  sich  langer  wollener, 
aber  weisser  Mäntel  bedienen,  weil  es  im  tropischen  Klima  hauptsächlich  auf  die  Ab- 
haltung der  Sonnenstrahlen  ankommt  und  ausserdem  die  Kühle  der  Nacht  ein  dichteres 
Einhüllen  in  die  Mäntel  erfordert.  Weite  Mäntel  und  Hosen  mit  reicher  Faltenbildung, 
die  eine  regere  Luftströmung  befördern,  finden  sich  ebenfalls  bei  deu  Bewohnern 
warmer  Klimate.  Der  Norden  erfordert  dagegen  mehr  engauschliessende  Stoffe,  um  die 
Luftströmung  zwischen  Körperoberfläche  und  Kleidung  zu  verringern  und  damit  eine 
grössere  Absperrung  und  geringern  Wechsel  der  Luftschichten  zu  erzielen;  Form  und 
Schnitt  der  Kleidung  müssen  sich  daher  nach  Klima  und  Jahreszeit  richten  und  zwar 
in  mancher  Beziehung  unabhängig  von  der  Tyraunei  der  Mode. 

Der  Mensch  hat  den  grossen  Yortheil.  dass  er  sich  nach  Bedürfniss  und  den  Er- 
fordernissen des  Klimas  und  der  Witterung  kleiden  kann,  obgleich  auch  bei  Thieren 
die  Körperhülle  nicht  unverändert  bleibt.  Der  Wechsel  von  Haaren  und  Federn  fällt 
meistens  in  die  gemässigte  Jahreszeit,  also  in  Zeiten,  wo  nicht  so  schroffe  Temperatur- 
wechsel auf  den  Körper  einwirken. 

Der  Hauptzweck  der  Bekleidung  soll  in  der  Regulirung  und  Beförderung  der  für 
das  Wohlbefinden  höchst  wichtigen  Hautfunction  bestehen:  wie  überall  so  muss  auch 
bei  der  Bekleidung  dem  individuellen  Bedürfnisse  Rechnung  getragen  werden. 

Das  Wärmebedürfniss  und  namentlich  die  Hautthätigkeit  bezüglich  der  wässerigen 
Ausscheidungen  sind  sehr  verschieden  und  eine  beständig  feuchte  Haut  erfordert  eine 
andere  Bekleidung  als  die  mehr  trockne  und  weniger  abgekühlte.  Die  Abhärtung  der 
Haut  hat  daher  ihre  bestimmten  Grenzen  und  kann  nicht  überall  erzwungen  werden. 

Bei  der  arbeitenden  Classe  der  Bevölkerung,  welche  an  einer  ausreichenden  Er- 
nährung Mangel  hat,  ist  die  Wärmeproduction  eine  minder  rege  als  bei  wohlgenährten 
Individuen;  sie  bedarf  daher  um  so  mehr  der  Wärmeretention  durch  wärmere  Bekleidung. 

Nicht  unerwähnt  kann  der  Umstand  bleiben,  dass  häufig  das  feste  Einschnüren 
einzelner  Theile  Congestionen  nach  wichtigen  Organen  oder  varicöse  Ausdehnung  der 
Venen  erzeugt.  Es  ist  hierbei  an  die  Wirkung  des  Corsets  und  an  das  feste  Binden 
der  Unterröcke  beim  weiblichen  Geschlechte  zu  erinnern,  wodurch  die  bekannten  Ab- 
schnürungen der  Leber  u.  s.  w.  hervorgerufen  werden,  während  bei  der  männlichen 
arbeitenden  Bevölkerung  der  Bauchriemen  als  Ersatz  der  Hosenträger  Störungen  in  den 
Functionen  von  Leber  und  Magen  bewirken  kann.  Es  sind  dies  Krankheitsursachen, 
welche  nicht  ausser  Acht  zu  lassen  sind,  wenD  vom  Zweck  der  Bekleidung  im  Allge- 
meinen die  Rede  ist.40) 

Die  Einrichtung  des  Bettes  ist  nach  denselben  Principien  wie  die  Auswahl  der 
Kleidungsstücke  zu  behandeln.  Bekanntlich  ist  während  des  Schlafes  der  Stoffwechsel 
herabgesetzt  und  die  Wärmeproduction  eine  geringere:  wir  bedürfen  daher  während  der 
Ruhe  und  des  Schlafes  einer  grössern  Aufspeicherung  der  Wärme  als  am  Tage  und 
während  körperlicher  Bewegungen. 

Massregeln  zur  Beschaffung  einer  reinen  Luft. 

1)  Reinerhaltung  der  Luft  in  den  Werkstätten. 

Bei  den  Bestrebungen  für  die  Reinerhaltung  der  Luft  in  den  Werkstätten 
handelt  es  sich  um  die  Principien  der  Ventilation,  die  hier  nicht  unerwähnt 
bleiben  dürfen,  da  die  reine  Luft  unter  den  nothwendigsten  Lebensbedürfnissen 
die  erste  Stelle  einnimmt.  Die  betreffenden  Einrichtungen  werden  mit  besonderer 
Berücksichtigung  der  industriellen  Verhältnisse  erörtert  werden. 

Bei  der  natürlichen  oder  spontanen  Ventilation  bedarf  es  keiner  be- 
sondern Einrichtung,  um  die  frische  Luft  zuzuleiten,  da  man  einfach  das  Oeffnen 
der  Fenster  und  Thüren  für  diesen  Zweck  benutzt.  In  der  Industrie  soll  man  hier- 
von stets  den  umfassendsten  Gebrauch  machen,  wenn  die  Art  der  Fabrication 
nicht  hemmend  entgegentritt;  auch  die  Ansammlung  vieler  Menschen  fordert 
hierzu  dringend  auf,  damit  nicht  die  Producte  der  Perspiration  und  Respiration 
zur  Verschlechterung  der  Luft  beitragen.  „Man's  own  breath  is  his  greatest 
enemy"  sagt  ein  englisches  Sprüchwort  und  drückt  damit  iu  kurzen  Worten  die 
hohe  Bedeutung  der  Lufterneuerung  aus. 


Reinerhaltung  der  Luft  in  den  Werkstätten.  197 

Schon  bei  der  ursprünglichen  Anlage  einer  Fabrik  muss  stets  auf  die  Mög- 
lichkeit einer  ergiebigen  natürlichen  Ventilation  Rücksicht  genommen  und  Alles 
vermieden  werden,  wodurch  die  Stagnation  der  Luft  begünstigt  wird.  Es  kommt 
daher  auf  die  richtige  Lage  der  Fabrik,  auf  die  Construction  der  Fenster,  der 
Corridore,  der  Treppen,  die  Ausdehnung  und  Höhe  der  Arbeitsräume  und  nament- 
lich auch  auf  eine  sachgemässe  Trennung  der  letzteren  an. 41) 

Nicht  immer  reicht  aber  die  natürliche  Ventilation  aus;  wo  Dämpfe  der 
verschiedensten  Art  oder  Staubmassen  die  Luft  verderben,  da  muss  man  zur 
künstlichen  Ventilation  schreiten  und  die  geeigneten  Massregeln  ergreifen, 
um  die  Luft  so  viel  als  möglich  von  allen  fremdartigen  und  schädlichen  Bestand- 
teilen frei  zu  erhalten. 

Der  Fabrikstaub  kann  wie  der  Luftstaub  aus  allen  Naturreichen  herrühren. 
Im  Allgemeinen  lassen  sich  nach  seiner  Wirkung  unterscheiden:  1)  der  chemisch  und 
mechanisch  indifferente  Staub,  wie  er  in  der  Müllerei,  Bäckerei,  in  Stärkemehl- 
fabriken, beim  Sortiren  der  Lumpen,  der  Wolle,  in  der  Flachs-  und  Baumwollspinnerei, 
beim  Kürschnergeschäft,  in  der  Hutfabrication  u.  s.  w.  vorkommt. 

Ein  solcher  Staub  vermag  zwar  mehr  oder  weniger  in  die  Respirationswege  zu 
dringen,  sich  auf  den  Schleimhäuten  abzulagern  und  dadurch  die  Function  der  Lungen 
zu  beeinträchtigen,  hat  aber  das  Charakteristische,  dass  er  nicht  in  das  Lungengewebe 
eindringt.  Die  durch  Baumwollenstaub  erzeugte  Pneumonie  —  Pneumonie  cotonneuse  — 
ist  noch  nicht  klinisch  festgestellt,  obgleich  sicherlich  der  aus  feinen  Fäserchen,  Erde 
und  Sand  bestehende  Staub  geeignet  ist,  Reizungen  der  Respirationswege  zu  erzeugen, 
namentlich  beim  „Wolfen"  der  Baumwolle  oder  beim  „Rauhen"  des  Barchent; 
eben  so  verhält  es  sich  beim  Brechen  und  Hecheln  des  Flachses  und  Hanfes. 

Indifferent  ist  der  Knochen-,  Hörn-  und  Holzstaub,  wenn  er  fein  vertheilt 
ist  und  nicht  in  scharfen  Ecken  und  Spitzen  vorkommt.  Der  Staub  beim  Haar- 
schneiden kann  noch  mit  den  Resten  der  verwendeten  Quecksilberpräparate  vermischt 
sein  und  dadurch  eine  specifische  Schädlichkeit  entfalten,  während  er  an  sich  nur 
reizend  einwirkt.  Eine  Ausnahme  macht  ferner  der  sonst  chemisch  indifferente  Koh- 
lenstaub (S.Kohlenstoff),  dessen  Einlagerung  in  die  Lungen  unzweifelhaft  ist.  Wie  es 
sich  in  dieser  Beziehung  mit  dem  Tabakstaub  verhält,  bedarf  noch  weiterer  Unter- 
suchungen; sicher  ist,  dass. in  den  Tabakfabriken  beim  Sortiren  der  Tabakblätter,  beim 
Mahlen,  Sieben  des  Schnupftabaks  und  Verpacken  des  Rauchtabaks  ein  die  Respira- 
tionswege reizender  Staub  entsteht,  dessen  Einwirkung  sich,  zwar  durch  die  Macht  der 
Gewöhnung  weniger  geltend  macht,  bei  Lungenkranken  aber  vermieden  werden  muss, 
widrigenfalls  der  weitern  Entwicklung  der  Tuberculose  bestimmt  Vorschub  geleistet 
wird.  Arbeiter,  welche  verdächtige  Lungen  haben,  sollten  nie  in  Tabakfabriken  zuge- 
lassen werden,  während  solche  mit  gesunden  Brustorganen  zwar  oft  an  Katarrhen  leiden, 
aber  ein  verhältnissmässig  hohes  Alter  bei  dieser  Arbeit  erreichen  können. 

2)  Der  in  mechanischer  Beziehung  einwirkende,  mit  scharfkantigen 
oder  krystallinischen  Theilen  vermischte  Staub,  der  sich  in  die  Lungen 
einlagert. 

Der  „Schleifstaub ",  wie  er  sich  beim  Schleifen  von  Messern,  Gabeln,  Nadeln, 
Achat,  Diamant  u.  s.  w.,  beim  Schleifen  und  Drechseln  von  Perlmutter,  Poliren  von 
Eisenblechen  u.  s.  w.  entwickelt,  verdient  die  grösste  Beachtung,  da  die  beständige  In- 
halation desselben  erfahrungsgemäss  häufig  Krankheiten  erzeugt. 

Hierher  gehören  ferner  die  verschiedenen  Steinhauerarbeiten;  am  gefähr- 
lichsten sind  überhaupt  der  Quarzstaub,  Sandsteinstaub,  der  Thonstaub,  Speck- 
steinstaub und  jeder  Staub,  welcher  Kieselerde  oder  Kieselsäure  enthält  (s.  Keramik). 
Der  Eisenstaub  entsteht  bei  der  bergmännischen  Gewinnung  der  Eisenerze,  bei  Eisen- 
arbeiten, beim  Schmieden,  Feilenhauen,  Poliren  der  Eisenbleche  u.  s.  w.  (_s.  Eisen). 

Die  Einlagerung  von  Steinstaub  (Chalicosis  pulmonum),  von  Thonerde- 
staub  (Aluminosis  pulmonum)  und  Eisenstaub  (Siderosis  pulmonum)  in  die 
Lungen  ist  bis  jetzt  durch  Meinet,  Zenker,  Merkel,  Kussmaul  und  Andere  anatomisch  fest- 
gestellt worden. 

3)  Der  in  chemischer  Beziehung  einwirkende  Staub.  Hierher  gehört 
der  chemisch  differente  Metallstaub,  der  sich  in  Bleiweissfabriken ,  auf  Zinkhütten, 
Gifthütten,  bei  der  Darstellung  von  Schweinfurter  Grün,  in  Chromsäurefabriken,  in 
Messinggiessereien,  Broncefabriken  u.  s.  w.  entwickelt  (s.  Metalle). 

Natürlich  kommen  auch  die  verschiedensten  Gemische  von  Staubarten  vor,  so  dass 
eine    scharfe    Trennung    derselben    in    der   Industrie    nicht  möglich  ist;    so    kann,   wie 


198  Die  atmosphärische  Lui't. 

namentlich  bei  [der  Nadel  Schleiferei  und  andern  Metallsehleifercien,  gleichzeitig  Metall- 
und  Sandstein  staub  auftreten.  Das  Spezielle  wird  noch  bei  den  einzelnen  Körpern  er- 
örtert werden. 

Bei  der  künstlichen  Ventilation  sucht  man  vorzugsweise  eine  Bewegung 
der  Luft  hervorzurufen;  hierzu  kann  man  sich  in  einzelnen  Fällen  mittels  besonderer 
Einrichtungen  der  Temperaturdifferenzen  zwischen  der  äussern  Luft  und  Stuben- 
luft bedienen,  wie  es  z.  B.  beim  Böhmischen  Ventilationsverfahren  der  Fall  ist. 
Dasselbe  eignet  sich  jedoch  mehr  für  Krankenhäuser  und  Schulen  und  wird  an  einer 
andern  Stelle  zur  Sprache  kommen.  In  Fabriken  und  Bergwerken  kann  es  nur 
auf  zwei  Verfahren  ankommen:  1)  auf  die  Entfernung  der  schlechten  Luft 
durch  Exhaustion  (Aspirationsmethode,  Ventilation  par  aspiration 
ou  par  appel);  die  frische,  durch  Thüren  und  Fenster  eindringende  Luft  soll 
dann  die  verdrängte  ersetzen;  2)  auf  die  mechanische  Eintreibung  der 
frischen  Luft  (Pulsionssystem). 

1)  Die  Aspirationsmethode.  Die  Entfernung  der  schlechten  Luft  wird 
a)  durch  künstlich  erzeugte  Temperaturdifferenzen  oder  b)  durch 
mechanisches  Absaugen  mittels  Saugapparate  bewirkt. 

ad  a)  Die  bezügliche  Verwendung  von  Temperaturdifferenzen  existirt  schon 
so  lauge  als  mau  durch  Oefen  oder  Kaminfeuerung  geschlossene  Räume 
erwärmt;  der  Schornstein  bildet  hier  den  fixhaus tor,  dessen  ventilirende  Kraft 
durch  die  heissen  Ofengase  bedingt  wird. 

Die  Zjmmerluft  wird  unterhalb  des  Rostes  angesaugt,  passirt  die  glühende  Koh- 
lenschicht  und  gelangt,  mit  Kohlensäure  geschwängert,  sowie  durch  die  Wärme  auf  das 
in  20fache  Volumen  ausgedehnt,  als  eine  sehr  leichte  Atmosphäre  in  den  Schornstein, 
wo  sie  dann  vermöge  ihres  speeifischen  Gewichts  mit  einer  gewissen  Geschwindigkeit 
sich  in  die  obere  Luftschicht  erhebt. 

Um  eine  solche  Saugkraft  zu  Ventilationszwecken  zu  benutzen,  bedarf  es  jedoch 
besonderer  Vorrichtungen;  allgemeine  Regel  ist  es,  durch  ein  besonderes  eisernes  Rohr 
im  Innern  des  Schornsteins  die  Eieizungsgase  abzuführen  und  den  Raum  zwischen  diesem 
Rohr  und  dem  Schornstein  mit  dem  zu  ventilirenden  Raum  in  Verbindung  zu  bringen. 
Je,  bedeutender  nun  die  Temperaturdifferenz  zwischen  Exliaustor  und  äusserer  Lu(t  ist, 
desto  lebhafter  ist  die  ventilirende  Luftströmung. 

Als  Regel  gilt  es,  diese  Differenz  wenigstens  auf  25°  C.  zu  steigern,  wobei  man 
.ine  Lullbewegung  von  2  o  Meter  in  der  Secunde  zu  erzielen  vermag.  Eine  solche 
Einrichtung  reicht  aber  in  grösseren  industriellen  Etablissements  nicht  aus;  sie  könnte 
höchstens  da  zur  Anwendung  kommen,  wo  es  sich  um  die  Entfernung  der  Pcrspirations-, 
Respirations-  und  Beleuchtungsproducte  handelt.  Sollen  z.  B.  bedeutende  Mengen  von 
Wasserdämpfen,  wie  in  Färbereien,  Waschanstalten,  beim  Beuchen  u.  s.  w.  entfernt 
werden,  so  ist  eine  besondere  Saugkammer  erforderlich,  welche  eine  kräftige  und 
constante  Aspiration  bewirkt,  auch  ganz  getrennt  von  der  Feuerung  liegt,  um  ihrem  be- 
sondern  Zwecke  zu  dienen;  da  die  Dampf kesselfeuerung  hierzu  mit  benutzt  werden 
kann,  so  ist  der  Heizer  in  der  Lage,  auch  die  Wirkung  der  Saugkammer  zu  controliren. 
Die  Erfahrung  hat  bewiesen,  dass  namentlich  beim  Auftreten  von  sehr  reichlichen 
Wasserdämpfen  das  Pulsionsverfahren  bei  Weitem  nicht  so  kräftig  einwirkt  wie  die 
Exhaustion,  wenn  sie  mittels  einer  Saugkammer  bewirkt  wird. 

Eine  Einrichtung  dieser  Art  ist  in  Fig.  !Ü  abgebildet.  C  ist  der  Hauptkamin, 
welcher  den  Zug  für  die  Feuerung  etablirt;  er  hat  bei  einer  Höhe  von  60  Fuss  28  Zoll 
im  Geviert  und  verjüngt  sieh  bis  zu  seiner  obersten  Krone  auf  18  Zoll  im  Geviert. 
Der  Canal  6,  welcher  in  diesen  Kamin  einmündet,  steht  mit  den  circulirenden  Zügen  acta 
in  Verbindung.  Durch  die  Oeffnung  e  treten  die  Verbrennungsgase  ein,  circuliren  durch 
die  Züge  a  nach  der  angegebenen  Pfeilrichtung  und  treten  durch  den  Canal  b  in  den 
Kamin  ' '.  Die  erwähnten  Züge  (<«)  sind  mit  eisernen  Platten  belegt////:  damit  diese 
sich  nicht  bei  <h\r  hohen  Temperatur  weifen,  greifen  sie  \'2  Zoll  dachziegelförmig  über- 
inander  und  werden  durch  die  Zungen  oo  getragen.  Selbstverständlich  sind  die  Züge 
an  den  betreffenden  Enden  mit  Feglochern  versehen,  die  mit  eisernen  Thüren  versehlos- 
en  werden. 

I  eber  den  eisernen  Platten  [gy)  erhebt  sich  ein  gemauerter  vierseitiger  Kasten, 
welcher  mit  einem  Tonnengewölbe  (hh)  in  der  Weise  geschlossen  ist,  dass  er  in  der  Mitte 
mit    einem     Ibzugscanal    [OU),    der    ungefähr    1  * ■  Zoll   im    Geviert    hat,    versehen    ist; 


Ventilation  in  den  Werkstätten. 


199 


Fig.  18. 


man   kann  ihn   füglich  in   den  Hauptkamin   0  kurz   über   dem  Dachfirst  des  Gebäudes, 
z.  B.  durch  ein  Blechrohr  u.  s.  w.,  einführen. 

Die  Oeffnung  (-W)  dient  znm  Einströmen  der  Luft  aus  den  zu  yentilirenden 
Räumen;  da  die  Luft  über  den  Platten  gg  bis  auf  120—130°  C.  erwärmt  werden  kann, 
so  muss  ein  kräftiger  Effect  erzielt  werden.  Eine  solche  Einrichtung  ist  die  einfachste, 
billigste  und  eine  "continuirlich  wirksame:  die  Billigkeit  besteht  darin,  dass,  wie  schon 
erwähnt  worden,  die  Dampfkesselfeuerung  u.  s.  w.  dazu  benutzt  werden  kann. 

ad  b)  Die  Exhaustion  mittels  mechanischer  Saugapparate  sollte 
in  der  Industrie  weit  mehr  zur  Anwendung  kommen  als  bisher  geschehen  ist. 
Ausser  in  der  Müllerei  hat  man  sie  auch  schon  in  der  Woll-  and  Baumwoll- 
industrie  sowie  in  der  Schleiferei  benutzt  und  wird  bei  den  betreffenden  In- 
dustriezweigen noch  die  Rede  davon  sein. 

In  Betreff  der  Ausführung  dieser  Ventilationssmethode  sei^  im  Allgemeinen 
nur  bemerkt,   dass    es  sich  hierbei  stets  um  die  Deplacirung  des  Staub  es  aus  den 


200 


Die  atmosphärische  Luft. 


Arbeitslocalen  in  einen  besondern  abgeschlossenen  und  mit  einem  Ventilator  in  Verbin- 
dung stehenden  Räume  handelt.  Zum  Auffangen  und  Ableiten  des  Staubes  dienen  ent- 
weder hölzerne  Schlote  oder  Schläuche  von  grober  Leinwand,  welche  in  der  Nähe  der 
Fabricationsstätte  und  Staubentwicklung  anzubringen  und  bis  zum  Isolirungsraume  fortzu- 
leiten sind,  wp  das  mit  dem  absorbirenden  Ventilator  communicirende  Rohr  ausmündet. 
Bei  allen  Staubarten  wird  man  am  zweckmässigsten  die  Ventilatoren  als  Saug- 
apparate  benutzen,  wie  sie  von  van  Hecke,  Haag,  Heger,  Schiele  und  Anderen  construirt 
worden  sind.     Man  unterscheidet   Flügel-,  Schrauben-  und  Centrifugalventilatoren. 

Bei  schädlichen  Dämpfen  in  Laboratorien  und  chemischen  Fabriken  eignet  sich  fol- 
gende Vorrichtung  (Fig.  10)  ganz  vorzüglich.    An  einem  gleichschenkligen  Balancier  (yg) 

Fig.  l'J. 


sind  zwei  oben  geschlossene  Metallcylinder  (rfd)  angehängt,  die  mit  nach  aussen  sich  öff- 
nenden Klappenventilen  versehen  sind.  Die  Achse  (l>)  des  Balanciers  bildet  einen 
doppelt  durchbohrten  Hahn,  welcher  durch  Auf-  und  Abbewegung  einmal  den  rechten 
und  ein  andermal  den  linken  Cylinder  mit  dem  Rohr  a  in  Verbindung  setzt.  Die  Durch- 
bohrung ist  so  eingerichtet,  dass  der  aufwärts  sich  bewegende  Cylinder  mit  dem  gemein- 
schaftlichen Rohr  </  in  Verbindung  steht,  wohingegen  der  sich  abwärts  bewegende  Cy- 
linder nicht  mit  a  communicirt,  sondern  die   Klappe  </  öffnet. 

Das  Spiel  des  Mechanismus  besteht  einfach  darin,  dass  der  abwärts  gehende  Cy- 
linder die  eingesaugte  Luft  bei  d  alibläst  und  der  aufwärts  gehende  Cylinder  sich  mit 
Luft  füllt,  welche  durch  das  Rohr  a  zugeführt  wird. 

Der  ganze  Apparat  spielt  in  einer  mit  Wasser  gefüllten  Cisterne;  selbstverständlich 
dürfen  die  Röhren  //  nicht  unter  Wasser  münden,  sondern  müssen  stets  das  Niveau 
des  Wassers  überragen.  Durch  diese  Vorrichtung  kann  man  ziemlich  genau  bestimmen, 
wie  viel  Luft  abgesaugt  wird,  da  die  Capacität  der  beiden  Cylinder  bekannt  ist,  obgleich  ein 
Theil  der  in  letzere  gelangten  Dämpfe  und  Gase  unter  Umständen  auch  vom  Wasser  der 
Cisterne  absorbirt  worden  wird,  worauf  beim  Ablassen  dieses  Wassers  jedenfalls  zu  achten  ist. 

Man  hat  diese  Methode  viel  zu  wenig  benutzt;  sie  ist  von  einer  höchst  gleich- 
massigen  Wirkung  und  überall  zu  gebrauchen,  wo  sich  schädl  iche  Dämpfe  entwicklen, 
z.  B.  in  Phosphorzündhölzchenfabriken,  Anilin-  und  Anilinfarbenfabriken,  Pikrinsäure- 
fabriken, in  Räumen,  in  welchen  Quecksilberdämpfe,  Schwefelwasserstoff,  saure  Dämpfe, 
leicht  entzündliehe  Gase  u.  s.  w.  auftreten.  Da  sich  in  allen  grossen  Etablissements 
leicht  Gelegenheit  findet,  den  Balancier  mit  der  Dampfmaschine  in  Verbindung  zu 
Illingen,  so  kann  auch  hier  der  Kostenpunct  nicht  mitsprechen. 

In  den  bisher  besprochenen  Fällen  ist  es  nicht  erforderlich,  für  die  Zulei- 
tung der  frischen  Luft  besondere  Sorge  zu  tragen,  da  diese  in  demselben 
Verhältniss  nachstürzt,  in   welchem  die  staubige  oder  dunstige  Luft  weggesaugt 


Ventilation  in  den  Werkstätten.  201 

wird.  Nun  kommt  es  aber  auch  vor,  dass  der  Zutritt  einer  frischen  und 
kühlem  Luft  erwünscht  ist  und  zwar  in  Localen,  in  welchen  in  Folge  der  Be- 
leuchtung hohe  Temperaturgrade  die  Arbeiter  sehr  belästigen.  Dies  kann  z.  B. 
in  grossen  Setzersälen  von  Druckereien  der  Fall  sein,  in  denen  die  Hitze  in 
Folge  der  vielen  Gasflammen  unerträglich  wird.  Alsdann  ist  auch  die  Stelle  vor- 
gezeichnet, an  welcher  der  Abzug  der  warmen  Luft  zu  bewirken  ist;  dies  kann 
nämlich  nur  an  der  Decke,  wo  sich  die  grösste  Hitze  ansammelt,  geschehen. 

So  wurde  z.  B.  in  dem  grossen  Setzersaal  der  Kölnischen  Zeitung  durch  den 
Mechaniker  Stahl  zu  Deutz  ein  Exhaustor  nach  Schiele  an  der  Decke  dieses  Raumes  in 
Thätigkeit  gesetzt.  Der  Saal  hatte  mit  Abzug  der  Setzerkästen,  Tische  u.  s.  w.  einen 
Kubikinhalt  von  18,000  Fuss  und  eine  Höhe  von  12 V2  Fuss;  brannten  im  Winter 
50  —  100  Gasflammen,  so  steigerte  sich  die  Hitze  selbst  in  den  untern  Schichten  oft  bis 
über  25°  R.  An  der  Decke  des  Saales  wurden  3000  dünne  Zinkröhren  angebracht, 
welche  in  zwei  stärkere  Abtheilungsröhren  mündeten,  die  wiederum  in  ein  Hauptrohr 
ausliefen,  das  mit  dem  durch  Dampfkraft  getriebenen  Exhaustor  in  Verbindung  stand. 
Beginnt  die  Absaugung,  so  strömt  die  an  der  Decke  angesammelte  heisseste  Luft  in  die 
Röhren  und  durch  das  Hauptrohr  zum  Exhaustor. 

Zur  gleichzeitigen  Zuführung  von  frischer  Luft  und  Erhaltung  einer  vollständigen 
Ventilation  laufen  noch  über  den  Boden  zwei  Hauptröhren,  welche  durch  die  Mauern 
nach  aussen  bis  ins  Freie  münden.  In  diesen  Röhren  sind  ebenfalls  3000  Oeffnungen 
angebracht  und  in  dem  Masse,  wie  oben  verdorbene  und  heisse  Luft  abströmt,  strömt 
hier  unten  kühle  und  reine  Luft  zu  und  zwar  ohne  alle  Zugluft  oder  sonstige  Unzu- 
träglichkeiten. 

Die  Wärme  sank  bis  auf  17—18°  R.  in  den  späten  Abendstunden  und  die  mitt- 
lere Temperatur  betrug  15—16°  R.,  während  der  Kohlensäure-Gehalt  von  0,25  %  bis 
auf  0,041  Gewichtsprocent  abnahm.  Die  Führung  des  Exhaustors  bedarf  nur  1  bis 
\%  Pferdekraft. 

Wo  es  sich  um  feuergefährliche,  specifisch  leichte  Gase  und  Dämpfe  handelt, 
wird  man  ebenfalls  eine  Stelle  in  der  Nähe  der  Decke  zum  Absaugen  derselben  wählen 
müssen,  während  die  specifisch  schweren  Dämpfe  und  Gase,  z.  B.  Kohlensäure,  Schwe- 
felwasserstoff u.  s.  w.,  selbstverständlich  mehr  am  Boden  abgesaugt  werden  müssen. 

In  Bergwerken  sind  vielfach  die  Ventilatoren  von  Schiele,  Dinnen- 
dahl,  Lemielle  und  Guibal  in  Gebrauch.  Meistens  werden  sie  in  Schächten 
verwendet,  welche  an  der  Hängebank  dicht  abgeschlossen  werden  können,  um 
die  directe  Abführung  der  vom  Ventilator  angesaugten  Luft  zu  ermöglichen;  für 
eine  wirksame  Ventilation  sind  in  Bergwerken  stets  besondere  Wetterschächte 
erforderlich.  Neuerdings  hat  der  Belgische  Ingenieur  Briart  den  Förderschacht 
mit  einer  Wetterklappe  (clapet  d'aerage)  versehen,  um  auch  diesen  zum 
Wetterschacht  benutzen  zu  können;  es  wird  dadurch  ein  Abschluss  des  Förder- 
schachts erzielt,  damit  der  Ventilator  die  Grubenwetter  unterhalb  der  armirten 
Schachtabtheilungen  durch  einen  Seitencanal  anzieht. 

2)  Die  Pulsionsmethode  (Ventilation  par  pulsion),  d.  h.  das  Verfahren,  die 
frische  Luft  in  die  zu  ventilirenden  Räume  mechanisch  einzutreiben,  ist  zuerst 
für  Bergwerke  benutzt  worden.  Man  bedient  sich  auch  hierzu  der  Ventilatoren, 
wendet  aber  dies  Verfahren  gegenwärtig  im  Allgemeinen  immer  seltener  als  die 
Aspirationsmethode  an.  Nicht  zu  umgehen  ist  das  Eintreiben  der  Luft  bei 
Arbeiten  unter  Wasser  und  bei  gewissen  unterirdischen  Bauten  (s.  comprirnirte 
Luft). 

2)  Reinerhaltung  der  Luft  ausserhalb  der  Werkstätten. 

Ausser  den  bei  der  Fabrication  entstehenden  Abfällen  kommen  hier  auch 
noch  die  menschlichen  Dejectionen  sowie  die  Küchen-  und  Hauswässer  in  Be- 
tracht, wenn  in  grossen  industriellen  Districten  die  Arbeiterwohnungen  sich  eng 
an  die  Fabrikiocale    anschliessen.      Es    soll    deshalb  hier  die  Wegschaffung  der 


202 


Die  atmosphärische  Luft. 


Abfallstoffe  im  Allgemeinen  näher  erörtert  werden,  wobei  andere  die  öffentliche 
Gesundheitspflege  betreffenden  Fragen  insofern  nicht  ausgeschlossen  werden  können, 
als  es  sich  hierbei  um  Arbeiterfamilien  handelt. 

Es  ist  daher  die  Wegschaffung  1)  der  excremeutitiellen  Stoffe,  2)  der 
Küchen-  und  Hauswässer  und  3)  der  industriellen  Abfallstoffe  zu  unter- 
scheiden. 

1)  Wegschatfung  der  menschlichen  Dejectionen.  Die  grosse  Tagesfrage,  ob 
Abfuhr  oder  Canalisation  vorzuziehen  ist,  lässt  sich  niemals  in  abstracter  Weise 
beantworten,  sondern  richtet  sich  nach  den  localen  Verhältnissen.  Da  die 
Abfuhr  nothwendig  bleiben  wird,  so  kann  auch  die  Aufbewahrung  der 
menschlichen  Dejectionen  in  der  Nähe  von  Wohnstätten  uicht  vermieden  werden. 
Es  kommt  nur  darauf  an,  letztere  in  zweckmässiger  Weise  zu  bewirken. 

Manches  kann  hier  nicht  verschwiegen  bleiben,  welches  eigentlich  nur  noch  ein 
historisches  Interesse  haben  sollte,  aber  leider  noch  in  Wirklichkeit  besteht.  So 
existiren  noch  in  manchen  Städten  Süddcutschlands  und  der  Schweiz  die  sogenannten 
Ehegräben,  d.  h.  Zwischenräume  von  zwei  aneinander  grenzenden  Häusern,  in  welche 
die  Abtritte  münden;  die  festen  Excremente  sammeln  sich  auf  einer  Unterlage  von 
Stroh,  Asche,  Kehricht  u.  s.  w.,  während  der  flüssige  Anthcil  auf  die  Strasse  in  die 
Rinnen  abfliesst,  um  hier  alle  Nachtheile  eines  widerlichen  Fäulnissprocesscs  zu  schaffen. 
Senk-,  Schling-  oder  Seh  wind  gruben,  d.  h.  ausgebaute  Gruben,  deren 
Boden  aber  frei  ist  und  alle  Flüssigkeiten  „verschlingt",  sind  schon  in  ihrer  schädlichen 
Einwirkung  auf  den  Untergrund  geschildert  worden;  werden  sie  gar  nicht  entleert,  so 
verwandeln  sich  die  festen  Massen  allmählig  in  eine  torfähnliche  Masse. 

Wie  sehr  auf  diese  Weise  der  Boden  für  lange  Zeiten  verunreinigt  werden  kann, 
bat  man  in  Bamburg  beobachtet,  als  nach  dem  grossen  Brande  die  Fundamente  zur 
Nicolai  Kirche  gelegt  winden.  Bei  einer  Ausgrabung  von  40  Fuss  Tiefe  fand  man  in 
der  untersten  Schicht  in  einer  schwarzen,  grösstenteils  aus  organischen  Substanzen  ge- 
bildeten Masse  zahllose  Struvitkry  stalle  (Ammonium- 
Magnesiumphosphat),  welche  sich  zweifelsohne  aus  den  in  diese 
Tiefe  gedrungenen  menschlichen  Dejectionen  gebildet  hatten. 
Ausgemauerte  Gruben  verhüten  nur  bei  zweck- 
mässiger Construction  die  Imprägnirung  des  Bodens  mit 
putriden  Massen.  Die  Grube  muss  ausserhalb  der  Ge- 
bäude liegen  und  einen  mit  Mauerwerk  umschlossenen 
hohlen  Kaum  darstellen.  Die  Materialien  dazu  müssen  aus 
Basalt,  Schiefer  oder  Bruchstein  bestehen;  der  Verputz 
mit  Cement  oder  hydraulischem  Kalk  reicht  für  urinöse 
Flüssigkeiten  nicht  aus,  da  der  in  Zersetzung  begriffene  Harn 
als  Ammoniakquelle  bei  Gegenwart  alkalischer  Erden  zur 
Bildung  von  salpetriger  und  Salpetersäure  Veranlassung 
gibt.  Biese  Säuren  bilden  mit  den  alkalischen  Erden 
leicht  lösliche  Salze,  greifen  den  Mörtel  an,  führen  das 
Bindemittel  in  gelöster  Form  weg  und  veranlassen  auf 
diese  Weise  das  Durchsickern  der  putriden  Flüssigkeit. 
Der  Mörtel  muss  daher  stets  mit  Theer  versetzt  werden, 
um  diesen  Uebelstand  zu  verhüten.  Will  man  Ziegeln 
benutzen,  so  sind  dieselben  vorher  mit  einer  erwärmten 
theer-  oder  carbolsäurchaltigen  Flüssigkeit  zu  tränken; 
Ozokerit,  ein  an  Paraffin  reiches  fossiles  Erdwachs,  ist 
ebenfalls  ein  vorzügliches  Mittel  zum  Tränken  der  Ziegeln. 
Das  blosse  Ausstreichen  solcher  Gruben  mit  Theer  reicht 
niemals  aus. 

Die  Gruben  werden  auf  die  sicherste  Weise  nach 
der  D'Arcet'schen.  Methode  ventilirt.  Jede  Grube  muss 
alsdann  auf  einen  halben  Cirkel  gewölbt  sein  und  alle 
K'nllirohren  steigen  senkrecht  bis  zum  niedrigsten 
Puncte  des  Gewölbes  herab,  während  auf  dem  S ch eitel - 
puncto  desselben  ein  gemaserter  Schlot  steht,  dessen 
Durchmesser  gleich  der  Summe  aller  Durchmesser  der 
untern  Oeffnuugen  der  Kothröhrcn  sein  muss.  Zur  Er- 
wärmung des  Schlotes  kann  man  eine  Feuerung  benutzen, 
welche  beständig  im  Gebrauch  ist  {.Fig.  20). 


Wegschaffung  der  menschlichen  Dejectionen. 


203 


Fig.  21. 


Trennung  der  flüssigen  und  festen  Theile  in  Gruben  mittels 
Scheidewände  (Diviseurs)  wird  auf  gänzlich  unzureichende  Weise  durch  gemauerte 
Abtrittsgruben  mit  Ueberläufen  hergestellt.  Eine  Scheidewand  geht  ent- 
weder bis  nahe  zur  Decke  oder  ist  1  Fuss  abwärts  von  der  Decke  durchlöchert; 
ist  die  erste  Abtheilung  mit  Excrementen  angefüllt,  so  fliesst  der  flüssige  Theil  über, 
um,  wie  es  hier  in  Berlin  derFall  ist,  durch  einen  Canal  seinen  Abfluss  in  die  Spree 
oder  die  Stadtcanäle  zu  nehmen.  Eine  zeitweilige  Entleerung  der  Grube  soll  geschehen ; 
wo  aber  Wasserciosets  vorhanden  sind,  können  Jahre  vergehen,  ehe  es  dazu  kommt.  Bis- 
weilen stellen  solche  Gruben  aus  Cement  dargestellte  und  hermetisch  verschlossene 
gekoppelte  Behälter  dar. 

Eine  wirkliche  Trennung  des  flüssigen  und  festen  Gehalts  ist  nur  möglich,  wenn 
man  in  vorschriftsmässig  construirten  Gruben  Separatoren  mit  cylindrischen  Löchern 
aufbaut,  durch  welche  die  Flüssigkeiten  in  eine  tiefer  gelegene  Grube  abfliessen.  Sehr 
gut  lässt  sich  die  Kothgrube  nach  dem  D' Ar-fit  Aschen  System  ventiliren,  während  man 
den  Urin  mit  dcsinficirenden  Substanzen  behandelt:  für  die  Landwirthschaft  geht 
nichts  verloren,    wenn  man  den  flüssigen  und  festen  Antheil  wieder  zusammenmischt. 

Ganz    vorzüglich    ist    folgende    Einrichtung    (Fig.    2  t).      Die    Grube    ist   in    zwei 

Hälften  getheilt;  ungefähr  am  untern  Drittheil  der 
eigentlichen  Kothgrube  (o)  findet  sich  ein  poröses 
Steingewölbe  (/'),  welches  aus  leichten  porösen  Zie- 
geln erbaut  ist.  Diese  werden  durch  Vermischen 
des  Lehms  mit  %  grobem  Sägemehl  und  Brennen 
dieser  Masse  hergestellt.  Während  des  Brandes 
verbrennen  die  organischen  Theile  und  bewirken 
dadurch  eine  grosse  Porosität  der  Ziegeln,  so  dass 
sie  den  flüssigen  Theilen  der  Excremente  einen 
Durchgang  gestatten.  Die  massive  Scheidewand  der 
Grube  («)  reicht  nicht  ganz  bis  auf  den  Boden,  son- 
dern ruht  an  ihrem  untern  Ende  auf  einem  gemauer- 
ten Gittergewölbe  (6),  unter  welchem  sich  die  aus 
/  eingedrungenen  Flüssigkeiten  befinden.  lieber 
dem  Gittergewölbe  wird  der  Zwischenraum  mit  des- 
inficirenden Mitteln,  am  besten  mit  gebranntem 
Dolomit,  derart  ausgefüllt,  dass  auf  einer  Lage 
von  grobem  Kiese  der  Dolomit  in  der  Grösse  eines 
Hühnereies  aufgeschüttet  wird.  Der  flüssige  Theil 
der  Grube  steigt  allmählig  in  dem  Zwischenraum 
(c)  in  die  Höhe,  bis  er  bei  d  abfliesst;  will  man 
diesen  Inhalt  behufs  seiner  Entleerung  austrocknen 
lassen,  so  öffnet  man  den  Abfluss  bei  e.  Auf  diese 
Weise  wird  das  desinficirende  Mittel  in  ein  gutes  Dungmittel  verwandelt,  indem  es 
die  für  die  Landwirthschaft  wichtigen  Stoffe  (Phosphorsäure,  Ammoniak,  Alkalien) 
zurückbehält.   —  Die  festen  Kothmassen  lassen  sich  mit  Schaufeln  ausleeren. 

Die  Entleerung  der  Gruben  mit  festem  und  flüssigem.  Inhalte 
geschieht  auf  die  roheste  Weise  durch  Ausschöpfen  in  Wagenfässer,  eine  Methode, 
die  noch  in  vielen  Städten  zur  Ausführung  gelangt  und  ganze  Strassen  verpestet, 
wenngleich  die  Procedur  gewöhnlich  des  Nachts  vorgenommen  wird.  Die  Ent- 
wicklung von  Schwefelwasserstoff  resp.  Schwefelammonium  ist  hierbei  oft  ganz 
bedeutend  und  gibt  sich  durch  Schwarzwerden  des  weissen  Bleiweissanstriches  zu 
erkennen.  Dass  dies  Verfahren  auf  zarte  Constitutionen,  namentlich  auf  Kinder, 
einen  schädlichen  Einfluss  auszuüben  vermag,  ist  höchst  wahrscheinlich  (conf. 
Abtrittsgase);  zweckmässiger  ist  das  mehr  geruchlose  Verfahren  der  Entleerung 
mittels  Saugdruckpumpe n.42) 

Am  bekanntesten  ist  die  Schiettinger'sche  Maschine  oder  Newyorker  Pumpe; 
die  stinkenden  Gase  werden  hierbei  durch  ein  Kautschukrohr,  welches  an  das  Fass  an- 
geschraubt ist,  unter  die  Feuerung  eines  transportablen  Ofens  geleitet. 

Das  hydropneumatische  System  des  Capitains  Liernur  ist  in  neuerer 
Zeit  vielfach  besprochen  und  sehr  verschiedenartig  beurtheilt  worden;  es  unterscheidet 
sich  vom  gewöhnlichen  Grubensystem  besonders  dadurch,  dass  die  Excremente  nur 
kürzere  Zeit  aufgespeichert  werden.43) 

In  Holland  ist  das  System  in  verschiedenen  Städten  bei  einem  grösseren  Häuser- 
complex  bereits  benutzt  worden.     Eiserne  unter   der  Erde   liegende  Röhren   dienen  zur 


204 


Die  atmosphärische  Luft. 


/•V-  22. 


Aufnahme  der  fäcalen  Stoffe  der  Abtrittssitze,  welche  aus  einer  Anzahl  von  Nachbar- 
häusern in  einem  gemeinsamen  gusseisernen,  in  der  Mitte  der  Strasse  liegenden  Kessel 
angesammelt  werden;  jedes  Rohr  und  jeder  Kessel  ist  durch  einen  im  Strassenpfiaster 
liegenden  Drehhahn  verschliessbar. 

Ueber  dem  Kessel  wird  eine  fahrbare  Dampfmaschine  aufgestellt,  am  denselben 
luftleer  zu  pumpen;  alsdann  wird  ein  Hahn  nach  dem  andern  geöffnet,  damit  der  Luft- 
druck den  Rohrinhalt  in  den  Kessel  hineindrückt.  Den  Inhalt  des  Kessels  pumpt  die 
Dampfmaschine  in  ein  Gefüss,  welches  weggeführt  wird.  Eine  solche  Entleerung  findet 
täglich  statt  und  lieg!  der  grösste  Vortheil  do  Verfahrens  grade  in  dem  Umstände, 
dass  die  Excremente  möglichst  schnell  aus  dem  Bereiche  der  Wohnungen  geschafft  werden. 
Die  Hauswässer  müssen  besonders  abgeleitet  werden.  Eine  Wasserbespülung  des 
Abortes  ist  nicht  erlaubt,  weil  die  abzuführende  Masse  dadurch  zu  sehr  vergrössert  und 
verdünnt  wird.  Ein  Geruch  in  den  Aborträumen  macht  sieh  leicht  bemerkbar,  wenn 
kleine  Kothpartikelchen  an  den  Kothröhren  hängen  bleiben;  auf  der  Wiener  Weltaus- 
stellung roch  es  sogar  sehr  unangenehm  in  den  dort  errichteten  Aborten.  Die  Ent- 
leerung selbst  ist  vollständig  geruchlos  und  die  beste  und  wichtigste  Seite  dieses 
Verfahrens. 

Das  Aufsteigen  der  Gase  aus  der  Rohrleitung 
in  die  Trichter  und  Aborträume  soll  ein  Siphon  unter 
dem  Trichter  verhüten.  Ein  Rest  der  alten  Excre- 
mente bleibt  aber,  wenn  man  sich  die  Gestalt  eines 
Siphon  vergegenwärtigt  (Fig.  22),  leicht  zurück,  und 
wird  erst  durch  die  frischen  Excremente  verdrängt. 

Jede  Aspiration  senkt  den  Spiegel  auf  die 
Linie  <«  oder  etwas  tiefer,  wobei  Luft  unter  die  Zunge 
o  tritt,  bis  der  Zutritt  frischer  Excremente  den  Spiegel 
wieder  auf  die  Linie  b  erhebt,  auf  welcher  er  beharrt 
und  einen  vollständigen  Verschluss  bis  zur  nächsten 
Entleerung  bewirkt.  Diese  Oberfläche  der  Excremente 
nebst  der  unvermeidlichen  Beschmutzung  des  Trichters 
muss  Inconvenienzen  herbeiführen,  wenn  man  den  Trich- 
ter nicht  noch  mit  einem  Aspirationsschlot  in  Verbin- 
dung bringt  oder  geeignete  Dcsinfcctionsmittel  benutzt. 
Technische  Bedenken  werden  auch  bezüglich  der  Wirk- 
samkeit der  Ballklappc  laut,  die  aus  einem  hohlen 
Gummiballe  besteht  und  bei  der  Entleerung  den  Ab- 
schluss  des  Seitenrohrs,  in  welche  die  Fallröhre  mündet, 
bezweckt,  um  das  Zurücktreten  der  Gase  zu  verhüten. 
Auch  bedient  man  sich  hierzu  der  sog.  Trägheits- 
klappen. Soviel  ist  sicher,  dass  dies  System  kaum  für 
grössere  Städte  brauchbar  wird;  nur  für  kleinere  Ar- 
beiterviertel könnte  es  seine  Aufgabe  erfüllen. 

Das  Fässer-  oder  Tonnensystem.  Die  Fäces  gelangen  in  bewegliche  Fässer 
(Kothtonne,  fosses  mobiles),  welche  in  der  Regel  zweimal  in  der  Woche  weg- 
transportirt  und  durch  leere  ersetzt  werden.  Der  wesentliche  Unterschied  zwi- 
schen dem  Grubensystem  beruht  also  darin,  dass  die  Excremente  eine  viel  kürzere 
Zeit  im  Bereiche  der  menschlichen  Wohnungen  verweilen  und  keine  Gelegenheit 
zur  Verunreinigung  des  Bodens  geboten  wird. 

Die  Ausführung  ist  schwierig,  weil  sich  die  ganze  bauliche  Einrichtung  darnach 
richten  muss  und  alte  Häuser  höchst  schwierig  hierfür  umzuändern  sind;  auch  sind 
die  Kosten  wegen  der  nothwendigen  Apparate  bedeutender.  Die  Abfuhr-Utensilien 
sind  aus  Eisenblech  zu  eonstruiren  und  inwendig  mit  Asphalt  anzustreichen,  der  Deckel 
ist   in  einen  rin  nc  nförmigen  Falz,  welcher  mit  Sand  gedichtet  wird,  einzulassen. 

Die  Aufstellung  der  Tonne  geschieht  so,  dass  das  untere  Ende  des  Fallrohrs, 
welches  aus  zwei  teleskopähnlich  eingeschachtelten  Röhren  besteht,  beim  Unterschieben 
der  Tonne  auf  die  kürzeste  Dimension  gebracht  wird;  dann  wird  das  äussere  Rohr 
in  die  Tonne  niedergedrückt.  Bisweilen  bringt  man  im  untern  Verlaufe  des  Fallrohrs 
ein  Siphon  an. 

Zum  bequemern  Transport  stehen  die  Tonnen  auf  einem  kleinen  Wagen  (Fig.  23); 
unsauber  und  ganz  unzulässig  ist  die  Einrichtung,  wenn  bloss  ein  grosser  Trichter  auf 
der  Tonne  zur  Aufnahme  der  Excremente  aufgestellt  ist.  Will  man  die  Separaration 
vornehmen,  so  bringt  man  eine  durchlöcherte  Scheidewand  in  der  Tonne  und  eine  seit- 
liche Abtlus6rohre  an. 


Das  Fässer-  oder  Tonnensystem. 


205 


Fig.  23.  Die  zum  Transport  nothwendigen  Wagen  haben 

einen  Schrägen,  woran  die  Tonnen  hängen,  um  beim 
Fahren  eine  horizontale  Stellung  zu  behalten.  Am 
Bestimmungsort  werden  sie  durch  Drehen  um  ihre 
Achse  umgestürzt  und  entleert. 

Auch  beim  Fässersystem  kann  in  Folge  un- 
zweckmässiger Einrichtung  viel  Geruch  entstehen. 
Eine  besondere  Sorgfalt  ist  auf  die  Construction  der 
Fässerkammer  zu  legen,  welche  hermetisch  zu 
verschliessen  und  mit  einem  Schlot  in  Verbindung 
zu  setzen  ist,  damit  sich  hier  kein  unangenehmer 
Geruch  ansammelt. 

Der  Umfang  der  Fässer  richtet  sich  nach  der 
Zahl  der  Personen,  welche  den  Abort  benutzen. 
■Bürkli  berechnet  für  einen  Hausbewohner  binnen 
4  Tage  8,76  Pfd.  (täglich  */,„  Kilo)  fester  und  flüs- 
siger Excremente,  für  20  Personen  müssen  somit 
für  diesen  Zeitraum  die  Fässer  200  Pfd.  aufneh- 
men. Wo  man,  wie  iu  Fabriken,  über  Arbeits- 
kräfte gebieten  kann,  hat  das  Fässersystem  viele 
Vortheile«) 

Das  Fässersystem  ist  vielfach  modificirt  worden. 
Beim  Miiäpr-Sch>"tr''sche-n.  System,  welches  eine  Thei- 
lung  des  Urins  und  der  Faeces  unmittelbar  bei  der 
Entleerung  bewirkt,  wurde  ursprünglich  ein  auf 
Rollen  laufender  Bretterkasten  unter  das  Sitzbrett 
des  Abortes  geschoben  (Schwedisches  Closet).  Das 
Desinfectionspulver  besteht  aus  Kalk  und  Holzasche; 
der  abgeleitete  Urin  wird  durch   eine  Schicht  Torfkleie  filtrirt.45) 

Moule  hat  das  Fässersystem  nebst  Austrocknung  der  Excremente  mittels  einfacher 
Gartenerde  empfohlen,  vielleicht  eingedenk  der  Vorschrift,  welche  bereits  Moses  5.  Buch 
23.  Cap.  14.  v.  gegeben  hat.  Das  Erdcloset  bietet  grosse  Vortheile  dar,  wenn  man 
über  passende  Erde  (sandigen  Mergel)  gebieten  kann,  und  hat  sich  unter  ländlichen 
Verhältnissen  für  Arbeiterwohnungen  ganz  vortrefflich  bewährt.46) 

Nach  dem  Mosse Im anrC sehen  Verfahren  werden  die  Faeces  vom  Urin  getrennt  und 
separat  mit  zerfallenem  gebrannten  Kalk  behandelt:  der  Dungwerth  wird  hierbei  durch 
den  grossen  Kalkgehalt  vermindert. 

Das  Eimer- System  findet  sich  in  England,  Schweden  und  Dänemark.  Die 
Eimer  sind  in  Nottingham  einfache  viereckige  hölzerne  Kasten,  die  unter  dem  Sitze 
stehen  und  auf  deren  Boden  Asche  oder  Erde  liegt;  in  Glasgow  und  Edinburg  benutzt 
man  hierzu  eine  Wanne  ohne  oder  mit  wenig  Wasser;  die  Geschirre  werden  entweder 
täglich  oder  2 — 3  mal  wöchentlich  abgeholt.  Die  Abfuhr  geschieht  des  Nachts,  bedarf 
aber  einer  besonderen  Beaufsichtigung,  wenn  sie  ohne  Störung  verlaufen  soll.47) 

Je  häufiger  die  Eimer  entleert  werden,  desto  grösser  ist  der  Vortheil;  unschön 
ist  es  nur,  wenn  am  Sitzbrett  der  Trichter  fehlt  und  man  beim  Aufschlagen  des  Deckels 
des  Sitzes  sofort  einen  Ueberblick  über  deu  Inhalt  des  Eimers  erhält.  Dieser  Umstand 
gewährt  namentlich  in  den  Gasthöfen  von  Schleswig,  Dänemark  und  Schweden  einen 
höchst  unangenehmen  Eindruck.  Zweckmässiger  würde  es  sein,  wenn  die  Excremente 
häufiger  mit  einer  Lage  von  Asche  und  Erde  geschichtet  würden;  man  würde  dann 
weiter  zu  den  selbst thätigen  (selfacting)  Erd-Closets  übergehen  und  dadurch 
namentlich  in  Gasthöfen  den  Zweck  vollständig  erreichen. 


Aufspeicherung  der  aus  den  Städten  abgeführten  Fäcalien.  Bei  der  Abfuhr 
entsteht  auch  die  wichtige  Frage:  Wo  und  wie  soll  die  weitere  Auf- 
speicherung der  Immunditien  ausserhalb  der  Städte  bewirkt  werdeu? 
Das  Deponiren  derselben  in  Form  von  Comp  osthaufen,  d.  h.  das  Mischen 
und  Schichten  der  Excremente  mit  Erde,  Asche  und  humösen  Substanzen  ist 
zwar  bezüglich  der  Düngung  eine  geeignete  Form,  veranlasst  aber  durch  die  stin- 
kenden Exhalationen  den  Adjacenten  grosse  Belästigung.  Das  Ausleeren  der 
Tonnen  in  Gruben  mit  Ueberschütten  von  Erde  und  Asche  liefert  weniger  Ge- 
ruch, ist  aber  nicht  überall  ausführbar,  abgesehen  davon,  dass  häufig  Verirrte 
oder  Betrunkene  in  solchen  Gruben  verunglückt  sind. 


206  Die  atmosphärische  Lnft. 

Composthaufen  dürfen  nie  in  der  Nähe  bewohnter  Häuser  oder  ohne  Zu- 
satz von  Desiufectiousmitteln  errichtet  werden.  (lyps  ist  liierzu*  ein  sehr 
geeignetes  uud  billiges  Desinfectionsmittel,  welches  bei  gehöriger  Handhabung 
um  so  mehr  den  Zweck  erreicht  als  es  in  mancher  Beziehung  den  Dungwerth 
der  Masse  noch  vermehrt.  Alle  Composthaufen  rnüsseu  so  gelegen  sein,  dass  sie 
niemals  Ueberfluthungen  ausgesetzt  sind. 

Tu  der  neuesten  Zeit  gehl  das  Bestreben  dahin,  die  Excrcmente  durch  geeignete 
Zusätze  und  Desinfectionsmittel  in  eine  passende  Form  zu  bringen,  sie  auszutrocknen 
uud  wie  Ziegelsteine  längere  Zeit  ohne  alle  Belästigung  aufzubewahren  oder  sie  alsbald 
zur  Feuerung  zu  benutzen.  Das  Abfuhrwesen  würde  dadurch  in  eine  neue  Phase  ein- 
treten und  für  kleinere  Städte  oder  grössere  Häusereomplexe  viele  Vortheile  bieten. 
Die  in  dieser  Richtung  in  hiesiger  Stadt  bisher  angestellten  Versuche  seheinen  nament- 
lich \'ü\-  grössere  Fabriken  ein  gutes  Resultat  zu  erzielen  und  verdienen  alle  öffentliche 
Aufmerksamkeit. 

Das  directe  Appliciren  der  Fäcalstoffe  auf  die  Felder  sollte  nur  dann 
geschehen,  wenn  die  Ackerkrume  lose,  poröse  und  Regenwetter  eingetreten  ist,  so  dass 
das  Unterbauen  derselben  sofort  erfolgen  kann.  Bei  trockner  Witterung  liefert  diese 
Application  schlechte  Resultate,  da  die  Pflanzen  dann,  wie  man  zu  sagen  pflegt,  ver- 
brennen, während  durch  die  enorme  Verdunstung  ein  widerlicher  und  höchst  be- 
lästigender Geruch  entsteht. 

Beim  Transporte  der  nicht  weiter  präparirten  Fäcalstoffe  auf  Eise  nb  ahnen 
dürfen  nur  geschlossene  und  nur  metallene  Gefässc  benutzt  werden.  Die  damit  bela- 
denen  Waggons  müssen  stets  die  letzen  des  Zuges  sein;  wo  möglich  muss  die  Beför- 
derung des  Nachts  geschehen.  Der  Gebrauch  besonderer  Waggons  zur  Aufnahme  der 
Excremente  sollte  verboten  sein,  weil  das  Aus-  und  Einladen  den  Bahnkörper  verun- 
reinigt und  die  grösste  Belästigung  erzeugt.  Dieselben  Nachtheile  entsteheu  beim  Um- 
füllen der  Fäcalstoffe  in  offene  Schiffsräume.  Es  liegen  uns  Beobachtungen  vor, 
welche  mit  höchster  Wahrscheinlichkeit  dafür  sprechen,  dass  an  den  Orten,  wo  das 
Aus-  und  Einladen  stattfindet,  epidemische  Krankheiten  einen  günstigen  Boden  für  ihre 
Verbreitung  finden  und  auch  manche  sporadische  Erkrankungen  hiermit  in  Connex  zu 
bringen  sind.  Zu  Wasser  geschieht  der  Transport  am  Besten  in  Fässern  unter  Wasser 
mittels  Flösse. 

2)  Wegscliaffung  der  Küchen-  und  Hanswässer.  Wo  es  an  öffentlichen,  zur 
Aufnahme  der  flüssigen  Abfälle  bestimmten  Cauäleu  fehlt,  können  die  Küchen- 
uud  Hauswässer  sehr  viele  Uebelstände  bereiten  uud  besonders  auch  zur  Ver- 
derbniss  des  Untergrundes  beitragen.  Fliessen  sie  in  Canäle  ohne  Spülung  ein, 
so  geben  sie  zu  den  widerlichsten  Exhalationen  Anlass  und  liefern  hierdurch 
gleich  den  Fücalien  stets  den  grössten  Beitrag  zu  den  sanitären  Nachtheileu  der 
alten  Ablagerungscanäle,  abgeseheu  davon,  dass  sie  hauptsächlich  die  Ver- 
schlammung der  letzteren  vermehren.  Wo  es  an  Gelegenheit  zu  ihrem  freien  Abfluss 
fehlt,  da  ist  es  sehr  zweckmässig,  sie  vorher  zu  desinficiren,  weil  sie  durch  ihreu 
Gehalt  au  Fettstoffen  eiuen  widerlichen  Fäuluissprocess  erzeugen,  der  durch  Ab- 
scheidung  derselben  wesentlich  vermindert  werden  kann.  Solche  Fettstoffe  enthalten 
ausser  den  Küchen-  uud  Seifenwässern  namentlich  die  blutigen  Flüssigkeiten  aus 
Schlächtereien,  die  bekanntlich  durch  ihr  Staguiren  in  öffentlichen  Strassen- 
rinnen  die  Luft  verpesten.  Der  Kalk  ist  ein  sehr  geeignetes  Mittel,  diesen 
Belästigungen  vorzubeugen,  weil  er  alle  Fettstoffe  fixirt,  so  dass  diese  noch  pecu- 
nair  verwerthet  werden  können. 

Voh.1  hat  für  die  Stadt  Cöln  berechnet,  dass  bloss  (ür  den  Zufluss  der  gebrauch- 
ten Seifenwässer  in  die  Canäle  ein  Verlust  von  Fettstoffen  im  jährlichen  Betrage  von 
24—25000  Thlrn.  erwächst,  wenn  man  nur  die  gebrauchte  Schmierseife  berücksichtigt. 
Rechnet  man  noch  die  Benutzung  der  Seife  Seitens  der  öffentlichen  Anstalten  hinzu,  so 
ist  der  zu  erzielende  Gewinn  nach  Abzug  aller  Kosten  mit  circa  .'37,000  Thlrn.  zu 
beziffern. 

Die  Einrichtung  in  den  Haushaltungen  könnte  sehr  einfach  in  der  Weise  ge- 
troffen werden,  dass  man  die  Küchen-  oder  Seifenwässer  in  ein  aufrechtstehencles  Fass 
laufen  lässt,  welches    am  Boden    mit    einem  Zapfen    versehen   ist.     Auf  dem  Boden  des 


Wegschaffung  der  industriellen  Abfälle.  207 

Fasses  liegt  eine  3  Zoll  hohe  Schicht  kleiner  Kieselsteine,  die  mit  einem  groben  Pack- 
tuche bedeckt  ist;  letzteres  wird  durch  aufgelegte  grössere  Steine  auf  dem  Boden  fest- 
gehalten. Das  eingelassene  Wasser  Avird  so  lange  mit  Kalkmilch  versetzt,  bis  kein 
Gerinnsel  mehr  entsteht;  alsdann  scheidet  sich  nach  einiger  Zeit  die  Kalkseife  rähna- 
ähnlieh  auf  der  Oberfläche  ab,  während  das  klare  Wasser  durch  den  Erahnen  abgelassen 
werden  kann.  Die  so  gebildete  Kalkseife  kann  40— 60%  fette  Säuren  enthalten  und  ist 
ihr  Werth  dem  des  Leimfettes  gleichzustellen:  sie  lässt  sich  zur  Darstellung 
der  Karrenschmiere,  der  geringen  Schmierseife  und  besonders  .des  Leuchtgases  u.  s.  w. 
benutzen.  Es  könnte  hieraus  den  Bediensteten  ein  Vortheil  erwachsen,  wenn  sie  zn 
dieser  kleinen  Mühewaltung  bereit  wären,  grade  wie  sie  schon  jetzt  auf  die  Ansamm- 
lung von  Knochen,  Lumpen,  Papier  u.  s.  w.  Bedacht  nehmen. 

Ausserdem  verdienen  hierbei  die  offenen  überirdischen  Strassenrinn  en 
noch  eine  besondere  Beachtung,  da  sie  schon  wegen  des  Abflusses  des  Regenwassers 
nicht  entbehrt  werden  können;  müssen  sie  aber  noch  zum  Abfluss  der  HausAvässer 
dienen,  so  kann  das  Hiueinkehren  von  Kehricht,  Gemüseabfällen  u.  s.  w.  nicht  verhütet 
werden,  wodurch  alle  Strassenrinnen  um  so  mehr  mit  sanitären  Nachtheilen  verbunden 
sind,  je  weniger  ihre  sachgemässe  Construction  im  Auge  behalten  wird. 

Fast  alle  Strassenrinnen  verderben  den  Untergrund,  weil  häufig  bei  ihrer  ersten 
Anlage  ein  richtiges  Nivelliren  übersehen  und  dadurch  von  vornherein  ein  Stauen  ihres 
Inhalts  herbeigeführt  wird.  Fast  überall  begegnet  man  nur  gepflasterten  Rinnen  ohne 
undurchlässigen  Untergrund;  hierdurch  wird  nicht  nur  der  Abfluss  gehemmt,  sondern 
auch  die  Aufsaugung  des  schmutzigen  Rinnsteinwassers  vom  Boden  befördert. 

Die  Anlage  der  Strassenrinnen  steht  in  engster  Verbindung  mit  deni  Strassen- 
pf  last  er:  so  lange  dieses  noch  aller  sanitärer  Rücksichten  entbehrt,  kann  auch  von 
einer  sachgemässen  Beschaffenheit  der  Strassenrinnen  nicht  die  Rede  sein,  da  ün- 
durchlässigkeit  bei  Strassenbauten  die  erste  Bedingung  ist.  Hier  ist  es  die  Aufgabe 
der  Techniker,  sich  die  alten  Römer  zum  Vorbilde  zu  nehmen,  welche  bekanntlich  nur 
gänzlich  undurchlässige  und  allen  Einflüssen  widerstehende  Strassen  bauten,  wenn  man 
nicht  die  in  der  Gegenwart  eingeschlagene  Richtung,  asphaltirte  Strassen  herzu- 
stellen, verfolgen  will;  dadurch  würde  auch  den  Strassenrinnen  der  undurchlässige 
Untergrund  gesichert.  Ausserdem  eignen  sich  feste,  nicht  aufsaugende  Bruchsteine 
für  solche  Rinnen;  diese  müssen  stets  einen  Halbkreis  bilden,  um  so  viel  als  möglich 
ein  Ueberfliessen  zu  vermeiden,  während  Eisengitter,  namentlich  bei  Querrinnen,  das 
Ueberfahren  von  Fuhrwerk  gestatten.  Alle  Rinnen  müssen  wie  die  Stadtcanäle  nach 
einem  bestimmten  Plan  angelegt  werden,  damit  sich  die  Neben-  oder  Zweigrinnen  in 
eine    Hauptrinne    vereinigen,    die    schliesslich  in  einen  Haupt-  oder  Ringcanal   mündet. 

Alle  diese  Gesichtspuncte  sind  (ceteris  paribus)  auch  für  grössere  Fabrikanlagen 
und  Arbeiterviertel  massgebend. 

3)  Wegschaffung  der  industriellen  Abfälle.  Hier  kann  die  Canalisationsfrage 
nicht  umgangen  werden,  da  es  sich  bei  der  Beseitigung  der  industriellen  Ab- 
fälle darum  handelt,  ob  die  öffentlichen  Canäle  hierzu  zu  benutzen  sind  oder 
nicht.  Bisher  stand  nur  bezüglich  der  Beseitigung  der  Fäcalien  die  Frage:  ob 
Abfuhr  oder  Canalisation ?  auf  der  Tagesordnung;  sie  ist  aber  auch  für  die  Be- 
seitigung der  industriellen  Abfälle  ebenso  wichtig. 

Was  zunächst  die  Fäcalstoffe  betrifft,  so  kann  es  keinem  Zweifel  Unterliegen,  dass 
die  Canalisation  bei  richtiger  Construction  der  Canäle  und  bei  ausreichender  Spülung 
alleDejectionen  am  sichersten,  schnellsten  und  bequemsten  aus  dem  Bereiche  der 
Städte  entfernt.  Der  wichtigste  Einwurf  gegen  dieses  System  besteht  in  dem  Kosten- 
punct,  da  schon  vor  12  Jahren  Rawlinson  für  Städte  von  30,000  Einwohnern  die  Aus- 
gaben auf  1  Pfd.  Sterl.  pro  Kopf  berechnet  hat.48)  In  Dan  zig  beliefen  sich  die  Kosten 
auf  8  Thlr.  und  in  Berlin  werden  sie  sich  wahrscheinlich  auf  14  Thlr.  pro  Kopf  er- 
höhen. Je  ungünstiger  das  Gefälle  ist,  desto  höher  steigen  die  Kosten  durch  die  Ein- 
richtungen zum  Aufpumpen  und  Fortbewegen  des  Canalinhaltes.  Was  man  sonst  noch 
gegen  dieses  System  eingeworfen  hat,  z.  B.  das  Undichtwerden  der  Canäle,  das  Ver- 
derben des  Untergrundes,  das  Austreten  von  stinkenden  Ausdünstungen  aus  den  Canälen 
in  die  Wohnungen  u.  s.  w.,  ist  bei  sachgemässer  Anlage  irrelevant.  Die  heftige  Oppo- 
sition gegen  die  Canalisation  ist  sicher  aus  Unkenntniss  der  Verhältnisse  entstanden, 
da  man  beständig  die  Nachtheile  der  alten  Canäle,  der  eigentlichen  Ablagerungs- 
canäle,  auch  auf  die  Schwemmcanäle  übertrug.  Erstere  sind  im  eigentlichsten  Sinne 
Cloaken  und  gehören  zur  Kategorie  der  Abtrittsgrubeu,  da  sie  alle  Nachtheile  der- 
selben in  sich  vereinigen.  Sie  erfahren  nur  gelegentlich  eine  Spülung  durch  Regengüsse  : 
alle  intermittirenden  Spülungen  sind  aber  recht  geeignet,  die  alten  Schlammmassen 
aufzuwühlen     und     die    riechenden    Gasexhalationen    sehr    fühlbar    zu    machen.     Bei 


208  Die  atmosphärische  Luft. 

Schwemmcanälen  beginnt  die  Spülung  schon  beim  Wassercloset,  weshalb  eine 
zweckmässige  Einrichtung  desselben  zu  den  ersten  Bedingungen  gehört.  Man  bedient 
sich  jetzt  allgemein  der  Closets  mit  Klappentopf,  die  im  Handel  als  Closets  erster 
Classe  vorkommen:  an  einen  Topf  mit  verschliessbarcm  Deckel  schliesst  sich  nämlich  ein 
Siphon  an,  so  dass  das  Zurücktreten  der  Gase  aus  den  Röhren  unmöglich  ist.  Durch 
die  Gesammtwirkung  dieser  Einflösse  in  die  Canäle  muss  wenigstens  eine  3 00  fache 
Verdünnung  der  Fäcalien  mit  Wasser  bewirkt  werden,  wobei  schon  alle  urinösen 
Flüssigkeiten  den  Geruch  verlieren.  Da  die  Temperatur  des  Canaliuhalts  wenig  oder 
gar  nicht  von  der  äusseren  Temperatur  abhängt,  so  werden  auch  die  etwa  auftretenden 
Fäulnissproducte  modificirt,  d.h.  es  werden  weniger  stinkende  und  flüchtige  Substanzen 
auftreten.  Je  reichlicher  die  Spülung  ist,  desto  weniger  können  sich  Canalgase  bilden 
und  wo  sie  entstehen,  werden  sie  rasch  vom  Schwemmwasser  absorbirt.  Wie  bedeu- 
tend aber  der  Wasserconsum  hierbei  Werden  kann,  hat  bereits  Hamburg  gezeigt,  wo 
sich  derselbe  bis  auf  6  Cubikfuss  pro  Kopf  und  Tag  gesteigert  hat.49) 

Die  Construction  der  Canäle  gehört  in  das  Gebiet  der  Bautechnik  und 
kann  hier  nicht  näher  erörtert  werden:  zuverlässig  kann  gegenwärtig  ihre  Undurch- 
lässigkeit  mittels  guter  Cementirungen  dargestellt  werden.50)  Wichtiger  ist  in  sanitärer 
Beziehung  die  Frage  der  Wegschäffung  des  Canalinhalts. 

Die  Schwierigkeit  der  Frage,  auf  welche  Weise  die  Beseitigung  resp. 
Verwerthung  des  Canalinhalts  (Sewage)  bewirkt  werden  soll,  ist  aus  der  Mannig- 
faltigkeit der  in  dieser  Richtung  angestellten  Versuche  ersichtlich.  Bisher  hat 
man  folgende  Methoden  theils  ausgeführt,  theils  vorgeschlagen: 

a)  den  directen  Einfluss  des  Canalinhalts  in  Flüsse,  b)  das  Filtratiousver- 
l'ahren,  c)  das  Präcipitationsverfahren,  d)  die  Combination  von  Filtration  und 
Praecipitation,  e)  die  Berieselung  der  Aecker,  Wiesen  u.  s.  wr.  mit  dem  Canalinhalt. 

ad  a)  Der  directe  Einfluss  des  Canalinhalts  in  die  Flüsse  hat  die  grössten 
Bedenken  und  sollte  eigentlich  nie  zur  Ausführung  kommen,  da  man  die  Flüsse 
dadurch  entwerthet,  kleinere  Wasserläufe  ganz  unbrauchbar  macht,  die  öko- 
nomische und  technische  Benutzung  des  Flusswassers  ganz  ausserordentlich  er- 
schwert und  bei  Ueberschwemmungen  solcher  Flüsse  höchst  gesundheitswidrige 
Zustände  schafft,  wenn  Wohnungen  im  Inundationsgebiete  liegeu.  Bei  Flüssen  mit 
Ebbe  und  Fluth  wird  die  Fortspülung  der  Zuflüsse  erschwert,  wie  besonders  in 
der  Themse  experimentell  festgestellt  worden  ist. 

Wenn  in  Hamburg  schon  30  Jahre  lang  die  Elbe  allen  Canalinhalt  angeb- 
lich ohne  nachweisbaren  Schaden  aufgenommen  hat,  so  ist  dadurch  noch  nicht 
die  Unschädlichkeit  dieses  Verfahrens  bewiesen,  wenigstens  haben  sich  au  man- 
chen Uferstellen  schon  bedeutende  Verschlammungen  bemerkbar  gemacht  und 
jedenfalls  ist  ein  häufiges  Ausbaggern  des  Flusses  nothwendig  geworden,  so 
dass  noch  nicht  abzusehen  ist,  ob  nicht  auch  Hamburg  künftig  wie  Paris  ge- 
zwungen sein  wird,  von  diesem  Verfahren  abzustehen;  freilich  ist  die  Seine 
nicht  mit  der  Elbe  zu  vergleichen,  da  grade  bei  diesem  Flusse  das  bedeutende 
Wasserquautum  selbst  Massen  von  fremdartigen  Substanzen  zu  bewältigen  ver- 
mag. Immerhin  geht  der  Landwirthschaft  durch  die  Vergeudung  der  Dungstoffe 
ein  grosses  Capital  verloren,  während  unter  Umständen  auch  die  Fischzucht 
gefährdet  ist/'1)  Bei  der  ökonomischen  Benutzung  eines  solchen  Flusswassers  wird 
es  selbst  nach  stattgefundener  Reinigung  noch  fraglich  bleiben,  ob  dasselbe  dann 
auch  die  Fähigkeit  verloren  hat,  der  Verbreitung  von  epidemischen  Krankheiten 
Vorschub  zu  leisten.  Die  Verwerthung  des  Canalinhalts  ist  daher  durchaus  nicht 
eine  blosse  Geldfrage,  wie  man  bisher  vielfältig  behauptet  hat,  sondern  vielmehr  ein 
sauitäres  Erforderniss.  Man  hat  zwar  angenommen,  dass  namentlich  die  von 
den  Schwemmcanälen  zugeführteu  frischen  Fäcalien  iu  den  Wasserläufen  keiner 
fauligen   Zersetzung    unterliegen,  sondern    durch    den    Einfluss    des    Sauerstoffes 


Wegschaffung  der  industriellen  Abfälle.  900 

rascher  oxydirt  und  in  die  geruchlosen  Endproducte  (Ammoniak,  Salpetersäure 
u.  s.  w.)  übergeführt  werden;  man  hat  aber  dabei  übersehen,  dass  dieser  Process 
viel  langsamer  vor  sich  geht  als  man  sich  gewöhnlich  vorstellt.  Nach  Frank- 
land1s  Untersuchungen  soll  ein  mit  dem  20fachen  Volumen  Wasser  gemischtes 
Sielwasser  selbst  nach  168  (engl.)  Meilen  langem  Fliessen  mit  einer  Geschwindig- 
keit von  einer  Meile  die  Stunde  oder  nach  Verlauf  einer  Woche  kaum  Zwei- 
drittel seiner  organischen  Materie  verlieren.51) 

Die  frischen  Excremente  haben  durchschnittlich  ein  etwas  geringeres  spec.  Ge- 
wicht als  das  Wasser:  sie  werden  theilweise  gelöst  und  zerfallen  dann  in  eine  breiige 
Masse,  welche  noch  auf  der  Oberfläche  schwimmt.  Einzelne  Fragmente  sinken  aber 
unter  und  lagern  sich  bei  unzureichender  Strömung  auf  der  Flusssohle  oder  an  seichten 
Uferstellen  ab.  Je  geringer  die  Strömung  und  das  Wasserquantum  sind,  desto  eher 
zeigen  sich  selbstverständlich  diese  Zustände,  desto  eher  treten  auch  die  Verschlam- 
mungen der  Ufer  ein,  namentlich  wenn  das  Wasser  sinkt  und  grössere  Strecken  der- 
selben bloss  gelegt  weiden.  Je  wechselnder  der  Wasserstand  eines  Flusses  ist,  desto 
weniger  sollte  man  den  Einfluss  des  Canalinhaltes  gestatten.  Selbst  bei  grossen  Flüssen 
muss  sich  schliesslich  der  Nachtheil  in  irgend  einer  Weise  kundgeben,  wenn  alle  grössern 
Städte  u.  s.  w.  sich  auf  eine  so  bequeme  Weise  ihres  Canalinhaltes  entledigen  wollten. 
Mag  auch  in  einem  gegebenen  Falle  die  Einwohnerzahl  einer  Stadt  im  richtigen  Ver- 
hältniss  zur  Grösse,  zum  Gefälle  und  zum  Wasserquantum  des  Flusses  stehen,  mag 
auch  der  Canalinhalt  in  der  vorschriftsmässigen  Verdünnung  in  den  Fluss  gelangen, 
mögen  auch  dessen  Ufer  undurchlässig  und  mit  einer  reichlichen  Vegetation  versehen 
sein,  alle  diese  Bedingungen  vermögen  nicht  auf  die  Dauer  die  Selbstreinigung  des 
Flusses  sicher  zu  stellen,  wie  England  uns  durch  warnende  Beispiele  gelehrt  hat. 
Freilich  sind  dort  auch  noch  die  massenhaften  Industrieabfälle  hinzugekommen,  um 
das  Flusswasser  einzelner  Flüsse  in  eine  schwarze  Brühe  zu  verwandeln:  ist  aber  ein- 
mal der  Einfluss  des  Canalinhalts  in  einen  Fluss  gestattet,  so  hört  alle  Controle  über 
den  Zu-  und  Einfluss  des  Zulässigen  oder  Unzulässigen  auf  und  grade  in  diesem  Um- 
stände liegt  der  Schwerpunct  aller  Gründe,  welche  überhaupt  gegen  den  Einfluss  des 
Canalinhalts  in  die  Flüsse  sprechen.  Bei  den  Schwemmcanälen  wird  man  stets 
darauf  zu  achten  haben,  dass  nicht  alle  Industrieahfälle  ohne  Weiteres  in  dieselben 
abgeleitet  werden.  Starke  Säuren,  viele  Metalle  oder  ein  reicher  Gehalt  an  Carbol- 
säure  werden  nicht  bloss  alle  Flüsse  benachtheiligen,  sondern  auch  die  Benutzung  des 
Canalinhaltes  zur  Berieselung  sehr  beeinträchtigen.  Eine  Verunreinigung  der 
Flüsse  wird  im  höchsten  Grade  besonders  durch  die  Abfälle  der  Färbereien  und 
Druckereien  herbeigeführt. 

Seit  der  häufigen  Anwendung  des  aus  arseniksaurem  Natrium  herge- 
stellten Kuhkothbades  sind  die  Abfallwässer  oft  mit  diesem  giftigen  Körper  ver- 
unreinigt. In  England  hat  man  im  Flusse  Merbey  in  100,000  Theilen  0,24  und 
im  Irwell  0,48  Theile  Arsenik  nachgewiesen.  Bei  Bleichereien  hängt  es  von 
der  Concentration  der  Abfallwässer  ab,  ob  und  inwieweit  sie  den  Flüssen  Scha- 
den zufügen;  je  kleiner  diese  sind,  desto  eher  wird  sich  auch  ein  Nachtheil  für 
die  angrenzende  Vegetation  bemerkbar  machen.  Chemische  Fabriken  können 
in  mannigfacher  Weise,  je  nach  der  Art  der  Fabrication  auf  die  Flüsse  nachtheilig 
wirken.  Es  sei  hier  bloss  an  die  Manganrückstände  bei  der  Chlorkalk- 
fabrication,  das  Calciumoxysulfid  bei  der  Sodafabrication  und  die 
Menge  von  Salzsäure,  welche  bei  der  Fabrication  von  Barytweiss  abfällt 
erinnert.  Abgesehen  davon,  dass  namentlich  die  Salzsäure  auf  die  Dauer 
alle  Canäle  verdirbt  und  ganz  baufällig  macht,  müssen  alle  differenten  Substanzen 
der  genannnten  Art  auch  die  industrielle  Benutzung  des  Flusswassers  erschweren 
oder  unmöglich  machen. 

Der  hieraus  entstehende  Nachtheil  hat  in  England  immer  mehr  auf  die 
Notwendigkeit  hingewiesen,  die  Schmutzwässer  der  Fabriken  vor  dem  Einleiten 
in  die  Flüsse  zu  reinigen;  man  hält  es  sogar  für  möglich,  ihre  Reinigung  bis 
auf  den  Grad  zu  bringen,  dass  sie  für  die  Fabrication  wieder  brauchbar  werden. 

Eulenberg,  Gewerbe -Hygiene.  14 


210  Die  atmosphärische  Luft. 

Die  Vortheile  der  Reinerhaltung  des  Flusswassers  haben  sich  auch  für 
die  Industrie  bereits  in  hohem  Grade  bewährt,  so  dass  z.B.  neun  und  dreissig  Firmen, 
«reiche  im  Mersey-  und  Ribble-Becken  verschiedene  Industriezweigebetreiben,  den 
Nutzen,  welchen  sie  hieraus  ziehen,  auf  jährlich  70,000  Thlr.  berechnen.  Eine  Kattun- 
druckerei  gab  den  für  sie  jährlich  aus  dem  reinen  Flusswasser  erwachsenden  Gewinn 
auf  ca.  20,000  Thlr.  an. 

Eine  für  die  Untersuchung  der  Flüsse  berufene  Englische  Commission  ist  mit 
Berücksichtigung  der  im  Becken  des  Mersey  und  Ril>Me  auftretenden  Arten  der 
Verunreinigung  und  nach  dem  Resultate  der  bisher  benutzten  Reinigungsniethoden  zu 
der  Deberzeugung  gelangt,  dass  folgende  Flüssigkeiten  als  verunreinigend  anzusehen 
sind  und  nicht  in  die  Wasserläufe  eingelassen  werden  dürfen: 

1)  Jede  Flüssigkeit,  welche  in  100,000  G.  Th.  Wasser  mehr  als  3  G.  Th.  süspen- 
dirte  anorganische   oder  1  G.  Th.  suspendirte  organische    Stoffe  enthält. 

•2)  Jede  Flüssigkeit,  welche  in  100,000  G.  Th.  mehr  als  2  G.  Th.  organischen 
Kohlenstoff  oder  0,3  G.  Th.  organischen  Stickstoff  in  Lösung  enthält. 

3)  Jede  Flüssigkeit,  welche  bei  Tageslicht  eine  bestimmte  Farbe  zeigt,  wenn 
sie  in  einer  Schicht  "von  1  Zoll  Tiefe  in  ein  weisses  irdenes  oder  Porcellangefäss  ge- 
bracht wird. 

4)  Jede  Flüssigkeit,  welche  in  100,000  G.  Th.  mehr  als  2  G.  Th.  eines  Metalls 
mit  Ausschluss  von  Calcium,  Magnesium,  Kalium  und  Natrium  in  Lösung  enthält. 

i>)  Jede  Flüssigkeit,  welche  in  100,000  G.  Th.,  gleichviel  ob  suspendirt 
oder  gelöst,  mehr  als  0,05  G.  Th.  metallisches  Arsen  als  solches  oder  in  Form 
irgend  welcher  Verbindung  enthält,  gleichviel  ob  in  Suspension  oder  Lösung. 

6)  Jede  Flüssigkeit,  welche  nach  ihrer  Ansäuerung  mit  Schwelelsäure  in 
100,000  G.  Th.  mehr  als  1  G.  Th.  freies  Chlor  enthält. 

7)  Jede  Flüssigkeit,  welche  in  100,000  G.  Th.  mehr  als  1  G.  Th.  Schwefel  in  Form 
von   Schwefelwasserstoff  oder  als  lösliches  Sulfid  enthält. 

8)  Jede  Flüssigkeit,  die  mehr  Säure  enthält  als  eine  solche,  welche  man 
durch  Zusatz  von  2  Th.  (wasserfreie)  Chlorwasserstoffsäure  in  1000  Th.  destillirtem  Wasser 
darstellt. 

9)  Jede  Flüssigkeit,  die  eine  grössere  Alkalinität  besitzt  als  eine  solche, 
welche  man  durch  Losung  von  1  G.  Th.  trocknem  Aetznatron  in  1000  G.  Th.  destillirtem 
Wasser  darstellt.52) 

Selbstverständlich  verdienen  die  localen  Verhältnisse,  namentlich  die  Grösse 
und  Strömung  der  Flüsse,  eine  Berücksichtigung.  Ueberall  aber,  wo  die  Industrie 
eine  bedeutende  Entwicklung  nimmt,  ist  mit  Rücksicht  auf  obige  Untersuchungen 
stets  für  die  Reinheit  der  Flüsse  zu  sorgen;  liegen  deutliche  und  nachgewiesene 
Schäden  vor,  so  erzwinge  man  aber  auch  mit  Consequenz  eine  Abhüfe  dieser 
Uebelstände.  Es  ist  durchaus  erforderlich,  dass  die  Gesetzgebung  hier  zu  Hülfe 
komme,  damit  die  Gewerbe-Hygiene  in  ihr  eine  Handhabe  gewinne,  um  die  auf- 
gedeckten Schäden  auch  zu  beseitigen. 

In  Preussen  gilt  das  Gesetz  über  die  Benutzung  der  Privatflüsse 
vom  28.  Februar  1843  (G.-S.  S.41),  welches  durch  Verordnung  vom  9.  Januar  1845 
(G.-S.  S.  35)  auch  in  den  Landestheilen,  die  zum  Bezirk  des  Appellations- 
gerichtshofes zu  Co  In  gehören,  Anwendung  finden  soll. 

§  1  dieses  Gesetzes  lautet:  „Jeder  Uferbesitzer  an  Privatflüssen*)  (Quellen, 
Bächen  oder  Fliessen,  sowie  Seen)  ist,  sofern  nicht  Jemand  das  ausschliessliche  Eigen- 
1  h um  tles  Flusses  hat  oder  Provincialgesetze,  Localstatuten  oder  specielle  Rechtstitel 
eine  Ausnahme  begründen,  berechtigt,  das  an  seinem  Grundstück  vorüberfliessende 
Wasser  anter  den  in  den  §  13  u.  s.  w.  enthaltenen  näheren  Bestimmungen  zu  seinem 
besonder!  Vortheile  zu  benutzen.  Jedoch  verbleibt  es  in  Ansehung  der  Benutzung  des 
Wassers  zu  Mühlen  und  andern  Triebwerken,  sowie  auch  in  Ansehung  der  Fischerei- 
Bi  rechtigung  und  der  Vorfiuth  bei  den  bestehenden  gesetzlichen  Vorschriften,  so  weit 
diese  durch  gegenwärtiges  Gesetz  nicht  ausdrücklich  abgeändert  sind.'' 

§  3:    ..Las  zum  Betriebe  von  Färbereien.  Gerbereien,  Walken  und  ähnlichen  An- 
d   benutzte  Wasser  darf  keinem  Flusse  zugeleitet  werden,  wenn  dadurch  der  Bedarf 
der  Umgegend   an   reinem   Wasser   beeinträchtigt    oder   eine   erhebliche  Belästigung  des 
Publicums  verursacht  wird." 


*)  Unter  Privatflüssen  versteht  man  solche,   welche   ein   bestimmtes   abgegrenztes 
Bet1  haben. 


Wegschaffung  der  industriellen  Abfälle.  211 

Die  Entscheidung  hierüber  steht  der  Polizeibehörde  zu.  Nach  einem  Er- 
kenntniss  des  Competenz- Gerichtshofes  vom  9.  November  1861  (Just.-Min.-Bl. 
S.  192)  ist  gegen  die  polizeiliche  Verfügung,  welche  den  Zweck  hat,  die  Ent- 
scheidung hierüber  zwangsweise  durchzuführen,  nur  der  Weg  der  Be- 
schwerde, nicht  aber  der  Rechtsweg  zulässig. 

Auch  nach  einem  Erkenntniss  des  Rhein.  Appell.  -  Gerichtshofes  vom 
.7.  März  1860  sind  die  Gerichte  incompetent,  über  eine  Klage  zu  erkennen, 
welche  Unterdrückung  oder  Abänderung  gewerblicher  Anlagen  aus  dem  Grunde 
verlangt,  weil  durch  die  bestehenden  Einrichtungen  schmutzige  Stoffe  einem 
Privatflusse  in  solcher  Menge  zugeführt  würden,  dass  dadurch  der  Bedarf  der 
Umgegend  an  reinem  Wasser  beeinträchtigt  uud  eine  erhebliche  Belästigung  des 
Publicums  veranlasst  werde.  Eine  solche  Klage  ist  auch  Seitens  einer  Stadt- 
gemeinde  unstatthaft;  auch  diese  kann  als  solche  nur  auf  Schadenersatz  in  ihrer 
Eigenschaft  als  Adjacentin  des  Privatflusses  klagen. 

§  6:  „Die  Anlegung  von  Flachs-  und  Hanfrösten  kann  von  der  Polizeibehörde 
untersagt  werden,  wenn  solche  die  Heilsamkeit  der  Luft  beeinträchtigt  oder  zu  den  im 
§  4  bezeichneten  Nachtheilen  (bezüglich  des  freien  Abflusses  des  Wassers)  Anlass  gibt." 

§  13:  „Das  dem  Uferbesitzer  nach  §  1  zustehende  Recht  zur  Benutzung  des 
vorüberfliessenden  Wassers  unterliegt  der  Beschränkung,  dass  1)  kein  Rückstau  über 
die  GreDze  des  eigenen  Grundstücks  hinaus  und  keine  Ueberschwemmung  oder  Ver- 
sumpfung fremder  Grundstücke  verursacht  werden  darf,  und  2)  das  abgeleitete  Wasser 
in  das  ursprüngliche  Bett  des  Flusses  zurückgeleitet  werden  muss,  bevor  dieses  das 
Ufer  des  fremden  Grundstücks  berührt. 

Sind  mehrere  an  einander  grenzende  Uferbesitzer  über  eine  Anklage  einverstan- 
den, so  werden  die  Grundstücke  derselben,  bei  Anwendung  der  vorstehenden  Beschrän- 
kungen, als  ein  einziges  Grundstück  angesehen." 

Bei  kleiuern  Bächen  oder  Flüssen  muss  somit  der  Fabricant  schon  bei  der 
Anlage  einer  Fabrik  über  die  Fragen  schlüssig  sein:  1)  ob  der  betreffende 
Wasserlauf  das  zum  Betriebe  erforderliche  Wasser  liefert,  und  2)  ob 
demselben  ohne  Beschädigung  der  unterhalb  liegenden  Besitzer  die 
Abgänge  zugeführt  werden  können.  Ist  letzteres  nicht  der  Fall,  so  muss 
er  auf  die  Mittel  und  Wege  Bedacht  nehmen,  durch  welche  eine  vorhergehende 
Reinigung  ermöglicht  wird,  sei  es  nun  durch  eine  der  bisher  am  meisten  bewähr- 
ten Methoden  der  Filtration  und  Präcipitation  oder  durch  Berieselung.  Eine 
Versenkung  des  Wassers  ist  bisher  nur  statthaft  gewesen,  wenn  es  aus  Brunnen, 
nicht  aber,  wenn  es  aus  Bächen  oder  Flüssen  entnommen  ist.  Jedenfalls  darf 
das  einem  Wasserlaufe  entnommene  Wasser  demselben  nicht  wieder  zugeführt 
werden,  wenn  es  durch  seine  unreine  Beschaffenheit  die  Umgegend  in  ihrem  Be- 
darf an  reinem  Wasser  beeinträchtigt  oder  auf  anderweitige  Weise  belästigt. 

Das  Gesetz  kommt  somit  der  Gewerbe-Hygiene  zur  Hülfe  und  es  ist  Sache 
der  Polizeibehörde,  zeitig  die  betreffenden  Uebelstände  aufzudecken  und  zu  be- 
seitigen, nicht  aber  Jahre  lang,  wie  es  meistens  der  Fall  ist,  zum  öffentlichen 
Aergernisse  und  zur  Schädigung  der  öffentlichen  Gesundheit  fortbestehen  zu 
lassen. 

Bezüglich  der  Verunreinigung  der  schiff-  und  flossbaren  Flüsse 
und  Canäle  ist  die  Cabinets-Ordre  vom  24.  Februar  1816  (G.-S.  S.  108)  mass- 
gebend.    Dieselbe  lautet: 

„Auf  Ihren  Bericht  vom  18.  d.  Mts.  setze  Ich,  zur  Verhütung  der  Verunreinigung 
der  schiff-  und  flossbaren  Flüsse  und  Canäle,  hierdurch  fest,  dass  kein  Besitzer  von 
Schneidemühlen  Sägespäne  oder  Borke,  und  überhaupt  Niemand,  der  eines  Flusses 
sich  zu  seinem  Gewerbe  bedient,  Abgänge  in  solchen  Massen  in  den  Fluss  werfen 
darf,  dass  derselbe  dadurch,  nach  dem  Urtheil  der  Provincial-Polizeibehörde,  erheblich 

r  14* 


21 '2  Die  atmosphärische  Luft. 

verunreinigt  werden  kann,  und  dass  Jeder,  der  dawider  handelt,  nicht  nur  die  Weg- 
ränmung  der  den  Wasserlauf  hemmenden  Gegenstände  auf  seine  Kosten  vornehmen 
lassen  niuss,  sondern  auch  ausserdem  eine  Polizeistrafe  von  zehn  bis  fünfzig  Thalern 
I »-wirkt  hat. 

Bei  gewerblichen  Anlagen,  die  keiner  besondern  Genehmigung  der  nach 
den  Landesgesetzen  zuständigen  Behörde,  sondern  nur  einer  polizeilichen  Erlanb- 
niss  bedürfen,  ist  die  Rücksichtnahme  auf  die  erwähnten  Pimcte  ganz  besonders 
erforderlich,  um  uicht  während  des  Betriebes  mit  dem  Gesetze  in  Conflict  zu 
kommen.   — 53) 

ad  b)  Das  Filtrationsverfaliren  hat  man  in  England  längere  Zeit  bei  der 
Reinigung  des  Canalinhalts  angewendet;  bei  den  Fäcalien  hat  man  aber  mit 
demselben  keine  günstigen  Erfahrungen  gemacht  und  bald  eingesehen,  dass  eine 
nachhaltige  Einwirkung  der  atmosphärischen  Luft  und  ganz  besonders  ein  geeig- 
neter filtrirender  Boden  erforderlich  ist,  um  die  organischen  Substanzen  in  un- 
schädliche unorganische  Verbindungen  zu  verwandelu.  Diese  Versuche  sind  des- 
halb ganz  besonders  bemerkenswerth ,  weil  sie  den  notwendigen  Uebergang  zur 
Berieselung  bilden,  indem  man  von  den  verschiedenen  Filtern  mit  Sand,  Kies, 
Kalk  u.  s.  w.  zu  roh  aufgepflügtem  Lande  überging.  Man  überzeugte  sich  aber 
bald,  dass  ein  solches  Land  während  dieser  Zeit  für  den  Ackerbau  nutzlos  blieb 
und  dabei  eine  grosse  Fläche  von  mehr  oder  weniger  in  Fäulniss  übergegaugenen 
Stoffen  darbot,  welche  wieder  andere  sanitäre  Nachtheile  im  Gefolge  hatte;  aus 
practischen  und  sanitären  Gründen  hat  man  daher  bei  den  Fäcalien  von  diesem 
Verfahren  Abstand  genommen. 

Bei  den  flüssigen  Industrieabfällen  schickt  man  gewöhnlich  ein  Ab- 
setzenlassen der  Filtration  voraus;  häufig  begnügt  man  sich  aber  auch  mit 
dem  erstem,  da  die  Filtration  schon  wegen  der  dazu  erforderlichen  filtrirenden 
Substanzen  und  ihrer  öftern  Reinigung  eine  grössere  Mühewaltung  erfordert. 

Zum  Absetzenlassen  gebraucht  man  stets  mehrere  Klärbassins,  um  zunächst 
die  grobem  und  dann  die  mehr  suspend.irten  Theile  sich  senken  zu  lassen.  Eine  solche 
Einrichtung  findet  man  vorzugsweise  in  Kattundruckereien  und  Färbereien.  In 
den  grossartigen  Druckereien  zu  Levenshulme  bei  Manchester  gelang  es  bei  einer 
sorgfältigen  Ausführung  der  Klärung  Abfallwässer  zu  erzeugen,  welche  in  100,000  Th. 
39,75  lösliche  Stoffe,  1,051  organ.  Kohlenstoß",  0,119  organ.  Stickstoff,  0,21  Arsenik, 
0,131  gebundenen  Stickstoff,  -1.28  Chlor  enthielten.  Wegen  des  Arsengehalts  würde  es 
jedoch  noch  bedenklich  bleiben,  solche  Abfallwässer  in  kleinere  Flüsse  ablaufen  zu 
lassen:  bei  einer  noch  grössern  Verdünnung  in  Schwemmcanälen  würde  sich  die  Gefahr 
erheblich  mindern. 

Bei  der  Filtration  unterscheidet  man  die  absteigende  intermittirende 
und  die  aufsteigende;  im  Allgemeinen  kommt  erstere  häufiger  als  letztere  zur  An- 
wendung. Ein  mergelhaltiger  Sand  filtrirt  am  besten:  je  grösser  das  Quantum  der 
Abfallwässi  r  ist,  desto  mehr  Filter  bedarf  man  natürlich.  In  England  benutzt  man  oft 
6—10  Filter  von  10  Ellen  Länge,  während  die  Klärbassins  bisweilen  den  Umfang  eines 
Morgen  erreichen;  die  Reinigung  der  Filter  geschieht  in  der  Regel  alle  14  Tage,  wenn 
die  Hohe  der  Sandschicht  5  Fuss  beträgt.  Die  Filtration  wird  erleichtert,  wenn  man 
die  frischen  Abfallwässer  derselben  unterwirft:  je  älter  sie  sind,  desto  mehr  steigert 
sich  die  Schwierigkeit  hei  ihrer  Reinigung. 

In  Kattundruckereien  hat  man  die  Beobachtung  gemacht,  dass  durch  die 
Filtration  alles  Arsen  zurückgehalten  wird,  wenn  die  Filter  ein  paar  Wochen  in 
Thätigkeit  sind.  In  Deutschland  ist  das  Fili rationsverfahren  fast  unbekannt,  obgleich  es 
auch  in  England  vorzugsweise  dann  gebräuchlich  ist.  wenn  schmutziges  Flusswasser 
wieder  zur  Fabrication,  namentlich  zum  Beuchen,  Waschen  u.  s.  w  ,  nutzbar  gemacht 
werden  soll. 

ad  c)  Das  Präcipitationsverfahren  hei  den  Fäcalien  besteht  darin,  dass  man 
mittels  rheinischer  Mittel  die  Dungstoffe  aus  dem  Canalwasser  zu  fixiren 
sucht,  um  die  rückständige  Flüssigkeit  frei  ablaufen  zu  lassen. 


Präcipitation  und  Filtration.  213 

Zunächst  ist  das  Süvern^sche  Verfahren  zu  erwähnen,  welches  gleichzeitig 
eine  Desinfection  des  Canalinhalts  bezweckt.  Man  löst  100  Th.  Kalk  in  300  Th.  Wasser, 
setzt  8  Th.  Theer,  30  Th.  Chlomiagnesium  und  so  viel  Wasser  hinzu,  dass  das  Ganze 
1000  Th.  beträgt. 

Die  Ausführung  desselben  ist  mit  grossen  Kosten  verbunden:  die  Mischung  wird 
fortwährend  in  dünnem  Strahl  der  in  einen  engen  Canal  abgeleiteten  Flüssigkeit  zuge- 
setzt, welche  alsdann  in  Klärbassins  gelangt,  wo  sich  eine  mit  dem  Spaten  bearbeitbare 
Masse  absetzt,  die  wegen  ihres  Gehalts  an  carbolsaurem  Calci  um  keiuen  Dungwerth 
hat.  Dazu  kommt,  dass  das  Chlormagnesium  als  solches  sich  leicht  mit  Kalkyerbin- 
dungen  umsetzt  und  zwar  unter  Bildung  von  Chlore alcium,  welches  bekanntlich  der 
grösste  Feind  aller  Vegetation  ist. 

Allerdings  enthält  der  Niederschlag  ausser  den  gesammten  suspendirten  Bestand- 
teilen den  grossten  Theil  der  gelost  gewesenen  Phosphorsäure;  dieselbe  verliert  aber 
unter  den  obwaltenden  Verhältnissen  ihre  Bedeutung  für  den  Ackerboden.  Das  ab- 
fliessende  Wasser  enthält  neben  gelöstem  Kalk  die  gesammten,  durch  Kalk  in 
weitere  Zersetzung  gebrachten  extractiven  Materien  und  ausserdem  den  bei  Weitem 
grossten  Theil  der  Alkalien;  gelangt  dasselbe  in  Gräben  mit  mangelndem  Gefälle,  über- 
haupt in  stillstehendes  Wasser,  so  tritt  eine  höchst  belästigende  Nackgährung 
ein,  die  mit  sehr  unangenehmen  Gerüchen  verbunden  ist. 

Das  Clav  Ä'sche  Verfahren  besteht  in  einer  Vermischung  des  Canalinhalts  mit 
Kalkmilch,  in  Absetzenlassen  in  Klärbassins  und  Gewinnung  des  Niederschlages. 
Dieses  und  das  Le7;£'sche  Verfahren,  welches  in  der  Benutzung  von  rohem  Alumi- 
niumsulfat besteht,  vermag  weder  einen  verwerthbaren  Dünger,  noch  eine  ausreichende 
Reinigung  der  abfliessenden  Massen  zu  bewirken. 

Dasselbe  lässt  sich  von  dem  Sillar' sehen  Verfahren  oder  dem  A-B-C-Pro- 
cess  sagen,  dessen  Name  von  den  Anfangsbuchstaben  der  hierzu  gebräuchlichen  Sub- 
stanzen herrührt,  da  die  Mischung  aus  ^laun,  ßlut  und  Clav  (Thon)  nebst  Magnesia, 
Chlornatrium,  Kohle  und  Dolomit  besteht. 

Dem  Präcipitationsverfahren  steht  überhaupt  der  Umstand  entgegen,  dass  sich  die 
Menge  des  Präcipitationsmittels  auch  nach  dem  Gehalte  der  Abfallstoffe  an  Stickstoff, 
Phosphorsäure  u.  s.  w..  d.  h.  nach  der  Nahrung  der  Einwohner  richten  muss.  So  ist  es 
z.  B.  bekannt,  dass  die  Ernährung  mit  ungebeuteltem  Brot,  mit  Schwarzbrot,  einen 
höhern  Phosphorgehalt  der  Excremente  bedingt,  welcher  dann  auch  einen  reichlichem 
Zusatz  des  Präcipitationsmittels  erfordert.54) 

Bei  den  Industrieabfällen  ist  das  Präcipitationsverfahren  nach  ihrer  Natur  und 
Beschaffenheit  verschieden  und  wird,  um  Wiederholungen  zu  vermeiden,  bei  den  betref- 
fenden Artikeln,  z.  B.  bei  Manganchlorür,  Calciumoxysulfid  u.  s.  w.,  näher  be- 
sprochen werden.  Die  vielfach  hier  vorkommenden  chemischen  Processe  haben  ein  be- 
sonderes Gewerbe,  die  Industrie  der  Abfälle,  geschaffen,  ein  Gebiet,  welches  den 
Forschungstrieb  der  Chemiker  um  so  mehr  in  Anspruch  nimmt,  als  es  auch  oft  in  pecu- 
niärer  Beziehung  bedeutende  Vortheile  bietet;  gleichzeitig  aber  kommen  alle  bezüglichen 
Entdeckungen  ebenfalls  der  Gewerbe-Hygiene  zu  Gute.  Man  kann  behaupten,  dass 
jene  Art  der  Industrie  einen  wesentlichen  Theil  der  letztern  repräsentirt. 

ad  d)  Die  Comhination  von  Präcipitation  nnd  Filtration.  Sie  ist  bei  Fäca- 
lien  angezeigt,  jedoch  nicht  unter  zu  grossen  städtischen  Verhältnissen,  wohl  aber 
bei  grössern  Fabrikanlagen,  bei  denen  es  nicht  an  Arbeitskräften  mangelt  und 
jede  andere  Verwerthung  der  Dejectionen  auf  Schwierigkeiten  stösst. 

Unter  den  Präcipitationsmitteln  hat  man  den  Dolomit  oder  Bitter spath,  das 
bekannte  Doppelsalz  von  Calcium-  und  Magnesiumcarbonat,  noch  zu  wenig  be- 
nutzt. Die  Natur  liefert  dasselbe  in  unbegrenzter  Menge;  durch  Calciniren  wird  die 
Kohlensäure  verjagt  und  man  erhält  ein  Gemisch  von  alkalischen  Erden,  welche  sich  in 
Berührung  mit  Wasser  in  Hydrate  verwandeln.  Dieses  Löschen  geschieht _  wie  beim 
Löschen  des  Kalkes,  erfordert  jedoch  etwas  längere  Zeit  und  das  Product  ist  ein  mage- 
rer Kalk,  welcher  dem  Cloakenwasser  die  stickstoffhaltigen  Substanzen, 
die  Phosphorsäure  und  einen  grossen  Theil  von  Kali  zu  entziehen  vermag;  grade 
diese  Stoffe  haben  aber  bekanntlich  den  grossten  Dungwerth. 

Die  stickstoffhaltigen  organischen  Substanzen  sind  theils  gelöst,  theils  suspen- 
dirt:  die  suspendirten  Substanzen  können  leicht  durch  Zusatz  von  eigentlichen  und 
alkalischen  Erden  gebunden  werden.  Was  die  löslichen  Substanzen  betrifft,  so  wird 
der  Harnstoff,  abgesehen  von  dem  schon  aus  ihm  entstandenen  Ammoniak,  durch 
Zusatz  von  alkalischen  Erden  in  Ammoniak  verwandelt,  während  die  Harnsäure 
hierdurch  als  eine  unlösliche  Verbindung  fixirt  wird. 

Es  handelt  sich  nun  vorzugsweise  um  die  Fixirung  von  Ammoniak.  Ini 
Canalinhalt   befinden   sich  stets   aus   dem  Urin   stammende  phosphorsaure  Salze  in 


214 


Die  atmosphärische  Luft. 


löslicher  Form;  die  Phosphorsäure  verbindet  sich  aber  leicht  in  einer  alkalischen  resp. 
ammoniakalischen  Flüssigkeit  mit  der  Magnesia  zu  dem  schwer,  fast  unlöslichen 
Tripel-Phosphat  ( A  m  m  o  n  i  u  m  m  a  g  n  e  s  i  u  m  p  h  o  s  p  h  a  t  Mg  (NH4)  P04  -f-  6  H2  0 ). 
Calcium-  und  Magnesiumhydrat  vermögen  somit  den  Stickstoff  in  Form  von  Ammoniak 
gleichzeitig  mit  der  Phosphorsäure  zu  fixiren.  Durch  den  Zusatz  dieser  Hydrate  wird  auch 
die  Entwicklung  von  Schwefelwasserstoff  sofort  gehoben,  da  dieser  in  einer  alka- 
lischen Flüssigkeit  bei  Gegenwart  von  im  Canalwasser  nie  fehlendem  Eiseuoxyd  sofort 
zerlegt  wird,  indem  sich  neben  Schwefeleisen  Wasser  bildet.  Der  schwarze 
Schlamm  im  Canalwasser  besteht  gewöhnlich  aus  Schwefeleisen. 

Die  als  Nitrate  und  Nitrite  auftretenden  Zersetzungsproducte  der  stickstoff- 
haltigen animalischen  Substanzen  werden  allerdings  nicht  fixirt;  sie  sind  aber  bei  allen 
frischen  Abfällen  wenig  vertreten,  unterliegen  keiner  weitern  Zersetzung  und  könnten 
ohne  Gefahr  mit  demabnltrirten  Wasser,  z.  B.  zur  Bewässerung  von  Wiesen,  Gärten  u.  s.  w., 
benutzt  werden;  sie  können  auch  in  Bäche  mit  guter  Strömung  direct  abgelassen  werden. 

Zu  diesem  Filtrations-  und  Präci- 
pitationsverfahren  gehört  ein  Klär- 
bassin (Fig.  25),  welches  überwölbt 
und  nötigenfalls  mit  einem  Schlot 
(F),  der  mit  einer  Feuerung  in  Ver- 
bindung steht,  versehen  ist.  Das 
Bassin  enthält  mehrere  Abtheilun- 
gen;  in  der  ersten  Abtheilung  ( B) 
setzt  sich  Sand  mit  den  specifisch 
schweren  Substanzen,  in  den  Abthei- 
lungen C  und  f>  ein  Schlamm  ab, 
welcher  dem  PräcipitationsmJttel  (E) 
in  der  Richtung  von  unten  nach  oben 
zugeführt  wird.  Es  handelt  sich  so- 
mit um  eine  aufsteigende  Fil- 
tration, wie  sie  beim  Theilungs- 
system  in  Abtrittsgraben  schon  be- 
schrieben  worden  ist  (  s.  S.  203). 
Arbeitskräfte  sind  schon  für  die 
Herbei -und  Wegschaffung  des  Filter- 
materials erforderlich :  auch  müssen  die  Klärbassins  wegen  der  Reinigung  doppelt  vor- 
handen sein  und  unterirdisch  liegen,  um  ein  Einfrieren  ihres  Inhaltes  während  des 
Winters  zu  verhüten:  alle  diese  Erfordernisse  erschweren  allerdings  die  Ausführung 
dieses  Verfahrens. 

Die  Niederschläge,  welche  durch  Kalk  und  Magnesia  bewirkt  werden,  haben  eine 
mehr  körnig  krystallinische  Beschaffenheit  und  lassen  sich  deshalb  leicht  von  der  Flüssig- 
keit trennen;  ihre  Verbindungen  werden  durch  die  Kohlensäure  leicht  zersetzt  und  die 
Pflanzen  vermögen  deshalb  weit  leichter  die  phosphorsauren  Verbindungen  dieser  alka- 
lischen Erden  aufzunehmen. 

In  der  Industrie  können  Präcipitation  und  Filtration  bei  den  Wasch- 
w äs sern  der  Woll-,  Seiden-,  Leinenfabriken  u.  s.  w.  und  bei  den  verschiedenen 
Macerationswässern  thierischer  Substanzen  benutzt  werden. 

ad  e)  Die  Berieselung  der  Aecker  und  Wiesen  mittels  des  Canalwassers 
und  der  industriellen  Abfälle.  Die  Berieselung  kommt  im  Allgemeinen  der  ab- 
steigenden intermittirenden  Filtration  gleich.  Die  Frage:  ob  und  inwiefern 
sie  für  die  verschiedenen  klimatischen  Verhältnisse  geeignet  ist,  hat  noch  keine 
vollständige  Erledigung  gefunden;  einstweilen  ist  es  dankbar  anzuerkennen,  dass 
die  Städte  Danzig  und  Berlin  in  dieser  Beziehung  die  Fortschritte  der  Wissen- 
schaft benutzt  haben. 

Im  Allgemeinen  muss  man  annehmen,  dass  nicht  jede  Pflanze  in  jeder  Wachs- 
thumperiode  eine  Zufuhr  von  Wasser  resp.  Dünger  erfordert,  dass  es  sogar  Zeiten  gibt, 
in  denen  eine  Wasserzufuhr  gradezu  schädlich  ist.  Bei  Wiesen  wirkt  ein  Dungguss 
bis  zur  Entwicklung  der  Blüthenknospe  wohlthätig  ein ;  nach  der  Entwicklung  der 
Blüthe  und  beim  Ernten  des  Heus  ist  aber  die  Bewässerung  unthunlich  und  schädlich. 
Nach  dem  ersten  Schnitt  ist  die  Berieselung  nach  einigen  Tagen  wieder  zu  sistiren,  um 
die  Grummeternte  nicht  zu  stören.  Am  stärksten  zeigt  sich  im  Allgemeinen  der  Ge- 
ruch an  der  Ausflussstelle  auf  das  Land,  nimmt  aber  immer  mehr  ab,  je  weiter  das 
Canalwasser  abfliesst,  bis  er  auf  der  Grasfläche  verschwindet.    Die  reinigende  Kraft  des 


Die  Berieselung  der  Aecker. 


215 


Bodens  ist  oft  so  gross,  dass  das  abfliessende  Rieselwasser  wenigstens  dem  äussern  An- 
sehen nach  sich  nicht  vom  gewöhnlichen  Brunnenwasser  unterscheidet. 

In  welchem  Verhätnisse  die  verschiedenen  Stoffe  vom  Boden  aufgenommen  wer- 
den, zeigt  folgende  zu  Rugby  in  der  Saison  vom  November  1862  bis  October  1863  an- 
gestellte Analyse. 


organische       .  . 

unorganische 

zusammen       .  . 

organische       .  . 

unorganische  .  . 

zusammen  .     .  . 
Gesammte  organische  Stoffe 
Gesammte  unorganische  Stoffe 

Gesammte  feste  Stoffe      .     .  = 

löslich    .     .     .  . 

Ammoniak  {  suspendirt      .  . 

zusammen       .  . 


Lösliche 
Stoffe 

Suspendirte  J 
Stoffe        | 


Mittel 

in  zwei 

Feldern 

von  5  u. 

10  Acres. 

Canal- 

Abfluss- 

wasser. 

wasser. 

8-32 

7,73 

39,18 

3",98 

47,50 

47,n 

26,69 

2,37 

37,22 

3,06 

63,91 

5,43 

35,oi 

10,10 

76,40 

43,04 

Hl,« 

53,14 

5,76 

',28 

2,03 

0,23 

7,79 

1,51 

Uebrigens  liefert  auch  jeder  städtische  Boden  hinreichende  Beweise  für  diese  Thatsachen, 
da  fast  alle  Brunnen  filtrirtes  Canal-  und  Cloakenwasser  enthalten  und  es  noch  schlim- 
mer mit  den  öffentlichen  Gesundheitszuständen  stände,  wenn  nicht  die  reinigende 
Kraft  des  Bodens  grössere  sanitäre  Uebel  verhüten  würde. 

Auf  dem  Ackerboden  gibt  das  Canalwasser  die  Dungstoffe  ab  und  nimmt  andere 
lösliche  Stoffe  auf,  woraus  sich  der  Umstand  erklärt,  dass  das  Abflusswasser  oft  mehr 
lösliche  Stoffe  als  das  Canalwasser  enthält,  wie  aus  folgender  Analyse  erhellt: 

Die  Zahlen  geben  die  in  100,000  Th.  Wasser  enthaltenen  Bestandtheile  an. 


Nummer  der  Probe 

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CD  o    g 

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■«  o 

CO    > 

Gesammtgehalt 
an   chemisch-ge- 
bundenem Stick- 
stoff. 

o 

o 

Härte. 

und  Datum 
ihrer  Entnahme. 

o    . 

a-.s 

EH 

=8    m 

a  +2 

(2  n 

i>  S 

o  a 

No.  1.     13.  Juli  1869. 
„     2.           desgl. 
„     3.           desgl. 

52,6o 
55.rp 
68,20 

5,505 
2,506 
1,526 

2,322 
0,506 
0,164 

7,276 
2,772 
0,120 

0 
0 
0 

8,314 

2,739 
0,510 

8,25 
10,20 
10,50 

3,48 
0,72 
0,88 

8,95 
0,28 
0,36 

12,44 

■'jOO 

No.  1  ist  das  rohe  Canalwasser  von  Rugby;  No.  2  das  am  Ende  eines  21/2  Mor- 
gen grossen,  mit  Raygras  bestandenen  Ackerstreifen  genommene  Wasser;  No.  3  wurde 
am  Ende  dieses  Graslandes,  etwa  233  Preuss.  Fuss  von  dem  Zuführungsgraben  entfernt 
geschöpft. 

Was  noch  den  Einfluss  des  Winters  betrifft,  so  hat  man  allerdings  bemerkt, 
dass  der  anhaltende  Frost  bisweilen  störend  eintritt;  jedoch  beobachtete  man  ein 
eigentliches  Gefrieren  des  Rieselwassers  nur  an  seiner  Ausflussstelle.  Ein  glücklicher 
Umstand  ist  die  Temperatur  des  Canalwassers,  welche  nie  unter  0°  sinkt.  Wenn  es 
sich  deshalb  auch  einen  Weg  unter  der  Eisdecke  bahnt,  so  ist  doch  die  Regulirun g 
der  Berieselung  dadurch  unausführbar;  es  bleiben  daher  namentlich  bei  Wiesen  ein- 
zelne ihrer  Partien  oft  ungedüngt;  in  solchen  Zeiten  muss  'man  zur  Berieselung  der 
Aecker  übergehen.  Eine  Schneelage  mindert  den  nachtheiligen  Einfluss  des  Frostes 
und  selbst  bei  einer  Höhe  von  6 — 10  Zoll  soll  die  Berieselung  auch  bei  anhaltendem 
Froste  ungestört  verlaufen.55) 

Weitere  Erfahrungen  und  die  richtige  Wahl  des  für  ein  gegebenes  Terrain  geeig- 
neten Berieselungssystems  müssen  hierüber  entscheiden.  In  letzterer  Beziehung  wendet 
man  an:  1)  den  Hangbau  oder  das  Auffang-System  (catchwork-system),  welches  be- 
sonders bei  hügligem  Lande  eingeführt  ist;  2)  das  Furchensystem  (pane- and  gutter- 
system)  für  Rieselfelder  mit  geringem  Gefälle;  3)  das  Beetsystem  (Bed-system,  ridge 
and  furrow). 


216  Die  athiuosphärische  Luft. 

So  viel  steht  fest,  dasa  las  jetzt  mit  Rücksicht  auf  grosse  Städte  noch  keine 
bessere  Methode  für  die  Verwerthang  des  Canalwassers  aufgefunden  worden  ist;  selbst 
die  eifrigsten  Vertheidiger  des  Abfuhrsystems  müssen  gestehen,  dass  hierbei  der  Abfluss 
der  städtischen  Canäle  in  die  Flüsse  dem  grössten  Bedenken  unterliegt.  Man  hat  des- 
halb in  vielen  Fällen  die  Notwendigkeit  eines  gemischten  Verfahrens  anerkennen 
müssen.5'  i 

So  spricht  sich  auch  in  neuerer  Zeit  Lefeldt61)  zwar  für  das  Abfuhrsystem,  nament- 
lich für  das  Aschen-Trockeneloset  aus,  hält  jedoch  für  die  flüssigen  Küchenabfälle 
und  Waschwässer  eine  besondere  Röhrenleitung,  entweder  Desinficirung  und  Ab- 
fluss  dieser  Schmotzwasser  in  die  Flüsse  oder  ihre  Desinficirung  zum  Zwecke  der  Be- 
rieselung für  erforderlich.  Es  geht  hieraus  nur  mit  Bestimmtheit  hervor,  dass  in  grossen 
Städten  trotz  eines  etwa  vorhandenen  Abfuhrsystems  eine  Canalisation  unentbehrlich 
und  schon  für  die  Ableitung  des  Meteorwassers  absolut  erforderlich  ist,  eine  Thatsache, 
deren  Wichtigkeit  auch  im  internationalen  medicinischen  Congress  zu  Wien  im  Sep- 
tember 1S73  Ausdruck  gefunden  hat,  indem  allgemein  anerkannt  wurde,  dass  durch  ein 
gutes  Schwemmsystem  den  hygienischen  Anforderungen  in  einfacher,  prompter  und  wirk- 
samer Wei>e  möglichst  Rechnung  getragen  werden  kann. 

Bezüglich  der  Salubrität sf rage  bei  der  Berieselung  scheinen  die  früher  häufig 
geäusserten  sanitären  Bedenken  immer  mehr  in  den  Hintergrund  zu  treten.  In  England 
liegen  die  Wohnungen  nicht  weiter  als  660 — 900  Prenss  Fnss  (2 — 300  Tarda) 
von  den  Rieselfeldern  entfernt.  Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  der  üble  Geruch 
vielfach  noch  vermindert  werden  kann,  wenn  mau,  statt  in  offenen  Rinnen,  in  bedeckten 
Graben  "der  in  Drainröhren  die  Leitung  bewirkt:  in  Norwood  führt  sogar  ein  breiter 
Weg  durch  die  Rieselfelder,  welcher  häufig  als  Spaziergang  benutzt  wird.  Aehnliche 
Erfahrungen  über  die  Unschädlichkeit  der  Rieselfelder  hat  man  in  Edinburg,  Croy- 
don  und  Barking  gemacht 

Der  Einwurf,  dass  Helminthiasis  durch  die  Fütterung  mit  Rieselgras  oder  durch 
den  Genuss  von  mit  Rieselflüssigkeit  behandeltem  Gemüse  befördert  werde,  ist  als  die 
Grille  eines  englischen  Arztes  zu  betrachten. 

Wenn  die  Schwemme-anale  für  die  grossen  Städte  eine  Notwendigkeit  ge- 
worden sind,  so  wird  doch  auch  die  Abfuhr  durchaus  nicht  zu  entbehren  sein:  denn  selbst 
in  grossen  Städten  werden  stets  einzelne  Stadtquartiere  von  der  Betheiligung  an  den 
Schwemmcanälen  ausgeschlossen  bleiben  und  auch  das  Waasercloset  lässt  sich  nicht  mit 
Gewalt  allen  Häusern  aecommodiren.  Ausserdem  ist  nicht  zu  verkennen,  dass  nur  durch 
die  Abfuhr  der  Excremente  ihre  vollständige  Ausnutzung  ermöglicht  wird.  Die  gross- 
artige Gemüsezucht  in  Belgien  und  Holland  verdankt  ihre  Existenz  lediglich  der  Abfuhr 
der  Excremente.  Eine  Stadt,  welche  einen  bedeutenden  Consum  von  vegetabilischen 
und  animalischen  Nahrungsmitteln  hat,  wird  wohl  daran  thun.  ihre  Abfälle  für  den 
Garten-  und  Gemüsebau  zu  verwenden,  grade  wie  der  Landwirth  sein  Stroh,  seinen 
Stallmist  und  seine  Mistjauche  seinem  Acker  nicht  entziehen  wird.  Wie  die  Streunutzung 
in  den  Wäldern  geboten  ist.  ebenso  sollte  mit  der  grössten  Strenge  der  Verschleuderung 
der  Excremente  und  namentlich  dem  Verschütten  derselben  in  die  Wasserläufe  entgegen- 
gewirkt werden. 

Für  viele  industrielle  Abfälle  ist  die  Berieselung  ebenfalls  zweckmässig  an- 
zuwenden; manche  Abfälle,  z.  B.  die  in  Zuckerfabriken,  haben  früher  nicht 
selten  bedeutende  sanitäre  Nachtheile  geschaffen,  während  sie  gegenwärtig 
bei  einer  rationellen  Benutzung  für  die  Aecker  sogar  Gewinn  abwerfen  (s.  Zucker- 
fabrication). 

Die  Abfälle  der  Gerbereien  können  ohne  Bedenken  den  Schwemm- 
canälen zugeführt  werden,  wenn  der  Canalinhalt  zur  Berieselung  benutzt  wird: 
liegen  die  Gerbereien  auf  dem  Lande,  so  können  die  Abfallwässer  direct  für  die 
Aecker  verwerthet  weiden;  der  Abfluss  in  kleinere  Flüsse,  Bäche,  Gräben  u.s. w. 
erfordert  unbedingt  eine  vorhergehende  Filtration.  Ganz  besonders  muss  man 
diese  Bedingung  an  alle  Weissgerbereien  stellen,  welche  Hunde-  sogar  bis- 
weilen Menschenkoth  dem  Fäulnissprocesse  unterwerfen  und  für  die  Fabrication 
benutzen.  Von  welchem  fürchterlichen  Gerüche  dann  die  Abfallwässer  be- 
gleitet sind,  ist  selbstverständlich;  ganze  Stadtviertel  können  dadurch  verpestet 
werden,  wenn  solche  Gerbereien  noch  aus  früheren  Zeiten  innerhalb  der  Wohn- 
häusercomplexe  gelegen  sind  und  nur  Gräben  oder  kleine,  wasserarme  Bäche  zur 


Wegschaffung  der  thierischen  Excremente.  217 

Verfügung  haben.  Ueberhaupt  sollte  die  Anlage  von  Gerbereien  niemals  ober- 
halb der  an  einem  Wasserlaufe  gelegenen  Städte  gestattet  werden;  leider  finden 
sie  sich  noch  häufig  innerhalb  der  Städte  und  verderben  die  Luft  und  den 
Untergrund. 

In  dieselbe  Kategorie  gehören  die  Macerationswässer  der  Knochen, 
Hufe,  Felle,  des  Leimguts  und  ähnlicher  thierischer  Substanzen.  Die  Wasch- 
wässer bei  Wollfabriken,  Seidenfabriken,  bei  der  Leinenindustrie 
u.  s.  w.  können  in  die  Schwemmcanäle  zur  Berieselung  oder  auch  direct  auf  die 
Aecker  abgelassen  werden,  wenn  solche  zur  Verfügung  stehen;  sonst  entzieht 
man  ihnen  das  Fett  durch  Präcipitationsmittel,  filtrirt  sie  mittels  Sand  und  ge- 
stattet dann  ihren  freien  Abfluss. 

Die  in  dieser  Richtung  angestellten  Versuche  sehen  noch  einer  grossen 
Vervollkommnung  entgegen;  manche  Abfallwässer,  z.  B.  die  der  Färbereien, 
erfordern,  wie  die  Erfahrung  schon  gelehrt  hat,  ein  vorhergehendes  Absetzen- 
lassen in  Klärbassins,  ehe  sie  auf  die  Aecker  abgelassen  werden.  Klärbassins 
ohne  Präcipitation  mit  Kalk  scheinen  hier  vollständig  auszureichen  und  sogar  den 
Vorzug  vor  jedem  andern  Verfahren  zu  verdienen. 

Wegschaffung  der  thierischen  Excremente.  Im  engen  Zusammenhange  mit 
den  eben  besprochenen  Abfallstoffen  grösserer  Fabrikanlagen  steht  das  Sammeln, 
Wegführen  und  Verwerthen  der  thierischen  Excremente.  Hauptsächlich  sind  es 
Pferde,  Rindvieh,  zuweilen  auch  Schafe,  Ziegen  und  Schweine,  welche  in  Arbeits- 
vierteln gehegt  und  gepflegt  werden. 

Alle  Ställe  sind  nur  da  zu  errichten,  wo  sie  in  keiner  Weise  durch  ihre 
Exhalationen  zu  schädlichen  Einflüssen  Veranlassung  geben;  auch  sind  ihre  innern 
Einrichtungen  derart  zu  treffen,  dass  sie  ein  vollständiges  Ablassen  der  flüssigen 
Dejectionen  fortwährend  gestatten  und  auch  die  Anhäufung  der  festen  Excre- 
mente ohne  schädlichen  Einfluss  auf  die  Thiere  ermöglichen. 

Die  Ställe  müssen  einen  festen  Untergrund  haben;  blosse  Pflasterung,  sei  es 
mit  Basalt  oder  Ziegeln,  reicht  nicht  aus.  Der  eingesaugte  Harn  sickert  bald  tiefer  in 
den  Boden  und  kann  auf  diese  Weise  in  die  Brunnen,  Regensärge  u.  s.  w.  gelangen; 
selbst  dann,  wenn  der  Boden  sogar  mit  einer  Ziegelschicht  und  einem  nachfolgenden 
Mörtel-  oder  Cementguss  versehen  ist,  schützt  derselbe  doch  nicht  vor  dem  Ein- 
dringen des  Harns,  weil  durch  die  Erzeugung  von  salpetersauren  Salzen  und  durch 
den  Gehalt  des  Harns  an  Chlormetallen  das  Bindemittel,  der  Kalk,  sehr  bald  weggeführt 
und  auf  diese  Weise  der  Infiltration  ein  offener  Weg  geschafft  wird,  ein  Umstand, 
welcher  viel  zu  wenig  beachtet  ist. 

Wird  in  einem  solchen,  mit  thierischen  Excrementen  getränkten  Boden  späterhin 
ein  Brunnen  gegraben,  so  kann  der  hohe  Gehalt  des  Wassers  an  salpeter-  und  salpetrig- 
sauren Salzen  neben  einer  grossen  Menge  von  Chloriden  nicht  auffallen.  Der  Boden 
des  Stalles  sollte  deshalb  stets  für  die  Excremente  undurchdringlich  gemacht  und 
den  flüssigen  Theilen  derselben  ein  Ausweg  verschafft  werden.  Das  Platten  und 
Asphaltiren  des  Stallbodens  bringt  grosse  Unannehmlichkeiten  mit  sich,  indem  die 
Thiere  darauf  leicht  ausgleiten,  fallen  und  sich  verletzen.  Das  Einhauen  von  Rinnen 
in  die  Platten  hat  den  Uebelstand,  dass  stets  ein  Theil  der  Excremente  darin  zurück- 
bleibt, wodurch  die  Fäulniss  begünstigt  wird. 

Um  diesem  Uebelstande  abzuhelfen,  hat  man  das  Legen  von  Platten  in  Asphalt- 
massen angewendet  und  über  denselben  einen  zweiten  nicht  dichten  Boden  von  Bohlen 
gelegt.  Dadurch  aber,  dass  die  Bohlen  mit  einem  Theile  der  Substanzen  durchtränkt 
wurden,  entstand  ein  stetiger  Fäulnissprocess,  welcher  wiederum  eine  sehr  grosse  Ent- 
wicklung von  Ammoniak  nothwendig  zur  Folge  hatte;  selbst  ein  Anstrich  der  Bohlen 
mit  Theer  hat  nur  für  kurze  Zeit  eine  günstige  Wirkung. 

Die  beste  Methode  besteht  darin,  dass  gleichsam  ein  Separationssystem  auch 
in  den  Ställen  zur  Anwendung  kommt,   wodurch   beständig  die  flüssigen  Theile 


218  Die  atmosphärische  Luft. 

durch    unterirdische   Röhren    allmählig   nach    einer   tiefer  liegenden   asphaltirten 
Grube  abgeführt  werden. 

Zu  diesem  Zwecke  drainirt  mau  nach  Boussingault  den  Stall;  die  Drain- 
rühren haben  nach  oben  einen  Längsschnitt  oder  mehrere  kleine  Quereiuschuitte; 
sie  werden  der  Länge  nach  in  der  Weise  fest  in  einander  gelegt,  dass  sie  sämmt- 
lich  nach  einer  Seite  hin  Gefälle  haben  und  in  ein  Hauptableitungsrohr  mündeu. 
Die  Zwischenräume  zwischen  den  Röhren  werden  mit  Cement  oder  hydrauli- 
schem Mörtel  ausgefugt,  wobei  selbstverständlich  die  obern  Einschnitte  oder 
Schlitze  ganz  offen  bleiben.  Nach  dem  vollständigen  Austrocknen  der  Cementi- 
rung  folgt  ein  Anstrich  mit  warmem  Steinkoblentheer,  die  ganze  Oberfläche  wird 
dann  mit  Bohlen  und  Stroh  belegt;  ein  Bestreuen  der  Bohlen  mit  Gyps  ist  nicht 
uuerlässlich,  jedoch  sehr  vortheilhaft.  Sämmtliche  Flüssigkeiten  sickern  zwischen 
den  Bohlen  durch  und  gelangen  dann  durch  den  Hauptabzugscanal  in  die  as- 
phaltirte  Grube;  solche  Ställe  können  nach  Bedürfniss  vollständig  ausgespült 
werden. 

Das  Stroh  bleibt  natürlich  viel  trockner  und  kann,  wenn  es  am  Tage  auseinander 
geworfen  wird,  in  hinreichend  trocknem  Zustande  mehrmals  benutzt  werden.  Es  ver- 
steht sich  von  selbst,  dass  hier  der  Ausfall  an  Strohdünger  ein  geringerer  ist;  dagegen 
erhält  der  flüssige  Inhalt  der  asphaltirten  Grube  einen  grösseren  Dungwerth,  weil 
Nichts  verloren  geht,  namentlich  wenn  die  Sammelgrube  zeitweise  mit  Gyps  beschickt 
wird.  Die  örtlichen  Verhältnisse  werden  natürlich  mannigfache  Modificationen  dieses 
Systems  erfordern:  so  sind  z.  ß.  bei  Ställen  in  Souterrains  stets  noch  die  Umfassungs- 
mauern auf  Isolirschichten  aufzuführen. 

Die  Blindheit  der  Pferde  hängt  höchst  wahrscheinlich  von  der  schlechten  Luftbe- 
schaffenheit in  den  Ställen  und  namentlich  von  einer  vorwaltenden  ammoniakalischen 
Atmosphäre  ab.  Auch  viele  andere  Krankheiten  der  Thiere  werden  unzweifelhaft  der 
schlechten  Beschaffenheit  der  Thierställe  zuzuschreiben  sein ;  die  Klauenseuche  beim 
Rindvieh  und  bei  den  Schafen  und  mehrere  Hufkrankheiten  der  Pferde,  Esel  und 
Maulthiere  werden  am  sichersten  durch  gute  Ställe  verhütet.  Der  Einfluss  des  ge- 
schlossenen, nicht  ventilirten  Raumes  gibt  sich  bei  den  Thieren  nicht  minder 
als  bei  den  Menschen  kund,  er  schafft  stets  mehr  oder  weniger  abnorme  Zustände 
welche  schliesslich  in  Krankheiten  ausarten. 

Die  Pferde  der  Steppenbewohner  sind  frei  von  den  sogenannten  Culturkrank- 
heiten,  obgleich  sie  grossen  Strapazen  ausgesetzt  sind  und  oft  sogar  spärliches  Futter 
erhalten,  grade  wie  die  Barackenwohnungen  bei  Truppenansammlungen  u.  s.  w.  am 
meisten  vor  Krankheiten  schützen  und  Barackenhospitäler  am  besten  die  Genesung 
begünstigen. 

Die  Entstehung  der  Rinderpest  beim  russischen  Steppenvieh  beruht  in  örtlichen 
Verhältnissen,  die  hier  nicht  weiter  zu  erörtern  sind.  Jedenfalls  besitzt  aber  das  russische 
Steppenvieh  wegen  seiner  beständigen  Lebensweise  im  Freien  die  grösste  Widerstands- 
fähigkeit gegen  diese  Krankheit. 

Unter  den  verschiedenen  Ställen  führen  die  der  Schweine  die  meiste  Belästi- 
gung herbei,  da  die  Excremente  dieser  Thiere  einen  ganz  besonders  widrigen  Geruch 
verbreiten.  Der  Boden  muss  hierbei  ausnehmend  undurchlässig  sein  und  das  Ab- 
fliessen  der  Flüssigkeiten  gestatten.  In  vielen  Gegenden  herrscht  dabei  die  Unsitte,  die 
Schweineställe  derart  mit  den  Aborten  zu  verbinden,  dass  die  Fäcalien  zur  Nahrung 
der  Schweine  dienen.  Ein  solches  Vei'fahren  ist  aus  den  mannigfaltigsten  Ursachen  un- 
zulässig, abgesehen  davon,  dass  auch  das  Schweinefleisch  dadurch  einen  sehr  üblen  Ge- 
schmack erhält. 

Das  Aufstapeln  des  Thiermistes  erfordert  wie  bei  den  menschlichen  Dejectionen 
ein  Lagern  mit  Erdschichten  Asche,  u.  s.  w.,  d.  h.  ein  Anlegen  von  Composthaufen,  um 
die  Dungsubstanzen  festzuhalten;  sie  dürfen  aber  nie  in  der  Nähe  von  Brunnen  oder 
au  Gebäuden  angelegt  werden,  damit  die  ablaufende  Mistjauche  nicht  schädlich  einwirke. 
Dungstätten,  bei  denen  die  flüssigen  und  festen  Excremente  mit  Stroh  aufgeschichtet 
oder  die  festen  Excremente  mit  Stroh  gemischt  und  mit  Harn  übergössen  werden,  dürfe/? 
nur  in  cementirten,  mit  Theer  getränkten  und  verschlossenen  Gruben  angelegt  wer- 
den, welche  keiner  Ueberschwemmung  ausgesetzt  sind.  In  der  Nähe  von  grösseren 
Häusercomplexen,  Vorstädten,  Villenanlagen  u.  s.  w.  muss  der  frisch  aufgeworfene  Dünger 
sofort  umgepflügt  wei'den. 


Benutzung  verschiedener  Dungstoffe.  219 

3)  Die  Bodeneultur  und  die  Benutzung  verschiedener  Dungstoffe. 
Der  Boden  muss  die  für  die  Pflanzennakrung  erforderlichen  Stoffe  in  einer 
assimilirbaren  Form  erhalten;  wenn  die  Natur  hierzu  nicht  ausreichend  wirkt, 
so  müssen  mechanische  und  chemische  Kräfte  die  Ueberführung  der  Pflanzen- 
nahrungsstoffe in  jene  Form  unterstützen.  Der  Verwitterungsprocess  be- 
steht nur  in  einem  Zerfallen  der  im  Boden  befindlichen  Mineralien  durch  Wasser, 
Luft  resp.  Kohlensäure  und  jTemperaturwechsel;  er  wird  beschleunigt  durch 
Pflügen  und  Umgraben,  um  der  Einwirkung  der  Atmosphäre  eine  grössere 
Oberfläche  zu  bieten.  Ganz  besonders  ist  in  chemischer  Beziehung  das  Kalk- 
hydrat ein  geeignetes  Mittel  zum  Aufschliessen  des  Bodens;  das  Aufstreuen 
auf  die  Aecker  darf  niemals  bei  starkem  Winde  stattfinden;  auch  ist  es  zweck- 
mässig, den  Kalk  mit  feuchter  Erde  zu  mischen.  Er  erzeugt  vorzugsweise  die 
Verwesung  der  sickstoffhaltigen  Substanzen  resp.  aus  dem  Ammoniak  Salpeter- 
säure; der  Kalk  sowie  die  Alkalien  und  alkalischen  Erden  leiten  nämlich  Oxy- 
dationsprocesse  ein,  an  welchen  sie  selbst  sich  nicht  betheiligen. 

Das  Selliffeln  besteht  in  einem  Verbrennen  der  Grasnarbe,  wobei  die  im  Heide- 
kraut spärlich  vorkommender)  Nahrungsstoffe  in  die  für  Pflanzen  assimilirbare  Form 
gebracht  werden.  Durch  das  Brennen  werden  nämlich  die  Löslichkeit  der  Silicate  und 
Alkalien  so  wie  die  Absorptionsfähigkeit  des  Bodens  für  Ammoniak  hervorgerufen.  Durch 
das  Moorurennen  wird  die  humose  Torferde  der  Verbrennung  unterworfen,  wobei  wegen 
ihres  Bitumengehaltes  die  Producte  der  trocknen  Destillation  auftreten,  welche  nament- 
lich auf  die  Blütben  der  Pflanzen  und  Bäume  nachtheilig  einwirken  und  unter  der  Er- 
scheinung des  Höhenrauchs  (HaaiTauch)  allgemein  bekannt  sind. 

Aspirirt  man  die  hiermit  geschwängerte  Luft  durch  feuchte  Baumwolle,  um  allen 
atmosphärischen  Staub  abzuhalten,  und  leitet  sie  in  Schwefelsäure,  so  färbt  sich  letztere 
zuerst  gelb  und  dann  braun.  Man  erhitzt  diese  3—4  Stunden  lang  mit  Oxalsäure,  bis 
eine  langsame  Zersetzung  und  eine  schwache  Entwicklung  von  Kohlensäure  resp.  Koh- 
lenoxyd eintritt.  Nach  dem  Erkalten  verdünnt  man  die  Mischung  mit  Wasser  und 
übersättigt  sie  mit  Natrium carbonat:  es  tritt  sofort  eine  lebhaft  violettrothe  Färbung 
durch  Bildung  von  rosolsaurem  Natrium  ein,  welches  seinen  Ursprung  der  Carbol- 
säure  verdankt. 

Der  Nachweis  von  Carbolsäure  im  Höhenrauch  lässt  keinen  Zweifel  über  den 
Ursprung  desselben  zu.  Durch  das  Moorbrennen  geht  eine  unberechenbare  Menge  von 
Brennmaterial  resp.  von  Wärme  verloren:  durch  Aufschliessen,  Entwässern  und  Drai- 
niren würde  man  denselben  ökonomischen  Zweck  erreichen. 

In  Anbetracht,  dass  durch  das  Moorbrennen  in  einem  verhältnissmässig  kleinen 
Gebiete  ganze  Ländercomplexe  belästigt  und  beschädigt  werden,  sollte  im  öffentlichen 
Interesse  das  Moorbrennen  Seitens  der  verschiedenen  Staaten  gänzlich  verboten  werden. 
Es  sind  hierüber  zwar  schon  viele  Stimmen  laut  geworden,  man  ist  aber  dem  Ziele 
nicht  im  Geringsten  näher  gerückt  und  die  Calamität  kehrt  in  jedem  Jahre  zurück.58) 

Erst  in  Holland  hat  man  den  Anfang  gemacht,  den  Torf  zu  verkoken,  wo- 
bei 2  G.  Th.  Torf  als  Brennmaterial  benutzt  werden,  um  1  G.  Th.  in  eine  holzähn- 
liche Masse  zu  verwandeln.  Dieser  Torfkok  wird  von  Conditoren  und  Pasteten- 
bäckern gern  benutzt,  da  er  ohne  Geruch  verbrennt  und  leicht  entzündlich  ist.  In 
Holland  wird  er  deshalb  vorzugsweise  zum  Warmhalten  des  Theewassers  in  den  soge- 
nannten Stoofjas  verwendet.  Die  beim  Verkoken  gewonnene  Asche  dient  zur  Dün- 
gung des  entwässerten  und  ausgetorften  Landes. 

Das  Verbrennen  der  Wurzelstöcke  beim  Ausrotten  der  Wälder  erzeugt  einen 
sehr  belästigenden  Rauch,  der  alle  Eigenschaften  des  Höhenrauchs  hat:  bei  Regen- 
wetter können  dadurch  die  benachbarten  Felder  ganz  verwüstet  werden.  Dieses  Ver- 
brennen sollte  daher  in  einer  Art  von  Kohlenmeilern  oder  in  Gruben  vorgenommen 
werden,  damit  eine  energische  Verbrennung  mit  Flammenbüdung  unterhalten  wird. 

Beim  Düngen  des  Bodens,  d.h.  bei  der  Zuführung  der  fehlenden  Boden- 
bestandtheile,  beobachtet  man  nach  den  verschiedenen  Zwecken,  die  man  zu  er- 
reichen sucht,  auch  ein  verschiedenes  Verfahren.  Die  Bewässerung  ist  von  der 
Berieselung  zu  unterscheiden;  sie  findet  bei  den  Wiesen,  beim  Reisanbau,  bei  den 
Indigo-  und  Zuckerpflanzungen  statt.     Es  kommt  hierbei  die  starke  Verdunstung 


220  Die  atmosphärische  Luft. 

der  bewässerten  Grundstücke  in  Betracht.  So  lange  diese  unter  Wasser  stehen, 
macht  sich  die  Einwirkung  der  Verdunstung  weniger  geltend  als  nach  dem  Ab- 
lassen des  Wassers,  wenn  die  Grundstücke  durch  Bestrahlung  der  Sonne  einer 
starken  Verdunstung  unterworfen  werden  und  die  Oxydation  zunimmt.  Es  zeigen 
sich  dann  alle  nachtheiligen  Einflüsse  der  Sumpfluft;  dichte  weisse  Nebel 
lagern  sich  namentlich  des  Abends  über  solche  Flächen,  und  das  Auftreten  des 
Wechselfiebers  iu  der  Nähe   ist  nicht  selten. 

Hier  muss  der  Hauptschutz  in  einer  zweckmässigen  Bekleidung  und  in  der 
Vermeidung  von  Sitzen  oder  Liegen  im  Freien,  namentlich  des  Abends,  bestehen. 

Die  JauchednnglUlg  ist  für  jeden  Freund  der  Natur  eine  lüstige  Zugabe.  Man 
hat  noch  nicht  versucht,  dieser  Belästigung  durch  zweckmässige  Desinfectionsnrittel  ent- 
gegenzutreten, obgleich  oft  schon  ein  einfacher  Zusatz  von  Kalk  zur  Mistjauche  in 
dieser  Beziehung  sehr  zweckmässig  sein  würde. 

Die  Düngung  mit  Exerementen  ist  für  die  Adjacenten  eine  höchst  unangenehme 
und  für  sensible  Constitutionen  oft  unerträgliche  Procedur;  ein  Zusatz  von  Mineralsub- 
stanzen, namentlich  von  Gyps,  würde  die  höchst  übelriechenden  Exhalationen  bedeutend 
mindern. 

PischgnanO  wird  an  der  Norwegischen  und  Schottischen  Küste  aus  Sprotten 
(Clupaea  sprattus)  bereitet,  indem  diese  getrocknet  und  durch  Mahlen  grob  pulvei-isirt 
werden;  es  entwickeln  sich  hierbei  stark  faulige  Gerüche,  welche  zweckmässig  durch 
Schlote  abzuleiten  sind.  In  der  Nähe  menschlicher  Wohnungen  sollte  diese  Fabrication 
nicht  geduldet  werden.  Beim  Dörren  in  der  wärmeren  Jahreszeit  geht  das  Fischfleisch 
schon  vor  seiner  vollständigen  Austrocknung  in  Fäuluiss  über:  die  Ausdünstungen  locken 
eine  Menge  von  Insekten  herbei,  welche  scharenweise  solche  Werkstätten  umlagern. 
In  kälterer  Jahreszeit  benutzt  man  zum  Trocknen  künstliche  Wärme.  Auch  hierbei  ist 
der  Fäulnissprocess  mit  der  Exhalation  von  Methylamin,  Propylamin  und  den  Ammo- 
niakbaseu  aller  Art  nicht  zu  vermeiden. 

Eine  dritte  Art  des  Trocknens  besteht  darin,  dass  man  die  Fische  und  Fisch- 
theile  auf  erhitzten  eisernen  Platten  gleichsam  backt.  Von  dem  Trocknen  und  Mahlen 
der  Masse  behält  dieser  Handelsartikel  noch  immer  einen  an  faules  Stockfisclrwasser  erin- 
nernden Geruch.  Wird  dieser  Dünger  mit  verdünnter  Schwefelsäure  besprengt  und 
fieissig  uingekrükt,  so  findet  ein  wirkliches  Aufschliessen  der  im  Dünger  enthaltenen 
Gräten  statt:  dieser  Act  geschieht  aber  meistens  an  Ort  und  Stelle,  wo  der  Dünger  sofort 
gebraucht  wird.  Ein  anderes  Verfahren  besteht  noch  darin,  dass  man  Breitlinge  oder 
Heringe  (100  Pf.)  mit  Schwefelsäure  (5  Pfd.)  in  bleierne  Kufen  mischt,  bis  die  Masse 
eine  teigige  Consistenz  angenommen  hat.  Man  trocknet  dieselbe  durch  künstliche 
Wärme  aus,  wobei  alle  flüchtigen  fetten  Säuren  neben  Schwefelwasserstoff  auftreten. 

Man  hat  auch  die  Fische  durch  Erhitzen  mittels  Wasserdampfes  behandelt  uud 
das  Oel  ausgepreist,  um  den  Thran  zu  gewinnen.  Beim  Lagern  dieses  Düngers  ist 
derselbe  Geruch  wie  beim  Superphosphat  vorhanden,  weshalb  dieselben  Massregeln  wie 
bei  Knochenlagern  zu  beobachten  sind  (S.  Knochenlager). 

In  Schottland  und  Irland  werden  die  Fische  häufig  frisch  zu  einein  Brei  ge- 
stossen;  derselbe  wird  mit  Wasser  verdünnt  und  als  flüssiger  Dünger  auf  die  Aecker 
gebracht.  An  der  Küste  von  Friesland,  Norwegen  und  Schottland  werden  auch  die  so- 
genannten Garnelen  (Seespinnen)  zerstossen  uud  zum  Düngen  gebraucht.  In  den 
Cisternen,  wo  dieser  Dünger  aufbewahrt  wird,  entwickelt  sich  ein  unerträglicher  Ge- 
ruch; auch  hier  sammelu  sich  eine  Masse  von  Fliegen  an,  um  daselbst  ihre  Eier  zu 
legen.  Der  Stich  solcher  Fliegen,  die  mit  diesen  faulen  Substanzen  in  Berührung 
gekommen  sind,  soll  höchst  schmerzhafte  und  in  brandige  V  er  seh  wärung  übergehende 
Pusteln  erzeugen. 

Dünger  von  Hörn-,  Woll-,  Tiederabfällen  und  Haaren.  Die  betreffenden  Gegen- 
stände werden  iu  mit  Blei  ausgefütterten  Kesseln  mit  einem  Gemisch  vou  Schwefel- 
säufe  und  Wasser  zu  gleichen  Volumina  siedend  heiss  behandelt.  Es  lösen  sich  diese 
Substanzen  in  der  Flüssigkeit  auf,  wobei  sich  ein  eigentümlicher,  an  stinkenden  Schweiss 
erinnernder  Geruch  entwickelt. 

Die  Flüssigkeit  wird  nach  dem  Erkalten  mit  Kalk  neutralisirt,  wodurch  sie  in 
eine  pnlverförmige  trockne  Substanz  übergeführt  wird.  Bei  dieser  Neutralisation  ent- 
steht eine  Entwicklung  von  Schwefelammonium  und  andren  Substanzen,  welche  höchst 
fade  riechen,  ihrer  eigentlichen  Natur  nach  aber  noch  unbekannt  sind. 

Diese  Düngerart  behält  stets  einen  widerlichen  Geruch,  weshalb  beim  Lagern 
derselben  die  grösste  Sorgfalt  anzuwenden  ist. 


Benutzung  verschiedener  Dungstoffe.  221 

Besondere  Düngerarten.  Für  die  Blumenzucht  dienen  die  Excremente  der  Hunde 
(Album  graecum,  3  basisch  phosphorsaures  Calcium  Ca3  (P04)2  nebst  Ueberresten  von 
thierischen  Geweben)  als  Dünger;  dieselben  werden  an  der  Luft  getrocknet,  fein  ge- 
pulvert und  als  Streupulver  benutzt.  Auch  der  Abfall  von  Bierbrauereien  resp.  des 
Hopfens  und  Malzes,  sowie  der  Bier-  und  Weinhefe  dient  als  Dünger;  man  überlässt 
die  Hefe  der  Fäulniss  und  setzt  Gypspulver  so  lange  hinzu,  bis  das  Ganze  eine  trockne 
Masse  geworden  ist:  auch  hier  muss  man  so  viel  als  möglich  für  die  Entfernung  der 
höchst  stinkenden  Dämpfe  sorgen.  Es  empfiehlt  sich  sehr,  die  schon  in  Fäulniss  be- 
griffene Masse  mit  einer  Decke  von  Gyps  und  Holzasche  zu  bestreuen. 

Hierher  gehört  auch  das  getrocknete  Blut;  das  Eintrocknen  ist  sets  mit  dem 
widerlichsten  Gerüche  verbunden,  weshalb  man  am  besten  Torf-  und  Braunkohle  zusetzt. 

Kulturbefördernng  durch  Färben  resp.  Schwärzen  des  Bodens.  In  manchen 
Fällen  ist  es  vortheilhaft,  den  Boden  zu  befähigen,  sich  durch  die  Sonnenstrahen  schon  in 
den  ersten  Frühlingstagen  rasch  und  dauernd  zu  erwärmen.  Bei  allen  Gemüse- 
treibereien kommt  es  darauf  an,  class  dem  Boden  auch  bei  niedrigem  Stande 
der  Sonne  eine  verhältnissmässig  starke  Erwärmung  zu  Theil  wird  Bekanntlich  werden 
alle  schwarzen  Gegenstände  von  der  Sonne  stärker  als  weisse  erwärmt;  es  ist  deshalb 
leicht  erklärlich,  warum  ein  dunkler  resp.  schwarz  gefärbter  Boden  ein  rascheres  Wach- 
sen hervorruft  als  eine  andere  Bodenart,  die  bei  ganz  gleichen  Bodenbestandtheilen 
eine  helle  oder  weisse  Farbe  besitzt,  Die  grosse  Triebkraft  des  Sandbodens  in  Ost- 
friesland ist  nur  durch  seine  schwarze  Farbe  bedingt;  namentlich  Spargel  lässt  sich  in 
einem  schwarzen  Boden  viel  rascher  aufziehen  als  in  einem  hellfarbigen. 

Das  Schwärzen  des  Bodens  geschieht  einfach  durch  Zufuhr  von  pulverisirter 
Holz-  oder  Steinkohle  oder  einer  andern  Substanz,  welche  durch  Verwesung  schwarzge- 
färbte Producte  erzeugt.  Hierbei  kann  nnr  der  Staub  belästigend  oder  nachtheilig  wir- 
ken, wenn  sich  zufällig  in  der  Nähe  Bleichereien  befinden  sollten. 

Stickstoff  und  Wasserstoff. 
Ammoniak  NH3. 

Ammoniak  kommt  frei  in  der  Natur  fast  nur  als  salpetrigsaures  Salz  NH4N03 
in  der  Atmosphäre  und  im  Regenwasser  vor.  Auch  entsteht  es  bei  der  trocknen 
Destillation  stickstoffhaltiger  organischer  Körper  und  bei  der  Fäulniss  solcher  Stoffe;  in 
der  Damm-  oder  Ackererde  fehlt  es  daher  nie,  tritt  aber  hier  meistens  als  Carbonat 
auf.  Das  Carbonat  entsteht  stets  beim  Faulen  des  Urins  und  verbindet  sich  alsdann 
mit  stinkenden  organischen  Basen;  auch  Guano  entwickelt  Ammoniumcarbonat  neben 
essigsaurem,  buttersaurem  und  baldriansaurem  AmmoBium.  Die  Vereinigung  von  Stick- 
stoff und  Wasserstoff  findet  nur  statt,  wenn  diese  Elemente  in  statu  nascendi  zusammen- 
treten; so  oxydirt  sich  beim  Auflösen  von  Zink  in  Salpetersäure  ersteres  auf  Kosten 
des  Sauerstoffs  des  Wassers  und  der  Salpetersäure,  wodurch  einerseits  Wasserstoff, 
andererseits  Stickstoff  frei  wird,  welche  sich  alsdann  in  statu  nascendi  zu  Ammoniak 
verbinden. 

4Zn  +  9HN03  =  4Zn  (N03),  +  3H20  +  NH3. 

Das  gasförmige  Ammoniak  hat  einen  scharfen  durchdringenden  Geruch,  einen 
laugenartigen  Geschmack,  ein  spec  Gew.  von  0,597,  ist  farblos  und  in  gewöhnlicher 
Atmosphäre  nicht  verbrennbar.  In  concentrirtem  und  wasserfreiem  Zustande  verbrennt 
es  im  Sauerstoff  mit  weisslich-bläulicher  Farbe.  Es  ist  eine  starke  Base,  bläut  geröthetes, 
feuchtes  Lackmuspapier,  verbindet  sich  direct  mit  Säuren  und  bildet  damit  Salze, 
die  eine  grosse  Aehnlichkeit  mit  denen  des  Kaliums  haben.  Wasser,  Aether,  Al- 
kohol, Kohle  und  alle  porösen  Körper,  wie  Platinschwamm  und  Eisenoxyd,  absorbiren 
das  Gas  mit  grosser  Begierde.  Mit  den  Dämpfen  der  Salzsäure  bildet  es  die  bekannten 
weissen  Salmiak  -  Nebel.  Durch  einen  Druck  von  4,5  Atmosphären  bei  0°  lässt  es 
sich  zu  einer  Flüssigkeit  verdichten,  welche  bei  — 40°  siedet;  bei  gewöhnlicher  Tem- 
peratur vermag  ein  Vol.  Wasser  600  Vol.  des  Gases  zu  absorbiren.  Je  mehr  das  Wasser 
durch  die  Aufnahme  von  Ammoniak  sein  Volumen  vergrössert,  desto  speeifisch  leichter 
muss  es  natürlich  werden. 

Das  wässerige  Ammoniak,  Salmiakgeist,  besitzt  daher  ein  verschiedenes 
spec.  Gewicht;  der  Liquor  Ammonii  caustici  der  Pharmacopoea  germ  enthält  nur  10% 
Ammoniak  bei  dem  spec.  Gew.  von  0,90;  im  Handel  kommt  ein  tonhaltiger  vor. 

In  allen  Verbindungen  von  Ammoniak  hat  man  die  Atomgruppe  NH4  als  ein 
Element  angenommen  und  Ammonium  genannt.  Seine  Isolirung  scheiterte  bisher  an 
seiner  leichten  Zersetzbarkeit  in  Wasserstoff  und  freies  Ammoniak;  dagegen  kann  seine 
Legirung  mit  Quecksilber,  das  Ammoniumamalgam,  als  ephemere  "Verbind.ung  dar- 
gestellt werden ,  wenn  man  eine  concentrirte  Lösung  von  Salmiak  mittels  Natriumamal- 
gams in  Chlornatrium  und  das  voluminöse  schwammige  Ammoniumamalgam  zersetzt. 
Aus   demselben   entsteht   aber   unter  Wasserstoff-  und  Ammoniakabdunstung   sehr  bald 


222  Stickstoff  und  Wasserstoff. 

reines  Quecksilber.     Lässt   man   auf  Salmiak  bei  Gegenwart  von  Quecksilber  den  elek- 
trischen Strom  einwirken,  so  erhält  man  ebenfalls  Ammoniumamalgam. 

Einwirkung  von  Ammoniak  auf  den  thierischen  Organismus.  Bei  den  Ver- 
suchen an  Thieren  gibt  sich  die  irritirende  Wirkung  der  Animoniakdämpfe 
durch  Thräneu,  Röthuug  der  Augen,  Schleinifluss  aus  Nase  und  Maul,  grosse  Un- 
ruhe und  heisere  Stimme  kund.  Fährt  man  mit  der  Zuleitung  der  Dämpfe  in 
einem  geschlossenen  Raupte  fort,  so  tritt  bald  der  Tod  unter  heftiger  Dyspnoe 
und  tetanischeu  Krämpfen  ein.  Kaninchen  und  selbst  junge  Katzen  können 
den  Dämpfen  binnen  15  Minuten  erliegen;  in  dem  kurzen  Krankheitsverlaufe 
zeigt  sich  merkwürdigerweise  kein  Husten,  nur  bei  Katzen  deutet  die  heisere 
Stimme  auf  die  Reizung  der  Respirationswege  hin;  auch  tritt  bei  letzteren 
Brechwürgen  ein.  Bei  der  Section  fällt  der  die  feinsten  Bronchialverzweigungen 
ausfüllende  feinblasige  Schleim,  die  geröthete,  sammetartig  aufgetriebene  Schleim- 
haut des  Kehlkopfes,  der  Luftröhre  und  Bronchien  auf.  Die  Lunge  hat  eine 
emphysematöse  Beschaffenheit,  aber  keine  auffallende  Färbung,  höchstens  hier  und 
da  eine  braunrothe  und  schwärzliche  Marmorirung,  während  das  Herz  geronnenes 
und  flüssiges  Blut  zeigt.  Im  Allgemeinen  waltet  das  flüssige  Blut  vor  und  hat 
eine  dunkelbraunrothe  Farbe. äy) 

Leitet  man  Ammoniakdämpfe  in  frisches  Ochsenblut,  so  bleibt  es  flüssig, 
nimmt  aber  bei  fortgesetzter  Zuleitung  eine  braune  Farbe  an;  es  verschwinden 
die  Blutbänder,  die  Blutkügelchen  lösen  sich  auf  und  das  Haeinoglobiu  wird  zer- 
stört.60) Ausserdem  absorbirt  das  ammoniakalische  Blut  sehr  rasch  Sauerstoff 
und  liefert  mehrere  noch  nicht  naher  untersuchte  Oxydationsproducte;  inwieweit 
dies  im  Organismus  stattfindet,  ist  ebensowenig  sichergestellt.  Bei  Menschen 
erzeugen  Ammoniak  und  alkalische  Ammoniumsalze  auf  der  Haut  Risse  und 
Schrunden,  weil  sich  das  Fett  in  den  Talgdrüsen  mit  dem  Ammoniak  verbindet; 
Arbeiter,  die  sich  mit  der  Sublimation  von  Ammoniumcarbonat  beschäftigen, 
leiden  hauptsächlich  an  dieser  Hautaffection;  Waschungen  mit  Essig  wirken  hier 
sehr  wohlthätig  ein.  Die  durch  Ammoniak  erzeugte  Augenentzündung  (la 
mitte)  verbindet  sich  mit  Geschwulst  und  starkem  Thränenfluss;  man  beobachtet 
sie  am  häufigsten  bei  Cloakenfegern.  Nicht  selten  gesellt  sich  ein  starker  Schmerz 
in  der  Stirngegend  hinzu,  der  bei  den  französischen  Arbeitern  Fron  ton  heisst. 

Bei  Leuten,  welche  über  Guanolagern  wohnen,  hat  man  Taubheit  und  auf 
der  Haut  über  der  Nase  und  Stirnbeinhöhle  eine  eigentümliche  Röthe  beobachtet, 
die  sich  auch  bei  Vergiftungen  durch  Ammoniak  zeigt  und  hier  in  rosenrothen 
Flecken  an  den  Vorderarmen  auftritt,  eine  Erscheinung,  welche  wahrscheinlich 
mit  der  durch  die  Vergiftung  bewirkten  Blutveränderung  in  Zusammenhang  steht.61) 

Ausser  der  Arrosion  der  Respirationsschleimhaut,  die  beim  Einathmen  der 
Dämpfe  entsteht  und  unter  Umständen  die  grössten  Beschwerden  erzeugt,  sind 
es  die  mit  Schleim  angefüllten  Bronchien,  welche  höchst  gefährliche  Erstickungs- 
anfälle erzeugen.  Dass  bei  örtlicher  Einwirkung  von  Ammoniak  auf  die  Nerven 
diese  getödtet  werden,  ist  durch  Versuche  festgestellt.62)  Dazu  kommt,  dass  Am- 
moniak die  Ausscheidung  der  Kohlensäure  aus  dem  Blute  verhindert,  indem  es 
sich  mit  ihr  verbindet;  dadurch  muss  der  normale  Gasaustausch  gestört  und  die 
Blutbeschaffenheit  alterirt  werden.63) 

Die  thatsächlichen  Erfahrungen  sprechen  dafür,  wie  sehr  man  sich  in  der 
Industrie  vor  Ammoniakdämpfen  zu  hüten  hat.  da  die  Vergiftungserscheinungen 
(Schwindel,  Husten,  Erbrechen,  Erstickungsanfälle,   Speichelfluss,   Aufüllung  der 


Ammoniak-Industrie.  223 

Bronchien  mit  Schleim  u.  s.  w.)  sehr  leicht  einen  letalen  Ausgang  nehmen  können, 
namentlich  wenn  der  Puls  frequent  und  klein  wird,  das  Gesicht  collabirt  und  der 
Körper  sich  mit  Schweiss  bedeckt, e4)  Man  hat  auch  croupöse,  vom  Larynx  bis  in 
die  feinern  Bronchien  sich  ausdehnende  Exsudate  beobachtet,  welche  natürlich 
das  Krankheitsbild  um  so  gefährlicher  und  hoffnungsloser  gestalten. 

Auf  die  Pflanzen  wirken  Ammoniak  und  die  alkalisch  reagirenden  Am- 
moniumverbindungen sehr  verderblich  ein,  während  die  neutralen  oder  sauer 
reagirenden  Ammoniumsalze  wahre  Nahrungsmittel  der  Pflanzen  sind.  Das  Be- 
giessen  der  Pflanzen  mit  frischem  Urin  ist  nur  aus  dem  Grunde  nachtheilig,  weil 
sich  aus  dem  Harnstoff  alkalisch  reagirendes  Ammoniumcarbonat  bildet;  30  pCt. 
davon  dem  Wasser  zugesetzt,  tödten  eine  Pflanze  binnen  einer  Stunde,  mag  das- 
selbe zum  Begiessen  verwendet  oder  der  Wurzel  zugeführt  werden;  dem  Nach- 
theile kann  einigermassen  dadurch  vorgebeugt  werden,  dass  durch  reichliches  Be- 
giessen mit  reinem  Wasser  oder  einer  angesäuerten  Flüssigkeit  das  Ammoniak 
wieder  weggespült  wird,  ein  Abwurf  der  Blätter  ist  jedoch  fast  immer  die  Folge 
davon.  Das  Absterben  der  Bäume  in  Städten  wird  meistens  dadurch  herbeige- 
führt, dass  man  sie  als  Standpunct  zum  Uriniren  wählt. 

Die  Pflanzen  nehmen  die  salpeter sauren  Salze  aus  dem  Regen  wasser, 
dem  Thau  und  dem  Boden  auf;  sie  reduciren  die  Salpetersäure,  wobei  der 
Sauerstoff  als  Wasser  austritt  und  der  Stickstoff  assimilirt  wird.  Im  Ammoniak 
trennt  sich  der  Stickstoff  erst  nach  und  nach  vom  Wasserstoff  und  tritt  mit  den 
Kohlenwasserstoffverbindungen,  die  aus  der  Kohlensäure  entstehen,  zu  complexern 
stickstoffhaltigen  Verbindungen  zusammen. 

Ammoniak-  Industrie. 

Bei  der  grossen  Bedeutung  der  Ammonium  salze  für  die  Industrie  hat 
man  ihre  Darstellung  auf  sehr  verschiedene  Weise  zu  bewirken  gesucht.  Fäul- 
niss  und  Verwesung,  die  trockne  Destillation  thierischer  Substanzen,  sowie  die 
Spaltung  stickstoffhaltiger  Körper  bei  Gegenwart  starker  Alkalien  oder  Säuren 
liefern  vorzugsweise  Ammoniak. 

Wird  der  Harn  der  Fäuluiss  ausgesetzt,  so  gruppiren  sich  seine  Elemente 
unter  Aufnahme  von  Wasser  zu  Kohlensäure  und  Ammoniak. 

CON2H4  +  H20  =  C02  +  2NH3. 
Dasselbe  geschieht  auch,  wenn  Harnstoff  in  wässeriger  Lösung  mit  dem  Ueber- 
schuss  eines  Alkali  oder  einer  alkalischen  Erde  zum  Sieden  erhitzt  wird.  Das 
Gaswasser  der  Leuchtgasfabriken  liefert  gegenwärtig  die  wichtigste  Quelle  für 
Ammoniak;  es  besteht  aus  anderthalbfach  kohlensaurem  Ammonium, 
unterschwefliger  Säure,  Schwefelammonium,  Cyan-  resp.  Schwefel- 
cyanammonium,  essig-,  butter-  und  baldriansaurem  Ammonium, 
Kreosot  und  Carbolsäure  nebst  Spuren  von  Ammoniumsulfat  und  Ammonium- 
chlorid. Der  Zusatz  von  Kalk  bei  der  Fabrication  dient  nur  zur  Bindung  der 
Säuren,  an  welche  das  Ammonium  im  Gaswasser  gebunden  ist.  Seltner  wird 
fauler  Urin  allein,  häufiger  ein  Gemenge  von  Urin  und  Gaswasser  benutzt; 
diese  Fabrication  führt  die  grösste  Belästigung  für  die  Abjacenten  herbei,  da  die 
widerlichsten  Gerüche  damit  verbunden  sind.  Nach  den  verschiedenen  Rohmate- 
rialien ist  die  Darstellung  eine  verschiedene;  es  ist  daher  zu  unterscheiden: 

1)     Die    Darstellung    der    Ammoniimisalze    aus    Harn    und    Abort  -  Flüssig- 
keiten.   Der  Transport  dieser  Flüssigkeiten  geschieht  in  Fässern,  welche  möglichst 


22  |  Ammoniak-Industrie. 

bald  zu  entleeren  sind.  Zn  diesem  Zwecke  haben  sie  in  beiden  Böden  mit 
Stopfen  versehene  Löcher;  man  zieht  zuerst  den  Stopfen  aus  einem  Boden 
aus,  stellt  das  Fass  mit  der  Oeffnung  nach  unten  auf  den  Trichter  des  Destilla- 
tionskessels und  nimmt  alsdann  aus  dem  obern  Boden  den  Stopfen  heraus,  damit 
die  Flüssigkeit  in  kräftigem  Strome  heransstürzt.  Die  Flüssigkeiten  werden  in 
grossen  eisernen  und  langen  Cylindern  von  der  Form  der  Dampfkessel  mit  Kalk 
versetzt  und  der  Destillation  unterworfen.  Das  Ammoniak  entwickelt  sich  hierbei 
reichlich  und  passirt  gut  abgekühlte  bleierne  Schlangen;  es  scheidet  sich  hierbei 
stets  eine  ölartige  Flüssigkeit  aus,  die  man  in  einem  besondern  Gefässe,  in  welche 
die  Kühlschlange  mündet,  ansammelt  und  späterhin  ablässt.  Von  hier  aus  gelan- 
gen die  Ammoniakdämpfe  in  Begleitung  von  sehr  übelriechenden  Gasen  in  ein 
Absorptionsgefäss.  welches  Schwefelsäure  oder  Salzsäure  enthält,  je  nachdem 
man  die  Fabrication  von  Ammoniumsulfat  (NH4)2S04  oder  Chlorammonium 
NEU Cl  bezweckt.  Ist  die  Flüssigkeit  arm  an  Ammoniak,  so  müssen  mit  dem  Roh- 
material angefüllte  und  geschlossene  Z wischengefässe  aufgestellt  werden,  in 
welchen  die  aus  dem  Cyliuder  entweichenden  Ammoniakdämpfe  angereichert 
weiden,  ehe  sie  in  die  Kühlschlangen  gelangen;  diese  Flüssigkeit  der  Zwischen- 
gefässe  wird  später  zur  Speisung  der  Cyliuder  verwendet.  In  manchen  Fabriken 
wird  sogar  statt  des  Kühlwassers  das  Rohmaterial  genommen;  alsdaun  muss  der 
Kühlbottich  hermetisch  verschlossen  und  durch  ein  besonderes  Röhrensystem  mit 
den  Zwischengefässen  verbuuden  sein,  um  die  Exhalation  der  Gerüche  zu  ver- 
meiden. 

Die  aus  dem  Absorptionsgefässe  entweichenden  Gase  und  Dämpfe  be- 
stehen vorzugsweise  aus  Kohlensäure,  Schwefelwasserstoff  und  der  ganzen 
Reihe  der  flüchtigen  fetten  Säuren.  Unter  allen  Umständen  müssen  diese 
unter  den  geeigneten  Vorsichtsmassregeln  unter  die  Kohlenfeuerung  oder  bei 
grossem  Betriebe  in  eineu  besondern  Desinfectionsofen  geleitet  werden.65) 

Die  Verdampfung  der  Salzlösung  geschieht  in  flachen  Pfannen  entweder  über 
freiem  Feuer  oder  mittels  in  Schlangenröhren  circulirender  Wasserdämpfe.  Bei 
dieser  Procedur  handelt  es  sich  nicht  um  die  Darstellung  reiner  Präparate,  sie 
bereitet  aber  der  Nachbarschaft  die  meiste  Belästigung,  da  sich  die  Gerüche  auf  eine 
Entfernung  von  20  —  30  Minuten  in  die  Umgegend  verbreiten  können.  Nach  einem 
kurzen  Aufenthalte  in  diesem  Räume  werden  alle  wollenen  Keidungsstücke  mit 
den  unangenehmen  Dämpfen  iinprägnirt;  sie  verlieren  diesen  Geruch  nicht  so  bald, 
so  dass  dadurch  für  die  Umgebung  mannigfache  Belästigung  entsteht. 

Das  Abdampfen  muss  unter  einem  steinernen  Gewölbe  vorgenommen  werden, 
um  die  Gase  und  Dämpfe  in  die  Feuerung  der  Fabrik  ableiten  zu  können; 
wollte  man  sie  dem  Schornsteine  zuführen,  so  würde  hieraus  für  die  Adjacenten 
nur  wenig  Vortheil  erwachsen,  weil  sie  dadurch  nicht  hinreichend  verdünnt 
werden. 

Der  Inhalt  der  lylinder  wird  nach  vollendeter  Destillation  in  Cisternen  oder 
geschlossene  Behälter  abgelassen.  Nach  dem  Absetzenlassen  wird  die  schwach 
alkalische  Flüssigkeit  mittels  Heber  abgelassen  und  zwar  entweder  in  Canäle 
oder  auf  Aecker;  der  zurückbleibende  Schlamm  ist  ein  gutes  Dungrnittel  und 
muss  als  solches  verwerthet  werden. 

2)  Darstellung  von  Ammoniak  ans  Gaswasser.  Ammoniak  wird  aus  dem 
Gaswasser,  welches  durchschnittlich  0,3  pCt.  davon  enthält,  mit  oder  ohne 
Zusatz    von    Kalkwasser    mittels    Destillation    resp.  Fractioniruug    erhalten.     Die 


Ammoniak-Industrie. 


225 


meisten  Fabriken  dieser  Art  liegen  gegenwärtig  in  der  Nähe  der  Leuchtgasfabri- 
ken, um  den  Transport  der  Gaswässer  zu  vermeiden  und  das  Gaswasser  aus  der 
Gasanstalt  durch  ein  unterirdisches  Röhrensystem  in  die  Ammoniakfabrik  zu 
leiten;  wo  dies  nicht  der  Fall  ist,  darf  sich  wenigstens  kein  überflüssiges  Roh- 
material in  der  Fabrik  anhäufen.  Für  den  Transport  eignen  sich  am  besten 
eiserne  Behälter,  namentlich  alte  Dampfkessel,  welche  mit  Achsen  und  Rädern 
versehen  sind.  Um  das  Auspumpen  zu  vermeiden,  setzt  man  das  Destillations- 
gefäss  mittels  eines  Rohrs  mit  dem  Gaswasserbehälter  in  Verbindung,  macht 
ersteres  mittels  Wasserdämpfe  luftleer  und  bewirkt  dadurch  ein  rasches  Aufstei- 
gen des  Gaswassers.  Die  Destillationsapparate  basiren  auf  dem  Princip  der 
fractionirten  Destillation,  wie  solche  bei  der  Spiritusfabrication  zur  Anwendung 
kommt. 

Das  einfachste  Verfahren  besteht  darin,  dass  man  zwei  Dampfkessel  nebeneinander 
legt,    welche    durch    ein  Feuer    geheizt    werden   (s.  Fig.  26).      Bei    0    liegt    das    Feuer: 

Fig.  26. 


beide  Kessel  (^1  und  B)  werden  mit  frischem  Ammoniakwasser  unter  Zusatz  von  Kalk- 
milch gespeist;  dann  wird  A  zum  Sieden  gebracht,  nachdem  man  den  Schieber  D 
geschlossen  und  den  Schieber  C  geöffnet  hat.  Während  des  Siedens  gelangen  die  am- 
moniakalischen  Dämpfe  durch  das  Rohr  E  in  den  Kessel  B ,  wobei  der  Halm  G  und  H 
geschlossen  und  der  Hahn  F  und  J  geöffnet  ist.  Wenn  nun  schliesslich  die  Flüssigkeit 
in  ß  durch  den  eingetriebenen  Dampf  in's  Sieden  geräth,  so  tritt  das  Ammoniak  aus  A 
nebst  dem  aus  B  in  das  Condensations-  resp.  Absorptionsgefäss.  Enthalt  A  kein  Ammo- 
niak mehr,  was  durch  Probehähne  zu  ermitteln  ist,  so  lässt  man  die  Flüssigkeit  aus  dem- 
selben ab  und  füllt  neues  Ammoniakwasser  ein.  Dieses  Einfüllen  kann  entweder  mit- 
tels Pumpen  oder,  was  noch  zweckmässiger  ist,  mittels  Wasserdämpfe  bewerkstelligt 
werden.  In  letzterm  Fall  stehen  die  Kessel  in  directer  Verbindung  (durch  das  Rohr  A') 
mit  dem  das  Rohmaterial  enthaltenden  Reservoir.  Wenn  der  Kessel  A  durch  Wasser- 
dämpfe aus  dem  Kessel  B  von  aller  atmospärisehen  Luft  befreit  worden  ist  und  der 
Dampf  durch  L  kräftig  abströmt,  öffnet  man  den  bisher  geschlossenen  Hahn  A~  und 
schliesst  L,  F,  H  und  (r,  um  das  Rohmaterial  aufsaugen  zu  lassen.'  Dann  schliesst  man 
den  Schieber  C  und  öffnet  den  Schieber  D;  der  Hahn  F  ist  geschlossen,  G  geöffnet, 
./  geschlossen  und  H  geöffnet.  Es  treten  die  aus  B  sich  entwickelnden  Dämpfe 
durch  den  Hahn  G  nach  A.  Hier  gelangt  nun  die  Flüssigkeit  zum  Sieden  und  das  Am- 
moniakgas geht  alsdann  aus  A  durch  das  Rohr  E  und  den  Hahn  H  nach  der  Conden- 
sationsvorrichtung.  Das  bei  der  Destillation  auftretende  und  schon  oben  erwähnte  Oel, 
welches  aus  schwefelhaltigen  und  schwefelfreien  Theerölen  sowie  aus  Carbolsäurc  besteht, 
wird  in  einem  besondern  geschlossenen  Gefässe  {M)  vom  flüssigen  Ammoniak  separirt 
und  abgelassen.    Das  Rohr  0  dient  zur  Ableitung  der  Gase  und  Dämpfe. 

Beim  Zusatz  von  Kalk  entwickelt  sich  stets  der  ganze  Ammoniakgehalt; 
die  mit  dem  Ammoniak   verbunden   gewesenen   Säuren:    Kohlensäure,   Schwefel- 

Eulenberg,  Gewerbe-Hygiene.  15 


__'!  Stickstoff  und  Wasserstoff. 

waßseretoff,  unterschwellige  Saure,  Schwefelcyanwasserstoflfsäure  bleiben,  an  Kalk 
gebunden,  in  der  Flüssigkeit. 

Wird  das  Gaswasser  für  sich  erhitzt,  so  entweicht  das  an  Kohlensäure 
und  Schwefelwasserstoff  gebundene  Ammoniak  vollständig,  das  an  unter- 
schweflige Säure  gebundene  theilweise  unter  Entwicklung  von  Schwefelwasser- 
stoff, während  das  mit  Schwefelcyanwassertoffsäure  verbundene  in  der 
Losung  zurückbleibt. 

Die  Ammoniakdämpfe  gelangen  in  ein  Gefäss  mit  Wasser,  von  dessen 
Menge  das  specifische  Gewicht  des  Salmiakgeistes  abhängt.  Dieses  Gefäss  ist 
stets  noch  mit  einem  Ableitungsrohr  für  die  flüchtigen  austretenden  Gase  zu 
verschen;  letztere  müssen  in  die  Feuerung  abgeleitet  werden. 

Beim  Kalkzusatz  findet  eine  reichlichere  Ausbeute  von  Ammoniak  statt; 
die  Rückstände  müssen  iu  wasserdichten  Cisternen  aufbewahrt  und  anderweitig 
verwerthet  werden,  während  die  über  dem  Kalke  sich  ansammelnde  Flüssig- 
keit wegen  ihres  Gehaltes  an  löslichen  Schwefel  Verbindungen  nur  mittels  dichter 
Rohren  den  Abzugskanälen  zugeführt  werden  darf. 

Wenn  der  Kalkzusatz  fehlt,  so  enthält  der  Destillationsrückstand 
noch  immer  schwefelcyanwasserstoffsaures  Ammonium;  mittels  dichter 
Röhren  kann  er  aber  in  die  Abzugscanäle  abgelassen  werden. 

Der  erhaltene  Salmiakgeist  ist  stets  unrein  und  kann  nur  zu  technischen 
Zwecken  benutzt  werden. 

Handelt  es  sich  bei  der  Ammoniakfabrication  besonders  um  die  Wegschaffung 
des  Schwefels,  so  setzt  man  eine  demselben  entsprechende  Menge  von  Eisenvitriol 
und  Kalk  dem  Gaswasser  zu;  der  Schwefel  wird  alsdann  als  Schwefeleisen  gebun- 
den,  wählend  die  übrigen  empyreumatisehen  Verbindungen  frei  bleiben. 

Der  Destillationsrückstand  in  den  Destillirkesseln  verdient  hierbei  noch 
eine  besondere  Beachtung,  weil  er  Ferrocy ancalcium  und  Carbolsäure  enthält; 
derselbe  wird  gewöhnlich  siedend  heiss  abgelassen,  darf  aber  in  diesem  Zustande  nie- 
mals  in  Senk-  und  Schlinggruben  gelangen,  weil  hierdurch  die  nahegelegenen  Brunnen 
sehr  gefährdet  würden.  Man  muss  diesen  Rückstand  in  besondern  Cisternen  erkalten 
lassen,  wobei  sich  die  unlöslichen  Kalkverbindungen  (Ferrocyancalcium)  und  das 
Schwefeleisen  ausscheiden.  Die  stark  alkalische  Flüssigkeit,  welche  ausser  Kalk 
und  Kalksalzen  stets  noch  etwas  Carbolsäure  enthält,  kann  ohne  Gefahr  in  verdeckten 
Canälen  in  Schwenimcanäle  oder  grössere  Wasserläufe  abfliessen;  niemals  darf  man  sie 
aber  in  Schlinggruben  versinken  lassen,  da  der  Carbolsäuregehalt  die  benachbarten 
Brunnen  verderben  würde. 

Der  eigentliche  Schlamm  der  Cisternen  kann  wegen  des  erwähnten  Gehalts  an 
Ferrocyancalcium  unter  Umständen  durch  Behandeln  mit  Pottasche  in  der  Siedhitze  auf 
Blut  laugen  salz  bearbeitet  werden. 

Die  Reinigung  des  Salmiakgeistes  geschieht  gegenwärtig  oft  während  der  Fa- 
brication,  indem  man  die  Dämpfe  Kohlen filter  passiren  lässt. 

In  einer  hiesigen  Fabrik  liegen  drei  Kessel  übereinander,  von  denen  die  beiden 
untersten  durch  directe  Feuerung  erhitzt  werden  und  mit  Rührwerken  zur  innigen 
Mischung  des  Kalkes  versehen  sind.  Der  oberste  Kessel  dient  als  Vorwärmer  oder 
Dephlagmator ;    vom  dritten  Kessel   wird   das  Gas   durch   ein   ausgedehntes  System  von 

sehen  Kühlern  geleitet,  um  den  Wasserdampf  abzugeben,  und  dann  den  Wasch- 
idensationsapparaten  zugeführt.  Letztere  sind  unter  sich  durch  mit 
Holzkohle  gefüllte  Ruine  verbunden,  die  etwaige  Reste  von  Empyreuma  wegnehmen 
und  chemisch  reinen  Salmiakgeisl  liefern  sollen.  Durch  das  Einbringen  der  ganzenMenge 
von  Kalk  in  die  Kessel  vor  der  Operation  soll  die  Verunreinigung  des  Salmiakgeistes 
durch  die  flüchtigen  Ammoniumyerbindungen  (Schwefelamnionium,  Ammonium- 
onat)  verhütet  werden  66) 

In  Laboratorien  gebraucht  man  zur  Darstellung  des  Salmiakgeistes  ein 
Gemenge  von  Salmiak  und  gelöschtem  Kalk  (Calciumhydrat) ,  welche  man  in  grosse 
Retorten  aus  Steingut  bringt  und  erhitzt: 

'  2  Nll4  Ol  +  Ca(OH2)  =  CaCl2  4-  2  HaO  +  2  NH3. 

Das  Gas  wird  in  Vorlagen  aufgefangen,  welche  nach  Art  der  IVou/f  'sehen  Flaschen 


Ammoniak-Industrie. 


227 


construirt,  theilweise  mit  Wasser  angefüllt  und  mittels  Röhren  untereinander  sorgfältig 
verbunden  sind,  damit  sieb,  kein  Gas  verflüchtigt. 

Um  Flaschen  mit  Salmiakgeist  zu  füllen,  bedient  man  sich  häufig  eines  einfachen 
Hebers,  wodurch  schon  oft  Unglückfälle  herbeigeführt  worden  sind,  wenn  die  Flüssigkeit 
hierbei  in  den  Mund  gelangte.  Es  sind  hierbei  stets  Säureheber  mit  Saugrohr  zu 
verwenden,  um  jede  Berührung  der  Flüssigkeit  mit  der  Mundhöhle  oder  selbst  zufällige 
Vergiftungen  zu  verhüten. 

Salmiakgeist  darf  nur  in  Glas-  und  Steingutgefässen  mit  gleichnamigem  Verschluss 
oder  mit  in  Paraffin  getränkten  Kork-  oder  Kautschukstöpseln  aufbewahrt  oder  versandt 
werden. 

Technische  Verwendung  des  Salmiakgeistes.  Ausser  in  der  Medicin  wird 
Salmiakgeist  bei  sehr  vielen  chemischen  und  technischen  Processen,  beim  Präci- 
pitiren,  beim  Auflösen,  Scheiden,  bei  der  Extraction  der  Erze  (Kupfererze),  beim 
Waschen  der  Wolle  und  Seide,  in  der  Färberei  and  in  der  Farbenfabrication, 
namentlich  zur  Darstellung  der  Ürseille,  des  Persio  (Cud-bear),  des  Lackmus  aus 
den  verschiedenen  Flechtenarten,  der  Anilin-  und  Naphtalinfarben,  bei  der  In- 
digobereitung auf  Java,  beim  Ammoniak-Sodaprocess  u.  s.  w.  verwendet. 

Die  Carre'sche  Eismaschine  beruht  auf  der  bedeutenden  Kälte,  welche 
sich  bei  der  Entwicklung  der  Ammoniakdämpfe  im  luftverdünnten  Räume  erzeugt. 
Die  sogenannte  Kraftmaschine,  bei  welcher  die  motorische  Kraft  durch  die 
Expansion  der  Ammoniakdämpfe  erzeugt  wird,  hat  sich  in  der  Praxis  nicht 
bewährt.67) 

3)  Directe  Darstellung  von  Annuoniumsulfat  aus  den  Gaswässern.  Man  ge- 
braucht dazu  einen  Apparat,  welcher  sich  wenig  von  dem  in  Fig.  26  dargestellten 
unterscheidet.  Der  Hauptunterschied  besteht  in  der  Lage  der  beiden  Kessel  und 
in  der  Feuerungsanlage  (s.  Fig.  27). 

Fig.  27. 
c 


Das  Ammoniak  entweicht  aus  dem  Gaswasser  im  Kessel  A  durch  das  Rohr  a  in 
den  Kessel  #,  erwärmt  das  Wasser  darin  und  macht  aus  diesem  einen  weitern 
Theil  Ammoniak  frei.  Die  Ammoniakdämpfe  entweichen  dann  sämmtlich  durch  das 
Rohr  b  in  den  mit  Schwefelsäure  und  mit  Blei  ausgefütterten  Apparat  /?,  in  welchem 
sich  Ammoniumsulfat  bildet.  Wasserdämpfe,  nicht  condensirte  Gase,  namentlich 
Schwefelwasserstoff  und  Kohlensäure,  neben  Schwefelcyan Wasserstoff,  schwef- 
liger Säure,  Essig-,  Butter-  und  Baldriansäure,  entweichen  durch  das  Rohr  e  in  einen 
Canal,  welcher  unter  dem  Rost  der  Feuerung  des  Kessels  mündet,  um  hier  zur  voll- 
ständigen Verbrennung  zu  gelangen.  Wenn  alles  Ammoniak  aus  dem  Wasser  im 
Kessel  A  entwichen  ist,  wird  letzteres  abgelassen;  dann  wird  durch  das  Rohr  d  aus 
dem  Kessel  B  das  Wasser,  welches  noch  etwas  Ammoniak  enthält,  in  den  Apparat  A 
abgelassen  und  B  durch  die  Röhre  e  mit  frischem  Ammoniakwasser  gefüllt.  Der  ganze 
Apparat  spielt  dann  weiter,  wie  oben  angegeben  worden  ist. 

15* 


j}28  Stickstoff  und  Wasserstoff. 

Der  Destillationsrückstand  darf  auch  hier  wegen  seines  Gehalts  an  Carbol- 
säurc  niemals  in  Senkgruben  abgelassen  weiden. 

Bei  dieser  Methode  wird  (He  Verbindung,  Ammoninmsulfat,  sofort  kristallinisch 
ausgeschieden,  wenn  die  angewendete  Schwefelsäure  50°  B.  stark  war:  das  so  gewonnene 
Präparat  ist  aber  sehr  unrein. 

Je  grösser  der  Betrieb  ist,  desto  sorgfältiger  ist  auf  die  Verbrennung  der 
entweichenden  Gase  und  Dämpfe  zu  achten.  Da  die  Dämpfe  viel  Wasserdampf 
enthalten,  so  ist  es  zweckmässig,  sie  durch  lange,  möglichst  erwärmte  Röhren  zu 
leiten,  um  die  grössere  Menge  vou  Wasserdampf  niederzuschlagen  und  dadurch  die 
Verbrennung  des  Schwefelwasserstoffs  zu  erleichtern.  Die  Zerstörung  des 
letztern  wird  sowohl  im  Interesse  der  Arbeiter  als  der  Adjacenten  absolut  erfor- 
dert. Hierzu  reicht  aber  die  Kesselfeuerung  nicht  immer  aus;  es  wird  vielmehr 
häufig  eine  besondere,  mit  dem  Schornstein  verbundene  Feuerung  noth wendig; 
dazu  kommt  dann  die  grosse  Menge  schwefliger  Säure,  welche  aus  der  Ver- 
brennung von  Schwefelwasserstoff  entsteht  und  durch  den  Schornstein  entweicht. 
Man  hat  berechnet,  dass  unter  diesen  Umständen  bei  1  Centner  Gaswasser 
1  2  Pfund,  bei  10,000  Centner  also  50  Centner  schweflige  Säure  in  die  Luft  ge- 
langen. Schätzt  man  den  Gehalt  des  Gaswassers  an  Schwefel  auf  das  Mittel  von 
0,4%  Schwefel,  so  würden  10,000  Centner  eigentlich  80  Centner  dieser  Säure 
bilden;  berücksichtigt  man  aber,  dass  ein  Theil  des  Schwefels  noch  in  der  Form 
von  schwefelcyanwasserstoffsaurem  Ammonium  in  der  Flüssigkeit  zurückbleibt, 
ein  andrer  Theil  desselben  au  die  unterschweflige  Säure  gebunden  bleibt,  so 
kann  man  das  zuerst  hervorgehobene  Verhältniss  im  Allgemeinen  als  massgebend 
betrachten.  ,;s) 

Bei  einem  massigen  Betriebe  werden  jährlich  10,000  Centner  Gaswasser 
bearbeitet;  ein  60  Fuss  hoher  Schornstein  würde  dann  immerhin  eine  Menge  von 
ca.  12  Pfd.  S02  pro  Tag  ohne  Belästigung  der  Adjacenten  in  der  Atmosphäre  zur 
Vertheilung  bringen.  Oertliche  Verhältnisse.  Richtung  der  Winde,  eine  zeitweilig 
stärkere  Entwicklung  von  Schwefelwasserstoff  resp.  schwefliger  Säure  vermögen 
aber  immerhin  eine  grössere  Belästigung  zu  bedingen:  dann  könnten  Mass- 
regeln erheischt  werden,  wodurch  auch  die  schweflige  Säure  auf  irgend  eine 
Weise  unschädlich  gemacht  werden  müsste;  welches  Mittel  man  dazu  wählt, 
hängt  dann  von  dem  etwa  gleichzeitig  beabsichtigen  Zwecke  ab  (s.  schweflige 
Säure  S.  154). 

Reinigung  des  rohen  Aiiimoiiiiunsulfats.  Bei  der  Versetzung  von  Ammoniak  mit 
Schwefelsäure  ist  stets  ein  kleiner  Ueberschuss  derselben  erforderlich,  damit  beim 
Eindampfen  uudConcentriren  der  Salzlösung  die  meisten  theerartigen Producte  durch 
die  Einwirkung  der  freien  Schwefelsäure  zerstört  werden.  Bei  der  Abdampfung 
ist,  wie  schon  erwähnt  worden,  die  Abführung  des  Empyreuma  sehr  nothwendig. 
Es  ist  deshalb  zweckmässig,  die  Flüssigkeit  vor  dem  Abdampfen  ein  mit  Wasser 
durchtränktes  Sand-  oder  Bimssteinfilter  passiren  zu  lassen,  wenu  eine  Filtervorrich- 
tung ähu lieber  Art  nicht  schon  bei  der  Fabrikation  benutzt  worden  ist.  Immerhin 
gehen  aber  während  des  Abdampfens  eine  Menge  stinkender  Bestandteile  (Pyr- 
rhol.  Carbolsäure)  ab,  welche  sich  besonders  in  wollnen  Kleidungsstücken  fest- 
setzen und  auch  weit  über  die  Fabrik  hinaus  das  Geruchsorgan  belästigen.  Bei 
grösserer  Concentration  fehlt  selten  eine  schwache  Entwicklung  von  schwefliger 
Säure. 

Rüstung  uVr  Salzmasse.  Die  feste  Salzmasse  gelaugt  weiterhin  in  Röst- 
kessel,   welche  gewöhnlich   aus  Gusseisen   construirt   und  fest  sind.     Hier  wird 


A  m  moniak  -In  d  ustrie.  "2  2  9 

das  Salz  bis  zur  Entwicklung  von  seh  wenigsauren  und  schwefelsauren  Dämpfen 
erhitzt;  während  dieser  Röstung  werden  alle  organischen  Substanzen  zerstört  resp. 
verflüchtigt.  Die  riechenden  Stoffe  werden  durch  die  hohe  Temperatur  ausgetrieben 
and  die  färbenden  Substanzen  durch  den  Ueberschuss  von  Schwefelsäure  zerstört. 

Es  entwickeln  sich  neben  der  schwefligen  Säure  noch  beträchtliche  Mengen  von 
Anilin,  Picolin,  Lutidin,  Leucolin  u.  s.w.,  wenn  es  sich  um  das  aus  Gaswässern 
bereitete  Ammoniak  handelt,  ferner  Methylamin,  Amylaniin,  Propylamin,  wenn 
das  Salz  vom  Urin  herrührt,  lediglich  die  ganze  Reihe  der  Picolin b äsen,  wenn  die 
trockne  Destillation  tkierischer  Substanzen  oder  bituminöser  Fossilien  das  Rokproduct  ge- 
liefert hat.  Diese  flüchtigen  Picolinbasen  reizen  die  Augen  der  Arbeiter  sehr  bedeutend 
und  erzeugen  beim  Einathmen  einen  äusserst  bittern  Geschmack.  Bei  dieser  Röstung  ist 
es  deshalb  durchaus  erforderlich,  alle  diese  flüchtigen  Producte  zu  beseitigen  und  zu  zer- 
stören. Zu  diesem  Zwecke  gebraucht  man  birnförmig  construirte  Kessel,  welche  nur  seit- 
lich eine  Oeffnung  haben,  aber  mit  einem  Rohr  versehen  sind,  wodurch  die  sich  ent- 
wickelnden Gase  "und  Dämpfe  entweichen  und  direct  in  eine  Feuerung  geleitet  werden 
müssen.  Nach  dem  Rösten  wird  die  Salzmasse  in  "Wasser  gelöst,  filtrirt  und  zur 
Krystallisation  gebracht. 

Dies  so"  dargestellte  Ammoniunisnlfat  ist  das  seeundäre  oder  neutrale  Salz 
(NH4)2  S04,  welches  in  farblosen  rhombischen  Säulen  krystallisirt ,  sauer  schmeckt  und 
in  Wasser  leicht  löslieh  ist  Es  wird  zur  Darstellung  des  Ammoniumalauns  und  der 
meisten  Ammoniumsalze  benutzt. 

Das  saure  oder  primäre  Animoniumsulfat  (NH4)HS04  erhält  man,  wenn  man  dem 
neutralen  Salz  noch  so  viel  Schwefelsäure  zusetzt,  als  es  bereits  enthält. 

Das  rohe  Ammoniumsulfat  findet  fast  nur  für  künstliche  Dungbereitung  Ver- 
wendung, die  sich  gegenwärtig  sehr  grossartig  gestaltet  und  einen  besondern  Industrie- 
zweig repräseutirt. 

4)  Darstellung  von  Ammoniumcaroonat  als  Nehenproduct  der  trocknen 
Destillation.  Behufs  Darstellung  von  Bein  schwarz  werden  die  ausgekochten 
Knochen  in  liegenden  gusseisernen  Cylindern  der  trocknen  Destillation  unter- 
worfen. Das  hierbei  auftretende  Gasgemisch  enthält  ausser  den  stinkenden 
brenzlichen  Dämpfen  von  Oleum  Dippelii  grosse  Mengen  von  kohlensaurem 
Ammonium,  Kohlenoxyd,  leichtem  und  schwerem  Kohlenwasserstoff, 
Ammoniak,  Cyanammonium  resp.  Schwefelcyanammonium  und  die 
ganze  Reihe  der  Picolinbasen. 

Zur  Abscheidung  des  Ammonium carbonats  lässt  man  die  Gase  und 
Dämpfe  ein  System  von  Fässern  oder  Bleikammern  durchstreichen,  in  welchen  sich 
dasselbe  krystallinisch,  mit  den  empyreumatischen  Flüssigkeiten  durchtränkt,  ab- 
scheidet. Auch  besteht  die  wässrige  Flüssigkeit,  welche  sich  hier  absetzt,  aus 
einer  concentrirten  Lösung  dieses  Salzes.  Man  nennt  sie  Spirit.  cornu  cervi, 
während  das  feste  Salz,  Ammoniumsesquicarbonat  (NH4)2C03  +  2(NH4)HC03 
unter  dem  Namen  Ammonium  carb.  pyro-oleos.  s.  sal  volat.  cornu  cervi  bekannt 
ist.  Es  ist  leicht  löslich  in  Wasser,  entwickelt  an  der  Luft  Kohlensäure  und  Am- 
moniak und  zerfällt  dabei  allmählig  in  ein  weisses  Pulver,  primäres  (saures) 
Ammoniumcarbonat  (NH4)HC03. 

Der  Rückstand  der  trocknen  Destillation  ist  das  Beinschwarz  (Ebur 
ustum,  Knochenkohle). 

Die  Gase  und  Dämpfe,  welche  aus  der  letzten  Condensationsvorrichtung 
entweichen,  müssen  unter  den  Rost  der  Retortenfeuerung  geleitet  werden  und 
zwar  jedenfalls  mit  Benutzung  der  Sicherheitsapparate,  weil  sonst  bedeutende 
Explosionen  entstehen  können  Das  Salz  wird  nachträglich  noch  durch  Subli- 
mation in  eisernen  Töpfen  mit  bleiernen  Deckeln  gereinigt,  nachdem  es  vorher 
in  wässriger  Lösung  durch  Zusatz  von  Thierkohle  entfärbt  und  desodorificirt 
worden  ist. 


230  Stickstoff  und  Wasserstoff. 

Die  ganze  Fäbrication  gehört  ausserhalb  jeden  Häuserbereiches  und  rauss 
in  möglichst  einsamen  und  nicht  bewohuteu  Gegenden  stattfinden,  da  der  lästige 
Gestank  nie  ganz  zu  vermeiden  ist. 

Kohlensaures  Ammonium  als  Handelswaare.  Um  eiu  vollkommen 
reines  kohlensaures  Ammonium  darzustellen,  unterwirft  man  1  Th.  Salmiak  und 
3  Th.  Kreide  (Calciumcarbonat)  der  Sublimation.  Es  entsteht  uebeu  Ammouium- 
carbonat  noch  das  werthlose  Chlorcalcium: 

2  NH4  Cl  +  Ca  C03  ==  (NH4),  C03  +  CaCk 

Nimmt  man  Kreide  und  Ammoniumsulfat,  so  geht  hierbei  nur  etwas  Koh- 
lensäure weg.  Es  bildet  sich  zuerst  einfach  kohlensaures  Ammonium  und 
als  Rückstand  bleibt  Gips.  Ersteres  zerlegt  sich  aber  sogleich  in  anderthalb 
kohlensaures  Ammonium  und  Ammoniak. 

Nimmt  man  statt  Calciumcarbonat  das  entsprechende  Bariumsalz,  so  erhält 
man  Chlor barium,   welches  zur  Darstellung  vou  Permaneutweiss  dienen  kann. 

Das  neutrale  Salz,  Ammonium  carbonicum,  existirt  nur  in  Lösung. 

Das  Ammonium  carbonicum  der  Pharmacopöe  ist  Ammonium  sesqui- 
carbonat;  um  es  rein  darzustellen,  muss  es  einer  nochmaligen  Sublimation  unterworfen 
werden. 

Die  Anwendung  lies  ATlimoniunisesqniearboiiats  in  der  Technik  und  in  den  Ge- 
werben ist  vielseitig.  In  reinem  Zustande  dient  es  in  der  Zucker-  und  Lebkuchen- 
bäckerei, bei  feinem  Weissbrot  als  Zusatz  zum  Teige  statt  der  Hefe,  zum  Bleichen  der 
Kupferstiche,  im  unreinen  Zustande  zum  Ausziehen  des  Kupfers  aus  den  Erzen,  der 
Flechtenfarbstoffe  aus  den  verschiedenen  Flechtenarten,  zur  Darstellung  der  übrigen 
Ammoniumsalze,  zum  Waschen  von  wollenen  und  seidnen  Gegenständen,  zum  Entfetten 
des  Handschuhleders  (fälschlich  Beizen  genannt),  bei  der  Horuwaarenfabrication,  beim 
Walken  der  Tücher  in  der  Form  des  faulenden  Urins,  da  Ammoniumsesquicarbonat 
mit  den  fetten  Säuren  unter  Fahrenlassen  der  Kohlensäure  eine  im  Wasser  lösliche  Seife 
bildet. 

5)  Darstellung  von  Salmiak.  Die  fabrikmässige  Darstellung  von  Salmiak  iu 
Europa  datirt  aus  dem  18.  Jahrhundert,  nachdem  die  Gebrüder  Graven hörst 
1759  in  Braunschweig  die  erste  Salmiakfabrik  angelegt  hatten  Je  nach  den 
Ortsverhältnisseu  wird  der  Salmiak  auf  verschiedene  Weise  dargestellt.  Die 
hauptsächlichsten  Methoden  sind  folgende: 

1)  Man  fällt  die  an  Chlormagnesium  und  Chlornatrium  reichen  Mutterlaugen 
von  Salzsoolen  oder  vom  Meereswasser  mit  Ammoniumcarbonat. 

2)  Man  neutralisirt  das  aus  faulendem  Urin  oder  aus  Gaswasser  gewonnene  Am- 
moniak mit  Salzsäure.  Nach  dem  Abdampfen  und  Krystallisirenlassen  der  Lauge  in 
Bottichen  erhält  man  ein  braunes  und  grobkörniges  Salz,  welches  durch  Sublimation 
oder'  Umkrystallisiren  gereinigt  wird.  Beim  Abdampfen  sind  die  oben  angeführten 
Dämpfe  zu  berücksichtigen. 

3)  Wendet  man  Ammoniumsulfat  und  Kochsalz  an,  so  lässt  sich  der  Sal- 
miak auf  nassem  und  trocknen  Wege  darstellen.  Im  erstem  Falle  bildet  er  sich 
durch  gegenseitige  Zersetzung  von  concentrirten  Lösungen  der  genannten  Salze,  wobei 
sich  Glaubersalz  ausscheidet  und  Salmiak  in  der  Flüssigkeit  bleibt.  Beim  Abdampfen, 
wobei  wieder  die  erwähnten  Vorsichtsmassregeln  zu  beachten  sind,  er- 
hält mau  zuerst  Glaubersalz  und  alsdann  mit  Glaubersalz  verunreinigten  Salmiak ,  wes- 
halb ein  Auswaschen  und  Umkrystallisiren  oder  eine  Sublimation  nachfolgen  muss. 
Wählt  man  den  trocknen  Weg,  so  wird  das  wasserfreie  Ammoniumsulfat  mit  Koch- 
salz gemischt  und  der  Sublimation  unterworfen.  Das  sich  bildende  Glaubersalz  bleibt 
zurück  und  Salmiak  sublimirt.  Die  Sublimation  geschieht  in  runden  gnsseisernen 
Kesseln,  deren  flacher  Boden  mit  Chamotte  bekleidet  ist;  der  hutähnliche  Deckel  von  dem- 
selben Metall  oder  gebranntem  Thon  hat  in  der  obern  Oeffnung  einen  Eisenstab  zum 
Rühren.  Man  gebraucht  auch  Thongefässe,  deren  oberer  Theil  mit  einer  Oeffnung  ver- 
sehen ist,  welche  mit  einem  Kreidestöpsel  lose  verschlossen  wird. 

Es  entweichen  anfangs  mit  salzsauren  Dämpfen  gemischte  Salmiakdämpfe, 
die  neben  dem  losen  Kreideverschluss  weggehen,  weshalb  der  Ofen  mit  den  Kesseln 
oder  Töpfen  unter  einem  gut  ziehenden  Rauchfange  anzulegen  ist.     Die  thönernen  Töpfe 


Ammoniak-Industrie.  "231 

sind  zwar  die  ältesten,  aber  sehr  praktisch,  indem  sie  das  in  der  zu  sublimh  enden 
Masse  enthaltene  Wasser  aufsaugen  und  nach  aussen  hin  wieder  zur  Verdampfung 
bringen;  sie  stehen  gewöhnlich  in  einem  Galeerenofen.  Um  dabei  jeden  Verlust  zu 
vermeiden,  bedeckt  man  den  Kreideverschluss  noch  mit  einem  thönernen  Blumentöpfe. 
Die  ganze  Kunst  bei  dieser  Fabrication  besteht  in  der  ruhigen  Regulirung  des 
Feuers,  damit  der  Salmiak  nur  zusammenballt  und  nicht  zusammenÜiesst.  Im  Handel 
kommt  er  entweder  in  Broden  resp.  in  weissen  und  durchscheinenden  -Scheiben  und 
Ziegeln  oder  seltner  in  Zuckerhutform  vor.  Im  letzteren  Falle  wird  der  auf  nassem 
Wege  dargestellte  Salmiak  durch  Umkrystallisiren  gereinigt,  seine  Lösung  zu  einem 
dicken  Brei  angerührt  und  in  thönerne  Zuckerhutformen  gebracht. 

Salmiak,  Amnioniumchlorid,  Chlorammonium,  Ammoninm  chloratum  s.  mnriaticum 

NH4  Cl  kommt  als  vulkanisches  Product  in  den  Höhlungen  der  Laven  fertig  gebildet 
vor ,  in  kleinen  Mengen  auch  in  den  thierischen  Se-  und  Excreten.  Früher  versorgte 
Aegypten  fast  ganz  Europa  mit  Salmiak,  als  er  noch  aus  dem  beim  Verbrennen  des 
Kameelmistes  entstehenden  Russ  dargestellt  wurde.  Auch  beim  Brande  von  Torf-,  Braun- 
kohlen- und  Steinkohlenlagern  kann  er  sich  bilden. 

Salmiak  krystallisirt  in  Würfeln  und  Oktaedern,  welche  sich  zu  federartigen 
A7egetationen  gruppiren:  er  greift  Eisen,  Kupfer,  Zink,  Zinn,  Messing  und  Blei  an.  In 
der  Technik  benutzt  man  ihn  zum  Verzinnen  und  Verzinken,  zum  LÖthen,  in  den 
Kattundruckereien,  in  den  Färbereien,  bei  der  Schnupftabakfabrication,  in  der  Metallurgie. 
zur  Gewinnung  der  Platinmetalle,  in  der  Goldseheidekunst,  Galvanoplastik  und  viel- 
fach beim  Düngen  der  Felder. 

Hält  rnau  eine  Rückschau  auf  die  Amnion iakindustrie,  so  hängt  die 
Frage,  ob  die  betreffenden  Fabriken  in  der  nächsten  Nähe  der  Gasfabriken,  so- 
mit im  Bereiche  von  bewohnten  Häusercomplexen,  zu  gestatten  sind,  nur  von  der 
sachgemässen  Durchführung  der  die  Adjacenten  betreffenden  Schutzmassregeln  ab. 
Ihr  Schwerpunkt  liegt  in  der  Vernichtung  der  höchst  übelriechenden  Gase  und 
Dämpfe  (Schwefelwasserstoff,  Scbwefelammonium,  Empyreuma).  welche  beim  Zu- 
satz der  Säuren  zum  flüssigen  Ammoniak,  also  bei  der  Darstellung  von  Ammo- 
niumsulfat oder  Ammouiumchlorid,  entstehen.  Auch  das  Wohl  der  Arbeiter 
erfordert  ihre  Beseitigung  aus  den  Fabrikräumen,  weil  sie  sonst  erfahrungs- 
gemäss  heftige  Augenentzündungen  erzeugen.  Die  Verbrennung  dieser 
Gase  und  Dämpfe  ist  unter  den  geeigneten  Vorsichtsmassregeln,  nöthigenfalls 
unter  Benutzung  besonderer  Desinfectionsöfen.  stets  erforderlich;  unter 
diesen  Vorsichtsmassregeln  ist  immer  das  Einlegen  von  Drahtbündeln  in  das 
Ableitungsrohr  zu  verstehen,  um  hierdurch  das  Zurückschlagen  der  Flamme  zu 
verhüten. 

Ob  und  wie  das  Verbrennungsproduct,  die  schweflige  Säure,  un- 
schädlich gemacht  werden  soll,  hängt  von  den  concreteu  Fällen  und  localen 
Verhältnissen  ab.  Sicherheitsventile  an  den  Destillationsapparaten  dürfen 
niemals  fehlen,  weil  die  leicht  eintretenden  Verstopfungen  in  den  Gasleitungs- 
röhren weit  eher  als  der  geringe  Druck,  unter  welchem  gearbeitet  wird,  Kessel- 
explosionen herbeiführen  können. 

Die  Fabriken,  welche  mit  gefaultem  Urin  arbeiten,  die  Salzlösung  eindam- 
pfen, die  Röstung  der  Salzmasse  vornehmen  oder  Ammoniumcarbonat  durch 
trockene  Destillation  gewinnen,  sind  aus  jedem  Häuserconrplex  zu  verbannen  und 
nur  entfernt  von  menschlichen  Wohnungen  zu  dulden,  da  auch  bei  der  grössten 
Sorgfalt  der  durchdringende  Geruch,  welchen  solche  Fabriken  exhaliren,  nie  ganz 
zu  vermeiden  ist. 

Beseitigung  der  amnioniakalischen  Dämpfe  in  sanitärer  Beziehung.  Es  kom- 
men nicht  selten  Fälle  vor,  wo  die  Beseitigung  der  ammoniakalischen  Dämpfe 
und  Verbindungen  wünschenswerth  und  nothwendig  wird. 

1)  Die  Desinfection    der  Uringruben  ist  besonders  dann  erforderlich, 


232  Stickstoff  und  Wasserstoff. 

wenn  die  localen  Verhältnisse  eine  ökonomische  Benutzung  des  Urins  nicht  ge- 
statten und  ein  Abfluss  desselben  in  öffentliche  Canäle  oder  Gräbeu  durch  die 
Umstände  geboten  ist. 

Die  vorhergehende  Uesiufection  wird  alsdann  am  sichersten  durch  Chlor- 
magnesium und  zwar  in  Form  der  chlormagnesiumreichen  Mutterlaugen  der 
Saliueu  bewirkt.  Das  Chlormaguesium  bindet  nicht  nur  die  Phosphorsäure,  sondern 
fixirt  auch  das  Ammoniak  und  die  andern  flüchtigen  Basen,  indem  die  Phosphor- 
säure mit  dem  Ammoniak  als  phosporsaures  Ammonium  -  Magnesium 
Mg  (NH^)  POj  +  6HyO  auftritt.  Die  hierbei  abfallende  Flüssigkeit  kann  jedenfalls 
in  Canälen  zum  Abfluss  gelangen. 

Eine  ähnliche  Wirkung  wird  der  gebrannte  Dolomit  haben  und 
an  manchen  Orten  leichter  zu  beschaffen  sein;  Gips  ist  ebenfalls  hier  an- 
wendbar. 

2)  In  Lagerräumen  von  Guano  erscheint  das  Bestreuen  des  Bodens  und 
der  Säcke  mit  Gipspulver  als  ein  sehr  geeignetes  Mittel,  um  die  vom  Guano 
ausgehenden  ammouiakalischen  Gase  zu  binden.  Durch  die  Schwefelsäure  des 
Gipses  wird  das  Ammoninmcarbonat  in  Ammouiumsulfat  verwandelt,  während 
die  ausgeschiedene  Kohlensäure  mit  dem  freien  Kalk  neutrales  Calciumcarbonat 
bildet.  Die  flüchtigen  organischen  Säuren,  die  Butter-,  Baldriausäure  u.s.w., 
welche  am  meisten  den  unangenehmen  Geruch  verursachen,  kommen  nun  mit 
dem  Calciumcabonat  in  Berührung  und  werden  von  demselben  partiell  gebunden. 
Hat  eine  Sättigung  durch  diese  Säuren  stattgefunden,  so  kann  durch  den  Eiu- 
fiuss  der  atmosphärischen  Luft  wieder  ein  Aushauchen  der  flüchtigen  Fett- 
säuren veranlasst  werden,  weshalb  das  Bestreuen  mit  Gips  stets  nach  einer  ge- 
wissen Zeit  um  so  eher  erneuert  werden  kann,  als  das  sich  bildende  Ammo- 
niumsulfat ebenfalls  ein  gutes  Dungmittel  ist. 

Man  kann  auch  noch  Vorhänge  von  grobem,  in  Kalkmilch  getauchten  Zeuge 
vor  den  Säcken  aufhängen,  um  die  Säuren  zu  binden. 

3)  In  Viehställeu,  namentlich  in  Pferde-  und  Eselställen,  in  den  Bau- 
lichkeiten der  zoologischen  Gärten  wird  das  Bestreuen  des  Bodens  mit  wasser- 
haltigem Gips  (faserigem  Gips)  das  Ammoniak  vor  dem  Verdunsten  schützen; 
der  wasserfreie,  natürlich  vorkommende  Gips  ist  ebensowenig  wie  gebrannter 
Gips  zu  gebrauchen. 

Bei  der  Tuchfabricatiou  heisst  das  Entfetten  der  Laken  Walken.  Es  wird 
hierzu  der  gefaulte  Urin  unter  Zusatz  von  Thou  (Walkererde)  und  Oel-Kali- 
Seife  benutzt,  wobei  fast  lediglich  sein  Gehalt  an  Amraoniumcarbonat  in  Betracht 
kommt;  hier  sind  die  ammouiakalischen  und  andere  übelriechende  Gase  und 
Dämpfe  schwer  zu  beseitigen.  Die  betreffenden  Wasch wässer,  welche  ausser 
den  Bestandteilen  des  Urins  auch  noch  Seife  und  Thon  enthalten,  sind  für  die 
Fischzucht  sehr  nachtheilig,  wenn  sie  in  Bäche  oder  Teiche  abfliesseu.  Am  zweck- 
mässigsten  würden  sie  zur  Berieselung  dienen;  um  ihueu,  wenn  letztere  nicht 
zulässig  ist,  einigermassen  die  düngenden  Bestandtheile  und  den  Fettgehalt  zu 
entziehen,  ist  es  vortheilhaft,  die  ersten  Walk  wässer  zuerst  mit  eiuer  Auflösung 
von  Chlorcalcium  und  dann  mit  Chlormagnesium  zu  versetzeu.  Das 
Chlorcalcium  scheidet  das  Fett  der  Seife  als  eine  unlösliche  Kalkseife 
ab,  die  gesammelt  und  mit  Schmiermaterialien  verwerthet  wird.  Durch  das 
Chlormagnesium  wird  aus  dem  Urin  die  Phosphorsäure  und  das  Ammoniak 
als    das    oben    erwähnte  tertiäre  Phosphat  ausgeschieden.     Ist  kein  Ueberschuss 


Arnmoniak-In  dustrie  23  3 

des  Fällungsinittels  zugegeben  worden,  so  können  die  klaren  Wässer  frei  abge- 
lassen werden. 

5)  Bezüglich  der  Anwendung  des  gefaulten  Urins  bei  der  Haudschuh- 
fabrication  ist  zu  bemerken,  dass  die  Application  desselben  mittels  Aufbür- 
stens  stattfindet  und  dabei  ein  rasches  Verdunsten  der  übelriechenden  Gase 
und  Dämpfe  eintritt,  weshalb  für  die  Beseitigung  resp.  Unschädlichmachung 
derselben  gesorgt  werden  muss.  Es  wird  allerdings  schwierig  bleiben ,  dies 
durch  eine  kräftige  Ventilation  in  den  kleinlichen  Arbeitslocalen  zu  bewerk- 
stelligen; man  wird  in  dieser  Beziehung  immer  nur  das  Oeffneu  der  Fenster 
und  Thüren  benutzen  köunen.  Stets  werden  zunächst  die  Augen,  die  Nase 
und  der  Mund  der  Arbeiter  von  diesen  scharfen  Ausdünstungen  getroffen,  wes- 
halb das  Tragen  von  in  Essig  getränkten  Schwämmen  vor  Mund  und  Nase  recht 
gute  Dienste  leisten  wird.  Bei  Vernachlässigung  dieser  Vorsichtsmassregeln  muss 
die  Gesundheit  der  Arbeiter  gefährdet  werden;  nach  unseren  Erfahrungen  haben 
viele  derselben  ein  sehr  ungesundes  Aussehen  und  klagen  stets  über  Mangel  an 
Appetit.  In  einem  concreten  Falle  konnte  mit  Bestimmtheit  die  Ursache  der  raschen 
Entwicklung  einer  Lungentuberkulose  auf  diese  schädlichen  Einflüsse  bezogen 
werden. 

Uebrigens  ist  der  Gebrauch  des  gefaulten  Urins  eine  alte,  nur  durch  die 
Empirie  sanctionirte  Methode,  welche  keine  wissenschaftliche  Begründung  hat,  da 
ebenso  gut  Ammoniumcarbonat  oder  Ammoniumphosphat  angewendet  werden 
kann,  wodurch  am  besten  alle  Nachtheile,  die  der  Verwendung  des  gefaulten 
Urins  anhaften,  vermieden  werden  könnten.  Auch  hat  man  in  vielen  Fällen  als 
Ersatzmittel  eine  Lösung  von  Boras  mit  Vortheil  benutzt. 

Alles  dieses  gilt  auch  von  der  Application  des  gefaulten  Urins  bei  Dar- 
stellung von  Hornwaaren,  wodurch  der  Oberfläche  des  Horns  das  Fett  vor 
dem  Färben  entzogen  und  die  Aufnahme  der  Farbe  begüustigt  wird;  deshalb 
nennt  man  diese  Präparation  auch  fälschlich  das  Beizen. 

Ammonium  und  Schwefel. 

l)  Ammoninmsnlfid,  Einfach  Schwefelammoninm  (NH4)2S.  Es  entspricht  dem 
Schwefelkalium  und  stellt  nadelförmige,  farblose  Krystalle  von  alkalischer  Reaction  dar. 
Schou  bei  gewöhnlicher  Temperatur  £eben  sie  einen  Theil  ihres  Ammoniaks  ab;  es  ent- 
steht durch  Zusammenbringen  von  1  Vol.  Schwefelwasserstoff  und  2  Vol.  Ammoniakgas. 
Als  Flüssigkeit  in  wasserfreiem  Zustande  bildet  es  sich  bei  der  Destillation  von  Salmiak 
und  Ein  fach- Schwefelkalium: 

K,S  +  2NH4C1  =  2  KCl  +  (NH4)2S. 
In  wässeriger  Lösung  erhält  man  es,  wenn  man  Salmiakgeist  in  zwei  gleiche 
Theile  theilt,   den  einen  mit  Schwefelwasserstoff  sättigt  und  den  andern  alsdann  hinzu- 
schüttet.   Man  bildet  somit  Ammoniumsulfhydrat,  dem  man  Ammoniak  hinzufügt: 
(NH4)  OH  +  H,  S  =  (NH4)  SH  +  EL  0 . 
(NH4)  SH  +  (NH4")  OH  =  (NH4)2S  4-  H,0. 

Einwirkung  von  Schwefelammonium  auf  den  thierischen  Organismus,  i)  Eine 
Taube  sitzt  in  der  Glasglocke.  4  Grm.  Salmiak  und  12  Grm.  Kaliumsulfid  werden  der 
Destillation  unterworfen.  Als  die  Dämpfe  in  der  Glocke  kaum  sichtbar  werden,  schüt- 
telt die  Taube  mit  dem  Kopfe,  blinzelt  mit  den  Augen,  wird  unruhig,  während  aus  dem 
Schnabel  und  den  Augen  Flüssigkeit  quillt.  Nach  2  M.  14  Inspirationen  binnen  '/4M. ; 
grosse  und  beständige  Unruhe,  häufiges  Schmecken.  Bei  schwacher  Zuleitung  der  Dämpfe 
nach  4  M.  Putzen  in  den  Federn,  grösste  Unruhe,  Blinzeln  mit  den  Augen  und  An- 
schwellen derselben.  Nach  7  M.  Taumel  und  Niedersetzen;  nach  ll[2  M.  allgemeine 
'Convulsionen:  dann  sofortige  Herausnahme.  Vollständige  Asphyxie,  erst  nach 
IV2  M.  beginnt  ein  schwaches  und  unterbrochenes  Athmen;  der  Körper  ist  ganz  steif 
und  die  Taube  lässt  sich  wie  eine  todte  Masse  hin  und  her  bewesren.    Nach  3  M.  13  un- 


234  Ammonium  und  Schwefel. 

regelmässige  Inspirationen;  die  Täube  stellt  sich  dann  aufrecht,  schwankt  aber  beständig 
nach  vom  und  hinten.  Nach  5  M.  noch  starkes  Schwanken;  nach  7  M.  geht  sie  grade 
einher  und  sucht  einen  dunklen  Ort  auf;  die  Respiration  regelt  sich  allmählig.  Die 
Taube  erholt  sich  vollständig. 

2)  Ein  Kaninchen  sitzt  in  der  Glocke,  in  welche  die  Dämpfe  dringen  Sogleich 
Urinlassen  und  halbes  Schliessen  der  Augen:  schon  nach  1  M.  die  heftigsten  Convul- 
sionen: dann  sofortige  Tierausnahme.  Vollständige  Asphyxie,  die  offenen  Augen  mit 
erweiterten  Pupillen  stehen  hervor:  nach  l/a  M.  einige  krampfhafte  mit  Schleimrasseln 
verbundene  Inspirationen,  welche  .-ich  alsbald  beschleunigen.  Nach  4  M- ist  die  Pupille 
w.aiigcr  erweitert  bei  noch  hervortretenden  Augen:  nach  .">  M.  Husten  mit  geringer  Er- 
höhung des  Kopfes;  nach  6  M.  legt  sich  das  Thier  auf  den  Bauch  und  bleibt  in  dieser 
Lage  mit  gespreizten  Vorderbeinen;  die  Hinterbeine  zieht  es  erst  auf  einen  angebrachten 
Reiz  wieder  an  sich.  Nach  8  M.  26  unregelmässige  Inspirationen  in  derselben  Bauch- 
lage, nach  9  M.  14  Inspirationen,  muh  '2h  M.  macht  es  schwache  Gehversuche,  nach 
30  M.  erhalt   es  sich  immer  mehr  und  bleibt  gesund. 

3)  Eine  Taube  sitzt  in  der  Glasglocke:  beim  Eindringen  der  Dämpfe  in  dieselbe  so- 
gleich grosse  Unruhe,  Blinzeln  mit  den  Augen,  heftiges  Würgen  ohne  Erbrechen  und 
Schwanken.  Nach  1  M.  fällt  sie  auf  die  Seite  und  flattert  mit  den  Flügeln:  hierauf 
weites  Aufsperren  des  Schnabels  hei  einzelnen  krampfhaften  Inspirationen;  dann  sehr 
heftige  Convulsionen.  Nach  2  M.  Asphyxie,  in  den  Nacken  zurückgezogener  Kopf,  ein 
schwaches  Zittern  der  Flügel  und  rascher  Tod. 

Section  4  Stunden  nachher.  Pupille  in  mittler  Contraction,  Hals  schwanenartig 
gebogen.  Hirnhäute  schwach  injicirt:  Plex.  venös,  spin.  massig  mit  dunklem  flüs- 
sigem Blute  angefüllt.  Das  Zellgewebe  in  der  Umgebung  der  Trachea  stark  injicirt; 
beim  Durchschneiden  der  linken  Brustmuskeln  fliesst  viel  flüssiges  Blut  aus.  Tracheal- 
schleimhaut  schwach  injicirt  und  mit  einer  dünneu  Lage  schleimiger  Flüssigkeit 
bedeckt,  welche  unterhalb  der  Theilung  der  Luftröhre  blutig  gefärbt  ist;  die  Schleim- 
haut der  grössern  Bronchien  ist  sehr  geröthet.  Die  Lungen  von  hellrother  Farbe;  nur 
am  untern  Rande  ein  1  Linie  breiter,  braun  gefärbter  Streifen,  das  Parenchym  braun- 
roth  marmorirt;  es  knistert  und  entleert  überall  wenig  flüssiges  Blut  Das  Herz  und 
alle  grossem  Gefässe  strotzen  von  flüssigem  Blute,  der  Herzmuskel  ist  stark 
injicirt.  Blut  vorherrschend  flüssig  und  in  starken  Schichten  schwärzlich  braunroth, 
gerinnt  an  der  Luft  sehr  rasch  und  röthet  sich  wenig:  Blutkügelchen  vorherrschend 
normal,  mehrere  seitlich  eingerissen,  einzelne  zerfallen.  Leber  dunkelbraunroth 
mit  schwärzlicher  Schattirung,  sehr  blutreich,  ebenso  die  Nieren.  Die  Oberfläche  der 
Därme  ist  bis  zum  Magen  hin  stark  injicirt :  alle  grossem  Gefässe  strotzen  von  flüssi- 
gem Blute. 

Es  ist  hier  hervorzuhebeu,  dass  mau  in  der  Technik  dem  Einfach- 
Schwefelammonium  selten  begegnet.  Auch  bei  der  obigen  Darstellung  ist  es 
bloss  im  Entstehungsmomeute  rein,  zersetzt  sich  aber  sofort  durch  den  Einfluss 
der  atmosphärischen  Luft  und  bildet  höhere  Schwefluugsstufen.  Bei  der  statt- 
gehabten Einwirkung  auf  den  Thierorganismus  kann  es  sich  daher  auch  nur 
um  Mehrfach-Schwefelammonium  handeln,  das  im  Blute  die  Entwicklung 
von  Schwefelwasserstoff  unter  Abscheidung  von  Schwefel  veranlassen  wird;  die 
Symptome  sind  daher  ähnlich  den  der  Schwefelwasserstoff-Intoxication, 
wie  aus  dem  Taumel,  den  sehr  heftigen  Convulsionen  und  der  Asphyxie  hervor- 
geht, Erscheinungen,  die  sich  stets  bei  der  Einwirkung  coucentrirter  Mengen 
dieser  Verbindung  kuud  geben,  (s.  S.  238.) 

2)  Ainmoiiimnsnlfhydrat,  Ainiiioiiininhydrosnlfid,  Schwefelwasserstoff-Sehwefelain 

moii i um  (NHJHS  entsteht  bei  der  Fäulniss  Stickstoff-  und  schwefelhaltiger  organischer 
Substanzen,  findet  sich  daher  in  Abtrittsgruben  und  fast  überall,  wo  in  Folge  der  Fäul- 
niss Schwefelwasserstoff  auftritt,  z.  B.  bei  den  jauchigen  Eiterproductionen  im  Thier- 
körper.  Ausserdem  fehlt  es  nie  im  Gasreinigungskalk  und  in  den  Gaswassern  bei  der 
Darstellung  des  Leuchtgases  aus  Steinkohlen,  Torf,  bituminösem  Schiefer  und  Braun- 
kohle. Durch  Einleiten  von  Schwefelwasserstoff  in  eine  alkoholische  Ammoniaklösung 
erhält  man  es  in  farblosen,  höchst  übelriechenden  Blättern,  die  sich  an  der  Luft  sehr 
bald  gelb  färben.  Die  wässerige  Lösung  bildet  sich  durch  Einleiten  von  Schwefel- 
wasserstoff in  wässeriges  Ammoniak.  Die  anfangs  farblose  Flüssigkeit  färbt  sich  an  der 
Luft  durch  Bilduug  von  Polysulfiden  gelb  und  ist  unter  dem  Namen  Schwefelammo- 
nium  als  Reagens  bekannt. 

Indem  der  Sauerstoff  der  Luft  oxydirend  einwirkt,  erzeugt  sich  unterschwef- 


Cloakengase.  235 

ligsaures  Ammonium  und  freier  Schwefel,    welcher  sich  aber  in    dem   noch  unzer- 
setzt  gebliebenen  Ammoniumsulfhydrat  auflöst  und  Ammoniumbisulfid  bildet: 
4(NH,)HS  4-  5  0  =  (NH4)2S203  +  (NH412S2  +  2H20. 
In  Folge  weiterer  Oxydation   geht   das   unterschwefligsaure  Ammonium    allmählig 
in  schwefligsaures  (NH4)2S03  und  schwefelsaures  Ammonium  (NH4)2S04  über,  während 
Schwefel  austritt. 

Die  zwei-  und  dreifach  geschwefelte  Verbindung  (Ammoniumbi  sulfid  (NH4)2S2 
und  Ammoniumtersulfid  (NHj)2S3)  stellt  man  direct  dar,  wenn  man  in  der  frisch 
bereiteten  klaren  Lösung  von  Ammoniumsulfhydrat  Schwefel  auflöst,  wobei  sie  sich  unter 
Entwicklung  von  Schwefelwasserstoff  gelb  färbt: 

2  (NH4)  HS  +  S  =  (NH4)2  S2  +  H2  S. 
Fährt  man  mit  der  Lösung  des  Schwefels  fort,  so  entsteht  Ammoniumtersulfid 
An  der  Luft  geht  das  Bisulfid  in  unterschwefligsaures  Ammonium    und  das  Ter- 
sulfid  unter  Abscheidung  von  Schwefel  in  dieses  über: 

(NH.\S2+30  =  (NH4)2S,03. 
(NH4)2  S8  +  3  0  =  (NH4)2  S2  03  +  S. 

Das  Verhalten  der  Abtrittsflüssigkeiten  bezüglich  der  sieh  bildenden  flüchtigen 
nnd  stinkenden  Körper.  Wenn  Fäcalniassen  oder  schwefel-  und  stickstoffhaltige 
organische  Substanzen  überhaupt  in  Fäulniss  begriffen  sind,  so  tritt  bei  hohem 
Gehalt  an  Harnstoff,  also  bei  beträchtlicher  Ainmoniakbildung,  zunächst  Ein- 
fach-Schwefelammonium  auf;  der  atmosphärische  Sauerstoff  bedingt  aber 
sofort  eine  Zersetzung  desselben  und  die  Bildung  von  Mehrfach-Sch wefel- 
ammonium  ist  die  Folge  hiervon.  Dieses  erzeugt  in  offenen  Abtrittsgruben 
beim  Zutritt  der  Luft  und  bei  alkalischer  Reaction  unterschwefligsaures,  schweflig- 
saures und  schliesslich  schwefelsaures  Ammonium  und  zwar  bei  gleichzeitiger 
Schwefelausscheidung. 

Wird  durch  einen  Oxydationsprocess,  wenn  z.  B.  durch  Zufluss  von  Küchen- 
und  Spülwasser  u.  s.w.  eine  saure  Gährung  entsteht,  eine  saure  Reaction  hervor- 
gerufen, so  erzeugt  sich  Schwefelwasserstoffgas,  wenn  noch  eine  Verbindung 
von  Schwefel  und  Ammonium  vorhanden  ist.  Ist  aber  letztere  schon  in  Folge  des 
fortgeschrittenen  Oxydationsprocesses  verschwunden,  so  kann  auch  unmöglich 
H2S  auftreten.  Die  Zersetzung  der  schwefligsauren  und  unterschwefligsauren 
Salze,  welche  bei  weiterer  Oxydation  eintritt,  hat  jedoch  fast  niemals  eine  Ent- 
wicklung von  schwefliger  Säure  zur  Folge,  weil  diese  bei  dem  grossen  Ueber- 
schuss  von  organischen  Ueberresten  zurückgehalten  wird  (s.  schweflige  Säure). 
Werden  jedoch  derartig  oxydirte  Abtrittsflüssigkeiten  mit  einer  starken  Säure, 
z.  B.  bei  der  Poudrettefabrication,  mit  Schwefelsäure  versetzt,  so  treten  neben 
Butter-,  Essig-,  Metaceton-,  Baldriansäure  u.  s.  w.  stets  nicht  unerheb- 
liche Mengen  von  schwefliger  Säure  und  Salzsäure  auf,  wenn  keine 
Schwefelwasserstoffquelle,  d.  h.  kein  Schwefelmetall  in  der  Masse  sich  findet.  Im 
letztern  Falle  wird  der  Schwefelwasserstoff  in  Berührung  mit  schwefliger  Säure 
neben  Ausscheidung  von  Schwefel  nur  Wasser  bilden.  In  Gruben,  in  welchen 
urinöse  Flüssigkeiten  und  somit  die  Ammoniakbildung  vorherrschen,  kann  nie 
Ammoniumsulfhydrat  vorkommen,  wie  sich  aus  der  obigen  Erörterung  er- 
gibt, sondern  es  müssen  sich  die  Polysulfide  bilden. 

Sämmtliche  Schwefelverbindungen  des  Ammoniums  sind  flüchtig 
und  constituiren  ceteris  paribus  vorzugsweise  die  Atmosphäre  in  geschlosse- 
nen Abtrittsgruben.  Sie  sind  auch  brennbar,  weshalb  ihre  Dämpfe,  mit  atmo- 
sphärischer Luft  vermischt,  explosiv  sind.  Das  Einwerfen  von  glühenden 
Schwefelhölzchen  in  solche  Gruben  vermag  daher  Explosionen  zu  erzeugen, 
welche  erfahrungsgemäss  bedeutende  Verbrennungen  zur  Folge  haben  können.  — 


230  Ammonium  und  Schwefel. 

Das  Auftreten  der  weissen  Dämpfe  nach  solchen  Explosionen  erklärt  sich  durch 
die  Bildung  von  schwefliger  Säure,  die  sich  mit  dem  Ammoniak  verbindet. 

Ausser  diesen  Schwefelammonium  -  Dämpfen  treten  noch  Kohlen- 
säure,  Sümpfgas,  Stickstoff  als  Reste  der  des  Sauerstoffs  beraubten  Atmo- 
sphäre neben  Kohlenoxyd  auf.  Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  das  Vor- 
kommen des  Kohlenoxyds  an  die  Spaltung  der  Oxalsäuren  Salze  resp.  Oxalsäure, 
die  in  Fäcalmassen  niemals  fehlen,  gebunden  ist;  seiue  Wirkung  wird  aber 
wegen  der  grossen  Verdünnung  verschwindend  klein  sein. 

Hieraus  geht  hervor,  dass  die  Cloakengase  stets  variabel  sein 
müssen,  je  nachdem  die  Zersetzung  der  Excremeute  bei  alkalischer, 
neutraler  oder  auch  bei  saurer  Reaction  stattfindet,  Auch  die  Qualität  der 
genosseuen  Nahrungsmittel  bedingt  das  Auftreten  verschiedener  Gase;  Fleisch- 
überreste, Blut,  Kleber,  Eiweiss,  Legumin,  überhaupt  die  schwefel-  uud  stick- 
stoffhaltigen organischen  Substanzen  erzeugen,  sich  selbst  überlassen,  also  der 
Fäulniss  ausgesetzt,  grosse  Mengen  von  einfach  und  mehrfach  geschwefeltem 
Ammonium.  Der  reichliche  Genuss  von  Zwiebeln  bringt,  wenn  die  betreffenden 
Excremeute  faulen,  Allylverbindungen  resp.  merkaptanähnliche  Pro- 
duete  hervor,  die  ebeufalls  flüchtiger  Natur  siud. 

Werden  Desinfectionsmittel  angewendet,  so  bedingen  dieselben  nach 
ihrer  verschiedenen  Reaction  ebenfalls  eine  Verschiedenheit  der  sich  entbindenden 
Gase.  Sauer  reagirende  Desinfectionsmittel,  wie  z.  B.  Eisen-,  Zinkvitriol,  Man- 
ganchlorür,  Schwefelsäure,  entbinden  im  Aufauge  enorme  Quautitäteu  Schwefel- 
wasserstoff neben  den  organischen  Säuren  resp.  flüchtigen  Fettsäuren,  wie 
Butter-,  Baldrian-,  Capronsäure  u.  s.  w.,  Kreosot,  Theer,  carbolsaures  Na- 
trium oder  Calcium.  Carbolsäure  heben  die  Fäulniss  auf  und  verdecken  zu- 
gleich alle  andern  Gerüche. 

Neutral  oder  alkalisch  reagirende  Desinfectionsmittel,  z.  B.  mangan- 
oder  übermangansaure  Verbindungen,  unterchlorigsaure,  schweflig- 
saure Salze,  Aetzkalk  u.  s.  w.,  siud  stets  vorzuziehen  und  eignen  sich  am 
besten  zum  besagten  Zweck,  da  sie  theils  ganz,  theils  in  geringerm  Grade  die 
Fäulniss  aufheben,  die  Riechstoffe  binden  oder  zerstöreu  und  auch  die  düngende 
Kraft  der  Excremeute  durchaus  nicht  beeinträchtigeu.  In  frisch  gebauten 
Abtritten,  welche  noch  viel  unzersetzten,  aus  dem  Mörtel  herrührenden  Kalk  ent- 
halten, entwickelt  sich  bekanntlich  nur  Ammoniak. 

Die  chromsauren  Salze,  welche  zu  dieser  Gruppe  gehören,  würden  eben- 
falls mit  Vortheil  anzuwenden  sein,  wenn  der  Preis  nicht  dagegen  spräche.  Am 
besten  würde  sich  das  Calciumchromat  als  das  billigste  chromsaure  Salz,  na- 
mentlich zur  Desinfeetion  von  Nachtgeschirren  u.  s.  w. .  eignen.  Es  ist  ganz  un- 
löslich und  bildet  schliesslich  Chromoxyd,  welches  sich  den  Pflanzen  gegenüber 
indifferent  verhält.  Am  allerwenigsten  eignen  sich  freie  Mineralsäuren  zur 
Desinfeetion,  weil  sie  die  Entwicklung  von  H2S  und  flüchtigen  organischen  Säuren 
im  höchsten  Grade  bedingen.  Ausserdem  greifen  sie  die  Fassungsmauern  der 
Abtrittsgruben  an  uud  veranlassen  auf  diese  Weise  ein  Durchsickern  der  putriden 
Massen. 

Soll  eine  geschlossene  Abtrittsgrube  behufs  Reinigung  befahren  werden,  so 
ist  die  grösste  Vorsicht  hierbei  anzuwenden  und  vorher  eine  gründliche  Ven- 
tilation oder  zweckmässige  Desinfeetion  zu  bewerkstelligen;  Unvorsichtigkeit 
hierbei  wird  leider  noch  oft  mit  plötzlichem  Tode  bestraft. 


Cloakengase.  237 

Stadtcanäle,  welche  bloss  Küchenwasser  und  den  Inhalt  der  Strassenrinnen 
aufnehmen,  belästigen  ganz  besonders  durch  die  Exhalation  von  flüchtigen  Fett- 
säuren, zu  deren  Entwicklung  namentlich  das  Seifenwasser  beiträgt.  Ans  eleu 
mannigfachen  Küchenwässern  können  sich  auch  die  stinkenden  organischen  Basen. 
wfePropyl-,  Methyl-,  Aethyl-  und  Butylamin  u.s.w.  bilden.  Wo  der  Abtrittsinhalt 
noch  zufliesst,  sind  es  ausser  den  flüchtigen  Schwefelverbindungen  vorzüglich 
Butter-  und  Baldriansäure,  welche  die  Luft  in  den  Strassen  verderben.  Ist  der 
Canalinhalt  dabei  bedeutenden  Stauungen  ausgesetzt,  fehlt  alle  Wasserbespülung. 
so  treten  stets  mehr  oder  weniger  die  Verhältnisse  der  geschlossenen  Abtritts- 
graben ein,  weshalb  mau  solche  Canäle  mit  Recht  als  Äblagerungscanäle 
bezeichnet  hat. 

Einwirkung  der  Fäulniss-  resp.  Cloakengase  auf  den  thierischen  Organismus. 
In  dem  variablen  Gemisch  der  Fäulniss-  und  Cloakengase  sind  es  stets  die 
Schwefelverbindungen  von  Ammonium,  die  Kohlensäure  und  der  Stick- 
stoff, welche  die  gefährlichen  Folgen  bedingen. 

Bilden  diese  Gase  die  Atmosphäre  der  Abtrittsgruben  oder  Cloaken,  so  ist 
ein  asphyktischer  Zustand  resp.  der  Tod  die  unausbleibliche  Folge  für  Alle,  welche 
sich  plötzlich  in  diese  Räume  begeben,  da  schon  der  Maugel  an  Sauerstoff  den 
Respirationsprocess  gefährdet;  dazu  kommt  dann  noch  die  bekannte  reducirende, 
den  Sauerstoff  des  Blutes  in  Beschlag  nehmende  Wirkung  von  Schwefel- 
ammonium, durch  welches  im  Vereine  mit  den  übrigen  Gasen  das  Obductions- 
resultat  sich  verschieden  von  einer  eigentlichen  Erstickung  gestaltet;  ganz  be- 
sonders zeichnet  sich  bei  einer  letalen  Vergiftung  durch  Schwefelammonium  resp. 
Cloakengase  das  Blut  durch  seine  dunkelbraunrothe,  fast  dintenartige  und  flüssige 
Beschaffenheit  aus.  Letzterer  entsprechend  bekommen  daher  auch  che  grössern 
Organe  eine  mehr  dunkle  Farbe,  und  besonders  auffallend  ist  die  graugrün- 
liche oder  schmutzig-graue  Farbe  der  Rindensubstanz  des  Gehirns, 
welche  der  durch  Fäulniss  hervorgerufenen  nur  ähnlich  ist,  da  der  übrige 
Befund  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  noch  keine  oder  geringe  Fäulnisserscheinungen 
darbietet,  auch  namentlich  alle  übrigen  Organe  mehr  oder  weniger  an  dieser 
dunklern  Färbung  partieipiren.  So  ist  die  Farbe  der  Lungen  mehr  dunkelgrau, 
dunkelbraunroth  oder  blauroth  mit  schwarzer,  bisweilen  durch  einige  röthere 
Stellen  unterbrochener  Marmorirung.  wobei  die  Schleimhaut  der  Bronchien  und 
der  Trachea  stets  eine  dunkle  Injectionsröthe  darbietet.  Auch  die  Leber  hat 
häufig  eine  schwarzbraune,  fast  schwärzliche  Farbe,  während  die  Herzmuskulatur 
bläulichroth  erscheint. 

Wegen  des  variablen  Gemisches  dieser  Gase  wird  aber  das  Obductions- 
resultat  natürlich  mannigfache  Modifikationen  darbieten;  besonders  wird  die 
schwärzliche  Farbe  des  Blutes  um  so  entschiedener  sich  ausbilden,  je  mehr 
die  Kohlensäure  im  Gasgemische  vorgewaltet  hat. 

Da  sich  bekanntlich  Eisen  mit  Seh  wefel  ammonium  in  alkalischer 
Flüssigkeit  leicht  verbindet,  so  dürfte  die  Frage  entstehen,  ob  bei  dieser  Farbenver- 
änderung nicht  das  Eisen  im  Blut  betheiligt  sei;  die  bezüglichen  Cntersuchungen 
sprecheu  jedoch  nicht  für  diese  Auffassung.  Dagegen  wird  sich  bei  der  Ein- 
wirkung der  Dämpfe  von  Sckwefelammouium  auf  das  Blut  leicht  Schwefel 
ausscheiden  können,  was  beim  Schwefelwasserstoff  nicht  möglich  ist.  Dieser 
chemische  Vorgang  dürfte  für  die  Annahme,  dass  grade  bei  der  Schwefel- 
ammonium-Vergiftnng    der  ausgeschiedene  Schwefel  Embolien  in  den  Capil- 


238  Ammonium  und  Schwefel. 

laren  des  Gehirns  zu  erzeugen  und  dadurch  ganz  bedeutende  Functionsstörungen 
hervorzurufen  vermöge,  einen  Anhaltspunkt  liefern.  Es  würde  dadurch  auch  er- 
klärlich,  dass  letale  Apoplexien  noch  nachträglich  bei  der  Schwefelammouium- 
Vergiftung  eintreten  können. (i!)) 

Auch  die  Lähmung  einzelner  Glieder,  der  Sinnesorgane,  namentlich  der 
Stimm-  und  Sprachorgane,  und  selbst  Geistesstörungen,  welche  als  Nach- 
krankheiten  dieser  Vergiftungen  auftreten,  können  mit  Störungen  innerhalb 
der  cerebralen  Gefässe  in  Connex  stehen.  Es  liegt  hier  ein  grosses  und  interes- 
santes Forschungsgebot  noch  offen. 

Wirkt  Schwefelammonium  mehr  in  verdünntem  Zustande  ein,  so  geben 
sich  erfahrungsgemäss  neben  einem  Steifigkeitsgefühl  in  allen  Gliedern  und  Frost- 
schauer vielfache  Digestionsstörungen  kund  und  zwar  Uebelkeit,  Erbrechen, 
grosse  Anorexie,  Kolik  und  Diarrhoe.  Die  Erscheinungen  treten  meistens  inner- 
halb der  ersten  24  Stundeu  nach  geschehener  Einwirkung  ein,  können  8 — 14  Tage 
anhalten  und  verschwinden  höchst  wahrscheinlich  gleichzeitig  mit  der  Aus- 
scheidung von  Schwefelwasserstoff,  der  sich  wohl  sicher  nach  der  Inhala- 
tion von  Mehrfach-Schwefelammonium  innerhalb  der  Blutbahn  entwickelt. 
Es  ist  auch  eine  thatsächliche  Erfahrung,  dass  verunglückte,  aber  in's  Leben 
zurückgerufene  Cloakenfeger  bis  zur  vollständigen  Genesung  stets  eine  höchst  un- 
angenehme, nach  Schwefelwasserstoff  riechende  Ausdünstung  wahrnehmen  lassen. 

Concentrirtere  Gase  rufen  häufig  bei  Cloakenfegern  heftige  Kopf- 
schmerzen hervor,  welche  leicht  in  Delirien  übergehen,  und  zwar  häufiger 
als  dies  bei  der  Einwirkung  von  blossem  Schwefelwasserstoff  der  Fall  ist.  Bei 
starker  Concentration  der  Gase  folgen  Asphyxie,  tetanische  Krämpfe  und  der 
Tod  rasch  aufeinander,  wenn  die  betreffenden  Individuen  nicht  sofort  der  giftigen 
Atmosphäre  entzogen  werden.  Es  fällt  dann  der  symptomatische  Unterschied  von 
einer  Vergiftung  durch  Schwefelwasserstoff  fort,  da  sich  die  plötzliche  und  inten- 
sive Einwirkung  der  Cloakengase  im  nämlichen  Grade  kundgibt. 

Häufig  wird  die  Vergiftung  durch  Schwefelwasserstoff  mit  der  durch 
Schwefelammonium  identificirt,  wodurch  bisher  manche  Missverständnisse  hervor- 
gerufen worden  sind.  Die  äussere  Aehnlichkeit  berechtigt  nicht  dazu,  auch  den 
innern  Vorgang  bei  beiden  Vergiftungen  für  gleichartig  zu  halten;  die  oben  ange- 
deuteten Verschiedenheiten  können  aber  hier  nicht  weiter  verfolgt  werden,  da  die 
betreffenden  Untersuchungen  zu  weit  in  das  Gebiet  der  Physiologie  und  Pathologie 
führen  würden. 

In  sanitärer  Beziehung  müssen  hauptsächlich  die  schleichenden,  häufig 
verkannten  und  noch  nicht  genug  gewürdigten  Wirkungen  von  Schwefel- 
ammonium auf  den  menschlichen  Organismus  wiederholt  hervorgehoben  werden. 7u) 

Was  die  Wiederbelebung  der  durch  Abtrittsgase  asphyk tisch  ge- 
wordenen Menschen  betrifft,  so  haben  sich  für  den  ersten  Moment  die  kalten 
Begiessungen  am  besten  bewährt,  mit  welchen  man  kräftige  Frictionen 
des  ganzen  Körpers  verbindet.  Reicht  dieses  Verfahren  zur  Anregung  der 
Respiration  nicht  aus,  so  zögere  man  keinen  Augenblick  mit  der  Einleitung 
der  künstlichen  Athmung,  die  besonders  für  Verunglückte,  bei  denen 
man  noch  Herzpalpitationen  wahrnimmt,  einen  günstigen  Erfolg  verspricht.  Auch 
Tabakrauchklystiere  sind  empfohlen  worden,  weil  sie  häufig  Erbrechen  her- 
vorrufen und  dadurch  anregend  und  umstimmend  einwirken  sollen.  Die  weitere 
Behandlang  muss  sich  nach  dem  individuellen  Falle  richten. 


Schwefelaninioniuni  in  der  Industrie.  239 

Die  nachteilige  Einwirkung  von  Schwefelannnonium  auf  die  Pflanzen  ist 
unzweifelhaft;  es  ist  hier  die  Causticität  des  Schwefelammoniuins  resp.  des 
freien  Ammoniaks  als  Zersetzuugsproduct  desselben,  welche  die  schädliche  Ein- 
wirkung verursacht.  Die  Blätter  schrumpfen  zuerst  zusammen,  verdorren  dann 
und  die  noch  vorhandenen  grünen  Triebe  büssen  ihre  Farbe  ein,  wobei  sämmt- 
liches  Chlorophyll  zerstört  wird;  es  tritt  dann  die  sogenannte  Bleichsucht  der 
Pflanzen  ein. 

Schwefelammonium  in  der  Industrie. 

In  der  Industrie  kommt  bei  der  Bereitung  des  künstlichen  Zinnobers 
auf  nassem  Wege  nach  der  Liebig  "sehen  Methode  mehrfach  geschwefeltes 
Schwefelannnonium  in  Anwendung  und  wird  zu  dem  Ende  durch  Destillation 
eines  Gemisches  von  Chlorammonium  mit  Schwefelkalium  oder  Schwefelnatrium 
bereitet.  Das  Destillat  wird  mit  weissem  Präcipitat  zusammengebracht  und 
längere  Zeit  digerirt,  worauf  sich  Zinnober  bildet.  Bei  der  Destillation  und 
Digestion  entstehen  schwefelammoniumhaltige  Dämpfe,  die  bei  geringerer 
Production  in  einen  Schlot,  bei  grösserer  aber  unter  den  Rost  einer  Feuerung  zu 
leiten  sind  und  zwar  im  letztern  Falle  unter  Beobachtung  der  erforderlichen  Vor- 
sichtsmassregeln . 

In  neuerer  Zeit  scheinen  die  Schwefelammoniumverbindungen  eine  grössere 
technische  Bedeutung  zu  erhalten,  indem  sie  nicht  nur  in  grosser  Menge  in  den 
Laboratorien  als  Reagentien  verwendet  werden,  sondern  auch  zur  Trennung  edle] 
Metalle,  z.  B.  des  Silbers  von  Gold,  sowie  zur  Darstellung  von  Schwefelcyanver- 
bindungen,  eine  weit  ausgedehnte  Anwendung  finden. 

P.  Spence  71)  theilt  ein  Verfahren  mit,  um  Mehrfach  -  Schwefel 
ammonium  in  der  geeigneten  Concentration  zu  erhalten.  Er  destillirt  ein  Ge= 
misch  von  Ammoniumsulfat  oder  Chlorammonium  mit  der  zweifachen  Gewichts- 
menge von  Sodarückständen  oder  Gaskalk  mittels  eines  eingeblasenen  Wasser- 
dampfstrahls. Die  sich  entwickelnden  Dämpfe,  welche  die  verschiedenen  Schwef- 
lungsstufen  des  Ammoniums  enthalten,  müssen  kühl  gehaltene  Conden- 
sationsapparate  passiren. 

Das  Destillat  besteht  aus  reinem  Schwefelammonium;  es  ist  durchaus  er- 
forderlich, dass  die  Destillations-  resp.  Condensationsröhren  sorgfältig  überwacht 
werden,  da  das  Schwefelammonium  viel  flüchtiger  als  das  Wasser  ist  und  im  Be- 
ginn der  Operation  in  solcher  Menge  und  mit  solcher  Heftigkeit  übergeht,  dass 
es  sich  wasserfrei  in  starrer  Form  condensirt. 

Spence  macht  noch  besonders  darauf  aufmerksam,  dass  sich  aus  letzterer 
Ursache  die  Condensationsröhren  verstopfen  können,  wodurch  grosse  Gefahr  für 
die  Arbeiter  entsteht.  Ihm  selbst  ist  der  Fall  vorgekommen,  dass  der  mit  dem 
Oeffnen  der  verstopften  Condensationsröhren  beauftragte  Arbeiter  durch  das  in 
Masse  sich  entwickelnde  Schwefelammoniumgas  und  das  Verdunsten  des  flüssigen 
Schwefelammoniums  in  Asphyxie  mit  Starre  verfiel.  Nach  Uebergiessnngen 
mit  kaltem  Wasser  über  den  Kopf  traten  heftige  Krämpfe  ein,  welche  l1 2  Stunde 
anhielten,  wonach  allmählig  Erholung  folgte;  am  andern  Morgen  war  der  Be- 
troffene wieder  arbeitsfähig. 

Bei  der  Darstellung  ist  somit  wohl  darauf  zu  achten:  1)  dass  die  Conden- 
sationsröhren hinreichend  weit  sind,  2)  dass  die  Destillation  sehr  langsam  vor 
sich  geht,    und    3)   dass   der   Condensationsapparat  mit  einem  Gassammeikasten 


qa()  Stick  stoff  und  Sauerstoff. 

versehen  ist.  welcher  unter  den  geeigneten  Vorsichtsrnassregeln  die  Leitung  der 
Gase  in  die  Feuerung  zulässt.  Der  Betrieb  dieser  Fabrication  dürfte  in  .Städten 
kaum  statthaft  sein. 

Sticktoff  und  Sauerstoff. 

I»  Stickoxydul.  Lustgas,  NsO.  Man  stellt  es  durch  Erhitzen  von  salpetorsaurem 
Ammonium  dar. 

NU,    N03  =  2^0  +  ^0. 

Die  Entwicklung  des  Gases  beginnt  bei  170°,  eine  Temperatur,  welche  genau  zu 

titen  ist,  um  Uebcrhitzung  und  Zersetzung  des  Gases,  namentlich  das  Auftreten 
von  Stickoxyd  zu  verhüten. 

um  das  Gas  von  seiner  Verunreinigung  mit  Chlor  und  Untersalpetersäure 
zu  reinigen,  leitet  man  es  durch  Kalilauge  oder  Kalkwasser.  Es  muss  farblos  sein  und 
einen  eigenthümlichen  süsslichen  Geruch  und  Geschmack  haben;  es  ist  schwerer  als  at- 
mosphärische Luft  und  bei  einem  Druck  von  50  Atmosphären  bei  ü°C  coudensirbar. 
Wasser,  namentlich  kaltes,  löst  es  ziemlich  leicht;  Kuhle.  Schwefel,  Phospor,  Magnesium 
verbrennen,  angezündet,  in  ihm  wie  in  reinem  Sauerstoff;  mit  Wasserstoff  gemengt  explo- 
dirt  es  beim  Anzünden  wie  Knallgas.     Im  Handel  kommt   auch  comprimirtes   Gas  vor. 

Einwirkung  des  Stickoxyduls  auf  den  thierischei  Organismus.  Stick  stoff- 
oxvdul  ist  schon  1776  von  Pristley  entdeckt,  aber  erst  1809  von  Humphry 
Daw  in  seiner  „rauscherzeugenden  Eigenschaft"  geschildert  worden.7-')  Es  erhielt 
den  Namen  ..Lachgas"  (Langhing  gas),  aber  erst  40  Jahre  später  (1^44)  wurde 
es  von  dem  Zahnarzt  Horace  Wels  in  Boston  zum  Inhaliren  in  die  Zahnpraxis 
eingeführt. 7a) 

Die  Empfindungen  während  des  Schlafes  sind  jedoch  nicht  immer  ange- 
nehmer Art:  manche  Personen  können  auch  mit  Luft  vermischtes  Stickoxydul 
|1 :4)  in  grosser  Menge  einathmen,  ohue  irgend  eine  andere  Wirkung  als  Klingen  in 
den  (ihren  oder  ein  Gefühl  von  Ausdehnung  des  Kopfes  wahrzunehmen,  während 
das  anvermischte  Gas  eine  grosse  Spannung  in  den  Gefässen,  nach  eigener  Er- 
fahrung ein  höchst  beunruhigendes  Pulsiren  im  Gehirn,  als  ob  bei  jedem  Puls- 
schlage ein  schwerer  Hammer  niederfiele,  erzeugt,  ohne  dass  Empfindungs-  oder 
Bewusstlosigkeit  eintritt. 

Davy  war  der  Ansicht,  dass  Stickoxydul  für  längere  Zeit  den  atmosphä- 
rischen Sauerstoff  vertreten  und  für  sich  die  Athmung  unterhalten  könne, 
jedoch  mit  der  Nebenwirkung  des  Rausches  und  der  Gefühllosigkeit.  Jedenfalls 
ging  Davy  in  dieser  Auffassung  zu  weit,  da  er  selbst  die  Erfahrung  gemacht 
hatte,  dass  Thiere  in  einer  Stickoxydnl-Atmosphäre  zu  Grunde  gehen. 

1.  Versuch.     Nachdem  ein  massig  grosses  Kaninchen  gegen  6  Uhr  Abends  in  eine 
nydul-Atmosp]  cht  worden,  schreit  es  nach  3  Min.  heftig  auf,  taumelt  und 

schwankt,  wobei  die  Inspirationen  an  Frequenz  so  zunehmen,  dass  sie  nach  25  Min, 
auf  45  binnen  J  4  M.  steigen.  Herausgenommen  bewegt  es  sich  nach  3  Stunden  freier:  am 
.indem  Morgen  wurde  es  in  Starre  gefunden.  Aus  den  Nasenlöchern  war  viel  weisser 
Schaum  ausgeflossen. 

Bei  der  Section  fand  sich  die  Pia  mater  namentlich  an  der  Basis  cranii  sehr 
misch;  in  der  Nähe  der  med.  öbl.  eine  Lage  dünnflüssigen  Bluts  zwischen  Wir- 
bel und  dura  mater.  Die  Ränder  der  dunkel-  und  hellbraun  marmorirten  Lungen 
emphysematös;  beim  Einschneiden  des  an  dunkelbrothem  Blut  reichen  Parenchyma  tritt 
überall  ein  weisser  Schaum  hervor,  welcher  die  feinsten  Bronchien  bis  zur  Trachea  und 
zum  Larynx  ausfüllt.  In  den  kleinern  Venenästen  geronnenes  Blut:  flüssiges  Blut  fliessl 
nirgends  aus;  das  Herz  ist  in  allen  Höhlen  mit  geronnenem  Blute  angefüllt,  während  sich 
in  der  Brusthöhle  ein  Theelöffol  voll  blutigen  Serums  findet.  Aus  der  vena  cava  inf. 
ein  wenig  flüssiges  und  schwarzrothes  Blut  aus.  welches  sich  an  der  Luft  lebhaft 
röthet;  aus  den  g  Venen  des  Unterleib-  lässl   sieh  das  geronnene  Blut  in  langen 

d  herausziehen.     Alles  Muskelfleisch  ist  von  blassrother  Farbe. 
_'.   Versuch.    Bei  einer  auf  gleiche  Weise  umgekommenen  Taube  war  besonders  die 
bung    der  med.  obl.    hyperämisch.      Aus    den  Durchschnitten    der   Lungen    fliesst 


Stickstoff  oxyd.  241 

flüssiges  Blut:  die  Schleimhaut  der  Bronchien  ist  bis  zum  Larynx  mit  einer  dünnen  Lage 
flüssigen  Blutes  bedeckt.  Im  rechten  Vorhof  des  Herzens  viel  geronnenes  Blut; 
das  flüssige  Blut,  welches  sich  besonders  in  der  Leber  fand,  röthete  sich  an  der  Luft 
ziemlich  lebhaft. 

Dass  sich  Stickstoffoxydul  in  Bezug  auf  die  respiratorischen  Functionen 
ganz  wie  ein  indifferentes  Gas  verhalten  soll,  wie  Hermann  annimmt,74) 
geht  aus  den  obigen  Versuchen  nicht  hervor;  schon  das  geronnene  Blut,  welches 
in  den  Leichen  der  Thiere  ganz  entschieden  vorwaltet,  spricht  nicht  sehr  für  die 
Einwirkung  eines  indifferenten  Gases.  Wird  frisches,  defibrinirtes  venöses  Och- 
senblut mit  Stickoxydul  geschüttelt,  so  erscheint  namentlich  der  Schaum,  welcher 
sich  beim  Eindringen  des  Gases  bildet,  hellkirschroth ;  venöses  Blut  absorbirt 
mehr  davon  als  arterielles;  bringt  man  in  eine  mit  Stickoxydul  angefüllte  und 
mittels  Quecksilbers  gesperrte  Röhre  venöses  Blut,  so  nimmt  es  zuerst  eine  hell- 
rot he  Farbe  an,  welche  allmählig  schwindet  und  der  Farbe  des  venösen  Blutes 
wieder  Platz  macht.  Aus  der  Gesammtwirkung  des  Gases  auf  den  thierischen 
Organismus  gehen  seine  charakteristischen  Eigenschaften  klar  hervor;  dabei 
zeichnet  sich  N20  durch  eine  feste  Constitution  aus  und  gibt  im  Gegensatz 
zu  andern  niederen  Oxydationsstufen  seinen  Sauerstoff  nur  schwer  ab.  Im  ver- 
dünnten Zustande  wirkt  es  bekanntlich  bei  vielen  Individuen  mehr  auf  die 
psychischen  Functionen,  während  concentrirtere  Mengen  die  Respirations-  und 
Circulationsapparate  beeinflussen,  weshalb  Personen  mit  Affectionen  des 
Herzens  die  Inhalationen  dieses  Gases  ganz  vermeiden  sollten.75) 

Vorkommen  des  Stickoxyduls  in  der  Industrie.  Wenn  Stickoxyd  mittels 
eines  schwefligsauren  Alkalis  oder  eines  Gemenges  von  Eisenfeile  und  Wasser  redu- 
cirt  wird,  tritt  Stickoxydul  auf.  In  den  Bleikammern  der  Schwefelsäure-Fabriken  kann 
es  bei  einem  unrichtig  geleiteten  Processe  entstehen;  wird  Zink  in  sehr  verdünnter 
Salpetersäure  aufgelöst  oder  Alkohol  durch  Salpetersäure  langsam  in  Aether  verwan- 
delt, z.  B.  bei  der  Bereitung  von  Spirt.  nitr.  dulc.  oder  des  Knallquecksilbers,  so  ent- 
wickelt sich  ebenfalls  N20.  Bei  keinem  dieser  Vorgänge  in  der  Industrie  hat  man  bis- 
her nachtheilige  Folgen  beobachtet. 

2)  Stickstoffoxyd  NO  entsteht  durch  Einwirkung  von  Kupfer  auf  Salpetersäure: 
8HNO3  +  3  Cu  =  3  Cu  (N03) 2  +  2  NO  +  4  H2  0. 

Der  aus  der  Salpetersäure  frei  werdende  Wasserstoff  wirkt  auf  einen  andern  Theil 
der  Salpetersäure  reducirend  ein. 

Ein  farbloses,  permanentes,  in  Wasser  wenig  lösliches  Gas,  das  an  der  Luft  sofort 
die  gelbrothen  Dämpfe  der  Untersalpetersäure  bildet.  Der  angezündete  Phosphor  und 
die  weissglühende  Kohle  brennen  in  ihm  fort,  nicht  aber  der  angezündete  Schwefel. 

Von  einer  Wirkung  des  Stickstoffoxyds  auf  den  thierischen  Organismus  kann 
keine  Rede  sein,  weil  es  sich  in  sauerstoffhaltigen  Medien  (Luft,  Wasser,  sauerstoffhalti- 
gem Blute)  sogleich  in  Untersalpetersäure  verwandelt  und  überall  als  solche 
wirkt.  Wird  das  entleerte  venöse  Blut  mit  Stickoxyd  behandelt,  so  bleibt  es 
hellroth,  so  lange  die  atmosphärische  Luft  abgeschlossen  bleibt  und  die  Umwandlung 
von  Stickoxyd  in  Untersalpetersäure  noch  nicht  eingetreten  ist;  im  letztern  Falle  wird 
es  graubraun  und  später  cacaobraun,  ohne  seine  flüssige  Beschaffenheit  zu  verlieren. 
Erst  später  setzt  es  ein  dunkelbraunes  Coagulum  ab.  Bei  der  Einwirkung  des  Stick- 
oxyds auf  das  Blut  wird  somit  der  Hergang  ein  derartiger  sein,  dass  sich  der  Sauer- 
stoff des  Blutes  auf  das  Stickoxyd  wirft  und  damit  Untersalpeter  säure  bildet, 
welche  alsdann  secundär  auf  die  Blutbestandtheile  zerstörend  einwirkt. 

Schon  Davy  kannte  die  höchst  gefährliche  Wirkung  des  Stickoxyds  und  warnt 
deshalb  bei  der  Inhalation  des  Stickoxyduls  ganz  besonders  vor  der  gefährlichen  Bei- 
mischung von  Stickoxyd. 

Von  einem  Verdrängen  des  Sauerstoffs  aus  dem  Blute  durch  Stickoxyd  kann  aber 
keine  Rede  sein,  wenn  man  überhaupt  das  Verhalten  des  Stickoxyds  in  einem  sauer- 
stoffhaltigen Medium  berücksichtigt;  früher  wurde  Stickoxyd  zur  Bestimmung  des  Sauer- 
stoffs in  Gasgemischen  verwendet. 

In  der  Industrie  ist  Stickoxyd  bei  der  Darstellung  von  Schwefelsäure  von  grosser 
Wichtigkeit.  Es  kommt  überall  vor,  wo  die  Salpetersäure  als  Oxydationsmittel  resp. 
als  sog.  Beizmittel  für  Metalle  gebraucht  wird,     Da  es  das  grösste  Bestreben  hat,  sich 

Eul  enberg,  Gewerbe-Hygiene.  J  fi 


242  Stickstoff  und  Sauerstoff 

mit  Sauerstoff  zu  verbinden,  so  ist  es  als  Schutzmittel  bei  der  Aufbewahrung  organischer 
Substanzen,  namentlich  von  Fleisch  u.  s.  w.  vorgeschlagen  worden.  Wegen  seiner  Um- 
wandlung in  Untersalpetersäure  ist  diese  Methode  jedoch  nicht  anzurathen,  weil  dadurch 
die  organischen  Substanzen  einer  Veränderung  unterliegen  und  als  Nahrungsmittel  un- 
brauchbar werden. 

3)  Salpetrige  Säure  HNO.,  findet  sich  in  der  Natur  nur  in  der  Form  von  salpe- 
trig.-;» u  re  ii  Salzen  (Nitrite),  die  als  Fäulnissproduete  im  Dünger  und  als  Oxydation.— 
produete  putrider  Stoffe  im  Trinkwasser  vorkommen.  Nach  Gewittern  lässt  sich  die 
Säure  an  Ammonium  gebunden  im  Regenwasser  nachweisen. 

In  wässriger  Lösung  erhält  man  sie  durch  Einwirkung  von  Arsenigsäurean- 
hydrid  auf  Salpetersäure: 

Asa03  +  2HNOa  +  3H80  =  2H3As04  +  2HN03. 

Bei  Erhitzung  organischer  Substanzen  mittels  Salpetersäure  entsteht  sie  ausser 
andern  Oxydationsproducten  des  Stickstoffs,  z.  B.  Untersalpetersäure,  neben  Cyanwasser- 
stoff s.  Oxalsäure).  Die  wässrige  Lösung  zerfällt  bei  gelindem  Erwärmen  in  Salpeter- 
säure, Wasser   und  Stickoxvd: 

'  3HNOs  =  H  N03  +  H20  +  2  X«  1. 
DasSalpetrigsänreanhydrid  N,03.  eine  tiefblaue,  «hon  bei  0°  siedende  Flüssig- 
keit, entsteht   durch  Zersetzen  der  flüssigen  Untersalpetersäure  mittels   Wassers  bei  sehr 
niederer  Temperatur : 

4X0.  +  iL«  >  =  211  NO,  4-  N0O3. 

Einwirkung  der  salpetrigen  Säure  auf  den   thierischen  Organismus.    Für  die 

Versuche  wurde  die  Säure  durch  Erwärmung  von  1  Th.  Stärkemehl  mit  8  Th.  Salpe- 
tersäure von  1,25  spec.  Gew.  bereitet.  Die  sich  entwickelnden  Dämpfe  wurden  durch 
ein  wenig  Wasser  geleitet,  um  die  etwa  gebildete  Blausäure  und  die  Untersalpeter- 
säure zurückzuhalten.  Bei  einer  Taube  entstanden  beim  Eindringen  der  orangerothen 
Dämpfe  in  die  Glasglocke  sogleich  grosse  Unruhe  und  die  höchste  Athemnoth  unter  all- 
gemeinen Convulsionen,  welche  schon  nach  1  Minute,  den  Tod  herbeiführten.  Section 
nach  12  Stunden.  Die  weissen  Federn  gelb  gefärbt,  Leichenstarre  praegnant,  Cornea  opali- 
sirt,  Pupille  contrahirt;  Pia  mater  stark  injicirt,  die  Plex.  venös,  spinal,  mit  ge- 
ronnenem Blute  angefüllt.  Lungen  von  schwärzlich- graubrauner  Farbe,  an 
den  Rändern  mehr  cacaofarbig;  im  Lungenparenchym  einzelne  feste  Partien,  welche 
im  Wasser  untersanken:  auf  der  Durchschnittsfläche  tritt  etwas  schmutzig-grauer 
Schaum  hervor:  auf  der  Tracheaischleimhaut  einzelne  schmutzig -braune  Iniectionen. 
In  den  Herzhöhlen  und  grössern  Venen  geronnenes  Blut:  Leber  von  hcllrother 
Farbe,  auf  den  Durchschnittsflächen  etwas  flüssiges,  braunrothes  Blut,  welches  an 
der  Luft  dunkelroth  wird.  Blutkügelchen  meistens  ohne  deutliche  Contouren  und  un- 
gleich:   einige  sind  zu  einer  granulösen  Masse  aufgelöst. 

2)  Ein  mittelgrosses  Kaninchen  wurde  in  dieselbe  Glocke,  welche  noch  mit 
gelblichen  Dämpfen  angefüllt  war,  gebracht.  Sogleich  grosse  Unruhe,  Putzen  der  Nase, 
Thränen  der  Augen:  mit  jedem  Athemzuge  treten  Dämpfe  von  Salpetersäure  aus  dem 
Maule.  Nach  1  "Minute  angestrengte  Respiration,  nach  4  Min.  12  Inspirationen  binnen 
l/4  Min.:  Hornhaut  opalisirt.  Herausnahme  nach  b  Minuten.  Beschleunigter 
Herzschlag,  Rlionchus  sonorus  mit  schwachem  Schleimrasseln  in  den  Bronchien.  Nach 
1  Mic.  11  Inspirationen:  Lackmuspapier,  auf  die  Zunge  gedrückt,  röthet  sich:  nach 
7  Min.  32  Inspirationen  bei  freier  Bewegung,  nach  10  Min.  heftige  Convulsionen, 
welche  in  Tetanus  übergehen,  wobei  sehr  viel  gelblicher  Schaum  aus  dem  Munde  stürzt: 
nach  17  Min.  einzelne  unregelmässige  Inspirationen:  nach   18  Min.  Tod. 

Section  nach  12  Stunden.  In  der  Mitte  der  Hornhaut  ein  weisser  Fleck, 
Gliederstarre  deutlich.  Sehr  starke  Hyperämie  der  Hirnhäute:  ein  linsengrosses  Blut- 
extravasat  an  der  hintern  untern  Fläche  der  beiden  Hemisphären:  die  Plexus  ven. 
spinal,  ziemlich  stark  angefüllt,  wenig  flüssiges  Blut  zwischen  Wirbel  und  Dura  mater. 
Lungen  von  schwärzlich  rothbrauner  Farbe  mit  einzelnen  hellrothen  Flecken,  an  den 
Rändern  partielles  Emphysem;  das  Parenchym  schwarzbraunroth  und  hellroth  marmo- 
rirt,  einzelne  Stellen  sinken  bei  der  Schwimmprobe  unter  den  Wasserspiegel.  Auf  den 
Durchschnittsflächen  viel  röthlichcr.  die  Bronchien,  die  Trachea  und  sogar  den  Larynx 
ausfüllender  Schaum:  Tracheaischleimhaut  intensiv  rothbraun.  In  beiden  Herzhöhlen 
hwarzes  geronnenes  Blut:  das  flüssige  Blut  ist  braunroth  und  röthet  sich  kaum 
an  der  Luft.  Blutkügelchen  unverändert.  Leber  reich  an  flüssigem  braunrothem  Blute: 
Nieren  sehr  blutreich:   Urinblase  leer. 

Unter  den  verschiedenen  Stickstoffsäuren  wirkt  die  salpetrige  Säure  am 
nachtheiligsten  auf  die  Respirationsorgane  ein,  was  man  in  der  Technik  noch 
nicht  genug  gewürdigt  hat;  es  wird  in   dieser  Beziehung  noch  stets  die  Gesund- 


Salpetrige  Säure.  243 

heit  der  Arbeiter  viel  zu  wenig  beachtet.  Glücklicherweise  sind  die  Räume,  in 
welchen  die  salpetrige  Säure  dargestellt  wird  oder  ihre  unbeabsichtigte  Entwick- 
lung stattfindet,  gewöhnlich  von  grossen  Dimensionen,  so  dass  die  betreffenden 
Dämpfe  sehr  verdünnt  werden.  Die  Experimente  liefern  den  Beweis,  wie  höchst 
reizend  die  Dämpfe  in  concentrirter  Form  auf  die  Respirationsorgane  einwirken; 
mit  ihrer  Eigenschaft  als  Säure  hängen  die  partiellen  Verdichtungen  im  Lungen- 
parenchym, die  Coagulation  eiweisshaltiger  Gebilde  und  des  Blutes  sowie  die 
Opalisirung  der  Hornhaut  zusammen. 

Ueberall,  wo  salpetrige  Säure  auf  organische  Substanzen  einwirkt,  bildet 
sich  rasch  Salpetersäure;  durch  diese  grosse  Begierde,  überall  den  Sauerstoff 
weg  zu  nehmen,  wirkt  die  salpetrige  Säure  um  so  nachtheiliger  auf  den  Respi- 
rationsprocess  ein,  als  es  grade  die  Athmungswege  sind,  auf  welchen  bei  der 
Inhalation  der  Dämpfe  dieser  Oxydationsprocess  so  rasch  vor  sich  geht,  dass 
schon  die  Exspirationsluft  Salpetersäure  enthält;  die  Wirkung  der  salpetrigen 
Säure  ist  deshalb  viel  gefährlicher  als  die  der  Salpetersäure,  wenn  letztere  in 
Dampfform  inhalirt  wird.  Wirken  die  Dämpfe  nicht  sofort  tödtlich  ein,  so  kann 
in  Folge  der  sehr  reichlichen  Absonderung  von  schleimiger  Flüssigkeit  in  die 
Lungenzellchen  und  Respirationswege  der  Tod  durch  Erstickung  erfolgen. 

Das  bei  der  Section  des  Kaninchens  vorgefundene  Lungenemphysem  spricht 
für  die  grosse  Dyspnoe,  welche  sogleich  bei  der  Einwirkung  der  Dämpfe  auftrat 
und  sich  alsbald  mit  Schleimrasseln  in  den  Bronchien  verband,  bis  der  Tod  unter 
Convulsionen  und  Hervorstürzen  einer  Masse  gelblichen  Schaums  aus  Nase  und 
Maul  erfolgte. 

Salpetrige  Säure  in  der  Industrie. 

Bei  der  Darstellung  der  Oxalsäure  durch  Oxydation  organischer  Körper 
mittels  Salpetersäure  entwickelt  sich  sehr  viel  salpetrige  Säure;  man  gebraucht 
dazu  vorzüglich  Melasse,  Stärke,  Holzfaser  u.  s.  w.;  gleichzeitig  entwickelt 
sich  fast  immer  Cyanwasserstoff,  wozu  die  Salpetersäure  den  Stickstoff  liefert. 
Diese  Fabrication  ist  nur  dann  practisch,  wenn  die  gebildete  salpetrige  Säure  noch 
zu  andern  technischen  Zwecken,  namentlich  zur  Darstellung  der  Schwefel- 
säure, benutzt  wird;  hierdurch  würde  auch  gleichzeitig  der  schädlichen  Einwir- 
kung der  salpetrigen  Säure  auf  die  Arbeiter  am  besten  vorgebeugt  werden. 

Um  Oele,  z.  B.  Ol.  olivarum,  Ricini,  überhaupt  Olein,  zu  erhärten, 
leitet  man  Dämpfe  von  salpetriger  Säure  in  diese  ein;  die  Säure  wird  durch  Be- 
handeln mit  siedendem  Wasser  weggeschafft  und,  um  die  ganze  rohe  Masse  zu 
reinigen,  mit  einem  Alkali  saponificirt. 

Die  Unterlauge  enthält  neben  der  an  das  Alkali  gebundenen  Salpeter- 
säure und  salpetrigen  Säure  alle  Farbstoffe;  die  davon  getrennte  Seife  wird  in 
warmem  Wasser  aufgelöst  und  mit  einer  Mineralsäure  zersetzt.  Das  oben 
schwimmende  Fett,  welches  unter  +40  bis  50°  erstarrt,  wird  als  Kerzenmaterial 
benutzt. 

Die  letzten  sauren  Waschwässer  sind  salpetersäurehaltig  und  können 
bei  Anwendung  von  thierischen  Fetten  auch  noch  sonstige  stickstoffhaltige  Sub- 
stanzen gelöst  enthalten;  sie  müssen  daher  mit  Kalk  neutralisirt  und  als  Dung- 
mittel benutzt  werden. 

Diese  Methode,  nicht  nur  die  flüssigen  Oele,  sondern  auch  alle  andern,  nicht 
weiter  zu  verwertenden  flüssigen  oder  ölartigen  Fette  zu  erhärten  und  als  Kerzen- 

16* 


944  Stickstoff  und  Sauerstoff. 

material  zu  verwenden,  ist  wegen  des  hohen  Preises  des  Fettes  und  Talges  in  der 
neusten  Zeit  immer  allgemeiner  geworden.  Sie  verdient  in  sanitärer  Beziehung 
die  grösste  Beachtung,  da  sie  neben  den  andern  Oxyden  des  Stickstoffs  zuweilen 
eine  sehr  reichliche  Entwicklung  von  Blausäure  veranlassen  kann,  durch  deren 
Einwirkung  die  Arbeiter  nicht  selten  betäubt  hinstürzen. 

Um  solche  Gefahren  zu  verhüten,  müssen  Rührer  in  den  Mischgefässen  an- 
gebracht und  letztere  mit  einem  Helm  oder  Deckel  verschlossen  werden,  der 
mit  einem  Abzugsrohr  versehen  ist,  um  die  entweichenden  Stickstoffsäuren 
und  die  Blausäure  in  einen  geschlossenen  Raum  über  Hürden  zu  leiten,  auf  wel- 
chen Kalk  und  Eisenvitriol  ausgebreitet  sind.  Es  bildet  sich  alsdann  auf  Kosten 
der  Blausäure  so  viel  Ferrocyancalcium,  dass  dieses  zu  Berliner  blau 
verarbeitet  werden  kann,  ein  Beweis,  wie  ausserordentlich  nothwendig  diese  Vor- 
sichtsmassregeln sind.  Die  Oxyde  des  Stickstoffs  werden  hierbei  absorbirt,  wäh- 
rend sich  zunächst  Cyancalcium  bildet,  das  sich  mit  dem  Eisenoxyd  dann 
schliesslich  zu  Ferrocyancalcium  verbindet. 

Bisweilen  gebraucht  man  statt  der  salpetrigsauren  Dämpfe  eine  Auflösung 
von  salpetersaurem  Quecksilberoxydul,  welches  bekanntlich  freie  salpetrige 
Säure  enthält.  In  diesem  Falle  sind  die  Waschwässer  wegen  ihres  Gehaltes 
an  Quecksilber  salzen  sehr  beachtungswerth  und  dürfen  deshalb  nie  frei  ab- 
gelassen werden;  ehe  dies  geschehen  darf,  müssen  die  Salze  auf  die  geeignete 
Weise  niedergeschlagen  werden,  wenn  man  die  betreffenden  Wasch wässer  nicht 
noch  zu  andern  Zwecken  benutzen  will. 

Diese  Erhärtungsmethode  findet  auch  in  der  Kosmetik,  z.  B.  bei  der 
Darstellung  von  Pomaden,  Anwendung;  in  diesen  ist  der  Quecksilbergeh  alt 
nicht  ausgeschlossen,  wenn  das  Auswaschen  nicht  mit  der  gehörigen  Sorgfalt  ge- 
schieht. 

Bei  der  Darstellung  von  flüssigem  Leim  mittels  Salpetersäure 
treten  ausser  einer  grossen  Menge  von  salpetriger  Säure  noch  Blausäure, 
Benzoesäure  und  andere  saure  Oxydationsproducte  auf.  Hier  ist  eine 
Condensation  der  Dämpfe  nicht  möglich,  weil  sie  sehr  verdünnt  und  nur  stoss- 
weise  auftreten;  jedenfalls  ist  aber  ein  gut  ziehender  und  sehr  hoher  Kamin 
erforderlich,  um  die  Dämpfe  in  die  höhern  Luftschichten  zu  führen  und  dadurch 
unschädlich  zu  machen,  wenn  die  Darstellung  im  Grossen  geschieht. 

Zur  Darstellung  von  arsenigsaurem  Kalium,    das  in  der  Färberei  als 
Fressbeize  und  Befestigungsinasse  benutzt  wird,  erhitzt  man  Salpeter  mit  arseniger 
Säure    in    den    entsprechenden  Mengen,    wobei    viel   Salpetrigsäureanhydrid  ent- 
weicht, das  sorgfältig  abzuleiten  resp.  unschädlich  zu  machen  ist: 
As203  +  2KN03  =  N203  +  2KAs03. 

4)  Ulltersalpetersäure  N02  erhält  man  durch  Destillation  von  salpetersanrera  Blei 
in  einer  schwer  schmelzbaren  Glasretorte,  welches  hierbei  in  Bleioxyd,  Sauerstoff  und 
Untersalpetersäure  zerfällt : 

Pb(N03)a  =  PbO  +  2  NOa  -r-  0. 

Eine  gelbe,  bei  20°  siedende  Flüssigkeit  von  dem  spcc.  Gew.  1,45.  Je  höher  sie  er- 
wärmt wird,  desto  intensivere  rothgelbe  Dämpfe  entwickelt  sie;  bei  —20°  geht  sie  in 
farblose,  bei  12°  schmelzende  Krystalle  über.  Untersalpetersäure  tritt  überall  auf,  wo 
sich  Stickoxyd  entwickelt  und  mit  einem  Ueberschuss  von  atmosphärischer  Luft  zusam- 
menkommt. 

Sie  ist  keine  Säure,  da  sie  keinen  vertretbaren  Wasserstoff  hat:  durch  Basen,  wie 
Kali  und  Natron,  wird  sie  in  salpetrigsaure  und  salpetersaure  Salze  (in  Nitrite  und 
Nitrate)  zerlegt : 

2  NO,  4-  2  KHO  =  KNO,,  4-  KN03  4-  H,0. 


Untersalpetersäure.  245 

Da  sie  in  organischen  Körpern  häufig  an  die  Stelle  des  Wasserstoffs  tritt,  so  muss 
man  sie  in  diesem  Falle  als  eine  eigenthümliche  Oxydationsstufe  des  Stickstoffs  betrach- 
ten. Man  nennt  diesen  für  die  gegenwärtige  Industrie  bedeutungsvollen  Vorgang 
Nitriren;  so  ist  z.B.  nitrirtes  Benzol  Nitrobenzol,  nitrirter  Holzfaserstoff  die  Schi  es  s - 
baumwolle  (Nitrolignit,  Pyrolignit).  Beim  Nitriren  bildet  sich  die  Uutersalpetersäure 
dadurch,  class  die  Salpetersäure  durch  den  Wasserstoff  der  organischen  Substanz 
unter  Bildung  von  Wasser  zu  Unter  Salpetersäure  reducirt  wird:   - 

HN03  +  H  =  NO,  +  H30. 

Dieses  Austreten  von  H  und  das  Ersetzen  desselben  durch  N02  kann  bei  einer 
und  derselben  Substanz  in  verschiedenen  Verhältnissen  stattfinden.  So  können  1,  2, 
3  Atome  H  durch  1,  2  und  3  Atome  N02  vertreten  werden;  die  Verbindungen  sind 
alsdann  mono-,  bi-  und  trinitrirt. 

Die  Bildung  von  Wasser  beim  Nitriren  ruft  gewöhnlich  eine  weitere  Zer- 
setzung hervor;  um  diese  aufzuhalten,  muss  das  gebildete  Wasser  gebunden  werden, 
weshalb  man  concentrirte  Schwefelsäure  zum  Gemisch  gibt.  Noch  vorteilhafter 
ist  es,  schon  vor  der  Einwirkung  die  Salpetersäure  mit  concentrirter  Schwefelsäure  zu 
vermischen. 

Da  auch  die  stärkste  Salpetersäure  noch  stets  Wasser  enthält  und  man  so  viel 
als  möglich  beim  Nitriren  die  Gegenwart  von  Wasser  ausschliessen  muss,  so  ist  es 
leicht  erklärlich,  warum  man  in  manchen  Fällen  eine  Mischung  von  trocknem  Kalisal- 
peter mit  concentrirter  Schwefelsäure  mit  Vortheil  beim  Nitriren  benutzt  hat. 

Einwirkung  der  Dämpfe  von  Untersalpetersäure  auf  den  thierischen  Organis- 
mus. 1)  Eine  Taube  in  der  Glasglocke  wird  sogleich  beim  Eintritt  der  Dämpfe,  die 
aus  Bleinitrat  dargestellt  waren,  unruhig,  blinzelt  mit  den  Augen,  reibt  dieselben  über 
die  Federn  und  hockt  zusammen.  Nach  2  M.  angestrengte  Respiration,  die  Nasenlöcher 
sind  feucht  und  nach  5  M.  Schleimfluss  aus  denselben;  nach  9  M.  häufiges  Aufsperren 
des  Schnabels.  Nach  10  M.  Herausnahme.  Lackmuspapier,  auf  die  Zunge  gedrückt, 
röthet  sich  lebhaft;  die  Taube  schwankt  und  fällt  nach  2  M.  hin,  richtet  sich  aber 
wieder  auf.  Nach  4M.  tonische  und  klonische  Krämpfe;  nach  5  M.  Tod  unter  krampf- 
haften Inspirationen.  250  C.-C.  Dämpfe  wurden  verbraucht,  welche  ungefähr  2%  des 
Glockeninhalts  entsprachen. 

Section  nach  20  M.  Schädelknochen  und  die  Hirnhäute  hyperämisch;  PI  ex. 
venös,  spin.  blutreich;  Lungen  dunkelbraunroth,  härtlich  anzufühlen,  sinken  im 
Wasser  unter,  blutiger  Schaum  und  etwas  geronnenes  Blut  auf  den  Durchschnittsflächen , 
Emphysem  an  den  Rändern.  Die  ganze  Luftröhre  mit  gelblichem  Schaum  angefüllt, 
die  Luftröhrenschleimhaut  partiell  injicirt  und  braunroth  gefärbt.  In  beiden  Vorhöfen 
geronnenes  Blut,  ebenso  in  den  grössern  Venen;  Serum  scheidet  sich  erst  nach  meh- 
reren Stunden  aus  dem  Blute  aus  und  ist  hellgelb,  Blutkügelchen  normal.  Leber  blut- 
reich und  von  braunrother  Farbe;  alle  grössern  Gefässe  enthalten  geronnenes  und  flüs- 
siges Blut.  Spuren  von  Salpetersäure  konnten  in  den  Lungen  chemisch 
nachgewiesen  werden. 

2)  Ein  mittelgrosses  Kaninchen  wurde  beim  Einleiten  der  Dämpfe  in  die  Glocke 
sehr  unruhig;  nach  1  M.  reibt  es  stark  die  Nase,  schliesst  die  Augen  und  hält  den 
Athem  an;  nach  3  M.  Zittern  der  Schnauze;  nach  4  M.  6  Inspirationen  bei  Bauchlage 
und  zurückgezogenem  Kopfe.  Nach  5  M.  neue  Zuleitung  der  Dämpfe;  nach  6  M.  er- 
hebt es  sich,  Nase  etwas  feucht,  schwaches  Thränen  der  Augen;  nach  8  M.  ruhige 
Bauchlage  bei  11  Inspir.  Herausnahme  nach  10  M.  Die  Respiration  beschleunigt 
sich  sogleich;  nach  5  M.  heftiger  Husten,  nach  8  M.  starkes  Niessen  und  Husten,  nach 
22  M.  noch  beschleunigter  Herzschlag  bei  22  Inspir.,  Rhonchus  sonorus  in  den  Bron- 
chien, nach  43  M.  noch  häufiger  Husten  bei  29  Inspir.  Auch  am  folgenden  Tage  be- 
schleunigte Respiration;  geringe  Fresslust;  am  2.  Tage  50  Inspirationen  binnen  1/i  M., 
vermehrte  Fresslust.  Am  3.  und  4.  Tage  ist  die  Respiration  noch  vermehrt  bei  häu- 
figem Husten.    Dann  werden  keine  weitern  Nachkrankheiten  beobachtet. 

3)  Ein  mittelgrosses  Kaninchen  wird  beim  Eintritt  der  Dämpfe  in  die  Glocke 
sehr  unruhig,  reibt  stark  die  Nase,  schliesst  die  Augen  und  unterdrückt  die  Respira- 
tionsbewegungen. Nach  3  M.  7  Inspir.  bei  ruhiger  Lage,  nach  4  M.  wieder  Unruhe 
und  starkes  Reiben  der  Nase  (bei  blassgelber  Atmosphäre  in  der  Glocke).  Nach  6  M. 
Aushauchen  von  weissen  Dämpfen  der  Salpetersäure,  nach  7  M.  7  Iusp.  mit  jedesmaligem 
Oeffnen  des  Mauls,  nach  12  M.  Husten  bei  angestrengter  Inspiration.  Nach  19  M.  neue 
Zufuhr  der  Dämpfe,  welche  die  Atmosphäre  stark  gelb  färben;  dann  heftiges  Schreien 
und  Reiben  der  Nase,  nach  22  M.  sehr  angestrengte  Inspir.,  ein  convulsivisches  Aufschnellen 
des  Körpers  geht  in  allgemeine  Convulsionen  über,  nach  23  M.  einige  krampfhafte  In- 
spir. und  nach  24  M.  Tod. 

Section  nach  6   St.     Gliederstarre  gering,  das  ganze  Fell  gelb    gefärbt,  Cornea 
etwas  trübe.    Pia  mater  stark    injicirt,    an    der   untern    hinteren  Fläche    der   beiden 


24ß  Stickstoff  und  Sauerstoff. 

Hemisphären  ein  erbsengrosses  Blutextravasat,  welches  mit  einer  dünnen  Lage  flüssigen 
Blutes  umgeben  ist:  zwischen  Wirbel  und  dura  mater  überall  flüssiges  und  geronnenes 
Blut-  Lungen  rothbraun  auf  der  Oberfläche  mit  einzelnen  hellen,  emphvsematös  aus- 
gedehnten Lungenbläschen:  an  der  untern  Fläche  von  hellbrauner  Farbe,  am  Rande 
und  an  der  Spitze  einige  hellrothe  Flecke:  das  Parenchym  fast  durchgängig  dunkel- 
rothbraun,  aar  an  einzelneu  Stellen  hellroth  marmorirt.  Die  Lungen  schwimmen  auf 
dem  Wasser,  obgleich  die  rnthbraunen  Stellen  beim  Durchschneiden  nicht  knistern  und 
keine  Luft  enthalten:  nur  die  vielen  ausgedehnten  Lungenbläschen  bedingen  das  Schwimmen. 
Auf  den  Dmvh.-ehnittsflächen  viel  gelblicher  Schaum  und  geronnene  Blutklümpchen:  die 
Bronchien  und  die  Luftröhre  sind  mit  gelblichem  Schaum  angefüllt,  Tracheaischleimhaut 
braunroth  injieirt.  In  allen  Herzhöhlen  und  in  den  grössern  Venen  geronnenes  und 
flüssiges  Blut:  das  letztere  ist  braunroth  und  nimmt  an  der  Luft  eine  schmutzig-braun - 
rothe  Färbung  an.  welche  sich  in  dünnen  Schichten  der  hellen  Cacaofarbe  nähert :  einzelne 
Blutkügelchen  sind  ungleich  und  gezackt.  Leber  blutreich  und  dunkelbraunroth;  die 
Gefässe^  de.-  Magens,  Mesenteriums  und  des  serösen  Ueberzuges  der  Gedärme  stark  in- 
jieirt. Galle  graugelb:  Nieren  normal;  Milz  bläulichroth ;  Harnblase  leer. 

Im  Allgemeinen  wirken  die  Dämpfe  der  Untersalpetersäure  nicht  so  rasch 
letal  ein  wie  die  der  salpetrigen  Säure,  was  besonders  aus  dem  Verhalten  der 
Versuchsthiere  den  beiden  Dämpfen  gegenüber  erhellt.  Ein  Kaninchen  vermochte 
10  M.  lang  den  Dämpfen  der  Untersalpetersäure  zu  widerstehen,  während  ein 
anderes  den  Dämpfen  der  salpetrigen  Säure  schon  nach  5  M.  erlag;  ein  drittes 
Kaninchen  starb  erst  nach  24  M.,  nachdem  es  anhaltend  den  intensiven  Dämpfen 
der  Untersalpetersäure  ausgesetzt  gewesen  war. 

Eine  bedeutende  Reizung  der  Schleimhäute  der  Nase,  der  Augen  und 
der  Luftröhre  gibt  sich  bei  der  Einwirkung  der  Dämpfe  der  Untersalpetersäure 
kund;  Husten  und  Niessen  treten  aber  hier  gewöhnlich  erst  heftig  ein,  wenn  die 
Thiere  an"s  Freie  gelangen.  Unterliegen  sie  nicht  der  stattgefundenen  Einwir- 
kung, so  zeigen  sich  noch  mehrere  Tage  lang  Rhonchus  sonorus  und  mucosus, 
auhaltender  Husten,  beschleunigte  Respiration  und  allgemeine  Abspannung  bei 
erhöhter  Herzthätigkeit.  Bleiben  die  Thiere  den  Dämpfen  ausgesetzt  (Tauben 
5  M.  und  Kaninchen  über  20  M.  lang),  so  erfolgt  nach  einem  kurzen  Stadium 
der  gänzlichen  Erschlaffung  und  Betäubung  der  Tod  unter  tonischen  und  kloni- 
schen Krämpfen,  wobei  schliesslich  noch  einige  spastische  Inspirationen  die 
peinliche  Scene  beendigen,  grade  wie  es  sich  bei  Einwirkung  der  Dämpfe  von 
salpetriger  Säure  verhält. 

Der  Sectionsbefund  ist  in  beiden  Fällen  sehr  ähnlich;  ausser  der  Hy- 
perämie der  Nervencentren  und  der  grössern  Unterleibsorgane  finden  sich  auch 
dieselbe  Injection  der  Lungenschleimhaut,  dieselbe  Aufüllung  der  Bronchien  und 
der  Luftröhre  mit  einer  schaumigen  Flüssigkeit,  bei  Kaninchen  die  Hyperämie 
des  Lungenparenchyms  und  bei  Tauben  die  feste  harte  Beschaffenheit  der  Lunge 
sowie  stark  geronnenes  Blut  im  Herzen. 

Die  bei  Menschen  beobachteten  Fälle  von  Vergiftungen  durch  Dämpfe  der 
Stickstoffsäuren  beziehen  sich  hauptsächlich  nur  auf  die  Untersalpetersäure. 
Die  Symptome  während  des  Lebens  treten  gewöhnlich  in  folgender  Reihenfolge 
auf:  zuerst  tritt  vorwiegend  ein  zusammenschnürendes  Gefühl  in  der  Kehle  ein, 
womit  sich  bald  grosse  Angst  und  Orthopnoe  verbinden;  ein  starker  Husten, 
welcher  entweder  trocken  oder  mit  einem  zähen,  gelblichen  Auswurf  verbunden 
ist,  quält  die  Kranken;  mau  hört  grossblasige  Rasselgeräusche  in  den  Bron- 
chien, die  Extremitäten  werden  kalt  und  wTährend  zunehmender  Athembeklemmuug 
zeigt  sich  eine  cyanotische  Färbung  der  Lippen.  Ueberhaupt  geben  sich  die  vor- 
herrschenden Symptome  eines  acuten  Lungenödems  mit  bronchitischer 
Reizung  kund  und  zwar  in  fast  vollkommener  Uebereiustimmung  mit  den  Ver- 


Salpetersäure.  247 

suchen  an  Thieren.  Eine  plötzliche  und  massenhafte  Einwirkung  der  Dämpfe 
vermag  auch  bei  Menschen  Erstickungsnoth  und  wirkliche  Asphyxie  zu  er- 
zeugen. 

Der  Sectionsbefund  beim  Menschen  unterscheidet  sich  nicht  viel  von 
dem  Leichenbefunde  bei  Thieren;  denn  auch  beim  Menschen  finden  sich  eine  starke 
Hyperämie  der  Lungen,  bisweilen  Blutextravasate  im  Parenchym  derselben,  viel 
gelblicher  oder  röthlicher  Schaum  in  den  Bronchien  und  auf  den  Durchschnitts- 
fiächen  der  Lungen.  Der  Tod  kann  bei  Menschen  sehr  rasch  oder  erst  nach 
Monaten  eintreten,  wenn  die  Lungenaffection  einen  chronischen  Verlauf  ange- 
nommen hat.76) 

3)  Salpetersäure  HN03  Acidum  nitricnm,  kommt  in  den  tropischen  Gegenden  als 
Ammoniumnitrat  in  der  Luft  und  im  Regenwasser  vor.  Auch  der  elektrische  _  F  unke 
vermag  in  feuchter  Luft  die  Bildung  von  Salpetersäure  zu  veranlassen.  In  Chili  findet 
sie  sich  in  grossen  Lagern  an  Natrium  gebunden  als  sog.  Chilisalpeter:  am  häufig- 
sten bildet  sie  sich  durch  die  Oxydation  des  Ammoniaks,  welches  beim  Faulen  thieri- 
scher  Substanzen  und  bei  Gegenwart  starker  Basen  (Kalk,  Kali)  in  salpetrige  und 
Salpetersäure  übergeht;  selbstverständlich  geht  dabei  gleichzeitig  Wasserstoff  in  Wasser 
über.     Viele  Pflanzen,  z.  B.  Borago,  Tabacum  u.  s.  w.,  sind  besonders  reich  an  Nitraten. 

Dargestellt  wird  die  Salpetersäure  durch  Erwärmen  von  1  Molec.  salpeter- 
saurem Natrium  mit  1  Molec.  Schwefelsäure: 

NaN03  -)-H2S04=NaHS04  +  HN03. 

In  Laboratorien  gebraucht  man  gläserne  Retorten,  welche  mittels  Galeerenofen 
in  Sandcapellen  erhitzt  und  mit  Vorlagen  in  der  Form  der  IVoulf  sehen  Flaschen  in 
Verbindung  gebracht  werden.  Es  bildet  sich  neben  der  Salpetersaure  primäres 
(saures)  Natriumsulfat;  die  so  erhaltene  wasserfreie,  farblose  Säure  ist  die  weisse 
rauchende  Salpetersäure  des  Handels,  hat  ein  spec.  Gew.  von  1,54,  erstarrt 
bei  40°  und  siedet  bei  86°.  Durch  das  Licht  zerlegt  sie  sich  in  freien  Sauerstoff  und 
Untersalpetersäure.  Da  der  frei  gewordene  Sauerstoff  einen  sehr  grossen  Raum  eiu- 
uimmt,  so  kann  hierdurch  ein  Zersprengen  des  Ballons  entstehen,  wodurch  schon 
grosses  Unglück  veranlasst  worden  ist.  Sie  kann  thierische  Substansen,  wie  Wolle, 
Haare,  Leder,  ätherische  Oele,  Ol.  Terebinth.  Rorism.  u.  s.  w.  zur  Entzündung  bringen. 
Bei  der  Destillation  zersetzt  sie  sich  zum  Theil  in  Wasser,  Sauerstoff  und  Unter- 
salpetersäure :  2H  N03  =  H20  4-  0  +  2  N02. 

Mit  Wasser  vermischt  sich  die  Salpetersäure  in  allen  Verhältnissen.  Bei  der 
Destillation  einer  verdünnten  Säure  geht  zuerst  fast  reines  Wasser  über,  wobei  der  Siede- 
punet  allmählig  auf  121°  steigt  und  eine  68%  haltige  Salpetersäure  gewonnen  wird, 
welche  constant  bei  dieser  Temperatur  siedet.  Acidum  nitricnm  crudum  der  Phar- 
mac.  germ.  (Scheide w asser,  Aqua  fortis)  enthält  50  — 52°/0  bei  einem  spec.  Gew. 
von  1,323—1,331,  Acidum  llitricum  (reine  Salpetersäure)  30%  bei  einem  spec.  Gew. 
von  1,185. 

Die  Salpetersäure  verwandelt  alle  Metalloide,  Chlor,  Brom  und  Stickstoff  aus- 
genommen, auf  Kosten  ilrrcs  Sauerstoffs  in  Säuren  und  alle  Metalle,  Gold  lind  Platin 
ausgenommen,  in  salpetersaure  Salze  (Nitrate).  Bei  den  Metallen  wirkt  der  frei  werdende 
Wasserstoff  reducirend  auf  die  Säure  ein  und  führt  sie  je  uach  der  Stärke  der  Reaction 
in  niedere  Oxydationsstufen  (Untersalpetersäure)  über. 

Bei  Zinn  und  Zink  findet  die  Zersetzung  mit  einer  solchen  Energie  statt,  dass 
der  Wasserstoff  die  Salpetersäure  zu  Ammoniak  reducirt,  welches  als  salpetersaures 
Salz  auftritt. 

Salpetersäure  wurde  schon  frühzeitig  zur  Scheidung  von  Gold  und  Silber  be- 
nutzt und  daher  Scheidewasser  genannt.  Albertus  Magnus,  der  bekannte  Alchymist, 
nannte  sie  „philosophisches  Wasser  vom  ersten  Grade  der  Vollkommenheit." 

Gewöhnlich  nimmt  ihre  oxydirende  und  auflösende  Wirkung  um  so  mehr  ab,  je 
mehr  Wasser  sie  enthält.  Bei  Eisen,  Zinn  und  Kupfer  verhält  es  sich  umgekehrt; 
während  eine  starke  26,5%  haltige  Säure  diese  Metalle  uicht  angreift,  ist  dies  erst  bei 
Zusatz  von  Wasser  der  Fall.  Aehnliches  findet  sich  bei  der  Holzfaser  und  beim 
Stärkemehl. 

Die  meisten  stickstoffhaltigen  organischen  Verbindungen  färbt  sie_  gelb  und  ver- 
wandelt sie  in  organische  Säuren,  z.B.  Harz,  Seide,  Indigo  in  Pikrinsäure,  Aloe 
in  Chrysaminsäure. 

Rothe  ranchende  Salpetersäure,  Acidum  nitricnm  fnmans,  wird  fabrikmässig  dar- 
gestellt   und    zwar    bei   höherer    Temperatur,    wobei  ein  Theil  der   Säure  in  Wasser, 


•248  Stickstoff  und  Sauerstoff. 

Sauerstoff  and  Untersalpetersäure  zerfällt;  letztere  löst  sich  in  der  überschüs- 
sigen Salpetersäure  und  färbt  diese  roth.  Man  gebraucht  dazu  2  Mol  (170Th.)  salpeter- 
saures Natrium  und  1  Mol.  (98  Th.)  Schwefelsäure.  Anfangs  wirkt  die  Schwefelsäure 
nur  auf  die  Hälfte  des  Natriumnitrats  und  bildet  neben  freier  Salpetersäure  das 
primäre  (saure)  Natriumsulfat: 

2  Na  N03  +  H2  S04  =  H  N03  +  Na  HS04  -+-  Na  N03. 

Bei  höherer  Temperatur  wirkt  dann  auch  das    primäre   Natriumsulfat    auf   den 
noch  unzersetzt   gebliebenen  Theil   des  Natriumnitrats  und   verwandelt   sich   unter  Frei- 
werden der  Salpetersäure  in  secundäres  (neutrales)  Natriumsulfat: 
NaHS04  +  NaN03  =  Na,  S04  +  HN03. 

Bei  dieser  hohen  Temperatur  wird  aber  auch  die  Salpetersäure  zum  grossen 
Theil  in  Untersalpetersäure  und  Sauerstoff  zersetzt  und  man  erhält  daher  eine 
Lösung  von  Untersalpetersäure  in  Salpetersäure,  d.  h.  rauchende  Salpetersäure. 

Einwirkung  der  Salpetersäure  auf  den  thierischen  Organismus.l)  Ein  mittel- 
grosses Kaninchen  sitzt  in  der  Glasglocke.  101,14  G.  Th.  Kali  nitric.  wurden  mit 
98  G.  Th.  concentrirter  Schwefelsäure  erwärmt  und  der  sich  bildende  Dampf 
(63  G.  Th.  Salpetersäure)  mittels  einer  Pumpe  eingeblasen;  derselbe  ist  stets  mit  etwas 
Untersalpetersäure  verunreinigt.  Nach  3  M.  schwache  Speichelabsonderung,  welche  sich 
späterhin  wieder  verlor,  Redjen  der  Nase,  nach  5  M.  schwaches  Zurückziehen  des 
Kopfes  bei  ruhigem  Sitzen.  13  Inspir.  binnen  1/i  M. :  nach  10  M.  Unruhe,  das  Thier 
erhebt  sich  und  bleibt  auf  den  Hinterbeinen  stehen.  Nach  15  M.  11  äusserst  ange- 
strengte Inspirationen,  Augen  halb  geschlossen,  Cornea  etwas  getrübt,  nach  20  M. 
9  höchst  angestrengte  Inspirationen  mit  Aufblasen  der  Backen,  Husten,  nach  25  M. 
Unruhe  und  geringes  Schwanken:  linke  Cornea  mit  einem  weissen,  2  Linien  breiten 
Streifen  überzogen.  Nach  30  M.  Abgang  eines  trüben  Urins,  nach  40  M.  10  sehr  ange- 
strengte Inspirationen,  wobei  sich  das  Maul  weit  öffnet.  Herausnahme  nach  45  M. 
Das  Kaninchen  verhält  sich  ruhig  und  zeigt  viel  Durst:  am  folgenden  Tage  25  ange- 
strengte Inspirationen:  es  sucht  überall  kühle  und  dunkle  Stellen  auf,  lehnt  sich  an, 
frisst  wenig  und  bewegt  sich  nicht.  Die  Zahl  der  Inspirationen  variirt  zwischen 
18 — 24  binnen  1/i  M.,  Rhonch.  sibil.  deutlich  und  am  4.  Tage  ein  schwaches  Schleim- 
rasseln in  den  Bronchien.  Am  5  Tage  noch  18  Inspirationen  mit  starkem  Einziehen 
der  Weichengegend;  Temperatur  normal,  Ohren  kalt:  erst  am  11  Tage  freiere  Bewe- 
gung. Vier  Wochen  nachher  war  noch  ein  schwaches  Schleimrasseln  vorhanden  und 
zwar  bei  25  noch  immer  etwas  angestrengten  Inspirationen  binnen  1/i  M. :  allmählig  erholte 
es  sich  und  nahm  an  Fleisch  zu. 

2)  Nach  zwei  Monaten  wurde  dasselbe  Kaninchen  nochmals  den  Dämpfen  ausge- 
setzt, welche  sich  durch  Versetzen  der  rauchenden  Salpetersäure  mit  Schwefelsäurehydrat 
zu  gleichen  Theilen  unter  Erwärmen  bildeten.  Das  Thier  erhebt  sich  sogleich  beim 
Eintritt  der  Dämpfe:  nach  1  M.  9  Inspirationen,  nach  4M.  Blinzeln  mit  den  Augen:  es 
reibt  sich  stark  die  Nase,  erhebt  sich  und  sinkt  wieder  zu  Boden.  Nach  10  M.  15  In- 
spirationen; nach  12  M.  neue  Zufuhr  der  Dämpfe.  Die  Haare  des  Thieres  fangen 
in  Folge  eines  herabfallenden  Tropf ens  an  zu  brennen,  die  Verbrennung  wird 
durch  Zuhalten  der  obern  Leitungsröhre  der  Glasglocke  unterdrückt.  Weites  Aufsperren 
des  Mauls  bei  der  Inspiration,  nach  15  M.  14  Inspirationen:  Schwanken  und  Hinfallen: 
nach  16  M.  7  äusserst  angestrengte  Inspirationen  in  der  Seitenlage,  nach  17  M.  heftiges 
Aufschreien,  allgemeine  Convulsionen  und  Tod. 

Section  nach  18  Stunden.  Linke  Hornhaut  trübe,  rechte  nur  fleckig  weiss; 
auch  das  linke  Augenlied  ist  geröthet,  aus  der  Nase  fliesst  gelblicher  zäher  Schleim. 
Hirnhäute  überall  stark  injicirt,  die  Gefässe  sind  entschieden  ausgedehnt  und  mit 
einer  strahligen  blutigen  Ausschwitzuno  umgeben;  ein  linsengrosses  Blutextravasat  an 
der  hintern  untern  Fläche  der  beiden  Hemisphären.  Zwischen  Wirbel  und  Dura  mater 
überall  ein  dünnes  flüssiges  Blutextravasat.  Lungen  stark  ausgedehnt,  an  den  Rändern 
der  obern  Lappen  Emphysem,  Oberfläche  dunkelbraun-  und  schwarzbraunroth  marmo- 
rirt.  Der  rechte  mittlere  Lungenlappen  leberbraun,  luftleer  und  im  Wasser  unter- 
sinkend: die  untere  Hälfte  des  linken  untern  Lappens  braunroth,  aber  nicht  im  Wasser 
untersinkend;  auf  den  Durchschnittsflächen  flüssiges  Blut  und  einzelne  geronnene  Blut- 
klümpchen.  An  den  DurchsehnittsÜächen  derjenigen  Stellen,  welche  noch  knistern  und 
lufthaltig  sind,  fliesst  gelblicher  Schaum  aus,  der  auch  die  Trachea  bis  zum  Larynx 
ausfüllt.  Trachealschleimhaut  intensiv  rothbraun;  an  der  Stelle,  wo  ein  Bronchus  in  den 
mittlem  rechten  Lungenlappen  übergeht,  liegt  ein  lockeres  weisses  Exsudat, 
welches  sich  in  kleinen  Zäpfchen  in  die  kleinsten  Bronchialverzweigun- 
gen des  festen  und  luftleeren  Lungenlappens  verfolgen  lässt.  Es  besteht 
aus  kernhaltigen  Zellen  mit  granulirtem  Inhalte  und  ..Entzündungskugeln".  In  den 
Herzhöhlen  mehr  geronnenes  als  flüssiges  Blut;  letzteres  ist  schwarzröthlich  und 
hat  in  dünnen  Schichten  einen  Stich  in's  Violette;    nach  6  Stunden  ist  es  noch  flüssig 


Wirkung  der  Salpetersäure.  249 

geblieben  und  dunkel  kirschroth  geworden.  Leber  von  normaler  Farbe  und  reich  an 
flüssigem  Blute:  solches  findet  sich  auch  in  allen  grösseren  Venen.  Milz  blass  blau- 
roth,  Galle  hellbraun;  Nieren  normal;  starke  Gefässinjection  auf  der  Oberfläche  der 
Därme.  Alles  Muskelfleisch  sehr  hellroth;  in  Lunge  und  Leber  konnte  Salpeter- 
säure nachgewiesen  werden. 

Die  Dämpfe  der  Salpetersäure  wirken  langsamer  als  die  der  salpetrigen 
und  Untersalpetersäure  ein,  wie  aus  dem  ersten  Versuche  deutlich  hervorgeht;  ein 
45  Minuten  langer  Aufenthalt  eines  Kaninchens  in  den  Dämpfen  der  Salpeter- 
säure hatte  aber  den  Erfolg,  dass  sich  eine  vollständige  croupöse  Bronchitis 
ausbildete.  Zweifelsohne  war  dieser  Befund  bei  dem  zweiten  Experimente  mit  jenem 
Thiere  eine  Folge  des  ersten  Versuches,  da  sich  während  des  zweiten  Experi- 
mentes, welches  nur  17  Minuten  dauerte,  dieser  Krankheitszustand  nicht  entwickeln 
konnte;  er  war  jedoch  die  Ursache,  dass  die  Dämpfe  bei  dem  zweiten  Versuche 
einen  schnellern  letalen  Ausgang  bewirkten. 

Im  Uebrigen  besitzt  Salpetersäure  wie  Salzsäure  und  Schwefelsäure 
eine  das  Albumin  coagulirende  Eigenschaft;  das  compacte,  bei  dem  Versuche  vor- 
gefundene Lungenparenchym  hing  jedoch  mehr  mit  der  Unwegsamkeit  der  Bronchien 
zusammen.  Alle  Stickstoffsäuren  bewirken  eine  bedeutende  Reizung  der  Schleim- 
häute, namentlich  sind  es  aber  die  salpetrige  und  Untersalpetersäure,  welche  in 
dieser  Beziehung  rasch  ihre  Wirkung  entfalten.  Auch  gibt  die  Untersalpeter- 
säure viel  schneller  als  die  Salpetersäure  ihren  Sauerstoff  an  die  organische 
Substanz  ab;  die  dabei  sich  bildenden  organischen  stickstoffhaltigen  Verbindungen 
sind  aber  noch  wenig  oder  gar  nicht  bekannt.  Ebenso  werden  die  Dämpfe  des 
Stickoxyds,  wenn  sie  in  das  Blut  dringen,  auf  Kosten  des  Sauerstoffs  im  Blute 
in  salpetrige  und  Salpetersäure  resp.  in  Untersalpetersäure  übergeben,  während 
die  Salpetersäure  höchst  wahrscheinlich  ebenfalls  im  Blute  eine  Oxydation  hervor- 
ruft, wobei  sie  selbst  in  salpetrige  Säure  und  diese  durch  Aufnahme  von  Sauer- 
stoff wieder  in  Untersalpetersäure  verwandelt  wird. 

Die  Wirkung  der  Stickstoffsäuren  muss  somit  eine  und  dieselbe  sein;  die 
Differenz  beruht  nur  in  der  Zeit,  welche  zum  Hervorrufen  der  Alterationen 
nothwendig  ist,  wie  aus  den  vorhergehenden  Versuchen  deutlich  erhellt. 

Es  ist  auch  eine  bekannte  Erfahrung,  dass  man  in  Laboratorien  die  Dämpfe 
der  Salpetersäure  weit  besser  als  die  der  Untersalpetersäure  oder  salpetrigen 
Säure  ertragen  kann;  hat  man  doch  die  salpetersauren  Dämpfe  sogar  zu  thera- 
peutischen Zwecken  verwendet!77) 

Auf  das  Blut  wirken  alle  Stickstoffsäuren  in  gleicher  Weise  ein,  wenn  sie 
demselben  direct  zugesetzt  werden;  es  wird  schliesslich  hellbraun,  ein  Zeichen, 
dass  das  Haemoglobin  wesentlich  verändert  ist.78) 

Auf  die  Pflanzen  wirken  die  Stickstoffsäuren  in  zwiefacher  Beziehung  schäd- 
lich ein,  erstens  durch  ihre  ätzende  Eigenschaft  und  zweitens  durch  die  Fähigkeit, 
die  in  den  Pflanzen  enthaltenen  Chloride  (Kochsalz)  zu  zersetzen  und  Chlor  frei 
zu  machen,  welches  dann  das  Chlorophyll  zerstört  und  die  Blätter  bleicht. 
Besonders  sind  es  die  weichen  Blätter  der  Trifolium-,  Brassica-  und  Plan- 
tago -Arten,  sowie  die  Tabakpflanzen,  welche  hauptsächlich  durch  diese 
sauren  Dämpfe  geschädigt  werden.  Auch  die  Laubhölzer,  die  Aepfel-,  Birnen- 
und  übrigen  Obstbäume  leiden  sehr  darunter,  während  die  Nadelhölzer  wahr- 
scheinlich wegen  des  schützenden  Harzgehaltes  ihrer  Blätter  und  die  Gramineen 
wegen  ihres  vorherrschenden  Gehaltes  an  Silicaten  am  wenigsten  einer  nachthei- 
ligen Einwirkung  der  Stickstoffsäuren  unterliegen. 


250 


Stickstoff  und  Sauerstoff. 


Salpetersäure-  Industrie. 
Bei  der  Salpetersäurefabrication  ha  Grossen  benutzt  mau  häufig  guss- 
eiseme  Cylinder,  welche  reihenweise  in  Gasretortenüfeu  erhitzt  werden.  Gewöhn- 
lich liegen  zwei  Cylinder  auf  einem  Feuer:  uachdem  sie  mit  dem  getrockneten 
Chilisalpeter  beschickt  worden  sind,  gibt  mau  die  Schwefelsäure  (gewöhnlich  von 
1.718  sp.  G.  oder  60°  B.)  mittels  eines  S  förmigen  Trichterrohrs  (Fig.  28 o)  in  ent- 
sprechenden Mengen  ein.  Bei  b  liegt  das  Schürloch,  und  e  ist  ein  Rohr,  welches  bis 
auf  den  Boden  der  Vorlage  (</)  reicht  und  das  Sicherheitsrohr  darstellt. 

Fig.  28. 
*m  m&mm  *«s  *«  *»  §«  v/m  ■§»  i« 

■ 


Die  Oeffnung,  durch  welche  der  Trichter  gesteckt  wird,  ruuss  im  Verlaufe  des 
Processes  wieder  geschlossen  und  mit  Thon  verdichtet  werden.  Die  Cylinder  werden 
bisweilen  an  der  Grundfläche  mit  Platten  von  Sandstein  versehen,  um  sie  nicht  dem 
Feuer  direct  auszusetzen.  Sie  stehen  durch  ein  Rohr  (<•)  mit  den  Vorlagen  (</)  in  Ver- 
bindung, die  in  der  Form  von  Woulf&chea  Flaschen  aus  Steingut  construirt  sein 
müssen.  Ganz  besoniers  sollen  die  Abzugsröhren  eine  hinreichende  Weite  haben, 
um  allen  Gasen  einen  ungehinderten  Abzug  zu  verschaffen;  sind  dieselben  zu  enge,  so 
können  in  Folge  der  grossen  Spannung  der  Gase  die  lutirten  Stellen  unmöglich  dicht 
bleiben,  wodurch  dann  die  entweichenden  Gase  und  Dämpfe  sowohl  für  die  Arbeiter 
als  auch  für  die  Nachbarschaft  eine  beständige  Quelle  von  Belästigungen  gewähren. 
Ein  solcher  Fehler  in  der  ersten  Anlage  lässt  sich  fast  gar  nicht  mehr  verbessern,  so 
dass  die  Salpeter.-äurefabriken  auf  diese  Weise  beständig  zu  Klagen  Veranlassung  geben. 
Um  das  flüssige  Natrinmsulfat  nach  beendigtem  Processe  ausfliessen  zu  lassen,  bringt 
man  noch  am  untern  Theile  der  Cylinder  auf  der  vordem  Seite  ein  Ausflussrohr  an, 
welches  während  des  Betriebes  mit  einem  Stöpsel  von  Gusseisen  versehen  ist,  dessen 
sorgfältige  Lutirung  mittels  Thon  zu  bewirken  ist.  Bei  der  Verwendung  von  1  Mol. 
Schwefelsäure  und  '2  Mol.  Chilisalpeter  wird  der  Rückstand  dickflüssig  resp.  fest.  In 
diesem  Falle  muss  die  vordere  Fläche  des  Cylinders  mit  einer  Gussplatte  verschlossen 
werden,  welche  auf  der  innern  Seite  durch  eine  Thonschicht  geschützt  wird.  Man 
dichtet  mit  Pferdemist  und  plastischem  Thon:  auf  den  Boden  des  Cylinders  legt  man 
scharfkantige  Prismen  von  Gusseisen,  an  welchen  sich  der  erkaltete  Kuchen  von  (seeun- 
därem)  Natrinmsulfat  bricht  und  nach  der  Wegnahme  der  Gussplatte  leicht  ausgezogen 
werden  kann. 

Die  Herausnahme  der  Rückstände  ist  in  sanitärer  Beziehung  wichtig 
und  erfordert  unbedingt  die  genannten  Vorschriftsmassregeln,  um  die  Arbeiter 
nicht  den  Salpetersäuren  Dämpfen  auszusetzen.  Mehrere  Fabriken  gebrauchen 
oft  grosse  gusseiserne  Kessel,  welche  am  obern  Ende  eine  weite  Oeffnung  für 
das  Einbringen  von  Chilisalpeter  und  Schwefelsäure  haben,  wobei  aber  die  Ar- 
beiter schon  mehr  oder  weniger  den  sich  entwickelnden  Salpetersäuren  Dämpfen 
ausgesetzt  sind;  ein  solches  Verfahren  ist  daher  in  sanitärer  Beziehung  verwerflich. 

Stets  muss  die  Oeffnung  für  die  Beschickung  während  des  Betriebes  einen 
sorgfältigen  Verschluss  haben;  der  Kessel  wird  meistens  von  allen  Seiten  von  der 


Salpetersäure -Industrie.  251 

Flamme  umspült.  Ein  angegossener,  im  Innern  mittels  eines  Thonrohrs  gegen  die 
Einwirkung  der  Säure  geschützter  Hals  nimmt  das  Rohr  auf,  welches  die  Salpeter- 
säure in  die  Condensationsgefässe  führt,  während  das  flüssige  Natriumsulfat 
durch  ein  am  Boden  angegossenes  Rohr  direct  in  eiserne,  auf  Wagen  stehende 
Kasten  abgelassen  wird.  Bei  einem  mehr  festen  Rückstande  empfiehlt  sich  das 
oben  angegebene  Verfahren  mittels  der  wegnehmbaren  Gussplatte. 

Um  die  Belästigungen,  welche  Salpetersäurefabriken  den  Adjacenten  bereiten, 
sowie  die  gesundheitsschädlichen  Einwirkungen  der  Gase  und  Dämpfe  auf  die  Ar- 
beiter zu  verhüten,  sorge  man  vorzugsweise  für  eine  zweckmässige  Be- 
schickung, für  die  sorgfältigste  Lutirung  der  Apparate,  die  vollständige  Con- 
densation  der  Gase  und  Dämpfe  in  den  Vorlagen,  sowie  für  eine  rasche 
Beseitigung  der  Rückstände.  An  die  Vorlagen,  welche  abzukühlen  sind, 
könnte  man  noch  einen  Kühlapparat,  d.  h.  ein  Schlangenrohr  von  Steingut  an- 
schliessen,  in  welches  man  von  oben  her  einen  schwachen  Strahl  kalten  Wassers 
fiiessen  lässt,  um  die  Gase  so  vollständig  als  möglich  zu  condensiren.  Iu  vielen 
Fabriken  benutzt  man  gegenwärtig  vielfach  wie  in  Schwefelsäurefabriken  Koks- 
thürme  mit  Berieselung  mittels  eines  Schüttelapparates,  um  namentlich  die  noch 
entweichende  Untersalpetersäure  mittels  Schwefelsäure  wiederum  zu  gewinnen. 
Uebrigens  treten  hierbei  auch  die  vom  Chilisalpeter  herrührenden  Dämpfe 
auf,  da  derselbe  stets  Jod  entwickelt,  während  Chlor  sowohl  beim  Natron- 
ais Kalisalpeter  auftritt.  Bleibt  Jod  längere  Zeit  im  Destillate,  so  bildet 
sich  schliesslich  Jodsäure;  ist  Chlor  und  Jod  gleichzeitig  vorhanden,  so  ent- 
steht Chlorjod.  Untersalpetersäure  zeigt  sich  um  so  mehr,  wenn  die 
rauchende  Salpetersäure  dargestellt  wird.  Es  ist  unzweckmässig  und  auch  in 
pecuniärer  Beziehung  unvortheilhaft,  die  nicht  absorbirte  Säure  unter  die  Feue- 
rung zu  leiten,  wie  es  in  manchen  Fabriken  geschieht.  Will  man  den  Koksthurm 
nicht  benutzen,  so  sind  jedenfalls  absorbirende  Mittel  zu  verwenden,  unter 
welchen  die  Bleiglätte  noch  insofern  einen  grossen  Vorzug  hat,  als  man  da- 
durch Chlor-  und  Jodblei  neben  basisch  salpetrigsaurem  Blei  und  ge- 
ringen Spuren  von  Bleinitrat  gewinnt.  Man  kann  die  Bleiglätte  auf  befeuchtete 
und  in  einem  geschlossenen  Kasten  befindliche  Koks  streuen  (s.  Nitroglycerin). 
Eine  Sodalösung  ist  weniger  zweckmässig,  weil  das  Jodblei  sich  nach  der 
vollständigen  Sättigung  mit  siedendem  Wasser  ausziehen  lässt,  indem  es  sich  in 
goldglänzenden  Blättern,  mit  etwas  Chlorblei  vermischt,  abscheidet,  die  mit  Schwefel- 
säure erhitzt  Jod  abgeben. 

Uebrigens  unterwirft  man  in  der  Industrie  auch  häufig  den  Chilisalpeter 
vorher  einer  sorgfältigen  Waschung,  um  alles  Chlornatrium  zu  entfernen  und  eine 
chlorfreie  Salpetersäure  zu  erhalten;  oder  man  befreit  die  fertige  weisse  Salpeter- 
säure dadurch  von  ihrem  Chlorgehalt,  dass  man  sie  in  Thongefässen,  welche  im 
Wasserbade  stehen,  erwärmt  und  mittels  einer  Compressionspumpe  einen  kräftigen 
Luftstrom  durch  dieselbe  treibt,  um  die  entweichende  chlorhaltige  Untersal- 
petersäure in  einen  Koksthurm  zu  leiten,  in  welchem  sie  der  oben  erwähnten  Be- 
handlung zu  unterwerfen  und  von  Chlor  und  Untersalpetersäure  zu  befreien  ist. 
Bei  der  Concession  einer  Salpetersäurefabrik  sind  somit  alle  oben 
erwähnten  Puncte  sorgfältig  zu  berücksichtigen,  widrigenfalls  die  Belästigung 
der  Nachbarschaft  und  die  Beschädigung  der  Vegetation  zu  beständigen  Klagen 
Anlass  geben.  In  dieser  Beziehung  kann  nicht  oft  genug  betont  werden,  dass  bei 
der  Unschädlichmachung  der  Gase  und  Dämpfe  stets  drei  Methoden  im  Auge  zu 


252  Stickstoff  und  Sauerstoff. 

behalten  sind:  1)  die  der  Wegführ ung  durch  den  Schornstein,  wenn  die  Gase 
und  Dämpfe  durch  die  Feuergase  eine  so  beträchtliche  Verdünnung  erleiden,  dass 
sie  weder  die  Adjacenten  belästigen  noch  die  Vegetation  schädigen;  2)  die  Me- 
thode der  Absorption,  wenn  die  Gase  und  Dämpfe  noch  zu  verwerthen  sind; 
3)  die  Methode  der  Zerstörung,  wenn  sie  sanitäre  Nachtheile  in  sich  schliessen. 
Nicht  selten  verdient  aber  hierbei  das  Verbrenuungsproduct  noch  eine  besondere 
Berücksichtigung,  wie  namentlich  bei  der  Verbrennung  von  Schwefelwasserstoff 
bereits  hervorgehoben  worden  ist.  ßei  allen  in  dieser  Richtung  zu  treffenden 
Vorsichtsmassregeln  muss  man  durch  die  sorgfältigste  Erwägung  aller  hierbei  iu 
Betracht  kommenden  Umstände  geleitet  werden. 

Die  Anwendung  der  Salpetersäure  in  der  Industrie  ist  eine  sehr  verbreitete, 
welche  sich  noch  täglich  steigert;  man  benutzt  sie  vorzugsweise  wegen  ihres 
Sauerstoffsgehaltes,  welchen  sie  unter  Umständen  mit  Leichtigkeit  abgibt.  Beim 
Oxydiren  und  Nitriren  verschiedener  Substanzen  spielt  sie  eine  grosse  Rolle, 
wovon  bei  der  Darstellung  der  Pikrinsäure,  Oxypikrinsäure,  des  Nitro- 
benzols,  der  Schiessbaumwolle,  des  Nitroglycerins  u.  s.  w.  die  Rede  sein 
wird;  ebenso  hat  sie  bei  der  Schwefelsäurefabrication  die  wichtigste  Be- 
deutung. Ueberall  werden  bei  diesen  chemischen  Processen  reichliche  Dämpfe 
von  Stickoxyd  resp.  Untersalpetersäure  entwickelt. 

Wird  zum  Bleichen  und  auch  zum  Härten  des  Talgs  Salpetersäure  be- 
nutzt, so  tritt  viel  salpetrige  Säure  neben  Butter-,  Baldrian-,  Capron-,  Capryl- 
säure  u.  s.  w.  auf.  Beim  Vergolden  von  Kupfer,  Bronze  oder  Messing  dient 
sie  zum  Beizen  dieser  Metalle  resp.  zur  Wegschaffung  der  Oxydschicht  au  ihrer 
Oberfläche;  hierbei  entwickelt  sich  stets  eine  enorme  Menge  von  Stickoxyd  resp. 
Untersalpetersäure.  In  geringer m  Masse  bilden  sich  diese  Dämpfe,  wenn  die 
Metalle  zum  Entgolden  in  eine  Mischung  von  Salpeter  und  Schwefelsäure  ge- 
taucht werden;  dasselbe  ist  der  Fall  beim  Anreichern  der  Goldwaaren  von 
geringem  Gehalte,  bei  der  sogenannten  Derochage  (Aetzung).  Beim  Vergol- 
den mit  Goldamalgam  gebraucht  man  eine  Lösung  von  salpetersaurem  Queck- 
silberoxydul (Quickwasser);  geschieht  das  Auftragen  des  Amalgams  mittels 
blosser  Salpetersäure,  so  treten  wieder  die  Dämpfe  von  Stickoxyd  resp.  Unter- 
salpetersäure auf. 

Bei  allen  diesen  Manipulationen  ist  eine  besondere  Räumlichkeit  mit  einer 
passenden  Einrichtung  für  das  Unschädlichmachen  dieser  Dämpfe  erforderlich.  Da 
letztere  stark  mit  atmosphärischer  Luft  verdünnt  sind,  so  ist  eine  chemische 
Condensation  derselben,  wenn  nicht  unmöglich,  doch  unpractisch;  wo  ein  Ver- 
schluss der  Gefässe,  iu  welchen  die  Entwicklung  der  Dämpfe  vor  sich  geht,  nicht 
statthaft  ist,  da  muss  die  Wirksamkeit  einer  hohen  und  kräftig  ziehenden  Esse 
eintreten.  Besondere  Räume  sind  deshalb  erforderlich,  damit  wenigstens  alle  übrigen 
Arbeiter  des  Fabriklocals  ausser  dem  Bereiche  dieser  Dämpfe  bleiben,  deren  Be- 
deutung für  die  menschliche  Gesundheit  man  noch  lange  nicht  genug  gewürdigt  hat. 

In  Telegraphen-Bureaus,  in  welchen  man  früher  die  galvanische  Bat- 
terie mit  Salpetersäure  beschickte,  hat  sich  die  höchst  schädliche  Einwirkung  der 
salpetersauren  Dämpfe  auf  die  Beamten  oft  bemerkbar  gemacht. 

Die  Hut  mach  er  pflegen  das  Quecksilber  iu  Salpetersäure  aufzulösen,  um 
das  salpetersaure  Quecksilberoxydul  bei  der  Präparation  der  Haare  zum  Filzen  zu 
benutzen,  eine  Procedur,  welche  in  Frankreich  Secretage  genannt  wird  und  stets 
die  Entwicklung  von  salpetriger  Säure  veranlasst. 


Salpetersäure-Industrie.  253 

Früher  wurden  die  Schreib  federn  mit  Salpetersäure  gelb  gefärbt  und 
noch  gegenwärtig  benutzt  man  diese,  um  dem  Nussbaumholze  eine  dunkelgelbe 
Farbe  zu  geben.  In  Cigarrenfabriken  bringt  man  die  gelben  Flecken  auf  den 
Blättern  mittels  Salpetersäure  hervor,  um  denselben  das  Aussehen  einer  bessern 
und  theuerern  Sorte  zu  verschaffen.  Alle  diese  Manipulationen  dürften  für  die 
Aetiologie  mancher  Krankheiten,  besonders  der  chronischen  Brustleiden,  von 
erheblicher  Bedeutung  sein. 

Will  man  die  Salpetersäure  als  Desinfections  -  und  Räucherungs- 
mittel  benutzen,  indem  man  sie  aus  einem  Gemisch  von  Salpeter  und  Schwefel- 
säure durch  Erwärmen  entwickelt,  so  ist  dabei  sehr  grosse  Vorsicht  anzuwenden, 
da  die  geringste  Beimengung  von  organischem  Staub  eine  reichliche  Entwicklung 
von  Untersalpetersäure  veranlasst;  in  bewohnten  Räumen  darf  deshalb  diese 
Methode  der  Räucherung  nicht  vorgenommen  werden. 

Zum  Aetzen  von  Kupfer,  Stahl  und  Stein  gebrauchen  die  Metallo-  und 
Lithographen  Salpetersäure;  die  dabei  sich  bildende  Untersalpetersäure  bleibt  im 
Verdünnungsmittel  aufgelöst79).  Auch  in  der  Färberei  dient  sie  als  Aetz-  und 
Beizmittel  und  beim  Drucken  als  sogen.  Reservage.  Die  gelben  Muster  auf 
blauen  wollenen  Tüchern  oder  auf  Seide  werden  nämlich  mittels  Salpetersäure' 
welche  durch  Kleister  verdickt  worden  ist,  gedruckt,  damit  die  blaue,  durch 
Indigo  hervorgerufene  Farbe  durch  Salpetersäure  zerstört  und  in  eine  gelbe 
verwandelt  wird.  Eine  kräftige  Ventilation  ist  in  solchen  Räumen  absolut  er- 
forderlich, da  sich  auch  hier  mehr  oder  weniger  Dämpfe  von  Untersalpetersäure 
entwickeln. 

Die  Darstellung  der  Eisenbeizen  (Ronille)  geschieht  mittels  Eisenvitriols 
und  Salpetersäure;  letztere  gibt  hierbei  nur  einen  Theil  ihres  Sauerstoffs  ab,  um 
das  Eisenoxydnl  in  Eisenoxyd  zu  verwandeln;  die  Entwicklung  von  Stickoxyd 
resp.  Untersalpetersäure  ist  deshalb  bei  dieser  Operation  sehr  bedeutend.  Ge- 
wöhnlich geschieht  die  Darstellung  der  Eisenbeize  in  den  Färbereien,  da  sie 
vielfach  zum  Schwarzfärben  und  Erschweren  der  Seide  benutzt  wird.  Es  ge- 
hört dazu  ein  besonderer  und  von  allen  andern  Localen  getrennter  Raum,  in 
welchem  ein  Herd  für  die  Aufstellung  der  Gefässe  und  ein  kräftig  ziehender 
und  nicht  zu  niedriger  Schlot  für  die  Ableitung  der  Dämpfe  vorhanden  sein 
müssen,  damit  der  Arbeitsraum  frei  davon  bleibt.  Die  Mischgefässe  dürfen 
nicht  zu  niedrig  stehen  und  müssen  sich  im  Bereich  des  Schlotes  befinden, 
welcher  bis  auf  den  Herd  reicht,  nur  an  der  vorderen  Arbeitsseite  eine  Oeffnung 
hat  und  sich  an  den  Feuerkamin  anlehnt. 

Das  Zugutemachen  der  sog.  Krätze,  des  Kehrichts  der  Goldarbeiterwerk- 
stätte, kann  den  Adjacenten  oft  Belästigung  bereiten,  namentlich  wenn  diese 
Procedur  innerhalb  der  Städte  vorgenommen  wird. 

Man  gebraucht  dazu  einen  Reverberir- Verbrennungsofen,  dessen  Feuer- 
raum mit  Koks  gespeist  wird  und  ans  welchem  die  Feuerluft  über  eine  Feuerbrücke 
den  zur  Verbrennung  der  Krätze  dienenden  Raum  durchstreicht,  die  organischen  Theile 
der  Krätze  verbrennt  und  die  leicht  oxydirbaren  Metalle,  wie  Kupfer  u.  s.  w..  oxydirt. 
Die  Verbrennungsproducte  des  Brennmaterials  und  der  Krätze  müssen  durch  einen 
wenigstens  um  30  Fuss  das  Dach  überragenden  Schornstein  abgeleitet  werden,  da  sie  einen 
unangenehmen,  brenzlichen  und  sehr  belästigenden  Geruch  verbreiten,  wofern  man  nicht 
für  ihre  Ableitung  sorgt.  Ausserdem  dient  noch  ein  kleiner  Herd  zum  Erhitzen  der 
Schmelztiegel  und  des  bei  der  Trennung  der  edlen  Metalle  anzuwendenden  Gold- 
scheidewassers (Königswassers).  Ueber  dem  Herd  ist  ein  Fangtrichter  anzubringen, 
welcher  mittels  einer  Röhre  mit  dem  Schlot  in  Verbindung  steht  and  die  sauren  Dämpfe 
(Stickoxyd,    salpetrige    Säure)    ableiten    muss.    wenn   es   sich   auch  hier  nur  nin  kleine 


254  Stickstoff  und  Sauerstoff. 

Mengen  derselben  Landelt,  da  höchstens  10  Loth  Metallmengen  zur  Anwendung  kommen: 
immerhin  bedarf  man  dieser  Vorsicht  schon  zum  Schutze  der  Arbeiter. 

Beobachtet  man  die  genannten  Vorsichtsmassregeln,  so  kann  von  keiner 
grossen  Belästigung  die  Rede  sein:  diese  gibt  sich  nur  kund,  wenn  höchst  primi- 
tive Einrichtungen,  namentlich  der  Mangel  eines  hohen  Schlots,  die  Wegführung 
der  Gase  und  Dämpfe  unmöglich  machen. 

Atiduin  chloro-nitrosuni,  Königswasser,  Aqua  regia,  entsteht,  wenn  l  Vol.  Salpeter- 
säure mit  3  Vol.  Salzsäure  gemischt  wird;  der  Name  rührt  daher,  weil  die  Säure  ieden 
Regulns,  d.  h.  jeden  Metallkuchcn,  also  auch  Gold  und  Platin,  aufzulösen  vermag.  Diese 
Wirksamkeit  beruht  auf  dem  aus  der  Salzsäure  durch  die  Salpetersäure  frei  gewor- 
denen Chlor,  sowie  auf  den  beiden  Chlorverbindungen  des  St ickox  \  <1  -  NOC1 
and  N0C13.  Bei  der  Erwärmung  des  Königswassers  erhält  man  zuerst  die  Dämpfe 
von    Chi or nntersalp etersäur e  NOCk.80) 

Einwirkung  des  Königswassers  auf  den  thierischen  Organismus.  1)  Eine 
Taube  sitzt  in  der  Glasglocke.  Die  Dämpfe  von  erwärmtem  Königswasser  werden  in 
die  Glocke  geleitet:  sogleich  entsteht  Blinzeln  mit  den  Augen,  Kothentleernng,  Putzen 
der  Augen,  Ausfluss  von  Flüssigkeit  aus  dem  Schnabel:  nach  3  M.  Husten,  nach  4  M. 
Anschwellen  der  Augenlieder.  Bauchlage,  Husten:  nach  10  M.  ist  jede  Exspiration  mit 
Huster:  .    nach  17  M    grosse  Unruhe  und  Athmen  mit  aufgesperrtem  Schnabel: 

nach  18  M.  streckt  die  Taube  die  Füsse  aus  und  neigt  sich  stark  seitwärts.  Bei  der 
Herausnahme  beschleunigt  sich  die  Athmung  sehr  und  auf  heftige  Convulsionen  folgt 
Tetanus,  welcher  nach  1  M.  den  Tod  herbeiführt.  Cornea  klar,  Pupille  erweitert;  der 
aus  dem  Sehnabel  fliessende  Schleim  reagirt  sauer. 

Section  nach  24  Stunden.  Pia  mater  stark  injicirt:  auf  der  Med.  oblong, 
ein  ganz  dünnes  Extravasat  von  geronnenem  Blute:  Plex.  venös,  spin.  stark  ange- 
füllt. Lungen  x«n  hellbrauner  .Farbe  und  nur  an  den  Rändern  roth.  auch  das 
Parenchym  erscheint  theils  bräunlich,  theils  roth.  Die  rechte  Lunge  sinkt  ungefähr 
1  Zoll  tief  unter  den  Wasserspiegel,  die  linke  bleibt  eben  unter  demselben:  auf  den 
Durchsehnittsflächen  flüssiges  und  geronnenes  Blut:  Tracheaischleimhaut  schwach  injicirt. 
In  allen  Herzhöhlen  schwarzes  geronnenes  Blut,  ein  paar  Tropfen  flüssigen  Blutes  von 
dnnkelrother  Farbe  hatten  sich  in  der  Brusthöhle  angesammelt.  Die  Leber  von  dunkel- 
braunrother  Farbe;  das  Blut  in  den  grössern  Gefässen  geronnen. 

2)  Ein  grosses  Kaninchen  sass  im  Glaskasten.  Beim  Einleiten  der  Dämpfe 
zeigen  sich  bald  stockende  Athmung  und  Husten:  nach  4M.  starkes  Reiben  der  Schnauze, 
nach  6  II.  erhebt  es  sich  auf  die  Hinterbeine:  Maulhaare  feucht  und  starker  Husten: 
der  Kasten  ist  mit  einer  schwach  gelblichen  Atmosphäre  erfüllt:  nach  10  M.  fällt  es  auf 
den  Rücken,  steht  aber  sogleich  wieder  auf  und  setzt  sich  hin :  starke  Dyspnoe,  7  Inspir. 
binnen  ',  M  :  nach  10  M.  krampfhaftes  Aufsperren  des  Maules  bei  jeder  Inspiration: 
nach  18  M  Schwanken  und  Zittern  des  ganzen  Körpers ;  Hinfallen  auf  die  Seite.  Nach 
19  M.  heftige  (.'-mvulsionen,  wobei  massenhafter  Schaum  aus  dem  Maul  stürzt.  Sogleich 
Herausnahme.  Zuckende  Bewegungen  der  Muskeln  am  Thorax:  die  Respiration 
nimmt  rasch  ab.  nach  2  M.  Tod.  Die  Haare  fühlen  sich  härtlich  an:  die  Cornea  ist 
milchig  trübe,  der  Körper  wird  alsbald  kalt. 

Section  nach  ö  Stunden.  Die  Hirnhäute  stark  injicirt,  die  Plex.  venös. 
spin.  stark  mit  flüssigem  Blute  angefüllt.  Lungen  überall  braunroth  mit  schwach- 
gelblichen  erweiterten  Lungenbläschen:  auf  den  Durchsehnittsflächen  des  knisternden 
Parenchyms  dringt  überall  viel  weisser  Schaum  neben  flüssigem  Blute  hervor.  Die 
Lungenvenen  stark  mit  flüssigem  Blute  angefüllt:  Bronchial-  und  Trachealschleim- 
haut  braunroth  injicirt  und  mit  einer  dünnen  Schicht  wässrigen  braunrothen 
Blutes  bedeckt:  von  den  feinsten  Bronchien  aus  erstreckte  sich  ausserdem  bis  zum 
Larvux  hin  eine  Lage  seh  wachgelblichen  Schaums.  In  der  rechten  Herzhälfte  viel 
dunkles  flüssiges  Blut.  In  der  Ünterleibshöhle  fällt  besonders  die  Leber  durch  einen 
auffallenden  Blutreichthum  aus:  das  schwarzrothe  flüssige  Blut  röthet  sich  fast  gar  nicht 
an  der  Luft  und  scheidet  kein  Serum  aus. 

Bei  den  Dämpfen  des  Königswassers  wirken  Chlor  und  Untersalpeter- 
säure ein:  die  nachfolgende  Reizung  der  Respirationswege  erreicht  deshalb  den 
höchsten  Grad,  so  dass  die  schleimige.  Bronchieu  und  Luftröhre  anfüllende 
Flüssigkeit  die  heftigste  Dyspnoe  und  Erstickungsnoth  erzeugt,  welche  unter 
klonischen  und  tonischeu  Krämpfen  bei  den  Versuchsthieren  schnell  den  Tod 
herbeiführen. 

Mau  bat  alle  Ursache,   die  Arbeiter  vor   der  schädlichen  Einwirkung  dieser 


Phosphor.  255 

Dämpfe  zu  schützen.  Am  meisten  wird  das  Königswasser  von  den  Goldarbei- 
tern als  AuflösuDgsmittel  für  Gold  benutzt;  Unachtsamkeit  und  Geringschätzung 
der  Gefahr  haben  schon  oft  chronisch  -  entzündliche  Reizungen  der  Brustorgane 
hervorgerufen,  so  dass  späterhin  die  gewohnte  Beschäftigung  gar  nicht  mehr  auf- 
genommen werden  kann.  In  einem  concreten  Falle  bildete  sich  ein  Verdichtungs- 
process  in  den  Lungen  aus;  die  damit  verbundenen  Leiden  schwanden  erst  nach 
längerer  Behandlung,  aber  die  grösste  Empfindlichkeit  der  Schleimhäute  der 
Respirationswege  forderte  noch  lange  Zeit  zu  besonderer  Schonung  auf. 


Phosphor  P. 

Phosphor  kommt  in  der  Natur  nie  frei,  aber  sehr  häufig  in  Verbindungen,  na- 
mentlich mit  Kalk  im  Apatit,  Phosphorit  und  Osteolith  vor;  Wawellit 
ist  Aluminiuinphosphat,  Vivianit  phosphors.  Eisenoxyduloxyd,  welches  im  Torfe 
und  in  der  Braunkohle  sich  findet.  Manche  mergelartige  Schichten  der  Kreide- 
formation, welche  reich  an  Versteinerungen  sind,  enthalten  bisweilen  über  26 —  30% 
Calciumphosphat.  Aus  der  Ackererde  nehmen  die  Pflanzen  das  hier  nie  fehlende 
Calciumphosphat  auf;  Natriumphosphat  bildet  einen  wichtigen  Bestandtheil  des 
Blutes  und  phosphorhaltiges  Fett  findet  sich  im  Gehirn  und  Rückenmark. 

Einwirkung  des  Phospliordampfes  auf  den  thierischen  Organismus,  l)  Zwei 
kräftige  Tauben  sassen  im  grossen,  mit  offenen  Ventilationslöchern  versehenen  Glas- 
kasten, in  welchem  ein  mit  Phosphoröl  getränkter  Leinwandstreifen  hing;  das  Oel 
enthielt  0,5  grm.  Phosphor  in  50  grm.  Ol.  Olivar.  Schon  nach  10  M.  traten 
Blinzeln  mit  den  Augen,  Würgen  und  Erbrechen  nebst  Durst  ein;  diese  Erscheinungen 
wiederholten  sich,  wenn  der  Leinwandstreifen  wieder  angefeuchtet  wurde.  Am  2.  Tage 
Schwanken,  Betäubung  und  Seitenlage  auf  den  Flügeln;  am  3.  Tage  Fresslust  ver- 
schwunden, die  Tauben  tranken  bloss.  Täglich  war  die  Anfeuchtung  des  Leinwand- 
streifens zweimal  wiederholt  worden.  Am  Nachmittage  kurz  nach  der  erneuerten  An- 
feuchtung Bauchlage  mit  ausgebreiteten  Flügeln  und  häufigem  seitlichem  Umdrehen  des 
Kopfes;  Respiration  und  Herzthätigkeit  zeigten  nichts  Abnormes.  Als  am  4.  Tage  das 
Anfeuchten  des  Leinwandstreifen  unterlassen  worden,  erholten  sich  die  Tauben  zusehens; 
sie  frassen  und  bewegten  sich  normal.  Am  5.  Tage  wurde  Morgens  8  und  Nachmittags 
3  Uhr  der  Leinwandstreifen  angefeuchtet;  gegen  Abend  lagen  beide  Tauben  mit  ausge- 
breiteten Flügeln  auf  dem  Bauche;  o  Stunden  nachher  trat  der  Tod  ohne  auffallende 
Erscheinungen  ein. 

Section  15  St.  nachher.  Leichenstarre  massig;  Pupille  in  mittler  Contraction, 
die  Schädelknochen  blutig  infiltirt  und  zwischen  Dura  mater  und  Schädel  ein  sehr  zartes, 
durchsichtiges  Blutextravasat,  die  Hirnhäute  massig  blutreich,  auch  diePlex.  ven.  spin. 
von  gewöhnlichem  Blutgehalte;  nur  in  der  Umgebung  der  Med.  oblong,  fand  sich  ein 
grösserer  Blutreichthum.  Lungen  von  normaler  rother  Farbe,  lufthaltig  und  massig 
blutreich,  die  Schleimhaut  schwach  geröthet  und  von  den  Bronchien  bis  zum  Larynx 
mit  einer  ganz  dünnen  Lage  Schleim  bedeckt;  aufgedrücktes  blaues  Lackmuspapier 
röthete  sich  sofort.  Dieselbe  Reaction  zeigten  das  Lungenparenchym  und  das  ausflies- 
sende Blut.  Das  ganze  Herz  strotzte  von  dickflüssigem  schwarzem  Blute, 
das  an  der  Luft  heller  wurde,  kein  Serum  ausschied  und  sich  in  eine  gelatinöse  Masse 
verwandelte;  die  Blutkügelchen  vorherrschend  normal,  einige  seitlich  eingerissen.  Die 
schwarzbraune  Farbe  der  Leber  wurde  an  der  Luft  hellbraun,  sie  war  ziemlich  blut- 
reich; in  allen  grössern  Venen  dickflüssiges  Blut.  Die  Muskeln  nahmen  an  der  Luft 
eine  frisch  hellrothe  Farbe  an.  Durch  die  AJitsche?-lick'sch.e  Probe  Hessen  sich  in  der 
Leber  nur  höchst  geringe,  dagegen  in  der  Lunge  deutliche  Spuren  von  Phosphor 
nachweisen. 

2)  Die,  bei  der  freiwilligen  Verbrennung  des  Phosphors  entstandenen  Dämpfe  wur- 
den mit  viel  atmosphärischer  Luft  in  den  Holzkasten  geleitet,  in  welchem  ein  starkes 
Kaninchen  sass.  Nach  Verbrauch  von  0,005  Grm.  Phosphor  binnen  30  M.  machten  sich 
nur  ein  geringer  Speichelfluss  und  eine  beschleunigte  und  angestrengtere  Respiration 
bemerkbar.  Erst  nach  24  St.  zeigte  sich  ein  allgemeines  Unbehagen,  wobei  das  Thier 
plötzlich  wie  leblos  hinfiel,  die  hintern  Extremitäten  weit  ausstreckte  und  sichtbare  Be- 
wegungen der  Därme  darbot.  Bei  jedem  Anfalle,  der  sich  nur  in  den  ersten  Tagen 
halbstündlich    wiederholte    und    nach    12    Tagen    verschwand,     fand    eine    Urinentlee- 


256  Phosphor. 

rang  statt.  Nach  14  Tagen  wurde  der  nämliche  Versuch  bei  demselben  Kaninchen  wiederholt. 
Es  blieb  3  4  Stunde  lang  den  Dämpfen  ausgesetzt:  auch  jetzt  traten  erst  nach  24  St. 
die  oben  erwähnten  Zufälle  und  zwar  fast  regelmässig  nach  dem  Fressen  ein.  In  den 
Zwischenzeiten  zeigte  sich  bisweilen  ein  starkes  und  mit  mühsamer  Respiration  verbun- 
denes Herzklopfen;  nach  10  Tagen  schwanden  diese  Erscheinungen  und  man  bemerkte 
nur  zuweilen  noch  die  starken  Darmbewegungen.  8  Wochen  nach  dem  letzten  Ver- 
suche bildete  sich  aber  ein  intensiver  Icterus  aus,  welcher  sich  durch  schmutzig-gelbe 
Flecke  auf  der  Conjunctiva,  graue  Excremente  und  einen  dunklen,  braunrothen,  an 
Gallenpigment  reichen  Urin  charakterisirte.   Dieser  Zustand  verschwand  nach  10  Wochen. 

In  der  Industrie  kann  nur  von  Phosphordämpfen  die  Rede  sein;  man 
muss  hierbei  die  weissen  Nebel,  welche  bei  der  freiwilligen  Verbrennung  des 
Phosphors  an  der  Luft  entstehen,  von  den  dicken  Nebeln,  die  sich  beim 
Anzünden  des  Phosphors  bilden,  unterscheiden.  In  beiden  Fällen  handelt  es 
sich  nicht  bloss  um  fein  vertheilten  Phosphor,  sondern  auch  um  seine  Oxyda- 
tionsproduete.  In  den  Fabriken  für  Reibzündhölzchen  ist  es  stets  der  bei  der 
Verdunstung  des  Phosphors  entstehende  Dampf,  dessen  Molecüle  mit  einer  sol- 
chen Oxydschicht  mehr  oder  weniger  umhüllt  sind,  so  dass  höchst  wahrschein- 
lich stets  neben  Phosphor  auch  die  phosphorige  Säure  ihre  giftige  Wirkung 
entfaltet.  Bei  der  grossen  Verdünnung  dieses  Dampfes  mit  atmosphärischer  Luft 
und  bei  seiner  Neigung,  sich  nach  dem  Boden  zu  senken,  dauert  es  aber  oft 
längere  Zeit,  ehe  sich  die  Folgen  bei  den  Arbeitern  kund  geben. 

Die  Oxydation  des  gewöhnlichen  Phosphordampfes  geht  nicht  sofort  vor  sich; 
so  enthielt  der  bei  der  Darstellung  der  Zündmasse  entstehende  Dampf  meistens 
nur  Phosphor  und  Wasser,  aber  noch  wenig  Oxydationsproducte,  während  in 
den  Niederschlägen  auf  dem  Fussboden,  auf  den  Bänken  und  Geräthen  der 
Fabrikräume  Phosphorsäure  fast  immer  nachgewiesen  werden  kann.  In  der 
Atmosphäre  der  Trockenstuben  und  Magazine  lässt  sich  ebenfalls  hauptsäch- 
lich Phosphor,  auf  dem  Boden  aber  Phosphorsäure  constatiren. 

Der  Speichel  der  Arbeiter  verhält  sich  meist  neutral  oder  alkalisch,  bei 
einzelnen  Arbeitern  an  der  Zündmasse  kann  er  aber  auch  schon  saure  Re- 
action  zeigen,  wenn  sie  den  Phorsphordämpfen  sehr  ausgesetzt  sind. 

Bei  den  durch  Phosphordampf  umgekommenen  Tauben  gab  sich  die  bereits 
stattgefundene  Oxydation  des  Phosphors  auf  den  Schleimhäuten  der  Respirations- 
wege und  selbst  im  Blute  des  Lungenparenchyms  unzweifelhaft  durch  eine  saure 
Reaction  kund;  dass  aber  noch  nicht  der  gesammte  inhalirte  Dampf  in  Phos- 
phorsäure übergegangen  war,  bewies  der  nach  der  Mit  seh  er  lieh' sehen  Methode 
in  der  Lunge  nachgewiesene  Phosphor.  Es  kann  keinem  Zweifel  mehr  unter- 
liegen, dass  bei  allen  Phosphorvergiftungen  auch  der  Phosphor  als  solcher 
resorbirt  wird. 

Bei  den  Arbeitern  in  den  Zündholz -Fabriken  ist  bekanntlich  die  Phos- 
phornekrose  eine  Folge  des  eingeathmeten  Phosphordampfes.  Die  Krankheit 
beginnt  in  der  Regel  mit  Zahnschmerzen,  welche  durch  Ausziehen  der  mehr  oder 
weniger  cariösen  Zähne  nicht  gelindert  werden;  bald  schwillt  dann  die  Wange 
an,  die  Gesichtsfarbe  wird  fahl,  Salivation  und  ein  übler  Mundgeruch  stellen  sich 
ein.  während  Abscesse  am  Unterkiefer  die  fortschreitende  Krankheit  bekunden. 
Es  ist  durch  die  Erfahrung  festgestellt  worden,  dass  Arbeiter  mit  schadhaften  Zäh- 
nen am  meisten  zu  dieser  Krankheit  disponiren;  man  hat  daher  auch  mit  Recht 
als  Regel  aufgestellt,  solche  Individuen  von  den  Zündholz -Fabriken  ganz  fern 
zu  halten.  Ebenso  wichtig  ist  es  aber,  jeden  Zahnschmerz  und  jede  Krankheit 
der  Mundhöhle  bei  den  in  Fabriken  schon  beschäftigten  Arbeitern   zu    würdigen 


Phosphornekrose.  257 

und  die  gewohnte  Beschäftigung  während  der  Dauer  der  Krankheit  ruhen 
zu  lassen. 

Die  Phosphornekrose  wird  mit  einer  Entzündung  der  Wurzelhaut  des 
Zahns  (Periostitis)  eingeleitet;  der  Zahn  tritt  unter  Schmerzen  aus  seiner  Alveole 
und  kann  nicht  selten  in  diesem  gelockerten  Zustande  leicht  ausgezogen 
werden.  Nicht  bloss  bei  cariösen,  sondern  auch  bei  ganz  gesunden  Zähnen  kann 
die  Krankheit  auf  diese  Weise  beginnen;  die  Schwellung  des  Kieferknochens 
nimmt  zu,  wenn  sich  die  Entzündung  auf  das  Periost  der  Alveole  fortpflanzt 
und  in  Eiterung  übergeht. 

Bei  fortscheitender  Krankheit  wird  der  ganze  Alveolarfortsatz  bloss  gelegt 
und  beim  höchsten  Grade  des  Leidens  verliert  der  harte  Gaumen  seine 
Schleimhaut;  ein  allgemeiner  Collapsus,  Speichelfluss,  aufgehobene  Verdauung  und 
ein  fieberhafter  Zustand  sind  dann  die  Folgen  des  grossen  Säfteverlustes.  Wird 
das  nekrotische  Knochenstück  abgelöst,  so  können  sich  die  abgestorbenen  Theile 
auf  eine  wunderbare  Weise  wiederersetzen,  wenn  das  Periost  gerettet  worden  ist. 

Die  Verdickung  des  Kieferknochens  besteht  in  einer  Knochenablagerung, 
in  einer  die  Oberfläche  des  Knochens  überziehenden  und  meist  an  den  Gelenk- 
köpfen des  Unterkiefers  beginnenden  osteophy tischen  Rinde,  die  eine  Dicke  von 
mehreren  Linien  erreicht,  ehe  die  Eiterung  beginnt;  auch  können  einzelne 
Osteophyten  entstehen.  Wo  die  Knochenablagerung  stattfindet,  wird  das  ursprüng- 
liche Knochenstück  förmlich  eingekapselt  und  mehr  oder  weniger  der  Blutzufuhr 
beraubt;  in  dem  Masse,  als  dies  geschieht,  bildet  sich  ein  hohler  Raum  zwischen 
den  ursprünglichen  Knochen  und  den  aufgelagerten;  man  muss  dann  den  Kiefer 
exstirpiren,  soll  der  Kranke  nicht  durch  Eiterung  zu  Grunde  gehen.1) 

Dass  der  Phosphordampf  eine  specifische  Beziehung  zur  Wurzelhaut  der 
Zähne  und  zum  Kieferperiost  hat,  geht  aus  dem  Umstände  hervor,  dass  man  bis- 
her ein  Leiden  der  Nasenmuscheln  nicht  beobachtet  hat,  obgleich  der  Phosphor- 
dampf nicht  nur  in  die  Mund-  sondern  auch  in  die  Nasenhöhle  dringt.  Es 
ist  viel  darüber  gestritten  worden,  ob  die  Kiefernekrose  ein  örtliches  Leiden 
oder  die  Folge  einer  allgemeinen  Phosphordyskrasie  sei.  Bekanntlich  dauert 
es  stets  längere  Zeit,  Monate  oder  Jahre,  ehe  das  örtliche  Kieferleiden  beginnt, 
mögen  nun  die  Arbeiter  gesunde  oder  cariöse  Zähne  haben.  Die  Ursache  dieses 
Ereignisses  dürfte  in  der  verhältnissmässig  geringen  Menge  Phosphor,  welche 
von  den  Arbeitern  aufgenommen  ist,  zu  suchen  sein,  so  dass  es  stets  längerer 
Zeit  bedarf,  ehe  die  Folgen  des  im  Organismus  verweilenden  Giftes  zu  Tage 
treten.  Der  Einwand,  dass  man  auch  in  intensiven  Fällen  von  Phosphornekrose 
oft  keine  andere  Störung  im  Gesammtorganismus  beobachte  als  die  durch  den 
Säfteverlust  und  die  verhinderte  Nahrungsaufnahme  veranlasste,  dürfte  nicht  zu- 
treffen. Wenn  auch  bei  zufälligen  Todesfällen  nicht  immer  fettige  Degenerationen 
der  Organe  angetroffen  werden,  so  vermisst  man  doch  bei  näherer  Nachforschung 
selten  Magen-  und  Digestionsstörungen  oder  krankhafte  Blutbildung.  So  ent- 
wickelte sich  z.B.  nach  dem  Berichte  von  Fournier  und  Ollivier  bei  einem 
bereits  4  Jahre  in  Zündholzfabriken  beschäftigt  gewesenen  14jährigen  Mädchen 
plötzlich  eine  acute  Periostitis  des  Oberkiefers  mit  hochgradiger  Anämie,  nach- 
dem schon  früher  pustulöse  Eruptionen  der  Finger  bestanden  hatten;  unter 
Auftreten  von  Purpuraflecken  und  einem  comatösen  Zustande  staih  die  Kranke 
plötzlich.  Bei  der  Section  wurde  der  flüssige  Zustand  des  Blutes  und  eine 
Apoplexia  capillaris  nachgewiessen.2)    Bucquoy~fand  dagegen  bei  einer  27jährigen 

Eulenberg,  Gewerbe-Hygiene.  17 


258  Phosphor. 

Frau  nach  Tjäbriger  Beschäftigung  in  Zündholzfabriken  Nekrose  des  rechten 
Oberkiefers  und  ein  Jahr  später,  als  der  Tod  durch  Variola  erfolgt  war,  eine 
fettige  Degeneration  der  Leber,  Nieren,  des  Herzens  und  der  Muskeln, 
nachdem  bei  Lebzeiten  schon  Albuminurie  auf  diese  Kraukheitszustäude  hin- 
gewiesen hatte,  die  sicher  auf  die  langjährige  Beschäftigung  in  Phosphordämpfen 
zurückgeführt  werden  müssen.'1) 

Zieht  man  dabei  die  durch  langdauernde  Phospborfütterung  bei  Thieren 
herbeigeführten  Kuochenappositionen  in  Betracht,  so  kann  es  keinem  Zweifel 
mehr  unterliegen,  dass  das  Kieferleiden  in  den  Phosphorzündhölzerfabriken  als 
das  Resultat  einer  Allgemeinerkrankung  aufgefasst  werden  muss. 4) 

Wenn  Andere  der  phosphorigen  Säure  eine  ätzende  Wirkung  zuschreiben, 
welche  sich  durch  die  cariösen  Zähne  dem  Kiefer  mittheile,  so  spricht  hier- 
gegen der  bereits  hervorgehobene  Umstand,  dass  die  Phosphornekrose  auch 
bei  ganz  gesunden  Zähnen  vorkommt. 

Jedenfalls  ist  es  eine  wichtige  Aufgabe  der  Hygiene,  überall,  wo  Phosphor- 
dampf  auftritt,  für  die  ergiebigste  Ventilation  Sorge  zu  trageu;  erfahrungsgemäss 
hat  sich  auch  die  Phosphoroek  rose  in  allen  gut  geleiteten  und  beaufsichtigten 
Fabriken  entschieden  vermindert  (s.  Phosphorzüudholz-Fabrication).*) 

Phosphorindustrie. 

Zur  Darstellung  des  Phosphors  bedient  man  sich  in  der  Regel  der  Thier- 
kohle  und  erst  in  neuerer  Zeit  hat  man  auch  angefangen,  die  phosphorsauren 
Salze  aus  dein  Mineralreiche:  Osteolith,  Phosphorit,  Vivianit  u.  s.  w.,  aufzu- 
Bcbüessen  und  zur  Phosphorgewiuuuug  zu  benutzen.  Sind  die  phosphorsauren 
Erden  reich  an  Bitumin,  so  geht  dem  Aufst  hliessen  mit  Säure  ein  Brennen 
voraus,  wobei  sich  übelriechende,  empyreumatische  Gase  und  Dämpfe  entwickeln 
können,  vorausgesetzt,  dass  die  betreffenden  Erden  keine  Silicate  enthalten,  weil 
diese  leicht  ein  Versickern  veranlassen.  Bisweilen  unterwirft  man  das  Roh- 
mater.ial  mit  Soda  gemischt  in  Reverberiröfen  der  Calcination,  um  beim  Aus- 
laugen der  Schmelze  die  Phosphorsäure  als  phosphorsaures  Natrium  zu  ge- 
winnen. Vorläufig  bleibt  die  Darstellung  des  Phosphors  aus  den  Thierknochen 
noch  die  wichtigste,  wobei  folgende  Operationen  hervorzuheben  sind: 

1)  Die  Verbrennung  der  Knochen  und  das  Zerkleinern  der  Knochenerde.  Frische 
Knochen  werden  nur  noch  in  der  Nähe  grosser  Abdeckereien  benutzt,  wenn  der 
Transport  u.  s.  w.  erschwert  ist.  Das  Brennen  in  offenen  Gruben  kann  nur  in 
öden  Gegenden  vorgenommen  werden,  weil  die  dabei  auftretenden  empyreuma- 
tischen  Producte  einen  höchst  widerlichen  Geruch  verbreiten. 

Das  Verbrennen  der  Knochen  in  Schachtöfen,  welche  nach  dem  Princip  der 
Kalköfen  construirt  sind,  ist  weniger  mit  einem  starken  Gerüche  verbunden,  darf  aber 
nicht  in  der  Nähe  menschlicher  "Wohnungen  stattfinden.  Man  hat  deshalb  combinirte 
Schachtverbrennungsöfen  construirt,  um  die  bei  den  frisch  aufgelegten  Knochen 
entstehenden  Gase  und  Dämpfe  durch  die  glühende  Schicht  der  verglimmenden  Knochen 
zu  leiten  und  dadurch  die  Zerstörung  der  envpyreumatischen  Stoffe  zu  bewirken. 

Auf  diesem  Princip  beruht  auch  der  von  Fleck*)  angegebene  Ofen,  wobei  ein 
cvlindrischer  Schacht  durch  einen  Fuchs  und  den  Feuerungsraum  der  Pfannenfeuerung 
mit  dem  Schornstein  in  Verbindung  steht.  Durch  die  um  die  Sohle  des  Ofens  seitlich  an- 
gebrachten 3  Oeffnungen  (Fig.  29  bbh)  wii  d  ein  Holzrost  gelegt  und  entzündet.  Die  Be- 
schickung geschieht  durch  die  Oeffnung  <7,  welche  mit  einer  Klappe  von  starkem  Eisen- 
blech geschlossen  wird.  Die  Oeffnungen  bbb  dienen  ausserdem  noch  zur  Entfernung  der 
gebrannten  Knochen  und  als  Zugöffnungen  ,  weshalb  sie  mit  Schiebern  von  Eisenblech 
versehen  sind.  Die  stinkenden  Dämpfe  streichen  durch  den  Fuchs  c  und  den  Zug  H  über 
die  Rostfeuerung  d  und  werden  hier  entzündet,   ehe  sie  in   den  Schornstein  C  dringen. 


Phosphorindustrie. 


259 


Der  Betrieb  ist  ein  continuirlicher  und  kann  der  Ofen  sogar  im  Innern  der 
Fabrikgebäude  aufgestellt  werden,  da  von  Geruch  Nichts  zu  bemerken  ist.  Bei  e  können 
die  Laugen  abgedampft  werden. 

Die  weissgebrannten  Knochen  werden  durch  Walz-  oder  Pochwerke  zu  Linsen- 
grösse  zerkleinert. 

Die  Verbrennung  der  Knochen  bei  gleichzeitiger  Gewinnung  der  Destillations- 
producte  geschieht  jetzt  häufiger;  zu  dem  Ende  werden  die  rohen  Knochen  einer 
Destillation  unterworfen  und  die  Rückstände  vollkommen  eingeäschert.  Die  hierzu 
erforderlichen  Apparate  sind  wie  bei  der  Destillation  ganzer  Thiercadaver  construirt 
(s.  Abdeckerei). 

Fig.  29. 


2)  Die  Bearbeitung  der  Knocheiiasche  nnd  das  Zersetzen  der  Knochcnerde  durch 
Schwefelsäure.  Die  Knochenasche,  Thierasche  (weiss  gebrannte  Knochen) 
wird  mit  concentrirter  Schwefelsäure  behandelt,  um  das  in  ihr  enthaltene 
tertiäre  (neutrale)  Calciumphosphat  Ca3(P04)2  in  das  primäre  oder  saure 
Salz  CaH4(P04)2  zu  verwandeln: 

Ca3  (P04)2  +  2  H2  S04  =  2  Ca  S04  +-  CaH4  (P04)2. 

Da  sich  beim  Verbrennen  der  Knochen  stets  Schwefel-  und  Cyancalcium 
bildet,  so  entwickeln  sich  bei  diesem  Processe  höchst  schädliche  Gase,  wie 
Schwefelwasserstoff,  Kohlensäure,  Blausäure,  Chlorwasserstoff  und 
Fluorwasserstoff;  letzterer  tritt  gewöhnlich  als  Kieselfluorwasserstoff 
erst  beim  Eindampfen  der  Lauge  auf. 

Es  sind  hierzu  mit  Blei  ausgefütterte  und  verschlossene  Gefässe  zu  benutzen, 
durch  deren  Deckel  Abzugscanäle  zum  nächsten  Schornstein  führen.  Fleck  benutzt 
hölzerne  Ständer,  welche  inwendig  mit  Pech  überzogen  sind.  Die  Lauge  wird  abgezapft 
und  der  entstandene  Gips  (CaS04)  mit  heissem  Wasser  ausgesüsst. 

Unter  den  erwähnten  Gasen  tritt  Schwefelwasserstoff  um  so  reichlicher  auf, 
je  frischer  die  gebrannten  Knochen  sind.  Haben  dieselben  lange  an  der  Luft  gelegen, 
so  ist  ihr  Gehalt  an  Schwefelcalcium  in  unterschwefligsaures  resp.  sehwefligsaures 
Calcium  übergegangen;  es  kann  sich  alsdann  kein  H2S  entwickeln.  Der  Cy angehalt 
der  Knochen  ist  stets  abhängig  von  der  in  den  Knochen  enthaltenen  Leimsubstanz  und 
sind  daher  Knochen,  welche  lange  vergraben  gewesen  sind,  frei  davon.*) 

Das  Gemisch  von  Knochenpulver  und  Schwefelsäure  lässt  man  -±8  Stunden  in 
den  Ansatzständern  stehen.     Das  Vermischen    geschieht   pausenweise   und  wird  wie- 

*)  Zur  Illustration  dieser  Thatsachen  dienen  folgende  Versuche: 
1)  Weiss  gebrannte  Knochen,  welche  .2  Jahre  an  der  Luft  gelegen  hatten  und 
demnach  zur  Kategorie  derjenigen  Knochen  gehörten,  welche  durch  eine  lange  Sauer- 
stoffeinwirkung verändert  worden  sind,  werden  in  einer  Quantität  von  3  Unzen  und  im 
grob  zerstossenen  Zustande  mit  verdünnter  Salzsäure  in  hinreichender  Menge  Übergossen. 
Selbstverständlich    musste    also   hier    eine  Entwicklung    von  H2S    fehlen   und   Kohlen- 

17* 


260  Phosphor. 

derholt,  wenn  keine  Gasentwicklung  mehr  stattfindet.  Die  geklärte  Flüssigkeit  läset 
man  kurz  über  dem  Niederschlage  durch  einen  Bleiansatz  mittels  eines  mit  Blei  ausge- 
schlagenen Holzcanals  auf  Filter  und  alsdann  in  die  bleiernen  Abdampfschalen  ab- 
Üiessen. 

Die  Gipsmasse  wird  auf  Auswaschständer  mit  doppeltem  Boden,  der  mit 
Stroh  und  doppelter  Leinwand  bedeckt  ist,  gebracht  und  mit  Wasser  umgerührt.  Mit 
den  ersten  Flüssigkeiten  behandelt  man  noch  andere  Partien  Rückstand  und  setzt  die 
letzten  Waschwasser  den  Ansatzständern  zur  Herstellung  neuer  Laugen  zu. 

3)  Das  Eindampfen  des  sauren  primären  Calciumphosphats  geschieht  iu  klei- 
nen Abdampfpfannen  mit  reverberireudem  teuer  bis  zu  45°  R. ;  der  wahrend 
des  Abdainpfens  sich  ausscheidende  Gips  wird  mit  Sieblöffelu  herausgenommen. 
Hat  die  filtrirte  Lauge  Syrupscousistenz  bei  ca.  50°  B.  erhalten,  so  setzt  man 
fein  gesiebte  Holzkohle  zu,  trocknet  in  gusseisernen  Kesseln  ein  und  erhitzt  nach 
Fleck  nur  so  weit,  dass  sich  die  Masse,  ohne  zu  stäuben,  bequem  durch  ein  Sieb 
reiben  lässt.  Bei  dieser  Erhitzung  geht  das  primäre  Phosphat  in  Calcium- 
metaphospat  Ca(P03)2  über:  CaH4P208==CaP206  +  2H20. 


säure  neben  dem  in   der  Asche  enthaltenen  Cyan,   welches   als  Cyanwasserstoff  auf- 
tritt, stattfinden. 

Eine  Taube  sass  in  einem  kleinen  Zinkkasten  (von  4725  C.-Ctm.  Inhalt),  in  welchen 
die  sich  entwickelnden  Gase  eingeleitet  wurden  ;  nach  3  M.  stieg  die  Zahl  der  Inspirationen 
von  9  auf  15,  nach  5  M.  26  sehr  angestrengte  Inspir.,  dabei  geringes  Schwanken  und  An- 
lehnen an  die  Wand  des  Kastens,  Nasswerden  des  Schnabels;  die  Athemnoth  steigert  sich, 
der  ganze  Körper  bewegt  sich,  der  Schnabel  öffnet  sich  bei  jeder  Inspir.,  die  Pupille  ist 
erweitert;  bisweilen  blinzelt  sie  mit  den  Augen  und  steht  mit  gespreitzten  Füssen  da. 
Nach  15  M.  derselbe  Zustand  und  dieselbe  Anzahl  von  Inspir.;  als  die  Glasthür  des 
Kastens  hierauf  geöffnet  wird,  hört  sogleich  die  Athemnoth  auf. 

2)  Kurz  darauf  Wiederholung  des  Experimentes.  Nach  4  M.  wiederum  26  sehr 
angestrengte  Inspir.  binnen  1/i  M.,  nach  15  M.  derselbe  Zustand,  welcher  die  grösste 
Aehnlichkeit  mit  einem  heftigen  asthmatischen  Anfall  hat.  Als  die  Taube  hierauf  her- 
ausgenommen wird,  hören  alle  Besehwerden  sofort  auf:  ein  Beweis,  dass  in  beiden  Fällen 
nur  die  Kohlensäure  eingewirkt  hatte.  Die  etwa  vorhandenen  Spuren  von  Cyan- 
wasserstoff waren  hier  durch  die  Kohlensäure  so  verdünnt,  dass  sie  keine  Ein- 
wirkung äussern  konnten. 

Jedenfalls  verdient  aber  aus  den  eben  angeführten  Gründen  der  Act  der  Ver- 
mischung der  Kohlenasche  mit  den  Säuren  alle  Beachtung  und  dürfen  die  Arbeiter  den 
sich  hierbei  entwickelnden  Gasen  in  keinem  Falle  ausgesetzt  werden,  da  schon  die 
grosse  Menge  von  Kohlensäure,  abgesehen  von  allen  andern  Gasen,  höchst  schädlich 
einwirken  kann. 

3)  Eine  Unze  frischer,  schwarz  gebrannter  Knochen  wurde  mit  Salzsäure 
behandelt.  Die  sich  entwickelnden  Gase  drangen  in  den  kleinen  Zinkkasten,  in  welchem 
eine  Taube  sass.  Schon  nach  1  M.  beschleunigte  sich  die  Respiration;  nach  2  M.  26 
sehr  angestrengte  Inspir.  mit  Erhebung  des  ganzen  Körpers  und  weitem  Oeffnen  des 
Schnabels.  Nach  4  M.  Würgen,  Erbrechen,  rauhes,  schnarrendes  Athmen:  nach  6  M. 
heftiges  Erbrechen;  nach  11  M.  Bauchlage  bei  11  sehr  angestrengten  Inspir.  binnen 
1/i  M. :  die  Taube  sucht  den  Schnabel  zwischen  die  Thürritze  des  Kastens  zu  bringen 
Nach    15  M.  derselbe  Zustand  und  dieselbe  Bauchlage;  nach  16  M.  Herausnahme. 

Die  Taube  bleibt  auf  dem  Bauche  liegen  und  blinzelt  mit  den  Augen,  Pupille  schwach 
contrahirt.  Nach  2  M.  23  angestrengte,  aber  nicht  hörbare  Inspir. ;  beim  Anstossen  ver- 
sucht sie  aufzustehen,  schwaches  convulsivisches  Aufschrecken,  Herzschlag  sehr  stark, 
laut,  aber  nicht  beschleunigt.  Nach  5  M.  bewegt  sie  die  Füsse,  als  wenn  sie  auf- 
stehen wollte,  während  sie  mit  dem  Vorderkörper  auf  dem  Boden  bei  erweiterter  Pu- 
pille liegt.  Nach  8  M.  14  angestrengte  Inspr.  bei  undeutlichem,  kaum  zu  hörendem  Herz- 
schlage, nach  11  M.  nimmt  che  Anzahl  der  Inspir.  immer  mehr  ab;  sie  werden  stossweise 
und  krampfhaft.  Unter  schwachen  convulsivischen  Bewegungen  stirbt  sie  nach  12  M. : 
die  Temperatur  nimmt  rasch  ab,  aber  4  M.  lang  hört  man  noch  einzelne,  ganz  schwache 
Herzschläge. 

Section  1  Stunde  nachher.  Hirnhäute  nur  in  der  Umgebung  des  Kleinhirns 
hyperämisch,  ganz  besonders  in  der  Umgebung  der  Med.  oblong.;  PI  ex.  venös,  spinal. 
nicht  sehr  stark  angefüllt.  Auf  der  Durchschnittsfläche  der  zinnoberrothen  Lunge  etwas 
flüssiges  und  geronnenes  Blut,  die  Lungenvenen  sind  mit  geronnenem  Blute  angefüllt; 
die  Tracheaischleimhaut  braunroth  injicirt.     Das  ganze  Herz  strotzt  von  ganz  dunklem 


Phosphordestillation.  261 

Beim  Calciniren  entwickelt  sich  neben  Kohlenoxyd  und  Kohlensäure 
sehr  viel  schweflige  Säure.  Es  empfiehlt  sich,  diese  Gase  in  Kasten,  welche 
mit  weiss  gebrannten  Knochen  angefüllt  sind,  zu  leiten,  um  hierdurch  ein  vor- 
läufiges Aufschliessen  der  letztern  einzuleiten.  Sie  stehen  mittels  Steingutröhren 
mit  den  Abdampfgefässen  in  Verbindung  und  haben  an  ihrem  tiefsten  Puncte 
eine  S  förmig  gebogene  Bleiröhre,  um  die  saure  Kalklösung  abfliessen  zu  lassen. 

In  einigen  Fabriken  findet  sich  nur  eine  dachförmige  Ueberdeckung  der  Kessel 
mit  einem  hohen  Abzugsrohre.  Vorsichtiger  ist  es,  nach  dem  Vorschlage  von  Gentele 
die  Kessel  in  einem  steinernen  Gewölbe  mit  einer  Arbeitsöffnung  aufzustellen,  da  wäh- 
rend dieses  Processes  beständig  gerührt  werden  muss.  Der  Arbeitsöffnung  gegenüber 
steht  das  Gewölbe  durch  eine  Oeffnung  mit  dem  Schornstein  der  Kesselfeuerung  in 
Communication,  um  auf  diese  "Weise  einen  raschern  Abzug  der  Gase  zu  bewirken.  Die 
Arbeiter  werden  durch  diese  Vorrichtung  allerdings  geschützt,  aber  die  Nachbarschaft 
um  so  mehr  durch  diese  Gase  belästigt;  ihre  Verwerthung  ist  daher  jedenfalls  vor- 
zuziehen. 

Dieser  Theil  der  Phosphorfabrication  gehört  überhaupt  in  sanitärer  Be- 
ziehung zu  den  wichtigsten  Abschnitten  derselben  und  muss  bei  der  Verlei- 
hung der  Concession  ganz  vorzugsweise  berücksichtigt  werden,  da  es  sich 
hierbei  um  die  Gefährdung  der  Arbeiter  und  die  Belästigung  der  Adjacenten 
handelt. 

4)  Die  Destillation  des  Phosphors.  Man  unterscheidet  hierbei  das  Vor- 
feuern und  die  eigentliche  Destillation. 

a)  Das  Vor  feuern.  Das  Destillationsgut  wird  in  Retorten  aus  feuerfestem 
Thone,  die  in  Galeerenöfen  aufgestellt  werden,  dem  sog.  Vor  feuern  ohne  Vor- 
lagen unterworfen;  Calciummetaphosphat  verwandelt  sich  nun  in  Phosphor 
und  Calciumpyrophosphat  (2 CaP206  +  5 C  =  2 P  -f-  Ca2P207  +  5 CO),  während 
Kohlenoxyd  (CO)  entweicht. 

Da  die  Retorten  allmählig  von  aussen  nach  innen  in's  Glühen  gebracht  werden, 
so  müssen  die  zuletzt  im  Innern  sich  entwickelnden  Wasserdämpfe  die  äussere  glühende 
Hülle  des  Destillationsgutes  passiren  und  dadurch  die  Entwicklung  von  Schwefel-  und 
Phosphorwasserstoff  neben  Kohlenoxyd  veranlassen: 

CaS04  +  4C  =  CaS  +  4CO._ 
Schwefelwasserstoff  bildet  sich   aus  dem  Schwefelcalcium ,   welches   aus   einem  An- 
theil  des  Gipses  entstanden :     CaS  +  H20  =  CaO  +  H2  S. 

Mit  dem  Phosphor  bilden  die  Wasserdämpfe  theils  Phosphorwasserstoff, 
theils  phosphorige  Säure;  letztere  entsteht  durch  den  Sauerstoff  des  Wassers  und 
wird  später  durch  die  Kohle  wieder  zu  Phosphor  reducirt. 

Die  Flamme  der  sich  entwickelnden   brennbaren  Gase  liefert  das  Kriterium,   wie 


geronnenem  und  wenig  flüssigem  braunrotheni  Blute.  Leber  und  Nieren  von  nor- 
maler Farbe  und  reich  an  dickflüssigem  braunrothem  Blute;  alle  grössern  Gefässe  mit 
geronnenem  Blute  angefüllt.  Das  flüssige  Blut,  welches  nur  in  geringer  Menge  aufge- 
fangen werden  konnte,  wird  allmählig  an  der  Luft  hellkirschroth. 

Cyanwasserstoff  wurde  in  den  schwarz  gebrannten  Knochen  durch  Destillation 
qualitativ  nachgewiesen;  Schwefelwasserstoff  fand  sich  nur  in  höchst  geringen  Spuren 
vor.  Kommt  nun  dazu,  dass  auch  Cyanwasserstoff  in  Lunge  und  Leber  der  Taube, 
welche  zusammen  der  Untersuchung  unterworfen  wurden,  durch  die  Analyse  und 
zwar  als  Berlinerblau,  wenn  auch  nur  spurweise,  aufgefunden  wurde,  so  unterliegt  es 
keinem  Zweifel,  dass  die  Taube  durch  Cyanwasserstoff  umgekommen  ist,  der  aber 
auch  in  diesem  Falle  noch  durch  Kohlensäure  verdünnt  war,  weil  sonst  der  Tod 
viel  rascher  erfolgt  sein  würde. 

Bedenkt  man  nun  die  Masse  von  Materialien,  welche  in  der  Technik  zur  Anwen- 
dung kommen,  so  verdienen  die  sich  hierbei  entwickelnden  Gase  jedenfalls  die  grösste 
Beachtung.  Bei  einem  sehr  gewöhnlichen  technischen  Vorgange,  bei  der  Wichsbereitung, 
ündet  ebenfalls  die  Einwirkung  der  Schwefelsäure  auf  schwarz  gebrannte  Knochen  statt, 
um  durch  Bildung  von  Gips  den  Kohlenstoff  fein  zu  vertheilen.  Man  wird  selten  hier- 
bei die  Entwicklung  von  Schwefelwasserstoff,  Cyanwasserstoff  und  Kohlen- 
säure vermissen.  Vorsichtsmassregeln  sind  daher  auch  hier,  namentlich  bei  grossen 
industriellen  Anlagen,  in  der  oben  angegebenen  Art  und  Weise  zu  treffen. 


2Cr>  Phosphor. 

weit  die  innere  Masse  zur  Destillation  vorbereitet  ist.  Brennt  die  Flamme  mit  einer 
blauen  Farbe,  so  bildet  sich  Kohlenoxyd,  wird  aber  gleichzeitig  ein  stechender  Ge- 
ruch nach  schwefliger  Säure  wahrgenommen,  so  hat  man  eine  Schwefelwasser- 
stoff erzeugung  in  der  Retorte.  Bildet  die  Flamme  einen  weissen  Rauch,  so  findet 
eine  Reduction  des  Arsens  statt,  welches  sich  bisweilen  in  bedeutender  Menge  in  dem 
sauren  Calciumphosphat  ansammelt  und  von  der  Zersetzungssäure  herrührt;  der  gebil- 
dete Arsen  \va  sserst  off  verbrennt  zur  arsenigen  Säure.  Brennt  die  Flamme  mit 
g ;r  ü  n  li  cheni  Schein,  so  entwickelt  sich  ein  weisser  Rauch,  welcher  aber  am  Mundloch 
der  Retorte  einen  rothen  Ring  absetzt  und  ein  Zeichen  für  die  kräftige  Reduction  der 
Phosphorsäure  liefert.  Die  gefärbte  Flamme  rührt  entweder  von  Phosphor  wass  er- 
stofr  oder  von  Phosphordampf  her;  beide  geben  beim  Verbrennen  Phosphorsäure- 
anhydrid. 

Die  Verbrennungsproducte  bestehen  somit  aus  schwefliger  Säure 
Phosphorsäureanhydrid,  arseniger  Säure  und  Kohlensäure;  sie  müssen 
von  denselben  Apparaten,  welche  bei  der  eigentlichen  Destillation  des  Rohphos- 
phors zur  Anwendung  kommen,  aufgenommen  werden. 

b)Die  eigentlicheDestilla- 
Fi9-  30.  tion  des  Phosphors.    Nach  dieser 

vorbereitenden  Operation  des  Calci- 
nirens  und  Vorfeuerns,  welche  die  Ent- 
fernung    des  hygroskopischen    oder 
Kry stallwassers  bezweckt,  verbindet 
man    erst  die  Retorte  ä  (Fig.  30) 
mittels  eines  "Verstosses  mit  der  Vor- 
lage 0). 
Die  Retorten  sind  flaschenförmige  Gefässe  aus  porösem  Thon,  deren  Hals 
aus  der  Gewölbemauer  hervorragt;   man  bestreicht  sie  mehrmals  mit  einem  dünnen,  mit 
Kuhmist  gemischtem  und  mit  Borax  getränktem  Lehmbrei,  damit  sie  vollständig  luftdicht 
werden. 

Die  Vorlagen  haben  die  Form  eines  Topfes  oder  einer  Haube,  sind  oben  ge- 
schlossen und  mit  ihrem  untern  offenen  Ende  in  eine  mit  Wasser  gefüllte  Unterlage 
gestülpt. 

Der  Röhren  ans  atz  oder  Vorstoss  vermittelt  die  Verbindung  zwischen  Retorte 
und  Vorlage.  Da  bei  der  Destillation  stets  Phosphor  Wasserstoff,  sowohl  selbst- 
entzündlicher als  nicht  entzündlicher,  auftritt,  so  kann  anfangs  eine  Explosion  der 
Vorlage  erfolgen,  wenn  die  zuerst  auftretenden  brennbaren  Gase  sich  mit  der  in 
der  Vorlage  befindlichen  atmosphärischen  Luft  vermischen  und  dieses  explosive  Gemisch 
durch  eine  nachfolgende  Entwicklung  von  selbstentzündlichem  Phosphorwasserstoff  ent- 
zündet wird. 

Um  diese  höchst  gefährliche  E  x  p  1  o  s  i  o  n  zu  vermeiden,  versetzt  man  das  Wasser 
in  den  Vorlagen  mit  einigen  Stückchen  Natriumbicarbonat  und  gibt  alsdann  irgend  eine 
Säure  zu,  um  die  Gefässe  auf  diese  Weise  mit  Kohlensäure  zu  füllen. 

Die  Dämpfe,  welche  sich  aus  der  Vorlage  entwickeln  und  späterhin  fast  nur 
aus  Phosphor  dampf  bestehen,  müssen  durch  eine  besondere,  mit  Sicherheitsvorrich- 
tung versehene  Röhrenleitung  unter  einen  eisernen  Trichter  geleitet  und  hier  verbrannt 
werden.  Der  Trichter  mündet  mit  dem  gebogenen  Rohr  in  den  obern  Theil  eines  weiten, 
horizontal  liegenden  Rohrs  aus  Steingut,  welches  mit  feuchter  loser  Baumwolle  oder  mit 
Werg  angefüllt  ist:  die  als  Rauch  in  das  Rohr  eindringende  Phosphorsäure  und 
etwaige  arsenige  Säure  werden  von  der  nassen  Baumwolle  aufgenommen  und  selbst- 
verständlich aus  derselben  gewonnen  (s.  S.  2G3). 

Findet  in  grossen  Etablissements  die  Destillation  des  Phosphors  in  Galeeren- 
öfen statt,  wo  oft  50 — 100  Retorten  zu  gleicher  Zeit  destilliren,  so  werden  die 
auftretenden  Dämpfe  zwar  auch  auf  die  genannte  Weise  zur  Verbrennung  ge- 
bracht, aber  die  Verbrennungsproducte  durch  einen  Ventilator  in  der  Art  aufge- 
saugt, dass  sie  mit  nassem  Koks  angefüllte  Horizontalröhreu  aus  Steingut 
passiren. 

Diese  Vorrichtungen,  welche  den  Arbeitern  vollständigen  Schutz  gewähren, 
sind  nicht  aus  der  ßesorgniss  vor  Beschädigung  derselbeu  hervorgegangen,    sie 


Reinigung  des  Phosphors.  263 

sind  vielmehr  aus  den  Bemühungen  der  Fabrikanten,  aus  dem  Verbrennungs- 
producte  noch  einen  pecuniären  Vortheil  zu  erzielen,  entstanden.  Die  mit  viel 
arseniger  und  wenig  phosphoriger  Säure  vermischte  Phosphorsäure, 
welche  hierbei  gewonnen  wird,  behandelt  man  nämlich  mit  Schwefelwasserstoff; 
das  hierbei  entstehende  Schwefelarsen  wird  abgeschieden,  die  Säure  einge- 
dampft und  namentlich  in  England  als  Acidum  phosphoric.  glaciale  in  den 
Handel  gebracht. 

Die  meisten  Oefen  sind  für  Holzfeuerung  eingerichtet;  Fleck  hat  dagegen 
einen  Ofen  für  Steiukohlenfeuerung  construirt,  der  den  Retortenöfen  bei  der 
Leuchtgasfabrication  sehr  ähnlich  ist. 

5)  Die  Reinigung  des  Phosphors  geschieht  mittels  Pressens  durch  starkes 
Sämischleder,  durch  Rectification,  Behandeln  mit  Salpetersäure  oder  Auflösen  in 
Schwefelkohlenstoff;  sie  bezweckt  die  Entfernung  der  mechanisch  beigemengten 
Unreiuigkeiten. 

Das  mechanische  Durchpressen  des  Phosphors  wird  gegenwärtig  sehr 
empfohlen,  seitdem  man  sich  dazu  einer  warm  gehaltenen  /iVrt/'schen  Presse  bei  geringer 
Druckhöhe  bedient. 

Die  Rectification  resp.  Destillation  geschieht  in  eisernen  Retorten,  deren 
Schnäbel  unter  Wasser  tauchen.  Soll  der  Phosphor  ganz  chemisch  rein  werden,  so  sind 
Retorten  von  Steingut  anzuwenden;  durch  die  blosse  Rectification  wird  er  jedoch  weder 
arsen-  noch  schwefelfrei.  Einige  Chemiker  nehmen  an,  dass  beide  Körper  als  chemisch 
verbundenes  Schwefelarsen  im  Phosphor  vorkommen.  Das  Eintauchen  der  Retorten- 
schnäbel in  Wasser  soll  nur  den  Zutritt  der  atmosphärischen  Luft  verhüten;  die  sich 
entwickelnden  Dämpfe,  phosphorige  Säure,  Phosphor-  und  Schwefelwasser- 
stoff, kollern  durch  das  Wasser  und  müssen  auf  dieselbe  Weise  wie  bei  der  Rohdestil- 
lation beseitigt  werden. 

Arsenwasserstoff  kommt,  nur  'spurweise  und  dann  erst  am  Ende  der  Destil- 
lation vor,  welche  eigentlich  eine  fractionirte  ist,  da  die  Producte  in  verschiedenen  Zeit- 
intervallen aufgefangen  werden.  Das  Arsen  häuft  sich  mit  dem  Schwefel  in  den  letzten 
Resten  des  Retorteninhaltes  an,  kann  aber  schliesslich  durch  verstärkte  Hitze  überge- 
trieben werden;  gewöhnlich  werden  aber  die  letzten  Antheile  der  Destillation  zum  Roh- 
phosphor zurückgegeben. 

Die  chemisch-reine  Darstellung  wird  in  chemischen  Laboratorien  vorge- 
nommen und  zwar  entweder  durch  mehrmalige  Rectification  oder  durch  Behandlung  mit 
verdünnter  Salpetersäure,  wobei  Arsen  wegen  seiner  leichten  Oxydirbarkeit  zuerst 
in  Arsenik  säure  über-  und  durch  nachträgliches  Waschen  mit  Wasser  weggeführt  wird. 

Bei  der  Behandlung  mit  Salpetersäure  werden  geschlossene  Glasretorten 
nebst  Vorlagen  gebraucht;  letztere  müssen  mit  der  Retorte  durch  einen  hermetischen 
Verschluss  verbunden  sein,  während  die  Tubulatur  der  Vorlage  mittels  einer  Röhre  oder 
eines  Gummischlauchs  mit  einem  gut  ziehenden  Rauchfange  in  Verbindung  steht,  um  das 
auftretende  Stickstoffoxyd  resp.  die  Untersalpetersäure  mit  geringen  Mengen  von  Phos- 
phordämpfen resp.  phosphoriger  Säure  wegzuführen. 

Bei  dieser  Rectification  des  Phosphors  aus  Glasretorten  kann,  wenn  die  Masse 
nur  einigermassen  beträchtlich  und  deshalb  der  Raum  der  Retorte  gross  ist,  leicht  eine 
gefährliche  Explosion  entstehen,  welche  man  am  besten  dadurch  verhütet,  dass  man 
sowohl  Retorte  als  Vorlage  tubulirt  anwendet,  die  Relorte  mit  der  Vorlage  durch  einen 
Gipsverschluss  hermetisch  verbindet  und  durch  den  Tubus  der  Retorte  einen  trocknen 
Kohlensäurestrom  leitet,  welcher  aus  dem  Tubus  der  Vorlage  mittels  eines  zweischenklig 
gebogenen  und  mit  einigen  Linien  Quecksilber  gesperrten  Rohrs  wieder  austritt  und 
alsdann  in  einen  Kamin  abgeleitet  wird. 

DieReinigung  des  Phosphors  durch  Auflösen  in  Schwefelkohlenstoff 
ist  eine  der  interessantesten  Methoden,  welche  auch  den  reinsten  Phosphor  liefert.  Zu 
dem  Ende  wird  der  Phosphor  in  eine  Art  von  Scheidetrichter  gebracht,  welcher  unten 
und  oben  mit  einem  Glasstöpsel  versehen  ist  und  in  einem  Behälter  mit  Wasser  ruht. 
Das  untere  Abzugsrohr  mündet  zunächst  in  einen  mit  Sand  angefüllten  Filterapparat, 
der  mittels  eines  gekrümmten  Glasrohrs  mit  einem  tubulirten,  einer  Woielf  sehen  Flasche 
ähnlichen  Destillationsgefässe  verbunden  ist;  das  Rohr  reicht  bis  auf  den  Boden,  der 
einige  Zoll  hoch  mit  Wasser  bedeckt  ist. 

In  den  Scheidetrichter  wird  Wasser  nebst  Phosphor  und  alsdann  Schwefelkohlen- 
stoff eingegeben.  Die  Auflösung  kann  durch  Erwärmung  des  Wassers  im  Behälter  be- 
fördert werden .    Die  Phosphorlösung  lässt  man  durch  das  Sandfilter  in  das  Destillations- 


2(54  Phosphor. 

gefäss  fliessn,  in  welchem  mittels  eingetriebener  Wasserdämpfe  die  Trennung  des  Lösungs- 
mittels vom  Phosphor  bewirkt  wird. 

Die  Dämpfe  des  Schwefelkohlenstoffs  müssen  durch  eine  Röhre  in  eine 
Kühlschlange  gelangen,  deren  Ausgang  wieder  unter  Wasser  resp.  in  den  sogen.  Gas- 
Bammelkasten  (s.  ELolzgeist)  mündet,  wo  die  allenfalls  noch  entweichenden  Gase  in  den 
Schornstein  abgeleitet  werden.  Diese  Vorsichtsmassregeln  sind  wegen  der  feuergefähr- 
lichen und  gesundheitsschädlichen  Dämpfe  sehr  nothwendig. 

Diese  Methode  hat  gleich  nach  der  Entdeckung  des  rothen  Phosphors 
Eingang  gefunden  und  wird  auch  zur  Reinigung  resp.  zum  Ausziehen  dieses  Körpers 
benutzt. 

6)  Das  Formen  des  Phosphors  zu  Stangen  geschieht  mittels  Glasröhren  und 
ist  eine  der  ältesten  Manipulationen  und  hat  insofern  noch  ein  besonderes  Inter- 
esse, als  es  früher  durchgehends  und  auch  jetzt  noch  vereinzelt  durch  Aufsaugen 
mittels  des  Mundes  in  konischen  Glasröhren  geschah. 

Die  grosse  Gefahr,  welche  mit  diesem  Verfahren  für  die  Arbeiter  verbunden  ist, 
leuchtet  von  selbst  ein,  obgleich  man  neuerdings  in  Frankreich  wieder  zu  diesem  Ver- 
fahren zurückgekehrt  ist,  jedoch  mit  einer  verbesserten  Saugvorrichtung. 

Auf  den  Vorschlag  von  Dumas  kommt  das  Aufsaugen  des  Phosphors  mittels  eines 
Kautschukballons  zur  Anwendung,  wobei  man  auf  die  bekannte  "Weise  verfährt,  indem 
man  dnrch  Zusammendrücken  des  Ballons  die  Luft  aus  der  Glasröhre,  welche  mit  dem 
untern  offenen  Ende  in  geschmolzenem  Phosphor  steht,  entfernt.  Durch  Aufhebung  des 
Druckes  auf  die  Blase  dehnt  sich  die  Luft  wieder  aus  und  zieht  den  Phosphor  in  die 
Höhe.  Gewöhnlich  stehen  viele  Röhren  zusammen,  welche  mittels  eines  Gummischlauchs 
in  einen  gemeinschaftlichen  Ballon  münden. 

Sembert  hat  eine  mechanische  Vorrichtung  erfunden,  welche  in  deutschen  Fabriken 
vielfach  in  Gebrauch  ist.  Neuerdings  formt  man  aber  auch  den  Phosphor  in  Platten 
und  Scheiben,  um  seine  Versendung  zu  erleichtern. 

7)  Aufbewahrung  des  Phosphors.  Der  Phosphor  muss  stets  unter  Wasser 
aufbewahrt  werden,  was  bei  grössern  Massen  in  gut  verlötheten  Blechbüchsen 
oder  noch  besser  in  kleinen,  mit  Paraffin  getränkten  und  von  aussen  lackirten 
hölzernen  Fässchen  geschieht,  da  die  Löthungen  von  metallenen  Gefässen  leicht 
beschädigt  werden  können. 

Beim  Versenden  sollte  man  nicht  grössere  Mengen  als  einzelne  Pfunde  in  die 
Fässchen  eingeben:  Gläser,  welche  sonst  am  zweckmässigsten  sind,  eignen  sich  aber 
wegen  der  leichten  Zerbrechlichkeit  und  der  damit  verbundenen  Gefahren  nicht  zum 
Versenden. 

Nach'  dem  Betriebs -Reglement  für  die  Eisenbahnen  vom  10.  Juni  1870  muss  er 
unter  Wasser  in  Blechbüchsen,  welche  höchstens  12  Pfund  fassen  und  verlöthet  sind,  in 
starken  Kisten  mit  Sägemehl  verpackt  sein.  Die  Kisten  müssen  ausserdem  in  Leinwand 
emballirt,  mit  Handhaben  und  dem  Zeichen  „Oben"  versehen  sein,  dürfen  aber  nicht 
mehr  als  150  Pfund  wiegen. 

Zu  den  Eigenschaften  des  Phosphors  gehört,  dass  er  bei  gewöhnlicher 
Temperatur  eine  weiche,  schwach-gelbliche  Masse  bildet,  am  Lichte  aber  gelb  und  roth 
wird:  er  schmilzt  bei  40°  und  siedet  bei  290°,  verflüchtigt  sich  aber  mit  Wasser- 
dämpfen. Er  oxydirt  sehr  leicht  und  raucht  an  der  Luft;  er  ist  in  Schwefelkohlenstoff 
leicht  löslich:  verdunstet  die  Lösung,  so  erstarrt  er  in  Rhombendodekaedern:  er  ver- 
brennt zu  Phosphorsäureanhydrid.  An  sich  ist  er  geruchlos,  die  Nebel  aber,  welche  er 
an  der  Luft  ausstösst,  riechen  knoblauchartig.  Sein  Verhalten  an  der  Luft  führte 
Schönbein  zur  Entdeckung  des  Ozons;  die  Ozonisirung  der  Luft  findet  nämlich  dadurch 
statt,  dass  ein  Theil  des  Sauerstoffs  vom  Phosphor  gebunden  wird,  während  gleichzeitig 
ein  anderer  Theil  desselben  .activer"  gemacht  wird.  Unter  Wasser  aufbewahrt,  wird 
er  am  Lichte  auf  seiner  Oberfläche  matt,  krystallinisch  und  färbt  sich  gelb.  Erhitzt  man 
den  Phosphor  einige  Stunden  auf  250°  in  luftfreien  Gefässen,  so  stellt  er  ein  rothes  Pulver 
dar,  welches  rother  oder  amorpher  Phosphor  heisst  und  alle  charakteristischen 
Eigenschaften  des  weissen  Phosphors  verloren  hat. 

In  sanitärer  Beziehung  ist  im  Allgemeinen  noch  zu  bemerken,  dass  die 
Phosphornekrose  viel  seltener  in  den  Phosphorfabriken  als  in  den  Phosphor- 
zündhölzer-Fabriken vorkommt;  dies  hat  darin  seinen  Grund,  dass  die  meisten 
Arbeiten    wegen    der   heftig  strahlenden  Hitze  der  Oefen   mehr  im  Freien  oder 


Darstellung  des  rothen  Phosphors.  265 

doch  wenigstens  in  sehr  zugigen  und  stark  ventilirten  Räumen  vorgenommen 
werden.  Bei  grosser  Unvorsichtigkeit  und  gänzlicher  Vernachlässigung  der  an- 
gegebenen Vorsichtsmassregeln  ist  es  aber  nicht  unmöglich,  dass  sich  Phosphor- 
nekrose  bei  den  betreffenden  Arbeitern  ausbilden  kann,  wofür  auch  bestimmte 
Thatsachen  sprechen.  Beim  Entleeren  der  Vorlagen  nach  geschehener  Rohdestil- 
lation, beim  Einfüllen  der  Retorten  zur  Vornahme  der  Rectification,  sowie  beim 
Verpacken  des  Phosphors  sind  sie  immerhin  noch  vielfach  den  Phosphordämpfen 
ausgesetzt;  hier  würde  sich  jedenfalls  ein  Schutz  durch  Respiratoren  empfeh- 
len (s.  Phosphorzündhölzer-Fabrication). 

Es  kann  nicht  bezweifelt  werden,  dass  bei  Anwendung  arsenhaltiger  Säure 
zum  Aufschliessen  der  Knochenasche  das  saure  Calciumphosphat  arsen- 
haltig wird  und  letzteres  alsdann  durch  die  Reduction  mit  Kohle  sowohl 
metallisches  Arsen  als  auch  Arsenwasserstoff  liefert,  wodurch  bei  Vernachlässigung 
der  nothwendigen  Vorsichtsmassregeln  eine  Arsen  Vergiftung  sehr  leicht  ein- 
treten kann.  Das  Arsen  entwickelt  sich  stets  am  meisten  im  Anfange  des  Re- 
ductionsprocesses,  nämlich  bei  dem  sogen.  Vorfeuern,  wo  die  Vorlage  noch 
nicht  angeschoben  und  eine  Verbreitung  dieser  giftigen  Dämpfe  im  Arbeitsraum 
um  so  eher  möglich  wird. 

Beim  Calciniren,  Mischen  und  Füllen  der  Retorten  entstehen  durch  die  Ein- 
wirkung des  staubförmigen,  sauren  phosphorsauren  Calciums  sehr  leicht  Augen- 
entzündungen von  intensivem  und  gefährlichem  Charakter,  indem  dasselbe  be- 
sonders die  Hornhaut  anätzt  und  trübe  macht.  Bei  dieser  Arbeit  ist  deshalb  das 
Tragen  von  sogenannten  Schutzgläsern  dringend  angezeigt;  diese  bestehen  aus 
runden  Gläsern,  welche  mittels  einer  Hornfassung  in  einer  Art  von  lederner  Halb- 
maske eingefügt  sind. 

Rother  Phosphor.  Der  rothe  krystallinische  Phosphor,  fälschlich  amorpher 
genannt,  "weil  man  ihn  früher  nur  amorph  kannte,  wurde  1848  von  Schrötter  in  Wien 
entdeckt.  Er  ist  bloss  eine  Modification  des  gewöhnlichen  Phosphors:  seine  Umwand- 
lung beginnt  schon  bei  215°,  aber  langsam:  bei  240°  findet  die  eigentliche  Bildung  des 
rothen  Phosphors  statt.  Er  wird  am  besten  durch  eine  Temperatur,  welche  zwischen 
240 — 250°  liegt,  erzielt;  wird  alsdann  dieser  rothe  Phosphor  bis  auf  260°  erhitzt,  so 
verwandelt  er  sich  wieder  in  den  gewöhnlichen  Phosphor.  Er  stellt  ein  glänzendes, 
dunkelcarmoisinrothes  Pulver  oder  feste  zerbrechliche  Stücke  von  muscheligem  Bruche 
dar  und  besitzt  alle  Nuancen  vom  Carminroth  bis  zum  Dunkelrothbraun.  An  der  Luft 
ist  er  bei  weitem  unveränderlicher  als  der  gewöhnliche  Phosphor,  weshalb  er  sich  auch 
in  Kisten  verpacken  lässt.  Mit  der  Zeit  oxydirt  er  sich  aber  und  reagirt  sauer; 
er  leuchtet  nicht  bei  gewöhnlicher  Temperatur;  an  der  Luft  lässt  er  sich  auch  nicht 
durch  Reiben  oder  Stossen  entzünden;  erst  bei  260°  entzündet  er  sich;  durch  Zusatz 
von  chlorsaurem  Kalium  kann  ihm  aber  eine  leichte  Entzündlichkeit  ertheilt  werden. 
Auch  Chromsäure,  Kaliumbichromat,  Salpeters.  Blei,  Mennige  und  Bleisuperoxyd 
entzünden  ihn,  wenn  diese  Körper  trocken  mit  ihm  zusammengerieben  werden. 

In  Schwefelkohlenstoff,  Steinöl  und  Aether  ist  er  unlöslich,  nur  in  siedendem  Ter- 
pentinöl löst  er  sich  und  scheidet  sich  als  gewöhnlicher  Phosphor  aus.  Wegen  seiner 
grössern  Beständigkeit  dem  atmosphärischen  Sauerstoff  gegenüber,  sowie  wegen  seiner 
Gefahrlosigkeit  wird  er  jetzt  immer  mehr  zur  Fabrication  der  Zündhölzer  benutzt.7) 

Darstellung  des  rothen  Phosphors.  Das  Schmelzen  des  gewöhnlichen 
Phosphors  behufs  Darstellung  des  rothen  geschieht  in  einem  Apparat,  welcher 
aus  einem  sogen.  Doppelbad  und  dem  Digestor  (Fig.  31.)  besteht;  letzterer 
dient  zur  Aufnahme  des  Phosphors,  ersteres  enthält  2  Kessel,  von  denen  einer 
ca.  6—8  Zoll  weiter  als  der  zweite  ist  und  oben  einen  Ring  hat,  in  welchem 
der  zweite  Kessel  befestigt  werden  kann.  Der  grössere  Kessel  wird  mit  flüssigem 
Blei  gefüllt,  welches  den  Zwischenraum  zwischen  beiden  Kesseln  ausfüllt;  der 
zweite  Kessel,  welcher  zur  Aufnahme  des  Paraffinbades  dient,  umfasst  den  sog. 


266 


Phosphor. 


Fig.  31. 


D  i  g  e  s  t  o  r ,  welcher  entweder  aus 
emaillirtera  Eisen.  Porzellan  oder  Glas 
besteht  und  ebenfalls  durch  einen 
Ring  im  Paraffinbad  schwebend  erhal- 
ten wird;  die  ganze  Vorrichtung  wird 
direct  über  einer  Feuerung  erhitzt. 

Der  Digestor  ist  mit  einer  luftdicht 
schliessenden  Metallhaube  (&)  versehen, 
weihe  durch  ein  kupfernes  Rohr  (c)  mit 
dem  Z  wischengefäss  (<"/)  verbunden 
ist.  Der  Digestor  ist  femer  mit  einem 
Thermometer  versehen,  welches  durch  die 
Metallhaube  in  den  flüssigen  Phosphor 
mündet:  ebenso  befindet  sich  im  Blei- 
und  Paraffinbad  ein  Thermometer.  Es 
hat  sich  jedoch  als  nothwendig  heraus- 
gestellt, dass  man  sämmtliche  Ther- 
mometer mit  sog.  Sehutzröhren  umgeben 
muss,  welche  beim  Erkalten  der  ver- 
schiedenen Substanzen  ein  Zertrümmern 
der  Thermometer  durch  die  Zusammen- 
ziehung verhüten.  Die  beiden  Bäder 
sind  mit  kupfernen  Schutzröhren  versehen,  während  der  Digestor  ein  Schutzrohr  von 
Porzellan  oder  Glas  hat.8) 

Das  Zwischengefäss  ist  nach  dem  System  der  fro^Z/'schen  Flaschen  aus  Stein- 
gut oder  Kupfer  construirt.  Aus  demselben  mündet  ein  kupfernes,  doppelt  gebogenes 
Rohr  ( f).  das  mit  einem  30  —  32  Zoll  Rhein,  langen  Glasrohr  (Barometerrohr)  luftdicht 
verbunden  ist.  Letzteres  mündet  in  einen  Glascvlinder,  welcher  ca.  2  Zoll  hoch  mit 
Quecksilber  und  4  —  G  Zoll  hoch  mit  Wasser  gefüllt  ist:  die  sich  entwickelnden  Gase 
durchstreichen.,  nachdem  sie  das  Quecksilber  passirt  haben,  die  Wassersäule  und  ge- 
langen alsdann  in  den  obern  Theil  des  Cvlinders,  welcher  mit  einem  Metallmantel  um- 
geben ist,  an  dessen  Decke  ein  Rohr  in  den  Kamin  führt. 

Der  durch  diese  Vorrichtung  sich  entwickelnde  Luftstrom  nimmt  die  bei  dieser 
Operation  sich  entwickelnden  giftigen  Gase,  selbstentzündliches,  nicht  selbstent- 
zündliches Phosphorwasser stoff gas,  Arsenwasserstoff  und  Phosphor- 
dampf resp.  ihre  Verbrenn ungsproducte,  Phosphorsäureanhydrid  und  Arsenig- 
säureanhvdrid  auf  nnd  führt  sie  sofort  in  den  Kamin. 

Es  kommen  hier  fast  alle  bei  der  Phosphorfabrieation  auftretenden  Gase  und 
Dämpfe  vor,  mit  Ausnahme  von  Kohlenoxyd  und  Kohlensäure,  weshalb  hier  die  er- 
wähnten Schutzmassregeln  für  die  Arbeiter  dringend  geboten  sind,  wenn  man  ernstliche 
Gefährdungen  derselben  vermeiden  will.  Durch  das  hier  vorherrschende  selbstent- 
zündliclio  Phosphorwasserstoffgas  gelangen  zwar  die  übrigen  Gase  und  Dämpfe  zur 
Verbrennung,  aber  auch  die  Verbrennungsproducte  verdienen  wegen  ihrer  giftigen  Eigen- 
schaft die  grösste  Beachtung. 

Ein  wichtiger  Process  ist  auch  noch  die  Reinigung  des  amorphen 
Phosphors  von  dem  ihm  anhängenden  unveränderten  krystallinischen  Phosphor. 

Die  älteste  Methode  bestellt  darin,  dass  man  den  fein  geriebenen  und  noch  feuch- 
ten Phosphor  in  dünnen  Schichten  auf  flache  Eisen-  oder  Bleitröge,  welche  durch  ein 
-  oder  Sandbad  u.  s.  w.  erwärmt  werden,  bringt.  Enter  fortwährendem  Um- 
rühren des  Phosphors  wird  die  Temperatur  allmählig  erhöht,  bis  im  Dunkeln  keine 
leuchtenden  Dämpfe    mehr    sichtbar    sind.     Bei  dieser  Methode   sind    die  Arbeiter  nicht 

der  Vergiftung,  sondern  auch  der  Verbrennung  ausgesetzt,  weshalb  sie  gänzlich 
zu  verwerfen  ist.  Die  sicherste  und  unschädlichste  Methode  besteht  im  Ausziehen  des 
Phosphors  mittelst  Schwefelkohlenstoffs  nach  der  oben  angegebenen  Weise. 

Zu  erwähnen  ist  hier  noch  eine  andere  allotrope  Modification  des  Phosphors, 
welche  Bittorf  dadurch  erhielt,  dass  er  amorphen  Phosphor  mit  Blei  in  einer  evacuirten 
Glasröhre  der  Glühhitze  aussetzte.  Er  nennt  diese  Modification  die  ^metallische  kry- 
stallisirte",  da  sie  in  metallglänzenden,  schwarzen  Krystallblättchen  auftritt. 

Verwendung  des  weissen  Phosphors  nnd  die  het  reffen  den  sanitären  Massregeln. 
Die  reducirende  Wirkung  des  Phosphors  auf  die  Lösungen  schwerer  Metalloxyde 
hat  man  in  der  Galvanoplastik  benutzt,   um  nicht-leitende  Oberflächen,   z.  B. 


Fabrication  der  Phosphorzündhölzer.  267 

Formen  von  Stearin  u.  s.  w.,  mit  einem  Metall  zu  überziehen.  Zu  diesem  Zwecke 
bringt  man  auf  die  betreffende  Oberfläche  eine  Auflösung  von  Phosphor  in  Schwe- 
felkohlenstoff und,  wenn  diese  verdunstet  ist,  eine  sehr  verdünnte  Lösung  von 
Argent.  nitric.  oder  Chlorgold,  worauf  nach  kurzer  Zeit  eine  feine  und  glänzende 
Silber-  oder  Golddecke  zu  Tage  tritt,  auf  die  man  das  durch  den  galvanischen 
Strom  ausgeschiedene  Kupfer  überträgt.  Neuerdings  zieht  man  für  diese  Fabri- 
cation fast  überall  den  Phosphorwasserstoff  und  die  unterphosphorig- 
sauren  Salze  vor. 

Bei  Anfertigung  von  Chemiealien,  z.  B.  von  Jod-,  Brom  Wasserstoff,  Jodamyl, 
Jodäthyl  u.  s.  w.,  findet  Phosphor  eine  ausgedehnte  Anwendung;  Phosphor  wird 
auch  gewissen  Metallen,  namentlich  Blei,  Kupfer,  Zink,  Nickel  und  ähnlichen 
Mischungen  zugeschmolzen,  um  denselben  eine  besondere  Zähigkeit  und  Festig- 
keit zu  verleihen;  hauptsächlich  geschieht  dies  bei  den  kupfernen  Zapfenlagern. 
Allgemein  ist  die  Verwendung  von  Phosphor  als  Rattengift  und  zur  Fabrica- 
tion von  Reibzündhölzchen  und  Zündmassen;  letztere  hat  sich  zu  einem 
der  grossartigsten  Fabrikzweige  ausgedehnt. 

Fabrication  der  Phosphorstreiehliülzer.  Bei  der  Geschichte  der  Feuerzeuge 
lassen  sich  die  physicalischen  Methoden  (durch  Reibung  von  Holz  auf  Holz 
oder  von  Stahl  und  Stein,  durch  Compression  von  Luft  und  durch  Hohlspiegel), 
und  die  chemischen  Methoden  (durch  Entzündung  von  Wasserstoff  mittels  des 
elektrischen  Funkens  oder  des  Platinschwamms,  durch  Verbindung  von  Kaliumchlorat 
mit  Schwefelsäure  und  durch  Phosphor)  unterscheiden.  Stahl  und  Stein  waren 
schon  im  14.  Jahrhundert  bekannt,  wurden  aber  durch  die  chemischen  Feuer- 
zeuge verdrängt;  das  Tunkfeuerzeug  wurde  dagegen  erst  seit  der  Entdeckung 
des  Kunsthobels  durch  Weilhofer  in  Wien  allgemeiner.  Die  ersten  Phosphor- 
streichhölzer sind  von  Römer  und  Preshel  1832  in  Wien  angefertigt  wor- 
den; ihr  eigentlicher  Erfinder  ist  unbekannt  geblieben. 

Die  mit  der  Anfertigung  dieses  Feuerzeuges  verbundene  Gefahr  für  die 
Arbeiter,  sowie  die  dem  Publicum  zur  freien  Verfügung  gestellte  giftige  Substanz 
haben  stets  eine  Reaction  gegen  diese  an  Bequemlichkeit  alle  andern  Feuerzeuge 
übertreffenden  Streichhölzer  hervorgerufen.  Obgleich  der  amorphe  Phosphor  dem 
gewöhnlichen  Phosphor  starke  Concurrenz  gemacht  hat,  so  ist  doch  der  Ver- 
brauch der  aus  letzterm  angefertigten  Feuerzeuge  nach  wie  vor  ein  sehr  bedeu- 
tender. Man  hat  berechnet,  dass  in  Frankreich  auf  jeden  Einwohner  5  Zünd- 
hölzer kommen  und  täglich  180  Millionen  Stück  verbraucht  werden;  dort  hat 
gegenwärtig  die  „Compagnie  generale  des  allumettes  chimiques"  diese  gesammte 
Industrie  in  die  Hand  genommen. 

Es  ist  bemerkenswert)!,  dass  diese  ganze  Fabrication  schon  10  Jahre  lang  im 
Grossen  betrieben  worden  war,  ehe  man  auf  die  nachtheiligen  Folgen  derselben,  die 
Kiefernekrose,  aufmerksam  wurde.  Vielleicht  ist  man  anfangs  vorsichtiger  gewesen,  bis 
man  später,  durch  die  beständige  Manipulation  mit  Phosphor  kühner  geworden,  die 
nöthigen  Schutzmassregeln  vernachlässigte.  Jedenfalls  ist  die  Krankheit  viel  häufiger 
in  grossen  Fabriken  vorgekommen  als  bei  der  mehr  häuslichen  Fabrication ;  es  ist  mög- 
lich, dass  die  Ursache  dieser  Thatsache  in  der  grössern  Quantität  von  Phosphor,  welche 
dort  zur  Verarbeitung  resp.  Verdunstung  gelangt,  liegt.  Wenn  schon  beim  gewöhn- 
lichen Liegen  des  Phosphors  in  grössern  Stücken  an  der  Luft  sich  Phosphordampf  bil- 
det, so  ist  leicht  einzusehen,  dass  sich  mit  der  Vermehrung  der  Oberfläche  z.  B.  beim 
Verreiben  und  Zertheilen  des  Phosphors,    die  Menge    dieses  Dampfes   vermehren  muss. 

Wie  schon  erwähnt  worden,  enthält  der  Phosphor  dampf  Phosphor  und  sein 
Oxydationsproduct.  Von  der  Gegenwart  der  phosphorigen  resp.  Phospkorsäur  e  und 
des  Phosphors  kann  man  sich  überzeugen,  wenn  man  den  Dampf  durch  eine  Silber- 
nitratlösung aspirirt.    Es  kann  alsdanu  eine  Zersetzung  dieses  Salzes  unter  Aussckei- 


9(5g  Phosphor. 

düng  von  metallischem  Silber  und  Phosphorsilber  stattfinden.  Die  Ausschei- 
dung des  metallischen  Silbers  isl  die  Wirkung  der  phosphorigen  Saun'  auf  das 
Silbersalz,  während  durch  den  vorhandenen  freien  Phosphor  gleichzeitig  Phosphor- 
silber gebildet  wird;  in  der  sauren  Lösung  findet  man  dann  gleichzeitig  Phosphor- 
s;i  irre. 

Leitet  man  den  Phosphordampf  durch  eine  siedende  Lösung  von  Kupfersalzen, 
so  werden  diese  durch  blossen  Phosphor  reducirt;  die  Lösung  wird  alsdann  getrübt 
und  es  scheidet  sich  ein  rother  krystallinischer  Körper,  chemisch  reines  Kupfer,  ans,  da 
die  Kupfersalze  von  den  uiedern  Oxydationsstufen  des  Phosphors  nicht  reducirt  werden, 
wenigstens  nicht  in  der  Weise,  dass  sich  metallisches  Kupfer  ausscheidet;  dagegen  ist  ('\vr 
freie  Phosphor  ein  kraftiges  Reductionsmittel  für  Kupfersalze. 

Eine  andere  Methode  besteht  darin,  dass  man  den  Phosphordampf  zuerst  Kalk- 
milch, Barytwasser  oder  verdünntes  Actzkali  passiren  lässt,  um  die  etwa  vorhandene 
Phosphorsäure  an  diese  Basen  zu  binden.  Wird  der  so  behandelte  Dampf  alsdann 
durch  eine  enge  und  glühend  gehaltene  Glasröhre  getrieben,  so  sieht  man  im  Dunkeln 
ein  eigentümliches  Leueliten  an  der  erhitzten  Stelle  Hier  schlägt  sich  ein  Ring  von 
Phosphorsäure  nieder,  den  man  mit  Wasser  auswäscht  und  mit  molybdänsaurem 
Ammonium  behandelt,  welches  bekanntlich  das  empfindlichste  Reagens  auf  Phosphor- 
säure ist. 

Bei  der  Fabrication  der  Reibhölzer  hat  man  vorzugsweise  diejenigen  Mani- 
pulationen zu  berücksichtigen,  mit  denen  eine  Verdampfung  des  Phosphors  not- 
wendig verbunden  ist.     Die  wichtigsten  Manipulationen  sind  folgende: 

1)  Das  sogenannte  Stecken,  d.  h.  das  Einschichten  der  Hölzchen  in  viereckige 
Rahmen.  Wir  übergehen  hier  die  verschiedenen  Schneide-  und  Hobelmaschinen 
zur  Bearbeitung  des  Holzes  und  bemerken  noch,  dass  auch  das  Stecken  mei- 
stens mittels  Maschinen  bewirkt  wird.  In  sanitärer  Beziehuug  ist  nur  zu  be- 
achten, dass  die  bezüglichen  Manipulationen  in  Räumen  vorgenommen  werden 
müssen,  die  von  denjenigen  ganz  getrennt  sind,  in  welchen  das  Schwefeln  und 
die  Bereitung  der  Zündmasse  stattfindet. 

2)  Das  Schwefeln  oder  das  Eintauchen  der  Hölzchen  in  geschmolzenen 
Schwefel.  Statt  Schwefel  gebraucht  man  auch  Stearin,  Wachs,  Paraffin  u.  s.  w. ; 
dem  Stearin  setzt  man  meistens  Colophonium  zu. 

Das  Schmelzen  des  Schwefels  wird  in  flachen  eisernen  Pfannen  vorgenommen, 
welche  aus  zwei  Abtheilungen  bestehen,  von  denen  die  eine  viel  tiefer  liegt  und  als  eigent- 
liche Schmelzpfanne  dient,  während  die  andere  so  flach  ist,  dass  die  Hölzchen  nur  bis 
auf  eine  bestimmte  Tiefe  eingetunkt  werden  können.  Es  ist  wegen  der  Feuersgefahr 
zweckmässig,  dass  die  Feuerung  ausserhalb  des  Fabrikraums  angebracht  wird;  sonst  ist 
diese  Manipulation  ganz  gefahrlos,  da  der  Schwefel  bei  niederer  Temperatur  geschmol- 
zen wird,  nachtheilige  Dämpfe  sich  daher  nicht  entwickeln  können. 

Bisweilen  geht  dem  Eintauchen  in  Schwefel  ein  "Vorwärmen  der  Hölzer  voraus, 
wobei  sieh  zwar  ein  ungefährlicher,  aber  doch  die  Augen  reizender  Holzrauch  ent- 
wickelt, für  dessen  Abzug  man  deshalb  zu  sorgen  hat. 

Früher  liess  man  auf  das  Schwefeln  das  Zertheilen  des  Phosphors  folgen, 
welches  mittels  Urins  geschah,  den  man  mit  Phosphor  in  einer  Schale  bei  einer  Tem- 
peratur von  18°  R.  verrieb.  Deu  Phosphorbrei  füllte  man  in  doppelte  Leinwandbeutel 
und  hing  dieselben  in  mit  Wasser  gefüllte  Fässer  so  auf,  dass  sie  vom  Wasser  bedeckt 
waren,  um  den  Urin  wieder  austreten  zu  lassen:  die  betreffenden  Wässer  waren  sehr 
beachtenswerth,  da  sie  Phosphor  und  phosphorige  Säure  enthielten. 

3)  Die  Bereitung  der  Ziindmasse.  Die  Züudmasse  besteht  aus  einem  Gemenge 
von  Phosphor,  sauerstoffhaltigen  Substanzen,  Binde-  und  Färbemitteln.  Als  den 
Sauerstoff  leicht  abgebende  Körper  benutzt  man  Braunstein,  nicht  gern  Kalium- 
chlorat,  weil  es  Spritzer  macht,  sondern  hauptsächlich  ein  Gemenge  von  Blei- 
superoxyd und  Bleinitrat,  welches  in  den  Fabriken  gewöhnlich  aus  Minium 
und  Salpetersäure  bereitet  wird. 

Es  sind  hierbei  selbstverständlich  die  notwendigen  Vorsichtsmassregeln  zu  be- 
achten, namentlich  wenn  man  das  Gemenge  nicht  sofort  zu  der  schon  fertigen  Phosphor- 
gummilösung setzt,  weil  es  alsdann  getrocknet  und  fein  gemahlen  werden  muss. 
ehe  es  als  Zusatz  zur  Phosphorlösung  benutzt    werden   kann.     Um  diesen  gefährlichen 


Fabrication  der  Phosphorzündhölzer.  269 

Staub  zu  vermeiden  und  den  Arbeitern  nicht  noch  Gelegenheit  zu  Bleiintoxicationen 
zu  geben,  sollte  man  aus  sanitären  Rücksichten  stets  das  erwähnte  Gemenge  nur  als 
steifen,  gleichmässigen  Brei  benutzen. 

Als  Färbemittel  gebraucht  man  vielfach  Englischroth,  Zinnober,  Kienruss, 
Kokspulver,  Ultramarin  oder  auch  mit  Anilin  gefärbte  Lacke.  Bezüglich  der  letztern 
ist  zu  bemerken,  dass  man  häufig  die  Farben  geringerer  Qualität,  namentlich  die  bei 
der  Anilinfabrication  abfallenden  arsenhaltigen  Farbenrückstände,  benutzt;  es  ist 
dies  kein  gleichgültiger  Umstand  und  sollte  derselbe  polizeilicherseits  mehr  überwacht 
werden.     In  einigen  Fabriken  wird  auch  noch  Schwefeleisen  zugesetzt. 

Unter  den  Bindemitteln  ist  Leim  ganz  zu  verwerfen,  weil  die  Leimmasse  nur 
warm  verarbeitet  werden  kann,  wodurch  die  Verdampfung  des  Phosphors  befördert  wer- 
den muss.  Eine  Circularverlügung  der  Ministerien  für  Handel,  Gewerbe  und  für  Medi- 
cinal-Angelegenheiten  vom  29.  October  1857  verbietet  deshalb  auch  mit  Recht  die  Ver- 
wendung einer  Leimlösung.  Gummi  und  Dextrin  werden  gegenwärtig  allgemein 
benutzt. 

In  sanitärer  Beziehung  ist  der  Act  am  wichtigsten,  wenn  der  Phosphor 
in  die  siedend  heisse  Gummilösung  geworfen  wird,  weil  hierbei  leicht  eine  Ent- 
zündung des  Phosphors  eintreten  kann.  Es  wird  so  lange  umgerührt,  bis  die 
Masse  ganz  gleichförmig  und  hinreichend  kühl  geworden  ist;  erst  dann  werden 
unter  erneutem  Umrühren  die  Bleipräparate  und  Färbemittel  zugesetzt.  In  vielen 
Fabriken  lässt  man  die  Masse  noch  6 — 8  Stunden  stehen,  ehe  man  sie  verarbei- 
tet, wobei  dann  ein  nochmaliges  Umrühren  stattfinden  muss. 

Der  Phosphorgehalt  der  Zündmasse  darf  nur  6—7%  betragen;  Sätze  von 
10,  15  und  17%  sollten  gänzlich  verboten  werden,  da  hierdurch  die  Gefahr  für  die 
Arbeiter  unnothig  gesteigert  wird.  Die  Sorge  für  die  Verminderung  des  Phosphor- 
dampfes ist  ebenso  wichtig  wie  die  Bemühung,  den  vorhandenen  wegzuschaffen. 

Die  sorgfältigsten  Schutzmassregeln  sind  anzuordnen,  wenn  das  Umrühren  der 
Zündmasse  in  offenen  emaillirten  Töpfen  vorgenommen  wird ;  dasselbe  darf  nur  unter 
einem  gut  ziehenden  Rauchfange  geschehen,  welcher  mit  seinem  untern  Ende 
mit  einem,  auf  einem  Herd  angebrachten,  Glaskasten  in  Verbindung  steht.  Die  Vor- 
derseite des  letztern  reicht  so  weit  herab,  dass  der  Arbeiter  bequem  seine  Hände  ge- 
brauchen kann,  um  die  Masse  in  dem  Gefässe  umzurühren,  eine  Einrichtung,  die  jedoch 
nur  in  kleinen  Fabriken  ausreichen  würde. 

Bei  weitem  vorzuziehen  ist  das  Mischen  in  einem  geschlossenen  Rühr- 
apparate, der  aus  einem  über  der  Feuerung  eingemauerten  Kessel  besteht,  in  welchem 
ein  zweiter  mit  einem  gut  schliessenden  Deckel  versehener  emaillirter  Kessel  sitzt. 
Eine  hölzerne  Rührschaufel  steht  mit  einer  Kurbel  in  Verbindung.  Durch  eine  beson- 
dere, später  mittels  eines  Keils  zu  verschliessende  Oeffnung  wird  der  Phosphor  einge- 
tragen, während  sich  an  der  Seite  ein  Rohransatz  befindet,  der  mittels  eines  Kautschuk- 
rohrs die  sich  entwickelnden  Dämpfe  in  den  Schornstein  leitet,  so  dass  während  des 
Kochens  der  Masse  im  Wasserbade  und  des  Umrührens  gar  kein  Phosphor danipf  in 
den  Fabrikraum  austritt.  Die  erkaltete  Masse  wird  nach  Entfernung  des  Deckels  mit 
dem  Rührwerk  ausgegossen,  nachdem  derselben  die  Bleipräparate  u.  s.  w.  zugesetzt. 
worden  sind. 

Bei  Nichtbeachtung  der  nothwendigen  Vorsichtsmassregeln  muss  sich  grade  bei 
diesem  Acte  am  meisten  Phosphordampf  entwickeln;  er  ist  dann  leicht  mittels  der  As- 
piration nach  der  oben  angegebenen  Methode  nachzuweisen.9) 

4)  Das  Tunken  der  geschwefelten  Hölzer  in  die  Zündniasse.  Man  pflegt  die 
Zündmasse  auf  einer  Marmorplatte  oder  in  einer  eisernen  Pfanne  mittels  eines 
hölzernen  Lineals  möglichst  in  gleicher  Dicke  aufzustreichen  und  die  Rahmen  mit 
den  Enden  der  Hölzer  auf  dieselbe  zu  drücken;  letztere  gelangen  alsdann  sofort 
in  die  Trockenkammer.  Die  gewöhnlichen  Hölzer  werden  nur  einmal  getunkt, 
die  sogen.  Salonhölzer  zweimal,  nachdem  der  Kopf  nach  dem  ersten  Tunken  nur 
so  schwach  getrocknet  worden  ist,  dass  er  keine  trockne  Kruste  bildet. 

Man  kann  beim  Tunken  eine  ähnliche  Vorrichtung  wie  bei  der  Bereitung  der 
Zündmasse  treffen  oder  vielmehr  die  Arbeit  in  einem  mit  dem  Schornstein  durch 
einen  Canal  in  directer Verbindung  stehenden  Gewölbe  voTuehmen  (s.  d.  Anm.  S.  271). 

Da  der  Phosphordampf  wegen  seiner  specifischen  Schwere  mehr  zu  Boden 


270  Phosphor. 

fällt,  so  ist  stets  die  Absauguug  der  Luft  mittels  eines  Aspirators  oder  me- 
chanischen  Exhaustors  vorzuziehen,  dessen  Ausgangsstelle  nah  den  Arbeitsplätzen 
angebracht  ist.  Welche  specielle  Anordnung  zu  treffen  ist,  muss  sich  nach  den 
Idealen  Verhältnissen  und  dem  Umfange  des  Betriebes  richten;  Vorsichtsmassregeln 
dieser  Art  sind  aber  bei  diesem  Acte  unentbehrlich  und  um  so  notwendiger, 
als  die  sogen.  Tunkmaschinen    noch  wenig  Eingang  gefunden  haben. 

Die  von  Jettel  beschriebene  Tunkmaschine  besteht  aus  zwei  sechseckigen  Trom- 
meln, über  welche  eine  endlose  Gliederkette  geht,  deren  obere  Glieder  über  einen 
Trog  geführt  werden,  in  welchem  sich  zwei  Walzen  bewegen,  von  denen  die  grössere 
cannelirte  die  eigentliche  Tunkwalze  vorstellt,  die  von  der  kleinem  Walze  mit  Phosphor- 
brei  versehen  wird.  Wird  der  Rahmen  auf  die  Kette  gelegt,  so  werden  die  Hölzchen 
durch  den  Druck  von  zwei  Rollen  bis  zu  einer  bestimmten  Tiefe  in  den  auf  der  Walze 
haftenden  Phosphorbrei  getaucht.  In  sanitärer  Beziehung  i.-t  dabei  wichtig,  dass 
sich  über  dem  Troge  ein  Gla.-kar.ten  befindet,  welcher  zwei  schmale  Oeffuungen  für  den 
Ein-  und  Austritt  der  Kette  enthält  und  dessen  obere  Oeffnung  mit  einer  gut  ziehenden 
Esse  in  Verbindung   steht. ' ') 

5)  Das  Trocknen  der  Zündhölzer.  Man  trocknet  die  Hölzer  in  kastenähn- 
licheu  Kammern  oder  in  grossen  Trockenstuben  und  zwar  mittels  Luftheizung; 
am  besten  sind  massiv  gebaute,  nicht  zu  grosse  Kammern.  Die  Heizkammer  liegt 
im  Keller,  von  der  aus  die  heisse  Luft  mittels  Canäle  oder  Röhren  in  die  Trocken- 
kammern geleitet  wird;  ihre  Temperatur  beträgt  26 — 32"  G  Jeder  Kammer  muss 
aber  der  Heizeana]  direct  von  der  Heizkammer  aus  zugeführt  werden;  selbst- 
verständlich dienen  Schieber  oder  Klappen  zur  Reguli rung  der  Temperatur  sowie 
zum  Abströmen  der  Kammerluft.  Die  durch  das  Trocknen  entstehenden  schäd- 
lichen Ausdünstungen  betreffen  ebenso  sehr  die  Adjacenten  wie  die  Arbeiter  und 
verdienen  daher  eine  Hauptberücksichtigimg. 

Die  Trockenkammer  kann  zwischen  dem  Tunk-  und  Packlocal  liegen,  muss 
aber  alsdann  an  den  Stirnseiten  zwei  hermetisch  zu  verschliessende  Thüren  haben. 
Vom  Gewölbe  aus  führen  die  Abzugsröhren  iu  ein  Hauptrohr,  welches  ausser- 
halb der  Kammer  liegt  und  direct  in  den  Schornstein  führt,  der  für  die  Heizung 
des  Trockenofens  dient. 

Auf  diese  Weise  wird  der  Phosphordampf  durch  die  heissen  Verbrennungs- 
gase des  Trockenofens  hinreichend  verdünnt,  theil weise  oxydirt  und  jedenfalls 
für  die  Adjacenten  unschädlich  gemacht,  was  nicht  der  Fall  ist,  wenn  man  die 
Trockenkammerluft  durch  einfache  Schlote  direct  in  die  Atmosphäre  abführt. 

Zweckmässig  ist  es,  in  jeder  Eammerthür  erstlich  ein  Fenster  anzubringen,  um 
mittels  eines  Thermometers  die  Temperatur  im  fnnern  der  Kammern  zu  beobachten, 
und  zweitens  über  dem  Boden  einen  Ausschnitt  mit  Blechschieber  (etwa  12  Zoll 
im  Quadrat)  herzustellen.  Letztere  Einrichtung  ist  schon  bei  den  Schwefelkammern 
(s.  S.  HO)  erwähnt  worden  und  wird  benutzt,  um  nach  bendiegter  Trocknung  die  Luft 
in  den  Kammern  abzukühlen  und  alle  Dämpfe  kräftiger  in  die  Esse  zu  treiben,  nach- 
dem das  Ruhr  für  die  warme  Luft  abgesperrt  worden  ist.  Sollte  in  irgend  einer  Weise 
Brand  entstehen,  so  sind  alle  Röhren  und  Schieber  zu  schliessen,  um  den  Brand  zu  er- 
sticken, weil  schon  die  beim  Verbrennen  von  Schwefel  entstehende  schweflige  Säure 
den  in  der  Kammer  vorhandenen  Sauerstoff  bald  absorbiren  wird. 

6)  Das  Ausnehmen  der  Hölzer.  Sobald  die  Rahmen  aus  dem  Trockenraum 
kommen,  werden  die  Hölzer  auf  das  sog.  Mensurblech  gebracht,  welches  aus  ein- 
zelnen Abtheilungen  besteht,  die  grade  so  viele  Hölzchen  fassen,  wie  ein  gewöhn- 
liches Holzdösehen  u.  s.  w.  aufnehmen  kann.11) 

Gegenwärtig  wird  das  Ausleeren  der  Rahmen  mittels  sinnreich  construirter 
Maschinen  ausgeführt  und   dadurch  sehr  viel  an  Zeit  gespart. 

Die  Verpackung  geschieht  in  Papier,  Patronen,  geleimten  Kapseln  oder  in  Holz 
und  Span.  Die  Döschen  "der  Schachteln  werden  entweder  sofort  in  Colli  verpackt 
oder,   wenn  sie  aufgespeichert    werden  sollen,   in   Kisten    untergebracht,    um  sie  vor  der 


Fabrication  der  Phosphorzündhölzer.  271 

atmosphärischen  Luft  zu  schützen;  solche  Vorräthe  dürfen  nur  auf  Speichern  oder  in 
luftigen  Räumen  lagern.  Auch  in  Verkaufsläden  müssen  trockne,  geschlossene  und  von 
den  übrigen  Waaren  separirte  Behälter  benutzt  werden. 

Die  schon  erwähnte  Ministerial -Verordnung  schreibt  für  die  eigentlichen 
Arbeitsränme  eine  Höhe  von  15  Fnss  vor;  sie  müssen  anch  gewölbt  sein  und 
dürfen  mit  andern  Geschäftsräumen  nicht  in  Verbindung  stehen.  In  einem 
grossen  Räume  soll  das  Einsetzen  der  Hölzer  geschehen,  in  dem  kl  einem 
gewölbten  soll  der  hintere  Theil  zum  Trockenraum  eingerichtet  und  der 
vordere  zum  Schmelzen  des  Schwefels  und  zum  Eintauchen  in  die  Zündmasse 
benutzt  werden,  falls  zur  Zeit,  wenn  diese  Operationen  ausgeführt  werden,  zum 
Trocknen  nichts  ausliegt;  sonst  soll  für  das  Eintauchen  in  Schwefel  und  in  die 
Züudmasse  ein  besonderer  Raum  angelegt  werden.*)  Der  Schornstein  soll  30  Fuss 
hoch  sein  resp.  die  benachbarten  Gebäude  um  5  Fuss  überragen.**) 

Die  Arbeiter  müssen  einen  besondern  Anzug  für  die  Fabrik  haben  und 
dürfen  in  den  Arbeitsräumen  weder  essen  noch  triuken;  auch  ein  sorgfältiges 
Reinigen  der  Hände  und  häufiges  Ausspülen  des  Mundes  sind  sehr  zu  empfehlen. 

Ebenso  ist  das  Reinigen  der  Räume  von  allen  Abfällen  nicht  zu  versäumen, 
wie  überhaupt  Reinlichkeit  in  jeder  Beziehung  nicht  genug  anzurathen  ist.  Der 
Inhaber  der  Fabrik  wird  verpflichtet,  ein  Buch  über  den  Wechsel  und  den  Ver- 
bleib der  Arbeiter  zu  führen,  auch  ihren  Gesundheitszustand  durch  einen  Arzt 
überwachen  zu  lassen. 12) 

Der  Arzt  hat  vorzugsweise  auf  cariöse  Zähne,  auf  blossgelegte  Zahnhälse, 
auf  Geschwüre  am  Zahnfleische,  auf  Zahnwurzeln,  besonders  auf  Zahnfleischfisteln 
zu  achten  und  die  Wiederaufnahme  der  Arbeit  nicht  eher  zu  gestatten,  als  bis 
die  verschiedenen  Krankheiten  der  Mundhöhle  geheilt,  die  Zahnwurzeln  entfernt 
oder  cariöse  Zähne  plombirt  worden  sind. 

Wichtig  ist  auch  ein  Wechsel  der  Arbeit,  damit  nicht  ein  und  derselbe 
Arbeiter  sich  bloss  mit  der  Präparation  der  Zündmasse  oder  mit  dem  Eintauchen 
der  Hölzer  in  dieselbe  beschäftige  und  auf  diese  Weise  gerade  den  gefährlichsten 
Einflüssen  beständig  ausgesetzt  bleibe. 

Man  hat  das  Terpentinöl  als  Antidot  des  Phosphor  auch  in  den  Reib- 
hölzerfabriken eingeführt  und  auf  den  Rath  von  Letheby  die  Arbeiter  mit 
Terpentinöl  gefüllte  Blechkapseln  auf  der  Brust  tragen  lassen,  damit  das 
ozonisirte  Terpentinöl  dem  Phosphor  den  Sauerstoff  zur  Oxydation  liefert.13)  Man 
hat  hierbei  nur  zu  berücksichtigen,  dass  auch  die  Verdampfung  des  Terpentin- 
öls auf  manche  Menschen  nachtheilig  einwirkt  (s.  Terpentinöl).  In  solchem 
Falle  dürfte  die  Wirkung  der  Kupfersalze  dem  Phosphor  gegenüber  wohl  zu 
berücksichtigen  sein;  auf  eine  Auflösung  von  Phosphor  in  fetten  Oelen  wirkt 
eine  wässrige  Lösung  von  Kupfervitriol  sofort  ein,  indem  sich  Phosphor - 
kupfer  neben  metallischem  Kupfer  niederschlägt.  Da  ferner  die  Kohle 
ein  mächtiges  Absorbens  für  Phosphordampf  ist,  so  würde  sich  eine  mit  Kohle 
gemengte  wässrige  Lösung  von  Kupfervitriol  ganz  vorzüglich  als  Antidot 
eignen,    wenn  man  in  dieselbe  kleine   Schwämme    oder  Bäuschchen    von  Watte 


*)  Besondere  Trockenräume  dürften  unter  allen  Umständen  zu  erfordern  sein. 
**)  Jedenfalls  müssen  in  den  Schornstein  die  Heizungen  des  Schwefel-,  Stearin- 
schmelz- und  Holzröstofens  münden,  um  einen  kräftigen  Zug  zu  etabliren.  Die  Feuerungs- 
gase müssen  durch  ein  besonderes  Rohr  im  Schornstein  abgeleitet  werden,  um  Oeffnungen 
in  demselben  zum  Absaugen  der  Gase  aus  den  Fabrikräumen  anbringen  zu  können.  Bei 
einem  grossen  Betriebe  empfiehlt  sich  die  Seite  198  beschriebene  Saugkammer. 


272  Phosphor. 

tauchte,  schwach  ausdrückte  und  vor  einer,  bloss  den  Mund  und  die  Nase  be- 
deckenden Maske  von  Kupferdraht  in  geeigneter  Weise  applicirte.14) 

Die  Annahme,  dass  beim  Verdampfen  des  Phosphors,  wenn  derselbe 
arsenhaltig  ist,  auch  ein  Verflüchtigen  dieses  Körpers  stattfinde,  ist  nicht  be- 
gründet.1') Dagegen  ist  die  Entwicklung  von  Seh wefelwasserstoff  bei  einem 
Gehalt  des  Phosphors  an  Schwefel  oder  nach  einem  Zusätze  von  schwefelhaltigen 
Substanzen  zum  Phosphorbrei  nicht  zu  bestreiten,  obgleich  in  den  meisten  Fällen 
die  Menge  dieses  Gases  unerheblich  sein  wird. 

um  allen  Gefahren  gründlich  vorzubeugen,  ist  der  Vorschlag  von  Jettel 
sehr  zu  beachten,  welcher  es  für  ausreichend  hält,  wenn  bei  Ertheiluug  der  Con- 
cession  ein  Maximalquantum  des  Phosphorgebrauchs  pro  Woche  nach 
Massgabe  der  Anzahl  und  Leistungsfähigkeit  der  Einlegemaschinen  und  der 
Capacität  der  Trockeustuben  festgesetzt  und  dabei  jeder  Fabricant  verpflichtet 
würde,  die  an  Phosphorkrankheiten  leidenden  Arbeiter  auf  seine  Kosten 
curiren  zu  lassen  und  während  ihrer  Arbeitsunfähigkeit  auch  zu  erhalten. 

Sicherheitszüiuiniasse.  Unter  Sicherheits-  oder  schwedischen  Zünd- 
hölzern versteht  man  bekanntlich  solche,  zu  deren  Fabrication  der  amorphe 
Phosphor  benutzt  wird.  Obgleich  hierdurch  der  gewöhnliche  giftige  Phosphor 
verdrängt  werden  kann,  so  verdienen  diese  Zündhölzer  doch  nicht  den  Namen 
„giftfrei",  weil  die  Zündmasse  immerhin  das  gefährliche  Kaliumbichromat 
oder  Mennige  neben  Schwefelantimon,  Schwefelkies,  Goldschwefel  u.  s.  w. 
enthält.*) 

Der  Hauptbestandteil  bleibt  chlorsaures  Kalium,  dessen  Menge  40  bis 
90°  0  beträgt;  die  Menge  der  andern  Sauerstoff  abgebenden  Salze  (Kalium- 
bichromat, Mennige,  Braunstein)  variirt  ebenfalls  sehr,  entspricht  aber  meistens 
der  des  Kaliumchlorats.  Ein  dritter  wesentlicher  Bestandtheil  ist  der  Schwefel, 
welcher  meistens  durch  ein  Schwefelmetall  vertreten  wird.  Andere  die  Explosion 
verlangsamende  Zusätze  sind  Glaspulver,  Sand,  Umbra  u.  s.  w.;  das  Verdickungs- 
mittel ist  Gummi  oder  Dextrin. 

Die  Reibfläche  der  Schachteln  besteht  meist  aus  amorphem  Phosphor, 
Grauspiessglanz,  Schwefelkies,  Braunstein  und  Glas.16) 

Die  Materialion  müssen  mit  Ausnahme  von  amorphem  Phosphor  in  feingepulver- 
tem und  geschlemmtem  Zustande  benutzt  werden:  gewöhnlich  gebraucht  man  zum  Zer- 
kleinern Kollfässer.  Selbstverständlich  muss  Kaliumchlorat  (s.  dieses  S.  133)  für 
sich  allein  dieser  Behandlung  unterworfen  werden,  weil  sonst  heftige  Explosionen  un- 
vermeidlich sein  würden.  Der  an  der  Seite  des  Fasses  angebrachte  Deckel  muss  für 
den  Fall  einer  Explosion  jedenfalls  zur  Hälfte  aus  einem  mit  starkem  Papier  über- 
zogenen Rahmen  bestehen,  um  alsdann  den  Austritt  der  Gase  zu  ermöglichen:  das  be- 
treffende Fass  wird  mit  der  entsprechenden  Menge  Broncekugeln  gefüllt.  Schwefel- 
kies, Braunstein  und  Grauspiessglanz  werden  in  eiserueu  Mörsern  gestampft, 
gesiebt  und  mittels  übereinanderstehender  Bottiche  geschlemmt.  Kaliumbichromat, 
Schwefel  und  Umbra  lassen  sich  in  hölzernen  Trommeln  pulverisiren. 

Die  Bestimmungen  über  die  Einrichtung  und  den  Betrieb  der  Phosphor- 
zündhölzcheu- Fabriken  finden  nach  einer  Verfügung  der  Ministerien  für  Handel 
und  der  u.  s.  w.  Medicinal -Angelegenheiten  vom  19.  Januar  1872  keine  Anwen- 
dung auf  diejenigen  Fabriken,  in  welchen  ausschliesslich  rother  Phosphor 
zur  Darstellung  der  sogen,  schwedischen  Zündhölzchen  verarbeitet  wird. 

*  Die  Composition  ist  sehr  verschieden  und  wird  von  den  Fabricanten  geheim 
gehalten;  die  grossartige  Fabrik  zu  JönkÖping  gestattet  z.  B.  Niemanden  den  Zutritt. 
Häufig  besteht  die  Zündmasse  aus  400  Th.  Kaliumchlorat.  400  Th.  Mennige,  300  Th. 
Schwefelantimon,   150  Th.  Kaliumbichromat  und  67  Th.  Gummi  arabicum. 


Phosphorwasserstoff.  273 

Da  Einrichtung  und  Betrieb  dieser  Fabriken  unter  den  §  16  der  Gewerbe- 
Ordnung  vom  21.  Juni  1869  fallen  und  demnach  das  Concessionsverfahren  Ge- 
legenheit bietet,  die  in  feuerpolizeilicher  Hinsicht  erforderlichen  Einrichtungen 
durch  die  Concessions-Bedingungen  zu  sichern,  so  ist  im  Allgemeinen  nur  zu  be- 
merken, dass  zur  Aufbewahrung  der  zur  Verwendung  gelangenden  Materialien: 
amorpher  Phosphor,  Kaliumchlorat,  Schwefelantimon  u.  s.  w.,  nur  feuersichere, 
von  den  Arbeitslocalen  gesonderte  Räume  benutzt  werden  dürfen.  Das  Kalium- 
chlorat ist  von  den  übrigen  Materialien  separirt  aufzubewahren  und  die  Anferti- 
gung der  Zündmassen  in  einem  besondern  Locale  vorzunehmen.17) 

Die  schwedischen  Streichzündhölzchen  werden  vorzugsweise  aus  der  Silberpappel 
angefertigt;  ihre  erste  Behandlung  besteht  gewöhnlich  in  Paraffinirung ;  zu  diesem 
Zwecke  werden  ihre  Enden  in  eine  Auflösung  von  Paraffin  in  flüchtigen!  Photogenöl 
oder  in  an  und  für  sich  schon  genügend  paraffinhaltiges  Photogen  eingetaucht;  dann 
folgt  Trocknung  und  Eintauchen  in  die  Zündmasse. 

In  Deutschland  ist  ein  Gemenge  von  unterschwefligsaurem  Blei,  chlor- 
saurem  Kalium,  Grauspiessglanz  und  Kaliumbichromat  als  Zündmasse  ge- 
bräuchlich; pikrinsaures  Kalium  wird  selten  zugesetzt. 

Bei  der  Präparation  wird  Gummi  mit  dem  Bleisalz  stundenlang  gekocht  und  dann 
das  mit  Wasser  angerührte  Kaliumchlorat  zugesetzt;  es  muss  bis  zum  Erkalten  um- 
gerührt werden,  um  eine  gleichmässige  Mischung  zu  erhalten. 

Zum  Lackiren  der  Zündhölzer  gebraucht  man  eine  Lösung  von  Schellack  und 
Colophonium  in  Spiritus,  welcher  man  die  betreffenden  Farben  zusetzt,  um  bunte  Köpfe 
zu  erhalten. 

Das  Metallisiren  der  Zündhölzer  wird  durch  Einwirkung  von  Schwe- 
felwasserstoff erzeugt,  welches  man  in  den  Trockenkammern  in  Steingut- 
schalen mittels  Schwefeleisen  und  Schwefelsäure  entwickelt. 

Zu  diesem  Zwecke  müssen  die  schon  getrockneten  Hölzer  in  eine  schwache 
Gummilösung  getaucht  und  mit  den  Köpfen  nach  aufwärts  placirt  werden;  das  ganze 
Verfahren  ist  eigentlich  zwecklos,  da  die  Hölzer  hierdurch  nicht  vor  Feuchtigkeit  ge- 
schützt werden. 

Die  Gasentwicklung  dauert  bei  vollständig  verschlossenen  Kammern  nur  circa 
5  Minuten  und  hat  man  alsdann  mit  Benutzung  des  Blechschiebers  in  der  Thür  für  eine 
reichliche  Durchströmung  der  frischen  Luft  Sorge  zu  tragen. 

Phosphorfreie  Zündhölzer.  Die  Fabrication  derselben  hat  noch  nicht  das 
erwünschte  Ziel  erreicht  und  bietet  insofern  grosse  Schwierigkeit  dar,  als  die 
dazu  erforderlichen  chemischen  Präparate  höchst  fein  pulverisirt  werden  müssen. 
Das  hierzu  in  Frankreich  benutzte  pikrinsaure  Kalium  hat  schon  zu  furcht- 
baren Explosionen  Anlass  gegeben  und  dadurch  vor  weiterer  Verwendung  ab- 
geschreckt.18) 

Phosphor  und  Wasserstoff. 

Phosphorwasserstoff.  Man  unterscheidet  1)  den  dem  Ammoniak  entsprechenden 
gasförmigen  Phosphorwasserstoff  PH3.  Derselbe  kommt  in  der  Natur  nicht 
fertig  gebildet  vor,  bildet  sich  aber  beim  Kochen  von  gewöhnlichem  Phosphor  mit  con- 
centrirter  Aetzkalilösung.  Gleichzeitig  entsteht  unterphosphurigsaures  und  phosphor- 
saures Kalium  neben  freiem  Wasserstoff: 

2P  -+-  4KHO  +  2H20  =  KH3P02  +  K3P04  +  PH3  +  3H 

In  reichlicher  Menge  erhält  man  das  Gas  durch  Zersetzung  von  Phosphorcalcium 
mittels  Wassers  oder  Salzsäure: 

Ca3  P2  +  6  HCl  =  3  CaCl2  +  2  PH3. 

Das  Gas  ist  farblos,  riecht  nach  Knoblauch  oder  faulen  Fischen,  ist  in  Wasser 
unlöslich,  in  Alkohol  und  Aether  leicht  löslich  und  wegen  eines  geringen  Gehaltes  an 
flüssigem  Phosphorwasserstoff  selbstentzündlich;  Chlor  zersetzt  es  zu  Chlorphosphor  und 
Salzsäure : 

PH3-1-6C1  =  PC13  +  3HC1. 

2)  Flüssiger  Phosphorwasserstoff  P2H4  entsteht,  wenn  man  selbstentzünd- 
lichen Phosphorwasserstoff  durch  eine  U förmig  gekrümmte  und  in  einer  Kältemischung 
stehende  Röhre  leitet.19) 

Eulenberg,  Gewerbe -Hygiene.  18 


274  Phosphor  und  Wasserstoff. 

3)  Fester  Phosphorwasserstoff  PJEL  entsteht  als  gelbes  flockiges  Pulver, 
wenn  man  Phosphorcalcium  durch  warme  concentrirte  Salzsäure  zersetzt. 

Einwirkung  des  nicht  selbstentzündlichen  Phosphorwasserstoffs  anf  den  thie- 
rischen  Organismus.  1)  Das  Gas  wurde  in  der  Weise  dargestellt,  dass  95proc.  fuselfreier 
Alkohol  mit  Kali  causticum  gesättigt  und  die  concentrirte  Losung  mit  Phosphor  in 
einem  Kölbchen  bis  zum  Sieden  erhitzt  wurde.  Das  sich  entwickelnde  Gas  passirte 
einen  gut  abgekühlten  Kolben  und  wurde,  mittels  einer  Röhre  in  eine  graduirte  Glocke 
geleitet.  5  C.-Z.  reines  Gas  wurden  mit  297  C-Z.  atmosphärischer  Luft  zusammengebracht; 
diese  Mischung  entsprach  1,683%.  Als  das  Gas  auf  eine  Taube,  welche  im  Zinkkasten 
sass,  einwirkte,  entstanden  alsbald  grosse  Unruhe,  nach  3  M.  beschwertes  und  sehr 
beschleunigtes  Athmen,  50  Inspirationen  binnen  %  M.,  nach  7  M.  Bauchlage,  Zittern 
des  Körpers  und  weites  Oeffnen  des  Schnabels,  nach  8  M.  Erbrechen,  nach  9  M.  ver- 
langsamte Athmung,  17  Inspir.  binnen  l/2  M.,  nach  12  M.  convulsivisches  Aufschlagen 
mit  den  Flügeln,  nach  13  M.  allgemeine  Convulsionen  und  der  Tod. 

Section  12  Stunden  hernach.  Die  Hirnhäute  massig  injicirt;  ein  schmaler 
flüssiger  Blutstreifen  zog  sich  der  Länge  nach  über  die  Mitte  des  grossen  Gehirns;  rund 
um  die  Med.  oblong,  war  dickflüssiges  dunkles  Blut  mit  einem  Stich  in's  Violette  ab- 
gelagert. Unter  der  Schleimhaut  der  obern  Hälfte  des  Kropfes  lag  ein  Blutextravasat; 
Schleimhaut  der  Trachea  blass,  mit  einzelnen  Schleimfäden  bedeckt:  Lungen  äusserlich 
und  im  Innern  von  einer  schmutzig -braunrothen  Farbe,  auf  den  Durchschnittsflächen 
geronnene  Bluttröpfchen;  das  ganze  Herz  ist  mit  geronnenem  Blute  angefüllt. 
Leber  dunkelbraunroth  und  reich  an  dickflüssigem,  dunkelrothem  Blute,  das  sich  an 
der  Luft  röthete  und  schwach  sauer  reagirte. 

2)  Bei  einem  zweiten  Versuche  mit  einer  Taube  entzündete  sich  das  Gas  wegen 
des  beigemengten  flüssigen  Phosphorwasserstoffs.  Es  traten  keine  auffallenden  Symptome 
auf:  nur  verhielt  sich  die  Taube  ruhig,  frass  wenig  und  hatte  eine  beschleunigtere 
Respiration;  nach  4  Tagen  wurde  sie  todt  gefunden. 

Section  12  Stunden  hernach.  Die  Hirnhäute,  ganz  besonders  am  Kleinhirn, 
sehr  hyperämisch,  dickflüssiges  Blut  umgibt  die  Med.  oblong.:  die  Plex.  venös,  spin. 
massig  angefüllt:  die  Schleimhaut  der  Luftröhre  und  Bronchien  schwach  injicirt;  auf 
ersterer  zeigte  sich  stellenweise  ein  dünnes  plastisches  Exsudat.  Lungen  von 
ziemlich  hellrother  Farbe,  wenig  blutreich:  auf  den  Durchschnittsflächen  wenig  geronne- 
nes Blut;  Herz  und  grössere  Venen  mit  geronnenem  Blute  angefüllt.  In  der  Leber 
dickflüssiges,  geronnenes,  schwach  sauer  reagirendes  Blut.20) 

Phosphorwasserstoff  zerlegt  sich  alsbald  in  phosphorige  Säure  und 
Wasser;  100  Gewichtstheile  des  Gases  erfordern  dazu  von  reinem  Sauerstoff 
140,26  und  von  atmosphärischer  Luft  609,83  Gewichtstheile;  der  blosse 
Phosphor  erfordert  dazu  nur  76,5  G.-Th.  Sauerstoff  oder  332,6  G.-Th.  atmosphä- 
rische Luft.  Der  Phosphorwasserstoff  bedarf  somit  zu  seiner  Oxydation  weit  mehr 
Sauerstoff  als  der  Phosphor  und  zieht  denselben  überall,  wo  er  mit  ihm  in  Be- 
rührung kommt,  begierig  an.  Die  beschleunigte  und  erschwerte  Respiration, 
welche  sofort  nach  der  Inhalation  des  Gases  bei  den  Versuchsthieren  entsteht, 
dürfte  daher  vorzugsweise  auf  die  Sauerstoffentziehung  zurückzu- 
führen sein. 

Auch  bei  Menschen  hat  man  Dyspnoe  mit  einem  peinlichen  Angst-  und 
Druckgefühl  in  der  Brust  beobachtet;  es  ist  sogar  der  asphyk tische  Tod 
bei  Einwirkung  grosser  Mengen  dieses  Gases  nicht  ausgeschlossen.  Dass  das 
Gas  auch  eine  reizende  Einwirkung  auf  die  Schleimbaut  ausübt,  geht  aus  der 
reichlichen  Speichelabsonderung  hervor,  welche  sich  namentlich  bei  Katzen  zeigt. 
Das  croupöse  Exsudat  auf  der  Luftröhrenschleimhaut  der  Taube  (2.  Versuch) 
könnte  auf  eine  directe  Einwirkung  der  phosphorigen  Säure  bezogen  werden, 
weil  sich  ein  Theil  des  Gases  schon  während  des  Versuchs  entzündete. 

Der  Phosphorwasserstoff,  welcher  als  solcher  in  das  Blut  gelangt,  wird  sich 
hier  rasch  zu  phosphoriger  Säure  oxydiren,  die  alsdann  einestheils  wie  jede 
andere  Säure  wirkt,  anderutbeils  aber  den  Eiufluss  des  Radicals  nicht  ver- 
kennen lässt;  wirkt  nämlich  Phosphorwasserstoff  längere  Zeit  in  kleinern  Mengen 
ein,    so  hat  mau   eigenthümliche  Affectionen    der  Nerveucentren,    namentlich 


Phosphor  und  Halogene.  275 

des  Spinalnervensystems,  beobachtet,  welche  nur  auf  die  specifische  Einwir- 
kung des  Phosphors  bezogen  werden  können.21) 

In  der  Industrie  tritt  Phosphorwasserstoff  vorzugsweise  bei  der  Dar-^ 
Stellung  der  unterphosphorigsauren  Salze  auf  und  ist  deshalb  hier  die 
grösste  Vorsicht  nothwendig. 

Phosphor  und  Halogene. 

1)  Phosphortrichlorid  PC13  wird  durch  Ueberleiten  eines  Stromes  von  trockenem 
Chlorgas  über  etwas  erwärmten  überschüssigen  Phosphor  dargestellt  und  zwar  als  eine 
farblose,  an  der  Luft  rauchende  Flüssigkeit;  Wasser  zerlegt  sie  in  Salzsäure  und 
phosphorige  Säure: 

PCI3  +  3  H20  =  3  HCl  -4-  PH3O3. 

Dieser  Körper  findet  in  Laboratorien  Verwendung. 

Einwirkung  von  Phosphortrichlorid  auf  den  thierischen  Organismus.  Eine  Taube 
sitzt  in  der  Glocke ;  sogleich  nach  dem  ersten  Kolbenstosse  der  Compressionspumpe,  mit 
welcher  die  Dämpfe  eingetrieben  werden,  entstehen  grosse  Unruhe  und  starkes  Putzen  der 
Augen,  nach  2  M.  Niederlegen,  nach  3  M.  7  tiefe  Inspir.  und  nach  5  M.  Dyspnoe 
mit  Oeffnen  des  Schnabels,  Blinzeln  und  Ausfluss  von  Feuchtigkeit  aus  den  Nasen- 
öffnungen. Nach  8  M.  nochmals  ein  schwacher  Kolbenstoss,  hierauf  Würgen,  Diarrhoe, 
Keiben  der  Augen,  momentane  Unruhe  und  vermehrter  Nasenausfluss,  nach  14  M.  8  ange- 
strengte und  beschwerliche  Inspir.  binnen  %~M..  Nach  15  M.  Herausnahme  der  Taube;  sie 
hat  starkes  Herzklopfen ,  geht  und  steht  aber  ohne  Schwanken ;  nach  5  M.  7  weniger 
angestrengte  Inspirationen  bei  heiserer  Stimme;  nach  10  M.  läuft  sie  plötzlich  umher 
und  verfällt  in  leichte  Convulsionen,  auf  welche  nach  5  M.  der  Tod  folgt. 

Section  24  Stunden  hernach.  Von  den  Hirnhäuten  nur  die  Pia  mater 
stark  injicirt,  die  Plex.  venös,  spin.  mit  schwarzem  geronnenem  Blute  angefüllt,  der 
Schnabel  enthält  eine  wässrige  Flüssigkeit,  das  Zellgewebe  in  der  Umgebung  der  Trachea 
ist  blutig  infiltrirt,  Tracheaischleimhaut  schwach  injicirt  und  mit  wenig  schleimiger 
Flüssigkeit  bedeckt;  an  der  Bifurcation  stärkere  Injection.  Beide  Lungen  von 
schwärzlich-braunrother  Farbe,  auf  den  Schnittflächen  dunkles  flüssiges  Blut;  Parenchym 
schmutzigroth  und  links  etwas  fester  als  rechts.  Beide  Vorhöfe  des  Herzens  strotzen 
von  schwarzem  geronnenem  Blute,  linker  Ventrikel  fast  leer  von  Blut;  wenig  flüssiges 
Blut  von  dunkelkirschrother  Farbe  hatte  sich  in  der  Brusthöhle  angesammelt.  Leber 
von  normaler  Farbe,  enthält  flüssiges  und  geronnenes  Blut;  das  geronnene  Blut  herrschte 
im  Allgemeinen  vor;  Nieren  blassbraun.  Phosphorige  Säure  konnte  in  Lunge  und 
Leber  durch  die  Analyse  nachgewiesen  werden. 

Da  Phosphortrichlorid  im  Organismus  bei  Gegenwart  von  Wasser  sofort 
in  Salzsäure  und  phosphorige  Säure  zerfällt,  so  wirken  beide  Substanzen 
gemeinschaftlich  ein.  Es  ist  kaum  zweifelhaft,  dass  die  tödtliche  Wirkung  bei 
dem  Versuche  vorzugsweise  der  phosphorigen  Säure  zuzuschreiben  ist;  die 
angestrengte  und  beschwerliche  Respiration  deutet  mit  Bestimmtheit  auf  diese 
hin,  während  die  Symptome  der  Reizung  (das  Blinzeln  mit  den  Augen,  der 
Nasenausfluss  u.  s.  w.)  durch  die  Chlorwasserstoffsäure  noch  gesteigert 
wurden;  auch  die  festere  Beschaffenheit  des  Lungenparenchyms,  welche  bei  der 
Section  der  Taube  angetroffen  wurde,  dürfte  vorzugsweise  der  Wirkung  dieser 
Säure  zuzuschreiben   sein. 

Man  hat  alle  Ursache,  in  chemischen  Laboratorien  Vorsicht  zu  beob- 
achten, wenn  man  mit  Phosphortrichlorid  zur  Darstellung  von  phosphoriger 
Säure  manipulirt  (s.  phosphorige  Säure). 

2)  Phosphorpentachlorid  PC15  entsteht  durch  Zuleiten  von  überschüssigem  Chlor 
zu  Phosphortrichlorid.  Es  ist  eine  farblose,  an  der  Luft  stark  rauchende,  krystallinische 
Masse,  welche  durch  wenig  Wasser  in  Salzsäure  und  Phosphoroxychlorid  P0C13 
zersetzt  wird: 

PC15  +  4  H20  =  2  HCl  -f-  POCI3. 
Bei  vielem  Wasser  entstehen  Salzsäure  und  Phosphorsäure: 
PC15  +  4H20  =  5  HCl  -4-  PH304. 

18* 


276  Phosphor  und  Halogene. 

Einwirkung  von  Phosphorpentachlorid  auf  den  thierischen  Organismus.   Sobald 

die  Dämpfe  eine  Taube  in  der  Glasglocke  erreichen,  entstehen  Augenblinzeln,  grosse 
Unruhe  und  unregelmässige  Athmung ;  nach  5  M-  krampfhaftes  Zucken  im  rechten 
Beine,  nach  6^M.  bei  der  Herausnahme  tonische  und  klonische  Krämpfe  Unter  krampf- 
haften Inspirationen  tritt  der  Tod  schon  2  M.  hernach  ein;  Cornea  auf  beiden  Seiten 
opalisirt. 

Section  12  Stunden  jhernach.  Die  Pia  mater  vorzugsweise  an  der  Basis  des 
Gehirns  blutreich,  Halswirbel  blutig  injicirt;  die  Plex.  venös,  spin.  mit  wenig  flüssigem 
Blute  angefüllt.  Beim  Durchschneiden  der  linken  Brustmuskeln  ziemlich  reichlicher 
Auslluss  von  flüssigem  Blute;  beide  Lungen  hellziegelroth ,  vermischt  mit  einzelnen 
braunrothen  Marmorirungen,  auf  den  Durchschnittsflächen  wenig  flüssiges  und  geronne- 
nes Blut.  In  der  Brusthöhle  hat  sich  wenig  flüssiges  hellrothes  Blut  angesammelt,  das 
an  der  Luft  schnell  gerinnt  und  sich  etwas  heller  färbt;  Trachealschleimhaut  schwach 
injicirt,  im  rechten  Vorhof  und  Ventrikel  des  Herzens  schwarzes  geronnenes  Blut. 
Leber  dunkelbraun  und  reich  an  flüssigem  Blute;  Nieren  blassbraun. 

Bei  der  Zersetzung  des  Phosphorpentachlorids  im  Organismus  waltet 
die  Salzsäure  vor,  wofür  im  vorliegenden  Falle  auch  die  Opalisirung  der  Horn- 
haut sprechen  dürfte;  die  Menge  derselben  wirkt  so  heftig  ein,  dass  sich  die 
Phosphorsäure  gar  nicht  geltend  machen  wird. 

Mit  Brom  geht  Phosphor  ähnliche  Verbindungen  wie  mit  Chlor  ein.  Unter  den 
Bromiden  des  Phosphors  sind  besonders  zu  bemerken:  Phosphortribroinid  PBr3  und 
Phosphorpeutabroniid  PBr5. 

Die  Jodide  des  Phosphors  werden  wie  die  Bromide  dargestellt.  Für  die  "Versuche 
an  Thieren  wurden  Phosphor  und  Jod  in  äquivalenten  Verhältnissen  mit  Schwefelkohlen- 
stoff in  einer  Kältemischung  zusammengebracht;  der  Schwefelkohlenstoff  wurde  dann 
abdestillirt. 

1)  Phosphordijodid  PJ2  stellt  hell-orangerothe  Prismen  dar,  welche  bei  110°  zu 
einer  schönen  hellrothen  Masse  schmelzen.  Durch  Wasser  wird  es  in  phosphorige 
Säure,  Jod  und  Jodwasserstoff  zersetzt;  das  Jod  bewirkt  aber  bei  Gegenwart 
von  Wasser  und  phosphoriger  Säure  die  Zersetzung  des  Wassers,  so  dass  Jodwasser- 
stoff und  Phosphorsäure  entstehen 

Einwirkung  von  Phosphordijodid  auf  den  thierischen  Organismus.  Eine  Taube 
sitzt  in  der  Glocke;  nach  2  Kolbenstössen  Blinzeln  mit  den  Augen,  nach  4  M.  stoss- 
weise  Zuckungen  des  ganzen  Körpers,  schleimige  Absonderung  aus  den  Nasenlöchern, 
die  weissen  Federn  haben  sich  gelb  gefärbt.  Nach  10  M.  Unruhe,  nach  11  M.  tritt 
nach  einem  dritten  Kolbenstosse  stärkeres  Blinzeln  der  Augen  ein,  nach  13  M.  9  Inspir. 
binnen  l/i  M.  Sonstige  Symptome  treten  nicht  hervor;  nach  15  M.  Herausnahme.  Es 
bilden  sich  auch  späterhin  keine  Krankheitserscheinungen  aus. 

Aus  der  Art  und  Weise  der  Zersetzung  dieses  Körpers  wird  die  weniger 
intensive  Wirkung  desselben  auf  den  Thierkörper  erklärlich.  Während  hier  Jod- 
wasserstoffsäure und  Phosphorsäure  als  Zersetzungsproducte  auftraten  und 
als  solche  nicht  toxisch  wirkten,  wird  überall  da,  wo  phosphorige  Säure  als 
Zersetzungsproduct  sich  geltend  macht,  wie  beim  Phosphortrichlorid  und  Phosphor- 
trijodid, ihre  toxische  Wirkung  sofort  zu  Tage  treten. 

2)  Phosphortrijodid  PJ3  bildet  dunkelrothe,  sehr  zeffliessliche  Krystalle,  welche 
schon  in  feuchter  Luft  in  phosphorige  Säure  und  Jodwasserstoffsäure  zerlegt 
werden. 

Verwendung  finden  die  Jodide  und  Bromide  des  Phosphors  in  der  Photographie. 

Einwirkung  von  Phosphortrijodid  auf  den  thierischen  Organismus.  Eine  Taube 
sitzt  in  der  Glasglocke;  nach  2  warmen  Kolbenstössen,  welche  die  Dämpfe  eintreiben, 
beginnt  ein  geringes  Schütteln  des  Kopfes,  welches  nach  5  Min.  in  einzelne  Zuckungen 
übergeht.  Nach  8  M.  häufiges  Schmecken  mit  dem  Schnabel;  nach  10  M.  ist  die  ganze 
Glocke  mit  weissgelblichen  Dämpfen  angefüllt;  hierauf  ein  heftiger,  den  ganzen  Körper 
erschütternder  Husten.  Nach  14  M.  6  Inspir.  binnen  %  M.  in  der  Bauchlage,  bisweilen 
Zittern  des  Kopfes;  nach  15  M.  Herausnahme.  Besondere  Erscheinungen  werden 
weder  am  Versuchstage  noch  am  folgenden  Tage  bemerkt;  am  3.  Tage  tritt  Dyspnoe 
ein,  welche  sich  immer  mehr  steigert,  bis  am  Abend  der  Tod  eintritt. 

Section  nach  24  Stunden.  Schädelknochen  blau  gefärbt,  die  Gehirnhäute 
hyperämisch,  Plex.  venös,  spin.  mit  geronnenem  Blute  gefüllt.  Lungen  von  ziegel- 
rother  Farbe  mit  schwachbraunrothen  Marmorirungen.     Alle  Halsgefässe   mit  Blut   an- 


Phosphor  und  Sauerstoff.  277 

gefüllt;  der  ganze  Kehlkopf  mit  einem  theils  festen,  theils  mit  einem 
weichen  croupösen  Exsudat  angefüllt;  eine  dünne  croupöse  Neubildung  an  der 
Theilungsstelle  der  Trachea;  die  übrige  Schleimhaut  ist  geröthet  und  etwas  geschwollen. 
Auf  den  Schnittflächen  der  Lunge  kleine  geronnene  Blutklümpchen  und  viel  weisser 
und  röthlicher  Schleim,  welcher  beim  Zusammendrücken  des  Parenchyms  sehr  reichlich 
zu  Tage  tritt;  letzteres  ist  überall  weich  und  nachgiebig  (Oedema  pulmonum).  Die  ganze 
rechte  Herzhälfte  und  der  linke  Vorhof  mit  festem  geronnenem  Blute  angefüllt;  in  der 
Brusthöhle  hatte  sich  ein  wenig  flüssiges  Blut  angesammelt.  Leber  und  Nieren  sind 
von  normaler  Farbe  und  enthalteu  geronnenes  und  wenig  flüssiges  Blut ;  in  allen  grössern 
Venen  findet  sich  nur  geronnenes  Blut.  Das  flüssige  Blut  ist  dunkelroth,  in  dünnern  Schich- 
ten mehr  violettroth ;  viele  Blutkügelchen  sind  an  den  Rändern  eingerissen  oder  haben 
unregelmässige  Contouren.  Weder  Jod  noch  phosphorige  Säure  konnten  in  den  Lungen 
oder  der  Leber  nachgewiesen  werden;  wahrscheinlich  hatten  sich  beide  Körper  während 
der  längern  Lebensdauer  schon  ausgeschieden. 

Die  reizende  Einwirkung  der  phosphorigen  Säure  ist  im  vorliegenden 
Falle  durch  die  Jodwirkung  noch  vermehrt  worden,  weshalb  sich  ein  exquisites 
Bild  von  Croup  ausbildete,  welcher  schliesslich  den  Tod  herbeiführte  und  zwar 
durch  acutes  Lungenödem,  das  bekanntlich  meist  in  den  letalen  Fällen  von 
Croup  vorkommt.  Diese  Uebereinstimmung  ist  so  frappant,  dass  Phosphor- 
trijodid  als  ein  geeigneter  Körper  betrachtet  werden  könnte,  um  behufs  patho- 
logischer Experimente  künstlich  Croup  zu  erzeugen. 

Aehnlich  wirkt  Phosphortribromid,  welches  durch  Wasser  in  Brom- 
wasserstoffsäure und  phosphorige  Säure  zerfällt;  nur  bildet  sich  das 
plastische  Exsudat  hierbei  nicht  so  entschieden  wie  bei  Phosphortrijodid  aus. 

Alle  diese  Versuche,  in  welchen  die  phosphorige  Säure  das  wirksame 
Princip  darstellt,  liefern  einen  höchst  wichtigen  Beitrag  zu  der  toxischen  Bedeutung 
dieser  Säure,  die  sich  aus  den  betreffenden  Versuchen  mit  Bestimmtheit  ergeben 
wird;  wir  verweisen  daher  auf  die  phosphorige  Säure  S.  278  und  279. 

Phosphor  und  Sauerstoff. 

1)  Unterphosphorige  Säure  H3P02  bildet  sieh  durch  Fällen  von  unterphosphorig- 
saurem  Barium  mit  Schwefelsäure.  Das  Bariumsalz  wird  durch  Kochen  von  Phosphor 
mit  Bariumhydrat  erhalten,  indem  neben  Phosphor  Wasserstoff  und  phosphor- 
saurem Barium  auch  unterphosphorigsaures  Barium  entsteht.  Die  filtrirte  Lösung 
wird  im  Vacuum  so  lange  abgedampft,  bis  eine  farblose,  syrupartige  Flüssigkeit  ent- 
steht, welche  beim  Erwärmen  in  Phosphorwasserstoff  und  Phosphorsäure 
zerfällt: 

2H3P03  =  PH3  +  H3P04. 
Die  Säure  gehört  wegen  ihrer  grossen  Begierde,  Sauerstoff  aufzunehmen,  zu  den 
sehr  stark  reducirenden  Mitteln. 

Die  unterphosphorigsauren  Salze,  Hypophospkite,  werden  in  der  Regel  durch 
Kochen  von  Phosphor  mit  Aetznatron  oder  Aetzkalk  sowie  durch  Neutralisation 
der  unterphosphorigen  Säure  mit  einer  Base  dargestellt;  werden  sie  bei  Luft- 
abschluss  stark  geglüht,  so  verwandeln  sie  sich  unter  Entwicklung  von 
Phosphorwasserstoff  in  ein  Gemenge  von  Pyro-  und  Metaphospbat. 

Bei  der  Darstellung  dieser  Salze  ist  auf  sorgfältigen  Verschluss  der 
Apparate  und  sofortiges  Zerstören  des  auftretenden  Phosphorwasserstoffs  mittels 
der  Feuerung  zu  achten. 

Die  unterphosphorigsauren  Salze  haben  in  neuerer  Zeit  namentlich 
für  die  Galvanoplastik  eine  grosse  Wichtigkeit  erlangt  und  werden  deshalb 
auch  im  Grossen  dargestellt.  Man  bereitet  hierbei  zuerst  das  Calci umsalz  der 
Säure,  indem  man  Phosphorcalcium  mit  Wasser  zusammenbringt  und  den  sich 
entwickelnden  Phosphorwasserstoff  ableitet  und  anzündet.  Auch  diese 
Manipulation  muss  stets  in  geschlossenen  Gefässen  geschehen,    welche  möglichst 


278  Phosphor  und  Sauerstoff. 

wenig  Luft  enthalten  und  deshalb  grösstenteils  mit  Wasser  angefüllt  sind,  aber  das 
Abziehen  der  Gase  ermöglichen;  um  die  Retorten  möglichst  vollständig  mit  Wasser 
zu  füllen,  wird  der  Schnabel  der  Retorte  aufwärts  gerichtet.  Nicht  bloss  eine 
grosse  Gefährdung  der  Arbeiter,  sondern  auch  eine  förmliche  Verpestung  der 
ganzen  Umgegend  sind  die  Folgen,  wenn  man  diesen  Process  in  offenen  Schalen 
vornimmt  und  für  die  Verbrennung  des  Phosphorwasserstoffs  gar  keine 
Sorge  trägt. 

Nach  vollendeter  Zerlegung  des  Phosphorcalciums  filtrirt  und  dampft  man 
die  Lösung,  welche  das  unterphosphorigsaure  Calcium  enthält,  im  Wasser- 
bade ab.  Um  die  andern  Salze  aus  dieser  Verbindung  darzustellen,  löst  man  sie 
wieder  auf  und  gewinnt  aus  dieser  Lösung  durch  Hinzufügen  der  betreffenden 
kohlensauren  Alkalisalze  die  entsprechenden  Salze  der  unterphosphorigen  Säure. 

Die    Erfahrung    hat    hinreichend    bewiesen,    welche    verderbliche    Wirkung 

Phosphorwasserstoff  auf  den  menschlichen  Organismus  hier  auszuüben  vermag;  je 

anhaltender  kleine  Mengen   einwirken,   desto  intensiver  sind  die  Folgen,  die  sich 

durch  langwierige  Krankheitszustände  kundgeben  können. 

2)  Phosphorige  Sänre  H3P03  bildet  sich  gleichzeitig  mit  Phosphorsäure  beim 
langsamen  Verbrennen  des  Phosphors  oder  durch  Zersetzung  von  Phosphortrichlorid  mit 

WaSSCT  :  PC13  +  3  H20  =  H3PO3  +  3  HCl. 

Sie  bildet  eine  krystallinische ,  in  Wasser  leicht  lösliche  Masse ,  gehört  zu  den 
schwächsten  Säuren  und  geht  leicht  durch  Aufnahme  von  Sauerstoff  in  Phosphorsäure 
über.     In  der  Hitze  zerlegt  sie  sich  in  Phosphorsäure  und  Phosphorwasserstoff: 

4H3P03  =  PH3  +  3H3P04. 

Ihre  Salze,  Phosphite,  stellt  man  durch  Neutralisation  der  phosphorigen  Säure  mit 
einer  Base  dar.  Zu  den  Versuchen  an  Thieren  wurde  die  Säure  aus  Phosphortrichlorid 
und  Silberoxyd  dargestellt,  indem  das  überschüssige  Silber  mit  Salzsäure  gefällt  und 
das  Filtrat  eingedampft  wurde.  Die  trockne  Salzmasse  wurde  in  einem  Rohr  erhitzt 
und  zwar  bei  gleichzeitigem  Uebei'leiten  von  trockner  atmosphärischer  Luft  mittels  der 
Compressionspumpe.  Will  man  Pho  sphorigsäureanhydrid  P-,>03  erhalten,  so  leitet 
man  einen  trockenen  Luftstrom  langsam  über  erwärmten  Phosphor. 

Einwirkung  der  phosphorigen  Säure  auf  den  thierischen  Organismus.  1)  Eine 
Taube  sitzt  in  einer  Glasglocke.  Sobald  ein  dichter  weisser  Nebel  die  Glocke  anfüllt, 
entstehen  starkes  Blinzeln  und  heftiges  Schütteln  mit  dem  Kopfe,  nach  1  M.  krampfhaftes 
Inspiriren  mit  weitem  Oeffnen  des  Schnabels,  Hinfallen  auf  den  Rücken,  nach  2  M. 
18  Inspirat.  binnen  %  M.  und  krampfhaftes  Aufschlagen  mit  den  Flügeln,  nach  3  M. 
Herausnahme  der  Taube:  sie  ist  bewegungs-  und  fast  athemlos;  nur  eine  schwache 
unregelmässige  Herzbewegung  und  ein  leises  Schleimrasseln  in  der  Luftröhre;  Augen 
opalisirt:  nach  4  M.  keine  Spur  von  Lebenszeichen. 

Section  4  Stunden  hernach  bei  starker  Todtenstarre.  Dura  mater  ziemlich 
stark  und  Pia  mater  nur  an  der  Basis  cerebri  hyperämisch,  Plex.  venös,  spin. 
stark  mit  flüssigem  Blute  angefüllt.  In  dem  die  Trachea  umgebenden  Zellgewebe  zwei 
silbergroschengrosse,  flacheBlutextravasate:  beim  Durchschneiden  der  linken  Brustmuskeln 
fliesst  flüssiges  dunkles  Blut  aus.  Lungen  hellroth  mit  rothbrauner  Marmorirung,  am 
untern  Rande  der  linken  Lunge  ein  erbsengrosses  Blutextravasat  unter  der  Pleura,  auf 
den  Durchschnittsflächen  etwas  flüssiges  Blut  und  ein  feiner  weisser  Schaum,  das 
Parenchym  vorherrschend  hellroth,  Tracheaischleimhaut  kaum  injicirt.  Der  rechte  und 
der  linke  Vorhof  des  Herzens  strotzten  von  flüssigem  Blute.  Leber  reich  an  flüssigem 
Blute:  Nieren  ebenfalls  blutreich.  Alles  flüssige  Blut  ist  dunkelkirschroth,  mit  einem 
Stich  ins  Violette,  wird  an  der  Luft  heller  und  gerinnt  schnell,  ohne  Serum  auszuscheiden : 
Blutkügelchen  normal. 

2)  Eine  zweite  Taube  wird  in  dieselbe  Atmosphäre  der  Glocke,  welche  noch  trüb- 
weisslich  erscheint,  gebracht.  Sogleich  Blinzeln,  Husten  und  grosse  Unruhe;  nach  2  M. 
Zuckungen  am  rechten  Fusse,  Nasswerden  des  Schnabels,  nach  3  M.  beschleunigte 
Respiration,  19  Inspirationen  binnen  l/4  M. ,  nach  5  M.  ruhiges  Verhalten,  nachdem  die 
Atmosphäre  der  Glocke  wieder  klar  geworden,  aber  angestrengte  Respiration  bei  öfterm 
Husten;  nach  8  M.  viel  Blinzeln  und  nach  13  M.  Ausfluss  von  Schleim  aus  den  Nasen- 
löchern, nach  15  M.  12  etwas  weniger  angestrengte  Inspirationen  binnen  %  M.;  hierauf 
Herausnahme.     Die  angestrengte  Athmung  hält  an:  nach  2  Stunden  noch  9  mühsame 


Phosphorige  Säure.  279 

Inspirationen  binnen  %  M.  Am  folgenden  Tage  weniger  angestrengte  Athmung  bei 
Husten  und  Schleimrasseln  in  der  Luftröhre;  am  3.  Tage  dieselben  Erscheinungen,  Fress- 
lust und  Bewegungen  ungestört  Am  4.  Tage  noch  etwas  Schleimrasseln  in  der  Luft- 
röhre; am  5.  Tage  12  mehr  angestrengte  Inspirationen  binnen  %  M.,  schon  von  Weitem 
hörbares  Schleimrasseln,  gegen  Abend  zunehmende  Schwäche,  so  dass  die  Taube  nicht 
mehr  zu  stehen  vermag  und  die  Bauchlage  einnimmt;  am  6.  Tage  wird  sie  in  der 
Leichenstarre  gefunden. 

Section  lö  Stunden  hernach.  Hirnhäute  stark  blutreich;  Plex.  ven.  spin. 
mit  hellem  flüssigem  Blute  angefüllt;  beim  Durchschneiden  der  Brustmuskeln  etwas 
dickflüssiges  Blut;  Trachealschleimhaut  überall  geröthet  und  mit  einer  schlei- 
migen Flüssigkeit  bedeckt.  Die  Lungen  beiderseits  an  den  Rändern  hellroth  und  auf 
der  Oberfläche  braunroth;  am  untern  Drittheile  des  linken  untern  Lappens  eine  Ver- 
dichtung im  Parenchym  vom  Umfange  einer  weissen  Bohne;  diese  Partie  ist 
rothbraun,  fest  und  sinkt  im  Wasser.  An  der  untern  Hälfte  des  rechten  untern 
Lungenlappens  erstreckt  sich  eine  rothbraune  Färbung  3  Linien  tief  in  das  Paren- 
chym; beim  Einschneiden  tritt  hier  eine  weisse,  eiterige  und  zähe  Flüssigkeit 
aus,  welche  unter  dem  Mikroskope  viele  Eiterkörperchen  und  fettig  infiltrirte  Epithelien 
zeigt;  das  übrige  Parenchym  ist  theils  hell-,  theils  braunroth,  auf  dessen  Schnittflächen 
überall  eine  schleimige  schaumige  Flüssigkeit  zu  Tage  tritt.  Das  ganze  Herz  ist 
theils  mit  schwarzem  geronnenem,  theils  mit  dunkelrothem  flüssigem  Blute  angefüllt. 
Leber  von  normaler  Farbe  und  reich  an  flüssigem  Blute;  Kropf  noch  theil weise  mit 
Wicken  angefüllt;  alle  übrigen  Organe  normal.  In  den  grössern  Gefässen  flüssiges 
Blut,  welches  in  dünnen  Lagen  dunkelkirschroth  mit  einem  Stich  ins  Violette  erscheint, 
bald  an  der  Luft  gerinnt,  aber  sich  nicht  heller  röthet,  beim  Eintrocknen  vielmehr 
braunroth  erscheint;  die  Blutkügelchen  von  normaler  Gestalt. 

3)  Ein  grosses  Kaninchen  wird  sofort  in  die  intensiv  weisse  Atmosphäre  der  Glocke 
gebracht.  Nach  1  M.  grosse  Unruhe,  Herumdrehen  im  Kreise  und  Stocken  des  Athems; 
nach  2  M.  ruhiges  Sitzen  mit  zurückgezogenem  Kopfe  und  geschlossenen  Augen;  nach 
3  M.  6  angestrengte  Inspirationen  binnen  %  M.,  welche  durch  Husten  unterbrochen  wer- 
den, nach  6  M.  8  unregelmässige  Inspirationen.  Sonstige  Veränderungen  zeigen  sich 
nicht,  obgleich  die  Atmosphäre  noch  trüb-weisslich  geblieben  ist;  deshalb  nach  15  M. 
Herausnahme  des  Kaninchens;  es  nimmt  alsbald  eine  natürliche  Stellung  ein  und 
bleibt  ruhig  sitzen.  Nach  6  M.  11  Inspirationen  binnen  1/i  M.,  bisweilen  Husten  und 
schwacher  Rhonch.  sonorus  in  der  Brusthöhle.  Auch  am  folgenden  Tage  hält  dieser 
Zustand  an;  am  3.  Tage  läuft  es  wieder  umher  bei  guter  Fresslust;  Respiration  normal, 
kein  Husten  mehr. 

Die  Eigenschaft  der  phosphorigen  Säure,  mit  grosser  Begierde  Sauerstoff 
aufzunehmen,  muss  sich  auch  bei  ihrer  Einwirkung  auf  den  thierischen  Organis- 
mus geltend  machen;  die  sehr  angestrengte  Respiration  gehört  daher  zu  den 
ersten  und  auffallendsten  Symptomen;  die  Dyspnoe  steigerte  sich  bei  Tauben  zu 
krampfhaften  Inspirationen  bei  weit  geöffnetem  Schnabel.  Diese  Erscheinungen 
stimmen  vollkommen  mit  der  Wirkung  der  inhalirten  Phosphordämpfe  und  des 
Phosphorwasserstoffs  überein  und  führen  ungezwungen  zu  der  Annahme,  dass  die 
phosphorige  Säure  einen  wesentlichen  Factor  bei  diesen  Vergiftungen  repräsen- 
tirt;  denn  auch  Phosphor  und  Phosphorwasserstoff  erzeugen,  wenn  sie  auf 
den  Respirationswegen  in  das  Blut  dringen,  ihre  deletären  Wirkungen  in  dem 
Masse,  als  sie  dem  Oxydationsprocess  unterliegen  und  schliesslich  dem  Blute 
mehr  oder  weniger  die  Alkalescenz  rauben. 

Wirken  die  Dämpfe  der  phosphorigen  Säure  sehr  concentrirt  ein,  so  erfolgt 
der  asphyktische  Tod  (1.  Versuch),  während  verdünntere  Dämpfe  eine  ent- 
schiedene Reizung  der  Respirationswege  erzeugen,  welche  (wie  beim  2.  Versuche) 
das  zweite  und  dritte  Stadium  der  Pneumonie  herbeizuführen  vermag.  Tauben 
scheinen  aber  überhaupt  leichter  von  der  phosphorigen  Säure  afficirt  zu  werden 
als  Kaninchen;  im  3.  Versuche  hatte  wenigstens  ein  15  Minuten  langer  Aufenthalt 
eines  Kaninchens  in  einer  ziemlich  concentrirten  Atmosphäre  von  phosphoriger 
Säure  nur  eine  vorübergehende  Reizung  der  Bronchialschleimhaut  zur  Folge. 

Bei  Menschen  hat  man  in  Folge  von  Inhalation  der  phosphorigen  Säure  auch 
noch  besondere  Einwirkungen  auf  das  Spinalnervensystem    beobachtet   und 


280  Phosphor  und  Sauerstoff. 

zwar  in  sehr  grosser  Uebereinstiminung  mit  den  Folgen  des  inhalirten  Phosphor- 
wasserstoffs, wodurch  die  Erfahrung,  dass  sich  auch  das  Radical  der  Säure 
geltend  macht,  eine  bedeutende  Stütze  gewinnt.22) 

Es  ist  erklärlich,  dass  alle  diese  Erscheinungen  bei  der  Inhalation  der 
phosphorigen  Säure  im  Allgemeinen  rascher  eintreten  als  bei  ihrer  Aufnahme 
per  os.  Nach  Munk  und  Leyden  vertrugen  Kaninchen  Mengen  von  4Ccm.,  welche 
in  den  Magen  derselben  gebracht  wurden;  nach  9  Ccm.  bildete  sich  aber  eine 
heftige  Gastroenteritis  aus,  welche  nicht  selten  tödtlich  wurde  und  ebenfalls 
einen  Beweis  für  die  reizende  Primär -Wirkung  der  phosphorigen  Säure  abgibt. 
Nach  subcutanen  Injectionen  grösserer  Gaben  bildete  sich  schliesslich  fettige 
Degeneration  der  Leber  aus,  wie  man  sie  bekanntlich  nach  Phosphorvergif- 
tung antrifft.23) 

3)  Phosphorsäure  H3P04,  Acidum  phosphoricum,  wird  durch  Erwärmen  vou 
Phosphor  mit  Salpetersäure  dargestellt.  Die  durch  Abdampfen  verjagte  Salpetersäure 
wird    so   lange   in   die  Retorte   zurückgeschüttet,   bis   alle   phosphorige   Säure    in    Phoä- 

Shorsäure  umgewandelt  ist.  Die  aus  dem  Tubus  der  Vorlage  sich  entwickelnden 
»ämpfe  von  Unter  Salpetersäure,  welche  anfangs  noch  etwas  Phosphordampf 
enthalten,  müssen  entweder  in  die  Feuerung  oder  in  den  Kamin  geleitet  werden.  Der 
Retorteninhalt  ist  schliesslich  in  einer  Porcellanschale  über  freiem  Feuer  unter  einem 
gut  ziehenden  Rauchfange  so  lange  zu  erhitzen,  bis  keine  salpetersauren  Dämpfe 
mehr  entweichen. 

Die  gewöhnliche  Phosphorsäure  ist  eine  dreibasischeSäure;  im  concentrir- 
testen  Zustande  hat  sie  Sy  rupsco  nsistenz,  ist  aber  in  allen  Verhältnissen  mit 
Wasser  mischbar.  Die  Phosphorsäure  der  Pharmacopöe  hat  ein  spec.  Gewicht 
von  1,120,  welches  20  Th.  Phosphorsäure  in  100  Th.  Wasser  entspricht;  wird  sie  auf 
den  fünften  Theil  ihres  Gewichts  verdampft,  so  krystallisirt  sie  als  Acidum  phos- 
phoricum siccum  s.  glaciale  in  langen,  farblosen,  prismatischen  Krystallen. 
Die  Phosphorsäure  bildet  3  Reihen  von  Salzen: 

a)  tertiäres  oder  neutrales  Natriumpkosphat  Na3P04,  welches  mit  12H20  in  sechs- 
seitigen Prismen  krystallisirt; 

b)  secundäres  oder  einfach  sanres  Natrinmphosphat  Na2HP04  (gewöhnliches 
Natrnm  phosphoricum),  krystallisirt  ebenfalls  mit  12H20  und  wird  durch  Neutralisiren 
der  Phosphorsäure  mit  Natriumcarbonat  dargestellt;  es  ist  das  beständigste  Salz 
unter  den  Phosphaten  und  bildet  einen  wesentlichen  Bestandtheil  des  Blutes;  durch 
Glühen  wird  es  in  neutrales  pyrophosphorsanres  Natrium  Na4P207  verwandelt,  welches 
mit  10H20  krystallisirt  und  an  der  Luft  nicht  verwittert: 

2Na2HP04  =  Na4P2Or  -1-  H20. 

c)  primäres  oder  zweifach  sanres  Natriumphosphat  NaH2P04  entsteht  aus  dem 
secundären  durch  Zusatz  von  Phosphorsäure;  durch  Erhitzen  auf  100°  verliert  es  sein 
Krystallwasser  und  geht  in  secundäres  pyrophosphorigsanres  Natrium  Na2H2P.,07  über : 

2NaH3P04  =  Na2H2P207  +  H20. 

Steigert  man  die  Hitze  bis  auf  240°,  so  bildet  sich  metaphosphorsaures  Natrium 
NaP03: 

NaH2P04  =  NaP03  -4-  H30. 

Die  Pyrophosphorsäure  H4P207  entsteht  beim  längern  Erhitzen  der  gewöhnlichen 
Phosphorsäure  auf  200— 300°  und  stellt  eine  krystallinische  Masse  dar,  welche  als  vier- 
basische Säure  Salze,  die  Pyrophosphate,  liefert. 

Die  einbasische  Metaphosphorsäure  HP03  bildet  sich,  wenn  die  Phosphorsäure 
bis  auf  400°  erhitzt  wird. 

Phosphorsäureanhydrid  P205  wird  durch  Verbrennen  von  Phosphor  in  einem 
Strom  trockner  Luft  dargestellt. 

Einwirkung  der  dampfförmigen  3basischen  Phosphorsäure  auf  den  thierischen 
Organismus.  Eine  Taube  sitzt  in  der  Glocke;  Luft  wird  zuerst  durch  ein  Chlorcalcium- 
rohr  und  alsdann  über  brennenden  Phosphor  geleitet;  0,1  Grm.  Phosphor  wurde  ver- 
braucht. Ein  weisser  Dampf  von  wasserfreier  Phosphorsäure  erfüllte  die  Glocke,  worauf 
die  Taube  unruhig  wird  und  hastet;  4  M.  nachher  ist  noch  ein  beständiges  Aufhusten 
vorhanden.  Die  Atmosphäre  in  der  Glocke  ist  nach  15  M.  wieder  klar;  nach  19  M. 
Zuleitung  von  neuen  Dämpfen,  worauf  sich  der  Husten  wieder  vermehrt;  die  Zahl  der 
beschleunigten  Inspirationen  fällt  allmählig  wieder  auf  9  binnen   %  M.  zurück.    Da  sich 


Phosphorsäure  -  Industrie.  28 1 

keine  weitern  Symptome  zeigen,  wird  die  Taube  nach  30  M.  heraus  genommen.  Der 
Husten  hält  noch  3  M.  lang  in  der  bisherigen  Weise  an  und  wird  allmählig  seltener; 
nur  ein  schwaches  Schleimrasseln  bleibt  noch  bemerkbar.  Nach  2  Stunden  sind  alle  auf- 
fallenden Erscheinungen  verschwunden;  die  Taube  bleibt  auch  später  gesund. 

Es  Hess  sich  von  vornherein  erwarten,  dass  die  Dämpfe  der  Phosphorsäure 
einen  minder  nachtheiligen  Einfluss  auf  den  thierischen  Organismus  ausüben 
würden  als  die  der  phosphorigen  Säure,  da  die  Phosphorsäure  in  allen  thierischen 
Substanzen  vorkommt  und  diese  das  Vermögen  haben,  eine  ziemlich  grosse  Menge 
Phosphorsäure  zu  binden;  auch  wird  die  vom  Thierkörper  aufgenommene  Phos- 
phorsäure als  Natriumphosphat  im  Harn  wieder  ausgeschieden  werden.  Hierauf 
beruht  vorzüglich  die  weniger  gefährliche  Einwirkung  der  Phosphorsäure;  auch 
bei  der  Phosphorvergiftung  wird  sie  sich  daher  erst  in  zweiter  Linie  geltend 
machen,  nachdem  die  deletäre  Wirkung  der  phosphorigen  Säure  schon  ihren 
Abschluss  gefunden  hat.  Dass  grössere  Gaben  von  Phosphorsäure,  welche  dem 
Blute  zugeführt  werden,  schliesslich  fettige  Degenerationen  der  Organe  erzeugen 
werden,  ist  selbstverständlich;  es  wird  dies  aber  niemals  so  prägnant  er- 
folgen wie  bei  der  Schwefelsäure,  da  sie  überhaupt  viel  milder  als  diese 
einwirkt. 

Phosphorsäure  -  Industrie. 

Die  Darstellung  der  Phosphorsäure  im  Grossen  geschieht  aus  gebrannten 
Knochen  mittels  Schwefelsäure,  da  diese  Methode  die  billigste  ist;  sie  ist  aber  in 
Bezug  auf  die  zu  gewinnende  Reinheit  der  Säure  die  schwierigste.  Man  beob- 
achtet ein  zweifaches  Verfahren  hierbei:  1)  Man  schliesst  die  Knochen  mit  einem 
Ueberschuss  von  Schwefelsäure  auf;  nach  der  Trennung  des  Gipses  wird  die 
Lösung  in  mit  Blei  ausgefütterten  Pfannen  eingedampft,  wobei  sich  noch  fort- 
während Gips  ausscheidet,  der  mittels  eiserner  verbleiter  Schaumlöffel  entfernt 
wird.  Wenn  die  Temperatur  bis  auf  300°  gestiegen  ist,  lässt  man  die  Pfanne 
bedeckt  erkalten. 

Bei  diesem  Abdampfen  nimmt  die  saure  Lösung  eine  veilchenblaue  Farbe  an, 
welche  von  einem  Arsengehalt  herrührt;  man  setzt  alsdann  der  erkalteten  Lösung" 
unterschwefligsaures  Ammonium  zu,  um  Arsen  als  Schwefelarsen  auszu- 
scheiden. 

Die  Flüssigkeit  wird  in  hölzerne,  mit  Blei  ausgefütterte  Bottiche  abgelassen  und 
unter  fortwährendem  Umrühren  so  lange  mit  90procentigem  Weingeist  versetzt,  als  noch 
eine  Trübung  erfolgt;  der  Niederschlag  besteht  aus  Magnesium-,  Natrium-  und  Calcium- 
salzen. 

Man  unterwirft  nun  die  alkoholische  Lösung  der  Phosphorsäure  der  Destillation, 
um  den  Weingeist  abzuscheiden.  Der  Kolben  des  Destillationsapparates  steht  in  einer 
Sandkapelle,  dessen  aufgeschliffener  Helm  mit  einer  Kühlschlange  verbunden  und  mit 
einem  Tubus  versehen  ist,  durch  welchen  eine  zu  einer  Spitze  ausgezogene  Glasröhre 
bis  in  die  Flüssigkeit  geführt  wird.  Sobald  die  Flüssigkeit  ins  Sieden  gekommen  ist, 
wird  durch  die  Glasröhre  alkoholische  Phosphorsäure  zugelassen  und  zwar  so  viel,  als 
man  an  Destillationsproduct  gewinnt.  Das  Destillat  besteht  aus  Aether,  Alkohol,  zu- 
weilen Fuselöl,  im  letzten  Stadium  aus  schwefliger  Säure  und  geringen  Mengen  von 
Kohlensäure.  Wenn  sich  keine  Weingeistdämpfe  mehr  entwickeln,  lässt  man  den  Inhalt 
erkalten  und  erhitzt  ihn  alsdann  in  grossen  verplatinirten  Porcellanschalen  auf  freiem 
Feuer  unter  einem  gut  ziehenden  Rauchfange  und  zwar  so  lange,  bis  alle  Schwefelsäure 
verdampft  ist. 

Neben  Schwefelsäure  entwickeln  sich,  wenn  der  Weingeist  unrein  war, 
schweflige  Säure  und,  im  Falle  die  Schwefelsäure  arsenhaltig  war,  nicht  selten 
arsenige  Säure.  Es  sind  deshalb  dieselben  Vorsichtsmassregeln  anzuwenden,  welche 
schon  früher  bei  der  Darstellung  des  sauren  Calciumphosphats  angegeben  worden  sind; 
namentlich  ist  die  Leitung  der  Dämpfe  durch  weiss  gebrannte  Knochen  zu  empfehlen. 

Schliesslich  gibt  man  der  Säure  eine  geringe  Menge  Ammoniumnitrat  zu,  welches 


282  Arsen. 

dieselbe  durch  seinen  SauerstoÖ'  bleicht.  Auf  diese  Weise  erhält  man  Acidum  phos- 
phoricum glaciale  ex  o.-.-ibus. 

In  vielen  Fabriken  wird  das  Mischen  mit  Alkohol  umgangen  und  die  in  den  Blei- 
pfannen concentrirte  Phosphorsäure  in  grossen  Porcellanschalen  bis  zum  Verdampfen 
der  Schwefelsäure  erhitzt.  Es  scheidet  sich  hierbei  eiDe  nicht  unbeträchtliche  Menge 
von  Magnesium-  und  Calciumsulfat  aus,  wodurch  das  Gefäss  nicht  selten  dem  Springen 
ausgesetzt  wird,  weshalb  dieses  Abdampfen  in  einer  Sandkapelle  stattfinden  muss. 

Es  entwickeln  sich  hierbei  Dämpfe  von  Schwefelsäure  und  arseniger 
Säure  und  bisweilen  auch  von  etwas  Salzsäure,  weshalb  die  oben  erwähnten  Vor- 
sichtsmassregeln auch  hier  nothwendig  sind. 

Im  letzten  Stadium  des  Abdampfens  setzt  man,  um  die  Säure  zu  reinigen, 
und  alle  Reste  der  Schwefelsäure  wegzubringen,  eine  gewisse  Menge  gut  ausgeglühter 
Kohle  zu,  wobei  sich  eine  geringe  Menge  seh  wefliger  Säure  entwickelt.  Die  auf  diese 
Weise  dargestellte  Säure  ist  aber  weit  mehr  verunreinigt  als  die  nach  der  zuerst  er- 
wähnten Methode  gewonnene.24) 

2)  Zur  Darstellung  höchst  reiner  Phosphorsäure  resp.  phosphorsaurer  Am- 
moniurasalze,  welche  zum  Tränken  der  Dochte  der  Stearinkerzen  benutzt 
werden,  geschieht  das  Aufschliessen  der  Knochenasche  und  das  Eindampfen  in 
bleiernen  Pfannen  ganz  nach  der  bei  der  ersten  Methode  angegebenen  Weise; 
der  Unterschied  liegt  nur  darin,  dass  man  die  syrupsdicke  Phosphorsäurelösung 
mit  rohem  Aetzammoniak  oder  rohem  Ammoniumcarbonat  sättigt.  Es  fallen 
hierbei  Calciumphosphat,  Ammoniuin-Magnesiumpho.sphat  und  Calciumsulfat  neben 
arsenig-  und  arseniksaurem  Ammonium  nieder;  dieser  Niederschlag  ver- 
dient daher  alle  Beachtung. 

Die  klare  Lösung  von  neutralem  phosphorsaurem  Ammonium  wird  nun 
in  Porzellanschalen,  welche  inwendig  versilbert  oder  verplatinirt  sind,  zuerst  eingedampft 
und  schliesslich  unter  einer  Art  von  Muffel  geglüht.  Das  Ammoniak  und  die  Schwefel- 
säure gehen  weg:  es  entwickelt  sich  Ammoniak  neben  schwefliger  Säure  und 
Schwefelsäure  und  reine  Phosphorsäure  bleibt  zurück.  Auf  diese  Weise  erhält  man 
die  reinste  Phosphorsäure. 

Die  phosphorsauren  Rückstände,  welche  durch  das  Ammoniak  ausgeschieden  wor- 
den sind,  werden  entweder  beim  Aufschliessen  mit  in  Verarbeitung  genommen  oder  des 
Phosphorsäuregehaltes  wegen  als  Dünger  verwendet. 

Technische  Verwendung  der  Phosphorsänre.  Concentrirte  Lösungen  der 
Phosphorsäure  werden  in  der  Palingraphie  angewendet;  ihre  Wirkung  hierbei 
ist  ähnlich  der  der  Schwefelsäure  bei  der  Bereitung  von  Pergamentpapier.  In 
der  Zeugdruckerei  dient  die  Phosphorsäure  als  Ersatz  der  Wein-.  Citronen- 
und  Oxalsäure;  bei  der  Brotbereitung  ohne  Hefe  spielt  sie  eine  wichtige 
Rolle  (s.  S.  87). 

Phosphorsaure  Salze  kommen  in  der  Metallurgie  zur  Anwendung; 
sie  bilden  dort  eine  schützende  Decke,  welche  das  geschmolzene  Metall  vor 
weiterer  Oxydation  schützt,  das  beim  Metall  vorhandene  Oxyd  auflöst  und  in  die 
Schlacken  überführt;  sie  köunen  somit  namentlich  beim  Feinschmelzen  des  Goldes 
und  Silbers  den  Borax  vertreten. 

Auch  beim  Löthen  werden  phosphorsaure  Alkalien  zum  Reinigen  der 
Metalloberrläche  von  der  noch  vorhandenen  Oxvdschicht  benutzt. 


Arsen  As. 


Arsen  ist  in  der  Natur  sehr  verbreitet  und  kommt  fast  in  jeder  Gebirgsart  und 
deshalb  auch  in  den  meisten  Mineralwässern  vor.  Gediegen  zeigt  es  sich  im  Scherben- 
kobalt  oder  Fliegenstein,  am  häufigsten  aber  in  Verbindungen  und  zwar  mit 
Sauerstoff  als  Arsenikblüthe  (Arsenigsäureanhydrid  As303),  mit  Schwefel  als 
Realgar   (As2Sa)   und   Aurigpigment    (AsgSa),    mit   Schwefel   und   Eisen   im  Arsen- 


Wirkung  der  Dämpfe  des  Arsens.  283 

kies  (FeAs2FeS2),  mit  Kobalt  und  Nickel  im  Speisekobalt  (CoAs2)  und  Kupfer- 
nickel (NiAs),  mit  Schwefel,  Antimon-  und  Kupfer  im  Arsenkupfer,  mit 
Wismutb  im  Arsenglanz  u.  s.  w.;  mit  Schwefel,  Antimon,  Zink,  Kupfer  und  Queck- 
silber in  den  Fahlerzen  und  Rothgiltigerzen. 

Arsen  tritt  in  stahlgrauen  Krystallen  oder  in  einer  schwarzen,  amorphen,  glän- 
zenden Masse  auf;  es  ist  unlöslich  in  Wasser  und  verändert  sich  nicht  an  der  trocknen 
Luft.  Es  ist  der  einzige  Körper,  welcher  direct  aus  dem  festen  Zustande 
in  den  dampfförmigen  übergeht;  die  Dämpfe  oxydiren  sich  an  der  Luft  zu 
Arsenigsäureanhydrid.  Ohne  Veränderung  ist  es  in  fetten  Oelen  löslich;  Salpetersäure 
oxydirt  es  zu  Arsenigsäureanhydrid  und  Königswasser  zu  Arsensäure.  Es  verbrennt  an 
der  Luft  mit  weisslich-blauer  Farbe  zu  Arsenigsäureanhydrid. 

Einwirkung  der  Dämpfe  von  Arsen  auf  den   thierischen  Organismus,     l)  Es 

wurden  2  Grm.  pulverisirtes  Arsen  in  eine  Glasröhre  gebracht  und  erwärmt;  dann 
wurde  die  Luft  mittels  der  Compressionspumpe  in  5  Kolbenstössen  durch  dieselbe  in 
den  grossen  Glaskasten,  in  welchem  eine  Taube  sass,  getrieben.  Beim  Eintritt  der 
Dämpfe  wurde  die  Taube  unruhig,  nach  30  M.  trat  Erbrechen  ein  und  die  Nasenlöcher 
wurden  feucht;  ersteres  wiederholte  sich  mehrmals.  Nach  einer  nochmaligen  Eintreibung 
der  Dämpfe  grössere  Unruhe,  starkes  Schütteln  des  Kopfes  und  Gähnen,  nach  50  M. 
beschwerliche  Respiration,  nach  59  M.  viel  Brechwürgen,  nach  1  Stunde  Herausnahme 
der  Taube,  nachdem  0,16  Grm.  Arsen  verbraucht  worden.  Bemerkenswerthe  Krank- 
heitserscheinungen wurden  nicht  beobachtet. 

2)  Nach  6  Tagen  wurde  diese  Taube  nochmals  den  Dämpfen  ausgesetzt,  wozu 
0,560  Grm.  Arsen  verbraucht  wurden.  Nach  15  M.  starkes  Würgen  und  nach  20  M. 
Erbrechen,  welches  sich  unter  Würgen  noch  mehrmals  wiederholt.  Nach  1  Stunde 
Herausnahme  der  Taube;  sie  verhält  sich  ruhig,  frisst  fast  nichts  und  bläht  sich  nur 
oft  auf.  Ausser  einem  vermehrten  Durst  bemerkt  man  Nichts  an  ihr;  auch  Bewegung 
und  Inspiration  sind  normal.  Am  2.  und  3.  Tage  Abgang  flüssiger  Excremente,  verlang- 
samter Herzschlag  und  grosse  Scheu  vor  Bewegung;  am  4.  Tage  sitzt  sie  meistens  und 
bläht  sich  auf,  gegen  Abend  wird  die  Respiration  verlangsamt,  Aufsperren  des  Schnabels 
bei  jeder  Inspiration ;  bei  Gehversuchen  flattert  sie  mit  den  Flügeln  und  stürzt  auf  den 
Kopf.  Späterhin  liegt  sie  auf  der  Seite  bei  sehr  langsamer  und  beschwerlicher  Respi- 
ration und  kaum  wahrnehmbarem  Herzschlage,  bis  der  Tod  unter  progressiver  Abnahme 
der  Herzthätigkeit  ohne  alle  Convulsionen  ganz  allmählig  eintritt. 

Section  nach  20  Stunden.  Leiche  sehr  abgemagert,  im  Kröpfe  kein  Futter  und 
im  Magen  nur  Steinchen.  In  der  Schädelhöhle  und  im  Wirbelcanal  fast  gänzliche 
Blutleere;  die  Lungen  von  blasser,  ziegelrother  Farbe;  am  untern  Ende  der 
rechten  Lunge  eine  Ekchymose  von  4  Linien  Durchmesser,  das  Lungenparenchym  ist 
an  dieser  Stelle  etwas  hart  und  grau  gefärbt;  am  untern  Rande  der  linken  Lunge  eine 
etwas  kleinere  Ekchymose;  die  hintere  Fläche  beider  Lungen  ist  rothbraun  marmorirt, 
auf  den  Durchschnittsflächen  ein  feiner  weisser  Schaum.  In  den  grössern  Blutgefässen 
ein  wenig  hellrothes  Blut;  in  beiden  Vorhöfen  des  Herzens  schwarzes  geronnenes 
und  nur  wenig  flüssiges  hellrothes  Blut,  welches  beim  Eintrocknen  braunroth  wird; 
viele  Blutkügelchen  sind  eingerissen  oder  verschrumpft.  Leber  braunroth  mit  geringem 
Gehalte  an  flüssigem,  dunkelrothem  Blute;  Nieren  braunroth;  die  Därme  sind  mit 
einem  schaumigen  Schleim  angefüllt.  Chemisch  Hess  sich  in  Lunge  und  Leber  Arsen 
nachweisen. 

Sowohl  die  Wirkungslosigkeit  der  Dämpfe  im  ersten  Falle  als  auch  der 
langsame  Verlauf  der  Vergiftung  im  zweiten  Falle  waren  durch  die  reichliche  Ver- 
mischung derselben  mit  atmosphärischer  Luft  bedingt.  Die  Intoxication  kündigte 
sich  im  zweiten  Falle  erst  deutlich  nach  3  Tagen  durch  verminderte  Fresslust, 
erhöhten  Durst,  Diarrhoe  und  ein  allgemeines  Unbehagen  an,  bis  die  Alteration 
des  Respirationsprocesses,  das  verlangsamte  und  beschwerliche  Athmen  und  die 
damit  eng  verbundene  Verlangsamung  des  Herzschlages  die  Vorläufer  des  letalen 
Ausgangs  wurden. 

Dass  sich  die  arsenikalischen  Dämpfe  im  Organismus  in  arsenige  Säure 
verwandeln,  ist  als  höchst  wahrscheinlich  anzunehmen;  sie  oxydiren  sich  bereits 
theilweise  an  der  atmosphärischen  Luft  und  haben  in  dieser  Beziehung  Aehnlich- 
keit  mit  den  Phosphordämpfen;  wird  dann  Arsen  in  Dampfform  inhalirt,  so  tritt 
hauptsächlich  die  Wirkung  seiner  Oxydationsproducte  zu  Tage. 


284  Arsen. 

Wie  Betäubimg  und  Schwindel,  so  steigerte  sich  auch  die  Dyspnoe; 
gleichzeitig  entwickelte  sich  eine  zunehmende  Verlangsamung  der  Herzthätigkeit, 
bis  vollständige  Herzlähmung  die  Scene  beschloss.  Lähmung  des  Herzens  und 
der  Nerveucentren  fallen  offenbar  bei  der  Inhalation  der  Arsendämpfe  schliesslich 
zusammen,  Erscheinungen,  die  in  allen  spätem  Versuchen  als  Wirkungen  der 
arsenigen  Säure  auftreten  werden.') 

Arsenindustrie. 

Bei  der  Gewinnung  des  Arsens  wird  im  Allgemeinen  selten  Arsenkies 
auf  Arsen  verarbeitet;  am  häufigsten  wird  es  als  Nebenproduct  bei  der  Ver- 
hüttung von  arsenikalischeu  Erzen  (Nickel,  Kobalt  u.  s.  w.)  gewonnen.  Bei 
der  Förderung  arsenhaltiger  Erze  und  beim  Ausklauben  und  Pochen  derselben 
müssen  die  Arbeiter  stets  die  grösste  Vorsicht  gebrauchen,  sich  Schwämme  vor 
den  Mund  bindeu  und  namentlich  Gesicht  und  Hände  mit  Oel .  oder  Fett  ein- 
reiben. 

Bei  der  Aufbereitung  der  Erze  durch  Pochen  und  Schlemmen  auf  Stoss- 
herden  ist  der  Arsengehalt  der  Abwässer  zu  berücksichtigen:  eine  ganz  besondere 
Beachtung  verdienen  diejenigen  Erze,  welche  im  Spätherbste  gefördert  und  erst 
in  dem  darauf  folgenden  Frühjahre  zur  Verarbeitung  kommen;  hier  hat  nämlich 
der  Verwitterungsprocess,  welcher  noch  besonders  durch  den  Frost  begünstigt 
wird,  eine  grosse  Menge  arseniger  Säure  resp.  arsenigsaurer  Salze  erzeugt,  die  durch 
ihre  Löslichkeit  und  leichte  Zersetzbarkeit  eine  besonders  giftige  Einwirkung  auf 
die  Arbeiter  ausübeu.  Dass  diese  Vorräthe  von  arsenikalischeu  Erzen  durch 
einen  solchen  Verwitterungsprocess  und  das  nachträgliche  Auswaschen  durch 
Regen  u.  s.  w.  auf  die  Wasserzuflüsse,  Bäche  u.  s.  w.  einen  nachtheiligen  Einfluss 
ausüben  können,  unterliegt  keinem  Zweifel;  durch  Ueberfluthungen  können  ganze 
Strecken  Wiesenlandes  zu  Grunde  gehen. 

Bei  der  Verhüttung  kommt  die  Sublimation  zur  Anwendung;  nachdem 
die  Erze  durch  Aufbereitung  von  der  Gangart  befreit  worden  sind,  werden  sie 
in  Schlich  verwandelt  und  mit  Kohlenpulver  gemengt.  Das  Gemisch  bringt 
man  in  2 — 3  Fuss  lange  thönerne,  röhrenförmige  Retorten,  welche  in  einen 
Galeerenofen  eingelegt  und  mit  Vorlagen  verbunden  sind. 

In  Schlesien  und  Sachsen  benutzt  man  Arsenkies,  welchen  man  mit  etwas 
Eisen  vermischt  erhitzt;  das  zurückbleibende  Schwefeleisen  wird  wegen  seines  Gold- 
gehaltes auf  Gold  verarbeitet,  nachdem  es  vorher  durch  den  Verwitterungsprocess  in 
Eisenvitriol  übergeführt  worden  ist,  den  man  als  Nebenproduct  gewinnt;  derselbe 
ist  übrigens  nie  arsenfrei. 

Die  Vorlagen  der  Retorten  communiciren  bei  der  schlesischen  und  säch- 
sischen Methode  mit  Abzugsröhren,  die  in  eine  Giftkammer  münden.  Diese  stellt 
einen  grossen,  aus  sechs  miteinander  communicirenden  Abtheilungen  bestehenden  Thurm 
dar,  in  dem  die  Dämpfe  zickzaekförmig  von  unten  nach  oben  bis  zu  einem  am  Dache 
mündenden  Schlot  steigen.*) 

Zerenner  hat  zu  diesem  Zwecke  sogenannte  Pilzdachkammern  construirt, 
welche  vorzugsweise  im  böhmischen  Erzgebirge  bei  den  Uranhütten  (Uranpecherzen)  in 
Anwendung  kommen.     Der  Pilzstamm  («)  (Fig.  32)   ist  gemauert,   während  die  Dächer 


*)  In  Schlesien  wurden  früher  flache  Muffeln  von  feuerfestem  Thon  benutzt,  die 
etwas  schräg  lagen  und  durch  ein  in  zahlreichen  Zügen  um  sie  spielendes  Feuer  glühend 
gemacht  wurden.  Am  hintern  Ende  der  Muffeln  führten  zwei  Oeffnungen  die 
arsenikalischen  Dämpfe  in  einen  abwärts  gehenden  und  in  ein  Gewölbe  mündenden 
Canal;  dieses  Gewölbe  stand  noch  mittels  puip?  Cnnais  mit  dem  eigentlichen  Gift- 
thurm  in  Verbindung. 


Arsenindustrie. 


285 


(b)  aus  Dachziegeln  bestehen:    die  Dämpfe   stossen   sich  überall   an  den  vorspringenden 
Dächern   ab:    bei   e   ist    der   Canal,    welcher  mit   den  Vorlagen   communicirt   und  die 
Dämpfe  aufnimmt.     Sehr  zweckmässig  ist  es,   wenn  das  Aus- 
mündungsrohr   [d)    noch   in  lange  horizontal  geschleifte  Gift- 
fänge übergeht. 

Das  verflüchtigte  Arsen  enthält  noch  arsenige 
Säure  und  wird  deshalb  einer  nochmaligen  Sublimation 
mittels  Kohle,  unterworfen:  dies  geschieht  in  eisernen  Kesseln 
mit  aufgesetztem  Hute,  der  mittels  einer  eisernen  Tülle  mit 
einer  Gestübbekammer  oder  mit  der  erwähnten  Pilzdach- 
kammer in  Verbindung  steht  (s.  Stracken).  Der  Hut  wird 
nach  beendigtem  Processe  abgenommen  und  von  seinem  In- 
halte durch  Klopfen  entleert;  der  Staub  ist  durch  die  Bei- 
mischung von  arseniger  Säure,  welche  im  ersten  und 
letzten  Stadium  der  Sublimation  stets  auftritt,  sehr  gefährlich. 
Die  Condensation  wird  durch  das  Auftreten  von  Kohlenoxyd 
und  Kohlensäure  sehr  erschwert. 

Schröder  stellte  1691  zuerst  Arsen  dar,  während  Brandt 
es  1773  zuerst  aus  der  arsenigen  Säure  gewann. 

Bei  der  Verhüttung  ist  da^  Beschicken  und  Ent- 
leeren der  Retorten  oder  Muffeln  für  die  Arbeiter  eine  sehr 
gefährliche  Manipulation  ;  es  sind  hierbei  das  Tragen  von 
Masken  oder  Schwämmen,  das  Einreiben  der  Hände  und 
des  Gesichts  mit  Fett  oder  Oel  sowie  der  Genuss  sehr  fetter  Speisen  ganz  besonders 
zu  empfehlen. 

Bezüglich  des  Vv  egführens  der  arsenikalischen  Verbrennungs-  oder  Entwicklungs- 
gase ist  zu  bemerken,  dass  die  Abzugscanäle  nie  mit  Schiebern  oder  Klappen  versehen 
sein  dürfen,  weil  dadurch  eine  willkürliche  Hemmung  oder  Verlangsamuno-  in  der  Weg- 
führung der  betreffenden  Gase  bewirkt  werden  kann:  nur  in  den  Zuführungscanälen, 
welche  die  atmosphärische  Luft  zum  Ofen  führen,  dürfen  mit  Oeffnungen  versehene 
Schieber,  sogenannte  Scheibenschieber,  angebracht  werden.  Es  ist  überhaupt  dafür 
zu  sorgen,  "dass  alle  arsenikalischen  Gase  und  Dämpfe  so  rasch  wie  möglich  zu  den 
Condensationsvorrichtungen  hingeführt  oder,  wenn  sich  solche  im  Arbeitsiocale  ange- 
sammelt haben,  daraus  entfernt  werden.  Für  letztern  Fall  müssen  solche  Räume  stets 
mit  kräftig  wirkenden  Ventilationsvorrichtungen  versehen  sein. 

Die  Arbeiter,  welche  sich  mit  der  Aufbereitung  der  arsenikalischen  Erze 
oder  mit  der  Entleerung  der  Giftfänge  beschäftigen,  leiden  vorzugsweise  an  Haut- 
affectionen,  an  heftig  juckenden  Papeln  und  Pusteln,  an  der  sogen.  Hütten- 
krätze. Durch  Uebertragung  des  arsenikalischen  Staubes  finden  sich  solche 
Hauteruptionen  auch  häufig  an  den  zarten  Stellen  des  Körpers,  z.  B.  an  den  Ge- 
schlechtsteilen oder  im  Gesichte:  hauptsächlich  bemerkt  man  sie  an  den  Händen 
und  Armen,  weil  diese  Körpertheile  zunächst  mit  dem  gefährlichen  Staube  in  Be- 
rührung kommen. 

Es  ist  darauf  aufmerksam  zu  machen,  dass  sich  unter  Umständen  bei  der  Sub- 
limation des  wasserhaltigen  Schlichs  leicht  arsenige  Säure  und  Arsenwasser- 
stoff entwickeln,  wodurch  die  Arbeiter  einer  grossen  Gefahr  ausgesetzt  werden: 
Schutz  der  Nase  und  des  Mundes  sowie  kräftigste  Ventilation  des  Arbeitsraumes 
müssen  hier  die  Prophylaxis  bilden. 

Die  grösste  Aufmerksamkeit  ist  ferner  auf  die  Dichtigkeit  der  Subli- 
mationsapparate zu  verwenden,  damit  das  metallische  Arsen  nicht  mit  der 
Feuerluft  fortgerissen  und  als  arsenige  Säure  durch  den  Schornstein  in  der 
nächsten  Umgebung  abgelagert  wird;  für  die  Arbeiter  bleibt  der  Zeitpunkt  vor 
der  festen  Lutirung  zwischen  den  Vorlagen  und  den  Retorten  der  gefährlichste, 
weshalb  hier  stets  die  grösste  Vorsicht  nothwendig  ist. 

Die  gebrauchten  Retorten  sind  sorgfältig  aufzubewahren;  werden  sie  als 
Zusatz  zu  der  neuen  Retortenmasse  verwendet,  so  muss  das  Brennen  unter  den 
grössten  Cautelen  geschehen,  damit  die  arsenikalischen  Dämpfe  condensirt  werden. 


286  Arsen  und  Wasserstoff. 

Technische  Verwendung  des  Arsens.  Sie  ist  im  Alleemeinen  selten;  man  benutzt 
es  zu  Legirungen  und  statt  der  arsenigen  Säure  in  der  Schrotfabrication,  aber  vorzugs- 
weise zur  Darstellung  von  Arsenpräparaten;  von  seiner  frühern  Benutzung  als  Fliegengift 
hat  es  den  Namen  Fliegenstein  erhalten. 

Arsen  und  Wasserstoff. 

Arsenwasserstoff  AsH3  wird  durch  Auflösen  von  Arsenzink  in  Salzsäure  dargestellt: 
As2  Zn3  -4-  « '.  HCl  =  2  AsH3  -+-  3  Zu  Cl?. 

Dies  farblose  und  geruchlose  Gas  gehört  zu  den  gefährlichsten  Gasen ;  es  ver- 
brennt mit  stahlblauer  Flamme  zu  Wasser  und  Arsenigsäureanhydrid.  Beim  Durchleiten 
durch  brennende  Röhren  zerlegt  es  sich  in  Wasser  und  Arsen;  auch  kalte  Körper, 
welche  man  in  die  Flamme  bringt,  beschlagen  stets  schwarz  durch  niedergeschlagenes 
Arsen.2) 

Einwirkung  des  Arsenwasserstoffs  auf  den  thierischen  Organismus.  Arsenwasser- 
stoff ist  deshalb  eins  der  giftigsten  und  gefährlichsten  Gase,  weil  schon  die  geringsten, 
kaum  merkbaren  Mengen  desselben  höchst  nachtheilige  Folgen  haben  können.  Bei  einer 
jungen  Katze  traten  schon  bei  0,168%  des  Gases  Thränen  der  Augen,  Gähnen,  krampf- 
haftes Inspiriren  und  Unvermögen  sich  aufrecht  zu  halten  ein.  Ein  Zusatz  von  0,079  °/0 
rief  Dyspnoe  und  häufiges  Erbrechen  hervor,  bis  unter  zunehmender  Schwäche,  stetiger 
Abnahme  der  Respiration,  unter  convulsivischen  Bewegungen  und  heftigem  Zittern  der 
Extremitäten  der  Tod  im  Verlaufe  von  30  Minuten  eintrat.3) 

Bei  Menschen  gibt  sich  das  erste  Unwohlsein  durch  Brechneigung,  Auf- 
stossen  und  Zerschlageuheit  der  Glieder  zu  erkennen,  wozu  sich  alsbald  eine 
gelbe  oder  gelbbraune  Hautfärbuug  gesellt.  Oppression  der  Brust,  Schwindel, 
Kopfschmerzen  und  starke  Schlafsucht,  aus  welcher  die  Krauken  kaum  zu  wecken 
sind,  sowie  pappiger  Geschmack  bei  Trockenheit  des  Mundes,  grosser  Durst,  ein  be- 
schleunigter Puls,  Drang  zum  üriniren  nebst  Abgang  eines  blutig  gefärbten  Urins, 
bisweilen  auch  ein  blutig  gefärbter  Stuhlgang  setzen  ein  Krankheitsbild  zusammen, 
bei  welchem  entweder  erst  nach  mehreren  Monaten  Genesung  eintritt  oder  der 
Tod  erfolgt,  indem  die  Haut  sich  mit  kaltem  Schweisse  bedeckt,  die  Somnolenz 
anhält,  der  Puls  immer  beschleunigter  und  kleiner  wird.4)  Es  ist  auch  hier  der 
Herztod,  welcher  sich  ähnlich  wie  bei  der  arsenigen  Säure  geltend  macht; 
indem  aber  der  Arsenwasserstoff,  von  den  Respirationswegen  aufgenommen,  auf 
einer  grossen  Fläche  seine  Wirkung  entfaltet  und  direct  in's  Blut  gelangt,  müssen 
sich  auch  die  Folgen  weit  rascher  und  iutensiver  äussern. 

Die  Vergiftung  stimmt  mit  der  durch  die  Dämpfe  arseniger  Säure  er- 
zeugten auch  insofern  überein,  als  hier  ebenfalls  Erbrechen,  Blutharnen, 
Betäubung,  Ohnmächten,  Zittern  nnd  eine  namenlose  Angst  (in  Folge 
der  alterirten  Herzthätigkeit)  als  vorherrschende  Symptome  auftreten. 

Bei  Thieren  fallen  besonders  die  dintenartige  Beschaffenheit  des  Blutes 
und  die  von  der  Blutfarbe  abhängige  schwärzliche  Färbung  des  Gehirns,  der  Lunge  und 
der  Leber  auf.  Auf  den  Durchschnitten  des  Lungenparenchyms  treten  ebenfalls  schmutziger 
Schaum  und  nur  etw^as  schwärzliches  Blut  aus;  der  Schaum  füllt  sämmtliche  Luft- 
wege aus,  deren  Schleknhaut  schwärzlich  gefärbt  ist.  Nur  im  rechten  Herzen  schwarzes 
und  flüssiges  Blut;  in  der  Schädelhöhle  sind  die  Sinus  mit  schwarzem  Blute  angefüllt. 

Die  intensive  Wirkung  des  Arsenwasserstoffs  auf  das  Blut  lässt  sich,  abgesehen 
von  seiner  auffälligen  Farbe,  bestimmt  durch  die  Spectral-Analyse  nachweisen.  Das 
Oxyhämoglobin  wird  nämbch  reducirt  und  schliesslich  ganz  eerstört.  Die  zwischen  D  und 
E  des  Spectrums  gelegenen  Streifen  verschmelzen  und  verschwinden  schliesslich  ganz ; 
Einleitung  von  Sauerstoff  ändert  an  diesem  Zustande  nichts;  die  Blutkörperchen  haben 
somit  ihre  Fähigkeit  zur  Aufnahme  des  Sauerstoffs  verloren,  werden  auch  zum  Theil 
aufgelöst,  wodurch  Blutfarbstoff  diffundirt  und  das  Blutharnen  erklärt  wird.5) 

Um  das  vom  Blute  aufgenommene  Arsen  nachzuweisen,  empfiehlt  sich  folgende 
Methode:  Das  Blut  wird  in  einem  langhalsigen  Kolben  mit  Salzsäure  und  chlorsaurem 
Kalium  bis  zur  Zerstörung  des  Hämoglobins  behandelt;  die  erhaltene  Flüssigkeit  neu- 
tralisirt  man  vorsichtig  mit  Ammoniak  und  säuert  sie  dann  wieder  mit  Salzsäure  an. 
Dann  leitet  man  Schwefelwasserstoff  bei  einer  Erwärmung  auf  wenigstens  80°  C.  durch 


Arsenwasserstoff  in  der  Industrie.  287 

und  lässt  die  nach  Schwefelwasserstoff  riechende  Flüssigkeit  so  lange  stehen,  bis  der 
Geruch  verschwunden  ist.  Der  gesammelte  Niederschlag  (Schwefelarsen)  wird  mit 
rauchender  Salpetersäure  behandelt  und  mit  Schwefelsäure  erwärmt,  um  die  Salpeter- 
säure zu  verjagen;  um  letztern  Zweck  vollständig  zu  erreichen,  lässt  man  die  Flüssig- 
keit erkalten,  verdünnt  sie  mit  Wasser  und  erwärmt  sie  nochmals.  Den  filtrirten  Nieder- 
schlag unterwirft  man  zuletzt,  wie  üblich,  dem  Marsh.' sehen  Apparate. 

An  den  Leichen  der  durch  Arsenwasserstoff  umgekommenen  Menschen  bleibt 
die  Haut  und  die  Conjunctiva  schmutzig- gelb,  auch  alle  Gewebe  des  Körpers  sind 
schmutzig-gelb  gefärbt.  Aus  Nase  und  Mund  üiesst  bisweilen  eine  schwärzliche,  nach 
Knoblauch  riechende  Flüssigkeit.  Die  Pia  mater  ist  sehr  gefässreich  und  in  den 
Windungen  des  Gehirns  befindet  sich  eine  Lage  serös-blutiger  Flüssigkeit;  selbst  die 
Substanz  des  nicht  blutreichen  Gehirns  fällt  durch  eine  schmutzig-gelbe  Färbung  auf. 
Die  Lungen  sind  meist  blutarm,  blaugelb  marmorirt  und  auf  den  Durchschnitts- 
flächen tritt  eine  dunkelrothe,  schaumige  Flüssigkeit  aus:  die  Schleimhaut  des  Larynx 
und  der  Trachea  ist  schmutzig-gelbgrün  gefärbt.  Im  rechten  Herzen  findet  sich  mehr 
oder  weniger  schmutzig-dunkles  geronnenes  Blut,  während  das  linke  Herz  gewöhnlich 
leer  ist.  Die  grüngelbe  Leber  ist  meistens  blutleer,  die  Nieren  sind  blutreich, 
dunkelroth:  die  Milz  ist  braunschwarz  und  in  der  Harnblase  findet  sich  blutiger 
Urin. 

Die  Genesung  erfolgt  äusserst  langsam  und  viele  Monate  hindurch  können 
Schwäche  und  Hinfälligkeit  noch  anhalten;  vergleicht  man  diese  Reconvalescenz 
mit  der  Erholung  nach  Einwirkung  der  arsenikalischen  Dämpfe,  so  kann  es 
nicht  zweifelhaft  sein,  dass  mittels  des  Speichels,  der  Faeces  und  des  Urins 
das  aufgenommene  Arsen  wieder  ausgeschieden  und  dadurch  die  Genesung  bedingt 
wird;  im  Urin  lässt  sich  dasselbe  in  solchen  Fällen  leicht  nachweisen.6) 

Auf  Pflanzen  wirkt  Arsenwasserstoff  ebenfalls  zerstörend  ein;  die  Blumen 
werden  welk,  die  Blätter  bekommen  mehr  oder  weniger  gelbe  und  braune  Flecke 
oder  werden  hellbraun;  Samen  von  Kresse  verlor  in  Berührung  mit  dem  Gase 
seine  Keimkraft.7) 

Vorkommen  von  Arsenwasserstoff  in  der  Industrie.  Die  Behauptung,  dass  in 
mit  arsenhaltigen  Tapeten  bekleideten  Wohnräumen  sich  Arsen  wasserstoffgas 
entwickeln  könne,  ist  vielfach  bekämpft  worden.  Fleck  hält  nach  seinen  Ver- 
suchen diese  Möglichkeit  aufrecht  und  macht  zunächst  darauf  aufmerksam,  dass 
in  keinem  Schweinfurter  Grün  ein,  wenn  auch  geringer,  Gehalt  an  ungebun- 
dener arseniger  Säure  fehle;  die  Entwicklung  von  Arsenwasserstoff  finde 
nun  als  Zersetzungsproduct  dieser  freien  arsenigen  Säure  vorwaltend  unter  Mit- 
wirkung der  Zimmerfeuchtigkeit  und  organischen  Materien  und  zwar  haupt- 
sächlich der  organischen  Bindemittel  statt. s) 

Fleck  nimmt  hiernach  an,  dass  überall,  wo  organische  Stoffe  mit  freier 
arseniger  Säure  zusammentreten,  die  Entwicklung  von  Arsenwasserstoff 
möglich  sei  und  somit  in  einer  Zimmerluft  unter  den  angeführten  Bedingungen 
vorkommen  könne,  wo  Schweinfurter  Grün  als  Anstrich  der  Wände  oder  mittels 
Tapeten  verwendet  worden  sei. 

Immerhin  bildet  jedoch  das  Abstäuben  der  arsenhaltigen  Farben  einen 
wesentlichen  Factor  in  den  meisten  Fällen  derartiger  Vergiftungen;  siud  die 
Tapeten  mit  Schweinfurter  Grün  bearbeitet,  so  ist  namentlich  durch  das  Auffinden 
von  Kupfer  und  Arsen  im  Urin  der  betreffenden  Kranken  mit  Bestimmtheit  der 
Tapetenstaub  als  Krankheitsursache  nachgewiesen.9) 

Auch  ist  auf  den  Umstand  noch  aufmerksam  zu  machen,  dass  bei  Tapeten,  welche 
mit  einem  schlechten,  aus  fauligen  Stoffen  dargestellten  Leim  aufgeklebt  werden,  sich 
stets  ein  höchst  unangenehmer  Geruch  in  den  betreffenden  Wohnräumen  entwickelt. 

Auch  kann  die  Essigsäure  des  beim  Tapetendruck  benutzten  Schweinfurter 
Grüns  bei  Feuchtigkeit  und  Schimmelbildung  eine  Zersetzung  erleiden,  welche  als 
Hauptproduet  die  Propionsäure  liefert.     Bildet    diese    mit    dem   Kalk    des   Mörtels    ein. 


288  Arsen  und  Halogene. 

f>ropionsaures  Salz,  so  kann  dasselbe  durch  die  Einwirkung  der  atmosphärischen  Koh- 
ensäure  zersetzt  werden:  die  sich  entwickelnde  Propionsäure  gibt  dann  zu  einem  höchst 
unangenehmen  Gerüche  Veranlassung. 

Zur  Gewinnung  des  Silbers  aus  Blei  auf  Bleihütten  wird  dem  geschmolzenen 
Blei  Zink  zugesetzt;  das  Silber  legirt  sich  mit  dem  Zink  und  scheidet  sich  als  silber- 
haltiger Zinkschaum  aus;  bei  dem  Acte  nun,  wenn  durch  Zusatz  von  Salzsäure 
das  unlösliche  Chlorsilber  voui  löslichen  Chlorzink  geschieden  wird,  kann  sich 
Arsenwasserstoff  in  sehr  grossen  Mengen  entwickeln,  da  Blei  und  Zink  nie 
arsenfrei,  die  käufliche  Salzsäure  aber  stets  sehr  arsenhaltig  ist. 

Wird  diese  Arbeit  an  einem  offenen  Kessel  vorgenommen  und  bleiben  die  Arbeiter 
dem  massenhaft  ausströmenden  Gase,  ausgesetzt,  so  bilden  sich,  wie  die  Erfahrung  schon 
hinreichend  bewiesen  hat,  die  schwersten  Krankheitszustände  aus,  welche  entweder  erst 
nach  Monaten  in  Genesung  übergehen  oder  sich  unaufhaltsam  weiter  bis  zu  einem  letalen 
Ausgange  entwickeln. 

Ein  hermetischer  Verschluss  der  Kessel,  in  welchen  der  Process  vor  sich  geht,  ist 
absolut  erforderlich:  die  Säure  muss  langsam  durch  ein  im  Deckel  angebrachtes  und 
gebogenes  Glas-  oder  Bleirohr  zufliessen.  damit  ein  Selbstverschluss  stattfindet:  ein 
anderes  für  die  Ableitung  des  Gases  bestimmtes  Rohr  führt  diese  in  eine  Feuerung;  dieVer- 
brennungsproducte  müssen,  ehe  sie  in  den  Schornstein  gelangen,  einen  Raum  passiren, 
in  welchem  auf  Hürden  Calciumhydrat  aufgestreut  ist,  mit  welchem  sich  die  arsenige 
Säure  verbindet.  Das  entstandene  Calciumarsenit  muss  sorgfältig  aufbewahrt  und  ent- 
sprechend verwerthet  werden. 

Beim  Verbleien  des  Eisenblechs  wird  letzteres  vorher  mit  Salzsäure 
oder  Schwefelsäure  gebeizt ;  es  bildet  sich  wegen  des  Arsengehaltes  dieser 
Säuren  stets  auf  der  einen  Seite  Arsenwasserstoff  und  auf  der  andern  Seite 
wegen  des  Kohlen-  und  Schwefelgehaltes  des  Eisens  Kohlen-  und  Schwefel- 
wasserstoff. Die  Arbeit  muss  deshalb  stets  unter  einem  gut  ziehenden  Schlot 
vorgenommen  werden,  wenn  die  Quantität  der  betreffenden  Gase  gering  ist;  ihre 
Qualität  fordert  aber  stets  zu  grosser  Vorsicht  auf. 

Beim  Verzinnen  des  Eisenblechs  dürfen  ebenfalls  nur  reine  Schwefel- 
säure und  Salzsäure  zum  Beizen  benutzt  werden;  aber  auch  das  Zinn  kann  arsen- 
haltig sein,  obgleich  vorschriftsmässig  nur  reines  Zinn  genommen  werden  soll, 
das  ausserdem  noch  im  geschmolzenen  Zustande  durch  eine  Decke  von  Talg  vor 
Oxydation  zu  schützen  ist. 

Arsen  und  Halogene. 

1)  Arsenchlorid  AsCl3  bildet  sich,  wenn  man  trocknes  Chlorgas  über  arsenige 
Säure  leitet  und  stellt  eine  farblose,  rauchende  Flüssigkeit  dar,  welche  sich  mit  wenig 
Wasser  mischt,  allmählig  aber  zersetzt: 

AsCl3  +  2H20  =  AsCl(OH)2  -h  2  HCl. 

Durch  vieles  Wasser  zersetzt  es  sich  zu  Arsenigsäureanhydrid  und  Salzsäure. 

Einwirkung  des  Arsenchlorids  auf  den  thierischen  Organismus.  2  Grm.  Arsen- 
chlorid wurden  in  einen  kleinen  Kolben  gebracht  und  erwärmt;  mittels  der  Compressions- 
pumpe  wurden  die  Dämpfe  eingetrieben.  Nach  8  M.  grosse  Unruhe,  starkes  Reiben  der 
Nase,  Anschwellen  der  Augenlieder:  nach  10  M  nochmalige  Zufuhr  der  Dämpfe,  dann 
Dyspnoe  und  Thränen  der  Augen;  nach  IG  M.  ist  die  Respiration  mit  tiefem  Einziehen 
der  Weichen  verbunden,  beständiges  Yibriren  am  Unterkörper,  leichtes  Zittern  des 
Kopfes;  nach  20  M.  Herausnahme  des  Kaninchens.  Sein  Maul  ist  weiss  von  ausge- 
schiedener arseniger  Säure,  Cornea  trübe,  in  den  Augenwinkeln  weisser  Schleim  und 
die  gerötheten  untern  Augenlieder  ein  wenig  nach  aussen  gekehrt:  es  sitzt  mit  ge- 
spreizten Hinterbeinen  und  wankendein  Kopfe  da:  nach  7  M.  lässt  es  wie  ein  Schlafen- 
der den  Kopf  immer  tiefer  sinken  und  schreckt  dann  plötzlich  wieder  auf,  grade 
als  ob  es  gegen  die  Betäubung  ankämpfen  wollte.  Nach  10  M.  schreit  es  plötzlich  auf 
und  wird  convulsiviseh  eine  Strecke  weit  fortgeschleudert;  dann  bleibt  es  mit  gespreiz- 
ten Beinen  auf  dem  Bauche  bei  unregelmässiger  Respiration  und  schwankendem  Kopfe 
liegen.  Unter  schlnmmersüchtigem  Zustande,  Abnahme  der  Respiration  und  des  Herz- 
schlags stirbt  es  nach  :iö  Minuten. 

Section  nach  6  Std.   Die  Schleimhaut  der  Coniunctiva  und  der  Augenlieder  geröthet, 


Arsencklorid.  289 

die  Hornhaut  trübe;  die  Hirnhäute  stark  kyperämisch,  auf  den  Corp.  quadrigem.  etwas 
geronnenes  und  flüssiges  Blut;  Plex.  venös,  spin.  angefüllt;  Nacken-  und  Halsmuskeln 
stellenweise  blutig  infiltrirt.  Lungen  von  hellrother  Farbe  mit  braunrother  und  stellen- 
weise schwarzbrauner  Marmorirung:  auf  den  Schnittflächen  überall  weisser  Schaum  und 
flüssiges  Blut;  ein  röthlicher  Schaum  bedeckt  die  intensiv  dunkelroth  gefärbte  Tracheal- 
schleinihaut  bis  zum  Larynx.  Im  rechten  Herzen  und  im  linken  Vorhof  schwarzes, 
fest  geronnenes  Blut:  das  flüssige  Blut  ist  braunroth  mit  einem  Stich  ins  Violette,  färbt 
sich  aber  an  der  Luft  hellkirschroth;  viele  Blutkügelchen  sind  ungleich  gerändert  und 
schwach  eingekerbt.  In  der  Brusthöhle  hat  sich  ein  wenig  flüssiges  Blut  angesammelt. 
Leber  blassbraunroth  und  ziemlich  reich  an  flüssigem  und  geronnenem  Blute;  die  Milz 
blassroth,  die  Harnblase  leer.  In  den  grössernVenen  flüssiges  und  geronnenes  Blut;  in 
Lunge  und  Leber  konnte  Arsen  nachgewiesen  werden. 

2)  4  Grm.  wurden  in  einem  KÖlbchen  erwärmt  und  die  sich  entwickelnden 
Dämpfe  in  den  kleinen  Zinkkasten  getrieben,  in  welchem  eine  Taube  sass.  Schon  nach 
2  M.  floss  ein  weisser  Schaum  aus  der  Nase;  nach  6  M.  35  kurze  Inspirationen  binnen 
1/i  M.  mit  jedesmaligem  Oeffnen  des  Schnabels,  dabei  grosse  Unruhe  und  Erbrechen; 
nach  10  M.  nochmals  Erbrechen  und  flüssiger  Kothabgang;  danach  Herausnahme  der 
Taube.  Die  beschleunigte  Respiration  nimmt  ab,  nochmaliges  Erbrechen;  nach  2l/i  St. 
stirbt  sie  bei  progressiver  Abnahme  der  Respiration  und  des  Herzschlages  unter  leichten 
Convulsionen. 

Section  nach  12  Stunden.  Zwischen  Dura  mater  und  den  Wirbeln  ein  sehr 
dünnes,  wässrigesBlutextravasat;  dieHirnhäute  nur  schwach  injicirt;  die  Schleimhaut  des 
Schnabels  geröthet,  geschwollen  und  mit  einer  dicken  Lage  Schleim  bedeckt;  Lungen- 
schleimhaut injicirt.  An  der  Theilung  der  Luftröhre  eine  dünne  Lage  flüssigen  Blutes; 
die  Ränder  der  Lunge  ziegelroth,  das  übrige  Gewebe  schmutzigbraun;  auf  den  Durch- 
schnittsflächen des  überall  braun  gefärbten  Parenchyms  tritt  zäher  blutiger  Schaum  hervor. 
Die  rechte  Herzhälfte  und  der  linke  "Vorhof  mit  schwarzem  dickflüssigem  Blute  ange- 
füllt, welches  erst  nach  5  Stunden  an  der  Luft  dunkelkirsehroth  wird;  viele  Blutkügelchen 
sind  ganz  zerfallen.  Leber  schmutzigbraunroth  und  reich  an  dickflüssigem  Blute: 
Nieren  schmutzigbraun.  Im  Gehirn,  in  den  Lungen  und  der  Leber  konnte  arsenige 
Säure  nachgewiesen  werden. 

Arsenchlorid  wirkt  bei  der  Inhalation  vorzugsweise  durch  seine  Zer- 
setzungsproducte,  die  arsenige  Säure  und  die  Salzsäure,  doppelt  giftig  ein  und 
erzeugt  dadurch  den  höchsten  Grad  der  Reizung  in  den  Respirationswegen.  Die 
Einwirkung  der  Salzsäure  gab  sich  beim  Kaninchen  ganz  bestimmt  durch  die 
milchige  Trübung  der  Hornhaut  kund,  während  die  Dyspnoe  der  Wirkung  der 
arsenigen  Säure  angehört,  auf  welche  auch  die  nervösen  Symptome  (Vibriren, 
Zittern)  zurückzufühi*en  sind. 

Technische  Verwendung  findet  bisweilen  noch  eine  salzsaure  Lösung  der 
arsenigen  Säure  zum  Graubeizen  des  Messings.  Dieses  Verfahren  beruhtauf 
einem  Niederschlagen  des  metallischen  Arsens  und  sollte,  wenn  auch  die  betreffenden 
Gegenstände  mit  einem  Firniss  überzogen  werden,  nicht  gestattet  sein.  Die  Pro- 
cedur  ist  auch  an  und  für  sich  gefährlich,  weil  sich  während  des  Beizens  stets 
Arsenwasserstoff  entwickelt. 

2)  Arsenbl'Omid  AsBr3  wird  durch  directes  Zusammenschmelzen  von  metalli- 
schem Arsen  und  Brom  dargestellt.  Der  Körper  destillirt  unverändert  über  und  bildet 
eine  farblose  Flüssigkeit,  welche  bei  20°  zu  weissen  Krystallen  erstarrt. 

Einwirkung  von  Arsenbromid  auf  den  thierischen  Organismus.  Eine  Taube 
sitzt  in  der  Glasglocke.  Nachdem  das  Präparat  erwärmt  worden,  werden  die  Dämpfe 
mittels  der  Compressionspumpe  eingetrieben;  die  Taube  wird  sofort  sehr  unruhig, 
schüttelt  mit  dem  Kopfe,  bemüht  sich  zu  entfliehen  und  blinzelt  mit  deu  Augen.  Aus 
den  Nasenlöchern  fliesst  eine  schleimige  Flüssigkeit;  nach  5  M.  ist  die  Zahl  der  Inspir. 
von  8  auf  17  binnen  1/i  M.  gestiegen.  Nachdem  noch  durch  8  Kolbenstösse  neue  Dämpfe 
eingetrieben  worden  sind,  entsteht  schwaches  Würgen;  nach  18  M.  14  Inspir.  während 
1/i  M.  mit  geringem  Oeffnen  des  Schnabels;  nach  20  M.  Herausnahme. 

Die  Taube  verhält  sich  ruhig  bei  Sehleimrasseln  in  der  Luftröhre ;  die  Respiration 
bleibt  noch  vermehrt.  Am  folgenden  Tage  heisere  Stimme,  welche  noch  mehrere  Tage 
bei  angestrengter  Inspiration  anhält;  Fresslu9t  ungestört;  dann  vollständige  Stimm- 
losigkeit. 

Eulenberg,  Gewerbe -Hygiene.  19 


•J90  Arsen  und  Sauerstoff. 

Die  Taube  wurde  11  Tage  uach  dem  Experimente  getödtet;  bei  der  Sectiou  fand 
sich  ein  umschriebenes  croupöses  Exsudat  im  Larynx  und  zwar  an  den  Stimm- 
bändern im  Durchmesser  von  21  •,  Linien;  die  Lungen  waren  stellenweise  hellroth 
auf  duukelbrauuem  Grunde,  nicht  sehr  blutreich  und  überall  lufthaltig.  In  diesem 
Falle  waren  die  Dämpfe  mit  so  viel  atmosphärischer  Luft  vermischt,  dass  es  bei 
der  eigentümlichen  localen  Einwirkung  blieb;  durch  die  croupöse  Affection  war 
jedenfalls  die  Stimmlosigkeit  bedingt. 

3)  Arsenjodid  AsJ3  wird  durch  directes  Zusammenschmelzeil  von  metallischem 
Arsen  und  Jod  dargestellt  und  bildet  eine  orangerothc,  goldglänzende,  krystallinische 
Masse.  In  sanitärer  Beziehung  ist  zu  bemerken,  dass  bei  der  Darstellung  von  Jod  und 
Brom  sich  Arsenjodid  resp.  Arsenbromid  bilden  kann,  wenn  die  angewendete  Schwefel- 
säure arsenhaltig  war. 

Einwirkung  von  Arsenjodid  auf  den  thierischen  Organismus.  0,6  Grm.  Arsen- 
jodid werden  erwärmt  und  die  sich  entwickelnden  Dämpfe  mittels  der  Compressions- 
pumpe  in  die  Glocke  getrieben,  in  welcher  eine  Taube  sitzt.  Nach  3  Kolbenstössen  ist  die 
Atmosphäre  rothbraun:  sogleich  Unruhe,  Blinzeln  mit  den  Augen,  Unruhe,  Schlagen 
mit  den  Flügeln,  rasches  Erheben  und  Recken  des  Kopfes  nebst  Schliessen  der  Augen. 
Die  weissen  Federn  sind  gelb  geworden,  leichtes  Würgen;  nach  7  M.  Feuchtwerden  der 
Nasenlöcher  und  grosse  Unruhe:  nach  10  M.  Herausnahme  der  Taube.  Anfangs 
geringes  Schwanken,  sie  schüttelt  den  Kopf  und  schleudert  dabei  den  Schleim  aus  den 
Nasenlöchern  heraus:  nach  10  M.  unregelmässige  Respiration  bei  sonst  ruhigem  Ver- 
halten :  auch  beim  Yorwärtsschieben  ist  sie  nicht  zum  Gehen  zu  bringen  Nach  6  St. 
wird  sie  todt,  aber  noch  warm  mit  offenstehendem  Schnabel  und  zurückgezogenem 
Kopfe  gefunden. 

Section  12  Stunden  hernach.  Hirnhäute  schwach  injicirt;  in  den  Plex.  ven.  spin. 
geronnenes  Blut.  Die  Nackenmuskeln  sind  dunkelroth  gefärbt,  Maul-  und  Nasenhöhle 
mit  Schleim  angefüllt,  die  Trachealschleimhaut  dunkelroth  injicirt,  an  einzelnen  Stellen 
mit  einem  zarten  croupösen  Exsudat  bedeckt.  Lungen  hellziegelroth  mit  rothbrauner 
Marmorirung,  Parenchym  überall  braunroth;  auf  seinen  Schnittflächen  etwas  blutiger 
Schleim.  Herzmuskel  stark  injicirt,  im  rechten  Herzen  und  im  linken  Vorhof  stark 
geronnenes,  schwarzes  Blut:  es  scheidet  sich  wenig  flüssiges  Blut  aus,  das  anfänglich 
duukelbraunroth  ist,  an  der  Luft  aber  in  dünnen  Schichten  hellkirschroth  wird.  Leber 
von  normaler  Farbe,  arm  an  dickflüssigem  dunklem  Blute,  Nieren  von  hellbrauner  Farbe. 

Die  Einwirkung  der  arsenigen  Säure  ist  hier  durch  Jod  insofern  modificirt 
worden,  als  letzteres  jedenfalls  die  Erzeugung  von  croupösem  Exsudat  auf  der 
Trachealschleimhaut  mit  bedingt  hat. 

Arsen   und  Sauerstoff. 

1)  Arsenigsäoreanhydrid  As,03,  weisser  Arsenik,  Hüttenrauch,  Giftmehl  des 
Handels,  kommt  in  der  Natur  als  Arsenikblüthe  vor.  Es  bildet  eine  weisse,  amorphe 
Masse,  welche  allmählig  in  einen  krystallinischen  Zustand  übergeht;  im  letztern  Falle 
ist  sie  in  75  Th.  Wasser,  als  amorphe  Säure  in  25  Th.  Wasser  löslich.  In  kochendem 
Wasser  sind  beide  Säuren  ziemlich  gleich  löslich,  wobei  die  amorphe  Säure  wieder  in 
die  krystallinische  übergeht.  Concentrirte  Salpetersäure  oxydirt  das  Anhydrid  zu  Arsen- 
säure:  mit  Basen  geht  es  salzartige  Verbindungen  ein. 

Einwirkung  der  Dämpfe  von  arseniger  Säure  anf  den  thierischen  Organismus. 
Eine  Taube  sass  im  grossen  Glaskasten;  0,5  Grm.  arsenige  Säure  wurden  in  einer  Glas- 
röhre erhitzt  und  die  sich  entwickelnden  Dämpfe  in  den  Kasten  eingetrieben.  Schon 
nach  1  M.  entstand  Blinzeln  mit  den  Augen  bei  beständigem  Picken  zwischen  den 
Federn ;  nach  10  M.  häufiges  Schwanken,  geringer  Ausfluss  aus  den  Nasenlöchern  und 
bald  darauf  Erbrechen  von  Schleim.  Nach  30  M.  war  der  Vorrath  des  Arsens  ver- 
flüchtigt, wovon  sich  aber  wenigstens  ein  Drittel  im  vordem  Theile  der  Röhre  niederge- 
schlagen hatte.  Nach  34  M.  Bauchlage,  Blinzeln  mit  den  Augen  und  Schliessen  derselben, 
Schütteln  mit  dem  Kopfe;  nach  40  M.  Erbrechen  von  Wicken  und  Schleim;  nach 
50  M.  wässriger  Kothabgang.  Nach  60  M.  war  die  Zahl  der  Inspirationen  von  9  auf  13 
binnen  1/4  M.  gestiegen,  starkes  Erbrechen ;  hierauf  Herausnahme.  Nach  10 M.  erfolgte 
nochmals  starkes  Erbrechen:  sonst  nichts  Auffallendes.  Am  folgenden  Tage  erhebliche 
Dyspnoe,  sehr  beschleunigter  Herzschlag,  aufgehobene  Fresslust  und  starker  Durst.  Am 
2.  Tage  derselbe  Zustand  bei  sehr  grosser  Hinfälligkeit  und  sehr  verlangsamtem  Herz- 
schlage.    Am  Abende  wurde  sie  todt  gefunden. 


Arsenigsäureanhydrid.  291 

Section  8  Stunden  hernach.  Die  Schädelknochen  zeigen  angefüllte  Venen ;  Dura 
mater  und  weiche  Hirnhaut  massig  hyperäniisch  ;  die  Plex.  ven.  spin.  mit  dickflüssigem 
dunklem  Blute  gefüllt.  Schwache  lnjection  der  Tracheaischleimhaut;  Lungen  von 
heller  Ziegelröthe,  auf  den  Durchschnittsflächen  wenig  flüssiges  Blut.  In  der  rechten 
Herzhälfte  und  im  linken  Vorhofe  dickflü-ssiges  Blut;  in  dicken  Lagen  erscheint 
es  ganz  dunkelroth,  in  dünnen  Schichten  hat  es  mehr  einen  Stich  ins  Violette  und  wird 
an  der  Luft  hellkirschroth;  viele  Blutkügelchen  sind  geschrumpft  oder  an  den  Rändern 
eingerissen.  Leber  reich  an  flüssigem  dunklem  Blute,  die  untere  Hälfte  ist  an  der 
vordem  und  hintern  Fläche  schwarzbraun  gefärbt.  Die  Oberfläche  des  Magens  zeigt 
angefüllte  Gefässe.  Chemisch  lässt  sich  in  Lunge  und  Leber  sehr  deutlich  arsenige 
Säure  nachweisen. 

Die  Erscheinungen  stimmen  in  den  Hauptpuncten  mit  denjenigen  überein, 
welche  durch  die  Einwirkung  der  arsenikalischen  Dämpfe  und  des  Arsenwasser- 
stoffs hervorgerufen  werden;  bei  der  arsenigen  Säure  ist  nur  noch  eine  grössere 
Reizung  der  äussern  Haut  und  der  Schleimhäute  zu  bemerken.  Bei  der  Taube 
gab  sich  diese  Reizung  durch  das  Blinzeln  der  Augen  und  den  starken  schlei- 
migen Ausfiuss  aus  den  Nasenlöchern  zu  erkennen. 

Bei  Menschen  erzeugt  schon  die  Berührung  der  Säure  mit  der  Haut  vesiculöse 
Hautaffectionen;  es  kann  sehr  lange  bei  dieser  einfachen  Hautreizung  bleiben,  ehe 
sich  andere  Symptome  der  Arsenvergiftung  kund  geben.  Man  beobachtet  dies 
namentlich  bei  Arbeitern,  welche  viel  mit  Schweinfurter  Grün  manipuliren,  oder 
bei  Lohgerbern,  welche  mittels  Rhusma  (s.  Gerberei)  die  Enthaarung  der  Felle 
bewirken.  Das  Arsen  kann  sich  in  solchen  Fällen  auch  in  den  Nägeln  oder 
Kopfhaaren  ansammeln,  ohne  dass  weitere  Krankheits Symptome  auftreten;  dies 
zeigte  sich  z.  B.  in  einem  Falle,  wo  ein  Mann  30  Jahre  lang  in  einer  Fabrik 
von  Schweinfurter  Grün  gearbeitet  hatte;  noch  nach  2  Jahren,  nachdem  er  die 
Fabrik  verlassen  hatte,  konnte  in  seinen  Kopfhaaren  Arsen  nachgewiesen 
werden.  In  solchen  Fällen  hat  sich  die  arsenige  Säure  in  Arsensäure  um- 
gewandelt, und  man  kann  mit  höchster  Wahrscheinlichkeit  annehmen,  dass  sich 
aus  diesem  Grunde  keine  schädlicheren  Folgen  kund  geben,  weil  die  Arsen- 
säure gleich  vielen  andern  höhern  Oxydationsproducten  (m.  vergl.  Chlorsäure, 
Schwefelsäure,  Salpetersäure  u.  s.  w.)  beim  Zurücktreten  des  Radicals  die 
charakteristische  Wirkung  desselben  viel  weniger  zeigt  (s.  Arsensäure). 10)  Viel 
gefährlicher  sind  die  Erscheinungen,  wenn  die  arsenige  Säure  als  arsenika- 
lischer  Dampf  in  grösserer  oder  geringerer  Menge  einwirkt.  Es  entsteht  ein 
schmerzhaftes  Brennen  der  Nasenschleimhaut,  der  Lippen  und  Augen,  welches 
durch  Waschen  mit  Wasser  wenig  gelindert  wird;  Lippen,  Nasenflügel  und  Augen- 
lieder schwellen  vielmehr  an,  das  Gesicht  röthet  sich,  der  Gaumen  und  die  Luft- 
röhre werden  sehr  schmerzhaft;  dann  bildet  sich  im  Verlaufe  von  mehreren 
Stunden,  meist  trotz  aller  angewendeten  Gegenmittel,  der  höhere  Grad  der 
Vergiftung  aus;  heftiges  Erbrechen,  Kolik,  Diarrhoe  mit  Tenesmus  und  ßlutharnen 
deuten  hinreichend  auf  das  vom  Blute  bereits  aufgenommene  giftige  Metall  hin; 
Ohnmächten,  Zittern,  vorübergehende  Krämpfe  in  verschiedenen  Muskeln,  Stiche 
und  Kribbeln  in  den  Extremitäten,  Speichelfluss,  schmerzhafte  Zahnfleischgeschwüre 
gesellen  sich  dann  zu  einer  solchen  intensiven  Vergiftung,  welche  im  glücklichsten 
Falle,  wenn  das  aufgenommene  Metall  ausgeschieden  wird  oder  sich  in,  besonders 
im  Harn  nachweisbare,  Arsensäure  verwandelt,  erst  nach  vielen  Monaten  unter 
grosser  Schwäche  und  Hinfälligkeit  in  Genesung  übergeht.11) 

Die  chronische  Arsenvergiftung  bildet  sich  bei  den  Hüttenarbeitern 
aus,  wenn  längere  Zeit  hindurch  kleinere  Mengen  des  Dampfes  oder  Staubes  von 
arseniger  Säure    einwirken.      Hier  liegt  vorzugsweise    die   Ernährung   darnieder; 

10  * 


292  Arsen  und  Sauerstoff. 

Haare  und  Nägel  fallen  leicht  aus,  die  Haut  wird  trocken,  fast  pergamentartig 
oder  ist  mit  verschiedenen  papalösen,  pastulösen  u.  s.  w.  Exanthemen  bedeckt 
Jedes  Essen  erzeug!  üebelkeit,  Erbrechen  oder  Schmerzen  im  Epigastrium;  eine 
vermehrte  Absonderung  eines  übelriechenden  und  schwarzen  Speichels  erzeugt 
Arrosionen  oder  kleine  Geschwürchen  in  der  Mundhöhle,  am  Gaumen,  Zahnfleisch 
oder  an  der  Zunge;  letztere  ist  entweder  gelblich  belegt  oder  roth  und  trocken 
bei  grossem  Durst;  Kolikanfälle  fehlen  selten  bei  empfindlichem  und  meist  ein- 
gefallenem ünterleibe.  Profuse  und  wässrige  Diarrhoe  wechselt  oft  mit  Ver- 
stopfung und  Tenesmus;  im  letztem  Falle  zeigt  sich  dann  der  Bauch  mehr 
tympanitisch.  Nimmt  die  Krankheit  noch  zu,  was  übrigens  in  der  Industrie 
höchst  selten  vorkommt,  so  beobachtet  man  bei  erschwerter  und  keuchender 
Respiration  einen  trocknen  Husten,  welcher  erst  später  mit  einem  zähen,  selbst 
blutig  gefärbten  Auswurfe  verbunden  ist.  Der  Kräfteverfall  steigert  sieh  um 
so  mehr,  je  deutlicher  eine  dem  hektischen  Fieber  ähnliche  Fieberreizung  oder 
sogar  eine  Trübung  des  Sensoriums  hinzutreten.  Affectionen  sensibler  Nerven 
äussern  sich  als  schmerzhaftes  Ziehen  und  Kribbeln  in  den  Gliedern.  Zeigt 
sich  Lähmung  der  motorischen  Nerven,  so  schreitet  die  allgemeine  Schwäche 
uuter  hydropischen  Erscheinungen  rasch  weiter  zum  Tode;  Lähmung  der 
sensiblen  Hautnerven  ist  bisweilen  mit  Schmerzgefühlen  verbunden  (Anaesthesia 
dolorosa). 

Auf  alle  Pflanzen  wirkt  arsenige  Säure  giftig  ein;  die  gewöhnlichen  Folgen 
ihrer  Einwirkung  auf  dieselben  sind,  wenn  die  Wurzeln  mit  der  in  Wasser  ge- 
lösten Säure  in  Berührung  gebracht  oder  die  Stengel  in  ein  solches  Wasser 
gesetzt  werden,  meist  Veränderung  der  grünen  Farbe  in  eine  braune  oder 
weissliche,  oder  ein  mattes,  welkes  Ansehen,  wie  in  Folge  von  Uebergiessen 
mit  heissem  Wasser,  meist  Ausbreitung  der  Verfärbung  am  Stengel  von  unten 
nach  oben  und  nach  dem  Laufe  der  Nerven  der  Blätter.  Die  Einwirkuug  auf 
die  Blumen  gibt  sieh  durch  Welken,  Bräunung,  Verwelken  und  Abfallen  ihrer 
Blätter  zu  erkennen. 

Die  Gegenwart  des  Arsens  in  den  verschiedenen  Theilen  von  Pflanzen, 
welche  seiner  Einwirkung  ausgesetzt  wurden,  lässt  sich  durch  die  chemische 
Analyse  nachweisen.  Es  hat  sich  dabei  herausgestellt,  dass  es  nur  einer  sehr 
kleineu  Menge  Arsen  bedarf,  um  eine  tödtliche  Wirkung  auf  die  Pflanzen 
hervorzubringen.  Da  demnach  die  Pflanzen  in  der  Regel  durch  ihr  Erkranken 
und  Absterben  zu  ökonomischen  Zwecken  nicht  verwendet  werden  können,  so 
ist  iu  dieser  Beziehung  kaum  eine  Gefahr  für  die  Menschen  zu  befürchten;  auch 
suchen  die  Besitzer  der  industriellen  Etablissements  gewöhnlich  durch  Entschä- 
digungen den  verursachten  Schaden  wieder  gut  zu  machen.  Sobald  die  Futter- 
kräuter die  Zeichen  der  arsenikalischen  Einwirkuug  darbieten,  ist  es  ebenso 
dringend  geboten,  sie  zu  vernichten,  da  alles  Vieh  sich  sehr  empfänglich  für 
solche  Schädlichkeiten  zeigt. 

Es  ist  eine  bekannte  Thatsache,  dass  Geflügel  in  der  Nähe  der  Etablissements, 
welche  Arsen  bearbeiten,  zu  Grunde  geht;  dasselbe  hat  mau  bei  Bienen  be- 
obachtet, welche  höchst  wahrscheinlich  mit  dem  in  den  Blumen  abgelagerten 
arsenikalischen  Staube  in  Berührung  kommen  und  dadurch  vergiftet  werden.12) 

Der  Hochwald  sowie  die  mehr  harzige  Stoffe  enthaltenden  Coniferen 
und  unter  den  Strauchpflanzen  die  Kartoffeln  scheinen  für  die  Einwirkung  der 
arsenikalischen  Dämpfe   weniger  empfänglich   zu   sein.     Befinden   sich  die  Nadel- 


Arsenigsäureanhydrid-Industrie. 


291 


hölzer,  besonders  die  Kiefer,  noch  in  einem  Alter  von  5 — 6  Jahren,  so  tritt  häufig 
die  Krankheit  eiu,  welche  das  Schütten  genannt  wird,  in  dem  abnormen  Ab- 
fallen aller  Nadeln  besteht  und  auch  durch  schweflige  Säure  hervorgerufen  wer- 
den kann  (s.  S.  153).  In  manchen  Gegenden  kann  man  diese  Affection  um  so 
mehr  als  eine  Folge  der  arsenikalischen  Dämpfe  betrachten,  wenn  die  Kiefer- 
bestände nur  in  der  Richtung  schütten,  in  welcher  sie  von  den  Hüttengasen  be- 
strichen werden  und  sonstige  schädliche  Einflüsse  nicht  nachweisbar  sind.  Am 
meisten  werden  stets  die  Wiesen  und  der  Feldbau  durch  arsenikalische  Dämpfe 
benachtheiligt. 

Ueber  das  Verhalten  des  Bodens  der  arsenigen  Säure  gegenüber  sind  die 
Untersuchungen  noch  nicht  abgeschlossen;  derselbe  scheiut  wenigstens  nicht 
grosse  Mengen  der  Säure  zu  absorbiren ;  immerhin  kann  aber  das  Eindringen  der 
arsenigen  Säure  in  den  Boden  mit  nachtheiligeu  Folgen  für  die  Vegetation  in 
der  Nähe  der  betreffenden  Etablissements  verknüpft  sein. 13) 

Bekanntlich  fand  früher  vielfältig  ein  Einweichen  des  Saatkorns  in  einer 
Lösung  von  arseniger  Säure  statt,  um  dasselbe  gegen  den  Brand  zu  schützen. 
Obgleich  genaue  Untersuchungen  ergeben  haben,  dass  aus  diesem  Verfahren 
kein  Bedenken  für  die  daraus  zu  erzielende  Frucht  erwächst,  so  ist  es 
doch  wegen  der  Manipulation  mit  einem  höchst  giftigen  Körper  und  der  damit 
verbundenen  Gefahr  zu  verwerfen.14) 

Arsenigsäureanhydrid  -  Industrie. 

Man  unterscheidet  das  Rösten  der  arsenhaltigen  Erze  und  die  Subli- 
mation der  erhaltenen  arsenigeu  Säure. 

Die  Rüstung.  Die  arsenige  Säure  wird  durch  Rösten  der  arsenhaltigen  Erze 
auf  Hüttenwerken  in  Flamm-  oder  Muffelöfen  dargestellt,  indem  man  die  ent- 
weichenden Dämpfe  in  Kammern  leitet.  In  Schlesien  und  Sachsen  wird  sie  auf 
besondern  Hütten,  den  sogen.  Gifthütten,  eigens  aus  Arsenkies  gewonnen. 

Zu  diesem  Zwecke  wendet  mau  Reverberiröfen  ,  sogen.  Arsen-Muffelröstöfen, 
an;  der  Boden  der  Muffel  (Fig  33  a)  besteht  aus  grossen  feuerfesten  Thonplatten. 
Die  Verbrennungsproducte  sammeln  sich  in  einem  Canal  (6),  welcher  sich  nach 
beiden  Seiten  theilt,  zwischen  doppelten  Seiten  wänden  der  Muffel  verläuft,  somit  noch 
zur  Erwärmung  der  Muffel  mitwirkt  und  schliesslich  in  den  Schornstein  (<•)  übergeht. 

Fig.  33. 


Der  Arsenschlich,  welchen  man  bei  d  aufgibt,  wird  während  des  Röstens  häufig 
urngekrückt,  wobei  grosse  Vorsicht  Seitens  der  betreffenden  Arbeiter  erforderlich  ist; 
sie  müssen  sich  hierbei  stets  Mund-   und  Nasenhöhle   schützen.     Die    erzeugte    arsenige 


294 


Arsen  und  Sauerstoff. 


Säure  gelangt  mittels  eines  Fuchses  (o)  in  die  Giftkammer  (/").  Der  abgeröstete  Schlich 
wird  glühend  aus  der  Muffel  gezogen  und  in  einen  vor  der  Feuerung  liegenden  Kasten 
(//)  zur  Abkühlung  gestürzt,  um  später  auf  die  betreffenden  Metalle  wieder  bearbeitet 
zu  werden.  Wegen  der  während  des  Umkrückens  und  Ausziehens  sich  stets  mehr  oder 
weniger  entwickelnden  Dämpfe  Ton  Arsen  resp.  arseniger  Säure  muss  vor  der  Arbeits- 
öffnung noch  ein  Rauchfang,  welcher  in  einen  nach  der  Giftkammer  fahrenden  Schorn- 
stein (/)  mündet,  vorhanden  sein:  andernfalls  ist  der  Schornstein  selbst  mit  Unterbrechungen 
resp.  Giftfängen  zu  versehen,  um  die  abziehenden  Gase  zu  nöthigen,  sich  an  den  Wan- 
dungen zu  reiben :  dadurch  findet  die  Ausscheidung  des  Giftmehls  möglichst  vollständig 
statt.  Der  Abkühlungskasten  (h)  wird  mit  einem  Horizontalschieber  sofort  geschlossen,  um 
dadurch    die   noch   auftretenden  Dämpfe  von  arseriger  Säure  unter  den  nahe  liegenden 

a  treiben. 

In  neuerer  Zeit  zieht  man  vielfältig  Röstöfen  mit  Gasfeuerung  den  Muffel- 
öfen vor.  weil  die  arsenige  Säure  dabei  reiner  dargestellt  und  auch  an  Brennmaterial 
gespart  wird. 

Statt  der  genannten  Giftkammern  oder  Giftthürme  gebrauchen  viele  Fabri- 
canten  lange  unterirdisch  gelegene,  im  Zickzack  verlaufende  Canäle,  welche  in  im  Innern 
der  Gebäude  liegende  Kammern  münden,  um  die  Dämpfe  in  denselben  vollständig  zu 
condensiren,  weil  die  eingeschlossen  liegenden  Kammern  länger  warm  bleiben,  daher 
die  heissen  Dämpfe  in  denselben  langsam  circuliren.  Es  ist  aber  zweckmässig .  an  die 
Letzte  Kammer  noch  einen  Koksthurm  mit  Berieselung  anzuschliessen,  um  die 
Condensation  möglichst  vollständig  zu  bewirken. 

Sublimation  oder  Raffination  des  Arsen-  oder  Giftmelils.  Das  in  den  Con- 
densationskaromern  gewonnene  Giftmehl  ist  mit  metallischen!  Arsen  oder  mecha- 
nisch fortgerissenem  Schlich  verunreinigt  und  wird  deshalb  in  besondern  Kesseln 

der  Sublimation  unterworfen. 

Dieses   Verfahren    ist   schon   bei   der    Verhüttung   des   me- 
F'9'  "■  tallischen  Arsens   erwähnt   worden,   wo   natürlich  ein  Zusatz  von 

I  Kuhle  zur  Reduction  der  Säure  erforderlich  ist.  Hier  wird  die 
arsenige  Säure  für  sich  sublimixt;  zu  dem  Ende  setzt  man  auf 
gusseiserne  Sublimirkessel  mehrere  cylindrische  Ringe  von 
-*  Eisenblech,  sogenannte  Strakeil  (Fig.  34)  auf.  Der  letzte  Ring 
ist  mit  einem  Hute  bedeckt,  welcher  mit  einer  trichterförmigen 
Tülle  in  die  Giftkammer  mündet.  Im  Hute  befindet  sich  eine 
Oeffnung  (oj,  um  zeitweilig  einen  Draht  einführen  und  etwaigen 
Verstopfungen  vorbeugen  zu  können.  Je  höher  die  arsenige 
Säure  steigt,  desto  reiner  ist  sie;  enthält  sie  noch  viel  metallisches 
Arsen,  so  muss  der  Process  wiederholt  werden  Die  eisernen 
Ringe  dienen  als  Condensatoren  und  müssen  gut  verkittet  wer- 
den. Die  arsenige  Säure  wird  schliesslich  als  eine  glasige  Masse 
gewonnen,  während  sich  in  den  Condensatiouskamern  das  weisse 
Mehl  ansammelt,  welches  als  solches  in  den  Handel  kommt  oder 
einer  abermaligen  Raffination  unterworfen  wird. 

Das  Aufschütten  des  arsenhaltigen  Erzes  uud  das  Um- 
knicken des  Arsenschlichs  sind   die  gefährlichsten  Acte  für 
die    Arbeiter,     weil    sich     grade    hier     stets    arsenikalische 
Dämpfe  entwickeln.     Das  Aufschütten  sollte  nur  mittels  der 
Füllkasten  geschehen  (s.  Schwefelsäure),  damit  die  Arbeiter 
hierbei    nicht    den    austretenden   Gasen    ausgesetzt    werden. 
Aus  derselben  Ursache  ist  der  Rauch  fang  vor  der  Arbeits- 
öffnnng  absolut  erforderlich,  um  die  austretenden  Dämpfe  sofort  in  die  Giftfänge 
abzuführen;    diese  entwickeln  sich  besonders  reichlich,  wenn  das  abgeröstete  Erz 
zu  früh  aus  dem  Ofen  genommen  wird. 

Beim  Sublimiren  oder  Raffiniren  der  arsenigen  Säure  kommt  es  ebenso 
sehr  auf  die  Ableitung  der  Dämpfe  in  die  Condeusationskammern  (Fig.  33  i) 
sowie  auf  die  sorgfältigste  Lutirung  der  Fugen  zwischen  den  sog.  Straken  an, 
damit  auch  die  geringsten  Mengen  der  Säure  vom  Arbeitsraume  abgehalten 
werden;  geschieht  es  nicht,  so  können  sich  besonders  bei  diesem  Vorgange  die 
gefährlichsten  Formen  der  acuten  Arsenvergiftung  ausbilden. 


Arsenigsäureanhydrid-Industrie.  295 

Es  ist  hier  der  Ort,  auf  die  irrthümliche  Auffassung  mancher  Techniker  auf- 
merksam zu  machen,  welche  den  Dampf  der  arsenigen  Säure  für  weniger  gefährlich 
erachten.  Es  bedarf  keines  weitern  Beweises,  dass  der  Dampf  viel  leichter  in  die 
Respirationswege  resp.  in  das  Blut  einzutreten  vermag  als  der  Staub  der  arsenigen 
Säure,  welcher  zwar  auf  den  Schleimhäuten  zunächst  Reizung  hervorruft,  aber  zu 
einem  grossen  Theile  durch  Räuspern  u.  s.  w.  wieder  ausgeworfen  werden  kann. 
Vor  dem  Staube  kann  man  sich  auch  leichter  schützen  als  vor  dem  Dampfe, 
welcher  in  so  geringen  Mengen,  dass  er  kaum  wahrnehmbar  ist,  leicht  die  gefähr- 
lichsten Wirkungen  erzeugt,  Aus  diesem  Grunde  dürfen  auch  die  Condensations- 
kammern  niemals  vor  vollständiger  Abkühlung  derselben  betreten  werden. 

Um  sich  dann  vor  dem  arsenikalischen  Staube  zu  schützen,  müssen  die 
Arbeiter  mit  leinenen  Kleidungsstücken  verseben  werden,  welche  alle  natürlichen 
Oeffnungen  des  Kopfes  bedecken.  Ein  solcher  Anzug  besteht  aus  Hosen  und 
Kittel;  letzterer  wird  mit  einer  Schnur  um  die  Hüften  zusammengebunden;  eine 
Kappe,  welche  über  den  Kopf  gezogen  wird  und  bis  über  die  Schultern  reicht, 
wird  in  ähnlicher  Weise  um  den  Hals  zusammengezogen;  sie  ist  mit  einem  in 
Blech  und  Blei  gefassten  Glasfenster  versehen. 

Auf  allen  grösseren  Berg-  und  Hüttenwerken  finden  sich  besondere  sa- 
nitäre Regulative  für  die  Gruben-  und  Werk  Vorsteher  sowie  für  die  Gruben- 
und  Werkarbeiter,  deren  Ausführung  einer  vorschriftsmässigen  Controle  unter- 
liegen muss.15) 

Auf  Gifthütten  muss  stets  das  Gegengift  von  Arsen,  Eisenoxydhydrat, 
vorräthig  gehalten  werden.  Das  beste  Schutzmittel  beruht  aber  in  der  sorgfäl- 
tigsten Ableitung  des  arsenikalischen  Dampfes,  in  der  Dichtigkeit  der  Sublimir- 
apparate,  in  der  Beachtung  der  strengsten  Reinlichkeit,  im  Vermeiden  von  Essen 
und  Trinken  in  den  Arbeitsräumen  und  im  regelmässigen  Waschen  des  Gesichts 
und  der  Hände  vor  jeder  Mahlzeit,  die  mit  Vortheil  aus  Milch  und  Milchspeisen 
besteht.  Gegen  Wundsein  ist  Lehmbrei  ein  probates  Mittel;  viele  Arbeiter 
trinken  sogar  Lehmwasser  als  Präservativ. 

Die  Wiedergewinnung  der  arsenigen  Säure  aus  den  Anilinfarbenröckständen 
resp.  ans  der  Arseniksänre  erfordert  ähnliche  Vorrichtungen  wie  auf  den  sogen.  Gift- 
hütten, weshalb  dies  Verfahren  hier  erwähnt  zu  werden  verdient,  obgleich  die  daraus 
erwachsenden  Kosten  sehr  bedeutend  sind  und  auch  der  beabsichtigte  Zweck  selten  voll- 
kommen erreicht  wird.  Man  benutzt  hierzu  ebenfalls  Herd-Flammen öfen;  die  Verbren- 
nung lässt  einen  Rückstand  von  Kalk  zurück,  welcher  etwa  5  %  Arsenik  enthält.  Die 
Rückstände  bestehen  nämlich  wesentlich  aus  arsensaurem  Calcium  und  Anilinharzen 
(s.  die  Anilinfarbenfabrication).  Die  Harze  veranlassen  beim  Verbrennen  einen  für  die 
Adjacenten  höchst  unangenehmen  Geruch;  behufs  Condensirung  dieser  mehr  oder  weniger 
arsenhaltigen  Dämpfe  ist  die  Herstellung  eines  langen  unterirdischen  Canals,  der 
mit  einem  Kammersystem  in  Verbindung  steht,  sehr  geboten.  Letzteres  wird  aus  ge- 
mauerten, 8 — 10  Quadratfuss  grossen,  unter-  und  übereinander  angelegten  Zellen  zu- 
sammengesetzt, deren  Zahl  sich  nach  der  Grösse  des  Betriebes  richtet.  Aus  diesen 
kleinen  Kammern  gelangen  die  Gase  noch  in  3  Condensationsthürme,  welche  20— 30Fuss 
hoch  und  in  zwei  Theile  getheilt  sind,  um  den  Weg  der  Gase  noch  zu  verlängern.  Der 
erste  Thurm  bleibt  trocken,  während  die  beiden  andern  mit  Dornen  und  nassen  Tüchern 
gefüllt  sind  und  beständig  berieselt  werden.  Am  Boden  der  Berieselungsthürme  bildet 
sich  noch  immer  ein  dicker,  arsenhaltiger  Schlamm:  die  aus  denselben  schliesslich  in 
einen  hohen  Kamin  austretenden  Gase  müssen  dagegen  so  weit  von  den  arsenikalischen 
Dämpfen  befreit  sein,  dass  sie  für  die  Umgebung  nicht  mehr  gefährlich  sind. 

Eine  grössere  Gefahr  liegt  für  die  Arbeiter  in  dem  Beschicken  der  Flammenöfen, 
aus  denen  sehr  leicht  die  arsenhaltigen  Dämpfe  in  den  Fabrikraum  austreten  können. 
Die  oben  erläuterten  Einrichtungen  zur  Ableitung  dieser  Dämpfe  sind  daher  auch  hier 
in  demselben  Masse  erforderlich. 

Das  auf  diese  Weise  gewonnene  Arsenmehl  ist  durch  Aschenbestandtheile  sehr 
verunreinigt  und  bedarf  daher   stets   noch   einer   Sublimation.      Benutzt    man    hierzu 


296  Arsen  und  Sauersloff. 

aus  zwei  oder  mehr  Retorten  bestehende  Sublimiröfen  mit  Kohlenfeuerung,  so  i-t 
wiederholt  darauf  aufmerksam  zu  machen,  dass  dieselben  leicht  Risse  oder  Sprünge  be- 
kommen, wodurch  dann  eine  Masse  Arsen  in  die  Feuerung  gerathen  und  mit  den 
i  in  die  Atmosphäre  der  nächsten  Umgebung  entweichen  kann.  Jeden- 
falls müssen  die  Retorten  mit  dem  Kammersystem  in  Verbindung  stehen,  um  hier  das 
übergetriebene  Arsenmehl  zum  Ablagern  zu  bringen:  noch  mehr  empfiehlt  es  sich,  für 
die  Sublimiröfen  ein  besonderes  Kammersystem  einzurichten.  Hoffentlich  wird  aber  die 
Zeit  nicht  mehr  fern  sein,  wo  man  gar  keine  arsenikalißchen  Rückstände  mehr  erhält 
und  dieser  höchst  gefährlichen  und  lästigen  Reduction  der  Axsensäure  nicht  mehr  be- 
darf, denn  kein  Fabricant  wird  und  kann  noch  Anstand  nehmen,  die  neue  Methode  zur 
Darstellung  des  Fuchsins  zu  adoptiren  's.  Anilin roth  . 

Technische  Verwendimg  der  arseiiigeu  Säure.  Sie  kommt  als  solche  and  in 
Verbindung  mit  Metallen  bei  sehr  vielen  Vorgängen  in  der  Industrie  zur  An- 
wendung; eine  Einschränkung  dieser  vielfachen  Benutzung  ist  in  sanitärer  Be- 
ziehung durchaus  zu  wünschen  und  zu  erstreben. 

Als  Reductionsmittel  wurde  sie  früher  wegen  ihres  billigen  Preises  bei  der 
G  lasfabricatiou  vielfach  verwendet.  Im  ersten  Stadium,  beim  Frittprocesse,  wird 
die  arsenige  Säure  durch  den  im  Glassatz  befindlichen  Kohlenstoff  u.  s.  w.  zu  Arsen 
reducirt,  welches  sieh  als  arsenige  Säure  im  Arbeiteraum  verbreitet,  wenn  die  geschlos- 
senen Häfen  in  denselben  ausmünden:  bei  offenen  Häfen  gelangt  sie  mit  den  Ver- 
brennungsproducten  in  den  Schlot.  Bei  geschlossenen  Häfen  muss  daher  stets  eine  be- 
sondere "Vorrichtung  zur  Condensation  der  arsenikalißchen  Dämpfe  angebracht  werden 
(s.  Glasfabrication). 

Der  Zusatz  der  arsenigen  Säure  soll  ein  Entfärben  der  Gläser  bezwecken, 
ihr  Gebrauch  ist  aber  bei  der  grossartigen  Darstellung  der  Katrongläser  sehr  einge- 
schränkt und  durch  Braunstein,  Bleisuperoxyd  resp.  Mennige  ersetzt  worden. 

Die  reducirende  Eigenschaft  der  arsenigen  Säure  benutzt  man  auch  in  der 
Färberei  bei  der  Indigoküppe,  indem  das  Indigblau  seinen  Sauerstoff  an  die  arsenige 
Säure  abgibt,  Arsensäure  bildet  und  zu  löslichem  Indigweiss  reducirt  wird.*)  Der 
Küppenschlamm  besteht  aus  arsenigsaurem  und  arsensaurem  Calcium  und 
muss  auf  eine  geeignete  Weise  unschädlich  gemacht  werden. 

In  der  Anilinfarbenfabrication  hat  die  arsenige  Säure  bisher  eine  grosse 
und  gefährliche  Rolle  bei  der  Reduction  des  Nitrobenzols  gespielt.  Die  arsenige 
Säure  tritt  im  Rückstand  vorzugsweise  als  arsensaures  und  nur  theilweise  als 
arsenigsaures  Calcium  auf. 

Als  Conservationsmittel  zum  Ausstopfen  von  Thierbälgen  wird  es  meistens  in 
Form  einer  Seife  eingerieben.  Der  Staub  in  solchen  Naturaliencabineten  hat  daher  eine 
sanitäre  Bedeutung;  es  ist  aber  beim  Ausklopfen  der  verschiedenen  Objecte  ganz 
besonders  auf  diesen  gefährlichen  Staub  zu  achten.16) 

Als  Gift  Liegen  Ungeziefer  überhaupt,  besonders  als  Vertilgungsmittel  der  Feld- 
mäuse, kommt  arsenige  Säure  noch  vielfältig  in  Anwendung,  jedoch  im  letztern  Falle 
mehr  in  Verbindung  mit  Alkalien. 

Fliegenpapier  ist  mit  arseniger  Säure  getränktes  Filtrirpapier,  welches  schäd- 
lich wirken  kann,  wenn  es  aus  Unachtsamkeit  als  Tabaks-  oder  Pfeifenzünder  benutzt 
wird:  ein  Auszug  desselben  kann  auch  in  verbrecherischer  Weise  benutzt  werden. 

In  manchen  Gegenden  wird  die  arsenige  Säure  noch  als  Vieh  wäsche  bei  Schaf- 
räude, Ungeziefer  u.  s.w.  vielfach  benutzt.17) 

Die  Verpackung  der  arsenigen  Säure  und  ihrer  Präparate  erfordert  wegen  des 
Verstaubens  die  grösste  Vorsicht.  Früher  wurde  sie  als  Arsenikglas  in  Beutel  von 
Lohgarem  Led<  i.    wobei  die  spätere  Benutzung  eines  solchen  Leders  maunig- 

ii  Schaden  herbeigeführt  hat. 
Später   benutzte  man    innen   mit  Papier  verklebte  Fässer,    die    auch    gegenwärtig 
beim   Transport    der    pulverförmigen    arsenigen  »ränehlich    sind;    von    au 

wird  das  ganze  Fass  in  Packleinen  eingenäht.  Nach  dem  Betriebs-Reglement  für  die 
«bahnen  vom  10.  Juni  1S70  dürfen  alle  Arsenikalien  nur  dann  zum  Eisenbahn- 
transport angenommen  werden,  wenn  sie  in  doppelten  Fässern  oder  Kisten  verpackt 
sind.  Die  Böden  der  Fässer  müssen  mit  Einlagereifen  und  die  Deckel  der  Kisten  mit 
Keifen  oder  eisernen  Bänden  gesichert  werden:  die  Fässer  und  Kisten  sind  von  starkem 
trocknem  Holze  anzufertigen  und  inwendig  mit  Leinwand  oder  ähnlichen  dichten  G 
weben  zu  verkleben.  Auf  dem  CoUo  muss  in  schwarzer  Oelfarbe  das  Wort  ..Arsenik 
(Gift.)"  angebracht   »ein.    | 

*)  In  ähnlicher  Weise  benatzt  man  auch  Schwefelarsen. 


Arsenigsaure  Salze.  297 

Zweckmässig  würde  es  sein,  an  den  Stellen,  wo  die  Bretter  zusammen stossen, 
einen  Falz  oder  eine  sogenannte  Nothleiste  anzubringen;  dadurch  würde  die  doppelte 
Holzverpackung  unnöthig  und  sowohl  an  Pack-  als  auch  an  Frachtlohn  gespart. 

Stets  ist  zu  berücksichtigen,  dass  das  benutzte  Material  mit  der  arsenikalischen 
Substanz  verunreinigt  ist;  dasselbe  darf  niemals  zum  Heizen  von  Backöfen  benutzt 
werden,  da  der  sich  bildende  Russ  und  die  abziehenden  Gase  arsenikalisch  sind.  Selbst- 
verständlich dürfen  die  leeren  Fässer  weder  zu  ökonomischen  noch  zu  andern  Zwecken 
benutzt  werden,  wobei  der  Arsengehalt  irgend  eine  Gefahr  bedingen  kann;  nur  ihr  Aus- 
laugen mit  alkalischen  Laugen  vermag  den  Arsengehalt  grösstenteils  zu  beseitigen. 

Arsenigsaure  Salze,  Arsenite,  stellt  man  dar,  indem  man  eine  Lösung  von 
arseniger  Säure  mit  einer  gelösten  Base  versetzt. 

Die  Arsenite  der  Alkalien  lösen  sich  in  Wasser,  die  der  andern  Metalle  in 
Säuren;  ihre  Lösungen  oxydiren  sich  allmählig  an  der  Luft  zu  Arseniaten.  Schon 
die  Kohlensäure  der  Luft  zerlegt  die  Arsenite,  namentlich  die  Alkali- Arsenite;  durch 
Glühen  mit  Kohle  werden  sie  gleich  den  Arseniaten  reducirt.  Die  löslichen  Arsenite 
reagiren  stark  alkalisch. 

Das  arsenigsaure  Kaliam  (Kalinmarsenit)  K2(As03)  wird  zum  Vergiften  der 
Feldmäuse  zweckmässig  aus  1  Th.  arseniger  Säure,  1  Th.  Pottasche  und  25  Th.  Wasser 
durch  Kochen  in  einem  eisernen  Kessel  dargestellt.  Zur  entstandenen  klaren  Lösung 
fügt  man  noch  25  Th.  Wasser  hinzu  und  rührt  in  die  noch  warme  Flüssigkeit  50  Th. 
Gersten-,  Weizen-  oder  Haferkörner  ein.  Bei  gelindem  Erwärmen  und  fleissigem  Um- 
schaufeln bringt  man  die  Flüssigkeit  zur  allmähligen  Aufsaugung  durch  die  Frucht- 
körner, wozu  24 — 28  Stunden  erforderlich  sind. 

Um  den  Kessel  von  jeder  Arsenspur  zu  reinigen,  benutzt  man  abgelöschten  Kalk 
und  bringt  das  damit  versetzte  Wasser .  in  demselben  zum  Kochen.  Ehe  man  das  Gift 
legt,  müssen  3  —  4  Tage  vorher  alle  Mauselöcher  zugetreten  werden,  um  nur  die  frisch 
ausgeworfenen  Mauselöcher  damit  zu  belegen. 

Zu    den    Arseniten    der    schweren  Metalle   gehört   das    arsenigsaure    Kupfer 

Cu3(As03)2,  Mineralgriin ,  Scheel'sches  Grün,  welches  als  Malerfarbe  und  beim 
Tapetendruck  leider  noch  häufig  Verwendung  findet.  Der  zeisiggrüne  Niederschlag 
ist  in  Säuren  und  in  Ammoniak  leicht  löslich,  in  seiner  Zusammensetzung  aber 
unbeständig. 19) 

Bei  der  Darstellung  im  Grossen  werden  2  Pfund  Kupfervitriol  in  24  Pfund 
warmem  Wasser  und  andererseits  2  Pfund  gereinigte  Pottasche  und  22  Loth  Arsenig- 
säureanhydrid  in  8  Pfund  Wasser  gelöst.  Man  decantirt  die  vermischten  Flüssigkeiten 
und  wäscht  den  Niederschlag  sorgfältig  aus;  die  Waschwässer  sind  stets  arsenikalisch 
und  kupferhaltig  und  dürfen  deshalb  nicht  frei  abgelassen  werden. 

Das  erste  üecantationswasser  enthält  Kaliumsulfat,  arsenige  Säure  und 
Kupferoxyd.  Es  wird  deshalb  noch  häufig  zur  Darstellung  von  seegrünen  Farben  und 
auch  zur  Fabrication  des  Bremergrüns  benutzt;  aus  diesem  Grunde  kann  auch  das 
Bremergrün  arsenhaltig  sein. 

Die  Löslichkeit  des  Scheefschen  Grüns  in  Ammoniaksalzen,  in  Zuckerlösungen 
und  in  schwachen  Säuren  verbietet  seine  Verwendung  zum  Färben  von  Papieren.  Die 
Verpackung  von  Conditorwaaren,  Schnupftabak,  Kaffeesurrogaten  u.  s.  w.  in  so  gefärbten 
Papieren  ist  gänzlich  unzulässig. 

Arsenigsaures  und  essigsaures  Kupfer  oder  Sehweinfurter  Grün  ist  ein  krystal- 
linischer  Niederschlag  von  schöner  grüner  Farbe,  welcher  in  Wasser  unlöslich,  in 
Säuren  und  alkalischen  Laugen  aber  löslich  ist. 

Bei  der  Darstellung  im  Grossen  löst  man  arsenige  Säure  iu  Pottasche  auf 
und  lässt  Grünspan  unter  Umrühren  in  die  siedende  arsenikalische  Lösung  fliessen. 
Häufig  wird  hierbei  das  Arsen  als  glasige  Säure  (Arsenglas)  benutzt  und  muss  deshalb 
zerkleinert  werden,  wobei  sich  ein  für  die  Arbeiter  gefährlicher  Staub  entwickelt. 
Der  Mörser,  in  welchem  dies  Zerkleinern  vorgenommen  wird,  muss  deshalb  mit  einem 
Ledersack  von  hinreichendem  Umfange  unigeben  sein,  so  dass  er  gleichzeitig  das  Pistill 
möglichst  luftdicht  umschliesst  und  das  Stossen  nicht  verhindert.  Der  Staub  erregt 
leicht  Geschwüre  an  den  Händen. 

Während  des  Kochens  findet  durch  den  Austritt  der  Kohlensäure  leicht  ein 
Verspritzen  statt;  die  Spritzer  werden  mit  dem  Dampfe  als  Nebelbläschen  in  den  Ar- 
beitsr.ium  fortgeführt,  wodurch  die  Gesichtshaut  und  die  Schleimhaut  der  Nase  häufig- 
gereizt  werden.  Die  Gefässe  müssen  deshalb  bedeckt  und  mit  einem  Ableitungsrohre  in. 
den  Schornstein  versehen  sein. 


298  Arsen  und  Sauerstoff. 

Die  Abwässer,  welche  beim  Decantiren  des  Präeipitats  entstehen,  werden 
meist  wieder  benutzt  und  mit  einem  kalkhaltigen  Kupferhydrat  versetzt,  um  daraus 
Papageigran,  Nenwieder-,  Braunsehweiger-  und  Bremergrün  darzustellen,  so  dass  alle 
diese  grünen  Farben,  anter  welchem  Namen  sie  auch  verkauft  werden  mögen,  von  vorn- 
herein als  verdächtig  anzusehen  sind,  da  sie  fast  durchgängig  mehr  oder  weniger 
arsenikalisch   sind 

Hierher  gehören  auch  noch  da?  Mineralgrün,  welches  aus  arsenigsaurem 
Kupfer  und  Berggrün  (Malachit)  besteht,  und  das  MitisgrÜU.  eine  Mischung  von 
Schweinforter  Grün  mit  Scheelsc-hem  Grün. 

Da>  Wiener  oder  Kirchberger  Grün,  das  Kaisergrüu  und  Nengrün  sind  sänimt- 
lieh  arsenikalisch. 

Das  fertige  Schweinforter  Grün  wird  ohne  Auswaschen  in  Spitzbeuteln  zum  Ab- 
trupfen und  dann  auf  Hürden  in  Trockenkammern  gebracht,  wobei  sich  grosse,  die 
Arbeiter  sehr  belästigende  Mengen  von  Essigsäure  entwickeln.  Gewöhnlich  enthält  es 
noch  freie  arsenige  Saure  und  ist  in  seiner  Zusammensetzung  sehr  variabel. 

Da.-  reine  Schweinfurter-Grün  wird  nie  gesiebt:  geschieht  es,  so  bezweckt  mau 
damit  nur  betrügerische  Zusätze  von  Lenzin.  Schwerspath  u.  s.  w.,  eine  Operation,  welche 
gewöhnlich  zum  Verderben  der  Arbeiter  in  der  leichtfertigsten  Weise  geschieht.  Nicht 
selten  kommen  darnach  die  heftigsten,  choleraähnlichen  Erscheinungen  vor. 

Es  ist  bekannt,  welche  Ausdehnung  der  Gebrauch  des  Schweinfurter  Grüns 
und  seiner  Abkömmlinge  seit  mehreren  Decennien  gewonnen  hat.  Trotz  aller 
neuen,  eben  so  schönen  Grüne  behauptet  das  Schweinfurter  Grün  seine  Macht 
und  nimmt  immer  von  Neuem  den  siegreichen  Kampf  mit  der  Concurrenz 
wieder  auf;  die  sanitäre  Ueberwachung  dieser  Farbe  ist  daher  dringend 
nothwendig. 

Ganz  besonders  sind  es  der  grüne  arsenikalische  Anstrich  und  die 
Tapeten  mit  giftigem  Grün,  welchen  man  noch  in  allen  Verhätnissen  des  Lebens 
begegnet.-'0)  Die  Wiege,  welche  den  Säugling  aufnimmt,  bietet  ihm  gleich  im  Beginne 
seines  Lebens  das  arsenikalische  Grün,  und  der  Farbkasten  für  Kinder  kann  die 
Ursache  von  Krankheit  und  Tod  werden;  Kinderspielzeuge  werden  oft  durch  ihre 
Farben   nur  Marterzeuge.*) 

So  verdienen  auch  die  mit  arsenikalischen  Kupferfarben  bemalten  Griffel  alle 
Beachtung,  da  das  Bindemittel  Harz  seife  ist,  welche  in  Wasser  löslich  ist  und  daher 
auch  von  Kindern  leicht  abgeleckt  werden  kann:  beim  Zuspitzen  derselben  muss  ein 
arsenikalischer  Staub  entstehen. 

Im  weitern  Lebenslaufe  sind  es  die  Farben  der  Utensilien  für  den  Hausbedarf, 
welche  mit  ihrem  Grün  die  Gesundheit  gefährden.  Die  in  neuester  Zeit  vielfach  einge- 
führten Drahtgeflechte  mit  arsenikali^chem  Anstrich  dienen  als  Spinden,  Käse- 
glocki  11  u.  s.  w.  Hier  kann  ein  Abblättern  der  Farbe  die  Speisen  vergiften,  weil  das 
sauer  reagirende  Schweinfurter  Grün  die  Rostbildung  einleitet  und  dadurch  das  Ab- 
blättern der  Farbe  begünstigt  Auf  den  schützenden  Lackfirniss  kann  man  sich  hierbei 
nicht  immer  verlassen.-1) 

Bei  den  mit  Arsengrün  gefärbten  Wachsstöcken  und  Stearinlichtern  wird 
beim  Verbrennen  derselben  arsenige  Säure  in  der  Flamme  zu  Arsen  reducirt,  welches 
in  der  äussern  Flamme  wieder  zu  arseniger  Säure  oxydirt  wird.  Das  Kupferoxyd  bleibt 
in  der  Doehtasehe. 

Bei  grünen  Lampen-  oder  Ofenschirmen  kann  das  Schweinfurter  Grün, 
wenn  diese  Gegenstände  aus  Blech  bestehen,  zerlegt  werden,  da  die  Temperatur  sich 
ziemlich  hoch  steigern  kann  und  der  Wasserstoff-  und  Kohlenstoffgehalt  des  Oelfirnisses 
bei  dieser  erhöhten  Temperatur  auf  das  Arsenigsäureanhydrid  reducirend  wirkt:  unter 
solchen  Umständen  kann  metallisches  Arsen  verflüchtigt  werden. 

Noch  schädlicher  sind  die  papiernen  Schirme,  welche  durch  die  hohe  Temperatur 
leicht  zum  Verkohlen  und  schliesslich  zum  Verglimmen  gebracht  werden:  dann  entwickelt 
sich  neben  arseniger  Säur.'  schiesslich  metallisches  Arsen,  wobei  die  Verbrennung  durch 
das  vorhandene  Kupferoxyd  begünstigt  wird.  Thatsächliche  Beobachtungen,  dass  eine 
chronische  Arsenvergiftung  auf  diese  Weise  herbeigeführt  werden  kann,  liegen  vor.22) 

Dass  die  Traganthverzierungen   für   Conditorwaaren   mit  Arsengrün    gefärbt 


*)  Nicht  bloss  schmerzhafte  Koliken,  sondern  sogar  Todesfälle  sind  dadurch 
herbeigeführt  worden,  dass  die  Kinder  die  mit  Schweinfurter  Grün  angefüllten  Maler- 
pinsel  oder  die  damit  gefärbten  Spielsachen  häufig  in  den  Mund  nahmen. 


Künstliche  Blumenfabrication.  299 

werden,    viele  grüne  Oblaten,    Briefcouverts   und  der  Flaschenlack  ihre  Farbe 
nur  dem  Schweinfurter  Grün  verdanken,  ist  eine  bekannte  Thatsache. 

Beim  Tapeten  druck  ist  Schweinfurter  Grün  noch  stets  eine  beliebte  Farbe, 
wenn  auch  alle  Erfahrungen  die  Schädlichkeit  dieses  Verfahrens  nachgewiesen  haben. 
Alte  Tapeten  dieser  Art  werden  dann  wieder  zur  Darstellung  geringerer  Papiersorten, 
z.  B.  von  Löschpapier,  Filtrirpapier  u.  s.  w.  benutzt,  welche  als  Enveloppen  für  die  ver- 
schiedensten Victualien  oder  zum  Filtriren  des  Kaffees  u.  s.  w.  dienen. und  auf  diese 
Weise  das  Arsen  wieder  mit  Nahrungs-  und  Genussmitteln  in  Berührung  bringen. 

Sowohl  beim  Zeugdruck  als  auch  beim  Färben  im  Stück  werden 
arsenikalische  Kupferfarben  benutzt;  in  beiden  Fällen  verbindet  sich  die  Farbe 
nicht  mit  der  Faser  des  Zeuges,  sondern  sie  haftet  nur  mittels  eines  Klebe- 
mittels auf  derselben.  Beim  Zeugdruck  wird  die  grüne  Farbe  mit  Leinölfirniss 
unter  Zusatz  von  Blei-  und  Zinkweiss  abgerieben,  wobei  wegen  der  Staubbildung 
schon  grosse  Vorsicht  anzurathen  ist;  die  Muster  werden  so  stark  aufgedrückt, 
dass  man  sie  als  Erhabenheiten  mit  den  Fingern  fühlen  kann.  Dieser  Oelfirniss 
wird  mit  der  Zeit  immer  brüchiger  und  lässt  sich  abreiben;  es  liegt  auf  der 
Hand,  dass  auch  ein  Verstauben  desselben  mit  seinen  schädlichen  Folgen  ein- 
treten kann. 

Das  Färben  im  Stück  geschieht  bei  dem  sogenannten  Tarlatan;  hier 
wird  die  Farbe  mit  Leim-  oder  Gummiwasser  oder  auch  mit  aufgelöstem 
Käsestoff  und  Dextrin  zusammengebracht  und  das  Zeug  durch  diese  Mischung 
gezogen. 

Das  leichte  Abstäuben  der  giftigen  Farben  erzeugt  zum  wenigsten  belästigende 
Hautreizungen,  welchen  besonders  auch  die  Nähterinnen  beim  Bearbeiten  dieser  Stoffe 
ausgesetzt  sind.  Die  Macht  der  Mode  ist  aber  rücksichtslos  und  kennt  nicht  die  Sorge 
für  die  Gesundheit,  denn  die  Tarlatane  tauchen  immer  wieder  in  neuer  Gestalt  auf.  Wie 
das  Ultramarin  zum  Bläuen,  so  wird  auch  das  Schweinfurter  Grün  zum  Lustriren  der 
Stoffe  und  Papiere  in  grüner  Farbe  gebraucht;  zu  dem  Ende  wird  die  grüne  Farbe  in 
Salzsäure  gelöst  und  die  höchst  verdünnte  Lösung  als  Färbebad  benutzt.  Den  durch- 
zogenen Stoff  lässt  man  abtropfen  und  bringt  ihn  in  eine  höchst  verdünnte  Lösung  von 
kohlensauren  Alkalien. 

Bei  den  Papieren  wird  die  Lösung  in  die  Papiermasse  gegeben;  nach  gutem 
Durchmischen  wird  Kalk  zum  Abstumpfen  der  Säure  zugesetzt. 

Selbst  die  im  Handel  vorkommenden,  mit  Jodgrün  gefärbten  Woll-  und 
Seidenstoffe  sind  sehr  häufig  arsenikalisch,  weil  die  Befestigung  der  Farbe  mittels 
arsenigsauren  Natriums  (Natriumarsenits)  bewirkt  wird. 

Künstliche  Blumenfabrication.  Sie  schliesst  sich  eng  an  die  mit  arseni- 
kalischen  Farben  gefärbten  Stoffe  an.  Hauptsächlich  sind  es  1)  die  grünen 
Blätter,  welche  mit  Schweinfurter  Grüu  gefärbt  werden. 

Ihre  Darstellung  geschieht  nach  folgenden  Methoden:  a)  Die  Blätter  werden  aus 
Papier  ausgeschlagen,  welches  mit  arsenikalischer  Kupferiarbe  in  der  Masse  gefärbt  ist 
und  nachher  geglättet  wird.  Hierher  gehören  die  Blätter  von  sehr  geringer  Sorte, 
z.  B.  für  Todtenkränze. 

Bei  der  Bearbeitung  dieser  matten  Papiere  kann  leicht  ein  Verstauben  stattfinden 
und  sind  die  damit  beschäftigten  Arbeiterinnen  häufig  mit  Entzündungen  der  Finger  und 
Augen  behaftet. 

b)  Noch  gefährlicher  ist  das  Bestäuben  der  Blätter.  Die  aus  Papier  oder 
Zeug  angefertigten  Blätter  werden  mit  einer  bestimmten  Farbe  grundirt  und  nach  dem 
Trocknen  mit  Gummi  oder  Firniss  überzogen;  hiernach  beutelt  oder  siebt  man  die 
dunkelste  resp.  grobkörnigste  Sorte  des  Schweinfurter  Grüns  auf.  Um  diese  Sorte  von 
Grün  zu  erhalten,  wird  das  käufliche  Schweinfurter  Grün  abgesiebt;  was  hierbei  auf 
dem  Siebe  zurückbleibt,  wird  benutzt. 

Da  diese  Operation  von  den  Blumenarbeiterinnen  häufig  selbst  auf  ganz  unvor- 
sichtige Weise  ausgeführt  wird,  so  sind  sie  in  doppelter  Beziehung  dem  gefährlichen 
arsenikalischen  Staube  ausgesetzt. 

Beim  Aufpudern  auf  die  Blätter  wird  bisweilen  noch  pulverisirter  Blei- 
glanz, Broncepulver  u.  s.  w.  zugesetzt,  so  dass  auch  der  schädliche  Staub  dieser 
Körper  noch  hinzutritt. 


300  Arsen  und  Sauerstoff. 

Chronische  Augenentzündungen.  Anschwellung  des  Gesichts,  Geschwüre  an  den 
Händen  u.  s.  w.  sind  die  unvermeidlichen  Folgen  dieser  Arbeit,  welche  eine  sorgfältige 
sanitäre  Beaufsichtigung  und  die  Anordnung  von  Präventiv-Massregeln  erheischen.  Man 
hat   noch  viel  zuwenig  die  öffentliche  Aufmerksamkeit  dieser  höchst  gefährlichen  Arbeit 

endet;  nur  in  P;iris  i.-t  das  Pudern  der  Blätter  verboten;  man  muss  dort  die 
Arsenfarbe  mit  Terpenthinspiritue  oder  mit  Collodium  versetzen,  wenn  man  die  Farbe 
nicht  mit  Leim  verreibt. 

c)  Di.'  sogenannten  Wachsblätter,  welche  der  Natur  am  nächsten  kommen 
und  transparent  sind,  werden  aus  gesteiftem  Tarlatan  ausgeschlagen,  mit  alkoholischer 
Pikrinsäurelösung  gelb  gefärbt,  nach  dem  Trocknen  in  eine  verdünnte  Lösung  von 
Indigocarmin  eingetaucht  und  schliesslich  mit  einer  Wachsschicht,  die  mit  Schwein- 
turter  Grün  imprägnirt  ist.  überzogen.  Letzterer  Act  ist  nicht  ohne  Gefahr:  wird 
nämlich  das  Wach-  zu  .-ehr  erhitzt,  was  .-ich  durch  einen  deutlichen  Arsen-  resp.  Al- 
karsingeruch  verräth,  so  kann  sich  Arsen  verflüchtigen.  Scheidet  .-ich  dabei  Kupfer- 
oxydul ab.  so  i-t  der  bestimmte  Beweis  geliefert,  dass  ein  zu  hoher  Wärmegrad  ange- 
wendet worden  i?t    -.  Methylverbindungi 

2)  Um    Knospen,    Stengel    und    Staubfäden    aus    Zeug    darzustellen, 

mischt  man   Tragauthmasse   mit   Schweinforter   Grüu    und   behandelt    damit    das 

I  "'treffende  Papier  oder  Zeug. 

Besteht    die   Traganthinasse    aus    Kleister  oder   Leim   und   Stearin,    -n    muss    die 
warm  gehalten  werden;  brennt  dieselbe  unvorsichtigere     -        ,  so  entwickelt  sich 
auch    hier    Alkarsin,    welches    sich    durch    seinen    entsetzlichen    Geruch    hinreichend 
kennzeichnet:  beim  Einrühren  der  Farbe  ist  Staubbildung  möglichst  zu  verhüten.'-3) 

3)  Die  Anfertigung  von  "Wickelgarn  und  Wickelpapier  kommt  hierbei 

ebenfalls    in    Betracht:    beide    Theile    werden    zur    Bekleiduug    der    Blumenstiele 

sowie  zum  Binden  der  einzelnen  Blumen   an   die  Zweige  benutzt.      .Sie   sind   fast 

stets  mit  arsenikalischen  Kupferfarben  imprägnirt,  denen  mehr  oder  weniger 

noch  Bleichroinat  zugesetzt  wird. 

Eine  andere  Art  von  mit  Schweinfurter  Grün  gefärbtem  Wickelpapier  hat  als 
Grundfarbe  Pikrinsäure.  Die  schädliche  Wirkung  dieser  Farbstoffe  tritt  bei  der 
Bearbeitung  um  so  mehr  hervor,  wenn  die  Blumenarbeiterinneu  beim  Wickeln  die  Finger 
mit  Speichel  befeuchten. 

"2)  Arsensäure  H,As04  entspricht  der  Phosphorsäure,  entsteht  durch  Auflösen  der 
arsenigen  Säure  in  Salpetersäure  und  stellt  beim  Abdampfen  der  Lösung  kleine  Nadeln 
dar.  Geschieht  dieses  unter  15°,  so  krvstallisirt  sie  mit  '2  Molee.  Krystallwasser 
(H3AsÜ4  -+-  '2H..<i  :  auf  ISO0  erhitzt,  verliert  sie  letzteres  wieder: 

2H3As04  =  H4A-..\7  —  H20. 

Sie  heisst  dann  Pyro arsensäure,  die  sehr  unbeständig  ist.  Bei  200°  bildet 
sich  die  Metarsensäure  HAs03;  beide  Säuren  gehen  schon  beim  Auflösen  in  Wasser 
in  Arsensäure  über.  Bei  schwachem  Glühen  verwandelt  sich  letztere  in  Arsensäure- 
anhydrid A.-J_>5  und  bildet  alsdann  eine  weisse,  farbli  Nascirender  Wasser- 
stoff, schweflige  Säure  und  Schwefelwasserstoff  reduciren  die  Arsen  sä  nie  in  Arsenig- 
säureanhydrid:     2H3As04  4-  2H2S  =  As,03  +  5H20  +  -  - 

Bei  der  Darstellung  im  Grossen  beobachtet  man  zwei  Methoden:  1)  Man 

leitet  Chlorgas  in  ein  breiartiges  Gemenge  von  arseniger  Säure  und  Wasser.  Es 
bilden  sich  hierbei  stets  Dämpfe  von  Arsenchlorid,  auch  freie-  Chlor  ent- 
weicht; es  muss  deshalb  für  völlige  Dichtigkeit  der  Gefässe  gesorgt  werden. 
ird  eine  Reihe  von  Woulf'schen  Ballons  aufgestellt,  durch  welche  die  ab- 
gehenden Gase  strömen  und  hier  so  viel  als  möglich  ztir  Absorption  gelangen. 
i  u  lässt  Salpetersäure  auf  arsenige  Säure  in  einem  tböoeruen  Ballon 
einwirken:  es  entwickelt  sich  hierbei  viel  Stickoxyd  resp.  üntersalpeter- 
säure.  Auch  hier  müs>en  die  Gase  eine  Reihe  von  Woulf'schen  Ballons, 
welche  Wasser  und  arsenige  Same  enthalten,  durchstreichen,  damit  sie  vollstän- 
dig absorbirt  werden.  Ihr  Inhalt  besteht  dann  aus  arseniger,  Arsensäure, 
Salpetersäure  und  salpetriger  Säure,  den  man  in  die  Entwicklungsgefässe 
zurückbringt. 


Arserisaure  Salze.  301 

Bei  grossartigen)  Betriebe  ist  es  erforderlich,  die  letzten  Ballons  mit 
einem  Koksthurm  in  Verbindung  zu  setzen,  um  durch  Wasserberieselung  den 
Uebergaug  des  Stickoxydes  in  Salpetersäure  zn  befördern  und  gleichzeitig  die 
Nachbarschaft  vor  Belästigung  zu  schützen.  Bei  der  erstem  Methode  dürfte 
wegen  des  giftigen  Arsenchlorids  eine  ähnliche  Vorrichtung  erforderlich   sein. 

Eine  ausgedehnte  Verwendung  hat  bisher  die  Arsensäure  zur  Erzeugung  von 
Fuchsin  gefunden;  sie  wird  daher  auch  in  besondern  Geschäften  zu  diesem 
Zweck  und  zwar  meistens  in  Syrupsform  dargestellt.  Beim  Zeugdruck  dient  sie 
bisweilen  noch  als  Beize  statt  der  Weinsäure. 

In  sanitärer  Beziehung  ist  zu  bemeiken,  dass  die  wasserfreie  Arsen- 
säure die  Haut  bis  zur  Blasenbildung  irritirt;  Manipulationen  mit  so  verdünnten 
Arsensäurelösuugen,  dass  die  saure  Reaction  verschwunden  ist,  erzeugen  noch 
Schwellungen  der  Finger  und  schmerzhafte  Empfindungen  unter  den  Nägeln;  die 
Geschwulst  kann  sich  bis  auf  die  Vorderarme  ausdehnen  und  mit  einem  fieber- 
haften Zustande  verbinden. 

Stohmaun24),  welcher  sich  zwei  Monate  lang  mit  Arsensäure  beschäftigte, 
konnte,  trotz  seines  allgemeinen  Wohlbefindens,  im  Harn  und  in  den  Excrementen 
Arsen  nachweisen;  auch  uahm  sein  Körpergewicht  währeud  dieser  Zeit  um 
10  Kilogramm  zu,  sank  aber  nach  9 — -10  Wochen  wieder  auf  das  frühere  Gewicht 
von  75  Kilogramm. 

Es  ist  mit  höchster  Wahrscheinlichkeit  anzunehmen,  dass  die  Arsensäure, 
in  verdünntem  Zustande  vom  Organismus  aufgenommen,  weniger  intensiv  wirkt 
als  arsenige  Säure;  sie  scheint  als  solche  auch  leichter  ausgeschieden  zu  werden. 

Arsensaure  (oder  arseniksanre)  Salze,  Arseniate,  verhalten  sich  im  Allgemeinen 
wie  die  phosphorsauren;  man  stellt  sie  entweder  durch  Zusammenbringen  der  betreffen- 
den Base  mit  Arsensäure  oder  durch  Zersetzung  eines  arsensauren  Salzes  mit  der  Salz- 
lösung eines  andern  Metalls  dar.  Die  primären  (zweifach  sauren)  Arseniate  sind 
meistens  in  Wasser  löslich,  die  secundären  (einfach  sauren)  und  tertiären  (neutralen) 
dagegen  meistens  unlöslich,  mit  Ausnahme  der  Alkali-Arseniate. 

Arsensanres  Calcium  kommt  in  der  Natur  als  Pharmakolith  im  Elsass,  am 
Harze  und  in  Baden  vor.  Küustlich  stellt  man  es  durch  Fällen  einer  Chlorcalcium- 
lösung  mit  arseniksaurem  Natrium  dar. 

Das  zweifach  saure  (primäre)  Salz  entsteht  durch  Fällen  einer  Chlorcalcium- 
lösung  mit  zweifach  saurem  arseniksaurem  Natrium  und  ist  in  Wasser  löslich.  Das 
einfach  saure  (secundäre)  Ca2HAs04  und  das  neutrale  (tertiäre)  Ca3As04  Salz  sind  in 
chemisch  reinem  Wasser  unlöslich,  aber  leicht  löslich  in  Wässern,  welche  Ammoniak, 
Kalisalze  oder  Säuren  enthalten;  deshalb  kann  Arsensäure  nicht  aus  Flüssigkeiten  mittels 
Calciumsalze  präcipitirt  werden,  wenn  irgend  eine  Ammoniak  verbin  düng  oder 
sonstige  fremde  Salze,  welche  seine  Löslichkeit  begünstigen,  zugegen  sind,  ein  Umstan  d 
welcher  bei  der  Fuchsindarstellung  wohl  zu  beachten  ist. 

Arsensanres  Kalium  KH2As04  wird  als  zweifach  saures  Salz  in  den  Färbereien 
wie  das  entsprechende  Natriumarseuiat  benutzt 

Bei  der  Darstellung  im  Grossen  bringt  man  Kalisalpeter  mit  der  entsprechenden 
Menge  von  arseniger  Säure  in  einem  rothglühenden  Tiegel  zusammen.  Unter  Entwick- 
lung von  Untersalpetersäure  entsteht  arseniksaures  Kalium.  Die  Schmelze  wird  in 
kochendem  Wasser  gelöst;  beim  Erkalten  erhält  man  das  Salz  in  farblosen  quadratischen 
Pyramiden  und  Prismen. 

Die  sauren  Dämpfe  enthalten  stets  eine  geringe  Menge  von  arseniger 
Säure  und  sind  deshalb  sehr  zu  beachten;  auch  wird  bei  längerm  Schmelzen  in 
offenen  Oefen  das  arseniksaure  Salz  durch  die  Kieselsäure  der  Tiegelmasse  leicht  zer- 
legt. Es  bilden  sich  dann  kieselsaure  Salze  und  die  ausgeschiedene  Arsensäure  wird 
entweder  durch  die  Hitze  in  Sauerstoff  und  arsenige  Säure  zerlegt  oder  durch  das 
Kohlenoxyd  reducirt.  Auf  alle  diese  Momente  ist  bei  der  Darstellung  sehr  zu  achten; 
jedenfalls  muss  sie  unter  einem  sehr  gut  ziehenden  Schlote  vorgenommen  werden. 


302  Arsen  und  Schwefel. 

Arsensaures  Natrium.  Das  tertiäre  Salz  Na3As04  ist  in  Wasser  löslich,  das 
secundäre  Na._,HAs04  entspricht  dem  gewöhnlichen  (einlach  sauren)  Natriumphosphat 
und  krystallisirt  auch  wie  dieses  mit  12HaO,  während  das  primäre  Salz  NaH2As04 
nur  mit  einem  Molec.  Wasser  krystallisirt  und  ebenfalls  in  Wasser  löslich  ist 

Tm  Grossen  stellt  man  das  Salz  durch  Erhitzen  von  Chilisalpeter  mit  arseniger 
Säure  dar,  wobei  man  die  frei  werdende  Salpetersäure  gewinnt.  Es  sind  daher  hier 
dieselben  Vorsichtsmassregeln  wie  bei  der  Salpetersäurefabrication  am  Platze;  das  Er- 
hitzen  muss  in  sehr  gut  verschlossenen  Gefässen  geschehen. 

Die  salpetersauren  Dämpfe  sind  stets  arsenhaltig;  die  Vorlagen  sind  daher  auch 
hier  mit  der  grössten  Vorsicht  zu  behandeln  und  mit  der  Feuerung  in  Verbindung  zu 
bringen. 

Das  zweifach  saure  (primäre)  Salz  NaH2As04  findet  vorzugsweise  in  der  Fär- 
berei Verwendung,  indem  es  als  Kuhkothbad  zur  Befestigung  der  Farben  dient;  es  muss 
wiederholt  betont  werden,  dass  aus  diesem  Grunde  noch  sehr  viele  Zeuge  und  Stoffe 
in  den  Verkehr  kommen,  welche  arsenikalisch  sind;  die  Rückstände  bei  der 
F  uch sin  d  ars teil  ung  liefern  gewöhnlich  das  Material  dazu. 

Das  arsensaure  Magnesium  MgHAs04-f- 7H20  kommt  in  der  Natur  mit  Kalk 
als  Pikropharmakolith  vor;  mit  Ammoniak  verbindet  es  sich  zu  arseniksaurem 
Ammonium-Magnesium  Mg(NH4)As04  -4-  6H20.  Diese  Verbindung  ist  in  Wasser 
fast  unlöslich  und  entspricht  vollkommen  dem  betreffenden  phosphorsauren  Salze. 

Arsen  und  Schwefel. 

1)  Arsenbisulfid  AsS2  (Realgar,  Sandarach,  Arsenrubin,  Rausch- 
roth) kommt  in  der  Natur  in  dunkelrothen  vierseitigen  Säulen  vor. 

Im  Grossen  stellt  mau  es  auf  den  sächsischen  Hütten  durch  Erhitzen  von 
gleichen  Theilen  Arseukies  und  Schwefelkies  dar.  Man  benutzt  dazu  Röhreu  von 
2  Fuss  Länge  und  5  Zoll  Weite  mit  1%  Fuss  langen  und  6  Zoll  weiten  Vorlagen. 
Das  Erhitzen  der  Röhren  geschieht  in  Galeerenöfeu  und  zwar  bis  zur  Rothgluth 
bei  guter  Lutirung  der  Vorlagen;  man  bringt  in  denselben  nur  eine  kleine 
Oeffnnng  zum  Entweichen  der  Wasserdämpfe  an.  Das  iu  den  Vorlagen  gewonnene 
Roh  glas  wird  in  Cylindern  von  Scbwarzblech  nochmals  umgeschmolzen  und  als 
flüssige  Masse  in  Formen  von  Eisenblech  abgelassen. 

Die  Arbeiter  haben  sich  hierbei  sorgfältigst  vor  den  sich  entwickelnden 
Dämpfen  zu  hüten,  weshalb  über  dem  Arbeitsherd  stets  ein  Schlot  anzubringen 
ist,  der  längs  des  Feuerkamins  nach  der  Giftkammer  verläuft. 

Das  Realgar  ist  nur  in  Salpetersäure ,  Königswasser  und  Aetzalkalien  lös- 
lich, aber  sonst  flüchtiger  als  Auripigment. 

Einwirkung  der  Dämpfe   von  Arsenbisulfid   auf  den   thierischeu  Organismus. 

Eine  Taube  sass  im  grossen  Glaskasten;  reines  Arsenbisulfid  wurde  erwärmt  und  mittels 
der  Compressionspumpe  die  sich  entwickelnden  Dämpfe  eingetrieben.  Nach  30  Kolben- 
stössen  Blinzeln  mit  den  Augen;  nach  10  M.  Putzen  mit  dem  Schnabel;  nach  17  M. 
beschwerliche  Respiration  unter  jedesmaligem  Oeffnen  des  Schnabels;  nach  25  M.  grosse 
Unruhe  und  Zittern;  nach  45  M.  Erbrechen  mit  starkem  Würgen;  dasselbe  wiederholte 
sich  mehrmals;  die  Athmung  ist  wenig  verändert.  Nach  1  St.  15  M.  Durchfall  und 
Erbrechen;  nach  1  St.  45  M.  12  beschleunigte  Inspirationen  binnen  1/iM.  Nach  2  St. 
Herausnahme,  nachdem  0,46  Grm.  AsS2  verbraucht  worden. 

Ausser  mehrmaligem  Erbrechen  trat  keine  auffallende  Veränderung  ein;  die 

Taube  blieb  gesund.     In  dem  grössern  Räume  und  bei  der  raschen  Condensation 

der  Dämpfe  hatte  sie  jedenfalls    nur  ein   sehr  geringes  Quantum  inhalirt.      Bei 

der    grossen    Empfänglichkeit    der    Vögel   für    giftige    Gase    scheint    jedoch    aus 

diesem  Versuche  hervorzugehen,   dass  die  Dämpfe  von  Realgar  im  Vergleiche  zu 

den  der  übrigen  Arsensulfide  am  wenigsten  giftig  einwirken. 

Verwendung  findet  Realgar  bei  der  Kattundruckerei,  beim  Tapetendruck,  als 
Malerfarbe  und  bei  der  Schrotfabrication,  wo  das  Arsen  in's  Blei  übergeht,  während  der 
Schwefel  die  Ausscheidung  des  Kupfers  aus  dem  Blei  bezweckt.  Zur  Darstellung  des 
Weissfeuers  verwendet  man  24  Th,  Salpeter,   7  Th.  Schwefel   und  2—3  Th.  Realgar; 


Auripigment.  303 

dasselbe  sollte  in  geschlossenen  Räumen,  wie  in  Theatern,  gar  nicht  zur  Anwendung 
kommen ,  da  bei  der  Verpuffung  nicht  alles  Arsen  als  arsensaures  Salz  zurückbleibt, 
sondern  ein  grosser  Theil  desselben  sich  als  arsenige  Säure  verflüchtigt;  auch  schweflige 
Säure  tritt  auf.     Das  Antimon  ersetzt  in  diesen  Fällen  das  Arsen  vollkommen. 

2)  Arsentrisulfid  AsaS3,  Anripiginent,  Operment,  Rauschgelb,  kommt  in  der  Natur 

in  Verbindung  mit  Realgar  vor  und  stellt  goldgelbe,  glänzende  Blättchen  dar.  Auf  den 
Hütten  wird  es  dargestellt,  indem  man  ein  Gemenge  von  einer  entsprechenden  Menge 
arseniger  Säure  und  gepulverten  Schwefels  in  den  bei  der  Raffination  der  arsenigen 
Säure  zur  Verwendung  kommenden  Sublimirkesseln  bis  zur  Rothgluth  erhitzt,  wobei 
die  Dämpfe  sorgfältigst  in  die  Flugstaubkammern  abzuleiten  sind.  Die  Einrich- 
tung derselben  und  die  nothwendigen  Vorsichtsmassregeln  richten  sich  nach  dem  Um- 
fange der  Fabrication  und  sind  nach  den  bereits  entwickelten  Principien  stets  zur  Aus- 
führung zubringen;  um  eine  gute  Waare  zu  erzielen,  nimmt  man  gewöhnlich  eine  zweite 
Sublimation  vor. 

Das  Rauschgelb  des  Handels  besteht  gewöhnlich  aus  arseniger  Säure  und 
Operment;  seine  Dämpfe  sind  deshalb  sehr  gefährlich.  Da  Realgar  und  Auripigment 
als  glasige  Masse  gewonnen  werden,  so  hat  man  ganz  besonders  auf  die  Beschaffenheit  des 
Staub  es,  welcher  beim  Pulverisiren  entsteht,  Rücksicht  zu  nehmen  und  die  erforder- 
lichen Vorsichtsmassregeln  zu  treffen,  weil  beide  Schwefelverbindungen  fast  stets  freie 
arsenige  Säure  entfalten.25) 

Einwirkung  von  Arsentrisulfid  auf  den  thierisclien  Organismus.  Eine  Taube 
sitzt  im  grossen  Glaskasten;  die  Dämpfe  von  0,903  Grm.  käuflichem  As2S3  werden  ein- 
getrieben. Nach  10  M.  Würgen  und  nach  15  M.  beschwerliches  Athmen  mit  Oeffhen 
des  Schnabels,  nach  20  M.  Erbrechen.  Da  nach  1  Stunde  keine  weitern  Veränderungen 
eintreten,  wird  sie  herausgenommen;  Nachmittags  hält  die  beschwerliche  Respiration  mit 
deutlichem  Rhonch.  sibilans  bis  spät  in  die  Nacht  hinein  an.  Am  andern  Morgen  wird 
sie  schon  gegen  6  Uhr  todt  gefunden. 

Section  nach  12  Stunden.  Die  Augen  tief  in  den  Augenhöhlen  liegend,  der 
Schnabel  mit  Schleim  angefüllt;  am  Ausgang  des  Kropfes  2  Wicken.  Das  Zellgewebe 
in  der  Umgebung  des  Kropfes  und  der  Trachea  enthält  sehr  entwickelte  venöse  Gelasse, 
hier  und  da  ein  kleines  Blutextravasat.  In  den  grössern  Venen,  im  rechten  Herzen  und 
im  linken  Vorhof  geronnenes  und  dickflüssiges  Blut.  Lungen  von  hellrother  Farbe  mit 
einzelnen  braunen  Marmorirungen,  auf  den  Durchschnittsflächen  etwas  flüssiges  Blut 
ohne  Schaum;  das  Lungenparenchym  theils  von  rother,  theils  von  braunrother  Farbe: 
Trachealschleimhaut  vorzugsweise  an  der  Bifurcationsstelle  injicirt.  Leber  nur  an  ein- 
zelnen Stellen  von  dunkler  Farbe;  Nieren  blassgrauroth.  Die  Gefässe  des  Magens  und 
Mesenteriums  injicirt.  Hirnhäute  und  Gehirn  zeigen  sich  blutleer;  nur  an  der  Basis 
cerebri  ist  die  Pia  mater  injicirt:  Plex.  venös,  spin.  mit  dickflüssigem  Blute  angefüllt. 
Viele  Blutkügelchen  sind  unregelmässig  oder  seitlich  eingerissen;  das  dunkle  Blut  er- 
scheint nur  in  ganz  dünnen  Schichten  violettroth. 

Die  tödtliche Wirkung  ist  sicher  die  Folge  der  auftretenden  schwefligen  und 
arsenigen  Säure;  die  reizende  Einwirkung  dieser  Dämpfe  auf  die  Respirations- 
wege gibt  sich  daher  ganz  besonders  kund.  Die  bisher  vielfach  aufgestellte  Be- 
hauptung, dass  die  Sulfide  des  Arsens  nicht  giftig  seien,  ist  daher  nicht  richtig, 
namentlich  wenn  es  sich  um  eine  Handelswaare  handelt. 

Technische  Verwendung  findet  das  Auripigment  nur  wenig;  als  Malerfarbe 
heisst  es  Königs  gelb,  ist  aber  als  solche  durch  Chromblei  verdrängt  worden.  In  der 
Färberei  wird  es  nur,  noch  selten  zur  Reduction  des  Indigos  in  alkalischer  Lösung 
benutzt.  Am  meisten  diente  es  bisher  in  der  Gerberei  als  Haarvertilgungsmittel;  als 
Rhusma  der  Orientalen  wird  es  zu  diesem  Zweck  mit  Aetzkalk  gemengt: 
2  As2S3  4-  3  Ca(OH2)  =  2  As203  -f-  3  Ca(SH)2. 

In  sehr  vielen  Fällen  kann  es  aber  durch  Calciumsulfhydrat  Ca(SH>2  vertreten 
werden,  welches  durch  Einleiten  von  Schwefelwasserstoff  in  einen  Brei  von  Calcium- 
hydrat  Ca(OH)2  dargestellt  wird  und  in  sanitärer  Beziehung  jedenfalls  den  Vorzug- 
verdient  (s.  Gaskalk). 

3)  Arsenpentasulfid  As2S5  wird  nur  künstlich  in  der  Weise  dargestellt,  dass  man 
durch  Auflösen  von  Arsentrisulfid  in  einer  Kaliumsulfidlösung  unter  Zusatz  von  Schwefel 
zuerst  Kaliumsulfarseniat  K3AsS4  darstellt,  welches  sich  durch  Säuren  in  Arsen- 
pentasulfid zersetzt: 

2K3AsS4  +  6  HCl  =  6  KCl  +  3H2S  +  As2Sä. 


304  Arsen  und  Phosphor. 

Es  stellt  ein  gallgelbes  Pulver  dar,  welches  dem  Trisulfid  entspricht  und  selten  noch 
zum  Anstreichen  und  beim  Tapetendruek  verwendet  wird. 

Einwirkung  dpi*  Dämpfe  von  Arsonnentasiillid  auf  den  thierischen  Organismus. 

Eine  Taube  sass  im  grossen  Glaskasten;  nach  20 Kolbenstössen  Blinzeln  mit  den  Augen, 
Austluss  von  Schleim  aus  den  Nasenlöchern,  nach  10  M  setzt  sie  sich  unter  Würgen 
nieder,  nach  20  M.  Schliessen  der  Augen,  starkes  Schütteln  mit  dem  Kopfe,  7  ange- 
strengte und  ungleiche  Inspirationen  hinnen  '/4  M.  bei  weit  geöffnetem  Schnabel,  nach 
35  M.  Husten  nach  jeder  Inspiration,  mehrmaliges  Erbrechen-  Nach  1  %  St.  Heraus- 
nah  me,  nachdem  0,48 Grm.  Arsensupcrsullid  verdampft  resp.  verbraucht  worden.  Schleim- 
rasseln bei  beschwerlicher  Respiration  hält  an;  Rasselgeräusche  und  vermehrter  Herz- 
schlag sind  die  auffallendsten  Erscheinungen.  Nach  3  Stunden  wird  die  Taube  todt 
gefunden. 

Section  nach  20  Stunden.  Aus  dem  Schnabel  ist  eine  trübe  Flüssigkeit  ge- 
flossen, welche  aus  dem  Kröpfe  gekommen.  Unter  den  Hirnhäuten  ist  nur  die  Pia 
mater  injicirt,  die  Plex.  ven.  spin.  sind  mit  dickflüssigem  Blute  gefüllt.  Beim  Durch- 
schneiden der  Brustmuskeln  tritt  dickflüssiges  Blut  aus:  das  Zellgewebe  in  der  Umgebung 
der  Trachea  injicirt,  ebenso  die  Schleimhaut  der  Trachea.  Lungen  blassroth,  an  der 
hintern  Seite  des  linken  untern  Lungenlappens  ein  6  Linien  langes  und  3 — 4  Linien 
breites  Blutextravasat  unter  der  Pleura;  das  untere  Dritttheil  des  rechten  untern  Lungen- 
lappens ist  braunroth  gefärbt,  auf  den  Durchschnittsflächen  etwas  flüssiges  Blut;  in  den 
kleinsten  Bronchialverzweigungen  ein  gelblicher  Schleim,  in  welchem  man  mittels  des 
Mikroskops  kleine  rothe  Krystalle  von  Ai'senpentasulfkl  wahrnimmt.  Herz  äusserlich 
injicirt;  im  rechten  Herzen  und  im  linken  Vorhof  schwarzes  geronnenes  Blut,  ebenso 
in  den  grössern  Venenstämmen.  Leber  von  dunkelbraunrother  färbe  und  reich  an  dick- 
flüssigem und  geronnenem  Blute;  Nieren  blassbraun.  Das  dunkle  Blut  röthet  sich  kaum 
an  der  Luft,  beim  Eintrocknen  erscheint  es  schmutzig-braunroth. 

Die  reizende  Einwirkung  der  Dämpfe  dieser  Verbindung  auf  die  Respira- 
tionswege gibt  sich  in  einem  höchst  auffallenden  Grade  zu  erkennen;  berner- 
kenswerth  ist  noch  der  Nachweis  der  kleinen  Krystalle  dieses  Arsensulfids  im 
Bronchialschleim. 

Jedenfalls  hat  die  schweflige  Säure  an  dieser  reizenden  Wirkung  einen 
wesentlichen  Autheil,  obgleich  die  starke  Dyspnoe,  welche  sich  während  des  Versuchs 
zeigte,  durch  beide  Zersetzungsproducte,  die  arsenige  und  seh weflige  Säure, 
erzeugt  wurde.  Bedenkt  man,  dass  die  Taube  kaum  den  fünften  Theil  des 
Präparats  inhalirt  tiat,  so  geht  hieraus  dessen  Gefährlichkeit  hinreichend  hervor; 
es  ist  daher  unzweifelhaft,  dass  die  Arbeiter  sich  vor  der  Einwirkung  des  Dampfes 
und  auch  des  Staubes  dieser  Schwefelverbindungen  des  Arsens  hüten  müssen. 

Arsen  und  Phosphor. 

Arsenphospllid  kann  im  rohen  Phosphor  des  Handels  vorkommen,  wenn  bei  der 
Darstellung  des  Phosphors  aus  saurem  Calciumphosphat  arsenhaltige  Schwefel- 
säure benutzt  worden  ist;  die  Verbindung  kann  alsdann  im  Anfange  der  Destillation 
auftreten  und  auf  die  Arbeiter  höchst  nachtheilig  einwirken.  Sie  stellt  eine  schwarze, 
glänzende,  spröde  Masse  von  einem  unbestimmten  Verhältnisse  dar  und  bildet  sich 
beim  Zusammenschmelzen  von  Phosphor  und  Arsen  unter  Wasser. 

Einwirkung  von  Arsenphosphid  auf  den  thierischen  Organismus.  Eine  Taube 
bleibt  in  der  mit  den  Dämpfen  von  Arsenphosphid  angefüllten  Glocke  anfangs  ruhig 
sitzen;  nach  3  M.  Schütteln  mit  dem  Kopf  und  einzelne  Zuckungen,  nach  5  M.  Erzittern 
des  ganzen  Körpers  mit  Hustenreiz,  nach  8  M.  10  mit  kurzem,  erschütterndem  Husten 
verbundene  Inspirationen:  nach  10  M.  Herausnahme.  Ruhiges  Verhalten  und  häufiges 
Aufblähen,  13  regelmässige  Inspirationen  binnen  |/4  M.;  am  folgenden  und  zweiten  Tage 
beschwerliche  Respiration  und  Stimmlosigkeit.  In  der  darauf  folgenden  Nacht  stirbt 
die  Taube. 

Section  nach  20  Stunden.  Schnabel  weit  offen  stehend,  massige  Injectiou  der 
Hirnhäute,  die  Plex.  venös,  spin.  fast  leer,  Brustmuskeln  dunkelroth  gefärbt,  beim 
Durchschneiden  derselben  etwas  geronnenes  Blut;  Nasenschleimhaut  geröthet  und  ge- 
schwollen, der  ganze  Larynx  ist  mit  einer  festen  croupösen  Masse  angefüllt,  welche 
im  Zusammenhange  herausgeschält  werden  kann;  die  Schleimhaut  daselbst  fällt  durch 
eine  intensive   Röthe   auf.      Im   linken  Bronchus    ein   liusengrosses   croupöses  Exsudat; 


Antimon.  305 

auch  hier  ist  die  Schleimhaut  gerötheter  als  an  andern  Stellen.  Lungen  hellziegelroth 
mit  schmutzig-brauner  Marmorirung,  auf  den  Durchschnittsflächen  etwas  geronnenes 
Blut;  letzteres  füllt  besonders  die  Lungenvenen  aus;  beim  Zusammendrücken  der  Lunge 
tritt  auf  den  Durchschnitten  viel  röthlicher  Schaum  aus.  Im  rechten  Herzventrikel  und 
ganz  besonders  im  rechten  Vorhof  viel  geronnenes  Blut;  im  Allgemeinen  findet  sich 
nur  wenig  flüssiges  Blut  vor,  das  sich  an  der  Luft  etwas  heller  röthet,  beim  Eintrock- 
nen aber  wieder  schmutzig- braunroth  wird;  mehrere  Blutkügelchen  sind  ungleich  und 
am  Rande  eingerissen.  Leber  von  normaler  braunrother  Farbe,  enthält  schwarzes  ge- 
ronnenes Blut,  das  sich  vorwaltend  in  allen  grössern  Venen  findet;  Corticalsubstanz  der 
Nieren  injicirt.    Chemisch  konnte  Arsen  in  Lunge  und  Leber  nachgewiessen  werden. 

Charakteristisch  ist  im  vorliegenden  Falle  die  Entstehung  einer  vollständigen 
Angina  membranacea,  wie  sie  in  keinem  pathologischen  Falle  ausgebildeter 
vorkommen  kann;  auch  der  Ausgang  des  Croups,  acutes  Lungenödem,  fand  sich 
vor.  Die  Verbindung  von  Arsen  und  Phosphor  übt  somit  einen  bedeutenden  Reiz 
auf  der  Respirationsschleimhaut  aus,  dessen  Wirkung  den  Folgen  der  inhalirten 
Dämpfe  von  Phosphortrijodid  höchst  ähnlich  ist.  Wahrscheinlich  ist  es  in 
beiden  Fällen  die  phosphorige  Säure,  welche  vorzugsweise  die  entzündlichen  Er- 
scheinungen in  den  Respirationsorganen  bedingt,  obgleich  sie  allein  nicht  den 
croupösen  Process  in  einem  so  prägnanten  Grade  zu  erzeugen  vermag;  zur  Aus- 
bildung desselben  scheint  die  Mitbetheiligung  von  Jod,  Brom -oder  Arsen 
nothwendig  zu  sein,  wie  besonders  aus  der  Wirkung  des  Arsenjodids  und 
Arsenbromids  erhellt. 


Antimon  Sb. 


Antimon  findet  sich  selten  gediegen,  sondern  in  Verbindung  mit  Silber,  Nickel, 
Arsen   und  Kupfer.*)     Meistens  kommt  es  mit  Schwefel  verbunden   als   Grauspiess- 

flanzerz   Sb2S3   (Antimonium   crudum)    vor;     dasselbe   wird  mit    Eisen  in  einem 
iegel  geschmolzen,  wobei  sich  Antimon  als  Regulus  ausscheidet  und  der  Schwefel  mit 
dem  Eisen  verbindet. 

Antimon  (Stibium)  ist  von  bläulich- zinnweisser  Farbe,  von  krystallinisch 
blättrigem  Gefüge,  schmilzt  bei  430°  und  clestillirt  in  Hellrothgluth  bei  Abschluss  der 
Luft;  an  der  Luft  verbrennt  es  mit  leuchtender  Flamme  zu  Antimonoxyd  Sb203. 
Kochende  concentrirte  Schwefelsäure  führt  es  unter  Entwicklung  von  Schwefligsäure- 
anhydrid in  Antimonsulfat  über;  Salzsäure  greift  es  nicht  an,  Salpetersäure  oxydirt  es 
zu  Antimonoxyd  und  Antimonsäure,  Königswasser  zu  Antimonsäure. 

Wirkung  der  Antimondämpfe  auf  den  thierischen  Organismus.  Es  kann 
hierbei  nur  von  den  Oxydationsproducten,  namentlich  von  Antimonoxyd,  die 
Rede  sein,  da  sowohl  bei  der  Verhüttung  als  bei  der  Darstellung  der  verschie- 
denen Spiessglanzpräparate  in  den  chemischen  Fabriken  die  Dämpfe  von  Antimon- 
oxyd sich  geltend  machen.  Es  darf  aber  hierbei  nicht  übersehen  werden,  dass 
Arsen  ein  treuer  Verbündeter  von  Antimon  ist  und  in  den  meisten  Fällen  als 
arsenige  Säure  diese  Dämpfe  begleiten  wird.  Dadurch  hat  sich  bei  der  Beurthei- 
lung  dieser  Antimondämpfe  manche  Unklarheit  eingeschlichen  und  dem  Antimon- 
oxyd  werden  viele  Symptome  zugeschrieben,  welche  offenbar  der  Wirkung  der 
arsenigen  Säure  angehören.1) 

Sicher  wirkt  Antimonoxyd  nachtheilig  auf  die  Digestionsorgane;  es  kann 
sich  Erbrechen  bei  belegter  Zunge,    Magendruck,  aufgetriebener  Leib    und   ge- 


*)  Oesterreich- Ungarn,  Frankreich,   Algier,  Amerika,   Sibirien,  Indien,   weniger 
Deutschland  (Harz,  Sachsen,  Westphalen)  besitzen  Antimonerze. 

Eulenberg,  Gewerbe-Hygiene.  20 


306 


Antimon. 


störte  Leibesöffnung  ausbilden,  je  nachdem  die  Dämpfe  längere  oder  kürzere 
Zeit«  mehr  oder  weniger  concentrirt  einwirken.  Als  charakteristisch  für  Antimon- 
oxyd kann  auch  die  Einwirkung  auf  die  Harn-  und  Geschlechtsorgane  betrachtet 
werden;  wenn  demnach  Arbeiter,  welche  den  concentrirten  Antimonoxyddämpfen 
längere  Zeit  ausgesetzt  waren,  an  Drängen  und  Schmerzen  im  Blasenhalse, 
brennenden  Empfindungen  in  der  Harnröhre  mit  schleimigem  Ausflüsse  leiden, 
sogar  über  Impotenz  mit  Verkleinerung  der  Hoden  klagen,  so  widersprechen 
solche  Angaben  nicht  der  Wirkung  des  Radicals .  welches  aber  bei  der 
liöhern  Oxydationsstufe,  bei  der  Antimonsäure,  ganz  in  den  Hintergrund 
treten  dürfte. 

In  der  Industrie  hat  man  immerhin  alle  Vorsichtsmassregeln  zu  treffen,  um 
die  Condeusation  dieser  Dämpfe  sicher  zu  stellen  und  zwar  um  so  mehr,  als  man 
in  den  meisten  Fällen  beim  Antimon  auch  der  arsenigen  Säure  begegnen  wird. 


Antimonindustrie. 

Zur  Darstellung  des  Antimons  benutzt  man  das  Antimonium  erudum 
(Grauspiessglanzerz),  welches  ausgesaigert  uud  alsdann  der  Röst  ung  oder  der 
Reduction  unterworfen  wird. 

Die  Saigerung   ist  ein  Ausschmelzen,   wobei  2  Tiegel  ineinander  gestellt 

werden,  von  denen  der  obere  einen  durchlöcherten  Boden  hat.     Die  Flamme  des 

Ofens   bestreicht  nur   den  obern  Tiegel,    welcher  das  auszusaigende  Erz  enthält, 

während  der  untere  in  heissem  Saude  oder  in  heisser  Asche  steht. 

Nach  einer  andern  Methode  ist  der  zweite  Tiegel,  der  Recipient,  feststehend  und 
mit  einem  Abzugsrohr  versehen  (Fig.  35,  a),  welches  mit  Thon  verschmiert  wird,  später- 
hin aber  zum  Ablassen  des  Schwefelantimons  dient. 
Sämmtliche  Tiegel  steheu  kreisförmig  in  einem  lang- 
gestreckten Gewölbe,  in  dessen  Mitte  der  Schlot  ab- 
geht, welcher  mittels  eines  schief  liegenden  und 
lang  geschleiften  Canals  mit  dem  Hauptkamine  in 
Verbindung  stehen  muss.  Es  entsteht  somit  eine 
Art  von  Gestübbekammer,  in  welcher  sich  die 
arsenige  Säure  und  das  Antimonoxyd  ablagern, 
während  schweflige  Säure  in  ziemlich  bedeuten- 
der Menge  mit  den  Verbrennungsgasen  abgeht.  Auch 
die  Meuge  von  Antimonoxyd  ist  bisweilen  nicht 
unerheblich  und  kann  bei  Unterlassung  von  ^  or- 
sichtsmassregelu  die  Benutzung  der  in  der  nächsten 
Nähe  solcher  Etablissements  wachsenden  Futter- 
kräuter insofern  beeinträchtigen,  als  beim  Rindvieh 
häufig  Erbrechen  eintritt  und  Pferde  sogar  nach 
einem  so  verunreinigten  Futter  crepiren  können, 
namentlich  wenn  das  Antimonoxyd  gleichzeitig  mit 
arseniger  Säure  vorkommt. 

Die   sanitären    Uebelstände   zeigen    sich  be- 
sonders,  wenn  das  Antimonerz   unmittelbar  auf  den 
geneigten  Herd  eines  Flammenofens  gebracht  wird : 
das  ausgesaigerte  Schwefelantimun  flieest  dann  mittels 
einer  Rinne  nach  einem  ausserhalb  des  Ofens  stehenden  Recipientcn  ab. 

Röstung  des  Schwefelantiinons.  Das  durch  Saigeruug  gewonnene  Schwefel- 
antimon  (Antimonium  erudum)  wird  in  einem  Flamuienofeu  so  lange  unter  Um- 
rühren geröstet,  bis  es  grösstenteils  in  Antimonoxyd  übergeführt  ist.  wobei 
sämmtliches  Arsen  als  arsenige  Säure  und  sämmtlicher  Schwefel  als  schwef- 
lige Säure  entweichen;   auch  grosse  Mengen  von  Antimonoxyd   können   sich 


\ 


hierbei  verflüchtigen  : 


Sb2  S3  +  9  0  -  Sb,  0,  +  3  S02. 


Antimonindustrie.  307 

Auch  hier  sind  Gestübbekammern  für  die  Condensation  der  Dämpfe  von  Antimon- 
oxyd und  arseniger  Säure  erforderlich.  Das  geröstete  Gut  heisst  Spiessglanzasche 
und  gelangt  in  Tiegeln  zur  Reduction,  nachdem  es  mit  rohem  Weinstein  oder  mit 
Kohle  und  Natrium carbonat  gemischt  ist ;  unter  der  sich  bildenden  Schlacke  erstarrt  der 
Regulus  langsam. 

Reduction  des  Schwefelantimons.  Wählt  man  statt  der  Röstung  die  Reduc- 
tion des  Schwefelantimons.  so  schmilzt  man  es  in  Tiegeln  direct.  mit  Eisen  zu- 
sammen, wobei  sich  das  Antimon  am  Boden  des  Tiegels  metallisch  ausscheidet 
und  der  Schwefel  mit  dem  Eisen  verbindet. 

Sb2S3  +  3Fe  =  FeS  +  2Sb. 

Bei  der  Reduction  mittels  Zuschläge  entwickeln  sich  keine  schädlichen  Gase  oder 
Dämpfe;  die  Schlacken  sind  nur  wegen  ihres  Gehaltes  an  Schwefelnatrium  resp. 
Schwefeleisen  beachtenswerth. 

Um  die  letzten  Spuren  von  Arsen  im  Antimon  zu  beseitigen,  muss  dasselbe  mit 
entwässertem  Glaubersalz,  Kohle  und  metallischem  Eisen  nochmals  umgeschmolzen 
werden,  wobei  alles  Arsen  sich  mit  Schwefelnatrium  verbindet  und  als  Schwefelarsen- 
Schwefelnatrium  in  der  Schlacke  bleibt. 

Das  sanitäre  Interesse  wird  am  meisten  vom  Saigerungsprocess  in  An- 
■  spruch  genommen  und  hierbei  ist  die  grösste  Sorgfalt  auf  die  sich  entwickelnden 
Dämpfe  zu  richten,  zu  deren  Condensation  Gestübbekammern  nicht  zu  ent- 
behren sind.  Es  handelt  sich  hierbei  vorzugsweise  um  das  Antiraonoxyd,  welches 
zwar  arsenhaltig  ist,  aber  zur  Gewinnung  des  metallischen  Antimons  mit  benutzt 
werden  kann.  Die  Ablagerung  der  arsenigen  Säure  ist  jedoch  im  Allgemeinen 
nicht  erheblich,  da  der  grösste  Theil  davon  im  Saigerproduct  bleibt.  Für  die 
Absorption  der  schwefligen  Säure  ist  bis  jetzt  bei  diesem  Process  fast  nichts 
geschehen,  obgleich  dieselbe  für  die  Umgegend  höchst  belästigend  werden  kann; 
es  wären  deshalb  auch  hier  Condensations-  uud  Absorptions -Vorrichtungen  für 
dieses  belästigende  und  schädliche  Gas  geboten.  Neuerdings  verwerthet  man  S02 
sehr  zweckmässig  zur  Darstellung  der  schwefligsauren  Salze,  welche  beim 
Zugutemachen  der  Schlacken  zur  Anwendung  kommen. 

Die  Schlacken  werden  nämlich  auf  Kermes  minerale  verarbeitet;  zu  dem 
Ende  werden  sie  unter  den  nothwendigen  Vorsichtsmassregeln  gepocht  und  unter  Zusatz 
von  Soda  siedend  heiss  extrahirt.  Die  heisse,  klar  filtrirte  Flüssigkeit  setzt  beim  Er- 
kalten den  Mineralkermes,  ein  Gemisch  von  Schwefelantimon  mit  Antimon- 
oxyd, ab.  Die  hier  abfallende  Flüssigkeit,  welche  alles  Arsen  enthält,  wird  mit  einem 
schwefligsauren  Alkali  behandelt,  durch  welches  nach  schwacher  Ansäuerung  mit 
Salzsäure  Äntimonzinnober  präcipitirt  wird. 

Die  hierbei  abfallende  Flüssigkeit  enthält  ausser  den  Chloralkalien  noch  so  viel 
unterschwefligsaure  Salze,  dass  diese  wieder  gewonnen  werden  können.  Die 
ausgelaugten  Schlackenrückstände  enthalten  noch  Schwefelantimon  und  Schwefel- 
eisen; sie  können  beim  Verwitterungsprocess  die  Bildung  von  H2S  und  Eisenvitriol  ver- 
anlassen; man  muss  sie  daher  an  einem  geeigneten  Orte  ablagern  In  seltenen  Fällen 
enthalten  die  Schlacken  auch  Gold,  was  dann  selbstverständlich  zu  verwerthen  ist  und 
zwar  unter  Verpuffung  mit  Salpeter  und  Ausziehen  mit  Salzsäure 

Der  gewonnene  Mineralkermes  wird  als  Anstrichfarbe  und  neuerdings  auch 
in  der  Kautschukindustrie  zum  Vulcanisiren  benutzt.  Die  Anwendung  eines  solchen 
röthlich  gefärbten  Kautschuks  für  ökonomische  Zwecke,  namentlich  für  Bierpumpen, 
Saugflaschen,  Saughütchen,  Stöpsel  u.  s.  w.  ist  nicht  nur  verwerflich,  sondern  sollte 
gänzlich  verboten  werden. 

Der  Antimonzinnober  wird  in  der  Technik  vielfach  zum  Anstreichen  benutzt; 
es  ist  aber  hierbei  zu  beachten,  dass  er  alles  Arsen  der  Schlacke  enthält  und  zwar  als 
Arsentrisulfid  (As2S3). 

Antimon  und  seine  Legirungen. 

Die  vorzüglichsten  Legirungen  sind  Britanniametall,  Schriftmetall,  Schüs- 
seknetall,   Spiegelmetall  und  eine  Legirung  zum  Ausfüttern  der  Lager  bei  Loco- 

20* 


308  Antimon. 

motivachsen;    auch  wird  bisweilen  der  Glockenspeise  Antimon  zugesetzt,  um  die 
Schmelzbarkeit  und  Klangfähigkeit  zu  vermehren. 

Das  Mischungsverhältniss  der  verschiedenen  Metalle  variirt.  je  nachdem  eine 
besondere  Eigenschaft  mehr  oder  weniger  hervortreten  soll.  Das  Schriftmetall 
ist  gewöhnlich  aus  75  Th.  Blei,  20  Th.  Antimon  und  5  Th.  Zinn  zusammengesetzt, 
nicht  selten  werden  auch  Kupfer,  Nickel,  Zink  oder  Wismuth  zugesetzt.  Folgende 
Legirung  kommt  nicht  selten  vor:  67  Th.  Blei,  25  Tb.  Antimon,  5  Th.  Zinn  und 
3  Th.  Kupfer.  Die  Menge  des  Antimons  kann  bis  zu  30 — 34';  gesteigert  oder 
auch  auf  16  %  reducirt  werden;  letztere  Legirung  wird  z.B.  beim  Giessen  der 
Stereotypplatten  benutzt.  Diese  Legirungen  werden  in  der  Weise  dargestellt,  dass 
das  Blei  zuerst  in  einem  eisernen  Kessel  geschmolzen  wird  und  die  andern  Metalle 
allmählig  zugesetzt  werden.  Bei  richtig  geleiteter  Operation  entwickeln  sich 
keine  metallischen  Dämpfe;  jedoch  ist  beim  Ueberhitzen  des  Metallgemisches  sowie 
bei  einem  Arsengehalte  des  Antimons  eine  Entwicklung  giftiger  metallischer  Dämpfe 
möglich;  deshalb  ist  die  Darstellung  der  Legirung  stets  unter  einem  gut 
ziehenden  Rauchfange  vorzunehmen.  Das  Metall  wird  nun  mittels  Kellen  ausge- 
schöpft und  in  Formen  gegossen,  wodurch  es  in  Barren  gewönnen  wird;  es  hat 
einen  krystallinischen  Bruch,  ist  weich  und  färbt  deshalb  leicht  ab. 

Das  Typengiessen  ist  viel  weniger  mit  einer  schädlichen  Exhalation  verbun- 
den, da  der  Schmelzpunct  der  Legirung  weit  unter  dem  Verflüchtigungspuncte 
liegt.  Ein  Abzug  mittels  eines  Rauchfanges  ist  hier  weniger  wegen  der  Exhalation 
schädlicher  Dämpfe  als  wegen  Ableitung  der  strahlenden  Wärme  anzubringen. 
Beim  Giessen  selbst  haben  die  Arbeiter  von  deu  Metallspritzern  zu  leiden,  wes- 
halb ihre  Hände  meistens  verbrannt  sind;  letzteres  wird  durch  die  Anwendung 
von  Giessmaschinen  vermieden. 

Nach  dem  Giessen  ist  vorzugsweise  das  Schleifen  der  Typen  in  sanitärer 
Beziehung  zu  beachten;  dasselbe  geschieht  auf  einem  rauhen  Sandstein  und  kann 
der  hierbei  abfallende  Metallstaub  schädlich  einwirken,  wenn  nicht  die  gehörige 
Reinlichkeit  und  Vorsicht  beobachtet  werden;  gewöhnlich  geschieht  diese  Arbeit  durch 
Mädchen.  Ein  Zusatz  von  Wasser  beim  Schleifen  würde  die  Gefahr  sehr  vermindern. 
Nach  dem  Schleifen  kommen  die  Typen  zum  Richten  uud  Hobeln  und 
werden  auf  dem  Rictittische  mittels  des  Stosshobels  und  der  Zieh  klinge  be- 
arbeitet. Hier  tritt  ebenfalls  Metallstaub  auf,  welcher  besonders  bei  der  An- 
wendung der  Ziehklinge  einwirken  kann,  da  dieselbe  in  der  Weise  gehandhabt 
wird,  dass  die  Bewegung  gegen  den  Arbeiter  hin  geschieht. 

Beim  Schleifen  und  am  Hobeltisch  ist  eine  Intoxication,  welche  mit  der 
Bleikolik  die  grösste  Aehnlichkeit  hat,  am  häufigsten  beobachtet  worden,  obgleich 
auch  Fälle  vorkommen,  dass  30 — 40  Jahre  lang  diese  Arbeit  ohne  sichtbaren 
Schaden  ausgeführt  worden  ist.  Die  grösste  Reinlichkeit  kaun  hier  nur  Schutz 
gewähren;  der  Staub  ist  zu  schwer,  als  dass  er  sich  weit  erheben  könnte.  Die 
Behauptung,  dass  Schriftgiesser  häufig  von  Lungenschwindsucht  und  Wassersucht 
hinweggerafft  werden,  ist  nicht  begründet.  Bezüglich  des  Essens  im  Fabviklocale, 
der  Reinigung  des  Körpers  u.  s.w.,  sind  die  bei  der  Bleiweissfabrication  erwähnten 
Vorsichtsmassregeln  zu  beachten. 

Bei  den  Buchdruckern  resp.  Setzern  wirkt  derselbe  metallische  Staub 
ein,  der  durch  Abnutzung  der  Typen  entsteht  und  sich  vorzugsweise  in  den 
Setzerkasten  ansammelt.2)  Die  Bleikolik  kann  sich  bei  denselben  nur  bei  grosser 
Uureiulichkeit  und  Unachtsamkeit  ausbilden,  wenn  die  Typen  häufig  iu  deu  Mund 


Antimonlegirungen.  309 

genommen  werden;  geschieht  dies  mit  den  gewaschenen  und  noch  nicht  trocknen 
Typen,  so  hat  man  wohl  in  Folge  der  anhaftenden  Lauge  Risse  an  den  Lippen 
oder  entzündliche  Anschwellung  der  Mundschleimhaut  wahrgenommen  (s.  Antimon- 
wasserstoff); als  weitere  Folgen  können  dann  auch  Verdauungsstörungen  der  ver- 
schiedensten Art  auftreten.  Reinigung  der  Hände  vor  jedem  Essen  ist  ein  not- 
wendiges Erforderuiss,  um  den  an  den  Fingern  klebenden  Metallstaub  nicht  auf 
die  Speisen  zu  übertragen;  deshalb  ist  auch  in  den  Werkstätten  jedes  Essen  und 
Trinken  zu  untersagen. 

In  grossen  Setzersälen  steigert  sich  oft  auch  die  Temperatur  durch  viele 
Gasflammen  auf  eine  unerträgliche  Höhe,  so  dass  eine  zweckmässige,  die  Ableitung 
der  heissen  und  die  Zuführung  der  frischen  Luft  erzielende  Ventilation  erfor- 
derlich wird.  Der  Mangel  einer  frischen  Atmosphäre  kann  wie  in  allen  Werk- 
stätten nachtheilig  wirken;  es  ist  aber  nicht  bewiesen,  dass  die  Setzer  vorzugs- 
weise der  Lungenschwindsucht  unterliegen,  wie  behauptet  worden  ist.3)  Die 
Ausbildung  von  Varicen  oder  varicösen  Geschwüren  an  den  Unterschenkeln  hängt 
mit  dem  beständigen  Stehen  zusammen  und  wird  bekanntlich  überall  beobachtet, 
wo  ähnliche  Ursachen  einwirken.  Bis  jetzt  ist  es  nicht  gelungen,  eine  den 
Setzern  eigentümliche  Krankheit  nachzuweisen;  gute  Luft  und  Reinlichkeit  in 
den  Werkstätten  sowie  eine  nüchterne  und  naturgemässe  Lebensweise  sichern 
hier  die  Gesundheit.  Dass  bei  den  Druckern  früher  vielfach  Hernien  vor- 
kamen, mag  mit  der  körperlichen  Anstrengung  bei  der  Handpresse  in  Verbindung 
gestanden  haben,  die  Schnellpresse  schützt  vor  solchen  körperlichen  Gebrechen. 
Dass  zu  den  vorzüglichsten  Todesursachen  der  Drucker  Auszehrung  und  Typhus 
gehören,  wie  de  Neufville  statistisch  nachgewiesen  hat,  können  wir  auf  Grund 
eigner  Erfahrungen  nicht  bestätigen.4)  Trennung  der  Räume,  besondere  Setzer- 
und Druckersäle,  sind  bei  jedem  grössern  Betriebe  durchaus  erforderlich,  damit 
den  hygienischen  Anforderungen  entsprochen  werde. 

In  den  Räumen,  in  welchen  gedruckt  wird,  entsteht  in  Folge  der 
Druckerschwärze,  die  auch  mehr  oder  weniger  noch  an  den  gewaschenen 
Typen  hängen  bleibt,  eine  unangenehme  Atmosphäre,  an  welche  die  Arbeiter  sich 
zwar  gewöhnen,  die  aber  jedem  Fremden  in  höherm  Grade  auffällt;  jedenfalls 
fordert  dieser  Geruch  dringend  dazu  auf,  für  eine  sorgfältige  Lufterneuerung  aller 
Werkstätten  zu  sorgen.5) 

Früher  war  es  an  manchen  Orten  Sitte,  die  Druckerschwärze  mitTerpen- 
thinöl  und  Bleiglätte  zu  vermischen,  wodurch  natürlich  vielfach  Anlass  zu 
Bleiintoxicationen  geboten  wurde.  Im  Allgemeinen  haben  sich  aber  viele  schäd- 
liche Einflüsse,  welche  man  den  Druckereien  traditionell  zuschrieb,  bei  näherer 
Nachforschung  als  nicht  vorhanden  erwiesen. 

Antimon  und  Wasserstoff. 

Antimonwasserstoff  AsH3  ist  mit  viel  freiem  H  vermischt,  aber  noch  nicht  rein 
dargestellt  worden.  Er  entsteht,  wenn  nascirender  Wasserstoff  auf  die  Sauerstoffver- 
bindungen des  Antimons  einwirkt  und  ist  ein  farbloses ,  brennbares  Gas ,  wel  ches  den 
Antimonspiegel  liefert;  frei  von  Arsen  übt  es  keine  nachtheilige  Wirkung  auf  die 
Menschen  aus.6)  Höchst  wahrscheinlich  entsteht  es  beim  Abwaschen  des  Schrift- 
giessermetalles  (Antimon  und  Blei)  mittels  kaustischer  Natronlauge,  wobei  sich  unter 
Wasserzersetzung  einerseits  Antimonoxyd  und  andrerseits  Antimonwasserstoff 
bilden.  Die  Laugen  erzeugen  nur  bei  Unachtsamkeit  entzündliche  Affectionen  der 
Finger,  da  die  Procedur  mittels  Abbürstens  geschieht.*) 

*)  Holzstöcke  werden  mittels  KienÖls  gereinigt. 


310  Antimon. 


Antimon  und  Chlor. 

1)  Antimontrichlorid  SbCl3,  eine  weisse  krystallinische  Masse  von  weicher 
Consistenz  (Butyrum  antimonii),  wird  im  Grossen  durch  Behandeln  des  Auti- 
montrisulfids  (Autimouium  crudum)  mit  Salzsäure  dargestellt. 

Sb,  So  +  6  H  Cl  =  2  Sb  Cl3  +  3  H2S. 

Man  gebraucht  hierzu  gläserne  tubulirte  Retorten  von  30—40  Pfd.  Capacität,  welche 
im  Sandbade  liegen  und  mit  tubulirten  Vorlagen  verbunden  sind;  letztere  hält  man  durch 
auftliessendes  Wasser  kühl  und  leitet  den  aus  der  Tubulatur  entweichenden  Schwefel- 
wasserstoff in  Kalkmilch  oder  unter  den  nothwendigen  Vorsichtsmassregeln  in  die 
Feuerung.  Bei  geringerm  Betriebe  kann  er  in  den  Schornstein  abgeleitet  werden;  keines- 
falls darf  er  sich  im  Fabrikiocale  verbreiten.  Das  Zugeben  der  Salzsäure  durch  den 
Tubulus  der  Retorte  muss  allmählig  geschehen  und  wiederholt  werden,  wenn  die  Ent- 
wicklung von  H2S  aufgehört  hat. 

Zuerst  destillirt  sehr  wässrige  Salzsäure  nebst  geringen  Mengen  von  Antimon- 
chlorid  und  Arsenchlorür  über;  erst  wenn  alles  Schwefelantimon  in  der  Retorte  gelöst 
ist,  wird  ohne  weitere  Zugabe  von  Salzsäure  so  lange  destillirt,  bis  das  Destillat  im 
Retortenhalse  zu  erstarren  beginnt.  Man  wechselt  nun  die  Vorlage  mit  einer  trocknen: 
unter  verstärktem  Feuer  destillirt  nun  das  Antimonchlorid  continuirlich  über  und  er- 
starrt in  der  Vorlage  zu  einer  krystallinischen  Masse. 

Die  zuerst  übergegangene  arsenhaltige  Salzsäure  kann  3 — 4mal  wieder  auf 
frisches  Schwefelantimon  gegossen  werden,  um  das  in  ihr  enthaltene  Antimonchlorid 
nicht  zu  verlieren.  Schliesslich  wird  sie  aber  so  arsenhaltig,  dass  sie  auf  Zusatz  von 
Wasser  neben  AI  gar  oth  pul  ver  (ein  weisses  krystallinisches  Pulver  2(SbOCl)  -t-  Sb303) 
arsenige  Säure  in  schönen  glänzenden  Octaedern  absetzt.  Sie  verdient  daher  in 
sanitärer  Beziehung  alle  Beachtung  und  sollte  wie  die  arsenikalischen  Abflusswässer 
in  Anilinfabriken  unschädlich  gemacht  werden. 

Die  Arbeiter  leiden  sehr  durch  die  Dämpfe  des  wasserfreien  Anti- 
monchlorids, welche  das  fertige  Product  umhüllen.  Mund,  Nase  und  das  Ge- 
sicht werden  leicht  geätzt;  selbst  Trübungen  der  Hornhaut  können  eintreten; 
nasse  Schwämme  vor  Mund  und  Nase  sind  durchaus  nothwendig  und  müssen 
häufig  gewechselt  und  ausgewaschen  werden.  Kommt  die  Flüssigkeit  mit  der 
geringsten  Verwundung  der  Haut  zusammen,  so  entstehen  die  heftigsten  Schmerzen. 
In  der  Technik  dient  das  Antimonchlorid  vorzugsweise  zum  Bruniren  (Bräunen) 
von  Gewehrläufen  und  wird  daher  auch  in  solchen  Gegenden,  wo  die  Gewebrfabri- 
cation  heimisch  ist,  am  meisten  dargestellt.  Gewöhnlich  bedient  man  sich  jedoch 
hierzu  eines  in  salzsäurehaltigem  Wasser  gelösten  Antimonchlorids;  dieses 
Wasser  muss  wenigstens  15°  Salzsäure  enthalten,  um  den  sogen.  Liquor  stibii 
chlor ati  darzustellen,  da  ein  grösserer  Zusatz  von  Wasser  das  erwähnte  Alga- 
rothpulver  ausscheidet;  dieser  Licpuor  entwickelt  keine  Dämpfe.  Beim  Bruniren 
bildet  sich  aber  Autimonwasserstoff,  welcher  nach  der  Beschaffenheit  der  an- 
gewendeten Salzsäure  mit  Arsenwasserstoff  mehr  oder  weniger  gemischt  sein 
kann.  Es  ist  hierauf  sehr  zu  achten,  da  die  Procedur  gewöhnlich  in  kleinen 
Werkstätten  vorgenommen  wird;  die  Arbeit  muss  daher  jedenfalls  unter  einem 
gut  ziehenden  Rauchfauge  vorgenommen  werden. 

Zur  Erzeugung  von  rothen  Mustern  resp.  von  Antimonzinnober  in  der  Lei- 
nen- und  Kattundruckerei  behandelt  man  das  Antimonchlorid  mit  unterschweflig- 
saurem  Natrium. 

In  der  Glasmalerei  gebraucht  man  zur  Erzeugung  gelber  Farben  Antimon- 
oxyd, welches  man  sich  durch  Präcipitation  des  Antimonchlorids  mittels  Natriumcarbonats 
bereitet. 

2)  Antimonpentachlorid  SbCl5  entsteht  durch  Einleiten  von  Chlorgas  in 
Antimontrichlorid;  es  ist  eine  fast  farblose,  an  der  Luft  rauchende  Flüssigkeit, 
welche  vielfach  in  der  organischen  Chemie  zur  Anwendung  kommt  und  ein  abso- 
lutes Absorbens  für  das  reine  schwere  Kohlenwasserstoffgas  ist. 


Antimonoxvd.  31 1 


Antimon   und  Sauerstoff. 

1)  Anthnonoxyd  Sb203  kommt  wie  die  Arsenikblüthe  frei  in  der  Natur  dimorph 
vor  und  zwar  alsWeissspiessglanzerz  in  rhombischen  Prismen  und  als  Senarm  ontit 
in  regulären  Oetaedern.  Künstlich  erhält  man  es  durch  Verbrennen  von  Antimon  an 
der  Luft  oder  durch  Oxydation  desselben  mittels  Salpetersäure.  In  einer  Lösung  von 
Salzsäure  wird,  es  durch  Natriumcarbonat  als  Antimonhydrat  oder  antimonige 
Säure  SbO(OH)  gefällt,  welches  in  einer  concentrirten  Kali-  oder  Natronlauge  löslich 
ist  und  sich  hierbei  wie  eine  schwache  Säure  verhält;  stärkern  Säuren  gegenüber  tritt 
es  aber  als  eine  Base  auf  und  vertritt  als  SbO  (Antimonyl)  ein  H  der  Säuren. 

Weinsaures  Antimonoxyd-Kalium  CjLrI4K(SbO)Oö  +  1/2H20  oder  Tartarus  sti- 
Matus,  StiMo-Kali  tartaricuui  hat  wegen  seiner  technischen  Darstellung  im  Grossen 
ein  sanitäres  Interesse.  Es  wird  hierbei  arsenfreies  Schwefelantimon  mit  Salpeter 
verpufft,  das  Product  pulverisirt  und  mit  heissem  Wasser  ausgewaschen.  Der 
Rückstand  wurde  früher  Antimonium  diaphoreticum  ablutum  genannt  und 
besteht  grösstentheils  aus  Antimonoxyd.  Man  trägt  denselben  in  eine  siedende 
wässrige  Weinsteinlösung,  welche  sich  in  einem  mit  Blei  gefütterten  Kessel  be- 
findet, bis  zum  Ueberschusse  ein;  die  eingedampfte  Salzlauge  wird  filtrirt  und  zur 
Krystallisation  hingestellt. 

In  sanitärer  Beziehung  ist  hierbei  Folgendes  zu  beachten:  Beim  Ver- 
mischen und  Pulverisiren  von  Schwefelantimon  und  Salpeter  bilden  sich  in  Folge 
des  einwirkenden  Staubes  leicht  Hautleiden  furunculöser  Art;  häufig  beginnt  der 
Verschwärungsprocess  an  den  Haarwurzeln,  wo  sich  zuerst  kleine  schwarze 
Puncte  in  Folge  des  abgelagerten  Staubes  zeigen. 

Beim  Pulverisiren  und  Sieben  des  Verpuff ungsrückstan des  ist  ebenfalls 
Vorsicht  erforderlich;  die  Arbeiter  müssen  sich  hierbei  einen  Schwamm  vor  den  Mund 
binden  und  die  Arbeit  darf  nur  in  einem  von  dem  allgemeinen  Fabriklocale  ge- 
trennten Räume  vorgenommen  werden.  Der  hierbei  auftretende  Staub  (Antimon- 
oxyd) verursacht  sehr  leicht  Erbrechen;  Hunde  und  Katzen,  welche  das  Erbrochne 
fressen,  werden  gleichfalls  von  starkem  Erbrechen  befallen. 

Auch  der  Verpuffnugsprocess  selbst  muss  unter  einem  Schlot  oder  in  einem 
geschlossenen  Feuerraum  auf  eisernen  Platten  oder  in  flachen  eisernen  Kesseln 
vorgenommen  werden,  weil  sich  neben  schwefliger  Säure  ein  starker  weisser 
Rauch  von  Antimonoxyd  entwickelt;  Arbeiter,  welche  sich  diesen  Dämpfen  zu 
sehr  aussetzen,  werden  von  heftigem  Erbrechen  befallen. 

Die  Waschwässer  bestehen  grösstentheils  aus  Kaliumsulfat  und  wenig  antimon- 
saurem Kalium:  sie  enthalten  Arsen  in  der  Form  von  Arseniksäure,  wenn  das  Schwefel- 
antimon arsenikhaltig  war;  sie  dürfen  dann  weder  in  Schlinggruben  noch  in  öffentliche 
Canäle  abgelassen  werden. 

Ebenso  kann  in  diesem  Falle  die  Mutterlauge  vom  Tart.  stibiat.  arsenhaltig  sein, 
was  insofern  zu  beachten  ist,  als  dann  die  späteren  Krystallisationen  ohne  besondere 
Reinigung  nicht  zu  medicinischen  Zwecken  verwendet  werden  dürfen. 

Die  technische  Verwendung  von  Brechweinstein  findet  in  Färbereien  und  Drucke- 
reien statt,  um  verschiedene  Farben  zu  erzeugen;  so  druckt  man  z.B.  eine  Mischung 
von  Brechweinstein,  Salzsäure  und  Thonpappe  auf  und  zieht  das  gedruckte  Zeug  durch 
ein  Bad  von  verdünntem  Schwefelcalcium;  der  frei  werdende  Schwefelwasserstoff  wird 
vom  Antimon  festgehalten,  wodurch  rothes  Schwefelantimon  entsteht. 

Hat  man  die  Pappe  sehr  angesäuert,  so  kann  der  Niederschlag  auch  durch  ein 
Bad  von  unterschwefligsaurem  Natrium  erzeugt  werden,  indem  die  unterschwef- 
lige Säure  in  Schwefel,  welcher  an  das  Antimon  tritt,  und  in  entweichende  schwef- 
lige Säure  zerfällt.  Bei  dieser  Methode  wird  die  Farbe  lebhafter  und  besteht  aus 
Antimonzinnober;  die  Arbeiter  haben  sich  vor  dem  entweichenden  Gase  zu  hüten 
und  für  eine  hinreichende  Ventilation  der  Arbeitsräume  Sorge  zu  tragen. 

2)  Antimonsäure  HSb03  entspricht  der  Metaphosphorsäure,  kommt  in  der  Natur 


312  Wismuth. 

sparsam  als  Antimonoeker  vor  und  entsteht  durch  Erhitzen  von  Antimon  mit  con- 
centrirter  Salpetersäure  als  ein  weisser,  in  Wasser  sehr  schwer  löslicher  Niederschlag; 
mit  Natrium  bildet  sie  das  unlöslichste  Natriumsalz. 

Technisch  wird  die  Säure  in  der  Glas-,  Porcellan-  und  Emaillemalerei  zur  Er- 
zeugung der  gelben  Farbe  in  beschränktem  Masse  angewendet,  weil  sie  im  Glattbrand- 
feuer flüchtig  ist.  Ein  schwaches  Glühen  verwandelt  nämlich  die  Säure  in  Antimon - 
Säureanhydrid  Sb205.  eine  schwach  gelbe  amorphe  Masse.  Die  Antimonsäure  wird 
im  unreinen  Zustande  (Antimonasche)  hauptsächlich  in  der  Töpferei  zur  Darstellung 
der  gellten  Glasuren  benutzt. 

Antimonsaures  Antimonoxyd  SbO.  Sb03  oder  Sb204  ist  ein  weisses,  in  der  Hitze 
sich  gelb  färbendes  und  durch  Glühen  sich  nicht  verflüchtigendes  Pulver,  welches  ent- 
steht, wenn  eine  Sauerstoffverbindung  des  Antimons  an  der  Luft  stark  und  anhaltend 
geglüht  wird. 

Antimonsaures  Bleioxyd  ist  der  Hauptbestandteil  des  Neapel-  und 
Casselergelbs. 

Antimon   und  Schwefel. 

1)  Antimontrisnlfid  Sb.S3  kommt  in  der  Natur  als  Grauspiessglanz  vor  und 
stellt  das  Antimonium  crudum  des  Handels,  das  aus  den  Erzen  durch  Saigerung 
gewonnene  Schwefelantimon  dar:  es  hat  eine  stahlgraue  Farbe  und  eine  krystallinisch 
faserige  Textur  von  Metallglanz.  Man  stellt  es  durch  directes  Zusammenschmelzen  von 
Antimon  und  Schwefel  dar.7)  Mit  alkalischen  Sulfiden  bildet  es  Sulfantimonite  und 
wird  durch  Salzsäure  in  Antimonchlorid  und  Schwefelwasserstoff  zerlegt: 
Sb2S3  -f-  6  HCl  =  2  SbCl3  +  3  H2S. 

Antimon oxysulfid  Sb2S20  kommt  in  der  Natur  als  Rothspiessglan  z  vor  und 
wird  durch  Erhitzen  einer  Lösung  von  Antimonchlorid  oder  Brechweinstein  mit  unter- 
schwefligsaurem  Natrium  erhalten.  Es  stellt  den  S.  310  und  311  erwähnten  Antimon- 
zinnober dar. 

Der  Kenn  es  minerale  für  medicinische  Zwecke  wird  durch  Kochen  von  An- 
timonsulfid mit  Natriumcarbonat  dargestellt  und  ist  stets  ein  Gemisch  von  Antimon- 
trisulfid  und  Antimonoxyd. 

2 1  Antimonpentasnlfid  Sb,Sä,  Goldschwefel.  Snlfnr  anratam,  Stibium  sulfuratum 
anraiitiacam ,  wird  im  Grossen  durch  Zerlegung  des  Sehiippe'ach.ea  Salzes  (Na3SbS4-f- 
9H20)  dargestellt.  Dieses  wird  durch  Kochen  von  Antimontrisulfid  (Antimonium  crudum) 
und"  Schwefel  mit  Natriumhydrat  als  Natriumsulfantimoniat  erhalten;  man  dampft 
ab  und  lässt  krystallisiren.  Wird  dies  Salz,  welches  eine  schöne  schwefelgelbe  Farbe 
hat,  mit  einer  verdünnten  Säure  versetzt,  so  schlägt  sich  der  Goldschwefel  unter 
starker  Entwicklung  von  H2S  als  ein  orangegelbes  Pulver  ab : 

2Na3SbS4  +  3H2S04  =  3Na2S04-f-3H2S-r-Sb2S:. 

Das  massenhafte  Auftreten  von  H2S  ist  sehr  wohl  zu  beachten  und  kann  bei  Un- 
vorsichtigkeit die  schlimmsten  Folgen  für  die  Arbeiter  haben ;  es  sind  daher  für  die 
letztere  Manipulation  durchaus  geschlossene  Bottiche  erforderlich,  welche  mit  einer  Vor- 
richtung zur  Ableitung  des  Gases  in  den  Schlot  oder  die  Feuerung  zu  versehen  sind. 

In  Kattundruckereien  wird  das  Sehlippe'sche  Salz  zur  Erzeugung  orangerother 
Farbe  benutzt,  indem  man  das  mit  diesem  Salz  bedruckte  Zeug  durch  ein  saures  Bad 
zieht,  worauf  sich  der  Goldschwefel  auf  dem  Zeuge  niederschlägt;  der  hier  auftretende 
H2S  ist  wegen  seiner  grossen  Vertheilung  weniger  gefährlich. 

Neuerdings  stellt  man  der  Billigkeit  halber  durch  Glühen  von  Schwefelantimon, 
Gips  und  Kohlenpulver  ein  Schwefelcalcium-S  chwefelantimon  dar  und  verfährt 
damit  wie  oben,  nachdem  das  Product  in  Wasser  gelöst,  die  Lösung  mit  Thonpappe  ver- 
dickt und  die  Zeuge  damit  bedruckt  worden  sind. 


Wismuth,  Bi. 

Wismuth  kommt  meistens  gediegen  auf  Kobalt-  und  Silbergängen  vor;  mit  Sauer- 
stoff tritt  es  als  Wismut  hock  er,  mit  Schwefel  als  Wismuth  glänz  (Bi2S3)  sowie 
als  Begleiter  des  Tellurs,  Arsens  und  Antimons  auf.  Es  wird  wie  Antimon  durch  Aus- 
saigern  gewonnen;  in  Deutschland  stellen  es  die  Blaufarbenwerke  in  Oberschlema 
und  Pfannenstiel  und  die  Freiberger  Hütten  dar;  eine  grossartige  Wismuth- 
saigerei  findet  sich  zu  Schneeberg  in  Sachsen.  Das  Metall  hat  ein  grossblättriges 
krystallinisches  Gefüge,    ist  röthlich- weiss,  sehr  spröde,  pulverisirbar  und  schmilzt  bei 


Wismuthindustrie. 


313 


267°;    in    der  Weissgluth  ist   es   vollständig  flüchtig,    beim  Erhitzen    verbrennt   es    zu 
Wismuthoxyd  Bi203;  an  trockner  Luft  bleibt  es  unverändert. 

Wismuthindustrie 

Wismuth  muss  wegen  seines  niedern  Schmelzpunctes  durch  Aussaigern 

von  seiner  Gangart  befreit  werden.      Man  mengt  die  wismuthhaltigen  Erze  mit 

Kohlenpulver  und  bringt  sie  in  eine  schiefliegende  Röhre  (Fig.  36  «),   die   durch 

ein  Feuer  umspült  wird  und  an  ihrem  untern  Ende  (b)  eine  Thonplatte  mit  einer 

Oeffnung  zum  Abfliessen  des  Metalls  in  den  Tümpel  c  hat. 

An  ihrem  höher   gelegenen  Ende 
Fig.  36.  -werden  die  abgesaigerten  Erze,  das  sog. 

trübe  Erz,  über  eine  geneigte  Fläche 
(d)  in  einen  Wasserbehälter  (e)  gezogen. 
Bei  eee  finden  sich  die  Zuglöcher  des 
Ofens,  welche  in  ein  Gewölbe  münden, 
das  mittels  eines  Fuchses  mit  dem 
Schlot  ( i)  und  der  Gestübbekammer  (h) 
in  Verbindung  steht.  Ein  Schieber  an 
der  Einmündung  des  Fuchses  in  den 
Schlot  dient  zur  Regulirung  des  Feuers. 
Die  aus  dem  Tümpel  (e)  aufsteigenden 
metallischen  Dämpfe  passiren  ebenfalls 
den  Schlot  (i)  und  die  Gestübbekammer 
(h);  der  Tümpel  ist  mit  Kohlenpulver 
versehen,  um  die  Oxydation  des  ge- 
schmolzenen Wismuths  zu  verhüten  und 
steht  auf  einer  Art  von  Rost,  der  einen 
nach  aussen  mündenden  Raum  (o) 
bedeckt.  Das  aus  dem  Saigerrohr 
fliessende  Metall  geht  mit  der  Schlacke 
n  den  Tümpel  über ;  die  specifisch  schwereren  Metalle  sammeln  sich  im  Tümpel  an, 
während  die  Schlacken  als  leichtere  Substanzen  überfliessen  und  sich  unter  dem  erwähn- 
ten Rost  ansammeln.  Die  Schlacken  werden  dann  nach  aussen  abgezogen  und  in  Wasser 
abgelöscht. 

In  sanitärer  Beziehung  ist  zu  bemerken,  dass  beim  Einsetzen  der 
Mischung  arsenikalische  Dämpfe  auftreten;  da  diese  Manipulation  alle  halbe  bis 
dreiviertel  Stunde  vorgenommen  wird  und  eine  Schicht  12  Stunden  dauert,  so 
werden  die  Arbeiter  sehr  häufig  diesen  schädlichen  Dämpfen  ausgesetzt;  es  kann 
daher  nicht  auffallen,  dass  sie  sehr  häufig  an  den  Folgen  dieser  giftigen  Dämpfe 
leiden.  Es  ist  sehr  noth wendig,  an  dem  höher  gelegenen  Ende  der  Röhre  eine 
Arbeiternische  mit  einem  gut  ziehenden  und  in  eine  Gestübbekammer  mündenden 
Rauchfang  anzubringen.  Ausserdem  müssen  sich  die  Arbeiter  bei  der  ganzen 
Beschäftigung  durch  sorgfältiges  Verbinden  des  Mundes  und  der  Nase  mit  Tüchern 
vor  den  schädlichen  Dämpfen  schützen. 

Das  Ablöschen  der  abgesaigerten  Erze  geschieht,  um  die  arsenikalischen 
Dämpfe  sofort  zu  beseitigen;  diese  Löschwässer  des  faulen  Erzes  und  der 
Schlacken  sind  mit  Vorsicht  zu  behandeln,  da  sie  arsenikalisch  sind;  wenn  die 
Wismutherze  kobalthaltig  sind,  so  wird  das  taube  Erz  auf  Kobalt  weiter  be- 
handelt. Im  Allgemeinen  sind  bei  der  Verhüttung  des  Wismuths  dieselben  Vor- 
sichtsmassregeln wie  bei  Kobalt-  und  Nickelerzen  zu  beobachten,  sowohl  was  die 
Aufbereitung  der  Erze  als  auch  die  Gewinnung  des  Metalls  betrifft. 

Das  im  Handel  vorkommende  Wismuth  ist  niemals  rein  und  enthält  Arsen, 
Blei,  Kupfer,  Quecksilber,  Silber,  Schwefel,  Eisen  u.  s.  w. 

Das  Metall  wird  durch  Umschmelzen  mit  einem  Zehntel  seines  Gewichts  Salpeter 
gereinigt;  selbstredend  bleiben  dann  die  edlen  Metalle  in  demselben  zurück.  Sind  bloss 
Schwefel  und  Arsen  im   Wismuth  enthalten,    so    kann  es  durch  Schmelzen  mit   kohlen- 


314  Bor 

saurem  Natrium  resp.  Schwefel  gereinigt   werden:    die    Sehlacke    enthält    alsdann    diese 
beiden  Verunreinigungen  als  Schwefelarseu  und  Schwefelnatrium  neben  Gold. 

Das  reine  Wismuth  übt  bekanntlich  keiue  toxische  Wirkung  auf  den  thierischeu 
Organismus  aus.1) 

Technische  Verwendung  von  Wismuth.  Wismuth  legirt  sich  mit  fast  allen 
Metallen;  aus  1  Th.  Blei.  1  Th.  Zinn  und  2  Th.  Wismuth  besteht  das  Rose'sche 
Metall,  welches  bei  93,75°  schmilzt.  8  Th.  Wismuth,  .0  Th.  Blei  und  3  Th.  Ziuu 
bilden  das  Newton'sche  Metall,  welches  bei  98°  C.  schmilzt;  eine  Legirung  von 
5  Th.  Wismuth.  2  Th.  Zinn  und  3  Th.  Blei  schmilzt  bei  91, Gl"  und  wird  nament- 
lich zum  Abgiesseu  von  Formen,  Clicbiren  von  Holzschnitten,  Stereotypen  u.  s.  w., 
sowie  zur  Darstellung  von  Stereotypplatten  augewendet,  weil  beim  Erkalten  der 
geschmolzenen  Legirung  eine  Ausdehnung  stattfindet  und  die  Schärfe  des  Ab- 
druckes dadurch  vermehrt  wird. 

Wird  der  Wismuthgehalt  vermindert,  so  wird  der  Schmelzpunct  erhöht,  so  dass 
man  dadurch  Legirungen  von  Schmelzpuncten  zwischen  100—200°  darstellen  kann:  des- 
halb wendet  man  dieselben  auch  als  Sicherheitsvorrichtung  bei  Hochdruckdampfmaschinen 
an;  zu  dem  Ende  verschliesst  man  ein  kurzes  Rohr,  welches  in  dem  Dampfkessel 
ächraubt  ist,  mit  einer  Platte  von  dieser  Legirung  Erreicht  nun  die  Temperatur 
der  Dämpfe  den  Schmelzpunct  der  Legirung,  so  schmilzt  die  Platte  und  gestattet  den 
Dämpfen  einen  Ausweg. 

Wismuthlegirungen  gebraucht  man  auch  zu  Metallbädern,  zum  Anlaufen  resp. 
Härten  des  Stahls,  zur  Darstellung  von  Stiften,  womit  man  auf  besonders  (mit 
Knochenasche)  präparirtem  Papier  schreibt,  sowie  zur  Anfertigung  von  Panorama- 
Kugeln. 

Mit  Kalium  geht  Wismuth  Verbindungen  ein,  welche  bezüglich  der  Darstellung 
organischer  Wismuthverbindungen  wichtig  sind. 

Wisilinthchlorid  BiCl3  ist  eine  Wismuthverbindung,  die  ein  gewerbliches  Interesse 
hat:  diese  weisse,  in  der  Hitze  schmelzende  und  butterähnlich  erstarrende  Masse 
:  Wismuthbutter)  ist  in  Salzsäure  löslich  und  an  der  Luft  zerÜiesseud.  Durch  Wasser 
wird  sie  in  Wisiuuthoxychlorid  BiOCl  zersetzt,  welches  eiu  in  Wasser  völlig  unlösliches 
Pulver  darstellt  und  zur  Erzeugung  von  künstlichen  Perlen  als  Perl  weiss  und  als 
Schminke  benutzt  wird.  Frisch  aufgetragen  macht  die  Schminke  die  Haut  glänzend, 
durch  Aufnahme  von  Schwefel  bekommt  die  Haut  jedoch  ein  graues  Ansehen:  auch 
dringt  sie  in  die  Hautporen  und  lässt  sich  durch  mechanische  Mittel  sehr  schwer  daraus 
entfernen. 

Unter  den  übrigen  Verbindungen  ist  nur  das  Bismuthum  subnitricum, 
Magisterium  Bismuthi  Bi  0  (N03) -f- Bi  0  (OH )  als  Arzneimittel  hervorzuheben;  es 
entsteht  durch  Behandeln  des  Wism  u  thnitrats  Bi(N(V3  mit  vielem  Wasser. 


Bor,  B. 

Bor  kommt  in  der  Natur  nicht  frei,  sondern  in  Verbindung  mit  Sauerstoff  als 
Borsäure  vor.  Als  Tinkal  wurde  borsaures  Natrium  seit  den  ältesten  Zeiten  aus 
Indien  nach  Europa  und  im  gereinigten  Zustande  als  Borax  in  den  Handel  gebracht. 

Man  stellt  Bor  dar.  indem  man  Borsäureanhydrid  B;>03  unter  einer  Decke  ge- 
schmolzenen Kochsalzes  mit  Natrium  bis  zur  Kothgluth  erhitzt.  Man  erhält  ein 
amorphes  Pulver  von  gräulich  -  brauner  Farbe,  welches  sich  leicht  entzündet  und  zu 
Bor säureanhydrid  vei'brennt.  Im  krystallinischen  Zustande  wird  es  erhalten, 
wenn  man  Borsäureanhydrid  in  der  stärksten  Weissgluth  mit  überschüssigem  Aluminium 
behandelt : 

B203  +  2  AI  =  Alj  03  +  2  B. 

Das  erhaltene  Bor  heisst  Diamantbor,  weil  es  stark  glänzende  Quadratoctaeder 
darstellt,  geschliffen,  gefasst  und  wie  ein  Edelstein  benutzt  werden  kann. 

Borsäure  B(OH3)  oder  H3B03  findet  sich  im  kochenden  Wasser,  im  Wasser- 
dampfe und  in  den  heissen  Gasen,    die  in  Toscana  aus  Erdspalten  ausströmen.      Diese 


Verbindungen  des  Bors.  3 1 5 

Wässer  und  Dämpfe  (Soffioni)  lässt  man  durch  Wasser,  das  ca.  20  %  krystallisirte  Bor- 
säure aufnimmt,  streichen  und  dampft  dieses  in  grossen  Pfannen  von  Bleiblech  ab 
und  zwar  mittels  der  Soffioni,  die  man  in  Canälen  unter  die  Pfannen  leitet.  Die  un- 
reinen Krystalle  der  Borsäure  werden  durch  Umkrystallisiren  gereinigt. 

Die  Dämpfe  der  Soff ionen  riechen  schwach  nach  Schwefelwasserstoff  und  sind 
von  einem  Gasgemenge  begleitet,  das  vorzugsweise  aus  Kohlensäure  (57,3  %\  Sauer- 
stoff (6,57%)  und  Schwefelwasserstoff  (1,42  %]  neben  Ammoniak  besteht;  letzteres 
ist  wahrscheinlich  als  Einfach-Schwefelammonium   in  den  Dämpfen  vorhanden. 

Eine  wichtige  Quelle  für  Borsäure  ist  Boronatrocalcit,  ein  Doppelsalz  von 
Calcium-  und  Natriumborat  (Na2B4Or-4-  2CaB40T  +  18aq.),  geworden,  das  sich  in  grossen 
Lagern  in  Chili,  Peru  und  der  Nevada  nahe  der  Central-Pacific-Eisenbahn  findet. 
Boraxhaltige  Seen  kommen  in  Centralasien  und  iu  Californien  vor.  Die  reine  Borsäure 
bildet  glänzende,  schuppige  Krystalle  und  ist  feuerbeständig:  zündet  man  eine  alkoho- 
lische Lösung  derselben  an,  so  erhalten  die  Ränder  der  Flamme  eine  grüne  Färbung.1) 

Technische  Verwendung  findet  die  Borsäure  zur  Darstellung  von  Borax,  zum 
Glasiren  von  Porcellan,  Fayence  und  gewöhnlichen  Thonwaaren,  zur  Fabrication 
von  Flintglas  und  künstlichen  Edelsteinen,  beim  Lötben,  bei  metallurgischen  Pro- 
cessen und  zum  Tränken  von  Dochten.  Zur  Darstellung  von  Manganborat, 
dem  besten  Siccativ  für  Firnisse  und  Oelfarben,  sowie  zur  Bereitung  von  Chrom- 
borat, als  Smaragdgrün  oder  Pannetier's  Grün  in  der  Kattundruckerei 
bekannt,  ist  die  Borsäure  von  Wichtigkeit;  auch  als  antiseptisches  Mittel  zur 
Conservirung  von  Fleisch,  Milch "u.  s.w.  geniesst  sie  einen  nicht  unverdienten 
Ruf  und  kann  hier  um  so  mehr  zur  Anwendung  kommen,  als  sie  keinen  nach- 
theiligen Einfiuss  auf  den  Tbierorganismus  ausübt  (s.  S.  82).  Einer  Taube  wurde 
1  Grm.  davon  eingeflösst,  ohne  dass  sich  Gesundheitsstörungen  bemerkbar  machten. 

Borsanres  Natrium,  Xatrininborat,  Borax  Na2B4Or-f-  10H20  wird  ebenfalls 
hauptsächlich  in  Toskana  künstlich  durch  Behandeln  der  Borsäure  mit  Natriumcarbonat 
dargestellt.  Beim  Erhitzen  geht  Borax  in  eine  schwammige  Masse  (gebrannter  Borax) 
über,  während  er  durch  Schmelzen  in  der  Rothgluth  beim  Erkalten  durchsichtig  wird 
(Boraxglas). 

Technische  Verwendung  findet  Borax  in  ähnlicher  Weise  wie  Borsäure;  durch 
seine  Eigenschaft,  im  geschmolzenen  Zustande  Metalloxyde  aufzulösen,  ist  er  zum 
Löthen  in  den  Gewerben  unentbehrlich  geworden.  V\ie  die  Borsäure  wird  er  auch 
zur  Glasur  der  Fayence  und  Thonwaaren  benutzt  und  ist  ein  wichtiger  Bestandtheil 
vieler  Glas-  und  Porcellanfarben:  als  Flussmittel  zur  Ausscheidung  der  Metalle  aus 
ihren  Erzen  nimmt  er  in  der  Metallurgie  eine  wichtige  Stelle  eiu.  In  der  Hutfabrik 
wird  ein  Firniss  zum  Steifen  der  Filzhüte  benutzt,  welcher  aus  Borax  und  Schellack 
besteht  und  in  Wasser  löslich  ist;  mit  Ca  sein  bildet  er  ein  vortreffliches  Klebemittel. 
Aach  kann  er  vielfach  die  Soda  bei  der  Wäsche,  beim  Reinigen  der  Haare  u.  s.  w.  er- 
setzen, da  er  die  Fette  emulgirt.  Zur  Fixation  derMordants  dient  er  in  der  Zeug- 
druckerei und  Färberei,  als  Ersatz  des  Kuhkothbades  in  der  Türkischroth-Färberei 
und  als  Lösungsmittel  im  Wasser  unlöslicher  Farbstoffe  (Krapp,  Kino,  Sandelholz, 
Drachenblut). 

Noch  ist  hier  zu  erwähnen,  dass  sich  Borax  auch  als  Vertilgungsmittel  der 
Schwaben  (Blatta  orientalis)  einen  Ruf  erworben  hat. 


316  Kohlenstoff. 


Kohlenstoff,  C. 

Der  Kohlenstoff  ist  ein  nie  fehlender  Bestandteil  aller  pflanzlichen  und  tliie- 
rischen  Gebilde.  Als  amorphe  Kohle  tritt  er  besonders  als  Zersetzungsproduct  orga- 
nischer Substanzen  auf  und  zwar  entweder  bei  der  unvollkommenen  Verbrennung  oder 
bei  der  trocknen  Destillation  derselben;  als  Graphit,  Reissblei,  Wasserblei  stellt 
er  kleine  Krystallschüppchen  dar,  welche  Metallglanz  besitzen  und  abfärben.*;  Als 
Diamant  findet  er  sich  in  reinem,  farblosem  und  krystallisirtem  Zustande  Man  unter- 
scheidet 1)  die  Holzkohle  als  die  reinste  Kohle  mit  geringen  Mengen  von  Alkalien 
und  alkalischen  Erden.  2)  die  Thierkohle,  welche  Blutkohle  heisst,  wenn  sie  durch 
Glühen  vom  Blut  erhalten  wird,  während  die  Knochenkohle  (Beinschwarz.  Ebur 
ustum)  beim  Verkohlen  der  Knochen  entsteht;  3)  die  Zuckerkohle  bildet  sich  beim 
Glühen  von  Zucker:  -4)  der  Kienruss  scheidet  sich  beim  unvollständigen  Verbrennen 
kohlenstoffreicher  Substanzen  ab:  5)  die  Gaskohle  entsteht  durch  Zersetzung  kohlen- 
stoffhaltiger Gase  als  Kruste  an  den  innern  Wänden  der  Gasretorten:  (!)  die  Koks 
werden  aus  den  Steinkohlen  dargestellt. 

Die  Steinkohlen,  die  Braunkohlen  und  der  Torf  sind  nicht  mehr  als  reiner 
Kohlenstoff  zu  betrachten,  da  sie  als  kohlenstoffreiche  TJeberbleibsel  organischer  Gebilde 
noch  viele  andere,  hiervon  herrührende  flüchtige  Stoffe  enthalten.  Der  Anthracit  enthält 
aber  96  —  9S  %  Kohlenstoff  und  bildet  den  TJebergang  zwischen  Steinkohle  und  Graphit, 
wie  die  Braunkohle  das  Uebergangsglied  zwischen  Torf  und  Steinkohle  repräsentirt. 
Eine  italienische  Kohle,  die  Carbone  fossile,  ist  ein  Zwischenglied  zwischen  Braunkohle 
und  Steinkohle. 

Die  Steinkohlen  unterscheidet  man  nach  ihrem  Verhalten  bei  der  trocknen 
Destillation  in  Backkohlen  (fette  Kohlen),  in  Sinterkohlen  und  in  Sandkohlen 
(magere  Kohlen).  Die  Backkohlen  sind  reich  an  Erdharz  (Bitumen  l  und  brennen  wegen 
der  Entwicklung  von  flüchtigen  Kohlenwasserstoffen  aus  dem  Bitumen  mit  grösserer 
Flamme  als  die  Sinter-  und  Sandkohlen. 

Bei  allen  diesen  Gebilden  finden  sich  ausserordentlich  viele  Uebergangsstufen;  so 
nähert  sich  die  Braunkohle  um  so  mehr  der  Steinkohle,  je  älter  sie  ist,  während  sie 
im  entgegengesetzten  Falle  mehr  dem  Torfe  ähnlich  ist 

Die  Paraffinkohle  findet  sich  nur  in  der  erdigen  Braunkohle  und  besteht 
grösstentheils  aus  den  in  den  Pflanzen  enthalten  gewesenen  Harz-  und  Wachstheilen, 
welche  der  Verwesung  nicht  erlegen  sind. 

Die  Blätter  kohle  (Shiste  bitumineux)  wird  gewöhnlich  von  der  Braunkohle 
überdeckt  und  gehört  mit  dem  Posidonienschiefer  und  dem  bituminö  sen  Mergel 
eigentlich  der  Liasformation  an. 

*)  Graphit  kommt  im  Gneis,  Glimmerschiefer.  Urkalkstein,  in  geringerer  Menge 
im  Granit  und  Thonschiefer  vor.  Die  berühmtesten  Fundorte  sind  Südsibirien  und  die 
Insel  Ceylon.  Im  Roheisen  entsteht  er  wahrscheinlich  durch  Zersetzung  von  Cyan  und 
Cyanverbindungen;  daher  kommt  er  auch  als  Nebenproduct  bei  der  Sodafabrication  vor. 
Brodle  sieht  ihn  für  ein  besonderes  Element  an,  nennt  ihn  Graphon  oder  Graphium 
und  weist  ihm  eine  Stelle  neben  Silicium  und  Bor  an.  Der  bergmännisch  geförderte 
Graphit  wird  durch  Zerkleinern,  Mahlen  und  Schlämmen  einer  Reinigung  unterworfen; 
um  absolut  reinen  Graphit  zu  erhalten,  ist  noch  eine  chemische  Behandlung  erforderlich. 
Bekannt  ist  seine  technische  Verwendung  zur  Bleistiftfabrication,  woher  auch 
sein  Name  (ypdcpelv)  herrührt.  Zu  diesem  Zwecke  wird  Graphitmehl  mit  höchst  fein 
geschlämmtem  Thon  vermischt;  die  Masse  wird  durch  einen  eisernen  Cylinder  gedrückt, 
welcher  an  seiner  untern  Seite  ein  der  gewünschten  Breite  und  Form  des  Bleistifts  ent- 
sprechendes Loch  hat :  die  einzelnen  Stränge  werden  getrocknet  und  geglüht.  In 
sanitärer  Beziehung  ist  auf  den  Staub  beim  Mahlen  zu  achten. 

Ausserdem  sind  Graphittiegel  als  Schmelztiegel  unentbehrlich.  Ferner  dieut 
es  zum  Anstrich,  zum  Lustriren  des  Schiesspulvers,  in  der  Galvanoplastik, 
um  die  Gips-,  Wachsformen  u.  s.  w.  leitend  zu  machen. 

In  der  Papierfabrication  setzt  man  Graphitstaub  der  Papiermasse  vor  dem 
Schöpfen  zu,  um  das  graue  Nadel-  oder  Rostpapier  zum  Einpacken  von  Näh-  und 
Stricknadeln  zu  fabriciren. 

Ein  Gemenge  von  Graphit  und  Holzkohle  dem  Schiesspulver  zugesetzt,  soll 
dasselbe  beim  Transport  schwerer  entzündlich  machen,  weil  die  ganze  Masse  plastische 
Eigenschaften  dadurch  erhält.  Späterhiu  kann  das  Gemenge  durch  Sieben  vom  Schiess- 
pulver getrennt  werden. 


Verwendung  der  Kohle.  317 

Der  Torf  stellt  im  Allgemeinen  die  Moorsubstanzen  dar,  welche  als  Reste  unter- 
gegangener Pflanzen,  namentlich  der  Arten  von  Sphagnum,  Hypnmn,  Erica  u.  s.  w.  sich 
aus  stagnirenden  Wässern  absetzen.  Der  Baggertorf  ist  der  älteste  und  festeste  und 
steht  deshalb  der  Braunkohle  am  nächsten;  von  geringerer  Güte  ist  der  Stich-  und 
Moortorf. 

Die  trockne  Destillation  liefert  ein  gutes  Mittel,  um  Steinkohle  von  Braunkohle 
und  Braunkohle  von  Torf  zu  unterscheiden.  Die  wahre  Steinkohle  liefert  nämlich 
hierbei  stets  Naphtalin  und  Paranaphtalin,  die  wahre  Braunkohle  dagegen 
niemals  Naphtalin,  stets  jedoch  Paraffin.  Die  Destillation sproducte  der  wahren 
Stein-  und  Braunkohlen  reagiren  stets  alkalisch,  die  der  Lignite  aus  der  jüngsten 
Braunkohlenformation  oft  sauer  und  zwar  in  Folge  der  hier  reichlich  auftretenden 
Essig-  und  Buttersäure. 

Der  Torf  liefert  stets  saure  Destillationsproducte  mit  einem  bedeutenden  Gehalte 
an  Holzgeist;  die  saure  Reaction  rührt  von  Essig-,  Butter-  und  Baldriansäure 
her.     Die  zurückbleibenden  Kohlenüberreste  sind  beim  Torf  stets  cy anhaltig. 

Die  amorphe  Kohle  ist  immer  schwarz  und  verändert  sich  beim  Glühen  nicht, 
wenn  der  Luftzutritt  gehindert  ist;  beim  Glühen  an  der  Luft  wird  sie  zu  Kohlen- 
säureanhydrid C02  oxydirt.  Dies  ist  beim  Diamant  der  Fall,  wenn  er  weissglühend 
in  Sauerstoffgas  gebracht  wird.  Die  amorphe  Kohle  wird  durch  Lösen  in  geschmolze- 
nem Eisen  in  Graphit  verwandelt;  je  poröser  die  Kohle  ist,  desto  leichter  verbrennt 
sie.  In  der  Industrie  nimmt  sie  als  Brennmaterial  die  erste  Stelle  ein;  ausserdem 
besitzt  sie  eine  grosse  Befähigung,  Gase,  Riechstoffe,  färbende  Substanzen,  Pflanzen- 
alkaloide  und  Metalloxyde  aufzunehmen  und  zwar  um  so  mehr,  je  feiner  sie  vertheilt 
ist  Dies  ist  besonders  bei  der  Knochenkohle  der  Fall,  welche  deshalb  auch  zur  Des- 
infection  und  Reinigung  vieler  Substanzen  in  der  Technik  häufig  zur  Anwendung 
kommt;  nicht  minder  sind  ihre  antiseptischen  Eigenschaften  bekannt. 

Verwendung  der  Kohle  1)  als  Heizmaterial.  Ein  Brennmaterial  ist  eine  um 
so  ergiebigere  Wärmequelle,  je  mehr  Sauerstoff  es  zu  seiner  Verbrennung  bedarf; 
so  gebraucht  1  G.  Tb.  Wasserstoff  8  G.  Th.  Sauerstoff  zu  seiner  vollständigen 
Verbrennung,  d.  b.  zur  Bildung  von  Wasser.  Dieser  Körper  würde,  wenn  er  in  hin- 
reichender Menge  und  billig  zu  beschaffen  wäre,  das  beste  Brennmaterial  sein. 
Ihm  zunächst  steht  der  Kohlenstoff,  welcher  zu  seiner  Verbrennung  für  3  G.  Th. 
an  Sauerstoff  8.G.  Th.  verlangt. 

Der  Anthracit  nimmt  als  reinste  Kohle  den  ersten  Platz  ein,  weil  er  die 
verhältnissmässig  grösste  Menge  Sauerstoff  zu  seiner  vollständigen  Verbrennung 
bedarf.  Die  Steinkohle,  Braunkohle  und  der  Torf  kommen  ihm  in  der  Wärme- 
entwicklung nicht  gleich,  weil  hier  der  Wasserstoff  schon  mit  Kohlenstoff  ver- 
bunden ist  und  zur  Entwicklung  dieser  Kohlenwasserstoffe  ein  Theil  der  Ver- 
brennungswärme consumirt  wird  und  hiernach  als  Heizeffect  verloren  gehen  muss. 
Hieraus  geht  hervor,  dass  die  verschiedenen  Brennmaterialien  eine  verschiedene 
Zufuhr  von  Sauerstoff  erfordern,  daher  auch  die  zur  Verbrennung  anzuwendenden 
Apparate  nach  der  Natur  des  Brennmaterials  eine  verschiedene  Construction  haben 
müssen.  Auch  die  Entzündlichkeit  eines  Brennmaterials  kommt  hierbei  in  Be- 
tracht; so  ist  z.  B.  die  Entzündlichkeit  der  Holzkohle  bedeutend  grösser  als 
die  des  Anthracits;  ebenso  liegt  ihre  Entzündungstemperatur  bedeutend  unter 
der  des  Anthracits,  sie  bedarf  daher  einer  viel  langsamem  Zufuhr  von  Sauerstoff, 
d.  h.  eines  schwächern  Zuges  im  Ofen  als  Anthracit,  obgleich  beide  Körper  für 
3  G.  Th.  Kohlenstoff  8  G.  Th.  Sauerstoff  bedürfen. 

Ein  Ventilationsofen,  der  nur  auf  Holzkohlen  eingerichtet  ist,  würde  somit 
seinem  Zwecke  wenig  entsprechen,  wenn  derselbe  auch  zur  Beschickung  mit 
Anthracit  dienen  sollte.  Nach  diesen  Gesichtspuncten  sind  auch  Steinkohle, 
Braunkohle  und  Torf  als  Brennmaterial  zu  beurtheilen. 

Die  Sauerstoffmenge,  welche  ein  Brennmaterial  zu  seiner  vollständigen  Ver- 
brennung erfordert,  findet  man,  wenn  man  die  Sauerstoffmenge,  welche  zurVerbrennung 


318  Kohlenstoff. 

der  einzelnen,  im  Brennmaterial  enthaltenen  Elemente  (Kohlenstoff  und  Wasserstoff)  noth- 
wendig  ist.  summirt. 

Durch  Versuche  sind  nachstehende  Zahlen  im  Durchschnitt  ermittelt  worden: 

1  Kilogrm.  Holz  mit  '25  %  Wasser  verlangt  zur  Verbrennung     5,2  Cm.  Luft, 

1  trocknes  Holz    —              „                          „                6,9     _ 

1  ..           Torf        —          —               ....               ..  11,2     „ 

1  ..           Braunkohle         —               ..           _               ..  11,6 

1  _           Steinkohlä  (geringere  Sorte)        ..               „  15.1 

1  _           Koks                       —            _           ..  15.1     _ 

1  _           3    wohnliche  Holzkohle      ..           _  15,1      _         „ 

1  _           Steinkohle    beste  Sorte)     ..           ..               _  17,8     „ 

Die  spezielle,  hieraus  resultirende  Cunstruotion  der  Feuerungsanlagen  lehrt 
die  Technik.  Im  Allgemeinen  i^t  hier  nur  zu  bemerken,  dass  namentlich  der  Aschen- 
l'all  eine  hinreichend  grosse  Oeffnttng  haben  muss.  um  die  zur  VerVjrennung  notwen- 
dige atmosphärische  Luft  leicht  eindringen  zu  lassen.  Das  Spatium  zwischen  den  ein- 
zelnen Stäben  des  Rostes  muss  bei  Steinkohlenfeuerung  y4,  bei  Holzfeuerung 
1  H  der  ganzen  Rostfläche  betragen.  Die  Beschaffenheit  der  Kostfläche  richtet  sich 
nach  den  besondern  Zwecken  der  Feuerung:  bei  einem  stündlichen  Gebrauche  von 
1  Kilogrm.  Steinkohle  verlangt  man  1  Quadratdecimeter  Rostfläche,  bei  Holzfeuerung 
beträgt  die  Rostfläche  nur  die  Hälfte  hiervon.  Es  ist  zweckmässig,  unter  dem  Aschen- 
fall eine  Schicht  Wasser  anzubringen:  es  wird  dadurch  der  Kost  vor  dem  Verbrennen 
geschützt,  während  die  vom  Rost  nach  unten  auf  die  Wasserfläche  ausstrahlende  Wärme 
das  Wasser  zum  Verdunsten  bringt.  Auch  kann  man  die  Wasserfläche  als  Spiegel 
benutzen,  um  den  Gang  der  Feuerung  zu  beobachten,  was  bei  den  Centralheizungen 
besonders  wichtig  ist.  Die  Feuerungst  hür  darf  dem  Brennmaterial  nicht  zu  nahe 
liegen:  bei  technischen  Anlagen  muss  die  Entfernung  wenigstens  0,3  -  0,5  Meter  betragen. 

Ein  wichtiges  sanitäres  Interesse  nehmen  die  Verbrennungsproducte  in 
Anspruch.  Man  hat  unter  allen  Umständen  für  einen  ungehinderten  Abzug  derselben 
durch  den  Kamin  zu  sorgen:  ist  die  Verbindung  zwischen  Ofen  und  Schornstein  ge- 
stört oder  stauen  die  sich  entbindenden  Gase,  so  tritt  Kohlenoxyd  nebst  Kohlen- 
säure in  den  zu  erwärmenden  Raum. 

Nichts  ist  bekanntlich  gefährlicher  als  das  Schliessen  der  Ofenklappen,  um  den 
Zug  zu  hemmen ;  letzteres  kann  viel  zweckmässiger  durch  Sperrung  der  Luftströmungs- 
öffnungen bewirkt  werden  und  sollten  deshalb  alle  Klappen  und  Schieber  an 
Ofenröhren  endlich  polizeilich  verboten  werden,  nachdem  diese  gefährliche 
Einrichtung  schon  Hunderten  von  Menschen  das  Leben  gekostet  hat. 

Undichte  und  schadhafte  Röhrenleitungen,  Risse  im  Ofen,  sind  ebenso  beachtungs- 
werth  und  sind  deshalb  auch  Luftheizungen  nicht  immer  gefahrlos. 

Offene  Kohlenbecken,  wie  in  südlichen  Gegenden,  verderben  ohne  Ableitung 
der  Verbrennungsproducte  die  Luft  iu  den  Wohnräumen  im  höchsten  Grade;  bei  fossilen 
Brennstoffen  kann  auch  schweflige  Säure  auftreten. 

Bei  Füllöfen  sammeln  sich  bisweilen  unverbraunte  Gase  an  und  erzeugen  als- 
dann heftige  und  gefährliche  Explosionen 

Die  Construction  des  Schornsteins  ist  für  die  Regulirung  des  Zuges  der  Oefen 
von  der  grössten  Wichtigkeit.  In  Wohnhäusern  sollte  jede  Ofenfeuerung  ihren 
besonderu  Kamin  haben,  um  jede  Störung  des  Zuges  zu  verhüten:  die  grössten 
Gefahren  können  durch  das  Einmünden  mehrerer  Oefen  in  denselben  Schornstein 
entstehen,  da  unter  Umständen  der  Kohlenduust  dann  in  diejenigen  Räume,  in 
welchen  gar  nicht  geheizt  wird,  einzudringen  vermag. 

Auch  die  Schleifung  der  Kamine  und  der  zu  ihnen  führenden  Canäle  ist 
zu  vermeiden,  weil  der  Zug  dadurch  gehemmt,  die  Ablagerung  von  Russ  ver- 
mehrt und  hierdurch  die  Feuersgefahr  vergrössert  wird. 

Zur  Verminderung  der  Reibung  und  Vermehrung  des  Zuges  muss  der  Kamin 
im  Innern  ganz  glatte  Flächen  und  von  aussen  ganz  dicht  sein.  Der 
Schornstein  muss  sich  möglichst  über  den  Dachfirst  erheben,  wobei  jedoch  zu 
beachten  ist,  dass  die  Höhe  und  Weite  desselben  sich  stets  nach  der  Summe 
der  Rostflächen  und  nach  der  Beschaffenheit  des  Brennmaterials  richten  muss. 
Im  Allgemeinen  kann  man  annehmen,    dass    der  Quadratinhalt    des   Quer- 


Verwendung  der  Kohle.  319 

Schnitts    des  Kamins    wenigstens    das  Doppelte    vom  Quadratinhalte 
der  Summe  der  Rostzwischenräume  betragen  muss. 

Die  Störungen  des  Luftzuges  in  den  Schornsteinen  sind  in  sanitärer  Beziehung 
sehr  zu  beachten,  da  sie  unter  Umständen  lebensgefährliche  Intoxicationen  herbeiführen 
können,  namentlich  wenn  sie  da  eintreten,  wo  eine  Beaufsichtigung  der  Feuerung  nicht 
stattfindet. 

Die  geringsten  Störungen  treten  bei  den  Kaminen  ein,  wenn  sie  frei  liegen  und 
ihre  Mündung  die  höchsten  Gebäulichkeiten  überragt.  Es  kann  dann  "der  Wind  nicht, 
von  irgend  einem  Gegenstande  aufgehalten,  zurückprallen  und  hemmend  auf  den  Zug 
des  Kamins  einwirken;  nur  ein  unendlich  starker  Windstoss,  welcher  über  den  Kamin 
wegstreicht  und  stärker  ist  als  die  aufsteigende  warme  Luft,  ist  dann  vermögend,  den 
Zug  momentan  zu  hemmen  und  das  Austreten  von  Rauch  und  Dampf  in  den  be- 
treffenden Wohnräumen  zu  verursachen.  Mann  nennt  diesen  Zustand  das  Abschnei- 
den des  Zuges;  er  tritt  übrigens  sehr  selten  ein. 

Werden  die  Kamine  von  höher  liegenden  Gegenständen  irgend  einer  Art  über- 
ragt, so  kann  der  von  diesen  Gegenständen  zurückprallende  Wind  den  Zug  nicht  allein 
für  Augenblicke,  sondern  für  längere  Zeit  hemmen.  Es  kann  diesem  Uebelstande,  der 
besonders  in  grössern  Städten  vorkommt,  nur  durch  Erhöhung  des  Kamins  oder  Auf- 
setzen einer  sogenannten  Windhaube  abgeholfen  werden;  letztere  wird  durch  eine 
wimpelartige  Einrichtung  so  gedreht,  dass  der  Zug  in  derselben  Richtung  mit  dem 
Winde  geht.1) 

Ein  anderes  Hemmniss  des  Zuges  beruht  auf  der  ungleichmässigen  Erwär- 
mung der  verschiedenen  Luftschichten  im  Kamin  und  tritt  dann  ein,  wenn  der 
obere  Theil  der  Luftsäule  im  Kamin  wärmer  und  leichter  als  der  untere  ist.  Dieser 
Umstand  zeigt  sich,  wenn  z.  B.  der  obere  Theil  des  Kamins  von  der  Sonne  getroffen 
wird;  man  pflegt  alsdann  zu  sagen:  „die  Sonne  liegt  auf  dem  Kamine".  Dieselbe  Fata- 
lität kann  auch  dann  entstehen,  wenn  bloss  eine  windstille,  gewitterschwüle  Luft  vor- 
handen ist;  man  sagt  alsdann  im  gewöhnlichen  Leben:  „das  Gewitter  liegt  auf  dem 
Kamine". 

Diesem  Uebelstande  ist  leicht  dadurch  abzuhelfen,  dass  man  eine  flackrige  und 
wenig  Rauch  gebende  Flamme,  z.  B.  durch  Anzünden  von  in  Alkohol  getauchten 
Papierschnitzeln  oder  Lumpen  u.  s.  w.,  im  Ofen  des  Erdgeschosses  erzeugt  und  dadurch 
die  unten  stehende  kältere  Luftschicht  erwärmt  und  in  Bewegung  setzt. 

Es  können  ferner  die  Uebelstande  des  sogenannten  Rauchens  des  Kamins  erzeugt 
werden,  wenn  in  einen  und  denselben  Kamin  zu  viele  Feuerungen  gehen  oder  auch 
der  Kamin  durchgehends  zu  weit  ist.  Im  erstem  Falle  kann  der  Schornstein  nicht  alleVer- 
brennungsprodiicte  fassen,  der  Zug  wird  gehemmt  und  das  Austreten  des  Rauches  aus 
dem  Ofen  in  die  betreffenden  Räume  ist  die  nächste  Folge.  Im  letztern  Falle  bilden 
sich  zwei  Luftströmungen,  die  eine,  die  warme  Luftströmung,  geht  nach  oben  und 
führt  die  "Verbrennungsgase  mit  sich;  letztere  werden  allmählig  abgekühlt,  oben  von  dem 
kältern  nach  unten  sich  bewegenden  Luftstrom  erfasst  und  somit  in  die  bewohnten 
Räume  zurückgeführt.  Diese  Nachtheile  geben  sich  besonders  bei  offenen  Schorn- 
steinbusen, welche  auf  dem  platten  Lande  noch  häufig  in  Gebrauch  sind,  kund 

Rauchverzelirnng.  Um  den  Zug  zu  beschleunigen,  muss  der  Kamin  für  technische 
Anlagen  erhöht  werden:  reicht  die  Erhöhung  des  Kamins  nicht  aus,  so  muss  mit  der- 
selben die  Verminderung  des  Spatiums  zwischen  den  Roststäben  Hand  in  Hand  gehen. 
Ist  auch  dies  nicht  genügend,  so  muss  künstliche  Luftzuführung,  also  ein  Gebläse  zur 
Anwendung  kommen.  Sowohl  bezüglich  des  Zuges  als  auch  der  geringen  Belästigung 
durch  den  Russ  haben  sich  die  sogenannten  Abkühlkamm ern  sehr  vortheilhaft  be- 
währt; dieselben  stellen  grosse,  viereckige,  überwölbte  leere  Räume  dar,  in  welche  die 
verschiedenen  Züge  der  Feuerung  münden;  diesen  gegenüber  ist  nur  ein  einziger 
Austritt  in  einen  hohen  Schornstein  vorhanden. 

Es  ist  vorzugsweise  zu  beachten,  dass  die  Oeffnungen  für  das  Zu-  und  Abströmen 
der  Luft  an  den  obern  Theilen  der  Kammer  sich  befinden,  da  sich  die  grösste  Menge 
Russ  im  sogenannten  faulen  Raum,  in  welchem  keine  directe  Bewegung  stattfindet, 
ansammelt.  Später  nimmt  man  durch  eine  seitlich  angebrachte  Thür  Russ  und  Flug- 
asche heraus. 

Der  einzige  Nachtheil  dieser  Einrichtung  besteht  in  einem  beständigen  Geräusch, 
welches  sich  ähnlich  dem  Brummen  eines  Ventilators  in  der  Abkühlkammer  erzeugt. 

Die  sicherste  Rauchver zehrung  geschieht  dadurch,  dass  die  Feuergase  vor 
ihrem  Abgange  in  den  Kamin  einen  glühenden  Raum  passiren.  Diese  Einrichtung 
passt  vorzüglich  für  solche  Etablissements,  welche  für  Anheizung  und  Erwärmung  einer 
besondern  rauchfreien  Feuerung^  bedürfen,  wie  dies  z.B.  bei  Glashütten  und  manchen 
metallurgischen  Processen  der  Fall  ist.      Hierbei  ist  zu  beachten,  dass  der  Zug  in  dem 


320  Kohlenstoff. 

Hauptkaruin  tiefer  Hegen  muss.  als  der  russführende  Zug.  damit  der  Rauch  das  Feuer 
passirt.  —  In  England  wird  das  Gesetz,  nach  welchem  jeder  Schornstein  nur  5  Minuten 
lang  rauchen  darf,  durch  Errichtung  von  zwei  miteinander  verbundenen  Schornsteinen 
umgangen,  indem  man  bald  den  einen,  bald  den  andern  mittels  eines  Schiebers  ab- 
-"lnd  benutzt.3 

Die  verschiedenen  Etagen  roste  behufs  Rauchverbrennung  erfordern  zwar 
viel  Aufmerksamkeit  bei  der  Bedienung,  haben  aber  eine  grosse  Verbreitung  ge- 
funden; ihr  Princip  beruht  ebenfalls  darauf,  dass  über  glühende  Kohlen  die 
russende  Flamme  des  frisch  aufgeworfenen  Brennmaterials  streichen  muss. 

Ueber  die  Notwendigkeit  der  Ranchverzehrnng  bei  Anwendung  von  bituminösen 
Fossilien.  Die  bei  der  Verbrennung  sehr  bitumenreicher  Fossilien  auftretenden 
Russmassen  siud  nicht  unerheblich  und  können  durch  Verunreinigung  manche  Be- 
lästigung hervorrufen.  Auf  der  andern  Seite  sind  es  auch  die  Bestandteile  des- 
selben, welche  häufig  störend  in  die  gewerbliche  Beschäftigung  eingreifen  oder  die 
Vegetatiou  beeinträchtigen.  Der  Russ  enthält  ausser  Kohlenstoff  noch  eine  ganze 
Reihe  empyreumatischer  Producte,  worunter  die  Ammoniumsalze,  das  Kreosot 
resp.  die  Carb olsäure,  Brandharze  und  nicht  selten  Theerbasen  vorzugs- 
weise iu  Betracht  kommen.  Es  kann  deshalb  nicht  auffallend  sein,  dass  in  der 
Nähe  von  Fabriken,  welche  sehr  russende  Kohle  verwenden,  das  von  den  Dächern 
aufgefangene  Regenwasser  höchst  unrein  und  für  etliche  Zwecke  ganz  unbrauch- 
bar ist.  Zur  Bereitung  mancher  Speisen  wird  unbedingt  weiches  Wasser  erfor- 
dert; will  man  nun  ein  derartig  verunreinigtes  Regenwasser  hierfür  gebrauchen, 
so  büssen  nicht  selten  die  Speisen  viel  von  ihrem  Wohlgeschmack  ein. 

Es  gibt  Länder,  z.  B.  Holland,  ein  grosser  Theil  von  Dänemark  und  mehrere 
Küstenstriche  von  Holstein,  •welche  kein  trinkbares  Brunnenwasser  besitzen,  da  dasselbe 
durch  organische  Substanzen  mehr  oder  minder  gelb  gefärbt  ist  und  einen  mulstrigen 
Geschmack  hat.  In  diesen  Ländern  ist  die  Aufhebung  des  Regenwassers  zur  Benutzung 
als  Trinkwasser  geboten:  die  Güte  desselben  kann  aber  durch  den  Aufschwung  der 
Industrie  sehr  beeinträchtigt  werden.  Hierfür  liefern  die  grossen  Städte  Hollands,  wie 
Amsterdam  und  Rotterdam .  den  augenscheinlichsten  Beweis.  So  lange  diese  beiden 
Städte  Torf  als  Brennmaterial  benutzten,  blieb  das  Regenwasser  gut;  da  aber  in  neuerer 
Zeit  die  billigeren  Steinkohlen  aus  England  und  Deutschland  eingeführt  worden  sind, 
hat  sich  die  Qualität  des  Regenwassers  sehr  bedeutend  verschlechtert  und  zwar  des- 
halb, weil  beim  Verbrauch  sehr  bituminöser  Steinkohlen  die  Russerzeugung  gross  ist 
und  die  verhältnissmässig  niedrigen  Kamine  das  Ablagern  des  Russes  auf  den  Dächern 
begünstigen.  Dies  rührt  nämlich  daher,  dass  die  Construction  der  Kamine  der 
Verbrennung  des  Torfes,  welcher  einen  viel  geringern  Zug  als  die  Stein- 
kohlen bedarf,  angepasst  ist,  nicht  aber  der  der  Steinkohlen.  Für  alle  diese 
Länder  ist  deshalb  die  Rauchverzehrung  von  der  grossten  Wichtigkeit,  abgesehen  davon, 
dass  der  Rauch  überall  Belästigung  verschafft. 

Ein  mit  Russ  verunreinigtes  Regenwasser  hat  auch  bezüglich  der  Wäsche  grosse 
Nachtheile  und  erfordert  besonders  einen  grössern  Consum  von  Seife,  wreil  die  Be- 
standteile eines  solchen  Regenwassers  die  Seife  zerlegen  und  gleichzeitig  auch 
die  durch  den  Russ  entstandenen  Flecke  einen  grössern  Verbrauch  von  Seife  er- 
heischen :  ausserdem  wird  bekanntlich  das  Trocknen  der  Wäsche  durch  eine  Russatmosphäre 
sehr  benachtheiligt. 

Für  die  Pflanzen  kann  der  Russ  ebenfalls  mechanisch  nachtheilig  werden,  da  er 
die  feinen  Poren  der  Blätter  verstopft,  dadurch  die  Verdunstung  hemmt  und  somit  die 
Circulation  beeinträchtigt.  Enthält  der  Russ  noch  empyreumatische  Stoffe,  so  kann  er 
ein  sofortiges  Absterben  der  Blätter  bewirken:  es  ist  vorzugsweise  der  Gehalt  an 
Carb  olsäure.  der  stets  diese  Erscheinung  resp.  Störung  hervorruft.  Das  Getreide, 
welches  in  solchen  Gegenden  wächst,  liefert  immer  ein  weniger  weisses,  ein  graues 
Mehl,  das  eine  geringere  Qualität  darstellt  und  deshalb  schlechter  bezahlt  wird,  so 
dass  die  Eigenthümer  peeuniären  Schaden  durch  die  Einwirkung  des  Russes  erleiden. 
Auch  Getreide,  welches  in  der  Nähe  volkreicher  und  indnstriereieber  Städte  gezogen 
wird,  liefert  fast  niemals  ein  ganz  weisses  Mehl. 


Russfabrication.  321 

So  ist  auch  die  Leinen-  und  Wachsbleiche  da,  wo  russende  Steinkohlen 
verbrannt  werden,  ganz  unausführbar.  Alle  diese  Thatsachen  sprechen  für  die  dringende 
Nothwendigkeit,  dass  die  Baupolizei  bezüglich  der  Rauchverzehrung  kräftiger,  als  es  bis- 
her geschehen  ist,  einschreite. 

2)  Die  Kohle  als  Farbe.  Die  Kohle  ist  der  eigentliche  Repräsentant  der 
schwarzen  Farbe;  ganz  besonders  ist  es  der  fein  zertheilte  Kohlenstoff,  derRuss, 
welcher  als  Deckfarbe  benutzt  wird.  Nach  der  Beschaffenheit  des  zur  Darstellung 
benutzten  Brennmaterials  richtet  sich  auch  die  Natur  resp.  Qualität  des  Russes. 
Man  unterscheidet  leichten,  schweren  und  Glanzruss;  unter  leichtem 
Russ  begreift  man  Flatter-,  Kien-  oder  Lampenruss.  Diese  Sorten  des 
leichten  Russes  unterscheiden  sich  weniger  durch  ihre  Zusammensetzung  und 
Eigenschaft  als  durch  ihre  Darstellungsweise. 

Der  schwere  Russ  enthält  meist  Bitumen  und  hat  ein  bedeutend  höheres 
specifisches  Gewicht;  der  Glanzruss  ist  völlig  von  Bitumen  durchtränkt  und 
bildet  einen  glänzenden  Ueberzug,  woher  sein  Name  stammt;  er  kann  bei  hoher 
Temperatur  durch  seinen  Gehalt  an  Bitumen  und  Brandharz  flüssig  werden,  ab- 
tropfen und  in  Brand  gerathen. 

Die  Russbereitung  beruht  im  Allgemeinen  auf  der  Verbrennung  sehr  kohlen- 
stoffhaltiger Kohlenwasserstoffe,  wobei  die  Sauerstoffzufuhr  so  regulirt  wird,  dass 
hauptsächlich  nur  der  am  leichtesten  entzündliche  "Wasserstoff  verbrennt  und 
der  Kohlenstoff  sich  als  feiner  Staub  in  Form  von  feinem  Russ  ausscheidet. 

Die  verschiedenen  Russarten  erfordern  zu  ihrer  Erzeugung  besondere 
Apparate,  welche  aus  dem  Verbrennungsraume,  dem  sogen.  Herde  und  den 
Russkaramern  resp.Rnsscanälen,  sowie  aus  der  zurWegführung  derVerbrennungs- 
producte  angebrachten  Luftzufuhr-  resp.  Luftabfuhr-Eiurichtung  bestehen. 
Werden  zu  letztem  Zwecke  bloss  hohe  Kamine  angewendet,  so  findet  die  Ab- 
lagerung des  Russes  in  grossen  Kammern  statt,  wird  jedoch  die  Luftzufuhr 
mittels  Ventilatoren  erzeugt,  so  lagert  sich  der  Russ  in  langen  Canälen,  welche 
durch  kleine  Kammern  unterbrochen  sind,  ab. 

Je  weiter  sich  alsdann  der  Russ  vom  Verbrennungsapparate  entfernt  abge- 
lagert hat,  desto  leichter  und  besser  ist  die  Qualität  desselben;  es  hat  deshalb 
die  Anwendung  des  Ventilators  den  grossen  Vortheil,  dass  gleichsam  ein  Sortiren 
des  Kienrusses  sofort  bei  der  Erzeugung  stattfindet. 

a)  Den  leichten  Kienruss  erhält  man  durch  Verbrennen  von  Harzen,  harz- 
reichen Hölzern,  Theer,  Theerölen,  Rückständen  der  Petroleumrectification  oder 
der  Leuchtgasbereitung,  bei  beschränkter  Sauerstoffzufuhr. 

Den  feinsten  Kienruss,  den  Lampenruss,  stellt  man  dar,  wenn  man  die 
schweren  Steinkohlen-Theeröle,  die  Oele  der  beiden  letzten  Fractionirungen, 
deren  Siedepunct  bis  275°  und  darüber  geht,  bei  gehemmtem  Luftzuge  verbrennt;  sie 
werden  zusammen  in  Behälter  gegeben,  welche  durch  künstliche  Wärme  so  weit  erhitzt 
werden,  dass  das  Naphtalin  in  dem  Oel  gelöst  bleibt.  Aus  diesem  Behälter  wird  eine 
Röhre  nach  dem  sogenannten  Lampenrohre  geführt,  welches  50-100  Lampen  ent- 
hält, deren  Oelbehälter  nach  dem  System  der  umgestürzten  Flaschen  oder  Sturz  Haschen 
bei  constantem  Niveau  (Benkler'sches  System)  construirt  sind  und  deren  Dochte  1 — 1 1/4  Zoll 
Durchmesser  haben.  Die  Lampen  werden  dann  angezündet  und  durch  unvollkommenes 
Schliessen  der  eisernen  Thür  des  Lampenofens  wird  nur  so  viel  Luft  zugelassen,  dass 
hauptsächlich  nur  der  Wasserstoff  dieser  Oele  verbrennen  kann  und  sich  der.  Kohlenstoff 
als  Lampenruss  ausscheidet.  Man  verbindet  diese  Lampenöfen  mit  Exhaustoren, 
welche  den  gebildeten  Russ  in  Ablagerungscanäle  einsaugen. 

Häufig  wird  der  leichte  Kienruss  (Flatterruss)    aus   Theer   dargestellt.      Die 

Eulenberg,  Gewerbe-Hygiene.  " 


322  Kohl  eD  stoff. 

\ 't  -rbrennung  geschieht  in  grossen  Herden,  wobei  der  Theer  sich  in  pfannenähnlichen 
offenen  Behältern  befindet,  in  welchen  er  verbrannt  wird:  auch  hier  wird  die  Zufuhr 
des  Sauerstoffs  durch  die  Thür  an  der  Feuerung  regulirt  und  zwar  entweder  durch 
Schieber  in  der  Thür  oder  durch  Oeffnen  und  Sehliessen  der  Thür  selbst. 

Man  beobachtet  hierbei  zwei  Methoden,  um  die  Wärme  zu  verwerthen,  die  bei 
der  Kienrussbereitung  in  Folge  des  beschränkten  Zuges  der  Feuerung  abfällt.  In  dem 
einen  Falle  wird  nämlich  frischer  Theer,  welcher  sich  in  Kesseln  über  demVerbrennungs- 
apparate  befindet,  durch  die  Verbrennungswärme  abdestillirt:  die  Producte  werden  ent- 
weder als  solche  gebraucht  oder  nach  der  oben  erwähnten  Weise  zur  Darstellung  von 
Lampenrnss  benutzt. 

Nach  der  andern  Methode  sind  die  über  dem  Verbrennungsapparate  hegenden 
Kessel  mit   Was  füllt,  welches  durch  die  abfallende  Wärme  ins  Sieden  gebracht 

wird  und  mannigfache  Benutzung  erfährt:  man  hat  sogar  mit  Erfolg  den  Versuch  ge- 
macht, diese  Kessel  als  Dampferzeuger  für  Dampfmaschinen  zu  benutzen. 

Die  Gase  und  Dämpfe,  welche  aus  den  Russkammern  resp.  Russcanälen 
austreten,  bestehen  aus  Kohlensäure,  Kohlenoxyd,  Wasser,  Sumpfgas, 
Leuchtgas,  schwefliger  Säure,  Blausäure,  Ammoniak,  Acetylen  und 
der  ganzen  Reihe  der  flüchtigen  Kohlenwasserstoffe,  unter  denen 
Naphtalin  nie  fehlt.  In  den  meisten  Fällen  sind  die  abziehbaren  Gase  brenn- 
bar, können  aber  nur  bei  der  grössten  Vorsicht  durch  Verbrennung  unschädlich 
gemacht  werden;  dieselbe  ist  nur  bei  der  Anwendung  des  Ventilators  ausführbar, 
weil  sich  die  Verbrennung  bei  den  Russkammern  sehr  leicht  auf  diese  selbst  aus- 
dehnen kann.  Wo  hohe  Kamine  den  Luftzug  herstellen,  da  lässt  man  die  Gase 
und  Dämpfe  stets  in's  Freie  austreten,  was  auch  mit  keinem  weitern  Bedenken 
verbunden  ist,  da  die  Fabriken  dieser  Art  ohuehin  nicht  in  volkreichen  Städtea 
etablirt  werden  können  und  dürfen;  sie  müssen  stets  schon  wegen  der  Aus- 
breitung des  Russes  in  die  nächste  Umgebung  eine  freie  Lage  haben.  Dieser 
Umstand  hat  aber  häufig  eine  Benachtheiligung  der  Vegetation  zur  Folge  und 
namentlich  wird  das  in  der  Nähe  solcher  Fabriken  gezogene  Getreide  niemals 
ein  normales  weisses  Mehl  liefern;  erfahrnngsgemäss  muss  nicht  selten  den 
Besitzern  der  betreffenden  Felder  deshalb  ein  Schadenersatz  geleistet  werden. 
Die  Fabricanten  sind  sogar  häufig  genöthigt,  den  der  Fabrik  zunächst  gelegenen 
Grund  und  Boden  anzukaufen,  um  diese  Nachtheile  selbst  zu  tragen. 

Verwendung  des  leichten  Kienrnsses.  Kienruss  wird  für  die  Bereitung  der 
Druckerschwärze,  der  schwarzen  Lacke  zu  Glanzleder  u.  s.  w.  benutzt.  Da  er  aber 
noch  brenzliche  Producte.  namentlich  Carbolsäure  und  Naphtalin  enthält,  so  müssen 
■■  Korper  ganz  besonders  dann  zerstört  werden,  wenn  er  zur  Bereitung  der  Drucker- 
schwärze verwendet  werden  soll;  geschieht  dies  nicht,  so  bekommen  die  Buchstaben  als- 
bald einen  gelblichen  Rand.  Zur  Zerstörung  dieser  brenzbchen  Producte  wird  der  Russ 
in  gur-seisernen  Cvlindern,  welche  fest  verschlossen  sind  und  nur  eine  kleine  Oeffnung 
für  die  Entweichung  dieser  Producte  haben,  1.  2  oder  Urnal  geglüht.  Der  Russ  heisst 
alsdann  1.  2  oder  3mal  gebrannt  und  man  erkennt  diese  Sorten  schon  an  der  Ver- 
packung, indem  man  das  Fabrikzeichen  eben  so  viele  Mal  einbrennt  als  der  Russ  ge- 
brannt worden  ist. 

Die  hierbei  auftretenden  brenzlichen  Producte  haben  einen  penetranten  und  un- 
angenehmen Geruch  und  sind  denselben  erhebliche  Mengen  Kohlenoxyd  beigemengt: 
es  muss  deshalb  unter  allen  umständen  für  die  Ableitung  resp.  Verbrennung 
derselben  gesorgt  werden. 

b)  Den  schweren  Kienruss  erhält  man  durch  Verbrennen  von  bituminösen 
Fossilien  (Steinkohle.  Braunkohle,  Torf),  von  bituminösem  Liasschiefer,  natür- 
lichem Asphalt,  überhaupt  fossilen  Erdharzen,  unter  Anwendung  der  obengenann- 
ten Apparate.  Da  er  mehr  oder  weniger  mit  Aschenbestandtheilen  und  Brand- 
harzen verunreinigt  ist,  so  hat  er  einen  geringern  Farbwerth  und  wird  vorzugs- 
weise für  die  Wichsfabrication  u.  s.  w.  benutzt. 


Russverpackung.  323 

c)  Der  Glanzruss  (Fuligo  splendens)  bildet  sich  als  Nebenproduct  bei  der 
Holzverbrennung;  er  hat  eine  beschränkte  Anwendung.  Man  benutzte  ihn  früher 
als  Arzneimittel  oder  als  Conservirungsmittel  für  Fleisch  in  einem  wässrigen, 
essighaltigen  Auszuge;  auch  eine  sepiabraune  Farbe  stellt  man  daraus  dar;  seltner 
wird  er  beim  Zeugdruck  benutzt. 

Zu  den  Russarten  gehört  auch  noch  der  chinesische  Russ  oder  das  chine- 
sische Schwarz,  welches,  in  Bambusrohren  verpackt,  über  Indien  in  den  Handel  ge- 
bracht und  aus  Campheröl,  Campherharz  und  überhaupt  aus  campherhaltigen  Rück- 
ständen bereitet  wird;  es  zeichnet  sich  durch  einen  metallischen  Glanz  aus  und  ist  be- 
deutend leichter  als  der  gewöhnliche  Kienruss.  Die  chinesische  Tusche  besteht 
hauptsächlich  aus  dem  Russ  von  Sesamöl  oder  von  dem  Oel  der  Bignonia  tomentosa. 
Frankfurter  Schwarz,  Rebschwarz  bereitet  man  durch  Verkohlen  von  Trauben- 
kämmen, Weinhefe  und  von  im  Frühjahr  abgeschnittenen  Weinreben,  das  Spanische 
Schwarz  durch  Verkohlen  der  Abfälle  des  Korkholzes.  Durch  Verkohlen  des  Spindel- 
baums entsteht  die  Reisskohle,  welche  zu  Zeichenstiften  fabricirt  wird. 

Die  Russverpackung.  Der  Russ  wird  nach  seiner  Feinheit  verschieden  verpackt: 
den  feinen  und  leichten  Lampenruss  verpackt  man  in  kleinen  Fässchen,  den  schwereren 
Flatterruss  in  grossen  Fässern  oder  selbst  Ballen. 

Da  der  Russ  sehr  locker  ist,  so  muss  die  ganze  Masse  compacter  gemacht  werden, 
damit  sie  ein  geringeres  Volumen  einnimmt;  deshalb  bringt  man  den  Russ  in  Säcke  und 
übt  auf  dieselben  entweder  durch  Treten  mit  den  Füssen  oder  durch  ein  Walzenpaar 
einen  kräftigen  und  anhaltenden  Druck  aus. 

In  einigen  Gegenden  Deutschlands  und  Frankreichs  geschieht  die  Verpackung 
noch  durch  Eintreten  mit  den  Füssen.  Gewöhnlich  besorgen  Frauenzimmer  das 
Geschäft:  ein  Frauenzimmer  steigt  in  das  zu  verpackende  Fass  und  ist  mit  einem  langen 
Kleide  angethan,  welches  über  den  Hüften  mit  einem  Gürtel  fest  verschlossen  ist;  das 
Kleid  ist  so  weit,  dass  es  das  ganze  Fass  bedeckt.  Es  wird  nun  ein  Reif  über  den 
Kopf  des  Mädchens  in  der  Art  herabgelassen,  dass  das  Kleid  hermetisch  auf  das 
Fass  gedrückt  wird.  Eine  zweite  Ferson  bringt  nun  durch  den  Schlitz  des  Kleides 
einen  leinenen  Schlauch,  um  mittels  desselben  den  Russ  in  das  Fass  zu  leiten.  Wenn 
die  Person  fühlt,  dass  sie  einige  Zoll  Russ  unter  den  Füssen  hat,  so  tritt  sie,  indem  sie 
die  Oeffnung  des  Kleides  fest  zuhält,  den  Russ  mit  den  Füssen  auf  der  ganzen  Boden- 
fläche fest  zusammen;  dann  lässt  sie  neuen  Russ  zuschütten,  welchen  sie  wieder  mit 
den  Füssen  feststampft;  dadurch  erhebt  sie  sich  im  Fasse  und  zieht  das  Kleid  unter 
dem  Reifen  so  lange  nach,  bis  das  Fass  gefüllt  ist. 

Bei  dieser  Arbeit  bildet  sich  eine  eigenthümliche  Hautkrankheit  aus, 
namentlich  zwischen  den  Fusszehen,  am  Schenkel  und  an  den  äussern  Genitalien; 
seltner  zeigen  sich  Mundgeschwüre.  Das  Leiden  besteht  in  einer  Ver- 
eiterung der  Talgdrüschen  der  Haut;  ein  kleiner  schwarzer  Punct  an 
der  Ausmündungstelle  der  Talgdrüsen  umgibt  sich  mit  einem  rothen  Hofe,  es 
treten  Anschwellung  und  Verdickung  in  Folge  von  Exsudation  ein,  worauf  gewöhn- 
lich Eiterbildung  folgt.  An  den  Genitalien  bekommen  die  Geschwüre  leicht  einen 
speckigen  Grund  und  werden  dadurch  den  syphilitischen  Geschwüren  sehr  ähn- 
lich. Das  schwarze  Püuctchen  scheint  nicht  allein  vom  Schmutze  resp.  vom  Russe, 
sondern  auch  von  einer  Vereinigung  des  Naphtalins  mit  dem  Inhalt  der  Talg- 
drüschen herzurühren.  Rossignon3)  fand  nämlich,  dass  ^aphtalin  und 
Schweineschmalz,  wochenlang  der  Luft  ausgesetzt,  unter  Aufnahme  von  Sauer- 
stoff und  Entwicklung  von  Kohlensäure  eine  schwarze  Masse  bilden.  Bekanntlich 
besteht  das  Fett  der  Talgdrüschen  wie  das  Schweineschmalz  aus  Margariu  und 
Olein  und  es  liegt  deshalb  die  Annahme  nahe,  dass  in  der  Haut  ein  ähnlicher 
Process  stattfinden  kann,  da  der  gewöhnliche  Russ  immer  Naphialin  enthält. 

Eine  sorgfältige  Reinigung  der  Haut  ist  das  Mittel,  diese  Hautkrankheit  zu 
verhüten;  die  Arbeiter  müssen  sich  aber  zuerst  mit  wenig  Theer,  dann  mit  Fett 
die  Haut  einreiben  und  sich  schliesslich  mit  einem  Seifenbade  vollständig 
reinigen. 

21* 


3-J4  Kohlenstoff. 

Das  Eintreten  des  Rnsses  mit  den  Füssen  ist  übrigens  eine  sehr  anstrengende 
Arbeit;  erfahrnngsgemäss  kann  Niemand  länger  als  5  Tage  diese  Verpackung 
aushalten.  Das  Seh warzspuckeu  zeigt  sich  fast  bei  allen  Arbeitern,  die  in 
den  Fabriken  von  Kienruss  beschäftigt  sind;  niemals  fehlt  es  bei  denjenigen, 
welche  vorzugsweise  die  Verpackung  besorgen.  Ein  Xachtheil  tritt  selten  bei  ge- 
sunden Leuten  ein;  es  verliert  sich  meist  schnell  wieder,  wenn  man  den  äussern 
Einflüssen  nicht  mehr  ausgesetzt  ist.  Bei  tubercnlösen  Individuen  bringt  es  jedoch 
bisweilen  einen  entschiedenen  Nachtheil  und  auf  Grund  eigener  Beobachtungen 
glauben  wir  annehmen  zu  müssen,  dass  der  Erweichungsprocess  der  Tuberkeln 
dadurch  begüustigt  wird,  indem  wohl  zu  beachten  ist,  dass  sich  der  Russ  durch 
seinen  Gehalt  an  Carbolsäure  wesentlich  von  dem  gewöhnlichen  Kohlenstaub  uuter- 
scheidet  und  mehr  Reizuugeu  der  Respirationsorgane  zu  erzeugen  vermag. 

3)  Amvendnng  der  Kohle  znr  Entfärbung  und  Desinfection.  Man  benutzt  zur 
Entfärbung  vorzüglich  die  Knochenkohle  (Ebur  ustum).  deren  Darstellung  iu 
der  trocknen  Destillation  der  Kuochen  beruht. 

In  ganz  primitiver  Weise  füllt  man  eiserne  Töpfe  mit  den  zerschlagenen  Knochen, 
stürzt  sie  übereinander  und  verkittet  sie  so  mit  Lehm,  dass  dadurch  das  Austreten  der 

oic-ht  verhindert  wird:  letztere  entzünden  sich  und  unterstützen  auf  diese  Weise 
den  Yerbrennungsprocess.  Diese  ganze  Procedur  ist  wegen  ihrer  grossen  Belästigung 
nur  in  unbewohnten  Gegenden  zulässig:  in  technischer  und  sanitärer  Beziehung  ist  das 
Verfahren  vorzuziehen,  nach  welchem  die  Knochen  in  Retorten  oder  Gründern  bei  Ab- 
schluss  der  Luft  der  Rothgluth  ausgesetzt  und  die  Producte  der  trocknen  Destillation 
in  Vorlagen  und  Kühlapparaten  aufgefangen  und  verwerthet  werden. 

Die  verkohlten  Knochen  werden  in  Stampfmühlen  bei  häufiger  Wasserbefeuchtung 
grob  gemahlen  und  die  verschiedenen  Sorten  bezüglich  de?  Kurns  durch  Sieben  getrennt. 
Die  stickstoffhaltige  Kohle,  welche  mit  dreibasisch  phosphorsaurem  Calcium  innig  ge- 
mengt und  äusserst  fein  vertheilt  ist,  besitzt  die  Eigenschaft  der  Entfärbung  ganz  be- 
sonders,  weshalb  sie  vorzugsweise  Klär  kohle  genannt  wird:  sie  hat  in  der  Runkel- 
rübenzuckerfabrication  einen  vollständigen  Umschwung  hervorgerufen. 

Durch  Ausziehen  des  Calciumphosphats  mittels  verdünnter  Salzsäure  aus 
den  verkohlten  Knochen  wird  die  Entfärbungsiähigkeit  vermehrt,  weil  erstere=>  die  Kohle 
gleichsam  umhüllt.  Dem  vollkommenen  Ausziehen  des  Calciumphosphats  steht  die 
schwierige  Filtrirbarkeit  der  mit  einer  solchen  feinen  Kohle  behandelten  Flüssigkeit  ent- 
gegen, weshalb  das  Ausziehen  nur  so  weit  vorgenommen  werden  darf,  dass  die  Structur 
der  Knochen  bleibt  und  nur  die  Oberfläche  derselben  kohlenstoffreicher  geworden  ist. 
Gebraucht  man  zu  diesem  Zwecke  verdünnte  Schwefelsäure,  so  wird  ein  Theil 
der  Phosphorsäure  austreten  und  der  dieser  ausgetretenen  Säure  entsprechende  Antheil 
von  Kalk  in  Gips  verwandelt,  welcher  durch  die  Volumszunahme  die  Porosität  der 
Knochenkohle  und  somit  auch  ihre  entfärbende  Kraft  vermehrt,  auf  der  andern  Seite 
jedoch  auch  durch  seine  Anwesenheit  dem  Zuckerfabricanten  viel  Belästigung  verschafft. 

Eine  auf  diese  Weise  behandelte  Knochenkohle  heisst  Doppelschwärze,  da 
sie  den  doppelten  Werth  in  Bezug  auf  Entfärbung  hat. 

Dieses  Ausziehen  der  Knochen  mittels  Säuren  muss  iu  Bottichen  vorge- 
nommen werden,  die  verschlossen  und  so  construirt  sind,  dass  die  auftretenden 
Gase  (Kohlensäure,  Schwefelwasserstoff,  Cyanwasserstoff,  Kieselfluorwasserstoff) 
mittels  eines  Rauchfauges  unter  den  Rost  einer  Feuerung  geleitet  werden  können; 
man  benutzt  dazu  am  besten  die  Feuerung  der  Trockenpfannen,  auf  welchen 
die  Klärkohle  nach  der  Behandlung  mit  der  Säure  getrocknet  wird.*)  Das 
Auskrückcn  der  Doppelschwärze  aus  der  Trockenpfanne  ist  wegen  des  damit 
verbundenen  Staubes  für  die  Arbeiter  sehr  belästigend;  sie  leiden  fast  durch- 
gehends  am  Schwarzspucken,  wenn  sie  uicht  durch  sorgfältiges  Vorbinden  von 


I  Wegen  des  Gehalts  der  Knochen  an  Chlorcalcium  und  Fluorcalcium  entwickeln 
sica  leichl   gi  ringe  Mengen  von  Fluor-  resp.  Kieselfluorwasserstoff  (s.  S.  259). 


Wiederbelebung  der  Knochenkohle.  325 

nassen  Tüchern  oder  Schwämmen  vor  Nase  und  Mund  das  Einathmen  des  Staubes 
verhüten;  diese  Vorsichtsruassregel  ist  daher  durchaus  erforderlich. 

* 
Die  Holzkohle4)  wird  als  sogenanntes  Schwarzmehl,  d.  h.  im  pulverisirten 

Zustande,  beim  Entfuseln  des  Branntweins  verwendet;  auch  bei  der  Filtration 
des  Wassers  wird  diese  Kohle  benutzt,  wenn  es  sich  um  die  Wegnahme  übel- 
riechender und  übelschmeckender  organischer  Substanzen  handelt. 

Durch  frisch  ausgeglühte  und  in  Gefässen  hingestellte  oder  in  Kruken  an  der 
Decke  aufgehängte  Holzkohle  lässt  sich  sogar  die  Luft  in  Krankens^len  verbessern  und 
es  ist  diese  Benutzung  derselbeu  bis  jetzt  zu  wenig  gewürdigt  worden. 

Die  sogenannte  platinirte  Kohle,  welche  man  durch  Tränken  von  Kohlen- 
stückchen in  einer  verdünnten  Lösung  von  Platinchlorid  und  nachfolgendes  Ausglühen 
bei  Luftabschluss  erhält,  unterscheidet  sich  im  Aeussern  gar  nicht  von  der  gewöhnlichen 
Kohle,  ist  aber  grade  wie  Platinschwamm  befähigt,  chemische  Verbindungen  zu  beför- 
dern; leitet  man  Wasserstoff  auf  dieselbe,  so  erglüht  sie  ebenso  rasch  wie  Platin- 
schwamm. Hieauf  beruhen  die  von  Stenhouse  construirten  Respiratoren,  bei  welchen 
die  Zwischenrärme  zwischen  zwei  Drahtgitter  wänden  mit  Kohle,  die  2%  Platin  enthält, 
angefüllt  sind.5) 

Aufgespeicherte  Holzkohlen  können  unter  Umständen  von  selbst  in  Brand  ge- 
rathen;  in  Folge  der  Selbstentzündung  der  Kohle  sind  nicht  selten  Pulvermühlen 
explodirt;  dieselbe  Eigenschaft  besitzt  auch  der  Kienruss,  überhaupt  jede  fein  zer- 
theilte  Kohle.  Auch  das  Schwarzmehl  darf  nie  in  grossen  Quantitäten  trocken  auf- 
gespeichert werden,  weil  sonst  leicht  Selbstentzündung  erfolgt. 

Die  Holzkohle  hat  noch  die  besondere  Eigenschaft,  dass  sie  sich  in  Berührung 
mit  fetten  Oelen  durch  die  rasche  Oxydation,  welche  in  den  Poren  derselben  stattfindet, 
rasch  erhitzt  und  sich  auf  diese  Weise  entzünden  kann. 

Von  grosser  Wichtigkeit  ist  die  Eigenschaft  der  Kohle,  resp.  Holz-  oder  Thier- 
kohle,  organische  Substanzen  aus  Lösungen  aufzunehmen.  Hiermit  hängt  eine  andere 
Thatsache  zusammen,  welche  in  neuerer  Zeit  der  analytischen  Chemie  in  Bezug  auf  ge- 
richtliche Medicin  einen  neuen  Weg  gebahnt  hat,  nämlich  die  Absorptionsfähigkeit  der 
Kohle  für  Alkaloide,  z.  B.  für  Strychnin,  Morphin,  Peucedanin,  Coffein,  Theein,  Solanin, 
Atropin,  Chinin  und  Chinoidin.  Nicht  absorbirt  werden :  Theobromin,  Coniin,  Cinchonin, 
Veratrin  und  Cantharidin. 

d)  Anwendung  der  Kohle  als  Reductionsmittel  bei  metallurgischen  Processen. 

Der  Sauerstoff  der  verschiedenen  Oxyde  der  Metalle  bildet  mit  dem  Kohlenstoff, 
wenn  beide  in  glühendem  Zustande  zusammen  kommen,  Kohlenoxyd,  während 
das  Metall  frei  abgeschieden  wird.  Diese  Verwendung  der  Kohle  findet  bei  den 
wichtigsten  metallurgischen  Processen  statt;  eine  grosse  Rolle  spielt  die  Kohle 
in  dieser  Beziehung  beim  Hohofenprocesse. 

Wiederbelebung  der  Knochen-  oder  Klärkohle. 

Während  der  Entfärbung  von  Flüssigkeiten  sättigt  sich  die  Knochenkohle 
mit  Farbstoffen;  auch  nimmt  sie  noch  Schleim  und  sonstige  fremde  Bestand- 
teile der  zu  entfärbenden  Flüssigkeiten  auf,  namentlich  dann,  wenn  sie  z.  B.  bei 
der  Darstellung  des  Rohzuckers  verwendet  worden  ist. 

Durch  Entfernen  der  fremden  Bestandtheile  kann  man  die  Knochenkohle 
regeneriren,  d.  h.  die  färbenden  Bestandtheile  aus  derselben  wegschaffen  und 
sie  zu  einer  abermaligen  Benutzung  geeignet  machen.  Dies  Verfahren  heisst  der 
Wiederbelebungsprocess  der  Knochenkohle;  er  findet  stets  in  Zucker- 
fabriken statt.  Dieses  Verfahren  wird  auf  drei  verschiedene  Arten  ausgeführt : 
1)  durch  Gährung,  2)  durch  Behandeln  mit  Alkalien  und  nachheriges 
Ausziehen  mit  verdünnter  Salzsäure,  3)  durch  Behandeln  mit  Säure 
allein  und  Zerstörung  der  noch  rückständigen  organischen  Stoffe 
(Eiweisskörper,  Farbstoffe  u.  s.  w.)  mittels  Glühens. 


326  "Kohlenstoff. 

1)  Die  Gährnng.  Dieselbe  geschieht  entweder  in  Haufen  (trockne)  oder  in 
Bottichen  (nasse  Gährung ).  Beim  erstem  Verfahren  wird  die  Kohle  auf  3-4  Fuss 
hohe  Haufen  gesetzt .  wobei  sich  durch  häufiges  Umschaufeln  der  sich  erwärmenden 
feuchten  Masse  die  Gase  des  Gährungs-  und  Fäulnissprocesses  entwickeln.  Im  Allge- 
meinen bestehen  dieselben  aus  Kohlenwasserstoff,  Kohlensäure  und  Schwefel- 
wasserstoff: stammt  die  Kohle  aus  Runkelrübenzuckerfabrikeu  her,  so  bestehen  die 
Gase  und  Dämpfe  schliesslich  aus  Buttersäure,  Baldriansäure,  Schwefelwasser- 
stoff resp.  Schwefelammonium.  Auch  hier  fehlen  Kohlensäure,  Wasserstoff 
and  K  o  hl  en  Wasserstoff  als  Spaltungs-  und  Fäulnissproducte  der  organischen  Ge- 
bilde niemals:  ihre  Entfernung  ist  der  Hauptzweck  des  Gährungsprocesses. 

Diese  Procedur  muss  zum  wenigsten  in  hohen  und  luftigen  Räumen  vorgenommen 
werden :  in  Zuckerfabriken  sollten  aber  dazu  besondere  flache  Gewölbe  benutzt  werden, 
welche  durch  Gänge  resp.  Züge  mit  dem  Hauptschornstein  in  Verbindung  stehen ,  um 
den  Gasen  und  Dämpfen  einen  vollkommenen  Abzug  zu  gewähren.  Durch  den  hierbei 
stattfindenden  raschern  Luftwechsel  wird  auch  die  Zersetzung  in  viel  kürzerer  Zeit  be- 
endigt sein. 

Bei  der  Gährung  in  Bottichen  tritt  wegen  des  beschränkten  Luftzutritts  eine 
▼ollständige  Gährung  ohne  eigentliche  Fäulniss  ein,  indem  der  Zucker  sich  zuerst  in 
Alkohol  und  alsdann  in  Essigsäure  verwandelt  und  Calciumacetat  auf  Kosten  des  von 
der  Kohle  absorbirten  Calciumcarbonats  entsteht. 

Auf  das  eine  oder  andere  dieser  Verfahren  muss  jedesmal  ein  sorgfältiges  Aus- 
waschen der  Kohle  folgen.  Die  abfallenden  Wasch wässer  sind  ganz  besonders  zu 
beachten :  sie  enthalten  ausser  essigsaurem  und  phosphorsaurem  Calcium  noch  baldrian- 
saures, buttersaures,  bernsteinsaures  und  asparaginsaures  Calcium.  In  manchen  Fälleu 
lohnt  es  sich,  sie  zur  Darstellung  der  in  ihnen  enthaltenen  Säuren,  der  Essig-, 
Butter-  und  Baldriansäure  u.  s.  w.  zu  benutzen.  Niemals  dürfen  sie  in  Schling- 
gruben oder  kleine  Bäche  abgelassen  werden;  sollen  sie  frei  abfliessen,  so  ist  ein  Zusatz 
von  Kalkmilch  im  Ueberschuss  zur  Vermeidung  der  weitern  Zersetzung  nöthig. 
Hierdurch  werden  die  phosphorsauren  Salze  grösstentheils  neben  den  stickstoffhaltigen 
Verbindungen  niedergeschlagen:  der  Niederschlag  kann  als  Dünger  und  das  abfliessende 
Wasser  alsdann  ohne  Bedenken  in  öffentliche  Canäle  oder  grössere  Flüsse  abgelassen 
werden,  wenn  es  vollständig  geklärt  und  von  allen  organischen  Beimischungen  befreit 
worden  ist. 

2)  Behandeln  der  Kohle  mit  Alkalien  und  nachheriges  Ausziehen  mit  ver- 
dünnter Salzsäure.  Wenn  die  Kohle  nach  der  Gährung  zunächst  mit  Alkalien  in  Be- 
rührung kommt,  so  entwickelt  sich  durch  die  Zersetzung  der  noch  vorhandenen  Eiweiss- 
körper  Ammoniak:  diese  Procedur  geschieht  in  Bottichen  oder  auf  Bühnen,  in  welchen 
Einrichtungen   zum  Abzüge  der  ammoniakalischen  Gase  und  Dämpfe   anzubringen  sind. 

Nachdem  die  Kohle  gehörig  ausgewaschen  worden  ist,  wäscht  man  sie  mit  an- 
gesäuertem Wasser  nach.  Beim  Zusatz  der  Säure  entwickeln  sich  Kohlensäure 
und  Schwefelwasserstoff,  bisweilen  neben  Spuren  von  Essig-,  Butter-  und 
Baldrian  säure.  Luftige  Räume,  in  welchen  diese  Procedur  vorgenommen  wird,  ge- 
nügen für  den  Schutz  der  Arbeiter:  immerhin  ist  für  eine  kräftige  Ventilation  Sorge 
zu  tragen.    Der  Zweck  dieses  Verfahrens  ist  die  Entfernung  des  Gipses  aus  der  Kohle.c) 

Was  die  Wasch  wässer,  die  sogenannten  Säurewässer,  betrifft,  so  ist  es  am 
zweckmässigsten,  die  alkalischen  und  sauren  Wässer  zu  vermischen  und  als  Düngmittel 
resp.  zur  Berieselung  zu  benutzen ;  ein  directer  Abfluss  sollte  nie  gestattet  werdeD. 

3)  Wiederbelebung  durch  Glühen.  Enthält  die  gebrauchte  Knochenkohle  Zucker 
und  Eiweissstoffe,  so  reicht  das  Glühen  allein  nicht  aus,  da  sich  sonst  eine  blasige, 
glänzende  und  harte  Kohlenmasse  bildet,  die  durch  ihre  geringe  Porosität  ein  geringes 
Entfärbungsvermögen  besitzt. 

Da  der  Zucker  und  das  Ei  weiss  vor  ihrer  Zerstörung  durch  die  Wärme  weich 
werden  und  gleichsam  in  Fluss  gerathen,  so  umhüllen  sie  die  Knochenkohle  und  bilden 
bei  einer  weitern  Erhitzung,  die  eine  vollständige  Zerstörung  dieser  Gebilde  veran- 
lasst, eine  gleichsam  schützende  Decke  von  harter  glasiger  Kohle,  welche  die  Einwirkung 
der  Knochenkohle  auf  den  Farbstoff  nicht  zulässt. 

In  den  meisten  Zuckerfabriken  wendet  man  deshalb  ein  combinirtes  Verfahren  an, 
indem  man  die  Knochenkohle  zuerst  gähren  lässt  und  erst  nach  dem  Auslaugen  das 
Brennen  vornimmt.  Durch  die  Gährung  wird  alsdann  der  Zucker  neben  den  andern 
stickstofffreien  und  stickstoffhaltigen  Verunreinigungen  der  Kohle  so  weit  verändert,  dass 
der  Zucker  in  Alkohol  und  schliesslich  in  Essigsäure  übergeführt  wird,  welche  schon  an 
und  für  sich  auf  die  andern  Substanzen  lösend  einwirkt.  Ausserdem  werden  die  stick- 
stoffhaltigen Substanzen  durch  die  Veränderung,  welche  sie  während  des  Processes  er- 
fahren, in  Wasser  löslich  gemacht. 


Wiederbelebung  der  Knochenkohle. 


327 


Bei  einer  Klärkokle,  welche  zum  erstenmal  zum  Entfärben  gedient  hat, 
genügt  es,  dieselbe  mit  verdünnter  Salzsäure  zu  behandeln;  nach  dem  Aus- 
waschen kann  sie  dann  geglüht  werden.  Die  hier  abfallenden  Waschwässer 
sind  von  geringerm  Belange,  wenn  grosse  Quantitäten  von  "Wasser  zum  Aus- 
waschen verwendet  werden;  widrigenfalls  ist  der  Zusatz  von  Kalkmilch  nöthig. 
ehe  sie  zum  Abfluss  gelangen. 

In  vielen  Zuckerfabriken  lässt  man  nicht  nur  die  bei  der  Gährung  ge- 
wonnene Kohle,  sondern  auch  den  geglühten  Rückstand  nur  mit  schwacher 
Salzsäure  einige  Tage  lang  stehen,  um  der  Kohle  namentlich  das  aus  dem 
Rübensaft  aufgenommeue  Kaüumcarbonat  zu  entziehen  und  ihr  gleichsam  eine 
frische  und  wirksame  Oberfläche  zu  geben. 

Bezüglich  der  Behandlung  der  Abfallwässer  sind  diese  verschiedenen 
Methoden  der  Behandlung  der  Klärkohle  stets  zu  berücksichtigen  (s.  die  Zucker- 
fabrication). 

Zum  Glühen  der  Knochenkohle  behufs  Wiederbelebung  gebraucht  man 
28  Fuss  lange,  in  einem  Ofen  stehende  Cylinder,  welche  oben  gefüllt  und  unten 
entleert  werden.  Das  Feuer  umgibt  nur  den  obern  3/4  Theil  der  Cylinder,  wäh- 
rend das  untere  Viertel  sich  frei  unterhalb  der  Ofenhöhle  befindet  und  da  beginnt, 
wo  sich  die  einzelnen  Cylinder  vereinigen.  Ehe  die  Kohle  dem  Glühapparat  über- 
geben wird,  trocknet  man  sie  in  den  meisten  Fällen  vorher;  dies  geschieht  ge- 
wöhnlich auf  Darrplatten,  welche  am  obern  Ende  der  Cylinder  angebracht 
sind  und  unter  denen  die  Feuerluft  des  Glühofens  durchzieht,  ehe  sie  in  den 
Kamin  tritt. 

Die  Arbeiter  leiden  hierbei  viel  durch  Hitze  und  Staub,  indem  sie  die  sehr 
feine  Kohle  beständig  umschaufeln  und  sie  gleichzeitig  der  obern  Oeffnung  der 
Cylinder  immer  näher  bringen  müssen.  Zweckmässig  ist  es,  die  Kohle  mittels 
eines  Fülltrichters  (Fig.  37  a),  welcher  einen  Schieberboden  hat,  einzutragen ;  ein 
solcher  dient  zur  Füllung  von  zwei  Ausglühröhren. 

Bei  diesem  Glühen  der  Knochenkohle  entwickeln  sich  neben  empyreumatischen 
und  stinkenden  Dämpfen  stets  noch  Kohlenoxyd,  Kohlensäure,  Schwefel- 
wasserstoff,   Cyanwasserstoff  und  Ammoniak;    diese  Gase   und  Dämpfe  dürfen 

nie  in  den  Fabrikraum  gelangen.  Gewöhnlich  fängt 
man  sie  unter  einem  Busen  auf,  um  sie  in  den 
Schornstein  zu  leiten;  aber  auch  dieses  Verfahren 
ist  gänzlich  unzui'eichend,  weil  die  Arbeiter  dabei 
häufig  mit  den  betreffenden  Gasen  und  Dämpfen  in 
Berührung  kommen,  namentlich  wenn  ihre  Ent- 
wicklung, wie  gewöhnlich,  stossweise  und  in  Masse 
auftritt. 

Nothwendig  ist  es,  1)  die  Ausglühröhren  durch 
den  erwähnten  Fülltrichter  zu  schliessen,  2)  die 
Gase  und  Dämpfe  durch  eine  besondere  Vorrich- 
tung (Fig.  37  6)  an  einer  obern  Stelle  der  CyHnder 
austreten  zu  lassen  und  in  die  Feuerung  (c)  zu 
leiten.  Die  Flamme  umspielt  die  Cylinder  von 
allen  Seiteu  und  geht  (beLrf)  in  den  Schornstein 
über.  Der  untere  Theil  der  Cylinder,  welcher  in 
ein  Gewölbe  mündet,  stellt  die  Kühlcylinder  (p) 
dar,  in  welchen  die  Temperatur  der  Kohle  so  weit 
sinkt,  dass  sie  ohne  Gefahr  der  Entzündung  der 
atmosphärischen  Luft  wieder  ausgesetzt  werden 
kann.  Ein  an  diesen  Cylindern  angebrachter 
Schieber  wird  zeitweilig  geöffnet,  um  die  vollkom- 
men ausgeglühte  Kohle  in  offene  Kasten  austreten 
zu  lassen. 


Fig.  37. 


328  Kohlenstoff. 

In  manchen  Fabriken  findet  sich  hier  ein  Selbst  verschluss  ohne  Schieber, 
"der  man  lässt  die  Kohle  in  Kasten  (/)  ab.  in  welchen  sich  durch  Gräbrang  gewonnene 
Kohlensäure  befindet,  am  die  Löschung  zu  bewerkstelligen  und  die  Verbrennung  des 
Kohlenstoffs  resp.  der  Knochenkohle  zu  verhüten.  Immerhin  entwickelt  sich  bei  der 
Herausnahme  der  Kohle  viel  Staub,  vor  welchem  die  Arbeiter  sich  soviel  als  möglich 
durch  vorgebundene  Tücher  oder  nasse  Schwämme  zu  schützen  haben.7) 

Um  den  ganzen  Glühprocess  in  seinen  wichtigsten  Momenten  nicht  von  derWill- 
kühr  eine-  Arbeiter-  abhängig  zu  machen,  hat  man  einen  Belbstständigen  und  leicht 
regulirbaren  Mechanismus  zur  Entleerung  der  Kohlencylinder  erfunden.8) 

Die  bei  der  Fabrication  von  Stärkezucker  (Traubenzucker)  verwendete  Kohle 
wird  nach  derselben  Methode  regenerirt.  Hierbei  treten  aber  die  übelriechenden  Gase 
und  Dämpfe  noch  viel  rascher  und  massenhafter  als  bei  der  Rnnkelrübenzuckerfabrication 
auf.  weil  der  Traubenzucker  viel  rascher  in  Gährung  und  Fäulniss  übergeht :  dagegen 
fehlen  die  stickstoffhaltigen  Producte. 

Gewinnung  der  Kohle  zur  Benutzung  als  Brennmaterial. 

Beim  Bergbau-Betriebe  unterscheidet  mau  im  Allgemeinen  den  Tage- 
bau und  den  unterirdischen  Grubenbau.  Fast  nur  letzterer  kommt  bei  der 
Kohle  zur  Sprache  und  umfasst  1)  die  Beseitigung  der  Wassermassen  (Wasser- 
lösung, Wasserhaltung),  2)  den  Grubenausbau,  3)  die  Beschaffung  der  Wege 
(Fahrten)  für  die  Mannschaft  (Belegschaft)  und  für  den  Transport  (Förderung)  und 
4)  die  Beschaffung  frischer  Luft  in  den  Gruben  (Wetterführung,  Wetterlosung).9) 

Die  Thätigkeit  der  Bergleute  bezieht  sich  1)  auf  die  Häuerarbeit,  welche 
mit  grosser  Anstrengung  und  häufig  mit  gebückter  Stellung  verbunden  ist.  Man 
beobachtet  bei  den  Häuern  Brust-  und  Herzkrankheiten  sowie  Hernien;  auch 
Entzündungen  der  Sehnen,  Aponeurosen  und  des  Periost  oder  Hvdarthrus  und 
Hygroma  kommen  nicht  selten  vor,  ganz  abgesehen  von  den  vielfachen  Verletzungen. 
2)  Die  Förderung  wird  entweder  durch  Tragen  auf  dem  Rücken  oder 
Fahren  in  Karren  (Hunden)  besorgt.  Die  Arbeiter  heissen  Schlepper;  man 
hat  zwar  durch  mechanische  Vorrichtungen  die  Schlepperaibeit  immer  mehr  er- 
leichtert, dip  damit  verbundene  Gefahr  aber  nicht  vermindert.  Es  kommt  hierbei 
besonders  die  Kinderarbeit  und  deren  gesetzliche  Regelung  zur  Sprache 
(s.  S.  26). 10) 

3)  Die  Ein-  und  Ausfahrt.  Die  Seilfahrt  geschieht  in  Körben,  Kübeln 
oder  Tonnen,  die  an  eiuem  Seile  befestigt  sind;  sie  ist  zwar  in  Preussen  be- 
dingungsweise gestattet,  im  Allgemeinen  aber  nur  in  kleinen  Gruben  zulässig; 
sogenannte  Fangvorrichtungen  bezwecken  die  Aufnahme  des  Förderkorbes, 
wenn  das  Förderseil  zerreissen  sollte. 

Die  Fahrten,  d.h.  senkrecht  stehende  Leitern  mit  doppelten  Sprossen  von 
Eisendraht  und  breiten  Wangen  von  Eichenholz  verursachen  bei  ihrem  Gebrauche 
eine  grosse  Ermüdung,  wenn  auch  stellenweise  Ruhebühuen  angebracht  sind; 
diese  Methode  des  Befahrens  kommt  mit  vollem  Rechte  immer  mehr  ausser 
Gebrauch. 

Auch  die  Fahrkünste,  d.  h.  durch  Maschinen  bewegte,  abwechselnd  auf- 
und  niedergehende  Auftritte,  auf  denen  die  Bergarbeiter  aus-  und  eingefordert 
werden,  haben  sich  nirgends  bewährt,  da  diese  Methode  des  Befahrens  mit  An- 
strengung und  Gefahr  verbunden  i>t. 

Auf  allen  englischen  und  schottischen  Steinkohlen-  und  Eisensteingrubeu 
geschieht  das  Fahren  ausschliesslich  auf  dem  Seile  resp.  auf  dem  Förderstuhl 
(Pit-cage).  Diese  Fahrt  ist  für  den  Arbeiter  die  bequemste  und  kommt  auch  auf 
dem  Continente  immer  mehr  in  Anwendung;  die  Leitung  geschieht  durch  Draht- 
seile und  hölzerne  Leitschieneu   und   wird  durch  die  Dampfmaschinen  vermittelt. 


Grubenluft.  329 

Der  Förderstuhl  ist  aus  Eisenblech  construirt  and  mit  einem  Dache  überwölbt, 
um  kleinere  in  den  Schacht  fallende  Gegenstände  von  den  Fahrenden  abzuhalten; 
in  ähnlicher  Weise  befördert  mau  auch  Wagen,  da  der  Fahrschacht  gleichzeitig 
Förderschacht  ist. 

Das  Niederfahren  geschieht  in  Englaud  meistens  mit  grosser  Schnelligkeit, 
so  dass  die  Fahrenden  die  Empfindung  des  Fliegens  haben  und  keinen  Boden 
unter  den  Füssen  fühlen;  in  Preussen  ist  mit  Recht  diese  Schnelligkeit  beim 
Niederfahren  verboten.  Unangenehmer  wird  die  Fahrt,  wenn  die  Maschine  aus 
Nachlässigkeit  des  Maschinisten  stoss weise  arbeitet. 

In  sanitärer  Beziehung  ist  besonders  eine  zweckmässige  Lage  und  Con- 
struction  der  Zechhäuser  wichtig,  damit  der  von  Schweiss  und  Wasser  durch- 
nässte  Bergmann  nicht  einem  schroffen  Temperaturwechsel  ausgesetzt  wird,  wenn 
er  die  Grube  verlässt.  Vom  Schacht  aus  muss  daher  wenigstens  ein  verdeckter 
Gang  zum  Zechhause  führeu;  vorzuziehen  ist  die  Einrichtung,  nach  welcher  vom 
Fahrschachte  unterirdische  Gänge  nach  geheizten  uud  mit  Badeeinrichtungen  ver- 
sehenen Räumen  führen,  damit  nach  dem  Baden  die  unterdessen  getrockneten 
Kleider  in  den  Ankleidezimmern  wieder  in  Empfang  genommen  werden. 

In  Deutschland  sind  die  wollenen  Stoffe,  welche  sich  namentlich  zum 
Tragen  auf  blosser  Haut  bei  Bergleuten  eignen,  lange  nicht  genug  in  Gebrauch, 
wie  dies  in  England  der  Fall  ist.  In  den  Gruben  beschränkt  sich  bei  warmer 
Arbeit  der  ganze  Anzug  meist  nur  auf  die  Hose. 

Die  Gruhenluft.  Unter  den  Luftarten,  welche  für  die  Bergleute  gefährlich 
werden  können,  sind  zu  unterscheiden:  1)  die  matten,  leichten-schlechten, 
sauerstoffarmen  und  stickstoffreichen  Wetter.  Der  Stickstoff  strömt 
aus  den  Klüften  mancher  Gebirgsarten  hervor  und  findet  sich  überall,  wo  der 
Luft  durch  Oxydationsprocesse  der  Sauerstoff  entzogen  worden  ist;  da  er  specifisch 
leichter  ist  als  atmosphärische  Luft,  so  sammelt  er  sich  in  den  höher  liegenden 
Strecken  an;  das  Grubenlicht  nimmt  in  ihm  eine  röthliche  Färbung,  eine  läng- 
liche und  schwankende  Form  an;  der  Gehalt  des  Sauerstoffs  schwankt  zwischen 
15 — 20 %.  Die  matten  Wetter  sollen  die  Entstehung  von  Emphysem  bei  den 
Bergleuten  befördern. 

2)  Die  Schwaden,  schweren  -  schlechten  Wetter,  böse  Wetter, 
kalter  Dampf,  bestehen  hauptsächlich  aus  Kohlensäure,  deren  Gehalt  2 — 7  % 
betragen  kann,  bei  einem  Stickstoffgehalt  von  80 — 83 %  und  einem  mittlem  Sauer- 
stoffgehalt von  19,785%;  sie  kommen  vorzugsweise  in  Steinkohlen-  und  Braun- 
kohlengruben, seltner  auf  Erzbergwerken  vor.11) 

In  einer  solchen  Atmosphäre  wird  die  Flamme  der  Lampe  klein,  blauroth,  ver- 
löscht leicht  und  hüpft  am  Dochte  auf  und  ab. 

Bei  den  Arbeitern  erzeugen  sie  Kopfschmerzen,  Stiche  in  der  Brust,  Prickeln 
in  den  Augen,  Mattigkeit,  einen  über  den  ganzen  Körper  verbreiteten  Schweiss,  Angst, 
Schwindel  und  Bewusstlosigkeit  Strecken,  in  denen  man  solche  Wetter  vermuthet, 
müssen  durch  eingehängte  Lampen  untersucht  werden;  man  beseitigt  sie  durch  Ein- 
schütten von  Kalkmilch  und  mechanisch  durch  Luftbewegung  oder  Einleiten  von 
Wasser  dämpfen. 

3)  SchlagendeWetter,  wildes  Feuer,  feurige  Schwaden,  dringen  am 
häufigsten  aus  den  Steinkohlenflötzen  hervor;  bei  der  Braunkohlenförderung  treten 
sie  selten  auf.  *)    Siebestehen  aus  dem  leichten  Kohlenwasserstoff,  welchem 


*)  Hier  hat  man  aber  Schwefelwasserstoff  beobachtet;    namentlich    ist    eine 
Grube  im  Bergrevier  Düren  reich  daran. 


330  Kohlenstoff. 

sehr  variable,  jedoch  höchst  geringe  Mengen  von  schwerem  Kohlenwasserstoff, 
Kohlenoxyd  und  Kohlensäure  beigemengt  sein  können.  Die  schlagenden  Wetter 
treten  entweder  unter  einem  knisternden  Geräusche  (Krebsen)  oder  plötzlich  als 
sogen.  Bläser  auf;  sie  wirken  weniger  direct  auf  die  Respiration  ein,  da  sie  die 
Strecken  derartig  anfüllen  können,  dass  die  Sicherheitslampe  nicht  mehr  brennt, 
ohne  dass  sie  andere  Krankheitszustäude  als  eineu  gelinden  Kopfschmerz  erzeugen; 
sie  sind  nur  durch  ihre  Entzüudlichkeit  und  Explosivität  gefährlich.  Nach  einer 
jeden  Explosion  ist  es  der  vollständige  Maugel  au  Sauerstoff,  welcher  die  der 
Verbrennung  eutgaugenen  Arbeiter  durch  Erstickung  tödtet. 12) 

Findet  ein  sofortiges  Ersticken  nicht  statt,  fällt  der  Arbeiter  betäubt  hin,  so  kann 
das  Athmen  in  der  sehr  dichten  Russ -Atmosphäre  ein  mechanisches  Verstopfen  der 
Respirationswege  zur  Folge  haben,  welches  den  Tod  bedingt. 

Bezüglich  der  Verbrennung  der  Arbeiter  während  der  Explosion  ist  zu  bemer- 
ken, dass  dieselbe  eine  höchst  energische  momentane  ist,  wobei  jedoch  ein  tieferes  Ein- 
dringen in  die  Haut  deshalb  nicht  stattfindet,  weil  grade  die  Einwirkung  nur  augenblick- 
lich ist  und  die  Quelle  der  Wärme  sofort  verschwindet:  die  Haut  an  den  freien  Theilen 
erscheint  daher  eingeschrumpft  und  runzlieh.  Da  der  Sauerstoff  gänzlich  fehlt,  so  kann 
ein  Fortbrennen  der  Kleider  nicht  stattfinden  und  sind  in  der  Regel  dann  meist  die 
Körpertheile,  welche  mit  den  Kleidungsstücken  bedeckt  waren,  gar  nicht  verletzt. 

Die  schlagenden  Wetter  sind  fast  nur  die  Begleiter  der  sehr  bitumenreicheu  Stein- 
kohle, weshalb  hier  doppelte  Vorsicht  anzuwenden  ist  und  ohne  die  betreffenden  Vor- 
sichtsmassregeln resp.  Sicherheitslampen  nicht  gearbeitet  werden  darf.  Die  Erleuchtung 
mittels  des  elektrischen  Lichtes  würde  für  den  Betrieb  der  Steinkohlengruben  von  der 
grössten  Wichtigkeit  sein,  indem  dadurch  eine  kräftige  Beleuchtung  erzielt  und  die 
Gefahr  der  Explosion  durch  Entzündung  gauz  beseitigt  würde:  leider  spricht  hierbei 
noch  der  Kostenpunct  mit. 

Bei  gut  beaufsichtigten  Gruben  darf  der  Arbeiter  bei  der  Einfahrt  keiu  Feuer- 
zeug mitführen;  seine  Lampe  muss  durch  den  Steiger  so  verschlossen  werden,  dass  er 
sie  selbst  nicht  öffnen  resp.  anzünden  kann. 

Vor  der  Einführung  der  Davyschen  Sicherheitslampe  wurden  die  Gruben  mit 
offenen  Lichtern  befahren  und  war  daher  ein  jedes  Auftreten  von  schlagenden  Wettern 
mit  einer  Explosion  und  ihren  Folgen  verbunden.  Da  die  Dorische  Sicherheitslampe 
durch  eine  Explosion  im  Innern  des  Drahtgeflechts  erlischt,  so  wird  der  Arbeiter  auf 
die  nahe  Gefahr  aufmerksam  gemacht  und  ihm  Zeit  gelassen,  sich  aus  dem  gefährlichen 
Gasgemische  zu  entfernen 

In  den  englischen  Bergwerken  ist  die  Da  et/'' sehe  Lampe  im  ausschliesslichen  Ge- 
brauche: sie  hat  jedoch  den  Üebelstand,  dass  der  Arbeiter  zum  Anzünden  seiner  Tabaks- 
pfeife die  Flamme  durch  das  Drahtnetz  ziehen  und  auf  diese  Weise  eine  Entzündung 
der  schlagenden  Wetter  veranlassen  kann,  obgleich  das  Tabakrauchen  beim  unter- 
irdischen Bau  verboten  ist;  auch  hat  sie  eine  geringere  Helligkeit  als  die  mit  Glas- 
cylindern  versehenen  Lampen.  Die  Aufseher  bedienen  sich  meistens  der  Clan  ni/ sehen 
Lampe,  die  in  Westphalen  unter  dem  Namen  der  Hfro/d'sehen  Lampe  bekannt  ist; 
die  Ä/tfsc/e/-'sche  Lampe  ist  in  Belgien,  Westphalen  und  Schlesien  eingeführt,  welche 
zwischen  dem  Drahtkorbe  und  dem  Oelbehälter  einen  starken  Glaseylinder  und  einen 
blechernen  konischen  Rauchfang  hat;  ihr  nachgebildet  ist  die  Mmard'scke  Lampe.  Auch 
gibt  es  noch  Lampen  von  Stephenson,  Du  Mesnil,  Combes,  Eloin  u.  s.  w;  alle  diese 
Lampen  beruhen  auf  dem  von  Davy  aufgestellten  Principe.  Es  ist  nur  auflallend,  dass 
man  statt  der  Cvlinder  von  Glas  noch  nicht  solche  von  Glimmer  in  Anwendung  ge- 
bracht hat,  da  letztere  dem  Temperaturwechsel  besser  widerstehen  und  auch  minder  zer- 
brechlich sind. 

Die  Angabe,  dass  der  Barometerstand  für  die  Gefahr  resp.  für  das  Verbrennen 
der  schlagenden  Wetter  massgebend  sei,  kann  unter  gewissen  Umständen  nicht  geleugnet 
werden:  jedoch  wird  er  nie  vollkommene  Sicherheit  gewähren.  Ist  nämlich  der  Baro- 
meterstand ein  sehr  tiefer,  so  wird  auch  die  zur  Beobachtung  dienende  Lampe  erlöschen. 
Vorzügliche  Dienste  leistet  das  Barometer  nur  dann,  wenn  es  mit  einer  Lärmvorrichtung 
versehen  ist,  die  darin  besteht,  dass  beim  niedrigen  Standpuncte,  welchen  das  Baro- 
meter bei  schlagenden  Wettern  einnehmen  muss,  aus  dem  untern  Theile  des  Barometers 
Quecksilber  ausfliesst,  welches  sich  in  ein  an  einem  Waagebalken  befindliches  Näpfchen 
ergiesst,  wodurch  dasselbe  abwärts  gedrückt  wird  und  der  entgegengesetzte  Waagebalken 
bei  der  Bewegung  nach  oben  die  galvanische  Leitung  zu  einem  Lärm-  oder  Glocken- 
apparat  schliesst;  hierdurch  kommen  augenblicklich  die  miteinander  communicirenden 
Lärmapparate  in  den  Strecken,  im  Zechenhause  u.  s.  w-  in  Thätigkeit,  damit  nach  diesem 


"Wetterführung. 


331 


Warnungszeichen  sofort  die  noth wendigen  Vorsichtsmassregeln  ergriffen  werden.    Selbst- 
verständlich niuss  das  ausgeflossene  Quecksilber  sofort  wieder  ergänzt  werden. 

Auch  das  Anemometer  ist  ein  nothwendiges  Instrument  zur  Beurtheilung  der 
Witterung,  da  das  beste  Präservativ  gegen  mögliche  Gefahren  in  einer  hinreichenden 
Verdünnung  der  schlagenden  Wetter  mit  atmosphärischer  Luft,  d.  h.  in  einer  regel- 
mässigen Ventilation  der  Grubenluft  besteht. 

Der  Wetter-Indicator  von  Anselt 
Fig.  -38.  besteht  aus  einem  metallenen ,  gewöhn- 

lieh gusseisernen  Trichter,  welcher  mit 
einer  Uförmig  gebogenen  eisernen  Röhre 
versehen  ist.  An  dem  dem  Trichter 
entgegengesetzten  freien  Ende  der  Röhre 
findet  sich  eine  Messingfassung  (Fig.  38 
/>/>),  in  der  ein  kurzes  Glasrohr  (aa)  be- 
festigt ist;  das  Glasrohr  ist  oben  mit 
einer  Messingkappe  verschlossen,  durch 
welche  eine  Stellschraube  geht,  die  an 
ihrem  untern  Ende  mit  einem  Kupfer- 
draht versehen  ist  und  in  eine  Platin- 
spitze ausmündet.  Man  giesst  nur  so 
viel  Quecksilber  in  den  Trichter,  bis 
dasselbe  im  Glasrohr  emporsteigt  und 
oben  zu  sehen  ist.  Der  Trichter  wird  nun  mit  einem  Deckel  entweder  aus  Wedgewood- 
masse  oder  aus  weissem  sicilianisehem  Marmor  oder  aus  unglasirter  Fayence  ver- 
schlossen. Zur  völligen  Dichtmachung  wendet  man  noch  Siegellack  zum  Verkitten  an; 
mittels  der  Stellschraube  wird  die  Platinspitze  bis  auf  das  Niveau  des  Quecksilbers 
niedergeschraubt.  Man  verbindet  die  Stellschraube  mit  dem  einen  Pole  einer  galvani- 
schen Batterie,  in  deren  Leitung  ein  Läutewerk  eingeschaltet  ist,  und  schliesst  den  Strom 
durch  einen  zweiten  Draht,  welchen  man  um  das  Uförmig  gebogene  Rohr  wickelt.  Wird 
dieses  so  vorgerichtete  Instrument  in  eine  Atmosphäre  gebracht,  welche  Grubengas  ent- 
hält, so  dringt  letzteres  rascher  durch  den  porösen  Deckel  des  Trichters,  als  die 
atmosphärische  Luft  nach  aussen  entweichen  kann.  Dadurch  wird  das  Quecksilber  im 
Trichter  in  seinem  Niveau  herabgedrückt  und  dem  entsprechend  niuss  das  Quecksilber 
im  entgegengesetzten  Schenkel  steigen,  wodurch  es  dann  die  Platinspitze  berührt  und 
den  Strom  schliesst:  hierauf  wird  sofort  das  Läutewerk  in  Thätigkeit  gesetzt.  Je  nach 
der  Stellung  der  Platinspitze  kann  man  die  Empfindlichkeit  des  Indicators  steigern  oder 
vermindern.  *) 

Ventilation  ( Wetterführung ,  Wetterlosung)  der  Kohl  engruhen.  Die  Gase, 
welche  in  schlagenden  Wettern  enthalten  sind,  entwickeln  sich  in  manchen 
angehauenen  Kohlenflötzen  beständig  und  stellen  dann  die  sogenannten  ver- 
dünnten schlagenden  Wetter  dar.  Sie  sind  weniger  gefährlich  und  werden 
durch  eine  regelrechte  Ventilation  leicht  beseitigt;  nicht  selten  treten  jedoch  diese 
explosiven  Gase  plötzlich  beim  Anhauen  einer  Bank  auf;  es  sind  dann  die  Gase 
in  Klüfteu  und  Spalten  des  Gebirges  eingeschlossen  gewesen  und  entweichen  beim 
Zertrümmern  der  Kohle  unter  einem  eigentümlichen  pfeifenden  Geräusch.  Der 
Häuer  nennt  deshalb  ein  solches  Auftreten  der  Gase  Bläser  oder  Pfeifer.  Nach 
G.  Bischof  bestand  ein  solcher  Bläser  in  zwei  verschiedeneu  Gruben  aus 
leichtem  Kohlenwasserstoff  83,08 — 91,36,  schwerem  Kohlenwasserstoff 
1,88—6,32,  Stickgas  14,94—2,32. 

Dies  Vorkommen  ist  das  gefährlichste,  indem  sich  der  Arbeiter  urplötzlich 
in  einer  Atmosphäre  von  schlagenden  Wettern  befindet.  Da  man  im  Allgemeiuen 
nicht  gut  vorausbestimmen  kann,  wo  Bläser  sich  zeigen  werden,  so  ist  eine  Be- 
seitigung derselben  durch  Ventilation  höchst  schwierig  und  fast  unmöglich.    Das 


*)  Nach  demselben  Principe  sind  auch  Indicatoren  für  Kohlenoxyd  und  Koh- 
lensäure construirt  worden.  Letztere  sind  für  Wein-,  und  Bierkeller,  Theater, 
Schulen  u.  s.  w.,  erstere  für  Schlafstuben  bestimmt,  um  Unglücksfälle  durch  die  betreffen- 
den Gase  zu  verhüten. 


332 


Kohlenstoff. 


Vorkommen  der  Bläser  lässt  sich  höchstens  bei  verworfenem  Gestein  oder  Trüm- 
m  er  gestern  vermuthen. 

Die  Ventilation  vor  Ort,  d.  h.  an  der  Stelle  der  Förderung,  wo  der  Hauer 
beschäftigt  ist,  mittels  Schläuche  hat  ihre  grossen  Nachtheile,  da  sie  den  Arbeiter  einer 
beständigen  Zugluft  aussetzt,  welche  nothwendig  heftige  rheumatische  Leideu  zur  Folge 
haben  muss. 

Häutig  sammeln  sich  die  schlagenden  Wetter  in  den  verlassenen  Stollengängen 
und  Fahrten  au;  es  ist  dann  eine  Ventilation  oder  ein  Verschliessen  mittels  Wetter- 
thiiren  augezeigt.  Bei  einer  Grubenbesichtigung  ist  besonders  das  Befahren  des  ..alten 
Mannes  ",<1.  1k  des  alten  verlassenen  Schachtes,  mit  grosser  Vorsicht  auszuführen  und 
sollte  nie  ohne  vorgehende  Ventilation  geschehen. 

Für  Bergwerke  muss  wenigstens  ein  Luftquantum  von  Ü00  C.-F.  pro  Stunde  ver- 
langt werden,  welches  unter  Umständen,  namentlich  beim  Sprengen  u  s.  w  ,  noch  be- 
deutend  zu  vermehren  ist.  In  den  Strecken  muss  sich  die  Luft  mit  einer  Geschwindig- 
keit von  3— 4Fuss  in  der  Secunde  bewegen,  wenn  man  auf  einen  Erfolg  der  Ventilation 
rechnen  soll. 

Die  Ventilation  wird  im  Allgemeinen  am  besten  durch  gemauerte  Kokswetter- 
öfen  ausgeführt,  die  einen  korbähnlichen  Rost  haben  und  am  obern  Theile  des  Förder- 
schachts,  im  sogenannten  Wetterschacht,  angebracht  sind.*)    Sie  haben  einen  Durch- 

Fig.  39. 


messer  von  ca.  5  Fuss  und  eine  Höhe  von  10— 12Fuss;  die  Asche  fällt  auf  eine  schiefe 
Ebene,  von  der  sie  nach  der  entgegengesetzten  Seite  des  Schachtes  in  einen  Querschlag 


*)  In  Preussen  ist  auf  jedem  Bergwerke,  wo  nicht  ausschliesslich  Stollen  oder 
einfallende  Strecken  zur  Befahrung  dienen,  ein  von  allen  Puncten  der  Grube  erreich- 
barer und  mit  Fahrten  versehener  Schacht  gesetzlich  vorgeschrieben.  Dient  der  Fahr- 
schacht auch  zu  andern  Zwecken  (Förderung,  Wetterführung),  so  ist  er  derartig  abzu- 
scheiden, dass  die  Fahrenden  vor  Beschädigung  geschützt  sind.  Jede  Grube  sollte 
aber  mit  zwei  fahrbaren  Ausgängen  versehen  sein,  welche  von  allen  Arbeitsstellen  aus 
zu  erreichen  sind,  um  bei  der  Unwegsamkeit  des  einen  Schachtes  sofort  von  dem  andern 
Gebrauch  machen  zu  können. 


Wetterführung.  333 

sich  entleert,  wo  sie  mit  Wasser  gelöscht  wird.  Die  Füllung  geschieht  von  oben  mittels 
eines  Trichters,  während  die  Verbrennungs  wärme  in  den  Wetterschacht  dringt  und  einen 
lebhaften  Luftzug  bewirkt. 

In  England  unterhält  man  in  den  meisten  Gruben  ein  offenes  Feuer  auf  einem 
6  Fuss  langen  und  breiten  Roste  (Fig.  39  «),  dessen  Gase  in  einen  grossen  Canal  nach 
dem  Wetterschacht  (6)  hin  abströmen  und  so  die  Luft  des  Fahrschachtes  nach  sich 
ziehen.  Der  ganze  Ofen  steht  in  einem  6  Fuss  hohen  Ziegelsteingewölbe;  mittels  eines 
besondern  Querschlags  (Fig.  40  <-)  gelangt  man  zur  Feuerung.13) 

Bisweilen  wird  auch  der  Maschinenkamin  zum  Wettern  benutzt;  gut  angelegte 
Wetteröfen  haben  aber  den  Vorzug,  dass  sie  die  grösste  Menge  Luft  in  Bewegung  zu 
setzen  vermögen.  Die  Schattenseiten  dieser  Ventilationsmethode  sucht  man  namentlich 
in  der  Unsicherheit  und  Gefährlichkeit  der  Wirkung  bei  schlagenden  Wettern  und  beim 
Gruben brancl.  Solche  Wetteröfen  wird  man  aber  stets  nur  in  der  obern  Etage  des 
Förder-  oder  Wetterschachtes  anbringen,  wo  die  brennbaren  Gase  hinreichend  mit 
atmosphärischer  Luft  verdünnt  sind. 

Das  Belgische  Polizei-Reglement  vom  1.  März  1850,  nach  welchem  die  Anlage 
von  Wetteröfen  in  Gruben  mit  schlagenden  Wettern  verboten  ist,  kann  nur  da  eine  Be- 
deutung haben,  wo  die  Gruben  frisch  angebaut  sind  und  der  in  der  Strecke  befindliche 
Abbau  vor  Ort  so  nahe  den  Wetteröfen  liegt,  dass  eine  hinreichende  Luftmischung  mit 
den  schlagenden  Wettern  unmöglich  ist. 

Mechanische  Ventilation  durch  Ventilatoren  kommen  mehr  bei  den  schlechten 
Wettern  zur  Anwendung;  ihre  Wirkung  ist  aber  niemals  so  contimuirlick  wie  die  der 
Wetteröfen:  in  England  benutzt  man  auch  vielfältig  die  Fördermaschine  gleichzeitig 
zur  Ventilation.  Bisweilen  wendet  man  noch  die  sogenannten  Wetterlatten,  d.  h. 
hölzerne  viereckige  Canäle  an,  welche  im  Förderschacht  abwärts  geführt  werden,  um  die 
frische  Luft  in  die  Grube  zu  leiten. 

Es  muss  wiederholt  betont  werden,  dass  behufs  Zuleitung  frischer  Luft  besondere 
Wetterscha chte  stets  den  Vorzug  verdienen,  denn  sie  tragen  zur  Vertheuerung  des 
Grubenbaues  nicht  bei,  da  sie  stets  noch  als  Fahr-  oder  Förderschachte  benutzt  werden 
können   (s.  S.  201). 

Die  Ventilation  durch  Pnlsion  hat  übrigens  den  Nachtheil,  dass  durch  das  Ein- 
strömen von  kalter  Luft  in  die  warme  Grubenluft  das  verdampfte  Wasser  in  Nebel- 
bläschen niederfällt;  diese  können  die  Beleuchtung  sehr  benachtheiligen  und  auf  die 
Kleider  der  Grubenarbeiter  so  reichlich  niederfallen,  dass  sie  ganz  durchnässt  werden; 
die  einströmende  Luft  muss  deshalb  in  der  kältern  Jahreszeit  vorher  in  derselben  Weise 
erwärmt  werden,  wie  dies  in  Hospitälern  geschieht. 

Die  ältesten  Einrichtungen  der  mechanischen  Ventilation,  die  Kolben-  und 
Glockenmaschinen,  sind  in  den  neuesten  Gruben  durch  Wetterräder  verdrängt 
worden  Die  Wetterräder  oder  rotirenden  Kolbengebläse  von  Fubry  und  Lunielle  sind 
die  verbreitetsten. 

Von  den  Centrif ugalventilatoren  sind  die  von  Dinnendahl  oder  Hittinger, 
Lambert,  Gallez  und  Guthat  sehr  bekannt  und  unterscheiden  sich  nur  durch  die  ab- 
weichende Form  und  Stellung  der  Flügel.  Die  Guibal-  und  Gr<//er'schen  Ventilatoren 
sind  in  Belgien  patentirt  und  geschlossene  Ventilatoren,  indem  sie  von  einem  ge- 
mauerten Mantel  umgeben  sind,  aus  welchem  die  angesaugte  Grubenluft  nur  an  einer 
Stelle  durch  einen  Blasenhals,  wie  bei  den  Druckventilatoren  ,  in  einen  kleinen  Schorn- 
stein entweichen  kann.  Der  Gtiibarsche  Ventilator  ist  von  allen  Ventilatoren  der  wirk- 
samste. Das  Princip  der  Centrifugalventilatoren  beruht  im  Allgemeinen  darauf,  einer- 
seits von  einem  Orte  die  schlechten  Wetter  weg-  und  andererseits  frische  Luft  ein- 
zuführen. 

Die  Nachtheile  der  Centrifugalventilatoren  bestehen  in  der  grossen  Geschwindig- 
keit der  Umdrehungen,  wodurch  schnelle  Abnutzung  oder  Brüche  der  Achse  u.  s.  w. 
entstehen,  in  dem  möglichen  Zerspringen  oder  Ausfliegen  der  Flügel,  wodurch  für  die 
Arbeiter  tödtliche  Verletzungen  entstehen  können,  und  in  dem  bedeutenden  Kraftauf- 
wande,  welcher  zum  Betriebe  dieser  Maschine  erforderlich  ist. 

Saugende  Ventilatoren  wirken  bei  den  durch  schlagende  Wetter  herbeigeführ- 
ten Explosionen  am  kräftigsten  ein  und  sind  hier  unentbehrlich,  da  sie  auch  den  Nach- 
schwaden (alter  damp),  d  h.  den  feinen  leichten  Russ,  am  raschesten  von  der  Be- 
legungsmannschaft wegführen.  Hier  sind  die  Respirationsschläuche  zum  Aufsuchen 
der  verunglückten  Mannschaft  am  Platze.1') 

Der  zu  diesem  Zwecke  von  Rourjuairol.  und  Dr-riayroiw  construirte  Apparat  hat 
allseitige  Anerkennung  gefunden,  da  er  nicht  bloss  in  irrespirablen  Gasen,  sondern  auch 
in  Taucherglocken  benutzt  werden  kann.  Der  Bergmann  trägt  auf  seinem  Rücken 
einen  mit  Luft  versehenen  Regulator  von  Stahlblech,  der  mittels  eines  Schlauches  mit 
einer  Luftpumpe  in  Verbindung  steht    und    beständig   mit  frischer  Luft   gespeist  wird; 


334  Kohlenstoff. 

auch  kann  man  diesen  Regulator  in  ähnlicher  Weise  mit  einem  Reservoir  verbinden, 
das  mit  comprimirter  Luft  gefüllt  ist  und  mehrere  Arbeiter  mit  Luft  versorgen  kann. 
Während  die  Nase  verschlossen  ist,  geht  vom  Munde  aas  ein  mittels  eines  Mundstücks 
von  Kautschuk  laftdichl  angeschlossener  Schlauch  zum  Regulator,  welcher  den  Austritt  der 
Bxspirationslufl  mittels  eines  Ventils  gestattet;  letzteres  schliesst  sich  wieder  bei  jeder 
Expiration.  Wichtig  isl  noch,  dass  der  Regulator  auch  eine  Sicherheitslampe  speist 
and  auf  diese  Weise  die  Beleuchtung  aichl  gestörl  ist.  Man  kann  diese  Erfindung  zu 
den  wichtigsten  unseres  Jahrhunderts  zählen,  da  sie  aoeh  eine  sehr  vielseitige  Verwen- 
dung gestattet  and  namentlich  auch  die  Arbeiten  unter  Wasser  in  technischer  und 
anitärej    B     iehung  sehr  erleichtern  wird. 

Beaufsichtigung  der  Gruben.  In  England  sind  von  der  Regierung  Berg- 
iuspectoren  für  die  Beaufsichtigung  der  Gruben  angestellt;  ihre  Zahl  reicht 
alicr  für  England  und  Schottland  nicht  aus,  auch  ist  ihre  Einwirkung  keine 
directe,  da  sie  in  bergpolizeilicher  Beziehung  keine  Anordnungen  zu  treffen  haben. 
Ihre  Befugniss  besteht  darin,  dass  sie  bei  ihren  Befahrungen  vorgefundene  Unord- 
nungen, z.  B.  einen  mangelhaften  Holzbau,  eiue  unzureichende  Wetterführung  etc. 
rügen  und  auf  die  Mängel  aufmerksam  machen.  Bei  Unglücksfällen  sind  sie  ver- 
pflichtet, die  Veranlassung  derselben  zu  untersuchen,  eventuell  durch  ihr  Gut- 
achten eine  gerichtliche  Verfolgung  und  Bestrafung  einzuleiten.15) 

Sie  haben  im  Allgemeinen  die  Aufrechthaltung  der  gesetzlichen  Vorschriften  zu 
überwachen.  Das  Gesetz  vom  28.  August  1 860  (Act  for  the  regulation  and  inspection 
tit  Mines,  -X.  1.  2.  '■',.}  enthält  15  allgemeine  Vorschriften  (general  Rules'.  welche  sich  auf 
die  Wetterung,  Sicherheitslampe,  die  Umzäunung  und  Verzimmerung  der  Schächte,  die 
Oonstruction  der  Dampfmaschine  u.  s.  w  erstrecken.  Ausserdem  müssen  aber  noch 
specielle,  für  jedes  Bergwerk  angepasste  Regeln  (special  Rules)  entworfen  und  von  der 
Staatsbehörde  bestätigt  werden.  Der  Coal  Mines1  Regulation  Act  1872,  berück- 
sichtigt hauptsächlich  die  Arbeit  der  Kinder  (s.  S.  26). 

In  Prenssen  treffen  neben  dem  Gesetze  auch  die  Oberbergämter  Anordnungen 
und  selbst  der  Revierbeamte  ist  befugt,  bei  dringender  Gefahr  sofort  den  Betrieb  eines 
Bergwerkes  einzustellen. 

Wie  in  England  die  für  die  einzelnen  Bergwerke  erlassenen  und  von  der  Behörde 
genehmigten  Specialvorschriften  bezüglich  der  Wetterführung  und  des  Gebrauchs  der 
Sicherheitslampe  sehr  genaue  Bestimmungen  enthalten,  so  sind  es  in  Preussen  die  ver- 
schiedenen Oberbergämter,  welche  die  speciellen  Polizeiverordnungen  erlassen.  So 
bat  das  Oberbergamt  zu  Dortmund  unterm  24.  März  1846  eine  besondere  Instruction 
über  das  Verhalten  bei  schlagenden  Wettern  und  die  Behandlung  der  Sicherheitslampen 
für  Westphalen  veröffentlicht.16) 

Das  Berggesetz  vom  24.  Juni  1865  (G.-S.  S.  237)  verbietet  in  Preussen  die 
unterirdische  Arbeit  der  Frauen,  während  die  §§  128—131  der  Gewerbeordnung 
vom  21.  Juni  1869  im  Allgemeinen  für  die  Beschäftigung  der  Kinder  mass- 
gebend sind. 

Eine  Circ-Verfügung  vom  28  August  lw53  schrieb  schon  ausdrücklich  vor,  dass 
bei  einer  Beschäftigung  jugendlicher  Arbeiter  in  dauernd  gebückter  Stellung  stets  solche 
Vorkehrungen  zu  treffen  sind,  die  einer  Verkrümmung  des  Rückgrats  oder  sonstigen 
Nachtheilen    vorzubeugen    im    -  sind;    namentlich  wurde   auch  das  „Haspelziehen" 

und  „Karrenlaufen"  durch  Circ-Verfügung  vom  12.  Augast  1854  für  Arbeiter  vor 
vollendetem  16.  Lebensjahre  verboten.  Ausnahmen  sind  nur  bei  gesundem  Gruben- 
baue  einiger  metallischer  Bergwerke  und  !>eim  Steinsalzbergwerk  zu  Stassfurth  gestattet. 

Frauenarbeit  in  Gruben  i^t  in  England  seit  dem  Jahre  1841  verboten:  nur 
in  Belgien  kann  diese  Unsitte  noch  nicht  ausgerottet  werden,  obgleich  das  Gutachten 
der  mediemischen  Academie  zu  Brüssel  schon  im  Jahre  1869  auf  die  zahlreichen  Früh- 
und  Fehlgeburten  hingewiesen  hat,  welchen  Frauen  bei  dieser  Arbeit  unterworfen  sind.17) 

Die  sanitären  Verhältnisse  der  Kohlengruhenarbeiter.  Es  kommen  hier  vor- 
zugsweise drei  Puncte  in  Betracht:  1)  der  Aufenthalt  in  den  Gruben,  2)  die  Art 
der  Beschäftigung  und  3)  die  sociale  Stellung  der  Kohleugrubenarbeiter. 

ad  1)  Die  Atmosphäre  in  den  Gruben  ist  vorherrschend  eine  feucht- 
warme, deren  Nachtheile  sich  bei  den  Arbeitern  geltend  machen  muss  (siehe 
S.  178).     Die  Temperatur  hängt  von  der  Tiefe  der  Gruben  ab,  wird  aber  durch 


Kohlengrubenarbeiter.  335 

die  Ventilation  und  die  dadurch  beschleunigte  Verdunstung  des  Wassers,  welches 
mehr  oder  weniger  aus  den  Spalten  der  Wände  sickert,  stets  herabgesetzt;  die 
höchsten  Temperaturgrade  können  30 — 32°  C.  betragen. 

Die  Arbeiter  leben  dann  nicht  bloss  in  einer  warmen  Luft,  sondern  auch  unter 
erhöhtem  Luftdrücke,  wodurch"  oft  die  Verdunstung  durch  Respiration  und  Per- 
spiration ganz  bedeutend  beeinträchtigt  und  die  innere  Erhitzung  gefördert  wird.  Auf 
dem  vermehrten  Luftdrucke  und  der  absoluten  Sättigung  der  Luft  mit  Wasserdampf 
beruht  der  grosse  Unterschied  zwischen  der  überirdischen  Arbeit  im  warmen  Sommer 
und  der  in  der  Grubenluft,  ein  Zustand,  welcher  auch  in  der  Taucherglocke  vorkommt 
und  bereits  hervorgehoben  worden  ist  (s.  S.  190).  Manche  Fälle  von  angeblicher 
Asphyxie,  welche  man  lediglich  den  matten  oder  bösen  Wettern  untergeschoben  hat, 
werden  sicher  durch  diese  "Verhältnisse  bedingt  und  zu  einer  Art  von  Hitzschlag  zu 
rechnen  sein. 

Bei  Gewitterluft  leiden  bekanntlich  die  Grubenarbeiter  am  meisten,  weil  alsdann  alle 
Wetter  matt  werden,  d.  h.  ohne  Circulation  sind,  was  oft  in  einer  ungünstigen  Differenz 
zwischen  dem  spec.  Gewichte  der  äussern  und  innern  Luftschichten  seinen  Grund  hat. 
Wenn  nämlich  die  äussere  Luft  heisser  als  die  innere  ist,  so  findet  schliesslich  ein  Still- 
stand der  Wetterung  statt,  besonders  wenn  kein  Wind  vorhanden  ist;  tief  in  der  Erde 
vermögen  dann  die  Bergleute  durch  ein  starkes  Oppressionsgefühl  auf  der  Brust, 
Schwere  in  den  Gliedern  und  ein  gesteigertes  Unbehagen  das  Herannahen  eines  Ge- 
witters vorherzusagen.  Die  Asphyxia  fossorum,  d.h.  der  durch  matte  oder  schlechte 
Wetter  hervorgerufene  Scheintod,  kann  unter  diesen  Verhältnissen  am  ehesten  sich  er- 
eignen; erfahrungsgemäss  bilden  sich  auch  im  Hochsommer  in  ßraunkohlengruben 
vorzugsweise  böse  Wetter.18) 

In  Kohlengruben  ist  der  Zusammenhang  zwischen  der  Witterung  und  den 
Explosionen  statistisch  nachgewiesen  worden;  wenn  das  Barometer  fällt  und  das 
Thermometer  steigt,  so  ist  die  kräftigste  Ventilation  erforderlich,  um  die  Ansammlung 
explosiver  Gase  zu  verhüten;  beim  verminderten  Luftdruck  wird  nämlich  der  leichte 
Kohlenwasserstoff  aus  den  Kohlen  leichter  entweichen  und  nach  den  Strecken  hin  aus- 
strömen, so  dass  eine  grössere  Ansammlung  der  Gase  eine  nothwendige  Folge  ist. 

Die  grösste  Feuchtigkeit  findet  sich  in  den  Braunkohlengruben,  daher  sich 
die  Arbeiter  beständig  in  einem  feuchten  schwarzen  Schmutze  bewegen.  Ist  der  Arbeiter 
erhitzt  oder  trieft  er  von  Schweiss,  so  wird  er  von  dem  beständigen,  durch  die  Wetterung 
veranlassten  Zug,  welcher  in  den  Braunkohlengruben  wegen  der  matten  Wetter  stets 
erforderlich  ist,  höchst  unangenehm  berührt;  rheumatische  Leiden  aller  Art  müssen  die 
nothwendigen  Folgen  dieser  veränderlichen  Temperatur  sein. 

Eine  nachtheilige  Einwirkung  des  verwesenden  Holzes  kann  kaum  ange- 
nommen werden,  da  es  nicht  sehr  lange  stehen  bleibt  und  beim  Abbau  wenigstens 
zu  %  wieder  gewonnen  wird;  nur  wenn  sich  massenhafte  Pilzbildung  auf  demselben 
zeigt,  kann  der  Kohlensäuregehalt  der  Luft  vermehrt  werden. 

Die  Verbrennungsproducte  des  Geleuchtes  können  um  so  mehr  zur  Verschlech- 
terung der  Luft  beitragen,  _  je  schlechter  das  Beleuchtungsmaterial  ist;  ausser  der 
Kohlensäure  ist  es  namentlich  der  Russ  der  Oellampen,  welcher  die  Respiration  be- 
lästigt und  das  Schwarzspucken  veranlasst.  Der  Versuch,  Petroleum  in  den  Gruben 
als  Beleuchtungsmaterial  einzuführen,  soll  sich  bewährt  haben. 

Am  meisten  wird  die  Grubenluft  durch  die  üble  Sitte  der  Grubenarbeiter,  sich 
ihrer  Dejectionen  in  den  Strecken  zu  entledigen,  verdorben;  an  einzelnen  Stellen  ent- 
steht deshalb  ein  ekelhafter  Gestank,  durch  den  die  Luft  gradezu  verpestet  wird. 
Man  hat  diesem  in  sanitärer  Beziehung  höchst  wichtigen  Uebelstande  noch  immer  nicht 
die  ausreichende  Aufmerksamkeit  geschenkt,  obgleich  vielfach  die  "Vorschrift  eingeführt 
ist,  in  den  Strecken  keine  Dejectionen  zu  deponiren;  nur  die  Durchführung  solcher  An- 
ordnungen geschieht  nicht  mit  der  erforderlichen  Strenge. 

Bei  epidemischen  Krankheiten,  namentlich  bei  Choleraepidemien,  sind  die 
Choleradejectionen  der  zuerst  Erkrankten  möglicherweise  nicht  ohne  Einfluss  auf 
die  Verbreitung  der  Krankheit  bei  der  Belegschaft.  Die  Beobachtungen  von  Rachel, 
welche  er  im  Jahre  1866  über  die  Cholera  an  der  Grube  „Zollverein"  bei  Essen  gemacht 
hat,  liefern  einen  Beleg  hierfür.19)  Die  Grube  selbst  stellte  sich  als  die  Quelle  der  Er- 
krankung dar,  indem  die  ersten  Erkrankungen  im  Schachte  selbst  auftraten  und.  auch 
späterhin  die  Arbeiter  meist  krank  daraus  hervorkamen.  Von  600  Arbeitern  erkrankten 
in  5  Tagen  130  und  zwar  %  davon  in  der  Grube,  so  dass  diese  längere  Zeit  geschlossen 
werden  musste  und  erst  nach  erfolgter  Desinfection  befahren  werden  durfte. 

Aehnliche  Beobachtungen  in  Oberschlesien  haben  die  Thatsache  bestätigt,  dass 
die  Zersetzungsproducte  der  Fäcalmassen,  namentlich  bei  hoher  Temperatur,  der 
Verbreitung  der  Cholera  Vorschub  leisten.    Durch  Einführung  eines  geregelten  Fässer- 


336  Kohlenstoff. 

svstems    in  der   Nähe  des   Wettersehachtes    wurde    man    diesen   Ungehörigkeiten    am 
sichersten  vorbeugen. 

Auch  int ermitt irende  und  typhöse  Fieber  walten  hei  den  Grubenarbeitern 
vor;  ganz  besonders  findet  sich  bei  den  neuen  Grubenarbeitern  eine  grosse  Disposition 
zu  diesen  Krankheiten,  bis  Bie  sich  im  Verlaute  der  Zeit  gleichsam  acclimatisirt  haben,  da 
bekanntlich  einigermassen  auch  «ine  Gewöhnung  an  schädliche  Einflüsse  stattfinden  kann. 

ad  2)  L>ie  Art  der  Beschäftigung  schliesst  viele  Nachtheile  in  sich; 
beim  Aufschliessen  der  Mineralien  bildet  sich  ein  von  deren  Natur  abhängiger 
Staub;  so  kann  Quarz,  Sandstein,  Schieferthon  u.  s.  w.  einen  mehr  oder  weniger 
gefährlichen  Staub  erzeugen.  Er  entsteht  hauptsächlich  hei  der  Arbeit  mit  der 
Keilhaue,  bei  Bohr-  and  Sprengarbeit;  der  kieselhaltige  Staub  ist  erfahrungs- 
gemäss  überall  der  gefährlichste  und  sollte  auch  in  Bergwerken  durch  die  kräf- 
tigste Ventilation  unschädlich  gemacht  werden.  In  vielen  Kohlengraben  enthält 
die  Atmosphäre  vorwiegend  Kohlen-  und  Schieferstaub. 

Der  Kohlenstaub  verursacht  das  sogenannte  Schwarzspucken:  in  Braun- 
kohlengruben verhindert  die  Feuchtigkeit  die  Staubbildung:  Schwarzspucken  kann  hier 
nur  vom  Russe  des  schlechten  Geleuchts  herrühren,  obgleich  in  Steinkohlengruben  auch 
diese  Ursache  nicht  ausgeschlossen  ist.  Mikroskopisch  kann  man  ganz  gut  unterschei- 
den, ob  die  Grubenarbeit  oder  das  Geleucht  die  Ursache  des  Schwarzspnckens  ist.  Im 
erstem  Falle  findet  mau  stets  schwarze,  glänzende  krystalliniscbe  Partikelchen,  während 
man  im  zweiten  Falle  schwarze  Streifen  oder  Fäden  beobachtet. 

Das  Schwarzspucken,  von  Stratton  zuerst  Anthracosis  pulmonum  ge- 
nannt, entsteht  durch  Ansammlung  von  Kohlenpartikelehen  in  den  Respirationswegen; 
ist  dieselbe  massig,  so  entsteht  keine  besondere  Krankheit,  da  gesunde  Lungen  den 
Kohlenstaub  täglich  aaswerfen;  bei  schwächlichen  Individuen  häufen  sie  sich  nicht 
selten  in  den  Lungenwegen  an.  begünstigen  aber  nach  den  Beobachtungen  von  Kuhhorn 
uicht  die  Tubereulose;  letztere  ist  überhaupt  bei  Kohlengrubenarbeitern  verhältniss- 
mässig  selten.'-") 

£s  ist  aber  vollständig  begründet,  dass  durch  die  vorherrschenden  schädlichen 
Einflüsse  (Grubenatmosphäre,  Staub  chronische  Lungenkatarrhe  entstehen,  welche 
dann  leicht  zu  Volumszunahme  und  Emphysem  der  Lunge  mit  den  bekannten 
asthmatischen    Leiden    (Miner's    asthmaj    führen.    Mehr   oder  weniger  ist   mit 

Krankheitszuständen  stets  das  S<  hwarzspucken  verbunden  und  grade  bei  Kohlen- 
grubenarbeitern findet  man  häufig  bei  der  Section  die  ganz  schwarze  Färbung  der 
Lungen,  welche  anfangs  mit  sepiaartigen  Flecken  auftritt,  aber  allmählig  immer  allge- 
meiner wird  schliesslich  das  ganze  Lungenparenchym  pechschwarz  erscheint, 
aus  dessen  Einschnitten  eine  schwarze,  die  Finger  färbende  Flüssigkeit  ausfliesst.  Auch 
entdeckt  man  bisweilen  durch  das  Mikroskop  in  kleinen  hanfkorngrossen  Knötchen 
Kohlensplitterchen.  Meistens  ist  dabei  die  Oberfläche  der  Lunge  mit  hanfkorn-  bis 
kirschs  _  äsen  erweiterten  Lungenbläschen  besetzt,  die  nicht  selten  mit  dem  flüssigen 
Farbstoff  angefüllt  sind. 

Bekanntlich  können  geringere  Grade  dieser  Anthracosis  pulmonum  das 
ganze  Leben  hindurch  bestehen,  ohne  dass  sich  auffallende  Krankheitssymptome  kund 
geben:  es  gesellen  sich  aber  Beklemmung,  Dyspnoe  und  die  übrigen  Erscheinungen  von 
Asthma  hinzu,  wenn  das  Leiden  den  Eöhepunct  erreicht,  der  Auswurf  reichlich. 
dankelschwarz  wie  Dinte  wird  und  die  mechanischen  Infiltrationen  Lungenemphysem 
hervorgerufen  haben.  Die  secundären,  in  der  gestörten  Blutbildung  beruhenden 
Zustände  bleiben  dann  nicht  aus,  so  dass  bei  gänzlich  gestörter  Verdauung  die  all- 
gemeine Schwäche  immer  mehr  zunimmt  und  unter  hydropischen  Erscheinungen  der 
Tod  eintritt 

men  Grade  kommen  aber  nicht  häutig  vor:  überhaupt  hat  man  bei 
den  deutschen  Grubenarbeitern  selten  Gelegenheit,  die  Krankheitsbilder  zu  beobachten, 
welche  von  englischen  und  belgisch)  n  Schriftstellern  geschildert  werden.  In  England 
ist  auch  statistisch  nachgewiesen  worden,  da^>  von  100  gestorbenen  Grubenarbeitern 
53  A<-.\\  Affectionen  der  Brustorgane  und  47  dem  spezifischen  Asthma  erläge 

Von  der  Anthracose  ist  die  Pneumomelanosis  wohl  zu  unterscheiden, 
welche  in  einem  pathologischen  Processe  beruht:  in  dem  damit  verbundenen  Auswurfe 
können  ächte  Pigmentzellen  nachgewiesen  werden:  auch  eine  Complication  von 
Anthracose  mit  Pneumomelanosis  ist  nicht  ausg  -  äsen.  Hierüber  muss  die  mikro- 
skopische Untersuchung  Aufschluss  geben;  man  findet  entweder  Kohlensplitter  oder 
Pigmentzellen;  die  Kohle  widersteht  allen  chemischen  Einflüssen,  während  eigentliches 
Pigment  durch  concentrirte  Salpetersäure  unter  Zersetzung  aufgelöst  wird.    Die  Anthra- 


Kohlengrubenarbeiter.  337 

cose    kann    sich    ferner  mit  Bronchitis,    chronischer  Pneumonie  und  Tuberculose  com- 
pliciren,  wodurch  das  Krankheitsbild  natürlich  mannigfache  Modifikationen  erleidet. 

Herzleiden  sind  ebenfalls  vorwaltend  bei  Grubenarbeitern  constatirt 
worden;  sie  hängen  einestheils  mit  den  Circulationsstörungen  in  den  Lungen  und 
anderntheils  auch  mit  vielfachen  rheumatischen  Leiden  oder  zu  grossen  körper- 
lichen Anstrengungen  zusammen.  Was  man  Anaemie  der  Bergleute  (Olig- 
aemia  montana)  genannt  hat,  wird  schon  von  altern  deutschen  Schriftstellern  als 
Bergsucht  geschildert,  eine  Krankheit,  welche  als  Blutarmuth  aufzufassen  ist  und 
vorzugsweise  bei  Jüngern  Leuten,  seltner  in  den  spätem  Jahren  auftritt.  Dass 
die  ungesunde  Grubenluft  nebst  unvollständiger  Ernährung  die  Hauptveranlassung 
dieser  Krankheit  ist,  dürfte  keinem  Zweifel  unterliegen;  sie  ist  aber  keine  Eigen- 
thümlichkeit  der  Kohlengruben,  sondern  kommt  auf  allen  Bergwerken  vor,  wenn 
die  genannten  Schädlichkeiten  einwirken.  Dass  diese  übrigens  verschiedener  Art 
sein  können,  beweist  der  Vorfall  in  einer  Gallerie  der  Kohlengruben  zu  Anzain, 
in  der  sich  auf  eine  unaufgeklärt  gebliebene  "Weise  neben  Kohlensäure  Schwefel- 
wasserstoff entwickelt  hatte;  hierdurch  war  ebenfalls  die  Entwicklung  von 
Oligaemie  veranlasst  worden.23) 

Unglücksfälle  ereignen  sich  am  meisten  durch  Stein-  und  Kohlenfälle24);  die 
ganze  Art  und  Gefahr  der  Beschäftigung  muss  auch  nothwendig  mannigfache  Verletzungen 
im  Gefolge  haben;  die  traumatische  Blindheit  ist  keine  seltene  Krankheit  unter 
den  Bergleuten ;  schon  in  Folge  der  staubigen  Atmosphäre,  in  der  sie  leben,  sind  sie  zu 
vielfachen  Augenaffectionen  disponirt.  Rücken-  und  Kreuzschmerzen  hängen  mit 
der  gebückten  Arbeitsstellung  zusammen  und  wurzeln  nicht  selten  in  Entzündung  der 
Muskeln,  Aponeurosen  und  des  Periost  der  Kreuz-  und  Lendengegend.  Hvdarthrus, 
Tumor  albus  und  Coxalgie  mögen  vielfach  das  Hinken  verschulden,  das  in  England  in 
den  Grafschaften  Derbyshire  und  Yorkshire  unter  den  Kohlenarbeitern  besonders  häufig 
sein  soll. 

Verkrümmungen  der  Füsse  und  Erschlaffung  der  Kniegelenkbänder  (Genu  valgum), 
wie  sie  auch  in  Fabriken  häufig  vorkommen,  bilden  sich  gewöhnlich  bei  schwächlichen 
Individuen  aus,  wenn  denselben  schon  in  der  frühesten  Jagend  grosse,  ihre  Körper- 
kräfte übersteigende  Anstrengungen  zugemuthet  werden;  ebenso  erklärlich  ist  es,  dass 
man  bei  Bergleuten  überhaupt  leicht  Verhärtungen  der  Epidermis  an  Knie  und  Ellen- 
bogen antrifft,  da  diese  Körperstellen  bei  der  Arbeit  einem  anhaltenden  Drucke  aus- 
gesetzt werden. 

Zu  den  sehr  schädlichen  Einflüssen  gehört  auch  das  Schiessen  und  Sprengen, 
welches  in  Braunkohlengruben  geschieht,  um  die  zähen  Thonmassen  zu  zerklüften;  in 
Steinkohlengruben  löst  man  dadurch  das  taube  Gestein  oder  blac  band*).  Beim 
Sprengen  im  Allgemeinen  darf  die  Besetzung  nie  mit  eisernen  Instrumenten  eingeführt 
werden,  auch  darf  die  Raumnadel  nicht  von  Eisen  sein;  in  Preussen  ist  ihre  Construc- 
tion  aus  Kupfer  vorgeschrieben.  Beim  Schiessen  sind  es  die  Pulvergase,  welche 
in  den  Strecken  liegen  bleiben  und  höchst  nachtheilig  auf  die  Arbeiter  einwirken 
(s.  Schiesspulver). 

Die  Braunkohlen  enthalten  höchst  fein  vertheilten  Schwefelkies,  der  leicht 
Selbstentzündung  resp.  Grubenbrand  veranlassen  kann  und  dann  die  sogenannten 
Stäub  er  erzeugt,  wobei  das  Verbrennen  der  empyreumatischen  Stoffe  einen  unangeneh- 
men Geruch  _  und  gleichzeitig  eine  heftige  Reizung  der  Augen  erzeugt;  am  gefährlichsten 
sind  aber  die  andern  Verbrennungsproducte,  wie  Kohlenoxyd  und  Kohlensäure; 
weit  ausgedehnte  Grubenbrände  können  aus  dieser  Ursache  entstehen. 

Schiessen  in  Braunkohlengruben  ist  ganz  besonders  beachtungswerth  und  muss 
mit  der  grÖssten  Vorsicht  ausgeführt  werden;  auch  der  geringste  Brand  muss  sogleich 
gelöscht  werden,  damit  nicht  die  gefährlichen  Verbrennungsproducte  die  Gesundheit  und 
aas  Leben  der  Arbeiter  bedrohen.  Jenes  geschieht  am  sichersten  durch  Schliessen  der 
Gruben  und  Einwerfen  von  brennenden  Schwefelfäden  oder  auch  durch  Isolirung  der 
brennenden  Stellen  durch  Abdämmen  und  Ausmauern  ganzer  Strecken.**) 


*)  Blac  band  wird  auf  Eisen  und  Phosphorsäure  bearbeitet. 

**)  Bituminöser     Kupferschiefer,    welcher    im    Mansfeld'schen    häufig    vor- 
kommt, ist  ebenfalls  leicht  zur  Selbstentzündung  geneigt,  weil  er  höchst  fein  vertheilten 
Kupfer-    und   Schwefelkies    enthält,    wodurch  sehr  leicht  Grubenbrände  ohne  eine  Ent- 
Eulenberg,  Gewerbe-Hygiene.  22 


338  Kohlenstoff. 

In  Steinkohlengruben  sind  die  Brände  seltner  und  entstehen  nur  durch  Ent- 
zündung der  schlagenden  "Wetter.  Die  Arbeiter  unterliegen  hier  den  heftigsten  Con- 
tusionen  und  Verbrennungen  oder  der  Intoxication  durch  die  massenhaft  sich  bildende 
Kohlensäure,  wenn  nicht  eine  mechanische  Verstopfung  der  Luftwege  durch  den 
Russ  (den  sogenannten  after-damp)  den  Tod  bedingt.  Ein  schwarzer,  schleimig  und 
sandig  anzufühlender,  schmieriger  und  theerartiger  Brei  kann  sich  nämlich  von  der  Luft- 
röhre bis  zu  den  feinsten  Bronchien  erstrecken  und  die  Respirationswege  völlig  aus- 
stopfen.S5j 

Zum    Bohren    von    Sprenglöchern   in   festem  Gestein    gebraucht    mau  neuer- 

Steinbohrmaschinen ,  die  mittels  comprimirter  Lutt  getrieben  werden;  wenn  die 
I  .nli  gewirkl  hat,  lässt  man  sie  jedesmal  austreten.  Da  diese  Maschinen  grade  vor  Ort 
wirkiii.  90  wird  auf  diese  Weise  gleichzeitig  eine  kräftige  Wetterung  erzielt  und  zwar 
an  Stellen,  wo  sie  am  notwendigsten  ist. 

Das  Feuersetzen  zum  Zerklüften  des  Gesteins,  d.h.  das  Erhitzen  des  Gesteins 
und  nachherige  Wassersprengen  geschieht  niemals  in  Stein  Kohlengruben  und  nur  selten 
in  Erzgruben;  es  ist  die  älteste  und  schon  von  den  Römern  gebrauchte  Spreng- 
metbode.  Das  Dynamit  ist  neuerdings  fast  ausschliesslich  als  Sprengmittel  in  Gebrauch 
(s.  Nitroglycerin). 

ad  3)  Die  äussern  Verhältnisse  der  Arbeiter  sind  im  Vergleiche 
zur  Stellung  der  Fabrikarbeiter  nicht  ungünstig,  namentlich  seitdem  man  ange- 
fangen hat,  durch  zweckmässige  Wohnungen,  Badeeinrichtungen,  Speiseanstalten, 
Krankenhäuser  u.  s.  w.  das  Loos  derselben  so  viel  wie  möglich  zu  erleichtern. 
Leider  findet  sich  unter  den  Bergleuten  häufig  Trunksucht  und  zerrüttet  ganze 
Familien. 

Das  allgemeine  Berggesetz  für  den  preussischen  Staat  vom  24.  Juni  1865  erstreckt 
sich  auf  die  Sicherheit  der  Baue,  die  Sicherheit  des  Lebens  und  der  Gesundheit  der 
Arbeiter,  während  die  Ku  appschaftsvereine ,  welche  durch  das  Gesetz  vom 
10.  April  löö4  in's  Leben  gerufen  wurden,  den  Theilnehmern  und  deren  Angehörigen 
Unterstützung  in  Krankheitsfällen  gewähren.  Die  Knappschafts  -  Statistik  findet 
sich  jetzt  im  Stadium  der  Entwicklung  und  wird  auf  Grund  der  Reichs-Medi  cinal- 
Statistik  hoffentlich  werthvolle  Ergebnisse  erzielen. 

Bezüglich  des  Schutzes  der  Oberfläche  müssen  die  Fortschritte  des  Berg- 
baues die  Terrainsenkungen,  Einstürze  u.  s.  w.  verhüten;  genauere  Bestimmungen  hierüber 
enthält  das  Berggesetz.  Für  die  Adjacenten  ist  der  Grubenbau  insofern  noch  von 
grosser  Bedeutung,  als  dadurch  nicht  selten,  wie  gegenwärtig  in  Königshütte  in  Ober- 
schlesien, der  Yorrath  an  gutem  Trinkwasser  eine  bedeutende  Einbusse  erleidet.  Die 
Wiederbenutzung  resp.  Reinigung  der  gewonnenen  Stollenwässer  ist  fast  unmöglich, 
weshalb  besondere  Wasserleitungen  nicht  selten  erfordert  werden.  Die  Wassertrage 
bleibt  in  solchen  Gegenden  eine  sehr  wichtige  und  bedarf  im  hohen  Grade  der  öffent- 
lichen Aufmerksamkeit. 

Wichtig  ist  ferner  in  sanitärer  Beziehung,  dass  die  öffentlichen  Wasserläufe  nicht 
durch  Gruben-  und  Haldenwässer  verunreinigt  und  für  die  ökonomische  nnd  technische 
Benutzung  anbrauchbar  gemacht  werden;  es  handelt  sich  hierbei  auch  namentlich 
noch  um  eine  sachgemässe  Ableitung  der  Stollenwässer,  die  unter  Umständen  ganze 
Gegenden  übertluthen  können. 

Aufbereitung  der  Steinkohle.  Zu  der  eigentlichen  Aufbereitung  der  Kohle 
rechnet  man  das  Waschen  und  Verkoken.  Das  Waschen  geschieht  zur  Be- 
seitigung der  Gangart  resp.  des  Schwefelkieses;  es  ist  stets  mit  einem  Oxydations- 
processe  verbunden,  weshalb  die  abfliessenden  Waschwässer  die  Producte  der 
Oxydation  des  Schwefelkieses:  schwefelsaures  Eisenoxydul  und  freie 
Schwefelsäure,  enthalten.  Sie  können  nicht  zum  Speisen  von  Dampfkesseln 
verwendet  werden;  sie  müssen  jedenfalls,  auch  wenn  sie  zum  Abfluss  gelangen, 
vorher  mit  Kalk  abgestumpft  resp.  niedergeschlagen  werden;  dasselbe  ist  bezüg- 
lich der  gelösten  Stollen wässer  zu  bemerken.  Geschieht  der  Abfluss  in  Teiche, 
Flüsse,    Buche   u.  s.  w.,   so   ist  damit  stets  ein  Nachtheil  für  die  Fischzucht  Ver- 


bindung   von    aussen    entstehen    können.     In  Idria    sind  die  Grubenbrände  durch  die 
Selbstentzündung  der  bituminösen  Quecksilberlebererze  bedingt. 


Aufbereitung  der  Steinkohle.  339 

bunden;  werden  Wiesen  damit  berieselt,  so  stirbt  die  Grasnarbe  ab.  Die  beim 
Waschen  zurückbleibenden  Wässer,  welche  schwefelkieshaltig  sind,  dürfen  nicht 
dem  Verwitterungsprocesse  ausgesetzt  werden,  weil  dadurch  wiederum  die  benach- 
barten Wässer  verunreinigt  werden  können. 

Die  gewaschene  Kohle  wird  dem  Verkokungsprocess  unterworfen,  d.  h. 
die  Kohle  wird  durch  hohe  Temperatur  ihres  Gehaltes  an  Bitumen  beraubt.  Es 
werden  bei  diesem  Processe  fast  alle  Kohlenwasserstoffe,  welche  in  der  Kohle 
enthalten  sind,  ausgetrieben  und  verbrannt;  jedoch  wird  der  Gehalt  an  Schwefel 
nicht  nur  nicht  vermindert,  sondern  erhöht,  weil  der  Schwefelkies  nicht  eher 
verbrennt,  als  bis  alles  Bitumen  verbrannt  ist.  Wirft  man  Staub  von  solchen 
Koks  auf  schwach  glühende  Platten,  so  wird  jedes  Partikelchen  von  einer  blauen 
Schwefelflamme  umgeben,  ein  Beweis,  dass  fast  der  ganze  Schwefelgehalt  der 
Kohle  in  den  Koks  zurückbleibt,  Durchschnittlich  ergibt  die  Kohle,  d.  h.  die 
Fettkohle,  an  30 — 401  Koks;  mit  der  Abnahme  des  Bitumengehaltes  steigert 
sich  die  Ausbeute  an  Koks. 

Diese  Operation  geschieht  entweder  in  offenen  Feldöfen  oder  in  geschlossenen 
Oefen.  In  beiden  Fällen  treten  die  Verbrennungsproducte  direct  in  die  Atmosphäre; 
sie  bestehen  hauptsächlich  aus  Kohlenoxyd,  Kohlensäure,  Wasser  und  namentlich 
schwefliger  Säure;  diese  bildet  sich  im  letzten  Stadium  der  Verkokung,  namentlich 
beim  Ausziehen  der  fertigen  Koks;  brenzliche  Prodncte  entwickeln  sich  bloss  beim  neuen 
Aufgeben.  Da  bei  diesem  Processe  stets  eine  unterdrückte  Verbrennung  stattfindet, 
so  entstehen  grosse  Massen  von  Russ;  grade  diese  Entwicklung  von  Russ  aus  den 
bituminösen  Bestandteilen  der  Kohle  verursacht  nächst  der  schwefligen  Säure  die 
grösste  Belästigung. 

Finden  sich  leichte  und  schwere  Kohlenwasserstoffe  unter  den  Dämpfen, 
so  sind  diese  Gase  nur  die  Producte  der  trocknen  Destillation,  worauf  eigentlich  die 
Verkokung  beruht,  indem  man  so  viel  wie  möglich  den  Zutritt  der  atmosphärischen  Luft 
bei  diesem  Processe  verhütet;  Schwefelwasserstoff  kann  nicht  auftreten,  weil  es 
durch  die  schweflige  Säure  sogleich  zersetzt  wird 

Ebelmen  fand  die  Koksofengase  im  Mittel  zusammengesetzt  aus: 

Kohlensäure 10,93 

Kohlenoxyd 3,42 

Sumpfgas 1,17 

Wasserstoff 3,68 

Stickstoff 80,80 

100,00. 

Durch  die  Verbrennung  des  Wasserstoffs  im  Kohlenwasserstoff  wird  die  zur 
Zersetzung  der  Steinkohle  nöthige  Hitze  geliefert. 

Alle  sich  entwickelnden  Gase  und  Dämpfe  sind  mit  viel  atmosphärischer  Luft 
gemengt,  wodurch  sie  die  Gesundheit  der  Arbeiter  fast  gar  nicht  benachtheiligen;  man 
hat  auch  bisher  bei  den  Arbeitern,  welche  bei  den  Koksöfen  beschäftigt  sind,  keine 
specifischen  Krankheiten  beobachtet.  Dagegen  ist  die  grosse  Menge  Rauch  und  Russ, 
welche  Koksöfen  erzeugen,  für  die  nächste  Nachbarschaft  eine  ausserordentlich  grosse 
Belästigung;  diese  ist  um  so  fühlbarer,  wenn  namentlich  in  der  wärmeren  Jahreszeit 
der  Rauch  am  Abend  sich  senkt  und  das  Oeffnen  von  Fenstern  unmöglich  macht.  Wenn 
nun  das  Bedürfniss  nach  frischer  Luft  zu  einer  Zeit,  wo  man  dasselbe  am  meisten  em- 
pfindet, nicht  befriedigt  werden  kann,  so  ist  wenigstens  ein  iüdirecter  Schaden  für  die 
menschliche  Gesundheit  nicht  ausgeschlossen. 

Neuerdings  hat  man  übrigens  grosse  Fortschritte  in  der  Construction  der 
Koksöfen  gemacht  und  die  hauptsächlichste  Belästigung  der  Adjacenten  hinweg- 
geräumt. In  Belgien  und  Frankreich  hat  man  angefangen,  die  Destillationsproducte 
und  den  Russ  der  Steinkohlen  wieder  zu  gewinnen;  mehr  Beifall  hat  die  Benutzung 
der  Gase  zur  Erwärmung  gefunden.  Beim  System  Smet  wird  die  Kohle  durch 
2  Trichter  aufgegeben;  die  Flamme  des  im  Betrieb  befindlichen  Ofens  entweicht  durch 
Oeffnungen  am  Anfange  des  Gewölbes,  durchströmt  die  Wände  in  2  horizontalen  Canälen, 
circulirt  unter  der  Sohle  in  Zügen  und  gelangt  schliesslich  zum  Schornstein.  In  Ober- 
schlesien befinden  sich  solche  Oefen  im  Betriebe,  sind  aber  schon  wiederum  durch  das 
System  Appolt  verdrängt  worden,  das  ebenfalls  die  Calcinirung  im  geschlossenen 
Raum  durch  Verbrennung  der  aus  den  Kohlen  entwickelten  Oase  bezweckt,    dabei    die 

22* 


340  Kohlenstoff. 

Erwärmungstläche  ganz  bedeutend  ausdehnt  und  die  Flammen  aller  Oefen  in  dem  sie 
umgebenden  Räume  vereinigt.    Auch  das  System  Dulait  und  Coppee  verhindert  die 

ent wicklung;  letzteres  vereinigt  alle  brennbaren  Gase  in  einem  grossen  Canal 
unter  den  Oefen,  um  sie  zur  Kesselfeuerung  zu  benutzen.  Der  Coppee-Ofen  hat  be- 
äOnders  in  Belgien  grosse  Verbreitung  gefunden,  aber  auch  Preussen,  England  und 
Frankreich  haben  die  Vbrtheile  desselben  schon  benutzt. 

Für  die  Arbeiter  bleibt  jedoch  das  Füllen  und  Entleeren  der  Kokäöfen 
noch  eine  sehr  belästigende  Arbeit,  weshalb  diese  Operationen  in  neuester  Zeit  mittels 
Maschinen  ausgeführt  weiden.  Es  ist  besonders  die  strahlende  Hitze  und  der  glühende 
Staub,   wodurch  mannigfacher  Schaden,  namentlich  für  die  Augen,  entstehen  kann. 

Das  Loschen  der  Koks,  welches  häufig  durch  Begiessen  mit  Wasser  geschieht, 
ist  für  die  Arbeiter  nicht  minder  gefährlich,  weil  dadurch  leicht  Verbrühungen  herbei- 
geführt werden:  auch  treten  dabei  colossale  Massen  von  Schwefelwasserstoff  und 
etwas  Kohlenoxyd  auf.  Selbstverständlich  darf  schon  aus  dieser  Ursache  die  Ver- 
kokung  nicht  in  der  Nähe  von  Städten  oder  dicht  bewohnten  Räumen  stattfinden. 

An  andern  Orten  werden  die  fertigen  Koks,  wenn  sie  aus  dem  Ofen  kommen,  in 
Graben  geworfen,  welche  man  durch  einen  Saudversehluss  hermetisch  verschliesen  kann  ; 
hier  erstickt  die  Kohle  durch  die  von  ihr  ausgehauchte  Kohlensäure.  Der  einzige 
Nachtheil  besteht  darin,  dass  die  Abkühlung  sehr  langsam  erfolgt  und  späterhin  noch 
eine  Selbstentzündung  eintreten  kann,  wenn  die  Abkühlung  nicht  vollständig  erfolgt 
war.  Beim  Oeffnen  der  Gruben  hat  sich  der  Arbeiter  dann  vor  der  Einwirkung  des 
Kohlenoxyds,  der  Kohlensäure  und  schwefligen  Säure  zu  schützen. 

Die  Koks,  welche  mit  Wasser  gelöscht  worden  sind,  enthalten  neben  Schwefel- 
eisen noch  Wasser.  Letzteres  wirkt  nun  bei  der  Erwärmung,  z.  B.  bei  neuer  Auf- 
schüttung von  Koks,  bei  der  Heizung  u.  s.w.,  in  der  Weise  auf  das  Schwefeleisen, ein, 
dass  der  Sauerstoff  des  Wassers  das  Eisen  oxydirt  und  der  Wasserstoff  alsdann  sich 
mit  dem  einen  Theil  des  Schwefels  zu  Schwefelwasserstoff  verbindet;  derselbe 
ist  somit  nicht  präexistirend,  sondern  wird  erst  gebildet. 

Die  häufig  ausgesprochene  Ansicht,  dass  sich  im  Steinkohlendunst  Schwefel- 
wassersto  ff  und  schwerer  Kohlenwasserstoff  als  Verbrennungsproducte  vorfinden, 
bedarf  insofern  einer  Berichtigung,  als  diese  Körper  niemals  als  Verbrennungs- 
producte auftreten  können.  Nichtsdestoweniger  kann  der  Kohlendunst  Schwefel- 
wasserstoff und  schweren  Kohlenwasserstoff  enthalten:  in  diesem  Falle  aber 
ist  Schwefelwasserstoff  durch  Einwirkung  von  Wasserdämpfen  auf  Schwefelmetalle 
und  der  schwere  Kohlenwasserstoff  in  Folge  einer  theilweise  trocknen  Destillation 
der  noch  Bitumen  enthaltenden  Kohlen  entstanden. 

Diese  Bildung  von  H2S  ist  besonders  dann  beachtungswerth,  wenn  Koksfeuer 
zum  Austrocknen  neuer  Gebäude  benutzt  werden:  beim  Aufschütten  des  frischen  Brenn- 
materials tritt  alsdann  stets  etwas  H2S  auf,  welcher  sich  in  dem  betreffenden  Locale 
mehr  oder  weniger  anhäuft,  den  Anstrich  verdirbt  und  überdies  auf  die  Hausbewohner 
resp.  Arbeiter  schädlich  einwirken  kann.  Koks,  welche  in  Kasten  oder  Gruben  erstickt 
sind,  enthalten  mehr  Kohlenoxyd. 

Verkokung  der  Brannkohle.  So  wie  die  Steinkohle,  ihres  Bitumens  beraubt, 
einen  kohlenstoffreichen  Rückstand,  die  sogenannten  Koks,  zurücklässt,  ebenso 
erhält  man,  wenn  man  die  Braunkohle  demselben  Processe  unterwirft,  einen 
holzkohlenähnlichen  Rückstand,  welchen  man  als  Braunkohlenkoks  bezeichnet. 
Diese  Verkohluug  oder  Verkokung  geschieht  1)  in  Meilern,  wie  bei  der  Holz- 
verkohlung,  wobei  man  die  Verbrenn ungs-  resp.  Destillationsproducte  ausser  Acht 
lässt;  2)  in  geschlossenen  Retortenöfen,  bei  welchen  man  diese  Producte 
gewinnt. 

ad  1)  Bei  der  Verkokung  in  Meilern  treten  ausser  den  empyreumatischen  Stoffen, 
welche  unverbrannt  entweichen,  Kohlensäure,  Kohlenoxyd,  Methylwasserstoff 
neben  Ammoniak  und  schwefliger  Säure  auf.  Manche  sehr  bitumenreiche 
Braunkohle  entwickelt  dabei  massenhaft  Russ,  weshalb  man  häufig  dessen  Gewinnung 
damit  verbindet. 

Vi  omöglich  muss  dieser  Process  in  abgelegenen  Gegenden  und  an  Bergabhängen 
vorgenommen  werden,  da  die  genannten  Gase  und  Dämpfe,  namentlich  die  schwef- 
lige  Säure  und  die  kreosothaltigen  Dämpfe,  sehr  nachtheilig  auf  die  Vegetation 
einwirken. 

Die  erdige  Braunkohle  wird  fast  nie  zum  Verkoken  benutzt,  wenn  dies  nicht 
wegen  ihres  grössern  Bitumengebaltes  geschieht. 


Verkokung  der  Braunkohle. 


341 


ad  2)  Die  Retortenöfen  müssen  direct  mit  Gruben  in  Verbindung  stehen,  in 
welchen  die  abdestillirten  Koks  gelöscht  werden.  Diese  verlangen  nämlich  eine  sehr 
vorsichtige  Löschung,  indem  sie  durch  ihren  Gehalt  an  fein  vertheiltem  Schwefelkiese 
der  Selbstentzündung  sehr  leicht  unterworfen  sind;,  ein  blosses  Ersticken  der  Kohlen  in 
Gruben  ist  nie  zulässig,  da  sie  dabei  einer  Selbstentzündung  unterliegen  würden. 
Directe  Löschung  mittels  Wassers  ist  ebenso  wenig  anwendbar,  da  die  verkokte  Braun- 
kohle eine  grosse  Menge  Wasser  aufsaugt,  wodurch  nicht  nur  die  Fracht  vermehrt, 
sondern  auch  die  Entzündlichkeit  vermindert  wird.  Das  Löschen  niuss  mittels  Wasser- 
dämpfe geschehen,  weshalb  man  diesen  Process  das  Todtdämpfen  nennt:  die  Kohle 
nimmt   dabei   6 — 7  %  Wasser    auf,    wodurch   die  Selbstentzündlichkeit   aufgehoben    wird. 


Fig.  41. 


Fig.  42. 


Während  des  Todtdämpfens  entwickeln  sich  je  nach  der  Menge  des  Schwefelkieses 
grössere  oder  geringere  Mengen  von  Schwefelwasserstoff.  Dieser  Umstand  ist  es 
grade,  welcher  die  Vornahme  dieser  Operation  in  überwölbten  Gruben  nothwendig 
macht;  diese  (Fig.  41,  42  a)  sind  unter  den  Retortenöfen  (Jj)  derartig  angebracht,  dass 
sie  die  abdestillirten  Kohlen  leicht  aufnehmen  können. 

Mittels  eines  eingesetzten  Eisentrichters,  welcher  in  die  betreffende  Oeffnung  resp. 
in  den  Canal  des  Gewölbes  führt,  werden  nämlich  die  abdestillirten  Kohlen  beim  Ent- 
leeren aus  der  Retorte  in  das  Gewölbe  geschafft.  Gewöhnlich  haben  je  zwei  Retorten 
einen  gemeinschaftlichen  Trichter  uud  nur  einen  mit  dem  Gewölbe  correspondirenden 
Canal,  welcher  beim  Löschen  der  Kohle  jedesmal  geschlossen  werden  niuss.*) 

Der  zum  Loschen  erfordei  liehe  Wasserdampf  wird  durch  ein  Rohr,  dessen  unteres 
Ende  in  eine  Brause  mündet,  auf  den  Boden  der  Grube  («)  geleitet.  An  der  Seite  der 
Grube,  welche  dem  Einfallloche  für  die  abdestillirten  Kohlen  gegenüber  liegt,  führt  ein 
Canal  (c)  in  den  Schornstein  des  Retoi'tenofens,  der  alle  während  des  Todtdämpfens 
auftretenden  Gase  aufnimmt. 

Bei  dd  finden  sich  Fülltrichter  mit  Sandverschluss  zum  Eingeben  des  Gutes  in 
die  Retorte  (b).  Auf  der  obern  Ofensohle  (,e)  wird  das  Grubengut  von  der  Gruben- 
feuchtigkeit befreit  resp.  getrocknet. 


*)    Es   ist    schwierig,    den  ganzen  Hergang  bildlich  darzustellen,    da  wenigstens 
3 — 4  verschiedene  Durchschnitte  dazu  erforderlich  sind. 


342  Kohlenstoff. 

Durch  das  Rohr  /  werden  die  Destillationsproducte  weggeführt  fs.  Destillation  der 
Braunkohle).  Die  hier  abströmenden  uncondensirbaren  Gase  worden  unter  die  Feuerung 
abgeleitet.  Bei  g  befinden  sich  die  Füchse,  durch  welche  die  Flamme  der  Feuerung 
ziem   und  die  Retorte  umspielt. 

Verkokung  des  Torfs.  Im  Allgemeinen  wird  nur  der  schwere  bitumenreiche 
Baggertorf  der  Verkokung  unterworfen;  ebenso  wie  bei  den  Braunkohlen  kann  auch 
hier  wegen  eines  Gehaltes  an  Schwefelkies  eine  Selbstentzündung  leicht  eintreten.  Be- 
züglich der  Apparate,  Darstellung  und  abziehenden  Gase  gilt  dasselbe,  was  hierüber  bei 
der  Braunkohle  gesagt  worden  ist. 

Im  Allgemeinen  sind  alle  diese  Verkokungen  in  der  Nähe  von  bewohnten  Ort- 
schaften nicht  zulässig.  Bei  der  Meilerverkokung  von  Torf  und  Braunkohlen  kann  sich 
der  Geruch  bisweilen  auf  3—4  Stunden  weit  ausbreiten. 

Verkohlnng  des  Holzes.  Auch  die  Darstellung  der  Holzkohlen  geschieht 
in  Meilern  oder  in  retortenähnlichen  Apparaten;  bei  letztern  gewinnt  man  die 
Destillationsproducte   (s.  Theerschwelerei  und  Holzessigsäurefabrication). 

Beim  Verkohlen  in  Meilern  treten  als  Verbrennungsproducte  Kohlenoxyd, 
Kohlensäure,  Wasser  und  empyreumatische  Producte  neben  bedeutenden 
Mengen  von  Russ  auf.  Das  Verkohlen  geschieht  gewöhnlich  in  abgelegenen  Wald- 
gegenden und  zwar  auf  der  Schlagstelle:  man  benutzt  die  1 — 5jährigen  Lohstangen  und 
kein  dickes  Holz  dazu.  Da  aber  das  Verkohlen,  wie  erwähnt,  auf  der  Schlagstelle, 
also  auf  einer  Lichtung  stattfindet,  so  kann,  wenn  nicht  besondere  Verhältnisse  ein- 
treten, die  Einwirkung  der  Verbrennungsproducte  auf  die  Vegetation  sich  nicht  geltend 
machen.  Nichtsdestoweniger  kommen  Fälle  vor,  dass  ganze  Waldstrecken  entlaubt 
werden  und  zwar  durch  die  Einwirkung  der  empyreumatischen  Producte,  des  Kreosots 
und  der  Essigsäure,  wenn  die  Feuerung  nicht  sorgfältig  geleitet  worden  ist  und 
bei  dumpfem,  nebeligem  Wetter  der  Rauch  niedergedrückt  und  im  Walde  zurück- 
gehalten wird. 

Der  Russ  kann  hierbei  nur  von  geringem  Einflüsse  sein,  da  er  sehr  leicht  ist 
und  durch  den  leisesten  Wind  wieder  fortgetragen  wird.  Es  ist  eine  bekannte  That- 
sache,  dass  Singvögel,  namentlich  Nachtigallen,  sich  aus  dem  Bereiche  der  Kohlenmeiler 
entfernen,  was  jedenfalls  auf  die  nachtheilige  Einwirkung  der  empyreumatischen  Stoffe 
hinweist.  Die  Aushauchung  des  Kohlenoxyds  kann  nur  bei  der  grössten  Unvorsichtig- 
keit gefährlich  einwirken,  wenn  sich  z.  B.  die  Arbeiter  auf  die  Kohlenmeiler  zum 
Schlafen  hinlegen. 

Nach  der  Art  des  Holzes  unterscheidet  man  harte  und  weiche  Kohle,  und 
nach  dem  Grade  der  Verbrennung  die  Schwarzkohle  und  die  Rost-  oder  Roth- 
kohle;  bei  letzterer  hat  eine  unvollständige  Verkohlung  stattgefunden:  sie  wird  nur  bei 
der  Pulverfabrication  verwendet. 

Transport  und  Lagernng  der  verschiedenen  Arten  von  Kohle.  Die  Steiukohle 
erfordert  bezüglich  ihres  Transports  insofern  eine  strenge  Ueberwachung,  als 
sich  hierbei  manche  leicht  entzündliche  und  feuergefährliche  Gase  entwickeln, 
ohne  dass  eine  andere  Ursache,  wie  Oxydation  u.  s.  w.,  einwirkt;  in  diese 
Kategorie  gehören  besonders  die  sehr  bitumenreichen  englischen,  sächsischen  und 
schlesischen  Kohlen.  In  England  hat  man  diese  Angelegenheit  für  so  wichtig 
gehalten,  dass  man  ein  besonderes  Gesetz  bezüglich  des  Transports  derartiger 
Kohlen  erlassen  hat.  So  ist  z.  B.  an  allen  Ladeplätzen  Cardiff's  eine  polizei- 
liche Bekanntmachung  ausgehängt,  nach  welcher  die  Luken  eines  jeden  mit 
Kohlen  beladeneu  Schiffes,  so  lauge  dasselbe  in  dem  dortigen  Dock  liegt,  geöffuet 
bleiben  müssen  und  nicht  eher  geschlossen  werden  dürfen,  als  bis  die  Schiffe 
die  Mündung  nach  dem  Bristolcanal  zurückgelegt  haben. 

Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass  manches  Brandunglück  auf  hoher  See  durch  die 
Entwicklung  dieser  Gase  in  Folge  einer  Temperaturerhöhung  entsteht.  Gelangen  die- 
selben nach  dem  Feuerraum  der  Maschine,  so  entzünden  sie  sich  hier  und  wirken 
gleichsam  als  schlagende  Wetter;  so  wurde  noch  vor  einigen  Jahren  über  die  Explosion 
von  schlagenden  Wettern  am  Bord  eines  englischen  Schraubendampfers  berichtet.27) 

Hier  kann  nur  eine  gute  Ventilation  und  eine  Isolirimg  des  Kohlenlagers  vom 
Feuerraum  einigermassen  die  Gefahr  beseitigen. 

Bei  der  bekannten  Eigenschaft  der  Kohle,  Gase  zu  verdichten,  kann  es  nicht  auf- 
fallen, dass  die  Kohle  in  der  Erde  die  bei  ihrer  Bildung  und  Zersetzung  auftretenden 


Tratisport  der  Kohlen.  343 

brennbaren  Gase,  worunter  das  Sumpfgas  vorwaltet,  zurückgehalten  hat,  welche  als- 
dann unter  einem  verminderten  Drucke  und  bei  erhöhter  Temperatur  wieder  frei  werden. 
Unter  diesen  Umständen  können  die  ausserhalb  eines  Bergwerks  lagernden  Stein- 
kohlen noch  so  viel  Sumpfgas  aushauchen,  dass  bei  dessen  Eutzündung  Explosionen 
entstehen.28) 

Bei  Braunkohle  und  Torf  fehlen  solche  Gasexhalationen :  die  Braunkohle 
entwickelt  nur  Kohlensäure.  So  hat  z.B.  das  Lagern  der  Braunkohle  in  grössern 
Quantitäten  in  geschlossenen  Kellerräumen  manchmal  Veranlassung  gegeben,  dass  Per- 
sonen, welche  sich  unvorsichtiger  Weise  in  solche  Räume  begaben,  hier  den  Tod  fanden. 
Dieser  Nachweis  einer  fortwährenden  Entwicklung  von  Kohlensäure  bei  der  Braun- 
kohle nach  ihrer  Förderung  ist  von   Varrentrapp  zur  Genüge  erbracht  worden. 

Die  Steinkohle  sowie  die  Braunkohle  sind  zuweilen  einer  Selbstent- 
zündung unterworfen,  welche  lediglich  von  dem  in  der  Kohle  enthaltenen  und  durch 
den  atmosphärischen  Sauerstoff  sich  oxydirenden  fein  zertheilten  Schwefelkies 
(Wasserkies)  abhängt. 

Die  schwefelreiche  Braunkohle  wird  fast  nie  als  Brennmaterial  zur  Heizung 
benutzt,  weshalb  auch  ein  Transport  derselben  höchst  selten  stattfindet;  dagegen  können 
sie  einen  Hai  den  br  and  verursachen,  welcher  für  die  umliegende  Vegetation  in  doppel- 
ter Beziehung  nachtheilig  werden  kann,  erstens  durch  die  Verbrennung  und  zweitens 
durch  das  massenhafte  Auftreten  der  schwefligen  Säure. 

Beim  Torf  kommt  die  Selbstentzündung  in  Folge  der  Oxydation  von  Schwefel- 
kies höchst  selten  vor,  weil  er  im  Allgemeinen  wenig  davon  enthält:  auch  wird  der 
schwefelkieshaltige  Torf  nur  auf  Alaun  und  Eisenvitriol  verarbeitet  und  niemals  als 
Brennmaterial  benutzt. 

Die  Steinkohlen-Koks  bieten  beim  Transport  und  Lagern  nichts  Besonderes 
dar;  die  Koks  von  Braunkohle  und  Torf  sind  jedoch  zur  Selbstentzündung  sehr 
geneigt  und  dürfen  niemals  transportirt  und  gelagert  werden,  wenn  sie  nicht  vorher 
durch  Wasserdämpfe  gelöscht  worden  sind. 

Das  Lagern  und  der  Transport  der  Holzkohlen  bieten  zunächst  im  ge- 
pulverten Zustande  eine  Feuersgefahr:  ihre  leichte  Entzündlichkeit  erfordert  es,  dass  sie 
nicht  in  der  Nähe  von  Feuerstellen  abgelagert  und  auch  nicht  in  offenen  Waggons  auf 
Eisenbahnen  transportirt  werden. 

Wegen  des  Gehalts  der  frischen  Holzkohle  an  Kohlensäure  und  Kohlenoxyd 
kann  das  Lagern  in  der  Nähe  von  menschlichen  Wohnungen  zuweilen  höchst  gefährlich 
werden.  Da  bekanntlich  die  Holzkohle  in  ihren  eigenen  verbrennungsproducten,  unter 
denen  sich  namentlich  das  Kohlenoxyd  in  bedeutender  Menge  vorfindet,  bei  der  Dar- 
stellung erstickt  wird  und  die  Kohle  ein  bedeutendes  Absorptionsvermögen  für  Kohlenoxyd 
und  Kohlensäure  hat,  so  nimmt  sie  sehr  erhebliche  Mengen  dieser  Gase  auf.  So  absorbirt 
1  Vol.  Kohle  9,42  Vol.  CO  und  35  Vol.  C02:  ein  Gemisch,  welches  auf  3  Vol.  Kohlen- 
säure 1  Vol.  Kohlenoxyd  enthält,  wird  unverändert  in  demselben  Mischungsverhältniss 
von  der  Kohle  aufgenommen. 

Hinsichtlich  der  Wasseraufnahme  ist  zu  bemerken,  dass  die  Kiefernkohle  in 
24  Stunden  dem  Gewichte  nach  8,2%  und  die  Kohle  der  Rothbuche  5,3  %  Wasser  aus 
der  Atmosphäre  aufnimmt. 

Der  kohlensaure  Alkaligehalt  der  Kohle  bedingt  ihre  Fähigkeit,  das  atmosphärische 
Wasser  mit  Begierde  anzuziehen,  wodurch  alsdann  die  aufgenommenen  Gase  deplacirt 
und  ausgetrieben  werden  können;  ist  der  Lagerungsraum  ein  feuchter  Keller,  so  ist 
dieser  Austausch  um  so  schneller  eingeleitet  und  beendet.  Es  sollte  deshalb  nicht  ge- 
stattet werden,  frische  Meilerkohlen  sofort  in  geschlossenen  Räumen  zu  lagern,  wenn 
sie  nicht  vorher  wochenlang  an  der  Luft  gelegen  haben.29) 

Das  Verdrängtwerden  der  Gase  in  den  frischen  Holzkohlen  resp.  in  den  Braun- 
kohlen- und  Torf  koks  durch  flüssiges  Wasser  kann  somit  bei  Ueberschwemmungen.  wenn 
dasselbe  in  unterirdische  Kohlenlagerräume  dringt,  grosse  Gefahr  herbeiführen ,  indem 
dann  ein  Theil  des  Kohlenoxyds  austritt. 

Da  die  Koks  aus  Braunkohle  und  Torf  nichts  weiter  als  eigentliche  Holzkohlen 
sind,  so  kann  bezüglich  ihrer  Eigenschaften  zwischen  ihnen  und  den  Holzkohlen  kein 
Unterschied  stattfinden.  Es  ist  eine  bekannte  Thatsache,  dass  Ratten  und  Mäuse  sich 
niemals  in  Räumen  aufhalten,  wo  Holzkohlen  lagern,  wenn  sich  dort  auch  Nahrungs- 
mittel für  sie  vorfinden. 


;^_j  Kohlenstoff  und  Sauerstoff. 


Die  Verbindungen  des  Kohlenstoffs. 

Die  Verbindungen  des  Kohlenstoffs  sind  so  zahlreich,  dass  sie  einen  wesent- 
lichen Titeil  der  Chemie  repräsentiren ;  um  eine  Uebersicht  derselben  zu  gewinnen, 
dürfte  es  zweckmässig  erscheinen,  sie  sämmtlich  hier  einer  nähern  Betrachtung 
zu  unterwerfen,  gleichviel,  ob  sie  im  gewöhnlichen  Leben  als  organische  oder 
anorganische  bezeichnet  werden.  Mit  Sauerstoff  und  Schwefel  verbindet  sich 
bekanntlich  der  Kohlenstoff  direct;  seine  Oxydationsproducte  und  der  Schwefel- 
kohlenstoff werden  daher  dies  grosse  Gebiet  einleiten,  um  dann  zu  den  ander- 
weitigen, auf  iudirectem  Wege  entstehenden  Verbindungen  überzuführen,  welche 
in  der  Regel  in  der  organischen  Chemie  abgehandelt  werden. 

Kohlenstoff  und  Sauerstoff. 

1)  Kohlenoxyd  CO  kommt  in  der  Natur  höchst  selten  fertig  gebildet  Vor;  der 
Dampfstrum  einer  Solfatara  auf  Island  soll  es  enthalten:  auch  will  man  es  bei  der 
Darmrespiration  des  Schlanimpeizgers  (Cobitis  fossilis)  nachgewiesen  haben  Bouatinyault 
behauptet,  dass  auch  die  Blätter  der  Wasserpflanze  unter  Einwirkung  der  Sonnenstrah- 
len bei  der  Zersetzung  der  Kohlensäure  neben  Sauerstoff  Kohlenoxyd  und  Methylwasser- 
stofl"  aushauchen.30) 

Bei  der  Maischbereitung,  beim  Gährungs-  und  Fäulnissprocess  entsteht  es  durch 
Oxydation  des  Kohlenstoffs  der  organischen  Gebilde.  Am  häufigsten  tritt  es  beim  Ver- 
brennen der  Kohle  unter  gehemmtem  Lufzutritt,  bei  der  Reduction  der  Metalloxyde 
mittels  Kohle  und  bei  der  Reduction  der  Kohlensäure  mittels  Kohle  bei  sehr  hoher 
Temperatur  (C02  +  C  =  2 CO),  z.  B.  beim  Hohofenprocesse  auf;  bei  der  trocknen  Destil- 
lation bituminöser  Fossilien  entsteht  es  als  Spaltungsproduct. 

Dargestellt  wird  Kohlenoxyd  durch  Zersetzung  ameisensaurer  oder  oxalsaurer 
Salze  durch  Schwefelsäure.  Gewöhnlich  benutzt  man  die  Oxalsäure,  indem  man  1  G.  Th. 
derselben  mit  6  G.  Th.  Schwefelsäure  vermischt: 

H2C204  =  CO  +  C02  +  H,0. 

Zur  Entfernung  der  gleichzeitig  auftretenden  Kohlensäure  leitet  man  das  sich  ent- 
wickelnde Gas  durch  eine  Lösung  von  Kaliumhydrat. 

Kohlenoxyd  ist  ein  färb-  und  geruchloses,  permanentes  Gas,  welches  beim  An- 
zünden mit  schwach  bläulicher  Flamme  brennt.  Das  Wasser  absorbirt  wenig,  eine  Auf- 
lösung von  Kupferchlorür  in  Ammoniak  oder  Salzsäure  dagegen  sehr  viel;  im 
letztem  Falle  bildet  es  mit  Kupferchlorür  eine  bei  Gegenwart  von  Wasser  explosive  Ver- 
bindung.    Mit  Chlor  und  Brom  verbindet  es  sich  im  Sonnenlicht  direct. 

Einwirkung  des  Kohlenoxyds  auf  den  thierischen  Organismus.  Die  Wirkung 
des  Kohlenoxyds  stimmt  mit  der  der  Kohlensäure  nur  insofern  überein,  als  bei 
kleinem  Mengen  sich  ebenfalls  entschieden  Symptome  der  Reizung  kund  geben, 
welche  aber  weit  rascher  als  bei  der  Kohlensäure  in  die  der  Lähmung 
übergehen. 

Zu  den  Symptomen  der  Reizung  gehören:  Angstgefühl,  Uebelkeit,  vermehrte 
Respiration,  beschleunigter  Herzschlag,  klopfende  Kopfschmerzen,  Betäubung, 
Schwindel  und  Neigung  zum  Hinfallen,  Zittern  und  Convulsionen.  Beim  Ein- 
athmen  grösserer  Mengen  kann  man  wie  vom  Blitz  getroffen  zu  Boden  stürzen 
und  zwar  entweder  unter  leichten  Delirien  und  Sinnestäuschungen  oder  aber, 
wie  es  meist  der  Fall  ist,  mit  voller  Bewusstlosigkeit.  Tritt  dann  keine 
rasche  Hilfe  ein,  so  erfolgt  Lähmung  unter  starker  Sommolenz,  Pupillen- 
erweiterung, kaltem  Schweisse,  kalter  Haut,  Anästhesie,  Muskelschlaffheit, 
röchelnder,  seufzender  Respiration  und  verlangsamtem  Herzschlage;  das  Leben 
erlischt  hierauf  schnell. 

Die    rasche   Abnahme    der    Körperwärme    ist     im    Stadium    der    Lähmung 


Kohlendampf.  345 

besonders  auffallend  und  kann  bei  Thieren  10  °  betragen;  die  Lähmung  schreitet 
von  unten  nach  oben  fort. 

Der  Kohlendunst,  welcher  im  gewöhnlichen  Leben  vorzugsweise  zur  Vergiftung 
Anlass  gibt,  enthält  ausser  dem  Kohlenoxyd  bei  der  Holzkohlenverbrennung  noch 
mehr  oder  weniger  Kohlensäure.  Als  Mittel  von  8  Analysen  fanden  sich  2,54% 
Kohlenoxyd  und  24,68%  Kohlensäure;31)  der  Gehalt  an  Kohlensäure  .muss  stets  den 
Symptomencomplex  modificiren.  Mehre  Versuche  haben  ergeben,  dass  sich  beim 
Holzkohlendampfe,  welcher  bei  offenem  Feuer  gewonnen  wurde,  fast  nur  Kohlen- 
säure und  in  geringem  Grade  Kohlenoxyd  geltend  machen,  während  bei  bedecktem 
Feuer  bald  dieWirkung  des  Kohlenoxyds  in  sehr  bedeutendem  Grade  auftritt;  die 
geringen  Mengen  von  Ammoniak  sind  dabei  ohne  Bedeutung. 

Steinkohlendampf  bei  offenem  Feuer  enthält  fast  nur  Kohlensäure;  nur 
beim  frischen  Aufgeben  der  Steinkohlen  entwickelt  sich  bisweilen  eine  geringe  Menge 
Schwefelwasserstoff.32)  Bei  bedecktem  Feuer  tritt  ausser  dem  Kohlenoxyd 
und  der  Kohlensäure  je  nach  den  verschiedenen  Kohlenarten  häufig  schweflige 
Säure  hinzu;  letztere  macht  sich  höchstens  durch  öfteres  Aufhusten  der  Thiere  be- 
merkbar. Der  Dampf  kann  nämlich  auch  arsenhaltig  sein,  wenn  unter  Umständen  im 
Schwefelkies  der  Steinkohlen  Arsen  vorhanden  war;  im  Russ  der  Steinkohlen  hat 
man  auch  bereits  Arsen  nachgewiesen.33) 

Der  Koksdunst  ist  bei  offenem  Feuer  reich  an  Kohlensäure  Und  schwefliger 
Säure,  so  dass  derselbe  bei  den  Thieren  eine  heftige  Bronchialreizung  zu  erzeugen  ver- 
mag; aber  auch  die  Gegenwart  von  Kohlenoxyd  ist  hierbei  nicht  immer  ausgeschlossen, 
welches  in  einem  Versuche  am  Kaninchen  die  heftigsten  Convulsionen  hervorrief.  Bei 
bedecktem  Feuer  liefert  der  Koksdunst  noch  grössere  Mengen  dieser  Gase  und 
ist  nach  den  angestellten  Versuchen  als  der  gefährlichste  Kohlendampf  zu 
betrachten. 

Beim  Braunkohlendampf  sind  neben  Kohlenoxyd  noch  Ammoniak  und 
schweflige  Säure  zu  beachten. 

In  den  concreten  Fällen  hat  man  bisher  viel  zu  wenig  auf  die  Beschaffen- 
heit des  Kohlendampfes  Rücksicht  genommen;  eine  ganz  abweichende  Wirkung 
zeigen  besonders  die  Dämpfe  aus  friesländischen  Torfkoks.  Die  Erfahrung, 
dass  in  Holland  fast  nie  Intoxicationen  durch  Torf  koksdämpfe  vorkommen,  gab 
zu  folgenden  Versuchen  Anlass: 

Erster  Versuch  mit  den  Dämpfen  aus  friesländischen  Torfkoks. 
Letztere  rührten  aus  Hoogeveen  her;  nachdem  die  Koks  ausgeflammt  hatten,  wurden 
die  glühenden  Kohlen  in  einen  Ofen  gebracht  und  die  sich  entwickelnden  Dämpfe  in  den 
grossen  Glaskasten,  in  welchem  ein  Kaninchen  sass,  getrieben  und  zwar  20  Kolbenstösse 
zu  83  C.-G,  nach  5  M.  und  10  M.  nochmals  je  20  Kolbenstösse;  hierauf  beschleunigte 
Respiration  und  nach  15  M.  ein  vorübergehender  Taumel.  Nach  16  und  20  Min.  je 
20  Kolbenstösse;  nach  24  M.  Bauchlage  mit  ausgespreizten  Hinterbeinen  und  sehr  be- 
schleunigte Respiration.  Nach  40  M.  waren  mit  200  Kolbenstössen  6600  C.-C  Dampf 
eingetrieben  worden;  nach  45  M.  zeigen  sich  keine  andern  Erscheinungen  als  die  sehr 
frequente  Athmung  (40  Inspir.  binnen  %  M.).  Herausgelassen  hält  sich  das  Kaninchen 
nur  kurze  Zeit  ruhig  und  läuft  nach  5  M.  wieder  umher. 

Zweiter  Versuch.  Dasselbe  Kaninchen  wurde  nach  6  Stunden  nochmals  den 
Dämpfen  ausgesetzt:  es  wurden  3486  C.-C.  Dampf  eingetrieben,  welche  nur  vermehrte 
Respiration  zur  Folge  hatten.  Nach  35  M.  Herausnahme  des  Thiers;  es  läuft  sogleich 
umher  und  bietet  nichts  Krankhaftes  dar. 

Dritter  Versuch.  Ein  Meerschweinchen  sitzt  im  kleinen  Zinkkasten;  nachdem 
der  Torf  ausgeflammt  hatte,  wurden  die  sich  entwickelnden  Dämpfe  in  einen  gläsernen 
Gasometer,  welcher  3l/2  Liter  fasste,  aspirirt;  von  hier  aus  wurden  sie  in  den  Kasten 
übergetrieben.  Nach  2  M.  beschleunigte  sich  schou  die  Respiration,  nach  6  M.  33  Inspir. 
binnen  l/4  M.;  Putzen  des  Maules,  Schwanken,  Hinfallen,  Bauchlage,  Fallen  auf  die 
rechte  Seite  folgen  rasch  aufeinander:  in  der  Seitenlage  leichte  Zuckungen  und  Geh- 
bewegungen der  Extremitäten.  Nach  7  M. ,  nach  Verbrauch  der  3 1/2  Liter  Dampf, 
Herausnahme  des  Meerschweinchens;  es  ist  anaesthetisch  und  zeigt  schwache  Respi- 
rationsbewegung: nach  2  M.  sind  die  Augen  wieder  reizbar  und  der  Herzschlag  ist 
stark;  auf  die  Erde  gesetzt,  bleibt  es  schwankend  sitzen:  die  wieder  eingetretene 
Respiration  zeigt  sich  nach  4  M.  beschleunigt;  es  bewegt  sich  beim  Fortschieben  nur 
mit  den  Vorderfüssen ;  nach  8  M.  normale  Respiration,  nach  10  M.  sind  die  Hinterbeine 
noch  gespreizt,  es  bleibt  ruhig  sitzen  und  erst  nach  1  Stunde  bewegt  es  sich  wieder 
ganz  normal. 


;;.jr,  Kohlenstoff  und  Salierstoff. 

Es  ist  thatsSchlich  festgestellt,  dass  der  Torfkoksdampf  reich   au  Cyan. 

ist;    es  lag  daher  auf  Grund   der  vorstehenden  Versuche  die  Vermutbung  nahe, 

dass  es  in  einer  gewissen  antidotarischen  Beziehung  zum  Kohlenoxyd  stände; 

es  wurden    deshalb  die  folgenden  Versuche  mit  einem  Gemisch  von  Cyan  und 

Kohlenoxyd  angestellt: 

Erster  Versuch.  In  einem  Gasometer  befanden  sieh  1  Vol.  Th.  Cyangas  und 
l  Vol.  Th.  Kohlenoxyd;  die  e  Mischung  wurde  dem  Zinkkasten,  in  welchem  ein  Meer- 
schweinchen  sass,  zugeführt;  es  reib!  ogleich  Mau]  und  Nase,  verhält  sich  aber  sonst 
ruhig:  nach  2  M.,  als  200  C.-C.  zugeleitet  worden,  zittert  der  ganze  Körper,  es  taumelt 
und  fällt  auf  die  Seite,  wobei  alle  Extremitäten  rotirende  Bewegungen,  gleichsam  Lauf- 
bewegungen  machen.  Nach  3  M.  vermehren  sieh  die  Respirationen  sehr  bedeutend,  die 
Augen  füllen  Bich  mit  Thränen,  es  hustet  häufig  auf  und  zuckt  mit  den  Vorder- 
extremitäten. Nach  4M.  befinden  sich  300  C.-C.  der  Gasmischung,  ungefähr  7Volums- 
procenl  derselben,  im  Kasten:  hierauf  Herausnahme  des  Thiers  ;  vollständige 
Anästhesie.  Respiration  kaum  bemerkbar;  nach  2  M.  sind  die  Augen  ein  wenig  empfind- 
lieli.  starkes  Jlerzklopfen,  nach  3  M,  beschleunigte  Respiration:  nach  4M.  auf  die  Erde 
gesetzt,  bleibt  es  in  der  Bauchlage  mit  ausgespreizten  Beinen;  nach  5  M.  zittert  es 
bei  jeder  Berührung,  erholt  sich  aber  ziemlieh  rasch  und  bewegt  sich  nach  20  M. 
wieder  normal. 

Zweiter  Versuch.  Das  Experiment  wird  mit  einem  Gemisch  von  1  V.  Th. 
Cyan  und  2  V.  Th.  Kohlenoxyd  wiederholt.  Nach  2  M.  bei  120  C.-C.  Gasmischung 
beschleunigt  sieh  die  Respiration,  das  Thier  wird  unruhig  und  schüttelt  häufig  mit  dem 
Kopfe;  nach  3  M,  bei  200  C.-C.  des  Gasgemisches  taumelt  es,  fällt  auf  die  Seite  und 
macht  rotirende  Bewegungen  mit  allen  Extremitätin ;  hierauf  ruhige  Lage  bei  beschleu- 
nigter Respiration.  Nach  4M.  verlangsamt  sich  die  Respiration  bei  220  C.-C.  (ungefähr 
5  Volumsprocent);  das  Thier  wird  nun  in  vollständiger  Anästhesie  bei  kaum  bemerk- 
barer Bauchrespiration  herausgenommen.  Nach  2  M.  geringe  Reizbarkeit  an  den  Augen, 
Bewegungen  mit  den  Vorderbeinen,  beschleunigte  und  unregelmässige  Respiration  bei 
starkem  Herzklopfen:  nach  4  M.  sitzt  es  mit  dem  Vorderkörper  aufrecht,  nach  6  M. 
natürliche  Bewegungen  des  Kopfes,  leichtes  Zittern  des  Körpers:  nach  30  M.  läuft  es 
wieder  wie  vorher. 

Es  ist  jedenfalls  höchst  auffallend,'  dass  sich  in  diesem  Falle,  grade  wie 
im  dritten  Versuche  mit  dem  Dampfe  des  Torfkoks,  hauptsächlich  nur  die 
Anästhesie  als  Wirkung  des  Kohlenoxyds  einstellte  und  zwar  bei  3,5%  dieses 
Gases,  während  die  stärksten  Kaninchen  unter  gewöhnlichen  Verhältnissen  schon 
bei  3  %  Kohlenoxyd  von  starkeu  Convulsiouen  befallen  werden. 

Diese  Thatsache  ist  jedenfalls  höchst  wichtig,  bedarf  aber  noch  weiterer 
Versuche,  um  die  Beziehung  des  Cyans  zum  Kohlenoxyd  genauer  zu  erforschen; 
so  viel  ist  sicher,  dass  der  Dampf  aus  Torfkoks  der  am  wenigsten  gefährliche 
Kohlendunst  ist. 

Im  Allgemeinen  zeigen  sich  beim  Kohleudampf  aus  Holz-  und  Stein- 
kohlen wegen  der  reichlicher  vorhandenen  Kohlensäure  die  Zeichen  der  Reizung 
mehr  als  beim  reinen  Kohlenoxyd.  Bei  Menschen  ist  daher  in  solchen 
Fälleu  anfangs  der  Kopfschmerz  heftig,  mit  Sausen  und  Brausen  vor  den  Ohren 
verbunden;  auch  zeigen  sich  mehr  Uebelkeit,  Würgen  und  wirkliches  Erbrechen; 
ganz  besonders  ist  die  Athembeklemmuug  ausgebildet,  das  Gefühl  einer  er- 
drückenden, die  Athmuug  hemmeuden  Last  auf  der  Brust  und  das  Gefühl  der 
Erstickungsnoth  nebst  grosser  Angst  werden  noch  im  halbbetäubten  Zustande 
empfundeu. 

Die  Exaltation  der  psychischen  Thätigkeit  zeigt  sich  beim  Kohlen- 
dunst weit  deutlicher  ausgeprägt  als  beim  reinen  Kohlenoxyd;  es  ist  mit  Be- 
stimmtheit anzunehmen,  dass  sie  vorzugsweise  durch  die  Kohlensäure  im  Kohlen- 
dampf bedingt  ist.  Die  Kranken  können  heftig,  aufgeregt,  tobsüchtig  werden 
und  an  einer  vollständigen  Mania  transitoria  leiden  (s.  Kohlensäure). 


Kolilendampf.  347 

Bei  längerer  oder  stärkerer  Einwirkung  des  Kohlendampfes  führen  klonische 
und  tonische  Krämpfe,  Contracturen  einzelner  Muskeln,  Trismas  u.  s.  w.  unter 
Cyanose  und  stertorösem  Athmen  in  das  Stadium  der  Lähmung.  Treten 
Störungen  der  Sensibilität  schon  vor  dem  Schwinden  des  Bewusstseins  ein,  so 
liefern  sie  den  sichersten  Beweis,  dass  sehr  viel  Kohlensäure  im  Kohlendampf 
vorhanden  gewesen.  So  hat  man  namentlich  bei  Einwirkung  der  Gruben- 
brand dämpfe  schon  eine  Hautanästhesie  beobachtet,  wenn  die  Arbeiter 
noch  die  Fahrtsprossen  ergreifen  und  darauf  stehen  konnten.  Aber  auch 
Störungen  der  Motilität,  Schwäche  der  Muskeln  oder  gänzliches  Unver- 
mögen, sich  weiter  zu  bewegen,  zeigen  sich  nicht  selten  schon  vor  völliger 
Aufhebung  des  Sensoriums. 

Nachkrankheiten  hat  man  fast  nur  beim  Kohlendampf  beobachtet;  beim 
reinen  Kohlenoxyd  zeigen  sich  zwar  nach  der  Rückkehr  des  Bewusstseins  noch 
tagelang  convulsivische  Bewegungen  des  Körpers,  heftiger  Kopfschmerz  und  un- 
regelmässiger Puls,  auch  längere  Zeit  noch  Schwindel,  Uebelkeit,  Fieberanfälle 
und  grosse  Schlafneigung  bei  unterbrochenem  Schlafe;  bleibende  Störungen  hat 
man  aber  nicht  wahrgenommen,  vielleicht  schon  deshalb  nicht,  weil  die  Vergif- 
tungen mit  blossem  Kohlenoxyd  weit  seltener  vorkommen. 

Nach  der  Kohlendunstvergiftung  können  Lähmungen  einzelner  Glieder, 
der  Sprache,  der  Harnblase  und  des  Rectums  zurückbleiben.  Auch  entzündliche 
Affectionen  der  Respirationsorgane,  Pneumonie  und  Pleuritis  mit  Exsudat- 
bildung, hat  man  als  Wirkungen  des  Kohlendampfes  angesehen. 34) 

Unter  sehr  vielen  Versuchen  gelang  es  nur  einmal,  bei  einer  Taube, 
eine  partielle  Atelectase  der  Lunge  zu  erzeugen.  Um  alle  andern  Gase 
auszuschliessen,  wurde  ein  Gemisch  von  Kohlenoxyd  und  Kohlensäure 
benutzt. 

Eine  Taube  wurde  einem  Gasgemische  von  l/4%  CO  und  %%  C02  ausgesetzt, 
welches  nach  10  M.  10  sehr  beschwerliche  Respirationen  hervorrief:  sie  verhielt  sich  sonst 
ruhig  und  da  sich  nach  2  Stunden  keine  andren  Erscheinungen  als  die  der  Dyspnoe  ein- 
stellten, wurde  sie  aus  dem  Holzkasten  herausgelassen.  Die  Dyspnoe  hielt  an,  nach 
15  M.  traten  aber  Convulsionen  hinzu,  die  sich  nach  20  M.  mit  Erbrechen  -wiederholten 
und  nach  25  M.  den  Tod  herbeiführten. 

Section  nach  6  Stunden.  Hyperämie  der  Hirnhäute;  aus  den  Brustmuskeln 
fliesst  viel  flüssiges  dunkelrothes  Blut  aus,  das  in  dünnen  Schichten  dunkelkirschroth 
erscheint,  an  der  Luft  aber  mehr  hellkirschroth  wird.  Trachealschleimhaut  hellroth 
injicirt,  die  Oberfläche  der  Lunge  dunkel- und  hellroth  marmorirt.  Die  ganze  rechte 
Lunge  sinkt  unter  den  Wasserspiegel,  erreicht  aber  nicht  vollständig  den 
Boden,  nur  einzelne  Stückchen,  namentlich  des  obern  Lappens,  sinken 
vollständig  zu  Boden:  das  Gewebe  ist  von  mehr  bräunlicher  Farbe,  knistert  nicht 
beim  Durchschneiden  und  erseheint  mit  Ausnahme  der  Ränder  der  einzelnen  Lungen- 
lappen derb;  aus  den  Durchschnittsflächen  tritt  eine  blutige  Flüssigkeit,  aber  kein 
Blut  aus;  dieselbe  findet  sich  auch  in  den  Bronchien.  Die  linke  Lunge  ist  ganz 
schwimmfähig,  mehr  hellroth  gefärbt,  namentlich  im  Parenchym,  und  liefert  auf  der 
Schnittfläche  einen  blutigen  Schaum.  Nur  im  rechten  Herzen  flüssiges  Blut,  Leber 
und  Nieren  hyperämisch. 

l/i  %  CO  und  3%%'  C02  versetzten  eine  Taube  in  grosse  Dyspnoe,  "welche  bald 
verschwand,  als  sie  nach  1  Stunde  ins  Freie  gebracht  wurde.  %  %  CO  und  3%  %  C02 
erzeugten  bei  einer  Taube  nach  4  M.  allgemeine  Convulsionen:  bei  der  sofortigen  Her- 
ausnahme erholte  sie  sich  nach  15  M.  \%  CO  und  Z%  C02  riefen  nach  1%  M.  bei  einer 
Taube  die  heftigsten  Convulsionen  hervor;  herausgenommen  erholt  sie  sich  nach  20  M. 
2%  CO  lind  2%  C02  bewirkten  bei  einem  mittelgrossen  Kaninchen  beschleunigte  Respir., 
Koth-  und  Urinabgang,  Schwanken  bei  verengter  Pupille  nach  8  M.,  Zusammensinken 
nach  13  M.;  bei  beschleunigter  Respiration  (24  Inspir.  binnen  %  M.)  wird  es  nach  15  M. 
in  vollständiger  Anästhesie  herausgenommen.     Nach  1  Stunde  bleibende  Restitution. 

Man  ersieht  aus  diesen  Versuchen,  dass  eine  geringe  Steigerung  des  Gehalts 


348  Kohlenstoff  und  Sauerstoff. 

an  Kohlenoxyd,  ganz  unabhängig  von  der  grössern  oder  geringern  Menge  Kohlen- 
säure, die  charakteristischen  Symptome  der  Kohlendunst -Vergiftung  hervorruft. 
Sollte  vielleicht  eine  längere  Einwirkung  von  kleinen  Mengen  dieses  Gas- 
gemisches für  die  Entstehung  von  Lungenaffectionen  bedeutsam  sein? 

Die  Ansicht  von  Klebs.  dass  die  in  den  übrigen  Organen  nachgewiesenen 
Veränderungen  nirgends  die  Bedeutung  von  Entzündungsprocessen  besässen  und 
daher  auch  Entzündungen  der  Lungen  nur  als  zufällige  Complicatiouen  zu  be- 
trachten  seien,  bedürfte  wohl  einer  Einschränkung.  —  Blödsinn  ist  schon  mehr- 
mals als  die  Folge  von  Kohlenoxyd-  resp.  Kohlendunstvergiftung  beobachtet 
worden.  Eine  Mittheilung  von  Simon35)  scheint  dafür  zu  sprechen,  dass  selbst 
längere  Zeit  nach  der  Restitution  Gehirnerweichung  eintreten  kann;  da 
diese  Vergiftung  den  Process  des  fettigen  Zerfalls  in  verschiedenen  Organen  be- 
dingt, so  hält  es  Simon  für  möglich,  dass  dies  auch  für  die  kleinern  Hirn- 
gefässe  gelten  könne,  so  dass  in  Folge  der  in  diesen  eingetretenen  Veränderungen 
sich  später  Ernährungsstörungen  in  Form  der  Erweichung  einstellen. 

Veränderungen,  welche  als  parenchymatöse  Entzündung,  als  fettige 
Degeneration  auftreten,  finden  sich  in  langsam  verlaufenden  Vergiftungsfällen 
auch  in  den  Muskeln.  Nach  Klebs  beginnen  sie  im  Psoas  und  Iliacus,  in  den 
Adductoren  des  Oberschenkels  und  schreiten  auf  die  Bauch-  uud  Brustmuskeln 
fort;  am  spätesten  oder  gar  nicht  zeigen  sie  sich  in  den  Halsmuskeln,  weniger 
constaut  im  Herzmuskel,  in  den  Nieren,  der  Leber  und  der  Milz. 

An  die  parenchymatöse  Degeneration  könuen  sich  weiterhin  interstitielle 
Wucherungsprocesse  und  Nekrose  der  betreffenden  Theile  anschliessen ;  alle  diese 
Veränderungen  stimmen  mit  denjenigen  überein,  welche  man  auch  bei  Infections- 
krankheiten,  bei  typhösen,  puerperalen  und  septieämischen  Processen  beobachtet; 
namentlich  soll  sich  Nekrose  am  Pharynx  uud  Dickdarm  in  Folge  der  Kohlen- 
duustvergiftuug  ausbilden.  Hierher  gehört  auch  eine  bisweilen  als  Folge  der 
Kohlendunstvergiftung  vorkommende  diphtheritische  Ablagerung  auf  der 
Schleimhaut  des  Gaumens,  des  Kehlkopfs,  des  Colon  und  Rectum.36) 

Eine  durch  Lähmung  der  vasomotorischen  Nerven  herbeigeführte  Atonie 
der  Blutgefässe,  welche  Klebs  in  erster  Linie  als  Wirkung  der  Kohlendunst- 
vergiftung ansieht,  die  aber  nur  als  ein  seeuudäres  Krankheitsproduct  aufzu- 
fassen sein  dürfte,  veranlasst  namentlich  auch  auf  der  Haut  bei  längerm  Kranksein 
Brand  mit  Blasen,  Schorf  und  Decubitus. 

Der  Zucker,  welcher  nicht  selten  im  Harn  der  durch  Kohlendunst  Ver- 
gifteten gefunden  wird,  dürfte  in  gewissem  Zusammenhange  mit  dem  Mangel  an 
Sauerstoff  im  Kohlenoxydblut  stehen. 

Der  Umstand,  dass  das  Kohlenoxyd  den  Sauerstoff  aus  dem  Blute, 
wenigstens  theilweise,  austreibt,  führte  zu  der  Auffassung,  dass  die  Kohleudunst- 
wirknng  in  erster  Linie  in  einer  Sauerstoffentziehung  und  in  der  dadurch 
bedingten  Ernährungsstörung  beruhe.  Traube  hebt  unter  den  Wirkungen 
des  Kohlenoxyds  noch  -besonders  die  Erregung  des  Hemmungsnervensystems 
des  Herzens  hervor,  worauf  er  die  nachträgliche  Pulsverlaugsamung  zurückführt, 
während  sich  die  vorhergehende  Pulsbeschleunigung  durch  Erregung  des 
Centrums  des  vasomotorischeu  Nervensystems  erkläre. 37) 

Das  Section  sresultat  bei  den  schnell  durch  Kohlendunst  Umgekommenen 
bietet  manches  Charakteristische  dar,  welches  für  den  untersuchenden  Arzt  hervorzu- 
heben ist.  In  dieser  Beziehung  ist  zu  bemerken,  dass  die  Verwesung  langsamer  als 
gewöhnlich  eintritt;    im  Winter   fehlt    oft   nach   5—6  Tagen  jede  Spur   derselben.     Alle 


Nachweis  des  Kohlenoxyds  im  Blute.  349 

Todtenflecke  zeichnen  sich  durch  hellere  Röthe  aus  und  finden  sich  zahlreich  auf  dem  Rücken. 
Die  Blutleiter  in  der  Schädelhöhle  enthalten  mehr  oder  weniger  hellrothes,  dünn- 
flüssiges Blut;  die  Gefässe  der  weichen  Hirnhaut  sind  stets  angefüllt,  das  Gehirn 
zeigt  aber  auf  den  Durchschnitten  nicht  immer  Blutpuncte.  Die  Gehirnhöhlen  sind  leer 
oder  enthalten  etwas  Serum,  Plexus  choroidei  und  die  Sinus  an  der  Basis  cranii  blut- 
reich: die  Schleimhaut  der  Trachea  und  des  Larynx  ist  in  Folge  von  Gefässinjectionen  roth 
oder  bräunlich  gefärbt,  die  feinsten  Bronchien  sind  fast  immer  mit  schaumigem  Schleim 
angefüllt;  die  Lungen  häufig  von  röthlicher  Färbung  auf  mehr  oder  weniger  dunkel- 
braunrothem  Grunde:  aus  den  Einschnitten  des  Parenchyms  ergiesst  sich  flüssiges  hell- 
rothes Blut;  auch  beim  Druck  auf  die  Schnittflächen  tritt  oft  dünnflüssiges,  mit  schau- 
migem Schleime  vermischtes  Blut  aus,  während  die  untern  Lungenlappen  häufig  die 
Erscheinungen  des  Oedems  darbieten.  Das  rechte  Herz  ist  an  flüssigem,  hellrothem 
Blute  in  der  Regel  reicher  als  das  linke.  Leber  und  Milz  bieten  oft  wenig  Abnormes 
dar,  wenn  sie  nicht  durch  das  hellrothe  Blut  eine  Farbenveränderung  erleiden;  dagegen 
zeichnen  sich  die  Nieren  stets  durch  Hyperämie  aus.  Die  grössern  Unterleibsgefässe 
sind  mit  dünnflüssigem  hellrothem  Blute  gefüllt;  das  hellrothe  Blut  ist  die 
Regel;  ist  es  dunkler  gefärbt,  so  ist  der  betreffende  Kohlendampf  jedenfalls  sehr  reich 
an  Kohlensäure  gewesen. 

Ist  der  Tod  in  Folge  von  Holzkohlendampf  erfolgt,  so  fehlt  fast  nie  die 
helle  Röthe  der  Lungen  und  des  Blutes;  beim  Koks  dampf  und  häufig  auch  beim 
Steinkohlendampf  influirt  schon  die  schweflige  Säure  auf  die  Farbe  des  Blutes, 
welches  sich  dann  mehr  der  dunklen  Röthe  nähert.  Von  der  Farbe  des  Blutes  hängt 
auch  die  Inj  ections röthe  auf  den  Schleimhäuten  der  Luftwege  ab,  welche  beim  Koks- 
und Steinkohlendampf  oft  mehr  bräunlichroth  ist.38) 

Nachweis  des  Kohlenoxyds  im  Blute.  Hierher  gehört  1)  das  Verhalten 
des  Blutes  vor  dem  Spectralapparate;  ist  das  Blut  kohlenoxydhaltig, 
so  werden  die  beiden  Blutbänder  durch  Zusatz  von  Schwefelammonium 
nicht  verändert,  während  die  Streifen  des  normalen  Blutes  in  ein  einziges  breites 
Band  übergehen  und  verschwinden.  Das  Reductionsmittel  (ausser  Schwefel- 
Ammonium  (Hoppe-Seyler)  auch  Zinnchlorür  oder  die  Stokes'sche  Flüssig- 
keit: Eisen  vitriollös  ung,  Weinsäure  uud  Ammoniak) 39)  nimmt  nämlich  die  Streifen 
des  Sauerstoff- Hämoglobins  weg,  lässt  aber  die  des  Kohlenoxyd -Hämoglobins 
unberührt.  Die  Streifen  des  Sauerstoff  -  Hämoglobins  sind  übrigens  denen  des 
Kohlenoxyd -Hämoglobins  äusserst  ähnlich  und  unterscheiden  sich  nur  in  ihrer 
Lage  etwas  von  einander.  Den  Sauerstoff  treibt  das  Kohlenoxyd  nur 
partiell  aus. 

Interessant  ist  das  Verhalten  des  Kohlenoxydbluts  gegen  Kupferchlorür- 
Chlorammonium  Cu2  Cl2-f-  2  NH4C1;  behandelt  man  das  Blut  mit  diesem 
Reagens,  so  verschwinden  die  Absorptionsstreifen  vollständig.  Diese  Beobachtung 
dürfte  schon  zu  der  Auffassung  führen,  dass  es  sich  bei  der  Absorption  des 
Kohlenoxyds  durch  das  Blut  nicht  um  eine  chemische  Verbindung,  sondern  um 
eine  physicalische  Aufnahme  handelt.  Eine  weitere  Stütze  hierfür  wird  durch 
die  Aspiration  des  Kohlenoxyds  aus  dem  Blute  geliefert,  ein  Factum,  welches 
einer  genauem  Erörterung  bedarf. 

2)  Die  Methode,  das  Kohlenoxyd  aus  dem  Blute  zu  aspiriren  und 
auf  dasselbe  durch  Palladiumchlorür  zu  reagiren,  beruht  nur  auf  der  Thatsache, 
dass  das  Kohlenoxyd  mit  den  Blutkörperchen  keine  chemische  Verbindung 
eingeht.40)  Diese  Auffassung  ist  von  der  Kritik  jahrelang  und  oft  in  nicht  sach- 
gemässer  Weise  angegriffen  worden,  bis  vor  Kurzem  Donders41)  bestätigte,  dass 
das  Blut,  welches  mit  Kohlenoxyd  gesättigt  worden,  dieses  Gas  sogar  schon  bei 
0°  C.  verliert;  er  hebt  ausdrücklich  hervor,  dass  das  Kohlenoxyd  nicht  nach 
vorgängiger  Oxydation  zu  Kohlensäure  als  solche  entweiche,  vielmehr  enthalte 
die  durch   das  Blut  getriebene  Luft  keine  Spur  von  Kohlensäure,   wenn  letztere 


350  Kohlenstoff  und  Sauerstoff. 

vorher  durch  einen  genügenden  Strom  von  Kohlenoxvd  vollkommen  aus  dem  Blute 

entfernt  war. 

Zuntz*7)  hat  die  betreffenden  Versuche  mit  Erfolg  wiederholt,  indem  er  das  mit 
Kohlenoxyd  gesättigte  Blut  in  den  auf  37 — 42°  C.  erwärmten  Recipienten  der  Pflüger'- 
schen  Pumpe  brachte.  Es  erfolgte  anfangs  eine  ziemlich  lebhafte  Gasentwicklung, 
welche  aber  erheblich  geringer  war  als  bei  normalem  Blute.  Nach  wiederholtem 
Pumpen,  wobei  das  Blut  zuletzt  auf  60°  C.  erhitzt  worden,  wurde  constatirt,  dass  das 
Blut  den  Stokes'schen  Streifen  des  gasfreien  Hämoglobins  zeigte,  welcher  nach  Zulassung 
ii  Luft  sofort  dem  des  Oxy- Hämoglobins  wich;  keine  Spur  von  Zersetzung  des 
Hämoglobins  war  spektroskopisch  nachweisbar. 

Es  wurden  31,65  C.-C.  Hundeblut  von  1071  spec.  Gew.  ausgepumpt. 
Bei  40°  C.  wurden  gewonnen  =  4,607  C.-C.  CO  (6°  und  1  •"•) 
„     600  C.         n  ^  =  o^98      n      CQ 

In  toto  =  5,605  C.-C.  CO, 
das  ist  =  17,7$  des  Blutvolumens. 

Warum  frühere  Beobachter  das  CO  nicht  aus  dem  Blute  auspumpen  konnten, 
rührt,  wie  Zuntz  richtig  bemerkt  und  worauf  wir  stets  hingewiesen  haben,  daher,  dass 
sie  aufhörten  zu  pumpen,  wenn  die  entweichenden  Gasmengen  minimal  wurden,  während 
sich  fast  das  ganze  gewonnene  Kohlenoxyd  aus  diesen  minimalen  Quantitäten  allmählig 
ansammelt. 

Was  nun  das  Reagens  auf  CO  betrifft,  so  ist  der  Einwand,  dass  auch  andere 
Gase  die  Palladiumchlorürlösung  schwarz  färben,  irrelevant,  da  das  Gas,  ehe  es  die 
Palladiumchlorürlösung  durchstreicht,  vorher  concentrirte  Schwefelsäure  und  Bleiacetat- 
lösung  zu  passiren  hat,  wodurch  etwaige  Kohlenwasserstoffe  resp.  Ammoniak  und 
Schwefelwasserstoff  zurückgehalten  werden.43) 

Wichtiger  ist  der  Einwurf,  dass  Acetylen,  welches  möglicherweise  bei  einer 
unterdrückten  Verbrennung  auftreten  kann,  dieselbe  Reaction  auf  Palladiumchlorürlösung 
ausübe.  Lassen  die  Umstände  das  Auftreten  dieses  Gases  vermuthen,  so  unterliegt  eine 
vorhergehende  Absorption  des  aus  dem  Blute  ausgetriebenen  Kohlenoxyds  mittels 
einer  salssauren  Kupferchlorürlösung  keinen  Schwierigkeiten.  Bekanntlich  wird 
Acetylen  nur  von  einer  alkalischen  oder  ammonia kaiischen  Kupferchlorür- 
lösung aufgenommen.  Durch  Erwärmen  oder  Sieden  der  salzsauren  Kupferchlorür- 
lösung kann,  wenn  es  in  der  obigen  Weise  benutzt  worden,  das  Kohlenoxyd  wieder  aus- 
getrieben werden;  man  lässt  es  dann  durch  die  Palladiumchlorürlösung  streichen,  in 
welcher  es  sich  durch  den  Niederschlag  von  zarten,  glänzenden,  schwarzen  Plättchen 
von  Palladium  zu  erkennen  gibt,  da  bekanntlich  Kohlenoxyd  das  Palladiumchlorür 
zersetzt. 

Das  Misslingen  des  Nachweises  von  CO  durch  Palladiumchlorür  bei  geringen 
Mengen  dieses  Gases  beruht  nur  auf  einer  unzulänglichen  Handhabung  des  Reagens; 
es  ist  nämlich  nicht  hinreichend,  dass  das  Gas  bloss  die  Flüssigkeit  durchstreicht,  man 
muss  vielmehr  dasselbe  einen  Liebig'schen  Kaliapparat,  welcher  mit  verdünnter  ange- 
säuerter Palladiumchlorürlösung  angefüllt  ist,  passiren  lassen.  *) 

[s1  das  Kohlenoxyd  nur  spurweise  vorhanden,  so  reicht  auch  der  Kugelapparat 
oicht  mehr  aus:  man  muss  dann  das  zu  untersuchende  Gas  in  eine  Absorptionsröhre 
über  Quecksilber  bringen  und  mittels  einer  gebogenen  Pipette  die  Palladiumchlorürlösung 
in  die  Absorptionsröhre  geben. 

Selbst  minimale  Mengen  des  Gases  geben  sich  noch  durch  eine  schwarze,  glän- 
zende oder  spiegelnde  Oberfläche  der  Palladiumchlorürlösung  zu  erkennen,  und  grade 
in  dieser  Thatsache  liegt  der  grosse  Vorzug  dieser  Methode. 

Kupferchlorürlösung,  mag  sie  ammoniakalisch  oder  salzsäurehaltig  sein, 
absorbirt  zwar  CO,  ohne  jedoch  eine  Farbeveränderung  oder  sonstige  Reaction  wahr- 
nehmen zu  lassen ;  zum  Nachweise  von  CO  ist  es  daher  weniger  geeignet  als  Palladium- 
chlorür. 


*)  Auch  die  richtige  Darstellung  des  Reagens  ist  »sehr  wichtig.  Man  löse  ö  Th. 
PalladiummetaL1  in  Königswasser  auf  und  dampfe  im  Wasserbade  bis  zur  Trockene  ein. 
Im  die  Salpetersäure  zu  zerstören,  übergiesse  man  die  trockene  Masse  noch  einige  Male 
mit  Salzsäure  und  dampfe  wieder  ein:  man  wiederhole  diese  Procedur  so  lange,  bis  sich 
Dämpfe  von  Untersalpetersäure  nicht  mehr  zeigen;  die  trockene  Masse  wird  schliesslich 
in  96  Th.  Wasser  gelöst.  Die  Lösung  muss  die  Farbe  eines  dunkeln  Madeiraweines 
wenn  sie  zur  Absorption  von  CO  dienen  soll.  Für  qualitative  Untersuchungen 
reichen  grössere  Verdünnungen  aus:  1  C.-C.  Lösung  (=  1,19  Grm.)  enthält  ca.  0,19  Grm. 
metallisches  Palladium. 


Nachweis  des  Kohlenoxyds  im  Blute. 


351 


Bezüglich  der  Absorptionsfähigkeit  des  Blutes  für  Kohlen  oxyd  wurde 
noch  folgender  Versuch  gemacht:  1500  C.-C.  frisches  defribinirtes  Ochsenblut  wurde  in 
einen  Absorbator  (Fig.  43  A)  gegeben  und  letzterer  mit  der  Glocke  B,  welche  mit  CO 
gefüllt  war,  verbunden.     Durch  Oeffnen  der  Hähne  F  und  G   wurde  das  Blut  aus  dem 

Absorbator    in    den    Messcylinder   H    ge 


Fig.  43. 


lassen,  dadurch  aber  in  den  Absorbator 
ebenso  viel  CO  zum  Blute  gebracht  und 
zwar  bis  zur  Gleichstellung  des  Niveaus 
in  der  Glocke  (B)  und  im  Absorbator  (A), 
wodurch  im  Manometer  (M)  das  mit  Indigo 
gefärbte  Wasser  ebenfalls  sich  in's  Niveau 
stellte.  Nun  werden  beide  Hähne  (F  und 
G)  geschlossen.  Es  waren  390  C.-C.  Blut 
in  den  Messcylinder  (FI)  abgeflossen,  also 
390  C.-C.  CO  zum  Reste  des  Blutes  im 
Absorbator  getreten,  wodurch  sich  ein  Ver- 
hältniss  des  Blutes  zum  CO  im  Verhält- 
niss  von  ( 1500  -  390 )  :  390  =  1 110  C.-C. 
Blut :  390  C.-C.  CO  herausstellte. 

Von  einer  Absorption  des  Kohlen- 
oxyds konnte  anfangs  nichts  wahrgenom- 
men werden,  da  die  Flüssigkeit  im  Mano- 
meter nicht  nach  dem  Absorbator  zu  stieg; 
wurde  jetzt  der  Apparat  geschüttelt,  so 
dass  die  Oberfläche  des  Blutes  dem  CO 
gegenüber  vermehrt  wurde,  so  fand  eine 
Absorption  statt,  welches  sich  durch  ein 
Steigen  der  Manometerflüssigkeit  nach  dem 
Absorbator  (A)  hin  kund  gab. 

Nach  einiger  Zeit  stellte  sich  jedoch 
die  Manometerflüssigkeit  wieder  in's  Niveau. 
Durch  ein  abermaliges  Schütteln  fand  wie- 
derum eine  Absorption  statt  und  die  Mano- 
meterflüssigkeit stellte  sich  ebenfalls  nach 
einiger  Zeit  wieder  in's  Niveau.  Dieses 
Steigen  und  Fallen  der  Manometerflüssig- 
keit konnte  36  Stunden  lang  durch  Schüt- 
teln bewerkstelligt  werden.  Nach  dieser 
Zeit  wurde  die  Manometerflüssigkeit  nach 
aussen  zu  gehoben ,  so  dass  sie  zuletzt 
überfloss. 

Hieraus  geht  hervor,  dass  das  Blut  Komenox7d  unter  Deplacirung  der  Blutgase 
absorbirt,  aber  alllmählig  in  Kohlensäure  verwandelt  wird,  welche  schliesslich  das 
Ueberfliessen  der'  Manometerflüssigkeit  bedingte  und  als  solche  nachgewiesen  wurde. 

1200  C.-C.  Blut  wurden  mit  600  CO  zasammengegeben-  Nach  der  Absorption 
(24  Stunden)  enthielten  die  500  C.-C.  Gas  0.187  Grm-  C02-  Durch  Palladiumchlorür 
konnte  in  den  500  C.-C.  Luft  kein  Kohlenoxyd  nachgewiesen  werden. 

Dass  CO  im  Blute  allmählig  in  Kohlensaure  übergeht,  hat  zuerst  Pokrowsky 
experimentell  nachgewiesen.*4)  Dieser  Process  be™ht  auf  einer  successiven  Oxydation 
von  CO  durch  den  absorbirten  Sauerstoff  und  muss  selbstverständlich  im  lebendigen 
Blute  rascher  vor  sich  gehen  als  im  todten. 

Wird  aber  kohlenoxydhaltiges  Blut  binnen  einer  so  kurzen  Frist  eingetrocknet, 
class  dem  CO  keine  Zeit  geboten  wird,  sich  allmählig  in  Kohlensäure  umzuwandeln  und 
als  solche  auszutreten,  so  bleibt  CO  selbst  noch  Monate  lang  _ in  dem  eingetrockneten 
Blute  unverändert  erhalten,  weil  durch  dessen  Beschaffenheit  dem  Eindringen  des 
Sauerstoffs,  somit  dem  Oxydationsprocesse,  vorgebeugt  wird.45) 

3)  Eine  dritte  Methode  des  Nachweises  von  CO  im  Blute  besteht  in  der 
Behandlung  desselben  mit  Aetznatronflüssigkeit  von  1,3  spec.  Gew.,  wobei 
sich  die  Haltbarkeit  der  rothen  Farbe  des  Blutes  documentirt.46)  Während  das 
normale  Blut  hierbei  eine  schwarze  schleimige  Masse  liefert,  erhält  man  beim 
Kohlenoxydblut  eine  geronnene  Masse  von  rother  Farbe,  welche,  in  dünnen 
Streifen  auf  Porcellan  betrachtet,  mennig-  bis  zinnoberroth  erscheint. 

Setzt  man  zu  2  Th.  Aetznatronflüssigkeit  2%  Th.  Chlorcalciumflüssigkeit  (1  :  3),  so 


352  Kohlenstoff  und  Sauerstoff. 

entsteht  beim  CO-Blute  eine  schöne  Carminröthe,  beim  normalen  Blute  eine  hell- 
braune bis  braunrothe  Farbe. 4T) 

Diese  Methode  verliert  selbstverständlich  anWerth,  wenn  das  Kohlen dunstblut  die 
rothe  Farbe  nicht  in  einem  exquisiten  Grade  darbietet,  was  namentlich  bei  der  gleieh- 
Einwirkung  von  schwefliger  Saure  oder  grosser  Mengen  Kohlensäure  der 
Fall  ist. 

Bei  Behandlung  der  Folgen  von  Kohlenoxyd-  resp.  Kohlendunst  Vergiftung 
kann  von  Antidoten  nicht  die  Rede  sein.  Bei  Asphyktischen  handelt  es  sich 
zunächst  uui  die  Wiederherstellung  der  Respiration;  die  Marshall-HaH'sche 
oder  Silvester'sehe  Methode  sollteu  hier  nie  umgangen  werden;  man  verbinde 
damit  unter  Umständen  die  äussern  Reizmittel,  indem  man  von  kalten  Begiessungen, 
Bärsten,  Frottiren  u.  s.  w.  uötbigeufalls  bis  zur  Reizung  des  N.  phrenicus 
mittels  des  [nductionsapparats  schreitet. 

Da  die  Elimination  des  Kohlen  oxyds  die  Hauptindication  bilden  rauss, 
so  ist  der  grösste  Werth  auf  die  künstliche  Respiration  zu  legen,  welche  eben 
durch  die  mechanischen  Manipulationen  einzuleiten  ist;  diese  Methode  hat  den 
grossen  Vortheil,  dass  sie  sofort  an  Ort  und  Stelle  auszuführen  ist.  Sobald  die 
Inspirationen  beginnen,  sollte  man  dann  womöglich  die  Inhalation  von  Sauer- 
stoff bewirken,  um  theils  einer  energischen  Austreibung  des  Kohlenoxyds  zu  ge- 
nügen, theils  die  Oxydation  des  im  Blute  noch  vorhandenen  Kohlenoxyds  zu  be- 
fördern. In  einem  coucreten  Falle  von  intensiver  Intoxication  waren  die  Erfolge 
so  überraschend,  dass  diese  Methode  niemals  vernachlässigt  werden  sollte;  wir 
halten  daher  die  Sauerstoff-Inhalation  für  ein  souveränes  Mittel  bei  dieser 
Vergiftung.     Als  letzter  Versuch  bleibt  die  Transfusion  übrig.48) 

In  sanitärer  Beziehung  sind  wegen  der  sehr  giftigen  Eigenschaften 
des  Kohlenoxyds  alle  Processe,  bei  denen  es  auftritt,  mit  Strenge  zu  über- 
wachen. Hierher  gehören  hauptsächlich  diejenigen  chemischen  Operationen, 
welche  eine  Erzeugung  von  CO  zur  Folge  haben  und  wo  das  Gas  in  so  geringer 
Menge  auftritt  oder  mit  so  vielen  fremden  Gasen  vermischt  ist,  dass  es  als 
Brennmaterial  keine  Verwendung  finden  kann. 

E-  i?t  hier  namentlich  die  Industrie  der  Phenylsäurefarben  (Corallin, 
Phenylroth,  Phenylblau,  Phenylviolett)  anzuführen.  Man  lässt  hierbei  ein  Gemisch  von 
Oxalsäure  und  concentrirter  Schwefelsäure  bei  erhöhter  Temperatur  auf  Phenylsäure 
(Carbolsäure)  einwirken,  wobei  sich  stets  CO  entwickelt;  das  Gas  enthält  aber  so  viel 
Kohlensäure,  dass  es  als  Brennmaterial  nicht  zu  benutzen  ist;  andererseits  ist  aber  auch 
die  Ableitung  desselben  in  den  freien  Fabrikraum  nicht  zu  gestatten.  Man  leitet  es  am 
besten  durch  besondere  Leitungsröhren  und  unter  den  geeigneten  Sicherheitsmassregeln 
unter  den  Rost  der  Feuerung. 

Bei  der  Bereitung  des  Acetons  aus  essigsaurem  Calcium  oder  Natrium  unter 
Zusatz  einer  geringen  Menge  Kalk  sowie  aus  einer  Mischung  von  Bleizucker  und 
Kalk  tritt  stets  CO  auf;  es  ist  deshalb  unzulässig,  die  Destillationsapparate  mit  der 
Kühlvorrichtung  so  zu  verbinden,  dass  die  nicht  condensirbaren  Gase  frei  in  den  Fabrik- 
rauin  entweichen  können.  Das  CO  tritt  hier  oft  in  so  bedeutender  Menge  auf,  dass  es 
entzündet  werden  kann:  ausserdem  ist  es  stets  mit  Sumpfgas  vermischt. 

Sollen  die  Gase  unter  die  Feuerung  geleitet  werden,  so  ist  dies  mit  der  grössten 

ht  zu  bewerkstelligen,  da  sonst  heftige  Explosionen  uuvermeidlich  werden:  es  ist 
dabei  stets  ein  Gassammeikasten  nebst  Draht  bündeln  oder  Sicherheitssieben  im  Ab- 
leitongsrohre  nach  der  Feuerung  zu  gebrauchen;  letztere  wirken  wie  das  Drahtnetz  der 
Davy'schen  Sicherheitslampe  (s.  Holzgeist). 

In  bewohnten  Räumen  stammt  das  Kohleuoxyd  entweder  vom  Leucht- 
gase (s.  Leuchtgasfabrication),  das  undichten  Leitungen  entströmt,  oder  von  den 
Feuerungsgasen  her. 

^  elpeau  hat  1865  zuerst  eine  Beobachtung  von  Carret  über  eine  neue 
Epidemie  in  Savoyen  mitgetheilt,   welche  man    als  „Meningitis  cerebro-spinalis, 


Kohlendunst.  353 

Typhus  cerebralis  und  Febris  renrittens  gravis"  angesehen  habe,  die  aber  nur 
Intoxicationen  von  dem  den  eisernen  Oefen  entströmten  Kohlenoxyd  gewesen 
wären.49) 

Diese  Bedingungen  fehlen  aber  beim  glühenden  Ofen,  bei  dem  ein  Aus- 
tritt des  im  Ofen  gebildeten  Kohlenoxyds  durch  das  Gusseisen  um  so  weniger 
möglich  ist,  als  hier  ein  kräftiges  Saugen  resp.  ein  starker  Zug,  also  das  Gegen- 
theil  von  Druck,  stattfindet;  ausserdem  entwickeln  sich  bei  einem  ergiebigen 
Luftzuge  kaum  Spuren  von  Kohlenoxyd  im  Ofen.50) 

Trotzdem  begegnet  man  stets  der  Warnung  vor  glühenden  Oefen  als  einer  Quelle 
von  Kohlenoxyd  in  bewohnten  Räumen;  schon  sehr  viel  Unheil  würde  entstanden 
sein,  wenn  diese  Auffassung  begründet  wäre.  Bei  armen  Familien  wird  im  Winter  der 
Ofen  sehr  häufig  glühend  erhalten,  weil  sie  darauf  angewiesen  sind,  ein  lebhaft  unter- 
haltenes Feuer  in  ihren  kleinen  Verbrennungsapparaten  zu  behalten;  aber  grade  bei 
den  ärmeren  Ständen  finden  sich  im  Allgemeinen  viel  weniger  Intoxicationen  durch 
Kohlenoxyd,  weil  sie  weniger  Veranlassung  finden,  die  Feuerung  zu  beschränken,  son- 
dern bemüht  sein  müssen,  die  Störungen  derselben  baldigst  zu  heben.  Nur  dann  kann 
sich  CO  bilden,  wenn  sich  Staub  auf  glühenden  Eisenflächen  ablagert;  unter  den  ge- 
wöhnlichen A7erhältnissen  ist  jedoch  die  Menge  desselben  so  gering,  dass  von  schädlicher 
Einwirkung  kaum  die  Rede  sein  kann;  in  Schulen,  Tanzlocalen  und  in  den  meisten 
Werkstätten  ist  dieser  Umstand  aber  immerhin  zu  beachten  und  deshalb  vor  glühen- 
den Oefen  zu  warnen. 

Auch  bei  Luftheizungen  könnte  dieser  Fall  eintreten,  wenn  der  Heizapparat 
bei  unzweckmässiger  Construction  bis  zum  Glühen  erhitzt  würde. 

Dass  Kohlenoxyd  ganz  bedeutende  Krankheitsprocesse  einleiten  kann,  ist  hin- 
reichend begründet;  auch  sind  Kohlenoxyd -Vergiftungen  mit  Typhus  und  ähnlichen  Er- 
krankungen selbst  ärztlicherseits  verwechselt  worden:  es  ist  daher  von  der  grössten 
Wichtigkeit,  diesem  schädlichen  Factor  überall  nachzuforschen  und  seine  deletäre  Wir- 
kung zu  verhüten.  So  kann  z.B.  bei  Holzkohlenf euerung  Vergiftung  durch  CO 
in  doppelter  Weise  stattfinden,  erstens  durch  das  während  der  Verbrennung  gebildete 
CO  und  zweitens  durch  das  Entweichen  des  in  den  frisch  aufgelegten  Kohlen  ent- 
haltenen Gases. 

Die  qualitative  Zusammensetzung  des  Kohlendunstes  wird  stets  bei 
ein  und  demselben  Brennmaterial  gleich  sein;  doch  darf  man  selbstverständlich  kein  zu 
grosses  Gewicht  auf  die  quantitative  Zusammensetzung  des  Kohlendunstes  legen, 
weil  die  Mengenverhältnisse  jeden  Augenblick  bei  fortschreitender  Verbrennung  sich 
ändern  werden.  Ein  stärkerer  oder  schwächerer  Luftstrom,  der  Feuchtigkeitsgehalt  der 
zuströmenden  Luft,  sowie  die  Temperatur  und  der  Barometerstand  werden  die  quan- 
titative Zusammensetzung  stets  alteriren.  Es  ist  die  Beobachtung  gemacht  worden,  dass 
bei  niederm  Barometerstand,  z.  B.  auf  hohen  Bergen,  der  Kohlendunst  durchschnittlich 
unter  sonst  ganz  gleichen  Verhältnissen  kohlenoxydreicher  ist. 

Wird  die  Sauerstoffzufuhr  durch  ein  anderes  Gas,  z.  B.  Kohlensäure,  beschränkt, 
so  kann  sich  um  so  leichter  Kohlenoxyd  erzeugen,  wie  wir  beim  Verbrennen  von 
Holzkohlen  in  tiefen  Brunnenschächten  sehen.  Wird  in  solchen  tiefen  Gruben 
ein  Kohlenfeuer  unterhalten,  so  kann  sich  die  gebildete  Kohlensäure  vermöge  ihres 
hohen  spec.  Gewichtes  nicht  aus  dem  Schachte  erheben;  sie  mischt  sich  mit  der 
Atmosphäre  und  beeinträchtigt  somit  den  Sauerstoffgehalt  derselben.  Die  Verbrennung 
wird  nun  eine  minder  energische  sein,  wodurch  sich  statt  Kohlensäure  grosse  Mengen  von 
Kohlenoxydgas  bilden.  Aus  diesem  Grunde  ist  es  nicht  zulässig,  dass  sich  bei  Repa- 
raturen von  Pumpen  u.  s.  w.  die  zum  Erwärmen  der  Löthkolben  dienenden  Kohlenfeuer 
auf  dem  Grunde  des  Brunnens  befinden;  hier  ist  nur  das  Löthen  mit  der  Lampe 
zu  gestatten,  damit  Unglücksfälle  verhütet  werden. 

Die  sogenannten  Grubenbrandwetter  in  Bergwerken  kommen  im  All- 
gemeinen nicht  häufig  vor,  da  die  Verzimmerung  mit  Wasser  gesättigt  ist  und 
sogar  in  dem  Falle,  wenn  das  Holz  der  nassen  Moderfäule  verfallen  ist,  zwar 
eine  leichte  Entzündbarkeit  eintritt,  jedoch  die  nothwendige  Sauerstoffzufuhr 
mangelt,  um  einen  nachhaltigen  Verbrennungsprocess  zu  unterhalten.  Solche 
Grubenbrände  ersticken  bald  in  sich  selbst  und  können  nur  dann  grössere 
Dimensionen    annehmen,    wenn    sie   in    der  Nähe  der  Wetterschächte   resp.  bei 

Eulenberg,  Gewerbe-Hygiene. 


354  Kohlenstoff  und  Sauerstoff. 

neuer  Zuführung  von  Sauerstoff  entstehen;  mit  Schliessung  der  Wetteruug,  d.  h. 
mit  Absperrung  der  Sauerstoffzufuhr,  hört  der  Brand  auf. 

In  den  oberschlesischen  Bergwerken  kommen  die  Grubenbrände  nicht 
selten  vor;  bekannt  sind  in  dieser  Beziehung  die  Fanny-  und  die  Carolinenhütte 
bei  Kattowitz. 

Bei  der  Förderung  des  bitumenreichen  Kupferschiefers  treten  zuweilen 
Selbstentzündungen  ein,  welche  jedoch  durch  die  Entwicklung  von  schwefliger  Säure 
bald  erstickt  werden.  Die  Bergleute  werden  hier  durch  dieses  Gas  selbst  gewarnt  und 
bewältigen  den  Brand  durch  Abschneiden  der  Sauerstoffzufuhr.  Dasselbe  findet  auch 
bei  Schwefelkiesgruben  statt;  im  sogenannten  „brennenden  Berge"  der  Grube 
Duttweiler  bei  Saarbrücken  brennt  es  selbst  über  Tag  am  Ausgehende  eines  Flötzes; 
aus  den  Spalten  der  Brüche  brechen  Wasserdämpfe  hervor  und  an  den  vollständig 
rothgebrannten  Schieferthonen  schlagen  sich  Salmiak  und  Schwefel  nieder.51) 

Auf  die  Vegetation  übt  Kohlenoxyd  keinen  schädlichen  Einfluss  aus;  ein 

Geraniumstrauch   blieb  einen  ganzen  Tag  in  einer  Atmosphäre  von   CO  stehen, 

ohne    im    Geriugsten    davon    afficirt   zu    werden;    sobald    aber   Kohlenoxyd    mit 

Kohlensäure  vermischt  wird,  fangen  die  Pflanzen  an  zu  kränkeln. 

Verwendung  des  Kohienoxyds.  Die  aus  den  Hohöfen  entweichenden  Gichtgase 
sind  nach  der  Art  des  angewendeten  Brennstoffs  und  der  verschiedenen  Höhe  der  Tem- 
peratur verschiedene  Gemenge  von  Kohlenoxyd,  Wasserstoff,  Kohlenwasser- 
stoff, Ammoniak,  Kohlensäure  und  Stickstoff.  Sie  sind  so  massenhaft,  dass 
sie  zur  Feuerung,  namentlich  als  Brennmaterial  bei  Dampfkesseln,  Schmelzöfen  und 
ähnlichen  gewerblichen  Anlagen  benutzt  werden.  Die  in  dieser  Beziehung  angestellten 
Versuche  von  Aubertot  und  Lampadius  wurden  vorzüglich  durch  den  Bergrath  Faber  </" 
F(>nr  zu  Wasseralfingen  vervollkommnet,  so  dass  man  gegenwärtig  diese  Gase  auch  zum 
Frischen  und  Schmelzen  des  Eisens  in  Flammenöfen,  zum  Rösten  und  zur  theil weisen 
Reduction  der  Eisensteine  und  zum  Puddeln  des  Eisens  u.  s.  w.  benutzt. 

Während  Bunsen.  Playfair  und  Ebelmen  als  Chemiker  auf  diesem  Gebiete  thätig 
waren,  hat  sich  Emil  Langen  um  die  Construction  zweckmässiger  Apparate  zum  Auf- 
fangen der  Gichtgase  verdient  gemacht  (s.  Eisenindustrie). 

Gegenwärtig  stellt  man  in  besondern  Schachtöfen,  in  den  sog.  Gasgeneratoren, 
aus  allen  möglichen  Abfällen  von  Holz,  Kohle,  Sägespänen,  Torfgries  u.  s.  w.  brenn- 
bare Gase  (Generatorgase)  dar,  welche  aus  verschiedenen  Mengen  von  Stick- 
stoff, Kohlenoxyd,  Kohlensäure  und  Wasserstoff  bestehen  und  grade  wie  die 
Gichtgase  benutzt  werden;  man  verwerthet  auf  diese  Weise  auch  die  geringfügigsten 
Brennmaterialien. 

Die  «SiVwews'schen  Regeneratoren  mit  Gasfeuerung  erhalten  mit  jedem 
Tage  eine  grössere  Bedeutung  für  die  Industrie.  Sie  stellen  Kammern  dar,  die  aus  lose 
aufeinander  gelegten  feuerfesten  Ziegeln  construirt  sind,  um  die  Wärme,  welche  in  den 
dem  Schornstein  zuströmenden  Verbrennungsgasen  enthalten  ist,  zuvor  aufzufangen  und 
als  heisse  Luft  für  die  Speisung  des  Feuerherdes  zu  verwerthen;  gewöhnlich  sind  zwei 
solcher  Kammern  vorhanden.  Zwei  andere  Kammern  dienen  zur  Vorwärmung  des 
Brennmaterials,  welches  in  dem  sogenannten  Generator  zuvor  in  Gas  verwandelt 
wird.  Dieses  Heizgas  gelangt  alsdann  in  die  erwähnten  Heizkammern,  welche  zur 
Aufspeicherung  und  Abgabe  der  Wärme  dienen. 

Beim  Hohofenprocesse,  welcher  grosse  Mengen  von  CO  entwickelt,  werden  die 
sogenannten  Gichtgase  durch  besondere  Vorrichtungen  aufgefangen  und  durch  Canäle 
nach  den  Benutzungsstellen  hingeführt.  Da  diese  Gase  mit  einer  gewissen  Kraft  durch 
die  Abzüge  weggeführt  werden,  so  können  undichte  Stellen  zur  Verbreitung  von  CO 
in  den  Arbeitsräumen  Veranlassung  geben;  es  sind  deshalb  niemals  genietete  Blech- 
röhren, sondern  stets  gusseiserne  oder  thönerne  Röhren  zu  benutzen.  Dabei  sind  die 
eisernen  Röhren  nur  mittels  Muffen,  niemals  durch  Flanschen  zu  vereinigen,  weil  durch 
den  fortwährenden  Temperaturwechsel  ein  Ausdehnen  und  Zusammenziehen  des  Metalls 
stattfindet  und  dadurch  undichte  Stellen  entstehen;  auch  bei  Thonröhren  ist  diese  Art 
der  Vereinigung  vorzuziehen.  Sämmtliche  Leitungen  dürfen  sich  nie  unter  bewohnten 
Räumen  oder  in  Kellern  befinden,  und  zwar  nicht  allein  wegen  des  möglicherweise  ent- 
weichenden Kohlenoxyds,  sondern  auch  weil  leicht  heftige  Explosionen  entstehen  können, 
deren  zerstörende  Wirkung  dann  um  so  gefährlicher  sein  würde.  —  Ueber  die  mit  dem 
Betreten  resp.  Reinigen  der  Dampfkessel  verbundene  Gefahr  von  Seiten  der  hier  auf- 
tretenden Gase  vergl.  man  Kesselstein  S.  123. 

Kohlenoxysulfld  COS  entsteht,  wenn  Kohlenoxyd  und  Schwefel  durch  eine 
glühende  Röhre  geleitet  werden.    In  chemischer  Beziehung  steht  es  zwischen  Kohlensäure 


Kohlenoxysulfid.  355 

und  Schwefelkohlenstoff.  Es  soll  in  der  Thermalquelle  zu  Harkäny  im  Baranyaer- 
Comitate  vorkommen;  es  kann  auch  nach  71A««52)  durch  Zersetzung  von  Sulfocyankalium 
mittels  concentrirter  Schwefelsäure  dargestellt  werden: 

2KCNS  +  2H2S04  +  2H20  =  K2S04  4-  (NH4)2S04  +  2  COS. 

Es  ist  ein  farbloses  Gas  von  etwas  aromatischem  Gerüche,  das  sich  an  einem 
kaum  noch  glimmenden  Holzspan  entzündet  und  zu  Kohlensäure  und  schwefliger 
Säure  verbrennt;  mit  Basen  zerlegt  es  sich  sofort,  mit  Wasser  allmählig  in  Schwe- 
felwasserstoff und  Kohlensäure. 

Bei  der  Darstellung  des  Gases  für  die  Versuche  wurde  dasselbe  nach  Thans  An- 
leitung durch  3  U förmige  Röhren  geleitet,  wovon  die  erste  mit  feuchtem  Quecksilber- 
oxyd eingeriebene  Baumwolle  zur  Absorption  der  Spuren  von  Blausäure  (vielleicht  auch 
Ameisensäure),  die  zweite  möglichst  klein  geschnittenen,  nicht  vulkanisirten  Kautschuk 
zur  Absorption  des  vorhandenen  Schwefelkohlenstoffs,  und  die  dritte  Chlorcalcium  für 
den  Wasserdampf  enthielt.     Das  Gas  wird  über  Quecksilber  gesammelt. 

Einwirkung  des  Kohlenoxysulhds  auf  den  thierischen  Organismus,  l)  Das  nach 
Tharis  Anleitung  dargestellte  Gas  wird  in  einen  Zinkkasten,  in  welchem  eine  Taube 
sitzt,  geleitet.  Kaum  ist  eine  Spur  davon  eingedrungen,  als  die  Taube  niederhockt,  ihren 
Kopf  stark  in  den  Nacken  zurückzieht,  am  ganzen  Körper  heftig  zittert  und  den  Kopf 
auf  den  Boden  senkt;  nach  40  Sekunden  ist  schon  der  Tod  eingetreten. 

Section  sogleich.  Hirnhäute  wenig  injicirt,  bloss  die  Pia  mater  ist  an  der 
Basis  des  Gehirns  und  an  der  Med.  oblong,  blutreich;  Lungen  von  normaler  Farbe 
und  nicht  sehr  blutreich,  dagegen  ist  das  Herz  in  allen  Höhlen  sehr  stark  mit  flüssigem 
Blute  angefüllt;  dasselbe  ist  hellroth  und  röthet  sich  an  der  Luft  noch  mehr;  alle 
grössern  Venen  sind  ebenfalls  blutreich.  Im  Zellgewebe  des  Halses  einzelne  stark  an- 
gefüllte Venen,  die  Schleimhaut  der  Trachea  blass;  die  Unterleibsorgane  bieten  nichts 
Besonderes  dar,  bloss  im  Mesenterium  sind  die  Blutgefässe  angefüllt. 

2)  Ein  grosses  Kaninchen  sitzt  im  Zinkkasten.  30  Secunden  nach  dem  Eintritt 
des  Gases  beschleunigt  sich  die  Respiration  sehr  bedeutend,  nach  1  M.  stockt  sie,  wäh- 
rend der  Kopf  allmählig  zu  Boden  sinkt,  nach  2  M.  sehr  heftige  Convulsionen  und 
häufiges  Aufschreien,  nach  3  M.  vollständige  Asphyxie.  Bei  der  Herausnahme  wird 
das  wie  leblos  zusammengefallene  Thier  frottirt  und  an  der  Luft  geschwenkt,  worauf 
nach  1  M.  einige  krampfhafte  Inspirationen  und  ein  kurzes  Aufschreien  erfolgen ; 
Pupille  erweitert  und  der  Herzschlag  sehr  stürmisch  bei  aufgehobener  Respiration; 
nach  2  M.  ist  das  Auge  bei  Berührung  ein  wenig  empfindlich,  unregelmässiges  und 
rasselndes  Athmen,  beim  Niedersetzen  behält  es  die  Bauchlage  und  zeigt  stürmische 
Athmung;  nach  4  M.  schwache  Gehversuche  mit  Nachschleppen  der  Hinterbeine;  nach 
5  M.  grössere  Unruhe,  freiere  und  häufigere  Bewegung;  nach  7  M.  ist  der  beschleunigte 
Herzschlag  noch  vorhanden,  nach  15  M.  ist  kein  auffallendes  Symptom  mehr  bemerkbar; 
nach  45  M.  frisst  das  Thier  wieder. 

Es  konnte  beim  ersten  Versuche  kaum  1  C.-C.  des  Gases  in  den  Kasten  ein- 
gedrungen sein,  als  sich  die  Wirkung  bereits  kund  gab;  beim  zweiten  Versuche 
handelte  es  sich  höchstens  um  3  C.-C.  Die  Erscheinungen  bei  dieser  Vergiftung 
erinnerten  wohl  an  die  Einwirkung  von  Kohlenoxyd;  hiermit  stimmte  aber  bloss 
die  hellrothe  Farbe  des  Blutes  überein,  während  die  Untersuchung  mittels  des 
Spektralapparats  Anderes  ergab.  Ausser  der  sehr  beschleunigten  Respiration, 
der  erweiterten  Pupille  und  den  sehr  heftigen  Convulsionen  fiel  beim  zweiten 
Versuche  die  ausserordentlich  stürmische  Herzbewegung  auf;  auch  bei  der  Section 
der  Taube  zeigte  sich  sehr  starke  Anfüllung  des  Herzens  mit  flüssigem  Blute  als 
die  prägnanteste  Erscheinung,  so  dass  die  lähmende  Wirkung  auf  das  Herz  nicht 
zu  verkennen  war. 

Radziejewski,  welcher  ebenfalls  mit  diesem  Gase  experimentirt  hat,  hebt  hervor, 
dass  bei  einem  durch  dieses  Gas  umgekommenen  Hunde  das  Herz,  von  Blut  entleert, 
sich  nicht  mehr  auf  elektrischen  Reiz  contrahirte,  während  sich  die  andern  Muskeln 
noch  kräftig  zusammenzogen.  Er  glaubt  auf  Grund  der  spektroskopischen  Unter- 
suchung annehmen  zu  müssen,  dass  COS  schon  während  des  Lebens,  ohne  vorher  eine 
Spaltung  erfahren  zu  haben,  Sauerstoffmangel  auf  irgend  eine  Weise  erzeuge  und  zwar 
in  ähnlicher  Weise,  wie  Hoppe-Seyler  es  von  H2S  nachweise.  Und  doch  kann  in  der 
That  die  Wirkung  des  Gases  nicht  mit  der  von  H2S  verglichen  werden. 

An  sich  selbst  spürte  Rachiejewski,  wenn  er  kleine  Mengen  des  Gases  einathmete, 
einen  Druck  im  Kopfe,    eine  Neigung  zum  Schwindel  und  ein  Zusammenschnüren  der 

23* 


356  Kohlenstoff  und  Sauerstoff. 

Brust,  als  ob  für  die  Exspiration  ein  Hinderniss  vorhanden  wäre;  er  musste  tief  inspi- 
riren  und  durch  kräftige  Athrnungen  in  freier  Luft  sich  erholen.53) 

Einstweilen  bietet  das  Gas  unleugbar  theoretisches  Interesse  dar  und  fordert  zu 
weitern  Untersuchungen  auf. 

2)  Kohlensäureanhydrid  CO.,,  gewöhnliche  Kohlensäure,  kommt  in  der  Natur 
in  freiem  und  gebundenem  Zustande  sehr  verbreitet  vor.  Sie  entsteht  beim  Athmungs-, 
Gährungs-,  Fäulniss-,  Verwesungs-  und  Verbrennungsprocesse,  so  dass  sie  „der 
Anfang  vom  Ende'"  gen;' mit  wurden  ist.  Aus  dem  Innern  der  Erde  strömt  sie  nament- 
lich in  vulkanischen  Gegenden;  sehr  viele  Gegenden  haben  ihre  Giftthäler,  Mofetten 
oder  Handsgrotten.  Der  Kohlensäuregehalt  der  Luft  bleibt  trotz  aller  massenhaften 
Zustimmungen  dieses  Gases  ziemlich  constant. 

Nach  den  Untersuchungen  von  Roscoe  zeigt  selbst  die  Luft  in  der  Stadt 
Manchester,  mit  der  auf  dem  Lande  verglichen,  höchst  unbedeutende  Unterschiede ;  den 
höchsten  Kohlensäuregehalt  fand  Roscoe  bei  einem  dichten  Nebel  in  Manchester  zu  0,050, 
den  geringsten  zu  0,<J28  Vol.-Proc,  während  er  4  Meilen  von  Manchester  im  Mittel 
0,0385  Vol.-Proc.  und  an  demselben  Tage  in  Manchester  im  Mittel  zweier  Versuche 
0,039  Vol.-Proc.  betrug. 

Kommt  die  Kohlensäure  in  Wässern  in  grösserer  Menge  vor,  so  nennt  man  diese 
bekanntlich  Säuerlinge. 

Sie  ist  das  mächtigste  Agens  beim  Verwittern  der  Gesteine:  in  Braunkohlen- 
und  Steinkohlenlagern  fehlt  sie  nie;  selbst  wenn  diese  Kohlen  gefördert  sind,  findet 
wegen  des  fortdauernden  Oxydationsprocesses  eine  beständige  Exhalation  von  Kohlen- 
säure statt.  Da  Steinkohlenlager  fast  stets  gleichzeitig  mit  Salzsoolen  auftreten,  so  findet 
man  in  manchen  Salzquellen  die  schöne  Erscheinung  der  schäumenden  Sprudel 
(Kissingen,  Nauheim ). 

In  Bergwerksschachten  bildet  sie  nach  dem  Grade  ihres  Vorkommens  die 
„matten"  oder  „stillen  stockenden  Wetter",  Namen,  die  in  den  verschiedenen  Gegenden 
sehr  variiren.  Auch  in  Erzgruben  kommt  sie  vor,  ferner  in  Ziehbrunnen,  in  Gruben 
mit  faulender  Vegetation,  wie  denn  überhaupt  die  verwesenden  Pflanzenüberreste  eine 
unerschöpfliche  Quelle  von  Kohlensäure  liefern.  Bei  der  Heizung  und  Beleuchtung 
ist  sie  stets  mit  flüchtigen  Verbrennungsproducten  verbunden,  die  von  Verunreinigungen 
des  brennenden  Körpers  herrühren. 

Die  Kohlensäure  ist  ein  farbloses,  blaue  Pflanzensäfte  röthendes  Gas,  welches 
säuerlich  riecht  und  schmeckt;  es  ist  condensirbar  und  1,524  mal  schwerer  als 
atmosphärische  Luft,  so  dass  es  sich  aus  einem  Gefäss  in  ein  anderes  giessen  lässt. 
Bei  einem  Drucke  von  36  Atmosphären  bei  0°  lässt  sie  sich  zu  einer  farblosen  Flüssig- 
keit condensiren,  welche  bei  aufgehobenem  Drucke  wieder  in  Gas  übergeht,  dabei  aber 
eine  ganz  bedeutende  Kälte  ( — 30°)  erzeugt,  so  dass  ein  Theil  derselben  sich  in  eine 
schneeartige  Masse  verwandelt. 

Die  eigentliche  Kohlensäure  (H2C03  =  C03  -+-  H20)  kommt  nur  in  Form  von 
Salzen  vor  und  ist  eine  zweibasische  Säure,  welche  primäre  oder  saure  und 
secundäre  oder  neutrale  Carbonate  bildet;  nur  die  Verbindungen  mit  den  Alkalien 
sind  in  Wasser  löslich.  Man  stellt  sie  gewöhnlich  durch  Zerlegen  eines  Carbonats  mit 
einer  stärkern  Säure  dar. 

Einwirkung  der  Kohlensänre  auf  den  thierischen  Organismus.  Von  einer 
letalen  Wirkung  der  Kohlensäure  kann  nur  die  Rede  sein,  wenn  Menschen  oder  Thiere 
grossen  Mengen  derselben  ausgesetzt  werden;  so  erfolgt  plötzlicher  Tod  in  alten  Brunnen, 
Schachten  u.  s.  w.,  in  denen  z.  B.  die  Kohlensäure  höchstens  noch  mit  Stickstoff  vermischt 
ist.  Im  Gegensatz  hierzu  ist  jedoch  hervorzuheben,  wie  leicht  die  Wiedergenesung  er- 
folgt, wenn  bei  Inhalationen  von  Kohlensäure  deren  Menge  nur  allmählig  gesteigert 
wird,  wofern  nur  schliesslich  wieder  die  Einwirkung  der  atmosphärischen  Luft  ermöglicht 
ist.  So  ertrug  eine  Taube  die  Einwirkung  von  30^  Kohlensäure,  wenn  ein  solches 
Quantum  in  Mengen  von  10%  zugeleitet  wurde,  noch  2  Minuten  lang;  am  Ende  des 
Versuchs,  welcher  im  Ganzen  12  Minuten  lang  dauerte,  erhob  sich  die  Taube  rasch  aus 
der  Bauchlage  und  nach  5  M.  war  die  Restitution  vollständig.51) 

Die  Kohlensäure,  deren  Bildung  mit  dem  Lebensprocesse  resp.  Rückbildungs- 
processe  auf  das  innigste  zusammenhängt,  wird  in  uns  verderblich  einwirken,  wenn 
sie  bei  Mangel  an  atmosphärischem  Sauerstoff  an  der  Ausscheidung  verhindert  wird 
und  sich  immer  mehr  im  Blute  anhäuft;  schliesslich  entsteht  dann  Asphyxie. 
Beim  normalen  Respirationsprocesse  beruht  grade  die  Kohlensäureausscheidung  auf 
einem  Austausch  von  Sauerstoff  gegen  Kohlensäure:  der  Sauerstoff  muss 
daher  in  hinreichenden  Mengen  vorhanden  sein,  um  die  Kohlensäureausscheidung  zu 
unterhalten.  Hat  sich  schon  in  Folge  der  Kohlensäure-Inhalation  ein  asphyktischer 
Zustand  ausgebildet,    so  reicht  die  in  dem  betreffenden  Räume  etwa  vorhandene  Sauer- 


Wirkung  der  Kohlensäure.  357 

stoffmenge  nicht  mehr  aus,  das  Leben  zu  unterhalten,  wenn  auch  die  Aufnahme  des- 
selben noch  stattfindeu  sollte. 

Aus  den  Versuchen  an  Thieren  geht  deutlich  hervor,  wie  rasch  der  atmosphärische 
Sauerstoff  die  übermässig  aufgenommene  Kohlensäure  wieder  auszutreiben  vermag,  wenn 
diesem  Vorgange  kein  anderes  Hinderniss  entgegentritt. 

Von  allen  Thieren  vertragen  die  Frösche  die  Kohlensäure-Einwirkung  am  besten; 
am  empfindlichsten  sind  die  Fische;  man  wird  niemals  Fische  in  einem  Fluss^ebiete 
finden,  wo  eine  Kohlensäurequelle  vorhanden  ist,  in  einem  kohlensäurereichen  Wasser 
sterben  sie  sofort;  Vögel  ertragen  Kohlensäuremengen  bis  zu  2%,  ehe  sich  die  Einwir- 
kung des  Gases  kund  gibt.*) 

Es  ist  daher  auch  erklärlich,  warum  in  grossen  Versammlungsorten,  in  Schulen55)  etc. 
die  Kohlensäure  bedeutend  steigen  kann,  ehe  die  Einwirkung  derselben  sich  manifestirt  ■ 
ausserdem  kommen  indess  die  organischen  Beimengungen  hier  mit  in  Betracht.  Kohlen- 
säuremengen von  1,0%  sind  in  Theatern  u.  s.w.  nicht  selten,  indem  hier  noch  die 
Producte  der  Beleuchtung  meist  hinzutreten.  In  der  Grubenluft  kann  sich  die  Kohlen- 
säuremenge bis  zu  5  —  1%  steigern,  wobei  aber  das  Erlöschen  des  Lichtes  die  Grenze 
anzeigt,  welche  beim  Menschen  nicht  ohne  Lebensgefahr  überschritten  werden  kann. 
Schon  2%  erzeugen  Dyspnoe,  Schwindel  und  Ohnmacht,  wobei  auch  die  Gasflammen 
weniger  hell  brennen  und  das  Lampenlicht  leicht  einen  röthlichen  Schein  annimmt 
(siehe  S.  358). 

Was  die  physiologische  Wirkung  der  Kohlensäure  betrifft,  so  ist  zunächst 
die  auf  die  Haut  hier  zu  erwähnen;  man  beobachtet  anfangs  eine  offenbar 
reizende  Einwirkung,  welche  sich  durch  ein  Gefühl  von  Wärme  und  Prickeln 
kund  gibt;  die  Gefässlumina  contrahiren  sich  und  die  Bewegung  der  Blutkügel- 
chen  erfolgt  rascher.  Bei  längerer  Einwirkung  vermindert  sich  aber  die  Sen- 
sibilität der  Haut  und  die  Muskelcontractilität;  es  entsteht  ein  Gefühl,  als  ob 
die  Haut  mit  Spinngewebe  überzogen  sei;  gleichzeitig  erweitern  sich  auch  die 
Gefässlumina  und  die  Blutbewegung  wird  eine  langsame. 

Beim  normalen  Vorgange  dürfte  •  auch  die  im  Blute  circulirende  Kohlensäure 
das  Agens  sein,  welches  als  Reiz  auf  das  Athmungscentrum  wirkt  und  die 
Inspirationsbewegungen  auslöst.  Traube  hält  sie  sogar  für  das  eigentliche 
Agens  der  Herzbewegung,  indem  sie  auf  das  muskulomotorische  und  das  regula- 
torische Herznervensystem  erregend  wirke.56) 

Eine  Zunahme  der  Kohlensäure  wird  daher  zunächst  eine  abnorme  Erregung 
dieser  Nervencentra  hervorrufen,  schliesslich  aber  das  Gegentheil,  Depression  und 
Lähmung,  zur  Folge  haben.  Auf  das  Stadium  der  Reizung  wird  man  daher 
den  höhern  oder  geringern  Grad  der  Dyspnoe,  das  Erbrechen,  eine  ängstliche 
Unruhe,  das  Trunkensein,  Ohrensausen,  die  Kopfschmerzen  und  den  Schwindel 
zurückführen.  **)  Bisweilen  gesellt  sich  eine  psychische  Erregung,  eine  Art 
lustiger  Trunkenheit  mit  hastiger  Sprache  und  unruhigen  Geberden  hinzu  oder 
heftige  klonische  Krämpfe  gehen  bisweilen  in  tetanische  über;  selten  sind  Er- 
scheinungen von  Katalepsie. 

Das  Stadium  der  Lähmung  gibt  sich  durch  Bewusstlosigkeit,   Anästhesie, 


*)  Es  ist  übrigens  auch  die  Kohlensäurequelle  von  Belang;  wird  das  Gas  aus 
Kreide  oder  verschiedenen  Dolomiten  entwickelt,  so  entsteht  ein  eigenthümlicher  Geruch, 
welcher  durch  einen  sich  gleichzeitig  entwickelnden  Kohlenwasserstoff  bedingt  ist.  So 
liefert  auch  ein  Kalkstein  von  Kleinlinden  bei  Giessen  eine  Kohlensäure  von  einem 
höchst  unangenehmen  Gerüche;  leitet  man  sie  in  eine  Lösung  von  Bleiacetat,  so  sehlägt 
sich  neben  Bleicarbonat  auch  Schwefelblei  nieder,  ein  Beweis,  dass  dieser  Kalkstein 
geschwefelte  Kohlenwasserstoffe  enthält.  Es  ist  daher  die  Möglichkeit  nicht 
ausgeschlossen,  dass  auch  die  in  der  Natur  vorkommende  Kohlensäure  solche  Verun- 
reinigungen enthalte. 

**)  Der  Schwindel  zeigt  sich  besonders  häufig  beim  Trinken  kohlensäurereicher 
Mineralwässer  und  ist  als  „Brunnen-  oder  Badeschwindel"  bekannt. 


358  Kohlenstoff  und  Sauerstoff. 

Hautkälte,  kaum  fühlbaren  Herzschlag  uud  Athmungsschwäche  kund,  die  rasch 
zum  Tode  fährt,  wenn  nicht  sofort  für  Zuleitung  frischer  Luft  gesorgt  wird. 
Bei  der  Restitutiou  bleiben  aber  oft  noch  Kopfschmerzen,  Brechneigung  und 
Ohrensausen  zurück;  bei  Bergleuten  uud  bei  Arbeitern  in  Gährungslocalen 
beobachtet  man  bisweilen  gastrische  Störungen. 

Das  beste  Heilmittel  besteht  in  kräftiger  Inhalation  des  atmosphärischen 
Sauerstoffs,  um  die  überschüssige  Kohlensäure  auszutreiben. 

Das  mit  Kohlensäure  überladene  Blut  hat  eine  dunkle  Farbe,  welche  aber  an 
der  Luft  durch  Aufnahme  von  Sauerstoff  wieder  hellroth  wird;  nur  allmählig  wird  es 
durch  den  Verbrauch  des  absorbirten  Sauerstoffs  und  die  Bildung  von  Kohlensäure 
wieder  dunkel.  Das  mit  reiner  Kohlensäure  gesättigte  Blut  zeigt  im  Spectralapparate 
den  einen  Streifen  des  reducirten  Hämoglobins;  wenn  das  Band  im  Roth,  also  der 
Streifen  der  sauren  Hämatinlösung  auftritt,  so  ist  anzunehmen,  dass  durch  das  Experi- 
ment ein  Uebertreten  der  zur  Entwicklung  von  Kohlensäure  benutzten  Schwefel-  oder 
Salzsäure  veranlasst  worden  ist;  in  diesem  Falle  wird  das  Blut  auch  missfarbig. 

Die  sanitären  Mass  regeln,  welche  hinsichtlich  der  Kohlensäure  nöthig 
werden  können,  richten  sich  nach  der  verschiedenen  Entwicklung  derselben;  man 
hat  im  gewöhnlichen  Leben  und  in  der  Technik  Veranlassung  genug,  sich  vor 
diesem  Gase  zu  schützen. 

1)  In  Hinsicht  auf  die  Fäulniss-  und  Verwesungsprocesse  sind  Berg- 
werke, alte  Ziehbrunneu,  bedeckte  Gruben  für  Kartoffeln,  Runkelrüben,  vegeta- 
bilische Stoffe  überhaupt  u.  s.  w.  wegen  der  dort  angesammelten  Kohlensäure  sehr 
beachtenswerth ,  da  ein  unvorsichtiges  Betreten  solcher  Räume  uicht  selten  den 
Tod  zur  Folge  hat. 

In  allen  genannten  Fällen  muss  man  auf  irgend  eine  Weise  Luftbewegungen  und 
Luftwechsel  hervorrufen  oder  durch  Absorption  die  Kohlensäure  entfernen,  ehe  man 
solche  Räume  betritt.  So  sind  z.  B.  in  Brunnen  das  Abbrennen  von  Pulver,  das  Ein- 
blasen von  Wasserdämpfen  oder  überhaupt  die  mechanische  Bewegung  der  Luft  noth- 
wendig,  während  man  zur  Absorption  der  Kohlensäure  Kalkwasser  in  die  Brunnen 
schüttet  oder  mit  Kalk  gefüllte  Körbe  in  denselben  aufhängt  resp.  auf-  und  abführt. 

Bei  Bergwerken  muss  eine  gründliche  Ventilation  dem  Unglück  vorbeugen; 
wenn  Braunkohlen  in  einem  geschlossenen  Räume  gelagert  werden,  kann  nach 
Bunsen  der  procentische  Gehalt  an  Kohlensäure  7,44  betragen  und  zwar  bei  82,35  N 
und  10,210.  Die  „matten  Wetter"  einer  Braunkohlengrabe  enthielten  2,83  °G  Kohlen- 
säure, 13,80  0  und  83,37  N.57) 

In  alten  Lohgruben  bildet  sich  neben  Kohlensäure  meist  Schwefelwasserstoff; 
in  Grabgewölben  ist  Kohlensäure  stets  vorwaltend,  namentlich  wenn  es  sich  um 
unterirdische  Grüfte  handelt:  nur  unter  Umständen  kann  auch  Schwefelammonium 
vorhanden  sein,  das  sich  dann  durch  das  Schwarzwerden  der  Vergoldungen  oder 
Malereien  der  Kapellen,  welche  über  den  Grüften  errichtet  sind,  verräth.  Ueb er- 
irdische Grabgewölbe  sind  bei  hinreichendem  Luftzuge  in  der  Regel  ungefährlich.58) 

2)  Hinsichtlich  des  Keimprocesses  muss  man  a)  den  reinen  Keim- 
process,  das  Malzen,  unterscheiden.  Hier  entwickelt  sich  in  den  betreffenden 
Bottichen,  wo  das  Keimen  stattfindet,  sowie  in  dem  späterhin  haufenförmig  auf- 
geschütteten Getreide  beständig  Kohlensäure,  aber  nur  im  erstem  Falle  massenhaft; 
deshalb  dürfen  die  Bierbrauer  den  Malzkeller   nur  mit  grosser  Vorsicht  betreten. 

In  diesem  Falle  müssen  die  gegenüberstehenden  Kellerlaken  vorher  geöffnet 
werden:  auch  darf  man  nie  unterlassen,  das  Vorhandensein  der  Kohlensäure  mit  einem 
brennenden  Lichte  zu  ermitteln:  diese  Vorsicht  ist  überall  anzuwenden,  wo  man  die  An- 
häufung von  Kohlensäure  zu  befürchten  hat.  Bei  welchem  Procentgehalte  der  Luft  an 
C02  das  Erlöschen  eines  brennenden  Lichts  geschieht,  wurde  durch  folgendes  Experi- 
ment ermittelt.  Die  Luft,  in  welcher  eine  brennende  Kerze  erlosch,  wurde  aspirirt:  das 
Gas  durchströmte  zunächst  behufs  Entwässerung  eine  Chlorcalciumröhre  und  dann 
eine  Kalilösung  in  einem  Liebig'schee  Kaliapparat.  Die  C02  wurde  durch  das  Gewicht 
direct  bestimmt  und  in  Volumina  umgesetzt.  Beim  ersten  Experimente  ergaben  sich 
2,76  Vol.-Proc,  beim  zweiten  2,9  Vol.-Proc.  C03:  das  Licht  erlosch  somit,  wenn 
die  Atmosphäre  durchschnittlich  2,83  Vol.-Proc.  C02  enthielt.   Die  Annahme 


Kohlensäure  als  Verbrennungsproduct.  359 

von  Taylor,  dass  ein  Licht  noch  in  einer  Atmosphäre  von  10  |  Kohlensäure  zu  brennen 
vermag,  dürfte  hiernach  zu  hoch  bemessen  sein. 

b)  Der  unterdrückte  Keimprocess  kommt  bei  der  Darstellung  der 
"Weizenstärke  nach  der  ältesten  Methode,  vor;  dies  geschieht  häufig  in  Cysternen 
oder  auch  in  Bottichen,  indem  man  den  Weizen  dem  Weichprocesse  unter  "Wasser 
unterwirft. 

Bei  den  Cysternen  niuss  ein  Abzug  der  Kohlensäure  mittels  Züge,  Canäle  u.  s.  w. 
etablirt  werden,  während  bei  den  überirdischen  Bottichen  wegen  des  überall  im  Fabriklocale 
stattfindenden  Luftzuges  weniger  Gefahr  vorhanden  ist. 

3)  Beim  Gährungsprocesse  des  Weins,  Biers,  der  Maische  u.  s.  w.  entsteht 
dieselbe  Gefahr  der  Ansammlung  von  Kohlensäure  in  den  betreffenden  Räumen; 
in  allen  Gährkellern  müssen  deshalb  vollständige  Züge,  welche  mit  dem  Schorn- 
steine in  Verbindung  stehen,  angebracht  werden,  wenn  man  nicht  die  vorhandene 
Kohlensäure  zur  Darstellung  von  Natr.  bicarbon.  benutzt,  die  sich  schon  wegen 
des  pecuniären  Gewinns  empfiehlt  (s.  Weingeist-Industrie). 

4)  Beim  Verbrennungsprocesse  hängt  die  Menge  der  entwickelten 
Kohlensäure    von    der  Zusammensetzung   des    angewendeten  Beleuchtungs-  oder 

Heizmaterials  ab. 

Nicht  unbeachtet  darf  man  die  Gaskochmaschinen  lassen,  da  sich  dabei 
Kohlensäure  bildet  und  in  den  Räumen  verbreitet.  Bei  den  sogenannten  Gasöfen, 
welche  als  Heizapparate  benutzt  werden ,  wird  die  Luft  sehr  trocken  und  unan- 
genehm, selbst  wenn  für  eine  vollkommene  Ableitung  der  Gase  gesorgt  wird.  So  ist 
die  Luft  auch  bei  der  Holzkohlenfeuerung  viel  trockner  als  bei  der  Steinkohlen- 
feuerung, eine  Erfahrung,  welche  wissenschaftlich  noch  nicht  aufgeklärt  ist. 

Da  sich  bei  der  Beleuchtung  die  gebildete  Kohlensäure  in  dem  zu  beleuchten- 
den Räume  verbreitet,  so  ist  noch  zu  beachten,  dass  die  Luft  in  unsem  Wohnräumen 
nicht  selten  durch  die  künstliche  Beleuchtung  verschlechtert  werden  kann;  auch  in 
dieser  Beziehung  muss  auf  die  Natur  des  Beleuchtungsmaterials  Rücksicht  genommen 
werden. 

Zoc/ib9)  hat  Leuchtgas-,  Petroleum-  und  0  elbeleuchtung  untersucht  und 
ermittelt,  um  wie  viel  der  Kohlensäuregehalt  der  Luft  in  einem  Zimmer  bei  einer  ge- 
wissen Dauer  der  Beleuchtung  zunahm. 

Berechnet  man,  um  einen  Vergleich  zu  ermöglichen,  die  Kohlensäurezunahme  bei 
den  drei  Beleuchtungsarten  auf  den  Raum  von  100  Kubikmeter  und  auf  eine  Lichtstärke 
von  10  Nornaalüammen,  so  ergeben  sich  folgende  Resultate  für  die  absolute  Zunahme 
des  Kohlensäuregehaltes  in  der  Luft: 

15         j        ,  Kohlensäurezunahme  in  Procenten  für 

in  Stunden.  Petroleum:         Leuchtgas:  Oel: 

1  .     .  .     .     0,0929  0,0708  0,0537 

2  .     .  .     .     0,1459  0,1342  0,1038 

3  .     .  .     .     0,1779  0,1513  0,1190 

4  .     .  .     .     0,1811  0,1562  0,1229. 

Bei  gleicher  Lichtstärke  entwickelt  somit  das  Petroleum  noch  mehr  C02  als 
das  Leuchtgas  und  dieses  mehr  als  das  Oel.  Bei  Petroleumbeleuchtung  wurde  schon 
bei  Zunahme  der  Kohlensäure  von  0,1779  Proc.  die  Luft  unangenehm  und  unbehaglich, 
eine  Erscheinung,  welche  bei  gleicher  Brenndauer  des  Leuchtgases  weniger  und  bei  Oel- 
beleuchtung  gar  nicht  bemerkbar  war.  Da  man  nicht  annehmen  kann,  dass  die  Kohlen- 
säure allein  diese  Unbehaglichkeit  veranlasst,  so  muss  man  den  Grund  derselben  in 
den  der  Luft  neben  C02  sich  beimischenden  Producten  der  unvollkommenen  Ver- 
brennung suchen. 

Vorstehende  Versuche  setzen  die  Vorzüge  der  guten  Oelbeleuchtung  ausser 
Zweifel,  da  sie  die  Luft  am  wenigsten  mit  fremden  Beimischungen  verunreinigt. 

Dass  sich  Petroleumbeleuchtung  in  letzterer  Beziehung  am  ungünstigsten 
stellt,  soll  nach  Zoch  nur  eine  beschränkte  practische  Bedeutung  haben,  da  diese  Art 
von  Beleuchtung  bei  uns  wenigstens  nur  selten  durch  Brennvorrichtungen  erzielt  werden, 
welche  eine  sehr  intensive  Lichtstärke  und  damit  auch  einen  bedeutenden  Verbrauch  von 
Leuchtmaterial  bedingen.  Bei  minder  intensiver  Lichtentwicklung  werden  sich  aber  dann 
an  Stelle  der  verminderten  Kohlensäure  Kohlenstoff  (Russ)  sowie  andere  Producte 
unvollkommener  Verbrennung  anhäufen. 


36Q  Kohlenstoff  und  Sauerstoff. 

Anders  verhält  es  sich  mit  der  Gasbeleuchtung:  die  Unbehaglichkeit,  -welche 
man  bei  längerem  Aufenthalte  in  mit  Gas  stark  beleuchteten  Räumen  empfindet,  ist 
allerdings  theilweise  auf  Rechnung  der  unangenehmen  strahlenden  Wärme  zu  setzen, 
welche  als  eine  unangenehme  Beigabe  der  Gasbeleuchtung  auftritt.  Allein  eine  zweite 
Quelle  dieser  Unbehaglichkeit  ist  unbedingt  die  auch  bei  guterYentilation  kaum  zu  ver- 
meidende Luftverschlechterung;  für  kleine  Zimmer  mit  mangelhafter  Ventilation  ist  daher 
Grasbeleuchtung  sicherlich  wenig  s  _  et  und  alle  Xaehtheile  derselben  werden  sich 
hier  in  verstärktem  Grade  geltend  machen. 

Reinheit  des  Beleuchtungsmaterials  ist  stets  ein  -anitätspolizeiliches  Er- 
forderniss:    so   kann   ein   nicht   gehörig  gereinigtes  Leuchtgas  neben  Kohlensäure  und 

r  auch  noch  schweflige  Säure  erzeugen  (s.  Leucht^rasfabrication). 

Petroleum  wird  bisweilen  durch  Halogene,  namentlich  durch  Chlor  und  Fluor 
gereinigt:  bleiben  Reste  davon  im  Petroleum  zurück,  so  treten  stets  die  Wasserstoff- 
verbindungen derselben  als  Begleiter  der  Verorennungsproduete  auf.  Viele  Petro- 
leumsorten (Brennöle)  kommen  im  Handel  mv.  welche  aus  einem  Gemisch  von 
!  . /,  fFetroleumnaphtha)    mit    specitisch    schweren  Kohlen  Wasserstoffen,    mit    sogen. 

Paraffinölen  bestehen  und  durch  sogenannte  kalte  Behandlung  mit  concentrirter 
Schwefelsäure  gebleicht  werden  Findet  das  nachherige  Waschen  mit  Wasser  und  koh- 
lensauren Alkalien  nicht  sorgfältig  statt,  so  bleiben  die  Oele  stete  schwefelsäurehaltig. 
Diese  Oele  sind  alsdann  einestheils  durch  ihren  Essenzgeh  alt  feuergefährlich  und 
anderntheils  durch  die  Entwicklung  von  schwefliger  Säure  während  der  Ver- 
brennung für  die  Gesundheit  und  die  Erhaltung  der  Pflanzenfarben  (Tapeten,  Gar- 
dinen u.  s.  w.)  nachtheilig. 

Neuerdings  wird  auch  das  Petroleumgas  als  Beleuchtungsmaterial  benutzt; 
man  gebraucht  dazu  die  Destillationsrückstände,  welche  von  schweren  Oelen  herrühren. 
E.->  bilden  sieh  bei  der Gasificirung  neben  Kohlensäure  vorwaltend  schweflige  Säure: 
Schwefelwasserstoff,  der  in  geringen  Mengen  auftritt,  zerfällt  sofort  oder  bei  der 
Verbrennung  in  schweflige  Säure.  Man  würde  diesen  Uebelstand  vermeiden,  wenn  das 
Gas  vorher  mit  Kalk  gereinigt  würde,  was  aber  in  den  meisten  Fällen  nicht  geschieht. 
Vortheilhafter  sind  die  Petroleumrückstände  zu  gebrauchen,  welche  bei  der  zweiten 
Reinigung  nach  der  Behandlung  mit  Schwefelsäure  abfallen;  aber  auch  hier  entwickelt 
sich  beim  spätem  Gebrauche  des  Gases  schweflige  Säure,  wenn  keine  Reinigung 
durch  Kalk  stattfindet. 

In  grössern  Localen.  wo  sich  die  Verbrennungsproducte  in  grossen  Mengen  an- 
sammeln, muss  man  die  Ventilation  stets  mit  der  Beleuchtung  verbinden :  diesem  Zwecke 
entsprechen  die  in  England  gebräuchlichen  Sonnenbrenner,  eine  Einrichtung,  bei 
welcher  sich  die  Beleuchtungsflammen  in  einer  fangtrichterähnlichen  Glasumhüllung  be- 
finden und  die  Verbrennungsproducte  durch  ein  Rohr  nach  aussen  abgeleitet  werden. 

5)  Durch  den  Respirationsprocess  der  Menschen  und  Thiere  sammelt 
sich  die  Kohlensäure  im  geschlossenen  Räume  an,  wenn  nicht  für  eine  gehörige 
Ventilation  gesorgt  wird.  Es  sind  Fälle  genug  bekannt,  in  welchen  viele  Menschen 
allein  dadurch  umgekommen  sind,  dass  sie  in  einem  engen  Räume  die  Zufuhr 
der  frischen  Luft  entbehren  mussten. 

Unter  gewöhnlichen  Wohnungsverhältnissen  erneuert  sich  die  Luft  durch  das 
häufige  Oeffnen  der  Thüren  und  Fenster  hinreichend.  Stets  muss  man  dafür  Sorge 
tragen,  dass  sich  hier  die  Luft  so  wenig  wie  möglich  von  den  Mischungsverhältnissen  der 
Luft  im  Freien  unterscheide,  und  nur  Schwankungen  zwischen  0,05 — o.io  VoL-Proc. 
Kohlensäure  sind  zulässig.  Nur  zu  oft  vergisst  man,  dass  die  beständige  Zuleitung  einer 
frischen  Luft  für  die  Erhaltung  der  Gesundheit  ebenso  wichtig  ist  wie  der  Genuss  der 
Speisen  und  Getränke. 

Schwieriger  i-t  es,  Wohnräume,  welche  Tag  und  Nacht  mit  Menschen  besetzt 
sind,  z.  B.  Krankenhäuser.  Gefängnisse  u.  s.  w. ,  stets  mit  einer  normalen  Luft  zu  ver- 
sehen.  Ausser  der  Kohlensäure  sind  es  hier  noch  die  organischen  Materien,  die  schwefel- 
haltigen Gase  und  flüchtigen  Fettsäuren,  wie  Butter-  und  Baldriansäure,  welche  durch 
Lunge  und  Haut  ausgeschieden  werden  und  einen  höchst  unangenehmen,  muffigen 
Geruch  erzeugen:  derselbe  kann  vorhanden  sein,  ohne  dass  der  procentische  Kohlen- 
säuregehalt  der  Luft  bedeutend  vermehrt  ist. 

Bei  der  Untersuchung  der  Luft  auf  ihren  Kohlensäuregehalt  gibt  es 
nur  eine  Methode,  welche  bei  möglichster  Einfachheit  der  Apparate  sehr  genaue  Re- 
sultate ergibt.  Zu  dem  Ende  wird  die  zu  untersuchende  Luft  mittels  eines  Aspirators, 
dessen  Capacität  genau  bekannt  ist,  durch  ein  System  von  Absorptionsröhren  gesaugt, 
wovon  die  erste  mit  gereinigter  trockner  Baumwolle  gefüllt  ist,  um  die  Staubpartikelchen 
zurückzuhalten;  alsdann  durchströmt  sie  ein  genau  abgewogenes  Chlorcalciumrohr.    Das 


Die  Pflanzen  als  Luftverbesserer.  361 

Chlorcalcium  muss  durch  Eindampfen  bei  100°  gewonnen  sein;  die  Gewichtzunahme  des 
Chlorcalciumrohrs  gibt  den  Wassergehalt  der  Luft  an. 

Die  trockne  Luft  durchstreicht  nun  ein  Gefäss  mit  gereinigter  concen trirter 
Schwefelsäure;  der  Gehalt  an  organischer  Substanz  gibt  sich  sofort  durch  eine 
Färbung  der  Schwefelsäure  zu  erkennen.  Tritt  dieselbe  nicht  sogleich  ein,  so  erscheint 
sie  jedoch  augenblicklich,  wenn  man  die  Säure  bis  auf  100°  C.  erwärmt. 

Schliesslich  gelangt  die  Luft  in  einen  Lb-lny  sehen  Kaliapparat,  welcher  mit  con- 
centrirter  Lauge  gefüllt  ist  Mit  dem  Kaliapparat  ist  noch  ein  kleines,  mit  geschmol- 
zenem Kali  gefülltes  Rohr  verbunden;  letzteres  dient  dazu,  um  die  aus  dem  Kaliapparat 
etwa  weggeführten  Wasserdämpfe  und  die  allenfalls  noch  nicht  absorbirte  Kohlensäure 
zu  binden.  Die  Gewichtszunahme  des  Kaliapparats  und  des  Kalirohrs  gibt  den  Gehalt 
der  Luft  an  Kohlensäure  an. 

Eine  derartige  Analyse  kann,  wenn  sie  Genauigkeit  beanspruchen  soll,  nur  mit 
einem  Quantum  von  20  Liter  Luft  angestellt  werden. 

6)  Bei  chemischen  Processen,  wo  kohlensaure  Salze  durch  starke  Säuren 
zerlegt  werden,  z.  B.  in  der  Barytindustrie  oder  bei  Präcipitation  von  kohlensauren 
Salzen  u.  s.  w.,  entwickelt  sich  oft  Kohlensäure  in  sehr  grosser  Menge:  bei  der  betreffen- 
den Fabrication  wird  hiervon  ausführlicher  die  Rede  sein. 

Als  Luftverbesserer  bezüglich  der  Kohlensäure  sind  die  Phanerogame  der 
Pflanzenwelt  zu  betrachten,  indem  sie  die  Kohlensäure  als  Nahrungsmittel  verwenden, 
den  Sauerstoff  allmählig  an  die  Atmosphäre  abgeben  und  sauerstoffärmere  resp.  kohleu- 
stoffreichereVerbindungen,  als  die  Kohlensäure  ist,  in  ihrem  Innern  erzeugen  (s.  S.  75). 

Im  Winter  wirkt  die  Absorptionsfähigkeit  des  Bodens  für  die  Kohlensäure  sowie 
der  reichlichere  Niederschlag  des  atmosphärischen  Wassers  nach  ähnlicher  Richtung 
(s.  S.  176).  Die  Nadelhölzer  zerlegen  aber  auch  im  Winter,  wenn  die  Vegetation  ihren 
Ruhepunct  erreicht  hat,  Kohlensäure  und  entwickeln  Sauerstoff. 

Die  Ansicht,  dass  das  Schlafen  in  Räumen,  welche  mit  Pflanzen  angefüllt  sind, 
nachtheilig  sei,  ist  unbegründet;  es  leben  bekanntlich  in  grossen  Treibhäusern  Vögel  ohne 
den  geringsten  Nachtheil. 

Viele  Pflanzen  üben  aber  während  der  Blüthezeit  durch  die  Verdunstung  äthe- 
rischer Oele  resp.  durch  den  Blüthenduft,  z.  B.  bei  Jasminen,  Seringen  u.  s.  w.,  vorüber- 
gehend nachtheilige  Einwirkung  auf  manche  sensible  Personen  aus.  Vielleicht  hängt 
selbst  die  Entstehung  des  sogenannten  Heufiebers,  welches  gewöhnlich  zur  Zeit  der 
Heuernte  eintritt,  in  einzelnen  Fällen  mit  der  Verdunstung  des  Cumarins  aus  den 
verschiedenen  Melilotus-Arten  zusammen,  da  Cumarin  leicht  Kopfschmerzen,  namentlich 
einen  heftigen  Druck  in  der  Stirngegend  erzeugt.  Es  ist  Thatsache,  dass  das  Schlafen 
in  frischem  Heu  häufig  starken  Kopfschmerz  zur  Folge  hat.00) 

Immerhin  wirken  Pflanzen  und  Bäume  durch  Attraction  der  atmosphärischen 
Kohlensäure  sehr  günstig  ein;  Anpflanzungen  von  Bäumen  und  Strauchwerk  in  Städten 
sind  daher  nicht  genug  zu  empfehlen;  aber  auch  in  grössern  Versammlungsräumen,  in 
Hospitälern,  Schulen  u.  s.  w.  könnten  Blattpflanzen  als  Luftverbesserer  nützlich  sein. 

Chlorkohlenoxyd,  Phosgengas  COCLj.  Davy,  welcher  dieses  Gas  durch  Mischen 
von  Chlorgas  und  Kohlenoxyd  darstellte,  glaubte,  dass  zur  Entstehung  desselben  stets 
die  Einwirkung  von  Licht  nothwendig  sei  und  nannte  es  deshalb  Phosgengas  (von 
cpöü;  und  yivvcao);  Regnault  hat  jedoch  gezeigt,  dass  Sonnenlicht  nicht  nöthig  ist,  wenn 
man  trocknes  Kohlenoxyd  durch  Antimonsuperchlorid  leitet.  Mit  Wasser  zerlegt 
sich  das  farblose  Gas  in  Kohlensäure  und  Salzsäure: 
CO  Cl2  -+-  H,0  =  C02  +  2  H  Ol. 

Hieraus  geht  schon  hervor,  dass  es  sich  bei  seiner  Einwirkung  auf  den  thie- 
rischen  Organismus  nur  um  diese  Gase  handelt,  wie  auch  der  nachstehende  Versuch 
beweist,  bei  welchem  namentlich  die  Kohlensäure  eine  vorübergehende  Betäubung 
bewirkte. 

Einwirkung  des  Phosgengases  auf  den  thierischen  Organismus.  Eine  Taube, 
welche  14  Tage  vorher  schon  bei  einem  andern  Versuche  benutzt  worden,  sass  im 
kleinen  Zinkkasten.  Beim  Eintritt  der  Dämpfe  entstand  sofort  Husten,  welcher  sich 
fast  nach  jeder  Inspiration  wiederholte;  nach  5  M.  war  der  Schnabel  nass  und  die  Taube 
sehr  unruhig;  sie  blieb  aufrecht  stehen,  hatte  20  Inspirationen  binnen  l/4  M.  und  öffnete 
den  Schnabel  bei  jeder  Inspiration.  Weitere  Veränderungen  zeigten  sich  nicht,  nur 
wurde  die  Inspiration  noch  angestrengter;  nach  12  M.  zeigten  sich  binnen  l/4  M. 
12  krampfhafte,  tiefe  Inspirationen;  nachdem  nach  15  M.  2  Liter  Gas  verbraucht 
worden,  wurde  die  Taube  herausgenommen.  Auf  die  Erde  gesetzt,  machte  sie 
schwache  Gehversuche;  beim  Versuche  zu  entfliehen  stürzte  sie  mehrmals  auf  den 
Kopf;    die  Respiration  ist  mit  Pfeifen  und  Schleimrasseln  verbunden   und   beschleunigt. 


362  Kohlenstoff  und  Schwefel. 

Nach  5  M.  27  Inspirationen  binnen  %  M.,  das  Athmen  regulirt  sich  aber  alsbald,  ebenso 
schwindet  die  Betäubung;  nach  10  M.  läuft  das  Thier  wieder  frei  umher.  Nachkrank- 
heiten entstehen  nicht. 

Kohlenstoff  und  Schwefel. 

Schwefelkohlenstoff  CS2  wird  durch  Ueberleiten  von  Schwefeldämpfen  über 
glühende  Kohlen  dargestellt,  wozu  man  in  Laboratorien  eine  tubulirte  Steingutretorte 
benutzt.  Er  ist  eine  farblose,  das  Licht  stark  brechende  Flüssigkeit,  welche  nicht  un- 
angenehm riecht,  wenn  sie  chemisch  rein  ist,  und  bei  46°  siedet;  sie  verbrennt  mit 
blauer  Flamme  unter  Bildung  von  Kohlensäure  und  Schwefligsäureanhydrid;  ihre  Ent- 
zündungstemperatur liegt  bei  170°  C.  Schwefelkohlenstoff  ist  in  Alkohol  leicht,  in 
Wasser  aber  sehr  schwer  löslich  und  theilt  diesem  einen  brennenden  Geschmack  mit; 
für  Schwefel,  Phosphor,  Fette,  Harze,  Theer,  Oele,  Jod,  Kautschuk  und  Guttapercha  ist 
er  ein  gutes  Lösungsmittel.  Mit  den  meisten  Schwefelmetallen  geht  er  eigenthümliche 
Verbindungen  ein,  wobei  er  die  Rolle  einer  Säure  bildet;  Säuren  zerlegen  dieselben  unter 
Abscheidung  eines  rothbraunen  Oels,  der  Sulfokohlensäure  H2CS3,  als  deren  Anhydrid 
der  Schwefelkohlenstoff  zu  betrachten  ist. 

Einwirkung  von  Schwefelkohlenstoff  anf  den  thierischen  Organismus.    Auf  den 

Boden  des  grossen  Glaskastens,  in  welchem  sich  ein  starkes  Kaninchen  befand,  wurden 
3,75  Grm.  Schwefelkohlenstoff  geschüttet.  Das  Thier  reibt  sofort  Maul  und  Nase  unter 
anhaltendem  Schreien ,  dann  Zurückziehen  des  Kopfes  in  den  Nacken,  Husten  und  sehr 
beschleunigte  Respiration ;  nach  3  M.  Thränen  der  Augen  und  kaum  bemerkbare  Respi- 
ration; nach  6  M.  Zusatz  von  3,75  Grm.;  hierauf  erhebt  sich  das  Thier,  fällt  dann  lang- 
sam zu  Boden  auf  die  Seite,  erhebt  sich  aber  wieder,  schreit  und  fällt  dann  abermals 
auf  die  Seite;  krampfhafte  Bewegungen  der  Extremitäten  gehen  in  allgemeine  Convulsionen 
über.  Nach  8  M.  macht  es  in  der  Seitenlage  unzählbare  rotirende  Bewegungen  mit  den 
Vorderbeinen,  auf  welche  Schreien  und  convulsivische  Bewegungen  aller  Extremitäten 
und  starkes  Zittern  des  Kopfes  folgen;  nach  10  M.  bloss  zitternde  Bewegungen 
der  Vorderbeine  bei  verengter  Pupille,  dann  wieder  rotirende  Bewegungen  der  Vorder- 
beine und  Zittern  der  Muskeln  des  Stammes;  nach  12  M.  bei  verengter  Pupille 
Zittern  aller  Muskeln,  ein  kurzes  Athmen  und  Tod.  Die  Temperatur  des  Körpers 
sinkt  rasch  auf  18°  R. 

Section  14  Stunden  hernach.  Beim  Abzieheu  des  Felles  erscheinen  alle  ober- 
flächlichen Venen  stark  mit  flüssigem,  ziemlich  hellrothem  Blute  angefüllt.  Die 
Schädelknochen,  namentlich  am  Hinterhaupte,  mit  Blut  angefüllt;  Dura  mater  massig, 
Pia  mater  sehr  blutreich;  ein  kleines  erbsengrosses  Blutgerinnsel  auf  den  Corpora 
quadrig.;  die  Plex.  ven.  spin.  sehr  bedeutend  mit  flüssigem  Blute  angefüllt,  so  dass 
sich  im  Rückgratscanale  viel  Blut  ansammelte;  ebenso  sind  die  Venen  des  Halses 
reich  an  flüssigem  Blute.  Lungen  hellroth  mit  braunrother  Marmorirung,  der 
ganze  linke  untere  Lungenlappen  von  schwarzbrauner  Fai-be,  knistert  fast  gar  nicht 
beim  Einschneiden,  schwimmt  aber  auf  dem  Wasser;  auch  das  Parenchym  ist  an  dieser 
Stelle  schwarzbraun,  compact  und  entleert  beim  Einschneiden  einen  blutigen  Schaum, 
beim  Zusammendrücken  etwas  dickflüssiges  Blut;  an  den  übrigen  Stellen  tritt  überall 
auf  den  Durchschnittsflächen  viel  Schaum  aus  den  feinsten  Bronchien  und  aus  den 
kleinern  Venen  geronnenes  Blut  hervor.  Der  feine  weisse  Schaum  füllt  auch  alle 
grössern  Bronchien  bis  zur  Luftröhre  und  zum  Kehlkopf  aus ;  die  ganze  Trachealschleim- 
haut  braunroth  injicirt.  Das  ganze  Herz,  besonders  aber  der  rechte  Vorhof,  ist  mit 
schwarzem,  geronnenem,  anklebendem  Blute  angefüllt,  nur  wenig  flüssiges,  beinahe 
violettrothes  Blut  findet  sich  hier.  Auch  die  grössern  Venen  sind  mit  geronnenem  Blute 
angefüllt,  welches  sich  in  langen  Fäden  ausziehen  lässt;  das  flüssige  Blut  röthet  sich 
lebhaft  an  der  Luft.  Nach  Herausnahme  der  Brustorgane  hatten  sich  etwa  4  Grm. 
flüssiges  Blut  in  der  Brusthöhle  angesammelt.  Leber  dunkelbraunroth  mit  muskat- 
nussartiger  Marmorirung,  auf  den  Durchschnittsflächen  fliesst  dunkles,  dickflüssiges  Blut 
aus;  Milz  blassroth,  beide  Nieren  auffallend  blutreich.  Schwefelkohlenstoff  konnte  als 
solcher  im  Blute  nachgewiesen  werden;  durch  das  erwärmte  Blut  wurde  Luft  in  eine 
Lösung  von  Aetzkali  in  Alkohol  getrieben,  der  Alkohol  im  Wasserbade  abgeraucht  und 
der  Rückstand  mit  Kupfersulfat  versetzt.  Es  entstand  ein  schöner  gelber  Niederschlag 
von  xanthogensaurem  Kupfer,  ein  Beweis,  dass  Schwefelkohlenstoff  vorhanden 
war.  Ein  mit  den  Dämpfen  von  Schwefelkohlenstoff  versetztes  Blut  blieb  mehrere  Tage 
unzersetzt.01) 

Die  Versuche  an  Thieren  vermögen  nicht  das  Krankheitsbild  zu  produciren, 
welches  sich  bei  den  mit  Schwefelkohlenstoff  beschäftigten  Arbeitern  in  ganz  be- 
stimmter Weise  kund  gibt.     Es  zeigt  sich  am  meisten   in  den  Fabriken,   welche 


Wirkung  des  Schwefelkohlenstoffs.  363 

den  Schwefelkohlenstoff  als  Extractionsrnittel  für  Oel  benutzen;  in  Kautschuk- 
fabriken ist  die  dort  bisher  gebräuchliche  Mischung  von  Chlorschwefel  und 
Schwefelkohlenstoff  im  Verhältniss  von  1:20  vielfach  durch  Petroleunibenziu 
verdrängt  worden;  früher  kamen  deshalb  die  Schwefelkohlenstoff-Intoxicationen  in 
Kautschukfabriken  häufiger  als  jetzt  vor.*) 

Aus  den  Versuchen  an  Thieren  geht  die  deletäre  Wirkung  concentrirter 
Mengen  der  Dämpfe  auf  die  Nervencentren  deutlich  hervor,  während  bei  Menschen 
die  Einwirkung  der  kleinen,  aber  täglich  wiederkehrenden  Mengen  einen  bestimm- 
ten Symptomencomplex  erzeugt,  bei  dem  man  häufig  Stadien  der  Reizung  und 
der  Depression  unterscheiden  kann.  Im  Stadium  der  Reizung  beobachtet 
man  zunächst  einen  permauenten  Kopfschmerz,  der  vorzüglich  in  der  Schläfen- 
gegend seinen  Sitz  hat  und  bisweilen  mit  Schwindel  und  wankendem  Gange  ver- 
bunden ist.  Nächstdem  fallen  die  Verdauungsstörungen  auf;  es  zeigt  sich 
schlechter  Geschmack,  Ekel  vor  Speisen,  bisweilen  ein  instinctives  Verlangen  nach 
fetten  Speisen,  häufig  Uebelsein  und  wirkliches  Erbrechen;  letzteres  erleichtert 
in  der  Art,  dass  man  gleich  darauf  wieder  Speisen  zu  sich  nehmen  kann. 
Auch  jede  Defäcation  hebt  für  kurze  Zeit  die  schmerzhaften  Gefühle  im  Unter- 
leibe,  während  die  mit  fötidem  Gerüche  abgehenden  Blähungen  auf  das  Befinden 
ohne  Wirkung  bleiben.  Eine  erhöhte  Empfindlichkeit  der  Haut  äussert  sich 
durch  Jucken  und  bisweilen  durch  ein  eigentümliches  Kribbeln  unter  den  Einger- 
nägeln. Das  Allgemeingefühl  ist  verändert,  eine  reizbare,  sehr  ärgerliche 
Stimmung,  die  keinen  Widerspruch  verträgt,  sowie  eine  grosse  Empfindlichkeit 
gegen  Geräusche  mit  Brausen  in  den  Ohren  machen  sich  entschieden  geltend. 
Seltner  ist  das  Zittergefühl  und  Vibriren  der  Muskeln,  welches  sich  bei  Thieren 
in  prägnanter  Weise  zeigt. 

In  einer  hiesigen  Fabrik  wurde  bei  einem  Arbeiter  eine  acute  Manie  be- 
obachtet, die  sehr  heftig  auftrat,  aber  nach  ein  paar  Tagen  wieder  verschwand. 
Geringere  Grade  derselben  manifestiren  sich  durch  eine  grosse  Geschwätzigkeit, 
lautes  Wesen  und  ausgelassene  Lustigkeit.  Der  Schlaf  ist  oft  durch  wüste 
Träume  unterbrochen  oder  es  ist  gänzliche  Schlaflosigkeit  vorhanden;  aber  in 
keinem  Falle  wurde  eine  Einwirkung  auf  das  Geschlechtssystem,  die  Delpech 
ganz  besonders  betont,  beobachtet. 62)  Ebensowenig  kamen  Krämpfe,  Contracturen 
der  Gliedmassen  oder  allgemeine  Convulsionen,  welche  man  in  französischen 
Fabriken  wahrgenommen  haben  will,  in  hiesigen  Werkstätten  zur  Beobachtung; 
dagegen  sind  Gliederschmerzen,  namentlich  in  den  Beinen,  constante  Er- 
scheinungen. 

Die  Depression  beginnt  meist  mit  einer  Anästhesie  der  Haut,  die  sich 
auch  an  der  Schleimhaut  der  Mund-  und  Nasenhöhle  sowie  im  äussern  Gehörgange 


*)  Versuche  an  Thieren  mit  der  Mischung  von  Schwefelkohlenstoff  und  Chlor- 
schwefel  haben  ergeben,  dass  die  Wirkung  der  durch  Wärme  entwickelten  Dämpfe 
sich  wenig  von  der  des  blossen  Schwefelkohlenstoffs  unterscheidet;  nur  die  salzsauren 
Dämpfe,  die  hier  gleichzeitig  auftraten,  hatten  eine  milchige  Trübung  der  Hornhaut 
neben  erhöhter  Reizung  der  Respirationswege  hervorgerufen;  deshalb  reagirten  auch  die 
ThränenfLüssigkeit  und  der  Speichel  sauer;  die  charakteristische  Wirkung  des  Schwefel- 
kohlenstoffs wurde  im  Uebrigen  nicht  dadurch  verändert.  Wenn  Delpech  ein  Staphylom 
der  Hornhaut  und  Iris  bei  einem  Arbeiter  dem  Umstände  zuschrieb,  dass  demselben  ein 
Tropfen  Schwefelkohlenstoff  ins  Auge  gekommen  sei,  so  ist  diese  Annahme  sehr  un- 
wahrscheinlich. Den  Arbeitern  geräth  oft  Schwefelkohlenstoff  in  die  Augen,  ohne  dass 
ausser  einem  heftigen  Brennen  bleibende  Folgen  zurückbleiben;  weit  eher  ist  eine  der- 
artige Wirkung  dem  Chlorschwefel  zuzuschreiben. 


364  Kohlenstoff  und  Schwefel. 

zeigt;*3)  eju  Kranker  klagte  namentlich  über  ein  Gefühl,  als  ob  die  Zunge  mit 
einer  Haut  überzogen  wäre.*)  Ganz  besonders  auffallend  sind  aber  Gedächt- 
uissschwäche  und  Verwirrung  der  Gedanken,  so  dass  auch  das  zunächst 
Erlebte  wieder  vergessen  wird.  Dieser  Zustand  hielt  bei  einem  Kranken  ein 
ganzes  Jahr  an,  auch  nachdem  er  schon  längst  den  schädlichen  Einflüssen  ent- 
zogen war.  Ebenso  ist  eiue  grosse  Muskelschwäche,  namentlich  in  den 
obern  Extremitäten,  als  Wirkung  des  Schwefelkohlenstoffs  ausser  Frage  gestellt; 
bei  einem  kräftigen  Manne  blieb  die  rechte  Hand  noch  2  Monate  lang  nach  dem 
Austritte  aus  der  Fabrik  in  dem  Grade  gelähmt,  dass  er  keinen  Gegenstand  mit 
der  afficirtcn  Hand  festhalten  konnte.  Parese  der  untern  Extremitäten  und  der 
Verlust  des  Vermögens  zur  Coordination  der  Bewegungen,  wobei  der  Gang  dem 
eines  Tabetikers  ähnlich  war,  sind  in  diesem  hohen  Grade  nur  einmal  beobachtet 
worden/'4) 

Alle  nachtheiligen  Folgen  der  Einwirkung  der  Dämpfe  von  Schwefelkohlen- 
stoff werden  aber  stets  gehoben,  sobald  die  Schädlichkeit  gemieden  wird;  mag 
ihre  Dauer  sich  auch  oft  auf  Monate  und  Jahre  erstreckt  haben,  bleibende  Nach- 
theile haben  sich  bisher  noch  niemals  gezeigt. 

Beachtenswert li  ist  ferner  noch  für  Schwefelkohlenstoff,  dass  sich  die  Em- 
pfänglichkeit für  seine  Einwirkung  bei  allen  Personen  steigert,  welche  einmal  an 
den  Folgen  derselben  gelitten  haben,  so  dass  hierbei  von  einer  Gewöhnung  an 
die  schädlichen  Einflüsse  niemals  die  Rede  sein  kann.65) 

Unter  den  verschiedenen  Thieren  sind  Vögel,  Kaninchen  und  Meerschweinchen 
sehr  empfänglich  für  die  Dämpfe  von  Schwefelkonlenstoff;  Frösche  und  Katzen  werden 
von  denselben  viel  weniger  nachtheilig  berührt.  Ratten,  Mäuse  und  fast  alle  Insekten, 
namentlich  die  Krätzmilbe,  sowie  Raupen  können  leicht  durch  Schwefelkohlenstoff  ge- 
tödtet  werden :  bei  letztem  braucht  man  nur  mit  Schwefelkohlenstoff  befeuchtete  Lappen 
zwischen  den  Aesten  der  Bäume  aufzuhängen,  um  sie  zu  betäuben.  Cloez66)  empfiehlt  das 
Mittel  zur  Vertilgung  der  Ratten  und  Mäuse  und  schlägt  vor.  dasselbe  für  diesen 
Zweck  in  ihre  Gänge  zu  schütten.  Es  ist  hierbei  nur  zu  bedenken ,  dass  die  crepirten 
Thiere  in  den  Gängen  liegen  bleiben  und  bei  ihrer  Verwesung  möglicherweise  die  Luft 
bewohnter  Räume  verderben.  Varrentrapp  rühmt  ihn  als  ein  Vertilgungsmittel  für 
die  Motten.67.) 

Schwefelkohlenstoff-  Industrie. 

Bei  der  Schwefelkohlenstoff-Industrie  kommt  es  zunächst  auf  die 
Darstellung  dieses  Körpers  an,  welche  mit  massenhafter  Entwicklung  von 
Schwefelwasserstoff  verbunden  ist.  Man  gebraucht  dazu  eine  eiserne 
Retorte  (Fig.  44  o),  die  auf  einem  Gittergewölbe  steht  und  mit  einem  Ge- 
mäuer umgeben  ist,  in  welchem  seitlich  von  der  Retorte  je  ein  Zug  angebracht 
ist.  Durch  das  Manuloch  (&)  wird  die  Retorte  mit  Koks  oder  reinen  Holzkohlen 
gespeist  und,  wenn  derselbe  in  mittler  Rothgluth  steht,  durch  die  Memme  (c)  der 
Schwefel  eingetragen,  was  gewöhnlich  alle  10  Minuten  geschieht;  das  Zuschütten 
der  Kohle  geschieht  alle  12 — 24  Stunden. 

Hierbei  entwickeln  sich  viele  Schwefeldämpfe;  um  die  Einwirkung  derselben  auf 
die  Arbeiter  zu  vermeiden,  kann  man  den  Schwefel  vorher  in  einem  besondern  Gefässe 
schmelzen,  um  ihn  mittels  eines  Rohrs  durch  die  Memme  (c)  zufliessen  zu  lassen,  welche 


*)  Bekannt  ist,  dass  Schwefelkohlenstoff  bei  der  äussern  Application  mittels  Watte 
eine  locale  Anästhesie  erzeugt.  Arbeiter  sind  deshalb  einem  Taubwerden  oder  Ein- 
geschlafensein der  Hände  ausgesetzt,  wenn  sie  dieselben  oft  in  Berührung  mit  Schwefel- 
kohlenstoff bringen.  Dieser  Zustand  verliert  sich  am  schnellsten,  wenn  man  die  Hände 
kurze  Zeit  in  kaltes  Wasser  taucht. 


Schwefelkohlenstoff-  Industrie. 


365 


mit  einer  dicht  schliessenden  Klappe  versehen  ist,  oder  man  trägt  den  Schwefel  in 
Stücken  durch  ein  bis  auf  den  Boden  der  Retorte  reichendes  Rohr  ein.  Um  diesen  Be- 
lästigungen am  sichersten  zu  entgehen,  lässt  man  gegenwärtig  statt  des  starren  oder 
flüssigen  Schwefels  die  Dämpfe  von  trocknem  Schwefel  eintreten. 

Auch  ist  es  zweckmässig,    die  Retorte  durch   eine  Backsteinbekleidung  vor  der 
Einwirkung  des  Feuers  zu  schützen. 

Fig.  A4. 


In  sanitärer  Beziehung  ist  die  Condensation  des  sich  bildenden  Schwefel- 
kohlenstoffs und  die  Vernichtung  der  nicht  condensirten  Dämpfe  ein  sehr  wichtiger 
Act;  namentlich  ist  der  mit  Schwefelkohlenstoffdampf  gesättigte  Schwe- 
felwassertoff  höchst  übelriechend  und  sowohl  für  die  Arbeiter  als  auch  für  die 
Adjacenten  sehr  belästigend;  auch  noch  andere,  noch  nicht  näher  untersuchte 
flüchtige  Körper  bilden  sich  hierbei. 

Die  Dämpfe  gelangen  aus  der  Retorte  zunächst  in  den  Condensationskasten  (d); 
in  diesem  befindet  sich  ein  blecherner  Kasten,  dessen  Boden  einige  Zoll  hoch  mit 
Wasser  bedeckt  ist.  Die  drei  Scheidewände  nöthigen  die  Dämpfe,  sich  schlau genförmig 
fortzubewegen.  Der  verdichtete  Schwefelkohlenstoff  sinkt  in  dem  Wasser  zu  Boden  und 
kann  hier  durch  eine  S förmig  gebogene  Röhre  (/')  abgelassen  werden. 

Die  nicht  condensirten  Gase  bestehen  hauptsächlich  aus  kleinen  Mengen  Kohlen- 
oxyd, Kohlensäure,  Sumpfgas  und  grossen  Mengen  Schwefelwasserstoff. 
Dieselben  ziehen  an  der  Decke  des  Kastens  durch  ein  zinnernes  Rohr  (e),  welches 
schlangenförmig  in  einem  Kühlfass  liegt  und  in  einen  zweiten  Kasten  mündet,  in  dem 
sich  die  noch  mit  übergerissenen  Schwefelkohlenstoffdämpfe  condensiren,  um  hier  abge- 
lassen zu  werden,  während  die  nicht  condensirten  Gase  durch  eine  besondere  Röhre  an 
der  Decke  dieses  Sammelkastens  (ff)  ausströmen,  um  in  die  Feuerung  geleitet  zu  werden. 
In  die  Röhre  legt  man  gewöhnlich  Drahtbündel  oder  siebförmige  Schieber,  um  die  Gase 
ohne  Gefahr  vor  Explosionen  verbrennen  zu  können.  Diese  Einrichtung  ist  nicht  nöthig, 
wenn  die  Gase,  ehe  sie  in  die  Feuerung  gelangen,  mit  Luft  hinreichend  vermischt 
worden  sind,  weil  dann  das  Zurückschlagen  der  Flamme  nicht  stattfindet.  Zu  dem 
Ende  nehme  man  ein  Ableitungsrohr  von  1  Zoll  Durchmesser  und  leite 
dasselbe  zur  Mündung  eines  3  Zoll  weiten  Steingutrohrs,  das  vertical 
in  dem  zur  Feuerung  des  Schornsteins  führenden  Canal  eingemauert  ist. 
Durch  den  Zug  des  Schornsteins  werden  alle  Dämpfe  und  Gase  kräftig  weggezogen,  so 
dass  Arbeiter  und  Adjacenten  vor  Gefahr  und  Belästigung  geschützt  sind. 

Wichtig  ist  auch  noch  die  Entfernung  der  Rückstände  von  Kohle  und 
Schwefel  aus  den  Retorten,  damit  die  Arbeiter  nicht  zu  sehr  der  Hitze  und  den 
Dämpfen  des  brennenden  Schwefelkohlenstoffs  ausgesetzt  werden;  die  Entleerung  der 
Retorten  gehört  nämlich  zu  den  grössten  Uebelständen  dieser  Fabricatlon,  da  sie  häufig 
nothwendig  und  auch  für  die  Adjacenten  belästigend  wird;  deshalb  hat  Dtiss,  der  sich 
um  die  Darstellung  von  Schwefelkohlenstoff  sehr  verdient  gemacht  hat,  unten  in  der 
Retorte  einen  Rost  angebracht  und  dadurch  einen  freien  Raum  geschaffen,  in  welchem 
sich  die  Rückstände  von  Schwefel  und  Kohle  wie  in  einem  Aschenfali  ansammeln. 
Diese  Einrichtung  findet  sich  aber  selten  und  hat  man  deshalb  möglichst  dafür  zu 
sorgen,  dass  die  Abkühlung  der  Retorte  einigermassen  erfolgt  sei,  bevor  man  zu  deren 
Entleerung  übergeht,  obgleich  allerdings  dadurch  Zeitverlust  herbeigeführt  wird, 
den  die  Fabricanten  grade  zu  vermeiden  suchen.    Jedenfalls  sollte  deshalb  den  Arbeitern 


3G6  Kohlenstoff  und  Schwefel. 

Gelegenheit  geboten  werden,  sich  bei  dieser  Procedur  in  Kalkmilch  getauchte  Schwämme 
vor  Mund  und  Nase  zu  binden. 

Als  Gegenmittel  gegen  die  nachtheilige  Einwirkung  von  Schwefelkohlenstoff  hat 
man  auch  primäres  Natrium-  und  Eisencarbonat  in  Lösung  vorgeschlagen. 

Die  Reinigung  des  Schwefelkohlenstoffs  erfolgt  nach  0.  Brunn  am  besten 
durch  wiederholtes  Abdestilliren  aus  reinem  Oel,  wobei  letzteres  einen  höchst  wider- 
wärtigen Geruch  annimmt  und  schwefelhaltig  wird,  während  ein  so  gereinigter  Schwefel- 
kohlenstoff geruchlos  ist.'j8) 

Die  Aufbewahrung  des  Schwefelkohlenstoffs  geschieht  meist  in  Flaschen  von 
verzinntem  Eisenblech;  grössere  Vorräthe  gelangen  in  grosse  cylinderförmige  Behälter 
von  Zinkblech,  welche  auf  Holzgestellen  in  isolirt  gelegenen  und  gut  ventilirten  Räumen 
aufgestellt  werden. 

Das  Betriebs-Reglement  für  die  Eisenbahnen  vom  10.  Juni  1870 
schreibt  ebenfalls  für  den  Transport  aus  Zink  gefertigte,  durch  aufgelöthete  eiserne 
Reifen  verstärkte  Gefässe  vor,  die  ein  Gewicht  von  höchstens  70  Pfd.  enthalten  dürfen ; 
Gefässe  von  starkem  Eisenblech,  die  gehörig  vernietet  und  in  den  Nähten  gut  verlöthet 
sind,  dürfen  ein  Gewicht  von  höchstens  10  Centnern  umfassen.  Die  erstem  müssen  in 
geflochtenen  Körben  eingeschlossen  sein,  während  Glasgefässe  nur  zugelassen  werden, 
wenn  sie  in  Blechbüchsen  mit  Kleie  und  Sägespänen  eingefüttert  sind. 

Es  ist  nothwendig,  dass  jede  Blechflasche  einen  Korkstöpsel  hat,  der  mit  einem 
mittels  Theer  bestrichenen  Leinwandlappen  gekappt  wird. 

Die  technische  Verwendung  des  Schwefelkohlenstoffs  zur  Extraction  von  Oelen, 
Fetten,  Harzen,  Leinsamen,  Mohn,  Raps,  Buchen,  Sonnenblumen,  Palmkernen, 
Nüssen,  Ricinussamen,  Hanf,  Olivenrückständen  (Sanza),  von  Pressungen  der  Cacao- 
masse,  Putzlappen  u.  s.  w.  ist  eine  sehr  ausgedehnte;  nur  die  Mandeln  eignen  sich 
nicht  zu  dieser  Extraction,  weil  die  zerstossene  Masse  verkleistert  und  dann  das 
Eindringen  der  Dämpfe  nicht  gestattet.  Die  verschiedeneu  Pressrückstände  ver- 
lieren durch  diese  Extraction  nichts  von  ihrem  Stickstoffs  resp.  Nahrungsgehalt. 

Die  hierzu  gebräuchlichen  Apparate  sind  sehr  complicirt,  ohne  Zeichnung  nicht 
verständlich  und  können  nicht  in  extenso  beschrieben  werden;  es  kann  sich  hier  nur 
um  die  Principien,  welche  bei  dieser  Fabrication  massgebend  sind,  handeln.  Das  Ver- 
drängen des  Oels  aus  den  zu  bearbeitenden  Substanzen  geschieht  entweder  von  unten 
nach  oben  oder  umgekehrt;  die  Bewegung  des  Schwefelkohlenstoffs  aus  einem  niedern 
Gefässe  in  ein  höheres  wird  durch  directes  Pumpen,  durch  Wasserdruck,  durch  Conden- 
sation  oder  durch  Luft  Verdünnung  bewirkt. 

Das  Abdestilliren  des  Schwefelkohlenstoffs  aus  dem  extrahirten 
Rückstande  wird  von  oben  nach  unten,  mit  heisser  Luft  oder  auch  mit  einem  Gemisch 
von  Wasserdampf  und  Luft  (namentlich  bei  fettigen  Wollabfällen)  vorgenommen, 
während  zum  Abdestilliren  des  Schwefelkohlenstoffs  aus  der  Oellösung 
ausnahmslos  der  indirecte  Dampf,  d.  h.  mittels  eines  doppelten  Bodens  oder  einer 
Schlange,  zuletzt  der  directe  Dampf  dient. 

In  sanitärer  Beziehung  ist  als  Grundsatz  aufzustellen,  dass  sich  der 
Schwefelkohlenstoff  stets  in  vollständig  geschlossenen  Gefässen,  die  nicht  mittels 
Röhren  mit  der  freien  Luft  communiciren,  befinden  muss.  Die  Bewegung  der 
Flüssigkeit  aus  einem  Gefäss  in  das  andere  geschehe  stets  durch  Luftdruck, 
niemals  durch  directes  Pumpen;  die  Apparate  sind  so  einzurichten,  dass  die 
meisten  Gefässe  verdünnte  Luft  enthalten,  damit  an  undichten  Stellen  kein 
Schwefelwasserstoff  austreten  und  nur  Luft  eintreten  kann.  Die  Luft,  welche 
zum  Zwecke  der  Luftverdünnung  ausgetrieben  wird,  muss  noch  weiter  verwerthet 
werden,  da  sie  noch  Schwefelkohlenstoff  enthält,  so  dass  der  ganze  Gehalt  an 
Schwefelkohlenstoff  möglichst  wieder  gewonnen  wird  und  nur  schwefelkohlen- 
stofffreie Luft  entweicht;  sie  darf  nur  nach  der  zu  extrahirenden  Sub- 
stanz riechen. 

Unter  diesen  Bedingungen  wird  die  technische  Benutzung  des  Schwefel- 
kohlenstoffs weder  den  Arbeitern  eine  Gefahr  noch  den  Adjacenten  Belästigung 
verursachen. fi9) 


Kohlenstoff  und  Wasserstoff.  367 

Nach  diesen  Principien  ist  die  ß;-a««'sche  Fabrik  in  Moabit  bei  Berlin  eingerichtet ; 
sämmtliche  Gefässe  sind  von  Eisenblech,  dicht  genietet  und  luftdicht  geschlossen.  Ein 
grosses  Reservoir  dient  für  die  Aufnahme  des  in  Arbeit  befindlichen  Schwefelkohlenstoffs 
( 10,000  Kilogr.),  Extractionsgefässe  (aufrecht  stehende  Cylinder)  nehmen  die  Samen  auf, 
Destillirgefässe  mit  Kühlschlangen  destilliren  die  concentrirte  Oellösung  ab,  während 
kleinere  Reservoirs,  zusammen  von  dem  Inhalte  des  Hauptreservoirs,  den  abfüessenden 
Schwefelkohlenstoff  aufnehmen;  eine  Luftpumpe  vermittelt  die  Bewegung  der  Flüssig- 
keiten, da  jedes  Gefäss  mit  der  Saug-  und  Druckseite  derselben  verbunden  werden  kann. 

Zur  luftdichten  Beschaffenheit  der  Apparate  muss  noch  eine  sorgfäl- 
tige Ventilation  der  Fabrikräume  hinzukommen;  wegen  der  specifischen 
Schwere  der  Schwefelkohlenstoffdämpfe  ist,  grade  wie  in  den  Phosphorzünd- 
hölzerfabriken, die  Luft  am  Boden  mittels  Aspiration  nach  dem  Souterrain 
hin  wegzunehmen.  Am  ehesten  geben  sich  auch  Schwefelkohlenstoffdämpfe  in 
den  Werkstätten  durch  ein  eigenthümliches  Gefühl  von  Kälte  und  Schwere  in 
den  Beinen  zu  erkennen,  namentlich  bei  denjenigen  Personen,  welche  schon  früher 
an  den  schädlichen  Folgen  derselben  gelitten  haben.  Ein  Bestreuen  des  Bodens 
mit  Kalk,  welcher  die  Dämpfe  absorbirt,  empfiehlt  sich  daher  auch  bei  der 
rationellsten  Einrichtung. 

Die  nach  dieser  Methode  gewonnenen  Extractionsrückstände  können  sehr 
gut  verwerthet  werden;  die  Ansicht,  dass  das  Extractionsmittel,  welches  sich  noch  in 
den  Rückständen  befinde,  Explosionen  veranlassen  könne,  trifft  nur  dann  zu,  wenn 
ätherische  Mittel,  z.B.  Petroleumessenz,  zur  Extraction  benutzt  worden  sind;  beim 
Schwefelkohlenstoff  ist  es  unmöglich. 

Die  technische  Verwendung  des  Schwefelkohlenstoffs  zum  Reinigen  des  Phosphors 
ist  bereits  erwähnt  worden  (s.  S.  263).  Eine  Schwefelkohlenstofflösung  von  Phosphor 
hat  man  behufs  Füllung  von  Bomben  vorgeschlagen,  namentlich  um  das  Holzwerk  von 
Schiffen  zu  entzünden. 

Die  Benutzung  des  Schwefelkohlenstoffs  als  bewegende  Kraft  verdankt  man  einem 
Deutschen,  Namens  Salumon,  der  in  Baltimore  in  den  50ger  Jahren  eine  Maschine  von 
4  Pferdekraft  aufgestellt  hat.  Bei  der  Schwierigkeit,  die  Schwefelkohlenstoff  dämpfe  zu 
verdichten,  hat  diese  Idee  keine  weitere  Verbreitung  gefunden. 

Die  Thatsache,  dass  beim  Verbrennen  von  Schwefelkohlenstoff  im  Stickoxydgase 
ein  sehr  intensives  Licht  entsteht,  hat  Eugen  Seil  veranlasst,  eine  Stickstoffoxydlampe 
zu  construiren,  welche  photographische  Aufnahmen  unabhängig  vom  Sonnenlichte 
gestattet. 

Ueber  die  Benutzung  von  Schwefelkohlenstoff  in  der  Kautschukfabrication  siehe 
Kautschuk. 

Kohlenstoff  und  Wasserstoff. 

Bei  der  unendlichen  Anzahl  von  Verbindungen  dieser  Art  erscheint  es  am 
geeignetsten,  sie  nach  den  Kohlenstoffatomen,  welche  mit  einander  verbunden  im 
Molecül  enthalten  sind,  aufeinander  folgen  zu  lassen  und  zwar  in  der  Weise,  dass 
zuerst  alle  diejenigen  Stoffe,  welche  1  Atom  C  enthalten,  dann  diejenigen,  welche 
2  Atome  C  enthalten  u.  s.  w.,  abgehandelt  werden. 

In  den  einzelnen  Gruppen  werden  zuerst  die  Kohlenwasserstoffe  der 
Gruppe,  dann  die  Halogenderivate  und  die  Sauerstoffabkömmlinge, 
hierauf  die  schwefelhaltigen  und  stickstoffhaltigen  Derivate  beschrieben 
werden  und  zwar  vorzugsweise  mit  Rücksicht  auf  diejenigen  Stoffe,  welche  in  der 
Industrie  eine  Rolle  spielen,  obgleich  auch  manche  Verbindungen,  die  von  wissen- 
schaftlicher speciell  medicinischer  Bedeutung  sind,  nicht  ausgeschlossen  werden 
konnten;  zu  diesen  gehört  namentlich  die  grosse  Reihe  der  Anaesthetica. 


368  Methylverbindungen. 


Cj  Grnppe. 
Methylverbindungen. 

Methylwasserstoff,  Methan,  Grubengas,  Sumpfgas,  leichtes  Kohlenwasser- 
stoffgas  CH4.  Dieses  Gas  bildet  sich  stets  bei  der  Verwesung  organischer  Substanzen, 
z.  B.  in  Kohlenbergwerken,  in  Sümpfen  u.  s.  w.  Zur  Zeit  der  Blüthe  wird  es  von 
Pflanzen  ausgeschieden;  bei  der  trocknen  Destillation,  namentlich  bei  der  Darstellung 
des  Leuchtgases,  tritt  es  reichlich  auf. 

Künstlich  wird  es  dargestellt  durch  Erhitzen  von  Natriumacetat  mit  überschüssigem 
Natriumhydrat: 

C3H3NaOa  +  NaHO  =  Na3C03  +  CH4. 

Es  ist  ein  färb-,  geruch-  und  geschmackloses  Gas ,  welches  8  mal  schwerer  als 
Wasserstoff  ist;  es  verbrennt  mit  blasser  Flamme,  mit  Sauerstoff  gemischt  verpufft  es 
angezündet  heftig;  mit  3  — 4  Vol.  Luft  explodirt  es  nicht,  mit  bl/2 — 6  Vol.  schwach,  mit 
8 — 10  Vol.  am  heftigsten;  mit  14  Vol.  Luft  ist  die  Explosion  noch  möglich,  mit  einer 
grössern  Menge  Luft  vermischt,  brennt  es  nur  bei  unmittelbarer  Berührung  mit  der 
Flamme.  Die  Entzündungstemperatur  des  Methans  liegt  weit  höher  als  die  des  Wasser- 
stoffs, Schwefelwasserstoffs  und  schweren  Kohlenwasserstoffs. 

Die  Einwirkung  des  Methans  auf  den  thierischen  Organismus  ist  in 
keiner  Weise  gesundheitsschädlich;  entstehen  nach  der  Inhalation  Kopfschmerz, 
Schwindel,  Betäubung  und  ähnliche  Erscheinungen,  so  ist  es  jedenfalls  mit 
Kohlensäure  vermischt;  in  Kohlenbergwerken  kommen  derartige  Gemische  nicht 
selten  vor.  Je  nach  dem  Vorwalten  der  Kohlensäure  werden  sich  dann  auch 
bei  den  Arbeitern  mehr  oder  weniger  Beschwerden  einstellen,  die  durch  blosses 
Sumpfgas  niemals  veranlasst  werden. 

Kaninchen  können  in  einer  Atmosphäre  von  5  %  Methan  20  Minuten  lang  ver- 
weilen, ohne  dass  man  etwas  Abnormes  an  ihnen  bemerkt;  da  aber  wegen  der  Leichtig- 
keit des  Gases  alle  Oeffnungen  der  Behälter,  worin  sich  die  Thiere  befinden,  geschlossen 
werden  müssen,  so  beschleunigt  sich  schliesslich  die  Respiration,  wenn  der  vorhanden 
gewesene  Sauerstoff  verbraucht  worden  ist;  schliesslich  tritt  der  Tod  nur  durch  Mangel 
an  atmosphärischem  Sauerstoff  ein.  Vom  Blute  wird  das  Gas  nur  in  sehr  geringen 
Mengen  aufgenommen;  überhaupt  ist  das  Absorptionsvermögen  des  Blutes  den  Methyl- 
verbindungen gegenüber  gering. 

Nach  Richardson  sollen  70 — 80$  des  Gases  erforderlich  sein,  um  einen  anästhe- 
tischen Schlaf  zu  erzeugen;  bei  den  Versuchen  an  Thieren  wurde  diese  Wirkung  nicht 
beobachtet.  Wie  wenig  gefährlich  dies  Gas  ist,  hebt  übrigens  auch  Richardson  hervor,  da 
Thiere  noch  4 — 5  Minuten  nach  dem  Aufhören  der  Athmung  durch  künstliche  Respi- 
ration wieder  ins  Leben  zurückgebracht  werden  konnten.1) 

A.    Halogen-Substitutionsproducte. 
1)    Ein  H  des  Methans  ist  durch  ein  Halogen  vertreten. 

a)  Methylchlorid,   Chlormethyl   CH3C1   kommt   nur   als  Kunstproduct   vor;    man 
stellt  es  durch  Methylalkohol  und  nascirende  Salzsäure  dar: 
CH4  0  +  H  Cl  =  CH3  Cl  +  Ho  0. 

Ein  farbloses  Gas  von  ätherartigem  Geruch  und  süssem  Geschmack;  es  brennt 
mit  weisser,  grüngefärbter  Flamme  zu  Kohlensäure,  Wasser  und  Salzsäure;  bei 
— 18°  ist  es  noch  nicht  condensirbar,  bei  21°  siedet  es. 

Einwirkung  von  Methylchlorid  auf  den  thierischen  Organismus,  l)  Das  Gas 
wurde  aus  2  Grm.  methylschwefelsaurem  Calcium  und  1  Grm.  Kochsalz  dargestellt  und 
in  die  Glasglocke  geleitet,  in  welcher  ein  Kaninchen  sass.  Sogleich  sehr  beschleunigte 
Respiration,  Husten  und  grosse  Unruhe,  Putzen  des  Maules  und  Zurückziehen  des  Kopfes 


Methylchlorid.  369 

in  den  Nacken.  Nach  5  M.  neue  Zuleitung  von  Gas;  sogleich  Unruhe  und  stärkeres 
Putzen  des  Mauls,  schwaches  Thränen  der  Augen,  Bauchlage  und  Schliessen  der  Augen; 
nach  10  M.  14  ruhige  Inspir.  binnen  l/4  M.  bei  öfterm  Aufhusten.  Herausnahme  des 
Thiers:  es  bleibt  liegen,  Herzschlag  und  Respiration  (40  Inspir.)  sehr  frequent;  nach 
8  M  Putzen  des  Mauls  und  Gehversuche,  die  Respiration  regulirt  sich  allmählig;  nach 
20  M.  normale  Bewegungen.  Am  andern  Morgen  ist  noch  ein  kurzer  Husten  bemerk- 
bar; Nachkrankheiteu  entstehen  nicht. 

2)  Das  wie  oben  dargestellte  Gas  wurde  zuerst  in  einen  Aspirator  geleitet,  mit 
Wasser  gewaschen  und  dem  kleinen  Zinkkasten,  in  welchem  eine  Taube  sass,  zugeführt; 
sogleich  Blinzeln  mit  den  Augen,  nach  3  M.  schläfriges  Aussehen  bei  geschlossenen 
x^ugen,  nach  4  M.  Anlehnen  mit  dem  Kopfe  an  die  Wand  des  Kastens,  dann  Bauchlage. 
Nach  6  M.  sind  1%  Liter  Gas  eingeleitet;  schwaches  Zurückziehen  des  Kopfes  in  den 
Nacken  bei  erweiterter  Pupille,  Schwanken  und  Umfallen  bei  grösster  Dyspnoe.  Auf 
den  Boden  gesetzt,  bleibt  sie  in  der  Bauchlage,  beim  Versuche  zu  stehen  oder  zu  gehen 
stürzt  sie  auf  den  Kopf  oder  schwankt  beständig  hin  und  her.  Nach  1  M.  steht  sie 
zitternd  wieder  aufrecht,  nach  3  M.  geht  sie  ohne  Schwanken,  nach  4  M.  Würgen,  die 
Respiration  ist  wieder  normal,  nur  häufiges  Auf  husten  zeigt  sich;  nach  15  M.  vollstän- 
dige Restitution. 

Wenn  Richardson2)  das  Methylchlorid  für  ein  Anaestheticum  erklärt,  so 
können  wir  nach  den  Versuchen  an  Thieren  dieser  Ansicht  nicht  beitreten.  Eine 
schwache  Narkose  gab  sich  nur  bei  der  Taube  kund;  die  Reflexerregbarkeit  blieb 
aber  ungestört.  Beim  ersten  Versuche  war  das  Gas  noch  mit  etwas  salzsauren 
Dämpfen  vermischt,  die  Reizung  der  Schleimhäute  daher  sehr  bemerkbar.  Beim 
zweiten  Versuche  gelangten  ungefähr  28  %  des  reinen  Gases  zur  Einwirkung ; 
hier  gab  sich  die  Reizung  nur  durch  starkes  Blinzeln  mit  den  Augen  kund;  die 
höchst  beschwerliche  Respiration  war  schliesslich  nur  die  Folge  des  grösstentheils 
verbrauchten  Sauerstoffs,  da  sie  sich  an  der  freien  Luft  alsbald  regulirte.  Die 
Betäubung,  das  Schwanken,  der  Schwindel  und  das  Stürzen  auf  den  Kopf  beim 
Gehen  gehören  jedenfalls  der  Wirkung  des  Radicals  an. 

Eine  Lösung  von  Methylchlorid  in  Wasser  soll  nach  Richardson  schon  zu 
15  Grm.  stark  berauschend  wirken. 

b)  MethylDromid,  Brommethyl  CH3Br  entsteht  aus  Methylalkohol  und  nascirender 
Bromwasserstoffsäure : 

CH4  0  +  HBr  =  CH3  Br  +  H2  0. 

c)  Methyljodid,  Jodmethyl  CH3J  bildet  sich  auf  eine  ähnliche  Weise,  wenn  nas- 
cirende  Jodwasserstoffsäure  genommen  wird: 

CH40  -f-  HJ  =  CH3  J  +  H20. 

Beide  Verbindungen  stellen  eine  farblose  Flüssigkeit  von  angenehmem  Gerüche 
dar,  unterscheiden  sich  aber  im  Siedepuncte  bedeutend.  Jodmethyl  siedet  bei +43°  und 
Brommethyl  bei +13°. 

Die  Wirkung  der  Dämpfe  von  Methylbromid  und  Methyljodid  auf  den  thierischen 
Organismus  ist  ähnlich  der  der  Chlorverbindung,  aber  schwächer;  eine  ähnliche  Ab- 
stufung findet  sich  auch  beim  Chloroform,  Bromoform  und  Jodoform.  Im  Allgemeinen 
sind  die  Halogenverbindungen  des  Methyls  fester  als  die  entsprechenden  Athylverbin- 
dungen;  aus  diesem  Umstände  resultirt  auch  wahrscheinlich  ihre  schwächere  anästhe- 
sirende  Wirkung. 

Die  Anwendung  von  Jod-  und  Brommethyl  in  der  Anilinfarbenfabrication 
beschränkt  sich  auf  die  Darstellung  der  blauen  Farbe  aus  dem  Anilinroth  und  der 
grünen  aus  dem  Anilinviolett. 

2)    Zwei  H  des  Methans  sind  durch  Cl  vertreten. 

Methylenchlorid  CH2C12  wird  durch  Einwirkung  von  Chlor  auf  Methylchlorid  dar- 
gestellt. Die  Präparate  des  Handels  sind  selten  rein.  Es  ist  eine  höchst  flüchtige  Flüs- 
sigkeit von  starkem,  ätherartigem  Gerüche;  sie  siedet  bei  +39°  und  hat  ein  spec.  Gew. 
von  1,344. 

Aehnlich  werden  Methylenhromid  und  Methylenjodid  dargestellt. 

Einwirkung  von  Methylenchlorid  auf  den  thierischen  Organismus,  l)  Ein  junges 
Meerschweinchen  sass  im  Zinkkasten,  in  welchem  ein  mit  20  Tropfen  Methylenchlorid 

Eulenberg,  Gewerbe -Hygiene.  24 


370  Methylverbindungen. 

angefeuchteter  Leinwandstreifen  aufgehängt  war:  das  Präparat  war  möglichst  rein,  da 
sein  Sicdepunct  bei  +30°  lag.  Sofort  blinzelt  das  Thier  mit  den  Augen,  schüttelt  sich 
und  hustet:  nach  "2  M.  schwankt  es  bei  erweiterter  Pupille,  nach  3  M.  fallt  es  und  richtet 
sich  wieder  auf,  dann  fällt  es  nochmals,  bleibt  liegen  und  athmet  regelmässig  in  voll- 
ständiger Anästhesie.  Nach  8  M.  Herausnahme  des  Thiers;  Herzschlag  beschleunigt, 
kurzes  Zittern  am  ganzen  Körper  und  ein  schwaches  Aufschreien;  nach  4M.  oberfläch- 
liche Respiration  bei  unzählbarem  Herzschlage;  nach  V  M.  geringe  Empfindlichkeit  der 
Augen  und  uach  8  M.  bewegt  es  den  Kopf  bei  aufgerichtetem  Vorderkorper,  während 
die  Hinterbeine  noch  gespreizt  und  wie  Leblos  daliegen.  Nach  14  M.  sitzt  es  wieder 
aufrecht,  beweg!  sieh  aber  noch  nicht;  nach  20  M.  ist  der  Herzschlag  wieder  normal, 
nach  1   St.  die  Restitution  vollständig. 

2)  Ein  ausgewachsenes  Meerschweinchen  sitzt  im  Zinkkasten,  30  Tropfen  kommen 
zur  Verdunstung;  sofort  Blinzeln  mit  den  Augen  und  nach  2  M.  etwas  Husten:  nach  SM. 

Schwanken  und  Anlehnen  an  die  Wand  da<  Kastens,  hierauf  fällt  es  auf  die  Seite  bei 
etwas  beschleunigter  Respiration.  Zusatz  von  30  Tropfen;  nach  4  M.  nur  15  Inspir. 
und  nach  5  M.  nur  10  Inspir.  binnen  %  M. ;  dann  Herausnahme  des  Thiers.  Nur  ein 
schwacher  Herzschlag  verräth  noch  Lehen,  dabei  ist  die  Pupille  weit;  nach  3  M.  noch 
3 — 4  Inspir.  und  nach  5  M.  nur  ein  schwacher  Herzschlag,  dar  nach  10  M.  kaum  noch 
bemerkbar  ist;  dann  erfolgt  in  der  nächsten  Minute  der  Tod. 

Section  12  Stunden  hernach.  Leichenstarre  stark,  linke  Cornea  trübe  und 
eingefallen,  Pupille  erweitert;  Pia  mater  sehr  blutreich,  Plex.  venös,  spinal, 
von  gewöhnlichem  Blutgehalte.  Die  Lungen  sind  braunrot  h  und  dunkelroth 
gefärbt,  namentlich  linkerseits,  ein  deutliches  Knistern  ist  nur  im  rechten  obern  Lungen- 
lappen bemerkbar;  hier  tritt  auf  den  DurchschnittsfMchen  beim  Drucke  viel  feiner 
weisser  Schaum  zu  Tage;  in  dem  dunkler  gefärbten  und  festern  Parenehyni 
muss  man  einen  stärkern  Druck  ausüben,  um  aus  den  feinsten  Bronchialästehen  diesen 
feinen  weissen  Schaum  auszupressen:  nur  wenig  flüssiges  Blut  ist  bemerkbar.  DieTracheal- 
schleimhaut  in  der  Nähe  der  Theilung  mit  einer  dünnen  wässrigen  Blutlage  bedeckt; 
das  Herz  und  die  grössern  Gefässe  strotzen  von  geronnenem  und  flüssigem  Blute; 
Leber  und  Nieren  blutreich.  Das  flüssige  Blut  ist  braunroth  und  röthet  sich  an  der 
Luft  allmählig  ziemlich  lebhaft;  sehr  viele  Blutkügelchen  sind  ungleich  und  gekerbt. 

Die  nachtheilige  Einwirkung  dieses  Körpers  auf  die  Herzthätigkeit  liegt  auf 
der  Hand;  beim  ersten  Versuche  trat  sie  anfangs  stürmisch  und  heftig  auf,  wäh- 
rend der  letale  Ausgang  beim  zweiten  Versuche  sich  durch  die  progressive  Ab- 
nahme des  Herzschlages  kund  gab.  Hiermit  hängt  die  auffällige  Anfällung  des 
Herzens  und  der  grössern  Gefässe  mit  Blut,  welche  bei  der  Section  angetroffen 
wurde,  zweifelsohne  zusammen. 

Bemerkenswert  ist  das  Fehlen  aller  convulsivischen  Bewegungen;  auch  bei 
Menschen  kommen  Muskelcontractionen  nicht  vor,  der  einzige  Vortheil,  welcher 
diesem  Anaestheticum  zukommt;  wegen  des  raschen  Eintritts  der  Narkose  hat 
man  es  besonders  bei  Zahuoperationen  empfohlen.3)  Die  Restitution  erfolgt  bis- 
weilen rasch,  häufig  aber  auch  langsam  mit  Eingenommenheit  des  Kopfes,  Ekel 
und  Erbrechen.  Höchst  wahrscheinlich  erzeugte  das  Zersetzungsproduct,  die  Salz- 
säure, beim  zweiten  Versuche  die  Verdichtung  des  Lungenparenchyms,  ein  Um- 
stand, welcher  jedenfalls  die  Gefährlichkeit  dieses  Mittels  mit  bedingen  dürfte. 

In  einem  Hospital  zu  Oxford  wurde  Methylenchlorid  in  der  Weise  zum 
Anästhesiren  benutzt,  dass  eine  „geringe"  Menge  davon  auf  einer  brennenden 
Lampe  verbrannt  wurde;  nach  2 — 3  krampfhaften  Athemzügen  war  Patientin 
schon  eine  Leiche;  in  diesem  Falle  musste  salzsaures  Gas  sofort  mit  ein- 
wirken.4) 

3)    Drei  H  des  Methans  sind  durch  Cl,  Br  oder  J  vertreten. 

a)  Chloroform  CHC13  wird  in  England  aus  Holzgeist,  in  Deuschland  und  Amerika 
aus  Alkohol  dargestellt.  In  letzterm  Falle  werden  10  Kilogr.  Chlorkalk  mit  60  Kilogr. 
Wasser  und  2  Kilogr.  Weingeist  von  0,85  spee.  Gew.  behandelt.  Das"  mit  Wasser  über- 
destillirte  Chloroform  wird  naöh  Tren  lung   dei    er  I  ■'       aals  destillirt.     Die  Einwir- 

kung des  Chlorkalks  auf  den  Alkohol    (C2H60)    ist    ziemlich    verwickelt;    unterscheidet 


Chloroform.  371 

man  die  -verschiedenen  Stadien  derselben,  so  bildet  sich  im  ersten  Stadium  der  Reaction 

durch  die  Wirkung  des  Chlors  auf  Alkohol  Acetal  C6H140o  (Aldehyd  des  Aethyläthers) : 

3C2H60-fCl2==C6H1402+2HCl  +  H20. 

Das  Acetal  wird  alsdann  durch  das  Chlor  in  dreifach  gechlortes  Acetal 
übergeführt : 

C6HU02  +  3C12  =  CfiHnClaOa-f-  3HC1. 

Das  Trichlor acetal  zerfällt  unter  dem  Einfluss  der  Salzsäure  in  Chloral- 
alkoholat  und  Chloräthyl: 

C(iH11Cl3084-Ha  =  C8HCl30  .  C,,H60  4-  C2HäCl. 

Chloral  wird  durch  den  Kalk  des  Chlorkalks  in  Chloroform  und  ameisen- 
saures Calcium  zerlegt: 

2  C2HC130  +  Ca(OH)2  =  2  CH  Cl3  +  (CH  02)2  Ca. 

Durch  die  Gegenwart  von  Wasser  wirkt  das  Chlor  noch  auf  einen  Theil  des 
Alkohols  oxydirend  ein  und  verwandelt  diesen  in  Essigsäure,  welche  ebenfalls  am 
Kalke  gebunden  bleibt. 

Bei  der  Darstellung  des  Chloroforms  aus  Holzgeist  wird  durch  die  bei  der 
Reaction  entstehende  Salzsäure  der  Methylalkohol  in  Methylchlorid  übergeführt, 
welches  durch  die  weitere  Einwirkung  des  Chlors  in  Chloroform  übergeht.  Am  reinsten 
wird  Chloroform  durch  Erhitzen  des  Chloralhydrats  dargestellt. 

Chloroform  ist  eine  farblose,  sehr  bewegliche  Flüssigkeit  von  süsslichem  Geruch 
und  kühlendem,  zuckerartigem  Geschmack;  es  ist  schwer  entzündlich  und  brennt  mit 
grün  gesäumter  Flamme:  es  siedet  bei  63,5°  C.  und  hat  das  spec.  Gew.  1,491  bei  17°  C. ;  in 
Wasser  ist  es  nur  sehr  wenig,  in  Alkohol  und  Aether  leicht  löslich.  Reines  Chloroform 
muss  im  Wasser  niederfallen,  ohne  dasselbe  zu  trüben;  geschieht  letzteres,  so  enthält 
es  Alkohol  oder  Holzgeist.  Für  Jod,  Schwefel,  Phosphor,  Fette,  Harze  und 
Kautschuk  ist  es  ein  sehr  gutes  Lösungsmittel.  Durch  weingeistige  Kalilösung  wird 
es  in  der  Wärme  in  ameisensaures  Kalium  und  Chlorkalium  übergeführt,  eine 
Reaction,  welche  auch  beim  Nachweise  des  Chloroforms  in  Vergiftungsfällen  benutzt 
werden  kann: 

CHC13  +  4KHO  =  CHK02  +  3  KCl  H-  2H,0. 

Reines  Chloroform  muss  das  vorgeschriebene  spec.  Gewicht  haben,  ganz  klar 
sein,  darf  Lakmuspapier  nicht  röthen,  mit  Silbernitratlösung  sich  nicht  trüben 
(was  bei  freier  Chlorwasserstoffsäure  geschieht)  und  muss  namentlich  den  vorgeschrie- 
benen Siedepunct  besitzen,  weil  es  sonst  mit  Alkohol  und  andern  Chloriden  ver- 
unreinigt ist.  Reines  und  wasserfreies  Chloroform  zersetzt  sich,  wenn  es  den  directen 
Sonnenstrahlen  ausgesetzt  wird,  äusserst  schwierig;  tritt  jedoch  Wasser  mit  in  Thätig- 
keit,  so  bildet  sich  stets  Salzsäure  und  Ameisensäure.  Sogar  beim  Verschluss 
durch  Kork,  welcher  30 — 38^  Wasser  zu  absorbiren  vermag,  kann  dies  stattfinden. 

Es  is  nicht  einmal  zulässig,  das  Standgefäss  mit  einer  feuchten  Blase  zu  über- 
ziehen; häufiges  Oeffnen  der  Standgefässe  und  häufiges  Erneuern  der  thierischen 
Membran  ist  daher  zu  vermeiden;  auch  die  Flaschen  zum  Einfüllen  müssen  vollkommen 
trocken  sein. 

Bei  der  fabrikmässigen  Darstellung  von  Chloroform  hat  man  in  sanitärer  Be- 
ziehung besonders  auf  die  Dichtigkeit  der  Apparate  resp.  die  Gasexhalationen  zu  achten 
(s.  Aethylindustrie). 

Die  Einwirkung  des  Chloroforms  anf  den  thierischen  Organismus  hat  behufs 
Anästhesirung  vorzugsweise  medicinisches  Interesse.  Die  hierbei  vorkommen- 
den Todesfälle  hat  man  häufig  auf  die  schlechte  Beschaffenheit  des  Chloroforms 
geschoben,  vielfach  aber  ohne  Grund.  Die  häufigste  Verunreinigung  ist  die  mit 
Salzsäure;  bei  der  hierdurch  bewirkten  Reizung  der  Respirationswege  wird 
man  aber  bald  veranlasst  werden,  das  Mittel  auszusetzen;  ebenso  verhält  es  sich 
mit  Chlorkohlenstoff  und  Phosgengas,  wenn  diese  Körper  im  Chloroform 
überhaupt  enthalten  sein  sollten. 

Nach  eignen  Versuchen  wird  das  Chloroform  vom  Blute  reichlich  aufgenommen 
und  zwar  stets  auf  Kosten  der  in  ihm  enthaltenen  Gase,  d.  h.  der  Sauerstoff  des 
Blutes  wird  durch  den  Chloroformdampf  deplacirt:  je  mehr  das  Blut  nun  mit  dem 
Chloroformdampf  gesättigt  ist,  desto  mehr  wird  es  unfähig,  den  atmosphärischen  Sauer- 
stoff wieder  aufzunehmen.  Mit  diesem  Vorgange  verbindet  sich  jedoch  eine  directeWirkung 
des  Chloroforms  auf  die  Nervencentren,  die  sich  zunächst  in  den  Symptomen  kurzer  Er- 
regung und  dann  der  Depression  äussert;  je  mehr  letztere  zunimmt,  desto  mehr  gibt 
sich  die  Abnahme  der  Herz-  und  Athemthätigkeit  kund;    es  treten  Cyanose,  röchelnde 

24* 


27  2  Methylverbindungen. 

Athmong  und  Tod  durch  Lähmung  der  centralen  Nervenapparate  ein.  Der  Obductions- 
befund  liefert  ähnliche  Erscheinungen,  wi     -  ickung  vorkommen. 

Chloroform  muss  daher,  um  die  Anästhesirmig  2  wirken, 

mit  atmosphärischem  Sauerstoff  vermischt  werden;  es  reichen  hierzu  3—5% 
Chloroform  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  aus,  obgleich  auch  solche  Mengen  bisweilen  schon 
die  Absorptionsfähigkeit  des  Blute.-  für  den  Sauerstoff  auf  eine  leb  osgefährliche  Weise 
beeinträchtigen    und    eine   nachtheilige  Einwirkung  auf  .die  Ni  ren    herbeiführen 

kennen. 

Als  Rettungsmittel  steht  erfahrungsgemäss  die  künstliche  Respira- 
tion in  erster  Linie:  stertoröses  Athmen  ist  stets  ein  bedenkliches  Symptom 
und  muss  zur  sofortigen  Sistirnng  der  Inhalation  auffordern.  Ist  <li.j  beginnende 
Asphyxie  durch  eine  krampfhafte  Constriction  der  \[.  styloglossi  und  stylopha- 
rvngei  bedingt,  dann  kann  ein  kräftiges  Hervorziehen  der  Zunge  die  Ge- 
fahr beseitigen. 

Die  Application  von  Reizmitteln,  wie  das  Einspritzen  von  kaltem  Wasser  in 
die  Nasenhöhle,  das  Uebergiessen  mit  kaltem  Wasser,  starkes  Frottiren  des  Rückens 
oder  kräftiges  Schlagen  mit  einem  in  kaltes  Wasser  getauchten  Tuche  auf  Gesicht, 
Brust  und  Rücken  sind  nicht  zu  vernachlässigen;  in  gefahrvollem  Fällen  schreite 
man  aber  rasch  zur  Laryngo-  oder  Tracheotomie,  um  die  künstliche  Respiration 
mittels  eines  in  die  Trachea  eingeführten  Katheters  zu  bewirken;  nötigenfalls 
könnte  die  Faradisirung  des  X.  phrenicns  dieses  Verfahren  noch  unterstützen. 

Der  Nachweis  von  Chloroform  im  Blute  lässt  sieh  dadurch  am  besten 
liefern,  dass  man  einen  Luftstrom  durch  das  Blut  leitet  und  diesen  hierauf  durch  ein 
glühendes  Glasrohr  streichen  lä?st.  an  dessen  einem  Ende  sieh  Jodkalium-Kleisterpapier 
befindet.     Chloroform  wird  hierbei  in  Kohle.  Salzsäure  uud  Chlor  zerlegt: 

CH013  =  C.HC1.2CL 

Das  Chlor  färbt  alsdann  das  Jodkalium-Kleisterpapier  blau. 

Anwendung  findet  das  Chloroform  ausser  in  der  Medicin  in  der  Technik  bei  der 
Darstellung  der  Alkaloide  und  Firnisse  zum  Extrahiren,  zum  Auflösen  von  Phosphor, 
namentlich  von  Guttapercha,  zur  Bestimmung  von  fetten  Oelen  in  Samen  u.  s.  w  :  bisher 
sind  bei  diesen  Arbeiten  nur  Fälle  von  leichter  Narkose  bekannt  geworden.  Die  sogen. 
Petroleum-Essenz  hat  das  Chloroform  fast  ganz  aus  der  Industrie  verdrängt. 

b)  Broniofoi'lll  CHBr3  stellt  man  dar,  indem  man  zu  einer  Auflösung  von  1  Th. 
Kaliumhydrat  in  1  Th.  Methylalkohol  Brom  bis  zur  eintretenden  Gelbfärbung  zusetzt  ; 
es  ist  eine  farblose,  dem  Chloroform  ähnlich  riechende  Flüssigkeit,  welche  bei  12°  das 
spec.  Gew.  '2.9  hat  und  bei  152°  siedet. 

Einwirkung  von  Broinoform  auf  den  thierischen  Organismus.  H  Ein  kleines 
Meerschweinchen  sitzt  im  kleinen  Zinkkasten,  in  dessen  Glitte  ein  mit  30  Tropfen 
Bromoform  befeuchteter  Leinwandstreifen  hängt:  die  Respiration  wird  sofort  frequenter: 
nach  ö  M.  Zusatz  von  30  Tropfen,  Putzen  des  Mauls  und  etwas  Husten:  nach 
7  M.  Senken  des  Kopfes  und  Hinfallen  mit  ausgestreckten  Beinen.  Nach  10  M. 
Herausnahme  des  Thiers  in   vollständiger  Anästhesie;    selbst    die  Aug  2      n   auf 

keinen  Reiz,  Respiration  und  Herzaction  normal:  nach  2  M.  fällt  es  beim  Aufrichten 
wieder  auf  die  Seite,  nur  die  Vorderbeine  reagiren  schwach:  nach  3  M.  nimmt  es  die 
sitzende  Stellung  wieder  ein  und  nach  ä  M.  bewegt  es  sich  wieder  frei  und  ohne  allen 
Taumel. 

2|  Ein  grosses  Meerschweinchen  sitzt  im  Zinkkasten:  bei  30  Tropfen  sogleich 
Blinzeln  mit  den  Augen.  Unruhe,  Zittern.  Schwanken:  es  fällt  oft  hin  und  richtet 
sich  wieder  auf:  nach  4  AI.  Zusatz  von  30  Tropfen:  nach  ö  M.  fällt  es  dann  wieder  hin 
und  bleibt  in  der  Seitenlage.  Nach  S  M.  Herausnahme  unter  starkem  Zittern  d 
nach  2  AI.  sind  die  Augen  noch  unempfindlich;  bald  darauf  versucht  das  Thier  aufzu- 
stehen, fällt  aber  wieder  hin:  erst  nach  16  AI.  i.-t  die  Restitution  vollständig. 

3)  Eine  Taube  sitzt  im  Zinkkasten,  in  den  schon  60  Tropfen  Bromoform  einge- 
tröpfelt worden  sind:  nach  4  M.  Taumel  und  Herabsinken  des  i\  ipfes;  nach  S  M.  bei 
Zusatz  von  30  Tropfen   erweitert    sich  di^  Pupille    und  ihwaches  Würgen  ein: 

nach  10  M.    abermals  Zusatz   von  30  Tropfen,    worauf  sich,    etwas         -    -         -'      B  sspi 
ration,  Blinzeln  mit  den  Augen   und  kurz  darauf  vollständige  Anästhesie  zeig    :.     N    sh 
15  M.  Herausnahme  der  Taube:    erst    nach   4  AI.    wacht    sie   auf,   erhebt   und   schüttelt 
sich,  bricht,  zittert  und  stürzt  bei  Gehversuchen  auf  den  Kopf:  nach  5  M.  geht  sie  aber 
wieder  ohne  Schwanken  einher. 


Chlorkohlenstoff.  373 

Bromoform  erzeugt  nach  diesen  Versuchen  eine  Anästhesie,  welche  beider 
grossen  Flüchtigkeit  desselben  von  kurzer  Dauer  ist  und  sich  zu  medicinischen 
Zweckeu  verwerthen  lässt,  wenn  es  sich  nur  um  geringfügige  Operationen, 
z.  B.  um  Zahnextractionen,  handelt,  Eine  anämische  Frau  im  Alter  von  28  Jahren 
und  sensibler  Constitution  wurde  nach  der  Inhalation  von  20  Grm.  Bromoform 
binnen  10  Minuten  so  stark  anästhesirt,  dass  ihr  ohue  alle  Schmerzempfindung 
ein  Zahn  ausgezogen  werden  konnte;  obgleich  sie  während  der  Operation  laut 
weinte  und  wehklagte,  blieb  ihr  doch  nicht  die  geringste  Erinnerung  an  die 
Operation  zurück.  Während  der  Narkose  traten  ihr  alle  Erlebnisse  der  letzten 
Zeit  lebhaft  vor  Augen,  eine  Erscheinung,  welche  man  bekanntlich  auch  bei  der 
Chloroformnarkose  beobachtet.6)  Bei  der  raschen  Restitution  trat  nicht  die  ge- 
ringste Beschwerde  ein. 

c)  Jodoform  CHJ3  wird  erhalten,  wenn  man  eine  Lösung  von  2  Th.  Natriumcarbonat 
in  10  Th.  Wasser  unter  Zusatz  von  1  Th.  Alkohol  bis  auf  60 — 80°  erwärmt  und  allinählig 
1  Th.  Jod  einträgt. 

Jodoform  stellt  schwefelgelbe,  nach  Safran  riechende  Krystallblättchen  dar,  die 
sich  bei  einer  Wärme  von  100u  unverändert  verflüchtigen. 

Die  Dämpfe  des  Jodoforms  besitzen  eine  schwach  anästhesirende  Wirkung. 
Auch  als  Desinfectionsmittel  hat  Jodoform  Anwendung  gefunden,  indem  man  Zeugstreifen 
damit  tränkte  und  in  Krankenstuben  aufhing". 

Die  Einwirkung  beruht  auf  der  leichten  Zersetzbarkeit  des  Körpers,  wobei  sich 
freies  Jod  ausscheidet;  da  sich  aber  letzteres  rasch  mit  organischen  Substanzen  verbindet, 
so  ist  auf  eine  nachhaltige  Wirkung  nicht  zu  rechnen. 

4)  Vier  H  des  Methans  sind  durch  Halogen  vertreten. 

Tetrachlorid,  Ciilorkohlenstoff  CC14  oder  Zweifack-Chlorkohlen Stoff,  weil  er 
früher  die  Formel  CC12  hatte,  als  man  das  Atomgewicht  des  Kohlenstoffs  =  6  annahm. 

Es  bildet  sich  durch  Einwirkung  von  Chlor  auf  erwärmtes  Chloroform  im  Sonnen- 
lichte und  stellt  eine  klare  Flüssigkeit  von  aeth erartigem,  an  Chloroform  erinnernden 
Gerüche  dar,  deren  Siedepunct  bei  73°  liegt;  es  wurde  früher  als  Anaestheticum  sehr 
gerühmt. 

Einwirkung  des  (lilorkolilenstoffs  auf  den  thierisclien  Organismus.  1)  Eine 
Taube  sitzt  in  der  Glasglocke;  20  Tropfen  der  Flüssigkeit  werden  auf  den  Boden  ge- 
tröpfelt; nach  3  M.  Zittern  mit  den  Flügeln  und  Aufblähen;  nach  4M.  grosse  Unruhe, 
Kothabgang  und  Aufschlagen  mit  den  Flügeln;  nach  5  M.  Putzen  der  Augen  und 
schwankende  Bewegungen;  nach  8  M.  fällt  sie  und  bleibt  in  der  Seitenlage  bei  verlang- 
samter Respiration  wie  im  festen  Schlafe  liegen.  Bei  der  Herausnahme  nach  10  M. 
ist  die  Pupille  erweitert;  nach  2  M.  Würgen  und  Erbrechen,  Erheben  des  Kopfes,  beim 
Versuche  aufzustehen  fällt  sie  unter  Schwanken  auf  die  Seite  oder  auf  den  Kopf;  nach 
3  M.  bleibt  sie  unter  beständigem  Wanken  stehen;  nach  4  M.  dreht  sie  Hals  und  Kopf 
fast  ganz  im  Kreise  herum,  stürmische  Herzbewegung  und  Brechwürgen ;  nach  10  M.  ist 
sie  anscheinend  wieder  hergestellt. 

2)  Ein  grosses  Kaninchen  sitzt  im  Glaskasten ;  60  Tropfen  werden  auf  den  Boden 
desselben  getröpfelt:  na,ch  10  M.  Zusatz  von  60  Tropfen,  dann  Schliessen  der  Augen, 
Husten,  Zurückziehen  des  Kopfes  in  den  Nacken,  Senken  des  Kopfes  und  nach  18  M. 
Seitenlage.  Nach  20  M.  Herausnahme  des  Thiers  bei  verlangsamter  Respiration  und 
Herzbewegung,  der  Kopf  bleibt  in  der  Seitenlaoe  bei  aufgerichteten  Ohren,  Blinzeln  mit 
den  Augen;  nach  6  M.  sind  die  Augen  bei  der  Berührung  empfindlich,  Reizung  der 
Nasenlöcher  ohne  Wirkung;  nach  S  M.  offen  stehende  Augen  bei  erweiterten  Pupillen; 
nach  15  M.  bleibt  es  beim  Berühren  und  Streichen  noch  unempfindlich,  Herzschlag  matt 
und  verlangsamt,  kurz  darauf  Erheben  des  Kopfes,  aber  erst  nach  25  M.  schwache  Geh- 
versuche; vollständige  Restitution  nach  2  Stunden. 

3)  Eine  Taube  sitzt  in  der  Glasglocke;  20  Tropfen  werden  eingetröpfelt.  Nach  5  M. 
starkes  Erbrechen,  nach  ö  M.  BauclxTage  mit  niedergesenktem  Kopfe  bei  schwerer  und 
verlangsamter  Respiration,  dann  Seitenlage  in  Narkose.  Nach  10  M.  Herausnahme  der 
Taube;  der  Herzschlag  ist  matt  und  aus  den  Nasenlöchern  fliesst  Schleim;  gänzliche 
Anästhesie  hält  3  M.  lang  an;  unter  starkem  Würgen  erhebt  sie  sich,  schwankt  hin  und 
her,  bis  sie  nach  13  M.  wieder  umhergeht;  Erholung  nach  40  M. 

Sämmtliche  Kohleustoffchloride  sind  alsAuaesthetica  zu  betrachten;  sie  wirken 


374  Methylverbindungen. 

analog  dem  Chloroform,  aber  schwächer  als  dieses,  weil  sie  weniger  flüchtig  sind, 
während  ihre  irritirende  Wirkung  auf  Herz-  uud  Lungenthätigkeit  stärker  ist, 
alicr  sehr  leicht  in  Collapsus  überführt. 

Smith7),  Sanson  8),  Nnnneley9)  und  Simpson1")  siud  ebenfalls  der 
Ansicht,  dass  dieses  Mittel  eine  deprimirende  Wirkung  auf  das  Herz  ausübe  und 
daher  gefährlicher  als  Chloroform  sei;  nach  den  Versuchen  an  Menschen  erfolgt 
auch  die  Erholung  weit  später  als  beim  Chloroform. 

In  der  Med i ein  hat  man  die  Kohleustoffchloride  auch  als  Reizmittel,  wie 
Campher  und  ähnliche  Mittel,  benutzt. 

B.    Hy droxyl-Substitutionspro duete  des  Methans. 
Ein  H  des  Methans  ist  durch  Hydroxyl  (OH)  vertreten. 

Methylalkohol,  Holzgeist  CH3(OH)  =  CH40,  Spiritus  pyroxilicus  Holzgeist 
findet  sich  in  der  Natur  neben  Salicylsäure  im  Oele  der  Gaultheria  procumbens; 
.am  häufigsten  kommt  er  unter  den  rrodueten  der  trocknen  Destillation  von  Holz,  Torf, 
Blätterschiefer,  überhaupt  bei  der  Zerstörung-  der  Holzfaser  durch  Hitze  vor;  er  wurde 

von  Taylor  zuerst  im  Holzessig  entdeckt  und  wird  auch  jetzt  noch  aus  demselben 
dargestellt. 

In  reinem  Zustande  bildet  der  Hoizgeist  eine  wasserhelle  Flüssigkeit,  welche  wie 
Weingeist  riecht  und  schmeckt.  Mit  Wasser  muss  er  sieh  in  allen  Verhältnissen  ohne 
Trübung  mischen:  trübl  er  sich,  so  enthält  er  ölige  und  harzige  Substanzen.  Er  siedet 
bei  65°  und  hat  das  spec.  Gew.  0,814  bei  0°.  Aetherische  Oele  löst  er;  durch  Aetzkali 
wird  er  soforl  gebräunt,  was  beim  Alkohol  erst  nach  mehreren  Stunden  der  Fall  ist. 

Alle  Alkohole  lösen  Kalium  und  Natrium  unter  Wasserstoffentwicklung;  Holz- 
geist bildet  mit  Natrium  Nat  riummoth  v  lat : 

CH3  OH  +  Na  =  Na  0  CH3  +  Tl. 

Mit  concentrirter  Schwefelsäure  bildet  er  Methylschwefelsäure  CH3HS04, 
welche  mit  Metallen  Salze  bildet.  Durch  Zersetzung  von  methylschwefelsaurem  Barium 
mittels  verdünnter  Schwefelsäure  stellt  man  diese  Säure  rein  dar. 

Einwirkung  der  Dämpfe  von  Methylalkohol  auf  den  thierischen  Organismus. 
1)  15  Grin.  Holzgeist  wurden  auf  warmen  Sand  im  grossen  Glaskasten  ausgegossen,  in 
welchem  ein  grosses  Kaninchen  sass.  Bei  der  Entwicklung  der  Dämpfe  beschleunigte 
sich  zuerst  die  Respiration  und  wurde  dann  kaum  bemerkbar;  ruhiges  Sitzen  und 
starkes  Putzen  des  Mauls;  nach  2  M.  plötzliches  Aufspringen  und  starkes  Putzen  des 
Mauls  bei  geringem  Speicheltluss:  nach  4  M.  sind  die  Adern  der  Ohren  stark  er- 
weitert: nach  7  M.  Bauchlage  mit  übereinander  gelegten  Vorderbeinen;  nach  10  M. 
erhebt  es  sich,  schreit  mehrmals  auf  und  sinkt  mit  geschlossenen  Augen  zusammen, 
wobei  der  Kopf  an  die  Glaswand  angelehnt  bleibt.  Beim  Stossen  auf  den  Rücken  mittels 
eines  eisernen  Stabes  ist  nur  ein  leichtes  Zucken  der  Hinterbeine  bemerkbar:  die  Respi- 
ration ist  verlangsamt,  nach  20  M.  derselbe  Zustand:  dann  Herausnahme  des  Thiers. 
Als  es  auf  die  Seite  gelegt  wird,  erhebt  es  den  Kopf  und  reagirt  am  ganzen  Ober- 
körper: die  Respiration  vermehrt  sich  und  nach  3  M.  läuft  es  ohne  Taumel  einher. 

2)  Nach  einer  halben  Stunde  wurde  derselbe  Versuch  mit  demselben  Erfolge 
wiederholt. 

3)  Ein  Baumwollpfropfen  wurde  mit  40  Tropfen  Holzgeist  befeuchtet,  in  den 
Grund  eines  Trichters  gelegt  und  dann  der  Kopf  eines  Kaninchens  in  letztern  gesteckt. 
Nach  5  M.  Verlangsamung  der  Respiration:  nach  7  M.  Zusatz  von  40  Tropfen:  nach 
11  M.  kurzes  convulsiviscb.es  Zucken  in  den  Extremitäten  und  nach  12  M.  tiefe  und 
angestrengte  Inspiration  mit  gelindem  Schleimrasseln;  das  Thier  behält  die  sitzende 
Stellung.  Zusatz  von  30  Tropfen:  nach  13  M.  Seitenlage  bei  8  Inspir.  binnen  l/4  M.; 
wenn-  der  Trichter  nur  für  einen  Augenblick  weggenommen  wird,  erhebt  es  sogleich 
den  Kopf.  Nach  15  M.  Zusatz  von  oo  Tropfen;  nach  20  M.  bleibt  es  nach  Wegnahme 
des  Trichter.-,  ein  paar  Secnnden  in  der  Seitenlage  bei  9  tiefen  und  angestrengten  In- 
spirationen: al>bald  erhellt  es  aber  wieder  den  Kopf  und  legt  ihn  auf  die  Vorderbeine; 
schon  nach  3  M.  läuft  es  davon  und  reibt  kräftig  und  ohne  Wanken  mit  den  Pfoten 
das  Maul. 

Die  Dämpfe  des  Holzgeistes  erzeugen  somit  bei  ihrer  Inhalation  eine  Reizung 
der  Schleimhaut  der  Nase  und  Luftröhre  uud  setzen  gleichzeitig  die  Respirations- 
thätigkeit    herab.     Bei  fortgesetzter  Inhalation  entsteht  eine  geringe,  rasch  vor- 


Industrie  des  Methylalkohols.  375 

übergehende  Narkose,  wobei  die  Reflexe  nicht  ganz  aufgehoben  sind;  höchstens 
entsteht  eine  sehr  schnell  vorübergehende  Anästhesie. 

Im  Allgemeinen  ist  der  Holzgeist  in  seiner  Einwirkung  auf  den  Thierkörper 
dem  Weinalkohol  ähnlich;  sollten  sich  noch  andere  Symptome  zeigen,  so  hat  man 
sehr  auf  die  Reinheit  des  Präparats  zu  achten;  die  Handelswaare  enthält  nämlich 
häufig  Xylol,  Kreosot  und  andere  Derivate,  empyreumatische  Oele  u.  s.  w.,  wodurch 
natürlich  die  Wirkung  sehr  modificirt  wird. 

Der  Holzgeist,  welcher  in  der  Industrie,  namentlich  in  der  ßaumwollen- 
mauufactur  statt  des  Weiugeistes  als  Lösungsmittel  für  manche  Druckfarben, 
besonders  der  Anilinfarben,  benutzt  wird,  ist  immer  unrein  und  kann  daher 
durch  die  Verdunstung  nachtheilig  auf  die  Arbeiter  einwirken,  die  auch  tatsäch- 
lich die  Folgen  derselben  durch  Eingenommenheit  des  Kopfes  uud  ein  allgemeines 
Unbehagen  verspüren.  Hier  kann  nur  durch  eine  kräftige  Ventilation  dem 
schädlicheu  Eiuflusse  vorgebeugt  werden,  da  schon  wegen  des  hohem  Preises  ein 
reines  Präparat  nicht  benutzt  wird;  wegen  der  Billigkeit  verwendet  man  hier 
grade  Holzgeist.  Dieser  Umstand  übt  daher  in  vielfacher  Beziehung  einen  nach- 
theiligen Einfluss  auf  die  sanitären  Verhältnisse  der  Arbeiter  in  der  Industrie  aus 
und  zwar  um  so  mehr,  als  der  Holzgeist  eine  immer  grössere  Verbreitung  findet. 

Die  Industrie  des  Methylalkohols  oder  Hoizgeistes. 

Das  Rohmaterial  stammt  stets  von  der  trocknen  Destillation  des  Holzes, 
des  Torfes  oder  der  holzigen  Braunkohle  her.  Wenn  man  die  hierbei  gewonnenen 
Producte  einige  Zeit  ruhig  stehen  lässt,  so  bilden  sich  zwei  Schichten,  deren  obere 
nebst  Wasser  und  Essigsäure  den  Holzgeist  enthält,  während  die  untere  aus 
Theer  besteht.  Die  wässrige  Flüssigkeit  zieht  man  ab,  filtrirt  sie  durch  Sand  und 
unterwirft  sie  in  einer  kupferneu  Blase  der  fractionirten  Destillation.  In  der 
ersten  Portion  des  Destillats  ist  der  Holzgeist  enthalten,  welcher  durch  weiteres 
Fractioniren  über  Aetzkalk  und  zur  Entfernung  des  Ammoniaks  mit  wenig 
Schwefelsäure  gereinigt  wird. 

.  In  vielen  Fabriken  wird  vor  der  Destillation  mit  Kalk  neutralisirt;  es  bleibt 
dann  essigsaures  Calcium,  in  Wasser  gelöst,  in  der  Blase  zurück.  In  diesem  Falle  kann 
man  sich  auch  eiserner  Retorten  bedienen:  ein  Ueberschuss  von  Kalk  verwandelt  aber 
den  Holzgeist  leicht  in  ein  dem  Aldehydharze  analoges  Harz;  der  Kalk  bildet  übrigens 
stets  harzähnliehe  Niederschläge,  wobei  sieb  die  ganze  Flüssigkeit,  wenn  man  sich  der 
eisernen  Retorten  bedient,  prächtig  violett  färbt.  Dieser  Farbstoff  findet  bei  der  Dar- 
stellung der  Alizarindinte  Verwendung. 

Der  abgetriebene  Holzgeist*)  ist  aber  noch  nicht  rein  uud  nruss  namentlich 
zur  uarstellung  von  Essenzen  nochmals  rectificirt  werden,  indem  man  ihn  mit  Chlor- 
calcium  sättigt,  mittels  Wasserdämpfe  abtreibt,  nochmals  destillirt  und  ihm  schliesslich 
durch  Kochsalz  oder  verwittertes  Glaubersalz  das  Wasser  entzieht. 

In  sanitärer  Beziehung  ist  hierbei  sehr  zu  beachten,  dass  sich  bei  der 
ersten  Trenuung  des  Holzgeistes  von  den  Säuren  während  der  Destillation  sehr 
unangenehm  nach  Kreosot,  Theer  u.  s.w.  riechende,  aber  auch  höchst  flüchtige 
(ätherische)  und  leicht  entzündliche  Dämpfe  entwickeln;  die  Kühlschlange 
muss  daher  nothwendigerweise  mit  dem  sogenannten  Gassammeikasten 
(Fig.  45)  verbunden  werden,  um  die  nicht  condensirten  Gase  und  Dämpfe 
mittels     einer    Röhre     unter     den    erforderlichen    Sicherheitsinassregeln    in    die 


*)  Will  man  Holzessig  darstellen,  so  setzt  man  die  Destillation  fort  und  wechselt 
die  Vorlage;  in  der  Blase  bleibt  der  Theer  zurück  (s.  Holzessig). 


376 


Methyl  Verbindungen. 


Feuerung  zu  leiten.*)     Auch   bei  der   weitern  Rectification  und  der  Austreibung 

der    empyreumatischen    Stoffe    aus    dem    Chlor- 
calcium  ist  diese  Einrichtung  zu  benutzen. 

Die  Anwendung  des  Holzgeistes  ist  ähnlich 
der  des  Alkohols:  er  dient  in  der  Technik  als 
gutes  Lösungsmittel  für  viele  Substanzen,  namentlich 
in  der  Firmssfabrication ,  bei  der  Darstellung  der 
Alkaloide  und  <_ranz  besonders  in  der  Anilin  - 
farbenfabrication  und  in  den  Baumwoll- 
druckereien zum  Auflösen  der  Farben. 

Der  von  Dr.  Baxtm<jf<  in  London  als  Heil- 
mittel gegen  Lungenschwindsucht  empfohlene 
Spiritus  pyroxilicus  ist  seiner  Formel  nach 
(C3HsO)  höchst  wahrscheinlich  ein  Aceton.1') 

In  England  kommt  es  nicht  selten  vor,  dass 
die  Arbeiter  Holzgeist  statt  Branntwein  trinken: 
dasselbe  i^t  in  Gefangenanstalten  bei  den  Detinirtcn 
der  Fall,  wenn  sie  bei  industriellen  Beschäftigungen  mit  Holzgeist  in  Berührung  kommen. 

Methyläther,  Methyloxyd,  Holzäther  CH3OCH3  =  C2HcO  findet  sich  in  der 
Natur  im  flüchtigen  Oele  der  Gaultheria  procumbens  und  Spiraea  ulmaria.  Man  stellt 
ihn  durch  Destillation  des  Holzgeistes  mit  concentrirter  Schwefelsäure  dar:  bei  der 
Fabrication  im  Grossen  hat  man  dieselben  \  orsichtsmassregeln  wie  bei  den  entsprechen- 
den Aethylverbindungen  zu  beobachten.  Dieser  Aether  ist  ein  gasförmiger  Körper, 
der  mit  "blassblauer  Farbe  brennt  und  bei  — 16°  noch  nicht  verdichtbar  ist;  Wasser 
bekommt  durch  Aufnahme  des  Gases  einen  pfefferartigen  Geschmack;  in  Holzgeist  und 
Weingeist  ist  das  Gas  viel  löslicher.  Mit  Schwefelsäure  verbindet  es  sich  zu  Schwe- 
felsäure-Methyläther (Crl3).JS04  +  H.20.  Mit  Chlor  geht  es  drei  verschiedene 
Verbindungen  ein,  je  nachdem  2,  4  oder  6  H  durch  Cl  vertreten  werdeu.  Es  entstehen: 
1)  C2H4C1,0:  2)  C2H3C140;  3)  C2CL.O. 
Bei  der  Einwirknng  der  Dämpfe  des  Methyläthers  anf  den  thierischen 
Organismus  kann  eine  rasch  vorübergehende  Narkose  entstehen;  die  mit  diesem 
Aether  beschäftigten  Arbeiter  leiden  oft  an  Kopfschmerzen,  Druck  in  der  Stirn- 
gegend und  Schwindel;  an  der  frischen  Luft  verschwinden  die  Beschwerden 
meistens,  nur  bei  manchen  reizbaren  Individuen  können  sie  unerträglich  bleiben 
und  zur  gänzlichen  Vermeidung  solcher  Fabrikiocale  nöthigen. 

Die  Dämpfe  bilden  mit  atmosphärischer  Luft  vermischt  ein  explosives 
Gas,  man  hat  daher  schon  dieses  Umstandes  wegen  stets  für  ihre  Beseitigung 
aus  den  Arbeitsräumen  Sorge  zutragen. 

Die  Verwendung  des  Methyläthers  findet  in  Fabriken  von  Parfümerien  und 
Liqueuren  statt;  er  wird  dort  namentlich  in  seinen  Verbindungen  mit  organischen 
Säuren  benutzt. 

Neuerdings  hat  ihn  Tellier  zur  Fabrication  von  Eis  benutzt:12)  derselbe  hält  ihn 
bei  einem  Druck  von  10  Atmosphären  in  eisernen  Gefässcn  vorräthig:  an  jedem  Gefässe 
befindet  sich  ein  luftdicht  schliessender  Hahn.  Sobald  man  den  Methyläther  austreten 
lässt,  verwandelt  er  sich  augenblicklich  in  Dampf  und  absorbirt  eine  grosse  Menge 
W  ä  r  m  e. 

Salpetersäure -Methyläther  CH3(ON02)  +  2H0  entsteht  durch  Einwirkung  von 
Salpetersäure  auf  Methylalkohol:  er  siedet  bei  06°  und  sein  Dampf  explodirt  schon  hei 
150°  mit  der  grössten  Heftigkeit.  Dieser  Aether  heisst  in  der  Technik  Methyluitrat 
und  hat  schon  zu  den  furchtbarsten  Explosionen  Veranlassung  gegeben.  Man  hat  ihn 
in  neuerer  Zeit  benutzt,  um  das  Methylanilinviolett  in  Grün  zu  verwandeln,  wozu 
man  bisher  Jodmethyl  gebrauchte.  Methylnitrat  liefert  bei  grösserer  Billigkeit  eine 
bedeutendere  Ausbeute  an  schönem,  wasserlöslichen  Methylanilingrün  oder  Methylgrün. 
In  einer  französischen  Fabrik  sind  im  Jahre  1871  bereits  20,000  Kilogramm  Salpeter- 
säure-Methyläther für  diesen  Zweck  dargestellt  worden. 

*)  In  Fig.  45  ist  a  das  Gaszuleitungsrohr;  die  Zwischenwand  c.  gestattet  nur  am 
untern  Ende  die  Communication  der  Flüssigkeit;  bei  d  werden  die  Gase  und  Dämpfe 
abgeleitet:  das  Siphon  bei  b  dient  zum  Ablassen  des  Holzgeistes, 


Ameisensäure.  377 

Um  alles  Violett  vom  Grün  abzuscheiden,  wird  der  erhaltene  Farbkörper  noch 
mit  Chlorzink  behandelt;  ein  solches  Methylgrün  stellt  sehr  schöne  grüne  Blättchen 
von  metallischem  Glänze  dar.  Gelbgrüne  Nuancen  erhält  man  durch  Zusatz  von 
Pikrinsäure. 

Der  Salpetersäure-Methyläther  wirkt  auf  den  thierischen  Orga- 
nismus in  ähnlicher  Weise  wie  Methyläther,  nur  irritirt  er  mehr  die  Schleim- 
häute der  Respiratiouswege.  Schon  wegen  seiner  explosiven  Eigenschaft  ist 
der  Fabricant  grade  wie  beim  Methyläther  genöthigt,  die  Arbeitsräume  möglichst 
frei  von  den  Dämpfen  zu  erhalten. 

Oxydationsproduct  des  Methylalkohols. 

Ameisensäure.  Acidnm  formknm  CHOiOH)  =  CH202  kommt  sowohl  im 
Thier-  als  auch  im  Pflanzenreiche  frei  vor.  Im  Schweisse  der  Menschen  findet  sie 
sich  neben  Essig-  und  Buttersäure;  das  Bienen-  und  Wespengift  soll  aus  freier  Ameisen- 
säure bestehen;  auch  in  den  Brennesseln  ist  sie  als  solche  enthalten,  während  sie  sich 
in  den  Fichtennadeln  erst  in  Folge  eines  Verwesungsprocesses  bildet.  TJeberhaupt 
bildet  sie  sich  als  Zersetzungsproduct  beim  Fäulniss-  und  Verwesungspro cesse,  ferner  als 
Oxydationsproduct  des  Stärkemehls  und  Zuckers,  bei  der  Oxydation  stickstoffhaltiger 
organischer  Substanzen  sowie  bei  der  Destillation  bituminöser  Fossilien. 

Dargestellt  wird  sie  durch  Erwärmen  und  Zersetzung  der  Oxalsäure  bei  Gegen- 
wart von  Glycerin,  wobei  diese  in  Kohlensäure  und  Ameisensäure  zerfällt: 

C,H,04  =  C02  +  CH20,. 

Ganz  rein  erhält  man  die  Ameisensäure  durch  Zersetzen  ihres  Bleisalzes  mittels 
Schwefelwasserstoffs. 

Die  Ameisensäure  ist  eine  farblose,  ätzende  Flüssigkeit,  welche  intensiv  sauer  und 
stechend  riecht,  sehr  leicht  in  Wasser  und  Alkohol  löslich  ist  und  bei  101°  siedet. 
Sie  hat  eine  reducirende Wirkung,  welche  sich  auf  die  Salze  der  edlen  Metalle  erstreckt; 
auch  Quecksilberlösung  reducirt  sie,  wobei  sie  sich  einfach  zu  Kohlensäure  oxydirt: 

CH202  +  0  =  C02-r-H20. 

Con'centrirte  Schwefelsäure  verwandelt  sie  in  Wasser  und  Kohlenoxyd,  wobei 
erstere  bloss  durch  ihre  grosse  Verwandtschaft  zum  Wasser  wirkt: 

CH2  02  =  CO  +  H20. 

Alle  ameisensauren  Salze  sind  inW'asser  löslich,  mit  Ausnahme  des  in  glänzenden, 
farblosen  Prismen  krystallisir enden  Bleisalzes. 

Einwirkung  der  Dämpfe  von  Ameisensäure  auf  den  thierischen  Organismus. 
In  den  Zinkkasten,  in  welchem  ein  Meerschweinchen  sass,  wurden  die  Dämpfe  von 
6  Grm.  Ameisensäure,  die  ein  spec.  Gewicht  von  1,15  hatte,  eingeblasen.  Die  Reizung 
der  Respirationswege  gab  sich  sofort  durch  Husten  und  starkes  Reiben  der  Nase 
kund;  dabei  war  die  Athmung  sehr  erschwert.  Die  Conjunctiva  des  Auges  röthete 
sich  und  sonderte  reichlichen  zähen  Schleim  ab,  während  die  Cornea  ein  trübes  und 
milchiges  Aussehen  bekam.  Nach  lö  Min.  langem  Aufenthalte  in  dem  Kasten  zeigten 
sich  keine  weitern  Gesundheitsstörungen,  auch  traten  keine  Nachkrankheiten  ein. 

Eine  ähnliche  Wirkung  üben  die  Dämpfe  auf  die  Arbeiter  aus,    bei  ihrer 

grossen  Verdünnung  ist  sie  aber  meist  schwächer;  am  meisten  wird  die  Haut  von 

der  flüssigen  Ameisensäure   afficirt,   indem   hier  bei   hinreichender  Coucentratiou 

Brennen,  Röthe  und  Anschwellung  erzeugt  werden. 

Der  Metliyläther  der  Ameisensäure,  Ameisensäure-Methyläthcr,  HCOOCCHsl^ 

C2H402  (Substitution  des  Carboxyls  (CO  OH)  durch  Kohlenwasserstoffreste)  repräsentirt 
ganz  besonders  die  zusammengesetzten  Aether.  Man  stellt  ihn  durch  Destillation  von 
ameisensaurem  Natrium,  Schwefelsäure  und  Holzgeist  oder  durch  Destillation  von  Stärke- 
mehl, Braunstein,  Schwefelsäure  und  Holzgeist  dar. 

Eine  wasserhelle,  stechend  riechende  Flüssigkeit,  welche  sehr  scharf  schmeckt, 
in  Weingeist  und  Aether  in  jedem  Verhältniss  löslich  ist  und  sich  ähnlich  wie  der  Aethyl- 
äther  der  Ameisensäure  (Formyläther,  Aether  formicicus)  verhält,  häufig  auch  wie  dieser 
zur  Bereitung  von  künstlichen  Branntweinen,  besonders  von  Arrac,  benutzt  wird. 

Bei  der  Einwirkung  der  Dämpfe  des  Methyl äthers  der  Ameisensäure  auf  den 

thierischen  Organismus  entsteht  eine  kurz  dauernde  Narkose  mit  heftiger  Reizuug 

der  Respirationswege,    die  hier  in  ebenso  hohem   Grade  wie.  bei  den   Dämpfen 

der  Ameisensäure  auftritt.     Bei   der  Sectiou   der  hierbei  umgekommenen  Thiere 


378  Methylverbindungen. 

findet  sich  eine  starke  Hyperämie  der  wichtigsten  Organe  und  zwar  in  ähnlicher 
Weise  wie  beim  Tode  durch  Essigäther.  Alle  Aetherarten  der  organischen  Säuren 
wirken  fast  gleich;  die  Eingenommenheit  des  Kopfes  ist.  aber  stets  noch  bedeutender 
als  bei  der  Inhalation  der  einfachen  Aetherarteu.  Der  Tod  erfolgt  schliesslich  nach 
höchst  erschwerter  Respiration  unter  den  Erscheinungen  der  Asphyxie. 

Industrie  der  Ameisensäure. 

Ihre  Bereitung  ist  nach  der  Art  und  Weise  der  Benutzung  verschieden;  in 
der  Pharmacie,  Kosmetik  und  bei  der  Darstellung  von  Räucheressenzen  wird  die 
Ameisensäure  durch  Destillation  der  Ameisen  gewonnen,  weil  es  hierbei  haupt- 
sächlich auf  die  Gewinnung  von  Am  eisen  öl  ankommt.  Die  Ameisen  werden 
zerquetscht  und  mit  Wasser  vermischt;  den  erhaltenen  Brei  unterwirft  man  unter 
Zusatz  von  etwas  Kochsalz  oder  Glaubersalz  der  Destillation,  wobei  man  ein 
Anbrennen  der  Masse  sorgfältig  zu  vermeiden  hat,  weil  das  Destillat  hierdurch 
einen  empyrenmatischen  Geruch  und  Geschmack  bekommt;  man  gebraucht  hierzu 
zinnerne  Blasen  und  Kühlröhren.  Die  Rückstände  gehen  leicht  in  Fäulniss 
über  und  veranlassen  dann  höchst  belästigende  Gerüche;  man  muss  sie  stets  mit 
Kalk  oder  Gips  versetzen,  um  sie  als  Dünger  zu  benutzen. 

Der  Spiritus  formicarum  wird  durch  Auflösen  von  Ameisensäure  in  Weingeist 
dargestellt. 

Zur  Verwendung  der  Ameisensäure  in  Färbereien  werden  ihre  Salze  direct 
durch  ( txvdation  des  Stärkemehls,  der  Holzfaser  oder  des  Zuckers  mitteis  einer  Mischung 
von  Braunstein  und  Schwefelsäure  auf  dem  Wege  der  Destillation  gewonnen,  indem  das 
Destillat  direct  zur  Darstellung  der  aineiseusauren  Salze  benutzt  wird. 

Es  entwickelt  sich  hierbei  so  reichlich  Kohlensäure,  dass  die  Masse  leichi 
übersteigt  und  für  Ableitung  dieses  Gases  gesorgt  werden  muss. 

Der  Rückstand  besteht  aus  schwefelsaurem  Manganoxydul  und  organischen 
Producten  und  kann  zur  Darstellung  von  Mangan vitriol  benutzt  werden.  Frei  darf 
er  nicht  zum  Abfluss  in  Canäle  oder  Wasserläufe  gelangen,  sondern  der  grosse  Ueber- 
schuss  an  Schwefelsäure  muss  vorher  durch  Kalk  abgestumpft  werden. 

Dir  frühere  Art  der  Darstellung  der  Ameisensäure  durch  Oxydation  des  Holz- 
geistes, wie  bei  der  Scknellessigfabrication,  ist  durch  die  Entdeckung,  dass  sich  die 
Oxalsäure  mittels  Glvcerins  zersetzt,  verdrängt  worden.  Hierbei  werden  ''00  Th. 
Glycerin  von  20°  B.  mit  75  Th.  Glycerin  und  Wasser  in  einer  grossen,  inwendig  ver- 
bleiten Destillirblase  durch  gespannte  Wasserdämpfe  zuerst  fast  iu's  Sieden  gebracht 
und  nach  ca.  12  Stunden  bei  erhöhter  Temperatur  abdestillirt:  dann  gibt  man  noch  ein 
paar  Mal  50  Th.  Wasser  zu  und  destillirt  abermals. 

Das  gesammte  Destillat  sattigt  man  mit  Natriumcarbonat  und  dampft  ein.  Das 
so  gewonnene  ameisensaure  Natrium  wird  mittels  verdünnter  Schwefelsäure  zersetzt  und 
die  ausgeschiedene  Ameisensäure  durch  Destillation  gereinigt. 

Diese  Methode  hat  den  grossen  Vortheil,  dass  sie  in  sanitärer  Beziehung  gar 
kein  Bedenken  darbietet  und  das  Glycerin  dabei  wieder  gewonnen  wird,  weil  es  unver- 
ändert bleibt  und  bloss  durch  Contaet  zu   wirken  scheint. 

C.    Sulfo- Substitutionsproducte  des  Methans. 

Methylniercaptan  CH3(SH).  Der  Name  Mercaptan  rührt  daher,  weil  alle  Mer- 
captane  mit  Quecksilberoxyd  ein  weisse  Präcipitat  bilden  (Corpus  mercurium  captans). 
Der  Methvlmercaptan  entspricht  dem  Methylalkohol  und  wird  durch  Destillation  von 
methvlschwefelsaurem  Calcium  mit  Kaüumsulfhydrat  in  äquivalenten  Mengen  dar- 
gestellt: er  ist  eine  farblose,  widerlich  riechende  Flüssigkeit,  welche  sich  in  Wasser  wenig 
löst  und  bei  21°  siedet. 

Eine  technische  Verwendung  hat  dieses  Präparat  noch  nicht  gefunden ;  es  wird  in 
Laboratorien  benutzt,  um  die  Metallderivate  des  Methyls  darzustellen. 

Die  Einwirkung  von  Methylmercaptan  anf  den  thierischen  Organismus  stimmt 
vollkommen  mit  der  des  Schwefelmethyls  überein,  nur  treten  alle  toxischen  Er- 
scheinungen noch  heftiger  auf.     Bei  der  Manipulation   mit  diesem  Körper  muss 


Methylamin.  379 

man  deshalb  die  höchste  Vorsicht  gebrauchen;  in  Laboratorien  ist  stets  ein  guter 
Rauchfang  zur  Ableitung  der  sich  bildenden  Dämpfe  erforderlich. 

ScllWO.felmetliyl  (CH3")2S  wird  aus  dem  methylschwefelsauren  Calcium  und  Schwefel- 
kalium in  äquivalenten  Mengen  dargestellt.  Eine  sehr  unangenehm  riechende,  bei  41° 
siedende  Flüssigkeit,  welche  ebenfalls  nur  in  Laboratorien  Verwendung  findet. 

Einwirkung  von  Schwefelmethyl  auf  den  thierischen  Organismus.  2  Grm. 
methylschwefelsaures  Calcium  werden  mit  1  Grm.  Schwefelkalium  (K3S)  zur  Entwick- 
lung der  Dämpfe  benutzt;  ehe  diese  in  die  Glasglocke,  in  welcher  sich  eine  Taube 
befindet,  eindringen,  werden  sie  über  Bleihydrat  geleitet,  um  das  Auftreten  von  freiem 
Schwefelwasserstoff  zu  verhüten.  Eine  halbe  Minute  nach  der  Ausbreitung  der  Dämpfe 
in  der  Glocke  blinzelt  die  Taube  stark  mit  den  Augen,  wird  sehr  unruhig  und  stürzt 
auf  den  Kopf  mit  hoch  aufgerichtetem  Hintertheile;  Herzschlag  und  Respiration  stocken  hei 
der  sofortigen  Herausnahme;  sie  taumelt  hin  und  her,  die  Pupillen  sind  verengt,  sehr 
beschwerliche  Respiration  mit  weitem  OefTnen  des  Schnabels,  rauher  Stimme  und  kurzen 
convulsivischen  Zuckungen.  Nach  2  M.  beschleunigt  sich  die  Respiration  (25  Inspir. 
binnen  %  M.)  und  das  Herz  schlägt  sehr  stark;  Würgen,  starkes  Erbrechen  und  dann 
Bauchlage;  nach  6  M.  erhebt  sie  sich  schwankend,  das  Herz  schlägt  noch  heftig;  nach 
7  M.  geht  sie  unsicher  einher,  10  Inspir.  binnen  l/4  M.;  erst  nach  2  Stunden  ist  die 
Respiration  wieder  normal  und  der  Ton  der  Stimme  klar.  Weiteres  Unwohlsein  wird 
nicht  bemerkt. 

Die  toxische  Einwirkung  des   Schwefelmethyls    geht    aus    diesem  Versuche 

deutlich  hervor;    die   plötzliche  Stockung  der  Herz-  und  Lungenthätigkeit  weist 

auf   die    directe  Affection  des  Athmuugscentrums    und    der  Nervenapparate    im 

Herzen    hin;    dabei  ist  die  grosse  Aehnlichkeit   des  Verlaufs  der  Vergiftung  mit 

der  durch  Schwefelwasserstoff  unverkennbar,    obgleich    die    rapide    und    heftige 

Einwirkung  jenes  Körpers  dafür  sprechen  dürfte,   dass  er  eher  als  solcher  und 

nicht  durch  seine  Zersetzungsproducte  die  Vergiftungserscheinungen  hervorruft. 

D.    Nitrogeu-Substitutionsproducte  des  Methans. 
Amine. 

Methylamin,   MetfoylamM,   Methylammouiak  CH3.  NH2  —  CH5N,  bildet  sich  bei 

der  trocknen  Destillation '  und  bei  der  Fäulniss  thierischer,  überhaupt  eiweisshaltiger 
Substanzen;  seine  grosse  Neigung,  sich  mit  stickstoffhaltigen  Substanzen  zu  kuppeln,  ist 
die  Ursache,  dass  sich  bei  Fäulnissprocessen,  wo  Sumpfgas  auftritt,  diese  merkwürdige 
Reihe  derAminbasen  bildet.  Sie  kommen  auch  fertig  gebildet  bei  Pflanzen  und  Thieren 
vor,  z.  B.  bei  den  Chenopodium-Arten,  bei  Fischen,  bei  Clupaea,  bei  Stinkthieren  u.  s.  w. 
Beim  Erhitzen  von  Salmiak  mit  Holzgeist  in  einer  geschlossenen  Röhre  bilden  sich  Mono-, 
Di-  und  Trimethylamin. 

Man  stellt  es  durch  Erhitzung  von  salzsaurem  Methylamin  mit  Aetzkalk  dar; 
das  Gas  wird  unter  Quecksilber  aufgefangen.  Es  riecht  stark  nach  Ammoniak, 
brennt  mit  gelber  Flamme  und  verdichtet  sich  bei  einigen  Graden  unter  0°  zu  einer 
leicht  beweglichen  Flüssigkeit.  Es  ist  von  allen  Gasen  in  Wasser  am  meisten  löslich, 
bildet  mit  Salzsäure  weisse  Nebel  und  mit  Säuren  krystallisirbare  Salze.  _  Die  wässrige 
Lösung  von  Methylamin  ist  ätzend,  brennend  und  riecht  ebenfalls  ammoniakalisch. 

Dimethylamin  C2H7N  =  (CH3)2NH  ist  noch  nicht  in  reinem  Zustande  dargestellt 
worden. 

Trimethylamin  C3H9N  =  (CH3)3N  findet  sich  im  Spiritus  alter  anatomischen 
Präparate,  in  den  Sauerwässern  der  Weizenstärkemehlfabriken,  im  Fusssch weisse,  im 
Seeale  cornutum,  im  Leberthran,  in  Chenopodium  vulvaria,  in  der'Blüthe  von  Crataegus, 
ganz  besonders  bei  beginnender  Verwesung  von  Boletus13)  und  in  der  Häringslake.  Bei 
der  Destillation  stickstoffhaltiger  bituminöser  Fossilien  tritt  es  ebenfalls  auf;  dargestellt 
wird  es  meist  aus  der  Häringslake.  Es  ist  eine  alkalisch  reagirende,  nach  faulen  See- 
fischen riechende  Flüssigkeit. 

Einwirkung  des  Triniethylamins  auf  den  tliierisclien  Organismus.  Ein  kleines 
Kaninchen  sass  im  kleinen  Kasten:  15  Grm.  kommen  zur  Verdunstung;  dann  starkes 
Putzen  des  Mauls  und  nach  15  M.  starke  Röthung  der  Augen  und  unruhige  Be- 
wegungen. Nach  40  M.  nochmals  Verdampfung  von  15  Grm.;  hierauf  Zurückziehen  des 
Kopfes  in  den  Nacken.  Nach  1  Stunde  Röthung  der  Nasenschleimhaut  und  Thränen 
der  Augen  bei  der  Herausnahme.  Am  folgenden  Tage  hatte  sich  eine  vollständige 
Blepharitis  ausgebildet,  welche  nach  ein  paar  Tagen  wieder  schwand. 


3gO  M  i  trj  Lverbindungen. 

Obgleich  Trimethylamin  nur  gleich  dem  Ammoniak  wirkt,  so  kann  es  doch 
durch  seinen  unangenehmen  Geruch  bei  manchen  Menschen  Ekel  und  Erbrechen 
verursachen;  seine  Dämpfe  reizen  die  Augen  sehr  stark  und  erzeugen  eine 
Blepharitis  von  kurzer  Dauer;  die  Irritation  der  Schleimhaut  der  Respirations- 
wege ist  jedoch  Dicht  so  bedeutend  wie  bei  den  Dämpfen  von  Ammoniak". 

Wie  aus  dem  obigen  Versuche  hervorgeht,  hatten  die  Dämpfe  von  30  Grm.  bei 
einem   Kaninchen  keinen  bleibenden   Nacht!     I  ;t,  so  das;    von  einei  -     i  Wir- 

kung derselben  im  Allgemeinen  keine  Rede  sein  kann 

Dass  dieser  Körper  das  wirksame  Princip  in  den  verdorbenen  Würsten,  dasWurst- 
gift,  repräsentire,    wie  man  behauptet  hat,    ist    jedenfalls   unrichtig.     I'  an  das 

Trimethylamin   als  Bestandtheil   der  Bärin     ial        iei  Schw<  inen    eine  Vergiftung  her- 
vorrufe] rscheint  dies   gla    bhaft,    da   zahlreiche  Beobachtungen  der  Yeterinäi 
dafür  sprechen. 

Cyangruppe. 

CNH  ist  die  Grundverbindung,  die  als  eine  Verbindung  der  einwerthigen  Gruppe 
CN  mit  H  betrachtet  wird.  CN  ist  die  Cyangruppe,  die  häufig  auch  Cy  ge- 
schrieben  wird 

Cyanwasserstoffsäure  oder  Blausäure  CNH  =  CyB   kommt   nicht    im  freien  Zu- 
stande   m    der    Natur    vor.     Sie    entsteht    meist    aus    der    Zersetzung    stickstoffhaltiger 
organischer  Substanzen,  bei  den  Früchten  der  Amygdaleen  in  Folge  der  Einwirkung  des 
in    den    Kernen    enthaltenen    Aniygdalins    auf  das   Emulsin.     Mit  Natrium  verbunden 
lässl  sie  sich  im  Speichel  nachwei 

Dargestellt  wird  sie  durch  Destillation  von  Blutlaugen  salz  (10Tb  oai  Schwefel- 
säure (7  Th.)  und  Wasser     15     20  Th.): 

K4Fe(CN  6  +  3H.S04  =  2K2S04  +■  FeS04-r- 6CNH. 

Die  mit  Wasser  verdünnte  Säure  wird  durch  Chlorcalcium   entwä 

Blausäure  ist  eine  farblose  Flüssigkeit,  welche  mit  weisser  leuchtender  Flamme 
brennt,  schon  bei  26°  siedet,  somit  bei  einer  Temperatur,  di    noch  anter  der  Blut1 
li  gt;      ie    zersetzl    sich    leichl    bei    Einwirkung  des    Lichtes    in   Paracyan,    Ameisen- 
s  :i  in-"    und   A  m  m  oniak: 

CNH  +  2H30  =  CH,02  -+-NI1.,. 

Unter  besondern  Verhältnissen  erfolgt  diese  Zersetzung  unter  Temperaturerhöhung 
und  Gasentwicklung,  gul    schliessende   Gefässe    dadurch    zertrümmert    werden 

können:    ein    ganz    geringer    Zusatz    von    Mineralsäure     perhütel    dieses    Zerfallen    für 
längere  Zeit. 

Einwirkung  der  wasserfreien  Blausäure  auf  de«  thierischon  Organismus.  D  Eine 
Taube  sitzt  in  einer  Glasglocke;  ein  ganz  kleiner  Tropfen  der  Säure  wird  von  oben  ein- 
getröpfelt; derselbe  hatte  kaum  den  Boden  berührt,  als  sich  schon  Erbrechen  und  nach 
1  %  M.    die   heftigsten   Convulsionen    einsteilten.     Bei    di  en    Eerausnahme    der 

Taube  ist  sie  erstarrt  und  athemlos;    die  Augen  sind  mit  Thr  füllt,   die   Pupillen 

erweitert,    Herzschlag  noch  deutlich,    wird  aber  immer  schwächer  und  unregelmäs   i 
bis   er   'i  M.   nach   der  Herausnahme   ganz  aufhört.     Die  normale  Körperwärme   nimmt 
erst  nach  einer  halben   Stunde   ab. 

Section  20  Stunden  hernach.  Hirnhäute  namentlich  in  ^-v  Nähe  der  Med. 
oblong-,  Plex.  venös,  spin.  am  stärksten  an  den  drei     '  Halswirbeln  blutreich; 

alle  Muskeln  hellroth;    Lungen  durch  und  durch  zinnoberroth,  auf  den  Durchschnitts 
Bächen    etwas  flüssiges  Blut;    Tracheaischleimhaut   besonders  an  der  Bifurcation  injicirt. 
Die  ganze  rechte  Hälfte  des  Herzens   und   der  linke  Vorhof  strotzen    von 
schwarzem,  geronnenem   Blute.    Leber  von  normaler  braunrother  Farbe,  auf  den 
Durchschnittsflächen  dunkles  um  Blut;  das  flüssige  Blut   röthel   sich  lebhaft 

an  der  Luft. 

2}  Ein  Kaninchen  sitzt  im  grossen  Glaskasten:  ein  Tropfen  der  Säure  wird  auf 
den  Boden  gelassen.  Anfangs  Unruhe,  abwechselnd  beschleunigte  und  verlangsamte 
Respiration;  nach  1  J/,  M.  die  heftigsten  Convulsionen.  Bei  der  sofortigen  Heraus- 
nahme gänzliche  Erstarrung  und  Athenilosigkeit ;  nach  30  Secunden  abermals  heftige 
Convulsionen,  Augen  prominiren  stark.  Pupillen  sind  erweitert,  dann  krampf- 
haftes Aufathmen  mit  starkem  Schi  nai  l'L,  M.  Husten  bei  sehr  an- 
gestrengter Inspiration;  nach  7  M.  momentan  tetanisches  Ausstrecken  der  Hinterbeine, 
nach  8M.  heftiger  krampfhafter  Husten,  der  2  M.  lang  anhält,  dann  in  kürzern  Pausen 
wiederkehrt  und  mit  starkem  Herzklopfen  und  häufigem  Niessen  verbunden  ist.  Erst 
nach  50  M.  hört  der  Husten  auf:  auch  der  Herzschlag  und    die  Respiration  sind  wieder 


Cyanwasserstoff.  381 

normal:    es  bleibt  ruhig  sitzen:   nach   \%  Stunde   bewegt  es   sich  wieder   und  fängt  an 
zu  fressen. 

3)  Einer  Taube  wurde  ein  Schnitt  in  den  Oberschenkel  bis  auf  die  Muskellage 
gemacht;  mit  einem  Glasstabe,  welcher  flüchtig  in  die  Blausäure  getaucht  worden,  wurde 
die  Schnittwunde  betupft.  Nach  %  M.  taumelnder  Gang,  nach  1  M.  Hinstürzen,  nach 
1 '/»  M.  die  heftigsten  Convulsionen,  welche  iy2  M.  laug  dauern;  dann  ruhige  Lage, 
6  Inspir.  binnen  '4  M.,  kurze  Zuckungen  und  spastische  Inspir.,  welche,  rasch  abnehmen 
und  nach  6  M.  ganz  aufhören:  nur  das  Herz  macht  noch  ein  paar  Schläge:  die  Pupillen 
sind  sehr  weit. 

Section  2i  Stunden  hernach.  Blutfülle  in  der  Schädelhöhle  und  im  Canal  der 
Wirbelsäule:  der  Hals  schwanenartig  gebogen:  Lungen  gleichmässig  ziegelroth,  nur 
an  der  hintern  Fläche  eine  schwache  braune  Färbung,  auf  dem  Durchschnitte  ein 
feiner  Schaum  und  einige  Tropfen  flüssigen  Blutes:  Trachealschleimhant  blass,  das 
ganze  Herz  mit  dickflüssigem,  schwarzem  Blute  gefüllt:  in  den  grössern 
Venen  ebenfalls  dickflüssiges,  dunkelkirschrothes  Blut,  welches  an  der  Luft 
stellenweise  viel  röther  wird,  alsbald  gerinnt  und  in  dünnen  Schichten  hellkirsch- 
roth  erscheint.     Lehm*  und  Nieren  sehr  blutreich. 

4)  Ein  ausgewachsenes  Meerschweinchen  sitzt  im  grossen  Glaskasten.  Blausäure 
wird  in  einem  Schälchen,  in  welchem  sich  2  Grm.  Cyankalium  befinden,  durch  Ueber- 
giessen  mit  Schwefelsäure  entwickelt;  sobald  die  Dämpfe  auftreten,  beschleunigt  sich 
die  Respiration,  das  Thier  wird  unruhig,  schwankt  und  stürzt  unter  heftigen  Convul- 
sionen hin,  welche  nach  "2  M.  den  Tod  herbeiführen. 

Section  24  Stunden  hernach.  Starke  Hyperämie  in  der  Schädelhöhle;  Lungen 
blassblauroth,  auf  der  linken  Lungenspitze  eine  erbsengrosse  Petechial-Sugil- 
lation.  auf  den  Durch schnittsÜächen  überall  viel  weisser  Schaum:  die  Schleimhaut 
der  Bronchien  blass;  das  ganze  Herz  strotzt  von  dunkelrothem,  geronnenem 
Blute,  das  überhaupt  vorwaltet;  Leber  und  Nieren  massig  blutreich. 

Die  Blausäure  wirkt  zweifelsohne  am  raschesten  ein,  wenn  sie  dampfförmig 
eingeathmet  wird:  je  wasserfreier  sie  ist.  desto  intensiver  erfolgt  die  Wirkung, 
so  dass  bei  Thieren  Taumel,  Convulsionen  und  rasche  Stockung  der  Respiration 
schnell  den  Tod  einleiten.  Tritt  Erholung  ein,  so  bleiben  Betäubung,  Dyspnoe, 
starker  Herzschlag  sowie  krampfhafter  Husten  noch  längere  Zeit  zurück. 

Bei  Menschen  entwickelt  sich  ein  ähnliches  Krankheitsbild;  der  Tod  er- 
folgt auch  hier  bei  concentrirten  Mengen  der  Dämpfe  fast  plötzlich;  unter 
tetanischer  Erstarrung  hören  Respiration  und  Herzthätigkeit  fast  gleichzeitig  auf. 
Mit  atmosphärischer  Luft  verdünnte  Dämpfe  bewirken  Ohrensausen,  Kopf- 
schmerzen, Schwindel,  üebelkeit,  Taumeln,  Dyspnoe,  Herzklopfen  und  einen 
trocknen,  krampfhaften  Husten.  Diese  Erscheinungen  treten  selbstverständlich 
nach  dem  Grade  dieser  Verdünnung  in  verschiedener  Intensität  auf,  werden  aber 
vorzugsweise  in  der  Industrie  beobachtet,  wenn  die  Arbeiter  mit  blausäure- 
haltigen Dämpfen  in  Berührung  kommen.  Plötzliches  Hinstürzen  unter  Convul- 
sionen erweist  grösste  Lebensgefahr  und  Rettung  ist  bisweilen  noch  möglich, 
wenn  die  Betroffenen  sofort  dem  gefährlichen  Medium  entzogen  und  au  die  frische 
Luft  gebracht  werden  können. 

Bei  der  Section  der  Thiere  fallen  stets  die  strotzende  Anfüllung  des  Herzens 
mit  dunklem,  geronnenem  Blute,  das  flüssige  Blut,  welches  bald  an  der  Luft  hellroth  wird, 
sowie  der  feine  Schaum  in  den  kleinsten  Bronchien  auf:  Ekchymosen  auf  der  Lungen- 
oberfläche zeigen  sich  nicht  immer.  Beim  vierten  Versuche  konnte  Blausäure  im  Blute, 
in  der  Lunge  und  Leber  nachgewiesen  werden. 

Bei  Menschen  hat  man  nach  letalen  Gaben  ganz  Aehnliches  beobachtet.  Der 
Blutreichthum  in  den  Lungen  ist  constanter  als  im  Gehirn,  dabei  ist  das  dunkelkirsch- 
rotbe  Blut  mit  einer  grossen  Menge  Schaumbläschen  vermischt,  während  das  Herz 
mit  dunklem,  geronnenem  und  flüssigem  Blute  angefüllt  ist.  Auch  hier  nimmt  das  Blut 
an  der  Luft  eine  helle  Kirschröthe  an;  Ekchymosen  trifft  man  hier  nicht  selten 
an  den  Pleura-Säcken,  am  Pericardium  und  an  der  serösen  Oberfläche  der  Leber  fast  in 
gleicher  Weise  wie  sie  sich  bei  Erstickten  finden.  14) 

Es  ist  Thatsache,  dass  die  Blausäure  sehr  innig  am  Hämoglobin  haftet  und 
ihr  Austritt  aus  dem  Blute   sehr  langsam  erfolgt:  sie  verhindert  daher  weit  mehr 


382  Methylverbindungen. 

als  alle  andern  Gifte  die  Wiederaufnahme  des  Sauerstoffs;  aus  dieser  Ursache 
erfolgt  einerseits  die  Restitution  viel  langsamer  und  andererseits  ist  ihre  gefähr- 
liche und  meist  letale  Wirkung  dadurch  mit  bedingt.*)  Die  Blausäure  besitzt 
noch  in  höherm  Grade  als  Kohlenoxyd  die  Eigenschaft,  den  Sauerstoff  aus  dem 
Blute  zu  verdrängen. 

Wird  mit  Blausäure  gesättigtes  Blut  in  einer  Absorptionsröhre  über  Queck- 
silber mit  reinein  Sauerstoff  behandelt,  so  wird  dieser  nicht  absorbirt,  auch  die  Farbe 
dos  Blutes  nicht  verändert.**)  Wird  dagegen  mit  Sauerstoff  gesättigtes  Blut  iu  einer 
Röhre  über  Quecksilber  abgesperrt,  so  dass  sich  keine  Luftblasen  über  dem  Blute  be- 
iluden, so  wird  durch  Zugabe  von  flüssiger  Blausäure  allmählig  Gas  entbunden,  welches 
aus  Kohlensäure'  und  Sauerstoff  besteht;  letzteres  waltet  so  weit  vor,  dass  ein 
glimmender  Span  darin  fortglüht,  wenn  vorher  die  Kohlensäure  durch  Kali  weg- 
genommen ist.'5) 

Zu  diesem  Verhalten  der  Blausäure  dem  Sauerstoff  des  Blutes  gegenüber 
kommt  aber  noch  ihre  directe  Wirkung  auf  die  Nervencentren,  durch  welche 
die  rasche  Stockung  der  Respiration  mit  nachfolgender  Herzlähmung  ihre  Er- 
klärung findet.16)  Der  Sectionsbefund  liefert  daher  auch  nicht  selten  Erschei- 
nungen, wie  sie  bei  schnellen  Erstickungen  vorkommen;  es  bleibt  sich  fast 
gleich,  auf  welche  Weise  das  Gift  vom  Organismus  aufgenommen  worden  ist;  nur 
zeigen  die  Respirationswege  bei  der  Inhalation  der  Dämpfe  die  Zeichen  einer 
grössern  Reizung,  wie  sich  auch  symptomatisch  ein  sehr  heftiger,  krampfhafter 
Husten  vorzugsweise  bemerkbar  macht. 

Beim  Nachweise  der  Blausäure  in  der  Leiche  ist  wohl  zu  beachten,  dass 
sich  auch  durch  den  Fäulniss-  und  Verwesungsprocess  Cy anverbindungen  bilden 
können.  Bei  Prüfung  des  Destillats  müssen  daher  alle  starken  Oxydationsmittel  ver- 
mieden werden.***) 

Die  beste  Methode,  aus  dem  Destillate  Blausäure  nachzuweisen,  beruht  auf  der 
Bildung  von  Schwefelcyanamm  un  iu  m  beim  Zusatz  von  Schwefelammonium,  da  jenes 
mit  einem  Eisenoxydsalze  eine  dunkelrothe  Färbung  (Rhoda  neisen)  gibt. 

Nach  Schönbein1*)  besitzen  die  Blutkügelchen  die  Kraft,  Wasserstoffsuperoxyd 
in  Wasser  und  gewöhnlichem  Sauerstoff  zu  zerlegen;  diese  Eigenschaft  verliere  sich, 
wenn  Blut  mit  Blausäure  in  Verbindung  trete;  ein  Zusatz  von  Wasserstoffsuperoxyd 
bräune  alsdann  das  Blut  und  bringe  die  Absorptionsstreifen  zum  Versehwinden.  Letztere 
Erscheinung  tritt  aber  auch  ein,  wenn  Wasserstoffsuperoxyd  oder  Ozon  dem  normalen 
Blute  zugesetzt  werden  (s.  S.  130). 

Guajakpapier,  mit  höchst  verdünnter  Kupfervitriollösung  angefeuchtet,  soll 
nach  Schönbein  durch  blausäurehaltige  Dämpfe  gebläut  werden.  Dasselbe  ist  aber 
auch  bei  Ammoniak,  bei  den  Dämpfen  der  Salpetersäure,  der  unterchlorigen  Säure,  des 
Jods,  Broms,  Ozons,  bei  Lösungen  von  verdünnter  Schwefelsäure,  Kaliumchromat, 
Kaliumchlorat  und  Kaliumhypermanganat  der  Fall.18) 

Blausäure  in  der  Industrie. 

Es  kommen  in  der  Industrie  nicht  selten  Fälle  vor,  in  denen  sich  Blausäure 
entwickelt.  Bei  der  Fabrication  von  Berlinerblau  zeigen  sich  häufig  blausäurehal- 
tige Dämpfe  (s.  Berlinerblau);  beim  Blaufärben  der  wollenen  Tuche  wird  vor- 
zugsweise eine  mit  Schwefelsäure  und  etwas  Alaun  versetzte  Auflösung  von 
Blutlau  gen  salz  gebraucht,  durch  welche  die  Zeuge  gezogen  werden,  um  sie 
nachher  der  atmosphärischen  Luft  oder  der  Einwirkung  von  Dämpfen  auszusetzen. 


*)    Durch  Wärme    resp.    Kochen   kann  die  Blausäure  noch   als  solche  aus   dem 
Blute  getrieben  werden. 

**)    Mit  Blausäure  behandeltes  Blut   faull    auch   nicht   und   lässt  sich  in  gut  ver- 
schlossenen Gefässen  jahrelang  unzersetzt  aufbewahren. 

***)  Es  ist  bekannt,  dass  beim  Nachweise  von  Arsen  in  Folge  der  Verkohlung  der 
Leber  mit  Salpetersäure,  der  Uebersättigüng  mit  Kali,  des  Trocknens  und  nachherigen 
Verpuffens  im  Rückstande  stets  Cyankalium  enthalten  ist. 


Blausäure  in  der  Industrie.  383 

Durch  letzteres  Verfahren  stellt  man  das  Bleu  de  France  dar  und  man  bedient 
sich  dazu  jetzt  allgemein  eines  Dampfkastens,  in  welchen  man  einen  lang- 
samen Dampf  strahl  einführt.  Es  bildet  sich  Ferroc  van  Wasserstoff  säure, 
welche  durch  den  Wasserdampf  zerlegt  wird;  auf  der  Faser  bleibt  Eisencyanür- 
cyanid  (Berlinerblau)  zurück,  während  Cyanwasserstoffsäure  frei  wird  und 
durch  den  abgehenden  Wasserdampf  verdünnt  in  die  Atmosphäre  gelangt.  Nimmt 
man  an,  dass  bei  einem  Tuche  von  60  Ellen  nur  einige  Loth  Blutlaugeusalz  in 
wirkliche  Zersetzung  kommen,  bedenkt  man  ferner,  dass  diese  Dampfkasten  un- 
gefähr 6  Fuss  im  Geviert  und  3  Fuss  in  der  Höhe  haben  und  dieses  Dämpfen 
eines  Stückes  Tuch  2 — 3  Stunden  erfordert,  so  können  freilich  nur  höchst 
geringe  Mengen  von  Cyanwasserstoffsäure  in  einem  Zeiträume  von  mehreren 
Stunden  frei  werden  und  noch  dazu  werden  jene  durch  eine  grosse  Menge  Wasser- 
dämpfe verdünnt.  Obgleich  somit  eine  grosse  Gefahr  für  die  Arbeiter  aus  dieser 
Procedur  nicht  entstehen  kann,  so  ist  es  doch  immer  geboten,  für  eine  Ableitung 
der  Dämpfe  zu  sorgen. 

Sehr  wichtig  ist  in  sanitärer  Beziehuug  noch  folgendes  Verfahren:  In  der 
Kattundruckerei  werden  zuweilen  zum  Blau-  und  Grünfärben  Beizen 
angewendet,  bei  deren  Bereitung  man  Blutlaugensalz,  Zinnsalz  undKalium- 
bichromat  unter  Zusatz  von  Salz-  und  Schwefelsäure  zusammenbringt. 
Während  der  Darstellung  entwickeln  sich  erhebliche  Mengen  von  Blausäure, 
so  dass  die  dabei  beschäftig! en  Arbeiter  in  Folge  der  Einwirkung  dieser  Säure 
nicht  selten  wie  todt  hinstürzen.  Leider  vernachlässigt  man  in  den  meisten 
Fabriken  alle  Vorsichtsmassregeln;  es  ist  daher  durchaus  nothwendig,  dass  die 
Gefässe,  in  welchen  die  Beize  angefertigt  wird,  verschlossen  bleiben  und  mit  einem 
Abzugscaual,  welcher  in  den  Rauchfang  führt,  versehen  werden.  Der  Rührer, 
welcher  zum  Mischen  der  Bestandtheile  der  Beize  dient,  muss  durch  den  ge- 
schlossenen Deckel  geführt  werden. 

Neuerdings  kommt  im  Handverkauf  eine  Flüssigkeit  vor,  welche  Argentine 
genannt  und  zur  Versilberung  kupferner  Gefässe  benutzt  wird;  sie  ist  eine  Lösung 
von  Cyanquecksilber  in  Cyankalium  mit  einem  Zusatz  von  feingepulverter 
Kreide.  Beim  Verreiben  dieser  Flüssigkeit  an  der  Luft  bilden  sich  leicht  Blau- 
säuredämpfe, welche  in  einem  von  Martins  beobachteten  Falle  Uebelkeit, 
Kopfschmerzen,  Dyspnoe  und  krampfhafte  Hustenanfälle  erzeugten.  Im  betreffen- 
den Falle  war  kaum  ein  Kaffeelöffel  Argentine  verbraucht  worden.19) 

Cyankalium,  Kaliumcyanid  KCN  =  KCy  wird  rein  dargestellt,  indem  man  den 
Dampf  der  Blausäure  in  eine  alkoholische  Kalilösung  leitet. 

Das  Cyankalium  des  Handels  ist  stets  durch  kohlensaures  und  cyansaures  Kalium 
verunreinigt. 

Bei  der  Darstellung  im  Grossen  benutzt  man  ein  Gemenge  von  Blutlaugen- 
salz und  Kaliumcarbonat  in  äquivalenten  Mengen.  Das  Schmelzen  geschieht  in 
gusseisernen  Tiegeln  und  zwar  so  lange,  bis  die  ganze  Masse  fliesst  und  sich  ein 
eingetauchter  Glasstab  mit  einer  klaren  Flüssigkeit  überzieht,  die  beim  Erkalten 
zu  einer  weissen  Masse  erstarrt.  Man  giesst  dann  die  noch  flüssige  Masse  von 
dem  Bodensätze,  der  aus  sehr  fein  vertheiltem  metallischem  Eisen  besteht,  in 
ein  eisernes  Geschirr  ab,  lässt  sie  erkalten  und  zerschlägt  die  erstarrte  Masse 
sofort  in  kleine  Stücke. 

Hierbei  ist  grosse  Vorsicht  nothwendig,  um  jede  Verstäubung  zu  vermeiden. 
Da  noch  ein  Theil  der  geschmolzenen  Masse  im  Tiegel  hängen  bleibt,   so  laugt 


384  Methylverbindungen. 

man  denselben  mit  kaltem  Wasser  aus,  filtrirt  rasch  und  benutzt  die  Solution  zur 
Darstellung  der  in  der  Galvanotechnik  gebräuchlichen  Cyandoppelsalze. 

Bei  allen  dieseu  Manipulationen  ist  die  grösste  Aufmerksamkeit  erforderlich; 
wird  Cyankalium  mit  Wasser  behandelt,  so  bildet  sich  stets  Blausäure,  worauf 
die  betreffenden  Laboranten  sehr  zu  achten  haben.  Auch  an  der  Luft  zerfliesst 
das  Cyankalium  unter  Entwicklung  von  Blausäure  und  kohlensaurem  Ammonium; 
schon  aus  diesem  Grunde  ist  dessen  sorgfältigste  Aufbewahrung  geboten. 

Uebrigens  können  Arbeitet-  jahrelang  bei  der  fabrikmässigen  Darstellung 
von  Cyankalium  beschäftigt  sein,  ohne  ihre  Gesundheit  zu  schädigen,  wenn  sie 
aufmerksam  und  reinlich  sind,  namentlich  aber  sich  vor  Essen  und  Trinken  im 
Fabrikraum  hüten  und  sich  vor  jeder  Mahlzeit  wenigstens  die  Hände  waschen.20) 

Das  Cyankalium  krystallisirt  in  Würfeln  und  ist  in  absolutem  Alkohol  fast  un- 
löslich,  in  Wasser  aber  sehr  leicht  löslich.  Seine  Lösung  zersetzt  sich  schnell  unter 
Bildung  von  ameisensaurem  Kalium  und  Ammoniak: 

CNK  +  2H,0  =  CHK02  -f-  NH3. 
Eine  braune  amorphe  Masse  bleibt  hierbei  zurück. 

Das  Cyankalium  entwickelt  an  der  Luft  stets  einen  Geruch  nach  Blausäure,  weil 
schon  die  atmosphärische  Kohlensäure  einen  Theil  derselben  frei  macht;  bei  Abhaltung 
der  Luft  ist  es  unveränderlich  und  kann  hierbei  sogar  verflüchtigt  werden;  sobald  aber 
die  Luft  hinzutritt,  verwandelt  es  sich  in  der  Hitze  in  cyansaures  Kalium: 

CNK  +  0  =  CNOK. 

D;is  käufliche  Cyankalium  enthält  aus  diesem  Grunde  immer  cyansaures  Kalium. 

Mit  salpetersauren  oder  chlorsauren  Alkalien  erhitzt,  erzeugt  es  furchtbare 
Explosionen. 

Die  Wirkung  von  Cyankalium  auf  den  thierisehen  Organismus  ist  gleich  der 
der  Blausäure,  was  nicht  auffallend  erscheint,  wenn  man  das  Verhalten  desselben 
in  einem  Medium,  welches  Kohlensäure  und  Wasser  enthält,  in  Betracht  zieht. 
Die  Verbindungen  der  Alkalien  und  alkalischen  Erden  mit  Cyan  sind  nämlich  sehr 
geneigt,  in  wässriger  Lösung  Blausäure  zu  entwickeln;  diese  Entwicklung  beruht 
auf  einer  Wasserzersetzung,  bei  Gegenwart  von  Kohlensäure  bildet  sich  nämlich 
Kaliumcarbonat,  während  das  frei  werdende  Cyan  mit  dem  Wasserstoff  des 
Wassers  zu  Blausäure  zusammentritt.  Da  letztere  wegen  ihrer  schwach  sauren 
Eigenschaft  das  Kaliumcarbonat  nicht  zu  zersetzen  vermag,  so  wird  sie  von  der 
Flüssigkeit  exhalirt;  daher  entwickelt  Cyankalium  schon  durch  den  Einfluss  der 
feuchten  atmosphärischen  Luft  Blausäure. 

Wird  das  Cyankalium  per  os  aufgenommen,  so  beschleunigt  die  im  Magen 
enthaltene  Säure  das  Zerfallen  des  Cyankaliums  und  die  Entwicklung  von  Blau- 
säure veranlasst  dann  die  Vergiftung. 

Verwendung  findet  Cyankalium  namentlich  in  der  Galvanoplastik  wegen  seiner 
Eigenschaft,  mit  den  löslichen  Motallsalzen  unlösliche  Cyanverbindungen  einzugehen 
und  dann  mit  diesen  lösliche  Doppelsalze,  Doppelcyanide,  zu  bilden. 

Die  galvanischen  Bäder  bereitet  man  durch"  Vermischung  einer  Metallsalz- 
lösung  mit  einer  Cyankaliumlösung  (1:10).  Nach  dem  zu  erreichenden  Zwecke 
besteh!  die _  Metallsalzlösung  aus  Silbersulfat,  Goldchlorid  oder  Platinchlorid.  Man  fährt 
mit  der  Mischung  so  lange  fort,  bis  der  entstandene  Niederschlag  von  Cyanmetall  voll- 
ständig verschwunden  und  die  Flüssigkeit  durchsichtig  geworden  ist.  Platten  von  dem 
zu  lallenden  Metall  taucht  man  in  diese  Flüssigkeit  und  bringt  sie  mit  dem  positiven 
Pol  der  galvanischen  Batterie  in  Verbindung.  Sobald  sich  aus  dem  Bade  Metall  nie- 
derschlägt, wird  von  der  Platte  desselben  Metalls  am  positiven  Pole  ebenso  viel  auf- 
gelöst: dadurch  behält  das  Bad  eine  constante  Stärke,  wenn  die  Oberfläche  der  zu  über- 
ziehenden Stücke  im  ^Verhältnis*  zu  der  der  eingetauchten  Platten  steht  (s.  Cyansilber). 

Bei  der  galvanischen  Vergoldung  und  Versilberung  treten  nicht  unbedeutende 
Mengen  von  Cyan  auf  (s.  Cyansilber),  und  es  ist  zu  verwundern,  dass  bei  dieser 
Industrie  nicht  mehr  Unglücksfälle  vorkommen,  denn  in  den  Werkstätten  geschieht  fast 
gar   nichts    für    die  Ableitung    der   schädlichen    Gase.     Glücklicherweise   sind  diese  so 


Cyanammonium.  385 

stark  mit  atmosphärischer  Luft  verdünnt,  dass  es  nicht  zur  Ausbildung  der  charak- 
teristischen Symptome  kommt;  die  Beschwerden  beschränken  sich  meist  auf  ein  Gefühl 
von  Schläfrigkeit  und  Abspannung.  Nichtsdestoweniger  sollte  man  doch  auf  eine 
sorgfältigere  Ventilation  Bedacht  nehmen,  da  auch  geringe  Nachtheile  bei  einer  bestän- 
digen Wiederkehr  schliesslich  schaden  müssen :  unbedingt  ist  daher  ein  Gasfang  oder 
Abzugscanal  in  solchen  Werkstätten  erforderlich. 

In  den  photographischen  Anstalten  wird  auf  eine  sehr  leichtfertige  Weise 
mit  Cyankalium  manipulirt,  die  Flaschen  mit  den  Auflösungen  von  Cyankalium  stehen 
fast  niemals  unter  Verschluss ,  die  meisten  Unglücksfälle  resp.  Vergiftungen  durch  Cyan- 
kalium kommen  daher  auch  in  den  Familien  der  Photographen  vor.  Polizeiliche 
Revisionen  der  photographischen  Anstalten  sind  ebenso  nothwendig  wie  die  Visitationen 
der  Apotheken  und  Material-Handlungen;  namentlich  beim  Betriebe  mit  Cyankalium  in  den 
Material-Handlungen  wird  gewöhnlich  zu  sehr  gegen  alle  gesetzliche  Bestimmungen  hin- 
sichtlich des  Giftverkaufs  gefehlt;  auch  hier  begegnet  man  in  Betreff  der  Aufbewahrung 
und  Verabreichung  von  Cyankalium  nicht  selten  der  grössten  Unvorsichtigkeit. 

Photographen,  welche  mit  einer  Lösung  von  Cyansilber  in  Cyankalium  viel- 
fach in  Berührung  kommen,  erleiden  hartnäckige  und  schmerzhafte  Ulcerationen  an  den 
Händen,  namentlich  an  den  Ecken  der  Nägel.  Gegen  dieses  Leiden  wird  ein  Verband 
von  mit  Leinöl  verriebenem  schwefelsaurem  Eisenoxydul  gerühmt;  es  bildet  sich  hierbei 
Ferrocyankalium  neben  einer  Ausscheidung  von  metallischem  Silber.21) 

Wegen  seiner  grossen  Neigung,  Sauerstoff  aufzunehmen,  wird  Cyankalium  auch 
als  Reductionsmittel  benutzt. 

In  Seidenfärbereien  wird  Cyankalium  zum  Lustriren  der  schwarzen  Seide 
gebraucht,  indem  man  dem  Seifenbade,  mit  welchem  die  fertig  gefärbte  Seide  behandelt 
wird,  Cyankalium  zusetzt.  Dies  Verfahren  ist  besonders  in  der  Schweiz  gebräuchlich 
und  erfordert  grosse  Vorsicht,  da  sich  hierbei  natürlich  blausäurehaltige  Dämpfe  ent- 
wickeln müssen ;  wenn  diese  auch  mehr  oder  weniger  verdünnt  sind,  so  werden  sie  doch 
auf  die  Dauer  nachtheilig  auf  die  Arbeiter  einwirken.  Will  man  das  Verfahren  bei- 
behalten, so  sorge  man  wenigstens  für  Bottiche,  die  mit  einem  Deckel  geschlossen  und 
mit  einem  nach  dem  Schornstein  führenden  Abzugsrohre  versehen  sind. 

Cyanammonium  CN(NH4)  wird  durch  Erhitzen  von  1  Th.  Cyankalium  mit  3  Th. 
Salmiak  dargestellt;  das  Cvanammonium  destillirt  hierbei  über.  Es  bildet  sich  im  Hoh- 
ofenprocesse  und  bei  der  Bereitung  des  Blutlaugensalzes;  es  krystallisirt  in  farblosen 
Würfeln,  riecht  stark  nach  Blausäure  und  Ammoniak  und  sublimirt  bei  26°;  sein  Dampf 
ist  leicht  entzündlich  und  verbrennt  unter  Abscheidung  von  kohlensaurem  Am- 
monium. Bei  der  Auflösung  in  Wasser  bildet  sich  in  analoger  Weise  wie  beim  Cyan- 
kalium einerseits  Blausäure  und  andererseits  Ammonium  carbon.  Für  die  Giftig- 
keit von  Cyanammonium  sprechen  folgende  Versuche  : 

Einwirkung  von  Cyanammonium  auf  den  thierischen  Organismus,  l)  Eine  Taube 
sitzt  in  der  Glasglocke;  nachdem  eine  kaum  bemerkbare  Spur  des  Dampfes  von  Cyan- 
ammonium in  die  Glocke  gedrungen  war,  wurde  die  Taube  sehr  unruhig,  athmete  schnell 
und  blinzelte  mit  den  Augen.  Nach  1  M.  Hin-  und  Herschwanken  und  dann  Heraus- 
nahme des  Thieres;  es  stürzt  sofort  hin,  erhebt  sich  aber  wieder  mit  sehr  beschleunig- 
tem Herzschlage;  nach  3  M.  Gehversuche  und  starker  Husten.  Der  Herzschlag  ist  erst 
nach  30  M.  wieder  normal. 

2)  Eine  Taube  sitzt  in  der  Glasglocke.  Ein  schwacher  Dampf  von  erwärmtem 
Cyanammonium  erzeugt  nach  1  M.  Blinzeln  mit  den  Augen,  Schütteln,  Ausstrecken  des 
Halses,  nach  \%  M.  allgemeine  Convulsionen  und  Aufhören  der  Respiration;  ein  paar 
Herzschläge  sind  noch  2  M.  nach  der  Herausnahme  bemerkbar. 

Section  4  Stunden  hernach.  Die  Hinterhauptsknochen  sind  blutig  durchtränkt, 
die  Hirnhäute  massig  injicirt,  Plex.  ven.  spin.  mit  flüssigem  Blute  angefüllt.  Beide 
Lungen  zinnoberroth,  stellenweise  schwärzlichbraun,  unter  dem  linken  untern  Lungen- 
lappen ein  5  Mm.  breiter  schwarzer  Fleck  (Ekchymose),  auf  den  Durchschnitts- 
flächen überall  flüssiges  Blut  und  beim  Zusammendrücken  ein  zinnoberrother 
Schaum;  Tracheaischleimhaut  schwach  injicirt,  an  der  Bifurcation  eine  ganz  dünne, 
blutig-wässrige  Ausscheidung.  In  allenHöhlen  desHerzens  dickflüssiges 
und  geronnenes  Blut;  dasselbe  ist  dunkelroth,  in  dünnern  Schichten  etwas  heller. 
Leber,  Nieren  und  alle  grössern  Venen  sind  blutreich.  In  Lunge  und  Leber  konnte 
Blausäure  nachgewiesen  werden. 

Da  Cyanammonium  -wie  Cyankalium  bei  Berührung  mit  Wasser  sogleich 
zu  einer  Blausäureentwicklung  Veranlassung  gibt,  so  ist  die  "Wirkung  beim  Ein- 
tritt desselben  in's  Blut  notwendigerweise  eine  ähnliche.    Cyanammonium  wirkt 

Eulenberg,  Gewerbe-Hygiene.  25 


38(3  M>  thvlverbindungen. 

deshalb  mittelbar  grade  wie  Blausäure.  Der  Sectionsbefund  lieferte  ein  sehr 
charakteristisches  Bild  für  den  Tod  durch  Blausäure,  uameutlich  bezüglich  der 
LuDgen  uud  des  Herzeus. 

Cyansilber  i'N  Lg.  Wird  ein  Lösliches  Silbersalz  mit  einem  Cyanalkalimetall  zu- 
sammengebracht, so  scheidet  sich  ein  weisser,  käsiger  Niederschlag  als  Cyansilber 
dasselbe  ist  unlöslich  in  Wasser  and  Säuren,  dagegen  leichter  löslich  in  Aetz- 
ammoniak  und  sehr  leichl  löslich  in  Cyanalkalimetallen.5™) 

Von  bedeutender  Wichtigkeit  ist  die  leicht  lösliche  Doppelverbindung  von  Cyan- 
silber-Cyankalium  (CNAg,CNK),  welche  in  der  Galvanoplastik  zum  Versilbern  von 
kupfernen' und  Neusilber- Geräthen  benutzt  wird  Durch  den  galvanischen  Strom  zer- 
setzt sich  das  Cyansilber  in  metallisches  Silber  und  Cyan:  da  aber  durch  den 
galvanischen  Strom  auch  stets  da-  Lösungsmittel,  also  Wasser,  zerlegt  wird  und  dem- 
nach Wasserstoff  auftritt,  so  verbindet  sieh  das  frei  gewordene  Cvan  mit  dem  nasciren- 
den   Wasserstoff  zu  Cvan  wasserstoffsäure. 

Cm  das  Cvan  nicht  zu  verlieren,  wird  an  demjenigen  Pole,  wo  sich  das  Cvan 
bildet,  eine  Platte  von  metallischem  Silber  eingeschoben:  es  wird  dann  für  jedes 
Atom  Silber,  welches  ausgeschieden  wird,  ein  Aequivalent  Cyan  frei.  Dies  freie  Cvan 
verbindet  sich  wieder  mit  einem  Atom  Silber,  so  dass  bei  dieser  Einrichtung  der 
Silberbäder  eine  stetige  Ausscheidung  des  Silbers  stattfindet,  ohne  dass  das  Bad  silber- 
ärmer wird. 

Es  geht  f.  rner  hieraus  hervor,  dass  eine  geringe  Menge  Cyansilber  hinreicht, 
um  eine  gros-e  Menge  von  Silber  zum  Niederschlagen  resp.  in  Lösung  zu  bringen; 
der  einzige  Verlust  an  Cvan,  der  hier  eintritt,  besteht  in  der  Entwicklung  von  Blau- 
säure: man  muss  daher  dem  Bade  in  gewissen  Zwischenrä Minen  wiederum  Cyan- 
kaliuni  zusetzen. 

Dieser  Umstand  isl  in  sanitärer  Beziehung  wichtig  und  erfordert  die  not- 
wendigen Vorsichtsmassregeln,  um  Gesundheitsbeschädigungen  zu  verhüten.  Zu  diesem 
Zwecke  sind  die  Zersetzungströge  mit  Deckeln  zu  versehen,  welche  durch  Röhren  mit 
einem  gut  ziehenden  Rauehfange  in  Verbindung  stehen:  sie  dürfen  aber  auch  deshalb 
nicht  offen  gelassen  werden,  weil  ausser  der  Entweichung  der  Blausäure  noch  ein  Ver- 
spritzen der  silberhaltigen  Lösung  während  des  Auflösens  des  eingebrachten  metallischen 
Silbers  stattfindet.  Die  Gegenwart  der  feinen  Xebelbläschen,  welche  durch  die  ver- 
spritzte Cyansüberlösung  entstehen,  entdeckt  man  sofort  durch  einen  metallischen  Ge- 
schmack, den  man  in  den  Arbeitsräumen  wahrnimmt. 

Es  ist  in  technischer  Beziehung   noch   zu  bemerken,    dass    bei    der    galvanischen 

oerung  die  Gegenstände  mittels  Fäden  oder  Drähte,  welche  leitend  sind,  in  der 
Versilbert  keit  aufgehängt  werden. 

t'yau'pieeksilber.  Quecksilbercyanid  (CXL.Hg.  Cyanquecksilber  krystallisirt  in 
quadratischen  Säulen  und  Pyramiden,'  ist  luftbeständis .  löslich  in  11  Th.  kaltem  und 
2%  Th.  kochendem  Wasser,  in  5  Th.  siedendem  und  '20  Th.  kaltem  Alkohol.  Es  schmeckt 
ekelhaft  metallisch  und  zerfällt  beim  Erhitzen  in  Quecksilber  und  Cyan:  letzteres  ent- 
weicht theils  und  bleibt  theils  als  Paracvan  zurück.  Weder  ätzende  Alkalien  noch 
Sauerstoffsäuren  zerlegen  es.  wohl  aber  Wasserstoffsäuren;  es  bildet  mit  Cyanalkalien 
nicht  lösliche  Doppelsalze.  Auf  den  thierischen  Organismus  wirkt  es  wie  freie 
Blausäure  ein.-3)  Dargestellt  wird  es  durch  Auflösen  von  Quecksilberoxyd  in  wässriger 
Blausäure  und  findet  in  der  Galvanoplastik  Verwendung. 

Knpfercyanür  Cu2Cy..  Es  geht  mit  Cyanmetallen  Doppelsalze  ein  und  entsteht 
durch  Uebergiessen  von  Kupfercyanid  mit  Salzsäure. 

Kupferryaiihl  CuCy._.  Ein  grüngelbes,  gernch-  und  geschmackloses  Pulver,  welches 
in  Wasser  löslich  ist  und  mit  Cyankalium  ein  Doppelsalz  bildet:  es  entsteht  durch 
Fällung  eines  Kupferoxydsalzes  mit  Cyankalium.  Beide  Verbindungen  werden  in  der 
Galvanoplastik  benutzt. 

Ferrocyankalhmi.  gelbes  Blutlaugensalz.  Kalium  ferroeyanatum  flavum,  Kalium- 
eiseneyanür,  K4Fe(CN)6  oder  K4Cfy,  hat  eine  grosse  technische  Bedeutung  und  wird 
ausserdem  für  die  Darstellung  aller "Cyanverbindungen  benutzt.  Es  stellt  schöne  gelbe 
Krystalle  von  quadratischen  Prismen  dar.  die  3  Molec.  Krvstallwasser  enthalten:  ver- 
flüchtigt sich  letzteres  bei  100°,  so  wird  das  Salz  weiss,  an  der  Luft  aber  mit  der  Auf- 
nahme dieses   Krvstallwassers  wieder  gelb. 

V\  enn  man  eine  Eisensulfatlösung  oder  irgend  ein  anderes  Eisenoxydsalz  mit 
Cyankalium  kocht,  so  entsteht  die  Verbindung  von  Eis  ency  an  ür  und  Cyankali  um: 
Fe(GN)6-r--tKCX:  die  vierwerthige  Gruppe:    Fe  CN)6  =  Cfy  heisst  Ferro  cyan. 

Bei   der  Blutlaugen fabrication    schmüzt   man  thierische  Abfälle   mit  Eisen- 


Blutlaugensalz-Industrie.  387 

abfallen  und  roher  Pottasche;  da  letztere  stets  Kaliumsulfat  enthält,  so  wird  dieses 
reducirt  und  es  bildet  sich  Schwefeleisen,  während  aus  den  thierischen  Abfällen 
Cyankalium  entsteht.  Beim  Auslaugen  der  Schmelze  verwandeln  sich  beide  Körper 
in  Blutlaugensalz  und  Schwefelkalium: 

FeS  +  6KCN  =  K4Fe(CN)6  +  K2S. 
Das  Blutlaugensalz  besitzt  keine  giftigen  Eigenschaften  und  kann  ohne  Nachtheil 
genossen  werden.     Durch  verdünnte  Säuren   entsteht  aus  dem  Blutlaugensalz  durch 
Substitution  von  K  durch  H   die  Ferro  Cyanwasserstoff  säure  H4Fe(CN)6,    welche 
sich  an  der  Luft  durch  Bildung  von  Berlinerblau  bläut. 

Blutlaugensalz-Industrie. 

Das  gelbe  Blutlaugensalz  spielt  in  der  Industrie  eine  grosse  Rolle;  bei  der 
Darstellung  im  Grossen  glüht  man  thierische  Substanzen,  wie  Hörn,  Blut,  Woll- 
staub, Lederabschnitte  u.  s.  w.,  überhaupt  stickstoffhaltige  Kohle,  mit  Pottasche 
und  einer  grössern  oder  geringern  Menge  Eisen  in  eisernen  Gefässen,  welche 
eine  birnförmige  Gestalt  und  vorn  eine  Mündung  zur  Beschickung  haben.  Diese 
Birnen  oder  Muffeln  werden  aber  sehr  leicht  durchlöchert,  man  zieht  daher  viel- 
fach Flammenöfen  vor,  deren  Sohle  von  einem  gusseisernen  schalartigen  Kessel 
gebildet  wird.  Man  benutzt  eine  Schachtfeuerung;  die  Flamme  geht  über  eine 
Feuerbrücke  bis  zum  Schmelzraum,  der  vor  einem  etwas  tiefer  liegenden  und 
zum  Schornstein  führenden  Fuchs  liegt,  alle  Verbrennungsproducte  gelangen 
somit  direct  in  den  Schornstein.*) 

Die  geglühte  Masse  erscheint  schwarz  und  heisst  Schmelze;  man  zieht  sie 
mit  heissem  Wasser  aus,  um  die  Roh-  oder  Blutlauge  darzustellen. 

Bei  der  Lösung  der  Schmelze  entsteht  ein  löslicher  und  ein  unlöslicher 
Theil;  die  Lösung  enthält  neben  Ferrocyankalium  noch  Kaliumsulfat, 
Kaliumcarbonat,  Schwefelkalium  und  Chlorkalium.  Da  die  Schmelze 
auch  bisweilen  noch  freies  Cyankalium  enthalten  kann,  so  hat  man  wenigstens 
darauf  zu  achten,  dass  bei  der  Lösung  auch  Blausäure  auftreten  kann;  wenn 
auch  die  Menge  derselben  nicht  bedeutend  ist,  so  ist  doch  jedenfalls  in  dem  Auf- 
lösungsraume  eine  gehörige  Ventilation  erforderlich. 

Nachdem  das  Blutlaugensalz  herauskrystallisirt  ist,  kann  die  Mutterlauge  so  viel 
Schwefelkalium  enthalten,  dass  sich  seine  Bearbeitung  auf  unterschwefl  igsaure 
Salze  lohnt  (s.  S.  158);  beim  Lagern  an  der  Luft  gibt  es  zur  Entwicklung  von  BuS 
Veranlassung.  Herrscht  das  Chlorkalium  vor,  so  wird  dasselbe  durch  Abdampfen 
gewonnen  und  bei  der  Glas-  und  Alaunfabrication  verwendet. 


*)  Die  hier  auftretenden  Gase  und  Dämpfe  bestehen  aus  brenzlichen  Producten: 
Picolin,  Leucolin  u.  s.  w.,  nebst  Kohlensäure,  Kohlenoxyd,  Cyan,  Cyansäure,  Cyan- 
ammonium  und  vielen  Wasserdämpfen.  Da  alle  diese  Producte  direct  in  den  Schorn- 
stein gehen,  so  üben  sie  auf  die  Arbeiter  keinen  schädlichen  Einfluss  aus,  verschaffen 
aber  den  Adjacenten  grosse  Belästigung;  Fabriken  dieser  Art  dürfen  daher  nie  in  der 
Nähe  bewohnter  Häuser  oder  in  Vorstädten  angelegt  werden,  da  man  bisher  noc  h  keine 
Anordnungen  getroffen  hat,  diesen  Qualm  zuvor  durch  eine  Feuerung  zu  leiten. 

Um  die  Einwirkung  dieser  Dämpfe  auf  den  thierischen  Organismus  zu  prüfen, 
wurde  beim  ersten  Versuche  getrocknetes  Fleisch  mit  Kali  carb.  in  einer  Gesammt- 
menge  von  12  Grm.  in  der  Glühhitze  zusammengeschmolzen.  Bei  einem  Kaninchen 
traten  hiernach  nur  starkes  Blinzeln  mit  den  Augen,  Reiben  des  Mauls  und  ein  Husten 
ein,  welcher  sich  ein  paar  Tage  lang  mit  Schleimrasseln  in  den  Bronchien  verband;  am 
4.  Tage  war  es  wieder  hergestellt. 

Bei  einem  zweiten  Versuche  wurde  Wolle,  Fleisch,  Hörn  mit  Kali  carbon.  in 
einer  Gesammtmenge  von  24  Grm.  geglüht;  auch  hier  blieb  es  bei  den  oben  erwähnten 
Erscheinungen. 

Beim  dritten  Versuche  wurde  getrocknetes  Blut  mit  Kali  carbon.  geglüht;  die 
sich  entwickelnden  Dämpfe  tödteten  eine  Taube  nach  15  M.  unter  grösster  Dyspnoe  und 
schwacher  Narkose.  Wahrscheinlich  hatten  hier  Kohlenoxyd,  Kohlensäure,  Cyan- 
ammonium,  mit  vieler  Luft  verdünnt,  eingewirkt. 

25* 


388  Methylverbindungen. 

Der  unlösliche  Theil,  die  Schwärze,  besteht  aus  stickstoffhaltiger  Kohle, 
welche  mit  fein  vertheiltem  Schwefeleisen  und  löslichen  und  unlöslichen  Cyanver- 
bindungen  imprägnirt  ist;  auch  enthält  sie  Erdphosphate  und  Silicate.  Lagert 
sie  an  der  Luft,  so  entwickelt  sie  neben  Cyanwasserstoff  noch  Ammoniak;  am 
zweckmässigsten  ist  es  deshalb,  die  Schwärze  mit  Erde  und  Dungstoffen  zu  versetzen, 
da  sie  als  Dünger  sehr  gut  verwerthet  werden  kann. 

Verwendung  findet  das  Blutlaugensalz  bei  der  Fabrication  von  weissem  Schiess- 
pulver und  bei  der  Stahlbereitung  als  Zusatz  zum  Eisen;  seine  eigentliche  Stellung 
behauptet  es  aber  in  der  Färberei  zum  Blaufärben  der  Wolle  und  Baumwolle 
(s.  Blausäure). 

Nitroprnssid-Kalinm  entsteht  durch  Einwirkung  von  Salpetersäure  aufFerro- 
cyanverbindungen  in  der  Siedhitze: 

K4Fe(CN)64-3HN03  =  K2Fe(CN)5(NO)  +  2KN03  +  C03  +  NH3. 

Da  dieser  Körper  auch  in  der  Technik  zur  Bereitung  von  Fressbeizen  Ein- 
gang gefunden  hat,  also  auch  im  Grossen  dargestellt  wird,  so  ist  es  nothwendig,  auf 
die  hier  auftretenden  Gase  aufmerksam  zu  machen,  welche  aus  Kohlensäure, 
Ammoniak,  salpetriger  Säure,  Stickoxyd  und  wahrscheinlich  auch  aus 
Kohlenoxyd  und  Blausäure  bestehen;  sie  müssen  daher  stets  in  die  Feuerung  oder 
in  den  Schornstein  abgeleitet  werden. 

Die  wichtigste  Verbindung  ist  das  Nitroprussidnatrium  Na->FeCy5(NO),  welches 
rubinrothe,  rhombische  Krystalle  liefert  und  in  chemischer  Beziehung  als  das  empfind- 
lichste Reagens  auf  Schwefel  in  seinen  löslichen  Verbindungen  bekannt  ist. 

Ferrocj'anknpfer  CuFe(CN)6  entsteht,  wenn  man  ein  unlösliches  Kupfersalz  mit 
Ferrocyankalium  versetzt,  als  ein  braunrother,  unlöslicher  Niederschlag,  der  sich  an  der 
Luft  nicht  zersetzt,  nicht  giftig  wirkt  und  in  den  Färbereien  und  Druckereien  auftritt, 
wenn  Stoffe  mit  Kupferbeizen  bedruckt  und  dann  durch  ein  Bad  von  gelbem  Blutlaugen- 
salz gezogen  werden 

Eng  an  die  Blutlaugen-Industrie  schliesst  sich  die  Darstellung  von  Ferri- 
cyankalium  und  Berlinerblau  an. 

Ferricyankalium ,   Kaliumeisencyanid,    Gmelin's   Salz,    rotheg   Blutlaugensalz, 

KeFe^Cy^,  ist  eine  dem  Eisenoxyd  entsprechende  Cyanverbindung,  welche  durch  Ein- 
leiten von  Chlorgas  in  die  wässrige  Lösung  von  gelbem  Blutlaugensalz  entsteht.  Man 
leitet  das  Gas  so  lange  in  die  Auflösung,  bis  Eisenoxydsalze  von  derselben  nicht  mehr 
blau  gefällt  werden: 

2K4FeCy64-Cl  =  K6Fe2Cy12  +  2KCl. 

Während  des  Abdampfens  krystallisirt  das  Salz  aus  und  Chlorkalium  bleibt  ge- 
löst; da  sich  hierbei  Salzsäure  bildet,  so  kann  sich  während  der  Einwirkung  auch 
Blausäure  entwickeln. 

Wird   die  Flüssigkeit   zu   stark   mit  Chlor  gesättigt,    so    ist    die  Entstehung    von 
Chlor cyan    unvermeidlich:     die    Procedur    muss    daher    jedenfalls    in    geschlossenen 
Bottichen  vorgenommen  werden,  aus  denen  Abzugsröhren  das  sich  etws,  bildende  Chlor 
cyan  in  eine  Eisenvitriollösung  führen  (s.  Chlorcyan). 

Die  Arbeiter   schützen   sich   vor   der  Einwirkung   dieser  gefährlichen  Dämpfe  am 
besten  durch  mit  Alkohol  getränkte  Schwämme,    welch'    vor  Mund  und  Nase  gebunden 
werden.     Alkohol  zersetzt  sich  nämlich  mit  Chlorcyan  zu  Urethan  und  Chloräthyl: 
2C2H60  -f-  CNC1  =  C2H6C1  +  C3HrN02. 

Um  die  Bildung  von  Blausäure  und  Chlorcyan  bei  dieser  Fabrication  überhaupt 
zu  verhüten,  ist  es  zweckmässig,  nach  der  Zuleitung  von  Chlorgas  Kaliumcarbonat 
bis  zur  Neutralisation  zuzusetzen  und  schliesslich  die  neutralisirte  Lösung  zur  Krystal- 
lisation  zu  bringen. 

Ferricyankalium  krystallisirt  in  hellrothen,  säulenförmigen,  wasserfreien 
Krystallen,  die  leicht  löslich  in  Wasser,  unlöslich  in  Alkohol  sind. 

1°  der  Technik  findet  das  Salz,  wie  das  gelbe  Blutlaugensalz,  vorzugsweise  zum 
Blaufärben  wollener  Stoffe  Verwendung;  das  Verfahren  dabei  stimmt  mit  dem  oben 
angeführten  überein.  Durch  Zusatz  von  Schwefelsäure  zum  Ferricyankalium  ent- 
steht Ferricyanwasserstoffsäure  HcF^Cy^,  die  sich  an  der  Luft  wie  Ferrocyan- 
wasserstoffsäure  durch  Bildung  von  Berlinerblau  bläut. 

In  der  Kattundruckerei  dient  das  rothe  Blutlaugensalz  mit  Natron-  oder 
Kablauge  gemischt  als  sogenannte  Fressbeize.  Setzt  man  zur  Lösung  des  rothen 
balzes  eine  Eisenoxyduloxydlösung,  so  entsteht  ein  lichtblauer  Niederschlag,  sogenanntes 
lurnbulls  Blau,  das  dem  Berlinerblau  bloss  dem  äussern  Ansehen  nach  ähnlich  ist, 
aber  anders  zusammengesetzt  ist: 

K6F2CyI2-f-3FeS04  =  Fe3Fe2Cyi2  +  3K2S04. 


Berlinerblaü.  3#9 

Seine  Darstellung  ist  theurer  als  die  des  Berlinerblaus  und  daher  weniger  ge- 
bräuchlich. 

Ferrocyaneisen,  Ferrieisencyanür,  Eisencyanürcyanid,  Berlinerblaü,  Pariserblau 

(Fe3)2  [Fe|CN6)]3,  entsteht,  wenn  man  eine  Lösung  von  gelbem  Blutlaugensalz  mit  einer 
Lösung  von  Eisenchlorid  oder  einem  Eisenoxydsalz  versetzt: 

3K4FeCy6  +  2Fe2Cl6  =  (Fe2)2  [Fe(CN)6]3  +  12  KCl. 

In  der  Technik  heisst  dieses  Blau  neutrales  Berlinerblau,  Pariser-  oder 
Hamburgerblau.  Das  basische  Berlinerblau  erhält  man  bei  der  Anwendung 
einer  Eisenoxydulsalzlösung:  da  es  einen  weissen  Niederschlag  von  Eisencyanür 
enthält,  so  wird  es  erst  an  der  Luft  durch  erhöhte  Temperatur  (Dampffarbe)  oder 
durch  Zusatz  von  Oxydationsmitteln  blau.  Es  löst  sich  bei  Gegenwart  von  Blut- 
laugensalz. 

Das  Berlinerblau  des  Handels  ist  jedoch  stets  ein  Gemisch  von  neutralem 
und  basischem  Berlinerblaü;  hellere  oder  dunklere  Töne  entstehen  durch  Zusatz  weisser 
Körper,  namentlich  von  Thonerde,  Kreide  u.  s.  w-  Ein  solches  Berlinerblau  mit 
lichtem  Blau  wird  oft  Mineralblau  genannt;  es  kommt  häufig  als  Teig  (en  päte)  im 
Handel  vor. 

Pariserblau,  d.h.  reines  Berlinerblaü,  zeigt  auf  dem  Bruche  mehr  oder  weniger 
einen  Kupferglanz,  ist  unlöslich  in  Wasser  und  Alkohol;  alkalische  Lösungen,  con- 
centrirte  Säuren  und  Erhitzen  zersetzen  es. 

Das  gewöhnliche  Berlinerblau  wird  in  der  Regel  aus  dem  Rohsalz  der  Blut- 
laugensalzfabrication  dargestellt,  wobei  man  eine  mit  Alaun  versetzte  Eisenvitriol- 
lÖsung  als  Präcipitationsmittel  benutzt. 

Die  Schwefelsäure  des  Alauns  dient  zur  Neutralisation  des  dem  Rohsalze  beige- 
mengten Kaliumcarbonats.  Die  über  dem  Niederschlag  stehende  und  Kaliumsulfat  ent- 
haltende Flüssigkeit  wird  daher  entfernt;  der  Niederschlag  enthält  auch  die  Thonerde 
des  Alauns.  Die  weitere  Oxydation  erfolgt  dann  um  so  rascher  an  der  Luft,  je  reicher 
das  Eisenvitriol  an  Oxydsalz  ist.  Nimmt  man  bloss  Blutlaugensalz  und  Eisen- 
vitriol, so  wird  der  gesammte  Niederschlag  unter  Zusatz  von  Salpetersäure  gekocht; 
man  entleert  dann  das  Ganze  in  einen  Bottich  und  setzt  englische  Schwefel- 
säure zu. 

Es  ist  sehr  zu  beachten,  dass  bei  diesem  Verfahren  neben  salpetriger  Säure 
und  Stickoxyd  zuweilen  auch  Blausäure  entsteht,  wenn  der  Zusatz  der  Salpetersäure 
ein  geringer  gewesen  ist;  man  sollte  daher  die  ganze  Operation  nur  in  geschlossenen 
Bottichen  vornehmen,  welche  mit  einem  Ableitungsrohre  nach  dem  Schornstein  ver- 
sehen sind. 

Die  Gefässe  sind  ferner  durch  Röhren  zu  verbinden,  um  das  freie  Ausschütten  zu 
vermeiden;  das  ganze  Verfahren  verdient  in  sanitärer  Beziehung  alle  Beachtung. 

Der  gewonnene  Niederschlag  wird  gewaschen,  auf  ein  Zeugfilter  geworfen,  lang- 
sam getrocknet,  geformt,  in  viereckige  Stücke  geschnitten  und  dann  ausgetrocknet,  wenn 
man  nicht  die  Teigform  wählt. 

Technische  Verwendung  findet  das  Berlinerblau  als  Wasser-  und  Oelfarbe;  beim 
Tapetendruck  dient  es  als  Druckfarbe,  während  es  beim  Zeugdruck  und  beim  Färben 
der  Wolle  durch  Zersetzung  von  Blutlaugensalz  mit  Eisenoxydulsalzen  gebildet  wird. 
Beim  Färben  wird  deshalb  die  Wolle  zuerst  mit  einer  Eisenoxydullösung  getränkt  und 
dann  durch  eine  mit  Schwefelsäure  angesäuerte  Ferrocyankaliumlösung  gezogen,  wobei 
wegen  des  massigen  Säurezusatzes  nur  eine  höchst  geringe  Blausäureentwicklung 
stattfindet;  ausserdem  kommt  hier  die  grosse  Verdünnung  durch  Wasser  noch- in  Betracht. 

Die  Löslichkeit  des  Berlinerblaus  in  Oxalsäure,  welche  bisher  nur  bei  der 
Darstellung  der  blauen  Dinte  benutzt  worden,  hat  man  auch  in  der  Färberei  verwerthet, 
da  hierbei  das  Berlinerblau  nur  in  aufgelöster  Form  einwirken  kann.  Man  stellt  daher 
neuerdings  ein  dem  Sächsischblau  nahestehendes  Blau  dadurch  her,  dass  man  die  Wolle 
in  einer  Lösung  von  Ferricyankalium,  Zinnchlorid,  Weinsäure  und  Oxalsäure  erhitzt; 
durch  letztere  wird  dann  die  Auflösung  des  Berlinerblaus  bewirkt,  das  aus  der  Zer- 
setzung der  gebildeten  Ferricyanwasserstof fsäure  entstanden  ist,  während  der 
Zusatz  von  Weinsäure  die  Farbe  noch  lebhafter  macht.  Man  hat  hierbei  sehr  auf  die 
abfallenden  Wässer  zu  achten;  sie  dürfen  nie  in  Schlinggruben  abgelassen  werden.24) 

Substitution  des  H  der  Cyanwasserstoffsäure  durch  Halogene. 

Chlorcyan,  Einfach-Chlorcyan  CNC1,  eine  farblose,  bei  +15°  siedende  Flüssig- 
keit, die  sich  bei  der  Einwirkung  von  Chlor  auf  Cyanquecksilber  in  der  Kälte  bildet. 
Eine  Modifikation  dieser  Verbindung,  das  Dreifach-Chlorcyan  C3N3C13,  wird  in 
Krystallen  erhalten,  wenn  man  Chlor  in  das  Einfach-Chlorcyan  leitet.  Ein  gas- 
förmiges Chlorcyan  entsteht  bei  der  Einleitung  von  Chlor  in  wässrige  Blausäure; 
es  verdichtet  sieh  aber  schon  bei  — lü°  zu  einer  Flüssigkeit. 


390  Methylverbindungen. 

Chlorcyan  besitzt  sehr  giftige  Eigenschaften  und  erzeugt  bei  Thieren  sofort 
Taumel,  Convulsionen  und  Stillstand  der  Respiration,  Wirkungen,  die  fast  gleich  denen 
der  Blausäure  sind.25) 

In  der  Technik  kann  Chlorcyan  bei  der  Fabrication  von  Ferricyankalium  auf- 
treten (s.  Ferricyankalium). 

Bromcyan  CNBr,  ein  flüssiger  Körper,  Jodcyan  CNJ,  eine  krystallinische  Ver- 
bindung, werden  in  analoger  Weise  wie  Ein  fach-Chlor  cyan  dargestellt;  beide 
sind  giftig. 

Substitution  des  H  der  Cyanwasserstoffsäure  durch  das  ein- 

werthige  CN. 

Cyan  CN.CN  =  C2N2  kommt  als  Schwefelcvan  in  den  Secreten  fast  aller  Drüsen, 
aber  niemals  frei  in  der  Natur  vor;  man  stellt  es  durch  Erhitzen  des  Quecksilbercyanids 
oder  Sübercyanid*  dar;  es  ist  ein  stechendes,  entfernt  an  bittere  Mandeln  erinnerndes 
Gas,  welches  sich  bei  — 25°  zu  einer  wasserhellen  Flüssigkeit  condensiren  lässt.  Es 
verbrennt  mit  violetter«  Farbe  zu  Kohlensäure  und  Stickstoff.  Weingeist  nimmt  mehr 
davon  auf  als  Wasser.  In  wässriger  Lösung  verwandelt  es  sich  unter  Wasseraufnahme 
allniählig  in  Ammoniumoxalat: 

C3N2  +  4HaO  =  C204(NH4)2. 

Während  beim  Erhitzen  des  Quecksilbercyanids  das  Quecksilber  sich  metallisch 
an  den  Wänden  des  Kolbens  niederschlägt,  bleibt  am  Boden  Paracyan  mit  etwas 
Kohle  zurück,  welches  in  der  Rothgluth  wieder  in  Cyan  übergeht,  ein  schwarzbraunes, 
abfärbendes  Pulver  darstellt  und  in  feuchter  Luft  stets  Blausäure  nebst  Ameisensäure 
und  Ammoniak  entwickelt. 

Einwirkung  von  Cyan  auf  den  thieriselien  Organismus.  Ein  Meerschweinchen 
sitzt  im  Zinkkasten;  das  aus  Cyanquecksilber  entwickelte  Cyan  wird  in  eiuem  Gasometer 
aufgefangen  und  sorgfältig  ausgewaschen.  Beim  Eindringen  des  Gases  in  den  Kasten 
wird  das  Thier  unruhig,  schüttelt  mit  dem  Kopfe  und  hustet  oft  auf;  nach  2  M.  schwankt 
es,  fällt  dann  auf  die  Seite,  zuckt  heftig  mit  den  Extremitäten  und  verfällt  unter  Schreien 
und  Urinlassen  in  die  heftigsten  Convulsionen,  von  denen  es  förmlich  herumgeschlendert 
wird;  nach  3  M.  ist  die  Respiration  sehr  verlangsamt  und  kaum  bemerkbar,  bei  6,4V  ol.- 
Proc.  des  Gases.  Nach  4  M.  treten  noch  einige  leichte  Zuckungen  ein,  dann  Heraus- 
nahme des  Thiers.  Pupillen  sehr  erweitert,  der  Körper  ganz  schlaff,  die  Augen  offen 
stehend;  nach  ein  paar  krampfhaften  Inspirationen  Stockung  der  Respiration;  der  Herz- 
schlag noch  1  M.  lang  schwach  hörbar. 

Section  24  Stunden  hernach.  Leichenstarre  gering;  Hirnhäute  etwas  in- 
jicirt,  Plex.  venös,  spin.  fast  leer;  die  Lungen  werden  an  der  Luft  hellroth  auf 
braunrother  Marmorirung,  beim  Druck  auf  die  DurchschnittsÜächen  tritt  überall  ein 
schneeweisser  Schaum  und  dann  sehr  wenig  wässriges  Blut  aus,  die  Schleimhaut 
der  Luftröhre  überall  blass  und  mit  wenig  klarer  Flüssigkeit  bedeckt.  Das  ganze 
Herz  strotzt  von  schwarzem  geronnenem  Blute. 

Die  Erstwirkung  des  Cyans  besteht  in  einer  starken  Reizung  der  Schleim- 
haut der  Respirationswege  und  der  Augen;  die  Dyspnoe,  welche  bei  der  In- 
halation der  Blausäure  sofort  eintritt,  zeigt  sich  hierbei  nicht,  macht  sich 
wenigstens  nicht  in  auffälliger  Weise  bemerkbar.  Grössere  Mengen  des  Gases 
rufen  jedoch  ein  convulsivisches  und  ein  paralytisches  Stadium  hervor;  nach  der 
baldigen  Stockung  der  Respiration  beobachtet  man  doch  noch  eine  kurze  Zeit 
einige  schwache  Herzschläge,  wie  bei  der  Blausäurevergiftung;  ebenso  stimmt 
der  Sectionsbefund  mit  dem  der  Blausäurevergiftung  vollständig  überein. 

Laschkeioitsck36)  will  bei  Warmblütern  auch  Dyspnoe  wahrgenommen  haben;  bei 
Fröschen  erzeuge  Cyan  Convulsionen,  was  bei  Blausäure  nicht  der  Fall  sei.  Jedenfalls 
ruft  Cvangas  nicht  so  plötzlich  die  Vergiftungserscheinungen  hervor  wie  Blausäure. 
Einige  Versuchsthiere  gingen  erst  zu  Grunde,  nachdem  sie  der  Einwirkung  dieses  Gases 
schon  30—40  Minuten  lang  entzogen  waren.  Es  ist  fast  sicher,  dass  das  inhalirte  Cyan 
im  Blute  die  Bildung  von  Blausäure  veranlasst  und  die  letale  Wirkung  mit  dem  Auf- 
treten derselben  beginnt.  Das  Verhalten  des  Cyans  gegen  alkalische  Lösungen  ist  für 
diese  Auffassung  beweisend,  da  es  hierbei  in  Cyanalkali  und  cyan  saures  Alkali 
neben  andern  Zersetzungsproducten  verwandelt  wird. 

Todesfälle  bei  Menschen  in  Folge  von  Inhalation  des  Cyangases  sind 
noch  nicht  bekannt  geworden.    Die  höchst  reizende  und  stechende  Empfindung, 


Cyan  in  der  Industrie.  391 

welche  das  Gas  sofort  auf  der  Schleimhaut  der  Augen  und  Nase  hervorruft, 
nöthigt  Jeden,  sich  demselben  so  schnell  wie  möglich  zu  entziehen;  auch  zwingt 
ein  kratzendes  Gefühl  im  Halse  sofort  zu  starkem  und  heftigem  Aufhusten,  so 
dass  das  Eindringen  des  Gases  in  die  Bronchialverzweigungen  hierbei  nicht  so 
leicht  stattfinden  wird,  wenn  man  sich  bald  aus  den  betreffenden  Localen  ent- 
fernt. Ausserdem  wird  auch  eine  grössere  Menge  Cyangas  zur  letalen  Wirkung 
erforderlich  sein,  wenn  Meerschweinchen  erst  in  einer  Atmosphäre  von  ca.  6  Vol.- 
Procent  Cyangehalt  umkommen. 

Cyan  in  der  Industrie. 

In  der  Industrie  tritt  Cyan  häufig  als  Nebenproduct  oder  als  Zersetzungs- 
product  organischer  und  unorganischer  stickstoffhaltiger  Körper  auf;  werden 
diese  mit  Alkalien  geglüht,  so  entstehen  Cyanmetalle;  wirkt  Salpetersäure 
auf  stickstoffhaltige  oder  stickstofffreie  organische  Körper  ein,  so  bilden  sich  in 
beiden  Fällen  Cyanverbindungen,  in  geringerm  Grade  aber  in  letzterm  Falle. 
Beim  Verpuffen  und  Verbrennen  kohlenstoffhaltiger  organischer  Substanzen  mittels 
salpeter saurer  Salze  tritt  stets,  wenn  Kohlenstoff  im  Ueberschuss  vorhanden 
ist,  eine  erhebliche  Menge  eines  Cyanmetalls  auf,  welches  theilweise  in  der  Asche 
zurückbleibt,  theilweise  aber  mechanisch  während  der  Verpuffung  als  Rauch 
fortgerissen  wird.  So  entsteht  auch  während  des  Verbrennens  von  Salpeterpapier 
Cyankalium  neben  Kohlenoxyd,  Kohlensäure  und  Ammoniak.  Im  Tabak- 
rauche ist  ebenfalls  Cyan  nachgewiesen  worden. 

Werden  stickstoffhaltige  tliieriscke  oder  vegetabilische  Substanzen  der  trocknen 
Destillation  unterworfen,  so  tritt  stets  ein  gewisser  Theil  des  Stickstoffs  als  Cyan 
auf  und  zwar  findet  diese  Bildung  erst  in  der  letzten  Periode,  d.  h.  bei  der  höchsten 
Temperatur  statt;  so  bilden  sich  bekanntlich  bei  der  Destillation  der  Steinkohle,  bei 
der  Leuchtgasbereitung  Cyanverbindungen,  welche  bei  der  Reinigung  an  den  Kalk 
gebunden  werden;  dadurch  enthält  auch  der  sogen.  Gaskalk  nicht  unerhebliche  Mengen 
von  Cyan-  und  Schwefelcyanmetallen. 

Werden  stickstoffhaltige  organische  Substanzen  für  sich  oder  mit  Chromsäure 
oder  mit  einer  Mischung  von  Braunstein  und  Schwefelsäure  destillirt,  so  beobachtet 
man  stets  Cyanverbindungen  resp.  Bittermandelöl  und  Blausäure.27) 

Das  Auftreten  von  Cyan  neben  Kohlenoxyd  und  Kohlensäure  beim  Ver- 
glimmen von  Torfkoks  ist  schon  erwähnt  worden  (s.  S.  345). 

Beim  Hohofenprocess  findet  in  der  Verbrennungszone  über  der  Form  durch 
die  lebhaft  eingepresste  Luft  zunächst  die  Bildung  von  Kohlensäure  statt,  welche 
durch  die  weissglühende  Kohle  zu  Kohlenoxyd  reducirt  wird,  während  durch  die 
Feuchtigkeit  der  Luft  gleichzeitig  das  Auftreten  von  Wasserstoff  veranlasst  wird.  Mit 
den  beiden  Gasen,  die  nach  aufwärts  steigen,  mengt  sich  der  Stickstoff  der  Luft, 
welcher  in  der  Weissgluth  mit  der  Kohle  zusammentretend  Cyan  bildet,  das  entweder 
als  Gas  reducirend  im  Hohofenprocess  wirkt  oder  aber  durch  die  Alkalien  der  Kohlen- 
asche oder  die  zugesetzten  Beschickungen  (Kalk  u.  s.  w.)  Veranlassung  zur  Bildung  von 
Cyanalkali-  oder  Cyanalkalierdmetall  gibt. 

Ebenso  wird  das  Auftreten  von  Cyan  während  des  Verbrennungsprocesses  der 
Kohle  durch  das  Einströmen  ammoniakhaltiger  Luft  bedingt,  z.  B.  bei  Desinfections- 
öfen,  in  welchen  übelriechende  ammoniakalische  Dämpfe  verbrannt  werden.  Auf  dieselbe 
Weise  entsteht  es,  wenu  beim  Auskochen  von  Knochenfett  die  sich  bildenden 
ammoniakalischen  Gase  unter  die  Feuerung  geleitet  werden. 

Sowohl  die  freiwillige  als  auch  die  durch  Schlag,  Stoss  oder  Entzündung  hervor- 
gerufene Zersetzung  aller  Nitroverbindungen  veranlasst  die  Bildung  von  freiem 
Cyan;  so  tritt  dasselbe  z.  B.  beim  Sprengen  mittels  Schiessbaumwolle  oder  Nitro- 
glycerins in  grosser  Menge  auf. 

Die  auffallendste  Bildung  von  Cyan  ist  offenbar  die  von  Bopp  betrachtete,  welche 
dann  stattfindet,  wenn  metallisches  Rothkupfer  an  der  Luft  bei  Gegenwart  von 
Salzsäure  sich  oxydirt  und  mit  einem  weisslich  -  grünen  Ueberzuge  bedeckt.  Diese 
grüne  Masse,  welche  nur  wenig  Aehnlichkeit  mit  dem  Grünspan  hat  und  bedeutend 
heller  an  Farbe  als  dieser  ist,  bestekt  aus  einer  Misckung  von  basisckem  Kupfercklorid 
mit  basischem  Kupfercblorür ;    letztere  Mischung  geht  später  in  Kupfercyanür  über; 


392  Methylverbindungen. 

wird  nämlich  dieser  grüne  Ueberzug  vom  Metall  abgehoben  und  mit  verdünnter  Schwe- 
felsäure destillirt,  so  erhält  man  im  Destillate  eine  grosseMenge  Blausäure.  Es  ist 
höchst  wahrscheinlich,  dass  der  Gehalt  der  Luft  an  Ammoniak  oder  auch  an  salpetriger 
Säure  den  Stickstoff  zum  Cyan  liefert. 

Derselbe  Process  entsteht  bei  der  Darstellung  des  Bremergrüns;  wenn  zu 
diesem  Zwecke  Rothkupferstreifen  mit  Kochsalzlösung  oder  verdünnter  Salzsäure  über- 
gössen und  der  Einwirkung  der  Luft  ausgesetzt  werden,  so  überziehen  sich  dieselben 
mit  einer  immer  dicker  werdenden  Schicht  einer  basischen  Chlorverbindung  des  Kupfers, 
welche  mit  Wasser  abgerieben  und  geschlemmt  diese  Farbe  darstellt.  Die  Analyse  einer 
solchen  Farbe  gibt  stets  einen  Cy angehalt  zu  erkennen. 

Dass  in  der  Galvanoplastik  Cyan  auftritt,  wenn  die  Cyanverbindungen  dem 
galvanischen  Strom  unterworfen  werden,  ist  schon  erwähnt  worden.  In  der  Photo- 
graphie tritt  es  in  geringen  Mengen  auf,  wenn  sich  das  Cyanquecksilber  an  der  Luft 
zersetzt. 

Glüht  man  gewöhnliches  Schmiedeeisen  in  einem.  Strome  von  Cyangas,  so 
verwandelt  es  sich  in  Stahl.  In  neuerer  Zeit  ist  auch  der  Stick  stoffgehalt  des  Stahls 
nachgewiesen  worden.  Schon  seit  Jahrhunderten  hat  man  den  Cementstahl  in  der 
Weise  dargestellt,  dass  man  das  Schmiedeeisen  in  eisernen  oder  thönernen  Kasten  mit 
einer  Mischung  von  Pottasche,  getrocknetem  Blute  und  Hornspänen  schichtete  und  je 
nach  der  Härte,  welche  man  erzielen  wollte,  die  so  beschickten  Kasten  6 — 8  Stunden  lang 
einer  strengen  Weissgluthhitze  aussetzte.  Auch  noch  heute  wird  ein  Streupulver  aus 
Blutlaugensalz,  Kalk,  Pottasche  und  Borax  zum  Härten  der  Klingen  und  Verstählen  der 
Hämmer  benutzt  Es  liegt  deshalb  die  Annahme  nahe,  dass  bei  der  Cementstahl- 
fabrication  das  Cyan  eine  wichtige  Rolle  spielt. 

Cyaninethyl  H3C.C-N  =  C2H3N,  die  Verbindung  des  Methyls  (CH3)  mit 
dem  Kohlenstoff  des  Cyans,  wird  durch  Destillation  von  methylschwefelsaurem  Kalium 
mit  Cyankalium  erhalten  und  stellt  eine  farblose  Flüssigkeit  von  ätherischem  Gerüche 
dar,  die  bei  77°  siedet  und  sich  mit  Wasser  mischen  lässt. 

Beim  isomeren  Cyanmethyl  ist  der  Stickstoff  des  Cyans  mit  CH3  verbunden. 
H3C~NC. 

Einwirkung  von  Cyanmethyl  anf  den  thierischen  Organismns.  l)  5  Grm. 
methylschwefelsaures  Calcium  und  5  Grm.  Cyankalium  wurden  benutzt.  Sobald  die 
Dämpfe,  nachdem  sie  ein  Rohr  mit  Quecksilberoxyd  passirt  hatten,  in  die  Glasglocke, 
in  welcher  eine  starke  Taube  sass,  dringen,  schüttelt  diese  mit  dem  Kopfe,  blinzelt 
mit  den  Augen  und  erhebt  den  rechten  hlügel  und  das  rechte  Bein.  Nach  1  M.  con- 
vulsivische  Zuckungen,  welche  sofort  in  Tetanus  übergehen,  dann  Zittern  des  Körpers 
bei  erweiterter  Pupille.  Herausnahme  nach  2M  ;  in  der  3.  M.  ein  einmaliges  Oeffnen 
des  Schnabels  bei  deutlichem,  aber  uuregelmässigem  Herzschlage;  nach  4  M.  schwindet 
immer  mehr  der  Herzschlag  bis  zu  dem  bald  eintretenden  Tode.  Die  Section  ver- 
unglückte. 

2)  Eine  junge  Taube  sass  in  der  Glasglocke.  l/%  Grm.  methylschwefelsaures 
Calcium  und  1  Grm.  Cyankalium  wurden  benutzt.  Beim  Eindringen  der  Dämpfe  grosse 
Unruhe  und  Kothentleerung;  nach  40  Secunden  Hinfallen  unter  leichten  convulsivischen 
Zuckungen  und  nach  1  M.  Herausnahme.  Pupille  nicht  erweitert,  Aufhören  der  Respi- 
ration, leichtes  Zucken  in  den  Beinen,  deutlicher,  aber  unregelmässiger  Herzschlag,  Aus- 
flus»  von  weisslich-trüber  Flüssigkeit  aus  dem  Schnabel;  nach  6  M.  sind  noch  einzelne 
Herzschläge  sowie  schwaches  Zucken  in  den  Zehen  bemerkbar. 

Section  12  Stunden  hernach.  Im  Schnabel  viel  wässrige  Flüssigkeit;  Hirn- 
häute schwach,  Plex.  venös,  spin.  stärker  injicirt;  in  der  Gegend  des  untersten 
Halswirbels  ein  kleines  Blutextravasat  zwischen  Dura  mater  und  Wirbel.  Die  rechte 
Lunge  ganz,  die  linke  theilweise  hellziegelroth;  auf  allen  Durchschnittsflächen 
der  Lunge  ein  reichlicher  feiner  weisser  Schaum;  die  Farbe  des  Parenchyms 
entsprach  der  der  Oberfläche.  In  dem  die  Trachea  umgebenden  Zellgewebe  ein  ober- 
flächliches Blutextravasat  im  Durchmesser  von  5  Mm. ;  die  Schleimhaut  der  Luftröhre 
ist  blass;  die  rechte  Herzhälfte  und  der  linke  Vorhof  mit  geronnenem  und  flüs- 
sigem dunkelrothem  Blute  stark  angefüllt.  Leber  und  Nieren  normal.  Das  Blut  ist 
dunkelroth  und  vorherrschend  flüssig,  an  der  Luft  wird  es  hellkirschroth;  Blutkügelchen 
unverändert.  In  der  Lunge  und  Leber  konnte  Cyan  durch  die  Analyse  nachgewiesen 
werden. 

Aus  der  intensiven  Wirkung  von  Cyanmethyl,  sowie  aus  der  Symptomato- 
logie der  Vergiftung  geht  hervor,  dass  diese  Verbindung  grade  so  wie  Blausäure 
wirkt;    auch    der    Sectionsbefund    stimmt   in    den   Hauptpuncten   mit   dem    der 


Industrie  der  Zündhütchen.  393 

Blausäurevergiftung  überein;    somit  gehört  Cyanmethyl  sicher  zu  den  giftigsten 
Körpern.28) 

Technische  Verwendung  findet  es  bei  der  Darstellung  der  Phenylfarben. 

Nitrocyanniethyl  oder  Knallsänre  CN.CH.2K02  ist  als  eine  Nitroverbindung  des 
Grubengases  in  technischer  Beziehung  sehr  beachtenswerth;  sie  existirt  nicht  im  freien 
Zustande,  bildet  aber  mit  Quecksilber  und  Silber  Salze.  Unter  diesen  ist  das  knall- 
sänre Quecksilber  CN.CHgNC^  am  wichtigsten,  weil  es  zur  Fabrication  der  Zünd- 
hütchen benutzt  wird.29) 

Industrie  der  Zündhütchen. 

Diese  in  sanitärer  Beziehung  höchst  wichtige  Industrie  beginnt  mit  der 
Darstellung  des  knallsauren  Quecksilbers.  Zu  diesem  Zwecke  löst  man 
1  Th.  Quecksilber  in  der  Wärme  in  lx\%  Th.  Salpetersäure  von  1,3  spec.  Gew.  auf 
und  giesst  die  Flüssigkeit  allmählig  in  10  Th.  Alkohol;  man  erwärmt  im  Wasser- 
bade so  lange,  bis  eine  Gasentwicklung  bemerkbar  wird,  und  entfernt  dann 
das  Gefass  aus  dem  Wasserbade.  Unter  Aufbrausen  entwickeln  sich  dann  höchst 
gefährliche  Gase  und  Dämpfe,  uuter  denen  besonders  hervorzuheben  sind: 
Blausäure,  Cyanäthyl,  Cyansäure  neben  Salpetrigsäure-Aether,  sal- 
petriger Säure  und  andern  die  Augen  stark  reizenden,  aber  noch  nicht  näher 
erforschten  Verbindungen.  Selbst  der  hierbei  im  Rückstande  gebliebene  Alkohol 
ist  wegen  seines  Gehalts  an  Cyanäthyl  mit  der  grössten  Vorsicht  zu  behandeln, 
weil  er  sonst  die  Arbeiter  in  grosse  Lebensgefahr  versetzen  kann  (s.  Cyanäthyl). 
Der  Kolben  ist  stets  mit  einem  tubulrrten  Helme  zu  versehen,  um  mittels  Kühlung 
die  grösste  Menge  der  flüchtigen  Producte  zu  condensiren,  deren  Vernichtung 
sogar  Schwierigkeiten  bereitet;  in  grossen  Fabriken  sucht  man  sie  in  alte  Kies- 
gruben abzulassen.  Stets  muss  die  ganze  Operation  unter  einem  gut  ziehenden 
Rauchfange  ausgeführt  werden. 

Das  Knallquecksilber  setzt  sich  in  seidenglänzenden  Krystallen  ab,  welche  auf 
einem  feinen  Leinentuch  gesammelt,  mit  Wasser  abgespült  und  ohne  Anwendung  von 
Wärme  getrocknet  werden.  Die  Abfallwässer  sind  sauer  und  quecksilberhaltig; 
man  behandelt  sie  am  besten  mit  Kalkhydrat  und  bringt  metallisches  Zinn  hinzu,  um 
das  Quecksilber  metallisch  auszuscheiden. 

Das  trockne  Pulver  explodirt  bei  einer  Temperatur  von  149 — 187°;  bei  gewöhn- 
licher Temperatur  zersetzt  es  sich  durch  Reiben,  Stoss  oder  Schlag;  mischt  man  es  mit 
30  %  Wasser,  so  lässt  es  sich  bei  grosser  Vorsicht  mit  einem  hölzernen  Läufer  auf  einer 
Marmorplatte  zerreiben. 

Technische  Anwendung  findet  das  Knallquecksilber  sowohl  zum  Füllen  von 
Zündhütchen  bei  Percussionsgewehren  als  auch  zur  Anfertigung  der  Zündspiegel  bei 
Zündnadelgewehren. 

Die  Zündhütchenfabrication  darf  nie  in  der  Nähe  von  menschlichen 
Wohnungen  geduldet  werden;  auch  die  einzelnen  Werkstätten  müssen  ganz  von 
einander  getrennt  werden,  so  dass  verschiedene  Räume  für  die  verschiedenen 
Manipulationen  zu  errichten  sind.  Die  Wände  müssen  aus  Holzwerk  und  der 
Boden  aus  Gips  bestehen  oder  mit  Bleiplatten  belegt  sein,  um  jede  Veranlassung 
zur  Reibung  zu  vermeiden.  Eine  offene  Feuerung  darf  nicht  geduldet  werden; 
im  Winter  ist  nur  Warmwasserheizung  zulässig. 

Als  Material  für  die  Hütchen  wird  dünnes  Kupferblech  benutzt;  ihre  Herstellung 
wird  durch  Maschinen  bewirkt,  wobei  ein  Stosswerk  die  Blechscheiben  ausschneidet; 
gleichzeitig  werden  die  Kapseln  geformt.  Die  Josten'sche  Maschine  vermag  täglich 
9000  Kapseln  zu  Hefern. 

Bei  der  Bereitung  des  Zündsalzes  gebraucht  man  ein  Gemenge  von 
Knallquecksilber  mit  Kalisalpeter  und  Schwefel,  seltner  mit  chlorsaurem  Kalium 
oder  Kohle,  häufig  nur  mit  Mehlpulver;    die  Zusätze,  welche  dazu  dienen,  die 


394  Methylverbindungen. 

Wirkung  des  Zersetzungsprocesses  nachhaltiger  zu  machen,  mengt  man  zuerst 
mit  schwachem  Gninmiwasser  mittels  hölzerner  Reiber  auf  einer  Marmorplatte 
und  fügt  schliesslich  das  feuchte  Knallquecksilber  hinzu;  die  Wassermenge  muss 
ungefähr  30£  des  Knallquecksilbers  betragen. 

Das  Körnen  des  Zündsatzes  ist  die  gefährlichste  Arbeit,  weil  hierbei  schon 
mit  einer  nicht  mehr  ganz  feuchten  Masse,  die  zu  Explosionen  geneigter  ist, 
manipulirt  werden  muss.  Das  betreffende  Arbeitslocal  muss  isolirt  liegen  und 
von  der  oben  angegebenen  Constenction  sein,  während  der  Arbeitstisch  mit  Woll- 
zeug überzogen  und  mit  Wachstuch  bedeckt  ist.  Diese  Bedingungen  müssen  bei 
jeder  Concessionsverleihung  vorgeschrieben  werden.  Das  Körnen  wird 
mittels  Haarsieben  bewirkt,  die  unten  durch  eine  Bleiplatte  einen  Verschluss  er- 
halten und  nach  jedem  Gebrauche  durch  sehr  verdünnte  Schwefelsäure  zu 
ziehen  sind. 

Hierauf  folgt  das  Schütteln  der  gekörnten  Masse  in  einer  mit  Stanniol 
gefütterten  Büchse,  um  sie  consistenter  zu  machen. 

Das  Trocknen  der  Masse  geschieht  auf  ausgebreitetem  Papier,  iu  Holz- 
kasten, die  auf  Repositorien  in  der  Nähe  eines  Trockenofens  aufgestellt  sind.  Es 
ist  hierbei  die  Vorsicht  zu  beachten,  dass  das  dazu  benutzte  Papier  mit  ver- 
dünnter Salzsäure  behandelt  werde,  um  jede  Spur  von  etwa  noch  anhängendem 
Knallquecksilber  unwirksam  zu  machen.  Die  hier  und  beim  Durchziehen  der 
Siebe  entstehenden  Waschwässer  sind  wegen  ihres  Quecksilbergehalts  nach  der 
oben  angegebenen  Weise  zu  behandeln.  Die  Körner  sind  in  Büchsen  mit  lackirtem 
Pappendeckel  aufzubewahren. 30) 

Das  Laden  der  Hütchen  und  das  Aufspiessen  eines  Kupferblättchens  auf  das 
Zündkorn  geschieht  gegenwärtig  mittels  der  höchst  sinnreichen  Josten 'sehen  Maschine 
und  ist  die  hiermit  verbundene  Gefahr  auf  ein  Minimum  reducirt,  wenn  die  notwen- 
dige Vorsicht  dabei  beobachtet  wird.  Selbst  beim  Eintritt  einer  Explosion  ist  der 
Arbeiter  durch  seinen  Stand  hinter  einem  schmiedeeisernen  Mantel  geschützt.  Ein 
Hütchen  enthält  durchschnittlich  15  —  16  Mgrm.  Zündmasse. 

Beim  Laden  entsteht  stets  mehr  oder  weniger  Staub;  wenn  die  Quantität 
desselben  auch  gering  ist,  so  verdient  doch  seine  Qualität  die  grösste  Beachtung; 
iu  der  That  beobachtet  man  auch  bei  den  betreffenden  Arbeitern  häufig  ein 
blasses  und  kachektisches  Aussehen  sowie  mehr  oder  weniger  Spuren  einer  Queck- 
silberkachexie,  die  sich  besonders  am  Zahnfleisch  äussert.  Dass  hierbei  das  Tragen 
von  Masken  oder  Respiratoren  nothwendig  ist,  wird  besonders  durch  den  Umstand 
erhärtet,  dass  in  einer  preussischen  Fabrik  sogar  die  Knaben,  welche  den  pressen- 
den Männern  'zur  Hand  gingen,  sowie  die  Mädchen,  welche  mit  dem  Sortiren  der 
Zündhütchen  im  Laderaum  beschäftigt  waren,  Mercurialaffectionen  des  Zahn- 
fleisches darboten.  Sanitätswidrig  waren  in  diesem  Falle  schon  der  Mangel  eines 
getrennten  Raumes  für  das  Sortiren  sowie  die  Zulassung  von  Knaben  zu  einer 
so  gefährlichen  Arbeit;  höchstens  dürften  in  einem  getrennten  Sortirraume  junge 
Personen  beschäftigt  werden.  Frauen  sollten  überhaupt  zu  solchen  Fabriken  gar 
nicht  zugelassen  werden. 

In  einigen  Fabriken  feuchtete  man  früher  die  Zündmasse  mit  Harzlösungen  an, 
um  sie  vor  Feuchtigkeit  zu  schützen:  eine  Auflösung  von  Schellack  in  Alkohol  oxydirt 
aber  leicht  das  Kupfer  und  zersetzt  auch  häufig  die  Zündmasse:  man  zieht  daher  in 
solchen  Fällen  eine  Auflösung  von  Mastix  in  Terpentinöl  vor.  Auch  die  fertige  Waare 
muss  sorgfältig  vor  Feuchtigkeit  'geschützt  werden ,  weil  sonst  das  Knallquecksilber 
krystallinisch  austritt,  wodurch  seine  Explosivität  ganz  bedeutend  gesteigert  wird. 

Die  Aufbewahrung  der  fertigen  Waare  geschieht  in  Schachteln,  welche  in  mit 
Tuch  oder  Leder  ausgeschlagene  Kisten  gepackt  werden,  wobei  man  die  Zwischenräume 


Cyanursäure.  .  395 

mit  Seegras  u.  s.  w.  ausfüllt.     Der  Transport  ist  nicht  gefährlich;  selbst  wenn  Feuer  die 
Kisten  ergreifen  sollte,  erfolgt  das  Verbrennen  ohne  Explosion. 

Oxydationsproducte  der  Blausäure. 

1)  Cyansäure  CONH  kommt  bei  einzelnen  chemischen  Operationen  als  Spaltungs- 
product  vor.  Sie  wird  dargestellt  durch  Erhitzen  der  Cyanursäure  und  stellt  eine  unter 
0°  sich  verdichtendes,  nicht  giftiges  Gas  dar,  welches  mit  Wasser  schnell  in  Kohlen- 
säure und  Ammoniak  zerfällt: 

CONH  +  H2  0  =  CO.,  +  NH3. 
Wirkung  der  Cyansäure  auf  den  ttaerischen  Organismus.  Das  Gas,  welches 
durch  Erhitzen  von  -4  Grm.  reiner  Cyanursäure  dargestellt  worden,  wurde  einer  in  der 
Glasglocke  sitzenden  Taube  zugeleitet.  Es  traten  starkes  Blinzeln  mit  den  Augen, 
starker  Ausfiass  aus  dem  Schnabel  und  beschleunigte  Respiration  mit  aufgesperrtem 
Schnabel  ein.  Nach  30  M.  blieb  der  Zustand  derselbe.  Nach  der  Herausnahme  verliert 
sich  die  beschwerliche  Respiration  sofort,  nur  gelindes  Schleimrasseln  und  vermehrte 
Inspirationen  sind  noch  bemerkbar,  dann  erholt  sie  sich  sofort  und  bleibt  gesund. 

Cyansaures  Ammonium  CON(CH4)  entsteht,  wenn  man  Cyansäuregas  mit 
Ammoniakgas  zusammenleitet:  kocht  man  diese  Verbindung  mit  Wasser,  so  zerfällt  sie 
in  Harnstoff  C0N(NH4)  =  CH4N,0. 

Cyansäure-Methyläther  CON(CH3)  wird  aus  methylschwefelsaurem  Kalium  und 
cyansaurem  Kalium  als  eine  flüchtige,  die  Augen  sehr  reizende  Flüssigkeit  erhalten. 

Substitution  des  Sauerstoffs  der  Cyansäure  durch  Schwefel. 

Sulfocyansäure,  Schwefelcyanwasserstoffsäure.  Rliodanwasserstoffsäure  CS  NE. 
Sie  stellt  eine  nach  Essigsäure  riechende,  ölige  Flüssigkeit  dar,  die  auch  sauer  schmeckt. 
Die  destülirten  Wässer  der  Cruciferen,  namentlich  von  Cochlearia,  Senf  und  Rettig 
zeigen  mit  Eisenoxydsalzen  die  Reaction  auf  Schwefelcyanwasserstoff,  indem  sie  dadurch 
blutroth  gefärbt  werden.  Man  erhält  die  Säure  aus  methylschwefelsaurem  Kalium 
und  Sulfocyankaliuni :  die  ihr  entsprechenden  Aether  heissen  Senföle.  Sie  zerfällt 
leicht  in  Cyanwasserstoff  und  Persulf ocyansäure  C2N2H2S3,  ist  aber  unzersetzt 
nicht  giftig.31) 

Sulfocyankalium,  Rhodankalium  CNSK*)  entsteht  durch  Erhitzen  von  Cyan- 
kalium  mit  Schwefel  oder  Schwefelmetallen: 

CNK-f-S  =  CNSK. 
Dieser  Körper  ist  nur  in  grossen  Dosen  giftig.32) 

2)  Cyanursäure  C303N3H3  ist  ein  Zersetzungsproduct  der  Harnsäure  oder  des 
Harnstoffs :  bei  Wollbränden  tritt  sie  in  Verbindung  mit  Ammoniak  auf.  Nach  Wähler 
erhält  man  sie,  wenn  man  Harnstoff  so  lange  vorsichtig  über  seinen  Schmelzpunct  er- 
hitzt, bis  die  Ammoniakbildung  aufhört  und  derselbe  sich  in  eine  grauweisse,  trockne 
Masse  verwandelt  hat.  Das  Product  ist  unreine  ammoniakhaltige  Cyanursäure,  welche 
man  durch  Auflösen  in  Kalilauge  und  Zersetzen  des  gebildeten  Salzes  mittels  Salzsäure 
als  farblose  Krystalle  erhält. 

Es  treten  bei  diesem  Processe  3  Molec.  Harnstoff  zusammen  und  geben  3  Molec. 
Ammoniak  ab : 

3  CO  N2  H4  —  3  NH3  =  C3  03  N3  H3. 

Erhitzt  man  die  aus  Vogelexcrementen  gewonnene  Harnsäure,  so  erhält  man  ein 
Gemisch  von  Cyansäure,   Cyanursäure,  cyanursaur em  Ammonium  und  Koh- 

*)  Es  ist  hier  noch  des  sogen.  Pseudo-Schwefelcyans  zu  erwähnen,  welches 
früher  als  CNS  aufgefasst  "wurde,  wahrscheinlich  aber  C3N3S3H  ist,  im  Gaswasser 
und  Gaskalke  vorkommt  und  clirect  durch  Einwirkung  von  Chlor  oder  Salpetersäure 
auf  eine  Lösung  von  Rhodankalium  als  ein  orangegelbes  amorphes  Pulver  gewonnen 
wird.  Es  ist  nicht  giftig  und  erzeugte,  wie  aus  folgendem  Versuche  hervorgeht,  eigen- 
tümliche Erscheinungen: 

Einer  Taube  wurden  innerhalb  2  Tagen  zwei  Mal  0,25  Grm.,  somit  im  Ganzen 
0,5  Grm.  davon  eingeflösst.  In  den  ersten  4  Tagen  verräth  sie  ein  allgemeines  Unbe- 
hagen durch  starkes  Aufblähen  und  mangelnde  Fresslust,  wobei  die  Excremente  gelb 
gefärbt  sind:  nach  8  Tagen  wurden  letztere  grün  und  dann  blaugrün;  ihre  chemische 
Untersuchung  ergab  einen  Gehalt  an  Berliner  blau,  ein  Beweis,  dass  eine  Zersetzung 
der  Verbindung  stattgefunden  und  durch  die  Gegenwart  von  Eisen  im  Thierkörper  sich 
Ferrocyan  gebildet  hatte,  welches  im  weitern  Verlaufe  die  Entstehung  von  Berlinerblau 
veranlasst  hatte.  Die  Ausscheidung  von  Berlinerblau  hielt  8  Tage  lang  an ,  wonach  sich 
die  Taube  vollständig  erholte  und  auch  gesund  blieb. 


396  Methylverbindungen. 

lensäure.  Die  Zersetzungsproducte  sind  ähnlich  denen,  welche  sich  bei  der  Fabri- 
cation  des  Blutlaugensalzes  bilden,  wenn  Aetzalkalien  mit  thierischen  Substanzen  zu- 
sammentreten. 

Direct  stellt  man  sie  durch  Einwirkung  von  Wasser  auf  festes  Chlorcyan  dar: 
03N3Cl84-3HaO  =  Ca08N!H84-3HCl. 

Einwirkung  von  Cyanursänre  auf  den  thierischen  Organismus,  l)  5  Gramm 
Harnsäure  wurden  in  eine  Retorte  gegeben,  die  auf  ein  Drahtnetz  gebettet  und  erwärmt 
wurde.  Sobald  die  Dämpfe  in  die  Glocke,  unter  der  eine  Taube  sich  befand,  dringen, 
beschleunigt  sich  die  Respiration,  die  Taube  wird  unruhig,  schlägt  stark  mit  den  Flügeln, 
dreht  den  Kopf  seitwärts  und  fällt  nach  2  M.  athemlos  hin.  Nach  der  Herausnahme 
sind  nur  noch  ein  paar  Herzschläge  zu  hören. 

Section  3  Stunden  hernach.  Pupille  sehr  erweitert,  Hals  schwanenartig  gebogen, 
Pia  mater  schwach  injicirt,  die  Hinterhauptsknochen  blutig  durchtränkt,  in  der  Um- 
gebung der  Med.  oblong,  ziemlich  viel  flüssiges  Blut;  beim  Durchschneiden  der  Brust- 
muskeln fliesst  dunkles  flüssiges  Blut  aus;  im  Zellgewebe  der  Umgebung  des  Kehlkopfs 
ein  Blutextravasat  im  Durchmesser  von  0,02  Mm.  Lungen  hellroth,  an  der  Basis 
etwas  braunroth;  an  der  vordem  Fläche  des  linken  obern  Lungenlappens  eine  erbs  en- 
grosse Ekchymose  unter  der  Pleura;  auf  den  Durchschnittsflächen  der  Lunge 
tritt  beim  Zusammendrücken  flüssiges,  schäumiges  Blut  hervor.  Lufröhren- 
schleimhaut  schwach  injicirt;  das  Herz  strotzt  von  dickflüssigem,  dunkelkirschrothem 
Blute,  welches  an  der  Luft  hellroth  wird.  Leber  und  Nieren  blutreich.  Lunge  und 
Leber  wurden  einer  chemischen  Untersuchung  untei'worfen,  indem  der  alkoholische  Aus- 
zug destillirt  und  das  Destillat  mit  Kalilauge  versetzt  wurde.  Nachdem  oxydhaltiger 
Eisenvitriol  zugegeben,  der  Weingeist  im  Wasserbade  abgedampft  und  der  Rückstand 
mit  verdünnter  Salzsäure  übersättigt  worden,  schied  sich  sofort  ein  dunkelblauer  Nieder- 
schlag von  Eisencyanürcyanid  (Berlinerblau)  aus,  ein  sicherer  Beweis,  dass  das  Blut 
Blausäure,  das  Zersetzungsproduct  der  Cyanursäure,  aufgenommen  hatte. 

2)  Bei  einem  zweiten  Versuche  traten  nach  dem  Sichtbarwerden  der  Dämpfe  in 
der  Glocke  bei  einer  Taube  grosse  Unruhe,  Blinzeln  mit  den  Augen,  Schütteln  des 
ganzen  Körpers  und  nach  2  M.  Würgen  und  Erbrechen  ein.  Nach  3  M.  sehr  beschleu- 
nigte Respiration,  Hinfallen,  krampfhaftes  Aufschlagen  mit  den  Flügeln,  Drehen  des 
Halses  nach  der  linken  Seite  und  Aufhören  der  Athmung.  Bei  der  sofortigen  Heraus- 
nahme zeigen  sich  die  Augen  mit  Thränenflüssigkeit  angefüllt  und  die  Pupillen  erweitert ; 
noch  5  M.  lang  war  ein  schwacher,  unregelmässiger  Herzschlag  bemerkbar. 

Section  2  Stunden  hernach.  In  der  Umgebung  der  Med.  oblong,  mehr  flüssiges 
Blut  als  in  den  Gehirnhäuten.  Lungen  hellroth,  auf  ihren  Durchschnittsflächen  helles 
flüssiges  Blut;  an  der  hintern  Fläche  des  linken  Lungenlappens  vier  3  Milliin.  breite 
Ekchymosen  unter  der  Pleura.  Auf  der  Trachealschleimhaut  an  der  Theilungsstelle 
eine  dünne  Lage  von  wässrig-blutiger  Flüssigkeit.  Das  ganze  Herz  strotzt  von  dick- 
flüssigem, schwärzlich  -  rothem  Blute,  das  an  der  Luft  hellroth  wird.  Leber  und 
Nieren  blutreich.  In  Luage  und  Leber  konnten  nur  Spuren  von  Cyan  resp.  Cyan- 
wasserstoff säure  nachgewiesen  werden. 

Die  Erscheinungen  während  des  Lebens,  namentlich  die  plötzliche  Sistirung 
der  Respiration  sowie  der  Sectionsbefund  und  die  chemische  Analyse,  lassen  es 
ausser  Frage  gestellt,  dass  bei  der  Einwirkung  der  Dämpfe  Cyanwasserstoff 
den  letalen  Ausgang  bedingt  hat. 

E.    Arsenhaltige  Derivate. 

Arsendimethyl,  Kakodyl  (CH3)4As3  wird  durch  Destillation  von  trocknem  Kalium- 
acetat  und  arseniger  Säure  zu  gleichen  Theilen  dargestellt.  Eine  höchst  unangenehm 
riechende  Flüssigkeit,  welche  bei  170°  siedet,  an  der  Luft  raucht  und  sich  entzündet. 
Bei  langsamer  Oxydation  bildet  sich  das  betreffende  Oxyd. 

kakodyloxyd,  Alkarsin  (CH3)4As.jO,  ein  höchst  widerlich  riechendes  Oel,  das 
bei  150°  siedet  und  das  Hauptproduct  bei  der  obigen  Destillation  ist. 

Kakodjisäure,  Diniethylarsinsänre  (CH3)2As02H  bildet  sich  bei  der  langsamen 
Oxydation  von  Kakodyloxyd  und  stellt  geruch-  und  geschmacklose  Krystalle  dar,  die 
bei  200°  schmelzen.  Nach  /i>//r33)  kann  mau  2 — 3  Gran  täglich  davon  nehmen;  nach 
10 — 20  Gran  wird  die  Exspirationsluft  eine  sehr  widerliche,  dem  Knoblauchsgeruche  ähn- 
liche und  bei  höbern  Dosen  noch  penetranter.  Ausser  Pulsbeschleunigung  erzeugt  die 
Säure  Schlaflosigkeit,  unangenehmes  Aufstossen,  Trockenheit  des  Mundes,  Appetitmangel 
und  bisweilen  auch  Eingenommenheit  des  Kopfes. 

Wie  -die  Arsensäure  weniger  giftig  einwirkt  als  die  arsenige  Säure,  so  verhält  es 
sich  ganz  besonders  mit  der  höhern  Oxydationsstufe  des  Kakodyls,  mit  der  Kakodyl- 


Methylquecksilber.  397 

säure,  im  Vergleiche  mit  Kakodyl  und  Kakodyloxyd,  welche  die  "Wirkung  des  Arsens 
in  höherm  Grade  zu  entfalten  -vermögen.34) 

Die  Schwierigkeit,  diese  Verbindungen  ganz  rein  darzustellen,  machte  die  Aus- 
führung genauerer  Versuche  unmöglich. 

Technische  Bedeutung  haben  diese  Körper  nicht  und  sie  treten  nur  zufällig 
bei  chemischen  Processen  auf.35) 

F.    Phosphorhaltige   Derivate. 

Verbindungen,  welche  statt  des  Stickstoffs  Phosphor  enthalten,  heissen  Phos- 
phine  und  entsprechen  den  Aminen.     Sie  haben  noch  keinen  technischen  Werth. 

G.    Verbindungen  des  Methyls  (CH3)  mit  Metallen. 

Methyl quecksilher  (CH3)2Hg  ist  unter  diesen  Verbindungen  ganz  besonders  wegen 
seiner  giftigen  Eigenschaften  bekannt  geworden;  es  entsteht  bei  der  Einwirkung  von 
Jodmethyl  auf  Natriumamalgam: 

2  CH3  J  -+-  Na2  Hg  =  (CH3)2  Hg  -4-  2  Na  J. 

Methylquecksilber  wurde  1858  zuerst  von  Buckton  als  eine  schwach  süsslich 
riechende  und  widerlich  ätherisch  schmeckende  Flüssigkeit  von  3,069  spec  Gewicht 
dargestellt,  deren  Siedepunct  zwischen  93—96°  liegt  und  einen  Quecksilbergehalt  von 
87%  besitzt. 

Bei  dem  Laboranten,  welcher  sich  3  Monate  lang  mit  der  Darstellung  desselben 
beschäftigt  hatte,  trat  zuerst  Amblyopie  ohne  nachweisbare  Veränderungen  ein,  dann 
gesellten  sich  Steifigkeit  der  Hände,  Schwerhörigkeit,  grosse  Schwäche,  Wundsein  des 
Zahnfleisches,  ein  sehr  unangenehmer  Geruch  des  Athems  und  Albuminurie  hinzu. 
Nächtliche  Delirien  wechselten  mit  Coma  am  Tage  ab.  Auffallend  war  eine  höchst 
unregelmässige  Respiration ;  zwei  Tage  vor  dem  Tode  ging  das  Gefühl  zuerst  theilweise, 
dann  am  ganzen  Körper  verloren ;  zugleich  war  starke  Mydriasis  vorhanden.  Die  Section 
wies  bedeutende  Hyperämie  des  Gehirns  und  seiner  Häute  sowie  Nephritis  nach. 

Bei  einem  andern  Chemiker  trat  ebenfalls  Amblyopie  zuerst  auf,  gleichzeitig  aber 
Schwindel,  TJebelkeit  und  Erbrechen  grüner  Masser>.  Obgleich  nach  14  Tagen  Besserung 
eintrat  und  die  Beschäftigung  mit  Quecksilbermethyl  nicht  wieder  aufgenommen  wurde, 
zeigten  sich  nach  6  Wochen  wiederum  Abnahme  des  Sehvermögens,  Verlust  des  Ge- 
schmacks, Unempfindlichkeit  der  Zunge,  Speichelfli  ss,  Taubheit  und  Verlust  des  Gefühls 
an  Händen  und  Füssen.  Nach  mehreren  Tagen  dit  ser  Leiden  wird  der  Kranke  vorüber- 
gehend bewusstlos  mit  keuchendem  Athem,  bis  sich  im  Verlauf  von  4  Monaten  ein  förm- 
licher Blödsinn  bei  Sprach  üi  an  gel  und  Taubheit  entwickelt.  Auch  hier  wurden  ein 
fötider  Geruch  und  nächtliche  Delirien  beobachtet :  Eiweiss  im  Harn  fehlte.  Unter 
grosser  Abmagerung  hielt  dieser  Zustand  %  Jahre  lang  an;  dann  starb  Patient  unter 
den  Erscheinungen  der  Pneumonie. 

Bei  der  Section  fard  sich  die  rechte  Pupille  weiter  als  die  linke;  Arachnoidea 
im  Longitudinalspalt  verdickt,  über  dem  Cerebellum  etwas  opak,  graue  Hirnsubstanz 
blassroth,  Nierenkapsel  aühärent,  Oberfläche  rauh  und  hyperämisch,  Pyramiden  ent- 
zündet, Rindensubstanz  vergrössert,  linien-  und  punetförmig  congestionirt,  Medullar- 
substanz  schwach  ödematös,  Mucosa  des  Nierenbeckens  ent/ävndet:  Schleimhaut  an  der 
hintern  Fläche  der  Blase  ekehymosirt  und  entzündet.  Lungenhepatisation  linkerseits, 
Oedem  des  rechten  untern  Lappens.36) 

Die  grosse  Gefahr  dieser  Verbindungen  des  Methyls  mit  Metallen  beruht  in  ihrem 
dunstförmigen  Auftreten;  sie  dringen  daher  inhalirt  rasch  in  den  Kreislauf  des  Blutes 
und  lagern  das  Metall  in  den  verschiedenen  Organen  ab.  Ausser  Quecksilber  sind  es 
noch  Zink,  Zinn  und  Blei,  welche  als  Zinkmethyl  (CH3)2Zn,  Zinntetramethyl 
(CH3)4Sn,  Bleitetramethyl  (CH3)4Pb  bekannt  sind  und  die  diesen  Metallen  eigen- 
tümliche Wirkung  zeigen. 


398  Aethylverbindungen. 


C2  Gruppe. 
Aethylverbindungen. 

A.    Kohlenwasserstoffe. 

a)  Aethylwasserstoff,  Dimethyl,  Aetlian  CH3~CH3  oder  C.H6  kommt  unter  den 
Gasen  des  Petroleums  und  zuweilen  im  Leuchtgase  vor.  Man  erhält  es  durch  Einwir- 
kung von  Wasser  auf  Zinkäthyl: 

(C2H5)2Zn  +  2H20  =  2C2H6  +  ZnH2  02. 
Ein  färb-  und  geruchloses  Gas,  welches  mit  schwachleuchtender  Flamme  brennt 
und  nach  Riehardxon  narkotisirend  und  anästhesirend  wirken  soll.1) 

b)  Aeihyleii,  schwerer  Kohlenwasserstoff,  ölhildendes  Gas,  Elaylgas  CH^CHs 
=  C2H4  kommt  selten  frei  unter  den  feurigen  Schwaden  der  Steinkohlenbergwerke  vor; 
unter  den  Gasen  der  Petroleumcjuellen  fehlt  es  nicht,  während  es  den  wesentlichen  Theil 
des  Leuchtgases  ausmacht. 

Dargestellt  wird  es  durch  Erhitzen  von  Aethylalkohol  mit  Schwefelsäure,  wobei 
dem  erstem  1  Mol.  "Wasser  entzogen  wird: 

CH3"CH8OH  =  CH2=CH2  +  H20. 

Ein  farbloses,  eigenthümlich  riechendes  Gas,  das  zur  vollständigen  "Verbrennung 
5  Vol.  Sauerstoff,  also  15  Vol.  atmosphärischer  Luft  bedarf.  Ein  Flachbrenner  con- 
surnirt  5—6  C.-F.  und  ein  Argand'scher  Brenner  8—9  C.-F.  pro  Stunde. 

Mit  Chlor  bildet  es  eine  ölartige  Flüssigkeit,  weshalb  es  auch  Elayl  (eXatov, 
Oel   und  äXi]  Materie)  genannt  wird. 

Einwirkung  des  Aethylens  anf  den  thierischen  Organismus,  l )  Eine  Taube 
sitzt  in  der  Glocke.  Das  Gas  ist  durch  concentrirte  Schwefelsäure  geleitet  und  über 
Kalk  aufbewahrt  worden,  um  es  von  Aetherdämpfen  resp.  schwefliger  Säure  zu  reinigen. 
Es  wurde  1  %  Gas  verbraucht.  Grosse  Unruhe  und  Flugversuche  beim  Einleiten  des 
Gases;  nach  2  M.  Zucken  mit  dem  rechten  Beine;  sie  fällt  mehrmals  hin,  erhebt  sich 
aber  sofort  wieder;  Zucken  im  rechten  und  linken  Beine.  Nach  8  M.  wird  sie  ruhig, 
schüttelt  und  bläht  sich.  Diese  Erscheinungen  wiederholen  sich.  Nach  20  M.  Heraus- 
nahme bei  etwas  angestrengter  Respiration;  die  Restitution  tritt  bald  ein. 

2)  Eine  Taube  sitzt  in  der  grossen  Glasglocke.  Allmählige  Zuleitung  von  3  % 
Gas,  wodurch  ähnliche  Erscheinungen  hervorgerufen  werden.  Nach  25  M.  Herausnahme 
der  Taube;  sie  pickt  noch  vielfältig  zwischen  den  Federn,  erholt  sich  aber  rasch. 

3)  Eine  Taube  sitzt  in  dem  grossen  Glaskasten,  in  welchen  nach  und  nach  16  Liter 
resp.  30  %  Gas  eingeleitet  werden.  Nach  23  M.  legt  sie  den  Kopf  etwas  zur  Seite,  beim 
Versuche _  aufzustehen  fällt  sie  bei  beschwerlicher  Respiration  hin;  geringes  Würgen, 
convulsivisches  Zucken  mit  den  Flügeln;  nach  28  M.  9  sehr  tiefe  und  angestrengte 
Inspir.,  die  rasch  abnehmen,  so  dass  die  Taube  nach  30  M.  ganz  asphyktisch  heraus- 
genommen wird.  Ohne  eine  Spur  von  Athembewegung  bleibt  der  Herzschlag  1  Minute 
lan°;  ganz  regelmässig,  in  der  2.  Minute  wird  er  unregelmässig,  immer  seltner  und  ist 
in  der  3.  Minute  verschwunden.  Die  Pupille  ist  erweitert  und  die  Körperwärme  nimmt 
langsam  ab. 

Section  14  Stunden  hernach.  Hirnhäute  hyperämisch,  Lungen  hellroth  mit 
partieller  bräunlicher  Marmorirung,  auf  den  Durchschnittsüächen  treten  überall  schwarze 
Blutpuncte  aus;  an  der  untern  Fläche  der  Lungen  einige  schwarzrothe  Ekchymosen,  die 
Schleimhaut  der  Trachea  schwach  injicirt.  Das  Herz  ist  mit  flüssigem  Blute  ange- 
füllt: auch  alle  grössern  Venen  enthalten  flüssiges  Blut.  Das  dunkelbraunrothe  Blut 
röthet  sich  an  der  Luft  lebhaft. 

4)  Im  Glaskasten  sitzt  ein  grosses  Kaninchen,  welches  unter  der  Einwirkung  von 
30  nach  30  M.  in  Narkose  verfällt,  nachdem  die  anfangs  sehr  beschleunigte  Inspiration 
wieder  regelmässig  geworden  war.  Bei  Herausnahme  des  Thiers  ist  die  Pupille  er- 
weitert, der  Bulbus  unempfindlich.  Nach  2  M.  Versuch  den  Kopf  zu  erheben;  vollstän- 
dige Restitution  nach  1  Stunde. 

Aus  den  vorstehenden  Versuchen  geht  die  anästhesirende  Wirkung  des 
Aethylens  unzweifelhaft  hervor;  es  nimmt  in  dieser  Beziehung  die  erste  Stelle 


Acetylen.  399 

unter  den  Aethylverbindungen  ein,  welche  als  Anaesthetica  bekannt  sind.  Mit 
atmosphärischer  Luft  hinreichend  verdünnt,  erzeugt  es  keinen  nachhaltigen 
Schaden,  da  es  das  Blut  nicht  der  Fähigkeit  zur  Aufnahme  des  Sauerstoffs  be- 
raubt. Aus  dem  vierten  Versuche  geht  aber  hervor,  dass  es  bei  Kaninchen  schon 
bei  30  %  der  Luft  beigemischt  die  Respiration  zuerst  sehr  anregt,  ehe  die  Narkose 
eintritt,  während  dieser  Procentsatz  bei  der  Taube  (dritter  Versuch)  Lähmung  der 
Athmung  und  Tod  durch  Asphyxie  herbeiführte,  wofür  der  Sectionsbefund 
(Hyperämie  des  Herzens  sowie  der  Lunge  nebst  Ekchymosen)  spricht.  Der  vor- 
handene Sauerstoff  reichte  somit  für  den  Respirationsprocess  nicht  aus  und  die 
deletäre  Wirkung  des  Gases  machte  sich  geltend.  Aethylen  nimmt  daher  in 
seiner  Wirkung  auf  den  thierischen  Organismus  entschieden  eine  andere  Stellung 
ein  als  der  Methylwasserstoff  und  gibt  sich  selbst  bei  diesem  schwächsten 
Anaestheticum  eine  eigenthümliche  Beziehung  zum  Athmungscentrum  kund. 

c)  Acetylen  CH~  CH  =  C2H2  kommt  fertig  gebildet  im  Leuchtgase  vor  und  tritt 
als  unvollständiges  Verbrennungsproduct  bei  der  Verbrennung  kohlen-  und  wasserstoff- 
haltiger  Substanzen  (Leuchtgas,  Aether,  Benzol)  sowie  bei  der  Fäulniss  auf:  auch  bildet 
es  sich  beim  Durchleiten  von  Aether  und  Alkohol  durch  glühende  Röhren. 

Berthelot  stellte  es  zuerst  1859  direct  aus  Kohlenstoff  und  Wasserstoff  dar  und 
lieferte  somit  das  erste  Beispiel  einer  directen  Verbindung  dieser  Elemente.  Nach  Rieth 
erhält  man  es  durch  unvollkommeneVerbrennung  des  Leuchtgases  in  einem  ß;/?ise»'schen 
Brenner  neben  Kohlensäure  und  Kohlenoxyd:  letzteres  entfernt  man,  indem  man  das 
Gas  durch  eine  ammoniakalische  Lösung  von  Kupferchlorür  leitet.  Es  bildet  sich  hierbei 
ein  rother  Niederschlag  von  Aeetylen-Kupfer,  welches  durch  Hammerschläge  oder 
Erhitzen  zur  Explosion  gebracht  werden  kann.  Diese  Verbindung  bildet  sich  bekannt- 
lich in  kupfernen  Gasleitungsröhren;  werden  diese  durchsägt,  so  kann  in  Folge  der 
mittels  Reibung  erzeugten  Wärme  eine  Explosion  veranlasst  werden. 

Acetylen  ist  ein  farbloses,  mit  russender  Flamme  brennendes  und  unangenehm 
riechendes  Gas;  der  Geruch  erinnert  an  russende  Gas-  und  Oellampen. 

Wirkung  des  Acetylens  auf  den  thierischen  Organismus.  1)  Acetylen  wurde 
durch  partielle  Verbrennung  des  Leuchtgases  dargestellt  und  nach  der  Reinigung  in 
einen  Gasometer  und  aus  diesem  in  einen  Zinkkasten  geleitet,  worin  eine  Taube  sass. 
Nach  10  M  Schwanken,  Zittern,  Brechen,  convulsivische  Bewegungen,  krampfhafte  In- 
spiration mit  weitem  Aufsperren  des  Schnabels  und  dann  die  heftigsten  Convulsionen, 
welche  die  Taube  im  Kasten  herumschleuderten.  Nach  11  M.  Herausnahme  in  vollstän- 
diger Asphyxie,  nur  ein  undeutlicher  Herzschlag  ist  wahrnehmbar :  nach  30  Secunden 
Aufsperren  des  Schnabels,  Bauchlage  und  es  beginnt  eine  angestrengte  Respiration;  nach 
1  M.  Gehversuche  und  Taumel,  nach  3  M.  ziemlich  sicheres  Gehen,  nach  5  M.  ist  die 
Respiration  noch  etwas  beschleunigt,  die  Herz action  sehr  verstärkt ;  die  Erholung  erfolgt 
nach  15  M.    Die  Menge  des  zugeleiteten  Gases  entsprach  0,3  Vol.-Proc. 

2)  Bei  1  Vol.-Proc.  des  Gases  verfiel  ein  Meerschweinchen  im  Zinkkasten  nach 
5  M.  ohne  vorhergehende  Convulsionen  in  Narkose.  Die  Athmung  sistirte  bei  einem 
schwachen,  aber  regelmässigen  Herzschlage,  trat  aber  ganz  allmählig  wieder  ein,  während 
die  Pupille  noch  erweitert  blieb.     Nach  5  M.  vollständige  Restitution. 

3")  Ein  %  Fuss  hoher  lj ähriger  Hund  sass  im  kleinen  Zinkkasten  und  verfiel  bei 
ca.  1  Vol.-Proc.  des  Gases  nach  5  M.  in  vollständige  Asphyxie,  wobei  sich  der  Körper  wie 
eine  todte  Masse  hin  und  her  bewegen  liess.  Bei  hervortretenden  Augen  und  erweiterter 
Pupille  ist  nur  ein  schwacher  Herzschlag  hörbar.  1  M.  hernach  Wiederkehr  der  Respi- 
ration, in  der  3.  M.  Erbrechen  und  Bewegungen,  in  der  6.  M.  schwankendes  Gehen  und 
nach  10  M.  anscheinende  Restitution.  Das  Thier  füllte  den  Kasten  fast  vollständig  aus, 
so  dass  das  zugeleitete  Gas  sofort  inhalirt  wurde. 

4")  Ein  Meerschweinchen,  welches  kurz  vorher  durch  Acetylen  anästhesirt  worden 
war,  wurde  nochmals  in  eine  Atmosphäre  gebracht,  welche  1,5  Vol.-Proc.  des  Gases 
enthielt.  Nach  15  M.  vollständige  Asphyxie  bei  offenstehenden  Augen  mit  erweiterter 
Pupille  und  kaum  bemerkbarem  Herzschlage,  der  nach  6  M.  vollständig  aufhörte. 

Section  20  Stunden  hernach.  Hirnhäute  und  Plex.  venös,  spin.  blutreich: 
einzelne  Partien  der  Lunge  knistern  nicht  beim  Durchschneiden,  auf  den  Durchschnitts- 
flächen zeigt  sich  ein  blassrother  Schaum;  die  Farbe  der  Lunge  rothbraun,  auch 
die  Schleimhaut  der  Trachea  rothbraun  injicirt;  das  rechteHerz  strotzt  von  flüssigem 
Blute,  im  linken  findet  sich  viel  schwarzes  geronnenes  Blut;  auch  die  Unterleibsorgane 
sind  blutreich. 


400  Aethylverbindungen. 

Diese  Versuche  sprechen  mit  Bestimmtheit  für  die  anästhesirende  Wirkung 
des  Acetylens,  welche  jedoch  nicht  ohne  Gefahr  sein  dürfte,  wenn  man  dabei 
die  rasche  Sistirung  der  Athmung  berücksichtigt,  die  bei  grössern  Meugen  des 
Gases  leicht  einen  letalen  Ausgang  nimmt;  stets  hörte  die  Respirationsbewegung 
eher  auf  als  die  Thätigkeit  des  Herzens.  Die  heftigen  Convulsionen  bei  der 
Taube  rührten  wahrscheinlich  noch  von  einem  Gehalte  des  Gases  an  Kohlenoxyd 
her;  dieser  Umstand  macht  es  um  so  nothwendiger,  sich  vor  der  Einwirkung 
dieses  Gases  zu  schützen,  namentlich  überall  da,  wo  es  als  das  Product  einer 
unvollkommenen  Verbrennung  auftritt. 

B.    Halogenderivate   des  Aethans. 
1)   Ein  H  des  Aethans  ist  durch  Cl.   Br  oder  J  vertreten. 

Aethylchlorid,  Chloraethyl  dichter  Salzäther  CH,-CH2C1  =  C2H5C1  wird  durch 
Einwirkung  gasförmiger  Salzsäure  auf  Aothylalkohol  als  eine  angenehm  riechende,  bei 
12°  siedende  Flüssigkeit  erhalten;  lässt  man  Chlor  auf  Aethylchlorid  einwirken,  so 
erhält  man  eine  Reihe  vou  Verbindungen,  von  denen  der  Aether  hydr ochloratus, 
Aethers.  Liq u.  anaesthet.  Aranii  am  bekanntesten  ist.  Derselbe  stellt  ein  variables 
Gemisch  von  leichtem  und  schwerem  Salzäther  neben  Aethylenchlorid  u.  s.  w.  dar. 

Der  Spiritus  chloratus-aetherius,  Spiritus  muriaticus  aetherens, 
Spiritus  salis  dulcis,  schwerer  Salzäther,  ein  wechselndes  Gemenge  von  Alkohol, 
Aldehyd,  Chloräthyl,  Chloral,  Essig-Aether,  wird  durch  Destillation  von  Kochsalz,  Braun- 
stein, Schwefelsäure  und  Weingeist  dargestellt. 

Die  Einwirkung  dieser  verschiedenen  Verbindungen  in  Dnnstform  auf  den 
thierischen  Organismus  bietet  ziemlich  wenig  Differenz.  Aethylchlorid  reizt 
nach  den  Versuchen  an  Thieren  alle  Schleimhäute,  mit  denen  seine  Dämpfe  in 
Berührung  kommen ;  hierfür  sprechen  das  Speicheln,  das  Thränen  der  Augen,  der 
Husten  u.  s.  w.  Bei  jungen  Katzen  zeigte  sich  eine  ganz  kurze  Narkose  ohne 
ausgesprochene  Anästhesie,  wenn  die  Dämpfe  wenigstens  48  Minuten  hindurch 
anhaltend  zur  Einwirkung  gelangten. 

Mit  Spir.  mur.  aeth.,  schwerem  Salzäther,  wurde  ein  Baum  wollpfropfen 
ganz  angefeuchtet  und  in  den  Grund  eines  Trichters  gebracht.  Ein  Kaninchen  wurde 
30  M.  lang  mit  dem  Maule  unter  wiederholter  Anfeuchtung  des  Pfropfens  in  der  Trichter- 
mündung festgehalten.     Es  trat  gar  keine  Narkose  ein. 

Der  Liquor  anaestheticus  wurde  früher,  wie  schon  sein  Name  andeutet,  als 
Anaestheticum  angewendet,  aber  mit  wenig  Berechtigung:'  er  unterscheidet  sich  in  dieser 
Beziehung  nicht  viel  von  den  beiden  vorhergenannten  \  erbindungen.  Alle  drei  Verbin- 
dungen finden  nur  sehr  wenig  Verwendung  mehr. 

b)  Bromäthyl  CH3~CH2Br  =  C2H5Br  wird  dargestellt,  indem  man  auf  Alkohol,  in 
dem  sich  geschmolzener  Phosphor  befindet,  Brom  langsam  zutröpfelt.  Es  ist  eine  farb- 
lose, bei  41°  siedende,  in  Wasser  unlösliche,  in  Alkohol  und  Aether  leicht  lösliche 
Flüssigkeit  von  angenehmem,  ätherischem  Gerüche. 

Auf  den  Organismus  soll  es  nach  Ttimbull  ähnlich  wie  Jodäthyl  wirken,  nur  mit 
dem  Unterschiede,  dass  die  Anästhesie  noch  geringer  sei:  Rohin  will  danach  bei  Vögeln 
rasch  eintretende  Anästhesie  beobachtet  haben.  Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass 
Bromäthyl  sich  ähnlich  wie  Jodäthyl  verhält,  aber  in  jeder  Beziehung  eine  schwächere 
"Wirkung  entfaltet;  es  wird  im  Organismus  wie  Jodäthyl  zersetzt  und  wirkt  dann  fast 
wie  reines  Bromalkali:  auch  tritt  es  schliesslich  im  Harn  und  Schweisse  als  Brom- 
natrium  auf. 

Verwendung  findet  es  in  der  Anilinfarbenfabrication. 

c)  Aethyljodid,  Jodäthyl,  Jodäther  CH3_CH2J  =  C2H5J  entsteht  durch  Auflösen 
von  Jod  in  Alkohol  unter  Zugabe  von  Phosphor  mit  nachfolgender  Destillation. 

Zur  Darstellung  im  Grossen  gebraucht  man  eine  gusseiserne  emaillirte  Blase, 
welche  einen  doppelten  Boden  hat  und  durch  Einleiten  von  Dampf  erwärmt  wird;  sie 
steht  mit  einem  Kühler  in  Verbindung,  dessen  Schlangenrohr  aus  metallischem  Kupfer 
besteht.  In  die  Lösung  von  Jod  in  Alkohol  wird  vorsichtig  amorpher  Phosphor  ein- 
getragen: nach  48  Stunden  beginnt  die  Destillation  einer  farblosen  Flüssigkeit,  wobei 
che  Wärme  72°  nicht  übersteigen  darf,    weil    Jodäthyl    schon    bei    72°    siedet.     An  das 


Aethylencblorid.  401 

Schlangenrohr  ist  stets  ein  Gassammler  zum  Condensiren  der  sich  verflüchtigenden 
Dämpfe  anzubringen,  was  schon  wegen  der  Feuersgefahr  erforderlich  ist.  Sonst  bietet 
die  Fabrication  kein  sanitäres  Bedenken  dar. 

Anwendung  findet  Jodäthyl  vorzugsweise  bei  der  Fabrication  von  Hoffmann's 
Violett;  seine  Benutzung  hat  aber  in  letzterer  Zeit  bei  den  Anilinfarben  sehr  abge- 
nommen, seitdem  die  Methylverbindungen  die  Oberhand  erhalten  haben. 

Einwirkung  des  Jodäthyls  auf  den  thierischen  Organismus,  l)  Ein  Kaninchen 
sitzt  in  der  Glocke;  20  Tropfen  (=  0,50  Grm.)  Jodäthyl  werden  erwärmt.  Sobald  der 
Dampf  in  die  Glocke  dringt,  stockt  der  Athem  und  die  Nase  wird  feucht.  Nach  4  M. 
Zusatz  von  60  Tropfen:  Zurückziehen  des  Kopfes,  Thränen  der  Augen,  kurz  darauf 
Taumel,  Bauchlage,  jämmerliches  Schreien  und  Aufsperren  des  Mauls.  Nach  6  M.  Her- 
ausnahme unter  Aufschreien  des  Thiers;  Pupille  in  mittler  Contraction,  Blinzeln  der 
Augen,  Schlaffheit  der  hintern  Extremitäten,  beschleunigter  Herzschlag,  Aufrichten  des 
Kopfes:  nach  1  M  20  Inspir.  binnen  %  M.,  auf  die  Seite  gelegt,  erhebt  es  sich  rasch; 
nach  9  M.  vollkommene  Sensibilität:  nach  15  M.  läuft  es  wieder  einher;  Nachkrank- 
heiten entstehen  nicht. 

2)  Eine  Taube  wird  mit  dem  Kopfe  in  ein  weites  Glasrohr  gesteckt,  welches  an 
beiden  Enden  offen  ist  und  in  welches  ein  mit  20  Tropfen  Jodäthyl  imprägnirter  Baum- 
wollpfropfen eingebracht  wird.  Nach  2  M.  beschwerte  Respiration  mit  Oeffnen  des 
Schnabels,  dann  vollständige  Anästhesie,  aber  deutlicher  Herzschlag  und  regelmässige 
Respiration:  nach  3  M.  die  heftigsten  Convulsionen,  dann  ein  paarmaliges  schwaches  Auf- 
athmen  bei  aufgehobenem  Herzschlage;  die  Pupille  bleibt  erweitert,  die  natürliche  Tem- 
peratur noch  eine  halbe  Stunde  dieselbe;  nach  1  Stunde  vollständige  Leichenstarre. 

Section  24  Stunden  hernach.  Cornea  trübe  und  eingefallen,  auf  der  Dura 
mater  eine  sehr  dünne  wässrige  Blutlage,  an  der  Med.  oblong,  stark  injicirte  Blut- 
gefässe; Lungen  von  hellziegelrother  Farbe,  auf  den  Durchschnittsflächen  des  Paren- 
chyms  nur  wenig  geronnenes  Blut;  an  der  Bifurcation  eine  dünne  Lage  blutigen 
Serums  auf  der  Schleimhaut;  alle  grössern  Blutgefässe  mit  geronnenem  Blute  ange- 
füllt; die  rechte  Hälfte  des  Herzens  mit  flüssigem  Blute  angefüllt,  in  der  linken  etwas 
geronnenes  Blut;  der  Herzmuskel  erscheint  stark  injicirt;  wenig  flüssiges,  in  der  Brust- 
höhle angesammeltes  Blut  von  dunkelkirschrother  Farbe,  röthet  sich  aber  an  der  Luft 
ziemlich  lebhaft. 

Die  Brustmuskeln  wurden  mit  Alkohol  von  85°  ausgezogen,  dann  Aetzkali  in 
fester  Form  zugesetzt  und  eine  halbe  Stunde  lang  im  Sieden  erhalten;  nach  der  Ab- 
destillation  des  Alkohols  wurde  der  Rückstand  in  "Wasser  aufgenommen,  ein  Theil  davon 
mit  Essigsäure  neutralisirt  und  dann  mit  Bleizuckerlösung  behandelt.  Es  entstand  sofort 
ein  schöner  gelber  Niederschlag;  derselbe  wurde  abfiltrirt,  mit  Wasser  ausgesüsst 
und  in  kochendem  Wasser  gelöst.  Die  Lösung  war  farblos  und  beim  Erkalten  entstan- 
den schöne  goldgelbe  Blätter  von  Jodblei.  Das  Blut  wurde  ähnlich  wie  das 
Fleisch  behandelt,  das  Jod  jedoch  als  Jodstärkemehl  nachgewiesen.,  Im  Harn  kann 
Jod  nur  als  Jodnatrium  auftreten. 

Die  Dämpfe  von  Jodäthyl  üben  eine  höchst  gefährliche  Wirkung  auf  den 
thierischen  Organismus  aus.  Dieselbe  rührt  jedenfalls  nicht  von  einer  zufälligen 
Verunreinigung  des  Präparats  mit  Phosphor  her,  wie  Nunneley2)  glaubt;  das 
zu  den  Versuchen  benutzte  Präparat  war  vollkommen  rein  und  rief  doch  in 
kurzer  Zeit  bei  einer  Taube  die  heftigsten  Convulsionen  hervor.  Die  dadurch 
erzeugte  Anästhesie  war  in  diesem  Falle  der  Vorbote  des  Todes,  der  durch 
Lähmung  der  Athmung  rasch  eintrat.  Der  Vorschlag,  die  Inhalation  der  Dämpfe 
als  Antidot  gegen  Vergiftungen  durch  Alkaloide  oder  Metalle  anzuwenden  (Huette), 
empfiehlt  sich  demnach  nicht,  abgesehen  davon,  dass  nur  Kupfer,  Silber  und 
Thallium  mit  Jod  unlösliche  Verbindungen  eingeht. 

2)    Zwei  H  des  Aethans  sind  durch  Cl,  Br  oder  J  vertreten. 

a)  Aethylenchlorid,  Elaylclilorid,  Liquor  Hollaudicus,  CH2CvrCH;!Cl  =  C2H4Cl2 

bildet  sich,  wenn  Aethylen  CH:— CH2  mit  Chlor  im  Sonnenlichte  zusammentrifft.  Dar- 
gestellt wird  es  durch  Einleiten  von  Chlor  und  Aethylen  zu  gleichen  Theilen  in  siedendes 
Antimonpentachlorid.  Eine  farblose,  angenehm  riechende  Flüssigkeit,  welche  bei  85° 
siedet  und  im  Wasser  zu  Boden  sinkt. 

Einwirkung  des  Aethylenchlorids  auf  den  thierischen  Organismus.  Ein  kleines 
Kaninchen   sitzt  in  dem   grossen  Glaskasten  ;    5  Grm.   der  Flüssigkeit   wurden   auf  den 

Enlenbercr,  Gd-vvr.rbe-Fyfrieoe.  2 '5 


402  Aethylverbindungen. 

Boden  desselben  geschüttet.  Nach  4  M.  reibt  es  mit  den  Pfoten  anhaltend  das 
Maul,  taumelt,  fallt  hin,  steht  aber  wieder  auf.  Zusatz  von  2  Grm.  der  Flüssigkeit  nach 
i"  ML;  das  Thier  fallt  wieder  hin  und  bleibt  mit  Schleimrasseln  in  der  Kehle  liegen; 
nach  12  M.  Herausnahme  des  Kaninchens.  Vollständige  Anästhesie  bei  erweiterter 
Pupille  und  gerötheter  Conjunctiva:  nach  5  M.  reagirt  das  Thier  wieder  bei  Berührung 
des  Auges,  fallt  aber  nach  8  M.  beim  Aufstehen  wieder  hin.  Schwache  Gehversuche 
nach  12  M.,  vollständige  Restitution  erst  nach  ö  Stunden. 

Aethylenchlorid  wurde  nach  dem  Aether  als  Anaestheticuin  in  Vorschlag 
gebracht,  hat  aber  als  solches  niemals  eine  grosse  Verbreitung  erlangt;  es 
reizt  leicht  die  Luftwege  und  ruft  bei  Menschen  oft  hartnäckiges  Erbrechen 
hervor. 

Eine  zarte,  26jährige  Frau  wurde  aus  Irrthum  statt  mit  Aethylidenchlorid  mit 
Aethylenchlorid  wegen  einer  Zahnoperation  betäubt.  Die  Narkose  trat  viel  später  als 
bei  Aethylidenchlorid  ein  und  dauerte  nur  2  Alinuten  lang.  Eine  grosse  Eingenommen- 
heit des  Kopfes  hielt  eine  \  iertelstunde  lang  an,  wozu  sich  dann  Erbrechen  gesellte, 
welches  sich  4  Stunden  lang  in  Zwischenräumen  von  u — 10  Minuten  wiederholte  und 
schliesslich  noch  5  Stunden  lang  alle  15—20  Minuten  eintrat.  Am  andern  Tage  war 
grosse  Mattigkeit  vorhanden  und  es  stellte  sich  bei  körperlichen  Bewegungen  noch 
LJebelsein  ein. 

Aethylidenchlorid  CH3"  CHOL  oderC2H4Cl2  ist  isomer  dem  Aethylenchlorid  und 
wird  al-  erstes  Product  erhalten,  wenn  man  Chlor  auf  Chloräthyl  einwirken  Läset  Es 
ist  eine  farblose  Flüssigkeit  von  angenehmem  Gerüche,  deren  Siedepunct  bei  60°  liegt. 
nttt  hat  18o4  diesen  Körper  zuerst  als  Ether  chlorhydrique  mono- 
chlorure  bezeichnet:  er  wurde  später  als  Chloräthyliden  bekannter,  aber  erst  in 
der  neuern  Zeit  als  Anaestheticuin  eingeführt.  Das  Aethylidenchlorid  hat  viele  warme 
Vertheidiger  gefunden  und  namentlich  in  der  Zahnheilkunde  das  Stickoxydul  wieder 
verdrängt,  da  es  den  Vortheil  hat,  binnen  1 — o  Minuten  eine  kurze  Anästhesie  hervor- 
zubringen, ohne  die  Luftwege  zu  reizen:  auch  als  Anästheticum  für  Kinder  wird  es 
gerühi 

Bei  der  Anwendung  dieses  Mittels  muss  man  besonders  darauf  achten,  dass  es 
den  richtigen  Siedepunct  von  60—62°  hat. 

b)  Aethylenbromid  CILBr  CH2Br  =  C2H4Br2  entsteht  beim  Schütteln  von 
Aethylen  mit  Brom.  Eine  farblose,  ätherartige  Flüssigkeit,  welche  erst  bei  0°  C.  zu 
einer  campherartigen  Mas^e  erstarrt  und  bei  129°  siedet. 

Technische   \  erwendung  hat  sie  noch  nicht  gefunden. 

Einwirkung  von  Aethylenbromid  auf  den  thierischen  Organismus.  Aethylen- 
bromid wurde  aus  l  G.  Th.  Aethvlensultid  und  6  G.  Th.  Bromquecksüber  (Quecksilber- 
bromidj  dargestellt.  Die  beim  Erhitzen  sich  entwickelnden  Dämpfe  wurden  über  Queck- 
silberoxyd  in  den  Zinkkasten,  in  welchem  eine  Taube  sass,  geleitet.  Sogleich  Blinzeln 
der  Augen,  starkes  Thränen  und  Schütteln  mit  dem  Kopfe,  dann  beschwerliche  Respi- 
ration, starkes  Schwanken.  Zurückziehen  des  Kopfes  und  die  heftigsten  Convulsionen. 
Bei  der  Herausnahme  nach  6  M.  starkes  Zittern  des  ganzen  Körpers,  Pupille  etwas 
erweitert.  Augen  sehwach  opalisirt,  Ausfluss  von  Schleim  aus  dem  Schnabel  und  gleich 
daran i 

Section  nach  2u  Stunden.  Ein  schwaches  Blutextravasat  im  Zellgewebe  in  der 
-  Kehlkopfs;  Hirnhäute  .-ehr  blutreich,  das  Kleinhirn  und  die  Med. 
oblong,  mit  einer  ganz  dünnen  Blutlage  bedeckt;  Plex.  venös,  spin.  sehr  stark  an- 
gefüllt; auf  den  Durchschnittsflächen  der  blassrothen  Lungen  treten  einige  Tropfen 
Hut  zu  Tage:  das  ganze  Herz  strotzt  von  dickflüssigem,  schwarz- 
rothem  Blute,  welches  an  der  Luft  bald  gerinnt:  Leber  und  Nieren  blutreich;  in 
allen  Höhlen  gibt  sich  ein  unangenehmer  Geruch  nach  Rettig  kund. 

c)  Aethylenjodid  CH2J^CH2J  =  C2H4J2  bildet  sich,  wenn  man  Aethylen  und 
Jod  im  Sonnenlicht  zusammenbringt,  oder  wenn  man  Aethylensulfid  mit  Jodquecksilber 
erhitzt:  letztere.-  Product  enthält  wahrscheinlich  noch  etwas  Aethylensulfid. 

Es  krystallisirt  in  farblosen,  schnell  roth  werdenden  KrystaUen,  welche  aromatisch 
riechen,    gewürzartig    schmecken    und    bei   100°   sublimiren;    sie   sind  nur   in  Alkohol, 
er  und  ätherischen  Uelen  löslich. 

Erwirkung  von  Aethylenjodid  auf  den  thierischen  Organismus.  Aethylenjodid 
wurde  aus  1  Gr.  fh.  Aethvlensultid  und  7,06  G.  Th.  Quecksilberjodid  dargestellt:  die 
beim  Erhitzen  sich  entwickelnden  Dämpfe  wurden  in  den  Zinkkasten,  in  welchem  ein  Meer- 
schweinchen sass,  geleitet.  Schon  nach  l  M.  starkes  Reiben  der  Nase,  Hinstürzen  und 
schwache  Convulsionen  in  allen  Extremität611.     Bei    der   Herausnahme   des  Thiers  nach 


Gechlorte  AeUiylcne.  403 

2  M.  stehen  die  Augen  in  Thränen,  die  Pupille  ist  sehr  erweitert  und  der  Herzschlag 
hört  nach  ein  paar  krampfhaften  Inspirationen  unter  heftigem  Zittern  auf. 

Section  20  Stunden  hernach.  Hirnhäute  sehr  blutreich,  Plex.  venös,  spin. 
von  normalem  Blutgehalte;  die  Schleimhaut  der  Luftröhren  schwach  injicirt;  die  rechte 
Lunge  und  der  untere  linke  Lungenlappen  blauroth  und  blutreich,  an  der  Luft  zeigen 
sich  einzelne  röthliche  Marmorirungen ;  auf  den  Durchschnitten  tritt  beim  Zusammen- 
drücken ein  feiner  •weisser  Schaum  aus:  das  Parenchym  knistert  wenig  beim  Einschneiden. 
Das  ganze  Herz  ist  mit  schwarzrothem,  dickflüssigem  Blute  angefüllt,  welches 
sich  an  der  Luft  nur  schwach  röthet.  Leber  und  Nieren  sind  dunkel  gefärbt  und 
sehr  blutreich. 

Aethylenbromid  und  Aethylenjodid  wirken  gleich  gefährlich  auf  den 

thierischen    Organismus;     während    Aethylenjodid    offenbar    den    Tod    durch 

Asphyxie  erzeugt,  wirkt  Aethylenbromid  vorzugsweise  auf  den  Herznerven- 

apparat  deletär  ein.     Die  Schleimhaut  der  Augen  und  der  Respirationswege  wird 

durch  beide  Verbindungen  irritirt. 

Durch  fortgesetzte  Einwirkung  von  Chlor  auf  Aethylchlorid  entstehen  noch 
viele  Körper,  welche  früher  Chlorkohlenstoffe  genannt  wurden*).  Man  unter- 
scheidet die  höher  gechlorten  Aethane,  die  bei  der  Behandlung  mit  alko- 
holischer Kalilauge  oder  Kaliumsulfhydrat  HCl  abgeben  und  in  gechlorte  Aethylene 
übergehen. 

Einige  dieser  Verbindungen  verdienen  eine  genauere  Erwähnung,  weil  sie  früher 
in  der  Medicin  und  in  der  Farbentechnik  benutzt  wurden. 

Tetrachloraethylen  CC12=CC12=C2C14  entsteht  durch  Einwirkung  einer  wein- 
geistigen Lösung  von  Kaliumsulfhydrat  auf  Perchloraethan  C2  Cle  unter  Entweichung  von 
H2S  und  Ausscheidung  von  Schwefel  und  Chlorkalium: 

CCr3-CCl3  +  2E:HS  =  C2Cl4  +  2KCi  +  H3S  +  S. 

Der  Siedepunct  dieser  in  Wasser  unlöslichen  Flüssigkeit  Hegt  bei  124°. 

Perchloraethan  CC13— CC13  =  C2C16  ist  das  Endproduct  der  Einwirkung  von 
Chlor  auf  Aethylchlorid  und  stellt  rhombische  Kxystalle  dar,  welche  in  Weingeist 
löslich  sind,  bei  160°  schmelzen  und  bei  182°  sieden. 

Die  Einwirkung  dieser  Verbindungen  auf  den  thierischen  Organismus  ist  sehr 

verschieden  beurtheilt  worden,  weil  die  Präparate  wegen  der  Schwierigkeit  ihrer  Dar- 
stellung von  sehr  mannigfacher  Beschaffenheit  waren,  daher  auch  ihre  Wirkung  sich 
verschieden  gestaltete. 

Alle  Präparate  üben  aber  mehr  oder  weniger  eine  reizende  Wirkung  aus.  20  Tropfen 
von  Tetrachloraethylen,  welche  auf  einem  damit  befeuchteten  Leinwandstreifen  zur 
Verdunstung  kamen,  brachten  ein  im  Zinkkasten  sitzendes  Meerschweinchen  nach  12  M. 
in  Anästhesie,  nachdem  viel  Speicheln,  Zittern  und  convulsivische  Zuckungen  voraus- 
gegangen waren.  Nach  5  M.  traten  die  ersten  Zeichen  der  zurückgekehrten  Sensibilität 
am  Auge  ein,  dann  schwache  Muskelbewegungen  und  deutlicher  Rhonchus  sonorus  in 
den  Bronchien.     Restitution  nach  1  Stunde. 

Eine  Taube  verfiel  im  Zinkkasten  nach  10  M.  bei  der  Verdampfung  von  40  Tropfen 
in  Anästhesie,  litt  aber  noch  2  Tage  lang  an  Husten,  Reizung  der  Bronchien  und  starkem 
Herzschlage. 

Von  Perchloraethan  wurden  0,50  Grm  in  einem  Becherglase  erwärmt,  in 
welches  eine  Taube  mit  dem  Kopfe  gebracht  wurde.  Sofort  verlangsamt  sich  die  Respi- 
ration und  nach  2  M.  ist  die  Taube  anästhetisch;  man  kann  sie  wie  einen  todten  Körper 
hin  und  her  bewegen:  Pupille  sehr  verengt,  8  Inspir.  und  30  Herzschläge  binnen  ^M.; 
die  Körperwärme  hat  um  1,5°  abgenommen.  Nach  5  M.  erhebt  sie  zuerst  ein  wenig  den 
Kopf;  gleich  darauf  starkes  Vibriren;  nach  9  M.  erhebt  sie  sich  und  fängt  2  M.  später 
an  zu  gehen.  Nach  13  M.  stürzt  sie  auf  den  Kopf,  erhebt  sich  aber  sofort**};  erst  nach 
1  Stunde  scheint  sie  frei  von  Taumel  zu  sein,  die  Pupille  hat  wieder  den  normalen  Durch- 
messer, der  Herzschlag  ist  aber  noch  stark. 

Ein  Meerschweinchen  wird  mit  dem  Maule  in  ein  Becherglas  gebracht,  in  welchem 
0,5  Grm.  Perchloraethan  schwach  erwärmt  worden.  Nach  3  M.  sind  die  Glieder  er- 
schlafft  und  das  Thier  wird  mit  dem  Kopfe   im  Glase  hingelegt;    die   Zahl   der  Inspir. 


*)  Der  eigentliche  Chlorkohlenstoff  CC14  ist  bereits  erwähnt  worden  (s.  S.  373). 
**)  Dies   Stürzen  auf  den   Kopf   zeigte  sich   auch  bei  einer  andern  Taube   bei  den 

ersten  Gehversuchen. 

26* 


|(l  j  Aethylverbindungen. 

sinkt  auf  6  binnen  '4  M.;  sie  werden  tiefer  und  seltener,  bis  nach  5  M.  schon  der  Tod 
bei  sehr  erweiterter  Pupille  und  raBcher  Abnahme  der  Körperwärme  eingetreten  ist. 

Section  24  Stunden  hernach.  Eirnhäute  sehr  hyperä misch:  über  der  Pia 
mater  des  Kleinhirns  eine  dünne  Lage  flüssigen  Blutes:  Lungen  schmutzig-blauroth 
das  Parenchym  von  dunkelbrauner,  fast  schwärzlicher  Farbe  und  sehr  reich  an 
Blut;  am  linken  Unter-Lappen  tritt  auf  den  Durchschnittsflächen  ein  weisser  Schaum 
hervor;  Schleimhaut  der  Trachea  stark  inücirt.  Beide  Vorhöfe  und  der  rechte  Ventrikel 
des  Herzens  ganz  mit  geronnenem  Blute  angefällt.  Alle  Höhlen  entwickelten  einen 
Geruch  Dach  Perchloraethan. 

Diese  Versuche  fordern  eicht  dazu  auf,  diese  Verbindungen  als  Auaesthetica 
zu  empfehlen.  Sie  haben  stets  eine  deletäre  Wirkung,  namentlich  wenn  man 
den  schnellen  Tod  des  Meerschweinchens  in  Folge  von  Apoplexie  hierbei  in 
Betracht   zieht. 

Die  technische  Verwendung  dieser  Verbindungen  in  der  Anilinfarbenfabrication 
hat  in  der  letzten  Zeit  sehr  nachgelassen. 

B.    Hydroxyl-Substitutionsproducte  des   Aethans. 

Aethylalkohol,  Alkohol,  Weingeist,  Spiritus  vini,  CH3_CH3(OH)==C,H<sO, 
entsteht  stets  als  Kunstproduct  bei  der  Gührung  des  Traubenzuckers,  welcher  hierbei  in 
Alkohol  and  Kohlensäure  zerfällt: 

C(   3,306  =  202^0  +  2003. 

Die  Einwirkung  der  Dämpfe  von  Alkohol  auf  den  thierischen  Organismus  ver- 
mag eine  kurze  Anästhesie  zu  erzeugen.  Nachdem  im  grossen  Glaskasten  im  Verlaufe 
von  30  M.  SO  Grm  Alkohol  von  98°  in  Partien  von  15  Grm.  verdampft  waren,  empfand 
ein  Kaninchen  zuerst  einen  heftigen  Reiz  in  der  Nasenhöhle,  schwankte  dann  hin  und 
her,  bis  •  s  in  der  Seitenlage  liegen  bheb.  Nach  55  M  zeigt  es  beim  Schütteln  des 
Kastens  keine  Reaction  und  hustet  nur  bisweilen;  nach  .0  M.  ist  die  rechte  Hornhaut 
milchig  getrübt  (in  Folge  von  Wasserentziehung)  und  nach  1  St.  15  M.  ist  die  Anästhesie 
vollständig.  Bei  der  Herausnahme  sind  nur  die  Augen  ein  wenig  empfindlich,  nach 
ö  M..  richtet  es  r-icc,  aber  mit  dem  Oberkörper  wieder  auf  und  bleibt  dann  3  Stunden 
lang  ruhig  auf  derselben  Stell.-  sitzen.  Nachkrankheiten  entstehen  nicht;  die,  milchige 
Trübung  >U-r  Hornhaut  schwindet  erst  nach  18  Tagen.4; 

Weingeistindustrie. 

Die  vergohrenen  Fruchtsäfte  und  die  verschiedenen  Weinarten  geben  bei 
der  Destillation  alkoholreiche  Destillate;  das  Ferment  ist  hier  immer  schon 
präexistirend;  hei  stärkeinehlreichen  Samen  und  Knollen  wird  der  Stärkemehl- 
gehalt derselben  durch  Diastase  (Malz)  erst  in  Zucker  verwandelt,  dann  die 
sogenannte  Maische  durch  Zusatz  von  Hefe  in  Gährung  gebracht  und  durch 
Destillation  der  veigobrenen  Flüssigkeit  der  Alkohol  gewonnen. 

Je  nachdem  man  eine  Samenfrucht,  einen  Frucht-  oder  Pfianzensaft  ver- 
braucht hat.  verbleiht  dem  Producte  ein  eigeuthümlicher  Geruch  und  Geschmack; 
man    braucht   nur  an   aus  Reis   und  Palmensaft   bereiteten   Arrac,    an    den    aus 

•n  der  Zuckerplantagen  dargestellten  Rum,  an  Kornbranntwein  u.  s.w. 
zu  riechen,  um  den  jeder  dieser  Flüssigkeiten  eigeuthümlichen  Geruch  wahr- 
zunehmen. Ebenso  unterscheiden  sich  die  Producte,  welche  aus  Zuckerrüben  und 
Melassen,  aus  den  Knollen  von  Kartoffeln,  von  Topinambur  und  Arumarten,  aus 
Kastanien  und  Eicheln  bereitet  werden. 

Nach  der  Beschaffenheit  der  Rohmaterialien  unterscheidet  man  1)  die  Ver- 
arbeitung von  alkoholartigen  Flüssigkeiten,  um  den  bereits  vorhandenen 
Alkohol  von  jenen  fremden  Bestandteilen  zu  befreien;  dies  geschieht  mittels 
Destilliren.  Das  erste  Destillationsproduct  heisst,  Lutter;  die  Rectificatiou  des 
Lutters  heisst  Weinen,  Klären,  und  das  hierbei  zuerst  übergehende  Destillat 
wird   Vorlauf   und    das  zuletzt  übergehende   Nachlauf  trenannt;    letzterer   wird 


Weingeistindustrie.  4Ö5 

dem  Lutter  wieder  zugegeben.    Die  starkem  Sorten  von  Weingeist  werden  durch 
weitere  Rectification  dargestellt. 

In  der  Industrie  sind  jetzt  allgemein  die  Apparate  von  Pistorius, 
Schwarz  und  Gall  eingeführt,  mittels  welcher  es  möglich  geworden  ist.  aus 
der  Maische  direct  durch  eine  einmalige  Destillation  starken  Weingeist  von  95° 
Tralles  darzustellen. 

Man  unterscheidet  bei  diesen  Destillirapparaten  die  Blase  oder  den  Kessel  für 
die  Aufnahme  des  Maischgutes,  zwei  Kühlapparate,  von  denen  der  eine  als  Recti- 
ficator,  der  andere  als  Condensator  für  die  fertigen  Producte  dient,  und  einen 
Dephlegmator,  welcher  für  die  Zeidegung  des  Danipfgeniisehs  'Lutterdanipfes )  be- 
stimmt ist.  indem  der  aus  vielem  Wasser  bestehende  Theil  sich  verdichtet  und  in  die 
Blase  zurückfliesst.  der  andere  alkoholreichere  Theil  aber  dampfförmig  bleibt  und  in  den 
Kühlapparat  gelangt. 

Beim  Sieden  entstehen  Dämpfe  ans  Alkohol  und  Wasser.  Je  nach  der  Ver- 
mischung derselben  bilden  sich  verschiedene  Siedepuncte.  da  der  Siedepunct  des  Wassers 
um  21.7°  C.  höher  liegt  als  der  des  Alkohols.  Ist  nun  z.B.  der  Siedepunct  von  90° 
erreicht,  so  wird  sich  von  dem  Alkohol  wegen  seines  niedrigeren  Siedepunetes  der 
grösste  Theil  dampfförmig  entwickeln,  während  das  auf  diesen  Grad  erhitzte  Wasser  nur 
so  viel  Wasserdampf  abgibt,  als  die  Alkoholdämpfe  bei  ihrem  Durchgänge  durch  das 
Gemisch  von  Alkohol  und  Wasser  nach  dem  Grade  der  Temperatur  davon  aufnehmen. 
Je  höher  der  Siedepunct  steigt,  desto  mehr  wird  auch  die  Menge  der  Wasserdämpfe 
zunehmen,  so  dass  bei  100°.  "beim  Siedepuncte  des  Wassers,  nur  Wasser  übergeht: 
beim  Besinne  der  Destillation  bestehen  dagegen  die  Dämpfe  aus  viel  Alkohol  und  sehr 
wenig  Wasser  und  erst  bei  zunehmender  Temperatur  aus  mehr  Wasser. 

"  Die  Hauptsache  beruht  daher  auf  d^r  Beobachtung  der  verschiedenen  Siedepuncte 
verschiedener  Gemische  von  Wasser  und  Alkohol  und"  der  verschiedenen  specifischen 
Gewichte  beider  Dämpfe,  sowie  auf  der  rechtzeitigen  Unterbrechung  der  Destillation. 
Der  ganze  Process  ist  nur  als  eine  fractionirte  Destillation  in  der  grössten  Voll- 
kommenheit  zu  betrachten  und  repräsentirt  eine  20— SOfache  Rectification. 

Nach  dem  Gehalt  an  Wasser  unterscheidet  man  Branntwein  mit28°Tr.,  reeti- 
ficirten  Weingeist  mit  80°  Tr.  und  höchst  rectificirten  Weingeist  mit  90°  Tr. 
Hierbei  bleibt  noch  immer  ein  gewisser  Antheil  Wasser  zurück:  es  ist  aber  nicht  mög- 
lich, den  Weingeist  durch  Destillation  allein  ohne  Zusatz  wasserentziehender  Substanzen 
vollständig  zu  "entwässern,  da  der  Siedepunct  des  absoluten  Alkohols  höher  liegt  als  der 
des  wässrigen.  Zur  chemischen  Bindung  des  Wassers  setzt  man  deshalb  sehliesslk-h 
Aetzkalk  oder  entwässertes  Kupfersulfat  hinzu,  um  absoluten  Alkohol  von  100°  Tr. 
darzustellen,  der  bei  78,5°  siedet  und  bei  15°  das  spec.  Gew.  0.79  hat. 

2)  Die  Verarbeitung  zuckerhaltiger  Substanzen.  Hier  muss  zu- 
nächst die  Umwandlung  des  Zuckers  in  Alkohol  mittels  des  Gährungsprocesses 

erfolgen. 

Letzterer  wird  entweder  durch  Selbstgährung  oder  durch  Zusatz  von  Hefe  bewirkt. 
die  entweder  den  Bierbrauereien  entnommen  oder  in  den  Spiritusfabriken  selbst  cultivirt 
wird.  Im  letztern  Falle  wird  entweder  die  zuckerhaltige  Flüssigkeit  durch  Zusatz  von 
Hefe  in  Gährung  gebracht  oder  es  wird  aus  Malzschrot  mittels  warmen  Wassers  eine 
concentrirte  zuckerhaltige  Flüssigkeit  hergestellt,  die  man  mittels  Hefe  in  Gährung_  ver- 
setzt und  zur  Cultur  der  Kunsthefe  dient.5)  Bei  Rübenmelassen  ist  wegen  ihres 
Alkaü>ehalts  ein  Zusatz  von  Schwefelsäure  nöthig,  während  bei  den  Rübensäften 
die  Vergährung  bei  Gegenwart  der  Säure  viel  regelmässiger  verläuft. 

3)  Verarbeitung  stärkemehlhaltiger  Substanzen.  Hier  muss  noch 
die  Umwandlung  des  Stärkemehls  in  Zucker  hinzukommen,  um  den  Gährungs- 
process  zu  ermöglichen.  Dies  geschieht  durch  Zusatz  von  Malz,  da  die  in 
demselben  enthaltene  Diastase  das  Stärkemehl  veranlasst,  Wasser  aufzunehmen. 
um  sich  in  Dextrin  und  dann  in  Traubenzucker  zu  verwandeln  (s.  Trauben- 
zucker). 

Man  nennt  dies  Verfahren  den  Maischpro  eess  oder  das  Einmaischen,  wozu 
man  besondere  Apparate,  Maischbottiche,  benutzt  (s.  Bierbrauerei).  Nach  beendigter 
Zuckerbildung  erfolgt  ein  rasches  Abkühlen  der  Maische  mittels  besonderer  Kühl- 
apparate, wobei  die  Klärung  der  Würze,  die  in  der  Bierbrauerei  nothwendig  ist, 
ganz  wegfällt. 


40(>  Aethylverbindungen. 

Als  den  Typus  für  den  ganzen  Brennprocess  kann  man  die  Kart  off  el- 
und  Fruchtbrennerei  betrachten.  In  Deutschland  liefern  hauptsächlich  die 
Kartoffeln  das  wichtigste  Rohmaterial;  diese  werden  zuerst  in  die  Wasch- 
maschine gebracht,  welche  aus  einem  schiefliegenden  Cylinder  von  Latten  besteht, 
der  sich  in  einem  mit  Wasser  gespeisten  Troge  um  seine  Achse  bewegt.  Von 
hier  aus  gelangen  die  Knollen  in  einen  aufrecht  stehenden  Cylinder,  in  das  sog. 
Dämpffass,  in  welchem  dieselben  durch  die  eingeblasenen  Dämpfe  eines  Dampf- 
kessels gar  gekocht  werden.  Der  hierbei  auftretende  Wasserdampf  ist  mit  einem 
höchst  unangenehmen  und  belästigenden  Geruch  behaftet,  er  soll  ein  flüchtiges 
narkotisches  Gift  enthalten,  welches  auf  manche  reizbare  Constitutionen 
höchst  nachtheilig  einwirkt;  es  existiren  Beispiele,  dass  Menschen,  die  davon  ge- 
troffen worden,  wie  ohnmächtig  hinstürzten.  Wenn  schon  gesunde  Kartoffeln  eine 
so  unangenehme  schädliche  Ausdünstung  beim  Kochen  hervorrufen,  so  sind  diese 
Dämpfe  um  so  mehr  zu  beachten,  wenn  kranke,  erfrorene  oder  faulende  Kar- 
toffeln oder  im  Spätwinter  und  Frühjahr  ausgewachsene  Kartoffeln  zur  Verwen- 
dung kommen. 

Die  abfallenden  Wässer,  die  sogenannten  Kochwässer,  bestehen  grössten- 
theils  aus  Coudensationswasser,  das  mit  geringen  Mengen  des  in  den  Kartoffeln 
enthaltenen  Wassers  vermischt  ist;  sie  zeichnen  sich  durch  einen  Gehalt  an 
Solauin  aus,  haben  einen  höchst  unangenehmen,  kratzenden  Geschmack  und 
dürfen  nur  nach  der  Behandlung  mit  Kalk  in  Schlinggruben  oder  öffentliche 
Canäle  abgelassen  werden,  da  ihr  Gehalt  an  organischen  vegetabilischen  Sub- 
stanzen, Gummi,  Stärkemehl,  Solanin  u.  s.  w.  ihre  leichte  Zersetzung  resp. 
Fäulniss  bedingt. 

Durch  den  Kalkzusatz  erhält  man  einen  flockigen  Niederschlag,  welcher  alles 
Solanin  enthalt:  behandelt  man  denselben  mit  verdünnter  Schwefelsäure  bis  zur 
schwach  sauren  Reaetion,  präeipitirt  das  Filtrat  abermals  mit  Kalkmilch  und  behandelt 
den  getrockneten  Kalkniederschlag  mit  siedendem  Alkohol,  so  schiesst  beim  Erkalten 
das  Solanin  in  zarten,  atlasglänzenden  Nadeln  an. 

Ein  geringerer  Gehalt  an  Solanin  lässt  sich  in  der  alkoholischen  Lösung 
dadurch  nachweisen,  dass  man  iu  einem  Uhrglase  einige  Tropfen  concentrirte 
Schwefelsäure  damit  zusammenbringt,  wodurch  dann  zuerst  eine  schöne  violett- 
rothe  Farbe  entsteht,  welche  sich  allmählig  in  Orange  verwandelt. 

Iu  der  That  hat  man  auch  beim  Vieh  nach  dem  Genüsse  eines  solchen 
solauinhaltigen  Wassers  Krankheitszustände,  namentlich  bei  Kühen  ein  heftiges 
Zittern,  beobachtet. 

Die  Kartoffeln  gelangen  nun  aus  dem  Dämpffass  in  einen  grossen  hölzernen 
Trichter.,  welcher  am  untern  Ende  mit  zwei  cannelirten  Quetschwalzen  versehen  ist  und 
über  einen  Bottich  mündet.  Das  Quetschgut  wird  im  Bottich  mit  so  viel  Wasser 
versetzt,  dass  es  einen  dünnen  Brei  bildet  und  ungefähr  die  Temperatur  von  60°  R. 
hat.  Man  gibt  dann  das  geschrotete  Gersten-,  Roggen-,  Weizen-  oder  Hafermalz 
hinzu  und  bearbeitet  die  breiige  Masse  in  einem  flachen  Kühlschiff  durch  starkes  Rühren 
und  Schlagen  mit  gabelförmigen  Schaufeln;  man  nennt  diese  Arbeit  das  Beschlagen 
der  Maische.  Der  Beschlag  dauert  nach  dem  Umfange  der  Masse  %— 1%  Stunden: 
man  benutzt  gegenwärtig  hierzu  besondere  Kühlapparate  nach  Sipmpiis  und  Liebig.  Nach 
Beendigung  der  Zuckerbildung  gibt  man  nun  so  viel  kaltes  Wasser  hinzu,  dass  das 
Maischgut  höchstens  nur  noch  20—22°  R.  hat  und  fügt  dann  Bierhefe  hinzu. 

Der  gebildete  Zucker  gelangt  unter  starker  Kohlensäureentwicklung 
sofort  zur  Gährung;  da  dieselbe  den  Bottich  leicht  übersteigt  und  sich  am  Boden 
des  Fabriklocals  ansammelt,  so  können  die  Arbeiter,  z.  B.  beim  Bücken,  einer 
grossen  Gefahr  ausgesetzt  sein,  wenn  man  nicht  für  die  Ableitung  der  Kohlen- 
säure  sorgt.     Unterlässt  man  überhaupt    die  erforderlichen  Vorsichtsmassregeln, 


Weingeistindustrie.  407 

so  haben  die  Arbeiter  häufig  von  dem  nachtheiligen  Einfluss  der  Kohlensäure 
zu  leiden,  der  sich  auf  die  Dauer  in  Störungen  der  normalen  Blutbildung  äussert 
und  einen  eigenthümlichen  Zustand  von  Oligaemie  mit  allgemeiner  Schwäche, 
Verdauungsstörungen  und  nervöser  Reizbarkeit  erzeugt. 

Das  vergohrene  Maischgut  nennt  man  brennwürdig;  es  wird  dann  der 
Destillation  unterworfen.  Die  Rückstände  im  Kessel,  Phlegma,  Schlempe, 
Spülicht  genannt,  werden  zur  'Viehmast  benutzt;  sie  enthalten  eine  Menge  von 
unverändertem  Stärkemehl,  Dextrin,  Gummi  und  die  Salze  der  gebrauchten  Vege- 
tabilien.  Wird  das  Spülicht  sich  selbst  überlassen,  so  bilden  sich  in  demselben  leicht 
Schimmelpilze  neben  Milch-,  Butter-  und  Essigsäure.  Wegen  dieser  Säuren  kann 
das  Spülicht  zum  Putzen  kupferner  und  messingener  Gefässe  verwendet  werden;  es 
dürfen  deshalb  die  Geschirre,  in  denen  man  Spülicht  für  die  Viehfütterung  aufbewahrt, 
nicht  aus  leicht  oxydirbareu  Metallen,  wie  Blei,  Zink,  Kupfer  oder  Messing,  be- 
stehen. Ebensowenig  zulässig  ist  es,  dass  die  Abzugsröhren  für  die  Schlempe  aus  diesen 
Metallen  angefertigt  sind.  Die  Nichtbeachtung  dieser  Massregel  kann  Krankheit  und 
Tod  der  Thiere  zur  Folge  haben.  Noch  unvorsichtiger  ist  es,  solche  Gefässe  mit 
Mennigfarben  anzustreichen;  heftige  Bleikoliken  bilden  sich  dann  sichei'lich  aus. 

Da  das  Maischgut  ein  Oxyd  des  Alkohols  resp.  Essigsäure  enthält,  so  ist  es 
leicht  erklärlich,  dass  der  Branntwein,  welcher  mit  dieser  Säure  geschwängert  ist  und 
dessen  Dämpfe  mittels  kupferner  Schlangen  abgekühlt  worden  sind,  kupferhaltig 
wird;  schon  die  blosse  Farbe  lässt  dies  leicht  erkennen.  Unzweifelhaft  kann  aber  auch 
bei  einem  geringen  Gehalte  an  Kupfer  dasselbe  durch  Ferrocyankalium-Papier 
leicht  nachgewiesen  werden,  indem  dasselbe  alsdann  rothbraun  gefärbt  wird;  es  sollte 
deshalb  dies  Reagenspapier  niemals  in  einer  Brennerei  fehlen,  da  Kupfer  fast  das 
einzige  Metall  ist,  welches  hier  zur  Sprache  kommen  kann.  Was  von  andern  metallischen 
Verunreinigungen  des  Branntweins  gesagt  wird,  entbehrt  in  den  meisten  Fällen  einer 
genauem  Begründung  und  pflanzt  sich,  wie  so  vieles  Andere,  traditionell  aus  einem 
Lehrbuch  in  das  andere  fort.  Aller  etwaige  Metallgehalt  des  Branntweins  wird  über- 
haupt durch  die  Läuterung,  sowohl  durch  die  Destillation  als  auch  durch  Filtration 
über  Schwarzmehl  (fein  gepulverte  Holzkohle),  beseitigt.  Was  man  z.B.  von  dem 
Bleigehalte  des  Branntweins  behauptet,  welcher  von  den  bleihaltigen  Löthungen  und 
Verzinnungen  an  den  Kupfergefässen  in  Folge  von  Ausbesserungen  herrühren  soll,  ist 
erfahrungsgemäss  gar  nicht  bewiesen.  In  der  Regel  sind  die  Kühlschlangen  mit  Hart- 
loth,  d.  h.  mit  Messing  im  Feuer  gelöthet;  sollte  selbst  durch  einen  Säuregehalt  Blei  in 
Lösung  gehen,  so  müsste  die  Säure  lediglich  aus  Essigsäure  bestehen;  nun  treten  aber 
bekanntlich  auch  andere  fette  Säuren,  wie  Butter-,  Baldrian-,  Capron-  und  Caprylsäure 
auf,  die  mit  dem  Blei  püasterähnliche  Verbindungen  bilden,  die  in  Weingeist,  also  auch 
in  verdünntem  Weingeist,  im  Branntwein,  theils  schwer,  theils  unlöslich  sind. 

Ein  directer  Versuch,  bei  welchem  eine  Kühlschlange  von  Blei  in  Anwendung 
kam,  ergab  erst  dann  einen  Bleigehalt,  wenn  der  Weingeist  grösstentheils  abdestillirt 
war  und  zuletzt  fast  reines  Wasser  condensirt  wurde.  Das  Destillat  war  dann  opali- 
sirend,  milchig  getrübt  und  zwar  von  Bleihydrat  resp.  Bleicarbonat,  dessen  Entstehung 
die  Wasserdämpfe  veranlassten.  Sind  die  Brennblasen  im  Innern  verzinnt,  was  jedoch 
selten  vorkommt,  und  ist  dem  Zinn  Blei  beigemengt,  so  ist  es  nicht  unmöglich,  dass 
die  Schlempe  bleihaltig  wird  und  dann  als  Viehfutter  schädlich  einwirken  kann. 
Ebenso  kann  auch  die  Schlempe  bei  einer  längern  Unterbrechung  des  Betriebes,  wenn 
sich  in  Folge  dessen  in  der  Blase  basisch  essigsaures  und  kohlensaures  Kupfer  gebildet 
hat,  bei  der  ersten  Beschickung  kupferhaltig  werden. 

Im  Branntwein  können  somit  alle  andern  Metalle,  ausser  Kupfer,  nur  zufällig 
oder  aus  Unvorsichtigkeit  enthalten  sein.  Hätte  z.  B.  ein  Branntwein  mit  saurer 
Reaction  in  Zinkgefässen  gestanden,  so  würde  der  Zinkgehalt  desselben  nicht  auffallend 
sein.  Jedenfalls  ist  die  Anwendung  von  messingenen  Messgeschirren,  Trichtern  und 
Hähnen  an  den  Branntweinfässern  unzulässig  und  sollten  dieselben  strenger  verboten 
werden;  zu  Hähnen  eignet  sich  Holz  am  besten  und  für  die  andern  Gefässe  sind  nur 
reines  Zinn,  Porcellan  oder  Steingut  zulässig. 

Ein  Zusatz  von  gebranntem  Alaun  zum  Branntwein,  wodurch  der  durch  Ver- 
mischung mit  Wasser  trübe  gewordene  Branntwein  geklärt  werden  soll,  ist  jedenfalls 
unschädlich.  Durch  denselben  erfolgt  stets  Wasserentziehung;  gleichzeitig  wird  aber 
auch,  das  Fuselöl  gleichsam  concentrirter  und  verstärkt  dann  den  eigenthümlichen 
Geschmack. 

Der  ungerechtfertigte  und  höchst  gefährliche  Vorschlag,  durch  Zusatz  von 
arseniger  Säure  den  Branntwein  zu  entfuseln ,  ist  wohl  nirgends  zur  Ausführung 
gekommen;  ebensowenig  wird  man  Schwefelsäure  dem  fertigen  Branntwein  zusetzen, 
da  dadurch  ein  wüster  und  unangenehmer  Geschmack  entsteht.    Ein  schwacher  Zusatz  der- 


40g  A.  thylverbindungen. 

selben  vor  der  Rectificatiou  findet  nur  statt,  um  Aetherbildung  zu  veranlassen.  Man 
hat  aber  dann  auf  die  Rückstände  um  so  mehr  Sorgfalt  zu  nehmen,  da  sie  ausser 
der  Schwefelsäure  die  dieselbe  verunreinigenden  Stoffe,  Arsen,  Blei  u.  s.  w.,  enthalten 
können.  Bei  den  Rübenmelassen  dient  die  Säure  zur  Neutralisation  der  alkalischen 
Flüssigkeiten  (s.  S.  405). 

Um  einen  weniger  starken  Branntwein  noch  ..stärker-'  zu  machen,  wurde  derselbe 
früher  nicht  selten  über  scharfe  Pflanzenstoffe,  z.  B.  über  Capsicum.  Pfeffer,  Seidelbast, 
Ingwer  und  selbst  über  Hyosciamns,  Stramonium  und  Lolch  abdestillirt.  Die  Zusätze 
der  narkotischen  Kräuter  sind  schwer  zu  erkennen,  wohingegen  die  scharfen  Pflanzen- 
stoffe Brennen  auf  den  Lippen  und  im  Munde  erzeugen. 

Ausser  den  sauren  Verbindungen  enthält  der  Branntwein  noch  Alkohole  der 
höhern  Kohlenstoffreihen,  welche  man  unter  den  Namen:  Fusel,  Fuselöl 
zusammenfasst:  durch  diese  erhält  das  gewonnene  Product  den  bereits  erwähnten  Geruch 
und  Geschmack.  Der  Repräsentant  dieses  Fuselöls  ist  das  Kartoffelfuselöl,  der 
Amylalkohol,  welcher  meistens  noch  Propyl-,  Butylalkohol  u.  s.  w.  enthält.  Im 
Rum  findet  sich  Ameisensäure -Aethyläther,  im  Arrac  Ameisensäure-  und  Buttersäure- 
Aethvläther  und  im  Cognac  Oenanthäther,  die  ans  Fuselöl  entstehen. 

Das  Lagern  der  Branntweine  hat  zuweilen  einen  grossen  Einfluss  auf  den  Geruch 
und  Geschmack  derselben,  da  nämlich  die  in  denselben  enthaltenen  Säureu  resp.  Alkohole 
allmählig  diese  eigentümlichen  Aetherarten  erzeugen.  So  findet  man  z.  B.  im  ..alten 
Klaren"  neben  dem  eigentlichen  Fuselöle  des  Roggens  noch  Essigäther,  welcher  offenbar 
durch  die  Einwirkung  der  im  Branntwein  enthaltenen  Essigsäure  auf  den  Alkohol  ge- 
bildet worden  ist  Nicht  selten  werden  durch  Zusatz  von  Ameisensäure  zum  gewöhn- 
lichen Branntwein  oder  durch  Destillation  desselben  über  Ameisen  künstlicher  Arrac 
und  Rum  fabricirt  (s.  Am  eisensäure- Methyläther  S.  377  . 

Künstlichen  Cognac  erhält  man,  wenn  mau  Palmöl,  das  vorher  mit  Kalium- 
chromat  und  Schwefelsäure  oxydirt  worden,  zu  einem  Gemisch  von  concentrirter 
Schwefelsäure  und  TOproeentigeni  Weingeist  setzt  und  dann  der  Destillation  unterwirft. 
Hier  bildet  sich  Oenanthäther.  Ein  solcher  Branntwein  kann  in  Folge  dieses  Ver- 
fahrens einen  Gehalt  von  schwefliger  Säure  bekommen,  durch  welche  die  kupfernen 
Schlangen  angegriffen  werden  können,  so  dass  sich  schliesslich  Kupfervitriol  bildet, 
der  jedoch  im  Weingeist  unlöslich  ist. 

Rectificatiou  des  Spiritns.  Die  mit  den  Apparaten  von  Plstoriiis  und  Andern 
gewonnene  alkoholische  Flüssigkeit  enthält  stets  Beimengungen  von  übelriechenden 
Alkoholen  (Fuselöl).  Der  Kartoffel-,  Korn-,  Melassen-  und  Treber-Spiritus  sind  be- 
sonders reich  daran. 

Die  Entfernung  dieser  Alkohole  geschieht  durch  fractionirte  Destillation,  da  die 
meisten  dieser  Alkohole  bei  130—150°  sieden.  Man  bedient  sich  dazu  besonderer 
Rectifications-Apparate  von  Cellier-Rlvmenthaf,  Sa  call?  u.  s.  w.  Man  hat  auch  chemische 
Mittel,  Chlorcalcium,  Kaliumchromat,  Eisenchlorid  u.  s.  w.  vorgeschlagen,  um  die  frem- 
den Bestandtheile  abzuscheiden,  was  aber  nicht  gelingt.  Die  Filtration  des  auf  56° 
verdünnten  Spiritus  mittels  Holzkohle  hat  sich  bisher  noch  am  besten  bewährt.6) 

Liqueure  heissen  weingeistige  Auszüge  aus  Pflanzenstoffen  oder  Mischungen  der 
betreffenden  ätherischen  Oele  mit  Weingeist  unter  reichlichem  Zusätze  von  Zucker  und 
Wasser.  Bei  den  sogenannten  Cremes  folgt  auf  die  Digestion  noch  die  Destillation 
und  schliesslich  die  Versüssung  mit  Zucker:  der  über  Wachholderbeeren  destillirte 
Branntwein  heisst  in  Holland  Genevre  und  in  England  Gin:  letzterer  unterliegt  sehr 
vielen  Fälschungen  und  erhält  namentlich  Zusätze  von  scharfen  Stoffen. 

Ratafia  heissen  die  Branntweine,  welche  man  durch  Vermischen  von  Frucht- 
säften, Zucker  und  Weingeist  erhält.  Besonders  beachtenswerth  sind  die  Branntweine, 
welche  sich  durch  einen  Gehalt  an  Blausäure  auszeichnen;  hierher  gehören:  das 
einfache  und  doppelte  Kirschwasser,  welches  sowohl  aus  Prunusarten  als  auch 
aus  Amygdaleen  bereitet  wird;  der  ungarische  Zwetschenbranntwein,  genannt 
Slivovitz,  der  aus  Pfirsich  steinen  und  Blättern  bereitete  Persico,  sowie  der 
Maraschino,  welcher  aus  einer  Kirschart  unter  Zusatz  von  Pfirsichblättern  u.  s.  w. 
bereitet  wird. 

Der  Vogelbeerbranntwein  aus  Sorbus  aucuparia  enthält  neben  Blausäure 
noch  ein  eigenthümliches  betäubendes  FermentÖl,  welches  sich  wahrscheinlich  aus  dem 
in  den  Beeren  enthaltenen  Sorbin  (C6H.206)  entwickelt.  Benutzt  man  Kirschen,  so 
werden  sie  von  den  Stengeln  befreit  und  zerquetscht:  das  Amygdalin  befindet  sich 
in  den  Kernen  und  verwandelt  sich  durch  Zersetzung  in  Bittermandelöl,  Blausäure 
und  Zucker.  Nachdem  man  die  breiige  Masse  hat  gähreu  lassen,  treibt  man  Dampf 
durch  dieselbe  und  beginnt  mit  der  Destillation. 

Bei  der  Destillation  aller  vergohrenen  Flüssigkeiten,  welche  Blausäure  enthalten, 
ist  wohl  zu  beachten,  dass  diese  Säure  flüchtiger  als  der  Alkohol  ist,  sich  im  Beginne 
der  Destillation  massenhaft  entwickelt  und  bei  schlechter  Kühlung  zum  Theil  gasförmig 


Weingeistindustrie.  409 

entweichen  kann;  auch  ist  der  Vorlauf  gewöhnlich  mit  Blausäure  gesättigt.  Zur  Ver- 
hütung yon  Unglücksfällen  muss  man  die  nicht  condensirten  Gase  und  Dämpfe  aus  dem 
Arbeitsiocale  entfernen;  bei  Nichtbeachtung  dieser  Vorsichtsmassregel  sind  schon  Todes- 
fälle unter  den  Arbeitern  vorgekommen.  Zur  Beseitigung  der  Gase  dient  der  Gas- 
sam melk  asten  (s.  Holzgeist).  Der  Vorlauf  muss  mit  der  ganzen  Ausbeute  von 
Destillationsproducten  vermischt  werden,  weil  er  durch  seinen  reichen  Gehalt  an  Blau- 
säure, pur  genossen,  Vergiftungserscheinungen  hervorrufen  würde. 

Was  das  Färben  der  Branntweine  betrifft,  so  dürfen  dazu  nur  unschädliche 
Stoffe,  wie  Sandelholz,  Kurkuma,  Cochenille,  Safflor,  Karamel  u.  s.  w.  genommen 
werden.  Der  Gebrauch  von  Anilinfarben  ist  zu  verbieten,  da  dieselben  bekanntlich 
häufig  noch  schädliche  metallische  Beimengungen,  namentlich  A r s e n ,  enthalten  können; 
auch  Naphtalinfarben,  welche  man  neuerdings  gebraucht,  können  unter  Umständen 
schädlich  wirken.  Die  blaue  Farbe  wird  am  besten  durch  Indigo-Carmin  und  die 
grüne  durch  eine  Mischung  von  Blau  und  Safrantinctur  dargestellt.  Pikrinsäure 
darf  nicht  angewendet  werden,  obgleich  man  in  England  einen  reichlichen  Gebrauch 
davon  macht. 

Nachweis  von  Alkohol.  Die  Angabe,  dass  sich  durch  Schwefelsäure  und 
Kaliumbichromat  am  besten  der  Alkohol  in  den  Organen,  namentlich  im  Urin,  durch 
die  Farben  Veränderung  von  Roth  in  Smaragdgrün  sicher  nachweisen  lasse,  gibt  zu 
grossen  Täuschungen  Veranlassung,  weil  eine  jede  organische  Substanz  dieselbe  Reaction 
hervorruft.     Das  einfachste  Verfahren  besteht  in  der  Destillation.7) 

Verwendung  des  Alkohols.  Auf  seiner  Eigenschaft,  allen  Substanzen  Wasser  zu 
entziehen,  beruht  seine  antiseptischeWirkung;  er  soll  llVol.-Proc.  atmosphärische  Luft 
aufnehmen  und  mehr  Sauerstoff  als  Stickstoff  absorbiren;  schon  der  Sauerstoff  der  Luft 
verwandelt  ihn  allmählig  in  Essigsäure;  hierauf  beruht  die  Schnellessigfabrication. 

Wird  Sauerstoff  in  die  Alkoholflamme  geblasen,  so  entsteht  eine  so  grosse  Hitze, 
dass  in  der  Stichflamme  Platin  zum  Schmelzen  gebracht  werden  kann;  man  erhält  auf 
diese  Weise  das  für  die  Industrie  wichtige  Alkoholgebläse. 

Alkohol  (das  arabische  Wort  Kohol  bedeutet  das  „Reinste",  AI  ist  der  Artikel) 
ist  besonders  als  Lösungsmittel  für  ätherische  Oele,  Harze,  Fette,  Bromid,  Jod  und 
viele  Salze  wichtig  und  für  die  Darstellung  von  chemischen  Präparaten  unentbehrlich. 

Der  zur  Hälfte  bis  zu  zwei  Dritteln  mit  Wasser  vermischte  Alkohol  ist  als 
Branntwein  das  verbreitetste  Genussmittel.  Die  verschiedenen  Branntweine  werden 
entweder  direct  dargestellt  oder  aus  80 — 85procentigem  Rohspiritus  gewonnen,  der 
rectificirt,  in  Sprit  von  90  95%  Alkoholgehalt  verwandelt  und  dann  mit  den  nöthigen 
Zusätzen  von  Wasser,  Zucker  u.  s.  w.  versetzt  wird. 

Das  Lagern  des  Weingeistes.  Der  Weingeist  darf  in  Fässern  lagern,  weil  eine 
Verdunstung  durch  die  Dauben  nicht  stattfindet:  nur  Wasser  verdunstet  hierbei.  Vor- 
zuziehen ist  stets  das  überirdische  Lagern,  um  bei  einem  Brandunglück  rascher  ein- 
wirken und  die  mit  Explosionen  verbundenen  Gefahren  vermindern  zu  können.  Lagert 
dagegen  der  Weingeist  allein  in  gut  gewölbten  Kellern,  so  kann  man  dieselben  bei 
entstehendem  Brande  hermetisch  verschliessen  und  auf  diese  Weise  das  Feuer  löschen. 
Absoluter  Alkohol  muss  in  gut  verschlossenen  Gefässen  aufbe wahrt  werden,  damit 
er  nicht  Wasser  aus  der  Luft  anzieht. 

Aether,  Aethyläther,  Schwefeläther,  Aetker  snlfaricus,  C2H5^0  C3H5=C4H100, 
wird  durch  Erhitzen  von  Schwefelsäure  (9  Th.)  und  Alkohol  (5  Th.)  von  90  %  auf 
135—140°  dargestellt.  Es  entsteht  zuerst  Aethylschwefelsäure  (C2H60  +  H2S04 
=  C2H5HS04  +  H20),  welche  sich  mit  einem  zweiten  Molec.  Alkohol  in  Aether  und 
Schwefelsäure  zersetzt: 

C2H5HS04  +  C2H60  =  C2HrC^C2H5  +  H2S04. 

Die  zurückbleibende  Schwefelsäure  kann  wieder  zur  Zersetzung  eines  neuen  Zu- 
satzes von  Alkohol  benutzt  werden,  so  dass  man  mit  einer  verhältnissmässig  geringen 
Menge  von  Schwefelsäure  unbegrenzte  Mengen  Alkohol  in  Aether  überzuführen  vermag. 

Der  Aether  ist  eine  farblose  Flüssigkeit  von  durchdringendem  Gerüche  und  süss- 
lich  brennendem  Geschmack,  hat  bei  0°  das  spec.  Gewicht  0,736,  siedet  bei  35°  und 
erstarrt  bei  —  44°  zu  einer  weissen  krystallinischen  Masse.  Seine  Dämpfe  verbrennen, 
mit  Sauerstoff  oder  Luft  gemengt,  unter  heftiger  Explosion.  Mit  Alkohol  ist  Aether 
mischbar,  aber  36  Th-  Aether  nehmen  nur  1  Th.  Wasser  auf,  während  IS  Th.  Wasser 
1  Th.  Aether  lösen.  Für  Gummiharze  und  eigentliche  Harze  ist  er  ein  gutes  Lösungs- 
mittel ;  von  Schwefel  und  Phosphor  löst  er  nur  den  V27  Theil.  Die  Lösungen  von  Jod 
und  Brom  werden  an  der  Luft  leicht  sauer.  Chlor  wirkt  in  der  Weise  auf  den  Aether 
ein,  dass  es  den  Wasserstoff  substituirt. 

Wirkung   des    Aethyläthers    auf   den    thieriseken  Organismus.     Seitdem  der 

Geologe  und  Chemiker  Jackson  zu  Boston  im  Jahre  1846  seine  Beobachtungen 


410  Aethylverbindungen. 

über  die  schmerzstillende  Wirkung  der  Aetherinhalation  bekannt  gemacht  hat, 
sind  hierüber  unzählige  Versuche  und  Beobachtungen  veröffentlicht  worden.  Im 
Allgemeinen  ist  bei  der  Einwirkung  des  Aethers  das  Stadium  der  Aufregung 
länger  und  das  der  Betäubung  kürzer  als  beim  Chloroform;  die  Erfahrung  hat 
aber  festgestellt,  dass  der  Tod  durch  Herz-  oder  Athmungslähmung  weniger 
leicht  als  beim  Chloroform  eintritt.  Wegen  der  geringern  Flüchtigkeit  des 
Aethers  wird  derselbe  auch  weniger  rasch  aus  dem  Blute  ausgeschieden  und  ist 
deshalb  die  Schwere  und  Eingenommenheit  des  Kopfes  wie  nach  einem  starken 
Rausche  bei  der  Aetherisation  sehr  belästigend;  diese  höchst  unangenehmen 
Folgen  haben  am  meisten  die  Bevorzugung  des  Chloroforms  veranlasst.  Der  in 
Frankreich  empfohlene  ether  purifie  unterscheidet  sich  nur  durch  einen  ge- 
ringern Wassergehalt,  da  sein  spec.  Gewicht  bei  +150°  C.  0,725  beträgt.8) 

In  Werkstätten,  in  denen  Aether  zur  Verwendung  kommt,  oder  bei  seiner  fabrik- 
gen  Darstellung  leiden  die  Arbeiter  vorzugsweise  an  einer  Eingenommenheit  und 
Schwere  des  Kopfes,  die  in  eiuen  rauschähnlichen  Zustand  übergehen  kann.  In  der 
Regel  schwinden  die  Beschwerden  rasch  wieder  an  der  freien  Luft,  kehren  aber  bis- 
weilen sehr  leicht  zurück  und  machen  dann  den  Aufenthalt  in  solchen  Räumen  auf  die 
Dauer  unerträglich.  Man  hat  hierauf  zu  achten  uud  den  Arbeitern  in  einem  solchen 
Falle  dringend  zu  rathen.  die  schädliche  Einwirkung  zu  vermeiden. 

Verwendung  findet  der  Aether  vorzugsweise  als  Auflösungsmittel  harziger  und 
öliger  Substanzen;  als  Extractionsmittel  öliger  Samen  wird  er  dem  Schwefelkohlenstoff 
Concurrenz  machen. 

Seine  Versendung  muss  in  Flaschen  von  höchstens  20  Pfund  geschehen,  die  in 
Holzkasten  mit  Kleie  oder  Sägespänen  umhüllt  sind;  dasselbe  gilt  vom  absoluten  Alkohol. 

Aethyläther-  Industrie. 

Beim  Destill iren,  wozu  man  eiserne,  inwendig  verbleite  Kessel  von  circa 
1 — 2  Ohm  Inhalt  benutzt,  werden  die  gebildeten  Dämpfe  des  Wassers,  Aethers 
und  Alkohols  dadurch  getrennt,  dass  sie  durch  ein  senkrecht  stehendes  Rohr  ge- 
trieben werden,  von  welchem  in  verschiedenen  Höhen  Zweigröhren  nach  isolirten 
Kühlapparaten  hinführen,  wodurch  alsdann  die  Fractionirung  stattfindet.  Das 
Wasser  geht  durch  das  unterste  Zweigrohr  nach  der  Kühlschlange,  wohin- 
gegen der  Alkohol  und  Aether  in  die  Höhe  steigt  und  dort  gekühlt  resp.  con- 
densirt  wird. 

Der  condensirte  Aether  fliesst  sofort  aus  der  Kühlschlange  in  den  Recti- 
fication sapparat,  welcher  mit  Pottasche  zu  einem  Drittel  angefüllt  ist  und 
durch  die  vom  Rohkessel  abgeführte  warme  Luft  in  Destillationshitze  gehalten 
wird.  Aus  dem  Rectificator  treten  die  Dämpfe  in  eine  Kühlschlange,  welche 
durch  fortwährend  zuströmendes  Wasser  bis  auf  mindestens  +9°  Temperatur  ge- 
halten wird.  Der  fertig  gebildete  Aether  wird  in  grossen  Glasballons  auf- 
gefangen. 

Ist  der  Alkohol  im  Gemische  des  Rohkessels  zerlegt,  hat  man  den  gebildeten 
Aether  und  das  Wasser  abdestillirt,  so  lässt  man  in  fortwährendem  dünnem  Strahle 
eine  neue  Portion  Weingeist  in  die  siedende  Schwefelsäure  fliessen,  worauf  die  Aether- 
bildung  continuirlich  stattfindet.  Es  ist  hierbei  zu  beachten,  1)  dass  sich  die  Gase  resp. 
die  aus  dem  Apparate  tretende  Luft,  welche  stets  mit  Aether  geschwängert  ist,  nicht 
im  Arbeitslocal  verbreiten,  in  welchem  sich  Feuerungen  befinden.  Es  müssen  deshalb 
in  den  betreffenden  Etablissements  die  Kühlvorrichtungen  stets  von  den  Kesseln  durch 
eine  Mauer  getrennt  und  erstere  mit  einem  Gassammeikasten  versehen  werden:  ausser- 
dem sind  die  Feuerungen  ausserhalb  des  Laboratoriums  anzulegen;  2)  dass  man  die 
Pottaschenrückstände,  welche  viel  schweflige  Säure  enthalten,  auf  geeignete  Weise 
verwerthe  und  nicht,  wie  es  früher  häufig  geschah,  in  öffentliche  Canäle  oder  Schling- 
gruben abfliessen  lässt;  3)  dass  das  aus  der  Schwefelsäure  abdestillirte  Wasser,  welches 
mit  dem  sogen,  schweren  und  leichten  Wein  öl  imprägnirt  ist,  nicht  in  die  Schling- 
oruben    abfliessen    lässt.     Dasselbe    hat    nämlich    einen    betäubenden    und    höchst     un- 


Aethyläther-  Industrie.  411 

angenehmen  Geruch  und  würde  in  diesem  Falle  die  benachbarten  Brunnen  unbrauchbar 
machen  können. 

Fast  alle  zusammengesetzten  Aetherarten,  welche  sowohl  zurAethyl-,  Methyl- 
als  auch  Amylgruppe  gehören,  fanden  bisher  fast  lediglich  ihre  Verwendung  in  den 
Parfümerien,  "in  der  Kosmetik  und  namentlich  in  der  Liqueur-  und  Seifenfabrication. 

Die  Darstellung  von  Chloroform  gehört  insofern  zur  Aethylindustrie, 
als  man  dazu  mehr  Alkohol  als  Holzgeist  benutzt. 

Man  mischt  Alkohol  mit  einer  wässrigen  Losung  von  Chlorkalk  und  unterwirft 
dieses  Gemisch  der  Destillation.  Da  die  Einwirkung  unter  heftigem  Aufschäumen  statt- 
findet, so  muss  die  Procedur  in  geräumigen  Destillationsgefässen  vorgenommen  werden. 
Die  Rückstände  enthalten  stets  noch  mehr  oder  weniger  unzersetztes  unterchlorig- 
saures  Calcium;  man  kann  sie  als  Desinfectionsmittel  benutzen;  wegen  ihres  Gehalts 
an  Chlorcalcium  sind  sie  sehr  belästigend  und  können  beim  Ablagern  sehr  zum  Feucht- 
werden der  Mauern  beitragen.  Wenn  der  Weingeist  fuselölhaltig  war,  so  sind  die 
Rückstände  ebenfalls  mit  Fuselöl  geschwängert.  Wegen  der  Feuerungsanlagen  und 
Gasexhalationen  sind  dieselben  Vorsichtsniassregeln  wie  bei  der  Aetherfabrication  er- 
forderlich. 

Salpetrigsäure -Äeth er,  Aethylnitrit,  Aether  nitrosus,  C2H5N02,  wird  durch 
Destillation  eines  Gemisches  von  Alkohol  und  Salpetersäure  erhalten.  Der  Alkohol 
reducirt  hierbei  die  Salpetersäure  zunächst  in  salpetrige  Säure,  welche  dann  auf  den 
noch  unzersetzt  gebliebenen  Alkohol  einwirkt. 

Eine  strohgelbe  Flüssigkeit  von  ätherischem,  den  Borsdorf  er  Aepfeln  ähnlichem 
Gerüche  und  süsslichem  Geschmack,  welche  bei  +16,5°  siedet  und  ein  spec.  Gew.  von 
0,941  hat  und  leicht  entzündlich  ist.  Wegen  ihrer  grossen  Flüchtigkeit  entsteht  beim 
Verdunsten  derselben  an  der  Luft  ein  hoher  Grad  von  Kälte. 

Der  Spiritus  nitrico- dulcis  der  Pharmacopoe  ist  ein  Gemisch  von  Aethyl- 
nitrit mit  Weingeist. 

Einwirkung  des  Aethylnitrits  anf  den  thierischen  Organismus.  Dieser  Aether 
erzeugt  sehr  rasch  eine  Anästhesie,  welche  jedoch  ebenso  rasch  wieder  verschwindet. 
Er  ist  so  flüchtig,  dass  er  in  grösserer  Menge  in  Flaschen  nicht  aufbewahrt  werden 
kann  und  kommt  daher  meistens  in  Verbindung  mit  Alkohol  zur  Verwendung. 

Wenn  Rirhardson9)  behauptet,  dass  das  Blut  durch  diesen  Aether  chocoladenf arbig 
werde,  so  liegt  die  Vermuthung  nahe,  dass  das  benutzte  Präparat  eine  freie  Säure,  ent- 
weder salpetrige  oder  Salpetersäure,  enthalten  hat.  Bekannt  ist  die_  Thatsache,  dass 
manche  Laboranten  bei  der  Darstellung  dieses  Präparats  eine  bläuliche  Gesichts- 
farbe ohne  alle  auffallende  Beschwerden  bekommen,  indem  die  kleinern  Venenstämme 
durch  eine  grössere  Ausdehnung  sichtbarer  werden. 

Verwendung  findet  dieser  Aether  als  reducirendes  Mittel  in  der  Anilinfabrication, 
um  'Rohanilin  in  Blau  zu  verwandeln,  und  zur  Darstellung  von  Essenzen. 

Salpetersäure -Aethyläther,  Aether  nitricus.  C2H5ON02,  wird  durch  Destillation 
von  Salpetersäure,  Alkohol  und  Harnstoff  dargestellt:  letzterer  verhütet  die  Bildung 
von  salpetriger  Säure,  indem  er  sich  in  gleiche  Volumina  Stickstoff  und  Kohlensäure 
zerlegt.  Eine  angenehm  riechende  Flüssigkeit,  welche  bei  86°  siedet  und  ein  spec.  Gew. 
von  1,112  bei  +17°  hat:  sie  brennt  mit  weisser  Flamme. 

Einwirkung  des  salpetersauren  Aethyläthers  auf  den  thierischen  Organismus. 
Ein  starkes  Kaninchen  wurde  mit  dem  Vorderkopfe  in  einen  Trichter  gesteckt,  in  dessen 
Grund  ein  mit  dem  Aether  imprägnirter  LeinTvandpfropfen  lag.  Nach  2  M.  verlangsamt 
sich  die  Respiration  und  wird  pfeifend,  nach  10 M.  grosse  Unruhe:  nach  14  M.  Zusatz 
des  Aethers,  hierauf  beschleunigte  und  angestrengte  Respiration.  Nach  15  M.  abermals 
Zusatz  des  Aethers;  schwache  convulsivische  Bewegungen  in  den  Vorderbeinen,  die 
Hinterbeine  sind  erschlafft,  Als  nach  25  M.  der  Kopf  des  Kaninchens  frei  gelassen 
wird,  lässt  es  denselben  nur  einen  Augenblick  auf  der  Seite  liegen,  dann  erhebt  es  den 
Kopf,  steht  auf  und  läuft  davon;  die  Respiration  regulirt  sich  bald  und  Nachkrankheiten 
bilden  sich  nicht  aus.    Von  einer  Anästhesie  konnte  somit  keine  Rede  sein. 

Chambert  will  dagegen  mit  diesem  Aether  eine  kurz  dauernde  Anästhesie  hervor- 
gerufen haben,  welche  nicht  mit  Erschlaffung,  sondern  mit  Rigidität  der  Muskeln  ver- 
bunden war. 

Verwendung  findet  dieser  Aether  zur  Oxydation  des  Anilins  in  Anilinfarben- 
fabriken. 

Oxy  dationsproducte  des  Alkohols. 

1)  Aldehyd,  Acetaldehyd  CH3~CHO=:02H40  kommt  in  der  Natur  nicht  fertig 
gebildet  vor   und  findet  sich  im  Rum   und  in  Bordeaux- Weinen.     Der  Name  Aldehyd, 


412  Aethylvei'binduugen. 

d.  h.  Alkoholdehydrogenatus  rührt  daher,  dass  man  sich  2  Atoine  Wasserstoff  dem 
Alkohol  entnommen  dachte  und  zwar  durch  Oxydation  und  Bildung  von  Wasser. 
Aldehyd  ist  nämlich  Alkohol  minus  Wasserstoff: 

GH60-2H  =  C2H40. 

Die  Aldehyde  gehen  daher  mit  nascirendem  Wusserstoffe  wieder  in  ihre 
Alkohole  über : 

C2H40  +  H2  =  C,H„0. 

Durch  die  Einwirkung  von  wässriger  Chromsäure  oder  einem  Gemenge  von 
Braunstein  und  Schwefelsäure  auf  Alkohol  wird  Aldehyd  dargestellt.  Werden  stickstoff- 
haltige thierische  Substanzen  (Fibrin,  Harn,  Haare,  Leim)  auf  diese  Weise  behandelt,  so 
bilden  sich  stets  erhebliche  Mengen  von  Aldehyden.  Auch  der  atmosphärische  Sauer- 
stoff resp.  das  Ozon  vermag  den  Alkohol  seines  Wasserstoffs  zu  berauben  und  Aldehyd 
zn  bilden. 

Aldehyd  ist  eine  farblose,  ätherartige  Flüssigkeit  von  erstickendem  Gerüche, 
welche  bei  21°  siedet  und  das  spec.  Gew.  0,8  hat:  sie  reagirt  neutral,  entzündet  sich 
leicht  und  brennt  mit  blasser  Farbe.  An  der  Luft  nimmt  Aldehyd  Sauerstoff  auf, 
verbreitet  dabei  einen  eigenthümlichen  erstickenden  Geruch  und  geht  schliesslich  in 
Essigsäure  über : 

C2H40  +  0  =  C2H402. 

Deshalb  wirken  die  Aldehyde  auch  reducirend,  weil  sie  das  grösste  Bestreben 
haben,  sich  zu  den  entsprechenden  Säuren  zu  oxydiren;  namentlich  zersetzen  sie  die 
Silbersalze  und  erzeugen  einen  sogen.  Silberspiegel,  d.  h.  metallisches  Silber,  nach- 
dem die  aldehydhaltige  Flüssigkeit  vorher  mit  Ammoniak  schwach  übersättigt  worden. 

Auf  dieser  reducirenden  Wirkung  des  Aldehyds  in  alkalischer  Flüssigkeit  be- 
ruht auch  die  Veränderung  des  Blutfarbstoffs,  welche  beim  Vermischen  von  alkalischem 
Blut  mit  Aldehyd  eintritt;  dadurch  schwinden  nämlich  die  Blutbänder. 

Wird  Aldehyd  wasserfrei  in  gut  schliessenden  Gefässen  aufbewahrt,  so  erleidet  es 
sehr  leicht  eine  Molecularumwandlung,  indem  zwei  mit  ihm  isomere  Körper,  Met- 
aldehyd und  Paraldehyd,  entstehen. 

Durch  Kalium  wird  Aldehyd  in  eine  gelbe  harzige  Masse,  Aldehydharz,  ver- 
wandelt, wobei  das  benutzte  Kali  in  das  essigsaure  und  ameisensaure  Salz  übergeht. 

Einwirkung  des  Aldehyds  auf  den  thierischen  Organismus,  l)  Ein  Kaninchen 
sitzt  im  kleinen  Holzkasten;  es  werden  4  Grm.  Aldehyd  eingetröpfelt;  sogleich  grosse 
Unruhe ,  anhaltendes  Putzen  des  Mauls  und  Thränen  der  Augen  bei  unterdrückter 
Respiration;  nach  10  M.  ruhiges  Sitzen  und  Zurückziehen  dos  Kopfes.  Nach  20  Min. 
nochmals  Einträufeln  von  4  Grm.  Aldehyd;  hierauf  wieder  abwechselnd  Unruhe  und 
stilles  Verhalten,  in  den  Nacken  zurückgezogener  Kopf,  starkes  Reiben  der  Nase  und 
Thränen  der  Augen.  Nach  30  M.  Herausnahme  des  Kaninchens;  bei  erweiterter 
Pupille  wird  die  Respiration  sehr  stürmisch,  die  Herzaction  sehr  beschleunigt,  während 
es  sich  ruhig  verhält;  in's  Freie  gebracht  läuft  es  bald  umher. 

2)  Der  Kopf  eines  Kaninchens  wird  in  einen  Glastrichter  gesteckt,  in  dessen 
Grund  ein  mit  40  Tropfen  Aldehyd  befeuchteter  Baumwollenpfropfen  liegt.  Es  sträubt 
sich  gewaltig,  nach  3  M.  sind  die  Glieder  schlaff  und  die  Respiration  wird  unregel- 
mässig: nach  5  M.  beschleunigter  Herzschlag  und  ganz  unempfindliche  Bulbi; 
nach  6  M.  auf  die  Erde  gesetzt,  bleibt  es  in  vollständiger  Seitenlage  liegen ,  den  Kopf 
erhebt  es  aber  bald,  die  Respiration  beschleunigt  sich  ganz  ausserordentlich;  3  M.  her- 
nach sind  die  Bulbi  noch  unempfindlich,  während  die  Hinterbeine  zucken,  wenn 
man  auf  den  Rücken  klopft;  nach  5  M.  erhebt  es  den  Oberkörper  und  die  Respiration 
ist  wieder  normal,  während  der  Herzschlag  noch  beschleunigt  ist. 

3)  Eine  Taube  wird  mit  dem  Kopfe  in  ein  weites  Glasrohr,  in  welchem  sich  ein  mit 
20  Tropfen  Aldehyd  befeuchteter  Baumwollenpfropfen  befindet,  gesteckt.  Nach  2  M.  ist 
der  Körper  erschlafft;  das  Thier  bleibt  in  der  Seitenlage  mit  aufgerichtetem  Kopfe  liegen- 
Nach  einer  nochmaligen  Inhalation  von  2  M.  langer  Dauer  wird  die  Respiration  unregel. 
massig  und  ist  mit  Schlei mrasseln  verbunden;  frei  hingelegt,  bleibt  sie  nur  %  M.  in  der 
Seitenlage;  alsbald  erhebt  sie  den  Kopf;  nach  2  M.  steht  sie  auf  und  erbricht  sich;  sie 
schwankt  nicht  im  Geringsten  und  geht  grade  einher;  auch  die  Respiration  regulirt 
sich  bald,  während  der  Herzschlag  noch  einige  Zeit  beschleunigt  bleibt. 

4)  Nach  40  Tropfen  Aldehyd  wird  eine  Taube  binnen  3%  M.  ganz  anästhetisch: 
2  M.  hernach  blinzelt  sie  wieder  mit  den  Augen  und  3  M.  später  steht  sie  auf  und 
schwankt  nur  wenig;  die  anfangs  beschleunigte  Respiration  regulirt  sich  bald  und  die 
Pupille  zeigt  die  normalen  Durchmesser:  nur  ein  einmaliges  Erbrechen  erfolgte. 

5)  Mit  einer  andern  Taube  wurde  dasselbe  Experiment  bei  Benutzung  von 
30  Tropfen  Aldehyd  gemacht.  Alsbald  Thränen  der  Augen  und  Respiration  mit  Schleim- 
rasseln;   nach    1 '/2   M.  Zusammenziehen   der  Beine,   krampfhaftes   Aufschlagen   mit   den 


Aldehyd.  413 

Flügeln,  Husten,  schnelle  Abnahme  der  Respiration,  so  dass  nach  2  %  M.  bei  erweiterter 
Pupille  Respiration  und  Herzschlag  stille  stehn. 

Section  nach  7  Stunden.  Hirnhäute  massig  injicirt;  die  stärkste  Hyperämie 
in  der  Umgebung  der  Med.  oblong.;  die  Mundhöhle  ist  mit  dickem  weissem  Schleim 
angefüllt;  das  die  Trachea  umgebende  Zellgewebe  enthält  stark  angefüllte  Gefässe:  die 
Schleimhaut  der  Trachea  schwach  injicirt,  kurz  unterhalb  der  Bifurcation  mit  einer 
dünneD  Lage  blutiger  Flüssigkeit  bedeckt-  Lungen  hellziegelroth,  auf  den  Durch- 
schnittsfiächen  treten  überall  kleine  Blutstropfen  und  beim  stärkern  Zusammendrücken 
ein  blutiger  Schaum  zu  Tage.  Im  rechten  Herzventrikel  mehr  geronnenes  als 
flüssiges  Blut;  im  rechten  Yorhof,  in  der  ven.  cav.  inf.,  in  allen  Lungenvenen  und  im 
linken  Herzen  flüssiges  Blut;  alles  Blut  ist  in  dicken  Schichten  fast  schwarzroth,  in 
dünnern  dunkelviolettroth  ,  es  gerinnt  an  der  Luft  und  färbt  sich  im  Verlaufe  einer 
Stunde  hellroth.  Leber  dunkelbraunroth  und  wie  die  Nieren  sehr  blutreich.  In  allen 
Organen,  in  der  Lunge  und  Leber,  am  Gehirn  und  selbst  an  den  Muskeln  war  ein 
deutlicher  Aldehyd-Geruch  bemerkbar;  in  Lunge  und  Leber  Hess  sich  mittels  Lackmus- 
papier eine  saure  Reaction  nachweisen.  —  Leber,  Lunge  und  Muskelfleisch  wurden  mit 
alkalischem  Wasser  ausgezogen  und  eingedampft;  als  der  Rückstand  mit  Schwefelsäure 
versetzt  wurde,  entwickelten  sich  saure  Dämpfe,  welche  wahrscheinlich  Essigsäure- 
dämpfe waren.  Aus  Mangel  an  Substanz  konnte  eine  genaue  Analyse  nicht  gemacht 
werden. 

Aldehyd  wirkt  ausserordentlich  reizend  auf  die  Schleimhäute  der  Nase,  der 
Augen,  des  Kehlkopfs  und  der  ganzen  Bronchialverzweiguug  ein.  Bei  Menschen 
entsteht  häufig  ein  starkes  Niessen  oder  ein  heftiger  Husten;  die  Arbeiter  in  den 
Schnellessigfabriken,  welche  am  meisten  den  Dämpfen  des  Aldehyds  ausgesetzt 
sind,  leiden  beständig  an  Brustcatarrh,  welchen  man  als  den  Geschäftshusten  zu 
bezeichnen  pflegt.  Sensible  Personen  werden  aber  ausserdem  noch  von  einem 
Zusammenschnüren  der  Brust  und  einem  Gefühl  von  Dyspnoe  befallen,  was 
offenbar  in  dem  gestörten  Respirationsprocesse  seinen  Grund  hat,  da  bei  dem 
schnellen  Eindringen  des  Aldehyds  in  alle  Organe  überall  der  Sauerstoff  weg- 
genommen und  dadurch  der  Respirationsprocess  beeinträchtigt  wird;  bei  fort- 
gesetzter Einwirkung  der  Dämpfe  des  Aldehyds  muss  deshalb  schliesslich  Er- 
stickung erfolgen. 

Bei  den  Versuchen  an  Thieren  fiel  auch  stets  die  progressive  Abnahme 
der  Respiration  auf;  beim  fünften  Versuche  erfolgte  der  Stillstand  der  Lungen- 
und  Herzthätigkeit  sehr  rasch,  obgleich  hier  weniger  Aldehyd  als  beim  vierten 
Versuche  zur  Anwendung  kam;  hier  wurde  die  Taube  durch  das  schnelle  Aus- 
setzen an  die  freie  Luft  gerettet. 

Die  Anästhesie,  welche  durch  die  Dämpfe  von  Aldehyd  hervorgerufen 
wird,  fällt  mit  der  Abnahme  der  Respiration  zusammen  und  geht  deshalb  leicht 
in  Asphyxie  über,  worauf  schon  Nunneley10)  mit  Recht  aufmerksam  gemacht 
hat;  erstere  äussert  sich  zunächst  und  vorzugsweise  an  den  Augen;  dies  war 
wenigstens  bei  Versuchen  an  Kaninchen  der  Fall. 

Poggiale11)  hat  1846  zuerst  Aldehyd  als  Anaestheticum  empfohlen  und 
schreibt  diesem  Mittel  eine  raschere  und  energischere  Wirkung  als  dem  Chloroform 
zu;  die  energische  Wirkung  geht  nur  zu  leicht  in  den  asphyktischen  Tod  über, 
wie  das  Section sresultat  beim  fünften  Versuche  ergeben  hat. 

Auch  bei  der  Erholung  der  Thiere  dürften  die  stürmische  Respiration  und 
die  beschleunigte  Herzthätigkeit  dafür  sprechen,  dass  der  Mangel  an  Sauerstoff 
diese  Reizerscheinungen  hervorruft.  Wahrscheinlich  hängt  auch  hiermit  die 
Beobachtung  zusammen,  dass  die  Arbeiter  in  den  Schnellessigfabriken 
häufig  an  profusen  Kachtsch  weissen  leiden,  wenn  man  diese  als  eine  vicariirende 
Thätigkeit  für  den  gestörten  Respirationsprocess  betrachten  dürfte.  Andererseits 
nimmt   aber  das  Aldehyd   begierig  Sauerstoff  auf  und  verwandelt  sich  in  Essig- 


414  Aethylverbindungen. 

säure,  so  dass  auch  dieser  Umstand  die  Nachtschweisse  mit  veranlassen  könnte, 
da  bekanntlich  Essigsäure  sehr  die  wässrige  Ausscheidung  der  Haut  befördert. 
Die  saure  Reaction,  welche  man  bei  der  Section  (5.  Versuch)  nachweisen  konnte, 
rührte  jedenfalls  von  der  gebildeten  Essigsäure  her,  so  dass  schliesslich  noch 
diese  Säure  bei  der  deletären  Aldehyd-Einwirkung  von  Bedeutung  ist. 

Darstellung  des  Aldehyds  im  Grossen.  Man  stellt  Aldehyd  im  Grossen  durch 
einfache  Destillation  eines  Gemischs  von  Schwefelsäure,  Braunstein  und  Weingeist 
aus  kupfernen  Blasen  mit  zinnernen  Kühlröhren  dar.  Das  Rohproduct  wird  über 
Kaliumcarbonat  rectificirt.  Die  Verunreinigung  mit  Essigsäure,  Ameisensäure 
und  Alkohol  beeinträchtigen  seine  Anwendung  in  der  Farbentechnik  nicht,  bei 
welcher  es  vorzugsweise  zur  Darstellung  von  Anilinblau  und  Anilingrün 
verwendet  wird. 

Die  Rückstände  sind  stark  sauer  und  enthalten  schwefelsaures 
Manganoxydul;  sie  müssen  wie  alle  sauren  Rückstände  dieser  Art  behandelt 
werden,  indem  man  sie  mit  Kalk  neutralisirt;  sie  sind  dann  als  Desiufectionsmittel 
zu  gebrauchen. 

Bei  der  Destillation  hat  man  wegen  der  Feuersgefahr  dieselben  Vorsichts- 
massregeln wie  beim  Aether  zu  beobachten. 

Gegenwärtig  wird  Aldehyd  auch  im  Grossen  durch  fractionirte  Destillation 
des  sogenannten  Vorlaufs  des  Spiritus  dargestellt. 

In  der  Technik  begeguet  man  am  meisten  dem  Aldehyd  bei  der  Schnell- 
essigfabrication;  auch  hat  es  in  der  neuern  Zeit  als  Antisepticum  Anwen- 
dung gefunden,  indem  man  die  geeignete  Menge  in  Töpfe  bringt,  in  denen  das 
Fleisch  aufbewahrt  wird.  Durch  seine  Verdunstung  berührt  es  alle  Theile  des 
Fleisches,  raubt  den  Sauerstoff,  welcher  die  Fäulniss  einleiten  könnte,  und  ver- 
wandelt sich  auf  Kosten  desselben  in  Essigsäure,  welche  das  Fleisch  durchdringt. 

Aldehydauimoniak  C2H7NO  =  C.:H40  +  NH3  entsteht  durch  Einleitung  von 
Ammoniakgas  in  eine  ätherische  Lösung  von  Aldehyd;  eine  in  Rhomboedern  krystalli- 
sirende  Substanz,  aus  welcher  durch  Säuren  wieder  Aldehyd  entsteht.  Diese  Verbindung 
wird  zur  Darstellung  des  reinen  Aldehyds  benutzt;  sie  ist  von  der  Härte  des  gewöhn- 
lichen Zuckers  und  destillirt  bei  100°  unverändert  über;  in  Wasser  löst  sie  sich  leicht, 
wenig  in  Alkohol  und  am  wenigsten  in  Aether. 

Aldehyd- Ammoniak  tritt  bei  der  Bereitung  von  blauen  Anilinfarben 
aus  Rohanilin  auf,  auch  bei  Behandlung  eines  weingeistigen  Auszuges  thierischer  Stoffe 
mit  Ammoniak  resp.  Schwefelammonium.  Es  entspricht  in  seiner  chemischen  Zusammen- 
setzung dem  'f  aurin  C2HrNS03.   Mit  Schwefelwasserstoff  bildet  es  Thialdin  C6H13NS2. 

Einwirkung  von  Aldehydammoniak  auf  den  thieriseken  Organismus.  Ein  Meer- 
schweinchen sass  im  kleinen  Zinkkasten,  in  welchem  1  Grni.  Aldehydammoniak  ge- 
schmolzen resp.  verdampft  wurde.  Nach  2  M.  starkes  Putzen  des  Mauls:  nach  8  M. 
öfteres  Husten  und  Speicheln  bei  unveränderter  Respiration;  als  nach  1-4  M.  der  Kasten 
wieder  mit  Dämpfen  angefüllt  wurde,  schloss  das  Thier  die  Augen  und  wurde  sehr 
unruhig;  es  zeigen  sich  Augeuthränen,  starkes  Putzen,  häufiges  Husten,  Reiben  der 
Ohren,  grosse  und  beständige  Unruhe  mit  Zurückziehen  des  Kopfes  und  sehr  erschwerter 
Respiration.  Nach  25  M.  wird  das  Kaninchen  herausgenommen;  die  Motilität  ist  unge- 
stört, indem  das  Thier  sofort  vom  Stuhle  auf  die  Erde  springt;  die  Respiration  bleibt 
noch  10  M.  lang  beschleunigt  und  angestrengt:  Rhonchi  sind  nur  beim  Auflegen  des 
Ohrs  auf  die  Brust  des  Thiers  hörbar;  diese  halten  unter  bisweiligem  Aufhusten  36  St. 
lang  an.     Andere  Krankheiten  bilden  sich  nicht  aus. 

Eine  toxikologische  Wirkung  hat  das  Aldehydammoniak  nicht;  es  wirkt 
gleich  dem  Ammoniak  stark  reizend  auf  die  Respirationsschleimhaut  ein,  stört 
auf  die  Dauer  den  Gasaustausch  und  tödtet  schliesslich  nur  in  Folge  von  Er- 
stickunsr. 


Chloral.  415 


Verbindungen  des  Aldehyds  mit  Halogenen. 

Chloral,  dreifach  gechlortes  Aldehyd  CC13-CH0  =  C2HC130,  wird  durch 
Einleiten  von  Chlor  in  98procentigen  Alkohol  dargestellt,  wobei  der  Alkohol  zunächst 
in  Aldehyd  übergeführt  und  dann  weiter  cblorirt  wird: 

C2H60  +  Cl2  =  C2H40  +  2HC1. 
C2H40+3C12=C2HC130  +  3HC1. 

Chloral  ist  somit  Aldehyd,  in  welchem  3 Wasserstoff  durch  Chlor  vertreten  sind. 
Eine  farblose,  fettig  anzufühlende  Flüssigkeit,  welche  einen  eigenthümlichen  durch- 
dringenden Geruch  und  einen  zusammenziehenden  Geschmack  hat,  neutral  reagirt,  begierig 
Wasser  anzieht  und  bei  94°  siedet;  wird  sie  mit  Wasser  vermischt,  so  erhitzt  sich  die 
Flüssigkeit  und  erstarrt  zu  einem  Haufwerk  von  Krystallen,  zu  Chloralhydrat 
C2HC130  +  H20,  welches  in  vielem  Wasser  löslich  ist.  Bei  der  Destillation  zerfällt  es 
wieder  in  Chloral  und  Wasser;  mit  wässrigen  Albalien  zersetzt  es  sich  in  der  Wärme 
in  Chloroform  und  ameisensaures  Kalium: 

CC13-CH0  +  KH0  =  CHK02  +  CHC13. 

Chloral  reducirt  Silberlösungen;  es  verhält  sich  daher  in  seinen  Reactionen  wie 
ein  Aldehyd.    Es  wird  zu  Trichloressigsäure  oxydirt: 

CC13-CH0  +  0  =  CC13-C02H  oder  CCl8_COOH*) 

Chloral  ist  von  Oscar  Liebreich  als  Hypnoticum  eingeführt  worden12):  nur  in 
sehr  grossen  Dosen,  deren  Anwendung  nicht  ohne  Gefahr  ist,  erzeugt  es  Anästhesie. 
Zur  subcutanen  Injection  gebraucht  man  1 — 4  C.-C.  einer  wässrigen  Lösung  von  5  Grm. 
auf  10  C.-C.  Als  innerliche  Dosis  empfiehlt  sich  2,5—4,0  Grm.  in  15  Grm.  Wasser  gelöst 
unter  Zusatz  von  15  Grm.  Mucil.  Gm.  Mimos.  oder  Syr.  Cort.  aur. 

Liebreich  ist  der  Ansicht,  dass  das  Chloralhydrat  im  Thierorganismus  wenigstens 
theilweise  dem  Alkali  im  Blute  entsprechend  in  Chloroform  umgewandelt  werde,  be- 
hauptet aber  nicht,  dass  die  Wirkung  des  Chloralhydrats  allein  auf  der  Chloroform- 
wirkung beruhe.  Neuerdings  neigt  man  sich  immer  mehr  der  Ansicht  hin,  dass  das 
Chloralhydrat  als  solches  wirke. 

Der  Obductionsbefund,  welcher  bei  einer  durch  21,0  Grm.  Chloralhydrat 
umgekommenen  Frau  angetroffen  wurde,  ist  dem  beim  Chloroformtode  sehr  ähnlich. 

Beim  äussern  Befunde  zeigten  sich  auf  dem  Rücken  hellrothe  Todtenflecke, 
Hornhaut  getrübt,  Schleimhant  der  Lippen  und  des  Zahnfleisches  blass,  höchst  geringe 
Fäulnisserscheinungen.  Das  Gehirn  und  seine  Häute  hyperämisch:  die  Sinus  auf  der 
Basis  cranii  waren  mit  flüssigem,  kirschbraunrothem  Blute  angefüllt,  welches  mit  Luft- 
blasen reichlich  gemischt  ausfloss;  auch  aus  dem  Wirbelsäulencanal  fioss  reichlich 
Blut  von  derselben  Beschaffenheit  aus.  Lungen  hellblauroth  marmorirt,  beim  Ein- 
schneiden in  die  linke  Lunge  waren  300  Grm.  Blut  in  die  Brusthöhle  geflossen;  die 
Schleimhaut  der  Respirationswege  ist  blass;  im  Herzbeutel  fanden  sich  90  Grm.  helle 
klare  Flüssigkeit.  Das  Herz  ist  um  V3  grösser  als  im  Normalen,  sehr  platt,  zusam- 
mengefallen, sehr  weich,  welk  und  blutleer,  nur  in  den  Kranzgefässen  gewöhnlicher 
Blutgehalt:  die  Mitralklappe  knorpelig,  fast  knöchern,  ebenso  die  Valvul.  semilunares 
Aortae;  die  ausgedehnte  und  blutreiche  Leber  reichte  bis  zum  Hüftbeinkamm,  patholo- 
gische Zustände,  die  wahrscheinlich  nicht  ohne  Einfluss  auf  die  Katastrophe  waren. 

Da  das  Blut  angeblich  sauer  reagirte,  so  ist  die  Annahme  wohl  gestattet,  dass 
sich  Ameisensäure  in  diesem  Falle  abgespaltet  und  zum  tödtlichen  Ausgange  mit  bei- 
getragen hat. 

Bei  V  er  giftung  durch  Chloralhydrat  wird  Strychnin  als  Antidot  und  umgekehrt 
bei  Strychninvergiftung  Chloralhydrat  empfohlen.13) 

Bei  der  f abrikmässigen  Darstellung  ist  vorzugsweise  darauf  zu  achten, 
dass  Chlor,  welches  monatelang  mit  Alkohol  in  der  Hitze  behandelt  werden  muss, 
wieder  zur  Absorption  gelangt,  weil  sonst  die  ganze  Umgegend  dadurch  belästigt  wird; 
es  muss  daher  für  die  gehörige  Dichtigkeit  der  Apparate  gesorgt  werden. 

Die  Chlorentwicklung  geschieht  auf  die  gewöhnliche  Weise  in  grossen  steinernen 
Kruken,  welche  mit  den  erforderlichen  Tubulaturen  versehen  sind.  Am  besten  benutzt 
man  luftige,  theilweise  offenstehende  Schuppen  für  die  ganze  Fabrication.  Das  mit  den 
Alkoholdämpfen   entweichende   Chlor  muss   sorgfältig   aufgefangen  werden,    was  Seitens 


*)  Wird  Chloral  mit  concentrirter  Schwefelsäure  destillirt,  so  wird  es  theilweise 
zersetzt  und  es  bildet  sich  ein  krystallinischer  Körper,  Chloralid  C5H2C103,  welcher 
bei  200°  unzersetzt  destillirbar  ist.  Diese  Verbindung  hat  keine  hypnotische  Wirkung. 
2,013  Grm.  wurden  davon  einer  Taube  eingeflöst,  worauf  nach  5  M.  Würgen  und  Er- 
brechen entstand.  Nach  1  Stunde  erhielt  sie  nochmals  3  Grm.  davon,  ohne  dass  sich 
bemerkenswerthe  Erscheinungen  einstellten. 


416  Aethyl  Verbindungen. 

der  Fabricanten  auch  geschieht,  da  sich  hierbei  verschiedene  Chloräthyle  bilden,  die 
noch  zu  benutzen  sind. 

Beim  Verpacken  des  Chloralhydrats  sind  die  betreffenden  Räume  mit  den 
Exhalationen  desselben  angefüllt  Sie  erregen  anfangs  Kopfschmerzen  und  Betäubung, 
die  meisten  Arbeiter  gewöhnen  sich  aber  allmählig  an  diese  Einwirkung  und  empfinden 
sie  dann  in  geringerm  Grade;  trotzdem  ist  eine  kräftige  Ventilation  stets  zu  empfehlen. 

Chloralcyanliydrat  CCl:i ^CH-c^  "=  c  C13~  C  HO  +  H  CN  oder  C2HC130.CNH, 

ein  im  tockenen  Zustande  sehr  stabiles  Präparat,  welches  ganz  wie  Blausäure,  aber 
sicherer  als  diese  wirkt;  es  könnte  daher  statt  derselben  in  der  Medicin  zweckmässige 
Verwendung  finden.14)  Es  wurde  von  Bischof  und  Pinner  durch  Kochen  einer  wässrigen 
Lösung  von  Chloralhydrat  mit  Blausäure  dargestellt. 

2)  Bromal,  dreifach  gebromtes  Aldehyd,  C-, HBr30,  wird  dargestellt,  indem  man 
3 — 4  Th.  Brom  allmählig  und  unter  Abkühlung  mit  1  Th.  absolutem  Alkohol  mischt. 
Nach  10—12  Tagen  destillirt  man  %  davon  ab  und  mischt  den  Rückstand  mit  Wasser. 
Diese  Mischung  ergibt,  in  offenen  Schalen  der  Luft  ausgesetzt,  das  Bromalhydrat 
C2HBr30  +  H20,  welches  grosse,  dem  Kupfervitriol  ähnliche  Krystalle  darstellt,  die 
in  Wasser  löslich  sind.  Durch  Destillation  mit  concentrirter  Schwefelsäure  erhält  man 
das  wasserfreie  Bromal,  ein  wasserhelles  Oel,  welches  einen  durchdringenden,  zu 
Thränen  reizenden  Geruch  und  einen  scharfen,  brennenden  Geschmack  hat.  Es  siedet 
über  100°  und  wird  durch  Kali  in  Ameisensäure  und  Bromoform  übergeführt. 

Bei  der  Einwirkung  von  Bromalhydrat  auf  den  thierischen  Organismus  gibt 
sich  die  hypnotische  Wirkung  in  viel  geringerm  Grade  als  beim  Chloralhydrat  kund; 
auch  ist  die  dadurch  hervorgerufene  Reizung  der  Schleimhaut  der  Nase  und  Augen 
sehr  lästig. 

Steinalter 15)  beobachtete  bei  Kaninchen  nach  der  subcutanen  Injection  von 
0,06 — 0,17  Grm.  ein  ziemlich  langes  Reizstadium,  eine  deutlich  ausgesprochene  Anaesthesie 
und  eine  sehr  geringe  Hypnose.     Rabuteau  fand  ähnliche  Erscheinungen  bei  Hunden. 

Jodal,  dreifach  gejodetes  Aldehyd,  C,HJ30,  ist  noch  nicht  näher  untersucht 
worden  und  wird  nach  Aime  dadurch  dargestellt,  dass  man  Alkohol,  welcher  mit  Sal- 
petersäure angesäuert  worden,  mit  Jod  zusammenbringt. 

Es  soll  noch  reizender  als  Bromal  auf  den  Thierorganismus  einwirken.  Rabuteau 
sah  nach  2  Grm,  welche  einem  Hunde  per  anum  beigebracht  worden,  Anaesthesie, 
dann  aber  Convulsionen  und  den  Tod  eintreten.  Nach  Guyot  wirken  erst  3 — 4  Grm. 
letal;  nur  einzelne  Thiere  ertrugen  3,5  Grm.16) 

3)  Essigsäure,  Acidum  aceticum,  CH3~COOH  =  C2H402,  besitzt  die  Carboxyl- 
gruppe  CO  OH  nur  einmal,  sie  ist  daher  eine  einbasische  Säure.  Sie  entsteht  bei  der 
Gährung,  Fäulniss  und  Verwesung,  bei  der  trocknen  Destillation  holzfaserähnlicher 
Substanzen  und  bei  der  Einwirkung  oxydirender  Agentien  auf  organische  Körper,  was 
namentlich  bei  den  ätherischen  Oelen  der  Fall  ist. 

In  den  Pflanzen  kommt  die  Essigsäure  nie  fertig  gebildet,  sondern ahöchstens  als 
Kalium-  und  Calciumsalz  vor;  auch  die  Canthariden  enthalten  Kaliumacet  t. 

Im  Grossen  wird  sie  durch  Oxydation  des  Alkohols  und  Destillation  des  Holzes 
dargestellt.  Die  absolute  oder  reine  Essigsäure,  der  Eisessig,  Acetum  glaciale,  stellt 
bei  niederer  Temperatur  farblose  Blätter  von  durchdringendem,  angenehm  saurem  Ge- 
ruch und  Geschmack  dar,  welcher  bei  17°  schmilzt.  Bei  gewöhnlicher  Temperatur  stellt 
der  Eisessig  eine  farblose,  stechend  riechende,  die  Haut  sehr  reizende  Flüssigkeit  dar, 
welche  an  der  Luft  raucht,  vollständig  verdampft,  bei  119°  siedet,  mit  blassblauer 
Flamme  brennt  und  ein  Lösungsmittel  für  Campher,  Zucker,  Gummiharz,  Kleber,  Gerb- 
stoff, Eiweiss,  Faserstoff,  Blutroth,  Käse  und  thierische  Membranen  ist. 

Die  Essigsäure  greift  Blei,  Kupfer  und  Zinn  nur  bei  Gegenwart  der  atmo- 
sphärischen Luft  an,  dagegen  Eisen,  Kadmium  und  Zink  ohne  dieselbe. 

Ihre  Anwendung  als  Nahrungs-  und  Conservationsmittel,  zu  Desinfections- 
zwecken,  sowie  in  den  Färbereien  und  Farbenfabriken  ist  eine  sehr  mannigfaltige. 

Durch  Einwirkung  von  Chlor  auf  wasserfreie  Essigsäure  werden  nach  und  nach 
1,  2  und  o  H    durch  Cl   vertreten.     Es   bilden   sich  Monochloressigsäure   CHaCl 
COOH  =  C.>H3C10<>,    Dichloressiesäure    C,H2C1203    und    Trichloress  igsäure 
C2HC1302. 

Neuerdings  hat  man  die  Dichloressigsäure  als  äusseres  Arzneimittel  zum  Aetzen 
von  Telangiektasien,  Warzen,  Hühneraugen,  Condylomen  benutzt.  Man  rühmt  von 
ihr,  dass  sie  in  die  Tiefe  ätze,  ohne  gleichzeitig  die  Umgebung  anzugreifen;  unter  den 
sich  bald  ablösenden  Schorfen  sollen    sich  gute  Granulationen  bilden'7) 

Einwirkung  der  Dämpfe  der  Essigsäure  auf  den  thierischen  Organismus.  Ein 
mittolgrosses  Kaninchen  sitzt  in  der  Glasglocke.  40  Tropfen  Essigsäure  werden  in  einem 
Sandbade   erwärmt   und  eingeblasen;    sogleich  Unruhe,   Schreien,   starkes  Thränen   der 


Essigäther.  417 

Augen,  Husten  und  unregelmässige  Respiration.  Nach  11  M.  nochmals  Verdampfung 
von  50  Tropfen,  worauf  der  höchste  Grad  der  Dyspnoe  mit  Zittern  der  Lippen  entsteht. 
Nach  30  M.  Herausnahme  des  Thieres:  ein  weisser  Streifen  über  beiden  Hornhäuten,  weisser 
Schleim  in  den  Augen  winkeln  und  Röthung  der  Conjunctiva  der  Augen  lieder,  Rhonchus 
sibilans  und  mucosus  in  den  Bronchien,  beständiges  Putzen  der  Äugen.  Am  zweiten 
Tage  ist  noch  wenig  Schleimrasseln  in  den  Bronchien  bemerkbar,  die  Athmung  bleibt 
beschwert,  oft  erfolgt  Aufschreien,  während  die  Herzschläge  schwach  und  verlangsamt 
sind;  das  Thier  vermeidet  jede  Bewegung.  Am  dritten  Tage  wird  das  Kaninchen  todt 
gefunden. 

Sectio n  3  Tage  hernach.  In  der  Mitte  der  milchig  getrübten  Hornhaut  verläuft 
ein  linienbreiter,  vom  Epithelium  entblösster  Streifen:  die  Pia  mater  überall  sehr 
blutreich,  an  der  hintern  untern  Fläche  des  rechten  Gehirnlappens  findet  sich  ein 
4  Linien  langes  und  1  Linie  breites,  mit  geronnenem  Blute  angefülltes  Gefäss.  PI  ex. 
venös,  spin.  sehr  blutreich;  die  Schleimhaut  der  Trachea  bis  "zum  Larynx  braunroth, 
etwas  geschwollen  und  mit  schleimiger  Flüssigkeit  bedeckt:  hier  und  da  finden  sich 
erbsengrosse  Abschilferungen  des  Epitheliums.  Lungen  hellroth  gefleckt  auf  braun- 
rother  Marmorirung,  in  welcher  einzelne  schwarze  Puncte  deutlich  sichtbar  sind:  der 
obere  rechte  Lungenlappen  emphysematös  und  hellroth:  auf  den  Durchschnittsiläehen 
des  Parenchyms  wenig  Schaum,  aber  fast  überall  geronnene  Blutpartikelchen.  Im 
rechten  Herzventrikel  schwarzes,  geronnenes  Blut,  im  rechten  Vorhof  ein  Faserstoff- 
Polyp,  welcher  sich  bis  in  die  Arter.  pulmon.  hinein  erstreckt.  Die  Leber  zeichnet 
sich  durch  eine  schwarzbraune  Färbung  aus.  Das  vorgefundene  dickflüssige  Blut  ist 
dunkelbraunroth. 

Die  tödtlichen  Fälle,  welche  man  bei  subcutanen  Injectionen  der  Villat'schen 
Lösung  (Plumb.  acet.  30,  Cupr.  sulph.,  Zinc.  sulph.  aa.  15,  Acet.  vin.  alb.  200)  beob- 
achtet hat,  können  nur  auf  die  Wirkung  des  Essigs  zurückgeführt  werden.  Eine  ähn- 
liche Wirkung  kann  auch  der  sauer  reagirende  Liqu.  ferr.  sesquichlor.  bei  subcutanen 
Injectionen  hervorbringen. 

Die  vom  Blute  aufgenommenen  Essigsäure -Dämpfe  lieben  die  Alkalinität 
desselben  auf,  erzeugen  Coagulation  der  Albuminate  und  wirken  lähmend  auf 
die  Herzthätigkeit  ein. 

Nach  den  Untersuchungen  von  Goltz  und  Bobrick  1S)  entsteht  schon  beim 
Bepinseln  der  Haut  eines  Frosches  mit  Essigsäure  oder  der  ihr  verwandten 
Wein-  und  Citronensäure  eine  Einwirkung  auf  die  Herzbewegung,  indem  sie  sich 
verlangsamt  und  schliesslich  stille  steht.  Der  obige  Sectionsbefund  weist  ent- 
schieden auf  eine  allmählige  Verlangsamung  der  Herzbewegung  hin. 

Essigsäure-Aethyläther,  Essigäther,  Aether  aceticns,  CH3~COO~C2H5=  C2HäO. 
C2H30  =  C4HgOo  wird  durch  die  Destillation  eines  Gemisches  von  Natriumacetat, 
Alkohol  und  Schwefelsäure  dargestellt  oder  besser  durch  Destillation  eines  essigsauren 
Salzes  mit  einer  äquivalenten  Menge  von  äthylschwefelsaurem  Calcium  oder  Kalium. 

Eine  farblose  Flüssigkeit  von  ätherischem  Gerüche,  welche  bei  74°  siedet,  sich 
unzersetzt  verflüchtigt  und  mit  gelblicher  Flamme  brennt. 

Sie  findet  Verwendung  zur  Fabrication  von  Rumäther  und  ist  bekanntlich  in  der 
Medicin  ein  vielfach  gebrauchtes  Arzneimittel. 

Einwirkung  des  Essigäthers  auf  den  tkierischen  Organismus.  Ein  kleines 
Kaninchen  sitzt  im  kleinen  Zinkkasten,  in  welchem  15  Grm.  Essigäther  zur  Verdunstung 
kommen;  sofort  wird  das  Thier  sehr  unruhig  und  reibt  beständig  über  die  Nase:  nach 
6  M.  10  angestrengte  Inspirationen.  Nach  8  M.  Zusatz  von  15  Grm.  Essigäther; 
Schwanken,  Fallen  und  Wiederaufstehen;  nach  10  M.  heftiges  Schreien  in  der  Seiten- 
lage mit  heiserer  Stimme,  erweiterter  Pupille,  hervorgetriebenen  Augen  und  11  höchst 
angestrengten  Inspir.  binnen  %  M.;  nach  14  M.  Seitenlage  mit  offenen  Augen.  Nach 
15  M.  Herausnahme  des  Thieres.  Cornea  schwach  getrübt,  starre  Augen,  voll- 
ständige Anästhesie:  Herzschlag  nicht  vermehrt,  aber  sehr  angestrengte  Respiration 
(11  Inspir.)  mit  Schleimrasseln.  Nach  8  M.  6,  nach  13  M.  3  tiefe  Inspir.  binnen  l/4  M. 
und  nach  15  M.  Aufhören  der  Respiration;  ein  langsamer,  kaum  hörbarer  Herzschlag 
hält  noch  3  M.  lang  an. 

Section  6  Stunden  hernach.  Die  Pia  mater  blutreicher  als  die  Plex.  venös, 
spin.;  über  den  rechten  untern  Lungenlappen  verlaufen  4  braune,  1-2  Linien  breite 
Streifen  auf  rosarothem  Grunde:  linke  Lunge  durchgehends  rosaroth;  an  der  untern 
Fläche  der  untern  Lungenlappen  dunkelbraune,  erbsengrosse  Flecke  (Ekchy- 
mosen).  Schleimhaut  der  Trachea  hellroth  injicirt  und  mit  wenig  klarer  Flüssigkeit 
Eulenberg,  Gewerbe-Hygiene.  27 


418  Aethyl  Verbindungen. 

bedeckt.  Tm  Herzen  etwas  geronnenes  Blut.  In  der  Brusthöhle  hatten  sich  4  Grm. 
flüssiges,  dunkelrothes  Blut  angesammelt,  das  langsam  gerann  und  sich  an  der  Luft  nicht 
röthete.  In  den  nicht  besonders  blutreichen  Unterleibsorganen  nnd  in  den  grössern 
Venen  herrschte  flüssiges  Blut  vor. 

Es  ist  auffallend,  tlass  Charnbert,  Flourens  und  Louis  aus  ihren  Ver- 
suchen schliessen,  dass  die  Dämpfe  des  Essigäthers  einen  sehr  geringen  Einfluss 
auf  Circulation  und  Respiration  ausüben.  Lässt  man  die  Dämpfe  bis  zur 
Anästhesie  auf  die  Thiere  einwirken,  so  tritt  der  Tod  häufig  unter  progres- 
siver Abnahme  der  Respiration  ein  und  der  Sectionsbefund  liefert  die  Erschei- 
nungen der  Asphyxie. 

Der  Essigäther  wird  in  geringerm  Grade  als  der  Aethyläther  vom  Blute 
aufgenommen;  es  ist  daher  auch  seine  anästhesirende  Wirkung  eine  geringere. 

Essigindustrie. 

a)  Der  Essig  stellt  eine  sehr  verdünnte  Essigsäure  dar;  ausser  dieser 
enthält  er  aber  nach  der  verschiedenen  Bereitungsweise  noch  viele  andere  Be- 
standteile, z.  B.  Aepfel-,  Wein-,  Citronen-.  Milch-,  Ameisen-,  Baldrian-,  Oxal- 
und  Buttersäure  neben  Gummi,  schwefelsauren  Salzen  und  Chloriden. 

Der  beste  Speiseessig  ist  der  Weinessig,  welcher  aus  dem  vergohrenen 
Safte  der  Weine  und  aus  den  Pressungen  durch  eine  Oxydation  des  Alkohols 
eutsteht;  ausser  den  Bestandtheilen  der  Weintraube,  dem  Weinstein,  wenigen 
Sulfaten  und  Chloriden,  besitzt  er  ein  angenehmes  Aroma,  welches  ihn  als  Speise- 
essig höchst  werthvoll  macht. 

Der  Obstessig  steht  dem  Weinessig  an  Güte  am  nächsten,  nach  der  Wahl  des 
Obstes  unterscheidet  man  mehr  als  30  verschiedene  Sorten  desselben.  Der  kräftigste 
und  schärfste  Essig  dieser  Art  ist  der  Cider-  oder  Aepfelessig:  er  enthält  ausser 
einer  ziemlich  bedeutenden  Menge  von  Essigsäure  noch  Aepfelsäure,  Weinsäure 
und  Bernsteinsäure,  welche  durch  die  weitere  Zersetzung  der  Aepfelsäure  ent- 
standen ist.  Auch  besitzt  er  stets  einen  Gerbsäure-Gehalt  und  zwar  in  viel  höherm 
Grade  als  der  Weinessig:  er  wird  deshalb  in  eisernen  Geschirren  leicht  geschwärzt. 
Sein  Aroma  ist  gering  und  nur  dann  vorwaltend,  wenn  ganz  feine  Aepfelsorten  zu 
seiner  Darstellung  benutzt  werden. 

Der  Birnenessig  zeichnet  sich  durch  sein  Aroma  ganz  besonders  aus:  derselbe 
hat  qualitativ  dieselben  Bestandteile  wie  der  Aepfelessig;  jedoch  ist  der  Essigsäure- 
gehalt bei  ihm  vorwaltend,  die  Aepfelsäure  gering  und  die  Weinsäure  fehlend,  auch  sein 
Gerbstoffgehalt  ist  nicht  unerheblich. 

Der  Bieressig  ist  ein  schlechter  Essig,  welcher  als  Speiseessig  seltner  zur  An- 
wendung kommt:  er  wird  aus  abgestandenem  und  sauer  gewordenem  Bier  dargestellt, 
wobei  sowohl  das  Aroma  als  das  Bittere  des  Hopfens  zerstört  werden.  Ein  bitterer  Bier- 
essig ist  ein  charakteristisches  Zeichen,  dass  das  dazu  benutzte  Bier  mit  Terra  japonica 
(Catechu)  oder  Quassia  versetzt  gewesen  ist. 

Der  Honig-  oder  Met  hessig  kommt  in  Friesland,  im  südlichen  Frankreich 
und  überhaupt  in  Gegenden  vor,  wo  viel  Bienenzucht  getrieben  wird.  Er  wird  aus  dem 
sogenannten  Wachswasser  dargestellt,  d.  h.  aus  der  letzten  Abkochung  der  Waben, 
wodurch  das  Wachs  ausgeschieden  und  vom  Honig  getrennt  wird :  auch  sind  die 
Presslinge  der  Waben  dazu  benutzt  worden.  Der  llonigessig  enthält  ausser  Essig- 
säure wenig  andere  saure  Bestandtheile:  dagegen  hat  er  einen  Geruch,  welcher  an  Wachs 
erinnert  resp.  an  diejenigen  Pflanzen,  von  welchen  die  Bienen  den  Honig  entnommen 
haben.  So  besitzt  z.B.  der  Honigessig  von  Languedoc  bisweilen  einen  auffallenden 
Geruch  nach  Kosmarin  oder  auch  wohl  nach  Lavendel.  Wegen  seines  Gehaltes  an 
thierischen  Substanzen  ist  der  Honigessig  nicht  sehr  haltbar,  namentlich  wenn  er  aus 
den  Pressungen  der  Waben  dargestellt  worden  ist. 

Der  Malz-  und  Getreideessig,  der  viele  fremde  Bestandtheile,  Gummi, 
Dextrin  u.  s.  w.  enthält,  wird  fast  nur  in  England  dargestellt,  indem  man  gemalztes 
Getreide  mit  stärkemehlhaltigen  Substanzen  (Kartoffeln)  der  Gährung  unterwirft  und 
den  gebildeten  Alkohol  durch  den  atmosphärischen  Sauerstoff  in  Essigsäure  überführt. 
Das   den  Sauerstoff  der  Luft   auf  den  Alkohol  übertragende  Ferment    ist  die  Essig- 


Essigindustrie. 


419 


mutter   (Essigkahm),    Mycoderma    aceti.      Enthält    die    alkoholische    Flüssigkeit 
noch  Albuminate  und  phosphorsaure  Alkalien,  so  vermehrt  sich  der  Pilz  sehr  schnell. 

Aeltere  Methode  der  Essigfabrication.  Mau  lässt  die  Gährung  in  Fässern 
von  Eichenholz  (Müttern)  vor  sich  gehen,  deren  Umfang  sich  natürlich  nach 
der  Grösse  des  Betriebes  richtet.  Man  zieht  mehrere  kleine  Fässer  vor,  die  in 
der  Essigstube  auf  hölzernen  Gestellen  lagern;  die  Temperatur  in  derselben 
liegt  zwischen  25 — 30°. 

Beide  Böden  der  Fässer  sind  an  gegenüberliegenden  Stellen  durchbohrt,  um  Ge- 
legenheit zum  Luftwechsel  zu  geben;  zum  Beschicken  und  Abziehen  ist  eine  grössere 
Oeffnung  angebracht.  Um  die  Essigbildung  einzuleiten,  setzt  man  dem  Weine  alten, 
vorher  erhitzten  Essig  zu  und  fügt  erst  nach  8  Tagen  wieder  Wein  hinzu. 

Bei  der  Darstellung  von  Bieressig  müssen  gewöhnlich  noch  Spiritus  und  Wasser 
zugesetzt  werden.  Benutzt  man  Branntwein,  so  wird  derselbe  bis  auf  einen  Gehalt 
von  6 — 7  %  Alkohol  verdünnt  und  auf  35 — 40°  C.  erwärmt. 

Die  Luft  in  diesen  Räumen  ist  für  jeden  Fremden  höchst  unangenehm  und  uner- 
träglich; man  muss  von  Zeit  zu  Zeit  die  Thüren  öffnen,  was  schon  wegen  der 
Zunahme  der  Temperatur,  welche  durch  die  gährenden  Flüssigkeiten  veranlasst  ist, 
nothwendig  wird. 

SchnellessigfaMcation.  Die  sogenannte  Maische,  eine  Mischung  von  1  Ohm 
Wasser  und  9  Quart  Spiritus  von  80  %,  lässt  man  über  Buchholzspäne  in  höl- 
zerne Bottiche,  Essigständer  oder  Essigbilder  genannt,  fliessen. 

Der  Zuflusstrichter  hegt  bei  d  (Fig.  46);  neuerdings  empfiehlt  man  auch  den 
Schaukeltrog  zum  Aufgeben  der  Flüssigkeit.     Kurz  unter  dem  hölzernen  Deckel  ist 

ein  durchlöcherter  Boden;  in  jedem,  einige  Millimeter 
weiten  Loche  hängt  ein  15  Ctm.  langer  Baumwollfaden, 
der  durch  ein  hölzernes  Pflöckchen  (?)  gezogen  ist  und 
die  Flüssigkeit  nach  unten  leitet;  andere  Löcher  mit 
Glas-  oder  Holzröhren  (6)  dienen  zur  Abführung  der 
Luft.  Einige  Fabricanten  bringen  noch  bei  «  einen  mit 
Leinwand  bespannten  Rahmen  an.  Ueber  dem  untern 
Boden  liegt  ebenfalls  ein  durchlöcherter  Boden,  auf  dem 
die  Buchholzspäne  lagern;  der  mit  Holzspänen  ausgefüllte 
Zwischenraum  hat  eine  Reihe  nach  innen  geneigter  Löcher, 
die  das  Ausfliessen  der  Flüssigkeit  verhindern,  aber  das 
Eindringen  der  Luft  gestatten  (ff).  Am  Siphon  g  fliesst 
die  Flüssigkeit  ab. 

Um  den  Process  zu  beschleunigen,  findet  eine  sogen. 
Ansäuerung  statt,  d.  h.  es  wird  entweder  Essiggut, 
welches  schon  einmal  einen  guten  Essigbilder  passirt  hat, 
oder  auch  fertiger  Essig  über  die  Späne  gegossen,  wodurch 
die  eigentliche  Oxydation  resp.  Essigbildung  um  2 — 3  Tage 
beschleunigt  wird.  Hierbei  findet  eine  bedeutende  Tem- 
peraturerhöhung statt,  die  man  jedoch  nicht  über  +30° 
steigen  lassen  darf,  wenn  man  nicht  einen  bedeutenden 
Verlust  an  Alkohol  und  Aldehyd  erleiden  will. 

Die  Maische  lässt  man,  wenn  sie  unten  abgelaufen 
ist,  noch  zweimal  über  Späne  laufen,  worauf  fast  sämmt- 
licher  Alkohol  in  Essig  übergeführt  wird.  Wendet  man, 
wie  es  gewöhnlich  geschieht,  nicht  fuselfreien  Spiritus  an, 
so  treten  selbstredend  auch  die  Säuren  der  andern  Al- 
kohole, z.  B.  bei  Kartoffelspiritus  die  Säure  des  Amyl- 
alkohols, also  Baldriansäure,  auf.  Da  derselbe  auch  Butylalkohol  enthält,  so  wird 
in  dem  betreffenden  Fabricate  auch  Buttersäure  nicht  fehlen. 

Die  Fabricanten  verwenden  fast  immer  rohen  Kartoffelspiritus,  weil  die  Verbin- 
dung des  Alkohols  mit  denjeben  genannten  Säuren  resp.  den  betreffenden  Aetherarten 
einen  höchst  angenehmen  und  obstähnlichen  Geruch  besitzt,  wodurch  der  erzeugte  Essig 
bezüglich  des  Geruchs  allerdings  dem  Obstessig  gleich  wird,  bezüglich  seiner  Ver- 
daulichkeit aber  an  Werth  verliert,  da  manche  Constitution  denselben  gar  nicht  verträgt 
und  sich  nach  dem  Genüsse  desselben  stets  unwohl  befindet;  dies  Unwohlsein  äussert 
sich  namentlich  in  mannigfachen  Verdauungsbeschwerden. 

Da  der  Essig  nach  dieser  Methode  farblos  ist,  so  wird  er  gewöhnlich^  mit  der 
sogenannten  Couleur  versetzt,  eine  Substanz,  welche  man  durch  starkes  Erhitzen  von 

27* 


420  Aethylverbindungen. 

Molasse   unter  einem   geringen    Zusätze   von   Natron   carbonic    bis   zur  Zerstörung   des 
Zuckers  darstellt. 

In  sanitärer  Beziehung  ist  zu  bemerken,  dass  die  aus  den  Essigbildern 
entströmende  Luft  mit  Essigsäure,  Alkohol,  Aldehyd  und  Essigäther  ge- 
schwängert ist.  Lässt  man  sie  in  die  Nachbarschaft  entweichen,  so  können 
dadurch  sehr  leicht  Metallgegenstände,  z.  B.  die  Nägel  der  Schieferbedachung, 
oxydirt  resp.  verdorben  werden;  dasselbe  ist  mit  den  bleiernen  und  zinkenen 
Abfall-  und  Sammelröhren  für  das  Regenwasser  der  Fall,  wodurch  auch  letzteres 
noch  mit  den  betreffenden  Metallen  verunreinigt  werden  kann.  Solche  Nachtheile 
sind  bei  grossartigen  Anlagen  gar  nicht  selten;  ausserdem  werden  auch  die  Ad- 
jacenten  durch  den  anhaltenden  sauren  Geruch  belästigt. 

Diese  Dämpfe  könnten  recht  gut  wieder  vortheilhaft  durch  Abkühlung  condensirt 
und  zum  Essiggute  gegeben  werden.  Man  muss  zu  diesem  Zwecke  die  Luftpfeifen, 
welche  am  obern  Ende  der  Fässer  die  Luft  durchlassen,  zu  einem  gemeinschaftlichen 
Rohr  (Fig.  4C  e)  vereinigen,  welches  dann  die  warmen  Gase  und  Dämpfe  zu  einem  Kühl- 
apparat führt :  letzterer  kann  mit  einem  Schornstein  in  Verbindung  gebracht  werden. 
Auch  kann  man  die  Dämpfe  in  mit  Kupferdrehspänen  angefüllte  Räume  leiten,  um 
Grünspan  zu  gewinnen. 

Der  sogenannte  Essigsprit  ist  Essig,  welchen  man  dadurch  erhält,  dass  man 
zuerst  die  gewöhnliche  Maische  über  den  Ständer  gehen  lässt  und  nach  der  Umwandlung 
des  Alkohols  in  Essigsäure  eine  neue  gleiche  Quantität  Alkohol  zusetzt.  Nachdem  auch 
diese  zweite  Portion  Alkohol  in  dem  Essigbilder  durch  Oxydation  in  Essig  umgewandelt 
worden  ist,  gibt  man  noch  eine  dritte,  vierte  u.  s.  w.  gleiche  Quantität  Alkohol  zu  dem- 
selben. Je  nachdem  nun  zur  Maische  ein-,  zwei-  oder  dreimal  Alkohol  zugesetzt  worden 
ist.  wird  das  Product  ein-,  zwei-,  drei-  oder  vierfacher  Essigsprit  genannt.  Zu  einem 
Theil  des  vierfachen  Essigsprits  müssen  drei  Theile  Wasser  zugesetzt  werden,  um  ge- 
wöhnlichen Speiseessig  daraus  zu  bereiten. 

Bei  der  Darstellung  des  Essigsprits  werden  gegenwärtig  statt  Buchholzspäne 
meistens  Holzkohlen  in  groben  Stücken  benutzt.  Will  man  Koks  gebrauchen,  so 
müssen  sie  vorher  mit  Salzsäure  behandelt  und  wieder  sorgfältig  ausgewaschen  werden, 
weil  sie  sonst  zur  Bildung  von  Schwefelwasserstoff  Veranlassung  geben  und  der  Essig 
selbst  eisenhaltig  wird,  welcher  dann  in  eichenen  Fässern  eine  tintenartige  Farbe  an- 
nimmt. Die  Salzsäure  zerlegt  das  in  den  Koks  enthaltene  Schwefeleisen  derart,  dass 
clor  Schwefelwasserstoff  entweicht  und  das  Eisen  als  Eisenehlorür  ausgezogen  wird.  Die 
Porosität  der  Kohle  befähigt  sie  ganz  besonders  für  die  Absorption  des  Sauerstoffs. 

Die  Essigs pritfabrication  wurde  durch  den  grossen  Bedarf  Englands  hervor- 
gerufen, die  eine  Frachtreduction  nothwendig  machte. 

Verunreinigung  des  Essigs.  Absichtliche  Verunreinigungen  geschehen  meistens 
durch  Schwefelsäure,  viel  seltner  durch  Salpetersäure  und  Oxalsäure.  Hierbei 
muss  man  wohl  die  schwefelsauren  und  salpetersauren  Salze  sowie  die  Oxalsäure, 
welche  schon  ursprünglich  dem  Essig  angehören,  von  demjenigen  Antheil,  welcher  ab- 
sichtlich zugesetzt  worden  ist,  unterscheiden. 

Um  die  Schwefelsäure  nachzuweisen,  giesst  man  15  —  30  Th.  des  zu  unter- 
suchenden Essigs  in  eine  Porcellanschale  und  setzt  demselben  1  Th.  weissen  Candis- 
zucker  zu.  Wird  nun  die  Flüssigkeit  im  Wasserbade  verdunstet,  so  wird  die  im 
Essig  vorhandene  Schwefelsäure  concentrirt:  sie  wirkt  aber  dann  auf  den  aufgelösten 
Rohrzucker  ein  und  verkohlt  denselben.  Wird  nun  der  in  der  Verkohlung  begriffene 
Rückstand  auf  freiem  Feuer  weiter  erhitzt,  so  tritt  eine  Entwicklung  von  schwefliger 
Säure  ein.  die  sich  durch  braunes  Bleisuperoxyd-Papier  nachweisen  lässt,  welches 
dann  weiss  (Bleisulfatbildung)  wird. 

Vermischung  mit  scharfen  Pflanzenstoffen  erkennt  man  am  besten  durch 
Abdunsten  des  Essigs  bis  zur  Extractconsistenz;  durch  den  Geschmack  überzeugt  man 
sich  von  der  Beimischung. 

Kupfer.  Blei,  Zink  können  nur  im  Essig,  welcher  aus  Essigsäure  bereitet  worden, 
vorkommen  und  von  den  Destillation sgefässen  herrühren. 

Schweflige  Säure  kann  nur  im  concentrirten  Essig  (Acet.  concent.),  der 
aus  Holzessig  bereitet  worden,  vorkommen:  dieselbe  gibt  sich  beim  Zusätze  von  Schwefel- 
wasserstoff durch  eine  weisse  Trübung  resp.  Ausscheidung  von  Schwefel  zu  erkennen. 
Auch  wird  eine  Auflösung  von  Kaliumchromat  dadurch  reducirt;  die  rothe  Farbe  verwan- 
delt sich  in  Grün. 


Essigindustrie.  42 1 

Darstellung  von  Holzessig.  Dieser  wird  durch  trockne  Destillation  von 
Holz,  Torf,  Sägespänen,  Krappabfällen,  Pflanzenüberresten  aller  Art  bei  Abschluss 
der  Luft  gewonnen,  wobei  ein  Theil  des  Kohlenstoffs  als  Kohle  zurückbleibt, 
der  übrige  Theil  hingegen  in  Gasen  und  Dämpfen  sowohl  als  auch  in  öliger 
(Theer)  und  wässriger  Gestalt  (Holzessig)  auftritt. 

Will  man  die  Dämpfe  und  Gase  nicht  als  Leuchtgas  benutzen,  so  müssen  sie 
unter  den  geeigneten  Sicherheitsmassregeln  in  die  Feuerung  geleitet  werden ,  weil  sie 
sich  sonst  mit  der  atmosphärischen  Luft  zu  einem  explosiven  Gasgemenge  vermischen: 
kommt  man  diesem  mit  einem  brennenden  oder  flammenden  Körper  zu  nahe,  so  tritt 
sofort  die  heftigste  Explosion  ein.  Ausser  den  brennbaren  gas-  und  dampf- 
förmigen Producten  (Kohlenoxyd,  Methylwasserstoff,  Wasserstoff,  Acetylen,  Xylol, 
Aethylen,  Benzol,  Toluol)  sind  es  noch  die  Dämpfe  von  Aceton,  Holzgeist  und 
Dumas  in,  welche  hier  die  grosse  Feuersgefahr  bedingen. 

Zur  Destillation  des  Holzes  bedient  man  sich  entweder  eiserner  Retorten  oder 
stehender  Cylinder  von  Schwarzblech,  welche  letztere  man  in  einen  gemauerten  cylinder- 
fÖrmigen  Ofen  bringt.  Die  Destillationsproducte  gelangen  in  einen  aus  eisernen  Röhren 
bestehenden  Kühlapparat,  über  welchen  beständig  kaltes  Wasser  fiiesst.  Die  eondensir- 
ten  Flüssigkeiten  fliessen  entweder  in  Bottiche  oder  in  cementirte  Cisternen,  während  die 
nicht  condensirten  brennbaren  Gase  und  Dämpfe  durch  einen  Gassammeikasten  in  die 
Feuerung  geleitet  werden. 

Die  Flüssigkeiten  lässt  man  längere  Zeit  ruhig  stehen,  bis  sich  zwei  Schichten 
gebildet  haben,  von  denen  die  obere  wässrige  die  Essigsäure  und  den  Holzgeist, 
die  untere  den  Theer  enthält.  Die  wässrige  Schicht  wird  abgezogen,  durch  Sand  filtrirt 
und  in  kupfernen,  durch  Dampfröhren  geheizten  Blasen  der  fractionirten  Destillation 
unterworfen.  Nach  Abtreibung  des  Holzgeistes  wechselt  man  die  Vorlage,  um  den 
Holzessig  abzudestilliren,  wobei  in  der  Blase  wiederum  Theer  zurückbleibt. 

Setzt  man  vor  dieser  Destillation  Kalk  behufs  Neutralisation  der  Flüssigkeit  zu 
und  destillirt  dann  erst  Holzgeist  ab,  so  kann  man  sich  auch  eiserner  Retorten  be- 
dienen. Der  gewonnene  rohe  Holzessig  dient  meist  zur  Darstellung  von  Eisenbeizen, 
zum  Conserviren  von  Holz  u.  s.  w. 

Reinigung  des  Holzessigs.  Versetzt  man  erst  die  rohe  Säure  mit  Kalk  oder 
Soda,  so  unterwirft  man  das  gewonnene  Salz  einer  Destillation  mit  Schwefel- 
säure. Hat  man  Kalk  benutzt,  so  ist  das  essigsaure  Calcium  vorher  durch  Natrium- 
sulfat in  essigsaures  Natrium  zu  verwandeln.  Man  kann  ersteres  aber  auch  direct  mit 
Salzsäure  abdestilliren ,  wenn  man  nur  einen  Ueberschuss  derselben  vermeidet;  es 
bleibt  dann  Chlorcalcium  zurück.  Bei  der  Verwendung  von  Soda  zur  Neutralisation 
des  Holzessigs  erzielt  man  durch  Waschen  und  Krystallisirenlassen  der  Salzmasse  ein 
ziemlich  reines  Salz-  und  aus  diesem  durch  Destillation  mit  äquivalenten  Mengen 
Schwefelsäure  eine  ziemlich  reine  Essigsäure:  auch  kann  man  das  erhaltene  Salz 
ohne  Weiteres  mit  Schwefelsäure  und  Kafiumchromat  destilliren,  um  den  Rest  der 
empyreumatischen  Riechstoffe  zu  zerstören.  Der  erhaltene  Essig  heisst  destillirt  er 
Essig  (Acetum  destillatum)  mit  einem  spec.  Gew.  von  1,010  —  1,015;  setzt  man 
diesen  einer  beträchtlichen  Kälte  aus,  so  erhält  man  Acetum  concent.  oder  Acid. 
acet.  dilut.19) 

Hat  man  vor  der  Abdestillation  des  Holzessigs  das  Rohproduct  schon  mit 
Kalk  neutralisirt,  so  wird  die  ganze  Masse  in  grossen  Pfannen  verdampft  und 
das  trockne  Salz  durch  ein  stärkeres  Erhitzen  resp.  schwaches  Rösten  seines 
Empyreumas  beraubt.  Diese  Procedur  muss  unter  einem  besondern  Gewölbe 
vorgenommen  werden,  um  die  auftretenden  Dämpfe  durch  eine  glühende  Kohlen- 
schicht zu  leiten;  geschieht  dies  nicht,  so  haben  die  Arbeiter  viel  von  den 
carbolsäure-  und  kreosothaltigen  Dämpfen  zu  leiden  und  werden  von  heftigen 
Augenentzündungen  befallen,  die  nicht  selten  in  Blenorrhoe  übergehen. 

Die  weitere  Bearbeitung  und  nachfolgende  Destillation  geschieht  nach  der 
oben  beschriebenen  Methode.  Bei  der  Destillation  ist  aber  ein  sehr  wichtiger 
Umstand  zu  beachten;  die  Schwefelsäure,  welche  man  zur  Zersetzung  von 
holzessigsaurem  Natrium  benutzt,  kann  nämlich  Salpetersäure  oder  salpetrige 
Säure  enthalten;  bildet  sich  dann  eine  Verbindung  von  essigsauren  und  salpeter- 
sauren Salzen,   so  können  bei  der  Glühhitze  am  Boden  des  Kessels  beide  Salze 


422  Aethylverbindungen. 

aufeinander  wirken  und  eine  heftige  Explosion  veranlassen,  indem  der  Sauerstoff 
der  Salpetersäure  auf  den  Kohlenwasserstoff  der  Essigsäure  oxydirend  einwirkt 
und  die  Detonation  hervorruft. 

Folgender  Fall  einer  Explosion  ist  höchst  wahrscheinlich  nur  auf  diese  Weise 
veranlasst  worden.20)  In  einem  gusseisernen  Kessel  eines  Fabrikgebäudes  befand 
sich  eine  durch  Zersetzung  von  holzessigsaurem  Calcium  mit  schwefelsaurem 
Natrium  dargestellte  holzessigsaure  Natriumlösung.  Die  heiss  filtrirte  Lösung,  schon 
etwas  abgeraucht,  erfüllte  den  Kessel  zu  zwei  Drittel  und  wurde  durch  einen  zuver- 
lässigen Arbeiter  mittels  eines  hölzernen  Spatels  bewegt.  Urplötzlich  erfolgte  ein  cigen- 
thümlicher,  dem  Kanonendonner  kaum  vergleichbarer  Knall,  welcher  von  einer  ebenso 
momentanen  Feuererscheinung  begleitet  eine  erschreckliche  Wirkung  äusserte.  Mit  dem 
Kessel  waren  die  Esse,  sämmtliche  Herde,  die  Dielen  der  Decke,  die  Thüren  und 
Utensilien  zertrümmert.  Der  Knall  wurde  in  einer  Entfernung  von  mehr  als  2  Stunden 
gehört.  Die  Erschütterung  war  so  heftig,  dass  sämmtliche  Scheiben  im  Comptoirgebäude 
sowie  mehrere  in  dem  etwa  600  Schritte  davon  entfernten  Siechenhause  zersprangen  u.  s.w. 
Der  mit  Rühren  beschäftigt  gewesene  Arbeiter  wurde  einige  Schritte  vom  Kessel  ent- 
fernt durch  ein  Stück  des  zersprungenen  Kessels  erschlagen  gefunden. 

Verwendung  findet  der  reine  Holzessig  zur  Bereitung  von  Beizen  und 
Farben  in  der  Kattundruckerei  und  in  der  Färberei  sowie  zur  Darstellung  von 
Blei  weiss.  Zu  beachten  ist  jedoch,  dass  er  mit  Arsenik  verunreinigt  sein  kann, 
wenn  die  Salzsäure  oder  Schwefelsäure,  welche  zur  Zersetzung  des  Calciumacetats  ange- 
wendet worden,  arsenhaltig  gewesen  ist. 

Substitution  des  Wasserstoffatoms  in  jedem  der  beiden  CH3Gruppen 
des  Aethans  durch  Hydroxyl   (OH). 

Es  entsteht  ein  Körper  mit  alkoholischer  Eigenschaft:  CH2(OH)~ CH2(OH);  solche 
Körper  kommen  auch  in  der  C3,  C4  und  C5Reihe  vor  und  heissen  Glycole. 

Aethylglycol  CH8(OHrCHg(OH)  =  C2H602,  das  ein  0  mehr  als  Alkohol  ent- 
hält, stellt  eine  färb-  und  geruchlose,  zähe,  bei  197°  siedende  Flüssigkeit  dar. 

Glycolsänre  CU,(OH)~COOH=:C2H403,  eine  weisse,  zerfliessliche  Krystallmasse, 
verhält  sich  zum  Aethylglycol  wie  die  Essigsäure  zum  Alkohol,  bildet  sich  bei  der 
Oxydation  des  Aethylglycols  und  wird  direct  durch  Kochen  der  Monochloressigsäure 
mit  einem  Alkali  neben  Kochsalz  erhalten: 

CH,  Cl~  CO  OH  +  Na  OH  =  CH2  ( OH)~  CO  OH  4-  Na  Cl. 

Glycocoll,  Amidoglycolsänre,  Glycin,  Leimzucker,  CH2(NH2)~COOH,  entsteht 
bei  der  Substitution  des  fiydroxyls  in  der  Glycolsäure  durch  die  Amidogruppe:  eine 
schwache  Säure,  die  farblose,  luftbeständige  Krystalle  darstellt  und  bei  der  Zersetzung 
des  Leims  mit  Schwefelsäure,  aus  der  Hippursäure  mit  Salzsäure  u.  s.  w.  gewonnen  wird. 
Sie  kommt  auch  in  der  Harnsäure  und  in  den  Gallensäuren  vor. 

Letztes  Oxydationsproduct  des  Aethans,  Dicarboxyl-   oder  Dicarbon- 

säure  des  Aethans. 

Oxalsäure  CO  OH- COOH  =  C2H204,  Kleesäure,  Acid.  oxal.,  besitzt  die  Carb- 
oxylgruppe  zweimal,  ist  daher  eine  zweibasische  Säure.  Sie  findet  sich  in  allen  Pflanzen  : 
die  Kichererbse  (Cicer  arietinum)  enthält  sie  sogar  in  freiem  Zustande.  Als  saures  Kalium- 
salz kommt  sie  in  den  Oxalis-  und  Rumexarten,  als  Calciumsalz  in  der  Wurzel  der 
Rhabarber,  Tormentilla  und  Saponaria  vor.  Ihre  Entstehung  in  der  Pflanzenwelt  leitet 
man  gewöhnlich  von  der  Reduction  der  Kohlensäure  her: 

2C02 -f- H20  —  0  =  C2H204. 

Tritt  sie  im  Thierkörper  in  grosser  Menge  auf,  so  bildet  sie  einen  eigenthüm- 
lichen  Krankheitszustand,  die  Oxalurie.  Im  Allgemeinen  ist  ihr  Vorkommen  im  Harn 
von  der  Qualität  der  genossenen  Nahrungs-  und  Genussmittel  abhängig.  Nach  jahre- 
langem Gebrauch  von  Rhabarber  hat  man  nicht  selten  Oxalsäuren  Urin  und  oxalsaure 
Steine  beobachtet.  Am  häufigsten  begegnet  man  ihr  nach  dem  Genüsse  von  vegetabi- 
lischer Nahrung,  von  moussirenden  Weinen  und  kohlensäurereichen  Bieren. 

Man  hat  nicht  mit  Unrecht  befürchtet,  dass  der  sog.  Vegetarianismus  leicht  Ver- 
anlassung zu  einer  übermässigen  Ansammlung  von  Oxalsäure  geben  kann.  Die  sogen. 
Maulbeersteine  in  der  Harnblase  und  in  den  Nieren  bestehen  hauptsächlich  aus 
Calciumoxalat;  letzteres  hat  man  auch  in  Darmconcrementen,  im  Kröpfe,  im  Gallen- 
blasenschleim, auf  der  Schleimhaut  des  schwangern  Uterus,  in  der  Ovarialflüssigkeit  und 
im  Eiter  gefunden;  constanter  soll  es  in  den  Excrementen  und  Gallengängen  der  Raupen 
vorkommen. 

Die  Oxalsäure  krystallisirt  in  grossen  rhombischen  Säulen  C2H204  +  2H20.    Sie 


Oxalsäure.  423 

schmeckt  sauer,  ist  in  10  Th.  Wasser  und  in  4  Th.  Alkohol  löslich,  bei  100°  verliert 
sie  das  Krystallwasser,  bei  150°  sublimirt  die  wasserfreie  Säure  unverändert  über;  bei 
noch  höherer  Temperatur  zerfällt  sie  in  Kohlenoxyd,  Kohlensäure  und  Wasser.  Beim 
Erhitzen  mit  Glycerin  zerfällt  sie  in  Kohlensäure  und  Ameisensäure: 

C2H204=C02  +  CH202. 
Von  den  Salzen  der  Oxalsäure  sind  zu  nennen:   das   Kleesalz,   saures   oxal- 
saures  Kalium  C2HK04  +  H20,    welches  in  Wasser  löslich  ist;    das  saure  Oxal- 
säure  Ammonium   C2H(NH4)04,    und    das    Oxalsäure   Calcium   C2Ca04,    das  in 
Wasser  vollständig  unlöslich  ist. 

Einwirkung   der   Dämpfe    der    Oxalsäure    anf    den    thierischen    Organismus. 

1)  Es  werden  0,75  Grm.  Oxalsäure  erhitzt  und  die  sich  bildenden  Dämpfe  in  die  Glas- 
glocke, worin  sich  eine  Taube  befindet,  geleitet.  Nach  5  Kolbenstössen  binnen  2  M. 
Unruhe,  Schütteln  des  Kopfes  und  Husten,  dann  wässrige  Ausscheidung  aus  den  Nasen- 
löchern. Bei  neuer  Zufuhr  der  Dämpfe  nach  8  M.  wiederum  Unruhe,  Schütteln  des 
Kopfs  und  Husten;  nach  11  M.  Hinfallen  ohne  Convulsionen.  Bei  der  Herausnahme 
bewegt  sich  die  Taube  frei,  hustet  aber  oft.  Am  2.  Tage  heisere  Stimme  ohne  ein  auf- 
fallendes Krankheitssymptom;  am  3.  und  4.  Tage  stilles  Verhalten,  matter  und  langsamer 
Herzschlag,  häufiges  Aufblähen,  heisere  Stimme  und  geringe  Fresslust;  am  5.  Tage  ist 
der  Herzschlag  kaum  hörbar,  am  6.  Tage  wird  sie  Morgens  todt  gefunden. 

Section  10  Stunden  post  mort.  Hirnhäute  wenig  injicirt;  das  Zellgewebe  in 
der  Umgebung  der  Trachea  enthält  an  einzelnen  Stellen  ein  ganz  dünnes,  erbsen- 
und  pfenniggrosses  Blutextravasat.  Die  Schleimhaut  des  Larynx  geschwollen,  geröthet 
und  mit  einer  dünnen,  croupösen  Schicht  bedeckt.  Lungen  an  den  Rändern 
hellroth,  sonst  an  der  Oberfläche  braunroth  und  am  untern  Dritttheil  schwarzbraun 
gefärbt;  dieser  Farbe  entsprechend  verhält  sich  auch  das  Parenchym.  Die  schwarz- 
braunen Stellen  werden  im  Durchmesser  von  lOMillim.  ausgeschnitten;  sie  sind  fest, 
luftleer  und  sinken  im  Wasser  unter;  beim  Durchschneiden  tritt  blutige  Flüssig- 
keit zu  Tage.  Die  Pleura  an  der  untern  Fläche  der  Lunge  trübe  und  verdickt.  Herz 
mit  festem,  schwarzem  und  geronnenem  Blute  ganz  angefüllt.  Wo  da,s  Blut  einen 
porcellanenen  Teller  berührt,  bleiben  hellrothe  Flecke;  kein  Tropfen  flüssigen  Blutes 
zeigt  sich.  Leber  von  schwarzbrauner  Farbe,  mürbe,  etwas  geronnenes  Blut  ent- 
haltend.    Der  Kropf  enthält  noch  Futter,  ebenso  der  Magen. 

2)  Bei  einem  im  Holzkasten  sitzenden  Kaninchen  wurden  0,75  Grm.  Oxalsäure 
verbraucht.  Nach  5  Kolbenstössen  Unruhe,  Einhalten  des  Athmens;  nach  5  M.  6  un- 
regelmässige, oberflächliche  Inspirationen;  nach  6  M  starker  Husten,  aufrechte  Stellung 
mit  zurückgezogenem  Kopfe,  beschwerliche  Respiration,  schwache  Schleimabsonderung 
an  den  Augen;  nach  11  M.  sinkt  es  aus  der  aufrechten  Stellung  allmählig  zu  Boden 
und  bleibt  liegen.  Nach  15  M.  wird  es  herausgenommen;  sofort  beschleunigen  sich 
Athmung  und  Herzschlag;  erst  nach  1  Stunde  fängt  das  Kaninchen  wieder  an  zu 
fressen ;  Nachkrankheiten  zeigen  sich  nicht. 

Die  Dämpfe  der  Oxalsäure  kommen  zwar  in  der  Industrie  nicht  oft  zur 
Einwirkung,  häufiger  kann  es  aber  der  Staub  derselben  sein,  welcher  möglicher- 
weise durch  die  Respirationswege  direct  dem  Blute  zugeführt  wird,  wenn  mit 
grössern  Mengen  dieser  Säure  mauipulirt  wird.  Thatsachen  liegen  vor,  wonach 
die  Fingernägel  solcher  Arbeiter  weiss  opalisirt  und  brüchig  werden,  wenn  sie 
mit  der  Oxalsäure  längere  Zeit  in  Berührung  kommen.  Namentlich  tritt  diese 
Erscheinung  bei  Arbeitern  auf,  welche  sich  mit  Strohflechten  oder  Putzen  der 
Metalle  mittels  Oxalsäure  beschäftigen;  man  hat  sogar  eine  bläuliche  Färbung 
der  Nägel  und  eine  blaurothe,  von  einer  Stauung  des  Blutes  herrührende 
Färbung  der  Hände  beobachtet. 

Wird  die  Oxalsäure  inneren  Organen  auf  irgend  eine  Weise  direct  zu- 
geführt, so  wird  sich  zunächst  ihre  saure  und  reizende  Einwirkung  entfalten.  Bei 
der  Taube  fand  sich  im  Larynx  ein  croupöses  Exsudat  und  in  den  Lungen  eine 
beginnende  Hepatisation.  Das  Blut  war  vorherrschend  geronnen  und  zeigte  bei 
der  spektroskopischen  Untersuchung  das  Säureband.  Die  Wirkung  der  Oxalsäure 
ist  hiernach  analog  der  der  übrigen  Säuren;  hierauf  dürfte  auch  die  Beziehung 
derselben  zum  Herzen  beruhen,  welche  Cyon21)  als  eine  lähmende  Einwirkung 
besonders  hervorhebt. 


424  Aethylverbindungen. 

Bei  den  obigen  Versuchen  konnte  keine  Spur  von  Convulsionen  beobachtet 
werden,  welche  sonst  bekanntlich  bei  Herzgiften  deutlich  auftreten.  Bei  der  Taube 
zeigte  sich  eine  täglich  mehr  abnehmende  Herzthätigkeit,  auch  die  Section  bot 
ein  vollständig  mit  geronnenem  Blute  angefülltes  Herz  dar;  diese  Erscheinungen 
konnten  jedoch  im  beregten  Falle  auch  mit  dem  gestörten  Respirationsprocesse  in 
Verbindung  gebracht  werden. 

Das  Kaninchen  blieb  gesund,  obgleich  sicher  anzunehmen  ist,  dass  es  einen  nicht 
unbeträchtlichen Theil  der  Dämpfe  inhalirt  hatte.  Die  Restitution  wird  dadurch  ermöglicht, 
dass  Oxalsäure  sich  in  Kohlensäure  umsetzen  kann.  Wird  die  Säure  im Verhältniss  von 
0,4  Gnu.  in  einem  Liter  Wasser  gelöst,  so  geschieht  dies  ausserhalb  des  Organismus 
durch  den  Einfluss  des  atmosphärischen  Sauerstoffs  um  so  leichter,  wenn  eine  Tempe- 
raturerhöhung bis  zu  25°  und  30°  C.  hinzutritt.  Da  im  lebendigen  Organismus  diese 
Bedingungen  vorhanden  sind,  so  unterliegt  es  keinem  Zweifel,  dass  dieser  Vorgang  auch 
bei  der  Aufnahme  der  Oxalsäure  vom  Blute  stattfindet,  wenn  eben  nicht  so  grosse 
Mengen  wie  bei  der  Taube  aufgenommen  worden  sind,  dass  sich  ihre  saure  Einwirkung 
geltend  macht. 

In  ähnlicher  Weise  wirken  nur  die  sauren,  nicht  aber  die  neutralen  Oxalate, 
welche  bekanntlich  in  den  Oxalis-  und  Rumexarten  vielfältig  genossen  und  im  Organismus 
in  Carbonate  umgewandelt  werden. 

Die  Ansicht  von  Onsum  und  Almen22),  dass  die  Oxalsäurevergiftung  auf  Embolie 
der  Lungenarterien  in  Folge  des  sich  im  Blute  bildenden  Calciumoxalats  beruhe,  ist  unhalt- 
bar, da  schon  der  geringe  Kalkgehalt  im  Blute  diese  Bildung  unmöglich  macht;  viel 
eher  dürfte  man  annehmen,  dass  eine  Gerinnung  des  Blutes  in  Folge  der  Einwirkung 
der  Säure  Störungen  in  der  Blutcirculation  hervorrufen  könnte. 

Bei  der  Aufnahme  der  Oxalsäure  per  os  hängt  sehr  viel  davon  ab,  ob  dabei  der 
Magen  leer  oder  gefüllt  war,  wie  sich  dies  aus  folgenden  Versuchen  ergibt:  Eine  Taube 
erhielt  0,5  Grm.  Oxalsäure  und  nach  14  Tagen  Morgens  und  Mittags  je  0,5  Grm.  nach 
dargereichtem  Futter.  Nach  3  Wochen  dieselbe  Gabe  in  derselben  Weise,  so  dass  sie 
selbst  nach  im  Ganzen  genommenen  2,5  Grm.  Oxalsäure  keine  Krankheitserscheinungen 
darbot.  Zwei  Tage  nach  der  letzten  Gabe  erhielt  sie  Morgens  im  nüchternen  Zustande 
0.5  Gnu.  Oxalsäure,  worauf  sie  sich  nach  5  M.  heftig  schüttelt,  die  Bauchlage  einnimmt 
und  dann  ohne  alle  Convulsionen  und  ohne  auffällige  Symptome  nach  10  M.  stirbt.  Der 
anfangs  erregte  Herzschlag  erlahmte  rasch,  Dyspnoe  fehlte  aber. 

Bei  der  Section  nach  24  Stunden  fiel,  ausser  einer  geringen  Hyperämie  in  den 
Gehirnhäuten  und  in  den  Lungen,  vorzugsweise  das  von  dickflüssigem  und  braun- 
rotheni  Blute  strotzende  Herz  auf,  das  Blut  rÖthete  sich  an  der  Luft  in  ganz 
dünnen  Schichten  etwas  heller.  Auch  die  dunkelbraunrothe  Leber  ist  reich  an  solchem 
Blute,  welches  stark  sauer  reagirt.  In  dem  Zellgewebe  unter  der  blassen  Schleim- 
haut  des  leeren  Kropfes  findet  sich  ein  thalergrosser,  dünner  Bluterguss;  der  Magen  ent- 
hält nur  ein  paar  kleine  Steinchen:  die  schwach  geröthete  Schleimhaut  des  Dünndarms 
ist  mit  einem  dickschleimigen  Ueberzuge  versehen.  Ausser  der  sauren  Reaction  des 
Blutes  dürfte  der  Herzbefund  jedenfalls  mit  der  Wirkung  der  Säure  in  Verbindung  zu 
bringen  sein. 

Meerschweinchen  vertrugen  1  Grm.  und  Kaninchen  selbst  2  Grm.,  ohne  sichtbare 
Folgen  zu  zeigen. 

Bei  Menschen  hat  man  nach  Gaben  von  15  Grm.  gastroenteritische  Erscheinungen 
mit  Geschwürbildung  beobachtet,  welche  nach  7  Tagen  tödtlich  wurden.  23)  Eine  Gabe 
von  30  Grm.  kann  bei  Menschen  binnen  2  Stunden  den  Tod  herbeiführen  und  bloss  ein 
Gefühl  von  Erstarrung,  ein  Brennen  in  der  Herzgrube,  Erbrechen  von  zähem  Schleim 
und  ein  frühes  Schwinden  des  Radialpulses  hervorrufen. 

Unter  den  organischen  Säuren  nimmt  die  Oxalsäure  die  erste  Stelle  bezüglich  der 
giftigen  Wirkung  ein  und  ist  um  so  beachtungs weither,  als  sie  nebst  dem  sog.  Kleesalz 
meist  durch  Unvorsichtigkeit  mit  Bitter-  oder  Glaubersalz  u.  s.  w.  verwechselt  und  in 
den  Gewerben  vielfach  verwendet  wird. 

Oxalsäure-Industrie. 

In  sanitärer  Beziehung  handelt  es  sich  bei  der  Darstellung  der 
Oxalsäure  aus  Melasse  oder  Stärkemehl  durch  Salpetersäure  vor- 
züglich vm  die  auftretende  salpetrige  Säure.  Man  benutzt  dieselbe  neuerdings 
zur  Schwefelsäurefabrication,   weshalb  man  auch  beide  Fabricationszweige 


Oxalsäure-Industrie.  425 

vereinigen  muss,  was  nicht  bloss  aus  sanitären,  sondern  auch  aus  pecuniären 
Rücksichten  geboten  ist. 

Bei  der  Darstellung  der  Säure  aus  Sägemehl  und  Kali  causticum  trägt 
man  trocknes  Sägemehl  in  schmelzendes  Kalium-  oder  Natriumhydrat  ein,  wobei 
sich  neben  "Wasserstoff  sehr  leicht  fein  vertheiltes  Kali  im  Fabrikraum  verbreiten 
kann;  hierdurch  können  die  äussere  Haut  und  die  Augen  der  Arbeiter  in  bedenk- 
lichem  Grade  gereizt  werden,  wozu  auch  noch  eine  gewisse  Menge  von  Kreosot 
und  Carbolsäure,  die  sich  hierbei  entwickelt,  beiträgt.  Ferner  veranlasst  der 
Stickstoffgehalt  des  Holzes  die  Bildung  von  Cyanverbindungen,  und  diese 
führen  bei  der  Abscheidung  der  Oxalsäure  aus  den  Salzen  zur  Entwicklung  von 
Blausäure. 

Alle  diese  verschiedenen  Gase  und  Dämpfe  machen  es  durchaus  nothwendig, 
dass  die  ganze  Arbeit  unter  einem  gut  ziehenden  Schlote  vorgenommen  werde, 
um  sowohl  die  gesundheitsschädlichen  Gase  und  Dämpfe  als  auch  den  feuer- 
gefährlichen Wasserstoff  so  rasch  wie  möglich  aus  dem  Fabrikraume  zu  ent- 
fernen. Zur  Verhütung  der  Einwirkung  der  sich  nebelartig  entwickelnden  kali- 
haltigen  Dämpfe  sind  unter  Umständen  noch  besondere  Schutzmasken  er- 
forderlich, namentlich  wenn  die  Erhitzung  sehr  rasch  geschieht. 

Dampfförmige  Oxalsäure  tritt  bei  der  Bereitung  des  Oxalsäuren 
Eisens  auf,  wenn  zu  dessen  Darstellung  ein  Gemisch  von  Eisensulfat  mit  saurem 
oxalsaurem  Kalium  bei  Abschluss  eines  lösenden  Mediums  zur  Anwendung 
kommt.  Eisenoxalat  vertritt  gegenwärtig  in  der  Photographie  mit  Vortheil 
die  Silbersalze. 

Verwendung  findet  die  Säure  als  Reinigungsmittel  von  kupfernen  und  messingenen 
Gegenständen:  eine  Lösung  von  Oxalsäure  ist  als  sog.  Zuckersäure  sehr  gebräuchlich 
und  wird  häufig  in  Specereiläden  verkauft.  Bei  den  messingenen  Gefässen  bringt 
sie  eine  kupferrothe  Färbung  hervor,  indem  das  Zink  weggenommen  und  das  Kupfer 
auf  der  Oberfläche  angereichert  wird.  Die  gelösten  Metalle  (Zink  und  etwas  Kupfer) 
können  auf  diese  Weise  leicht  in  das  Küchenspülicht  gelangen  und  möglicherweise 
tÖdtlich  auf  Thiere,  welche  dasselbe  als  Nahrungsmittel  erhalten,  einwirken;  es  ist  des- 
halb diese  Reinigungsmethode  der  messingenen  Kochgeschirre  ganz  unstatthaft. 

Beim  Gebrauche  der  sauren  Oxalsäuren  Salze  resp.  des  Kleesalzes  zur  Vertilgung 
von  Rost-  und  Tintenflecken  ist  die  Aufbewahrung  zur  Verhütung  von  Verwechslungen 
zu  beachten. 

In  der  Färberei  und  bei  der  Strohhutfabrication  wird  die  reine  Oxalsäure 
benutzt.  In  den  Färbereien  ist  es  schwierig,  die  betreffenden  Waschwässer  unschädlich 
zu  machen,  da  die  Säure  häufig  mit  grossen  Wassermengen  verdünnt  vorkommt.  Keines- 
falls ist  der  Abfluss  derselben  in  Schlinggruben  gestattet,  da  der  Kalk  des  Bodens 
schliesslich  nicht  ausreichen  wird,  die  Säure  zu  binden;  am  zweekmässigsten  ist  es 
immer,  dieselben  in  öffentliche  Canäle  resp.  in  Flüsse  und  Bäche  zu  leiten. 

Bei  der  Strohhutfabrication  wird  das  Stroh  in  verdünnter  Oxalsäurelösung 
eingeweicht;  da  die  Wassermasse  nicht  sehr  gross  ist,  so  ist  hier  eine  Präcipitation  der 
Säure  mit  Kalk  leichter  auszuführen. 

Blaue  Dinte  bereitet  man  durch  Lösung  von  Berlinerblau  in  Oxalsäure. 

C.    Sulfosubstitutionsproducte  des  Aethans. 

Aethylensulfld  qtt23>S  =  C2H4S  wird   dargestellt,    indem  man  eine  weingeistige 

Lösung  von  Schwefelkalium  mit  Aethylenchlorid  versetzt.  Nach  kurzer  Zeit  verwandelt 
sich  die  Masse  zu  einem  weissen  Brei,  welchem  man  Wasser  zusetzt;  man  destillirt 
den  Weingeist  im  Wasserbade  ab  und  wäscht  den  Destillationsrückstand  mit  Alkohol 
aus.  Es  ist  ein  weisses,  amorphes,  in  Wasser  unlösliches,  in  Alkohol  und  Aether  kaum 
lösliches,  in  schmelzendem  Naphtalin  aber  sehr  leicht  lösliches  Pulver. 

Einwirkung  von  Aethylensulfld  auf  den  thierischen  Organismus,  l)  Ein  kräftiges 
Kaninchen  sitzt  im  grossen  Glaskasten;  0,25  Grm.  Aethylensulfld  werden  in  einem 
Kölbchen  erhitzt  und  die  Dämpfe  in  den  Kasten  eingeleitet.     Sofort  Putzen  des  Mauls, 


426  Aethylvcrbindungen. 

Thränen  der  Augen  und  unregelmässige  Athmung;  dann  folgt  Zurückziehen  des  Kopfes 
in  den  Nacken  und  Anlehnen  an  die  Wand  des  Kastens.  Nach  9  M.  nochmals  Zuleitung 
der  Dampfe  von  0,25  Grm.  Aethylcnsulfid;  Putzen  des  Mauls  und  Thränen  der  Augen 
bleiben  vorwaltend;  nach  23  M.  treten  starke,  aber  kurze  Convulsionen  ein. 
Herausnahme  des  Thieres  in  vollständiger  Asphyxie  mit  starkem  Herzklopfen;  die 
Augen  starr  und  hervorgedrängt,  Pupille  sehr  erweitert:  nach  1  M.  ein  paar  Inspir., 
nach  2  M.  starkes  Schreien  und  höchst  beschleunigte  Respiration;  nach  3  M.  setzt  es 
sich  aufrecht;  nach  4  M.  schwache  Gehversuche,  schneller  Herzschlag  und  noch  sehr  be- 
schleunigte Respiration;  nach  6  M.  läuft  es  wieder  weg  und  sucht  dunkle  Orte  auf. 

2)  Ein  starkes  Kaninchen  sitzt  in  der  Glasglocke;  die  Dämpfe  von  0,G  Grm. 
Aethylcnsulfid  werden  durch  die  Pumpe  eingetrieben,  zwei  Kolbenstösse  erfüllen  die 
Glocke  mit  Dampf.  Nach  3  M.  stockt  die  Respiration,  nach  4M.  Thränen  der  Augen. 
Nach  6  M.  bei  erneuter  Zufuhr  der  Dämpfe  die  heftigsteu  Convulsionen;  dann  Heraus- 
nahme des  Thieres  in  vollständiger  Asphyxie  mit  schwachem  Herzschlage.  Ein  paar  tiefe 
Athemzüge  gehen  in  beschleunigte  Respiration  über,  dabei  Zittern  des  Oberkörpers  mit 
tetanischem  Ausstrecken  der  Hinterbeine  und  hervorstehenden  Augen;  nach  2  M.  geringe 
Empfindung  in  letztern,  30  Inspir.  binnen  l/4  M. ;  nach  4  M.  schwache  Gehversuche; 
nach  G  M.  normales  Verhalten,  aber  erst  nach  2  St.  bewegt  es  sich  wieder  frei.  Nach- 
krankheiten entstehen  nicht. 

Der  Exophthalmus  und  die  sehr  heftigen  Convulsionen  treten  in  derselben 
Weise  wie  bei  der  Wirkung  des  flüssigen  Schwefelwasserstoffs  auf,  nur  mit  dem 
Unterschiede,  dass  sich  bei  letzterem  verengte  und  beim  Aethylensulfld 
erweiterte  Pupillen  zeigen. 

Aetliylmercaptan   CH3~  CH2(SH)  =  C2H6S    entspricht    dem    Aethylalkohol    und 
wird  durch  Destillation  von  Aethylchlorid  mit  Kaliumsulfhydrat  dargestellt: 
C2H5C1  +  KSH  =  C2H5(SH)  +  KCl. 

Eine  höchst  unangenehm  riechende  Flüssigkeit,  welche  bei  +15°  siedet,  wenig 
löslich  in  Wasser,  aber  mit  Alkohol  und  Aether  mischbar  ist. 

Einwirkung  des  Aethylmercaptans  auf  den  thicrischen  Organismus,  l)  Eine 
Katze  sitzt  im  kleinen  Holzkasten ;  beim  Eindringen  der  Dämpfe  von  0,25  Grm.  starkes 
Speicheln,  Thränen  der  Augen,  grosse  Unruhe,  sehr  beschleunigtes  Athmen  bei  halber 
Seitenlage;  nach  4  M.  Erbrechen  und  heftige  convulsivische  Zuckungen  in  den  Vorder- 
beinen; nach  5  M.  Tetanus  mit  ein  paar  krampfhaften  Inspirationen.  Sofort  Heraus- 
nahme des  Thieres  bei  vollständiger  Asphyxie,  erweiterter  Pupille  und  schwacher 
Trübung  der  Cornea;  1  M.  nachher  ein  paar  krampfhafte  Inspirationen,  die  langsam  an 
Zahl  zunehmen.  Nach  7  M.  sitzt  sie  aufrecht  unter  heftigem  Schreien;  nach  8  M.  Hin- 
fallen bei  Gehversuchen;  nach  20  M.  noch  Schwanken  bei  vornübergeneigteni  Kopfe 
und  convulsivischen  Zuckungen  in  den  Vorderbeinen;  nach  30  M.  bewegt  sie  sich 
noch  nicht. 

2)  Dieselbe  Katze  wurde  nach  1  Stunde  nochmals  in  den  Kasten  gebracht;  beim 
Eintritt  der  Dämpfe  Speicheln,  schweres  Athmen,  Schliessen  der  Augen,  Erbrechen  und 
Umfallen  bei  Gehversuchen;  nach  3  M.  Seitenlage,  convulsivische  Bewegung  der  Vorder- 
beine und  Asphyxie:  nach  4M.  ein  paar  krampfhafte  Inspirationen,  nach  7  M.  Heraus- 
nahme in  leblosem  Zustande;  die  Pupille  ist  erweitert,  auf  der  Mitte  der  Cornea  erbsen- 
grosse  weisse  Flecke,  die  Lippen  sehr  blass. 

Section  nach  12  Stunden.  Die  Gefässe  der  Pia  mater  strotzen  von  Blut, 
ebenso  die  Plex.  ven.  spin.;  der  rechte  obere  und  mittlere  Lungenlappen  emphysematös; 
die  linke  Lunge  von  schmutzigbrauner  Farbe  und  mit  einigen  Ekchymosen  bedeckt. 
Aus  den  Durchschnittsflächen  des  braunen  Parenchyms  tritt  viel  Schaum  aus,  Blut- 
gehalt massig:  auf  der  schmutzigbraunen  Schleimhaut  der  Trachea  liegt  etwas  Schaum. 
Im  rechten  Herzen  geronnenes  und  etwas  flüssiges,  im  linken  Herzen  nur  etwas 
flüssiges  Blut.  Die  Unterleibsorgane  blutreich;  wenig  flüssiges,  braunrothes  Blut,  das 
an  der  Luft  gerinnt,  aber  leicht  heller  wird. 

Die  Wirkung  von  Aetliylmercaptan  ist  fast  gleich  der  des  Methylmercaptans; 
der  Sectionsbefund  spricht  für  den  Tod  durch  Asphyxie. 

Aethylsulfid,  Schwefeläthyl  ^3  CH2>S  oder  GiR >«S'  eine  dem  Aether  ent" 
sprechende,  farblose,  widrig  nach  Knoblauch  riechende  Flüssigkeit,  welche  aus  äthyl- 
schwefelsaurem Calcium  mit  Schwefelkalium  dargestellt  wird;   sie  siedet  bei  73°. 

Einwirkung  von  Aethylsulfid  auf  den  thierischen  Organismus.  Ein  Kaninchen 
sitzt  im  kleinen  Kasten,  in  welchen  die  Dämpfe  aus  IG  Th.  ätjiylschwefelsaurem  Calcium 


Sulfaldehyd.  427 

und  5%  Th.  Schwefelkalium  eingeleitet  werden,  nachdem  sie  "von  ihrem  Schwefelwasser- 
stoffgehalt befreit  worden.  Sofort  grosse  Unruhe,  nach  2  M.  die  heftigsten  Convulsionen, 
lautes  Schreien,  Aufsperren  des  Mauls,  contrahirte  Pupille  und  nach  2%  M.  vollständige 
Asphyxie;  nach  3%  M.  ein  paar  Inspirationen  und  nack  4M.  Herausnahme  des  Thieres. 
Das  rechte  Auge  zeigte  eine  trübe  Hornhaut  und  prominirt  stark;  nach  einer  krampf- 
haften Inspiration  schwindet  auch  der  Herzschlag.  Ein  mit  Bleiessig  getränkter  Fliess- 
papier streifen  wurde  in  das  Maul  gelegt  und  alsdann  die  künstlicke  Respiration  durch 
Erheben  des  Thorax  eingeleitet,  worauf  sich  braune  Flecke  auf  dem  Papier  zeigten. 

Section  nach  16  Stunden.  Leichenstarre  sehr  stark;  Pia  mater  sekr  hyper- 
ämisck;  an  der  untern  Fläcke  der  beiden  Gehirnlappen  in  der  Nähe  des  Kleinhirns  ein 
linsengrosses  Blutcoagulum  und  ein  ganz  dünnes  flüssiges  Blutextravasat;  Plex.  ven. 
spin.  sehr  blutreich;  zwischen  Dura  mater  und  Wirbel  ein  dünnes,  flüssiges  Blut- 
extravasat. Lungen  schwarz  und  dunkelbraun  marmorirt,  mit  einzelnen  ziegelrotken 
Flecken;  aus  den  Durchschnitten  des  dunkelbraunen  Parenckyms  tritt  flüssiges  Blut  und 
beim  Zusammendrücken  feiner  Schaum  zu  Tage,  welcher  die  Bronchien  bis  zur  Bifur- 
cation  anfüllt;  die  Schleimhaut  der  Bronchien  und  der  Trachea  ist  braunroth.  In 
b  eiden  Herzhälften  geronnenes,  schwarzes  Blut;  das  Blut,  welches  sich  in  der  Brust- 
höhle angesammelt  hatte,  war  flüssig,  von  dunkelrother,  fast  schwärzlicher  Farbe  und 
wurde  an  der  Luft  heller  roth. 

Obgleich  das  Aethylsulfid  eine  ziemlich  feste  Verbindung  ist,  welche  sich 
auch  direct  mit  Metallen  verbindet,  so  scheint  es  doch  im  Organismus  einer 
raschern  Zersetzung  zu  unterliegen,  da  die  Vergiftungserscheinungen  mit  der 
Einwirkung  von  Schwefelwasserstoff  übereinstimmten.  Auch  hier  erinnert  die 
starke  Prominenz  der  Augäpfel  an  die  Wirkung  von  flüssigem  Schwefelwasser- 
stoff. Ein  mit  Bleiessig  getränkter  Streifen  von  Fliesspapier  ergab  in  der  Mund- 
höhle des  Versuchsthiers  eine  deutliche  Schwefelwasserstoff-Reaction. 

Sulfaldehyd  CH3— CHS  =  C2H4S  entspricht  dem  Aldehyd  und  bildet  sich  beim 
Einleiten  von  Schwefelwasserstoff  in  Aldehyd.  Es  entsteht  hierbei  anfängbch  ein  Oel, 
welches  erst  durch  Zersetzung  mittels  einer  Säure  den  Sulfaldehyd  liefert.  Er  stellt 
weisse,  farblose,  zwischen  40 — 50°  sublimirbare  Krystalle  dar. 

Einwirkung   der  Dämpfe  von   Sulfaldehyd    auf  den   thierischen   Organismus. 

1)  Eine  Taube  sitzt  in  der  Glasglocke.  Die  Dämpfe  werden  mittels  der  Compressions- 
pumpe  eingetrieben;  sie  dringen  in  einer  Menge  von  83  C.-C.  ein.  Nach  1  M.  Taumel, 
Senken  des  Kopfes,  Zurückziehen  des  Hauptes  in  den  Nacken  und  starke  Dyspnoe; 
nach  2  M.  Aufhören  der  Respiration;  nach  einem  kurzen  Aufschlagen  der  Flügel  stürzt 
sie  leblos  hin. 

Section  nach  3  Stunden.  Pupille  sehr  erweitert,  Hals  schwanenartig  gebogen, 
unter  der  Kopfschwarte  am  Hinterkopfe  ein  dünnes  Blutextravasat,  schwache  Hyperämie 
der  Hirnhäute.  In  dem  die  Trachea  umgebenden  Zellgewebe  an  mehreren  Stellen 
geronnenes  Blut  im  Umfange  eines  Silbergroschens;  aus  dem  eingeschnittenen  linken 
Brustmuskel  füesst  flüssiges  Blut  aus.  Die  Schleimhaut  der  Trachea  an  der  Theilungs- 
stelle  injicirt;  Lungen  von  hellrother  Farbe,  auf  den  Durchschnitten  etwas  flüssiges 
Blut.  Das  Herz,  äusserlich  stark  injicirt,  enthält  viel  flüssiges  und  wenig  ge- 
ronnenes Blut  von  dunkelbraunrother  Farbe. 

2)  Ein  starkes  Kaninchen  sitzt  in  der  Glasglocke;  es  wird  ungefähr  1  Grm. 
Einfach-Schwefelaldehyd  erwärmt;  zwei  Kolbenstösse  erfüllen  die  Glocke  mit  Dampf. 
Nach  3  M.  Thränen  der  Augen ;  nach  6  M.  bei  neuer  Anfüllung  der  Glocke  mit  Dampf 
grosse  Unruhe,  dann  Niederlegen  des  Kopfes  auf  den  Boclen  und  die  heftigsten  Con- 
vulsionen. Sofortige  Herausnahme;  vollständige  Asphyxie,  kurz  darauf  ein  paar 
tiefe  Inspirationen,  dann  sehr  beschleunigte  Respiration  unter  zitternder  Bewegimg  des 
Körpers  und  tetanischem  Ausstrecken  der  Hinterbeine;  nach  2  M.  zieht  es  auf  einen 
äussern  Reiz  die  Beine  an  sich;  nach  4  M.  mühsame  Gehversuche,  nach  6  M.  wieder 
normale  Respiration.  1  St.  lang  verhält  es  sich  ruhig,  nach  2  St.  läuft  es  wieder  umher 
und  bleibt  auch  gesund. 

Die  heftigen  Wirkungen,  welche  durch  die  Dämpfe  des  Sulfaldehyds  her- 
vorgerufen werden,  stimmen  fast  vollständig  mit  der  Intoxication  durch  Schwefel- 
wasserstoff überein,  obgleich  derselbe  nicht  nachzuweisen  war. 

Sollte  dieser  Körper  in  der  Technik  eine  Wichtigkeit  erlangen,  so  ist  die 
Gefährlichkeit  seiner  Dämpfe  wohl  zu  beachten;   selbst  bei  der  einfachen  Mani- 


428  Aetbylverbindungen. 

pulation  mit  demselben  empfinden  manche  Menschen  ein  höchst  widerliches  Ge- 
fühl und  Brechneigung.  Höchst  lästig  ist  auch  der  ekelhafte  Geruch,  welcher  an 
den  Kleidern,  den  Händen  oder  den  Haaren  haften  bleibt,  wenn  man  sich  den 
Dämpfen  ausgesetzt  hat;  bei  reizbaren  Naturen  können  schon  hierdurch  Kopf- 
schmerzen, Uebelkeit  und  Erbrechen  hervorgerufen  werden. 

Alle  geschwefelten  Abkömmlinge  des  Aethans  haben  bis  jetzt  noch  keine 
technische  Verwendung  gefunden,  erfordern  aber  in  sanitärer  Beziehung,  wenn 
sie  in  Laboratorien  zu  wissenschaftlichen  Zwecken  dargestellt  werden,  die  grösste 
Vorsicht. 

D.    Nitrogen-Substitutionsproducte  des  Aethans. 

Aethylamin,  Aetliylammoniak ,  Aethyliak,  C2HSNH2  =  C2H7N,  wird  dargestellt, 
indem  man  Jod-  oder  Bromäthyl  in  einer  verschlossenen  Röhre  erhitzt,  wobei  sich  zunächst 
jod-  und  bromwasserstoffsaures  Aethylamin  bildet: 

CaHsBr  +  NH8  =  C8HTN.BrH. 

Durch  Destillation  mit  Kaliumhydrat  wird  dann  BrH  vom  Aethylamin  (C2HTN) 
getrennt. 

Aethylamin  ist  ein  nie  fehlender  Bestandtheil  der  Producte  der  trocknen 
Destillation  aus  bituminösen  Fossilien,  indem  es  sich  hierbei  durch  das  Zusammentreten 
von  Aethylen  und  Ammoniak  im  Status  nasilicus  bildet.  Häufig  tritt  es  als  Product 
der  Fäulniss  der  Excremente  und  namentlich  des  Klebers  bei  der  Weizenstärkemehl- 
fabrication  sowie  beim  Zusammenschmelzen  der  Hornsubstanz  mit  Alkalien  auf.  Es 
stellt  eine  farblose,  stark  nach  Ammoniak  riechende  und  auch  in  ihrer  Causticität  dem 
Ammoniak  gleichstehende  Flüssigkeit  dar,  welche  mit  gelber  Flamme  brennt,  bei  19° 
siedet  und  mit  Säuren  gut  krystallisirende  Salze  bildet,  unter  welchen  das  Doppelsalz 
mit  Salzsäuren  und  Platinchlorid  schöne  dunkel-orangegelbe  Tafeln  darstellt.  Man  be- 
nutzt dieses  Verhalten  zum  Nachweise  des  Aethylamms  im  Leuchtgase  und  unter  den 
Gasen  der  trocknen  Destillation  überhaupt. 

Die  Versuche  mit  den  Dämpfen  des  Aethylamins  bei  Thieren  lieferten  von  der 
Wirkung  des  Ammoniaks  kaum  abweichende  Ergebnisse;  ganz  besonders  wurden  die 
Augen  der  Versuchsthiere  afficirt. 

Man  unterscheidet  noch  Diäthylamin  (C3H5)2N,  Triäthylamin  (C2N5)3N, 
wovon  das  erstere  bei  57°,  das  letztere  bei  96°  siedet. 

Cyanäthyl,  Aethylcyaiiid,  Cyamvasserstoffäther,  C2H5Cy  =  C3H5N,  wird  durch 
Erwärmen  von  Cyankalium  (1  TL)  mit  äthylschwefelsaurem  Kalium  (2  Th.)  dargestellt. 
Die  sich  entwickelnden  Dämpfe  sind  behufs  Beseitigung  der  Blausäure  über  Quecksilber- 
oxyd zu  leiten  und  ist  die  grösste  Vorsicht  bei  der  Darstellung  dieses  Präparats  er- 
forderlich. 

Eine  farblose,  ätherisch  riechende  Flüssigkeit,  welche  bei  97°  siedet,  wenig  in 
Wasser,  in  jedem  Verhältniss  in  Alkohol  und  Aether  löslich  ist. 

Einwirkung  von  Cyanäthyl  auf  den  thierischen  Organismus.  Ein  Kaninchen 
sass  im  kleinen  Kasten;  2  M.  nach  Einleitung  der  Dämpfe  grosse  Unruhe  und  starkes 
Speicheln,  dann  Taumel,  Schreien,  Hinfallen  und  die  heftigsten  Convulsionen;  nach  3  M. 
Tetanus;  zwei  krampfhafte  Inspir ,  weite  Pupillen,  ein  schwacher  und  unregelmässiger 
Herzschlag;  1  M.  hernach  ist  das  Thier  leblos. 

Section  nach  20  Stunden.  Hirnhäute  und  Plex.  venös,  spin.  strotzen  von 
Blut;  Lungen  rosenroth,  am  obern  Rande  des  rechten  Lungenlappens  Emphysem,  auf 
der  untern  Fläche  der  Lunge  dunkelbraune  Flecke,  auf  den  Durchschnittsflächen  etwas 
flüssiges  Blut  und  beim  Zusammendrücken  viel  weisser  Schaum;  die  Schleimhaut  der 
Trachea  braunroth  injicirt.  Im  rechten  Herzen  viel  geronnenes  und  flüssiges  Blut;  im 
linken  etwas  flüssiges  Blut.  Die  Unterleibsorgane  blutreich;  das  flüssige  Blut  ist 
dunkelbraun,  gerinnt  schnell  und  wird  nach  einigen  Stunden  hellkirschroth.  In  der 
Lunge  und  Leber  konnte  Cyan  resp.  Cyanwasserstoff  nachgewiesen  werden.  Diese 
Organe  wurden  mit  verdünntem  Weingeist  extrahirt  und  mit  Kalilauge  im  Ueberschuss 
versetzt,  da  das  Cyanäthyl  mit  Kalilauge  kein  Cyankalium  bildet;  nach  Kochen  mit 
Eisenvitriol  und  Zusatz  von  überschüssiger  Salzsäure  nahm  die  Flüssigkeit  eine  grüne 
Farbe  an  und  bildete  nach  längerem  Stehen  einen  dunkelblauen  Niederschlag  von 
Berlinerblau. 

Bei  der  Einwirkung  von  Cyanäthyl  macht  sich  Cyan  in  seiner  gefähr- 
lichen und  tödtlichen  Wirkung  geltend;    der  Tod   erfolgt  asphyktisch.     Beim 


Sulfcyanäthyl.  429 

Sectionsbefunde  fiel  der  feine  weisse  Schaum  im  Lungenparenchym  auf,  wie  er 
stets  bei  der  Inhalation  der  Dämpfe  von  Blausäure  und  Cyan  angetroffen  wird; 
man  kann  daher  annehmen,  dass  Cyanäthyl  grade  wie  Blausäure  wirkt,  wofür 
auch  der  rasche  Tod  binnen  drei  Minuten  spricht. 

Verwendung  findet  Cyanäthyl  in  der  Phenylfarbenfabrication. 

Aetliylencyanid  CoH^Cy;,  wird  durch  Sublimation  einer  Mischung  von  Aethylen- 
sulfid  (2,2)  und  Cyanquecksilber  (6,3)  dargestellt.  Es  stellt  feine  weisse  Nadeln  von 
unangenehmem  Gerüche  dar,  die  bei  jeder  Temperatur  flüchtig,  in  Aether  und  Alkohol 
löslich  sind;   aus  der  ätherischen  Lösung   krystallisirt  die  Verbindung  in  grossen  Tafeln. 

Das  Product  hat  noch  keine  technische  Verwendung  gefunden;  die  Giftigkeit 
seiner  Dämpfe  erfordert  schon  bei  der  Darstellung  die  grösste   Vorsicht. 

Einwirkung  des  Aethylencyanids  auf  den  thierischen  Organismus.  Die  Dämpfe 
werden  in  den  grossen  Glaskasten,  in  welchem  ein  grosses  Kaninchen  sitzt,  geleitet; 
nach  1  M.  Blinzeln  und  Schliessen  der  Augen,  häufiger  Husten,  Hinfallen  auf  die  Seite 
und  Wiederaufstehen.  Nach  grosser  Unruhe  stürzt  es  auf  den  Kopf  und  bleibt  mit 
ausgespreizten  Beinen  liegen;  nach  2  M.  allgemeine  Convulsionen,  Aufhören  der  Respi- 
ration, Abgang  von  Koth  und  Urin,  Pupillen  in  mittler  Contraction.  Bei  der  sofortigen 
Herausnahme  kehrt  keine  Spur  von  Respiration  zurück. 

Section  nach  12  Stunden.  Cornea  sehr  zusammengefallen  und  etwas  trübe;  an 
einzelnen  Stellen  unter  dem  Felle  dünne,  silbergroschengrosse  Blutextravasate.  Pia 
mater  sehr  blutreich,  zwischen  beiden  Hemisphären  am  hintern  Rande  ein  erbsen- 
grosses  Blutklümpchen  in  einem  erweiterten  Capillargefässe.  Plex.  venös,  spin.  fast 
leer;  die  Venae  jugul.  sehr  stark  mit  dickflüssigem,  schwarzrothem  Blute  angefüllt;  fast 
die  ganze  Oberfläche  beider  Lungen  ist  dunkelbraun  gefärbt,  nur  die  Ränder  derselben 
und  der  rechte  mittlere  Lappen  sind  hellroth.  Der  äussern  Farbe  entspricht  auch  die 
Farbe  des  Parenchyms;  die  dunklen  Partien  enthalten  viel  dunkles,  flüssiges  Blut, 
während  aus  den  feinsten  Bronchialverzweigungen  ein  feiner  weisser  Schaum  aus- 
tritt. Die  ganze  Luftröhrenschleimhaut  ist  braunroth  injicirt.  Im  rechten  Herzen 
schwarzes,  geronnenes  Blut,  weniger  im  linken.  Leber  hellbraun  und  reich  an  dunklem, 
flüssigem  Blute;  das  dunkelrothe  flüssige  Blut  röthet  sich  an  der  Luft  sehr  lebhaft. 

Obgleich  der  Nachweis  von  Cyan  in  der  Leiche  nicht  gelang,  so  sprechen 

doch  Symptomatologie  und  Leichenbefund  für  die  stattgehabte  Einwirkung  von 

Blausäure. 

Sulfoeyanäthyl,  Schwefelcyanäthyl  CN.  S  .  C2H5=C3H5NS,  wird  durch  Destil- 
lation von  äthylschwefelsaurem  Kalium  mit  Sulfcyankalium  dargestellt.  Es  ist  eine 
farblose,  ölartige,  unangenehm  nach  Knoblauch  riechende,  pfeffermünzartig  schmeckende 
Flüssigkeit,  welche  bei  146°  siedet,  mit  blauer  Flamme  brennt  und  sich  leicht  in 
Alkohol  löst. 

Mit  nascirendem  "Wasserstoff  zerfällt  sie  in  Blausäure  und  Aethylmercaptan : 
CN .  S  .  C2H5  +  H2  =  CNH  +  C2H5SH. 

Eine  Verwendung  hat  dies  Präparat  in  der  Industrie  noch  nicht  gefunden,  ist 
aber  wegen  seiner  Giftigkeit  sehr  beachtenswerth. 

Einwirkung  von  Schwefelcyanäthyl  auf  den  thierischen  Organismas.  1)  Ein 
Kaninchen  sitzt  im  Holzkasten:  beim  Eindringen  der  Dämpfe  Blinzeln  mit  den  Augen, 
Schliessen  derselben,  Urinlassen  und  starker  Husten.  Nach  2  M.  grosse  Unruhe  des 
Thieres,  es  fällt  dann  auf  die  Seite,  erhebt  sich  wieder  und  wird  convulsivisch  in  die 
Höhe  geschnellt;  nach  3  M.  allgemeine  Convulsionen  und  beschwerliches  Inspirireu  mit 
offnem  Maule.  Nach  4  M.  Herausnahme  des  Thieres  in  vollständiger  Asphyxie  bei 
verengter  Pupille;  nach  einigen  krampfhaften  Inspirationen  ist  es  leblos.  Die  Pupille 
erweitert  sich,  zieht  sich  wieder  zusammen  und  verharrt  dann  in  mittler  Contraction. 

Section  nach  12  Stunden.  Starke  Hyperämie  der  Hirnhäute;  zwischen  den 
beiden  Hirnhemisphären  und  an  ihrem  hintern  Rande  liegt  ein  erbsengrosses  Blut- 
coagulum  Plex.  venös,  spin.  massig  angefüllt;  Lungen  schmutzig  ziegelroth  mit 
braunen  und  schwarzbraunen  Flecken:  auf  den  Durchschnittsflächen  des  entsprechend 
gefärbten  Parenchyms  viel  flüssiges  Blut  und  beim  Zusammendrücken  ein  feiner 
weisser  Schaum,  an  der  rechten  Lungenspitze  Emphysem;  die  Schleimhaut  der 
Trachea  dunkelkirschroth.  Im  Herzen  überall  schwarzes  geronnenes  Blut;  das  flüssige, 
dunkelbraune  Blut  wird  an  der  Luft  hellkirschroth.  In  den  Lungen  konnte  Cyan- 
wasserstoff deutlich  nachgewiesen  werden. 

2)  Nachdem  der  beim  ersten  Versuche  gebrauchte  Kasten  15  Minuten  lang 
offen     gestanden    hatte,     wurde     er    geschlossen     und    durch     eine    Seitenöffnung    der 


430  Propylverbindungen. 

Kopf  einer  Taube  gesteckt.  Schon  nach  '/2  M.  blinzelt  sie  mit  den  Augen  und  geräth 
in  die  grÖBSte  Unruhe;  auf  die  Erde  gesetzt,  schwankt  sie,  fällt  hin,  steht  wieder  auf 
und  bleibt  dann  schwankend  mit  beschleunigter  Respiration  sitzen.  Nach  5  M.  heftige 
Erschütterung  ondErbrechen,  dann  ruhigere  Respiration;  das  Erbrechen  wiederholt  sieh 
mehrmals;  nach  12  M.  geht  sie  noch  unsicher  einher.  Die  Restitution  erfolgt  erst  nach 
1  Stunde. 

Schwefelcyanäthyl  ist  ein  höchst  giftiger  Körper,  dessen  Dämpfe  auch 

bei  Menschen   schon  in  geringer  Menge  Uebelsein,   Erbrechen  und   krampfhaftes 

Zusammenschnüren    der   Brust   erzeugen;    tödtliche  Vergiftungen   sind   durch  sie 

noch  nicht  vorgekommen.     Als  Zersetzuugsproduct  kann  nur  Blausäure  auftreten, 

welche  die  sehr  heftige  Wirkung  der  Dämpfe  bedingt. 


C3  Gruppe. 
Propylverbindungen. 

A.    Kohlenwassersoff  e. 

a)  Propylwasserstoff  oder  Propan,  CH3~CH3~CH3==C3H8,  ist  noch  wenig  er- 
forscht.    Alle  Propylverbindungen  lassen  sich  von  demselben  ableiten. 

b)  Propylen  CH3  CH=CH3==C3H6  kommt  in  den  leicht  flüchtigen  Bestandteilen 
von  Petroleum  vor.  Es  bildet  sich  bei  der  trocknen  Destillation  und  vielen  Zersetzungen 
stickstoffhaltiger  organischer  Substanzen  und  ist  ein  etwas  phosphorartig  riechendes, 
farbloses  und  süsslich  schmeckendes  Gas. 

Das  Isopropylen,  ebenfalls  ein  Gas,  ist  noch  wenig  untersucht  worden. 

Allyleil,  CH3~C~CH=  C3H4,  entspricht  vollkommen  dem  Acetylen. 

B.  Halogen-Substitutionsproducte  des  Propans. 

Propylchlorid  CH:f  CH2~CH2C1==C3H7C1,  sowie  das  entsprechende  Propyl- 
bromid  und  Propyljodid,  haben  kein  technisches  Interesse;  sie  werden  aus  dem  Propyl- 

alkohol  mittels  gasförmiger  Salzsäure  resp.  Brom-  und  Jodwasserstoffsäure  dargestellt 
und  sind  den  entsprechenden  Aethylpräparaten  ähnlich.  Diese  Aehnlichkeit  macht  sich 
auch  in  ihrer  Wirkung  auf  den  thierischen  Organismus  geltend,  nur  mit  dem  Unter- 
schiede, dass  die  anästhesirende  Wirkung  weniger,  aber  der  Einfluss  der  betreffenden 
Halogene  stärker  hervortritt. 

C.  Hydroxyl-Substitutionsproducte  des  Propans. 

Propylalkohol,  CH3~CH3~CH2(OH)  =  C3H80  kommt  bei  der  alkoholischen 
Gährung  des  Zuckers  nur  in  geringer  Menge  vor  und  ist  ein  Bestandtheil  des  Fuselöls; 

er  riecht  angenehm  und  siedet  bei  98°. 

Der  Propylalkohol  unterscheidet  sieh  bei  der  Einwirkung  auf  den  thierischen 
Organismus  nicht  wesentlich  vom  Aethylalkohol.  Bei  Menschen  erzeugt  er  aber  leichter 
eine  anhaltende  Eingenommenheit  des  Kopfes  und  namentlich  Druck  in  der  Stirngegend. 

Isopropylalkobol  CH3  CH(OHpCH3  =  C3H80  unterscheidet  sich  durch  seinen 
Siedepunct,  der  bei  84°  liegt. 

Oxydationsproducte  des  Propylalkohols. 

Propylaldehyd  CH3-CH,~CHO  =  C3H60  ist  eine  farblose  Flüssigkeit  von  er- 
stickendem Geruch,  welche  bei  46u  siedet,  sich  sehr  leicht  zu  Propionsäure  oxydirt  und 
reducirend  auf  Silberlösung  wirkt. 

Propionsäure,  CH3~CH2— COOH  =  C3H602,  das  zweite  Oxydationsproduct,  wird 
künstlich  durch  Kochen  des  Cyanäthyls  mit  Kali  dargestellt,  wobei  sich  gleichzeitig 
Ammoniak  bildet: 

C2  H5-  CN  +  K  H  0  +  H2  0  =  C2  H5    CO  OK  +  NH3. 


Aceton.  431 

Sie  tritt  im  Schlemmwasser  der  Weizenstärkefabriken,  beim  Sauerwerden  des 
Kleisters,  bei  der  trocknen  .Destillation  von  Harz,  Braunkohle,  Torf,  bei  der  Fäulniss 
des  Blutes  und  Fleisches  auf  und  zeigt  sich  im  Fussschweisse,  in  der  Lohbrühe  der 
Gerbereien,  in  schlechtem,  durch  putride  Stoffe  verunreinigtem  Brunnenwasser  und  über- 
haupt überall  da,  wo  Gährungs-  und  Fäulnissprocesse  vor  sich  gehen.  Die  Essigsäure 
ist  ein  sehr  häufiger  Begleiter  derselben,  mit  welcher  sie  den  scharfen  Geruch  theilt. 

Einwirkung  der  Propionsäure  auf  den  tiiierisclien  Organismus.  Im  Glaskasten, 
in  welchem  ein  'Kaninchen  sass,  wurden  4  Grm.  der  Säure  durch  erwärmten  Sand 
verflüchtigt;  es  trat  bloss  eine  unregelmässige  Respiration  ein.  _  Nach  25  M.  aber- 
malige Verdunstung  von  4  Grm.;  dann  starkes  Reiben  über  die  Nase ,  _  Schliessen 
der  *Augen,  Verlangsamung  der  Athmung.  Bei  der  Herausnahme  des  Thieres  nach 
1  Stunde  zeigte  sich  auf  der  Cornea  beider  Augen  eine  2  Mm.  breite  und  8  Mm.  lange 
milchige  Trübung,  welche  am  folgenden  Tage  wieder  schwand.  Die  reizende  Einwirkung 
auf  die  Schleimhäute  war  nicht  zu  verkennen,  liess  aber  keine  Folgen  zurück. 

Propionsäure-Aether  CsHsOsCgHs^CäH^Os  wird  durch  Destillation  eines  Ge- 
menges von  einem  Propionsäuren  Salz  mit  absolutem  Alkohol  und  Schwefelsäure  dar- 
gestellt. Er  macht  einen  Theil  des  Aromas  beim  Rum  aus  und  wird  deshalb  haupt- 
sächlich bei  der  Fabrication  des  künstlichen  Rums  oder  auch  bei  Parfümerien  und 
in  Liqueurfabriken  benutzt. 

Oxydationsproducte  des  Isopropylalkohols. 

Aceton,  Essiggeist,  Dimethylketon,  CH3"-CO"~CH3  =  C3H60,  bildet  sich  bei  der 
trocknen  Destillation  vieler  organischer  Stoffe,  z.  B.  des  Torfes,  des  Holzes,  der  Braun- 
kohle, des  Zuckers,  der  Weinsäure  u.  s.  w.  und  macht  einen  Bestandtheil  des  Holz- 
geistes aus,  welcher  nicht  selten  20—30  %  Aceton  enthält. 

Aceton  stellt  eine  wasserhelle  Flüssigkeit  von  eigenthümlichem  Gerüche  dar,  welche 
bei  56°  siedet  und  sich  mit  Wasser,  Aether  und  Alkohol  mischt.  Durch  Oxydation  geht 
es  in  Essig-  und  Ameisensäure,  durch  Reduction  mittels  Natrium amalgam  in  Isopropyl- 
alkohol  über. 

Einwirkung  von  Aceton  auf  den  tiiierisclien  Organismus,  l)  Ein  grosses 
Kaninchen  wird  mit  der  Schnauze  in  einen  Glastrichter  gesteckt ,  in  dessen  Grunde  ein 
mit  40  Tropfen  Aceton  befeuchteter  Baumwollpfropfen  liegt.  Nach  3  M.  beschleunigt 
sich  die  Respiration;  nach  6  M.  Zusatz  von  40  Tropfen;  hierauf  beschleunigte  und  er- 
schwerte Athmung  mit  Rhonchus  sonorus.  Nach  9  M.  Zusatz  von  40  Tropfen;  nach 
16  M.  Glieder  schlaff,  geringe  Reflexreizbarkeit,  Seitenlage  wie  in  ruhigem  Schlafe.  Nach 
20  M.  Wegnahme  des '"Trichters  nach  Verbrauch  von  160  Tropfen  Aceton;  vollständige 
Anästhesie  des  Thieres;  nach  1  M.  ein  schwaches  Erheben  des  Kopfes  bei  geöffneten 
Augen,  obgleich  es  sich  nach  5  M.  noch  wie  eine  todte  Masse  hin-  und  herrollen  lässt ; 
Respiration  regelmässig.  Nach  6  M.  beim  Klopfen  auf  den  Rücken  geringe  Reflexreiz- 
barkeit, Seitenlage  bei  wenig  erhobenem  Kopfe;  nach  11  M.  Bauchlage  mit  gespreizten 
Hinterbeinen  und  halbgeöffneten  Augen;  nach  29  M.  lässt  es  sich  noch  auf  die  Seite 
rollen  ohne  alle  Gegenwehr;  nach  32  M.  läuft  es  wieder. 

2)  15  Grm.  Aceton  werden  auf  Sand  geträufelt,  der  sich  auf  dem  Boden  des 
grossen  Glaskastens  befindet,  in  welchem  ein  grosses  Kaninchen  sitzt.  Es  zeigen  sich 
Reiben  über  die  Nase,  unregelmässige  Athmung,  Ausfluss  von  Schleim  aus  den  Augen 
und  geringes  Schwanken.  Nach  40  M.  Zusatz  von  15  Grm.;  nach  vielfältigem  Schwanken 
fällt  es  nach  56  M.  hin  und  bleibt  nach  60  M.  wie  in  ruhigem  Schlafe  liegen.  _  Als  das 
Thier  nach  75  M.  herausgenommen  wird,  beschleunigt  sich  anfangs  die  Respiration,  aber 
schon  nach  3  M.  steht  es  auf  und  geht  umher. 

Die  durch  Aceton  hervorgerufene  Anästhesie  war  beim  ersten  Versuche 
ganz  vollständig,  jedoch  nur  von  kurzer  Dauer;  nachtheilige  Folgen  hatte 
dieselbe  nicht.  Eine  geringe  reizende  Einwirkung  auf  die  Schleimhaut  des 
Mundes  und  der  Respirationsorgane  war  nicht  zu  verkennen;  hierfür  sprach 
beim  zweiten  Versuche  der  Speichelfluss  und  beim  ersten  Versuche  der  deut- 
liche Rhonchus  sonorus  in  den  Bronchien;  beide  Erscheinungen  Hessen  aber 
sofort  nach,  sobald  die  Thiere  der  Einwirkung  von  Aceton  entzogen  wurden.1) 

Bei  der  fabrikmässigen  Darstellung  von  Aceton  wird  essigsaures  Natrium  der 
trocknen  Destillation  unterworfen;  neben,  Aceton  bildet  sich  Natriumcarbonat: 
CH,-COONa      CH3   ro      „    ro 


432  Propylverbindungen. 

Auch  leitet  man  essigsaure  Dämpfe  durch  gusseiserne,  den  Retorten  ähnliche 
Röhren,  in  welchen  sich  Aetzkalk  in  schwach  rothglühendem  Zustande  befindet, 
wobei  ein  ganz  analoger  Process  stattfindet.  Das  entstandene  Calciumcarbonat 
(CaC03)  wird  hier  durch  die  auftretenden  Wasserdämpfe  wieder  zerlegt  und  in 
Aetzkalk  übergeführt.  Neben  der  Kohlensäure,  die  entweicht,  kann  sich  aber 
auch  Kohlenoxyd  bilden,  wenn  der  Process  längere  Zeit  mit  demselben  Kalk 
fortgesetzt  wird  und  durch  die  Einwirkung  von  ausgeschiedenem  Kohlenstoff  auf 
die  glühende  Kohlensäure  Kohlenoxyd  entsteht.  Tritt  dieser  Umstand  ein,  so 
hört  man  gewöhnlich  mit  der  Zuleitung  der  Essigdämpfe  auf  und  es  wird  bloss 
der  Kalk  bei  gleichzeitiger  Einwirkung  atmosphärischer  Luft  der  Rothglühhitze 
ausgesetzt. 

In  sanitärer  Beziehung  ist  hierbei  zu  beachten,  dass  bisweilen  die  Menge 
des  Kohlenoxyds  sehr  bedeutend  sein  kann.  Es  sind  Fälle  bekannt  geworden,  in  welchen 
Arbeiter  hierdurch  von  Erbrechen,  Taumel  und  den  übrigen  Erscheinungen  der  Kohlen  - 
oxydvergiftung  befallen  worden  sind,  wenn  der  Abzug  dieses  Gases  in  die  Feuerung 
versäumt  wurde. 

Auch  ist  es  erforderlich,  Gassammeikasten  an  der  Mündung  der  Schlangen- 
röhren anzubringen,  um  von  hier  aus  die  Gase  unter  den  bekannten  Sicherheitsmassregeln 
(Einlegen  von  Eisendrahtbündeln  oder  eines  Drahtgitters  in  das  Ableitungsrohr)  in  die 
Feuerung  zu  leiten,  da  mit  der  Kohlensäure  und  dem  Kohlenoxyd  stets  Acetondämpfe 
entweichen   (cfr.   S.  365). 

Das  Rohdestiliat  wird  mit  Kalkmilch  vermischt  und  rectificirt. 

Verwendung  findet  Aceton  als  Auflösungsmittel  für  Harze,  namentlich  zur  Dar- 
stellung eines  feinen  Firnisses  für  die  Photographie  oder,  wie  namentlich  in  England,  des 
Politur-  und  Buchdruckerfirnisses.     Firniss  nennt  man  die  Druckerschwärze  (s.  S.309). 

Mesityloxyd*)  C6H10O  entsteht  durch  Einwirkung  der  gasförmigen  Salzsäure  oder 
der  concentrirten  Schwefelsäure  auf  Aceton,  wobei  sich  mehrere  Molecüle  zu  einem 
Molecül  vereinigen  und  zwar  unter  Abspaltung  von  Wasser: 

2C3H6O-H2O  =  C6H10O. 

Es  stellt  ein  farbloses,  stark  nach  Pfefiermünz  riechendes  Oel  dar,  welches  nur 
in  Alkohol  und  Aether  löslich  ist  und  bei  132°  siedet. 

Einwirkung  von  Mesityloxyd  auf  den  thierischen  Organismus,  l)  Ein  Kaninchen 
sitzt  in  der  Glasglocke,  in  welche  die  Dämpfe  des  erwärmten  Oels  mittels  der  Com- 
pressionspumpe  eingetrieben  werden.  Es  wird  sogleich  unruhig  und  reibt  starlt  über 
die  Nase.  Nach  3,  7  und  9  M.  neue  Zufuhr  der  Dämpfe.  Nach  10  M.  Herausnahme 
des  Kaninchens;  es  bleibt  bei  offnen  Augen  liegen,  Herzschlag  ist  unzählbar  und  die 
Empfindlichkeit  der  Augen  herabgesetzt;  nach  3  M.  erhebt  es  den  Kopf,  behält  aber  die 
Bauchlage;  nach  30  M.  läuft  es  wieder  umher. 

2)  Ein  Kaninchen  wurde  mit  dem  Maul  in  einen  Glastrichter  gesteckt,  in  dessen 
Grund  ein  mit  40  Tropfen  Mesityloxyd  angefeuchteter  Baum  wollpfropfen  lag.  Sogleich 
verlangsamt  sich  die  Respiration;  nach  5  M.  sind  alle  Glieder  schlaff  bei  ruhiger  Lage 
wie  im  Schlafe,  nur  ein  leises  Schleimrasseln  in  den  Bronchien  ist  hörbar.  Nach  23  M. 
noch  immer  derselbe  Zustand;  beim  Wegnehmen  des  Trichters  erhebt  es  sogleich  den 
Kopf.  Es  wird  nun  mit  dem  Maule  im  Trichter  auf  den  Boden  gelegt  und  bleibt  ruhig 
in  der  Seitenlage;  Reflexerregbarkeit  ist  nicht  ganz  verschwunden;  Respiration  ruhig 
und  normal.  Dieser  Zustand  hält  29  M.  an;  nach  einem  leichten  Schlag  auf  den  Rücken 
läuft  es  dann  davon  und  legt  sich  gestreckt  in  die  Seitenlage.  Es  bleibt  15  M.  lang  wie 
im  Schlafe  liegen,  dann  erhebt  es  sich  und  bleibt  munter.  — 

In  dieselbe  Reihe  gehören  folgende  Körper,  welche  wie  Mesityloxyd  dargestellt 
und  durch  fractionirte  Destillation  gewonnen  werden,  da  sie  einen  verschiedenen  Siede- 
punet  haben  : 

Phoron  C9H140  =  3C3H60  —  2H20  siedet  bei  200—220°. 

Mesitylen  C9H12  =  3C3H60  — 3H20,  ein  wasserhelles  Oel,  welches  zwischen 
155 — 160°  siedet  (s.  die  aromatischen  Körper). 

Zu  den  Ketonen  gehört  auch  Dumasin  C6H10O,  Essigbrenzö'l,  welches  bei  der 
Darstellung    des    Acetons    als    Nebenproduct    gewonnen    wird.      Es    ist    eine    farblose, 

*)  Was  man  früher  Metaceton  genannt  hat,  scheint  Mesityloxyd  gewesen  zu 
Ebenso  ist  vielleicht  auch  das  Dumasin  nichts  anderes  als  Mesityloxyd. 


Glycerin.  433 

allmählig  sich  schwach  gelb  färbende  Flüssigkeit  von  ätherischem  Gerüche,  welche  in 
Weingeist  löslich  ist  und  zwischen  120 — 125°  siedet.  Wie  alle  Ketone  geht  es  mit 
sauren  schwefligsauren  Alkalien  eine  Verbindung  ein;  auch  bezüglich  seiner  anästhe- 
sirenden  Wirkung  stimmt  es  mit  den  Ketonen  überein. 

Früher  wurde  es  vielfach  zur  Auflösung  von  Kautschuk  und  Guttapercha  sowie 
zur  Firnissdarstellung  benutzt. 

Einwirkung  von  Dumasin  auf  den  thierischen  Organismus,  l)  Ein  kleines 
Kaninchen  sass  in  der  Glasglocke,  in  welcher  60  Tropfen  Dumasin  im  Sandbade  zur 
Verdunstung  kamen.  Nach  10  M.  Herausnahme  des  Thieres  in  Anästhesie,  die  jetzt 
noch  15  M.  lang  unverändert  bleibt. 

2)  Ein  mittelgrosses  Kaninchen  sitzt  in  der  Glocke ;  30  Tropfen  werden  in  einem 
Kölbchen  erwärmt  und  die  sich  entwickelnden  Dämpfe  eingetrieben.  Nach  15  M.  voll- 
ständige Anästhesie,  die  10  M.  lang  anhält;  bald  darauf  geht  das  Thier  noch  wie  be- 
trunken einher. 

3)  Bei  einer  Taube  trat  auf  diese  Weise  nach  6  M.  vollständige  Anästhesie  ein, 
wobei  sie  sich  wie  eine  todte  Masse  hin  und  her  bewegen  Hess.  Nach  6  M.  etwas 
Würgen  und  Erbrechen;  nach  8  M.  stürzt  sie  beim  Aufstehen  auf  den  Kopf;  sie  richtet 
sich  sofort  wieder  auf.     Nach  30  M.  vollständige  Restitution. 

Dumasin  hat  somit  wie  die  übrigen  Ketone  eine  anästliesirende  Wirkung, 

welche  aber  Taumel  und  Schwindel  zurücklässt.    Beachtungswerth  ist  aber,  dass 

sich   sowohl  beim  Dumasin  wie  bei  den  übrigen  Ketonen  niemals  eine  Spur  von 

convulsivischer  Bewegung  kund  gibt.*) 

Oxydationsproduct  des  Isopropylgly cols. 

Isopropylglycolsäure,  gewöhnliche  Milchsäure,  Acidum  lacticum  CH3  CH  (OH)~ 
COOH  =  C3fi603,  kommt  in  freiem  Zustande  sowie  in  Form  von  Salzen  im  Thierkörper 
sehr  verbreitet  vor;  constant  findet  sie  sich  im  Magensafte,  sowie  im  Dünn-  und  Dick- 
darminhalte; häufig  zeigt  sie  sich  als  pathologisches  Product,  namentlich  im  Schweisse, 
Speichel,  in  osteomalacischen  und  rhachitischen  Knochen,  im  Blute  bei  Pyämie,  bei 
Leukämie,  in  eitrigen  Transsudaten,  im  Speichel  der  Diabetiker  und  überhaupt  bei 
gestörtem  Stoffwechsel  in  Folge  krankhafter  Blutbildung  und  behinderten  Respirations- 
processes.  In  der  Milch  entsteht  sie  als  Spaltnngsproduct  des  Milchzuckers,  wobei  das 
Casein  als  Ferment  wirkt.  Im  Sauerkraut  erscheint  sie  stets  in  Folge  der  Gährung,  der 
sogen.  Milchsäuregährun g. 

Ihre  Darstellung  im  Grossen  geschieht  durch  Gährenlassen  des  Zuckers  bei 
Gegenwart  von  faulem  Käse,  Kreide  und  Wasser,  wozu  man  Räume  mit  einer  Tem- 
peratur von  30 — 35°  bedarf.  Diese  Fabrication  darf  nie  im  Weichbilde  der  Stadt  vor- 
fenommen  werden,  da  der  damit  verbundene  widerliche  Geruch  die  Adjacenten  im 
ochsten  Grade  belästigt. 

Sie  stellt  eine  farblose,  syrupartige,  mit  Wasser,  Alkohol  und  Aether  mischbare 
Flüssigkeit  dar,  welche  mit  Magnesium,  Eisen  und  Zink  die  bekannten  Salze  bildet.2) 

Die  Fleischmilchsäure  C3H603,  Paramilchsäure ,  wird  im  Muskelfleisch  an- 
getroffen und  durch  Auslaugen  desselben  mit  kaltem  Wasser  erhalten. 

Oxydationsproduct  des  Propans  in  allen  drei  Kohlenstoffatomen. 

Glycerin,  Oelsüss,  CH2(OHrCH(qHnCH2(OH)==C3H803,  kommt  fast  in  allen 
Fetten  und  Oelen  thierischen  und  vegetabilischen  Ursprungs,  namentlich  im  Palmöl,  vor. 
In  geringer  Menge  tritt  es  auch  bei  der  Zuckergährung  auf;  es  wird  gewöhnlich  durch 
Behandeln  der  Fette  mit  überhitzten  Wasserdämpfen  dargestellt.  Es  ist  eine  farblose, 
syrupartige,   auch  bei  — 40°  noch  nicht  erstarrende,  geruchlose  Flüssigkeit  von  süssem 


*)  Um  zu  untersuchen,  ob  eine  Chlorverbindung  von  Dumasin  eine  nach- 
haltigere Wirkung  ausübe,  wurden  20  Tropfen  einer  farblosen,  durch  Destillation  von 
Dumasin  mit  Braunstein  und  Salzsäure  gewonnenen  Ölartigen  Flüssigkeit  auf  Baumwolle 
getröpfelt  und  diese  in  eine  weite,  zur  Aufnahme  des  Kopfes  einer  Taube  geeignete 
Glasröhre  gebracht.  Sofort  nimmt  die, Respiration  ab  und  nach  3  M.  hört  sie  ganz  auf; 
2  M.  lang  schlägt  das  Herz  noch  schwach  und  ganz  unregelmässig.  Bei  der  Section 
fand  sich  das  Herz  mit  geronnenem  Blute  angefüllt,  im  linken  Bronchus  und  im  obern 
Lappen  der  linken  Lunge  ein  Extravasat  von  flüssigem  Blute  im  Durchmesser  von 
12  Millimeter. 

Auch  die  Chlor acetone,  bei  denen  für  Wasserstoff  Chlor  substituirt  ist,  sind 
farblose  Flüssigkeiten  von  heftigem  Gerüche,  die  eine  ähnliche  Wirkung  wie  obige  "Ver- 
bindung haben. 

Eulenberg,  Gewerbe -Hygiene.  2o 


434  Propylverbindangen. 

Geschmaeke,  weshalb  Glycerin  (yXuxos)  auch  Oelsüss  heisst.  Mit  Wasserdämpfen  ist  es 
leicht  destillirbar;  ohne  diese  destillirt  es  bei  275—280°  nicht  ohne  Zersetzung.  Es 
zieht  aus  der  Luft  begierig  Feuchtigkeit  an;  in  Wasser  und  Alkohol  ist  es  löslich,  nicht 
alter  in  Aether.  Die  alkalischen  Erden  löst  es  wie  die  meisten  Zuckerarten  fast 
in  unbegrenzten  Mengen  auf.  Diese  in  Glycerin  löslichen  Substanzen  bedingen  wiederum 
die  Löslichkeit  vieler  Metalle  in  Glycerin;  man  soll  daher  nie  kalkhaltiges  Glycerin  in 
Blechflaschen  mit  bleihaltigem  Loth  aufbewahren.3) 

Mit  Schwefelsäure  bildet  es  Glycerinschwefelsäure  C3H5(OH)2HS04,  welche 
bei  der  Stearinsäureindustrie  entsteht  (s.  Stearinsäureindustrie). 

Chlorhydrine  bilden  sich  bei  der  Einwirkung  der  Salzsäure  auf  Glycerin;  je 
nach  der  Dauer  derselben  entsteht  entweder  Mono  chlor  hydrin  C3H7C10.j,  Dichlor- 
hydrin  C3H6CLO  oder  Tricblorhydrin  C3H.,Cl3.  Letzteres  soll  dem  Chloral 
ähnlieh  wirken.4) 

Allylverbindungen. 

Der  Name  dieser  Verbindungen  rührt  von  ihrem  Vorkommen  in  den  Allium- 
arten  her;  sie  stellen  Alkohole  dar,  die  sich  durch  ein  Minus  von  211  von  den  gewöhn- 
lichen Alkoholen  unterscheiden.  Die  zur  C3  Gruppe  gehörigen  Verbindungen  sind  die 
wichtigsten   und  leiten  sich  von  Isopropylen  CH2==CH~"CH3  her. 

Allylalkohol  CH2=CH~CH2OH  =  C3H60  bildet  sich  beim  Erhitzen  von  Glycerin 
mit  Oxalsäure  auf  100°  und  ist  dem  Aceton  und  Propylaldehyd  isomer. 

Acrolein,  Aerol  CH.rCII  CHO  =  C3H40,  das  Aldehyd  des  Allylalkohols, 
wird  durch  Erhitzen  von  Glycerin  dargestellt,  wobei  Glycerin  2  Mol.  Wasser  abspaltet: 

C3HS03  =  C3H40  +  2H.,0. 

Ebenso  entstellt  es  unter  Wasserentziehung  durch  Einwirkung  von  wasserfreier 
Phosphorsäure,  concentrirter  Schwefelsäure  oder  von  Chlorzink  auf  Glycerin.  Im  ge- 
wöhnliehen Leben  tritt  es  beim  Braten  der  Fette  und  Oele  in  der  Küche  und  bei  ver- 
löschenden Lichtern,  in  der  Technik  oft  zur  grossen  Belästigung  der  Umgebung  auf. 

Im  reinen  Zustande  ist  es  eine  wasserhelle  Flüssigkeit,  deren  Dampf  die  Augen 
zu  Thränen  reizt:  sie  schmeckt  brennend  scharf,  ist  leichter  als  Wasser  und  siedet  bei 
-4-52°.  Acrolein  verbrennt  mit  heller  Flamme:  an  der  Luft  verharzt  es  unter  Bildung 
von  Acrylsäure  C3H403,  Ameisensäure  und  Essigsäure. 

Einwirkung  von  Acrolein  auf  den  thierischen  Organismus.  1)  In  den  kleinen 
Kasten,  in  welchem  eine  junge  Katze  sass,  wurden  die  aus  15  Grm.  Glycerin  und  saurem 
schwefelsaurem  Kalium  dargestellten  Aeroleindämpfe  geleitet.  Sogleich  starkes  Speicheln, 
Reiben  über  die  Nase,  Schliessen  der  Augen,  Würgen,  Kaubewegung,  Thränen  der  Augen 
bei  angestrengter  Respiration:  nach  5  M.  Brechen  und  Urinentleerung,  dann  starkes 
Speicheln,  Ausfluss  von  Schaum  aus  den  Nasenlöchern,  in  den  Nacken  zurückgezogener 
Kopf  bei  verlangsamter  Athmung.  Nach  40  M.  noch  immer  starkes  Speicheln,  dabei 
Thränen  der  sehr  gerötheten  Augen  und  grösste  Dyspnoe;  nach  1  Stunde  derselbe 
Zustand  mit  5  Inspir.  binnen  %  M.  Bei  der  Herausnahme  der  Katze  bleibt  die 
Dyspnoe:  Bewegungen  langsam,  sonst  ruhiges  Verhalten.  Am  folgenden  Tage  8  Inspir. 
binnen  %  M.,  hörbar  und  keuchend,  mit  Schleimrasseln  verbunden;  Trinken  und  Fressen 
scheinbar  unmöglich  Am  dritten  Tage  derselbe  Zustand,  starkes  Schleimrasseln  in  der 
Nase;  die  Katze  frisst  und  säuft  fast  Nichts,  sucht  nur  kalte  und  nasse  Stellen  auf. 
Am  vierten  Tage  wird  sie  Morgens  todt  gefunden. 

Section  nach  2-4  Stunden.  Hyperämie  der  Hirnhäute  und  der  Plex.  venös, 
spin.;  beide  obern  Lungenlappen  dunkelbraun,  beim  Durchschneiden  nicht  knisternd, 
im  V  asser  untersinkend:  auf  den  Durchschnitten  treten  einige  Tropfen  schwarzen  Blutes 
und  aus  den  Bronchialästchen  eiterige  Flüssigkeit  aus;  der  rechte  mittlere  und  untere 
Lungenlappen  bläulich-roth;  Parenchym  blassroth,  auf  der  Oberfläche  Emphysem- 
bildung: der  linke  untere  Lungenlappen  zinnoberroth,  beim  Einschneiden  knisternd, 
wobei  ein  paar  dunkle  Blutstropfen  austreten.  Die  Schleimhaut  der  Trachea  bis  zum 
Larynx  hin  mit .abgelöstem  Epitheliom  bedeckt;  die  Schleimhaut  stellenweise  geschwollen 
und  stark  geröthet;  auch  der  weiche  Gaumen  ist  stark  geröthet,  aber  ohne  Exsudat- 
bildung. In  beiden  Herzhälften  etwas  flüssiges,  dunkelrothes  Blut.  Im  Magen 
wenig  geronnene  Milch;  Leber  von  normaler  Farbe  und  nicht  blutreich;  Milz  normal, 
Nieren  dunkelroth.     Urinblase  mit  hellgebem  Urin  gefüllt. 

2)  Ein  mittelgrosses  Kaninchen  sitzt  im  grossen  Glaskasten;  15  Grm.  Glycerin 
werden  mit  Acid.  phosph.  glacial.  behandelt.  Sobald  die  Dämpfe  in  den  Kasten  dringen, 
reibt  es  heftig  über  die  Nase,  hat  starkes  Speicheln,  abwechselnd  grosse  Unruhe.  Nach 
12  M.  bleibt  es  in  der  Bauchlage  mit  4  kaum  bemerkbaren  Inspir.  binnen  l/4  M.  Nach 
SO  M.  Herausnahme;  Augen,  Nase  und  Maul  geröthet,  anhaltende  Dvspnoe;  am  fol- 
genden Tage   eine  Trübung   auf   der   rechten  Hornhaut,   Röthung    der  Conjunctiva    und 


Propylamin.  435 

Eiterflöckchen  in  den  innern  Augenwinkeln:  die  Dyspnoe  steigert  sich.  Am  dritten 
Tage  derselbe  Zustand:  10  angestrengte  Inspir.  binnen  %  M. :  starkes  Speicheln.  Am 
vierten  Tage  dieselbe  Dyspnoe.  Temperatur  im  Obre  2S°  C. :  am  sechsten  Tage  Husten 
mit  Bräune-Ton;  am  siebenten  Tage  lebhaftes  Fressen:  der  rauhe  heisere  Husten  bleibt 
bis  zum  13.  Tage.  Am  1-L.  Tage  frisst  es  wenig  und  bleibt  ruhig  sitzen:  Temperatur 
25°  C.  Am  15.  Tage  stirbt  es  gegen  Abend  unter  progressiver  Abnahme  der  Respiration. 
Section  nach  6  Stunden.  Hirnhäute  und  Plex.  venös,  spin.  nicht  blut- 
reich: die  Halsgefässe  strotzen  von  dickem,  geronnenem,  schwarzem  und  etwas  flüssigem 
Blute.  Lungen  überall  mittels  eines  frischen  plastischen  Exsudats  mit  der  Pleura 
cosfe  verwachsen:  beim  Ablösen  derselben  zeigt  sich  eine  dünne  eiterige  Flüssigkeit: 
der  rechte  untere  Lungenlappen  bläulich-roth,  fest,  im  Wasser  unter- 
sinkend, mit  blassrothem,  mürbem,  mit  den  Fingern  zerreibbarem  Gewebe,  auf  dessen 
Schnittflächen  Eitertröpfchen  hervortreten:  der  mittlere  rechte  Lungenlappen 
leberfarbig,  fest  und  im  "Wasser  untersinkend:  der  linke  untere  Lungenlappen 
tief  blauroth,  mit  der  Pleura  costal.  fest  verwachsen:  das  Gewebe  von  ödematöser  Be- 
schaffenheit, auf  den  Durchschnitten  tritt  ein  weisser  rahm  artiger  Schaum  zu  Tage;  der 
linke  obere  Lungenlappen  von  normalem  Gewebe  und  rosenrother  Farbe.  Die 
Schleimhaut  der  Trachea  bis  zum  Larynx  stark  injicirt  und  von  dunkler  Röthe; 
plastisches  Exsudat  fehlt.  Rechtes  Herz  mit  schwarzem  coagulirtem  Blute  vollständig 
angefüllt,  das  an  den  Wandungen  anklebt:  im  linken  Herzen  weniger  coagulirtes 
und  etwas  flüssiges  Blut.  In  der  Brusthöhle  hatte  sich  rothbraunes  Blut  angesammelt, 
welches  an  der  Luft  dunkelkirsehroth  wurde  und  gerann.  Leber  von  normaler  Be- 
schaffenheit: im  Magen  etwas  unverdautes  Futter:  Milz  dunkelblau:  Nieren  weich, 
nicht  blutreich;  in  der  Urinblase  etwas  blasser  Urin.  In  den  grössern  Venen  schwarzes 
geronnenes  Blut. 

Aus  diesen  Versuchen  geht  mit  Bestimmtheit  hervor,  dass  die  Dämpfe  von 
Acrolein  eine  Pleuro-Pneumonie  zu  erzeugen  vermögen.  Man  wird  zwar  selten 
in  der  Industrie  solchen  Mengen  dieser  Dämpfe  ausgesetzt  sein,  dass  sich  dieser 
erhebliche  Entzündungsprocess  ausbilden  kann;  immerhin  fordert  aber  das 
Resultat  der  Untersuchung  in  sanitärer  Beziehung  zur  Vorsicht  auf,  namentlich 
wenn  in  Stearinsäurefabriken  solche  Dämpfe  beständig  oder  in  grössern  Mengen 
auftreten.  Für  die  Adjacenten  bilden  sie  noch  durch  den  höchst  unangenehmen 
Geruch  eine  Quelle  grosser  Belästigung. 

D.    Nitrogen-Substitutionsproducte  des  Propans. 

Propylamin  CH3~~  CH2-CH2|NHo)  =  C3H7(NH,)  ist  die  ammoniakalisehe,  dem 
Aethylamin  in  chemischer  Beziehung  vollständig  entsprechende  Verbindung:  auch  seine 
Dämpfe  haben  eine  ähnliehe  Wirkung  wie  die  von  Aethylamin.5) 

Allylcyanid  oder  Cyanallyl.  C3Hä— CN,  entspricht  dem  Cyanäthyl  vollkommen: 
es  kommt  im  käuflichen  Senföl  vor. 

E.    Sulfo-Substitutionsproducte  des  Propans. 

Allylsenföl,  das  eigentliche  Senföl,  C3H5— NCS,  gehört  hierher  und  wird  im 
Grossen  aus  den  schwarzen  Senfsamen  dargestellt,  welche  man  durch  Pressen  von  ihrem 
Oel  befreit  und  dann  einige  Tage  stehen  lässt.  um  einen  Gährungsprocess  einzuleiten. 
Durch  Destillation  mit  Wasser  gewinnt  man  dann  das  farblose,  stechend  riechende  Oel, 
welches  in  Wrasser  unlöslich  ist. 

Allylsulfid,  KnoblauchÖl  C6Hi0S,  wird  ebenfalls  durch  Destillation  mit  Wasser 
aus    den    Zwiebeln    des    Knoblauchs    gewonnen:    eine    farblose,    stark    nach    Knoblauch 

riechende  Flüssigkeit. 


28* 


436  Butylverbindungcn. 


C4  Gruppe. 
Butylverbindungen. 

A.    Kohlenwasserstoffe. 

a)  Butylwasserstoff  CH3  CH3  CH3  CH3==C4H10  kommt  unter  den  Gasen  des 
Petroleums  vor   und  wird  künstlich   durch  Erhitzen  von  Jodäthyl  mit  Zink  dargestellt: 

2  C3H5  J  +  Zn  =  Zn  J3  +  C4  H10. 
Ein    farbloses,   bei   — 23°   flüssig  werdendes    und    mit   stark  leuchtender  Flamme 
brennendes  Gas.1) 

Isobutylwasserstoff   CH3    CH~CH3  =  C4H10    kommt  nur  als    Kunstproduct   vor 

CH3 

und  entsteht  neben  Butj'len,  wenn  Butylalkohol  mit  Chlorzink  erhitzt  wird. 

b)  Butylen  C4H8  kommt  unter  den  flüchtigsten  Bestandteilen  des  Petroleums 
vor  und  bildet  sich  auch  bei  der  Destillation  der  fetten  Oele,  Harze  und  namentlich  bei 
der  trocknen  Destillation  des  Kautschuks.  Dargestellt  wird  es  durch  Zersetzung  des 
Isobutylalkohols  durch  Chlorzink. 

ßutylen  ist  ein  höchst  flüchtiger  Körper,  welcher,  condensirt,  schon  unterhalb  des 
Gefrierpunctes  des  Wassers  siedet. 

B.    Halogenderivate  des  Butylwasserstoffs. 

Butylchlorid  CH3  CH-TCH,  CH2C1  =  C4H9C1  wird  durch  Einleiten  von  gas- 
förmiger balzsäure  in  Butylalkohol  dargestellt;  es  siedet  bei  78°.  Das  Isobutyl- 
chlorid  siedet  bei  70°. 

Die  Butyljodide  werden  wie  die  Chloride  aus  den  vier  verschiedenen  Butyl- 
alkoholen  erhalten. 

C.    Hydroxyl-Substitutionsproducte  des  Butylwasserstoffs. 

Von  den  beiden  Butylwasserstoffen  leiten  sich  vier  Butylalkohole  ab,  nämlich  der 
normale   und   secundäre   Butylalkohol   (Siedepunct  99°),    der   Isobutylalkohol 
und   der  tertiäre  Butylalkohol   (Siedepunct   82°);    der   normale   CH3~~CH3~CH3 
~~ CH3OH   wird   aus  der  Buttersäure  erhalten  (Siedepunct  116°). 
>CH3 

Isolmtylalkohol  CH^-CH3  =C4H9(OH)  kommt  als  Product  der  alkoho- 
\CH3OH 
lischen  Gährung  vor,  findet  sich  daher  auch  im  Rohspiritus  und  ist  ein  Bestandtheil 
des  Fuselöls,  aus  welchem  er  auch  durch  fractionirte  Destillation  gewonnen  wird.  Er 
verhält  sich  dem  gewöhnlichen  Alkohol  sehr  ähnlich,  ist  jedoch  mit  Wasser  nicht 
mischbar   und  siedet  bei  107°:  sein  Geruch  erinnert  an  den  des  Amylalkohols. 

Einwirkung    des    Gährnngsbntylalkohols     anf  den    thierischen    Organismus. 

1)  Ein  grosses  Kaninchen  sass  im  grossen  Glaskasten.  Nach  der  Verdunstung  von 
120  Tropfen  Butylalkohol  beschleunigt  sich  nach  9  M.  die  Athmung  bedeutend:  nach 
45  M.  sind  300  Tropfen  verdunstet,  dann  Reiben  über  die  Nase,  schwaches  Zittern  der 
Ohren ;  nach  der  Verdunstung  von  500  Tropfen  binnen  1  Stunde  krampfhafte  Bewegung 
im  rechten  Vorderfusse,  wiederholtes  Reiben  über  die  Nase:  es  treten  keine  anderweitigen 
Erscheinungen  ein.  Nach  der  Verdunstung  von  600  Tropfen  (binnen  75  M.)  Herausnahme 
des  Thieres,  welches  ohne  Schwanken  fortläuft. 

2)  Ein  mit  Butylalkohol  angefeuchteter  Baumwollpfropfen  wurde  in  den  Grund 
eines  Trichters  gebracht  und  das  Maul  eines  starken  Kaninchens  in  die  Trichtermündung 
gesteckt:  20  Min.  lang  dauerte  die  Inhalation,  während  welcher  der  Baumwollpropfen 
noch  dreimal  angefeuchtet  wurde :  nur  eine  unregelmässige  Athmung  und  ein  vermehrter 
Herzschlag  traten  ein,  aber  von  Betäubung  keine  Spur. 

Frösche  können  in  einer  schwachen  Lösung  dieses  Alkohols  (1:500)  leben:  nur 
der  Herzschlag  verlangsamt  sich  hierbei,  auch  die  Motilität  und  Sensibilität  nehmen 
etwas  ab,  die  Erholung  erfolgt  aber  rasch.  Schneller  und  heftiger  wirkt  eine  Lösung 
von  1 :  200  ein. 2) 


Buttersäure.  437 

Die  geringe  Flüchtigkeit  des  Butylalkohols  ist  die  Ursache,  weshalb  er 
weniger  als  Weinalkohol  betäubt.  Beim  Menschen  entstehen  zuerst  Husten  und 
später  ein  Kopfschrnerz  von  kurzer  Dauer. 

Oxydationsproducte  des  Butylalkohols. 

ßtttaldehyd  C4H80  leitet  sich  vom  normalen  Butylalkohol,  der  Isobutylaldehyd 
CjHgO  vom  Isobutylalkohol  her.  Beide  Aldehyde  liefern  bei  weiterer  Oxydation  zwei 
isomere  einbasische  Säuren,  die  bei  157°  siedende  Buttersäure  und  die  ihr  sehr  ähn- 
liche, aber  bei  154°  siedende  Isobuttersäure. 

Buttersäure  CH3^CH2_CH2_COOH=CiH802  kommt  als  Glycerinäther  (Butyrin) 
in  der  Butter  vor;  auch  liefern  sie  der  Schweiss,  der  Muskelsaft,  das  Blut,  der  Leber- 
thran,  das  Sauerkraut,  überhaupt  die  eingemachten  Gemüse  und  die  Salzgurken  in  Folge 
der  Milchsäuregährung.  Als  verwesungs-  und  Fäulnissproduct  vieler  thierischen  Sub- 
stanzen tritt  sie  beim  verdorbenen  Korn,  bei  verwesenden  Pflanzentheilen  resp.  Früchten 
und  Zwiebeln  auf.  Guano-Lager  exhaliren  beständig  Buttersäure.  In  den  stinkenden 
Fussschweissen  ist  sie  mit  Baldriansäure  gepaart;  der  stinkende  Geruch  des  Menstrual- 
blutes  und  der  Lochien  rührt  häuptsächlich  von  Buttersäure  her.  Im  Johanniskraut 
(Ceratonia  Siliqua)  entwickelt  sie  sich  als  buttersaures  Salz  so  bedeutend,  dass  sie  durch 
Destillation  mit  Schwefelsäure  daraus  gewonnen  werden  kann.  v.  Gorup-Besanez  hat  sie 
in  den  Tamarinden  und  in  den  Früchten  des  Seifenbaums  (Sapindas  saponaria)  nach- 
gewiesen. Im  Tabakrauche,  beim  Brennen  der  Kaffeebohnen,  bei  der  Theergewinnung, 
folglich  bei  der  trocknen  Destillation,  findet  sie  sich  ebenfalls. 

Einwirkung  der  Bnttersäure  auf  den  thierischen  Organismus.  Ein  Meer- 
schweinchen sass  im  Zinkkasten,  in  welchen  die  durch  Erhitzen  der  Buttersäure  ge- 
bildeten Dämpfe  eingeleitet  wurden.  Sofort  grosse  Unruhe,  Reiben  über  die  Nase, 
Urinlassen  und  Husten;  mit  der  Condensation  der  Dämpfe  lassen  diese  Erscheinungen 
nach,  mit  dem  Einleiten  derselben  treten  sie  mit  erneuter  Heftigkeit  auf  und  die  Athmung 
wird  unregelmässig'.  Die  Hornhaut  wird  auf  beiden  Seiten  weiss  getrübt.  Nach  15  M., 
nach  Verbrauch  von  12  Grin.  Buttersäure,  nimmt  das  Thier  die  Bauchlage  mit  gespreizten 
Beinen  an  und  wird  dann  herausgenommen.  Die  Respiration  bleibt  beschleunigt  und 
ist  mit  Schleimrasseln  verbunden.  An  den  drei  folgenden  Tagen  vermag  das  Thier 
weder  zu  fressen  noch  zu  saufen  und  verhält  sich  sehr  ruhig;  die  rechte  Hornhaut  ist 
wieder  klar,  die  linke  aber  noch  trübe.  Erst  am  vierten  Tage  ist  es  befähigt,  Futter 
zu  sich  zu  nehmen.  Am  fünften  Tage  Cornea  ganz  klar,  die  Respiration  fast  ganz  frei 
von  Schleimrasseln  und  die  Fresslust  gut.    Die  Restitution  ist  vollständig. 

Wasserfreie  Buttersäure  wirkt  stark  irritirend  ein;  auf  der  Haut  erzeugt  sie 
rothe  Flecke,  auf  denen  sich  später  die  Epidermis  kleienartig  abschuppt.  Aehn- 
lich  sind  die  Erscheinungen  auf  den  Schleimhäuten,  indem  sie  hier  ebenfalls 
Röthung,  Schwellung  und  späterhin  Abstossung  des  Epitheliums  erzeugt.  Die 
Reizung  der  Mundhöhle  und  des  weichen  Gaumens  beim  Meerschweinchen  ver- 
ursachte Unvermögen  zum  Schlucken;  sie  setzte  sich  in  geringerm  Grade  auf 
die  Bronchialschleimhaut  fort.  Die  Trübung  der  Hornhaut  beruhte  zunächst  auf 
Coagulation  der  Albuminate.  Die  Buttersäure  besitzt  den  thierischen  Gebilden 
gegenüber  aber  auch  eine  stark  lösende  Kraft,  so  dass  sie  sogar  Fleischfasern, 
gehacktes  rohes  Fleisch,  gekochtes  Eiweiss  u.  s.  w.  in  eine  syrupartige,  schlüpfrige 
Masse  zu  verwandeln  vermag.  Beim  Meerschweinchen  hatten  die  Dämpfe  den 
obern  Rand  beider  Ohrmuscheln  corrodirt;  in  einer  Breite  von  10  Millimeter 
waren  diese  mit  einem  braunen  Schorfe  bedeckt,  nach  dessen  Entfernung  sich  ein 
sichtbarer  Substanzverlust  ergab.  Gelangt  sie  direct  in's  Blut,  so  wirkt  sie  wie 
jede  Säure,  indem  sie  die  Alkalinität  des  Blutes  und  damit  die  Fähigkeit  des- 
selben, Kohlensäure  zu  binden,  aufhebt;  sie  steht  in  dieser  Beziehung  fast  auf 
gleicher  Stufe  mit  der  Essigsäure. 

Otto  Weber3)  injicirte  Kaninchen  5—10  Tropfen  der  Säure,  in  Wasser 
gelöst,  in's  Blut  und  beobachtete  darnach  heftige  Krämpfe,  beschleunigte  Respi- 
ration, Mydriasis,  rasche  Abnahme  der  Temperatur  und  Tod. 


438  Butylverbindungen. 

Bei  der  Darstellung  der  Buttersäure  im  Grossen  unterwirft  man  ein 
Gemenge  von  Rohrzucker  oder  Rübenzuckermelasse  mit  Kreide  und  faulendem 
Käse  bei  30 — 35°  der  Gährung.    Die  zuerst  gebildete  Milchsäure  verwandelt  sich 
unter  Wasserstoff-  und  Kohlensäure-Entwicklung  in  Buttersäure: 
2C3H603  =  C4Hs02  +  2C02  +  2H2. 

Aus  dem  gebildeten  buttersauren  Calcium  wird  mittels  einer  starken  Mineral- 
säure die  Buttersäure  abgeschieden  und  noch  durch  Destillation  und  Rectification 
gereinigt. 

Es  entsteht  hierbei  ein  unausstehlicher,  höchst  widerlicher  Geruch,  der 
theils  von  der  Buttersäure,  theils  aber  auch  von  den  vielen  andern  Fettsäuren 
und  einigen,  noch  nicht  näher  gekannten,  flüchtigen  Substanzen  herrührt. 

Die  gährenden  Tupfe  stehen  in  geheizten  Stuben,  welche  die  oben  erwähnte 
Temperatur  haben  müssen:  täglich  wird  ihr  Inhalt  zweimal  umgerührt.  Einrichtungen, 
um  die  übelriechenden  Dämpfe  und  die  feuergefähi'lichen  Gase  (Kohlenwasserstoffe  u.  s.w.) 
zu  entfernen,  sind  absolut  erforderlich,  obgleich  in  den  meisten  Fabriken  nicht  daran 
gedacht  wird.  Zum  allermindesten  müssen  diese  Räume  mit  einem  gut  ziehenden 
Schornstein  in  Verbindung  gesetzt  werden,  um  die  Gase  und  Dämpfe  abzuleiten. 

Auch  dürfen  solche  Anlagen  niemals  in  Städten  geduldet  werden,  weil  die  Nähe 
solcher  Fabriken  selbst  bei  zweckmässigen  Vorkehrungen  der  nächsten  Nachbarschaft 
grosse  Belästigungen  bereitet. 

Die  Buttersäure  ist  eine  durchsichtige,  farblose,  wie  Essig  und  alte  Butter 
riechende  Flüssigkeit,  welche  mit  Wasser  mischbar  ist,  bei  157°  siedet  und  dann  ohpe 
Veränderung  überdestillirt.     Sie  ätzt  die  Haut  gleich  der  stärksten  Essigsäure. 

Verwendung  findet  die  Buttersäure  zur  Darstellung  von  buttersaurem 
Calcium,  das  durchsichtige,  schmelzbare,  in  Wasser  leicht  lösliche  Nadeln  darstellt. 
Am  wichtigsten  ist  aber  ihre  Benutzung  in  den  Fabriken  für  Parfümerien  und 
Liqueure. 

Bnttersänre-Methyläther  C4H7(CH3)O2=C5Hj0O2  hat  einen  höchst  eigenthüm- 
lichen,  angenehmen  Aepfelgeruch  und  wird  aus  Buttersäure,  Holzgeist  und  concentrirter 
Schwefelsäure  dargestellt. 

Buttersäure-Aethj'läther  C4H7(C2H5)02^C6H]202  zeichnet  sich  durch  einen  an- 
genehmen Geruch  nach  Ananas  aus  und  wird  in  England  im  Grossen  massenhaft  dar- 
gestellt, indem  man  die  Butter  mit  Kali  verseift,  die  gebildete  Seife  in  starkem  Alkohol 
löst  und  mit  concentrirter  Schwefelsäure  destillirt.  Dieser  käufliche  Butteräther  ist 
noch  mit  andern  Aetherarten  vermischt;  als  Ananasöl  (Pine-apple  oil)  wird  er  zur 
Fabrication  von  künstlichem  Rum  oder  zum  Aromatisiren  eines  limonadenähnlichen  Ge- 
tränks (Pine-apple-ale)  benutzt. 

Dicarboxylsäure  in  der  C4Gruppe. 

Bernsteinsäure  CO  OH- CH2— CH2— COOH  =  C4H604  ist  in  industrieller  Beziehung 
wichtig:  sie  kommt  in  vielen  Pflanzen,  im  thierischen  Organismus  und  ganz  besonders 
im  Bernstein  vor.  Unter  den  Producten  der  alkoholischen  Gährung  des  Zuckers  fehlt 
sie  nie.     Im  Grossen  wird  sie  durch  Destillation  des  Bernsteins  dargestellt. 

Die  Dämpfe  dieser  Säure  reizen  die  Respirationswege  sehr  stark  und  erregen 

einen  heftigen  Husten ;  eine  tiefere  Einwirkung  auf  das  Befinden  der  Thiere  konnte 

nicht    beobachtet   werden.     Arbeiter,    welche  in  den  Dämpfen  beschäftigt  sind, 

empfinden  die  reizende  Wirkung  allmählig  weniger,  obgleich  solche  mit  reizbaren 

Brustorganen  die  mit  diesen  Dämpfen  verbundene  Arbeit  aufgeben  müssen;    in 

einem  concreten  Falle  trat  ein  starker  Bluthusten  ein. 

Substitution  der  Wasserstoffe  in   den  beiden  CH3  der  gewöhnlichen 
Bernsteinsäure  durch  Hydroxyle. 
pTT  fr) tj\ — PO  OTT 
Aepfelsäure  QH    COOH  =  C4H605    kommt    bekanntlich    in    allen    sauren 

Früchten  vor  und  wird  gewöhnlich  aus  dem  Safte  der  Vogelbeeren  dargestellt.  Sie 
stellt  eine  feste,  an  der  Luft  zerfliessende,  bei  83°  schmelzende  Masse  dar  und  verhält 
sich  zur  Bernsteinsäure  wie  die  Glycolsäure  zur  Essigsäure. 


Crotonchloral.  439 

Weinsäure  puvßtn— pr!r)Tj  =  C4H606,  Reclitsweinsäure,  kommt  vorzugsweise 

in  den  Trauben  vor  und  bildet  sieb  bei  der  Oxydation  des  Milchzuckers. 

Dargestellt  wird  sie  aus  dem  rohen  Weinstein,  welcher  sich  an  den  Wänden 
der  Weinfässer  absetzt.  Die  WTeinsäure  ist  leicht  im  Wasser,  schwer  in  Alkohol  löslich. 
Von  ihren  Salzen  sind  zu  erwähnen: 

Saures  weinsaures  Kalium,  Weinstein,  C4H5K06,  ein  in  Wasser  schwer 
lösliches  Salz. 

Neutrales  weinsaures  Kalium,  C4H4K206,  in  Wasser  leicht  lösliche 
Krystalle. 

Weinsaures  Calcium  C4H4Ca04,  besitzt  die  charakteristische  Eigenschaft,  in 
kaltem  Wasser  unlöslich,  in  kalter  Kalilauge  aber  löslich  zu  sein;  durch  Kochen  wird 
es  aber  wieder  abgeschieden. 

Die  Trauben  säure  ist  nur  eine  Modifikation  der  Weinsäure. 

Andere  sauerstoffhaltige  Verbindungen  der  C4Gruppe. 

Crotonaldehyd  C4H60  bildet  sich  aus  dem  gewöhnlichen  Aldehyd  (C2H40)  durch 
Condensation  desselben  und  stellt  eine  stechend  riechende,  bei  105°  siedende  Flüssigkeit 
dar.  Durch  Oxydation  von  Crotonaldehyd  stellt  man  die  Crotonsäure  C4H602  dar, 
eine  bei  184°  siedende  Flüssigkeit. 

Diese  Verbindungen  stehen  zu  den  entsprechenden  Butylverbindungen  in  derselben 
Beziehung  wie  die  Allylverbindungen  zu  den  Propylkörpern. 

Crotonchloral  C4H3C130  ist  dem  Chloral  analog  zusammengesetzt  und  ist  zuerst 
von  Krämer  und  Pinner  durch  Einleiten  von  Chlor  in  Aldehyd  als  ölige  Flüssigkeit 
dargestellt  worden,  die  mit  Wasser  ein  Hydrat  bildet.  Dieses  unterscheidet  sich  vom 
Chloralhydrat  durch  seine  geringe  Löslichkeit  in  Wasser  und  seine  Krystallisation 
in  kleinern  glänzenden  Tafeln. 

Eine  Gabe  von  4  Grm.  in  wässriger  Lösung  führt  binnen  15 — 20  Minuten  tiefen 
Schlaf  herbei,  welcher  mit  Anästhesie  des  Kopfes  verbunden  ist.  Einen  nach- 
theiligen Einfluss  auf  das  Herz  soll  es  nicht  ausüben:  während  der  Augapfel  seine 
■Irritabilität  verloren  hat,  der  N.  Trigeminus  nicht  mehr  auf  Reize  reagirt,  verändert 
sich  der  Tonus  der  Muskeln  gar  nicht.  Man  hat  das  Mittel  daher  vorzugsweise  bei 
Gesichtsneuralgie  empfohlen.4) 


C5  Gruppe. 
Amylverbinchingen. 

A.    Kohlenwasserstoffe. 

Es  giebt  drei  verschiedene  Amylwasserstoffe,  von  denen  zwei  im  Petroleum- 
äther vorkommen. 

Der  normale  Amylwasserstoff,  CH3~CH2~ CH2~CH2~CH3  =  C5H,2,  wird  durch 
Erhitzen  von  Jodamyl  mit  Zink  und  Wasser  dargestellt.  Er  ist  eine  farblose,  sehr  be- 
wegbehe,  bei  +33°  siedende  Flüssigkeit,  welche  in  Wasser  unlöslich  ist  und  deren 
Dampf  mit  weisser  leuchtender  Flamme  brennt. 

Rickardson1)  Hess  das  Gas  20 — 25  Secunden  lang  einathmen  und  sah  danach  eine 
kurze  Bewusstlosigkeit  eintreten,  welche  für  Zahnoperationen  ausreichte.  Wegen  der 
Unlöslichkeit  des  Mittels  tritt  die  Anästhesie  nicht  rasch  ein:  erst  wenn  die  Respirations- 
wege vollständig  mit  dem  Gase  angefüllt  sind,  macht  sich  die  Wirkung  geltend. 

Amylen  C5H10  bildet  sich  bei  der  Destillation  des  Amylalkohols  mit  Chlorzink. 
Es  ist  ein  klares,  eigenthümlich  riechendes  Oel  von  kühlendem,  adstringirendem  Ge- 
schmack; in  Wasser  ist  es  kaum,  in  Alkohol  und  Aether  leicht  löslich  und  brennt  mit 
schwach  leuchtender  Flamme.     Sein  Siedepunct  liegt  bei  35°. 

Einwirkung  von  Amylen  auf  den  thieriseken  Organismus,  l)  Ein  kleines 
Kaninchen  sitzt  im  Zinkkasten,  in  dem  30  Grm.  Amylen  verdunsten.  Bald  Zucken  in 
den  Vorderbeinen,  das  sich  nach  2  M.  wiederholt;  dann  Reiben  über  die  Nase:  nach 
10  M.  Zusatz  von  30  Grm.  Amylen;   schwacher   Taumel  und  nach  16  M.  Hinfallen  mit 


440  Amylverbindungen. 

zittemden  Lippen.  Nach  30  M.  Herausnahme  des  Thieres.  das  sich  sofort  bemüht  auf- 
zustehen, aber  erst  nach  10  M.  Gehversuche  macht. 

2    Ein  kleines  Kaninchen  sitzt  in  der  Glasglocke;  190  Tropfen  Amylen  verdunsten; 

nach  12  M.  Schwanken  und  Hinfallen.  Nach  16  M.  Herausnahme  des  Thieres  in 
Anästhesie;  nach  15  Secunden  erhebt  es  alier  schon  den  Kopf  und  stösst  einen  heisern 
Schrei  aus:  bei  Gehversuchen  schwankt  es  und  stürzt  auf  den  Kopf.  Nach  10  M  bleibt 
es  ruhig  sitzen  und  erholt  sich  allmählig. 

3)  Ein  BaumwoUpfropfen  im  Grunde  eines  Trichters  wurde  mit  40  Tropfen  Amylen 
befeuchtet  und  darauf  der  Kopf  eines  Kaninchens  in  den  Trichter  gesteckt.  Nach  30  See. 
convulsivische  Zuckungen  der  Extremitäten  und  nach  1'2  M.  vollständige  Erschlaffung 
derselben,  während  die  Athmung  rasch  und  angestrengt  ist.  Nach  2  ML  auf  die  Erde 
belegt,  bleibt  es  nur  einen  Augenblick  in  der  Seitenlage  und  läuft  bald  davon. 

4  Bei  der  Wiederholung  dieses  Versuches,  der  5  M.  dauerte,  ist  das  Kaninchen 
vollständig  anästhetisch;  nach  2  M.  läuft  es  wieder. 

Aehnliche  Resultate   erzielten  5  und   Lohm  yer*)  bei  ihren  Versuchen  an 

Kaninchen:  sie  fanden  ebenfalls  die  Respiration  beschleunigt,  laut  hörbar,  den  Puls 
frequent,  wobei  die  Thiere  heisere  Schreie  ausstiessen ;  die  anfangs  leichten  Zuckungen 
gingen  bisweilen  in  allgemeine  Convulsionen  über;  letztere  verschwanden  beim  Eintritt 
der°Muskelrelaxation.  Nach  dem  Aufhören  der  Inhalation  schwand  auch  die  Anästhesie: 
schon  nach  %  M.  fingen  die  Thiere  an.  sich  zu  regen  und  konnten  sich  nach  einer 
weitern  %  M.  wieder  auf  den  Beinen  halten.  An  der  freien  Luft  erlangten  sie  ihre 
Kräfte  schneller. 

Auch  die  Beobachtungen  bei  Menschen  stimmen  darin  überein,  dass 
sich  Amylen  nur  für  eine  kurze  Anästhesie  eignet;  die  Restitution  ist  weit 
schneller  und  vollständiger  als  beim  Chloroform.  Snow3)  entdeckte  die 
anästhesireude  Wirkung  von  Amylen  und  zieht  es  namentlich  auch  wegen 
seiner  geringen  reizenden  Einwirkung  auf  die  Respirationsorgane  dem  Chloroform 
und  Aether  vor.  Puls  und  Athem  beschleunigen  sich  anfaugs  bei  geröthetem  Ge- 
sichte, während  die  Pupille  unverändert  bleibt  und  sich  nur  bei  stärkerer  Einwir- 
kung erweitert.  Die  Erholung  tritt  so  rasch  ein,  weil  Amylen  sehr  flüchtig  ist, 
auch  von  "Wasser  und  Blut  sehr  wenig  absorbirt  wird.  Tour  des4)  sah  nach 
einer  6  —  8  Minuten  andauernden  Anästhesie  das  Bewusstsein  schon  nach 
2 — 3  Minuten  zurückkehren. 

Bei  ein  paar  Todesfällen  hat  man  hauptsächlich  „  Lungenemphysem u  und 
im  Herzen  einige  Unzen  dunkles  flüssiges  Blut  nebst  einer  blutreichen  Leber,  ein 
andermal  gar  nichts  Auffallendes  beobachtet. 

B.    Halogen-  Substitutiunsproducte. 

Amylehlorid,  CMoramyl  C5HnCl,  wird  durch  Einwirkung  der  gasförmigen  Salz- 
säure auf  Amylalkohol  dargestellt  Eine  farblose  Flüssigkeit  von  ziemlich  angenehmem 
Gerüche,  welche  in  Wasser  unlöslich  ist  und  bei  102°  siedet. 

Es  findet  bei  der  Darstellung  der  rothen  Farben  aus  dem  Anilin  Verwendung. 

Einwirkung  von  Chloramyl  anf  den  thierisehen  Organismus.  Ein  mittelgrosses 
Kaninchen  sitzt  in  der  Glasglocke,  in  welche  die  Dämpfe  von  40  Tropfen  Chloramyl 
eingeleitet  werden.  Sogleich  Unruhe.  Augenblinzeln,  Thränen  der  Augen,  Reiben  über 
die  Nase.  Nach  oil.  ist  nach  erneuter  Verdampfung  von  20  Tropfen  die  ganze  Glocke 
mit  Dampf  angefüllt:  das  Thier  fällt  allmählig  in  die  Seitenlage  und  wird  nach  11  M. 
herausgenommen;  es  schreit  heftig  auf.  die  Pupille  ist  erweitert  und  das  Auge  empfind- 
lich, nur  die  Hinterbeine  sind  schlaff  und  unempfindlich.  Nach  4  M.  langsame  Geh- 
versuche ohne  Schwanken:  Nachkrankheiten  entstehen  nicht. 

Wegen  seiner  geringen  Flüchtigkeit  eignet  sich  das  Mittel  schon  von  vorn- 
herein weniger  zu  Inhalationen.  Snow  versuchte  dasselbe  an  sich  selbst  und 
empfand  nach  der  Inhalation  von  einer  Drachme  binnen  10  Minuten  eine  langsam 
schwindende  Betäubung  und  ein  rauschähnliches  Gefühl  ohne  alle  nachtheiligen 
Folgen;  eine  Menge,  welche  jedoch  nach  den  Versuchen  an  Kaninchen  hier  keine 
vollständige  Narkose  zu  erzeugen  vermag.5) 


Jodamyl.  441 

Jodamyl  C5H,i  J  entsteht  bei  der  gleichzeitigen  Einwirkung  von  Jod  und  Phosphor 
auf  Amylalkohol.  Eine  farblose  Flüssigkeit,  welche  schwerer  als  Wasser,  in  demselben 
ganz  unlöslich,  aber  in  absolutem  Alkohol  und  Aether  löslich  ist.  Ihr  Geruch  ist 
schwach  ätherartig,  ihr  Geschmack  brennend  und  ihr  Siedepunct  liegt  bei  146°. 

Sie  wird  in  der  Farbentechnik  benutzt. 

Einwirkung  von  Jodamyl  auf  den  thierischen  Organismus,  l)  In  der  Glasglocke 
sass  ein  mittelgrosses  Kaninchen.  CO  Tropfen  Jodamyl  wurden  in  einem  Kölbchen  im 
Sandbade  erwärmt  und  die  weisslichen  Dämpfe  eingeblasen.  Das  Präparat  war  nicht 
ganz  rein,  da  sein  Siedepunct  nur  bei  +120°  lag;  wahrscheinlich  enthielt  es  noch  freie 
Jodwasserstoffsäure.  Sogleich  beschleunigt  sich  die  Respiration,  krampfhaftes  Auf- 
sperren des  Mauls  und  jämmerliches  Schreien;  abwechselnd  erhebt  sich  das  Thier  und 
sinkt  wieder  zu  Boden,  schreit  häufig  auf  und  athmet  sehr  beschwerlich;  nach  9  M. 
krampfhaftes  Zucken,  welches  in  sehr  starkes  Zittern  übergeht,  worauf  sich  das 
Rückgrat  tetanisch  beugt  und  der  Athem  stockt.  Nach  der  sofortigen  Herausnahme 
erfolgen  nur  noch  ein  paar  krampfhafte  Inspir.;  die  Pupille  ist  sehr  verengt,  die  büke 
Cornea  schwach  getrübt  und  die  Gliederstarre  sofort  stark. 

Section  nach  20  Stunden.  Die  Hirnhäute  sind  sehr  stark  injicirt;  zwischen 
den  Wirbeln  und  der  Dura  mater  ein  ganz  oberflächliches  Blutextravasat  Lungen 
zurückgezogen,  von  dunkelbrauner  Farbe  mit  schwärzlicher  Marmorirung;  aus  den 
Durchschnitten  des  linken  obern  Lungenlappens  tritt  wenig  Blut  aus;  das  Parenchym 
ist  schwärzlich-braun:  bloss  am  Rande  der  Lungenlappen  eine  hellrothe  Marmorirung 
mit  Emphysembildung;  die  Lungenschleimhaut  bis  zur  Trachea  rothbraun  injicirt.  Unter 
der  Pleura  der  6  untern  Rippen  linkerseits  ein  4  Millim.  dickes  Blutextravasat  von  3  Dem. 
Durchmesser.  Herz  etwas  schlaff,  enthält  rechts  wenig  flüssiges  und  links  etwas 
schwarzes  geronnenes  Blut.  Sonst  ist  das  Blut  vorherrschend  flüssig,  hat  eine  dunkel- 
kirschrothe  Farbe  und  wird  an  der  Luft  kaum  heller. 

2)  Ganz  reines  Jodamyl  wird  zu  12  Tropfen  auf  einen  Baumwollpfropfen  ge- 
träufelt und  in  eine  weite  Röhre,  welche  den  Kopf  einer  Taube  aufnimmt,  gesteckt. 
Der  Schnabel  wird  sogleich  nass;  beschleunigte  Respiration  und  Würgen.  Nach  7  M. 
Zusatz  von  10  Tropfen;  heftige  Dyspnoe,  nach  15  M.  vollständige  Anästhesie 
der  Taube,  die  sich  ohne  alle  Reaction  hin-  und  herrollen  lässt;  Herzschlag  beschleu- 
nigt; nach  1  M.  starkes  Zittern,  Husten  mit  rauhem  Ton:  nach  2  M.  richtet  sie 
sich  unter  Schwanken  auf;  nach  3  M.  geht  sie  schwankend  wie  betrunken  einher,  die 
Athmung  wird  eher  normal  als  der  Herzschlag.     Restitution  nach  1  Stunde.   ■ 

Das  vom  Organismus  aufgenommene  Jodamyl  wird  sich  jedenfalls  langsamer 
als  Jodäthyl  zersetzen;  alles  Jod  wird  aber  auch  hier  schliesslich  als  Jod- 
natrium im  Harn  und  Schweiss  ausgeschieden. 

Obgleich  Jodamyl  eine  vollständige  Anästhesie  zu  erzeugen  vermag,  so  er- 
scheint es  doch  unpassend  für  diesen  Zweck,  da  es  die  Respirationsschleimhaut 
ganz  bedeutend  reizt.  Beim  ersten  Versuche  betheiligte  sich  wohl  ohne  Zweifel 
die  vorhandene  Jodwasserstoffsäure  an  dem  letalen  Ausgange.  Die  eigenthümliche 
Wirkung  der  ganzen  Amylreihe,  Zittern  und  Betäubung,  gab  sich  namentlich 
beim  zweiten  Versuche  kund.6) 

C.    Hydroxyl-Substitutionsproducte. 

Der  gewöhnliche  Amylalkohol  oder  Gährungsamylalkohol  CäH120,  ein 
Hauptbestandteil  des  Fuselöls,  ist  ein  Product  der  Alkoholgährung,  wenn  dem 
Zucker  noch  Stärkemehl  beigemengt  war.  Auch  soll  er  sich  beim  Nachreifen  der 
Früchte  bilden. 

Dargestellt  wird  er  durch  fractionirte  Destillation  des  Nachlaufs  bei  den  Brannt- 
weinbrennereien, eines  Gemenges  von  Aethyl-,  Propyl-,  Butyl-  und  Amylalkohol;  der- 
jenige Antheil,  welcher  einen  Siedepunct  zwischen  130 — 133°  hat,  stellt  den  reinen  Amyl- 
alkohol dar. 

Eine  farblose  Flüssigkeit  von  brennendem  Geschmacke  und  widerlichem,  zum 
Husten  reizenden  Gerüche,  die  sich  schwer  entzünden  lässt  und  dann  mit  bläulicher 
Flamme  brennt.  Bei  — 20°  erstarrt  Amylalkohol  zu  krystallinischen  Schuppen,  weshalb 
man  in  Russland  den  Branntwein  einem  hohen  Kältegrad  aussetzt,  um  ihn  fuselfrei  zu 
machen.     An  der  Luft  verwandelt  er  sich  in  Baldrian  säure. 

Einwirkung  der  Dämpfe  des  Amylalkohols  auf  den  thierischen  Organismns. 
1)  Ein  junges  Kätzchen  sass  im  Zinkkasten,  in  welchem  15  Grm.  Amylalkohol  in 
heissem  Sande  zur  Verdunstung  kamen;  sogleich  grosse  Unruhe  und  starkes  Speicheln, 


442  Amylverbindungen. 

dann  Schütteln  des  Kopfes,  beständiges  Kratzen  am  linken  Ohre,  Reiben  über  die  Nase. 
Nach  10  M.  Schwanken,  Schreien,  grosse  Unruhe,  dann  Niedersenken  des  Kopfes  und 
Zusammenfahren,  sobald  der  Kopf  den  Boden  berührt.  Nach  55  M.  sind  30  Grm. 
Alkohol  verdunstet;  die  Erscheinungen  bleiben  dieselben,  nur  ist  die  Athmung  beschwerlich. 
Nach  1  Stunde  wälzt  sich  die  Katze  auf  dem  Boden,  dann  bleibt  sie  liegen  mit 
Zittern  der  rechten  Vorderpfote.  Nach  2%  Stunden  ist  keine  vollständige  Narkose 
eingetreten.  Bei  der  Herausnahme  verhält  sich  das  Thier  ruhig;  es  schreit  viel,  zittert 
mit  dem  linken  Vorderbeine  und  reibt  oft  über  das  linke  Ohr;  beim  Gehen  schwankt 
es,  nimmt  keine  Nahrung  zu  sich,  da  namentlich  das  Trinken  erschwert  zu  sein  scheint. 
Erst  nach  4  Tagen  schwinden  alle  Erscheinungen. 

2)  Ein  mit  40  Tropfen  Amylalkohol  durchfeuchteter  Baumwollpfropfen  wird  in 
einen  Trichter  gesteckt  und  das  Maul  eines  Kaninchens  in  die  Mündung  desselben  ge- 
schoben. Herzklopfen,  unregelmässige  Athmung.  Erschlaffung  des  Glieder  nach  17  M. : 
vollständige  Anästhesie  nach  22  M.  Nach  4  M.  nimmt  es  die  Bauchlage  an, 
erhebt  sich  und  läuft  davon.  Die  Respiration  regelt  sich  allmählig,  während  der  Herz- 
schlag noch  bis  zum  andern  Tage  frequent  bleibt. 

AehnUche  Erscheinungen  beobachtete  Gros1)  bei  Tauben  und  Kaninchen  und  hebt 
unter  denselben  die  stertoröse  Respiration  hervor. 

Nach  liabuteaii*)  anästhesirt  eine  Lösung  von  1  Grm.  in  500  Grm.  Wasser  Frösche  in 
20  Minuten.  Während  die  Herzschläge  sich  verlangsamten,  wurde  die  Haut  dunkel; 
nach  zweistündigem  Aufenthalte  in  der  Flüssigkeit  erfolgte  der  Tod  unter  progressiver 
Abnahme  der  Herzschläge. 

Gros  beobachtete  an  sich  selbst  nach  dem  Einathmen  der  Dämpfe  eine  unange- 
nehme, mit  Ekel  verbundene  Empfindung,  vermehrte  Schlingbewegungen  mit  Prickeln 
und  Stechen  in  den  Augen  uad  der  Nasenhöhle,  namentlich  aber  einen  tief  sitzenden 
Kopfschmerz  in  der  Stirngegend  nebst  empfindlicher  Schwere  des  Kopfes. 

Es  ist  eine  bekannte  Erfahrung,  dass  die  Dämpfe  von  Amylalkohol  bei 
jedem  Menschen  heftige  Kopfschmerzen  hervorrufen,  zu  denen  sich  leicht  Er- 
brechen gesellt;  der  Kopfschmerz  ist  spannend,  klopfend  und  nie  einseitig, 
sondern  nimmt  den  ganzen  Vorderkopf  ein.  Nach  der  Inhalation  wird  der  Harn 
stets  reich  an  Baldriansäure. 

Die  Anästhesie,  welche  dadurch  bei  Thieren  hervorgerufen  wird,  ist  von 
kurzer  Dauer;  charakteristisch  ist  dabei  die  zitternde  Bewegung  der  Vorder- 
beine. Zittern  der  Hände  beobachtet  man  bekanntlich  häufig  bei  Menschen, 
welche  dem  Genüsse  fuselhaltiger  Getränke  ergeben  sind. 

Man  nimmt,  nicht  mit  Unrecht  an,  dass  der  Gehalt  des  Branntweins  an 
Amylalkohol  eine  Hauptursache  des  Delirium  tremens  bei  Branntweinsäufern  ist. 
Beim  Versuche  in  einer  grossen  Spritfabrik,  den  Amylalkohol  als  Beleuchtungs- 
material zu  benutzen,  wurden  die  Arbeiter  durch  das  sehr  reichliche  Auftreten 
der  Dämpfe  dieses  Körpers  vielfach  von  einem  dem  Delirium  tremens  ver- 
wandten Krankheitszustande  befallen,  so  dass  dieser  Versuch  ganz  eingestellt 
werden  musste. 

Ein  Wirth  von  reizbarer  Constitution  verfällt  jedesmal  in  ein  Delirium  acutum, 
welches  die  grösste  Aehnlichkeit  mit  Delirium  tremens  hat,  wenn  er  sich  mit  dem  Ab- 
zapfen von  Branntwein  im  Keller  beschäftigt  hat;  dasselbe  hält  gewöhnlich  einen  Tag 
lang  an  und  ist  mit  einer  lustigen  Geschwätzigkeit  verbunden,  ganz  im  Gegensatz  zu 
der  gewöhnlichen  schweigsamen  Natur.  Das  Zittern  der  Glieder  ist  weniger  scharf 
ausgeprägt,  auch  beziehen  sich  die  Delirien  nicht  ausschliesslich  auf  Thiergestalten, 
sondern  charakterisiren  sich  durch  eine  grosse  Ideenflucht  Ausserdem  ist  jedesmal 
ein  starker  Schweiss  am  Kopfe  vorhanden.  Einige  Gaben  Opium  stellten  ihn  rasch 
wieder  her,  sobald  der  Schlaf  eintrat;  er  erwachte  dann  immer  wie  aus  einem  langen 
Traume. 

Auf  die  Dauer  muss  jeder  Branntwein,    welcher  Amylalkohol  enthält,  die 

schädlichsten  Wirkungen  äussern;  Versuche  haben  ergeben,  dass  ein  Glas  Wein, 

welches    20  —  30  Ctgrm.    Amylalkohol    enthält,    schon  die  Wirkungen    desselben 

erzeugt. 


Amylalkohol-Industrie.  443 


Amylalkohol  -  Industrie. 

Die  Darstellung  des  Amylalkohols  fällt  grösstentheils  mit  der  Brannt- 
weinbrennerei aus  Kartoffeln  zusammen.  Die  Ansicht,  dass  die  Schalen  der 
Kartoffeln  die  einzige  Quelle  des  Amylalkohols  während  der  Gährung  seien,  hat 
sich  insofern  nicht  bestätigt,  als  auch  geschälte  Kartoffeln  während  der  Gährung 
Fuselöl  bilden.  So  viel  steht  fest,  dass  eine  neutrale  oder  möglichst  neutrale 
Gährung  die  Bildung  des  Fuselöls  begünstigt. 

Da  der  Siedepunct  des  Amylalkohols  bei  weitem  höher  als  der  des  "Wein- 
alkohols ist,  so  wird  sich  das  meiste  Fuselöl  im  sogenannten  Nachlaufe  be- 
finden. Diese  Flüssigkeit  ist  meist  durch  die  Gegenwart  von  grossen  Mengen 
Fuselöl  milchig  getrübt  und  scheidet  sich  beim  ruhigen  Stehen  in  eine  wässrige 
schwere  und  leichte  ölartige  Schicht  ab. 

In  den  grossen  Branntweinbrennereien  wird  der  Nachlauf  in  Fässern  gesammelt 
und  das  Fuselöl  durch  Zusatz  von  Kochsalz  aus  dieser  Flüssigkeit  abgeschieden; 
so  abgeschieden,  bildet  es  gewöhnlich  eine  hellgelblich  gefärbte,  ölartige  Flüssigkeit  von 
durchdringendem  Fuselgeruch.  Zur  Abscheidung  des  in  ihm  enthaltenen  Weinalkohols 
wird  es  nochmals  mit  Wasser  gewaschen  und  dann  der  Destillation  unterworfen.  Es 
geht  zuerst  Alkohol  über,  dann  Wasser  mit  Alkohol,  Butyl-  und  Propylalkohol;  zwischen 
130°  und  133°  C.  erhält  man,  wenn  ein  constanter  Siedepunct  eingetreten  ist,  wasser- 
freies Fuselöl,  Amylalkohol. 

Ausser  dem  Nachlaufe  liefert  das  zur  Entfuselung  des  Branntweins  benutzte 
Schwarzmehl  durch  Behandeln  mit  Wasserdämpfen  ebenfalls  nicht  unerhebliche 
Mengen  von  Fuselöl.  Als  reines  Fuselöl  wird  es  wenig  in  den  Handel  gebracht,  sondern 
fast  stets  mit  Säuren  verbunden,  in  Form  der  sogenannten  Fuseläther  oder  Amyl- 
äther,  zu  deren  Fabrication  Amylalkohol  in  grossen  Massen  verwendet  wird,  da  sich 
der  Consum  der  Fruchtäther  in  Conditoreien,  Parfümerien,  Liqueurfabriken  u.  s.  w.  mit 
jedem  Tage  steigert.*) 

Die  Benutzung  des  Amylalkohols  als  Beleuchtungsmaterial  hat  sich,  wie  schon 
erwähnt  worden,  als  unzulässig  herausgestellt.  Schon  die  Beschäftigung  mit  Amyl- 
alkohol wirkt  auf  die  Arbeiter  nachtheilig  ein;  viele  von  ihnen  bekommen  den  charak- 
teristischen, den  Vorderkopf  einnehmenden  Schmerz,  der  sich  mit  einem  Gefühl  von  Be- 
täubung verbindet.  Es  sind  alle  Vorsichtsmassregeln  zu  treffen,  um  die  Ausbreitung 
der  Dämpfe  im  Fabriklocale  zu  verhüten. 

Verwendung  findet  der  Amylalkohol,  ausser  zur  Darstellung  verschiedener 
Aetherarten  für  Liqueur-  und  Parfüm erief ab riken,  zur  Erzeugung  der  Brom-,  Jod- 
und  Chlorverbindungen  für  die  Anilinfarbenfabriken,  als  Extractionsmittel  für  giftige 
Alkaloide,  sowie  zur  Fabrication  der  Baldriansäure  u.  s.  w. 

Amyläther,  Fuseläther  (C5H11)20,  wird  durch  Einwirkung  von  concentrirter 
Schwefelsäure  auf  Amylalkohol  dargestellt. 

Eine  farblose,  angenehm  riechende  und  bei  176°  siedende  Flüssigkeit.  Als 
anästhesirendes  Mittel  ist  dieser  Aether  ganz  ungeeignet,  namentlich  schon  wegen  der 
Nachwehen,  die  in  heftigen  Kopfschmerzen  und  belästigenden  Exhalationen  von  Baldrian- 
säure bestehen;  selbst  der  Harn  bekommt  einen  Geruch  wie  Katzenurin. 

Zusammengesetzte  Aether  des  Amylalkohols. 

ßuttersäure- Amyläther,  Ananasäther,  C4H7(C5H,i)02  =  C9Hls02,  kommt  in  den 
Bestandtheilen  der  Ananas  und  Quitte  vor  und  wird  künstlich  durch  Destillation  von 
Amylalkohol  und  Schwefelsäure  mit  einem  buttersauren  Salze  dargestellt;  eine  klare, 
ölartige,  bei  176°  siedende  Flüssigkeit. 

Baldriansänre  -  Amyläther,  Aepfelöl,  C5H9(C5Hi,)02  =  C10H200o,  wird  durch 
Destillation  von  Amylalkohol  und  Schwefelsäure  mit  einem  baldriansauren  Salze 
gewonnen;  eine  klare,  ölartige,  nach  Aepfeln  riechende  Flüssigkeit,  welche  bei 
196°  siedet. 


*)  Eine  rumähnliche  Flüssigkeit  erhält  man  auch  dadurch,  dass  man  ge- 
quellten und  sauer  gewordenen  Weizen,  der  also  Buttersäure,  Baldriansäure  u.  s.  w. 
enthält,  quetscht  und  zu  starkem  Branntwein  gibt,  welcher  mit  Schwefelsäure  angesäuert 
der  Destillation  unterworfen  wird. 


444  Amylverbindungen. 

Ameisensäure -Aiiiyläther,  CH(C5H11)02=:C6Hi2  02,  wird  durch  Destillation  von 
Amylalkohol  und  Schwefelsäure  mit  einem  ameisensauren  Salze  erhalten.  Eine  klare, 
angenehm  riechende  Flüssigkeit,  welche  bei  116°  siedet. 

Essigsänre-Amyläther,  Birnöl,  0^3(05^)02  =  C7H1402,  wird  in  analoger  Weise 
mit  Benutzung  eines  essigsauren  Salzes  gewonnen.  Eine  farblose,  ätherisch  riechende 
und  bei  133,3°  siedende  Flüssigkait. 

Alle  diese  Amyläther  finden  als  Fruchtäther  eine  ausgedehnte  Verwendung. 

Oxalsäure-Ainylätlier,  C204(C5Hn)2,  kommt  in  verschiedenen  Pflanzen,  besonders 
aber  in  den  Bett-  und  Schildwanzen  vor.  Da  sich  letztere  gern  auf  Himbeeren  und 
Erdbeeren  aufhalten,  so  erhalten  diese  Früchte  dadurch  bisweilen  einen  recht  unan- 
genehmen Geschmack.  Dieser  Aether  wird  durch  Destillation  von  Oxalsäure  mit  Fuselöl 
dargestellt  und  ist  eine  klare,  nach  Wanzen  riechende,  bei  262  °  siedende  Flüssigkeit. 

Salpetersäure  -Amyläther,  CsNuN03,  wird  durch  Destillation  von  Fuselöl  mit 
Salpetersäure  bei  Gegenwart  von  Harnstoff  als  eine  helle,  ölartige,  eigenthümlich 
riechende  und  bei  148°  siedende  Flüssigkeit  gewonnen. 

Salpetrigsänre-Amyläther.  Amylnitrit,  C5HnN02,  wird  durch  gelindes  Erwärmen 
des  Fuselöls  mit  Salpetersäure  dargestellt.  Eine  wasserhelle,  ölartige,  nach  Aepfeln 
riechende  Flüssigkeit,  welche  in  Wasser  wenig,  in  Alkohol  und  Aether  sehr  gut  löslich 
ist  und  bei  99°  siedet. 

Die  Wirkung  der  Inhalation  von  Dämpfen  der  verschiedenen  Amylätherarten 

auf  den  thierischen  Organismus  stimmt  im  Allgemeinen  mit  der  der  entsprechen- 
den Methyl-  und  Aethylätherarten  überein.  Bei  den  Amyläthern  tritt  aber  stets 
die  Wirkung  des  Radicals  in  den  Vordergrund;  Kopfschmerzen  und  Zittern  der 
Glieder  bleiben  daher  fast  nie  aus.  Auch  wird  die  Herzaction  leichter  erregt 
und  starke  Congestionen  zum  Gehirn  geben  sich  gewöhnlich  durch  Rötbung  des 
Gesichts  kund.  Bei  Thieren  wird  die  Respiration  beschwerlich,  stertorös  und  der 
Tod  erfolgt  unter  den  Erscheinungen  der  Asphyxie,  wenn  die  Dämpfe  sehr 
intensiv  und  anhaltend  einwirken. 

Eine  ganz  besondere  Stellung  nimmt  der  Salpetrigsäure- Amyläther,  das 
Amylnitrit,  ein,  welches  in  der  neuern  Zeit  in  physiologischer  und  therapeu- 
tischer Beziehung  vielfachen  Untersuchungen  unterworfen  worden  ist.9) 

Oxydationsprodncte  des  Amylalkohols. 

1)  Ainylaldehyd ,  Valeral,  C5H10O.  bildet  sich  durch  Einwirkung  oxydirender 
Agentien  auf  Amylalkohol.  Eine  wasserhelle  Flüssigkeit,  welche  bei  92°  siedet,  unlöslich 
in  Wasser  ist,  einen  durchdringenden  Geruch  hat  und  mit  leuchtender,  bläulich  um- 
säumter  Flamme  brennt:  durch  Oxydation  geht  sie  in  Baldriansäure  über. 

Einwirkung  von  Valeral  auf  den  thierischen  Organismus.  Eine  kleine  Katze 
sitzt  im  Zinkkasten,  in  welchem  2  Drachmen  der  Flüssigkeit  zur  Verdampfung  kommen. 
Sogleich  starkes  Speicheln,  Reiben  über  die  Nase,  grosse  Unruhe  und  Würgen:  sie 
taumelt,  fällt  hin,  richtet  sich  wieder  auf  und  wälzt  sich  nach  3  M.  auf  dem  Boden; 
dann  beschwerliche  und  unregelmässige  Athmung:  nach  15  M.  krampfhaftes  Strecken, 
dumpfes  Schreien  und  vollständige  Anästhesie.  Das  Thier  lässt  sich  im  Kasten 
ohne  alle  Reaction  hin  und  her  rollen  und  wird  nach  20  M.  herausgenommen;  kaum 
hörbarer  Herzschlag;  9  M.  hernach  schwaches  Schreien :  dann  tritt  das  Athmen  kräftiger 
ein,  zuefst  wird  das  Auge  empfindlich,  das  rechte  Vorderbein  zittert.  Nach  18  M. 
unter  Schreien  schwankendes  Einhergehen:  nach  2  Stunden  fällt  sie  beim  Gehen  noch 
oft  hin  :  sonst  verhält  sie  sich  ruhig  wie  schlafend.  Erst  nach  3  Stunden  lässt  die  Be- 
täubung nach:  den  ganzen  folgenden  Tag  tritt  oft  ein  leises  Zittern  ein. 

Obgleich  Valeral  ein  kräftiges  Anaestheticum  ist,  so  eignet  es  sich  doch 
wegen  seines  unangenehmen  Geruches  und  der  vielen  Beschwerden,  welche  nach 
dem  Inhaliren  zurückbleiben,  nicht  zur  Narkotisirung.  Wenn  die  zum  Versuche 
benutzte  Katze  noch  stundenlang  nachher  wie  betrunken  erschien,  so  werden 
jedenfalls  auch  bei  Menschen  Schwindel,  Betäubung  und  starke  Kopfschmerzen 
zurückbleiben ;  auch  fehlt  hier  die  dem  Radical  Amyl  zukommende  Wirkung,  das 
Zittern,  nicht. 


Baldriansäure.  445 

2)  Baldriansäure,  Valeriansälire,  C5H10O2,  ist  im  Pflanzenreich  ziemlich  verbreitet 
und  kommt  ausser  in  der  Baldrian-  und  Angalicawurzel  auch  in  der  Asa  foetida,  im 
Splint  von  Sambucus  niger  und  in  den  Blättern  von  Digitalis  purpurea  vor.  Sie  "bildet 
sich  bei  der  trocknen  Destillation  bituminöser  Fossilien,  beim  Fäulniss-  und  Veswesungs- 
process  und  findet  sich  daher  namentlich  beim  Flachsrösten,  bei  der  Weizenstärke- 
fabrication,  im  Guano  und  in  den  Fäcalmassen.  In  Abtrittsgruben  und  Guanolagern 
entsteht  vorzugsweise  das  baldriansaure  Ammonium. 

Sie  ist  eine  farblose,  ölartige  Flüssigkeit  von  unangenehmem  Geruch  und  stechen- 
dem Geschmack:  bei  175°  siedet  sie  unverändert  über.  Bekannt  ist,  dass  viele  Thiere, 
namentlich  die  Katzen  und  Füchse,  dem  Geruch  nach  Baldriansäure  nachgehen;  aber 
auch  Flöhe  lieben  namentlich  den  Geruch  einer  Mischung  von  Butter-  und  Baldrian- 
saure.  10J 

Baldriansäure-Aethylätker  C  5H9(C2H5)02  =  C7Hu02  wird  durch  Destillation 
eines  baldriansauren  Salzes  mit  Alkohol  und  Schwefelsäure  dargestellt.  Eine  farblose, 
ölartige  Flüssigkeit  von  durchdringendem  Obst- und  Baldriangeruch,  unlöslich  in  Wasser, 
löslich  in  Aether  und  Alkohol.    Sie  findet  in  Parfümeriefabriken  Verwendung. 

Darstellung  der  Baldriansäure  aus  dem  Amylalkohol  im  Grossen.     Wie   der 

Weinalkohol  bei  der  Oxydation  Essigsäure  gibt,  so  liefert  der  Amylalkohol 
Baldriansäure.  Bei  der  Schnellessigfabrication  wurde  schon  erwähnt, 
dass  der  Gehalt  an  Amylalkohol,  welcher  dem  Kartoffelsprit  zukommt,  bei  diesem 
Processe  in  Baldriansäure  übergeführt  wird,  so  dass  sich  im  Entstehungs- 
momente dieser  Säure  Baldriansäure-Aethyläther  bildet,  welcher  dem  Essig 
einen  angenehmen  Geruch  und  Geschmack  ertheilt. 

Um  grosse  Mengen  von  Baldriansäure  darzustellen,  verfährt  man  entweder  in 
der  Weise,  dass  man  direct  Oxydationsmittel  zuführt,  z.  B.  eine  Mischung  von  Kalium- 
chromat  und  Schwefelsäure,  oder  von  Manganhyperoxyd  und  Schwefelsäure,  wodurch 
dann  zuerst  Baldriansäure -Amyläther  gebildet  wird. 

Diese  Verbindung  wird  durch  Behandeln  mit  Aetzalkalien  zersetzt,  während  man 
das  ausgeschiedene  Fuselöl  wieder  zu  einer  neuen  Oxydation  benutzt. 

Die  gewonnenen  baldriansauren  Alkalien  werden  dann  mit_  verdünnter 
Schwefelsäure  zerlegt  und  destillirt,  wodurch  die  Baldriansäure  als  eine  farblose 
Flüssigkeit  gewonnen  wird. 

Die  directe  Oxydation  mit  Chromsäure  oder  den  Gemischen  von  Mangansuperoxyd 
ist  jedoch  mehr  oder"  weniger  kostspielig,  weshalb  man  häufig  die  Oxydation  des  Amyl- 
alkohols durch  den  atmosphärischen  Sauerstoff  vorzieht.  Es  geschieht  dies  in  ganz  ähn- 
lichen Apparaten  wie  bei  der  Schnellessigfabrication ,  nur  mit  dem  Unterschiede,  dass 
man  stets  Holzkohle  oder  Koks  statt  der  Hobelspäne  anwendet,  während  das 
Maischgut  nicht  bloss  aus  Alkohol  und  Wasser,  sondern  aus  Alkohol,  Fuselöl  und 
Wasser  besteht. 

Wenn  die  Maische  den  Ständer  passirt,  so  tritt  gleichzeitig  mit  der  Essig - 
säurebildung  auch  die  Baldriansäurebildung  ein.  Nachdem  die  Flüssigkeit 
3 — 4mal  den  Ständer  passirt  hat,  wobei  die  Temperatur  der  Ständer  nicht  unter  +30°  C. 
sinken  darf,  enthält  die  ablaufende  Flüssigkeit  fast  nichts  als  Essigsäure,  Baldrian- 
säure, Fuselöl  und  Wasser. 

Auch  hier  sind,  wie  bei  der  Schnellessigfabrication,  die  warmen  abziehenden  Gase 
und  Dämpfe,  welche  mit  Fuselöl  geschwängert  sind,  in  der  Art  und  Weise  abzuleiten, 
dass  sie  für  die  Umgebung  nicht  mehr  schädlich  einwirken  können.  Auch  bei  den 
Arbeitern  verursachen  sie  häufig  Kopfschmerzen  und  Erbrechen,  weshalb  die  Pfeifen 
unter  allen  Umständen  in  eine  gemeinschaftliche  Rohre  münden  müssen,  damit  die  Gase 
und  Dämpfe  durch  eine  glühende  Kohlenschicht  dem  Kamine  zugeführt  werden  können. 

Die  eben  erwähnte  saure  Flüssigkeit  gibt  man  in  grosse  Fässer  zur  Abscheidung 
des  Fuselöls,  zapft  die  klare  saure  Flüssigkeit  ab  und  bringt  sie  in  den  Neutralisations- 
bottich, wo  sie  mit  kohlensaurem  Natrium  oder  Calcium  neutralisirt  wird. 

Hat  man  Natriumcarbonat  angewendet,  so  werden  die  Natriumsalze  bis 
zur  Krystallisation  abgeraucht  und  das  essigsaure  Salz  durch  Krystallisation  ge- 
wonnen. Das  bei  weitem  löslichere  baldriansaure  Natrium  bleibt  in  der  Mutter- 
lauge: letztere  wird  mit  einer  äquivalenten  Menge  verdünnter  Schwefelsäure  versetzt 
und  der  Destillation  unterworfen,  wobei  im  Destillate  reine  Baldriansäure  er- 
halten wird. 

Hat  man  mit  Kalk  neutralisirt,  so  werden  die  Laugen  ebenfalls  durch  Abdampfen 
concentrirt,  dann  mit  Natriumcarbonat  zersetzt  und  die  Natriumsalze  durch  Krystalli- 
sation getrennt,  um  die  Baldriansäure  wieder  aus  der  Mutterlauge  zu  gewinnen. 


446  Amylverbindungen. 

Eine  andere  Methode,  Essigsaure  von  der  Baldriansäure  zu  trennen, 
beruht  darauf,  dass  das  Zinksalz  der  Essigsäure  in  der  Wärme  löslicher  als  in 
der  Kälte  ist  und  das  baldri ansäure  Salz  die  entgegengesetzte  Eigenschaft 
zeigt.  Zu  dem  Ende  wird  die  saure  Flüssigkeit  des  Ständers  mit  Zinkspänen  zusammen- 
gebracht, welche  sieh  dann  unter  Wasserstoffentwicklung  lösen.  Ausserdem  bilden  sich 
alier  hier,  wenn  die  Zinkspäne  arsenhaltig  sind,  arsen wasser stoffhaltige  Kohlen- 
wasserstoffe, auf  deren  Ableitung  und  Verbrennung  man  dann  sorgfältig  zu  achten 
hat;  aber  auch  die  Verbrennungsproducte  sind  hier  durch  geeignete  absorbirende 
Mittel  (Kali,  Natron,  Kalk)  unschädlich  zu  machen. 

Nach  der  Sättigung  bringt  man  die  Flüssigkeit  in  kupfernen  oder  verzinnten 
Kesseln  zum  Sieden,  wobei  sich  dann  fortwährend  baldriansaures  Zink  abscheidet, 
welches  man  mit  Schaumlöffeln  aus  der  Flüssigkeit  entfernt  und  auf  eine  Abtropf- 
bühne wirft. 

Wenn  sich  zuletzt  kein  baldriansaures  Zink  mehr  ausscheidet,  so  wird  die 
Lösung  von  essigsaurem  Zink  in  die  Krystallisationsgefässe  abgelassen.  Man  kann 
dasselbe  nun  entweder  als  solches  gewinnen  und  in  den  Handel  bringen  oder  aber  das 
Zinksalz  wird  während  des  Kochens  im  Kessel  mit  kohlensaurem  Natrium  vollständig 
präeipitirt,  das  Zinkoxyd  durch  Filtration  vom  essigsauren  Natron  getrennt  und  zu 
einer  neuen  Neutralisation  der  rohen  Säure  wieder  benutzt. 

Das  essigsaure  Natrium  wird  entweder  als  solches  verwerthet  oder  mit 
Schwefelsäure  zur  Darstellung  der  Essigsäure  destillirt. 

Das  gewonnene  baldri  au  saure  Zink  wird  entweder  direct  mit  Schwefelsäure 
destillirt,  wobei  die  Baldriansäure  als  Destillat  gewonnen  wird,  oder  aber  man  zer- 
setzt das  Zinksalz  in  der  Siedhitze  mit  kohlensaurem  Natrium,  benutzt  das  gewonnene 
Zinkoxyd  zu  einer  neuen  Neutralisation  und  scheidet  aus  dem  baldriansauren  Natrium 
die  Baldrian  säure  durch  Schwefelsäure  und  Destillation  ab. 

Verwendung  findet  die  Baldriansäure  in  der  Färberei,  bei  der  Darstellung  der 
Anilinfarben,  bei  der  Fabrication  der  Fruchtäther  und  zur  Darstellung  der  verschiedenen 
baldriansauren  Präparate. 

D.    Sulfo-Substitutionsproducte. 

Amylsulfliydrat,  Aniylmercai)tan,C5Hi.jS,  wird  durch  Destillation  von  amylschwefel- 
saurem  Kalium  mit  Kaliumsulfhydrat  erhalten.  Eine  farblose  Flüssigkeit  von  durch- 
dringendem Zwiebelgeruch,  welcher  an  den  Kleidern  lange  haftet.  Ihr  Siedepunct  liegt 
bei  125°. 

Diese  Verbindung  dient  nur  wissenschaftlichen  Zwecken;  ihre  physiologische 
Wirkung  ist  ganz  analog  der  der  entsprechenden  Methylverbindung. 

Amylsulfid,  Scliwefelamyl,  Ci0H.J2S,  wird  durch  Erhitzen  von  amylschwefelsaurem 
Calcium  und  Einfach-Schwefelkalium  gewonnen.  Eine  klare,  bei  216°  siedende  Flüssig- 
keit von  sehr  durchdringendem  Knoblauchgeruch,  die  schwere  Dämpfe  bildet  und  mit 
nicht  leuchtender  blauer  Flamme  unter  Abgabe  von  Schwefelsäureanhydrid  brennt. 

Technische  Verwendung  hat  diese  Verbindung  noch  nicht  gefunden. 

In  physiologischer  Beziehung  wirkt  es  grade  wie  Aethylsulfid. 

Einwirkung  des  Amylsnlfids  auf  den  thierischen  Organismus.  Ein  Kaninchen 
sitzt  im  kleinen  Zinkkasten,  in  welchen  die  Dämpfe  von  einer  Mischung  von  10,25  Grm. 
amylschwefelsaurem  Calcium  und  2,75  Grm.  Schwefelkalium  nach  vorheriger  Reinigung 
eingeleitet  worden.  Schon  nach  2  M.  stürzt  das  Kaninchen  unter  den  heftigsten  Con- 
vulsionen  und  mit  stockender  Respiration  hin;  die  Augen  treten  dabei  sehr  stark  her- 
vor; nach  3  M.  tetanisches  Strecken  des  ganzen  Körpers,  welches  mit  kaum  bemerkbarer 
Respiration  verbunden  ist.  Herausnahme  des  Thieres  nach  5  M.  in  vollständiger 
Anästhesie:  erst  nach  3  M.  ist  es  möglich,  6  Inspirationen  während  %  M.  zu  zählen. 
Bald  darauf  tritt  eine  ruhige  und  tiefe  Inspiration  nebst  regelmässigem  Herzschlage  ein; 
Pupillen  erweitert,  Thränen  der  Augen;  nach  12  M.  Erheben  des  Kopfes,  dann  des 
Vorderkörpers;  nach  14  M.  versucht  es  zu  gehen  und  dreht  sich  dabei  im  Kreise 
herum;  erst  nach  37  M.  bewegt  es  sich  von  der  Stelle;  nach  2  Stunden  läuft  es  wieder. 
Erst  nach  2  Tagen  vollständige  Restitution. 

Aniyldisulfocaroonsänre,  Xantliamylsänre  ,  C5Hi2OCS2  =  C6H12OS3,  wird  dar- 
gestellt, indem  man  zunächst  eine  Lösung  von  Kali  in  Amylalkohol  auf  Schwefelkohlen- 
stoff einwirken  lässt,  um  xanthamylsaures  Kalium  in  blassgelben  Krystallen  zu 
erhalten.  Durch  Versetzung  desselben  mit  Schwefelsäure  setzt  sich  Xanthamylsäure 
als  eine  blassgelbe  ölartige  Flüssigkeit  von  saurer  Reaction  und  durchdringendem, 
knoblauchartigem  Gerüche  ab;  sie  färbt  die  Haut  gelb,  brennt  mit  leuchtender 
Flamme  und  wird  von  Wasser  bald  zersetzt. 


Cyanamyl.  447 

Die  Dämpfe  der  Säure  (0,5  Grm.)  übten  keinen  nachtheiligen  Einfluss  auf  den 
Thierorganismus  aus.  Die  warmen,  5  Min.  lang  in  den  Zinkkasten  eingeblasenen  Dämpfe 
erzeugten  bei  einem  ausgewachsenen  Kaninchen  ausser  starkem  Thränen  der  Augen, 
Niessen,  Husten  und  Speicheln  keine  andern  auffallenden  Erscheinungen. 

Die  Säure  zersetzt  sich  in  Schwefelkohlenstoff  und  Amylalkohol;  die  Zersetzungs- 
producte  können  daher  nur  in  grossen  Mengen  schädlich  wirken. 

Technische  Verwendung  findet  die  Säure  nicht;  früher  wurde  xanthamyl- 
saures  Kupferoxyduloxyd  als  gelbe  Malerfarbe  benutzt.11) 

E.    Nitrogen-Substitutionsproducte. 

Amylaniin  C5H11NH2  =  C5H13N  ist  ein  Product  der  Fäulniss  und  Gährnng  sowie 
der  trocknen  Destillation  bituminöser  Fossilien;  auch  findet  es  sich  im  Petroleum-  und 
Ragoontheer.  In  der  Branntweinschlempe  fehlt  es  selten  und  kann  auch  ein  Bestand- 
theil  des  Weins  in  Folge  der  Gähruug  der  Hefe  sein.  Die  Sauerwässer  der  Weizen- 
stärkemehlfabriken enthalten  fast  immer  Amylamin.  Man  stellt  es  durch  Zersetzung 
des  Cyansäure-Amyläthers  oder  durch  Einwirkung  von  Ammoniak  auf  Bromamyl  dar. 
Eine  klare  Flüssigheit,  deren  Geruch  ammoniakalisch  ist  und  auch  an  Amyl  erinnert; 
sie  siedet  bei  +95°  und  verbrennt  mit  leuchtender  Flamme. 

Die  Dämpfe  des  Amylamins  wirken  wie  die  des  Propylamins  und  Methyl- 
amins, nur  etwas  schwächer  als  diese.  Bei  allen  diesen  Körpern  herrscht  die  reizende 
und  caustische  Wirkung  vor. 

Salzsaures  Amylamin  erzeugt  nach  subcutanen  Injectionen  von  0,05  Grm.  bei 
Kaninchen  Temperaturabnahme  und  Pulsverminderung;  wurde  diese  Dose  etwas  über- 
schritten, so  traten  Convulsionen  ein;  nach  0,3  Grm.  erfolgte  der  Tod.  Hunde  ver- 
trugen aber  noch  0,2  -  1,0  Grm.  Bei  Menschen  soll  nach  0,5 — 1,0  Grm.  Abnahme  der 
Temperatur  eintreten.12) 

Cyanamyl  C5HuCN  =  C6HnN  wird  durch  Destillation  von  amylschwefelsaurem 
Calcium  mit  Cyankalium  in  äquivalenten  Mengen  dargestellt;  eine  bewegliche,  nach 
Knoblauch  riechende  Flüssigkeit,  welche  bei  160°  siedet  und  durch  Einwirkung  von 
Wasser  in  Blausäure  und  Amylalkohol  zerfällt. 

Einwirkung  von  Cyanamyl  auf  den  thieriselien  Organismus.  Die  durch  Erhitzen 
von  Cyanamyl  gebildeten  Dämpfe  wurden  in  den  Zinkkasten,  in  dem  ein  Kaninchen 
sass,  geleitet,  nachdem  das  Cyanamyl  durch  Behandeln  mit  Quecksilber  und  Rectifi- 
cation  vorher  gereinigt  worden.  Nach  1  M.  schon  starkes  Speicheln  und  Unruhe,  nach 
3  M.  bei  sichtbaren  Dämpfen  starke  Dyspnoe  mit  zurückgezogenem  Kopfe;  nach  5  M. 
Schwanken  und  nach  6  M.  Hinstürzen  unter  den  heftigsten  klonischen  und  tonischen 
Krämpfen  und  stockender  Respiration:  nach  7  M.  Tetanus  mit  Kothabgang;  nach  8  M. 
nur  schwache  Bewegungen  in  den  Bauchmuskeln.  Bei  sofortiger  Herausnahme  des 
Thieres  findet  sich  seine  Temperatur  schon  auf  30°  C.  gesunken;  Pupille  sehr  erweitert. 

Section  12  Stunden  hernach.  Die  ausgedehnten  Gefässe  der  Pia  mater  sind 
an  der  Basis  cerebri  von  strahlenförmig  ausgetretenem  Blute  umgeben;  Plex.  venös, 
spin.  stark  angefüllt.  Lungen  theils  von  blaurother,  theils  von  dunkelbraunrother 
Farbe;  aus  den  Durchschnitten  tritt  flüssiges  Blut  aus.  Eine  dünne  wässrige  Blutlage 
findet  sich  auf  der  Schleimhaut  der  Luftröhre  oberhalb  der  Bifurcation.  Im  rechten 
Herzen  1  TheelÖffel  voll  geronnenes  und  flüssiges  Blut,  im  linken  noch  etwas  Aveniger. 
Leber  von  hellbraunrother  Farbe  und  reich  an  flüssigem  Blute.  Das  flüssige  und 
dunkelkirschrothe  Blut  gerinnt  und  röthet  sich  allmählig  an  der  Luft  bis  zur  hellsten 
Kirschröthe  mit  geringer  Abscheidung  von  Serum. 

Lunge  und  Leber  wurden  auf  Blausäuregehalt  untersucht;  zu  dem  Ende 
wurde  der  wässrige  Auszug  dieser  beiden  Organe  mit  etwas  Salzsäure  bis  zur  schwach 
sauren  Reaction  destillirt,  das  Destillat  mit  Kali  vermischt,  etwas  oxydhaltiger  Eisen- 
vitriol zugesetzt,  in  der  Wärme  digerirt  und  dann  mit  Salzsäure  versetzt,  worauf  sich 
nach  einiger  Zeit  ein  blauer  Niederschlag  von  Berliner  blau  bildete.  Es  war  somit 
Blausäure  vorhanden. 

Da  hier  die  Blausäure  in  der  Leiche  chemisch  nachgewiesen  werden  konnte 
und  das  Cyanamyl  frei  davon  war,  so  unterliegt  es  keinem  Zweifel,  dass  Cyan- 
amyl durch  Blausäurebildung  letal  wirkt. 

Schwefelcyanamyl  C5HuCNS  =  C6HnNS  bildet  sich  bei  der  Destillation  von 
amylschwefelsaurem  Calcium  und  Schwefelcyankalium  in  äquivalenten  Mengen  als  eine 
Flüssigkeit  von  sehr  starkem  knoblauchartigem  und  betäubendem  Gerüche. 

Einwirkung  von  Schwefelcyanamyl  auf  den  thieriselien  Organismus.  Ein  mittel- 
grosses Kaninchen  sitzt  im  Zinkkasten;  5  Grm.  amylschwefelsaures  Calcium  und  5  Grm. 


448  Hexylverbindungen. 

Sehwefeleyankalium  werden  destillirt  und  die  sieh  bildenden  Dämpfe  in  den  Kasten  ge- 
leitet. Sofort  tritt  Dyspnoe  ein;  nach  2  AI.  Schwanken  des  Kopfes,  nach  3%  M.  sehr 
heftige  klonische  und  tonische  Krämpfe,  welche  eine  ganze  Minute  anhalten;  nach  CM. 
krampfhafte  Zuckungen  durch  den  ganzen  Körper;  dann  Herausnahme  des  Thieres  in 
vollständiger  Anästhesie.  Aus  der  Nase  ist  hellrothes  Blut  genossen,  Pupillen  sehr 
erweitert,  Schleimrasseln  in  der  Kehle.  Nach  ö  M.  5  unregelmässige  Inspir.  bei  regel- 
mässigem Herzschlage:  nach  !)  M.  15  Inspir.  binnen  l/4  M.  bei  herabhängendem  Unter- 
kiefer: nach  11  M.  geringe  Empfindlichkeil  an  den  Augen;  nach  15  M.  convulsivische 
Bewegungen  der  Beine.  Nach  20  M.  starkes  Zittern  der  Augen;  convulsivisches 
Zucken  geht  in  Tetanus  über,  wobei  die  linke  Pupille  verengert,  die  rechte  erweitert 
ist;  hierauf  wieder  convulsivisches  Zucken;  die  Korperwärme  ist  auf  20°  gesunken, 
beide  Pupillen  sind  erweitert;  die  Respiration  hört  auf,  das  Herz  schlägt  noch;  nach 
28  M.  Kälte  des  ganzen  Körpers,  Pupillen  auf  beiden  Seiten  verengt  und  Aufhören  des 
Herzschlags. 

Section  nach  "20  Stunden.  Gliederstarre  sehr  bedeutend;  beim  Abziehen  des 
Felles  auf  der  innern  Seite  desselben  viele  ausgedehnte  Gefässe:  alle  Muskeln  von 
blasser  Farbe.  Hirnhäute  stark  injicirt,  am  hintern  untern  Rande  der  beiden 
Hemisphären  ein  erbsengrosses  Blutextra vasat:  die  Lamina  eribosa  und  die  Nasen- 
muscheln mit  Blut  überzogen;  Plex.  venös,  spin.  von  Blut  strotzend:  zwischen  Dura 
mater  und  den  Wirbeln  ein  dünnes,  flüssiges  Blutextravasat.  Lungen  von  dunkel- 
brauner und  schwärzlicher  Marmorirung,  nur  an  den  Rändern  hell  ziegelroth  mit 
partiellem  Emphysem:  Parenchym  überall  dunkelbraun roth,  aus  den  Dui'chschnitten 
fliesst  überall  flüssiges  Blut  aus,  nur  an  einzelnen  Stellen  ist  es  mit  nadelkopfgrossen  Blut- 
coagulationen  vermischt;  die  feinsten  Bronchialverzweigungen  entleeren  einen  feinen 
weissen  Schaum;  die  ganze  Lunge  und  die  einzelnen  Theile  derselben  schwimmen 
auf  der  Oberfläche  des  Wassers.  Die  Schleimhaut  von  den  Bronchien  bis  zum 
Larynx  hin  tief  braunroth  gefärbt  und  mit  einer  Lage  röthlichen  Schaums  bedeckt.  Im 
Herzen,  namentlich  im  rechten,  dunkles  geronnenes  Blut.  Leber  etwas  mürbe.  Milz 
blass  und  Nieren  blutreich.  Das  Blut  ist  vorherrschend  flüssig,  hat  eine  tief  dunkel- 
braune, fast  schwärzliche  Farbe,  die  an  der  Luft  in  eine  helle  Kirschröthe  übergeht; 
Serum  scheidet  sich  nicht  ab. 

Blausäure  konnte  durch  die  chemische  Analyse  nicht  mehr  nachgewiesen 
werden;  trotzdem  ist  die  Annahme  wohl  gerechtfertigt,  dass  der  Tod  in  Folge  der 
Bildung  von  Blausäure  erfolgt  ist,  wenn  man  berücksichtigt,  dass  Schwefel- 
cyanamyl  in  Berührung  mit  Wasser  allmählig  unter  Bildung  von  Blausäure  zer- 
fällt; im  Thierorganismus  wird  dieser  Vorgang  jedenfalls  noch  rascher  vor  sich 
gehen,  auch  der  Sectionsbefund  spricht  hierfür. 

Die  Vergiftung  ist  in  ihrem  ganzen  Verlaufe  der  durch  Sulfocyanäthyl 
sehr  ähnlich;  nur  ist  das  Krampfstadium  noch  viel  schärfer  ausgebildet. 


C6  Gruppe. 
Hexylverbindungen. 

Caproyl Wasserstoff  (Hexylwasserstoff)  CeH14  und  Caprolen  C6H12  kommen  im 
Petroleumäther  als  unangenehm  riechende  Flüssigkeiten  vor.1) 

Hydroxylderivat. 

Caproylalkohol  oder  Hexylalkohol  C6HuO  kommt  im  Fuselöl  des  Weintrester- 
Branntweins  als  eine  aromatisch  riechende,  in  Wasser  unlösliche  und  bei  150°  siedende 
Flüssigkeit  vor. 

Oxydationsproducte. 

Capronsäure  C6H1202  findet  sich  in  der  Butter  und  sehr  reichlich  in  einigen 
Pflanzen,  namentlich  im  Cocosnussöl,  in  geringer  Quantität  aber  in  jedem  Fette;    sie 


Maimit.  449 

bildetsich  stets  bei  der  Zersetzung  der  Eiweisskörper  (grade  wie  Leucin  (C6H]3N02)- 
Sie  wird  durch.  Verseifung  des  Cocosnussöls  dargestellt  und  ist  eine  farblose,  ölartige 
Flüssigkeit,  deren  Geruch  an  Schweiss  erinnert. 

Citronensäure,  Acidum  citricum  C6H8Or  wird  aus  dem  Citronensaft  dargestellt 
und  krystallisirt  als  dreibasische  Säure  in  grossen  Saiden  mit  1  Molec.  Wasser. 

Sechsatomiger  Alkohol  der  Hexylgruppe. 

Maimit  C6H1406  kommt  fertig  gebildet  in  der  Sellerie,  in  den  Pilzen  und  Algen, 
im  Safte  der  Eschen  und  Linden  vor.  Der  Saft  wird  an  der  Luft  getrocknet  und  kommt 
besonders  aus  Süditalien  als  Mannit  in  den  Handel.  In  Sicilien  und  Calabrien  ist  es 
vorzugsweise  die  Mannaasche,  Ornus  europaea  und  rotundifolia,  deren  Aeste  und  Stämme 
zur  Gewinnung  des  Saftes  eingeschnitten  werden. 

Mannit  wird  durch  Behandeln  der  reinen  Manna  mit  heissem  Alkohol  dargestellt; 
er  krystallisirt  in  Prismen  oder  Nadeln,  schmeckt  süss,  ist  nicht  gährungsfähig ,  kann 
aber  als  Nebenproduct  bei  der  Milchsäuregährung  aus  dem  Zucker  entstehen. 

Wird  Mannit  in  rauchender  Salpetersäure  gelöst,  so  liefert  die  Lösung,  mit  con- 
centrirter  Schwefelsäure  versetzt,  einen  harzähnlichen,  in  Alkohol  löslichen  und  aus  letzterm 
in  Nadeln  anschiessenden  Körper,  welcher  Nitromannit  C6H8(ON02)6  heisst  und  bei 
einem  Prellschlage  resp.  Stosse  explodirt.  Er  schmilzt  noch  unter  100°,  ohne  zu  explo- 
diren;  der  im  Jahre  1848  gemachte  Versuch,  die  geschmolzene  Masse  zum  Füllen  von 
Zündhütchen  oder  zur  Darstellung  von  Zündhölzchen  zu  benutzen,  kann  unter  Umstän- 
den gefährlich  werden,  weil  sich,  wenn  Nitromannit  mit  chlorsaurem  Kalium  in  Be- 
rührung kommt,  Salpetersäure  resp.  Chlorsäure  bildet,  durch  welche  Selbstexplosionen 
entstehen  können. 

Darstellung  von  Nitromannit  im  Grossen.  Die  Fabrication  dieses  Salpeter- 
säure-Aethers  hat  grosse  Aehnlichkeit  mit  der  der  Schiessbaum wolle;  der  Maunit, 
welcher  durch  Krystallisation  möglichst  rein  dargestellt  sein  muss,  wird  pulverisirt 
und  bei  100°  C.  vollständig  getrocknet.  Nach  dem  Erkalten  löst  man  denselben 
in  rauchender  Salpetersäure  auf  uud  sucht  die  Erwärmung  durch  künstliche  Ab- 
kühlung zu  vermeiden.  Die  salpetersaure  Mannitlösung  mischt  man  schnell  mit 
dem  doppelten  Volumen  von  66  gradiger  concentrirter  kalter  Schwefelsäure  und 
scheidet  sich  dann  die  Nitroverbindung  harzartig  ab.  Dieses  Gemisch  wird 
nun  rasch  in  einem  dünnen  Strahle  in  ein  10 — 1 2  faches  Volumen  kalten  Wassers 
gegossen;  die  Nitroverbindung  fällt  dann  entweder  in  harten  Körnern  oder  auch 
als  feines  sandiges  Pulver  nieder. 

Man  wäscht  durch  Decantiren  aus,  zuletzt  unter  Zugabe  einer  geringen  Menge 
von  Natriumcarbonat;  nach  dem  Trocknen  folgt  ein  TJmkrystallisiren  aus  siedendem 
Wasser  oder  Alkohol.  Da  er  sich  aber  in  der  Krystallform  leicht  zersetzt,  so  schmilzt 
man  ihn,  um  ihn  auf  geölte  Metall-  oder  Marmorplatten  auszugiessen.  Die  Stücke 
dürfen  nur  mit  der  Hand  zerbrochen,  aber  nicht  mit  dem  Hammer  zerschlagen  werden, 
weil  sie  sonst  leicht  explodiren. 

Als  Sprengmasse  wird  Nitromannit  nur  geschmolzen  angewendet;  auch  zum 
Laden  und  Füllen  von  Zündhütchen  wird  er  nur  in  dieser  Form  benutzt.  Bei  der 
Darstellung  von  Zündhölzchen  darf  er  nur  unter  Wasser  in  Porcellan-  oder  Holzgefässen 
gerieben  werden;  diesem  Brei  werden  die  andern  Ingredienzen,  chlorsaures  Kalium, 
Phosphor  u.  s.  w.  zugesetzt. 

In  Betreff  der  auftretenden  Gase,  Dämpfe  und  Abflusswässer  ist  auf  die  Schiess- 
baumwolle zu  verweisen,  weil  sie  bei  dieser  von  gleicher  Natur  sind. 

Der  Nitromannit  darf  beim  Einpacken  nicht  fest  zusammengedrückt  werden;  am 
besten  hat  sich  das  Einbetten  desselben  in  trockne  Sägespäne  bewährt. 

Viele  Physiologen  und  Chemiker  sind  der  Ansicht,  dass  Nitromannit  giftige 
Eigenschaften  besitze,  die  sich  besonders  beim  Trocknen  des  krystallisirten 
Körpers  resp.  bei  der  Abnahme  desselben  von  der  Unterlage  bemerkbar  machen 
sollen,  da  hierbei  nicht  bloss  die  Respirationsschleimhaut  irritirt  werde,  sondern 
auch  Kopfschmerzen  und  Betäubung  entständen.  Diese  Erscheinungen  können,  wenn 
sie  auftreten,  nur  von  der  Einwirkung  der  sich  hierbei  entwickelnden  Unter- 
salpetersäure herrühren.    Eine  mechanische  Reizung  der  Haut  kann  durch 

Eulenberg,  Gewerbe-Hygiene.  29 


450  Kohlenstoffverbindungen  mit  höherm  Kohlenstoffgehalte. 

Nitromaunit  veranlasst  weiden,  wenn  die  feinen  Krystallnädelchen  in  die  Haut 
dringen;  sie  vermögen  auch  als  Staub  iuhalirt  irritirend  auf  die  Schleimhäute 
einzuwirken,  was  sehr  zu  beachten  ist,  da  nachhaltige  Krankheitszustände  dadurch 
entstehen  können. 

Bei  der  Ingestion  wirkt  Nitromaunit  keinesfalls  giftig  ein;  eine  Taube  erhielt 
während  drei  Tage  0,98  Grm.  Nitromaunit,  ohne  dass  sich  das  geringste  Zeichen 
von  Unwohlsein  oder  Unbehagen  bemerkbar  machte. 


C7  Grnppe. 

Oenanthylsänre,  Oenanthsäure  C7H1(0,  kommt  fast  in  allen  ranzigen  Fetten 
vor  und  ist,  ein  farbloses,  schwach  riechendes,  bei  219°  siedendes  Oel. 

Ihr  Aethyläther  besitzt  in  hohem  Grade  das  Aroma  des  Weins;  man  nimmt 
deshalb  an,  dass  der  Wein  diesem  Aether  sein  Aroma  verdanke. 

Die  andern  Verbindungen  in  dieser  Gruppe  sind  von  geringerer  Bedeutung. 

C8  Grnppe. 

Caprylalkohol  C8H1S0  findet  sich  im  Fuselöl  des  Weintrester-Branntweins,  ist 
eine  farblose,  aromatisch  riechende,  in  Wasser  unlösliche,  ölartige  Flüssigkeit,  welche 
bei  180°  siedet  und  auf  Papier  einen  Fettfleck  erzeugt. 

Caprylsäure  C8H]602  kommt  in  der  ranzigen  Butter,  im  Schwcisse,  im  Käse  und 
bei  der  Fäulniss  der  Albuminate  vor;  sie  krystallisirt  in  Blättern,  riecht  schweissartig, 
schmilzt  bei  14°  und  siedet  bei  236°. 

C9  Grnppe. 

Pelargonsäure  C9HiR02  kommt  im  Pelargoninm  rosatum  vor  und  bildet  sich  bei 
der  Oxydation  der  Fettsubstanzen,  namentlich  des  Rautenöls.  Sie  ist  im  Harn,  im 
Schweiss  und  im  Gehirn  gefunden  worden  und  stellt  ein  wasserhelles,  in  der  Kälte  er- 
starrendes und  bei  250°  siedendes  Oel  dar. 

Ihr  Aethyläther  macht  einen  Hauptbestandtheil  des  Weinfuselöls  aus  und 
ist  eine  klare  nach  Quitten  riechende  Flüssigkeit.  Er  kommt  als  Quitte nessenz  in 
den  Handel  und  wird  in  Conditoreien  und  Parfümerien  angewandt. 

C10  Grnppe. 

Caprinsäure,  Rutinsänre  C10H20O2  findet  sich  in  der  Butter,  im  Cocosnussöl  und 
im  Fuselöl  des  Roggen-  und  Rübenspiritus ;  auch  tritt  sie  bei  der  Oxydation  der  Eiweiss- 
körper  auf.  Bei  gewöhnlicher  Temperatur  ist  sie  fest,  schmilzt  bei  27°,  hat  einen 
schwachen  Bocksgeruch  und  ist  in  Wasser  fast  unlöslich. 

Ihr  Aldehyd  ist  ein  Hauptbestandtheil  des  Rautenöls;  eine  unangenehm  riechende, 
bei  230°  siedende  Flüssigkeit,  welche  sich  durch  Salzsäure  in  eine  isomere,  angenehm 
nach  Früchten  riechende  Flüssigkeit  verwandelt. 

Folgende  Verbindungen  mit  noch  höherem  Kohlenstoffgehalte  verdienen  wegen 
ihrer  technischen  Wichtigkeit  eine  besondere  Erwähnung  : 

Lanrinsänre,  Lanrostearinsänre  C12H2402  in  den  Lorbeerfrüchten,  im  Cocos- 
nussöl und  im  Wallrath;  sie  schmilzt  bei  44°  und  krystallisirt  in  feinglänzenden  Nadeln. 

Myi'istinsäure  C14H2802,  mit  einem  Schmelzpuncte  bei  54°,  kommt  in  der  Muskat- 
butter und  im  Wallrath  vor:  letzteres  besteht  aus  dem  Margarinsäureäther  eines  ein- 
atomigen Alkohols,  des  Cetylalkohols  CI6H340,  und  ist  kein  Glycerid. 

Palmitinsäure  CJCHa202  kommt  in  freiem  Zustande  im  Palmöl  und  als  Palmitin- 
säure-Cetyläther  im  Wallrath,  als  Glycerid  (Palmitin)   in   den  meisten  Fetten  vor. 

Was  man  bisher  Margarinsäure  genannt  hat,  ist  ein  Gemisch  von  Fettsäuren, 
unter  denen  Palmitinsäure  stets  vorwaltet. 

Oelsänre  CJ8H3402  setzt  als  Glycerid  (Olein)  die  meisten  Fette  zusammen. 


Fette.  451 

Stearinsäure  CJ8H3602  findet  sich  ebenfalls  als  Glycerid  (Stearin)  in  den  meisten 
Fetten  und  stellt  eine  in  Blatteten  krystallisirende,  bei  29°  schmelzende,  in  Alkohol  und 
Aether  lösliche  Substanz  dar. 

Cerotinsäure  C27H54  02  schmilzt  bei  78°  und  vereinigt  sich  mit  dem  Aether  des 
Cerotylalkohols  C27H560  zu  Cerotinsäure-Cerotyläther  Co7Hä5(C2rHä3  02)  im 
chinesischen  Wachs,  während  der  Bienenwachs  hauptsächlich  aus  dem  Aether  des  Melis- 
sylalkohols  C30H62O  mit  der  Palmitinsäure  besteht. 

Hiermit  ist  der  TJebergang  zu  den  Fetten  und  Oelen  gegeben,  die  einen 
höchst  wichtigen  Platz  in  der  Industrie  einnehmen;  die  Oelgewinnung,  die 
Talgindustrie,  die  Seifen-  und  Stearinsäurefabrication  kommen  hierbei 
vorzugsweise  zur  Sprache. 


Fette. 

Im  gewöhnlichen  Leben  unterscheidet  man  die  Fette  nach  ihrer  Consistenz 
und  nennt  die  festen  Fette  Talg,  Butter  oder  Schmalz,  und  die  flüssigen 
fette  Oele.  Die  Consistenz  wird  bedingt  durch  das  Vorwalten  von  Olein 
(Oelsäure-Glycerinäther)  oder  von  Palmitin  und  Stearin  (Palmitin-  und 
Stearinsäure -Glycerinäth  er).  Alle  Fette  stellen  nämlich  eiu  Gemenge  von 
Glyceriden,  d.  h.  Aethern  der  Palmitin-,  Stearin-  oder  Oelsäure  dar  und  be- 
sitzen die  charakterische  Eigenschaft,  durch  Alkalien  und  alkalische  Erden  zer- 
setzt zu  werden,  wobei  die  Fettsäure  an  das  Alkali  tritt  und  das  Glycerin 
frei  wird.  Dieser  Hergang  begründet  die  Seifenfabrication,  deren  wichtigste 
Materialien  die  Oele,  das  Palmöl  und  der  Talg  sind. 

Oelindustrie. 

Das  Gewinnen  der  Oele.  Man  erhält  die  Oele  gewöhnlich  durch  Aus- 
pressen oder  Schlagen. 

In  den  südlichen  Ländern  ist  das  Olivenöl  ein  Gegenstand  der  ausge- 
dehntesten Industrie;  dasselbe  wird  durch  Auspressen  der  Früchte  des  Oel- 
baums  (Olea  europaea)  gewonnen.  Für  gemeine  Oele  werden  die  Oliven  in 
einem  Keller  einer  Art  von  Gährung  unterworfen  und  dann  gepresst,  um  in  der 
Industrie  verwendet  zu  werden.  Oliven,  welche  das  feinste  Oel  liefern, 
werden  in  völlig  reifem  Zustande  gesammelt  und  zunächst  auf  eine  Mühle 
gebracht,  wo  sie  sammt  den  Kernen  zerquetscht  und  dann  ausgepresst  werden. 
Das  durch  die  erste  Pressung  erhaltene  Oel  heisst  Jungfernöl  (Thuile  vierge 
surfine  et  fine)  und  dient  als  bestes  Tafelöl. 

Die  Pressrückstände  (Grignons)  werden  noch  zur  Gewinnung  des  Oels  mit 
siedendem  Wasser  behandelt,  welches  das  Oel  flüssiger  macht  und  von  seinein  Eiweiss- 
stoffe,  der  hierbei  gerinnt,  befreit.  Diese  Operation  heisst  das  Abbrühen  (echauder) 
und  das  auf  diese  Weise  erhaltene  Oel  (huile  echaudee)  stellt  oft  noch  ein  feines  Oel 
dar.  Das  hierbei  gewonnene  AbfallÖl  (huile  d'enfer)  hat  eine  grünlich-gelbe  Farbe  und 
wird  in  Seifensiedereien,  Tuchfabriken  und  Türkischrothfärbereien  gebraucht. 

Das  ausgepresste  Oel  wird  in  porösen  Thonkrügen  in  Räumen,  welche  eine 
Temperatur  von  14—16°  R.  haben,  aufbewahrt;  hierbei  bildet  sich  ein  trüber  Boden- 
satz von  Schleimtheilen,  welcher  als  Oels  atz  (crasses)  verkauft  wird,  während  das  ab- 
gegossene Oel  klar  ist  und  eine  sehr  gute  Qualität  darstellt. 


452  Fette. 

Das  Olivenöl,  das  als  Speiseöl  dient,  wird  häufig,  um  den  Zoll  zu  umgehen, 
als  zu  technischen  Zwecken  bestimmt  bezeichnet:  die  Steuerbehörde  pflegt  dann  Ter- 
pentin- oder  Rosmarinöl  zuzusetzen,  um  es  als  Speiseöl  unbrauchbar  zu  machen.  Ein 
solches  Oel  wird  jedoch  oft  durch  Erhitzen  vom  Terpentinöl  resp.  Rosmarinöl  befreit  und 
als  Speiseöl  wieder  in  den  Handel  gebracht:  dasselbe  riecht  in  diesem  Falle  nicht, 
schmeckt  aber  unangenehm  und  erregt  leicht  Erbrechen. 

Die  Sanieilölft.  Die  ölhaltenden  Samen  werden  zunächst  gereinigt  und  dann 
auf  Mühlen  zerkleinert;  die  zerkleinerten  Samen  werden  hierauf  in  besondern  Appa- 
raten, in  den  Samen  wärmern,  mittels  des  Dampfbades  erwärmt.  Das  Oel  ist  nämlich 
in  den  Samen  mit  Eiweiss  und  Schleim  emulgirt;  durch  die  Erhitzung  des  zerriebenen 
Samens  gerinnt  das  Eiweiss  und  tritt  aus  seiner  emulsionsähnlichen  Verbindung  mit 
dem  Oele.  während  der  Schleim  eintrocknet,  so  dass  das  Oel  flüssiger  wird  und  leichter 
bei  der  Pressung  ablaufen  kann.  Zum  Pressen  bedient  man  sich  vorzugsweise  der 
hydraulischen  Pressen.  Die  ursprüngliche  Art  des  Pressens  geschieht  mit  Keil- 
pr essen,  wobei  die  Keile  durch  Stampfer  eingetrieben  werden  und  das  bekannte 
klappernde  Geräusch  der  Oelmühlen  entsteht. 

Die  Oelkuchen  bestehen  aus  Eiweiss,  Schleim,  den  Hülsen  der  Samen  und 
dienen  als  Yiehfutter,  wenn  sie  nicht  direct  zur  Düngung  verwendet  werden. 

Die  Extraction  der  Oele  durch  Schwefelkohlenstoff  ist  S.  366  erörtert. 

Raffllliren  des  Oels.  Die  frisch  ausgepressten  Oele  enthalten  stets  Schleimstoffe, 
Wasser,  Gummi,  Harz  und  eiweissartige  Körper:  diese  Substanzen  beschränken  nicht 
die  Verwendung  der  Oele  als  Nahrungsmittel,  sie  sind  aber  bei  der  Beleuchtung 
nachtheilig  und  zur  technischen  Benutzung  als  Schmiermittel  unbrauchbar.  Im 
erstem  Falle  verkohlen  nämlich  die  schleimigen  Theile  im  Dochte,  verstopfen  denselben 
und  verursachen  den  bekannten  russigen  Rauch;  es  wird  deshalb  das  Oel  entweder 
durch  langes  Lagern,  durch  Absetzen  der  Stoffe  oder  auf  künstliche  Weise  gereinigt 
oder  raffinirt. 

Der  beim  Ablagern  entstehende  Absatz,  das  sogenannte  Oeltrüb,  wird  bei  der 
Seifenfabrication  benutzt  und  gegenwärtig  nicht  mehr  weggeschüttet.  Diese  Methode 
des  Raffinirens  durch  Ablagern  erreicht  aber  den  Zweck  nicht  vollständig,  weshalb 
man  gewöhnlich  das  Rüböl  durch  Zusatz  von  Y2 — 1%  concentrirter  Schwefelsäure 
und  gutes  Mischen  von  seinen  Unreinigkeiten  befreit. 

Die  Säure  verbindet  sich  mit  dem  Schleime  und  den  färbenden  Theilen, 
welche  sich  in  grünschwarzen  Flocken  ausscheiden;  dieser  Niederschlag  wird  bei  der 
Fabrication  der  schwarzen  Seife  benutzt.  Nach  2-t  Stunden  giesst  man  bis  zu  60°  R. 
erwärmtes  Wasser  hinzu  und  zwar  in  dem  Verhältniss,  dass  es  %  des  Umfangs  vom 
Oel  ausmacht.  Nachdem  man  tüchtig  untereinander  gerührt  hat,  lässt  man  die  Mischung 
an  einem  auf  20 — 25°  R.  erwärmten  Orte  so  lange  stehen,  bis  sich  das  Oel  vom  Wasser 
geschieden  hat:  man  zieht  dann  das  Oel  mittels  Heber  vom  Wasser  ab  und  bringt 
es  in  Bottiche  oder  Fässer,  um  es  der  Filtration  zu  unterwerfen.  Man  setzt  zu 
diesem  Zwecke  ein  Kreuz  in  die  Bottiche  ein,  stellt  darauf  einen  Weidenkorb,  dessen 
Boden  mit  Baumwolle  bedeckt  ist,  und  schüttet  das  Oel  durch  dieses  Filter.  Solche 
Filter  dürfen  nie  trocken  werden,  weil  sonst  durch  rasche  Oxydation  der  Oele  Entzün- 
dung derselben  eintritt.*) 

Die  sauren  Abflusswässer  dürfen  nie  in  Canäle  oder  Gruben  abgelassen 
werden,  bevor  sie  nicht  mit  Kalk  behandelt  wTorden  sind. 

Die  Reinigung  des  Rüböls  mit  Chi  orzin  k  ist  dann  gefährlich,  wenn  das  ge- 
reinigte Rüböl  als  Nahrungsmittel  verwendet  wird;  auch  hier  müssen  die  Abflusswässer 
vorsichtig  mit  Kalk  behandelt  und  hierdurch  von  ihrem  Zinkgehalte  befreit  werden. 

Wird  das  gereinigte  Rüböl  längere  Zeit  bei  200—220°  Hitze  erhalten,  so 
nimmt  es  Sauerstoff  auf  und  verdickt  sich.  Diese  Procedur  dient  zur  Darstellung  des 
sogenannten  Spindelöls  und  ist  stets  mit  der  Entwicklung  von  Acrolein  und  flüchtigen 
fetten  Säuren  verbunden,  die  stets  durch  Einleiten  in  eine  Feuerung  unschädlich  zu 
machen  sind. 

Wird  das  nicht  vollständig  entsäuerte  Oel  zur  Beleuchtung  benutzt,  so  ist  in 
sanitärer  Beziehung  zu  beachten,  dass  sich  dann  durch  die  Zersetzung  der  Schwefel- 
säure schweflige  Säure  entwickelt;  gebraucht  man  es  als  Maschinenöl,  so  greift  es 
die  Lager  an. 

Für  die  Technik  und  Beleuchtung  ist  das  Rüböl   am   wichtigsten;    es    wird   aus 

*)  Aus  der  nämlichen  Ursache  darf  beim  Einölen  der  Wolle  vor  dem  Spinnen  diese 
nicht  in  grossen  Massen  aufgehäuft  liegen  bleiben,  weil  sonst  durch  Oxydation  des  Oels 
Verkohlen  stattfinden  kann.  Auch  Oel,  mit  Eisenoxyd  gemischt,  entzündet  sich  leicht, 
wenn  beide  Stoffe  einige  Stunden  zusammen  liegen  bleiben,  was  bei  der  jetzigen  Art 
der  Darstellung  von  Kitten  beachtenswert!!  ist. 


Firnissindustrie.  453 

dem  Winterraps  (Brassica  napus),  Sommerraps  (Brassica  praecox")  und  dem  Kohlraps 
(Brassica  campestris)  dargestellt.  Das  aus  letzterem  gewonnene  Oel  heisst  Colxa  und 
kommt  im  Handel  am  häufigsten  vor:  es  ist  so  reich  an  GlycerinYerbindungen  und 
festen  Fettsäuren,  dass  es  bei  —0°  erstarrt. 

Einige  Oele  trocknen  an  der  Luft  unter  Sauerstoffaufnahme  zu  einer  durchsich- 
tigen festen  Masse  ein.  Man  nennt  sie  trocknende  Oele,  wozu  hauptsächlich  das 
Mohn-,  Lein-,  Ricinus-,  Hanf-,  Nuss-,  Sonnenblumenöl  und  Crotonöl  gehören;  sie  werden 
besonders  zu  Firnissen  verwendet. 

Andere  Oele  bleiben  an  der  Luft  unverändert;  zu  diesen  nicht  trocknenden 
Oelen  gehören  vorzüglich  das  Oliven-,  Palm-,  Coeosnuss-,  Mandel-,  Rüb-,  Buchkern-, 
Oelrettig-  und  Madiaöl. 

Ranzig  werden  die  Fette,  wenn  sie  noch  Eiweisskörper  enthalten,  die  in  Gährung 
übergehen,  durch  welche  die  Fettsäuren  frei  werden  und  ihren  Geruch  und  Geschmack 
dem  Fette  mittheilen. 

Firnissindustrie. 

Firniss  nennnt  man  eine  Auflösung  von  harzigen  Stoffen  in  trocknenden 
fetten  Oelen  oder  in  Weingeist  und  Terpentin,  die  man  auf  die  Oberfläche 
der  verschiedensten  Gegenstände  aufträgt,  um  einen  glänzenden  Ueberzug  zu 
erzeugen.  Man  unterscheidet  hiernach  1)  fette  oder  Oelflrnisse,  unter  denen  der 
Leinölfirniss  der  gebräuchlichste  ist. 

Die  Firnisskocherei  beruht  auf  der  Befähigung  der  trocknenden  Oele 
und  namentlich  des  Leinöls,  Sauerstoff  aufzunehmen  und  dadurch  ganz  andere 
Eigenschaften  zu  erlangen.  Da  dieser  Process  an  der  Luft  zu  langsam  vor 
sich  geht,  so  unterstützt  man  ihn  künstlich;  man  nimmt  altes  abgelagertes 
Leinöl  und  setzt  ihm  sauerstoffreiche  Metalloxyde,  Mennige,  Bleiglätte, 
Braunstein,  schwefelsaures  und  borsaures  Manganoxydul,  Zink- 
oxyd u.  s.  v,T.  zu,  um  die  Sauerstoffaufnahme  zu  befördern.  Diese  sogenannten 
Siccative  finden  sich  theils  reducirt  auf  dem  Boden  des  Gefässes  wieder,  theils 
gehen  sie  auch  eine  Saponification  mit  dem  Oele  ein,  indem  sie  die  Trennung 
des  Glycerins  von  den  öl-  und  fettsauren  Verbindungen  beschleunigen. 

Dabei  wird  ein  Absatz  (Firnisssatz)  gebildet,  welcher  aus  dem  Ueberschuss 
der  zugesetzten  Metalloxyde  mit  den  ausgeschiedenen  partiell  reducirten  Oxyden 
und  dem  freigewordenen  Glycerin  besteht.  Diese  Verbindung  gibt,  wenn  sich 
die  Temperatur  beim  Kochen  zu  hoch  steigert,  zur  Entwicklung  von  Acrolein 
Veranlassung.  Dieser  Uebelstand  macht  die  Firnisskocherei  zu  einer  von  den 
Adjacenten  mit  Recht  sehr  gefürchteten  Fabrication;  die  Firnisssiedereien  gehören 
deshalb  nach  §  16  der  Gewerbe-Ordnung  vom  21.  Juni  1869  zu  den  gewerblichen 
Anlagen,  welche  einer  besondern  polizeilichen  Genehmigung  bedürfen. 

Man  vermeidet  die  Entwicklung  von  Acrolein -Dämpfen  beim  Kochen  des 
Leinölfirnisses  am  sichersten  durch  geringe  und  häufige  Zusätze  von  kaltem 
Wasser,  wodurch  sowohl  die  zu  hohe  Temperatur  und  die  weitere  Zersetzung  der 
Oelbestandtheile  verhütet,  als  auch  die  Auflösung  der  Metalloxyde  durch  vermehrte 
Sauerstoffzufuhr  befördert  wird. 

Es  ist  sehr  zu  empfehlen,  das  Abkochen  im  Wasserbade  oder  überhaupt  in 
Bädern  und  nicht  auf  freiem  Feuer  zu  bewirken.  Beobachtet  man  diese 
Vorsichtsmassregeln,  so  ist  die  Firnisskocherei  eine  Operation,  welche  bei 
einiger  Aufmerksamkeit  ohne  grosse  Belästigung  ausgeführt  werden  kann;  sie  wird 
übrigens  auch  vielfältig  ohne  alle  polizeiliche  Erlaubmiss  und  auf  eine  möglichst 
rohe  Weise  bewirkt. 

Das  Leinöl  wird  schon  durch  blosses  fortgesetztes  Sieden  trocknend,  so  dass  ein 


4f)4  Fette. 

solches  gekochtes  Oel  schon  für  sich  einen  Firniss  bildet.  Auf  solche  Weise  wird  der 
Buchdrucker-Firniss  (s.  S.  309)  oder  das  sogenannte  Kunstöl  dargestellt.") 

Zur  Darstellung  von  solchen  Oelfirnissen  benutzt  man  kupferne  Kessel  und 
setzt  nur  gebrannte  Magnesia  zu,  die  sich  mit  den  schleimigen  Theilen  und  der  etwa 
vorhandenen  Säure  verbindet.  Das  fertig  gekochte  Oel  wird  in  zinnerne  oder  bleierne 
Ci Sternen  behufs  Klärung  geleitet,  der  sich  liier  bildende  Bodensatz  getrennt  und 
nieist  zu  schwarzen   Lackirnngen  benutzt. 

Bei  der  Anlage  von  grossen  Firnisssiedereien  ist  besonders  die  Feuersgefahr 
zu  berücksichtigen;  das  Fabrikgebäude  muss  stets  isolirt  liegen;  für  die  Aufbewahrung 
der  Materialien  und  des  fertigen  Firnisses  sollen  ebenfalls  besondere  Localitäten  vorhanden 
sein.     Die  Schürlöcher  der  Feuerung  sind  ausserhalb  des  Arbeitsraums  anzubringen. 

Die  Kessel,  welche  oft  200 — 300  Pfund  Oel  umfassen,  bestehen  zur  Darstellung 
von  gewöhnlichem  Leinölfirniss  aus  Eisen  und  Indien  die  Gestalt  eines  gewöhn- 
liehen Waschkessels.  In  den  meisten  Fällen  steht  er  auf  freiem  Feuer,  was  aber  aus 
\\cn  oben  angeführten  Gründen  nicht  zweckmässig  ist.  Die  Temperatur  darf  nur 
allmäblig  steigen  und  nur  bis  zum  gelinden  Kochen  zunehmen;  es  bildet  sich  hierbei 
Schaum  auf  der  Oberfläche,  der  mit  kupfernen  Schaumlöffeln  entfernt  wird.  Dann  setzt 
man  die  Siccative  zu;  werden,  was  noch  vorwaltend  geschieht,  Mennige  oder  Blci- 
glätte  benutzt,  so  hat  man  die  Arbeiter  auf  die  Gefährlichkeit  des  Staubes  auf- 
merksam zu  machen,  da  diese  Materialien  sehr  häufig  und  in  kleinen  Portionen  zuge- 
schüttet werden. 

Um  die  Belästigungen  der  Firnisssiedereien  ganz  zu  vermeiden,  kann 
man  nach  C.  IV,  Vincent  das  Abkochen  in  einem  geschlossenen  kupfernen  Kessel, 
der  von  aussen  mittels  eines  Dampfmantels  geheizt  wird,  vornehmen.  Den  Verschluss 
bildet  ein  angenieteter  und  mit  einem  Mannloch  versehener  Dom.  Im  Innern  bewegt 
sich  ein  doppeltes  Rührwerk,  welches  das  Oel  in  beständiger  Bewegung  erhält  Zu 
diesem  Zwecke  sind  durch  eine  Stopfbüchse  in  der  Mitte  des  Doms  zwei  verticale,  con- 
centrische  Wellen  hindurchgeführt,  von  denen  die  eine  hohl  ist;  beide  werden  durch 
Betrieb  von  aussen  in  drehende  Bewegung  gesetzt  und  zwar  jede  in  anderer  Richtung; 
an   dem  im  Kessel  befindlichen  Theile  tragen  sie  Rührschaufeln. 

Ausserdem  kann  durch  ein  Rohr  von  unten  her  gepresste  Luft  zur  Regulirung 
der  Temperatur  eingeleitet  werden,  während  ein  anderes  Rohr,  das  vom  obern  Theile 
des  Kessels  abgeht,  die  durch  Zersetzung  des  Oels  entstehenden  höchst  übelriechenden 
Dämpfe  durch  ein  Schlangenrohr  (das  zugleich  das  später  zu  siedende  Oel  vorwärmt) 
in  einen  Feuerraum  ableitet. 

Die  Siccative  werden  auf  zweckmässige  Weise  mit  Oel  angerieben  und  während 
des  Kochens  mittels  eines  Trichters  mit  Absperrhahn  eingelassen;  nach  vierstündigem 
Kochen  soll  der  Firniss  fertig  sein. 

Oel -Lackfirnisse.  Um  dem  Anstriche  einen  grossem  Glanz  zu  verleihen, 
setzt  man  dem  Oel  firnisse  verschiedene  Harze  zu,  von  denen  namentlich 
Copal  und  Bernstein  vorher  durch  Schmelzen  in  eine  lösliche  Form  gebracht 
werden  müssen.  Hierbei  werden  eine  Masse  der  verschiedensten  flüchtigen  Ver- 
bindungen erzeugt,  die  für  die  Arbeiter  im  höchsten  Grade  belästigend  sind. 

Bernsteinfirniss.  Bernstein  und  concentrirte  Schwefelsäure  werden  gemischt 
und  in  Glasretorten,  die  im  Sandbade  ruhen,  geschmolzen.  Anfangs  entwickeln  sich 
mit  schw  eilig  er  Säure  gemischte  Wasserdämpfe,  die  in  den  Schornstein  abzuleiten 
sind;  dann  treten  weisse  Dämpfe  auf,  die  in  der  Vorlage  zu  einer  öligen  Flüssigkeit 
condensiren,  während  sich  Hals  und  Helm  der  Retorte  und  schliesslich  auch  das 
Destillal  mit  kristallinischer  Bernsteinsäure  als  Nebenproduct  anfüllen.  Die  ölige 
Substanz  wird  als  eine  dem  Copalöl  ähnliche  Verbindung  gewonnen;  aussei'dem  finden 
sich  geringe  Mengen  von  Essig-,  Butter-  und  Ameisensäure  vor. 

Zum  s  ch war z en  B ern steinfirn i s s  werden  geschmolzener  Asphalt  und  Bernstein 
mit  heissem  Leinöl  unter  Zusatz  von  etwas  Bleiglätte  und  Bleizucker  verwendet. 

Die  sehr  verschiedenen  Modifikationen  können  hier  nicht  aufgeführt  werden;  es 
ist  nur  zu  erwähnen,  dass  für  geringere  Sorten  und  eine  wohlfeilere  Lackirung  auch 
Pech  und  das  durch  Eindampfen  von  Steinkohlentheer  bereitete  Asphalt  genommen 
werden  und  zwar  häufig  unter  ziemlich  beträchtlichem  Zusatz  von  Mennige  und 
Glätte.  In  sanitärer  Beziehung  ist  nicht  genug  darauf  aufmerksam  zu  machen, 
dass    die  Arbeiter    bei    der   Firnissfabrication   auf  diese   Weise  sehr   häufig   mit  Blei- 


*)    Nach  Liebig   erhält  man   auch  auf  kaltem  Wege  einen  guten  Oelfirniss,  wenn 
man  Leinöl  mit  Bleiessig  (Plumb.  subacetic.)  versetzt. 


Firnissindustrie. 


455 


Präparaten  in  Berührung  kommen  und  daher  auch  verschiedenen  Bleiintoxicationen 
ausgesetzt  sein  können. 

Bei  diesen  schwarzen  Lacken,  die  häufig  zum  Lackiren  von  Wagen,  Maschinen- 
theilen  oder  grössern  Gusssachen  verwendet  werden,  haben  daher  auch  die  Lackirer 
diese  metallischen  Zusätze  zu  beachten,  obgleich  bekanntlich  auch  weisse  und  gelbe 
Lacke  dargestellt  werden,  die  bleihaltig  sind.  Nach  Du  Mesnü  enthielt  ein  weisser 
Lack  48,65  g,  ein  gelber  50  g  und  ein  schwarzer  42,05  g  Blei.  Wenn  nach  dem  Ueber- 
zuge  eines  solchen  Lackes  auf  die  betreffenden  Gegenstände,  namentlich  auf  Holz,  ein 
kräftiges  Reiben  resp.  Poliren  stattfindet,  so  ist  ein  gefährlicher  Staub  unvermeidlich, 
der  ei'fahrungsgemäss  Bleikolik  und  Bleilähmung  zu  erzeugen  vermag.1) 

Copalfirniss.  Das  Schmelzen  des  Copals  geschieht  gewöhnlich  auf  freiem 
Feuer;  es  entwickelt  sich  bei  der  Destillation  zuerst  Wasserdampf  von  höchst  saurer 
Reaction,  die  von  Essig-  und  Ameisensäure  herrührt.  Bei  stärkerer  Erwärmuno' 
treten  scharf  riechende,  schwierig  zu  condensirende  Dämpfe  nebst  einem  leichten 
ätherischen  Oele  auf.  Letzteres  reagirt  stark  sauer  und  greift  Metalle,  namentlich 
Kupfer  an;  es  enthält  freie  Essig-  und  Ameisensäure,  bisweilen  auch  Bernstein- 
säure und  eine  ölartige  scharfe  Säure,  welche  über  200°  siedet  und  auch  bei  der 
Destillation  des  Colophoniums  auftritt.  Dieses  ätherische  Oel  ist  ein  gutes  Lösungs- 
mittel für  Copal,  weshalb  es  auch  für  diesen  Zweck  gebraucht  wird;  es  macht  aber  den 
Firniss  leicht  rissig  und  die  Ausdünstung  des  Anstriches  ist  für  Menschen  und  nament- 
lich auch  für  Vögel  nachtheilig,  weil  das  Oel  wie  Benzol  Kopfschmerzen  und  Betäubung 
hervorruft;  Vögel  können  dadurch  zu  Grunde  gehen.  Beim  weitem  Erhitzen  des  Copals, 
beim  Aufblähen  der  Masse,  werden  die  Dämpfe  stärker  und  es  bildet  sich  nun  ein 
leicht  condensirbares  Oel,  welches  sauerstofffrei  ist,  einen  höchst  penetranten 
Geruch  und  Geschmack  hat  und  bei  manchen  Individuen  durch-  den  blossen  Geruch 
Erbrechen  verursacht.  Dieses  sogenannte  schwere  Copalöl  wird  von  Schwefelsäure 
theilweise  angegriffen  und  liefert  durch  Rectification  ein  farbloses  Liquidum,  welches 
leichter  als  Wasser  ist  und  in  seiner  Zusammensetzung  dem  Bernsteinöl  gleich  ist. 
Mit  Salpetersäure  liefert  es  ein  Harz,  welches  frappant  nach  Moschus  riecht  und 
sogar  in  der  Parfümerie  wie  das  Bernsteinöl  Anwendung  gefunden  hat. 

Bei  der  Fabrication  lässt  man  beide  Oele  zusammen  und  gebraucht  sie  als  Lösungs- 
mittel für  Harze. 

Wenn  nun  der  Copal  ganz  flüssig  geworden  ist,  hat  er  eine  derartige  Zersetzung 
erlitten,  dass  er  in  fetten  und  ätherischen  Oelen  leicht  löslich  ist.  Das  eigentliche 
Lösungsmittel  desselben  ist  Terpentinöl;  ein  geringer  Zusatz  von  Oelfirniss  ist  nöthig, 
um  dem  Ganzen  die  nöthige  Zähigkeit  zu  geben.  Der  geschmolzene  Bernstein  bedarf 
dagegen  mehr  Leinölfirniss  als  Terpentinöl  zu  seiner  Auflösung. 

Flu.  47. 


456 


Fette. 


Bei  einem  rationellen  Verfahren  geschieht  das  Schmelzen  desCopals  in  einem 
Sand-  oder  Luftbade;  auf  diese  Weise  -werden  die  berühmten  englischen  Kutschen- 
lack firnisse  dargestellt. 

Die  sich  hierbei  entwickelnden  Dämpfe  werden  direct  zum  Auflösen  von  Copal 
benutzt,  indem  man  in  einem  Kessel  (Fig.  47  a)  ein  zweites  Kesselchen  (0)  auf- 
hängt; ersterer  hat  ein  Abflussrohr  (/)  und  am  obern  Theile  eine  kleine  Oeffnung  (y) 
zum  Einführen  des  Probirlöffelchens.  Ueber  dem  Kessel  ist  noch  ein  Aufsatz  (c)  an- 
gebracht, der  ebenfalls  zur  Aufnahme  des  Copals  dient,  unten  aber  einen  siebförmigen 
Verschluss  (ä)  hat  und  nach  oben  in  einen  Helm  (e)  übergeht,  der  mit  einer  Kühl- 
schlange in  Verbindung  steht.*)  Im  Grunde  des  Kessels  wird  der  dunkle  Copal  ge- 
schmolzen; die  dann  auftretenden  Dämpfe  gehen  durch  den  siebförmigen  Boden  des 
obern  Aufsatzes  [d)  und  lösen  den  hier  befindlichen  Copal,  der  in  Tropfen  in  das  auf- 
gehängte Kesselchen  abfliesst.  Der  grössere  Theil  des  Lösungsmittels  verflüchtigt  sich 
und  geht  in  die  Kühlschlange  (')  über,  wo  Alles  zur  Condeusation  gelangt.  Die  weisse 
Lösung  des  Copals  bleibt  in  dem  aufgehängten  Kesselchen  zurück. 

In  sanitärer  Beziehung  ist  dies  Schmelzen  der  Harze  sehr  wichtig, 
da  sich  nach  der  Natur  derselben  sehr  verschiedene,  aber  höchst  reizende 
Dämpfe  entwickeln.  Häufig  setzt  man  auch  den  verschiedenen  Sorten  von  Copal, 
dem  Bernstein  oder  Asphalt  noch  Colophoniura  zu,  um  den  Schmelzprocess  zu 
verkürzen. 

Die  Reizung  der  Respirationsorgane  kann  bei  manchen  Arbeitern  in  Blut- 
husten übergehen,  während  andere  diese  Beschäftigung  ganz  aufgeben  müssen. 
Ein  Firnissfabricant  wurde  zu  diesem  Schritte  schliesslich  genöthigt,  da  eine 
chronische  Bronchitis  und  eine  Neuralgia  intercostalis  den  bisherigen 
laugjährigen  Aufenthalt  im  Schmelzraum  fernerhin  unmöglich  machten.  Viele 
Arbeiter  harren  zwar  aus,  aber  stets  zum  Nachtheile  ihrer  Gesundheit,  wenn 
keine  Präventivmassregeln  getroffen  werden.  Meistens  findet  man  nur  sehr 
primitive  Einrichtungen  und  höchstens  einen  Rauchfang  über  den  Schmelzkesseln; 
es  ist  aber  durchaus  erforderlich,  dass  mit  einer  zweckmässigen  Construction  der 
Schmelzkessel  auch  eine  möglichst  vollständige  Condensation  oder  Verbrennung 
der  Dämpfe  Hand  in  Hand  geht. 

In  England  findet  sich  in  einigen  Fabriken  folgende  Einrichtung:  Auf  jedem 
Kessel  ist  ein  coneaver  Deckel  angebracht,  der  in  der  Mitte  mit  einer  10  Ctm.  weiten 
Oeffnung  für  das  Umrühren  versehen  ist.  Die  Dämpfe  sammeln 
sich  zwischen  dem  Rande  des  Gelasses  und  des  Deckels,  um 
hier  in  ein  gemeinschaftliches  Rohr  einzutreten,  das  mit  einem 
im  Freien  stehenden  Condensator  in  Verbindung  steht.  Dieser 
besteht  aus  18  verticalen,  untereinander  communicirenden  Röhren 
von  3  Meter  Höhe  und  12 — 15  Ctm.  Durchmesser;  die  letzte  Röhre 
ist  mit  einem  Exhaustions-Schaufelventilator  versehen. 

Durch  diese  Einrichtung  wird  allerdings  der  Schmelzraum 
von  den  Dämpfen  befreit;  um  aber  auch  die  Adjacenten  von 
ihrer  belästigenden  Einwirkung  zu  befreien  ,  ist  es  noch 
erforderlich,  die  von  dem  Ventilator  ausgestossenen  Dämpfe  in 
eine  Feuerung  zu  leiten,  um  sie  vollständig  zu  vernichten.  Den 
hierbei  erforderlichen  Vorsichtsmassregeln  wird  durch  die  S.  365 
näher  beschriebene  Einrichtung  genügt. 

Eine  zweckmässige  Vorrichtung  ist  die  durch  Fig.  48  und 
Fig.  49  veranschaulichte,  durch  welche  ebenfalls  Condensation  der 
Dämpfe  und  Verbrennung  der  nicht  condensirten  Dämpfe  erzielt 
werden.  Die  Achse  des  Rührers  (Fig.  48  d)  geht  durch  eine  Stopf- 
büchse und  besteht  aus  einem  hohlen  Eiscncylmder,  in  welchem 
sich  ein  anderer  unten  geschlossener  Cylinder  bewegt,  der  einige 
Zoll  vor  seinem  untersten  Ende  einen  Ausschnitt  (<•)  hat;  durch 
diesen  entsteht  eine  Art  von  Löffel.  Dieser  Probelöffel  hat 
nach   unten  noch   ein  Leistchen,    welches   das   vollständige   Aus- 


Fig,  48. 


*)  Der  Apparat  ist  demjenigen  sehr  ähnlich,   der  bei  der  Destillation  ätherischer 
Oele  benutzt  wird  (s.  Aetherische  Oele). 


Firnissindustrie. 


457 


ziehen    desselben    verhütet.      Der    eigentliche   Rührer   ist   mit   einer   Kurbel    und    mit 
Flügeln  (ff)  versehen. 

Fig.  49. 


Die  Schnäbel  der  Hüte  (Fig.  49  i)  der  Kessel  («)  münden  in  eine  gemeinschaft- 
liche Röhre  (e),  die  zur  Kühlschlange  (/)  führt.  Die  hier  condensirten  Dämpfe  fliessen 
nach  g  und  sammeln  sich  hier  an,  um  durch  den  Siphon  (Ä)  abzufiiessen,  während  die 
uncondensirten  Dämpfe  durch  das  Rohr  h  und  die  Siebplatte  bei  J  unter  dem  Herde 
der  Feuerung  zur  Verbrennung  gelangen.  Die  Thür  der  Feuerung  (6)  muss  selbstver- 
ständlich hierbei  stets  geschlossen  bleiben. 

2)  Weingeistfirnisse.  Die  Darstellung  im  Grossen  geschieht  in  einer  Destillir- 
blase  mit  Helm  und  Schlangenrohr,  um  den  während  der  Auflösung  der  Harze 
sich  verflüchtigenden  Alkohol  wieder  zu  gewinnen.  Man  erhitzt  in  einem  Wasser- 
bade und  führt  durch  eine  im  Helm  befindliche  Stopfbüchse  eine  Stange  mit 
Flügeln,  um  durch  Rühren  die  Auflösung  der  Harze  zu  unterstützen.  Man 
steigert  nur  anfangs  die  Temperatur  bis  zum  Sieden  des  Weingeistes;  dann  ver- 
mindert man  sie  etwas  und  hält  sie  unter  dem  Siedepunct  des  Alkohols.  Den 
abgezogenen  Firniss  lässt  man  durch  ein  Florsieb  laufen  und  filtrirt  ihn  mittels 
Fliesspapiers. 

Statt  Weingeist  gebraucht  man  auch  vielseitig  Holzgeist.  Unter  den  Harzen 
werden  vorzugsweise  Schellack,  Sandarach,  Mastix,  Damar  oder  Elemiharz  unter 
Zusatz  von  Colophoniuin ,  Campher  und  Lavendelöl  benutzt.  Die  Harze  werden  in 
klaren  Stückchen  ausgesucht,  damit  die  Firnisse  eine  wasserhelle  Farbe  erhalten,  dann 
gepulvert  und  häufig  mit  grobem  Glaspulver  gemengt.  Letzteres  soll  das  Zusammen- 
ballen des  Harzpulvers  verhindern;  um  es  ganz  fein  zu  erhalten,  wird  es  noch  durch 
ein  Haarsieb  abgesiebt.  Dieser  Act  ist  in  sanitärer  Beziehung  wichtig:  geschieht  er 
nicht  in  geschlossenen  Sieben,  so  wird  der  feine  Glasstaub  eingeathmet  und  erzeugt 
sehr  schmerzhafte  Gaumen-  und  Mandelentzündungen.  Der  ganze  Schlund  zeigt 
in  den  hohem  Graden  eine  Scharlachröthe  und  es  dauert  oft  Wochen  lang,  ehe  diese 
Reizung  verschwunden  ist. 

Die  Weingeistfirnisse  werden  durch  Gummigutt  gelb,  durch  Drachenblut  und 
Sandelholz  roth  gefärbt,  um  namentlich  metallischen  Flächen  eine  Goldfarbe  zu  ertheilen. 

3)  Terpentinölnrnisse.  Hier  geschieht  meist  die  Auflösung  im  Sandbade 
unter  Zusatz  von  reinem  Quarz-  oder  Glaspulver.  Man  benutzt  diese  Firnisse 
vorzugsweise  zum  Ueberziehen  von  Karten,  Kupferstichen  u.  s.  w. 

Man  muss  bei  der  Darstellung  im  Grossen  ganz  besonders   für  gut  geschlossene 


458  Fette- 

Gefässe  und  die  Condensation  der  Dämpfe  sorgen,  damit  diese  sich  nicht  im  Fabrik - 
raume  verbreiten,  weil  sonst  eine  grosse  Gefahr  vor  Explosion  vorhanden  ist. 

Es  ist  deshalb  auch  geboten,  alle  Schürlöcher  der  Feuerungen  wie  bei  den  Wein- 
geistfirnissen ausserhalb  der  Arbeitsräume  anzulegen.  Ein  Schlangenrohr,  in  welchem 
sich  die  Dämpfe  bei  der  Auflösung  verdichten,  sollte  ausserdem  zur  Bedingung  bei  der 
Ertheilung  der   Erlaubniss  zum  Betriebe  gemacht  werden. 

Der  Asphaltlack  wird  fast  nur  durch  Auflösen  von  Asphalt  in  Terpentinöl 
dargestellt. 

Dunkle,  braune  Firnisse  erhält  man  im  Allgemeinen  durch  Auflösen  von  Gummi- 
lack und  Colophonium;  durch  Zusatz  von  Leiriölfirniss  nähern  sich  dann  diese  Firnisse 
wieder  mehr  den  hellen  Firnissen. 

Degras,  Gerberfett. 

Ein  Gemisch  von  nicht  trocknenden  Oeleu  und  Fetten  wird  Degras  ge- 
nannt and  zum  Einreiben  des  lohgaren  Leders  benutzt.  Mau  wendet  vielfältig 
dazu  au:  huile  coco,  welches  wahrscheinlich  vom  Cocosuussöl  herrührt, 
huile  grasse,  das  hauptsächlich  aus  Paraffiuöl  besteht,  red  oil  aus  Amerika, 
wahrscheinlich  Specköl,  ganz  vorzüglich  aber  Moellon,  die  Weissbrühe  aus  der 
Sämischgerberei;  da  letztere  eine  javabraune  Farbe  hat,  so  kommt  es  bei  den 
verschiedenen  Gemischen  besonders  auf  die  Herstellung  dieser  Farbe  an. 

Zusätze  von  aufgelöstem  Kautschuk,  Wachs  oder  Talg  sind  auch  nicht  selten, 
wenn  diese  Substanzen  grade  billig  zu  haben  sind.  Das  Gemenge  der  verschiedenen 
Oele  und  Fette  wird  gewöhnlich  in  grossen  Kesseln  nur  auf  22—25°  R.  erwärmt,  um 
die  Mischung  zu  befördern,  so  dass  in  diesem  Falle  gar  keine  Belästigung  zu  befürchten 
ist.  Wendet  man  aber  Talg  oder  andere  Substanzen  an,  welche  einen  höhern  Schmelz- 
punet  haben,  so  muss  die  Wärme  (beim  Talg  bis  auf  40—50°  R)  gesteigert  werden, 
in  welchem  Falle  sich  dann  auch  die  flüchtigen  Fettsäuren  entwickeln,  für  deren 
Ableitung  in  einen  gut  ziehenden  Schlot  man  zu  sorgen  hat. 

Es  ist  überhaupt  erforderlich,  dass  der  Kessel,  in  welchem  die  Mischung  geschieht, 
unter  einem  Schornsteinbusen  aufgestellt  ist.  Die  Mischung  wird  durch  ein  Sieb  in 
einen  Bottich  gelassen,  in  welchen  Soda  mit  überschüssigem  Kalkwasser  und  etwas 
Moellon  zugeschüttet  wird,  wodurch  eine  Verseifung  entsteht.  Zwei  Stunden  nachher 
wird  häufig  auch  noch  Glycerin  (auf  1000  Pfund  50  Quart)  zugegossen  und  so  lauge 
gerührt,  bis  die  Masse  steif  und  javabraun  geworden  ist. 

Kalk  wird  bloss  deshalb  genommen,  um  die  Lauge  caustisch  zu  machen;  das 
sich  bildende  Calciumcarbonat  müsste  eigentlich  abgeschieden  werden,  es  bleibt  aber 
häufig  in  der  Masse,  um  sie  schwerer  zu  machen. 

Bei  der  Frage,  ob  und  inwiefern  die  Fabrication  von  Degras  für  die 
Nachbarschaft  belästigend  werden  kann,  hängt  somit  die  Entscheidung  von  der 
genauen  Prüfung  der  Materialien,  welche  zur  Verarbeitung  kommen,  sowie  von 
der  Höbe  der  Temperatur  ab,  die  bei  der  Mischung  erforderlich  ist.  So  wurde 
in  einem  concreten  Falle  japanischer  Thran  benutzt,  der  schon  an  und  für  sich 
bei  der  Aufbewahrung  höchst  widerliche  Gerüche  entwickelt  und  für  die  Adja- 
centen  sehr  belästigend  wird.  Die  Fabrication  ist  überhaupt  sehr  mannigfach, 
da  sich  die  Benutzung  der  verschiedenen  Materialien  nach  den  localen  Verhält- 
nissen richtet. 

Talgindustrie. 

Talg  ist  das  Fett  der  Wiederkäuer,  wovon  die  meisten  als  Hausthiere  be- 
kannt sind.  Alle  Sorten  von  Talg  besitzen  einen  eigenthümlichen,  unangenehmen 
Geruch,  welcher  nach  den  Thieren  und  der  von  ihnen  genossenen  Nahrung  ver- 
schieden ist. 

Der  Talg  wird  gewöhnlich  aus  dem  Fette  der  Eiugeweide  durch  Aus- 
schmelzen gewonnen;  man  hat  verschiedene  Methoden  desselben  und  je  nach- 
dem die  eine  oder  andere  augewendet  wird,  hat  auch  der  Talg  einen  höhern 
oder  geringern  Werth. 


Talgindustrie.  459 

1)  Die  älteste  Methode  besteht  in  einer  Zerkleinerung  und  im 
Ausbraten  des  Fettes  auf  freiem  Feuer;  hierbei  ist  nicht  zu  vermeiden, 
dass  der  Talg  gelb  wird  und  durch  empyreumatische  Stoffe,  welche  durch  zu 
starke  Erhitzung  der  stickstoffhaltigen  Gewebe  entstanden  sind,  meistens  einen 
höchst  unangenehmen  Geruch  erhält. 

Der  Schmelzkessel  ist  gewöhnlich  aus  Kupfer,  dessen  Seitenwände  unmittelbar 
vom  Mauerwerk  des  Ofens  umgeben  sind,  so  dass  das  Feuer  nur  den  Boden  desselben 
berührt.  Beim  Ausbraten  entstehen  neben  flüchtigen  Fettsäuren  die  Bestand- 
theile  von  Oleum  anim.  Dipp.  Kaum  werden  sich  die  Dämpfe  von  Acrolein  zeigen, 
da  zur  Bildung  desselben  eine  höhere  Temperatur  nothwendig  ist,  als  zum  Ausbraten 
des  Talgs  angewendet  wird. 

Der  geschmolzene  Talg  wird  durch  einen  Filtrirkorb  oder  einen  kupfernen 
Durchschlag  übergeschöpft,  damit  sich  die  fremden  Theile  absetzen.  Bei  den  bessern 
Sorten,  namentlich  beim  Hammeltalg",  schöpft  man  ihn  in  kleine  hölzerne  Formen,  in 
welchen  man  ihn  erkalten  lässt:  man  erhält  auf  diese  Weise  die  Talgbrote  oder 
Talgkuchen  des  Handels.  Der  Talg  aus  gemischten  Fetten,  besonders  aus  Rindertalg, 
wird  direct  in  Fässer  gefüllt  und  heisst  Fasstalg. 

Der  rohe  Talg  wird  beim  längern  Aufbewahren  in  Folge  der  Zersetzung  der 
Membranen,  welche  die  Fettkügelchen  umschliessen,  leicht  ranzig:  wird  derselbe  zum 
Lichterziehen  bearbeitet,  so  gibt  er  durch  die  Ausdünstung  der  flüchtigen  Fettsäuren 
beim  Schmelzen  zu  grosser  Belästigung  der  Nachbarschaft  Anlass. 

Vorzugsweise  wird  auch  der  Steppen-  und  Krimtalg  durch  blosses  Aus- 
schmelzen über  freiem  Feuer  dargestellt. 

Aus  Buenos-Ayres  erhält  man  bisweilen  ebenfalls  den  durch  Ausschmelzen  ge- 
wonnenen Talg,  welcher  aber  dort  betrügerischer  Weise  kurz  vor  dem  Frstarren  noch 
mit  einer  Auflösung  von  thierischem  Leim  emulgirt  wird.  Dadurch  wird  aber  auch 
eine  gewisse  Menge  atmosphärischer  Luft  im  Talg  mit  eingeschlossen,  welche  bei  Gegen- 
wart von  Wasser  die  thierische  Substanz  zur  Fäulniss  bringt.  Ein  solcher  Talg  gibt 
deshalb  beim  einschmelzen  wegen  der  Fäulnissproducte  des  thierischen  Leims  (flüchtige 
Fettsäuren,  Butter-,  Baldriansäure  u.  s.  w.)  einen  unerträglichen  Geruch;  auch  muss 
er  beim  Versenden  in  Schiffen  allein  geladen  werden,  weil  Kaffee  und  andere  Genuss- 
oder Nahrungsmittel  einen  widerlichen  Geschmack  danach  bekommen. 

2)  Das  Ausschmelzen  des  Talgs  wird  unter  Zusatz  von  schwacher 
Kochsalzlösung  vorgenommen.  Dies  ist  eine  viel  bessere  Methode;  der 
Zusatz  von  Salz  bezweckt  nur  eine  Steigerung  der  Temperatur.  Den  ausgelassenen 
Talg  separirt  man  als  sogen.  Jungferntalg  und  werden  die  zurückbleibenden 
thierischen  Gewebe  durch  Ausbraten  von  dem  noch  geringen  Autheil  an  Talg 
befreit.  Diese  zweite  Sorte  von  Talg  heisst  in  manchen  Gegenden  Talgnach- 
lauf und  stellt  eine  viel  schlechtere  Qualität  als  die  erstere  dar. 

Recht  zweckmässig  ist  es,  den  Talg  vor  dem  Ausschmelzen,  statt  zu  zerschneiden, 
unter  Mühlsteinen  zu  zerquetschen  oder  im  Stampftroge  zu  zerstampfen,  um  ihn  in  einen 
Brei  zu  verwandeln,  welcher  bei  einer  geringern  Hitze  ausgeschmolzen  werden  kann, 
so  dass  hierzu  schon  heisse  Wasserdämpfe  ausreichen.  Zu  diesem  Zwecke  umgibt  man 
den  Schmelzkessel  mit  einem  andern  und  lässt  in  den  Zwischenraum  die  Wasserdämpfe 
eintreten. 

Diese  Methode  hat  auch  den  Vortheil,  dass  das  Talgschmelzen  an  und  für  sich 
keinen  unangenehmen  Geruch  verbreiten  kann;  dies  ist  nur  dann  möglich,  wenn  die 
das  Fett  umschliessenden  Membranen  schon  in  Fäulniss  übergegangen  waren. 

3)  Das  Ausschmelzen  des  Talgs  geschieht  durch  eingeblasenen 

Wasserdampf,     wobei    der    flüssige    Talg    von    der    wässrigen    leini- 

haltigen  Flüssigkeit  getrennt   und   mit   fein  gemahlenem  verknister- 

tem  Kochsalz   behandelt   wird.     Diese  Methode   wendet  man  bei  dem  Talg, 

welcher  als  Nahrungsmittel  verwendet  werden  soll,   an. 

Der  Zusatz  von  Kochsalz  nimmt  dem  Talg  seinen  Wassergehalt,  so  dass  letzterer 
weder  auf  die  vorhandene  Leimsubstanz  einwirken  noch  ein  schnelles  Ranzigwerden 
des  Talgs  verschulden  kann.  Da  der  Leim  in  Salzwasser  schwerer  löslich  ist,  so  wird 
auch  deshalb  das  W7asser  minder  befähigt,  mit  den  thierischen  leimgebenden  Substanzen 
Leim  zu  bilden. 


460  Fette. 

Der  Wasserdampf  wird  aus  einem  mit  Sicherheitsventil  versehenen  Dampfkessel 
in  dicht  verschlossene  Gefässe  geleitet,  in  -welchen  das  Fett  auf  einem  Roste  liegt  und 
ans  welchen  das  geschmolzene  Fett  durch  einen  am  Boden  angebrachten  Hahn  ab- 
gelassen werden  kann. 

4)  Das  Ausschmelzen  des  Talgs  geschieht  auf  freiem  Feuer 
oder  durch  eiugeblasenen  Wasserdampf  unter  gleichzeitiger  Ein- 
wirkung von  verdünnter  Schwefelsäure.  Diese  Methode  wendet  man  vor- 
zugsweise au,  wenn  man  den  Talg  zu  industriellen  Zwecken  gebrauchen  will; 
das  Fett  wird  hierbei  nicht  zu  hoch  erhitzt,  die  thierischen  Häute  werden 
aufgelöst  und  die  Ausbeute  an  Talg  ist  in  qualitativer  und  quantitativer  Be- 
ziehung besser. 

Durch  diese  Behandlung  wird  der  Talg  namentlich  in  Folge  von  gebildeter 
Stearinsäure  fester,  weil  die  Schwefelsäure  auf  das  im  Fette  enthaltene  Glycerin 
einwirkt. 

Den  gleichen  Zweck  erreicht  man,  wenn  man  statt  der  Schwefelsäure  verdünnte 
Kali-  oder  Natronlauge  zusetzt. 

In  sanitärer  Beziehung  ist  das  Aufspeichern  des  Rohtalgs  in  Talg- 
schmelzereien  nicht  zu  gestatten,  weil  er  durch  seinen  Gehalt  an  thierischen 
stickstoffhaltigen  Substanzen  sehr  leicht  in  Fäulniss  übergeht  und  dadurch  einen 
unerträglichen  Geruch  veranlasst.  Ist  jedoch  bei  grössern  Etablissements  zeit- 
weise die  Zufuhr  so  bedeutend,  dass  sie  nicht  bewältigt  werden  kann,  so  ist  der 
Rohtalg  entweder  in  gemauerten  Gruben  oder  aber  in  Fässern  mit  Kochsalz  zu 

schichten. 

Ist  die  Fabrication  von  Stearinsäure  mit  der  Talgschmelzer  ei  verbunden, 
so  kann  unbeschadet  der  zu  erzielenden  Producte  der  Rohtalg  mit  Kalkmilch  bespritzt 
oder  aber  mit  zerfallenem  Kalk  bestäubt  weiden:  durch  beide  Zusätze  wird  die  eingetretene 
Fäulniss  gehemmt  und  das  frische  Fett  vor  dem  Eintritt  dieser  Zersetzung  geschützt. 

Die  vom  Fette  abfliessende  Salzlake  darf  nicht  in  Schlinggruben  abgelassen 
werden:  jedoch  ist  ihr  Abfluss  in  öffentliche  Canäle  zu  gestatten. 

Die  Erhaltung  des  Rohtalgs  zum  Zwecke  der  Darstellung  von  Speisefetten  kann 
dadurch  erzielt  werden,  dass  das  Fett  in  Bottichen  mit  Wasser,  welchem  3—4%  Sauerteig 
zugegeben,  überschüttet  wird. 

Der  Sauerteig  erleidet  hierbei  eine  fortlaufende  Zersetzung,  schützt  aber  dadurch 
die  thierische  Substanz  vor  der  Einwirkung  des  Sauerstoffs.  Die  sich  bildenden  Säuren 
des  Sauerteigs  (Essig-  und  Milchsäure)  lösen  die  thierischen  Membranen  u.  s.  w.  auf 
und  legen  das  Fett  dadurch  bloss,  so  dass  beim  nachfolgenden  Ausschmelzen  des  Fettes 
verhältnissmässig  wenig  Rückstand  bleibt:  die  so  benutzten  Wässer  müssen  aber  wie 
gewöhnliche  Mistjauche  behandelt  werden. 

Das  Ausschmelzen  des  Talgs  ist  ein  in  sanitärer  Beziehung  höchst 
wichtiger  Gegenstand,  da  es  unter  Umständen  die  grösste  Belästigung  veranlassen 
kann;  man  hat  sich  vielfach  bemüht,  die  damit  verbundenen  Nachtheile  zu 
beseitigen. 

Früher  hat  man  auch  beim  Talgschmelzen  den  sogen.  Saigerungsprocess  an- 
gewendet, wobei  man  die  Dämpfe  behufs  Fixirung  der  Fettsäuren  kalkhaltige  Medien 
passiren  liess.  Diese  Methode  hat  sich  jedoch  nicht  bewährt,  insofern  die  dazu  noth- 
wendigen  Apparate  bei  der  Darstellung  im  Grossen  nicht  handlich  sind  und  eine  sehr 
leicht  eintretende  Verunreinigung  des  Fettes  mit  Alkalien  für  die  Güte  und  Haltbarkeit 
des  Products  nacktheilig  ist. 

Beim  Schmelzen  auf  freiem  Feuer  muss  der  Kessel  mit  einem  Deckel 
sorgfältig  geschlossen  bleiben;  letzterer  muss  auch  mit  einer  Rührvorrichtung 
versehen  sein,  welche  aus  einer  mitten  im  Kessel  stehenden,  unten  mit  Schaufeln 
und  oben  mit  einer  Kurbel  versehenen  Achse  besteht. 

Das  sicherste  Mittel,  die  Belästigung,  welche  durch  die  sich  bildenden  Dämpfe 
entsteht,  zu  beseitigen,  besteht  in  ihrer  Verbrennung.  Bei  kleinem  Be- 
triebe genügt  es,  wenn  man  eine  gusseiserne  Röhre  mit  einer  Memme  des  Schmelz- 
kessels verbindet  und  bis  unter  den  Rost  der  Feuerung   leitet:    an   ihrem   untern  Ende 


Talgindustrie.  461 

hat  dieselbe  noch  eine  kleine  S förmig  gebogene  Abflussröhre  mit  Wasserversehluss  für 
das  condensirte  Wasser.  Selbstverständlich  ist  stets  ein  sorgfältiger  Verschluss  der 
Aschenfalltbür  nothwendig,  um  den  Zag  zu  etabliren.  Mehr  empfiehlt  sich  jedoch,  das 
für  die  Ableitung  der  Dämpfe  bestimmte  Rohr  in  das  Mauerwerk  des  Schornsteins 
zu  legen,  damit  sich  die  Wasserdämpfe  möglichst  wenig  condensiren. 

Bei  grossartigen  Talgschmelzereien  ist  es  vorzuziehen,  die  Dämpfe  "durch  brennende 
Kohlen  eines  besondern  Desinfectionsofens  zu  leiten.  Ein  solcher  vom  Ingenieur 
Foucon1)  angegebener  Ofen  ist  z.B.  in  einer  grossen  Seifensiederei,  in  welcher  16  Kessel 
zum  Ausschmelzen  des  Talges  in  Betrieb  waren,  eingeführt.  Die  Dämpfe  dringen  hierbei 
durch  Schlitzen,  welche  in  gleichen  Zwischenräumen  aus  feuerfesten  Steinen  vertical 
errichtet  sind,  in  getheilten  Strahlen  in  ein  bis  zur  Weissgluthhitze  gebrachtes  Gewölbe. 
Der  günstige  Erfolg  dieses  Princips  scheitert,  wie  in  den  meisten  Fällen  dieser  Art,  an 
der  zu  starken  Abkühlung  der  Wasserdämpfe  auf  ihrem  Wege  zum  Verbrennungsofen. 
Diesem  Uebelstande  ist  dadurch  abzuhelfen,  dass  man  die  Dämpfe,  ehe  sie  in  die 
glühende  Kohlenschicht  eintreten,  Röhren  passiren  lässt,  welche  mindestens  bis  zur 
dunklen  Rothgluth  erhitzt  sind.2) 

Bei  der  dritten  und  vierten  Methode  wird  der  Wasserdampf  anfangs 
mit  grosser  Vehemenz  eingeblasen,  um  möglichst  rasch  das  Fett  zum  Ausfliessen 
zu  bringen.  Ist  die  Temperatur  bis  auf  100°  gestiegen,  so  entweichen  die  Dämpfe 
uncondensirt,  weshalb  beim  Eintritt  dieser  Periode  nur  so  viel  Wasserdampf  zu- 
zulassen ist,  dass  sich  die  Temperatur  auf  dieser  Höhe  erhält. 

Anfangs,  wenn  die  Wasserdämpfe  in  das  kalte  Fett  eindringen,  wird  die  im 
Bottich  und  zwischen  den  einzelnen  Fettstückchen  befindliche  Luft  durch  Wasser- 
dampf verdrängt,  welche  nun  mit  den  widerlichen  Riechstoffen  geschwängert  mit 
grosser  Kraft  entweicht  und  zwar  so  lange,  bis  sämmtliche  Luft  durch  Wasser- 
dampf vertreten  ist. 

Der  Geruch  ist  deshalb  im  Anfange  des  Ausschmelzens  sehr  bedeutend  und  lässt 
erst  bei  der  Periode,  wo  das  Fett  100°  Temperatur  erreicht  hat  und  die  Luft  aus  dem 
Apparate  verdrängt  ist,  merklich  nach. 

Auch  bei  dieser  Procedur  ist  stets  die  Unschädlichmachung  resp.  Verbrennung 
der  mit  Riechstoffen  überladenen  Dämpfe  dringend  geboten,  obgleich  man  in  den  meisten 
Fabriken  dieser  Art  in  diesem  Puncte  sehr  nachlässig  ist.  Wird  hier  gleichzeitig 
Schwefelsäure  benutzt,  so  treten  die  übelriechenden  fetten  Säuren  auf,  wohingegen 
beim  Zusatz  von  Aetzlauge  sich  mehr  ammoniakalische  Dämpfe  entwickeln.3) 

Die  häufigste  Methode  der  Talgschmelzerei  besteht  in  der  neueren  Zeit  im 
Ausschmelzen  des  Talgs  auf  freiem  Feuer  unter  Zusatz  von  Schwefel- 
säure. Der  Schmelzkessel  ist  mit  zwei  Erahnen  versehen,  wovon  der  obere  zum 
Auslassen  des  geschmolzenen  Talgs  und  der  untere  zum  A.  blassen  des  Rückstandes 
dient.  Um  allen  verschiedenen,  sowohl  alkalischen  als  sauren  Producten,  welche 
hier  auftreten  können,  Rechnung  zu  tragen,  leitet  mau  nach  Vohl4)  die  Dämpfe 
zuerst  durch  Calciumhydrat,  welches  auf  Hürden  in  einem  Kasten  lagert,  während 
sich  die  uncondensirten  Gase  und  Dämpfe  mittels  einer  oben  im  Kasten  sieb- 
förmig  durchlöcherten  Röhre  in  einen  Behälter  senken,  der  mit  Koks  gefüllt  ist, 
die  man  mit  concentrirter  Schwefelsäure  getränkt  hat.  Zum  Abfluss  der  con- 
densirten  Flüssigkeit  ist  sowohl  am  Kasten  als  am  Koksthurm  eine  S  förmig  ge- 
bogene Röhre  angebracht.  Schliesslich  gelangt  der  Rest  der  etwa  noch  nicht 
condensirten  Gase  und  Dämpfe  aus  dem  Koksbehälter  unter  den  Rost  der  Feuerung, 
wodurch  zugleich  der  nothwendige  Luftstrom  im  ganzen  Apparat  etablirt  wird. 
Um  den  Inhalt  des  Kessels  überblicken  zu  können,  befindet  sich  am  obern  Deckel, 
am  sogen.  Mannloch,  und  in  der  Beschickungsthür  eine  Platte  von  Glimmer.5) 

Rückstände  Lei  der  Talgschmelzerei.  Die  beim  Aus  braten  resultirenden 
Rückstände  heissen  Grieben;  man  sucht  sie  durch  starkes  Auspressen  von  ihrem 
Fettgebalte  zu  befreien.    Sie  wurden  in  frühem  Zeiten,  wenn  die  Erhitzung  beim 


402  Fette. 

Ausschmelzen  sehr  hoch  gewesen  war,  als  Brennmaterial  oder  auch  als  Schweine- 
futter verwendet;  heute  bilden  sie  in  manchen  Gegenden  einen  Handelsartikel, 
welcher  zur  Darstellung  von  Schmiermitteln  mittels  der  geeigneten  Lösungsmittel 
(Benzol  u.  s.  w.)  extrahirt  wird. 

Der  hierbei  resultiren.de  fettfreie  Rückstand  kann,  wenn  er  keine  wirkliche  Ver- 
brennung erlitten  hat,  zu  thierischem  Leim  benutzt  werden.  Sonst  wird  er  entweder 
zur  Blutlaugensalzfabrication,  zur  Ammoniakbereitung,  zum  Cenientiren 
des  Stahls   als  stickstoffhaltige  Kohle  oder  auch  zur  Darstellung  von  Dünger  benutzt. 

Die  Grieben,  welche  bei  der  zweiten  Methode  des  Ausschmelzens  zurückbleiben, 
werden  ebenso  verwendet.  Bei  der  dritten  und  vierten  Methode  erhält  man  eine 
wässrige  Flüssigkeit,  welche  die  thierischen  Stoffe  gelöst  enthält  und  sich  selbst  über- 
lassen höchst  übelriechende  und  gefährliche  Gase,  wie  Schwefelwasserstoff  und 
Schwefelammonium  neben  flüchtigen  fetten  Säuren,  entwickelt. 

Solche  Flüssigkeiten  dürfen  weder  in  öffentliche  Canäle  noch  in  Schlinggruben 
abgelassen  werden;  am  besten  werden  sie,  mit  Kalk  und  Erde  versetzt,  als  Düngungs- 
mittel benutzt. 

In  Russland  wird  der  sibirische  Talg  in  Pansen  und  Seronen  (Kalbsfellen) 
verpackt,  was  für  die  dortigen  Länder  insofern  noch  ein  besonderes  sanitätspolizeiliches 
Interesse  hat,  als  dadurch  die  Verbreitung  von  ansteckenden  Thierkrankheiten  veranlasst 
werden  kann. 

Das  Bleichen  und  Härten  des  Talgs.  Das  Bleichen  und  Härten  des  Talgs, 
welcher  gewöhnlich  von  graugelber  Farbe  ist,  beruht  auf  einer  Sauerstoffzufuhr; 
mag  die  Sauerstoffquelle  Salpetersäure,  Chromsäure  oder  Uebermangan- 
säure  sein,  es  wird  sich  stets  ein  Dampf  entwickeln,  welcher  fast  die  ganze 
Gruppe  der  flüchtigeu  fetten  Säuren  enthält.  Bei  der  Anwendung  der  Salpeter- 
säure treten  stets  die  Reductionsproducte  derselben,  Stickoxyd  resp.  Unter- 
salpetersäure,  in  grosser  Menge  auf.  Auch  die  Blausäure  ist  ein  nie  fehlender 
Bestandtheil ;  es  muss  deshalb  diese  Operation  in  geschlossenen  Gefässen  vor- 
genommen werden,  um  die  sich  entwickelnden  Dämpfe  durch  Verbrennen  zu 
vernichten. 

Auch  das  Bleichen  an  der  Luft  kann,  wenn  es  in  grossem  Massstabe  geschieht, 
auf  die  Nachbarschaft  sehr  lästig  einwirken,  weil  sich  beim  ranzigen  Zustande  der  Fette 
die  flüchtigen  Fettsäuren  in  erhöhtem  Grade  bilden. 

Am  wenigsten  Geruch  tritt  auf,  wenn  unterchlorigsaure  Salze  zum  Bleichen 
benutzt  werden.  Zu  diesem  Zwecke  schmilzt  man  den  Talg  in  einer  Pottaschenlösung 
(1  Th.  Pottasche  und  12  Th.  Talg)  und  schüttet  unter  beständigem  Umrühren  in  die 
warme  flüssige  Talgmasse  eine  Chlorkalklösung  (1  :  7).  Schliesslich  fügt  man  zu  der 
noch  heissen  Masse  so  viel  mit  Schwefelsäure  angesäuertes  Wasser  (1  :  20)  hinzu,  dass 
die  Säure  etwas  verschlägt;  man  lässt  dann  das  Ganze  stehen,  bis  die  gebleichte  Masse 
über  der  Flüssigkeit  schwimmt. 

Bisweilen  tritt  hierbei  eine  Verbindung  von  Chlor  mit  Glycerin  (Chlorhydrin) 
auf;  dieselbe  kann  sich  mit  den  Wasserdämpfen  verflüchtigen  und  höchst  reizend  auf 
die  Schleimhäute  der  Arbeiter  einwirken,  weshalb  die  Manipulation  unter  einem  gut 
ziehenden  Schlot  vorzunehmen  ist. 

Das  Härten  des  Talgs  geschieht  durch  Schmelzen  mit  verdünnter  Schwefel- 
säure, mit  Alaun  oder  mit  Oxalsäure.  Die  beste  Methode  besteht  jedoch 
darin,  dass  man  die  flüssigen  Theile  des  Talgs  ohne  Anwendung  von 
Pressung  von  den  festen  trennt.  Da  die  festen  krystallinischen  Körper  des 
Talgs  einen  höhern  Schmelzpunct  als  die  ölartigen  Substanzen  haben  und  auch 
der  Erstarrungspunct  bei  erstem  höher  liegt  als  bei  letztern,  so  führt  man  in 
der  Technik  auf  Grund  dieser  Eigenschaften  eine  Trennung  der  flüssigen  Theile 
des  Talgs  von  den  festen  aus.  Zu  dem  Ende  wird  der  Talg  in  Portionen  von 
5 — 6000  Pfund  in  hölzernen  Bottichen  durch  Wärmschlangen  zum  Schmelzen  ge- 
bracht, dann  verschliesst  man  die  Gefässe  sorgfältig  und  lässt  sie  8 — 10  Tage 
laug  in  einem  Räume  stehen,  dessen  Temperatur  1—2°  unter  dem  Schmelzpuuct 


Wachsindustrie.  463 

des  Talges  liegt.  Bei  dieser  ausserordentlich  langsamen  Abkühlung  krystallisiren 
die  festen  Fettmassen  in  harten  Körnern  aus  der  flüssigen  Masse  heraus;  sie 
setzen  sich  am  Boden  und  an  den  Wandungen  des  Gefässes  in  grossen  con- 
glomeratischen,  blumenkohlähnlichen  Massen  ab.  Das  flüssige  Fett  bleibt  klar  in 
der  Mitte  des  Bottichs:  man  lässt  es  nun  durch  einen  Hahn  ab  und  schmilzt, 
nachdem  die  Krystallmasse  abgetropft  ist,  mit  Wasser. 

Die  geschmolzene  Krystallmasse  erstarrt  beim  Erkalten  zu  krystallinischen  harten 
Broten,  welche  ohne  Weiteres  zur  Darstellung  der  Stearin-  (nicht  Stearinsäure-)  Lichter 
benutzt  werden  können.6) 

Die  abgelassene  ölartige  Fettmasse  nimmt  beim  vollständigen  Erkalten  die  Con- 
sistenz  des  Schweineschmalzes  an;  lässt  man  dieselbe  jedoch  sehr  langsam  auf  einige 
Grade  unter  ihrem  Erstarrungspuncte  erkalten,  so  erhält  man  eine  neue  Portion  der 
krystallinischen  Fette  (Stearin  resp.  Palmitin).  Auf  diese  Weise  wird  schliesslich  ein 
neutrales  Oel  erzeugt,  welches  selbst  bei  starker  Winterkälte  nicht  mehr  gefriert;  es  ist 
das  sogen.  Talgöl,  welches  auch  unter  dem  Namen  von  Spermacetöl,  Spermöl,  im 
Handel  vorkommt  und  als  Schmiermaterial  für  die  zartesten  und  feinsten  Maschinen, 
für  Uhren  u.  s.  w.,  benutzt  wird. 

Das  Ausschmelzen    des  Schweineschmalzes  ist  mit  fast  gar  keinen 

Unannehmlichkeiten  verbunden,  da  das  Schweinefett  einen  viel  niedrigem  Schmelz- 

punct  als  der  Talg  hat;    es  geschieht  entweder  über  freiem  Feuer  oder,  wie  in 

Cincinnati,  mittels  gespannter  Wasserdärapfe. 

Ein  betrügerischer  Zusatz  von  Wasser  während  des  Erstarrens  des  Schmalzes 
bringt  ein  schnelleres  Ranzigwerden  desselben  hervor;  man  kann  dies  Wasser  durch 
Umschmelzen  und  Zusatz  von  Kochsalz  nachweisen  und  beseitigen. 

Wachsindustrie. 

Wachs  wird  von  dem  Körper  der  Arbeitsbienen  als  kleine  Tröpfchen  ab- 
gesondert, welche  alsbald  in  Schuppenform  erhärten;  es  dient  zum  Bau  der  Zellen 
und  Vorrathskammern  für  den  Honig.  Ausserdem  fliesst  Wachs  aus  den  Stämmen 
vieler  Pflanzen  als  solches  aus  und  kommt  im  Mineralreich  als  Ueberrest  der 
untergegangenen  Vegetabilien  vor;  so  findet  sich  z.  B.  Wachs  in  der  Paraffin- 
kohle, welche  in  der  Braunkohle  vorkommt,  und  im  Ozokerith  (Erdwachs). 

Das  Bienenwachs  besteht  hauptsächlich  aus  dem  Palmitinsäure-Melissyläther. 

Unter  den  sehr  verschiedenen  Wachsarten  ist  noch  zu  nennen  das  chinesische 
Wachs,  das  Erzeugniss  eines  Insects  (Coccus  ceriferus),  welches  vorzugsweise  aus 
Cerotinsäure-Cerotyläther  besteht,  sowie  das  japanische  oder  amerikanische 
Wachs  von  unbestimmtem  Ursprünge. 

Die  Anfertigung  resp.  das  Giessen  der  Wachskerzen  ist  im  Allgemeinen  mit  keiner 
Gefährdung  der  Gesundheit  verbunden;  nur  ist  das  Ausschmelzen  des  Wachses 
in  sanitärer  Beziehung  beachtungswerth,  da  verschiedene  Wachsarten  beim  Auskochen 
behufs  Honiggewinnung  giftige  und  flüchtige  Stoffe  aushauchen.  So  sollen  im  süd- 
lichen Frankreich  schon  Vergiftungsfälle  durch  Auskochen  der  Waben  mit  Wasser 
vorgekommen  sein,  und  zwar  weil  die  Bienenstöcke  aus  einer  Gegend  stammten,  wo 
viele  Giftpflanzen  vorkommen.  Im  Allgemeinen  wird  angenommen,  dass  namentlich 
Solaneen  Honig  liefern,  der  beim  Erhitzen  eine  narkotische  Substanz  abgibt. 

Das  Bleichen  des  Wachses  geschieht  auf  zwei  verschiedene  Arten,  entweder 
durch  Bleichen  an  der  Atmosphäre  oder  auch  durch  chemische  Agentien; 
letztere  Methode  gibt  zur  Entwicklung  höchst  belästigender  Dämpfe  Veranlassung. 

Bei  der  Anwendung  von  Salpetersäure  werden  neben  Blausäure  verschiedene 
flüchtige  Fettsäuren  und  andere  die  Augen  sehr  reizende,  aber  in  ihrer  Zusammensetzung 
noch  unbekannte  Substanzen  entwickelt. 

Kaliumchromat  und  Schwefelsäure  veranlassen  das  Auftreten  verschiedener 
saurer  Producte,  welche  auch  unangenehm  riechen,  die  Schleimhäute  stark  reizen,  an  den 
Kleidungsstoffen  fest  haften,  in  ihrer  Zusammensetzung  aber  noch  wenig  oder  gar  nicht 
gekannt  sind. 

Chlor    und    unterchlorigsaure   Salze    dürfen    nur    mit  grosser   Vorsicht   an- 


4(U  Fette. 

gewendet  werden,  weil  überhaupt  die  Fette  leicht  Chlorverbindungen  bilden,  welche  beim 
Verbrennen  Salzsäure  entwickeln. 

Bei  der  Anwendung  saurer  Oxydationsmittel  sind  auch  die  Waschwässer  sauer 
und  dürfen  nur  nach  vorhergehender  Neutralisation  abgelassen  werden. 

Das  beste  Verfahren  besteht  im  Bleichen  mit  Ozon  resp.  Terpentinöl,  indem 
man  Wachs  mit  Terpentinöl  zusammenschmilzt,  das  Gemenge  bändert  und  der  Luft 
aussetzt J) 

Das  Bleichen  des  Palmöls. 

Das  Palmöl,  welches  aus  den  Früchten  verschiedener  afrikanischer  Palrn- 
arten  gewonnen  wird,  enthält  neben  Olein  den  Palmitinsäure-Glycerinäther,  das 
Palrnitin;  es  besitzt  einen  orangerothen  Farbstoff,  der  die  Verseifung  stört  und 
deshalb  beseitigt  werden  muss,  wenn  das  Palmöl  zur  Darstellung  von  weissen 
Seifen  oder  Kerzenmaterial  benutzt  werden  soll. 

Hierzu  dient  das  sogenannte  Bleichen  des  Palmöls,  welches  auf  nassem 
Wege  mittels  Oxydationsmittel  oder  durch  Hitze  bewirkt  wird.  Als 
Oxydationsmittel  benutzt  man  Kaliumbichromat  und  Schwefelsäure,  oder 
Braunstein  und  Schwefelsäure,  wobei  der  frei  werdende  Sauerstoff  den  Farbstoff 

zerstört. 

Auch  kann  man  eine  Mischung  von  Alaun  und  Salpeter,  in  Wasser  gelöst, 
dem  geschmolzenen  Palmöl  zusetzen;  man  mischt  bis  zur  Emulsion  und  erwärmt  dann 
auf  100°.  Es  tritt  hierbei  ein  kräftiges  Aufschäumen  durch  den  sich  entwickelnden 
Wasserdampf  auf  und  die  Fettmasse  nimmt  eine  hellschwefelgelbe  Farbe  an;  der  Wasser- 
dampf besitzt  einen  eigenthümlichen  Veilchengeruch. 

Das  so  gebleichte  Palmöl  erstarrt  beim  Erkalten  zu  einer  krystallinischen  Masse 
und  liefert  beim  Pressen  ca.  10%  mehr  feste  Fettsäuren  als  das  auf  anderm  Wege  ge- 
bleichte Palmöl. 

Soll  die  Bleichuug  mittels  dieser  Substanzen  beschleunigt  werden,  so  setzt  man 
der  obigen  Mischung  noch  Kochsalz  zu;  es  tritt  hierbei  freies  Chlor  resp.  Königs- 
wasser in  Thätigkeit.  Die  sich  nun  entwickelnden  Wasserdämpfe  sind  saurer  Natur  und 
enthalten  Salzsäure;  auch  tritt  ein  eigenthümlich  bitter  schmeckender  Stoff  auf. 

Gegenwärtig  wendet  man  fast  nur  die  Hitze  zum  Bleichen  an.  Dies  Ver- 
fahren ist  in  England  patentirt  und  rührt  von  Zier  her,  welcher  das  Palmöl 
über  heisse  eiserne,  bis  auf  200 — 300°  erwärmte  schief  liegende  Platten  laufen 
lässt,  um  rasch  eine  so  hohe  Erhitzung  zu  erzielen. 

Die  Erhitzungsplatte  ist  in  einem  Abstände  von  3 — 4  Zoll  von  einer  andern  Platte 
überdeckt:  eine  längliche,  schlitzähnliche  Oeffnung  am  obersten  Theil  dieser  Platte  resp. 
beim  Eintluss  des  Oels  steht  mit  dem  Feuerungskamine  in  Verbindung.  Es  werden 
dadurch  die  sich  entwickelnden  flüchtigen  Producte,  namentlich  die  Acroleindämpfe, 
gezwungen,  durch  den  Schornstein  zu  entweichen. 

Der  hierbei  entstehende  Nachtheil  besteht  darin,  dass  sich  bisweilen  die  brenn- 
baren flüchtigen  Zersetzungsproducte  entzünden,  wodurch  kleine  Explosionen  entstehen. 
Der  belästigende  Geruch  ist  alsdann  zwar  nicht  in  der  Fabrik,  aber  in  einiger  Entfernung 
davon  um  so  mehr  wahrnehmbar;  es  ist  deshalb  die  vollständige  Beseitigung  dieser 
übelriechenden  Dämpfe  durch  Verbrennen  vorzuziehen. 

Man  bedient  sich  auch  gusseiserner  Kessel  zum  Bleichen  des  Palmöls  und  er- 
hitzt ungefähr  bis  zu  280°;  dabei  verschwindet  die  orangerothe  Farbe  plötzlich  und 
das  Oel  wird  fast  farblos,  während  sich  schwarze  Flocken  abscheiden;  auch  bei  dieser 
Methode  treten  Acroleindämpfe  in  grosser  Menge  auf. 

Da  hierbei  keine  Wasserbildung  stattfindet,  so  kann  man  die  Dämpfe  in  einen 
besondern  Sammelkastsn  und  von  hier  aus  mittels  des  Zuges  eines  Schornsteins  durch 
die  Flamme  eines  besondern  Desinfectionsofens  leiten. 

Seifenindustrie. 

Die  Bereitung  der  Seifen  ist  eine  der  ältesten  chemischen  Processe,  denn 
man  findet  sie  schon  bei  den  ältesten  Völkern  Hochasiens.  Schon  die  Aegypter 
waren  damit  vertraut  und  Stellen  im  Jeremia  (II.  22)  und  im  Propheten 
Maleachi    (III.  2)    scheinen    ebenfalls    darauf    hinzuweisen;    jedenfalls    schreibt 


Seifenindustrie.  465 

Plinius  die  Erfindung  der  Seife  mit  Unrecht  den  alten  Galliern  zu.  Trotz  des 
hohen  Alters  der  Seife  wurde  der  eigentliche  Vorgang  beim  Seifenprocess  erst 
1813  durch  Chevreul  erkannt,  indem  er  zuerst  die  Spaltung  der  Fette  resp.  die 
Verseifung  nachwies  und  die  Spaltungsproducte  darstellte. 

Der  Verseif ungsprocess  zerfällt  hiernach  in  zwei  Theile:  1)  in  die 
Darstellung  der  Base  und  2)  in  die  Verseifung  selbst. 

1)  Darstellung  der  Base.  Ausser  den  Alkalien,  alkalischen  Erden  und 
der  concentrirten  Schwefelsäure  vermögen  auch  Blei-,  Zink-,  Kupferoxyd  u.  s.  w. 
die  Spaltung  der  Fette  hervorzurufen.  Nicht  minder  kräftig  wirken  auch  die 
Schwefellebern,  die  man  in  der  jüngsten  Zeit  in  der  Technik  eingeführt  hat, 
bei  denen  sich  jedoch  der  Nachtheil  einer  sehr  starken  Schwefelwasserstoffent- 
wicklung ergibt. 

Die  wichtigste  Rolle  bei  der  Seifenfabrication  spielen  jedoch  die  ätzenden 
Alkalien;  ihre  Lösungen  nennt  man  Laugen  und  gehört  ihre  Darstellung  zu 
den  wichtigsten  Operationen  der  Seifensiederei. 

In  der  frühesten  Zeit  benutzte  man  dazu  die  Asche  des  Brennholzes,  bis  man  die 
Darstellung  der  Pottasche  und  Soda  aus  den  Pflanzenaschen  kennen  lernte:  aus 
diesen  kohlensauren  Alkalien  erhält  man  die  ätzenden  Laugen,  wenn  man 
erstem  gebrannten  Kalk  zusetzt.  Die  Kohlensäure  des  kohlensauren  Salzes  tritt 
an  den  Kalk  und  die  klare  Lösung  erhält  dann  das  freie  Alkali. 

Dieser  Process  wird  den  Seifensiedern  sehr  lästig,  insofern  er  eine  grosse  Menge 
grosser  Gefässe  und  einen  gewissen  Aufwand  von  Zeit  erfordert;  dazu  kommt  auch 
noch  die  Sorge  für  die  Wegschaffung  des  dabei  auftretenden  Calciumcarbonats, 
welches  stets  mit  Aetzkalk  und  geringen  Mengen  von  caustischen  Alkalien  ver- 
mischt ist. 

In  sanitärer  Beziehung  ist  namentlich  darauf  zu  sehen,  dass  diese  Massen 
nur  in  wasserdichten  oder  cementirten  Behältern  oder  Gruben  aufbewahrt  werden,  weil 
grade  der  Gehalt  derselben  an  caustischen  Alkalien  ihr  schnelles  Durchsickern  in  den 
Boden  bedingen  würde;  hierdurch  können  eventuell  nahe  gelegene  Brunnen  verunreinigt 
und  verdorben  werden,  wenn  ihnen  ausser  den  Alkalien  selbst  die  durch  diese  gelösten 
organischen  Substanzen   zugeführt  werden. 

Bei  der  Concession  von  Seifensiedereien  ist  deshalb  diesem  Umstände  stets 
eine  grosse  Aufmerksamkeit  zu  widmen.  Dieser  Abfall  kann  übrigens  ganz  gut  ver- 
werthet  werden,  weil  er  in  seinem  Alkaligehalt  ein  gutes  Düngungsmittel  bietet,  indem 
er  aufschliessend  auf  die  Mineralsubstanzen  des  Bodens  einwirkt:  selbstverständlich 
muss  er  vorher  mit  vegetabilischen  Stoffen  vermengt  werden  und  auf  Composthaufen 
gestanden  haben. 

In  neuerer  Zeit  werden  diese  caustischen  Alkalien  vielfach  in  der  Form  sehr 
concentrirter  Laugen  von  chemischen  Fabriken  geliefert,  wodurch  ihre  höchst 
lästige  Fabrication  für  die  Seifensieder  wegfällt. 

Zu  den  verschiedenen  Fettarten,  welche  in  der  Seifenfabrication  benutzt 
werden,  gehören  1)  die  thierischen  Fette;  das  Ochsenfett,  der  Rindstalg,  das 
Unschlitt  kommt  vorzüglich  aus  Russland,  Dänemark,  Polen,  Italien  und  Südamerika 
in  den  Handel.  Nur  die  geringem  Sorten  des  Talgs  werden  für  die  Seifenfabrication 
benutzt,  wohingegen  der  "geläuterte  und  gebleichte  Rindstalg  mehr  als  Kerzenmaterial 
Verwendung  findet.  Der  Hammeltalg  ist  weisser  und  härter  als  Rindstalg:  nur  die 
geringern  Sorten  desselben  gelangen  in  die  Seifenfabriken;  der  Hirschtaig  ist  die 
feinste  und  schönste  Sorte.  Das  Beinfett,  Beinschmalz  der  Knochensieder,  sowie 
das  Pferdefett  werden  häufig  von  Seifensiedern  benutzt,  während  das  Olein  aus  den 
Stearinsäurefabriken  zur  Darstellung  der  Schmierseife  gebräuchlich  ist.  Ist  dasselbe 
auf  dem  Wege  der  Destillation  gewonnen  worden,  so  enthält  es  stets  brenzliche  Producta 
und  Acrolein,  welche  sich  bei  der  Saponification  verflüchtigen  und  deshalb  beim  Kochen 
der  Schmierseife  zu  sehr  unangenehm  riechenden  Dämpfen  "Veranlassung  geben: 
hierdurch  ist  diese  ganze  Seifenfabrication  in  üblen  Ruf  resp.  Geruch  gekommen.  Der 
Fisch-  oder  Leberthran  theilt  in  ungereinigtem  Zustande  der  Schmierseife  einen 
unangenehmen  Geruch  mit,  während  er  gereinigt  zu  theuer  ist.  Der  "W  allrath  dient 
vorzugsweise  als  gutes  Kerzenmaterial. r) 

2)  Pflanzenöle  und  Pflanzenfette.  Zu  denselben  gehören  das  Oliven-  und 
Mandelöl,  das  Madiaöl,  das  Rüböl,  Hanföl,  Leinöl,  das  Oel  aus  den  Kernen  der  Sonnen- 
blumen, das  Erdnussöl  und  das  Palmkemöl. 

Eulenberg,  Gewerbe-Hygiene.  "■* 


406  Fette 

Das  Palmöl,  eine  butterartige,  orangegelbe  Masse  von  veilchenartigem  Gerüche, 
ist  ein  sehr  bedeutender  Handelsartikel  und  wird  in  rohem  Zustande  bei  der  Schmier- 
seifenfabrication,  als  gebleichtes  zur  Palmitinkerzenfabrication  verwendet. 

Das  Cocosnussöl  kommt  nur  bei  der  Darstellung  der  harten  Seifen  zur  An- 
wendung; sein  fester  Bestandtheil  heisst  Cocin. 

2)  Die  Verseifung.  Der  Verseifangsprocess  gestaltet  sich,  wenn  Aetz- 
alkalien  zu  Fetten  treten,  nach  folgendem  Schema: 

■17  ,,       I  Stearinsaures!  rM        •  .  v  ,  •      ■     i    > 

]<ett^=      ,-.  i  Glycerin   und  JNatniunhydrat: 

l  üelsaures       J      J  J 

n355ffiJ8535n3]3!  +3NaHO  geben 
C3H5(CI8H3308),J  ö 

Stearinsaures  |    XT  .   •  ,   ,-,,     ,    • 

n  ,  JNatiium  und  Glycerin: 

üelsaures         J  J 

3C18H3503Nal    ,.o  H  (0Tn 

Das  Glycerin  findet  sich  stets  in  der  Unter  lauge. 

Obgleich  die  Verseifbarkeit  ein  Hauptcharakter  der  fetten  Substanzen  ist, 
so  tritt  die  Zersetzung  doch  bei  einigen  Fetten  leichter  als  bei  andern  ein. 
Palmöl  und  Cocosnussöl  enthalten  die  fetten  Säuren  theilweise  schon  im 
freien  Zustande,  weshalb  sie  sich  am  leichtesten  verseifen  lassen;  beim  Talg 
und  Olivenöl  muss  die  Zersetzung  erst  durch  die  Lauge  hervorgerufen  werden. 
Noch  schwieriger  verseifen  sich  Rüb-,  Lein-  und  Hanföl  und  am  allerschwie- 
rigsten  die  Fette  der  Amphibien. 

Die  Oelsäure,  welche  als  Nebenproduct  bei  der  Steariusäurefabrication 
auftritt  und  dort  genauer  besprochen  werden  wird,  kann  sich  schon  mit  kohlen- 
sauren Alkalien  verseifen;  ebenso  verhält  es  sich  mit  dem  Colophonium, 
welches  vorzugsweise  aus  einer  Harzsäure,  der  Pininsäure,  besteht  und  zur 
Darstellung  der  Harzseife  dient.  Da  aber  bei  dieseu  beiden  Körpern  das  Auf- 
treten von  Glycerin  fehlt,  so  kann  auch  hier  im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes 
von  keinem  Verseifangsprocess  die  Rede  sein. 

Unterscheidung  der  Seifen.  Man  unterscheidet  1)  die  Seife  nach  der  an- 
gewendeten Base  in  Natron-,  Kali-  und  Kalkseife;  2)  nach  der  Art  des  gebrauchten 
fettes  in  Talg-,  Oel-,  Thran-,  Cocosnussölseifen  u.  s  w.;  3)  nach  ihrer  Con- 
sistenz  in  harte  und  weiche  Seifen;  4)  nach  ihrer  technischen  Darstellung  in  Kern- 
seife, geschliffene  und  gefüllte  Seife. 

Oel-  und  Kaliseifen  sind  stets  weicher  als  Natron-  und  Talgseifen.  Zu  den  Oel- 
seifen  gehören  die  spanische,  französische,  alicantische  und  venetianische  Seife.  Die 
härteste  Seile  ist  die  Natrontalgseife. 

Alle  Kaliseifen  sind  weicher  und  die  Oelkaliseife  ist  am  weichsten.  Die  aus 
Pottasche  resp.  aus  Kali  gesottenen  Seifen  nennt  man  vorzugsweise  Schmier-  oder 
Gelcesei  l'en. 

In  Gegenden,  wo  Natron  theuer  ist  oder  nicht  gut  beschafft  werden  kann, 
bereitet  man  "zuerst  eine  Kaliseife  durch  Kochen  der  Fettsubstanzen  mit  Aetzkalilauge. 
Dieselbe  würde  beim  Erkalten  eine  gallertartige  Masse  bilden,  setzt  man  aber  zur 
heissen  Seifenlösung  Kochsalz  zu,  was  man  das  Aussalzen  der  Seife  nennt,  so 
findet  ein  einfaches  Umsetzen  statt,  indem  die  frühere  Kaliseife  in  Natronseife  übergeht 
und  sich  an  Stelle  des   Kochsalzes  Chlorkalium  bildet: 

Fettsaures  Kalium  und  NaCl  geben  fettsaures  Natrium  und  KCl. 

Wird  keine  hinreichende  Menge  Kochsalz  zugesetzt,  so  erhalt  man  Gemische  von 
Kali-  und  Natronseife.  Die  Lauge,  welche  unter  der  gebildeten  Seife  steht,  ist  die 
Unterlauge,  die  ausser  dem  Chlorkalium  und  dem  Glycerin  noch  etwas 
Chlornatrium,  Aetzkali,  Aetznatron  und  Seife  enthält. 

Dampft  man  diese  Unterlauge  in  eisernen  Pfannen  ab,  so  erhält  man  ein 
Residuum,  welches  in  frühern  Zeiten  als  Seifensiederfluss  eine  grosse  Rolle  spielte, 
da  derselbe  bei  der  Glasfabrication,  bei  der  Darstellung  von  Glasuren,  zum  Präcipitiren 
des  Alaunmehls  in  Alaunsiedereien  und  zum  Waschen  grober  Tuche  vielfach  benutzt 
wurde.     Auch    zur    Düngung    saurer    Wiesen    hat    man    den    Seifensiederfluss    grade 


Seifenindustrie.  4ß7 

■wegen  seines  Gehalts  an  Chloralkalien  benutzt;  es  soll  hierdurch  eine  üppige  und  kräf- 
tige Vegetation  der  Wiesenpflanzen  hervorgerufen  werden,  -wenn  man  dabei  mit  Sach- 
kenntniss  verfahrt.  Seitdem  man  in  unsern  Tagen  namentlich  in  Deutschland,  England 
und  Frankreich  vorzugsweise  mit  Natron  arbeitet,  begegnet  man  auch  dieser  chlor- 
kaliumhaltigen  Unterlauge,  mithin  auch  dem  Seifeusiederfluss,  bei  weitem  nicht  so 
häutig  mehr. 

Wo  das  Abdampfen  der  Unterlauge  noch  geschieht,  hat  man  in  sanitärer 
Beziehung  darauf  zu  achten,  dass  dasselbe  in  Kesseln  mit  doppeltem  Boden  oder 
mittels  Dampfheizung  geschehen  muss.  Erfolgt  nämlich  in  Folge  einer  zu  hohen  Hitze 
ein  Anbrennen  des  Glycerins,  so  entwickeln  sich  massenhafte  A  er  ole  in  dämpfe,  welche 
zu  den  grössten  Belästigungen  führen.  Glücklicherweise  spielt  hier  das  Interesse  des 
Fabrikanten  mit,  weil  es  ihm  auf  die  Gewinnung  von  Glycerin  ankommt;  zu  diesem 
Zwecke  darf  die  Hitze  stets  nur  eine  Temperatur  von  106°  R.  erreichen. 

Das  Abdampfen  auf  freiem  Feuer  ist  deshalb  nicht  bloss  aus  sanitätspolizeilichem, 
sondern  auch  aus  peeuniärem  Interesse  unzulässig.  Wo  diese  beiden  Interessen  sich 
begegnen,  da  findet  man  auch  bekanntlich  am  ehesten  eine  Willfährigkeit  der  Fabricanten 
in  Anordnung  der  zweckmässigsten  Massregeln. 

In  Frankreich  ist  die  Fabrication  der  Oelseifen,  in  England  die  der  Palmöl- 
seifen und  in  Deutschland  sowie  im  nordöstlichen  Theil  von  Europa  die  der  Talg- 
seifen vorherrschend. 

Fabrication  der  harten  Seifen. 

Man  unterscheidet  bei  der  Darstellung  der  harten  Seifen  im  Allgemeinen 
folgende  Operationen  : 

1)  Die  eigentliche  Saponification;  hierunter  versteht  man  das  Kochen 

und  Garkochen    der  Seife.     Da  die  Zerlegung  eines  Fettes  durch  Alkalien  erst 

allmählig  geschieht,  so  hat  sie  gleichsam  mehrere  Stadien  zu  durchlaufen. 

Der  Seifensiedekessel  besteht  in  seinem  untern  Theile  aus  einem  runden,  eisen- 
blechernen Kessel  mit  flachem  Boden,  welcher  direct  durch  das  Feuer  erhitzt  wird.  Um 
aber  das  Ueberkochen  der  Seife  zu  vermeiden,  erweitert  er  sich  nach  oben  kegelförmig; 
dieser  Theil  heisst  Sturz  und  ist  von  Holzdauben  oder  Mauerwerk  umgeben.  Am 
Boden  verläuft  durch  das  Mauerwerk  ein  Rohr  mit  Hahn  zum  Ablassen  der  Unterlauge, 
wenn  es  sich  um  Darstellung  der  Talgnatronseife  resp.  Kernseife  handelt.  Man 
füllt  den  Kessel  mit  der  Lauge  und  dem  Talg  und  kocht  mehrere  Stunden  lang;  das 
Product  wird  ziemlich  dünnflüssig  und  durch  ausgeschiedene  wasserfreie  Seife  trübe. 
Um  zu  unterscheiden,  ob  die  Trübung  durch  unverseiftes  Fett  oder  Oel  oder  durch 
ausgeschiedene  wasserfreie  Seife  veranlasst  wird,  nimmt  man  die  Probe,  indem  man 
einige  Tropfen  davon  in  Regen-  oder  destillirtes  Wasser  fallen  lässt;  bei  Abwesenheit 
von  unverbundenem  Fett  muss  sich  das  Product  klar  lösen.  Ist  letzteres  nicht  der 
Fall,  so  muss  noch  Lauge  zugefügt  werden. 

2)  Das  Klar  sieden.    Indem  man  fortwährend  umrührt,  wird  das  Product 

dickflüssig   und  wasserhell,    wovon    der  Ausdruck:   Klarsieden    herrührt;    die 

gebildete  Seife  heisst  jetzt  Seifenleim. 

Derselbe  zieht  lange  Fäden  und  erstarrt  in  der  Kälte  zu  einer  undurchsichtigen 
Masse,  welche  keine  Lauge  abscheidet.  Nach  dem  Klarsieden  wird  die  Seife  entweder 
auf  den  Kern  gesotten,  geschliffen  oder  gefüllt. 

3)  Das  Sieden  auf  den  Kern.  Wird  der  Seifenleim  iu's  Sieden  gebracht, 
so  schäumt  er  unter  Wasserabgabe  stark  auf.  Bei  einer  gewissen  Concentration 
der  Lauge  aber  entweicht  der  Dampf  mit  Heftigkeit  oder  das  Seifengut  poltert 
auf.  Letzteres  wird  trübe,  weil  die  Lauge  so  concentrirt  geworden  ist,  dass  sie 
die  Seife  nicht  zu  lösen  vermag;  es  ist  alsdann  Zeit,  Probe  zu  nehmen,  wenn 
man  Kernseife  haben  will.  Wenn  sich  die  Seife  nämlich  zu  einem  festen  Span 
ausdehnen  lässt,  dann  ist  die  Operation  beendigt  und  man  beginnt  mit  dem 
Ausfüllen  in  die  Kühlbutten,  welche  aus  Bohlen  zusammengesetzte  und  durch 
Keile  zusammengehaltene  Kasten  darstellen.     Wenn  die  Seife  hart  geworden  ist, 

entfernt  man  die  Seitenwände. 

Die  Seife  erstarrt  gewöhnlich  unter  Abgabe  einer  dunkelbraunen,  sämmtliches 
Glycerin  enthaltenden  TJnterlauge.  Die  Seife  erhält  ein  krystallinisches  Gefüge;  es 
bilden  sich  gleichsam  kleine  krystallinische  Kerne  oder  Körner  darin,  woher  der  Name 

30* 


468  Fette. 

Kern-  oder  Kernseife  herrührt.  Bei  diesem  Sieden  auf  den  Kern  findet  leicht  ein 
Anbrennen  statt,  weshalb  man  gegenwärtig  den  Seifenleim  meist  nicht  mehr  abdampft, 
sondern  durch  Zusatz  von  Meisterlauge  (der  stärksten  Lauge  von  11°  B.)  die  Ab- 
scheidung der  Seife  befördert.  Dies  geschieht  besonders  in  Frankreich  bei  der  Darstellung 
der  Baumöl-  oder  Marseiller  Natronseife.  Man  gebraucht  dort  vielfach  eine  stark 
salzhaltige  Lange:  weil  die  Steuer  auf  Kochsalz  noch  ziemlich  hoch  ist,  bezieht  man 
dieselbe  uns  den  Sodafabriken,  für  welche  der  Salzpreis  ermässigt  worden  ist. 

I>;is  Aussalzen  mit  Kochsalz,  wodurch  ebenfalls  eine  Verstärkung  der  Lauge 
und  d;is  raschere  Abscheiden  der  Seife  erzielt  wird,  kann  selten  entbehrt  werden,  weil 
sonst,  die  Seife  missfarbig  wird,  wenn  die  Unterlauge  zu  stark  gefärbt  ist  und  zu  lange 
mit  dem   Seifengute  in  Berührung  bleibt.*) 

Die  abfallende  Lauge  kann  man  zur  Darstellung  von  Glycerin  benutzen,  das  in 
diesem  Falle  fast  alle  färbenden  Bestandtheile  enthält. 

4)  Das  Schleifen  der  Seife.  Das  Kochsalz  besitzt  die  merkwürdige 
Eigenschaft,  die  neutrale  Seife  in  fast  trocknem  Zustande  auszuscheiden;  man 
setzt  dasselbe  daher  zu,  um  nicht  zu  viel  Brennmaterial  behufs  Abdampfung  des 
überflüssigen  Wassers  zu  verschwenden.  Wendet  mau  nun  eine  verdünnte  Salz- 
lösung beim  Sieden  auf  den  Kern  an,  so  bleibt  mehr  Wasser  in  der  Seife  zurück 
und  man  erhält  die  „geschliffene  Seife".  Sie  unterscheidet  sich  somit  von 
der  Kernseife  nur  durch  einen  grössern  Wassergehalt. 

Die  Seife  verliert  aber  dadurch  die  Fähigkeit  zu  krystallisiren  und  eine  Mar- 
morirüng  anzunehmen;  Die  reinsten  Aetzalkalien  enthalten  nämlich  stets  noch  Eisen- 
und  Kupferoxyd,  welche  die  Seife  durch  alle  Stadien  der  Fabrication  begleiten  und  sich 
erst  in  der  Kühlbutte  abscheiden,  wodurch  sie  die  sogen.  Marm  orir  ungen  veran- 
lassen. Bei  einer  wasserhaltigen  Seife  erfolgt  alier  ihre  Erstarrung  viel  langsamer, 
so  dass  die  metallischen  Unreinigkeiten  Zeit  zum  Absetzen  gewinnen.  Bei  der  ächten 
Kernseife  begünstigt  man  die  Marmorirung,  indem  man  die  Masse  vor  dem  Erkalten 
mit  einem  eisernen  Stabe  schlägt,  was  man  das  Kerben  der  Seife  nennt. 

Durch  den  häufigen  Gehalt  der  käuflichen  Soda  an  Schwefeleisen  bilden  sich  bei 
der  Seife  anfangs  meistens  graugrüne  Marmorirungen,  welche  erst  allmählig  in  roth- 
braune  übergehen.  Künstlich  marmorirt  man  nicht  selten  die  geschliffenen  Seifen 
mittels  Zinnober  und  Ultramarin. 

In  Frankreich  setzt  man  auch  häufig  während  des  Siedens  der  Baumölseife 
etwas  Eisenvitriol  zu,  um  besonders  schöne  Marmorirungen  hervorzurufen;  ebenso  un- 
schädlich ist  das  Marmoriren  mit  Colcotar,  Schwärze  und  Mangansuperoxyd.  Leider 
benutzt  man  «aber  zum  Färben  der  harten  Seifen  nicht  selten  Bleichromat,  was  in 
sanitärer  Beziehung  wohl  zu  beachten  ist.  Früher  gebrauchte  man  auch  Schwein- 
furt er  Grün  zum  Grünfärben;  die  grüne  Farbe  geht  aber  leicht  in  eine  gelbliche  über, 
daher  kommt  dieses  Färbemittel  gegenwärtig  glücklicherweise  weniger  zur  Anwendung. 

In  neuester  Zeit  gebraucht  man  zum  Rothfärben  Anilinfarben,  wobei  man  auf 
die  Möglichkeit  des  Arsengehaltes  derselben  Rücksicht  zu  nehmen  hat.  Zum  Gelbfärben 
der  Seifen  is1  das  sogenannte  Martiusgelb  unter  den  verschiedensten  Namen  ein 
Handelsartikel  geworden;  dasselbe  kann  ohne  Nachtheil  benutzt  werden,  da  es  in 
keiner  Beziehung  giftige  Eigenschaften  besitzt. 

Immerhin  isl  hei  dem  heutigen  Standpuncte  der  Industrie  auch  dem  Färben  der 
Seife  stets  die.  gehörige  Aufmerksamkeit  zu  widmen. 

5)  Das  Füllen  der  Seife.  Man  hat  die  Erfahrung  gemacht,  dass  man 
dem  mit  Natronlauge  bereiteten  Scifenleim  noch  s?ets  eine  gewisse  Menge  Wasser 
resp.  verdünnte  Lauge  zusetzen  kann,  ohne  dem  Aussehen  der  Seife  dadurch 
wesentlich  zu  schaden.  Bei  der  bekannten  Sucht,  nur  wohlfeil  zu  kaufen,  be- 
nutzen die  Seifenfabricanten  diese  Thatsache  und  fabriciren  sehr  häufig  nur 
„gefüllte  Seifen",  d.  b.  solche  Seifen,  welche  nicht  so  weit  ausgesalzen 
werden,  dass  sich  die  Unterlauge  vom  Seifenleim  abscheidet;  man  setzt  deshalb 
beim  Sieden  so  lange  verdünnte  Lauge  oder  kalkfreies  Wasser  hinzu,  dass  sich 
beim  Erkalten  keine  Lauge  ausscheidet.  " 


*)  Diese  Procedur  des  Aussalzens   unterscheidet  sich  vom  Aussalzen   der  Kali- 
seife dadurch,  dass  hier  kein  Austausch  von  Kali  gegen  Natron  stattfindet. 


Seifenindustrie.  469 

Da  die  Unterlauge  wesentlich  aus  Wasser  resp.  verdünnter  Lauge  und  Chlor- 
alkalien besteht,  so  charakterisiren  sich  gefüllte  Seifen  durch  ihren  vermehrten 
Wassergehalt. 

In  -wärmern  Gegenden  führt  dieser  Umstand  keinen  weitern  Nachtheil  mit  sich, 
als  dass  eine  geringere  Quantität  Fett  zur  Darstellung  dieser  Seifen  verwendet  worden 
ist.  Im  frischen  Zustande  erscheinen  sie  vollkommen  hart  und  trocken,  in  kältern 
Gegenden  gefriert  aber  das  Wasser,  welches  solche  Seifen  enthalten,  leicht  zu  Eis- 
klümpchen;  thauen  diese  auf,  so  zeigen  die  Seifen  auf  den  Durchschnittsflächen  grosse 
Löcher,  grade  wie  man  sie  bei  durchgeschnittenem  Schweizerkäse  beobachtet.  Ganz 
besonders  wird  Cocosnussöl  zur  Fabrication  der  gefüllten  Seifen  benutzt,  da  die 
Cocosnussölseife  auch  bei  einem  bedeutenden  Wassergehalt  noch  ziemlich  hart  und 
trocken  bleibt.  In  den  meisten  Fällen  gebraucht  man  Cocosnussöl  als  Zusatz  zu  Palmöl 
und  Talg,  um  es  damit  zu  verseifen. 

Palmölseifen.  In  England  ist  die  Verseifung  des  Palmöls  nicht  selten  ein  Neben- 
zweig der  Sodafabriken,  um  die  Mutterlaugen,  welche  reich  an  Aetznatron  und  Kochsalz 
sind,  zu  verwerthen.  Nicht  selten  wird  dem  Palmöl  Harz  (Colophonium)  zugesetzt  oder 
man  vermischt  fertige  Harzseife  mit  der  Palmölseife. 

Darstellung  der  harten  Seifen  auf  kaltem  Wege.  Diese  Methode  kommt 
gegenwärtig  nicht  selten  zur  Anwendung.  Sapo  medicatus  wird  stets  aus  reinem 
Mandel-  oder  Olivenöl  mit  starker  Aetznatronlauge  entweder  in  der  Kälte  durch  Zu- 
sammenrühren oder  bei  massiger  Wärme  bereitet. 

Bei  der  Benutzung  von  Fetten  erwärmt  man  durch  Einleiten  von  Dampf  bis  zu 
80°  C,  um  dieselben  bloss  zum  Schmelzen  zu  bringen.  Die  auf  diese  Weise  bereiteten 
Seifen  enthalten  zwar  viel  Wasser  und  einen  Ueberschuss  von  ätzenden  Alkalien,  sind 
aber  hinreichend  trocken  und  hart.     Die  Darstellung  hat  keine  sanitären  Bedenken. 

Seifenessenzen  sind  alkoholische  Seifenlösungen  mit  wohlriechenden  Oelen; 
Opodeldoc  ist  eine  kampherhaltige  Seifenessenz. 

Fabrication  der  weichen  Seifen  oder  Schmierseifen,  Savons  mous. 

Unter  Schmierseife  versteht  man  eine  Kaliölseife,  wobei  Oel  und  Pott- 
aschenlauge zu  einem  Seifenleim  gesotten  wird,  welcher  nach  dem  Erkalten 
keine  feste,  sondern  eine  weiche  Masse  bildet;  sie  stellen  eigentlich  nur  Lösungen 
von  Kaliölseifen  iu  überschüssiger,  mit  dem  ausgeschiedenen  Glycerin  gemischter 
Kalilauge  dar.  Wegen  ihrer  leichtern  Vertheilung  auf  die  Stoffe,  ihrer  alkalischen 
Beschaffenheit  und  leichten  Löslichkeit  wird  sie  in  der  Technik  vorzugsweise  zum 
Walken,  Entfetten  des  Tuchs  und  bei  den  meisten  wollenen  Stoffen  benutzt.  Da 
bei  ihrer  Fabrication  nach  dem  Klarsieden  sogleich  das  Garkochen  folgt, 
welches  in  einer  Art  von  Abdampfung  besteht,  so  kann  es  vorkommen,  dass  sich 
bei  der  Anwendung  von  schwachgradiger  Pottasche  sehr  übelriechende  und  be- 
lästigende Dämpfe  entwickeln.  Bei  dieser  Operation  werden  nämlich  die  schwer 
löslichen  Salze  der  Pottasche,  z.  B.  Kaliumsulfat,  Chlorkalium,  Kalium-  und 
Natriumphosphat  ausgeschieden;  lagern  sich  nun  die  Salze  am  Boden  des  Kessels 
an,  so  veranlassen  sie  hier  ein  Anbrennen  der  sich  verdickenden  Seife,  der 
Seifensieder  sagt  dann:  „der  Kessel  schmaucht".  Die  sich  dabei  entwickelnden 
Dämpfe  haben  einen  höchst  penetranten  Geruch  und  bestehen. vornehmlich  aus  dem 
Zersetzungsproduct  des  Glycerins,  aus  Acr olein. 

Wird  die  Schmierseife  aus  Thran  bereitet,  so  entwickelt  sich  schon  beim  blossen 
Kochen  Trimethylamin.  Beim  Rüböl  entstehen  schwefelhaltige  Kohlenwasserstoffe 
und  beim  Leinöl  bildet  sich  ausser  diesen  schwefelhaltigen  Verbindungen  noch  ein  be- 
stimmter Kohlenwasserstoff,  welcher  zwar  einen  unangenehmen,  aber  nicht  pene- 
tranten Geruch  hat,  dessen  Natur  noch  nicht  genau  bekannt  ist.  Nach  Atzbaecher  ist 
er  ein  neutraler  Kohlenwasserstoff,  welcher  sich  höchst  schwierig  oxydirt;  keinesfalls 
ist  der  Geruch  so  widerlich  wie  beim  Versieden  von  Thran,  Talg,  Beinschmalz  und 
Leimfett. 

Gar  keine  Belästigung  macht  das  Palmöl  oder  das  Olein  desselben,  wenn  es 
nicht  durch  Destillation  gewonnen  worden  ist. 

Wegen  der  hohen  Fettpreise  hat  man  in  der  neuesten  Zeit  alle  möglichen 
Surrogate    benutzt.     Zu    diesen    gehören    reines  Weizen-    oder  Kartoffel  -  Stärkemehl 


470 


Fette. 


oder  oradezu  Roggen-,  Buchweizen-,  Weizenmehl  und  fein  geriebene  Kartoffeln.  Diese 
Substanzen  werden  vorher  mit  Lauge  behandelt,  wodurch  eine  klare,  seifenleimartige 
Substanz  erzielt  wird:  ausserdem  setzt  man  statt  der  gewöhnlichen  Lauge  noch  Wasser- 
glas oder  Infusorienerde  zu. 

Dr.  Vohl  hat  unter  38  Schmierseifenproben  nur  7  reine  und  unverfälschte  ge- 
funden. Bei  der  schlechten  Waare  hat  er  13,162  Wasserglas,  2,6%  Kartoffelmehl,  55,3% 
Kartoffelmeld  und  Wasserglas,  10,5  %  Kartoffelmehl,  Wasserglas  und  Infusorienerde  nach- 
gewiesen. 

Der  Fettgehalt  dieser  Schmierseifen  sinkt  auf  20—30%  Fett  herab,  während  eine 
gute  Seife  wenigstens  40%  Fett  besitzen  muss.  Wird  eine  mit  Wasserglas  verfälschte 
Schmierseife  benutzt,  so  tritt  die  Kieselerde  in  fester  Form  aas,  welche  beim  Reiben  der 
Wäsche  mechanisch  einwirkt  und  die  Faser  des  Gespinnstes  in  bedeutendem  Grade  an- 
greift: dieselben  Folgen  entstehen  bei  dem  Zusatz  der  Infusorienerde.'-') 

Der  Stärkemehlzusatz  erfordert  eine  Vermehrung  der  caustischen  Lauge,  welche 
in  freiem  ätzenden  Zustande  bleibt  und  daher  beim  Waschen  nicht  nur  namentlich  die 
Woll-  und  Seidenstoffe,  sondern  auch  die  Farben  der  Kleider  angreift. 

Zusatz  von  Harz  ist  wohl  minder  als  Betrug  anzusehen,  da  dasselbe  stark 
reinigende  und  gut  schäumende  Seifen  liefert:  auch  verdeckt  es  den  Geruch  mancher 
fetten  Oele,  namentlich  des  Thrans. 

Sanitäre  Massregeln.  Seifenfabriken  belästigen  am  meisten,  wenn  der 
Fabrication  der  Seife  das  Talgschmelzen  vorhergeht.  In  dieser  Beziehung  sind 
alle  Vorsichtsmassregeln  zu  beachten,  welche  bei  der  Talgindustrie  überhaupt 
zur  Sprache  kommen;  in  den  meisten  Seifensiedereien  werden  nur  die  präparirten 
Fette  gebraucht.  Immerhin  ist  eine  Seifensiederei  keine  angenehme  Nachbar- 
schaft, weshalb  sie  in  sehr  volkreichen  Stadtvierteln  nicht  zu  dulden  ist.  Thran- 
und  Seifensiedereien  gehören  nach  §  16  der  Gewerbe-Ordnung  für  das  Deutsche 
Reich  zu  denjenigen  Anlagen,  welche  die  Genehmigung  der  nach  den  Landes- 
gesetzen zuständigeu  Behörde  bedürfen.  Vor  Errichtung  derselben  ist  deshalb 
das  Concessionsverfahren   einzuleiten,    was    als    dringend    noth wendig    erscheint, 

um  vorher  das  Verfahren  bei  der 
9'  Fabrication    kennen    zu   lernen,    da 

sich  nur  dann  die  grössern 
oder  geringern  Belästigungen 
dieser  Fabriken  beurtheilen 
lassen.  Was  bezüglich  der  Be- 
reitung der  Laugen  zu  beachten  ist, 
ist  schon  oben  (S.  465)  erörtert  wor- 
den. Das  einzige  Mittel,  die  bei  der 
Seifenfabricatiou  üblen  Gerüche  zu 
vermeiden,  besteht  in  der  Ver- 
brennung der  sich  entwickelnden 
Dämpfe. 

Will  man  dieselben  direct  unter 
den  Rost  der  Feuerung  leiten,  so  muss 
man  stets  die  Vorsicht  gebrauchen,  dass 
die  zuleitenden  Röhren  nicht  unter  den 
Siedepunct  des  Wassers  abgekühlt  wer- 
den, weil  sich  sonst  die  Wasserdämpfe 
condensiren  und  zu  reichliche  Wasser- 
ausscheidung veranlassen  würden.  Die 
betreffenden  Röhren  müssen  deshalb 
durch  das  Mauerwerk  des  Ofens  ge- 
leitet werden,  damit  sie  die  nothwendige 

Temperatur  behalten.     Bei  sehr    grosser   Anlage  ist  die  Construction  eines  besondevn 

Desinfectionsofens  nöthig. 


Stearinfäbrication.  47 1 

Fig.  50  stellt  eine  Einrichtung  zum  Verbrennen  der  Dämpfe  dar ,  welche 
sich  beim  Sieden  von  Schmierseife  als  ganz  vortrefflich  bewährt  hat  und  auch  bei  der 
Fabrication  der  harten  Seifen  unter  den  gehörigen  Modalitäten  benutzt | werden  kann. 
a  stellt  einen  Canal  von  5  Zoll  lichter  Weite  dar,  welcher  im  untern  Gemäuer  des 
Kamins  angebracht  ist,  oben  bei  e  mit  dem  hölzernen  Dampffang  ^1  in  Verbindung 
steht  und  nach  unten  unter  den  Rost  in  den  Raum  d  mündet.  Dieser  Raum  muss 
mit  einer  eisernen  Thür  hermetisch  verschlossen  bleiben.  Wegen  dieses  hermetischen 
Verschlusses  muss  alle  zur  Verbrennung  nothwendige  atmosphärische  Luft  durch  den 
Canal  a  zufliessen  und  aus  dem  obern  Theile  des  Dampffanges  entnommen  werden.  Es 
muss  sich  demnach  ein  kräftiger  Luftzug  über  dem  Siedekessel  nach  dem  Canal  a  hin 
etabliren,  welcher  alle  Dämpfe  mit  sich  unter  den  Rost  führt;  durch  die  Verbrennung 
derselben  wird  jeder  üble  Geruch  zerstört. 

Besondere  Arten  von  Seifen. 

Toiletteseifen.  Man  gebraucht  dazu  gute  Baumölsodaseifen,  welche  die  Par- 
fümeurs häufig  selbst  sorgfältig  aussalzen,  um  jeden  Gehalt  an  freiem  Alkali  oder  andern 
Unreinigkeiten  zu  beseitigen.  Das  Parfüm  liefert  man  durch  Zumischen  der  betreffenden 
ätherischen  Oele;  seltner  stellt  man  sie  direct  durch  Benutzung  der  reinsten  und 
besten  Materialien  dar. 

Die  gestossenen  und  polirten  Seifen  werden  auf  mechanischem  Wege  an- 
gefertigt, indem  man  die  Seifen  mittels  besonderer  Maschinen  in  Späne  verwandelt,  diese 
mit  den  ätherischen  Oelen  übergiesst  und  dann  die  ganze  Masse  zwischen  Walzen  zu 
breiten  Tafeln  malaxirt. 

Transparentseifen  erhält  man,  wenn  man  eine  reine  Talgseife  fein  schabt, 
sorgfältig  trocknet  und  dann  in  kochendem,  starkem  Spiritus  auflöst,  welcher  wieder  ab- 
destillirt  wird. 

Medicinische  Seifen.  Es  werden  in  dieser  Beziehung  viele  kostspielige 
Spielereien  getrieben.  Es  gehören  hierher  die  Theer-,  die  Jod-,  die  Campher- 
seifen u.  s.w.;  die  Kiesel-  und  Bimsteinseifen  erzeugen  einen  mechanischen  Haut- 
reiz. Zu  erwähnen  sind  noch  die  Glycerinseife,  die  Wollseife  (aus  Scheerwolle 
und  Kalilauge  u.  s.  w.),  die  Fischseife  (aus  Fischen,  Talg  und  Harz),  die  Knochen- 
seife (Harzseife  mit  Knochen gallerte  oder  Calciumphosphat  mit  Leim  und  Alkali). 

Unlösliche  Seifen.  Sie  bilden  sich  mit  Hülfe  der  meisten  Metalloxyde  und 
stellen  alsdann  die  nach  dem  betreffenden  Metalloxyde  genannten  Pflaster  dar;  so 
hat  man  Mangan-,  Zink-,  Zinn-,  Blei-,  Quecksilber-  und  Kupferseifen  resp.  -Pflaster. 

Die  Gold  seife  kann  bei  der  Glanzvergoldung  auf  Porcellan  und.  die  Silber- 
seife als  haarfärbendes  Mittel  gebraucht  werden. 

Stearinfäbrication. 

Gewöhnlich  geschieht  die  Ausscheidung  von  Stearin  durch  Auspressen 
des  Talges.  Zu  diesem  Zwecke  wird  der  Talg  im  Dampfbade  ausgeschmolzen, 
dann  abgekühlt  und  im  Erstarrungsmoment  beständig  umgerührt,  bis  die  Masse 
die  Temperatur  von  30°  R.  erreicht  hat,  welche  hierauf  zollhoch  in  einer  Presse 
zwischen  Tüchern  oder  Filzen  schichtweise  ausgebreitet  und  einem  allmählig 
steigenden  Drucke  ausgesetzt  wird. 

Das  Stearin  bleibt  zwischen  den  Tüchern  zurück  und  wird  zusammengeschmolzen; 
das  theils  abgeflossene,  theils  durch  Auskochen  der  Tücher  in  heissem  Wasser  gewonnene 
Olein  beträgt  ungefähr  20—25%  des  angewendeten  Talgs  und  kann  für  Seife  und  als 
Brenn  öl  benutzt  werden. 

Eine  andere  Methode  besteht  noch  darin,  den  schmelzenden  Talg  mit  Terpen- 
tinöl zu  versetzen,  wodurch  aber  das  Stearin  durch  das  zurückbleibende  und  sich  ver- 
harzende Terpentinöl  gelb  wird  und  nachher  noch  durch  Kochen  mit  Beinkohle  und 
Filtriren  gereinigt  werden  muss. 

Stearin  wurde  zuerst  von  de  St  Uly,  dem  König  der  Stearinfabricanten ,  1831  zu 
Paris  an  der  Barriere  de  PEtoile  als  Kerzenmaterial  verwendet,  weshalb  man  seine 
Kerzen  bougies  de  l'Etoile  oder  auch  Milly's  Kerzen  nannte. 

Neuerdings  wird  jedoch  hauptsächlich  die  Stearinsäure  dazu  benutzt,  weil  ihr 
Schmelzpunct  höher  liegt  und  beinahe  dem  des  Wachses_  gleich  ist;  auch  ist  die 
hierbei  gewonnene  Oleinsäure  besser  zu  verwerthen,  weil  sie  schon  kalt  verseift 
werden  kann. 

Hinsichtlich  der  Leuchtkraft  stehen  die  Stearinlichter  ebenfalls  den  Stearm- 
säurelichtern    nach,    weil   bei   erstem   das   Kerzenmaterial   seinen  ganzen    Gehalt   an 


472  Ffttte- 

Glycerin,  welches  ebenfalls  zur  Verbrennung  kommt,  noch  enthält.  Da  dasselbe  bei 
seiner  Zersetzung  im  Dochte  eine  gewisse  Menge  blasiger  Kohlentheilchen  ausscheidet, 
so  wird  das  Aufsaugungsvermögen  des  Dochtes  und  dadurch  die  Leuchtkraft  beein- 
trächtigt. Auf  der  andern  Seite  bietet  der  hohe  Hydratwassergehalt  des  Glycerins  eine 
bedeutende  Absorptionsquelle  für  die  während  des  Brennens  erzeugte  Wärme;  es 
muss  demnach  der  in  der  Flamme  ausgeschiedene  Kohlenstoff  einen  minder  hohen 
Hitzegrad  erreichen  und  deshalb  die  Flamme  minder  leuchtend  werden. 

Auf  dieselbe  Weise  wie  der  Rindertalg  auf  Stearin  und  Stearinsäure  bearbeitet 
wird,  werden  auch  das  Palmöl,  das  Cocosnussöl  und  das  Schweineschmalz  zur 
Darstellung  von  Beleuehtungsmaterialien  benutzt. 

Stearinsäurefabrication. 

Da  die  blosse  mechanische  Scheidung  des  Stearins  vom  Olein  bezüglich  der 
Stearinfabrication  ein  ungenügendes  Resultat  lieferte,  so  ging  man  dazu 
über,  nur  Stearinsäure  im  Grossen  darzustellen,  indem  man  zuerst  durch  eine 
Saponification  die  Spaltung  der  Fette,  d.  h.  die  Trennung  der  Fettsäuren 
von  den  Fettalkoholen  bewirkte  und  alsdann  durch  Pressung  die  flüssigen 
von  den  festen  Fettsäuren  trennte.  In  Deutschland  wird  vorzüglich  der  billigere 
Rindstalg,  in  England  Palmöl  benutzt.  Man  hat  mehrere  Methoden,  nach 
welchen  man  das  Kerzenmaterial  resp.  die  Stearin-  oder  Palmatinsäure  darstellt. 

Man  unterscheidet:  1)  die  Verseifung  der  Fette  durch  Kalk.  Sie  zerfällt 
in  drei  Stadien:  in  die  eigentliche  Verseifung,  die  Zersetzung  der  Kalk- 
seife durch  Salz-  oder  Schwefelsäure  und  in  die  Trennung  der  flüssigen 
und  festen  Fettsäuren  mittels  Pressung. 

a)  Behufs  Verseifuug  wird  der  Talg  oder  das  Palmöl  in  mit  Blei  aus- 
gefütterten hölzernen  Bottichen  durch  eingeleitete  Wasserdämpfe  zum  Schmelzen 
gebracht  und  alsdann  unter  beständigem  Umrühren  mit  Kalkmilch  versetzt. 

Das  Sieden  dauert  G— 8  Stunden.  Es  entsteht  eine  unlösliche  Kalkseife, 
während  Glycerin  in  eine  wässrige  Lösung  übergeht,  welche  auch  die  Kalksalze  der 
flüchtigen  übelriechenden  Fettsäuren  enthält:  hierdurch  entsteht  am  wenigsten  Be- 
lästigung für  die  Adjacenten,  obgleich  jede  Stearinsäurefabrik  auch  bei  der  grössten 
Sorgfalt  mit  mehr  oder  weniger  Unannehmlichkeiten  für  die  zunächst  gelegenen  Woh- 
nungen verknüpft  ist. 

b)  Die  Zersetzung  des  dicken  Breies  von  fettsaurem  Calcium 
mittels  verdünnter  Schwefelsäure  oder  Salzsäure  erfolgt,  nachdem  die 
Masse  abgelassen  worden;  die  Operation  bezweckt  die  Ausscheidung  der 
Fettsäuren  aus  der  Kalkseife. 

Nach  dem  Zusätze  der  Schwefel-  oder  Salzsäure  tritt  sogleich  die  fette  Säure 
wegen  ihrer  specifischen  Leichtigkeit  auf  die  Oberfläche  des  Wassers,  während  sich 
gleichzeitig  Gips  resp.  Chlorcalcium  bildet. 

Diese  Zerlegung  geschieht  gewöhnlich  in  denselben  Bottichen,  in  welchen  die  Ver- 
seifung stattgefunden  hat;  auch  wird  die  Erwärmung  durch  den  eingeleiteten  Dampf 
meistens  noch  einige  Stunden  fortgesetzt.  Man  lässt  nun  die  Flüssigkeit  einige  Zeit 
stehen,  damit  sich  die  geschmolzenen  fetten  Säuren  auf  der  Oberfläche  ansammeln 
und  der  Gips  sich  zu  Boden  senkt.  Die  fetten  Säuren  werden  dann  in  einen  mit  Blei 
gefütterten  Bottich  abgelassen  und  hier  einer  Kochung  mittels  Wasserdämpfe  unter 
Zusatz  von  verdünnter  Schwefel-  oder  Salzsäure  und  zuletzt  einer  einfachen  Waschung 
mit  Wasser  unterworfen,  um  sie  von  Kalk,  Gips  und  Säure  zu  befreien. 

Schliesslich  giesst  man  die  fetten  Säuren  in  Kapseln  oder  Formen  von  Weissblech 
aus,  damit  sie  hier  erstarren  und  krystallisiren. 

Den  nicht  fest  gewordenen  Theil,  welcher  vorzugsweise  aus  Oel-  und  Stearinsäure 
besteht,  presst  man  in  hydraulischen  Pressen. 

c)  Behufs  Trennung  der  festen  und  flüssigen  Fettsäuren  wird  die 
erstarrte  Masse  nun  zuerst  einem  kalten,  alsdann  einem  warmen  Pressen 
unterworfen. 


Stearinsäurefabrication.  473 

Das  Pressen  geschieht  mittels  hydraulischer  Pressen;  zum  kalten  Pressen 
bedient  man  sich  der  gewöhnlichen  hydraulischen  Presse,  zum  warmen  Pressen  sind 
besondere  Pressen  nöthig;  namentlich"  wendet  man  hohle,  durch  Dampf  heizbare  Press- 
platten an. 

Zur  Aufsammlung  der  abmessenden  Oelsäure  dienen  unter  dem  Presstische  an- 
gebrachte Sammeltrichter.  Meistens  folgt  auf  das  warme  Pressen  noch  eine  Läuterung 
der  festen  fetten  Säuren  durch  Schmelzen  in  mit  Blei  ausgefütterten  Bottichen  mittels 
Dampfes  unter  Zusatz  einer  sehr  verdünnten  Schwefel-  oder  Salzsäure  und  hierauf  durch 
2 — 3maliges  Waschen  mit  sodahaltigem  Wasser,  um  alle  Säure  wiederum  zu  entfernen. 

Schliesslich  wird  nun  die  Fettsäure  abermals  in  Blechformen  ausgegossen,  um  sie 
an  Kerzenfabriken  zu  verkaufen,  wenn  die  Verarbeitung  derselben  zu  Kerzen  nicht  in 
der  Fabrik  selbst  erfolgt. 

Das  beim  Pressen  abgeflossene  flüssige  Fett  ist  die  Oelsäure  und  heisst  im 
gewöhnlichen  Leben  Olein.  Es  enthält  noch  gewisse  Mengen  der  festen  Fettsäuren 
aufgelöst,  weshalb  es  als  Schmieröl  für  Masehinentheile  nicht  anwendbar  ist,  namentlich 
nicht  für  Messing,  Glockengut,  Eisen  und  Zink,  weil  die  Oelsäure  befähigt  ist,  das 
•20fache  ihres  Volumens  an  Sauerstoff  aus  der  Atmosphäre  aufzunehmen  und  auf  die 
leicht  oxydabeln  Substanzen  zu  übertragen.  Dagegen  ist  sie,  wie  schon  erwähnt  worden, 
ein  vortreffliches  Material  für  Schmierseife,  da  sie  sich  augenblicklich  verseift,  wenn 
sie  mit  freien  oder  kohlensauren  Alkalien  in  Berührung  kommt. 

Das  Forschen  nach  einem  brauchbaren  säurefreien  Schmieröl  hat  die  In- 
dustriellen vielfach  beschäftigt,  da  es  namentlich  für  den  regelmässigen  und  ungestörten 
Gang  der  Spinnmaschinen  von  grosser  Bedeutung  und  für  Uhren,  jmauche  physicalische 
Instrumente  u.  s.  w.  unentbehrlich  ist. 

Um  nun  neben  Stearinsäure  nicht  Oelsäure,  sondern  neutrales  Olein,  d.h.  ölsaures 
Glycerin  zu  erhalten,  presst  man  den  Talg  vor  der  Saponification  ab;  das  auf  diese 
Weise  gewonnene  flüssige  Fett  ist  säurefrei  und  ein  vorzügliches  Schmieröl.  Die 
Engländer  und  Amerikaner  arbeiten  nach  dieser  Methode  in  grossen  Dimensionen.  Dieses 
Oel  ist  geruch-,  geschmack-  und  fast  farblos,  kommt  im  Handel  als  Schmalz  öl  vor, 
wird  aber  auch  häufig  fälschlich  für  Spermacetöl  verkauft.  In  Cincinnati  wird 
namentlich  das  Schweineschmalz  auf  diese  Weise  bearbeitet,  woher  auch  der  Isame 
Schmalzöl  kommt.  Das  abgepresste  Schweineschmalz  wird  der  Saponification 
unterworfen,  die  Seife  durch  Säuren  zersetzt  und  in  Palmitinsäure  übergeführt, 
welche  als  Kerzenmaterial  verwendet  wird. 

Uebrigens  ist  zu  bemerken,  dass  behufs  Darstellung  des  Kerzeumaterials  das 
Olein  resp.  die  Oelsäure  nicht  vollständig  abgesondert  zu  werden  braucht,  da  sowohl 
Stearin  als  auch  Stearinsäure  für  sich  zu  spröde  sind,  um  zu  Kerzen  verwendet  zu 
werden,  deshalb  werden  sie  auch  in  der  Regel  mit  10 — 12g  Wachs  oder  Paraffin  zu- 
sammengeschmolzen. 

de  Milly  hat  die  Kalksaponification  dadurch  verbessert,  dass  er  den  Kalkzusatz 
beinahe  um  die  Hälfte  verminderte  und  auf  das  Gemisch  Dampf  von  182  °  C,  (10  Atm. 
Druck)  einwirken  Hess;  er  erreicht  dadurch  den  V ortheil,  dass  das  Umrühren  wegfällt. 

2)  Die  Verseiftmg  durch  Schwefelsäure  and  darauf  folgende  Dampfdestillation. 

Bei  der  directen  Behandlung  der  Fette  mit  Schwefelsäure  bildet  sich  Glycerin- 
schwefelsäure,  wobei  sich  die  fetten  Säuren  ausscheiden. 

Schon  Achard  kanute  1777  die  Thatsache,  dass  die  Fette  durch  concentrirte 
Schwefelsäure  ähnlieh  wie  durch  Alkalien  zersetzt  werden,  aber  erst  1836  klärte  Fremy 
diesen  Process  näher  auf.  Zuerst  wurde  diese  Methode  im  Grossen  durch  Gwynne  im 
Jahre  1840  ausgeführt.  Sie  hat  den  grossen  Vortheil,  dass  sie  bei  allen  Fetten,  auch 
bei  den  schlechten  und  unreinen,  bei  dem  aus  den  Haushaltungen  abfallenden,  bei  aus 
Knochen  gewonnenem  Fett,  bei  den  Rückständen  aus  Olivenöl,  bei  Abfällen  aus 
Schlächtereien,  bei  dem  aus  den  Seifenwässern  durch  Schwefelsäure  erhaltenen  Fett, 
beim  Palmöl,  Cocosnussöl  u.  s.  w.  Anwendung  findet. 

Ihr  Xachtheil  besteht  darin,  dass  die  Belästigung  solcher  Fabriken  für  die  Adja- 
centen  sehr  gross  und  niemals  ganz  zu  vermeiden  ist:  auch  ist  die  Qualität  der  ge- 
wonnenen flüssigen  Fettsäure,  des  Oleins,  viel  geringer  als  die  des  bei  der  Kalk- 
saponification gewonnenen  Oleins,  weil  ersteres  durch  die  Destillatiousproducte,  durch 
Acrolein  u.  s.  w.,  verunreinigt  ist.  Die  Methode  der  Kalksaponification  wird  daher  noch 
nicht  ganz  in  Wegfall  kommen;  es  bleibt  sogar  fraglich,  ob  sie  nicht  künftig  wieder  in 
den  Vordergrund  treten  wird. 

Bei  der  Verseifung  mit  Schwefelsäure  unterscheidet  man  ebenfalls 
drei  Phasen: 

a)   Die  Verseifung  mit  Schwefelsäure  geschieht  in  der  Weise,  dass 


474  Fette. 

der  Talg  in  mit  Blei  ausgefütterten  Bottichen  durch  Wärmschlangen  geschmolzen 
und  nach  der  Natur  der  Fette  mit  5 — 15  %  concentrirter  Schwefelsäure  ver- 
mischt wird. 

Gewöhnlich  geht  aber  hierbei  ein  Umschmelzcn  des  Talgs  behufs  Reinigung 
desselben  voraus,  eine  Procedur,  die  oft  viele  unangenehme  Gerüche  entwickelt  und  des- 
halb alle  Beachtung  verdient. 

Die  Einwirkung  der  Säure  auf  den  Talg  wird  durch  Rührvorrichtungen  be- 
günstigt und  dauert  zwischen  14 — 18  Stunden;  wahrend  dieser  Zeit  entwickeln  sich 
weniger  flüchtige  Fettsäuren  als  grosse  Quantitäten  schwefliger  Säure.  Ihre  Ent- 
stehung beruht  theils  auf  der  Einwirkung  der  Schwefelsäure  auf  die  im  Talg  noch  ent- 
haltenen Unreinigkeiten  (Häute  u.  s.  w.),  theils  auf  der  Zerstörung  der  Glycerinschwefel- 
säure durch  die  Wärme.  Die  Höhe  dieser  Temperatur  schwankt  in  den  verschiedenen 
Fabriken  von  115—177°  C. 

b)  Das  Ablassen  der  Glycerinschwefelsäure  und  das  Waschen 
der  Fettmasse.  Man  kühlt  die  Masse  einige  Stunden  lang  ab  und  scheidet 
die  Fettmasse  von  dem  harzigen  Säureabsatz  (Glycerinschwefelsäure)  ab.  Dieser 
wird  mit  Wasserdämpfen  und  siedendem  Wasser  gewaschen,  um  von  der 
Schwefelsäure  vollständig  befreit  zu  werden.  Diese  Operation  ist  gewöhnlich 
mit  grosser  Belästigung  für  die  Adiacenten  verbunden,  da  die  flüchtigen  Fett- 
säuren neben  schwefliger  Säure  in  grossen  Mengen  auftreten  und  bisweilen 
auch  mit  Spuren  von  Acrolein  verbunden  sind. 

Nach  der  Natur  des  benutzten  Rohmaterials  ist  selbstverständlich  der  üble  Geruch 
mehr  oder  weniger  intensiv;  am  schlimmsten  ist  in  dieser  Beziehung  der  Bockstalg. 
Palmöl  und  Cocosnussöl  liefern  keine  unangenehmen  Gerüche,  kommen  aber  selten 
rein,  sondern  meistens  in  Verbindung  mit  Talg  zur  Verwendung. 

c)  Die  Destillation  der  Fettsäuren  ist  nothwendig,  da  sie  bei  der  Ab- 
scheidung mit  Schwefelsäure  durch  harzige  Substanzen  verunreinigt  und  schwarz 
gefärbt  sind.  Sie  werden  zunächst  in  ein  Reservoir  geleitet,  das  mit  einem  Mantel 
umgeben  ist,  in  welchem  warmes  Wasser  die  Temperatur  der  Fettsäure  auf 
45 — 50°  C.  erhält,  wodurch  noch  Wasserreste  und  andere  Beimischungen  aus- 
geschieden werden.1) 

Diese  geklärte  Flüssigkeit  wird  in  einer  flachen  Schale  erhitzt  und  mittels 
eines  Rohrs  in  die  Destillirblase  abgelassen,  welche  in  einem  Sand-  oder  Bleibade  liegt;  die 
Destillation  erfolgt  unter  Mitwirkung  überhitzter  Wasserdämpfe  von  250 — 300°. 
Sobald  die  Temperatur  der  Fettsäuren  auf  250°  gestiegen  ist,  werden  die  Wasserdämpfe 
mittels  eines  Rohrs  eingeleitet,  das  in  einen  Kranz  endigt,  aus  welchem  der  Dampf 
durch  viele  kleine  Oeffnungen  in  die  flüssigen  Fettsäuren  gepresst  wird. 

Durch  die  hindurchstreichenden  warmen  Wasserdämpfe  wird  die  Verflüchtigung 
der  Fettsäuren  bewirkt,  die  durch  ein  Zwischengefäss  in  die  Kühlschlange  gelangen. 
Das  Zwischengefäss  dient  zur  Aufnahme  und  zum  Ablassen  der  im  Anfange  der  Destil- 
lation mit  übergerissenen  unreinen  Theile.  Die  Kühlschlange  darf  nur  so  weit  abgekühlt 
werden,  dass  das  Fett  noch  flüssig  bleibt. 

Aus  der  Kühlschlange  fliessen  die  Fettsäuren  durch  eine  Röhre  in  eine  Vorlage 
mit  zwei  Abtheilungen.  Die  leichtern  Fettsäuren  schwimmen  auf  der  Oberfläche  des 
Wassers  in  der  ersten  Abtheilung,  das  Wasser  dringt  dagegen  unter  der  Zwischenwand 
hindurch  in  die  zweite  Abtheilung:  mittels  besonderer  Hähne  werden  die  Fettsäuren 
und  das  Wasser  abgezogen.  Neuerdings  hat  man  zu  den  verschiedenen  Operationen  statt 
der  Apparate  von  Kupfer  auch  solche  von  Schmiedeeisen  benutzt. 

Bei  dieser  Destillation  tritt  stets  viel  Acrolein  auf.  Ist  die  Fettmasse  nicht 
gehörig  ausgewaschen  worden,  sind  derselben  noch  Schwefelsäure-  resp.  Glycerin- 
schwefelsäuretheilchen  beigemengt,  so  entwickelt  sich  auch  noch  mehr  oder  weniger 
schweflige  Säure. 

Schliesslich  folgt  noch  ein  Auswaschen  der  destillirten  Masse  mit  Wasser- 
dämpfen, da  nur  die  ersten  Producte  direct  zur  Kerzenfabrication  benutzt  werden 
können;  namentlich  beim  Palmöl  sind  die  ersten  Producte  der  Destillation  so  fest, 
dass  sie  keiner  Pressung  bedürfen;  letztere  wird  aber  bei  den  zuletzt  übergehenden 
Partien  nothwendig,  da  sie  noch  flüssige  und  gefärbte  Säuren  enthalten.  Die  Press- 
kuchen werden  in   Kufen  mit  kalkfreiem  Wasser  umKeschmolzen. 


Stearinsäurefabrication.  475 

_  Die  Zersetzung  der  Fette  mittels  Schwefelsäure  liefert  die  grösste  Ausbeute  an 
Stearinsäure;  sie  wird  daher  trotz  der  grossen  Belästigung  noch  immer  beibehalten. 
Beim  Talg  soll  man  60— 66  g,  beim  Palmöl  75-80%  und  bei  den  Olivenölabfällen 
47 — 50%  Stearinsäure  erhalten. 

Die  Destillatiousrückstände  lässt  man  mittels  eines  mit  einem  Hahn  ver- 
sehenen Hebers  ab,  so  lange  sie  noch  flüssig  sind.  Ihre  Consistenz  hängt  von  der  Be- 
schaffenheit des  verarbeiteten  Rohmaterials  ab  und  variirt  zwischen  einem  flüssigen 
Theer  und  dicken  Extract.  Ihre  saure  oder  nicht  saure  Natur  hängt  von  der  Sorgfalt 
ab,  mit  der  man  das  Auswaschen  der  sauren  Fette  besorgt  hat.  Im  erstem  Falle  be- 
handelt man  sie  mit  Calciumhydrat  und  benutzt  sie  in  grossen  Fabriken  häufig  zur  Dar- 
stellung von  Leuchtgas;  die  nicht  sauren  Rückstände  verwendet  man  zu  Schmier- 
materialien. 

3)  Die  Zersetzung  der  Fette  durch  Einwirkung  von  Wasser  bei  erhöhtem 
Drucke  nnd  gesteigerter  Temperatur.  Diese  Methode  wurde  zuerst  technisch  von 
Tilghmann  in  England  im  Jahre  1854  ausgeführt,  obschon  zu  gleicher  Zeit 
auch  Berthelot  in  Paris  die  Thatsache  bekannt  machte,  dass  das  Wasser  bei 
einer  Temperatur  von  180°  und  einem  Druck  von  10 — 15  Atmosphären  die 
neutralen  Fette  in  ihre  Bestandteile  zu  spalten  vermag. 

Der  ursprüngliche  Apparat  scheint  nur  für  Versuchs-Operationen  bestimmt 
gewesen  zu  sein;  später  construirten  Payen  und  Wilson  einen  Apparat  für  die 
Ausführung  im  Grossen. 

Bei  diesem  Verfahren  werden  die  fetten  Säuren  und  das  Glyeerin  in  ge- 
trennten Schichten  erhalten.  Nach  Beendigung  der  Operation  und  auch  häufig  während 
derselben  entströmt  durch  das  Ventil  eine  Menge  Gase  und  Dämpfe,  welche  mit  flüch- 
tigen Fettsäuren  und  Acrolein  beladen  sind. 

In  neuerer  Zeit  hat  man  die  Erfahrung  gemacht,  dass  bei  dieser  Methode  eine 
grosse  Gefahr  der  Explosion  vorhanden  ist:  dieselbe  soll  öfter  stattfinden,  ohne  dass 
man  eine  Ursache  dafür  angeben  kann.  Das  Zerschmettern  der  Apparate  erfolgt  ge- 
wöhnlich dann,  wenn  die  Temperatur  im  Kessel  und  demnach  auch  die  Spannung  in 
demselben  zu  hoch  gestiegen  ist  und  man  durch  Oeffnen  des  Ventils  diesem  Umstände 
entgegentreten  will. 

Höchst  wahrscheinlich  ist  die  Ursache  der  Explosion  darin  zu  suchen,  dass  durch 
den  beim  Oeffnen  des  Ventils  aufgehobenen  Druck  die  Dampferzeugung  plötzlich  so 
massenhaft  eintritt,  dass  das  Gefäss  dem  Druck  dieser  Dämpfe  nicht  widerstehen  kann. 

Der  neueste  Apparat  ist  von  Wright  und  Fauche  construirt  worden  und  besteht 
aus  zwei  übereinander  stehenden  und  durch  Röhren  verbundenen  kupfernen  Kesseln, 
wovon  der  obere  der  Dampfregenerator  ist  und  der  untere  zur  Zersetzung  der 
Fette  dient. 

4)  Die  Verseifung  mittels  überhitzter  Wasserdämpfe.  Diese  Methode  kommt 
vorzugsweise  in  England,  gegenwärtig  aber  auch  in  Deutschland  zur  Ausführung, 
nachdem  Wilson  und  Gwynne  die  passenden  Destillationsapparate  dafür  con- 
struirt haben.  Auch  bei  dieser  Methode  ist  es  möglich,  die  fetten  Säuren  und 
das  Glyeerin  unzersetzt  zu  destilliren,  wenn  man  die  dazu  nothwendige  Tem- 
peratur strenge  innehält. 

Die  Temperatur  der  Retorten,  in  welchen  die  Destillation  vor  sich  geht,  muss 
durch  directe  Feuerung  zwischen  290 — 315°  C.  gebracht  werden,  während  der  durch 
eine  schmiedeeiserne  Röhre  zugeführte  Dampf  genau  auf  315°  erhitzt  werden  muss. 
Steigt  die  Temperatur  höher,  so  zersetzt  sich  das  Fett  und  es  tritt  eine  massenhafte 
Entwicklung  von  Acrolein  auf;  ist  sie  niedriger,  so  erfolgt  die  Zersetzung  des  Fettes 
sehr  langsam.  Die  aus  den  Retorten  entweichenden  Dämpfe  verdichten  sich  in  einer 
Kühlschlange. 

5)  Die  Fabrication  mittels  Zinkchlorids.  L.  Krafft  und  Tessie  du  Motay 
haben  die  Beobachtung  gemacht,  dass  sich  Chlor  zink  als  wasserentziehendes 
Mittel  ebenso  gut  wie  Schwefelsäure  zur  Verseifung  eignet.  Beim  Vermischen 
von  neutralem  Fett  mit  wasserfreiem  Chlorzink  tritt  bei  einer  Temperatur  von 
150 — 200°  C.  eine  vollständige  Vermischung  beider  Stoffe   ein.     Man  wäscht  mit 


476  Fette- 

warmem  Wasser  aus  uud  unterwirft  das  erhaltene  Fett  der  Destillation,    wobei 
sich  nur  wenig  Acr olein  bildet. 

Die  Waschwässer  nehmen  alles  gebrauchte  Chlorzink  auf,  welches  durch  Ab- 
dampfen wieder  gewonnen  werden  kann  und  muss,  wenn  man  nicht  durch  ihren  freien 
Abfluss  die  verschiedensten  Gefahren  herbeiführen  will. 

Durch  dies  Abdampfen  entstehen  aber  neue  Kosten,  weshalb  diese  Methode  nur 
in  Ländern  Aufnahme  finden  kann,  in  denen,  wie  z.  B.  in  Australien  und  Südamerika, 
die  Schwefelsäure  sehr  theuer  ist. 

Sanitäre  Massregeln.  Bei  der  Kalksaponitication  richtet  sich  das  Auftreten 
der  Gerüche  bloss  nach  der  Beschaffenheit  des  Talgs. 

Die  von  der  Kalkseife  herrührenden  Wässer  enthalten,  je  nachdem  eine 
Säure  in  Anwendung  gekommen  ist,  Chlorcalcium  neben  freier  Salzsäure 
oder  Gips  neben  freier  Schwefelsäure;  sie  dürfen  daher  niemals  ohne 
Weiteres  zum  Abfluss  gelangen,  sondern  müssen  vorher  neutralisirt  werden,  wenn 
man  nicht  über  einen  grossen  Wasserlauf  gebieten  kann. 

Bei  der  Schwefelsänreverseifung  ist  1)  das  Ausschmelzen  des  Talgs  aus 
den  Fässern  für  die  Adjacenten  oft  ausserordentlich  belästigend,  namentlich 
wenn  ein  übelriechender  Talg  zur  Verarbeitung  gelangt.  Es  sind  alle  Vorsichts- 
massregeln, welche  beim  Talgschmelzen  bereits  hervorgehoben  worden  sind 
(Einleiten  der  Dämpfe  in  den  Schornstein,  Verbrennen  u.  s.  w.),  erforderlich  und 
bei  Ertheilung  einer  Concession  speciell  vorzuschreiben. 

2)  Beim  Zusetzen  der  concentrirten  Schwefelsäure  zum  Fett  ist 
es  sehr  schwierig,  die  Menge  der  sich  entwickelnden  schwefligen  Säure  un- 
schädlich zu  machen. 

In  einigen  französischen  Fabriken  befindet  sich  folgende  Einrichtung.  Die  Zer- 
setzung der  Fette  mit  Schwefelsäure  erfolgt  in  einem  Kessel  von  Kupferblech  oder  auch 
von  Eisen,  der  mit  Blei  ausgeschlagen  ist.  Gespannte  Wasserdämpfe  von  100 — 115°  C. 
werden  seitlich  und  unten  in  den  den  Kessel  umgebenden  Mantel  geleitet,  während  das 
Condensations wasser  und  der  überschüssige  Dampf  durch  ein  am  Boden  des  Mantels 
angebrachtes  Rohr  abgelassen  werden  kann.  Ueber  dem  Kessel  befindet  sich  ein  mit 
Blei  ausgeschlagener  Aufsatz  von  Eisenblech,  der  mit  einem  Deckel  versehen  ist,  in 
welchem  sich  zwei  Beobachtungsfenster  und  ein  Mannloch  zum  Füllen  des  Apparats 
befinden  Seitlich  von  diesem  Aufsatze  führt  ein  weites  Rohr  die  übel- 
riechenden Gase  und  Dämpfe  in  eine  Feuerung. 

Bei  diesem  Verfahren  gelangen  zwar  die  Fettsäuren  zur  Verbrennung,  die 
schweflige  Säure  wird  aber  unverändert  in  den  Schlot  gelangen  und  die  Adjacenten  be- 
lästigen. Es  würde  sich  daher  mehr  empfehlen,  die  Dämpfe  in  Koksthürme  zu 
leiten,  in  denen  Kalkmilch  den  eindringenden  Dämpfen  entgegenfliesst ;  sie  können 
neben  dem  Schornstein  angelegt  und  nach  oben  in  denselben  geschleift  werden,  um  den 
erforderlichen  Zug  zu  bewirken-  Die  Koks  können  wieder  zum  Verbrennen  benutzt 
werden,  wenn  sich  aus  dem  schwefligsauren  Calcium  allmählig  Gips  gebildet  hat. 

Will  man  andere  Absorbentia  für  die  schweflige  Säure  (s.  S.  154)  benutzen,  so 
hat  man  hierbei  noch  die  abgehenden  fettsauren  Dämpfe  in  die  Feuerung  zu  leiten, 
obgleich  ihre  Menge  bei  dieser  Procedur  nicht  bedeutend  ist. 

3)  Die  Verarbeitung  der  abgelassenen  Glycerinschwefelsäure 
auf  Glycerin  geschieht  meist  in  den  Stearinsäurefabriken  selbst.  Nach  der 
Ausscheidung  der  Schwefelsäure  durch  Kalk  müssen  die  eisernen  Abdampf- 
pfannen beim  Abdampfen  des  Glycerins  mit  einem  hölzernen  Kasten  ver- 
sehen werden,  um  die  Dämpfe  zu  sammeln  und  mittels  eines  Abzugsrohrs  in  die 
Dampfkesselfeuerung  zu  leiten,  da  sie  mit  sehr  widerlichem  Gerüche  behaftet  sind 
und  die  grösste  Belästigung  erzeugen  (s.  Glycerinindustrie). 

Der  Schwerpunct  liegt  überhaupt  in  der  Herstellung  von  Ein- 
richtungen, die  das  Sammeln  der  auftretenden  Dämpfe  möglich 
machen. 


Stearinsänrefabrication.  477 

4)  "Werden   die  Fettsäuren  in   eisernen,   mit  Blei   ausgefütterten  Kasten 

durch  Einblasen  von  Wasserdämpfen  gewaschen  und  dann  nochmals  mit  heissem 

Wasser  nachgewaschen,    so  treten  viele  flüchtige  Fettsäuren,    schweflige 

Säure  und  Acrolein  auf. 

Diese  Operation  ist  eine  der  unangenehmsten  und  erfordert  gauz  besonders 
Sammelkasten,  welche  die  Dämpfe  in  die  Feuerung  leiten.  Ueber  die  bei  der  Wäsche 
abfallenden  sauren  Wässer  siehe  Glycerinindustrie. 

5)  Bei  der  Destillation  des  so  behandelten  Fettes  mittels  überhitzter 
Wasserdämpfe  entwickelt  sich  vorzugsweise  Acrolein,  welches  in  Folge  der 
noch  vorhandenen  Glycerinschwefelsäurereste  stets  mit  schwefliger  Säure  ver- 
bunden ist;  die  Verbrennung  der  Dämpfe  ist  daher  auch  hier  angezeigt.  Um  dies 
zu  ermöglichen,  müssen  die  Abfiussröhren,  aus  welchen  das  Destillat  fliesst,  sowie 
das  Sammelgefäss  selbst  mit  einem  gemeinschaftlichen  Verschlag  versehen  werden, 
um  die  Acroleindämpfe  zu  sammeln  und  zur  Feuerung  zu  leiten."2) 

Ueberall,  wo  ein  starkes  Erhitzen  der  Fettmassen  mit  Wasser  stattfindet,  z.B. 
auch  bei  der  dritten  und  vierten  Methode  der  Stearinsäurefabrication,  entsteht  sehr  viel 
Acrolein.  Es  ist  daher  zweckmässig,  sofort  nach  beendigtem  Processe,  mag  man  nun 
nach  der  zweiten,  dritten  oder  vierten  Methode  verfahren  haben,  Dampf  durch  die  be- 
treffenden Apparate  zu  leiten,  um  auf  diese  WTeise  alle  Acroleindämpfe  zu  entfernen 
resp.  zu  verbrennen. 

Bei  der  Destillation  ist  dies  Verfahren  absolut  nothwendig,  weil  hier  die  Ent- 
fernung des  dicken,  theerartigen  Destillationsrückstandes  entweder  durch  das  Mannloch 
oder  durch  Oeffnungen  am  Boden  des  Kessels,  welche  während  der  Destillation  mit 
Platten  und  Stellschrauben  verschlossen  sind,  geschehen  muss;  ohne  vorhergehende 
Wegnahme  der  Acroleindämpfe  würde  man  den  Adjacenten  hierbei  die  grössten  Be- 
lästigungen bereiten. 

Hat  der  theerartige  Rückstand  im  Kessel  eine  flüssige  Beschaffenheit,  so 
kann  er  nach  dem  Erkalten  durch  ein  Abflussrohr,  einen  Heber  oder  auch  Dampfdruck 
aus  dem  Kessel  entfernt  werden.  Dieses  Ablassen  muss  aber  stets  in  geschlossenen 
Gefässen,  welche  mit  einem  Sand-  oder  Wasserverschluss  versehen  sind,  vorgenommen 
werden. 

6)  Wird  die  abdestillirte  Stearinsäure  zum  Schlüsse  nochmals  mit 
Wasserdämpfen  ausgewaschen,  so  entwickelt  sich  immer  noch  so  viel  Acrolein, 
dass  es  in  der  angegebenen  Weise  in  die  Feuerung  zu  leiten  ist. 

7)  Wenn  die  Stearinsäure  in  Tafeln  gegossen,  gepresst  und  der  Läuterung 
unterworfen  worden  ist,  so  wird  sie  noch  mit  Wasser  unter  geringem  Zusatz  von 
Natriumcarbonat  gewaschen,  dann  entwässert  und  entweder  in  Tafelform  gebracht 
oder  zur  Lichterfabrication  benutzt.     Die  betr.  Waschwässer  sind  unschädlich 

Die  Darstellung  der  Kerzen  bietet  kein  sanitäres  Interesse  dar  und  geschieht 
meistens  mittels  besonderer  Giessmaschinen ;  auch  zum  Abschneiden  und 
Poliren  der  Kerzen  gebraucht  man  Maschinen.  Noch  ist  der  Umstand  zu  berück- 
sichtigen, dass  die  Stearinsäurekerzen,  wenn  sie  nicht  aus  gehörig  gereinigtem  Material 
angefertigt  worden  sind,  beim  Verbrennen  schweflige  Säure  entwickeln  können. 
Auch  werden  manche  Kerzen  gefärbt;  Farben,  wie  chromsaures  Blei  und 
Schwefelarsen  zum  Cclbfärben,  Schweinfurter  Grün  zum  Grünfärben  oder 
Zinnober  zum  Rothfärben  sollten  pohzeilich  verboten  werden.3) 

Nach  Dankworth  *)  soll  die  Gesundheit  der  Arbeiter  in  Stearinsäurefabriken  durch 
eine  Verstaubung  oder  Verdunstung  der  Stearinsäure  während  der  Behandlung 
resp.  Verkochung  der  Fettsäure  mit  Wasserdampf  gefährdet  werden.  Diese  Annahme 
ist  ohne  Zweifel  unbegründet,  da  die  Stearinsäure  nicht  erheblich  flüchtig  ist  und  das 
Verstauben  nie  in  einer  Höhe  vorkommt,  welche  den  Arbeitern  in  den  gewöhnlichen 
Fällen  als  Athmungszone  dient:  und  sollte  die  Stearinsäure  wirklich  von  den  Respi- 
rationswegen aufgenommen  werden,  so  wird  sie  eine  nachtheilige  Wirkung  nicht  aus- 
zuüben vermögen. 

Viel  nachtheiliger  kann  die  schweflige  Säure,  namentlich  wenn  sie  in  grosser 
Menge  auftritt,  einwirken:  die  sanitären  Nachtheile  derselben  in  Stearinsäurefabriken 
sind  noch  viel  zu  wenig  gewürdigt  worden  Ihr  schädlicher  Einfluss  auf  die  Brust- 
organe  wird   glücklicherweise    durch   die   vielen  W'asserdämpfe,    welche    in   solchen 


478  Fette. 

Räumen  stets  verbreitet  sind,  gemildert.  Ebenso  verhält  es  sich  mit  dem  Acrolein, 
dessen  reizende  Einwirkung  auf  die  Lungen  nach  den  Versuchen  au  Thieren  (s.  S.  434) 
zweifellos  ist.  Man  findet  daher  auch  bei  den  Arbeitern  in  Stearinsäurefabriken  vor- 
zugsweise die  Brustcatarrhe  vortreten,  an  deren  Entwicklung  übrigens  auch  die 
grossen  und  zugigen  Fabrikräume  Schuld  tragen. 

Die  Flüchtigkeit  der  Stearinsäure  ist  zwar  auch  nicht  in  Abrede  zu  stellen,  sie 
gibt  sich  aber  nur  in  einem  sehr  geringen  Grade  kund.  In  einer  Stearinsäurefabrik, 
welche  seit  15  Jahren  täglich  100  Centner  reine  Stearinsäure  darstellte,  konnte  nur  ein 
leichter  Anflug  davon  am  Dachgebälke  wahrgenommen  werden.  Jedenfalls  bedingt  sie 
ein  rasches  Oxydiren  von  Eisen,  Kupfer,  Zink  und  Blei,  wenn  diese  Metalle  in  solcher 
Weise  mit  ihr  in  Berührung  kommen. 

Ein  nachtheiliger  Einfluss  der  schwefligen  Säure  auf  die  Vegetation  der 
nächsten  Umgebung  fällt  nicht  auf;  der  Grund  davon  mag  auch  in  ihrer  grossen  Ver- 
dünnung mit  den  Wasserdämpfen  und  deshalb  in  ihrem  schnellern  Uebergang  in  Schwefel- 
säure beruhen. 

Die  Adjacenten  haben  am  meisten  von  den  widerwärtigen  Gerüchen  zu  leiden, 
welche  manche  sensible  Constitution  in  einer  beständig  krankhaften  Stimmung  erhalten, 
auch  Uebelsein,  Ekel  und  Anorexie  hervorzurufen  vermögen.  In  Städten  oder  Vor- 
städten sollte  man  solche  Fabriken  nie  dulden  und  bei  Ertheilung  einer  Concession 
niemals  die  beständigen  Belästigungen,  welche  solche  Fabriken  den  Adjacenten  bereiten, 
aus  den  Augen  verlieren  oder  gering  achten  Grade  in  solchen  Fällen  ist  die  Grenze 
zwischen  Belästigung  und  sanitärem  Schaden  sehr  schmal  und  eine  Trennung  beider 
Zustünde  oft  ganz  unmöglich. 

Hat  man  ein  Gesuch  um  die  Concession   zur  Anlage   einer  Stearinsäurefabrik  zu 

g rufen,  so  folgt  aus  dem  bisher  Erörterten,  dass  es  sich  hierbei  um  zwei  wichtige 
ragen  handelt:  1)  ist  die  Natur  der  Materialien  zu  berücksichtigen,  die  zur  Ver- 
wendung kommen:  2)  ist  die  Methode  der  Fabrication  genau  zu  erörtern,  um  die 
damit  verbundenen   Belästigungen  in  jedem  concreten  Falle  beurtheilen  zu  können.5) 

Glycerinindustrie. 

Die  grosse  Bedeutung,  welche  das  Glycerin  in  neuester  Zeit  erlaugte,  hat 
auch  verschiedene  Darstellungsweisen  hervorgerufen,  welche  sämrntlich  darauf 
basireü,  dass  man  es  durch  Zerlegung  resp.  Haltung  der  öl-  oder  fettsauren  Ver- 
bindungen als  Nebenproduct  gewinnt.  Seine  Darstellung  hängt  daher  auf  das 
innigste  mit  der  Seifen-  uud  Stearinsäurefubrication  zusammen. 

Man  hat  somit  zu  unterscheiden  die  Gewinnung  des  Glycerins  1)  bei  der 
Kalksaponification  in  den  Stearinsäurefabriken.  Gegenwärtig  bereitet 
fast  nur  Russland  das  Glycerin  nach  dieser  Methode.  Die  hierbei  abfallenden 
Wässer,  welche  das  Glycerin  enthalten,  werden  mit  einer  sehr  verdünnten  Oxal- 
säurelösung ihres  Kalks  beraubt,  während  das  kalkfreie  Filtrat  zur  Abscheidung 
der  überschüssigen  Oxalsäure  mit  geschleramter  Kreide  (Calciumcarbonat)  ver- 
setzt wird. 

Wenn  kein  Aufbrausen  mehr  stattfindet,  wird  die  Flüssigkeit  in's  Sieden  gebracht 
und  mit  einigen  Procenten  guter  Thier-  oder  Knochenkohle  bis  zur  Entfärbung  der 
Flüssigkeit  behandelt:  hierauf  wird  die  Glycerinlösung  in  Vacuumpfannen  oder  in 
offenen  Pfannen  mittels  circulirender  Wasserdämpfe  eingeengt. 

Ein  solches  Glycerin  kann  keine  schädlichen  metallischen  Beimengungen  enthalten; 
höchstens  kann  es  aus  der  Knochenkohle,  wenn  diese  nicht  vollständig  gereinigt  war, 
Kalk  aufnehmen. 

Auch  der  ganze  Process  liefert  keine  für  die  Arbeiter  schädlichen  Gase  und 
Dämpfe;  es  ist  daher  zu  bedauern,  dass  diese  Darstellungswcise  durch  die  saure 
Saponitication  verdrängt  worden  ist. 

2)  Die  Gewinnung  des  Glycerins  in  den  Seifenfabriken  geschieht  durch 
die  Behandlung  der  Unterlauge  (s.  Seifenfabrication),  in  welcher  sich  das 
Glycerin  befindet.  Man  dampft  diese  bei  100°  ein,  wodurch  sich  schon  eine 
Menge  Salze  abscheiden;  der  Rest  der  Carbonate  wird  durch  Salz-  oder  Schwefel- 
säure neutralisirt. 

Die  gebildeten  Salze  scheiden  sich  beim  spätem  Eindampfen  fast  vollständig  ab; 


Glyeerinindustrie.  479 

die  Tom   Salzrückstande    getrennte    syrupsdicke  Flüssigkeit   "wird    durch    Bleichen    mit 
Chlor  oder  durch  Destillation  mit  überhitzten  Wasserdämpfen  gereinigt. 

Zur  Chlorbleiche,  wobei  leicht  Chlor  in  Verbindungen  zurückbleibt,  gebraucht 
man  Chlorkalk  und  Schwefelsäure.  Unter  den  Chlorderivaten  fehlt  nie  Chlor  - 
hydrin  und  eine  andere  Chlorverbindung,  welche  sich  in  Flocken  absetzt,  einen  äther- 
artigen, höchst  unangenehmen  Geruch  und  einen  anfangs  sauren,  später  widrig  zusam- 
menziehenden Geschmack  besitzt.  Ein  solches  Glycerin  darf  daher  in  der  Medicin  oder 
in  Haushaltungen  nicht  benutzt  werden. 

3)  Glyceringewinnung  bei  der  sauren  Saponification.  In  Stearin- 
säurefabriken wird  die  von  den  Fettsäuren  getrennte  Glycerinschwefelsäure  durch 
Kochen  mit  überschüssigem  Kalk  zerlegt;  es  bildet  sich  auf  der  einen  Seite 
Gips,  welcher  zum  Düngen  zu  benutzen  ist,  und  auf  der  andern  Seite  bleibt 
Glycerin  neben  Kalk  in  Wasser  gelöst. 

Da  die  Einwirkung  der  Schwefelsäure  nicht  bloss  ein  Spalten  der  fettsauren 
Glycerinverbindungen  veranlasst,  sondern  auch  tiefer  greifende  Zerstörungen  der  orga- 
nischen Substanzen  hervorruft,  so  sind  in  dieser  wässrigen  Glycerinauflösung  eine  grosse 
Menge  der  verschiedenartigsten  Zersetzungsproducte  der  Fette  enthalten.  Auch  sind  die 
Verunreinigungen  der  Schwefelsäure,  namentlich  Arsen,  in  diese  Flüssigkeit  mit  über- 
gegangen ,  trotzdem  dass  Kalk  in  Ueberschuss  vorhanden  war.  Es  muss  deshalb  das 
Glycerin,  nachdem  die  Entwässerung  durch  Abdampfen  stattgefunden,  mit  überhitzten 
Wasserdämpfen  destillirt  werden. 

Diese  Gewinnungsweise  des  Glycerins  ist  daher  umständlicher  und  kostspieliger, 
abgesehen  davon,  dass  alle  durch  die  Schwefelsäure  erzeugten  Zersetzungsproducte  bei 
der  Destillation  mittels  überhitzter  Wässerdämpfe  auftreten.  Zu  diesen  gehören  besonders 
Acrolein  und  eine  Reihe  flüchtiger,  übelriechender  und  die  Umgegend  stark  belästigen- 
der Körper.  Das  Glycerin  selbst  ist  weder  zu  medicinischen  noch  ökonomischen 
Zwecken  brauchbar;  dasselbe  kann  zwar  durch  mehrmalige  Destillation  gereinigt  werden, 
steigt  aber  auch  dadurch  im  Preise. 

Die  sauren  Wässer,  welche  in  Stearinsäurefabriken  und  speciell  bei  der  be- 
regten Darstellung  des  Glycerins  entstehen,  sind  sehr  zu  beachten,  da  sie  viel  Unheil 
anrichten,  wenn  sie  frei  abgelassen  werden. 

In  ersterer  Beziehung  sind  es  die  sauren  Wässer,  welche  bei  der  Wäsche  der 
Fettsäuren  entstehen  und  noch  mehrere  Setzkasten  passiren  müssen,  um  die  in  ihnen 
etwa  noch  vorhandene  Stearinsäure  zu  gewinnen.  Weder  diese  noch  die  bei  der  Zer- 
setzung der  Glycerinschwefelsäure  abfallenden  sauren  Wässer  dürfen  jemals  ohne 
Neutralisation  in  Schlinggruben  abgelassen  werden,  weil  sie  sonst  unbedingt  die 
benachbarten  Brunnen  verderben  und  zwar  durch  die  Einwirkung  der  in  ihnen 
noch  enthaltenen  Schwefelsäure,  welche  den  Boden  durch  die  Bildung  von  Sulfaten 
auflockert  und  hierdurch  das  Eindringen  der  Wässer  in  das  benachbarte  Erdreich 
erleichtert. 

Enthalten  die  bei  der  Zersetzung  der  Glycerinschwefelsäure  entstehenden  sauren 
Wässer  noch  Reste  der  Glycerinschwefelsäure,  so  kann  das  Glycerin  frei 
werden,  wenn  solche  Wässer  beim  Durchsickern  durch  den  Boden  alkalische  Erden 
finden.  Geht  das  Glycerin  dann  durch  Berührung  mit  faulenden  Substanzen,  welche 
als  Ferment  wirken,  in  Gährung  resp.  Fäulniss  über,  so  liefert  es  Zersetzungsproducte, 
zu  denen  vorzugsweise  Propionsäure  gehört,  welche  in  Berührung  mit  Brunnenwasser 
letzteres  ungeniessbar  macht. 

Zur  Neutralisation  dieser  Wässer  muss  man  sich  des  Calciumhydrats  be- 
dienen und  dieselben  in  drei  übereinanderstehenden  Bottichen  mit  diesem  Mittel  im 
Ueberschuss  behandeln;  alsdann  gelangen  sie  zur  Klärung  in  zwei  wasserdicht  ge- 
mauerte Behälter  und  schliesslich  säurefrei  in  eine  Cisterne,  aus  welcher  sie  frei  ab- 
fliessen  können. 

In  einem  concreten  Falle,  in  welchem  man  auf  diese  Neutralisation  keine  Rück- 
sicht genommen  hatte,  waren  mehrere  Brunnen  in  einer  Entfernung  von  500—600  Fuss 
auf  diese  Weise  ganz  unbrauchbar  geworden. 

4)  Glyceringewinnung  bei  der  Zersetzung  der  Fette  mittels 
Wasserdämpfe  bei  erhöhtem  Drucke.  Es  kommt  hierbei  die  Beschaffung 
sehr  kostspieliger  Apparate  und  die  grosse  Gefahr  des  hohen  Drucks  zur 
Sprache;  ausserdem  ist  die  Operation  mit  dem  Auftreten  von  Zersetzungs- 
droducten,  worunter  Acrolein  niemals  fehlt,  verbunden. 

In  neuerer  Zeit  hat  diese  Methode  auch  in  Deutschland  Eingang  gefunden,  welche 


480  Fette. 

den  grossen  Vortheil  hat,  auf  eine  bequemere  und  zweckmäßigere  Weise  das  Glycerin 
zu  gewinnen. 

Das  sieh  hierbei  bildende  Glycerin  bleibt  nämlich  in  der  wässrigen  Flüssigkeit, 
während  die  Fettsäuren  obenauf  schwimmen.  Ersteres  wird  entweder  durch  Thier- 
kohle  oder  Chlor  gebleicht  und  alsdann  abgedampft  oder  auch  durch  Destillation  mit 
überhitzten  Wasserdämpfen  von  den  Unreinigkeiten  befreit. 

Die  Fettsäuren  unterliegen  der  weitern  Behandlung  mittels  Destillation  (siehe 
Stearinsä  u  refabrication ). 

5)  Eine  fünfte  Methode  besteht  in  der  Gewinnung  von  Glycerin 
nach  Rochleder1).  Man  benutzt  dazu  häufig  fette  Oele,  verdorbenes  Ricinusöl 
oder  Nossöl  von  Jaglans  regiuni  u.  s.  w.,  also  ölige  Abfälle.  Zu  dem  Ende 
mischt  man  die  Oele  mit  Spir.  vini  rectificat.  von  95  %  und  leitet  durch  die  er- 
wärmte Flüssigkeit  einen  Strom  trocknen  salzsauren  Gases;  die  hierbei  ent- 
weichenden salzsauren  Dämpfe  sind  nicht  frei  von  andern  Chlorverbindungen 
resp.  salzsauren  Verbindungen  des  Glycerins  und  Alkohols. 

Durch  diese  Einwirkung  werden  die  Oele  einfach  zerlegt  und  Glycerin  theils  frei, 
theils  in  gebundenem  Zustande  abgeschieden.  Die  ganze  Operation  ist  sehr  umständlich 
und  auch  in  sanitärer  Beziehung  nicht  unbedenklich,  da  neben  Essigsäure,  Propion- 
säure und  den  salzsauren  Dämpfen  noch  flüchtige  reizende  Substanzen,  namentlich 
Acrolein  und  Chlorhydrin,  hier  auftreten. 

Das  gewonnene  Glycerin  kann  weder  in  der  Medicin  noch  in  den  Haushaltungen 
benutzt  werden,  weil  es  in  Folge  der  Darstellung  gelöste  schweflige  Säure  enthält, 
die  aümählig  in  Schwefelsäure  übergeht. 

Raffinerie  des  rohen  Glycerins.  Es  gibt  gegenwärtig  viele  Fabriken,  die 
sich  bloss  mit  der  Reinigung  des  rohen  Glycerins  beschäftigen,  dessen  hauptsäch- 
lichste Verunreinigungen  Kalksalze  und  fette  Säuren  sind.  Man  verdünnt  das 
Glycerin  mit  Wasser,  setzt  schwefelsaure  Thonerde  zu,  erhitzt  und  decantirt;  die 
geklärte  Flüssigkeit  behandelt  man  nochmals  mit  Calciumcarbonat,  filtrirt  und 
verdunstet  bis  zu  28°  B.  Schliesslich  folgt  die  Filtration  durch  Beinschwarz,  um 
den  letzten  Rest  von  Farbe  und  Geruch  zu  nehmen  ;  um  jede  Spur  von  Kalk 
zu  beseitigen,  ist  noch  die  Behandlung  mit  Oxalsäure  oder  Ammouiumoxalat 
erforderlich. 

In  der  hiesigen  Sckering'Bchen Fabrik  wird  das  Rohglycerin,  wenn  es  kalkhaltig 
ist,  mit  Kohlensäure,  und  zur  Austreibung  der  Butter  säure  mit  überhitztem  Wasser- 
dampfe behandelt;  man  bringt  es  dann  auf  Beinschwärze  und  dampft  es  nach  voll- 
ständiger Entfärbung  im  Vacuum  ein.  Glycerin,  welches  Schwefelsäure  enthält,  niuss 
mit  kohlensaurem  Barium  versetzt  werden. 

Dieses  Glycerinum  depuratum  enthält  noch  Chlor,  Schwefelsäure,  Fettsäure, 
Kalk  u.  s.  w.  und  kann  nur  in  Seifensiedereien,  in  Bierbrauereien  und  zum  Füllen  von 
Gasuhren  benutzt  werden. 

Glycerinum  purum  destillatum  wird  erhalten,  wenn  man  rohes 
Glycerin  in  einer  Destillirblase  mit  überhitztem  Wasserdampfe  übertreibt.  Sind 
die  Wasserdämpfe  zu  heiss,  so  bildet  sich  Acrolein,  welches  das  Glycerin  färbt; 
auch  werden  leicht  geringe  Mengen  von  Kalk,  Chlor  u.  s.  w.  mit  übergerissen. 
Das  gewonnene  Glycerin  ist  meist  nur  für  die  Technik  zu  verwerthen.  Bei 
der  Fabrication  im  Grossen  wird  das  rohe  Glycerin  in  starkwandigen  eisernen 
Blasen  über  freiem  Feuer  erhitzt  und  dann  mit  dem  überhitzten  Wasserdampfe 
behandelt.  Die  Dämpfe  werden  in  einem  System  senkrecht  stehender  eiserner 
Röhren  condensirt,  während  der  nicht  condensirte  Theil  gewöhnlich  durch  einen 
niedrigen  Schornstein  in  die  Luft  gelangt  und  zwar  zur  grossen  Belästigung  der 
Adjacenten.  Es  muss  daher  um  so  mehr  für  die  Verbrennung  dieser  übel- 
riechenden Dämpfe  (flüchtige  Fettsäuren,  Acrolein)  Sorge  getragen  werden,  wenn 
es  sich  um  die  Anlage  solcher  Fabriken  in  der  Nähe  von  Städten  handelt. 


Nitroglycerin-Industrie.  481 

Die  condensirte  Flüssigkeit  -wird  durch  Beinschwarz  filtrirt  und  letzteres  gewöhn- 
lich mit  Wasser  ausgelaugt  und  regenerirt. 

In  der  Destillirblase  bleibt  ein  schwarzer,  pechartiger  Rückstand,  welcher 
nur  in  der  Wärme  flüssig  ist  und  ab  und  zu,  nach  dem  Umfange  der  Fabrication,  ab- 
gelassen wird.  Auch  dieser  Act  ist  für  die  Umgebung  sehr  belästigend,  wenn  nicht 
vorher  Wasserdämpfe  durch  die  Blase  durchgetrieben  und  die  übelriechenden  Dämpfe 
der  Feuerung  zugeleitet  werden.  Immerhin  ist  aber  in  sanitärer  Beziehung  zu  empfehlen, 
solche  Fabrikanlagen  nicht  in  einem  Complex  von  Wohnhäusern  zu  concessioniren. 

Die  Verwendung  des  Glycerins  ist  so  vielseitig,  dass  in  dieser  Beziehung  nur 
die  Hauptgesichtspuncte  hervorzuheben  sind.  Die  Eigenschaft  desselben,  schweflige 
Säure  in  grosser  Menge  aufzunehmen,  sowie  seine  Dickflüssigkeit,  welche  diese  Säure 
vor  der  Einwirkung  des  atmosphärischen  Sauerstoffs  schützt,  hat  die  Einführung  von 
Glycerinsulfit  zum  Conserviren  von  Wein,  Bier,  Früchten  u.  s.  w.  veranlasst.  In 
der  Weinindustrie  wird  es  Ascolin  genannt. 

Die  grosse  Verwendung,  welche  das  Glycerin  neuerdings  zu  den  verschiedensten 
Zwecken,  z.  B.  zum  Anfeuchten  von  Schnupftabak,  als  Weberschlichte  für  Hanf  und 
Flachs,  als  Schmiere  für  Uhren,  zur  Fabrication  von  aromatischen  Seifen,  Liqueuren, 
Essenzen,  sogenannten  Malzextract-Bieren,  zum  Versüssen  des  Weins  u.  s.  w.  gefunden 
hat,  erheischt  gewiss  eine  absolute  Reinheit,  wenigstens  ein  Freisein  desselben  von 
schädlichen  Stoffen. 

Reinsch  hat  schon  vor  vielen  Jahren  auf  einen  Arsengehalt  des  Glycerins  aufmerk- 
sam gemacht.  Wenn  dies  von  vielen  Chemikern  auch  bestritten  wird,  so  muss  man 
doch  die  Möglichkeit  dieser  Thatsache  zugeben,  da  die  Fabricationsweise  von  Glycerin 
unter  Umständen  eine  Verunreinigung  desselben  durch  Arsen  zulässt:  besonders  ist  die 
von  Rochleder  angegebene  Methode  ganz  dazu  angethan,  das  Glycerin  arsenhaltig  zu 
machen.  Man  wendet  dieselbe  im  Allgemeinen  nur  höchst  selten  an :  immerhin  ist  jedoch 
dabei  zu  beachten,  dass  das  einzuleitende  salzsaure  Gas  durch  Einwirkung  concentrirter 
Schwefelsäure  auf  absolut  trocknes  Kochsalz  dargestellt  wird :  es  ist  dann  leicht  möglich, 
dass  bei  einem  Arsengehalt  der  Schwefelsäure  sich  Arsen  zuerst  als  leicht  flüchtiges 
Arsenchlorid  entbindet  und  von  der  alkoholischen  und  fetten  Flüssigkeit  absorbirt 
wird;  freilich  werden  sich  beim  Abdestilliren  der  Salzsäure  stets  nur  geringe  Mengen 
von  Arsenchlorid  mit  verflüchtigen,  da  der  grösste  Theil  im  Destillationsrückstande  als 
arsenige  Säure  zurückbleibt. 

Das  einzige  Mittel,  einen  etwaigen  Arsengehalt  zu  beseitigen,  besteht  in  der 
Destillation  mit  überhitzten  Wasserdämpfen,  eine  Methode,  die  sich  übrigens  zur  Ge- 
winnung eines  chemisch  reinen  Glycerins  nicht  empfiehlt.  Jedenfalls  verdient  dieser 
Umstand  bei  der  weit  verbreiteten  Verwendung  des  Glycerins  alle  Beachtung. 

Das  Glycerinsulfit  wird  ferner  zum  Bleichen  von  Seide,  Wolle,  Stroh- 
waaren  u.  s.w.  benutzt;  das  Schwefeln  in  Schwefelkammern  wird  hierdurch  ganz  ersetzt: 
auch  in  der  Medicin  würde  es  sich  zur  Behandlung  der  Krätze  eignen.  Eine  gross- 
artige Benutzung  findet  das  Glycerin  zur  Fabrication  von  Nitroglycerin. 

Nitroglycerin-Industrie. 

Nitroglycerin ,  ölycerinsalpetersänre  -  Aether  CH2  (0  N02)  ~CH  ( 0  N  02 )  ~CH2 
(0N02)  =  C3H5(ON02)3  wurde  von  Sombrero  1847  entdeckt  und  anfangs  unter 
dem  Namen  Glonoin  als  Heilmittel  in  die  Homöopathie  eingeführt.  Diese  Be- 
zeichnung wurde  nach  den  Anfangsbuchstaben  des  Wortes  Glycid-Oxyd-Nitrogen- 
Oxygen  gebildet,  womit  man  früher  Nitroglycerin  bezeichnete,  während  man 
gegenwärtig  seine  Entstehung  in  der  Weise  auffasst,  dass  die  mit  Sauerstoff  ver- 
bundenen Wasserstoffatome  des  Glycerins  durch  die  der  Salpetersäure  angehörende 
Gruppe  N02  ersetzt  werden. 

Nitroglycerin  stellt  eine  farblose  oder  schwach  gelbliche,  ölartige  Flüssigkeit 
dar,  welche  keinen  auffallenden  Geruch,  aber  einen  süsslichen,  nachher  äusserst  scharfen 
aromatischen  Geschmack  hat.  Sie  ist  fast  unlöslich  in  Wasser  und  Glycerin,  aber  lös- 
lich in  fetten  Oelen,  Alkohol  und  Aether;  aus  der  alkoholischen  Lösung  wird  sie 
durch  Wasser  gefällt.  Man  hat  Nitroglycerin  deshalb  des  Transports  wegen  häufig  in 
Holzgeist  (Methylalkohol)  aufgelöst,  um  es  nachher  durch  Zusatz  von  Wasser  wieder 
auszuscheiden. 

Das  spec.  Gew.  beträgt  bei  -f-15°  1,6.  Bei  160°  zersetzt  sich  Nitroglycerin  unter 
Entwicklung  reichlicher  Dämpfe  und  häufig  auch  unter  Explosion;  bei  höherer  Tem- 
peratur   oder  durch   Schlag  und  Stoss   explodirt  es  heftig.    Bei  ganz  vorsichtiger  Er- 

Eulenberg,  Gewerbe-Hygiene.  31 


482  Fette. 

wärmung  verflüchtigt  es  sich  ohne  Zersetzung:  sobald  es  aber  zu  kochen  beginnt, 
detonirt  es  heftig.  Einige  Präparate  des  Nitroglycerins  zersetzen  sich  freiwillig  unter 
Gasentwicklung  und  Bildung  von  Oxalsäure;  in  gut  verschlossenen  Flaschen  können 
alsdann  die  sieh  entwickelnden  Gase  einen  so  bedeutenden  Druck  auf  Nitroglycerin 
ausüben,  dass  schon  ein  geringer  Stoss  eine  Explosion  veranlassen  kann.  Je  reiner  das 
Nitroglycerin  ist,  desto  weniger  ist  diese  Gefahr  vorhanden. 

Fabrikmässig  wurde  es  zuerst  von  dem  schwedischen  Ingenieur  Alfred  Sohel  im 
Jahre  1862  dargestellt:  auch  entdeckte  derselbe  1866,  dass  es  sich  mit  Kieseiguhr 
(Infusorienerde)  vermengt  am  besten  transportiren  lässt,  weil  es  in  diesem  Gemenge 
weit  weniger  durch  Schlag  oder  Stoss  zur  Explosion  gelangt,  auch  an  der  Sprengkraft 
nichts  einbüsst,  wie  es  bei  seiner  Lösung  in  Holzgeist  der  Fall  ist.  Diese  Mischung 
heisst  Dynamit.  Es  ist  zu  beachten,  dass  eine  Temperaturerhöhung  auch  die 
Explosionsfähigkeit  des  Dynamits  erhöht,  welche  bei  +28°  C.  so  hoch  gesteigert  ist, 
dass  es  schon  durch  einen  geringen  Stoss  oder  Schlag  explodirt. 

Die  Producte  der  Detonation  können  aus  Kohlenoxyd,  Kohlensäure 
Stickstoff,  Stickoxyd,  Cyan  und  Cyanwasserstoff  bestehen. 

IS'Hote1)  fand  folgende  procentische  Zusammensetzung: 
Kohlensäure      .     .     .     45,72, 
Stickoxyd     ....     20,36, 
Stickstoff     .....     33,92. 

Dies  Experiment  wurde  unter  vermindertem  Drucke  angestellt  und  es  ist  wohl  an- 
zunehmen, dass  die  Menge  des  Stickoxyds  bei  Versuchen  im  Grossen  eine  viel  geringere 
sein  wird.  Die  Messung  des  Gases  ergab,  dass  1  Grm.  Nitroglycerin  nur  284  C.-C.  Gas 
(bei  0°  und  0,76  M.  Druck)  geliefert  haben  würde.  Das  bei  der  Detonation  entstandene 
Gas  war  farblos,  bildete  aber  mit  Quecksilber  salpetersaures  Quecksilberoxydul. 

Immerhin  müssen  diese  Verbrennungsproducte  die  Benutzung  des  Nitroglycerins 
als  Sprengmittel  in  unterirdischen  Räumen  beeinträchtigen.  Auch  in  Bergwerken 
erfordert  das  Auftreten  der  sauren  Dämpfe  eine  kräftige  Ventilation,  um  ihre  Ein- 
wirkung auf  die  Arbeiter  so  viel  als  möglich  zu  verhüten;  sie  verbieten  auch  seine 
Anwendung  bei  Kriegsgeschossen,  während  es  bei  Sprengarbeiten  unter  Wasser  von 
unschätzbarem  Werthe  ist. 

Mit  dem  Starrwerden  des  Nitroglycerins  vermehrt  sich  seine  Explosivität,  weil  sich 
in  einer  solchen  krystallinischen  Masse  Fläche  an  Fläche  reibt  und  auch  eine  geringe  Er- 
schütterung leicht  Friction  und  Detonation  erzeugt.  Die  Behandlung  des  starren  Nitro- 
glycerins mit  harten  oder  spitzen  Instrumenten  hat  schon  die  grössten  Unglücksfälle 
hervorgerufen;  Arbeiter,  die  nicht  selten  aus  Unvorsichtigkeit  solche  Manipulationen  vor- 
nehmen, verschwinden  in  Folge  der  Explosion  fast  spurlos.  Bei  der  Vermischung  mit 
Kieseiguhr  wird  sein  Krystallisationsvermögen  aufgehoben. 

Einwirkung  von  Nitroglycerin  auf  den  thieriselien  Organismus.  Es  ist  hier 
zunächst  hervorzuheben,  dass  Nitroglycerin  nach  seiner  verschiedenen  Darstellungsweise 
auch  verschiedene  Eigenschaften  besitzt;  aus  dieser  Thatsache  lassen  sich  allein  die 
abweichenden  Auffassungen  über  die  Wirkung  von  Nitroglycerin  erklären. 

Die  Verschiedenheit  der  Präparate  hat  darin  seinen  Grund,  dass  1,  2  oder 
3  Wasserstoffatome  der  Hydroxyle  durch  den  Salpetersäurerest  vertreten  werden  können; 
es  kann  sich  Mono-,  Di-  und  Trinitroglycerin  bilden;  sowohl  die  Stärke  als  auch 
die  Temperatur  des  Säuregemisches  und  die  Zeit  der  Einwirkung  tragen  hierzu  bei. 

1)  Es  kam  ein  Nitroglycerin  zur  Anwendung,  welches  in  der  Weise  dargestellt 
worden  war,  dass  2  Vol.  eiues  Säuregemisches  von  1  Vol.  Salpetersäure  und 
2  Vol.  Schwefelsäure  mit  1  Vol.  Glycerin  vermischt  wurden. 

a)  Einem  ausgewachsenen  Meerschweinchen  wurde  1  Grm.  dieses  Präparats  ein- 
geflösst;  erst  nach  4  Stunden  Zuckungen  in  den  Extremitäten  bei  unregelmässiger 
Respiration  und  Herzthätigkeit,  nach  6  Stunden  stossweiser,  unregelmässiger  Herzschlag 
und  pfeifende  Respiration,  leichte  allgemeine  Convulsionen,  Abnahme  der  Temperatur, 
zuweilen  Zuckungen  in  den  Extremitäten,  nach  ti\'2  Stunden  kaum  hörbarer  Herzschlag 
und  starker  Rhonchus  sibilans  in  den  Bronchien,  Bauchlage  mit  ausgespreizten  Beinen. 
Wird  es  durch  die  convulsivischen  Zuckungen  auf  die  Seite  geworfen,  so  nimmt  es 
jedesmal  beim  Aufhören  derselben  die  Bauchlage  wieder  ein.  Nach  7  Stunden  bleibende 
Seitenlage,  nach  8  Stunden  rotirende  Bewegungen  der  Extremitäten  in  der  Seitenlage, 
die  fast  regelmässig  1  Minute  lang  dauern  und  1  Minute  lang  aufhören,  allmählig  aber 
schwächer  werden;  schliesslich  bewegen  sich  nur  die  vordem  Extremitäten  und 
die  Athmung  erlahmt  zusehends,  bis  sie  nach  10  Stunden  ganz  aufhört.  Kurz  vor 
dem  Tode  floss  Urin  ab. 

Section  nach  12  Stunden.  Gliederstarre  massig  stark;  die  Kopfknochen  ziem- 
lich blutreich,  auch  die  Hirnhäute  hyperämisch,  namentlich  an  der  Basis  des  Gehirns: 
auf  den   Durchschnittsflächen  dieses  Organs  traten   einige  Blutpuncte   zu  Tage.     Plex. 


Nitroglycerin-Industrie.  483 

venös,  spin.  massig  angefüllt.  Lungen  blassgrauroth,  fast  überall  lufthaltig,  nur  das 
obere  Dritttheil  des  rechten  untern  Lungenlappens  war  braunroth  und  zeigte  unter  der 
Pleura  erbsengrosse  Ekchymosen;  das  Parenchym  an  dieser  Stelle  dunkelroth  und  sehr 
blutreich,  an  den  übrigen  Stellen  trat  wenig  flüssiges  Blut  aus;  Trachealschleimhaut 
blass.  Das  ganze  Herz  mit  schwarzem,  coagulirtem  Blute  stark  angefüllt;  auch  in  den 
grössern  Blutgefässen  vorherrschend  geronnenes  Blut.  Leber  und  Milz  nicht  über- 
mässig blutreich  und  von  normalem  Ansehen;  die  Schleimhaut  des  Magens  schwach 
gelb  gefärbt;  in  den  grössern  Blutgefässen  herrschte  auch  hier  das  coagulirte  Blut  vor. 
Wenig  flüssiges,  dunkelbraunrothes  Blut  röthete  sich  an  der  Luft  schnell;  auch  die 
innere  Wandung  der  Brust-  und  Bauchhöhle  sowie  das  Muskelfleisch  röthete  sich  leb- 
haft. Die  chemische  Analyse  vermochte  weder  im  Magen  noch  in  der  Leber  Nitro- 
glycerin nachzuweisen. 

b)  Verf.  berührte  bloss  mit  der  Zunge  den  feuchten  Glasstöpsel,  womit  das  Glas, 
welches  das  vorher  benutzte  Präparat  enthielt,  verschlossen  war.  Der  anfangs  süssliche 
Geschmack  ging  in  starkes  unangenehmes  Brennen  über;  nach  10  M.  entstand  ein 
dumpfes,  unbestimmtes  Gefühl  im  Kopfe  mit  Abnahme  der  Sehschärfe  und  Bedürfniss 
zum  Niedersetzen;  kurz  darauf  Uebelkeit,  Anwandlung  von  Ohnmacht  und  beim  Ver- 
suche das  Fenster  zu  öffnen  Zusammensinken,  Bewusstlosigkeit,  in  welcher  nach  Mit- 
theilung des  anwesenden  Dr.  Vohl  Verdrehen  der  Augen,  Knirschen  mit  den  Zähnen  und 
tetanisches  Strecken  des  rechten  Armes  eintraten.  Nach  3  M.  kehrte  das  Bewusstsein 
zurück,  aber  es  blieb  noch  Unfähigkeit  zum  Stehen  und  starke  Eingenommenheit  des 
Kopfes  zurück ;  allgemeine  Erschöpfung  und  ein  klopfender  Schmerz  in  der  Schläfengegend 
hielten  fast  2  Stunden  lang  an.  Gegen  Abend  war  keine  Spur  von  Unwohlsein  mehr 
bemerkbar. 

2)  Ein  Nitroglycerin-Präparat  wurde  benutzt,  welches  aus  33  G.  Th.  eines  Säure- 
gemisches von  1  Vol.  Salpetersäure  und  2  Vol.  Schwefelsäure  mit  7  G.  Th.  Glycerin 
bereitet  worden  war.  Sowohl  dieses  als  auch  das  vorige  Präparat  stammte  aus  einer 
Fabrik  von  Sprengöl  her. 

Eine  kräftige  Taube  erhielt  1,5  Grm.  davon.  Nach  1  M.  Zittern  des  Oberkörpers 
und  Würgen,  nach  2  M.  starkes  Erbrechen,  nach  3  M.  Taumel,  Schwindel,  Neigung  zum 
Fallen,  vor  dem  sie  sich  durch  Aufschlagen  mit  den  Flügeln  zu  schützen  suchte;  dann 
beständiges  Herumdrehen  im  Kreise  mit  convulsivischem  Aufsehlagen  des  rechten 
Flügels.  Nach  5  M.  die  heftigsten  Convulsionen;  sie  bleibt  dann  in  der  Kückenlage, 
zittert  am  ganzen  Körper  und  bewegt  die  Beine  wie  in  einem  Kreise;  Pupille  erweitert, 
Herzschlag  kaum  wahrnehmbar  und  starker  Rhonchus  sonorus  in  den  Bronchien.  Nach 
8  M.  plötzlicher  Eintritt  des  Todes. 

Section  nach  20  Stunden.  Leichenstarre  schwach,  Pupille  erweitert,  Hirn- 
häute vorzugsweise  an  der  Basis  cranii  hyperämisch,  in  den  Kopfknochen  zerstreute 
nadelkopfgrosse  Flecke  von  geronnenem  Blute;  PI  ex.  venös,  spin.  massig  angefüllt, 
unter  der  Schleimhaut  des  Kropfes  eine  dünne  Blutlage,  die  Trachealschleimhaut  nur 
unterhalb  der  Theilung  geröthet  Die  linke  Lunge  sehr  blutreich  und  an  ihrer  vordem 
Oberfläche  mit  Ekchymosen  bedeckt,  die  obere  Spitze  ist  blutig  durchtränkt;  weniger 
blutreich  ist  die  rechte  Lunge.  Das  ganze  Herz  ist  mit  viel  geronnenem  und  etwas 
dunkelrothem  Blute  angefüllt.  Leber  schwärzlichbraun  und  mit  schwärzlich- braunrothem 
Blute  angefüllt;  in  dünnern  Schichten  röthete  sich  letzteres  lebhaft  an  der  Luft  und  reagirtö 
auf  Lackmuspapier  sauer. 

3)  Nitroglycerin  wurde  aus  1  Vol.  stärkster  Salpetersäure  und  %  Vol.  wasser- 
freiem Glycerin  ohne  Zusatz  von  Schwefelsäure  dargestellt.  Das  mit  Wasser  und 
mit  Kaliumcarbonat  ausgewaschene  Präparat  erstarrte  nicht  bei  —0°,  war  aber  sehr 
explosiv. 

Eine  starke  Taube  erhielt  0,75  Grm.  davon.  Nach  15  M.  keine  objectiven 
Symptome;  sie  erhielt  dann  noch  0,25  Grm,  so  dass  sie  im  Ganzen  1  Grm.  Nitro- 
glycerin bekommen  hatte.  Nach  20  M.  schwankender  Gang  und  Würgen;  sonst 
verhielt  sie  sich  ruhig,  weder  Zittern  noch  Krämpfe  traten  ein,  nur  der  Herzschlag 
nimmt  ab.  Nach  2%  Stunden  wurde  sie  todt  gefunden;  beim  Aufheben  der  Leiche 
floss  viel  trübe  Flüssigkeit  aus  dem  Schnabel. 

Section  nach  20  Stunden.  Hirnhäute  sehr  hyperämisch,  auf  dem  Kleinhirn 
und  der  Med.  oblong,  ein  ganz  dünnes  Blutextravasat;  Plex.  venös,  spin.  ziemlich 
blutreich;  unter  der  Schleimhaut  des  Kropfes  viele  ausgedehnte  Blutgefässe;  Tracheal- 
schleimhaut blass.  Lungen  von  blasser,  schmutzigrother  Farbe;  auf  den  Schnittflächen 
des  Parenchyms  tritt  flüssiges,  dunkles  Blut  zu  Tage.  Herz  vollständig  mit  schwarzem, 
geronnenem  Blute  angefüllt:  Leber  von  normaler  Farbe  und  reich  an  flüssigem, 
dunklem  Blute,  welches  deutlich  sauer  reagirte. 

4)  Nitroglycerin  wurde  in  der  Weise  dargestellt,  dass  1  Vol.  Sal- 
petersäure mit  J4  Vol.  wasserfreiem  Glycerin  unter  Abkühlung  gemischt, 

31* 


484  Fette. 

dann  mit  1  Vol.  Schwefelsäure  versetzt,   mit  Waaser  gewaschen  und  mit 
Kali  carbonic.  ausgewaschen  wurde.     Das  Präparat  erstarrte  nicht  bei    —0°. 

a)  Eine  starke  Taube  erhielt  zuerst  0,5  Grm.  und  am  folgenden  Tage  1,3  Grm. 
davon.  An  beiden  Tagen  bemerkte  man  nur  ein  Aufblähen  des  Körpers  und  einen 
vermehrten  Durst;  sie  wurde  längere  Zeit  beobachtet  und  blieb  ganz  gesund. 

b)  Eine  ganz  junge  und  schlecht  genährte  Taube  erhielt  2,08  Grm.  von  demselben 
Präparate.  Nach  10  M.  nimmt  sie  die  Bauchlage  ein  und  fängt  an  zu  würgen;  dann 
geht  sie  einher,  um  sich  alsbald  wieder  hinzulegen  und  zu  würgen;  dies  wechselt  mehr- 
mals ab.  Herz-  und  Respirationsthätigkeit  normal;  bei  schnellerm  Gehen  schwankt  sie 
ein  wenig;  erst  nach  20  M.  vermehrtes  Herzklopfen  und  angestrengte  Respiration  in 
der  Bauchlage.  Nach  30  M.  Unvermögen  aufzustehen;  nach  35  M.  fällt  sie  auf  die 
Seite  und  behält  diese  Lage  bei  aufgerichtetem  Kopfe.  Nach  45  M.  leichte  Convulsionen, 
spastische  Respiration  mit  weitem  Oeffnen  des  Schnabels,  Stillstand  der  Athmung  unter 
leichtem  tetanischem  Krämpfe:  der  Herzschlag  hält  noch  2  M.  lang  an. 

Section  nach  20  Stunden.  Auf  dem  grossen  und  kleinen  Gehirn  ein  erbsen- 
grosses  dünnes  Blutextravasat;  die  ganze  Med.  oblong,  ist  mit  einem  ganz  dünnen 
Blutergusse  umgeben;  Plex.  venös,  spinal,  stark  angefüllt.  Die  Lungen  von 
blasser,  schmutzig-graurother  Farbe  und  überall  sehr  blutreich;  das  Herz  mit  viel 
flüssigem  und  wenig  geronnenem  Blute  angefüllt.  Blut  schwärzlich-braunroth,  röthet 
sich  wenig  an  der  Luft  und  reagirt  sauer.  Die  Schleimhaut  des  Vormagens  schwach 
geröthet;  Leber  dunkelbraun  und  sehr  blutreich,  ebenso  die  Nieren;  die  Eingeweide 
mit  angefüllten  Gefässchen  überzogen. 

5)  1  Vol.  Salpetersäure  wurde  mit  2  Vol.  Schwefelsäure  unter  Abkühlung 
gemischt,  dann  mit  %  Vol.  wasserfreiem  Glycerin  vermischt,  gewaschen  und  mit 
Kaliumcarbonat  behandelt.     Das  Präparat  erstarrte  nicht  bei  — 0°. 

Eine  kräftige  Taube  erhielt  davon  2  Grm.  Nach  5  M.  Würgen  und  Erbrechen, 
wobei  sie  sich  im  Kreise  bewegt;  rauhes  hörbares  Atbmen,  Würgen  und  Erbrechen 
wiederholen  sich  mehrmals.  Erst  nach  1  Stunde  angestrengte  Respiration  und  Schwanken 
nach  vorn;  einige  Minuten  nachher  tetanisches  Strecken  und  die  heftigsten  Convulsionen, 
worauf  der  Tod  in  der  Rückenlage  unter  Tetanus  erfolgt.  Der  Herzschlag  ist  noch 
1  M.  lang  hörbar. 

Section  nach  20  Stunden.  Hirnhäute  sehr  blutreich,  unter  dem  Kleinhirn 
und  in  der  Umgebung  der  Med.  oblong,  eine  dünne  Lage  flüssigen  dunkelrothen  Bluts. 
Lungen  von  schmutzig-graurother  Farbe  und  überall  sehr  blutreich,  unter  dem  serösen 
Ueberzuge  des  linken  untern  Lungenlappens  ein  Bluterguss,  wodurch  diese  ganze  Partie 
6chwarzroth  erscheint.  Das  ganze  Herz  mit  schwarzem,  geronnenem  und  schwärzlich- 
braunrothem  Blute  angefüllt;  letzteres  röthet  sich  unbedeutend  an  der  Luft  und 
reagirt  sauer. 

6)  1  G.  Th.  Glycerin  wurde  mit  2  G.  Th.  Schwefelsäure  gemischt  und 
dieses  Gemisch  in  ein  gleiches  Volumen  eines  Gemenges  von  1  Vol.  Salpetersäure 
und  2  Vol.  Schwefelsäure  gebracht.  Das  gehörig  ausgewaschene  Präparat  erstarrte 
nicht  bei  — 0°,  war  aber  sehr  explosiv. 

Eine  kräftige  Taube  erhielt  davon  0,93  Grm.  Sogleich  trat  Erbrechen  ein;  nach 
5  M.  Schwanken  und  Neigung  auf  die  Seite  zu  fallen,  Herumgehen  im  Kreise;  das  Er- 
brechen wiederholte  sich  alle  2 — 3  Minuten.  Nach  17  und  20  M.  erschien  dasselbe  zum 
letzten  Male;  dann  wurden  keine  Krankheitssymptome  mehr  beobachtet. 

Am  folgenden  Tage  erhält  sie  1,2  Grm.  von  demselben  Präparate.  Nach  10  M. 
vermehrt  sich  die  Respiration  bei  übrigens  ruhigem  Verhalten;  nach  20  M.  nimmt  das 
Thier  die  Bauchlage  ein ;  nach  30  M.  legt  es  sich  nach  vorn  auf  die  Brust  bei  merklich 
beschleunigter  Respiration.  Nach  40  M.  erst  schwache  Zuckungen,  dann  die  heftigsten 
Convulsionen,  worauf  unter  einigen  spastischen  Inspirationen  und  Pupillenerweiterung 
der  Tod  eintritt.     Einige  Herzschläge  sind  noch  hörbar. 

Section  nach  20  Stunden.  Vorn  auf  der  linken  Hirnhemisphäre  und  auf  der 
Mitte  des  Kleinhirns  ein  erbsengrosses  flüssiges  Blutextravasat;  Hirnhäute  blutreich, 
besonders  an  der  Basis  des  Gehirns  und  in  der  Umgebung  der  Med.  oblong.  Lungen 
schmutzig-grauröthlich,  unter  ihrem  serösen  Ueberzuge  stellenweise  kleine  Blutextra- 
vasate.  Das  ganze  Herz  mit  schwarzem,  geronnenem  Blute  angefüllt;  das  flüssige 
Blut  reagirte  sauer. 

Es  ist  höchst  wahrscheinlich,  dass  mit  der  höhern  Nitrirung  auch  die 
Wirkung  des  Nitroglycerins  auf  den  thierischen  Organismus  eine  gefährlichere 
wird.  Wenn  Verf.  nach  seinen  frühern  Beobachtungen  andere  Ansichten  über 
die  Giftigkeit  des  Nitroglycerins  entwickelt  hat,  so  war  jedenfalls  die  besondere 
Beschaffenheit  des  Präparats  die  Ursache  der  schwächern  Wirkung.2) 


Nitroglycerin-Industrie.  485 

Uebrigens  hat  bereits  Schuchardt 3)  beobachtet,  dass  Nitroglycerin 
unter  Umständen  bis  zu  10  Tropfen  von  Menschen  genommen  werden  kann, 
ohne  dass  beunruhigende  Symptome  eintreten.  Stegemann  sah  sogar  nach 
einer  Gabe  von  5  Drachmen  in  l1 2  Unzen  Branntwein  Genesung  eintreten,  nach- 
dem bloss  Brennen  im  Munde,  Würgen,  Schwindel  und  ein  Gefühl  von  Lähmung 
in  den  Gliedern  einige  Stunden  lang  gedauert  hatten;  nur  der  Kopfschmerz  hielt 
bis  zum  dritten  Tage  an. 

Beim  vierten  Versuche  ertrug  eine  Taube  sogar  1,8  Grm.*  Nitroglycerin  und 
selbst  eine  sehr  schwache  und  junge  Taube  starb  nach  2,08  Grm.  desselben  Präparats 
erst  nach  45  Min.  unter  leichten  Convulsionen.  Beim  sechsten  Versuche  traten  bei 
eiuer  Taube  nach  0,93  Grm.  Nitroglycerin  nur  Erbrechen  und  Schwindel  ein,  ein 
Beweis,  wie  sehr  die  Beschaffenheit  des  Präparats  die  Wirkung  bestimmt. 

In  den  letalen  Fällen  herrschen  tonische  und  vorzugsweise  klonische  Krämpfe 
vor,  die  rasch  zum  Tode  führen,  nachdem  Schwindel,  Würgen  und  Störungen  in  der 
Respirations-  und  Herzthätigkeit  vorausgegangen  sind.  Beim  Leichenbefunde 
fallen  die  Lungenhyperämie,  die  Ekchymosen  und  selbst  Blutextravasate  unter 
der  Pleura  auf;  auch  Hirnhämorrhagieen  können  vorkommen;  ausserdem  ist  das 
Blut  vorwiegend  geronnen. 

Unzweifelhaft  wird  sich  Nitroglycerin  im  Organismus  bald  zersetzen;  unter 
den  Zersetzungsproducten  wird  Stick  oxyd  nie  fehlen,  das  aber  rasch  weiter  zu 
Salpetersäure  resp.  Untersalpetersäure  oxydirt  wird.  Aus  diesem  Vor- 
gange lässt  sich  die  Wirkung  auf  die  Respiration  und  das  Blut  erklären,  dessen 
saure  Reaction  deutlich  nachweisbar  war.  Zunächst  aber  sehen  wir  die  dem  Nitro- 
glycerin eigenthümliche  Wirkung  auf  die  Nervencentren ,  die  sich  stets  durch 
Uebelkeit,  Schwindel,  Taumel,  Schwinden  der  Sinne,  Ohnmacht,  Bewusstlosigkeit 
und  convulsivische  Bewegungen  kund  gibt;  Verf.  hat  das  Gefühl  von  grösster  Hin- 
fälligkeit noch  in  frischer  Erinnerung,  das  der  totalen  Bewusstlosigkeit  vorherging. 
Die  Restitution  wird  nur  dann  möglich  sein,  wenn  die  Zersetzungsproducte  des 
Nitroglycerins  noch  keine  deletäre  Wirkung  auf  das  Blut  ausgeübt  haben. 

Einige  Beobachtungen  sprechen  dafür,  dass  Nitroglycerin  auch  von  der  un- 
verletzten Haut  resorbirt  werden  kann;  jedenfalls  ist  es  nicht  zulässig,  dass 
die  Fabrikarbeiter  mit  der  blossen  Hand  anhaltend  mit  dem  Nitroglycerin  in 
Berührung  kommen,  obgleich  in  manchen  Fabriken  das  Mischen  der  Infusorien- 
erde mit  Nitroglycerin  in  jener  Weise  bewirkt  wird,  ohne  dass  man  nachtheilige 
Folgen  dieses  Verfahrens  beobachtet  hat;  bei  wunden  Hautstellen  dürften  sie  aber 
nicht  ausbleiben. 

Bei  der  Darstellung  von  Nitroglycerin  im  Grossen  präparirt  man  zuerst  das 
Säuregemisch  in  einem  kühl  gehaltenen  Mischgefäss,  indem  man  mit  2  Vol. 
Schwefelsäure  von  66°  B.  9  Vol.  Salpetersäure  von  1,49 — 1,5  specifischem  Gew. 
in  dünnem  Strahle  vermischt.  Von  diesem  Säuregemisch  gibt  man  35  Th.  in 
ein  gut  gekühltes  Mischgefäss  und  lässt  unter  beständigem  Umrühren  9  Th. 
Glycerin  in  derselben  Weise  zufliessen;  in  der  Ruhe  scheidet  sich  das  Nitro- 
glycerin als  eine  schwach  gelb  gefärbte  Flüssigkeit  ab.  Das  Gemisch  lässt  man 
nun  unter  Umrühren  in  das  10 — 20fache  Volumen  kalten  Wassers  fiiessen,  wobei 
sich   das  Nitroglycerin    als  eine  specifisch  schwerere  Flüssigkeit  am   Boden   des 

Gefässes  ablagert. 

Die  zur  Darstellung  you  Nitroglycerin  erforderlichen  Apparate  sind  sehr  ver- 
schieden und  fast  jede  Fabrik  beobachtet  ein  anderes  Verfahren;  der  von  Rudherg  in 
Stockholm    construirte    Apparat    findet    sich   in    vielen    Fabriken.     3   Gefässe    für    das 


486 


Fette. 


Fig.  51. 


o3o 


Säuregemisch,  das  Glycerin  und  Kühlwasser  stehen  auf  einer  hohen  Bank:  die  beiden 
erstem  stehen  mittels  einer  Röhre  mit  einem  Kasten  in  Verbindung,  der  über  einem 
mit  Blei  ausgefütterten  und  mit  treppenartig  vertheilten  Fächern  versehenen  und  von 
einem  Holztroge  umgebenen  C anale  auf  Rädern  ruht,  um  hin  und  her  bewegt  werden 
zu  können.  In  den  Zwischenraum  zwischen  dem  Holztroge  und  dem  Canale  leitet  man 
das  Kühlwasser  ein;  dann  lässt  man  das  Säuregemisch  in  den  Kasten  fliessen,  durch 
dessen  Bewegung  es  in  die  verschiedenen  Fächer  des  Canals  gelangt.  Nun  wird 
das  Glycerin  zugeleitet:  nachdem  das  Gemisch  den  Canal  passirt  hat,  ist  die  Reaction 
vollendet.  Man  lässt  die  Flüssigkeit  in  ein  tiefer  stehendes  Gefäss  mit  Wasser  ab,  in 
welchem  sich  das  Nitroglycerin  zu  Boden  setzt,  das  schliesslich  noch  einer  Waschung 
unterworfen  wird. 

Alle  verschiedenen  Methoden  kommen  darin  überein,  dass  die  Temperatur  auf 
15—18°  erhalten  werden  muss,  da  mit  einer  höhern  Temperatur  auch  die  Gefahr  der 
Explosivität  steigt. 

Mit  keiner  Fabrication  ist  überhaupt  mehr  Gefahr  für  Gesundheit  und  Leben  der 
Arbeiter  verbunden,  als  mit  der  Darstellung  von  Nitroglycerin.  Es  kommen  hierbei 
1)  die  bei  der  Fabrication  auftretenden  Gase  und  Dämpfe,  2)  die  grosse 
Giftigkeit  des  Präparats  uud  3)  die  grosse  Explosivität  desselben  in 
Betracht. 

Auf  die  Absorption  der  Gase  und  Dämpfe  wird  in  den  wenigsten  Fabriken 
Bedacht  genommen,    obgleich   sie   sowohl   mit  Rücksicht  auf  die  Arbeiter  als  auch  auf 

die  Adjacenten  dringend  nothwendig  ist. 
Folgende  Einrichtung  empfiehlt  sich  erfah- 
rungsgemäss  sehr:  In  Fig.  öl  stellt  A  ein 
Mischgefäss  dar,  welches  von  Steingut  ist 
und  in  einem  Kühlapparat  steht;  es  dient 
zur  Darstellung  des  Säuregemisches  und  der 
Nitrirung.  In  beiden  Fällen  müssen  die 
Gase  durch  das  Rohr  0  in  eine  Reihe  mit 
Wasser  gefüllter  Woulf 'scher  Flaschen  ge- 
— y       v~j[  jj  leitet  werden,  deren  letzte  mit  dem  Schorn- 

i — — ^T-     ^°~f  *rr   -|i  stein  in  Verbindung  steht.     Noch  besser  ist 

es,  in  die  ersten  Flaschen  eine  Lösung  von 
Natriumcarbonat  zur  Absorption  der  sal- 
petersauren Dämpfe  und  in  die  nächst- 
folgenden mit  Bleioxyd  (Glätte)  bestreute 
Koks  zur  Absorption  der  Untersalpeter- 
säure zu  bringen.  Die  Verbindung  mit 
dem  Schornstein  ist  immer  nothwendig,  um 
den  gehörigen  Luftzug  zu  etabliren. 

Das  Mischgefäss  ist  mit  einem  Deckel 
hermetisch  geschlossen  und  der  Rührer  (Ä') 
wird  in  einer  Stopfbüchse  luftdicht  auf 
und  ab  bewegt.  L  h  sind  die  zuführenden 
Trichter  mit  S  förmig  gekrümmter  Spitze. 
Immerhin  ist  ein  geräumiges,  nur  mit  einem 
leichten  Dache  und  offenstehenden  Luken 
versehenes  Fabriklocal  erforderlich,  weil  auch 
bei  der  grössten  Vorsicht  die  Absorption  der 
sauren  Gase  selten  ganz  vollständig  gelingt. 
Man  zieht  gegenwärtig  leichte,  durch  Erd- 
wälle von  allen  andern  Localen  getrennte 
Schuppen  vor.  * ) 

*)  In  einem  concreten  Falle,  in  welchem  es  sich  um  die  Anlage  einer  Dynamit- 
fabrik handelte ,  gehörten  zu  den  vielen  Opponenten  auch  ein  Seidenfabricant  und  ein 
Gutsbesitzer;  -Ersterer  besass  einige  Hundert  Schritte  von  dem  projectirten  Fabrik- 
gebäude entfernt  eine  Seiden-  und  Saminetweberei  und  befürchtete  mit  Recht  die  Ein- 
wirkung der  salpetersauren  Dämpfe.  Dieselben  machen  bekanntlich  gebleichte  Seide 
gelb  und  zerstören  bei  der  gefärbten  Seide  die  Farbe:  kein  Körper  oder  Stoff  wird  von 
diesen  Dämpfen  so  leicht  angegriffen  wie  die  Seide. 

Der  Gutsbesitzer,  dessen  Waldung  sich  ebenfalls  bis  auf  einige  Hundert  Schritt  nach 
der  projectirten  Anlage  hin  erstreckte,  befürchtete  den  nachtheiligen  Einfluss  der  salpeter- 
sauren Dämpfe  auf  die  Baumpflanzung.  Wegen  des  geringen  Betriebs  dieser  Fabrik  war 
eine  solche  Befürchtung  nicht  begründet;  eher  war  sie  bei  einem  andern  Concessionsge- 
suche  berechtigt,  weil  in  diesem  Falle  die  Ackerfelder  unmittelbar  die  Fabrik  begrenzten. 


Nitroglycerin-Industrie.  48  7 

Eine  fortwährende  Kühlung  ist  namentlich  bei  der  Nitrirung,  d.h.  beim  Zusatz 
von  Glycerin,  mit  der  grössten  Sorgfalt  zu  beachten,  weshalb  das  bei  A7  angebrachte 
Thermometer  beständig  beobachtet  werden  muss.  Viele  Techniker  verlangen,  dass  nament- 
lich bei  der  Nitrirung  die  Temperatur  nicht  über  10 — 15°  steige:  auch  muss  das  Glycerin 
stets  in  geringen  Mengen  zugesetzt  werden,  weil  sonst  eine  momentane  Zersetzung 
eintreten  kann,  wobei  die  ganze  MischuDg  explosionsartig  aus  dem  Gefässe  ge- 
schleudert wird. 

Neuerdings  hat  Mowbray  auf  den  Hoosac  Tunnel-Works  bei  North-Adams  in 
Massachusetts  einen  Strom  kalter  und  trockner  Luft  benutzt,  um  1)  mittels 
desselben  theils  die  Untersalpetersäure  aus  dem  Säuregemisch  zu  verjagen,  weil  grade 
die  Untersalpetersäure  leicht  Explosionen  veranlassen  soll,  2)  um  die  Mischung  von 
Glycerin  mit  i dem  Säuregemisch  damit  zu  bewerkstelligen  und  Abkühlung  zu  be- 
wirken. Jede  stärkere  Erwärmung  wird  durch  kräftigere  Mischung  resp.  Zuleitung  der 
Luft  und  verlangsamtes  Eintröpfeln  von  Glycerin  verhütet;  auch  bei  der  spätem 
Waschung  lässt  er  noch  einen  Strom  Luft  durchstreichen.4) 

Beim  Versetzen  des  nitrirten  Gemisches  mit  Wasser  müssen  grosse 
Gefässe  benutzt  werden  und  darf  niemals  das  Wasser  zum  Gemisch,  sondern  das  Ge- 
misch muss  stets  zum  Wasser  gesetzt  werden,  da  im  erstem  Falle  eine  so  starke  Er- 
hitzung stattfindet,  dass  ebenfalls  eine  explosionsartige  Zersetzung  und  Umherschleudern 
der  Masse  zu  befürchten  ist. 

Bezüglich  der  Waschwässer  ist  zu  beachten,   dass   die  an  Schwefel-  und  Sal- 

ßetersäure  reichen  Flüssigkeiten  zum  Aufschliessen  von  Phosphoriten,  also  bei  der 
'üngerfabrication  Verwendung  finden  können,  wohingegen  das  zweite  und  dritte  Wasch- 
wasser erst  nach  geschehener  Neutralisation  mit  Kalkmilch  und  Ausscheidung  des  ge- 
bildeten Gipses  zum  Abfluss  gelangen  kann. 

Das  letzte  Waschwasser,  welchem  Natriumcarbonat  zur  vollständigen  Neutrali- 
sation zugemischt  worden  ist,  hat  eine  gelbliche  Farbe  und  einen  höchst  bittern  Geschmack, 
weshalb  es  niemals  in  Schlinggruben  abfliessen  darf.  Da  solche  Fabriken  meistens  auf 
öden  Flächen  angelegt  sind,  so  kann  viel  eher  ein  Abfluss  in  grosse  abgelegene  Gruben 
gestattet  werden:  auch  nicht  die  geringsten  Mengen  von  Nitroverbindungen  dürfen  mit 
den  Waschwässern  abgeführt  werden. 

Diese  letzte  Waschung  findet  in  den  sogen.  Buttermaschinen,  in  hölzernen 
Kasten,  statt,  in  denen  Rührer  mittels  eines  Getriebes  bewegt  werden.  In  Amerika 
lässt  man  die  Waschwässer  noch  in  einen  grossen  Bottich  und  von  diesem  aus  durch 
in  der  Erde  vergrabene  Fässer  fliessen,  in  welchen  sich  etwa  weggeschlemmtes  Nitro- 
glycerin ansammelt:  aus  dem  letzten  Fasse  nimmt  das  Wasser  seinen  Weg  in's  Freie. 

Hinsichtlich  der  Giftigkeit  des  Nitroglycerins  sind  die  Arbeiter  anzuhalten, 
niemals  während  der  Arbeitszeit  zu  essen  oder  zu  trinken,  zu  schnupfen,  Tabak  zu 
kauen  und  zu  rauchen,  um  nicht  durch  beschmutzte  Finger  die  Nahrungs-  oder  Genuss- 
mittel zu  verunreinigen;  übrigens  ist  das  Tabakrauchen  schon  wegen  der  Feuergefähr- 
lichkeit unstatthaft. 

Die  Arbeiter  müssen  einen  besondern  Raum  für  den  Wechsel  der  Kleider  haben, 
da  sie  wenigstens  besonderer  Oberkleider  für  die  Arbeit  bedürfen.  Wasser  und  Seife 
zum  Reinigen  der  Hände  vor  jeder  Mahlzeit  muss  der  Fabricant  liefern. 

In  Betreff  der  grossen  Feuergefährlichkeit  sind  sehr  viele  Vorsichtsmass- 
regeln  zu  beobachten.  Bei  der  Anfertigung  und  Aufbewahrung  von  Nitroglycerin 
dürfen  niemals  metallene  Apparate  benutzt  werden;  ganz  besonders  sind  alle  metallenen 
Krahnen  zu  vermeiden,  um  das  Nitroglycerin  nicht  der  geringsten  Reibung  auszusetzen ; 
nur  Steingutgefässe  mit  gläsernen  oder  porcellanenen  Krahnen  sind  zulässig.  Recht 
zweckmässig  sind  die  bekannten  Quetschhähne  von  Kautschuk. 

Nitroglycerin  muss  dabei  stets  in  einer  Temperatur  gehalten  werden,  wobei  ein 
Krystallisiren  unmöglich  ist.  Das  Schmelzen  der  krystallisirten  Masse  darf  nie  über 
freiem  Feuer  geschehen ,  sondern  muss  stets  dadurch  bewerkstelligt  werden ,  dass  man 
das  betreffende  Gefäss  in  ein  lauwarmes  Wasserbad  setzt.  Sehr  viele  Unglücksfälle 
sind    durch    unvorsichtige  Behandlung    des    festgewordenen    Nitroglycerins    entstanden, 

Bei  der  jungen  Saat  oder  zur  Blüthezeit  des  Roggens  und  Weizeus  vermag  eine  Nitro- 
glycerinfabrik,  die  keine  Vorsorge  für  die  Absorption  der  sauren  Dämpfe  trifft,  allerdings 
schädlich  einzuwirken,  namentlich  wenn  bestimmte  Strichwinde  diese  Dämpfe  stets  nach 
einer  bestimmten  Richtung  hin  treiben  und  die  Fabrik  in  gleicher  Ebene  mit  den  Feldern 
liegt.  Es  müssen  in  solchen  Fällen  stets  die  localen  Verhältnisse  berücksichtigt  werden, 
die  sich  jedoch  so  vielseitig  gestalten,  dass  sie  unmöglich  alle  erörtert  werden  können. 

In  dem  oben  beregten  Falle  wurde  die  Concession  trotz  allen  Widerspruchs  ertheilt, 
weil  der  Coneessionär  die  Einrichtungen  zur  Absorption  der  Dämpfe  den  erörterten 
Grundsätzen  gemäss  nachzuweisen  vermochte;  es  wurden  auch  späterhin  beim  Betriebe 
der  Fabrik  keine  Klagen  über  eine  nachtheilige  Einwirkung  der  sauren  Dämpfe  laut, 


488  Fette- 

obgleich  noch  bei  keiner  Explosion  ihre  wahre  und  eigentliche  Ursache  entdeckt 
worden  ist,  weil  eben  die  nächsten  Zeugen,  welche  Aufklärung  verschaffen  könnten,  nicht 
mehr  vorhanden  sind. 

So  erfolgte  die  Explosion  einer  Dynamitfabrik,  welche  einen  Vorrath  von 
5 — 6  Centner  Nitroglycerin  natte,  in  einer  Nacht,  als  des  Abends  plötzlich  starker  Frost 
eingetreten  war,  so  dass  die  Vermuthung  nahe  lag,  dass  man  das  Nitroglycerin  auf  eine 
unvorsichtige  Weise  erwärmt  und  dadurch  seine  Explosivität  gesteigert  habe. 

In  den  Räumen,  wo  das  Aus-  und  Einschütten  des  Nitroglycerins  geschieht,  muss 
der  Boden  mit  einer  dicken  Lage  gebrannten  Gipses  bedeckt  werden,  um  dadurch  etwa 
verschüttetes  Nitroglycerin  schnell  aufsaugen  zu  lassen. _ 

Zu  Magazinen  dürfen  nur  leichte  Schuppen  mit  Lehm  wänden  dienen,  die  mit 
einem  1  Meter  hohen  Walle  zu  umgeben  sind;  noch  zweckmässiger  ist  es,  Aushöhlungen 
anzulegen  und  mit  der  ausgeworfenen  Erde  einen  Wall  herzustellen. 

Zum  Versenden  des  Nitroglycerins  bedient  man  sich  in  Amerika  Weissblech  - 
kannen,  welche  inwendig  mit  Paraffin  überzogen  sind.  Die  gefüllten  Gefässe  werden  in 
hölzerne,  mit  Eismischungen  versehene  Bottiche  gestellt,  bis  der  Inhalt  gefroren  ist; 
sie  werden  dann  in  offene  hölzerne  Kisten  verpackt,  deren  Boden  mit  Schwamm  bedeckt 
ist;  untereinander  werden  sie  durch  Guttapercharöhren  befestigt.  Im  Sommer  ist  der 
Boden  mit  einer  Lage  Eis  versehen;  zum  Aufthauen  des  Nitroglycerins  ist  jede  Kanne 
mit  einer  entsprechenden,  in  der  Mitte  von  oben  nach  unten  gehenden  Röhre  versehen, 
um  damit  21  32°  C.  warmes  Wasser  einzulassen;  zum  Verschluss  dient  ein  mit  einer 
Blase  versehener  Kork.  Auf  diese  Weise  soll  auch  krystallisirtes  Nitroglycerin  mit  der 
grössten  Sicherheit  transportirt  werden  können. 

Darstellung  des  Dynamits.  NoI/ePs  Dynamit  enthält  75—77  Th.  Nitroglycerin 
und  23—25  Th.  Kieseiguhr;  letztere  wird  vor  der  Mischung  calcinirt  und  gesiebt.  Das 
Sieben  ist  in  sanitärer  Beziehung  nicht  gering  zu  achten,  da  der  sich  bildende  Staub 
wegen  des  Gehalts  an  Kieselsäure  sehr  gefährlich  ist;  man  soll  daher  die  Arbeiter 
vor  diesem  Staube  schützen.  In  der  Regel  wird  die  Masse  mittels  Handwalzen  zerdrückt 
und  durch  ein  Drehsieb  geworfen,  um  die  grobem  Kieselkörner  zurück  zu  halten. 

Die  Mischung  wird  häufig  in  demselben  Schuppen  vorgenommen,  in  welchem 
das  sog.  Buttern,  die  letzte  Entsäuerung  des  Nitroglycerins,  stattfindet,  ein  Verfall ren, 
welches  ganz  verwerflich  ist.  Die  Infusorienerde  wird  in  Holzkasteii  mit  dem  Nitroglycerin 
übergössen  und  dann  mit  der  blossen  Hand  durchknetet;  vielfach  bringt  man  das  Ge- 
menge noch  auf  Siebe  von  Eisendraht  und  reibt  es  mit  der  Hand  durch  das  Sieb,  um 
noch  gröbere  Kieselkörner  zu  entfernen  und  ein  gleichförmiges  Gemenge  darzustellen. 

Bei  der  Dynamitfabrication  besteht  die  wichtigste  und  niemals  zu  vernach- 
lässigende Vorsichtsmassregel  in  der  Trennung  der  verschiedenen  Arbeitsräume, 
die  ausserdem  niemals  aus  massivem  Mauerwerk  bestehen  dürfen,  damit  beietwaigeu 
Explosionen  ihre  Wirkung  nicht  dadurch  noch  erhöht  wird.  Alle  Fabriklocale 
müssen  unterirdisch  hegen,  damit  ihre  Temperatur  constant  11  —  12°  C.  beträgt 
und  keine  künstliche  Erwärmung  nothwendig  ist.  Auch  hier  ist  eine  Umwallung  unerläss- 
lich,  welche  bis  4  Fuss  hoch  über  das  Dach  hinausgeht;  die  Einschnitte  des  Walles  resp.  die 
Eingänge  müssen  noch  mit  einem  Vorwall  versehen  sein,  während  der  überirdische 
Theil  der  Gebäude  bloss  eine  Holzconstruction  und  Pappbedachung  haben  darf.  Die 
Entfernung  von  Wohnungen  betrage  wenigstens  20  Minuten. 

Wenn  für  gewisse  Fälle  eine  Beleuchtung  nothwendig  ist,  so  darf  dieselbe  nur 
von  aussen  bei  geschlossenen  Fenstern  angebracht  werden;  im  Allgemeinen  ist  aber  die 
Arbeit  bei  künstlichem  Lichte  zu  vermeiden,  Vorsichtsmassregeln,  welche  auch  bei  der 
Fabrication  des  Nitroglycerins  zu  beachten  sind. 

Bei  der  Anfertigung  der  Dynamit-Patronen  müssen  die  Arbeiter  in  der  sogen. 
Stopfkammer  in  besondern,  durch  Bretter  bewirkten  Abtheilungen  beschäftigt  werden, 
um  auf  diese  Weise  ganz  isolirt  zu  sein:  auch  dürfen  nicht  zu  viele  Arbeiter  in  derselben 
Kammer  beschäftigt  sein,  um  die  Anhäufung  des  Materials  zu  vermeiden.  Besser 
ist  es,  jedem  Arbeiter  einen  besondern  Stand  zu  geben;  der  jedesmalige  Vorrath  darf 
nur  für  4  Stunden  Arbeitszeit  und  in  einer  besondern  Schale  verabreicht  werden. 

Grosse  Füllbeutel,  die  den  Dynamit  enthalten  und  unter  denen  die  Arbeiter 
sitzen ,   sind  ganz  zu  verwerfen,  da  sie  leicht  Unglücksfälle  veranlassen. 

Accor darbeiten  sind  nicht  zulässig,  weil  nirgends  eine  Uebereilung  nach- 
theiliger einwirken  kann  als  in  einer  Dynamitfabrik.  Bei  der  Explosion  einer  solchen 
Fabrik  war  wahrscheinlich  die  übereilte  Arbeit  die  Ursache  des  Unglücks;  sie  war  Abends 
10  Uhr  erfolgt,  als  die  meisten  Arbeiter  noch  beschäftigt  waren.  15  Menschen  wurden 
zerschmettert  und  2  Männer  starben  noch  nachträglich  an  den  Folgen  der  erlittenen  Ver- 
letzung. Die  Erschütterung  durch  die  Detonation  wurde  in  einem  Umkreise  von  3  Stunden 
wahrgenommen. 

Ferner  ist   sehr  darauf  zu  achten,    dass  alle  metallenen  Werkzeuge    vermieden 


Dynamit.  4§9 

werden.  Das  Pergamentpapier  für  die  Patronen  wird  über  einen  hölzernen  Stock  gerollt  und 
am  untern  Ende,  welches  den  Stock  %  Zoll  überragt,  nach  innen  zu  zusammengehalten. 
Die  Patrone  wird  dann  mit  dem  Stocke  in  eine  entsprechende  messingene  oder 
kupferne  Hübe  gesteckt,  der  Stock  herausgezogen  und  eine  zweite  etwas  engere  Hülse 
eingeführt,  um  das  Papier  überall  fest  an  die  Wandungen  des  ersten  Cylinders  anzu- 
drücken ;  dann  wird  der  Dynamit  allmäklig  in  die  Patrone  eingeführt  und  zwar  ge- 
wöhnlich in  der  Weise,  dass  man  den  Cylinder  mit  dem  leinenen  Füllbeutel  in  Verbindung 
bringt.  Der  Dynamit  wird  aber  noch  mittels  eines  Stempels  niedergedrückt  und  gleichsam 
eingestampft;  weder  dieser  noch  der  äussere  Cylinder  sollte  von  Metall  sein,  damit 
keine  gefährliche  Friction  entstehe.  Grade  bei  übereilten  Arbeiten  kann  bei  diesem 
Acte  der  Anfüllung  der  Patronen  leicht  die  Gefahr  heraufbeschworen  werden.5) 

Alle  fertigen  Patronen  müssen  sofort  aus  dem  Arbeitsraume  entfernt  und  nach 
dem  Magazin  gebracht  werden;  letzteres  soll  nie  vor  oder  nach  Sonnenuntergang  be- 
treten werden.     Sämmtliche  Gebäude  sind  mit  Blitzableitern  zu  versehen 

Beim  Transport  des  Nitroglycerins  resp.  Dynamits  sind  alle  Vorsichtsmass- 
regeln wie  bei  dem  des  Schiesspulvers  zu  beobachten;  er  darf  nicht  mittels  der 
Eisenbahn,  Post  oder  Dampfschiffe,  sondern  niuss  durch  besondere  Fuhren  geschehen. 

Die  Untersuchungen,  welche  von  Bulley,  Pestalozzi  und  Kundt  behufs  Ermittelung 
der  Gefährlichkeit  des  Dynamits  beim  Transport  angestellt  worden  sind6),  gelangen  zu 
dem  Ergebnisse,  dass  die  Gefahr  der  Explosion  durch  Stoss  erst  vorhanden  sei,  wenn 
der  Dynamit  mit  starker  Intensität  zwischen  2  metallene  Körper  gestossen  werde; 
die  gewöhnlichen  Stösse  in  Kasten  beim  Transport  dürften  kaum  im  Stande  sein,  eine 
Explosion  zu  erzeugen;  eine  Selbstzersetzung  des  Dynamits,  wie  sie  beim  Nitroglycerin 
eintreten  kann,  sei  bis  jetzt  noch  nicht  vorgekommen. 

Nach  unsern  eigenen  Versuchen  kann  bestätigt  werden,  dass  nicht  fest  ver- 
schlossener Dynamit  im  Feuer  nicht  explodirt;  er  brennt  aber  nicht  langsam  fort,  wie 
die  obigen  Experimentatoren  angeben,  sondern  zischend  und  mit  Geräusch  wie  Schiess- 
pulver. Auch  dürfte  denselben  darin  nicht  beizustimmen  sein,  dass  selbst  bei  Feuers- 
bruust  in  Räumen,  in  denen  Dynamit  lagert,  eine  Explosion  nicht  zu  fürchten  sei. 

„Dynamit,  welcher  in  einem  Gefäss  mit  einiger  Widerstandsfähigkeit  eingeschlossen 
ist,  kann  im  Feuer  mit  Kraft  explodiren. "* 

Wirft  man  ein  zolldickes  Stück  einer  Patrone  in  einen  brennenden  Ofen,  so  erfolgt 
eine  so  starke  Explosion,   dass  die  Wiederholung  des  Experiments  gefährlich  erscheint. 

Folgende  Sätze  unterliegen  keinem  Bedenken: 

1)  Völlig  fest  eingeschlossener  Dynamit  kann  durch  einen  hinreichend  starken 
Stoss  explodiren. 

2)  Offener  Dynamit  kann  durch  Stoss  explodiren,  wenn  er  sich  beim  Stosse 
zwischen  2  sehr  harten  Körpern,  wie  Eisen,  befindet;  für  die  Explosion  ist  aber  noth- 
wendig,  dass  die  Intensität  des  Stosses  nicht  unter  eine  gewisse  Grenze  sinkt. 

3)  Erfolgt  der  Stoss  zwischen  Stein  und  Eisen,  so  gelingt  es  nur  in  den  seltensten 
Fällen,  eine  Explosion  hervorzurufen;  erfolgt  der  Stoss  zwischen  Holz  und  Eisen,  so 
tritt  in  den  Grenzen  des  Yersuchs  keine  Explosion  ein. 

4)  Durch  Hammerschlag  auf  eisernem  Amboss  explodirt  auch  die  kleinste  Menge; 
auf  einem  Sandstein-,  Cement-  oder  Holzboden  gelang  es  nie,  mit  einem  Hammerschlag 
Explosion  hervorzurufen  Auf  einem  Stein-  und  Holzboden  konnte  sogar  eine  Quan- 
tität Dynamit  anhaltend  mit  einem  Hammer  geschlagen  oder  unter  energischem  Drücken 
mit  demselben  oder  einem  andern  eisernen  Instrumente  gerieben  werden,  ohne  dass 
Explosion  erfolgte. 

5)  Starke  electrische  Funken  rufen  keine  explosive  Zersetzung  des  Dynamits 
hervor:  nur  wenn  durch  mehrere  Funken  eine  starke  Erwärmung  eintritt,  geht  eine 
langsame,  theilweise  Verbrennung  vor  sich. 

Obwohl  diese  Thatsachen  nicht  zu  leugnen  sind,  so  erscheint  es  doch  gewagt,  dem 
daraus  gezogenen  Schlüsse  beizutreten,  dass  Temperaturveränderung,  starke  Hitze,  selbst 
directes  Feuer  keine  Explosionsgefahr  des  Dynamits  bedingen,  wenn  letzterer  nicht  in 
einem  Räume  von  bedeutender  Widerstandsfähigkeit  fest  eingeschlossen  ist. 

Es  sind  noch  lange  nicht  alle  Umstände  bekannt,  unter  denen  eine  Explosion 
eintreten  kann,  noch  lange  nicht  sind  die  traurigen  Fälle  aufgeklärt,  wodurch  schou 
viele  Menschen  zu  Grunde  gegangen  sind.  Factisch  ist  es,  dass  jede  Temperaturerhöhung 
des  Dynamits  auch  seine  Explosivität  vermehrt,  wenn  er  in  diesem  Zustande  einem 
Stosse  ausgesetzt  wird.  Sowohl  bei  der  Bereitung  als  auch  beim  Transport  des  Dynamits 
ist  die  grösste  Vorsicht  erforderlich. 

Es  ist  noch  zu  erwähnen,  dass  viele  andere  Mischungen  von  Nitroglycerin  unter 
anderm  Namen  vorkommen.  So  stellt  der  Lithofracteur  Nitroglycerin  resp.  Dynamit 
mit  einem  Zusätze  von  Steinkohlenpulver,  Chilisalpeter  und  Schwefel  dar.  Dualin  ist 
eine  Mischung  von  Nitroglycerin  mit  nitrirten  Sägespänen:  selbstverständlich  verdienen 
diese  Fabricate  gleiche  Beachtung  wie  Dynamit. 


490  Kohlehydrate. 

Die  Verbrcnnungsproducte  des  Lithofracteurs  werden  bei  dem  Gehalte  an  Kohle 
sicher  Kohlenoxyd  enthalten  und  deshalb  bei  unterirdischen  Arbeiten  doppelte 
Vorsicht  erfordern. 

Um  den  Dynamit  zu  entzünden,  bedient  man  sich  dreifach  geladener  Zünd- 
hütchen, welche  in  die  Zündpatronen  so  eingesetzt  werden,  dass  ein  Theil  des  Hütchens 
noch  ans  dem  Dynamit  herausragt.  Der  Papierrand  der  Hülse  wird  aufgebogen  und 
an  die  Zündschnur  mit  Bindfaden  angebunden)  diese  Stelle  muss  mit  Wasser,  Pech 
oder  Talg  umgeben  werden,  wenn  es  sieh  um  Sprengungen  unter  Wasser  handelt.  Noch 
besser  sind  für  diesen  Zweck  dünne  Blechpatronen,  in  deren  Hals  die  Zündschnur 
mit  Hütchen   wasserdicht  eingesetzt  ist. 

Sprengungen  mit  Dynamit  belästigen  die  Arbeiter  jedenfalls  weit  geringer  als 
die  mit  flüssigem  Nitroglycerin.  Selbst  in  Graben,  deren  Ventilation  keine  ausreichende 
ist,  soll  sich  nach  Angabe  der  Techniker  kein  bemerkenswerther  Nachtheil  für  die 
Arbeiter  herausgestellt  haben,  was  übrigens  zweifelhaft  erscheinen  dürfte,  da  überall,  wo 
solche  Sprengungen  vorgenommen  werden,  eine  kräftige  Ventilation  ein  sanitäres  Er- 
forderniss  ist,  denn  es  müssen  sich  die  Zersetzungsproducte  des  Nitroglycerins  in  einem 
geschlossenen  Räume  stets  mehr  oder  weniger  geltend  machen,  weshalb  die  notliwendigen 
Vorsichtsmässregeln  nie  zu  vernachlässigen  sind.7) 


Kohlehydrate. 

In  der  Natur  gibt  es  zahlreiche  Verbindungen  von  Kohlenstoff,  Wasserstoff 
und  Sauerstoff,  welche  noch  der  Hexylgruppe  angehören,  sich  aber  dadurch 
auszeichnen,  dass  der  Wasserstoff  und  Sauerstoff  zwar  in  verschiedeneu  Mengen, 
jedoch  stets  in  dem  Verhältnisse  auftritt,  in  welchem  diese  Elemente  Wasser  bilden. 

Der  erste  Repräsentant  dieser  Verbindung  ist  der  Traubenzucker  CfiH120,;, 
aus  diesem  entsteht  duixh  Abgabe  von  Wasser  gleichsam  ein  höher  organisirter 
Körper,  der  Rohrzucker  Ci2H220n, 

2  C6  H12  06  —  H2  0  =  C12  H22  On  i 
welcher  als  Anhydrid  des  Traubenzuckers  betrachtet  werden  kann,  während 
Stärkemehl  C<;Hlü0.i  als  zweites  Anhydrid  ohne  alle  krystallinische  Structur 
auftritt;  schliesslich  entsteht  aus  dem  Stärkemehl  die  Cellulose  oder  Pflan- 
zenfaser CgHioO,-,.  Durch  Zufuhr  von  Wasser  kann  man  wiederum  aus  der 
Cellulose,  dem  Stärkemehl  und  dem  Rohrzucker  Traubenzucker  bilden. 

Aelmliche  Gebilde  finden  sich  auch  im  thierischen  Organismus:  der  Trauben- 
zucker tritt  aber  hier  mehr  als  pathologisches  Product,  namentlich  im  Harn  der 
Diabetiker,  auf  und  wird  bisweilen  durch  den  Muskel  zuck  er,  Inosit  C6H12C6,  ver- 
treten; im  Harn  der  Diabetiker  findet  sich  dieser  nämlich,  wenn  aller  Traubenzucker 
verschwunden  ist.  Inosit  ist  gährungsunfähig  und  kommt  namentlich  im  Muskelfleisch. 
im  Gehirn  und  Lungengewebe,  in  der  Pflanzenwelt  reichlich  in  unreifen  Leguminosen 
vor;  Vohl  hat  ihn  1856  zuerst  im  Safte  der  Bohne  (Phaseolus  vulgaris)  aufgefunden. 
Die  sogenannten  Amyloide  im  Thierorganismus  sind  ebenfalls  pathologische  Producte 
und  unterscheiden  sich  von  den  pflanzlichen  Amyloiden  durch  den  Stickstoffgehalt.  Die 
Cellulose  wird  durch  Jod  nicht  blau  gefärbt;  versetzt  man  sie  aber  mit  concentrirter 
Schwefelsäure,  so  wird  sie  allmählig  gelöst  und  durch  Wasser  in  weissen  Flocken 
ausgeschieden,  die  durch  Jod  blau  gefärbt  werden  Die  so  veränderte  Cel  lul ose  nennt 
man  in  der  Chemie  ebenfalls  Amyloid. 

Alle  Kohlehydrate  charakterisiren  sich  dadurch,  dass  sie  mit  oxydiren- 
den  Körpern,  mit  Kaliumchromat  und  Schwefelsäure,  mit  Braunstein  und  Schwefel- 
säure Ameisensäure  liefern;  sie  nehmen  in  der  Industrie  eine  höchst  wichtige 
Stellung    ein,    da   sich  einerseits    die  Zucker-    und  Stärkemehlfabricatiou 


Traubeuzuckerindustrie.  491 

sowie    die   Bierbrauerei,    andrerseits    die  Papierfabrication,    die    Baum- 
wollen-, Flachs-  und  Leinenindustrie  an  dieselben  knüpfen. 

Zuckerindustrie. 

A.    Traubenzuckerindustrie. 

Traubenzucker,  Krümelzucker,  Glycose  C(;H1206  kommt  iu  der  Pflanzenwelt 
von  der  niedrigsten  Flechte  bis  zu  den  am  vollkommensten  organisirten  Pflanzen  vor; 
am  meisten  findet  er  sich  iu  den  Früchten.  Seine  Darstellung  beruhte  in 
frühern  Zeiten  auf  der  Ausscheidung  aus  dem  Honig,  in  welchem  er  neben 
Schleimzucker,  dem  nicht  krystallisirbaren  Fruchtzucker  CöH12Ot;?  vorkommt; 
bei  seiner  grossen  Bedeutung  für  die  Industrie  musste  er  auf  billigere  Weise 
dargestellt  werden.  Man  hat  das  Stärkemehl  und  die  Pflanzenfaser 
(Lumpen,  Sägespäne  u.  s.  w.)  zur  reichlichem  Gewinnung  dieses  Zuckers  benutzt, 
um  seine  Verwendung  bei  der  Wein-  und  Bierbereitung,  bei  der  Branntwein- 
und  Essigfabrication  sowie  in  den  Färbereien  als  Reductionsmittel  zu  er- 
möglichen. 

Die  Fabrication  des  Traubenzuckers  hängt  gegenwärtig  mit  der 
Fabrication  des  Kartoffelstärkemehls  eng  zusammen. 

Man  hat  hierzu  die  reine  Kartoffelstärke,  die  Abfälle  bei  ihrer  Fabrication  oder 
die  geriebenen  Kartoffeln  selbst  benutzt.  Für  die  Weinfabrication  kann  nur  der  aus 
der  reinen  Stärke,  für  die  Bierfabrication  auch  der  aus  den  stärkemehlhaltigen  Ab- 
fällen gewonnene  Traubenzucker  benutzt  werden.  Der  aus  Kartoffelbrei  erhaltene 
Zucker  dient  nur  zur  Branntwein-  und  Alkoholfabrication. 

Die  Darstellungsmethode  des  Traubenzuckers  bleibt  sich  hierbei  gleich,  der 
Unterschied  besteht  nur  darin,  dass  im  letztern  Falle  am  meisten  Schwefelsäure  zur 
Anwendung  kommt. 

Die  Manipulationen  zerfallen  in  4  Hauptabtheilungen: 

1)  Die  Gewinnung  des  Zuckers  mittels  Schwefelsäure.  Grosse 
verbleite  Bottiche,  in  welchen  Stärkemehl  mit  verdünnter  Schwefelsäure  zu- 
sammengebracht wird,  werden  mittels  Dämpfe  erhitzt.  Das  Sieden  dauert 
zuweilen  36  Stunden  und  zwar  unter  Entwicklung  sehr  übelriechender  Dämpfe, 
da  sich  in  Folge  der  Einwirkung  der  Schwefelsäure  auf  Stärkemehl  resp.  auf  die 
stärkemehlhaltigen  Fasern  und  Schalen  ein  eigenthümliches  Oel  von  ekelhaftem 
Geruch  bildet,  welcher  bei  vielen  Individuen  Erbrechen  erregt.  Das  Wasser, 
welches  damit  imprägnirt  ist,  geht  sehr  rasch  in  Fäulniss  über,  darf  daher 
nicht  in  Schlinggruben  abgelassen  werden. 

Neben  dem  im  Deckel  befindlichen  Mannloch,  welches  Yerschliessbar  ist,  muss 
ein  Abzugsrohr  für  die  entweichenden  Dämpfe  angebracht  werden:  man  leitet  sie 
durch  ein  Schlangenrohr,  das  beständig  abgekühlt  wird,  um  ihre  Condensation  zu  be- 
wirken. Die  condensirten  Dämpfe  werden  mit  dem  Condensationswasser  in  einem 
Canale  gesammelt,  aus  welchem  ein  Abzugsrohr  für  die  nicht  condensirten 
Dämpfe  zum  Schornstein  führt;  die  condensirte  ölige  Substanz  schwimmt  auf 
dem  Condensationswasser.  Der  Abfluss  dieser  Wässer  in  grosse  Wasserläufe  ist  bei 
grosser  Verdünnung  gestattet;  es  ist  deshalb  für  den  Betrieb  einer  solchen  Fabrik  die 
Lage  an  einem  Flusse  von  der  grössten  Bedeutung.  Lässt  man  die  Wässer  in  Bäche, 
Gräben  oder  Wasserläufe  mit  geringem  Gefälle  ab,  so  erzeugt  sich  sehr  leicht  die 
Alge,  welche  als  Leptomitus  lacteus  in  der  Zuckerindustrie  sehr  bekanntgeworden 
ist;  Behandlung  dieser  Wässer  mit  Kalk  oder  andern  Desinfectionsmitteln  (fiüüern'a 
Mittel)  ist  daher  absolut  erforderlich,  wenn  sie  nicht  sofort  zum  Abfluss  gelangen 
können  oder  nur  kleiue  Wasserläufe  zur  Verfügung  stehen. 

2)  Die  Neutralisation  mit  Calciumcarbonat  und  Abscheidung 
des  gebildeten  Gipses  (Filtration).  Die  schwefelsaure  Traubenzuckerlösung 
lässt  man  siedend  heiss  in  verbleite  und   mit  einem  Rührwerk  versehene  Präci- 


492  Kohlehydrate. 

pitirbottiche  laufen.  Man  setzt  geschlemmte  Kreide  hinzu;  unter  starkem  Auf- 
brausen scheidet  sich  die  Schwefelsäure  als  Gips  aus,  weshalb  man  nur  kleine 
Quantitäten  Kreide  zusetzen  darf. 

Man  vermeide  den  Zusatz  von  Kalkmilch  (Aetzkalk),  weil  sich  beim  geringsten 
Ueberschuss  des  Fällungsmittels  ein  Kalksaccharat  bildet,  welches  Blei  und  andere 
Metalle  auflöst.  Um  die  letzte  Spur  von  Gips  zu  entfernen,  digerirt  man  schliesslich 
mit  ßariumcarbonat. 

Durch  Decantation  trennt  man  den  klaren  Syrup  vom  Präcipitat:  letzteres 
wird  2 — 3 mal  mit  siedendem  Wasser  ausgewaschen:  das  Waschwasser  wird  wieder  zum 
Anrühren  neuer  Portionen  Stärkemehl  benutzt. 

3)  Das  Eindampfen  des  Traubenzuckersyrups.  Die  Dampfpfannen 
communiciren  mittels  eines  Rohrs  mit  den  Bottichen;  die  aus  der  Zuckerlösuug 
entweichenden  Wasserdämpfe  werden  durch  einen  Dampfmautel  in's  Freie  oder 
in  den  Fabrikschornstein  geleitet. 

Die  Verdampfung  wird  bis  zu  33°  B.  der  Flüssigkeit  fortgesetzt.  Der  auf  diese 
Weise  erhaltene  flüssige  Syrup,  Stärkesyrup,  bleibt  noch  einige  Tage  bis  zur 
vollständigen  Ausscheidung  des  Gipses  stehen.  Die  klare  Flüssigkeit  wird  an  Brauer 
und  Honigkuchenbäcker  verkauft;  für  feinere  Backwaaren  und  die  Liqueur- 
l'abrication  ist  eine  nochmalige  Filtration  über  Knochenkohle  erforderlich. 

Will  man  Traubenzucker  aus  dem  Syrup  darstellen,  so  verdampft  man  ihn  im 
Vacuum  oder  in  offenen  Pfannen  mittels  Wasserdämpfe  bis  zu  39°  B.  ein. 

4)  Die  Krystallisation.  Die  Krystallisatiousgefässe,  in  welche  der  ein- 
gedickte Syrup  gelangt,  müssen  in  kellerartigen  Gewölben  6 — 8  Tage  lang 
stehen;   die  Krystallisation   findet  dann  in  blumenkohlartigen  Wucherungen  statt. 

Wenn  die  Krystalle  schon  ziemlich  farblos  sind,  so  werden  sie  mittels  hydrau- 
lischer Pressen  in  ca.  l/4  Centner  schwere  Würfel  gebracht;  eine  feine  Waare  wird 
aber  vorher  nochmals  mit  Thierkohle  behandelt  und  umkrystallisirt,  um  eine  vollstän- 
dige Reinheit  zu  erzielen. 

Enthält  ein  solcher  Zucker  Gips,  so  kann  er  zur  Weinfabrication  nicht  benutzt 
werden,  da  sich  möglicherweise  während  der  Gährung  Schwefelcalciu  m  bilden 
kann,  welches  zur  Entwicklung  von  Schwefelwasserstoff  Veranlassung  gibt. 

Der  aus  den  Krystallisationsgefässen  abfliessende  Zuckersyrup  wird  nochmals 
weiter  eingedampft,  um  dadurch  allen  krystallisirbaren  Zucker  zu  erhalten. 

Die  Mutterlauge  (Melasse),  welche  schliesslich  erhalten  wird  und  fast  keinen 
krystallisirten  Zucker  mehr  enthält,  ist  gewöhnlich  mit  Arsen  (der  gebrauchten  Schwefel- 
säure), Blei,  Zink  und  Kupfer  verunreinigt.  Man  nennt  diese  Melasse  auch  häufig  mit 
Unrecht  Stärkesyrup.  Malzersatz,  und  benutzt  sie  in  Branntweinbrennereien  und 
Bierbrauereien  {Hoff'sches  Malzextract). 

Syrop  imponderable  ist  ein  Syrup,  welcher  noch  unzer setztes  Dextrin 
enthält  und  eine  dichte,  in  Wasser  leicht  lösliche  Masse  ohne  Krystallisation  darstellt. 
Man  präparirt  ihn  aus  viel  Stärkemehl  und  wenig  Schwefelsäure;  er  dient  zur 
Fabrication  von  Confitüren,  eingemachten  Früchten  und  Fruchtsyrupen. 

Gekörnter  Traubenzucker  wird  in  der  Weise  dargestellt,  dass  man  zur 
Krystallisation  offene  Fässer  mit  siebförmig  durchlöchern  Böden  benutzt.  Diese 
Oeffnungen  werden  mit  kleinen  Holzpflöcken  verschlossen:  man  nimmt  sie  weg,  wenn 
die  Flüssigkeit  etwa  zu  zwei  Drittel  mit  Krystallen  erfüllt  ist,  damit  der  Syrup  ab- 
tropfen kann,  der  noch  Dextrin  enthält  und  bei  der  nächsten  Operation  wieder  mit 
Schwefelsäure  gekocht  wird.  Die  Krystalle  werden  in  einem  Luftstrome  getrocknet 
und  bestehen  aus  einer  Menge  rhomboidaler  Täfelchen;  dieser  Zucker  ist  dem  Rüben- 
rohrzucker sehr  ähnlich  und  dient  auch  zum  Verfälschen  desselben. 

Wird  der  Traubenzucker  aus  stärkemehlhaltiger  Faser  oder  aus  Kar- 
toffelbrei dargestellt,  so  ist  die  Melasse  um  so  schlechter  und  kann  dann  nur  zur 
Branntwein-  oder  Essigfabrication  verwendet  werden;  dass  hier  die  Verunreinigungen 
in  einem  noch  stärkern  Grade  auftreten,  resultirt  aus  der  Anwendung  der  grössern 
Menge  Schwefelsäure. 

In  Frankreich  hat  man  früher  Holz,  Sägemehl,  Holzsägespäne  u.  s.  w.  durch 
Schwefelsäure  in  Traubenzucker  übergeführt  und  letztern  zur  Darstellung  von  Brannt- 
wein benutzt;  man  hat  jedoch  diese  Methode  wieder  aufgegeben,  weil  sie  umständlich 
und  nicht  so  nutzbringend  wie  die  aus  Kartoffelstärke  war. 

Bei  der  Darstellung  des  Traubenzuckers  aus  Trauben  benutzt  mau 


Rohrzuckerindustrie.  493 

den  Saft  der  weissen  Trauben,  welchen  man  schwefelt,  um  ihn  länger  aufbe- 
wahren zu  können  und  durch  Absetzen  zu  klären.  Um  einen  Theil  der  Wein- 
säure zu  neutralisiren ,  gebraucht  man  Marmor  oder  Kreide;  man  erhitzt  dann 
den  Most  bis  zum  Sieden  und  iässt  ihn  so  lange  stehen,  bis  sich  die  unlöslichen 
Calciumsalze  abgelöst  haben.  Hierauf  erfolgt  die  Klärung  mit  Rindsblut,  das 
Abschäumen  und  das  Eindampfen  bis  zu  26°  B. 

Man  giesst  die  ausgeschiedenen  Unreinigkeiten  ab,  nachdem  der  Most  einige  Zeit 
in  Fässern  abgelagert  hat.  Nach  einem  abermaligen  Einkochen  bis  auf  34°  B.  erhält 
man  einen  Syrup,  welchen  man  als  solchen  verwenden  kann,  wenn  man  nicht  festen 
Traubenzucker  daraus  darstellen  will.  Zu  dem  Ende  kocht  man  ihn  noch  stärker  ein 
und  bringt  ihn  in  Krystallisirgefässe,  in  welchen  sich  im  Verlaufe  von  einigen  Wochen 
körnige  Krystalle  ausscheiden,  welche  man  in  Zuckerhutform  bringt,  damit  der  nicht 
krystallisiren de  Zucker,  Schleimzucker  (Chylariose,  vuXcipiqv.  Syrup),  abgeschieden 
und  durch  Decken  mit  reiner  Traubenzuckerlösung  verdrängt  wird;  auch  kann  man 
die  Krystalle  zu  diesem  Zwecke  in  Centrifugalmaschinen  behandeln. 

Die  Krystalle  des  Traubenzuckers  enthalten  I  Molec.  Wasser,  nur  beim 
Umkrystallisiren  aus  absolutem  Alkohol  können  sie  wasserfrei  erhalten  werden.  Der 
Traubenzucker  ist  im  Wasser  weniger  löslich  als  Rohrzucker  und  auch  weniger  süss; 
die  Lösung  lenkt  die  Polarisationsebene  nach  rechts  ab.  Die  beim  Verdampfen  der- 
selben entstehenden  Krystalle  gehören  in  das  rhombische  System;  bei  170°  schmelzen  sie 
unter  Abgabe  des  Wassers  und  es  entsteht  Glycosan  CfiHi0Oj.  Beim  stärkern  Glühen 
verwandelt  sich  der  Zucker  in  Caramel,  in  ein  braungefärbtes  Gemenge  verschiedener 
Verbindungen.  Mit  Basen  geht  er  constante  Verbindungen  ein,  mit  Kochsalz  bildet  er 
einen  leicht  krystallisirbaren  Körper  und  mit  vielen  organischen  Stoffen,  namentlich 
mit  Säuren,  ätherartige  Verbindungen  (Glucoside),  welche  den  Glyceriden  ent- 
sprechen. Bei  Gegenwart  von  Basen  findet  leicht  eine  Oxydation  desselben  statt  und 
verwandelt  er  namentlich  eine  alkalische  Kupferoxydlösung  in  Kupferoxydul 
(ZuckerprobeJ ;  er  ist  unmittelbar  gährungsfähig. 

B.    Kohrzuckerindustrie. 

Rohrzucker  C12H22  0n  kommt  in  sehr  verschiedenen  Pflanzensäften,  aber 
ganz  besonders  im  Zuckerrohr  (Saccharum  officinarum)  vor,  von  dem  er  auch 
den  Namen  Rohrzucker  erhalten  hat. 

Verschiedene  Palmen,  die  Melonen,  Kürbisse,  Maisstengel  und  vorzüglich  der 
Zucker-Ahorn,  Acer  saccharinum,  enthalten  neben  Traubenzucker  Rohrzucker;  letzterer 
wird  in  den  südlichen  Staaten  von  Nordamerika  aus  dem  Zuckerrohre  nur  für  den 
häuslichen  Bedarf  dargestellt.  Ausserdem  liefern  die  Blüthen  der  Cactus,  verschiedene 
Allium- Arten  und  ganz  besonders  die  Knollengewächse  aus  den  Familien  der  Cruciferen, 
die  Runkelrüben,  den  Rohrzucker. 

Er  krystallisirt  in  wasserhellen  schiefen  Säulen  und  ist  in  Alkohol  schwer  löslich : 
Zuckerlösung  lenkt  die  Polarisation  nach  rechts.  Bei  längerer  Erhitzung  auf  170° 
spaltet  er  sich  in  Traubenzucker  und  Levulosan: 

C12H32On  =  C6H1206+C6H1005. 

Bei  200°  geht  er  in  Caramel  über.  Mit  Alkalien  und  alkalischen  Erden  ver- 
bindet sich  der  Rohrzucker  wie  der  Traubenzucker;  durch  die  Hefe  verwandelt  er  sich 
zunächst  in  Traubenzucker  und  spaltet  sich  dann  in  die  Producte  der  geistigen  Gährung: 
Kohlensäure  und  Alkohol.  Ein  Gemisch  von  Salpetersäure  und  Schwefelsäure  führt 
ihn  in  eine  explosive  Verbindung,  in  Nitrosaccharit,  über. 

Bei  gelinder  Wärme  wird  er  durch  Salpetersäure  in  Zuckersäure  verwandelt: 
C13H22On  +  3O2  =  2C6H10O84-H2O. 
Wird  er  damit  gekocht,  so  geht  er  in  Oxalsäure  über: 

CJ2H22011  +  902=6C2H204+5H20. 

Zur  technischen  Darstellung  des  Rohrzuckers  im  Grossen  wird  hauptsächlich 

das  Zuckerrohr  und  die  Zuckerrübe  benutzt. 

1)   Rohrzucker   aus  dem  Zuckerrohr. 
Die  Zuckerfabrication    basirt  im  Allgemeinen    auf   dem  Auspressen    des 
Saftes    aus   dem  Zuckerrohr  mittels  eiserner  Walzenpresseu    und    dem  Klären 
und  Eindicken  desselben. 


404  Kohlehydrate. 

Der  Saft  wird  zunächst  mit  Kalkmilch  behandelt  und  dann  in  der  Siederei  in 
einem  System  von  eisernen  oder  kupfernen  Kesseln  eingekocht  und  zwar  bis  zum 
Krystallisationspuncte:  hierauf  gelangt  er  in  die  Krvstallisirbottiche.  Ein  falscher  durch- 
löcherter Boden  läset  es  zu.  dass  der  nicht  krystallisirte  Theil  (Syrup  oder  Melasse) 
abgelassen  werden  kann:  die  zurückbleibende  Masse  heisst  Rohzucker,  Moscovade 
oder  Puderzucker.  Ein  mit  Thon  gedeckter  Rohzucker,  welcher  in  Broten  in  den 
Handel  kommt,  heisst  Cassonade. 

Im  Handel  unterscheidet  man  den  westindischen  Rohzucker  (Cuba,  Haiti, 
Jamaica,  St.  Thomas.  Havanna  u.  s.  w.),  den  amerikanischen  (Rio  Janeiro,  Suri- 
nam u.  s.  w. )   und  den  ostindischen  (Java,  Manilla,  Siam  u.  s.  w.). 

Die  Melasse  stellt  eine  wässrige  Lösung  von  krystallisirbarem  Zacker, 
Schleimzucker,  kleinen  Mengen  von  Caramel,  stickstoffhaltigen  Substanzen  und 
Mineralsalzen  in  sehr  wechselnden  Verhältnissen  dar;  sie  ist  von  dunkelroth- 
brauner  Farbe,  süssem  Geschmack  und  fadenziehender  Beschaffenheit. 

Hauptsächlich  dient  sie  in  den  Colonien  für  die  Rumbereitung  und  nur  der 
kleinere  Theil  davon  wird  wie  Syrup  als  Nahrungsmittel  benutzt. 

Der  R.ohzucker  enthält  stets  ziemlich  viel  von  dieser  Melasse  und  ist  dadurch 
gelb  und  braun  gefärbt,  weshalb  er  einer  Raffination  unterworfen  werden  muss. 

Das  Raffiniren  des  Rohzuckers  geschah  früher  fast  nur  in  Europa,  jetzt 
aber  meist  schon  an  Ort  und  Stelle,  wo  der  Zuckersaft  gewonnen  wird;  es  zerfällt 
in  folgende  Manipulationen: 

1)  Das  Schmelzen  und  Klären.  Die  Auflösung  wird  in  kupfernen,  mit 
Dampf  geheizten  Pfannen  vorgenommen.  In  einer  zweiten,  mit  doppeltem  Boden 
versehenen  Pfanne  (Läuterpfanne)  setzt  man  das  Klärmittel  zu,  wozu  man  gegen- 
wärtig hauptsächlich  die  Knochenkohle  benutzt;  früher  gebrauchte  man  viel- 
fältig defibrinirtes  Ochsenblut  und  gleichzeitig  Beinschwarz. 

Die  Aufbewahrung  von  grossen  Mengen  des  Klärmittels  in  den  betreffenden 
Raffinerien  erzeugte  früher  viele  Belästigung  für  die  nächste  Nachbarschaft ,  wenn  das 
Blut  in  Fäulniss  überging  und  dann  ein^n  höchst  widerlichen  Geruch  verbreitete.  Zur 
Verhütung  derselben  ist  es  zweckmässig,  gut  geschwefelte  Fässer,  in  die  man  noch  etwas 
wässrige  schweflige  Säure  oder  schwefligsaures  Calcium  gibt,  für  die  Aufbewahrung  des 
Blutes  zu  verwenden. 

Häufig  wendet  man  noch  Kohle  und  Blut  zum  Läutern  an:  das  geronnene  Blut- 
eiweiss,  welches  die  trübemachenden  Bestandtheile  aufnimmt,  scheidet  sich  in  diesem 
Falle  mit  dem  Kohlenpulver  an  der  Oberfläche  als  ein  dicker  Schaum  aus. 

2)  Das  Filtriren  der  geklärten  Zuckerlösung;  3)  das  Kochen  des  Klärsels, 
•4)  das  Krystallisiren  und  Kühlen.  5)  das  Füllen  in  Formen  und  6)  das 
Decken  und  Trocknen  geschieht  fast  ganz  so  wie  bei  der  Runkelrnbenzucker- 
fabrication. 

2)    Rohrzucker  aus  Runkelrüben. 

Obgleich  der  Rohrzucker  in  der  Runkelrübe  schon  1747  vom  Apotheker 
Marggraf  in  Berlin  nachgewiesen  und  die  Darstellung  desselben  empfohlen 
worden,  so  dauerte  es  doch  noch  lange,  ehe  der  Rübenzucker  mit  dem  Colonial- 
zucker  eine  Concurrenz  eingehen  konnte.  Erst  am  Ende  des  vorigen  Jahr- 
hunderts errichtete  Achard  in  der  Niederlausitz  die  erste  Fabrik  dieser  Art 
und  verwaltete  sie  auf  Anordnung  des  Königs  von  Preussen  mehrere  Jahre  lang. 
Obgleich  die  durch  Napoleon  I.  angeordnete  Continentalsperre  eine  geeignete 
Veranlassung  gab,  dieser  Fabrica tion  einen  bedeutenden  Vorschub  zu  leisten,  so 
waren  doch  noch  viele  Jahre  dazu  nöthig,  um  eine  vollständigere  Saftgewinnung, 
eine  rationelle  Reinigung  und  schnellere  Concentration  des  Saftes,  welche  eine 
ergiebigere  Ausbeute  an  krystallisirbarem  Zucker  bedingt,  kennen  zu  lernen. 
Viele  thätige  und  verdienstvolle  Männer  sind  peeuniär  zu  Grunde  gegangen,   um 


Kubenzucker.  495 

spätem  Industriellen  den  Nutzen  zu  verschaffen  und  eine  Fabricationsniethode 
zur  Ausbildung  zu  bringen,  welche  gegenwärtig  der  Landwirtschaft  und  vielen 
andern  Gewerben  die  reichste  Erwerbsquelle  eröffnet  hat,  nachdem  man  immer 
mehr  erfahren  hat,  dass  nur  eine  rationelle  Verbindung  des  landwirtschaftlichen 
Betriebes  mit  der  Fabrication  den  Erfolg  bedingt. 

Chemische  Zusammensetzung  der  Runkelrübe.  Die  Stammpflanze  der 
Runkelrübe  (Zuckerrübe,  Mangold)  ist  die  an  der  spanischen  und  portugiesischen  Küste 
wild  wachsende  Beta  maritima.  Man  zog  sie  zuerst  in  Gärten,  um  die  Blattstengel 
als  Gemüse  und  die  rothe  Varietät  der  Wurzeln  in  verschiedener  Zubereitung  als  Nah- 
rungsmittel zu  geniessen;  erst  im  Anfange  unseres  Jahrhunderts  wurde  sie  Futter- 
pflanze und  mit  der  Vervollkommnung  der  Rüben zuckerfabrication  mit  jedem  Tage  be- 
deutungsvoller als  Fabricationspflanze.1) 

Von  dem  sorgfältigen  Anbau  der  Runkelrübe  hängt  ihr  Ertrag  an  Zucker  ab.1) 
Die  frische  Rübe  enthält  durchschnittlich  84  %  Wasser  und  9  10  %  Rohrzucker  ohne 
Trauben-  oder  Schleim zucker.  Der  Maximalgehalt  betragt  13  — 14%  Zucker.  In 
1000  Theilen  sind  als  Mittel  vieler  Analysen  enthalten:  an  Eiweiss  29,30,  an 
Pectin  23,50,  an  Zucker  98,25,  an  Salzen  in  Summa  7,87,  d.h.  an  Kali  3,21,  an 
Natron  1,58,  an  Kalk  0,80,  an  Magnesia  0,43,  an  Eisenoxyd  0,08,  an  Phosphor- 
säure 0,58,  an  Schwefelsäure  0,36,  an  Chlor  0,59,  an  Kieselsäure  0,24  und  an 
Wasser  841,08. 

Aus  dem  Vorkommen  von  Aspara ginsäure  in  den  Melassen  und  Füllmassen 
hat  man  auf  das  Vorhandensein  von  Asparagin  in  den  Rüben  geschlossen;  dadurch 
lässt  sich  auch  die  Entwicklung  von  Ammoniak  nach  Zusatz  von  Kalk  bei  der  Runkel- 
rübenzuckerindustrie  erklären,  da  das  an  sich  neutrale  Asparagin  beim  Kochen  mit 
Alkalien  oder  Kalk  unter  Ammoniakentwicklung  in  Aspara  ginsäure  übergeht. 

Wahrscheinlich  enthalten  die  unreifen  Rüben  mehr  Asparagin  als  die  reifen, 
wohingegen  die  Samenrüben  nichts  mehr  davon  enthalten  werden.  Rüben,  welche  über- 
wintert haben,  scheinen  statt  Asparagin  Asparaginsäure  zu  enthalten. 

In  der  jüngsten  Zeit  hat  Scheiblf-r  ein  Alkaloid:  Betain  C30H33N3Oj2  im  Rüben- 
safte entdeckt,  das  bei  der  Krystallisation  des  Zuckers  in  die  Melasse  übergeht. 

Darstellung  des  Zuckers  ans  Rüben.  Im  Allgemeinen  ist  zu  bemerken,  dass 
der  durch  Kalkzusatz  von  seinem  Eiweissgehalt  und  seinen  freien  Säuren  befreite 
zuckerhaltige  Saft  durch  Abdampfen  eingedickt  und  der  ersten  Reinigung, 
der  Klärung  oder  Defäcation  unterworfen  wird;  nach  gehöriger  Abschäumung 
folgt  alsdann  die  zweite  Reinigung  oder  Filtration.  Durch  fortgesetztes 
Kochen  stellt  man  die  Zucker-  oder  Füllmasse  dar,  woraus  sich  schon  ein  grosser 
Theil  des  Zuckers  als  erstes  Product  krystallinisch  abscheidet.  Diebetreffende 
Mutterlauge  heisst  grüner  Syrup,  welcher  durch  Abdampfen  das  zweite  und 
dritte  Product  liefert. 

Setzen  sich  in  der  Mutterlauge,  d.  h.  in  der  von  den  ausgeschiedenen  Krystallen 
ablaufenden  Flüssigkeit,  keine  Zuckerkrystalle  mehr  ab,  so  nennt  man  sie  Melasse 
und  benutzt  sie  zur  Alkoholdarstellung. 

Die  verschiedenen  Producte  kommen  als  Rohzucker  in  den  Handel,  wenn  sie 
nicht  durch  Decken  und  Raffiniren  zu  Raffinade  oder  zu  verschiedenen  Melis-  und 
Candissorten  verarbeitet  werden;  der  Handel  mit  diesem  Rohzucker  hat  in  der  letzten 
Zeit  sehr  an  Ausbreitung  gewonnen. 

Betrachtet  man  specieller  die  einzelnen  Operationen,  welche  bei  der  Rüben- 
zuckerfabrication  vorkommen,  so  sind  viele  derselben  rein  mechanischer  Natur 
und  von  keinem  sanitären  Interesse.  Hierher  gehört  1)  das  Waschen  und 
Putzen  der  Rüben  mittels  Waschmaschinen,  wodurch  die  denselben  anhängende 
Erde  u.  s.  w.  entfernt  wird.  Die  Construction  der  betreffenden  Maschinen  ist  ver- 
schieden; die  hierbei  abfallenden  Wässer  sind  unschädlich  und  können  frei  ab- 
gelassen werden. 

2)  Das  Zerreiben  oder  Zerschneiden  der  Rüben.  Auch  hierzu  ge- 
braucht mau  besondere  Reibrnaschinen,  von  denen  die  von  Thierry  und  Robert 


498  Kohlehydrate. 

die  gebräuchlichsten  sind;  man  bezweckt  dadurch  ein  vollständiges  Zerreissen  der 
Zellen  und  eine  desto  ergiebigere  Ausbeute  an  Saft. 

3)  Die  Gewinnung  des  Rübensaftes.  Nach  vielfachen  Versuchen,  aus 
dem  Rübenbrei  durch  Centrifugen,  nach  Schützenbach  durch  Maceriren,  nach 
Robert  aus  den  grünen  Schnitzeln  durch  das  Macerations verfahren  oder  durch 
Diffusion  mittels  der  sogenannten  Diffuseurs  den  Saft  zu  gewinnen,  ist  man 
wieder  znm  Auspressen  des  Rübenbreis  mittels  der  hydraulischen  Presse 
zurückgekommen. 

Die  Press rück  stände,  die  sogenannten  Presslinge,  werden  gewöhnlich  als 
Viehfutter  verwendet  und  deshalb  in  Gruben  eingemacht,  wo  sie  einer  sauren  Gährung 
unterliegen,  welche  neben  Schwefelwasserstoff  die  übelriechenden  fetten  Säuren  und 
Milchsäure  erzeugt.  Diese  Gruben  dürfen  deshalb  nicht  in  unbedeckten  Räumen,  in 
Ställen,  Kellern  oder  in  der  Nähe  bewohnter  Strassen  angelegt  werden.  Viel  zweck- 
mässiger ist  es,  die  Pressrü,ckstände  aufgelockert  mit  geringen  Mengen  Salz  zu  mengen 
und  dann  mit  hydraulischen  Pressen  in  2 — 3  Zoll  dicke  Kuchen  zu  verwandeln,  welche 
wie  gewöhnliches  Schwarzbrot  in  Backöfen  gebacken  werden.  Diese  getrockneten  resp. 
gebackenen  Presslinge  halten  sich  jahrelang  und  geben  für  Pferde  und  andere  Haus- 
thiere  ein  ausgezeichnetes  Viehfutter  ab. 

Die  Presstu.ch.er  müssen  sorgfältig  von  den  ihnen  anklebenden  vegetabilischen 
Substanzen  gereinigt,  also  mehrmals  in  heissem  Wasser  ausgewaschen  werden,  weil  sie 
sonst  zur  sauren  Gährung  Veranlassung  geben.  Ist  der  Betrieb  ein  grossartiger,  so  kann 
auch  die  Menge  des  hier  abfallenden  Wassers  eine  bedeutende  sein;  es  darf  dann  nicht 
frei  abgelassen  werden,  weil  es  durch  seinen  Gehalt  an  vegetabilischen  Stoffen  sehr  leicht 
Gährungs-  resp.  Fäulnis sprocesse  herbeiführt. 

4)  Die  Läuterung  oder  erste  Reinigung  des  Saftes.  Es  wird  hier- 
durch die  Abscheidung  derjenigen  Stoffe  bezweckt,  welche  die  Krystallisations- 
fähigkeit  des  Zuckers  beeinträchtigen  resp.  aufheben.  Zuerst  wird  der  Saft  in 
kupfernen  Läuterungs-  oder  Defäcationskesseln  mit  doppeltem  Boden  bis  auf 
60 — 65°  R.  erhitzt  und  bei  der  eintretenden  Coagulation  des  Eiweisses  mit  Kalk- 
milch versetzt,  wobei  tüchtig  umgerührt  werden  m'uss,  damit  eine  gleichmässige 
Mischung  entsteht. 

Dieser  Zusatz  führt  die  Abscheidung  der  stickstoffhaltigen  Substanzen,  der  phos- 
phorsauren Salze  und  die  Neutralisation  der  vorhandenen  freien  Säuren  herbei.  Während 
des  Kochens  entwickeln  sich  eigenthümliche  Riechstoffe  und  ammoniakalische  Dämpfe: 
nur  erstere  vermögen  ein  empfindliches  Geruchsorgan  zu  beleidigen,  obgleich  die  ganze 
Procedur  keine  bedeutende,  jedenfalls  keine  schädliche  Belästigung  veranlasst. 

Behufs  Entkalkung  des  Saftes  wird  der  Kalk  durch  Kohlensäure  präcipitirt; 
diese  wird  gewöhnlich  zu  diesem  Zwecke  aus  Holzkohle  und  Koks,  noch  besser  aus 
reinen  Holzkohlen  dargestellt,  indem  man  mittels  einer  Compressionspumpe  die  atmo- 
sphärische Luft  durch  die  glühenden  Kohlen  treibt. 

Der  Kindler'sche  Apparat,  durch  welchen  die  Luft  durch  die  Kohlen  gesaugt  wird, 
hat  mehr  Beifall  gefunden.  Die  Luft  strömt  durch  ein  senkrecht  gestelltes  Gitter  und 
trifft  dort  auf  eine  verhältnissmässig  dünne  Schicht  Koks,  welche  sich  in  einer  Art 
von  Schachtofen  durch  Nachsinken  von  oben  wieder  ergänzt.  Das  Gas  streicht  unter 
einer  Reihe  von  Abkühlungsgefässen  und  über  einen  Haufen  von  Marmor,  durch  welchen 
die  schweflige  Säure  aufgenommen  wird,  in  das  Waschgefäss,  wird  von  dort  durch 
die  Luftpumpe  aufgesaugt  und  nach  den  Sättigungsapparaten  gedrückt. 

Statt  der  Konlensäure  hat  man  noch  sehr  viele  andere  Mittel  zum  Entkalken  des 
Rübensaftes  vorgeschlagen;  sehr  wenige  davon  haben  sich  in  der  Praxis  bewährt. 
Frickenhavs  hat  die  Fluorwasserstoffsäur  e  gerühmt;  aber  auch  Fluor  magnesium 
und  überhaupt  Fluoralkalimetalle  hat  man  schon  in  Anwendung  gebracht,  wobei 
jedoch  zu  bemerken  ist,  dass  sich  ein  Ueberschuss  des  Fällungsmittels,  wenn  ein  solcher 
vorkommt,  zuletzt  in  der  Melasse  vorfindet. 

5)  Das  Abdampfen  des  geläuterten  Saftes.  Nachdem  der  klare  Saft 
von  dem  Calciumcarbonat,  welches  sich  abgesetzt  hat,  abgelassen  worden  ist, 
gelangt  er  in  die  Abdampfpfannen,  um  hier  eine  gewisse  Concentration  zu  er- 
halten,   welche    für  die  zweite  Reinigung  erforderlich  ist.     Durch  dies  erste 


Zuckerindustrie.  497 

Abdämpfen    concentrirt  man   gewöhnlich   den   Saft  nnr   so  weit,   als   sich    noch 
Ammoniak  entwickelt.*) 

Hört  diese  Entwicklung  auf,  so  kann  man  sicher  sein,  dass  die  meisten  stickstoff- 
haltigen Körper  zerstört  sind;  dann  erst  kann  auch  der  Saft  seinen  Kalk  vollständig  ver- 
lieren, was  durch  die  zweite  Reinigung,  durch  die  Filtration  über  Kohle,  beab- 
sichtigt wird. 

Das  Abdampfen  geschieht  a)  bei  gewöhnlichem  Luft  drucke  entweder  über 
freiem  Feuer  oder  mit  Hochdruckdampf  oder  mittels  erwärmter  Luft.  Am  bekanntesten 
ist  die  Pfanne  von  Peequpur,  bei  welcher  Wasserdämpfe  von  2 — 3  Atmosphärendruck  in 
einem  Röhrensystem  circuliren; 

b)  bei  vermindertem  Luftdrucke  in  den  sogen.  Vacuumpfannen.  welche 
1812  zuerst  von  Howard  eingeführt  worden  sind  und  jetzt  fast  allgemein  zur  Anwendung 
kommen,  da  die  Verdampfung  hierbei  leichter  erfolgt  und  auch  ein  Zucker  von  sehr 
geringer  Färbung  erzielt  wird.  Man  erzeugt  den  luftverdünnten  Raum  meist  mit  Hülfe 
der  Luftpumpe,  seltner  durch  die  Toricelli'sche  Leere. 

Beim  Gebrauch  der  Vacuumpfannen  niuss  der  Saft  möglichst  kalkfrei  sein,  weil 
sich  sonst  die  Heizröhren  mit  einer  Kalkkruste  überziehen,  welche  das  Wärmeleitungs- 
vermögen beeinträchtigt  und  die  Arbeit  verlangsamt,  weshalb  man  auch  häufig  schon 
vor  dem  Abdampfen  des  Saftes  eine  Filtration  des  entkalkten  Saftes  durch  Knochen- 
kohle vornimmt. 

6)  Die  zweite  Reinigung  des  Saftes  oder  Klärung  desselben 
durch  Knochenkohle.  Früher  gebrauchte  man  die  Holzkohle  und  erst  im 
Jahre  1822  kam  die  Knochenkohle  zur  Anwendung,  jedoch  erst  durch  Dumont 
im  Jahre  1828  zur  richtigen  Würdigung,  nachdem  er  die  Vorzüge  der  grob 
gepulverten  Kohle  kennen  gelernt  hatte;  die  gekörnte  Kohle  gestattet  nämlich 
ihre  sogenannte  Wiederbelebung. 

Die  gebrauchte  Knochenkohle  enthält  ausser  dem  Farbstoffe  und  dem  Kalk  noch 
Schleim  und  sonstige  fremde  Bestandteile  der  Zuckersäfte,  weiche  daraus  entfernt 
werden  können,  so  dass  die  Kohle  von  Neuem  wieder  zu  gebrauchen  ist,  ein  Vortheil, 
welcher  für  die  Zuckerfabrication  von  der  grössten  Wichtigkeit  ist  (s.  Wiederbelebung 
der  Knochenkohle  S.  325). 

Die  Di/monf sehen  Filter  finden  sich  jetzt  in  allen  Fabriken:  man  setzt  auch  bis- 
weilen Blut  zur  Kohle,  wenn  der  Saft  sehr  unrein  ist,  oder  wenn  man  Candis  und  die 
besten  Melissorten  bereiten  will. 

Den  Rückstand  benutzt  man  in  der  Regel  zum  Düngen;  er  ist  unter  Umständen 
sehr  bedeutend  und  disponirt  sehr  leicht  zur  Fäulniss.  Bei  der  amtlichen  Revision  einer 
Zuckerfabrik  in  Hamburg  wurde  die  Menge  eines  solchen  Rückstandes  auf  300,000  Pfd. 
geschätzt;  es  kann  dann  nicht  ausbleiben,  dass  das  Ablagern  einer  solchen  Masse 
durch  Geruch  und  Verunreinigung  des  Bodens  nachtheilig  einwirkt. 

Als  Surrogat  der  Kohle  kann  man  auch  Hühnereiweiss  benutzen  (s. Candis  S.500\ 

7)  Eindicken  des  filtrirten  Saftes  (Klärsels).  Nach  der  zweiten 
Reinigung  gelangt  der  gewöhnlich  bis  zu  24°  B.  verdampfte  Saft,  welcher  Dick- 
saft,  Klärsei  oder  Kochkläre  heisst,  im  Gegensatz  zu  seinem  früheren  Namen 
Dünnsaft,  in  die  Kochpfanne,  um  hier  bis  zum  Eintritt  der  Kristallisation  ver- 
kocht zu  werden;  dies  geschieht  gegenwärtig  stets  in  Vacuumpfannen.  Der  Siede- 
meister hält  sich  hier  beständig  in  einer  Temperatur  von  40°  auf,  jedoch  ist  der 
Siederaum  in  der  Regel  luftig  und  hoch,  daher  die  Hitze  in  demselben  erträglicher. 

Nach  hinreichender  Concentration  des  Saftes  tritt  die  Krystallisation  mit  dem  Er- 
kalten desselben  ein.  um  den  hinreichenden  Concentrationsgrad  kennen  zu  lernen, 
bedient  man  sich  empirischer  Zeichen,  worunter  die  sogen.  Fadenprobe  am  bekann- 
testen ist.  Man  bringt  nämlich  einen  Tropfen  Klärsei  auf  den  Daumen,  zerreibt  ihn 
mit  dem  Zeigefinger,  trennt  die  Finger  und  beurtheilt  aus  der  sich  dabei  bildenden 
Fadenlänge  sowie  aus  der  Art  und  Weise,  wie  der  Faden  dabei  zerreisst,  den  Grad  der 
Concentration. 


*)    Die  Ammoniakbildung  in  Zuckerfabriken  ist  so  reichlich,   dass   sogar  die 
verschiedenen  Condensationswässer  oft  deutlich  danach  riechen. 

32 

Eulenberg,  Gewerbe-Hygiene. 


498  Kohlehydrate. 

Man  unterscheidet  hierbei  noch  das  Blankkochen  und  das  Kornkochen:  bei 
ersterm  wird  das  „probehaltige"'  Klärsei  in  grosse  viereckige,  niedrige,  unter  einem  guten 
Rmchfange  stehende  Pfannen  gebracht  und  hier  mittels  eigentümlicher,  rechenartiger 
Rührvorriehtung  bis  zum  fast  gänzlichen  Erkalten  gerührt.  Hier  findet  eine  gestörte 
Kristallisation  des  Zuckers  statt,  wobei  das  Korn  des  Zuckers  klein,  die  einzelnen 
Zuckerkrvställchen  dagegen  sehr  rein  von  Syrup  werden.  Beim  Kochen  auf  Korn 
dagegen  lässt  man  die  Krystallisation  statt  im  Kühler  schon  in  der  Vacuumpfanne  ein- 
treten und  erhält  dadurch  eine  grössere  Menge  Krystalle;  dieses  Verfahren  wendet  man 
bei  einer  bessern  Zuc.kermasse  an. 

8)  Die  Arbeit  auf  Rohrzucker  oder  Brotzucker.  Es  handelt  sich 
jetzt  um  die  Abscheidung  der  Melasse  von  den  Zuckerkrystallen  und  deren 
Ueberführung  in  die  Form  von  Rohrzucker  oder  von  Broten.  Man  bringt  näm- 
lich den  entweder  blank  oder  auf  Korn  verkochten  Dicksaft  aus  der  Vacuum- 
pfanne in  den  sogenannten  Kühler,  ein  kupfernes  Gefäss,  in  welchem  man  den 
Zucker  entweder  allmählig  erkalten  lässt  oder  erwärmt,  wenn  er  bei  niedriger 
Temperatur  eingekocht  worden  ist. 

In  letzterm  Falle  nennt  man  die  Gefässe  Anwärmer,  da  sie  einen  doppelten 
Boden  besitzen  und  durch  Dampf  erwärmt  werden  Hat  der  Zucker  hier  die  passende 
Temperatur  erhalten,  so  nimmt  man  die  ..füllwürdige  Masse''  mit  einem  kupfernen  Schöpf- 
löffel heraus  und  bringt  sie  in  das  Füllbecken,  welches  von  Kupfer  ist,  eiserne  Hand- 
haben und  einen  breiten  Ausiruss  hat,  um  sie  in  die  Formen  zu  giessen:  diese  Formen 
bestehen  jetzt  allgemein  aus  glasirtem  oder  gefirnisstem  Eisenblech,  bisweilen  auch  aus 
Papiermache.  Nach  ihrer  Grösse  unterscheidet  man  Melis-,  Längs-  und  Bastard- 
formen. 

Für  geringern  und  schwierig  krystallisirenden  Zucker,  für  den  Rohzucker, 
gebraucht  man  die  grössern  Formen,  die  Bastard  formen,  welche  grosse  Blechkisten 
aarstellen:  die  kleinen  Melisformen,  Zucke.rhutfor men,  benutzt  man  für  die 
bessern  Sorten,  für  Brotzucker  oder  Saftmelis.  Sobald  die  Zuckermasse  gehörig 
erkaltet  ist,  wozu  gewöhnlich  24  Stunden  erforderlich  sind,  bringt  man  sie  auf  besondere 
Gestelle,  unter  denen  sich  der  aus  der  untern  Oeffnung  der  Formen  abfliessende  Syrup 
in  einem  Gefässe  ansammelt. 

Die  Formen  stehen  an  einem  warmen  Orte  (Zuckerboden),  damit  der  Syrup 
besser  abfliesst;  die  Temperatur  beträgt  hier  permanent  27 — 30°  R.  Den  Syrup  nennt 
man  ungedeckten  oder  grünen  Syrup  oder  auch  Rohzucker-Melasse.*) 

Durch  das  Decken,  d.  h.  das  Auswaschen  der  in  den  Zwischenräumen  der 
Zuckerkrystalle  zurückgebliebenen  Melasse  mit  Ivlärsel,  wird  die  weitere  Reinigung  des 
Zuckers  bezweckt. 

Dies  Decken  bestand  vor  30 — 40  Jahren  darin,  dass  man,  nachdem  die  Zucker- 
hüte mit  der  Spitze  auf  die  Auslauf  bottiche  gestellt  worden  waren,  in  den  obern  leeren 
Theil.  der  ungefähr  2  Zoll  tief  war.  eine  halbflüssige  dünne  Thonmasse  eingoss; 
die  Stuben,  in  welchen  diese  Manipulation  vorgenommen  wurde,  hatten  ebenfalls  eine 
Temperatur  von  28—30°  R. 

Das  Wasser  der  Thonmasse  wurde  allmählig  an  den  darunter  liegenden  Zucker 
abgegeben:  es  bildete  sich  ein  ungefärbter  Syrup,  welcher  allmählig  nach  der  Spitze  zu 
sich  senkte,  den  in  der  Zuckermasse  enthaltenen  gelben  Syrup  aufnahm  u*nd  aus  der 
Spitze  in  ein  darunter  stehendes  Gefäss  als  gefärbter  Syrup  abfloss. 

Ein  einzelnes  Decken  dauerte  gewöhnlich  8  Tage:  musste  der  Zucker  2 — 3 mal 
gedeckt  werden,  so  waren  für  die  Fertigstellung  des  Zuckers  vom  Tage  des  Siedens  an 
bis  zur  Verpackung  3 — 4  Wochen  erforderlich. 

Nach  dem  Decken  kam  der  Melis  aus  den  Hüten  und  wurde  entweder  sofort  die 
noch  braune  Spitze  abgedreht  (beste  Sorte!,  oder  aber  das  Brot  wurde  auf  seine  Basis 
gestellt  und  in  einen  Raum  gebracht,  welcher  eine  Temperatur  von  50°  R.  hatte,  damit 
der  nur  wenig  vorwaltende  braune  Syrup  in  der  Masse  zur  gleichmässigen  Vertheilung 
kam  (zweite  und  dritte  Sorte  von  Melis ... 


*)  Die  Rohzucker-Melasse  wird  vorzugsweise  auf  Alkohol  verarbeitet  und 
ausserdem  noch  zur  Darstellung  von  Kaffee-Surrogaten  und  der  sogen.  Couleur 
benutzt;  letztere  dient  als  Färbemittel  für  Essig,  Bier  und  selbst  für  verschiedene 
Suppen.  Wenn  die  in  der  Melasse  enthaltenen  Salze  nicht  vorher  entfernt  worden  sind, 
so  erregt  ein  solcher  Zusatz  beim  Genüsse  der  betreffenden  Nahrungsmittel  nicht  selten 
Diarrhoe. 


Zuckerindustrie.  499 

Man  ersieht  leicht,  dass  dieses  Decken  zeitraubend  und  für  die  Arbeiter  höchst 
ungesund  war,  da  sie  sich  längere  Zeit  in  einem  sehr  heissen  Räume  aufhalten  mussten 
und  allen  schädlichen  Einflüssen  einer  heissen  Atmosphäre  ausgesetzt  waren;  überdies 
wurde  der  Melis  durch  das  Auflösen  von  Zucker  weniger  fest. 

Diese  Art  und  "Weise  des  Deckens  wird  gegenwärtig  nur  vereinzelt  noch  in 
Deutschland,  mehr  noch  in  Frankreich  und  Spanien  vorgenommen.  In  den  meisten 
Fabriken  besteht  das  Decken  in  einem  Verdrängungsprocesse  mittels  eines  farblosen 
Syrups;  zu  dem  Ende  wird  der  Melis  in  den  Hüten  mit  farblosem  Zuckersyrup 
(Klärsei)  übergössen  und  durch  Erwärmen  der  Locale  auf  27 — 30°  R.  der  Syrup 
zum  Durchsickern  gebracht,  so  dass  der  farblos  aufgegebene  Zuckersyrup  alsdann  mit 
dem  Farbstoff  geschwängert  abfliesst. 

Um  den  letzten  Rest  der  Feuchtigkeit  aus  den  Broten  zu  entfernen,  benutzt  man 
gegenwärtig  in  allen  grössern  Fabriken  die  Nutsch-  oder  Saugapparate,  welche 
aus  liegenden,  auf  ihrer  obern  Seite  mit  trichterförmigen  Oeffnungen  versehenen  Röhren 
bestehen.  In  diese  Oeffnungen  werden  die  Spitzen  der  Formen  gebracht  und  mittels 
eines  Kautschukringes  luftdicht  eingeschlossen;  durch  eine  Luftpumpe  wird  in  den 
Röhren  ein  luftverdünnter  Raum  erzeugt,  um  den  Syrup  aus  den  Spitzen  zu  saugen; 
der  ausgesogene  Syrup  fliesst  in  die  Röhren  und  aus  diesen  in  ein  Reservoir. 

Um  die  Kostspieligkeit  des  Deckens  zu  vermeiden,  wendet  man  beim  Rohzucker 
sowie  zum  Reinigen  der  verschiedenen  Producte  und  Nachproducte  in  den  meisten 
Fabriken  die  Centrifugalmaschine  an:  indem  man  die  Spitzen  der  Hüte  nach  der 
Peripherie  derselben  hin  legt,  wird  durch  die  rasche  Rotation  der  Maschine  der  Syrup 
nach  der  Spitze  des  Hutes  gedrängt  und  fliesst  dort  mit  dem  Farbstoff  beladen  ab. 

Erstes  Product  heisst  der  Zucker,  welchen  man  durch  das  Kochen  auf  Korn 
erhalten  hat  und  wobei  die  Zuckermasse  durch  Erkalten  krystallisirt  ist  (s.  S.  498);  der 
dabei  gewonnene  Syrup  wird  wegen  seines  Gehalts  an  krystallisirbarem  Zucker  durch 
Abdampfen  und  Erkalten  auf  Zucker  weiter  verarbeitet  und  heisst  zweites  Product; 
aus  diesem  erhält  man  noch  ein  drittes  und  viertes  Product. 

Die  beiden  letztern  Producte  nennt  man  auch  Nachproducte;  sie  stellen  gelb 
gefärbte  geringere  Zuckersorten,  z.B.  Farinzucker  oder  Bastarde  dar. 

Die  reinsten  Zuckersorten  heissen  Raffinade  und  Melis;  darauf  folgt  der 
Lumpen-  oder  Kochzucker. 

Der  von  den  geringern  Sorten  ablaufende  Syrup  kann  nun  noch  als  Melasse 
verwerthet  werden;  er  unterscheidet  sich  von  der  Rohzucker-Melasse,  d.  h  vom 
grünen  Syrup  dadurch,  dass  er  frei  von  Alkalisalzen  ist.  Die  ihm  anhaftenden 
fremden  Bestandtheile  sind  grösstentheils  metallischer  Natur,  sie  stammen  vom 
Material  der  Apparate  her  und  sind  demnach  verschieden;  man  findet  fast  immer 
Eisen,  zuweilen  auch  Kupfer,  Blei  und  Zink  darin.  Dieser  Umstand  ist  in 
sanitärer  Beziehung  beachtungswerth,  da  man  diese  Raffinad-Melasse,  wie  sie 
im  Handel  genannt  wird,  als  Zusatz  zu  Speisen,  zum  Versüssen  in  der  Kuchenbäckerei, 
zur  Darstellung  von  Liqueuren,  namentlich  von  rumähnlichen  Branntweinen,  welche 
man  in  Frankreich  Tafia,  auch  Ratafia  nennt,  benutzt  oder  auch  statt  der  Butter 
auf  Brot  verwendet. 

Sehr  häufig  geschieht  es,  dass  man  die  Zuckermasse,  um  die  Farbe  zu  verdecken 
und  eine  grössere  Weisse  zu  erzielen,  mit  geringen  Mengen  bläuender  Farbstoffe,  wie 
Ultramarin,  Berlinerblau  und  Indigocarmin,  versetzt;  die  beiden  letztern  Substanzen 
haben  keine  nachtheiligen  Folgen  beim  Genuss  des  Zuckers,  wohingegen  Ultramarin 
zu  einer  unangenehmen  Entwicklung  von  Schwefelwasserstoff  Veranlassung  geben 
kann,  wenn  der  Zucker  mit  Fruchtsäuren  in  Berührung  kommt  oder  in  säuerlichem  Wein 
aufgelöst  wird. 

9)    Das  Zugutemachen    der  Brote.     Wenn  die  Brote  an  ihrem  Boden 

ziemlich  trocken  geworden  sind,  so  planirt  man  sie,  d.  h.  man  reinigt  den  Boden 

mit  einer  Bürste  oder  einem  Wasser. 

Löschen  nennt  man  das  Herausnehmen  der  Brote  aus  ihren  Formen,  wenn 
ihr  Boden  hinreichend  hart  geworden  ist:  man  stösst  dabei  die  Form  gelinde 
gegen  einen  Holzblock,  den  Löschblock,  bis  das  Brot  sich  gelöst  hat.  Schliesslich 
werden  die  Brote  in  Papier  gewickelt,  gebunden,  gewogen  und  in  den  Lagerraum 
gebracht. 

Verfälschungen  des  Rübenzuckers.  Um  grauen  Meliszucker  weiss  zu 
machen  oder  zu  blanchiren,  setzt  man  bisweilen  schwefelsaures  Barium  hinzu; 
man  erkennt  diesen  Zusatz  leicht  durch  die  unvollständige  Auf  löslichkeit  des  Zuckers 
in  gewöhnlichem  oder  mit  Salzsäure  angesäuertem  Wasser.  Die  Unauflöslichkeit  des 
Bariumsulfats  bedingt  zwar  seine  Gefahrlosigkeit  für  den  thierischen  Organismus,  recht- 

32* 


500  Kohlehydrate. 

fertigt  aber  nicht  die  betrügerische  Absicht,  das  Gewicht  zu  vermehren ;  ausserdem  wird 
die  Wirkung  des  Zuckers  geschmälert. 

Wird  Baryt  zur  Präcipitation  des  Zuckers  angewendet,  so  ist  es  leicht 
ersichtlich,  dass  sowohl  der  Zucker  als  auch  die  Melasse  noch  Zuckerbaryt  oder, 
je  nachdem  man  Schwefelsäure  oder  Kohlensäure  zur  Zerlegung  des  Zti'kerbaryts  ver- 
wendet hat,  schwefelsaures  oder  kohlensaures  Barium  enthalten  kann.  Der 
Gehalt  an  dieser  alkalischen  Erde  ist  aber  so  gering,  dass  von  einer  giftigen  Wirkung 
des  Zuckerbaryts  oder  Bariumcarbonats  nicht  die  Rede  sein  kann.  Immerhin  sind  aber 
diese  Körper  vom  Organismus  fern  zu  halten,  da  sie  auf  die  eine  oder  andere  Weise 
Gesundheitsstörungen  erzeugen  können. 

Eine  unfreiwillige  Verunreinigung  kann  die  mit  Kalk  im  Verhältniss  von 
V20 — %  %  sein;  man  setzt,  der  Zuckerauflösung  oxalsaures  Ammonium  hinzu,  um 
den  Kalk  als  unlösliches  oxalsaures  Calcium  nachzuweisen,  oder  man  verbrennt  den 
Zucker,  worauf  Calciumcarbonat  in  der  Asche  zurückbleibt. 

Spuren  von  Blei  und  Kupfer  kommen  nicht  selten  im  Zucker  vor. 

Fabrication  von  Candis.  Der  Candiszucker  stellt  grosse  und  harte  Krystalle 
dar  und  wird  fast  nur  aus  Colonial- Rohrzucker  bereitet.  Der  pure  Rüben- 
zucker bildet  weniger  schöne  Krystalle;  man  setzt  ihn  aber  häufig  dem  Colonial- 
Robrzucker  zu.  Es  handelt  sich  hier  um  eine  völlige  Entfärbung  des  Zucker- 
syrnps,  wenn  die  Krystalle  farblos  sein  sollen. 

Je  nachdem  die  Krystalle  gelb  oder  braun  sind,  enthalten  sie  auch  noch  mehr  oder 
weniger  Farbstoff.  Dem  schwarzen  Candis,  welchen  man  in  Flandern  Sucre  de 
Boerhave  nennt,  setzt  man  häufig  geflissentlich  gebrannten  Zucker  zu.  Der  weisse 
Candis  dient,  weil  er  sehr  rein  und  kalkfrei  ist,  zur  Darstellung  des  sogen.  Li q  ueur, 
die  in  der  Champagnerfabrication  zur  Anwendung  kommende  Mischung  von  Candis  in 
Wein  und  Cognac. 

Zur  Darstellung  dieses  weissen  Candis  ist  eine  sorgfältige  Klärung  durch 
Knochenkohle  und  Eiweiss  nothwendig.  Das  klare  Klärsei  kocht  man  gewöhnlich 
über  freiem  Feuer,  bringt  es  in  die  Kühler  und  dann  sofort  in  konische  Krystallisir- 
bottiche;  diese  bestehen  aus  verzinntem  Kupfer-  oder  Weissblech  uud  sind  durchlöchert 
und  zwar  in  der  Weise,  dass  Fäden  durchgezogen  werden  können,  welche  quer  durch  die 
Bottiche  in  einem  Abstand  von  einigen  Zoll  parallel  verlaufen.  Hierauf  werden  die 
Oeffnungen   mit   einer  fetten    Thonmasse   verschlossen   und   der   probegahre   Syrup   ein- 


Die  Bottiche  stehen  zugerichtet  in  den  sogenannten  Candisstuben,  welche  bis  auf 
eine  Temperatur  von  60—7  .°  C.  erwärmt  werden;  je  nach  der  Consistenz  des  Syrups 
ist  die  Krystallisation  binnen  2  3  Wochen  erfolgt.  Vor  dem  Einfüllen  ist  der 
Heizraum  schon  bis  auf  30°  C.  erwärmt;  nach  Verlauf  von  6 — 8  Tagen  beträgt 
die  Temperatur  noch  45-50°  C.  Die  Abkühlung  erfolgt  allmählig,  wozu  wenigstens 
5—6  Tage  erforderlich  sind. 

Ist  die  Krystallisation  vollendet,  so  wird  die  Heizkammer  geöffnet,  die  obere 
dünne  Krystallmasse  durchstossen  und  die  restirende  Syrupsmasse  durch  Umstürzen  der 
Bottiche  auf  ein  Sieb  ausgegossen. 

Die  Bottiche  bringt  man  zum  Abtropfen  und  Trocknen  wieder  in  die  Heizkammer: 
nach  2  Tagen  nimmt  man  sie  wieder  heraus,  löst  von  aussen  die  Fäden  und  stürzt  die 
Bottiche  auf  einer  ebenen  Steinplatte  um.  Löst  sich  der  Candis  nicht  von  den  Wänden 
der  Krystallisirgefässe,  so  taucht  man  letztere  einen  Augenblick  in  heisses  Wasser. 

Sanitäre  Verhältnisse  der  Arbeiter  in  Zuckerfabriken. 

Bei  der  Zuckerfabrication  übt  alle  Arbeit,  welche  mit  grosser  Hitze  ver- 
bunden ist,  einen  nachtheiligen  Einfluss  auf  die  Arbeiter  aus;  namentlich  sind  in 
den  Candisstuben  die  Arbeiter  beim  Aufstapelu  resp.  Einsetzen  der  Bottiche  einer 
feuchten  und  heissen  Atmosphäre  ausgesetzt.  Es  gibt  Beispiele  genug,  dass  grade 
die  kräftigsten  Leute  Candisstuben  gar  nicht  betreten  dürfen,  ohne  in  einen  ohn- 
machtähnlichen Zustand  zu  verfallen.  Die  Einwirkung  der  Hitze  und  Feuchtigkeit 
ist  hier  zwar  energisch,  aber  nicht  von  so  langer  Dauer  wie  bei  der  Melis- 
bereitung  auf  den  Deckböden,  wo  die  Arbeiter  oft  tagelang  einer  sehr 
starken,  aber  weniger  feuchten  Hitze  ausgesetzt  sind. 

Es  wird  zwar  häufig  von  der  Constitution  der  Arbeiter  abhängen,   ob   sie 


Zuckerindustrie.  50  ] 

eine  Temperatur  von  28 — 30°  R.  mehr  oder  weniger  gut  vertragen  können;  auf 
die  Dauer  muss  aber  eine  starke  Hitze,  sei  sie  feucht  oder  trocken,  das  Krank- 
heitsbild erzeugen,  welches  schon  früher  (S.  178)  erörtert  worden  ist,  wenn  sich 
auch  nicht  immer  die  extremen  Fälle  ausbilden.  Dass  aber  auch  die  Svmptome 
von  Hitzschlag  schon  beobachtet  worden  sind,  dafür  sprechen  die  Erfah- 
rungen von  Swift2)  und  Lerick3).  Krankheitserscheinungen,  die  in  das 
Gebiet  des  Hitzschlages  gehören,  würden  gewiss  noch  häufiger  beobachtet  werden, 
wenn  man  ihnen  eine  sorgfältigere  Beachtung  widmen  wollte;  gewöhnlich 
werden  sie  aber  von  den  Fabricanten  geheim  gehalten  oder  jeder  andern  Ursache 
eher  als  der  überaus  hoch  gesteigerten  Hitze  zugeschrieben.  Arbeiter,  welche 
vermöge  ihrer  körperlichen  Disposition  leichter  von  solchen  Zufällen  befallen 
werden,  sollten  den  hohen  Graden  der  Hitze  gar  nicht  ausgesetzt  werden;  aber 
auch  Individuen,  welche  in  dieser  Beziehung  weniger  empfindlich  sind,  sollten 
nicht  ausschliesslich  auf  das  Verweilen  in  den  heissen  Deck-  und  Candisstuben 
angewiesen  sein,  da  schon  die  beständige  Schweisserzeugung  schliesslich  er- 
schöpfen muss,  zumal  wenn  nicht  durch  eine  ausreichende  Ernährung  ein 
Aequivalent  für  die  gesteigerten  Absonderungen  geboten  wird.  In  der  Provinz 
Sachsen  werden  häufig  Frauen  auf  den  Deckböden  beschäftigt,  was  nicht  zu 
billigen  ist. 

Häufig  suchen  die  Arbeiter  im  Genüsse  von  alkoholischen  Getränken  eine 
Erholung,  verfallen  aber  dabei  sehr  leicht  in  den  Missbrauch  derselben;  erfahrungs- 
gemäss  vertragen  die  Arbeiter  den  Genuss  von  Branntwein  bei  dieser  Beschäf- 
tigung gar  nicht,  was  wissenschaftlich  eine  hinreichende  Erklärung  findet,  weil 
die  alkoholischen  Getränke  auf  das  durch  die  Hitze  schon  geschwächte  Gehirn  in 
ähnlicher  Richtung  nachtheilig  einwirken.  Man  sieht  daher  auch  bald  die  Arbeiter 
zu  Grunde  gehen,  welche  der  Trunksucht  ergeben  sind.  Die  Arbeiter  wählen 
schon  instinctmässig  eine  Mischung  von  Zuckerwasser  und  Essig  oder  vergohrenes 
Formbadwasser,  welches  früher  bei  der  Anwendung  der  Thonformen  abfiel  und 
einen  bedeutenden  Zuckergehalt  neben  gebildeter  Essigsäure  enthielt:  durch  das 
Trinken  eines  solchen  sauren  Wassers  wird  nämlich  das  Schwitzen  erleichtert 
und  der  Gefahr,  vom  Hitzschlage  befallen  zu  werden    vorgebeugt. 

Es  hat  sich  auch  hierbei  als  eine  bekannte  Thatsache  herausgestellt,  dass 
die  Arbeiter,  welche  in  solchen  Piäumen  eine  trockne  Haut  behalten,  viel  eher 
dem  Hitzschlage  ausgesetzt  sind,  unter  dessen  Symptomen  bekanntlich  eine 
trockne,  heisse  Haut  als  charakteristisch  hervortritt  (s.  S.  178);  man  wählt  des- 
halb auch  schon  von  vornherein  nur  solche  Arbeiter  für  diese  Beschäftigung,  welche 
zum  Schwitzen  leicht  geneigt  sind. 

Tritt  während  der  Arbeit  kein  Schweiss  ein,  so  müssen  solche  Arbeiter 
sofort  auf  eine  andere  Weise  beschäftigt  werden;  bei  einigen  genügt  ein  derartiger 
Wechsel,  andere  aber  sind  nicht  selten  auf  die  Dauer  ausser  Stande,  die  Thätig- 
keit  in  den  heissen  Räumen  wieder  aufzunehmen. 

Ueberhaupt  ist  ein  systematischer  Wechsel  der  Arbeit  in  den  Zucker- 
fabriken durchaus  erforderlicb,  wenn  man  nicht  tüchtige  Kräfte  hinsiechen 
lassen  will;  leider  geräth  man  bei  solchen  Vorschlägen  stets  mit  dem  pecuniären 
Interesse  der  Fabricanten  in  Conflict,  obgleich  ihre  Durchführung  wohl  möglich 
ist,  wenn  die  Fabricanten  nur  den  redlichen  Willen  haben. 

In  den  Candisstuben  ist  es  nicht  allein  die  grosse  Hitze,  sondern  auch  die 
Feuchtigkeit  der  Luft,  durch  welche  sich  die  Nachtheile  häufen,  da  grade  eine  heisse 


502  Kohlehydrate. 

und  feuchte  Luft  eine  starke  Transpiration  nicht  gestattet  und  vorzugsweise 
die  Bedingungen  liefert,  unter  denen  ein  Hitzschlag  zu  Stande  kommen  kann 
(s.  S.  179). 

Ausserdem  kommt  noch  der  grelle  Wechsel  der  Temperatur  hinzu,  wenn 
die  Arbeiter  aus  dem  heissen  Raum  zum  Abholen  der  Bottiche  wieder  in's  Freie 
kommen;  hierdurch  können  die  mannigfaltigsten  Hautstörungen  und  rheumatische 
Leiden  nicht  ausbleiben. 

Auch  manche  Formen  von  Exanthemen:  Acne,  Liehen,  Ekzem,  Erythem  oder 
Furunkelbildung,  welche  man  in  Zuckerfabriken  häufig  beobachtet  hat,  hängen 
theilweise  mit  der  grossen  Hitze,  theilweise  auch  höchst  wahrscheinlich  damit 
zusammen,  dass  Zuckertheile  in  die  Schweiss-  und  Talgdrüsen  dringen  und  hier 
Reizung  und  Verschwärung  erzengen. 

Hautreizungen  dieser  Art  sollen  vorzugsweise  in  der  Hohlhand  derjenigen 
Arbeiter  vorkommen,  welche  beim  Füllbecken  beschäftigt  sind.  Badeeinrich- 
tungen sind  daher  in  Zuckerfabriken  absolut  erforderlich,  namentlich  für  die- 
jenigen, welche  der  grossen  Hitze  ausgesetzt  sind  oder  deren  Hände  am  meisten 
mit  Zuckertheilchen  in  Berührung  kommen.4) 

Behandlung  der  Abfallwässer. 

Dieser  Gegenstand  hat  seit  vielen  Jahren  die  Aufmerksamkeit  der  Fabricanten 
in  Anspruch  genommen,  da  sie  namentlich  da,  wo  die  Fabriken  nicht  an  einem 
grossen  Flusse  gelegen  sind,  stets  zu  ausserordentlich  vielen  Beschwerden  Anlass 
gegeben  haben.  Durch  ihren  schnellen  Uebergang  in  Gährung  erzeugen  sie 
überall  da,  wo  sie  keinen  hinreichenden  Abfluss  haben,  die  widerlichsten  Ge- 
rüche, während  die  im  Wasser  suspendirten  stickstoffhaltigen  resp.  eiweissartigen 
Bestandteile  sich  znuächst  überall  ablagern,  wo  ihnen  eine  günstige  Stelle  ge- 
boten wird;  Bäche  von  geringer  Breite  und  Tiefe  sowie  von  schwachem  Gefälle 
werden  ganz  verschlammt  und  allraählig  mit  Algen  bedeckt. 

Im  Regierungsbezirk  Merseburg  ist  der  Fall  vorgekommen,  dass  die  Besitzerin 
einer  an  einem  solchen  Bache  gelegenen  Mühle  in  Folge  der  starken  Entwicklung  von 
Schwefelwasserstoff  krank  wurde,  alles  Metallgeschirr  in  der  Mühle  sich  schwärzte,  das 
Mehl  einen  widrigen  Geruch  annahm  und  sogar  das  Mühlenrad  mit  fein  vertheiltem 
Schwefel  bedeckt  war,  der  sich  durch  die  Oxydation  des  Schwefelwasserstoffs  ausge- 
schieden hatte.5) 

Unter  den  Algen  ist  es  der  Leptomitus  lacteus,  der  sich  vorzugsweise 
in  Wässern  aufhält,  in  denen  durch  den  Gehalt  an  Pflanzeneiweiss,  Pflanzenfibrin, 
Gummi,  Zucker  u.  s.  w.  leicht  Fäulniss  eintritt.  In  der  Weistritz  bei  Schweid- 
nitz  trat  er  in  den  Abflusswässern  einer  Fabrik  auf,  welche  aus  Runkelrübeusyrup 
Alkohol  darstellte.6) 

Wie  in  der  Bierbrauerei  die  „Weich wässer",  so  sind  es  in  der  Runkelrübeu- 
zuckerfabrication  alle  die  verschiedenen  Abfallwässer  mit  ihren  organischen  Be- 
standteilen (Tücherwasehwässer,  Säurewässer  u.  s.  w.),  die  dieser  Algenart  einen 
besonders  günstigen  Entwicklungsbodeu  bieten. 

Die  Erfahrung  hat  bewiesen,  dass  diese  Algenvegetation  nur  in  fliessendeu 
Bächen  beobachtet  wird  und  zwar  da,  wo  die  Abflusswässer  mit  reinem  Fluss- 
wasser zusammentreffen,  weil  die  Algen  nie  in  ganz  fauligem  Wasser  zur  Ent- 
wicklung gelangen,  sondern  dazu  mehr  oder  weniger  eines  sauerstoffhaltigen 
Wassers  bedürfen. 

Wie  aber  die  Schimmelvegetationen  Schwefelwasserstoff  zu  absorbiren 


Zuckerindustrie.  503 

vermögen  (s.  S.  78),  so  scheint  auch  der  Leptomitus  im  Stande  zu  sein,  den 
Schwefelwasserstoff  zu  zersetzen.  Die  Untersuchung  desselben  hat  nämlich  einen 
Gehalt  an  Eisen  ergeben;  bei  der  Zersetzung  scheidet  sich  Schwefeleisen 
aus,  welches  sich  höchst  wahrscheinlich  bei  der  Aufnahme  des  Schwefelwasser- 
stoffs gebildet  hat,  da  sich  nicht  annehmen  lässt,  dass  der  Gehalt  an  Schwefel, 
der  bis  zu  0,2%  betragen  kann,  in  der  Alge  präexistirte.  Man  kann  daher  auch 
dem  Leptomitus  lacteus  nicht  die  Eigenschaft  absprechen,  auf  den  Schwefel- 
wasserstoff zersetzend  einzuwirken,  wie  bekanntlich  auch  die  grüne  Alge  als 
ein  Reinigungsmittel  für  das  Wasser  betrachtet  wird  (s.  S.  111).  *) 

Im  gewöhnlichen  Leben  wird  der  Leptomitus  „Wasserflachs'1  oder  „Wasserhaar" 
genannt  Ehe  diese  "N  egetationen  erscheinen,  wird  die  Oberfläche  des  Wassers  bläulich 
und  irisirend,  während  sich  auf  dem  Grunde  ein  weisslich-grauer  Schleim  ansammelt, 
der  sich  in  lange  Fäden  ausziehen  lässt;  der  üble  Geruch  ist  dann  bedeutend  und  die 
Entwicklung  von  Kohlensäure,  Ammoniak  und  Schwefelammonium  sehr 
reichlich.  Die  ausgebildeten  Algen  bilden  ein  dichtes  Convolut  von  sehr  feinen,  ge- 
gliederten Eäden,  die  in  eine  schwach  keulenförmige,  mit  körniger  Masse  gefüllte  Spitze 
endigen  und  sich  zu  dicken,  zopfartigen  Büscheln  vereinigen.  In  diesem  Convolut  hält 
sich  eine  grosse  Menge  von  Infusorien  auf,  ein  Beweis,  dass  in  der  nächsten  Nähe  der 
Algeu  keine  Schwefelwasserstoffentwicklung  stattfindet. 

Die  Alge  kann  nun  einer  zweifachen  Metamorphose  unterliegen;  da,  wo  sich 
nur  fauliges  Wasser  befindet,  zerfällt  sie  und  zersetzt  sich  zu  einer  gallertartig  zu- 
sammengeschrumpften Masse;  es  tritt  ein  Geruch  nach  faulen  Fischen  ein,  der  nur  durch 
die  Zersetzungsproducte,  die  verschiedenen  Aminbasen,  bedingt  sein  kann. 

Je  mehr  aber  frisches  Wasser  zufliesst  und  je  mehr  der  stickstoffhaltige  Nähr- 
boden schwindet,  desto  mehr  geht  der  Leptomitus  in  einen  grünlichen  Schleim  über,  der 
sich  allmählig  zu  chlorophyllhalti  gen  Algen  gestaltet. 

Der  Fäulnissprocess,  dem  eiweisshaltige  Gebilde  unterliegen,  und  der  Zersetzungs- 
process,  dem  die  Alge  bei  gänzlichem  Mangel  an  reinem  Wasser  unterworfen  ist,  be- 
dingen die  Gefahr  für  die  Gesundheit  der  Menschen;  die  Gräben  und  Bäche,  welche 
diese  Zersetzungsproducte  enthalten,  gehören  zur  Kategorie  der  Cloaken,  die  zweifels- 
ohne der  Entwicklung  von  epidemischen  Krankheiten  "Vorschub  leisten  können.  In  der 
Umgebung  der  Zuckerfabriken  würde  sich  diese  Thatsache  noch  mehr  und  bestimmter 
geltend  machen,  wenn  nicht  glücklicherweise  die  sogenannte  Campagne,  d.  h.  die 
eigentliche  Fabricationszeit,  in  die  kühlere  Jahreszeit  fiele;  sie  dauert  in  der  Regel  von 
Mitte  September  bis  Februar. 

Auch  macht  sich  der  Nachtheil  für  den  Menschen  weniger  auffällig  bemerkbar. 
weil  es  sich  bei  den  in  Zersetzung  übergegangenen  Algen  um  keinen  eingeschlossenen 
Raum  handelt,  sondern  der  Diffusion  der  Gase  im  Freien  ein  hinreichender  Spielraum 
gegeben  ist:  immerhin  werden  aber  die  Adjacenten  solcher  Gräben  oder  Bäche  einer 
gewissen  Gefahr  ausgesetzt  sein,  wenn  die  schädlichen  Effiuvien  in  grösserer  Nähe  auf 
sie  einwirken. 

Gestattet  die  Lage  der  Fabrik  nicht  die  Ableitung  der  Wässer  in  einen  grossen 
Fluss,  so  fordert  die  öffentliche  Gesundheitspflege  die  Unschädlichmachung  aller  mit 
organischen  Stoffen  imprägnirten  Abfallwässer,  deren  Quantität  sich  bei  einzelnen  grossen 
Fabriken  auf  täglich  50,000—70,000  Kubikfuss  belaufen  kann. 

Die  Reinigung  der  Abfallwässer  hat  man  früher  mittels  Gradir- 
werke  oder  grosser  Schlammbassins  zu  bewirken  gesucht,  auch  gleichzeitig 
Desinfectionsmittel,  Kalk,  Chlorkalk,  Carbolsäure  u.  s.  w.  angewendet,  bis  in 
neuerer  Zeit  das  Sü vernasche  Verfahren  den  meisten  Beifall  gefunden  hat. 


*)  Dieser  Vorgang  ist  aber  noch  lange  nicht  hinreichend  erforscht  und  bietet  ein 
interessantes  Gebiet  weiterer  Untersuchungen  dar.  Es  sind  über  1000  Arten  von  Algen 
bekannt,  welche  in  süssem  und  salzigem  Wasser  leben,  namentlich  bedecken  sie  im 
Meere  oft  unendlich  grosse  Flächen  und  man  hat  in  der  Südsee  Algen  gefunden,  welche 
über  300  Fuss  lang  waren. 

Auch  in  botanischer  Beziehung  sind  die  Algen  noch  wenig  aufgeklärt,  denn  der 
Leptomitus  lacteus  wird  von  Haüier  zu  den  Pilzen,  von  K>'it:iny  zu  den  Pilzalgen 
(Mycophyceae)  gerechnet.  In  der  That  nähert  er  sich  auch  wegen  des  Mangels  an 
Chlorophyll  mehr  den  Pilzen,  während  sein  Vorkommen  im  Wasser  mehr  für  die  Natur 
der  Algen  spricht.     Roth  beschrieb  ihn  im  Jahre  17S9  zuerst  als  Conserva  lactea. 


504  Kohlehydrate. 

Jedes  Verfahren  dieser  Art  wird  durch  die  Grossartigkeit  der  durch  die 
Masse  der  Abfallwässer  bedingten  Anlagen  kostspielig  und  deshalb  sind  die  in 
einer  andern  Richtung  unternommenen  Versuche,  die  Abfall wässer  zur  Beriese- 
lung zu  benutzen,  in  sanitärer  Beziehung  vielversprechend,  wenn  die  technische 
Ausführung  derselben  auf  eine  sachgemässe  Weise  bewirkt  wird.6) 

Es  gehören  daher  auch  die  Zuckerfabriken  nicht  in  die  Städte,  sondern 
stets  in  grossere  Entfernungen  von  bewohnten  Ortschafteu,  damit  man  über  das 
zu  berieselnde  Ackerland  ausreichend  gebieten  kann. 

Selbstverständlich  muss  die  Beschaffenheit  des  Bodens  zur  Berieselung  ge- 
eignet sein.  In  dieser  Beziehung  haben  die  bisherigen  Versuche  in  der  Provinz 
Sachsen  gute  Erfolge  gehabt  und  viele  hierüber  noch  herrschenden  Vorurtheile 
beseitigt. 

Ist  die  Berieselung  aus  Maugel  an  Terrain  und  wegen  der  ungünstigen 
Boden beschaffenheit  nicht  ausführbar,  dann  soll  man  lieber  ganz  davon  Abstand 
nehmen.  Die  vielfachen  Untersuchungen  über  Berieselung  mit  dem  Inhalte  der 
Schwemmcanäle  kommen  auch  den  Zuckerfabriken  zu  Gute,  so  dass  die  Be- 
dingungen, unter  denen  ein  günstiges  Resultat  zu  erwarten  ist,  schon  mit  mehr 
Sicherheit  aufgestellt  werden  können. 

So  viel  ist  sicher,  dass  unter  günstigen  Bodenverhältnissen  und  bei  einer 
zweckmässigen  technischen  Ausführung  der  Berieselung  sanitäre  Bedenken 
nicht  laut  werden  können.  Es  wird  die  Zeit  kommen,  wo  auf  diese  Weise  die 
Abflusswässer  den  Fabricauten  nicht  mehr  zur  Schädigung,  sondern  nur  zum 
Gewinn  gereichen  werden. 

Ist  das  Desinfectionsver fahren  unvermeidlich,  so  muss  sich  seine  ge- 
nauere Ausführung  nach  den  localen  Verhältnissen  richten,  je  nachdem  das  eine 
oder  andere  Desinfectionsmittel  leichter  zu  Gebote  steht. 

Aber  auch  die  desinficirten  Wässer  dürfen  nicht  in  stagnirende  Gräben  oder 
Teiche  abgelassen  -werden,  weil  selbst  bei  der  sorgfältigsten  Desinfection  nicht  alle 
organischen  Bestandteile  abgeschieden  werden;  diese  werden  stets  neue  Fäulniss- 
processe  einleiten,  wenn  sie  nicht  durch  fliessendes  Wasser  fortgespült  werden. 

Ungereinigte  Abfallwässer  dürfen  nur  durch  unterirdische  Canalleituug  in 
grössere  Wasserläufe  mit  starkem  Gefälle  abgeleitet  werden:  in  kleinen 
Bächen  erzeugen  sie  erfahrungsgemäss  die  geschilderten  Nachtheile.  Eine  sorgfältige 
Berücksichtigung  aller  örtlichen  Verhältnisse  muss  über  die  Zulässigkeit  des  freien 
Abflusses  entscheiden  und  es  kann  nur  im  öffentlichen  Interesse  bedauert  werden, 
dass  die  Gewerbeordnung  vom  21.  Juni  1869  die  Zuckerfabriken  von  denjenigen  Anlagen 
ausgeschlossen  hat,  welche  einer  besondern  Genehmigung  bedürfen.  In  den  letzten  Ver- 
handlungen hierüber  wurde  im  Reichstage  eine  Erheblichkeit  der  Uobelstände  im  Sinne 
des  §  1(3  der  Gewerbeordnung  leider  nicht  anerkannt. 

Verwerthung  der  Eunkelrübenrohzucker-Melasse. 

Die  Rohzucker-Melasse,  eine  mehr  oder  weniger  dickliche  Flüssigkeit, 
enthält  folgende  Bestandtheile:  geringe  Mengen  krystallisirbaren  Zuckers,  grosse 
Mengen  von  unkrystallisirbarem  Zucker,  ferner  Caramel,  Traubenzucker,  Asparagiu, 
Asparaginsäure,  Gummi,  lösliche  stickstoffhaltige,  starkem ehlhaltige  Stoffe,  eiweiss- 
ähnliche  Substanzen,  Pektinsäure,  verschiedene  Färb-  und  Riechstoffe,  Mangan, 
Ammoniak,  salpetersaure  Salze,  sämmtliche  lösliche  Mineralsubstanzen  der  Rüoen, 
z.  B.  Chlorkalium ,  Chlornatrium,  Chlormagnesium,  Spuren  von  phosphorsaurem 
Natrium,  Gips,  Magnesiumsulfat,  Eisen,  sowie  Kupfer,  Blei  und  Zinn  von  den 
Gefässen  herrührend. 

Man  sieht  hieraus,  dass  die  Benutzung  der  Melasse  sich  nur  auf  die  Verwerthung 
zweier   Gruppen    von    den    in   denselben   enthaltenen   Körpern    mit   Vortheil    erstrecken 


Verwerthung  der  Melasse.  505 

kann,  nämlich  auf  die  gährungsf ähigen  und  auf  die  alkalinischen,  dem  Acker 
durch  die  Rübe  entnommenen  Mineralsubstanzen. 

Dubrunfaut.  hat  vorgeschlagen,  den  in  der  Melasse  vorhandenen  Rohrzucker  durch 
'Bariumhydrat  abzuscheiden;  die  Schwierigkeit,  diesen  Vorschlag  technisch  zu  ver- 
werthen,  hat  von  weitern  Versuchen  abgehalten. 

Man  hat  die  Melasse  auch  als  Viehfutter  benutzt;  sie  wirkt  aber  leicht  abführend 
und  soll  bei  tragenden  Kühen  leicht  Abortus  erzeugen. 

Der  aus  der  Rübenzuckermelasse  bereitete  Alkohol  ist  reich  an  Fuselöl,  weshalb 
er  zur  Darstellung  von  Liqueuren  oder  Speiseessig  nicht  brauchbar  ist.  Er  wird  haupt- 
sächlich zur  Darstellung  von  Essigsäure  für  Bleiweiss-  und  Bleizuckerfabriken, 
zur  Präparation  von  Firnissen,  zum  Ausziehen  verschiedener  Substanzen  in  chemischen 
Fabriken  und  als  Brennspiritus  verwendet;  auch  für  Aetherbereitung  und  andere 
chemisch-technische  Zwecke  kann  er  benutzt  werden.  In  Frankreich  soll  die  Melasse 
zur  Bierbereitung  Verwendung  finden. 

Die  zuckerhaltigen,  also  gährungsfähigen  Substanzen  liefern  durch  die  Gährung 
resp.  den  Spaltungsprocess  den  Alkohol,  welcher  durch  Destillation  gewonnen  werden 
kann.  Im  Destillationsrückstande,  in  der  Schlempe,  bleibt  die  Mineralsubstanz  der 
Rübe  neben  den  andern  gährungsunfähigen  Körpern  zurück. 

Darstellung  von  Alkohol  aus  der  Melasse.  Man  verfährt  hierbei 
folgendermassen :  Die  Melasse  wird  mit  einer  grossen  Menge  Wasser  verdünnt 
und  nun  entweder  direct  durch  Bierhefe  in  Gährung  gebracht  oder  mehrere 
Stunden  bei  Siedhitze  durch  eingeblasene  Wasserdämpfe  mit  einigen  Procenten 
Schwefelsäure  behandelt.  Letzterer  Process  wird  deshalb  eingeleitet,  um  die 
stärkemehlhaltigen  Stoffe,  den  Rohr-  und  Schleimzucker  durch  die  Einwirkung  der 
Säure  in  den  nur  allein  gährungsfähigen  Traubenzucker  überzuführen. 

Durch  die  Einwirkung  der  Schwefelsäure  muss  sich  gleichzeitig  eine  Menge 
flüchtiger  Riechstoffe  und  flüchtiger  Säuren  entbinden;  dabei  sind  alle  ent- 
weichenden Dämpfe  mit  einem  höchst  widrigen  Rübengeruch  beladen.  Da  sie  ausserdem 
Butter-,  Essig-  und  Baldriansäure  neben  Salzsäure  aus  den  Chloriden  und 
manchmal  salpetrige  Säure  enthalten,  so  sind  sie  saurer  Natur  und  kennen  schäd- 
lich auf  die  Arbeiter  einwirken. 

Ist  bei  der  Darstellung  des  Rohzuckers  Butter,  wie  es  in  einzelnem  Fabriken 
üblich  ist,  zum  Bewältigen  des  eintretenden  Schaums  angewendet  worden,  so  enthält  die 
Melasse  noch  Theile  dieser  Fettsubstanz,  weshalb  dann  neben  den  oben  genannten 
Säuren  auch  noch  Capron-,  Capryl-  und  Pelargonsäure  entstehen. 

Zur  Beseitigung  dieses  höchst  ekelhaften  Geruchs  geschieht  meist  gar  nichts, 
obgleich  es  dringend  geboten  ist,  um  die  Nachbarschaft  vor  einer  grossen  Belästigung  zu 
schützen,  diese  Dämpfe  durch  einen  hölzernen  Canal  aus  dem  Bottich  in  die  Feuerung 
des  Dampfkessels  zu  leiten. 

Nach  der  vollständigen  Bildung  des  Traubenzuckers  stumpft  man  die  Säure  mit 
Kreide  ab  und  versetzt  die  dünne,  zuckerhaltige  Masse  mit  Bierhefe,  wenn  eine  Ab- 
kühlung bis  auf  20—22°  R.  stattgefunden  hat.  Es  tritt  eine  sehr  stürmische  Gährung 
ein  und  da  in  solchen  Fabriken  bisweilen  10 — 12  Bottiche  in  der  Gährung  begriffen 
sind,  so  muss  die  sich  entwickelnde  Kohlensäure  abgeleitet  werden;  zu  diesem 
Zwecke  sind  die  Bottiche  mit  Deckeln  zu  versehen,  aus  denen  viereckige  hölzerne 
Kasten  das  Gas  in  einen  gemeinschaftlichen  Canal  leiten,  welcher  am  Boden  des  Ge- 
bäudes liegt  und  im  Souterrain  mit  Kasten,  die  mit  gereinigter  Soda  beschickt  sind, 
in  Verbindung  steht.  Die  Kohlensäure  wird  hier  unter  Bildung  von  doppelt-kohlensaurem 
Natrium  absorbirt. 

Die  gegohrene  Flüssigkeit  wird  nun  durch  Pumpen  in  das  Destillirhaus  gebracht 
und  dort  in  den  betreffenden  Apparaten  auf  Spiritus  bearbeitet 

Bei  der  Destillation  geht  zuerst  ein  übelriechender,  wasserhaltiger  Weingeist 
über  und  zuletzt  erscheint  eine  milchig  getrübte  Flüssigkeit,  welche  mit  Butyl- Alkohol, 
dem  Fuselöl  der  Zuckermelasse,  geschwängert  ist.  Er  hat  einen  höchst  widerlichen 
Geruch;  auch  der  damit  geschwängerte  Weingeist  hat  denselben  Geruch;  er  kann  nach 
der  gewöhnlichen  Methode  durch  Läuterung  mittels  Holzkohle  nicht  ganz  davon  befreit 
werden,  weshalb  auch  die  Verwendung  dieses  Rübenspiritus  beschränkt  bleiben  muss. 

Darstellung  von  Pottasche  aus  der  Schlempe.  Der  Rückstand  der 
Destillation  der  vergohrenen  Melasse,  die  Schlempe,  enthält  ausser  den  fäulniss- 
fähigen organischen  Substanzen  noch  organisch  saure  und  Spuren  von  phosphor- 


506  Kohlehydrate. 

sauren  Salzen  und,  wenn  Schwefelsäure  zur  Anwendung  kam,  auch  noch  schwefel- 
saure Salze.*) 

Seitdem  durch  H.  Varnhagen  im  Jahre  1840  die  Darstellung  von  Pott- 
asche aus  der  Schlempe  bekannt  geworden  ist,  hat  letztere  einen  grössern 
Werth  erhalten.  Dieser  Industriezweig  hatte  bisher  eine  grosse  Bedeutung,  ist 
aber  durch  die  grossartige  Kalisalzindustrie  in  Stassfurt  wieder  sehr  in  den 
Hintergrund  getreten. 

Die  Schlempe  wird  behufs  Pottascheudarstellung  abgedampft  und  der  Rück- 
stand  geglüht,  wobei  zuletzt  die  sogenannte  Schlempepottasche,  eine  Mischung 
von  fein  zertheilter  Kohle  und  Alkalisalzen,  resultirt. 

Das  Abdampfen  geschieht  nieist  in  grossen  flachen  Reservoirs,  über  welche  man 
ein  Gewölbe  geschlagen  hat,  um  unter  diesem  ein  seitlich  liegendes  Feuer  reverberiren 
zu  lassen.  Es  entweichen  die  abziehenden  Dämpfe  mit  den  Verbrennungsgasen  durch 
den  Schlot,  wobei  erstere  theilweise  verbrennen  und  auch  durch  die  schweflige  Säure 
des  Brennmaterials  theilweise  desodorirt  werden.  Im  Gewölbe  ist  eine  Oeffnung, 
durch  welche  man  allmählig  Schlempe  zufliessen  lässt.  Die  eingedickte  Masse  geräth 
zuletzt  in  Brand  und  wird,  wenn  sie  ganz  verkohlt  ist,  als  Schlempepottasche  für 
die  Salpeter-,  Glas-,  Alaun-  und  Seifenfabrication  in  den  Handel  gebracht: 
da  sie  wenig  Kaliumcarbonat,  aber  viel  Kaliumsulfat  neben  Chlorkalium  enthält,  so 
taugt  sie  für  die  Seifenbildung  weniger. 

Beim  Verkohlen  entstehen  Gerüche,  welche  an  verbraunten  Zucker  und  ver- 
branntes Eiweiss  erinnern.  Da  solche  Etablissements  grosse  Schornsteine  haben,  so  ge- 
langen alle  Dämpfe  hoch  in  die  Luft,  wo  sie  sehr  vertheilt  werden,  jedoch  immerhin 
die  nächste  Nachbarschaft  durch  ihren  Geruch  belästigen;  in  Städten  und  Vorstädten 
ist  daher  diese  Fabrication  nicht  zu  dulden. 

Bestandtheile    der  Rohpottasche.      Die  Rohpottasche    enthält   ausser 


*)  Die  Schlempe  kann  nicht  als  Viehfutter  benutzt  werden,  weil  ihre  Bestand- 
theile trotz  des  Stickstoffgehalts  nicht  nahrhaft  sind;  auch  ihr  oft  widerlicher  Geruch 
schreckt  die  Thiere  vom  Genüsse  ab. 

Wegen  der  organischen  stickstoffhaltigen  und  stickstofffreien  Substanzen  ist  die 
Schlempe  bei  einer  gewissen  Verdünnung  sehr  geneigt,  einer  weitern  Zersetzung  (Fäulniss) 
zu  erliegen.  Die  dabei  auftretenden  Producte  sind  neben  Mannit  und  Asparagin- 
säure  im  ersten  Stadium  Milchsäure  und  in  einem  weitern  Stadium  der  Fäulniss 
Butter-  und  Baldrian  säure;  selbstverständlich  fehlt  hierbei  Essigsäure  nie. 

Man  hat  sich  viele  Mühe  gegeben,  die  Schlempe  auf  irgend  eine  Weise  der  Fäul- 
niss widerstehend  zu  machen  und  die  organische  Substanz  von  der  Mineralsubstanz  zu 
trennen.  Die  Hefezellen  und  eiweisshaltigen  Substanzen,  welche  sie  enthält,  sind 
kräftige  Fäulnisserreger,  weshalb  sie,  sich  selbst  überlassen,  massenhaft  Algen 
(Leptomitus  lacteus)  erzeugt;  ganz  besonders  ist  letzteres  der  Fall,  wenn  man  sie  in 
Bäche  oder  kleine  Flüsse  ablässt,  da  sie  im  verdünnten  Zustande  weit  eher  als  im 
unverdünnten  fault. 

Früher  hat  man  den  Zusatz  von  Aetzkalk  empfohlen,  um  die  organischen  Be- 
standtheile aus  der  Schlempe  zu  fällen.  Dieses  Vorfahren  hat  sich  aber  nicht  bewährt: 
kommt  Kalk  im  Ueberschuss  hinzu,  so  werden  Ammoniak  und  Kali,  wenn  sie  an 
organische  Säuren  gebunden  sind,  frei:  durch  den  alkalischen  Ueberschuss  wird  aber 
die  Bildung  von  Milch-  und  Buttersäure  begünstigt,  so  dass  der  widerliche  Geruch 
nach  Buttersäure  oft  noch  unerträglicher  wird. 

Am  sichersten  verhindert  ein  Zusatz  von  Carbolsäure  die  Fäulniss;  eine 
damit  versetzte  Schlempe  kann  in  cementirten  Gruben  ohne  alle  Belästigung  aufbewahrt 
werden. 

Man  hat  auch  die  Schlempe  als  Dünger  benutzt  und  namentlich  Ackerland 
damit  bewässert;  sie  soll  sich  besonders  gut  für  drainirtes  thoniges  Ackerland 
eignen,  wobei  nur  zu  beachten  ist,  dass  die  Röhren  häufig  gereinigt  werden  müssen,  um 
eine  Anhäufung  von  gährenden  Stoffen  zu  verhüten.  Der  Thon  soll  besonders  die  lös- 
lichen organischen  Substanzen  der  Schlempe  absorbiren  und  festhalten. 

Ueberhaupt  ist  es  zweckmässig,  aus  der  Schlempe  Composthauf en  mittels 
thon-  und  mergelreicher  Erden  zu  bilden  oder  vorhandene  Composthaufen  damit  zu  be- 
giessen;  hierzu  kann  man  selbst  die  mit  Carbolsäure  versetzte  Schlempe  benutzen, 
welche  aber  selbstverständlich  dann  nicht  direct  auf  das  Feld  gebracht  werden  darf. 


Yerwerthung  der  Melasse.  507 

fein  zertheilter  Kohle  und  geringen  erdigen  Substanzen,  wie  Gips,  Thon, 
Calciumcarbonat  und  Magnesiumcarbonat,  besonders  kohlensaures,  phosphorsaures, 
schwefelsaures  Kalium,  Chlorkalium,  zuweilen  Schwefelkalium,  die  entsprechenden 
Natriumverbindnngen  neben  cyansaurem  Kalium  und  Cyankalium,  welches  sich 
durch  die  Einwirkung  der  stickstoffhaltigen  Substanzen  während  der  Calcination 
bildet.  Letzteres  ist  die  Ursache  der  massenhaften  Ammoniakentwicklung, 
wenn  die  Schmelze,  welche  die  Pottasche  enthält,  beim  Auslaugeprocesse  mit 
"Wasser  Übergossen  wird. 

Ganz  ähnlich  wirkt  auch  die  Einwirkung  der  atmosphärischen  Feuchtigkeit  beim 
Lagern  dieser  Pottasche,  weshalb  sich  in  den  betreffenden  Lagerräumen  stets  ein  starker 
Ammoniakgeruck  kund  gibt.  Selbst  die  beim  Auslaugeprocesse  als  unlöslich 
zurückgebliebenen  Theile,  die  Sehlempekohle,  enthalten  stets  noch  etwas  Cyan- 
kalium, welches  sich  beim  Lagern  an  der  Livft  grösstentheils  zersetzt  und  als  Ammoniak 
und  Blausäure  verflüchtigt;  wird  mehr  oder  weniger  davon  durch  Regen  dem  Boden 
zugeführt,  so  wird  eine  baldige  Zersetzung  in  Ammoniaksalze  eintreten,  welche  später 
in  salpetrig-  und  salpeter  saure  Salze  übergehen  und  auf  diese  Weise  die  zunächst 
gelegenen  Brunnen  verderben  können.  Es  ist  daher  ganz  unangemessen,  die  Schlempe- 
kohle frei  auf  den  Höfen  der  Fabriken  abzulagern,  wie  es  meist  geschieht. 

Die  ausgelaugte  Schlempekohle  wird  auch  schwarzer  KalidÜDger 
genannt,  da  diese  Masse  als  Zusatz  zu  andern  Düngungsmitteln  sehr  gut  ver- 
werthet  werden  kann.  Ausser  4A%  Kohlenstoff  enthält  sie  noch  Spuren  von 
kohlensaurem,  kieselsaurem  Kalium,  Kieselsäure,  schwefelsaures,  phorphorsaures 
Calcium,  Bittererde,  Thonerde  und  Eisenoxyd;  ihr  ziemlich  bedeutender  Kohle- 
gehalt lässt  auch  ihre  Anwendung  als  Desinfectionsmittel  zu. 

Kommt  die  Schlempekohle  mit  Säuren  zusammen,  so  findet  sofort  eine  Ent- 
wicklung von  Blausäure  und  Schwefelwasserstoff  statt. 

Reinigung  der  Rohpottasche.  Die  Lauge,  welche  durch  Behandeln 
der  Rohpottasche  mit  Wasser  erhalten  wird,  setzt  beim  Abdampfen  schwefel- 
saures Kalium  und  Chlorkalinm  ab;  beide  Salze  werden  gewöhnlich  ausgekrukt, 
getrocknet  und  in  Kaliumcarbonat  übergeführt,  wenn  man  sie  nicht  zur  Alaun- 
fabrication  benutzt.  Das  Chlorkalium  wird  auch  zur  Salpeterfabrication  ver- 
wendet. 

Wird  die  Mutterlauge  zur  Trockne  eingedampft  und  der  Rückstand  geglüht,  so 
bildet  sich  das  sogenannte  rothe  Salz,  weil  es  durch  Eisenoxyd  röthlich  gefärbt  ist. 
Durch  Auslaugen  dieses  Salzes  und  Abdampfen  der  Lösung  erhält  man  schliesslich  die 
Pottasche,  ein  Gemisch  von  kohlensaurem  Kalium  und  Natrium,  aus  denen  man  durch 
mehrmaliges  Auflösen  und  Abdampfen  die  raffinirte  Pottasche  darstellt,  welche 
nur  2%  Chlorkalium  und  schwefelsaures  Kalium  nebst  h%  kohlensaurem  Natrium  enthält. 

Darstellung  der  Milch-,  Butter-  und  Baldriansäure  aus  der 
Melasse  und  Schlempe.  Seitdem  die  Salze  dieser  Säuren  in  die  Technik  ein- 
geführt sind,  hat  man  die  Melasse  und  Schlempe  zur  Darstellung  derselben  ver- 
werthet.  Die  Schlempe  kaun  eben  wegen  ihres  reichlichen  Gehalts  an  Fäulniss- 
erregern als  Ferment  benutzt  werden,  um  den  in  der  Melasse  noch  enthaltenen 
Zucker  in  die  genannten  Säuren  überzuführen. 

Zu  dem  Ende  mischt  man  2 — 3  V.  Th.  der  Schlempe  mit  1  Y.  Th.  Melasse  und 
verdickt  die  Masse  bis  zu  einem  Brei  mit  Schlemmkreide.  Dieses  sogen.  Ansetzen  ge- 
schieht in  grossen  Tonnen,  welche  sich  in  der  Nähe  des  Dampfkessels  befinden  und 
dadurch  einer  beständigen  Temperatur  von  30—35°  B.  ausgesetzt  sind. 

Die  Masse  geräth  bald  in  Gährung  unter  Entwicklung  von  Wasserstoff  resp 
Kohlenwasserstoff:  nach  einigen  Tagen  muss  sie  umgerührt  werden  und  binnen 
kurzer  Zeit  erstarrt  sie  dann  zu  einer  festen  Masse  von  milchsaurem  Calcium 
Will  man  letzteres  gewinnen,  so  wird  die  Masse  ausgepresst  und  so  von  der  Mutterlauge 
befreit,  welche  alle  Alkalien  neben  Mannit,  unzersetztem  Zucker  und  organischen  Sub- 
stanzen   enthält.      Man    reinigt   das   abgepresste  milchsaure  Calcium   durch  Auflösen  in 


50g  Kohlehydrate. 

Wasser  unter  Zusatz  von  Thierkohle  und  Filtration;  beim  Erkalten  krystallisirt  es  in 
grossen  blumenkohlartigen  Massen  aus  und  wird  nach  dem  Trocknen  in  den  Handel 
gebracht. 

Anwendung  des  milchsaureu  Calciums.  Man  benutzt  es  zur  Dar- 
stellung von  Milchsäure  und  diese  in  der  Färberei  zum  Aetzen  der  Beizen 
und  als  Bestandteil  der  Zahnpulver  zum  Reinigen  der  Zähne. 

Zur  Darstellung  von  Butter-  und  Baldriansäure  wird  das  milchsaure 
Calcium  mit  noch  1  V.  Th.  Schlempe  zusammengebracht,  umgerührt  und  wiederum 
bei  der  erwähnten  Temperatur  sich  selbst  überlassen.  Unter  Entwicklung  von 
Wasserstoff  resp.  Kohlenwasserstoff  verschwindet  allmählig  sämmtliches  milch- 
saures Calcium  und  die  Flüssigkeit  wird  sauer;  man  setzt  nun  abermals  Kreide 
hinzu  und  nach  einigen  Wochen  ist  die  Gährung  vollendet. 

Die  Flüssigkeit  enthält  neben  geringen  Beimengungen  von  milchsaurem  Calcium 
hauptsächlich  butter-  und  baldriansaures  Calcium.  Aus  diesen  Salzen  werden 
durch  Destillation  mit  Säuren  die  betreffenden  öligen  Säuren  gewonnen  ,  welche  für  die 
Darstellung  verschiedener  Aetherarten  Verwendung  finden. 

In  neuerer  Zeit  zieht  man  es  vor,  das  gebildete  milchsaure  Calcium  abzupressen 
und  die  Mutterlauge  auf  die  Alkalien  durch  Abdampfen  und  Calciniren  weiter  zu  ver- 
arbeiten; will  man  dann  Butter-  oder  Baldriansäure  darstelle u,  so  verwendet 
man  dazu  das  rohe  milch^aure  Calcium  unter  Zusatz  von  faulem  Käse  oder  Fleisch 
(s.  Milchsäure  S.  43.''»). 

Selbstverständlich  entwickeln  sich  bei  diesem  Processe  übelriechende  Gase, 
welche  wegen  ihres  bedeutenden  Gehaltes  an  Wasserstoff  und  Kohlenwasser- 
stoff gleichzeitig  feuergefährlich  sind:  sie  müssen  deshalb  unter  den  geeigneten  Sicher- 
heitsmassregelu  durch  Verbrennen    unschädlich  gemacht  werden. 

Die.  Gührlottiche,  in  welchen  die  Masse  vergährt,  müssen  dicht  verschlossen  und 
in  ihren  Decken  mit  Abzugscanälen  versehen  werden,  um  die  Gase  unter  die  Feuerung 
zu  leiten. 

C.    Milchzuckerindustrie. 

Milchzucker  Ci2  H22  On  wurde  bis  jetzt  nur  im  Thierkörper  aufgefunden;  er 
kommt  in  der  Kuhmilch,  im  Blute  und  im  Hühnereiweiss  vor;  alle  Versuche,  ihn 
aus  andern  Substanzen  darzustellen,  sind  bis  jetzt  gescheitert. 

In  der  Schweiz  wird  der  Milchzucker  im  Grossen  aus  den  Molken,  welche 
bei  der  Käsebereitung  abfallen,  dargestellt.  Der  noch  gelöste  Käsestoff  wird  durch 
verdünnte  Schwefelsäure  präcipitirt  und  filtrirt,  worauf  die  klare  Flüssigkeit  vor- 
sichtig abgedampft  wird. 

Sehr  häufig  kommt  es  vor,  dass  sich  theils  in  Folge  von  Krankheiten  der  Thiere, 
theils  durch  längeres  Aufbewahren  der  Molken  ein  Theil  des  aufgelösten  Käsestoffs 
zersetzt  hat,  wodurch  sich  die  ganze  Reihe  der  Oxydationsproducte  des  Caseins  bildet; 
der  Zusatz  von  Schwefelsäure  setzt  diese  in  Freiheit  und  gibt  dann  zur  Ausbreitung 
eines  widrigen  Geruches  Veranlassung.  Da  die  Nachbarn  dadurch  ausserordentlich 
belästigt  werden  können,  so  ist  polizeilieherseits  für  die  Ableitung  dieser  höchst  pene- 
tranten Gerüche  Sorge  zu  tragen. 

Der  Milchzucker  schiesst  in  rhombischen  Krystallen  an;  verdünnte  Süuren  ver- 
wandeln ihn  in  Lactose  CfiHj306,  welche  sich  in  iln-en  Reactionen  wie  Traubenzucker 
verhält.  Gegen  eine  alkalische  Kupferoxydlösung  verhält  sich  der  Milchzucker  wie 
Traubenzucker. 

Durch  Erwärmen  mit  Salpetersäure  verwrndelt  sich  Milchzucker  in  Sc  hie  im - 
säure  CcH0O8,  durch  Kochen  in  Oxalsäure  C2Ii204.  Ein  Gemisch  von  concentrirter 
Schwefelsäure  und  Salpetersäure  bildet  mit  Milchzucker  Nitrolactit.  In  Berührung 
mit  zersetztem  Casein  wird  Milchzucker  in  Milchsäure  übergeführt. 

Unter  gewissen,  noch  nicht  genau  gekannten  Umständen  liefert  Milchzucker  neben 
Milchsäure  auch  Alkohol.  Die  Tartareu  und  Kirgisen  lassen  nämlich  die  Milch  der 
Stuten  in  Thierschläuchen  sauer  werden  und  schütteln  dieselben  bis  ein  dicker  Rahm  an 
der  Oberfläche  entsteht.  Die  Molke  überlässt  man  dann  der  Gährung;  das  Destillat 
heiset  Kumys. 


Stärkemeklindustrie.  509 


Stä  rkemehlindustrie. 

Stärkemehl,  Amylum,  Satzraelü  C6H10O5  kommt  im  Pflanzen-  und  Mineral- 
reich vor,  während  sein  Auftreten  im  Thierreich  stets  pathologisch  ist.  Wenn 
es  in  einigen  Ablagerungen  von  Torf  und  Braunkohlen  gefunden  worden  ist,  so 
spricht  dies  für  die  vorhandenen  Reste  einer  untergegangenen  Pflanzenwelt  und 
liefert  zugleich  den  Beweis,  dass  Stärkemehl  der  Fäulniss  vollständig  widersteht. 

Im  Pflanzenreich  bildet  es  die  Hauptmasse  der  Cotyledonen;  reich  daran  sind  die 
Cerealien,  die  knolligen  Wurzeln  der  Kartoffeln,  die  Ürchisarten  (Salep),  die  Bataten, 
die  Pfeilwurzel  (Arrow-Root)  u  s.  w;  ausserdem  ist  es  ein  nie  fehlender  Bestandtheil 
aller  Bäume.  Das  Amylum  repräsentirt  gleichsam  das  Fett  der  Pflanzen  und  wie  beim 
thierischen  Organismus  bei  mangelhafter  Ernährung  das  abgelagerte  Fett  verbraucht 
wird,  so  geschieht  dies  auch  bei  den  Pflanzen  theils  während  der  Ruhe  der  Vegetation, 
theils  bei  der  Entwicklung  des  neuen  Keims,  wobei  die  Ernährung  auf  Kosten  des  auf- 
gespeicherten Stärkemehls  stattfindet.  Ein  solches  Schwinden  und  Ablagern  des  Stärke- 
mehls findet  sich  besonders  bei  den  Nadel-  und  Laubhölzern. 

Das  Stärkemehl  besteht  aus  mikroskopischen  Körnchen  von  verschiedener  Ge- 
stalt, um  deren  Kern  sich  das  Mehl  in  concentrischen  Schichten  abgelagert  hat.  Durch 
auf  72°  erhitztes  Wasser  platzen  die  Hülsen  der  Körnchen  und  es  entsteht  eine 
gelatinöse  Masse,  der  Kleister;  durch  Erhitzen  bis  auf  160°  oder  durch  Behandeln 
mit  verdünnten  Säuren  wird  es  dem  Gummi  ähnlich  und  hei 'st  dann  Dextrin,  weil 
dieses  die  Polarisationsebene  nach  rechts  dreht.  Mit  concentrirter  Salpetersäure  bildet 
Stärkemehl  eine  Verbindung,  die  sich  auf  Zusatz  von  Wasser  ausscheidet,  Xyloidin  heisst 
und  ein  Salpetersäureäther  desselben  ist;  es  ist  eine  explosive  Verbindung  und  als 
die  erste  nitrirte  Substanz  dargestellt  worden.    Chlor  führt  Amylum  in  Chloral  über. 

In  der  heissen  Zone  sind  es  die  Palmen,  welche  in  ihrem  Marke  sehr  viel 
Stärkemehl  ablagern;  hier  wird  es  durch  verschiedene  Manipulationen  (Erhitzen, 
Rösten  u.  s.  w.)  zu  Sago  verarbeitet.  Der  rothe  Sago  ist  durch  starkes  Rösten  ent- 
standen und  enthält  etwas  Eisenoxyd. 

Die  Moosstärke,  Lichenin  C6H10C5  ist  eine  Varietät  des  Stärkemehls  und  stellt 
eine  durchsichtige,  spröde,  in  Wasser  lösliche  Masse  dar. 

Inulin  C6H,0C3  ist  das  Stärkemehl  der  Knollen  der  Dahlien  oder  Georginen,  der 
Wurzeln  von  Inula  Helenium,  Cichorium  Intybus,  Helianthus  tuberosus. 

Das  Stärkemehl  aus  der  wilden  Kastanie  wird  als  Sago  und  neuerdings  auch 
zur  Darstellung  von  Spiritus  benutz;-. 

Paramylnm  CEHI005  kommt  in  Infusorien  vor,  quillt  in  heissem  Wasser  ohne 
Kleisterbildung  auf  und  lässt  sich  in  Zucker  überführen. 

Zur  Darstellung  von  Stärkemehl  benutzt  man  in  Europa  fast  aus- 
schliesslich Weizen,  Kartoffeln  und  Reiss;  Roggen  und  Gerste  werden 
wie  Weizen  behandelt. 

Das  in  den  Pflanzenzellen  abgelagerte  Stärkemehl  wird  auf  eine  mecha- 
nische Weise  ausgeschieden;  die  bei  dieser  Fabrication  vorkommenden 
chemischen  Erscheinungen  bezwecken  nur  eine  schnellere  und  vollständigere 
Wegschaffung  der  einhüllenden  Substanzen,  d.  h.  eine  Aufschliessung  der  Zellen. 

Die  Hauptmanipulationen  bestehen  im  Zerkleinern,  Auswaschen  oder 
Auskneten  des  betreffenden  Materials.  In  dem  ablaufenden  WTasser  setzen  sich 
die  Stärkekörnchen  ab,  der  Bodensatz,  die  Stärke,  wird  durch  Sieben  gereinigt 
und  getrocknet. 

Die  Modifikationen  des  Verfahrens  ergeben  sich  aus  der  verschiedenen  Natur 
des  Rohmaterials. 

1)  Stärkefabrication  aus  Weizen. 

Diese  Fabrication  ist  die  erste  und  älteste.  Es  gibt  zwei  Methoden  zur 
Darstellung  des  Weizenstärkemehls;  entweder  wird  das  von  den  Kleien  befreite 
Mehl    mit   Wasser   bebandelt   und   ausgeschlemmt,    oder   es    wird   der   Weizen 


510  Kohlehydrate. 

unvermahlen  oder  geschroten  mit  Wasser  so  lange  in  Berührung  gelassen, 
bis  durch  den  eingetretenen  Gährungs-  resp.  Füulnissprocess  der  Kleber 
löslich  geworden  ist  und  die  Hülsen  durch  einen  schwachen  Druck  (Quetschmühle) 
gesprengt  werden  können. 

Die  erstere  Methode  wild  nur  in  Frankreich  und  England  angewendet  und 
zwar  dann,  wenn  Weizenmehl  durch  lange  Aufbewahrung  mulstig(stockig)  oder  schlecht 
geworden  ist. 

Die  zweite  Methode  ist  die  gebräuchlichste,  obgleich  sie  durch  die  Fäulniss- 
producte  des  Klebers  eine  sehr  belästigende  ist;  ihr  Product  ist  dagegen  viel  reiner  als 
das  der  erstem  Methode,  welche  jedoch  den  Vortheil  hat,  dass  der  Kleber  nicht  ver- 
loren geht,  sondern  gewonnen  wird  und  als  guter  Zusatz  zum  Brote,  als  Viehfutter  und 
Klebemittel  benutzt  werden  kann.  Es  ist  sehr  zu  bedauern,  dass  die  Weizenstärke- 
fabrication  in  Deutschland  mit  dem  Verluste  des  Klebers  zusammenfällt,  da  hierdurch 
jährlich  unendlich  grosse  Quantitäten  plastischer  Nahrungsmittel  verloren  gehen ;  viel- 
fach war  an  manchen  Orten  die  Mahlsteuer  Veranlassung,  dass  man  die  Methode  der 
Maceration  anwenden  musste,  weil  bei  dieser  nur  ungemahlener  Weizen  benutzt  wird. 

1 )  Die  Methode  der  Maceration  resp.  Gährnng.  Die  Vorbereitung  des  Weizens 
schliesst  bei  der  Gährungsmethode  a)  das  Einquellen  des  Weizens  in  sich. 
Ist  der  Weizen  ungeschrotet,  so  muss  er  je  nach  der  Witterung  2 — 4  Wochen 
in  grossen  Bottichen  (Quellbottichen)  so  lange  weichen,  bis  er  zwischen  den 
Fingern  leicht  zerdrückt  werden  kann  und  die  Flüssigkeit  in  saure  Gährung  über- 
gegangen ist, 

Das  hierbei  abfallende  Wasser  heisst  Sauer-  oder  Quellwasser,  riecht  nach 
altem  Käse,  ist  von  sehwach  gelber  Farbe,  reagirt  stark  sauer  und  überzieht  sich  mit 
einer  Haut,  welche  mit  unzähligen  Pilzen  wie  besäet  ist. 

Gebraucht  man  geschroteten  Weizen,  so  rührt  man  denselben  mit  Sauer- 
wasser  zu  einem  dünnen  Brei  au  und  überlässt  die  Masse  in  Bottichen  ebenfalls  der 
Gährung. 

b)  Das    Zerquetschen    des    gequollenen  Weizens    geschieht    mittels 

Mühlsteine,    welche    durch    Dampf  kraft   oder   Pferde   getrieben    werden;    häufig, 

namentlich  in  grossen  Landwirth schaffen,  tritt  man  ihn  auch  mit  den  Füssen  in 

Säcken  (Tretsäcken)  aus,  wozu  sich  der  geschrotete  Weizen  am  besten  eignet. 

Das  ausgequetschte  Gut  gelangt  mit  dem  in  ihm  enthaltenen  Wasser  und  dem 
Sauerwasser  in  Satzbottiche;  in  diesen  trennt  sich  das  Wasser  vom  Stärkemehl  und 
ist  selbstverständlich  auch  sauer;  man  nennt  es  jetzt  Quetsch-  oder  Satzwasser, 
das  den  grössten  Theil  des  aufgelösten  und  die  Fäulnissproducte  des  der  Fäulniss  schon 
erlegenen  Klebers   enthält. 

c)  Das  Abschlämmen  des  Stärkemehls  geschieht  in  den  eben  erwähn- 
ten Bottichen,  in  welche  die  milchige  Flüssigkeit  zum  Absetzen  des  Stärkemehls 
gebracht  worden  ist.  Nachdem  sie  umgerührt  und  wieder  in  Ruhe  gelassen 
worden  ist,  zapft  man  nach  einigen  Tagen  die  gelbliche  und  schwach  saure 
Flüssigkeit  ab,  welche  auch  die  organischen  Säuren  nebst  dem  aufgelösten  Kleber 
enthält. 

Dies  abgegangene  Wasser  nennt  man  Schlämm wasser.  In  den  Bottichen  liegt 
zu  unterst  die  grobe  schwere,  aber  weisse  Stärke,  aus  welcher  vorzugsweise  die 
sogenannte  kr ystallisirte  und  gebackene  Stärke  gemacht  wird;  in  der  Mitte 
befindet  sich  die  feinste,  welche  zu  Patentstärke  in  Stängelchen  verarbeitet  wird,  und 
zu  oberst  die  durch  aufgelösten  Kleber,  Hülsen  und  andere  Unreinigkeiten  grau  gefärbte 
Stärke,  welche  abgenommen  und  später  gebleicht  wird. 

Wenn  sich  die  Stärke  in  den  Bottichen  als  feste  Masse  abgelagert  hat,  wird  sie 
mit  Schaufeln  in  mit  Tüchern  ausgefütterte  Körbe  zum  Abtropfen  gegeben. 

d)  Das  Trocknen  der  Stärke.  Nach  dem  Trocknen  gelangt  die  Stärke 
in  den  Lufttrockenraum,  welcher  aber  im  Winter  künstlich  erwärmt  werden 
mnss,  damit  sich  die  Stärke  durch  das  Gefrieren  des  Wassers  nicht  zerklüftet. 
In   schwach  feuchtem  Zustande    wird    sie   in    die    Trocken-    oder  Backstube 


Stärkemehlindustrie.  511 

gebracht  und  hier  unter  allmählig  gesteigerter  Temperatur  bis  50—60°  R.  erwärmt, 
wozu  sich  am  besten  Luftheizung  eignet. 

Die  Arbeiter  betreten  erst  den  Raum,  wenn  er  auf  24 — 30°  R.  abgekühlt  worden 
ist;  der  starke  Staub  von  Stärke,  welchem  sie  hier  ausgesetzt  sind,  wirkt  weniger  nach- 
teilig ein  als  die  hohe  Hitze.  Hier  ist  Alles  zu  berücksichtigen,  was  schon  über  die 
nachtheiligen  Folgen  hoher  Hitzegrade  gesagt  worden  ist  (s.  S.  179);  es  handelt  sich  hier 
aber  mehr  um  eine  trockne  als  feuchte  Hitze. 

An  den  Fenstern  solcher  Trockenstuben,  wo  sich  die  atmosphärische  Feuchtigkeit 
niederschlägt,  beobachtet  man  nicht  selten  Bildung  von  grünen  Algen,  ein  Beweis, 
dass  diese  auf  einem  stärkemehlhaltigem  Nährboden  gut  gedeihen. 

In  sanitärer  Beziehung  ist  zu  beachten,  dass  sich,  wenn  die  saure 
Gährung  in  den  Quellbottichen  eintritt,  Kohlensäure,  Sumpfgas  und  etwas 
Schwefelwasserstoff  entwickeln.  Die  Gase  enthalten  die  organischen  flüchtigen 
Säuren,  die  Zersetzungsproducte  des  Klebers,  wodurch  ein  belästigender  und  für 
manche  Individuen  auch  nachtheiliger  Geruch  entsteht. 

Damit  sich  diese  Gase  und  Dämpfe  nicht  in  dem  Arbeitsraume  verbreiten, 
müssen  die  Deckel  der  Bottiche  mit  Ableitungsröhren  versehen  werden,  damit 
sie  unter  den  Rost  einer  Feuerung  gelangen  können. 

Das  Sauerwasser  sowie  das  Quetsch-  und  erste  Schlämmwasser 
sind  von  derselben  Beschaffenheit  und  dürfen  weder  in  offene  Strassenrinnen 
noch  in  öffentliche  Canäle  abgelassen  werden,  da  sie  in  Folge  einer  weitern 
Fäulniss  des  aufgelösten  Klebers  einen  entsetzlichen  Geruch  erzeugen,  der  vor- 
zugsweise durch  die  flüchtigen  organischen  Säuren  und  das  Schwefelwasserstoffgas 
bedingt  ist. 

Nach  den  Untersuchungen  von  Vofil  besitzt  der  Abdampfrückstand  dieser  Wässer 
einen  Geruch  nach  thierischem  Leim,  bildet  eine  klebrige  Masse  und  liefert  beim  Erhitzen 
nach  dem  Verdunsten  des  Wassers  einen  unangenehmen  Geruch  nach  verkohlenden  Thier- 
substanzen  (Hörn  oder  Haaren).  Die  Asche  des  Abdampfrückstandes  besteht  grössten- 
teils aus  in  Milch-  und  Essigsäure  löslichen,  phosphorsauren,  alkalischen  Erden  und 
Alkalien  neben  geringen  Mengen  von  Chloriden  der  Alkalien,  Eisenoxyd,  Spuren  von 
Mangan  und  schwefelsauren  Salzen. 

Zum  Nachweis  der  in  diesen  Wässern  enthaltenen  organischen  Verbindungen,  der 
Säuren  und  Basen,  wurde  Sauer-  und  Sehlämmwasser  mit  dünner  Kalkmilch  neutralisirt 
und  der  Destillation  unterworfen.  In  dem  Destillate  konnten  ausser  Ammoniak  noch 
Aethylarnin,  Triäthylaniin  und  Propylamin  nachgewiessen  werden.  Diese  flüch- 
tigen organischen  Basen  kommen  jedoch  in  geringer  Menge  vor,  sind  an  die  Säuren 
gebunden  und  liefern  deshalb  geringen  oder  gar  keinen  Beitrag  zu  den  hässlichen 
Ausdünstungen. 

Im  Destillationsrückstande  wurden  a)  an  flüchtigen  organischen 
Säuren:  Essig-,  Propion-,  Butter-,  Baldrian-,  Capron-,  Benzoe-  und 
wenig  Ameisensäure,  b)  an  nicht  flüchtigen  Säuren:  Milch-,  Bernstein- 
und  Oxalsäure  nachgewiesen.  Während  der  Destillation  entweichen  Kohlensäure 
und  Schwefelwassertoff. 

An  anorganischen  Säuren  fanden  sich  Schwefel-  und  Phosphorsäure, 
Chlorwasserstoff  und  geringe  Mengen  Kieselsäure  vor. 

Ausser  diesen  Säuren  und  Basen  enthalten  die  Wässer  auch  noch  Leucin  und 
den  durch  die  Gährung  veränderten  und  in  Wasser  löslich  gewordenen  Kleber,  welcher 
namentlich  das  Material  zu  einer  weitern  Fortsetzung  des  Fäulnissprocesses  liefert,  wes- 
halb schon  aus  diesem  Grunde  das  Unterbringen  der  Wässer  in  Schlinggruben  nicht 
zulässig  ist,  denn  es  würde  daselbst  eine  reiche  Quelle  von  Geruchsbelästigung  ent- 
stehen, abgesehen  davon,  dass  durch  die  sauren  und  auflösenden  Eigenschaften  dieser 
Wässer  leicht  eine  Infiltration  der  benachbarten  Brunnen  veranlasst  werden  kann. 
In  öffentlichen  Canälen  würden  sie  ein  baldiges  Verschlammen  veranlassen,  wenn 
sie  mit  andern  kalkhaltigen  Flüssigkeiten,  z.  B.  mit  dem  Wasser  von  Weissgerbereien 
und  Leimsiedereien,  in  Berührung  kämen*),    da  Kalkzusatz  in  diesen  Wässern  sogleich 


*)  Es  wäre  überhaupt  sehr  zweckmässig,  dass  diejenigen  Gewerbe,  welche  kalk- 
haltiges Wasser  abführen,  dasselbe  mittels  Satzgruben  durch  Zusatz  eines  kohlensauren 
Alkalis  zu  entkalken  suchten,  ehe  sie  es  in  die  öffentlichon  Canäle  ablassen. 


512  Kohlehydrate. 

einen  schlammigen  Niederschlag  erzeugt :  der  Gertich  und  der  weitere  Fortgang  der 
Fäulniss  würde  freilich  dadurch  verhütet.  In  kleinen  Bächen  können  sie  auch  die  Ent- 
stehung von  Leptomitus  lacteus  veranlassen. 

Der  Transport  des  Sauerwassers  aus  der  Fabrik,  um  auf  dem  Acker  wie 
Jauche  zum  Berieseln  verwerthet  zu  werden,  ist  bei  einem  grossen  Betriebe  unaus- 
führbar, weil  zu  grosse  Kosten  für  den  Fabrikanten  entstehen  würden,  wenn  man  nur 
snkt,  das-  oft  täglich  mehrere  Tausend  Knbikfuss  Wasser  zum  Abfluss  kommen. 
Nur  wenn  die  Fabrik  über  Ackerland  gebietet  und  in  unmittelbarer  Nähe  desselben 
-.  würde  diese  Art  der  Verwerthang  des  Saue  sehr  erspriesslich  sein.    Sonst 

bleibt  kein  anderes  Mittel  übrig,  als  alle  von  der  Weizenstärkefabrication  abfallenden 
Wäss  'hl    das    Sauer-    als    auch    das   Quetsch-    und   Schlämm wasser.    mit 

frischer  Kalkmilch  bis  zur  alkalischen  Reaction  zu  versetzen,  was  in  der  Fabrik  in 
grossen  Bottichen  oder  cementirten  Behältern  geschehen  muss:  der  sich  bald  bildende 
schlammige  Niederschlag  wird  zum  Abtropfen  in  Körbe,  welche  inwendig  mit  grobem 
Packtuch  bekleidet  sind,  gegeben. 

Dieser  Kalkniederschlag  ist  wegen  seines  Gehalts  an  phosphorsaurem 
Calcium  und  stickstoffhaltiger  organischer  Substanz  ein  vortrefflicher  Dungstoff,  durch 
welchen  die  auf  die  Präparatimi  der  Wässer  verwendeten  Ausgaben  bezahlt  werden.  Vuhl 
fand  in  100  G.  Th  desselben  11,693-';,  Phosphorsäure  und  0,4661  %  Stickstoff. 

Das  abfliessende  Wasser  ist  klar,  ohne  Geruch  und  darf  ohne  Gefahr  in 
öffentliche  Strassenrinnen  oder  Canäle  abgelassen  werden :  mau  kann  es  14  Tage  lang 
bei  einer  constanten  Temperatur  von  +23°  R.  sich  selbst  überlassen,  ohne  dass  es  in 
Fäulniss  übergeht.') 

2)  Die  Methode  der  Stärkegewinnung  ohne  Gährung.  Man  wendet  den  Weizen 
fein  gemahlen  oder  geschrotet  an  und  formt  daraus  mit  Wasser  einen  gleichför- 
migen Teig,  welchen  man  einige  Zeit  sich  selbst  überlasst.  Alsdann  folgt  das 
Auswaschen  des  Teigs  anfeinem  grossen  ovalen  Siebe  aus  Drahtgitter,  welches 
über  einem  grossen  Bottich  aufgestellt  ist. 

Während  Wasser  in  einem  feinen  Strahle  zufliesst,  drückt  und  wendet  man  be- 
ständig den  Teig,  bis  die  Stärke  ausgewaschen  ist:  man  fährt  so  lange  damit  fort,  bis 
das  Wasser  nicht  mehr  -milchig  abläuft  und  der  Kleber  als  eine  braune,  faserige  und 
stark  zusammenhängende  Masse  mit  den  Kleien  zusammen  übrig  bleibt 

Die  bei  dieser  Methode  abfallenden  Wässer  sind  in  sanitärer  Beziehung 
ebenfalls  zu  beachten,  da  sie  stickstoffhaltige  und  stickstofffreie  Bestandtheile  des  Weizens 
gelöst  enthalten,  welche  mit  grosser  Begierde  atmosphärischen  Sauerstoff  absorbiren  und 
dadurch  leicht  in  Gährung  resp.  Fäulniss  übergehen.  Frisch  können  diese  Wässer  zum 
Anmachen  von  Viehfutter  benutzt  werden:  will  man  sie  zum  Düngen  verwenden,  so 
müssen  sie  mit  Kalkmilch  versetzt  werden. 

Die  Kleien  sind  durch  den  ausgeschiedenen  Kleber  zusammengeballt:  dieses  Ge- 
menge lässt  sich  mit  Vortheil  als  Viehfutter  benutzen,  gewöhnlich  sondert  man  jedoch 
die  Kleie  vom  Kleber  ab,  indem  man  das  Gemenge  in  Berührung  mit  Wasser  sieb  selbst 
überlasst.  wodurch  eine  saure  Gährung  eintritt  und  der  Kleber  auf  Kosten  der  gebildeten 
Säure  gelöst  wird. 

Die  Kleberlösung  wird  nun  mit  Kreide  oentralisirt,  tiltrirt  und  abgedampft.  Es 
bildet  sich  hier  schliesslich  eine  dicke,  syrupsartige  Flüssigkeit,  welche  alle  Eigenschaf- 
ten des  thierischen  Leims  zeigt,  nur  mit  dem  Unterschiede,  dass  die  Masse,  einmal  ge- 
trocknet, höchst  schwierig  aufzuweichen  ist.  Mit  ^turkekleister  zusammengemischt,  ist 
sie  ein  vortreffliches  Bindemittel  bei  Papparbeiten  und  übertrifft  die  Bindekraft  des 
sogenannten  Buchbinderkleisters,  welcher  eine  Mischung  v<>n  Leim  und  Stärkemehl 
zu  gleichen  Theilen  darstellt.     Im   Bande!  kommt    dieser  Körper  als  Schusterstärke 


*)  Das  Sauer-.  Quetsch-  und  Schlämmwasser  lä^st  .-ich  auf  die  Gewinnung 
der  Milch-,  Butter-.  Essig-.  Baldriansäure  u.  s.  w.  bearbeiten. 

Durch  Versetzen  dieser  Wässer  mit  Kalk  werden  die  Phosphorsäure  und  ein  Theil 
des  Klebers  abgeschieden.  Die  klare  Flüssigkeit  gibt  beim  Abdampfen  eine  Krystalli- 
sation  von  milchsaurem  Calcium,  das  auf  Milchsäure  bearbeitet  werden  kann. 

Die  Mutterlauge  wird  entweder  direct  mit  verdünnter  Schwefelsäure  versetzt 
und  destillirt,  wobei  sich  viel  Gips  abscheidet,  oder  man  schlägt  durch  Soda  den  Kalk 
nieder,  gewinnt  aus  der  geengten  Salzlösung  entweder  durch  Krystallisation  zuerst  das 
essigsaure  Natrium  und  verarbeitet  die  Mutterlauge  auf  Butter-,  Baldriansäure  u.  s.  w., 
oder  man  destillirt  die  Jvatronsalze  direct  mit  Schwefelsäure  und  scheidet  die  Säuren 
durch  ihren  Siedepunct. 


Stärkefabrication.  513 

vor.  Auf  dieselbe  Weise  kann  auch  der  Inhalt  der  sogenannten  Tretsäcke  (s.  S.  510) 
verwendet  werden. 

Soll  der  Kleber  als  Nahrungsmittel  benutzt  werden,  so  bringt  man  die  Kleien- 
masse mit  vielem  Wasser  in  einem  Bottich  zusammen,  rührt  längere  Zeit  kräftig  durch 
und  lässt  nach  einiger  Zeit  Ruhe  die  Flüssigkeit  bis  auf  den  dritten  Theil  abfliessen;  im 
Grunde  derselben  ist  dann  der  grösste  Theil  des  Klebers  mit  wenig  Kleie  abgelagert. 
Man  knetet  die  Masse  unter  Wasser  zusammen,  wodurch  der  Kleber  sich  zusammenballt 
und  die  Kleie  fahren  lässt:  auch  kann  er  durch  eine  Auflösung  von  kohlensaurem 
Natrium  aus  der  Kleie  ausgezogen  und  mittels  einer  Säure  aus  dieser  Lösung  gefällt 
werden.  In  beiden  Fällen  kann  er  als  Nahrungsmittel,  als  Zusatz  zum  Brote  odex  auch 
als  sogenanntes  Kleberbrot  bei  diabetischen  Kranken  Verwendung  finden.' 

Mit  Mehl  und  Wasser  zu  einem  Teig  geformt,  ist  er  auch  zur  Fabrication  von 
Macaroni,  Nudeln  u.  s.  w.  gebraucht  worden:  der  frische  Kleber  hat  nur  die  üble 
Eigenschaft,  leicht  zu  faulen  und  kann  daher  in  diesem  Zustande  nicht  lange  aufbewahrt 
und  transportirt  werden. 

Neuerdings  hat  man  den  Kleber  wie  Graupe  granulirt  und  dann  getrocknet;  zu 
dem  Ende  knetet  man  den  Kleber  mit  der  doppelten  Gewichtsmenge  Mehl  zusammen, 
rollt  den  Teig  in  lange  Streifen  und  formt  daraus  Körner,  welche  bei  30 — 40  °  getrocknet 
und  dann  durch  Sieben  sortirt  werden;  indem  man  sie  mit  Mehl  bestreut,  verhütet  man 
ihr  Zusammenballen.  Diese  „Klebergraupe''  wird  als  vortreffliches  Nahrungsmittel 
gerühmt. 

Alle  bei   der  Weizenstärkefabrication   abfallenden  Hülsen   geben  ein   sehr  gutes 

Viehfutter  und  können  wie  die  Runkelrübenpresslinge  behandelt  werden;  nur  als  Pferde- 

.futter   taugen    sie    nicht,    da  namentlich   die   vom  Kleber  befreiten  Kleien,   in  welchen 

Magnesiumphosphat  aufgeschlossen  ist,   bei  den  Pferden  die  Bririd-Daraisteine,   die   aus 

phosphorsaurem  Ammonium-Magnesium  bestehen,  erzeugen. 

B.    Stärkefabrication  aus  Kartoffeln. 

Von  den  verschiedenen  Wurzeln  und  Knollen  ist  es  vorzugsweise  die 
Kartoffel,  welche  zur  Stärkefabrication  benutzt  wird.  Als  Mittel  von  vielen 
Analysen  enthält  die  Kartoffel  in  1000  Theilen  an  Stärkemehl  157,97, 
Cellulose  65,94,  Dextrin  19,39,  Eiweiss  13,54,  Fett  1,60,  Asparagin  0,80,  Ex- 
träctivstoffen  9,20,  Salzen  10,49,  Wasser  741,52,  Kali  6,50,  Natron  nur  Spuren, 
Kalk  0,27,  Magnesia  0,55,  Eisenoxyd  0,05,  Phosphorsäure  1,86,  Schwefelsäure  0,49, 
Chlorkalium  0,61,  Chlornatrium  0,13  und  Kieselsäure  0,18. 

Wegen  des  fehlenden  Klebers  in  der  Kartoffel  ist  eine  andere  Darstellungs- 
methode als  beim  Weizen  angezeigt;  dieselbe  zerfällt: 

1)  in  das  Zerreiben  der  Kartoffeln  mittels  Reibmaschinen.  Man 
bedient  sich  hierbei  gewöhnlich  eines  Reibcylinders,  wie  er  in  den  Rübenzucker- 
fabriken zum  Zerreiben  der  Rüben  gebräuchlich  ist. 

Dem  Zerreiben  geht  selbstverständlich  ein  Reinigen  und  Waschen  der 
Kartoffeln  mittels  mechanischer  Vorrichtungen  voraus.  Das  Zerreiben  bezweckt  ein  Zer- 
reissen  der  Zellen  der  Kartoffeln  und  damit  ein  Biossiegen  des  Stärkemehls,  um  das- 
selbe durch  Auswaschen  und  Reinigen  leichter  gewinnen  zu  können. 

2)  Die  Abscheidung  der  Stärke  aus  dem  zerriebenen  Kartoffel- 
brei. Dies  geschieht  durch  Schlämmen  auf  Sieben  oder  Siebtrommeln;  häufig 
bedient  man  sich  dazu  mehrerer  Reihen  von  Drahtsieben  von  verschiedener 
Feinheit,  welche  über  einem  Bottich  übereinander  stehen. 

In  das  Drahtsieb  mit  den  weitesten  Maschen  gelangt  zunächst  der  Kartoffelbrei, 
während  das  AuswascL  m  durch  einen  beständig  zutliessenclen  Wasserstrahl  bewirkt  wird. 

Die  betreffenden  Einrichtungen  sind  in  den  verschiedenen  Fabriken  verschieden 
ausgeführt;  recht  wirksam  ist  eine  Einrichtung,  durch  welche  dem  Siebe  eine  rüttelnde 
Bewegung  mitgetheilt  wird. 

3)  Die  Reinigung  der  Stärke  durch  Absetzenlassen.  Dies  geschieht 
in    grossen   Bottichen   durch   Auswaschen    und  Durchseihen;    das  aus   der  Satz- 

Eulenberg,  Gewerbe -Hygiene.  33 


514  Kohlehydrate. 

flüssigkeit   gewonnene    Stärkemehl    wird    auf   geeignete    "Weise    auf    Seihetücher 
gebracht  und  an  der  Luft  getrocknet. 

4)  Das  Trocknen  in  Backstuben.  Um  eine  constante  Trockenheit  der 
Stärke  zu  bewirken,  wird  sie  in  der  Backstube  bei  einer  Temperatur  von  40 — 50" 
behandelt. 

In  Frankreich  steigert  mau  iu  einem  grossen  gemauerten  Kasten  die  Wärme  nach 
und  nach  bis  auf  60°  und  sogar  auf  8.0°  R.  Die  langsame  Steigerung  der  Hitze  ist 
nöthig,  damit  die  Stärke  wegen  ihres  hohen  Wassergehalts  nicht  in  Kleister  übergeht. 

Die   Stärke  kommt    entweder   im    zerbröckelten   Zustande   als    sogen.    Schäfchen 
oder  als  Stengelstärke  in  den  Handel.     Im  erstem  Falle  lässt  man  die  getrockneten 
und  zusammengebackenen  Stücke  zwischen  Walzen  gehen;  zur  Darstellung  der  St 
stärke  knetet  man  die  noch  feuchten  Stärkekuchen  mit  Wasser   zu  einem  dicken  Teige 
und  lässt  diesen  mittels  Maschinen  durch  Trichter  mit  vielen  kleinen  Oeffnuugen  gehen. 

Die  Wasch-  und  Satzwässer.  Dieselben  sind  mit  den  löslichen  eiweisshaltigen 
Stoffen  der  Kartoffeln  geschwängert,  enthalten  stickstoffhaltige  und  stickstofffreie 
Exlractivstoffe  nebst  den  löslichen  Mineralsubstanzen.  Bei  grosser  Verdünnung 
und  bei  warmem  Wetter  gehen  sie  leicht  in  Fäulniss  über,  weshalb  die  oben  ge- 
nannten Fäulnissproducte  auch  hier,  aber  nur  in  einem  geringern  Grade,  auf- 
treten;  nur  die  Buttersäure  ist  in  einer  grossem  Menge  vertreten  (s.  S.  511). 

Diese  Wässer  verdienen  deshalb  eine  grössere  sanitäre  Berücksichtigung 
als  ihnen  bisher  zu  Theil  geworden  ist.  Jedenfalls  dürfen  sie  nicht  in  Schling- 
gruben abgelassen  werden;  kann  man  sie  nicht  auf  irgend  eine  Weise  verwerthen 
oder  als  Duugmittel  benutzen,  so  müssen  sie  ebenfalls  in  Bottichen  oder  cemen- 
tirten  Cistei  neu  mit  Kalkmilch  versetzt  werden. J) 

Behandlung  der  festen  Rückstände.  Die  bei  der  Kartoffelstärkefabrication  ab- 
fallende Cellulose,  welche  noch  stets  Stärkemehl  enthält,  kann  auf  verschiedene  Weise 
verwerthet  werden.  Sie  kann  als  Viehfutter  frisch  verbraucht  oder  in  Gruben  ein- 
gesalzen werden:  in  letzterm  Falle  wird  eine  Milchsäure-Gährung  eintreten  unter 
ihzeitiger  Entwicklung  von  flüchtigen  fetten  Säuren  neben  Schwefelwasserstoff. 

In  andern  Fabriken  wird  der  Rückstand  mit  verdünnter  Schwefelsäure  behandelt, 
um  Traubenzucker  daraus  zu  bereiten,  welcher  der  Gährung  unterworfen  und  auf 
Spiritus  weiter  verarbeitet  wird;  statt  der  Schwefelsäure  kann  man  auch  hier  geschrotetes 
Malz  (Dextrin)  nehmen.  In  Frankreich,  namentlich  im  Elsass,  wird  der  Rückstand  mit 
Salz  versetzt,  abgepresst  und  in  Brotform  verbacken,  um  als  Futter  für  Pferde  und 
Rindvieh  zu  dienen. 

Das  Bleichen  der  Stärke.  Neuerdings  gebraucht  man  zum  Bleichen  der  grauen 
Stärke  aus  Cerealien  vielfach  die  Schwefelsäure.  Wenn  die  Stärke  abgenommen 
worden  ist,  wird  sie  in  Wasser  aufgerührt  und  mit  der  Schwefelsäure  versetzt;  man 
benutzt  hierzu  eine  entsprechende  Menge  concentrirter  Schwefelsäure  von  06°  B.,  die 
mit  dem  20—  30fächen  Vol.  Wasser  verdünnt  wird.  Selbstverständlich  lässt  man  diese 
Verdünnung  erst  erkalten,  ehe  mau  sie  zugibt. 

Man  verwendet  auch  die  Jacet/e'sche  Flüssigkeit,  wrelche  man  zuerst  der  imWasser 
aufgerührten  Stärke  zusetzt,  um  dann  die  in  obiger  Weise  verdünnte  Schwefelsäure 
allmählig  zuzumischen. 

Beim  Gebrauch  der  Schwefelsäure  ist  der  Umstand   sehr  beachtungswerth,  dass, 

wenn  sie  im  rohen  Zustande  zur  Anwendung  kommt,   alle  Verunreinigungen   derselben, 

ders   Blei   und   arsenige  Säure,  mit  dem  Stärkemehl   niedergeschlagen  werden. 

ie  hierbei  resultirenden  Abflusswässer  schwefelsäurehaltig  sind,  so  dürfen  sie  nicht 

ohne  vorherige  Neutralisation  mit  Kalk  in    öffentliche   Canäle    abgelassen    werden.     Man 

darf  auch  ni  -sen,  dass  die  Stärke  als  Nahrungs-  und  Genussmittel  zur  Anwendung 

kommt  und    unter   Umständen  durch  die  oben  genannten  Verunreinigungen  schädlich  auf 

die  Gesundheit  der  Menschen    einwirken  kann.     Für   die   Erforschung   der   Krankheits- 

hen  ist  die  Kenntniss  solcher  Vorkommnisse  von   Wichtigkeit. 

Verfälschung  der  Stärke.  Unter  den  absichtlichen  betrügerischen  Zusätzen  zur 
Stärke  sind  Gips,  Bariumsulfat  und  Lenzin  zu  erwähnen:  diese  Substanzen  findet 
man  nach  der  Verbrennung  in  der  A.-  he   wieder. 


Stärkefabrication.  515 

Die  feinste  blaue  Patentstärke  ist  eine  mit  Ultramarin  gemischte  Kartoffelstärke; 
dieser  Zusatz  ist  zwar  nicht  als  eine  Verfälschung  zu  betrachten,  wird  jedoch  eine 
solche  Stärke  für  die  Zubereitung  von  feinen  Mehlspeisen  benutzt  und  mit  Fruchtsäften 
inVerbindung  gebracht,  so  entwickelt  sich  Schwefelwasserstoff,  grade  wie  es  bei  dem 
mit  Ultramarin  versetzten  Zucker  der  Fall  ist. 

C.   Stärkefabrication  aus  Reis. 

In  neuerer  Zeit  werden  die  geringen  Reissorten  und  das  beim  Schälen  des 
Reises  abfallende  Reisklein  zur  Stärkemehlfabrication  benutzt.  Bekanntlich  sind 
die  Reiskörner  von  grosser  Härte  und  findet  das  Ausquellen  derselben  in  Wasser 
sehr  schwierig  und  langsam  statt;  man  hat  deshalb  Mittel  in  Anwendung  gebracht, 
durch  welche  die  Wasseraufnahme  begünstigt  resp.  beschleunigt  und  somit  schliess- 
lich ein  Zerfallen  der  einzelnen  Reiskörner  bewerkstelligt  wird. 

Im  Reiskorn  ist  das  Stärkemehl  mit  einer  eiweissähnlichen  Substanz  gleichsam 
als  Bindemittel  verbunden,  die  aber  in  Säuren  und  Alkalien  leicht  löslich  ist;  be- 
sonders sind  es  die  organischen  Säuren,  die  Essig-,  Citronen-,  Weinstein-  und  Oxal- 
säure und  von  den  anorganischen  Säuren  die  Schwefelsäure,  welche  ein  bedeutendes 
Lösungsvermögen  dieser  Substanz  gegenüber  besitzen. 

Die  Darstellungsmethode  besteht  nun  darin,  dass  man  den  Reis  in  schwach 
angesäuertem  Wasser  aufquellen  lässt;  zur  Ansäuerung  benutzt  man  vorzugsweise 
Essig-  oder  auch  Schwefelsäure,  die  aber  möglichst  rein  sein  muss.  Diese  Procedur 
dauert  ungefähr  24  Stunden  lang;  dann  wird  der  gequollene  Reis  mit  einer  schaufel- 
förmigen  Rührvorrichtung  bewegt,  wodurch  sich  die  einzelnen  Körner  abreiben;  die 
Masse  wird  immer  dicker  und  breiiger,  weshalb  von  dem  angesäuerten  Wasser  fort- 
während zugesetzt  werden  muss.  Nach  2 —  3  Stunden  ist  der  Reis  in  einen  feinen 
weissen  dünnen  Brei  verwandelt,  man  gibt  mehr  Wasser  zu  und  decantirt. 

Das  Waschen  findet  so  lange  statt,  als  noch  eine  Spur  von  Säure  zu  ent- 
decken ist.  Man  lässt  nun  den  Brei  Siebe  passiren,  wodurch  eine  graue,  eigenthümlich 
kleberartige  Masse  ausgeschieden  wird;  dann  verfährt  man  wie  bei  den  andern  Dar- 
stellungsmethoden. 

Die  bei  dieser  Fabrication  entstehenden  Abflusswässer,  sei  nun  Essig- 
oder Schwefelsäure  gebraucht  worden,  enthalten  neben  Zucker  noch  Gummi  und 
stickstoffhaltige,  eiweisshaltige  Substanzen  aufgelöst;  sich  selbst  überlassen,  gehen 
sie  bald  in  eine  faulige  Gährung  über,  wobei  sich  dieselben  Producte  wie  bei  der 
Weizenstärkemehlfabrication  ergeben,  nur  ist  beim  Reiswasser  die  Entwicklung 
von  Schwefelwasserstoff  viel  bedeutender.  Die  anzuwendenden  Vorsichts- 
massregeln bleiben  dieselben. 

In  Frankreich  hat  man  angefangen,  auch  aus  Rosskastanien  Stärkemehl  zu  be- 
reiten, welches  dem  aus  Getreide  bereiteten  gleichkommen  soll. 

Eine  grosse  Menge  Sago,  welche  jetzt  im  Handel  vorkommt,  ist  aus  Kar- 
toffelstärke labricirt  und  mit  Eisenoxyd  oder  gebranntem  Zucker  gefärbt;  der  ächte 
Sago  wird  auf  den  Molukken  und  Philippinen  aus  dem  Marke  der  Sagopalme  bereitet. 
Das  Verfahren  des  Waschens,  Durchsiebens,  des  Absetzenlassens  und  Ausbreitens  auf 
Tücher  findet  auch  hier  statt,  nur  wird  die  feuchte  Masse  noch  mittels  Reibens  durch 
Metallsiebe  gekörnt,  wobei  man  die  Körner  auf  eine  heisse  Kupferplatte  fallen  lässt; 
hierdurch  geht  die  Stärke  grösstenteils  in  Kleister  über  und  stellt  dann  die  bekannten 
harten  Körner  dar. 

Dextrin-Industrie. 

Dextrin  CeH^Oj,  Stärkegummi,  Gomnie  d'Asance,  macht  einen  notwendigen 
Bestandtheil  des  Bieres  aus  und  bildet  sich  auch  beim  Backen  des  Brotes;  die 
Kruste  des 'Gebäcks  besteht  grösstenteils  aus  Dextrin.  Es  bildet  ein  Zwischen- 
glied zwischen  der  Stärke  und  dem  Traubenzucker,  da  der  Zusatz  eines  Malz- 
auszuges (Diastase)  zu  Stärkemehl  dasselbe  bei  einer  Temperatur  von  70u 
zuerst  in  Dextrin  und  alsdann  in  Traubenzucker  überzuführen  vermag. 

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516  Kohlehydrate. 

Zu  seiner  Darstellung  im  Grossen  benutzt  man  das  Kartoffelstärkemehl, 
wenn  es  zu  technischen  Zwecken  Anwendung  fiuden  und  das  arabische  Gummi 
vertreten  soll.     Man  beobachtet  hierbei  folgende  Methoden: 

1)  Das  Backen  oder  gelinde  Rösten  des  Stärkemehls  in  grossen, 
den  Backöfen  ähnlichen  Oefen;  es  wird  bei  einer  beständigen  Rührvorrichtung  so 
lange  fortgesetzt,  bis  das  Stärkemehl  in  Wasser  löslich  geworden  ist. 

Wendet  man  Getreidestärkemehl  an,  so  gebraucht  man  grosse  Cylinder  von 
Kupfer  oder  Eisenblech,  in  welchen  sich  eine  eiserne  Achse  berindet,  die  durch  eine 
Kurbel  bewegt  wird.  Man  verfährt  dabei  wie  beim  Brennen  des  Kaffee's;  mittels  einer 
Trommel  röstet  man  so  lange,  bis  sich  das  Stärkemehl  aufbläht  und  ein  ähnlicher  Geruch 
entsteht,  wie  er  sich  beim  scharf  gebackenen  Brot  bildet. 

Das  Röstgummi  hat  jedoch  meist  eine  gelbe  oder  bräunliche  Farbe  und  ist 
deshalb  beim  Zeugdruck  nicht  zu  gebrauchen.  Um  es  möglichst  farblos  zu  erhalten, 
zieht  man  es  vor,  das  Stärkemehl  in  Kesseln  mit  doppeltem  Boden  zu  behandeln;  der 
Zwischenraum  ist  mit  Oel  angefüllt  und  wird  bis  auf  eine  constante  Temperatur  erhitzt. 

2)  Das  Backen  der  Stärke  mit  Salpetersäurezusatz.  Durch  diesen 
Zusatz  wird  die  Dextrinbildung  begünstigt;  man  verdünnt  Salpetersäure  von 
1,4  spec.  Gew.  mit  Wasser  (2  Kilogrm.  mit  300  Liter  Wasser)  und  setzt  3  Theilen 
verdünnter  Säure  10  Theile  Stärke  zu;  man  formt  die  Masse  zu  Kuchen  und 
trocknet  sie  in  freier  Luft,  dann  erhitzt  man  sie  in  Oefen  bei  laagsam  steigender 
Temperatur  bis  zu  80°. 

Die  so  getrocknete  Masse  wird  gemahlen,  gesiebt  und  abermals  bei  einer  Tem- 
peratur von  100 — 110°  geröstet;  bei  starkem  Erhitzen  bilden  sich  höchst  reizende 
empyreumatische  Dämpfe,  wenn  ein  Verkohlen  der  Stärke  stattfindet. 

In  sanitärer  Beziehung  ist  zu  bemerken,  dass  diese  Dämpfe  Kohlenoxyd 
und  viel  Untersalpetersäure  enthalten,  wodurch  in  einzelnen  Fällen  die  Arbeiter 
einer  grossen  Gefahr  ausgesetzt  werden  können.  Die  Temperatur  ist  deshalb  sorgfältig 
zu  reguliren  und  Einrichtungen  zur  Ableitung  der  Dämpfe  dürfen  nicht  fehlen:  können 
diese  nicht  verbrannt  werden,  so  müssen  sie  wenigstens  durch  hohe  Schornsteine  ab- 
geleitet werden.  Diese  Dämpfe  sind  nämlich  schwer  und  senken  sich  leicht  zu  Boden; 
ihre  Verbrennung  ist  deshalb  stets  vorzuziehen.  Eine  Belästigung  der  Nachbarschaft 
ist  aber  bei  diesem  Verfahren  kaum  zu  vermeiden :  man  darf  daher  solche  Fabrikanlagen 
niemals  in  Städten  oder  in  der  Nähe   von  grossen  Häusercomplexen  dulden. 

Statt  der  Salpetersäure  kann  man  auch  Schwefelsäure,  balzsäure  oder  Milchsäure 
anwenden;  das  mit  Salpetersäure  dargestellte  Dextrin  hat  aber  den  Vorzug,  fast  voll- 
ständig weiss  zu  sein  und  ist  daher  in  der  Technik  in  jeder  Weise  zu  benutzen- 

3)  Die  Darstellung  des  Dextrins  aus  Malzauszug  (Diastase). 
Da  das  Dextrin  hierbei  in  Lösung  als  Dextrins yrup  (Gummisyrup)  erhalten 
wird,  so  hat  diese  Darstellung  dann  einen  Vorzug,  wenn  das  Dextrin  in  Lösung 
zur  Anwendung  kommen  soll,  aber  auch  den  A'achtheil  des  erschwerten  Transports 
und  der  geringern  Haltbarkeit  des  Präparats,  denn  ein  Theil  des  Stärkemehls  wird 
stets  in  Zucker  übergeführt,  welcher  leichter  eine  Gährung  einleitet,  zumal  die 
Klebertheilchen  des  Malzes  nicht  abgeschieden  werden  können  und  grade  hier- 
durch die  Gährung  begünstigt  wird. 

Der  Dextrins  yrup  wird  vorzugsweise  bei  der  Bierbrauerei  und  Obstwein- 
fabrication,  bei  der  Darstellung  des  künstlichen  Lakritzensaftes  und  namentlich  in  den 
Conditoreien  zur  Fabrication  der  Erustcarainellen,  Drops  u.  s.  w.  benutzt. 

In  der  Industrie  ist  das  Dextrin  von  grosser  Bedeutung  und  wegen  seiner 
Billigkeit  ein  Ersatzmittel  des  arabischen  Gummi's  geworden.  Es  findet  daher  \  er- 
wendung  in  Zc-ug-Tapetendruckereien  und  Färbereien  als  Verdickungsmittel  sowie  beim 
Appretiren  und  Steifen  der  Zeuge  als  Kettenschlichte;  auch  bei  den  Webereien 
ersetzt  die  Dextrinschlichte  die  bisher  gebräuchliche  Stärkeschlichte  und  trägt  bedeutend 
zur  Verbesserung  der  sanitären  Verhältnisse  iu  den  betreffenden  Räumen  bei.  Man 
nimmt  jetzt  8  Kilogrm.  Dextringummi.  12  Kilo  28 gradiges  Glycerin,  1  Kilo  schwefel- 
saure Thonerde  und  30  Kilo  Wasser  und  erhält  dadurch  eine  Schlichte,  bei  welcher  die 
an  offenem  Fenster  und  bei  trockner  Luft  arbeiten  können.    Es  dient  ferner  als 


Gummi.  517 

Mundleim,    zum   Glasireu  von   Karten   und  Papieren,   zur  Darstellung   des  sogenannten 
englischen  Pflasters  und  überhaupt  in  der  Chirurgie  zur  Befestigung  von  Bandagen. 

Man  hat  sich  bei  seiner  Anwendung  nur  vor  der  gleichzeitigen  Einwirkung  von 
Säuren  zu  hüten,  weil  _  es  hierdurch  verflüssigt  und  Zuckerbildung  veranlasst  '"wird. 
Sogenanntes  krystallisirtes  Dextrin  erhält  man,  wenn  die  wässrige  Dextrinlösunc  im 
Wasserbau! e  eingedampft  wird. 

Künstlicher  Lakritzensaft  Bei  der  fabrikmässigen  Darstellung  desselben  erhitzt 
man  Kartoffelstärke  und  Luftmalz  mit  Wasser  bis  zum  Sieden,  um  das  Stärkemehl  in 
Dextrin  und  Traubenzucker  zu  verwandeln;  man  setzt  dann  Lakritze  und  Lorbeer- 
blätter hinzu,  lässt  die  syrupartige  Masse  durch  Siebe  laufen,  dickt  dieselbe  über 
freiem  Feuer  ein  und  fügt  ätherisches  Anisöl  hinzu,  wenn  die  gehörige  Extractcon- 
sistenz  erreicht  und  die  Temperatur  auf  50°  C.  gesunken  ist. 

Abgesehen  von  der  sehr  bedeutenden  Anstrengung  während  des  beständigen 
Rührens  leiden  die  Arbeiter  sehr  von  den  Dämpfen  des  Anisöls,  welche  nicht  bloss  die 
Augen  heftig  reizen,  sondern  auch  nicht  selten  Betäubung  veranlassen;  Thatsache  ist 
es  übrigens,  dass  solche  Arbeiter  niemals  an  Ungeziefer  leiden.  Die  Masse  wird 
schliesslich  durch  Pressen  in  Cylindern  mit  gelochtem  Boden  in  Form  von  Stäno-elchen 
gebracht,  die  in  Trockenstuben  bei  einer  Temperatur  von  60°  C.  getrocknet  werden;  die 
Hitze  muss  so  hoch  sein,  weil  sonst  leicht  ein  Schimmeln  des  Fabricats  eintritt.  Die 
Arbeiter,  welche  sich  mit  der  Abnahme  der  trocknen  Waare  beschäftigen,  leiden  viel 
von  der  grossen  Hitze  in  den  Trockenräumen. 

Vielfach  enthält  übrigens  die  im  Handel  vorkommende  Lakritze  gar  keinen 
'Lakritzensaft,  weil  man  das  Dextrin  durch  zugesetzten  Kienruss  oder  gemahlene  Braun- 
kohle färbt  und  ihm  eine  geringe  Menge  Anisöl  zusetzt. 

Gummi. 

Gummi  ist  dem  Stärkemehl  ähnlich  zusammengesetzt;  das  arabische 
Gummi  und  das  Traganthgummi  sind  die  beiden  Repräsentanten  desselben. 
Ausser  der  Jodreaction  verhält  sich  Gummi  in  chemischer  Beziehung  ganz  wie 
Stärkemehl;  bei  den  Völkern  der  heissen  Zone  spielt  es  auch  als  Nahrungsmittel 
eine  bedeutende  Rolle,  da  es  unter  gewissen  Umständen  das  Stärkemehl  ersetzen 
kann.  Bei  den  Erdessern  soll  es  namentlich  während  der  Regenzeit  das  Haupt- 
Nahrungsmittel  repräsentiren.  In  Europa  wird  es  mehr  bei  Conditorwaaren  als 
Zusatz  zu  Caramellen  u.  s.w.  benutzt;  was  man  in  Conditoreien  Traganthwaare 
nennt,  ist  kein  Fabricat  aus  Gummi,  sondern  aus  Mehl,  dem  man  Kreide  zugesetzt 
hat;  das  Bindemittel  ist  eine  verdünnte  Auflösung  von  Gummi  oder  Stärkekleister. 

Pulverisirt  und  trocknet  man  arabisches  oder  Traganthgummi  und  behandelt  es 
mit  einem  Gemisch  von  concentrirter  Salpetersäure  und  Schwefelsäure,  so  erhält  man 
eine  schwere  sandige  Substanz,  welche  in  Wasser,  Alkohol  und  Aether  so  gut  wie  un- 
löslich ist  und  getrocknet  durch  einen  Prellschlag  leicht  zum  Explodiren  gebracht  werden 
kann.  Diese  Verbindung,  welche  man  Nitro arabin  nennt,  benutzt  man  wegen  ihrer 
feinkörnigen  Beschaffenheit  und  ihrer  Explosivität  als  Sprengpulver.  Nitroarabin  wird 
jedoch  meistens  nur  als  Zusatz  zu  Zündrequisiten  benutzt  und  besitzt  in  dieser  Beziehung 
einen  grossen  Vorzug,  da  es  einer  'freiwilligen  Zersetzung  nur  selten  unterliegt. 

Bezüglich  der  bei  der  Darstellung  sich  entwickelnden  Gase  und  Dämpfe  und  der 
abfallenden  Wasch  wässer  gilt  dasselbe,  was  bei  der  Schiessbaum  wolle  zur  Sprache 
kommen  wird. 

Die  Bierbrauerei. 

Das  in  den  Cerealien  enthaltene  Stärkemehl  spielt  bei  der  Bierbrauerei 
eine  bedeutende  Rolle;  man  sucht  dasselbe  zunächst  durch  Diastase  in  Trau- 
benzucker überzufühen.  Diastase  (otaaraai?,  Spaltung)  ist  eine  dem  Albumin 
ähnliche  und  beim  Keimen  der  Gerste  entstehende  Substanz.  Die  hierbei  statt- 
findende Procedur  nennt  man  Malzen;  wird  nämlich  die  Gerste  mit  Wasser 
eingeweicht  und  später  auf  Haufen  gesetzt,  so  tritt  in  Folge  der  Oxydation  des 
Klebers  eine  Erwärmung  ein  und  der  Keim  entwickelt  sich.  Bei  diesem  be- 
ginnenden Vegetationsprocesse  bildet  sich  in  der  nächsten  Umgebung  der  Keim- 


518  Kohlehydrate. 

wurzel  Diastase,  welche  bei  der  weitem  Vegetation  schwindet;  deshalb  wird 
die  gekeimte  Gerste  durch  rasches  Ausbreiten  auf  luftigen  Trockenböden 
(Luft-  oder  Schwelmalz)  oder  durch  Unterstützung  künstlicher  Wärme 
(Darrmalz)  zum  Trocknen  gebracht  und  dadurch  das  Fortschreiten  der  Keimung 
gehemmt,  um  eine  Verminderung  der  Diastase  zu  verhüten. 

Wird  nun  die  getrocknete  gekeimte  Gerste,  d.  h.  das  Malz,  auf  der 
Mühle  geschrotet  und  mit  Wasser  von  60°  R.  digerirt,  so  wird  das  Stärkemehl 
des  Malzes  durch  die  Einwirkung  der  Diastase  gelöst  und  verflüssigt,  wobei  es 
zuerst  in  Dextrin  und  zuletzt  in  Traubenzucker  verwandelt  wird.  Es  hängt 
somit  die  mehr  oder  weniger  vollkommene  Umwandlung  des  Stärkemehls  in 
Traubenzucker  hauptsächlich  von  der  Menge  der  im  Malze  enthaltenen  Diastase 
ab;  der  ganze  Malzprocess  gehört  deshalb  zu  dem  wichtigsten  Theile  der 
Bierbrauerei. 

In  der  Bierbrauerei  unterscheidet  man  4  Hauptabtheilungen:  1)  die  Malz- 
bereitung, 2)  das  Maischen  oder  die  Bereitung  der  Bierwürze,  3)  den  Gährungs- 
process  und  4)  die  Aufbewahrung  und  Pflege  des  Biers. 

1)  Die  Malzbereitung.  In  neuerer  Zeit  ist  die  Malzbereitung  ein  besonderer 
Geschäftszweig  geworden  und  es  gibt  grossartige  Etablissements,  welche  Malz 
von  jeder  Beschaffenheit,  Luft-,  Halbdarr-,  Darr-  und  Farbmalz  liefern.  Bezüglich 
der  verschiedenen  Cerealien  wird  Gersten-,  Weizen-  und  Hafermalz  fabricirt; 
Luftmalz  von  Hafer  liefert  mehr  Alkohol  als  Gerstenmalz.  Man  zieht  im  Allge- 
meinen die  Gerste  vor,  weil  ihr  Gehalt  an  Stärkemehl  weniger  Schwankungen 
unterworfen  ist  als  der  der  andern  Cerealien. 

Da  die  Gerstenasche  in  100  Theilen  30  Th.  Phosphorsäure,  oT  Th.  Kieselsäure, 
17  Th.  Kali,  7  Th.  Magnesia  und  3  Th.  Kalk  enthält,  so  sind  die  Gerstenbiere  durch 
den  Gehalt  an  phosphorsauren  Salzen  der  Alkalien  und  alkalischen  Erden  aus- 
gezeichnet, welche  neben  dem  Traubenzucker,  Dextrin,  den  Eiweisssubstanzen  und  dem 
Alkohol  für  die  Ernährung  des  Organismus  von  der  grössten  Bedeutung  sind.  Von 
allen  Cerealien  ist  die  Gerste  am  reichsten  an  Phosphorsäure. 

Die  Malzbereitung  zerfällt: 

a)  in  das  Einweichen  oder  Einquellen  der  Gerste;  dieses  geschieht 
in  grossen  Bottichen  (Quellbottichen)  und  bezweckt  neben  der  Entfernung  der 
Unreinigkeiten  und  tauben  Körner  vorzugsweise  ein  Durchdringen  der  Gerste  mit 
Feuchtigkeit. 

Das  Wasser  muss  stets  einige  Zoll  hoch  über  der  Gerste  stehen.  Das  Wasser 
spielt  sowohl  beim  Einweichen  als  auch  beim  Einmaischen  und  beim  eigentlichen  Brauen 
eine  grosse  Rolle;  im  Allgemeinen  zieht  man  weiches  Quell-  oder  Flusswasser  dem 
Brunnenwasser  vor:  kalkreiches  oder  trübes  Wasser  muss  durch  Erwärmen  und  Ab- 
setzenlassen oder  Filtration  gereinigt  werden.  Das  über  der  Gerste  stehende  Wasser 
nimmt  allmählig  eine  braune  Farbe  an  und  heisst  Weichwasser:  nach  mehrmaligem 
Umrühren  und  Absetzenlassen  wird  das  erste  Wasser  gewöhnlich  nach  12 — 24  Stunden 
abgelassen.  Es  entsteht  nun  die  Frage,  wohin  soll  das  Weichwasser  abgelassen  werden  ? 
In  keinem  Puncte  wird  mehr  gegen  die  Vorschriften  der  Sanitätspolizei  gesündigt  als  in 
diesem:  in  den  meisten  Städten  wird  ihm  der  freie  Abfluss  in  die  Strassenrinnen  ge- 
stattet, ohne  Rücksicht  darauf  zu  nehmen,  welchen  üblen  Geruch  und  welche  Belästigung 
ein  solches  Wasser  oft  im  Gefolge  hat. 

Dieses  Weichwasser  ist  nach  der  Anwendung  der  verschiedenen  Cerealien  ver- 
schieden: am  schlimmsten  ist  das  von  Hafer  und  Weizen  und  am  unschuldigsten  das 
von  Gerste:  stets  enthält  es  mehr  oder  weniger  Gummi,  Zucker,  stickstoffhaltige  Sub- 
stanzen in  Form  von  löslichem  Legumin  und  Pflanzenfibrin,  von  den  Alkalien  am  meisten 
Kali,  ausserdem  Kalk,  Magnesia,  neben  Kieselsäure,  Schwefelsäure  und  Kohlensäure  vor- 
zugsweise Phosphorsäure:  im  frischen  Weich wasser  der  Gerste  findet  sich  auch  Bern- 
stemsäure  (cf.  S.  511). 

Wird  das  Weichwasser  sich  selbst  überlassen,    so   fault  es  schnell  und   es   ent- 


Bierbrauerei.  ',\2 

wickeln  sich  alle  Substanzen,  welche  als  Producte  des  Fäulnissprocesses  der  stickstoff- 
haltigen Substanzen  bekannt  sind:  in  der  wärmern  Jahreszeit  kann  sich  alsdann  ein 
höchst  widerlicher  Geruch  entwickeln,  durch  welchen  die  Luft  in  den  Strassen  wahrhaft 
verpestet  wird,  wenn  namentlich  Strassenrinnen  mit  schwachem  Gefälle  zum  Äbfluss 
benutzt  werden.  Es  darf  daher  auch  nicht  in  Schlinggruben,  Cisternen  oder  in  über- 
irdischen Behältern  aufbewahrt  werden:  lässt  man  es  in  Bäche  abfliessen,  so  veranlasst 
es  die  Bildung  der  sehr  belästigenden  Alge,  des  Leptomitus  lacteus.  Der  Abfluss 
in  Canäle  ist  nur  zu  gestatten,  wenn  es  mit  Kalkwasser  versetzt  und  der  schleimige 
Niederschlag  entfernt  worden  ist:  letzterer  hat  qualitativ  dieselben  Bestandtheile  wie 
der  aus  dem  Sauerwasser  der  Stärkefabriken  erhaltene  Kalkniederschlag,-  welcher  eben- 
falls reich  an  Phosphorsäure  ist.  x) 

Beobachtet  man  beim  Weichwasser  die  Vorsicht,  dass  es  nicht  bis  zur  fauligen 
Zersetzung  stehen  bleibt,  so  kann  es  ohne  Schaden  und  Belästigung  frei  abfliessen.  Der 
Process  ist  ganz  derselbe  wie  beim  W  eichen  des  ungeschroteten  Weizens  in  den  Stärke- 
mehlfabriken:  es  ist  besonders  der  aus  den  Hülsen  sich  ausscheidende  Kleber,  welcher 
zur  fauligen  Zersetzung  Veranlassung  gibt  und  dem  Wasser  die  üblen  Eigenschaften 
mittheilt.  Zur  Berieselung  von  Aeckern  und  Wiesen  kann  es  an  und  für  sich  weniger 
gut  benutzt  werden  und  nur  durch  die  Präcipitation  desselben  mit  Kalk  wird  seine 
Dungkraft  concentrirt. 

Einige  Brauer  haben  die  üble  Gewohnheit,  dass  sie  die  frischen  Fässer  einer 
Beize  mit  faulem  Weichwasser  aussetzen,  indem  durch  die  bei  diesem  Processe  sich 
bildende  Essigsäure  die  Lohe  resp.  der  Farbstoff  des  Holzes  ausgezogen  wird.  Dieses 
Wasser  enthält  Schwefelwasserstoff,  Buttersäure  und  ähnliche  Fettsäuren,  riecht  ent- 
setzlich und  darf  unter  keiner  Bedingung  auf  die  Strassen  ausgegossen  werden,  wie  es 
leider  noch  in  manchen  Städten  geschieht. 

Das  Einweichen  dauert  nach  dem  Alter  der  Gerste  2 — 7  Tage.  Die  Gerste  ist 
„quellreif",  wenn  sie  sich  leicht  zwischen  den  Fingern  zerdrücken  lässt  uüd  die  Hülse 
sich  leicht  löst. 

b)  Das  Keimen  der  gequellten  G-erste.  Nach  dem  Einweichen  gelangt 
die  Gerste  auf  die  Malztenne,  wird  hier  in  regelmässigen  quadratischen  Haufen 
aufgeschüttet  und  bisweilen  umgeschaufelt,  um  das  Keimen  gleichförmig  ein- 
zuleiten und  das  Erhitzen  zu  vermeiden.  Bei  diesem  Wenden  leiden  die  Arbeiter 
viel  vom  Staube,  der  bei  grossem  Betriebe  durch  Exhaustoren  zu  entfernen  ist. 

Der  Keim  tritt  als  weisser  Punct  auf.  aus  welchem  sich  das  Würzelchen 
entwickelt;  dann  steigert  man  die  Temperatur  der  Haufen  dadurch,  dass 
man  ihnen  eine  grössere  Dicke  gibt  und  sie  nicht  umschaufelt;  sie  muss  um 
6 — 10°  die  Temperatur  der  Umgebung  übersteigen.  Es  verdunstet  viel  Feuch- 
tigkeit, womit  eine  Entwicklung  von  Kohlensäure  und  Absorption  von  Sauer- 
stoff verbunden  ist. 

Man  empfindet  dabei  einen  angenehmen,  obstartigen  Geruch:  ist  derselbe 
widerlich  und  erinnert  er  an  faulende  Aepfel,  so  ist  die  Gerste  schlecht  gewesen  oder 
die  Arbeiter  haben  beim  Umschaufeln  Körner  zertreten  und  getödtet,  welche  dann  in 
Fäulniss  übergehen. 

Sind  die  Würzelchen  einige  Linien  lang  geworden,  ineinander  verschlungen  und 
gleichsam  verfilzt,  so  muss  das  Keimen  beendigt  werden,  was  durch  die  Erniedrigung 
der  Temperatur  resp.  flacheres  Ausbreiten  der  Gerste  herbeigeführt  wird. 

Die  Kunst  des  Mälzens  liegt  hauptsächlich  darin,  dass  man  zur  gehörigen  Zeit 
das  Keimen  zu  unterbrechen  versteht.  Die  Dauer  des  Keimens  richtet  sich  nach  der 
Jahreszeit  und  äussern  Temperatur  und  schwankt  zwischen  7-16  Tagen. 

c)  Das  Trocknen  und  Darren  der  gekeimten  Gerste.  Die  gekeimte 
Gerste  kommt  nun  auf  den  Schwelchboden  und  wird  hier  einem  lebhaften 
Luftzuge  ausgesetzt,  um  noch  mehr  Feuchtigkeit  zu  verlieren. 

Nach  dem  Trocknen  des  Malzes  entfernt  man  die  Würzelchen  durch  Treten 
mit  Holzschuhen  oder  mittels  einer  Wurfrnaschine,  wobei  sich  wieder  viel  Staub 
entwickelt.  Man  erhält  auf  diese  Weise  das  Luftmalz  oder  Schwelchmalz, 
welches  sich  von  der  gekeimten  Gerste  nur  durch  einen  geringern  Feuchtigkeits- 
gehalt unterscheidet. 


520  Kohlehydrate. 

Das  meiste  Malz  wird  jetzt  durch  künstliche  Trocknung,  durch  das  Dörren  oder 
Darren  entwässert:  es  treten  hierbei  ganz  ähnliche  Veränderungen  mit  dem  Malze 
wie  mit  dem  Mehl  beim  Brotbncken  ein;  im  Malze  findet  sich  nämlich  auch  ziemlich 
viel  Dextrin  neben  einem  eigentümlichen  Aroma,  welches  wahrscheinlich  ein  Derivat  des 
löslich  gemachten  Klebers  ist. 

Das  Malz  darf  aber  nicht  sogleich  auf  die  Darre,  sondern  muss  vorher  auf  den 
Trockenboden  gebracht  werden,  ehe  es  einer  Darrhitze  von  30 — 40°  R.  ausgesetzt  wird; 
eine  sofortige  Einwirkung  einer  solchen  Temperatur  würde  das  Stärkemehl  im  Malz  in 
Kleister  und  das  Korn  in  eine  hornartige,  für  das  Wasser  undurchdringliche  Substanz 
umwandeln.  Fast  allgemein  wird  jetzt  nach  dem  Verfahren  von  Pitttoriua  die  Wärme 
durch  Canäle.  oder  blecherne  Röhren  in  den  Darrraum  geführt  und  auf  die  Luft  über- 
tragen, welche  mit  dem  Malze  in  Berührung  kommt. 

Neuerdings  hat  Overbeck  eine  mechani  s  ehe  Nachdarre  construirt,  bei  welcher 
3  Darrflächen  voi-handen  sind:  jede  derselben  ist  aus  drei  um  je  zwei  Walzen  sich 
ziehenden,  endlosen  Drahttüchern,  auf  deren  oberer  Fläche  das  zu  darrende  Malz  langsam 
fortgeht,  zusammengestellt. 

Tn  sanitärer  Beziehung  bieten  diese  mechanischen  Vorrichtungen  viele  Vor- 
theile  für  die  Arbeiter  dar. 

Nach  der  Farbe  unterscheidet  man  noch  gelbes,  bernsteingelbes  und 
braunes  Malz.  Farbemalz  ist  "dunkelkastanienbraun  und  in  seiner  ganzen 
Masse  durch  Röstung  verändert,  indem  es  wie  Kaffee  in  blechernen  Trommeln 
über  freiem  Feuer  präparirt  wird,  wobei  der  Zucker  in  Caramel  übergeht;  man 
benutzt  es  deshalb  in  den  englischen  Brauereien  als  Couleur  zum  Färben 
des  Porters. 

Im  Allgemeinen  wird  durch  das  Darren  der  Gehalt  an  Dextrin  im  Malze 
vermehrt  und  in  demselben  Verhältniss  der  Gehalt  an  Stärkemehl  vermindert, 
gleichzeitig  die  Diastase  zerstört;  die  Vermehrung  des  Zuckergehaltes  ist  sehr 
unbedeutend. 

Vor  1861  unterlag  die  Malzfabrication  in  Preusseu  einer  Concessionirung; 
gegenwärtig  ist  diese  Bestimmung  aufgehoben. 

2)  Das  Maischen  oder  die  Bereitung  der  Bierwürze.  Mau  unterscheidet  hierbei 
drei  Operationen:  a)  das  Schroten  des  Malzes.  Das  Malz,  d.h.  die  gekeimte 
getrocknete  Gerste,  muss  geschrotet  und  zerkleinert  werden,  um  gehörig  extrahirt 
werden  zu  können;  die  Schrot-  oder  Malzquetschmühlen,  wodurch  dies 
bewirkt  wird,  sind  den  Mahlmühlen  vorzuziehen. 

b)  Das  Maischen  nennt  man  das  Ausziehen  des  Malzschrotes  mit  Wasser 
und  die  Ueberführuug  des  Stärkemehls  in  Zucker;  das  Rühren  geschieht  dabei 
entweder  mittels  Rührhölzer  (Maischkrücken)  oder  auch  durch  besondere  Rühr- 
maschinen, welche  durch  Dampfkraft  bewegt  werden.  Die  Bearbeitung  nennt 
man  das  Beschlagen;  die  Flüssigkeit  selbst  heisst  Würze. 

Der  ganze  Maischprocess  bezweckt  die  Ueberführung  des  Stärke- 
mehls in  Dextrin  und  Traubenzucker.  Die  betreffenden  Gefässe  haben  einen 
zweiten  eingelegten  Seihboden,  damit  die  unlöslichen  Rückstände  zurückbleiben  und  die 
Würze  klar  mittels  eines  Abflusshahns  in  ein  tiefer  gestelltes  Gefäss  (Biergrand, 
Unterstock)  abfliessen  kann;  das  Wasser  fliesst  nicht  von  oben,  sondern  von  unten 
in  den  Maischbottich  und  zwar  mittels  eines  kupfernen  Rohrs  (der  Pfaffe),  welches 
vom  obern  Rande  der  Bottiche  bis  unter  den  Seihboden  verläuft. 

Man  hat  sehr  verschiedene  Maisch methoden,  namentlich  ein  böhmisches, 
englisches  und  bairisches  Verfahren.  Im  Allgemeinen  unterscheidet  man  a)  das 
Decoctionsverfahren,  wobei  das  allmählige  Auskochen  des  Malzes  stattfindet.  Dies 
ist  die  gewöhnliche  Methode;  eine  Modification  derselben  besteht  darin,  dass  man  das 
Malz  in  verschiedenen  Portionen  auskocht  und  zum  übrigen  Inhalt  des  Maischgefässes 
zurückbringt. 

ß)  Die  Infusionsmethode.  Hierbei  gibt  mau  allmählig  heisses  Wasser  auf, 
welches  man  durch  Pumpen  absaugt  und  auf  frisches  Malz  wieder  zurückgibt;  diese 
Methode  wendet  man  gewöhnlich  bei  den  feinern  Biersorten  an. 


Bierbrauerei.  521 

Die  Hauptsache  beruht  darin,  dass  man  beim  Maischen  die  Temperatur  nur 
allmählig  bis  auf  60 — 75°  C.  steigert,  damit  die  Diastase  nicht  zerstört  wird,  sich  eine 
möglichst  grosse  Menge  Dextrin  und  Traubenzucker  bildet  und  kein  unlösliches  Stärke- 
mehl zurückbleibt.  Der  unlösliche  Rückstand,  die  Treber,  bestehen  aus  Hülsen,  coagu- 
lirtem  Eiweiss,  dem  etwa  unveränderten  Stärkemehl,  den  Salzen  u.  s.  w.  und  liefern  ein 
vortreffliches  Viehfutter.  Gewöhnlich  werden  die  Treber  noch  einmal  ausgelaugt,  um 
alle  löslichen  Substanzen  zu  erhalten;  sich  selbst  überlassen,  gehen  sie  sehr  rasch  in 
saure  Gährung  über. 

Wegen  der  in  der  Würze  noch  nicht  ausgeschiedenen  stickstoffhaltigen  Bestand- 
theile  kann  keine  Hefen-  und  Alkoholbildung  eintreten,  wohl  aber  entsteht  in 
derselben,  wenn  sie  sich  selbst  überlassen  bleibt,  eine  sauer  reagirende  Flüssigkeit, 
welche  keine  Essigsäure,  sondern  Milchsäure  enthält.  Wird  eine  solche  Würze  ge- 
trunken, so  kann  sie  höchst  nachtheilig  einwirken  und  sehr  heftige,  sogar  blutige 
Diarrhoen  erzeugen,  weshalb  sie  auch  als  Abortivum  in  der  Volksmedicin  bekannt  ist. 
In  manchen  Ländern  ist  es  den  Brauern  polizeilich  verboten,  solche  Würze  dem  Publicum 
zu  verabreichen. 

c)  Das  Kochen  der  Würze,  das  eigentliche  Brauen,  bezweckt  grössere 
Concentration  der  Flüssigkeit,  Zerlegung  der  noch  vorhandenen  Diastase,  Coagu- 
lation  eiweisshaltiger  Substanzen  und  die  Extraction  des  Hopfens,  welcher  jetzt 
zugesetzt  wird.  Durch  die  Gerbsäure  des  Hopfens,  welche  die  coagulirten 
Proteinsubstanzen  und  das  noch  unveränderte  Stärkemehl  fällt,  wird  die  Würze 
geklärt. 

Das  Kochen  geschieht  in  4eckigen  oder  runden  kupfernen  Braupfannen.  Das 
metallische  Kupfer  wird  beim  Gebrauch  derselben  allmählig  theils  gelöst,  theils  abge- 
nutzt, weshalb  man  im  Biere  nicht  selten  Spuren  von  Kupfer  nachweisen  kann;  die 
Menge  desselben  ist  aber  zu  gering,  um  auf  die  Gesundheit  der  Menschen  nachtheilig 
einzuwirken,  wenn  ein  solches  Bier  getrunken  wird. 

Nach  dem  Kochen  gelangt  das  Bier  in  die  Kühlschiffe,  damit  es  sich  zu  der 
für  die  Einleitung  der  Gährung  geeigneten  Temperatur  abkühlt;  auch  ist  hier  der  Ort, 
wo  sich  die  Gerbsäure  des  Hopfens  mit  dem  Dextrin  oder  dem  noch  vorhandenen  Stärke- 
mehl verbindet  und  sich  die  unlöslichen  harzigen  Stoffe  absetzen.  Diesen  Satz  (Kühl- 
geläger)  lässt  man  von  der  Würze  ab  und  gebraucht  ihn  als  Viehfutter ;  es  lohnt  nicht 
der  Mühe,  ihn  auf  Branntwein  vergähren  zu  lassen. 

Die  Kühlschiffe  waren  früher  stets  aus  Holz,  werden  aber  jetzt  zweckmässiger 
aus  Eisen  construirt,  weil  die  Abkühlung  hier  rascher  erfolgt.  Das  Eisen  erhält  sehr 
bald  einen  Ueberzug  von  Kalksalzen  und  Extractivstoffen,  welcher  das  Färben  des  Biers 
verhindert. 

Zinkene  Kühlschiffe  müssen  jedoch  vermieden  werden;  das  Kühlgeläger  kann 
deutliche  Mengen  von  Zink  nachweisen;  sollte  es  in  die  Würze  übergehen,  so  wird  es 
von  der  Hefe  wieder  aufgenommen;  da  aber  letztere  nicht  selten  zum  Brotbacken  Ver- 
wendung findet,  so  kann  dadurch  das  Zink  in  das  Brot  übergehen,  was  immerhin  zu 
vermeiden  ist,  wenn  auch  seine  Menge  nicht  beträchtlich  ist.  Solche  Kühlschiffe 
sind  aber  nicht  bloss  des  Metalls  wegen,  sondern  auch  wegen  der  Bleilöthungen 
zu  verwerfen,  durch  welche  Blei  in  das  Kühlgeläger  und  in  das  Bier  übergeführt 
werden  kann. 

In  einem  concreten  Falle  wurden  von  Dr.  Vohl  zwei  Proben  Bier  untersucht, 
die  aus  einer  und  derselben  Brauerei  stammten  und  auch  auf  ganz  gleiche  Weise 
dargestellt  worden  waren,  nur  mit  dem  Unterschiede,  dass  die  helle  und  klare  Probe 
mit  dem  alten  zinkenen  Kühlschiff  gekühlt  wurde,  während  die  zweite,  schwach 
opalescirende  Probe  ein  neues  Kühlschiff  von  Zink  passirt  hatte.  Beide  Biere  hatten 
einen  reinen  und  erfrischenden  Geschmack,  nur  war  die  schwache  Trübung  bei  der 
zweiten  Probe  für  den  Consumenten  nicht  empfehlend. 

Die  Analyse  ergab  bei  dem  klaren  Biere  keine  fremden  Bestandtheile,  wohingegen 
in  einem  Liter  der  zweiten  Probe  eine  deutlich  nachweisbare  Spur  von  Zinkoxyd 
gefunden  wurde.  In  welcher  Weise  nun  die  Spur  von  Zinkoxyd  die  Trübung  des  Bieres 
hervorgerufen,  muss  dahingestellt  bleiben;  es  wäre  zu  wünschen,  dass  in  dieser  Hinsicht 
noch  mehrere  Untersuchungen  angestellt  würden,  wie  es  die  Wichtigkeit  des  Gegenstandes 
verdient,  obgleich  derselbe  schon  früher  die  Aufmerksamkeit  der  Chemiker  in  Anspruch 
genommen  hat,  unter  denen  namentlich  Stein  in  Dresden  hervorzuheben  ist,  der  bereits 
nachgewiesen  hat,  dass  die  Würze,  wenn  auch  verhältnissmässig  geringe  Mengen,  Zink 
aus  den  Kühlschiffen  aufnimmt.  Beim  Gebrauch  von  kupfernen  Braupfannen  ver- 
mochte er  in  allen  Brauproducten  Kupfer  nachzuweisen.2) 


52-2  Kohlehydrate. 

Das  Metalllilech  zu  beiden  Kühlschiffen  war  im  oben  beregten  Falle  nicht  gleich- 
artig zusammengesetzt;  100  Gewichtstheile  des  Zinkblech.-  enthielten  nach    Vohl: 

altes  Kühlschiff:         neue-  Kühlschiff: 


Zink      .     . 

99,4320 

— 

98,6400 

Blei       .     . 

0.44  u; 

— 

1,2800 

Eisen    .     . 

0,0130 

— 

0,0096 

Verlust     . 

0,1134 

mo.oooo. 

— 

0,0704 

lUÖ.IIMOÜ. 

E.-  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  der  höher.'  Bleigehalt  der  Legirung  die  Lös- 
lichkeit  des  Zinks  gefördert  hat.3) 

Nach  -V'.vv/  /■  war  in  einer  Bierbrauerei  einmal  über  dem  Braukessel  ein  Zink- 
dach, ein  andermal  ein  grosses  Rohr  von  Zink  angebracht,  um  die  Dämpfe  ab- 
zuleiten; hiervon  liefen  grosse  Mengen  von  condensirtem  Wasser  wieder  in  den  Kessel 
zurück,  wodurch  das  Bier  zinkhaltig  wurde   und   eine  Trübung   des  Biers  entstand.4) 

3)  Die  Gährung  der  Bierwürze.  Erst  durch  die  Gährung  bildet  sich  aus 
der  Würze  Bier.  Die  Würze  ist  nach  geschehener  Abkühlung  zur  Selbst- 
gährung  befähigt,  wozu  wahrscheinlich  die  in  der  Luft  der  Gährungslocale  ver- 
breiteten Hefepilzsporen  die  Veranlassung  liefern,  welche  in  der  Würze  ihren 
passenden  Boden  finden,  um  darin  zu  Hefezellen  ausgebildet  zu  werden:  in 
Belgien  stellt  man  auf  diese  Weise  einige  an  Milchsäure  reiche  Biersorten  dar. 
Vorherrschender  Gebrauch  ist  jedoch,  die  Gährung  durch  Zusatz  von  Hefe  zu 
befördern,  was  man  das  Stellen  nennt:  man  gebraucht  dazu  entweder  Ober- 
hefe, welche  bei  höherer  Temperatur  uud  rascher  Gährung  entstanden  is<  und 
mehr  zusammenhängende  Zellenketten  darstellt,  oder  Unterhefe,  welche  sich 
bei  niedriger  Temperatur  und  langsamer  Gährung  bildet  und  mehr  aus  einzelnen 
abgerissenen  Zellen  besteht,  um  entweder  Ober-  oder  Untergährung  zu 
erzeugen. 

Die  Untergährung  geht  nur  bei  kühlerer  Witterung  bei  7—12°  R.  richtig  vor 
sich  und  man  BteRt  damit  die  Lagerbiere  dar,  welche  sich  auch  im  Sommer  in  kühlen 
Kellern  gut  halten. 

Die  Obergährung  bedarf  einer  hohem  Temperatur  und  producirt  leichtere  und 
weniger  haltbare  Biere,  sogenannte  Schenk biere. 

Jede  Gährung  bezweckt  die  Ueberführung  des  Zuckers  in  Alkohol  unter 
Bildung  neuen  Fermentes,  der  Hefe.  Die  Nachgährung,  welche  in  geschlossenen 
Räumen  stattfindet,  bewirkt  die  vollständige  Ausscheidung  der  stickstoffhaltigen  Sub- 
stanzen resp.  aller  gebildeten  Hefetheile  und  zwar  unter  gleichzeitiger  Bildung  von 
Kohlensäure,  die  bekanntlich  das  Bier  höchst  schmackhaft  macht. 

Für  die  Untergährung  gebraucht  mau  grosse  offene  Kufen,  damit  dem 
Sauerstoff  eine  grössere  Fläche  geboten  wird  und  durch  die  Oxydation  sämmtliche 
eiweisshaltige  Substanzen  unlöslich  gemacht  uud  ausgeschieden  werden. 

Für  die  Obergährung  benutzt  man  gewöhnlich  Fässer:  die  Oxydation  findet 
deshalb  nur  unvollkommen  statt  und  das  auf  diese  Weise  bereitete  Bier  ist  nicht  so 
haltbar  wie  das  untergährige.  Die  Hefe  wird  gewöhnlich  hierbei  durch  das  Spundloch 
ausgestoßen,  während  sich  beim  untergährigeu  Bier  die  Hefe  am  Boden  ablagert,  so 
dass  das  Bier  von  derselben  abgelassen  wird. 

Bekanntlich  muss  man  Räume,  in  welchen  sich  gährende  Flüssigkeiten  befinden, 
mit  Vorsicht  betreten:  die  Kohlensäure  lagert  sich  hierbei  wegen  ihrer  speeifischen 
Schwere  glücklicherweise  am  Boden  ab,  weshalb  unter  gewöhnlichen  Verhältnissen  nicht 
so  leicht  Unglücksfälle  hierbei  eintreten  Die  Bierbrauer  müssen  sich  vorzugsweise  bei 
den  grossen  offenen  Kufen,  in  welchen  die  Untergährung  stattfindet,  hüten,  mit  dem 
Oberkörper  beim  Bücken  in  die  Kohlensäure-Atmosphäre  zu  gerathen. 

In  grossen  Bierbrauereien  muss  jedenfalls  für  den  Abzug  der  Kohlensäure 
gesorgt  werden:  zu  diesem  Zwecke  wird  am  Boden  des  Gährraums  ein  Canal  angelegt, 
welcher  nach  oben  eine  vergitterte  Oeffnung  bat  und  mit  dem  Hauptschornstein  oder 
der  Malzdarre  in  Verbindung  steht.  In  den  meisten  grossartigen  Etablissements  befindet 
sich  zwischen  Canal  und  Schornstein  ein  quadratischer  Raum,  eine  kleine  Kammer,  in 
welcher  verwittertes  kohlensaures  Natron  auf  Horden  lagert;  die  Kohlensäure  tritt  am 
Boden  der  Kammer  ein  und  gelangt,  wenn  sämmtliches  Natron  gesättigt  ist,  durch  eine 
an  der  Decke  der  Kammer  befindliche  Oeffnung  in  den  Kamin. 


Bierbrauerei.  523 

Die  Beschäftigung  mit  der  Hefe  erzeugt  bisweilen  den  Nagelpilz  (Ony- 
chomykosis)  der  Bierbrauer,  eine  eigentümliche  Krankheit  der  Nägel,  die 
sich  besonders  an  der  Stelle,  wo  sich  die  Nagelsubstanz  neu  erzeugt,  an  der 
Lunula  zeigt.  Die  Bierbrauer,  welche  die  Gährbottiche  oder  Fässer  reinigen  und 
nicht  selten  festsitzende  Hefe  mit  den  Fingernägeln  abkratzen,  werden  vorzugs- 
weise von  dieser  Nagelkrankheit  befallen.  Beim  obergährigen  Bier  erleidet  nämlich 
die  nach  dem  Ausstossen  abgesetzte  Hefe  während  des  Essigprocesses  eine 
weitere  Zersetzung  und  befindet  sich  in  der  Uebergangsperiode  zum  Essigferment. 
Diese  zersetzten  Hefepilze  scheinen  vorzugsweise  die  Krankheit  zu  erzeugen; 
die  Nägel  werden  dabei  gleichsam  facetteuartig  in  der  Längsrichtung  cannelirt, 
während  sich  an  der  Wurzel  wuchernde,  mit  Borken  bedeckte  Excrescenzen 
bilden,  welche  den  Untergang  des  Nagels  bedingen. 

Ein  solcher  entarteter  Hefepilz  kann  auch  auf  die  Barthaare  übertragen 
werden,  wobei  dieselben  an  ihrer  Austrittsstelle  krank  werden,  sich  verfilzen  und 
einen  dem  Weichselzopf  ähnlichen  Krankheitszustand  darstellen.  In  der  Umgebung 
des  Haarschaftes  bilden  sich  trockne  Hautschrunden. 

Das  Heilmittel  der  Bierbrauer  besteht  in  der  Anwendung  der  Holzasche, 
womit  sie  die  kranken  Theile  kräftig  einreiben;  die  Heilung  erfolgt  in  der 
Regel  ziemlich  rasch  und  nur  bei  grosser  Vernachlässigung  können  weitergehende 
Krankheitsprocesse  entstehen. 

In  der  Literatur  finden  sich  wenige  Beobachtungen  über  diese  Krankheit  mit- 
getheilt.  Wahrscheinlich  gehört  der  von  Dr.  John  Pumer5)  beobachtete  Fall  hierher, 
welcher  einen  Mann  betraf,  der  seit  5  Jahren  an  einer  Affection  des  Nagels  am  rechten 
Zeigefinger  litt;  er  war  gleichzeitig  mit  Morbus  Brightii  behaftet,  früher  secundär 
syphilitisch  gewesen  und  hatte  seit  mehreren  Jahren  in  einer  Brauerei  gearbeitet  Der 
Nagel  war  gelbbraun,  mit  dunklen  Flecken  versehen,  ohne  Glanz,  mit  deutlichen  Längs- 
furchen, leicht  brüchig  in  der  Längs-  und  Querrichtung  und  an  seiner  Wurzel  geröthet 
und  verdickt.  Die  vorgefundenen,  achorionähnlichen  Sporen  waren  meist  oval,  hier  und 
da  sprossentreibend  und  durch  fortgesetzte  Keimung  perlenschnurähnliche  Zellenreihen 
bildend;  die  tubulären  Fäden  waren  verästelt,  mit  oder  ohne  glänzende  Körperchen; 
auch  der  Torula  ähnliche  Zellen  fanden  sich  vor. 

Bekanntlich  hat  man  ein  gleichzeitiges  Auftreten  von  Favus  mit  Nagelpilzen  be- 
obachtet, worauf  zuerst  W.  Krause6)  aufmerksam  machte.  Ripping7)  hält  die  Nagelpilze 
für  identisch  mit  Achorion  SchÖnleinii,  ebenso  E.  Wagner8). 

Auch  Förster3),  Virchow10),  v  Bärensprung11)  und  KöLn.er12)  haben  sich  mit  diesem 
Gegenstande  beschäftigt  und  ähnliche  Beobachtungen  gemacht;  dieselben  gewinnen 
durch  die  verbürgte  Thatsache,  dass  sich  der  Zersetzungspilz  der  Hefe  vom  Nagel  auf 
die  Barthaare  übertragen  lässt,  ein  grösseres  Interesse. 

4)  Aufbewahrung  und  Lagern  des  Biers.  Man  lagert  das  Bier  in  kühlen 
Kellern,  um  die  Nachgährung  zu  unterhalten;  die  mittlere  Temperatur  darf 
hierbei  niemals  10°  R.  übersteigen.  Die  Erhaltung  des  Bieres  beruht  stets  auf 
Abschluss  der  atmosphärischen  Luft  bei  gleichzeitiger  Entwicklung  von  Kohlen- 
säure (Nachgährung).  Bekanntlich  schützt  die  Structur  des  Holzes  nicht  vor  der 
Einwirkung  der  Atmosphäre;  der  Austausch  des  in  den  Fassdauben  enthaltenen 
Bieres  resp.  die  Verdunstung  des  Wassers  nach  aussen  entspricht  dem  Eindringen 
des  atmosphärischen  Sauerstoffs  nach  innen. 

Ist  die  Nachgährung  kräftig,  ist  ein  gewisser  Druck  im  Fasse  entstanden,  so  kann 
die  Verdunstung  des  Wassers  unbeschadet  der  Güte  des  Biers  stattfinden,  weil  durch 
den  innern  Druck  das  Eindringen  des  atmosphärischen  Sauerstoffs  unmöglich  wird.  Man 
ersieht  hieraus  leicht,  weshalb  bei  obergährigem  Bier  ein  Verpichen  der  Fässer  nicht 
nothwendig  ist,  wohingegen  nach  verlaufener  Nachgährung  in  den  unverpichten  Fässern 
ein  rasches  Sauerwerden  eintritt. 

Beim  untergährigen  Bier,  bei  welchem  die  Nachgährung  eine  langsamere  ist,  wo 
also  deshalb  eine  längere  Zeit  zum  „Reif-  und  Feinwerden"  der  Biere  erfoi-dert  wird, 


524  Kohlehydrate. 

ist  das  Bier  viel  länger  dem  Einflüsse  des  atmosphärischen  Sauerstoffs  ausgesetzt:  die 
Holzfaser  ist  deshalb  so  zu  behandeln,  dass  sie  sowohl  der  Verdunstung  als  auch  dem 
Eindringen  des  Sauerstoffs  hemmend  entgegentritt. 

Die  Präparation  der  Fässer,  welche  dies  bedingt,  nennt  man  das  Verpichen 
oder  Pichen:  selbstverständlich  muss  das  hierzu  erforderliche  Pech  nicht  zu  leicht 
_.  dabei  aber  auch  nicht  so  zähe  sein,  dass  ein  Springen  desselben  beim  Wechsel 
der  Temperatur  leicht   stattfindet. 

Das  beste  Pech  ist  das  sogenannte  Saigerpech:  dasselbe  enthält  stets  etwas 
Gerbstoff  und  ätherisch-aromatische  Bestandteile  und  wird  einfach  durch  Aussaigern 
des  rohen  Harzes  gewonnen.  Besonders  das  Saigerpech  der  Laryxarten  hat  einen 
aromatischen  Geschmack  und  wird  namentlich  in  Böhmen  (Pilsen)  als  Brauerpech 
verwendet. 

Die  Biermaterialien  und  ihre  Surrogate. 

Das  Ziel  der  Brauerei  ist  die  Verwandlung  des  Stärkemehls  in 
Alkohol.  Die  Hauptaufgabe  besteht  daher  in  der  raschen  Ueberführuug  des 
Stärkemehls  in  Traubenzucker;  in  normaler  Weise  geschieht  dies,  wie  schon 
erwähnt  worden,  durch  den  Keimprocess.  Der  Gedanke  lag  nahe,  für  die 
Diastase  ein  Surrogat  zu  suchen;  als  die  Einwirkung  verdünnter  Säuren  auf 
das  Stärkemehl  bekannt  wurde  und  man  die  Säuren  statt  des  Keimprocesses 
in  Anwendung  brachte,  wurde  dieses  Verfahren  ein  so  allgemeines,  dass  sich  die 
Fabrication  des  Trauben-  oder  Stärkemehlzuckers  zu  einer  besondern  In- 
dustrie ausgebildet  hat.  Hätte  das  Malzen  nur  allein  die  Zuckerbildung 
resp.  die  Diastasebildung  zu  bewirken,  so  würde  sich  gegen  die  Verwendung 
des  fertigen  Traubenzuckers  nichts  einwenden  lassen;  es  fand  sich  jedoch  bald, 
dass  bei  der  Bildung  von  Zucker  und  Diastase  resp.  Dextrin  auch  die  phos- 
phorsaureu  Erden  in  eine  lösliche  Form  gebracht  werden,  wodurch  der 
Xährwertk  des  Biers  ganz  bedeutend  erhöht  wird.  Uebrigens  lässt  der  Mangel 
an  solchen  Verbindungen  keinen  sichern  Schluss  auf  die  Natur  des  Surrogats  zu; 
man  kann  nur  behaupten,  dass  keine  Gerste  benutzt  worden  ist.  Einen  grössern 
Auhaltspunct  gewährt  der  Dextringehalt,  welcher  beim  Gebrauch  des  Trauben- 
zuckers viel  bedeutender  ist. 

An  und  für  sich  kann  man  ein  solches  Verfahren,  bei  welchem  Traubenzucker  als 
Syrnp  oder  in  fester  Form  verwendet  wird,  nicht  schädlich  nennen;  nur  bezüglich 
der  Verunreinigungen  des  Traubenzuckers  können  dem  Biere  Stoffe  mitgetheilt 
werden,  welche- theils  schädlich  auf  den  Organismus  einwirken,  theils  ein  leichteres  A  er- 
derben des  Bieres  veranlassen.  Eine  nie  fehlende  Verunreinigung  des  Kartoffel- 
oder Stärkezuckers  ist  z.  B.  der  Gip s :  dieser  Körper  ist  bekanntlich  nicht  giftig,  kann 
aber  durch  seine  Wirkung  auf  die  Hefe  Anlass  zur  Entstehung  eines  höchst  gesund- 
heitswidrigen Bieres  geben.     Es  verhält  sich  hiermit  folgendermassen: 

Im  Allgemeinen  ist  es  bekannt,  dass  ein  mit  Traubenzucker  dargestelltes  Bier 
nie  fertig  im  Gähren  wird,  wie  man  zu  sagen  pflegt.*)  Es  ist  hierbei  ganz  gleich- 
gültig, ob  Ober-  oder  TJntergährung  eingeleitet  wird:  in  beiden  Fällen  hört  um 
so  schneller  die  Gährung  auf,  je  kräftiger  sie  eingetreten  ist.  Die  Ursache  dieses 
Umstände«  ist  in  Folgendem  zu  suchen:  Hat  der  Brauer  eine  solche  mit  Trauben- 
zucker dargestellte  Würze  gestellt,  d.  h.  mit  Hefe  versetzt,  und  beobachtet  mau 
nun  die  verschiedenen  Veränderungen,  welche  die  Würze  erfährt,  so  wird  auch  der 
geübteste  Brauer  keinen  Unterschied  zwischen  der  Malz-Würze  und  dieser  finden: 
die  gestellte  Würze  wird  nämlich  scheinbar  alle  normalen  Veränderungen  erfahren:  sie 
fängt  an  trübe  zu  werden,  die  sich  entwickelnde  Kohlensäure  veranlasst  eine  Bewegung 
in  derselben  und  die  Temperatur  steigert  sich  um  10°  C.  Die  so  normal  einge- 
tretene Vergährung  hört  jedoch  plötzlich  auf,  das  sonst  rasche  Klären 
findet  nicht  statt,  sondern  die  Trübung  nimmt  zu.     Nachdem  das  Bier  wieder 


*)  Kartoffelmehl,  gekochte  Kartoffeln,  Reis,  Stärkesyrup,  Kartoffelstärke  bedingen 
zwar  die  Fähigkeit  zur  Nachgährung,  aber  einen  Mangel  an  Ferment,  weshalb  die  Biere 
lange  jung  bleiben  und  langsam  alkoholreich  werden:  man  muss  sie  deshalb  stets  mit 
Ferment  (Hefe)  versetzen,  um  sie  als  Lagerbier  zu  benutzen. 


Biormaterialien.  525 

eine  gewisse  Klarheit  erreicht  hat,  beginnt  von  Neuem  die  Gährung;  der  Brauer  ist 
deshalb  genöthigt,  das  Bier  sofort  in  Fässer  zu  füllen  und  Alkohol  zu- 
zugeben; hierdurch  findet  ein  rasches  Klären  statt,  eine  Nachgährung  tritt  ein  und 
man  erhält  ein  mit  Kohlensäure  geschwängertes  Getränk,  welches  dann  häufig  auch 
durch  den  Gehalt  an  freiem  Alkohol  nachtheilig  auf  manche  Constitution  einwirkt. 

Dieser  falsche  Verlauf  der  Gährung  beruht  hauptsächlich  auf  der  Verminderung 
der  Löslichkeit  des  Gipses  durch  die  Bildung  von  Alkohol  in  der  Würze. 
Durch  die  Alkoholbildung  wird  nämlich  der  Gips  ausgeschieden,  die  Hefenzellen 
werden  damit  incrustirt  und  auf  diese  Weise  unwirksam,  so  dass  die  Gährung 
gestört,  oft  sogar  ganz  aufgehoben  wird;  erst  nachdem  der  Gips  sich  aus- 
geschieden hat  und  ein  neuer  Theil  der  stickstoffhaltigen  Substanz  durch  Oxydation 
zu  einem  Gährungserreger  geworden  ist,  tritt  eine  abermalige  Gährung  und 
Alkoholbildung  ein,  welche  häufig  wieder  mit  einer  Gipsausscheidung  verbunden 
ist.  Durch  directen  Zusatz  von  Alkohol  scheidet  man  deshalb  den  Gips  fast  voll- 
ständig aus  und  bringt  dann  das  Bier  zur  Nachgährung. 

Es  ist  selbstverständlich,  dass  ein  Bier,  welches  eine  so  gestörte  Gährung  erfahren 
hat,  noch  eine  Menge  von  Substanzen,  wie  Gummi,  Dextrin  u.  s.  w. ,  enthält,  die 
leicht  der  schleimigen  Gährung  unterliegen,  auf  diese  Weise  ein  rasches  Schalwerden 
bedingen,  aber  noch  leichter  Digestionsstörungen  herbeiführen.  Der  hohe  Kohlensäure- 
gehalt dieser  Biere  begünstigt  ihr  Schal-  und  Sauerwerden  sehr,  weil  die  unter 
hohem  Druck  zurückgehaltene  Kohlensäure  beim  Verschänken  rasch  entweicht  und  dann 
auch  den  Antheil  an  Alkohol  grösstentheils  mit  sich  fortreisst. 

Der  Traubenzucker  kann  auch  theilweise  durch  einen  Absud  von  Queck- 
wurzeln (Rad.  Graminis),  Mohrrüben  oder  Runkelrüben  ersetzt  werden,  um 
weniger  Malz  nöthig  zu  haben. 

Der  Zusatz  von  un gemalztem  Getreide  bezweckt  einen  grossem  Stärkemehl- 
zusatz zum  Malz  und  eine  bessere  Ausnutzung  der  Diastase:  man  kann  denselben  nur 
als  eine  Verbesserung  und  Vermehrung  des  Traubenzuckers  in  der  Bierwürze  ansehen; 
seitdem  aber  die  Kartoffeln  das  billigste  Stärkemehl  liefern,  ist  man  von  einem  solchen 
Zusatz  von  Getreide  ganz  abgekommen. 

Der  Zusatz  von  Rohrzucker  zur  Würze  ist  nicht  schädlich,  findet  aber  wegen 
des  Kostenpunctes  wenig  Anwendung.  Lakritzensaft  setzt  man  dem  Biere  mehr 
wegen  der  Farbe  als  wegen  des  Zuckers  zu;  auch  der  Absud  von  Möhren  hebt  die 
Farbe  des  Bieres. 

Den  sogenannten  Schaum  köpf  erzeugt  man  durch  Abkochungen  von  Kälber- 
füssen  und  Carageen,  wodurch  das  Bier  zugleich  substantieller  wird;  Liehen  islandicus 
gebraucht  man  nicht  mehr,  weil  es  das  Bier  zu  herb  und  bitter  macht.  Eine  Mischung 
von  Eisenvitriol  und  Alaun  zur  Erzeugung  von  Schaum  ist  ebenfalls  unzweck- 
mässig ,  weil  das  Eisen  mit  der  Gerbsäure  die  bekannte  Dintenfarbe  bildet. 

Von  grosser  Wichtigkeit  ist  der  Gebrauch  von  Glycerin  in  der  Bierbrauerei 
geworden.  Auf  Anwesenheit  von  Glycerin  in  gegohrener  Flüssigkeit  wurde  zunächst 
eine  sogenannte  Weinverbesserung  begründet*),  die  weiterhin  zunächst  zur  Be- 
nutzung des  Glycerins  beim  Lagerbier  führte;  späterhin  setzte  man  es  zu,  wenn  das 
gekühlte  Bier  auf  die  Gährbottiche  kommt,  um  dadurch  das  Malz  zu  ersetzen, 
denn  1  Pfund  Glycerin  repräsentirt  wenigstens  2  Pfund  Malzextract  oder  3%  Pfund 
Darrmalz.  Man  nimmt  an,  dass  Glycerin  das  Hopfenharz  besser  auflöse  als  der  Zucker; 
die  Hefe  würde  dadurch  zur  Einleitung  der  Gährung  mehr  befähigt  und  könne,  wenn 
sie  in  genügender  Menge  damit  versetzt  sei,- jahrelang  in  lebensfähigem  Zustande  erhalten 
werden.  Das  Bier  soll  überhaupt  durch  Glycerin  vollmündig,  moussirend  und  export- 
fähig gemacht  werden. 

Andererseits  wird  dagegen  behauptet,  dass  Glycerin  an  und  für  sich  nicht  gäh- 
rungsfähig  sei,  daher  auch  das  Malz  nicht  ersetzen  könne,  weil  nur  dieses  (oder  auch 
Zucker  als  Aequivalent)  wirkliches  Bier  liefere,  d.  h.  ein  Getränk,  welches  aus 
Alkohol,  Kohlensäure,  Protein-  und  Extractivstoffen  bestehe  und  bei  seiner  Production 
durch  geistige  Gährung  die  Hefe  als  Nebenproduct  liefere;  der  Zusatz  von  Glycerin 
zur  Würze  sei  daher  als  ein  arger  Missgriff  zu  betrachten. 

Auch  die  Präparirung  des  sogen.  Satzes,  d.  h.  der  Stellhefe,  mit  Glycerin 
gewähre  gar  keinen  V ortheil;  es  trete  vielmehr  hierbei  der  Uebelstand  ein,  dass  die  Hefe 
zu  sehr  abgewässert  werden  müsse  und  daher  an  ihrer  gährungserzeugenden  Kraft  ein- 
büsse.    Ein  Zusatz  von  Glycerin  zu  der  gepressten  und  getrockneten  Hefe,  welche  man 

*)  Das  Versetzen  des  Weins  mit  Glycerin  nennt  man  Scheelisiren,  welches 
bereits  zu  Yielen  Missbräuchen  geführt  hat,  so  dass  es  Weine  gibt,  die  nur  aus  Wein- 
säure, Alkohol  und  Glycerin  bestehen.  Ursprünglich  bezweckte  man  damit  ein  Ver- 
decken des  sauren  Geschmacks  geringer  Weinsorten,  ein  Verfahren,  das  zu  ver- 
werfen ist,  da  solche  Weine  unangenehme  Wirkungen  erzeugen. 


526  Kohlehydrate. 

in  luftdicht  verschlossenen  Gelassen  aufbewahrt,  macht  dieselbe  nur  dann  nach  Monaten 
noch  als  Stellhefe  brauchbar,  wenn  man  vor  ihrer  jedesmaligen  Anwendung  das  Glycerin 
mit  animoniakhaltigeni  Wasser  entfernt. 

Nur  der  Zusatz  von  Glycerin  zum  fertigen  Biere  hat  eine  Bedeutung,  wenn 
es  Bich  nämlich  um  sehr  dünne  oder  kranke  Biere  handelt,  die  in  Folge  einer  zu 
schnallen  Hauptgährung  oder  einer  allzulangen  Nachgährung  arm  an  Zucker  und  Extract 
geworden  sind.  Glycerin  verleiht  solchen  Bieren  eine  sogen.  Vollmtindigkeit,  aber 
keine  Geschmacksveredelung;  auch  deckt  es  die  herbe  Bitterkeit  des  Hopfens,  die 
am  meisten  bei  jenen  Bieren  hervortritt,  welche  auf  dem  Lagerfasse  ausgegohren  haben. 

Exportbiere  versetzt  man  mit  Glycerin,  um  wohlschmeckenden  Bieren  dadurch 
ihren  Geschmack  zu  bewahren,  was  aber  nur  erreicht  wird,  wenn  die  Biere  beim  Ver- 
senden ganz  hell  und  aus  ungespundeteu  Lagerfassern  abgefüllt  sind.  Immerhin  ist 
aber  hierbei  zu  berücksichtigen,  dass  Glycerin  kein  indifferentes  Mittel  ist  und  auf 
manche  Constitution  bei  häufiger  Ingestion  nachtheilig  einwirken  kann  (s.  Glycerin  S.  4:34). 
In  der  Kegel  wird  bekanntlich  den  Exportbiere n  Alkohol  zugesetzt. 

Die  Anwendung  der  adstringirenden  und  gerbstoffhaltigen  Bitterstoffe.  Die 
Bitterstoffe  sowie  die  gerbesäurehaltigen  Substanzen  sind  im  Allgemeinen  anti- 
septischer Natur,  verlangsamen  dadurch  auch  die  Gährung  und  verzögern  das 
Eintreten  der  Essigbildung  aus  dem  Alkohol.  Es  ist  erwiesen,  dass  die  ersten 
bierähnlichen  Getränke,  welche  der  Mensch  erzeugte,  durch  die  verschiedenen 
bitter-  und  gerbstoffhaltigen  Substanzen  vor  der  weitern  Einwirkung  des  Sauer- 
stoffs und  somit  vor  der  Essigbildung  geschützt  wurden.  Erst  in  späterer  Zeit 
kam  der  Hopfen,  welchen  man  als  Narcoticum  erkannte,  zur  Anwendung;  von 
jetzt  an  ging  die  Hopfenproduction  mit  der  Bierfabrication  Hand  in  Hand,  bis 
man  späterhin  wiederum  bei  Missernten  und  hohen  Preisen  des  Hopfens  oder 
auch  aus  betrügerischer  Absicht  Surrogate  desselben  zu  benutzen  suchte. 

Beim  Aufsuchen  der  Surrogate  liess  man  sich  vorzugsweise  von  der  bittern  und 
adstringirenden  Eigenschaft  derselben  bestimmen,  ohne  dabei  auf  das  ätherische  Oel  des 
Hopfens  zu  achten. 

Ausser  der  Gerbsäure  ist  es  grade  das  ätherische  Oel  und  das  Hopfen- 
harz, welche  sich  in  einer  höchst  merkwürdigen  Vereinigung  im  Hopfen  finden,  da  sie 
sämmtlich  gährungshemmend  wirken.  Die  Gerbsäure  dient  zur  Klärung  der  Würze, 
indem  sie  das  Maizprotein,  den  Stoff  zur  Hefe  niederschlägt,  während  das  Hopfen  - 
harz  die  Hefenzellen  einhüllt  und  dadurch  ihre  Wirksamkeit  mässigt.*) 

Um  Schimmelbildung  an  den  innern  Stengeln  der  Deckblättchen  und  die  Oxydation 
dieses  Oels  zu  verhüten,  muss  der  Hopfen  sorgfältig  getrocknet  werden,  was  neuerdings 
in  Hopfendarren  geschieht,  in  weichen  durch  einen  Ventilator  für  die  Erneuerung 
der  Luft  gesorgt  wird  Häufig  schwefelt  man  ihn  auch  vorher,  um  ihn  noch  besser 
zu  conserviren  t^s.  S.  156)**) 

Die  Gerbsäure  des  Hopfens  ist  eine  eisengrünende  Gerbsäure  und  findet  sich 
in  den  Dolden,  Ranken  und  Blättern,  wohingegen  das  Hopfenharz  das  bittere  Princip 
enthält;  eigenthümlicherweise  ist  es  nur  in  Wasser  leicht  löslich,  welches  Gerbsäure, 
Gummi  und  Zucker  enthält;  diese  Löslichkeit  verliert  sich  aber,  wenn  es  vorher  in 
dünnern  Schichten  der  Luft  ausgesetzt  gewesen  ist  und  eine  Zersetzung  erlitten  hat.  Es 
gibt  kein  einziges  Surrogat,  welches  diese  Bestandtheile  in  sich  vereinigt;  nur  der 
Hanf  sieht  ihm  am  nächsten,  besitzt  aber  bekanntlich  stärkere  narkotische  Eigenschaften; 
das  Haschisch  der  Orientalen  wird  aus  demselben  bereitet. 

Catechu,  die  Terra  japonica  der  Bierbrauer,  stört  zwar  nicht  die  Gährung, 
verhütet  auch  die  Essigbildung,   besitzt  aber  nicht  das  Aroma  des  Hopfens:    trotzdem 


*)  Das  ätherische  Hopfenol  findet  sich  in  goldgelben,  nierenförmigen  Drüschen 
unter  den  dachziegelähnlich  übereinander  liegenden  Schuppen  der  Hopfenkätzchen.  Es 
enthält  nach  H.  Wagner  Yaleral,  das  schon  an  der  Luft  in  Baldriansäure  über- 
zugehen vermag;  alter  Hopfen  riecht  deshalb  nicht  selten  wie  Käse,  ein  Geruch,  der 
wahrscheinlich  mit  von  der  gebildeten  Baldriansäure  herrührt. 

**)  Hat  man  alten  Hopfen  stark  geschwefelt,  um  ihm  ein  frischeres  Ansehen  zu 
geben,  so  kann  man  den  Schwefel  leicht  nachweisen,  wenn  man  einige  Hopfenzapfen 
in  einen  Murs/t'scheu  Apparat  bringt  und  das  sich  entwickelnde  Gas  in  eine  Lösung  von 
Nitroprussidnatrium  leitet:  es  entsteht  sogleich  die  bekannte  purpurrothe  Färbung, 
wenn  das  Gas  nur  Spuren  von  Schwefelwasserstoff  enthält. 


Biermaterialien.  527 

wird  Catechu  noch  vielfältig  als  Hopfensurrogat  benutzt.  Wenn  ein  damit  bereitetes 
Bier  auch  nicht  an  und  für  sich  als  schädlich  betrachtet  werden  kann,  so  wirkt  es  doch 
bei  manchen  Individuen  schädlich  auf  die  Verdauung  ein  und  soll  besonders  eine  starke 
Schleimabsonderung  bewirken.  Auch  besitzt  die  hierbei  gewonnene  Hefe  eine  unerträgliche 
Bitterkeit ;  sie  ist  für  die  Bäckerei  nicht  bloss  wegen  des  bittern  Geschmacks,  sondern 
auch  wegen  der  schlechten   Gährung,  welche  sie  einleitet,  ganz  unbrauchbar. 

DieQuassia  theilt  zwar  die  üblen  Eigenschaften  von  Catechu  bezüglich  der 
Bildung  einer  bittern  Hefe,  sie  erzeugt  aber  im  Allgemeinen  weniger  Verdauungs- 
störungen und  nicht  den  pappigen  Geschmack  wie  das  Catechu-Bier.  Ein  geringer 
Zusatz  von  Hopfen  ist  hierbei  stets  nöthig:  weniger  zweckmässig  wird  hierbei  das 
Aroma  durch  Salvia  sclarea,  Ribes  nigrum,  Ruta  graveolens  u.  s.  w.  ersetzt. 
Von  Ribes  werden  gewöhnlich  nur  die  jungen  Triebe  und  Zweige  genommen  und  in 
Weingeist  ausgezogen. 

Ledum  palustre  gehört  auch  in  die  Gruppe  der  adstringiren den  Mittel,  da  die 
Blätter  ungefähr  1%  eisengrünenden  Gerbstoff  enthalten  neben  1 — '2%  gewürzhaft  riechen- 
dem und  brennend  schmeckendem  Oele;  es  kommt  auch  unter  dem  Namen  Porst, 
Po r seh  oder  wilder  Rosmarin  vor.  Zur  Darstellung  des  Bockbieres  soll  Porst 
mit  Oel  gekocht  und  mittels  weissen  Harzes  und  Sandmergels  zu  Kugeln  geformt  und 
an  die  Brauer   als  Bier  wachs  verkauft  werden.13) 

Die  Pikrinsäure,  das  Welter'sche  Bitter,  wird  in  Frankreich  nicht  selten 
wegen  ihrer  intensiven  Bitterkeit  dem  Biere  zugesetzt  (s.  Pikrinsäure);  da  ihr  jedes 
Aroma  fehlt,  so  kann  sie  um  so  weniger  den  Hopfen  ersetzen  und  muss  deshalb  min- 
destens mit  andern  aromatischen  Substanzen  verbunden  werden. 

Zum  Nachweis  derselben  im  Biere  entfärbt  man  letzteres  mit  Knochenkohle 
im  Ueberschuss  und  lässt  die  Mischung  einige  Zeit  stehen;  die  filtrirte  Flüssigkeit  ver- 
dampft man  dann  im  Wasserbade  bis  zur  Syrupsconsistenz  und  setzt  Chlorkalium 
zu.  Pikrinsaures  Kalium  scheidet  sich  dann  in  goldglänzenden  Nadeln  ab;  legt 
man  seidene  oder  wollene  Fäden  in  das  Filtrat,  so  kann  man  die  Säure  auch  durch  ihr 
Färbevermögen  nachweisen. 

Pflanzen  mit  narkotischem  Principe.  Bittersüss  (Stip.  Dulcam.  von  Solanum 
Dulcamara)  wird  häufig  in  Holland  und  Frankreich  als  Hopfensurrogat  benutzt;  da  es 
mit  gekocht  wird,  so  entweichen  hierbei  die  flüchtigen  betäubenden  Bestandtheile. 

Dulcamara  enthält  nach  P/aJf  ein  myrrhenartiges  Balsamharz  mit  Benzoesäure 
nebst  geringen  Mengen  von  Solanin.  Das  Harz  wird  beim  Gähren  durch  den  gebil- 
deten Alkohol  ausgezogen. 

Auch  Buchsbaumblätter  von  Taxus  baccata  haben  ein  narkotisches  Princip, 
welches  sich  aber  während  des  Erhitzens  mit  den  Wasserdämpfen  verflüchtigt;  ebenso 
besitzt  S  partium  scoparium  ein  Alkaloid  mit  narkotischer  Eigenschaft,  Spartein, 
und  ein  Glycosid,  Scoparin. 

Samen  und  Blätter  von  Stechapfel,  Taumellolch  oder  Opium, 
Rad.  Helleb.  albi  figuriren  nur  in  den  Lehrbüchern,  kommen  aber  in  Wirklichkeit, 
wenigstens  in  Deutschland,  nicht  zur  Anwendung;  dagegen  ist  es  sicher,  dass  in  England 
die  Semina  colchici  aut.  wegen  ihres  bittern  Princips  bisweilen  benutzt  werden.  So 
hat  Böttern  Fälle  von  Vergiftung  durch  Colchicin  in  Folge  des  Genusses  von  englischem 
Ale  beobachtet;  vier  Männer  klagten  nach  dem  Genüsse  gleichzeitig  über  Druck  im 
Magen,  Stirnkopfschmerz,  Erbrechen  und  Durchfall;  bei  einem  der  Patienten  bildete 
sich  Liehen  über  den  ganzen  Körper  aus  Die  chemische  Untersuchung  des  Biers  ergab 
Colchicin.14] 

Aromatisch  bittere  Stoffe.  Hierher  gehören:  die  Pomeranzenschalen,  Herba 
Marrubii  vulgaris,  Wermuth,  Zittwersamen,  Coriander,  Carclamomum,  Gewürznägelchen, 
Muskat  und  die  Paradieskörner  (Gran.  Parad.).  Sie  werden  wegen  ihrer  eigenthümlichen 
Wirkung  und  ihres  Aromas  zugesetzt  und  statuiren  keine  Fälschung,  sie  tragen  viel- 
mehr zur  Erhaltung  des  Bieres  bei  und  zwar  theils  wegen  ihres  Gehaltes  an  ätherischem 
Oele  und  theils  an  adstringirenden  Bestandteilen. 

Tannensprossen  und  Wachholder  geben  dem  Biere  ein  starkes  Aroma  und 
eine  diuretische  Wirkung;  bei  der  Gährung  geben  sie  aber  nicht  zur  Bildung  von 
Ameisensäure  "Veranlassung,  wie  manchmal  behauptet  wird.  Findet  sich  Ameisen- 
säure im  Biere,  so  kann  man  annehmen,  dass  es  auf  Rumfässern  gelagert  hat  oder  ihm 
absichtlich  Rum  zugesetzt  worden  ist. 

Was  die  Kokkelskörner  (Menispermum  glaucum  s.  coeculus )  und  die  Nux 
vomica  betrifft,  so  kann  man  mit  Bestimmtheit  behaupten,  dass  sie  in  Deutschland 
niemals  als  Zusatz  zum  Biere  benutzt  werden;  nur  in  England  sollen  sie  bisweilen  noch 
bei  einigen  starken  Bieren  zur  Anwendung  kommen.  Selbstverständlich  wirken  dann 
auch  die  in  diesen  Früchten  enthaltenen  Alkaloicle.  Strychnin,  Brucin  und  Pikro- 
toxin  mit. 


528  Kohlehydrate. 

Pikrotoxin  (von  Ttr/.po;.  bitter.  und  to;ov.  Pfeil)  gehört  zwar  zu  den  Glycosiden, 
über  seine  giftigen  Eigenschaften  kann  aber  kein  Zweifel  herrschen.*) 

Der  Genuss  eines  Bieres,  das  mit  Kokkelskörnern  bereitet  worden  ist,  muss 
schädlich  einwirken,   mag   auch  die  Kleinheit   der   Gabe    nicht  bald    auffallende    Krank- 

mptome  erzeugen,  beim  längern  Genüsse  kann  der  sanitäre  Nachtheil  nicht 
ausbleiben. 

Bekannt  i?t  das  ^  erfahren,  mittels  Kukkelskörner  die  Fische  zu  betäuben  und  zu 
fangen:  in  Preussen  dürfen  daher  auch  Apotheker  und  Materialhändler  die  Kokkels- 
körner  im  Handverkauf  nicht  verabreichen. 

ReisMere.  Diese  haben  sich  durch  ihren  Geschmack  viele  Anhänger  er- 
worben und  werden  vorschriftsmässig  aus  •'•  6  Malz  und  '  ,,  Reis  dargestellt ; 
durchschnittlich  enthalten  sie  3,55  Alkohol,  6,17  Gerbsäureextract  und  0,08  Zucker. 
Hiernach  übersteigt  der  Alkoholgehalt  den  der  Münchener  Biere  (im  Mittel  3.23) 
nur  unbedeutend,  dagegen  ist  der  Gesammt- Extractgehalt  und  namentlich  der 
Zuckergehalt  bedeutend  höher. 

Die  Untersuchung  eines  Bieres  kann  nach  zwei  verschiedenen  Richtungen  hin 
beansprucht  werden.     Es  kann  erstens  von  Wichtigkeit   sein,   die  Qualität  eines  Bieres 


*)  Behufs  toxicologischer  Prüfung  des  Pikrotoxins  wurde  solches  aus  den 
Kokkelskörnern  dargestellt  und  einem  Kaninchen  innerlich  in  einer  Gabe  von  0,05  Grm. 
beigebracht.  Nach  (J  M.  legt  es  sich  auf  den  Bauch,  die  Respiration  beschleunigt  sich 
ausserordentlich  und  einzelne  Zuckungen  durchfahren  den  Körper:  Herzschlag  stossweise 
und  beschleunigt.  Nach  10  M.  bleibt  es  liegen  und  lässt  sich  zum  Fortbewegen  nicht 
mehr  antreiben,  nach  30  M.  heftiger  Starrkrampf,  nach  -iO  M.  wird  es  9-10mal  von 
den  heftigsten  Convulsionen  fusshoch  in  die  Höhe  geschnellt  und  verfällt  dann  in 
Tetanus  ]Sach  50  M.  starker  Blutabgang  aus  dem  Maule;  nach  1  Stunde 
heftiger  Starrkrampt,  dann  Rückwärtsgehen  und  Emprosthotonus,  wobei  der 
Kopf  nach  vorn  bis  zu  den  Hinterbeinen  gezogen  wird;  Herzschlag  verlangsamt, 
Knirschen  mit  den  Zähnen  und  Seitenlage,  in  welcher  krampfhaft  und  tief  respirirt 
wird,  bis  unter  stetiger  Abnahme  der  Respiration  und  Herzthätigkeit  der  Tod  nach 
1  Stunde  20  M.  eintrat.  Die  Pupille  war  erweitert,  ging  aber  nach  dem  Tode  in  mittlere 
Contraction  über. 

Section  nach  20  Stunden.  Die  Hirnhäute  stark  hyperämisch,  zwischen  Gross- 
und Kleinhirn  ein  erbsengrosses  Blutextra vasat;  auf  dem  Pons  und  der  Med.  oblong, 
eine  dünne  flüssige  Blutlage,  die  Plex.  ven  spin.  mit  geronnenem  Blute  gefüllt:  die 
Schleimhaut  der  Luftröhre  geröthet  und  mit  viel  röthlich  gefärbtem  Schaum  bedeckt. 
Die  obern  Lungenlappen  braunroth  marmorirt,  die  untern  schwarzbraun  gefärbt; 
auf  den  Durchschnittsflächen  tritt  viel  weisser  Schaum  zu  Tage.  Das  ganze  Herz 
strotzt  von  geronnenem,  schwarzem  Blute,  das  mit  wenig  flüssigem,  dunkelrothem  Blute 
vermischt  ist:  geronnenes  Blut  waltet  überall  vor,  das  flüssige  Blut  röthet  sich  an  der 
Luft.  Die  Sehleimhaut  im  Oesophagus  und  Magen  ist  normal,  aus  der  Leber  tritt 
beim  Einschneiden  geronnenes  Blut  aus. 

Aus  diesem  Versuche  geht  hervor,  dass  0,05  Grm.  Pikrotoxin  ein  kräftiges 
Kaninchen  binnen  1  Stunde  20  Minuten  zu  tödten  vermag:  die  heftigsten  klonischen 
und  tonischen  Krämpfe  füllen  das  Krankheitsbild  aus,  die  tetanischen  Zufälle  walten 
Jedoch  vor.  Als  ein  besonderes  Symptom  zeigt  sich  das  Rückwärtsgehen  des 
Thieres  und  die  bogenförmige  Krümmung  des  Rückgrats,  so  dass  der  Kopf  fast  die 
Hinterbeine  berührte.  Eigenthümlich  war  auch  die  Art  des  Stehens  nach  dem  heftigen 
tetanischen  Anfalle:  die  Beine  waren  nämlich  ganz  steif  gestreckt,  als  ob  das  Thier  auf 
Stelzen  stände. 

Dass  Pikrotoxin  hauptsächlich  die  Medulla  oblongata  erregt,  hat  Rober1'0) 
durch  sorgfältige  physiologische  Experimente  zu  beweisen  vermocht.  Hiermit  hängt  die 
progressive  Abnahme  der  Herz-  und  Langenthätigkeit  zusammen:  auch  bei  der  Section 
fiel  ausser  der  bedeutenden  Blutstauung  in  den  Lungen  das  Blutextravasat  an  der 
li<  dulla  oblongata  und  am  Pons  auf. 

Eine  Beziehung  dieses  Giftes  zum  Herzen  lässt  sich  nicht  verkennen,  welche  sich 
während  der  Vergiftung  durch  die  stürmische  Anregung  der  Herzbewegung  mit  nach- 
folgender Lähmung  und  in  der  Leiche  durch  die  ausserordentliche  Anfüllung  des  Herzens 
mit  Blut  charakterisirt.  Der  starke  Blutabgang  aus  dem  Maule  des  Thieres  hängt 
jedenfalls  mit  den  Blutstauungen  in  den  Brustgefässen  zusammen:  es  fand  sich  auch 
die  Schleimhaut  der  Luftröhre  stark  geröthet  und  mit  röthlich  gefärbtem  Schaume 
bedeckt. 


Bierbrauerei.  529 

bezüglich  seiner  Güte  und  Nahrhaftigkeit  kennen  zu  lernen,  während  zweitens  der 
Nachweis  bisweilen  nothwendig  werden  kann,  ob  Bier  als  solches  vorhanden  ist;  letztere 
Frage  wird  gewöhnlich  an  die  gerichtliche  Chemie  gestellt,  wenn  es  sich  um  den  Magen- 
inhalt einer  Leiche  handelt.  Aber  auch  bei  Defraudationen  verlangt  die  Gerichtsbehörde 
bisweilen  den  Nachweis,  ob  sich  im  Inhalte  des  Phlegmas  eines  Brenngutes  Bier  vor- 
findet; in  diesen  Fällen  kann  nur  die  Bestimmung  der  Bitterstoffe  ein  unzweifel- 
haftes Urtheil  gestatten. 

Schwieriger  ist  die  Untersuchung  über  den  Werth  eines  Bieres,  da  hierbei  der 
Alkohol,  das  Dextrin,  Gummi,  die  stickstoffhaltige  Substanz,  die  Bitterstoffe,  das 
Hopfenbitter,  Hopfenharz  und  ausserdem  die  phosphorsauren  Salze  resp.  die  Aschen- 
bestandtheile  bestimmt  werden  müssen;  diese  Aufgabe  vermag  nur  ein  geschickter 
Analytiker  zu  lösen. 

Der  Ausschank  des  Bieres. 

Beim  Ausschank  des  Bieres  hat  man  vorzugsweise  auf  die  Frische,  d.  h.  auf  den 
Kohlensäuregehalt  zu  achten.  Es  ist  nicht  zweifelhaft,  dass  das  Zapfen  am  Fasse  in 
der  ersten  Zeit  jedenfalls  das  schmackhafteste  Bier  ergeben  wird,  dass  aber  mit  der 
Zunahme  der  Oberfläche  des  Bieres  im  Fasse  eine  Vermehrung  der  Sauerstoffeinwirkung 
stattfindet  und  gleichzeitig  das  Entweichen  und  Entbinden  der  Kohlensäure  begünstigt 
wird.  Zur  Verhütung  dieser  Uebelstände  wurden  'sinnreich  construirte  Hähne  sowohl 
zum  Abfliessen  des  Bieres  als  auch  zum  Verhindern  des  Eintretens  der  Luft  construirt. 
Um  die  auf  den  Ausschank  zu  verwendende  Zeit  zu  verkürzen  und  gleichzeitig  die 
erwähnten  Uebelstände  zu  beseitigen,  wurden  die  Druck-  resp.  Bierpumpen  in  An- 
wendung gebracht. 

Ganz  im  Anfange  dieser  Bestrebungen  wurde  das  Bier  aus  den  im  Keller  lagern- 
den Fässern  mittels  zinnerner  Pumpen  gewöhnlicher  Construction,  also  mittels  Säug- 
pumpen in  das  Sohanklocal  befördert.  Die  Verpackung  des  Kolbens  konnte  aber  ohne 
Anwendung  von  fetten  Substanzen  nicht  dicht  gehalten  werden;  das  Bier  nahm  mehr 
oder  weniger  davon  auf  und  erhielt  so  einen  eigentümlichen  Geschmack,  während 
das  Zinn  dem  Biere  einen  besondern  Geruch  und  Geschmack  gab.  Auch  waren 
namentlich  die  sehr  häufig  vorkommenden  Verunreinigungen  des  Zinns  (Blei,  Kupfer, 
Zink,  Arsen)  Veranlassung,  dass  nach  einiger  Zeit  der  Ruhe  das  zuerst  aufgepumpte 
Bier  mit  diesen  Metalloxyden  verunreinigt  war;  in  Belgien  stellten  sich  vor  mehreren 
Jahren  in  Folge  dieses  Umstandes  bei  vielen  Gästen  einer  Restauration  Bleiintoxi- 
cationen  ein. 

Ferner  waren  die  Ventile,  Hähne  u.  s.  w.  grösstenteils  von  Messing  angefertigt, 
wodurch  ebenfalls  Veranlassung  zur  Verunreinigung  mit  giftigen  Metalloxyden  gegeben 
wurde.  Aus  diesen  Gründen  suchte  man  das  wirkliche  Pumpen  des  Bieres  dadurch  zu 
umgehen,  dass  man  mittels  Compressionspumpen  Luft  in  das  Fass  presste  und  so 
das  Bier  durch  einen  am  Boden  des  Fasses  angebrachten  Schlauch  nach  dem  Schank- 
local  drückte;  die  Pumpen  wurden  dann,  um  einen  continuirlichen  Druck  zu  etabliren, 
mit  Windkesseln  versehen.  Diese  Methode  beseitigte  in  der  That  die  eben  erwähnten 
Uebelstände,  nur  verursachten  sie  eine  gleichsam  raschere  Vermischung  des  Bieres 
mit  dem  atmosphärischen  Sauerstoff,  wodurch  zwar  die  ersten  zwei  Drittel  des  Fass- 
inhaltes nichts  an  Güte  verloren,  dagegen  der  Rest  als  schales,  abgestandenes  Bier 
zu  Tage  trat. 

Um  den  Sauerstoff  resp.  die  Einwirkung  desselben  auf  das  Bier  zu  beseitigen  und 
den  Gehalt  an  Kohlensäure  dem  Biere  nicht  allein  nicht  zu  nehmen,  sondern  denselben 
zu  vermehren,  verfiel  man  auf  die  Anwendung  der  Kohlensäure  als  Druckgas. 
Das  Bier  wird  durch  Kohlensäure,  welche  man  aus  kohlensauren  Salzen  mittels  einer 
Säure  in  geschlossenen  Gefässen  entwickelt  und  durch  einen  kleinen  Waschapparat 
leitet,  zum  Schanklocale  gedrückt;  diese  Methode  lässt  nichts  zu  wünschen  übrig,_  wenn 
die  Kohlensäure-Darstellung  mittels  geeigneter  Materialien  geschieht.  Bekanntlich  ist 
die  im  Handel  vorkommende  Salz-  und  Schwefelsäure  stets  arsenhaltig  und  es 
wird  bei  der  Salzsäure  das  in  derselben  als  Arsenchlorür  enthaltene  Arsen  durch 
den  kohlensauren  Strom  mit  fortgerissen  und  schliesslich  dem  Biere  mitgetheilt.  Der 
Arsengehalt  der  Schwefelsäure  ist  von  geringerer  Bedeutung;  dagegen  ist  ihre  Anwen- 
dung beschränkter,  weil  sie  im  Allgemeinen  minder  löslichere  Salze  als  die  Salzsäure 
bildet  und  deshalb  die  Gasgeneratoren  häufig  entleert  und  gereinigt  werden  müssen, 
ausserdem  auch  Schwefelsäure  theurer  ist. 

Es  ist  deshalb  unumgänglich,  dass  keine  gewöhnliche  käufliche, 
sondern  arsenfreie  Salzsäure  zur  Entwicklung  der  Kohlensäure  ange- 
wendet wird,  ein  Umstand,  welcher  in  sanitärer  Beziehung  alle  Beachtung  verdient. 


Eulenberg,  Gewerbe-Hygiene.  34 


530  Die  Pflanzenfaser. 


Die  Pflanzenfaser. 

Cellulose,  Pflanzenfaser  C^rl^Os  stellt  die  Zellenwände  oder  gleichsam  das 
Skelet  aller  Pflanzen  dar;  auch  in  der  Hüllenmembran  aller  Gliederthiere  sowie 
in  der  Haut  der  Seidenraupeu  und  Schlangen  findet  sie  sich.  In  ziemlich  reinem 
Zustande  kommt  sie  im  Marke  der  Pflanzen  und  in  der  Baumwolle  vor. 

Die  mannigfaltigen  Cohäsionsverhältnisse  des  Holzes  werden  durch  die  Holzfaser 
bedingt.")  Chemisch  reine  Cellulose  ist  eine  amorphe,  mehr  oder  weniger  weisse  durch- 
scheinende Masse,  die  erst  nach  der  Behandlung  mit  concentrirter  Schwefelsäure  durch 
Jod  blau  gefärbt  wird. 

Lässt  man  die  Pflanzenfaser,-  d.  h.  ungeleimtes  Papier,  in  einer  Mischung  von 
1  Vol.  concentrirter  Schwefelsäure  und  %  Vol.  Wasser  einige  Secunden  bei  einer  15° 
nicht  übersteigenden  Temperatur  liegen  und  wäscht  sie  dann  mit  Wasser  gut  ab,  so 
verhält  sie  sich  wie  eine  thierische  Haut,  indem  sie  pergamentartig  geworden  ist.  Hierauf 
beruht  die  Fabrication  des  Pergamentpapiers. 

Verdünnte  Salpetersäure  sowie  schmelzendes  Kali  bilden  mit  der  Cellulose 
schliesslich  Oxalsäure. 

Nitrocellulose,  Pyroxylhi,  Schiessbaumwolle  C6H7(N02)305  =  C6H7N3On  wird 
dargestellt,  indem  man  so  viel  Baumwolle  in  ein  Gemisch  von  3  Th.  Schwefel- 
säure von  1,84  spec.  Gew.  und  1  Th.  Salpetersäure  von  1,49  spec.  Gew.  eintaucht, 
als  die  Faser  aufzunehmen  vermag;  andere  ziehen  Kalisalpeter  und  Schwefelsäure 
in  entsprechenden  Verhältnissen  vor. 

Da  die  Baumwolle  des  Handels  stets  Harze,  Fettsubstanzen  u.  s.  w.  enthält,  so 
muss  sie  vorher  durch  Aufweichen  in  warmem  Wasser  und  nach  dem  Auspressen  durch 
vordünnte  Kalilauge  von  diesen  fett-  und  harzähnlichen  Substanzen  befreit  werden.  Nach 
dieser  Entfettung  wird  sie  nochmals  2 — 4mal  mit  reinemWasser,  am  besten  mit  dem 
Condensationswasser  der  Dampfmaschine,  ausgepresst  und  in  mit  Dampf  geheizten 
Cy lindern,  schliesslich  in  Trockenkammern  bei  einer  Temperatur  von  50°  getrocknet. 

Erst  jetzt  beginnt  man  a)  mit  der  Ansäuerung,  indem  die  Baumwolle  in  die 
Säuremischung  gebracht  wird,  die  sich  in  einem  gusseisernen,  wannenartigen  Tauch- 
apparat befindet:  hier  wird  sie  mit  einer  Schaufel  bewegt  und  gelinde  gedrückt;  nach 
wenigen  Minuten  werden  die  Baumwollstränge  zum  Abtropfen  gebracht  und  dann 
noch  einige  Stunden  in  Steinguttöpfen  mit  dem  Säuregemiscn  in  einem  Locale  stehen 
gelassen,  dessen  Temperatur  nicht  über  25°  und  nicht  unter  5°  betragen  darf.  Hierauf 
folgt  b)  die  Entsäuerung,  welche  nach  vorhergehender  Entfernung  des  Säureüber- 
schusses durch  wochenlanges  Liegenlassen  in  fliessendem  Wasser  in  Kochen  mit 
Pottaschenlauge,  Auswaschen  und  Trocknen  besteht,  c)  Der  Silicirungs- 
process  wird  durch  Eintauchen  der  Schiessbaumwolle  in  eine  Lösung  von  Natron  - 
Wasserglas  und  Trocknen  an  der  Luft  bewirkt;  bei  letzterm  zersetzt  sich  das 
kieselsaure  Natrium  und  die  Kieselsäure  schlägt  sich  auf  die  Faser  nieder. 

Ein  nochmaliges  Auswaschen  in  fliessendem  Wasser,  Ausschleudern  und  Trocknen 
bei  35°  beschliesst  diese  Fabrication. 

Die  vielfachen  freiwilligen  Zersetzungen,  welche  bei  der  Schiessbaumwolle  statt- 
finden, scheinen  höchst  wahrscheinlich  mit  einer  mangelhaften  Entsäuerung  oder 
Reinigung  derselben  in  Verbindung  zu  stehen. 


*)  Hier  sind  die  Sägespäne  noch  besonders  zu  erwähnen,  da  sie  bei  ihrer  Auf- 
bewahrung ein  sanitäres  Interesse  darbieten.  In  den  Lagerräumen  sammelt  sich  nämlich 
eine  grosse  Menge  Kohlensäure  neben  Butter-,  Baldrian-,  Ameisen-  und 
Propionsäure  an;  diese  Producte  entstehen  aus  der  Zersetzung  der  Harze  und  des 
Gummis  im  Holze,  sie  kommen  daher  vorzugsweise  bei  Sägespänen  aus  Nadel- 
hölzern vor.  Unter  Umständen  können  daher  solche  Räume  nachtheilig  einwirken 
u  nd  sollten  nie  in  Wohnhäusern  angebracht  werden. 


Schiessbaumwolle.  53^ 

Eine  gute  Schiessbaumwolle  darf  daher  niemals  sauer  reagiren,  weil  sie  sonst  zur 
Zersetzung  geneigt  ist;  bei  diesem  Zersetzungsprocesse  ist  im  Verlaufe  der  Jahre  ein 
vollständiges  Zerfallen  der  Schiessbaumwolle  in  Oxalsäure  und  in  eine  gummiähnliche 
Substanz  ermöglicht. 

Der  englische  Chemiker  Abel  hat  die  Schiessbaumwollindustrie  ganz  bedeutend 
dadurch  gehoben,  dass  er  die  Baumwolle  in  einem  dem  Holländer  der  Papierfabrication 
ähnlichen  Maschine  zerkleinert  und  die  weitere  Reinigung  durch  Umherschlagen  der 
breiförmigen  Masse  in  warmem  Wasser  mittels  einer  besondern  Maschine  (Poaching- 
machine)  vollendet. 

Die  Masse  wird  nach  der  Nitrirung  in  cylindrische  Formen  zuerst  mittels  ein- 
facher Handpressen  und  dann  mittels  starker  hydraulischer  Pressen  verdichtet;  die  ge- 
presste  Masse  füllt  man  in  Pergamentpapier  ein  und  trocknet  sie  bei  60°  auf  eisernen 
Platten. 

Die  comprimirte  Schiessbaumwolle  hat  den  Vorzug,  dass  sie  an  offener 
Luft  ruhig  abbrennt,  auf  Stoss  und  Schlag  nicht  rcagirt  und  erst  durch  stark  geladene 
Zündhütchen  zur  Explosion  gelangt. 

Die  Schiesswolle  unterscheidet  sich  in  ihrer  Structur  gar  nicht  von  der  Baum- 
wolle; sie  ist  nur  rauher  anzufühlen  und  knirscht  bei  der  Berührung,  auch  zeigt  sie 
elektrische  Eigenschaften,  indem  die  geriebenen  Fasern  an  der  trocknen  Hand  haften. 

Bei  der  Bildung  der  Schiesswolle  tritt  Wasser  aus  und  dafür  ein  Theil  der 
Salpetersäure  ein : 

C6H10O6  +  3HN03  =  3H20  +  C6H7N3On. 

Sie  ist  als  ein  Salpetersäure-Aether  aufzufassen,  in  alkoholischem  Aether 
unlöslich  und  entspricht  dem  Nitroglycerin.  Je  nach  der  Menge  der  einwirkenden 
Salpetersäure  bildet  sich  ebenfalls  Mono-,  Di-  und  Trinitrocellulose. 

Bei  der  Verpuffung  im  luftleeren  Raum  findet  sich  unter  den  Verbrennungs- 
producten  stets  Stickoxyd. 

Karolyi1)  hat  die  im  Vacuum  entstandenen  Producte  mit  den  im  lufterfüllten 
Raum  gebildeten  verglichen,   er  fand: 


im  Vacuum 

unter  hohem  Druck 

verbrannt : 

explodirt: 

Kohlenoxyd  .     . 

.     .     28,55 

28,95 

Kohlensäure .     . 

.     .     19,11 

—             20,82 

Grubengas    .     . 

.     .     11,17 

-                7,24 

Stickoxyd      .     . 

.     .       8,33 

Stickstoff .     .     . 

.     .       8,56 

12,67 

Wasserdampf    . 

.     .     21,93 

25,31 

Wasserstoff   .     . 

.     .        — 

—               3,61 

98,15.  —  98,18. 

Karulyi  nimmt  an,  dass  bei  der  erhöhten  Temperatur  das  Grubengas  und  der 
Wasserstoff  dem  Stickoxyd  den  Sauerstoff  entzögen,  wodurch  unter  Abscheidung 
von  Stickstoff  Kohlensäure,  Kohlenoxyd  und  Wasser  gebildet  werden.  Unzweifel- 
haft ist  es,  dass  sich  die  Verbrennungsgase  nach  der  Zusammensetzung  der  Nitrocellulose 
richten,  in  sanitärer  Beziehung  aber  wegen  ihres  beständigen  Gehaltes  an  Kohlen- 
oxyd und  Kohlensäure  ebenso  wie  die  Pulvergase  sehr  zu  beachten  sind;  die  Zer- 
setzungsprocesse verlaufen  übrigens  nicht  so  einfach,  wie  sie  der  Theorie  nach  dar- 
gestellt werden.  Unter  Umständen  werden  gewiss  auch  Stickoxyd,  salpetrige 
Säure  und  Cyan  auftreten  können,  wie  dies  auch  durch  folgende  Methode  nach- 
zuweisen ist. 

Von  der  Gegenwart  einer  Cyanverbindung  kann  man  sich  nämlich  leicht  über- 
zeugen, wenn  man  in  einem  gewöhnlichen  Reagenscylinder  eine  kleine  Menge  Schiess- 
wolle detoniren  lässt,  dann  einige  Tropfen  verdünnter  Kalilauge  und  verwittertes  Eisen- 
vitriol zugibt,  durch  Schütteln  die  Absorption  der  Gase  begünstigt  und  nun  mit  Salz- 
säure übersättigt;  es  tritt  dann  eine  starke  Bläuung  ein  und  in  der  Ruhe  scheidet  sich 
Berlinerblau  ab 

Höchst  wahrscheinlich  wird  das  Kohlenoxyd  von  Cyan  und  die  Kohlensäure 
von  Cyanwasserstoff  begleitet  sein.  Bei  Verbrennungen  im  geschlossenen  Räume  ist 
die  Kohlensäure  stets  ein  Secundärproduct  und  zwar  entstanden  durch  die  Einwir- 
kung von  Sauerstoff  des  Wassers  auf  das  Kohlenoxyd  bei  einer  sehr  hohen  Tem- 
peratur; dieses  Wasser  ist  nicht  präexistirend,  sondern  ebenfalls  als  das  Product  der 
wasserstoffhaltigen  Verbindungen  des  explodirenden  Körpers  zu  betrachten.  Indem  der 
Sauerstoff  des  Wassers  vom  Kohlenoxyd  attaquirt  wird,  bildet  sich  Kohlensäure 
neben  frei  werdendem  Wasserstoff,  der  entweder  direct  zum  Stickstoff  treten  und 
Ammoniak  erzeugen  oder  aber  die  Kohlenstoffverbindung  des  Stickstoffs,  Cyan,  bilden 
kann.     Die  Schiessbaumwolle  verbrennt  übrigens  ohne  Rauch  und  Rückstand. 

34* 


5^2  Die  Pflanzenfaser. 

Die  Verwendung  der  Schiessbaumwolle  für  Feuerwaffen  ist  wegen  ihrer  stark 
explosiven  Wirkung  und  wegen  der  leichten  Oxydation  der  Metalle  durch  die  sauren 
Vcrhrennungsproducte  noch  nicht  gelungen.  In  England  benutzt  man  sie  hauptsächlich 
als  Sprengladung  für  Hohlgeschosse  und  Torpedos:  die  grosse  Spannung  und  die  Menge 
der  bei  der  Verbrennung  entstehenden  Gase  werden  eben  vorzugsweise  als  Trieb-  und 
Sprengkraft  benutzt.  Zum  Sprengen  von  Tunnels,  Minen,  Brücken,  Gesteinen  u  s.w. 
ist  sie  ein  vortreffliches  Mittel:  in  Minen  und  Bergwerken  ist  sie  nur  bei  der  kräf- 
tigsten Ventilation  zu  gebrauchen,  weil  die  Mannschaften  durch  die  giftigen  Verbrennungs- 
produete  in  grosse  Gefahr  versetzt  wurden.  Dabei  ist  der  Gehalt  an  Grubengas 
insofern  heachtungswerth,  als  das  Gasgemisch  entzündlich  ist,  wenn  es  mit  einem 
Lieht  u.  s.  w.  in  Berührung  kommt:  man  sollte  daher  die  Schiessbaumwolle  bei  unter- 
irdischen Anlagen  als  Sprengmittel  nicht  verwerthen. 

Bei  der  Verpackung  hat  man  mit  Papier  gefütterte  Kisten  benutzt,  in  welche  die 
Schiessbaumwolle  nicht  zu  fest  eingedrückt  wird;  man  kann  sie  auch  in  Blechbüchsen 
einpacken,  welche  man  in  mit  gebranntem  Kalk  beschickten  Kisten  zusammenstellt.  Im 
Allgemeinen  müssen  die  für  den  Transport  des  Schiesspulvers  geltenden  Vorschriften 
auch  für  Schiessbaumwolle  massgebend  sein.  Die  comprimirte  Schiessbaumwolle  wird 
für  am  besten  transportfähig  gehalten. 

Collodinni  C6H803(N03)2  =  C6H8N209  ist  die  Auflösung  einer  höher  nitrirten 
Schiessbaumwolle  in  einem  Gemisch  von  Alkohol  und  A  et  her:  es  ist  ebenfalls 
ein  Salpetersäure- Aether,  aber  weniger  entzündlich  und  verbrennt  beim  Entzünden 
langsam. 

Anwendung  findet  das  Collodium  vorzugsweise  in  der  Photographie,  wo  es  zum 
Präpariren  der  zu  exponirenden  Platten  und  des  photographischen  Papiers  ein  unent- 
behrliches Mittel  geworden  ist;  auch  dient  es  zur  Darstellung  leichter  Ballons  und  als 
Schutzmittel  gegen  das  Anlaufen  von  Silberwaaren.  In  der  Medicin  gebraucht  man  es 
als  schützende  Wunddecke  oder  als  Einhüllungsmittel  für  reizende  Mittel  (Collodium 
cantharidatum).    Das  sogenannte  elektrische  Papier  ist  eine  Collodiumhaut. 

Bei  der  fabrikmässigen  Darstellung  der  Pyroxylsubstanzen  ist  in 
sanitärer  Beziehung  zu  bemerken,  dass  sich  bei  dem  Eintauchen  der  Baum- 
wolle in  das  Säuregemisch  stets  viel  salpetrige  und  Untersalpetersäure 
entwickeln,  welche  nachtheilig  auf  die  Arbeiter  einwirken  können,  zumal  jenes 
in  einem  Gefässe  mit  breiter  Oberfläche  unter  häufigem  Eindrücken  vorgenommen 
werden  muss;  am  zweckmässigsten  geschieht  diese  Procedur  unter  einem  gut 
ziehenden  Schornsteinbusen,  um  die  Dämpfe  möglichst  schnell  aus  der  Athmungs- 
zone  der  Arbeiter  abzuleiten. 

Beim  Auspressen  der  Baumwolle  wiederholt  sich  diese  Entwicklung  von 
sauren  Dämpfen  ganz  besonders;  gewöhnlich  färbt  sich  das  Gesicht  der  Arbeiter 
gelb  und  die  Nasenflügel  werden  geröthet  und  wund,  auch  an  den  Händen  kommen 
häufig  Excoriationen  vor.  Der  Gebrauch  von  nicht  vulcanisirten  Kautschukhand- 
schuhen würde  hier  am  Platze  sein. 

Man  sollte  ausserdem  den  Versuch  machen,  die  Imprägnation  der  Baumwolle 
in  gusseisernen  Gefässen  vorzunehmen  und  das  innige  Durchtränken 
derselben  mittels  gusseiserner  Walzen  zu  bewerkstelligen;  der  ganze 
Apparat  könnte  in  einem  Glasverschlag,  welcher  mit  einem  gut  ziehenden 
Schornstein  in  Verbindung  steht,  aufgestellt  werden. 

Die  Gesundheit  der  Arbeiter  kann  durch  diesen  Act  ganz  zerrüttet  werden, 
wenn  dabei  die  notwendigen  Präventivmassregeln  ausser  Acht  bleiben.  In 
kleinern  Fabriken  wird  diese  Manipulation  auf  freiem  Hofe  vorgenommen,  so  dass 
sich  die  Arbeiter  bei  einiger  Vorsicht  mehr  vor  den  Dämpfen  schützen  können; 
für  die  Adjacenten  werden  diese  dann  aber  um  so  belästigender. 

Die  Waschwässer  können  Spuren  von  Pikrinsäure  und  Oxalsäure  ent- 
halten, namentlich  wenn  die  Baumwolle  noch  Samenkapseln  enthielt:  man  sollte  sie  nie 
frei  abfliessen  lassen,  sondern  stets  mit  Kalkmilch  versetzen,  es  sei  denn,  dass  eine 
grosse  Menge  Wassers   zur  Anwendung  gekommen   und  eine  hinreichende  Verdünnung 


Die  Papierindustrie.  533 

der  etwaigen  schädlichen  Beimengungen  stattgefunden  hat.  Dabei  ist  nicht  zu  übersehen, 
dass  auch  beim  Auswaschen  aller  nitrirter  Körper  noch  eine  reichliche  Entwicklung  von 
Untersalpetersäure  stattfindet,  deren  Einwirkung  auf  die  Arbeiter  möglichst  zu 
vermeiden  ist. 

Bei  einem  grossartigen  Betriebe  sind  auch  die  Waschwässer,  welche  vom 
Entfetten  der  Baumwolle  herrühren,  ohne  Kalkzusatz  nicht  abzulassen,  weil  sie 
sonst,  wenn  sie  nicht  in  ein  stark  füessendes  Wasser  gelangen,  einem  Fäulnissprocesse 
anheimfallen. 

Bezüglich  des  Collodiums  ist  zu  erwähnen,  dass  manche  Phatographen  sehr 
von  den  Aetherdämpfen  belästigt  werden,  welche  bei  Behandlung  der  Platten  mit 
Collodium  entstehen.  In  einem  eoncreten  Falle  konnte  ein  Photograph  wegen  beständig 
wiederkehrenden  Unwohlseins,  namentlich  wegen  permanenten  Kopfschmerzes  und  starken 
Schwindels,  sein  Geschäft  nicht  mehr  fortsetzen;  auch  war  sein  in  einer  organischen 
Lungenkrankheit  wurzelnder  Husten  ganz  bedeutend  schlimmer  geworden;  er  ging 
später  an  Tuberculose  zu  Grunde. 

Zu  den  Pyroxylinsubstanzen  gehören  noch  das  Pvropapier,  das  zu  Zünd- 
spiegeln benutzt  worden  ist,  das  Sek  «//.e'sche  Pulver,  weisses  Schiess-  oder  Spreng- 
pulver, dem  nitrirte  Holzsubstanz  zu  Grunde  liegt,  das  Lan  no.y'sche  Pulver  fauch 
Lithofracteur  genannt),  welches  aus  Schwefel,  Natronsalpeter  und  nitrirtem  Holz,  Säge- 
mehl oder  Kleie  besteht.  Das  Pulver  von  v.  üchatius  enthält  Nitro  stärke  (Xyloidin, 
Pyroxani). 

Wenn  die  Schiessbaumwolle  aus  Hanf  dargestellt  wird,  so  kann  wegen  eines 
etwaigen  Gehaltes  mancher  Hanfarten  an  Stärkemehl  die  gleichzeitige  Bildung  von 
Xyloidin  stattfinden  und  dadurch  das  Präparat  höchst  explosiv  werden. 

Die  Pflanzenfaser  ist  das  wichtigste  Material  für  die  Papierfabrication; 
in  industrieller  Beziehung  reiht  sich  daher  die  Papierindustrie  zunächst  hier 
an,  um  dann  den  Uebergang  zur  Textilindustrie,  zur  Baumwoll-  und 
Leinenindustrie  zu  bilden. 


Die  Papierindustrie. 

Erst  im  13.  und  14.  Jahrhundert  wurde  Papier  aus  leinenen  Lumpen 
fabricirt;  die  erste  Fabrik  dieser  Art  soll  in  Nürnberg  errichtet  worden  sein.  In 
Frankreich  finden  sich  die  ersten  Papiermühlen  im  16.  Jahrhundert  und  erst 
gegen  Ende  desselben  bemächtigten  sich  die  Engländer  dieser  Industrie.  Als  die 
Protestanten  aus  Frankreich  vertrieben  wurden  und  viele  derselben  sich  nach 
Holland  begaben,  war  es  besonders  die  Papierfabrication,  welche  durch  diese 
Flüchtlinge  bedeutend  eultivirt  und  gehoben  wurde:  die  Erfindung  der  Cylinder- 
mühle,  des  sogenannten  Holländers,  liefert  hierfür  den  sprechenden  Beweis. 
Schon  im  Jahre  1719  wies  Reaumier  nach,  dass  man  Papier  aus  Holz  fabriciren 
kann,  und  in  Deutschland  begann  man  schon  im  Jahre  1756  mit  der  Darstellung 
des  Papiers  aus  Stroh. 

Das  Papierinaterial.  Das  wichtigste  Material  bilden  die  leinenen  Lumpen, 
weil  sie  das  beste  und  stärkste  Papier  liefern;  baumwollene  Lumpen  liefern 
ein  lockeres  und  rauhes  Papier  und  werden  deshalb  mit  leinenen  Lumpen  ver- 
mischt bearbeitet.  Wolle  und  Seidenstoffe  können  nicht  benutzt  werden^ 
weil  ihre  Fasern  nicht  hohl  sind..  Flachs  und  Hanf  werden  ausnahmsweise 
benutzt  und  zwar  letzterer  vorzugsweise  zur  Fabrication  des  Banknoten- 
papiers,  Werg  für  die  Darstellung  von  Packpapier  und  Bauspapier.  Aus 
alten  Seilen,  Stricken  und  Tauen  fabricirt  man  in  England  vielfach  Tapeten- 
papier. Holz  und  Stroh  sind  in  neuerer  Zeit  die  wichtigsten  Surrogate  der 
Lumpen  geworden;  man  unterscheidet  daher  die  Holzzeug-  und  Papier  zeug- 
fabrication. 


534  Die  Pflanzenfaser. 


1.    Holz-  und  Strohzeugfabrication. 

Zur  Holzzeugfabrication  werden  verschiedene  Maschinen  benutzt,  welche 
1)  die  Zersetzung.  2)  das  Sortiren  und  3)  die  Breierzeugung  bezwecken.  Ausser 
diesem  mechanischen  Verfahren  gebraucht  man  auch  chemische  Agentien, 
wie  kaltes  und  heisses  Königswasser  und  namentlich  alkalische  Flüssig- 
keiten. 

Bei  den  Säuren  verwendet  man  Steingutbehälter  oder  hölzerne  Bottiche  mit  einem 
Boden  von  Granit,  bei  den  Alkalien  geschlossene  eiserne  Cylinder,  in  deren  Umhüllung 
Dampf  eingeleitet  wird,  um  eine  Erhitzung  von  145 — 152°  (8 — 10  Atmosphärendruck) 
zu  erzeugen.     Das  Bleichen  geschieht  durch  Chlorkalk. 

Einige  Fabriken  vereinigen  mit  der  Zerfaserung  des  Holzes  eine  Ueberführung  der 
incrustirenden  Materien  (Gummi,  Prote'instoffe)  in  Zucker. 

Strohzengfahrication.  Das  zu  Häcksel  verschnittene  Stroh  wird  in  grossen 
Eisenblechcylindern  mit  kalter,  aus  Soda  und  Kalk  bereiteter  Natronlauge  aus- 
gelaugt, um  die  incrustirende  Materie  möglichst  zu  entfernen,  ohne  die  Kieselsäure 
anzugreifen. 

Das  Dämpfen  und  Waschen  des  Strohs  geschieht  dann  in  Dämpfkesseln 
mittels  überhitzter  Dämpfe,  nachdem  die  Natronlauge  abgelassen  ist;  es  wird  abwechselnd 
gedämpft  und  warmes  Wasser  zugeleitet,  um  die  Aufschliessung  der  Kieselsäure 
zu  bewirken,  die  sich  zunächst  in  kieselsaures  Natrium  umwandelt  und  dann  mittels 
des  heissen  Wassers  ausgewaschen  wird. 

Das  Bleichen  und  Zermalmen  der  Strohmasse  geschieht  in  einem 
Holländer  mittels  Chlorkalks  (s.  Papierfabrication) :  der  Brei  wird  aber  noch  zwischen 
zwei  Mühlsteine  behufs  Zermalmung  von  Knoten,  Aehren  u.  s.  w.  geleitet,  ehe  er  ent- 
weder als  solcher  in  den  Handel  kommt  oder  direct  auf  Papier  verarbeitet  wird. 

Einige  Fabriken  behandeln  das  Stroh  wie  das  Holzzeug  mit  kaltem  oder 
heissem  Königswasser,  worauf  dann  Waschen,  Mahlen,  abermaliges  Waschen  und 
Bleichen  folgen.1) 

Bei  dieser  Fabrication  haben  die  Waschwässer  ein  besonderes  sanitätspolizei- 
liches Interesse,  da  sie  bei  der  Behandlung  mit  Säuren  stets  sauer  reagiren  und  bei 
der  Benutzung  der  Natronlauge  sehr  kalkhaltig  sind  und  in  Folge  des  Bleichens  meist 
auch  Chlorverbindungen  enthalten:  ihr  freier  Abfluss  in  kleine  Bäche»  tödtet  alle 
Fische  und  macht  das  Wasser  zu  öconomischen  oder  technischen  Zwecken  unbrauchbar. 
Dabei  sind  die  Abfallwässer  blau,  grün  oder  grau  und  färben  sämmtliches  Wasser  in 
kleinen  Flüssen;  in  stehenden  Gräben  oder  in  Wasserläufen  mit  schwachem  Gefälle  geben 
sie  auch  wegen  des  Gehaltes  an  organischen  Bestandteilen  nicht  selten  zu  Fäulniss- 
processen  Anlass. 

In  einem  concreten  Falle  Hess  eine  Papierfabrik,  die  Stroh  und  Holz  verarbeitete, 
alle  Abfallwässer  frei  in  einen  kleinen  Bach  fliessen,  so  dass  alle  Fische  zu  Grunde 
gingen.     1  Kubikmeter  des  Bachwassers  enthielt  in  Grammen 

Chlor:     Schwefelsäure:     Kalk:     Magnesia:     Organ.  Stoffe: 
oberhalb  der  Papierfabrik     24,S1  Spuren  72,0  7.2  128,0 

an  der  Fabrik  .     .     ,     .     .       227,2  182,4  173,0  13,6  387,0 

unterhalb  der  Fabrik      .       347,9  31,6  103.04  13,6^  5904,0. 

Noch  weiter  von  der  Fabrik  entfernt  war  das  Wasser  bereits  von  fauliger  Be- 
schaffenheit. 

Klärbassins  sind  hier  zunächst  erforderlich,  damit  sich  die  Hauptmasse  von 
Alkalien  und  Farbstoffen  absetzt:  die  alkalischen  Rückstände  können  zwar  durch  Ein- 
dampfen wieder  gewonnen  werden,  die  meisten  Fabricanten  befassen  sich  aber  ungern 
mit  diesem  Verfahren.2) 

Saure  Wässer  müssen  jedenfalls  neutralisirt  werden,  ehe  sie  mit  vielem  Wasser 
verdünnt  zum  Abfluss  gelangen.  Es  ist  leicht  ersichtlich,  dass  solche  Fabrikanlagen  nur 
in  die  Nähe  grosser  Wasserläufe  gehören,  um  im  Abfluss  ihrer  Wässer  weniger  be- 
hindert zu  sein  (s.  Bleichen  der  Papiermasse). 

2.  Papierzeugfabrication. 

Die  Abfälle  von  gewebten  Stoffen,  die  Lumpen,  Hadern  oder  Stratzen, 
stellen  stets  das  gebräuchlichste  Papiermaterial  dar,  weshalb  auch  der  Lumpen- 
handel eng  mit  der  Papierindustrie  verknüpft  ist. 


Die  Papierindustrie.  585 

Dass  durch  alte  Lumpen  ansteckende  Krankheiten,  namentlich  Krätze  und 
Pocken  verschleppt  werden  können,  ist  nicht  unwahrscheinlich,  positive  Thatsachen 
hierüber  liegen  aber  nicht  vor.  Seitens  der  Polizei  lassen  sich  hierbei  keine  besondern 
Massregeln  ergreifen:  als  ein  Schutzmittel  gegen  mögliche  Ansteckungen  bei  der  Be- 
handlung der  Lumpen  ist  das  Besprengen  derselben  mit  Terpentinöl  empfohlen 
worden.  Bei  epidemischem  Auftreten  der  Pocken  könnten  übrigens  von  einzelnen 
Polizeibehörden  nötigenfalls  solche  Massnahmen  angeordnet  werden  und  zwar  um  so 
eher,  als  dieses  Verfahren  leicht  auszuführen  ist  und  der  Verwerthung  des  Materials 
keinen  Schaden  bereitet. 

Auch  bezüglich  der  Verbreitung  von  Krätze  durch  alte  Lumpen  sollte  dieses 
einfache  Mittel  häufiger  angewendet  werden,  da  bekanntlich  Terpentinöl  nicht  nur  den 
Sarcoptes  scabiei  tödtet,  sondern  auch  auf  die  meisten  andern  Insecten  tödtlich  einwirkt. 

Das  Lagern  der  Lampen.  Dieses  darf  nur  in  trocknen  und  luftigen  Blumen  ge- 
schehen, auch  sollte  stets  erst  die  polizeiliche  Erlaubniss  dazu  nachgesucht  werden, 
da  Lumpenlager  für  die  Nachbarschaft  durch  die  Heranziehung  von  Ungeziefer  jeder 
Art  lästig  werden.  Feuchte  Räume  und  Keller  dürfen  als  Lagerplätze  nicht  geduldet 
werden,  weil  Lumpen  vor  jeder  Nässe  geschützt  werden  müssen;  feuchte  Lumpen  ent- 
wickeln nämlich  übelriechende  Zersetzungsproducte  und  zwar  unter  Wärmeentwicklung, 
welche  sich  bis  zur  Entzündung  steigern  kann.  Da  auf  diese  Weise  feuchte  Lumpen 
sogar  Brand  erzeugen  können,  so  ist  Grund  genug  vorhanden,  den  Lumpenlagern  eine 
polizeiliche  Ueberwachung  zu  widmen;  die  Räume  müssen  so  luftig  und  trocken  sein, 
dass  feuchte  Lumpen  alsbald  zum  Austrocknen  gelangen  können. 

Das  Sortiren  der  Lampen  wird  schon  von  den  Sammlern  und  Händlern  vor- 
genommen, geschieht  aber  mit  grösserer  Sorgfalt  in  den  Papierfabriken;  dasselbe  ist 
stets  mehr  oder  weniger  mit  Entwicklung  von  Staub  verbunden,  weshalb  bisweilen 
chronische  Augenentzündungen  als  Folgen  dieser  Beschäftigung  auftreten. 

Auf  das  Sortiren  folgt  das  Verpacken,  wobei  die  Lumpen  oft  mit  den  Füssen 
getreten  werden  und  eine  bedeutende  Staub -Atmosphäre  veranlassen.  Beim  Entleeren 
der  Säcke  und  Ballen  in  den  Papierfabriken  wiederholt  sich  dieser  Staub,  welcher  über- 
haupt als  der  nachtheiligste  Factor  hierbei  zu  betrachten  ist. 

Hier  ist  das  Sortiren  als  ein  Vorbereitungsact  für  die  eigentliche  Papierfabrication 
zu  betrachten,  da  es  sich  darum  handelt,  die  baumwollenen,  wollenen,  seidenen,  ge- 
färbten u.  s.  w-  Lumpen  von  den  leinenen  zu  trennen,  alle  möglichen  Unreinigkeiten  weg- 
zuschaffen und  Nähte  und  Säume  wegzuschneiden.  Nach  den  Hauptgattungen  des  dar- 
zustellenden Papiers  sondert  man  nun  die  Sorten  der  Lumpen;  grosse  und  luftige 
Räume  sind  für  diese  Beschäftigung  absolut  erforderlich  und  bei  grossem  Betriebe  mit 
einem  Exhaustor  zu  versehen. 

A.  Präparation  der  Lumpen  für  die  Papierfabrication.  Die  Lumpen  erfordern 
besonders  bei  der  Darstellung  von  weissem  Papier  eine  sorgfältige  Präparation.  Man 
unterscheidet  1)  das  Zerschneiden  derselben,  welches  mittels  besonderer  Maschinen, 
Lumpenschneider,  geschieht. 

2)  Zur  mechanischen  Reinigung  und  Auflockerung  der  zerschnittenen 
Lumpen  dient  der  sogen.  Lumpen-Wolf,  der  viel  Staub  aufwirbelt  und  die  Arbeiter 
erheblich  belästigen  kann.  Exhaustoren  sind  auch  hier  am  Platze  und  es  müssen 
sowohl  für  das  Wolfen  als  für  das  darauf  folgende  Sieben  besondere  Locale  benutzt 
werden. 

Das  Sieben  geschieht  in  horizontal  liegenden  Trommeln,  deren  Seitenflächen  aus 
Drahtgitter  bestehen,  durch  welches  die  Unreinigkeiten  herausgeworfen  werden.  Die 
Trommel  muss  unbedingt  mit  einem  hölzernen  Kasten  umgeben  sein,  aus  welchem  ein 
hölzerner  Schlauch  in's  Freie  führt,  obgleich  auch  hier  die  Mitwirkung  eines  Exhaustors 
vorzuziehen  ist,  um  den  Staub  durch  kräftigern  Luftzug  fortzuführen;  die  betreffenden 
Einrichtungen  können  noch  so  verschieden  sein,  wenn  nur  diesem  Umstände  Rechnung 
getragen  wird. 

3)  Die  nasse  Reinigung  der  Lumpen  ist  dem  Beuchen  der  Leinwand  oder 
Baumwolle  sehr  ähnlich  und  geschieht  mittels  Wasserdämpfe  in  cylinderartigen  Gefässen 
oder  in  Bottichen  mit  einem   zweiten  durchlöcherten  Boden. 

Feine  und  weisse  Lumpen  wei'den  vorher  in  einer  Lösung  von  Pottasche  oder 
gereinigter  Soda,  grobe,  ungebleichte  und  farbige  Lumpen  in  Holzaschenlauge  und 
Kalkmilch  und  das  gröbste  Material  nur  in  Kalkmilch  eingeweicht. 

Beigemengte  wollene  und  seidene  Lappen  werden  durch  die  Alkalien  zerstört: 
es  färbt  sich  die  Masse  unter  Entwicklung  von  ammoniakalischen  und  übel- 
riechenden Dämpfen  roth. 

Die  schwach  alkalischen  Waschwässer  dürfen  niemals  in  Schlinggruben, 
sondern  müssen  in  Abflusscanäle  oder  fliessendes  Wasser  abgelassen  werden. 


535  Die  Pflanzenfaser. 

Statt  des  Beuchen s  wandte  man  früher  das  Faulen  oder  Maceriren  der 
Lumpen  an,  um  ihre  Umwandlung  in  Halbzeug  vorzubereiten,  sowie  die  Farben 
zu  zerstören  und  einen  gewissen  Grad  von  Bleichung  hervorzurufen.  Zu  diesem 
Zwecke  weichte  man  die  zerschnittenen  Lumpen  in  Bottichen  (Faulbütten)  mit  so  viel 
Wasser  ein,  dass  sie  ganz  davon  durchtränkt  wurden:  man  stampfte  sie  fest  zusammen 
und  Hess  sie  mehrere  Tage  in  einem  bis  zu  19 — 21°  C.  erwärmten  Räume  stehen.  Es 
entstand  ein  Fäulniss-  und  Gährungsprocess,  in  Folge  dessen  sich  die  gefaulten 
Lumpen  zwar  schneller  und  leichter  bearbeiten  Hessen,  dagegen  war  das  daraus  an- 
gefertigte Papier  weniger  fest  und  bedurfte  späterhin  einer  stärkern  Leimung. 

Wendet  man  dieses  Verfahren  bei  groben  und  ungebleichten  Lumpen  an, 
so  müssen  sie  ein  paarmal  während  dieses  Processes  umgekehrt  werden,  um  eine  zu 
grosse  Erwärmung  zu  verhüten,  wodurch  eine  erhebliche  Belästigung  für  die  Arbeiter 
entstehen  kann. 

Die  Fäulniss wä  ss  er  enthalten  die  flüchtigen  Fettsäuren  und  je  nach  der 
Färbung  der  Lumpen  auch  giftige  Metalloxyde,  weshalb  sie  unter  allen  Umständen  mit 
Kalk  versetzt  werden  müssen,  ehe  man  sie  frei  abfliessen  lässt. 

B.  Fabrikation  des  Halbzeugs  (Defilage).  Die  Zerkleinerung  der  zerschnittenen 
und  gereinigten  Lumpen  zu  feinen  Fasern  geschieht  in  der  Papiermühle  (Geschirr) 
und  zwar  entweder  nach  der  deutschen  oder  holländischen  Methode,  von  denen 
die  erstere  fast  gar  nicht  mehr  vorkommt  Das  Stampf-  oder  Hammergeschirr 
besteht  hierbei  aus  Stampfern  oder  Hämmern,  die  sich  abwechselnd  auf-  und  abbewegen. 

Die  holländische  Stoss-  oder  Walzenmühle  ist  fast  überall  eingeführt  und 
besteht  aus  einem  3  Meter  langen  und  1  Y2  Meter  breiten  Troge  von  Holz,  Stein  oder  von 
Eisen,  das  innen  cementirt  ist;  eine  senkrechte,  nach  der  Längsachse  laufende  Zwischen- 
wand theilt  diesen  Raum  in  zwei  Hälften  und  hat  oben  und  unten  einen  freien  Raum 
für  die  Circulation  des  Papierzeugs.  Auf  dieser  Zwischenwand  und  einer  Seitenwand 
des  Troges  ruht  eine  aus  Holz  oder  Gusseisen  angefertigte  und  mit  Schneiden 
besetzte  Trommel,  unter  welcher  sich  der  sogenannte,  ebenfalls  mit  Schneiden  besetzte 
Kropf  befindet.  Der  Halbzeugholländer  dient  zur  Zerfaserung  der  Lumpen  und 
liefert  das  Halbzeug. 

Das  Bleichen  des  Halbzeugs.  Bei  der  Fabrication  des  weissen  Papiers  ist 
das  Bleichen  nicht  zu  umgehen;  benutzt  man  Chlor  gas,  so  breitet  man  das  Halbzeug 
in  hölzernen  Kasten  mit  durchlöcherten  Brettern  aus.  Aus  Ziegeln  construirte  Bottiche 
müssen  mit  Cement  verputzt  und  mit  Leinöl  oder  Steinkohlentheer  getränkt  werden. 
Nach  beendigter  Zuleitung  des  Chlors  und  hinreichender  Einwirkung  des  Gases  darf 
man  die  betreffenden  Behälter  erst  öffnen,  nachdem  das  überschüssige  Gas  in  den 
Schornstein  abgeleitet  worden  ist  (s.  S.  49). 

Im  Rückstande  bleibt  nur  wenig  Salzsäure  nebst  den  Metalloxyden,  die 
etwa  noch  in  den  Lumpen  vorhanden  gewesen  sind;  von  ihrer  Beschaffenheit  hängt  es 
ab,  ob  man  den  Abfluss  dieses  Rückstandes  in  fliessendes  Wasser  gestatten  darf.  Kalk- 
milch ist  in  der  Regel  das  geeignetste  Mittel,  um  die  schädlichen  Substanzen  aus- 
zuscheiden: in  grossen  Fabriken  kann  sogar  die  Ausscheidung  von  Blei  und  Kupfer 
nutzbringend  sein. 

Beim  Bleichen  mit  Chlorwasser  schüttet  man  das  Chlorwasser  in  hölzerne 
ausgepichte  Bottiche  auf  das  feuchte  und  locker  gezupfte  Halbzeug,  deckt  das  Gefäss 
sorgfältig  zu,  rührt  bisweilen  um  und  lässt  das  Wasser  nach  4 — 5  Stunden  ab. 

Die  Abflusswässer  sind  wie  beim  Bleichen  mit  Chlorgas  zu  behandeln;  hat 
man  aber  noch  nachträglich  zur  Abscheidung  der  Metalloxyde  ein  schwaches  Schwefel- 
säurebad benutzt,  so  ist  stets  ein  Kalkzusatz  nothwendig. 

Die  ganze  Methode  ist  für  die  Arbeiter  sehr  belästigend,  wenn  sie  in  offenen 
Bottichen  geschieht;  diese  sind  daher  stets  mit  Einrichtungen  zur  Ableitung  des  nicht 
absorbirten  Gases  zu  versehen  Auch  muss  das  Bereitungsgefäss  für  Chlorwasser  mit 
einem  Rohr  behufs  Zuleitung  eines  Dampfstrahls  versehen  sein,  der  das  Chlorwasser  in 
den  Bleichbottich  überführt,  weil  der  hydrostatische  Druck  zur  vollständigen  Anfüllung 
desselben  nicht  ausreicht;  mit  dem  Bereitungsgefässe  stehen  oft  5-6  Bleichbottiche  in 
Verbindung. 

Das  Bleichen  mit  Chlorkalklösung  geschieht  bisweilen  schon  im  Halb- 
Holländer,  namentlich  bei  den  gröbern  Papiersorten,  da  bei  diesen  stets  etwas  Kalk 
zurückbleibt.  In  diesem  Falle  setzt  man  die  Chlorkalklösung  den  Lumpen  im  Halbzeug- 
holländer 1  Stunde  lang  zu  und  „verschlägt"  den  Holländer,  d.  h.  man  hebt  den  Wasser- 
wechsel, den  Abfluss  des  schmutzigen  und  den  Zufluss  des  reinen  Wassers  für  diese 
Zeit  auf.  Da  aber  das  Metall  des  Holländers  durch  die  Chlorkalklösung  leicht  ange- 
griffen wird,  so  ist  hier  das  Bleichen  mit  einer  alkalischen  Flüssigkeit,  z.  B.  mit  Eau  de 
Javelle,  vorzuziehen. 

Setzt  man  der  Chlorkalklösung  Schwefelsäure   zu,   um   die   Chlorentwicklung 


Die  Papierindustrie.  537 

zu  beschleunigen ,  so  kann  der  sich  bildende  Gips  durch  Auswaschen  entfernt  werden, 
wenn  er  nicht  absichtlich  zum  Beschweren  des  Papiers  erzeugt  worden  ist. 

Diese  in  mancher  Beziehung  höchst  lästigen  Waschwässer  lassen  sich  ganz  gut 
verwerthen,  wenn  man  sie  mit  Glaubersalz  versetzt,  weil  sich  dadurch  ein  krystal- 
linischer  Gips  bildet,  welcher  zum  Satiniren  des  Papiers,  namentlich  in  Tapetenfabriken, 
benutzt  werden  kann,  da  er  dem  Papier  einen  atlasähnlichen  Ueberzug  verleiht.  Das 
hierbei  abfallende  Wasser  enthält  nur  Kochsalz;  benutzt  man  Essigsäure  oder 
Kohlensäure  zur  Entwicklung  von  Chlor  aus  dem  Chlorkalk,  so  bildet  sich  im  erstem 
Falle  ein  lösliches,  im  zweiten  ein  unlösliches  Calciumsalz.  Wird  die  Kohlensäure 
zu  diesem  Zwecke  aus  Koks  entwickelt,  so  tritt  auch  gleichzeitig  schweflige  Säure 
auf,  die  zuerst  saures  schwefligsaures,  nachher  schwefelsaures  Calcium  nebst  freier 
Schwefelsäure  bildet.  Häufig  ist  das  Mürbewerden  des  fertigen  Papiers,  welches  ge- 
wöhnlich dem  Chlor  zugeschrieben  wird,  nur  durch  die  aus  den  Koks  entwickelte 
schweflige  Säure  bedingt. 

Nach  dem  Chloriren  müssen  die  gebleichten  Zeuge  mit  Natriumsulfit  anti- 
chlorirt  werden. 

C.  Fabrication  des  Ganzzeuges  (Raffinage).  Nach  einem  sorgfältigen  Anti- 
chloriren  und  Waschen  des  Halbzeugs  mittels  besonderer  Waschtrommeln  gelangt 
dieses  auf  den  Ganzzeugholländer,  der  mit  mehr  Schneiden  besetzt  ist,  dem  Kröpfe 
näher  steht  und  sich  schneller  bewegt,  um  das  Ganzzeug,  den  feinen  Papierbrei, 
zu  verarbeiten;  man  lässt  diesen  in  Kasten  mit  Drahtböden  laufen,  presst  ihn  aus  und 
trocknet  mittels  Centrifugen. 

Man  pflegt  im  Ganzzeugholländer  dem  Papierzeuge  mineralische  Substanzen  von 
weisser  Farbe  zuzusetzen,  um  dem  unvollkommen  gebleichten  Zeuge  eine  bessere  Weisse 
zu  geben,  oder  auch  um  das  absolute  Gewicht  des  Papiers  zu  erhöhen;  der  letztere 
Grund  ist  gegenwärtig  bei  den  Fabricanten  häufig  massgebend. 

Zu  diesen  Substanzen  gehören:  weisser  Thon,  Lenzin,  Kaolin,  unge- 
brannter Gips  oder  selbst  Zinkweiss,  Bariumsulfat  und  Bleisulfat;  man 
nennt  sie  chemische  Bleichmittel.  Um  auch  den  schwächsten  gelblichen  Schein 
zu  tilgen  und  dem  Papier  einen  bläulichen  Schimmer  zu  geben,  setzt  man  dem 
Ganzzeuge  oft  Smalte,  Ultramarin,  Indigo  oder  Berlinerblau  zu. 

P  apier  zusatz.  Unter  Papierzusatz  versteht  man  verschiedene  Papiersorten, 
welche  dem  Ganzzeuge  zugesetzt  werden;  bei  den  feinsten  Papieren  können  benutzte 
Papiere  derselben  Gattung  zugesetzt  werden,  nachdem  sie  vorher  durch  ein  Säure-  oder 
Chlorbad  gegangen  sind,  um  die  Dinte  zu  zerstören. 

Bei  geringern  Papiersorten,  namentlich  bei  weissen  ungeleimten  Sorten, 
werden  auch  farbige  Papiere  oder  weisse  Tapeten  zugesetzt.  Es  kann  deshalb  nicht 
auffallen,  dass  grade  die  bessern  Sorten  der  ungeleimten  Papiere,  die  sogen.  Filtrir- 
papiere,  bisweilen  Metalloxyde  enthalten,  weil  grade  die  bessern  Glanzpapiere  und 
Tapeten  ihre  Farben  den  Metalloxydfarben  verdanken,  wohingegen  die  geringern 
Tapetensorten,  welche  nur  den  grauen  ungeleimten  Papieren  zugesetzt  werden,  grössten- 
theils  mit  unschädlichen  Erd-  oder  Ockerfarben  bedruckt  werden. 

Je  nach  der  Verwendung  der  weissen  Filtrirpapiere  können  deshalb  auch  schäd- 
liche Einflüsse  veranlasst  werden;  filtrirt  man  z.  B.  Fruchtsäfte,  Zuckerlösungen  u.  s.  w. 
durch  solche  Papiere,  so  können  dieselben  mit  den  betreffenden  giftigen  Substanzen  ver- 
unreinigt werden;  weniger  wird  dies  der  Fall  beim  Filtriren  des  Kaffee's  oder  anderer 
neutraler  Flüssigkeiten  sein. 

Das  Leimen  des  Ganzzeuges.  Das  sogenannte  „Leimen  in  der  Bütte" 
oder  „in  der  Masse"  geschieht  mittels  Harzleims.  Für  gewöhnliche  halbfeine 
Schreibpapiere  nimmt  man  Fichtenharz,  für  geringes  Schreib-  und  Packpapier 
Colophonium;  das  Harz  löst  man  in  verdünnter  Aetzkali-  oder  Natronlauge  und  ver- 
mischt es  mit  dem  Ganzzeuge  im  Holländer.  Der  ganzen  Masse  setzt  man  so  viel 
Alaun  hinzu,  dass  die  Harzseife  zersetzt  wird  (Bildung  von  pininsaurer  Thonerde) ; 
wenn  das  Papier  auf  die  Trockenwalze  kommt,  schmilzt  die  Harzseife  hinein,  so  dass 
es  für  Wasser  nicht  mehr  durchdringlich  ist. 

Es  leuchtet  ein,  dass  die  Leimung  des  Papier  zeug  es  eine  viel  vollkommenere 
und  innigere  ist  als  die  des  Papierblattes,  die  man  das  „Leimen  nach  der 
Bütte",  d.  h.  nach  dem  Trocknen  des  Handpapiers  nennt  und  mittels  thierischen 
Leims  vornimmt.3) 

Bei  der  Harzseifebereitung  entwickeln  sich  mehr  oder  weniger  Terpentinöl- 
dämpfe, welche  für  die  Bienen  ein  Anziehungsmittel  sind;  sie  sammeln  sich  daher  bei 
dieser  Procedur  in  Menge  im  Fabriklocale  an. 

D.  Fabrication  des  Papierblattes.  Das  fertige  breiartige  Ganzzeug  wird  nun 
entweder  zu  Hand-  oder  Maschine npapier  fabricirt. 


egg  Die  Pflanzenfaser. 

Hand-  oder  Büttenpapier.  Dieses  Papier  wird  durch  Handformen  geschöpft; 
gewöhnlich  lässi  mau  das  Ganzzeug  aus  dem  Holländer  direct  in  die  Schöpfbütte 
fliessen,  wo  es  durch  Umrühren  mit  vielem  Wasser  einen  verdünnten  milchartigen  Brei 
bildet,  den  der  Schöpfer,  d.h.  der  mit  dem  Schöpfen  beschäftigte  Arbeiter,  auf 
eine  Drahtsiebform  bringt,  durch  welche  der  grössere  Theil  des  Wassers  abfliesst, 
während  die  Fäscrchen  des  Ganzzeuges  zurückbleiben  und  einen  zusammenhängenden 
Bogen  bilden. 

Der  „Kautscher"  lässt  zunächst  die  geschöpfte  Form  etwas  abtropfen,  legt  sie 
auf  einen  Filz,  ein  locker  gewebtes  Wollenzeug,  und  entfernt  durch  sanftes  Drücken 
den  weichen  Bogen  von  der  Form.  Die  ersten  Papierbogen  bedeckt  er  wieder  mit  einem 
Filz  und  fährt  auf  diese  Weise  schichtweise  fort. 

Dann  folgt  das  erste  Pressen  zwischen  den  Filzen,  das  Pressen  im  befilzten 
Pauscht,  und  nach  Wegnahme  der  Filze  das  zweite  Pressen,  das  Pressen  im  weissen 
Pauscht  (franz    Porse,  Stoss-Papier).     Das  Trocknen  geschieht  auf  Trockenböden. 

Leimen  des  Papiers.  Das  auf  diese  Weise  erhaltene  Papier  ist  weich  und  wird 
nur  als  Druck-,  Filtrir-,  Lösch-  und  weiches  Packpapier  gebraucht  Schreib- 
und Zeichenpapier  muss  mm  geleimt  werden,  wenn  dies  nicht  schon  „in  der  Bütte" 
geschehen  ist,  worauf  Trocknen,   Pressen  und  Glätten  folgen. 

Masehinenpapier,  Papier  ohne  Ende.  Bei  der  Fabrication  desselben  fliesst  das 
Ganzzeug  auf  ein  Drahtsieb  ohne  Ende,  welches  sich  in  beständiger  Bewegung  befindet, 
ein  Verfahren,  durch  welches  bedeutend  an  Zeit  gewonnen  wird. 

Hier  bewirkt  die  Maschine  Alles,  was  sonst  der  Arbeiter  mit  der  Hand  ver- 
richtete. Nachdem  das  Ganzzeug  durch  den  Knotenfänger  von  etwaigen  Knoten  be- 
iVeit und  durch  den  Regulator  auf  die  Form,  ein  langes,  in  sich  selbst  zurück- 
kehrendes Metalldrahtgewebe,  gebracht  worden,  bewegt  sich  dieselbe  über  Walzen, 
durch  deren  Umdrehung  eine  gleichmässige  Bewegung  des  Ganzzeugs  in  der  Längs- 
richtung erzielt  wird,  während  es  durch  eine  horizontale  Hin-  und  Herbewegung 
der  Form,  wie  beim  Schöpfen,  auch  in  der  Richtung  der  Breite  geschüttelt  wird 
(Fourf/ri/iirr'sche  Maschine). 

Behufs  Exhaustion  des  Papierzeuges  hat  man  vielfach  rotirende  und  Glocken- 
pumpen angewendet;  gegenwärtig  wird  häufig  ein  Saugapparat  von  Kau/mann 
hierzu  benutzt. 

Das  entwässerte  und  verdichtete  Papierblatt  geht  nun  seinen  Weg  ohne  Form 
weiter  und  kommt  zunächst  auf  ein  endloses  Filztuch,  dasselbe  lockere  Wollenzeug, 
welches  der  Kautscher  beim  Büttenbetriebe  gebraucht.  Das  Filztuch  bringt  das  Papier- 
blatt nach  der  Nasspresse,  einem  Walzwerk,  welches  die  Entwässerung  durch  Aus- 
pressen vollendet. 

Die  Trockenpresse  bezweckt  die  Entfernung  der  letzten  Wasserreste 
durch  Trocknen  auf  grossen,  durch  direct  einströmenden  Dampf  geheizten  Trommeln. 
Bei  der  Trockenpresse  entwickeln  sich  sehr  viele  Wasserdämpfe,  welche  nicht 
bloss  die  Arbeiter  belästigen,  sondern  auch  mit  der  Zeit  das  Fabriklocal  schädigen 
können:  es  ist  deshalb  nothwendig,  die  Wasserdämpfe  durch  Ventilatoren  oder  Exhaustoren 
wegzuschaffen,  zu  welchem  Zwecke  über  den  Trockenwalzen  stets  ein  entsprechender 
Fang  anzubringen  ist. 

Zum  Satiniren  des  Papiers  gebraucht  man  Glatt  walzen,  zur  Zertheilung 
desselben  in  der  Längs-  und  Breitenrichtung  Schneidescheiben. 

Zur  Darstellung  der  grobem  Papiersorten,  des  Pack-  und  Tapeten- 
papiers u.  s.  w.,  benutzt  man  eine  anders  construirte  Maschine,  welche  Cylinder- 
m aschine  genannt  wird;  nach  ihrem  Erfinder  heisst  sie  auch  die  Dickinson'sche 
Maschine  und  besteht  hauptsächlich  aus  einem  mit  Drahtsieb  überzogenen,  horizontal 
liegenden  und  sich  um  seine  Achse  drehenden  Cylinder,  welcher  somit  die  Form  walze 
darstellt. 

Ausser  den  genannten  Wasserdämpfen  beim  Trocknen  machen  sich  bei  der  Fabri- 
cation des  Papierblattes  keine  sanitären  Gesichtspuncte  geltend,  nur  ist  bei  dem  beständig 
nassen  Boden  das  Auflegen  von  Holzgittern  erforderlich. 

Pappe  oder  Pappendeckel.  Die  geschöpfte  oder  geformte  Pappe  wird  wie 
das  Büttenpapier,  aber  aus  geringern  Materialien,  unter  Zusatz  von  Thon  oder  Kreide 
dargestellt.  Die  beste  Sorte  stellt  die  Glanzpappe  dar,  welche  in  der  Bütte  geleimt 
wird;  sie  liefert  die  sogenannten  Press  späne,  welche  bei  der  Tuchfabrication  und  in 
den  Buchdruckereien  zum  Pressen  und  Glätten  benutzt  werden. 

Zur  Fabrication  der  Steinpappe  benutzt  man  Ganzzeug,  Leimlösung,  gepul- 
vertes Cement,  Thon,  Kreide  oder  Barytweiss. 

Eine  besondere  Papiermasse  ist  das  Papiermache;  man  bereitet  hierzu  aus 
altem  Papier  durch  Kochen  mit  Wasser  und  unter  Zusatz  von  Sand,  Thon,  Kreide  oder 
Schwerspath  einen  Teig,  den  man  auspresst,  mit  einem  Klebemittel  versetzt  und  in  geölte 


Die  Papierindustrie.  539 

Formen  drückt;  die  dargestellten  Gegenstände  werden  nach  dem  Trockneu  broncirt, 
bemalt  oder  lackirt,  wobei  die  bei  diesen  Manipulationen  erforderlichen  Vorsichts- 
massregeln zu  berücksichtigen  sind  (s.  Bronciren  und  Lackiren). 

Unter  den  besondern  Arten  von  Papier  ist  das  Cartonpapier,  eine  feinere 
Sorte  von  Pappe,  welche  man  zu  Papparbeit  (Cartonnage)  gebraucht,  hervorzuheben; 
man  versetzt  das  Ganzzeug  im  Holländer  mit  Thon,  Gips,  Kreide,  Schwerspath  u.  s.  w. 
Aus  diesem  Papier  wird  auch  das  sogenannte  Kreidepapier  (Papier-porcelaine)  für 
Steinabdrücke,  Spielkarten,  Visiten-  und  Adresskarten  u.  s.  w.  angefertigt.  Der  Grund 
dieser  Papiere  wird  gewöhnlich  durch  Thon  oder  Blanc-fixe  gebildet,  wohingegen  die 
Lasur  mit  Zink-  oder  Bleiwe iss  unter  Zusatz  der  geeigneten  Klebemittel  mittels  einer 
Bürste  aufgetragen  wird.  Die  Glätte  erhält  das  Papier  dadurch,  dass  man  es  mit  einer 
polirten  Kupfer-  oder  Stahlplatte  durch  2  "Walzen  gehen  lässt. 

Wegen  des  Metallgehaltes  dieser  Papiere  hat  man  darauf  zu  achten,  dass  kleine 
Kinder  sie  nicht  in  den  Mund  nehmen  und  daran  kauen,  wodurch  manche  Krank- 
heitszustände  veranlasst  werden  können.  Noch  gefährlicher  ist  in  dieser  Beziehung  das 
sogenannte  Krystallmoire-Papier,  welches  eine  dicke  Lage  von  krystallisirtem 
Bleizucker  enthält,  die  sehr  leicht  abspringt:  dasselbe  wird  auch  für  Visitenkarten  be- 
nutzt, seine  Darstellung  sollte  aber  polizeilich  verboten  werden. 

Das  Pergamentpapier  oder  vegetabilisches  Pergament  hat  in  neuerer 
Zeit  immer  grössere  Verbreitung  gefunden,  nachdem  der  Engländer  Gainr>s  die  Ein- 
wirkung von  Schwefelsäure  (auch  von  Chlorzink)  auf  die  Cellulose  zuerst  technisch  ver- 
werthet  hat.4) 

Das  Glaspapier  vertritt  die  Fischhaut  und  den  Schachtelhalm  beim  Schleifen. 
Man  bestreicht  Papier  mit  heissem  Leimwasser,  siebt  das  sehr  fein  geriebene  Glaspulver 
darauf,  behandelt  es  mit  einer  hölzernen  "Walze,  trocknet  und  versieht  es  schliesslich  noch 
mit  einem  Anstrich  von  Leimwasser. 

Geschieht  diese  Arbeit  aus  freier  Hand,  so  entsteht  dadurch  in  Folge  des  ein- 
geathmeten  Glaspulvers  häufig  eine  hartnäckige  Angina  faucium  oder  tonsillaris,  welche 
nicht  selten  auch  noch  längere  Zeit  nach  eingestellter  Arbeit  fortdauert.  Uns  sind  Fälle 
von  bedeutender  Intensität  und  Hartnäckigkeit  bekannt  geworden;  zur  Vermeidung 
dieser  nachtheiligen  Folgen  muss  das  Reiben  uud  Sieben  des  Glaspulvers  stets  in  ge- 
schlossenen Trommeln  vorgenommen  werden. 

Zu  den  medicinischen  Papieren  gehören  das  Phenylpapier,  das  Senfpapier, 
das  Harzpapier  u.  s.  w.5) 

In  Betreff  der  Papier  wasche,  bei  welcher  das  Papierzeug  mit  einem  feinen 
Ueberzuge  von  Leinen-  oder  Baumwollzeug  versehen  wird,  ist  nur  zu  bemerken,  dass 
früher  die  Papierkragen  mit  Bleiweiss  geglättet  wurden,  ein  Verfahren,  das  natürlich 
ganz  zu  verwerfen  ist:   gegenwärtig  gebraucht  man  mehr  Schwerspath  hierzu.6) 

Das  Färben  des  Papiers.  Das  Färben  des  Papiers  geschieht  auf  mecha- 
nische und  chemische  "Weise.  Beim  mechanischen  Färben  vermischt  man 
schon  das  Ganzzeug  bei  der  Papierfabrication  mit  den  betreffenden  Farben;  solche 
Papiere  nennt  man  auch  im  Zeug  gefärbte  Papiere.  Die  geringern  Sorten 
der  auf  diese  Weise  gefärbten  Papiere  benutzt  man  zum  Einpacken  des  Zuckers, 
der  Nähnadeln,  vieler  Genussmittel,  z.  B.  des  Cichorienkaffee's ,  der  Kaffeesurro- 
gate, des  Schnupftabaks  u.  s.w.  Zu  den  feinern  Sorten  gehören  die  gefärbten 
Postpapier-Briefbogen. 

Was  die  verschiedenen  Farben  betrifft,  so  gebraucht  man  für  Blau 
Smalte,  Ultramarin,  Berlinerblau,  Bremergrün  oder  Bremerblau,  Indigo- 
carmin  u.  s.  w.,  für  Gelb  fertiges  Chromgelb  oder  essigsaures  Bleioxyd  mit 
Kaliumbichromat,  gelben  Ocker,  gelbes  Ultramarin;  für  Grün  Schweinfurter-, 
Neuwieder-,  Papageigrün,  Berlinerblau  mit  Chromgelb;  für  Braun  rohe  und 
gebrannte  Umbra;  für  Roth  natürlichen  rothen  oder  gebrannten  gelben  Ocker, 
in  Ammoniak  gelöste  Fernambuk-  und  Krapplacke,  seltner  wegen  ihrer  Schwere 
Mennige  oder  Zinnober;  für  Schwarz  Kienruss,  Rebenschwarz,  Beinschwarz;  für 
Violett  Blauholzextract.  In  neuerer  Zeit  hat  man  auch  die  verschiedenen  Anilin- 
farben in  Lösung  dem  Ganzzeug  zugesetzt. 

Es  leuchtet  ein,  dass  in  sanitätspohzeilicker  Beziehung  bei  dieser  Fabrication 
die  Abflusswässer  alle  Aufmerksamkeit  verdienen,    wenn  giftige  Metalloxyde  dabei 


540  Die  Pflanzenfaser. 

zur  Anwendung  kommen;  sie  dürfen  dann  nie  frei  abfliessen,  sondern  müssen 
entweder  wieder  für  die  Papierfabrication  oder  anderweitig  verwerthet  werden.  Können 
sie  wegen  Verunreinigung  nicht  weiter  benutzt  werden ,  so  muss  man  wenigstens  die 
betreffenden  Metalloxyde  entfernen,  ehe  man  die  Wässer  abfliessen  lässt;  in  den  meisten 
Fällen  wird   Kalkmilch  hierzu  ausreichen. 

Ueberhaupt  bilden  die  Abflusswässer  bei  der  Papierfabrication  den  wichtigsten 
Gegenstand  der  sanitätspolizeilichen  Ueberwachung,  wenn  es  sich  um  die  Einleitung 
derselben  in  Bäche  und  kleine  Flüsse  handelt. 

Feinere  Papiersorten  färbt  man  durchgehends  auf  chemische  Weise. 
Man  gebraucht  dazu  1)  eine  Lösung  von  sogenannten  Saftfarben,  welche  mehr 
oder  weniger  in  Wasser  löslich,  aber  nicht  decken,  sondern  durchscheinend  (lasirend) 
sind,  weshalb  sie  auch  Lasurfarben  heissen.  Man  wählt  hierzu  dünnes  Papier 
und  zieht  dasselbe  durch  die  Farbenbrühe;  man  lässt  dann  abtropfen  und  hängt 
zum  Trocknen  auf.  Für  Rosaroth,  namentlich  für  die  Darstellung  der  künstlichen 
Rosenblätter,  gebraucht  man  reines  Safflor'roth,  für  Blau  und  Violett  eine  Indigo- 
lösung, Orseille,  Lackmustinctur,  obgleich  blaues  und  violettes  Blumenpapier  selten 
als  durchscheinendes  Papier  angewendet  wird.  Für  Grün  ist  eine  Indigosolution 
mit  Pikrinsäure  oder  auch  Safranabkochung,  namentlich  für  die  Darstellung 
künstlicher  Blumenblätter,  sehr  gebräuchlich. 

2)  Man  mischt  anorganische  Farben,  sogenannte  Deckfarben  oder  Körper- 
farben, mit  einer  klebrigen  Flüssigkeit  zusammen  und  streicht  das  Papier  mit  diesem 
Gemisch  an;  das  Papier  muss  geleimt  sein. 

Zur  Darstellung  einfarbiger  Papiere  reibt  man  die  Farben  mit  Leimwasser 
bis  zur  Syrupsdicke  zusammen;  für  Weiss  wählt  man  Bleiweiss,  Schwerspath, 
seltner  Zink  weiss,  weil  dasselbe  einen  gelblichen  Ton  annimmt;  für  Gelb  oder 
Orange  neutrales  oder  basisches  Chromblei  und  Pikrinsäure;  für  Roth  Mennige, 
Chromzinnober  oder  A  ntimonzinnober;  für  Rosa  und  Purpur  Krapp-  und 
Fernambuklack;  für  Grün  leider  noch  immer  vorzugsweise  Seh  wein  fürt er grün; 
für  Blau  Berlinerblau;  für  Bronco  gemengte  Lacke  aus  Blau-,  Roth-  oder 
Gelbholz;  für  Schwarz  und  Grau  Frankfurter  Schwarz,  Kienruss  u.  s.  w. 

Den  feinsten  Ultramarin  und  Carmin  benutzt  man  für  feine  Papiere,  welche 
meist  matt  in  den  Handel  kommen  und  grade  hierdurch  einen  besondern Werth  erhalten; 
solche  Farben  werden  mit  möglichst  wenig  Leim  aufgetragen. 

Zur  Darstellung  der  geflammten  Papiere  wird  die  aufgetragene  Farbe  im 
feuchten  Zustande  mit  einer  mit  Leder  überzogenen  Walze  derart  überfahren,  dass  die 
Farbe  an  einzelnen  Stellen  zusammengeschoben  und  an  andern  weggewischt  wird.  Auch 
die  Bildung  des  marmorirten  Papiers  hängt  mit  der  Art  des  Auftragens  der  Farbe 
zusammen. 

Die  Ultramarin-  und  Carminpapiere  werden,  wenn  sie  für  die  Blumen - 
fabrication  benutzt  werden,  auf  beiden  Seiten  angestrichen;  da  diese  Papiere 
matt  bleiben,  so  werden  sie  nach  dem  Trocknen  vielfach  gebürstet  und,  da  die  Farbe 
mit  wenig  Leim  versetzt  wird,  nur  gelinde  gepresst.  Bei  dem  Bürsten  ist  auf  die 
Natur  der  benutzten  Farben  sehr  zu  achten;  es  können  besonders  bei  diesen  Mani- 
pulationen Gesundheitsschädigungen  der  Arbeiter  vorkommen,  sie  sind  daher  ganz  be- 
sonders zu  überwachen. 

Um  den  Papieren  einen  matten  Glanz  zu  verleihen,  werden  sie  zwischen  glatten 
Zinkblechen  geschichtet  und  zwischen  zwei  stark  beschwerte  eiserne  Walzen  geführt. 

Um  eigentliche  Glanzpapiere  zu  erhalten,  werden  sie  mit  Glättstein  behandelt, 
was  gewöhnlich  mit  der  Hand  geschieht,  ein  gut  polirter  Achat  ist  dabei  an  einer 
elastischen  Stange  befestigt. 

Die  sogenannten  Kattun papiere  werden  wie  beim  Kattundruck  mit  Handformen 
dargestellt;  für  feinere  Papiere  gebraucht  man  den  Steindruck  zu  Verzierungen  mit 
Broncepulvcr,  Blattsilber  oder  Blattgold. 

Um  gepresste  Papiere  zu  erhalten,  lässt  man  gut  geglättetes  einfarbiges 
Papier  zwischen  einer  stark  vertieften  gravirten  Messingwalze  und  einem  beweglichen 
Lager  aus  einer  Bleilegirung  durchgehen. 

Der  Gebrauch  der  bunten  Papiere  bedarf  insofern  einer  sanitätspolizeilichen 
Ueberwachung,  als  sie  häufig  zur  Verpackung  von  Genussmitteln  benutzt  werden;  sind 
zu  ihrer  Darstellung  giftige  Metalloxyde  angewendet  worden,  so  können  Fälle 
eintreten,  in  denen  sich  ihre  schädliche  Wirkung  kundgibt.  Nur  wenige  Staaten  haben 
Verbote  wegen  des  Gebrauchs  solcher  mit  giftigen  Metalloxyden  gefärbten  Papiere  er- 
lassen. Mit  Recht  warnt  das  Würtemberger  Ministerium  unterm  26.  April  1863  vor 
dem  Gebrauch  des  Cichorienkaffees,  welcher  in  mit  giftiger  orangegelber  (Bleichromat), 
rother  (Mennige)  oder  grüner  (Arsen)  Farbe  gefärbtem  Ümschlagpapier  verpackt  ist,  da 
bei  der  hygroskopischen  Beschaffenheit  dieses  Kaffee's  giftige  Farbstoffe  des  Umschlage- 


Die  Tapetenfabrication.  541 

papiers  aufgelöst  werden  und  in  den  Kaffee  übergehen  können:  nicht  selten  wird  auch 
bei  ärmern  Leuten  die  Verpackung  selbst  mit  gekocht,  um  jeden  Verlust  zu  vermeiden. 

Mit  demselben  Hechte  und  aus  gleichem  Grunde  hat  das  Baierische  Mini- 
sterium in  mehreren  Erlassen  (14.  December  1858,  18.  März  und  30.  November  1859) 
die  Anwendung  von  mit  giftigen  Farbstoffen  gefärbten  papiernen  Hüllen  der  Kaffee- 
Surrogate  von  Seiten  der  Fabricanten  wie  im  Handverkauf  verboten. 

Bei  den  Kaffee-Surrogaten  kommt  es  häufig  vor,  dass  durch  das  Anziehen 
der  atmosphärischen  Feuchtigkeit  die  Verpackung  feucht  und  sogar  nass  wird,  wodurch 
namentlich  die  Mennige  bei  Lichtein  flu  ss  oxydirend  auf  die  organische  Substanz  ein- 
wirken, indem  auf  der  eioen  Seite  Bleioxyd  gebildet  wird  und  auf  der  andern  Seite 
organische  Säuren  entstehen,  welche  mit  dem  Bleioxyd  mehr  oder  weniger  in  Wasser 
lösliche  Salze  bilden. 

Beim  Verpacken  von  Schnupftabak  in  solchen  bunten  Papieren  tritt  diese 
Einwirkung  noch  schleuniger  hervor  und  ist  mehr  in  die  Augen  springend. 

Noch  gewissenloser  verfahren  die  Conditoren  mit  der  Verwendung  der  schäd- 
lichen bunten  Papiere,  indem  sie  Kuchen  und  Torten  nicht  selten  mit  künstlichen 
Blumen  verzieren,  deren  Stengelblätter  aus  grünem,  arsenhaltigem  Papier  dargestellt 
sind:  ebenso  werden  die  Enveloppes  für  Knallbonbons  und  Caramellen  sehr  häufig; 
aus  arsenhaltigem,  grünem  Papier  verfertigt,  während  das  orangefarbige  und  gelbe 
Papier  nebst  den  verschiedenen  Nuancen  häufig  Bleioxyd,  Zinkoxyd  und  Chrom- 
säure enthält. 

Ein  solcher  Gebrauch  dieser  Papiere  ist  deshalb  bedenklieh,  weil  Kinder  häufig 
sich  nicht  bloss  mit  dem  Inhalte  dieser  Umhüllungen  begnügen,  sondern  gewöhnlich 
auch  die  Umhüllung  selbst  in  den  Mund  nehmen  und  daran  saugen. 

Bunte  Papiere  werden  gegenwärtig  massenhaft  zur  Darstellung  von  Gardinen, 
Vorhängen  u  s  w.  verwendet;  sind  die  Farben  gehörig  befestigt  und  nicht  giftiger  Natur, 
so  ist  ihr  Gebrauch  unbedenklich. 

Die  Tapetenfabrication 

Die  Tapetenfabrication  besteht  in  der  Anfertigung  bedruckter  Papiere, 
welche  in  Stücken  (Rollen)  dargestellt  werden;  mau  kann  dazu  nur  Maschinen- 
papier  gebrauchen,  dessen  Qualität  sich  nach  dem  Werthe  der  darzustellenden 
Tapeten  richtet,  Die  Anwendung  des  Papiers  zu  Tapeten  sollen  die  Engländer 
in  China  und  Japan  kennen  gelernt  haben.  Manchester  ist  gegenwärtig  noch 
der  Hauptsitz  der  Tapetenfabrication,  obgleich  auch  Frankreich  sehr  zu  ihrer 
Hebung  beigetragen  hat;  Leroy  benutzte  bereits  1843  eine  Druckmaschine 
mit  gravirten  Walzen.  Die  Hauptarbeiten  bestehen  dabei  im  Grundiren  und 
Aufdrucken  der  Farbenmuster. 

Grundiren.  Da  die  Farbe  des  Papiers  meist  grau  ist,  so  kann  sie  fast 
nie  als  Grundfarbe  benutzt  werden;  man  grundirt  daher  zuerst,  d.  h.  man  gibt 
dem  Papier  eine  andere  Grundfarbe,  indem  man  das  Papier  auf  einem  laugen 
Tisch  ausbreitet  und  die  Farbe  mit  breiten  Bürsten  aufträgt, 

Um  eine  gleichmässige  Fläche  zu  erhalten,  sind  dabei  gewöhnlich  mehrere  Arbeiter 
beschäftigt.  Die  bessern  Tapeten  erhalten  vorher  einen  Anstrich  von  lauwarmem  Leim- 
wasser, werden  dann  auf  Stangen  getrocknet  und  zwischen  Glättwalzen  gestreckt.  Um 
den  Tapeten  einen  glänzenden  Grund  zu  geben,  setzt  man  der  Grundfarbe 
Satinirfarbe,  d.  h.  Lenzin,  Kalkthonerde  oder  auch  fein  niedergeschlagenen  Gips  zu; 
nach  dem  Trocknen  werden  die  Tapeten  in  die  Satinirmaschine  gebracht,  bei 
der  statt  der  Walze  eine  flache  Bürste  mit  kurzen,  steifen  Borsten  aufgestreutes 
Talkpulver  verreibt,  durch  welches  das  Papier  gleichsam  gewichst  wird. 

Die  Arbeiter  sind  dabei  gewöhnlich  von  Kopf  bis  zu  Fuss  von  weissem  Staube 
bedeckt:  derselbe  kann  nur  dann  schädlich  einwirken,  wenn  die  Grundfarbe  aus 
giftigen  Metalloxyden  besteht,  da  sich  bei  dieser  Procedur  stets  Partikelchen  abreiben, 
welche  sich  mit  dem  weissen  Staub  vereinigen  und  durch  Ablagerung  auf  den  verschie- 
denen Schleimhäuten  nach  dem  Grade  ihrer  Giftigkeit  einwirken. 

Schon  von  diesem  Gesichtspuncte  aus  sind  bei  der  Tapetenfabrication  alle  giftigen 
Metalloxyde  zu  vermeiden,  da  jedenfalls  die  Arbeiter  zunächst  deren  schädlichen  Einfluss 
erfahren  müssen. 

In  grössern  Fabriken  vereinigt  man  die  Satinirmaschine  mit  einer  Grundir- 
maschine,  wobei  das  Papier  mit  einer  Bürstenwalze,  welche  sich  in  einem  Farbtroge 
bewegt,  angestrichen  und  dann  auf  Walzen  getrocknet  wird. 


542  Die  Pflanzenfaser. 

Satinirte  Tapeten  nennt  man  auch  Glanztapeten  im  Gegensatz  zu  den 
billigern  oder  matten  Tapeten. 

Das  Drucken.  Das  Drucken  geschieht  jetzt  fast  allgemein  wie  bei  der 
Kattundruckerei  mittels  der  Walzendruckmaschine,  obgleich  bei  den  feinern 
Tapeten,  namentlich  beim  Gold-  und  Silberdruck  sowie  bei  den  veloutirten  Tapeten, 
der  Handdruck  uicht  entbehrt  werden  kann. 

Das  Drucken  involvirt  an  und  für  sich  keine  Schädlichkeit  und  erfordert  nur 
beim  Gebrauch  der  giftigen  Metalloxyde  die  nothwendige  Vorsicht.  In  grössern  Tapeten- 
fabriken werden  auch  die  Farben  bereitet:  da  alle  Farben  eine  gehörige  Deckkraft  be- 
sitzen müssen,  so  erhalten  alle  flüssigen  Farben  einen  Zusatz,  welcher  sie  undurch- 
scheinend (deckend)  macht;  meist  wendet  man  Abkochungen  von  Farbhölzern  an, 
welchen  man  im  siedenden  Zustande  Alaun  zusetzt,  um  den  Farbstoff  zu  binden  und 
zu  fällen. 

Die  Saft-  oder  Lackfarben  werden  noch  mit  Lenzin  oder  Weizenstärke  ver- 
setzt, um  ihnen  mehr  ..Körper"  zu  geben;  die  zugesetzten  Leimlösungen  dienen  nur  als 
Bindemittel,  um  die  Farben  beim  Trocknen  festzuhalten  und  ihr  Abstauben  so  viel  als 
möglich  zu  verhüten.  Die  natürlichen  Erdfarben  werden  geschlämmt  und  mit  heissem 
Leimwasser  angemacht. 

Die  chemischen  Fabriken  liefern  die  Farben  häufig  im  breiartigen,  nassen 
Zustande  (en  päte),  um  ihre  grössere  Zertheilung  zu  ermöglichen.  Schädlich  resp. 
möglichst  zu  vermeiden  sind  für  Grün  die  arsenikalischen  Kupfersalze,  für  Gelb  und 
Orange  Schwefelarsen  (Realgar,  Operment),  Mennige,  neutrales  chromsaures  Bleioxyd, 
chromsaures  Zinkoxyd;  für  Blau  Kupferoxydhydrat  und  die  basischen  Kupfersalze,  für 
Roth  arsenige  Säure  mit  Farbstoffen,  wie  Kugellack,  Florentinerlack  u.  s.  w.  • 

Als  weniger  schädliche  Farben  lassen  sich  in  der  Tapetendruckerei  ganz  gut  fol- 
gende verwenden:  für  Grün  Pikrinsäure  mit  Indigocarmin,  phosphorsaures  Chromoxyd, 
Kobaltoxyd,  Zinkoxyd:  für  Orange  Schwefelantimon,  für  Gelb  chromsaures  Barium, 
und  für  Roth  der  ganz  unschädliche  Fernambuk,  Krapp  und  das  arsenfreie  Anilinroth. 

Besondere  Arten  von  Tapeten,  l)  Veloutirte  Tapeten  (Wolltapeten,  Sammet- 
tapeten).  Man  gebraucht  dazu  die  Scherwolle  der  Tuchfabriken,  welche  einen 
besondern  Handelsartikel  ausmacht.  Viele  Fabricanten  färben  die  weisse  Scherwolle 
nach  gründlicher  Reinigung  und  Bleichung  selbst;  sie  wird  dann  getrocknet  und  in  einer 
Art  von  grosser  Kaffeemühle  fein  gemahlen:  durch  feine  Siebe  sortirt  man  das  Pulver 
nach  der  verschiedenen  Feinheit.  In  Frankreich  wird  die  Veloutirwolle  in  besondern 
Fabriken  bereitet  und  an  die  Tapetenfabricanten  verkauft. 

Das  Veloutiren  mit  präparirter  Baumwolle  und  Federfasern  verdient  alle 
Beachtung,  da  der  hierbei  entstehende  Staub  wegen  seiner  scharfen  und  spitzigen  Fasern 
auf  die  Arbeiter  schädüch  einwirkt,  indem  sich  die  Federfäserchen  fast  gar  nicht  zu  Boden 
senken,  sondern  bei  der  geringsten  Veranlassung  aufwirbeln.  Handelt  es  sich  um 
gefärbte  Scherwolle,  so  ist  auch  die  benutzte  Farbe  zu  beachten,  da  erfahrungs- 
gemäss  auch  auf  diese  Weise  sehr  differente  Farbstoffe  auf  die  Tapeten  gelangen 
können  (s.  Scherwolle). 

Behufs  Application  derVeloutirwolle  durchlaufen  die  mit  einem  Klebfirniss  bedruckten 
Tapeten  einen  geschlossenen  Kasten,  dessen  Boden  und  Decken  mit  Pergament  oder 
feinem  Leder  trommelartig  überzogen  sind.  Die  in  dem  Kasten  befindliche  "V  eloutirwolle 
wird  durch  Schlagen  des  Bodens  und  Deckels  mit  elastischen  Stäbchen  durch  die 
Vibration  und  Luftbewegung  im  Kasten  suspendirt  erhalten;  sobald  nun  die  bedruckten 
Stellen  der  Tapete  mit  diesem  feinen  Staub  in  Berührung  kommen,  klebt  letzterer  fest 
an.  Wird  diese  Procedur  mit  einiger  Aufmerksamkeit  ausgeführt,  so  kann  sie  den 
Arbeitern  keinen  Nachtheil  bereiten:  nur  in  einigen  Fabriken  wird  später  die  nicht  fest 
haftende  Wolle  durch  Ausklopfen  der  Tapeten  im  Fabrikraume  entfernt  und  hierdurch 
eine  belästigende  Staubatmosphäre  erzeugt.  Ist  diese  Manipulation  nothwendig,  so  muss 
sie  in  einem  besondern  Räume   unter   zweckmässiger  Ventilation  vorgenommen  werden. 

Ganz  verboten  sollte  folgendes  Verfahren  sein,  welches  vor  noch  nicht  langer  Zeit 
nicht  selten  ausgeführt  wurde.  Um  nämlich  die  Veloutirwolle  brillant  grün  zu  färben, 
imprägnirte  man  sie  zuerst  mit  einem  Klebmittel  und  schüttelte  sie  dann  in  Trommeln 
mit  Schweiufurter  Grün;  durch  ein  nachfolgendes  Sieben  wurde  dann  die  nicht 
haftende  Farbe  von  der  gefärbten  Wolle  getrennt.  Es  ist  sehr  einleuchtend,  dass  der 
Staub,  welcher  hier  nothwendig  entstehen  musste,  auf  die  Arbeiter  den  verderblichsten 
Einfluss  ausübte,  besonders  auch  deshalb,  weil  das  Sieben  gewöhnlich  ohne  jede  Beach- 
tung der  nothwendigen  Vorsichtsmassregeln  geschah. 

Vergoldete   und  versilberte  Tapeten.     Das  Vergolden   und   Versilbern 
geschieht  auf  eine  ähnliche  Weise  wie  das  Veloutiren,  nur  dass  die  verschiedenen  Metall- 


Die  Baumwollindustrie.  543 

pulver  statt  der  Veloutirwolle  hier  zur  Anwendung  kommen.  Geschieht  diese  Procedur, 
wie  oben  angegeben  worden  ist,  in  geschlossenen  Kasten,  so  ist  kein  Nachtheil  davon 
für  die  Arbeiter  zu  fürchten ,  widrigenfalls  die  aufzupudernden  Substanzen  nach  ihrer 
verschiedenen  Qualität  schädlich  einwirken. 

Beim  eigentlichen  Vergolden  und  Versilbern  druckt  man  auch  mit  steifem  Oel- 
firniss,  legt  die  betreffenden  Gold-  oder  Silberblättchen  auf,  trocknet  und  beseitigt  das 
überflüssige  Gold  oder  Silber  mittels  eines  Pinsels  oder  einer  Bürste,  wobei  ein  gefähr- 
licher Staub  entsteht. 

3)  Gefirnisste  Tapeten  erhalten  einen  einfachen  Ueberzug  mit  einem  in 
ätherischem  Oele  gelösten  Harze.  — 

Die  Baumwollindustrie. 

Die  Baumwoll-Manufactur  ist  am  grossartigsten  in  England  vertreten; 
im  Jahre  1861  beschäftigte  England  schon  weit  über  600,000  Menschen  in 
dieser  Industrie.  Ihm  nahe  steht  Frankreich,  welches  jedoch  jetzt  den  Haupt- 
sitz dieser  Manufactur  (Elsass)  verloren  hat. 

Baumwolle  ist  ein  faseriger  Stoff,  welcher  in  den  Samenkapseln  mehrerer 
zu  den  Gossypium-Arten  gehörender  Baumwollpflanzen  die  Samen  einhüllt. 

Schon  beim  Herausnehmen  der  Baumwolle  aus  den  Samenkapseln  sortirt 
man  sie  nach  den  unreifen,  reifen  und  überreifen  Stücken.  Die  Absonderung 
der  Samen,  das  Egreniren,  geschieht  durch  Walzmaschinen,  welche  nur  Baum- 
wolle durchlassen  und  den  Samen  zurückwerfen;  um  sie  in  eine  handliche  Form 
zum  Versenden  zu  bringen,  wird  sie  mittels  hydraulischer  oder  Schraubenpressen 
stark  zusammengedrückt;  die  Ballen  versieht  man  mit  eisernen  Reifen.1) 

Die  Baumwollspinnerei  umfasst  folgende  Operationen,  mit  denen  stets 
mehr  oder  weniger  Staubbildung  verbunden  ist: 

1)  Die  Reinigung  und  Auflockerung  der  rohen  Baumwolle,  um 
alle  Unreinigkeiten,  Sand,  Erde,  kurze  Baumwollfäserchen  u.  s.  w.  aus  ihr  zu 
entfernen  und  die  Fasern  von  einander  zu  lösen. 

Früher  geschah  dies  durch  Schlagen  mit  Stäbchen  aus  freier  Hand,  was  gegen- 
wärtig höchstens  nur  noch  bei  den  feinsten  Sorten  geschieht;  in  Ostindien  bedient  man 
sich  bisweilen  des  Fachbogens  (s.  Hutmacherei).  Allgemein  ist  der  "Wolf  ( Devil, 
Teufel,  Opener,  Oeffner)  eingeführt,  der  übrigens  verschieden  construirt  ist.  Die 
Maschinen  sind  den  Holländern  ähnlich,  da  die  Baumwolle  durch  die  Bewegung  von 
mit  stählernen  Stiften  oder  Zähnen  besetzten  Trommeln  ausein andergezo^en  und  auf- 
gelockert wird,  wodurch  alle  Unreinigkeiten  herausgeschleudert  werden. 

Wenn  man  das  Dämpfen  der  Baumwolle  mit  dem  Wolfen  verbindet,  so  leitet 
man  einen  Dampfstrahl  zwischen  die  Trommel  und  ihren  Mantel,  oder  die  Baumwolle 
wird  vom  Wolf  ab  auf  ein  Tuch  ohne  Ende  geworfen  und  sammt  letzterm  durch  einen 
Dampfkasten  geleitet. 

Wo  die  Fabrication  das  Dämpfen  zulässt,  ist  es  jedenfalls  der  beste  Schutz 
gegen  die  schädliche  Einwirkung  des  feinen  Faserstaubes;  leider  ist  dies  Mittel  aber 
nicht  überall  ausführbar,  da  bei  dieser  Operation  mehr  Unreinigkeiten  in  der  Baum- 
wolle verbleiben. 

Da  das  Wolfen  nachtheilig  auf  die  Respirationswege  wirkt,  so  müssen  in  jeder 
Fabrik  die  nothwennigen  Präventivmassregeln  getroffen  werden.  So  ist  es  erforderlich, 
dass  man  an  der  Stelle  des  Wolfs,  wo  die  Baumwolle  hervortritt,  einen  schlauchförmigen 
Canal,  einen  sogen.  Elevator,  anbringt,  in  welchem  die  Baumwolle  von  einem  Tuche 
ohne  Ende  aufgenommen  und  elevirt  wird.  Der  Schlauch  steigt  aufwärts  und  mündet 
in  eine  grosse  Kammer,  aus  welcher  an  einer  dieser  Einmündung  entgegengesetzten 
Stelle  ein  engerer  Schlauch  zur  Maschine  zurückführt,  wo  der  betreffende  Arbeiter  die 
Baumwolle  in  Empfang  nimmt.  Indem  nun  der  Luftzug,  der  durch  die  schnelle  Drehung 
der  Trommel  entsteht  und  nöthigenfalls  durch  einen  Ventilator  unterstützt  wird,  über 
die  Oberfläche  der  Baumwolle  streicht,  reisst  er  die  zarten  Fäserchen  und  den  Staub 
derselben  mit  sich  fort,  lässt  aber  die  Unreinigkeiten  als  den  schwerern  Theil  in  die 
Kammer,  wo  der  Luftstrom  wegen  des  grössern  Raums  abnimmt,  fallen;  hier  muss  man 
den  Baumwollstaub  von  Zeit  zu  Zeit  wegnehmen,  um  ihn  noch  anderweitig  zu  ver- 
werthen. 


544  Die  Pflanzenfaser. 

Der  oben  erwähnte  Elevator  kann  auch  aus  einem  Elevationsrohr  bestehen, 
welches  aus  Drahtsieben  verfertigt  ist  und  in  einem  weiten  hölzernen  Canal  liegt,  der 
hermetisch  verschlossen  ist  und  mit  einem  wirksamen  Exhaustor  in  Verbindung  steht. 
Die. Baumwolle,  welche  den  "Wolf  passirt  hat,  gelangt  in  das  Innere  des  Elevations- 
rohrs,  wird  dort  durch  den  sich  aufwärts  bewegenden  Luftstrom  fortgeschoben,  wo  die 
feinen  zerrissenen  Fasern  und  TJnreinigkeiten  durch  die  Siebwandungen  fallen  und  hier 
ebenfalls  durch  den  Luftstrom  langsam  aufwärts  getrieben  werden,  um  in  mehreren 
hintereinander  angebrachten  Kasten  (Säcken),  welche  mit  dem  äussern  Canale  in  Ver- 
bindung stehen,  abgelagert  zu  werden.  Die  geläuterte  Baumwolle  gelangt  schliesslich 
in  einen  grossen  Gangkasten:  die  abfallenden  Baumwollfasern  werden  zur  Papier- 
fabrication  benutzt. 

Der  Wolf  eignet  sich  besonders  für  grobe  und  sehr  unreine  Baumwolle;  es 
ersetzt  ihn  vielfach  die  Flock-  oder  Schlagmaschine  (Batteur),  deren  wesent- 
liche Einrichtung  in  zwei  an  einer  horizontalen  Achse  befestigten  und  mit  ihr  sich 
sehr  schnell  umdrehenden,  eisernen,  rahmenartigen  Flügeln  (Schläger)  besteht;  diese 
befinden  sich  in  einem  geschlossenen  Kasten  und  reissen  die  Fasern  der  Baumwolle 
durch  den  Schlag  und  den  durch  die  Bewegung  erzeugten  Luftstrom  auseinander.  Der 
Staub  fällt  entweder  durch  einen  unter  den  Schlägern  angebrachten  Rost  (Rechen) 
oder  wird  mittels  eines  Ventilators,  welcher  die  Luftströmung  vermehrt,  fortgerissen 
und  in  einen  abgeschlossenen  Raum  weitergeführt. 

Man  unterscheidet  zwei  Arten  von  Schlagmaschinen;  die  Putzmaschine 
befreit  die  aus  dem  Wolf  kommende  Baumwolle  von  ihren  gröbsten  TJnreinigkeiten, 
während  die  Wattir-,  Wickel-  oder  Aufbreitmaschine,  welche  nur  einen  Schläger 
bat,  die  so  vorbereitete  Baumwolle  schon  zu  einer  zusammenhängenden  Fläche  (Watte, 
Fell,  Pelz)  für  die  Kratzmaschine  bearbeitet. 

2)  Das  Krempeln  oder  Kratzen  bereitet  die  Baumwollfasern  zum  Spinnen 
vor  und  bringt  sie  in  parallele  Lagen.2) 

Die  Krempeln  der  Kratz-  oder  Streichmaschinen  bestehen  aus  sehr  vielen 
Kupferdrahtspitzen,  welche  eine  eigenthümliche  Biegung  haben  und  in  dickem  Leder 
befestigt  sind. 

Man  unterscheidet  Vorkrempeln,  Vorkratzen,  Grobkanten  und  Fein- 
kratzen. Die  Vorkratze  bearbeitet  die  Baumwolle  zu  einer  WTatte  oder  einem 
Band  und  besteht  aus  einer  Trommel,  auf  deren  Mantelfläche  die  Krempeln  oder  Kratzen- 
blätter aufgenagelt  sind;  gleichzeitig  wird  das  entstandene  schleierartige  Vliess 
auf  einer  hölzernen  Walze  aufgewunden. 

Bei  der  Feinkratze  besteht  der  Kratzen  beschlag  aus  feinern  und  näher 
zusammenstehenden  Drahthäkcheu ;  das  auf  derselben  erzeugte  Vliess  wird  entweder 
wieder  als  Watte  aufgewunden  oder  man  lässt  es  durch  einen  Blechtrichter  gehen,  damit 
es  als  ein  schmäleres  Band  zusammengefasst  wird. 

Auch  beim  Kratzen  fällt  noch  immer  Wollstaub  ab,  welcher  theils  aus  den 
ursprünglich  vorhanden  gewesenen  feinen  Fäserchen  besteht,  theils  aber  auch  beim 
Kratzen  selbst  durch  das  Zerreissen  der  längern  Haare  entsteht.  Man  unterscheidet 
noch  Trommelabfall  (Trommelwolle)  und  Deckelabfall  (Deckel wolle),  welcher  an  den 
Kratzen  hängen  bleibt,  sowie  den  Baumwollstaub  auf  dem  Boden  unter  der  Maschine; 
man  vermischt  diese  Abfälle  mit  anderer  Baumwolle  und  verspinnt  sie  zu  grobem  Garn. 

3)  Das  Strecken  bezweckt  eine  grössere  Gleichförmigkeit  der  Bänder  und 

eine  gleichmässigere  Lagerung  der  einzelnen  Fasern. 

Die  hierzu  nothwendige  Streckmaschine  besteht  aus  Riffclwalzen,  über  welche 
entsprechende  glatte  Walzen  laufen;  der  hierbei  entstehende  Abfall  ist  gering. 

4)  Das  Vorspinnen   erzielt  eine  allmählige  Ausdehnung  und  Verfeinerung 

des  Bandes. 

Je  nachdem  man  eine  bleibende  oder  eine  nur  vorübergehende  Drehung 
macht,  gebraucht  man  auch  verschiedene  Maschinen.  Für  feine  und  sehr  feine 
Garne  zerfällt  das  Vorspinnen  in  drei,  vier  und  fünf  verschiedene  Operationen,  wobei 
die  in  Gebrauch  kommenden  Spindelbänke  Vorflyer,  Grobflyer,  Feinflyer,  Doppel- 
feinflyer heissen,  die  eine  bleibende  Drehung  bewirkeu,  während  die  Röhren-  und 
Eklipsmaschinen  eine  vorübergehende  Drehung  erzeugen. 

5)  Das  Feinspinnen.  Durch  dieses  wird  das  Feingespinnst  (Garn, 
Twist)  erzeugt,  indem  das  Vorgespinnst  wiederum  mittels  Streckwalzen  möglichst 
fein  ausgezogen  und  möglichst  stark  gedreht  wird. 


Baumwollindustrie.  545 

Man  kann  die  Maschinenspinnerei  nicht  erwähnen,  ohne  dabei  des  Erfinders  der 
Spinnmaschine,  des  Engländers  Arkwright,  als  eines  grossen  Wohlthäters  der  Menschheit 
zu  gedenken. 

Um  einen  Einblick  in  den  Mechanismus  der  Spinnmaschine  zu  erhalten,  muss 
man  sich  den  Hergang  beim  Spinnen  mit  der  Hand  vergegenwärtigen;  wie  bei  der 
Seilerei  ein  abwechselndes  Drehen  und  Aufwinden  (Spindel  und  Handrad) 
und  beim  Spinnen  ein  gleichzeitiges  Drehen  und  Aufwinden  stattfindet,  so 
stimmt  unter  den  Spinnmaschinen  die  Mulemaschine  mit  der  Seilerei  die  ältere 
Water-  oder  Drosselspinnmaschine  mit  dem  Spinnen   auf  dem  Spinnrad  überein. 

Diese  beiden  Spinnmaschinen  sind  aus  der  Jenny-  und  Cylinderm  aschine 
hervorgegangen,  so  dass  man  gegenwärtig  4  Hauptspinnmaschinen  unterscheidet: 

1)  Die_  Jennymaschine,  nach  der  Tochter  ihres  Erfinders  Härgraves  (1763) 
benannt,  arbeitet  mit  abwechselnder  Erzeugung  und  Aufwicklung  des  Fadens;  das 
Ausziehen,  Drehen  und  Aufwickeln  des  Fadens  geschieht  durch  das  Aus-  und  Einfahren 
des  Spindelwagens,  der  für  dieses  System  charakteristisch  ist.  Diese  Maschine 
wird  nur  noch  einzeln  zum  Spinnen  der  gekrempelten  Schafwolle,  in  der  Baumwoll- 
spinnerei fast  gar  nicht  mehr  gebraucht. 

2)  Die  Cylindermaschine  unterscheidet  sich  von  der  Jennymaschine  dadurch, 
dass  die  Presse  oder  Klemme,  durch  welche  der  Faden  zeitweilig  festgehalten  wird, 
wegfällt,  da  die  Walzen  selbst  bei  ihrem  Stillstehen  die  auszustreckenden  Bänder  hin- 
reichend festhalten;  sie  wird  ausschliesslich  für  gekrempelte  Schafwolle,  für  die  Fabri- 
cation  von  Streichgarn  benutzt. 

3)  Die  Watermaschine  hat  ihren  Namen  dadurch  erhalten,  dass  sie  um  das 
•Jahr  1769  die  erste  durch  Wasserkraft  betriebene  Maschine  darstellte;  sie  dient  zur 
Darstellung  von  stärker  gedrehten  Garnen  (Watertwist),  von  Kettengarnen  aus  Kamm- 
wolle, von  Nähgarn  und  allen  Gespinnsten  aus  Flachs,  Hanf  oder  Werg.  Diese  Maschine 
ist  von  viel  einfacherer  Construction,  da  der  Mechanismus  der  besondern  Spul- 
bewegung, d.h.  der  Spindel  wagen,  wegfällt;  sie  bearbeitet  nur  Vorgespinnst 
und  wird  auch  bei  derWoll-,  Flachs-  und  Seidenspinnerei  benutzt. 

4)  Die  Mulemaschine,  auch  Mulejenny  genannt,  ist  nach  dem  Worte  Mule 
(Maulesel,  Bastard)  benannt  worden,  weil  sie  als  ein  Bastard  zu  betrachten  ist,  da  bei 
ihr  das  Streckwalzwerk  von  der  Watermaschine  und  der  Spindelwagen  von  der 
Jennymaschine  entlehnt  wurde. 

Wird  der  Spindelwagen  vom  Spinner  in  Bewegung  gesetzt,  so  heisst  die  Maschine 
Handmule;  benutzt  man  dazu  Wasser-  oder  Dampfkraft,  so  heisst  sie  Selfactor 
(Selfacting  mule,  Selbstspinner).  Der  Selfactor  ist  gegenwärtig  in  den  meisten 
grössern  Fabriken  eingeführt.  Da  diese  Maschine  vorzugsweise  für  die  Bearbeitung 
feiner  und  leicht  gedrehter  Garne  benutzt  wird,  so  wird  derselben  nur  Vor- 
gespinnst, was  entweder  ungedreht  oder  schwach  gedreht  ist,  überliefert. 

Unter  Muletwist  versteht  man  ein  lockeres,  wenig  gedrehtes  Garn,  während 
Watertwist  als  ein  stärker  gedrehtes  Garn  hauptsächlich  als  Kettengarn  be- 
nutzt wird. 

Die  Abgänge  beim  Vor-  und  Feinspinnen.  Sie  stellen  Stücke  von  abge- 
rissenen Fäden  dar;  die  harten  Fäden,  die  vom  Feinspinnen  herrühren,  ballt  man 
in  Klümpchen  zusammen  und  gebraucht  sie  statt  Lappen  zum  Putzen  der  Maschinen 
oder  auch  bei  der  Papierfabrication;  man  darf  sie  wegen  der  Gefahr  einer  Selbst- 
entzündung im  Fabriklocal  nicht  in  grosser  Menge  aufstapeln.  Die  weichen  Fäden 
beim  Vorspinnen  benutzt  man  zur  Wattendarstellung. 

Haspeln,  Sortiren  und  Verpacken  der  Garne  sind  rein  mechanischer 
Natur.  Die  Garn-Appretur  besteht  im  Dämpfen,  Abstreifen  der  Knötchen 
und  im  Sengen  mittels  einer  Gasflamme.  Der  Sengapparat  ist  mit  einem  Ventilator 
versehen,  welcher  namentlich  durch  den  Luftstrom  die  Direction  der  Flamme  bewirkt 
und  daher  für  den  Fabricanten  unentbehrlich  ist,  glücklicherweise  aber  auch  den  Abzug 
der  Verbrennungsgase  bewirkt;  einen  Luftstrom  durch  das  Oeffnen  der  Thüren  und 
Fenster  zu  etabliren,  ist  nicht  statthaft,  weil  die  Flamme  dabei  zitternd  und  flatternd 
und  deshalb  die  Sicherheit  der  Operation  gefährdet  wird.  Es  ist  nicht  abzuleugnen, 
dass  in  manchen  Fällen  die  entwickelten  gasförmigen  Producte  in  qualitative*  Beziehung 
schädlich  einwirken  können;  jedoch  ist  zu  bedenken,  dass  sie  wegen  ihrer  grossen  Ver- 
dünnung um  so  weniger  zu  begründeten  Befürchtungen  Veranlassung  geben  können,  als 
mittels  des  Ventilators  für  ihre  Wegführung  gesorgt  wird. 

Das  Stärken  der  Garne  geschieht  durch  Tränken  in  gekochter  Stärke  und 
das  Lustriren  besteht  im  Auftragen  von  Traganthschleim,  Quittenkern  schleim  u.  s.w. 
mit  der  Bürste. 

Gezwirntes  Baumwollgarn;  dasselbe  wird  zum  Nähen,  Stricken  und 
Sticken  benutzt.     Behufs  Zwirnens  werden  2,  3  bis  8  einfache  Spinnfäden  in  entgegen- 

Eulenberg,  Gewerbe-Hygiene.  35 


5-JG  Die  Pflanzenfaser. 

gesetzter  Richtung  wie  beim  Spinnen  zusammengedreht;  früher  gebrauchte  man 
besondere  Zwirnmühlen  dazu,  gegenwärtig  geschieht  das  Zwirnen  auf  Water-  und 
Mulemaschinen,  nur  werden  hier  statt  der  Streckwalzen  einfache  Speisewalzen 
eingesetzt. 

Färben  der  Garne.  Selten  wird  die  Baumwolle  als  Zeug  gefärbt;  im  Allge- 
meinen bedarf  dieselbe  einer  kräftigen  Beize  eind  ist  schwieriger  acht  zu  färben  als 
Wolle  (s.  Beizen  und  Färberei). 

Das  Erschweren  der  baumwollenen  Garne  hat  ein  sanitätspolizeiliches  Interesse; 
bei  dunkeln  Farbennüancen  gebraucht  man  dazu  vielfältig  Seh wefelquecksilber; 
dieser  Körper  wird  dadurch  auf  den  Stoff  niedergeschlagen,  dass  man  denselben  durch 
eine  Auflösung  von  salpetersaurem  oder  schwefelsaurem  Quecksilberoxydul  zieht  und 
dann  ein  Kochsalzbad  passiren  lässt,  wodurch  sich  auf  den  Stoff  Quecksilber- 
chlor ür  niederschlägt.     Zuletzt  zieht  man  den  Stoff  durch  ein  Schwefelleberbad. 

Bei  braunen  Farben  wendet  man  jedoch  diese  Methode  nicht  an,  sondern  man 
wählt  den  Sublimat,  lässt  den  ausgewrungenen  Stoff  ein  Kalkmilchbad  passiren  und 
bringt  ihn  zuletzt  in  eine  Auflösung  von  Schwefelleber. 

Noch  billiger  wird  der  Zweck  des  Erschwerens  durch  Bleisalze  erreicht,  weshalb 
sie  auch  noch  häufiger  zur  Anwendung  kommen.  Zu  dem  Ende  giesst  man  Regen- 
wasser auf  krystallisirten  Bleizucker,  lügt  Bleiglätte  hinzu  und  lässt  nach  Umrühren 
mehrere  Tage  stehen,  worauf  die  klare  Flüssigkeit,  basisch  essigsaures  Blei,  abgegossen 
wird;  in  diese  legt  man  das  Garn  mehrere  Stunden  lang  hinein,  wringt  es  hierauf  sehr 
gut  aus  und  bringt  es  dann  in  eine  kalte  Schwefelleberlösung.  In  letzterer  wird  es 
umgezogen,  sehr  gut  ausgewrungen  nnd  dann  gespült,  worauf  man  die  Operation 
wiederholt.  Den  schwarzen  Niederschlag,  welcher  sich  allmählig  in  dem  Geiäss  mit 
Schwefelleberlösung  ansammelt,  bewahrt  man  auf:  er  enthält  im  erstem  Falle  Schwefel- 
quecksilber  und  im  zweiten  Schwefelblei;  nach  dem  Auswaschen  kann  man  ersteres  iD 
Königswasser  und  letzteres  in  starker  Salpetersäure  auflösen. 

Beide  Methoden  sind  in  Banitätspolizeilicher  Beziehung  als  höchst  schädliche  zu 
bt  zeichnen  und  zwar  vorzugsweise  deshalb,  weil  nicht  die  ganze  Menge  des  Metall- 
salzes in  das  entsprechende  Schwefelmetall  verwandelt  wird,  sondern  sich  nur  eine  Um- 
hüllung der  giftigen  Substanz  mit  der  entsprechenden  Schwefelverbindung  bildet. 
Ausserdem  findet  keine  Verbindung  des  Faserstoffs  mit  dem  Quecksilber-  resp.  Bleisalze 
statt,  weshalb  beim  Reiben  des  Zeuges  die  Erschwerung  staubförmig  abfällt;  der  Stoff 
wird  also  mit  der  schädlichen  Substanz  gleichsam  nur  übertüncht. 

Beim  Erschweren  mit  einem  Quecksilbersalze  besteht  der  Staub  entweder  aus 
Calomel  oder  Quecksilberoxvd,  das  nur  mit  einer  dünnen  Haut  von  Schwefel- 
quecksilber überzogen  ist;  beim  Erschweren  mit  dem  Bleisalz  besteht  er  aus  Bleisulfat, 
welches  ebenfalls  nur  mit  einer  sehr  dünnen  Schicht  von  Schwefelblei  umgeben  ist. 

Bei  hellen  Farben  gebraucht  man  Zinnoxyd  resp.  Pinksalz  zum  Erschweren,  das 
man  in  möglichst  wenig  kaltem  "Wasser  auflöst  und  zum  Garn  gibt;  dies  wird  hierauf 
ausgewrungen  und  in  Ammoniakflüssigkeit  gebracht.  Nach  dem  Spülen  wiederholt  man 
die  Procedur,  bis  man  die  hinreichende  Erschwerung  erzielt  hat;  wegen  der  minder 
giftigen  Eigenschaft  des  Salzes  ist  diese  Procedur  weniger  gefährlich. 

Für  dunkelblaue  Garne  benutzt  man  eine  schwach  angesäuerte  Cha- 
mäleonlösung, durch  welche  man  das  Garn  so  lange  durchzieht,  bis  es  mehr  oder 
weniger  braun  und  zugleich  schwerer  geworden  ist;  dann  färbt  man  es  in  der  Küpe 
blau  aus. 

Für  dunkelbraune  und  schwarze  Garne  eignet  sich  insofern  Chamäleon 
am  besten,  als  man  mit  der  Erschwerung  auch  die  Farbe  erhält;  überdies  schliesst  die 
Verwendung  von  Chamäleon  keine  Gefahr  in  sich. 

Das  Weben.  Die  Vereinigung  der  Fäden  zu  Geweben,  die  Weberei,  ist  aus  dem 
Flechten  mit  der  Hand  hervorgegangen :  allmählig  bildete  sich  der  einfache  nnd  com- 
plicirte  Handwebstuhl  aus,  bis  in  der  neuesten  Zeit  der  JaeguanTBche  und  Maschinen- 
webstuhl einen  hohen  Grad  von  Vollkommenheit  erreichte. 

Bekanntlich  unterscheidet  man  in  jedem  Gewebe  die  darin  vorkommenden  Fäden 
in  Kette  und  Einschlag  (Schuss).  Bei  jedem  Einschuss  wird  der  oben  und  unten 
liegende  Theil  der  Kettenfäden  in  das  Ober-  und  Unterfach  unterschieden;  je  nach  der 
Reihenfolge,  in  welcher  die  Kettenfäden  in  diesen  Fächern  vertheilt  sind,  entstehen  die 
zahllosen  Modifikationen  der  Gewebe. 

Das  Kettengarn  wird  gespült,  geschert,  aufgebäumt  und  entweder  vor  dem  Auf- 
bäumen oder  auf  dem  Stuhl  geschlichtet:  man  unterscheidet  Hand-  und  Maschinen- 
oder  Kraftstühle.  Der  Kraftwebstuhl  (Powerloom)  ist  seit  1822  in  England  in 
der  Baumwollindustrie  im  allgemeinen  Gebrauch:  die  Haupt  Verbesserung  des- 
selben geschah  durch  Horrocke  in  Stockport,  später  durch  Sharp  und  Robert  in 
Manchester.     Gegenwärtig    wird    er    auch    zum    Weben   vou   Leinwand,    Wolle    und 


Die  Baumwollindustrie.  547 

Seide  verwendet  und  hat  einen  totalen  Unischwung  in  der  ganzen  Weberei  hervor- 
gerufen. 

Die  geschlichtete  Baumwolle  kann  zur  Schimmelbildung  und  zur  Ent- 
wicklung von  Propionsäure  Veranlassung  geben,  wenn  sie  in  einem  warmen  und 
feuchten  Räume  aufgespeichert  oder  verarbeitet  wird.  Zum  Schlichten  gebraucht  man 
bekanntlich  einen  aus  Mehl  oder  Stärke  bereiteten  Kleister,  dem  man  bisweilen  etwas 
Leim  und  auch  Talg  oder  Glycerin  zusetzt.  Beim  Aufeinanderlegen  solcher  Garne 
können  durch  die  Zersetzung  der  Schlichte  und  Bildung  von  Pilzen  schwarze  und  gelbe 
Flecke  auf  dem  Baumwollgarn  entstehen;  bleibt  ein  solches  Gespinnst  längere  Zeit  in 
einem  feuchten  Räume  aufeinander  liegen,  so  „verstirbt"  es,  d.  h.  es  fault: 

Grade  durch  die  Zersetzung  der  Schlichte  bildet  sich  in  den  Arbeitsstuben  der 
Handweberei  nicht  selten  eine  sehr  schlechte  Luft  aus;  um  die  Fäulniss  zu  ver- 
hüten, hat  man  den  Zusatz  von  Carbolsäure  empfohlen.  Am  besten  ist  die  Glycerin- 
schlichte  aus  Dextrin  (8  Th.),  28grädigem  Glycerin  (12),  schwefelsaurer  Thonerde  (1) 
und  Wasser  (30);  bei  einer  solchen  Schlichte  ist  es  den  Webern  gestattet,  bei  offnen 
Fenstern  und  trockner  Luft  zu  arbeiten.3) 

Appretur  der  Baumwollzenge.  Bei  der  Appretur  der  Baumwollzeuge  wieder- 
holen sich  die  meisten  Operationen,  welche  schon  bei  der  Appretur  des  Baumwoll- 
garns (Twist)  erörtert  worden  sind.  Es  ist  zu  erwähnen:  1)  das  Sengen  mittels 
einer  Menge  kleiner  Gasflämmchen  oder  einer  glühenden  Metallplatte.  Die  letztere 
Methode  ist  die  altere  und  wird  gegenwärtig  hauptsächlich  beim  Baumwollsammet 
noch  gebraucht;  man  benutzt  dazu  eine  halbkreisförmig  gebogene  Eisenplatte,  welche 
durch  ein  unmittelbar  darunter  brennendes  Feuer  zur  dunklen  Rothgluth  erhitzt  wird; 
über  derselben  ist  ein  Schlot  für  den  Abzug  der  unangenehm  riechenden  Verbrennungs- 
producte  angebracht.  Das  Zeug  wird  durch  Rollen  sehr  schnell  über  den  glühenden 
Cylinder  geführt. 

2)  Das  Scheren  geschah  früher  nur  bei  Wollgeweben,  weil  hier  das  Sengen 
unzulässig  ist.  Bei  der  grossen  Vervollkommnung  der  Scherm|aschine  benutzt  man 
sie  auch  beim  Kattun  und  bei  der  Leinwand ;  bei  Baumwollgeweben  folgt  das  Scheren 
gewöhnlich  am  Ende  der  Bleichoperationen  und  wird  dann  mit  einem  vorherigen  Sengen 
verbunden. 

3)  Das  Rauhen  geschieht  beim  Barchent;  man  gebraucht  dazu  Karden  oder  feine 
Eisendrahtkratzen. 

4)  Das  Aufbürsten  nimmt  man  beim  baumwollenen  Sammet  vor. 

5)  Das  Entschlichten  und  Beuchen.  Früher  beseitigte  man  den  zum 
Schlichten  benutzten  Kleister  durch  Gährung  und  weichte  zu  diesem  Zwecke  die  Stoffe 
in  Wasser  von  40 — 60°  C.;  indem  man  sie  der  bald  eintretenden  Gährung  überliess, 
entwickelte  sich  dabei  stets  ein  sehr  übler  Geruch.  Durch  die  gleichzeitig  eintretende 
Schimmelbildung  erlitt  auch  die  Waare  selbst  nicht  selten  Schaden;  nur  beim  Musselin 
ist  die  Gährung  noch  gebräuchlich.  Man  beseitigt  gegenwärtig  die  Fette  viel  besser 
durch  das  Kochen  der  Stoffe  mit  alkalischer  Lösung  und  nachfolgendes  Aus- 
waschen; ausser  Aetzkali  und  Pottasche  kann  man  auch  Harzseifen  gebrauchen  (siehe 
Chlor  S.  46). 

Beim  Beuchen  ist  vorzugsweise  die  Menge  von  Wasserdämpfen  in  den 
Arbeitslocalen  zu  berücksichtigen;  ihre  Entfernung  ist  schwierig  und  am  besten  durch 
einen  Exhaustor  zu  bewirken.  Die  Abfallwässer  sind  sehr  verdünnt  und  können  in 
den  meisten  Fällen  in  Canäle  oder  grössere  Wasserläufe  frei  abgelassen  werden. 

6)  Das  Bleichen  geschieht  vorzugsweise  mittels  der  Chlorbleiche  (s.  Chlor- 
bleiche S.  49).  Zum  Auswaschen  dienen  sinnreich  construirte  Wasserräder,  zum 
Trocknen  Centrifuge;;!  und  geheizte  Dampfcylinder- 

Das  Stärken,  Mangeln  und  Kalandern  bezweckt  Hebung  des  äussern  An- 
sehens der  Zeuge. 

Das  Erschweren,  der  Baumwollzenge.  Man  erschwert  die  Baumwollzeuge,  um 
sie  dem  Leinen  ähnlicher  zu  machen,  weshalb  es  vorzüglich  bei  lockern  Geweben  oder 
bei  Spitzen  geschieht.  Aus  dieser  Procedur  kann  den  Arbeitern  ein  sanitärer 
Schaden  erwachsen  und  selbst  bei  der  Benutzung  der  betreffenden  Zeuge  wird  ihr 
schädlicher  Einfluss  m<iht  ausbleiben.  Die  Arbeiter  verweilen  mit  den  Händen  längere 
oder  kürzere  Zeit  in  einer  concentrirten  Bleiessiglösung;  auch  schlägt  sich  beim  Durch- 
ziehen des  Zeugs  dui  -:;h  das  schwefelsaure  resp.  kohlensaure  Natriumbad  beständig 
schwefelsaures  resp.  kohlensaures  Blei  auf  ihre  Hände  nieder.  Bei  der  Unvorsichtigkeit, 
womit  diese  gewöhnlich  zu  Werke  gehen,  können  leicht  Bleitheilchen  auf  die  Mund- 
schleimhaut übertrage]!  werden,  ausserdem  vermag  eine  längere  Berührung  der  Haut 
mit  denselben  für  mar  die  Individuen  ebenfalls  schädliche  Folgen  herbeizuführen;  es  ist 
auch  keine  seltene  Eriährung,  dass  solche  Arbeiter  an  Bleikolik  leiden, _  nothwendig 
ist  es  daher,  dass  sie  sich  vorher  die  Arme  und  Hände  einölen  und  vor  jedem  Essen 
eine  gehörige  Reinigui   ;  vornehmen.4) 

35* 


548  Die  Pflanzenfaser. 

Die  Wasch wässer  und  Bäder  von  schwefelsaurem  oder  kohlensaurem  Natrium 
dürfen  nicht  frei  abgelassen  werden,  da  sie  die  betreffenden  Bleisalze  enthalten;  man 
lässt  letztere  erst  absetzen  und  trennt  sie  durch  Decantiren  von  der  Flüssigkeit.  Die 
ausgenutzte  Bleiessiglösung  muss  erst  mit  kohlensaurem  oder  schwefelsaurem  Natrium 
präcipitirt  und  dann  decantirt  worden. 

Selbst  das  Tragen  der  mit  Blei  erschwerten  Stoffe  erscheint  bedenklich,  da 
schwefelsaures  und  kohlensaures  Blei  sich  in  saurem  Schweiss  lösen  kann*):  die 
schwefelhaltigen  Verbindungen  in  letzterm  zersetzen  sich  und  liefern  Schwefelwasser- 
stoff, der  schwaiv.es  Schwefelblei  erzeug!  und  daher  die  Spitzen  schwärzt.  Für 
Nähterinuen,  welche  sich  mit  dein  Zurechtmachen  solcher  Stoffe  beschäftigen,  kann  das 
Stäuben  derselben  ebenfalls  Nachtheile  bringen. 

Am  häufigsten  werden  ächte  Spitzen,  die  durch  das  Tragen  schmutzig  ge- 
worden sind,  dem  Erschweren  unterworfen,  da  sie  nicht  gewaschen  oder  gebleicht  werden 
können. 

Das  Erehweren  mit  Baryt  ist  weniger  gefährlich.  Zum  Bade  nimmt  man  Chlor- 
barium und  zum  Präcipitiren  kohlensaures  oder  schwefelsaures  Natrium:  es  bleibt 
also  kohlensaures  oder  schwefelsaures  Barium  zurück,  Salze,  welche  jedenfalls  durch 
Decantiren  entfernt  werden  müssen,  ehe  man  die  Wässer  abfliessen  lässt. 

Beim  Tragen  solcher  Stoffe  ist  das  Bariumsulfat  wegen  seiner  Unlöslichkeit  von 
keiner  Bedeutung:  das  Bariumcarbonat  ist  schon  mehr  differenter  Natur**). 

Wichtig  ist  noch  der  Umstand,  dass  alle  feinern  Gewebe  durch  das  Erschweren 
eine  erhöhte  Feuergefährlichkeit  erhalten;  hierzu  tragen  alle  Farben  bei,  welche 
als  Basen  Metalloxyde  enthalten  Zu  diesen  gehören  namentlich  die  Bleisalze,  die 
chromsauren  Salze,  in  geringem!  Grade  Kupfersalze,  arsenigsaures  Kupfer, 
Eisensalze  und  Zinn  Verbindungen. 

Die  als  Tarlatane  bezeichneten  Stoffe,  bei  welchen  arsenigsaures  Kupfer 
gewöhnlich  nur  mittels  eines  Kleisters  aufgetragen  wird,  verstauben  leicht  und  haben 
dadurch  schon  zu  manchen  Vergiftungs-Erscheinungen  Veranlassung  gegeben:  vielfach 
leiden  namentlich  die  Nähterinnen  bei  der  Bearbeitung  an  Hautreizungen.  Kommen 
diese  Stoffe  mit  Feuer  in  Berührung,  so  brennen  sie  wie  Zunder  fort;  als  Schutz 
gegen  die  leichte  Entzündliehkeit  solcher  Kleider  hat  man  das  Durchtränken  derselben 
mit  einer  Lösung  von  phosphorsaurem  und  molybdänsaurem  Ammonium  oder  von 
wolframsaurem  Natrium  empfohlen:  besser  würde  es  jedenfalls  sein,  wenn  man  die 
oben  als  schädlich  bezeichneten  Metallfarben  durch  Erdfarben  und  Pflanzenpigmente 
ersetzen  wollte,  aber  trotz  des  polizeilichen  Verbotes  tauchen  die  arsenhaltigen 
Tarlatane  beständig  wieder  auf. 

Sanitäre  Verhältnisse  der  Arbeiter  in  Baumwollfabriken. 

Man  hat  das  Einathmen  des  feinen  Staubes  bei  der  Reinigung  und  Bear- 
arbeitung  der  Baumwolle  als  eine  höchst  wichtige  Krankheitsursache  aufgestellt 
und  das  häufige  Vorkommen  der  Lungenschwindsucht  bei  den  betreffenden 
Arbeitern  hiermit  in  Verbindung  gebracht;  Mareska  und  Heymann5)  be- 
haupten, unter  den  Arbeitern  in  den  Baumwollfabriken  zu  Gent  mehr  Schwind- 
süchtige als  bei  andern  Handwerkern  beobachtet  zu  haben.  Dass  der  Baum- 
wollstaub  Tuberculose  zu  erzeugen  vermag,  ist  noch  nicht  mit  Bestimmtheit 
nachgewiesen  worden,  während  es  unzweifelhaft  ist,  dass  mit  Tuberculose 
Behaftete  nicht  in  die  Baumwollfabriken  gehören,  da  sich  hier  die  Krankheit 
unbedingt  rascher  entwickeln  wird. 

Auf  die  verschiedenen  Manipulationen,  bei  welchen  Staub  entsteht,  ist  bereits 
aufmerksam  gemacht  worden:  unter  ihnen  verdient  die  Beschäftigung  am  Wolf 
und  an  der  Schlagmaschine  am  meisten  Beachtung.  Exhaustoren  sind  die 
souveränsten  Mittel,  um  dem  nachtheiligen  Einflüsse  auf  die  Arbeiter  vorzubeugen  und 
ersetzen  vollständig  die  verschiedenen  vorgeschlagenen  Respiratoren,  obgleich  es 
immer  noch  Schwierigkeiten  unterliegt,  die  Atmosphäre  staubfrei  zu  erhalten.  Es  muss 
daher  in  allen  derartigen  Arbeitsräumen  die  grösste  Reinlichkeit  herrschen:  EinÖlungen 
<\c>  Fussbodens,  die  ein  tägliches  feuchtes  Aufwischen  gestatten  und  die  Anhäufung  des 

*)  Schwefelsaures  Blei  ist  in  ammoniakalischen  und  organisch  sauren  Flüssigkeiten, 
kohlensaures  Blei  nur  in  letztern  löslich. 

**)  Bariumcarbonat  wirkt  auf  kleiner''  Thiere,  wie  Mäuse  u.  s.  w.,  giftig  ein. 


Die  Baumwollindustrie.  549 

Staubes  verhüten,  sind  sehr  wichtig,  da  häufig  das  Aufwirbeln  des  abgelagerten  Staubes 
ebenso  schädlich  einwirkt  wie  der  sich  neu  bildende. 

Die    von    Coetsem6)    aufgestellte    Pneumonie    der    Baumwollarbeiter    kann 
nicht    als    ein    specifischer   Krankheitsprocess    aufgefasst    werden:    dass    der  Baumwoll- 
staub  die  Respirationswege  reizt  und  besonders  bei  den  neu  eintretenden  Arbeitern  stets 
mehr    oder   weniger  Husten   erzeugt,    unterliegt    keinem    Zweifel;    die   Baumwollfasern 
dringen  aber  fast  nie   bis   in  die  feinern  Bronchialverzweigungen   vor,    sondern    werden 
mit  den  Sputis  ausgeworfen,    ohne   sich  in  den  Respirationswegen  bleibend  abzulagern. 
Für  krankhafte  Brustorgane   wird  freilich   eine  beständige  Wiederkehr  dieser  reizenden 
Einflüsse  nicht  ohne  Folgen  bleiben,  weshalb  Individuen  dieser  Art  stets   vor  Beschäf- 
tigungen   in  Baumwollfabriken    zu    warnen    sind:     auch    soll    das    häufige  Vorkommen 
von    chronischem  Brustkatarrh,    von  Emphysem,   Augenentzündungen   u.  s.  w.  nicht  in 
Abrede  gestellt  werden;  diese Krankheitszustände  kommen  aber  in  höherm  oder  gerino-erm 
Grade    in   jeder    Staubatmosphäre    vor.     Ausserdem   ist  überhaupt  die  Baumwollmanu- 
factur   für  jugendliche  Personen    nicht  zu  empfehlen,    da   die  Entbehrung   der   frischen 
Luft  und  die  frühzeitige  Beschäftigung  mit  Arbeiten,   die   den  Körper   zwar  wenig  an- 
strengen,   aber  in   seiner  gleichmässigen   Entwicklung   stören,   immerhin  als  schädliche 
Factoren  zu  betrachten  sind;   leider  wählt  man  häufig  grade  die  schwächlichen  Knaben 
und   Mädchen   für    die  Beschäftigung  in   der  Baumwollmanufactur   aus.      Den   Schilde- 
rungen des  Elends,   welches  namentlich  in   industriereichen  Gegenden  vorkommt,    sind 
vorzugsweise  die  Verarmung,  die  Schwächlichkeit  der  Generation,  das  frühe  Heirathen 
und   frühzeitige   Heranziehen   der   jugendlichen  Personen   zur  Arbeit  zu  Grunde  gelegt 
worden.     Diese  Momente  kehren   aber  bei   jeder   andern  Industrie  mehr   oder  weniger 
wieder  und  wurzeln  in  socialen  Gebrechen,   die   stets   sorgfältig  von  den  unmittelbaren 
Einflüssen  der  Fabriken  zu  unterscheiden   sind.      Blutarmuth,    Bleichsucht,    Digestions- 
störungen, Scrofeln,  Lungentubereulose,  die  verschiedenen  Hautleiden  u.  s.w.  sind  Krank- 
heiten, die  meist  mit  schlechten  Nahrungsmitteln,  ungesunden  Wohnungen  und  mit  der 
ganzen  Lebensweise  der  Arbeiterclasse  zusammenhängen.    Vortrefflich  haben  sich  daher 
auch  die  Speiseanstalten  in  den  Fabriken  bewährt,  in  denen  gegen  eine  billigere  Ver- 
gütung Speisen  an  die  Arbeiter  verabreicht  werden,  eine  Einrichtung,  die  zu  den  wich- 
tigsten Präservativmassregien  gehört,  da  eine  ausreichende  Ernährung  das  bewährteste  Mittel 
ist,  um  erwähnten  Schädlichkeiten  widerstehen  zu  können.    Dazu  kommt  auch  die  bessere 
Zubereitung  der  Speisen,  die  weniger  Verdauungsstörungen  aufkommen  lässt,  denn  es  ist 
sicher,  dass  bei  der  Arbeiterclasse  diese  Leiden   vielfältig  durch  die  Unerfahrenheit  der 
Frauen  in  Haus-  und  Küchen-Angelegenheiten   mit  bedingt  werden.     Vollends  wird  die 
leibliche  Pflege   zur  Nebensache,   wenn  Fabrikarbeiterinnen   gleichzeitig  die    häuslichen 
Geschäfte  verrichten    sollen:    wer    lange   Jahre    mitten  im   Getriebe   der  Textilindustrie 
gestanden  hat,  wird  den  Einfiuss  des  Hauses  in  sanitärer  Beziehung  für  ebenso  wichtig 
halten  wie  den  der  Fabrik  und  ordentliche  Frauen  für  die  wichtigste  Stütze  der  Wohl- 
fahrt der  arbeitenden  Classe  erklären. 

Für  Spinnereien  hat  mau  gegenwärtig  in  den  meisten  Fabriken  luftige 
Räume,  die  bei  zweckmässiger  Bedachung  (Shade -Dächer)  gehörig  ventilirt 
werden  können  und  daher  bei  einiger  Aufmerksamkeit  sanitäre  Nachtheile  kaum 
aufkommen  lassen;  ausserdem  ist  die  Arbeit  nicht  mehr  anstrengend,  da  die 
Maschinen  die  körperliche  Kraft  ersetzen. 

Auch  die  Weberei  verliert  durch  die  mechanischen  Webstühle  immer  mehr 
ihren  schädlichen  Einfiuss;  nur  bei  den  Handstühlen,  die  noch  im  Kleingewerbe 
benutzt  werden,  ist  namentlich  die  schlechte  Beleuchtung  mit  Gesund- 
heits-  Schädigungen  verbunden.  Die  qualmende  Oellampe  verschwindet  zwar 
seit  der  Einführung  von  Petroleum,  aber  die  Benutzung  von  billigem  und 
schlechtem  Petroleum  sowie  von  schlecht  construirten  Lampen  führt  oft  zu 
ähnlichen  Nachtheilen.  Wenn  übrigens  Michaelis  7)  für  die  sächsischen 
Weber  ca.  38,  für  die  schlesischen  ca.  36%  Jahre  als  Durchschnittszahl 
für  die  Lebensdauer  aufstellt,  so  dürfte  diese  Zahl  im  Grossen  und  Ganzen 
nicht  ganz  der  Wirklichkeit  entsprechen,  obwohl  die  meisten  Weber  sich 
selten  einer  kräftigen  Gesundheit  erfreuen,  wenn  sie  den  mit  dem  Handstuhl 
verbundenen  Schädlichkeiten  ausgesetzt  sind.  Verfasser  hat  am  meisten  Ver- 
dauungsstörungen bei  Webern  beobachtet,  die  mit  der  sitzenden  Lebensweise 


550  Die  Pflanzenfaser. 

und  dem  Drucke  auf  das  Epigastrium  iu  Verbindung  stehen;  dem  nachtheiligen 
Einflüsse  der  Schlichte  kann  durch  eine  zweckmässigem  Zusammensetzung 
vorgebeugt  werden  (s.  S.  547).  In  Betreff  der  Jacquard'schen  Stühle  vergl. 
man  „Blei". 

In  der  Färberei  ist  der  häufige  Gebrauch  von  arseniksaurem  Natrium 
als  Beize  hervorzuheben,  welches  die  Gesundheit  der  Arbeiter  gefährden  kann, 
vorzugsweise  aber  die  Berücksichtigung  den  Abflusswässern  zuzuwenden 
erheischt;  dasselbe  gilt  vom  Sublimat,  wenn  derselbe  zur  Verwendung  kommt 
(m.  vergl.  auch  Blutlaugensalz  S.  387).  Die  Anilinfarben  können  nur  durch 
etwaigen  Arsen-  oder  Quecksilbergehalt  schädlich  wirken. 

In  den  Druckereien  ist  es  die  Benutzung  von  Methylalkohol  (s.  S.  375) 
und  von  Terpentinöl  (s.  dieses)  als  Auflösungsmittel  für  Farben,  deren  Aus- 
dünstungen die  Reinheit  der  Luft  in  den  betreffenden  Arbeitsräumen  beein- 
trächtigen; auch  hier  kann  nur  eine  kräftige  Exhaustion  den  Nachtheilen 
vorbeugen. 

Die  Festsetzung  eines  bestimmten  Kubikraums  Luft  pro  Kopf  ist  nur  mit  grosser 
Schwierigkeit  ausführbar,  da  die  Anzahl  der  Arbeiter  in  manchen  Räumen  nicht  immer 
dieselbe  ist;  immerhin  müssen  die  Looale  um  so  geräumiger  sein,  je  mehr  die  Fabrication 
mit  Staubbildung  oder  nachtheiligen  Gerüchen  verbunden  ist.  In  Spinnsälen  sind  nur 
wenige  Arbeiter  beschäftigt,  da  schon  die  Aufstellung  der  Apparate  einen  grossen  Raum 
einnimmt;  es  ist  daher  unschwer,  2000 — 3000  Kubikfuss  Luftraum  pro  Kopf  zu  schaffen, 
in  allen  übrigen  Räumen  werden  aber  800 — 1000  Kubikfuss  vollkommen  ausreichen, 
wenn  eine  zweckmässige  Ventilation  hinzukommt,  die  durch  die  Grösse  des  Raumes  oft 
gar  nicht  ersetzt  werden  kann.8) 

Das  Spitzenjklöppeln  und  Posamentirgewerbe  zählen  meistens  zur 
Hansindustrie;  bei  ersterm  sind  es  die  Art  der  Arbeit,  der  Mangel  an  frischer 
Luft,  der  karge  Verdieust  und  daher  die  schlechte  Ernährung,  deren  Einwirkung 
auf  das  körperliche  Gedeihen  in  nachtheiligster  Weise  hervortreten. 

Leinenindustrie. 

Zur  Gespinnstfaser  werden  ausser  der  Nessel,  dem  chinesischen  Grase, 
dem  Cocosbast,  der  Jute  u.  s.w.  vorzugsweise  Flachs  und  Hanf  benutzt;  die 
beiden  letztern  bedürfen  einer  besondern  Vorbereitung,  um  die  Faser  zum  Spinnen 
tauglich  zu  machen. 

Der  Flachs  rührt  von  der  Leinpflanze  (Linum  usitatissimum)  her,  die 
nach  der  Reifung  der  Samen  ausgezogen  und  getrocknet  wird;  dann  folgt  das 
Riffeln  mittels  des  Riffelkamms  oder  eines  Walzwerks,  um  die  Samenkapseln 
abzusondern.  Um  die  in  dem  Rohflachse  enthaltene  harzige  Substanz  aus  dem 
Baste  zu  entfernen,  wendet  man  meist  einen  Gährungs-  oder  Fäulniss- 
process,  das  sogen.  Rotten  an. 

Man  unterscheidet  1)  die  Thaurotte,  bei  der  am  wenigsten  übelriechende  Zer- 
setzungsproducte  auftreten,  da  die  Leinpflanze  auf  Feldern  ausgebreitet  und  der  Ein- 
wirkung der  Luft  ausgesetzt  wird. 

2)  Bei  der  Teichrotte  wird  die  Leinpflanze  in  Bündel  gebunden  und  unter  dem 
Wasserspiegel  gehalten;  zuerst  färbt  sich  das  Wasser  schmutzig,  bis  nach  mehreren 
Tagen  die  ganze  Reihe  der  Fäulnissgase  mit  ihren  widerlichen  Gerüchen  auftritt; 
hierdurch  können  bei  einem  grossartigen  Betriebe  ganze  Gegenden  benachtheiligt  und 
zu  einem  Depot  intermittirender  Fieber  gemacht  werden.  Das  abfallende  Wasser 
enthält  Nitrate  und  Nitrite,  alle  Phosphorsäure  und  die  Alkalien  der  Pflanze;  es  gibt 
daher  ein  gutes  Düngmittel  ab.  Um  es  zu  benutzen,  muss  man  viereckige,  mit 
Steinen  ausgemauerte  und  wasserdichte  Gruben  (Rottgruben)  anlegen,  in  diese 
durch  einen  Canal  das  Rottwasser  zunächst  ableiten  und  dann  auf  Wiesen, 
Aecker    u.  s.  w.    ablassen.      Lässt    man    dieses    Wasser    in    Bäche    laufen,    so    wird    es 


Die  Leinenindustrie  551 

dieselben  zu  ökonomischen  oder  technischen  Zwecken  ganz  unbrauchbar  machen  und 
die  Fischzucht  vernichten.  Nur  solche  Teiche  kann  man  zum  Rotten  benutzen,  die 
keine  Fische  enthalten:  der  Krebs  erleidet  jedoch  keinen  Schaden  dadurch. 

3)  Die  Flussrotte  darf  aus  den  angeführten  Gründen  nach  dem  Gesetze  vom 
28.  Februar  1843  nur  nach  eingeholter  polizeilicher  Erlaubniss  benutzt  werden. 

4)  Bei  der  gemischten  Rotte  entfernt  man  die  Pflanze  aus  dem  Wasser,  ehe  der 
üble  Geruch  eintritt,  und  wendet  dann  die  Thaurotte  an. 

Die  Anlage  von  Röstgruben  in  der  Xähe  von  Wohnungen  sollte  nicht  allein  wegen 
des  üblen  Geruchs,  sondern  auch  wegen  der  leichten  A'erunreinigung  der  benachbarten 
Brunnen  verboten  werden:  selbst  in  der  Nähe  von  gangbaren  Wegen  sollte  man  sie 
nicht  dulden.  Die  Fäulnissproducte  vermögen  jedenfalls  Contagien  zu  fördern  und  daher 
der  Ausbreitung  von  Epidemien  Vorschub  zu  leisten. 

5)  Die  Kastenrotte  geschieht  in  Bottichen,  die  in  Räumen  mit  einer  Temperatur 
von  23 — 23°  R.  stehen,  mit  reinem  Wasser  oder  mit  Wasser  gefüllt  sind,  dem  man 
faulende  Substanzen,  z.  B.  aufgesehlemmte  Bierhefe.  Blutserum  oder,  um  besonders 
weissen  Flachs  zu  erzielen,  entbutterte  Milch  oder  Quark  zugesetzt  hat. 

Die  Fäulnissgase  müssen  sorgfältig  in  eine  Feuerung  geleitet  werden ,  widrigen- 
falls das  Betreten  dieser  Räume  für  die  Arbeiter  gefährlich  werden  kann,  da  Schwefel- 
ammonium fast  nie  fehlen  wird. 

Die  Abfallwässer  müssen  stets  mit  Kalk  versetzt  werden,  ehe  man  ihren  Ab- 
fluss  gestattet. 

Das  Snh  er, k' sehe  oder  amerikanische  Verfahren  unterscheidet  sich  nur 
dadurch,  dass  das  Wasser  durch  Wasserdämpfe  von  26—32°  C.  erwärmt  wird. 

Die  Heiss wasserrotte  nach  Buchanan  und  die  Dampfrotte  nach  Watt  haben 
sich  nicht  bewährt. 

Die  Rotte  mit  verdünnter  Schwefelsäure  {%  %)  nach  Gaultier  de  Clanbry 
oder  das  Kochen  in  Laugen  mit  und  ohne  Zusatz  von  Seife  erfordert  eine  grosse 
Aufmerksamkeit.  Auch  liier  bedürfen  die  Abfallwässer  der  gehörigen  Beachtung: 
werden  sie  bei  der  erstem  Methode  auch  behufs  Xeutralisirung  mit  Kalk  behandelt,  so 
dürfen  sie  doch  nicht  in  stehende  Gräben  oder  Teiche  abgelassen  werden,  weil  durch 
den  Kalk  nicht  alle  organischen  Substanzen  präeipitirt  werden.  Die  laugenhaltigen 
Wässer  können  zum  Begiessen  von  Composthauf en  oder  beim  Gehalt  an  Seife  zur 
Wiedergewinnung  derselben  verwendet  werden. 

Der  gerottete  Flachs  wird  gewaschen  und  entweder  an  der  Luft  oder 
in  Darrhätten  getrocknet;  dann  folgt  das  Brechen,  wozu  man  die  Handbreche 
oder  Flachsbrechmaschine  benutzt,  um  die  holzige  Substanz  (Schabe)  zu  zer- 
brechen. 

Zur  vollständigen  Entfernung  der  Schabe  dient  das  Schwingen  und  Ribben: 
der  hier  abfallende  Theil  heisst  Werg,  Hede. 

Beim  Hecheln  werden  die  bisher  gewonnenen  Fäden  noch  gespalten;  die 
hierzu  dienenden  Hechelmaschinen  sind  den  Krempelmaschinen  ähnlich.  Hierbei  fällt 
noch  mit  Schäbetheilen  verunreinigtes  Werg  ab  und  es  müssen  in  Betreff  der  Staubbildung' 
ähnliche  Vorkehrungen  wie  beim  Wolfen  u.  s.  w.  der  Baumwolle  getroffen  werden. 

Weniger  Staub  fällt  bei  dem  nun  folgenden  Bürsten  mittels  der  mit  Borsten 
besetzten  hölzernen  Walze  ab:  das  schliessliche  Kochen  geschieht  mit  Pottaschen- 
lösung oder  mit  einer  Mischung  von  Seife  und  Lauge  nach  der  oben  erwähnten 
Methode.     Die  Abfallwässer  sind  wie  die  Beuehwässer  zu  behandeln*). 

Beim  Flachs-  oder  Leinenspinnen  kann  in  industrieller  Beziehung  nur  von 
der  Maschinenspinnerei  die  Rede  sein**).  Die  Manipulationen  sind  dieselben  wie  bei 
der  Baumwollspinnerei,  indem  der  gehechelte  Flachs  zuerst  gestreckt,  duplirt  und 
vorgesponnen  wird.  Beim  Feinspinnen,  welches  auf  Watermaschinen  geschieht,  unter- 
scheidet man  das  Trockenspinnen,  das  Halbnassspinnen  mit  kaltem  Wasser  und 
das  eigentliche  Xassspinnen,  das  am  gebräuchlichsten  ist:  das  Yorgespinnst  wird 
hierbei  durch  heisses  Wasser  geleitet  und  dadurch  erweicht,  ehe  es  zwischen  die 
Streckwalzen  gelangt.  Die  betreffenden  Garne  verderben  aber  leicht  und  müssen 
möglichst  bald  von  "den  Spulen  abgehaspelt  und  getrocknet  werden;  auch  die  betreffen- 
den Wässer  faulen  wegen  ihres  Gehalts  an  organischen  Substanzen  sehr  rasch  und 
müssen  deshalb  nach  den  früher  entwickelten  Gesichtspuneten  behandelt  werden. 


*)  Die  Waldwolle  ist  ein  faseriger  Stoff,  der  durch  Auskochen  und  Zertheilen 
der  Kiefernadeln  erhalten  wird,  wobei  die  oben  erwähnten  Yorsichtsmassregelnin 
Betreff  der  Abfallwässer  zu  beobachten  sind.  Sie  wird  mit  Baumwolle  verarbeitet;  im 
rohen  Zustande  dient  sie  als  Polstermaterial  und  Papierzeug. 

**)    Werg  wird  wie  Flachs  gesponnen. 


552  Die  Pflanzenfaser, 

"Das  Haspeln  und  Sortiren  des  Leinengarns  ist  rein  mechanischer  Natur 
und  mit  kaum  bemerkenswerthem  Staube  verbunden. 

Besondere  Arten  von  leinenen  Zeugen.  Bei  der  halbbauniwollenen  Lein- 
wand besteht  die  Kette  aus  Baumwollgarn  und  der  Einschuss  aus  Flachsgarn.  Zur 
Unterscheidung  der  verschiedenen  Garne  benutzt  man  das  Mikroskop  und  die  chemische 
Probe  mit  concentrirter  Schwefelsäure,  die  bekanntlich  nur  die  Baumwolle  auflöst; 
man  darf  dieselbe  aber  nur  eine  Minute  lang  einwirken  lassen,  weil  sonst  auch  die 
Leinenfaden  mürbe  werden. 

Der  Damast  und  der  Zwillich  werden  auf  Jacquard-Stühlen  gewebt.  Beim 
Battist  geschah  früher  zum  grossen  Naehtheile  der  Arbeiter  das  Weben  in  feuchten 
Kellern,  um  das  Zerreissen  der  zarten  Fäden  zu  verhüten;  gegenwärtig  braucht  man 
eine  schwache  Auflösung  von  Chlor  calci  um  zum  Befeuchten  des  Gespinnstes. 

Leinene  Gaze  sind  florartig  gewebte  Zeuge.  Zu  Segeltuch  wird  meist  Hanf, 
zu  Sack-  und  Packleinen  Hanf  und  Werg  benutzt. 

Bei  der  Appretur  der  leineneu  Zeuge  sind  besonders  die  Abfallwässer  sehr 
zu  beachten,  da  sie  wegen  ihres  Gehalts  an  organischen  Substanzen  sehr  leicht  in 
Fäulniss  übergehen. 

Die  Beuchwässer  (s.  S.  46)  können  auf  1000  Theile  Wasser  1,5—1,8,  bisweilen 
aber  auch  25 — 30  feste  Bestandtheile  enthalten ;  bei  einer  so  bedeutenden  Concentration 
würde  sich  das  Abdampfen  derselben  empfehlen,  um  die  Lauge  resp.  Pottasche  wieder 
zu  gewinnen. 

In  den  Abfallwässern  bei  der  Chlor  bleiche  konnten  in  einem  concreten 
Falle  auf  1000  Theile  Wasser  3  Theile  feste  Bestandtheile  nachgewiesen  werden. 

Das  Erschweren  mit  Blei  geschieht  nicht  selten  auch  bei  leinenen  Spitzen 
(siehe  S.  547). 

Die  sanitären  Verhältnisse  der  Arbeiter  in  der  Leinenindustrie. 

Die  sanitären  Verhältnisse  der  Arbeiter  stimmen  mit  denen  in  der  Baum- 
wollindustrie überein.  Der  Lemenfaser-  Staub  ist,  abgesehen  von  andern  zu- 
fälligen Unreinigkeiten,  in  seiner  Wirkung  dem  Baumwollstaub  ähnlich,  wenn 
auch  das  einzelne  Flachsfäserchen  nicht  die  Weichheit  und  Elasticität  wie  die 
Baumwollfaser  besitzt.  Von  einer  Einlagerung  des  Flachsstaubes  in  die  Luugen 
liegt  keine  glaubwürdige  Beobachtung  vor,  obgleich  bei  den  Arbeitern,  die  in 
grossen  Fabriken  beschäftigt  sind,  durch  die  stauberzeugenden  Manipulationen 
Reizuugen  der  Respirationswege  erzeugt  werden,  wenn  keine  Präventivmassregeln 
zur  Anwendung  kommen.  Tuberculose  kommt  aber  bei  denselben  nicht  häufiger 
als  bei  andern  Arbeitern  vor,  wenn  nicht  Armuth  und  schlechte  Ernährung  schon 
den  Keim  derselben  geliefert  oder  frühzeitige  Beschäftigung  am  Spulrad  die  ganze 
Körperentwicklung  gestört  hat. 

Ob  bei  den  Flachsarbeitern  im  Anfange  der  Beschäftigung  relativ  häufig 
acute  Pneumonieeu  vorkommen,  wie  man  behauptet  hat1),  müssen  noch  weitere 
Beobachtungen  entscheiden.  Handelt  es  sich  um  Flachsarbeiter  im  Kleingewerbe, 
so  kann  Verf.  dieser  Annahme  keinesfalls  zustimmen,  da  hier  die  meisten  Arbeiten 
im  Freien  oder  in  luftigen  Schuppen  vorgenommen  werden  und  die  Intensität  des 
Staubes  nicht  so  bedeutend  ist  wie  in  Fabrikräumen  ohne  Ventilation.  Letztere 
ist  hier  ebenso  nothwendig  wie  in  der  Baumwollindustrie  und  würden  die  bezüg- 
lichen Vorkehrungen  auch  in  der  Flachsindustrie  die  wichtigsten  sanitären  Nach- 
theile beseitigen. 

In  den  Spinnsälen  ist  die  Ventilation  wegeu  der  leicht  eintretenden  üblen 
Gerüche  absolut  erforderlich,  da  diese  beim  Nassspinnen  am  meisten  Gesund- 
heitsstörungen zu  erzeugen  vermögen,  namentlich  wenn  gleichzeitig  eine  permanent 
erhöhte  Temperatur  hinzukommt. 

Purdon2)  hat  bei  Arbeiterinnen,  welche  die  Spulen  von  den  Maschinen  ent- 
fernen,   letztere    putzen    und    einölen,    papulöse    und    pustulöse    Hautausschläge 


Die  Thierfaser.  553 

beobachtet,  die  sicherlich,  nur  in  vernachlässigter  Hautreinigung  ihren  Grund 
hatten,  da  sie  sich  namentlich  am  Vorderarm  zuerst  als  schwarze,  den  Mün- 
dungen der  Schweissdrüsen  entsprechende  Puncte  zeigten,  die  mit  verhärtetem, 
schwarz  gefärbtem  Secret  verstopft  sind  und  dann  Verschwärungen  veranlassen 
(siehe  S.  373). 

Die  Wichtigkeit  von  Badeeinrichtungen  für  die  arbeitende  Classe  kann 
nicht  oft  genug  hervorgehoben  werden,  wenn  man  berücksichtigt,  wie  sehr  die 
Hautcultur  das  allgemeine  Wohlsein  kräftigt  und  viele  Krankheiten  verhütet. 

Bei  den  Webern  treten  die  Nachtheile  des  Kleingewerbes  zu  Tage,  wenn 
Maschinenstühle  nicht  zur  Verfügung  stehen. 

Für  die  Adjacenten  ist  besonders  die  Behandlung  der  Beuchwässer  von 
Bedeutung  und  es  müssen  hier,  wenn  der  Betrieb  ein  ausgedehnter  ist,  ähnliche 
Vorkehrungen  wie  bei  den  Abfallwässern  der  Wollfabriken  getroffen  werden. 


Die  Thierfaser. 

Obgleich  Wolle  und  Seide  ihrer  chemischen  Constitution  nach  nicht 
hierher,  sondern  zu  den  Proteinstoffen  gehören,  so  schliessen  sie  sich  doch  in 
industrieller  Beziehung  der  Pflanzenfaser  insofern  an,  als  sie  zur  Textil- 
industrie gehören  und  bei  ihrer  technischen  Verarbeituag  übereinstimmende 
Operationen  vorkommen;  um  daher  eine  Gesammtübersicht  der  Textilindustrie 
zu  liefern,  sollen  sie  hier  näher  erörtert  werden. 

Wollindustrie. 

Unter  Wolle  versteht  man  im  gewöhnlichen  Leben  die  haarige  Bedeckung 
des  Schafes,  deren  Beschaffenheit  sich  nach  den  verschiedenen  Schafracen  richtet 
(Kaschmirwolle,  Alpaca wolle,  Vigognewolle,  Kämelwolle  u.  s.  w.).  Ausser  dem 
Hornstoff  (Keratin)  enthält  sie  besonders  ein  flüssiges  Fett,  welches  ihre 
Elasticität  bedingt,  und  eine  Menge  von  Secreten,  die  man  im  Allgemeinen 
Wollschweiss  nennt.1) 

Nach  der  Maceration  der  Wolle  in  warmem  Wasser  findst  man  in  diesem 
Chlorkalium,  das  Kaliumsalz  einer  Fettsäure,  Kaliumcarbonat,  Calciumoxalat, 
Baldriansäure  und  freies,  unverseiftes  Fett.  Manche  Wollsorte,  z.  B.  die  austra- 
lische Wolle,  kann  nur  im  Seh  weisse  versendet  werden;  es  herrscht  alsdann 
auf  den  Transportschiffen  ein  widerlicher  Geruch  nach  ranzigem  Fett  und 
Ammoniak,  der  zwar  vor  Insectenfrass  schützt,  aber  auf  die  Schiffsmannschaft 
nachtheilig  einwirken  kann. 

Präparation  der  Wolle  für  den  Handel.  Man  unterscheidet  1)  die  Pelz- 
wäsche,  2)  die  Schur  und  3)  das  Sortiren  der  Wolle;  letztere  Beschäftigung 
ist  sehr  ungesund  und  namentlich  für  Brustkranke  schädlich.  Der  meiste  Staub  ent- 
wickelt sich  beim  Klopfen  und  Schlagen  der  aufeinander  gelegten  Vliesse;  es  sollte 
dies  nie  im  allgemeinen  Arbeitsraume,  sondern  nur  unter  freistehenden  Schuppen 
stattfinden.  Bei  einer  langjährigen  Behandlung  der  Wollsortirer  hat  Verf.  vorzugsweise 
Brustaffectionen  und  bei  tuberculoser  Anlage  rasche  Fortschritte  der  Schwindsucht  beob- 


554  ^ie  Thißifaser. 

achtet,  so  dass  sich  beim  Wollstaube  dieselben  Erfahrungen  wie  beim  Baumwoll- 
staube wiederholen.  Uebertragungen  von  Thierkrankheiten,  namentlich  von  Milzkrauk- 
heit,  auf  Wollsortirer  sind  bis  jetzt  noch  nicht  nachgewiesen  worden. 

Verarbeitung  der  Wolle.  Je  nachdem  man  Streichwolle  (Kratz-  oder 
Tuchwolle)  für  die  Stoffe  mit  filzartiger  Oberfläche  oder  Kammwolle  (lange  Wolle) 
für  glatte,  nicht  gewalkte  Wollzeuge  mit  sichtbarem  Faden  des  Gewebes  zu  behandeln 
hat,  unterscheidet  man  verschiedene  Operationen. 

A.  Verarbeitung  der  Streicliwolle  zu  Streichgarn.  1)  Das  Waschen  der 
Wolle  bezweckt  das  Entschweissen  oder  Entfetten  der  Wolle,  wozu  man  Soda, 
weiche  Seife  oder  gcfaulten  Menschenharn  (Ammoniumcarbonat)  gebraucht*). 

2)  Das  Färben  der  Wolle  geschieht  nur  mit  haltbaren  Farben. 

3)  Das  Wolfen  wird  zur  Reinigung  und  zum  Entwirren  der  Haare  vorge- 
nommen; der  entstehende  Staub  ist  immer  bedeutend  genug,  um  Vorsichtsmassregeln 
eintreten  zu  lassen**). 

4)  Zum  Einfetten  der  Wolle  gebraucht  man  Baumöl,  Erdnussöl  oder  Oelsäure 
(Olein),  bei  grobem  Sorten  Rüböl  oder  Thran;  man  muss  hier  das  Zusammenhäufen  der 
eingefetteten  Wolle  wegen  der  Feuersgefahr  verhüten  (s.  S.  352). 

5)  Das  Krempeln,  6)  das  Vorspinnen,  7)  das  Feinspinnen,  8)  das 
Haspeln  geschieht  ähnlich  wie  bei  der  Baumwolle. 

Die  Tncbweberei  hat  durch  die  Einführung  der  Maschinenwebstühle  einen  be- 
deutenden Umschwung  erlitten,  so  dass  kleinere  Fabriken  nicht  mehr  der  Concurrenz 
mit  grossem  gewachsen  sind.  Das  vom  Webstuhl  genommene  Tuch  heisst  Lode,  den 
man  durch  Noppen  von  den  Unreinigkeiten  (Knoten,  Enden)  befreit.  Dann  folgt  das 
Waschen  und  Walken,  wozu  man  jetzt  Walkwalzen  gebraucht:  das  Wasser  wird 
mit  gefaultem  Urin,  Walkerde,  Schmierseife  oder  bei  feinern  Tuchen  mit  Talg-  oder 
Oelseife  versetzt.  Der  Lode  heisst  nun  Tuch,  das  aufgerahmt  und  dann  dem 
Rauhen  und  Scheren  unterworfen  wird;  bei  letzterm  fällt  ein  feiner  Wollstaub,  die 
sogenannte  Scherwolle  ab,  welche  in  der  Tapetenfabrication  und  bei  der  Anfertigung 
von  Spielwaaren  u.  s.  w.  verwendet  wird.  Besondere  Vorrichtungen  zum  Ansammeln 
dieses  Wollstaubes  bestehen  nicht:  unter  den  bestehenden  Verhältnissen  ist  sogar 
jeder  Zug  in  den  Arbeitsräumen  zu  vermeiden,  damit  derselbe  nicht  aufgewirbelt  wird. 

Beim  Decantiren  oder  Netzen  des  Tuches  werden  heisse Wasserdämpfe  in  das 
Innere  einer  kupfernen,  in  einem  geschlossenen  Räume  befindlichen  Walze  geleitet,  die 
in  ihrem  Mantel  viele  kleine  Löcher  hat,  über  welchen  das  Tuch  gespannt  wird.  Das 
Bürsten  und  Pressen  beschliesst  die  Tuchfabrication 

Zu  den  besondern  Arten  der  tuchartigen  Gewebe  gehören  der  Flanell, 
der  Kasimir,  der  Flaus,  Calmuck,  Düffel,  Buckski  n,  Doeskin  u.  s.  w. 

B.  Bearbeitung  der  Kammwolle  zu  Kammgarn.  Hier  ist  das  Auskämmen 
oder  Kämmen  der  Wolle  mittels  der  Hand  oder  besonderer,  bisher  noch  complicirter 
Maschinen  (von  Heilmann^  Lister,  Donnistkorpe)  hervorzuheben,  welches  die  Entfernung 
der  kleinern  Fasern  und  die  parallele  Anordnung  der  langen  Haare  bezweckt;  auch 
hierbei  entsteht  noch  mehr  oder  weniger  Staub.  Das  gekämmte  Garn  wird  dann 
gestreckt  und  gesponnen,  wobei  man  sich  der  bei  der  Baumwollindustrie  gebräuch- 
lichen Maschinen  bedient:  diese  unterscheiden  sich  nur  in  unwesentlichen  Puncten  von 
einander. 

Halbkammgarn,  Strickgarn,  Sayet  erfordert  kein  Kämmen,  sondern  nur 
ein  Kratzen:  die  Fäden  bestehen  daher  aus  langen  und  kurzen  Haaren. 

Zu  den  glatten  Stoffen  zählt  besonders  der  Bombasin,  der  dem  Scheren, 
Sengen  und  Pressen  unterliegt;  hierher  gehört  auch  der  Wollstramin  und  Woll- 
musselin. 

Zu  den  geköperten  oder  croisirten  Stoffen,  die  sich  von  den  glatten 
Geweben  dadurch  unterscheiden,  dass  die  Einschlagfäden  durch  mehrere  Kettenfäden 
bedeckt  werden,  ehe  sie  wieder  die  Kette  bedecken,  rechnet  man  die  Merinos, 
Thibets  u.  s.  w. 


*)  Das  Entschweissen  der  Wolle  ist  gegenwärtig  ein  besonderer  Industrie- 
zweig geworden :  da  sich  die  Behandlung  der  betreffenden  Abfallwässer  nicht  wesentlich 
von  der  der  Walkwässer  unterscheidet,  so  findet  sich  das  Nähere  hierüber  bei  der  Be- 
sprechung der  Abfallwässer  der  Tuchfabriken.  Das  Entschweissen  entspricht  dem  Beuchen. 

**)  Die  sogen.  Rauf-  oder  Gerberwolle,  welche  in  Gerbereien  durch  Kalk  von 
den  Fellen  entfernt  wird,  muss  vor  der  Fabrikwäsche  gewolft  werden;  der  sich  ent- 
wickelnde Staub  ist  wegen  seines  Gehalts  an  Kalktheuchen  für  die  Augeu  und  Brust- 
organe besonders  gefährlich  und  bedarf  der  Mitwirkung  kräftiger  Exhaustoren. 


Die  Wollindustrie.  555 

Shawls,  Plaids  u.  s.  w.  werden  aus  Kammgarn  allein  oder  unter  geringem 
Zusätze  von  Baumwolle  fabricirt.  Die  Grundlage  zu  den  gewebten  Tapeten,  den 
Gobelins,  _  legte  _  14.46  Gilles  Gobelin,  ein  Schönfärber  aus  Rheims,  obgleich  schon 
800  n.  Chr.  in  christlichen  Kirchen  ähnliche  Fabricate  vorgekommen  sein  sollen.  We^en 
der  Anfertigung  von  Teppichen  waren  schon  die  alten  Städte  Pergamus',  Tyrus, 
Sidon  und  Babylon  berühmt;  diese  Manufactur  bietet  in  sanitärer  Beziehung  nichts 
Bemerkenswerthes  dar. 

Zu  den  sammetartigen  Stoffen  aus  Wollgarn  gehört  der  Möbelsammet 
(siehe  Seide.) 

Die  Kunst-  oder  Lumpenwolle. 

Die  Bearbeitung  der  wollenen  Lumpen  hat  sich  zu  einer  grossartigen 
Industrie  ausgedehnt.  Man  zerreisst  und  zerkratzt  hierbei  Wollluinpeu,  gewinnt 
dabei  den  Wollspinnstoff  und  verarbeitet  ihn  mit  neuer  Schafwolle  zu  Garn  und 
Geweben.  Man  unterscheidet  hierbei  die  sogenannte  Mungo,  welche  aus  den 
Lumpen  von  gewalkten  Wollstoffen  gewonnen  wird,  und  die  Shoddy  von  ge- 
strickten und  gewirkten  Waaren  und  andern  losen  Stoffen  aus  langer  Wolle. 

Das  Sortiren  der  Lumpen  ist  hierbei  ein  wichtiger  Act;  es  müssen  besonders 
die  nichtwollenen  Stoffe  herausgesucht  werden,  weil  sonst  die  aus  Lumpenwolle  dar- 
gestellten Zeuge  beim  Färben  die  Farbe  ungleich  annehmen.  Beim  Zerschneiden 
werden  die  Nähte  herausgezogen  und  noch  übersehene  baumwollene  Stoffe  entfernt; 
dann  folgt  bei  halbwollenen  Zeugen  das  Beizen.  Die  Stoffe  ruhen  auf  einem 
Eisenbahnwagen,  dessen  Boden  aus  Draht  besteht,  um  in  einen  geschlossenen  Raum  ge- 
fahren zu  werden,  in  den  man  salzsaures,  aus  heisser  Salzsäure  entwickeltes  Gas 
leitet,  um  die  baumwollenen  Fäden  mürbe  zu  machen;  der  Raum  muss  stets  wie  bei 
Schwefelkammern  mittels  eines  Abzugsrohrs  mit  dem  Schornstein  in  Verbindung  ge- 
bracht werden,  um  das  schädliche  Gas  zu  entfernen,  ehe  die  Arbeiter  denselben  wieder 
betreten . 

Hierauf  folgt  gewöhnlich  das  Waschen  in  einer  nach  dem  Princip  der  Holländer 
der  Papierfabriken  construirten  Maschine,  damit  die  Lumpen  schon  hier  theilweise  zer- 
rissen und  aufgelockert  werden ;  man  trocknet  sie  durch  Centrifugen  und  auf 
Gitterrahmen. 

Die  vollständige  Zerreissung  erfolgt  nun  mit  Hülfe  eines  Wolfs,  des  Lumpen - 
wolfs  (Shaker),  bei  dem  die  Trommel  in  einem  Kasten  angebracht  und  mit  Tausenden 
von  28  Millim.  langen,  hervorstehenden  Stahlzähnen  auf  ihrer  Mantelfläche  besetzt  ist; 
hierbei  entwickelt  sich  sehr  viel  Staub,  der  mittels  eines  Abzugs- Canals  abgesogen 
werden  muss. 

Bei  den  halbwollenen  Zeugen  sind  noch  ein  paar  Riffelwalzen  angebracht, 
wodurch  die  Lumpentheilchen  etwas  gedehnt  oder  gestreckt  werden,  was  die  wollenen 
Fäden  vermöge  ihrer  Elasticität  aushalten,  die  schon  mürbe  gemachten  Baumwollfäden 
zerreissen  aber  dabei  und  erzeugen  einen  bedeutenden  Faserstaub,  dessen  Entfernung 
durchaus  geboten  ist. 

Da  die  betreffenden  Abfälle  noch  zu  Papierzeug  verwendet  werden  können,  so 
nehmen  viele  Fabricanten  schon  aus  pecuniärem  Interesse  mehr  Rücksicht  auf  deren 
Aufspeicherung  mittels  Exhaustoren. 

Die  Mungowolle  wird  sogleich  vom  Lumpenwolf  weg  in  Ballen  verpackt  und 
versendet,  wenn  sie  nicht  an  Ort  und  Stelle  weiter  verarbeitet  wird.  Die  Shoddy- 
wolle  wird  mit  Oel  eingefettet  und  droussirt,  d.  h.  auf  einer  gewöhnlichen  Vor- 
kratze noch  weiter  behandelt,  indem  man  sie  mit  neuer  Wolle  versetzt  und  vorzugs- 
weise auf  Einschussgarn  verspinnt. 

Die  sanitären  Verhältnisse  der  Arbeiter  in  Wollfabriken. 

Die  erste  Präparatiou  der  rohen  Wolle,  das  Sortiren,  ist  schon  mit  Staub- 
bildung verbunden;  auch  das  Wolfen  bezweckt  bei  der  rohen  Wolle  nicht  bloss 
ein  Entwirren  der  aus  vielen  einzelnen  Haaren  bestehenden  Flocken,  sondern 
auch  die  Entfernung  von  Kletten,  Stroh,  Holz  und  sonstigen  Unreinigkeiten.  Zum 
Schutz  der  Arbeiter  könnten  sehr  gut  die  beim  Wolfen  der  Baumwolle  einge- 
führten Elevatoren  benutzt  werden,  um  namentlich  den  Hauptschmutz  gleichzeitig 
aus    dem  Fabriklocal    zu  entfernen.     Um   so   leichter    würden    auch    die    feinen 


556  Die  Thierfaser. 

Härchen  weggeführt,  mit  denen  die  Arbeiter  häufig  von  Kopf  bis  zu  Fuss  bedeckt 
sind,  wenn  alle  Vorsichtsmassregeln  dieser  Art  fehlen;  gelangen  diese  in  die 
Respirationswege,  so  werden  sie  jedenfalls  eine  Reizung  der  Schleimhäute  hervor- 
rufen, aber  mit  den  Sputis  wieder  entfernt  werden. 

Es  liegen  keine  sichern  Thatsaehen  vor,  dass  diese'r  Wollstaub  tiefer  in  das 
Lungenparenchym  einzudringen  vermag,  wenn  auch  zugegeben  werden  muss,  dass  jeder 
Staub  dieser  Art  acute  Katarrhe  leicht  in  chronische  überzuführen  vermag.  Weiterhin 
können  sich  unter  ungünstigen  Umständen  asthmatische  Beschwerden  ausbilden,  aber 
sicher  nicht  als  directe  Folge  des  Wollstaubs;  es  müssen  andere  Schädlichkeiten  und 
die  ganze  Ungunst  der  Arbeiterverhältnisse  hinzutreten,  um  ein  solches  Krankheitsbild 
hervorzurufen. 

Verfasser  muss  nach  seinen  langjährigen  Erfahrungen  in  Wollfabriken  entschieden 
in  Abrede  stellen,  dass  der  Wollstaub  eine  specifische  Lungenkrankheit  zu  erzeugen 
yennag;  nichtsdestoweniger  ist  er  ein  schädliches,  andere  Leiden  der  Respirationswege 
verschlimmerndes  Moment,  und  jeder  Fabricant  sollte  es  für  eine  heilige  Pflicht  erachten, 
Uebelstände  zu  entfernen,  die  auf  geschwächte  und  weniger  widerstandsfähige  Con- 
stitutionen nur  verderblich  einwirken  können,  wenn  sich  auch  die  Folgen  nicht  sofort 
offenbaren. 

Das  Einfetten  der  Wolle  soll  die  Wollhaare  für  das  Kratzen  und 
Spinnen  elastischer  machen  und  das  Hängenbleiben  derselben  am  Beschlag  der 
Kratze  verhüten;  durch  diesen  Umstand  wird  auch  die  Staubbildung  bei  dem 
mechanischen  Processe  bedeutend  vermindert,  obgleich  die  Ausbreitung  des 
Staubes  im  Fabrikiocale  nicht  ganz  zu  vermeiden  ist.  Dieser  Staub  senkt  sich 
aber  leichter  zu  Boden  und  entfernt  sich  daher  schneller  aus  der  Athmungszone 
der  Arbeiter;  sicher  erzeugt  er  bei  Weitem  nicht  die  bedeutende  Reizung  der 
Schleimhäute  wie  der  trockne  Staub  beim  Wolfen. 

Beim  Scheren  der  Tuche,  das  jetzt  allgemein  mittels  der  Schermaschine 
ausgeführt  wird,  fängt  man  den  dabei  abfallenden  Staub,  Scherwollstaub,  sorg- 
fältig auf,  da  er  einen  besondern  Industriezweig  repräsentirt.  Es  fehlen  aber  in  den 
meisten  Fabriken  zweckmässige  Einrichtungen  zur  Gewinnung  dieses  Staubes,  da  er 
grösstentheils  auf  den  Boden  fällt  und  später  zusammengekehrt  wird;  es  kann 
dann  nicht  ausbleiben,  dass  er  bei  jeder  Luftbewegung  aufwirbelt  und  sich  in  dem 
Fabrikraum  mehr  oder  weniger  verbreitet.  Man  sollte  daher  diesem  Gegenstande 
grössere  Sorgfalt  widmen,  um  die  Scherräume  besser  ventiliren  zu  können;  nur  ihre 
Grösse  und  Ausdehnung  ersetzt  einigermassen  die  fehlende  Ventilation. 

In  vielen  Fabriken  beschäftigen  sich  vorzugsweise  Mädchen  mit  dem  Scheren,  die 
sich  nicht  durch  eine  körperliche  Entwicklung  auszeichnen,  aber  auch  nicht  durch  be- 
sondere Brustleiden  auffallen;  Verf.  hat  hauptsächlich  chloro-anämische  Zustände  bei 
Schererinnen  angetroffen. 

Bei  der  Präparation  des  Scherstaubes  (s.  S.  542)  ist  ausser  dem  Auf- 
kochen mit  Seifenwasser,  dem  Schwefeln,  Färben,  Auspressen  und  Trocknen 
nochmals  das  Mahlen  auf  Mühlen  in  sanitärer  Beziehung  hervorzuheben.  Das 
Mahlgut  wird  durch  Beutelmaschinen  in  gröbere  und  feinere  Sollen  sortirt;  es  sind 
hierzu  geschlossene  Apparate  erforderlich,  um  den  nachtheiligen  Einfluss  dieses 
Staubes  zu  verhüten,  der  grade  wegen  seiner  grossen  Feinheit  nachtheiliger  als  jeder 
andere  Staub  in  der  Wollindustrie  einwirkt. 

In  den  Räumen,  in  denen  das  Einfetten  der  Wolle  geschieht,  ist  ein 
auffallender  Oeldunst  bemerkbar,  der  nur  insofern  schädlich  einwirkt,  als  er 
die  Reinheit  der  Luft  beeinträchtigt  und  daher  besonders  anfangs  jugendliche 
Personen  nachtheilig  berührt*).  Bei  Mädchen  gibt  der  Aufenthalt  namentlich  Anlass 
zur  schlechten  Blutbildung,  entwickelt  aber  keine  specifischen  Krankheiten.  Da  alle 
Oele  und  Fette  begierig  den  Sauerstoff  aufnehmen,  so  ist  dieser  Umstand  ganz 
besonders  beachtungswerth  und  erfordert  eine  kräftige  Ventilation.  Die  gebildeten 
Fettsäuren  sind  aber  sehr  wenig  flüchtig,  namentlich  ist  die  Oelsäure  unzersetzt 


*)    Der  Geruch  ist  ähnbch   demjenigen,   der  durch   den   sogen.  Buchdrucker- 
fixnise  erzeugt  wird  und  von  demselben  sauitäreu  Nachtheile  begleitet  ist. 


Die  Wollindustrie.  557 

gar  nicht  flüchtig;  sie  werden  daher  keine  besondere  Einwirkung  ausüben  (siehe 
Stearinsäure  S.  477).  Immerhin  ist  es  aber  möglich,  dass  schon  der  Geruch 
manche  empfindliche  Personen,  die  auch  im  Arbeiterstande  vorkommen,  in  eine 
krankhafte  Stimmung  versetzt,  namentlich  wenn  ein  übelriechender  Thran  ver- 
wendet wird;  keinesfalls  kann  aber  der  Oeldunst  wohlthätig  wirken  oder,  wie 
Thomson2)  glaubt,  ein  Präservativ  gegen  epidemische  Krankheiten  abgeben. 

Dem  Oelgeruche  begegnet  man  in  geringerm  Grade  in  den  Spinnsälen, 
in  denen  aber  oft  eine  erhöhte  Temperatur  von  20 — 25°  C.  als  ein  schädlicherer 
Factor  auftritt,  wenn  den  Räumen  die  neuere  zweckmässigere  Construction  fehlt 
(s.  Baumwollspinnerei). 

Bei  einzelnen  Spinnmaschinen  ist  der  Spinner  genöthigt,  die  Maschine 
mit  dem  linken  Knie  zurückzustossen,  wodurch  sich  häufig  eine  Verdickung  der 
Epidermis  bildet,  die  keine  weitern  Folgen  hat  und  an  den  sogen.  Exercirknorpel 
erinnert. 

Die  Walker  sind  meist  kräftige  Leute  und  erkranken  verhältnissmässig 
am  wenigsten;  der  Geruch  des  faulen  Harns  ist  durch  die  Verdünnung  mit 
Seifenwasser  unbedeutend,  während  die  Alkalinität  des  Wassers  niemals  so 
steigt,  dass  es  Wundsein  der  Finger  zu  erzeugen  vermag.  Verf.  hat  Walker 
niemals  an  Hautleiden  irgend  einer  Art  behandelt;  überhaupt  kommen  Exantheme, 
selbst  die  Krätze,  nicht  häufiger  als  bei  andern  Arbeitern  vor. 

Die  Rauher  leiden  häufig  an  wunden  Fingern,  wenn  sie  sich  an  den 
Rauhkarden  (Distelköpfe  von  Dipsacus  fullonum)  oder  an  den  Kard eisen, 
zwischen  denen  die  Stiele  der  Karden  festgehalten  werden,  verletzen.  Ganz  be- 
sonders findet  man  aber  bei  ihnen  wegen  des  beständigen  Stehens  sehr  stark 
entwickelte  Varicen  oder  varicöse  Geschwüre;  auch  Rheumatismus  in  allen 
Formen  ist  wegen  der  Nässe,  der  sie  ausgesetzt  sind,  sowie  wegen  des  kühlen, 
oft  zugigen  Arbeitsraums  eine  häufig  vorkommende  Krankheit. 

Das  Noppen  strengt  die  Augen  sehr  an  und  kann  bei  vorhandener  An- 
lage zu  Kurzsichtigkeit  führen,  die  Disposition  selbst  natürlich  nicht  erzeugen. 

Beim  Decatiren  ist  es  die  feuchte  und  warme  Luft,  die  häufig  schwächend 
auf  die  Arbeiter  einwirkt.  Alle  Decatirer  haben  eine  blasse  Gesichtsfarbe  und 
kränkeln  oft;  unter  den  verschiedenen  Leiden  walten  Störungen  von  Assimilation 
und  Blutbildung  vor;  Wechsel  der  Arbeit  ist  oft  das  einzige  Rettungsmittel. 

Die  Abfallwässer  in  Tuchfabriken. 

Die  Menge  der  Abfallwässer  ist  oft  sehr  bedeutend,  namentlich  wenn  die 
Wollwäsche  mit  der  Woll-  und  Stückfärberei  verbunden  ist.  Bei  lang- 
samem Abflüsse  gehen  sie  häufig  in  Zersetzung  über  und  erzeugen  dann  die 
grössten  Belästigungen;  gelangen  sie  in  kleine  Wasserläufe  oder  stagnirende 
Gräben,  so  geben  sie  mindestens  zu  bedeutender  Schlammbildung  Anlass; 
treten  aber  solche  Wässer  bei  starkem  Regen  auf  benachbarte  Wiesen  aus,  so 
verderben  sie  erfahrungsgemäss  allen  Graswuchs.  Wird  die  Tuchfabrication 
in  Ortschaften,  die  an  keinem  grössern  Flusse  liegen,  betrieben,  so  häufen  sich 
die  Klagen  und  haben  immer  mehr  die  Fabricanten  genöthigt,  die  geeigneten 
Vorkehrungen  zu  treffen. 

Die  wichtigsten  Abfallwässer  entstehen  1)  beim  Waschen  der  rohen  Wolle, 
2)  beim  Walken  und  3)  beim  Ausfärben  der  Wolle  und  der  betreffenden 
Gewebe. 


558  Die  Thierfaser. 

1)  Das  Waschen  der  Wolle  ist  ein  sehr  wichtiger  Act  geworden  und  wird 
auf  sehr  verschiedene  Weise  ausgeführt.  In  den  Tuchfabriken  der  Mark  Bran- 
denburg hat  man  bisher  geräumige  Kessel  benutzt,  in  welche  die  lose  Wolle  von 
einem  sackartigen  Netze  umgeben  eingetaucht  und  mit  der  Reinigungsflüssigkeit 
(Soda,  Seife,  vermischt  mit  Urin)  in  der  Siedhitze  behandelt  wird;  hierauf  wird 
die  Wolle  durch  Waschmaschinen  ausgespült. 

Gegenwärtig  benutzt  man  die  sogen.  Leviatans,  aus  mehreren  Abtheilungen 
bestehende  und  mit  Walzen  versehene  Apparate,  in  welchen  die  Wolle  nacheinander 
mit  den  Reinigungsflüssigkeiten  und  zuletzt  mit  reinem  Wasser  oder  auch  mittels  Spül- 
m  aschinen  gewaschen  wird. 

Sollen  die  Waschwässer  verwerthet  werden,  so  sind  andere  Einrich- 
tungen erforderlich.  In  Belgien,  namentlich  in  Verviers,  kommt  die  rohe  Wolle 
zuerst  in  ein  trichterförmiges,  eisernes,  mit  einem  durchlöcherten  Boden  versehenes 
Gefäss  und  wird  mit  heissem  Wasser  Übergossen,  um  den  löslichen  Schweiss,  d.  h.  die 
Kaliseife,  als  eine  braune  Brühe  zu  erhalten:  diese  wird  bis  zur  Consistenz  der 
Schmierseife  eingedampft  und  in  Pottaschenfabriken  durch  Verbrennen  auf  Pottasche 
verarbeitet.  Die  Wolle  gelangt  dann  in  die  Leviatans  und  wird  hier  mit  verdünnter 
Pottaschenlauge  gewaschen  und  mit  reinem  Wasser  gespült:  letztere  Abfall wässer  fliessen 
direct  in  den  Fluss  Wega  ab. 

Andere  Fabriken  geben  den  eisernen  Kasten  eine  ovale  Form  und  weichen  die 
Wolle  unter  Dampfzuleitung  in  verdünnter  Pottaschenlauge  ein;  nach  starker 
Aaspressung  zwischen  Walzen  wird  sie  den  Wasch-  und  Spülmaschinen  übergeben. 
Man  setzt  dieses  Verfahren  so  lange  fort,  bis  die  Pottaschenlauge  behufs  Abdampfens 
eine  hinreichende  Concentration  erhalten  hat. 

Die  Wraschwässer  aus  den  Leviatans  können  auch  in  gemauerte  Bassins  ab- 

felassen  und  daselbst  mit  verdünnter  Seh  wefelsäure  versetzt  werden,  um  die  noch  vor- 
andene  Kaliseife  unter  .Abscheidung  von  Fettsäuren  und  Bildung  von  Kaliumsulfat, 
welches  im  Wasser  gelöst  bleibt,  zu  zersetzen.  Die  geklärte  Flüssigkeit  kann  frei 
abgelassen  werden,  während  der  schmierige  Rückstand  wegen  seines  Kaligehalts  als 
Dungmittel  noch  Werth  hat. 

Man  benutzt  hierzu  die  Schwefelsäure,  die  von  der  Carbonisation  der  WTolle  her- 
rührt: durch  diesen  Process  werden  nämlich  die  Kletten  aus  der  W'olle  entfernt,  indem 
man  die  Wolle  mit  einer  verdünnten  Schwefelsäure  imprägnirt  und  dann  einer  Temperatur 
von  80  —  100"  C.  aussetzt.  Die  Kletten  werden  hierdurch  ohne  Beschädigung  der  Wolle 
so  mürbe  und  zerreiblich,  dass  sie  durch  besondere  Maschinen  in  Verbindung  mit  Ven- 
tilation leicht  von  der  Wolle  entfernt  werden  können  3) 

In  einzelnen  Streichgarnspinnereien  in  der  Rheinprovinz  wird  die  Wolle 
sofort  mit  Seifenlauge  eingeweicht,  ausgepresst  und  gewaschen.  Die  braune 
Seh weissflüssigkeit  wird  aber  nicht  eingedampft,  sondern  in  grossen  eisernen 
Pfannen  mit  Schwefelsäure  versetzt  und  erwärmt,  um  sowohl  die  Kaliseife  der  Wolle, 
als  auch  die  zum  W7aschen  der  Wolle  zugesetzte  Seife  unter  Abscheidung  der  Fett- 
säuren zu  zersetzen:  letztere  schwimmen  auf  der  Flüssigkeit  und  werden  abgeschöpft. 
Die  sauer  reagirende  Lauge  lässt  man  meist  in  Schlinggruben  ab,  wobei  es  aber 
sehr  auf  den  Grad  der  Acidität  dieser  Lauge  ankommt,  da  es  einer  genauen  Prüfung 
bedarf,  ob  nicht  durch  solche  saure  Wässer  die  benachbarten  Brunnen  verdorben 
werden  können  (s.  Glycerinindustrie  S.  479).  Die  erhaltenen  schmutzigen  Fettsäuren 
bilden  eine  braune,  dickflüssige  Masse,  welche  als  Wagenschmiere,  als  Zusatz  zum 
Degras  u.  s.  w.  benutzt  wird  (s.  S.  458). 

In  Belgien  und  Rheinpreussen  gibt  es  besondere  Etablissements,  welche  sich  bloss 
mit  dem  Waschen  der  rohen  Wolle  beschäftigen.4) 

Pottaschendarstellung.  Grossartige  Tuchfabriken  stellen  meist  aus  der  Lauge, 
mit  welcher  die  rohe  Wolle  behandelt  worden,  die  Pottasche  dar.  Die  ausgelaugte 
wässrige  Lösung  wird  dann  zuerst  mit  Pottaschenlösung  und  Kaliseife  gewaschen 
und  nachher  mit  Wasser  gespült:  während  man  das  Spülwasser  abfliessen  lässt,  ge- 
langen sämmtliche  concentrirte  und  verdünnte  Laugen  in  grosse  unterirdische  Bassins, 
um  aus  diesen  in  die  Abdampfpfannen  gepumpt  zu  werden.  Die  erste  Lauge,  welche 
in  den  Auslauge-Apparateu  gewonnen  wird,  setzt  einen  unlöslichen  Schmutz  ab,  der  aus- 
geschöpft und  als  Dünger  verkauft  wird. 

Das  Zugutemachen  der  Laugen  geschieht  in  zwei  nebeneinander  gebauten 
Flammenöfen.  Sie  gelangen  durch  ein  Zuflussrohr  (Fig.  53  o)  in  einen  gewöhnlichen 
Flammenofen  (Fig.  52  u.  53  >//),  dessen  Abdampfraum  durch  die  Zunge  ,</  (Fig.  52)  in  zwei 
gleiche  Theile  ( A  und  B)  getheilt  ist;  die  Zunge  y  geht  so  weit  herunter,  dass  sie 
10  Centimeter  tief   in   die    Lauge    eintaucht.      Indem    der    Exhaustor    [e)    in    Thätigkeit 


Die  Wollindustrie. 


559 


gesetzt  wird,  durchstreichen  die  von  der  Feuerung  (F)  kommenden  heissen  Feuergase 
die  Lauge  Von  der  Abtheilung  B  aus  gelangen  die  Feuergase  mit  den  Wasserdämpfen 
(durch  bbb  Fig.  53)  in  den  Canal  G  (Fig.  52)  und  aus  diesem  in  den  senkrechten  Canal  d, 
in  welchen  oben  das  Saugrohr  des  Exbaustors  mündet. 

Nachdem  in  A  und  ß  die  Lauge  bis  zur  Syrupsconsistenz  eingedampft  ist,  wird 
sie  sofort  nach  dem  Calcinirraum  H  gebracht  und  hier  bis  zur  vollständigen  Trockne 
eingedampft  Die  Gase  und  Dämpfe  gelangen  durch  aaa  in  die  Esse  g.  r>ach  Entfer- 
nung des  Wassers  (in  H  Fig.  53)  fängt  die  Masse  wegen  ihres  hohes  Fettgehaltes  an  zu 
brennen,  weshalb  von  diesem  Moment  an  die  sich  entwickelnden  heissen  Verbrennungs- 
gase durch  i  nach  A  und  B  geleitet  und  daselbst  in  Gemeinschaft  mit  den  Feuerungs- 
gasen zum  Abdampfen  der  dünnen  Laugen  gebraucht  werden. 


ig.  L>J. 


Fig.  53. 


Hort  in  H  die  Verbrennung  auf,  so  wird  die  glühende  Masse  durch  q  q  entfernt 
und  in  eineD  viereckigen  gemauerten  Behälter  gebracht,  in  welchem  sie  binnen  einiger 
Wochen  vollständig  ausglimmt.  Im  ausgebrannten  Zustande  sieht  sie  wie  hart  gewor- 
dener Mörtel  aus  und  bildet  so  die  rohe  Passante,  welche  in  der  Fabrik  wieder  zur 
Wäsche  benutzt  wird. 

Eine  so  grossartige  Anlage  eignet  sich  nicht  für  kleinere  Fabricanten;  dieselben 
können  aber  ein  Consortium  bilden,  um  ihre  Abfallwässer  mit  Nutzen  zu  verwenden. 
In  Brügge  wird  in  einer  Fabrik,  welche  täglich  16,000 — 20,000  Pfund  Wolle  verarbeitet 
dies  Verfahren  mit  gutem  pecuniärem  Erfolge  ausgeübt.5) 

Diese  Fabrication  ist  aber  mit  vielen  üblen  Gerüchen  verbunden,  namentlich  ent- 
stehen eine  Masse  von  Acroleindämpfen  im  Calcinirraum.  Sowohl  diese  als  die  beim 
Abdampfen  en stehenden  Dämpfe  sollten  schliesslich  statt  in  die  Esse  in  die  Feuerung 
eines  Desinfectionsofens  geleitet  werdendes  liesse  sich  hierzu  ebenfalls  der  Exhaustor 
verwerthen.  Die  ganze  Anlage  gehört  ausserdem  nicht  in  die  Städte,  da  sie  stets  den 
Adjacenten  sehr  lästig  wird. 

2)  Die  Walk  wässer  und  die  ersten  Spülwässer  enthalten  ausser  Seife 
sämmtliche  lösliche  Substanzen,  welche  die  Tuche  bei  der  Färberei  und  Weberei 
aufgenommen  haben,  auch  sind  ihnen  noch  mehr  oder  weniger  Wollfasern 
beigemengt;  ihre  Farbe  hängt  von  der  Farbe  der  gewalkten  Tuche  ab.  Bleiben 
sie  sich  selbst  überlassen,  so  tritt  eine  starke  Reaction  und  eine  Zersetzung  der- 
selben ein,  wobei  eine  Entwicklung  von  ammoniakalischen  und  andern  unan- 
genehm riechenden  Gasen  entsteht  (s.  S.  232). 

Diese  Abfallwässer  haben  namentlich  bei  Fabriken,  welche  nicht  an  fliessendem 
Wasser  oder  höchstens  an  kleinen  Wasserläufen  liegen,  Nothzustände  hervorgerufen, 
welche  unter  allen  Umständen  Abhülfe  erheischten.     Dies  ist  z.  B.  in  den  Fabriken  des 


5(iO  Die  Thierfaser. 

Regierungsbezirks  Frankfurt  a.  d.  0.  der  Fall  gewesen:  auch  die  Wurm  zu  Aachen,  in 
•welche  alle  Wasch-  und  Walkwässer  bisher  flössen,  steht  in  dieser  Beziehung  in  üblem 
Rufe,  da  ihr  Wasser  oft  dintenartige  Beschaffenheit  hatte  und  die  'widerlichsten 
Effluvien,  wobei  sich  besonders  Schwefelwasserstoff  bemerkbar  machte,  aushauchte.  In 
Aachen  hat  man  deshalb  auch  angefangen,  diese  Walkwässer  zu  Gute  zu  machen  und 
zwar  wie  bei  der  Stearinsäurefabrication  entweder  mittels  des  Säureverfahrens  oder 
des    Kalkverfahrens:    das   erstere  findet   nicht   in   den  Fabriken   statt,    sondern    das 

r  wird  hier  in  Fässern  oder  hölzernen  Kasten  aufgefangen  und  durch  Schwefelsäure 
zersetzt  Die  hierdurch  abgeschiedene  schwarze  Masse  von  Fettsäuren  wird  abgeschöpft 
und  in  Fässern  nach  den  Stearinsäurefabriken  behufs  weiterer  Bearbeitung  gefahren, 
die  schmutzige,  salzhaltige  Flüssigkeit  jedoch  in  den  Fluss  abgelassen. 

Letztere  Methode  unterliegt  noch  einem  grossen  Bedenken,  da  die  Flüssigkeit 
stark  sauer  reagirt  (s.  Stearinsäurefabrication)  und  das  Flusswasser  für  wirtschaftliche 
Zwecke  anbrauchbar  machen  kann:  der  freie  Abfluss  darf  deshalb  nur  geschehen, 
wenn  man  einen  Fluss  mit  starker  Strömung  benutzen  kann. 

In  jeder  Beziehung  zweckmässiger  ist  das  Kalkverfahren  oder  die  Kalk- 
saponification; in  einer  Fabrik  zu  Aachen  ist  folgendes  Verfahren  eingeführt,  das 
sich  auch  für  viele  andere  Ali  fall  wässer  von  ähnlicher  Beschaffenheit  eignet  und  daher 
eine  genauere  Beschreibung  gestattet.  Die  Walkwässer  fliessen  zunächst  in  ein  gemauertes 
Sammelbassin,  aus  welchem  sie  durch  eine  Abflussrinne  in  ein  tiefer  gelegenes  Bassin 
abgelassen  werden;  in  die  Abflussrinne  fliesst  Kalkmilch  in  dünnem  Strahle  zu.  Der 
Boden  des  Zersetzungsbehälters  besteht  aus  drei  Lagen  Ziegelsteinen,  von  denen  die 
unterste  platt  liegt,  die  mittlei'e  auf  die  Kante  gestellt  und  die  obere  wieder  platt  gelegt 
ist:  bei  den  beiden  untern  Lagen  sind  die  Steine  einfach  aneinander  gelegt,  während 
die  obere  Lage  mit  einfachem  Mörtel  gemauert  ist.  In  der  einen  Ecke  des  Zersetzungs- 
behälters ist  eine  mit  Löchern  versehene  Bretterwand  angebracht,  deren  Oeffnungen 
anfangs  mit  Holzstöpseln  verschlossen  sind,  welche  in  dem  Masse,  als  die  Kalkseife  sich 

i  klaren  Flüssigkeit  absetzt,  von  oben  nach  unten  entfernt  werden,  so  dass  letztere 
durch  eine  am  Boden  angebrachte  Oeffhuug  in  einen  Canal  abfliesst.  Durch  das  Ein- 
strömen der  Kalkmilch  in  das  in  einem  dicken  Strahle  abfliessende  Walkwasser  findet 
eine  innige  Mischung  der  beiden  Flüssigkeiten  und  dadurch  eine  momentane  Abscheidung 
der  Kalkseife  statt.  Dieser  Process  geht  so  rasch  vor  sich,  dass  schon  nach  2  Stunden 
die  klare  Lauge  aus  der  obern  Oeffnung  abgelassen  werden  kann.  Das  Abflusswasser 
enthält  nur  geringe  Mengen  organischer  Stoffe  und  freies  Alkali,  ist  aber  fast  gar  nicht 
gefärbt.  Nach  ein  paar  Tagen  ist  auf  dem  Boden  ein  fester  Schlamm  zurückgeblieben, 
welcher  durch  Eintrocknen,  ähnlich  dem  nassen  Thon,  unzählige  feine  Risse  bekommt, 
welche  sich  stetig  erweitern  und  der  nassen  Kalkseife  Gelegenheit  bieten,  die  zurück- 
gehaltene Lauge  durch  diese  abfliessen  zu  lassen,  von  wo  aus  dieselbe  dann  von  dem  porösen 
Boden  des  Behälters  aufgenommen  und  entfernt  wird. 

Die  zurückgebliebene  Kalkseife  wird  dann  ausgestochen  und  unter  einem  Dache 
auf  Brettergestellen  getrocknet.  In  diesem  Zustande  stellt  sie  eine  schieferfarbige,  mehr 
oder  weniger  fette  Masse  dar  und  besteht  aus  60—70%  Fettsäure,  18 — 20  %  Kalk  und 
Eisenoxyd  neben  andern  Unreinigkeiten;  sie  findet  in  Privat-Gasanstalten  eine  gute 
Verwendung.  Wegen  Behandlung  der  Walkwässer  für  sich  vergl.  man  S.  232; 6) 
es  ist  aber  ausser  Frage  gestellt,  dass  auch  die  Wollschweiss wässer  durch  die 
Kalksaponification  zu  Gute  resp.  unschädlich  gemacht  werden  können.  In  den  Fabriken, 
in  welchen  die  rohe  Wolle  gewaschen  wird,  würde  es  sich  daher  empfehlen,  die 
Seh  weiss  wässer  gleichzeitig  mit  den,  Walk  wässern  zu  verarbeiten.  Es  würde 
dadurch  schon  in  Bezug  auf  die  Reinerhaltung  der  Bäche,  Flüsse  u.  s.  w.  ein  grosser 
Vortheil  erzielt:  absolut  nothwendig  bleibt  aber  in  sanitärer  Beziehung  ein  solches 
^  erfahren,  wenn  die  Tuchfabriken  nicht  an  einem  ergiebigen  Wasserlaufe  liegen. 

3)  Die  Abfallwässer  beim  Ausfärben  der  Wolle  oder  der  be- 
treffenden Gewebe  können  in  denjenigen  Fabriken,  in  welchen  die  Wolle  ge- 
waschen und  gefärbt  wird,  oder  mit  denen  eine  Stückfärberei  verbunden  ist, 
ebenfalls  mit  den  Walkwässern  vermischt  und  dann  der  Kalksaponification 
unterworfen  werden. 

In  der  Regel  werden  bis  jetzt  die  Abflusswässer  der  Färbereien  unge- 
reinigt in  die  Flüsse  abgelassen;  sie  enthalten,  wie  bei  jedem  andern  Färbereibetriebe, 
Reste  von  Beizen  und  Pigmenten,  welche  sich  sowohl  in  den  abgebrauchten  Flotten  be- 
finden als  auch  an  den  in  die  Waschmaschine  gelangenden  Geweben  oder  losen  Wollen 
haften.  Alle  diese  Wässer  sind  meist  intensiv  gefärbt  und  stark  verunreinigt,  daher  ihr 
freier  Abfluss  um  so  mehr  einem  Bedenken  unterliegt,  wenn  man  nicht  über  ein  fliessendes 
\\  aBser  mit   hinreichendem  Gefälle  gebieten  kann. 


Seidenindustrie.  561 

Durch  Kalkzusatz  entsteht  unter  Klärung  des  Wassers  ein  Niederschlag, 
■welcher,  wie  in  allen  Färbereien,  die  Oxyde  der  gelösten  Metallsalze  enthält. 
Der  Niederschlag  bildet  sich  aber  höchst  langsam;  es  ist  diese  Methode  daher  in  der  prak- 
tischen Ausführung  allerdings  sehr  lästig  und  bisher  auch  in  pecuniärer  Beziehung  nicht 
lohnend.  Man  hat  aber  in  allen  Färbereien  noch  zu  wenig  Versuche  in  dieser  Rich- 
tung angestellt  und  sich  nur  mit  dem  freien  Abfliessenlassen  begnügt:  letzteres  führt 
aber  auf  die  Dauer  zu  den  grössten  Unzuträglichkeiten,  die  sich  auch  bei  vielen  Seiden- 
f ärb er eien  herausgestellt  haben.  Die  verschiedenen  Färbereien  verhalten  sich  in  diesem 
Puncte  ziemlich  gleich. 

Können  diese  Wässer  nur  in  langen  Canälen  in  einen  Fluss  abgelassen  werden, 
so  geben  sie  um  so  mehr  zu  belästigenden  ATerschlammungen  der  Canäle  Veranlassung, 
je  länger  der  Lauf  der  Canäle  ist:  nur  ein  starkes  Gefälle  und  eine  grossartige  Spüluno-' 
wie  sie  kaum  ausführbar  ist,  könnte  diesen  Nachtheil  verhüten.  7) 

Die  Anlage  von  Klärbassins  ist  in  solchen  Verhältnissen  nothwendig,  damit 
sich  die  grösste  Menge  der  in  den  Farbwässern  suspendirten  Stoffe  zuvor  ablagern,  ehe 
sie  in  die  Canäle  abgelassen  werden.  Sind  aber  einmal  Klärbassins  vorhanden  so 
würde  das  unternehmen  durch  einen  Kalkzusatz  nicht  viel  kostspieliger,  jedenfalls  'aber 
der  grosse  Vortheil  erreicht,  dass  die  Abfallwässer  noch  vollkommen  geklärt  würden 
während  der  Niederschlag  wenigstens  als  Dungmittel  Verwerthung  finden  könnte.8) 

In  sanitärer  Beziehung  kann  daher  bei  allen  Färbereien  die  Anlage  von 
Klärbassins  unter  Zusatz  von  Kalk  nur  auf  das  dringendste  empfohlen  werden,  wenn 
der  freie  und  directe  Abfluss  in  einen  grossen  Fluss  nicht  möglieh  ist.  In  einio-en 
Gegenden  hilft  man  sich  in  der  Weise,  dass  nur  während  der  Nacht  der  flüssige  Inhalt 
der  Klärbassins  in  Bäche  abgelassen  wird,  um  wenigstens  während  des  Tages  die  ander- 
weitige Verwerthung  des  Bachwassers  nicht  zu  hindern. 

Stehen  einer  Färberei  Ländereien  zur  Verfügung,  so  ist  die  Benutzung  der  Klär- 
wässer zur  Berieselung  der  Aecker,  Wiesen  u.  s.  w.  ganz  besonders  ins  Auge  zu 
fassen;  nach  den  in  der  Lmgebung  von  Berlin  gemachten  Erfahrungen  scheint  sich  diese 
Methode  zu  bewähren  (s.  S.  217). 


Seidenindustrie. 

Seide  ist  ein  zarter  weisser  oder  gelblicher  Faden,  der  aus  Fibroin 
besteht  und  einen  in  kochendem  Wasser  löslichen  Ueberzug  hat  (Seidengummi, 
Seidenleim  oder  Bast);  dieser  wird  von  der  Seidenraupe  (Bombyx  mori)  aus- 
geschieden, um  sich  zu  verpuppen.  Die  eingesponnene  Raupe  sammt  dem  Gespinnst 
heisst  Cocon*);  die  Cocons  sind  eiförmig,  ungefähr  Wi  Zoll  lang  und  weiss 
oder  gelb  gefärbt. 

Die  Seidenraupen  bedürfen  zu  ihrer  Entwicklung  ganz  besonders  einer 
reinen  Luft;  unreine  Luft  ist  ihr  Tod.  Die  Ausdünstung  der  gesunden  Raupe 
erinnert  an  den  Geruch  der  Rinde  des  Maulbeerbaums,  wenn  dieselbe  einige 
Minuten  lang  siedendem  Wasser  ausgesetzt  wird.  Faulende  Raupen  verursachen 
dagegen  einen  vollständigen  Leichengeruch,  so  dass  Lösungen  von  Chlorkalk  in 
den  Zuchtsaal  aufgestellt  werden  müssen,  um  den  Aufenthalt  erträglich  zu  machen, 
obgleich  die  noch  lebenden  Raupen  sehr  darunter  leiden  und  namentlich  die 
Fresslust  verlieren. 

Werden  die  Cocons  zur  Gewinnung  der  Seide  verwendet,  so  darf  man  die  Ent- 
wicklung zum  Schmetterling  nicht  abwarten,  weil  durch  das  Ausschlüpfen  desselben  die 
Fadenwindungen  des  Cocons  durchbrochen  werden   und   der  Zusammenhang  der  Fäden 


*)  Fibroin  Cj5H23Nä06  und  Seidenleim  (Sericin)  C15H2jiN50g  sind  sich  in 
ihrer  Zusammensetzung  sehr  ähnlich  und  stehen  in  einem  ähnlichen  Verhältnisse  zu  ein- 
ander wie  Coriin  zur  Bindegewebsfaser. 

Eulenberg,  Gsvrerbe-Hygiene.  36 


562  Thierfaser. 

verloren  geht  (durchbissene  Cocons);  deshalb  ist  überall  das  Verfahren  eingeführt,  die 
Cocons  zu  tödten;  dies  geschieht  im  Backofen  oder  mittels  Wasserdämpfe.  Sollen 
die  so  getödteten  Cocons  als  Handelswaare  dienen,  so  müssen  sie  einer  Trocknung  bei 
100°  ausgesetzt  werden,  damit  das  abgestorbene  Thier  nicht  in  Fäulniss  übergeht.  Man 
benutzt  dazu  Dampfapparate,  "wobei  sich  bei  der  ersten  Einwirkung  der  Dämpfe 
Schwefelammonium  und  flüchtige  Fettsäuren  entwickeln,  die  abgeleitet  werden 
müssen. 

Neuerdings  wendet  man  als  Tödtungsmittel  Kamp  her  an,  der  sich  auch  beim 
Versenden  der  Cocons  empfehlen  soll. 

Bei  der  Zubereitung  der  Seide,  d.  h.  bei  der  Ueberführung  der  Cocons  in  Fäden, 
unterscheidet  man  mehrere  Operationen: 

1)  Das  Sortiren  der  Cocons.  Die  fehlerhaften,  zum  Abhaspeln  nicht  ge- 
eigneten, schimmlich  gewordenen  oder  von  Insecten  angefressenen,  sowie  „durchbissene"4 
Cocons  werden  hierbei  ausgesucht. 

2)  Das  Einweichen  der  Cocons  bezweckt  die  Erweichung  ihres  leim- 
artigen Ueberzugs;  man  gebraucht  dazu  bis  zu  70°  und  75°  R.  erhitztes  Wasser,  um 
den  gummiähnlichen  Klebstoff,  welchen  das  Thier  zum  Aneinanderheften  der  Fäden 
benutzt,  aufzulösen  und  den  Anfang  des  Fadens  finden  zu  lassen.  Dieses  Wasser  kann 
lange  gebraucht  werden ;  wird  es  aber  endlich  dadurch  verunreinigt,  dass  offene  Cocons 
ihre  Puppen  (Chrysaliden)  haben  ausfallen  lassen,  so  wird  die  ganze  Brühe  zum  Be- 
giessen  von  Blumen  und  Gemüsen  benutzt,  da  sie  wegen  ihres  Gehalts  an  organischen 
Stoffen  (Gummi,  Farbstoff,  stickstoffhaltige  Substanz)  rasch  in  Fäulniss  übergeht  und 
düngend  wirkt. 

Bisweilen  übergiesst  man  die  Cocons  in  Bottichen  mit  lauwarmem  WT asser  und 
setzt  sie  einige  Tage  dem  Sonnenschein  aus,  um  eine  Gährung  einzuleiten,  die  man 
bisweilen  durch  Zusatz  von  Harn  unterstützt.  Das  abfallende  Wasser  ist  gleich  der 
Mistjauche  und  muss  wie  diese  behandelt  werden. 

3)  Das  Schlagen  der  Cocons.  Man  gebraucht  dazu  weiche  Reiser  von 
Birkenkraut,  womit  sanfte  Stösse  auf  die  im  Wasser  befindlichen  Cocons  ausgeführt 
werden.  Hierdurch  wird  vorzüglich  die  an  den  Cocons  hängende  Flockseide  (ver- 
wirrte und  knotige  Seidenfäden)  entfernt;  zur  Absonderung  derselben  müssen  die 
Hasplerinnen  die  Cocons  häufig  mit  den  Händen  in  warmem  Wasser  bearbeiten, 
weshalb  sie  letztere  häufig  in  einem  zur  Seite  stehenden  Gefässe  mit  kaltem  Wasser 
abkühlen.  Dieser  beständige  Wechsel  von  Kälte  und  Wärme  ist  zweifelsohne  die 
Ursache,  weshalb  Hasplerinnen  sehr  häufig  an  Panaritien  leiden:  nicht  selten  werden 
auch  die  Finger  mit  Bläschen  bedeckt,  die  bisweilen  in  Pusteln  oder  Blasen  übergehen 
(mal  de  vers  ou  de  bassine)1).  Kommt  dazu  noch  die  Hitze  des  Ofens  und  der  Wasser- 
dampf, die  solche  Seiden-Haspelanstalten  erfüllen,  so  vereinigen  sich  viele  Umstände, 
durch  welche  die  Gesundheit  dieser  Arbeiterinnen  sehr  gefährdet  wird.  Solche  Locale 
müssen  deshalb  geräumig,  luftig  und  hoch  sein:  auch  muss  der  Fussboden,  weil  viel 
Wasser  verspritzt  wird,  mit  Steinplatten  oder  guten  Ziegelsteinen  belegt  sein.  Wo  das 
Klima,  wie  in  Italien,  es  gestattet,  sind  die  offenen,  nur  aus  Standpfeilern  und  einem 
Dache  bestehenden  Schuppen  am  passendsten. 

4)  Das  Haspeln  oder  Spinnen  der  Seide  besteht  darin,  dass  der  Faden 
von  dem  Cocon  wie  von  einem  Knäuel  abgewickelt  und  auf  einem  Haspel  aufge- 
wunden wird. 

Die  von  den  Cocons  abgehaspelte  Seide  heisst  rohe  Seide,  Rohseide,  Grez- 
seide  (nach  dem  Italienischen  Grezza  benannt).  Ein  Cocon  liefert  0,15-0,25  Grm. 
Rohseide.*) 

Ist  der  Cocon  abgehaspelt,  so  erscheint  die  Puppe,  welche  die  Hasplerin  in  ein 
Becken  legt.  Diese  Puppen  liefern,  wenn  sie  faulen,  alle  Producte  des  faulenden 
Fleisches;  sie  müsseu  daher  bald  mit  Kalk  überschüttet,  vergraben  oder  einem  Dünger- 
haufen übergeben  werden,  wenn  sie  nicht  zur  Ammoniakbereitung  dienen  sollen. 

5)  Das  Entschälen  der  Seide.  Die  abgehaspelte  Seide  muss  zunächst  von 
ihrem  Üeberzuge,  vom  Seidenleim,   welcher  an  der  Luft   durch  die  Veränderung  des 


*)  Beim  Abhaspeln  der  Cocons  ist  die  Benutzung  der  Dampfkraft  ein  grosser 
Fortschritt,  da  bei  steter  Erneuerung  des  Wassers  kein  Geruch  hierbei  auftritt  und  die 
Arbeit  sehr  erleichtert  wird.  Limit  in  Como  hat  einen  Apparat  construirt,  der  auf  der 
abwechselnden  und  combinirten  Thätigkeit  des  Wassers  und  des  Dampfes  beruht,  indem 
hierzu  bestimmte  Hähne  abwechselnd  geöffnet  werden.  Nachdem  die  Cocons  mit  Wasser 
durchdrungen  sind,  treibt  der  Dampf  dasselbe  wieder  aus,  bedingt  ihr  Schwimmen  auf 
der  Oberfläche  des  Wassers  und  erleichtert  das  Abhaspeln.  Der  grösste  Vortheil  besteht 
in  der  gleichmässigen  Einwirkung  des  Dampfes;  auch  erfolgt  Kochen  und  Degummire  n 
in  dem  mit  Dampf  gemischten  Wasser. 


Seidenindustrie.  563 

Fibroins  entstanden  ist,  befreit  werden,  um  ihr  mehr  Glätte  und  Weichheit  zu  ertheilen. 
Man  unterscheidet  hierbei  das  Deguinniiren,  wobei  man  die  Seide  in  einer  Oelseifen- 
lösung  aufhängt  und  so  lange  hin  und  her  bewegt,  bis  sie  von  ihrem  firnissartigen 
Ueberzuge  befreit  ist.  Hierbei  tritt  ein  sehr  unangenehmer  Geruch  auf;  auch  die  Ab- 
fallwässer müssen  wie  Beuchwässer  behandelt  werden;  der  ganze  Process  ist  nänilich 
ein  Beuchen. 

Hierauf  folgt  ein  nochmaliges  Kochen  in  einem  Seifenbade  und  das  Bleichen 
mittels  schwefliger  Säure. 

Das  Zwirnen  der  Seide  und  das  Titriren,  d.  h.  die  Bestimmung  des  Fein- 
gehalts der  Seide,  sind  unschädliche  mechanische  Manipulationen. 

Das  Conditioniren  der  Seide  hat  ein  sanitäres  Interesse,  obgleich  es  nur  die 
Bestimmung  des  Wassergehalts  der  Seide  bezweckt,  da  bekanntlich  sowohl  die  rohe  als 
auch  die  gezwirnte  Seide  hygroskopisch  ist  und  viel  Feuchtigkeit  aus  der  Luft 
aufnimmt:  man  hat  deshalb  schon  längst  das  Verfahren  des  Conditionirens  ein- 
geführt, wobei  man  in  eignen,  meistens  unter  öffentlicher  Aufsicht  stehenden  Anstalten, 
in  Seidenconditionen,  die  Seide  auf  einen  bestimmten  Grad  von  Trockenheit  bringt. 

Das  Trocknen  geschieht  mittels  Wasserdämpfe  bei  100°  C.  in  kupfernen  Kasten 
mit  doppelten  Wänden.  Während  des  Erhitzens  gehen  die  verschiedenen  absorbirten 
Gase,  Riechstoffe  u.  s.  w.  ab  und  die  Abzugsröhren  der  Trockenkasten  für  die  aus  der 
Seide  sich  entwickelnden  Wasserdämpfe  u.  s.  w.  werden  von  einer  eigeuthümlichen  fett- 
artigen Substanz  incrustirt,  welche  in  kurzer  Zeit  das  Rothkupfer  angreift  und  aus  flüch- 
tigen, noch  nicht  genau  bekannten,  die  Augen  stark  reizenden  Säuren  besteht.  Bisweilen 
sollen  selbst  gefährliche  Krankheiten  durch  die  von  der  Seide  absorbirten  und  in  den 
Trockenkästen  wieder  abgegebenen  Stoffe  herbeigeführt  werden;  namentlich  erzeugte 
in  einem  concreten  Falle  Seide  aus  der  Levante  auf  diese  Weise  einen  sehr  complicirten 
Krankheitsprocess ,  bei  dem  höchst  wahrscheinlich  die  Mitwirkung  von  Contagien  be- 
schuldigt werden  konnte.  Die  berühmtesten  Trockenanstalten  finden  sich  in  Mailand, 
Marseille,  Elberfeld  und  Crefeld.2) 

0)  Das  Färben  der  Seide  ist  weit  einfacher  als  das  der  Pflanzenfaser,  weil 
sie  die  meisten  Farben  ohne  Beize  aufnimmt;  meistens  wird  gleichzeitig  eine  Gewichts- 
vermehrung bezweckt,  welche  gegenwärtig  den  grossartigsten  Massstab  angenommen  hat 
und  besonders  beim  Schwarzfärben  auf  öO — 50,  ja  100%  gesteigert  werden  kann. 

Auch  findet  hierbei  bisweilen  eine  Präcipitation  von  Blei-  und  Barytsalzen 
auf  die  Faser  statt.  In  einem  Falle  konnten  18  %  Blei  in  der  schwarzen  Nähseide  nach- 
gewiesen werden,  was  grade  bei  der  Nähseide  nicht  gleichgültig  sein  kann,  da  dieselbe 
bekanntlich  in  den  Mund  genommen,  zerkaut  oder  selbst  verschluckt  wird. 

Benutzung  von  Seidenabfällen  resp.  Bereitung  von  Floretseide.  Alle  Abfälle 
beim  Sortiren  der  Cocons,  die  Flockseide,  welche  beim  Schlagen  der  Cocons,  das 
grobe  Gewirre,  welches  beim  ersten  Eiuspinnen  der  Raupen  entsteht,  die  durch- 
bissenen  Cocons  u.  s.  w.  begreift  man  unter  dem  Namen  Flor  et-  oder  Flock- 
seide (Chappe,  Strazza).3) 

Man  unterscheidet  bei  ihrer  Zubereitung  das  Reinigen  und  Auflockern,  das 
Krempeln  oder  Kämmen  und  das  Spinnen,  dieselben  Manipulationen,  die  bei  der 
Wolle  und  Baumwolle  vorkommen,  aber  keinen  gefährlichen  Staub  erzeugen,  obgleich 
die  Ansichten  hierüber  nicht  übereinstimmen.  Wenn  die  französischen  Autoren  die 
Folgen  des  Reinigens  und  Aufiockerns  (Cardage)  mit  düstern  Farben  schildern,  so  ist 
es  weniger  der  Staub,  als  der  häufig  ungesunde,  feuchte  und  kellerartige  Arbeitsraum, 
durch  den  manche  Gesundheits- Schädigungen  der  Arbeiter  entstehen.  Jetzt  begegnet 
man  meist  luftigen  Räumen,  in  denen  der  Seidenstaub  um  so  weniger  eine  nach- 
theilige Einwirkung  ausüben  kann,  als  die  Schlag-  und  Krempelmaschine  bei 
zweckmässiger  Construction  die  Arbeiter  mehr  schützt.  Dass  er  der  gefährlichste  Staub 
sei,  wie  namentlich  Picardi)  behauptet,  wird  von  den  meisten  Beobachtern  mit  Recht 
bestritten;  die  Schwindsucht  unter  den  Seidenarbeitern,  namentbch  den  Seidenwebern, 
hängt  mit  andern  Schädlichkeiten  zusammen. 

Seidenweberei.  Auch  bei  der  Fabrication  der  Seidenzeuge  kommen  im  Wesent- 
lichen dieselben  Manipulationen  wie  bei  der  Fabrication  der  baumwollenen,  wollenen 
und  leinenen  Gewebe  vor;  der  Hauptunterschied  besteht  darin,  dass  die  schwereren 
Seidenstoffe,  wie  sie  vom  Webstuhle  kommen,  fertige  Waaren  sind  und  nur  noch  einer 
einfachen  Pressung  bedürfen.  Nur  die  leichtern  Sorten,  wie  Atlas,  Taffet  u.  s.w.,  erhalten, 
um  mehr  Ansehen  zu  bekommen,  noch  eine  Appretur  durch  Gummi ren  und  Cylin- 
driren;  auch  Sammet,  unter  dem  man  im  Allgemeinen  Zeuge  mit  einer  haarartigen 
Oberfläche  versteht,  wird  bisweilen  auf  der  Kehrseite  gummirt. 

36* 


564  Thierfaser. 

Das  Gummiren  geschah  früher  in  der  Weise,  dass  man  die  Stoffe  mittels  eines 
in  Traganthlösung  getauchten  Schwammes  überstrich  und  in  sehr  stark  erhitzten  Räumen, 
in  den  sogenannten  Gummirstuben,  trocknete.  Die  Arbeiter  litten  hierbei  sehr  von 
der  feuchten  und  heissen  Luft. 

Gegenwärtig  geschieht  das  Gummiren  vorzugsweise  bei  ganz  leichten  Stoffen 
und  namentlich  bei  Bändern  in  der  Weise,  dass  das  Zeug  durch  eine  Gummilösung 
und  sodann  über  eine  erhitzte  Rolle  läuft.  Bisweilen  rollt  man  das  Zeug  von  einer 
hölzernen  Walze  auf  die  andere  und  streicht  es  hierbei  an,  während  sich  zwischen 
beiden  Walzen  ein  kleiner  Rollwagen  mit  llolzkohlenfeuer  oder  Gasflämmchen  bewegt. 
Im  erstem  Falle  darf  die  Procedur  nur  in  einem  grossen  luftigen  Räume  vorgenommen 
werden,  die  aber  überhaupt  meist  nur  bei  schlechter  Arbeit  des  Webers  erforderlich  ist. 

Zur  Unterscheidung  der  verschiedenen  Fasern  des  Gewebes  wendet 
man  die  chemische  und  mikroskopische  Probe  an.  Durch  Kochen  mit  Kalilauge  unter- 
scheidet mau  zunächst  die  thielischen  Fasern  von  den  pflanzlichen,  indem  sich  erstere 
(Seide,  Wolle,  Alpaca)  darin  auflösen,  letztere  (Flachs,  Hanf,  Baumwolle)  aber  nicht. 
Salpetersäure  von  1,2 — 1,3  spec.  Gew  färbt  Wolle  und  Seide  gelb,  Baumwolle  und 
Leinen  nicht;  eine  wässrige  Lösung  von  Pikrinsäure  färbt  nur  Wolle  und  Seide  gelb, 
nicht  die  Pflanzenfaser.  Ivupferoxyd- Ammoniak  mit  Ueberschuss  von  Ammoniak 
löst  zuerst  die  Seide,  dann  die  Baumwolle,  aber  nicht  die  Wolle.  Nitroprussid- 
natrium  erzeugt  in  einer  Lösung  von  Wolle  in  Kalilauge  eine  violette  Färbung  wegen 
ihres  Schwefelalkaligehaltes,  wohingegen  eine  Lösung  von  reiner  Seide  in  Kalilauge 
durch  dasselbe  Reagens  nicht  verändert  wird. 

Unter  dem  Mikroskop  charakterisirt  sich  die  Baumwolle  durch  ihre  platte, 
bandförmige  Beschaffenheit,  die  Wolle  durch  die  dachziegelförmig  angeordneten  Ober- 
hautschuppen; die  Seidenfaser  erscheint  ganz  rund,  glatt,  ohne  Innenhöhle,  die 
Leinen  las  er  walzenförmig  mit  einer  schmalen  Innenhöhle,  welche  oft  nur  als  Längs- 
linie auftritt.  Diese  Unterscheidungszeichen  sind  bei  der  Prüfung  des  betreffenden 
Staub  es  wichtig.5) 

Die  sanitären  Verhältnisse  der  Seidenarbeiter. 

Von  einer  Einwirkung  des  Seidenstau bes  kann  kaum  die  Rede  sein,  da 
er  bei  der  Bearbeitung  der  rohen  Seide  nur  in  geringer  Menge  auftritt  und 
keinesfalls  erhebliche  Reizungen  der  Brustorgane  erzeugt.  Mehr  Staub  entsteht 
beim  Ausklopfen  und  Ausdrehen  der  erschwerten  Seide;  es  sind  dann  die 
trocknen  Farbstoffe,  die  den  Staub  erzeugen,  dessen  Natur  sich  natürlich  nach 
den  zur  Verwendung  gekommenen  Substanzen  richtet.  Hat  man  Bleipräparate 
hierzu  benutzt,  so  wird  sich  der  Staub  in  nachtheiliger  Weise  geltend  machen 
können  und  liegt  die  Vermuthung  nahe,  dass  man  bei  den  auseinander  gehenden 
Ansichten  über  die  Bedeutung  des  Seidenstaubs  keinen  strengen  Unterschied 
zwischen  den  verschiedenen  Staubarten  gemacht  hat. 

Die  gesundheitsschädlichen  Momente  bei  der  Behandlung  der  Cocons  werden 
gegenwärtig  durch  zweckmässigere  Einrichtungen,  sowie  durch  Benutzung  von 
Maschinen  sehr  vermindert,  so  dass  auch  das  schon  besprochene  Handleiden  der 
Hasplerinnen  immer  mehr  schwinden  wird. 

Von  grösserer  sanitärer  Bedeutung  bleibt  die  Seidenweberei,  die  hier 
noch  besonders  hervorzuheben  ist,  da  der  Handstuhl  in  der  Hausindustrie  zur  Zeit 
noch  vorwaltet  und  mit  vielen  sanitären  Nachtheilen  verknüpft  ist.  Die  Kör- 
perstellung, die  der  Arbeiter  dabei  beobachten  muss,  sowie  die  Anstrengungen, 
die  hierbei  unvermeidlich  sind,  erzeugen  Krankheitszustände,  die  sich  hier  in 
mannigfachen  Circulationsstörungen,  in  Hämorrhoiden,  Varicen  u.  s.  w.  kund 
geben  und  häufig  mit  Verdauungsbeschwerden  verbunden  sind,  die  nicht  allein 
Folgen  des  einseitigen  Druckes  auf  die  epigastrische  Gegend  sind,  sondern  auch 
häufig  durch  die  Lebensweise,  unzweckmüssige  Ernährung,  schlechte  Luft  und 
ungesunde  Wohnungen  mit  bedingt  werden.  Mangelhafte  Beleuchtung  und 
die  Einwirkuug  greller  Farben   erzeugen  nicht  selten  Augenleiden  verschiedener 


Beizen.  565 

Art,  während  bei  den  meisten  Webern  in  Folge  unzweckmässiger  künstlicher 
Beleuchtung  selten  das  „Schwarzspucken"  vermisst  wird.*)* 

In  manchen  Gegenden  beschäftigen  sich  auch  jugendliche  weibliche  Personen 
mit  der  Seidenweberei,  eine  Sitte,  die  körperliches  und  sociales  Unheil  erzeugt, 
da  sie  das  Mädchen  frühzeitig  aus  seiner  eigentlichen  Berufsstellung  in  abnorme 
Verhältnisse  versetzt.  Nirgends  treten  überhaupt  die  socialen  Gebrechen  greller 
hervor  als  in  der  Seidenweberei.6) 

In  der  Seidenfärberei  sind  unter  den  zur  Verwendung  kommenden  Farb- 
körpern vorzugsweise  die  Chrompräparate  und  Pikrinsäure  zu  nennen; 
höchst  selten  werden  aber  Fälle  von  irgend  einer  nachtheiligen  Einwirkung  der- 
selben bekannt,  weil  die  grosse  Verdünnung  mit  "Wasser  den  hinreichenden 
Schutz  gewährt,  wenn  bei  den  verschiedenen  Manipulationen  nur  einigermassen 
vorsichtig  verfahren  wird.  Anilinfarben  können  hier  nur  durch  Arsen-  oder 
Quecksilbergehalt  schädlich  werden;  in  den  seidenen  Stoffen  lassen  sich  aber  nur 
höchst  geringe  Mengen  dieser  Verbindungen  nachweisen.  Bei  der  Appretur 
sind  die  beständig  warmen  Räume  nicht  ohne  Einfiuss  auf  die  Gesundheit  der 
Arbeiter. 

Allgemeines  über  Beizen,  Zengdruck  und  Färberei. 

Beizen  und  Zeugdruck. 

Die  Pflanzen-  und  Thierfaser  besitzen  die  Eigenschaft,  mit  verschiedenen 
Metalloxyden  unlösliche  Verbindungen  einzugehen  oder  dieselben  gleichsam  zu 
absorbiren.  Dieser  Vorgang  nimmt  in  der  Textilindustrie  einen  wichtigen 
Platz  ein  und  heisst  Färben.  Damit  aber  der  aufgelöste  Faserstoff  mit  der 
Faser  eine  unlösliche  Verbindung  eingeht,  bedarf  diese  meist  einer  Beize. 

Die  Lösung  solcher  Metall oxyde,  die  an  und  für  sich  keine  Farbstoffe  sind, 
aber  zu  der  Thier-  und  Pflanzenfaser  sowohl  als  auch  zu  einem  Farbenpigment  in  ver- 
wandtschaftlicher Beziehung  stehen,  heisst  Beize  oder  Mordant.  Das  Gewebe  wird 
dadurch  befähigt,  Farbstoffe  aufzunehmen  und  die  unlöslichen  Verbindungen  in  sich  zu 
erzeugen;  die  Beizen  dienen  daher  zur  Fixirung  der  Farben.  Je  nachdem  der 
Farbstoff  mit  den  verschiedenen  Metalloxyden  verschieden  gefärbte  Niederschläge 
erzeugt,  wird  selbstverständlich  auch  das  Gewebe  eine  verschiedene  Färbung  annehmen. 
Vorzugsweise  werden  Alaun,  Thonerdesalze,  essigsaures  Eisen,  Zinksalze, 
Gerbsäure,  in  der  Türkischrothfärberei  Oele  und  bei  Anilinfarben  Albumin  und 
Casein  als  Beizen  benutzt. 

Die  Zeugdruckerei  ist  nur  eine  Örtliche  Färberei  und  ganz  besonders  in 
der  Baumwollindustrie  vertreten.  Seit  undenklichen  Zeiten  ist  der  Calicot  als 
Druckkattun  bekannt,  der  von  einem  Orte  in  Malabar  so  benannt  wird.  Man  erzielt 
beim  Zeugdruck  farbige  Muster  auf  weissem  oder  anders  gefärbtem  Zeuge  oder  weisse 
Figuren  auf  farbigem  Grunde. 

Die  zur  Anwendung  kommenden  Farben  heissen:  1)  Tafel-,  Application s- 
oder  Schilderfarben,  wenn  sie  direct  auf  das  Zeug  aufgetragen  werden,  z.  B.  die 
Eisenfarben,  das  Berlinerblau,  der  Krapplack,  derindig  und  die  Cochenille; 
2)  <üe  Kessel-  oder  Krappfarben  erzeugt  man  durch  Eintauchen  des  Zeuges  in  die 
Farbenbrühe  (Flotte);  hierher  gehören:  der  Krapp,  das  Blauholz,  der  Wau, 
die  Cochenille,  der  Sumach  u.  s.  w. 

Beim  Drucken  unterscheidet  man  vier  Methoden:  1)  Man  druckt  Farbe  und 
Beizen  zusammen  auf  und  fixirt  die  Farbe  durch  Aufhängen  und  Lüften. 
Dies  ist  der  eigentliche  Tafeldruck,  wobei  die  Applicationsfarben  in  gelöstem  oder 
in  ungelöstem  Zustande  aufgedruckt  werden. 

Viele  Tafelfarben  werden  auf  Baumwollgeweben  durch  das  sogenannte  Dämpfen 
fixirt  und  heller  gemacht,  wobei  viele  noch  unbekannte  Zersetzungs-Erscheinungen  vor- 
kommen.   Die  dadurch  fixirten    und  veränderten  Farben   heissen  Dampf  färben,  bei 


*)    Ueber  den  Jacq «arischen  Webestuhl  vergl.  man  „Blei". 


56ß  Pflanzen-  und  Thierfaser. 

denen  die  Zinnbeizen  eine  grosse  Rolle  spielen.  Das  Dämpfen  geschieht  in  der 
Weise,  dass  man  die#Waare  über  Rollen  in  einem  gut  verschlossenen  und  mit  einem 
falschen  Boden  versehenen  Holzbottich  aufhängt,  in  welchem  von  unten  mittels  eines 
Rohrs  die  Dämpfe  eingeleitet  werden. 

2)  Man  bringt  nur  die  verdickte  Beize  auf  diejenigen  Stellen  des 
Zeuges  auf,  welche  Farben  erhalten  sollen,  und  zieht  dann  das  Zeug 
durch  die  Farbenflotte,  wozu  man  bei  der  Baumwolle  nur  Krapp  gebraucht,  wes- 
halb man  das  ganze  Verfahren  auch  Kessel-  oder  Krappfarbendruck  oder  das 
Färben  aus  dem  Kessel  nennt. 

Die  Baumwollzeuge  werden  mit  der  verdickten  Beize  bedruckt  und  in 
Trockenkammern  getrocknet;  hierauf  folgt  das  Kuhkothbad  oder  das  sogenannte 
Kuhkothen,  ein  Verfahren,  welches  die  Kattundruckerei  gegen  Ende  des  vorigen 
Jahrhunderts  der  Türkischrothfärberei  (siehe  diese)  entlehnt  hat;  es  bezweckt  die 
Entfernung  des  Verdickungsmittels  und  der  überschüssigen  Beize  sowie  die  Fixirung 
des  Musters. 

Statt  des  Kuhkothbades  benutzt  man  sehr  häufig,  namentlich  in  der  Schweiz, 
zur  Darstellung  der  rothen  Tücher  arseniksaures  Natrium,  das  man  in  einzelnen 
Fabriken  mit  Kreide  abstumpft,  so  dass  neben  einem  Alkalisalz  ein  fein  vertheiltes 
arseniksaures  Calcium  zur  Anwendung  kommt.  Der  Vorschlag  von  Mercer,  ein 
Gemisch  von  tertiärem  phosphorsaurem  Calcium  und  phosphorsaurem  Natrium  als 
Kuhkothsalz  (Sal  ä  bouse)  zu  gebrauchen,  hat  noch  zu  wenig  Anklang  gefunden.*) 

3)  Man  färbt  das  ganze  Zeug  mit  Ausnahme  derjenigen  Stellen, 
welche  weiss  bleiben  oder  eine  andere  Farbe  erhalten  sollen.  Zu  dem  Ende 
bedeckt  man  diese  Stellen  mit  einer  Substanz  (Reservage,  Deckpappe,  Auf- 
spar ungspappe),  welche  zum  Farbstoff  der  Flotte  keine  Verwandtschaft  hat,  oder 
man  druckt  eine  Substanz  auf,  welche  die  Aufnahme  der  Farbe  verhindert,  z.  B.  Wachs, 
Talg,  Pfeifenthon  oder  auch  chemische  Mittel,  welche  die  Bildung  von  Farben  an  den 
betreffenden  Stellen  verhindern,  z.  B.  unterschwefligsaure  Salze  beim  Gebrauch  von 
Eisenbeizen  oder  Kupfervitriol  bei  Indigküpen. 

4)  Man  färbt  das  Zeug  gleichmässig  aus  und  nimmt  auf  denjenigen 
Stellen,  die  anders  gefärbt  werden  sollen,  die  Farbe  wieder  weg, 
indem  man  daselbst  chemisch  wirkende  Agentien  (Aetzbeizen,  Fress- 
beizen, entfärbende  Beizen)  anbringt  Man  unterscheidet  hierbei  das  Aetzen 
der  Beize  und  der  Farbe.  Das  Aetzen  der  Beize  hat  den  Zweck,  das  gebeizte  Zeug 
stellenweise  von  der  Beize  zu  befreien;  es  gehören  viele  Säuren  hierher,  wie  Oxal-, 
Citronen-,  Wein-,  Milch-,  Kieselfluor-  und  Arsensäure,  sowie  das  Zinkchlorid. 

Beim  Aetzen  oder  Zerstören  der  Farbe,  bei  der  eigentlichen  Enlevage, 
lässt  man  Chromsäure,  unterchlorige  Säure,  Chlorkalk,  Chromsäure,  übermangansaures 
Kalium,  Salpetersäure  u.  s.  w.  auf  die  Stellen  der  Muster  einwirken ,  so  dass  der  Farb- 
stoff oxydirt  und  zerstört  wird. 

Beim  Bandanasdruck  werden  Muster  schablonenartig  in  Bleiplatten  aus- 
geschnitten, mit  der  bleichenden  Flüssigkeit  (Schwefelsäure  und  Chlorkalk)  begossen, 
oben  und  unten  auf  einen  Stoss  krapproth  gefärbten  Zeuges  gelegt  und  gepresst. 

Beim  Bedrucken  der  Leinwand  handelt  es  sich  vorzüglich  um  die  Darstellung 
von  indigblauen  Tüchern  mit  hellblauen  oder  weissen  Figuren. 

Beim  Bedrucken  der  wollenen  Waaren  benutzt  man  hauptsächlich  den  Tafel- 
druck und  als  Beize  das  Zinnchlorid:  man  fixirt  die  Farben  durch  Dämpfen  (siehe 
Ferrocyankalium).  Beim  Golgas-  und  Berilldruck  presst  man  zwischen  Platten 
oder  mittels  Formen. 

Das  Bedrucken  der  seidenen  Stoffe  stimmt  in  der  Hauptsache  mit  der  Baum- 
wolldruckerei überein.  Beim  Mandarinendruck  ätzt  man  mit  Pikrin-  oder  Sal- 
petersäure den  mit  Indig  gefärbten  Grund. 

Die  Technik  des  Drückens  ist  durch  Ch.  Taylor  und  Tlmmas  Walker  durch 
Einführung  der  Plattendruckmaschine,  später  durch  Watt  und  Perrot  sehr  vervoll- 
kommnet worden:  die  von  letzterm  construirte  Druckmaschine  heisst  Perrotine. 

Die  neuesten  Walzen-  oder  Rouleauxdruckmaschinen  arbeiten  mit  vertieften 
Formen,  welche  in  kupfernen  Cylindern  eingravirt  sind. 

*)  Beim  Anilinfarbendruck  gebraucht  man  als  Beize  Hühnereiweiss  oder 
durch  Terpentinöl  gebleichtes  Blutalbumin.  In  englischen  und  elsässischen  Fabriken 
wird  jetzt  fast  durchgängig  Albumin  durch  Glycerinarsenik  und  essigsaure 
Thonerde  ersetzt.  Im  Meter  sind  2 — 3  Grm.  arseniksaure  Thonerde  enthalten.  In 
violetten  Grundfarben  werden  verschiedene  weisse  Muster  aufgedruckt,  namentlich  auf 
Kattun  und  Battist.  Nach  dem  Bedrucken  folgt  die  Appretur;  durch  Einlegen  in 
Wasser  soll  sich  der  ganze  Arsengehalt  auflösen:  man  hat  daher  die  Abfallwässer 
zu  beachten. 


Färberei.  567 


Färberei. 


Bei  der  Färberei  sind  dieselben  Gesichtspuncte  wie  bei  der  Zeug- 
druckerei massgebend;  viele  Manipulationen  beruhen  aber  nur  auf  Empirie. 

Das  Blaufärhen  kommt  in  der  Woll-  und  Baumwollindustrie  viel- 
fältig vor;  man  benutzt  dazu  namentlich  in  der  "Wollfärberei  die  Indig- 
küpe,  das  Berlinerblau  und  das  Blauholz. 

Man  unterscheidet  verschiedene  Indigküpen:  1)  die  warm?  Küpe.  Bei  der 
Waidküpe  dierit  ein  Zusatz  von  Waid,  Krapp  und  Kleie  zunächst  zur  Erzeugung 
einer  Gährung,  um  Indigo  in  Indigweiss  zu  reduciren*).  Es  entstehen  hierbei 
ammoniakalische  Dämpfe,  da  der  Waid  einer  langsamen  Fäulniss  unterliegt, 
-während  Krapp  und  Kleie  zuerst  Milchsäure-  und  dann  Buttersäuregährung 
erzeugen,  -weshalb  zur  Bindung  der  Buttersäure  Kalk  zugesetzt  wird,  damit  Ammoniak, 
das  Lösungsmittel  des  Indigweisses,  nicht  neutralisirt  wird. 

Grosse  und  luftige  Räume  sind  zur  Aufstellung  der  Küpen  absolut  erforder- 
lich, um  die  Luft  möglichst  rein  zu  erhalten:  die  Waidküpe  dient  zum  Färben  der 
Streich-wolle  und  des  Tuches 

2)  Die  kalte  Küpe.  Die  Vitriolküpe  wird  aus  Indig,  Eisensulfat,  Kalk  (Kali 
oder  Natron)  bereitet,  bei  welcher  unter  Wasserzersetzung  Eisenoxydul  oxydirt  und 
Indigo  zu  Indig  weiss  reducirt  -wird:  sie  dient  vorzugsweise  zum  Färben  der  baum- 
wollenen und  leinenen  Stoffe. 

Bei  der  Harnküpe  ist  das  aus  dem  faulenden  Harn  entstandene  Ammonium- 
carbonat  das  Lösungsmittel  für  Indigweiss:  Wolle  und  Leinen  wird  damit  gefärbt. 

Die  Arsen-  oder  Opermentküpe  wird  mehr  in  der  Zeugdruckerei  benutzt 
und  durch  Verdickung  einer  Lösung  von  Operment  und  Indigo  in  Kalilauge  mittels 
Gummi  dargestellt.  Da  die  Bildung"  von  arsensaurem  und  unterschwefligsaurem  Kalium 
unter  Wasserstoffentwicklung  stattfindet,  so  ist  auch  hier  der  Wasserstoff  das  Reduetions- 
mittel  für  Indigo.  Selbstverständlich  ist  hierbei  in  sanitärer  Beziehung  die  grÖsste 
Sorgfalt  noth wendig,  da  sich  auch  leicht  Arsenwasserstoff  bilden  kann:  die  Ge- 
fässe  müssen  daher'einen  guten  Verschluss  haben  und  mit  einem  Ableitungsrohr  nach 
dem  Schornstein  versehen  sein. 

Die  Zinnküpe  (Indigo,  metallisches  Zinn  und  Aetznatron)  und  die  Zucker- 
küpe (Milch-  oder  Stärkezucker  neben  Alkalien)  kommen  ebenfalls  fast  nur  in  der 
Zeugdruckerei  vor. 

Ausser  dem  Indigo  ist  das  Berlinerblau  in  der  Wollfärberei  am  gebräuch- 
lichsten (s.  Ferrocyankalium  S.  388}.  Für  geringere  wollene  und  baumwollene  Waaren 
gebraucht  man  auch  Campecheholz  (Blauholz),  das  man  abkocht  und  mit  Alaun. 
Weinstein  und  Kupfersulfat  versetzt:  im  Handel  kommt  auch  Blauholzextraet 
vor**).  Beim  baumwollenen  Garn  dient  häufig  eine  Lösung  von  Kupferoxyd  in 
Ammoniak  als  blaue  Farbe. 


*)  In  den  Indigofera-Arten.  Isatis  tinctoria  (Waid),  Polygonum  tinctorum  u.  s.  w. 
ist  ein  Chromogen,  Indican,  enthalten,  das  als  glucosidartiger  Stoff  durch  Gährung  in 
Zucker  und  Indigweiss  zerfällt,  welches  an  der  Luft  wieder  in  Indigblau  übergeht. 
**)  Bei  Hölzern  muss  auf  besondern  Mühlen  ein  Zerkleinern  vorausgehen.  Die 
Natur  des  Staubes,  der  sich  hierbei  entwickelt,  richtet  sich  natürlich  nach  den  Bestand- 
teilen des  Rohmaterials;  Sandelholz  soll  am  meisten  zum  Husten  reizen.  Fast  nie 
werden  aber  auf  Mühlen'  Sehutzmassregeln,  die  oft  sehr  nothwendig  sind,  angewendet. 
Beim  Abdampfen  der  Abkochungen  ist  die  Verflüchtigung  etwa  giftiger  Dämpfe 
zu  berücksichtigen;  so  entwickelt  sich  z.B.  bei  der  Darstellung  des  Quassiaextracts 
im  Grossen  Quassiakampher.  der  sich  während  des  Abdampfens  mit  den  Wasser- 
dämpfen verflüchtigt  und  narkotische  Eigenschaften  äussert.  Hiermit  hängt,  nebenbei 
bemerkt,  die  Wirkung  des  Quassia-Ffiegenpapiers  zusammen,  welches  übrigens 
häufig  auch  arsenhaltig  ist. 

"Wird  Catechu  in  Europa  durch  Extraction  mit  siedendem  Wasser  und  durch 
Behandeln  mit  Schwefelsäure  einer  Reinigung  unterworfen,  so  entwickeln  sich  eigen- 
thümliche  Riechstoffe  mit  narkotisirender  Wirkung. 

Die    holzigen    Rückstände    bei    der    Farbholzextraction    werden    nach    dem 
Trocknen  als  Brennmaterial  oder  zur  Darstellung  von  Essigsäure  benutzt. 

Die  Pflanzenüberreste  bei  der  Benutzung  von  frischen  Pflanzentheilen  g_ehen 
sehr  leicht  in  Fäulniss  über  und  müssen  stets  mit  Kalk  Tersetzt  werden,  um  die  übel- 


568  Färberei. 

In  der  Seidenfärberei  haben  das  Anilinblau  nnd  Anilinviolet  die 
Orseille  verdrängt,  die  in  Teigform  in  den  Handel  kommt,  getrocknet,  gemahlen  und 
gebeutelt  aber  Persico  oder  Cudbeard  genannt  wird.*) 

Zum  Gelbfärben  der  Wolle  werden  der  Wau  (Reseda  luteola),  das  Gelb  holz 
(gelbes  Brasilienholz),  das  als  Cubaextract  in  den  Handel  kommt,  die  Avignon- 
körner  von  Rliamnus  tinetoria  und  die  Pikrinsäure  benutzt;  bei  der  Baumwolle 
verwendet  man  ausser  den  genannten  Stoffen  namentlich  noch  die  Quercitronrinde 
(von  Quercus  tinetoria),  Orlean  und  die  Gelbbeeren,  während  in  der  Seiden- 
färberei vorzüglich  Wad  und  die  Pikrinsäure  die  gelben  Pigmente  liefern. 

Beim  Rothfärben  nimmt  bei  der  Wolle  und  Baumwolle  der  Krapp  eine 
hervorragende  Stelle  ein.  **) 

Zur  Darstellung  des  Türkischroths  oder  Adrianopolroths  ist  der  Krapp 
schon  seit  Jahrhunderten  benutzt  worden  und  zwar  auf  ganz  empirische  Weise,  da 
über  die  Theorie  dieser  Färberei  auch  jetzt  noch  nicht  die  Ansichten  übereinstimmen. 

Man  unterscheidet  hierbei  vier  Operationen : 

1)  Das  Beizen  des  Garns  mit  Oel  geschieht  in  dem  sogen.  Kuhkothbade, 
einer- Mischung  von  Banrem  Olivenöl,  Pottasche,  Schafkothund  Wasser,  und 
in  dem  Weiss-  oder  Hauptölbade,  einer  Mischung  von  Olivenöl,  Pottasche  und 


riechenden  Gase  und  Dämpfe  zu  zerstören.  Ueberreste  verschiedener  Giftpflanzen 
exhaliren  auch  narkotisirende  Dämpfe:  durch  Kalkzusatz  bildet  sich  Ammoniak 
und  der  Fäulnissprocess  schreitet  ohne  weitere  Belästigung  fort. 

*)  Orcein  ist  der  Hauptbestandteil  der  Orseille,  eine  schwache  Säure,  die  aus 
dem  Zersetzungsproducte  (Orcin)  vieler  Flechtenarten  (Roccella.  Evernia,  Parmelia) 
mittels  Ammoniak  dargestellt  wird.  Die  Flechten  werden  gesiebt,  gewaschen  und 
mit  Mühlsteinen  gemahlen.  In  den  Mühlen  waltet  ein  höchst  feiner,  Alles  durch- 
dringender Staub,  dem  die  Arbeiter  vollständig  ausgesetzt  sind:  eine  speeifisch  nachtheilige 
Wirkung  hat  er  nicht,  denn  viele  Arbeiter  bleiben  in  dieser  Staubatmosphäre  anscheinend 
gesund.  Die  gemahlene  Masse  wird  in  muldenförmigen  Holzkasten  mit  gefaultem 
Urin  behandelt:  dieser  könnte  gut  durch  wässriges  Ammoniak  ersetzt  werden.  Man 
verschliesst  die  Kasten  und  setzt  nach  einigen  Tagen  Aetzkalk  zu.  um  ein  Freiwerden 
des  Ammoniaks  im  Urin,  namentlich  die  Extraction  der  Chromogene  und  ihre  Spaltung 
in  Orcem  zu  bewirken. 

Nicht  selten  setzt  man  Arsen  und  Alaun  zu.  um  angeblich  die  Gährung  zu 
massigen,  wahrscheinlich  auch  um  der  Farbe  mehr  Ton  zu  geben.  Nach  beendigter 
Reaction  lässt  man  die  Teigmasse  noch  mehrere  Wochen  in  den  Kasten  liegen,  um  sie 
als  Paste  in  den  Handel  zu  bringen. 

Die  Orseille  wird  in  der  Wollfärberei  mit  Weinsäure,  in  der  Seidenfärber  e 
mit  Salzsäure  gelöst. 

**)  Krapp,  die  Wurzel  der  Färberröthe  (Rubia  tinetorum),  war  schon  den 
Griechen  und  Römern  bekannt:  sie  enthält  ein  Glycosid  (Ruberythrinsäure).  welche 
mit  Fermenten  behandelt  in  Zucker  und  Ali  zarin  zerfällt.  Alizarin  ist  eine 
schwache  Säure  und  verbindet  sich  in  der  Türkischrothfärberei  mit  der  T  hon  erde  zu 
einer  unlöslichen  Verbindung,  die  in  der  Pflanzenfaser  selbst  entsteht:  an  der  Luft 
oxydirt  es  sich  zu  Purpurin. 

Auf  den  Krapp  mühlen  sind  die  Arbeiter  in  Krapps  taub  eingehüllt,  ohne 
dass  ihre  Gesundheit  dadurch  benachtheiligt  wird.  Reizender  wirkt  der  Staub  des 
holländischen  Krapps,  der  in  einem  Ofen  vollständig  gedörrt  wird,  ehe  er  auf  die 
Mühlen  kommt,  während  namentlich  der  elsässer  Krapp  in  besondern  Trocken- 
häusern bloss  getrocknet  wird.  Krappblumen  bereitet  man  durch  Auswaschen  und 
Gährenlassen  des  gemahlenen  Krapps;  aus  den  Krapprückständen  stellt  man  Garanceux 
grade  wie  Gar  an  ein  dar. 

Als  Krapp-Präparate  kommen  im  Handel  das  Garancin  und  die  Krapp- 
blumen vor.  Die  Darstellung  von  Garancin  (Krappkohle,  Charbon  sulfurique) 
beruht  auf  der  Einwirkung  heisser  verdünnter  Schwefel-äure  auf  Krapp,  um  den 
Zucker  und  einige  durch  Schwefelsäure  löslich  gewordene  Körper  zu  entfernen: 
Krapp-Spiritus  kann  aus  diesem  gährungsfähigen  Zucker  gewonnen  werden.  Bei  der 
Garancinfabrication  unterscheidet  man  a)  das  Kochen  des  Krapps  mit  ver- 
dünnter Schwefelsäure,  wozu  man  gewöhnlich  die  Kammersäure  benutzt,  b)  das 
Auswaschen  von  Garancin,  c)  das  Auspressen,  d)  das  Trocknen  in  Trocken- 
räumen bei  einer  Temperatur  von  50-60°  C.  Beim  spätem  Mahlen,  Beuteln  und 
Verpacken  ist  es  der  Staub,  welcher  die  Arbeiter  sehr  belästigen  kann,  wenn  er  auch 
nicht  speeifisch  einzuwirken  vermag.  Ausserdem  sind  die  Was^hwässer  wegen  ihres 
Gehaltes  an  Kammersäure  sehr  beachtenswerth :  sie  dürfen  daher  niemals  frei  abge- 
lassen, sondern  müssen  vorher  mit  Kalk  oder  Eisenabfällen  versetzt  werden. 


Färberei.  5  QQ 

Wasser.  Hierdurch  wird  die  Baumwollfaser  höchst  wahrscheinlich  animalisirt  (siehe 
Albumin). 

2)  Zum  Galliren  (Schmacken,  Sumachen)  dient  eine  Abkochung  von  Galläpfeln 
oderSuniach;  die  gallirte  Baumwolle  wird  alsdann  in  einer  Alaunlösung,  welche  mit 
Natrium carbonat  neutralisirt  worden,  bearbeitet,  getrocknet  und  nochmals  in  der  Alaun- 
lösung bearbeitet.  Die  Verbindung  von  ölsaurer  und  gerb  saurer  Thonerde, 
welche  bei  diesem  Processe  entsteht,  befördert  jedenfalls  noch  die  Fixirung  der  Krapp- 
farbstoffe auf  die  Baumwollfaser. 

Hierauf  folgt  3)  das  Ausfärben  oder  Krappen  mit  einer  Abkochung  von 
Krapp;  4)  das  Schönen  durch  Erhitzen  mit  Seifenlösung,  Zinnchlorür  und 
Salpetersäure. 

In  der  Seidenfärberei  werden  vorzugsweise  Fuchsin,  weniger  Safflor, 
Orseille  und  Cochenille*)  benutzt. 

Zu  Theerfarbstoffen  hat  ebenfalls  die  Wolle  eine  grosse  Verwandtschaft;  sie 
kommen  hierbei  in  allen  verschiedenen  Arten  zur  Verwendung. 

Zum  (Jrünfärben  gebraucht  man  die  Verbindung  von  Gelb  und  Blau.  Man  färbt 
die  Wolle  zuerst  blau,  siedet  sie  mit  Weinstein  und  Alaun  und  benutzt  dann  eine 
Farbeflotte  von  Gelbholz  oder  Wau.  Anilingrün  dient  zur  Seidenfärberei; 
Catechu  liefert  mit  Eisenoxydsalzen  schöne  grüne  Niederschläge  und  lebhaft  grüne 
Muster  auf  Leinen  und  Kattun.  Bei  der  Baumwolle  benutzt  man  die  Vitriolküpe 
und  Quercitron. 

Beim  Schwarzfärben  gelangen  die  baumwollenen  Gewebe  zuerst  in  die  Vitriol- 
küpe, dann  in  eine  Beize  von  holzessigsaurem  Eisen  und  zuletzt  in  eine  Farbenbrühe  von 
Galläpfeln  und  Blauholz.  Aechtes  Wollschwarz  wird  durch  Brenz-  oder 
Pyrocatechusäure  dargestellt;  das  Extract  von  Sumach  wird  zum  Schwarzfärben 
von  Seide  und  Wolle  benutzt.  Die  wollenen  Tücher  bringt  man  zuerst  in  die 
Waidküpe;  nach  dem  Auswaschen  werden  sie  in  einem  Bade  von  Sumach  und 
Blauholz  gekocht  und  schliesslich  mit  Eisensulfat  oder  holzessigsaurem  Eisen  versetzt. 
Aehnlich  ist  das  Verfahren  in  der  Seidenfärberei;  das  Schwerschwarz  wird  hier 
häufig  durch  ein  gerbsäurehaltiges  Bad  von  Knoppernextract  erzeugt,  durch  welches 
man  die  Seide  zieht  und  dann  mit  Eisensalzen  ausfärbt;  man  beabsichtigt  hierdurch 
ein  Erschweren  der  Seide,  welches  mit  der  Eigenschaft  der  Gerbstoffe,  sich  mit 
der  thierischen  Substanz  innig  zu  vereinigen,  zusammenhängt.**) 

Mit  Anilinschwarz  färbt  man  gegenwärtig  Seide  und  Baumwolle,  letztere 
bedarf  aber  bei  allen  Anilinfarben  einer  besondern  Beize  (Tannin  in  Alkohol)  (oder 
des  Animalisirens  durch  Albumin  und  Casein  (s.  Albumin  und  Casein).1) 


*)  Cochenille  besteht  aus  den  getödteten,  getrockneten  Weibchen  von  Coccus 
cacti;  ihr  Farbstoff  heisst  Carm  in  säure,  der  beim  Kochen  mit  verdünnten  Säuren  in 
Carminroth  zerfällt.  Die  Präparate  aus  der  Cochenille  heissen  Carminlacke  und 
werden  durch  Präcipitiren  des  Farbstoffs  mittels  Thonerdehydrats  dargestellt ;  ein 
Zusatz  von  Zinnchlorid  führt  die  Farbe  mehr  in's  Scharlachrothe  über.  Metallische 
Abfallwässer  kommen  hierbei  nicht  vor,  da  man  schon  aus  pecuniärem  Interesse  die 
Zinnsalze  wieder  gewinnt.  Diese  Lacke  werden  übrigens  meist  zum  Abstreichen 
benutzt.  Zur  Fabrication  der  Kugellacke  benutzt  man  Rothholz,  ein  Collectivnamen 
für  Fernambuk  (Brasilienholz)  und  Sapanholz.  Alle  Lacke  enthalten  oft 
Arsen  und  sollten  nie  zum  Färben  von  Genussmitteln  gebraucht  werden. 

Safflor  besteht  aus  den  getrockneten  Bl amenblättern  von  Carthamus  tinctorius 
und  kann  auf  Seide  und  Baumwolle  ohne  Beize  als  blasskirschrothe  Farbe 
aufgefärbt  werden. 

**)  In  der  Färberei  hat  man  die  Gerbstoffe  für  das  praktische  Bedürfniss  nach 
ihrem  Verhalten  gegen  Eisensalze  eingetheilt,  da  die  einen  diese  schwarzblau  und  die 
andern  grün  falten.  Man  hat  deshalb  in  der  Technik  seit  langer  Zeit  eisenbläuende 
(Galläpfel,  Sumach  u.  s.  w.)  und  eisengrünende  Gerbstoffe  (Catechu,  Kino,  Tannen- 
rinde u.  s  w.)  unterschieden,  obgleich  diese  Eintheilung  wissenschaftlich  nicht  begründet 
werden  kann. 


570  Thierhäute. 


Thierhäute. 

Die  Thierfaser  bildet  den  Uebergang  zu  den  Thierhäuten,  deren  Präparation 
zu  Leder  Gerben,  Beizen  und  Färben  erfordert.  Die  Gerberei  ist,  insofern  die 
Gerbemittel  in  die  Poren  der  Haut  eindringen  und  die  einzelnen  Fasern  umgeben, 
eigentlicb  Färberei. 

Es  sind  schon  mehrere  Farbstoffe  erwähnt  worden,  die  ätherartige  Ver- 
bindungen von  gährungsfähigem  Zucker  mit  andern  Körpern  enthalten  und 
Glucoside  genannt  werden;  sie  zerfallen  in  Zucker  und  in  ihren  zweiten  Be- 
standteil, wenn  sie  mit  Säuren  und  Alkalien  behandelt  werden  und  schliessen 
sich  somit  an  die  Kohlehydrate  an.  Zu  den  Glucosiden  gehören  auch  die 
Gerbsäuren,  die  sich  in  den  Gerbstoffen  befinden  und  die  Eigentümlichkeit 
besitzen,  dass  sie  Eiweiss-  und  Leimlösungen  fällen,  mit  thierischen  Häuten 
zusammengebracht,  Leder  geben  und  deshalb  ausser  in  der  Färberei  nament- 
lich in  der  Lohgerberei  zur  Anwendung  kommen,  obgleich  der  Process  der 
Gerberei  vielfältig  nur  als  ein  physicalischer  Vorgang  betrachtet  wird;  besonders 
ist  Knapp  der  Ansicht,  dass  sich  Leder  nur  dadurch  von  der  Haut  unterscheidet, 
dass  die  Fasern  beim  Trocknen  nicht  mehr  zusammenkleben.  Uebrigens  unter- 
liegt es  keinem  Zweifel,  dass  die  Gerbstoffe  auch  als  fäulnisswidrige  Substanzen 
wirken.1) 

Zu  den  Gerbstoffen  gehören  1)  die  Galläpfel,  die  durch  den  Stich  der 
Gallwespe  (Cynips  gallae  tinctoriae)  an  den  Blättern  von  Quer,  infect.  entstehen; 
Eichgalläpfel  kommen  auf  verschiedenen  Eicharten  vor;  chinesische  Gall- 
äpfel stellen  walzenförmige  Anschwellungen  dar,  die  sich  auf  einer  Rhusart  bilden. 

2)  Die  Knoppern  bilden  sich  beim  Stich  eines  der  Gallwespe  verwandten 
Insects  (Cynips  quercus  calycis)  in  dem  Kelch  gewisser  Eichenarten. 

3)  Der  Sumach,  Schmack,  besteht  aus  den  zerriebenen  Blättern  und 
Blattstielen  verschiedener  Rhusarten  (Rhus  coriaria  und  cotinus);  er  dient  beson- 
ders zur  Bereitung  von  Saffian,  von  feinem  Oberleder  und  feinen  Pelz- 
waaren.  Beim  Eindampfen  eines  wässrigen  Auszugs  verflüchtigen  sich  reizende 
Bestandtheile,  welche  bei  den  Arbeitern  Schwellung  des  Gesichts  erzeugen  können ; 
Aufschläge  von  Essig  lindern  die  Schwellung  am  besten.  Der  Staub  des  Extracts 
(Sumach-Gummi)  erzeugt  auf  der  Haut  Blasen. 

Beim  Gerben  der  Felle  zu  Saffian  unterliegt  der  Sumach  vorher  einem 
Gährungsprocesse,  wobei  das  scharfe  Princip  verloren  geht;  deshalb  werden  auch  die 
Arbeiter  bei  der  Anwendung  eines  solches  Sumachs  nicht  belästigt. 

Im  Handel  kommt  der  Sumach  fein  pulverisirt  in  Zwillich-Säcken  verpackt 
vor;  ist  die  Verpackung  mangelhaft,  so  leiden  die  Arbeiter  beim  Tragen  der 
Säcke  in  Folge  des  einwirkenden  Staubes  fast  stets  an  erysipelatösen  Haut- 
reizungen, die  sich  oft  weit  ausdehnen  können. 

4)  Die  Eichenrinde  spielt  als  Lohe  in  der  Gerberei  eine  grosse  Rolle. 

5)  Dividivi  oder  Libidibi  sind  braunrothe,  rauhe,  etwa  2  Zoll  lange 
Schoten  von  Caesalpina  coriaria  in  Südamerika.     6)  Catechu  und  Kino. 


Gerberei.  57  \ 


Gerberei. 


Nach  der  verschiedenen  Behandlung  der  Häute  unterscheidet  man  a)  die 
Lohgerberei,  b)  die  Weissgerberei  und  c)  die  Sämischgerberei. 

A.    Lohgerbern. 

Dem  eigentlichen  Lohgerben  gehen  mehrere  Processe  vorher,  welche  die 
Haut  zur  Aufnahme  des  Gerbstoffs  befähigen. 

1)  Das  Einweichen  der  Häute  geschieht  namentlich  bei  gesalzenen  und  ge- 
trockneten Häuten  und  zwar  durch  längeres  Liegenlassen  in  Wasser;  gebraucht  man 
dazu  fliessendes  Wasser,  so  ist  zu  beachten,  dass  die  dabei  entstehenden  Fäulniss- 
producte  nachtheilig  auf  die  Fischzucht  wirken,  besonders  in  kleinen  Bächen  mit  geringer 
Strömung.  Geschieht  dies  Einweichen  bei  trocknen  Häuten  in  Bottichen,  so  nehmen 
die  sogen.  Weichwässer  einen  höchst  widerlichen  Geruch  an  und  dürfen  niemals  frei 
abgelassen  werden;  ein  Zusatz  von  Kalk  in  Klärbottichen  ist  absolut  noth wendig; 
höchstens  können  sie  unvermischt  zur  Anfeuchtung  der  verbrauchten  Lohe  benutzt 
werden,  wenn  aus  dieser  sogenannte  Lohkuchen  angefertigt  werden. 

2)  Das  Reinigen  der  Fleischseite  geschieht  auf  dem  Schabebaum.  Die 
Abfälle  dürfen  nicht  lange  frei  liegen  bleiben,  damit  sie  nicht  in  Fäulniss  gerathen;  sie 
müssen  sofort  gekalkt  werden,  wenn  sie  als  Leimgut  in  den  Handel  kommen  sollen. 
Hierauf  gelangen  die  Häute  nochmals  zum  Auswaschen  oder  auch  zum  Walken  in 
Bottiche. 

3)  Das  Reinigen  der  Haar-  und  Narbenseite  oder  das  Abhaaren.  Um 
die  Epidermis  mit  den  Haaren  vollständig  zu  entfernen,  bedarf  es  einiger  vorbereitender 
Operationen  und  zwar  der  Kälkung  oder  des  Schwitzens. 

a)  Behufs  der  Kälkung  gebraucht  man  Aescher,  d.h.  mit  Kalkmilch  gefüllte 
Bottiche,  wobei  der  Kalk  wahrscheinlich  mit  der  Fettsubstanz  eine  Kalkseife 
bildet;  dieses  Kalken  wendet  man  gewöhnlich  für  leichtere  Ledersorten  an. 

b)  Das  Schwitzen  findet  bei  dicken,  für  Sohlenleder  bestimmten  Häuten 
statt  und  besteht  in  einer  von  selbst  erfolgenden  Gährung  (Schwitzen);  es  geschieht 
in  sogenannten  Schwitzkammern  oder  auch  in  Kasten  (Schwitzkasten),  welche 
durch  Einbetten  in  Pferdemist  und  Lohe  bis  zu  einer  bestimmten  Temperatur  erwärmt 
und  längere  Zeit  auf  derselben  erhalten  werden.  Es  entwickeln  sich  alle  Producte  der 
Fäulniss  thierischer  Substanzen  vom  Schwefelammonium  an  bis  zu  den  flüchtigen 
Fettsäuren  und  den  Aminbaisen. 

Das  Betreten  der  Schwitzkammern  muss  stets  mit  der  gehörigen  Vorsicht  ge- 
schehen und  soll  man  sich  so  bald  als  möglich  aus  denselben  entfernen.  In  den 
Schwitzkammern  wird  durch  directe  Feuerung  oder  frei  einströmende  Wasserdämpfe 
eine  Temperatur  von  30—50°  C.  erzeugt;  in  manchen  Städten  sind  sie  in  tiefen  Kellern 
angebracht,  wo  die  Lufterneuerung  sehr  schwierig  zu  bewerkstelligen  ist;  die  ganze 
Procedur  ist  dann  noch  mit  weit  grössern  sanitären  Nachtheilen  verbunden. 

Die  Deckel  der  Versatzgruben  oder  Schwitzkasten  kann  man  mit  einem  Kalk- 
wasserverschluss  versehen,  um  wenigstens  während  des  „Schwitzens"  den  Austritt 
der  Gase  zu  verhüten,  namentlich  wenn  die  Behälter  an  einem  massig  warmen  und 
geschlossenen  Orte  aufgestellt  sind. 

Man  sollte  niemals  versäumen,  die  Häute  auf  der  Fleischseite,  ehe  sie  zum 
Schwitzen  gelangen,  mit  Kochsalz  einzureiben  oder  mit  etwas  Holzessig  oder  Carbol- 
säure  zu  tränken,  um  die  Fäulniss  nur  auf  den  notwendigsten  Grad  zu  beschränken. 
Ganz  besonders  ist  beim  Oeffnen  der  Versatz-  oder  Schwitzkasten  die  grösste 
Vorsicht  nöthig,  damit  die  Arbeiter  nicht  direct  von  den  entweichende^  Gasen  getroffen 
werden;  sogar  Todesfälle  können  die  Folgen  dieser  Unvorsichtigkeit  sein.  Selbst  beim 
nachträglichen  Reinigen  solcher  Kammern  oder  Kasten  sollte  man  durch  Einleiten  von 
Wasserdämpfen  oder  wenigstens  durch  Einschütten  von  Wasser  alle  schädlichen  Gase 
entfernen,  ehe  man  den  Arbeitern  den  Zutritt  gestattet.  Schwitzkammern, 
welche  man  durch  einströmende  Wasserdämpfe  erwärmt,  haben  deshalb  den  grössten 
Vorzug,  weil  sich  mit  der  Condensation  der  Wasserdämpfe  auch  die  schädlichen  Gase 
und  Dämpfe  niederschlagen. 

Nachdem  die  Häute  dem  Abpälen  unterworfen,  d.  h.  auch  von  den  Haaren  be- 
freit sind,  heisseD  sie  Blossen. 

4)  Das  Schwellen  oder  Treiben  der  Blossen  bezweckt  eine  vollständige 
Auflockerung  des  Hautgewebes,  um  das  Eindringen  des  Gerbstoffs  beim  nachfolgenden 
Gerben  zu  ermöglichen.    Die  rothe  Schwellbeize,  d.h.  alte,  durch  Essig-,  Butter- 


572  Thierhäute. 

Propionsäure  sauer  gewordene  Lohbrühe,  wird  bei  den  für  Sohlenleder  bestimmten 
Häuten  benutzt. 

Die  weisse  Seh  wellbeize,  welche  man  durch  saure  Gährung  von  Gerstenbrot 
oder  Weizenkleie  darstellt,  enthält  hauptsächlich  Milchsäure  neben  Butter-  und  Propion- 
säure und  dient  zur  Wegschaffung  des  den  Häuten  aus  dem  Aescher  anhaftenden  Kalk's. 
In  einigen  Gegenden  benutzt  man  hierzu  auch  die  Excremente  von  Hühnern,  Tauben 
und  Hunden,  welche  man  in  Wasser  aufweicht.  Die  sich  bildenden  Ammoniumsalze 
werden  bei  Gegenwart  eines  Ferment >  oder  einer  überschüssigen  alkalischen  Basis  in 
Salpetersäure  verwandelt,  die  mit  dem  Kalke  ein  lösliches  Salz  bildet,  ein  Ver- 
fahren, welches  den  Adjacenten  die  grösste  Belästigung  bereitet  und  mit  höchst  übel- 
riechenden Abfallwässern  verbunden  ist. 

Neuerdinga  hat  man  auch  verdünnte  Schwefelsäure  (1  :  15000)  zum  Schwellen 
vorgeschlagen;  die  beschleunigte  Wirkuug  findet  aber  hierbei  nur  auf  Kosten  der  Güte 
des  Leders  statt. 

Nach  der  hinreichenden  Schwellung  gelangen  die  Blossen  in  eine  schwache 
Lohbrühe,  in  das  Farbwasser,  womit  der  Gerbeprocess  beginnt. 

Das  Gerben  der  gesclnvellten  Blossen  besteht  in  einer  Sättigung  derselben  mit 
Gerbstoff  und  wird  nach  2  Methoden  ausgeführt: 

1)  Das  Einsetzen  in  Gruben.  Man  bringt  die  Häute  in  abwechselnden 
Schichten  mit  Lohe  in  viereckige,  mit  eichenen  Bohlen  wasserdicht  hergestellte  Gruben 
oder  auch  in  runde  Bottiche  von  hinreichender  Grösse;  die  Dauer  der  Einwirkung  des 
Gerbstoffs  richtet  sich  nach  der  Natur  der  Häute  und  variirt  zwischen  2  Monaten  und 
2  Jahren. 

2)  Das  Gerben  in  der  Loh  brühe  geschieht  vorzugsweise  bei  schwächern 
Häuten,  welche  man  in  Lohbrühen  von  progressiv  zunehmender  Stärke  bringt. 

Die  sogenannte  Schnellgerberei  geht  von  dem  Princip  aus,  das  Eindringen 
der  Lohbrühe  in  die  Häute  so  viel  als  möglich  zu  befördern,  wozu  man  z.  B.  die  Cir- 
culation  der  Gerbflüssigkeit,  den  hydrostatischen  Druck,  den  luftverdünnten  Raum,  den 
mechanischen  Druck  u.  s  w.  benutzt  hat. 

In  sanitärer  Beziehung  ist  der  Umstand  zu  beachten,  dass  man  sich  sehr 
vor  der  Berührung  der  sauren  Lohbrühe  mit  den  Aeschern  zu  hüten  hat,  wenn  zum 
Kalken  Gaskalk  benutzt  worden  ist,  weil  sich  in  diesem  Falle  die  gefährlichsten  Gase, 
Schwefelwasserstoff,  Blausäure  und  Kohlensäure,  entwickeln.  Mehrere  hier- 
durch veranlasste  Todesfälle  in  einer  Lohgerberei  zu  Berlin  gaben  zu  einer  Verfügung  des 
Ministeriums  für  Handel,  Gewerbe  und  öffentliche  Arbeiten  vom  9.  Juli  1856  "Veran- 
lassung, in  der  auf  die  grosse  Gefahr,  welche  durch  die  Vermischung  der  sauren 
Lohbrühen  mit  Gaskalk  entsteht,  aufmerksam  gemacht  wird. 

Saffian,  Maroquin  oder  türkisches  Leder  wird  aus  den  Häuten  von 
Böcken,  Ziegen,  Schafen  und  Kälbern  dargestellt.  Zum  Gerben  gebraucht  man  nur 
Sumach,  mit  welchem  man  zwei  zu  einem  Beutel  zusammengenähte  Felle  theilweise 
füllt:  diese  werden  in  einer  warmen  Sumachbrühe  aufgehängt  und  bewegt.  Hierbei 
entwickeln  jsich  eigentümliche,  betäubend  wirkende  flüchtige  Körper  neben 
vielen  Wasserdämpfen,  welchen  die  Arbeiter  stundenlang  ausgesetzt  sind;  es  ist  daher 
absolut  nothwendig,  dass  diese  Arbeit  unter  einem  gut  ziehenden  Rauchfang  vor- 
genommen wird. 

Die  verschiedenen  Gerbstoffe  bedingen  die  verschiedenen  Arten  von  Leder,  wie 
Corduanleder  (Rhus  cotinus),  das  sich  vom  Saffian  durch  grössere  Stärke  und  natür- 
liche Narbe  unterscheidet,  dänisches  Leder  { Weidenarten)  Juchten  (Birken-  und 
Fichtenrinde). 

Das  Znrichten  des  lohgaren  Leders.  Unter  den  verschiedenen  Manipulationen, 
(Hämmern,  Falzen.  Schlichten,  Krispein),  die  sich  nach  der  Beschaffenheit  des  Leders 
richten,  ist  noch  das  Einfetten,  Schmieren,  Tränken  mit  Leberthran,  Talg  und 
Degras  (Gerberfett)  zu  erwähnen,  das  gewöhnlich  mit  den  noch  nassen  gegerbten 
Häuten  vorgenommen  wird. 

Das  Färben  geschieht  vorzugsweise  bei  den  Saffianen,  und  zwar  nach  2  Methoden: 

a)  Das  Färben  aus  dem  Troge  wird  bei  den  ächten,  aus  Ziegenfellen 
dargestellten  Saffianeu  (Maroquins)  in  der  Weise  vorgenommen,  dass  man  die 
gegerbten  Felle,  mit  der  Aussenseite  nach  innen,  der  ganzen  Länge  nach  zusammenlegt 
und  in  einem  Bade  von  60°  C.  hin  und  her  bewegt.  Man  benutzt  zum  Rothfärben 
meist  Kermesbeeren. 

b)  Das  Färben  mit  der  Bürste  geschieht  bei  den  un ächten,  aus  Schaf- 
fellen dargestellten  Saffianen  und  zwar  mittels  Pflanzen-  und  Metallfarben. 

Für  das  Juchtenleder  benutzt  man  in  Russland  zum  Rothfärben  eine  Ab- 
kochung von  Sandelholz  und  Fernambuk,  zum  Grünfärben  Kupferhammerschlag; 
für  das  Schwarz  färben  des  gewöhnlichen  Schuhleders  dient  frische  Lohbrühe  in 
Eisenbrühe  und  etwas  Kupfervitriol. 


"Weissgerberei.  573 

Lackirtes  Leder.  Auf  lohgares,  nicht  eingefettetes,  auf  Holzrahmen  aus- 
gespanntes Leder  wird  ein  schwarzer,  dickflüssiger  Lackfirniss  aufgetragen;  in  einem 
bis  zu  50°  C.  erhitzten  Räume  muss  derselbe  so  dünnflüssig  werden,  dass  er  sich  auf 
dem  Leder  gleichmässig  ausbreitet  und  eintrocknet.  Für  farbige  lackirte  Lacke  ge- 
braucht man  dünnflüssige  Lacke  und  einen  geringern  Hitzegrad;  die  Arbeiter  brauchen 
aber  in  den  Heizräumen  nicht  lange  zu  verweilen. 

B.   Die  Weissgerberei. 

Bei  der  "Weissgerberei,  welche  sich  mit  der  Darstellung  des  weiss- 
garen  Leders  beschäftigt,  sind  dieselben  Vorarbeiten  wie  bei  der  Lohgerberei 
erforderlich.  Man  gebraucht  dazu  die  Hammel-,  Schaf-,  Ziegen-  und  Leimfelle, 
seltner  Kalbs-  und  Rehhäute;  sie  werden  statt  mit  Gerbstoff  mit  Alaun  gar 
gemacht,  indem  die  Leimsubstanz  durch  die  Aufnahme  der  Thonerdesalze  vor 
Fäulniss  geschützt  wird. 

Man  unterscheidet  drei  verschiedene  Arten  der  Weissgerberei:  1)  Die  gemeine 
Weissgerberei.  Sie  beschäftigt  sich  mit  der  Verarbeitung  der  Hammel-,  Schaf-  und 
Ziegenfelle;  werden  sie  dem  Gerber  mit  der  Wolle  überliefert,  so  handelt  es  sich  vor- 
züglich um  den  Gewinn  der  letztern,  der  sogenannten  Gerber-  oder  Raufwolle. 

Das  Einweichen,  die  Reinigung  der  Fleischseite  und  das  Enthaaren 
geschieht  wie  bei  der  Lohgerberei. 

Die  mit  Wolle  noch  versehenen  Häute  werden  geschwödelt  oder  geschwedelt, 
d.  h.  auf  der  Fleischseite  mit  Kalkbrei  bestrichen;  die  Felle  werden  dann  mit  der 
Fleischseite  nach  innen  zusammengefaltet  und  in  einem  Bottich  so  lange  aufeinander 
geschichtet  gehalten,  bis  die  Wolle  los  geht. 

Meist  verbindet  man  den  Kalk  mit  Schwefelarsenik  (Operment),  eine  Ver- 
bindung, welche  das  Rhusma  der  Orientalen  darstellt  und  die  Bildung  von  Schwefel- 
calcium-Schwefelarsen  veranlasst;  gewöhnlich  werden  30  Pfund  Kalk  abgelöscht 
und  mit  2  Pfd.  Auripigment  vermischt. 

Statt  Rhusma  wird  gegenwärtig  Einfach-Schwefelcalcium  vorgezogen, 
welches  man  durch  Glühen  von  Gips  und  Kohle  erhält;  auch  das  durch  Einleiten  von 
Schwefelwasserstoff  in  Kalkmilch  dargestellte  Schwefelwasserstoff-Schwefel- 
calcium  eignet  sich  hierzu.  Neuerdings  wird  der  Gaskalk  wieder  zum  Enthaaren 
vorgezogen;  er  muss  aber  wegen  seines  häufig  hohen  Gehaltes  an  Cyanverbindungen, 
welche  schon  durch  die  Einwirkung  der  atmosphärischen  Kohlensäure  Blausäure  ent- 
wickeln, mit  der  grössten  Vorsicht  behandelt  werden;  um  so  mehr  werden  sich 
Schwefelwasserstoff  und  Blausäure  entwickeln,  wenn  er  mit  Alaunlösung  oder 
andern  sauren  Flüssigkeiten  in  Berührung  kommen  sollte. 

Behandlung  im  Aescher.  Die  enthaarten  Felle,  d.h.  die  Blossen,  werden 
dann  im  Aescher  behufs  vollständiger  Entfernung  des  Fettes  behandelt;  gewöhnlich 
gebraucht  man  die  sogenannten  faulen  Aescher,  welche  in  Folge  des  häufigen  Ge- 
brauchs reich  an  thierischen,  in  Fäulniss  übergegangenen  Substanzen  und  deshalb 
ammoniakreich  sind.  Es  kommt  daher  häufig  noch  ein  Verfahren  vor,  welches  für 
die  Nachbarschaft  höchst  belästigend  ist;  man  benutzt  nämlich  Hundekoth,  der  in 
einer  Grube  mit  Wasser  dem  Fäulnissprocess  anheimfällt,  bis  die  Flüssigkeit  gelbbraun 
wird,  Ammoniakbildung  stattfindet  und  alle  Zeichen  einer  hochgradigen  Fäulniss 
vorhanden  sind.  In  diese  Brühe  gelangen  alsdann  die  Blossen,  um  die  Beseitigung 
aller  Weichtheile  zu  befördern  und  zu  beschleunigen;  in  kleinen  Gerbereien  wird  täglich 
wenigstens  ein  gewöhnlicher  Eimer  voll  Hundekoth  benutzt.  Die  Abfallwässer  haben 
einen  entsetzlichen  Geruch  und  dürfen  niemals  direct  und  ebensowenig  in  Schlinggruben 
abgelassen  werden.  Gerbereien  dieser  Art  sollten  nie  in  Städten  oder  Vorstädten  ge- 
duldet werden. 

Zum  gänzlichen  Entkalken  dienen  das  Schwellen,  d.  h.  die  Benutzung  einer 
Kleienbeize,  sowie  das  Auswasche u. 

Das  Gerben  findet  in  einer  Brühe  von  Alaun,  Kochsalz  und  warmem 
Wasser  statt.  Um  essigsaure  Thonerde  einwirken  zu  lassen,  gebraucht  man  bis- 
weilen auch  Alaun  und  Bleizucker,  wobei  das  abfallende  Bleisulfat  zu  beachten 
ist;  durch  die  nachfolgende  Appretur  (Stellen,  d.  h.  Recken  nebst  Glätten)  erhält  man 
Weissleder,  das  als  Schuhfutter  benutzt  wird. 

2)  Die  ungarische  Weissgerberei.  Man  gebraucht  dazu  dicke  Ochsen- und 
Büffelhäute  oder  schwächere  Kuh-  und  Pferdehäute,  je  nachdem  man  starkes  Pferde- 
geschirr, wie  namentlich  in  Frankreich,  oder  nur  Riemen  u.  s.  w.  daraus  bereiten  will. 

Die  Manipulationen  sind  im  Allgemeinen  dieselben,   nur  geschieht  das  Enthaaren 


574  Thierhäute. 

stets  mittels  des  Putzmessers.  Nach  dem  Stellen  oder  Recken  werden  sie  häufig  mit 
Talg  getränkt. 

3)  Die  französische  oder  Erlanger  Weissgerberei.  Sie  befasst  sich 
vorzüglich  mit  der  Darstellung  des  weissgaren  Handschuhleders ;  für  die  feinsten  Sorten 
dienen  die  Felle  der  ganz  jungen  Ziegen,  für  geringere  die  Felle  der  Lämmer,  zu 
Schuhwaaren  die  Felle  junger  Kälber,  zum  Waschleder  Hirsch-  und  Gemsefelle. 

Die  Vorbereitungsarbeiten  unterscheiden  sich  nicht  von  den  oben  angeführten, 
dagegen  besteht  der  Gerbebrei  aus  einer  eigenthümlichen  Mischung  von  Weizenmehl, 
Alaun,  Kochsalz  und  Eidotter  oder  Olivenöl;  nicht  selten  setzt  man  bei  feinem  Glace- 
handschuhleder  noch  Urin  hinzu  (s.  S.  233). 

In  den  Oelemulsionen  werden  die  Felle  häufig  durch  Treten  gewalkt,  wenn  man 
hierzu  nicht  Walzen  benutzt.  Die  übrigen  Proceduren  (Glätten,  Appretiren)  wieder- 
holen sich  auch  hier. 

Das  Färben  des  weissgaren  Handschuhleders  geschieht  meist  auf  der 
Narbenseite  und  zwar  mit  vegetabilischen  und  mineralischen  Farbstoffen,  wie  Orleans, 
Berberis,  Quercitron,  Indigo,  Farbhölzern,  Anilinfarben,  Eisen-  und  Kupferoxyd,  nach- 
dem sie  vorher  gewaschen  und  mit  Urin  behandelt  worden  sind. 

C.   Die  Sämisch-  oder  Oelgerberei. 

Die  Sämischgerberei  ist  die  ursprünglichste  Form  der  Gerberei  und 
findet  sich  schon  bei  sehr  uncultivirten  Völkern;  die  Häute  werden  hierbei  mit 
Fett  oder  Thran  bearbeitet,  welches  sich  auf  eine  eigenthümliche  Weise  mit  der 
Hantfaser  verbindet.  Da  sich  ein  auf  diese  Weise  dargestelltes  Leder  waschen  lässt, 
so  nennt  man  es  auch  Waschleder.  Man  gebraucht  fast  alle  Felle,  speciell 
aber  die  Häute  von  Hirschen,  Rehen,  Hammeln,  Schafen,  Kälbern  dazu;  selbst 
die  Ochsenhäute  werden  in  dieser  Weise  behandelt,  wenn  man  daraus  Riemen, 
Koppeln  oder  Bandeliers  für  das  Militär  fabriciren  will. 

Die  vorbereitenden  Arbeiten  sind  dieselben  wie  beim  alaungaren  Leder, 
nur  mit  dem  Unterschiede,  dass  beim  Enthaaren  gleichzeitig  die  Narbe  mit  einem 
stumpfen  Messer  auf  dem  Streichbaum  „abgestossen"  wird. 

Dann  gelangen  sie  in  die  Kleienbeize,  in  die  Walke  und  in  die  Wärm- 
kammer, in  welcher  durch  die  Oxydation  des  Öels  eine  Art  Gährung  eintritt,  indem 
sich  die  Fette  in  die  entsprechenden  Säuren  und  in  Glycerin  abspalten.  Die  letztere 
Behandlung  nennt  man  in  der  Technik  das  ,, Färben  in  der  Braut". 

Zur  Entfernung  des  mechanisch  beigemengten  Oels  werden  die  Felle  mit  einer 
Lösung  von  Pottasche  oder  mit  Walkererde  behandelt;  die  abfliessende  Brühe  ist 
die  Weissbrühe,  Gerber  fett,  Degras  und  dient  zum  Bleichen  des  sämischgaren 
Leders.  In  einigen  Gerbereien  versetzt  man  die  ölige  Brühe  mit  Schwefelsäure,  um  das 
Fett  wieder  zu  gewinnen;  in  diesem  Falle  dürfen  die  sauren  Abfallwässer  nicht  frei 
abfliessen. 

Pergament.  Zur  Darstellung  des  Pergaments  benutzt  man  hauptsächlich  die 
Häute  des  Esels,  des  Kalbes,  Schafes,  Schweines  u.  s.  w.,  welche,  wie  beim  alaungaren 
Leder,  bis  zur  Kleienbeize  vorbereitet,  dann  ausgespannt  und  gehörig  ausgestrichen 
werden.  Pergament  stellt  somit  eigentlich  nur  die  getrocknete  Haut  der  Thiere  dar  und 
unterscheidet  sich  vom  Leder  entschieden  dadurch,  dass  es  nicht  gegerbt  ist. 

Nach  der  verschiedenen  Verwendung  erhält  das  Pergament  noch  eine  besondere 
Zubereitung  durch  Einreiben  von  Kreidepulver.  Das  Oelpergament  erhält  einen  An- 
strich von  Oelfirniss  und  Blei  weiss,  ein  Umstand,  der  für  die  Arbeiter  und  für  die 
spätere  Benutzung  zu  beachten  ist. 

Künstiches  Chagrain,  Shagreen.  Das  orientalische  ächte  Chagrain 
wurde  ursprünglich  aus  der  Haut  des  Haifisches  dargestellt;  jetzt  benutzt  man  auch 
Pferde-  und  Eselhäute.    Zum  Grünfärben  gebraucht  man  in  der  Regel  Kupferfarben. 

Künstliches  Leder  wird  aus  Baumwollgespinnsten,  Leinöl,  Baryt,  Asphalt, 
Bienenwachs,  Kork  u.  s.  w.  bereitet.  Boulinikon  ist  ein  Deckenstoff  aus  Leder,  VVoll- 
abfällen  und  Haaren;  Linoleum  und  Kam  ptulikon  sind  ähnliche  künstliche  Producte. 

Die  Pelzgerberei  stellt  eine  unvollständige  Weissgerberei  dar  und  bezweckt,  die 
feinen  Poren,  in  welchen  die  Haarwurzeln  stecken,  zu  verengern,  um  dadurch  das  Aus- 
fallen der  Haare  zu  verhüten. 

Die  vorbereitenden  Acte  bestehen  in  einem  sorgfältigen  Waschen  der  Felle 
mit  Seifenwasser  und  reinem  Wasser.  Nach  dem  Trocknen  folgt  das  Einschmalzen, 
d.  h.  das  Einreiben  der  Fleischseite  mit  Butter,  Oel  oder  Schmalz;  dann  gelangen  sie  in  die 
Trampeltonne  oder  in  eine  Walke;  in  ersterer  werden  sie  mit  Füssen  getreten. 


Sämischgerberei.  575 

Die  Schwellbeize  besteht  aus  Mehl,  Schrot  oder  Kleie,  Sauerteig  und  Wasser; 
bei  der  hierbei  entstehenden  sauren  Gährung  entwickelt  sich  viel  Milchsäure,  man 
kann  daher  auch  direct  saure  Milch  einwirken  lassen. 

Nach  der  Reinigung  von  Fleisch-  und  Schmutztheilen  folgt  das  Gerben,  wozu 
man  Kochsalz  und  Alaun  benutzt. 

Das  Läutern  der  Felle  bezweckt  die  vollständige  Entfernung  des  Fettes  und 
aller  Unreinigkniten.  Die  mit  der  Haarseite  nach  aussen  gekehrten  Bälge  werden 
mittels  kleiner  Stöckchen  geklopft,  gewaschen  u.  s.  w.  und  dann  in  den  Tret-  oder 
Wärmstock  gebracht,  eine  mehrere  Fuss  hohe  Tonne,  deren  Boden  einen  kupfernen,  auf 
Füssen  ruhenden  und  mittels  glühender  Kohlen  erwärmten  Kessel  darstellt. 

Hier  werden  die  mit  Sägespänen  aus  Acajouholz,  Kleien,  Häcksel,  Heusamen  u.  s.  w. 
auf  ihrer  Haarseite  bestreuten  Felle  mit  blossen  Füssen  derart  bearbeitet,  dass  die  Pelz- 
waaren  eine  beständig  circulirende  Bewegung  machen.  Diese  Beschäftigung  ist  eine 
höchst  ungesunde,  da  der  mit  feinen  Haarpartikelchen  gemischte  Staub  eine  stark 
reizende  Wirkung  auf  die  rlespirationsschlelmhaut  ausübt  Man  wendet  daher  vorzugs- 
weise die  Läutertonnen  an,  eine  cylindrische  Trommel,  die  von  unten  mittels  glühen- 
der Kohlen  erwärmt  und  langsam  umgedreht  wird;  da  sich  auch  hierbei  viel  Staub 
entwickelt,  so  muss  die  Trommel  in  einem  geschlossenen  Räume  stehen.  Der  Rest  des 
Läuterpulvers  wird  noch  durch  Ausklopfen  und  Auskämmen  weggeschafft,  wobei  aber- 
mals ein  schädlicher  Staub  entsteht.  Schliesslich  wird  die  Fleischseite  auf  der  Gerber- 
bank ausgestrichen  oder  auch  mit  Bimstein  abgerieben. 

Bezüglich  der  für  Natur aliencabinette  zu  verwendenden  Thierbälge  ist  noch 
zu  erwähnen,  dass  sie  schon  an  Ort  und  Stelle  der  Jagd  mit  Arsenikseife  bestrichen 
werden,  weshalb  man  sich  beim  Aus-  und  Einpacken  vor  dem  arsenhaltigen  Staub 
hüten  muss  (s.  S.  296). 

Färben  der  Pelzwaaren.  Dasselbe  hat  ein  sanitäres  Interesse,  wenn 
metallische  Mittel  dazu  gebraucht  werden.  So  werden  z.  B.  die  sogen.  Astrachan- 
Pelze,  welche  von  jungen  oder  neugebornen  Ziegen  herstammen,  immer  in  schwarzer 
Farbe  geliefert,  weshalb  die  weissen  und  gefleckten  Felle  schwarz  gefärbt  werden 
müssen.  Holzfarben  sind  dazu  nicht  ziüässig,  weil  dieselben  auch  die  Haut  schwarz 
färben  würden;  deshalb  muss  der  Schwefelgehalt  der  Haare  zur  Färbung  benutzt  werden. 
Zu  diesem  Zwecke  wird  die  Haarsubstanz  mit  einer  alkalischen  Bleioxydlösung  zu- 
sammengebracht, damit  sich  eine  Schwefelleber  bildet,  welche  durch  das  Bleioxyd  zersetzt 
wird,  wobei  sich  schwarzes  Schwefelblei  in  die  Haarsubstanz  niederschlägt;  die  Haut 
wird  dadurch  nicht  gefärbt.  Solche  Pelze  haben  einen  unerträglichen  Geruch  und  sind 
häufig  mit  einem  bleioxydhaltigen  Staube  behaftet,  welchen  man  gern  im  Pelze 
lässt,  um  ihn  vor  Motten  zu  schützen. 

Um  Zobel-,  Marder-,  Fuchs-,  Biber-  und  Otternfelle  dunkler  und 
dadurch  werthvoller  zumachen,  werden  sie  zuerst  mit  einer  Kalklösung  mittels  einer 
Bürste  überstrichen.  Nach  dem  Trocknen  folgt  auf  diese  Beize  ein  Anstrich  von  einer 
Mischung  von  Eisenvitriol,  Salmiak,  Spiessglanz,  Silberglätte,  Grünspan,  Operment, 
Kochsalz  und  Buchenasche,  nachdem  diese  Ingredienzen  in  kochendem  Wasser  aufgelöst 
worden  sind.  Die  gelbliche  Auflösung  trägt  man  wiederholt  auf,  damit  die  Haar- 
spitzen mehrere  Stunden  laug  damit  bedeckt  bleiben. 

Nach  dem  Trocknen  folgt  ein  Anstrich  mit  einer  Lösung  von  Galläpfelpulver  und 
Eisenvitriol,  hierauf  mit  einer  scharfen  Aschenlauge  unter  Zusatz  von  etwas  Kalk.  Die 
Felle  werden  alsdann  getrocknet,  mit  Weizenkleie  bestreut,  sorgfältig  ausgeklopft,  ge- 
kämmt und  gebürstet.  Die  letztere  Procedur  erfordert  grosse  Vorsicht  wegen  des 
metallischen  Staub  es,  welcher  sich  hierbei  entwickeln  kann,  wenn  das  Aus- 
waschen nicht  sorgfältig  geschehen  ist;  jedenfalls  müssen  sich  die  Arbeiter  dabei  mit 
einem  Tuche  oder  Schwamm  Nase  und  Mund  bedecken. 

Um  Kaninchenfellen  eine  zobelähnliche  Farbe  zu  geben,  wendet  man 
das  sogenannte  Grünbad  an,  welches  aus  Eisenvitriol,  Grünspan,  Kupferasche  und 
Urin  besteht,  sowie  einen  Anstrich  mit  einer  Auflösung  von  Galläpfel  und  Eisenvitriol. 
Nach  dem  Trocknen  wird  wieder  mit  Kleien,  Bürsten  und  Kämmen  gereinigt,  wobei  der 
sich  entwickelnde  Staub  sehr  zu  beachten  ist. 

Das  Pelzfärben  wird  in  Russland  und  Deutschland,  vorzüglich  in  Wien, 
Leipzig  und  Hamburg  betrieben;  auch  die  Chinesen  stehen  im  Rufe  guter  Pelzfärber. 

Die  sanitären  Verhältnisse  der  Arbeiter  in  Gerbereien. 

Betrachtet  man  zunächst  die  Loh-  und  gewöhnliche  Weissgerberei, 
so  hat  man  vielfach  behauptet,  dass  die  üblen  Gerüche  keinen  schädlichen  Ein- 
fluss    auf   die   Arbeiter    ausüben,    weil  die  Macht   der  Gewohnheit  die  Wirkung 


576  Thier  häute. 

abschwäche.  Dieser  Auffassung  ist  aber  nur  mit  grosser  Einschränkung  beizu- 
treten, obgleich  nicht  Alles  schädlich  ist,  was  übel  riecht;  man  muss  vielmehr  erst 
die  Quelle  des  üblen  Geruches  zu  erforschen  suchen,  um  über  die  Schädlichkeit 
oder  Unschädlichkeit  desselben  ein  Urtheil  fällen  zu  können.  Alle  Aminbasen 
z.  B.  verbreiten  einen  höchst  widerlichen  Geruch,  ohne  dass  hiermit  stets  eine 
grosse  Gefahr  verbunden  ist,  namentlich  wenn  es  sich  nicht  um  geschlossene 
Räume  handelt.  Die  eigentlichen  Fäulnissgase  aber,  unter  denen  besonders 
Schwefelammonium  hervorzuheben  ist,  wirken  um  so  verderblicher  ein,  wenn 
sie  in  einem  mehr  oder  weniger  geschlossenen  Räume  vorkommen:  deshalb  sind 
grade  die  Schwitzkammern  oder  Schwitzkasten  in  sanitärer  Beziehung  weit 
mehr  zu  beachten  als  jede  andere  Beschäftigung  im  Freien  oder  in  luftigen  Räumen, 
wo  der  Zutritt  der  frischen  Luft  die  Fäulnissgerüche  bedeutend  vermindert. 

Wenn  man  den  Lohgeruch  für  Leute  mit  tuberculöser  Anlage  für  heilsam 
erklärt  hat,  so  ist  einerseits  zu  beachten,  dass  auf  die  Arbeiter  noch  vieles 
Andere  als  der  Lohgeruch  einwirkt,  während  es  andererseits  erwiesen  ist,  dass 
Gerber  gar  nicht  selten  Opfer  der  Tuberculose  werden.  Nach  den  statistischen 
Angaben  von  Beaugrand2)  kamen  unter  171  Krankheitsfällen  bei  Lohgerbern  11, 
bei  Weissgerbern  12  und  bei  Lederzubereitern  28  Fälle  von  echter  Lungen- 
schwindsucht vor.  Nun  ist  aber  der  Begriff  „Lederzubereiter"  ein  sehr  weiter; 
rechnet  man  zu  denselben  auch  die  Pelzgerber,  so  ist  das  Vorkommen  der 
Lungenschwindsucht  unter  denselben  nicht  auffallend,  weil  die  ganze  Art  dieser 
Beschäftigung  mit  den  nachtheiligsten  Einflüssen  auf  die  Respirationsorgane  ver- 
bunden ist  und  zwar  um  so  mehr,  als  fast  gar  keine  Vorsichtsmassregeln  zum 
Schutze  der  Arbeiter  hierbei  zur  Anwendung  kommen.  Bei  statistischen  Er- 
hebungen ist  daher  eine  genaue  Kenntniss  der  Art  der  Beschäftigung  erforderlich, 
um  auch  ihre  Einwirkung  auf  den  Organismus  beurtheilen  zu  können;  die  Ein- 
sicht in  die  Fabricationsmethode  ist  ebenso  wichtig  wie  die  in  die  Krankheits- 
listen, um  ein  endgültiges  Urtheil  zu  erlangen. 

Es  gibt  bekanntlich  viele  kräftige  Arbeiter  in  den  Gerbereien*),  weil  über- 
haupt nur  mit  Körperkräften  ausgerüstete  Personen  dieses  Gewerbe  wählen  und 
weil  andererseits  die  körperlichen  Bewegungen  und  der  vielfache  Aufenthalt  in 
freier  Luft  auch  die  Kräfte  hebt,  wenn  eine  hinreichende  Ernährung  dazu  kommt. 

Die  Beschäftigung  am  Schabebaum  ist  keine  anstrengende  und  der  dabei 
stattfindende  Druck  auf  die  Unterleibsorgane  kann  bei  einiger  Vorsicht  vermieden 
werden.  Grössere  Kraft  erfordert  das  Falzen,  Schlichten,  Krispein,  Bimsen 
und  Pantoffeln,  Manipulationen,  die  zur  Appretur  des  Leders  gehören. 

Lunel8)  hat  zwei  Krankheitsformen  beschrieben,  die  den  Gerbern  eigen- 
thümlich  sein  sollen  und  eine  auffallende  Benennung  haben;  mit  „Finger- 
cholera" werden  Blutunterlaufungen  an  verschiedenen  Stellen  der  Finger 
bezeichnet,  die  später  in  Geschwüre  übergehen,  während  bei  der  „Nachtigall" 
ein  kleines  Loch  am  Rande  der  Pulpa  der  Finger  entsteht  und  Blutströpfchen 
aus  den  Capillargefässen  der  ergriffeneu  Finger  sickern;  dieses  Uebel  soll  sehr 
schmerzhaft  sein  und  zur  zeitweiligen  Unterbrechung  der  Arbeit  nöthigen. 

Bekaunt  ist  es,  dass  namentlich  Arbeiter,  welche  sich  mit  dem  Rhusma 
beschäftigen,  vielfach  an  Excoriationen  und  Geschwüren  der  Finger  leiden;  aber 
auch  die  Beschäftigung  mit  Kalk  kann  hierzu  Anlass  geben. 

*)  Shakespeare  nimmt  bekanntlich  mit  poetischer  Licenz  an,  dass  sie  sich  selbst 
im  Grabe  länger  erhalten  als  Andere  (s.  Hamlet,  5.  Act). 


Gerberei.  577 

Ausser  den  durch  Gas  kalk  möglicherweise  entstehenden  gefährlichen  Gasen4) 
sind  auch  die  narkotisirenden  Dämpfe  bei  den  Abkochungen  von  Sumach.  zu 
berücksichtigen:  dazu  kommt  der  metallische  Staub  bei  der  Präparation  der 
gefärbten  Pelzwaaren,  so  dass  in  der  Gerberei  sehr  verschiedene  Factoren  zu 
berücksichtigen  sind,  welche  die  Gesundheit  der  Arbeiter  gefährden  können. 
Selten  ereignet  es  sich,  dass  die  Gerber  an  Pustula  maligna  leiden.') 

Dagegen  ist  die  Präparation  des  weissgaren  Leder  mit  Urin,  welche  dem 
Färben  vorhergeht,  noch  als  eine  höchst  ungesunde  Beschäftigung  hervorzuheben, 
da  eine  entsetzliche  Atmosphäre  in  den  Arbeitsräumen  herrscht,  die  um  so  nach- 
theiliger einwirken  muss,  als  man  namentlich  während  der  kältern  Jahreszeit 
Nichts  für  die  Erneuerung  der  Luft  thut  (s.  S.  233). 

Die  festen  und  flüssigen  Abgänge  der  Gerbereien. 

Alle  Gerbereien  sind  für  die  Adjacenten  belästigend  und  sollten  daher  stets 
aus  den  Städten  verbannt  werden,  da  auch  bei  den  besten  Einrichtungen  üble 
Gerüche  nicht  ganz  zu  vermeiden  sind.  Selbst  das  Spülen  der  Felle  in  Flüssen 
und  in  öffentlichen  Wasserläufen  sollte  verboten  werden;  es  ist  für  diesen  Zweck 
ein  Spül-Bassin  einzurichten,  dessen  Sohle  mindestens  1  Meter  unter  der 
Sohle  des  Flusses  liegen  und  durch  eine  feste  Scheidewand  vom  Flusse  getrennt 
sein  muss.  Die  benutzten  "Wässer  dürfen  erst  nach  Versetzen  mit  Kalk  und  Ab- 
setzenlassen wieder  abfliessen. 

Die  festen  Abgänge  bestehen  aus  den  verschiedenen  thierischen  Abfällen, 
die  vom  Schabebaum,  von  den  mit  Kalk  gekalkten,  geschwitzten  oder  geweichten 
Häuten,  ferner  von  dem  Bodensatz  der  Kalkgruben  und  von  der  Lohe  herrühren; 
sie  sind  für  die  Leimfabrication  oder  als  Dung-  und  Brennmaterial  verwerthbar, 
während  die  Hörner  bekanntlich  in  die  Knopf-  und  Kammfabriken  wandern.6) 

Die  Reste  in  den  Gaskalkgrubeu  müssen  abgefahren  und  noch  mit  Aetzkalk 
versetzt  werden,  um  den  Schwefel  als  Oxysulfid  zu  binden  und  das  Cyan  resp. 
den  Stickstoff  in  Ammoniak  überzuführen. 

Die  flüssigen  Abgänge  bestehen  vorzugsweise  aus  den  Einweich  wässern, 
aus  dem  flüssigen  Theile  der  Kalkgruben,  den  ausgenutzten  Lohbrühen  und  den 
arsenikalischen  Abfallwässern  der  Weissgerbereien. 

Die  Einweich wässer  können  bei  Bearbeitung  der  Lohabgänge  zu  Loh- 
kuchen zum  Anfeuchten  mit  benutzt  werden. 

Die  einfachen  Kalkwässer  sind  noch  mit  Resten  von  Haaren  und  Wolle 
verunreinigt;  ihr  Abfiuss  in  stehende  Gräben  ist  aber  ohne  Absetzenlassen  nicht 
zu  gestatten.  Als  Hauptbedingung  muss  überhaupt  bei  den  Concessionsver- 
leihungen  die  Anlage  von  wasserdichten  Klärbassins  vorgeschrieben  werden, 
da  ohne  diese  die  mannigfachsten  Belästigungen  durch  Gerbereien  nicht  zu 
beseitigen  sind. 

Die  flüssigen  Abgänge  beim  Gaskalk  müssen  vor  dem  Ablassen  aus  den 
oben  angeführten  Gründen  ebenfalls  mit  Aetzkalk  versetzt  werden.  Der  flüssige 
Inhalt  der  faulen  Aescher,  Kleien-  und  Hundekothbäder  der  Weiss- 
gerbereien sollte  mit  Chlorkalk  oder  mit  roher  Manganlauge,  wenn  solche 
billig  zu  beziehen  ist,  versetzt  werden.  Ueberall  liegt  der  Schwerpunct  bei 
dem  Ablassen  der  fauligen  Wässer  in  dem  vorhergehenden  Ansammeln 
in  wasserdichten  Gruben,   Versetzen  mit  einem  Desinfectionsmittel  und 

Eülenberg,  Ge-sverbs-Hygiene.  ° ' 


578  Thierhäute. 

Absetzenlassen,  ehe  der  freie  Abfluss  stattfindet.  Diese  Gesichtspuncte  sind 
stets  zu  beachten,  wenn  man  den  Grundsätzen  der  öffentlichen  Gesundheitspflege 
gerecht  werden  will. 

Die  verbrauchten  Lohbrühen  dürfen  nie  in  offenen  Rinnsteinen  ab- 
fliessen,  auch  nicht  währeud  der  Nacht  wie  durch  einzelne  Polizei- Verordnungen 
zugelassen  wird;  ihre  Ableitung  rauss  in  geschlossenen  Röhren  geschehen,  um 
schliesslich  in  Stadtcanäle  oder  in  grössere  Wasserläufe  abzufliessen.  In  kleinern 
Bächen  werden  sie  die  Fischzucht  zerstören  und  in  stagnirenden  Gräben  Fäulniss- 
processe  herbeiführen.  Zur  Verhütung  solcher  Uebelstände  müssen  sie  auf  irgend 
eine  Weise  vorher  gereinigt  resp.  einer  Filtration  durch  Sand  oder  poröse  Erde 
unterworfen  oder  mit  Kalk  behandelt  werden. 

Gerber,  die  auf  dem  flachen  Lande  wohnen,  würden  wohl  thun,  sämmt- 
liche  Abflusswässer  zu  sammeln  und  zur  Berieselung  der  A  eck  er  zu 
benutzen,  da  sie  wegen  ihres  Gehaltes  an  stickstoffhaltigen  Substanzen  weit  mehr 
Dungwerth  als  ein  concentrirtes  Canalwasser  enthalten;  diesen  aus  der  Gerberei 
für  die  Landwirtschaft  entstehenden  Vortheil  hat  man  bisher  noch  nirgends 
hinreichend  gewürdigt,  während  durch  die  Verschleuderung  dieser  Abfälle  ein 
grosses  Capital  verloren  geht. 

Die  Abfallwässer  beim  Rhusma.  die  sich  beim  Abwaschen  der  ge- 
schwödelten  Felle  auf  der  Waschbank  erzeugen,  veranlassen  zunächst  die  Ent- 
wicklung von  Schwefelwasserstoff;  es  bleibt  Einfach-Schwefelarsen 
(AsS3)  zurück,  das  aber  durch  Aufnahme  von  Sauerstoff  in  unterschweflige 
Säure  und  arsenige  Säure  verwandelt  wird.  Es  tritt  auch  noch  die  im 
Operment  stets  frei  vorhandene  arsenige  Säure  hinzu;  diese  verbindet  sich  zwar 
mit  dem  Kalk  zu  unlöslichem  arsenigsaurem  Calcium,  letzteres  gelangt  aber 
bei  Gegenwart  von  Ammoniak,  welches  in  den  fauligen  Flüssigkeiten  niemals 
fehlt,  wieder  in  Lösung.  Es  ist  hier  die  Versetzung  mit  Eisensalzen  not- 
wendig, damit  sich  unlösliches  arsenigsaures  Eisen  bildet;  erst  dann  ist  ihr 
Abfluss  in  Wasserläufe  mit  hinreichender  Strömung  gestattet. 

Das  Conserviren  der  thierischen  Häute. 

Bleibt  die  frische  thierische  Haut  sich  selbst  überlassen,  so  schrumpft  sie  zu 
einer  trocknen  Masse  ein,  welche  bei  geringer  Wasserzufuhr  wieder  aufquillt  und 
in  die  ursprüngliche  Form  zurückkehrt. 

Das  Aufbewahren  resp.  das  Conserviren  der  thierischen  Häute  bildet  einen  be- 
deutenden Industriezweig. 

Aufbewahrung  durch  Einsalzen.  Die  frischen  Häute  werden  häufig  durch  Ein- 
pökeln oder  Salzen  präparirt,  damit  sie  ohne  Zersetzung  transportabel  sind  und 
später  gegerbt  werden  können:  dies  geschieht  vorzugsweise  in  Buenos  Ayres  mit  den 
Büffelhäuten. 

Diese  Häute  werden  vorher  theilweise  enthaart,  mit  Salz  eingerieben  und  in 
Gruben  gelegt,  wobei  aber  oft  widerliche  Ausdünstungen  entstehen:  sie  werden  später 
getrocknet  und  kommen  als  gesalzene  Wildhäute  in  den  Handel. 

Das  Lagern  der  gesalzenen  Häute  erfordert  eine  grosse  Aufmerksamkeit, 
weil  sie  alle  Mauern  feucht  machen,  auch  den  Salpeterfrass  erzeugen  und  daher 
Gebäude  zerstören :  auf  Kellergewölben  dürfen  sie  daher  niemals  lagern. 

Anfbewahren  der  Häute  durch  Trocknen.  Dies  geschieht  beim  Schlachtvieh  und 
bei  den  kleinern  \  iehsorten  von  Buenos  -Ayres.  Die  Häute  unterliegen  mancherlei 
Störungen  durch  Insecten,  was  bei  den  gesalzenen  nicht  der  Fall  ist:  so  werden  sie 
z.  B.  von  den  Larven  verschiedener  Speckkäfer  nicht  allein  angefressen,  sondern  auch 
durchbohrt.  Es  ist  der  Fall  vorgekommen,  dass  man  sie  deshalb  mit  einer  Auflösung 
von  arseniger  Säure  behandelt  hat,  wodurch  aber  bei  Allen,  die  mit  solchen  Häuten  in 
Berührung  kamen,  schmerzhafte  Geschwüre  entstanden. 


Thierische  Abfälle.  579 

Das  Trocknen  der  Häute  kann  die  grösste  Belästigung  bereiten;  diese  entsteht 
1)  dureh  die  Verpestung  der  Luft  in  Folge  der  faulenden  Weichtheile;  bei  regnerischen 
Tagen  oder  wenn  die  Häute  faltig  aufgehängt  werden,  macht  sich  der  Geruch  am  meisten 
bemerkbar;  2)  ist  es  die  Ansammlung  unzähliger  Schmeisüiegen,  welche  die  Nachbar- 
schaft überfluthet.  Diese  beiden  Uebelstände  verbieten  das  Trocknen  der  frischen  Häute 
in  Städten. 

Man  würde  die  Belästigung  um  Vieles  vermindern,  wenn  man  die  Fleischseite 
der  Häute  zuvor  mit  einer  Lösung  von  Chlorkalk  und  Kochsalz  oder  mit  Theer- 
wasser,  Carbolsäure  u.  s   w.  behandelte. 


Thierische  Abfälle. 

Die  Verwerthung  der  thierischen  Abfälle  repräsentirt  sehr  bedeutende  In- 
dustriezweige, die  sich  zunächst  der  Gerberei  anschliessen  und  sich  über  die 
verschiedensten  Substanzen  erstrecken,  deren  Sammlung  und  Aufbewahrung  meist 
im  Kleinhandel  betrieben  wird. 

Nachdem  bereits  das  Haar  des  Schafes  u.  s.  w.,  die  Wolle,  in  der  Textil- 
industrie einen  Platz  gefunden  hat,  verdient  noch  das  Haar  der  übrigen  Thiere 
eine  besondere  Erörterung. 

Das  Haar  und  seine  Bearbeitung. 

Die  Borsten  der  Schweine,  d.  h.  schlechte,  dicke  und  steife  Haare,  werden 
durch  Sortiren,  Kochen,  Schwefeln  und  Waschen  mit  Seifenwasser 
für  verschiedene  Zwecke  präparirt. 

Es  kommen  hier  die  allgemeinen,  die  Beseitigung  des  Staubes,  der  Wasserdämpfe, 
der  schwefligen  Säure  und  die  Abfallwässer  betreffenden  Gesichtspuncte  zur  Geltung. 

Die  Bürstenbinder  leiden  am  meisten-  vom  Staube  beim  sogen.  Kämmen 
der  Borsten  und  beim  Abstutzen  des  Borstensatzes. 

Thierkrankheiten  werden  erfahrungsgemäss  durch  Borsten  weniger  als  durch 
Pferdehaare  übertragen;  namentlich  ist  es  der  bei  Pferden  vorkommende  Milzbrand, 
der  nicht  selten  in  Form  der  Pustula  mabgna  bei  den  betreffenden  Arbeitern  beob- 
achtet wird. 

Zur  Zubereitung  der  Pferdehaare  gehört  das  Kämmen,  Aufrollen  und 
Kochen,  um  sie  elastischer  zumachen;  bei  letzterm  entsteht  ein  unangenehmer  Dampf, 
der  abgeleitet  werden  muss,  zum  wenigsten  ist  ein  guter  Rauchfang  über  dem  Kessel 
erforderlich,  der  mit  einer  gut  ziehenden  Esse  zu  verbinden  ist. 

Beim  Färben  der  Haare  ist  das  Schwarzfärben  zu  beachten,  das  mittels 
Blei  glätte  geschieht,  die  in  Trögen  mit  Kalkmilch  schwach  erwärmt  wird.  Die  klare 
Brühe,  die  sich  hierbei  bildet,  dient  als  Farbenbad:  das  Blei  setzt  sich  in  den  Haaren 
als  Schwefelblei  ab.  Es  liegen  Beobachtungen  vor,  nach  denen  es  sehr  wahrschein- 
lich ist,  dass  namentlich  so  gefärbte  Pferdehaare  bei  den  Arbeitern,  die  sich  mit 
ihrer  Verwendung  zu  Polstern,  Matratzen  u.  s.  w.  beschäftigen,  Bleiintoxicationen 
erzeugen  können.1) 

Tapezierer,  Sattler  und  Kürschner  vertreten  die  Gewerbe,  bei  denen  sich 
stets  bei  der  Bearbeitung  der  Haare  Staub  entwickelt;  ganz_  besonders  leiden  aber  die 
Sattler  bei  den  Kuhhaaren  und  der  Gerberwolle  (s.  S.  554). 

Hasen-,  Kaninchen-  und  Biberhaare  sind  besonders  geeignet,  einen  Filz 
zu  bilden  und  deshalb  für  die  Hutfabrication  von  grosser  Bedeutung.  Das  Haar 
bedarf  hierzu  mannigfacher  Präparationen. 

Das  Haarsclmeiden.  Die  betreffenden  Felle  werden  zuerst  mit  einem  sägeartigen 
Messer,  mit  dem  Ritzer,  behandelt,  um  alle  Unreinigkeiten  zu  zerreiben,  und  dann 
ausgeklopft;    dies    kann    im   Freien    geschehen    und    verursacht    dann    weniger    Be- 

37* 


580  Thierische  Abfälle. 

lästigung  als  das  eigentliche  Haarschneiden,  das  nur  in  geschlossenen  Räumen  vor- 
genommen wird.*)  Der  Balg  wird  hierbei  „gestutzt  und  gespitzt",  d.  h.  das  Borsten- 
haar (langes,  steifes  Haar)  wird  mit  der  Scheere  gleich  lang  mit  dem  Grundhaar 
(feineres  Flaumhaar)  gemacht.  Der  hier  entstehende  Haarstaub  verdient  sorgfältige 
Beachtung;  er  wird  zwar  nicht  bis  in  die  feinsten  Bronchialvcrzweigungen  inhalirt, 
sondern  erreicht  höchstens  den  Kehlkopf  und  die  Luftröhre,  wo  er  aber  haften  bleibt, 
erzeugt  er  eine  bedeutende  Reizung.  Treten  Lungenaffectionen  auf,  so  hat  man  es 
noch  mit  andern  Ursachen  zu  thun,  die  in  ihren  Wirkungen  von  der  Beschaffenheit  des 
Staubes  abhängen.  Von  unorganischen  Bestandtheilen  kommen  hier  in  der  Regel  nur 
erdiger  Schmutz  und  mannigfaltige  Unreinigkeiten  vor.  Die  Arbeiter  können  sich  durch 
Vorbinden  eines  Tuches  vor  Mund  und  Nase  hinreichend  schützen;  meist  sind  sie  aber 
zu  indolent,  um  sich  dieser  Mühe  zu  unterziehen:  ihr  bleiches  und  kachectisches  Aus- 
sehen hängt  vielfach  mit  ihrem  Aufenthalt  in  Räumen  zusammen,  denen  die  belebende 
Einwirkung  einer  frischen  Luft  fehlt. 

Zum  Beizen  der  Haare  benutzt  man  Scheidewasser,  metallisches  Queck- 
silber und  Sublimat,  dem  man  bisweilen  noch  arsenige  Säure  zusetzt.  Die  Beize 
hiess  früher  Secret,  weil  man  ihre  Zusammensetzung  sehr  geheim  hielt;  bei  ihrer  Dar 
Stellung  entwickelt  sich  viel  Untersalpetersäure,  was  wohl  zu  beachten  ist-  Man 
applicirt  die  Beize  mit  einer  Bürste  auf  die  Felle  und  trocknet  sie  in  Trockenstuben  bei 
einer  Temperatur  von  50°  C,  deren  Einwirkung  bei  der  Beurtheilung  der  sanitären 
Verhältnisse  der  Haarschneider  sehr  in  Betracht  kommt.  Folgt  aber  auf  die  Beize  das 
Klopfen  und  Bürsten  der  Felle,  so  entwickelt  sich  ein  giftiger  Staub  von  Queck- 
silbersalzen resp.  arseniger  Säure;  es  können  sich  dann  bei  unvorsichtigem  Ver- 
halten der  Arbeiter  die  verschiedenen  Grade  des  Mercurialismus,  Affectionen  der 
Brustorgane,    Verdauungsstörungen,    Zittern   der  Glieder,    Geschwüre   an  den  Händen, 

feschwollenes,  blutendes  Zahnfleisch  u.  s.  w.,  beziehentlich  neben  den  charakteristischen 
olgen  der  arsenigen  Säure  ausbilden.  Die  hierdurch  herbeigeführten  Schädigungen 
der  Gesundheit  bedingen  hauptsächlich  die  schwächliche  Körperbeschaffenheit  der  Haar- 
schneider; wenn  irgendwo,  so  können  grade  durch  diesen  metallischen  Staub  Lungen- 
affectionen erzeugt  werden.  Die  Fabricanten  sollten  verpflichtet  werden,  die  Arbeiter 
vor  diesem  gefährlichen  Staube  zu  schützen  und  Jeden  sofort  zu  entlassen,  der  sich 
nicht  den  vorgeschriebenen  Schutzmassregeln  unterwirft. 

Das  eigentliche  Enthaaren  geschieht  dann  mittels  einer  convexen,  an  beiden 
Seiten  scharfen  Klinge,  wobei  sich  wieder  ein  feiner  Haarstaub  entwickelt,  der  aber 
unter  Umständen  noch  mit  metallischem  Staube  vermengt  sein  kann.  Das  enthaarte 
Fell  gelangt  in  die  Leimsiederei. 

Dass  Haar  schneid  er  vielseitigen  Gefahren  ausgesetzt  sind,  geht  aus  dem 
Gesagten  hervor;  bei  Unaufmerksamkeit  und  Geringschätzung  der  einwirkenden  Schäd- 
lichkeiten wird  ihre  mittlere  Lebensdauer  kaum  40  Jahre  betragen. 

In  Paris  hat  man  für  die  Haarschneider  die  Bedingung  aufgestellt,  dass  das  Secret 
nicht  in  der  Fabrik  selbst  angefertigt  wird,  die  Abfälle  nicht  verbrannt,  die  Quecksilber- 
Rückstände  gehörig  beachtet,  die  Räume  für  das  Enthaaren  sorgfältig  ventilirt  und  eine 
regelmässige  und  sorgfältige  Entfernung  der  Abfälle  bewirkt  werden. 

Für  die  Behandlung  der  Felle  mit  Secret  hat  man  gegenwärtig  eine  zweckmässige 
Maschine  construirt,  die  den  Arbeitern  sowohl  hier  als  beim  Ausklopfen  der  gebeizten 
Felle  mehr  Schutz  gewährt.  Zweckmässiger  würde  es  sein,  das  Secret  ganz  zu  ver- 
bannen; die  Wirkung  desselben  kann  man  durch  eine  Mischung  von  Stärke  oder 
Gummi  mit  Wasser  und  Salpetersäure  erzielen,  wobei  man  nur  auf  die  Besei- 
tigung der  sich  entwickelnden  Dämpfe  von  Untersalpetersäure  zu  achten  hat. 

Das  Hutmacher- Gewerbe. 

Mehrere  nachtheilige  Einflüsse  kommen  hier  vor,  die  noch  mit  der  Behand- 
lung des  Haares  in  Zusammenhang  stehen.     Es  gehört  hierher: 

1)  das  Fachen,  welches  das  Haar  auflockert,  die  gröbsten  Borstenhaare  und 
den  ihnen  noch  anhängenden,  von  der  Beize  herrührenden  Staub  ausscheidet. 

*)  Die  Haarkräusler,  Perrückenmacher,  Friseure,  die  sich  mit  dem 
menschlichen  Haare  beschäftigen,  das  ebenfalls  durch  Kochen,  Waschen  u.  s.w.  präparirt 
wird,  sind  keinem  bedeutenden  Staube  mehr  ausgesetzt,  seitdem  das  Pudern  aus  der 
Mode  gekommen  ist.  Wenn  Patissier  eine  Uebertragbarkeit  der  Krätze  oder  des  Kopf- 
grindes mittels  der  Haare  der  damit  Behafteten  für  möglich  hält,  so  möchte  es  schwer 
fallen,  hierfür  bestimmte  Thatsachen  vorzubringen. 


Hutmacher- Gewerbe.  581 

Ein  bestimmtes  Quantum  Haare  wird  auf  den  Werktisch  —  die  Fachtafel  — 
gebracht,  durch  deren  enge  Zwischenräume  der  Staub  hindurchfällt.  Jedenfalls  müssen 
die  Arbeiter  auch  hierbei  Mund-  und  Nasenhöhle  schützen,  da  der  Staub  zwar  nicht 
bedeutend  ist,  aber  durch  den  etwaigen  Quecksilbergehalt  schädlich  einwirken  kann.  Das 
hierzu  nothwendige  Instrument  ist  der  bekannte  Fachbogen,  welcher  die  Haare  in 
einem  durch  einen  Schirm  abgegrenzten  Raum  in  die  Höhe  schnellt*). 

2)  Die  eigentliche  Verfilzung.  Sie  beginnt  mit  der  Anwendung  des  Fach- 
siebes, mit  dem  man  nach  allen  Richtungen  hin  über  die  Haare  reibt,  um  eine 
zusammenhängende  Fläche  zu  erhalten;  durch  fortgesetztes  Drücken  unter  Be- 
sprengung  mit  Wasser  vervollständigt  man  das  Filzen. 

3)  Das  Walken  wird  in  grossen  kupfernen  Kesseln  vorgenommen,  die  an 
ihrer  obern  Mündung  mit  den  Walktafeln,  d.  h.  breiten  hölzernen,  schrägen 
Bohlen  versehen  sind,  auf  welchen  der  Filz  mittels  des  Rollholzes  zu  einer  kegel- 
förmigen Mütze  bearbeitet  wird.  Das  Wasser  wird  fast  siedend  heiss  gehalten, 
mit  Bier-  oder  Weinhefe,  Essigsäure,  Schwefelsäure  oder  Lauge  versetzt. 

4)  Das  Formen  ist  die  Fortsetzung  des  Walkens,  eine  Beschäftigung,  bei 
welcher  die  Arbeiter  beständig  der  Hitze  und  den  Wasserdämpfen  ausgesetzt 
sind,  abgesehen  von  der  mehr  oder  weniger  reizenden  Einwirkung  der  Beize, 
welche  Excoriationen  der  Hände  zu  bewirken  vermag. 

Unbedingt  ist  über  dem  Walkkessel  ein  Rauchfang  anzubringen  und  mit  einer 
gut  ziehenden  Esse  zu  verbinden. 

Das  Walkwasser  darf  keinesfalls  in  Schlinggruben  abgelassen  werden,  da 
es  noch  Spuren  von  Quecksilber  oder  Arsen,  welche  vom  Secret  herrühren,  enthalten 
kann;  ohne  Gefahr  darf  es  zum  freien  Abflüsse  gelangen,  da  die  metallischen  Bestand- 
teile so  geringe  sind,  dass  sie  in  fliessendem  Wasser  nicht  schaden  können. 

Zum  Scnwarzfärben  der  Hüte  gebraucht  man  Campecheholz,  Sumach,  Eisen- 
vitriol, Weingeist,  Kalichromat  und  Grünspan;  letzterer  wirkt  wahrscheinlich  als  Beize, 
während  der  Weinstein  das  Braunwerden  des  färbenden  Eisen-Niederschlags  verhindern 
soll.  Man  setzt  die  Hüte  während  des  Färbens  mehrmals  der  freien  Luft  aus,  um  eine 
höhere  Oxydation  des  gefällten  Eisens  zu  bewirken  und  nennt  dieses  Verfahren  das 
Auslüften. 

Die  kupferhaltigen  Abflusswässer  können  wegen  ihrer  grossen  Verdünnung 
unbeschadet  in  öffentliche  Canäle  abfliessen. 

Nach  dem  Färben  folgt  das  Auswaschen  und  Trocknen.  Als  Steife  zur 
Erhaltung  der  Form  benutzt  man  eine  Auflösung  von  Schellack  in  Weingeist;  schliess- 
lich folgt  das  Zurichten  und  Staffiren. 

Die  Grundlage  der  Seidenhüte  ist  gewöhnlicher  Pappdeckel  oder  ein  mit  Leim- 
und  Schellacklösung  gesteifter  Filz  aus  Lammwolle  oder  Kamelhaaren;  der  Ueberzug 
besteht  aus  Seiden-Felbel. 

Imitationsfarbe  auf  Filzhüten.  Unter  diesem  Namen  hat  man  neuerdings 
für  die  vielfach  gebrauchten  kleinen  Filzhüte  ein  anderes  Verfahren  beim  Färben  ein- 
geführt; die  Hüte  werden,  nachdem  sie  auf  Stumpen  gewalkt  sind,  getrocknet,  in 
warmem  Wasser  eingeweicht,  ausgewalkt  und  dann  mit  einer  Auflösung  von  Zink-, 
Kupfervitriol  und  Kaliumbichromat  in  der  Siedhitze  gebeizt;  sie  gelangen  dann 
in  ein  Farbebad  von  Gelbholz  oder  Orseille  oder  in  eine  Mischung  von  beiden; 
nach  dem  Färben  walkt  man  sie  erst  fertig. 

Bei  diesem  Verfahren  ist  es  nicht  zweifelhaft,  dass  die  vom  Beizmittel  herrühren- 
den metallischen  Gifte  nicht  mit  der  Haarsubstanz  verbunden,  sondern  nur  lose  in  den 
Filz  eingewalkt  sind.  Beim  Fertigmachen  der  Hüte,  beim  Bügeln,  Steifen  u.  s.  w.  ist 
deshalb  ein  Verstauben  derselben  wohl  möglich  und  die  Arbeiter  müssen  vor  dem  Ein- 
athmen  dieses  Staubes  gewarnt  werden. 

Auch  der  Abfluss  der  Beize  und  des  Färbebades  ist  wohl  zu  berücksichtigen,  damit 
er  nicht  in  Schlinggruben  geräth  und  die  benachbarten  Brunnen  gefährdet.  x) 


*)  Bisweilen  werden  auch  Gerberhaare  gefacht,  wenn  man  aus  denselben  ein 
grobes  Filztuch  anfertigen  will;  hier  ist  der  Staub  entschieden  mit  feinen  Kalk- 
theilchen  vermengt.  Wolle  und  Kuhhaare  pflegt  man  in  einer  Trommel  zu 
mischen,  die  sich  um  eine  horizontale  Achse  bewegt. 


582  Thierische  Abfälle. 


Federn. 

Hinsichtlich  der  Vogelfedern  unterscheidet  man  1)  die  Bettfedern;  man 
benutzt  dazu  die  Deckfedern  und  Flaumen  der  Gänse. 

Man  trocknet  die  eingesammelten  Federn  an  der  Sonne  oder  in  einem  geheizten 
Zimmer,  lockert  sie  durch  Schlagen  mit  leichten  Stäbchen  auf  und  reinigt  sie  dadurch 
gleichzeitig  vom  Schmutze. 

Diese  Arbeit  hat  eine  starke  Staubentwicklung  zur  Folge  und  sollte  mit  mehr 
Vorsicht  als  bisher  betrieben  werden;  zum  wenigsten  sollten  dabei  Mund  und  Nase  durch 
vorgebundene  Tücher  geschützt  werden. 

Werden  die  Federn  nicht  vollständig  getrocknet,  so  geht  die  in  den  Kiehlen  be- 
findliche Feuchtigkeit  in  Fäulniss  über  und  verursacht  einen  üblen  Geruch,  welcher  sich 
den  Schlafstuben  mittheilt  und  in  denselben  eine  sehr  schlechte  Atmosphäre  erzeugt; 
man  kann  diesen  Geruch  dadurch  vertreiben,  dass  man  die  Federn  dämpft,  auf  Netzen 
trocknet  und  mit  Stäbehen  klopft. 

Die  Eiderdunen,  die  sehr  elastischen  und  leichten  Flaumen  oder  Daunen  der 
Eiderente  oder  Eidergans  (Anas  molissima),  reinigt  man  durch  Klopfen  mit  Stäbchen, 
durch  Fachen  mit  dem  Fachbogen  oder  durch  Erwärmen  und  Umrühren  in  einem  im 
"Wasserbade  aufgehängten  Kessel,  wobei  sich  viel  Staub  entwickelt,  weshalb  man  luftige 
und  weite  Räume  für  diese  Procedur  wählen  muss. 

In  sanitärer  Beziehung  sind  die  Bettfedern  und  das  Bettzeug  sehr 
wichtig,  da  sie  fixe  Contagien  und  die  Brutstätte  von  lästigen  Insecten  beher- 
bergen können.  Bei  Krätze,  bei  der  Pockenkrankheit,  beim  Typhus,  bei  der 
Ruhr  und  Cholera  sollte  man  das  gebrauchte  Bettzeug  stets  einer  Hitze  von 
100°  C.  aussetzen  oder  einem  sorgfältigen  Waschen  unterwerfen,  eine  Vorsichts- 
massregel, welche  selten  mit  der  erforderlichen  Aufmerksamkeit  ausgeführt  wird. 

Die  Bettfedern  werden  gewöhnlich  in  den  sogen.  Bettfeder-Reinigungs- 
anstalten gereinigt,  indem  man  sie  in  einem  trommeiförmigen  und  geschlossenen  Siebe 
den  Wasserdämpfen  aussetzt,  welche  durch  die  hohle,  mit  schlitzförmigen  Oeffnungen  ver- 
sehene Achse  der  Trommel  eindringen. 

Es  kann  sich  hier  ein  sehr  unangenehmer  Geruch  nach  Schweiss  namentlich  bei 
den  Federn  entwickeln,  welche  von  den  Betten  der  Kranken,  die  an  chronischen  Krank- 
heiten, Zehrfieber  u.  s.  w.  gelitten  haben,  herrühren.  Eine  Einrichtung  zum  Ableiten 
der  Wasserdämpfe  in  den  Schornstein  ist  nothwendig;  condensiren  sich  nämlich  dieDämpfe 
zu  Wasser,  so  geht  dies  rasch  in  Fäulniss  über  und  setzt  eine  schleimige  Masse  ab. 

Bei  acuten  contagiösen  Krankheiten  ist  es  zweckmässig,  das  Bettzeug  noch  der  Ein- 
wirkung der  schwefligen  Säure  auszusetzen  (s.  unterschweflige  Säure  S.  158).  Werth- 
lose  Gegenstände,  Seegras,  Stroh  u.  s  w.  müssen  selbstverständlich  vernichtet  werden.1) 

Kein  Geschäft  erfordert  eine  sorgfältigere  Controle  als  der  Trödelhandel  mit 
altem  Bettzeug  oder  Kleidern.  Die  Trödler  sollten  verpflichtet  werden,  alle  diese 
Gegenstände  einer  Desinfection  resp.  einem  Räuchern,  Ausdämpfen  oder  Auskochen  zu 
unterwerfen. 

Um  eine  annähernde  Gewissheit  über  die  stattgefundene  Desinfection  zu  erhalten 
und  gleichzeitig  eine  kräftigere  Wirkung  der  Wasserdämpfe  zu  erzielen,  ist  ein  Zusatz 
von  Terpentinöl  zum  kochenden  Wasser  zu  empfehlen,  da  hierdurch  den  Gegen- 
ständen ein  Geruch  nach  Terpentin  mitgetheilt  wird.  In  jeder  grössern  Stadt  müsste 
eine  öffentliche  Desinfectionsanstalt  unter  polizeilicher  Controle  stehen,  in  der  alle  fin- 
den Trödelhandel  bestimmten  Bekleidungsgegenstände  oder  Bettzeuge  zu  desinficiren 
und  mit  einem  Stempel  zu  versehen  wären,  welcher  das  Datum  der  ausgeführten  Des- 
infection trüge;  ohne  diesen  Stempel  müssten  die  erwähnten  Gegenstände  vom  Handel 
ausgeschlossen  bleiben. 

Nach  dem  §  56  der  Gewerbe-Ordnung  vom  21.  Juni  1869  sind  vom  An-  und 
Verkauf  im  Umherziehen  „gebrauchte  Kleider  und  Betten"  ausgeschlossen.  Als 
Erläuterung  hierzu  erging  die  Circ.-Verf.  der  Ministerien  für  Handel  u.  s.  w.  und  der 
geistlichen  u.  s.  w.  Angelegenheiten  vom  20.  August  1873  (Dr.  Achenbach,  I.  V.  Sydow), 
nach  welcher  gemäss  eines  Beschlusses  des  Bundesraths  unter  „gebrauchten  Betten" 
auch  Theile  gebrauchter  Betten  und  insbesondei-e  gebrauchte  Bettfedern  zu  ver- 
stehen sind.  Bei  Ertheilung  von  Legitimationsscheinen  zum  Handel  mit  Bettfedern  soll 
daher  künftig  eine  Fassung  gewählt  werden,  welche  den  Handel  mit  gebrauchten  Bett- 
federn  ausschliesst. 


Horngebilde.  583 

Der  §  35  der  Gewerbe-Ordnung  bestimmt  ferner,  dass  der  Handel  mit  gebrauchten 
Kleidern,  gebrauchten  Betten  oder  gebrauchter  Wäsche  demjenigen  untersagt  werde, 
welcher  wegen  aus  Gewinnsucht  begangener  Vergehen  oder  Verbrechen  gegen  das  Eigen- 
thum  bestraft  .worden  ist.2) 

2)  Die  Präparation  der  Schreibfedern  (Sortiren,  Putzen,  Ziehen,  Härten 
und  Binden)  schliesst  keine  Gefährdung  der  Gesundheit  in  sich 

3)  Bei  der  Präparation  der  Schmuckfedern,  z.B.  der  Strauss-,  Reiher-, 
Pfau-,  Hahnen-  und  Fasanenfedern  u.  s.  w.,  welches  im  Reinigen  und  Entfetten  durch 
Seifenwasser,  im  Bleichen  mittels  Schwefeln  und  im  Färben  besteht,  sind  bei  umfang- 
reichem Betriebe  die  Wasch-  und  Farbewässer,  sowie  die  Schwefeldämpfe  zu  berück- 
sichtigen. 

Horngebilde. 

Die  Horngebilde  haben  dieselben  Bestandteile  wie  die  Haargebilde 
und  bestehen  aus  Proteinkörpern  mit  grossem  Schwefelgehalt,  nur  ist  der 
Fettgehalt  der  Hornsubstanz  ein  geringerer;  wird  diese  Wasserdämpfen  von  100° 
ausgesetzt,  so  wird  sie  weich,  plastisch  und  lässt  sich  nach  Belieben  biegen, 
pressen  und  sogar  zusammensch weissen. 

Bei  der  Einwirkung  der  Hitze  treten  grössere  oder  geringere  Mengen  von 
Ammoniak  und  Schwefelammonium  auf;  steigert  sich  dieselbe  über  150—180°,  so 
wird  das  Hörn  weich  wie  Kautschuk  und  bei  noch  höherer  Wärme  findet  ein  Schmelzen 
ohne  Zersetzung  statt. 

Vorbereitung  der  rohen  Hörner  zn  Drechslerarbeiten  nnd  zur  Kammfabrication. 
1)  Das  Entkernen  Alle  Thierhörner,  besonders  die  von  jungen  Thieren,  enthalten 
einen  innern,  markigen,  bisweilen  auch  blutreichen  Kern.  Behufs  Entfernung  desselben 
werden  die  Hörner  in  Wasser,  dem  man  bisweilen  noch  Blut  oder  Urin  zusetzt,  der 
Maceration  unterworfen,  wozu  stets  hermetisch  verschlossene  Behälter  zu  benutzen 
sind,  die  man  mittels  eines  Rohrs  mit  einer  gut  ziehenden  Esse  oder  bei  grösserm  Be- 
triebe mit  einer  Feuerung  in  Verbindung  bringt,  da  starke  Gasentwicklung  mit  widerlichem 
Gerüche  auftritt. 

Das  Macerationswasser  wird  gewöhnlich  mehrmals  gebraucht,  bis  es  schliess- 
lich so  stark  mit  Leimtheilen  geschwängert  ist,  dass  die  Fäulniss  verlangsamt  wird;  es 
muss  dann  abgelassen,  mit  Erde  und  Kalk  versetzt  und  als  Dungmittel  benutzt  werden. 
Die  ausgelösten  Kerne  können  bei  der  Knochenbrennerei  resp.  Salmiakbereitung 
Verwendung  finden.     Die  ganze  Procedur  sollte  in  Städten  nicht  geduldet  werden. 

2)  Das  Waschen  der  Hörner.  Die  macerirten  Hörner  werden  mit  frischem 
Wasser,  unter  Zusatz  von  saurer  Lohbrühe,  gewaschen.  Die  Abfallwässer  können  in 
Canäle  abfiiessen. 

Aufbewahrung  und  Transport  der  Hörner,  Hufe  u.  s.w.  Das  Aufbe- 
wahren der  frischen  Hufe  und  der  nicht  entkernten  Hörner  verdient  dieselbe  Beachtung 
wie  das  Knochenlagern.  Bei  Epizootieen  muss  dieser  Handel  polizeilich  geregelt 
werden;  sie  dürfen  im  frischen  Zustande  aus  Gegenden,  wo  Thierseuchen  herrschen, 
gar  nicht  exportirt  werden.  Der  Handel  mit  trocknen  Hörnern  ist  in  keiner  Beziehung 
gefährlich  und  selbst  bei  herrschender  Rinderpest  frei;  auch  das  Lagern  derselben 
verursacht  nur  einen  unbedeutenden  Geruch,  welcher  entfernt  an  denjenigen  erinnert, 
der  sich  in  Lagerräumen  von  gesalzenen  Thierkäuten  entwickelt.  Ganz  trockne  Hufe 
haben  dieselbe  Bedeutung. 

Hornplätterei  nennt  man  die  weitere  Bearbeitung  des  Horns.  Die  Sendungen 
der  Hörner  aus  Mexico  bestehen  gegenwärtig  fast  nur  aus  entkernten  Hörnern;  zur 
Präparation  des  Horns  gehören  daher  auf  dem  Continent  in  der  Regel  folgende 
Operationen:  Das  Einweichen  in  heissem  Wasser  ist  zwar  mit  einem  unange- 
nehmen Geruch  verbunden,  der  aber  bei  geschlossenen  und  mit  einem  Rauchfange  ver- 
bundenen Gefässen  wenig  belästigend  ist;  widerlicher  ist  derselbe^  wenn  hierzu  verdünnte 
Ammoniakflüssigkeit  oder  gefaulter  Urin  benutzt  wird,  namentlich  wenn,  wie  es  meist 
der  Fall  ist,  die  Flüssigkeit  immer  wieder  benutzt  wird. 

Die  Macerationswasser  unterscheiden  sich  ihrer  Qualität  nach  nicht  von  den 
beim  Entkernen  abfallenden:  sie  müssen  ebenfalls  in  cementirten  Gruben  mit  Kalk 
versetzt  werden,  um  sie  als  Dünger  verwerthen  zu  können;  für  die  Gemüse-  und  Blumen- 
zucht sind  sie  besonders  geschätzt.1) 

Das  Aufschlitzen  oder  Schneiden  des  Horns  geschiebt  mit  rothglühendem 
Eisen  und  sollte  nur  unter  einem  Rauchfang  geschehen,  um  die  hierbei  entstehenden 
unangenehmen  Gerüche  rasch  aus  dem  Arbeitsraume  zu  entfernen. 

Das  kalte  Pressen  geschieht  bei  30°  C.;  das  hierbei  abfallende  Wasser  ist  eine 


584  Thierische  Abfälle. 

ziemlich  concentrirte  Leimlösung,  welche  leicht  fault  und  in  die  Kategorie  der  Weich- 
wässer gehört. 

Das  Warmpressen  oder  Formiren  folgt  hierauf  bei  100°  C;  die  hierzu  not- 
wendigen Kupferplatten  werden  mit  Fett  eingerieben,  der  üble  Geruch  steigert  sich 
daher  noch  durch  die  Aeroleindänipfe;  hohe  und  luftige  Werkstätten  sind  hierbei  un- 
umgänglich nothwendig 

Zum  Färben  der  Hornwaaren  behufs  Imitation  von  Schildpatt  bedient  man  sich 
eines  Breies  von  Stärkemehl  und  Salpetersäure:  auch  wird  das  Hörn  mit  sal- 
petrigsauren Alkalien  bespritzt  oder  gezeichnet,  getrocknet  und  dann  in  eine 
Atmosphäre  von  starker  Essigsäure  gebracht,  wodurch  salpetrige  Säure  frei 
wird,  welche  auf  das  Hörn  färbend  einwirkt.  Bei  der  Benutzung  von  salpetersaurem 
Quecksilberoxydul  tritt  das  Metalloxyd  mit  in  Thätigkeit. 

Zum  Schwarz  färben  des  Horns  gebraucht  man  einen  Brei  von  Kalk, 
Mennige  und  Wasser;  es  bildet  sich  unauflösliches  Schwefelblei,  welches  das  Hörn 
wie  das  Haar  ganz  durchdringt.  Meistens  werden  die  Pfeifenspitzen  aus  diesem  ge- 
schwärzten Hörn  präparirt:  das  in  ihnen  enthaltene  Schwefelblei  verwandelt  sich 
allmählig  in  Bleisulfat;  dieses  ist  allerdings  in  den  Salzen  des  Speichels  löslich,  seine 
Menge  ist  aber  so  gering,  dass  von  einer  Schädigung  der  Gesundheit  hierbei  kaum  die 
Rede  sein  kann;  dagegen  ist  die  Manipulation  mit  dem  Färbemittel  zu  berücksichtigen. 

Um  Hörn  perlmutterähnlich  zu  machen,  behandelt  man  es  mit  Bleinitrat 
und  Salzsäure;  es  bildet  sich  dann  krystallinisches  Chlorblei  in  der  Hornsubstanz : 
dasselbe  ist  im  Speichel  leicht  löslich  und  verdient  in  dieser  Beziehung  das  Präparat 
alle  Beachtung. 

Parkesin  ist  ein  Surrogat  für  Hörn,  Elfenbein  u.  s.  w.  und  besteht  aus  einem 
Gemenge  von  Thonerde,  Zinkoxvd,  Berlinerblau,  Schwärze  und  Collodium. 

Bei  der  Präparation  des  Fischbeins  (Whale-bone,  Baieine),  der  Substanz  der 
Wallfischbarten,  kommen  dieselben  Manipulationen  und  sanitären  Erfordernisse  wie  bei 
der  Hornplätterei  zur  Geltung.  Büffelhorn  wird  bisweilen  statt  des  Fischbeins  beim 
Besetzen  der  Corsets  gebraucht. 

Der  H  ornstaub  verdient  in  sanitärer  Beziehung  wegen  seiner  Verwandtschaft 
mit  dem  Conchiolin  (s.  Perlmutterstaub)  alle  Beachtung  und  darf  daher  nicht  als 
indifferent  betrachtet  werden  (s.  S.  197). 

Darmsaitenfabrication. 

Die  Darmsaiten  (Catgut)  sind  zusammengedrehte  und  getrocknete  Schaf- 
därme. Die  ganz  frischen  Därme  werden  gereinigt  und  mit  Wasser  macerirt,  das 
häufig  erneuert  oder  auch  mit  Chlorkalk,  Chlornatrium  oder  unterchlorig- 
saurem  Natrium  versetzt  wird. 

Durch  Abschaben  wird  dann  die  äussere  Membran  entfernt,  die  abgezogenen 
Därme  gelangen  nochmals  in  frisches  Wasser  und  nach  abermaligem  Abschaben  für 
einige  Stunden  in  eine  alkalische  Lauge.  Die  Behandlung  mit  der  Lauge  wiederholt 
man  bis  zur  vollständigen  Reinigung  der  Därme,  um  sie  dann  den  anderweitigen  Mani- 
pulationen, dem  Ausrecken,  Glätten  oder  auch  dem  Schwefeln  zu  unterwerfen. 

Sorgt  man  für  baldige  Beseitigung  der  Abfälle,  so  hat  diese  Fabrication  keine 
grosse  Belästigung  zur  Folge,  namentlich  wenn  nur  frisches  Material  bearbeitet  wird.1) 

Leimindustrie. 

Wird  eine  thierische  Haut  längere  Zeit  der  Einwirkung  von  siedendem 
Wasser  ausgesetzt,  so  wird  sie  in  demselben  löslich  und  bildet  eine  Gallerte 
resp.  den  thierischen  Leim.  Es  entwickeln  sich  bei  diesem  Process  stets 
Schwefelwasserstoff  und  Ammoniak  resp.  Schwefelammonium,  nament- 
lich beim  Kochen  alter  Häute,  die  der  Luft  längere  Zeit  ausgesetzt  gewesen 
sind.  Frische  Häute  veranlassen  bei  diesem  Processe  nie  einen  belästigenden  • 
Geruch,  da  die  Menge  des  sich  hierbei  entwickelnden  Schwefelwasserstoffs  eine 
sehr  geringe  ist*). 


*)    Bekanntlich  entwickelt  sich  auch  bei  der  Bereitung  der  Bouillon  durch  Ab- 
kochen des  frischen  Rindfleisches  stets  etwas  Schwefelwasserstoff. 


Leimindustrie.  fß,h 

Die  wichtigsten  leimgebenden  Gebilde  sind  die  Haut,  die  Sehnen,  das  Zellgewebe, 
die  Knochensubstanz,  das  Hirschhorn  u.  s.  w.  Die  erhaltenen  Producte  unterscheiden 
sich  jedoch  durch  ein  verschiedenes  Klebvermögen;  geringer  ist  dasselbe  beim  Knorpel- 
leim (Chondrin)  als  beim  Knochen-  oder  Haut  leim  "(Glutin). 

Die  Gallerte  (Gelatine),  welche  man  durch  das  Verdampfen  der  Auflösung 
dieser  Gebilde erhält,  ist  nach  dem  Austrocknen  durchsichtig  und  spröde  und  wird  beim 
Kochen  mit  Wasser  löslich.  Der  eigentliche  Leim  ist  die  durch  Austrocknen  der 
Gallerte  entstandene  Substanz,  deren  Lösung  beim  Erkalten  wieder  zu  einer  Gallerte 
gesteht. 

Fabrikation  des  Lederleims.  Man  gebraucht  hierzu  die  thierischen  Abfälle,  das 
sogenannte  Leimgut,  welche  aus  den  Roth  ,  Weiss-  und  Sämischgerbereien  stammen. 
Man  unterscheidet  folgende  Manipulationen: 

1)  Das  Kalken  des  Leimgutes.  Die  thierischen  Abfälle  müssen  vor  der  Abkochung 
von  allen  fleischigen  und  blutigen  Theilen  und  namentlich  vom  Fett  gereinigt  werden. 
Mit  diesem  bildet  der  Kalk  eine  unlösliche  Kalkseife,  die  beim  spätern  Sieden  auf  die 
Oberfläche  tritt  und  Leim  fett  genannt  wird.  Das  Leimfett  exhalirt  an  der  Luft  bestän- 
dig Ammoniak  und  die  flüchtigen  Fettsäuren:  es  ist  deshalb  nothwendio',  grössere  Yor- 
räthe  davon  mit  Kalk  zu  bestreuen.  Will  man  die  thierischen  Abfälle  für  die  Leim- 
fabrication  längere  Zeit  aufbewahren,  so  müssen  sie  in  Kalk  äschern  mit  Kalkmilch 
behandelt  werden. 

Beim  Kalken  nicht  mehr  frischer  thierischer  Hänte  entsteht  stets  ein  unangenehmer 
Geruch  nach  Schwefelammonium  oder  Ammoniak.  Die  kalkhaltigen  Mace- 
rationswässer  enthalten  besonders  buttersaures,  baldriansaures  undpropion- 
saures  Calcium,  Verbindungen,  welche  durch  die  Kohlensäure  der  Luft  zersetzt  werden. 
Die  Wässer  können  direct  mit  Erde  gemischt  als  Dungmittel  benutzt  werden:  wo  aber 
eine  Anhäufung  dieser  Abgänge  stattfindet,  müssen  sie  mindestens  mit  Chlorkalk  be- 
handelt werden,  um  das  Freiwerden  der  flüchtigen  Fettsäuren  zu  verhüten. 

2)  Das  Auswaschen  des  gekalkten  Leimguts.  Es  kann  in  fliessendem  Wasser 
geschehen,  wenn  die  Flüsse  hinreichend  gross  sind.  Gebraucht  man  hierzu  Bottiche,  so 
verdienen  die  abfallenden  Spülwässer  eine  ganz  besondere  Beachtung,  da  sie  mehr 
oder  weniger  die  eben  erwähnten  Substanzen  enthalten.  Fliessen  sie  in  Rinnsteine  ab, 
so  erzeugen  sie  die  grösste  Belästigung,  während  sie  in  Stadteanälen  leicht  VerscL'lam- 
mungen  erzeugen,  wenn  nicht  eine  kräftige  Spülung  diese  verhütet.  In  einem  eoneieten 
Falle  betrug  der  Gehalt  der  thierischen  Substanz  in  einem  solchen  Spülwasser  l,-50g 
(bei  100°  C.  getrocknet).  Um  die  Spülwässer  ohne  alle  Belästigung  oder  Beschädigung 
in  Rinnen  oder  Canäle  abfliessen  lassen  zu  können,  empfiehlt  Vohl  1)  Schlammkasten 
zum  Absetzen  des  Kalkes,  und  2)  Behandeln  der  klaren  Flüssigkeit  mit  gebrauch- 
ter Lohe.  Das  ausgewaschene  Gut  wird  an  der  Luft  zum  Trocknen  ausgebreitet 
und  an  die  Leimsieder  verkauft.1) 

Die  Aufbewahrung  des  Leimgutes  in  Ballen  darf  nur  in  trocknen  Raumes: 
geschehen;  in  feuchten  Lagerräumen  entsteht  ein  widerwärtiger  Modergeruch,  der  für  die 
Umgebung  sehr  belästigend  werden  kann;  auch  finden  sich  massenhaft  Speckkäfer 
und  Speckkäferlarven  ein,  die  nach  dem  Aufräumen  solcher  Lager  die  Nachbarschaft 
überschwemmen  und  allen  wollenen  Stoffen  gefährlich  werden. 

Beim  Auf-  und  Abladen  der  Ballen  vermag  der  kalkhaltige  Staub  alle  Schleim- 
häute heftig  zu  reizen:  reicht  hier  ein  vor  Nase  und  Mund  gebundenes  Tuch  als 
Schutzmittel  nicht  aus,  so  ist  das  Ueberhängen  eines  feuchten  Schleiers  über  das  Gesicht 
sehr  zu  empfehlen.*) 

3)  Das  Versieden  des  Leimgutes.  Das  getrocknete  Leimgut  muss  vor  dem 
Kochen  stets  in  Wasser  eingeweicht,  d.  h.  macerirt  und  später  nochmals  getrocknet 
werden.  Die  Macerationswässer  enthalten  keine  Fäulnissproducte;  nur  wenig  Kalk  und 
können  ohne  Nachtheil  in  öffentliche  Canäle  abgelassen  werden. 


*)  Viele  Gerbereien  speichern  das  Leimgut  selbst  auf,  um  es  zeitweise  zur 
Leimsiederei  zu  benutzen:  in  der  Regel  sind  aber  die  betreffenden  Abfälle  schon  in 
Fäulniss  übergegangen  und  ist  deshalb  zur  Minderung  der  üblen  Gerüche  ein  Zusatz  von 
schwefligsaurem  Calcium  zu  empfehlen.  Noch  weit  widerlichere  Gerüche  entstehen 
bei  der  Verwendung  der  aussortirten  gesalzenen  Büffelhäute.  Cm  das  Salz  aus  ihnen 
zu  entfernen,  werden  sie  in  cementirten  Gruben  unter  Wasser  gesetzt;  ist  dies  geschehen, 
so  entwickeln  die  Häute  in  der  wärmern  Jahreszeit  die  ganze  Reihe  der  Fäulnissgase, 
so  dass  dies  Verfahren  niemals  in  der  Nähe  von  Wohnungen  stattfinden  darf.  —  Die 
Macerationswässer  dürfen  nur  nach  vorhergehender  Versetzung  mit  Kalk  abgelassen 
werden,  weil  bei  ihrem  freien  Abflüsse  selbst  in  grösseren  Flüssen  die  Fische  überall 
verschwinden,  wo  jene  sich  ausbreiten.  Die  ganze  Procedur  macht  den  widerlichsten 
Eindruck. 


585  Thierische  Abfälle. 

Das  Leim  sieden  geschieht  vorzugsweise  nach  der  altern  Methode  in  kupfernen 
Kesseln  mit  flachem  Boden,  wobei  sich  stets  in  Folge  der  Einwirkung  des  Kalks  auf  die 
sti<  k-toffhaltigen  Gebilde  Ammoniak  resp.  Schwefelammonium  entwickelt,  jedoch 
nicht  in  einem  belästigenden  Grade. 

Um  das  Anbrennen  des  Leimgutes  resp.  die  Entwicklung  von  empyreumatisehen 
Dämpfen  zn  verhüten,  muss  der  Leimkessel  auf  seinem  Boden  ein  Drahtsieb  oder  ein 
Weidengeflecht  haben,  auf  welches  man  zuerst  eine  Lage  Stroh  und  dann  dos  Leimgut 
schichtet.  Das  sicherste  Mittel  zur  Verhütung  des  Anbrennens  besteht  in  der  Benutzung 
der  Wasser  dämpfe.2) 

Beim  Versieden  der  Büffelhäute  muss  man  zur  Beseitigung  des  Fettes  in 
kurzen  Intervallen  kleine  Mengen  frischer  Kalkmilch  zusetzen,  um  das  Leim  fett  resp. 
die  Kalkseife  zu  bilden,  welche  man  abschäumt.  Während  dieses  Zusatzes  von  Kalk- 
milch entbindet  sich  massenhaft  Ammoniak  resp.  Schwefelammonium  und  zwar 
in  Folge  der  Zersetzung  der  Fäulnissproducte  thierischer  Häute;  bei  enthaarten 
Häuten  ist  dies  weniger  der  Fall.  Alle  diese  Gase  müssen  unter  den  geeigneten  Vor- 
siehtsmassregeln  unter  den  Rost  der  Feuerung  geleitet  werden,  um  dadurch  die  grosse 
Belästigung  für  die  Nachbarschaft  und  die  Nachtheile  für  die  Gesundheit  der  Arbeiter 
am   sichersten  zu  verhüten.*) 

Wenn  die  Leimlösung  die  Probe  hält,  d.  h.  wenn  eine  kleine  Probe  davon  auf 
kaltem  Wasser  zu  einer  Gallerte  gesteht,  so  wird  sie  in  die  Leimkufen,  d.  h.  in  mit 
Bleiblech  gefütterte  Bottiche  gebracht,  in  welchen  die  Lösung  durch  Absetzenlassen 
geklärt  wird. 

Nach  dem  Formen  und  Zerschneiden  der  Blöcke  folgt  das  Trocknen  des  Leims 
oder  die  Ueberführung  der  Gallerte  in  Leim;  dasselbe  gehört  zu  den  schwierigsten 
Acten  der  Leimfabrication.  hat  aber  keine  sanitäre  Bedeutung.3) 

Verschiedene  Arten  des  Lederleims.  Der  aus  den  Hautabfällen  bereitete  Leim 
heisst  Lederleim  im  Gegensatz  zum  Knochenleim  aus  Knochen  und  dem  Fisch - 
leim  aus  der  Schwimmblase  der  Fische.  Der  mit  Zucker  versetzte  Lederleim  heisst 
Mundleim,  wenn  derselbe  vorher  mittels  Thierkohle  entfärbt  worden  ist 

Der   Pergamentleim   aus   den   Abfällen    der   Pergamentbereitung    ist    ein    sehr 

Bindemittel  für  Versrolder  und  dient  auch  zum  Anmachen  von  Wasserfarben  bei 
der  Malerei.     Wegen  des  flüssigen   Leims  siehe  salpetrige  Säure  S.  244. 

Der  elastische  Leim  entsteht  durch  Zusatz  von  Glycerin  zum  gewöhnlichen 
Leim  Das  wichtigste  Surrogat  des  Leims  ist  der  Caseinleim,  der  durch  Auflösen 
von  Casein  in  gesättigter  Boraxlösung  erhalten  wird  (s.  Casein). 

Die  Knochen  und  ihre  Verwerthung. 

Die  Knochen  sind  für  die  Technik  von  der  grössteu  Bedeutung,  da  sie  auf 
die  vielfältigste  Weise  verwendet  werden.  Zunächst  hat  das  Lagern  der 
Knochen  ein  sauitäres  Interesse. 

1)  Die  Knochenlager.  Lagerräume  von  Knochen  bedingen  die  grösste  Un- 
annehmlichkeit für  die  Adjacenten;  lagern  sie  in  trocknen  Räumen,  so  findet  ein 
Austrocknen  statt  und  zwar  auf  Kosten  des  verdunstenden  Wassers,  welches  im 
Knorpel  des  Knochens  und  den  ihm  meist  noch  anhängenden  Weichtheilen  enthalten 
ist.  Das  entweichende  Wasser  ist  stets  mehr  oder  weniger  mit  den  flüchtigen 
Riechstoffen  der  verwesenden  Weichtheile  geschwängert;  hat  das  Trocknen  einen 
gewissen  Abschluss  erhalten,  so  hört  die  Exhalation  auffallender  Riechstoffe  auf 
und    nur    die    einfachen    Zersetzungsproducte,    Wasser.     Kohlensäure    und 


*)  Unzulässig  ist  auch  die  Darstellung  von  Leim  in  den  Tapetenfabriken, 
wenn  dazu,  wie  es  gewöhnlieh  der  Fall  ist.  die  Abfälle  von  Schlächtereien  und  Ger- 
bereien ohne  allen  Zusatz  von  Kalk  genommen  werden.  Der  Geruch  bei  einem  solchen 
Leimsieden  ist  ganz  entsetzlieh  und  kann  für  die  nächste  Nachbarschaft  durch  die  Ent- 
wicklung der  flüchtigen  Fettsäuren  u.  s.  w.  zur  grössten  Qual  werden.  Selbst  der  aus 
solchen  "faulenden  Substanzen  dargestellte  Leim  besitzt  einen  unerträglichen  Geruch,  der 
den  Tapeten,  bei  denen  ein  solcher  Leim  benutzt  worden  ist,  innig  anhaftet.  Solche 
Tapeten  sind  besonders  in  feuchten  Stuben  einer  Verwesung  unterworfen,  wobei  sich 
Propionsäure  bildet,  welche  einen  höchst  unangenehmen,  muffigen  Geruch  verbreitet, 
der  erst  nach  Jahren  schwindet. 


Knochenleim.  587 

Ammoniak,   treten  dann  auf,    sind  aber  meist  mit  einem  Modergeruche  ver- 
bunden. 

Alle  Knochenlager  sollten  unter  polizeilicher  Aufsicht  stehen  und  nur  an  solchen 
Stellen  errichtet  werden,  welche  die  Polizei  nach  stattgefundener  Prüfung  für  zweck- 
mässig erachtet  hat.  Jeder  Lagerraum  muss  trocken,  dem  Luftzuge  ausgesetzt  und  so 
gelegen  sein,  dass  er  der  nächsten  Nachbarschaft  keine  Belästigung  verschafft.  Keller 
sollten  zum  Lagern  von  Knochen  gar  nicht  benutzt  werden,  wahrend  Sammler  und  An- 
käufer von  Knochen  nur  solche  aufbewahren  dürfen,  welche  gereinigt  und  so  viel  als 
möglich  von  allen  Weichtheilen  befreit  sind.1) 

Bleiben  die  Lagerräume  ganz  verschlossen  und  entbehren  sie  jeder  Ventilation,  so 
kann  der  in  denselben  vorhandene  Sauerstoff  zur  Verwesung  der  organischen  Stoffe 
ganz  verbraucht  werden,  wofür  alsdann  ein  gleiches  Volumen  Kohlensäure  an  die 
Atmosphäre  abgegeben  wird,  welche  mit  dem  restirenden  Stickstoff  vermischt  eine  zum 
Athmen  völlig  untaugliche  Atmosphäre  bildet,  so  dass  Personen,  welche  solche  Räume 
zuerst  betreten,  bewusstlos  hinstürzen  und  an  Erstickung  sterben,  wenn  sie  nicht  rasch 
diesen  gefährlichen  Gasen  entzogen  werden.  So  fehlt  es  nicht  an  Beispielen,  dass 
sich  auch  in  Schiffen,  in  welchen  Knochen  transportirt  werden,  eine  sehr  kohlensäure- 
reiche Atmosphäre  ansammelt,  welche  auf  die  Schiffer  einen  schädlichen  Einfluss  aus- 
zuüben vermag. 

Das  Bestreuen  der  Knochen  oder  der  betreffenden  Lagerräume  mit  Chlorkalk 
ruft  zwar  eine  günstige  Wirkung  bezüglich  der  belästigenden  Gerüche  hervor,  die  Ein- 
wirkung des  Chlors  auf  die  leimgebende  Substanz  hat  aber  die  Entstehung  eines  eigen- 
thümlich  riechenden  Körpers  zur  Folge,  welcher  auch  dem  aus  solchen  Knochen  dar- 
gestellten Leim  anhaftet.  Diese  Bestreuungen  sind  nur  dann  zulässig,  wenn  die  Knochen 
als  Dungmittel  benutzt  werden. 

Das  zweckmässigste  Mittel  würde  sein,  alle  Knochen,  mögen  sie  frisch  oder  alt 
sein,  mit  Kalkmilch  zu  behandeln,  ehe  sie  auf  Lager  kommen.  Man  könnte  die 
Knochen  in  Körbe  bringen  und  diese  in  Kalkmilch  tauchen.  Durch  dieses  einfache  und 
leicht  ausführbare  Mittel  würde  man  am  sichersten  jeden  belästigenden  Geruch  vermeiden 
und  die  spätere  Verwerthung  der  Knochen  in  keiner  Weise  stören.*) 

2)  Darstellung  des  Knochenleims.  Der  Knochenleim  entsteht  aus  dem 
Knochenknorpel  und  macht  etwa  den  dritten  Theil  vom  Gewichte  der  Knochen 
aus.  Um  die  Knochen  vollständig  auszunutzen,  geht  der  Gewinnung  von  Knochen- 
leim die  Entfettung  der  Knochen  voraus.  Zu  diesem  Zwecke  werden  die 
Knochen  in  einem  eisernen  Kessel  stark  ausgekocht,  weshalb  man  diese  Procedur 
auch  das  Knochensieden  nennt. 

Die  Knochensiedereien  werden  bezüglich  ihrer  Belästigung  für  die  Nachbarschaft 
verschieden  beurtheilt.  Man  darf  hierbei  nicht  übersehen,  dass  häufig  auch  Knochen - 
lager  mit  der  Knochensiederei  verbunden  sind  und  manche  andere  Nebenbeschäftigungen 
oft  belästigender  einwirken  als  die  Knochensiedereien,  die  dazu  gegenwärtig  unter 
den  §  16  der  Gewerbe-Ordnung  für  das  Deutsche  Reich  gehören  und  deshalb  einer  be- 
sondern Concession  bedürfen. 

Auch  kommt  es  häufig  vor,  dass  Knopfdrechsler  sich  mit  dem  Knochensieden 
beschäftigen  und  dann  besonders  die  Kieferknochen  grösserer  Thiere  zuvor  einem 
Macerationsverfahren  unterwerfen.  Werden  nun  die  macerirten  Knochen  gesotten, 
so  entwickelt  sich  ein  sehr  unangenehmer  Geruch,  indem  neben  Schwefelammonium 
wiederum  dia  flüchtigen  Fettsäuren  und  andere  widerliche  Riechstoffe  auftreten; 
mit  Recht  kann  man  eine  solche  Knochensiederei  für  sehr  belästigend  erklären. 

Am  wenigsten  Geruch  entsteht  beim  Sieden  der  Knochen  von  Schafen,  Hammeln. 
Rehen  oder  Antilopen,  namentlich  wenn  das  Auskochen,  wie  gewöhnlich,  unter  Zusatz 
einer  geringen  Menge  von  Natr.  carbon.  geschieht. 

Hier  sowohl  als  beim  Auskochen  älterer  Knochen  genügt  es,  die  beim  Kochen 
sich  entwickelnden  Dämpfe  mittels  eines  Schlotes  in  den  Kamin  zu  führen :  beim  Sieden 
der  macerirten  Knochen  müssen  sie  aber  in  eine  Feuerung  geleitet  und  verbrannt 
werden.  Es  sind  nach  der  Grösse  der  Etablissements  die  verschiedenen  Einrich- 
tungen erforderlich,  welche  beim  Talgschmelzen  und  bei  der  Seifensiederei  besprochen 
worden  sind. 

Die  gallertartigen  Auskochwässer  oder  Siedewässer  dürfen  niemals  in  die 
Strassenrinnen,   wie  es  so  häufig  geschieht,  abgelassen  werden,   da  sie  ausserordentlich 


*)    In  Paris  müssen  die  Lumpensammler  die  Knochen  in  starke  Leinwandsäcke 
legen,  welche  in  den  gehörig  ventilirten  Niederlagen  aufzubewahren  sind. 


588  Thierische  Abfalle. 

leicht  in  Fäulniss  übergehen  und  einen  widerlicher  Geruch  verbreiten;  man  kann  sie 
als  Dungmittel  benutzen,  wenn  man  sie  mit  Kalk  vermischt:  setzt  man  ihnen  verdünnte 
Schwefelsäure    zu,    so   können    sie   bei   der   Düngerfabrication   zum   Aufschliessen    der 

Phosphorite  benutzt  werden  (s.  Darstellung  des  gedämpften  Knochenmehls). 

Das  beim  Sieden  auf  der  Oberfläche  dieses  Wassers  sich  ansammelnde  Knochen- 
fett oder  Knochenöl,  wie  man  es  gewöhnlich  nennt,  wird  abgeschöpft  und  besteht 
grösstenteils  aus  unveränderten  Glycerinverbindungen,  die  gute  Schmiermittel 
darstellen. 

Der  Knopfdrechsler  muss  nach  dem  Sieden  die  Knochen  trocknen.  Die  Procedur 
kann  ebenfalls  belästigend  werden,  wenn  bei  feuchtem  Wetter  und  niederer  Temperatur 
die  leimgebenden  Gebilde,  die  im  Knochen  noch  enthalten  sind,  in  Fäulniss  übergehen; 
dies  Trocknen  muss  auf  luftigen  und  hohen  Speichern  geschehen.  Zu  beachten  ist, 
dass  die  flüchtigen  Riechstoffe  sich  leicht  auf  Viehfutter  (Heu,  Stroh  u.  s.  w.)  übertragen 
und  auch  wollenen  Zeugen  sehr  adhäriren.*) 

Die  Extraction  der  entfetteten  Knochen  mittels  Salzsäure.  Man  wählt 
hierzu  gewöhnlieh  die  schlechten  und  zum  Knopfdrechseln  nicht  brauchbaren  Knochen, 
die  man  in  hölzernen  Bottichen  einer  Salzsäure  von  7°  B.  aussetzt. 2) 

Die  Gelatine  bleibt  in  Form  des  Knochens  zurück,  wohingegen  das  Calcium- 
phosphat  in  salzsaure  Lösung  übergegangen  ist. 

Die  Ueberführung  der  Gelatine  in  Leim  geschieht  mittels  Wasserdämpfe; 
das  Formen  und  Trocknen  geschieht  wie  beim  Lederleim. 

Der  Knochenleim  kommt  gegenwärtig  unter  dem  Namen  Patentleim  im 
Handel  vor  und  hat  ein  milchiges  Ansehen,  das  von  den  in  ihm  zurückgebliebenen 
Theilen  des  Calciumphosphats  herrührt.  Absichtlich  erzeugt  man  bisweilen  diese 
milchige  Trübung,  wenn  man  dem  Knochenleim  Blei  weiss  u.  s.  w.  beimischt,  Zusätze, 
die  wohl  zu  berücksichtigen  sind,  wenn  man  den  Knochenleim  als  sogen.  Bouillon- 
tafeln zur  Bereitung  von  Bouillon  benutzt. 

3)  Die  Verarbeitung  der  Knochen   für  gewerbliche    oder  Kunstgegenstände. 

Das  erste  Entfetten  der  Knochen  geschieht  nach  der  gewöhnlichen  Weise  des 
Knochensiedens.  Hierauf  folgt  das  Sortiren  und  die  vollständige  Ent- 
fettung mittels  erhitzten  Terpentinöls  oder  Benzols. 

Die  Dämpfe  müssen  mit  Rücksicht  auf  die  Arbeiter  und  die  Feuersgefahr  wieder 
gewonnen  werden.  Die  Knochen  werden  zu  diesem  Zwecke  mit  einem  kräftigen  Wasser- 
dampfstrom ausgedämpft,  wobei  das  Lösungsmittel  durch  Condensation  der  entweichen- 
den Dämpfe  gewonnen  wird;  schliesslich  bringt  man  die  Knochen  auf  die  Rasenbleiche. 

Das  Färben  der  Knochen  beruht  hauptsächlich  nur  auf  dem  Färben  der  in 
den  Knochen  enthaltenen  stickstoffhaltigen  Substanz:  sogenannte  Metallbeizen, 
welche  schon  an  und  für  sich  eine  Färbung  geben,  werden  vorzugsweise  gebraucht;  so 
färbt  salpetersaures  Quecksilberoxydul  braun  und  schwarzbraun,  salpeter- 
saures Silber  graubraun  und  schwarz,  Goldchlorid  purpur.  Auch  Pikrinsäure 
und  namentlich  die  schlechten  Sorten  der  Anilinfarben  dienen  als  Färbemittel. 

4)  Benutzung  der  Knochenabfälle  znr  Darstellung  von  Superphosphat.     Man 

benutzt  hierzu  alle  schlechtem  Knochen,  die  Abfälle  bei  der  Knopffabrication  u.s.w. 
und  verfährt  dabei  nach  zwei  Methoden. 

1)  Beim  sauren  Aufschliessen  werden  die  Knochen  gemahlen,  mit  verdünnter 
Schwefelsäure  besprengt,  in  luftigen  Schuppen  auf  Haufen  gesetzt  und  oft  umge- 
schaufelt. Es  entwickeln  sich  hierbei  geringe  Mengen  von  Salzsäure  und  sehr  wenig 
Schwefelwasserstoff,  das  Verfahren  ist  aber  nicht  belästigend  und  wird  häufig 
Seitens  der  Landwirthe  selbst  ausgeführt.  Bei  diesem  Processe  entsteht  aus  dem 
tertiären  Calciumphosphat  Ca3(P04)2  Gips  und  saures  (primäres)  Calcium- 
phospbat  Ca(H,P04)2. 

2)  Das  sogenannte  Dämpfen  der  Knochen  geschieht  in  aufrecht  stehenden 
Cylindern  (Digestoren)  mit  falschem  Boden,  in  welche  die  Knochen  gebracht  werden. 
Ein    unten    eingeleiteter    Dampfstrahl    von    3% — 6    Atmosphärendruck    wirkt    mehrere 


*)  Es  ist  hier  noch  die  Knochensiederei  behufs  Darstellung  anatomischer 
Skelete  zu  erwähnen,  da  hier  ein  vollständiger  Fäulnissprocess  dem  Kochen  voraus- 
gehen muss  und  Vorkehrungen  zur  Vernichtung  der  riechenden  Gase  nothwendig  sind; 
ein  Kalkzusatz  würde  das  Aussehen  der  Knochen  benachtheiligen,  dagegen  hat  sich 
ein  Zusatz  von  Kleie,  reinem  Weingeist  oder  Aepfelwein  bewährt,  wobei  saure 
Reaction  eintritt  und  Schwefelammonium  nicht  auftreten  kann. 


Poudrette-Fabrication.  539 

Stunden  lang  auf  die  Knochen  ein;  anfangs  lässt  man  die  noch  vorhandene  atmosphä- 
rische Luft  durch  ein  Sicherheitsventil  austreten,  wobei  höchst  unangenehme  und  die 
Adjacenten  im  höchsten  Grade  belästigende  Dämpfe  auftreten. 

Es  ist  absolut  nothwendig,  das  Ventil  mit  einer  Haube  zu  versehen,  die  mittels 
eines  Rohrs  mit  der  Feuerung  des  Dampfkessels  zu  verbinden  ist,  um  die  höchst  übel- 
riechenden Dämpfe  zu  verbrennen.  (S.Talg-  und  Seifensiederei.)  Nach  geschehenem 
Abblasen  wird  das  Ventil  geschlossen  und  die  Knochen  bleiben  den  gespannten  Dämpfen 
ausgesetzt;  die  Cylinder  sind  daher  wegen  des  hohen  Druckes  wie  Dampfkessel  zu 
revidiren. 

Werden  nach  beendigtem  Dämpfen  die  überflüssigen  Dämpfe  abgelassen,  so  ist 
dasselbe  Verfahren  zu  beobachten.  Die  unter  dem  falschen  Boden  angesammelte 
Flüssigkeit  ist  eine  übelriechende  Leimauflösung,  auf  der  nach  dem  Erkalten  ein 
Fett  von  talgartiger  Beschaffenheit,  aber  widerlichem  Geruch  schwimmt,  das  in  Seifen- 
siedereien noch  zu  verwerthen  ist. 

Das  Trocknen  der  gedämpften  Knochen  verbreitet  weit  über  die  Fabrik 
hinaus  einen  unangenehmen  Geruch,  wenn  bloss  die  Zugluft  hierzu  benutzt  wird;  man 
sollte  daher  die  künstliche  Erwärmung  vorschreiben,  um  die  mit  widerlichen  Riech- 
stoffen beladene  Luft  durch  Feuer  vernichten  zu  können.  Nach  dem  Trocknen  folgen 
das  Stampfen,  Mahlen  und  Sieben  der  Knochen,  die  leicht  zerfallen,  da  ihnen  das 
Bindemehl  fehlt.  Der  hierbei  entstehende  Staub  ist  belästigend  genug,  jedoch  erfah- 
rungsgemäss  nicht  mit  nachtheiliger  Wirkung  auf  das  Lungengewebe  verbunden.  Aus 
diesem  gedämpften  Knochenmehl  wird  durch  Behandeln  mit  Schwefelsäure  Super - 
phosphat  (gedämpftes  Knochenmehl)  dargestellt.  Behandelt  man  die  abfallende 
Leimlösung  mit  Schwefelsäure*)  und  benutzt  dieses  Gemisch  zum  Aufschliessen, 
so  erhält  man  das  ammoniakalische  Superphosphat,  welches  auch  Guano- 
Superphosphat  genannt  und  oft  noch  mit  Ammoniumsulfat  vermischt  wird. 

Es  finden  sich  bei  diesem  Verfahren  noch  vielfache  Modiücationen,  bei  denen  aber 
in  sanitärer  Beziehung  der  Schwerpunct  stets  auf  der  Vernichtun  g  der  wider- 
lichen Gase  und  Dämpfe  beruht  So  setzt  man  z.B.  häufig  den  Knochen  noch  die 
Abfälle  von  Fellen,  altes  Leimgut,  Hörn,  Wolle  u.  s.  w.  zu  und  dämpft  die 
ganze  Masse  in  Digestoren  mittels  Wasserdämpfe,  um  Dungstoffe  zu  gewinnen.  Die 
abfallende  Brühe  muss  unter  allen  Umständen  als  Dungmittel  benutzt  und  sofort  in 
wasserdichten  und  geschlossenen  Behältern  mit  Kalk  versetzt  werden,  wenn  sie  nicht 
sofort  verwerthet  wird. 

Die  feste  Masse  wird  in  Darrräumen  oder  in  grossen  Pfannen  getrocknet, 
deren  Temperatur  niemals  die  Temperatur  des  Wassers  übersteigen  darf.  Nach  dem 
Trocknen  folgt  das  Zerkleinern  und  das  Vermischen  mit  Schwefelsäure  auf 
Mühlen. 

DerHöhepunct  aller  widerlichen  Gerüche  findet  sich  überhaupt  bei  dieser  Fabrication ; 
in  allen  Räumen  müssen  daher  Vorkehrungen  zur  Ableitung  der  auftretenden  Dämpfe 
getroffen  werden;  man  kann  sie  entweder  durch  Schwefelsäure  mittels  Exhaustoren 
oder  in  eine  Feuerung  mittels  einer  gut  ziehenden  Esse  wegführen.  Geschieht  das 
Trocknen  in  Pfannen,  so  müssen  diese  entweder  unter  einem  gemauerten  Gewölbe  liegen 
oder  mit  einem  Bleichmantel  versehen  sein,  um  die  Dämpfe  zu  sammeln,  abzuleiten  und 
zu  vernichten.  Die  Ableitung  in  einen  Schlot  wird  niemals  die  entsetzliche  Belästigung 
für  die  Adjacenten  verhüten,  namentlich  wenn  die  Fabrik  in  der  jRicktung  der  nach 
bewohnten  Orten,  Häusercomplesen  u.  s.  w.  Avehenden  Strichwinde  liegt;  selbst  Entfer- 
nungen von  20—30  Minuten  dürfen  dann  die  genannten  Massregeln  nicht  über- 
flüssig machen. 

Bei  der  Concessions-Ertheilung  ist  auch  die  Aufbewahrung  des  Rohmate- 
rials in  trocknem  Zustande  vorzuschreiben. 

Die  Poudrette-Fabrication. 

Unter  Poudrette-Fabrication  versteht  man  die  Gewinnung  des  Düngers 
in  fester  Form  aus  den  menschlichen  Excrementen.     Ihre  Bearbeitung  besteht 


*)  Dieses  Mischen  muss  unter  einem  gut  ziehenden  Schlot  geschehen,  da  sich 
hierbei  noch  übelriechende  Dämpfe  von  Fettsäuren  entwickeln.  Bei  der  Darstellung  des 
einfachen  Superphosphats  lassen  die  Fabricanten  die  Leimlösung  in  geschlossene 
Behälter  fliessen,  um  sie  später  mittels  Fässer  auf  die  Aecker  zu  transportiren;  das 
Zu-  und  Abfliessen  muss  hierbei  nicht  in  Rinnen,  sondern  in  geschlossenen  Röhren 
geschehen.  Es  ist  nothwendig,  die  Leimlösung  sofort  mit  Kalk  zu  versetzen,  um  die 
üblen  Gerüche  zu  vermindern;  bei  den  Abfällen  der  mit  Schwefelsäure  versetzten  Leim- 
lösung muss  dies  unbedingt  geschehen. 


590  Thierische  Abfälle. 

1)  in  der  Desinfection  der  Excremente,  durch  welche  nicht  bloss  der 
Geruch  möglichst  aufgehoben,  sondern  auch  das  Ammoniak  gebunden  werden  soll. 

Man  verwendet  hierzu  die  Humussubstanzen,  Torf,  Braunkohlen,  ge- 
brauchte Lohe  u.  s.  \v.,  die  den  grossen  Vortheil  haben,  dass  sie  die  Fäcalmassen  schon 
theilweise  austrocknen.  Die  Holzkohle  hat  jedoch  mehr  eine  desodorirende  als  des- 
inficirende  Wirkung:  ihr  Gehalt  an  kohlensauren  Alkalien  beschleunigt  die  Spaltung  des 
Harnstoffs  und  veranlasst  daher  die  Entwicklung  von  Ammoniak.  Die  Torf-,  Braun- 
kohlen- und  Steinkohlenasche  zeichnet  sich  durch  ihren  Gehalt  an  schwefelsauren  Erden 
(Gips, 

Unter  den  erdigen  Desinfectionsmitteln  resp.  Mineralsubstanzen  steht 
in  erster  Linie  der  Gips,  dessen  Schwefelsäure  das  Ammoniak  bindet,  während  die 
Kohlensäure  des  Ammoniumcarbonats  an  den  Kalk  tritt;  seine  Porosität  bedingt  eine 
starke  Absorption  de?  Sauerstoffs,  so  dass  die  Ammoniumsalze  rascher  in  Salpeter- 
säure übergeführt  werden. 

Der  Mergel  zeichnet  sich  durch  einen  Gehalt  an  Eisenoxydhydrat  aus, 
welches  Ammoniak  bindet;  ebenso  verhält  es  sich  mit  dem  Lehm,  Ziegelmehl  und 
jedem  eisenschüssigen  Thon,  Substanzen,  die  somit  bei  der  künstüchen  Dünger- 
bereitung nicht  bloss  zur  Vermehrung  der  Quantität  dienen. 

Zu  den  Mineralsubstanzen  gehört  besonders  Phosphorit  oder  Phospho- 
calcit  (ein  Gemenge  von  Dolomit  und  Osteolith),  Osteolith  (Calciurnphosphat),  Natro- 
nit  [  Calciumsulfat  und  Natriumsulfat)  u.  s.w.,  die  aber  zuvor  aufgeschlossen  werden 
müssen.  Das  Eisen  ist  überhaupt  nur  als  Oxydhydrat  und  Mangan  als  Oxyduloxyd- 
hydrat brauchbar,  wenn  der  präparirte  Dünger  direct  verwerthet  werden  soll. 

Unter  den  Mineralsäuren  wird  Schwefelsäure  namentlich  bei  der  Behand- 
lung der  flüssigen  Excremente  benutzt.  Anfangs  entwickelt  sich  hierbei  ein  höchst 
übelriechendes  Gemenge  von  Kohlensäure,  Schwefelwasserstoff,  Buttersäure 
und  Baldriansäure  u.  s.  w..  das  in  eine  Feuerung  geleitet  werden  muss;  hier  sind  die 
sogenannten  Desinfectionsöfen  recht  am  Platze.  Die  präcipitirte  Masse  wird 
häufig  mit  Mergel,  Torf  u.  s.  w.  versetzt  und  in  Ziegelform  gepresst. 

2)  Beim  Pressen  des  Düngers  muss  die  abfallende  Flüssigkeit  als 
Dünger  benutzt  werden,  während  die  Dungziegelsteine  wie  die  Feldziegelsteine  in 
grossen  Schuppen  getrocknet  werden. 

3)  Das  Trocknen  der  Dungziegel  ist  in  sanitärer  Beziehung  ein  wich- 
tiger Act,  da  die  Trockenanstalten  einen  höchst  widerlichen  Geruch  verbreiten. 

Um  diesen  Geruch  einigermassen  zu  vermindern,  kann  man  die  aus  der  Presse 
kommenden  Ziegel  sogleich  mit  Gipsmehl  bestreuen.  Am  sichersten  würde  es  sein, 
auch  hier  die  Darr-  oder  Trocken  räume  künstlich  zu  erwärmen,  die  entweichenden 
Gase  aber  in  der  S.  589  gedachten  Weise  zu  behandeln.  Neuerdings  werden  solche 
Steine  zum  Verbrennen  benutzt;  man  kann  dazu  vorzugsweise  Torf  als  Constituens 
und  Theer,  rohe  Carbolsäure  u.  s.  w.  als  desinficirende  Mittel  wählen1). 

In  einigen  Fabriken  wird  der  Dünger  nicht  gepresst,  sondern  das  Gemenge  so 
lange  mit  den  absorbirenden  Substanzen  versetzt,  bis  seine  Consistenz  ein  leichtes 
Trocknen  zulasst,  um  den  sogenannten  Streu  düng  er  darzustellen*). 

Abdeckerei  oder  die  Beseitigung  der  Thier-Cadaver. 

Die  Abdeckereien  gehören  nach  dem  §  26  der  Gewerbe- Ordnung  vom 
21.  Juni  1869  zu  den  Anlagen,   zu   deren  Errichtung  die  Genehmigung  der  nach 

*)  Es  ist  hier  noch  des  reinen  Mineraldüngers  zu  erwähnen,  dessen  Fabrication 
in  der  letzten  Zeit  immer  wichtiger  geworden  ist.  Man  benutzt  hierzu  namentlich  die 
schon  genannten  Mineralien  (Phosphorit,  Usteolith  u.  s  w.),  welche  durch  Feuer  unter 
Anwendung  von  Alkalien,  besonders  Chloralkalien,  aufgeschlossen  werden.  Das 
Chlor  wird  hierbei  meist  als  Salzsäure  ausgetrieben,  während  die  Kieselsäure  der 
te  an  die  Alkalien  tritt.  Beim  Aufschliessen  der  Sulfate  tritt  schweflige  Sänre 
auf  und   bei  wirkliehen  Coprolithen  (urweltlichen  Excrementenj  verflüchtigen  sich  mit 

Ifluorwasserstofi  geschwängerte  Gase.  Selbst  bei  gebrannten  Knochen  wird 
bei  Anwendung  von  Schwelelsäure  sämmtliches  Fluor  als  Kieselfluor  ausgeschieden. 
Man  hat  daher  jedenfalls  für  den  Abzug  der  Gase  zu  sorgen;  ihre  Condensation  ist 
weniger  erforderlich,  wenn  die  Fabriken,  wie  gewöhnlich,  entlernt  von  Wohnungen  liegen. 

Der  Kalidünger  (Kalialaun]  ist  für  manche  Zwecke  unentbehrlich:  nicht  minder 
wichtig  sind  Ammoniumsulfat  und  Chilisalpeter  als  stickstoffhaltige  Dungstoffe. 


Abdeckerei.  591 

den  Landesgesetzen  zuständigen  Behörde  erforderlich  ist.  Man  kann  sie  über- 
haupt in  die  Kategorie  der  Poudrette-  und  Dungpulver-Fabriken  bringen,  da  bei 
der  gewerblichen  Ausnutzung  der  Thiercadaver  Knochensiederei,  Talgschmelzeu, 
Leimsiedrei,  Knochenbrennerei  u.  s.  w.  vorkommen  und  jeder  einzelne  dieser  indu- 
striellen Zweige  schon  eine  Menge  von  Belästigungen  in  sich  schliesst. 

Bei  der  Anlage  der  Abdeckereien  hat  man  daher  Folgendes  zu  berücksichtigen: 

1)  Bei  der  Auswahl  des  Platzes  hat  man  zunächst  auf  eine  hinreichende  Ent- 
fernung von  menschlichen  AVohnungen  zu  achten.  Das  Mass  dieser  Entfernung  muss 
sich  nach  den  lpcalen  Verhältnissen,  nach  der  Lage  des  Platzes,  nach  der  herrschenden 
Windrichtung  u.  s.  w.  richten;  auch  frequentirte  Landstrassen  dürfen  nicht  in  der  Nähe 
liegen,  während  die  ganze  Abdeckerei  mit  einer  zweckmässigen  Einfriedigung  zu  ver- 
sehen ist.1) 

2)  Alle  für  die  technische  Benutzung  der  Thiercadaver  erforderlichen  Räume 
müssen  sachgemäss  eingerichtet  sein. 

3)  Jede  Abdeckerei  muss  mit  mehreren  Hundezwingern  versehen  sein,  wenn 
es  geboten  sein  sollte,  der  "Wuth  verdächtige  Hunde  zu  beobachten;  dieselben  sind  be- 
sonders für  Abdeckereien  in  der  Nähe  grosser  Städte  erforderlich. 

Für  die  Rinderpest  gilt  die  Instruction  vom  26.  Mai  1869,  welche  die  strengsten 
Desinfectionsmassregeln  vorschreibt. 

Trichinöse  Schweine  können  zur  Gewinnung  des  Fettes  verwerthet  werden, 
wenn  das  betreffende  Fleisch  mit  oder  ohne  Znsatz  von  Schwefelsäure  kalt  eingeweicht 
und  dann  stark  ausgekocht  wird.  Die  Benutzung  des  ohne  Säure  gewonnenen  Fettes  zu 
häuslichen  Zwecken  dürfte  nicht  bedenklich  sein2):  der  Rest  kann  als  Dungmittel  benutzt 
werden,  während  der  technischen  Verwerthung  der  Knochen  nichts  im  Wege  steht*). 

5)  Alle  Thiere  dürfen  nur  auf  einem  bestimmten  Wasenplatze  ver- 
scharrt werden. 

In  mehreren  Regierungsbezirken  bestehen  mit  Recht  besondere  Verordnungen, 
welche  jede  Gemeinde  verpflichten,  einen  Wasenplatz  oder  Schindanger  einzu- 
richten, dessen  Entfernung  von  W7ohnungen  und  besuchten  Wegen  mindestens  600  Schritt 
betragen  muss;  benachbarte  Gemeinden  können  sich  aber  eines  gemeinschaftlichen  Wasen- 
platzes  bedienen. 

Einzelgruben  sind  stets  zu  verbieten,  weil  sie  in  der  Regel  schon  nach  ein  paar 
Jahren  geöffnet  werden,  um  die  Knochen  an  die  Knochenhändler  zu  verkaufen,  ohne 
dass  Rücksicht  darauf  genommen  wird,  ob  die  Weichtheile  auch  hinreichend  geschwunden 
sind.  —  In  Gegenden,  wo  der  Milzbrand  endozootisch,  ist  ein  Gemeinde- Schindanger 
absolut  erforderlich,  da  nur  ein  solcher  einer  polizeilichen  Controle  unterworfen 
werden  kann. 

Der  Transport  der  an  Seuchen  gefallenen  Thiere  sollte  stets  in  einem  geschlos- 
senen Karren,  wobei  ein  Durchsickern  von  Blut  oder  Jauche  unmöglich  ist,  geschehen. 
Besonders  eignen  sich  hierzu  Kastenwagen;  bestreut  man  dabei  die  Cadaver  der  an 
ansteckenden  Krankheiten  gefallenen  Thiere  noch  mit  Chlorkalk,  so  braucht  man  den 
Transport  nicht,  wie  einzelne  Regierungen  vorschreiben,  bloss  des  Nachts  vornehmen 
zu  lassen. 

7)  Die  Verwerthung  der  Cadaver.  Durch  die  polizeiliche  Bestimmung,  alle 
an  ansteckenden  Krankheiten  gefallene  Cadaver  sogleich  vorschriftsmässig  zu  ver- 
scharren, fällt  schon  die  Möglichkeit  weg,  das  Fleisch  von  solchen  Thieren  zum  Füttern 
von  Hunden,  Schweinen  oder  Geflügel  zu  benutzen.  Aber  auch  faules  Fleisch  von 
Thieren,  welche  aus  anderen  Ursachen  der  Abdeckerei  überwiesen  worden  sind,  sollte 
nicht  zum  Füttern  von  Hausthieren  benutzt  werden,  da  es  wohl  unzweifelhaft  ist,  dass 
das  Fleisch  solcher  Thiere,  in  rohem  Zustande  genossen,  auch  schädliche  Wirkungen 
äussern  kann.  3) 

Die  gefallenen  Thiere  bergen  einen  bedeutenden  Werth  für  die  Industrie.  V>  enn 
man  bedenkt,   welche  bedeutende  Menge  von   werthvollen  stickstoffhaltigen  Substanzen 

*)  Zenker  hält  die  Abdeckereien  für  die  gefährlichste  Trichinen  quelle,  weil  hier 
ganz  besonders  Gelegenheit  zur  Infection  durch  Verschlucken  von  mit  dem  Kothe  an- 
derer Schweine  abgegangenen  Darmtrichinen  und  Embryonen,  sowie  durch  das  Fressen 
trichinigen  Fleisches  anderer  Schweine  gegeben  sei.  —  Auch  die  Ratten  bekämen  ihre 
Trichinen  nur  aus  dem  Fleische  anderer  trichiniger  Thiere,  weil  das  Schwein  der  eigent- 
liche und  ursprüngliche  Trichinenträger  sei.  Er  hält  es  daher  für  eine  dringende  sani- 
tätspolizeiliche Massregel,  dass  den  Abdeckern  das  Halten,  Füttern  und  Schlachten  von 
Schweinen,  sowohl  für  den  Verkauf  als  für  den  eigenen  Bedarf,  auf  das  Strengste  ver- 
boten werde.  Nur  in  Oesterreich  existirt  in  Folge  des  Staatsministerial  -  Erlasses  vom 
10.  Mai  1866  ein  solches  "Verbot. 


* 


592  Gemenge  von  Kohlenwasserstoffen. 

durch  das  Verscharren  für  die  Industrie  verloren  gehen,  so  sollte  man  die  Mittel,  wo- 
durch i  auch  an  Seuchen  gefallene  Thiere  verwerthet  werden  können,  viel  mehr  in  An- 
:  ung  l'iingen.  Man  kann  hierzu  zwei  Methoden,  die  Maceration  und  trockne 
D<  B  tillation  benutzen.  Bei  der  Maceration  behandelt  man  den  ganzen,  nicht  zer- 
kleir  .orten  Cadaver  mit  siedenden  Wasserdämpfen  mit  oder  ohne  Zusatz  von  Schwefel- 
■  e  oder  caostischer  Lauge  resp.  Kalk.  Diese  Procedur  geschieht  in  hölzernen,  mit 
Blei  ausgefütterten  Gelassen,  welche  so  gross  sind,  dass  sie  1 — 2  Cadaver  der  grössten 
Sorte  aufzunehmen  vermögen.  Man  erhält  in  ähnlicher  Weise  wie  beim  Knochendämpfen 
d:ifi  Fett  und  den  Leim,  während  die  Knochen  weiter  verarbeitet  werden;  es  sind  aber 
h;i(T  in  erhöhtem  Grade  die  erwähnten  Vorsichtsmassregeln  zu  beachten. 

Bei  der  trocknen  Destillation  benutzt  man  einen  von  Purion  construirten 
£  ipparat,  der  aus  einem  Destillationsapparate  und  mehreren  Con  densations- 
a  jp paraten  besteht,  um  die  Producte  der  trocknen  Destillation  und  als  Rückstand  die 
Itnierkohle  zu  gewinnen.  Diese  Methode  empfiehlt  sich  vorzugsweise,  da  sie  selbst 
1  )ei  an  Rinderpest  zu  Grunde  gegangenen  Thieren  angewendet  werden  kann:  bei  ihrer 
5  lorgfältigen  Ausführung  sind  die  Belästigungen  auf  ein  Minimum  reducirt. 


Gemenge  von  Kohlenwasserstoffen. 

Zu  der  Gruppe,  welche  Gemenge  von  Kohlenwasserstoffen  darstellen,  gehören 
Photogen,  Paraffin  und  Petroleum.  Wir  knüpfen  hiermit  wieder  an 
Früheres  an  und  betreten  ein  Gebiet,  das  namentlich  durch  die  Gewinnung  von 
Theer  und  seihen  Producten  eine  höchst  wichtige  Stellung  einnimmt  und  andere 
umfangsreiche  Industriezweige  einleitet. 

Wir  beginnen  mit  der  Photogen-  oder  Mineralölfabrication,  die  fast 
ausschliesslich  der  Provinz  Sachsen  angehört  und  mit  der  Paraffindarstellung 
Hand  in  Hand  geht.  Das  Photogen  hat  seit  1860  mit  der  Einführung  von 
Petroleum  eine  bedeutende  Concurrenz  erfahren  und  wird  die  weitere  Ent- 
wicklung jener  Industrie  vorzugsweise  von  der  Paraffindarstellung  abhängig 
bleiben.  — 

Photogen. 

Photogen,  Mineralöl,  Sckieferöl,  ist  dem  Petroleum  sehr  nahe  verwandt; 
während  letzteres  von  der  Natur  in  unbegrenzter  Menge  geliefert  wird,  muss 
Photogen  erst  durch  die  trockne  Destillation  mehrerer  fossiler  Substanzen 
erhalten  werden;  zu  diesen  gehören  das  Bitumen,  der  bituminöse  Schiefer, 
der  Blätterschiefer  (Papierkohle),  namentlich  der  rheinische  Blätter- 
schiefer (Shiste  bitumineux),  der  sich  aber  wegen  seines  reichen  Gehaltes 
an  Schwefelkies  und  Schwefelarsenik  weniger  für  die  Fabrication  eignet, 
der  Posidonienschiefer,  die  Bogheadkohle,  die  Braunkohle  (Schweel- 
kohle)  in  der  Provinz  Sachsen  und  der  Torf. 

In  Deutschland  haben  Wagemann  und  Vohl  die  Photogenindustrie  be- 
gründet und  sehr  viele  Rohmaterialien  auf  ihre  Ausbeute  an  Theer  untersucht. 

Die  trockne  Destillation,  der  Scliweelprocess,  wird  in  liegenden  oder  vorzugs- 
weise in  stehenden  Retorten  ausgeführt.  Neuerdings  benutzt  man  umfangreiche 
Retorten  unter  Mitwirkung  von  überhitz  ten  Wasser  dämpfen  und  condensirt  die  ent- 
weichenden Gase  durch  Abkühlung  mit  Wasser.  Als  Rohmaterial  werden  gegenwärtig 
fast  nur  die  Boghead-  und  Cannelkohlen,  sowie  die  sächsische  Braunkohle. 
benutzt.1) 


Photogen.  593 

Der  Braailkohlentheer  ist  eine  gelblich-braune,  butterartige  Masse  und  stellt  ein 
Gemisch  von  verschiedenen  Kohlenwasserstoffen  der  Methylreihe,  Harze, 
Carbolsäure,  Kreosot,  schwefel-  und  stickstoffhaltigen  Verbindungen  dar. 

Die  Entwässerung  des  Theers  geschieht  in  unterirdischen  Bassins  mittels  einer 
Dampfschlange:  der  wasserfreie  Theer  wird  dann  in  die  Destillirgefässe  gepumpt.  Die 
bei  der  Entwässerung  auftretenden  Gase  und  Dämpfe:  Schwefelammonium, 
Schwefelcyanwasserstoff,  Pyrrolbasen,  Kreosot  und  Carbolsäure,  müssen 
unter  den  notwendigen  Sicherheitsmassregeln   durch   eine  Feuerung  vernichtet  werden. 

Die  Destillation  des  entwässerten  Theers  nimmt  man  in  grossen  gusseisernen 
Kesseln  auf  freiem  Feuer  vor,  wobei  nur  ihr  Boden  vor  der  Stichflamme  zu  schützen 
ist.  Es  gehen  zuerst  die  Gase  (  Schwefelwasserstoff  und  Schwefelammonium), 
zwischen  100°  und  250°  die  leichtesten  Oele,  die  sogen.  Essenzen  (Benzin),  über. 
Bei  250°  siedet  der  Theer,  womit  der  eigentliche  Destillationsprocess  beginnt. 

Das  Destillat  wird  in  das  Rohöl  und  in  die  Rohparaffinmasse  geschieden. 
Durch  den  reichen  Gehalt  an  Paraffin  erstarrt  die  Masse  schon  bei  gewöhnlicher  Tem- 
peratur: sobald  sich  dies  bei  einer  genommenen  Probe  zeigt,  wird  das  nächstfolgende 
Destillat  als  Rohparaffinmasse  gesondert,  Es  handelt  sich  dann  um  die  Reinigung 
des  Rohöls  und  des  Rohparaffins,  während  das  Residuum  in  der  Destillirblase 
harte  Koks,  die  zur  Feuerung  benutzt  werden  können,  darstellt. 

Reinigung  der  Rohparaffinmasse*).  Um  die  Paraffinmasse  besonders  vom  Brand- 
harze zu  befreien,  wird  sie  in  grossen,  an  der  Innenseite  mit  Blei  bekleideten,  in  der 
Mitte  mit  einem  Abflussrohr  versehenen,  schwach  conischen  Gefässen  mit  3 — b%  eng- 
lischer Schwefelsäure  behandelt.  Es  bildet  sich  hierbei  eine  grosse  Menge  schwef- 
liger Säure,  wenn  die  Temperatur  nicht  niedrig  genug  gehalten  wird :  zur  Vermeidung 
dieses  Uebelstandes  darf  sie  nur  unter  +22°  G,   wenige  Grade  über  dem  Erstarrungs- 

f)uncte  der  Masse,  liegen.  Die  Mischung  geschieht  mittels  eines  durch  eine  Dampf- 
uftpumpe  eingeleiteten  Luftstroms.  Nach  dem  Ablassen  des  neu  gebildeten  Säure- 
harzes folgt  Auswaschen  mit  heissem  und  sodahaltigem  Wasser  unter  Mithülfe  des 
Luftstroms.  Dann  scheidet  man  durch  Destillation  die  leichtern  Oele  ab,  die  dem 
Rohöle  zugesetzt  werden,  und  bringt  das  übrige  Destillat  in  die  Kry stallirgefässe, 
prismatische,  eisenblecherne  Kasten,  die  in  Kellerräumen  bei  einer  Temperatur  von 
7—10°  stehen. 

Nachdem  das  auskrystallisirte  Paraffin  noch  dreimal  gepresst  und  zweimal  mit 
Benzin,  dem  Destillate  der  Rohöle,  rectificirt  worden  ist,  wird  es  zur  Entfernung  des 
letztern  nochmals  eingeschmolzen  und  mit  gespannten  Wasserdämpfen  behandelt.  Es 
ist  nothwendig,  dass  das  Benzin  wieder  condensirt  wird,  was  übrigens  der  Fabricant 
schon  in  eigenem  Interesse  thut.2) 

Wird  Paraffin  sofort  zur  Kerzenfabrication  benutzt,  so  ist  seine  Klärung 
durch  Beinschwarz  nicht  nothwendig:  sonst  findet  es  noch  vielfältige  Verwendung 
zum  Tränken  von  Papier  und  Holz,  in  Spiel waarenfabriken  zur  Darstellung  des  wachs- 
artigen Ueberzugs  der  Puppenköpfe,  in  Zündhölzerfabriken  u.  s.  w. 

Reinigung  der  Rohöle  Das  Rohöl  wird  zuerst  mit  Natronlauge  innig  gemischt, 
um  ausser  Kreosot  das  Brandharz,  die  Carbolsäure  und  einen  Theil  des  Schwefels  aus- 
zuscheiden. Es  werden  hierdurch  Schwefelammonium,  die  Pyrrolbasen,  Am- 
moniak u.  s.  w.  frei  gemacht,  wodurch  die  Arbeiter  im  höchsten  Grade  belästigt  werden, 
wenn  man  nicht  für  eine  sorgfältige  Ableitung  dieser  Dämpfe  Sorge  trägt. 

Nach  dem  Absetzenlassen  und  derWegnahme  des  sogen.  Kreosotnatrons  folgt 
das  Auswaschen  und  ein  inniges  Mischen  mit  Schwef elsäure,_  wobei  die  oben  er- 
wähnten Gase  und  Dämpfe  neben  schwefliger  Säure  Avieder  frei  werden.  Nach  aber- 
maligem Auswaschen  wird  die  Masse  über  festem  Natron  rectificirt:  das  zuerst  über- 
gehende Oel  hat  ein  spec.  Gew.  von  0,805—0,810,  welches  mit  directem  Wasserdampfe 
in  eine  Destillirblase  abgeblasen  wird,  um  das  schon  erwähnte  Benzin  von  0,770— 0,790 
spec.  Gew.  zu  erhalten.  Der  Rückstand  wird  mit  Hülfe  des  Feuers  abgetrieben  und 
dem  Solaröl  zugesetzt,  dem  Destillate  von  0,825—^,830  spec.  Gew.  In  einigen  Fabriken 
werden  auch  Oele  von  0,810—0,820  dargestellt,  die  man  vorzugsweise  Photogen  nennt, 
Zuletzt  geht  ein  schweres  Oel  (Paraffinöl,  Schmieröl  von  0,850-0,900  spec. Gew.) 
über,  das  oft  in  geringer  Menge  dem  leichtern  Oele  wieder  zugesetzt  wird.  Eigent- 
liches Maschinenöl  oder  Paraffinöl  (Vulcanöl)  wird  das  beim  Auspressen  des 
Paraffins  gewonnene  Oel  genannt,  das  ebenfalls  mit  Natronlauge  und  Schwefelsäure  behan- 
delt wird.     Bei  dieser  Mischung  bilden -sich  ammo  niakalische  resp.  schwefligsaure 


*)  Paraffin  (Parum  affinis)  wurde  1830  von  Reichenbach  im  Holzessig  entdeckt, 
In  der  Natur  kommt  es  im  Ozokerit  vor. 

Eulenberg,  Gewerbe -Hygiene.  38 


f>94  Gemenge  von  Kohlenwasserstoffen. 

Dampfe,  die  bei  geschlossenen  Gefässen  jedenfalls  abzuleiten  sind:  auch  sind  die 
sauren  Abfallwässer  zu  beachten. 

Das  Kreosotnatron   wird   auf  Kreosot  und  Carbolsäure  bearbeitet; 

der  schwarze  und  noch  zähe  Rückstand  in  der  Destillirblase  heisst  Goudron,  wenn  er 

duroli  Einkochen  spröde  geworden  ist.  Asphalt. 

Sanitäre  Verhältnisse  der  Arbeiter  in  Mineralölfabriken. 

In  sanitärer  Beziehung  ist  zu  beachten,  dass  die  Arbeiter  in  den 
Mineralölfabriken  vorzugsweise  an  der  sogen.  Theerkrätze  leideu,  einer  Haut- 
affection,  welche  sich  nach  der  Widerstandsfähigkeit  des  Hautorgans  verschieden- 
artig gestaltet;  sie  kann  mit  einer  einfachen  Acne  beginnen,  sich  aber  bis  zu 
einer  angewöhnlichen  Vergrösseruug  der  Knötchen  ausdehnen;  es  sind  die 
Glandulae  sebaceae,  welche  zunächst  afficirt  werden,  indem  auf  ihnen  kleine  Krusten 
entstehen,  die  bei  Vernachlässigung  zusammenfliessen  und  Borken  erzeugen.  Beim 
Beginne  der  Krankheit  kann  man  deutlich  beobachten,  wie  sich  die  theerartige 
Masse  au  den  einzelnen  Glandulae  sebareae  ablagert,  zuerst  kleine  schwarze 
Puncte  bildet  und  allmählig  kleine  Pusteln  und  Krusten  hervorruft.  In  andern 
Fällen  bildet  sich  eine  Art  von  Psoriasis  aus,  die  eine  an  Ichthyosis  erinnernde 
Schuppeubildung  zur  Folge  haben  kann.  Die  Affectiou  gibt  sich  ursprünglich  an 
den  obern  Extremitäten  kund,  welche  mit  den  Theerölen  zunächst  in  Berührung 
kommen;  nur  durch  die  zufällige  Berührung  der  Genitalien  mit  den  schmutzigen 
Händen  ist  die  Debertragung  dieser  Kraukheit  auf  das  Scrotum  erklärlich.  Wenn 
nach  den  Beobachtungen  von  Volkmann  in  der  Klinik  zu  Halle  sogar  Haut- 
carcinome  am  Scrotum  vorgekommen  sind,  so  ist  diese  Kraukheit  durch  die 
gröbste  Vernachlässigung  und  eiuen  hohen  Grad  von  Unreinüchkeit  veranlasst 
worden.  So  hat  Volkmann  auch  einmal  ein  Cancroid  des  Augenliedes  behandelt, 
welches  höchst  wahrscheinlich  aus  denselben  schädlichen  Einflüssen  entstanden 
war.'1)  Stets  wird  es  Kreosot  und  namentlich  die  Carbolsäure  sein,  welche  den 
Theergebilden  noch  auhaften  und  in  Folge  der  Manipulationen  mit  denselben  die 
Hautaffection  bedingen.  Auch  bei  der  Paraffinfabrication  ist  es  nicht  das 
Paraffin,  welches  als  Krankheitsursache  zu  beschuldigen  ist;  es  sind  vielmehr 
auch  hier  die  ausgepresstHn  Theeröle,  die  durch  ihren  Gehalt  an  Carbolsäure 
die  Krankheit  erzeugen. 

Jener  Hoden  krebs  ist  dem  Schornsteinfegerkrebse  nahe  verwandt;  er  wird 
bekanntlich  durch  den  Russ,  d.  h.  durch  die  in  demselben  enthaltene  Carbolsäure 
hervorgerufen  (man   vergl.  Russ). 

In  keiner  Werkstatt  ist  die  Sorge  für  strengste  Reinlichkeit  notwendiger 
als  in  den  Mineralölfabriken  und  überhaupt  bei  den  Manipulationen  mit  den 
verschiedeneu  Theersorteu.4)  Die  Herstellung  von  Badeeinrichtungen  ist  daher 
hier  ein  unumgängliches  Erforderniss.  denn  durch  regelmässige  Reinigung  der  Haut 
würde  allen  diesen  Krankheiten  am  sichersten  vorzubeugen  sein.  Es  ist  sehr  zu 
beklagen,  dass  grade  in  Deutschland  in  dieser  Beziehung  am  wenigsten  für  das 
Wohl  der  Arbeiter  Sorge  getragen  wird.  Auch  die  Einwirkung  der  schwef- 
ligen Säure  ist  in  diesen  Fabriken  zu  beachten,  da  sie  unter  Umständen,  wie 
schon  erwähnt  worden,  in  grosser  Menge  auftreten  kann;  nicht  minder  ist  die 
Gefahr  vor  Explosionen  stets  im  Auge  zu  behalten. 


Petroleum=  595 


Petroleum,  Erdöl,  Steinöl. 

Die  bekanntesten  Fundorte  von  Petroleum  sind  das  Kaspische  Meer,  Rangun 
in  Hinterindien,  Pensylvanien,  Canada  und  die  Walachei.  Das  rohe  Petroleum  ist 
seinem  äussern  Ausehen  nach  sehr  verschieden,  bald  von  Butterconsistenz  und 
braun,  bald  bierbraun  und  dünnflüssig.  Die  meisten  Rohöle  entwickeln  schon 
bei  gewöhnlicher  Temperatur  brennbare  Dämpfe  und  sind  deshalb  sehr  feuer- 
gefährlich. Der  flüchtigste  Kohlenwasserstoff  unter  den  Gasen  ist  Butyl Wasser- 
stoff, der  bei  0°  siedet;  dann  folgt  der  Amyl-,  Gapron-,  Oenanthyl-, 
Capryl-,  Pelargon-  und  Caprinwasserstoff  bis  zu  den  Kohlenwasser- 
stoffen, die  bei  180 — 182°  sieden.  Die  schweren  Oele  haben  einen  Siedepunct 
zwischen  236—240°. 

Rectification  des  Petroleums.  Diese  geschieht  hauptsächlich  an  den  Bezugs- 
quellen und  in  Deutschland  gegenwärtig  fast  nur  in  Hamburg".  Das  r affin irte 
Petroleum  ist  dem  Solaröl  sehr  ähnlich  und  wird  hauptsächlich  zu  Beleuchtungs-  und 
Heizungszwecken  verwendet. 

Die  Rectification  beginnt  in  der  Regel  mit  der  fractionirten  Destillation 
in  grossen  eisernen  Kesseln  auf  freiem  Feuer.  Es  entbinden  sich  hierbei  Schwefel- 
ammonium, Sumpfgas,  Aethylen  und  Kohlensäure,  Gase,  die  stets  unter  den 
nothwendigen  Vorsichtsmassregeln  in  die  Feuerung  zu  leiten  sind. 

Das  erste  Destillat  (Essenz)  hat  ein  spec.  Gew.  von  0,50  0,80,  das  zweite, 
das  rectificirte  Petroleum,  geht  zwischen  130 — 200°  C.  über  und  wird  bis  zum 
Erstarren  der  Masse  gewonnen:  das  dritte  Prodnct  siedet  bei  330°  C.  und  wird  bis 
zum  Trockenwerden  aufgefangen.  Setzt  man  die  Destillation  bis  zum  Trocknen  fort,  so 
bildet  sich  Leuchtgas  und  Koks  bleiben  zurück. 

Jedes  Fractionirungsproduct  oder  das  ganze  Destillat  wird  mit  Natronlauge 
behandelt,  um  die  Essig-  und  Buttersäure,  die  Carbolsäure,  das  Kreosot  und  die  Harze 
zu  binden.  Es  entwickelt  sich  hierbei  viel  Ammoniak,  das  in  den  Schlot  abzuleiten 
ist.  während  beim  Zumischen  der  Schwefelsäure,  welche  die  Pyrrolbasen  u.  s.  w. 
bindet  und  die  schwefelhaltigen  und  harzartigen  Körper  zersetzt,  viel  schweflige  Säure 
auftritt,  die  ebenfalls  abzuleiten  ist. 

Bei  dem  Auswaschen  dürfen  die  sauren  Abfallwässer  nicht  frei  abüiessen, 
sondern  müssen  mit  Kalk  versetzt  werden. 

Um  das  Petroleum  gänzlich  von  der  Essenz  zu  befreien,  muss  es  noch  mit 
Wasserdämpfen  behandelt  werden.  Die  Menge  von  Paraffin  ist  so  gering,  dass  sich 
seine  Gewinnung  nicht  lohnt. 

Ausser  der  Essenz  unterscheidet  man  unter  den  sehr  flüchtigen  Körpern  noch 
Cymogen,  ein  gasförmiges  Product,  welches  mittels  der  Compressionspumpe  ver- 
dichtet werden  kann  und  bei  0°  siedet;  es  ist  wahrscheinlich  identisch  mit  Butyl- 
wa  ss  er  stoff. 

Rhigolen  nennt  man  den  Körper,  welcher  bei  18,3°  C.  siedet;  Gazolen  benutzt 
man  zum  Carburiren  des  Leuchtgases:  diese  Benennungen  kommen  aber  mehr  im 
Handel  als  in  der  Wissenschaft  vor.  So  hat  man  auch  "der  rectificirten  Essenz 
nach  ihrer  Flüchtigkeit,  d.  h.  nach  ihrem  Siedepunct  und  spec.  Gew.,  verschiedene  Be- 
nennungen beigelegt,  wobei  namentlich  die  Art  der  Benutzung  massgebend  gewesen  ist. 
So  unterscheidet  man  im  Handel  folgende  Destillationsproducte: 

1)  Petroleum-Aether  (auch  wohl  Kerosolen,  Rhigolen,  Sharewoodoil 
genannt)  von  einem  Siedepuncte  bei  40—70°  C.  und  dem  spec.  Gew.  0,65-0,66,  der 
namentlich  als  Lösungsmittel  für  Kautschuk  und  Harze  dient. 

2)  Gasoline  (auch  Canadol  genannt)  siedet  bei  70— 90°  C,  hat  ein  spec.  Gew. 
von  0,66—0,69  und  dient  zur  Extraction  von  Oelsamen,  zur  Wollentfettung  und  Leucht- 
gasfabrication. 

3)  Benzin  siedet  bei  80-110°  G,  hat  ein  spec.  Gew.  von  0,69—0,70  und  dient 
vorzugsweise  als  Fleckwasser  zum  Reinigen  seidener  Stoffe  in  Rcinigungs- Anstalten: 
man  nennt  es  auch  Petroleumbenzin  zum  Unterschiede  von  dem  im  Steinkohlentheer 
enthaltenen  Benzol  C6H6.  x) 

4)  Ligroin  siedet  bei  80—120°,  hat  ein  spec.  Gew.  von  0,71—0,73  und  kann 
in  besondern  Lampen,  den  sogen.  Ligroinlampen,  verbrannt  werden. 

5)  Putz  öl,  dessen  Siedepunct  bei  120—170°  C.  liegt  und  dessen  spec.  bew. 
0,72—0,75  beträgt,  dient  zum  Putzen  von  Maschinentheilen  und  als  Surrogat  von 
Terpentinöl. 

38* 


596  Gemenge  von  Kohlenwasserstoff«  n. 

6)    Das  raffinirte  Petroleum  heisst  auch  Petrosolaröl  oder  Kerosen. 

Alle  Rectifieations- Anstalten  für  Petroleum  bedürfen  einer  besondern 
Concession:  abgesehen  von  den  damit  verbundenen  Gerüchen  ist  es  auch  die  Feuergefähr- 
lichkeit, welche  diese  FabricatioB  in  Stadt«  bewohnten  Orten  nicht  zulassen  darf. 
In  England  bestimmte  eine  Parlaments  Acte  von  1862  für  Liverpool,  dass  die  Entfernung 
von  Wohngebäuden  wenigstens  75  Fuss  betragen  müsse:  es  ist  aber  höchst  bedenklich, 
für  eine  solche  Entfernung  ein  bestimmtes  Mass  festzusetzen,  da  viele  örtliche  Verhält- 
nisse eine  weit  grössere  erfordern.  Anstalten  dieser  Art  dürfen  z.B.  nicht  in  der  Nähe 
von  Canälen  and  Flüssen  liegen,  damit  das  brennende  Oel,  welches  auf  dem  Wasser 
schwimmt,  nicht  weiter  fortgetrieben  zur  Ausdehnung  von  Keuersbrüusten  beitrage:  sie 
gehören  in  jeder  Beziehung  in  die  Kategorie  der  Pulvermühlen. 

Beim  Transport  der  Fässer  für  rohes  Petroleum  müssen  diese  von  aussen  mit 
Oelfirniss  unter  Zusatz  von  Lenzin  und  an  der  Innenseite  mit  flüssigem,  schwarzem  Pech 
oder  Wasserglas  angestrichen  werden  (cfr.  Betriebs -Reglement  für  Eiseubahnen  vom 
10.  Juni   1870  wegen  des  Transports  von  Petroleum  und  Petroleum-Naphta  [Ligroin]). 

Bei  der  Aufbewahrung  des  rohen  Petroleums  hat  sich  das  Theerho  f  syste  in 
bewährt;  der  Theerhof  muss  ganz  isolirt  von  der  Stadt  liegen  und  zur  Aufbewahrung 
sämmtlicher  feuergefährlicher  Substanzen  dienen  Der  Stadt  dürfen  nur  solche  Flüssig- 
keiten zugeführt  werden,  die  unter  30°  R.  keine  feuergefährlichen  Gase  und  Dämpfe 
entwickeln:  von  denjenigen  feuergefährlichen  vVaaren,  die  erst  über  30°  R.  entzündliche 
Gase  entwickeln,  dürfen  nur  in  Quantitäten  von  3  Centnern  (=  1  Baral)  auf  Lager  ge- 
halten werden. 

Ausser  dem  Rohpetroleum,  der  Harzessenz  (Pinolin),  dem  Terpentinöl, 
den  leichten  Steinkohlentheerö  I  en,  Benzol  u.  s.  w.  gehört  besonders  die 
Petroleumessenz  zu  den  feuergefährlichen  Waaren.2) 

Die  Wirknng  der  Essenz  auf  den  thierischen  Organismus  ist  nach  ihrer  Be- 
schaffenheit verschieden:  das  erste  Destillat  von  Rohpetroleum  aus  Canada,  welches 
reich  an  geschwefelten  Kohlenwasserstoffen  ist.  erzeugte  während  der  Ver- 
dunstung von  nur  1"  Tropfen  in  dem  grossen  Glaskasten  bei  einem  Kaninchen  nach 
10  M.  die  heftigsten  tonischen  und  klonischen  Krämpfe:  selbst  nach  der  sofortigen 
Herausnahme  trat  mehrmals  ein  heftiger  tetanischer  Krampfein,  welcher  bei  einem  andern 
Kaninchen  sofort  letal  endete. 

Bei  der  Section  fielen  hinter  beiden  Bulbi  ein  dünnes  Blntextravasat,  besonders 
aber  die  starke  Anfüllung  des  ganzen  Herzens  mit  geronnenem  Blute,  die  brnunrothe, 
hyperämische  Lunge  und  ein  blutiger  Sehleim  auf  öev  Trachealsehleimhaut  auf. 

Dagegen  vermochten  die  Dämpfe  von  1,5  Grm.  Essenz  aus  Wallachischem 
Petroleum  eine  junge  Katze  erst  nach  25  M.  in  einen  anästhetischen  Zustand  zu 
versetzen,  der  aber  mit  convulsivischem  Zittern  begleitet  war.  15  M.  nach  dem  Versuche 
vermag  sich  das  Thier  zwar  wieder  aufzurichten,  verharrt  aber  in  einem  Zustande  von  Be- 
täubung, in  welchem  es  nach  3  Stunden  unter  heftigem  Tetanus  hinstürzt  und  stirbt. 

Hier  fiel  bei  der  Section  die  Anfüllung  des  übrigens  schlaffen  Herzens  mit 
flüssigem  und  wenig  geronnenem  Blute  auf,  dagegen  erschienen  die  Lungen  hellroth 
und  emphysematös.3) 

Die  Arbeiter  in  den  Petroleum-Raffinerien  werden  besonders  von 
der  Einwirkung  der  Essenz  ergriffen,  wenn  sie  in  die  Bottiche  steigen,  um 
etwaige  Destillationsrückstände  herauszunehmen;  nach  den  Erfahrungen  des  Ver- 
fassers stürzen  sie  dann  wie  betäubt  hin,  bekommen  ein  bleiches  Gesicht,  livide 
Lippen,  einen  schwachen,  kaum  hörbaren  Herzschlag,  respiriren  langsam  mit 
schwachem  Schleimrasselu,  bisweilen  durchfahren  auch  convulsivische  Zuckuugen 
den  Körper,  wie-  dies  auch  bei  den  Versuchstieren  der  Fall  ist.  Die 
Asphyxie  geht  unfehlbar  in  den  Tod  über,  wenn  der  Betroffene  nicht  sofort 
dem  gefährlichen  Medium  entzogen  wird;  an  der  Luft  äussern  Wasserbe- 
spritzungen, Reiben  und  ähnliche  Reizmittel  meist  bald  ihre  belebende  Wirkung 
auf  Respiration  und  Herzthiitigkeit.  Sind  die  Verunglückten  ihrer  Glieder  und 
Muskeln  wieder  mächtig,  so  geberden  sie  sieh  oft  wie  Betrunkene,  indem  sie 
wild  um  sich  schlagen,  grunzen  oder  laut  aufschreien;  kommen  sie  mehr  zum 
Bewusstsein,  so  stosseu  sie  Alles  von  sich,  um  sich  der  Ruhe  und  dem  starken 
Schlafbedürfnisse  ergeben  zu  können.  Bei  dein  Erwachen  zeigen  sich  dann  noch 
mehr   oder  weniger  Sehwindel    und  Ohreusauseu,    ganz  dieselben  Erscheinungen, 


Kreosot.  597 

welche  gewöhnlich  auch  dem  asphyktischen  Zustande  vorangehen;  dabei  bleibt  noch 
längere  Zeit  ein  Geruch  und  Geschmack  nach  der  Essenz  zurück. 

Selbstverständlich  sind  auch  hier  die  Vergiftungs-Erscheinungen  mit  ihren  Folgen 
mehr  oder  minder  heftig,  je  nach  der  Natur  der  verschiedenen  Essenzen.  Wo  nur 
geschwefelte  Kohlenwasserstoffe  auftreten  und  sich  geltend  machen,  da  soll  man 
die  grösste  Vorsicht  gebrauchen,  weil  jede  Unvorsichtigkeit  mit  dem  Tode  bestraft  wird; 
die  Wirkung  ist  oft  blitzschnell  und  jede  Hülfe  machtlos,  wenn  sie  nicht  sehr  schnell 
zur  Anwendung  kommt.  Wie  vielseitig  die  Verwendung  der  Essenz  ist,  geht  aus  den 
oben  erwähnten  Körpern,  die  aus  derselben  gewonnen  werden,  hervor. 

Die  Aufbewahrung  der  Essenzen  darf  nur  in  gut  verschlossenen  Weissblechflaschen 
geschehen,  damit  die  flüchtigen  Gase  den  Lagerraum  nicht  erfüllen,  der  übrigens  nie 
mit  einem  offnen  Lichte,  sondern  höchstens  mit  einer  Davy 'sehen  Sicherheitslampe  be- 
treten werden  darf. 

Raffinirtes  Petroleum.  In  England  und  America  wird  das  Petroleum  selten  so 
vollständig  raffinirt  wie  auf  dem  Festlande:  deshalb  siedet  das  Englische  Petroleum  oft 
bei  125°  C.  (100°  R. )  und  ist  wegen  seines  Gehaltes  an  flüchtigen  Kohlenwasser- 
stoffen sehr  entzündlich,  obgleich  in  America  und  England  gesetzlich  keine  Oele  in  den 
Handel  gebracht  werden  dürfen,  die  bei  100°  F.  (38°  C.  oder  3u°  R.  )  brennbare  Gase 
entwickeln.  Ein  gut  gereinigtes  Petroleum  soll  erst  bei  200°  C.  (160°  R.)  sieden;  in 
einem  solchen  Zustande  ist  es  auch  nicht  feuergefährlich  und  kann  daher  in  grösseren 
Quantitäten  in  Städten  abgelagert  werden;  nur  dürfen  die  Fässer  keine  Verdunstung 
nach  aussen  zulassen.  Für  den  Detailverkauf  muss  es  in  kleinern  Blechgefässen  auf- 
bewahrt werden  und  darf  der  Vorrath  30  Pfund  in  den  Verkaufslocalen  nicht  übersteigen.4) 

Als  Regel  kann  man  aufstellen,  dass  der  Entflammungspunct  eines 
gut  raffinirten  Petroleums  über  43°  C.  liegt.  Neuerdings  setzt  man  aber  häufig 
absichtlich  Essenzen  zu  schweren  Oelen,  um  aus  letztern  grössern  peeuniären  Gewinn 
zu  ziehen;  dann  kann  eine  Entzündung  je  nach  der  Menge  dieses  Zusatzes  schon  bei 
30°  C,  ja  sogar  bei  23°  C.  eintreten.  Wenn  man  dadurch  ein  dem  reinen  Petroleum 
annäherndes  speeif.  Gewicht  erzielt,  so  wird  diesem  jedoch  der  normale  Siedepunct 
nicht  entsprechen;  es  kommen  im  Handel  Petroleumsorten  vor,  die  25 — 41%  Essenz 
enthalten,  deren  spec.  Gew.  0,790  beträgt  und  deren  Siedepunct  bei  170  — 175°  C.  liegt. 
Indem  die  gewöhnlichen  Lampen  nicht  diesen  Verhältnissen  entsprechend  construirt  sind, 
weil  die  schweren  Oele  einer  reichlichem  Sauerstoffzufuhr  bedürfen,  so  wird  der  Licht- 
effect  hierdurch  sehr  gemindert;  aber  auch  Explosionen  können  eintreten,  wenn  das 
Gasgemisch  durch  die  Wärme  ausgedehnt  wird,  durch  den  Zug  des  Cylinders  in  die 
Flamme  geräth  und  hier  explodirt  (s.  S.  360). 

Um  das  Petroleum  auf  seinen  Gehalt  an  leichten  Kohlenwasserstoffen  zu  prüfen, 
fülle  man  ein  graduirtes  Reagensglas  mit  dem  zu  prüfenden  Oele,  schliesse  das  offene 
Ende  mit  dem  Finger  und  stülpe  es  in  ein  Gefäss  mit  Wasser  um,  dessen  Temperatur 
zwischen  43  —  44°  C.  betragen  muss.  Entwickeln  sich  hierbei  flüchtige  Gase,  so  werden 
sie  sich  im  obern  Theile  des  Glases  ansammeln  und  eine  entsprechende  Verdrängung 
des  Oels  aus  dem  Glase  bewirken. 

Kreosot. 

Kreosot  wird  aus  dem  Buchholzentheer  erhalten,  besteht  aus  Kreosol  C8H10O2 
und  Guajacol  C7H802  und  gehört  eigentlich  zur  Toluol-Reihe,  findet  aber  in  in- 
dustrieller Beziehung  hier  einen  geeigneteren  Platz. 

Einwirkung  der  Dämpfe  von  Kreosot  auf  den  thierischen  Organismus,  l)  Einem 
Kaninchen,  das  in  der  Glasglocke  sitzt,  werden  die  Dämpfe  von  20  Tropfen  Kreosot 
zugeleitet.  Unter  grosser  Unruhe  und  starkem  Augenthränen  fällt  es  nach  7  Min.  auf 
die  Seite  und  zittert  am  ganzen  Körper.  Die  Hornhaut  ist  weisslich  getrübt  und  die 
Augen  stehen  hervor;  ein  weisslicher  Schleim  fliesst  aus  dem  Maule  und  den  Augen. 
Nach  15  M.  Herausnahme  in  Narkose  bei  sehr  verminderter  Reflexerregbarkeit;  einzelne 
Zuckungen  durchfahren  den  Körper;  jede  Zuckung  schnellt  auch  das  Herz  gegen  die 
Brustwand;  röchelndes  Athmen,  Temperatur  fast  normal,  Pupillen  in  mittler  Co ntraction. 
Nach  30  M.  stockt  plötzlich  die  Respiration;  während  flüssiges  Blut  aus  der  Nase  fliesst, 
tritt  der  Tod  ein. 

Section  nach  12  Stunden.  Hirnhäute  hyperämisch;  an  der  Basis  des  Gehirns 
war  jedes  Gefässchen  der  weichen  Hirnhaut  strahlenförmig  von  ausgetretenem  Blute  ein- 
gefasst.  Lungen  blauroth  gefärbt;  im  rechten  untern  Lungenlappen  einzelne  geron- 
nene Blutklümpchen;  die  Ränder  der  Lungen  emphyseniatös :  die  Schleimhaut  der  Luft- 
röhre rothbraun  und  mit  einer  dünnen  Lage  flüssigen  Blutes  bedeckt.    Der  rechte  Vorhof 


Gemenge  von  Kohlenwasserstoffen. 

des  Herzens  mit  schwarzem,  geronnenem  Blnte  angefüllt,  im  rechten  und  linken  Ven- 
trikel ein  halber  Theelöffel  voll  flüssiges  Blut;  aberall  herrschte  Bonst  das  geronnene  Blut 
vor.  Die  Harnblase  ist  mit  schwärzlich  gefärbtem  Urin  angefüllt.  In  allen  Höhlen 
war  der  Geruch  nach  Kreosot  deutlich. 

2)  Ein  starke.-  Meerschweinchen  wurde  oO  M.  lang  den  Dämpfen,  die  wiederholt 
den  Zinkkasten  ganz  anfüllten,  ausgesetzt  E>  zeigten  sich  starker  anhaltender  Husten, 
eine  angestrengte  Respiration,  Zuckungen,  Taumel,  dann  Bauchlage  mit  gespreizten  hin- 
tern Extremitäten.  Das  Schleimrasseln  in  den  Bronchien  hielt  mehrere  Tage  lang  an, 
das  Thier  verhielt  sich  einige  Zeit  ruhig,  erholte  sich  aber  vollständig. 

Merkwürdig  ist  der  unterschied  in  der  Wirkung  von  Kreosot -Dämpfen  auf 
verschiedene  Thiere.  Unter  den  Krankheite -Symptomen  sind  die  Erscheinungen 
der  Irritation,  das  Thränen  der  Augen,  das  Speicheln,  der  starke  Husten,  das 
angestrengte  und  röchelnde  Athmen,  ferner  die  Zuckungen  und  die  krampfhafte 
Berzbewegung  hervorzuheben.  Die  Trübung  der  Hornhaut  entsteht  durch  die 
Goagulation  der  Albuminate;  eine  eigentliche  Augeneutzüudung  wird  nicht  durch 
die  Kreosot-Dämpfe  veranlasst:  wo  sie  auftritt,  kann  man  auf  die  Gegenwart  von 
Carbolsäure  schliessen  (s.  Phenol).  Auch  bei  Vergiftungen  durch  Ingestion  von 
Kreosot  hat  man  ausser  den  entzündlichen  Contactwirkungen  auf  den  Schleim- 
häuten des  Mundes.  Schlundes  u.  s.  w.  noch  Speichelfluss,  Kopfschmerz,  Schwindel 
und  Bewusstlosigkeit,  gestörte  Respiration  und  starken  Husten  mit  schau- 
migem Auswurf  beobachtet;  dabei  war  der  Urin  schwärzlich  gefärbt,  eine 
Erscheinung,  die  sich  bei  dem  durch  Dämpfe  umgekommenen  Kaninchen  sehr 
deutlich  zeigte.  Die  Einwirkung  des  Kreosots  auf  das  Blnt  macht  sich  auch  durch 
das  Geronnensein  desselben  in  der  Leiche  und  durch  die  Enstehung  von  Blut- 
austretungeu  bemerkbar.  Hiermit  verbindet  sich  die  bestimmt  ausgesprochene 
Wirkung  auf  die  Nervencentren;  es  steht  daher  soviel  fest,  dass  man  in  der 
Industrie  alle  Ursache  hat,  sich  vor  den  auftretenden  Kreosot -Dämpfen  zu 
schützen. 

Die  Darstellung  von  Kreosot  hängt  mit  der  Theerschwelerei  zusammen,  indem 
man  durch  trockne  Destillation  des  Buchenholzes  zunächst  den  Holztheer*)  gewinnt. 
wozu  man  sich  in  Russland  und  Schweden  der  sog.  Thermokessel  bedient  (s.  S.  421). 
Durch  Behandeln  des  schweren  Theeröls  mit  Natronlauge  entsteht  Kreosotnatron, 
das  durch  Schwefelsäure  zersetzt  wird,  wobei  neben  kreosothaltigen  Dämpfen  Schwefel- 
wasserstoff und  Kohlensäure  auftreten:  diese  Gase  und  Dämpfe  sind  sorgfältig 
abzuleiten.1) 

Leuchtgas. 

Die  trockne  Destillation  der  Steinkohle  liefert  einen  deutlichen 
Beweis,  wie  sehr  der  Grad  der  Wärme  die  Zersetzungsproducte  der  organischen 
Substanz  beeiuflusst  und  wie  mit  der  Steigerung  der  Zersetzungstemperatur 
immer  einfachere  Zersetzungsproducte  auftreteu.  Wird  die  Steinkohle  langsam 
einer  erhöhten  Temperatur  ausgesetzt,  so  erhält  mau  eine  Menge  flüssiger 
Kohlenwasserstoffe,  welche  zu  den  Methylverbindungen  gehören.  Es 
treten  ferner  feste  Kohlenwasserstoffe  auf,  welche  zur  Gruppe  des  Paraffins 
zu  zähleu  siud.  während  die  stickstoffhaltigen  Verbindungen  die  Picolin-  und 
Pvrrolbasen    bilden.      Gleichzeitig    werden    aber    auch    besonders    zu    Ende    der 

*)  Der  Holztheer  wird  wegen  seines  Gehaltes  an  Kreosot  besonders  in  Schiffs- 
räumen als  Desinfektionsmittel  benutzt,  indem  man  glühende  Ketten  in  Theer  taucht, 
um  dadurch  Theerdämpfe  zu  entwickeln.  Dieses  rohe  Verfahren  hat  schon  häufig 
Schiffsbrände  mit  ihmi  schrecklichen  Folgen  veranlasst,  da  sich  der  Theer  hierbei  leicht 
entzündet  und  auch  die  mit  Theerdampf  geschwängerte  Luft  in  den  verschiedenen 
Räumen  zur  Detonation  gelangen  kann:  man  sollte  dalier  endlich  dieser  Methode  Ein- 
halt thuu  und  sie  gänzlich  verbieten. 


Leuchtgas.  599 

Destillation  Sumpfgas,  Aethylen,  Kohlenoxyd,  Wasserstoff,  Kohlen- 
säure neben  Cyan,  Ammoniak  und  Schwefelwasserstoff  auftreten.  An- 
ders gestaltet  sich  der  Hergang,  wenn  die  Kohle  sofort  in  rothglühende  Re- 
torten gegeben  wird;  man  erhält  zwar  ganz  ähnliche  Körper,  dieselben  gehören 
aber  einer  ganz  andern  Gruppe  an.  Die  flüssigen  Kohlenwasserstoffe 
zählen  zur  Benzol-Gruppe  und  Naphthalin  tritt  als  fester  Kohlenwasserstoff 
auf,  während  sich  unter  den  Gasen  Leuchtgas  in  grosser  Menge  zeigt,  bis  bei 
Beendigung  der  Operation  ausser  Kohlenoxyd  und  Ammoniak  hauptsächlich 
Wasserstoff  gebildet  wird. 

Bei  derLeuchtgasfabrication  sucht  man  möglichst  die  flüssigen  und  festen 
Kohlenwasserstoffe  zu  beseitigen  und  dafür  die  gasförmigen  zu  gewinnen  und  zu 
vermehren. 

Die  wichtigsten  Operationen  bei  der  Leuchtgasfabrication  sind: 

1)  Die  Destillation.  Sie  geschieht  in  gusseisernen  oder  gegenwärtig  fast  allge- 
mein in  thönernen  Retorten  von  verschiedener  Form,  die  eines  liegenden  D  wird  vielfach 
verwendet:  die  Heizung  erfolgt  von  aussen.  Auf  die  Retorte  wird  ein  eisernes  M u n d - 
stück  geschraubt  und  sorgfältig  verkittet;  dasselbe  befindet  sich  ausserhalb  der  Feue- 
rung und  hat  nach  oben  ein  Abzugsrohr,  auf  welches  ein  gusseisernes  Rohr  (Auf- 
steigerohr) zur  Leitung  des  Gases  in  die  Vorlage  aufgesetzt  wird.  Die  Vorlage 
(Hydraulik,  Trommel)  ist  ein  weites  gusseisernes,  horizontal  liegendes  Rohr,  welches 
gewöhnlich  cylindrisch  ist  und  über  eine  ganze  Ofenreihe  hin  verläuft.  In  diese  Vor- 
lage münden  die  Aufsteigeröhren  aller  Retorten  unter  Wasserverschluss,  um  alles  Gas 
von  der  Retorte  abzusperren. 

2)  Die  Condensation  der  aus  der  Vorlage  entweichenden  flüchtigen  Destillations- 
producte  wird  mittels  einer  Reihe  verticaler,  untereinander  verbundener  Röhren,  die  auf 
einem  eisernen  viereckigen  Kasten  stehen,  bewirkt.  Durch  ein  am  Kasten  angebrachtes 
Rohr  gelangt  die  condensirte  Flüssigkeit,  Theer  und  Gaswasser,  in  gut  eementirte 
Cisternen,  in  welchen  sich  der  Theer  zu  Boden  senkt  und  das  angesammelte  Gas-  oder 
Ammoniakwasser  zeitweilig  abgelassen  wird. 

Nach  der  Condensation  lässt  man  das  Gas  noch  auf  eine  zweckmässige  Weise 
durch  senkrechte,  mit  Koksstücken  angefüllte  Cylinder  streichen;  man  nennt  dieselben 
Kokscondensatoren,  Schrubber  (Scrubber)  oder  Wascher.  Hier  setzen  sich 
noch  viele  mit  den  Gasen  fortgerissene  Theertheilchen  ab,  während  andererseits  den- 
selben schon  hier  ein  Theil  des  Schwefelwasserstoffs  resp.  Schwefelammoniums  entzogen 
wird.  Mittels  des  sogenannten  Schaukeltroges  fliesst  von  oben  beständig  Wasser  auf 
die  Koks,  das  unten  aufgesammelt  wird.  Statt  dieser  Vorrichtung  nimmt  man  bisweilen 
auch  eine  Waschung  des  Gases  in  Mischapparaten  vor;  in  beiden  Fällen  muss  man 
stets  für  die  Ansammlung  des  gebrauchten  Wassers  in  wasserdichten  Reservoirs  Sorge 
tragen. 

Bisweilen  schaltet  man  noch  zwischen  den  Condensatoren  und  dem  eigentlichen 
Reinigungsapparat  einen  Exhaustor  oder  Aspirator  ein,  wozu  man  vorzüglich  den 
Glocken-Exkaustor  oder  eine  Art  von  hydraulischer  Luftpumpe  benutzt.  Es 
soll  dadurch  der  Druck  in  den  Retorten  vermieden  werden,  damit  das  Gas  durch  die 
Poren  und  Risse  derselben  nicht  entweiche;  um  indess  zu  verhüten,  dass  neben  dem  er- 
zeugten Gase  auch  die  Verbrennungsgase  durch  etwaige  Retoi'tenrisse  mit  angesaugt 
werden,  dienen  die  sogenannten  Regulatoren,  die  bei  richtigem  Stande  des  Mano- 
meters im  Saugrohre  die  Thätigkeit  des  ganzen  Apparates  überwachen. 

3)  Die  Reinigung  des  Leuchtgases  bezweckt  die  Wegnahme  derjenigen  Bestand- 
teile desselben,  welche  seinen  Gebrauch  benachtheiligen  resp.  seine  Leuchtkraft  beein- 
trächtigen oder  aber  beim  Verbrennen  giftige  Producte  liefern.  Man  muss  beim  Leucht- 
gase unterscheiden:  a)  die  leuchtenden  Bestandtheile  oder  Lichtgeber,  welche 
aus  Gasen  (Acetylen,  Aethylen)  und  Dämpfen  (Benzol,  Naphthalin,  Propylen,  Buty- 
len  u.s.w.)  bestehen:  b)  die  verdünnen  den  Bestandtheile  (Wasserstoff,  Methyl- 
wasserstoff, Kohlenoxyd);  c)  die  verunreinigenden  Bestandtheile  (Kohlensäure, 
Ammoniak,  Cyan,  Schwefelcyan ,  Schwefelwasserstoff,  geschwefelte  Kohlenwasserstoffe, 
Stickstoff). 

Unter  allen  Umständen  muss  das  Leuchtgas  frei  von  Schwefelverbindungen 
sein,  weil  sie  bei  der  Verbrennung  die  Entwicklung  der  schwefligen  Säure  be- 
dingen, welche  hauptsächlich  der  Gesundheit  nachtheilig  ist  und  ausserdem  auch  auf 
gefärbte  Stoffe,  Pflanzen  u.  s.  w.  schädliche  Einwirkungen  ausübt. 

Der   Schwefel    ist    grösstentheils    in   Form    von    Schwefelwasserstoff   resp. 


f:QO  Gemenge  von  Kohlenwasserstoffen. 

Schwefelammonium  und  geschwefelten  Kohlenwasserstoffen  im  rohen 
Leuchtgase  enthalten.  Durch  Behandlung  desselben  mit  Kalk  wird  die  Wegnahme  des 
Schwefelammoniums,  der  Kohlensäure  und  des  Cyans  erreicht:  dagegen  werden 
die  geschwefelten  Kohlenwaserstoffe  nur  zum  geringsten  Theil  zerlegt;  man 
soll  sich  daher  hauptsächlich  solcher  Kohlen  zur  Lcuchtgasfabrication  bedienen,  die  mög- 
lichst arm  an  Schwefelkies  sind.  Man  hat  auch  empfohlen,  das  Gas  zunächst  über  bis 
zu  260  -3/5°  C.  erhitzten  Thon  zu  leiten,  um  die  schwefelhaltigen  Verbindungen  zu 
zerlegen;  das  hierdurch  gebildete  Schwefelwasserstoffgas  würde  dann  vom  Kalke 
absorbirt.  Das  Calciumhydrat  wird  auf  Hürden  ausgebreitet,  die  man  in  luft- 
dicht verschlossenen,  eisernen  Kasten  einsetzt,  in  welche  das  Leuchtgas  eindringt;  es 
nimmt  die  S  chwefclverb  indungen  unter  Bildung  von  Einfach-Schwefelcalcium 
(Calciumsultid),  die  Cyan Verbindungen  unter  Bildung  von  Cyancalcium  resp. 
Schwefelcyancalcium  und  die  Kohlensäure  unter  Bildung  von  Calciumcar- 
bonat auf. 

Ammoniak  geht  mit  Calciumhydrat  keine  Verbindung  ein  und  ist  ihm  höchstens 
mechanisch  beigemengt;  deshalb  darf  es  bei  einem  ordentlichen  Betriebe  nur  im  freien 
Zustande  in  den  Reinigungskasten  vorhanden  sein,  was  bei  Gegenwart  von  über- 
schüssigem Kalk  ermöglicht  wird. 

Schwefelammonium  tritt  nur  unter  besondern  Umständen  auf,  wenn  nämlich 
der  Kalk  gesättigt  ist  und  den  Schwefelwasserstoff  nicht  mehr  zu  binden  vermag;  bei 
überschüssigem  Kalk  wird  man  weder  Schwefelammonium  noch  Schwefelwasserstoff- 
Schwefelcalcium  antreffen. 

Sobald  dieser  Gas  kalk  mit  der  atmosphärischen  Luft  in  Berührung  kommt, 
wird  zuerst  Cyanwasserstoff  resp.  Schwef elcyanwasserstoff  frei,  weil  der 
überschüssige  Kalk  sowie  Cyan-  und  Schwefelcyancalcium  die  Kohlensäure  der  atmo- 
sphärischen Luft  absorbiren  und  hiedurch  die  Zersetzung  der  entsprechenden  Verbindungen 
veranlasst  wird.  Die  Hauptbestandtheile  des  Gaskalks  bleiben  Schwefelcalcium, 
Schwefelcyancalcium  und  Calciumcarbonat  neben  Calciumhydrat  und  carbolsaurem 
Calcium;  durch  die  Oxydation  an  der  Luft  verwandelt  sich  aber  das  Schwefelcalcium  in 
unterschwefligsaures,  schwefligsaures  und  schliesslich  in  schwefelsaures  Calcium. 

Der  üble  Geruch  des  Gaskalks  rührt  hauptsächlich  von  der  ihm  beigemengten 
Carbolsäure  und  der  Butter-  und  Baldriansäuro,  auch  möglicherweise  von  dem 
freiwerdenden  Schwefelwasserstoff  her.  Die  Arbeiter,  welche  sich  mit  dem  Reinigen 
und  Entleeren  dieser  Kasten  beschäftigen,  leiden  häufig  an  Augenentzündungen, 
welche  durch  die  Einwirkung  des  reizenden  Staubes  und  der  Carbolsäure  veranlasst 
werden.  Sehr  zweckmässig  ist  es,  dass  sich  dieselben  bei  diesem  Geschäfte  das  Ge- 
sicht mit  einem  nassen  Schleier  behängen:  die  Feuchtigkeit  absorbirt  die  Gase  dann 
vollständig.  Weder  Kalk  noch  Kalkmilch,  die  zur  Reinigung  des  Leuchtgases  gedient 
haben,  dürfen  in  uncementirten  Gruben  aufbewahrt  werden.  Ebenso  wenig  ist  die  Abfuhr 
des  Gaskalks  in  Flüsse  zulässig,  weil  die  Fische  dadurch  zu  Grunde  gehen;  selbst  das 
einfache  Lagern  an  der  frischen  Luft  ist  für  die  nächste  Nachbarschaft  sehr  belästigend. 
Das  beste  Mittel,  den  Gaskalk  unschädlich  zu  machen,  besteht  im  Versetzen  desselben 
mit  Eisensalzen;  auch  hat  man  ihn  in  Flammenöfen  calcinirt,  bis  er  grösstentheils 
in  Gips  übergegangen  ist,  in  neuerer  Zeit  durch  Behandeln  mit  calcinirter  Soda  zur 
Darstellung  von  untersch wefligsauren  Salzen  und  Cyanver bindnngen  benuzt. 
Als  Dungmittel  kann  der  Gaskalk  nur  dann  gebraucht  werden,  wenn  er  so 
lange  an  der  Luft  gelagert  hat,  dass  sich  sämmtliche  Schwefelmetalle  in  schwefelsaure 
Salze  verwandelt  haben.  Im  Allgemeinen  darf  man  aber  den  Gaskalk  nicht  mit  Sub- 
stanzen vermischen,  welche  einer  raschen  Verwesung  unterworfen  werden  sollen,  da  er 
durch  schnelle  Sauerstoff- Absorption  die  verwesbare  Substanz  vor  der  Verwesung  schützt 
und   demnach   die  Bildung   von   Ammoniak  aus   der  düngenden    Substanz   verlangsamt. 

Als  Reinigungsmittel  des  Gases  ist  Kalk  und  Eisenvitriol  vorzuziehen; 
ein  Gemisch  von  Sägespänen,  Kalk,  Eisen-  oder  Mangansalzen  kann  durch  Aus- 
breiten an  der  Luft  wieder  regcnerirt  werden;  aus  dieser  Ursache  ist  das  Laming'sche 
Mittel  sehr  beliebt  geworden.  Man  mengt  3  Aeq.  Kalk  mit  1  Aeq.  Eisenchlorid  und 
erhält  dann  bei  Gegenwart  von  Wasser  Chlorcalcium  und  Eisenoxydhydrat.  Bei 
der  Einwirkung  des  Leuchtgases  verbinden  sich  die  Kohlensäure  und  das  Ammoniak 
mit  dem  Chlorcalcium  zu  Calciumcarbonat  und  Chlorammonium,  während  der 
Schwefelwasserstoff  mit  dem  Eisenoxydhydrat  Wasser,  Schwefel  und  Schwefel- 
eisen liefert. 

Bei  einem  grossen  Betriebe  bedarf  man  zum  Regeneriren  eines  besondern,  die 
Kosten  vermehrenden  Raumes;  besser  eignet  sich  das  Verfahren  für  kleinere  Anstalten, 
wenn  man  die  Oberfläche  des  Retortenofens  zum  Trocknen  benutzen  kann. J) 

Aufsammlang  des  Gases.  Aus  dem  Reinigungsapparat  gelangt  das  Gas  in  den 
sogen.  Gasometer,  in  die  bekannte  cylindrische  Trommel  von  Eisenblech,  welche  in 
Wasser  umgestürzt  ist.     In  sanitärer  Beziehung  ist  hier  ganz  besonders  darauf  zu 


Leuchtgas. 


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achten,  dass  die  ausgemauerten  Cisternen  vollkommen  wasserdicht  sind,  damit  das  mit 
Carbolsäure  und  Theersubstanzen  geschwängerte  Wasser  nicht  in  den  Boden  dringt  und 
die  benachbarten  Brunnen  verdirbt,  Die  Erfahrung  liefert  hinreichende  Belege  dafür 
dass  auf  diese  Weise  das  Trinkwasser  für  lange  Zeit  verdorben  werden  kann. 

Die  Verkeilung  des  Gases ,  welche  vom  Gasbehälter  aus  durch  eiserne  Röhren 
bewirkt  wird,  hat  ein  bedeutendes  sanitäres  Interesse.  Es  ist  hierbei  zu  berück- 
sichtigen: 1)  das  richtige  Verhältniss  zwischen  den  Dimensionen  der 
Röhren  und  der  Menge  des  Gases,  welche  sie  durchlassen  sollen;  2)  der  dichte 
Verschluss  der  Röhren,  3)  die  mögliche  Verstopfung  der  Röhren  durch 
Naphtalin,  4)  die  Beschaffenheit  des  Bodens,  in  den  die  Röhren  o-eleat 
werden. 

Wo  Sand  vorherrscht,  ist  das  Einschlemmen  der  Röhren  in  Thon  und  Lehm 
unerlässlich ;  entströmt  das  Leuchtgas  auf  seiner  Wanderung  den  Röhren  so  kann  es 
nicht  bloss  in  die  Brunnen,  sondern  auch  erfahrungsgemäss  in  menschliche  Wohnungen 
eindringen.  Beim  Eindringen  in  die  Brunnen  kann  sich  das  Gas  über  dem  Wasser 
schichten  und  für  die  Arbeiter,  welche  sich  in  dem  Brunnenschacht  beschäftigen,  höchst 
verderblich  werden. 

Humöse  Substanzen  absorbiren  Kohlenoxyd  leicht,  die  Vegetation  leidet  daher 
vorzüglich  in  Folge  der  Imprägnation  des  Bodens  mit  Kohlenoxyd  resp.  Ammoniak  und 
Phenol.  Grössere  Bäume  lassen  diesen  nachtheiligen  Einüuss  durch  Abblättern  und 
allmähliges  Absterben  erkennen2);  niemals  tödtet  das  Leuchtgas  in  erster  Linie  die 
Blumen  und  Blätter  der  Pflanzen.*) 

Für  die  Leitung  des  Gases  in  Wohnungen  sind  jetzt  fast  allgemein  Bleiröhren 
eingeführt;  kupferne  Röhren  sind  zu  verwerfen,  weil  sich  in  ihnen  Acetylen  mit 
seinen  bekannten  explosiven  Eigenschaften  ansammeln  kann.  Die  besten  Röhren  sind 
die  aus  Schmiedeeisen  dargestellten,  wenn  man  sie  vorher  im  Innern  geölt  hat; 
Röhren  von  Zink  passen  nicht,  weil  sich  das  Oxyd  desselben  in  ammoniakalischer 
Flüssigkeit  löst;  Zinnröhren  sind  zu  theuer.  Bei  den  Bleiröhren  ist  zu  beachten, 
dass  man  dieselben,  wenn  sie  im  Kalkverputz  liegen,  nicht  durch  Einklopfen  von 
Nägeln  beschädige;  auf  diese  Weise  sind  bereits  langsam  entstehende  Leuchtgas- 
Vergiftungen  verursacht  worden.  Auch  Ratten  können  solche  Röhren ,  wenn  sie  unter 
dem  Fussboden  verlaufen,  anfressen;  von  der  Holzwespe  (Sirex  juvencus  und  gigas)  ist 
es  bekannt,  dass  sie  sogar  Bleiplatten  durchzubeissen  vermag. 

Vermischt  sich  das  Leuchtgas  in  Wohnungen  mit  atmosphärischer  Luft,  so 
müssen  wenigstens  6 — 1%  Gas  in  ein  Local  eingeströmt  sein,  um  ein  explosives  Gemenge 
zu  erzeugen.  Mischungen  von  1  Vol.  Leuchtgas  mit  10—16  Vol.  atmosphärischer  Luft 
erzeugen  die  stärksten  Explosionen. 

Gewöhnlich  gibt  sich  schon  ein  Austritt  von  0,5  %  Leuchtgas  durch  den  Geruch 
zu  erkennen,  obgleich  man  sich  hierauf  allein  nicht  verlassen  kann,  da  Fälle  vorge- 
kommen sind,  dass  Leuchtgas,  welches  auf  seiner  Wanderung  durch  einen  lockern  Sand- 
boden seine  Riechstoffe  ein gebüsst  hatte,  in  Folge  besonderer  Verhältnisse  in  Wohnungen 
eingedrungen  ist  und  bei  verschiedenen  Insassen  derselben  lebensgefährliche  Vergiftungen 
erzeugt  hat,  ehe  die  Ursache  derselben  entdeckt  wurden. 

Die  Erscheinungen  der  Vergiftungen  durch  Leuchtgas  stimmen  im  Allgemeinen 
mit  denen  der  Kohlenoxyd -Vergiftungen  überein.  Das  Krankheitsbild  kann  nur 
durch  die  Beschaffenheit  des  Leuchtgases  modificirt  werden;  je  unreiner  dasselbe 
ist,  je  reicher  es  namentlich  an  geschwefelten  Kohlenwasserstoffen  ist, 
desto  rascher  tritt  auch  der  Tod  ein.  In  der  Regel  bedingt  aber  Kohlenoxyd 
nebst  mehr  oder  weniger  Kohlensäure  und  Ammoniak  die  Entstehung  und 
den  Ablauf  der  Vergiftung. 


*)  Versuche,  welche  der  hiesige  Magistrat  hat  anstellen  lassen,  ergaben,  dass 
schon  eine  Menge  von  25  Kubikfuss  Leuchtgas,  täglich  auf  576  Kubikfuss  Boden  ver- 
theilt,  die  Wurzelspitzen  der  Bäume,  welche  mit  ihm  in  Berührung  kommen, 
tödtet;  je  fester  der  Boden,  desto  früher  tritt  die  Folge  davon  ein.  Die  Kugelakazie, 
der  Götterbaum  u.  s.  w.  zeigen  sich  hierbei  viel  empfindlicher  als  die  Birke  und  der 
Ahorn.  Am  schädlichsten  offenbart  sich  die  Wirkung  während  der  Wachstbumsperiode 
der  Bäume  und  weniger  während  des  Winters.  Man  hat  vorgeschlagen,  die  Gasleitungs- 
röhren in  weite  Röhren  einzulegen,  welche  nach  aussen  münden  und  in  den  Candekber- 
pfählen  bis  zu  den  Brennern  hinausgeführt  werden;  am  sichersten  ist  es,  stets  für  die 
grösste  Dichtigkeit  der  Röhren  Sorge  zu  tragen. 


(]Q2  Gemenge  von  Kohlenwasserstoffen. 

Von  diesen  Beimengungen  hängt  beim  Sectionsbefunde  namentlich  die  Farbe  der 
Lungen  und  des  Blutes  ab,  so  dass  sieh  die  verschiedenen  Angaben  über  dieselben 
hierdurch  erklären  lassen.  Je  mehr  Kohlenoxyd  bei  einer  Vergiftung  vorgewaltet 
hat,  desto  lebhafter  ist  die  rothe  Farbe  der  Lungen  und  des  Blutes;  man  beobachtet 
dann  die  helle  Kirsehröthe,  das  Zinnoberroth  oder  das  Rosaroth  der  Lunge 
auf  dunkelbraunem  Grunde:  die  Farbe  der  Lunge  und  übrigen  Organe  sowie  der 
Schleimhäute  der  Respirationswege  hängt  von  der  Blutfarbe  ab.3| 

Beim  Leuchtgase  bleiben  die  gefährlichsten  Fälle  der  Vergiftungen  diejenigen, 
welche  in  den  Häusern  vorkommen,  wo  aller  Gasconsum  fehlt  und  nur  in  Folge  von 
Ausdünstungen  geborstener  Gasleitungen  in  den  Strassen  das  Leuchtgas  in  die  Häuser 
gedrungen  ist.  Merkwürdige  Ereignisse  dieser  Art,  die  selbst  von  Aerzten  verkannt  und 
für  typhöse  Erkrankungen  erklärt  wurden,  hat  v.  Pettenkofer  mitgetheilt.  *) 

Solche  Vergiftungen  ereignen  sich  meist  im  Erdgeschoss,  welches  aber  mehr  als 
'20  Fuss  von  der  Ausströmungsstätte  selbst  entfernt  liegen  kann:  dass  sie  fast  nur 
im  Winter  vorkommen,  erklärt  sich  v.  Pettenkofer  aus  dem  Zuge,  welchen  das  Haus  in 
der  Grundluft,  in  der  sein  Fundament  ruht,  dadurch  verursacht,  dass  es  im  Innern 
wärmer  ist  als  die  äussere  Luft,  so  dass  es  wie  ein  geheizter  Kamin  auf  seine  Umgebung 
wirkt.  Diese  Thatsache  beweist  immerhin,  dass  man  alle  Ursache  hat,  für  die  Reinheit 
des  Untergrundes  zu  sorgeu,  obgleich  im  vorliegenden  Falle  doch  auch  der  Druck,  der 
von  dem  Gasometer  aus  auf  die  Fortführung  des  Gases  mächtig  einwirkt,  sehr  in  An- 
schlag zu  bringen  ist:  hierdurch  werden  Verhältnisse  geschaffen,  wie  sie  gewöhnlich  nicht 
vorkommen. 

Bei  der  Benutzung  des  Leuchtgases  für  Wohnungen  vermisst  man  in  der 
Regel  die  erforderliche  Vorsicht,  so  dass  man  in  der  That  über  die  Seltenheit  der 
dadurch  herbeigeführten  Unglücksfälle  erstaunen  muss,  unter  denen  übrigens  Explosionen 
durch  das  in  Wohnräumen  angesammelte  Gas  schreckliche  Folgen  haben  können.  Als 
Hauptregel  muss  1)  gelten,  dass  der  Haupthahn  der  Röhrenleitung  während  der  Nacht 
stets  geschlossen  bleibt;  2)  öffne  man  ihn  beim  Gebrauche  des  Gases  nur  so  weit 
als  nöthig  ist,  um  die  erforderliche  Menge  desselben  durchzulassen ,  3)  verschliesse  man 
sofort  den  Haupthahn,  wenn  die  Brenner  gelöscht  werden;  4)  betrete  mau  niemals 
mit  einem  brennenden  Lichte  einen  Raum,  in  welchem  man  die  Ansamm- 
lung von  Leuchtgas  befürchtet,  zunächst  sorge  man  hier  für  eine  gehörige  Lüftung 
durch  Oeffnen  der  Thüren  und  Fenster.5) 

Nachweis  des  Leuchtgases  in  bewohnten  Räumen.  Das  Leuchtgas  gibt  sich 
durch  seine  Verunreinigung  zu  erkennen;  man  aspirire  die  Luft  und  leite  sie  durch 
absoluten,  mit  Ammoniak  gesättigten  Alkohol,  dem  man  eine  coneentrirte  wässrige 
Lösung  von  Bleiacetat  im  Verhältniss  von  10:20  zusetzt;  ein  gelbrother,  später 
brauner  Niederschlag  beweist  das  Vorhandensein  von  Schwefelverbindungen*),  ein 
weisser  Niederschlag  zeigt  Kohlensäure  an.  Bei  einer  heissen  Auflösung  von  Blei- 
oxyd in  Kalilauge  bildet  sich  ein  Niederschlag  von  schwarzem  Schwefelblei.  Durch 
Palladiumchlorür  und  Kupferehlorür  weist  man  unter  den  geeigneten  Vorsichtsmaß- 
regeln das  Kohlenoxyd  nach. 

Lässt  man  die  leuchtgashaltige  Luft  über  einen  mit  einer  Lösung  von  salpeter- 
saurem Quecksilberoxydul  getränkten  Fliesspapierstreifen  strömen,  so  wird  der- 
selbe beim  Vorhandensein  von  Ammoniak  braun  bis  schwarz:  ein  Tropfen  Salzsäure 
hebt  die  Schwärze  auf,  indem   sich  Calomel  bildet.0) 

Verbrennungsproducte  des  Leuchtgases  res»,  seiner  Verunreinigungen.  Am 
schädlichsten  wirkt  in  dieser  Beziehung  stets  die  schweflige  Säure  ein;  leideu 
Pflanzen  in  Zimmern,  in  welchen  Leuchtgas  benutzt  wird,  so  kann  es  nur  diese  Säure  sein, 
die  hier  zerstörend  wirkt.  Aber  aitch  in  sanitärer  Beziehung  sollte  man  für  die  Dar- 
stellung des  Leuchtgases  nur  solche  Kohlen  gebrauchen»  welche  am  wenigsten  Schwefel- 
kies enthalten,  da  es,  wie  aus  dem  Vorhergehenden  erhellt,  sehr  schwierig  ist,  das 
Leuchtgas  gänzlich  von  Schwefelverbindungen  zu  befreien  und  es  diese  nur  siud,  welche 
beim  Verbrennen  schweflige  Säure  liefern.  Man  sollte  überhaupt  diesem  Gegenstande 
eine  grössere  Aufmerksamkeit  widmen,  da  es  stets  von  der  grössten  Wichtigkeit  ist,  die 
Atmosphäre,  welche  wir  einathmen,  unter  allen  Umständen  rein  zu  erhalten,  und  dies 
namentlich  im  Winter  in  geschlossenen  Räumen.  Bekannt  ist  es  übrigens,  dass  das 
verbrennende  Leuchtgas  weniger  Kohlensäure  producirt  als  Petroleum  (s.  S.  359). 

Verschiedene  Arten  von  Lenchtgas.  Seitdem  Lord  Dundonaid  im  Jahre  1787 
zuerst  das  Steinkohlengas  zur  Beleuchtung  benutzt  und  der  Schotte  Murdqch  im 
Jahre   1739  den  ersten  Apparat  zur  Beleuchtung  mit  Steinkohleugas  construirt   hat,    ist 


*)  Der  Schwefel  verbindet  sich  mit  den  Kohlenwasserstoffen  zu  geschwefelten 
Kohlenwasserstoffen,    die  häufig  mit  Seh  wefel  kohlen  stoff  verwechselt  werden. 


Steinkohlentheer-Benutzung.  603 

es  unser  Jahrhundert  gewesen,  welches  diese  Beleuchtungsmethode  fast  zum  Allgemeingut 
aller  civilisirten  Völker  gemacht  hat. 

le  Bon  hat  aber  schon  1799  mittels  der  trocknen  Destillation  des  Holzes  und 
Philipp  Taylor  1815  durch  Oelgas  Leuchtgas  dargestellt;  ausserdem  benutzt  man  jetzt 
hierzu  die  verschiedensten  Substanzen,  z.B.  Harze  und  Fette,  die  Kalkseife  Öel- 
kuchen,  YVeintrester  und  sogar  die  Fäcalmassen.7) 

Zu  den  verwerth baren  Nebenproducten  der  Leuchtgas  fabrication  gehört 
ausser  dem  Gaskalke  (s.  S.  573  u.  600),  dem  Ammoniak wasser  (s.  S.-223)  und  den 
Koks  Vorzüglich  der  Steinkohlentheer,  der  auch  als  solcher  eine  vielfache  An-' 
wendung  findet.8) 

Darstellung  der  Dachpappe  oder  des  Dachfilzes  mittels  Steinkohlentheers. 

Benutzt  man  dazu  bereits  entwässerten  Theer,  so  hat  diese  Fabrication 
für  die  Adjacenten  ein  weit  geringeres  Bedenken;  in  der  Regel  lässt  man  aber 
in  solchen  Fabriken  die  Entwässerung  des  Theers  vorhergehen.  Beim 
Kochen  desselben  entwickeln  sich  dann  die  leichten  Theeröle  (Benzol), 
Carbolsäure,  Naphtalin,  Schwefelammonium  und  Schwefelcyan- 
ammonium;  die  Condensation  dieser  Gase  und  Dämpfe  ist  sowohl 
wegen  der  Feuersgefahr  als  auch  wegen  der  Belästigung  der  Adjacenten  und 
der  Beschädigung  der  Vegetation  zur  Blüthezeit  erforderlich.  Bei  der  Verleihung 
der  Concession  muss  diese  Condensation  vorgeschrieben  werden;  zweckmässig 
ist  auch  die  Tränkung  des  Holzwerks  mit  Alaunmutterlauge,  um  die  Ab- 
sorption dieser  Dämpfe  zu  verhüten;  auch  ist  die  Feuerung  stets  ausserhalb 
des  Fabrikraums  anzulegen. 

Der  Kessel  ist  mit  einer  Haube  zu  versehen,  um  die  sich  entwickelnden  Dämpfe 
durch  ein  Abzugsrohr  nach  einer  Kühlschlange  zu  leiten.  Erst  wenn  der  Theer  bis 
auf  40 — 50°  C.  abgekühlt  ist,  zieht  man  die  Pappe  durch,  indem  man  sie  an  einer 
Rolle  auf  einem  hölzernen,  in  den  Kessel  gestellten  Block  befestigt;  mittels  Walzen 
wird  dann  die  Pappe  über  eine  Art  von  Bühne  gezogen,  während  man  durch  ein  Sieb 
Sand  auf  die  nasse  Pappe  streut;  so  bestreut,  wird  sie  schliesslich  zu  einer  grossen 
Rolle  aufgewunden.  Da  sich  bei  dieser  Procedur  stets  noch  Dämpfe  von  Cai'bolsäure 
entwickeln,  so  ist  es  zweckmässig,  über  der  Bühne  einen  Windfang  herzustellen,  der  mit 
dem  Schornstein  in   Verbindung  steht. 

Zur  Darstellung  der  Steinpappe  bläst  man  mittels  Ventilatoren  oder  ge- 
schlossener Röhren  Kalkstaub  auf;  da  das  Kalkpulver  die  Basen  des  Theers  frei 
macht,  so  macht  sich  noch  ein  unangenehmer  Geruch  hierbei  bemerkbar.  Geschieht  das 
Aufstreuen  mit  der  Hand,  so  entwickelt  sich  ein  für  die  Arbeiter  schädlicher  Staub. 

Das  Imprägniren  des  Holzes  mittels  Steinkohlentheers. 

Dies  Verfahren  hat  alle  übrigen  Methoden,  z.  B.  das  Burnettiren  mit  Chlor- 
zink,'das  Kyanisiren  mit  Quecksilberchlorid  u.  s.  w.,  verdrängt.  Die  Hölzer 
werden  zuvor  bei  gleichzeitiger  Erwärmung  durch  Auspumpen  des  Wassers  und 
der  Luft  beraubt;  indem  diese  in  grossen  liegenden  Eiseublechcylindern,  die 
einen  Druck  von  5 — 6  Atmosphären  aushalten  können,  lagern,  wird  die  Evacuation 
durch  eine  Doppelpumpe  bewirkt,  welche  durch  eine  besondere  Dampfmaschine 
bewegt  wird;  die  Verdüunung  geschieht  bis  zu  einem  viertel  Zoll  Differenz 
Barometerstand.  Während  dieser  Operation  fiiesst  das  loh-  und  gummihaltige 
Wasser  durch  besondere  Röhren  ab,  dessen  Entfernung  eine  Hauptbedinguug  für 
die  Conservirung  der  Hölzer  ist. 

Nach  der  Entwässerung  lässt  man  mit  Wasserdampf  erwärmten  Theer  aus  einer 
unter  dem  Cylinder  liegenden  Theercisterne  durch  die  Steigröhren  aufsteigen:  das 
Holz  wird  dann  bis  auf  1—1  %  Zoll  Tiefe  von  warmem  Theer  durchdrungen. 

Das  Eindringen  des  Theers  hängt  von  dem  hervorgerufenen  Vacumn  und  dein 
hernach  erfolgenden  Drucke  ab;  um  es  zu  befördern,  mischt  man  den  Theer  mit 
The  er  öl  von  hohem  Carbolsäuregehalt.  Beim  Vorwärmen  dieser  Mischung  treten 
reichliche  Dämpfe    von   Carbolsäure    und   Naphtalin    auf,    die    durch    einen   sorg- 


ft04  Gemenge  von   Kohlenwasserstoffen. 

fältigen  Verschluss  der  Cisterne  und  durch  besondere,  nach  dem  Schornstein  des  Dampf- 
kessels führende  Ganäle  unschädlich  gemacht  werden  müssen.  Geschielit  dies  nicht,  so 
setzt  man  die  Arbeiter  vielfachen  Leiden  aus,  welche  hier  offenbar  durch  die  Dämpfe 
der  Carbolsäure  entstehen  und  sich  in  chronischen  Augenentzündungen  äussern. 
In  einer  solchen  Anstalt  litt  namentlich  ein  Arbeiter  an  chronischer  Hornhautentzündung, 
die  offenbar  durch  die  Einwirkung  der  Dämpfe  der  Carbolsäure  herbeigeführt  worden; 
denn  eine  Besserung  dieses  Leidens  trat  erst  ein,  nachdem  die  Fabrik  Einrichtungen  zur 
Ableitung  dieser  Dämpfe  getroffen  hatte. 

Auch  machte  sich  hier  die  „Theerkrätze"  geltend,  wiederum  ein  Beweis,  dass  unter 
den  Bestandteilen  des  Theers  es  namentlich  die  Carbolsäure  ist,  welche  durch  directe 
Berührung  mit  der  Haut  dieses  Leiden  erzeugt.  In  Imprägniranstalten  dieser  Art  sollte 
es  daher  niemals  an  Badeeinricbtungen  fehlen. 

Gewinnung  der  leichten  und  schweren  Theeröle  durch  Reotification 
des  Steinkohlentheers. 

Der  vorbereitende  Act  der  Rectification  besteht  in  einer  Entwässerung 
des  Theers,  die  hier  durch  ruhiges  Stehenlassen  des  Theers  oder  mittels  eines 
Dampfstrahls  bewirkt  wird.  Für  die  Rectification  benutzt  man  verschiedene 
Apparate,  die  sich  wesentlich  nur  in  der  Form  unterscheiden.  In  England  ver- 
wendet man  vielfach  cylindrische,  stehende  Blasen,  in  Deutschland  ans 
Eisenblech  angefertigte  Retorten,  die  den  Dampfkesseln  ähnlich  sind  und  auf 
einem  Feuergewölbe  ruhen. 

Die  Feuergase  circuliren  in  Canälen  um  die  Kessel;  auch  über  denselben  befindet 
sich  Mauerwerk,  so  dass  nur  das  Mannloch  und  das  Abzugsrohr  für  die  Gase  und 
Dämpfe  nach  oben  hervorragen.  Der  Theer  wird  am  Boden  des  Kessels  durch  ein 
horizontal  verlaufendes  Rohr  abgelassen.  In  sanitärer  Beziehung  ruht  der  Schwer- 
punet  aller  Einrichtungen  in  der  Condensation  der  Gase  und  Dämpfe  und  zwar 
mittels  einer  mit  dem  Abzugsrohr  in  Verbindung  stehenden  Kühlvorrichtung.  Letztere 
wird  zweckmässig  aus  im  Zickzack  verlaufenden  gusseisernen  Röhren  dargestellt, 
deren  Köpfe  behufs  Reinigung  abgenommen  werden  können:  man  sollte  hiermit  die  in 
Leuchtgasfabriken  gebräuchlichen  Schrubber  verbinden,  wenn  nicht  meist  die  Kosten 
der  Einrichtung  gescheut  würden.  Zum  wenigsten  muss  ein  Gassammeikasten  schon 
wegen  der  Feuergefährlichkeit  polizeilich  vorgeschrieben  werden.  In  einigen  Fabriken 
wird  auf  das  aus  dem  Kühltroge  heraustretende  Ausflussrohr  ein  Rohr  aufgesetzt,  um 
die  uncondensirten  belästigenden  und  gefährlichen  Gase  über  das  Dach  des  Destil- 
lationsraumes hinaus  zu  führen. 

Die  Rectification  besteht  in  einer  fractiouirten  Destillation,  da  es  hierbei 
auf  die  Gewinnung  mannigfacher  Producte  von  verschiedenem  Schmelzpuncte 
ankommt;  in  allen  Producten  sind  aber  Phenol,  Anilin  und  Homologe  ent- 
halten.    Man  unterscheidet: 

1)  die  Vorlanföle,  welche  erst  bei  100°  mit  Wasserdämpfen  übergehen, 
2)  die  leichten  Oele,  Leichtöle,  die  als  Oele  der  ersten  Fractionirung  namentlich 
Benzol,  Toluol,  Cumol  und  Xylol  enthalten  und  hier  als  die  Repräsentanten  der 
aromatischen  Körper  hauptsächlich  zu  berücksichtigen  sind. 

3)  Die  schweren  Theeröle,  Schweröle,  Kreosotöle  (heavy  oils)  sind  die  Pro- 
ducte der  zweiten  Fractionirung  und  bestehen  aus  öligen,  flüssigen  Kohlen- 
wasserstoffen, Naphtalin,  Phenol,  Kreosot  und  Anthracen;  sie  stellen 
eine  butterartige  Masse  dar,  wenn  sich  in  der  Kälte  Naphtalin  und  Anthracen 
ausscheiden;  will  man  Schmieröl  und  Anthracen  aus  ihnen  gewinnen,  so 
unterwirft  man  sie  der  Destillation. 

Das  erste  Destillat  wird  so  lange  aufgefangen,  bis  eine  Probe  beim  Erkalten 
Naphtalin  ausscheidet;  es  dient  wegen  seines  Gehaltes  an  Phenol  namentlich  zum  lm- 
prägniren  der  Hölzer.  Bleibt  das  Destillat  flüssig,  so  wird  es  als  flüssiges 
Schmieröl  besonders  aufgefangen:  nimmt  dann  das  Destillat  eine  breiige  Consistenz 
an,  so  wird  es  als  grünes  Schmierfett  (green-grease)  wegen  seines  Gehaltes  an 
Anthracen  (20%)  zur  Anthracendarstellung  benutzt  (s.  Anthracen).    Der  Rückstand 


Rectification  des  Steinkohlentheers.  (>05 

im   Kessel    besteht   je    Dach   der  Dauer  der  Destillation    entweder   aus   weichem   oder 
hartem  Pech  (Asphalt)*). 

Die  Leichtöle  werden  noch  weiter  rectificirt,  um  die  für  die  Theerfarben- 
fabrication  wichtigen  Producte  zu  erhalten.  Das  erste  Destillat  heisst  in  der 
Technik  rohe  Naphta,  wenn  die  Destillation  ohne  vorhergehende  Reinigung  statt- 
gefunden hat;  man  zieht  es  aber  vor.  die  Leichtöle  noch  vor  der  Rectification 
(gewöhnlich  zusammen  mit  den  Vorlaufölen)  von  ihrem  Gehalte  an  Phenol 
durch  Behandeln  mit  Natronlauge  und  Schwefelsäure  zu  befreien**).  Auch  dies 
Destillat  heisst  bei  einem  spec.  Gew.  von  0.91 — 0,93  noch  rohe  Naphta***). 
Es  wird  nun  die  Vorlage  gewechselt,  denn  was  jetzt  überdestillirt.  enthält 
schon  Naphtalin  und  dient  andern,  später  zu  besprechenden  Zwecken. 

Die  rohe  Naphta  wird  dann  einer  nochmaligen  Destillation  unterworfen, 
um  das  Endproduct,  das  Benzol,  zu  erhalten;  man  bedient  sich  hierbei  allgemein 
des  Dampfes,  aber  verschiedener  Einrichtungen,  die  jedoch  in  dem  Bestreben 
gipfeln  müssen,  die  flüchtigen  Destillationsproducte  auf  das  sorgfältigste  zu  con- 
densiren.  Der  flüchtige  Theil,  welcher  zwischen  100 — 105°  übergeht,  ist  das 
Benzol  des  Handels;  da  es  ausser  seinen  Homologen,  Toluol,  Xylol  u.  s.  w., 
auch  schwefelhaltige  Körper  enthält,  so  wird  es  noch  mit  concentrirter  Schwefel- 
säure so  lauge  behandelt,  bis  das  Benzol  beim  Schütteln  mit  kalter  concentrirter 
Säure  farblos  bleibt.  Nach  gehörigem  Auswaschen  wird  dann  nochmals  mit  ein- 
gesenktem Thermometer  destillirt  und  man  fängt  erst  das,  was  zwischen  80°  und 
88°  übergeht,  besonders  auf;  durch  Wiederholung  dieses  Verfahrens  erhält  man 
ein  Benzol,  dessen  Siedepunct  zwischen  81 — 82°  liegt.1) 


*)  Der  Asphalt  (s.  S.  594)  wird,  wenn  er  zu  Briquettes  Verwendung  findet, 
erwärmt  und  mit  Kohleu-,  Koks-,  Torfklein  u.  s.  w.  vermengt,  wobei  sich  höchstens  Dämpfe 
von  Naphtalin  und  Ammoniak  erzengen  können:  durch  besondere,  den  Ziegel- 
maschinen ähnliche  Apparate  formt  man  aus  der  Masse  Steine.  Häufiger  wird  die 
Verkokung  des  harten  und  weichen  Pechs  in  Retorten  oder  Muffelöfen  vorge- 
nommen: letztere  haben  in  der, Mitte  des  Ofengewölbes  eine  runde  Oeffnung  zum  Be- 
schicken des  Ofens:  ein  Rauchfang  über  der  Arbeitsthür  ist  durch  einen  unterirdischen 
Zugcanal  mit  der  Feuerung  verbunden,  um  den  am  Schlüsse  der  Destillation  aus  den 
ArbeitsöflhuDgen  strömenden  Rauch  abzuführen.  Die  Arbeiter  müssen  sich  trotzdem 
durch  Vorbinden  von  feuchten  Schwämmen  vor  Mund  und  Nase  vor  dem  glühenden 
Staube  schützen,  wenn  sie  die  noch  glühenden  Koks  aus  den  Oefen  ziehen;  werden  die 
Koks  mit  Wasser  gelöscht,  so  treten  viele  Wasserdämpfe  auf  (s.  S.340).  Ein  besonderes 
Rohr  dient  zum  Abführen  der  zn  condensirend  en  Dämpfe  und  setzt  sich  mittels  eines 
langen  Eisenrohrs  zur  Kühlschlange  fort,  an  welcher  ein  Zweigrohr  die  nicht  conden- 
sirten  Dämpfe  unter  den  nothwendigen  Vorsichtsmassregeln  in  die  Feuerung  führt. 
Das  erhaltene  Pro  du  et  wird  für  die  Anthracenindustrie  benutzt.  Ebenso  gewinnt 
man  Rohanthracen  durch  die  Destillation  des  weichen  Pechs,  die  unter  Mit- 
benutzung von  überhitztem  Wasserdampf  in  eisernen  Blasen  vorgenommen  wird. 

**)  Die  bei  dieser  Reinigung  auftretenden  Gase  und  Dämpfe  verhalten  sich  ceteris 
paribus  ähnlich  wie  bei  den  analogen  Processen  der  Raffination  des  Petroleums  und  der 
Mineralölfabriken  (s.  S.  593  u.  595). 

***)  Bei  dieser  Destillation  bedeckt  sich  die  Mündung  des  Sehlangenrohrs_ bisweilen 
mit  blumenkohlartigen  Wucherungen,  die  hauptsächlich  aus  krystallisirtem  Wasser  be- 
stehen, weil  sich  das  äussere  Ende  des  Schlangenrohrs  bei  der  beträchtlichen  "Verdunstung 
oft  bis  auf —2  — 3°  C.  abkühlt.  Es  sind  schon  die  heftigsten  Explosionen  entstanden. 
wenn  man  des  Abends  unvorsichtigerweise  mit  einem  offnen  Lichte  den  Gang  der 
Destillation  beobachtete:  daher  sind  auch  hier  Gassammeikasten  unter  allen  Um- 
ständen mit  dem   Sehlangenrohr  in  Verbindung  zu  bringen. 


HOrt  Die  aromatischen  Körper. 


Die  aromatischen  Körper. 

Mit  den  aromatischen  Körperu  nahern  wir  uns  wieder  den  Fettkörpern, 
mit  denen  sie  vieles  Gemeinsame  haben,  während  sie  sieh  im  Allgemeinen  durch 
einen  grossem  Kohlenstoffgehalt  auszeichnen.  Das  erste  Glied  in  dieser  Reihe  ist 
Benzol  ('„ Hi;.  das  als  der  Ausgangspunct  der  Theerfarhenindustrie  zu  be- 
trachten ist.  Um  es  von  allen  andern  Kohlenwasserstoffen  zu  befreien,  wird  es 
(  iner  Temperatur  von  — 10°  ausgesetzt;  es  schiesst  dann  in  farrenkrautähnlichen 
Blättern  an  und  kann  vou  seinen  Beimengungen,  die  nicht  erstarren,  durch 
Pressung  leicht  getrennt  werden.  Man  erhält  es  auch  durch  die  trockne  Destil- 
lation vou  benzoesaurem  Natrium  mit  einem  Alkali: 

C6H5~CO  ONa  4-  Na  HO  =  C«He  ■+■  Na,C03. 

Benzol    .stellt   eine  wasserhelle  Flüssigkeit  dar,   welche  schon  hei  0°  erstarrt  und 

i       '    wieder   flüssig   wird;    löslich   ist   es  in  Holzgeist,    Alkohol    und  Aether,    in    der 

Wärme  lös!   es  Schwefel,  Jod   und  Phosphor  auf.      Es  ist  leicht  entzündlich  und   brennt 

mit   heller,  stark  russender  Flamme:    bei   der  Aufbewahrung    und   beim  Transport   sind 

deshalb  die  erforderlichen  Vorsichtsmassregeln  zu  beobachten. 

In  den  Theerfabriken  unterscheidet  mau  l)  sehr  leichtes  Benzol  von  einem 
Siedepuncl  zwischen  80—95.°,  2)  leichtes  Benzol  vou  einem  Siedepunct  zwischen 
100-  120°,  3)  schweres  Benzol  von  einem  Siedepunct  zwischen  210—220°  C.  und 
4)  das  schwerste  zwischen  222     230°  C. 

Einwirkung  des  Benzols  auf  den  thierischen  Organismus,  i)  Mit  30  Tropfen 
des  sehr  leichten   Benzols  wird  ein  Baumwollpfropfen  befeuchtet,  der    im  Grunde  eines 

Den  Trichters  Liegt;  als  ein  Kaninchen  mit  dem  Kopfe  in  die  Trichtermündung 
gehalten  wird,  tritt  Dach  1  M.  ein  starkes  Zittern  ein,  das  bald  in  allgemeine  Convul- 
sionen  mit  lautem  Schreien  übergeht.  Nach  2  M.,  als  das  Kaninchen  frei  auf  den 
Buden  gelegt  wurde,  halten  dieselben  Doch  30Sec.  an,  dann  folgen  tetanisehes  Strecken 
der  Hinterbeine,  Zittern  des  Kopfes,  starker  Speichelt]  uss  und  sehr  unregelmässiges 
Athmen.     Nach  5  M.  läuft   es  wieder  einher  und  bleibt  gesund 

2)  Eine  grosse  Katze  wurde  im  grossen  Glaskasten  10  M.  lang  den  Dämpfen  von 
Benzol  ausgesetzt;  unter  starkem  Speicheln,  vermehrter  Respiration.  Taumeln  und  Hin- 
fallen richtet  sie  sieh  wieder  auf  unter  convulsivischem  Zittern  in  der  rechten  Vorder- 
pfote. 20  M.  nachher  stürzt  sie  nach  Verbrauch  von  2  Grm.  hin:  als  sie  nun  mit  dem 
Kopfe  der  freien  Luft  ausgesetzt  wurde,  sprang  sie  auf  und  setzte  über  eine  5  Fuss 
hone  Mauer. 

Bei  Menschen  erzeugen  die  Dämpfe  ebenfalls  Taumel,  Eingenommenheit  des 
Kopfes,  Ohrensausen,  Zittern,  convulsivische  Zuckungen,  Dyspnoe  und  schliesslich 
Anästhesie.  Die  unaugeuehmen  Nebenwirkungen  verhindern  aber  die  Anwendung 
dieses  Körpers  als  Anaestheticum. 

Als  Benzol  noch  als  sogenanntes  Fleckwasser,  namentlich  zum  Waschen 
der  Handschuhe,  verwendet  wurde,  beobachtete  man  namentlich  bei  Frauen 
ausser  den  genannten  Symptomen  bei  höhern  Graden  der  Afficirung  sogar  den 
hysterischen  Zuckungen  und  Krämpfen  ähnliche  Erscheinungen.  Im  Organismus 
wird  Benzol  verändert  und  tritt  im  Harn  als  Benzoesäure  auf;  gegenwärtig 
wird  es  fast  überall  in  der  Technik  durch  das  Petroleumbenzin  ersetzt.*) 


Man  konnte  vermuthen     däss  Aethylbenzol   C6Hs(C2H5)  =  C8H10,    welches 
bei   133°  siedet  und  mit  den  Xylolen  isomer  ist  (s.  diese),   eine   stärkere  anästhesirende 

Wirknt  □    wurde:    die  Versuche    haben    jedoch    diese  Annahmen   nicht  bestätigt. 

Tauben  fallen  nach  der  Verdampfung  von  20  Tropfen  unter  Würgen  und  Taumel  hin 
und  lassen  sieh  wie  eine  todte  Masse  bin  und  her  bewegen,  obwohl  Blinzeln  mit  den 
^.ugen  noch  bemerkbar  ist:  Taumel  und  Erbrechen  bleiben  noch  20  — 30  Min.  lang 
zurück.  Dieser  Körper  wirkt  aber  nicht  giftig  ein.  da  eine  Taube  sich  nach  drei- 
maliger  Wiederholung  des  Versuchs  vollständig  erholte. 


Nitrobenzol.  607 

Nitrogruppe  des  Benzols. 

Nitrobenzol,  Nitrobenzin  C6H5.N02,  Mirbanöl,  wird  durch  Einwirkung  von 
rauchender  Salpetersäure  auf  Benzol  erhalten.  Es  ist  eine  gelbliche  Flüssigkeit,  welche 
bei  —3°  in  Nadeln  _  krystallisirt  und  zwischen  205—210°  siedet.  Dem  Benzol  ent- 
sprechend unterscheidet  man  im  Handel  3  Sorten  von  Nitrobenzol:  1)  leichtes, 
welches  zwischen  205 — 210°  siedet,  bei  gewöhnlicher  Temperatur  verdampft  und  vor- 
zugsweise Mirbanöl  genannt  wird,  2)  schweres,  das  zwischen  210--2200  siedet, 
3)  sehr  schweres,  welches  zwischen  222—235°  siedet;  letzteres  wird  vorzugsweise 
auf  Anilin  resp.  Anilinblau  verarbeitet. 

Einwirkung   der  Dämpfe  von   Nitrobenzol    auf  den   thierischen   Organismus. 

1)  Im  grossen  Glaskasten,  in  dem  eine  grosse  Katze  sass,  kamen  15  Grm.  Nitro- 
benzol in  warmem  Sande  zur  Verdunstung:  es  trat  sehr  starkes  Speicheln  neben  be- 
schwerlichem und  vermehrtem  Athmen  ein.  Als  nach  30  M.  der  Kasten  wegen  Zusatzes 
von  15  Grm.  Nitrobenzol  aufgehoben  wurde,  entfloh  die  Katze;  in  den  Kasten  zurück- 
gebracht, verfiel  sie  wieder  in  starkes  Speicheln  unter  Thränen  der  Augen;  Taumel, 
Hinfallen  und  Wiederaufstehen  wechseln  beständig,  bis  sie  nach  40  M.  bei  grosser 
Dyspnoe  liegen  bleibt  und  nach  1  St.  40  M.  unter  progressiver  Erlahmung  der  Respi- 
ration stirbt. 

Section  15  Stunden  hernach.  Cornea  leicht  getrübt,  Hirnhäute  und  Plex. 
venös,  spin.  reich  an  dickflüssigem,  dunklem  Blute;  beide  Lungen  leberfarbig,  aus 
den  schwarzbraunen  Durchschnitten  tritt  schwarzes,  mit  weissem  Schaum  vermischtes 
Blut  aus.  Die  Schleimhaut  ist  von  den  feinsten  Bronchien  .bis  zum  Larynx  hin  roth- 
braun gefärbt  und  mit  einem  feinen  Schaum  bedeckt,  die  Ränder  von  blassrotker, 
emphysematöser  Beschaffenheit.  Die  linke  Herzhälfte  ganz  mit  dickflüssigem, 
schwarzem  Blute  angefüllt:  12  Grm.  von  ähnlicher  Beschaffenheit  hatten  sich  in  der 
Brusthöhle  angesammelt;  in  der  Bauchhöhle  nichts  Auffallendes.  Die  Harnblase  enthielt 
8  Grm.  klaren  Urin,  in  dem  sich  kein  Anilin  nachweisen  Hess.  Das  Blut  war  vor- 
herrschend dickflüssig,  dunkelroth  und  wurde  auch  an  der  Luft  nicht  heller.  In  den 
verschiedenen  Höhlen  war  ein  deutlicher  Geruch  nach  bittern  Mandeln  bemerkbar. 

2">  Eine  junge  Katze  zeigt  nach  der  Verdampfung  von  14  Grm.  Nitrobenzol  ganz 
ähnliche  Erscheinungen:  als  sie  nach  35  M.  auf  die  Erde  gesetzt  wird,  geht  sie  taumelnd 
einher,  fällt  oft  auf  die  linke  Seite,  erhebt  sich  aber  jedesmal  wieder.  20  M.  nach  dem 
Versuche  verhält  sie  sich  ruhig;  am  andern  Morgen  wird  sie  in  vollständiger  Starre 
angetroffen. 

Bei  der  Section  fällt  die  Anfüllung  des  ganzen  Herzens  mit  theils  flüssigem, 
theils  geronnenem,  dunkelkirschrotheni  Blute  auf.  Die  Lungen  sind  zusammengefallen, 
von  heiler  Farbe,  nur  der  rechte  untere  Lappen  ist  dunkelbraunroth;  das  Parenchym  ist 
nicht  blutreich  und  die  Schleimhäute  sind  blass. 

Hiernach  müssen  die  Dämpfe  schon  ziemlich  concentrirt  einwirken,  um 
einen  letalen  Ausgang  herbeizuführen,  dem  stets  eine  starke  Dyspnoe  vorher- 
geht, die  auch  Charvet  bei  einem  Hunde  nach  Verdampfung  von  10  Grm.  Nitro- 
benzol beobachtet  hat. 

Charakteristisch  sind  der  Taumel  und  der  schlafsüchtige  Zustand,  während 
eine  ausgebildete  Anästhesie  fehlt.  Uebrigens  entfalten  die  Dämpfe  eine  schnellere 
Wirkung  als  innerlich  gereichte  Gaben,  ein  Umstand,  der  grade  für  die  Fabrik- 
arbeiter von  Wichtigkeit  ist,  indem  diese  durch  die  Beschmutzung  ihrer  Kleider 
mit  Nitrobenzol  Anlass  geben,  dass  sie  sich  in  einer  beständigen  Atmosphäre  der 
Dämpfe  dieses  Körpers  befinden.  Letheby  hat  einen  Fall  von  Vergiftung  mit- 
getheilt,  die  sich  auf  diese  Ursache  zurückführen  Hess.*) 

Bei  der  Ingestion  von  Nitrobenzol  ist  der  Krankheitsverlauf  oft  von  langer  Dauer, 
wie  sich  aus  folgendem  Versuche  ergibt.  Ein  mittelgrosser  Bastard  von  Windspiel 
erhielt  15  Grm.  Nitrobenzol;  kurz  darauf  trat  starkes  Speicheln  ein  und  nach  30  M 
zeigten  sich  convulsivische  Zuckungen  und  Zittern.  2  Stunden  hernach  wurde  die  Gabe 
wiederholt,  ebenso  nach  5  und  8  Stunden,  so  dass  die  ganze  Menge  60  Grm.  betrug, 
ohne  dass  andere  Symptome  als  das  starke  Speicheln  eintraten.  Am  folgenden  Tage 
entwickelt  der  Hund  eine  bedeutende  Fresslust,  mit  den  Faeces  geht  ein  langer  Band- 
wurm ab;  dann  tritt  Erbrechen  mit  Speicheln,  beschleunigtem  Herzschlage,  erschwertem 


*)    Streeter  (Med.  Times  p.  625  1854)    behandelte  ein  Kind,    das  nach  dem  Genuss 
von  nach  Nitrobenzol  riechendem  Sago  in  soporösen  Schlaf  verfiel. 


(308  Die  aromatischen  Körper. 

Athmen,  tetanischen  Krämpfen  bei  erweiterter  Pupille  ein.  Der  beschleunigte  Herz- 
schlag,  Zittern  der  Beine  oder  des  ganzen  Körpers,  Heulen,  Stöhnen,  starke  Dyspnoe, 
rotirende  Bewegungen  der  Extremitäten  in  der  Seitenlage,  Abgang  blutiger  Faeces, 
tetanisches  Strecken  der  Extremitäten,  grosser  Durst,  Hinfallen  beim  Versuche  auf- 
zustehen, Zunahme  der  Parese,  Zuckungen  der  Gesichtsmuskeln  u.  s.  w.  setzten  ein  Krank- 
heitsbild  zusammen,  das  S  Tage  lang  fast  unverändert  blieb;  als  die  Temperatur  unter 
der  Zunge  allmählig  auf  25°  gefallen  und  der  Herzschlag  stundenlang  kaum  hörbar  war, 
trat  schliesslich  der  Tod  ein. 

Bei  der  Section  (2  Stunden  nachher)  findet  sich  im  Kehlkopf  eine  schaumige 
Flüssigkeit,  die  Schleimhaut  der  Trachea  ist  ohne  Injectionsröthe,  die  Lungen  sind  von 
sehmutzigrother  Farbe,  enthalten  auf  der  Oberfläche  emphy  sein  atöse  Erhabenheiten 
und  zeigen  auf  den  Durchschnitten  dunkelrothes,  flüssiges  Blut;  das  ganze  Herz  strotzt 
von  dickflüssigem,  schwarzem  Blute;  ausserdem  bemerkt  man  auch  an  den  Hirnhäuten 
eine  starke  Blutfülle.  Die  Schleimhaut  des  ganzen  Ti'act.  intest,  ist  mit  einer  intensiv 
gellten  Schleimlage  bedeckt,  in  welcher  sich  durch  die  Analyse  Pikrinsäure 
nachweisen  lässt,  die  hier  nur  als  Spaltungsproduct  aus  dem  Nitrobenzol  entstehen 
konnte.'"')  Nach  Wegnahme  der  Schleimlage  erscheint  die  Schleimhaut  stark  injicirt  und 
hier  und  da  mit  Ekchymosen  besetzt.  Im  klaren  Urin1),  in  der  Leber  und  Lunge 
konnte  Anilin  nachgewiessen  werden**).  Die  übrigen  Unterleibsorgane  boten  nichts 
Auffallendes  dar,  nur  waren  alle  grössern  Venen  mit  dunklem,  dickflüssigem  Blute  an- 
gefüllt. Bei  der  Spcctralanalyse  traten  bei  einer  Blutverdünnung  von  1  :  80  die  normalen 
Blutbänder  auf.2) 

Die  Vergiftung  bei  Menschen  stimmt  in  den  meisten  Puncten  hiermit  überein, 
nur  mit  dem  Unterschiede,  dass  hier  Cyanose  zu  den  ersten  und  auffallendsten 
Symptomen  gehört;  die  Lippen  werden  bald  blau  und  Schaum  tritt  vor  den  Mund, 
sonst  verbinden  sich  auch  beim  Menschen  Dyspnoe,  oberflächliche  stertorose  Athmung 
und  Sinken  der  Temperatur  mit  sehr  schwachem  Herzschlage  und  kaum  wahrnehm- 
baren Herztönen.  Die  Glieder  sind  gänzlich  erschlafft  wie  bei  der  Chloroformnarkose, 
oder  Trismus,  Tetanus,  selbst  Manie  sprechen  für  die  schwere  Affection  der  Nerven - 
centren,  die  schliesslich  die  Herzlähmung  mit  bedingt,  während  die  Stauung  und  Störung 
der  Circulation  sich  schon  frühzeitig  durch  das  Auftreten  der  Cyanose  kund  geben/1) 

Die  Hülfeleistung  bei  Vergiftungen  besteht  bei  der  Ingestion  des  Giftes  am 
besten  in  der  schnellen  Darreichung  eines  Brechmittels,  da  erfahrungsgemäss  ein  heftiges 
spontanes  Erbrechen  die  Wiederherstellung  sehr  begünstigt.  Am  schädlichsten  sind 
ätherische  Mittel,  da  sie  die  Ueberführung  des  Nitrobenzols  in  das  Blut  befördern4).  Am 
nützlichsten  dürften  in  allen  Fällen  kochsalzhaltige  Arzneien  sein,  weil  sie  den 
Salzgehalt  des  Blutes  vermehren  und  dadurch  die  Ausscheidung  des  aufgenommenen 
Nitrobenzols  begünstigen,  denn  Nitrobenzol  wird  von  salzhaltigen  wässrigen  Flüssigkeiten 
nicht  in  erheblicher  Menge  aufgenommen. 

Bei  der  Fahrkation  von  Nitrobenzol  benutzt  man  fast  allgemein  den 
Perkin 'sehen  Apparat,  der  aus  einer  Reihe  gusseiserner,  kessel-  oder  cylinder- 
förmiger,  mit  Rührern  versehener  Mischgefässe  besteht;  jeder  Rührer  wird  durch 
ein  konisches  Rad  von  einer  Welle  aus  bewegt  und  geht  durch  eine  auf  dem 
Deckel  angegossene  Büchse,  die  durch  eine  Flüssigkeit,  gewöhnlich  durch  Nitro- 
benzol, abgeschlossen  wird,  während  eine  metallene,  glockenartige  Kappe  durch 
Verschraubung  dicht  an  der  Rührstange  anliegt  und  mit  der  untern,  offenen 
Partie  in  diese  Flüssigkeit  eintaucht.  Ausserdem  finden  sich  Oeffnungen  im 
Deckel  für  die  Zufuhr  der  Materialien  und  Ableitung  der  Gase.  Die  Oeffnung 
für  das  Benzol,  das  jetzt  allgemein  zuerst  eingeschüttet  wird,  hat  einen  Deckel- 
verschluss;  die  Säure***)  lässt  man  allmählig  zufliessen  und  zwar  mittels  eines 

*)  Auch  bei  Menschen  beobachtet  man  während  einer  lang  dauernden  Vergiftung 
bisweilen  ein  Gelbwerden  der  Haut  und  Conj  unetiva,  bei  der  Section  eine 
gelbe  Färbung  der  Leber  oder  eine  fast  gelbe  Färbung  des  Herzmuskels ,  eine  Er- 
scheinung,  die  sich  auf  das  Auftreten  der  Pikrinsäure  zurückführen  lassen  dürfte. 

**)  Schon  am  5.  Tage  der  Vergiftung  reagirte  der  abgegangene  Urin  deutlich  auf 
Anilin.  Bekanntlich  hat  Letheby  zuerst  auf  diese  Umwandlung  des  Nitrobenzols  im 
Organismus  aufmerksam  gemacht;  seine  geringe  Menge  kann  aber  nicht,  wie  Lelheby 
meint,  die  convulsivischen  und  paretischen  Erscheinungen  bei  der  Vergiftung  bedingen. 
"*)  Wird  rauchende  Salpetersäure  genommen,  so  treten  die  Dämpfe  von 
Untersalpetersäure  auf;   bei  einem  Gemisch  von  Sal  petersäure  und  Schwefel- 


Carbolsäure.  609 

nach  Art  der  Weiter' sehen  Sicherheitsröhre  gebogenen  Glasrohrs,  damit  die 
Flüssigkeit  als  Absperrungsmittel  dient. 

Je  sorgfältiger  die  Fabrication  geleitet  wird,  desto  weniger  machen  sich  saure 
Dämpfe  bemerkbar,  ein  Punct,  der  nicht  bloss  in  technischer,  sondern  auch  in  sani- 
tärer Beziehung  von  der  grössten  Wichtigkeit  ist.  Man  kann  das  Glasrohr  aach 
zweckmässig  mit  einem  Hahn  versehen,  um  den  Zufiuss  der  Säure  zu  reguliren.  Durch 
ein  besonderes  Rohr  gehen  die  sauren  und  benzollialtigen  Dämpfe  in  ein  Abkühlgefäss. 
In  einigen  Fabriken  wird  auch  das  Mischgefäss  durch  Wasser  gekühlt,  das  aus  kleinen 
Oeffnungen  einer  Rohrleitung  fliesst.  Am  Boden  des  Mischgefässes  befindet  sich  eine 
canalförmige  Oeffnung  zum  Ablassen  seines  Inhaltes;  die  zuerst  abgehende  Säure  ist 
braungelb,  riecht  nach  Nitrobenzol  und  wird  in  besondern  Glasballons  aufgefangen*). 
Dann  geht  benzolhaltiges  Nitrofeesizol  ab,  das  in  hölzernen  Bottichen  mit  Rührvorrich- 
tungen mit  Wasser  gewaschen  und  schliesslich  noch  in  eiserne  Cylinder  mit  Abzugsrohr 
und  Kühlfass  abgelassen  wird,  in  denen  man  einen  kräftigen  Dampfstrom  einwirken 
lässt,  der  das  noch  ungebundene  Benzol  mit  sich  fortführt  und  sorgfältig  zu  condensiren 
ist.  Der  als*Condensationswasser  zurückgebliebene  Dampf  sammelt  sich  über  dem  Nitro- 
benzol an;  beide  Flüssigkeiten  werden  durch  besondere  Hähne  abgelassen. 

Sehr  beachtungswerth  sind  die  Waschwässer ,  welche  beim  Auswaschen  des 
Nitrobenzols  resultiren;  ausser  Salpetersäure  können  sie  Pikrinsäure,  Oxal- 
säure, Blausäure  und  Benzoesäure  nebst  einer  gelb  färbenden,  noch  nicht  be- 
kannten Substanz  enthalten.  Sie  dürfen  niemals  in  Senkgruben  abgelassen  werden,  da 
sie  auf  diese  Weise  die  benachbarten  Brunnen  gänzlich  verderben;  in  einem  concreten 
Falle  entstand  aus  diesem,  entschieden  nachgewiesenen  Umstände  ein  kostspieliger  Pro- 
cess.  Ihr  Abfluss  in  Schwemm  can  äle  dürfte  gestattet  werden,  da  ihr  Gehalt  an  den 
genannten  Säuren  auf  faulige  Substanzen  günstig  einwirkt.  Würde  man  sie  mit  Kalk 
versetzen,  so  würden  sich  die  entsprechenden  Calciumsalze  ergeben  und  die  Gefährlich- 
keit aller  genannten  Verbindungen  sehr  gemindert  werden;  dann  könnte  ihr  freier  Abfluss 
in  Canäle  überhaupt  gar  keinem  Bedenken  unterliegen. 

Verwendung  findet  Nitrobenzol  vorzugsweise  bei  der  Fabrication  von  Anilin; 
auch  als  Mittel  zum  Parfümiren  bei  der  Seifenfabrication  oder  zur  Verfälschung  von 
Ol.  amygd  aeth.  wird  es  benutzt:  diese  ist  leicht  durch  Ueberführung  des  Nitrobenzols  in 
Anilin  resp.  in  eine  färbende  Verbindung  nachzuweisen.  Am  gefährlichsten  ist  seine 
Verwendung  zur  Darstellung  von  Persico-Liqueuren;  auch  minutiöse  Mengen 
können  hier  unter  Umständen  gefährlich  werden  und  zwar  um  so  eher,  weil  der  Alkohol 
die  Ueberführung  des  Nitrobenzols  in  das  Blut  begünstigt.  Nitrobenzol  ist  schon  häufig 
mit  Liqueur  verwechselt  und  in  dieser  Meinung  getrunken  worden5).  Es  liegen  hier- 
über genug  Beispiele  vor  und  es  ist  dringend  geboten,  dem  sogenannten  Mirbanöl, 
welches  in  den  Gewerben  und  in  der  Technik  eine  so  wichtige  Stellung  einnimmt,  eine 
grössere  sanisätspolizeiliche  Aufmerksamkeit  zu  widmen. 

1)  Hydroxylderivate  des  Benzols,  Phenole. 

Hydroxylbenzol,  Phenol,  Phenylsänre,  Carbolsänre,  Acidum  carbolicuin  C6H5(OH) 
kommt  vorzugsweise  im  Steinkohlentheer  vor  und  hiess  früher  Phenylsäure  (von 
cpai'vdco,  ich  erleuchte),  weil  sie  namentlich  bei  der  Gasbereitung  aus  Steinkohlen  auf- 
tritt. Castoreurn  soll  seinen  eigenthümlichen  Geruch  der  Carbolsäure  verdanken.  Städeler 
wies  sie  im  Menschen-,  Kuh-  und  Pferdeharn  nach;  sie  bildet  sich  bei  der  Destillation 
des  Holzes,  der  Chinasäure,  der  bituminösen  Fossilien  und  des  Benzoeharzes.  Bei  der 
Destillation  der  Salicylsäure  mit  Kalk  entsteht  sie  neben  Kohlensäure: 
C7H603  oder  C,H4(OH)C02H  ===  CfiH5(OH)  +  C02. 

Phenol  ist  somit  als  ein  Monoxybenzol,  d.  h.  als  ein  Benzol  C6H6  anzusehen,  m 
welchem  ein  H  durch  Hydroxyl  OH  vertreten  ist.    Es  röthet  Lackmuspapier  nicht  und 


säure  bilden  sich  mehr  salpetrige  und  salpetersaure  Dämpfe;  in  letzterm  Falle 
muss  stets  die  Mischung  zuvor  in  geschlossenen  Gefässen  geschehen,  widrigenfalls 
die  Arbeiter  den  schädlichen  Dämpfen  stark  ausgesetzt  werden. 

*)  Da  diese  Säure  stets  noch  Salpetersäure  enthält,  so  wird  sie  m  vielen 
Fabriken  durch  Abdampfen  concentrirt,  um  für  die  Salpetersäurefabrication 
benutzt  zu  werden,  da  diese  in  den  meisten  Nitrobenzolfabriken  als  ein  Nebenzweig 
betrieben  wird.  Geschieht  das  Abdampfen  in  offenen  Pfannen,  so  hat  es  für  die  Adja- 
centen  die  grösste  Belästigung  zur  Folge.  In  einem  concreten  Falle,  der  zu  einem  lang- 
wierigen Process  Anlass  gab,  konnte  diese  Procedur  als  die  Hauptursache  der  Be- 
schwerden der  Adjacenten'über  eine  Nitrobenzolfabrik  betrachtet  werden.  Der  Geruch 
nach  Bittermandelöl  ist  stets  an  eine  solche  Fabrik  gebunden  und  niemals  ganz  zu 
heben,  er  verursacht  aber  den  Adjacenten  keine  Nachtheile. 

Eulenberg,  Gewerbe-Hygiene.  3J 


(\]Q  Aromatische  Körper. 

macht  auf  Papier  Fettflecke,  welche  allmählig  verschwinden.  Es  ist  in  jedem  Verhält- 
oi88  in  Alkohol  und  Aethcr  Löslich  und  löst  selbst-Fette  sehr  gut;  es  färbt  auch  Eisen- 
oxydlösungen violett  und  einen  mit  Salzsäure  befeuchteten  Fichtenspan  im 
Sonnenlicht  blau  Mit  vielen  animalischen  Substanzen  geht  es  eine  Verbindung  ein  und 
coagulirt  namentlich  das  Eiweiss.  worauf  seine  fäulnisswidrige  Eigenschaft  und  gross- 
artige Anwendung  als  Desinfectionsmittel  beruht. 

Einwirkung  der  Dämpfe  der  Carbol säure  auf  den  thierischen  Organismus. 
1)  5  Grni.  Phenol  werden  in  einem  Kölbchi  n  erwärmt  und  in  die  Glasglocke  ge- 
leitet, anter  welcher  ein  Kaninchen  sitzt-  Es  zeigen  sich  sofort  Thränen  der  Augen, 
Reizung  der  Nasenschleimhaut,  Röthung  der  Conjunctiva,  zitternde  Bewegung  des  Mauls, 
dann  starkes  Zittern  des  Kopfes  und  des  ganzen  Körpers.  Nach  13  M.  prominiren  die 
Augen,  die  Pupille  verengt  sieh  und  unter  convulsiva  sehen  Zuckungen  Fällt  das  Thier 
auf  die  Seite.  Bei  seiner  Herausnahme  nach  15  M.  haiton  diese  Zuckungen  noch  an.  die 
Hornhaut  ist  weisslich;  3  M.  nachher  erfolgt  auch  der  Herzschlag  stossweise  und  un- 
regelmässig;   s  ^1    später  tritt  der  Tod   unter  progressiver  Abnahme  der  Athmung  ein. 

Section  "24  Stunden  hernach.  Hirnhäute  sehr  hyperämisch,  auf  den  Corp. 
quadrig.  lagert  ein  4  Linien  langes  und  1  Linie  breites  Blutklümpchen  und  in  der  Um- 
gegen.d  der  Medull.  oblong,  ein  durchsichtiges,  flüssiges  Blutextravasat.  Lungen  blass- 
roth.    emphys*  der   hintern   Fläche   dunkelbraun    marmorirt.   auf  den   Durch- 

schnitten ein  röthlicher  Schaum,  vermischt  mit  Blutklümpchen.  Die  rechte  Herzhälfte 
strotzt  von  schwarzem,  geronnenem  Blute:  wenig  flüssiges  Blut,  das  sieh  vorrindet,  röthet 
sich  an  der  Luft  mehr.     Der  Urin  wird  klar  angetroffen. 

2)  Ein  mittelgrosses  Kaninehen  sitzt  im  grossen  Glaskasten,  in  dem  eine  Schale 
mit  60  Grm.  Phenol  stand.  Nach  3  Stunden  erscheint  die  Conjunctiva  auf  beiden  Seiten 
geröthet,  geschwollen  und  mit  Schleim  bedeckt,  die  linke  Hornhaut  trübe,  erodirt,  die 
rechte  weiss  und  undurchsichtig.  Nach  5  Stunden  wird  das  Thier  herausgelassen.  Am 
andern  Morgen  (20  Standen  nach  dem  Einlassen  des  Thiers  in  den  Kasten}  sind  beide 
Augen  mit  blutigem  Schleim  verklebt:  beim  Oeffnen  derselben  quillt  eine  eitrige  Flüssig- 
keit hervor.  Die  rechte  Cornea  ist  weniger  weiss,  das  Allgemeinbefinden  anscheinend 
nicht  gestört:  vorgehaltenes  Futter  frisst  das  Kaninchen.  Nach  2  Tagen  mussten  die 
Augen  noch  aufgeweicht  werden,  da  die  Conjunctiva  noch 'geröthet  und  mit  eitrigem 
Schleim  bedeckt  ist.  Das  Epitheliom  der  Hornhaut  schuppt  sich  ab;  nach  7  Tagen  ist 
die  linke  Hornhaut  wieder  klar.  Am  linken  untern  Augenliede  ist  ein  Ectropium  ent- 
standen, das  nach  häufigen  Waschungen  15  Tage  nachher  wieder  verschwunden  ist:  die 
Restitution  ist  dann  vollständig. 

Kämpfer  fand,  dass  Insecten  durch  Phenoldämpfe  binnen  10  — 12  Minuten  zu 
Grunde  gingen:  Mäuse  und  Ratten  starben  in  etwTa  l'/2  Stunden  unter  Betäubung  und 
Convulsionen.6) 

Der  zweite  Versuch  soil  besonders  die  nachteilige  Wirkung  der  Carbol- 
sätire  auf  die  Augen  darthun  und  auf  die  Noth wendigkeit  hinweisen,  die  Arbeiter 
mehr  vor  diesen  nachtheiligen  Einflüssen  zu  schützen,  deren  Folgen  sich  gar  nicht 
selten  in  acuter  und  chronischer  Entzündung  der  Conjunctiva  und 
Cornea  kuud  geben.  Obgleich  erst  eine  bedeutende  Conceutration  der  Dämpfe 
Lebensgefahr  bedingen  kann,  so  vermögen  doch  auch  kleinere  Mengen  nachtheilig 
zu  wirken,  wenn  diese  wiederholt  auftreten.  Dies  ist  z.  B.  in  Färbereien  und 
Druckereien  der  Fall,  wenn  die  essigsauren  Beizen  nicht  in  geschlossenen 
Gefässen  stehen,  sondern  beständig  Carbolsäure  exhaliren.  Manipnliren  die  Ar- 
beiter mit  solchen  phenolhaltigen  Flüssigkeiten,  so  entstehen  an  den  Händen  oder 
durch  Uebertragnng  an  andern  Körperstellen  dieselben  Hautausschläge,  wie 
sie  bei  der  Russbereitung  (s.  S.  323)  oder  in  Photogenfabriken  (s.  S.  594) 
vorkommen. 

Bei  der  Behandlung  der  Krätze  mit  Carbolsäure  sind  schon  mehrmals 
Todesfälle  vorgekommen;  wird  sie  hierbei,  wie  es  gewöhnlich  geschieht,  vorher 
erwärmt,  so  gelangt  sie  auf  zwei  Wegen  in  das  Blut,  erstlich  als  Dampf  durch 
die  Respirationswege  und  zweitens  durch  Resorption  von  der  Haut  aus.  Es 
können  dann  erfahrungsgemäss  alle  charakteristischen  Erscheinungen  der  Carbol- 
säure-Vergiftung:  Kopfschmerzen,  Schwindel,  Betäubung,  gestörtes  Be- 
wusstsein,    spasmodische,    unregelmässige   Respiration,    frequenter, 


Carbolsäure.  Q\\ 

schwacher  Puls  und  zunehmender  Collapsus  u.  s.  w.,  auftreten.  Das  Zit- 
tern und  die  Zuckungen  zeigen  sich  bei  der  Inhalation  der  Dämpfe  in  dem- 
selben Grade  wie  bei  den  subcutanen  Injectionen.7) 

Je  grösser  die  Gaben  sind,  die  bei  der  Ingestion  plötzlich  zur  Einwirkung 
gelangen,  desto  lebensgefährlicher  werden  sich  natürlich  die  Erscheinungen  ge- 
stalten; dann  weisen,  z.  B.  bei  Gaben  von  20—30  Grm.,  tiefe  Inspirationen, 
kurze  krampfhafte  Exspirationen,  ein  Sinken  der  Temperatur  um  halbe  und  ganze 
Grade,  sowie  ein  beschleunigter  und  unregelmässiger  Puls  sofort  auf  die  Affec- 
tion der  Athmung  und  Herzthätigkeit  hin. s)  Bei  noch  grössern  Gaben  von  100  bis 
150  Grm.  erfolgt  nach  wenigen  Minuten  ein  bewusstloses  Hinstürzen  unter  Con- 
vulsionen,  das  Athmen  wird  schwer,  Schaum  tritt  vor  den  Mund  und  schon  nach 
Verlauf  einer  Stunde  kann  bei  oberflächlicher  und  schneller  Respiration,  bei  sehr 
kleinem  und  unzählbarem  Pulse  der  Tod  eintreten.9) 

Die  Erscheinungen  werden  durch  die  Affection  der  Nervencentren 
bedingt;  die  Carbolsäurekrämpfe  sind  unregelmässig  und  klonisch;  die  teta- 
nische  Form  kommt  höchst  selten  vor.  Sie  sind  von  der  Affection  des  Rücken- 
marks abhängig,  indem  zuerst  die  Reflexerregbarkeit  vermehrt,  später  aber  die 
excitomorische  Eigenschaft  des  Rückenmarks  vernichtet  wird. 10)  Die  örtlichen 
Erscheinungen  auf  der  Digestionsschleimhaut,  weissliche  Färbungen,  Aetzungen, 
gallertartige  Erweichung  oder  auch  Verhärtungen  und  lederartige  Beschaffenheit 
des  Magens  Rängen  von  der  Grösse  der  aufgenommenen  Dosen  ab. 

Bei  den  Sectionen  der  Thiere  fielen  Blutextravasate  in  der  ScliädelhÖhle,  die 
Hyperämie  der  Hirnhäute  und  namentlich  die  Anfüllung  des  Herzens  mit  schwarzem, 
geronnenem  Blute  auf.11!  Bei  Menschen  geht  die  Hyperämie  in  der  Schädelhöhle  mit 
den  Erscheinungen  des  Stickflusses  Hand  in  Hand,  während  das  Herz  oft  erschlafft  und 
mit  d  unkelschwarzem  Blute  gefüllt  erscheint. 

Um  die  Carbolsäure  in  der  Leiche  nachzuweisen,  verdampft  man  die  be- 
treffende Substanz  unter  Zusatz  von  überschüssiger  Schwefelsäure  im  Wasserbade, 
wodurch  Phenylschwefelsäure  entsteht,  welche  mit  Eisenoxydsalzen  eine 
purpurrüthe  und  mit  Alkalien  eine  carmoisinrothe  Farbe  erzeugt.  Versetzt  man  das 
Destillat  oder  die  betreffende  Substanz  nach  Landolt  mit  Bromwasser,  so  schlägt  sich 
ein  weisses  Präcipitat  von  Tribromphenol  nieder:  behandelt  man  dasselbe  mit  Na- 
triumamalgam, so  entsteht  Carbolsäure,  welche  durch  Destillation  zu  gewinnen  ist. 

Die  schädliche  Einwirkung  der  Caroolsäure  auf  die  Pflanzen  gibt  sich  durch 
Coagulation  der  eiweisshaltigen  Substanz,  Verstopfung  der  Capillaren  und  schliessliches 
Absterben  der  ganzen  Pflanze  kund,  ein  Hergang,  welcher  mit  der  physiologischen  Ein- 
wirkung der  Carbolsäure  auf  den  Thierorganismus  grosse  Aehnlichkeit  hat. 

Die  Darstellung  der  Carbolsäure  im  Grossen  aus  Steinkohlen-  und  Braunkohlen- 
theer knüpft  sich  an  die  Thatsache  an,  dass  ihr  Siedepunct  zwischen  183°  und  184° 
liegt;  sie  findet  sich  daher  vorzugsweise  in  den  schweren  und  leichten  Oelen, 
welche  bei  der  Rectification  des  Theers  auftreten.  Da  die  Carbolsäure  ausserdem  noch 
die  Eigenschaft  besitzt,  sich  mit  alkalischen  Basen  zu  verbinden,  so  benutzt  man  diese, 
um  sie  von  den  indifferenten  Kohlenwasserstoffen  zu  trennen.  Durch  die  Behandlung 
mit  Natronlauge  entsteht  Natriumphenylat  (C6H5ONa\  das  durch  Schwefelsäure  zersetzt 
wird,  um  die  Carbolsäure  als  dunkle,  ölartige  Flüssigkeit  auszuscheiden.  Man  hat  so 
viel  als  möglich  für  die  Ableitung  der  hier  auftretenden  Gase  und  Dämpfe  Sorge  zu 
tragen,  da  sie  stets  Phenol  enthalten. 

Das  auf  diese  Weise  erhaltene  sogenannte  rohe  Kreosotöl,  welches  ausser 
Phenol  noch  Kreosot  und  ölige  Kohlenwasserstoffe  enthält,  wird  der  fractionirten 
Destillation  unterworfen,  wobei  zuerst  die  flüchtigen  Kohlenwasserstoffe  mit 
Wasserdämpfen  übergehen:  man  scheidet  diese  vom  eigentlichen  Destillat  ab  und 
benutzt  sie  später  anderweitig.  Während  der  Destillation  entwickeln  sich  viele 
höchst  übelriechende  Zersetzungsproducte,  die  unter  den  geeigneten  Sicherheitsmassregeln 
unter  die  Feuerung  zu  leiten  sind. 

Das  eigentliche  Phenol  wird  in  passende  Gefässe  gefüllt  und  an  einem  kühlen 
Orte  der  Krystallisation  überlassen.  Es  stellt  im  reinen  Zustande  farblose  lange  IS, adeln 
von  eigentümlichem  Gerüche  und  ätzendem  Geschmack  dar,  welche  bei  35°  schmelzen 

39* 


ßJ2  Lromatiscl      Körper. 

und  bei  is-i°  sieden.     Die  Anwendnng  der  Carholsiiure   isl  als  DesinJfectionsmittel,   für 

Fleisch,    Holz,    Tauwerk,    für   die    Darstellung    der   Farbstoffe, 

namentlich  von  Pikrinsäure,  Corallin  u.  s.  w.,  von  der  grössten  Wichtigkeit  geworden.12) 

Phenolfarben. 

Rosolsäure  steht  dem  Phenol  am  nächsten  und  wurde  von  Range  im  Rück- 
stände bei  der  Destillation  des  rohen  Phenols  entdeckt;  sie  stellt  eine  harzartige, 
rothbraune,  in  Alkohol  und  Aether,  in  Wasser  aber  wenig  lösliche  Masse  dar. 
die  mit  alkalischen  Erden  prächtig  gefärbte  Salze  bildet.  Man  stellt  sie  aus  Phenol, 
Oxalsäure  und  Schwefelsäure  dar.  welche  4  —  5  Stunden  lang  in  einer  Retorte  auf 
140-150°  C.  erhitzl  werden,  und  betrachl      -  Phenol,  dasO  aufgenommen  hat.*) 

Bei    der   Fabrication    treten    Kohlenoxyd    und    Kohlensäure    in    gri 

Mengen    auf:    die  Gase   sind   mit   den  Dämpfen    des  Phenols    geschwängert    und   n 
sorgfältig  abgeleitel    werden.      Nach  volle  Eteaction    -wird   die  Mischung  in    kaltes 

ihüttet  und  unter  Erneuerung  des  Was  irt,  l>i-  aller  Phenol- 

geruch verschwunden  and  eine         |  iwarzbraune  M.  sse  entstanden  ist,  die 

zu  einem  festen  Harze  erstarrt    A      ■  .    I*.  -  VN  thält  noch  Schwefelsäure  und 

Phenylschwefelsäure  und  wird  mit  Kalkmilch  behandelt.  E-  schlagen  sich  Gips 
und  Calciumoxalat  nieder:  nach  der  Filtration  wird  die  Flüssigkeit  bis  zur  Syrnpsdicke 
eingedampft  und  mit  Salzsäure  versetzt,  wobei  sich  noch  K  -  □  •  mit  schönen  Nuancen 
ausscheidet,  Die  hierbei  abfallenden  Wässer  enthalten  Chlorcalcium  und  Salz- 
säure: auch  riechen  sie  noch  nach  Phenol  und  dürfen  nur  in  grössere  Flüsse  frei  ab- 
gelassen werden. 

Isäure    i-t    eine    unschädliche    Substanz,    die    in   Doscu    von    1    Grm. 
schweinchen  ohne  Schaden   erreicht  werden  kann:    nur  ihre  Verunreinigung  mit  Phenol 
bedingt  nachtheilige  Wirkungen. 

Verwendung  findet  die  Rosolsäure  zur  Darstellung  ehr  K  »solsäure-Lösung, 
welche  wie  Lackmustinctur  benutzt  wird,  sowie  besonders  des  Corallins.  Rothes  Corallin 
(Paeonin)  und  Azulin  sind  Derivate  der  Rosolsäure.  Corallin  nennt  man  die 
Rosolsäure.  die  entweder  mit  Ammoniak  oder  andern  Alkalien  behandelt  und  durch 
Salzsäure  gefällt  ist.  Einen  durch  Magnesia  dargestellten  Corallin  -Lack  benutzt  man 
im  Canton  Glarus  zum  Färben  der  rothen  türkischen  Fez:  die  Farbe  ist  prachtvoll, 
aber  nicht  acht  Tm  reinen  Zustande  ist  Corallin  ganz  ungiftig,  denu  Kaninchen  er- 
fahren nach  Gaben  von  1  Grm  nicht  die  geringste  Gesundheitsstörung;  auch  hier 
kann  nur  eine  Verunreinigung  mit  Phenol  oder  auch  mit  Anilin  schädlich  wirken. 
Bildung  von  Anilin  i?t  bei  der  Behandlung  der  Rosolsäure  mit  Ammoniak  bei  erhöhter 
Temperatur  nicht  unmöglich,  wenn  die  Rosolsäure  noch  Phenol  enthielt:  auch  ist  nicht 
zu  vergessen,  das?  zur  Befestigung  von  Corallin  auf  Wolle  häufig  das  arsenigsaure 
Natrium  als  Beize  benutzt  wird.13) 

Corallinjrcll)  (Anrini  wird  in  gleicher  Weise  dargestellt,  nur  beobachtet  man  eine 
-   hiedene  Temperatur  und  Dauer  der  Einwirkung. 

Azulin,  ein  schöner  blauer  Farbstoff,  entsteht  beim  Erhitzen  eines  Gemisches 
von  Anilin  mit  Corallin  oder  Rosolsäure.  wird  aber  fast  gar  nicht  mehr  benutzt. 

Fe-dn  ist   ein  rother  Farbstoff,    der  zur  Classe  der  von  kten  rothen 

Phenolfarben  (Phtaleinel  gehört  und  durch  Einwirkung  von  Brom  auf  Flnoresce'iu 
entsteht,  welches  ein  Product  der  Reaction  von  Phtalsäure  auf  Resorcin  ist.  Diese 
neuen  Phenolfarben  sehen  einer  grossen  Zukunft  entgegen. 

Phenylgelb  wird  nach  Fol  durch  Erhitzen  von  Carbolsäure  mit  gepulverter 
Arsensäure  bis  zu  100—125°  in  einem  offnen  eisernen  Kessel  unter  häufigem  Um- 
rühren erhalten.  Man  erhält  eine  X-  '  .  sse,  aus  der  durch  Behandeln  mit  Essig- 
säure und  Kochsalz  der  Farbstoff  niederfällt,  der  für  sich  gelb  färbt:  wird  er  mit 
Bariumcarbonat  gekocht  und  mit  Schwefelsäure  zersetzt,  so  liefern  die  entstandenen 
braunrothen  Blättchen  mit  alkalischen  Erden  röthlich  gefärbte  Salze,  die  Wolle 
und  Seide  in  den  verschiedensten  Nuancen  färben. 

Die  Darstellung  ist  mit  mancher  Gefahr  verknüpft,  während  der  Farbstoff  selbst 
mit  Arsenverbindungen  und  nl  gern  Phenol  verunreinigt  sein  kann. 

Phenylbraun    wird    durch    Vermischen    von    Phenol   mit   Salpeter -Schwefelsäure 

)  Um  Phenoldämpfe  in  einem  Räume  nachzuweisen,  braucht  man  daher  die  Luft 
nur  durch  Schwefelsäure  zu  leiten:  man  setzt  Oxalsäure  zu  und  erwärmt  auf  118  bis 
120°  C.  Durch  Verdünnen  der  dunkelrothen  Flüssigkeit  mit  Wasser  uDd  Uebersättigen 
mit  Natriumcarbonat  erhält  man  Rosolsäure. 


Pikrinsäure.  gi  o 

bei  fortdauernder  Abkühlung  dargestellt;  es  entwickeln  sich  hierbei  sehr  viele  salpeter- 
saure Dämpfe,  die  man  ableiten  muss.  Die  Farbe  ist  sehr  acht,  färbt  Wolle  und 
Seide  ohne  Beize  und  wirkt  nicht  schädlich  auf  den  thierischen  Organismus  ein. 

Nitroproducte  des  Phenols. 

Mtrophenylsänren  bilden  sich,  wenn  1,  2  oder  3  H  im  Phenol  durch  die  Gruppe  NO„ 
substituirt  werden,  als  krystallisirende  Körper;  unter  denselben  ist  in  technischer  Be- 
ziehung das  Trinitrophenol  oder  die  Pikrinsäure  am  wichtigsten.  Concentrin  Salpeter- 
säure wirkt  so  heftig  auf  Phenol  ein,  dass  jeder  Tropfen  davon,  welchen  man  in  Phenol 
fallen  lässt,  ein  Geräusch  erzeugt,  als  wenn  glühendes  Eisen  in  Wasser  eingetaucht  würde. 

Pikrinsäure.  Triuitrophenol  C6H3(N03)3(OH)  bildet  sieh  bei  der  Einwirkuno-  der 
Salpetersäure  auf  verschiedene  organische  Körper,  namentlich  auf  die  meisten  Pflanzen - 
extractiystoffe,  auf  Cumarin,  das  Alkaloid  aus  Asperula  odorata,  auf  Phoridzin  die 
kristallinische  Substanz  aus  der  Wurzel  des  Apfelbaums  und  mehrerer  Prunnsarten  auf 
Indigo,  Perubalsam  und  verschiedene  Harze,  auch  auf  Seide  und  Wolle,  vorzugsweise 
aber  auf  Phenol. 

Die  Pikrinsäure  krystallisirt  in  hellgelben,  stark  glänzenden  Schuppen,  schmeckt 
intensiv  bitter  und  röthet  Lackmuspapier;  sie  ist  löslich  in  Wasser/  Aether  con- 
centrirter  Schwefel-  und  Salpetersäure  und  wirkt  wie  Phenol  ahtiseptisch.  Bei  s'tarker 
Erhitzung  zersetzt  sie  sich  in  Stickoxyd,  Wasser,  Kohlensäure  und  Blausäure 
unter  vielem  Kohlenrückstand;  ihre  Salze  sind  sehr  explosiv. 

Einwirkung  der  Pikrinsäure  auf  den  thierischen  Organismus,  i)  Eine  Taube 
wurde  den  Dämpfen  der  Säure  ausgesetzt,  indem  0,5  Grm.  davon  erwärmt  und  mittels  der 
Compressionspumpe  in  den  kleinen  Zinkkasten  geleitet  wurden.  Nach  35  M.  waren  14  mit 
den  Dämpfen  geschwängerte  Liter  Luft  verbraucht;  es  traten  nur  Unruhe,  Blinzeln  mit 
den  Augen.  Husten,  Würgen  und  Erbrechen  ein;  die  Taube  erholte  sich  vollständig. 

2)  Ein  Meerschweinchen  bekam  nach  Einleitung  von  14  Liter  dieser  Luft 
einen  heftigen  Husten  und  Thränen  der  Augen,  blieb  aber,  nach  30  M.  herausgenommen 
gesund. 

3)  Es  werden  0,5  Grm.  Pikrinsäure  bis  zum  Schmelzen  erhitzt  und  die  sich  ent- 
wickelnden Dämpfe  direct  in  den  Zinkkasten  eingeblasen.  Es  entsteht  ein  heftiger 
Husten,  das  Meerschweinchen  reibt  stark  über  die  Nase,  speichelt  und  athmet  angestrengt 
und  unregelmässig.  Nach  20  M.  herausgelassen,  bleiben  Athem  und  Herzschlag  unregel- 
mässig,  jedoch  fehlt  jede  convulsivische  Bewegung.  Nach  2%  St.  wird  es  in  sitzender 
Stellung  totlt  gefunden. 

Section  nach  IS  Stunden.  Corticalsubstanz  des  Gehirns  schwach  weinroth 
gefärbt;  die  Lungen  von  schwärzlich-braunrother  Farbe,  beim  Einschneiden  tritt 
flüssiges,  dunkelrothes  Blut  aus:  Schleimhaut  schwach  geröthet.  Das  ganze  Herz  ist 
mit  schwarzem,  geronnenem  Blute  angefüllt,  nur  im  rechten  Vorhofe  findet  sich  etwas 
dickflüssiges  Blut;  Ekchymosen  zeigen  sich  auf  dem  rechten  M.  iliacus;  alle  Unterleibs- 
organe sind  blutreich. 

4  Einem  Meerschweinchen  wurde  1  C.-C  einer  gesättigten  wässrigen  Pikrin- 
säurelösung subcutan  injicirt.  In  den  ersten  S  Tagen  färbte  sich  nur  die  Conjunctiva 
beider  Bulbi  gelb;  erst  am  10.  Tage  verhielt  es  sich  ruhig,  athmete  langsam  bei  kaum 
wahrnehmbarem  Herzschlage.     Am  12.  Tage  wurde  es  todt  gefunden. 

Section  24  Stunden  nachher.  Auch  hier  zeigte  sich  besonders  das  Herz  in 
allen  Höhlen  mit  dunklem,  geronnenem  und  wenig  flüssigem  Blute  angefüllt. 

5)  Einem  starken  Meerschweinchen  wurden  0,2  Grm.  Pikrinsäure  beigebracht;  in 
der  ersten  Stunde  zeigten  sich  leichte  Zuckungen  in  den  Extremitäten,  in  der  zweiten 
beschleunigte  Respiration  und  vermehrter  Herzschlag;  in  der  dritten  Stunde  tritt  unter 
progressiver  Abnahme  der  Athmung  und  der  Herzthätigkeit  der  Tod  ein. 

Section  nach  16  Stunden.  Lungen  dunkelblauroth,  beim  Einschneiden  treten 
Blut  und  ein  feiner  weisser  Schaum  aus;  Schleimhaut  schwach  geröthet.  Das  Herz 
strotzt  von  geronnenem  Blute  Eine  gelbe  Färbung  war  nur  an  der  innern  Seite  des 
Felles  zu  bemerken.  Die  Analyse  konnte  Pikrinsäure  in  der  Leber  und  im  Harn 
nachweisen. 

6)  Einer  Taube  wurde  1  C.-C.  gesättigte  wässrige  Lösung  der  Pikrinsäure  ein- 
geflösst.  Nach  24  Stunden  zeigt  sich  ein  starkes  Jucken,  welches  das  Thier  durch  be- 
ständiges Picken  zwischen  den  Federn  zu  erkennen  gibt  und  5  Tage  lang  anhält:  die 
Taube  bleibt  dann  gesund. 

7)  Einer  Taube  werden  0,1  Grm.  Pikrinsäure,  in  Wasser  gelöst,  eingeflösst:  nach 
1  Stunde  convulsivisches  Schlagen  mit  den  Flügeln  und  Zurückziehen  des  Kopfes  in  den 
Nacken;  l/4  Stunde  hernach  AVürgen  und  die  heftigsten  Convulsionen;  diese  wiederholen 
sich  häufig  unter  sehr  besehleunrgter  und  unregelmässiger  Athmung;  nach  3l/2  Stunden 
allgemeiner  Tetanus,  der   l/2  Stunde  hernach  zum  Tode  führt. 


ß|4  Aromatische  Körper. 

Section  20  Stunden  nachher.  In  der  Gegend  der  Med  oblong,  unter  der  Dura 
niater  ein  dünnes  Blutextravasat  im  Durchmesser  eines  Centimeters:  auf  der  Oberfläche 
der  linken  Lunge  streifige  Blutextravasate ,  auf  den  Durchschnitten  kloine  Blut  - 
klümpchen;  im  Herzen  viel  geronnenes  und  wenig  dickflüssiges  Blut;  an  einzelnen 
Stellen  der  Schleimhaut  des  Dünndarms  Ekchymosen.  Nach  4  Tagen  war  der  Cadaver 
wie  eingetrocknet  und  bot  keine  Spur  von  Fäulniss  dar. 

Die  Pikrinsäure  macht  sich  in  ihrer  Einwirkung  auf  den  thierischen 
Organismus  zunächst  als  Säure  geltend,  wie  schon  aus  dem  vorherrschenden  Ge- 
ronnensein des  Blutes  in  der  Leiche  hervorgeht;  dazu  kommt  aber  noch  ihre  ent- 
schiedene Einwirkung  auf  das  Herz;  ob  diese  sich  direct  auf  die  Herzganglien 
erstreckt,  ist  noch  nicht  bestimmt  bewiesen,  obgleich  Berthold  Benecke  u)  und 
Pariset1-')  dieser  Ansicht  zu  huldigen  scheinen;  die  directe  Einwirkung  auf  das 
regulatorische  Centrum  ist  wahrscheinlicher.  Das  starke  Hautjucken,  das  meistens 
bei  Menschen  entsteht,  wenn  die  Pikrinsäure  Icterus  erzeugt,  gab  sich  auch  ent- 
schieden an  der  Taube  im  6.  Versuche  kund.  Die  Convulsionen,  die  bei  der  Taube 
beim  7.  Versuche  entstanden,  wird  man  angezwungen  auf  das  Radical,  Phenoi, 
zurückführen  können,  so  dass  sich  jedenfalls  bei  grossen  Gaben  der  Pikrinsäure 
die  Wirkung  auf  die  Centralorgane  geltend  macht.  Aber  auch  bei  kleinen  Gaben 
kann  schliesslich,  wenn  sie  wiederholt  zur  Einwirkung  gelangen,  der  deletäre  Ein- 
fluss  auf  den  Organismus  nicht  ausbleiben. 

Fabrication  der  Pikrinsäure.  Man  stellt  sie  im  Grossen  dar,  indem  man 
Carbolsäure  mit  gewöhnlicher  Salpetersäure  in  Glasretorten  in  der  Siedhitze 
behandelt;  hier  tritt  neben  der  salpetrigen  Säure  auch  Blausäure  auf.  Ist 
die  Salpetersäure  chlorhaltig  gewesen,  so  bildet  sich  auch  Chlorpikrin;  alle 
Dämpfe  sind   deshalb   durch   Absorptionsmittel    zu    beseitigen    oder    noch    besser 

unter  die  Feuerung  zu  leiten. 

Ist  die  überschüssige  Salpetersäure  bis  zu  einem  gewissen  Grade  abdestillirt,  so 
lässt  man  erkalten,  wobei  die  Pikrinsäure,  gemischt  mit  der  gleichzeitig  gebildeten 
Oxalsäure,  herauskrystallisirt.  Die  so  gewonnene  Säure  wird  zur  Ausscheidung  der 
Oxalsäure  mit  Kalkmilch  behandelt  und  durch  Umkrvstallisiren  gereinigt. 

Bei  dem  Auflösen  der  Säure  wird  Wasserdampf  zum  Erwärmen  in  die  Flüssigkeit 
getrieben:  die  mit  Pikrinsäure  geschwängerten  VVasserdämpfe  sind  mit  Sorgfalt  aus 
dem  Fabriklocal  zu  entfernen.  Die  zuletzt  zurückbleibende  Mutterlauge  kann  zur  Ge- 
winnung der  Pikrinsäure  mit  Kaliumcarbonat  versetzt  werden,  wodurch  sich  das  schwer 
lösliche  pikr  in  saure  Kalium  bildet. 

Alle  A  bfallwässer  werden  zweckmässig  mit  Kalk  versetzt,  ehe  sie  zum  Ab- 
tluss  gelangen,  da  sie  noch  freie  Säuren  enthalten   können. 

Eine  andere  Methode  der  Darstellung  im  Grassen  beruht  auf  dem  Be- 
handeln von  Lederabfällen  mit  gewöhnlicher  Salpetersäure  von  40°.  Man  gebraucht 
dazu  Retorten  von  Steingut  oder  Glas;  es  wird  hierbei  ein  geringer  Ueberschuss  von 
Lederabfällen  genommen,  so  dass  nichts  von  der  Salpetersäure  in  der  Retorte  zurück- 
bleibt. Der  Rückstand  wird  mit  siedendem  Wasser  erschöpft;  beim  Erkalten  krystallisirt 
dann  die  Pikrinsäure  sehr  rein  aus. 

Die  Mutterlauge  liefert  Bernsteinsäure  und  Oxalsäure;  erstere  rührt  von 
den  Fetten,  womit  das  Leder  behandelt  worden  ist,  her.  Die  bei  diesem  Processe  sich 
bildenden  Gase  und  flüchtiges  Körper  sind:  Kohlensäure,  salpetrige  Säure, 
Blausäure,  die  flüchtigen  Fettsäuren,  Butter-.  Baldriansäure  u.  s.  w.  Der 
bei  dieser  Fabrication  entstehende  üble  Geruch  i^t  sehr  belästigend;  abgesehen  davon, 
dass  solche  Fabriken  nicht  in  Städten  concessiomrt  werden  dürfen,  müssen  diese  flüch- 
tigen Körper  mittels  Laugen  von  Kalium-  und  Natriumcarbonat  absorbirt  werden; 
dieselben  bearbeitet  man  auf  die  Gewinnung  der  Fettsäuren,  wohingegen  alle  nicht 
absorbirten  Gase  in  eine  Feuerung  geleitet  werden  müssen. 

Beim  Umkrvstallisiren  der  Pikrinsäure  mittels  Wasserdämpfe  ist  das  Ver- 
mögen der  Säure,  sich  mit  Wasserdämpfen  zu  verflüchtigen,  in  sanitärer  Beziehung 
sehr  beachtungswertls,  da  bei  andauernder  Einwirkung  dieser  Dämpfe  die  Schädlichkeit 
derselben  sich  unzweifelhaft  kundgeben  muss.  Die  betreffenden  Arbeiter  erhalten  bald 
eine  mit  Pikrinsäure  imprägnirte  Epidermis,  wodurch  sie  an  den  unbedeckten  Haut- 
stellen lebhaft  zeisiggelb  erscheinen;  durch  Waschen  mit  Seife  tritt  eine  pomeranzen- 
gelbe Färbung  ein,  die  erst  allmählig  schwindet. 


Pikrinsäure.  (515 

Die  Intensität  der  Bitterkeit  der  Pikrinsäure  gibt  sich  besonders  noch  dadurch 
kund,  dass  man  beim  Betreten  einer  solchen  Fabrik  alsbald  einen  bittern  Geschmack 
empfindet,  welcher  durch  die  feinen,  in  der  Atmosphäre  verbreiteten  Partikelchen  der- 
selben bedingt  ist.  Die  Arbeiter  werden  hierdurch  insofern  belästigt,  als  alle  Speisen 
und  Getränke  diesen  bittern  Beigeschmack  erhalten  und  ihr  Wohlgeschmack  dadurch 
verloren  geht:  es  bildet  sich  schon  dadurch  allmählig  eine  Appetitlosigkeit  mit  ihren 
weitern  nachtheiligen  Folgen  aus. 

Hauptanforderungen  an  solche  Fabriken  sind  daher  Condensation  aller  Dämpfe, 
das  strengste  Verbot,  _  in  den  Fabrikräumen  Speisen  und  Getränke  zu  gemessen, 
Wechsel  der  Arbeitskleider,  die  Darreichung  von  Seife  zum  jedesmaligen  Reinigen  der 
Hände  vor  jeder  Mahlzeit  und  eine  vollständige  Badeeinrichtung 

Werden  diese  Vorsichtsmassregeln  nicht  beachtet,  so  ergibt  sich  meist  von  selbst 
ein  häufiger  Wechsel  des  Arbeitspersonals  in  solchen  Fabriken,  weil  die  Nachtheile  der- 
selben sich  zu  deutlich  kund  geben;  andrerseits  macht  sich  aber  auch  hier  wie  überall 
oft  die  bekannte  Gleichgültigkeit  der  Arbeiter  bemerkbar,  indem  sie  die  schädlichen 
Einflüsse  in  der  Regel  für  bedeutungslos  halten.  Der  Fabiücant  muss  daher  mit  grösster 
Strenge  auf  die  Durchführung  der  vorgeschriebenen  Präveutivmassregeln  dringen,  wenn 
er  das  Wohl  seiner  Arbeiter  im  Auge  behalten  will. 

Bei  zufälliger  Vergiftung  durch  Pikrinsäure  steht  ein  kräftiges  Emeticum  in 
erster  Linie;  dann  lasse  man  fieissig  mit  Kaliumbicarbonat  versetztes  Wasser  trinken, 
um  die  noch  vorhandene  Pikrinsäure  in  eine  schwer  lösliche  Form  überzuführen. 
Natriumcarbonat  ist  stets  zu  vermeiden,  weil  dies  eine  leicht  lösliche  Verbindung  mit 
der  Pikrinsäure  eingeht. 

Dass  man  bisher  noch  wenig  Versiftungsfälle  durch  Pikrinsäure  beobachtet  hat, 
wenn  sie  als  Hopfensurrogat  dem  Biere  zugesetzt  wird  (s.  S  527),  mag  darin 
seinen  Grund  haben,,  dass  die  grosse  Bitterkeit  und  der  starke  Geschmack  nur  kleine 
Zusätze  duldet:  selbst  wenn  bedeutende  Quantitäten  eines  solchen  Bieres  genossen 
werden,  ist  die  Gesammtmasse  der  darin  enthaltenen  Pikrinsäure  nicht  hinreichend,  um 
einen  ernstlichen  Krankheitszustand  hervorzurufen:  GhevaUler  und  Lassalgne  in  Paris 
constatirten  aber,  dass  der  Genuss  eines  solchen  Bieres  Unwohlsein  hervorzurufen  vermag. 

Setzt  man  die  Pikrinsäure  zu  Branntweinen  uud  Liqueuren,  so  benutzt 
man  ihre  Verbindung  mit  Natron  oder  Kalk,  weil  diese  Salze  dem  Fabricat  eine  viel 
schönere,  mehr  dunkelgoldgelbe  Farbe  verleihen  und  der  Branntwein  einen  viel  reinern 
bittern  Geschmack  annimmt  Wegen  ihres  hohem  Gehaltes  an  Pikrinsäure  können 
solche  Liqueure  aber  auch  leichter  schädlich  einwirken;  sie  werden  bisweilen  als  Mittel 
gegen  Trichinose  öffentlich  feilgeboten;  hierdurch  wird  bekanntlich  gegen  die  gesetz- 
lichen Bestimmungen  Verstössen ,  da  die  Pikrinsäure  und  ihre  Salze  jedenfalls  zu  den 
sehr  differenten  Arzneimitteln  gehören,  deren  Verkauf  nur  den  Apothekern  zusteht.16) 

In  der  Liqueurfabrication  hat  man  auch  eine  Verbindung  der  Pikrinsäure  mit 
Aethyl-  und  Amylalkohol  benutzt:  diese  losen  Verbindungen  haben  einen  eigen- 
thümlich  aromatisch-bittern  Geschmack  und  Geruch,  sind  aber  in  sanitärer  Beziehung 
ganz  zu  verwerfen.  Zur  Darstellung  derselben  behandelt  man  eine  Lösung  der  Pikrin- 
säure in  den  betreffenden  wasserfreien  Alkoholen  mit  wasserfreiem,  salzsaurem  Gase; 
die  Verbindung  scheidet  sich  dann  ölartig  ab  und  wird  mit  Wasser  und  Matri um carbonat 
gewaschen. 

Die  technische  Verwendung  der  Pikrinsäure  ist  vielseitig,  namentlich  zum 
Färben  von  Seide  und  Wolle  für  sich  oder  in  Verbindung  mit  Indigo  oder  Anilinblau 
zum  Grünfärben.  In  der  Kunstwäscherei  dient  sie  häufig  zum  Auffärben  gelber 
Stoffe  und  in  der  künstlichen  Blumenfabrication  in  Verbindung  mit  Indigo  zur  Dar- 
stellung der  grünen  Farbe.  Hierbei  ist  stets  die  ausgenutzte  Farbenflotte  zu  beachten, 
da  sie  niemals  in  Schlinggrnben  abzulassen  ist:  wegen  ihrer  grossen  Verdünnung  ist  ihr 
freier  Abfluss  in  Canäle'gestattet.  Erst  nach  langer  Zeit  zerfällt  die  Säure  in  Kohlen- 
säure, Ammoniak  resp.  salpetrige  und  Salpetersäure  neben  Wasser.  Gelangt  sie  in 
den  Boden,  so  geht  ihre  Zersetzung  sehr  langsam  vor  sich:  bei  etwaiger  Brunnen- 
verunreinigung gibt  glücklicherweise  ihr  bitterer  Geschmack  ein  leichtes  Erkennungs- 
mittel ab. 

Häufiger  gebraucht  man  die  pikrin sauren  Salze  zum  Färben  der  Kleidungs- 
stücke, deren  Feuergefährlichkeit  dadurch  sehr  bedeutend  gesteigert  wird;  so  enthält 
namentlich  der  citron  engelbe  Tarlatan  häufig  als  Pigment  das  basisch  pikrinsaure 
Calcium  oder  pikrinsaures  Blei;  fängt  derselbe  Feuer,  so  verbrennt  er  wie  Zunder  fort 
und  an  Löschen  ist  kaum  zu  denken.  Unglücksfälle  dieser  Art  kommen  hauptsächlich 
bei  Theatervorstellungen  vor. 

Zur  Darstellung  VOM  Sprenginitteln  kann  nur  reine  Pikrinsäure  benutzt 
werden,  da  sonst  die  Mischung  Wasser  aus  der  Atmosphäre  anzieht  uud  dadurch  in 
ihrer  Wirkung  beeinträchtigt  wird;  meist  werden  aber  nur  die  pikrinsauren  Salze_ ver- 
wendet,   deren    Darstellung    wegen    ihrer    grossen    Explosivität    eine    strenge    sanitäts- 


ß]Q  Aromatische  Korper. 

polizeiliche  Uebcrwaehung  erfordert.  Noch  in  neuerer  Zeit  hat  eine  derartige  Explosion 
in  Paris  ganze  Häusercomplexe  zerstört  und  viele  Menschen  getödtet;  das  Unglück  war 
wahrscheinlich  nur  durch  eine  zufällige  Erschütterung  einer  Kiste,  welche  eine  Mischung 
von  pikrinsanrem  Kalium  und  Salpeter  enthielt,  entstanden. 

Von  den  pikrinsaurem  Salzen  sind  das  pikrinsaure  Kalium,  Natrium  und 
Blei  hervorzuheben.  Pikrinsaures  Blei  und  Kupfer  werden  in  Frankreich  zu  Zünd- 
raketen, ersteres  bisweilen  auch  zur  Darstellung  der  Zündhölzchen  benutzt. 

Die  Fabrication  von  pikrinsaurem  Natrium  C.  11_.  (N<  >2  :;<  >N  wird  durch 
Neutralisation  der  Pikrinsäure  mit  Natriumearbonat  und  Abdampfen  der  Lauge  bewerk- 
stelligt In  ähnlicher  Weise  wird  das  pikrinsaure  Kalium  C6H2(NOä)3OK  und 
Calcium  fabricirt  und  als  gelbes  Pulver  erhalten. 

Das  pikrinsaure  Kalium  ist  fast  unlöslich  in  kaltem  Wasser;  es  wird  des- 
halb mit  destillirtem  Wasser  gereinigt,  nach  dem  Abtropfen  auf  Tücher  ausgebreitet 
und  in  Trockenkammern  getrocknet:  mit  dem  Grad"  der-Trockenheit  steigert  sich  seine 
Explosivität. 

Pikrin  sau  res  Blei  ist  ein  basisches  Salz,  stellt  ein  orangerot  lies  Pulver  dar 
und  wird  durch  Präcipitation  von  Bleiessig  mittels  einer  Lösung  von  pikrinsaurem 
Natrium  erhalten.  Das  Salz  ist  in  Wasser  unlöslich  und  noch  explosiver  als  die  pikrin- 
sauren  Alkalien:  letztere  kommen  im  Handel  bisweilen  unter  den  Namen:  Pikringelb, 
Anilingelb  oder  auch  Martiusgelb  vor.  Da  diese  willkürliche  Nomeuclatur  schon 
viel  Unglück  herbeigeführt  hat,  indem  man  hierdurch  zu  geringerer  Vorsicht  veranlasst 
wurde,  so  hat  in  Preussen  ein  Erlass  de.-  Eandelsministers  vom  28.  Juli  1865 
das  Publicum  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  die  Pikrinsäure  in  der  Regel  aus 
kleinen  schwefelgelben  Krystallen  und  die  Pikrinfarbstoffe,  welche  Alkalien  ent- 
halten, aus  einem  feinen  Pulver  von  etwa?  dunklerer  Farbe   bestehen. 

Das  sicherste  Kriterium  liefert  die  chemische  Prüfung;  Pikrinsäure  ist  nämlich  in 
reinem  Zustande  leicht  löslich  in  Alkohol,  die  pikrinsauren  Alkalien  sind  dagegen  ent- 
weder gar  nicht  oder  schwer  Löslich  in  Alkohol.  Löst  man  die  Verbindung  unter  Zusatz 
von  überschüssiger  Salz-  und  Schwefelsäure  in  siedendem  Walser  auf  und  versetzt  die 
Lösung  mit  dem  ö— •  Gfachen  Vol.  Wasser,  so  bleibt  bei  reiner  Pikrinsäure  die  Flüssig- 
keit klar:  bei  Gegenwart  einer  alkalischen  Basis  scheidet  sich  dieselbe  krystaüinisch  aus. 

Ein  Schiesspulver  wird  gegenwärtig  aus  54  Th  pikrinsaurem  Ammonium  und 
46  Th.  Salpeter  dargestellt:  dasselbe  gibt  noch  einmal  so  viel  Gas  als  das  gewöhnliche 
Pulver,  es  bleibt  nur  Kaliumcarbonat  zurück;  beim  Verbrennen  entsteht  aber  wenig  Rauch 
und  Geruch,  es  würde  sich  daher  für  die  Lust leite]  werkerei  .  namentlich  in  Theatern. 
sehr  empfehlen.  Die  eigentliche  Natur  der  hierbei  auftretenden  Gas,'  ist  jedoch  noch 
unbekannt. 

Sehr  zu  beachten  sind  dagegen  die  Verbrennungsproducte  eines  Pulvers  aus 
25  Th.  pikrinsaurem  Ammonium,  67  Th.  Bariumnitrat  und  8  Th.  Schwefel:  dasselbe 
verbrennt  langsam  mit  heller  Flamme  und  grünem  Reflex, 

Chlorpikrin.  Nitroehloroform  CC13N02  bildet  -ich  bei  verschiedenen  Oxydations- 
und Chlorirungsprocessen ,  ■/..  B.  bei  der  Einwirkung  von  unterchloriger  Säure,  von 
Königswasser     oder     einer     Mischung     v  ure     und    chlorsaurem    Kalium     auf 

organische  Substanzen.  Dargestellt  wird  es  durch  Destillation  von  Pikrinsäure 
und  Chlorkalk,  wobei  es  mit  den  Wasserdämpfen  überdestilürt:  vom  Wasser  getrennt. 
•wird  es  über  kohlensauren  Alkalien  oder  alkalischen  Erden  rectificirt. 

Chlorpikriu  ist  eine  farblose,  ölartige  Flüssigkeit  von  einem  fürchterlich 
stechenden  Gerüche,  die  bis   150°  ohne  Zersetzung  erhitzt  werden  kann. 

Einwirkung  der  Dämpfe  von  Chlorpikrin  auf  den  thierischen  Organismus  Ein 
ausgewachsenes  Meerschweinchen  sitzt  im  Zinkkasten,  in  dem  ein  mit  5  Tropfen  Chlor- 
pikriu angefeuchteter  Leinwandstreifen  hängt.  Sofort  traten  Thränen  der  Augen,  starkes 
Reiben  über  die  Nase,  häutiger  Husten  und  beklommenes  Athmen  ein.  Nach  S  M. 
Zusatz  vcu  5  Tropfen  Chlorpikriu:  dann  eonvulsivische  Erschütterungen  des  ganzen 
Körpers,  nach  9  M.  Hinfallen  und  nach  12  M  Aufhören  der  Respiration.  Nach  13  M. 
Herausnahme  des  Thieres,  bei  dem  noch  2  Min.  lang  ein  unregelmässiger  Herzschlag- 
bemerkbar  ist. 

Section  uach  20  Stunden.  Von  der  trüben  Hornhaut  lässt  sich  das  Epithelium 
abreiben,  die  Conjunctiva  ist  stark  geröthet:  auf  deu  Durchschnitten  der  schwarz-bläu- 
lichen Lunge  viel  wässriger,  röthlich-weisser  Schaum  und  Blutklümpchen;  das  Parenchym 
schwarzbraun  und  mit  Feuchtigkeit  durchtränkt;  die  Schleimhaut  braunroth  und  bis 
zum  Larynx  mit  wässrigem  Schaum  bedeckt  Das  Herz  strotzt  von  geronnenem, 
dunklem,  dickflüssigem  Blute.  Der  Tod  war  hier  offenbar  in  Folge  von  Lungen- 
ödem erfolgt. 

Beim  Menschen  erzeugt  das  Riechen  an  Chlorpikrin  ein  höchst  schmerz- 
haftes Stechen  in  der  Nase  und  Stirnhöhle,  wobei  sich  der  Schmerz  wie  ein  Blitz 


Pikraminsäure.  g]7 

nach  dem  Hinterhaupte  zieht;  Thränen  und  Brennen  der  Augen  können  sich  bis 
zur  Entzündung  derselben  steigern,  während  Hasten  und  starkes  Kratzen  im  Halse 
nöthigen,  sich  möglichst  rasch  den  Dämpfen  zu  entziehen. 

Auf  der  äussern  Haut  erzeugt  Chlörpikrin  Wunden,  die  mit  Brandwunden 
zweiten  Grades  die  grösste  Aehalichkeit  haben.  Weil  dieser  Körper  einen 
niedrigen  Siedepunct  (112°)  hat  und  sich  sehr  schlecht  verdichten  lässt,  sich 
auch  nicht  mit  Alkalien  oder  Säuren  verbindet,  so  ist  seine  Vernichtung  durch 
Feuer  das  einzige  Mittel,  um  die  Arbeiter  vor  grossem  Schaden  zu  bewahren. 

Amidocleri vat  der  Pikrinsäure. 

Pikraniinsäure ,  Dinitroamidophenol  C(-.H2(N02)2(NH2)OH,  entsteht  durch  Ein- 
wirkung schwacher  Reduetionsmittel  ( Schwefelammonium)  auf  Pikrinsäure;  stärkere 
Reduetionsmittel  (Zinn  und  Salzsäure)  erzeugen  mit  derselben  Triamidophenol. 
Pikrainill  C6H2'NH2)3OH.  Sie  kryställisirt  in  Rhomboedern,  schmeckt  sehr  bitter  und 
schmilzt  bei  160°;  unter  ihren  Zersetzungsproducten  findet  sich  stets  Blausäure. 

Einwirkung  von  Pikraminsäure  auf  den  thierischen  Organismus,  l)  Einem 
starken  Kaninchen  wurden  2  C.-C.  der  gesättigten  Lösung  subcutan  injicirt;  in  den 
ersten  zwei  Tagen  machte  sich  nichts  Auffälliges  bemerkbar:  am  dritten  Tage  (60  St. 
nach  dem  Versuche)  wurde  es  todt  gefunden. 

Section  nach  24  Stunden.  Lungen  hellroth  und  blutleer;  das  ganze  Herz  ist 
mit  geronnenem  und  dickflüssigem,  dunkelrothem  Blute  angefüllt.  Der  Auszug  der  bei 
100°  getrockneten  Leber  mit  Alkohol  ergab  beim  Versetzen  mit  Essigsäure  im  Ueber- 
schuss  ein  braunes  Gerinnsel;  das  saure  Filtrat  färbte  gebleichte  resp.  entschälte  Seide 
amaranthroth;  die  Farbe  ging  in  einer  ammoniakhaltigen  Atmosphäre  in  ein  helles 
Gelbbraun  über,  ein  Beweis,  dass  sich  die  Pikraminsäure  unverändert  in  der  Leber  ab- 
gelagert hatte. 

2)  Einer  Taube  wurde  dieselbe  Menge  eingeflösst;  am  2.  und  3.  Tage  pickte  sie 
beständig  mit  dem  Schnabel  zwischen  die  Federn;  dies  Hautjucken  verlor  sich  am  5.  Tage, 
ohne  dass  sich  sonstige  Erscheinungen  einstellten. 

3)  Einer  Taube  wurden  im  Verlaufe  von  6  Tagen  in  Dosen  von  0,1 — 0,2  Grm.  im 
Ganzen  0,9  Grm.  Pikraminsäure  eingeflösst.  3  Stunden  nach  der  letzten  Gabe  zeigten 
sich  Schwanken,  Würgen;  starkes  Schüttein  und  Convulsionen;  letztere  wiederholen  sich 
in  der  heftigsten  Weise,  bis  sie  schliesslich  in  tetanischem  Krämpfe  auf  dem  Rücken 
liegen  bleibt;  8  Stunden  nach  der  letzten  Gabe  erfolgt  der  Tod. 

Section  nach  20  Stunden.  Hirnhäute  massig  blutreich:  auf  den  Durchschnitten 
der  normal  gefärbten  Lunge  Biutklümpchen:  das  ganze  Herz  strotzt  von  dick- 
flüssigem, duukelrothem  Blute.  Die  chemische  Analyse  der  Leber  ergab  Pikrin- 
säure; der  Organismus  vermag  somit  Pikraminsäure  in  Pikrinsäure  umzuwandeln, 
grade  wie  bei  der  Zersetzung  der  Pikraminsäure  durch  Hefe  Oxalsäure  und  Pikrin- 
säure entstehen;  nur  konnte  erstere  bei  der  Taube  nicht  nachgewiesen  werden. 

Bringt  man  den  Thieren,  namentlich  den  Tauben,  sogleich  grössere  Gaben  bei, 
so  treten  meist  Erbrechen  und  Diarrhoe  ein,  wodurch  die  Säure  unverändert  aus- 
geschieden wird. 

Zur  Darstellung  der  Pikraminsäure  im  Grossen  werden  die  bei  der  Pikrin- 
säure-Fabrication  abfallenden  Mutterlaugen  benutzt.  Nach  der  Neutralisation  setzt 
man  Schwefelammonium  im  Ueberschuss  zu:  nach  der  Abfiltration  des  Schwefels 
wird  das  Ammoniumsalz  durch  Schwefelsäure  zerlegt,  damit  sich  die  Pikraminsäure  als 
rothes  Pulver  abscheidet.  Das  Präcipitiren  muss  in  geschlossenen  Gefässen  geschehen, 
weil  sich  hierbei  H2S  entwickelt. 

Die  zurückbleibende  Flüssigkeit  enthält  noch  Pikraminsäure  nebst  Pikrinsäure  und 
darf  deshalb  nicht  in  Schlinggruben  abgelassen  werden. 

Anwendung  findet  die  Pik  r  am  in  säure"  vorzugsweise  beim  Färben  der  Seide, 
Wolle  und  Baumwolle,  da  sie  mit  Basen  schön  gefärbte  Salze  bildet.  Bei  ihrer 
Application  auf  diese  Stoffe  gebraucht  man  neben  Eisen  und  Kupfer  auch  arsenik- 
saures Natrium,  worauf  man  bei  solchen  Stoffen  wohl  zu  achten  hat.  Neuerdings 
ist  sie  neben  Pikrinsäure  ein  beliebter  Zusatz  zum  Papierzeuge  geworden,  um  demselben 
eine  gelbe  oder  pomeranzengelbe  Farbe  zu  geben. 

"Die  pikranünsauren  Salze  explodiren  durch  Schlag  oder  Stoss,  es  ist  deshalb 
beim  Verpacken  und  Versenden  derselben  gleiche  Vorsicht  wie  bei  den  pikrinsaureu 
Salzen  zu  beachten. 


613  Aromatische  Körper. 


2)   Dihydroxylderi  vate  des  Benzols. 

Es  gehören  hierher  3  Isomere:  Hyilrocuhion ,  Brenzeatodiin  (Oxypliensänre, 
DioxybenZOl)  und  Resorcin  C6H4(OH)a  =  CsHG0;,  wovon  der  letztere  Körper  höchst 
wahrscheinlich  für  die  Farbentechnik  einmal  von  grosser  Bedeutung  werden  wird,  wenn 
eine  billige  Darstellung  desselben  aus  Phenol  bekannt  geworden  sein  wird.  Resorcin 
stellt  krystallisirte  Tafeln  dar,  welche  sich  an  der  Luft  rasch  rotli  färben  Wssetsky 
hat  bereits  durch  Einwirkung  der  salpetrigen  Säure  auf  Resorcin  gefärbte  Azovcr- 
bindungen  erhalten,  welche  sich  durch  Glanz  und  Schönheit  auszeichnen  und  mit  den 
Derivaten  des  Anilins  wetteifern  (m.  vergl.  S.  612  und  1523). 

Aus  dein  Hydrochinon  entsteht  durch  Oxydation  Chinon  C,; H4  <>._,,  welches  als 
der  Typus  vieler  Verbindungen  hier  zu  erwähnen  ist:  es  besitzt  giftige  Eigenschaften. 

Unter  den  Nitroproducten  ist  Trinitrorcsorcin ,  Oxypikrinsäure ,  Stypiininsäure 
CfiH3(NO.j)30:j  —  Cf,H3N308  hervorzuheben.17)  Diese  Säure  heisst  aucli  künstliches  Bitter, 
künstlicher  Gerbstoff  des  Fernambukholzes  und  entsteht  durch  Einwirkung  von  Salpeter- 
säure auf  Schleim-  oder  Gummiharze  (Asa  foetid.,  Galbanum,  Amnioniacum)  und  die 
wässrigen  Extracte  von  Sandel-  und  Fernambukholz.  Sie  bildet  Blättchen  oder  ein 
weisses  Pulver  von  schwach  zusammenziehendem  Geschmacke;  die  Lösung  färbt  die  Haut 
gelb,  wirkt  aber  nicht  giftig.  Tauben  vertragen  1  Grm.  der  Säure  und  2  Grm.  oxy- 
pikrinsaures  Kalium,  wenn  diese  Gaben  auf  2  Tage  vertheilt  werden;  unter  den 
objeetiven  Erscheinungen  konnte  nur  ein  Gelbwerden  der  Excremente  beobachtet  werden. 

3)  Trihydroxylderivate.  des  Benzols. 

PyrOgallllSSäare  C,, 11,(0 H)3  =  CcHG03  wird  beim  Erhitzen  von  Gallussäure  im 
Oelbade  bei  210-220°  erhalten: 

C6H2(GH)3 .  CO  OH  =  CGH3(OHi3  +  C03. 

Darstellung.  Sie  geschieht  am  besten  durch  trockne  Destillation  der  chinesischen 
Galläpfel.  Man  erhält  aus  dem  wässrigen  Destillate  durch  Eindampfen  und  Be- 
handeln mit  Blutkohle  weisse  glänzende,  bei  115°  schmelzende  und  bei  210°  siedende 
Blättchen,  welche  in  Wasser  löslich  sind  und  sehr  bitter  schmecken.  Durch  ihre  grosse 
Neigung,  Sauerstoff  aufzunehmen,  namentlich  bei  Gegenwart  von  Alkalien,  gehört 
sie  zu  den  stärksten  Reductionsmitteln:  die  sich  hierbei  bildenden  Endproducte  sind 
Oxalsäure  und  Essigsäure.  Obgleich  die  Pyrogallussäure  nicht  sauer  reagirt,  so  bildet 
sie  doch  mit  Metallen  salzhaltige  Verbindungen;  sie  färbt  Eisenoxydulsalze  indigblau, 
Eisenoxydsalze  tiefgrün. 

Einwirkung  der  Pyrogallussäure  auf  den  thierisclien  Organismus,  l)  Einem 
Meerschweinchen  von  mittler  Grösse  wurden  1,5  Grm.  Pyrogallussäurelösung  eingeflösst. 
Nach  30  M.  Zittern,  nach  45  M.  Hinfallen  mit  rotirenden  Bewegungen  der  Vorderbeine, 
die  nach  90  M.  durch  heftige  Zuckungen  unterbrochen  werden;  nach  2  St.  Nachlass; 
dann  progressive  Abnahme  der  Temperatur,  Respiration  und  Herzthätigkeit;  ruhiger 
Tod  nach  3_  St.  40. M. 

Section  nach  20  Stunden.  Pupillen  in  mittlerm  Durchmesser,  Hirnhäute  hyper- 
ämiscli,  Gehirn  schmutzigroth  gefärbt:  die  Lungen  von  schwärzlich-rother  Farbe,  auf 
dem  rechten  untern  Lappen  nadelknopfgrosse  Ekchymosen,  das  Parenchym  vielfach 
Schwarzroth  und  weniger  lufthaltig,  auf  den  Durchschnitten  etwas  flüssiges  Blut  und 
feiner  weisser  Schaum.  Das  ganze  Herz  strotzt  von  flüssigem,  schwarzrothem  Blute; 
die  blutreiche  Leber  ist  schwarzbraun  gefärbt.  Blut,  Muskeln  und  die  übrigen  Organe 
waren  schwärzlich  gefärbt,  während  der  Cadaver,  der  3  Tage  lang  in  einer  geheizten 
Stube  liegen  blieb,  noch  keine  Fäulnisserscheinungen  darbot. 

2)  Eine  Taube,  die  0,22  Grm.  wasserfreie  Pyrogallussäure  erhielt,  erbricht,  stürzt 
hin,  bekommt  schwache  Zuckungen  und  stirbt  nach  3  Stunden  unter  progressiver  Ab- 
nahme der  Respiration  und  Herzthätigkeit 

Bei  der  Section,  5  Stunden  hernach,  zeigt  sich  auf  beiden  Hemisphären  zwischen 
Schädel  und  Dura  mater  ein  2  Linien  breites,  schwarzes,  geronnenes  Blutextravasat: 
das  kleine  Gehirn  umspült  ein  dünnflüssiges,  flaches  Blutextravasat.  Die  grauröthlichen 
Lungen  sind  unter  der  Pleura  mit  schwarzen  Längsstreifen  versehen,  während  die 
hintere  Fläche  ganz  schwarz  erscheint.  Flüssiges  schwarzes  Blut  tritt  aus  den  Durch- 
schnitten: das  ganze  Herz  ist  mit  dickflüssigem,  schwarzem  Blute  angefüllt;  die  blut- 
reiche Leber  ist  schwarz  gefärbt. 

3)  Der  kleine  Zinkkasten  wurde  mit  den  Dämpfen  der  Säure  angefüllt;  eine 
Taube  blieb  in  demselben  30  M.  lang  und  wurde  anfangs  von  starker  Dyspnoe  und 
hierauf  von  Würgen  und  Erbrechen  befallen.  Herausgenommen,  schwankt  sie  und  fällt 
10  M.    nachher    hin,    richtet    sich    aber   wieder  auf;    3   Stunden   später    fällt  sie   unter 


Anilin. 


619 


Zuckungen  hin,  die  in  starkes  Zittern  übergingen;  unter  zunehmendem  Collapsus  stirbt 
sie  nach  6  Stunden. 

Bei  der  Section,  12  Stunden  nachher,  zeigt  sich  in  der  ümcebuno-  der  Med 
oblong,  ein  flaches,  flüssiges  Blutextravasat;  der  übrige  Befund  stimmt  mit°  dem  beim 
2.  Versuche  überein. 

Personne18)  hat  zuerst  auf  die  giftige  Eigenschaft  der  Pyrogallussäure  auf- 
merksam gemacht  und  gefunden,  dass  Hunde  nach  einer  Gabe  von  2—4  Gramm 
unter  Erbrechen,  Hinfälligkeit,  Zittern,  Sinken  der  Temperatur  und  Dyspnoe,  also 
unter  ähnlichen  Erscheinungen  wie  den  oben  beschriebeneu,  sterben.  Er  ist  der  An- 
sicht, dass  die  Säure  gleich  dem  Phosphor  durch  Sauerstoffentziehung  wirke  und 
dadurch  Asphyxie  erzeuge;  unzweifelhaft  geht  der  Tod  von  der  Lunge  und  dem 
Herzen  ans.  Da  die  Säure  bei  Gegenwart  von  freien  oder  kohlensauren  Alkalien 
den  Sauerstoff  mit  der  grössten  Begierde  anzieht,  so  ist  es  ebenso  wenig  zu  be- 
zweifeln, dass  sie  diese  Eigenschaft  auch  bei  der  Einwirkung  auf  den  thierischen 
Organismus  geltend  macht,  namentlich  wenn  sie  als  Dampf  eingeathmet  wird; 
dass  aber  auch  die  Nerven centren  mit  iu  den  Wirkungsbereich  der  Säure 
hineingezogen  werden,  dafür  sprechen  sowohl  die  heftigen  Convulsionen  als  auch 
der  Sectionsbefund.19) 

Anwendung  findet  die  Pyrogallussäure  am  meisten  in  der  Photographie  als 
Reductionsmittel,  in  der  Kosmetik  als  Haarfärbemittel;  ihrer  Verwendung  in  der 
Färberei  ist  der  hohe  Preis  noch  hinderlich.  In  der  Analyse  wird  sie  zur  quan- 
titativen Bestimmung  von  Sauerstoff  benutzt. 

Amidoderivat  des  Benzols. 

Amidobenzol ,  Anilin  CÜH5.  NH2=  Cf.H7N  wird  in  der  Technik  gewöhnlich 
Anilöl  genannt  und  stellt  ein  Gemenge  von  Anilin  mit  mehreren  Toluidinen  dar.  Keines 
Anilin  ist  eine  gelblich  gefärbte  Flüssigkeit  von  schwach  aromatischem  Gerüche,  die  bei 
einem  spec  Gew.  von  1,02  bei  1S5°  siedet:  sie  ist  in  Alkohol  leicht  löslich  und  verharzt 
an  der  Luft  durch  Sauerstoffaufnahme.  Anilin  entsteht  durch  Reduction  des  Nitrobenzols: 
C6H5N02  +  3H3  =  C6H5 .  NH2  -f-  2H20. 

Fritzsrhe  wählte  den  Namen  .Anilin"*,  weil  er  es  zuerst  aus  Indigo  (Indigofera 
Anil)  dargestellt  hat.  Es  bildet  als  schwache  Base  mit  Säuren  Salze,  von  denen  das 
schwefelsaure  (2C6H7N  .  H2S041,  das  salz  saure  (C6H7N  .  HCl),  das  salpeter  saure 
(C6H7N.HNCy  und  das  Oxalsäure  Anilin  (2CfiH7N  .  C2H204)  in  der  Technik  am 
häufigsten  vorkommen. 

Mit  Zink-,  Zinn-  und  Quecksilbersalzen  geht  es  eigenthümliche  Verbindungen  ein, 
z.B.  ZnCl .  2C6H7N.:  man  nennt  sie  Metallanilide  und  betrachtet  sie  als  Additionssalze 
des  Anilins  Eine  Lösung  von  unterchlorigsauren  Alkalien  (Chlorkalk)  färbt  auch 
die  geringste  Spur  von  Anilin  violett:  Chromsäure  oder  eine  Mischung  von  Kalium- 
chromat  und  Schwefelsaure  erzeugen  ähnliche  Färbungen,  indem  in  Folge  eines  Oxyda- 
tionsprocesses  Anilinfarbstoffe  entstehen,  deren  Natur  mit  der  Zusammensetzung 
des  angewendeten  Anilins  wechselt 

Einwirkung  von  Anilin  auf  den  thierischen  Organismus.  1)  Eine  Taube  wird 
im  Zinkkasten  fast  anhaltend  15  Minuten  lang  den  dichten  Dämpfen  von  Anilin 
ausgesetzt,  welche  aus  einem  erwärmten  Kölbchen,  das  käufliches  Anilin  enthält,  in  den 
Kasten  geblasen  werden.  Blinzeln  mit  den  Augen,  Unruhe,  Schütteln,  angestrengtes 
Athmen  treten  bald  ein:  nach  9  M.  sinkt  sie  zusammen  und  bleibt  in  einer  nach 
vornüber  geneigten  Stellung  sitzen.  6  M.  hernach  auf  den  Boden  gesetzt,  stürzt  sie 
beim  Versuche  zu  gehen  kopfüber:  der  Taumel  lässt  bald  nach,  die  Herzaction  ist  sehr 
vermehrt  und  Erbrechen  zeigt  sich;  nach  2  Stunden  läuft  sie  wieder  einher.  Am  fol- 
genden Morgen  liegt  sie  auf  der  Seite  unter  Zuckungen  und  iibrillärem  Zittern  aller 
Muskeln  des" Stammes,  die  allmählig  nachlassen,  bis  IS  Stunden  nach  dem  Versuche  der 
Tod  erfolgt. 

Section  S  Stunden  hernach.  Pia  mater  nur  stellenweise  blutreich:  Lungen  von 
normaler  Farbe,  enthalten  etwas  dickflüssiges,  dunkles  Blut:  das  ganze  Herz  strotzt 
von  dunklem,  flüssigem  Blute:  übrigens  nichts  Besonderes.  In  Lunge  und  Leber  konnte 
deutlich  Anilin  nachgewiesen  werden. 

2)  Ein  ausgewachsenes  Meerschweinchen  wurde  in  derselben  Weise  den  Ayiilin- 
dämpfen  ausgesetzt.    Starkes  Reiben  über  die  Nase,  Husten,  Thränen  der  Augen,  Zittern 


i ;•_)()  Aromatische  Körper. 

des  ganzen  Körpers,  convulBivische  Zuckungen   machen   das  Thier  nach  30  M.  unfähig, 

afrecht  zu  erhalten:  die  Respiration  wird  beschwerlich  und  unregelinässig.  Bei 
der  Eerausnahme  nach  42  M.  ist  der  ganze  Körper  erschlafft,  die  Pupille  erweitert,  die 
Zuckungen  wechseln  mit  Zittern  der  B  in  ab,  bis  sich  schliesslich  der  ganze  Körper  in 
vibrirender   Bev  findet;    es   wird    unter  allmähliger   Abnahme  der  Respiration 

s.  Stunden  nach  dem   Versuche  todt 

B<-i  der  Section,  10  Stunden  hernach,  ist  die  Pia  mater  sehr  blutreich,  nur  der 
rechte  untere  Lungenlappen  ist  braunroth  und  zeigt  auf  den  Durchschnitten  etwas 
blutigen  Schaum  mit  geronnenen  Blutpartikelehen;  das  ganze  BLerz  ist  rollständig  mit 
schwarzem,  geronnenem  Blute  ausgefüllt.  Lunge  und  Leber  ergaben  einen  deutlichen 
Anilingehalt:  /.um  Nachweise  desselben  wurden  di.-  < 'rgane  erkleinert  and  ni'.t  durch 
Salzsäure  !.    dann    das   Filtrat    mit    Aetzkali    übersättigt 

und  der  Destillation  unterworfen;  das  Destillat  gab  mit  Chlorkalk  und  mit  Chromsäure 
sofort  eine  starke   Reaction   auf  Anilin. 

3     Einem   grossen   Kaninchen  wurden  .'''.»Tropfen  reinen  Anilins  eingeflösst; 
nach    lö  Min    sind   beschleunigtes   Athmen    und    ein   starkes   Muskelzittern   bemerkbar; 
nach   -   Stunden   Lähmung  der  Hinterbeine    und   momentan   die  heftigsten  Convulsionen. 
Unter  röchelndem  Athmen  und  'Wiederholung   der  Convulsionen  Tod  nach  5  Stunden. 

Section  36  Stunden  hernach.  Der  untere  und  mittlere  Lungenlappen  ist 
schwarzbraun  und  zeigt  auf  den  Durchschnitten  weissen  Schaum,  der  linke  obere  Lappen 
i.-t  emphysematös ;  das  Herz  ist  mit  geronnenem,  schwarzem  Blute  und  Faserstoff- 
gerinnsel angefüllt;  die  Harnblase  enthält  viel  Urin,  welcher  deutlich  auf  Anilin 
reagirte. 

4)  Einem  mittelgrossen  Kaninchen  wurden  12Tropfen  käuflichen  Anilins  subcutan 
injicirt;  nur  beschleunigtes  Athmen  und  Nachschleppen  der  Hinterbeine  traten  ein.    Am 
ue  Injection  von  24   ,  Symptome;  7  Stunden 

nachher  sprang  es  von  einer  2  Fu«  hohen  Anhöhe  auf  den  Buden.    Am  folgenden  Tage 
wurde  es  Ni  _     unter  zunehmender  Abnahme   der   Respiration   immer  hinfälliger 

und  starb  36   Stunden  nach  der  zweiten  Injection. 

Die  Section  liefert  ein  sehr  ähnliches  Resultat,  namentlich  in  Bezug  auf  den 
Befund  im  Herzen. 

5  Einem  grossen  Bastard-Hunde  wurden  8  Grm.  Anilin  eingeflösst;  schon  nach 
20  M.  fällt  er  hin,  nach  45  M.  sind  die  Hinterbeine  -wie  gelähmt:  Stöhnen,  Zittern, 
roth  ende  B  .  sehr  mühsames  Athmen  unter  bellendem  Stöhnen,  Abnahme  der 

Temperatur  sind  die  vorherrschenden  Erscheinungen.  Nach  4  Stunden  Opisthotonus, 
dann  allgemeine  Convulsionen,  starke  Zuckungen  der  Augenlieder  und  Gesichtsmuskeln 
mit  convulsivischem  Zusammenschlagen  der  Kiefer.  Speicheln,  Sinken  der  Temperatur 
bis  auf  o0°  C..  erloschene  Reaction.  Nach  10  Stunden  Aufhören  der  krampfhaften 
apingen,  unter  sehr  unregelmässigem  Athmen  und  starkem  Speicheln.  Tod  nach 
I  l   Stunden. 

Bei  der  Section.  20  Stunden  hernach,  i.-t  der  Blutreichthum  der  Pia  mater 
beachtenswert]!;  auch  die  Plex.  ven.  spin.  strotzen  von  Blut:  auf  den  Durchschnitten 
der  schmul  n   Lunge  viel  Schaum    und  dunkles,   flüssiges  Blut;   das  Herz  und 

die.  grössern  Venen  mit  schwarzem,  dickflüssigem   und  geronnenem  Blute  angefüllt.    Im 
Urin  konnte  deutlich  Anilin  nachgewiesen  weiden 

Was  zunächst  die  Wirkung  der  Anilindänipfe  betrifft,  so  ergeben  die 
Versuche,  dass  sie  mir  in  sehr  eoncentrirtem  Zustande  eine  Lebensgefahr  be- 
dingen. Aehnliche  Erfahrungen  hat  man  auch  in  Anilinfabriken  bei  den  Arbeitern 
gemacht,  wenn  sie  plötzlich  den  Anilindämpfen,  die  sich  beim  Oeffnen  der 
Destillirblasen  entwickeln,  ausgesetzt  waren.  Allgemeine  Schwache,  grosse  Be- 
täubung, heftiger  Kopfschmerz,  beklommenes,  erschwertes  Athmen,  kaum  fühl- 
barer Puls,  sehr  schwacher  Herzschlag,  Kälte  der  Glieder  und  eine  cyanotische 
Färbung  der  Haut*),  selbst  Zittern  und  Zuckungen  iu  den  Extremitäten 
sind  die  aus  der  Erfahrung  gewonnenen  Symptome,  die  unter  Umständen  einen 
sehr  beunruhigenden  Charakter  annehmen  können,  -wenn  nicht  sofort  die  erfor- 
derliche Hülfe  zur  Hand  ist. 

Ein    glaubwürdiger  Fall    von    der    letalen   Wirkung    der  Anilindämpfe   bei 


*)    In  den  höhern  Graden  erscheinen  die  Venen  der  Hand   und  der  Ohrläppchen 
wie  mit  Farbstoffen  injicirt. 


Anilin.  6*21 

Arbeitern  ist  bis  jetzt  noch  nicht  vorgekommen ;  zudem  hat  man  in  Anilinfabriken 
auch  das  Auftreten  der  Dämpfe  von  Nitrohenzol  zu  berücksichtigen,  so  dass  es 
oft  schwierig  ist,  die  eigentliche  Ursache  der  Erkrankungen  zu  erforschen.20) 

Die  gelbe  Färbung  des  Tannenholzes  in  Anilinfabriken  ist  ein  deutlicher 
Beweis,  dass  sich  hier  stets  Anilindämpfe  entwickeln;  man  muss  aber  zugeben, 
dass  diese  Färbung  auch  bei  der  geringsten  Spur  derselben  stattfindet,  so  dass 
sich  aus  jdieser  Thatsache  allein  niemals  von  vornherein  auf  Unzuträglichkeiten 
bei  der  Fabrication  schliessen  lässt.  Immerhin  muss  die  Natur  der  Dämpfe  zu 
dem  Bestreben,  sie  möglichst  sorgfältig  zu  condensiren,  auffordern,  was  der 
Fabricant  übrigens  auch  aus  pecuuiärem  Interesse  nicht  unterlassen  wird.  Auch 
in  Anilinfabrikeu  wiederholt  sich  die  Erscheinung,  dass  manche  Arbeiter  ganz 
besonders  empfindlich  gegen  Äniliudämpfe  sind  und  genöthigt  werden,  solche 
Fabriken  zu  verlassen. 

"Vergiftungen  durch  Ingestion  von  Anilin  können  natürlich  nur  durch 
Zufälligkeiten  oder  Versehen  entstehen.  Die  Symptomatologie  unterscheidet  sich  in 
den  -wesentlichen  Puncten  nicht  von  der  Vergiftung  durch  die  Dämpfe,  nur 
tritt  dabei  die  Affection  der  N er vencentren  rascher  auf.  Wie  aus  den  Ver- 
suchen an  Thieren  hervorgeht,  können  sich  das  Zittern  und  die  Zuckungen  zu  den 
heftigsten  klonischen  und  tonischen  Krämpfen  steigern.  Die  paretischen  Erschei- 
nungen treten  anfangs  mit  Hyperaesthcsie  auf,  gehen  aber  bei  letalem  Ausgange  in 
vollständige  Lähmuug  über.  Die  Störungen  der  Motilität  und  Sensibilität  können  bei 
Fabrikarbeitern  nur  "dann  einen  chronischen  Charakter  annehmen  und  zwar  monatelang 
dauern,  wenn  sie  längere  Zeit  in  einem  erhöhten  Grade  den  Anilindämpfen  ausgesetzt 
gewesen  sind.  Dies  sind  aber  höchst  seltne  Fälle,  die  nur  beim  Beginne  dieser  Fabri- 
cation vorgekommen  sind,  als  man  mit  der  Schädlichkeit  der  Dämpfe  noch  weniger  ver- 
traut war:  gegenwärtig  können  nur  Fahrlässigkeit  der  Fabricanten  oder  Unvor- 
sichtigkeit der  Arbeiter  solche  Folgen  verschulden.  Meist  bleibt  es  in  den 
schlimmsten  Fällen  bei  dem  Zittern  der  Hände  und  den  Zuckungen  einzelner  Muskel- 
bündel, ganz  analog  den  Erscheinungen  bei  den  Thierversuchen. 2I) 

Der  letale  Ausgang  ist  stets  durch  eine  progressive  Abnahme  der  Respiration 
und  Herzthätigkeit  gekennzeichnet:  auch  der  wichtigste  Befund  bei  den  Sectionen 
besteht  in  einer  auffallenden  Anfüllung  des  Herzens  mit  geronnenem  Blute,  womit  sich 
Stauungen  in  der  Lunge,  Emphysem  oder  ein  höherer  und  geringerer  Grad  von  Blut- 
reichthum  in  den  Hirnhäuten  verbinden.  In  Uebereinstimmung  hiermit  findet  sich  in  den 
Vergiftungsfällen  bei  Menschen  und  Thieren  stets  ein  kaum  fühlbarer  Puls  und  eine  sehr 
schwache Iderzbewegung,  Erscheinungen,  die  sich  im  Hinblick  auf  den  gesammten  Sympto- 
mencomplex  auf  die  Affection  der  nervösen  Centralorgane  zurückführen   lassen. a  ) 

Was  die  Wirkung  der  Anilinsalze  betrifft,  so  erzeugte  die  subcutane  injection 
von  1,5.5  Grm.  schwefelsaurem  Anilin  bei  einem  jungen  Hunde  Würgen  und  mehr- 
maliges Erbrechen  bei  stark  contrahirter  Pupille,  nach  4  Stunden  starkes  Zittern  und 
nach  5  St.  Zuckungen  in  den  Extremitäten:  dann  trat  Restitution  ein.  Am  folgenden 
Tage  wurden  ihm  2,5  Grm.  desselben  Präparats  eingeflösst,  welches  nur  starkes  Speicheln 
erzengte.     Am  3.  Tage  hatten  1,25  Grm.  nur  Erbrechen  zur  Folge. 

Bei  Fröschen  brinet  eine  subcutane  Injection  von  0,05—0,01  Grm.  Schwäche  in 
den  Hinterbeinen,  erweiterte  Pupille,  fihrilläre  Zuckungen  und  unregelmäßige  Respi- 
ration hervor.  Grössere  Gaben  bewirken  Lähmung  der  Hinterbeine,  Stillstand  der 
Respiratiou  und  des  Herzens  in  diastole. 

Nach  subcutaner  Injection  von  0,4  Grm.  essigsaurem  Anilin  folgten  bei  einem 
Kaninchen  Zittern  des  ganzen  Körpers  und  Parese  der  hintern  Extremitäten.  JSach 
4  Stunden  konnte  Anilin  im  Harn  nachgewiesen  werden.  Am  folgenden  Tage  noch 
Diarrhoe  und  Hinfälligkeit  bemerkbar;  dann  Restitution. 

Eine  subcutane  Injection  von  0,4  Grm.  salzsaurem  Allilili  bewirkte  nach  1  Stunde 
allgemeines  Zittern,  nach  2  Stunden  Zuckungen  in  den  hintern  Extremitäten,  dann 
allgemeine  Parese;  das  Kaninchen  vermochte  nicht  mehr  aufzustehen.  Am  andern  läge, 
36  Stunden  nachher,  Anilin  im  Urin  bei  scheinbarer  Restitution:  dann,  80  Stunden  nacli 
dem  Versuche,  starb  es  unter  progressiver  Abnahme  der  Respiration. 

Bei  der  Sectio n  fand  sich  die  rechte  Lunge  auf  den  UmfaDg  einer  starken 
Wallnuss  collabirt  und  blutleer,  die  rechte  Herzhälfte  mit  flüssigem,  die  linke 
mit  geronnenem  Blute  angefüllt.  In  der  Brust  hatten  sich  4  Grm.  flussigen,  braun- 
rothen  Blutes  angesammelt:  Corticalsubstanz  der  Nieren  sehr  blutreich,  die  Harnblase 
mit  hellem  Urin  angefüllt,  in  dem  Anilin  nicht  mehr  nachgewiesen  werden  konnte. 


022  Aromatische  Korper. 

Bei  einem  starken  Bunde  erzengte  die  Ingestion  von  4  Grm-.  salzsanrem  Anilin  nur 
Schleimerbrechen;  4  Grm  von  saurem  salzsanrem  Anilin  hatten  mehrmaliges  Erbrechen 
zur  Folge,  wodurch  wahrscheinlich  der  grössere  Theil  des  Salzes  mit  entleert  wurde. 

Das  schwefelsaure  Anilin  ist  im  Ganzen  am  wenigsten  giftig  und  zwar 
deshalb,  weil  es  eine  feste  Verbindung  ist,  die  weit  schwieriger  als  essigsaures 
und  salzsaures  Anilin  zerfällt.  Das  leichtere  Zerfallen  dieser  Salze  begünstigt 
daher  auch  ein  vollständigeres  Uebergeben  des  Anilins  in's  Blut,  das  bekanntlich 
bei  der  subcutanen  Injection  viel  leichter  als  bei  der  Ingestiou  erfolgt.  Die 
äussere  Application  von  salzsanrem  Anilin  vermag  erfabrungsgemäss  schon 
eine  vollständige  Auilinvergiftung  zu  erzeugen.23) 

Bei  der  Darstellung  von  Anilin  im  Grossen  gebraucht  man  zur  Reduction 
Essigsäure,  hauptsächlich  aber  Salzsäure  und  Eisen.  .Man  bringt  das  Gemisch 
in  eine  kupferne,  mit  einem  Rührwerk  versebene  Blase  und  verscbliesst  dieselbe  mit 
einem  Deckel,  durch  den  man  eine  bis  auf  den  Boden  reichende  Trichterröhre 
führt.     Zur  Erwärmung  benutzt  man  Dampf  in  einem  Schlangeurohr. 

Während  das  Nitrobenzol  durch  den  Trichter  in  die  Blase  fliesst,  setzt  man  das 
Rührwerk  in  Bewegung;  eine  wässrige  Flüssigkeit  mit  Oeltropfen  destillirt  zuerst  über. 
Da  diese  noch  Anilinsalze  der  angewendeten  Säure  und  unzersetztes  Nitrobenzol  enthalt,  so 
wird  sie  wieder  zurückgegossen :  dann  wird  der  bei  175  -  190°  übergehende  Theil  besondei's 
aufgenommen. 

An  der  Reduction  des  Nitrobenzols  betheiligen  sich  der  Wasserstoff  und  das 
Eisenoxydulsalz,  es  bleiben  daher  in  der  Blase  Eisenoxydhydrat  neben  wenig 
salzsaurem   und  freiem   Anilin  zurück,   vermischt  mit  einer  harzigen  Masse. 

Bei  Anwendung  gespannter  Wasserdämpfe  erhält  man  eine  grössere  Aus- 
beute und  ein  reineres  Product;  die  Zusammensetzung  des  Rohanilins  richtet  sich 
übrigens  nach  der  Natur  des  benutzten  Benzols  resp.  Nitrobenzols:  stets  stellt  das 
Anilöl  ein  Gemenge  von  Anilin  und  Toluidin  u  s.w.  dar. 

Das  Conde  nsationswasser,  das  bei  Anwendung  von  gespannten  Wasser- 
dämpfen abfallt,  ist  stets  anilinh  altig ;  Kochsalz  und  Glaubersalz  scheiden  zwar 
aus  demselben  das  Anilin  aus,  aber  nicht  so  vollständig  wie  eine  Chlorkalklösung, 
durch  welche  ein  dem  Manvanilin  ähnliches  Anilinharz  gewonnen  wird.  Erst  nach 
einer  solchen  Behandlung  darf  das  Abfallwasser  abgelassen  werden. 

Der  Rückstand  in  der  Destillirblase  besteht  bei  Anwendung  von  Eisen  und 
Essigsäure  aus  Eisenacetat,  Eisenoxydhydrat,  Eisenoxyduloxyd  und  metal- 
lischem Eisen;  man  kann  denselben  zur  Darstellung  von  Eisenbeizen  und  Eisen - 
salzen  benutzen  oder  durch  Glühen  in  geschlossenen  Gefässen  regeneriren.  Niemals 
darf  er  im  Freien  lagern,  da  er,  wenn  er  durch  Wind  aufgewirbelt  wird,  die  Adjacenten 
auf  mannigfache  Weise  belästigen  oder  die  Vegetation  beschädigen  kann. 

In  sanitärer  Beziehung  ist  stets  das  Hauptaugenmerk  auf  die  (Konden- 
sation der  Anilindämpfe  zu  richten;  selbst  beim  Füllen  oder  Umfüllen  der  Flaschen 
müssen  sich  die  Arbeiter  vor  dem  verdampfenden  Anilin  schützen;  auch  eine  an- 
scheinend geringfügige  Einwirkung  macht  sich  schliesslich  um  so  mehr  geltend,  je  häufiger 
sie  eintritt. 

Aniline,  bei  denen  ein  oder  beide  Amido Wasserstoffe  durch  Kohlen- 
wasserstoffreste vertreten  sind. 

Methylanilin  C6H6.NH(CH3)  und Dimethylanilin  C?HS .  N(CH3)2  wurden  bisher 
durch  Digestion  von  Anilin  mit  Jodmethyl  gewonnen.  Wegen  des  hohen  Preises  der 
Jodverbindungen  lässt  man  gegenwärtig  Holzgeist  (oder  Alkohol)  unter  Mitwirkung 
hoher  Temperaturen   auf  salzsaures  Anilin   einwirken,   um   salzsaures  Methylanilin 

darzustellen  : 

C6H5NH2 .  HCl  +  CH3OH  =  C6H5NH (CH3) .  H Cl  +  ILO. 
Die  entsprechenden  Aethylaniline  werden  in  der  Farbentechnik  nicht  benutzt. 
Sämmtliche  Verbindungen  sind  dem  Anilin  ähnliche  Flüssigkeiten  und  bilden  mit  Säuren 
krystallisirbare  Salze:  auch  ihre  Einwirkung  auf  den  thierischen  Organismus 
ist  dem  Anilin  analog.  So  bekam  eine  Taube  nach  einer  Gabe  von  0,67  Grm.  Aethyl- 
anilin  schon  nach  5  M.  Erbrechen,  verfiel  aber  nach  5  Stunden  in  die  heftigsten  Con- 
vulsionen,  die  sich  mehrmals  wiederholten:  ein  schwankender  Gang  blieb,  der  Schwindel 
und  die  Unfähigkeit  zu  stehen  nahmen  gleichzeitig  mit  einem  immer  schwächer 
werdenden  Herzschlage  zu,  bis  der  Tod  am  4.  Tage  eintrat.     Bei  der  Section  fiel  be- 


Toluol.  623 

sonders  die  Anfüllung  des  ganzen  Herzens  mit  stark  coagulirtem,  schwarzem  Blute 
auf.  Die  Oberfläche  der  Med.  oblong,  war  mit  einem  ganz  flachen,  flüssigen  Blut- 
extravasate  bedeckt. 

Substitution  des  Amido  Wasserstoffs   durch  den  Benzolrest. 

Diphenylamin  C6H5(C6H5)NH  wird  durch  Erhitzen  von  salzsaurem  Anilin  mit 
dem  doppelten  seines  Gewichts  Anilin  in  einem  Papinischen  Topfe  erhalten.  Das 
Handelsproduet  enthält  noch  Ditoluylaniin  und  Phenoltoluylamin:  sowohl 
Diphenylamin  als  auch  seine  Salze  werden  durch  Salpetersäure  blau."  durch  Salzsäure 
tiefblau  gefärbt.  Durch  Einwirkung  von  Holzgeist  auf  salzsaures  Diphenvlamin 
bei  250-300°  entsteht  Metliyliliphenylainin  C,;H5(CH3i(C6H5)N,  das  mit  Salpetersäure 
einen  purpurrothen  Farbstoff  liefert.  Durch  Oxydation  oder  Reduction  gewinnt 
man  aus  ihm  blaue,  -violette  und  braune  Farbstoffe. 

Substitution  von  2  H  im  Benzol  durch  die  Amidogruppe. 
Diamidobenzol  oder  Phenylenilianiin  CgH^NHAj  =  C6HSN2  wird  erhalten,  wenn 
Binitrobenzol  oder  Nitranilin  mit  Eisen  und  Essigsäure  behandelt  wird;  ein  basischer, 
krystallisirbarer,  bei  140°  schmelzender  und  bei  267°  siedender  Körper,  welcher  mit 
Mineralsäuren  Plienyleiulianiinsalze  bildet.  Bei  der  Darstellung  von  Phenylbraun 
kommt  Phenylendiamin  zur  Verwendung  (s.  S  (312):  es  liefert  mit  Salpetersäure 
einen  Nitrokörper  C6H7(N02)N.... 

Verbindungen  von  zwei  Benzolresten    durch  zwei  Stickstoffatome. 

Die  AzoverMndnngen  stellen  eine  Reihe  intermediärer  Verbindungen  dar,  die 
zwischen  Nitrobenzol  und  Amidobenzol  liegen;  sie  werden  entweder  durch  theil weise 
Reduction  des  Nitrobenzols  oder  durch  Oxydation  des  Amidobenzols  dargestellt.  Nur 
wenige  dieser  Körper  haben  bisher  in  der  Farbenindustrie  Verwendung  gefunden. 
Azoxybenzol  Cl:>H!0N.,0  entsteht  durch  Kochen  von  Nitrobenzol  mit  alkoholischem 
Kali,  Azobenzol  C12H10N  bei  der  Destillation  dieser  Körper. 

Verbindung  des  Benzolrestes  mit  zwei  durch  doppelte  Bindung  unter 
sich  vereinigten  Stickstoffatomen. 

Unter  den  Diazoverbindungen  ist  besonders  das  salpetersaure  Diazobenzol 
C6H5—  N— N—  N03  bekannt,  das  durch  Einwirkung  von  salpetriger  Säure  auf  salpeter- 
saures Anilin  entsteht.  Alle  Diazoverbindungen  zerfallen  beim  Erwärmen  ihrer  wässrigen 
Lösung  in  gasförmig  entweichenden  Stickstoff  und  Phenol  und  wirken  giftig.24) 

Da  sich  Toluidin  zu  salpetriger  Säure  ähnlich  wie  Anilin  verhält,  so  benuzt  man 
in  der  Industrie  schweres  Anilöl  mit  einem  reichen  Gehalte  an  Toluidin.  um  die 
Safraninsalze,  schöne  rothe  Farbstoffe,  Zugewinnen.  Anilin  und  Toluidin  werden  zu 
diesem  Zwecke  durch  salpetrige  Säure  in  Amidoazobenz  ol  und  Amidoazotoluo  1 
übergeführt:  auf  diese  Azoverbindungen  lässt  man  Kaliumbichromat  (früher  auch 
Arsensäure)  einwirken.  Die  Base,  Safranin  C21H20N.i  liefert  schwefelsaure,  salzsaure, 
salpetersaure  und  pikrinsaure  Salze.  25) 


Toluol. 


Methylbenzol,  Toluol  C6ßV  CH3  =  C7HS  ist  ein  steter  Begleiter  von  Benzol; 
es  wurde  zuerst  bei  der  Destillation  des  Toluharzes  dargestellt,  wovon  sein 
Name  herrührt,     Toluol  ist  eine  farblose  Flüssigkeit,  die  bei  111°  siedet. 

Seine  Wirkung  auf  den  thieriseken  Organismus  ist  ähnlich  der  von  Benzol:  bei 
15  Grm.  Toluol,  die  auf  erwärmtem  Sande  im  grossen  Kasten  verdampften,  entstanden 
bei  einem  mittelgrossen  Hunde  grosse  Unruhe,  Augeuthränen ,  heftiges  Schreien,  con- 
vulsivische  Zuckungen  und  Zittern  des  ganzen  Körpers.  Nach  10  M.  in's  Freie  gebracht, 
fällt  das  Thier  auf  die  Seite  und  bleibt  ganz  erschlafft  bei  contrahirter  Pupille  liegen. 
Nach  3  M.  versucht  es  zu  gehen,  fällt  aber  auf  die  Seite:  der  Schwindel  und  die  Be- 
täubung lassen  nach  12  M.  nach;  die  Restitution  ist  bald  vollständig. 

Dargestellt  wird  Toluol  bei  der  Rectification  des  Steinkohlentheers.  indem 
man  die  zwischen  100 — 120°  übergebenden  Antheile  auffängt,  mit  concentrirter 
Schwefelsäure  behandelt  und  nochmals  rectiflcirt. 


{\24  Aromatische  Korper. 

Cli  lorder  i  v  a  te  des  Toluol  >. 

Benzylchlorid,   Chlorbenzy]  CfiH5CH2Cl  =  C7HrC]   wird  fabrikmässig  dargestellt, 

man  Chlor  in  siedendes  Toluol  leitet.  Man  bedient  sich  dazu  eines  mit  einem 
Rückflusskühler  und   einer  Destillircondensationsröhre   versehenen   Apparates.     An    der 

Oeffnung  des  erstem  isl  ein  Rohr  anzubringen,  welches  in  eine  Flasche  mii  kalt 
gehaltenem  Wasser  taucht,  um  hier  die  übergehenden  Dämpfe  zu  condensiren.  Fast 
reines  Chlorbenzy]  ist    das  Destillat   zwischen   IT:      176°,   das  eine  (arblose  Flüssigkeit 

ii.    die   mii    alkoholischem    Ammoniak   AmidoderWate   des   Toluols,   nämlich 
Benzylamin    *  ,,T1  ^ 'fT.Nll..    neben    Dibenzylamin    (C6HSCH2)2NB     und    Tribenzylamin 
(C6H5CH2)3N  liefert.    Lässt  man  Chlorbenzy!  bei   160°  unter  Druck  auf  Methylrosani 
I  i  n  ( Anilinvioletl     einwirken,  so  bildet  sieh  ein  benzilirtes  Violett. 

Die  Benzylmethylanilin -Violette  sp  enwärtig  eii  Rolle,  da  sie  die 

für  Färl  tuch  bei  G  gewissen  Menge  Säure 

aui  der  animalischen  Faser  bef<  >tigl   werden  zu  können,  dir  Glanz  der  Farbe 

dabei  verloren  geht. 

Nitroderivate  des  Toluols. 

Man  unii"  be,  bei  denen  die  Nitrogruppe  N02  in  den 

getreten  ist.      Das  flüssige,   nach  Bittermandelöl   riechende   und  bei  '-'2:;" 
de    Nitrotolaol    C6H4N02CH3  =  =  C7H7N02   ist    gewöhnlich    mit    dem    Nitrobenzol 
vermischt.     Die  beiden  andern  Nitrotoluole  haben  einen  verschiedenen  Siedepunct. 

Eydroxylderivate  des  Toluols. 

Hill 

Zu    den   Monohydroxylderivaten    gehören    die  Kressole   0,jH4     ,;,n.  welche 

das  <>H  im  Benzolkern  enthalten  and  sieh  wie  Phenole  verhalten,  auch  mit  diesen  aus 
i\i~n  schweren  Theerölen  erhalten  werden.  Victoriagelb  "der  Anilinorange  ist  ein  rothe.s 
Dinitrokressolsalz,  das  als  gell  technisch  verwerthel   wird. 

Hierher  gehört  auch  der  Benzylalkohol,  der  das  OH  in  der  Seitenkette  CH3  hat 
=  C6H5    CH.  (0H|.     Durch  Oxydation   wird   er  in  Benzylaldehyd  und  Benzoesäure 
eführt.     Letztere  wird  übri  misch  aus  dem  Kuhharn  dargestellt  und   findet 

in    <\vv   Theerfarbenindustrie,    bei    Anfertigung   von    Tabakssaucen    und   zur  Befestigung 
ner    Beizen    Verwendung.      Ein    Dihydroxylderivat    des    Toluols    ist    das 
Orcin    C6H3(OH)(OH)CH3     -ehe'  S    368   .    sowie   der  Salicylalkohol    C7H80,,,    der 
durch  oxydirende  Agent  Salicylaldehyd   und  Sal  icyl  säure  CrH603  übergeführt 

wird.  Letztere  wird  jetzt  fabrikmässig  nach  Ko/fie  durch  Einwirkung  von  Kohlan- 
säure auf  Xatnuinjilionvlat  dargestellt;  sie  ba1  sich  rasch  einen  Ruf  als  desinficirendes 
Mittel  erworben  und  ist  wegen  ihrer  Geruch-  und  Geschmacklosigkeit  in  manchen  Fällen 
der  Carbolsäure  vorzuziehen,  wenngleich  letztere  als  fäulnisswidnge  Substanz  stets  noch 
ihr«-  Stellung  behaupten  wird.1) 

Amidod  erivate  des  Toluols. 

\  ertritt  die  Amidogruppe  das  H  im  Benzolkern,  so  entstehen  die  Tolilidine.  ■während 
sie  heim  Benzylamin  in  der  Seitenkette  liegt.  Mau  stellt  Toluidin  C6H4  (NH2)  CH3  = 
C7H9N2    im    Grossen    gewöhnlich    durch  Reduction    des   Nitrotoluols    mittels    fein  ver- 

1  Eisens  und  der  Essigsäure  oder  Salzsäure  dar.  Das  krystallirte  Product  wird 
durch  Aufnehmen  in  Petroleumessenz  gereinigt,  da  sieh  das  Toluidin  in  derselben  voll- 
lig  Inst,  wählend  harzartige  Körper  und  flüssige  Basen  ungelöst  bleiben. 

Es  ist  auf  die  Feuergefährlichkeit  und  die  schädliche  Einwirkung  der  Dämpfe  von 
der  Petroleumessenz  hierbei  zu  achten:  das  Auflösen  muss  deshalb  stets  in  geschlos- 
senen G(  fassen  geschehen. 

Je  nach  der  Beschaffenheit  des  benutzten  Nitrotoluols  erhält  man  auch  verschie- 
dene Modificattonen  des  Toluidins.  So  liefert  das  bei  gewöhnlicher  Temperatur  feste 
Nitrotoluol  auch  -.  aus  wasserhaltigem  Weingeist  in  ziemlich  grossen  Blättchen 

herauskrystallisirendes  Toluidin,  welches  bei  40°  schmilzt  und  bei  198°  siedet. 

Psendotolnidine  nennt  man  die  aus  den  beiden  flüssigen  Nitrotoluolen  er- 
haltenen flüssigen  Toluidine;  man  gebraucht  zu  ihrer  Darstellung  in  der  Regel  eben- 
falls Reductionsmittel. 

Das  Pseudotoluidin  ist  eine  farblose,  bei  198°  siedende  Flüssigkeit,  dessen 
Salze  leichter  krystallisiren  als  die  entsprechenden  Anilinsalze.  Mit  Schwefelsäure  und 
Kaliumchromat  wird  es  blau,  mit  Chlorkalk  und  Salzsäure  violett  gefärbt,  liefert  aber 
erst  mit  dem  doppelten  Gewicht  Anilin  vermischt  das  Anilinroth. 


Anüinfarbenindustrie.  625 

Einwirkung  des  Tolnidins  auf  den  thierischen  Organismus.  1)  Einem  Kaninchen 
■wurde  1  CC  flüssiges  Toluidin  subcutan  injicirt.  Nach  einer  Stunde  Bauchlage  mit  zu 
Boden  gesenktem  Kopfe,  die  es  nur  beim  Vorwärtsschieben  verlässt;  dieser  Zustand 
von  Betäubung  hält  10  Stunden  lang  an,  dann  bleibt  das  Thier  gesund. 

2)  Einem  Kaninchen  wurden  0,5  Grm.  krystallisirten  Toluidins  eingeflösst;  anfangs 
schien  die  Fresslust  vermindert  zu  sein;  andere  Erscheinungen  traten  nicht  ein. 

3)  Eine  grosse  Taube  sitzt  im  Glaskasten;  40  Tropfen  von  flüssigem. Toluidin  werden 
erhitzt  und  eingeblasen;  nach  5  M.  Verdampfung  von  20  Tropfen.  Nach  10  M.  geringes 
Schwanken  und  erschwerte  Respiration ;  nachdem  noch  die  Dämpfe  von  30  Tropfen  ein- 
geleitet worden,  erfolgt  mehrmaliges  Erbrechen;  es  bleibt  bei  der  schwankenden  Be- 
wegung und  unregelmässigen  Respiration.  Nach  30  M.  herausgenommen,  stürzt  sie  beim 
Gehen,  richtet  sich  aber  wieder  auf  und  bekommt  starkes  Würgen  und  Erbrechen;  dann 
verhält  sie  sich  ruhig,  verschmäht  aber  das  Futter  nicht,  was  am  folgenden  Tage  der 
Fall  ist.  Am  3.  Tage  anscheinende  Erholung,  am  4.  Tage  spät  Abends  Tod  unter  klo- 
nischen und  tonischen  Krämpfen. 

Section  nach  24  Stunden.  Hirnhäute  wenig  blutreich;  Langen  hellroth,  auf 
den  Durchschnitten  wenig  flüssiges  Blut.  Das  ganze  Herz  ist  mit  schwarzem,  zu  ein- 
zelnen Strängen  coagulirtem  Blute  vollständig  angefüllt;  lange  coagulirte  Stränge  lassen 
sich  aus  den  einzelnen  Venen  herausziehen.     Der  Kropf  ist  mit  Wicken  angefüllt. 

Die  Erscheinungen  sprechen  für  die  Aehnlichkeit  der  Wirkung  von  Tolui- 
din mit  der  von  Anilin;  die  Dämpfe  des  erstem  vermögen  aber  schon  in  einem 
weniger  concentrirten  Zustande  einen  letalen  Ausgang  herbeizuführen.  So  ent- 
spricht auch  das  Aethyltoluidin  *)  in  seiner  Wirkung  auf  den  Thierorganismus 
dem  Aethylanilin,  entfaltet  dieselbe  aber  ebenfalls  rascher  (s.  S.  622). 

0,646  Grm.  von  durch  Erhitzen  von  Toluidin  und  Jodäthyl  dargestelltem  Aethyl- 
toluidin C9H]3N  werden  einer  Taube  eingeflösst.  Nach  2  M.  treten  häufiges  Erbrechen, 
nach  7  M.  Schwanken  mit  Neigung  zum  Rückwärtsfallen,  aber  erst  nach  1%  Stunden 
ein  betäubter  Zustand  ein.  Am  folgenden  Tage  noch  schwankendes  Gehen  bei  anfangs 
beschleunigtem,  dann  verlangsamtem  Athmen;  Nachmittags  Convulsionen  und  15  M. 
nach  Eintritt  derselben  Tod  unter  Tetanus. 

Section  nach  24  Stunden.  Ein  durchsichtiges,  dünnes  Blutextravasat  umgibt 
die  Medull.  oblong,  und  einen  Theil  des  Kleinhirns.  Auf  den  Durchschnitten  der  hell- 
rothen  Lungen  etwas  flüssiges  Blut,  das  ganze  Herz  ist  aber  mit  dickflüssigem  und 
geronnenem  Blute  angefüllt. 

Die  Anilinfarbenindustrie. 

Die  Amidoderivate  des  Toluols  haben  für  einen  der  grossartigsten  Industrie- 
zweige der  Gegenwart,  für  die  Anilinfarbenfabrication,  die  grösste  Bedeu- 
tung; das  Rohmaterial  besteht,  wie  aus  dem  Vorhergehenden  ersichtlich  ist,  aus 
Benzol  und  Anilinöl.  In  England  waren  es  Perkin  (1856),  A.  W.  Hofmann 
(1858  und  1863),  Medloch  (1860),  Nicholson  (1862)  und  Lightfoot  (1863), 
in  Frankreich  Verguin  (1859),  Bechamp  (1860),  Girard  und  de  Laire 
(1860),  deren  Namen  sich  eng  an  diese  Industrie  knüpfen,  während  in  Deutsch- 
land der  verdienstvolle  Runge  eigentlich  'die  Grundlage  für  alle  weiteren  Ent- 
deckungen geschaffen  hat.2) 

Die  bedeutendsten  Anilin-  und  Anilinfarbenfabriken  finden  sich  in  Offen- 
bach, Bieberich,  Höchst  bei  Frankfurt  a.  M.,  Mannheim,  Barmen,  Elberfeid  und 
Crefeld.  Der  Werth  der  Gesammtfabrication  belief  sich  im  Jahre  1872  bereits  auf 
10  Millionen  Thaler. 

Durch  die  theuren  Jodpreise  wurde  Jodviolett  durch  Methylanilinviolett 
verdrängt.  Weitere  Fortschritte  in  der  Industrie  werden  es  hoffentlich  möglich 
machen,  dass  die  Arsensäure,  welche  bisher  in  der  Anilinfarbenfabrication  eine 
so  grosse  Verwendung  gefunden  und  bloss  in  Deutschland  jährlich  Rückstände 


*)  Aethyltoluidin  liefert  ebensowenig  wie  Aethylanilin  Farben. 

Eulenberg,  Gewerbe-Hygiene.  40 


626  Aromatische  Körper. 

von  30,000  Cent,  arseniger  Säure  geliefert  hat,  in  ihrer  Anwendung  immer  mehr 
beschränkt  wird.  Da  die  Darstellung  von  Anilinroth  auf  einem  Oxydations- 
processe  beruht,  so  bot  unter  den  verschiedenen  oxydirenden  Mitteln  die  Arsen- 
säure bisher  in  technischer  Beziehung  viele  Vortheile  dar. 

Die  Anilinfarben  stellen  eine  Reihe  zusammengesetzter  Amidoderivate  des 
Toluols  dar,  welche  den  Benzolrest  noch  enthalten  und  durch  Aufnahme  von 
Sauerstoff  die  Base  des  rothen  Farbstoffs,  das  Anilinroth,  Rosanilin, 
Fuchsin,  liefern.  Aus  einem  Gemisch  von  Anilin  und  Toluidin  stellt  man 
diese  Base  am  besten  dar: 

C6H5(NH2)  +  2C6H4(NH2)CH3  +  30  =  C2oHwN3  +  3H20 

Co0H19N3  ist  =  C6H4  (  xh-cJhJ[chJ)  )^H  (Anüinroth) 

Erst  die  Salze  des  Rosanilins  liefern  die  prächtigen  rothen  Farbstoffe.  Die 
erhaltenen  Producte  werden  durch  Behandlung  mit  Oxydations-  oder  Reductions- 
mitteln  wiederum  iu  andere  Farben  übergeführt.  Unter  den  vielen,  kaum  sämmt- 
lich  namhaft  zu  machenden  Anilinfarben  nehmen  das  Anilinroth,  Anilin  vio- 
lett und  Anilinblau  die  wichtigste  Stelle  ein. 

Anilinroth. 

Anilinroth  C2uHu,N3  hat  noch  eine  Menge  anderer  Namen,  von  denen  in  der 
Industrie  Fuchsin  am  gebräuchlichsten  und  von  der  Firma  Renard  und  Franc 
in  Lyon  wegen  der  Aehnlichkeit  des  Roths  mit  der  Fuchsiablüthe  eingeführt 
worden  ist.  A.  W.  Hofmann  stellte  es  zuerst  durch  Einwirkung  von  Chlor- 
kohlenstoff (CC14)  in  zugeschmolzenen  Röhren  bei  einer  Temperatur  von  170,°  bis 
180°  dar  und  nannte  es  Rosanilin,  ein  Name,  welcher  unter  den  Chemikern 
allgemein  angenommen  worden  ist. 

Verguin  hat  zuerst  die  Ho/mann'seh.e  Entdeckung  durch  Benutzung  von  -wasser- 
freien Metallchloriden  verwertket.  Medloch,  Nicholson,  birard  und  de  Laire  machten  vor- 
zugsweise von  der  Arsensäure  Gebrauch,  ein  Verfahren,  welches  sich  bis  jetzt  noch 
wegen  der  Billigkeit  der  Darstellung  und  der  reichlichen  Ausbeute  erhält  (35  —  38^). 

Die  Benutzung  der  Arsensäure  hat  jedoch  in  sanitärer  Beziehung  grosse  Nach- 
theile für  die  Arbeiter  im  Gefolge  und  ihr  Rückstand,  die  arsenige  Säure,  führte  zu 
den  grössten  Belästigungen  der  Fabricanten,  da  die  Wegschaffung  resp.  Wiederbenutzung 
derselben  äusserst  schwierig  blieb. 

A.  Fuchsindarstellung  mittels  Arsensäure.  Die  hierzu  gebräuchliche  Arsen - 
säure  kommt  im  Handel  als  eine  syrupsdicke,  wasserhaltige  vor;  durchschnittlich 
werden  cc.  auf  2  Mol.  Anilin  1  Mol.  wasserfreie  Arsensäure  und  5  Mol.  Wasser 
genommen,  wobei  das  Anilin  stets  eine  gewisse  Menge  Toluidin  enthalten  muss. 
Die  Fabrication  zerfällt  in  mehrere  Stadien: 

1)  Darstellung  der  Schmelze.  Das  Gemenge  von  Anilinöl  und  Arsensäure 
wird  in  eisernen  Retorten  einer  190°  nicht  übersteigenden  Erhitzung  ungefähr 
8  — 10  Stunden  lang  unterworfen. 

Die  eiserne  Retorte  ist  cylindrisch,  hat  in  der  Mitte  einen  Rührer,  welcher  durch 
die  Dampfmaschine  in  Bewegung  gesetzt  wird.  Am  Deckel  befinden  sich  ferner  eine 
Röhre  zum  Einlassen  von  heissem  Wasser,  ein  Mannloch  zum  Eintragen  des  Gemenges 
und  zum  Reinigen  des  Apparates,  ein  Sicherheitsventil,  eine  Oeffnung  zum  Einsetzen 
des  Thermometers  und  ein  Hals  zum  Abführen  der  Dämpfe. 

Am  untern  Theile  der  Retorte  ist  eine  weite  Ablaufröhre  mit  einem  Hahn  an- 
gebracht, um  das  Herausnehmen  der  Rohschmelze  zu  umgehen,  eine  Manipulation, 
welche  früher  für  die  Arbeiter  höchst  gefährlich  war,  da  aus  dem  geöffneten  Gefässe 
stets  Anilindämpfe  aufsteigen  und  höchst  nachtheilig  einwirken. 


Anilinroth.  627 

In  sanitärer  Beziehung  empfiehlt  es  sich,  den  Kühlapparat,  in  welchen  der  Hals 
der  Retorte  verläuft,  ausserhalb  des  Kesselraums  aufzustellen,  denn  hier  gelangt  Anilin 
leicht  zur  Verdunstung,  welches  die  am  Apparate  beschäftigten  Arbeiter  sehr  benach- 
teiligen kann. 

Da_  stets  Wasser-  und  Anilindämpfe  übergehen  und  sich  condensiren,  so 
wird  Anilin  durch  Kochsalz-Zusatz  vom  Wasser  getrennt. 

Die  hier  abfallenden  Wässer  dürfen  niemals  in  Senkgruben  abgelassen  werden;  in 
Canälen  mit  starker  Spülung  oder  in  fliessenden  Wässern  schaden  sie  wegen  der  Ver- 
dünnung nicht.  Nachdem  das  Uebergeken  von  Anilin  aufgehört  hat,  wird  noch  Wasser- 
dampf eingelassen,  um  allen  Anilindampf  fortzureissen,  wobei  aber  ganz  besonders 
die  Placirung  des  Kühlapparats  ausserhalb  des  Fabrikraumes  erforderlich  ist,  damit  die 
abgehenden  Wasserdämpfe  durch  ein  Rohr  über  das  Dach  des  Fabriklocals  hinaus  ge- 
leitet werden  Schliesslich  wird  heisses  Wasser  in  die  Schmelze  gebracht,  um  nach 
einiger  Zeit  die  flüssige  Masse  abzulassen  und  durch  Blechrinnen  in  geeignete  Behälter 
zu  leiten;  statt  Blechrinnen  sollten  aber  hierzu  stets  Röhren  verwendet  werden. 

In  kleinern  Fabriken  sind  noch  gusseiserne,  eingemauerte  Kessel  mit  aufge- 
schraubten Deckeln  gebräuchlich,  wobei  ein  Arbeiter  mit  einer  Kurbel  den  Rührer  in 
Bewegung  setzt:  der  Hauptnachtheil  besteht  hier  darin,  dass  die  Arbeiter  dann  auch 
die  Rohschmelze  aus  dem  Apparat  herausschöpfen  müssen.  Die  Rohschmelze  erstarrt 
bald  und  wird  nachher  pulverisirt.  Abgesehen  davon,  dass  die  Arbeiter  durch  die 
Berührung  mit  der  Rohschmelze  Geschwüre  an  den  Händen  und  allgemeine  Hautaus- 
schläge bekommen  und  den  Anilindämpfen  in  hohem  Grade  ausgesetzt  sind,  ist  es 
namentlich  der  mit  dem  Pulverisiren  verbundene  Staub,  welcher  für  diese  höchst 
nachtheilige  Folgen  haben  kann.  Die  Erscheinungen  der  vollständigen  Arsenvergiftung 
können  hierbei  auftreten,  und  man  kann  kühn  behaupten,  dass  das  Pulverisiren  der 
Rohschmelze  immer  den  gefährlichsten  Act  in  der  Anilinfarbenfabrication  in 
sich  schloss. 

In  sanitärer  Beziehung  ist  es  in  solchen  Fällen  geboten,  die  Mahlapparate  in  einem 
vollkommen  abgeschlossenen  Räume  aufzustellen,  so  dass  der  die  Kurbel  drehende  Arbeiter 
ausserhalb  desselben  seinen  Stand  nehmen  kann,  um  der  Einwirkung  dieses  Staubes 
nicht  ausgesetzt  zu  sein;  aber  auch  dann  erfordert  es  noch  die  Vorsicht,  vor  Mund  und 
Nase  Schwämme  zu  binden.  Geboten  ist  ohnehin  dieser  Schutz  beim  Betreten  des  Mahl- 
raumes lind  beim  Herausnehmen  des  Mahlgutes. 

2)  Das  Ausziehen  des  Farbstoffs  aus  der  Rohsclimelze.  Die  Rohschmelze  be- 
steht aus  arsensaurem  Rosanilin,  aus  freier  arseniger  und  Arsensäure, 
sowie  aus  Rückständen,  welche  man  in  der  Technik  „harzige  Materien"  zu 
nennen  pflegt. 

In  England  pflegte  man  früher  die  Rohschmelze  mit  Wasser  auszukochen,  die 
heisse  Flüssigkeit  von  dem  harzartigen  Rückstande  zu  trennen  und  dann  der  Krystal- 
lisation  zu  überlassen;  die  Mutterlauge  wurde  hierauf  noch  weiter  auf  Farbstoffe 
bearbeitet*).  Gegenwärtig  wird  meist  die  breiige  Rohschmelze  noch  durch  einen 
Dampfstrom  5  Stunden  lang  ausgekocht.  Das  Wasser  ist  in  der  Regel  mit  etwas 
Salzsäure  angesäuert. 

Nachdem  die  Flüssigkeit  von  der  harzartigen  Materie  durch  Filtration  mittels 
auf  Rahmen  gespannter  Wolltücher  befreit  worden,  wird  sie  in  Reservoirs  von  Eisen- 
blech abgelassen.  Nun  setzt  man  Kochsalz  im  Ueberschuss  hinzu,  um  die  Rosanilin- 
Palze  vollständiger  in  salzsaure  zu  verwandeln,  und  erhält  die  Lösung  durch  Dampf 
^Bewegung,  wobei  auf  die  entstehenden  Dämpfe,  die  Arsenchlorür  enthalten  können, 
wohl  zu  achten  ist;  es  müssen  daher  jedenfalls  hierzu  geschlossene  Gefässe  genommen 
und  die  Dämpfe  abgeleitet  werden**). 

Das  salzsaure  Rosanilin  ist  in  der  concentrirten  Kochsalzlösung  fast  unlöslich 
und  setzt  sich  an  der  Oberfläche  der  Flüssigkeit  ab,  während  arsenigsaures  und 
arsensanres  Natrium  gelöst  bleiben.  Durch  längeres  Absetzenlassen  in  grossen  Reser- 
voirs gewinnt  man  den  Farbstoff. 

*)  Man  versetzte  die  Mutterlauge  mit  Kalkmilch,  um  einen  Theil  der  Arsen- 
säure und  arsenigen  Säure  zu  fällen;  der  Niederschlag  der  Kalksalze  wurde  noch  mit 
Essigsäure  behandelt,  um  den  Farbstoff  auszuziehen.  Der  auskrystallisirte  Farbstoff  war 
arsensaures  Rosanilin,  das  auf  Grün,  Violett,  Blau  verarbeitet,  aber  auch  viel- 
fach direct  zum  Rothfärben  benutzt  wurde;  in  Folge  dessen  kamen  die  vielfach 
angeklagten  rothen  wollenen  Zeuge  in  den  Handel. 

**)  Früher  benutzte  man  concentrirte  kochende  Salzsäure,  wobei  sich  eine 
grosse  Menge  Arsenchlorür  zum  grössten  Nachtheil  der  Arbeiter  entwickelte.  Dieser 
Act  war  eine  Hauptveranlassung  der  früher  viel  häufiger  vorkommenden  Arsenvergiftungen. 

40* 


528  Aromatische  Körper. 

8)  Reinigung  des  Farbstoffs.  Der  von  der  Oberfläche  der  Mutterlauge  vorher 
abgenommene  und  gesammelte  Farbstoff  wird  durch  heisses  Wasser  abgewaschen 
und  gelangt  dann  häufig  schon  in  den  Verkehr;  besser  ist  es  aber,  die  Rei- 
nigung resp.  die  Beseitigung  des  Kochsalzes  und  namentlich  der  Arsenverbin- 
dungen durch  Umkrystalliren  zu  vervollständigen. 

Anilinroth,  Rosanilin.  Fuchsin  ist  im  freien  Zustande  als  Base  farblos.  Ihre 
Salze  mit  1  Aequivalent  Säure  (HCl!  liefern  die  rothen  Farben,  die  mit  3  Aequiva- 
lenten  Säure  die  gelbbraunen.  Die  Base  ist  im  Alkohol  leichter  löslich  als  in  Wasser,  in 
Aether  vollständig  unlöslich.  Die  Lösung  färbt  sich  an  der  Luft  rosa-  und  endlich  tief- 
roth.     Die  sauren  Salze  sind  löslicher  als  die  Salze  mit  1  Aequiv.  Säure. 

In  Deutschland  nennt  man  besonders  das  salzsaure  und  schwefelsaure 
Rosanilin,  in  England  das  essigsaure  Rosanilin:  Fuchsin.  Das  salzsaure  Salz 
bildet  cantharidengrüne  Blättchen  mit  schönem,  metallischem  Glänze  und  löst  sich 
in  Alkohol  mit  schöner  rother  Farbe  auf,  während  die  Salze  mit  3  Aeq.  Säure  gelb- 
braun gefärbt  sind. 

Je  nach  der  Darstellung  erhält  man  entweder  ein  Rosanilinsalz  oder  die  freie 
Base;  letztere  versetzt  man  dann  mit  Salzsäure,  Pikrinsäure,  Chromsäure,  Oxalsäure, 
Salpetersäure,  Gerbsäure  u.  s.  w. 

Behandlnng  der  arsenhaltigen  Langen.  Dieser  Gegenstand  hat  zu  den  viel- 
fachsten Untersuchungen  Veranlassung  gegeben,  aber  noch  zu  keinem  befriedi- 
genden Ergebnisse  geführt.  Mag  man  die  Mutterlaugen  zu  verwerthen  oder  auf 
irgend  eine  Weise  unschädlich  zu  machen  suchen,  an  jedes  Verfahren  knüpfen 
sich  für  den  Fabricanten  mehr  oder  weniger  kostspielige  Einrichtungen. 

Man  hat  bisher  die  Rückstände  mit  Kalk  im  Ueberschuss  gefällt,  um  aus  den 
gelösten  arsenikalischen  Natriumverbindungen  unlösliches  arsenigsaures  und  arsen- 
sanres  Calcium  zu  erhalten.  Hierbei  begegnet  man  aber  dem  unglücklichen  Umstände, 
dass  der  Kalk  nur  bei  Abwesenheit  von  Ammoniumsalzen  arsenige  und  Arsenik  - 
säure  als  basisches  unlösliches  Salz  fällt:  da  aber  diese  Wässer  stets  ammoniakalisch 
sind,  so  wird  auch  die  Löslichkeit  dieser  Arsenite  und  Arseniate  begünstigt. 

Schon  zweckmässiger  würde  es  sein,  statt  Kalk  Dolomit  zu  nehmen,  um  bei 
Gegenwart  der  Ammoniumsalze  die  arsenige  und  Arseniksäure  vollständig  zu  binden 
und  zwar  erstere  als  Calcium-  und  Magnesiumsalz  und  letztere  als  arsensaures 
Ammonium -Magnesium.  Diese  Salze  sind  unter  diesen  Verhältnissen  so  gut  wie 
unlöslich,  so  dass  man  den  Rückstand  in  Flüsse  mit  hinreichender  Strömung  abfliessen 
lassen  könnte.  Kleinere  Bäche  würden  sich  jedoch  schou  deshalb  hierzu  nicht  eignen,  weil 
diese  Mutterlaugen  noch  tief  violettroth  gefärbt  sind,  auf  lange  Strecken  hin  kleine  Wasser- 
läufe färben  und  das  betreffende  Wasser  für  ökonomische  Zwecke  unbrauchbar  machen. 

In  Anilinfarbenfabriken  am  Oberrhem  und  am  Main  lässt  man  die  mit  Kochsalz 
und  Kalk  behufs  Abscheidung  des  Farbstoffs  resp.  Bindung  des  Arsens  behandelten  Ab- 
lallwässer  schon  seit  1862  in  den  Rhein  resp. Main  fliessen.  Dieses  Verfahren  soll  angeb- 
lich weder  das  öffentliche,  noch  private  Interesse  geschädigt  haben,  obgleich  die  stark  roth 
gefärbten  Wässer  einer  Fuchsini'abrik,  die  nicht  selten  täglich  über  60  Ctr.  Arsensäure 
verbraucht,  selbstverständlich  noch  namhafte  Quantitäten  Arsen  enthalten  müssen.  Jeden- 
falls sollte  man  in  diesen  Fällen  den  Abfluss  nur  während  der  Nacht  gestatten,  damit  die 
Verunreinigung  der  Flüsse  durch  die  Farbstoffe  wenigstens  zu  einer  Zeit  geschieht,  wo  das 
Wasser  nicht  zu  häuslichen  oder  wirthschaftlichen  Zwecken  benutzt  wird.  Man  w  ill 
selbst  im  Main  bei  einer  Breite  von  150  —  200  Meter  und  einer  durchschnittlichen  Tiefe 
von  1,5  Meter  keinen  Nachtheil  für  die  Fischzucht  bemerkt  haben.  In  Basel  hat  man 
berechnet,  dass  auch  bei  niedrigem  Wasserstande  täglich  4,200,000  Kubikfuss  unter  der 
dortigen  Rheinbrücke  vorbeifliessen ;  würden  nun  in  den  verschiedenen  Fabriken  auch 
täglich  500  Kilogr  Arseniksäure  verwendet  werden,  so  würde  die  Menge  derselben 
allerdings  im  Vergleiche  mit  dem  vielen  Wasser  des  Rheins  eine  geringe  sein,  nament- 
lich wenn  die  Fabrikwässer  sofort  in  die  Strömung  geleitet  werden. 

Trotzdem  ist  das  Verfahren  nicht  zu  billigen,  da  es  eine  Verunreinigung  der  Flüsse 
zur  Folge  hat,  deren  Tragweite  man  nie  genau  zu  ermessen  vermag.  Vom  sanitären 
Standpuncte  aus  muss  man  für  die  Reinerhaltung  der  Flüsse  Sorge  tragen  und  unter 
allen  Umständen  den  Abfluss  dieser  Effluvien  ohne  Zusatz  von  Kalk  verhüten,  da  ihr 
Arsengehalt  bis  18  Grm.  pro  Liter  betragen  kann.3) 

Erfolgt  das  Abdampfen  der  Abfall wässer  nur  bis  zu  einer  gewissen  Concen- 
tration,  so  muss  die  arsenikalische  Brühe  mittels  einer  Druckpumpe  nach  einem  be- 
sondern Gebäude  geleitet  werden,  in  dem  das  Abdampfen  mittels  directer  Feuerung 


Anilinroth.  529 

oder  durch  die  Feuergase  der  Dampfkessel  in  grossen  bedeckten  Pfannen  bezw.  Flammen- 
öfen geschieht  und  zwar  in  der  Regel  unter  geringem  Zusatz  von  Kalk,  weil  sich  bei 
grössern  Mengen  desselben  ein  schwer  zu  beseitigender  Rückstand  bilden  soll.  Wird  aber 
die  Flüssigkeit  nicht  auf  diese  Weise  neutral  gemacht,  so  müssen  zweifelsohne  mit 
den  Wasserdämpfen  Arsenverbindungen  (Arsenchlorür)  fortgerissen  werden,  obgleich 
viele  Fabricanten  diese  Thatsache  nicht  zugeben  wollen. 

Man  sollte  bei  jedem  Abdampfen  die  Anlage  von  Condensationscanälen  vor- 
schreiben, die  sich  an  den  Ofen  anschliessen  und  zum  Ablagern  des  etwa  mit  übero-eris- 
senen  Arsens  dienen,  ehe  die  Dämpfe  in  deu  Schornstein  gelangen. 

Zur  Speicherung  der  Abfallwässer  dienen  grosse  verschliessbare,  besonders 
gelegene  und  mit  Cement  verputzte  Bassins,  an  denen  eiu  Ueberlaufrohr  anzubringen 
ist,  falls  unvorhergesehene  Umstände  eine  starke  Anhäufung  dieser  Rückstände  veran- 
lassen sollten.  Das  Abflussrohr  muss  direct  mit  den  Bassins  in  Verbindung  stehen 
und  bis  zur  Mitte  eines  Stromes  geleitet  werden,  wenn  die  Örtlichen  Verhältnisse  den 
AbÜuss  der  Wässer  gestatten  sollten,  nachdem  sie  mit  Kalk  oder  Dolomit  behandelt 
worden  sind. 

Beim  Abdampfen  behufs  Wiedergewinnung  der  arsenigen  Säure  sind  die 
grössten  Vorsichtsmassregeln  erforderlich  (s.  S.  295).  *) 

Die  Einrichtung  der  Fabriken  zur  Darstellung  von  Fuchsin  mittels  Arsen- 
säure ist  im  Allgemeinen  durch  die  Circular -Verfügung  des  Ministeriums  für  Handel 
und  Gewerbe  vom  10.  Juni  1865  vorgeschrieben  worden. 5)  Hauptsächlich  müssen  die 
Fussböden  vollständig  wasserdicht  sein;  Rinnsteine  oder  ähnliche  Abzüge  dürfen  nirgends 
vorhanden  sein,  die  Schwellsteine  sind  auf  15  Ctm.  Höhe  anzulegen;  die  vorgeschrie- 
bene Cementbekleidung  des  untern  Theils  der  Wände  kann  auch  ein  Theeranstrich  auf 
Manneshöhe  ersetzen.  Das  sogenannte  Kochlocal  muss  stets  getrennt  liegen  und  mit 
keinem  andern  Räume  in  Verbindung  stehen.  Die  Arseniksäure  muss  in  besondern  Räumen 
mit  den  betreffenden  Geräthen  aufbewahrt  werden;  über  die  Verwendung  derselben  ist 
ein  Giftbuch  zu  führen  (s   S.  296). 

Bearbeitung  des  harzartigen  Rückstandes  der  Fucnsinbereitung.  Dieser  Rückstand 
besteht  aus  einem  Gemisch  von  violetten  und  gelben  Farbstoffen  neben  varia- 
blen Mengen  von  arsenigsaurem  und  arseniksaurem  Rosanilin  und  freier  arseniger  und 
Arsensäure;  ist  das  Fuchsin  mit  Kochsalz  gefällt  worden,  so  sind  sie  stark  roth  gefärbt. 

Man  behandelt  sie  häufig  mit  verdünnter  siedender  Aetznatronlauge,  um  die 
Farbstoffe  zu  gewinnen  und  die  Arsenverbindungen  und  Arsensäuren  so  viel  als  mög- 
lich zu  beseitigen.  Leider  werden  dann  die  entstandenen  Natriumarseniate  und  Natrium- 
arsenite  wieder  meist  zum  Kuhkothbade  benutzt.  Auch  die  Waschwässer  sind  arsenhaltig. 

Der  ausgewaschene  Rückstand  besteht  aus  humusartigen  Substanzen  und  basischen 
Farbstoffen.  Die  getrocknete  Masse  wird  von  manchen  Fabricanten  bei  100°  in  Anilin 
aufgelöst,  wobei  das  Auftreten  von  Anilin  dämpfen  zu  berücksichtigen  ist;  es  müssen 
daher  jedenfalls  geschlossene  Gefässe  gebraucht  werden.  Bei  der  Filtration  dieser 
Lösung  bleibt  die  humusartige  Substanz  auf  dem  Filter.  Durch  Sättigung  des  Filtrats 
mit  Salz-  oder  Essigsäure  erhält  man  eine  Base,  Violanilin,  deren  Salze  Seide  und  Wolle 
blauschwarz  färben.  Hierauf  wird  durch  Kochsalz  Jlauvanilin  erhalten,  dessen  Salze 
WTolle  und  Seide  blauviolett  färben  Aus  der  nun  übrig  gebliebenen  Lösung  wird 
durch  Uebersättigung  mit  einem  Alkali  Anilin  ausgeschieden  und  mittels  eines  Dampf- 
stroms in  eine  Retorte  überdestillirt  Der  Rückstand  ist  Ckrysotoluidin,  dessen  Salze 
gelb  färben. 

Die  erwähnten  Basen  und  Salze  sind  aber  meistens  noch  arsenhaltig  und  daher  bei 
ihrer  Anwendung  in  den  Färbereien  mit  Vorsicht  zu  gebrauchen.  Gegenwärtig  werden 
die  harzigen  Rückstände  in  reinem  Zustande  dargestellt  und  die  betreffenden  Farben  anders 
benannt;  so  hat  man  Grenadin  zum  Braunfärben,  Georgin  zum  Gelb-  oder  Orange- 
färben, das  Orseilliu  oder  Anilingranat.  das  Xanthin,  das  Wienerbrauu  u.  s.  w.  in  den 
Handel  gebracht.    Durch  Reductionsmittel  gewinnt  man  Bisiuarkbraun  und  Uiselagelb. 

Viele  Fabricanten  ziehen  den  mit  Kalk  präcipirten  Farbstoff  auch  häufig  mit 
schwefliger  Säure  aus;  letztere  wird  durch  Kochen  verjagt  und  dann  der  Farb- 
stoff, welcher  selbstverständlich  arsenhaltig  bleibt,  zum  Färben  und  Malen  benutzt. 
Die  abfallende  Flüssigkeit,  welche  das  arsenigsaure  und  arseniksaure  Calcium  enthält, 
wird  eingedampft  und  als  Ersatz  des  Kuhkothbades  in  der  Kattundruckerei  gebraucht. 
Aus  dieser  Ursache  sind  vor  noch  nicht  langer  Zeit  die  vielen  arsenikalischen  Kattun- 
drucksachen  in  den  Verkehr  gekommen,  während  der  auf  diese  Weise  billig  gewon- 
nene, aber  arsenhaltige  Farbstoff  auch  zum  Bemalen  von  Kinderspielsachen  und 
hundert  andern  werthlosen  Gegenständen  benutzt  wird. 

B.  Conpier'sches  Verfahren  zur  Darstellung  von  Fuchsin.  Co  upier  hat 
bisher  reines  Anilin  mit  Nitrotoluol,  käufliches  Anilin  mit  gewöhnlichem  Nitro- 


(330  Aromatische  Körper. 

berjzol,  auch  Nitrotoluol  mit  Toluidin  oder  endlich  Nitroxylol  mit  Xylidin  unter 
Zusatz  von  Eisenchlorid  und  Salzsäure  verwendet.  Bei  der  fabrikmässigen  Dar- 
stellung wird  eins  der  genannten  Gemische  in  einem  emaillirten  Eiseugefässe  bis 
auf  200°  erwärmt. 

Man  erwärmt  so  lange,  bis  eine  Probe  der  Schmelze  in  der  Wärme  dickflüssig 
ist,  bei  Abkühlung  aber  rasch  zu  einem  starren,  spröden  Klumpen,  ähnlich  der  Fuchsin- 
schmelze, erstarrt.  Die  feste  Masse  wird  gemahlen,  mit  Wasser  ausgekocht  und  aus  der 
Lösung  der  Farbstoff  durch  Sodalösung  ausgefällt.  Die  Reinigung  durch  Wiederauf- 
lösen und  Krystallisiren  erfolgt  wie  beim  Fuchsin. 

Die  Entwicklung  von  Anilindämpfen  ist  zwar  auch  hier  nicht  ganz  zu  vermeiden, 
wie  man  sich  in  Fabriken  dieser  Art  leicht  überzeugen  kann;  grosse  Fabrikräume 
sind  jedoch  geeignet,  diese  Nachtheile  bedeutend  zu  vermindern.  Sonst  fehlen  alle 
andern  schädlichen  Einflüsse  und  das  Verfahren  ist  einfach  und  reinlich:  auch  die 
Abfallwässer  sind  unschädlich  und  enthalten  bei  einem  rationellen  Betriebe  nur  etwas 
Kochsalz,  welches  sich  bei  der  Behandlung  der  sauren  Schmelze  mit  Soda  bildet. 

Beim  Mahlen  der  Schmelze  sind  aber  auch  hier  die  oben  erwähnten  Vor- 
sichtsmassregeln zu  beachten,  wenn  man  es  auch  nicht  mit  arsenikalischem  Staube  zu 
thun  hat:  es  ist  immerhin  möglich,  dass  vom  Rohmaterial  noch  unzersetzte  Stoffe  vor- 
handen sind,  welche  sich  dem  Staube  mittheilen  können.6) 

C.  Nicholson'sclies  Verfahren.  Man  nimmt  bei  der  Bereitung  des  Fuchsins  auf 
3  G.  Th.  käufliches  Anilin  1  G.  Th.  Salpetersäure  von  1,42  spec.  Gew.,  1  G.  Th. 
Salzsäure  von  1,16  spec.  Gew.  und  lässt  das  Ganze  auf  175 — 205n  C.  erhitzen. 

D.  Fabrication    von    Anilinroth    (Fuchsin)    mittels    Quecksilbersalze.      Mau 

benutzt  dazu  vorzugsweise  salpetersaures  Quecksilberoxydul;  das  Queck- 
silber findet  sich  grösstentheils  in  der  Schmelze  in  metallischem  Zustande 
wieder. 

Ein  grosser  Theil  davon  verflüchtigt  sich  aber  auch  während  der  Fabrication  und 
ist  dieselbe  in  sanitärer  Beziehung  mit  vielen  Gefahren  verbunden,  indem  das 
Product  nicht  immer  quecksilberfrei  ist.  Diese  Methode  kommt  gegenwärtig  nur  selten 
noch  zur  Ausführung,  erfordert  aber  stets  grosse  Vorsicht. 

Das  Anilinroth  kann  bei  sorgfältiger  Fabrication  quecksilberfrei  sein,  denn 
theoretisch  ist  nachgewiesen,  dass  beim  Zusatz  äquivalenter  Mengen  von  Chloriden  zum 
Anilin  Quecksilber  ausgeschieden  werden  muss;  in  der  Praxis  ist  jedoch  dieses  Resultat 
fast  nie  zu  erreichen. 

Reductionsprod  uete  des  Rosanilins. 

Leilkanilin  C20H2iN3  entsteht  durch  Einwirkung  von  nascirendem  Wasserstoffe 
auf  Rosanilin,  wobei  letzteres  ein  Molecül  Wasserstoff  aufnimmt.  Stellt  man  in  die  an- 
gesäuerte Lösung  von  salzsaurem  Rosanilin  l Fuchsin'  ein  Stück  Zink,  so  tritt  eine  Ent- 
färbung ein  unter  Bildung  einer  gelben,  harzartigen  Masse,  welche  in  Wasser  zu 
Pulver  gerieben,  filtrirt  und  in  schwacher  Salzsäure  gelöst  wird:  diese  Base  bildet 
mit  3  Aequiv.  Säure  ungefärbte  Salze.  Leukanilin  verhält  sich  somit  zu  Ros- 
anilin wie  Tndigweiss  zu  Indigblau.  Durande  hat  dieses  Verhalten  als  Enlevage  oder 
Reservage  für  Anilinroth  benutzt. 

Oxydationsproducte  des  Rosanilins. 

Hierher  gehört  das  Geranosin  oder  Anilinponceau,  welches  durch  Einwirkung 
von  Wasserstoffsuperoxyd  auf  Rosanilin  erhalten  wird. 

Scharlach  wird  durch  Kochen  von  essigsaurem  Rosanilin  mit  salpetersaurem 
Blei  dargestellt. 

Anilin  violett. 

Substituirt  man  die  drei  mit  dem  Stickstoff  verbundenen  Wasserstoffe  des 
Rosanilins  durch  Kohlenwasserstoffe,  so  erhält  man  basische  Körper,  deren  Salze 
die  Violette  liefern.  Mau  unterscheidet  methylirte,  äthylirte  und  phe- 
nylirte  Violette. 


Anilinblau.  ß3J 

1)  Triaethylrosanilin  C20H16(C2Hä)3N3  bildet  mit  2  Molecülen  Salzsäure  das  im 
Handel  vorkommende  Hofmann's  Violett  (Aethylrosanilm,  Dahlia,  Primula). 

Zu  seiner  Darstellung  benutzt  man  eine  Mischung  von  Rosanilin,  Alkohol,  Aethyl- 
jodid  und  Aetznatron,  welche  man  in  eine  kupferne  Blase  mit  für  Dampfheizung  ein- 
gerichtetem Doppelboden  bringt;  sie  steht  mit  einem  Kühler,  dessen  Schlangenrohr5  aus 
Kupfer  im  Kühlfass  liegt,  in  Verbindung.  Die  Dämpfe  des  übergehenden  Alkohols  und 
des  Aethyljodids  werden  wieder  aufgenommen  und  condensirt;  es  ist  dabei  sehr  zweck- 
mässig, wenn  das  Schlangenrohr  in  einen  Gassammler  übergeht,  um  namentlich  die 
Dämpfe  des  Jodäthyls  aus  dem  Fabriklocal  entfernt  zu  halten. 

Das  Product,  jodwasserstoffsaures  Triäthylrosanilin  C20H16(C2H5)3N3-r- 2HJ, 
wird  nach  geschehenem  Abdestilliren  des  noch  frei  vorhandenen  Weingeistes  und 
Aethyljodids  mit  Natriumhydrat  behandelt,  um  die  Base  frei  zu  machen.  Das  Jod- 
alkalimetall wird  dann  durch  Auskochen  entfernt  und  diejenige  Säure  zugesetzt,  deren 
Salze  man  darstellen  will. 

2)  Trimethylrosanilin  C20H16(CH3)3N3  wird  auf  dieselbe  Weise  dargestellt;  statt 
Aethyljodid  wird  zu  der  erwähnten  Mischung  Methyljodid  zugesetzt;  auch  die- 
selben Vorsichtsmassregeln  sind  dabei  zu  beobachten. 

In  neuerer  Zeit  umgeht  man  den  Gebrauch  der  Jodverbindungen  und  lässt  auf 
eine  Mischung  von  80  Methylalkohol  und  100  salzsaurem  Anilin  in  einem 
Papinischen  Digestor  eine  Hitze  von  200°  einwirken.  Das  hierdurch  entstehende 
Product  besteht  vorzugsweise  aus  Trimethylphenylaninioniuinchlorid  neben  chlor- 
wasserstoffsaurem Monomethylanilin;  ersteres  wird  bei  der  Destillation  in 
Methylchlorid  und  Dimethylanilin  zerlegt: 

C6H5(CH3)3 .  N  Cl  =  C6H5(CH3)2N  +  CH,C1. 

Bei  der  Rectification  des  Dimethylanilins  benutzt  man  Alles,  was  zwischen 
190—210°  übergeht. 

Um  das  Dimethylanilin  in  Metliylviolett  zu  verwandeln,  wird  es  mit  Kupfer- 
chlorid oder  einem  anderen  Kupfersalze  vermischt,  mit  einem  quarzhaltigen  Sande 
zerrührt  und  auf  Porcellanschalen  einer  Wärme  von  70°  ausgesetzt.  Hierauf  trennt 
man  die  Kupferverbindungen  durch  wässriges  Ammoniak  und  zieht  aus  dem  bronce- 
ähnlich  gefärbten  Sande  den  Farbstoff  mit  Salzsäure  oder  Weingeist  aus;  durch  Zusatz 
von  Natriumhydrat  wird  schliesslich  aus  der  salzsauren  Lösung  der  violette  Farb- 
stoff präcipitirt. 

Das  Blauviolett  stellt  eine  goldgelbe  Substanz  dar,  welche  sich  in  Alkohol  mit 
blauvioletter  Farbe  löst.  Es  gibt  ausserdem  noch  ein  methylirtes  Roth  violett;  je  nach 
der  Mischung  der  benutzten  Materialien  schwankt  die  Farbennüance. 

In  sanitärer  Beziehung  ist  bei  der  Benutzung  von  Methyljodid  stets  sorg- 
fältig auf  die  Condensation  der  Dämpfe  desselben  zu  achten. 

3)  Triplienylrosanilin  C2oH16(C6H5)3N3,  phenylirtes  Violett,  wird  durch  Erhitzen 
eines  Rosanilinsalzes  mit  Anilin  dargestellt.  Der  hierzu  gebräuchliche  Apparat  und  das 
Verfahren  wird  bei  der  Fabrication  von  phenylirtem  Blau  beschrieben  werden.  Die 
Darstellungsweise  beider  Farbstoffe  unterscheidet  sich  nur  darin,  dass  für  die  Ge- 
winnung von  Violett  eine  geringere  Menge  von  Anilin  genommen  und  der  Schmelz- 
process  abgekürzt  wird.  Die  Repräsentanten  dieses  Violetts  sind  das  rothe  und  blaue 
Kaiserviolett. 

Die  betreffenden  Basen  bestehen  aus  einem  Gemenge  von  Mono-,  Di-  und  Tri- 
plienylrosanilin. 

Pei'kin's  Violett,  Mauve'iu,  Allilein,  wird  durch  Einwirkung  oxydirender  Mittel, 
speciell  von  Kaliumbichrom at  auf  toluidinhaltiges  Anilin  erhalten;  es  wird  bisweilen 
auch  Arsensäure  benutzt.  Nach  der  Wahl  dieser  Agentien  richten  sich  auch  die  in 
sanitärer  Beziehung  nothwendigen  Massregeln. 

Der  violette  Farbstoff  ist  in  der  Technik  als  Mauve,  das  salz  saure  Salz  des 
Mauve'iu s  C27H24N4,  bekannt. 

Anilinblau. 

Für  die  Darstellung  der  rein  blauen  Salze  dient  1)  das  Triphenyl- 
rosanilin  C2oH16(C6H5)3N3.  Rosanilinsalze  werden  mit  Anilin  und  in  der 
Regel  noch  mit  einer  schwachen  organischen  Säure  (Essigsäure,  Benzoesäure) 
zusammen  erwärmt. 

Bei  der  Fabrication  im  Grossen  unterscheidet  man  wie  bei  der. Fuchsin- 
gewinnung a)  die  Darstellung  der  Schmelze.     Man  gebraucht  dazu  mehrere  guss- 


632  Aromatische  Körper. 

eiserne,  emaillirte  Töpfe,  welche  in  einem  gemeinschaftlichen  Oel-  oder  Paraffin- 
bade sitzen,  mit  Rührvorrichtung  und  einem  nach  einem  Kühler  führenden  Ab- 
zugsrohr versehen  sind. 

Der  Deckel  ist  aufgeschraubt  und  der  Rührer  steckt  in  einer  Stopfbüchse.  Zum 
Entnehmen  der  Proben  dient  eine  andere  mit  einem  Holzpfropf  versehene  Oeffnung;  ein 
knieförmiges  Rohr  zur  Ableitung  der  Dämpfe  führt  von  jedem  Topfe  aus  zu  einem 
wagerechten  Rohr,  welches  mit  dem  Schlangenrohr  im  Kühlfasse  verbunden  ist;  das 
Schlangenrohr  ist  notwendigerweise  mit  einem  Gassammler  in  Verbindung  zusetzen, 
um  die  Verbreitung  der  Anilindämpfe  im  Fabriklocale  zu  verhüten. 

Nach  beendigtem  Processe  wird  der  Digestor  mittels  eines  Krahus  aus  dem  Bade 
herausgenommen  und  sein  Inhalt  ausgegossen,  eine  Procedur,  die  jedenfalls  unter  einem 
gut  ziehenden  Rauchfange  vorzunehmen  ist,  um  die  Arbeiter  so  viel  als  möglich  vor 
den  Dämpfen  zu  schützen.7) 

b)  Ausziehen  des  gebildeten  blanen  Farbstoffs  aus  der  Schmelze.  Je  nach 
der  Art  von  Blau,  welches  man  gewinnen  will,  beobachtet  man  ein  ver- 
schiedenes Verfahren. 

Das  unmittelbare  Blau  erhält  man  durch  einfaches  Auswaschen  der  Schmelze 
mit  Salzsäure,  das  gereinigte  Blau  durch  eine  vorhergehende  Lösung  der  Schmelze 
in  Alkohol,  das  Lichtblau  durch  Zusatz  einer  alkoholischen  Aetznatronlösung  zur 
Schmelze,  das  in  Wasser  lösliche  Anilinblau  durch  Einwirkung  der  Schwefel- 
säure auf  Anilinblau.*) 

Je  nach  der  Menge  der  benutzten  Schwefelsäure  entstehen  Mono-,  Di-,  Tri- 
Tetrasulfosäure:  gegenwärtig  stellt  man  fast  ausschliesslich  Triphenylrosanilinmono- 
sulfosäure  und  Triphenylrosanilindisulfosäure  dar,  welche  man  mit  Aetz- 
natron  behandelt.     Die  betreffenden  Farben  sollen  acht  sein 

Die  Base  Triphen ylrosanil  in  stellt  eine  weisse  geronnene  Masse  dar,  welche 
durch  Waschen  und  Trocknen  an  der  Luft  blau  und  durch  Erhitzen  braun  wird.  Mit 
1  Aequiv.  Salzsäure  wird  das  im  Handel  als  Allilinblail  vorkommende  salzsaure  Tri- 
phenylrosanilin  dargestellt,  ein  blaubraunes,  kaum  krystalliniscb.es  Pulver,  das  in  Wasser 
und  Aether  unlöslich,  in  Alkohol  mit  blauer  Farbe  schwer  löslich  ist. 

Manche  Fabricanten  bewirken  die  Verbindung  in  offeneu  Gefässen  und  veranlassen 
dadurch  grosse  Belästigung  für  die  Arbeiter  und  Adjacenten. 

2)  Tritoluylrosanilin.  Tolnidinblan  C^Hje^CyHg)^  entsteht  in  analoger  Weise 
wie  das  Triphenylrosanilin,  wenn  man  nach  A.  II'.  Hofmnnn  essigsaures  Rosanilin  auf 
das  doppelte  Gewicht  Toluidin  bei  130—150°  einwirken  lässt.  Die  drei  mit  dem  Stick- 
stoff verbundenen  Wasserstoffe  des  Rosanilins  werden  hier  durch  3  Molecüle  Toluyl 
ersetzt.8) 

3)  Diphenylaminblan  (s.  Diphenylamin  S.  623). 

Grüne  Farbstoffe. 

Man  unterscheidet  3  Sorten  von  Grün:  1)  Aldehydgrün,  Usebe'sches  Grün, 
wird  aus  dem  Aldehydblau  dargestellt,  welches  man  durch  Einwirkung  von 
Aldehyd  auf  eine  saure  schwefelsaure  Rosanilinlösung  gewinnt. 

Man  löst  das  Aldehydblau  in  Wasser  auf  und  versetzt  es  mit  gelöstem  unter- 
schwefligsaurem  Natrium.  Nach  kurzem  Kochen  filtrirt  man  den  schwefelhaltigen 
Niederschlag  von  der  grünen  Lösung  ab;  letztere  kann  zum  Färben  benutzt  werden. 

In  sanitärer  Beziehung  ist  hierbei  das  massenhafte  Auftreten  von  schwef- 
liger Säure  bei  der  Zersetzung  von  unterschwefligsaurem  Natrium  zu  beachten.  Die 
Wasch wässer  sind  bei  ihrem  Gehalt  an  Schwefelsäure  nicht  beliebig  abzulassen. 

Festes  Aldehyd  grün   erhält   man   als   amorphes  Pulver  durch  Behandeln   der 

frünen   Lösung  mit  Zinkchlorür   und   Sodalösung;    das    präeipitirte   Grün    ist   ein 
inklack. 

2)    Jodgrün,  Jodmethylgrün ,  Hofmann's  Grün,  Anilingrün;    sein  Name  rührt 


*)  Conpier's  Blau  wird  aus  den  Rückständen  bei  der  Fabrication  von  Anilin- 
blau  erhalten;  es  hat  in  der  Wollfärberei  eine  grosse  Verbreitung  gefunden  und  soll 
hier  den  Indigo  ersetzen. 


Grüne  Farbstoffe.  633 

von  seiner  Darstellung  aus  Hofniann's  Violett,  aus  Triaethyl-  oder  Triinethyl- 
rosanilin  und  Jodmethyl  her.  Es  stellt  eine  Verbindung  von  TriinethylrosaDÜin 
mit  2  Molecülen  Jodmethyl  dar,  so  dass  Jodgrün  als  Methylviolett  plus  2  Molecüle 
Jodmethyl  zu  betrachten  ist. 

Darstellung.  Man  erhitzt  eine  alkoholische  Lösung  von  Violett  mit  Jodäthyl 
und  setzt  dann  wässriges  Natriumhydrat  hinzu.  Nach  dem  Auswaschen  der  ätzenden 
Alkalien  und  des  Jodnatriums  wird  der  gesammelte  Rückstand  nochmals  mit  viel 
Wasser  ausgekocht  und  die  filtrirte  Lösung  mit  Pikrinsäure  versetzt;  es  bildet  sich 
pikrinsaures  Grün. 

Dieses  Verfahren  hat  in  neuerer  Zeit  einige  Modificationen  erfahren;  immerhin 
sind  aber  die  letzten  Waschwässer  wegen  ihres  Gehaltes  an  Pikrinsäure  zu  be- 
achten, während  aus  dem  ersten  Waschwasser  das  Jodnatrium  durch  Kupfer- 
und  Eisenvitriol  wieder  zu  gewinnen  ist. 

Nach  dem  Verfahren  von  A.  W.  Bojmann  wird  ein  Gemisch  von  essigsaurem 
Rosanilin,  Jodmethyl  und  Methylalkohol  in  einem  Digestor  im  Wasserbade 
erhitzt.  Dadurch  werden  die  Farbstoffe  im  Methylalkohol  gelöst,  während  die  flüchtigen 
Producte,  essigsaurer  Methyläther  und  freier  Methyläther,  beim  Oeffnen  des 
Gefässes  und  bei  fortgesetzter  Erwärmung  ausgetrieben  werden. 

Es  ist  absolut  erforderlich,  dass  diese  Aetherdämpfe  abgeleitet  werden,  da  ihre 
Condensation  nicht  möglich  ist;  bei  Verbreitung  im  Fabrikiocale  bedingen  sie  nicht 
bloss  eine  grosse  Feuersgefahr,  sondern  bedrohen  auch  die  Gesundheit  der  Arbeiter  9) 

Der  breiförmige  Rückstand  im  Digestor  wird  in  siedendes  Wasser  gegossen;  das 
noch  nicht  im  Grün  übergegangene  Violett  bleibt  ungelöst  und  wird  durch  Kochsalz 
und  etwas  Soda  ausgefällt. 

Durch  Auswaschen  und  Lösung  in  absolutem  Alkohol  erhält  man  Jodgrün  als  das 
Dijodmethylat  des  Triniethylrosanilins  C20H16(CH3)3N3.  (CH3J)2  +  H20.  Die  wasser- 
freie Verbindung  ist  schwer  rein  zu  erhalten. 

Das  pikrin saure  Salz  wird  durch  Fällen  der  Jodverbindung  mit  einer  wäss- 
rigen  Lösung  von  Pikrinsäure  erhalten.  Der  Niederschlag  ist  dunkelgrün,  in 
Wasser  fast  unlöslich,  in  absolutem  Alkohol  schwer  löslich;  beim  Auswaschen  desselben 
sind  die  Waschwässer  wegen  ihres  Pikrinsäuregehaltes  wiederum  zu  beachten. 

3)  Methylgrün.  Jodmethyl  kann  nach  der  Entdeckung  von  Baubigny 
durch  Salpetersäure-Methyläther  (Methylnitrat  CH3NO3)  ersetzt  werden; 
lässt  man  diesen  Aetber  auf  Methylanilinviolett  einwirken,  so  erhält  man 
eine  reiche  Ausbeute  an  wasserlöslichem  Methylanilingriin. 

Hierbei  wird  nicht  alles  Violett  in  Grün  verwandelt;  um  ersteres  abzuscheiden, 
bedient  man  sich  des  Chlorzinks  unter  Zusatz  von  Natriumhydrat;  das  präcipitirte 
Zinkoxydhydrat  bildet  mit  dem  Violett  einen  unlöslichen  Lack.  Die  filtrirte  und  ein- 
gedampfte Flüssigkeit  liefert  beim  Erkalten  goldgrüne  Blättchen  eines  Doppelsalzes  von 
Chlorzink  und  salzsaurem  Methylgrün.  Um  Seide  damit  zu  färben,  bedarf 
man  nur  eines  leichten  Seifenbades,  bei  Baumwolle  einer  Beize  von  Tannin  oder 
Albumin,  bei  Wolle  eines  Bades  von  unterschwefligsaurem  Natrium,  das  man  mit 
Schwefelsäure  ansäuert;  der  sich  auf  die  Faser  niederschlagende  Schwefel  befähigt  sie, 
die  Farbe  zu  fixiren. 

Bei  der  Fabrication  ist  für  die  sorgfältigste  Ableitung  der  Dämpfe  zu  sorgen,  da 
das  Methylnitrat  schon  bei  150°  sehr  heftig  explodirt.  Dass  übrigens  bei  Vorsicht 
ohne  Gefahr  mit  diesem  Körper  manipulirt  werden  kann,  beweist  die  Fabrik  von  Poirricr 
zu  St.  Denis,  in  der  in  den  Jahren  1.S71— 1873  bereits  20,000  Kilogrm.  Methylnitrat  ohne 
einen  Unglücksfall  verwendet  worden  sind.  Bezüglich  der  Feuersgefahr  sind  die  Vor- 
sichtsmassregeln ebenso  streng  wie  in  Pulvermühlen  oder  Nitroglycerinfabriken  durch- 
zuführen, namentlich  darf  man  niemals  mit  einem  brennenden  Lichte  in  das  Fabriklocal 
treten  und  alle  Feuerungen  sind  ausserhalb  desselben  zu  verlegen.10) 

Gelbe  Farbstoffe. 

Wenn  die  harzigen  Rückstände  bei  der  Fuchsinbereitung  (s.  S.  629)  einige 
Zeit  lang  einem  Dampfstrome  ausgesetzt  werden,  so  wird  Chrysanilin  gelöst, 
welches  sich  vorzugsweise  bei  der  Einwirkung  der  Arsensäure  auf  toluidin- 
haltiges  Anilin  bildet. 


§34  Aromatische  Körper. 

Setzt  man  der  Lösung  Salpetersäure  hinzu,  so  schlägt  sich  das  schwer  lösliche 
salpetersaure  Chrysa  nil  i  p  nieder.  Durch  Zusatz  von  Ammoniak  zu  dem  in 
siedendem  Wasser  gelösten  Salze  erhält  man  Chrysanilin  C20H17N3  als  ein  gelbes 
Pulver,  welches  in  Wasser  unlöslich,  in  Alkohol  und  Aether  leiclit  löslich  ist  und 
2  Atome  Wasserstoff  weniger  als  Rosanilin  enthält. 

Diese  Base  bildet  sehr  charakteristische  Salze  mit  1  oder  2  Aequival.  Säure;  zu 
denselben  gehört  ausser  dem  salpetersauren  auch  noch  das  zweifach  salzsanre  Salz ; 
letzteres  heisst  auch  Anilingelb,  Anilinorange  oder  Phosphin.  Diese  Salze  färben  Seide 
und  Wolle  ohne  Beize  schön  goldgelb;  sie  krystallisiren  in  schönen  rubinrothen 
Nadeln. 

Bei  der  Darstellung  sind  in  gesundheitlicher  Beziehung  die  Laugen  zu  beachten, 
welche  stark  arsenikalisch  sind:  auch  Chrysanilin  ist  selten  arsenfrei.  Als  Anilingelb 
kommt  auch  das  Oxalsäure  Salz  einer  Base  im  Handel  vor,  welche  als  ein  krystal- 
linischer  gelber  Niederschlag  auftritt,  wenn  das  Anilingelb  des  Handels  in  Salzsäure 
gelöst  und  die  Lösung  mit  Ammoniak  übersättigt  wird. 

Zinalin  Ci0H19N203  entsteht  nach  Max  Vogel  durch  Einwirken  von  salpetriger 
Säure  auf  gelöste  Rosanilinsalze  als  eine  rothe  Masse,  welche  beim  Zerreiben  ein 
zinnoberrothes,  in  Wasser  mit  gelber  Farbe  lösliches  Pulver  liefert. 

Bei  der  Darstellung  ist  die  Explosivität  des  Products  zu  beachten;  es  färbt  in 
alkoholischer,  mit  etwas  Ammoniak  versetzter  Lösung  Seide  und  Wolle  in  schönen 
orangefarbigen  Nuancen;  mit  Indigocarmin  färbt  es  grün. 

Braune  Farbstoffe. 

Man  stellt  das  Braun  aus  Rosanilin  oder  aus  den  Rückständen  der  Fuchsin- 
bereitung durch  reducirende  Mittel  oder  durch  Einwirkung  eines  Anilinsalzes 
auf  Fuchsin  in  höherer  Temperatur  dar. 

Beim  Gebrauche  der  Fuchsinmutterlauge  können  die  Farben  leicht  arsen- 
haltig sein  und  ist  daher  in  dieser  Beziehung  auch  das  Braun  zu  beachten.  So  stellt 
man  namentlich  Lenkanilin  durch  Kochen  der  Fuchsinmutterlaugen  mit  Zinkpulver 
dar;  das  Leukanilin  schlägt  sich  auf  das  Zink  nieder  und  wird  vom  Alkohol  auf- 
genommen; es  wird  mit  Seh wef elkupfer  gemengt  und  zum  Braundrucken  benutzt. 
Die  Bildung  von  Leukanilin  ist  überhaupt  der  Ausgangspunct  für  die  Darstellung  ver- 
schiedener Präparate  dieser  Farbstoffe. 

Phenylenbraun  wird  dargestellt,  indem  man  die  neutrale  Lösung  von  salz- 
saurem Dihniiflobenzol  allmählig  mit  der  neutralen  Lösung  eines  salpetrigsauren 
Salzes  versetzt:  es  bildet  sich  eine  dunkelrothe  krystallinische  Masse,  welche  nach 
der  Behandlung  mit  Salzsäure  und  Ammoniak  eine  braune  krystallinische  Masse 
liefert.  Diese  besteht  aus  drei  verschiedenen  Basen,  von  denen  die  in  Wasser  lösliche 
Tl'iazoamidobenzol  ist;  sie  bildet  mit  Salzsäure  ein  zweisäuriges  Salz  und  schlägt  sich 
als  rothbrauner  krystallinischer  Körper  nieder  (s.  Diamidobenzol  S.  623). 

B.  Kupp  und  Höh,  Gnehm  haben  durch  Einwirkung  von  Salpetersäure  auf 
Diphenylamin  Hexanitrodiplienvlaillin  (C6H2(N02)3)3ISIH  dargestellt,  eine  Base,  die  sehr 
schön  krystallisirte,  in  Wasser,  Ammoniak-  und  Barytlösung  lösliche  Salze  bildet;  diese 
färben  Wolle  und  Seide  in  prachtvollen,  dichromatischen,  rothbraunen  Nuancen. 
Die  Darstellung  ist  aber  für  die  Arbeiter  sehr  gefährlich,  weil  die  Manipulation  mit  diesem 
Product  eine  sehr  ätzende,  auf  der  Haut  Blasen  erzeugende  Einwirkung  zur  Folge  hat. 

Auch  unter  den  Namen:  Marron  und  Siena  kommen  im  Handel  aus  Anilin  ab- 
geleitete braune  Farbstoffe  vor. 

Schwarze  Farbstoffe. 

Das  Anilinschwarz  entsteht  durch  langsame  Oxydation  von  Anilin  und  wird 
vorzugsweise  zum  Drucken  der  baumwollenen  Zeuge  benutzt.  Die  wichtigsten 
Materialien  dazu  sind:  salzsaures  Anilin,  Kupfersalze  oder  Ferricyan- 
ammonium  nebst  einer  organischen  Säure.  Da  die  Zeuge  später  durch  ein 
Bad  von  Kaliumbichromat  gezogen  werden,  so  sind  hauptsächlich  die  Wasch- 
wässer  hierbei  zu  beachten.  Die  Seide  wird  vorher  mit  Schwefelsäure  oder 
Kaliumbichromat  gebeizt  und  dann  in  einer  Lösung  von  oxalsaurem  Anilin  gefärbt. 

Zur  Darstellung  von  Anilinschwarz  als  Massenfarbe  werden  nach  Cöupier 
Anilin,  Nitrobenzol,  Salzsäure,  Eisenfeile,  gepulvertes  Kupfer  auf  160—200°  erhitzt;  die 


Graue  Farbstoffe.  635 

erhaltenen  Farbstoffe  löst  man  in  Schwefelsäure.    Die  hiermit  gefärbten  Garne  oder  Zeugo 
werden  durch  ein  Bad  von  unterschwefligsaurem  Natrium  gezogen. 

Ein  Anilinschwarz  des  Handels  besteht  aus  essigsaurem  Kupfer  und 
salzsaurem  Anilin;  wird  überhaupt  salzsaures  Anilin  mit  Kupferchlorid  und  chlor- 
saurem  Kalium  versetzt,  so  entsteht  zunächst  ein  grüner  Niederschlag,  welcher  an  der 
Luft  durch  höhere  Oxydation  schwarz  wird.  £s  scheint  übrigens  der  Zusatz  von 
Kupfersalzen  zur  Erzeugung  von  Schwarz  nicht  unbedingt  nöthig  zu  sein. 

Graue  Farbstoffe. 

Anilingran  hat  man  durch  Reduction  von  Mau v ein  mittels  Aldehyds 
dargestellt. 

Bei  allen  Versuchen,  eine  solche  Farbe  darzustellen,  spielt  Aldeh}rd  als 
Reductionsmittel  eine  Rolle.  Eine  allgemeine  Verbreitung  hat  bis  jetzt  Anilin<Tau 
noch  nicht  gefunden. 

Einwirkung  der  Anilinfarben  anf  den  tliierisclien  Organismus.  Die  reinen 
Basen,  Rosanilin,  Leukanilin,  Cbrysanilin,  sowie  das  Trimethylrosanilin  und 
Triaethylrosanilin,  wirken  als  solche  nicht  giftig,  wofür  zahlreiche  eigene  und 
fremde  Erfahrungen  sprechen.  Färbungen  der  Mundschleimhaut  und  der  ab- 
gehenden Excremente  sind  die  einzigen  objectiven  Erscheinungen  bei  den  beiden 
letztern;  auch  die  mono-  und  disubstituirten  Rosaniline,  wie  Methyl-  und  Di- 
methylrosanilin,  verhalten  sich  indifferent. 

Triphenylrosanilin  ist  nur  bei  längerm  Fortgebrauche  nicht  ohne  schäd- 
liche Wirkung;  Einzelgaben  von  0,15 — 0,20  Grm.  schaden  selbst  kleinern  Thieren 
nichts;  sind  aber  die  Basen  nicht  gehörig  ausgewaschen  und  mehr  oder  weniger 
mit  den  zu  ihrer  Darstellung  benutzten  Metallen  oder  Oxydationsmitteln  verun- 
reinigt, so  können  die  betreffenden  Vergiftungen  nicht  ausbleiben.  Selbst  der 
Staub,  welcher  sich  beim  Verpacken  solcher  Farben  bildet,  wird  bei  den  damit 
beschäftigten  Arbeitern  Krankheiten  erzeugen  können. 

Es  ist  eine  häufig  gemachte  Erfahrung,  dass  mit  Fuchsin  gefärbte  Flanell- 
jacken Erythem  und  Ekzem  auf  der  Haut  erzeugen,  wenn  das  benutzte  Fuchsin 
arsenhaltig  war.  Bei  dem  vielfältigen  Gebrauche  der  in  den  Anilinfarbenfabriken 
abfallenden  arsenikalischen  Verbindungen  zum  Beizen  oder  Aviviren  können 
gewisse  Quantitäten  Arsen  niedergeschlagen  werden,  welche  auf  den  Zeugen 
haften  bleiben.11)  Es  ist  durch  hinreichende  Beispiele  nachgewiesen  worden,  dass 
man  selbst  Bonbons  und  Drops  mit  solchen  arsenikalischen  Abfällen  gefärbt 
hat.  Die  damit  gefärbten  Phosphorzündhölzchen,  Papiere  u.  s.  w.  lassen  schon 
beim  Verbrennen  den  Arsengehalt  durch  knoblauchartigen  Geruch  erkennen. 

Der  Gebrauch  von  Anilinfarben  zum  Färben  von  Liqueuren,  Conditor- 
waaren  und  ähnlichen  Genussmitteln  sollte  gänzlich  verboten  werden,  da  man 
bezüglich  der  Reinheit  derselben  nie  ganz  sicher  sein  kann.  Die  Rosanilinsalze 
können,  abgesehen  von  der  arsenikalischen  Verbindung,  auch  durch  ihren  Gehalt 
an  Pikrinsäure,  Oxalsäure  u.  s.  w.  schädliche  Wirkungen  äussern. 

Freies  Anilin  können  die  Anilinfarben  enthalten,  wenn  sie  in  Teigform 
(en  päte)  oder  in  alkoholischer  Lösung  im  Handel  vorkommen;  solche,  welche  in 
trocknem  und  krystallinischem  Zustande  verkauft  werden,  sind  frei  von  unge- 
bundenem Anilin. 

Die  Gesundheits-Verhältnisse  der  Arbeiter  in  Anilinfabriken  im  Allgemeinen. 

Die  richtige  Würdigung  und  Beurtheilung  der  in  solchen  Fabriken  auf- 
tretenden Krankheiten  stösst  in  mancher  Beziehung  auf  grosse  Schwierigkeiten; 


g36  Aromatische  Körper. 

als  Anhaltspuuct    dient    zunächst   in   jedem    concreten    Falle    die   Beantwortung 
folgender  Fragen: 

1)  Erzeugen  die  betreffenden  Fabriken  nur  Anilin?  Verwenden  sie  dazu 
vou  andern  Fabriken  bezogenes  Nitrobenzol?  Oder  stellen  sie  letzteres  selbst  dar? 
Nach  welcher  Methode  wird  die  Nitrirung  des  Benzols  und  die  Reduction  des 
Nitrobenzols  vorgenomraeu  ? 

2)  Hat  man  es  nur  mit  Anilinfarbenfabriken  zu  thuu,  welche  das  fertige 
Anilin  beziehen  und  aus  diesem  die  Farben  darstellen?  Welche  Farben  werden 
vorzugsweise  dargestellt?     Welche  Methoden  kommen  dabei  zur  Anweuduug? 

Ist  mau  hierüber  zur  Gewissheit  gelangt,  so  kann  man  erst  der  Beurtheilung 
der  vorhandenen  Verhältnisse  näher  treten;  aber  auch  diese  können  sich  wiederum 
so  vielseitig  gestalten,  dass  es  der  sorgfältigsten  Prüfung  bedarf,  um  in  einem 
concreten  Falle  die  Ursache  der  etwaigen  Gesundheits- Schädigung  aufzufinden. 
Ueberblickt  man  nur  die  Mannigfaltigkeit  der  verschiedenen  Farben,  so  erhellt 
hinreichend,  wie  gross  und  vielseitig  das  Gebiet  der  chemischen  Thätigkeit 
hierbei  ist. 

In  den  Anilinfarbenfabriken  ist  die  Anwendung  der  Arsensäure  bei 
der  Fuchsinbereitung  bisher  fast  allgemein  gewesen;  hier  ist  es  nicht  bloss  der 
arsenikalische  Staub,  sondern  auth  der  arsenikalische  Dampf,  welcher 
sich  während  des  Oxydationsprocesses  durch  Arsensäure  bildet  und  bei  Ver- 
nachlässigung der  erforderlichen  Vorsichtsmassregeln  höchst  nachtheilig  auf  die 
Fabrikarbeiter  einwirkt.  Wo  die  Rohschmelze  noch  pulverisirt  wird,  ist  diese 
Gefahr,  wie  aus  dem  früher  Erörterten  hervorgeht,  am  grössten;  vesiculöse, 
pustulöse  Hautausschläge,  Furunkeln  oder  runde,  abgegränzte,  mit 
callösen  Rändern  versehene  Geschwüre  an  den  Extremitäten,  am 
Scrotum  u.  s.  w.  entstehen  durch  den  directen  Contact  der  Haut  mit  Arsen. 

In  Frankreich  hat  namentlich  Charvet12)  auch  vielfache  gastrische  Störungen, 
Uebelkeit,  Cardialgie,  Kolik,  Verstopfung  und  Diarrhoe  beobachtet,  Erscheinungen, 
die  jedenfalls  auf  die  Ingestion  von  Arsen  hinweisen.  Dagegen  dürften  Störungen 
der  Motilität  und  Sensibilität,  die  bisweilen  in  den  spätem  Perioden  dieser  Krank- 
heiten auftreten,  mehr  der  Einwirkung  der  Anilindämpfe  zuzuschreiben  sein,  ob- 
gleich nur  die  sorgfältigste  Beurtheilung  des  concreten  Falles  einen  bestimmtem 
Aufschluss  hierüber  geben  kann.  Im  Allgemeinen  haben  die  Arbeiter  kein 
gesundes  Aussehen,  die  Gesichtsfarbe  ist  meist  gelblich-grau,  das  Auge  matt 
und  das  Gefühl  der  vollen  Kraft  fehlt.  Die  Lungen  leiden  nicht,  findet 
man  aber  Abnormitäten  der  Herzthätigkeit,  die  entweder  schon  früher 
bestanden  haben  oder  während  der  Arbeit  entstanden  sind,  so  sollte  man  diese 
Patienten  sofort  entlassen,  da  sich  solche  Krankheitszustände  unter  den  Ein- 
flüssen der  Anilinfabriken  gewiss  verschlimmern.  Intensive  Schädigungen  der  Ge- 
sundheit wird  man  selten  entdecken,  wenn  es  sich  nicht  um  metallische  Ver- 
giftungen handelt;  trotzdem  ist  den  rosigen  Schilderungen  über  die  Gesundheits- 
verhältnisse der  Arbeiter  in  Fabriken,  die  kein  Arsen  oder  Quecksilber  gebrauchen, 
nicht  beizutreten;  Anilin  bleibt  ein  höchst  differenter  Körper,  der  auch  durch 
seine  Dämpfe  zwar  langsam,  aber  mit  Sicherheit  nachtheilig  einwirkt,  wenn 
das  Verweilen  unter  den  schädlichen  Verhältnissen  nicht  zeitweilig  unter- 
brochen wird. 

Nun  treten  aber  noch  die  verschiedenen  andern  verderblichen  Momente 
hinzu;    so   sind  die  Zersetzungsproducte  z.  B.  des  salzsauren  Anilins,  wie  Chlor 


Sanitäre  Verhältnisse  in  Anilinfabriken.  637 

und  Salzsäure,  die  anderweitig  auftretenden  schwefligsauren,  salzsauren,  salpetrig- 
und  salpetersauren  Dämpfe,  ferner  die  flüchtigen  Kohlenwasserstoffe,  Jod-  und 
Bromwasserstoff,  die  Dämpfe  von  Aethyl-  und  Methyljodid,  von  verschiedenen 
Aetherarten,  Methylnitrat  u.  s.w.  ii  sanitärer  Beziehung  von  grosser  Bedeutung. 
Dazu  können  mehrere  Substanzen  gleichzeitig  einwirken,  so  dass  häufig  ein  sehr 
complicirtes  Krankheitsbild  entstehen  muss.  Alle  alkoholischen  und  ätherischen 
Dämpfe  begünstigen  die  Aufnahme  der  Anilindämpfe;  mau  hat  daher  längst 
schon  die  Beobachtung  gemacht,  dass  Branntweintrinkeu  auf  alle  Arbeiter  aus- 
nehmend schädlich  einwirkt. 

In  Fabriken,  wo  Quecksilberchlorid  noch  zur  Anwendung  kommt,  sind  die 
Quecksilberdämpfe  und  die  Manipulationen  mit -dem  restirenden  metallischen 
Quecksilber  häufig  als  Krankheitsursachen  zu  betrachten.  Es  gibt  übrigens  fast 
kein  wichtiges  Metall  und  kein  wichtiges  Salz,  das  man  nicht  schon  in 
den  Bereich  der  Theerfarbenfabrication  hineingezogen  hat,  so  dass  auch  dieser 
Umstand  den  hinreichenden  Beweis  liefert,  welche  Menge  von  schädlichen  Ein- 
flüssen sich  hier  vereinigt  und  wie  leicht  eine  unvorsichtige  Handhabung  der 
zur  Fabrication  nothwendigen  Körper  von  nachtheiligen  Folgen  begleitet  ist.13) 

Es  sind  daher  in  Anilinfarbenfabriken  die  verschiedensten,  namentlich  die  bei 
den  Metallen  noch  zu  erörternden  Präventivmassregeln  zu  treffen,  die  hier  zur 
Vermeidung  von  Wiederholungen  nicht  speciell  hervorgehoben  werden  können. 
Auch  der  Staub  beim  Zerkleinern  der  verschiedenen  Schmelzen  muss  hier  noch- 
mals nachdrücklich  hervorgehoben  werden,  um  die  Aufgabe,  welche  dort  der 
öffentlichen  Gesundheitspflege  anheimfällt,  in  ihrer  grossen  Wichtigkeit  darzu- 
stellen und  zur  weitern  Erforschung  dieses  bedeutsamen  Gebietes  anzuregen. 

Die  wichtigste  Präventivmassregel  in  Anilinfarbenfabriken  besteht  immer 
in  der  Condensation  oder  unschädlichen  Ableitung  aller  gesundheits- 
schädlichen Gase  und  Dämpfe  aus  dem  Fabriklocale ;  wo  dies  im  vollen  Sinne 
des  Wortes  nicht  möglich  ist,  muss  die  luftige  und  freie  Einrichtung  des  Fabrik- 
locals  mit  hinreichender  Ventilation  als  Correctiv  eintreten.  Die  „unschädliche" 
Ableitung  bezieht  sich  auf  die  nächste  Umgebung  der  Fabrik,  ebenso  mit  Rücksicht 
auf  die  Menschen  wie  auf  die  Vegetation,  denn  Arsen-  und  Quecksilberdämpfe 
dürfen  auch  nicht  ohne  Weiteres  durch  den  Schornstein  abgelassen  werden.  Ist 
diese  nicht  ganz  zu  umgehen,  so  muss  diesem  Umstände  wenigstens  beim  Reinigen 
des  Schornsteins  Rechnung  getragen  werden.  Der  widerlich  süsse  Geruch,  den 
alle  Anilinfarbenfabriken  verbreiten,  ist  für  die  Anwohner  sehr  belästigend,  aber 
nicht  zu  vermeiden;  die  betreffenden  Fabriken  sollten  daher  schon  aus  dieser 
Ursache  nicht  innerhalb  der  Städte,  Ortschaften  u.  s.  w.  zugelassen  werden. 

In  gut  organisirten  Fabriken  ist  für  die  Beobachtung  der  Reinlichkeit  durch 
Badeeinrichtungen  gesorgt,  welche  hier  ebenso  nothwendig  wie  in  Bleiweiss- 
fabriken  sind.  Besondere  Räume  zum  Einnehmen  der  Mahlzeiten  sind  unter  allen 
Umständen  erforderlich;  immer  notwendiger  wird  die  Einrichtung  einer  Menage 
für  die  Arbeiter,  um  ihnen  für  einen  entsprechenden  Preis  bessere  Kost  zu  ver- 
schaffen und  dadurch  ihre  Widerstandsfähigkeit  gegen  vielerlei  schädliche  Einflüsse 
zu  heben.  Ebenso  wichtig  ist  ein  Wechsel  der  Kleidung,  welcher  in  besondern, 
von  der  Fabrik  getrennten  Räumen  vorzunehmen  ist;  eine  solche  Einrichtung 
erfordert  zwar  einigen  Geldaufwand,  bedenkt  man  aber,  wie  sehr  die  Kleidungs- 
stücke von  den  verschiedenen  Gerüchen  imprägnirt  sind  und  auch  auf  die  Familie 
eine  Rückwirkung  äussern,   so  sollte  man  wenigstens  für  einen  gewissen  Theil 


638  Aromatische  Körper. 

der  Axbeiter  diesen  Wechsel  einführen;  gleichzeitig  wird  auch  der  Sinn  für  Rein- 
lichkeit dadurch  gestärkt.  u) 

Ein  Wechsel  der  Arbeit  kanu  manchen  Krankheiten  vorbeugen  und  würde 
es  namentlich  erforderlich  sein,  die  Beschäftigung  an  den  Digestoren  und  Kesseln, 
wobei  sich  die  auilinhaltigen  Dämpfe  besonders  bemerkbar  machen,  zeitweilig 
mit  andern  Arbeiten  zu  vertauschen. 

Xylol. 

Xylol,  Dimethylbenzol  (',;li4(CH3U^  Csllic  kommt  ebenfalls  im  Steiukohlentheer 
vor.  Dio  Xylole  sind  ölartig  tliessende,  farblose  Flüssigkeiten,  sieden  bei  c.  1-iO0  und 
treten  gemeinschaftlich  mit  Benzol  und  Toluol  auf.  Es  sind  drei  isomere  Diinethyl- 
benzole  bekannt. 

Einwirkung  von  gewöhnlichem  Xylol  ( Dimethylbenzol )  auf  den  thierischen  Or- 
ganismus. Ein  ausgewachsenes  Kaninchen  aass  im  grossen  Glaskasten,  in  welchem 
15  Grm.  Xylol  auf  heissera  Sande  verdampften.  Unter  grosser  Unruhe,  Schreien  und 
beschleunigter  Respiration  fällt  es  nach  8  Minuten  unter  rotirenden  Bewegungen  der 
Beine  auf  die  Seite.  Nach  15  Minuten  Herausnahme  des  Thiers  in  vollständiger 
Anästhesie.  Er^t  nach  50  M.  zeigen  sich  einige  Zuckungen  am  Thorax,  nachdem  es  bis 
dahin  auf  keinen  Reiz  reagirt  hatte:  in  eine  sitzende  Stellung  gebracht,  fällt  es  auf  die 
Seite.  Nach  einer  Stunde  schwache  Gehversuche  unter  starkem  Schwanken;  Temperatur 
im  äussern  Gehörgange  35°  C.  Nach  90  M.  deutliche  Reflexerregbarkeit  am  Auge.  Am 
folgenden  Tage  fällt  es  beim  Gehen  oft  auf  die  Seite;  am  dritten  Tage  stirbt  es  in 
einem  tetanischen  Anfalle. 

Section  6  Stunden  nachher.  Hirnhäute  nur  an  der  Basis  cerebr.  blutreich;  die 
Plex.  venös,  mit  geronnenem  Blute  angefüllt.  Lungen  dunkelbraun  marmorirt:  die 
beiden  untern  Lappen  sind  braunschwarz  und  mit  Blut  durchtränkt:  an  ihrer  Ober- 
fläche findet  sich  unter  dem  Brustfell  eine  dünne  Lage  schwarzen,  geronnenen  Blutes;  an 
der  Bifurcation  ein  ganz  dünnes,  flüssiges  Blutextravasat.  Die  rechte  Herzhälfte 
strotzt  von  schwarzem,  geronnenem  Blute,  auf  dem  Muse,  iliac.  lagert  rechts  und  links 
schwarzes,  geronnenes  Blut  im  Umfange  eines  Thalers.  Der  Tod  war  offenbar  in  Folge 
von  Lungenapoplexie  erfolgt. 

Xylidin  C6H3(CH3)2NH2  ist  der  gemeinschaftliche  Name  für  eine  Menge  isomerer 
Amidoxylole.  die  bisher  noch  nicht  getrennt  sind,  und  entsteht  durch  Reductionsmittel 
aus  Nitroxylol.  Es  stellt  eine  ölige,  bei  216°  siedende  Flüssigkeit  dar,  welche  an  der 
Luft  Sauerstoff  aufnimmt,  dadurch  braunroth  wird  und  verharzt.  Es  theilt  mit  Anilin 
die  meisten  chemischen  Eigenschaften:  auch  auf  den  thierischen  Organismus  wirkt 
es  in  ähnlicher  Weise  ein;  nur  fehlen  beim  Xylidin  die  allgemeinen  Krämpfe. 

Einwirkung  von  Xylidin  auf  den  thierischen  Organismus.  ')  Eine  Taube  erhielt 
0,50  Grm.  davon:  starkes  Schwanken  und  Hinstürzen  nach  5  M.  Sie  bleibt  in  der  Seiten- 
laue wie  in  ruhigem  Schlafe:  beschleunigter  Herzschlag  bei  etwas  erschwertem  Athmen 
und  verengter  Pupille.  Dieser  Zustand  hält  2%  Stunden  an;  die  Taube  ist  reactionslos, 
die  Pupille  erweitert,  die  Respiration  vermehrt:  nach  4  Stunden  unregelmässiges  Athmen, 
das  immer  mehr  abnimmt,  bis  nach  5  Stunden  5  M.  der  Tod  eintritt. 

Section  15  Stunden  hernach.  Auf  dem  Kleinhirn  ein  flüssiges  Blutextravasat 
von  1  Ctm.  Breite.  Lungen  hellroth,  auf  den  Durchschnitten  flüssiges  Blut;  das  ganze 
Herz  ist  mit  schwarzem,  geronnenem  Blute  angefüllt      Leber  auffallend  blutreich. 

2)  Ein  starkes  Kaninchen  erhielt  im  Verlaufe  einer  Stunde  2  Grm.  und,  da  nach 
6  Stunden  keine  Wirkung  eintrat,  2,9  Grm.;  erst  jetzt  sinkt  es  allmählig  in  die  Seiten- 
lage. Bei  Gehversuchen  schleppt  es  die  Hinterbeine  nach,  fällt  aber  in  die  Seitenlage 
zurück  und  bleibt  schliesslich  liegen.  Nach  3  Stunden  Zittern  der  Beine  und  des  ganzen 
Körpers;  nach  6  Stunden  sehr  beschleunigte  Respiration  und  nach  16  Stunden  Tod  unter 
tiefen  Inspirationen. 

Section  nach  20  Stunden.  Ueber  den  Corp.  quadrig.  ein  erbsengrosses  Blut- 
extravasat. Lungen  blassroth,  der  rechte  mittlere  Lappen  blutig  infiltrirt,  das  Herz 
ganz  mit  schwarzem,  geronnenem  Blute  angefüllt. 

3)  Sehr  dichte  Dämpfe  von  Xylidin  erzeugten  bei  einer  Taube  nur  starken 
Taumel.*) 


*)  Schwefelsaures  Xylidin  C6H3(CH3)2NH2  -+■  S03H  wirkt  ähnlich.  Eine 
starke  Taube  starb  nach  der  Ingestion  von  0,665  Grm.  binnen  12  Stunden  und  zwar 
ebenfalls   ohne  Krämpfe.     Eine  junge  Taube  erlag  während  derselben  Zeit  einer  Gabe 


Cumol.  639 

Oxydationsproduete  der  Xylole. 

Bei  der  Behandlung  der  Xylole  mit  Oxydationsmitteln  wird  das  Methyl  in 
Carboxyl  (COOH)  oxydirt.     Je  nach  der  Intensität  der  Oxydation  bildet  sich  entweder 

/  CTT  /  CO  OTT 

Toluylsäure  C6H4  (  COOH  ocler  P^a^s^ure  CgH4  (  COOH-  Mai1  unterscneidet  drei 
somere  Toluylsäuren,  welche  der  Benzoesäure  ähnlich  krystalliren  und  sich  durch 
den  Schmelzpunct  vorzugsweise  unterscheiden.  Ebenso  sind  drei  isomere  Phtalsäuren 
bekannt.  Die  eigentliche  Phtalsäure  C8H604  wird  aus  dem  Naphtalin  mittels  Oxy- 
dation durch  Chlor  gewonnen  und  heisst  deshalb  auch  wohl  Naphtalinsäure.  Ihr 
Entdecker,  Laurent,  hatte  aber  schon  nachgewiesen,  dass  sie  dem  Typus  der  NaphtaTm- 
reihe  nicht  mehr  angehörte,  weshalb  er  durch  Weglassung  der  beiden  ersten  Buchstaben 
die  Minderheit  an  Kohlenstoff  bezeichnen  wollte.  Bei  der  Einwirkung  der  Salpetersäure 
auf  Alizarin  und  Purpurin,  die  beiden  Krappfarbstoffe,  entsteht  sie  ebenfalls.  (M.  vergl. 
die  Darstellung  im  Grossen  bei  Naphtalin.) 

Einwirkung  von  wasserfreier  Phtalsäure  anf  den  thierischen  Organismus.  Eine 
Taube,  welche  im  kleinen  Zinkkasten  den  Dämpfen  der  erhitzten  wasserfreien  Phtalsäure 
ausgesetzt  wurde,  verfiel  in  einen  starken  Husten  mit  Dyspnoe.  Nach  der  Herausnahme 
(nach  15  M.)  hielten  Rasselgeräusche  in  der  Kehle  und  beschwerliches  Athmen  die  Hälfte 
des  Tages  noch  an.    Am  andern  Tage  ist  die  Athmung  normal. 

Beim  Menschen  erzeugen  die  Dämpfe  der  Phtalsäure  ein  stechendes  Gefühl 
in  der  Nase,  vermehrte  Schleimabsonderung  und  reizen  stark  zum  Husten;  ihre 
Wirkung  ist  in  dieser  Beziehung  sehr  ähnlich  den  Dämpfen  der  Benzoe-  und 
Bemsteinsäure. 

Cumol. 

Cumol  oder  Propylbenzol  C6HS(C3H71  wird  aus  der  Cu  min  säure  dargestellt. 
Pse-'documol  ist  ein  im  Steinkohlentheer  vorkommendes  Trilliethylbenzol  C6H3(CH3V 

Einwirkung  von  Pseudocnmol  auf  den  thierischen  Organismus.  Im  kleinen  Holz- 
kasten, in  dem  ein  junges  Kätzchen  sitzt,  verdampfen  30  Grm.  Pseudocumol  auf  heissem 
Sande  in  einer  Schale.  Bald  zeigen  sich  Speicheln,  Unruhe,  Zittern,  Taumel  und  öfteres 
Hinfallen;  dann  Seitenlage  mit  rotirenden  Bewegungen  der  Extremitäten.  Nach  11  M. 
vollständige  Anästhesie.  Bei  der  Herausnahme  des  Kätzchens  nach  30  M.  war  die  Tem- 
peratur auf  35°  C.  gesunken:  zeitweilig  wiederholen  sich  die  rotirenden  Bewegungen 
der  Extremitäten.  Nach  15  M.  stürzt  es  bei  Gehversuchen  auf  den  Kopf  und  macht 
einen  förmlichen  Purzelbaum;  erst  30  M.  nachher  bleibt  es  aufrecht  sitzen.  Nach  drei 
Stunden  nimmt  es  wieder  Futter  zu  sich  und  bleibt  dann  gesund. 

Die  Wirkung  ist  somit  ähnlich  der  von  Xylol,  jedoch  weniger  intensiv  und 
gefährlich,  obgleich  die  Anästhesie  eben  so  vollständig  wie  bei  Xylol  war. 

Cumidin,  Amidocumol  C6H2(CH3)3NH2=C9HUNH2  wird  aus  dem  Nitrocumol 
C9Hn(N02)  in  derselben  Weise  wie  Anilin  aus  dem  Nitrobenzol  dargestellt.  Die  ge- 
wonnene Base  wird  in  das  Oxalsäure  Salz  übergeführt  und  mit  Kalilauge  zerlegt.  Es 
ist  eine  ölartige,  farblose  Flüssigkeit,  welche  in  der  Kälte  zu  Tafeln  erstarrt  und  an  der 
Luft  allmählig  dunkelroth  wird. 

Einwirkung  von  Cumidin  auf  den  thierischen  Organismus.  Einer  ausgewachsenen 
Taube  wurden  0,36  Grm.  Cumidin  eingeflösst;  sie  schwankt  sofort,  stürzt  auf  den  Kopf 
und  bleibt  in  der  Seitenlage  wie  im  Schlafe  liegen,  während  der  Herzschlag  sich  bei 
erschwertem  Athmen  beschleunigt.  Nach  25  M.  vollständige  Anästhesie,  nach  50  M. 
Abnahme  der  Respiration  bis  zum  Tode  nach  60  M.  Noch  1%  M.  lang  bewegt  sich  das 
Herz.  Section  nach  1  Stunde.  Seitlich  vom  Sinus  longitud.  der  Dura  mater  zeigt  sich 
ein  dünnes,  1  Ctm.  breites  Extravasat  von  dünnflüssigem  Blute;  unter  der  Schleimhaut 
des  Kropfes  ein  thalergrosses,  ganz  dünnes  Blutextravasat.  Lungen  hellroth,  ziemlich 
blutreich;  das  Herz  strotzt  von  schwarzem,  geronnenem  Blute. 

Die  üebereinstimmung  des  Krankheitsbildes  mit  dem  von  Xylidin  geht  aus 
dem  Versuche  hinreichend  hervor. 


von  0,33  Grm.     Dagegen  wurden   einem  mittelgrossen  Kaninchen    binnen    zwei   Tagen 
1,5  Grm.  ohne  Nachtheil  eingeflösst.  T     , 

Aethylxylidin  entspricht  vollständig  dem  Aethyltoluidin.  Eine  starke  laube 
starb  nach  0,48  Grm.  binnen  22  Stunden  in  soporösem  Zustande.  Em  mittelgrosses 
Kaninchen  erhielt  binnen  zwei  Tagen  4,7  Grm.  und  starb  am  dritten  Tage  ebeniaüs 
in  Sopor. 


f,40  Naphtalin. 

Cymol. 

Cymol«1  sind  Für  die  Industrie  der  Theerfarbcn  ebenso  wenig  wie  Cumol  von  Be- 
deutung. Das  Cymol,  welches  im  Steinkohlentheer  enthalten  ist,  gehört  zu  den  Tetra- 
mcthylbenzolen  "C6H2(CH3)4.  In  seiner  Wirkung  auf  den  thierischen  Organismus 
verhalt  es  sieh  wie  Cumol.  Seine  Dämpfe  erzeugten,  als  lö  Grm.  davon  im  grossen 
Glaskasten  verdampften,  bei  einem  jungen  Kätzchen  nach  30  M.  eine  ziemlich  vollstän- 
dige Anästhesie,  der  grosse  Unruhe,  Zittern,  Zuckungen  und  rotirende  Bewegungen  der 
Extremitäten  vorhergingen;  letztere  hielten  auch  an  der  frischen  Luft  an:  Taumel  und 
Hinstürzen  zeigten  sich  noch  20  M.  hernach.  —  Am  andern  Morgen  ist  die  Restitution 
vollständig.  * ) 

Cymidin.  Amidocymol  C6H(CH3)4NH.j  wird  durch  Reduction  aus  Nitrocymol  als 
ein  gelbliches,  fast  geruchloses  Oel  erhalten. 

Einwirkung  von  Cymidin  auf  den  Ihierischen  Organismus.  Einer  Taube  wurden 
0,40  Grm.  eingeflösst.  Nach  10  Minuten  schwankt  sie;  nach  15  M.  nimmt  sie  unter 
starkem  Würgen  die  Bauchlage  ein.  Nach  30  M.  liegt  sie  auf  der  Seite  wie  im  tiefen 
Schlafe,  der  nur  bisweilen  durch  Würgen,  Erbrechen  und  tiefes  Inspiriren  unterbrochen 
wird.     Nach  4  Stunden  tritt  der  Tod  nach  mehrstündiger  Agone  ein. 

Section  ;">  Stunden  nachher.  Das  Kleinhirn  ist  mit  einem  sehr  dünnen,  flüssigen 
Blutextravasat  überzogen;  Lungen  hellroth  und  dunkelbraun  marmorirt,  auf  den  Durch- 
schnitten viel  flüssiges,  dunkelrothes  Blut.  Das  ganze  Herz  mit  flüssigem,  schwarz- 
rothem  Blute  angefüllt,  das  sich  kaum  bemerkbar  an  der  Luft  röthet. 

Auch  aus  diesem  Versuche  erhellt,  wie  sehr  die  verschiedenen  Amidoderivate 
der  aromatischen  Kohlenwasserstoffe  in  ihrer  Wirkung  auf  den  thierischen  Organis- 
mus übereinstimmen. 


Naphtalin. 

Naphtalin  C[0H8  wird  bei  der  Rectification  des  Steinkohlentheers  gewonnen  (siehe 
S.  <>04)  und  ist  überhaupt  ein  häufig  auftretendes  Product  der  trocknen  Destillation  or- 
ganischer Körper,  wenn  dieselbe  bei  sehr  hoher  Temperatur  stattfindet.  Auch  bildet  es 
sich  bei  der  Zersetzung  des  Leuchtgases  in  hoher  Temperatur,  des  Alkohols  und  der 
Essigsäure  in  glühenden  Röhren.  Es  stellt  im  gereinigten  Zustande  farblose,  fettglän- 
zende Blättchen  dar,  die  nach  Styrax  riechen,  scharf  aromatisch  schmecken  und  bei  218° 
sieden.  Mit  Schwefelsäure  bildet  es  bei  niederer  Temperatur  et  Xaphtalinsulfo- 
sänre  Cj0H7S03H,  bei  höherer  ß  Xapktalinsulfosäure,  die  verschiedene  Eigenschaften 
besitzen. 

Einwirkung  der  Dämpfe  von  Naphtalin  auf  den  thierischen  Organismus.     Ein 

junges  Kaninchen  wurde  in  den  grossen  Glaskasten  gebracht,  in  welchem  4  Grm. 
chemisch  reines  Naphtalin  verdampften.  Sogleich  zeigte  sich  Putzen  der  Schnauze, 
Ausfluss  von  Speichel  und  Thronen  der  Augen:  diese  Erscheinungen  verloren  sich  all- 
mählig  bei  ungestörter  Fresslust.  Das  Thier  blieb  3  Tage  in  dem  Kasten,  in  dessen 
Mitte  sich  eine  1  Zoll  weite  schlotähnliche  Oeffnung  befand;  in's  Freie  gelassen,  bleibt 
es  gesund  und  zeigt  gar  keine  Nachkrankheiten. 

Bei  den  Arbeitern  erzeugen  die  Dämpfe  bisweilen  Augenentzündungen, 
namentlich  Conjunctivitis,  neben  Husten  und  drückendem  Kopfschmerz  in  der 
Stirngegend;  alle  Erscheinungen  lassen  jedoch  in  der  Regel  nach,  wenn  man  sich 
den  Dämpfen  entzieht.  Bei  der  Destillation  resp.  Rectification  der  Pressrück- 
irtände  sind  die  Arbeiter  oft  tagelang  diesen  Dämpfen  ausgesetzt,  so  dass  sich 
das  sublimirte   Naphtalin  in   den  Augenbrauen,  im  Barte  und  auf  dem  ganzen 


*)  Thymol  C10H14O,  ein  Bestandteil  des  Thymianöls,  ist  das  Phenol  des  a  Cymols 
und  hier  zu  erwähnen,  weil  man  sich  bemüht  hat,  dasselbe  in  grössern  Mengen  aus  dem 
Theer  zu  gewinnen  und   als  Desinfectionsmittel  practisch  zu  verwerthen. 


Naphtalin.  641 

Gesicht  ablagert,  ohne  dass  ein  sichtbarer  Nachtheil  dadurch  entsteht.  Nur  bei 
einzelnen  Arbeitern  halten  Kopfschmerzen  und  ein  Gefühl  von  Betäubung  längere 
Zeit  an. 

Dann  namentlich  treten  diese  Nachtheile  ein,  wenn  das  Naphtalin  mit  Alkalien 
und  Säuren  behandelt  wird,  weil  sich  hier  flüchtige  Basen,  vorzüglich  Picolin,  mit  ent- 
wickeln. Bei  der  Destillation  kann  man  die  Naphtalindämpfe  ganz  gut  vermeiden  wenn 
man  sie  durch  kalte  Röhren  leitet,  wobei  das  Naphtalin  als  Sublimat  abgeschieden  wird. 

Naphtalin  ist  zwar  bei  jeder  Temperatur  flüchtig;  die  reizende  Einwirkuno-  der 
Dämpfe  macht  sich  aber  erst  bei  höherer  Temperatur  geltend;  deshalb  fiel°auch 
das  Experiment  mit  dem  Kaninchen  negativ  aus. 

Durch  die  therapeutische  Benutzung  des  Naphtalins  wird  der  Beweis  geliefert, 
dass  Naphtalin  in  einer  Gabe  von  4  Grm.  ohne  alle  nachtheilige  Wirkung  genommen 
werden  kann;  am  ehesten  werden  Verdauung  und  Appetit  dadurch  gestört.  Tauben, 
denen  Gaben  von  0,5  Grm.  davon  eingeflösst  werden,  bekommen  nur  Erbrechen,  ohne 
dass  Nachkrankheiten  entstehen. 

Bei  der  Darstellung  von  Naphtalin  im  Grossen  werden  die  schweren 
Th.eröle  benutzt,  die  so  reich  an  Naphtalin  sind,  dass  sie  beim  Erkalten 
erstarren. 

Man  entfernt  das  Oel  durch  Centrifugen  und  hydraulische  Pressen.  Die  Press- 
kuchen werden  durch  circulirenden  Wasserdampf  geschmolzen  und  mit  Natronlauge 
und  Schwefelsäure  behandelt.  Nach  gründlichem  Auswaschen  und  mehrmaliger 
Behandlung  mit  Natronlauge  folgt  die  Destillation  über  freiem  Feuer,  wobei  die 
Condensatoren  (tonnenartige  Gelasse)  die  Temperatur  des  geschmolzenen  Naphtalins 
haben  müssen.  Die  hier  austretenden  Dämpfe  leitet  man  in  kaltgehaltene  Röhren,  damit 
sich  Naphtalin  ausscheidet. 

Bei  der  Behandlung  mit  Natronlauge  treten  noch  Theerbasen  und  beim  Zu- 
sätze der  Schwefelsäure  schweflige  Säure  auf,  weshalb  man  geschlossene  Gefässe 
benutzen  muss;  ebenso  hat  man  bei  der  letzten  Behandlung  mit  Natronlauge  für  die 
Ableitung  der  hier  noch  auftretenden  leichten  Kohlenwasserstoffe  zu  sorgen. 

Rectification  des  rohen  Naphtalins.  Dieselbe  geschieht  in  derselben 
Weise  durch  Behandeln  mit  Lauge  und  Schwefelsäure  mit  nachfolgender  Destillation. 

Sie  bildet  bisweilen  einen  besondern  Industriezweig  und  bedarf  dann  einer  beson- 
dern Concessions-Verleihung.  Die  Fabrication  ist  wegen  der  vielfachen  Emanationen  und 
der  grossen  Feuersgefahr  in  Städten  nicht  zu  dulden.  Man  hat  besonders  darauf  zu 
achten,  dass  das  Rohproduct  in  einem  besondern  Räume  und  niemals  im  Destillations  - 
raume  lagert  und  dass  ferner  für  die  Condensation  der  Dämpfe  die  betreffenden  Ein- 
richtungen vorhanden  sind.  Die  Methode,  das  Naphtalin  in  siedendem  Benzol  aufzulösen 
und  dadurch  zu  reinigen,  ist  noch  viel  feuergefährlicher,  da  das  Benzol  noch  lange  dem 
krystalliniscken  Naphtalin  anhaftet,  allmählig  verdunstet  und  die  Lagerräume  mit  seinen 
Dämpfen  so  anfüllt,  dass  sie  niemals  mit  einem  brennenden  Lichte  betreten  werden 
dürfen. 

Die  Verwendung  von  Naphtalin  in  der  Technik  hat  bis  jetzt  nur  eine  beschränkte 
Ausdehnung  erlangt;  man  stellt  rothe,  violette  und  namentlich  gelbe  Farben 
aus  demselben  dar.  Naphtalin  als  solches  wird  besonders  in  England  als  Schmierfett 
benutzt,  kann  aber  auch  wie  Kampher  zum  Schutz  der  Kleider  und  Pelze  vor  Motten- 
frass  gebraucht  werden. 

Chlorderivate   des  Naphtalins. 

Chlor  und  Brom  können  den  Wasserstoff  im  Naphtalin  verdrängen  und  seine 
Stelle  einnehmen.  Napktalindichlorid  CI0H8C12  und  Dichlornaphtalin  CJ0H6CL>  gehören 
zu  diesen  Verbindungen ;  das  letzte  Product  der  Einwirkung  von  Chlor  auf  Naphtalin  ist 
Tetrachlornaphtalin  C]0H4C14.  Es  übt  keine  giftigen  Wirkungen  auf  den  thie- 
rischen  Organismus  aus;  seine  Dämpfe  reizen  die  Schleimhaut  der  Nase,  der  Augen 
und  der  Respirationswege  zwar  bedeutend,  lassen  aber  keine  Nachkrankheiten  zurück. 
Eine  Taube  wurde  in  der  Glasglocke  15  M.  lang  den  Dämpfen  ausgesetzt,  die  aus  2  Grm. 
entwickelt  wurden:  es  zeigten  sich  nur  starkes  Blinzeln  mit  den  Augen,  flüssiger  Nasen- 
ausfluss  und  Husten;  herausgelassen,  springt  sie  sofort  herum  und  bleibt  gesund. 

Hydroxylderivate   des   Naphtalins. 

Naphtol  C10H7(OH)  entsteht  beim  Schmelzen  der  Naphtalinsulfosäuren  mit  Kalium- 
hydrat.    Je   nach   der  Anwendung    der  verschiedenen   Naphtalinsulfosäuren   erhält   man 
Eulenberg,  Gewerbe-Hygiene.  41 


642  Naphtalin. 

a  und  [3  Naphtole  von  verschiedenem  Schmelzpuncte,  die  vollkommen  den  Phenolen 
entsprechen.     Sie  werden  jetzt  auch  im  Grossen  dargestellt. 

Dinitronaphtol  C^H^NO^O  ist  hier  zu  erwähnen,  weil  es  als  Naphtalingelb 
(s.  dieses)  in  der  Färberei  vielfache  Verwendung  findet. 

Chinonderivate  des  Naphtalins. 

Naplltochinon  C10H6O2  entspricht  dem  Chinon  und  stellt  goldgelbe  Nadeln  dar. 
Bekannter  ist  Dichlornaphtochinon  C)0H4Cl2O2,  das  sich  in  heisser  alkoholischer  Kalilauge 
carmoisinroth  auflöst  und  hierbei  in  Chlofoxynaphtalinsäure  C,0H4C1(OH)02,  sowie 
in  Naphtazarin  Clt,H4(OH)202  übergeht,  indem  sich  Chlor  gegen  Hydroxyl  austauscht. 

Die  Darstellung  von  Chlornaphtalinsäure  geschieht  durch  Behandeln  des  Naphta- 
lins in  der  Killte  mit  chlorsaurem  Kalium  und  Salzsäure;  der  ausgepresste  Rück- 
stand wird  mit  Salpetersäure  versetzt,  wobei  sich  eine  Menge  Dämpfe  von  Unter- 
salpetersäure entwickeln,  die  sorgfältig  abzuleiten  sind.  Man  erhält  ein  krystallinisches 
gelbe  s  Pulver,  das  in  heissem  Wasser  löslich  ist  und  nicht  gebeizte  Wolle  intensiv 
roth  färbt.  Auf  den  thierischen  Organismus  wirkt  es  nicht  nachtheilig  ein, 
da  einem  Kaninchen  1  CC  einer  gesättigten  Lösung  ohne  allen  Nachtheil  subcutan  in- 
jicirt  werden  konnte. 

Nitroderivate  des  Naphtalins. 

Nitronaphtalin  C1oH7(NO)3  stellt  schwefelgelbe,  bei  43°  schmelzende  Krystalle  dar. 
Ausser  Dinitronaphtalin  und  seinen  zwei  Isomeren  gibt  es  noch  Tri-  und  Tetra- 
nitro naphtalin  C10H4(NO2)4,  welche  viel  höhere  Schmelzpuncte  haben.  Diese  Nitro- 
verbindungen werden  zur  Darstellung  von  Naphtylamin  benutzt. 

Nitronaphtalin  erzeugte  als  Dampf  bei  einer  jungen  Taube  Taumel  und  Neigung 
zum  Rückwärtsfallen.  Nach  7  M.  fällt  sie  rückwärts,  richtet  sich  aber  wieder  auf,  was 
sich  mehrmals  wiederholt;  dabei  pfeifendes  und  beschleunigtes  Athmen.  Bei  der  Heraus- 
nahme, nach  15  M,  stürzt  sie  beim  Gehen  kopfüber,  erholt  sich  aber  nach  2  Stunden 
vollständig;  nur  ihre  Stimme  bleibt  8  Tage  lang  tiefer  als  sonst. 

Einem  Kaninchen  wurde  1  Grm. ,  einer  Taube  0,5  Grm.  Nitronaphtalin  ohne 
Wirkung  eingeflÖsst;  nur  erfolgte  bei  letzterer  ein  einmaliges  Erbrechen.  Di-  und 
Tri  nitronaphtalin  haben  wegen  ihrer  Unlöslichkeit  in  Wasser  noch  schwächere 
Wirkung. 

Reductionsproducte   des  Dinitronaphtalins. 

Dioxynapbtachinon  (Naphtazarin)  C10H4(OH2)O2  ist  dem  Alizarin  analog  con- 
stituirt  und  wird  dargestellt,  indem  man  Portionen  von  Dinitronaphtalin  abwechselnd 
mit  kleinen  Mengen  Zink  in  erhitzte  concentrirte  Schwefelsäure  einträgt.  Der  er- 
haltene Farbstoff  färbt  mit  Aluminiumacetat  gebeizte  Baumwolle  röthlich  violett, 
hat  aber  noch  wenig  technische  Verwendung  gefunden.  Cyankalium  bildet  mit  Di- 
nitronaphtalin ein  Kaliumsalz  von  stark  kupferglänzendem  Aussehen. 

Amidoderivate  des  Naphtalins. 

Die  Amidonaphtaline  entstehen  durch  Reduction  der  Nitronaphtaline.  Bei  der 
Darstellung  im  Grossen  verfährt  man  wie  bei  der  Anilinfabrication ;  je  nach  der 
Anwendung  der  verschiedenen  Nitronaphtaline  erhält  man  Amidonaphtalin  (Naphtylamin) 
C10H7NH2,  Di-  und  Triamidonaphtalin  C10H5(NH2)3. 

Amidonaphtalin  krystallishrt  in  feinen  weissen  Nadeln,  welche  bei  50  °  schmelzen, 
bei  300°  sieden;  es  riecht  unangenehm  und  schmeckt  scharf  und  bitter.  Mit  den 
meisten  Säuren  bildet  es  krystallisirbare,  in  Wasser  lösliche  Salze,  welche  mit  Oxyda- 
tionsmitteln einen  azurblauen  Niederschlag  liefern,  der  sehr  bald  purpurfarbig  wird. 

Einwirkung  von  Naphtylamin  auf  den  thierischen  Organismus,  l)  Die  aus 
l  Grm.  erwärmten  Naphtylamins  entstehenden  Dämpfe  werden  in  den  Zinkkasten  ge- 
leitet, in  dem  eine  grosse  Taube  sitzt.  Es  entstehen  Unruhe,  Husten,  Nasswerden  des 
Schnabels,  angestrengtes  und  unregelmässiges  Athmen;  nach  7  M.  mehrmaliges  Er- 
brechen. Nach  1">  M.  herausgenommen,  stürzt  sie  beim  Fortlaufen  kopfüber;  die  Be- 
täubung  lässt  aber  bald  nach  und  bloss  der  Husten  hält  noch  einige  Zeit  an. 

2)  Derselbe  Versuch  erzeugte  bei  einem  grossen  Meerschweinchen  ganz  dieselben 
Erscheinungen.  Die  Dämpfe  sind  schwer  und  lagern  sich  rasch  ab,  weshalb  die  Ein- 
wirkung jedesmal  bei  frischer  Einleitung  deutlich  zu  Tage  tritt. 

Ganz  anders  gestaltet  sich  das  Bild  bei  der  Ingestion  dieses  Körpers.  Einer 
Taube   wurde  0,5  Grm.  Naphtylamin  eingeflösst;    nach  5  M.  Erbrechen,  Betäubung 


Naphtalin  -  Industrie.  643 

und  Hinfallen;  sie  erhebt  sich  schwankend,  stürzt  aber  nach  7  M.  ohne  Krämpfe  hin. 
Nach  10  M.  liegt  sie  wie  im  tiefen  Schlafe  und  verbleibt  in  demselben  11  Stunden;  nur 
beim  Aufheben  Öffnet  sie  die  Augen  und  zieht  beim  Kneifen  der  Beine  diese  an.  Nach 
12  Stunden  Abnahme  der  Respiration  und  des  Herzschlags,  die  fortschreitend  bei  voll- 
ständiger Reactionslosigkeit  erlahmen.  Nach  13  Stunden  erfolgt  unter  krampfhaften  In- 
spirationen der  Tod. 

Section  nach  20  Stunden.  Einzelne  Gefässe  der  Pia  mater  auf  dem  Kleinhirn 
auffallend  erweitert,  die  Med.  oblong,  mit  einem  durchsichtigen  Blutextravasat  über- 
zogen. Im  Zellgewebe  unter  der  Schleimhaut  des  Kropfes  ein  oberflächliches  dunkles 
Blutextravasat.  Lungen  zusammengefallen,  braunroth,  nur  einzelne  geronnene  Blut- 
klümpchen  treten  auf  den  Durchschnitten  zu  Tage.  Das  ganze  Herz  ist  vollständig 
mit  geronnenem  Blute  angefüllt.     Nur  die  Leber  enthält  dickflüssiges  Blut. 

Bei  einem  Kaninchen  brachten  0,75  Grm.  Amidon aphtalin  nur  einen  Zustand  von 
Betäubung  hervor:  selbst  2  Grm.  am  folgenden  Tage  hatten  keine  nachtheiligere  Wirkung. 
Für  grössere  Warmblüter  ist  daher  dieser  Körper  weniger  giftig;  nur  bei  Tauben  wirkt 
er  ähnlich  wie  Anilin. 

Bei  den  Arbeitern  vermag  der  widerliche  Geruch  der  Dämpfe  Uebelsein, 
Erbrechen  und  Anorexie  zu  erzeugen;  die  Erscheinungen  lassen  aber  nach  Besei- 
tigung der  Ursache  bald  nach;  nur  bei  längerer  Einwirkung  der  Dämpfe  bleiben 
Kopfweh  und  Betäubung  neben  Reizung  der  Bronchien  längere  oder  kürzere  Zeit 
zurück. 

Aetliylnaphtylainin  C12H13N  wird  in  Laboratorien  in  analoger  Weise  wie  die  ent- 
sprechende Anilin-  und  Toluidinverbindung  dargestellt:  eine  ölartige  Flüssigkeit,  welche 
leichter  als  Wasser  ist  und  sich  rasch  färbt:  ihre  Lösungen  in  Alkohol  und  Aether 
zeigen  eine  prächtige  Fluorescenz. 

Die  Einwirkung  dieses  Körpers  auf  den  thierischen  Organismus  ist  ähnlich 
der  des  Naphtylamins,  grade  wie  sich  Aethylanilin  und  Aethyltoluidin  dem  Anilin  und 
Toluidin  gegenüber  verhalten. 

Naphtalin- Industrie. 

Im  Grossen  werden  die  Chlorverbindungen  des  Naphtalins  darge- 
stellt, wozu  man  eine  Mischung  von  chlorsaurem  Kalium  und  Salzsäure 
benutzt.  Der  Rückstand  wird  durch  Pressen  von  den  flüssigen  Chlorverbindungen 
des  Naphtalins  getrennt;  der  Pressrückstand,  die  krystallinische  Verbindung, 
enthält  vorzugsweise  Naphtalindichlorid.  Man  hat  hierbei  die  Arbeiter  vor  der 
Einwirkung  der  salzsauren  Dämpfe  zu  schützen;  der  chemische  Process  muss 
daher  in  geschlossenen  Apparaten  vor  sich  gehen. 

Die  Fabrication  der  Phtal säure  geschieht  noch  häufig  durch  die  Einwirkung  der 
Salpetersäure  auf  Naphtalindichlorid,  wobei  sich  neben  den  Dämpfen  der 
Untersalpetersäure  auch  die  von  Chlor  und  Salzsäure  entwickeln.  Enthielt 
das  Naphtalin  noch  Carbolsäure,  so  können  sich  auch  die  Dämpfe  von  Di-  und  Tri- 
chlorphenylsäure  sowie  von  Chlorpikrin  hinzugesellen;  es  liegt  daher  die  drin- 
gende Veranlassung  vor,  die  Arbeiter  vor  diesen  Dämpfen  zu  schützen. 

Gegenwärtig  lässt  man  zur  Darstellung  von  Phtalsäure  hauptsächlich  Kali  um  - 
bichromat  und  Schwefelsäure  auf  Naphtalin  einwirken,  wobei  man  ebenfalls  nur 
geschlossene  Apparate  benutzen  darf,  da  namentlich  die  Zersetzungsproducte  des  Naphta- 
lins und  der  gebildeten  Phtalsäure  auftreten.  Bei  der  Auflösung  des  erhaltenen  Pro- 
ducts entwickelt  sich  viel  Kohlensäure  neben  den  Dämpfen  der  Phtalsäure. 

Bei  der  Uebersättigung  dieser  Flüssigkeit  mit  Natriumcarbonat  schlägt  sich 
Chromoxyd  nieder  und  man  erhält  nach  einiger  Zeit  eine  röthlich  gefärbte  Flüssigkeit, 
welche  mit  Schwefel-  oder  Salzsäure  einen  carmoisinrothen  Niederschlag  (Carmin- 
naphta,  Naphtilcarmin)  bildet.*) 

Die  vom  Carminnaphta  abfiltrirte  Flüssigkeit  wird  im  Wasserbade  abgedampft ;  es 
scheidet  sich  zuerst  Natriumsulfat  aus;  dann  lagern  sich  die  glänzenden  Blättchen 
der  Phtalsäure  C8He04  ab. 


*)  Carminnaphta  bildet  mit  Alkalien  gelbrothe,  in  Wasser  lösliche  Verbin- 
dungen, die  Seide  und  Wolle  ohne  Beize  orange  oder  violett  färben. 

41* 


(344  Anthracen. 

Phtalsäure  ist  Benzoesäure  plus  Kohlensäure  C7H602  -+•  C02  =  C8H604;  die 
Deberfuhrung  der  Phtalsäure  in  Benzoesäure  hat  übrigens  noch  keine  technische  Wichtig- 
keit erlangt. 

Aus  phtalsaurem  Calcium  erhält  man  bei  einer  Temperatur  von  330 — 350° 
benzoesaures  Calcium. 

Naphtalinfarben.  Alle  Oxydations-  und  Reductionsmittel  wirken  auf  Naphtyl- 
amin  iu  analoger  Weise  wie  auf  Anilin  ein.  Es  gibt  übrigens  nur  zwei  Fabriken, 
welche  Magdalaroth  in  geringer  Menge  fabriciren.  Naplitalingelb  ist  neben 
Phtalsäure  das  einzige  Product  aus  Naphtalin,  welches  in  grösserem  Massstabe 
dargestellt  wird,  obgleich  sich  nur  3  Fabriken  (1  in  England  und  2  in  Deutschland) 
mit  der  Fabrication  dieser  Farbe  beschäftigen. 

Naphtamein  nennt  man  einen  violettbläulichen  Farbstoff,  welcher  durch 
Einwirkung  von  Oxydationsmitteln  (Eisenchlorid,  Chromsäure,  Quecksilberchlorid  u.  s.  w.) 
auf  ein  Naphtylaminsalz  erhalten  wird. 

Naphtylaminviolett  entsteht,  wenn  man  salpetrige  Säure  auf  Naphtylamin  ein- 
wirken lässt  und  das  Product  mit  Oxydationsmitteln :  Arsensäure,  Zinnchlorid,  Quecksilber- 
nitrat u.  s.  w.,  behandelt. 

Naphtvlaniinroth  (Magdalaroth,  Hofmann's  Naphtalinroth)  ist  dem  Rosanilin 
insofern  ähnlich  als  nicht  die  freie  Basis,  sondern  die  Verbindung  derselben  den  Farb- 
stoff liefert.  Im  Grossen  wird  es  durch  Einwirkung  von  salpetrigsauren  Salzen  auf 
Naphtvlaminsalze  dargestellt.  Die  salpetrigsauren  Salze  werden  in  der  Fabrik 
gewonnen,  indem  man  die  sauren  Dämpfe  in  grosse  Behälter  leitet,  in  denen  Lauge 
diesen  entgegen  rieselt.  Der  Farbstoff  empfiehlt  sich  nur  für  helle  Tinten  und  für  den 
Druck,  soll  aber  sehr  haltbar  sein. 

Naplitalingelb  (Martiusgelb,  Manchestergelb,  Dinitronaphtol)  wird  durch 
Kochen  von  salpetrigsaurem  Naphtylamin  mit  einer  Lösung  von  salpetrigsaurem 
Kalium  gewonnen;  es  entwickelt  sich  viel  Stickstoff  während  der  Einwirkung.  Der 
sich  in  gelben  Krystallen  ausscheidende  Farbstoff  wird  durch  Auflösen  in  Ammoniak 
goreinigt.  Das  Ammoniumsalz  wird  durch  Chlorcalcium  in  das  Calciums  alz  Ci0H5(NO2)2 
CaO  +  3Aq.  verwandelt.  Reine  Dinitronaphtolsalze  sind  nicht  explosiv;  die  Explosivität 
rührt  nur  von  zufälligen  Verunreinigungen  her.1) 


Anthracen. 


Anthracen  C14H,0  krystallish't  in  glänzend  weissen  Blättchen  mit  bläulichvioletter 
Fluorescenz,  welche  bei  213°  schmelzen  und  bei  3G0°  sieden;  ein  Verdampfen  tritt  aber 
schon  unter  dem  Schmelzpunct  ein.  Die  Dämpfe  des  Anthracens  riechen  unangenehm 
and  wirken  wie  die  des  Naphthalins  reizend  auf  die  Respirationswege  ein.  In  Alkohol 
und  Aether  ist  es  schwer,  in  siedendem  Benzol  sehr  leicht  löslich. 

Zur  Darstellung  von  Anthracen  wird  vorzugsweise  das  bei  der  Rectification  des 
Steinkohlentheers  gewonnene  grüne  Schmierfett  (s.  S.  604)  benutzt.*)  Man  lässt 
dasselbe  einige  Zeit  an  einem  kalten  Orte  stehen,  um  die  Ausscheidung  von  Anthracen 
zu  befördern,  filtrirt  die  Masse  durch  eine  Filterpresse  und  wäscht  die  durch  Ausschleu- 
dern getrocknete  Masse  mit  Benzol  oder  Petroleumessenz  aus,  um  den  Antheil  an 
Naphtalin  oder  Phenol  zu  beseitigen.  Durch  nochmaliges  Auschleudern  und  Schmelzen 
erhält  man  schliesslich  eine  paraffinartige,  grünlich-weisse  Masse  von  krystal- 
linischem  Bruche.  Durch  Sublimation  derselben  stellt  man  das  reine  Anthracen 
in  kleinen,  weissen  Blättchen  dar. 

Die  Anthracenfabrication  ist  stets  mehr  oder  weniger  mit  Belästigungen  für 
die  Umgebung  verbunden.  Da  sie  nach  der  Gewerbeordnung  vom  21.  Juli  1869 
einem  Concessionsverfahren  unterliegt,  so  ist  sie  niemals  in  Städten  oder  dicht 
bevölkerten  Vorstädten  zu  dulden,  namentlich  wenn  es  sich  um  eine  gleichzeitige 
Destillation  oder  Verkokung  des  Pechs  handelt. 


*)  Man  gebraucht  auch  das  harte  und  weiche  Pech,   das  aber  ein  weniger  reines 
Anthracen  geben  soll  (s.  die  Anmerk.  auf  S.  605). 


Alizarin-Industrie.  645 

Bei  der  Reinigung  des  Rohanthracens  sind  es  die  Dämpfe  der 
Petroleumessenz  oder  des  Benzols,  welche  sich  sowohl  wegen  der  Feuers- 
gefahr als  auch  wegen  der  schädlichen  Einwirkung  auf  die  Arbeiter  im  Fabriklocal 
nicht  verbreiten  dürfen.  Man  sorge  daher  stets  für  dicht  geschlossene  Gefässe 
und  eine  vollständige  Condensation  der  Dämpfe. 

Chinonderivate  des  Benzols. 

Anthrachinon  C14H802  wird  durch  Kochen  von  Anthracen  mit  Salpeter- 
säure oder  durch  Behandeln  von  Kaliumbichroniat  und  Schwefelsäure  erhalten. 
Es  stellt  rothgelbe  bis  weissliche  Krystalle  dar,  welche  bei  276°  schmelzen  und  von 
concentrirter  Schwefelsäure  mit  röthlich-gelber  Farbe  in  der  Kälte  gelöst  werden. 
Erwärmt  man  die  Lösung  stark  und  lange,  so  bildet  sich  Mono-  und  Disulfantliracllinon- 
säure  C14H602.  2S03H:  wird  letztere  mit  Natriumhydrat  geschmolzen,  so  bildet 
sich  Dioxyanthrachinon  oder  Alizarin  C14H6(OH)2  02==C14H804,  indem  die  beiden 
Säurereste  (S03H)  durch  zwei  Hydroxyle  (OH)  ersetzt  werden. 

Alizarin -Industrie. 

Die  technische  Darstellung  des  Alizarins  zerfällt  gegenwärtig  1)  in  die 
Oxydation  des  Anthracens  in  Antrachinon;  die  meisten  Fabricanten  ge- 
brauchen dazu  Kaliumbichromat  und  Schwefelsäure  uud  lassen  die  Mischung 
mehrere  Stunden  lang  in  irdenen  oder  metallenen,  inwendig  emaillirten  G-efässen 
kochen;  2)  in  der  Behandlung  des  Anthracens  mit  rauchender  Schwefelsäure, 
um  es  in  Disulfanthrachinonsäure  zu  verwandeln;  3)  in  die  Ueberführung 
dieser  Säure  in  das  entsprechende  Natriunisalz,  indem  die  Disulfanthrachinon- 
säure mit  überschüssigem  Natriumhydrat  behandelt  und  zur  Trockne  ein- 
gedampft wird;  4)  in  das  Schmelzen  des  disulfanthrachinonsauren 
Natriums  mit  Natriumhydrat. 

In  technischer  Beziehung  ist  die  letztere  Operation  der  wichtigste  Act,  weil  bei 
zu  starker  Erhitzung;  das  Alizarin  in  Benzoesäure  übergeführt  resp.  zerstört  wird,  und 
bei  zu  schwacher  Erhitzung  das  Alizarin  im  intermediären  Uebergangsstadium  verbleibt, 

indem    Sulfoxyanthrachinon   C14H602J  oq  -er   entsteht. 

Die  Schmelze  wird  in  heissem  Wasser  gelöst,  filtrirt  und  mit  verdünnter 
Schwefelsäure  übersättigt.  Unter  Entwicklung  von  schwefliger  Säure  und  Kohlen- 
säure schlägt  sich  Alizarin  in  bräunlich-gelben  Flocken  nieder;  diese  werden  auf 
einem  Filtrum  gesammelt  und  mit  kaltem  Wasser  gewaschen*). 

Die  Alizarinindustrie  bietet  in  sanitärer  Beziehung  keine  grossen  Be- 
denken dar.  Bedient  man  sich  der  Salpetersäure  als  Oxydationsmittel,  so  hat  man 
für  die  Beseitigung  der  salpetrigsauren  Dämpfe  zu  sorgen;  ausserdem  erzeugen  sich 
keine  nachtheiligen  Gase  und  Dämpfe.  Die  Menge  der  schwefligen  Säure  beim 
Auswaschen  der  Schmelze  richtet  sich  natürlich  nach  dem  Umfange  der  Production:  es 
hängen  daher  auch  die  zu  treffenden  Vorsichtsmassregeln  hiervon  ab,  niemals  dürfen 
sich  aber  diese  Gase  im  Fabrikiocale  ansammeln. 

Die  Waschwässer  sind  sehr  reich  an  schwefelsauren  Chromsalzen,  die 
man  bei  einem  geregelten  Betriebe  zur  Darstellung  des  Chromalauns  oder  zur 
Regeneration  von  Kaliumchromat  benutzen  wird;  ihr  freier  Abfluss  oder  Versickern 
ist  nicht  zu  gestatten.  Ob  die  Wässer,  welche  bei  der  Lösung  der  Schmelze  entstehen  und 
namentlich  Natriumsulfit  enthalten,  zum  Abfluss  gelangen  können,  muss  nach  den  ört- 
lichen Verhältnissen  beurtheilt  werden;  in  kleinern  Wasserläufen,  welche  zu  ökonomischen 
Zwecken  benutzt  werden,  würden  sie  entschieden  nachtheilig  einwirken.  Ebenso  verhält 
es  sich  mit  den  durch  Farbstoffe  verunreinigten  Wässern,  welche  nur  in  grössere  Wasser- 
läufe mit  hinreichender  Strömung  ohne  Nachtheil  abgelassen  werden  dürfen,  widrigenfalls 
sie  einer  Klärung  zu  unterwerfen  sind. 

*)  In  der  Fabrik  zu  Höchst  wird  Anthracen  mit  Kaliumbichromat  und  Salpeter- 
säure gekocht.  Das  entstandene  Anthrachinon  bleibt  in  der  Salpetersäure  gelöst  und 
zwar  als  Mononitroanthrachinon  C14Hr(N02)02.  Durch  Zusatz  von  Wasser  schlägt 
sich  ein  gelbes  Präcipitat  nieder;  dann  folgt  der  Zusatz  der  rauchenden  Schwefelsäure 
und  die  weitere,  oben  erwähnte  Behandlung. 


646  Picolinbasen. 

Stets  ist  es  für  den  Betrieb  einer  solchen  Fabrik  ausserordentlich  nützlich,  wenn 
sie  an  einem  bedeut3nden  Flusse  liegt,  über  hinreichende  Wassermengen  gebieten  kann 
und  in  dem  Ablassen  der  hinreichend  verdünnten  Abfallwässer  nicht  behindert  ist. 

Das  rohe  Ali  zarin  wird  zur  Beseitigung  von  Anthrachinon  mit  Natron- 
lauge und  das  Alizarinnatron  mit  verdünnter  Schwefelsäure  behandelt,  um 
das  Alizarin  wieder  auszuscheiden.  Die  betreffenden  Waschwässer  liefern  daher 
Natri  umsulfat. 

Das  ausgewaschene  Alizarin  wird  noch  in  einem  Pulverisirapparat  feucht  ver- 
theilt,  damit  es  eine  ziemlich  dünne,  gelbe  bis  bräunliche  Paste  darstellt,  welche  nur 
in  Gläsern  oder  dichten  hölzernen  Fässchen  verpackt  werden  darf;  sie  enthält  in  der 
Regel  10  — 15  ?„  trocknes  Alizarin. 

Im  Handel  unterscheidet  man  Alizarin  mit  Gelbstich  für  Rothfärbereien 
und  Druckereien,  und  das  Alizarin  mit  Blaustich  für  violette  und  Lila- 
Farben,  welches  die  Krappblumen  ersetzt. 

Durch  Sublimation  erhält  man  das  trockne  Alizarin,  welches  in  tiefrothen 
oder  orangefarbenen  Nadeln  krystallisirt,  mit  verdünnter  Aetznatronlauge  eine  schöne 
blauviolette  Lösung  liefert  und  mit  Thonerde  und  Eisenoxyd  unlösliche  Ver- 
bindungen eingeht.    Zum  Färben  wird  in  der  Regel  nur  die  Paste  benutzt.1) 

Purpurill  ist  ein  oxydirtes  Alizarin  oder  vielmehr  ein  Anthrachinon,  in 
welchem  3H  durch  3  Hydroxvle  vertreten  sind: 

[HO 

c14h5oJho  =  cuh8o5. 
Iho 

Anthrapnrpni'ill  C14H805  hat  dieselbe  Zusammensetzung  wie  Purpurin  und  ist 
ein  zweites  Isomer  des  eigentlichen  Krapppurpurins  (s.  Krapp  S.  568).  Es  färbt  die 
verschiedenen  Beizen  ebenso  seifenächt  wie  Alizarin.  Bei  seiner  Darstellung  im 
Grossen  löst  man  die  Alizarinpaste  in  verdünntem  Natriumcarbonat  auf  und 
schüttelt  das  Filtrat  mit  Thonerdehy drat .  das  sich  mit  dem  Alizarin  zu  unlöslichem 
Alizarinlack  verbindet,  während  Anthrap  urpurin  gelöst  bleibt  und  durch  mehr- 
fache Präcipitationen  gereinigt  wird.  In  einem  Tiegel  sublimirt  man  es  in  gelbröthlichen 
Blättchen,  die  in  kohlensauren  Alkalien  purpurroth,  in  caustischen  Alkalien  violett 
gelöst  werden*). 


Picolinbasen. 

Mit  Picolinbasen  bezeichnet  man  eine  Reihe  stickstoffhaltiger  Körper,  welche 
wie  Anilin  und  seine  Homologene  zusammengesetzt  sind,  sich  jedoch  wesentlich 
von  ihnen  unterscheiden,  während  sie  in  der  Einwirkung  auf  den  thie- 
rischen  Organismus  wiederum  eine  nahe  Verwandtschaft  vermuthen  lassen. 

Pyridin  C5H5N  ist  das  niedrigste  Glied  mit  5  Kohlenstoffen  in  dieser  Reihe. 

Picolin  C6H7N  hat  dieselbe  Zusammensetzung  wie  Anilin  und  kommt  wie  die 
übrigen  Basen  im  Steinkohlentheer  und  im  Ol.  anim.  üippelii  vor:  es  bildet  sich  bei 
der  trocknen  Destillation  des  Leims,  des  Fleisches,  der  Haare,  des  Horns  u.  s.  w.,  daher 
auch  bei  der  Fabrication  des  Blutlaugensalzes,  ferner  bei  der  Destillation  der  Bi'auu- 
kohle  und  der  Blätterschiefer. 

Picolin  stellt  ein  farbloses  Oel  dar,  welches  bei  133°  siedet  und  wie  Tabaks- 
schmergel riecht,  der  picolinhaltig,  aber  nicht  nikotinhaltig  ist,  wie  häufig  ange- 
nommen wird.1) 


*)  Als  Anhang  zu  den  Farbstoffen  ist  hier  noch  Murexid  C8H8Ne06  zu  erwähnen, 
welches  durch  die  Anilinfarben  verdrängt  worden  ist.  Im  Handel  kommt  es  in  Teigform 
vor,  heisst  auch  Purpurcarmin  und  ist  das  Ammo  niumsalz  der  Purpursäure;  man 

fewinnt  es  aus  der  Harnsäure.    Beim  Färben  wird  meist  eine  Sublimatlösung  zum 
ixiren  der  Farbe  benutzt,  ein  in  sanitärer  Beziehung   zu  beachtender  Umstand. 


Picolinbasen.  647 

Einwirkung  von  Picolin  auf  den  thierischen  Organismus,  l)  Ein  junges 
Kaninchen  sitzt  im  Glaskasten,  in  -welchem  3,8  Grm.  Picolin  verdunsten.  Die  Dämpfe 
erzeugen  selbst  nach  einem  6  stündigen  Aufenthalte  nur  Reizung  der  Nasenschleimhaut 
und  der  Conjunctiva  sowie  starkes  Speicheln. 

2)  5  Grm.  Picolin  werden  in  einem  Körbchen  erhitzt;  die  sich  entwickelnden 
Dämpfe  werden  in  den  Zinkkasten,  in  welchem  eine  starke  Taube  sitzt,  geleitet.  Ab- 
gesehen von  der  Irritation  der  Augen  wird  das  Athmen  nach  6  M.  beschwerlich,  nach 
vielem  Schwanken  fällt  sie  nach  20  M.  hin.  Herausgenommen,  bleibt  sie  in  der  Seiten- 
lage unter  Dyspnoe,  Husten  und  Rhonchus  sibilans.  12  M.  hernach  hört  die  stetig 
abnehmende  Respiration  ganz  auf. 

Section  nach  20  Stunden.  Hirnhäute  blutreich;  Lungen  hell-  und  braunroth 
marmorirt,  auf  den  Durchschnitten  blutiger  Schaum  und  geronnenes  Blut;  die  Luft- 
röhrenschleimhaut hier  und  da  mit  zähem  Schleim  bedeckt.  Die  rechte  Herzhälfte 
strotzt  von  schwarzem,  geronnenem  Blute;  im  linken  Ventrikel  etwas  flüssiges  Blut. 

3)  Nach  einer  subcutanen  Injection  von  30  Tropfen  Picolin  tritt  bei  der  Taube 
des  1.  Versuchs  nach  2  M.  stürmisches  und  unregelmässiges  Athmen  ein;  sie 
sinkt  allmählig  zusammen  nach  26  M.;  dann  folgen  convulsivische  Zuckungen  nach  45  M. 
Unter  stetig  abnehmender  Respiration  stirbt  sie  nach  2  Stunden. 

Bei  der  Section  findet  sich  ein  3  Linien  langes  und  1  Linie  breites  Blutcoagulum 
am  hintern  Rande  der  linken  Hemisphäre  unter  der  Dura  mater.  Sonst  stimmt  der 
Befund  mit  dem  beim  2.  Versuche  überein,  nur  zeigt  sich  noch  Emphysem  der  Lunge 
und  ein  dünnes  Blutextravasat  auf  der  Luftröhrenschleimhaut. 

Zufällige  Vergiftungen  durch  Tabaksschinergel  haben  eine  auffallende  Ueber- 
einstimmung  mit  den  obigen  Thier -Versuchen.  So  beobachtete  Deutsch1)  in 
einem  solchen  Falle  den  Eintritt  von  Würgen,  Schwindel,  Ohnmacht,  Bewusst- 
losigkeit,  convulsivischen  Zuckungen  und  stürmischem  Athmen  mit  Klanglosig- 
keit  der  Stimme,  die  sich  bis  zur  Aphonie  steigerte. 

Wer  sich  den  Dämpfen  von  Picolin  aussetzt,  wird  ebenfalls  bald  Kopf- 
schmerzen, Schwindel,  starkes  Uebelsein  und  beklommenes  Athmen  empfinden. 
Auch  haftet  der  unangenehme  Geruch  lange  allen  wollenen  Kleidungsstücken  oder 
den  Haaren  an  und  unterhält  das  Unwohlsein,  wenn  man  nicht  in  der  Lage  ist, 
die  Kleider  bald  zu  wechseln  und  sich  zu  reinigen. 

Lutidin  C7H9N  ist  isomer  mit  To  luidin  und  ein  beständiger  Begleiter  von  Picolin; 
es  wird  daher  auch  aus  demselben  Rohmaterial,  welches  zur  -Darstellung  von  Picolin  dient, 

fewonnen;    die  Trennung   geschieht  durch  fractionirte  Destillation.     Es  stellt   eine  ölige 
'Lässigkeit  dar,  welche  leichter  als  Wasser  ist  und  bei  154°  siedet:  seine  Einwirkung 
auf  den  thierischen  Organismus  ist  ähnlich  der  des  Picolin. 

Collidin  C8HUN  ist  isomer  mit  Xylidin  und  ebenfalls  ein  steter  Begleiter  von 
Picolin;  es  kommt  auch  im  Tabaksrauche  vor  und  ist  eine  farblose  Flüssigkeit,  die 
zwischen  176 — 180°  siedet. 

Parvolin  CgH13N  ist  isomer  mit  Cumidin  und  kommt  in  Begleitung  obiger 
Basen  vor;  es  siedet  bei  260°,  hat  einen  durchdringenden,  höchst  unangenehmen  Geruch 
und  wird  in  der  Industrie  noch  nicht  benutzt.  Es  wirkt,  wie  alle  Basen  dieser  Art,  bei 
der  subcutanen  Injection  oder  Ingestion  sehr  gefährlich  auf  den  thierischen  Organismus 
ein.  Wird  es  mit  defibrinirtem  Ochsenblut  vermischt,  so  tritt  die  eigentümliche  Er- 
scheinung ein,  dass  fast  alle  Blutkügelchen  schwinden;  nur  einzelne,  eckig  verzogene 
bleiben  zurück.2) 

Chinolin  C9H7N  ist  eine  farblose  Flüssigkeit,  deren  Geruch  an  bittere  Mandeln 
erinnert;    mit  Amyljodür  vermischt  liefert  es  einen  purpurblauen  Farbstoff,  Cyanin. 

Einwirkung  von  Chinolin  auf  den  thierischen  Organismus.  Ein  junges  Kaninchen 
kauert  nach  einer  subcutanen  Injection  von  1  C.-C.  Chinolin  bald  zusammen,  30  M. 
nachher  verlangsamt  sich  die  Herzthätigkeit  und  die  Körperwärme  sinkt;  nach  1  St. 
sind  die  vordem  Extremitäten  gelähmt,  worauf  es  bald  unter  schwachen  Zuckungen  todt 
hinstürzt. 

Section  nach  20  Stunden.  Zwischen  beiden  Hemisphären  nach  hinten  unter 
der  Dura  mater  ein  nadelknopfgrosses  Blutextravasat;  Lungen  hellroth  und  zusammen- 
gefallen; der  rechte  Ventrikel  und  Vorhof  des  Herzens  mit  schwarzem,  geronnenem  Blute 
angefüllt;  das  übrige  Blut  ist  mehr  dünnflüssig  und  hellroth. 

Die  grosse  Aehnlichkeit  in  der  Wirkung  dieser  Base  mit  der  der  ganzen  Picolinreihe 


(54S  Aetherische  Oele. 

geht  hieraus  hervor.  In  der  Technik  strebt  man  darnach,  Chinolin  namentlich  für  die 
Farbendarstellung  zu  verwerthen. 

Ausser  Lepidin  C10H9N  und  Cryptidin  CnHuN,  welche  ebenfalls  im  Steinkoklen- 
theer  vorkommen,  ist  noch  Pyrrol  C,HäN  zu  erwähnen:  es  ist  durch  seine  Reaction  auf 
einen  mit  Salzsäure  befeuchteten  Fichtenspan  bekannt,  der  sich  sofort  purpurroth 
färbt.     Man  kann  aus  ihm  einen  rothen  Farbstoff,  Pyrrolrotll  Ci8HuN8Q,  gewinnen. 

Die  Dämpfe  von  Pyrrol  wirken  stark  reizend  auf  die  Respirationswege  ein 
and  trüben  nach  den  an  Thieren  angestellten  Versuchen  die  Cornea  derselben. 


Kampher. 

Kanipher  C10Hlt;O  wird  durch  Sublimation  der  Blätter  und  Zweige  des 
Kampherbauins  erhalten;  die  rohe,  bräunliche  Masse  wird  in  London  und  Paris 
durch  Sublimation  raffinirt.  Die  bekannte  weisse  Masse  von  brennendem  Ge- 
schmack schmilzt  bei  175°;  durch  wassereutziehende  Mittel  verwandelt  sich  Kampher 
unter  Bildung  von  Toluol,  Xylol  und  Pseudocumol  in  Methylpropylbenzol,  das 
eigentliche  Gymol  C1(jHu. 

Die  Kampherdämpfe  übten  auf  Kaninchen  keinen  bleibenden  Nachtheil  aus;  bei 
der  Ingestion  von  grossen  Kamphergaben  entstehen  beim  Menschen  tonische  und 
klonische  Krämpfe,  Cyanose  und  verminderte  Sensibüität  der  Haut  bei  enger 
Pupille,  sehr  schwachem  und  ungleichem  Pulse.  Die  Restitution  erfolgt  durch  starke 
Seh  weissbildung.1) 


Aetherische  Oele. 

Aetherische  Oele  nennt  man  eiue  Menge  von  in  Pflanzen  vorkommenden 
Stoffen,  welche  die  Zusammensetzung  C10Hlt;  haben.  Unter  ihnen  ist  besonders 
Terpentinöl  Ci0H16  hervorzuheben.  Die  zur  Gattung  Piuus,  Abies,  Larix  u.  s.  w. 
gehörenden  Bäume  liefern  nach  Einschnitten  in  ihre  Rinde  einen  dicken  Saft, 
Terpentin,  ein  Gemisch  von  Harz  und  Terpentinöl.  Letzteres  erhält  mau 
durch  Destillation;  der  Rückstand  (Terebinthina  coeta)  wird  durch 
Schmelzen  entwässert  und  stellt  dann  das  Colophonium  dar*). 

An  der  Luft  verharzt  Terpentinöl  durch  Sauerstoffaufnahme  und  zeigt  dann  alle 
Reactionen  von  Ozon. 

Terpentinöl  wird  nach  den  verschiedenen  Bezugsquellen  als  gemeines  oder 
französisches  (Pinus  silvestris),  als  venetianisches  (Pinus  Larix),  als  ungarisches 
oder  kar  patisches  'Pinus  cembra)  u.  s.  w.  unterschieden.  Das  französische  Ter- 
pentinöl dreht  die  Polarisationsebene  nach  links,  das  englische  nach  rechts. 

Einwirkung  des  französischen  Terpentinöls  auf  den  thierischen  Organismus. 
1)  100  Tropfen  werden  in  einem  Sandbade  erwärmt  und  die  Dämpfe  in  die  Glasglocke, 
in  welcher  ein  kleines  Kaninchen  sitzt,  geleitet.    Sogleich  treten  grosse  Unruhe,  .Messen, 


*)  Durch  Destillation  von  Colophonium  erhält  man  als  erstes  Product  Essig-, 
Ameisen-  und  Buttersäure  und  dann  ein  ätherisches  Oel  (Essenz,  Harzessenz), 
welches  wie  Terpentinöl  verharzt.  Nach  der  abdestillirten  Essenz  gehen  schwere  Oele 
'Retinöle,  Codöle)  über,  welche  mit  feinem  Kalkpulver  versetzt  und  alsWagen- 
schmiere  benutzt  werden.  Im  letzten  Stadium  der  Destillation  sind  sie  mit  Kreosot 
überladen  und  erzeugen  bei  unvorsichtigen  Manipulationen  eine  sehr  starke  Hautreizung. 

Die  durch  Destillation  des  amerikanischen  Harzes,  eines  Gemenges  ausge- 
schmolzener Harze  verschiedener  Pinusarten,  erhaltene  Harzessenz  hat  Vohl  Pinolin 
genannt;  sie  hat  ähnbehe  Eigenschaften  wie  das  Terpentinöl.  Für  Kaninchen  ist  Pinolin 
ein  schwaches  Anaestheticum  ohne  alle  schlimmere  Nebenwirkung. 


Terpentinöl.  649 

und  stossweises  Athmen  ein;  nach  4  M.  Taumeln  und  die  heftigsten  Convulsionen.  Nach 
der  Herausnahme,  1  M.  später,  bleiben  noch  tonisches  und  klonisches  Strecken  der 
Beine,  urregelmässiges  Athmen,  lautes  Jammern  und  starkes  Herzklopfen.  Erst  nach 
24  M.  macht  das  Thier  Gehversuche  (bei  erweiterter  Pupille);  es  dauert  noch  2  Stunden, 
bis  es  sich  freier  bewegt.  Am  2.  Tage  ist  die  Respiration  noch  beschleunigt,  am  3.  Tage 
Restitution. 

2)  Ein  starkes  Kaninchen  sitzt  im  grossen  Glaskasten,  in  welchem  200  Tropfen 
Terpentinöl  in  warmem  Sande  verdunsten;  sogleich  starker  Husten,  grosse  Unruhe, 
Thränen  der  Augen  und  baldiges  Zusammensinken.  Nach  5  M.  Zusatz  von  100  Tropfen; 
mehrmaliges  Hinfallen  und  Wiederaufstehen.  Nach  13  M.  Zusatz  von  100  Tropfen;  dann 
heftige  Convulsionen  mit  hervorstehenden  Augen,  die  mit  rotirenden  Bewegungen  der 
Vorderbeine  abwechseln  und  mit  Schreien  verbunden  sind.  Nach  16  Min.  Heraus- 
nahme des  Thieres,  das  wieder  in  klonische  und  tonische  Krämpfe  verfällt  und  2  M. 
hernach  stirbt. 

Bei  der  Section  zeigten  sich  eine  starke  Hyperämie  der  Hirnhäute,  ein 
erbsengrosses  Extravasat  von  geronnenem  Blute  auf  der  Oberfläche  des  rechten  Hirn- 
lappens, blutige  Infiltration  des  linken  untern  Lungenlappens,  eine  starke  Anfüllung  des 
Herzens  mit  geronnenem  und  flüssigem  Blute  und  eine  auffallende  Hyperämie  der 
Nieren-Rinde. 

Die  "Wirkung  des  Terpentinöls  erklärt  sich  aus  seiner  chemischen  Beschaffen- 
heit; als  Kohlenwasserstoff  entfaltet  es  die  vielen  Kohlenwasserstoffen  eigenthüni- 
liche  "Wirkung  auf  die  Nervencentren;  beim  französischen  Terpentinöl  ist  dies 
in  erhöhtem  Grade  der  Fall,  da  seine  Dämpfe  ähnlich  wie  die  des  rohen 
Petroleums  die  heftigsten  Convulsionen  erzeugen.  Ausserdem  reizen  die  Dämpfe 
die  Respirations-  und  die  uropoetischen  Organe  und  zwar  in  ähnlicher  Weise,  wie 
dies  bei  der  Ingestion  des  Terpentinöls  geschieht.1) 

Empfindliche  Constitutionen,  namentlich  Frauen,  werden  schon  durch  den 
Geruch  afficirt,  bekommen  dadurch  Kopfschmerzen,  Schwindel,  Uebelkeit  und 
sogar  Ohnmachtszufälle*). 

Bei  der  vielfachen  Anwendung  von  Terpentinöl  hat  man  auf  die  Wirkung 
seiner  Dämpfe  wohl  zu  achten;  gebraucht  man  es  als  Präservativ  in  Zündholz- 
fabriken, so  sollte  man  jedenfalls  das  französische  Oel  vermeiden  (s.  Phosphor). 

Verwendung  findet  das  Terpentinöl  als  Zusatz  zu  Firnissen  und  zum  Anrühren 
vieler  Farbstoffe,  z.B.  in  der  Porcellanmalerei.  Venetianisches  Terpentin  ist  ein 
wesentlicher  Bestandtheil  des  Siegellacks,  der  ausserdem  noch  aus  Schellack, 
Colophonium,  Kreide  und  den  färbenden  Bestandtheilen  besteht. 

In  sanitärer  Beziehung  ist  hauptsächlich  auf  die  Beschaffenheit  der  färben- 
den Be  standtheile  des  Siegellacks  zu  achten.  Leicht  reducirbare  oxydhaltige 
Metalle,  wie  Mennige,  Bleiglätte  u.  s.  w.,  erzeugen  ein  missfarbiges  Product,  daher  hat 
sich  der  beständigere  Zinnober  eingebürgert,  obgleich  sich  beim  Verbrennen  Queck- 
silberdämpfe und  schweflige  Säure  entwickeln.  Chromsaure  Salze  (chrom- 
saures Blei  zum  Rothfärben,  chromsaures  Zink  zum  Gelbfärben,  borsaures  Chrom 
zum  Grün  färben)  sind  weniger  schädlich,  weil  sie  ihren  Sauerstoff  für  die  Verbrennung 
hergeben  und  dadurch  selbst  vor  Verbrennung  geschützt  werden. 

Wie  Zinnober  ist  auch  Schwefelarsen  und  Schweinfurter  Grün  zu  ver- 
meiden. Die  geringern  Sorten  sind  unbedenklich,  weil  Colcothar  zu  Braun  und  Roth, 
Ocker  zu  Gelb,  Grünerde  zu  Grün  genommen  werden.2) 

Die  Toilettensiegellacke  bestehen  aus  Benzoeharz,  Schellack  und Styrax 
unter  Zusatz  von  Terpentinöl.  Bei  der  Anfertigung  entstehen  sehr  viele  Dämpfe  von 
Benzoesäure  und  Terpentinöl,  die  zum  Schutze  der  Arbeiter  abgeleitet  werden  müssen. 

Beim  Lagern  des  Terpentins  wird  im  Allgemeinen  zu  wenig  Vorsicht  gebraucht. 
Das  Lagern  in  Fässern  sollte  verboten  werden ;  am  besten  würden  sich  Reservoirs  von 
Schwarzblech  hierzu  eignen,  welche  in  überwölbten  Räumen  aufgestellt,  überirdisch 
mittels  Trichter  und  eiserner  Röhren  anzufüllen  sind.  Auch  das  Füllen  kleinerer  Ge- 
binde aus  dem  Reservoir  muss  durch  überirdisch  aufgestellte  Pumpen  geschehen. 

Fichtenöl,  Kienöl  kommt  in  den  Fichtennadeln  vor  und  wird  durch  Destillation 
derselben  mit  Wasser  dargestellt.     Eine  dünnflüssige,  gelblich-grüne  Flüssigkeit,  deren 

*)  Bekannt  ist  es,  dass  der  starke  Duft  wohlriechender  Blumen  oft  ähnliche  Zufälle 
hervorruft. 


650 


Kautschuk. 


Geruch  an  Lavendelöl  erinnert  und  welche  schwach  sauer  reagirt;  die  saure  Reaction 
.in  Ameisensäure  herrühren  Sein  Siedepunct  ist  ungefähr  dem  des  Terpen- 
tinöls gleich;  sein  Hauptbestandteil  ist  ein  dem  Terpentinöl  homologer  Kohlenwasser- 
stoff. l>i<"  Dämpfe  dieses  Geis  wirken  hauptsächlich  reizend  anfalle  Schleimhäute 
ein,  namentlich  auf  die  der  Respirationswege. 

Olenm  Cadini,  Cade-Oel,  01  empyreumat.  Jnniperi  wird  durch  Schwelen  des 
Holzes  von  Juniperus-Arten,  namentlich  von  Juniperus  phoenicea,  erhalten.  Es  enthalt 
ebenfalls  einen  dem  Terpentinöl  homologen  Kohlenwasserstoff  und  könnte  man  es  des- 
halb brenzliches  Terpentinöl  nennen. 

Die  Dämpfe  von  3.75  Grm.  des  Oels  versetzten  ein  mittelgrosses  Kaninchen,  das 
in  der  Glasglocke  sass,  nach  36  M.  in  eine  unvollständige  Anästhesie,  nachdem  Husten, 
Thränen  der  Augen,  starkes  Reiben  über  die  Nase  und  Taumel  vorhergegangen  waren: 
erst  nach  25  M.  macht  es  unter  starkem  Sehwanken  Gehversuche. 

Von  ähnlicher  Zusammensetzung  wie  das  Terpentinöl  sind  noch  Citronenöl, 
B e r g am o tt öl ,  Pomeranzenöl,  Copaivaöl,  R o s m ar in 6 1,  C u b e b e n ö  1 ,  Bern- 
steinöl,  Lavendelöl  und  Wachholderbeeröl. 

Die  Dämpfe  von  Zimmetöl,  Kümmelöl,  Anisöl,  Tanacetöl,  Gewürz- 
nelkenöl u.s.w.  erzeugten  nur  Husten.  Reizung  der  Sehleimhaut  der  Nase  und  der 
Augen,  aber  keine  charakteristischen  Erscheinungen. 

Darstellung  der  ätherischen  Oele.  Sie  geschieht  1)  durch  Auspressen, 
wenn  die  Pflanzentheile  das  Oel  reichlich  enthalten,  wie  dies  z.  B.  bei  den 
Citronen-,  Pomeranzen-  und  Apfelsinenschalen  der  Fall  ist;  2)  durch  Digestion 
der  frischen  Blüthen  mit  fetten  Oelen  oder  Fetten,  z.  B.  bei  Jasminen,  Veilchen, 
Hyacintheu;  dies  Verfahren  übt  man  namentlich  im  südlichen  Frankreich  aus; 
3)  durch  Destillation  der  Samen,  der  ein  einfaches  Knirschen  vorhergeht, 
wenn  die  Oele  schon  fertig  gebildet  im  Samen  sind. 

Andere  Samen,  z.  B.  Senfsamen,  bittere  Mandeln,  Kirschkerne  u.  s.  w., 
bedürfen  einer  Digestion  mit  lauem  Wasser,  weil  sich  erst  bei  Gegenwart  von  Wasser 
durch  Einwirkung  einer  stickstoffhaltigen  Substanz  auf  einen  stickstofffreien  resp. 
schwefelhaltigen  Körper  das  Oel  bildet.  So  entsteht  das  bittere  Mandelöl  erst  durch 
die  Einwirkung  von  Emulsiu  auf  Amygdalin. 

Die  Destillation  geschieht  im  Allgemeinen  mittels  Wasserdampfes ;  weil  vor 
dem  Beginn  der  eigentlichen  Destillation  die  Wasserdämpfe  mit  deu  Gasen  und  Dämpfen 
der  ätherischen  Substanzen  vermengt  aus  der  Kühlschlangenmündung  heraustreten,  so 
ist  die  Aufstellung  eines  Gassammeikastens  durchaus  nothwendig,  namentlich  wenn 
es  sich  um  blausäure-  oder  schwefelhaltige  (Senf,  Löffelkraut,  Meerrettig)  Dämpfe 
handelt.  Die  Wasserdämpfe  gehen  durch  ein  Sieb,  auf  dem  das  Material  liegt,  in  ein 
höher  gelegenes  kupfernes,  inwendig  verzinntes  Gefäss,  das  mit  der  Kühlschlange  ver- 
bunden ist"  Der  S.  -455  abgebildete  Apparat  eignet  sich  mit  Weglassung  des  Kesselchens 
sehr  gut  hierzu. 

Die  abdestillirteu  Pflanzen-  oder  Samenrückstände  müssen  mit  Kalk  bestreut 
werden,  weil  sie  sehr  schnell  in  Fäulniss  übergehen:  nur  Wermuth  und  Schafgarbe 
machen  hiervon  eine  Ausnahme. 


Kautschuk. 


Kautschuk  ist  in  dem  Milchsaft  vieler  Pflanzen  (Siphouia  elastica  und 
brasil. ,  Ficus  iudica  u.  s.  w.)  enthalten,  mit  den  Harzen  verwandt  und  stellt 
einen  Kohlenwasserstoff  dar,  für  den  man  die  Formel  CSH7  angenommen  hat. 
Bei  180 — 200°  beginnt  Kautschuk  zu  schmelzen;  bei  der  trocknen  Destillation  liefert 
er  theerartige  Producte,  aus  denen  man  brennbare  Gase  und  solche  von  der  Zu- 
sammensetzung des  Terpentinöls  (Eupion,  Kautscheen,  Butyleu)  durch  fractionirte 
Destillatiou  darstellen  kann.     Es  gibt  sehr  verschiedene  Kautsch uksorteu. 


Kautschukfabrication.  ß5] 

Kautschukfabrication.  Zunächst  muss  der  rohe  Kautschuk  einer  Reiniguno- 
unterworfen  werden,  die  häufig  durch  Einweichen  in  warmem  Wasser  geschieht  und 
dann  für  die  Anwohner  höchst  belästigend  ist,  da  sich  hierbei  ein  widerlicher  Geruch 
verbreitet.  Em  Zusatz  von  Chlorkalk  vermag  ohne  Schädigung  des  Kautschuks 
am  ehesten  die  Belästigung  zu  vermindern.  Beim  amerikanischen  Kautschuk  kocht  man 
den  Kautschuk  in  Waschfässern  durch  Wasserdampf  und  zerschneidet  ihn  <deichzeitio- 
mittels  eines  herumlaufenden  Kreismessers.  Der  ostindische  Kautschuk- wird  aufWTalz^ 
werken  oder  in  Holländern  gereinigt. 

Behufs  Wiedervereinigung  des  gewaschenen  Kautschuks  gebraucht  man 
eine  Art  von  Wolf,  der  aber  immer  mehr  von  den  Walzwerken  verdrängt  wird. 

Das  Vulcanisiren  oder  Incorporiren  des  Kautschuks  mit  Schwefel  verleiht 
demselben  die  Fähigkeit,  auch  bei  grosser  Kälte  elastisch  zu  bleiben.1) 

Man  vulcanisirt  nach  verschiedenen  Methoden.  Nur  für  bestimmte  Waaren  (Ballons) 
taucht  man  noch  den  Kautschuk  in  Blattform  in  eine  kalte  Mischung  von  Schwefel- 
kohlenstoff und  Chlor schwefel;  nach  dem  Herausnehmen  folgt  eine  rasche  Trock- 
nung in  einem  trocknen  Luftstrom.  Diese  Procedur  muss  in  luftigen,  frei  stehenden 
Schuppen  ausgeführt  werden ;  sie  afficirt  aber  oft  die  Arbeiterinnen,  die  man  häufig  für 
diese  Beschäftigung  bestimmt.  Glücklicherweise  geschieht  die  Arbeit  nur  zeitweilig,  sollte 
aber  nei  mit  den  Händen,  sondern  mit  Hülfe  zweckmässiger  Handhaben  geschehen,  um 
den  entweichenden  Dämpfen  so  wenig  als  möglich  nahe  zu  treten  (s.  S.  366). 

Nach  Gerard  wird  Kautschuk  mehrere  Stunden  lang  unter  ca.  4  Atmosphären- 
druck in  eine  auf  140°  C.  erwärmte  Lösung  von  Fünffach-Schwefelkalium  gelegt; 
Auswaschen  in  Wasser  und  Trocknen  beschliesst  diese  jetzt  häufig  angewandte  Methode.2) 

Seitdem  man  aber,  namentlich  für  geringere  Sorten,  statt  Schwefel  Kermes, 
Zinkweiss  und  Schwefel,  Schwefel  und  Pfeifenthon,  Schwefelblei  und 
unterschwefligsaures  Blei  u.  s.  w.  nimmt,  um  gleichzeitig  die  Masse  zu  erschweren, 
benutzt  man  statt  der  frühern  Knetmaschine  mehr  Walzen,  die  bisweilen  auch  durch 
hineingeleiteten  Dampf  erwärmt  werden.  Die  hier  stattfindende  Staubbildung  macht 
die  Arbeit  zu  einer  der  ungesundesten  Beschäftigungen,  denn  die  Arbeiter  sind  dabei 
beständig  in  Staub  gehüllt,  wenn  sie  die  zu  incorporirenden  Körper  aufstreuen.  Je 
nach  der  Beschaffenheit  derselben  ist  dann  auch  der  Staub  mehr  oder  minder  gefähr- 
lich; wenn  irgendwo,  so  sind  bei  diesem  Acte  Schutzmassregeln  nothwendig.  Wenn 
Exhaustoren  nicht  anzubringen  sind,  dann  müssen  die  Arbeiter  Mund  und  Nase  durch 
vorgebundene  Tücher  oder  feuchte  Schleier  schützen;  letztere  sind  vorzuziehen,  weil  in 
den  Arbeitsräumen  ein  ziemlich  hoher  Wärmegrad  herrscht. 

Das  Entschwefeln  des  vulcanisirten  Kautschuks  geschieht,  um  den 
überschüssigen  Schwefel  zu  entfernen,  weil  der  vulcanisirte  Kautschuk  an  der 
Luft  häufig  in  Folge  eines  Oxydationsprocesses  brüchig  wird. 

Man  nennt  diese  Operation  auch  Beizen  und  bewirkt  sie  durch  Kochen  der 
meist  fertigen  Kautschukwaaren  in  Kali-  oder  Natronlauge;  es  bildet  sich  Sehwefel- 
leber,  die  zu  massenhafter  Entwicklung  von  Schwefelwasserstoffgas  Anlass  geben 
kann.  In  einem  concreten  Falle  war  an  einem  der  Fabrik  gegenüber  gelegenen  Hause 
der  Bleiweiss-Anstrieh  geschwärzt  und  die  Rinder  litten  beständig  an  Husten  und  Augen- 
entzündungen, Erwachsene  wurden  von  Uebelkeit,  Erbrechen  und  Kopfschmerzen  be- 
fallen, Krankheitszustände,  die  factisch  mit  dem  Auftreten  des  Schwefelwasserstoffs  in 
ursachlichem  Zusammenhange  standen. 

Mit  Bleioxyd  versetztes  Kautschuk  kocht  man  in  einer  solchen  alkalischen  Lauge, 
um  es  durch  Bildung  von  Schwefelblei  schwarz  zu  färben. 

Unter  hornisirtem  oder  gehärtetem  Kautschuk  versteht  man  sehr  stark 
vulcanisirten  und  noch  mit  Kreide,  Schwerspath,  Gips  u.  s.  w.  erschwerten  Kautschuk, 
der  einer  Hitze  von  135°  ausgesetzt  wird.  Der  Kautschuk  wird  vorher  in  Wasser  von 
45 — 50°  C.  eingeweicht,  in  einem  Holländer  zerrissen  und  dann  zwischen  Walzen  mit 
den  Incorporationsmitteln  wieder  vereinigt. 

Das  gebräuchlichste  Auflösungsmittel  für  Kautschuk  ist  jetzt  Petroleum- 
benzin; nur  zur  Darstellung  des  Kautschukfirnisses  benutzt  man  Benzol 
allein  oder  mit  einem  Zusatz  von  Terpentinöl. 

Der  durch  die  Lösungsmittel  erweichte  Kautschuk  wird  zwischen  kleinen  Walzen 
bearbeitet;  diese  bewegen  sich  in  Trögen,  die  sich  über  einem  eisernen,  durch  Wasser- 
dämpfe erhitzten  Kasten  befinden.  Dieser  dick-  oder  dünnflüssige  Firniss  wird  besonders 
zur  Herstellung  wasserdichter  Gewebe  benutzt.  Man  muss  über  dem  ganzen  Apparat 
einen  Bleehtrichter  zum  Absaugen   der  Dämpfe  anbringen;    am  besten  würde   derselbe 


ß52  Gutta-Percha. 

mit  einem  Exhaustor  zu  verbinden  sein:  jedenfalls  ist  die  Ableitung  der  Dämpfe  in 
den  Schornstein  erforderlich,  da  sonst  die  Arbeiter  unter  der  Einwirkung  der  Dämpfe 
ernstlich  an  ihrer  Gesundheit  geschädigt  werden.3) 

Die  Fabrication  von  Röhren,  Schläuchen,  Bällen.  Puppen,  Fäden, 
elastischen  Geweben,  Gummischuhen  u.  s.  w.  sind  mechanische  Manipulationen. 
Wichtiger  ist  noch  das  Auftragen  des  Kautschukfirnisses  auf  Gewebe,  das 
zwar  auch  mittels  Walzen  bewerkstelligt  wird,  aber  stets  mit  der  Entwicklung  der 
Dämpfe  von  Benzol  resp.  Terpentinöl  verbunden  ist:  es  muss  daher  diese  Arbeit  in  sehr 
gut  gelüfteten  Räumen  vorgenommen  werden.  Guibal  und  Cuminge  haben  einen  Apparat 
construirt.  mittels  dessen  das  Benzol  resp.  Terpentinöl  einerseits  rasch  verdampft,  andrer- 
seits mittels  einer  Condensationsvorriehtung  wieder  gewonnen  wird.  Die  mit  Kautschuk- 
masse bestrichenen  Zeugstreifen  liegen  auf  einem  durch  Wasserdämpfe  erhitzten  Blech- 
kasten :  über  der  Stelle,  an  der  die  Verflüchtigung  der  ätherischen  Oele  stattfindet,  sind 
dachförmig  construirte  Blechüächen  angebracht,  die  von  aussen  durch  eine  Regenbrause 
gekühlt  werden.  An  der  kalten  Innenfläche  des  Daches  condensiren  sich  die  Dämpfe 
und  sammeln  sich  in  einem  gemeinschaftlichen  Behälter.4) 

Dieses  Ziel,  die  ätherischen  Dämpfe  wieder  zu  gewinnen,  hat  man  zwar  schon 
früher  aus  pecuniärem  Interesse  verfolgt,  aber  noch  nicht  vollständig  erreicht ;  die  Sorge 
für  das  Wohl  der  Arbeiter  sollte  eine  desto  stärkere  Triebfeder  sein,  um  weitere  "Ver- 
suche in  dieser  Richtung  zu  machen.  Wichtig  ist  in  dieser  Beziehung  die  Thatsache, 
dass,  wenn  man  die  mit  den  ätherischen  Dämpfen  geschwängerte  Luft  gleichzeitig  mit 
Wasserdampf  von  100°  C.  durch  lange  Kühlschlangen  leitet,  das  Lösungsmittel  mit  dem 

r  abgeschieden  resp.  condensirt  wird.  Man  könnte  für  diesen  Fall  durch 
Exhaustoren  die  ätherischen  Dämpfe  aus  dem  Arbeitsraume  in  einen  Behälter  absaugen, 
in  welchen  man  einen  Dampfstrahl  in  der  Weise  einleitet,  dass  dieser  den  ätherischen 
Luftstrom  kreuzt  und  dadurch  eine  innigere  Mischung  der  Dämpfe  untereinander 
bewirkt;  dies  Gemisch  würde  dann  in  einer  langen  Kühlschlange  condensirt,  aus 
welcher  die  condensirte  Flüssigkeit  in  ein  Gefäss  abfliesst,  in  welchem  sie  mittels  eines 
Hebers  abgeschieden  wird. 

Beider  Bearbeitung  der  einzelnen  Gegenstände,  welche  noch  mit  den 
ätherischen  Flüssigkeiten  mehr  oder  weniger  durchtränkt  sind,  kann  man  den  Arbeits- 
tisch mit  einer  Glasdecke  versehen,  die  vorn  zum  Durchführen  der  Hände  der  Arbeiter 
offen  ist  und  sich  hinten  an  einen  Schornstein  anlehnt,  der  gleich  unterhalb  der  Glas- 
decke eine  Oeffnung  zum  Abzug  der  Dämpfe  hat  (s.  S.  269). 

Ausser  der  Vermeidung  der  Staubbildung  bleibt  die  Ableitung  oder  (Kon- 
densation der  ätherischen  Dämpfe  in  sanitärer  Beziehung  die  wichtigste  Auf- 
gabe in  den  Kautschukfabriken.5) 

Anfertigung  künstlicher  Schleifsteine.  Quarzsand,  gepulverter  Feuerstein  und 
andere  harte  Substanzen  werden  zunächst  für  sich  pulverisirt,  wobei  auf  die  schädliche 
Staubbildung  aufmerksam  zu  machen  ist.  Der  vulcanisirte  Kautschuk  wird  vorher 
durch  Theer  oder  Theeröle  in  der  Hitze  aufgelöst  und  dann  diesen  Substanzen  zu- 
gemischt; man  erhitzt  die  Masse  in  einem  mit  einem  Eisenblechhelm  versehenen  Schmelz- 
kessel bis  auf  220  —  230°  C. :  hierauf  folgt  das  Formen  in  Scheiben  mittels  Walzen,  über 
die  sich  ein  eisenblecherner  Mantel  wölbt,  um  auch  hier  wie  beim  Schmelzen  die  sich 
entwickelnden  Dämpfe  abzuleiten.  Die  Scheiben  werden  in  Cylindern  mit  doppelter 
Wandung  Wasserdämpfen  von  153°  ausgesetzt,  d.  h.  gebrannt.  Ausser  den  Dämpfen 
der  Theeröle  entwickelt  sich  hier  auch  Schwefelwasserstoff;  man  darf  sie  wie  beim 
Schmelzen  nur  unter  den  geeigneten  Vorsichtsmassregeln  in  die  Feuerung  leiten;  ihre 
Ableitung  in  die  Esse  kann  feuergefährlich  werden.  Unter  Umständen  würde  auch  die 
Condensation  der  Dämpfe  behufs  Gewinnen  der  Theeröle  sich  lohnen. 


Gutta-Percha. 

Gutta-Percha  ist  der  Milchsaft  eines  Baumes  aus  der  Familie  der  Sapo- 
taceen  (Isonandra  Gutta)  und  besteht  nach  Payen  aus  Gutta,  Albane  und 
Fluavile.  Gutta  ist  der  Hauptbestandteil,  während  Gutta-Percha  als  ein  Gemisch 
dieser  3  Stoffe  zu  betrachten  ist. 


Proteinkörper.  653 

Behufs  Reinigung  der  rohen  Gutta -Percha  wird  sie  zuerst  durch  Maschinen 
zerrissen  und  dann  mit  Wasserdämpfen  und  siedendem  Wasser  behandelt,  worauf  die 
Auswalzung  in  Bänder,  Riemen  u.  s.  w.  folgt.  Man  vulcanisirt  sie  häufiger  mit  unter - 
schwefligsaurem  Blei  oder  Zink  als  mit  Schwefel  und  verarbeitet  sie  wie  Kautschuk  zu 
den  verschiedensten  Gegenständen.  Ihre  wichtigste  Anwendung  findet  sie,  wegen  Nicht- 
leitung  der  Elektricität,  für  Isolirung  der  Telegraphendrähte. 


Proteinkörper. 

Die  Protei iikör per  enthalten  ausser  dem  Kohlenstoff,  Wasserstoff  und 
Sauerstoff  noch  Stickstoff  und  Schwefel;  wegen  ihres  Gehaltes  an  Ei  weiss 
charakterisiren  sie  sich  durch  leichte  Zersetzbarkeit  im  feuchten  Zustande,  wobei 
sich  sehr  viele  Zersetzungsproducte  entwickeln,  welche  grösstentheils  schon  bei 
vielen  Vorgängen  dieser  Art,  z.  B.  bei  der  Fäulniss  der  thierischen  Abfälle  u.  s.  w., 
zur  Sprache  gekommen  sind.  Wir  betrachten  sie  hier  nur  in  ihrer  Beziehung 
zur  Industrie,  namentlich  zur  Färberei. 

Die  wichtigsten  Vertreter  der  Protein-  oder  Eiweisskörper  sind  Albumin, 
Casein  und  Fibrin.  Sie  werden  durch  Ger-b  säure  in  Lösungen  gefällt,  während 
concentrirte  Essigsäure,  Alkalien,  Alkohol  und  eine  Wärme  von  60 — 70°  sie  in  eine 
unlösliche  Modifikation  überführen. 

Die  Beziehungen  der  Eiweisskörper  zu  einem  wichtigen  Theile  der  Industrie, 
zur  Färberei,  beruhen  auf  der  Thatsache,  dass  stickstoffhaltige  Substanzen  leichter  zu 
färben  sind  als  stickstofffreie.  So  färbt  sich  Seide  und  Wolle  leichter,  als  Baumwolle 
und  Leinen. 

Man  fand  im  Casein  und  Albumin  Stoffe,  welche  ohne  Zersetzung  in  Lösung 
gebracht  und  aus  dieser  Lösung  durch  irgend  eine  Säure  wieder  unverändert  präcipitirt 
werden  können. 

Dieses  Imprägniren  der  Stoffe  mit  Albumin  und  Casein  heisst  das  Animalisiren 
derselben;  dadurch  entstand  nun  auch  die  fabrikmässige  Darstellung  von  Albumin  und 
Casein  und  namentlich  in  Frankreich  und  England  wurde  dieser  Industriezweig  in 
grosser  Ausdehnung  betrieben. 

Darstellung  von  Albumin.  Statt  des  kostspieligen  Hühnereiweisses  musste 
das  Blut  der  Säugethiere  für  die  meisten  Fälle  eine  Quelle  des  Albumins 
werden;  ursprünglich  wurde  das  Blutfibrin  während  der  Fäulniss  in  Albumin 
übergeführt,  weil  man  die  Fäulniss  des  Blutes  als  ein  die  Albuminbildung  be- 
förderndes Mittel  ansah;  man  manipulirte  daher  vielfach  mit  faulem  Blute,  wodurch 
die  ganze  Fabrication  in  üblen  Ruf  gekommen  ist;  natürlich  erzeugten  die  Zer- 
setzungsproducte einen  widerlichen  Geruch. 

Gegenwärtig  sind  die  Albuminfabriken  meistens  mit  den  öffentlichen  Schlacht- 
häusern verbunden  und  beziehen  das  Blut  direct  aus  denselben,  um  es  sofort  in  zinkenen 
Schalen  aufzufangen  und  der  Filtration  zu  unterwerfen.  Früher  setzte  man  etwas  Alaun 
oder  Glaubersalz  hinzu;  gegenwärtig  schüttet  man  das  Blut  in  einen  runden  Behälter 
mit  Siebboden,  durch  welchen  zunächst  blutiges  Serum  in  die  untere,  etwas  trichter- 
förmig gestaltete  Abtheilung  gelangt;  diese  hat  in  der  Mitte  ein  schiebbares  Röhrchen 
mitKautschukverschluss ,  das  an  der  obern  Spitze  durchlöchert  ist  und  nachdem  Grade 
der  Klärung   immer  tiefer   geschoben   wird,    bis   es   in  das  Niveau  des  blutigen  Serums 

fekommen  ist.  Das  erhaltene  Serum  wird  abgedampft;  geschieht  dies  sofort  nach  der 
iltration,  so  ist  die  ganze  Procedur  ohne  Belästigung:  diese  tritt  erst  ein,  wenn  es  sich 
um  älteres  Serum  handelt ,  das  beim  Abdampfen  dann  die  verschiedenen  Fäulnissgase 
fahren  lässt. 

Natur-Albumin  ist  mit  Terpentinöl  gepeitscht  worden,  wobei  das  entstehende 
Ozon  bleichend,  conservirend  und  klärend  einwirkt.  Nach  ruhigem  Stehenlassen  scheidet 
sich  das  mit  einem  schmierigen  Fett  vermischte  Terpentinöl  ab. 

Patent-Albumin  ist  vor  der  Behandlung  mit  Terpentinöl  noch  mit  den  ent- 
sprechenden Mengen  von  englischer  Schwefelsäure  und  concentrirter  Essigsäure  ver- 
mischt worden.1) 


654  Casein. 

Die  Blutrückstände  müssen  bis  zu  einem  gewissen  Grade  soiort  eingetrocknet 
werden;  man  benutzt  sie  in  der  Blutlaugensalzindustrie  und  zur  Darstellung  der 
Thierkohle,  oder  trocknet  sie  unter  geeigneten  Zusätzen  an  der  Luft,  um  sie  bei  der 
Poudrette-Fabrication  zu  verwerthen. 

Oeffentliche  Schlachthäuser  sind  in  grössern  Städten  nicht  zu  ent- 
hehren, um  die  mit  der  Verwerthung  der  Abfälle  (Albumindarstellung,  Talg- 
schmelzen, Knochensieden  u.  s.  w.)  verbundene  Industrie  hier  zu  conccntriren  und 
ganz  besonders  die  Durchführung  einer  Fleischbeschau  zu  ermöglichen.2) 

Das  Gesetz  vom  18.  März  1868  gestattet  den  Schlächtern,  wenn  die  zum  Schlacht- 
betriebe  dienenden  Gebäude  ihrer  Bestimmung  entzogen  werden,  einen  Schadenersatz 
hierfür;  aus  unbegründeter  Furcht  vor  diesen  Kosten  zögern  noch  viele  Städte  mit  der 
Fertigstellung  dieser  durch  die  öffentliche  Gesundheitspflege  gebotenen  Anstalten.  Be- 
rücksichtigt man  die  vielen  sanitätspolizeilichen  Einrichtungen,  die  mit  öffentlichen 
Schlachthäusern  verbunden  werden  können ,  so  liegt  ihre  grosse  Bedeutung  klar  vor 
Augen.  So  kann  ein  Viehhof  zur  Aufnahme  des  Viehes  behufs  thierärztlicher  Unter- 
suchung dienen,  während  Stallungen  die  Trennung  des  kranken  und  gesunden  Viehs 
bewirken. 

Für  Grossvieh  sind  grosse  Schlachtkammern  erforderlich,  während  zum 
Schlachten  von  Hammeln  und  Kälbern  mehrere  gruppenweise  aneinander  gereihte  und 
durch  bedeckte  Gänge  von  einander  getrennte,  kleinere  Schlachtkammern  herzustellen  sind. 
Ein  asphaltirter,  etwas  abschüssiger  Boden  nebst  reichlichster  Bespülung  erleichtert  den 
Abfluss  der  unreinen  Flüssigkeiten:  am  besten  ist  deshalb  die  Lage  an  einem  grossen 
Flusse  oder  in  der  Nähe  von  Schwemmcanälen.  Feste,  unverwerthbare  Abfälle  gelangen 
in  cementirte  Gruben  und  werden  sofort  mit  Desinfectionsmitteln  behandelt*). 

Für  die  Aufbewahrung  des  Fleisches  ist  eine  tunnelartige  Construction  eines 
Eiskellers  am  zweckniässigsten,  um  auf  Eisenbahnschienen  das  Fleisch,  in  Waggons 
aufgehängt,  auf  der  einen  Seite  ein-  und  auf  der  andern  Seite  herauszufahren;  eiserne 
Thüren  verschliessen  den  Aus-  und  Eingang. 

Das  Local  für  die  Kaidaunenwäsche  kann  mit  dem  für  die  Albumin- 
bereitung in  Verbindung  stehen. 

Schweineschlächtereien  sind  von  den  übrigen  Schlachträumen  zu  trennen 
und  erfordern  besondere  Einrichtungen  zum  Vorräthighalten  von  warmem  Wasser:  ge- 
trennte Räume  für  die  mikroskopische  Untersuchung  sind  ebenfalls  erforderlich.  Für 
Pferdeschlächtereien  sind  besondere  Polizei-Verordnungen  nöthig.3) 

Darstellung  von  Casein.  Der  Käsestofi  der  geronnenen  Milch  wird  von  der 
Molke  getrennt,  gepresst,  mit  einer  verdünnten  Lösung  von  Natriumcarbonat  auf- 
gelöst und  dann  wieder  mit  Salzsäure  niedergeschlagen,  bis  alles  Fett  aus- 
geschieden ist. 

Nach  der  Pressung  und  mehrmaligem  Auswaschen  mit  Wasser  folgt  zuletzt  das 
Trocknen  in  Trockenstuben. 

Die  Abfallwässer  gehen  wegen  ihres  Gehaltes  an  Casein  leicht  in  Fäulniss 
über:  sie  müssen  daher  stets  mit  Kalk  versetzt  werden. 

Käsebereitung.  Bei  der  Käsebereitung  im  Grossen  sind  besonders  die  Ab- 
presswässer, welche  beim  sogen.  Garmachen  der  Käse  durch  das  Salzen 
entsteheu,  zu  berücksichtigen,  da  sie  wegen  ihres  Gehaltes  an  Fettsäuren  sehr 
übel  riechen;  sie  sind  daher  bald  mit  Kalk  zu  versetzen. 

In  den  Lagerkellern  muss  für  eine  ausreichende  Ventilation  gesorgt  werden: 
sie  dürfen  nicht  in  dej  Nähe  von  Wohnräumen  angelegt  werden,  da  sich  neben  Schwefel- 
wasserstoff resp.  Schwefelammonium  die  flüchtigen  Fettsäuren  entwickeln  und  einen  wider- 
lichen Geruch  verbreiten,  wie  er  sich  in  allen  Käselagern  vorfindet. 

Der  grüne  Kräuterkäse  ist  häutig  mit  Kupfer  gefärbt.  Sehr  wichtig  sind  die 
Enveloppen  dos  Käses,  da  man  häufig  bleihaltiges  Staniol  hierzu  wählt:  auch 
Zinn  allein  wird  vom  Käse  angegriffen  resp.  aufgenommen,  weil  hier  ammoniakalische 
Ausdünstungen  stattfinden,  durch   welche  Zinn  sehr  leicht  oxydirt  wird. 

*)  Bei  Schlächtereien  in  Privathäusern  muss  mit  der  grössten  Strenge  die 
sorgfältigste  Desinfection  aller  Abfälle  und  die  wasserdichte  Herstellung  des  Bodens  in 
den  Schlachträumen  angeordnet  werden. 


Alkaloide.  655 


Alkaloide. 

Alkaloide  werden  auch  organische  Basen  genannt,  weil  sie  alle  einen 
basischen  Charakter  haben;  meist  sind  sie  in  Wasser  unlöslich,  dagegen  in  Säuren 
löslich  und  bilden  damit  Salze.  Es  sollen  hier  nur  die  für  die  Industrie 
wichtigsten  Alkaloide  betrachtet  werden. 

Chinin  C20H94N2O2;  seine  Darstellung  im  Grossen  ist  seit  50  Jahren  in 
Deutschland  eingeführt  und,  wenn  man  von  der  directen  Extraction  durch  Benzin 
absieht,  ziemlich  dieselbe  geblieben. 

Der  erste  Act  besteht  in  sorgfältigem  Pulverisiren  der  Rinde  auf  besondern 
Mühlen  und  zwar  in  feuchtem  Zustande,  weil  die  Rinde  wegen  ihrer  spröden  Beschaffen- 
heit sonst  wegspringen  und  starken  Staub  entwickeln  würde. 

Obgleich  man  aus  pecuniärem  Interesse  "Verluste  durch  Staubbüdung  zu  ver- 
meiden sucht,  so  steht  es  doch  thatsächlich  fest,  dass  die  mit  dem  Mahlen  beschäftigten 
Arbeiter  bisweilen  an  bestimmten  Formen  von  Wechselfiebern  leiden.  Die  Empirie 
hat  im  Spiritus  cochlearis,  der  theelöffelweise  kurz  vor  dem  Froste  zu  nehmen  ist, 
ein  bewährtes  Mittel  gefunden.  Ausserdem  vermag  aber  der  Staub  auch  reizend  auf 
die  Schleimhaut  der  Augen  und  Nase  einzuwirken;  es  würde  sich  deshalb  auch  hier 
das  Vorbinden  eines  feuchten  Schleiers  vor  das  Gesicht  empfehlen. 

Das  feine  Pulver  wird  mit  Schwefelsäure  unter  Mitwirkung  indirecter 
Wasserdämpfe  behandelt,  um  die  china-  und  gerbsauren  Salze  zu  zerlegen.  Die 
Chinasäure  geht  mit  den  Basen  in  Lösung,  die  mit  Kalkmilch  übersättigt  wird,  um 
die  Alkaloide  und  Harze  zu  fällen,  während  die  Chinasäure_  an  Kalk  gebunden 
bleibt.  Das  Präcipitat  wird  mit  Wasser  und  Weingeist  der  Destillation  unterworfen; 
es  bleibt  eine  aus  den  Harzen  und  Alkaloiden  bestehende  Schicht  zurück,  die  mit 
heisser  Schwefelsäure  behandelt  wird;  die  ersten,  die  Alkaloide  enthaltenden  Auszüge 
werden  noch  mit  Blutkohle  behandelt  und  mit  Natriumcarbonat  neutralisirt.  Beim  Er- 
kalten scheiden  sich  Chinin  und  Cinchonin  aus;  das  übrig  bleibende  Harz  kommt 
im  Handel  als  Chinoidin  oder  Chinaharz  vor. 

Die  einzelnen  Klumpen  der  Alkaloide,  welche  sich  nach  dem  Trocknen  gebildet 
haben,  müssen  durch  ein  leises  Reiben  zwischen  den  Händen  in  ein  lockeres  Pulver 
gebracht  werden.  Diese  Operation  ist  für  die  Arbeiter  die  gefährlichste;  die  feinen 
Nadeln  dringen  nämlich  in  die  Haut  und  rufen  eine  entzündliche  Reizung  hervor,  so 
dass  Hände  und  Gesicht  oft  schmerzhaft  anschwellen  und  selbst  intermittirende  Frost- 
anfälle entstehen.  Dass  die  feinen  Krystallnädelehen  in  die  Haut  dringen,  ist  durch 
genauere  Untersuchung  nachgewiessen  worden. 

Die  örtliche  Reizung  wird  am  sichersten  und  raschesten  durch  Waschen  mit  der 
oben  erwähnten  Flüssigkeit,  welche  die  Chinasäure  enthält,  gehoben. 

Morphin  C17N19N03  wird  im  Grossen  dargestellt,  indem  man  das  in  feine 
Stücke  zerschnittene  Opium  mit  kaltem  Wasser  auszieht  und  den  wässrigen  Aus- 
zug durch  Wasserdämpfe  unter  Zusatz  von  Marmor  abdampft. 

Die  vorhandenen  Säuren  neutralisiren  den  Kalk;  die  entweichende  Kohlensäure 
reisst  viele  flüchtigen  Bestandteile  mit  sich  fort,  die  bei  den  Arbeitern  eigentümliche 
Zuckungen  und  Vibriren  verschiedener  Muskelpartien,  namentlich  an  den  entblössten 
Theilen  der  Arme  und  des  Gesichts  erzeugen  können,  wenn  grössere  Mengen  Opium 
bearbeitet  werden*).  Eine  sorgfältige  Ableitung  dieser  Gase  und  Dämpfe  ist  durchaus 
nothwendig**). 


*)  Das  Schmelzen  des  Opiums  in  den  Factoreien  geschieht  meist  noch  auf  freiem 
Feuer,  wobei  narkotische,  die  Arbeiter  betäubende  Dämpfe  entstehen.  Selbst  die 
Mannschaft  auf  Schiffen,  welche  Opium  verladen  haben,  werden  nicht  selten  von  .Be- 
täubung und  Zittern  befallen;  man  will  die  Beobachtung  gemacht  haben,  dass  die  be- 
treffenden Matrosen  dann  viel  weniger  von  der  Seekrankheit  befallen  werden. 

**)  Die  Arbeiter  pflegen  bei  diesen  Affectionen  den  verdünnten  Tabaksschmergel 
als  Heilmittel  zu  nehmen. 


ßtjß  Tabaksindustrie. 

Das  syrupsartige  Extract  wird  in  kaltem  Wasser  gelöst,  filtrirt,  wieder  ein- 
gedampft und  dann  mit  einer  concentrirten  Chlorcalciumlösung  versetzt,  um  zunächst 
Mekon säure  als  mekonsaures  Calcium  auszuscheiden.  In  dem  Rückstande  bildet  sich 
bei  längerem  Stehenlassen  eine  Krystallmasse,  die  ein  Doppelsalz  von  salzsaurem 
Morphin  und  Codein  enthält;  man  Löst  es  in  Weingeist,  and  setzt  der  Lösung 
Ammoniak  hinzu,  um  sämmtliches  Morphin  mit  dem  gebildeten  Salmiak  nieder- 
zuschlagen, wahrend  Codein  gelöst  bleibt. 

Beim   Kochen    dieser   alkoholischen   Lösung    mit   Thierkohlc   soll   sich  ein   eigen- 
tümlicher flüchtiger  Körper  entwickeln,  welcher  bei  allen  Arbeitern  auf  die  Dauer  von 
lagen  einen  unregelmässigen  Herzschlag  erzeugt;  da  der  Geuuss  von  Kaffee 
den    Zustand    verschlimmern   soll,    so   hat  man    es    hier  nicht    mit  einem   narkotischen 
Körper  zu  thun. 

Strychnin  C21H22N2O2  und  Britein  C23H28N204  finden  sich  in  den  Kräheu- 
augen  (Samen  von  Strychnos  nux  vomica),  in  der  falschen  Angusturarinde,  in 
den  Samen  von  Strychnos  Ignatii  u.  s.  w. 

Die  Darstellung  dieser  Alkaloide  beruht  auf  einem  Ausziehen  der  be- 
treffenden Piknzentheile  mit  Alkohol  und  Behandeln  des  alkoholischen  Auszuges  mit 
Magnesia  usta,  wodurch  das  Strychnin  gefällt  und  das  Brucin  in  Lösung  bleibt. 

In  sanitärer  Beziehung  ist  zu  beachten,  dass  das  Pulverisiren  des  Roh- 
materials mit  der  grössten  Vorsicht  geschehen  muss;  es  sind  dazu  nur  geschlossene, 
sogen.  Knirschmühlen  zu  gebrauchen.  Dann  ist  der  Rückstand  bei  der  alkoholischen 
Extraction  zu  berücksichtigen,  da  er  stets  noch  geringe  Mengen  von  Strychnin  und 
Brucin  enthält.  Drittens  sind  die  Waschwässer  des  brucinhaltigen  Präcipitats,  sowie 
der  bei  der  Extraction  mit  Alkohol  resultirende  magnesiahaltige  Rückstand  mit  grosser 
Vorsicht  zu  behandeln;  letztem  Rückstand  unterwirft  man  sammt  den  ausgezogenen 
Pflanzenüberresten  am  besten  einer  Verbrennung.  Die  Pflanzenüberreste  können  bei 
einem  grossartigen  Betriebe  sehr  bedeutend  sein,  da  im  besten  Falle  aus  1  Kilogrm. 
Rohmaterial  nur  ö  Grni.  Basen  in  Summa  erhalten  werden.  WTill  man  diese  Rückstände 
behufs  Wiedergewinnung  des  Alkohols  einer  Destillation  unterwerfen,  so  ist  der  ge- 
wonnene Alkohol  nur  bei  einer  neuen  Strychnin-  oder  Brucinbereitung  verwendbar ,_  da 
er  giftige  Eigenschaft  besitzt.  So  wurde  in  einem  concreten  Falle  ein  solcher  Spiritus 
bei  der  Chininfabrication  benutzt  und  ein  Präparat  dargestellt,  welches  alle  Erschei- 
nungen einer  Strychninvergiftung  hervorrief. 

Alle  Waschwässer  dürfen  niemals  in  öffentliche  Canäle  oder  Schlinggruben 
abgelassen  werden,  da  im  letztern  Falle  eine  Vergiftung  der  benachbarten  Brunnen  ver- 
anlasst werden  kann;  glücklicherweise  macht  sich  auch  die  geringste  Spur  davon  durch 
einen  intensiv  bittern  Geschmack  bemerkbar.  In  Flüssen  und  Teichen  wirken  sie  sehr 
verderblich  auf  Fische  ein;  sie  sind  stets  mit  der  entsprechenden  Menge  Chlorkalk  und 
Salzsäure  zu  versetzen,  um  das  hierbei  entstehende  Chlor  einwirken  zu  lassen  (s.  S.  45). 
Die  Verwendung  des  Strychnins  zum  Vertilgen  schädlicher  Thiere,  besonders 
die  Benutzung  des  sogen.  Giftweizens,  ist  nicht  ohne  Bedenken;  wird  derselbe  auf 
freiem  Felde  ausgestreut,  so  können  auch  andere  Thiere,  z.B.  Rebhühner  u.  s.  w  ,  zu 
Grunde  gehen.  Man  sollte  überhaupt  Strychnin  in  der  Kammerjägerei  nicht  gestatten. 
Vielfach  ist  auch  die  Frage  aufgeworfen  worden,  ob  die  durch  Strychnin  ver- 
gifteten Thiere,  z.  B.  Feldhühner  u.  s.  w. ,  beim  spätem  Genüsse  schädlich  auf  den 
menschlichen  Organismus  einzuwirken  vermögen.  Zunächst  möchte  hier  die  Quantität 
des  Giftes  mitsprechen,  welches  sich  jedenfalls  durch  den  sehr  bittern  Geschmack  auch 
bei  einem  geringen  Gehalte  bemerkbar  machen  wird;  gewiss  ist,  dass  das  etwa  vor- 
handene Strychnin  durch  die  Zubereitung  der  Thiere  nicht  zerstört  wird. 

Nicotin  C10H14N2  wird  durch  Behandeln  der  Tabaksblätter  mit  verdünnter 
Schwefelsäure  gewonnen  und  stellt  eine  Base  dar,  während  Nicotianin,  der 
Tabakskampher,  eine  flüchtige,  fettartige  Substanz  ist,  die  den  angenehmen 
Geruch  des  Tabaks  bedingen  soll. ' 

Tabaksindustrie. 

Nicotiana  Tab a cum  (Virginischer  Tabak)  ist  die  am  häufigsten  eultivirte 
Tabakspflanze;  den  Pfälzer  Tabak  liefert  Nicotiana  macrophylla  (Maryland-Tabak); 
Nicotiana  rustica  wird  in  Deutschland  nur  noch  wenig  angebaut. 

Das  Tabaksblatt  bedarf  stets  einer  Präparation,  die  in  einer  Gährung  besteht, 
um  die  eiweisshaltigen  Bestandtheile  zu  entfernen  und  eigenthümliche  Fuselöle  zur  Ent- 


Schnupftabak.  657 

wicklung  zu  bringen.  Die  Blätter  werden  zu  diesem  Zwecke  auf  Haufen  zusammen- 
gelegt, bis  sie  sich  im  Innern  erhitzen  und  Wasserdämpfe  entwickeln,  d.h.  schwitzen. 
Hierauf  folgt  das  Trocknen  der  einzelnen  Blätter  an  Schnüren;  mehrere  Blätter  werden 
dann  zu  einer  Docke  zusammengebunden  und  in  grosse  Fässer  gepresst,  bis  wieder 
Erwärmung  eintritt;  zeigt  sich  diese  nicht  mehr,  nachdem  man  Besprengen  mit  Salz- 
wasser und  Austrocknen  mehrmals  wiederholt  hat,  so  trocknet  man  vollständig  aus  und 
sortirt  die  Blätter.  Nach  dem  Entrippen  folgt  das  Sauciren  oder  Beizen,  das 
aber  hauptsächlich  einen  Gegenstand  der  Schnupftabakfabrication  ausmacht. 

Nur  die  schlechtem  Sorten  von  Rauchtabak  werden  gebeizt  oder  saucirt,  um 
ihnen  einen  andern  Geschmack  zu  geben  und  dadurch  fremde  Sorten  ( Portorico, 
Varinas  u.  s.  w.)  nachzuahmen.  Um  die  Blätter  schneller  zu  trocknen,  werden  sie  nach 
Art  des  Mälzens  auf  einem  Eisendrahtgitter,  das  auf  einem  Ofen  liegt,  gedarrt,  um 
ihnen  den  grossen  Theil  der  narkotischen  Bestandtheile  und  den  knellernden  Geruch  zu 
entziehen.  Gleichzeitig  erhalten  die  Blätter  dadurch  ein  krauses  Ansehen,  um  aus  den- 
selben den  sogen.  Krull-  oder  Kraustabak  zu  bereiten. 

Das  Zerschneiden  des  Rauchtabaks  geschieht  nach  vorhergehender  An- 
feuchtung auf  der  Schneidebank,  wozu  man  meist  Dampfkraft  benutzt.  Nach 
dem  Trocknen  in  den  Trockencylindern  und  Sieben  folgt  das  Verpacken  in  die 
Pakete  für  den  Verkauf. 

Der  Rolltabak  ist  unzerschnittener  Tabak,  der  wie  in  der  Seilspinnerei 
gesponnen  wird;  man  wählt  wie  bei  den  Cigarren  die  Einlage  und  das  Deck- 
blatt, die  massig  angefeuchtet  werden.  Den  Schluss  der  Cigarrenfabrication  bildet 
gegenwärtig  ein  künstliches  Pressen. 

Beim  Tabaksrauch  gelangt  das  Nicotin  wegen  seiner  Flüchtigkeit  und  leichten 
Zersetzbarkeit  nicht  zur  Wirkung;  man  kann  fast  mit  Bestimmtheit  annehmen,  dass 
Nicotin  bei  der  hohen  Temperatur,  der  es  beim  Rauchen  ausgesetzt  ist,  eine  Zersetzung 
erleidet,  deren  Endproducte  zur  Gruppe  der  Picolinbasen  gehören  (s.  S.  646);  diese 
sind  es,  die  überhaupt  vorzugsweise  im  Tabaksrauche  zur  Geltung  kommen  und  zwar 
neben  geringen  Mengen  von  Kohlenoxyd,  Schwefel-  und  Cyanwasserstoff  resp. 
Schwefel-  und  Cyanammonium1).  Unzweifelhaft  wird  sich  aber  Nicotin  bei  den 
Gährungsprocessen  und  selbst  noch  beim  Darren  entwickeln;  es  müssen  daher 
alle  Räume,  in  welchen  diese  Manipulationen  stattfinden,  möglichst  sorgfältig  ventilirt 
werden,  um  die  narkotischen  Einflüsse  zu  verhüten,  die  sich  durch  Schwindel,  Betäubung 
und  ohnmachtähnliche  Zufälle  äussern  können,  aber  an  der  freien  Luft  schnell  ver- 
schwinden.    In  dieser  Beziehung  sind  solche  Tabaksblätter  zu  den  Giften  zu  zählen.2) 

Der  Schnupftabak  wird  aus  Karotten  oder  Blättern  bereitet;  erstere 
werden  auf  besondern  Maschinen  aus  gebeizten  Tabaksblättern  als  längliche, 
eiförmige,  stark  gepresste  Körper  dargestellt.  Die  Saucen  sollen  den  Schnupf- 
tabak reizender  und  wohlriechender  machen;  man  benutzt  vorzugsweise  Salmiak, 
Pottasche,  Kochsalz,  Tamarinden,  Weinstein,  Cassia,  Violen wurzel  u.  s.  w.;  die 
Saucen  können  sauer,  neutral  oder  leicht  alkalisch  sein.3) 

Das  Zerkleinern  geschieht  durch  Rapiren  auf  Stampf-  oder  Mahlmühlen, 
während  das  Sieben  die  Trennung  in  gröbere  und  feinere  Sorten  bewirkt.  Häufig 
lässt  man  noch  eine  zweite  Gährung  folgen,  die  hauptsächlich  eine  Verminderung 
des  Nicotingehaltes  und  die  TJeberführung  der  stickstoffhaltigen  Substanzen  in 
Humuskörper  bezweckt.  In  guten  Schnupftabaken  lassen  sich  höchstens  0,06  %  Nicotin 
nachweisen;  kaum  Spuren  davon  enthält  der  Kautabak,  dessen  Blätter  -man  mit 
Tamarinden,  Wein,  Syrup  u  s.  w.  saucirt,  zu  dünnen  Rollen  oder  kleinen  Päckchen, 
d.  h.  Primchen,  spinnt  und  mit  Eisenvitriol  färbt. 

Die  Verpackung  der  Schnupftabake  in  bleihaltigen  Folien  ist  durch 
Erlass  der  Ministerien  der  Justiz,  für  Handel  und  der  geistlichen  Angelegenheiten 
vom  2.  März  1865  verboten  worden,  nachdem  traurige  Folgen  von  Bleivergiftungen 
den  Schaden  aufgedeckt  haben,  welchen  in  denselben  verpackte  Schnupftabake  her- 
vorrufen. 4) 

Die  sanitären  Verhältnisse  der  Tabaksarbeiter  sind  sehr  verschieden  beurtheilt 

worden,  während,  wie  überall,  auch  hier  die  Wahrheit  in  der  Mitte  liegt.    Scheidet 

man  alle  nachtheiligen  Einflüsse  ausserhalb  der  Fabrik,  wie  z.  B.  unregelmässige 

Lebensweise,  Trunksucht  u.  s.  w.,  aus,  so  zeigt  auch  die  Tabaksindustrie,  dass  sich 

Eulenberg,   Gewerbe-Hygiene.  42 


658  Tabak. 

viele  Arbeiter  einer  guten  Gesundheit  erfreuen,  nicht  häufiger  an  Respirations- 
organen erkranken  als  andere,  dem  Staube  ausgesetzte  Fabrikarbeiter,  selbst 
häufig  die  mittlere  Lebensdauer  übersteigen.1')  Auch  muss  man  von  den 
vielen  schwächlichen  jungen  Leuten  absehen,  die  oft  mit  Vorliebe  in  diese 
Fabriken  geschickt  werden,  weil  es  dort  mehrere  nicht  anstrengende  Beschäf- 
tigungen gibt.  Scrophulöse  Arbeiter  mit  phthisischem  Bau  gehören  aber  am 
wenigsten  in  die  Tabaksfabriken  und  die  Erfahrung  zeigt  täglich,  dass  die 
Krankheitsanlage  unter  den  Fabrik-Einflüssen  viel  leichter  zur  vollständigen  Ent- 
wicklung gelangt.  Der  Tabaksstaub  zeigt  sich  namentlich  beim  Trocknen, 
Rapiren  und  Sieben  und  jeder  an  diese  Atmosphäre  nicht  Gewöhnte  wird 
anfangs  sehr  unangenehm  davon  berührt.  Es  fehlt  aber  noch  an  bestimmten 
Thatsachen,    die    für    eine    Einlagerung    dieses    Staubes    in    das   Lungengewebc 

sprechen. 

Zenker fi)  hat  erst  bei  zwei  Arbeitern  einer  Tabaksfabrik  in  den  Lungen  tabak- 
braune Flecke  gefunden,  die  mit  feinkörnigen  Einlagerungen  in's  Alveolargewcbe  ver- 
bunden waren ;  dabei  waren  die  Lungen  atrophisch  und  grade  an  den  atrophischen 
Stellen  am  stärksten  gefärbt.  Diese  Fälle  stehen  aber  noch  zu  isolirt  da,  um  die 
Tabakslunge  klinisch  festzustellen ;  Thatsache  ist  es  nur,  dass  die  mit  dem  Rapiren 
beschäftigten  Arbeiter  häufig  braune  Sputa  haben,  wenn  sie  an  Bronchialkatarrhen  leiden, 
was  im  Anfange  ihrer  Beschäftigung  oft  der  Fall  ist.  Zweifelsohne  müssen  diese 
Einwirkungen  Arbeiter  mit  reizbaren  Brustorganen  viel  nachhaltiger  treffen  und  daher 
auch  schlimmere  Folgen  herbeiführen ;  die  Fabrikärzte  sollten  keine  Gelegenheit  vorüber- 
gehen lassen,  um  ihre  Warnung  rechtzeitig  zur  Geltung  zu  bringen.  Wo  die  häusliche 
Noth  die  Fortsetzung  der  Arbeit  gebot,  hat  Verf.  nicht  selten  einen  raschen  Verlauf  der 
Phthisis  beobachtet;  wer  aber  die  Anlage  zu  dieser  Krankheit  nicht  schon  vor  dem  Eintritt 
in  die  Fabrik  besass,  wird  sie  sich  sicher  niemals  durch  die  Einflüsse  derselben  allein 
erwerben. 

Immerhin  ist  eine  sorgfältige  Ventilation  und  Reinlichkeit  in  den  Arbeitsräumen 
ein  Haupterforderniss,  um  die  Gesundheit  der  Arbeiter  zu  erhalten;  es  sollte  in  dieser 
Beziehung  mehr  geschehen  und  es  würde  eine  Hauptaufgabe  der  Fabrikinspectoren  sein, 
diesem  Gegenstande  die  grösste  Aufmerksamkeit  zu  widmen.  Dem  jugendlichen  Alter 
schaden  allerdings  Einflüsse,  welche  die  Reinheit  der  Luft  beeinträchtigen,  am  meisten, 
aber  kein  Lebensalter  geht  ganz  ungestraft  an  ihnen  vorüber,  nur  tritt  der  Schaden  nicht 
immer  bald  zu  Tage. 

Die  Rapirmühlen,  bei  denen  Sägeblätter  die  Tabake  zerkleinern,  stehen 
meist  frei  und  ohne  Mantelbekleidung,  anstatt  dass  durch  geschlossene  Kasten  die 
Ausbreitung  des  Staubes  verhütet  werden  sollte.  Noch  mehr  Staub  wirkt  auf  den 
Arbeiter  ein,  wenn  er  sich  der  Rapirmesser  bedient,  die  nach  Art  der  gewöhn- 
lichen Wiegemesser  construirt  sind.  Am  feinsten  ist  der  Staub,  wenn  der  Schnupf- 
tabak schliesslich  mittels  grosser  Mühlsteine  gemahlen  wird;  geschlossene 
Kugelapparate  würden  denselben  technischen  Vortheil  gewähren.  Die  sanitären 
Nachtheile  würden  immer  mehr  beseitigt  werden,  wenn  man  in  den  Tabaks- 
fabriken dem  zeitgemässen  Fortschritte  der  Industrie  mehr  huldigen  wollte. 

Starke  Gerüche  nebst  Staub  treten  bei  den  sogen.  Trockencylindern 
auf,  die  durch  Wasserdämpfe  in  ihren  Wandungen  geheizt  werden  und  im  Iunern 
mit  einem  Schaufelwerk  versehen  sind,  um  sowohl  den  zerschnittenen  Tabak  zu 
bearbeiten  als  auch  ein  feines  Sieb  vorwärts  zu  schieben,  durch  welches  der  Staub 
abgeschieden  wird. 

Ein  zweckmässiger  Exhaustor  würde  hier  Staub  und  die  verschiedenen 
Dämpfe  beseitigen  und  selbst  die  starke  Hitze  in  diesen  Räumen  mindern,  während 
man  in  den  meisten  Fabriken  den  Staub  noch  auf  allen  Gegenständen  und  den 
Kleidern  der  Arbeiter  abgelagert  findet.  Wirkte  der  Tabaksstaub  specifisch 
schädlich  ein,  so  hätten  sich  bei  der  bisherigen  Vernachlässigung  aller  Vorsichts- 


Silicium.  659 

massregeln  die  Folgen  weit  bestimmter  und  viel  häufiger  zeigen  müssen;  man 
kann  ihn  im  Allgemeinen  als  vegetabilischen  Staub  in  die  Kategorie  des  Krapp-, 
Flechten-,  Holzstaubes  u.  s.  w.  bringen;7)  nur  der  Staub  des  Schnupftabaks  und 
des  saucirten  Rauchtabaks  ist  in  Folge  des  Beizens  viel  reizender,  kann 
daher  nach  der  Beschaffenheit  der  Beize  die  Schleimhäute  mehr  oder  weniger 
irritiren. 

Werden  Krankheitszustände,  Augenentzün  düngen,  entzündliche  Affectionen  der 
Respirationsorgane  dadurch  hervorgerufen,  so  muss  die  Beurtheilung  des  concreten  Falles 
und  die  Fabricationsmetkode  Aufschluss  über  die  ätiologischen  Momente  geben.  Jeden- 
falls werden  dann  noch  andere  Ursachen  als  der  eigentliche  Tabaksstaub  einwirken, 
namentlich  'wenn  man  noch  die  vielfachen  Zusätze  von  mehr  oder  weniger 
differenten  Substanzen  zum  Schnupftabak  (Kohlenpulver,  Kienruss  u.s.w.) 
berücksichtigt.  Solche  fremdartige  Einflüsse  sind  streng  von  der  Einwirkung  des  eigent- 
lichen Tabaksstaubes  zu  sondern. 

Bei  der  Tabaksdarre  können  mit  den  Wasserdämpfen  am  leichtesten  die 
narkotischen  Bestandtheile  mit  fortgerissen  werden;  eine  Ableitung  der  Dämpfe 
ist  aber  leicht  zu  bewerkstelligen  und  sollte  zum  Wohle  der  Arbeiter  nie  ver- 
säumt werden.  Beim  eigentlichen  Gährungsprocesse,  dem  die  Tabaksblätter 
unterliegen,  ist  nur  dann  die  Gefahr  zu  verhüten,  wenn  für  denselben  vor- 
schriftsmässig  grössere,  offene,  auch  von  den  Arbeitsräumen  getrennte  Locale 
vorhanden  sind  und  durch  Exhaustoren  die  schädlichen  Emanationen  beseitigt 
werden. 8) 


Silicium,  Si. 

Wir  verlassen  die  organischen  Körper  und  wenden  uns  wieder  den 
anorganischen  zu,  unter  denen  zunächst  noch  der  den  Metalloiden  angehörende 
Kiesel  (Silicium)  zu  erwähnen  ist,  der  zwar  nicht  frei  in  der  Natur,  aber  in 
seiner  Verbindung  mit  Sauerstoff  als  Kieselsäureanhydrid  sehr  häufig  vor- 
kommt, denn  kieselsaure  Salze  (Silicate)  fehlen  fast  in  keinem  Gebirge  und  in 
keinem  Ackerboden. 

Das  Silicinm  ist  ein  amorphes  Pulver  und  stellt  mit  Wasserstoff  Siliciumwasser- 
Stoff  SiH4  dar,  der  in  unreinem  Zustande  an  der  Luft  sofort  explodirt. 

Kieselsäure  Si(OH)4  kann  wegen  ihrer  grossen  Neigung,  Anhydrid  zu  bilden, 
nicht  rein  dargestellt  werden.  Der  gallertartige  Niederschlag,  den  man  durch  Zersetzung 
des  Natriumsilicats  mit  Salzsäure  erhält,  ist  ein  Gemenge  von  Kieselsäure  und  Kiesel- 
säureanhydrid. 

Kieselsäureanhydrid  Si02  findet  sich  im  Bergkrystall,  Quarz,  Feuerstein, 
Achat,  Chalcedon,  Chrysopras  und  in  der  Infusorienerde.  In  der  Pflanzen- 
welt lagert  sich  das  Anhydrid  vorzugsweise  in  den  Equisetumarten,  in  den  Knoten  des 
Bambusrohrs,  im  Roggen-,  Weizen-  und  Gerstenstroh  sowie  in  den  Hüllen  der  Legu- 
minosen und  Cerealien  ab. 

Die  Darstellung  der  Kieselsäure  aus  dem  Kieseiguhr  geschieht  für  die  Glas- 

fabrication;    man   unterwirft  zu   diesem  Zwecke    die  Infusorienerde   in  Kesseln 

oder  Retortenöfen  der  Calcination;  sind  die  erstem  nicht  geschlossen,  so  reissen 

die  entweichenden  Wasserdämpfe  eine  Menge  Infusorienerde  mit  sich  fort,  da  bei 

diesem  Processe  eine  dem  kochenden  Wasser  ähnliche  Bewegung  in   der  Masse 

erfolgt. 

42* 


I 


660  Silicium. 

Es  muss  daher  im  Deckel  solcher  Kessel  ein  Ableitungsrohr  angebracht 
■werden,  um  diesen  schädlichen  Dampf  in  den  Schlot  überzuführen.  Bei  den  Retorten 
entwickelt  sieh  bei  der  Herausnahme  des  Caleinirgutes  ein  erheblicher  Staub,  der  mit 
Salzsäuren  Dämpfen  verbanden  sein  kann,  wenn  die  Infusorienerde  vom  Meereswasser 
bespült  worden  ist. 

Die  Arbeiter  müssen  sich  hierbei  unbedingt  mit  Respiratoren  versehen,  da  dieser 
Staub  höchst  gefährlich  einwirkt  und  Lungenkrankheiten  zur  Folge  hat.  Da  die 
Arbeiter  häufig  harte,  kuglige,  in  eitrigen  Schleim  eingehüllte  Knötchen  auswerfen,  so 
flegt  man  in  Böhmen  diese  Krankheit  „Erbsenkrankheit"  zu  nennen:  sie  ist  der  Vor- 
äufer  von  Phthisis,  die  durch  Abmagerung,  hektisches  Fieber,  Naehtsehweisse  u.  s.  w. 
schliesslich  den  Tod  herbeiführt,  und  kann  als  Prototyp  der  Kiesellunge  betrachtet 
werden,  denn  die  Wasserdämpfe  fahren  den  gefährlichen  Staub  sehr  leicht  in  die 
Respirationsweg«  und  setzen  ihn  in  die  Alveolen  des  Lungenparenchyms  ab. 

Diese  Krankheit  wiederholt  sich  bekanntlich  überall,  wo  kieselerdehaltiger  Staub 
(Quarz.  Feuerstein,  Thon,  Thonschiefer,  Granit)  von  den  Respirationswegen  aufgenommen 
wird.  Trotz  der  auf  der  Hand  liegenden  Gefahr  und  trotz  der  vielen  Opfer  bei  den 
Steinhauern,  den  Arbeitern  in  Porcellan-,  Glas-  und  Cementfabriken  u.  s.  w., 
herück-iehtigt  man  die  Verhütung  dieser  Einflüsse  noch  lange  nicht  sorgfältig  genug.1) 

Kieselfluorwasserstoffsäure,  Kieselflusssäure  H2SiF6  oder  2HF  +  SiF4  ist  nur 
in  wässriger  Lösung  bekannt  und  zeichnet  sich  durch  die  Eigenschaft  aus,  mit 
Kalium  und  Barium  eine  schwer  lösliche  Verbindung  einzugehen;  man  benutzt 
dieselbe  daher,  um  Kalium  vom  Natrium  und  Magnesium  zu  trennen. 

Die  Darstellung  im  Grossen  ist  von  Tessie  >Ju  Motay2)  versucht  worden,  indem  er 
ein  Gemenge  von  Fl  ussspath  (Fluor  calcium  Ca  F.,.),  Kieselerde,  Thon  und  Kohle 
in  grossen  Schachtöfen  zu  verbrennen  sucht;  die  Kohle  wirkt  reducirend  auf  die  Kiesel- 
säure und  die  grössere  Menge  des  im  Fluorcalcium  enthaltenen  Fluors  wird  als  Fluor- 
silicium  SiF4  gewonnen,  das  neben  Stickstoff,  Kohlenoxyd  und  Kohlensäure  gasförmig 
entweicht*). 

Die  Gase  werden  an  der  Gicht  gesammelt  und  in  Condensationskasten  geleitet, 
in  denen  Fluorsilicium  durch  Wasser  in  Kieselsäure,  die  sich  am  Boden  ablagert,  und 
in  Kieselfluor  Wasserstoff  zersetzt  wird: 

3SiF4  +  4H20  =  Si(OH)4  +  2H2SiF6.3) 

Die  Schlacken  bestehen  aus  Calciumsilicat  und  noch  unzersetztem  Flussspath. 
Die  Fabrication  ist  aber  erst  im  Entstehen,  bedarf  noch  sehr  der  Vervollkommnung  und 
belästigt  einstweilen  die  Anwohner  in  hohem  Grade. 

Verwendung  findet  die  Kieselfluss  säure  zur  Darstellung  von  Kieselfluor- 
kalium aus  dem  Chlorkalium  in  Stassfurt;  es  bleibt  hierbei  eine  der  zugesetzten  Kiesel- 
flnsssäure  entsprechende  Menge  Salzsäure  zurück,  die  wie  der  Rückstand  der  Blanc 
iixe-Fabrication  zu  behandeln  ist  (s.  diese). 

Um  das  Kieselfluorkalium  in  eaustisches  Alkali  zu  verwandeln,  wird  es  in  Glas- 
retorten erhitzt:  das  entweichende  Fluorsilicium  wird  durch  Wasser  zersetzt,  während 
das  restirende  Fluorkalium  KF  durch  Aetzkalk  in  Fluorcalcium  übergeführt  wird, 
welches  weiter  zu  verschiedenen  Zwecken  verwerthet  wird. 

Die  Kieselflusssäure  ist  auch  bei  der  Fabrication  von  künstlichem  Mineral- 
dünger zum  Aufschliessen  von  Knochen,  Phosphoriten,  Sombreriten  (Phosphor- 
säure, Kalk  und  Thonerde  von  der  Insel  Sombrero)  oder  von  Rondondophosphat 
(Thonerde,  Phosphor  säure,  etwas  Eisen  aus  Westindien)  in  Gebrauch. 

Für  das  Entkalken  des  Zuckers  in  Zuckerfabriken  ist  ihr  hoher  Preis  noch 
hinderlich:  zum  Ersatz  der  Borsäure  in  der  Thonwaarenindustrie,  zum  Kuhkothbade 
in  der  Färberei  und  zur  Zeugdruckerei,  zum  Weisssieden  der  Nadeln  in  Nadelfabriken, 
zur  Erzeugung  einer  schönen  Patina  auf  Messing,  Bronze,  Zink  u.  s.  w.  empfiehlt  sie 
sich  sehr. 

Zum  Präcipitiren  von  suspendirten  oder  gelösten  Stickstoffverbindungen  in  Cloaken- 
Aüssigkeiten  u  s.  w.  kann  mau  Kieselflusssäure,  Fluorsilicium,  Chlorsilicinm  u.  s.  w.  be- 
nutzen. Man  nennt  das  Präzipitat,  das  aus  der  Siliciumverbindung  und  den  stickstoff- 
haltigen Körpern  besteht,  Silicoid  und  verwendet  es  zur  Darstellung  von  Ammonium- 
salzen.4) 

*)  Die  gewöhnliche  Darstellung  von  Fluorsilicium  s.  S.  69. 


Glasindustrie.  661 

Glasindustrie. 

Das  Glas   stellt  durch  Schmelzen   erhaltene  Silicate,   d.  h.  Verbindungen 

der  Kieselsäure  mit  verschiedenen  Basen  dar.    Bisweilen  wird  die  Kieselsäure 

auch  durch  Borsäure  vertreten. 

Die  wichtigsten  Rohmaterialien  sind  folgende:  1)  Kieselerde  in  Form  von 
Quarz,  Sand,  Feuerstein  und  namentlich  Infusorienerde.  Da  der  Sand  eisen- 
frei sein  niuss,  so  wird  das  Eisen  durch  Digestion  mit  wässriger  Salzsäure  als  Eisen- 
chlorür  FaCl2  +  4H20  aus  demselben  entfernt.  Je  feiner  das  Glas  werden  soll,  mit  desto 
grösserer  Sorgfalt  muss  der  Sand  oder  die  Infusorienerde  präparirt  werden;  es  gehört 
dazu  das  Ausglühen,  um  das  Mahlen  und  spätere  Schmelzen  zu  erleichtern.  Das 
Glühen  geschient  in  langen  Gewölben,  wobei  die  Arbeiter  der  Hitze  und  dem  Staube 
ausgesetzt  sind,  der  durch  das  häufige  Umschaufeln  entsteht;  diese  Beschäftigung  ist 
eine  der  ungesundesten  bei  der  ganzen  Glasfabrication  und  sollte  einer  strengen  Beauf- 
sichtigung unterliegen,  um  den  Arbeitern  mehr  Schutz  als  bisher  zu  gewähren. 

2)  Kali  kommt  in  Form  von  Pottasche  und  Natron  hauptsächlich  als  Natrium- 
sulfat zur  Verwendung. 

3)  Der  Kalk  muss  für  feine  Gläser  eisenfrei  sein;  man  benutzt  den  gepochten 
Kalkstein  oder  geschlemmte  Kreide.  Ein  gewöhnlicher  Glassatz  besteht  aus  Sand,  Kalk- 
stein, Natriumsulfat  und  Kohle;  indem  letztere  die  Schwefelsäure  zu  schwefliger 
Säure  reducirt,  verwandelt  sie  sich  in  Kohlenoxyd,  das  entstandene  Natrium- 
sulfit wird  durch  die  Kieselsäure  zersetzt  und  schweflige  Säure  entweicht.  Da 
das  rohe  Natriumsulfat  meist  Kochsalz  enthält,  entwickelt  sich  auch  Chlorwasser- 
stoffsäure. Alle  diese  Gase  gehen  mit  den  Feuerungsgasen  ab,  belästigen  deshalb 
die  Arbeiter  nicht,  können  aber  die  Vegetation,  namentlich  zur  Blüthezeit,  schädigen; 
die  Lage  der  Glashütten  ist  daher  bei  der  Ertheilung  von  Concessionen  wohl  zu  erwägen, 
um  spätem  Klagen  der  Anwohner  vorzubeugen. 

4)  Mennige  Pb304  stellt  dieBleioxyd-Silicate  dar,  wird  schwieliger  als  Blei- 
glätte  zu  metallischem  Blei  reducirt  und  deshalb  dieser  vorgezogen;  das  Glas  erhält 
durch  Blei  ein  hohes  spec.  Gew-  und  ein  höheres  Lichtbrechungs vermögen  (Krystallglas, 
Flintglas). 

5)  Zink  kommt  als  Zinkweiss  und  Wismnth  als  Wismuthoxyd  oder  Bism.  subnitr. 
zur  Anwendung. 

Auf  die  Mischung  der  Rohmaterialien  legte  man  früher  wenig  Werth;  in 
neuerer  Zeit  sorgt  man  mehr  für  ein  Feinmahlen  und  Pulverisiren;  jeder  einzelne 
Bestandtheil  wird  auf  einer  Mühle  gemahlen.  Beim  Mahlen  sollte  stets  eine  An- 
feuchtung durch  Wasser  stattfinden,  während  beim  Sieben  jedenfalls  geschlos- 
sene Apparate  erforderlich  sind.  Beim  Mischen  entsteht  aber  wiederum  ein 
grosser  Staub,  dessen  gefährliche  Einwirkung  wegen  seines  Gehaltes  an  Sand, 
Quarz  u.  s.  w.  niemals  zu  unterschätzen  ist;  gewöhnlich  wird  eine  Schaufel  voll 
von  jeder  einzelnen  Substanz  auf  dem  Boden  eines  hölzernen  Kastens  oder  auf 
einem  aus  Steinplatten  bestehenden  Fussboden  ausgebreitet  und  die  zur  Schmelzung 
erforderliche  Masse  auf  diese  Weise  zu  einem  Haufen  vereinigt,  den  man  durch 
Umschaufeln  sorgfältig  vermischt.  Das  Gemenge  gelangt  dann  behufs  inniger 
Mischung  in  einen  Mischapparat,  der  aus  einem  hölzernen  Kasten  besteht, 
in  welchem  eine  hölzerne,  mit  Pflöcken  versehene  Walze  bewegt  wird;  zum  Ein- 
schütten benutzt  man  einen  Holztrichter,  während  durch  Oeffnen  einer  Klappe 
am  Boden  des  Kastens  das  Mahlgut  direct  in  ein  transportables  Gefäss  fällt, 
an  dessen  Stelle  zur  Verminderung  des  Staubes  ein  Füllkasten  mit  verschieb- 
barem Deckel  vorzuziehen  ist  (s.  S.  162). 

Als  Entfärbungsmittel  dient  1)  der  Braunstein  in  kleinen  Mengen;  in  grossem 
bildet  er  ein  Mangansilicat,  das  violett  färbt;  kommt  aber  dann  das  grün  färbende 
Eisenoxydulsilicat  (im  Sande)  hinzu,  so  heben  sich  Grün  und  Violett  als  Complementär- 
farben;  auch  Nickel-,  Antimon-  oder  Zinkoxyd  werden  benutzt. 

2)  Die  arsenige  Säure  kommt  gegenwärtig  seltner,  aber  immer  dann  zur 
Anwendung,  wenn  die  Glasmasse  vollkommen  geschmolzen  ist,  in  welche  man  ein  Stück 
dieser  Säure  bis  auf  den  Boden  des  Hafens  mittels  einer  eisernen  Stange  hinabdrückt; 


662  Silicium. 

sie  wirkt  auf  die  Kohle  und  das  Eisenoxydul  oxydirend  ein,   während  sie  zu  Arsen 
reducirt  wird  und  sich  als  Metall  verflüchtigt: 

Ass08  -+-  3  0  =  2  As  4-  3  CO, 
As203  +  6FeO  =  2  As  -+-  3Fe203. 
Arsenige  Säure  und  Kobalt  werden  nur  in  einigen  Fabriken  in  grössern 
Quantitäten  beim  Hohl-  und  Tafelglas  verwendet,  wenn  aus  demselben  Uhr-  und 
Brillengläser  dargestellt  werden.  Beim  Verbrauch  von  Arsen  sind  wie  bei  den  oben 
genannten  Gemengen  mehr  die  Nachbarn  als  die  Arbeiter  zu  berücksichtigen,  da 
sich  Arsen  mit  den  Feuerungsgasen  verflüchtigt.  In  der  Nähe  der  Fabriken  bemerkt 
man  oft  weniger  die  Einwirkung  auf  die  Vegetation  als  in  einiger  Entfernung  davon, 
obgleich  auch  namentlich  vom  Arsen  ein  Tlieil  im  Russ  der  Schornsteine  zurückbleibt; 
beim  Reinigen  derselben  ist  daher  auch  auf  diese  arsenikalische  Beimischung  zu  achten, 
wenn  keine  Flugstaubkammern  verwendet  worden  sind  (s.  S.  2f)3).  Diese  oder  ähnliche 
Vorrichtungen  sollten  aber  bei  einer  reichlichen  Verwendung  der  arsenigen  Säure  nie 
ausser  Acht  gelassen  werden.5) 

3)  Der  Salpeter  (Chilisalpeter)  wirkt  wie  arsenige  Säure;  ebenso  der  Baryt- 
salp e  t  e  r. 

4)  Mennige  wirkt  durch  Abgabe  des  Sauerstoffs,  welcher  vorhandene  organische 
Substanzen  verbrennt,  als  Entfärbungsmittel. 

Das  Schmelzen  des  Glassatzes  geschieht  in  den  sogen  Hafen,  welche  auf  der 
Glashütte  aus  schwer  schmelzbarem  Thon  und  gepulverten  Chamottesteinen 
fabricirt  werden.  Hierbei  entstehen  dieselben  Nachtheile  wie  in  den  Porcellanfabriken, 
da  der  beim  Zerkleinern  der  Chamottemasse  entstehende  Staub  seine  nachtheilige  Wir- 
kung auf  die  Respirationsorgane  der  Arbeiter  geltend  macht  (s.  Porcellanfabrik). 

Die  geformten  Hafen  werden  getrocknet,  gebrannt  und  glasirt.  Die  Form  der 
Hafen  ist  verschieden:  cylindrisch  ist  sie  bei  der  Holz-  und  Gasfeuerung,  hauben- 
förmig  bei  der  Steinkohlenfeuerung  und  bei  der  Fabrication  des  bleihaltigen  Glases. 

Die  Schmelz-  oder  Werköfen  sind  in  der  Regel  stehende  Flammenöfen;  der 
viereckige  oder  runde  Schmelzraum  ist  überwölbt  und  liegt  oberhalb  des  Feuerraums; 
die  Hafen  stehen  auf  der  sogen.  Bank  und  werden  durch  die  Flamme  ei'hitzt.  Neben- 
öfen, die  um  den  Hauptofen  gruppirt  sind,  dienen  zum  Vorwärmen,  Trocknen,  Ab- 
kühlen der  fertigen  Waaren  u  s.  w. 

Der  Siemens'sche  continuirlich  wirkende  Wannenofen  mit  Regene- 
rativfeuerung scheint  rasch  Eingang  zu  finden  und  alle  andern  Oefen  nach  und 
nach  zu  verdrängen;  dieser  Ofen  wirkt  so  kräftig,  dass  selbst  bleihaltiges  Glas  in 
demselben  geschmolzen  werden  kann. 

Die  verschiedenen  Glasarten.  Man  unterscheidet  1)  bleifreies  Glas,  zu  dem 
das  grüne  Flaschenglas,  das  halbweisse  oder  weisse  Hohlglas  (für  hohle 
Gefässe),  das  Krystallglas,  das  Tafelglas  (Fensterglas,  Spiegelglas)  u.  s.  w. 
gehören;  die  Materialien  bestehen  gewöhnlich  aus  Sand,  Soda  und  Calcium- 
carbonat und  zwar  entweder  in  rohem  oder  in  gereinigtem  Zustande,  je  nachdem 
man  ein  ordinäres  oder  sehr  weisses  Glas  darstellen  will;  2)  bleihaltiges  Glas 
(Krystall-  und  Flintglas,  Kronglas*,  Strass,  Email) j8)  3)  gefärbte  Gläser.7) 

In  sanitärer  Beziehung  ist  stets  das  Hauptgewicht  auf  Mischung,  Zer- 
kleinern u.s.w.  der  verschiedenen  Bestandtheile  zu  legen,  unter  denen  der  Kiesel- 
erdestaub stets  eine  die  Gesundheit  gefährdende  Stellung  einnimmt.  Das  Ver- 
mischen der  bleihaltigen  Ingredienzen  (Mennige,  Bleiglätte)  sollte  ganz  be- 
sonders nur  in  geschlossenen  Apparaten  vorgenommen  werden,  um  Bleiintoxi- 
cationen  der  Arbeiter  zu  verhüten;  wenn  diese  die  sogen.  Glassätze  in  hölzernen 
Kasten  zum  Ofen  bringen  und  mit  eisernen  Schaufeln  eintragen,  so  sollten  sie  mit 
Strenge  angehalten  werden,  Mund  und  Nase  zu  verbinden,  da  bei  diesen  Mani- 
pulationen Staubbildung  nie  völlig  zu  vermeiden  ist.     Bedenkt  man,    dass  das 

*)  In  England  nennt  man  auch  das  Mondglas  Kronglas;  Mondglas  ist  aber 
Fensterglas,  welches  nur  wegen  seiner  Form  diesen  Namen  erhalten  hat  und  einer 
besondern  mechanischen  Manipulation  zu  seiner  Darstellung  bedarf.  In  dieselbe  Kategorie 
gehört  auch  das  Walzenglas;  durch  Aufschneiden  eines  gläsernen  Cylinders  oder  einer 
Walze  und  das  Strecken  der  geöffneten  Walze  stellt  man  eine  Glastafel  dar;  deshalb 
heisst  es  auch  Tafelglas. 


Glasindustrie.  663 

Flintglas  zum  Drittel  seines  Gewichts  aus  Bleioxyd  bestellt  und  zu  optischem 
Glase  nach  Bontemps  ein  Glassatz  von  je  100  Th.  weissen  Sandes  und  Mennige 
und  nur  30  Th.  calcinirter  Soda  genommen  wird,  so  geht  hieraus  die  Gefährlich- 
keit des  Staubes  hinreichend  hervor.  Beim  Schmelzen  des  Bleiglases  ent- 
stehen stets  Bleidämpfe. 

Die  haubenförmigen  Oeffnungen  der  Hafen  sehliessen  sich  an  die  Arbeits- 
löcher an:  ein  einzelner  Hafen  steht  auf  einer  hohen  Bank  und  ist  rings  vom  Feuer 
umgeben,  das  auf  zweiseitlichen  Rosten  brennt,  zu  denen  mehrere  kurze  Schornsteine 
gehören,  aus  denen  häufig  die  Flammen  herausschlagen.  Die  Beschickung  erfolgt  in 
einzelnen  Sätzen  und  die  Oeffnungen  werden  erst  beim  Aufhören  der  Gasentwicklung 
geschlossen.  In  der  Regel  münden  die  Schornsteine  unter  einem  Mantel,  der  aber  zur 
Condensation  der  massenhaft  auftretenden  Dämpfe  wenig  geeignet  ist:  noth wendig  miisste 
der  Blechmantel  mit  einer  Flugstaubkammer  oder  mit  langen,  in  den  Fabrikschornstein 
mündenden  Canälen  in  Verbindung  stehen,  um  die  Ausbreitung  dieser  Dämpfe  in  die 
nächste  Umgebung  zu  verhüten,  während  vor  der  Arbeitsöffnung  ein  Fang  die  hier 
austretenden  Dämpfe  unter  den  Blechmantel  führen  und  die  Arbeiter  schützen  würde. 

Der  Strass  ist  ein  bleireiches  Kaliumsilicat  und  dient  zur  Darstellung  der 
künstlichen  Edelsteine,  indem  man  ihn  mit  färbenden  Metalloxyden  zusammenbringt.  So 
erfordert  z.  B.  der  Smaragd  einen  Zusatz  von  Kupferoxyd  und  Chromoxyd,  Saphir 
einen  Zusatz  von  Smalte  u.  s.w.  Auch  hier  ist  das  Pulverisiren  der  verschiedenen 
Metalloxyde  in  sanitärer  Beziehung  zu  würdigen. 

Email  ist  eine  durch  Zinnoxyd  undurchsichtig  gemachte  Glasmasse*).  Nachdem 
eine  Legirung  von  Blei  und  Zinn  geglüht,  pulverisirt  und  geschlämmt  worden,  wird 
das  gebildete  zinnsaure  Blei  mit  einer  Glasmasse  gefrittet,  d.h.  bis  zur  angehenden 
Schmelzung  erhitzt  (s.  Eisernes  Kochgeschirr). 

Das  Färben  der  Gläser  geschieht  selten  in  der  ganzen  Masse,  weil  sie  dadurch 
meist  undurchsichtig  werden. 

Ueberfangen  des  Glases  nennt  man  ein  Ueberziehen  des  farblosen  Glases  mit 
einer  dünnen  Schicht  des  gefärbten  Glases  und  zwar  entweder  nur  von  aussen  oder 
zwischen  zwei  Schichten. 

Für  achtes  Rubinglas  wird  Goldpurpur,  für  Gelb  werden  Antimonglas,  Chlor- 
silber und  Uranoxyd,  für  Blau  Kobaltoxyd,  Mangan  oxyd,  für  Schwarz  Eisenoxydul 
oder  ein  Gemenge  von  Kupferoxyd,  Braunstein  und  Kobaltoxydul  genommen. 

Bei  der  Glasmalerei  trägt  man  gefärbte  Glasflüsse  in  fein  zerriebenem  Zustande 
auf  eine  Glasfläche  auf  und  schmilzt  sie  bei  massiger  Hitze  ein.  Da  die  Metalloxyde 
sowohl  als  die  Glasflüsse  höchst  fein  pulverisirt  werden  müssen,  so  darf  diese  Manipu- 
lation wegen  des  gefährlichen  Staubes  nur  in  geschlossenen  Apparaten  vorgenommen 
werden.8) 

Glasperlen.  Die  Venetianer  Perlen  werden  aus  Emailglas  dargestellt:  die  hohlen 
oder  geblasenen  Perlen  überzieht  man  inwendig  mit  der  Perlenessenz,  die  aus  den 
Schuppen  des  Weissfisches  (Cyprinus  alburnus)  bereitet  wird;  die  massenhafte  Anhäufung 
von  Fischen  (ca.  20,000  Fische  sind  zu  1  Pfund  Essenz  erforderlich)  gibt  zu  höchst  un- 
angenehmen Gerüchen  Anlass.  Die  Schuppen  müssen  sofort  mit  Kalk  versetzt  werden, 
um  sie  als  Dungmittel  zu  benutzen.9) 

Sanitäre  Verhältnisse  der  Glasarbeiter. 

Unter  den  Manipulationen  dieses  Berufes  gehört  das  Glasblasen  zu 
den  anstrengendsten  und  ungesundesten  Arbeiten.  Die  strahlende  Hitze  und  die 
profusen  Schweisse  einerseits,  die  luftigen  und  zugigen  Räume  andrerseits  bedingen 
Extreme,  unter  deren  Einfiuss  auch  der  kräftigste  Körper  sich  erschöpfen  muss; 
kommt  dazu  noch  die  Anstrengung  des  Blasens  mit  der  „Pfeife"  und  das 
Schwingen  des  Glases  auf  der  Schwinggrube,  so  vereinigen  sich  so  viele  die 
ganze  Kraft  des  Körpers  in  Anspruch  nehmende  Momente,  wie  sie  kaum  in  einer 
andern  gewerblichen  Thätigkeit  vorkommen.  Hier  können  nur  kräftige  Ernäh- 
rung, massige  Arbeitszeit,  Pflege  des  Körpers  durch  Bäder  und  Vermeiden  aller 

*)  Auch  arsenige  Säure,  Chlorsilber,  namentlich  Calciumphosphat  und  Blanc  fixe, 
machen  das  Glas  undurchsichtig. 


664  Zinu- 

Excesse  die  Gesundheit  erhalten;  dabei  muss  namentlich  für  sehr  geräumige,  aber 
möglichst  zugfreie  Arbeitsräume  vor  den  Glasöfen  gesorgt  werden. 

Beim  Giessen  des  Glases  zu  Spiegelplatten  sind  es  vorzugsweise  die 
strahlende  Hitze  und  die  körperliche  Anstrengung,  welche  nachtheilig  einwirken; 
nachdem  die  flüssige  Masse  in  den  grossen  Schmelzhafen  tüchtig  umgerührt,  auch 
die  „Galle"  (die  auf  der  Oberfläche  sich  ausscheidenden  Theile  von  Natriumsulfat) 
abgeschöpft  worden  ist,  wird  das  flüssige  Glas  in  kleine  Hafen,  sog.  Wannen, 
umgefüllt  und  in  diesen  zum  Giesstische  gefahren*). 

Zum  Schleifen  und  Poliren  wird  gepochter  Feuerstein  und  Colcothar 
(Englisch -Roth,  s.  Eisen)  unter  Zusatz  von  Wasser  gebraucht.  Der  Schleif- 
schlamm  enthält  eine  Menge  Glaspartikelchen,  da  durch  das  Schleifen  die  Glas- 
tafeln beinahe  um  die  Hälfte  verdünnt  werden.  Auch  beim  Schleifen  des 
Krystallglases,  der  Uhren-  und  Brillengläser  wird  das  Schleifpulver  mit 
Wasser  befeuchtet,  so  dass  hierbei  kein  Staub  nachtheilig  einwirken  kann.  Die 
Uhrengläser  werden  aus  Hohlglas,  die  Brillengläser  aus  Tafelglas  meist  mit 
Maschinen  ausgeschnitten;  die  Glasstaubbildung  ist  so  unbedeutend,  dass  hierbei 
noch  kein  Nachtheil  nachgewiesen  worden  ist. 

Wiederholt  sind  aber  hier  die  verschiedenen  Staubarten,  die  beim 
Pulverisiren  und  Mischen  der  Rohmaterialien  entstehen,  als  die  grössten 
sanitären  Nachtheile  hervorzuheben;  ihre  Verhütung  muss  die  beständige  Aufgabe 
der  öffentlichen  Hygiene  und  das  unermüdliche  Bestreben  der  Techniker  bleiben. 

Wasserglas. 

Das  Wasserglas  is  ein  Alkali  Silicat,  das  in  Wasser  löslich  ist  und  an  der 

Luft  nicht  zerfliesst.    In  der  Industrie  ist  es  ein  Schutzmittel  gegen  Feuersgefahr, 

wenn  Gegenstände  aus  Holz,  Leinwand  u.  s.  w.  damit  überzogen  werden;    auch 

schützt  es  das  Holz  gegen  Schwamm  und  Würmerfrass. 

Zu  seiner  Darstellung  werden  Quarzsand,  Kohle  und  Pottasche  (Kaliwasser- 
glas)  oder  Natron  (Natronwasserglas)  zunächst  fein  gepulvert  und  ist  hierbei  der 
gefährliche  Staub    grade    wie   in    der   Glasindustrie    zu    beachten.     Das   Gemenge   wird 

feschmolzen  und  abermals  gepulvert,  worauf  das  Kochen  in  Wasser  folgt.  Die  Lösung 
eisst  präparirtes  Wasserglas  und  kommt  im  Handel  als  33 — 36grädig  vor,  wenn 
in  100  G.  Th.  Wasser  33 — 36  G.  Th.  festen  Wasserglases  enthalten  sind:  sie  kann  mit 
Thon,  Kreide,  Knochenerde,  Glaspulver,  Flussspath  u.  s.  w.  versetzt  werden  und  erhält 
dadurch  verschiedene  Eigenschaften  (s.  Schmierseife).10) 


Zinn,  Sn. 

Zinn  kommt  im  Sande  der  Flüsse  (Cornwallis,  auf  Malacca,  Insel  Banca) 

als  Zinnstein  SnOä  oder  seltner  als  Zinnkies  mit  Sauerstoff  und  Schwefel  auf 

Gängen  vor. 

Zinn  ist  weich,  hämmerbar  und  sehr  dehnbar  (Zinnfolie,  Stanniol);  bei 
200°  ist  es  spröde  und  lässt  sich  pulvern,  bei  280°  schmilzt  es,  ohne  flüchtig  zu  sein; 
heisse  Salzsäure  löst  das  Metall  unter  Entwicklung  von  Wasserstoff,  Aetzalkalien  lösen 
es  unter  Bildung  von  Zinnoxyd  resp.  Zinnsäure  auf. 

*)  Künftig  werden  gewiss  die  Siemens'scken  Wannenöfen  diese  Arbeit  erleichtern. 


Zinnindustrie. 


665 


Gewinnung  des  Metalls.  Vorzugsweise  wird  der  Zinnstein  verhüttet;  1)  die 
Gangart  wird  durch  Schlämmen  von  den  Erzstücken  befreit;  der  sich  in  den  Abfall- 
wässern niederschlagende  zinnsteinhaltige  Schlamm  (Schlich)  wird  oft  mit  Bleiglanz- 
schlich vermengt,  um  ihn  als  Glasurgut  in  den  Fayencefabriken  zu  verwenden;  2)  das 
Rösten  bezweckt  die  Entfernung  des  Schwefels  und  Arsens,  wenn  die  Erze  Schwefel- 
verbindungen von  Eisen  und  Kupfer  (Kiese)  enthalten,  sowie  die  Ueberführung  dieser 
Metalle  in  Oxyde.  Mag  dieser  Process  in  Schachtöfen  (Sachsen,  Böhmen)  oder  in 
Flammenöfen  (England)  vor  sich  gehen,  stets  müssen  Gestübbekammern  und  Canäle 
zwischen  diesen  und  dem  Hauptkamin  angelegt  werden,  um  die  Condensation  der  gif- 
tigen Gase  und  Dämpfe  zu  bewirken;  was  sich  hier  condensirt  und  niederschlägt 
(Gekrätz,  Gesckur),  besteht  meist  aus  arseniger  Säure,  Wismuthoxyd ,  Zinnoxyd, 
Quecksilber,  Zink  und  Blei. 

3)  Die  Reduction  des  Zinnsteins  durch  Schmelzen  mit  Kohle  geschieht  in 
modificirten  Schachtöfen  (Tiegel-,  Sumpf-,  Spuröfen)  unter  Mithülfe  eines  Gebläses;  das 
reducirte  Metall  fliesst  mit  den  Schlacken  zuerst  in  den  Vorherd,  wo  das  Metall  von 
den  Schlacken  getrennt  wird,  und  dann  nach  einem  tiefer  gelegenen  Theil  des  Herdes, 
in  den  Stichherd,  um  es  hier  als  Rohmetall  abzustechen.  Es  treten  hier  noch  die- 
selben Dämpfe  wie  beim  Rösten  auf;  die  Oefen  müssen  deshalb  überkuppelt  werden, 
um  die  Condensation  derselben  bewirken  zu  können. 

4)  Das  Reinigen  und  Pauschen  ist  ein  Umschmelzen  des  Metalls  und  beruht  auf 
einer  Saigerung  des  geschmolzenen  Metalls  durch  eine  glühende  Kohlenschicht,  um  die 
beigemengten  Metalle  zu  entfernen,  die  sich  als  Härtlinge  oder  Saigerkörner  (Le- 
girungen  von  Eisen,  Zinn,  Arsen,  Kupfer  und  namentlich  Wolfram)  absetzen. 


Fig.  53. 


Zinnindustrie. 

In   grossartigem  Massstabe  wird  das  Zinn   zum  Verzinnen    der  Eisen- 
bleche benutzt  (s.  S.  288). 

Man  taucht  hierbei  1)  die  Bleche  in  verdünnte  Salz- 
oder Schwefelsäure  in  einem  offnen  Schuppen  unter  einem 
Rauchfange  und  bringt  sie  in  Reverberiröfen ,  um  durch 
Einwirkung  der  Säure  die  Oxydschuppen  zu  beseitigen. 
Der  grösste  Theil  der  hierbei  auftretenden  schädlichen 
Gase  (Kohlen-,  Schwefel-,  Arsenwasserstoff) 
entweicht  mit  den  Verbrennungsgasen  durch  den  Schlot. 
Nach  dem  Abscheuern  der  Bleche  mit  Sand  oder  Draht- 
bürsten taucht  man  sie  2)  mehrmals  in  geschmolzenen 
Talg,  dann  in  geschmolzenes,  mit  Talg  bedecktes  Zinn  und 
schliesslich  in  ein  Bad  von  reinem,  geschmolzenem  Zinn. 
In  Folge  der  bedeutenden  Erhitzung  bilden  sich  viele  be- 
lästigende Acrole'indämpf e;  die  Schmelzkessel  müssen 
daher  unter  einem  gut  ziehenden  Schlot  stehen. 

Eine  hierzu  passende  Einrichtung  hat  D'Arcet  an- 
gegeben (Fig.  53),  die  sich  überall  empfiehlt,  wenn  es  sich 
um  eine  rasche  Entfernung  schädlicher  Gase  aus  dem 
Fabrikraum  handelt.  Der  vortheil  besteht  darin,  dass 
der  Schornsteinmantel  (a)  nach  vorn  recht  tief  herabtritt  und 
der  für  die  Feuerung  bestimmte  Schornstein  (c)  sich  mit 
der  gemeinschaftlichen  Esse  (b)  vereinigt.  Das  Gitterwerk 
(/)  des  Aschenkastens  (d)  liegt  im  Niveau  des  Fuss- 
bodens;  g  ist  der  Schmelzkessel. 

Das  Verzinnen  der  Stecknadeln  und  ähnlicher 
messingener  Gegenstände  geschieht  durch  Kochen  in  einem 
verzinnten  Kessel  mittels  Zinnkörner  und  einer  Auflösung 
von  Cremor  Tartari. 
Zum  Verzinnen  der  Ess-  und  Kochgeschirre  bedarf  man  eines  möglichst 
reinen  Zinns;  diesem  in  sanitärer  Beziehung  höchst  wichtigen  Umstände  wird 
viel  zu  wenig  Aufmerksamkeit  geschenkt,  namentlich  in  den  Staaten,  die  keine 
gesetzlichen  Bestimmungen  über  den  zulässigen  Zusatz  von  Blei  zu  Zinn 
bei  Legirungen  erlassen  haben. 

Die   Anfertigung    der   Legirungen  von  Zinn    und  Blei   für   öffentliche   Masse, 
Ess-  und  Trinkgeschirre,  hat  Frankreich  durch  das  Gesetz  vom  10.  Juni  1839  ge- 


666  zinn- 

regelt  und  den  Gehalt  an  Zinn  bei  der  Fabrication  der  Legirungen  auf  0,835  festgesetzt, 
den  Fabricanten  jedoeh  eine  gewisse  Toleranz  von  0,015  bei  der  Anfertigung  gestattet, 
weil  beim  Schmelzen  und  Ablassen  der  Metalle  ein  Theil  des  leichter  schmelzbaren 
Zinns  heraussaigern  und  dadurch  das  ursprünglich  gewählte  Verhältniss  der  Metalle 
leicht  verändert  werden  kann,  so  dass  das  für  die  Anfertigung  der  Zinnmasse  bestimmte 
Metall  nicht  weniger  als  0,82  reines  Zinn  und  nicht  mehr  als  0,18  Blei  ent- 
halten soll:2)  hingegen  beschränkte  die  Stadt  Paris  durch  eine  Polizei- Verordnung  vom 
23.  Februar  1853  den  zulässigen  Bleigehalt  auf  10%. 

Oest  er  reich  gestattet  auch  nur  1,'10Blei  (10  Th.  Blei  und  100  Th.  Zinn):  in  Sachsen 
war  dies  seit  dem  17.  Jahrhundert  der  Fall,  es  hat  aber  durch  Verordnung  vom  25.  Aug.  1874 
den  von  der  Kaiscrl.  Normal-Ei chungs-Commission  festgesetzten  Satz  von  5/c  Zinn  (83,3%) 
und  V6  Blei  (16,7%)  ädoptirt.  Die  gesetzliche  Regelung  dieses  Gegenstandes  für  das 
Deutsche  Reich  ist  aber  im  Hinblick  auf  die  grosse  Gefahr,  die  aus  der  Willkür  bei  der 
Anfertigung  der  Zinnlegirung  erwächst,  dringend  zu  erwarten,  nachdem  sich  die  §§  324 
u.  326  des  Strafgesetzbuches  als  völlig  unwirksam  erwiesen  haben:  übrigens  entsprechen  sie 
auch  den  Grundsätzen  der  öffentlichen  Gesundheitspflege  nicht,  nach  denen  man  nicht 
erst  den  Schaden  abwarten,  sondern  demselben  vorbeugen  soll.3) 

Ganz  reines  Zinn  kommt  freilich  im  Handel  selten  vor,  am  reinsten  ist  noch 
das  Banco-  oder  Blockzinn;  man  hat  aber  auch  in  dieser  Beziehung  eine  gewisse 
Toleranz  geübt  und  ein  Zinn,  welches  1 — 2  Th.  fremder  Metalle  auf  100  Th.  enthält, 
noch  für  zulässig  erklärt.  In  Deutschland  herrscht  auch  bei  den  bessern  Zinngiessern 
in  dieser  Beziehung  viel  Willkür;  Engelzinn  mit  84%  Zinn  wird  nur  ausnahmsweise 
benutzt,  Kronzinn  (70%)  wird  in  der  Regel  schon  für  gut  bezeichnet,  während  aus 
Spiegelzinn  (Zinn  und  Blei  zu  gleichen  Theilen)  vielfältig  die  gewöhnlichen  Kaffee- 
und  Esslöffel  angefertigt  werden. 

Conipositionsmetall,  englisches  Metall,  heisst  eine  Legirung  von  Zinn  mit  wenig 
Kupfer,  Antimon  und  Wismuth;  auch  Britannia-Metall  besteht  häufig  aus  Zinn, 
Antimon  und  etwas  Kupfer.  In  Lüdenscheid  wählt  man  hierzu  90%  Zinn  und  10%  einer 
Mischung  von  Kupfer  und  Antimon.  Alle  diese  Legirungen  werden  sehr  häufig  zur 
Fabrication  von  Theekannen,  Löffeln  und  den  verschiedensten  Gerätschaften  benutzt. 
In  frühern  Zeiten  gebrauchte  man  in  England  niemals  Blei  zum  Härten  des  Zinns, 
sondern  stets  Wismuth:  wegen  seines  grössern  Preises  trat  es  aber  in  den  Hintergrund 
und  wurde  dann  Zinn  mit  Antimon  und  andern  Metallen  legirt.  Gegenwärtig  trifft  man 
englisches  Metall  an,  welches  ebenfalls  Zusätze  von  Blei  neben  Kupfer  und  Antimon 
enthält,  so  dass  dasselbe  jedenfalls  nicht  mit  Säuren  in  Berührung  kommen  darf. 

Auch  in  Deutschland  ist  Antimon  wegen  seines  billigen  Preises  mit  Zinn  legirt 
worden;  es  kommen  aber  auch  Löffel  vor,  welche  gar  kein  Zinn  enthalten,  sondern  nur  aus 
20  Th.  Antimon  und  80  Th.  Blei  oder  30  Th.  Antimon  und  70  Th.  Blei  be- 
stehen. Ein  solches  Fabricat  gibt  sich  schon  durch  eine  bedeutendere  Schwere,  grössere 
Biegsamkeit  ohne  Knirschen,  dunklere  Farbe  und  ein  Abfärben  auf  Papier  zu  erkennen; 
ein  paar  Tropfen  Essig  mit  demselben  in  Berührung  gebracht,  nehmen  bald  einen 
süssen  und  zusammenziehenden  Geschmack  an. 

Um  billige  Fabricate  zu  liefern,  hat  man  auch  altes  Schriftmetall  mit  alten 
zinnernen  Geräthen  legirt,  so  dass  gegenwärtig  die  bedenklichste  Willkür  bei  dieser 
Fabrication  herrscht.  Die  Gefahr  ist  um  so  grösser,  weil  die  schädlichen  Legirungen 
in  den  wenigsten  Fällen  sofort  ihre  Wirkung  auf  die  Gesundheit  der  Menschen  entfalten, 
sondern  das  Gift  im  Organismus  erst  allmählig  aufspeichern. 

Sehr  nachtheilige  Folgen  kann  eine  schlechte  Legirung  auch  bei  den  Kinder- 
spielzeugen haben,  da  bei  diesen  ein  Gehalt  von  50  Th.  Blei  auf  50  Th.  Zinn  gar  nicht 
zu  den  Seltenheiten  gehört.  Auch  der  zum  Einpacken  von  Nahrungs-  und  Genussmitteln 
zur  Anwendung  kommende  Stanniol  enthält  nicht  selten  60 — 80%  Blei  (s.  Blei). 

Früher  war  man  der  Ansicht,  dass  Zinn  in  der  Legirung  mit  Blei  vor  der 
Oxydation  geschützt  bleibe;  Proust  und  Vauquelin  glaubten  sogar  noch,  dass  Weinessig 
Blei  in  einer  Legirung  von  17  -18%  Bleigehalt  nicht  angreife.  Es  ist  aber  ausser  Frage 
gestellt,  dass  sich  bei  Einwirkung  von  Säuren  auf  Zinnlegirungen  sowohl  Zinn  als  Blei  auf- 
lösen; besonders  hat  Pleischl*)  experimentell  festgestellt,  dass  mit  der  Zunahme  von  Blei 
in  solchen  Legirungen  auch  mehr  Blei  aufgelöst  wird,  wenn  Essig  auf  dieselben  einwirkt. 

Andere  Untersuchungen  haben  ergeben,  dass  nach  der  24stündigen  Einwirkung 
des  stärksten  im  Handel  vorkommenden  Essigs  auf  die  metallische  Wandfläche  eines 
',2-Liter-Masses  bei  einem  Gehalte  desselben  an 

91,3%  Zinn  und  8,7%  Blei  ein  Quantum  von  39  Mgrm.  Zinn  und 
85,5  %      „       „     14,5  %     „       „  „  „     40       „  ;,         „ 

816^  184^  44 

al1,J/0         11  5)        Jur  'o       •>•>  ■)•>  11  11        "  11  11  11 

77 fi  4>      ii       ii     22,3  %     „       „  „  „     41       „  „         „ 

73,4%      „       „     22,6%     „       „  „_  „     38       „ 

aufgelöst  wird  (s.  Circ.  24  der  Normal-Eichuugs-Commission   vom  30.  Juni   1873). 


3  Mgrm. 

Blei, 

6       „ 

ii 

10       „ 

n 

10       „ 

n 

12       „ 

Zinnindustrie.  667 

Aus  dieser  exacten  Analyse  ergibt  sich,  dass  ein  Gehalt  von  1/10  Blei  für  Zinn- 
legirungen  den  "Vorzug  verdient  und  auch  der  Fabrication  derselben  kein  Hinderniss 
entgegenstellt.5) 

Die  Benutzung  der  Zinngeräthe  für  die  Aufbewahrung  und  Bereitung  von 
Genuss-  und  Nahrungsmitteln  erfordert  die  sorgfältigste  TJeberwachung  derselben  Seitens 
der  Polizeibehörde.  So  hat  Reichfit6)  über  die  Einwirkung  von  Kochsalz  auf  Zinn- 
legirungen  ausführliche  Analysen  angestellt  und  gefunden,  dass,  wenn  z.  B.  eine  gewöhn- 
liche Kochsalzlösung  in  einem  zinnernen  Gefässe  nur  1  Stunde  lang  stehen  gelassen  wird,  die 
Analyse  0,311%  Blei  =  0,420%  Bleichlorür  ergab.  In  den  Zinnmassen  findet  am 
leichtesten  in  den  kleinen  Spalten  und  Rissen  eine  Oxydation  von  Blei  statt,  wenn  sie 
mit  Essig  in  Berührung  kommen:  in  Frankreich  ist  deshalb  den  Spezereihändlern  ver- 
boten worden,  Zinnmasse  zum  Vermessen  von  Es  sie  zu  verwenden. 

Die  in  ihrer  Aetiologie  lange  dunkel  gebliebene  „Coliqne  Seche",  die  am  häufigsten 
auf  Schiffen  vorkommt,  kann  in  den  meisten  Fällen  auf  das  Trinkwasser  geschoben 
werden,  das  in  Gefässen  von  bleihaltiger  Zinnlegirung  desrillirt  worden  ist;  über  die 
Ursache  dieser  Krankheit  kann  nicht  der  geringste  Zweifel  herrschen,  wenn  zu  den 
Kolikanfällen  schliesslich  die  Lähmung  der  Streckmuskeln  des  Vorderarms 
hinzutritt r)- 

Kohlensäurehaltiges  Wasser  kann  sehr  leicht  bleihaltig  wei-den,  wenn  die 
Röhren  oder  Stöpsel  der  Siphons  aus  einer  schlechten  Zinnlegirung  bestehen.  Als  vor 
mehreren  Jahren  Legirungen  von  Blei  und  Zinn  als  patentirtes  Surrogat  der  Korke  für 
Weinflaschen,  Gefässe  u.  s.  w  in  den  Handel  kamen,  fanden  sich  häufig  die  weinigen 
Flüssigkeiten,  eingemachte  Früchte  u.  s.w.  bleihaltig. 

Bei  der  Anfertigung  der  Zinnmasse  und  Zinngeschirre  gibt  man  bei  einer 
geregelten  Fabrication  den  Gehalt  an  Zinn  an  und  nennt  diese  Legirungen  2-,  3-,  4- 
oder  5 pfundiges  Zinn,  d.  h.  werden  gleiche  Theile  von  Zinn  und  Blei  zusammen- 
geschmolzen, so  heisst  die  Legirung  2pfündiges  Zinn,  Spfündig  bei  2  Pfd.  Zinn  und 
1  Pfd.  Blei  und  6pfündig  bei  5  Pfd.  Zinn  und  1  Pfd.  Blei:  letztere  Legirung  ist  das 
3stemplige  Zinn:  aus  32  Pfd.  Zinn  und  1  Pfd.  Blei  besteht  das  4stemplige  Zinn. 

Zum  Verzinnen  von  neuen  messingenen  oder  kupfernen  Geschirren 
benutzt  man  nur  in  den  bessern  Werkstätten  6 — 7pfündiges  Zinn:  die  meisten  Klempner 
.bedienen  sich  bei  der  Wiederherstellung  abgenutzter  Verzinnungen  sogar  des  Schnell- 
loths  (Zinn-  oder  Weissloths),  das  aus  einer  Legirung  von  1,5 — 2  Th.  Blei  und  1  Th. 
Zinn  besteht*).  Dass  eine  schlechte  Verzinnung  viel  häufiger,  als  man  vermuthet. 
Bleiintoxicationen  zu  erzeugen  vermag,  ist  nicht  im  Geringsten  zu  bezweifeln,  da  Blei 
überall,  wo  es  mit  sauren  oder  salzigen  Speisen  zusammenkommt,  aufgenommen  wird.8) 

Unächtes  Blattsilber  besteht  aus  Zinn  und  Zink  und  wird  vielfältig  zum  Ver- 
packen von  Genuss-  und  Nahrungsmitteln  benutzt:  kommt  dasselbe  mit  Kochsalz 
zusammen,  so  wird  sich  stets  Chlorzink  bilden,  so  dass  auf  vielfältige  Weise  Ge- 
sundheitsstörungen hierdurch  veranlasst  werden  können. 

Musivgold.  Zinnsalüd  SnS2.  Zinnhronze,  wird  im  Grossen  dargestellt,  indem  man 
ein  aus  12  Th.  Zinn  und  6  Th.  Quecksilber  bestehendes  Amalgam  pulverisirt  und  mit 
6  Th.  Salmiak  und  6  Th.  Schwefel  innig  mischt:  man  erhitzt  die  Mischung  in  einem 
langhalsigen  Kolben  bis  zur  Rothgluth.  Das  Verfahren  verdient  in  sanitärer  Beziehung 
die  grösste  Beachtung,  da  sich  die  gefährlichsten  Dämpfe  hierbei  entwickeln. 

Die  Sublimation  darf  niemals  offen  in  Laboratorien,  sondern  nur  unter  gut 
ziehenden  Rauchfängen  vorgenommen  werden;  besser  ist  es  jedoch,  sämmtliche  Kolben 
in  ein  gemeinschaftliches  weites  Glasrohr  münden  zu  lassen,  welches  wenigstens  5 — 6  Fuss 
lang,  etwas  abgeneigt  ist  und  in  eine  grosse  Woulfsche  Flasche  einmündet:  letztere 
setzt  man  noch  mittels  eines  besondern  Rohrs  mit  einem  gut  ziehenden  Kamin  in  Ver- 
bindung. Es  werden  hierbei  Dämpfe  von  Schwefelquecksilber  (Zinnober), 
metallischem  Quecksilber,  namentlich  von  sublimathaltigem  Calomel,  von 
Zinnchlorür  und  Zinnchlorid  verdichtet.  Die  gewonnene  Masse  kann  auf  Sublimat 
verarbeitet  und  das  Zinn  später  durch  Mercurius  vivus  ausgefällt  werden. 

Man  verwendet  das  Musivgold  zur  unächten  Vergoldung  auf  Holz,  Pappe,  Papier- 
mache, Messing,  Kupfer,  Gips,  wobei  es  mit  Eiweiss  aufgetragen  wird:  das  Ganze  erhält 
schliesslich  einen  Ueberzug  von  durchsichtigem  Lack. 

In  der  neuern  Zeit  haben  die  Bronzepulver  resp.  Bronzefarben  dem  Musiv- 
golde  grosse  Concurrenz  gemacht;  das  Musivgold  besitzt  aber  den  grossen  Vortheü,  dass 

*)  Das  gewöhnliche  Loth  (Strengloth)  für  schwer  schmelzbare  Metalle, 
Weissblech  u.  s.w.  besteht  aus  gleichen  Theilen  Blei  und  Zinn:  es  ist  Regel,  dass 
die  zum  Löthen  zu  verwendenden  Legirungen  einen  niedrigem  Schmelzpunct  haben  als 
die  Metalle,  welche  verbunden  werden  sollen;  alle  Lothe  haben  daher  ein  sanitäres 
Interesse. 


668  Titan. 

es  weder  von  concentrirter  Salz-  noch  Schwefelsäure  aufgelöst  wird;  es  ist  daher  noch 
nicht  ganz  zu  entbehren. 

Zinnchlorür  (Stannochlorür)  SnCk,  Stannum  chloratum,  wird  durch  Auflösen  von 
Zinn  in  Salzsäure  dargestellt;  durch  den  atmosphärischen  Sauerstoff  verwandelt  es  sich 
in  Zinnoxychlorid  SnCl4  +  SnO.  Es  wirkt  deshalb  auch  als  Reductionsmittel  und  dient 
als  solches  in  den  Färbereien,  für  welche  es  im  Grossen  dargestellt  wird:  es  heisst 
dann  Zinnsalz.     Auch  zur  Präparation  von  Lackfarben  ist  es  vielfältig  in  Gebrauch. 

Zinnclllorid  (Stannichlorid)  SnCl4,  Spiritus  fumans  Libavii,  entsteht  als  wasser- 
helle, an  der  Luft  rauchende  Flüssigkeit  durch  Ueberleiten  von  Chlor  über  erwärmtes 
Zinn  oder  Zinnchlorür;  durch  Vermischen  mit  einem  Dritttheil  seines  Gewichts  Wasser 
erstarrt  es  zu  einer  krystallinischen  Masse  (Butyrum  stanni). 

Dieses  wasserhaltige  Zinnchlorid  bildet  mit  Chlorammonium  das  sogen.  Pinksalz 
(vom  englischen  Worte  Pink  [Nelke]  herrührend)  SnCl4  +  2NH4C1,  welches  an  der  Luft 
nicht  veränderlich  und  daher  handlicher  ist;  es  dient  in  der  Färberei  als  Beizmittel. 

Das  reine  Zinnehlorid  wird  in  Anilinfabriken  benutzt.  Zur  Darstellung 
des  rothen  Saffians  werden  die  vorbereiteten  Felle  in  eine  Beize  gelegt,  welche  aus 
Zinnchlorid,  Alaun  und  Weinstein  oder  auch  aus  Zinnsalzen  besteht. 

Als  Physik,  Composition,  kommt  das  sog.  salpetersaure  Zinn  in  den  Färbereien 
vor,  welches  durch  Auflösen  von  Zinn  in  Königswasser  bereitet  wird  und  Zinnchlorid 
neben  Zinnchlorür  enthält. 

Zinnsaures  Natrium,  Natriumstannat  Na2  Sn03  ist  als  sogen.  Präparirsalz 
in  der  Kattun dr uckerei  bekannt. 

Bei  der  Goldleisten-  und  Goldrahmenfabrication  gebraucht  man  Zinnfolien  und 
Goldfirniss,  der  aus  einer  Spirituosen  Auflösung  von  Schellack,  Mastix,  Sandarach, 
Gummigutt,  Curcuma,  Alkanna  und  Drachenblut  besteht.  Da  das  Holz  vorher  mit  einer 
Leimlösung  getränkt  wird,  so  heisst  das  Verfahren  auch  Leimversilberung;  nur 
der  gelbe  Firniss  verleiht  der  Zinnfolie  die  Goldfarbe.  Die  Chinesen  benutzen  zu 
Vergoldungen  an  Möbeln,  lackirten  Holzarbeiten  u.  s.  w.  nur  Zinn,  das  auf  diese  Weise 
gefärbt  resp.  lackirt  ist.  Man  gebraucht  in  neuerer  Zeit  auch  Anilinfarben, 
Corallin,  Martiusgelb  und  Pikrinsäure  hierzu.  Gefärbtes  Zinn  kommt  auch 
im  Handel  vor. 


Titan,  Ti. 

Titan  kommt  als  Titansänreanhydrid  (Anatas,  Rutil,  ßrookit),  ferner  in  Ver- 
bindung mit  Eisen  und  Sauerstoff  als  Titaneisen  vor. 

Seine  wichtigste  Verbindung  ist  die  Titansäure  Ti(OH)4.  Künstlich  dar- 
gestellt ist  es  ein  weisses  Pulver,  welches  auf  den  thierischen  Organismus  keine 
giftigen  Wirkungen  ausübt.  Eine  Taube  erhielt  davon  0,9  Grm.,  ohne  im  Geringsten 
alterirt  zu  werden;  C.  G.  Gmelin  gab  einem  Hunde  30  Grm.,  ohne  eine  Wirkung  zu 
beobachten.1) 

Es  ist  noch  zu  erwähnen,  dass  die  metallisch  glänzenden,  kupferrothen  Würfel, 
welche  sich  in  Hohöfen,  in  denen  titanhaltige  Eisenerze  verschmolzen  werden,  finden  und 
zuerst  von  Wollaslon  beobachtet  worden  sind,  eine  Doppelvei'bindung  von  Cyantitan 
und  Stickstofftitan  Ti5N4C  darstellen. 


Kalium.  6(39 


Metalle. 


Kalium,  K 

Kalium  kommt  nur  in  Form  von  Salzen  in  der  Natur  vor,  namentlich  als 
Chlorid  in  den  Ablagerungen  zu  Stassfurth  und  im  Meereswasser.  Bei  gewöhn- 
licher Temperatur  ist  das  Metall  eine  wachsweiche  Masse  mit  Metallglanz  auf  der 
Schnittfläche. 

Seine  Darstellung  im  Grossen  geschieht  durch  Reduction  eines  Gemenges  von 
Kaliumcarbonat  mit  Kohle,  das  durch  Glühen  von  Weinstein  erhalten  und  unter  Zusatz 
von  Holzkohle  in  Retorten  der  Weissgluth  ausgesetzt  wird;  sobald  die  Reduction  be- 
ginnt, wird  mittels  eines  Flintenlaufs  eine  kupferne  Vorlage  vorgelegt.  Eine  Verbindung 
von  Kohlenoxy-cl -Kalium  verstopft  leicht  den  Retortenhals;  durchstossen  nun  die 
Arbeiter  mit  einem  Draht  die  Verstopfung,  so  müssen  sie  sich  vor  dem  leicht  bis 
zum  Mündungsrohr  stürzenden  Kalium  schützen  und  deshalb  die  Handhabe  des  Drahts 
mit  einem  Pappdeckel  schirmartig  versehen.  Die  Vorlage  enthält  Petroleum  zur  Auf- 
nahme von  Kalium  und  ist  stets  mit  einem  Ableitungsrohr  für  die  auftretenden 
Dämpfe  von  Petroleum  und  Kohlenoxyd-Kalium  zu  versehen,  widrigenfalls  die  Arbeiter 
von  Erbrechen  und  Betäubung  befallen  werden  können. 

Das  rohe  Kalium  wird  noch  durch  Schmelzen  und  Pressen  unter  Petroleum  ge- 
reinigt und  stets  unter  diesem  aufbewahrt. 

Unter  seinen  Verbindungen  ist  die  mit  Salpetersäure  und  Kohlensäure  in 
technischer  Beziehung  am  wichtigsten. 

Pottasche. 

Die  älteste  Methode  der  Darstellung  von  Pottasche  (Kaliumcarbonat) 
ist  die  aus  der  Holzasche;  sie  findet  hauptsächlich  in  Russland,  Schweden  und 
Amerika  statt,  da  dort  der  Reichthum  an  Waldungen  das  Mittel  liefert.  Man 
unterscheidet  das  Einäschern,  die  Laugerei,  Siederei  und  das  Calciniren. 

Bei  der  Darstellung  der  Pottasche  aus  Kalisalzen,  namentlich  aus  Chlor- 
kalium, bedient  man  sich  desselben  Verfahrens  wie  bei  der  Sodafabrication.  Das  Chlor- 
kalium wird  durch  Schwefelsäure  in  Kaliumsulfat  übergeführt,  wobei  viel  Salz- 
säure auftritt.  Die  Reduction  des  Kaliumsulfats  geschieht  mittels  Kohle  und  Kreide 
in  Calciniröfen.  Beim  Auslaugen  geht  das  gebildete  Kaliumcarbonat  in  Lösung  über, 
während  der  Rückstand  aus  Schwefelcalcium  CaS  besteht  (s.  Sodaprocess). 

Die  Darstellung  der  Pottasche  aus  Schlempekohle  s.  S.  506,  die  aus 
dem  Wollschweiss  S.  558. 

Salpeterindustrie. 

Früher  vermischte  man  leicht  faulende,  stickstoffhaltige  Substanzen  mit 
kalk-  und  kalihaltiger  Erde  und  bildete  hieraus  pyramidale  Haivfen;  auch  begoss 
man  sie  häufig  mit  Mistjauche,  Blut  u.  s.  w.,  um  den  Fäulnissprocess  zu  beschleu- 
nigen und  Ammoniakbildung  hervorzurufen  (Salpeterplantagen).    Die  Gegen- 


670  Kalium. 

wart  einer  alkalischen  Base  befördert   die  weitere  Oxydation  von  Ammoniak  zu 
salpetriger  resp.  Salpetersäure. 

Um  die  in  der  Rohlauge  enthaltenen  salpetersauren  Salze  des  Kalks  und 
der  Magnesia  in  Kaliumnitrat  zu  verwandeln,  setzte  man  Pottas.che  (Kalium- 
earbonat)  oder  Chlorkalium  hinzu  (Brechen  der  Rohlauge);  hierauf  folgte  das 
Versieden  und  Raffiniren  der  Rohlauge,  um  die  Chlorverbindungen  und  andere 
Verunreinigungen  auszuscheiden. 

Die  Salpeterplantagen  hatten  viele  sanitäre  Nachtheile  im  Gefolge  und 
führten  Zustände  herbei,  die  man  gegenwärtig  in  sanitärem  Interesse  so  viel  als  möglich 
zu  vermeiden  sucht:  sie  sind  daher  auch  ganz  verdrängt  worden,  seitdem  der  Salpeter 
aus  Xatriumnitrat  (Chilisalpeter)  und  dem  in  den  Abraumsalzen  von  Stassfurt  enthaltenen 
Clilorkaliuiii  dargestellt  wird: 

NaN03  +  KCl  =  KN03  +  NaCl. 

Das  sich  ausscheidende  Kochsalz  wird  durch  Krücken  aus  der  Lauge  entfernt 
und  zum  Abtropfen  gebracht. 

Die  grossartigste  Verwendung  findet  der  Salpeter  in  der  Pulverfabrication. 

Schiesspulver. 

Das  Schiesspulver  ist  ein  explosives  Gemisch  von  Kohle,  Salpeter*) 
und  Schwefel;  wahrscheinlich  hat  man  schon  Jahrtausende  v.  Chr.  in  Hochasien 
ähnliche  Zusammensetzungen  gekannt,  die  Erfindung  des  Schiesspulvers  und  seine 
Benutzung  zu  Kriegszwecken  datirt  sich  aber  erst  aus  dem  14.  Jahrhundert. 

Die  Zusammensetzung  der  verschiedenen  Pulversorten  und  Sprengpulver  ist 
sehr  variabel;  überall  gilt  aber  als  Hauptbedingung,  dass  der  Salpeter  frei  von  Chlor- 
verbindungen und  Natriumnitrat  sei,  um  ein  Feuehtwerden  des  Pulvers  zu  verhüten. 
Als  Schwefel  darf  nur  Stangen schwefel,  der  frei  von  schwefliger  Säure  ist,  gewählt 
werden.  Zur  Darstellung  der  Kohle  wählt  man  häufig  das  Faulbaumholz  oder  auch 
Weiden-,  Pappel-,  Linden-  und  Kastanienholz;  die  mittels  überhitzter  Wasser- 
dämpfe dargestellte  Kohle  soll  sich  durch  hohe  Entzündlichkeit  auszeichnen. 

Gegenwärtig  pulverisirt  man  die  Materialien  in  einer  Operation  oder,  was 
vorzuziehen  ist,  für  sich  allein  auf  Stampf-  oder  Walzmühlen  (Kollermühlen)  oder 
in  besondern,  inwendig  mit  Leder  überzogenen  Pulverisirtrommeln.  Das  Mengen 
geschieht  in  Trommeln  oder  auf  Walzmühlen,  das  An  feuchten  mit  Wasser  in  hölzernen 
Kasten,  das  Dichten  durch  ein  Walzwerk  oder  eine  hydraulische  Presse. 

Zum  Körnen  gebraucht  man  Siebe  ( Lefevi  f-'sche  Körnmaschine),  während  das 
Poliren  in  Trommeln  stattfindet,  wobei  sich  die  Körner  durch  Aneinanderreihen  glätten: 
da  durch  das  Reiben  Wärme  hervorgerufen  wird,  so  ist  diese  Procedur  nicht  gefahrlos. 
Das  Trocknen  findet  an  der  Luft  oder  in  Trockenräumen  durch  warme  Ofenluft  oder 
Wasserdampf  statt.  Das  Ausstanben,  d.  h.  die  Entfernung  des  Pulverstaubes,  geschieht 
in  Säcken,  die  an  Flügeln  befestigt  werden,  welche  schraubenförmig  an  einer  Welle  an- 
gebracht sind;  bei  der  Umdrehung  der  Welle  dringt  der  Staub  durch  den  Sack  und 
wird  gegen  eine  Wand  von  Leinwand  geschleudert,  die  vor  der  Maschine  aufgestellt  ist; 
man  sammelt  den  Staub,  um  ihn  anderweitig  zu  verwerthen.  Das  Sortiren  bezweckt 
die  Trennung  des  Pulvers  in  Geschütz-  und  Gewehrpulver  und  das  Mengen  eine  möglichst 
gleichförmige  Beschaffenheit  des  Pulvers. 

Das  Verpacken  des  Pulvers  geschieht  in  allen  deutschen  Staatsfabriken  in  der 
Weise,  dass  man  es  zuerst  in  Säcke  schüttet  und  diese  in  die  Pulvertonnen  hineinsetzt; 
man  bindet  die  Säcke  zu  und  schlägt  die  Tonnen  mit  hölzernen  Hämmern  zu. 

Pnlvemiühlen  müssen  selbstverständlich  in  einsamen  Gegenden  liegen  und  mög- 
lichst von  einem  Erdwall  umgeben  sein;  Anzünden  von  Feuer  darf  nur  in  einer  Ent- 
fernung von  100  Meter  und  selbst  das  Rauchen  nur  in  einer  Entfernung  von  20  Meter 
stattfinden.  Die  Arbeiter  erhalten  eine  vorschriftsmässige  Bekleidung  mit  Knöpfen  von 
Holz  oder  Hörn  und  Schuhe  ohne  Nägel;  selbst  in  den  Taschen  darf  nichts  Metallisches 
aufbewahrt  werden.  Der  Fabrikraum  darf  nicht  mit  Licht  betreten  werden,  auf  dem 
Fussboden  und  auf  den  Geräthschaften  muss  durch  Kehren.  Abstäuben  u  s.w.  die  grösste 
Reinlichkeit  hergestellt  werden.  Alle  eisernen  Geräthschaften  sind  zu  vermeiden:  wo 
Metall  nothwendig  ist,  darf  nur  Kupfer  gewählt  werden. 


*)  Versuche,  Salpeter  durch  chlorsaures  Kali  zu  ersetzen,  z.  B  im  weissen 
Pulver  von  Augendre,  das  aus  chlorsaurem  Kali,  Rohrzucker  und  Blutlaugensalz  be- 
steht, haben  sich  nicht  bewährt. 


Schiesspuher.  671 

Pulvermagazine  werden  aus  Stein  oder  besser  aus  Holz  gebaut  und  mit  einem 
leichten  Dache  bekleidet;  trockne  Lage  ist  Haupterforderniss,  nächstdem  Umgebung 
von  einem  Graben  und  Erdwalle.  Die  Telegraphenlinie  muss  wenigstens  100  Meter 
davon  entfernt  liegen;  eine  in  der  Nähe  gelegene  unterirdische  Leitung  muss  mit  einem 
Blitzableiter  versehen  sein. 

Auch  Pulvermagazine  dürfen  nur  mit  Filzschuhen  betreten  werden ;  hat  man  aus- 
nahmsweise Licht  nöthig,  so  bedient  man  sich  hierzu  besonders  constrüirter  Laternen. 

Beim  Transporte  sind  dieselben  Vorsichtsmassregeln  wie  beim  Nitroglycerin 
oder  rohen  Petroleum  nothwendig;  fast  in  jedem  Lande  bestehen  hierüber  besondere 
Vorschriften ;  in  America  hat  man  für  den  Transport  auf  Eisenbahnen  besondere  Wagen 
von  dickem  Kesselblech  construirt. 

Fenerwerkssätze,  die  sich  schwerer  entzünden  und  langsamer  abbrennen,  dienen 
meist  als  Leuchtsätze  (Leuchtkugeln),  Triebsätze  (Raketen)  und  Brandsätze. 
Die  Grundniengungen  bestehen  meist  aus  Schiesspulver  oder  aus  Salpeter- 
schwefel (3  Th.  Salpeter  und  1  Th.  Schwefel)  oder  aus  dem  grauen  Satz  (Salpeter- 
schwefel und  Mehlsatz). 

Unter  Anfeuernng  versteht  man  ein  Gemenge  von  Pulver  und  Spiritus,  das  zur 
Herstellung  mehrerer  Zündvorrichtungen  dient;  ein  mit  Anfeuerung  imprägnirtes  und 
mit  Mehlpulver  bestreutes  Baumwollzeug  stellt  z.B.  eine  Zündschnur  dar. 

In  der  Kunst-  und  Lustf euerwerkerei  erzeugen  Zusätze  von  Salzen  die  ver- 
schiedenen Farben,  z.  B  Strontian  Roth,  Natronsalpeter  Gelb,  Barytsalpeter  Grün, 
Kupfercarbonat  Blau. 

In  den  Laboratorien  müssen  dieselben  A'orsichtsmassregeln  wie  in  Pulver- 
mühlen gelten;  alle  eisernen  Werkzeuge  sind  zu  vermeiden,  nur  die  Raketenbohrer 
können  aus  Stahl  oder  Eisen  angefertigt  werden.  Kommt  chlorsaures  Kalium  zur 
Verwendung,  so  muss  der  Boden  mit  wollenen  Decken  belegt  und  vor  Beginn  der  Arbeit 
mit  Wasser  besprengt  werden;  alles  Verstaubte  ist  mit  der  grössten  Vorsicht  zu- 
sammenzukehren. Frisch  gebrannte  Holzkohle  darf  zu  Feuerwerkssätzen  nicht  ver- 
wendet werden. 

Beim  Verkaufe  ist  wie  beim  Schiesspulver  zu  verfahren;  der  Verkäufer  darf  aber  in 
seinem  Hause  nur  höchstens  20  Pfd.  Pulver  oder  zündbarer  Salze  in  gut  verschlossenen 
Kisten  vorräthig  halten;  Körper,  die  zur  Selbstentzündung  geneigt  sind,  dürfen  sich 
nur  kurz  vor  dem  Gebrauche  im  Laboratorium  befinden. 

Verbrennungsproduete  des  Pulvers.  Die  ersten  Untersuchungen  hierüber 
stammen  von  Gay-Lussac  und  Chevreuil;  dazu  kamen  die  genauem  Analysen 
von  Bunsen  und  Schischkoff a),  Link2)  und  Kärolyi3);  letzterer  suchte  die 
Verschiedenheit  der  Verbrennungsproducte  in  der  Zusammensetzung 
des  Pulvers,  während  Vignoti4)  am  meisten  Gewicht  auf  die  Verbrennungs- 
temperatur legte  und  Fedorow5)  mit  Recht  in  der  Höhe  des  Drucks,  unter 
welchem  die  Verpuffung  stattfindet,  den  wichtigsten  Einfluss  auf  das  Resultat 
erblickte.  Hiernach  erfolgt  mit  der  Vergrößerung  der  Ladung  und  der  Erhöhung 
des  Druckes  bei  der  Verbrennung  auch  eine  grössere  Zersetzung  des  Pulvers, 
indem  der  Rückstand  an  Schwefelkalium  und  Kaliumcarbonat  vermehrt, 
an  unterschwefligsaurem  und  schwefelsaurem  Kalium  aber  vermindert 
erscheint.6) 

Im  Pulverrückstaild  eines  Jagdpulvers  (Salpeter  78,99%,  Schwefel  9,84%, 
Kohle  11,17%)  fanden  Bimsen  und  Sc/uschkoff  schwefelsaures  Kalium  (56,62%), 
kohlensaures  Kalium  (27,82%),  untersch wefligsaures  Kalium  (7,57%),  Salpeter 
(5,19%),  Kaliumhydrat  (1,26%),  Schwefelkalium  (1,06  %),  Kohle  (0,97%),  Schwefel- 
cyankaliuni  (0,86%)  und  Schwefel  (Spuren). 

Die  Pulvergase  bestanden  aus  Kohlensäure  (52,67%),  Stickstoff  (41,12%), 
Kohlenoxyd  (3,88%),  Wasserstoff  (1,21%),  Schwefelwasserstoff  (0,60%)  und 
Sauerstoff  (0,52%). 

Der  Salpeter  liefert  den  Sauerstoff  und  das  Auftreten  des  freien  Sauerstoffs 
anter  den  Pulvergasen  erklärt  sich  Bunsen  dadurch,  dass  der  salpeterhaltige  Rückstand 
noch  kleine  Mengen  Sauerstoff  während  des  Erkaltens  ausgebe.  Auch  der  Stickstoff 
stammt  vom  Salpeter  her,  der  eine  bedeutende  Einwirkung  auf  die  Expansion  der 
Pulvergase  ausübt,  weil  er  nicht  coercibel  ist. 

Schwefelwasserstoff  kann  nur  secundär  auftreten  und  zwar  höchst  wahr- 
scheinlich durch  Einwirkung  der  Kohlensäure  auf  Schwefelkalium,  namentlich  wenn 


672  Kalium. 

dieses  im  Rauche  fein  suspendirt  ist :  es  geben  daher  auch  in  der  Regel  nur  die  frischen 
Pulvergase  eine  Reaetion  auf  Schwefelwasserstoff,  dessen  Menge  aber  immer  gering 
bleibt  und  um  so  unbedeutender  sein  muss,  je  kleiner  die  Menge  des  vorhandenen 
Schwefelkaliums  ist,  je  niedriger  also  der  Druck  war.  unter  dem  die  Verpuffung 
stattgefunden  hat. 

Was  Kohlenoxyd  und  Kohlensäure  betrifft,  so  verbrennt  hei  Kanonen-  und 
Sprengpulver  die  Kohle  fast  nur  zu  Kohlenoxyd,  weil  dasselbe  einen  grössern 
Gehalt  an  Kohle  und  Schwefel  besitzt: 

2  K  N08  4-  S  4-  6C  =  6 CO  4-  K,  S  4-  N2. 

Musketen-   und   Jagdpulver   enthält   dagegen    weniger   Kohle:   der   Sauerstoff 
des  Salpeters  reicht  daher  aus.  alle  Kohle  zu  Kohlensäure  zu  verbrennen: 
2  K N08  4-  S  +  3C  =  3CO... 4-  K8S  4-  Na. 

Die  Menge  des  Salpeters  muss  ebenfalls  Verschiedenheiten  in  den  Producten 
bedingen:  so  erhielt  i\  Kärolyi  beim  österreichischen  Gewehr pulver,  das  aus 
77,15  ,  Salpeter,  8,63';  Schwefel  und  1427%  Kohle  besteht,  an  Kohlensäure 
48,90%,  an  Kohlenoxyd  5,18%,  während  das  österreichische  Geschützpulver, 
welches  nur  73,79%  Salpeter,  aber  12,80%  Schwefel  und  nur  13,39%  Kohle  enthält, 
42.74;  Kohlensäure  und  10,19%  Kohlenoxyd  erzeugte,  weil  der  Salpeter  nicht  aus- 
reichenden Sauerstoff  zur  vollständigem  Verbrennung  der  Kohle  lieferte.  Die  Menge  des 
Schwefelwasserstoffs  betrug  im  erstem  Falle  0,37%  und  im  zweiten  0,86  %.7) 

Die  Pulvergase  sind  somit  höchst  variable  Gemenge,  deren  Mischungs- Ver- 
hältnisse von  sehr  verschiedenen  Bedingungen  abhängen:  sie  haben  das  grÖsste  sanitäre 
Interesse,  wenn  sie  in  geschlossenen  Räumen,  in  Bergwerken  oder  Minen,  auf- 
treten; da  sie  namentlich  beim  Minenkriege  vorkommen  und  ein  bestimmtes  Krank- 
heitsbild  erzeugen,  so  hat  man  dasselbe  Minenkrankheit  genannt.  Die  schon  früher 
vom  Verf.  aufgestellte  Ansicht,  dass  es  sich  hierbei  meist  um  Kohlenoxyd  handelt,  ist 
durch  die  umfassenden  Untersuchungen  über  die  Erkrankungen  durch  Minengase  bei  der 
Graudenzer  Mineurübung  im  August  1873  vollständig  bestätigt  worden. ?)  Was  den 
Schwefelwasserstoff  betrifft,  so  kann  derselbe  schon  deshalb  hier  nicht  in  grösserer 
Menge  vorkommen,  weil  der  Druck,  unter  dem  die  Verpuffung  in  Minen  erfolgt,  höchst 
gering  ist  und  dalier  auch  die  Menge  des  sich  bildenden  Schwefelkaliums  entsprechend 
gering  sein  muss;  es  wird  daher  auch  unter  gewöhnlichen  Verhältnissen  bei  der  Ent- 
stehung der  Minenkrankheit  nicht  betheiligt  sein. 

Die  Symptomatologie  der  Minenkrankheit  wird  sich  selbstverständ- 
lich nach  der  Natur  uud  Menge  der  auftretenden  Gase  richten;  vorwaltend  ist 
es  aber  stets  die  Einwirkung  des  Kohlenoxyds,  welche  sich  fast  in  allen  Fällen 
durch  den  Schmerz  in  der  Stirngegend,  die  Betäubung,  Sausen  und  Brausen  vor 
den  Ohren  ankündigt.  Bei  einzelnen  Arbeitern  bleibt  es  bei  dieser  mit  taumeln- 
dem Gange  verbundenen  Eingenommenheit  des  Kopfes,  andere  stürzen  aber  hin, 
verlieren  Bewusstsein  und  Sensibilität  und  zeigen  reactionslose  Pupille,  beschleu- 
nigten Puls  und  gestörte  Respiration. 

Ebenso  tritt  nicht  selten  ein  Anfall  von  Krämpfen  ein,  welche  den  epilep- 
tischen sehr  ähnlich  sind  oder  in  tetanische  übergehen,  während  die  Respiration 
röchelnd  und  die  Haut  kühl  wird.  Andere  verfallen  in  einen  Zustand  von 
Exaltation  und  geberden  sich  wüthend  wie  Betrunkene,  wobei  der  Seh  weiss  in 
grossen  Tropfen  rinnt;  in  letzterm  Falle  kann  man  sicher  auf  einen  grössern  oder 
geringern  Gehalt  der  Pulvergase  an  Kohlensäure  schliessen,  so  dass  das  ganze 
Krankheitsbild  in  seinen  Hauptzügen  mit  der  Kohlendunstvergiftung  über- 
einstimmt. 9) 

Prophylactische  Massregeln  Poleck10),  der  mit  Unrecht  in  der  Kohlensäure  die 
Ursache  der  Minenkrankheit  sucht,  schlägt  vor,  die  Pulverkammer  einer  Quetsch- 
mine mit  Kalkhydrat  zu  umgeben,  um  die  Kohlensäure  zu  absorbiren*).  Die 
Absorptionsfähigkeit  des  Erdbodens  für  Gase  ist  unverkennbar  und  als  die  Ursache  zu 
betrachten,  aus  welcher  die  Folgen  der  Pulvergase  nicht  überall  in  gleich  hohem  Grade 


*)  Wenn  der  Vertheidiger  einer  Festung  an  einer  der  Gallerie  des  Feindes  zunächst 
gelegenen  Stelle  durch  die  Explosion  hauptsächlich  die  feindliche  Gallerie  zu  zerstören, 
l.  h.  zu  quetschen  sucht,  so  spricht  man  von  Quetschminen. 


Natrium.  673 

verderblich  einwirken ;  der  Vorschlag  kann  aber  schon  deshalb  keinen  Erfolg  versprechen, 
weil  mit  der  Kohlensäure  noch  nicht  das  Kohlenoxyd  beseitigt  ist. 

Scheidemann11)  empfiehlt  einen  Respirator,  dessen  Mundstück  an  einem  Gummi- 
schlauch befestigt  ist,  welcher  mit  zwei  Büchsen  in  Verbindung  steht,  deren  eine 
mit  Kalkmilch,  die  andere  mit  Kupferchlorürlösung  imprägnirte  Schwämme  enthält. 
Diese  Einrichtung  dürfte  bei  den  oft  massenhaft  auftretenden  Gasen  kaum  einen  Erfolg 
erzielen;  auf  mehr  Nutzen  kann  man  beim  Apparate  von  Rouquai/?-ol-  Denayrouze 
rechnen  (s.  S.  333),  namentlich  wenn  es  sich  um  Rettungsversuche  handelt. 

Nur  eine  ergiebige  Ventilation  der  Gallerien  vermag  einen  Effect  zu  erzielen 
und  zwar  eine  Ventilation  durch  Exhaustion.  Eine  andere  Art  der  Ventilation  ist 
nicht  geeignet,  die  schädlichen  Dämpfe  direct  zu  entfernen  und  in  gleichem  Masse  die 
frische  Luft  einströmen  zulassen.  So  würde  namentlich  die  Ventilation  durch  Pulsion, 
welche  häufig  vorgeschlagen  wird,  bei  trocknem  Erdrauch  einen  grossen  Staub  erzeugen 
und  viel  langsamer  den  Austritt  der  Dämpfe  bewirken.  Alles  fordert  zum  raschen 
Handeln  auf;  es  muss  daher  auch  die  schleunigste  Exhaustion  eintreten  und  um 
so  kräftiger,  je  länger  und  complicirter  die  Gallerien  sind.  Hieraus  folgt,  dass  die 
Ventilatoren  zweckmässig  construirt  sein  und,  was  die  Hauptsache  ist,  .  durch 
LocomoMleil  in  Bewegung  gesetzt  werden  müssen,  weil  Menschenkräfte  hierzu  nicht 
ausreichen.  Da  durch  Schläuche  die  Verbindung  mit  den  Locomobilen  hergestellt 
werden  kann,  so  ist  es  auch  möglich,  die  Aufstellung  derselben  den  Kriegszwecken 
gemäss  anzuordnen. 

In  Betreff  der  Behandlung  von  Unglücksfällen  s.  S.  352. 


Natrium,  Na. 

Natrium   kommt  in  der  Natur  wie  das  Kalium  nur  in  Verbindungen  vor, 

namentlich  in   unbegrenzten  Mengen  als  Natriumchlorid  im  Meereswasser,  in 

Salzsoolen  und  als  Steinsalz. 

Die  Darstellung  des  Metalls  im  Grossen  geschieht  wie  die  des  Kaliums;  auch 
sind  dieselben  Vorsichtsmassregeln  hierbei  zu  beachten.  Auch  seine  Eigenschaften 
weichen  von  denen  des  Kaliums  kaum  ab,  nur  erfolgt  seine  Oxydation  an  der  Luft 
weniger  lebhaft.     Seine  wichtigste  Verbindung  ist  die  mit  Chlor  und  Kohlensäure.1) 

Kochsalz. 

Gewinnung  von  Kochsalz,  Natriumchlorid,  Chlornatrium  NaCl.  Man  unter- 
scheidet 1)  die  Gewinnung  des  Kochsalzes  in  seinem  natürlichen 
festen  Zustande.  Der  wichtigste  Salz-Bergbau  findet  sich  in  Galizien,  Tyrol, 
zu  Stassfurt  bei  Magdeburg  und  zu  Norwich  in  England.  Ist  das  Steinsalz 
frei  von  fremden  Beimengungen,  so  wird  es  bergmännisch  gefördert. 

Die  anstrengendste  Arbeit  fällt  hierbei  den  Salzhäuern  zu,  die  in  unbequemer 
Körperstellung  mächtige  Blöcke  aushauen  und  fortwälzen.  Dabei  reizt  der  Salzstaub 
alle  Hautpartien,  mit  denen  er  in  Berührung  kommt;  es  bilden  sich  ekzematöse  Haut- 
eruptionen, bisweilen  auch  leichte  Fälle  von  Conjunctivitis  aus.  Viele  grosse  Salzstücke 
werden  in  Wieliczka  noch  auf  dem  Rücken  getragen  oder  auf  Lagerhölzern  fortgerollt. 
Nicht  selten  treten  auch  die  Nachtheile  der  Sprengungen  wie  in  andern  Bergwerken 
hinzu:  auch  kommt  im  sogen.  Knistersalz  ein  aus  Kohlenwasserstoffen  bestehendes, 
entzündliches  Gas  vor,  welches  sich  bei  der  Auflösung  in  Wasser  unter  leichten 
Detonationen  bemerkbar  macht;  ist  seine  Menge  bedeutend,  so  kann  es  sogar  in  ver- 
dichtetem Zustande  als  Petroleum  auftreten. 

Auch  das  Abraumsalz  in  Stassfurt  enthält  Sumpfgas  und  Wasserstoff,  die 
beim  Loshauen  häufig  in  die  Gruben  ausströmen.  Das  Salz  besteht  vorzugsweise  aus 
dem  Doppelsalze  von  Chlorkalium  und  Chlormagnesium  (Carnallit)  neben  Kaliumsulfat, 
Chlorcalcium  u.  s.  w.,  kann  aber  leicht  gewonnen  werden. 

Eulenberg,  Gewerbe -Hygiene.  43 


674  Natrium, 

2)  Gewinnung  des  Kochsalzes  aus  seinen  Lösungen.  Aus  dem 
Meereswasser  gewinnt  man  das  Kochsalz  in  den  sog.  Salzgärten  durch  Ver- 
dunstung. Die  natürlichen  Soolquellen  werden  durch  das  Gradiren  angerei- 
chert, indem  das  salzhaltige  Wasser  in  feinen  Tröpfchen  über  Schlehdorn- 
bündel (Prunus  spinosus)  herabrieselt,  an  denen  sich  die  schwer  löslichen  Salze, 
Magnesium-  und  Calciumcarbonat  neben  Eisen-  und  Manganoxydul,  absetzen 
(Dornstein). 

Mit  dem  hierbei  verdunstenden  Wasser  werden  auch  Salzpartikelchen  fort- 
gerissen und  eine  weitere  Folge  der  Verdunstung  ist  das  reichliche  Auftreten  von 
Ozon:  aus  diesem  Grunde  hat  man  die  Gradirlnft  als  Heilmittel  für  manche  Krank- 
heiten angesehen.2)  Weit  untergeordneter  ist  die  etwaige  Beimengung  von  Brom-  oder 
Jodsalzen  und  kann  von  einer  Einwirkung  derselben  nicht  die  Rede  sein.  Das  Auf- 
treten von  Salzsäure  ist  nicht  bewiesen,  da  sie  nicht  durch  Einwirkung  der  atmosphä- 
rischen Kohlensäure  auf  Chlorcalcium,  noch  weniger  durch  Zersetzung  von  Chlormagne- 
sium entstehen  kann:  schon  das  Calciumcarbonat  im  Dornstein  würde  das  Auftreten 
von  freier  Salzsäure  unmöglich  machen.  Nicht  die  Salzsäure,  sondern  die  Salzkrystalle 
zerklüften  das  Holzwerk,  namentlich  beim  Stillliegen  des  Gradirwerkes.  Die  Gradire  r 
sind  erfahrungsgemäss  gesunde  Leute. 

Das  Sieden  geschieht  in  Siedepfannen  von  zusammengenieteten  Eisenblech- 
platten. Zur  Verhütung  des  Röstens  dieser  Pfannen  bringt  man  bisweilen  den 
sogen.  Zinkschutz  an.  indem  man  iu  die  Ecken  derselben  Zink  eingiesst  oder 
dasselbe  als  Streifen  in  die  Metfugen  einlegt.  Siersch  hat  nachgewiesen,  dass 
das  versoffene  Salz  hierdurch  mit  Chlorzinknatrium  vermengt  wird;  dies  Ver- 
fahren sollte  daher  polizeilich  verboten  werden.  3) 

Bewirkt  man  die  Verdampfung  bis  zur  Ausscheidung  eines  braunen,  aus  Calcium- 
und  Natriumsulfat  bestehenden  Schlammes,  so  nennt  man  diesen  Process  ..Stören". 
Beginnt  die  Ausscheidung  des  Kochsalzes  in  kleinen  Krystallen  auf  der  Oberfläche,  die 
später  auf  den  Boden  sinken,  so  heisst  dies  „Soggen".  *)  Das  ausgeschiedene  Salz 
wird  mittels  der  -Seh wimmkrücken"1  herausgehoben;  man  lässt  es  abtropfen  und 
trocknet  es  in  besondern  Kammern.  Die  Arbeit  des  Siedens  ist  daher  wegen  des  Aus- 
krückens  des  Salzes  eine  anstrengende:  ausserdem  ist  der  Arbeiter  der  Hitze  des  Herdes 
und  der  Trockenkammer  ausgesetzt.  Im  Siedehause  übersteigt  die  Temperatur  kaum  25°  C., 
aber  der  Gehalt  au  Wasserdämpfen  ist  sehr  bedeutend:  auch  enthalten  diese  Chlor- 
kalium. Chlornatrium,  Chlormagnesium.  Chlorcalcium  und  selbst  bisweilen  Brommagne- 
sium. Nach  Heine  findet  man  selbst  in  dem  aus  der  Esse  entweichenden  Dampf  (B  ro- 
den. Brieden)  noch  Soolenbestandtheile.  In  10,000  G.  Th.  Hessen  sich  z.B.  9,41  bis 
12,41  Chlornatrium  und  6.00  Chlorkalium  nachweisen.  Selbst  Spuren  von  Salzsäure,  die 
durch  Zersetzung  von  Chlorcalcium  und  Chlormagnesium  entsteht,  können  im  Suddampfe 
vorkommen:  grössere  Mengen  derselben  können  nur  auftreten,  wenn  die  Soole  bei  On- 
dichtheit  der  Pfannen  direct  in's  Feuer  fliesst.**)  Die  Suddämpfe  sind  mit  so  viel 
Wasser  vermischt,  dass  eine  Einwirkung  ihrer  Bestandtheile  auf  die  Arbeiter  kaum  je 
angenommen  werden  kann. 

Die  herrschenden  Krankheiten  bei  den  Siedern  bestehen  in  Rheumatismus 
unter  allen  Formen  und  in  verschiedenen  Katarrhen,  wie  man  sie  aber  auch  bei 
andern  Arbeitern  als  Folge  von  schroffem  Temperaturwechsel  antrifft.  Schon  wegen 
der  anstrengenden  Arbeit  wählt  man  keine  schwächlichen  Leute  zu  Siedern;  haben 
sie  eine  ihrer  körperlichen  Anstrengung  angemessene  Ernährung,  so  können  sie 
ein  hohes  Alter  erreichen,  wie  man  in  Kreuznach  und  auf  andern  Salinen  beob- 
achtet hat.  Immerhin  soll  man  aber  für  eine  sorgfältige  Ableitung  der  Suddämpfe 
Sorge  tragen,  indem  man  zweckmässige  Brodemfänge  mit  hinreichend  hohen 
Schornsteinen  verbindet.    Die  auf  Seite  665  beschriebene  Einrichtung  würde  sich 

*)   Die   Kruste,    welche   beim   Stören    auf   dem   Pfannenboden    anbrennt,    heisst 
Hungerstein,  die  beim  Soggen  anbrennende  Kruste  Salz  stein  oder  Pfannenstein. 
** )  Es  ist  daher  erklärlich,  dass  man  bisweilen  einen  schädlichen  Einfluss  der  Sa- 
linen auf  die  Vegetation  beobachtete;  unter  allen  Umständen  sind  hohe  Schornsteine 
bei  Salinen  anzulegen. 


Sodaindustrie.  675 

ganz  vorzüglich  in  analoger  Weise  auch  für  die  Beseitigung  der  Suddämpfe 
eignen.  Arbeiter  aber,  welche  die  Einflüsse  des  Sudhauses  nicht  ertragen  und 
dies  durch  Abmagerung,  grosse  Hinfälligkeit  und  namentlich  durch  profuse 
Nachtschweisse  kundgeben,  soll  man  entfernen. 

Schützen  sich  die  Sieder  nicht  hinreichend  vor  der  Nässe  des  Bodens,  so 
können  sie  leicht  Risse  und  Schrunden  an  den  Fusssohlen  bekommen. 

Bei  der  Aufbewahrung  des  Kochsalzes  in  Salzmagazinen  rauss  man  seinen  Gehalt 
an  hygroskopischen  Salzen  berücksichtigen  und  nöthigenfalls  die  Umfassungsmauern  mit 
einem  schützenden  Ueberzuge  von  Cement  versehen.  Unter  den  Metallen  greift  Koch- 
salz Eisen,  Zink,  Blei,  Kupfer  und  Silber  am  meisten  an.  Man  unterscheidet 
Viehsalz  als  ein  unreines  Salz  mit  Eisenoxyd  und  Wermuthpulver,  Fabriksalz  enthält 
Eisen-  und  Mangansalze  neben  Glaubersalz,  Dungsalz  wird  mit  Asche  und  Kohle 
gemengt.  Tafelsalz  ist  ausgewaschenes  und  mit  Soda  behandeltes  Salz,  um  Chlorcal- 
cium  und  Chlormagnesium  auszuscheiden;  betrügerischerweise  wird  es  oft  stark  mit  Soda 
versetzt;  früher  hat  man  es  sogar  mit  Zinnober  rosaroth,  mit  Kupfersalzen  grün 
und  mit  Kaliumchromat  gelb,  gefärbt. 


Sodaindustrie. 

Die  künstliche  Darstellung  von  Soda  wurde  indirect  durch  Napoleon  I. 
veranlasst,  nachdem  sich  in  Folge  der  Continentalsperre  der  Preis  der  natürlichen 
Soda  so  hoch  gesteigert  hatte,  dass  man  an  einen  künstlichen  Ersatz  denken  musste. 
Die  natürliche  Soda  findet  sich  in  Natronseen  oder  wittert  aus  der  Erde:  die  ägyp- 
tische Soda  heisst  Tro-Na,  woraus  der  Name  Natron  entstanden  ist,  die  süd-  , 
amerikanische:  Urao,  und  die  ungarische:  Szek.  Die  künstliche  Darstel- 
lung rührt  von  Leblanc  (1793)  her  und  ist  fast  unverändert  geblieben.  Man 
unterscheidet  hierbei:  1)  die  Darstellung  von  Natriumsulfat  aus  Kochsalz  und 
Schwefelsäure.  Die  hierbei  auftretende  Salzsäure  hat  zu  allen  Zeiten  grosse 
Belästigung  verursacht  und  erst  seit  Verbesserung  der  Sulfatöfen  ist  die  Conden- 
sation  der  salzsauren  Gase  eine  vollständigere  geworden  (s.  S.  52).  4) 

Die  bessern  Sulfatöfen  bezwecken  gleichzeitig  die  Sulfatbildung  und  die  Cal- 
cination  und  bestehen  aus  einer  eisernen,  mit  einem  eisernen  Deckel  bedeckten 
Muffel,  neben  welcher  der  Calcinirraum  liegt.  In  der  Decke  der  Muffel  befindet 
sich  ein  Rohr,  welches  mittels  eines  Canals  mit  den  Condensationsvorrichtungen  in  Ver- 
bindung steht.  Die  Feuergase  der  seitlich  und  tiefer  gelegenen  Feuerung  passiren  die 
über  und  unter  der  Pfanne  gelegenen  Züge  und  gelangen  in  den  Schornstein. 

In  England  ist  die  Condensation  von  93,%  der  erzeugten  Salzsäure  gesetzlich 
vorgeschrieben,  obgleich  auch  dort  noch  Belästigungen  der  Adjacenten  vorkommen.  Zur 
Condensation  der  Dämpfe  gebraucht  man  1)  thönerne,  den  W  ou //'sehen  Flaschen 
ähnlich  construirte  Gefässe  (Bonbonnes),  von  denen  die  letzten  mit  Kalkmilch 
oder  Bariumcarbonat  (Witherit)  angefüllt  werden,  um  die  letzten  Reste  der  Säure  zu 
absorbiren.  Dies  Verfahren  eignet  sich  nur  für  kleine  Fabriken.  2)  Untereinander  ver- 
bundene Sandsteintröge  und  3)  die  Gossage'  sehen  Koksthürme,  die  in  England 
am  gebräuchlichsten  sind  und  sich  am  meisten  bewähren,  wenn  die  Gase  hinreichend 
abgekühlt  in  die  Thürme  dringen.  Man  benutzt  deshalb  Röhrenleitungen,  die  Uförmig 
auf-  und  absteigend  angelegt  werden,  oder  führt,  z.  B.  in  Stolberg  bei  Aachen,  die  Gase 
in  Bonbonnes  und  dann  erst  in  die  Koksthürme,  die  aus  Abtheilungen  bestehen,  damit 
die  Gase  in  der  einen  Abtheilung  aufsteigen,  ausserhalb  des  Thurmes  in  einem  Rohr 
abwärts  gehen,  in  der  zweiten  wieder  aufwärts  steigen  und  dann  schliesslich  als  con- 
densirte  Salzsäure  in  die  Bonbonnes  zurücküiessen,  um  hier  durch  die  darüber  ziehen- 
den Dämpfe  noch  angereichert  zu  werden.  Die  letzten  Gefässe  stehen  mit  dem  Schorn- 
stein in  Verbindung.  In  andern  Fabriken  findet  man  zwei  mit  einander  verbundene 
Koksthürme. 

Eine  zweite  Bedingung  für  eine  gute  Condensation  ist  eine  möglichst  grosse 
Berührungsfläche  zwischen  Wasser  und  Gasen.  Man  bedient  sich  deshalb  mit 
Vortheil  des  Segner'' scheu  Wasserrades,  um  das  Wasser  gleichmässig  den  Gasen  entgegen 

43* 


f)76  Natrium. 

zu  führen,  [n  England  benutzt  man  zu  diesem  Zwecke  noch  einen  besondern  Waschthurm 
(Flushing  tower),  am  hier  den  Gasen  den  letzten  Antheil  der  Säure  zu  nehmen.*) 

2)  Die  Umwandlung  des  Xatriuinsulfats  in  Soda  geschieht  iu  dem  mit   der 

Muffel  durch  einen  Canal  verbundenen,  seitlich  mit  Arbeitslöchern  versehenen 
Calcinirraum,  in  dessen  Decke  sich  ebenfalls  ein  Rohr  befinden  sollte,  nm  die 
hier  anfangs  noch  auftretenden  sauren  Gase  wenigstens  direct  den  Koksthürmen 
zuzuführen.  Die  Feuerung  liegt  an  der  der  Muffel  entgegengesetzten  Seite,  die 
Züge  für  die  Feuerungsgase  verlaufen  über  und  unter  der  Sohle  und  hängen  mit 
dem  unterirdischen  Canal  zusammen,  der  auch  die  Feuerungsgase  des  Pfannen- 
raums aufnimmt. 

Nachdem    das    Natriumsulfat    in    den    Calcinirraum    hineingekrückt    und    hier   mit 
einem  Gemenge  von  Calciumcarbonat  und  Kohle  vermischt  worden  ist.  wird  unter 
beständigem   Umknicken   so  lange  gefeuert.    Ins    das  auftretende   Kohlenoxyd  mit  blauer 
Farbe  brennt:  dann  bringt  man  das  Product  in  Blechkasten  zum  Erkalten.     Bei   diesem 
Processe  wird  das  Natriumsulfat  zu  Schwefelnatrium  reducirt  und  ein  Theil  des 
Calciumcarbonats  in  Calcium oxyd  übergeführt,  wobei  Kohlensäure  entweicht. 
Na2S04  -f-  2  C  =  Na.,  S  +  2  CO., 
CaC03  +  C  =  CaÖ  +  2  C03. 
Die  graubraune  Masse   wird   zerkleinert   und   mit  Wasser   von   30  —  .'35°  C.  ausgezogen: 
es  entsteht  hierdurch  unlösliches  Calciumoxysulfid  und  lösliches  (neutrales  oder 
seeundäres)  N  a  t  r  i  u  m  c  a  r  b  0  n  a  t  : 

Na3S  +  CaO  +  Ca  C03  =  NaaC03  +  CaO .  Ca  S.  **) 

3)  Die  Reinigung  der  Rohsoda  geschieht  durch  Abdampfen  und  eine  noch- 
malige Calcination;  dann  wird  die  calcinirte  gereinigte  Soda  gemahlen  und 
gesiebt. 

Bei  der  krystallisirten  Soda  unterlasst  man  die  Calcination  und  bringt  die 
Auflösung  zur  Krystallisation.  Natrum  bicarbonicum  (primäres  oder  saures  Na- 
triumearbonat)  NaHC03  wird  durch  Ueberleiten  von  Kohlensäure  über  das  neutrale  Car- 
bonat  erhalten.  ***) 

Die  Rückstände  der  Sodafabrik  bestehen  ausser  dem  Schwefelcalcium  und 
Calciumoxyd  noch  aus  Schwefelnatrium,  Schwefeleisen,  Thonerde, 
Sand,  Kohle  u.  s.  w.  und  geben  in  frischem  Zustande  auf  Haufen  gesetzt  zur 
Entwicklung  von  Schwefelwasserstoff  Anlass.  Durch  die  Eiuwirkung  der 
atmosphärischen  Kohlensäure  entstehen  mannigfache  Reactionen,  die  ein  Glühen 
der  Haufen  zur  Folge  haben,  so  dass  der  Schwefel  in  vielen  blauen  Fläminchen 
verbrennt  und  dann  beim  freien  Lagern  ganzen  Ortschaften  die  grösste  Belästi- 
gung bereitet.  •') 


*)  In  England  ist  man  noch  fortwährend  bemüht,  die  Dt  acon'sche  Methode,  die 
Salzsäure  direct  in  Chlor  umzuwandeln,  auch  für  die  Sodafabrication  nutzbringend  zu 
machen. 

**)  Viele  Chemiker  nehmen  gegenwärtig  an,  dass  die  rohe  Soda  kein  Calciumoxy- 
sulfid enthält,  wie  man  bisher  allgemein  annahm,  sondern  nur  ein  Gemenge  von  Na- 
tri  umearbonat,  Schwefelcalcium  und  freiem  Kalk  darstellt 

***)  Unter  den  vielen  Methoden  der  Sodafabrication,  von  denen  aber  keine  das 
Lei/awe'sche  Verfahren  beseitigt  hat,  ist  nur  noch  die  vielfach  erörterte  Darstellung  aus 
in  wässrigem  Ammoniak  gelöstem  Kochsalz  und  Kohlensäure  zu  erwähnen.  Es 
bildet  sich  hierbei  Xatriumhicarbonat,  das  entweder  als  solches  in  den  Handel  kommt 
oder  durch  schwaches  Calciniren  in  Natriumcarbonat  verwandelt  wird.  Als  Rückstand 
verbleibt  Chlorcalcium  und  Calcium  hydrat:  die  chlorammoniumhaltige 
Flüssigkeit  wird  nämlich  in  geschlossenen  eisernen  Gefässen  mit  Calcuimhydrat  unter 
ziemlich  hohen  Druck  gebracht,  um  das  sich  entbindende  Ammoniakgas  zu  conden- 
siren  oder  direct  wieder  zur  Kochsalzlösung  zu  leiten.  Die  Darstellung  hat  nichts  Be- 
denkliches in  sanitärer  Beziehung;  nur  der  Rückstand  von  Chlorcalcium  ist  lästig  und 
bei  dem  ziemlich  hohen  Drucke,  dem  die  Gefässe  ausgesetzt  werden,  sind  die  geeigneten 
Vorsichtsmassregeln  erforderlich. 


Sodaindustrie.  (377 

Durch  weitern  Oxydationsprocess  verwandelt  sich  zunächst  das  Schwefeleisen  in 
Eisenoxydhydrat  und  freien  Schwefel.  Schwefelnatrium  und  S  chwefel  calci  um 
gehen  theilweise  durch  die  atmosphärische  Kohlensäure  in  Carbonate  über,  oxydiren  sich 
aber  grösstontheils  zu  unterschwefligsaurem,  schwefligsaurem  und  schwefel- 
saurem Calcium  resp.  Natrium.  Ein  kleiner  Theil  von  schwefelsaurem  Calcium 
(Gips)  geht  mit  dem  Natriumcarbonat  in  Natriumsulfat  und  Calciumcarbonat  über.  Am 
constantesten  findet  sich  unterschwefligsaures  Natrium  vor.  Der  ausgeschiedene 
Schwefel  wird  von  dem  noch  vorhandenen  Calcium-  oder  Natriumsulfid  aufae- 
nommen  und  es  entstehen  Polysulfide,  die  bei  weiterer  Oxydation  wieder  in  Gips 
und  Schwefel  zerfallen.  Ein  vollständig  durchsetzter  Haufen  besteht  nach  lanoer  Zeit 
aus  Gips,  Calciumcarbonat,  Aetzkalk,  unterschwefligsaurem  Natrium 
Natriumsulfat,  Thonerde  und  Kalksilicaten.  Werden  die  Rückstände  nicht  ver- 
werthet,  so  muss  unter  allen  Umständen  eine  zweckmässige  Lagerung  derselben 
unter  bedeckten  Schuppen  und  auf  wasserdichtem  Boden  stattfinden,  um"  die  Masse  vor 
Feuchtigkeit  und  Regen  zu  schützen  und  das  Auslaufen  der  stark  alkalischen  Flüssigkeit 
zu  verhüten,  welche  Brunnen,  Bäche  und  jede  Vegetation  verdirbt.  Die  Bemühungen, 
die  Rückstände  zweckmässig  zu  verwerthen,  haben  zu  verschiedenen  Resultaten  ge- 
führt. Man  hat  sie  zur  Darstellung  von  unterschwefligsauren  Salzen,  zur  Fabrication 
von  Backsteinen  oder  im  Verein  mit  den  Kiesabbränden  der  Schwefelsäurefabrication 
zur  Darstellung  von  Ziegeln  oder  als  Wege-  oder  Strassenbaumaterial  benutzt.6) 
Nach  den  Erfahrungen  von  Prof.  E.  Varrentrapp  erhitzt  sich  der  nasse  frische  Schlamm 
gar  nicht  oder  unbedeutend,  wenn  er  zu  letzterm  Zwecke  fest  gestampft  wird.7)  Die 
Zersetzung  schreitet  langsam  immer  weiter  und  der  Regen  dringt  nur  wenig  ein.  Das 
über  und  durch  die  Masse  fliessende  Wasser  ist  aber  reich  an  aufgelöstem  Schwefel- 
calcium  und  den  niedrigen  Oxydationsstufen  des  Schwefels  und  Calciums:  zugleich  ist 
die  Lösung  mit  Gips  gesättigt.  Diese  üblen  Vorkommnisse  bleiben  bei  der  Verwendung 
der  Rückstände  zur  Herstellung  fester  Fusswege  und  zum  Unterbau  von  Chausseen  nicht 
aus.  Als  Unterlage  von  macadamisirten  Strassen  erzeugen  sie  leicht  Ausdehnung  und 
Aufhebung  der  festen  Beschaffenheit  der  Unterlage  des  Schottens  in  Folge  der  Krystal- 
lisation  des  Gipses,  welcher  sich  unter  Einwirkung  von  Luft  und  Feuchtigkeit  bildet; 
der  Steinschlag  wird  gehoben  und  hat  kein  zusammenhängendes  Bett  mehr.  Diese  Auf- 
lockerungen sind  nicht  auszubessern,  sondern  die  ganze  Strasse  muss  alsdann  neu  gebaut 
werden.  Varrentrapp  kann  die  Rückstände  höchstens  zur  Strassendammbildung 
empfehlen,  verwirft  sie  aber  zur  Ausfüllung  von  Terrain,  welches  später  Häuser  tragen 
soll;  es  fände  hierbei  ein  stetes  Heben  des  Grundes  statt,  so  dass  das  Haus  selbst  ge- 
hoben und  beschädigt  werden  könne.  Läge  die  Masse  unter  der  Sohle  des  Kellers,  so 
würde  sich  ein  Geruch  nach  Schwefelwasserstoff  bemerkbar  machen,  da  die  niedrigen 
Oxydationsstufen  nie  fehlten.  In  einem  Keller,  unter  dessen  Fussboden  Sodaschlamm 
festgestampft  war,  zerbrach  eine  Salzsäureflasche;  man  bemerkte  bald  den  furchtbaren 
Geruch  und  ein  Arbeiter,  der  unbedacht  eintrat,  erstickte.  Ein  Licht  würde  eine  grosse 
Explosion  hervorgebracht  haben.*) 

Schwefelgewinnung  aus  den  Rückständen.  Nach  sehr  vielen  und  mühsamen 
Versuchen  benutzt  man  gegenwärtig  besonders  drei  Methoden,  die  jedoch  sämmt- 
lich  auf  der  Oxydation  der  Rückstände  durch  die  Luft  und  der  Darstel- 
lung löslicher  Polysulfide,  Hyposulfite  und  Sulfite  des  Calciums  resp. 
Natriums  beruhen.  Als  letztes  Nebenprqduct  wird  ebenfalls  bei  allen  Methoden 
eine  neutrale  Chlorcalciumlösung  erhalten,  deren  Verwerthung  resp.  Besei- 
tigung jedoch  nicht  selten  Schwierigkeiten  bereitet. 

1)  P.  IV.  Hofmann8)  laugt  die  oxydirten  Rückstände  aus  und  bringt  sie  mit  ge- 
klärter saurer  Manganlösung  zusammen.  Durch  den  Gehalt  der  letztern  an  Salz- 
säure, freiem  Chlor  und  Eisenchlorid  zersetzen  sich  die  Schwefellaugen  unter 
Schwefelausscheidung.  Das  sich  entwickelnde  Schwefelwasserstoffgas  leitet 
man  durch  eine  Holzfeuerung,  um  die  sich  bildende  schweflige  Säure  für  andere 
Laugen  zu  benutzen  und  das  Calciumpolysulfid  unter  Schwefelausscheidung 
in  Calciumhyposulfit  zu  verwandeln,  das  man  mit  Natriumsulfat  versetzt,  um  Na- 
triumhyp  osulfit  zu  gewinnen.  Die  zurückbleibenden  neutralen  Manganbrühen  werden 
noch  anderweitig  verwerthet. 


*)  Manche  Schlacken  von  Eisenschmelzen  verhalten  sich  trotz  ihres  gla- 
sigen Ansehens  wie  Sodaschlamm,  da  sie  Schwefelwasserstoff  entwickeln  und  dabei  all- 
mählig  zu  Pulver  zerfallen. 


ßyg  Natrium. 

2)  Max  Schaffner9)  construirtc  zwei  vollständig  geschlossene  und  durch  Rohren  mit 
einander  verbundene  Zersetzungsgefässe  von  Gusseisen  oder  Stein,  die  mit  den  ausge- 
laugten oxydirten  Rückständen  gefüllt  werden.  Nach  Zusatz  von  Salzsäure  entwickelt 
sich  aus  den  Polysulfiden  Schwefelwasserstoff,  später  aus  den  Hyposulfiten 
schweflige  Säure:  letztere  wird  in  das  zweite  Zersetzungsgefäss  geleitet,  wo  sie  die 
Polysulfide  unter  Schwefelabscheidung  in  Hyposulfite  verwandelt. 

Die  aus  dem  ersten  Gefässe  abgezogene  Lauge  besteht  aus  einer  neutralen  Chlor- 
calciumlösung,  in  der  sich  ein  unreiner  Schwefel  allmählig  absetzt.  Nun  setzt 
man  Salzsäure  zu  der  mit  schwefliger  Saure  schon  behandelten  Lösung,  um  die  Hypo- 
sulfite  unter  Schwefelabscheidung  und  Entwicklung  von  schwelliger  Säure  zu 
zersetzen,  während  letztere  in  das  erste  mit  frischer  Lauge  angefüllte  Gefäss  geleitet 
wird,  um  Polysulfide  unter  Abscheidung  von  Schwefel  wieder  in  Hyposulfite  zu 
verwandeln.  Schwefelwasserstoff  tritt  nur  bei  dem  ersten  Zusatz  von  Salzsäure  auf,  der 
bei  starker  Entwicklung  abgelassen  wird;  die  schweflige  Säure  wird  von  dem  einen 
Zersetzungsgefäss  in  das  aridere  übergeführt,  wozu  man  gegen  Ende  der  Operation 
heissen  Wasserdampf  benutzt. 

Der  arsenige  Schwefel  wird  in  gusseisernen,  mit  Rührwerk  versehenen  Kesseln 
unter  Zusatz  von  Kalkmilch  mittels  Wasserdampfes  von  l3/4  Atmosphären  Spannung  ge- 
schmolzen. Das  überschüssige  Calcium hydrat  verwandelt  sich  in  Calciumsulfid  und 
dieses  mit  dem  Arsensulfid  in  Calciumsulfoarsenit.  Während  Gips  in  der  wässrigen 
Flüssigkeit  suspendirt  ist,  wird  der  angesammelte  Schwefel  abgelassen  und  in  Formen 
gegossen. 

Die  Schaff  in') ''sehe  Methode  wird  in  den  meisten  Fabriken,  die  Reinigung 
des  arsenhaltigen  Schwefels  gegenwärtig  in  allen  Fabriken  nach  dem  beschriebenen  Ver- 
fahren ausgeführt. 

3)  Mond10)  befördert  die  Oxydation  der  Lauge  durch  Einpressen  von  Luft  mittels 
eines  Ventilators.  In  Folge  der  Erhitzung  (bis  9-4°  C.)  entwickeln  sich  viele  Wasser- 
dämpfe, die  meist  Schwefelwasserstoff  mit  fortführen,  namentlich  wenn  die  Soda- 
rückstände arm  an  Aetzkalk  sind.  In  einem  concreten  Falle  lagen  die  Auslaugekasten 
im  Freien  und  verursachten  hierdurch  den  Adjacenten  die  grösste  Belästigung.  Die 
Entwicklung  dieser  unangenehmen  Gase  hört  erst  auf,  wenn  die  Oxydation  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  fortgeschritten  ist. 

Die  Präcipation  in  einem  mit  Blei  ausgefütterten  Bottich  geschieht  ebenfalls  durch 
Salzsäure;  zur  Ableitung  der  Gase  ist  er  mit  einem  zum  Schornstein  führenden  Ab- 
leitungsrohr sowie  mit  einer  Stopfbüchse  zur  Aufnahme  eines  Rührwerks  versehen. 
Eingeleiteter  Wasserdampf  muss  die  Temperatur  auf  40  —  60°  C.  erhalten.  Nur  bei 
einem  richtigen  Verhältnisse  der  Hyposulfite  zu  den  Polysulfiden  (1:2)  soll  sich  kein 
Schwefelwasserstoff  entwickeln;  meistens  werden  aber  die  einen  oder  andern  vorwalten, 
es  wird  daher  fast  immer  entweder  Schwefelwasserstoff  oder  schweflige  Säure  auftreten. 

In  einigen  Fabriken  lässt  man  die  Lauge  nur  bis  auf  x/3  der  ganzen  Bottichhöhe 
in  die  Absatzkasten  ablaufen,  indem  man  den  Rest  bei  einem  neuen  Zusatz  der  Lauge 
benutzt,  um  durch  die  vorhandene  schweflige  Säure  den  auftretenden  Schwefel- 
wasserstoff zu  zersetzen.  In  den  Absatzkasten  schlägt  sich  der  Schwefel  nieder; 
die  restirende  Lauge  ist  Chlore alei um. 

Eine  sehr  gute  Uebersicht  der  verschiedenen  Methoden  der  technischen  Ver- 
werthung  dieser  Rückstände  hat  Tiemann  geliefert.11) 

Verwendung  findet  die  Soda  in  sehr  vielen  Fällen,  namentlich  zur  Herstellung  der 
Aetzlaugen,  in  Glasfabriken,  in  Bleichereien,  Färbereien,  Zeugdruckereien,  zum  Waschen 
der  Wolle  und  Seide,  bei  sehr  vielen  chemischen  Proceduren  und  zur  Darstellung  kohlen- 
saurer Wässer.*) 

Die  sanitären  Verhältnisse  der  Arbeiter  gestalten  sich  bei  dem  Leblanc- 
schen  Sodaprocesse  bei  einiger  Aufmerksamkeit  nicht  ungünstig.  Es  kommt  hier- 
bei zunächst  die  bedeutend  hohe  Temperatur  bei  der  Bedienung  der  Oefeu 
während  des  Umkrückens  in  Betracht,  wenn  man  nicht  über  Sodaöfen  mit 
Drehscheiben  verfügen  kann,  bei  denen  eine  Maschine  das  Umknicken  be- 
sorgt. Uebrigens  wird  aber  gewöhnlich  durch  die  sehr  geräumigen  und  luftigen 
Locale    die  Hitze    abgeschwächt,    so    dass    der  Aufenthalt   in   denselben  keines- 


*)  Bei  der  Darstellung  künstlicher  Mineralwässer  ist  im  Allgemeinen 
in  sanitärer  Beziehung  auf  die  Reinheit  der  Kohlensäure,  die  Regelung  des  Druckes 
in  den  Condensatoren  mittels  des  Manometers,  die  Verwendung  von  Rothkupfer  zu  den 
Blasen  und  das  geeignete  Metall  zur  Röhrenleitung  zu  achten.  Die  Verzinnung  der 
Gefässe  und  Röhren  ist  überhaupt  zu  vermeiden,  da  sie  sich  leicht  abreibt. 


Sodaindustrie.  679 

wegs  unangenehm  ist  und  man  nur  beim  Oeffnen  der  Feuerthür  die  strahlende 
Hitze  empfindet.    Nur  in  engen  Räumen  triefen  die  Arbeiter  oft  von  Schweiss. 

Staubbildung  findet  sich  beim  Zerkleinern  der  Kohle  und  des  Kalk- 
steins, wozu  man  die  Zerkleinerungs-  und  Brechmaschinen  benutzt,  während  das 
Sulfat  zwischen  cannelirten  Walzen  pulverisirt  wird.  In  den  wenigsten  Fabriken 
beachtet  man  diese  Manipulationen  in  ihrer  sanitären  Bedeutung;  man  findet  daher 
auch  fast  nie  Einrichtungen  zum  Schutze  der  Arbeiter,  obgleich  der  Kohlen-  und 
Kalkstaub  dieselben  erfordern,  wenn  ein  wirkliches  Pulverisiren  der  Mate- 
rialien stattfindet.  Glücklicherweise  zieht  man  es  gegenwärtig  vor,  dieselben  in 
Stücken  zu  verbrauchen,  so  dass  die  Brechmaschinen  ausreichen  und  weniger 
Staub  auftritt.  Das  Sulfat  ist  nur  insofern  noch  zu  beachten,  als  es  bei  der 
Herausnahme  aus  dem  Ofen  noch  immer  Salzsäure  aushaucht;  deshalb  verdienen 
die  combinirten  Sodaöfen  den  Vorzug,  bei  denen  das  Sulfat  sofort  in  den  Calcinir- 
raum  übergekrückt  wird. 

Von  den  Gasen  werden  die  Arbeiter  nicht  belästigt,  da  das  Kohlenoxyd 
beim  Reductionsprocess  in  der  ganzen  Masse  in  blauen  Flämmchen  verbrennt. 
Die  Salzsäure  vermag  nur  die  Anwohner  und  die  Vegetation  zu  schädigen, 
wenn  ihre  Condensation  unvollständig  ist  (s.  S.  52). 

Beim  Mahlen  der  Rohsoda  sehen  die  Arbeiter  wie  mit  Mehl  bepudert 
aus,  ohne  dass  man  eine  Schädigung  ihrer  Gesundheit  hierbei  beobachtet;  den- 
noch ist  es  nicht  als  zulässig  zu  beträchten,  die  Arbeiter  einer  solchen  Staub- 
atraosphäre  tagelang  auszusetzen,  indem  jedenfalls  der  normale  Athmungsprocess 
beeinträchtigt  wird. 

Bei  der  Gewinnung  von  Schwefel  aus  den  Rückständen  ist  das 
auftretende  Schwefel  wasserst  off  gas  stets  zu  berücksichtigen.  Ehe  man  mit 
dieser  Fabricationsmethode  vertraut  war,  ist  es  häufig  vorgekommen,  dass  die 
Arbeiter  vou  bedenklichen  Anfällen  betroffen  wurden,  obgleich  ausserordentlich 
selten  über  Todesfälle  hierbei  berichtet  worden  ist.  Werden  die  Apparate  undicht 
und  athmen  die  Arbeiter  grosse  Mengen  des  Gases  ein,  so  stürzen  sie  wie  todt 
hin.  Seitdem  der  Betrieb  sorgfältiger,  der  Verschluss  der  Apparate  vollständiger 
geworden  ist  und  der  auftretende  Schwefelwasserstoff  sachgemäss  behandelt 
wird,  kommen  auch  Gesundheitsschädigungen  dieser  Art  weniger  vor. 

Die  Beseitigung  des  Chlorcalciums  ist  in  Bezug  auf  die  Brunnen  und 
die  Vegetation  beachtungswerth;  das  Ablassen  der  Lauge  in  alte  Brunnen- 
schachte ist  uicht  zu  gestatten,  da  auf  diese  Weise  meist  die  Brunnen  benach- 
teiligt werden.  Ein  zu  hartes  Wasser,  das  hierdurch  entsteht,  erzeugt  leicht 
Diarrhoe  und  Verdauungsstörungen  und  ist  für  manche  häusliche  Zwecke, 
z.  B.  beim  Abkochen  der  Leguminosen,  ohne  vorhergehenden  Zusatz  von  Natrum 
carbon.  gar  nicht  zu  gebrauchen. 

Kommt  die  Lauge  mit  der  Vegetation  in  Berührung,  so  bleibt  kein  Halm 
grün.  Als  sie  in  einem  concreten  Falle  zur  Besprengung  einer  Chaussee  benutzt 
wurde,  verdarben  bald  die  angrenzenden  Bäume  und  das  Gras  in  den  Gräben 
sah  wie  verbrannt  aus.  Die  Verwerthung  der  Lauge  ist  noch  sehr  beschränkt 
(s.  Gips). 


680  [Silber. 


Silber  Ag. 

Silber  kommt  zwar  gediegen,  aber  viel  häufiger  mit  Schwefel,  Blei,  Arsen,  Kupfer, 
Antimon,  Gold  gemengt  vor.  Hornsilber  (Peru,  Mexico,  Freiberg)  ist  Chlorsilber, 
Silberglanz  Schwefelsilber,  Weissgültigerz  und  Rothgültigerz  sind  Verbin- 
dungen des  Silbers  mit  verschiedenen  Metallen. 

Gewinnung  des  Silbers  ans  den  Erzen.  Man  unterscheidet  1)  die  Amalga- 
mation  mit  Quecksilber  bei  ärmeren  oder  sehr  kupferhalt  igen  Erzen,  die  das 
Silber  als  Schwefelsilber  enthalten. 

Nach  der  sachgeinässen  Aufbereitung  der  Erze  unterwirft  man  sie  dem  Rösteu, 
bei  dem  schweflige  Säure,  Antimonoxyd,  arsenige  Säure  und  Bleioxyd  vor- 
zugsweise entweichen.  Das  Kupfer  wird  theilweiso  durch  den  Verwitterungsprocess  ent- 
fernt und  der  Rückstand  mit  Kochsalz  gemischt  und  einer  abermaligen  Röstung  unter- 
worfen. Das  gepochte  Röstgut  wird  mit  Eisengranalien  in  Kufen  mit  Wasser 
versetzt,  um  das  Chlorsilber  zu  reduciren. 

2AgCl  +  Fe  =  2Ag  +  FeCl2. 

Den  feinen  metallischen  Brei  bringt  man  mit  Quecksilber  zusammen:  das  ent- 
standene und  gewaschene  Amalgam  wird  in  ledernen  Beuteln  einer  Pressung  unter- 
worfen, um  das  überschüssige  Quecksilber*  zu  entfernen.  Das  Quecksilber  wird  im 
Glockenofen  abgetrieben  und  die  zurückbleibende  schwammige  Silbermasse  (Teller- 
silber) unter  einer  Decke  von  Borax  geschmolzen,  um  noch  Kupfer,  Antimon,  Wis- 
muth  u.  s.  w.  zu  entfernen  (s.  Quecksilber). 

Diese  Methode  wurde  früher  vorzugsweise  von  den  Spaniern  in  Peru  und  Mexico 
auf  die  roheste  Weise  ausgeführt,  bei  welcher  Menschen  und  Thiere  erkrankten. 

2)  Die  Extractionsiuethode  zerfällt  in  das  Angustin'sche  Verfahren,  das  auf 
der  Löslichkeit  des  Chlorsilbers  in  concentrirter  Kochsalzlösung  sowie  auf  der 
Eigenschaft  des  Kupfers  beruht,  das  gelöste  Silber  niederzuschlagen,  und  in  die  Zier- 
vogel'sche  Methode,  welche  sich  auf  die  verschiedenen  Löslichkeitsverhältnisse  der 
Silber-  und  Kupfersulfate  stützt 

3)  Die  Gewinnung  des  Silbers  aus  silberhaltigen  Kupfer-  und  Blei- 
erzen durch  Abtreiben  beruht  auf  der  Oxydation  der  unedlen  Metalle  bei  einer 
Temperatur,  welche  die  edlen  Metalle  unverändert  lässt.  Man  gewinnt  hierbei  das  sog 
Blicksilber  und  das  Blei  als  Gold-  und  Silberglätte. 

4)  Das  Entsilbern  des  Bleies  nach  Pattinson  gründet  sich  auf  die  Erfah- 
rung, dass  sich  beim  Erkalten  des  in  eisernen  Kesseln  geschmolzenen,  silberhaltigen 
Bleies  kleine  Krys'talle  absetzen,  die  ärmer  an  Silber  sind  als  die  ursprüngliche  Legi- 
rung  und  mittels  eines  durchlöcherten  Löffels  abgeschöpft  werden,  während  der  flüssig 
gebliebene  Theil  hierdurch  angereichert  wird. 

5)  Die  Extraction  des  Silbers  aus  dem  Blei  in  Form  einer  Zinklegi- 
rnng  nach  Parkes.  Beim  Abkühlen  der  geschmolzenen  Legirung  scheidet  sich  die 
schwierig  schmelzbare,  silberhaltige  Zinklegirung  (Zinkschaum)  aus:  wird  diese,  mit 
verdünnter  Salzsäure  behandelt,  so  bilden  sich  unlösliches  Chlorsilber  und  lös- 
liches Chlorzink.1) 

Die  Saigerung  der  silberreichen  Kupfererze  ist  nicht  mehr  gebräuch- 
lich. Häufig  ist  im  Harze  die  Silberextractiou  durch  Schwefelsäure 
bei  silber-  und  antimonhaltigem  Blei. 

Sanitäre  Verhältnisse  bei  der  Silbergewinnung. 

Bei  der  Gewinnung  der  Silbererze  sind  die  Stollenwässer  wegen 
ihres  Gehaltes  an  Kupfer,  Arsen,  Ziuk  und  Eisen  bergmännisch  zu  behandeln 
(s.  Kupfer).  Beim  Ausklaubeu  resp.  bei  der  Handscheidung  uud  dem 
trocknen   Pochen  kann  der  Staub  die  erwähnten   Metalle  enthalten;    Spuren 


Silbergewinnung.  681 

von  Quecksilber  finden  sieb  bisweilen  bei  ungarischen  Erzen.  Da  die  Arbeit  im 
Winter  in  geschlossenen  Räumen  stattfindet,  so  muss  Mund-  und  Nasenöffhung 
unter  allen  Umständen  mit  einer  schützenden  Hülle  versehen  werden.  —  Wegen 
Schlämmen  und  Rösten  der  Erze  s.  Kupfer.  Das  Sieben  der  gerösteten 
Erze  geschieht  in  hölzernen  Kasten,  in  denen  sich  zwei  Eisendrahtsiebe  wechsels- 
weise in  entgegengesetzter  Richtung  bewegen.  Hierauf  folgt  das  Mahlen  auf 
Kollermühlen,  die  unter  der  Siebkammer  liegen;  man  sollte  das  Mahlgut  stets 
anfeuchten.  Beim  Rösten  mit  Kochsalz  werden  Kupfer,  Arsen,  Zink  und 
Antimon  als  Chlorverbindungen  neben  salzsauren  Dämpfen  ausgetrieben; 
man  muss  sie  mittels  Wasserdämpfe  in  die  Ableitungscanäle  oder  in  mit  Beriese- 
lung versehene  Koksthürme  ableiten.  Beim  Waschen  des  Amalgams  sind  die 
Abfallwässer  als  quecksilberhaltig  wohl  zu  beachten,  während  bei  der  Pressung 
desselben  das  Verspritzen  von  Quecksilber  zu  vermeiden  ist. 

Die  Trennung  des  Quecksilbers  vom  Silberamalgam  im  Glockenofen  ist 
ohne  Gefahr,  da  sich  das  Quecksilber  im  Wasser  condensirt  (s.  Quecksilber).  Bei 
der  Augustin 'sehen  und  Zi  er  vogel' sehen  Methode  enthalten  die  Waschwässer 
Kupfer,  Zink  uud  Eisen  (s.  Cementkupfer). 

Beim  Abtreiben  des  Bleies  auf  Silber  sind  die  entstehenden  Dämpfe 
stets  bleihaltig,  werden  aber  grösstentheils  unter  dem  Hute  des  Abtreibherdes 
zurückgehalten  und  nur  ein  Theil  derselben  findet  einen  Abzug  durch  die  sogen. 
Glättgasse,  wo  die  heisse  abfiiessende  Glätte  Bleidämpfe  aushaucht.  Kräftig 
wirkende  Rauchfänge  über  der  Glättgasse  würden  sich  immerhin  empfehlen,  wenn 
auch  die  eigentliche  Arbeiterstelle  der  Glättgasse  gegenüber  liegt,  die  in  einem 
separirten  und  luftigen  Räume  zu  dem  Glättkasten  führt;  in  letzterem  erstarrt  dann 
die  Glätte  zu  einem  grossen  Block.  Obgleich  sie  nur  so  weit  zertrümmert  wird,  dass 
sie  sich  in  Fässern  verpacken  lässt,  so  ist  doch  der  hier  auftretende  Staub  wohl 
zu  beachten.  Am  meisten  leiden  die  Arbeiter  aber  bei  dem  Abtreiben  während 
des  Beobachtens  des  „Silberblickes"  durch  die  Sehluken  in  dem  Hute  des 
Herdes*),  weil  ihnen  beim  Oeffnen  derselben  jedesmal  ein  metallischer  Qualm 
entgegenströmt,  vor  dem  sie  sich  sehr  sorgfältig  durch  Verschluss  der  Mund-  und 
Nasenhöhle  hüten  müssen. 

Beim  Pattin  so  niren  entwickeln  sich  keine  Bleidämpfe,  während  bei  der 
Extraction  des  Silbers  durch  Zink  sehr  sorgfältig  auf  das  etwaige  Auftreten 
von  Arsenwasserstoff  zu  achten  ist  (s.  S.  288).  Wird  das  hierbei  abfallende 
Blei  mit  Kochsalz  gemengt,  so  tritt  Chlorzink  auf,  das  stets  durch  Einströmen- 
lassen eines  Dampfstrahls  in  die  Abzugscanäle  condensirt  werden  muss;  die 
chlorzinkhaltige  Flüssigkeit  ist  mit  Calciumhydrat  zu  versetzen,  damit  sich  unlös- 
liches basisches  Chlorzink  bildet,  ünterlässt  man  diese  Vorsicht,  so  zerstört 
Chlorzink  die  Mauern  des  Schornsteins,  weil  sich  das  flüssige  Chlorzink  mit 
dem  Kalk  des  Mörtels  zu  Zinkcarbonat  und  Chlorcalcium  umsetzt.  Wo 
das  Saigern  noch  stattfindet,  hat  man  auf  die  Dämpfe  von  Zink,  Antimon,  Blei, 
Arsen  und  schwefliger  Säure  zu  achten,  wenn  sie  auch  hier  in  geringer  Menge 
auftreten;  jedenfalls  hat  man  aber  die  entsprechenden  Niederschläge  beim  Rei- 
nigen der  mit  den  Reverberiröfen  in  Verbindung  stehenden  Luftcanäle  zu 
berücksichtigen. 


")   Unter  Blicken   des    Silbers    versteht  man   das  Entstehen   und   Schwinden 
einer  dünnen  Schicht  von  Bleiglätte,  welche  das  Silber  noch  überzieht. 


682  Silber. 

Silberindustrie. 

Silber-  und  Blei-Iudustrie  fallen  meist  zusammen.  Deutschland, 
Belgien  und  Oesterreich  liefern  die  bedeutenderen  silber-  und  bleiproducirenden 
Hüttenwerke.  Vorzugsweise  sind  es  die  prenssiscben  Hütten  des  Oberharzes,  die 
Künigl.  Friedrichshütte  bei  Tarnowitz  in  Oberschlesien,  die  fiscalische  Hütte  bei 
Freiberg,  die  Einser  Blei-  und  Silberwerke,  der  Mechernicher  Bergwerks-Actieu- 
Vereia  bei  Commern  in  der  Rheinprovinz,  die  Stoiberger  und  rheinisch-nassauische 
Gesellschaft,  die  österreichischen  Hütten,  namentlich  die  zu  Präcbram,  welche  sich 
durch  Silber-  und  Bleiproduction  auszeichnen. 

Die  Bearbeitung  des  metallischen  Silbers  findet  vorzüglich  in  Münzen  und 
Ciselirwerkstätten  statt,  während  das  Versilbern  am  häufigsten  in  Bronze- 
waarenfabriken  (Iserlohn,  Pforzheim  u.  s.  w.)  vorkommt.2) 

Silberlegirnngen.  Die  Dehnbarkeit  des  Silbers  ist  bekannt;  es  schmilzt  bei 
1000°  und  nimmt  hierbei  Sauerstoff  auf,  den  es  aber  beim  Erkalten  unter  Aufbrausen 
wieder  fahren  lässt.  was  man  bei  der  Silbergewinnung  Spratzen  nennt.  Heisse  con- 
centrirte  Schwefelsäure  löst  es  unter  Entwicklung  von  schwefliger  Säure  auf. 

Silber  legirt  sich  mit  den  meisten  bekannten  Metallen:  am  häutigsten  sind  die 
Legirungen  mit  Kupfer  und  Gold:  sämmtliche  silberne  Münzen  sind  kupf erhaltig, 
damit  sie  nicht  zu  schnell  abgenutzt  werden.  Die  Menge  des  Silbers  nennt  man  den 
Feingehalt:  zu  seiner  Ermittelung  dient  der  Probirstein  (Kieselschiefer),  das 
Titrirverfahren  und  die  Probe  durch  Cupellation:  letztere  geschieht  durch  den 
Treibprocess,  der  in  sanitärer  Beziehung  zu  beachten  ist,  da  manche  Goldarbeiter  oder 
Münzbeamten  ihre  Gesundheit  dadurch  zerrütten,  dass  sie  sich  vor  den  Bleidämpfen 
nicht  ausreichend  schützen. 

Gefässe,  die  aus  Legirungen  von  Kupfer  und  Silber  für  die  Haushaltung  an- 
gefertigt werden,  dürfen  nicht  mit  Säuren  in  Berührung  kommen,  da  hierbei  stets  das 
Kupfer  angegriffen  wird. 

Das  Versilbern,  d.  h.  das  Ueberziehen  der  Metalle  mit  Silber.  Man  benutzt 
hierzu  1 )  das  Platiren  oder  die  Feuerversilberang  von  Kupfer  oder  Messing.  Die 
metallischen  Gegenstände  werden  von  der  Oxydschicht  befreit,  d.h.  gebeizt,  mit  einer 
Lösung  von  salpetersaurem  Quecksilber  angequickt  und  mit  Silberamalgam  (1  Th. 
Silber,  8  Th.  Quecksilber)  bestrichen:  man  reibt  dann  kräftig  mit  einer  Metallbürste  und 
verflüchtigt  das  Quecksilber  über  freiem  Kohlenfeuer.  In  Folge  des  Anquickens  bildet 
sich  Kupferoxyd,  das  die  Oberfläche  schwärzt  und  durch  eine  Beize  von  Weinstein, 
Kochsalz  und  Alaun  weggenommen  oder  bisweilen  mittels  einer  Metallbürste  abge- 
rieben wird,  die  auch  bei  Gegenständen,  welche  sich  schlecht  verquicken  lassen,  vor  dieser 
Procedur  zur  Anwendung  kommt. 

Eiserne  Gegenstände  müssen  vorher  verk  upfert.  d.h.  mit  einem  kochenden 
Bade  von  Quecksilber,  Kupfervitriol,  Salzsäure  und  Wasser  behandelt  werden. 

Die  grossartigsten  Platiranstalten  finden  sich  in  Pforzheim  und  Iserlohn 
und  verdienen  eine  sanitätspolizeiliche  Ueberwachung.  Schon  beim  Gebrauch  der  Metall- 
bürste kann  sich  ein  metallischer  Staub  bilden;  am  gefährlichsten  ist  aber  die 
Verdampfung  von  Quecksilber,  da  manche  Fabriken  wöchentlich  20 — 30  Pfund  davon 
gebrauchen.  In  Frankreich  dampft  man  die  amalgamirten  Gegenstände  in  geschlos- 
senen Treibmuffeln  ab,  welche  mit  einem  Abzugscanale  und  Condensations Vorrichtungen 
versehen  sind,  die  mit  dem  Kamine  in  Verbindung  stehen.  Selbst  beim  Reinigen  solcher 
Kamine  muss  man  noch  die  etwaige  Verunreinigung  des  Russes  mit  Quecksilber  berück- 
sichtigen. Unterlässt  man  die  nothwendigen  Vorsichtsmassregeln,  so  leiden  die  Arbeiter 
an  Mercurialintoxication;  sie  verlieren  namentlich  leicht  die  Zähne  und  werden 
von  der  sogen.  Hüttenkrätze  befallen. 

2)  Bei  der  kalten  Versilberung  reibt  man  die  Metalle  mit  einem  Gemenge  von 
Chlorsilber,  Kochsalz,  Schlämmkreide  und  Pottasche  ein;  nach  dem  Abspülen 
trocknet  man  mit  weichem  Leder  ab. 

Die  Arbeiter  bekommen  hierbei  leicht  Vereiterungen  an  der  Nagelwurzel  mit  Ver- 
lust des  Nagels,  welche  durch  das  im  Kochsalz  aufgelöste  Chlorsilber  hervorgerufen 
werden;  das  beste  Mittel  besteht  im  Gebrauche  von  Lohbädern.2) 

3)  Beim  Silbersud  gebraucht  man  eine  siedende  Lösung  von  Weinstein,  Kochsalz 
und  Chlorsilber:  das  Silber  wird  reducirt  und  auf  das  Metall  niedergeschlagen.  Man 
polirt  mit  dem  Polirachat,  die  Versilberung  bleibt  aber  matt  und  wird  fast  nur  bei  ge- 
ringern Scheidemünzen  benutzt. 


Silberindustrie.  683 

4)  Beim  Weisssieden  werden  Legirungen  von  Kupfer  und  Silber  in  gelöstem  Alaun 
und  Kochsalz  mit  etwas  Salpeter  gesotten;  das  Kupfer  löst  sich  auf  und  eine  silber- 
reichere Oberfläche  bildet  sich,  weil  das  Silber  auf  derselben  metallisch  stehen  bleibt. 
Bei  diesem  Verfahren,  das  die  Silberschmiede  anwenden,  sind  die  Abfallwässer  wegen 
ihres  Kupfcrgehaltes  zu  berücksichtigen. 

5)  Galvanische  Versilberung  s.  Cyankalium  S.  383,  Versilberung  durch  Ar  gen- 
tine s.  S.  383.  &  & 

Als  Spiegelbeleg  (s.  Quecksilber)  kann  man  statt  des  Zinnamalgams  eine  dünue 
Silberschicht  benutzen,  indem  man  eine  Lösung  von  Arg.  nitric.  in  Ammoniak  durch 
verschiedene  Mittel,  z.  B.  durch  Kalium -Natrium -Tartrat,  alkalische  Traubenzucker- 
lösung u.  s.  w.  reducirt.  Die  schädlichen  Quecksilberdämpfe  fallen  hierbei  weg  und  es 
ist  nur  zu  wünschen,  dass  dieses  Verfahren  allgemein  Eingang  fände.  Die  versilberte 
Fläche  wird  schliesslich  mit  einem  aus  Mennige  bereiteten,  schnell  trocknenden  Oel- 
anstrich  überstrichen. 

Bei  der  Photographie  bilden  die  Silbersalze,  namentlich  Brom-,  Chlor-  und 
Jodsilber,  die  Basis  der  Bilder.  Auch  gehören  hierher  die  Verbindungen  von  Gold, 
Chrom,  Uran  und  überhaupt  die  leicht  reducirbaren  Körper. 

Die  Silber  Verbindungen  gehen  durch  die  Einwirkung  des  Lichtes  aus  der 
violetten  Farbe  allmählig  in  die  schwarze  über,  was  auch  bei  den  übrigen  Salzen  in 
dünnen  Schichten  der  Fall  ist. 

Um  die  Hervorrufung  der  Bilder  zu  beschleunigen,  benutzt  man  Eisen - 
oxydulsalze,  Tannin,  Pyrogallussäure  und  die  Zinnsalze,  welche  durch  ihre 
Verwandtschaft  zum  Sauerstoff  die  Metallsalze  zersetzen.  Um  nun  das  durch  Licht 
und  reducirende  Substanzen  hervorgerufene  Bild  zu  fixiren,  müssen  die  Salze,  welche' 
durch  das  Licht  zersetzt  werden,  von  den  Stellen  entfernt  werden,  die  in  den  positiven 
Bildern  die  hellen  und  in  den  negativen  die  dunklen  Partien  darstellen;  man 
gebraucht  hierzu  vorzugsweise  eine  Lösung  von  Cyankalium  oder  unterschweflig- 
saurem  Natrium.3) 

Zur  Darstellung  der  positiven  Bilder,  auf  welchen  die  Lichter  und  Schatten 
der  Natur  entsprechen,  dient  das  Daguerreotypverfahren  und  die  Positiv-Col- 
1  o  d  i  u  m  -  M  e  t  h  o  d  e. 

Bei  der  Dagnerreotypie  setzt  man  eine  versilberte  Kupferplatte  zuerst  Jod-  und 
Bromdämpfen  aus  und  bringt  sie  in  die  Camera  obscura.  Das  Bild  erscheint  erst 
nach  der  Behandlung  der  Platte  mit  Quecksilb  er  dämpf  en  *),  indem  diese  sich  auf 
den  Theilen  der  Platte  ablagern,  welche  durch  das  Licht  geschwärzt  sind  und  daher  die 
Lichtpartien  des  Bildes  repräsentiren;  die  unzersetzt  gebliebenen  Theile  der  Silbersalze 
werden  durch  Eintauchen  der  Platte  in  eine  Lösung  von  unterschwefligsaurem  Natrium 
beseitigt;  schliesslich  überzieht  man  das  Bild  mit  einer  schwachen  Goldschicht  (Gold- 
chloridlösung), um  es  permanent  zu  machen. 

Das  Collodiuniverfahren  bezweckt  die  Erzeugung  einer  dünnen,  gleichmässigen 
Schicht  von  Jod-  und  Bromsilber  auf  Glas  oder  Papier;  zur  Jodirung  des 
Collodiums  gebraucht  man  Jodammonium,  Bromammonium,  seltner  Jodnatrium. 

Je  nachdem  man  positive  oder  negative  Bilder  (bei  denen  Licht-  und 
Schattentheile  sowie  die  Stellung  der  Gegenstände  umgekehrt  wie  in  der  Natur  sind) 
darstellen  will,  ist  das  Collodium  verschieden  concentrirt  und  die  Jodirung  in 
anderer  Weise  zusammengesetzt. 

Die  verschiedenen  Operationen  bestehen  in  der  Reinigung  der  Glasplatten,  dem 
Aufgiessen  des  Collodiums,  dem  Empfindlichmachen  im  aus  Silbernitrat  bestehenden 
Silberbade,  in  der  Beleuchtung  und  in  der  Entwicklung  des  Bildes.  Die  Entwicklungs- 
flüssigkeit besteht  aus  Eisenvitriol  und  Pyrogallussäure.  Zum  Fixiren  gebraucht 
man  meist  unterschwefligsaures  Natrium.  Zum  Schutz  der  leicht  verletzbaren 
Collodiumschicht  dient  ein  Firniss  aus  Damargummi  in  Benzol  (s.  Collodium). 

Es  wird  hier  genügen,  auf  die  allgemeinen  Principien  der  Daguerreotypie  und 
Photographie  hingewiesen  zu  haben;  letztere  hat  sich  zu  einer  besondern  Wissenschaft 
ausgebildet  und  noch  sehr  verschiedene  Körper  in  ihren  Bereich  gezogen,  in  sanitärer 
Beziehung  sind  aber  die  oben  genannten  die  wichtigsten. 

Auf  die  Photolithographie,  Photographie  und  Photogalvanographie  ist  hier  nur 
aufmerksam  zu  machen. 


*)  Gewöhnlich  wird  das  Quecksilber  in  einer  eisernen  Schale  auf  60 — 70°  durch 
eine  Spirituslampe  erwärmt,  während  die  aus  der  Camera  obscura  gebrachte  Platte  sofort 
auf  die  Quecksilberschale  aufgestellt  wird.  Bei  den  ganz  unvorsichtigen  Manipulationen 
hat  Verfasser  früher  viele  Fälle  der  verschiedensten  Formen  von  Mercurialismus  ent- 
stehen sehen,  da  nichts  zur  Ableitung  und  Condensation  der  Quecksilberdämpfe  geschah. 
Die  Nachtheile  sind  doppelt  gross,  wenn  das  Quecksilber  später  durch  Pressen  mittels 
eines  weichen  Leders  gereinigt  wird. 


C;84  Calcium. 


Calcium,  Ca. 

Die  Verbindungen  des  Calciums  finden  sich  überall  in  der  Natur;  als 
Kalkstein,  Marmor,  Kreide,  Kalkspat!),  Kalktuff,  Kalksinter,  Aragon  it 
ist  die  Verbindung  mit  Kohlensäure,  das  Calciumcarbonat,  bekannt.  Zum 
Calciumsuifat  gehören  der  Gips  und  Alabaster,  zum  Calciumphosphat 
Apatit  und  Phosphorit;  als  Calciumfluorid  kommt  der  Flussspath  vor. 
Die  Kreidefelsen  bestehen  fast  nur  aus  den  Schalen  der  Infusorien;  ausserdem 
enthalten  die  meisten  Silicate  Kalk;  in  der  Asche  der  Pflanzen  findet  sich 
kohlensaures,  phosphorsaures  und  schwefelsaures  Calcium,  während  im  Thi er- 
reich vorzugsweise  das  Skelett  aus  phosphorsaurem  und  kohlensaurem  Calcium 
besteht, 

Pcrlinutterdrechslerei.  In  industrieller  Beziehung  ist  die  harte,  silber- 
glänzende Schale  der  Perlmuschel  und  mehrerer  Austernarten  hervorzuheben. 
Die  mechanische  Bearbeitung  geschieht  durch  Sägen,  Feilen,  Bohren  auf  der 
Drehbank  u.  s.  w.,  während  die  Politur  durch  Feinschleifen  mit  Bimsteinpulver 
und  Tripel,  den  man  anfangs  mit  Leinöl,  schliesslich  mit  ein  wenig  Schwefelsäure 
anfeuchtet,  bewirkt  wird.  Der  Perlmutterstaub  besteht  aus  Calciumcarbonat 
(93,551)  und  Couchioliu  (5,57*);  letzteres  gehört  der  innern  Schicht  der  Perl- 
mutter-Schale an  und  hat  sich  nach  den  Untersuchungen  von  Englisch  ')  und 
Gussenbauer  2)  als  eine  Krankheitsursache  für  die  Perlmutterdrechsler 
herausgestellt,  indem  es  mit  dem  Perlmutterstaub  in  das  Lungengewebe  eindringt 
und  sich  hier  in  kleinen,  disseminirten  Herden  ansammelt,  da  es  eine  für  die 
Körperflüssigkeiten  unlösliche  Substanz  ist.  Bei  laugdauernder  Inhalation  können 
Veränderungen  im  Lungengewebe  entstehen;  es  soll  aber  auch  in  den 
Kreislauf  gelangen,  sich  namentlich  in  den  Markcapillareu  der  Knochen  ansammeln, 
die  Capillareu  in  den  Diaphysenenden  embolisiren  und  so  zum  Infarct  führen;  von 
da  soll  sich  eine  umschriebene  Osteomyelitis,  Ostitis  und  Periostitis  ent- 
wickeln und  so  das  Krankheitsbild  hervorrufen,  das  sich  vorzugsweise  bei  Perl- 
mutterdrechslern findet,  die  in  engen  und  mit  Perlmutterstaub  angefüllten  Localeu 
arbeiten. 

Bei  Hunden,  die  dem  Staube  ausgesetzt  wurden,  fanden  sich  im  Lungenparenchym 
Stecknadelkopf-  bis  hanfkorngrosse,  eingekapselte  Herde  desStaubes;  es  liegt  daher  die 
Notwendigkeit  vor,  dem  Perlmutterstaube  die  grösste  Aufmerksamkeit  zu  schenken 
und  die  geeigneten  Präventivmassregeln  zu  treffen,  die  vorzüglich  auf  die  Herstellung 
luftiger  Arbeitsräume  und  einer  ergiebigen  Ventilation  durch  Schlote,  Exhaustoren  u.  s.w. 
oder  wenigstens  auf  Schutz  der  Mund-  und  Nasenhöhle  hinzielen  müssen. 

Kalkbrennerei. 

Calciumoxyd,  gebrannter  Kalk,  Aetzkalk,  Calcaria  usta  CaO  wird  durch 
Glühen  des  Kalksteins  (Calciumcarbonats)  dargestellt  und  stellt  eine  weisse, 
amorphe  Masse  dar,  welche  ätzend  wirkt,  alkalisch  reagirt  und  durch  die  stärkste 
Hitze  nicht  geschmolzen  wird;  durch  Anziehen  der  atmosphärischen  Kohlensäure 
verwandelt  sie  sich  wieder  in  Calciumcarbonat  CaC03  (Calcaria  carbonica). 


Kalkbrennnerei  685 

In  der  Industrie  wird  zum  Kalkbrennen  vorzugsweise  der  in  ganzen  Gebirgs- 
massen  vorkommende  Kalkstein  benutzt,  welcher  aber  meistens  init  organischen  Ueber- 
resten  vermischt  ist. 

Man  unterscheidet  Mergelkalk,  Muschelkalk  (Rüdersdorf  bei  Berlin), 
magern  Kalk,  welcher  Dolomit,  also  Magnesiumoxyd  enthält;  Todtgebrannt  heisst 
der  nicht  gieichmässig  gebrannte  oder  noch  Silicate  enthaltende  Kalk. 

Das  Kalkbrennen  geschieht  in  Meilern  und  Gruben  nach  Art'  der  Meilerver- 
kohlung  oder  in  Feldöfen,  die  wie  die  Feldziegelöfen  mit  Zündgassen  versehen  sind- 

Die  geschlossenen  Oefen  a)  mit  periodischem  Betriebe  sind  cylindrisch  oder 
eiförmig  und  haben  entweder  ein  aus  grössern  Kalksteinen  gebildetes  Gewölbe,  auf 
welches  die  übrigen  Kalksteine  geschüttet  werden,  oder  man  schichtet  abwechselnd 
Brennmaterial  und  Kalksteine;  b)  Oefen  mit  continnirlichem  Betriebe  sind  entweder 
trichterförmige  Oefen  mit  schichtweiser  Beschickung  oder  die  Oefen  haben  eine  seitliche 
Feuerung  mit  einem  Rost  und  stellen  einen  Schacht  mit  einer  Gicht  zum  Eintragen 
der  Kalksteine  dar.  Bei  den  Kalköfen  zu  Rüdersdorf  ist  der  Schacht  noch  mit 
einer  Futtermauer  von  feuerfesten  Steinen  und  diese  noch  mit  einer  zweiten  Mauer 
umgeben.  *) 

In  sanitätspolizeilicher  Beziehung  ist  zu  bemerken,  dass  die  Kalk- 
öfen zu  den  Anlagen  gehören,  die  einer  besondern  Concession  bedürfen.  Die 
Menge  der  sich  entwickelnden  Kohlensäure  ist  sehr  gross;  für  jeden  Centuer 
Kalkstein  erhält  man  44  Pfd.  Kohlensäure;  eine  Beimengung  von  schwefliger 
Säure  kann  vom  Brennmaterial  herrühren.  Der  Grad  der  Belästigung  hängt  von 
der  Construction  der  Oefen  ab;  bei  Meilern  zieht  der  Rauch,  namentlich  bei 
feuchtem  Wetter,  mehr  am  Boden  hin;  aber  auch  die  Kalköfen  müssen  so  an- 
gelegt werden,  dass  die  Kohlensäure  bei  den  durchschnittlich  herrschenden  Strich- 
winden nicht  auf  Pflanzungen  hingetrieben  wird.  Am  meisten  kann  die  Vegetation 
bei  Windstille  leiden,  denn  der  Luftstrom,  der  sich  vom  Ofen  aus  etablirt,  ist 
nicht  kräftig  und  es  wird  die  Kohlensäure  nur  bis  zur  Abkühlung  in  die  Höhe 
getrieben.  Ist  nun  die  Luft  wenig  bewegt,  so  fällt  sie  schon  in  geringer  Ent- 
fernung vom  Ofen  auf  die  Flur  nieder;  eine  gelblich-grüne  Farbe  der  Blätter 
zeigt  dann  den  Einfluss  der  Kohlensäure  an;  eine  sehr  feuchte  und  bewegte  Luft 
vermindert  den  schädlichen  Einfluss  beträchtlich.  Das  beste  Mittel  ist  ein 
Ueberwölben  der  Oefen  mit  gleichzeitiger  Einrichtung  eines  Kamins, 
um  die  Adjacenten  wie  auch  die  Vegetation  zu  schützen;  übrigens  ist  ein  übler 
Geruch  des  Rauches  nicht  zu  vermeiden,  wenn  der  Kalkstein  reich  an  organischen 
Bestandteilen  ist. 

Die  Arbeiter  haben  sich  beim  Ausziehen  des  Kalks  auch  vor  Verbrennungen 
durch  glühenden  Kalkstaub  zu  hüten.  Die  Kalkasche,  d.  h.  der  beim  Ausziehen 
entstehende  feine,  mit  der  Asche  des  Brennmaterials  vermischte  Kalkstaub, 
kann  die  Arbeiter  sehr  schädigen,  wenn  sie  hierbei  nicht  vorsichtig  sind;  auch 
darf  dieser  Staub  nicht  im  Freien  auf  Haufen  gesetzt  werden,  da  er,  durch  Wind 
auf  die  Felder  getrieben,  der  Vegetation  schadet;  soll  er  als  Dünger  benutzt 
werden,  so  muss  er  sofort  mit  Wasser  besprengt,  mit  Erde  bedeckt  oder  auf 
Composthaufen  gesetzt  werden.3) 


*)  In  Russland  sind  auf  dem  Deckengewölbe  der  geschlossenen  Oefen  Dampfkessel 
angebracht,  welche  beständig  einen  Strom  von  Wasser  dampf  in  den  Ofen  treiben, 
wodurch  der  Betrieb  gefördert  wird.  In  Deutschland  wendet  man  den  Wasserclampt 
an,  um  namentlich  für  Rübenzuckerfabriken   reine  Kohlensäure   zu  erzeugen. 

Auch  die  Gasfeuerung  nach  den  Vorschlägen  von  Sirme»n  verspricht  viele  Vor- 
theile,  während  der  ursprünglich  als  Ziegelofen  construirte  Ringofen  von  Hoffmann  und 
Licht  schon  seit  einigen  Jahren  mit  Nutzen  auch  zum  Kalkbrennen  benutzt  wird.  In 
einigen  Gegenden  verwerthet  man  die  von  Töpfer-  oder  geschlossenen  Ziegclöfen  ab- 
strömende Wärme  zum  Kalkbrennen. 


686  Calcium. 

Beim  Lagern  und  Transport  des  gebrannten  Kalks  ist  Schutz  vor  Feuch- 
tigkeit die  notwendigste  Bedingung. 

Die  Anwendung  des  Aetzkalks  ist  eine  so  vielfältige,  dass  die  vielen  Vorgänge  in 
der  Industrie,  in  denen  er  unentbehrlich  ist,  nicht  speciell  aufzuführen  sind.  Ausser 
seiner  basischen  Eigenschaft  in  chemischer  Beziehung  ist  hier  noch  seine  Benutzung  zur 
Bereitung  von  Mörtel  hervorzuheben.  Der  gebrannte  Kalk  wird  zunächst  mit  Wasser 
übergössen.  Der  gelöschte  Kalk  (Calciumhydrat  Ca  (OH)..)  stellt  eine  weisse  Masse  dar, 
die  in  kaltem  Wasser  weit  löslicher  ist  als  in  warmem.  Das  Löschen  geschieht 
in  Holzkasten,  aus  denen  der  Kalk  in  mit  Brettern  ausgekleidete  Gruben  fliesst:  diese 
müssen  zur  Verhütung  von  Unglücksfällen  u.  s.  w.  stets  sorgfältig  bedeckt  werden.  Das 
Löschen  selbst  ist  bei  einiger  Vorsicht  ein  ungefährlicher  Act;  Staubbildung  kann  nur 
bei  der  Manipulation  mit  dem  trocknen  gebrannten  Kalk  entstehen*). 

Vermischt  man  den  gelöschten  Kalk  mit  Sand,  so  bildet  er  damit  Mörtel; 
seine  Erhärtung  zu  Luftmörtel  hängt  mit  der  Umwandlung  des  Kalkhydrats  in 
Calciumcarbonat  durch  die  atmosphärische  Kohlensäure  zusammen. 

Hydraulischer  Kalk  (Wasserkaik).  Kalksteine,  die  Alumininmsilieate  enthalten, 
liefern  nach  dem  Brennen,  d.h.  nach  Aufschliessung  der  Kieselsäure,  hydraulischen  Kalk, 
der  unter  Wasser  erhärtet.  Die  Erhärtung  hängt  hauptsächlich  davon  ab,  dass  Wasser 
zu  Hydrat  gebunden  wird,  und  beruht  im  Wesentlichen  auf  der  Entstehung  von 
Silicaten  und  Aluminaten.4) 

In  der  Natur  finden  sich  Producte,  welche  schon  aufgeschlossene  Kieselsäure  enthalten, 
z.B.  Trass,  Puzzolane,  Santorinerde,  die  man  durch  Vermischen  mit  gebranntem 
Kalk  zur  Darstellung  von  künstlichem  hydraulischem  Kalke  benutzt.  Solche  Zusätze  zum 
gebrannten  Kalke  nennt  man  Cemente,  die  in  natürliche  (Trass  u.  s.  w.)  und  künst- 
liche zerfallen;  zu  letztern  gehören  Ziegelmehl,  gebranntes  Töpfergeschirr,  die  Asche  von 
Stein-  und  Braunkohle,  der  Rückstand  bei  der  Alaunfabrication  aus  Alaunschiefer,  Porcellan- 
kapselscherben,  Schlacken  u.  s.  w.,  die  durch  Glühen  in  Cemente  verwandelt  werden. 

Der  Trass  wird  terrassenförmig  gestochen,  woher  auch  der  Name  Tarass, 
Trass  herrührt.  Trassmühlen  sind  wie  die  Gipsmühlen  Kollermühlen,  bei  denen 
zwei  aufrecht  gehende  Steine  den  fein  gekörnten  Trass  liefern.  Der  hierbei  entstehende 
Staub  ist  durch  seinen  Gehalt  an  Kieselsäure  neben  Eisenoxyd,  Thonerde,  Kalkerde, 
Magnesia  u.  s.  w.  um  so  beachtungswerther,  als  hierbei  eine  Benetzung  nicht  stattfinden 
kann;  man  sollte  polizeilicherseits  für  Präventivmassregeln  sorgen,  da  die  Folgen  dieses 
Staubes  sich  früher  oder  später  geltend  machen  müssen. 

Cementindustrie. 

Die  Cementindustrie  hat  in  der  jüngsten  Zeit  eine  grosse  Ausdehnung 
gewonnen.  Man  kann  bei  dieser  Fabrication  3  Methoden  unterscheiden:  1)  die 
Gewinnung  des  hydraulischen  Kalks  aus  natürlichen  hydraulischen 
Kalksteinen  (Romancemente). 

Früher  benutzte  man  hierzu  ausschliesslich  die  an  der  englischen  und  Ostseeküste 
vorkommenden  thonigen  Kalksteinnieren  (Schepeysteine),  die  aus  Calciumcarbonat, 
Kieselsäure,  Thonerde,  Magnesia  u.  s.  w.  bestehen;  gegenwärtig  gebraucht  man  auch 
mehrere  Mergelarten.  Da  das  erhaltene  Product  der  Puzzolanerde  sehr  ähnlich  ist, 
so  wurde  es  von  Parkes  römisches  Cement,  Romancement  genannt.  Das  Brennen 
resp.  Aufschliessen  der  Kieselsäure  geschieht  in  Schachtöfen  mit  continuirlichem  Betriebe, 
wobei  man  die  Kalksteine  abwechselnd  mit  dem  Brennmaterial  schichtet. 

Da  der  Romancement  als  feines  Pulver,  in  Fässern  verpackt,  in  den  Handel 
kommt,  so  folgt  nach  dem  Brennen  das  Mahlen,  Pulverisiren  und  Beuteln.  Die 
beiden  letztern  Manipulationen  müssen  unfehlbar  in  geschlossenen  Apparaten  geschehen. 

2)  Hydraulischer  Kalk  durch  Vermischen  von  gebranntem  Kalk 
mit  natürlichen  oder  künstlichen  Cementen. 

3)  Hydraulischer  Kalk  aus  ungebranntem  Kalk  und  Thon. 
Aspdin  in  Leeds  nannte  das  Product  wegen   seiner  graublauen  Steinfarbe,   die 

*)  Die  Wärmeentwicklung  beim  Löschen  beruht  auf  dem  Freiwerden  der  latenten 
Wärme  des  Wassers,  weil  dasselbe  aus  dem  flüssigen  Zustande  in  den  festen  übergeht. 
Wird  frisch  gebrannter  Kalk  mit  geringen  Mengen  von  Wasser  Übergossen,  so  kann  sich 
die  Wärme  im  Innern  bis  zur  Rothgluth  steigern.  Mittels  eines  entsprechenden  Gefässes 
mit  doppelten  Wänden  kann  mau  diese  Wärme  z.  B.  bei  Luftschifffahrten  u.  s.w.  benutzen, 
um  warme  Getränke  zu  bereiten  oder  Eier  zu  kochen. 


Gipsbrennerei.  687 

der  Farbe  des  in  England  als  Baustein  gebräuchlichen  Portlandsteins  ähnlich  ist, 
Portlandcement. 

Trotz  der  grossen  Verschiedenheit  in  der  Fabrication  wird  doch  überall  Kreide 
oder  Kalk  mit  Thon  und  häufig  auch  mit  Sand  in  fein  gemahlenem  Zustande  an- 
gewendet, was  in  sanitärer  Beziehung  am  wichtigsten  ist,  da  die  Schädlichkeit  des 
Staubes  nicht  oft  genug  betont  werden  kann.  Die  Kreide  wird  bisweilen  geschlämmt, 
aber  der  Thon  stets  fein  pulverisirt. 

Bei  Verwendung  des  Kalks  lässt  man  denselben  nach  dem  Brennen  erst  in  Mehl- 
kalk zerfallen,  um  ihn  fein  pulverisiren  zu  können.  Die  gebrannten  Steine  werden  ge- 
wöhnlich nicht  pulverisirt,  aber  gemahlen,  und  sieht  der  sogen.  Portlandcement  wie 
Bimstein  aus.  Gebraucht  man  den  Flussthon  oder  Thonschlamm,  der  sich  an  den 
Mündungen  grosser  Flüsse  oder  Bäche  absetzt,  so  ist  noch  darauf  zu  achten,  dass  sich 
beim  Verbrennen  desselben  unangenehm  riechende  Gase:  Kohlenwasserstoffe  und 
Schwefelwasserstoff  neben  Kohlenoxyd  entwickeln,  die  wie  die  Gichtgase  eines 
Hohofens  aufgefangen  und  in  eine  Feuerung  geleitet  werden  müssen.  Der  ganze  Process 
gleicht  der  trocknen  Destillation  des  bituminösen  Liasschiefers  der  Juraformation.  Sonst 
tritt  bei  der  Cementindustrie  hauptsächlich  Kohlensäure  auf.5) 

Gipsbrennerei. 

Gips,  Calciumsulfat  CaS04  kommt  in  der  Natur  in  derben  Massen  in  wasser- 
freiem Zustande  als  Anhydrit  vor.  Krystallisirter  Gips  enthält  2  Molec.  H20 
(Marienglas,  Frauenglas,  Alabaster,  Gipsstein)  und  löst  sich  am  besten  bei  +  35  °, 
mit  steigender  Temperatur  nimmt  aber  die  Löslichkeit  ab;  durch  Erhitzung  auf 
110°  verliert  er  sein  Krystallwasser  (gebrannter  Gips,  SSparkalk,  Calcaria 
sulf urica  usta),  trifft  er  aber  mit  Wasser  zusammen,  so  nimmt  er  das  Krystall- 
wasser wieder  auf,  erstarrt  dabei  und  wird  deshalb  zu  Gipsverbänden,  Abgüssen, 
Ornamenten  u.  s.  w.  geeignet;  ein  über  204°  erhitzter  Gips  verliert  diese  Eigen- 
schaft und  heisst  dann  todtgebrannt. 

Das  Gipsbrennen  geschieht  in  Gipsöfen,  die  den  Kalköfen  ähnlich  sind;  bei  den 
primitivsten  werden  die  Gewölbe  aus  grössern  Gipsstücken  construirt.  Schachtöfen 
mit  periodischem  Betriebe  -sind  die  häufigsten;  oft  werden  auch  abfallende 
Feuerungen,  z.B.  die  aus  Koksöfen  abziehende  Feuerluft,  benutzt.  Gips  für  feinere  Ver- 
wendungen wird  in  eisernen  Kesseln  oder  in  Backöfen  gebrannt.  Im  Allgemeinen  hat 
das  Gipsbrennen  wegen  der  geringen  Temperatur,  die  hierbei  erforderlich  ist,  kein 
sanitätspolizeiliches  Bedenken,  nur  der  Staub  beim  Mahlen  und  Pulverisiren  des  Gipses 
sollte  mehr  als  bisher  berücksichtigt  werden. 

Die  Verwendung  des  Gipses  zum  Giessen  und  zu  Abdrücken  ist  bekanntlich 
mannigfach.  Um  den  Gips  zu  härten,  ihm  ein  marmorähnliches  Aussehen  zu  geben 
und  ihn  dadurch  zur  Darstellung  von  architectonischen  Verzierungen  geeignet  zu  machen 
(Stuck,  Gipsmarmor),  wird  derselbe  mit  Leimwasser,  dem  man  häufig  etwas 
Zinkvitriol  zusetzt,  angerührt;  man  kann  auch  eine  Alaunlösung  (Marmorcement) 
oder  eine  Boraxlösung  (Pariancement)  nehmen;  den  aufgetragenen  und  getrockneten 
Gips  schleift  man  dann  mit  Bimstein  ab  und  polirt  schliesslich  mit  Tripel  und  Lein- 
wandballen.6) Der  feine  Staub,  welcher  sich  hierbei  bildet,  ist  für  die  Respirations- 
wege um  so  schädlicher,  wenn  man  den  Gips  noch  durch  Zusätze,  wie  Russ,  Colcothar, 
Indig,  Mennige  u.  s.  w.  gefärbt  hat.  Auf  diese  schädlichen  Einwirkungen  achtet  man  im 
gewöhnlichen  Leben  viel  zu  wenig,  obgleich  schon  das  blasse  Aussehen  der  meisten 
Stuckarbeiter  darauf  hinweist,  dass  ihre  Beschäftigung  manche  Nachtheile  in  sich  schliesst. 

Das  Encaustiren  der  Gipsabgüsse  geschieht  durch  Erwärmen  derselben 
auf  80°  und  Eintauchen  in  geschmolzene  Stearinsäure  oder  geschmolzenes  Paraffin. 

Als  Pearl  hardening  oder  Annalin  kommt  im  Handel  ein  aus  Chlorcalcium- 
lauge  mit  Schwefelsäure  dargestellter  Gips  vor,  der  in  Papierfabriken  als  Zusatz  zum 
Ganzzeug  dient.*)     Sehr  zu  beachten  ist  die  desinficirende  Wirkung  des  Gipses.7) 

*)  Die  Chlorcalciumlösung,  die  bisher  nur  als  eine  Last  betrachtet  wurde, 
findet  auf  diese  Weise  eine  sehr  zweckmässige  Verwendung. 


ߣg  Strontium. 


Strontium,  Si\ 

Strontium  kommt  in  der  Natur  im  Coelestin  als  Sulfat,  im  Strontianit 
als  Carbonat  vor.    Der  Name  rührt  von  dem  Dorfe  Strontian  in  Argyleshire  in 

England  her,  weil  es  dort  zuerst  aufgefunden  worden  ist. 

Strontiuniiiitrat  Sr(N03)2  ist  deshalb  bemerkenswerth,  weil  es  in  Verbindung  mit 
chlorsaurem  Kalium,  Schwefel,  Sehwefelantimon,  Mastix  und  Kohle  zur  Darstellung  von 
Rothfeucr  in  der  Feuerwerkerei  benutzt  wird. 

Bei  der  Mischung  der  Ingredienzen  des  Rothfeuers  muss  mit  der  grössten  Vor- 
sicht verfahren  und  das  chlorsaure  Kalium  vorher  für  sich  allein  pulverisirt  werden.  Die 
Mischung  darf  nicht  in  grossem  Quantitäten  aufbewahrt,  sondern  muss  für  den  jedes- 
maligen Bedarf  zusammengesetzt  werden,  da  sie  höchst  explosiv  ist  und  schon  durch 
Reibungen  u.  s.  w.  entzündet  werden  kann.  Die  Dämpfe,  welche  beim  Vorbronnen 
entstehen,  riechen  unangenehm  und  sind  schon  wegen  ihres  Gehalts  an  schwefliger 
Säure  nachtheilig:  man  sollte  die  Mischung  in  Theatern  und  geschlossenen  Räumen 
gar  nicht  anwenden. 

Eine  geruchlos  abbrennende  Mischung  soll  man  durch  Zusammenschmelzen  von 
i\a  Th.  Str  onl  ium  n  it  rat  und  1  Th.  Schellack  erhalten.  Als  Verbrennungsproduct 
tritt  hierbei  Strontium  carbonat  auf. 


Barium,  Ba. 

Barinra  kommt  in  der  Natur  als  Carbonat  (Witherit)  und  als  Sulfat 
(Schwerspath)  vor.  Der  Schwerspath  gehört  vorzugsweise  den  deutsehen  Ge- 
birgen au,  kommt  aber  auch  vielfältig  in  Frankreich  vor;  er  wird  auf  besondern 
Mühlen  gemahlen  und  mit  Wasser  geschlämmt.  Er  dient  als  Zusatz  zum  Blei- 
weiss,  vielfach  auch  zum  Mehl;  im  letztern  Falle  vermindert  er  die  Nährkraft 
des  Brotes  und  stört  jedenfalls  die  Verdauung,  wenn  er  auch  wegen  seiner  Un- 
löslichkeit nicht  als  Gift  wirkt.    Ein  solches  Verfahren  ist  ein  strafbarer  Betrug.1) 

Barytindustrie. 

Blanc  fixe  ist  künstlich  dargestellter  Schwerspath  und  wird  durch  Zersetzung 
von  Chlorbarium  mittels  Schwefelsäure  gewonnen;  das  Präcipitat  kommt  im 
Handel  in  Teigform  vor.  Die  zurückbleibende  Flüssigkeit  enthält  Salzsäure  von 
6°  B.  und  darf  daher  nicht  frei  abgelassen  werden. 

In  einem  concreten  Falle  führte  der  Abzugscan al  unter  einem  Wohnhause  hin; 
nach  mehreren  Jahren  war  der  Mörtel  des  Fundaments  so  zerstört  worden,  dass  ein 
theilweiser  Einsturz  des  Hauses  erfolgte,  der  viele  Menschen  in  Lebensgefahr  brachte. 
Man  muss  das  Abfallwasser  durch  getheerte  hölzerne  Rinnen  in  steinerne  Kasten  leiten 
und  mit  Kalk  versetzen,  um  Chlor  calci  u  m  zu  erzeugen,  das  nur  in  grössere  Flüsse 
abzuleiten  ist,  wenn  es  nicht  anderweitig  verwerthet  wird. 

Verwendung  findet  das  Blanc  fixe  als  Ersatz  des  Bleiweisses;  in  Papierfabriken 
und  Tapetenfabriken  vortritt  es  das  Lenzin. 

Chlorharium,  Bariumchlorid  BaCl2,  ein  krystallinisches  und  iu  zwei  Theileu 
Wasser  lösliches   Salz,    ist  der  Ausgangspunct  für  die  Darstellung  der  übrigen 


Barytindustrie.  ßgg 

Bariumverbindungen.  Man  gewinnt  es  durch  Auflösen  von  Bariumcarbonat 
in  Salzsäure  oder  durch  Glühen  des  Schwerspaths  mit  Kohle  in  einem 
Schachtofen,  indem  das  entstandene  Schwefelbarium  (BaS04  +  4  C  =BaS 
+  4CO)  mit  Salzsäure  zersetzt  wird. 

Die  Entwicklung  von  Schwefelwasserstoff  ist  hierbei  so  massenhaft,  dass  seine 
Ableitung  in  den  Schornstein  die  Adjaeenten  im  höchsten  Grade  belästigt;  er  muss  stets 
durch  Feuer  zerstört  werden.  Man  hat  auch  den  Versuch  gemacht,  das  Verbrennungs- 
product,  die  schweflige  Säure,  durch  Schwefelwasserstoff  bei  Gegenwart  von  Wasser  zu 
zersetzen;  die  Ausführung  im  Grossen  hat  sich  aber  nicht  bewährt. 

Die  Mutterlauge,  Clllorbarium,  enthält  auch  noch  Eisen,  Arsen,  Kupfer,  Blei  und 
muss  deshalb  mit  kleinen  Mengen  Schwefelbarium  versetzt  werden,  um  alle  Metalle  als 
Schwefelmetalle  zu  fällen. 

Kuhlmann  versetzt  Schwefelbarium  mit  der  durch  sauren  Kalk  abgestumpften 
Manganlauge  der  Chlorkalkfabriken  (Manganchlorür)  und  behandelt  das  Gemisch 
in  Flammenöfen,  um  neben  Schwefelmangan  das  leicht  lösliche  Chlorbarium  zu 
erzeugen : 

Ba  S  +  Mn  Cl2  =  BaCl2  -4-  Mn  S. 

Da  die  Sohle  der  Oefen  durch  die  Lauge  sehr  angegriffen  wird,  so  umgehen 
einige  Fabriken  das  Glühen  der  Masse  und  laugen  zuerst  das  aus  dem  Schwerspath 
erhaltene  Schwefelbarium  aus,  wobei  lösliches  Bariumsulfhydrat  und  Barium- 
hydrat entsteht,  während  neben  andern  unlöslichen  Verbindungen  namentlich  noch 
Bariumcarbonat  zu  Boden  fällt.  Mit  der  Lösung  wird  die  abgestumpfte  Manganlauge 
bis  zur  schwach  sauren  Reaction  in  einem  Zersetzungsbottiche  unter  langsamem  Zufliessen 
in  Berührung  gebracht,  um  den  hier  auftretenden  Schwefelwasserstoff  nicht  plötz- 
lich massenhaft  zur  Entwicklung  zu  bringen.  Der  Zersetzungsbottich  muss  unter  allen 
Umständen  mit  einem  dicht  schliessenden  Deckel  versehen-  sein,  aus  dessen  Mitte  sich 
ein  hölzerner  Canal  erhebt,  der  sich  rechtwinklig  nach  einem  gemauerten,  zur  Dampf- 
kesselfeuerung führenden  Canal  abzweigt.  An  dieser  Uebergangsstelle  befindet  sich  ein 
Schieber,  um  nach  dem  Aufhören  der  Entwicklung  von  H2S  den  Canal  zu  verschliessen. 
Es  ist  hier  wegen  der  starken  Entwicklung  von  Schwefelwasserstoff  grosse  Vorsicht 
nöthig;  um  ihn  vollständig  zu  entfernen,  ist  es  zweckmässig,  am  Schlüsse  der  Zersetzung 
noch  einen  Dampfstrom  durch  den  Bottich  zu  leiten.  Das  gewonnene  Chlorbarium 
wird  ausgelaugt  und  häufig  auf  Blanc  fixe  (Barytweiss)  bearbeitet.1) 

Verwendung  findet  Chlorbarium  als  solches  vielfältig  zur  Verhütung  des 
Kesselsteins  und  in  der  Wollfärberei  zur  Darstellung  von  indigblauschwefel- 
saurem  Barium. 

Barinmnitrat,  salpetersanres  Barium  Ba(N03)2  wird  direct  aus  Bariumcarbonat 
mit  Salpetersäure  oder  durch  Zersetzung  von  Schwefelbarium  mittels  dieser  Säure 
dargestellt.  Es  dient  zur  Darstellung  des  Grünfeuers  in  der  Lustfeuerwerkerei  oder 
von  Casseler  Grün;  im  letztern  Falle  schmilzt  man  es  mit  Braunstein  oder  Kalium- 
manganat  zusammen. 

Bariumhydrat,  Aetzbaryt  Ba(  OH)2  entsteht  durch  Glühen  von  Bariumcarbonat  und 
Darüberleiten  von  Wasserdämpfen,  Bariumoxyd  BaO  durch  Glühen  von  Bariumnitrat 
und  Kohle,  wobei  sich  viele  Dämpfe  von  Untersalpetersäure  entwickeln;  die  Tiegel 
müssen  hier  unter  einem  gut  ziehenden  Schornsteinbusen  stehen  (s.  S.  665). 

Man  hat  Aetzbaryt  in  Zuckerfabriken  statt  des  Kalks  (s.  S.  496)  und  in  Glas- 
fabriken an  Stelle  von  Bleioxyd,  Natron  oder  Kalk  zu  benutzen  versucht.  In  fran- 
zösischen Glasfabriken  wird  der  Baryt  in  Form  von  Schwerspath  verwendet;  er  soll 
ein  leicht  schmelzbares  Glas  darstellen.2) 


Magnesium,  Mg. 

Magnesium  kommt  in  Verbindung  mit  Chlor  in  den  Soolen,  im  Meeres- 
wasser, im  Stassfurter  Abraumsalze,  mit  Schwefelsäure  im  Kiserit  und  in 
Mineralwässern,  mit  Calciumcarbonat  in  ganzen  Gebirgszügen  als  Dolomit 
und  als  Silicat  vorzugsweise  im  Talk,  Speckstein  und  Meerschaum  vor. 

Eulenberg,  Gewerbe-Hygiene.  44 


690  Zink- 

Das  Magnesiumnietall  ist  wogen  seiner  technischen  Verwertoung  in  der  letzten 
Zeit  hantig  dargestellt  worden.  Man  gewinnt  es  ähnlich  wie  das  Aluminium  durch 
Glühen  einer  Magnesiumverbindung  (Magnesiumchlorid)  mit  Natrium. 

In  sanitärer  Beziehung  ist  die  Darstellung  ungefährlich,  wenn  man  von  der 
Handhabung  des  Knallgasgebläses,  welches  hierbei  zur  Anwendung  kommt,  absieht;  es 
müssen  die  höchsten  llitzegrade  einwirken. 

Das  Metall  ist  BÜberweiss,  stark  glänzend,  wird  aber  an  der  Luft  allmählig  matt: 
es  kann  gefeilt,  gehämmert,  zu  Blech  verwalzt  und  zu  Draht  ausgezogen  werden. 

Sein  Schmelz] urnet  ist  fast  gleich  dem  des  Zinks:  in  der  Rothgluth  verbrennt  es 
mit  stark  glänzendem  Licht,  dessen  Intensität  die  einer  Kerzenflamme  um  mehr  als  das 
oOOfache  übertrifft,  wenn  die  Verbrennung  im  Sauerstoffgase  stattfindet.  J) 


Zink,  Zn. 

Zink  logt  sich  beim  Schmelzen  zackenformig  an,  sein  Name  soll  daher  von 
.  Zinken  u,  „Zacken"  herrühren.  In  alten  Werken  heisst  Zink  Spiauter  oder 
Spialter  (engl.  Spelter);  die  Griechen  und  Römer  kannten  nur  Galmei 
(Zinksilicat,  Kieselziukerz,  Kieselgalmei).  Ausserdem  kommt  Zink  noch  als  Zink- 
spath  (Zinkcarbonat)  und  namentlich  als  Zinkblende  (Ziuksulfid)  vor. 

Einwirkung  <les  Zinks  auf  den  thierischen  Organismus.  In  der  Industrie  kann 
es  sich  nur  um  die  Einwirkung  der  Zinkdämpfe  resp.  des  Zinkoxyds  handeln,  da 
die  beim  Schmelzen  des  Zinks  sich  entwickelnden  Dämpfe  bekanntlich  an  der  Luft  sofort 
oxydirt  werden  und  schon  den  Alten  als  Lana  philosophica  bekannt  waren. 

Als  Prototyp  der  Wirkung  der  Zinkoxyddämpfe  kann  man  folgende  Beobachtung 
betrachten:  Ein  Apothekerlehrling  hatte  aus  Unvorsichtigkeit  bei  der  Bereitung  von 
Zinkoxyd  das  ganze  Laboratorium  mit  Zinkoxyddämpfen  augefüllt:  es  traten  an  dem- 
selben 'Tage  Beklemmung  der  Brust,  Schwindel.  Kopfschmerz,  nach  einer 
schlaflosen  Nacht  am  andern  Morgen  Husten,  Erbrechen  und  Steifigkeit  in 
allen  Gliedern  ein.  Am  dritten  Tage  zeigten  sich  ein  starker  Kupfergeschmack 
im  Munde,  Speichelfluss,  Magendrücken  und  ein  so  starker  Schwindel,  dass 
Patient  nicht  aufbleiben  konnte.  Nach  starken  Ausleerungen  durch  Laxantien  wurden  die 
Zufälle  gelinder,  es  stellte  sich  dann  Fieber  ein;  nach  der  darauf  folgenden  Transpi- 
ration war  die  Krankheit  gänzlich  gehoben.1) 

Die  Wirkung  schwindet  in  der  Regel  schnell,  wenn  die  Ursache  aufhört. 
Bleiben  Krankheitserscheinungen,  wie  Parese  des  Gesichts  oder  der  Extremitäten, 
zurück,  so  bat  mau  es  jedenfalls  mit  der  Wirkung  der  Bleidämpfe  zu  thun; 
treten  heftige  choleraartige  Erscheinungen  auf,  so  wird  man  mit  Recht  die  gleich- 
zeitige Einwirkung  arsenikalischer  Dämpfe  beschuldigen  können;  sehr  hart- 
näckiges Erbrechen  wird  die  Beimeugung  von  Kadmiumdämpfen  ver- 
muthen  lassen..  Solche  Complicationen  können  namentlich  bei  der  industriellen 
Fabrication  vorkommen  und  liefern  den  Beweis,  wie  vorsichtig  man  in  der  Auf- 
stellung ätiologischer  Momente  sein  muss.2) 

Bei  der  Ingestion  des  reinen  Zinc.  oxyd.  alb.  können  grosse  Quantitäten  ein- 
verleibt werden,  ohne  dass  ein  letaler  Ausgang  erfolgt.  Verf.  hatte  zur  Zeit,  als  Zinc. 
oxyd.  alb.  als  Heilmittel  gegen  die  Epilepsie  im  Schwünge  war.  mehrmals  Gelegenheit, 
seine  deletäre  Wirkung  auf  die  Verdauungsorgane  und  die  Blutbildung  zu  beobachten: 
die  Erscheinungen  schwanden  jedoch  nach  dem  Aussetzen  des  Mittels  und  bei  sach- 
gemässer  Bebandlung,  selbst  wenn  bereits  hydropische  Erscheinungen  und  Marasmus 
eingetreten  waren.3  Es  ist  daher  auch  nicht  zu  verwundern,  dass  man  häufig  in  den  Zink- 
oxydfabriken die  Arbeiter  von  Kopf  bis  zu  Fuss  mit  Zinkoxydstaub  bedeckt  findet, 
ohne  dass  sich  nachtheilige  Einwirkungen  sogleich  kund  geben.  Das  Zinkoxyd  wird 
wegen  seiner  Unlöslichkeit  in  Wasser  und  Chloralkalimetallen  nicht  von  der  unverletzten 
Haut  aus  resorbirt;  für  die  Respirationsorgane  dürfte  aber  der  Staub  um  so  mehr  zu 
beachten  sein,  als  Michaelis*)  wenigstens  einigemal  bei  Thierversuchen  selbst  nach  der 
Ingestion  von  Zinkblumen   den   Miliartuberkeln   ähnliche  Granulationen  in   den  Lungen 


Gewinnung  von  Zink.  69 X 

beobachtete,  die  unter  dem  Mikroskope  „Exsudatkugeln"'  darstellten,  nach  der  chemischen 
Untersuchung  aber  deutlich  Zinkspuren  enthielten.  Um  wie  Adel  leichter  wird  aber 
der  Zinkstaub  von  den  Respirationswegen  aus  aufgenommen  werden! 

Husten,  kurzer  Athem  und  Bluthusten  können  erfahrungsgeinäss 
sowohl  nach  der  Ingestion  des  Zinkoxyds  als  nach  der  Einathmung  der  Zink- 
dämpfe entstehen.  Die  Natur  bestrebt  sich  allerdings,  das  abgelagerte  Zink  wieder 
auszuscheiden  und  zwar  vornehmlich  durch  vermehrte  Hauttranspiration 
und  ausserdem  durch  Harn-  und  Gallenabsonderung;  immerhin  bleibt  Zink- 
oxyd ein  Metallgift,  das  bei  längerer  Ingestion  hydraulische  Zustände  zu  be- 
dingen vermag. 

Hinsichtlich  der  Einwirkung  von  Zinkoxyd  auf  die  Pflanzen  hat  schon  Alex. 
Braun  beobachtet,  dass  Pflanzen  auf  galnieihaltigeni  Boden  wachsen  und  Zinkoxyd  auf- 
nehmen, ohne  in  ihrer  Entwicklung  gehemmt  zu  werden.  Nach  den  Untersuchungen 
von  M.  Freytag  findet  sich  der  grössere  Antheil  davon  in  den  Blättern  und  Stamm- 
theilen,  der  geringste  in  den  Samen,  welche  ganz  normal  keimen  und  auch  ohne  Nach- 
theil  genossen  werden  können.  Der  Procentgehalt  der  Asche  der  verschiedenen  Pflanzen 
variirt  zwischen  % — 1  %;  hiernach  soll  Zinkoxyd  von  den  Pflanzen  als  ein  indifferenter 
Körper  aufgenommen  und  in  ihren  Theilen  abgelagert  werden,  ohne  einen 
nachtheiligen  Einfluss  auf  ihren  Keimungs-  und  Wachsthumsprocess  aus- 
zuüben.5) 

Anders  Verhaltes  sich  freilich  mit  Zinksalzlösungen;  eine  Lösung  des  Zink- 
sulfats von  kaum  VsoS  beschädigt  schon  die  Pflanzen.  Zinksalzlösungen,  die  durch 
den  Boden  filtriren,  werden  derart  zersetzt,  dass  die  in  Wasser  unlöslichen  Zinkverbin- 
dungen in  demselben  zurückbleiben:  für  eine  Ackererde  betrug  die  Grenze  der  Ab- 
sorption von  Zinkoxycl  und  Zinksulfat  zwischen  0,021  und  0,024  ?0'  der  Ercle. 

Hüttenmännische  Gewinnung  von  Zink.  Zinkhütten  liegen  meist  in  einsamen 
Gegenden,  um  den  Schadenersatz  zu  vermeiden,  zu  dem  namentlich  die  nach- 
theilige Einwirkung  der  schwefligen  Säure  auf  die  Vegetation  beim  Rösten  der 
Zinkblende  Anlass  gibt, 

Man  unterscheidet  folgende  Operationen:  1)  Die  Aufbereitung  der  Zinkerze, 
welche  die  Entfernung  der  Gangart  bezweckt;  hierzu  wird  nach  der  Handscheidung 
das  gepochte  Erz  in  Trommeln  gewaschen  und  sortirt.  Die  Abfallwässer  werden 
durch  hölzerne  Gräben  und  Teiche  geleitet,  um  noch  einzelne  Erztheilchen  (den 
Schlich)  zu  gewinnen:  diese  Wässer  enthalten  neben  Zinksulfat  häufig  noch  Blei 
und  Kupfer. 

2)  Das  Rösten  des  Gahneis  bewirkt  die  Entfernung  des  "Wassers  und  der 
Kohlensäure  iu  Schachtöfen  oder  beim  Erzklein  in  Flammenöfen  mit  Röstherden. 

3)  Beim  Rösten  der  Zinkblende  entweicht  der  Schwefel  als  schweflige  Säure 
nebst  Dämpfen  von  Blei,  Zink,  Arsen  und  bisweilen  auch  von  Antimon. 

4)  Beim  Beschicken  der  Retorten  mit  gerösteten  Zinkerzen  werden  letztere 
zuvor  mit  den  Zuschlagsmitteln  (Kalkstein  und  Steinkohle  oder  Kokskleie)  vermischt. 
Zur  Blende  setzt  man  immer,  zum  Galmei  nur  zuweilen  Kalk  hinzu,  und  zwar  im 
erstem  Falle  zur  Bindung  des  Schwefels  und  im  letztern  zur  Bindung  der  kieselsauren 
Verbindungen.  Die  Verkleinerung  geschieht  bis  zur  Grösse  einer  Erbse  oder  Hasel- 
nuss;  nur  bei  der  belgischen  Destillationsmethode  werden  die  gerösteten  Erze  pul- 
verisirt  und  gesiebt,  wobei  sich  ein  gefährlicher  Staub  entwickelt. 

5)  Die  Reduction  und  Destillation  des  Zinks  in  geschlossenen  Destillations- 
gefässen.     Es  entwickelt  sich  hierbei  ziemlich  viel  Kohlenoxyd: 

ZnO+.C  =  Zn  +  CO. 

Ganz  besonders  treten  hierbei  stets  mehr  oder  weniger  Zinkdämpfe  auf, 
welche  zu  Zinkoxyd  verbrennen  und  nie  ganz  zu  vermeiden  sind,  da  die  Lutirungen 
an  den  Vorlagen  der  Destillationsgefässe  nicht  vollständig  dicht  gemacht  werden 
können.  Man  bemerkt  deshalb  fast  immer  bei  der  Destillation  die  bläulich-weisse 
Farbe  des  brennenden  Zinks,  welche  einen  grünlichen  Schein  annimmt,  wenn 
gleichzeitig  Thallium  verbrennt,  ein  Umstand,  der  bei  der  Gefährlichkeit  der  Thallium- 
dämpfe zu  der  grössten  Vorsicht  auffordern  sollte. 

Man  unterscheidet:  a)  die  englische  oder  absteigende  Destillation  in  Tiegeln, 
(destillatio  per  descensum),  die  auf  einem  Herde  wie  die  Glashafen  rund  um  die  Feuerung 
stehen;  in  eine  Oeffnung  am  Boden  der  Tiegel  ist  ein  feuerfestes  Rohr  eingekittet,  das 
in  ein  eisernes  Verlängerungsrohr  mündet,  aus  welchem  das  Zink  über  einem  mit 
Wasser  angefüllten  Gefäss  abtropft.    Nur  anfangs  entwickelt  sich  Kohlenoxyd,   das 

44* 


692  Zink- 

angezündet wird:  zeigt  sich  die  bläulich-weisse  Farbe  vom  brennenden  Zink,  so  lässt 
man  das  Rohr  in  das  Wasser  tauchen.  Diese  Methode  ist  somit  in  sanitärer  Be- 
ziehung eine  sehr  gute,  aber  in  peeuniärer  Beziehung  nicht  vortheilhaft 

b)  Die  Destillation  in  Retorten  zerfällt  nach  der  Art  ihrer  Gruppi rung in 
den  Oefen  sowie  in  Bezug  auf  Heizung  und  Beschickung  in  die  schlesische  und 
belgische  Methode. 

a.  Die  schlesische  Methode  findet  sich  vorzugsweise  in  Oberschlesien,  aber  auch 
in  Belgien,  in  Stolberg  bei  Aachen  und  in  Westphalen.  Die  aus  feuerfestem  Thon  be- 
reiteten Muffeln  sind  ungefähr  1  Meter  lang  und  0,5  Meter  hoch,  stehen  in  einem 
gewölbten  Ofen  wie  die  Glashafen  auf  Bänken  zu  beiden  Seiten  einer  Rostfeuerung;  an 
der  vordem  Seite  haben  sie  zwei  Oeffnungen  (Fig.  54  a  und  6),  von   denen   die   untere 

während     der    Destillation 
Fig.  54.  mit  einer  Platte  verschlos- 

sen ist  und  nach  derselben 
zur  Herausnahme  des 
Destillations  -  Rückstandes 
dient  An  die  Oeffnung  6 
lehnt  sich  ein  knieförmiger 
Ansatz  an,  an  dessen  vor- 
dem Seite  bei  c  die  Muffel 
beschickt  wird.  Auch  diese 
Oeffnung  wird  während  der 
Destillation  stets  geschlos- 
sen: ausserdem  bringt  man 
hier  meist  noch  einen  blechernen  Cylinder  oder  Kasten  an,  der  vorn  einen  rohrartigen 
Ansatz  hat.  damit  sich  beim  Verbrennen  der  Zinkdämpfe  nur  eine  kleine  Flamme  bilden 
kann.  Die  condensirten  Zinkdämpfe  füessen  bei  d  in  Tropfen  ab  und  sammeln  sich  in 
einem  gemeinschaftlichen  Canal  an. 

Die  Fugen,  aus  denen  die  Zinkflammen  mit  dem  verbrennendemKohlenoxyd  her- 
ausschlagen, schliessen  sich  allmählig  mit  Zinkoxyd.  Ofenbruch  heisst  das  Zinkoxyd, 
das  sich  im  Ofen  selbst  gebildet  hat. 

ß.  Die  belgische  Methode  wird  zur  Reduction  des  Galmei  und  der  Zinkblende 
benutzt.  Zur  Destillation  dienen  cylindrische  Thouröhren  von  1  Meter  Länge  und 
18  Ctm.  Weite,  die  vorn  offen  sind:  in  diese  Mündung  wird  ein  kegelförmiges,  iruss- 
eisernes  Ansetzrohr  (Yorstoss)  gesteckt  und  auf  dieses  noch  eine  Röhre  von  Eisen- 
blech (Allonge,  Yorstecktute)  geschoben :  letztere  läuft  in  eine  Spitze  aus  und  dient 
hauptsächlich  zum  Ansammeln  der  Zinkdämpfe,  während  der  grösste  Theil  derselben 
sich  in  dem  Yorstoss  zu  flüssigem  Zink  verdichtet.  Zeitweilig  (alle  6  Stunden)  wird 
das  Metall  ausgegossen,  nachdem  man  das  Unreine  (Zinkoxyd)  ausgeschieden  hat. 

Die  Röhren  liegen  in  grosser  Anzahl  in  mehreren  Reihen  in  grossen  Schachtöfen 
übereinander  und  zwar  nach  hinten  auf  vorspringenden  Steinen  und  nach  vorn  auf  einem 
ähnlichen  Gesimse.    Die  Rostfeuerung  liegt  unter  der  untersten  Rohrlage. 

Sanitäre  Massregeln  bei  der  Zinkverhüttung. 

Bei  der  Anfbereitnng  der  Erze  ist  die  Staubbildung  nicht  erheblich,  daher 
in  sanitärer  Beziehung  von  geringerer  Wichtigkeit.  Dagegen  sind  die  von  den 
Stossherden  herrührenden  Waschwässer  sehr  zu  beachten,  da  sie  stets  zink- 
haltig sind  und  auch  häufig  neben  dem  durch  Oxydation  des  Schwefelzinks  ent- 
standenen Zinksulfat  noch  Blei  und  Kupfer  enthalten;  sie  dürfen  daher  auch  nach 
der  sorgfältigsten  Klärung  nicht  in  fischreiche  Bäche  oder  Teiche  abgelassen  werden, 
da  sie  nie  von  allen  Metalltheiichen  befreit  werden  können.  Bei  wasserreichen 
Bächen  findet  zwar  eine  hinreichende  Verdünnung  statt,  aber  die  Fische  gehen 
dennoch  hierbei  meist  zu  Grunde.  In  einem  concreten  Falle  konnte  in  1  Liter 
eines  solchen  Wassers,  das  an  der  Einflussstelle  in  einen  Bach  aufgefangen  worden, 
noch  deutlich  Zinksulfat  nachgewiessen  werden.  Am  zweckmässigsten  ist  es, 
das  Wasser  nach  der  Abklärung  wieder  zum  Waschprocess  zu  benutzen.  Die 
Arbeiter  leiden  bei  der  nassen  Aufbereitung  vielfach  an  rheumatischen  Be- 
schwerden, wenn  es  ihnen  an  einer  entsprechenden  Kleidung  mangelt. 

Der  Röstprocess  ist  beim  Galmei  sehr  einfach,   bei  der  Zinkblende  aber 


Gewinnung  von  Zink.  693 

wegen  des  Auftretens  der  schwefligen  Säure  längst  der  Gegenstand  vielfacher 
Untersuchungen  gewesen;  ihre  Menge  ist  sehr  bedeutend,  sie  fällt  grösstentheils 
als  Schwefelsäure  nieder  und  richtet  als  solche  vielfachen  Schaden  an  und 
zwar  häufig  mehr  in  einiger  Entfernung  von  der  Fabrik  als  in  ihrer  nächsten 
Nähe,  wenn  die  Dämpfe  durch  die  Luftströmung  weiter  getrieben  werden.  Nach 
Vohl  zeigten  die  Brassica-Arten  manchmal  brandige  Flecke  mit  einem  erheblichen 
Zinkgehalte  (wahrscheinlich  Zinksulfat),  während  das  Heu  nach  dem  Einäschern 
in  den  Aschenbestandtheilen  Zink-  und  Bleigehalt  ergab.  Auch  das  in  der 
Nähe  solcher  Hütten  aufgefangene  Regenwasser  kann  Zinksulfat  enthalten; 
Peltzer  fand  zu  Stolberg  sogar  im  Schlamme  eines  Regenwassers  Blei  in  ver- 
hältnissmässig  bedeutender  Quantität.  Sowohl  für  die  Adjacenten  als  auch  für 
die  Pflanzenwelt  bleibt  daher  die  schweflige  Säure  stets  ein  sehr  beachtungs- 
werther  Factor;  die  öffentliche  Fürsorge  hat  sich  deshalb  vorzugsweise  mit  ihrer 
Condensation  oder  Verwerthung  zu  beschäftigen. 

Die  Condensation  hat  man  durch  horizontal  geschleifte  Canäle  zwischen  Rost- 
herd  und  Schornstein  zu  erzielen  gesucht;  vor  ihrem  Eintritt  in  den  Schornstein  schlägt 
dann  noch  eine  Regentraufe  die  Dämpfe  vollständig  nieder.  Der  sich  hierbei  ablagernde 
Schlamm  ist  reich  an  Zinksulfat  und  enthält  auch  Zinkmetall. 

Bei  den  gewöhnlichen  Flammen  Öfen  sind  solche  Einrichtungen  nebst  Flugstaub- 
kammern absolut  erforderlich,  um  den  Verwüstungen  durch  die  Säuredämpfe  einiger- 
massen  entgegenzutreten.  Nachdem  schon  Rübe  den  Versuch  gemacht  hatte,  arme  Zink- 
erde mittels  der  schwefligen  Säure  zu  verhütten,  hat  man  zunächst  in  Freiburg  begonnen, 
mit  Hülfe  der  Gersten höf er' sehen  Schüttöfen  die  schweflige  Säure  behufs  Schwefel- 
säure-Darstellung zu  benutzen.  Hasenclever  und  Hclbig  haben  zu  diesem  Zwecke 
ihren  Schwefelkiesofen  in  der  Weise  modificirt,  dass  das  in  den  Trichter  gefüllte  Erz 
auf  eine  mit  43°  geneigte  Fläche  gelangt,  die  von  50  zu  50  Centimeter  Scheidewände 
mit  seitlichen  Oeffnungen  hat,  damit  die  aus  der  Muffel  aufsteigende  schweflige  Säure  auf 
einem  langen  Wege  die  Erze  bestreicht.  Von  der  schiefen  Ebene  gelangt  nämlich  das 
Erz  mittels  einer  Walze  in  eine  horizontale  Muffel,  in  welcher  es  von  einem  Arbeiter 
ausgebreitet  wird  und  wo  es  durch  eine  Oeffnung  auf  die  Sohle  eines  Flammenherdes 
fällt.  Die  schweflige  Säure,  welche  sich  hier  entwickelt,  geht  mit  den  Feuerungs- 
gasen verloren,  während  die  Gase  der  Muffel,  die  von  den  Feuergasen  des  Flammen- 
herdes umspült  wird,  den  oben  bezeichneten  Weg  nehmen,  hier  angereichert  werden  und 
gleichzeitig  eine  Vorröstung  der  Erze  bewirken.  Die  Gase  der  Muffel  und 
der  geneigten  Ebene  werden  zur  Schwef  elsäurefabrication  benutzt.  Der  ganze 
Ofen  ist  30  Fuss  hoch.  Von  den  in  der  Fabrik  Rhenania  abzurostenden  Blenden  von 
25  %  Schwefelgehalt  gelangen  18%  schweflige  Säure  in  die  Kammern,  während  6%  in  die 
Luft  entweichen  und  1  %  im  Röstgut  bleibt. 6) 

Es  ist  ausser  Frage  gestellt,  dass  das  in  Rede  stehende  Verfahren  viele  Vortheile 
gewährt;  man  darf  aber  auch  die  Rücksicht  auf  die  Arbeiter  dabei  nicht  ausser  Acht 
lassen;  es  müsste  namentlich  dem  Arbeiter,  der  das  Erz  in  der  Muffel  ausbreitet,  ein 
ausreichender  Schutz  vor  der  Einwirkung  der  schwefligen  Säure  gewährt  werden. 

Das  Pulverisiren  und  Mischen  der  gerösteten  Erze  mit  den  Reductionsmitteln 
erzeugt  einen  Staub,  der  nach  der  Beschaffenheit  der  Erze  sehr  schädlich  ein- 
wirken kann,  namentlich  wenn  es  sich  um  eine  bleiglanzhaltige  Zinkblende 
handelt.  Er  kann  auch  beim  Verwehen  für  die  nächste  Vegetation  sehr  nach- 
theilig werden,  namentlich  durch  Bildung  von  Zinksulfat,  weil  die  feine  Ver- 
keilung dem  atmosphärischen  Sauerstoff  eine  grosse  Oberfläche  bietet;  dass 
Hühner,  Tauben  u.  s.  w.  in  der  Nähe  solcher  Hütten  zu  Grunde  gehen,  mag  in 
diesem  Umstände  hauptsächlich  begründet  sein. 

Bei  der  Destillation  des  Zinkes  sind  gewöhnlich  an  der  Arbeits  Öffnung  Rauch- 
fänge für  die  Wegführung  der  Zinkdämpfe  angebracht,  jedoch  ohne  besohdern 
Nutzen.  Alle  Lutirungen  der  Retorten  lassen  stets  die  brennenden  Zinkdämpfe 
durch  und  können  keinen  Schutz  gewähren.  Man  hat  aber  auch  noch  viel 
zu    wenig  Versuche   gemacht,    um    grade    die    bei  der  Destillation   auftretenden 


694  Zink. 

Dämpfe  zu  condensiren,  wenn  man  die  englische  Methode  ausnimmt.  Thatsäeh- 
lich  haben  auch  die  bei  der  Destillation  beschäftigten  Arbeiter  stets  ein  kachek- 
tisches  Aussehen,  da  zeitweilig  aussei  Zinkdämpfen  sicher  auch  noch  Dämpfe  von 
Arsen,  Kadmium  und  Thallium  auftreten  werden.  Ximmt  die  weisse  Farbe 
des  brennenden  Zinks  einen  gräulichen  Schein  an.  so  kann  man  fast  mit 
Sicherheit  darauf  rechnen,  dass  auch  Thallium  mit  verbrennt.  Manche  Arbeiter 
werden  auch  bisweilen  von  heftigem  Erbrechen  befallen,  ein  sicherer  Beweis,  dass 
in  einem  solchen  Falle  Zinkdämpfe  eingewirkt  haben;  man  sollte  überhaupt  auf 
die  Condensation  aller  dieser  Dämpfe  weit  mehr  Bedacht  nehmen. 

Eine  zweckmässige  Vorrichtung  könnt.'  bei  der  schlesischen  Methode  darin  bestehen, 
dass  man  den  Ansatz  der  Trommel  mit  einem  senkrechten  Rohre  verbände,  welches  in 
einen  Wa'sserverschluss,  d.  h.  in  eine  sog.  Hydraulik  (s.  Leuchtgasbereitung,  S.  599), 
mündete:  das  sich  entwickelnde  Kohlenoxyd  Hesse  sich  von  hier  aus  in  die  Feuerung 
leiten.  Bei  der  belgischen  Methode  könnte  ein  grosser  Fang  über  sämmtlichen  Röhren 
von  Wirkung  sein,  wenn  derselbe  mit  einer  kräftigen  Esse  oder  einem  Exhaußtor  in 
Verbindung  stände,  obgleich  die  Arbeiter  bei  dem  häutigen  Herausnehmen  des  Zinks 
immer  noch  viel  mit  den  Dämpfen  desselben  in  Berührung  kommen.  Beim  Sprengen 
oder  Durchfliessen  der  Muffeln  entweichen  die  Zinkdämpfe  bisweilen  massenhaft 
in  den  Fabrikraum  und  die  Arbeiter  werden  dann  auch  der  strahlenden  Hitze  ausgesetzt, 
wenn  sie  die  weissglühenden  Muffeln  ausziehen  und  neue  einsetzen :  sie  müssen  dann  nie 
nasse  Tücher  zum  Einwickeln  der  Hände  benutzen,  weil  in  Folge  der  Hitze  Ver- 
brühungen dadurch  herbeigeführt  werden. 

Zinkstauli.  Zinkgrail  {Poussiere)  besteht  aus  metallischem  Zinkstaub  und 
Zinkoxyd  und  sammelt  sich  bei  der  belgischen  Methode  hauptsächlich  in  den  Vor- 
stecktuten an.  Er  wird  entweder  auf  Zink  verarbeitet  oder  zur  Darstellung  der  Indig- 
küpe  in  der  Baumwollfärberei  benutzt;  auch  als  Anstrichfarbe  für  Eisen  soll  er  sich 
empfehlen. 

Die  Siemens'' sehe  Regenerativfeuerung  bei  der  Destillation  kann  als  ein 
grosser  technischer  Fortschritt  bezeichnet  werden  und  ist  namentlich  in  Westphalen  und 
in  der  Rheinprovinz  bereits  zur  Ausführung  gekommen.  Die  Zinköfen  stehen  zwischen 
den  Generatoren  und  Regeneratoren. 

Der  Retorteill'ückstaud  (Residus)  enthält  meist  Schwefelcalcium,  kieselsaures 
Calcium,  geringe  Mengen  Calciumoxysulfid  und  zinkhaltige  resp.  silberhaltige  Schlacken; 
letztere  werden  nach  umständen  weiter  verarbeitet. 

Beim  Umschmelzen  resp.  Zusammenschmelzen  des  rohen  Zinks  können  sich  arse- 
nikalisehe  Dämpfe  entwickeln,  weil  der  Vertlüchtigungspunet  von  Arsen  unter  dem 
Schmelzpuncte  des  Zinks  liegt;  es  ist  daher  ein  guter  Rauchfang  erforderlich,  wenn  man 
nicht  durch  einen  geringen  Zusatz  von  Salpeter  oder  Pottasche  den  Arseugehalt 
bindet.  Da  auch  der  Zinks  taub  hier  zur  Verwendung  kommt,  so  sind  zunächst  redu- 
cirende  Körper,  z.B.  Harz,  Talg  u.  s.  w. ,  zuzusetzen;  erst  nach  dieser  Reduction  darf 
der  Zusatz  von  Salpeter  geschehen,  weil  er  sonst  oxydirend  auf  das  fein  vertheilte  Zink 
wirkt.  Es  darf  nur  arsensaures  Kalium  resp.  Natrium  als  schlackenartige  Verbindung 
zurückbleiben.  In  der  Regel  beobachtet  man  dieses  Verfahren  nur  bei  einem  hohen 
Arsengehalt  des  Zinks,  weil  es  sonst  spröde  und  nicht  walzbar  bleiben  würde. 

Zinkindustrie. 

Zink  ist  bei  gewöhnlicher  Temperatur  zähe,  bei  100°  streckbar,  bei  200° 
pulverisirbar  und  bei  400°  schmelzbar;  es  destillirt  bei  der  Weissgluth,  wird  es 
über  den  Schmelzpunct  erhitzt,  so  verbrennt  es  mit  bläulich-weisser  Farbe  zu 
Zinkoxyd. 

Als  Metall  wird  das  Zink  zu  Blechen,    Drähten    und    namentlich    zum 

Zinkguss   verarbeitet.     Bei    der  Bedachung  mit  Zinkblech    oxydirt    sich    das 

Metall;   die  sich   bildende  Schicht  schützt  das   darunter  liegende  Metall  vor  dem 

Einfluss  der  Atmosphäre.     Enthält  der  Regen  aber  Ammoniuranitrat,  so  kann 

das  aufgefangene  Regenwasser  zinkhaltig  sein. 

In  München  waren  nach  Pettenkofer  an  einem  Zinkdach  binnen  27  Jahren  8,4  Grm. 
pro  Quadratfuss  oxydirt  worden,  von  denen  jedenfalls  die  Hälfte  durch  den  Regen  fort- 
geführt worden  war.    Wird  beim  Eindecken  ein  bleihaltiges  Loth  benutzt,  so  kann 


Zinkindustrie.  C)do 

das  erste  aufgefangene  Regenwasser  auch  bleihaltig  sein.  Am  meisten  wirken  die 
Dämpfe  der  Essigsäure,  der  organischen  Säuren  (bei  Guanolagern),  der  Salz- 
säure und  schwefligen  Säure  nachtheilig  auf  die  Zinkbedachung  ein. 

In  zinkenen  Gefässen  hält  sich  die  Milch  länger,  weil  die  gebildete  Milch- 
säure sich  mit  dem  gleichzeitig  gebildeten  Zinkoxyd  zu  einem  schwer  löslichen  Zinksatz 
(C3H503)2Zn-f-  3H20)  verbindet  und  der  Käsestoff  nicht  coagulirt:  trotzdem  hat  man 
allen  Grund,  eine  solche  Aufbewahrungsweise  zu  vermeiden.  Auch  die  Zinkbehälter 
zum  Aufbewahren  von  Trinkwasser,  die  man  in  Berlin  noch  häufig  findet,  sind  gänz- 
lich zu  verwerfen;  r)  je  reicher  das  Wasser  an  Chlornatrium  und  je  ärmer  es  an  Cal- 
ciumcarbonat ist,  desto  mehr  Zink  wird  gelöst.  Der  schützende  Anstrich  ist  absolut 
erforderlich:  er  darf  nur  aus  Ockerfarbe  oder  Asphaltlack  bestehen.  Im  Allgemeinen 
sollte  man  aber  Zink  zur  Anfertigung  von  Gefässen,  die  der  Aufbewahrung  oder  Zu- 
bereitung von  Genuss-  oder  Nahrungsmitteln  dienen,  nie  benutzen. 

Beim  Zillkgass  entwickeln  sich  weniger  metallische  Dämpfe,  weil  das  Metall  bloss 
bis  zum  Schmelzpunct  erhitzt  und  durch  eine  Fett-  oder  Kohlenschicht  vor  der  Oxyda- 
tion geschützt  wird:  man  hat  jedoch  die  etwa  hier  auftretenden  arsenikalischen  Dämpfe 
zu  beachten.  Die  beim  Zinkguss  beschäftigten  Arbeiter  bieten  in  der  Regel  keine  be- 
stimmten Leiden  dar,  haben  aber  häufig  eine  ungesunde  Gesichtsfarbe  und  leiden  vor- 
zugsweise an  Verdauungsstörungen.  Man  sollte  das  Schmelzen  stets  unter  einem  gut 
ziehenden  Rauchfange  vornehmen;  auch  hier  empfiehlt  sich  die  S.  665  beschriebene  Ein- 
richtung ganz  besonders.     In  grossartiger  Weise  wird  der  Zinkguss  in  Berlin  betrieben. 

Zum  Walzen  des  Zinks  gebraucht  man  grosse  durch  Dampfkraft  bewegte  Walzen. 
Die  Abfälle  werden  meist  in  diesen  Fabriken  wieder  zusammengeschmolzen;  das  sich 
hierbei  auf  der  Oberfläche  bildende  Zink  grau  (Gemisch  von  metallischem  Zink  und 
Zinkoxyd'*  wird  gesammelt,  pulverisirt  und  gesiebt  und  zwar  fast  immer  ohne  die 
geringste  Rücksicht  auf  die  Staubbildung,  welche  hier  jedenfalls  Beachtung  verdient. 

Das  Verzinken  des  Eisens  geschieht  auf  galvanischem  Wege;  man  benutzt  dazu 
eine  Auflösung  von  Zinksulfat. 

Zinkweiss-Fabrication.  Zinkoxyd  oder  Zinkweiss  ZnO  ist  ein  weisses  Pulver, 
das  beim  Erhitzen  gelb,  beim  Erkalten  aber  wieder  weiss  wird;  es  ist  unschmelz- 
bar und  unlöslich  in  Wasser,  aber  in  Säuren  leicht  löslich. 

Die  Fabrication  von  Zinkweiss  geschieht  bisweilen  schon  auf  den  Hütten 
durch  einen  combinirten  Reductions-  und  Oxydationsprocess;  vorzugsweise  benutzt 
man  aber  das  metallische  Zink,  auf  dessen  Reinheit  man  zu  achten  hat,  da  Kad- 
mium, Blei,  Schwefel  und  Eisen  dem  Präparate  stets  einen  Stich  in's  Gelb- 
liche geben. 

Man  bringt  Zinkblöcke  in  bis  zur  Weissgluth  erhitzte  Retorten;  das  Zink  ver- 
wandelt sich  in  Dampf  und  trifft  als  solcher  am  Ausgange  der  Retorte  mit  erhitzter 
Luft  zusammen,  um  als  Zinkoxyd  durch  den  Luftstrom  in  sogen.  Kühlkammern  geleitet 
zu  werden,  auf  deren  trichterförmigem  Boden  es  sich  absetzt.  Die  Abzugsöffnung  in 
der  letzten  Kammer  ist  mit  einem  Drahtgewebe  versehen  und  steht  mit  dem  Schornstein 
in  Verbindung. 

Die  Einrichtung  dieser  Kammern  ist  sehr  verschieden;  in  Belgien  benutzt  man 
trichterförmig  gestaltete  Recipienten  von  Eisen,  in  Oberschlesien  von  mit  Alaun  und 
Wasserglas  getränkten  Brettern,  die  mittels  weiter  Röhren  untereinander  verbunden  und 
am  Ausgange  des  Trichters  mit  Leinwandbeuteln  zum  Auffangen  des  Zinkweisses  ver- 
sehen sind,  aus  denen  es  auf  Fässer  abgezogen  wird. 

Das  in  den  ersten  Recipienten  angesammelte  Zinkweiss  wird  geschlämmt,  um 
es  von  dem  beigemengten  metallischen  Zink  (Zinkstauli)  zu  reinigen;  dann  folgt  das 
Trockn  en,  Pulverisiren,  Sieben  resp.  Sortiren  und  Verpacken.  Die  drei  letztem 
Manipulationen  sind  wegen  der  Staubentwicklung  bei  dieser  Industrie  am  meisten  zu 
beachten.  Es  wiederholen  sich  hier  die  beständig  wiederkehrenden  sanitären  Erforder- 
nisse, die  entweder  in  der  Beschaffung  geschlossener  Apparate  oder  in  dem  den  Arbei- 
tern zu  gewährenden  Schutz  durch  Respiratoren,  Vorbinden  von  Tüchern  vor  Nase  und 
Mund  u.  s.  w.  oder  auch  in  der  Herstellung  von  Exhaustoren  bestehen.  Jedenfalls  sollte 
der  Gleichgültigkeit  gegen  Gefahren  in  solchen  Fabriken,  der  man  überall  begegnet,  ein 
Ziel  gesetzt  werden. 

Verwendung  findet  das  Zinkweiss  zum  Anstrich  statt  des  Bleiweisses,  erfordert 
zwar  trocknende  Oele,  hat  jedoch  den  Vorzug,  dass  es  durch  Schwefelwasserstoff  nicht 
geschwärzt  wird;  in  der  Zeug  druck  er  ei  wird  es  mit  Albumin  fixirt,  am  meisten  aber 
bei  Lackirarbeiten  gebraucht,  weil  der  Anstrich  so  hart  wird,  dass  er  sich  poliren 
lässt.     Wie  Zeuge  werden   auch  Papiere,  Karten  u.  s.  w.   damit  gefärbt;  auch   dient  es 


(396  Kadmium. 

zum  Entfärben  des  Glases  und  zum  Poliren  optischer  Glaser:  künstlicher  Meerschaum 
besteht  ans  Zinkweiss,  Magnesia  usta  und  Casein- Ammoniak. 

Unt.r  den  Zinkpräparaten  hat  das  Chlorzink,  Zinkchlorid  ZnCU,  Zincum  chlo- 
ratum, noch  eine  technische  Wichtigkeit,  da  es  früher  zum  Imprägniren  von  Eisenbahn- 
schwellen vielfach  benutzt  wurde.  Man  kann  ganze  Bäume  binnen  wenigen  Stunden 
damit  tödten,  wenn  man  dieselben  anbohrt  und  einen  mit  der  Chlorzinklösung  verbun- 
denen Schlauch  in  das  Bohrloch  einschiebt.8) 

In  sanitärer  Beziehung  ist  sein  Auftreten  beim  Löthen  zu  beachten;  be- 
streicht man  beim  Zinklöthen  das  Blech  zunächst  mit  Salzsäure  und  lässt  dann  den 
heissen  Löthkolben  einwirken,  so  kann  sich  Chlorzink  bei  grossartigen  Arbeiten  in  einer 
solchen  Menge  entwickeln,  dass  es  die  Schleimhäute  der  Nase  und  Augen  heftig  reizt 
und  Blenorrhoen  mit  ätzender  Absonderung  erzeugt.  Ist  das  Zink  arsenhaltig,  so 
kann  sich  auch  Arsenwasserstoff  entwickeln. 

Bei  Messillglöthung  bringt  mau  bisweilen  Chlorzink  direct  mit  Salmiak  zusammen; 
es  entwickeln  sich  dann  neben  Chlorzinkdämpfen  Kupferchlorürdäm  pfe  resp. 
Arsenchlorür,  wenn  das  Messing  arsenhaltig  war.  Auch  bei  Weissblecharbeiten 
benutzt  man  Chlorzink  zum  Löthen.  ( 

Mit  Zink oxyd  bildet  Chlorzink  basische  Chloride;  einige  dieser  Verbindungen 
werden  steinhart  und  auch  in  der  Zahnheilkunde  als  Kitt  benutzt. 

Zinkchromat.  ehronisaures  Zink  ZnCr04  findet  als  gelbe  Farbe  in  der  Kattun- 
druckerei Verwendung:  als  Zinkgelb  kommt  auch  ein  basisches  Zinkchromat  im 
Handel  vor. 

Das  Mahlen  des  getrockneten  Niederschlags  muss  beim  Zinkgelb  unter  den  not- 
wendigen Vorsichtsmassregeln  geschehen. 

Zinkgrün,  Rilllliann'sehes  Grün,  ist  ein  durch  Fällung  eines  Gemenges  von  Zink- 
sulfat und  Kobaltoxydullösung  mit  Natriumcarbonat  entstehender  Niederschlag, 
welchen  man  auswäscht,"  trocknet  und  glüht.  Es  ist  eine  schöne  und  ungefährliche 
Farbe. 9) 

Zinksulfat,  weisser  Vitriol  ZnS04-r-7H20  sollte  als  Desinfectionsmittel  nur  eine 
sehr  beschränkte  Anwendung  finden,  da  es  in  Schlinggruben  leicht  die  benachbarten 
Brunnen  verderben  kann.  Tränkt  man  Leinwand  mit  Zinksalzen,  so  kann  sich  ein 
Theil  des  Oxyds  als  basisches  Salz  mit  der  Cellulose  verbinden  und  die  Leinwand  zink- 
oxydhaltig  machen. 

Phenolsulfesaures  Zink,  Zincum  sulfophenilicum  (C6H5S04)2Zn  +  7H20 
wird  als  Aetz-  und  Desinfectionsmittel  benutzt. 


Kadmium,  Ed. 

Kadmium  kommt  nie  gediegen  und  auch  nur  in  geringer  Menge  in  den 
Zinkerzen  vor.  Der  Name  rührt  von  xaSftfo  her,  womit  die  Griechen  Galmei  be- 
zeichneten. Im  Galmei  kommt  es  als  Oxyd  und  in  der  Zinkblende  als  Schwefel- 
verbindung vor.  Da  es  leichter  als  Zink  destillirt,  so  wird  es  auf  den  Zinkhütten 
bei  der  Destillation  der  zuerst  übergehenden  Theile  gewonnen  und  alsdann  durch 
Destillation  gereinigt.  Der  zuerst  in  den  Vorstössen  sich  absetzende  Zinkrauch 
(Zinkstaub)  ist  häufig  bräunlich  gefärbt  wegen  seines  Kadmiumgehalts,  der 
5  —  6  Procent  betragen  kann.  Iu  Deutschland  wird  es  vorzugsweise  in  Ober- 
schlesien dargestellt. x) 

Die  technische  Anwendung  des  Kadmiums  ist  nicht  umfangreich;  vorzugsweise 
wird  es  zu  Metalllegirungen  benutzt;  so  besteht  IVood's  Metalllegirung  aus  Blei, 
Kadmium,  Zinn  und  'Wismuth.  Auch  in  der  Zahnheilkunde  wurde  früher  ein  Kadmium- 
Amalgam  benutzt.  Schwefelkadmium  kommt  en  päte  in  den  Handel  und  dient 
zum  Gelb  färben  der  Toiletteseifen  oder  auch  als  Malerfarbe. 

Kadmiumsalze  wirken  mehr  oder  minder  giftig  ein;  Manne2)  beobachtete  nach 
seinen  Versuchen  an  Thieren  Schwindel,  Erbrechen,  Durchfall,  Verlangsamung  der  Cir- 
culation  und  Respiration,  Kräfteverfall,  Bewusstlosigkeit  und  Krämpfe  als  die  hervor- 
stechendsten Symptome.  Bei  Injectionen  ins  Gefässsystem  starben  starke  Hunde  nach 
0,03  Grm-  eines  Kadmiumsalzes:   zu  subcutanen  Injectionen  niusste  die  zwei-    bis  drei- 


Blei.  697 

fache  Menge  genommen  werden,  um  gleiche  Wirkungen  zu  erzeugen.  Bei  Kaninchen 
wirken  0,30  —  0,60  Grm.  bei  Einführung  in  den  Magen  letal. 

Nach  eigenen  Versuchen  war  die  Wirkung  nach  der  Verwendung  der  verschie- 
denen Salze  eine  verschiedene.  Einer  Taube  wurde  eine  wässrige  Lösung  von  0,5  Grm 
Bromkadmium  eingeflösst;  sofort  fiel  sie  ohne  alle  Convulsionen  todt  hin.'  Nach 
0,5  Grm.  Chlorkadmium  trat  bei  einer  Taube  3  Min.  nach  der  Ingestion  ein  ange- 
strengtes Athmen  ein;  sie  vermochte  dann  nicht  mehr  zu  stehen  und  selbst  beim  Sitzen 
lehnte  sie  sich  an  einen  Gegenstand  an.  Nach  5  M.  hörte  Respiration  und  Herzthätig- 
keit  auf;  1  M.  nachher  zeigten  sich  noch  leichte  Convulsionen. 

0,25  Grm.  Kadmiumsulfat  erzeugte  bei  einer  Taube  nach  30  Min.  Erbrechen 
und  nach  2  Stunden  Diarrhoe;  die  Fresslust  schwand,  die  Abmagerung  war  sichtbar 
und  8  Tage  nachher  wurde  sie  todt  gefunden. 

Eine  andere  Taube  erhielt  ebenfalls  0,25  Grm.  Kadmiumsulfat.  Das  genossene 
Futter  wurde  meist  ausgebrochen  und  die  Ausleerungen  waren  wässrig.  Ohne  andere 
auffallende  Symptome  wurde  die  Taube  mit  jedem  Tage  hinfälliger  und  magerer,  bis  sie 
am  14.  Tage  todt  gefunden  wurde. 

Bei  derSection  zeigte  sich  in  allen  Fällen  ein  von  dunklem,  dickflüssigem 
und  geronnenem  Blute  strotzendes  Herz,  während  namentlich  Gehirn  und 
Lungen  eher  von  blasser  Farbe  waren.  Beim  letzten  Versuche  konnte  Kadmium  in  der 
Leber  nachgewiesen  werden;  nachdem  dieselbe  mit  Salpetersäure  gekocht  worden, 
wurde  mit  Kali  caust.  übersättigt,  eingedampft  und  verpufft,  der  Rückstand  dann  in 
Wasser  gelöst,  filtrirt,  mit  Salzsäure  gekocht  und  mit  H2S  behandelt.  Der  entstandene 
gelbe  Niederschlag  war  in  Ammoniumcarbonat  unlöslich  und  feuerbeständig. 


Blei,  Pb. 

Blei  gehört  zu  den  sehr  verbreiteten  und  am  längsten  bekannten  Metallen. 
Plinivs  unterschied  zuerst  Plumbum  nigrum  (Blei)  von  Plumbum  candid  oder  album, 
d.  h.  Zinn.  Blei  kommt  meist  als  Bleiglanz,  mit  Schwefel,  im  Weissbleierz  als 
Carbonat,  im  Grünbleierz  als  Phosphat,  im  Rothbleierz  als  Chromat  und  im  Gelb- 
bleierz als  Molybdat  vor.  In  Commern  (Rheinprovinz)  ist  das  Bleicarbonat  mit 
Bleiglanz,  Kobalt,  Kupfer,  Antimon  und  Arsen  im  Sande  eingesprengt.  Bleierde 
nennt  man  im  Allgemeinen  alles  mulmig  gewordene  Blei,  welches  durch  Schlämmen  von 
der  Gangart  befreit  wird. 

Einwirkung  von  Blei  und  seinen  Verbindungen  auf  den  thierischen  Organismus. 
In  der  Industrie  sind  es  besonders  die  Hüttenarbeiter,  die  Bearbeiter 
des  Bleies,  die  Anstreicher,  Lackirer,  Maler,  Vergolder,  Goldarbeiter, 
Rothgiesser,  Farbenreiber,  Emailleure,  die  Glaser  und  Glasschleifer? 
Grundirer,  Kattundrucker,  Färber,  Coloristen,  die  Schriftgiesser, 
Schriftschleifer,  Notenstecher,  Schriftsetzer,  Schrotgiesser,  Töpfer, 
Fayencefabricanten,  Bronzirer,  die  Papiertapetenfabricanten  u.  s.  w., 
welche  leicht  von  Bleiintoxicationen  befallen  werden. 

Wenn  das  metallische  Blei  in  Folge  häufiger  Manipulationen  mit  dem- 
selben Krankheiten  erzeugt,  so  ist  hierbei  jedenfalls  die  Hautthätigkeit  mit  in  An- 
schlag zu  bringen,  insofern  die  wässrige  Absonderung  der  Haut  Oxydation  und 
Auflösung  des  Metalls  begünstigt.1) 

In  der  Mehrzahl  der  Fälle  in  der  Industrie  ist  es  indessen  der  metal- 
lische Staub  oder  der  Staub  von  Bleiverbindungen  (Bleiweiss,  Mennige), 
welcher  durch  Inhalation  dem  Organismus  einverleibt  wird;  der  Bleidampf  ist 
ebenfalls  ein  Oxydationsproduct  des  Metalls  und  bewirkt  am  leichtesten  eine  In- 
toxication,  da  er  auf  dem  Wege  der  Respirationsorgane  rasch  in's  Blut  gelangt. 

Nach  HeubePs  Versuchen  an  Hunden  nimmt  das  Knochengewebe  eine  grössere 
Quantität  des  Bleies  als  andere  Organe  auf;    hierauf  folgen  nach  der  Menge  des  Blei- 


698  Blei- 

gehalts  die  Nieren  und  die  Leber,  die  Centraltheile  des  Nervensystems:  das 
Rückenmark  und  das  Gehirn,  sodann  die  Muskeln,  das  Herz  und  die  Lungen.-) 

Mit  Beubel  kann  man  eine  besondere  Affinität  des  Bleies  zum  Nervensystem 
annehmen:  die  meisten  Symptome,  welche  bei  einer  Bleiintoxication  auftreten,  können 
auch  in  der  That  unschwer  auf  Läsionen  des  Nervensystems  zurückgeführt  werden. 
Zu  diesen  Aflectionoii  peripherischer,  sensibler  und  motorischer  Nerven  gehören  namentlich 
die  Bleiarthralgie,  die  Bleikolik,  die  Bleiparalysen,  die  Anaesthesia  satur- 
nina  und  Blei  c  mit  ra  c  t  ur  e  n .  Leiden,  die  mit  und  ohne  Bleidyskrasie  verlaufen. 

Die  Annahme  liegt  nahe,  dass  gewisse  Körperstellen  oder  Organe,  zu  denen  höchst 
wahrscheinlich  das  Knochengewebe,  die  Leber  und  Nieren  gehören,  das  Blei  län- 
Zeit  aufzuspeichern  vermögen,  ohne  dass  dadurch  eine  bemerkenswerthe  Störung 
Function  dieser  Organe  eintritt.  Aus  diesem  Umstände  lassen  sich  allein  die  nicht 
len  Recidive  der  Bleivergiftung  erklären,  ohne  dass  von  aussen  her  neue  Quantitäten 
des  Giftes  aufgenommen  worden  sind.  Im  Magen  bilden  die  Bleisalze  Bleioxyd- 
Albumin  ate  und  gehen  als  solche  in  das  Blut  über,  und  doch  ist  aus  den  Untersuchun- 
gen von  fl  ich,  dass  sich  wenigstens  im  Blute  der  vergifteten  Thiere  stets 
nur  sehr  geringe  Mengen  von  Blei  nachweisen  lassen.  Hiermit  stimmen  die  Untersuchungen 
von  Tiedemann,  Gmelin,  Lassaigne,  Chevaüier  und  Andern  überein,  welche  im  Blute  der 
an  Bleivergiftung  gestorbenen  Menschen  stets  entweder  nur  Spuren  von  Blei  oder  auch 
gar  kein  Blei  chemisch  nachweisen  konnten.  Das  vom  Blute  aufgenommene  Blei 
geht  somit  in  die  Organe  und  Gewebe  des  Körpers  über  und  bildet  mit 
den  organischen  Körpertheilen  schwer  lösliche  Verbindungen.  Hieraus 
sich  die  grosse  Schwierigkeit  oder  Unmöglichkeit,  manche  durch  das  Blei  hervor- 
gerufene Leiden  zu  heilen,  erklären;  Blei,  Quecksilber  und  Arsen  sind  in  dieser 
Beziehung  drei  Gifte  von  gleicher  Gefährlichkeit. 

Mit  Bleidvskrasie,  Saturnismus  chronicus,  bezeichnet  man  den  Krank- 
heitszustand, der  durch  das  Eindringen  relativ  kleiner,  aber  oft  wiederholter  Blei- 
mengen in  den  Organismus  entsteht;  er  gibt  sich  oft  weniger  durch  locale 
Anomalien  als  durch  »Störungen  der  Digestiousorgane,  des  Blut-  und  Nervensystems 
kund.  Zum  Symptomencomplex  dieserBleidyskrasie  gehört  eine  schmutzig-gelbe 
Färbung  der  Haut;  bisweilen  tritt  auch  eine  Art  von  Icterus  auf,  namentlich 
wenn  Bleiacetat  per  os  aufgenommen  worden  ist.  Häufig  kommt  der  schiefer- 
grane  Rand  am  Zahufleisch  vor,  der  nur  ein  paar  Millimeter  breit  ist;  bei  fort- 
schreitender Krankheit  kann  sich  aber  die  Färbung  dem  ganzen  Zahnfleisch  mit- 
theilen. Sie  entsteht  dadurch,  dass  Bleialbuminat  mit  dem  am  Zahnfleisch  bei 
unreinlichem  Verhalten  aus  Speiseresten  sich  entwickelnden  Schwefelwasserstoff 
Schwefelblei  bildet;  daher  beobachtet  man  diesen  Bleirand  des  Zahnfleisches 
zuweilen,  ohne  dass  sich  anderweitige  Erscheinungen  der  Bleiintoxication  kund- 
geben: ausserdem  kann  er  auch  aus  andern  Ursachen  entstehen.  3) 

Charakteristisch  sind  ferner  für  die  schweren,  in  der  Industrie  aber  nur  zufällig  vor- 
kommenden Fälle  von  Vergiftung  nicht  bloss  ein  foetider  Mundgeruch,  sondern  auch 
ein  übler  und  für  die  Umgebung  höchst  widerlicher  Geruch,  der  von  dem  ganzen 
Körper  dieser  Kranken  ausgeht,  ferner  der  metallische  Geschmack.  Uebelkeit,  Erbrechen, 
die  schwarz  gefärbten,  schaafkothähnliehen.  höchst  stinkenden  Stuhlentleerungen,  der 
sparsame,   dunkel  gefärbte  Harn    b  sstem  Durste;    alle  Secretionen  sind  mehr  oder 

weniger  vermindert.  Im  Gebiete  der  Circulation  fällt  der  kleine  und  langsame  Puls 
auf,  während  in  den  Venen  Stauungen  und  Ausdehnung  der  Wandungen  beobachtet 
werden.  Bei  fortgesetzter  Einwirkung  des  Giftes  wird  dann  auch  das  Nervensystem 
ergriffen. 

Die  Läsion  des  Nervensystems  kennzeichnet  sich  durch  Ohrensausen,  Schwindel, 
Schwäche  der  Musculatur.  schwankenden  Gang,  Zittern,  Depression  des  Gemüths  und 
Geistes,  sogar  durch  Delirien  und  Irrsein.  Nur  bei  fortgesetzter  Ingestion  des  Giftes 
wird  diese  deletäre  Affection  des  Nervensystems  beobachtet,  mit  welcher  sich  dann  die 
grösste  Abmagerung  verbindet,  so  dass  die  Kranken  einem  Gerippe  gleichen.  Die  Tabes 
saturnina  oder  Bleiabzehrung  führt  bei  trockner,  gerötheter  ZuDge,  starkem  Durst 
unter  hy dropischen  Erscheinungen,  Decubitus  oder  hypostatischen  Lungenentzündungen 
zum  Tode.  Der  Sectionsbefund  liefert  selten  einen  charakteristischen  Befund;  geringe 
Hyperämien  der  Gehirnhäute.  Serum  in  den  Ventrikeln,  blutiges  Serum  in  der  Brust- 
höhle, schlaffes  und  wenig  Blut  enthaltendes  Herz,  blutleere  Lungen  und  dünnflüssiges 
Blut  zeigen  sich  vorherrschend.     Die  Leber  erscheint  nicht  immer  atrophisch,  sondern 


Wirkung  des  Bleies.  ß99 

bisweilen,  namentlich  nach  Bleiacetat,  sehr  ausgedehnt  und  den  Magen  bedeckend, 
die  Gallenblase  mit  dunkler  Galle  angefüllt,  die  Sehleimhaut  des  Magens  mit  schwarzem 
Schleim  bedeckt  nebst  schwachen  Erosionen  im  Magengrunde.  Es  kommt  hierbei  auf 
die  Art  der  Aufnahme,  die  Natur  und  Menge  der  Bleiverbindung  an,  welche  ein- 
gewirkt hat.  Bei  grösseren  Mengen  kann  post  mortem  die  Diagnose  durch  den  che- 
mischen Nachweis  des  Bleies  sichergestellt  werden.  4) 

Bleikolik  ist  die  häufigste  Form  der  Erkrankung  in  der  Industrie.  Im 
Jacobshospital  zu  Leipzig  kamen  im  Verlauf  von  10  Jahren  unter  142  Blei- 
erkraukungen  77  Fälle  von  Bleikolik  vor. 5)  Charakteristisch  für  dieselben  ist  die 
Verminderung  der  Schmerzen  durch  starken  Druck,  die  Contraction  der  Darm- 
muskeln und  das  Eiugezogensein  des  Leibes;  seltner  ist  der  Leib  normal  oder 
aufgetrieben.  Diese  Kolik  hat  bekanntlich  viele  Namen  erhalten;  die  Mal  er  - 
kolik,  die  Töpferkolik,  die  Kolik  von  Poitou,  die  Hüttenkatze,  die 
Bergsucht  u.  s.  w.  sind  nur  als  Bleikolik  aufzufassen.  Am  häufigsten  wird  sie 
durch  Blei  weiss  erzengt,  daher  auch  Anstreicher  und  Arbeiter  in  den  Blei- 
weissfabriken  das  grösste  Contingent  hierzu  liefern.  Ausser  der  hartnäckigen 
Verstopfung,  welche  häufiger  auftritt  als  Diarrhoe,  und  den  sehr  heftigen,  aber 
nicht  lange  dauernden  Paroxysmen  .der  Schmerzen,  zu  denen  sich  bisweilen  Deli- 
rien, sogar  allgemeine  Convulsionen  gesellen,  ist  besonders  der  langsame  Puls 
und  die  beschleunigte  Respiration  mit  kurzen,  abgebrochenen  Inspirationen  hervor- 
zuheben. 

In  Paris  kommt  die  Bleikolik  am  häufigsten  in  den  heissen  Jahreszeiten  vor, 
womit  auch  die  Beobachtungen  in  Deutschland  übereinstimmen;  sie  kann  sich 
fast  mit  allen  andern  Formen  von  Bleiintoxication  verbinden. 6) 

Die  saturnine  Arthralgie  tritt  ebenfalls  anfallsweise  auf;  die  afficirten  Nerven 
entbehren  der  Erregbarkeit  nicht.  Die  Schmerzen  sind  oft  reissend,  stechend,  bohrend 
und  haben  meistens  in  den  Flexoren  ihren  Sitz. 

Die  Arthralgie  zeigt  sich  selten  allein,  häufig  aber  in  Verbindung  mit  Blei- 
dyskr  asie.  Im  Leipziger  Jacobs-Hospital  kamen  unter  75Eällen  von  Arthralgie  nur  7  ohne 
Complication  vor;  56  davon  waren  mit  Kolik,  5  mit  Lähmung  und  7  mit  Encephalopathie 
verbunden.  Am  häufigsten  soll  diese  Krankheitsform  bei  Mennigarbeitern  vor- 
kommen ,  obgleich  sich  hierüber  nichts  Bestimmtes  feststellen  lässt ,  da  auch  die  Consti- 
tution und  die  Krankheitsanlage  die  Form  der  Erkrankung  mitbedingen  werden.  Sie 
kommt  auch  bei  Schriftsetzern  vor;  in  den  höhern  Graden  kann  sie  sich  auf  alle  Ex- 
tremitäten erstrecken;  im  Allgemeinen  nimmt  sie  die  Muskelpartien  der  Extremi- 
täten, bisweilen  nur  Nacken  und  Lendenmuskeln  ein  und  ist  daher  mehr  Myalgie  als 
Arthralgie.7) 

Bleianästhesie  kann  oberflächlich  und  tiefer  gelegene  Nerven  ergreifen.  Blei- 
con-tracturen  zeigen  sich  vornehmlich  am  Ellenbogen-  und  Handgelenk. 

Bleilähmungen  sind  meist  Theilerscheinungen  der  Bleidyskrasie;  sehr  häufig 
werden  nur  einzelne  Muskelgruppen  von  der  Lähmung  befallen,  namentlich  sind 
es  die  Strecker  der  obern  Extremitäten,  welche  zuerst  die  Symptome  der 
Lähmung  darbieten.  Das  Leiden  kann  sich  von  den  Extensoren  und  Supina- 
toren  am  Vorderarme  auf  den  M.  Triceps  und  Deltoideus  fortpflanzen,  aber  auch 
die  Ober-  und  Unterschenkel  können  von  diesem  Leiden  ergriffen  werden,  so 
dass  bei  zunehmendem  Uebel  alles  Gehen  unmöglich  ist.  Die  Erregbarkeit  der. 
afficirten  Nerven  ist  verschwunden  und  selbst  starke  Reize  vermögen  keine  Er- 
regung mehr  hervorzurufen.  Man  will  in  einigen  Fällen  die  elektrische  Con- 
tractibilität  noch  früher  beeinträchtigt  gefunden  haben  als  das  willkürliche  Bewe- 
gungsvermögen. 

Bisweilen  geht  der  Lähmung  Muskelzittern  voraus,  welches  mit  dem 
Mercurial- Zittern  Aehnlichkeit  hat;  auch  kann  sich  der  Tremor  mit  Paralyse 
und  Anaesthesie  compliciren. 


700  Blei- 

Der  Portier  eines  Kirchhofes  zu  Bordeaux  pflegte  die  Ueberreste  aller  hölzernen 
Grabkreuze,  welche  meistens  mit  bleihaltigen  Farben  angestrichen  waren,  als  Heizmaterial 
zu  benutzen:  der  Kamin  rauchte  viel  und  liess  den  Rauch  in's  Zimmer  zurücktreten. 
Allmählig  wurde  er  von  Paralyse  der  Extenso  reu  der  rechten  obern  Extremität, 
namentlich  des  Vorderarms,  befallen,  wozu  sich  Kolikschmerzen  gesellten:  die  Flexions- 
bewegungen  blieben  unversehrt;  die  Lähmung  der  Finger  nahm  so  zu,  dass  das  Schreiben 
unmöglich  wurde.  Erst  nach  Entdeckung  der  Krankheitsursache  trat  ein  Stillstand  und 
später  auch  Besserung  des  Leidens  ein.8) 

Die  Paralysen  treten  nicht  selten  gleichzeitig  mit  Kolik,  Zittern, 
Anästhesie,  Arthralgie  und  Muskelatrophie  auf,  unter  19  Fällen  im 
Leipziger  Hospital  kamen  nur  6  reine  Fälle  vor;  4mal  waren  alle  Extremitäten, 
2mal  die  linken  obern  und  untern,  lOmal  die  obern  und  22mal  die  untern 
ergriffen;  sehr  selten  bildet  die  Paralyse  die  erste  Erkrankung.  Amaurosis 
beobachtet  man  ebenso  selten  als  selbstständige  Krankheit. 

Ein  34jähriger  Mann  hatte  3  Tage  hindurch  in  einem  Keller  die  metallischen  Ab- 
talle in  einer  Bleiweissfabrik  aufzuräumen  gehabt  und  wurde  danach  von  Kopfschmerzen, 
rechtseitiger  Ciliarneuralgie  und  dann  von  Nebelsehen  befallen :  auch  Leib-  und  Muskel- 
schmerzen gesellten  sich  hinzu.  Am  rechten  Auge  war  die  Sehschärfe  bis  auf  '/3  gesunken, 
das  Sehfeld  aber  nicht  eingeengt;  die  Arterien  zeigten  sich  normal,  die  Venen  etwas 
erweitert  und  von  Blut  strotzend.9) 

Auch  nach  Gebrauch  von  bleihaltigem  Schnupftabak  beobachtet  man  bis- 
weilen eine  auf  die  M.  deltoidei  und  die  Extensoren  beschränkte  Bleilähmung.10) 

Gesichtslähmungen  entwickeln  sich  vorzugsweise  nach  dem  Gebrauch 
von  bleihaltigen  kosmetischen  Mitteln  und  bleiben  oft  locale  Leiden.11) 

Bleieklampsie  tritt  als  ein  eklamptischer  oder  epileptischer  Anfall  auf 
und  kann  sich  namentlich  den  heftigen  B!eikoliken  hinzugesellen;  sie  ist  eine 
besondere  Form  der  En  cephalopathia  saturnina. 

Heubel  sah  bei  vergifteten  Hunden  eklamptische  und  epileptische  Erscheinungen, 
die  einzigen  Formen  der  saturninen  Gehirnaffection.  welche  stets  unter  schwerem 
Coma  mit  intercurrenten  eklamptischen  Convulsionen  auftreten.  In  beiden  Fällen  Hessen 
sich  die  Symptome  am  ehesten  auf  eine  durch  Gehirnödem  bedingte  capilläre 
Anämie  des  Gehirns  zurückführen. 

Traube  und  Rosenstein  haben  auf  die  grosse  Aehnlichkeit  der  saturninen  Eklampsie 
mit  den  Erscheinungen  der  sogenannten  urämischen  Intoxication  aufmerksam 
gemacht.12) 

Encephalopathia  saturnina  nennt  man  im  Allgemeinen  die  Bleivergiftung 
mit  bestimmten  Gehirnaffectionen,  mit  Kopfschmerzen,  Schlaflosigkeit,  veränderter 
Gemüthsstiramung,  Abnahme  des  Gedächtnisses,  des  Gesichts,  Schwindel,  ver- 
schiedenen Formen  der  Geistesstörung,  Delirien,  Manie  oder  auch  Melancholie; 
in  grössern  Irrenanstalten  begegnet  man  nicht  selten  diesem  Krank- 
heitszustande auch  als  Folge  der  gewerblichen  Beschäftigung  mit  Blei. 

Zu  den  tiefen,  durch  Blei  bewirkten  Gesundheitsstörungen  gehören  noch  die 
Caries  und  Nekrose,  eine  Krankheitsform,  welche  als  Bleiaffection  nicht  so  auffallend 
erscheint,  wenn  man  sich  erinnert,  dass  das  vom  Organismus  aufgenommene  Blei  vor- 
zugsweise in  den  Knochen  abgelagert  sein  soll  13) 

Dass  die  Krankheit  am  häufigsten  am  Oberkiefer  auftritt,  hat  seinen  natur- 
gemässen  Grund  in  dem  Umstände,  dass  alles  Blei,  welches  per  os  aufgenommen  wird, 
zunächst  mit  der  Mundschleimhaut  in  Berührung  kommen  muss. 

Der  Speichel  ist  zwar  ein  geeignetes  Auflösungsmittel  für  Bleioxyd  und  die 
meisten  Bleisalze,  wirkt  aber  viel  Bleistaub  auf  die  Arbeiter  ein,  so  kann  derselbe 
auch  am  Zahnfleisch  haften  bleiben,  was  durch  die  Bildung  des  schiefergrauen 
Randes  am  Zahnfleisch  nachgewiesen  wird,  um  dann  bei  stets  erneuter  Zufuhr  in 
den  zunächst  gelegenen  Knochen  abgelagert  zu  werden 

Auch  auf  der  Nasenschleimhaut  kann  eine  solche  Ablagerung  oder  theilweise 
Lösung  des  Giftes  stattfinden.  Gelangen  die  Bleitheile  tiefer  in  die  Bronchien,  so 
sind  die  Störungen  im  Bereiche  der  Athmungs  Organe  nicht  ausgeschlossen.14) 

Bekanntlich  hat  man  auch   eine  Aphonia   saturnina   angenommen;    selbst  bei 


Gewinnung  von  Blei.  701 

Pferden  in  Bleiweissfabriken  sollen  Leiden  der  Athmungsorgane  vorkommen;  Gurlt, 
Hertwig  und  Günther  wollen  sogar  Atrophie  und  Entfärbung  der  Aeste  des  N.  recurrens 
bei  solchen  Pferden  beobachtet  haben. 

Es  gibt  kein  gefährlicheres  und  in  der  Industrie  mehr  verbreitetes  Metall 
als  das  Blei;  seine  Gefährlichkeit  beruht  vorzüglich  in  dem  Umstände,  dass 
seine  Wirkung  nicht  sofort  eintritt,  sondern  sich  meist  erst  bemerkbar  macht, 
wenn  es  schon  längere  Zeit  im  Organismus  verweilt  hat;  deshalb  werden  häufig 
die  Vorsichtsmassregeln  unterlassen,  die  unter  allen  Umständen  geboten  erscheinen, 
mag  das  Blei  als  metallischer  Staub,  als  Bleioxyd  oder  Bleisalz  vom  Organismus 
aufgenommen  werden. 

Die  meisten  Erkrankungen  liefern  die  Bleiweiss-  und  die  Mennige- 
Fabriken,  weil  hier  häufig  in  grossartigem  Massstabe  gearbeitet  und  dann  nicht 
die  Vorsicht  und  Aufmerksamkeit  beobachtet  wird,  welche  die  Gefährlichkeit  des 
Fabricats  verlangt.  Verf.  kannte  einen  Fabricanten,  der  ein  Decennium  lang  tage- 
lang in  seiner  Bleiweissfabrik  verweilte  und  schliesslich  der  Bleiwirkung  erlag, 
ohne  dass  er  selbst  jemals  eine  Arbeit  dort  verrichtet  hatte;  der  Bleiweissstaub, 
dem  man  dort  auf  jedem  Schritt  begegnete,  war  die  unmerkliche  Veranlassung 
seiner  allmähligen  Erkrankung  gewesen. 

Weil  aber  der  Arbeiter  mit  keinem  Gifte  mehr  in  Berührung  kommt  als 
mit  Blei,  so  hat  die  öffentliche  Gesundheitspflege  die  dringendste  Aufgabe,  nicht 
nur  auf  die  gefährlichen  Folgen  dieses  Giftes  hinzuweisen,  sondern  auch  Schutz- 
massregeln anzuordnen,  die  mit  Strenge  durchzuführen  sind.15) 

Hüttenmännische  Gewinnung  von  Blei.  Das  meiste  Blei  wird  aus  Bleiglanz 
dargestellt,  der  durch  Handscheidung  zerkleinert,  gepocht  und  geschlämmt 
wird.  Die  Abfallwässer  enthalten  stets  den  Bleischlamm  oder  Schlich, 
der  häufig  noch  zur  Glasur  des  Töpferzeuges  benutzt  wird. 

Um  das  Metall  zu  gewinnen,  benutzt  man  1)  die  Niederschlagsarbeit  oder 
den  Eisen-Rednctionsprocess  und  zwar  hauptsächlich  bei  quarzreichen  Erzen,  indem 
sich  das  Eisen  mit  dem  Schwefel  des  Bleies  verbindet: 

PbS  +  Fe  =  FeS  +  Pb. 

Die  Erze  werden  mit  Eisengranalien  in  Gebläse-Schachtöfen  geschmolzen; 
man  nennt  diese  Sumpföfen,  wenn  der  Sammelraum  für  die  geschmolzenen  Erze 
(Sumpf)  ausserhalb  des  Ofens  liegt.  Da  schweflige  Säure,  arsenige  Säure, 
Blei-,  Zink-,  Thallium-  und  Antimonoxyd-Dämpfe  hierbei  auftreten,  so  sind 
zur  Condensation  derselben  stets  Flugstaubkammern  anzulegen;  ihr  Inhalt 
(Gestübbe,  Gekrätze)  enthält  daher  stets  eine  staubartige,  aus  den  genannten 
Metallen  bestehende  Masse,  welche  sich  beim  Herausnehmen  leicht  entzündet  und  zu- 
sammensickert. Die  früher  erstarrenden  Schlacken,  die  aus  Bleistein  (Schwefeleisen, 
Schwefelblei  und  Schwefelkupfer)  oder  Bleierzschlacken  (ein  Gemenge  von  ver- 
schiedenen Silicaten)  bestehen,  werden  abgezogen,  ehe  man  das  geschmolzene  Blei  aus 
dem  Sumpfe  durch  einen  Canal  abfiiessen  lässt. 

2)  Der  Rost-  und  Schmelzprocess  wird  bei  quarzarmem  Bleiglanz  in  Flammen- 
öfen mit  in  der  Mitte  vertieftem  Herde  (Tümpelherd)  ausgeführt,  um  das 
Bleisulfid  unter  Entwicklung  von  schwefliger  Säure  theils  in  Bleioxyd 
und  theils  in  Bleisulfat  zu  verwandeln: 

PbS+30  =  PbO-f-S02  und  PbS  +  40  =  PbS04. 
Die  Sauerstoffverbindungen  des  Bleies  wirken  im  weitern  Verlaufe  des  Processes 
auf  das  noch  unzersetzte  Bleisulfid  ein,  so  dass  wiederum  schweflige  Säure 
entweicht  und  metallisches  Blei  zurückbleibt: 

2PbO  +  PbS  =  3Pb  +  S02  und  PbS04  +  PbS  =  2Pb  +  2(S02). 


702  Blei. 

Das  Erz  wird  fein  geschlämmt  und  als  Schlich  bearbeitet.  Das  geschmolzene  Erz 
wird  in  der  Mitte  des  Herdes,  am  Tümpel,  durch  das  Stichloch  in  den  Vortiegel  ab- 
gelassen: auch  hier  gehen  aeben  der  schwefligen  Säure  die  obengenannten  metallischen 
Dämpfe  ab.  Auf  dem  II erde  bleiben  in  dem  gerösteten  Erze  noch  Bleisulfat,  Bleioxyd 
und  ßleisulfid  zurück,  die  im  Schachtofen  vollständig  reducirt  werden.  In  Frankreich 
verbindet  man  meist  den  Rost-  und  Reductionsprocess,  namentlich  bei  quarzfreiem 
Bleiglanze. 

Auch  verhüttet  man  den  Bleiglanz  unter  Mitwirkung  von  Wasser  bei 
Glühhitze,  indem  man  durch  einen  Tropfapparat  beständig  Wasser  auf  den  Herd  ab- 
(liessen  lässt.  Der  Sauerstoff  des  Wassers  bildet  Bleioxyd  und  der  Wasserstoff  mit 
dem  Schwefel  ILS.  Man  hat  hierbei  nur  mit  Sorgfalt  auf  die  Beseitigung  oder  Ver- 
werthung  des  Schwefelwasserstoffs  zu  achten. 

Bleihaltigen  Sand  oder  Bleierde,  die  Bleicarbonat  enthalten,  behandelt  man 
mit  Salzsäure  und  fällt  aus  der  chlorbleihaltigen  Lauge  das  Blei  durch  Aetz- 
kalk,  so  dass  einerseits  Chlorcalciu  in,  andrerseits  Bleihydrat  Pb(OH)a  entsteht- 
Di'y  gesammelte  und  getrocknete  Niederschlag  wird  in  Retorten  durch  Theerdämpfe 
reducirt,  wobei  Salzsäure,  die  von  dem  gleichzeitig  gebildeten  und  im  Präcipitat  ent- 
haltenen Bleioxyehlorid  (PbCL  +  PbO)  herrührt,  und  Kohlenoxyd  entweichen;  letz- 
teres muss  verbrannt  und  die  Salzsäure  condensirt  werden. 

Sanitäre  Massregeln  bei  der  Verhüttung  des  Bleies. 

Beim  Gewinnen  und  Scheiden  der  Erze  ist  der  Staub  im  Allgemeinen 
unerheblich,  in  höhenri  Grade  bei  der  Handscheidnng  oder  beim  Ausklauben;    es 

ist  hierbei  um  so  grössere  Vorsicht  nöthig,  wenn  das  Erz  arsen-  oder  antimon- 
haltig  ist  (Bleischweif).  Das  Pochen  geschieht  stets  unter  Mithülfe  von  Wasser; 
beim  Schlämmen  enthalten  die  Wässer  stets  Bleisulfid  und  Bleisulfat 
suspendirt.  Schlämmteiche  dürfen  daher  niemals  mit  Flüssen  oder  Bächen  direct 
in  Verbindung  stehen,  namentlich  müssen  sie  hinreichend  gross  sein,  um  die  Ab- 
lagerung der  Metalltheile  zu  begünstigen. 

Beim  Verhütten  der  Erze  treten  mit  schwefliger  Säure,  Kohlensäure, 
Kohlenoxyd  stets  die  Dämpfe  der  verschiedenen  Metalle  auf.  Die  Benutzung 
der  schwefligen  Säure  zur  Seh wefelsäure-Fabrication  wird  sich  auch 
hier  bewähren;  in  Freiberg  hat  man  schon  angefangen,  Bleierze  von  25 — 30  % 
Blei  mit  Zusatz  von  kiesigen  Erzen  oder  auch  von  geröstetem  Erz  in  den 
Schüttöfen  abzurosten  (s.  S.  164  und  693).  Der  Bleidampf  oder  Bleirauch  ist 
meist  bleioxydhaltiger  Dampf;  Bleisulfid,  Bleisulfat  und  Bleicarbonat 
sind  zwar  vollständig  fix,  sie  werden  aber  häufig  mit  den  Dämpfen  fortgerissen. 
Alle  Schmelzöfen  müssen  daher  mit  Condensationsapparaten  versehen  sein.  Die 
Flugstaubkammern  (s.  S.  293),  die  man  gegenwärtig  weniger  gross  als  sonst, 
aber  in  grösserer  Anzahl  anlegt,  werden  in  der  Regel  direct  hinter  der  Feuerung 
augebracht;  stets  muss  aber  der  Ein-  und  Austritt  der  Gase  und  Dämpfe  in  dem 
First  der  Kammern  stattfinden,  damit  sich  in  ihrem  untern  Theile  die  Luft  in 
Ruhe  befindet  und  dadurch  das  Absetzen  des  Staubes  erleichtert  wird.  Auf 
diese  Kammern  müssen  häufig  noch  Gift  fange  oder  Absorptionscanäle 
folgen,  welche  wieder  durch  kleinere,  aber  mit  vielen  Abtheilungen  (Zwischen- 
wänden) versehene  Kammern  unterbrochen  werden.  In  England  gibt  es  Leitungen 
dieser  Art,  welche  oft  eine  Ausdehnung  von  10 — 15  Kilometer,  eine  Höhe  von 
2  Meter  und  eine  Breite  von  1,5  Meter  haben;  die  dazwischen  liegenden  Con- 
densatoren  sind  ca.  3 — 4  Meter  lang,  1,5  Meter  breit  und  3,5  Meter  hoch.  Aus 
solchen  Zügen  sind  in  England  im  Verlauf  eines  Jahres  schon  80,000  K.  Blei 
gewonnen  worden;  ausser  diesem  Gewinne  wird  aber  auch  der  Hauptzweck  der 
Einrichtung,  Schutz  des  Culturlandes,  erreicht;  je  länger  die  Züge  sind,  desto 
kräftiger    muss    auch    der    Zug    des    mit    denselben    verbundenen    Schornsteins 


Bleiindustrie.  703 

sein,  dessen  Wirkung  häufig  noch  durch  eine  besondere  Feuerung  zu  ver- 
stärken ist. 

Bei  der  Entfernung  des  Flugstaubes,  Giftmehls  oder  Hüttenrauchs 
müssen  die  Arbeiter  alle  Vorsichtsniassregeln  gebrauchen;  derselbe  kann  in  Folge 
der  Oxydation  oder  Aufnahme  von  Kohlensäure  Bleisulfat  oder  Bleicarbonat 
neben  Arsen,  Zink,  Thallium  oder  auch  bisweilen  neben  Molybdänblei,  Tellur  u.  s.  w. 
enthalten.  Eine  Hauptregel  ist  es,  dass  die  Arbeiter  erst  nach  vollständiger  Ab- 
kühlung der  Kammern  diese  betreten. 

Ganz  besonders  wird  die  Condensation  der  Bleidämpfe  durch  Wasser 
begünstigt.  Zu  diesem  Zwecke  wird  durch  eine  Dampfmaschine  eine  mit 
diagonalen  Schaufeln  besetzte  verticale  Scheibe,  welche  halb  in  Wasser  läuft,  in 
einem  cylindrischen  Räume  gedreht;  es  entsteht  dadurch  die  Wirkung  eines 
Exhaustors  und  die  mit  Bleioxyd  beladenen  Rauchgase  kommen  gleichzeitig  mit 
dem  Wasser  in  innigste  Berührung.  Das  Wasser  fliesst  am  Ende  des  Cyfinders, 
der  mit  dem  Schornstein  in  Verbindung  steht,  in  seitliche  Bassins  zur  Ablagerung 
des  Bleioxyds,  während  frisches  Wasser  zufliesst;  diese  grosse  Menge  von  Wasser 
ist  aber  schwer  zu  bekämpfen  und  daher  ein  Uebelstand. 

Da  das  Wasser  bei  der  hohen  Temperatur  sofort  als  Dampf  auftritt,  so  ist 
es  jedenfalls  weit  einfacher,  die  Condensation  durch  Einblasen  von  Wasser- 
dämpfen zu  erzielen.  Das  Verfahren  des  belgischen  Ingenieurs  Fallize  ver- 
dient deshalb  den  grössten  Beifall,  der  den  Ofenrauch  direct  mit  Wasserdampf 
mischt  und  das  Ganze  in  einer  Art  von  Koksthurm  einem  künstlichen  Regen 
aussetzt,  durch  den  die  Condensation  aller  Dämpfe  möglichst  vollständig  erfolgt; 
jedenfalls  versprechen  die  in  dieser  Richtung  eingeschlagenen  Versuche  grossen 
Erfolg. 16) 

Bleiindustrie. 

Die  weiche  und  dehnbare  Beschaffenheit  macht  das  Blei  für  sehr  ver- 
schiedene Gewerbe  brauchbar;  dabei  schmilzt  es  schon  bei  325°  und  kann  in 
der  Weissgluth  überdestillirt  werden.  Das  geschmolzene  Blei  überzieht  sich  stets 
mit  einer  grauen  Asche  (Bleiasche),  die  wahrscheinlich  aus  Suboxyd  besteht. 
Man  unterscheidet  Jungfernblei  (reinstes  Blei),  Werkblei,  das  noch  Silber 
neben  Kupfer,  Ziük  u.  s.w.  enthält  und  zum  Entsilbern  benutzt  wird;  Hartblei 
ist  ein  unreines,  an  Antimon  und  Arsen  reiches  Blei. 

Bearbeitung  des  metallischen  Bleies.  Man  stellt  Block-,  Tafel-  und  Walzblei 
dar;  ersteres  wird  auf  den  Hütten  durch  Giessen  des  geschmolzenen  Bleies  in  Block- 
form gewonnen.  Die  Tafeln  und  Platten  werden  sehr  wenig  durch  Giessen,  meist 
durch  Walzen  dargestellt.  Beim  Giessen  fällt  das  Blei  auf  eine  Sandunterlage;  ist 
der  Sand  feucht,  so  macht  das  verdunstende  Wasser  im  Blei  Blasen,  die  explosions- 
artig zerplatzen  und  das  Blei  herumschleudern;  man  muss  daher  stets  für  trocknen  Sand 
sorgen. 

Beim  Walzen  haben  sich  die  Arbeiter  nur  vor  Verletzungen  zu  hüten;  es  ist 
fast  immer  mit  dem  Pressen  der  Bleiröhren  verbunden;  dies  geschieht  durch  den  Druck 
einer  hydraulischen  Presse,  weiche  das  Blei  in  einem  Cylinder  gegen  einen  Conus 
andrückt,  der  mit  einem  keilförmigen  Eisen  bis  auf  die  ringförmige  Dicke  des  anzu- 
fertigenden Rohrs  geschlossen  ist.  Ein  sanitärer  Nachtheil  ist  mit  dem  vorhergehenden 
Schmelzen  nicht  verbunden,  da  dies  nicht  bis  zur  Oxydation  stattfindet;  die  Ober- 
fläche des  schmelzenden  Bleies  hat  einen  geringen  Umfang  und  wird  ausserdem  noch 
mit  Fett  u.  s.  w.  zur  Verhütung  der  Oxydation  bedeckt. 

Beim  gewalzten  Blei  interessiren  uns  am  meisten  die  Bleifolien,  da  sie  noch 
immer  häufig  zum  Verpacken  von  Nahrungs-  und  Genussmitteln,  von  Käse,  Würsten, 
Chocolade,  Kaffeesurrogaten  und  namentlich  von  Schnupftabak  u.  s.  w.  benutzt  werden; 


704  Blei. 

beim  letztern  sind  es  besonders  die  sauren  oder  salzigen  Saucen,  welche  die  Oxydation 
einleiten  und  auch  die  Löslichkeit  des  gebildeten  Bleioxyds  bedingen;  bei  Käse  sind  es 
die  Ammoniumsalze  und  bei  den  Würsten  ist  es  das  Kochsalz,  wodurch  die  Oxydation 
des  Bleies  befördert  wird  (s.  bleihaltige  Zinnfolien). 

Man  stellt  auch  Bleifolien  dar,  die  mit  dünnen  Zinnfolien  belegt  und 
zusammen  ausgewalzt  werden;  sie  bekommen  leicht  Risse  und  wirken  dann  ebenso 
nachtheilig  wie  die  Bleifolien  ein. 

Bei  Anwendung  der  Bleiplatten  zur  Bedachung  ur.d  zur  Darstellung  der  Abzugs- 
röhren der  Dächer  ist  besonders  der  Bleigehalt  des  aufgefangenen  Regen wassers  zu  be- 
rücksichtigen.17) Gewalzte  Bleiplatten  oxydiren  sich  sehr  rasch  an  der  Luft  und  über- 
ziehen sich  mit  einer  weissen  Haut  (Bleihydrat  oder  Bleicarbonat).  Aus  solchen  Blei- 
platten construirte  Gefässe  sollte  man  nie  zur  Aufbewahrung  von  Wasser  benutzen  und 
alle  schützende  innern  Ueberzüge  sind  nicht  zuverlässig  Man  hat  besonders  Phosphor- 
blei  dazu  benutzt,  indem  man  Phosphor  in  Schwefelwasserstoff  löst  und  die 
Lösung  mit  dem  Innern  der  Gefässe  bis  zur  Verdunstung  des  Phosphors  in  Be- 
rührung bringt;  das  sich  bildende  Phosphorblei  ist  zwar  selbst  unlöslich  und  widersteht 
auch  energisch  der  Oxydation,  trotzdem  hat  sich  diese  Methode  nicht  bewährt. 

Bringt  man  die  Gefässe  mit  Schwefelalkalien  zusammen,  so  bildet  sich  Bleis  ulfid, 
welches  sich  aber  allmäldig  in  Bleisulfat  verwandelt;  elastische  Firnisse,  ein  Ueber- 
zug  mit  Paraffin  oder  Mastixfirniss  18),  werden  nur  kurze  Zeit  schützen.  Es  entstehen 
hierbei  stets  kleine  Haarrisse,  welche  dem  Sauerstoff  den  Zutritt  zum  Blei  gestatten; 
deshalb  ist  auch  das  Verzinnen  von  Blei  stets  zu  vermeiden,  weil  schon  die  ungleich- 
artige Ausdehnung  beider  Metalle  beim  Temperaturwechsel  das  Abschilfern  des  Ueber- 
zugs  und  ein  Blosslegen  des  Bleies  bewirkt*). 

Für  Verwendung  der  Bleiröhren  zu  Wasserleitungen  hat  man  stets  das 
Verbalten  des  Bleies  zum  Wasser  zu  berücksichtigen.1'')  Der  Gehalt  des  Wassers 
an  Sauerstoff  und  Kohlensäure  bedingt  zunächst  die  Bildung  von  Bleihydrat, 
das  schwer  löslich  ist,  und  von  Bleicarbonat,  das  zu  Boden  sinkt;  ganz  be- 
sonders rasch  geht  dieser  Process  bei  der  Einwirkung  von  Wasserdämpfen 
vor  sich.  Es  entsteht  dann  weiter  die  Frage:  welche  Zusammensetzung  hat  das 
Wasser?  Je  reicher  das  Wasser  an  feuerbeständigen  Salzen  ist,  desto 
weniger  wird  die  Oxydation  des  Bleies  begünstigt;  bekanntlich  löst  Regen- 
wasser das  Blei  viel  leichter  auf  als  Brunnenwasser,  weil  es  ärmer  an  Salzen 
ist  und  dem  destillirten  Wasser  am  nächsten  steht.  Bilden  die  vorhandenen 
Salze  aber  unlösliche  Bleiniederschläge  auf  der  innern  Fläche  der  Blei- 
röhren, so  werden  diese  vor  weiterer  Oxydation  geschützt  und  die  Einwirkung 
des  Wassers  hört  auf  (s.  S.  121). 

Eine  Decke  von  Carbonat,  Sulfat  oder  Phosphat  schützt  am  meisten;  kommen 
aber  Chloride  hinzu,  die  zersetzend  auf  diese  einwirken,  so  hört  der  Schutz  auf. 
Natriumphosphat  und  Ammoniumsulfat  zersetzen  zwar  das  Bleicarbonat,  das 
sich  bildende  Bleiphosphat  und  Bleisulfat  wirken  aber  wiederum  schützend 
ein,  da  namentlich  Bleisulfat  unlöslich  in  Wasser  ist. 

Salpetrig-  oder  salpetersaures  Calcium  werden  mehr  oder  weniger 
Bleinitrate  bilden,  die  in  Wasser  leicht  löslich  sind.  Ganz  besonders  greifen 
organische  Substanzen  (Zucker,  Pfianzensäfte,  Humussäuren  u.  s.  w.)  das  Blei 
stark  an;  ist  die  organische  Substanz  stickstoffhaltig,  so  kann  sich  Ammoniak 
bilden,  das  als  solches  oder  später  als  Nitrit  das  Blei  angreift.  Die  Ursachen, 
aus  welchen  Blei  von  Wasser  angegriffen  wird,  sind  daher  hauptsächlich  in  seinem 
Gehalte  an  Luft,  Chloriden,  Nitriten,  Nitraten  und  organischen  Sub- 
stanzen zu  suchen**). 


*)    Man   sollte    überhaupt  Blei   so  wenig   als  möglich   mit  andern  Metallen  in  Be- 
rührung bringen. 

**)  Bleihaltiges  Wasser  wird  am  besten  durch  Filtration  mit  Knochenkohle 
oder  Kalkstein  gereinigt. 


Bleiindustrie.  705 

Es  ist  sehr  zu  berücksichtigen,  dass  mit  Veränderung  der  Bestandteile  des 
Wassers  auch  die  Möglichkeit  der  Aufnahme  des  Bleies  eintreten  kann.  Rohren, 
welche  früher  bleifreies  Wasser  lieferten,  konneD  nach  der  Speisung  mit  anders  zusammen- 
gesetztem Wasser  demselben  Blei  zuführen;  gebrauchte  Röhren  müssen  bei  einer  neuen 
Verwendung  stets  durch  Essigsäure  und  nachfolgendes  Ausspülen  mit  Sodalösung  von 
der  Oxydschicht  befreit  werden. 19) 

Es  ist  somit  leicht  ersichtlich,  dass  eine  Menge  von  Ursachen  bei  Wasser- 
leitungen durch  bleierne  Röhren,  beim  Aufbewahren  von  Wasser  in 
bleiernen  Gefässen  oder  beim  Destilliren  des  Wassers  in  bleihaltigen 
Zinn  blasen  einwirken  können,  welche  die  Löslichkeit  des  Bleies  einleiten  und  be- 
günstigen. Abgesehen  von  einer  Menge  sehr  charakteristischer  Vergiftungsfälle,  die 
auf  diese  Weise  veranlasst  worden  sind,  gibt  es  aber  noch  viele  Krankheitszitstände. 
die  im  Verborgenen  schleichend  in  ihren  ätiologischen  Verhältnissen  kaum  je  aufgeklärt 
werden;  grade  aus  letzterer  Ursache  sollte  man  stets  mit  der  grÖssten  Strenge  über  alle 
Geräthe  und  Utensilien  wachen,  die  bleihaltig  sind*). 

Zu  Legirungen  wird  vorzüglich  Blei  mit  Zinn  benutzt  (s.  Zinn). 

Schrotfabrication.  Man  stellt  die  Schrotkörner  aus  geschmolzenem  Blei  her,  das 
man  durch  eine  Art  von  Sieben  aus  einer  gewissen  Höhe  in  Wasser  fallen  lässt.  Diese 
Zertheilung  des  Bleies  zu  runden  Körnern  wird  durch  einen  geringen  Zusatz  von  Arsen 
bewirkt.  Je  nach  dem  ursprünglichen  Arsengehalt  des  Bleies  setzt  man  0,3—0,8  % 
Arsen  zu  und  zwar  entweder  als  Schwefelarsen  oder  als  arsenige  Säure:  in 
letzterm  Falle  muss  das  geschmolzene  Blei  mit  einer  Kohlenstaubschicht  bedeckt  werden, 
um  seine  Verflüchtigung  zu  verhüten,  weil  bis  zur  Rothgluth  erhitzt  wird.  Die  Menge 
des  Arsens  darf  nicht  zu  gross  sein,  weil  sonst  die  Rundung  der  Körner  nicht  erfolgt/ 
Das  Wasser,  in  welches  die  Körner  fallen,  enthält  stets  mehr  oder  weniger  Arsen  neben 
Blei  und  muss  in  wasserdichten  Behältern  gesammelt  und  saehgemäss  behandelt  werden, 
ehe  es  zum  Abfluss  gelangt:  ganz  polizeiwidrig  ist  es,  für  diese  Fabrication  alte 
Brunnen  zu  benutzen,  weil  die  benachbarten  Brunnen  auf  solche  Weise  vergiftet  werden 
können. 

Die  aus  dem  Wasser  genommenen  Körner  werden  getrocknet,  mit  Graphit  in 
sogen.  Scheuertonnen  polirt  und  schliesslich  durch  Sieben  sortirt.  Nur  in  England  be- 
nutzt man  bisweilen  statt  Graphit  Quecksilber  oder  Zinnamalgam,  um  die  Körner  glän- 
zend weiss  zu  machen,  eine  Methode,  die  keinen  technischen  Vortheil  und  nur  sanitäre 
Bedenken  in  sich  schliesst. 

Bekanntlich  spült  man  W'ein-  und  Bierflaschen  mit  Schrotkörnern  aus;  [die 
Fälle  sind  nun  nicht  selten,  dass  zurückgebliebene  Schrotkörner  die  betreffenden  Ge- 
tränke vergiftet  haben;  man  sollte  daher  bei  diesem  A7erfahren  vorsichtiger  sein. 

An  den  Jacquard'schen  Webstühlen  werden  die  Gegengewichte  aus  Blei  an- 
gefertigt, welche  durch  Reiben  stets  etwas  vom  Metall  abgeben:  der  feine  Metallstaub 
oxydirt  sich  leicht  und  möglicherweise  werden  die  Weber  grade  wie  die  Setzer  in 
Druckereien  dadurch  Bleiintoxicationen  ausgesetzt,  dass  sie  die  mit  Blei  resp.  Bleioxyd 
beschmutzten  Finger  mit  Speisen  oder  mit  der  Mundschleimhaut  in  Berührung  bringen. 
Man  sollte  diese  Bleistäbe  jedenfalls  mit  heisser  Schwefelleberlösung  behandeln,  damit 
sich  Schwefelblei  bilde:  noch  mehr  würden  sich  Stäbchen  oder  Kugeln  von  Baryt- 
glas eignen.  Dass  man  überhaupt  die  Manipulation  mit  metallischem  Blei  zu  be- 
achten hat,  beweist  Folgendes:  Bei  der  Garnfabrication  benutzt  man  eine  kleine 
bleierne  Handhabe,  zwischen  der  das  abzuschneidende  Garn  mit  der  linken  Hand  gefasst 
wird,  während  die  rechte  die  Schere  führt.  In  Sheffield  pflegen  die  Arbeiter  meist  den 
Nagel  am  Daumen  für  diese  Arbeit  lang  wachsen  zu  lassen;  man  will  nun  die  Beobach- 
tung gemacht  haben,  dass  sich  in  solchen  Fällen,  vielleicht  durch  die  Ansammlung  des 
Bleistaubes  unter  dem  Fingernagel,  am  Daumen  leicht  Bleineuralgien  ausbilden. 
Jedenfalls  liefern  solche  Beispiele  eine  Illustration  zu  der  Thatsache,  dass  Blei  selbst  bei 
einer  örtlich  beschränkten  Aufnahme  auf  die  Dauer  nicht  unschädlich  bleibt  und  stets 
seine  giftigen  charakteristischen  Eigenschaften  entwickelt,  auf  welchen  Wegen  es  auch 
in  den  Organismus  eindringen  mag.20) 

Das  Zerkleinern  des  Bleies  zur  Darstellung  von  Bleiweiss  geschieht  in  Trommeln 
oder  Röhren,  die  mit  Schnelligkeit  um  ihre  Achsen  gedreht  werden.  Bei  der  Bildung 
von  Blei  schlämm  sind  die  Abfallwässer  zu  beachten,  da  sie  stets  bleihaltig  sind  und 
ohne  Filtration  (Kalkstein,  Kohle)  nicht  abgelassen  werden  sollten. 

Zu  den  technisch  wichtigsten  Bleiverbindungen  gehört  ausser  der  Bleiweiss- 
fabrication  noch  die  Fabrication  der  Glätte  und  Mennige. 

*)  Man  vergl.  die  Bierpumpen  (S.  529),  die  W^asserpumpen  (S.  121):  man  denke 
an  die  Siphons  für  kohlensaure  Wässer,  deren  obere  Kapseln  oder  Röhren  ganz  von 
Blei  oder  von  einer  schlechten  Bleilegirung  hergestellt  werden.  Die  Erfahrung  hat 
auch  vielfache,  hierdurch  bewirkte  Vergiftungen  nachgewiesen. 

Eulenberg,  Gewerbe-Hygiene.  40 


706  Blei. 

Darstellung  der  Bleiverbindungen. 

1)    Industrie  der  Glätte  und  Mennige. 

Bleioxyd  PbO,  das  bei  der  Gewinnung  des  Silbers  auf  dem  Treibherde 
entsteht,  heisst  Silberglätte  und  stellt  ein  hellgelbes,  schweres  Pulver  dar,  das 
sich  in  der  Hitze  vorübergehend  roth  färbt.  In  der  Rothglühhitze  schmilzt 
letzteres  und  erstarrt  dann  zu  einer  röthlichen,  schuppigen  Masse,  zur  Glätte;  in 
der  "Weissgluth  verflüchtigt  sich  das  Oxyd  vollständig.  Ist  die  Glätte  röthlich 
gefärbt  und  stammt  sie  vom  Abtreiben  goldhaltiger  Erze,  so  heisst  sie  Goldglätte. 
Ein  Bleioxyd,  welches  sehr  fein  zertheilt,  nicht  vorher  geschmolzen  und  weniger 
krystallinisch  ist  als  Glätte,  heisst  Massicot  und  eignet  sich  am  besten  für  die 
Darstellung  der  Mennige. 

Mennige.  Mininni  Pb304  oder  2 (PbO)  +  PbOo,  eine  Verbindung  von  Bleioxyd 
mit  Bleisuperoxyd*),  kommt  nur  sparsam  frei  in  der  Natur  vor  und  wird 
fabrikmässig  dargestellt. 

Die  Darstellung  im  Grossen  geschieht  durch  Erhitzen  von  Bleioxyd  (von  Silber- 
glätte auf  Bleihütten )  bis  zur  Dunkelrothgluth,  dem  ein  langsames  "Erkalten  folgt. 
Führt  man  die  Fabrication  in  Bleiweissfabriken  zur  Verwerthung  von  verdorbenen 
Partien  des  Fabricats  oder  von  Rückständen  des  metallischen  Bleies  aus,  so  geht  die 
Calcination  oder  Oxydation  der  Materialien  voraus,  und  zwar  bei  einer  Temperatur, 
die  unter  dem  Schmelzpuncte  des  Oxyds  liegt,  um  zunächst  Massicot  zu  gewinnen. 

Die  Calcination  geschieht  in  Calci nir Öfen,  deren  Sohle  eine  schwache  Neigung 
nach  der  Mitte  zu  hat,  während  die  eigentlichen  Mennigöfen  eine  von  hinten  nach 
vorn  geneigte  Sohle  haben;  beide  Oefen  gleichen  einem  gewöhnlichen  Backofen. 

Beim  Calciniren  verflüchtigt  sich  leicht  Bleioxyd  und  es  entsteht  namentlich 
beim  Umkrücken  ein  für  die  Arbeiter  gefährlicher  Staub;  es  müssen  daher  auch  beim 
Calciniren  die  beim  Mennigofen  zu  erwähnenden  Vorsichtsmassregeln  beachtet  werden. 

Auch  die  Glätte,  welche  im  Handel  meist  in  halb  geschmolzenem  Zustande  vor- 
kommt, erheischt  noch  Vorarbeiten,  die  im  Mahlen  mit  aufrechtstehenden  Läufern,  im 
Schlämmen,  im  Trocknen  und  Beuteln  bestehen.  Erst  die  fein  pulverisirte  Glätte  resp. 
das  Massicot  wird  im  Mennigofen  unter  beständigem  Umkrücken  einem  Reverberir- 
feuer  ausgesetzt,  um  die  Mennige  darzustellen. 

Diese  Fabrication  wird  meist  in  roher  Weise  ohne  alle  Beachtung  der  sich  ver- 
flüchtigenden Bleidämpfe  ausgeführt.  Bei  einem  ordnungsmässigen  Betriebe  muss  in 
der  Tiefe  des  Ofens  ein  Canal  in  eine  durch  eine  Scheidewand  getrennte  Flugstaub- 
kammer führen;  zwischen  dieser  und  dem  Schornstein  befindet  sich  noch  eine  kleine 
Condensationskammer,  in  welche  zeitweilig  Wasserdampf  zum  Niederschlagen 
der  Bleidämpfe  eingeblasen  wird**). 

Sanitäre  Verhältnisse  bei  der  Fabrication  der  Mennige. 

Die  mit  Mennige  bedeckten  und  roth  gefärbten  Dächer  der  Anwohner  von 
Mennigfabriken  liefern  häufig  den  augenscheinlichen  Beweis  für  die  Verflüchtigung 
der  Bleidämpfe. 

Das  Mahlen  der  Glätte  ist  am  ungefährlichsten,  da  hierbei  ein  Anfeuchten 
mit  Wasser  stattfinden  kann.     Die   Schlämmwässer  sind  kupfer-   und   blei- 


*)    Bleisaperoxyd    PbOa    wird    durch    Behandeln    der    Mennige    mit    verdünnter 
Salpetersäure  dargestellt: 

Pb804  +  4HN03  =  2  Pb(NO,),+  Pb02  +  211,0. 
Es  bildet  mit  Basen,  namentlich  mit  Kalk,  bleisaure  Salze  (Haarfärbemittel)  und 
ist  meist  ein  Bestandtheil  der  phosphorfreien  Zündhölzchen. 

**)  In  England  und  Frankreich  wird  Massicot  in  Töpfen,  die  in  Oefen  eingesetzt 
sind,  geglüht  und  man  lässt  es  bei  festem  Verschluss  des  Ofens  langsam  erkalten.  Hier 
entwickelt  sich  beim  Füllen  und  Ausleeren  der  Töpfe  viel  Staub. 


Bleiverbindungen.  7Q7 

halt  ig  und  gehen  nach  dem  Absetzenlassen  der  verwertbaren  Metalloxyde  wieder 
in  den  Schlämmprocess  zurück. 

Das  Trocknen  der  Glätte  geschieht  auf  den  Oefen,  von  wo  aus  sie 
mittels  eines  Trichters  direct  in  den  Reverberirofen  abzulassen  ist,  wenn  das 
Beuteln  derselben  nicht  stattfindet,  welches  wenigstens  nicht  immer  erforderlich 
ist;  geschieht  es,  so  sind  alle  Vorsichtsmassregeln  wie  beim  Beuteln  der  Mennige 
um  so  notwendiger,  als  der  Staub  der  Glätte  im  Ganzen  leichter  löslich  als  der 
der  Mennige  ist. 

Beim  Oxydationsprocesse  ist  über  der  Beschickungsthür  ein  Schlot  mit 
dem  Schornstein  in  Verbindung  zu  setzen,  um  das  Austreten  des  Bleistaubes  in 
den  Fabrikraum  zu  verhüten.  Das  Mischen  und  Urnkrücken  wird  erleichtert,  wenn 
der  "Wenderechen  mit  Rädern  versehen  ist;  auch  kann  die  Führstange  desselben 
mittels  einer  entsprechenden  Einrichtung  an  die  Dampfmaschine  angehängt  werden. 

Die  Flugstaubkammer  darf  nie  direct  mit  dem  Schornstein  in  Verbindung 
stehen,  weil  sonst  die  bleihaltigen  Dämpfe  leicht  mit  den  Feuerungsgasen  in 
die  Atmosphäre  abziehen;  sie  wirken  auf  die  Vegetation  dadurch  nachtheilig 
ein,  dass  sie  die  Oberfläche  der  Pflanzen  überziehen  und  ihre  Verdunstung 
mechanisch  hemmen.  Bilden  sich  allmählig  Bleisalze,  so  dringen  diese  in  die 
Pflanzen  ein  und  bringen  sie  zum  Absterben.  Indem  sich  die  Dächer  der  nächsten 
Häuser  mit  Bleistaub  überziehen,  wird  auch  das  Regenwasser  gefährdet  und  zu 
ökonomischen  Zwecken  unbrauchbar.  Die  Mennige  gibt  bei  Lichteinwirkung  und 
bei  Gegenwart  organischer  Substanzen  (Staub)  an  letztere  den  Sauerstoff  ab;  es 
können  dann  unter  Umständen  lösliche  Salze  entstehen. 

Das  Beuteln  der  fertigen  Mennige  soll  nie,  wie  es  meist  geschieht, 
frei  im  Fabriklocale  geschehen,  es  gehören  dazu  besondere  Räume;  sind  diese 
nicht  vorhanden,  so  errichte  man  wenigstens  einen  Bretterverschlag  mit  über- 
einander gefalzten  Wänden;  die  Falzen  sind  ausserdem  mit  Leinwand  oder  Filzen 
zu  verkleben,  da  der  metallische  Staub  sehr  leicht  durch  die  Ritzen  dringt. 

Der  Pulverisir-Apparat  muss  von  aussen  mittels  einer  Kurbel  in  Be- 
wegung gesetzt  und  der  Raum  nicht  eher  betreten  werden,  bis  aller  Staub 
sich  abgelagert  hat,  worüber  man  sich  durch  kleine  Beobachtungsfenster  Gewiss- 
heit verschafft.  Der  Kasten,  in  welchem  sich  das  Pulver  ansammelt,  kann  auch 
in  der  Wand  des  Bretterverschlags  liegen,  damit  man  den  Raum  nach  dem 
Beuteln  gar  nicht  zu  betreten  braucht.  Vorzuziehen  ist  stets  ein  geschlossenes 
Walzensystem  (s.  Bleiweissfabrication  S.  710). 

Die  Verpackung  der  Mennige  geschieht  in  Fässern,  die  mit  Papier  verklebt  sind. 
Bei  allen  diesen  Manipulationen  ist  Staubentwicklung  unvermeidlich;  es  müssen  daher 
die  Arbeiter  Schwämme  vor  Mund  und  Nase  binden  und  ganz  dieselben  Vorsichts- 
massregeln wie  in  Bleiweissfabriken  mit  Strenge  beobachten. 

Verwendung  findet  die  Mennige  vielfältig  zum  Anstrich,  namentlich  der  See- 
schiffe, so  dass  Bleivergiftungen  bei  den  Matrosen,  die  sich  hiermit  beschäftigen, 
gar  nicht  selten  sind.  Leichtsinniger  Weise  werden  auch  die  Bottiche  zur  Aufbewahrung 
der  Maische  in  Brauereien  bisweilen  mit  Mennige  angestrichen,  so  dass  das  Erkranken 
und  Hinsterben  des  Viehes,  dem  eine  solche  Maische  zum  Futter  dient,  nicht  ver- 
wundern kann. 

Zum  Färben  der  Rosshaare  wird  meist  Mennige  oder  Bleiglätte  mit  Kalk- 
milch erwärmt,  um  das  Eiltrat  als  Färbemittel  zu  benutzen  (s.  S.  070). 

Massicot-Mennige  sind  frei  von  Kupfer  und  dienen  zu  pharmaceutischen  Zwecken. 
Die  reinste  Mennige  heisst  auch  Pariser  Roth.  Die  Glätte-Mennige  wird  speciell 
zur  Glasfabrication,  zum  Anstrich  und  zur  Darstellung  der  Kitte <  für  Dampfleitungs- 
röhren, Glasröhren  u.  s.  w.  benutzt.  Es  geschieht  oft,  dass  man  beim  Montiren  oder 
Dislociren   von    alten   Dampfmaschinen    die    eisernen  Ringe    durch  Glühen  von  der 

45* 


708  Blei. 

Mennige-  und  Hanf-Umhüllung  befreit  und  zwar  in  einer  tragbaren  Esse.  Die  Arbeiter 
haben  alle  Ursache,  sich  vor  den  hierbei  auftretenden  Dämpfen  von  Blei  und  Bleioxyd 
zu  hüten,  namentlich  wenn  diese  Procedur  nicht  im  Freien  geschieht;  Bleivergif- 
tungen sind  dann  nicht  selten  Folgen  der  sich  ansammelnden  Dämpfe. 

2)    Bleiweiss-Industrie. 

Bleiearbonat  PbCO^  kommt  in  der  Natur  als  Weissbleierz  vor;  das 
künstlich  dargestellte  Bleiweiss,  Schieferweiss,  Kremserweiss,  Cerussa,  (Plnmbum 
hydrieo-earbonicum)  ist  ein  Gemenge  von  Carbonat  mit  Bleihydrat:  2PbC03 
-f-H2PbOo;  es  ist  in  Essigsäure  und  kohlensäurehaltigem  "Wasser  sowie  in  Kali- 
und  Natronlauge  löslieh. 

Bei  sämmtlicheu  Methoden  der  Darstellung,  deren  es  viele  gibt,  erzeugt 
man  zuerst  Bleiessig  (Plumbum  subaceticum),  der  durch  Kohlensäure 
zerlegt  wird. 

Die  wichtigsten  Methoden  sind  folgende: 

1)  Die  holländische  Methode.  Man  bringt  essigsaure  Dämpfe  (Abfälle  von 
schlechtem  E.-.~iu.  Wein,  saurem  Bier  u.  s.  w.)  mit  metallischem  Blei  zusammen,  das  ge- 
wöhnlich in  spiralförmigen  Platten  in  einem  glasirten  Topfe  auf  einem  Ansätze  ruht, 
damit  es  nicht  direct  mit  der  auf  dem  Boden  befindlichen  Essigquelle  in  Berührung 
kommt.  Die  Kohlensäure  und  "Wärme  werden  durch  Pferdemist.  Lohe,  Säge- 
späne u.  s.  w.  geliefert.  Suli-tanzen,  die  in  viereckig  gemauerten  Räumen  (Logen)  für 
die  Aufnahme  der  mit  einer  Bleiplatte  bedeckten  Töpfe  vertheilt  werden:  die  Töpfe 
werden  schliesslich  mit  Brettern  und  einer  Lage  Mist  bedeckt. 

Durch  die  Einwirkung  der  Essigsäure  bildet  sich  zuerst  Bleiaeetat  (Bleizueker, 
Plutnl).  aeetieum  Pb(C2H302)2-|--3H20),  der  sich  durch  Aufnahme  von  2  Molee.  Blei- 
oxvd  in  Bleiessig  (Aeetum  plumbicum)  verwandelt  und  folgende  Verbindung  darstellt: 

Pb(C2H302)2-4-2PbO. 

Durch  den  Einzutritt  der  Kohlejnsäure  entsteht  dann  aus  dem  Bleiessig 
Bleiearbonat  und  Bleihvdrat  neben  Essigsäure: 

Pb(C2H302)2  +  2PbO  +  2C02  +  2H20  =  2PbC03  +  Pb(OH;2+  2CoH402. 

Die  frei  gewordene  Essigsäure  (C2H4021  greift  dann  wieder  eine  neue  Portion 
metallischen  Bleies  an.  damit  derselbe  Process  sich  stets  wiederholt,  bis  nach  ein  paar 
Monaten  sämmtliehes  Blei  fast  vollständig  in  Bleiweiss  umgewandelt  ist. 

Die  Bleispiralen  werden  durch  Aufrollen  in  Stücke  zertheilt  und  die  mit  Blei- 
weiss überzogenen  Deckplatten  durch  Hin-  und  Herbiegen  (Brechen)  vom  Ueber- 
zuge  befreit,  während  das  noch  unzersetzte  metallische  Blei  durch  Handscheidung  ge- 
sondert wird:  dann  folgt  das  trockne  Mahlen*)  und  Schlämmen  des  Schiefer- 
weis ses,  wobei  die  Wässer  so  lange  als  möglich  wieder  benutzt  werden.  Das  durch 
die  feinste  Schlämmung  erhaltene  Bleiweiss  heisst  Kremserweiss,  Silberweiss, 
Blanc  d'Argent.  Das  Trocknen  des  geschlämmten  Bleiweisses  geschieht  in  tiegel- 
ähnlichen, porösen  Thonformen. 

2)  Die  deutsche  oder  österreichische  Methode  ist  eine  Modification  dieses  Ver- 
fahrens, wobei  man  in  grossen  Kammern  Bleiplatten  auffängt  oder  auf  Etagen  auflegt, 
während  sich  die  essigsauren  Dämpfe  aus  Töpfen  mit  concentrirter  Essigsäure  ent- 
wickeln, wenn  sie  nicht  mit  der  aus  Holzkohlen  u.  s  w.  dargestellten  Kohlensäure  direct 
von  aussen  eingeleitet  werden.  Modificationen  dieser  Art  kommen  noch  vielfältig  vor, 
während  das  aite  holländische  Verfahren  noch  immer  seine  Anhänger  findet. 

3)  Beim  französischen  oder  Thenard'schen  Verfahren  wird  Bleiglätte  mit  Essig 
in  Bleiessig  übergeführt  und  die  Flüssigkeit  in  geeigneten  Apparaten  mit  Kohlen- 
säure, die  man  häufig  direct  aus  Kalköfen  zuführt,  behandelt. 

Das  Präzipitat  (Bleiweiss)  wird  durch  Filtration  gewonnen,  gewaschen  und 
getrocknet.  Die  fremden  Metalle,  Eisen,  Zink  und  Kupfer,  bleiben  in  den  Wasch- 
wässern und  müssen  aus  denselben  präeipitirt  werden. 

4)  Beim  englischen  Verfahren  mengt  man  die  aus  kupferfreiem  Blei  gewonnene 
Bleiglätte  mit  einer  Lösung  von  Bleiaeetat  zu  einem  feuchten  Pulver  oder  bringt 
die  Masse  in  Fässer,  die  sich  langsam  um  eine  Achse  drehen  und  die  Kohlensäure 
aufnehmen. 


*)    Feuchtes  Mahlen  soll   die  kleinen  Bleipartikelchen  mit  abmahlen,   so   dass 
sie  in  das  Bleiweiss  übergehen  und  ihm  einen  Stich  in's  Graue  geben. 


Bleiweiss-Industrie.  709 

5)  Payen  benutzt  das  in  Kattundruckereien  in  grosser  Menge  abfallende  Blei- 
sulfat, indem  er  es  mit  Ammonium-  oder  Natriumcarbonat  zersetzt,  um  Bleicar- 
bonat  zu  erhalten,  welches  er  mit  1%  Bleiessig  zusammenreibt,  formt  und  trocknet. 

Sanitäre  Verhältnisse  bei  der  Bleiweissfabrication. 

Die  holländische  Methode  ist  noch  immer  am  weitesten  verbreitet  und 
bedingt  doch  die  meisten  Nachtheile;  das  dabei  gewonnene  Bleiweiss  heisst 
Schiefe rweiss,  es  hängt  den  spiralförmigen  Platten  an  und  wird  beim  Auf- 
wickeln derselben  angesammelt.  Da  es  noch  feucht  ist,  so  ist  die  Staubbildung 
sehr  gering;  mehr  wirkt  der  noch  vorhandene  Bleiessig  als  eine  die  Haut 
spröde  und  rissig  machende  Substanz  ein,  wodurch  die  Resorption  von  Blei- 
salzen begünstigt  werden  kann;  die  Arbeiter  müssen  sich  deshalb  die  Hände  durch 
Fetteinreibungen  sorgfältig  schützen. 

Das  sogenannte  Brechen  der  Platten  darf  nur  mittels  cannelirter  Walzen 
geschehen;  obgleich  auch  hier  ein  eigentliches  Verstauben  noch  nicht  stattfinden 
kann,  so  ist  es  doch  vorzuziehen,  dieses  Walzen  nicht  allein  in  einem  besondern 
Baume  vorzunehmen,  sondern  das  ganze  Walzensystem  in  einem  geschlossenen. 
Kasten  anzubringen.  Die  metallischen  Rückstände  fallen  hierbei  in  einen  unter- 
irdischen Bebälter,  werden  hier  angefeuchtet  und  später  eingeschmolzen,  während 
das  erhaltene  RohMeiweiss  dem  Mahl-  und  Schlämmprocesse  unterworfen  wird; 
bei  letzterm  ist  den  Arbeitern  wiederum  die  Fetteinreibung  als  Präservativ  zu  empfeh- 
len, weil  die  Wässer  basische  Bleisalze  neben  Bleizucker  enthalten.  Man  kann  sie 
mit  Kaliumchromat  zur  Darstellung  von  Chromgelb  oder  mit  Glaubersalz  be- 
handeln; vorzuziehen  ist  der  Zusatz  von  Eisen,  um  alles  Blei  und  Kupfer  in 
metallischem  Zustande  zu  gewinnen,  ehe  man  ihren  Abfluss  gestattet.  Auch  die 
schwächsten  bleihaltigen  WTässer  sollte  man  nicht  dem  Zufalle  preisgeben,  da  sich 
auf  die  mannigfaltigste  Weise  ihre  schädliche  Einwirkung  auf  Menschen  und 
Thiere  kund  geben  kann;  übrigens  machen  die  Schlämmwässer  einen  langen 
Kreislauf,  da  sie  so  lange  als  möglich  immer  wieder  von  neuem  benutzt  werden. 

Wird  das  geschlämmte  Bleiweiss  gepresst,  so  ist  ebenso  sehr  das  beim 
Auswaschen  der  Presstücher  abfallende  Wasser  zu  berücksichtigen,  wie  es  noch 
in  weit  höherm  Grade  beim  Auslaugen  und  Beizen  der  Setztöpfe  geboten  ist. 
Werden  die  abfallenden  Scherben  gepocht  und  gemahlen,  um  wegen  ihres 
Bleigebalts  als  Zuschlag  zur  Glasur  des  Töpfergeschirrs  benutzt  zu  werden,  so 
ergibt  sich  hieraus  eine  meist  kaum  beachtete  Ursache  von  bedeutenden 
Schädigungen  der  Gesundheit,  wenn  in  der  gewohnten  Weise  nicht  die  geringste 
Rücksicht  auf  die  Staubbildung  genommen  wird. 

Häufig  wird  statt  des  Bleiweisses  in  Hutform  ein  fein  pulverisirtes  Bleiweiss 
verlangt.  Das  Mahlen  und  Pulverisiren  des  Bleiweisses  gehört  zu  den  ge- 
fährlichsten Operationen,  da  sie  durch  die  Staubbildung  am  ehesten  zu  Blei- 
iutoxicationen  Anlass  geben.  In  manchen  Fabriken  herrscht  in  dieser  Beziehung 
noch  das  roheste  Verfahren,  denn  gar  nicht  selten  kann  man  noch  beobachten, 
wie  die  Klumpen  von  Bleiweiss  mit  einem  Hammer  zerschlagen,  die  zerkleinerten 
Stücke  in  Körben  gesammelt  und  unter  Staubwolken  in  den  Trichter  der  Mühle 
geworfen  werden.  Kein  Wunder,  dass  unter  solchen  Umstanden  die  Arbeiter 
erkranken ! 

Bei  allen  Methoden  ist  diese  Procedur  in  sanitärer  Beziehung  die  wichtigste 
und  kann  nicht  sorgfältig  genug  beachtet  werden.    Sie  beginnt  mit  dem  Mahlen 


710  Blei. 

des  Rohbleiweisses  auf  Kollermühlen,  bei  welchem  Schutz  der  Athmungs- 
öffnungen  absolut  erforderlich  ist.  so  lange  dies  rohe  Verfahren  noch  im  Gebrauche 
steht;  überhaupt  sollte  man  keine  Mühlen  mehr  benutzen,  sondern  sich  eines 
Walzensystems  bedienen,  das  aus  Walzenpaaren  besteht,  die  von  oben  nach 
unten  immer  näher  gestellt  sind,  hierdurch  jeden  beliebigen  Grad  von  Feinheit  bewir- 
ken und  sich  in  einem  hermetisch  geschlossenen  Kasten  befinden.  Sind  die  Walzen 
zweckmässig  construirt,  so  kann  auch  das  fertige  Bleiweiss  so  fein  pulverisirt 
werden,  dass  ein  weiteres  Sieben  unnöthig  ist.  Sollte  trotzdem  ein  Beuteln  und 
Sieben  erforderlich  sein,  so  ist  die  Einrichtung  so  zu  treffen,  dass  das  unterste 
Walzenpaar  das  pulverisirte  Bleiweiss  sofort  in  die  Siebe  fallen  lässt,  die 
ebenfalls  in  eiuem  geschlossenen  Räume  entweder  kreisförmig  bewegt  oder  ge- 
schüttelt werden.  Der  ganze  Kasten  ist  noch  mit  einem  Gehäuse  zu  umgeben, 
welches  mit  einem  Exhaustor  in  Verbindung  gesetzt  werden  kann. 

Der  Sammelkasten  für  das  pulverisirte  resp.  gesiebte  Bleiweiss 
muss  nach  der  Packkammer  hin  münden,  damit  jeder  Transport  so  viel  als 
möglich  vermieden  wird. 

Bei  allen  Concessions-Verleihungen  von  Bleiweissfabriken  ist  ganz  besonders 
darauf  zu  sehen,  ob  zweckmässige  Einrichtungen  zur  Verhütung  der  Staubentwick- 
lung vorhanden  sind,  widrigenfalls  alle  Präservativ-Massregeln  illusorisch  bleiben. 

Beim  Verpacken  werden  die  Bleiweisshütchen  mit  Papier  umwickelt  und  die 
Fässer  mit  Papier  umkleidet.  Ganz  besonders  ist  letzteres  beim  Verpacken  des  Pulvers 
erforderlich,  das  übrigens  stets  unter  Befeuchtung  eingestampft  wird.  Der  Faekraum 
muss  ganz  abgesondert  liegen  und  es  haben  sich  die  Arbeiter  hierbei  mit  Wasser  an- 
gefeuchtete Schwämme  vor  Nase  und  Mund  zu  binden,  eine  Vorsichtsmassregel,  die 
überall  mit  Strenge  durchzuführen  ist,  wo  die  Manipulation  mit  dem  trocknen  Fabricate 
nicht  zu  umgehen  ist  und  kein  vollständig  abgeschlossener  Raum  vor  der  Einwirkung 
des  Staubes  schützt. 

Die  Darstellung  des  Bleiweisses  in  Teigform  ist  überall  vorzuziehen  und 
sollte  polizeilich  vorgeschrieben  werden;  die  Fabricanten  ziehen  aber  das  pul- 
verisirte Bleiweiss  vor,  weil  sie  dasselbe  noch  mit  Schwerspath  u.  s.  w.  vermischen. 

Das  Bleiweiss  in  Teigform  ist  ein  mit  Leinöl  abgeriebenes  Bleiweiss  und 
kann  in  dieser  Form  sofort  zu  jedem  Anstriche  benutzt  werden;  es  überhebt 
daher  den  Anstreicher  und  alle  übrigen  Handwerker,  die  Bleiweiss  zu  gewerblichen 
Zwecken  gebrauchen,  der  Gefahr  der  Staubbildung  beim  Verreiben  auf  dem 
Reibstein,  durch  welches  in  den  Gewerben  sehr  viele  Bleikrankheiten  herbei- 
geführt werden. 

Um  die  Teigform  zu  erhalten,  braucht  das  Bleiweiss  nicht  getrocknet  zu 
werden;  nach  dem  Schlämmen  wird  es  im  halbtrocknen  Zustande  in  kleine  Tröge 
gebracht  und  mit  Lein-  und  Mohnöl  vermischt,  um  dann  zwischen  Cylindern  oder 
einem  Walzwerk  verrieben,  vermischt  und  in  die  geeignete  Form  gebracht  zu 
werden.  Das  Wasser  wird  durch  das  Oel  so  vollständig  aus  dem  Bleiweiss  aus- 
getrieben, wie  es  durch  das  Trocknen  nur  geschehen  kann.  Dies  Verfahren  hat 
daher  nicht  hoch  genug  zu  schätzende  Vortheile  und  macht  viele,  auch  bei  der 
grössten  Vorsicht  bedenkliche  Operationen  ganz  überflüssig,  von  denen  nament- 
lich das  Trocknen  und  das  Herausnehmen  des  Bleiweisses  aus  den  Töpfen  sowie 
das  Pulverisiren,  Sieben  und  Verpacken  in  Fässern  nochmals  hervorzuheben  sind. 
Man  hat  daher  allen  Grund,  dies  Verfahren  vom  sanitären  Standpuncte  aus  auf 
das  dringendste  zu  empfehlen  und  den  pecuniären  Vortheil  der  Fabricanten  nicht 
höher  als  das  Wohl  der  Arbeiter  zu  stellen. 


Bleiweiss-Industrie.  71  \ 

Es  gibt  in  den  verschiedenen  Fabriken  noch  sehr  mannigfache,  in  Kleinigkeiten 
abweichende  Methoden,  die  hier  nicht  erwähnt  werden  können;  die  aufgestellten  Ge- 
sichtspuncte  sind  jedoch  bei  allen  Bleiweissfabriken  massgebend  und  sollten  zum  Heil 
der  Arbeiter  immer  mehr  zur  Geltung  kommen. 

Das  französische  und  englische  Verfahren  hat  wegen  der  feuchten  Be- 
arbeitung weniger  sanitäre  Bedenken  und  erfordert  nur  Vorsicht  und  Reinlichkeit. 

Der  Boden  des  Fabrikraums  sollte  stets  cementirt  sein,  damit  man  ihn 
häufig  durch  Anfeuchten  reinigen  kann.  Man  mag  dem  Wasser  noch  etwas  Chlor- 
calcium  zusetzen,  umden  Boden  länger  feucht  zu  erhalten;  häufig  ist  der  überall 
abgelagerte  Bleiweissstaub  ebenso  schädlich  wie  der  sich  neu  bildende. 
Daher  ist  überhaupt  die  grösste  Reinlichkeit  geboten,  die  sich  auch  auf  die  Arbeiter 
erstrecken  soll;  sie  müssen  beim  Antritt  und  "Verlassen  der  Arbeit  die  Kleider 
wechseln,  wozu  ausserhalb  der  Fabrik  in  der  Wohnung  des  Thürhüters  ein  beson- 
derer Raum  herzustellen  ist.  Hier  ist  eine  Tafel  mit  den  besondern  Verhaltungsregeln 
aufzuhängen,  um  die  Arbeiter  mit  der  Giftigkeit  des  Stoffes,  seiner  Wirkung  und  den 
wichtigsten  Gesundheitsstörungen,  die  durch  Aufnahme  des  Bleies  entstehen,  bekannt 
zu  machen. 

Für  Arbeiter,  welche  die  Fabrik  nicht  verlassen,  muss  ein  besonderes 
Esszimmer  eingerichtet  werden.  Der  Genuss  von  Speisen  und  Getränken  in 
einem  der  Fabrikräume  ist  mit  der  grössten  Strenge  zu  verbieten;  auch  der 
Genuss  von  Branntwein,  das  Rauchen  und  Schnupfen  darf  nicht  stattfinden, 
da  diese  Genüsse  nach  der  Erfahrung  aller  Fabricanten  die  Entwicklung  der  Blei- 
Erkrankung  begünstigen.  Das  Tragen  von  Barten  ist  ebenso  sehr  abzurathen,  damit 
sich  der  Staub  nicht  in  den  Haaren  nahe  den  Athmungsöffnungen  ablagert. 

Unter  den  Präservativ-Mitteln  wird  der  reichliche  Genuss  von  Milch 
empfohlen;  der  Genuss  fettiger  Speisen  wird  in  allen  Werkstätten  mit 
metallischen  Giften  gerühmt;  Jodkalium  ist  als  Präservativ  nicht  anzurathen. 
Die  vielfach  missbrauchte  „Schwefelsäure-Limonade"  empfiehlt  sich  auf  die 
Dauer  gar  nicht,  obgleich  manche  Fabricanten  glauben,  genug  gethan  zu  haben, 
wenn  sie  diese  den  Arbeitern  reichlich  zur  Verfügung  stellen.  Weit  mehr  sind 
unterschwefligsaures  Natrium  innerlich  und  als  Mundwasser  sowie  kleine 
Gaben  von  Schwefel  in  Pastillenform  vorzuziehen,  die  jedenfalls  längere  Zeit 
ohne  Nachtheil  benutzt  werden  können,  obgleich  nie  zu  vergessen  ist,  dass  der 
höchste  Grad  der  Reinlichkeit  und  Verhütung  von  Bleiweissstaub  die  zuver- 
lässigsten Schutzmassregeln  sind.  Bade-Einrichtungen  dürfen  daher  niemals 
in  Bleiweissfabriken  fehlen;  regelmässige  Bäder  müssen  den  Arbeitern  mit  Strenge 
vorgeschrieben  sein;  auch  Ausspülen  des  Mundes  und  sorgfältiges  Waschen 
der  Hände  vor  jeder  Mahlzeit  ist  nie  zu  versäumen.  Ausserdem  ist  eine  be- 
ständige ärztliche  Beaufsichtigung  der  Bleiweissfabriken  geboten,  damit  der  erste 
Anfang  einer  Bleivergiftung  sogleich  zur  Behandlung  kommt;  auch  regelmässige 
Untersuchungen  der  Arbeiter,  namentlich  in  Bezug  auf  das  Zahnfleisch,  müssen 
vorgenommen  werden.  Arbeiter,  die  besonders  empfänglich  für  Bleikrankheiten 
sind,  müssen  entlassen  werden. 

Verwendung  des  Bleiweisses.  Im  Handel  kommt  fast  kein  Bleiweiss  vor,  das 
nicht  mit  Schwerspath  vermischt  ist.  Benutzt  wird  es  zur  Darstellung  von  weissen 
Lacken,  zum  Erschweren  der  ächten  Spitzen,  zum  Bleichen  der  Strohhüte 
und  ganz  besonders  zum  Anstrich.21)  Zuweilen  dient  es  auch  als  Flussmittel  beim 
Krystallglas ,  zum  Glasiren  und  zu  Schmelzfarben,  gar  nicht  selten  zum  Glätten  des 
Papiers,  namentlich  des  Kartenpapiers  zu  Visitenkarten,  Bei  der  Papierwäsche  ist 
es  durch  Blancfixe  verdrängt  worden22);  nur  in  Frankreich  ist  man  bemüht  gewesen, 
es  auch  beim  Anstrich  durch  Zinkweiss  zu  ersetzen.  Zum  Anreiben  des  Bleiweisses 
wird  fast  ausschliesslich  Lein-  und  Mohnölfirniss  benutzt;  die  Bleiweissölfarbe  hat  den 
Vorzug,  dass  sie  an  der  Luft  schnell  austrocknet.  Im  Grossen  vermischt  man  zuerst 
das  Bleiweiss  mit  Terpentinöl  oder  Harzessenz,  wenn  man  einen  ganz  weissen  Lack 
erzeugen  will,  und  setzt  dann  nachträglich  Leinöl  zu,  um  ein  Mahlen  folgen  zu  lassen; 
meist  reibt  man  dann  schliesslich  die  Farbe  noch  auf  dem  Reibstein  ab. 


712 


Blei. 


3)    Andere  in  der  Industrie  vorkommende  Bleiverbindungen. 


Bleiacetat,  Bleizucker,  Plnmbnm  aceticnm  Pb(C2H302)2  wird  im  Grossen  durch 
Auflösen  von  Bleiglätte  in  Essig  und  Krystallisirenlassen  dargestellt.  Das  Salz 
krystallisirt  mit  3  Molec.  Wasser.  Die  Arbeiter  haben  sich  hierbei  vor  der  Einwirkung 
des  Staubes  der  Glätte  zu  hüten.  Beim  Abschaufeln  der  Krystalle  müssen  sie  nicht 
wunde  Finger  mit  denselben  in  Berührung  bringen,  da  jede  Wunde  hierdurch  bedeu- 
tend gereizt  wird;  Fetteinreibungen  der  Hände  sind  auch  hier  zu  empfehlen. 
Der  Fussboden  der  Fabrik  muss  asphaltirt  sein,  damit  die  verschütteten  Laugen 
nicht  in  den  Boden  dringen.  Grösste  Reinlichkeit  muss  überall  herrschen;  vor  jeder 
Mahlzeit  müssen  sich  die  Arbeiter  die  Hände  waschen  und  überhaupt  die  bei  der  Blei- 
weissfabrication  erwähnten  Vorsichtsmassregeln  beobachten. 

Die  Mutterlauge  enthält  die  Verunreinigungen  der  Glätte,  namentlich  Kupfer, 
und  wird  in  der  Farbentechnik  benutzt. 

Verwendung  findet  der  Bleizucker  bei  der  Darstellung  von  essigsauren  Salzen, 
von  Tapetenfarben,  zu  Beizen  in  der  Färberei,  zum  Tränken  von  Feuerlunten  u.  s.  w 

Bleiessig,  Liqu.  Plumbi  subacetici,  Acetum  plumbicnm  Pb(C2H302)2  +  2PbO 
ist  schon  bei  der  Bleiweissfabrication  erwähnt  worden  und  wird  in  Laboratorien  aus 
Bleizucker,  Glätte  und  Wasser  dargestellt.  Er  dient  in  der  Färberei  zur  Darstellung 
von  Qrange  und  in  der  Kattundruckerei  in  Verbindung  mit  Bleioxyd  als  Mordante 
orange,  wenn  das  gefärbte  oder  gedruckte  Zeug  durch  Bäder  von  chromsaurem  Blei 
gezogen  wird. 

Bleinitrat  Pb(N03)2  wird  durch  Auflösen  von  Blei  in  verdünnter  Salpetersäure 
gewonnen  und  in  Druckereien  als  Beize  zur  Darstellung  gelber  und  orangerother 
Muster  auf  indigoblauen,  wollenen  Tischdecken  benutzt.  Indem  es  mit  Alaun  und  etwas 
Kochsalz  vermischt  in  Pappe  aufgedruckt  wird,  entwickelt  sich  Salpetersäure,  die 
auf  Indigo  einwirkend  die  gelb  färbende  Pikrinsäure  erzeugt.  Die  Waschwässer  sind 
bleihaltig.  Auch  bei  der  Anfertigung  des  falschen  Schildpatts  kommt  es  zur  Ver- 
wendung. 

Neapelgelb,  antimonsanres  Blei,  wird  durch  massiges  Glühen  von  Tart.  stib., 
Bleinitrat  und  Kochsalz  mit  nachfolgendem  Auslaugen  mittels  Wassers  dargestellt. 

Antimongelb  ist  ein  Gemenge  von  antimonsaurem  Blei  mit  basischem 
Chlorblei. 

Jodblei  PbJ2  wird  zum  Bedrucken  von  Stoffen  benutzt. 

Casselergelb  (Mineral-,  Pariser-,  Tariner-  oder  Veronesergelb)  ist  PbCl2 .  7PbO 
(Bleioxychlorid)  und  wird  aus  Bleiglätte  und  Salmiak  dargestellt. 

Pattinson'scbes    Bleiweiss    ist    Bleioxychlorid    PbCl2.PbO,    das   durch   Be- 
handeln einer  heissen  Lösung  von  Chlorblei  mit  Kalkwasser  erhalten  wird: 
2PbCl2  +  CaO  =  PbCl2.PbO  +  CaCl2. 

Bleicblorid,  Chlorblei  PbCl2  kommt  in  der  Natur  als  Hornblende  vor  und  wird 
im  Grossen  durch  Schmelzen  von  10  Th.  Bleioxyd  mit  1  Th.  Salmiak  dargestellt,  wobei 
sich  nicht  unerhebliche  Mengen  von  Bleioxyd  und  Chlorblei  verflüchtigen,  die  sorg- 
fältig zu  condensiren  sind;  nimmt  man  Bleiglanz  statt  Glätte,  so  tritt  viel  Schwefel- 
wasserstoff auf. 

Bleisulfat  PbS04  bildet  sich  in  den  Färbereien  als  Nebeuproduct  bei  der  Dar- 
stellung von  essigsauren  Thonbeizen  aus  Bleiacetat  und  schwefelsaurer  Thonerde. 

Cyanblei  PbCy2  dient  zur  galvanischen  Verbleiung  von  Eisenblechen  und  kommt 
hier  in  Form  von  Kaliumbleicyanid  in  Anwendung. 

Schwefelblei  PbS  kommt  in  der  Natur  als  Blei  glänz  vor  und  wird  künstlich 
durch  Fällung  einer  Bleilösung  mit  Schwefelwasserstoff  dargestellt.  Es  wird  am 
häufigsten  zur  Darstellung  der  Töpferglasur  benutzt;  auch  als  Streusand  begegnet 
man  ihm. 

Rliodanblei  Pb(CNS)2  wird  durch  Versetzen  von  Bleiacetat  mit  einer  Lösung  von 
Rhodankalium  dargestellt  und  wie  Cyanblei  benutzt. 

Auf  den  tllierischen  Organismus  wirkt  es  nicht  giftig  ein.  Ein  Kaninchen  erhielt 
0,5  Grm.  davon;  erst  am  6.  Tage  verrieth  das  Thier  etwas  Unwohlsein,  legte  sich  häufig 
auf  den  Bauch  und  streckte  die  Hinterfüsse  aus,  wobei  sich  der  Herzschlag  etwas  ver- 
stärkt zeigte.  Nach  einigen  Stunden  wurde  es  wieder  munter  und  blieb  nach  einer 
längern  Beobachtung  ganz  gesund.  Wahrscheinlich  zersetzt  sich  die  Verbindung  und  es 
bleibt  unlösliches  Schwefelblei  zurück;  Rhodanblei  ist  somit  die  einzige  Blei  Ver- 
bindung, der  die  Wirkung  des  Bleies  auf  den  thierischen  Organismus  abgeht. 


Kupfer.  713 


Kupfer,  Cu. 

Kupfer  ist  seit  den  ältesten  Zeiten  bekannt  und  soll  der  Name:  Cuprum  von  der 
Insel  Cypern  herrühren,  welche  den  Griechen  und  Römern  das  meiste  Kupfer  lieferte. 
Es  kommt  gediegen  im  krystallisirten  Zustande  vor,  als  Oxydul  im  Rothkupfererz,  als 
basisches  Carbonat  im  Malachit,  als  Kupfersulfür  im  Kupferglanz,  gleichzeitig  mit  Eisen- 
sulfid im  Kupferkies  und  Buntkupfererz. 

Kupferschiefer  ist  ein  bituminöser  Mergelschiefer  und  die  Fahlerze  sind  Ver- 
bindungen des  Kupfers  mit  Schwefel,  Arsen  und  Antimon.  Atakamit  (Kupferoxyd  und 
Chlorkupfer)  aus  Chili  wird  in  England  verhüttet  und  kam  früher  häufig  in  Pulverform 
als  Arsenillo  nach  Europa  zum  Gebrauch  als  Streusand.  Wegen  seines  Arsengehalts 
ist  er  beachtungswerth. 

Das  Kupfer  ist  gelbroth,  zälie  und  sehr  dehnbar  und  überzieht  sich  an  feuchter 
Luft  mit  einer  grüneu  Schicht  (basisches  Kupfercarbonat,  Grünspan):  erst  bei  Hellroth- 
gluth  schmilzt  es.  Von  Säuren  wird  es  bei  gewöhnlicher  Temperatur  nur  beim  Zu- 
tritt der  Luft  angegriffen,  Salpetersäure  und  Königswasser  ausgenommen;  es  dürfen 
deshalb  Speisen,  welche  nicht  säurefrei  sind,  nie  längere  Zeit  in  kupfernen  Gefässen 
aufbewahrt  werden.  Von  Cyankalium  wird  Kupfer  unter  Wasserstoffentwicklung',  von- 
Salpetersäure  unter  Bildung  von  Stickoxyd  gelost  und  von  concentrirter 
Schwefelsäure  unter  Abgabe  von  schwefliger  Säure  in  Sulfat  übergeführt. 

Hüttenmännische  Gewinnung  von  Kupfer.  Die  Gewinnung  des  Kupfers  aus 
den  verschiedenen  Erzen  kann  auf  nassem  und  trocknem  Wege  geschehen. 
Das  Verfahren  hierbei  ist  aber  wiederum  verschieden,  je  nachdem  man  es  mit 
oxydirten  oder  geschwefelten  Erzen  zu  thun  hat.  Auf  dem  Continent 
werden  die  Processe  fast  überall  in  Schachtöfen,  in  England  aber  in  Flam- 
menöfen ausgeführt;  darnach  unterscheidet  man  wiederum  die  ältere  con- 
tinentale  und  die  neueste  englische  Methode. 

A.  Gewinnung    des   Kupfers    aus    oxydirten  Erzen.     Dieselbe   findet    selten 

statt,    da  diese  Kupfererze  fast  immer  zum  Niederschmelzen  der  geschwefelten 

Erze  benutzt  werden. 

Die  Gewinnung  beruht  in  einer  einfachen  Reduction  der  Erze  mit  Kohle  unter 
Zuschlag  von  reichen  Schlacken  und  Kalkstein;  es  geschieht  dies  in  niedrigen 
Schachtöfen  (Krumm Öfen),  die  mit  einem  Vorherd,  Tiegel  und  einem  kräftigen  Ge- 
bläse versehen  sind.  Nach  Wegnahme  der  Schlacke  wird  der  erstarrte  Metallkuchen  als 
Rosettenkupfer  in  den  Handel  gebracht  oder  in  Blöcken  (Blockkupfer)  ge- 
schmolzen. 

B.  Gewinnung  des  Kupfers    aus   den   geschwefelten  Erzen,    namentlich    aus 

Kupferkiesen.     1)  Die  Röstung  (Oxydation),    welche  nach  der  Handscheidung 

und    dem  Pochen    folgt,    bezweckt    neben    der  Entfernung   von   Antimon    und 

Arsen  die  Umwandlung  des  Schwefeleisens  in  Eisenoxyd. 

Seltner  geschieht  das  Rösten  in  Haufen  (Röststadeln),  meist  in  Schacht- 
oder Flammenöfen;  nur  beim  Kupferschiefer  sind  wegen  seines  Gehaltes  an  Bitumen 
geschlossene  Retortenöfen  nothwendig. 

2)  Das  Schmelzen  des  Röstgutes  heisst  das  Rohschmelzen  (Suluschmelzen) 
und  geschieht  in  niedrigen  Schachtöfen  (Sumpföfen)  unter  Zusatz  von  Kohle  und 
Zuschlägen  (Silicaten),  um  das  Eisenoxyd  in  den  geschmolzenen  Silicaten 
unter  Bildung  von  Schlacke  zu  lösen  und  vom  Kupfersulfid  zu  trennen,  welches 
mit  dem  metallischen  Kupfer  den  Roh-  oder  Kupferstein  bildet. 

Die  durch  das  Rösten  nicht  vollständig  ausgetriebenen  Arsen-  und  Antimon- 
verbindungen bilden  eine  Speise,  das  Königskupfer  (Arsenkönig),  welches  auf 
den  Boden  niedersinkt,  weil  es  schwerer  als  der  Ronstein  ist. 


714  Kupfer. 

3)  Das  Rösten  des  Kupfersteins  bezweckt  die  weitere  Ueberfübrung  des 
Scbwefelkupfers  in  metallisches  Kupfer. 

Durch  die  Oxydation  eines  Theils  des  Kupfers  zu  Oxyd  wird  der  andere  Theil 
des  Schwefelkupfers"  wieder  in  metallisches  Kupfer  unter  Entweichen  von  schwefliger 
Säure  vorwandelt: 

CuS  +  2CuO  =  SO;i  +  4Cu. 

4)  Die  Concentrationsarbeit.  Enthalten  die  Erze  viel  Bleiglauz,  Zinkbleude 
und  Fahlerz,  so  röstet  man  den  Kupferstein  nicht  vollständig  ab. 

Man  schmilzt  die  unvollkommen  geröstete  Masse  tvSpurrost)  in  einem  Schacht- 
ofen unter  Zusatz  von  Schlacken  zum  sogen.  Spurstein  (Concentrationssteiu  ),  der 
etwa  60%  Kupfer  enthalten  kann. 

5)  Durch  weitere  Oxydation  resp.  Röstung  erhält  man  aus  dem  Spur-  resp. 
Kupferstein  Sehwarzknpfer  i  Rohkupfer,  Gelbkupfer),  das  neben  70— 95 'i  Kupfer 
immer  noch  Eisen.  Arsen,  Antimon,  Silber,  Zinn  u.  s.  w.  enthält. 

6)  Das  Garmachen  ( Raffiniren )  auf  dem  Gar-  oder  Rosettenherde  be- 
zweckt die  Entfernung  der  fremden  Metalle  aus  dem  Schwarzkupfer,  um  das 
Garknpfer  zu  gewinnen. 

Es  wird  hierzu  ein  starkes  Gebläse  benutzt:  Schwefel  und  Arsen  entweichen  als 
schweflige  und  arsenige  Säure,  Antimon  als  Antimonoxyd.  Die  Schlacke 
(Garschlacke,  Garkrätze)  besteht  aus  Kupferoxyd,  Kieselsäure,  Eisen,  Blei  u.  s.w. 

Die  grossartigsten  Kupferwerke  sind  in  England,  namentlich  zu  Swansea,  Staf- 
fordshire  und  Liverpool.  Die  englische  Methode  ist  wegen  der  Bearbeitung  der 
verschiedenen  Erzsorten  sehr  cornplicirt,  obgleich  auch  ihr  die  oben  entwickelten  Ge- 
sichtspuncte  zu  Grunde  liegen/1} 

C.  Gewinnung  des  Kupfers  anf  nassem  Wege  l  Cenientation).  Auch  hierin  gibt 
es  verschiedene  Methoden,  die  jedoch  sämmtlich  dahin  streben,  aus  armen,  kupfer- 
kieshaltigen  Erzen,  die  wegen  der  grossen  Menge  von  Gangart  nicht  auf  trocknem 
Wege  verhüttet  werden  können,  Kupfervitriol  resp.  Kupfer  zu  gewinnen. 

Man  bringt  häufig  die  Erze  in  abwechselnden  Schichten  mit  Stroh  in  grosse 
Bottiche,  in  denen  sie  beständig  mit  Wasser  berieselt  werden:  sie  sind  wie  die 
Essigbilder  bei  der  Schnellessigfabrication  mit  einem  doppelten  Boden  versehen,  um 
dem  Sauerstoff  ungehinderten  Zutritt  zu  verschaffen. 

Die  abfliessenden  WTässer  werden  in  einen  grossen  Sumpf  mit  möglichst  undurch- 
lässigem Untergrunde  geleitet,  in  dem  sich  aller  Kupferschlamm  absetzt,  nachdem 
sie  durch  viele,  mit  Guss-  oder  altem  Schmiedeeisen  versehene  Cementgruben  geflossen 
sind.  Der  getrocknete  Kupferschlamm  wird  entweder  für  sich  geschmolzen  oder 
dem  Kupferstein  zugesetzt:  gesundheitliche  Nachtheile  treten  hierbei  nicht  auf,  wenn 
man  das  Eindringen  der  Flüssigkeiten  in  den  Boden  und  die  Verunreinigung  von  nahe 
gelegenen  Brunnen  verhütet.3) 

Sanitäre  Massregeln  bei  der  Verhüttung  des  Kupfers. 

Beim  Handscheiden  resp.  Pochen  entwickelt  sich  kein  gefährlicher  Staub,  da 
die  Erze  stets  nass  und  feucht  sind,  wenn  sie  aus  der  Grube  kommen. 

Beim  Schlämmen  sind  die  abfallenden  WTässer  wegen  ihres  Gehaltes  an 
feinen  Erztbeilchen,  an  Kupfer-  und  Eisensulfat,  sogar  unter  Umständen  an 
arseniger  Säure  sehr  zu  beachten,  so  dass  ihr  directer  Abfluss  in  kleine  Bäche, 
die  häuslichen  Zwecken  dienen,  niemals  zu  gestatten  ist.  Benutzt  man  stets 
dasselbe  Wasser  zum  Schlämmprocesse,  so  kann  es  so  reich  an  Kupfersulfat 
werden,  dass  sich  seine  Gewinnung  lohnt.3) 

Beim  Rösten  tritt  vorzugsweise  schweflige  Säure  auf,  während  die 
weissen  Dämpfe,  die  sich  wie  eine  grosse  Wolke  ablagern,  hauptsächlich  von 
Zink-,  Blei-  und  Arsendämpfen  herrühren;  in  England,  namentlich  in 
Cornwallis,  soll  sich  auch  Flusssäure  unter  diesen  Dämpfen  finden. 


Verhüttung  des  Kupfers.  7^5 

Der  sogen.  Knpferranch  hat  stets  zu  gerechten  Klagen  Anlass  gegeben,  da 
er  überall  nur  zu  deutliche  Sparen  hinterlässt  und  sich  als  ein  Feind  aller 
Vegetation  kund  gibt. 

Den  Gedanken,  die  metallischen  Dämpfe  durch  Wasserberieselang  niederzuschlagen 
hat  John  Vican  4)  bei  der  Kupferverhüttung  schon  vor  langen  Jahren  zu  verwirklichen 
gesucht,  indem  er  einen  lang  gestreckten,  horizontalen  Canal  herstellte,  welcher  durch 
Kaminern  unterbrochen  wird,  in  denen  ein  System  von  durchlöcherten  Röhren  beständig 
von  einem  hochstehenden  Reservoir  gespeist  wird;  sein  Ausgang  steht  mit  einer  kräf- 
tigen Esse  in  Verbindung.  Der  Canal  zieht  sich  durch  die  ganze  Hütte,  während 
sich_  die  Verdichtungskammern  zwischen  Hütte  und  Esse  befinden  und  durch 
verticale  Scheidewände  so  getheilt  werden,  dass  diese  wechseis  weise  vom  Deckoewölbe 
etwas  abstehen  und  in  jeden  Zwischenraum  der  Wasserregen  fällt.  Der  in  die  Esse 
tretende  Rauch  soll  fast  nur  schweflige  Säure  enthalten;  der  sich  im  Canal  ab- 
setzende Schlamm  ist  mit  schwefliger  Säure  und  Schwefelsäure  durchtränkt, 
die  sich  mit  den  Metallen  verbinden.  Aus  demselben  kann  mittels  metallischen  Eisens 
Cementkupfer  gewonnen  werden. 

Koch  und  Moldenhaver  haben  Kokstllürme  empfohlen,  in  denen  eine  Berieselung 
durch  Sodalösung  die  schweflige  Säure  binden  soll;  wo  mehr  Schwefelsäure 
auftritt,  z.B.  bei  Röstherden  mit  Gebläse,  empfiehlt  es  sich,  die  Koksthürme  mit  Kalk- 
steinen zu  füllen  und  diese  mit  Wasser  zu  berieseln.  Der  Versuch,  hier  die  schweflige 
Säure  für  die  Sc'kwefelsäure-Fabrication  zu  gewinnen,  ist  bereits  mit  Benutzung  der 
Oefen  von  Gerstenhö/er,  Stete/eld,  Perret  und  Hasenclever  (s.  S.  164  u.  693)  gemacht  worden.5) 

Beim  Ausziehen  des  gerösteten  Erzes  leiden  die  Arbeiter  sehr  von 
der  Einwirkung  der  Dämpfe,  die,  wie  schon  erwähnt  worden,  nach  der  Natur 
der  Erze  neben  der  schwefligen  Säure  Blei,  Zink,  Kupfer,  Arsen  und 
Antimon  enthalten  können.  Auch  ist  der  Erdstaub  sehr  heiss  und  glühend,  so 
dass  sie  zur  Verhütung  von  Augen  Verletzungen  Glimmerbrillen  tragen  müssen, 
während  die  metallischen  Dämpfe  Schutz  der  Respirationswege  gebieten. 

Dieselben  Vorsichtsmassregeln  sind  beim  Abkratzen  des  sogen.  Ofen- 
bruchs erforderlich,  das  zwar  selten  und  dann  nur  geschieht,  wenn  der  Ofen 
wegen  irgend  einer  Abnutzung  abkühlen  muss. 

Krankheiten,  welche  bei  der  Verhüttung  des  Kupfers  vorkommen,  weiden 
in  den  meisten  Fällen  weit  eher  durch  Blei,  Arsen  und  Antimon  als  durch 
Kupfer  hervorgerufen.  Das  Krankheitsbild  kann  sich  mannigfach  gestalten, 
je  nachdem  die  eine  oder  andere  Schädlichkeit  in  verschiedenem  Grade  eingewirkt 
hat;  es  ist  deshalb  unmöglich,  eine  Symptomatologie  der  Krankheiten,  welche  hier 
vorkommen  können,  erschöpfend  zu  entwerfen. 

Die  sogen.  Knpferkranklieit  beobachtet  man  mehr  bei  der  Bearbeitung  des 
Kupfers  und  seiner  Legirungen  als  beim  Hüttenprocess.  Bei  verschluckten 
Kupfermünzen,  welche  monatelang  im  Digestionsapparat  verbleiben,  hat  man  zwar 
manche  Störungen  der  Verdauung  (Erbrechen,  Magenkrampf,  Obstipation  abwech- 
selnd mit  Diarrhoe),  aber  keine  bleibende  Beschädigung  der  Gesundheit  wahr- 
genommen, da  die  Beschwerden  mit  der  Entfernung  der  Ursache  weichen. 

Bei  Hunden  erzeugt  bekanntlich  auch  sehr  fein  vertheiltes  Kupfer  (Limatura 
Cupri)  in  Gaben  von  3 — 15  Grm.  keine  Vergiftung.  Bei  Bandwurmcuren  werden  er- 
fahrungsgemäss  oft  grosse  Mengen  dieses  Arzneimittels  genommen. 

Die  „Kupferkrankheit",  welche  beim  Schmelzen  des  Kupfers  durch  die  Dämpfe 
und  bei  der  Verarbeitung  des  Kupfers  durch  den  Staub  entsteht,  indem  dadurch  dem 
Organismus  eine  Menge  Kupfertheilchen  zugeführt  werden,  kann  lange  Zeit  bestehen, 
ohne  dass  tiefere  Störungen  der  verschiedenen  Functionen  beobachtet  werden.  Das 
Gesicht,  die  Haare,  Augen  und  Zähne  können  dabei  allmählig  eine  grüne  oder 
gelbgrünliche  Färbung  annehmen,  selbst  im  Blut,  Urin,  in  der  Galle  und  im  Speichel 
lässt  sich  Kupfer  nachweisen,  wenn  die  Aufnahme  der  feinsten  Kupfertheilchen  lange 
Zeit  erfolgt.  Entzieht  man  solche  Personen  zeitig  den  schädlichen  Einflüssen,  so  werden 
die  Kupfertheilchen  wieder  ausgeschieden  und  die  Gesundheit  kann  vollständig  wieder 
hergestellt  werden.     Geschieht   dies    nicht,    so  kann  der  Verfall  des   Organismus  nicht 


716  Kupfer. 

ausbleiben,  da  Kupfer  kein  normaler  Bestandtheil  desselben  ist  und  schliesslich  durch 
die  Störungen  der  Verdauung  und  Blutbildung  Abmagerung,  Entkräftung,  Anämie, 
Gremüths Verstimmung,  Asthma  uud  hydropische  Erscheinungen  erzeugt  werden.  Bei 
zweckmässiger  Behandlung  und  beim  Fehlen  anderweitiger  Complieationen  ist  aber  selbst 
in  diesem  Zustande  noch  Heilung  möglich,  sollte  die  allgemeine  Erschöpfung  nicht  schon 
allzu  grosse  Fortschritte  gemacht  haben.6) 

Eine  solche  Kupferdyskrasie  soll  sich  besonders  dadurch  charakterisiren, 
dass  mau  am  Zahnfleisch  einen  purpurrothen  Saum  bemerkt,  welcher  bei  der 
Bleidyskrasie  bekanntlich  schiefergrau  ist.  Asthma  ist  nicht  dieser  Krankheit 
eigen thümlich;  ist  es  vorhaudeu,  so  wird  es  mit  hydropischen  Erscheinungen, 
speciell  mit  beginnendem  Hydrothorax,  als  den  schlimmsten  Folgen  des  aufge- 
nommeneu Metalls,  in  Verbindung  stehen. 

Man  hat  auch  eine  Kupferkolik  angenommen:  sie  soll  sich  bei  gastrischen 
Erscheinungen  (Uebelkeit,  Erbrechen,  Aufstossen,  Druck  im  Magen)  vorzugsweise  durch 
ziehende  Schmerzen  im  Leibe  und  Neigung  zu  Diarrhoe  charakterisiren  und  durch 
letztere  sich  namentlich  von  der  Bleikolik  unterscheiden.  Die  Schmerzen  sollen 
intermittiren,  nicht  fixirt  sein  und  nach  jedem  Anfall  derselben  soll  Durchfall  (20  bis 
30 mal  täglich)  eintreten  und  zwar  mit  Abgang  von  grünlichen,  mit  Blut  durchsetzten 
Massen.  Wenn  ferner  noch  Fieber,  quälender  Durst,  Unruhe,  Schlaflosigkeit  und  Angst- 
gefühl die  Differentialdiagnose  von  Bleikolik  begründen  sollen,  so  kann  man  trotzdem 
behaupten,  dass  solche  Wirkungen  nicht  im  Gebiete  des  metallischen  Kupfers 
liegen.  In  solchen  Fällen  wird  man  es  ganz  gewiss  mit  Kupfersalzen  oder  mit  der 
gleichzeitigen  Einwirkung  anderer  Metalle  zu  thun  haben. 

Ebensowenig  kann  von  Kupferlähmung  die  Rede  sein;  die  grosse  Verwirrung, 
welche  in  diesem  Gebiete  der  Toxikologie  herrscht,  rührt  von  ungenauen  Beobachtungen 
und  unzureichender  Unterscheidung  der  ätiologischen  Momente  her. 

Als  Antidot  gegen  metallisches  Kupfer  dürfte  Limatura  ferri  sehr  zu  empfehlen 
sein,  da  sie  als  feinstes  Eisenpulver  das  Kupfer  galvanisch  fällt  und  letzteres  auf  diese 
Weise  leichter  eliminirt  werden  kann. 

Von  der  giftigen  Wirkung  der  Kupfer  verbin  düngen  kann  hier  nicht 
weiter  die  Rede  sein,  da  diese  nicht  in  Abrede  zu  stellen  ist:  freilich  erzeugt  erfahrungs- 
gemäss  selbst  Kupfervitriol,  in  häutigen  Gaben  als  Emeticum  gereicht,  keinen  bleiben- 
den Nachtheil. 

Die  Kupferverhüttung  kann  somit  nur  durch  die  Menge  fremder  Metalle, 
welche  hier  stets  mit  dem  Kupfer  vereinigt  sind,  einen  nachteiligen  Einfluss  auf  die 
Arbeiter  ausüben. 

Kupferindustrie. 

Verwendung  und  Bearbeitung  des  metallischen  Kupfers.  Geräthe  von 
Kupfer  für  Haushaltungen  sind  niemals  zu  empfehlen;  Kochgeschirre 
von  Rothkupfer  in  Hospitälern  u.  s.  w.  erfordern  die  grösste  Aufmerksamkeit 
und  Reinlichkeit,  damit  nicht  Reste  von  Speisen  unter  Einwirkung  des  atmo- 
sphärischen Sauerstoffs  Oxydationsprocesse  hervorrufen. 

Kupferne  Kühlapparate  in  Branntweinbrennereien  geben  häufig  Anlass 
zu  Kupfergehalt  in  Spirituosen  Flüssigkeiten:  namentlich  befördern  die  Fuselöle  und 
ätherischen  Oele  sehr  leicht  die  Oxydation  des  Kupfers  Bekanntlich  sind  Oleum 
Cajeputi,  Menth,  pip.,  Melissae,  Tanaceti  u.  s  w.  fast  stets  kupf erhaltig*). 

Selbstverständlich  wirken  alle  Säuren  oxydirend  auf  Kupfer  ein,  selbst  Honig 
greift  bei  Gegenwart  von  atmosphärischer  Luft  Kupfer  an;  auch  sein  Gehalt  an 
organischen  Säuren  befördert  die  Oxydation  desselben.  Rohrzucker  besitzt  diese 
Eigenschaft  nicht  und  es  sind  deshalb  bei  der  Rohrzuckerfabrication  kupferne  Gefässe 
ohne  Gefahr  verwendbar.7) 

Durch  Walzen  stellt  man  die  Platten  und  Bleche,  durch  Ziehen  den  Kupfer- 
draht dar. 

Um  kupferne  Gegenstände  vor  der  Ein wirkung  des  atmosphärischen 
Sauerstoffs  zu  schützen,  überzieht  man  sie  mit  einer  fremden  Substanz.  Man  ge- 
braucht hierzu  fette  Firnisse  (von  Copal,  Terpentinöl  und  Leinölfirniss),  besonders 
aber  Ueberzüge  von  andern  Metallen. 

*)  Olivenöl  ist  das  beste  Reagens  auf  Kupfer  und  entzieht  namentlich  allen 
Branntweinen  den  Kupfergehalt  am  sichersten. 


Kupferindustrie.  717 

Das  Verzinnen  des  Knpfers  ist  eine  sehr  gebräuchliche  und  wichtige  Manipulation, 
bei  der  es  namentlich  auf  die  Reinheit  des  Zinns  ankommt  (s.  S.  665).  Bei  der  sogen, 
heissen  Verzinnung,  die  bei  Haushaltungs- Geschirren  vorgenommen  -wird,  werden 
Zinn  und  Salmiak  in  das  erhitzte  Gefäss  hineingeworfen,  nachdem  die  zu  verzinnende 
Fläche  vorher  mit  Schwefelsäure  gebeizt  und  mit  Sand  gescheuert  worden.  Durch  die 
Salmiakdämpfe  wird  die  Oxydation  des  Zinns  verhütet  und  das  etwa  vorhandene  unlös- 
liche Kupferoxyd  in  lösliches  Chlorkupfer  verwandelt.  Die  nasse  Verzinnung 
geschieht  auf  galvanischem  Wege.     Zum  Verzinken  dient  in  Salmiaklösung  erhitztes  Zink. 

Die  Versilberung  des  Knpfers  findet  meist  nach  der  französischen  Methode  statt, 
indem  man  die  Waare  zuerst  verzinnt,  dann  dünne  Silberplättchen  mit  Draht  darauf 
befestigt,  Kolophonium  und  Salmiak  dazwischen  streut  und  das  Ganze  bis  zum  Schmelzen 
des  Zinns  glüht.  Dies  Verfahren  ist  mehr  beim  Versilbern  von  Eisen  für  Pferde-  und 
Wagengeschirr  gebräuchlich  (s.  S.  682). 

Legirungen  des  Knpfers.  Unter  diesen  sind  1)  die  Legirungen  von  Kupfer 
und  Zink,  d.  h.  die  verschiedenen  Arten  von  Messing  für  die  Industrie  am  wich- 
tigsten. Sie  besitzen  Eigenschaften,  welche  von  denen  der  ursprünglichen  Metalle 
abweichen;  auch  erhält  man  nach  den  mannigfachen  Mischungs-Verhältnissen 
von  Kupfer  und  Zink  Legirungen  von  verschiedenen  Eigenschaften.  Hiermit 
hängt  ferner  der  verschiedene  Einfluss  der  Legirungen  auf  den  thierischen 
Organismus  zusammen,  wenn  sie  als  feiner  Metallstaub  eingeathmet  werden: 
Die  Leichtigkeit,  mit  der  sich  Messing  bearbeiten  lässt,  hat  die  Verwendung 
desselben  allmählig  zu  einem  grossartigen  Betriebe  gestaltet  und  eine  Messing- 
industrie geschaffen,  welche  besonders  in  den  Städten  Berlin,  Fürth,  Nürnberg, 
Pforzheim,  Lüdenscheid  und  Iserlohn  ihre  Stätten  hat. 

Durch  Berücksichtigung  der  wechselnden  Procentverhältnisse  gewinnt  man 
gleichzeitig  den  sichersten  Anhaltspunct  für  die  sanitäre  Beurtheilung  der 
beim  Schmelzen  und  Giessen  auftretenden  metallischen  Dämpfe. 

Unter  den  vielfachen  Arten  von  Messing  sind  hervorzuheben :  a)  der 
Rothmessing  oder  Rothgnss,  der  80  und  mehr  Procent  Kupfer,  aber  niemals 
weniger  davon  enthält.  Man  rechnet  hierher  den  Pinchbeck  (Tombak),  eine 
dunkelgoldfarbige  Legirung,  Orce'ide,  eine  dem  14karätigen  Golde  sehr  ähnliche 
und  zu  Ornamenten,  Beschlägen  u.  s.  w.  geeignete  Legirung,  den  eigentlichen 
Tombak  oder  Rothgnss,  eine  zu  den  meisten  Schmucksachen  benutzte  Legirung.*) 

Das  Bronzepulver  enthält  noch  etwas  mehr  Kupfer  als  Tombak;  für  helle 
Nuancen  nimmt  man  83  Th.  Kupfer  und  17  Th.  Zink,  für  rothe  90—94  Th.  Kupfer 
und  6 — 10  Th.  Zink,  für  Kupferroth  reines  Kupfer. 

Blattgold  erhält  man  durch  Ausschlagen  des  gewalzten  Messingblechs.  Schawine 
oder  Seh  ab  in  heisst  der  Abfall  der  Metallschlägerei,  der  als  Schawinebronze  bereits 
seit  1750  zuerst  in  Fürth  von  dem  Maurer  Andreas  Huber  fein  zerrieben,  als  Metallpulver 
verkauft  und  zur  Darstellung  der  Bronzefarben  verwendet  wurde. 

Zur  Herstellung  der  verschiedenen  Bronzefarben  durch  Anlauffarben  gehört 
das  Sieben  des  fein  geriebenen  Pulvers  und  das  Erhitzen  desselben  mit  Oel,  Talg  oder 


*)  Kleine  Luxusgegenstände,  z.B.  Knöpfe,  werden  aus  Blechen  dargestellt,  die 
oft  vorher  vergoldet  werden.  Obgleich  meist  die  galvanische  Vergoldung  üblich 
ist,  so  findet  doch  auch  noch  die  Feuervergoldung  mittels  Goldamalgams  statt,  die 
hier  in  sanitärer  Beziehung  zu  erwähnen  ist,  da  sie  grosse  Vorsicht  erfordert  (s.  Gold). 
Auch  die  heisse  Versilberung  wird  namentlich  in  Knopffabriken  noch  durch 
Auftragen  von  Silberamalgam  und  nachfolgendes  Abrauchen  des  Quecksilbers  aus- 
geführt (s.  S.  682). 

Oxydirte   Kn  öpfe   nennt   man   solche,    die   auf  galvanischem  Wege  mit  einem 
Bleiüberzuge  versehen  werden.     Auf  galvanischem  Wege  stellt  man  auch  die  Metallo- 
ehrome,  Niederschläge  mit  irisirenden  Farben,  dar. 


718  Kupfer. 

Paraffin*':  sie  haben  beim  Lackiren  in  der  Wachsleinwand-,  Tapeten- 
fabr ieatio n.  in  der  Buchbinderei,  Steindruckerei,  zum  Bronziren  von 
Gips,  bei  Metallguss  waaren  tu  s.  w.  eine  grOBsaiüge  Verwendung  gefunden. 

Der  Bronzestaab  ist  wegen  seines  geringem  Gehaltes  an  Zink  nicht  so  ge- 
fährlich wie  man  gewöhnlich  annimmt:  auch  die  Erfahrung  zeigt,  dass.  wenn  nichts 
anderes  als  der  Bronzestaub  auf  die  Arbeiter  einwirkt,  specifische  Krauk- 
heitsprocesse  nicht  so  leicht  entstehen:  immerhin  sind  aber  die  Arbeiter  vor  dem  Staube 
zu  schützen  und  es  sollte  namentlich  das  Reiben  und  Sieben  der  Bronze  nur  in 
geschlossenen  Apparaten  vorgenommen  werden,  denn  es  handelt  sich  stets  um  einen 
metallischen  Staub,  der  sich  unter  dem  Mikroskop  als  ein  Couvolut  der  feinsten  Blättchen 
darstellt.  Wird  aber  das  Zerkleinern,  wie  es  jetzt  häufig  geschieht,  mittels  einer  Kratz- 
bürste vorgenommen,  so  findet  man  mehr  eckig  geformte  Partikelchen,  die.  von  den 
Respirationswegen  aufgenommen,  jedenfalls  eine  grössere  Reizung  derselben  zu  erzeugen 
vermögen,  so  dass  bei  der  Beurtheilung  der  Schädlichkeit  des  Bronzestaubes  auch  seine 
Form  zu  berücksichtigen  ist.1 

Aerztliche  Revisionen  solcher  Fabriken  sowie  der  Arbeiter  sind  daher  stet>  ge- 
boten, um  Nachtheile  in  ihren  ersten  Anfängen  rechtzeitig  zu  beseitigen.  Neben 
Arbeitern,  die  bereits  weit  die  mittlere  Lebensdauer  überschritten  haben  und  sich  bei 
ihrer  Beschäftigung  leidlich  befunden  haben,  trifft  man  auch  solche  mit  kachektischem 
Aussehen,  die  vielfach  an  Störungen  der  Digestion  und  Blutbildung  leiden. 

Die  genauere  Beurtheilung  eines  jeden  concreten  Falles  muss  darüber  entscheiden, 
ob  die  Art  der  Beschäftigung  oder  andere  Einflüsse  nachtheilig  eingewirkt  haben:  es 
ist  höchst  schwierig,  die  mannigfaltigen  Ursachen,  die  in  solchen  Fabriken  zur  Geltung 
kommen,  für  alle  Fälle  von  vornherein  richtig  zu  beurtheilen.  Dies  geht  aus  der 
folgenden  Betrachtung  deutlich  hervor. 

Die  Application  der  Bronzefarhen  erfordert  nach  der  Natur  der  zu  bronziren- 
den  Gegenstände  noch  bestimmte  Vorbereitungen,  welche  ebenfalls  von  sanitärer 
Bedeutung  sind.  Dieselben  schliessen  eine  Procedur  ein,  welche  man  das  Lackiren 
nennt**);  dasselbe  erfordert  als  Hauptbediuguug.  dass  die  zu  lackireuden  Gegen- 
stände dem  Lack  resp.  den  Farben  eine  Fläche  darbieten,  auf  weicher  diese  Sub- 
stanzen festhaften  können. 

Zu  dem  Ende  muss  die  Oberfläche  der  Gegenstände  1)  rauh  gemacht  werden, 
was  bei  grobem  Metall.  ■/..  B.  beim  Eisenguss.  durch  Beizen  mittels  Säuren,  beim  Weiss- 
blech durch  Abbürsten  mit  Metallbürsten  geschieht: 

2)  es  wird  eine  Z  wischenschicht.  welche  bezüglich  des  zu  lackirenden  Gegen- 
standes und  des  Lackes  das  erforderliche  Bindungsvermögen  besitzt,  auf  die  verschie- 
denen Objecte  applicirt;  man  nennt  dies  das  Grundiren,  was  besonders  bei  Holz 
oder  Stein  mittels  Kreide,  Gips,  Mennige,  Bleiweiss,  Chromgelb  u.  .-.  w. 
geschieht. 

Bei  der  Benutzung  der  Bleiverbindungen  haben  die  Arbeiter  sich  ganz  be- 
sonders vor  dem  gefährlichen  Staube  zu  schützen:  die  Fälle  sind  nicht  selten,  dass  auf 
diese  Weise  bei  den  Lackirern  die  verschiedensten  Bleikrankheiten  herbei- 
geführt werden.9) 

Nach  dem  Grundiren  wird  die  Oberfläche  geglättet  und  polirt,  indem  man 
sie  mit  Bimstein,  Glaspapier  oder  Schachtelholz  "abschleift  und  zuletzt  mit  Trippel 
polirt,  wobei  wiederum  auf  die  Natur  des  sich  hier  bildenden  Staubes  die  grösste  Rück- 
sicht zu  nehmen  ist.***) 

3)  Bei  nicht  metallischen  Gegenständen   werden  die  Bronzefarben   aufgetragen 


*)  Anlauffarben,  die  violett,  orange,  goldgelb,  knpferroth  oder  grün  erscheinen, 
entstehen  durch  Erhitzen  des  Bronzepulvers:  sie  sind  stets  aus  Fettsubstanz,  Sauer- 
stoff und  Kupfer,  oder  aus  einer  Legirung  von  Kupfer  mit  Zink  zusammengesetzt: 
eigentlichen  Farbstoff  enthalten  sie  nie. 

**)  Unter  Lackiren  versteht  man  im  Allgemeinen  das  Ueberziehen  von  Holz-, 
Blech-  und  andern  Arbeiten  mit  Lackfirniss  (s.  t)ellaekfirnisse  S.  454);  derselbe  wird 
mit  einem  Pinsel  aufgetragen,  getrocknet  und  3 — -4 mal,  nach  Bedarf  wiederholt  auf- 
gestrichen:_  der  Ueberzug  wird  "mit  Bimst'in  abgerieben  I  Staubbildung)  und  dann  mit 
Stärke  poüi't. 

***)  Beim  Lackiren  von  Weissblech  findet  ein  Grundiren  besonders  statt,  wenn 
man  mit  Lackfarben  arbeiten  will  und  der  Metallglanz  nicht  durchgesehen  werden 
darf:  das  spätere  Abschleifen  des  Grundes  fällt  dann  weg. 


Kupferindustrie.  719 

und  zwar  entweder  mit  einem  schnell  trocknenden  Oel  oder  schon  mit  dem  Lackfirniss 
gemischt.  Nach  dem  Trocknen  findet  ein  abermaliges  Glätten  und  Poliren  statt, 
wobei  sich  wiederum  Staub,  aber  in  geringerm  Grade  entwickelt;  alsdann  wird  der 
eigentliche  Glanzfirniss  aufgetragen  und  zwar  in  einer  sehr  dünnen  Schicht,  welche 
aber  durch  wiederholtes  Auftragen  schliesslich  spiegelglänzend  wird. 

Der  Glanz-  oder  Goldfirniss  (s.  S.  868)  wird  nach  Bedürfniss  dargestellt,  je 
nachdem  man  bestimmte  Farbennüancen  erzielen  will. 

Beim  Metalllackiren,  z.  B.  beim  Lackiren  des  Gusseisens  zu  Ofen- 
verzierungen, geschieht  diese  Arbeit  theils  kalt,  theils  heiss.  Der  erste  Ueberzug  wird 
gewöhnlich  kalt  aufgetragen  und  dann  die  Waare  in  den  Lackirofen  gebracht,  in 
welchem  sich  noch  ein  gewisser  Theil  des  Harzlösungsmittels  verflüchtigt.  Hierauf  wird 
ein  neuer  Ueberzug  von  Firniss  auf  die  noch  erhitzte  Waare  applicirt:  sobald  derselbe 
so  weit  im  Ofen  eingetrocknet  ist,  dass  er  noch  klebt,  werden  behufs  Bronzirens  die 
Bronzefarben  mittels  eines  Pinsels  oder  Staubbeutels  aufgetragen. 

Dieser  Act  verdient  wegen  der  Staubbildung  jedenfalls  alle  Beachtung,  wenn 
es  sieh  auch  im  Allgemeinen  um  einen  hauptsächlich  aus  Kupfer  bestehenden  Staub 
handelt;  einige  Vorsicht  bei  der  Behandlung  der  Bronzefarben  kann  den  mit  dieser  Beschäf- 
tigung verbundenen  Uebelstand  bedeutend  mindern.  Diese  Procedur  sollte  nämlich  niemals 
in  dem  allgemeinen  Fabrikraum,  sondern  in  besondern,  nur  für  dieselbe  bestimmten 
Räumen  vorgenommen  werden,  um  nicht  die  ganze  Atmosphäre  mit  diesem  Staube  zu 
imprägnireu.  Eine  Ventilation  durch  Exhaustion  würde  hier  ganz  besonders  am  Platze 
sein  und  die  sanitären  Verhältnisse  der  Arbeiter  ganz  bedeutend  heben. 

Nach  dem  vollständigen  Austrocknen  im  Ofen  lässt  man  die  Waare 
erkalten  und  überzieht  sie  in  der  Regel  mit  einem  farblosen  Glanzfirniss,  wenn  man 
nicht  besondere  Farbennüancen  hervorrufen  will.  Den  Firniss  lässt  man  zuerst  an  der 
freien  Luft  und  zuletzt  im  Lackirofen  vollständig,  aber  langsam  austrocknen*). 

Die  Dämpfe,  welche  beim  Lackiren  auftreten,  sind  für  die  Arbeiter  und  die 
nächste  Umgebung  sehr  lästig  und  ausserdem  feuergefährlich,  jedoch  in  einem 
geringern  Grade  als  bei  den  eigentlichen  Lackirfabriken  für  Weissblech.  Immer- 
hin sind  die  Dämpfe  von  verdunstendem  Terpentin  oder  Harzlösungen  für  manche 
Arbeiter  sehr  belästigend  und  erzeugen  nicht  selten  heftige  Kopfschmerzen:  manche 
Arbeiter  werden  davon  in  einem  höhern  Grade  betroffen.  Jedenfalls  müssen  die  Trocken- 
öfen mit  den  zweckmässigen  Einrichtungen  zur  Ableitung  dieser  Dämpfe  in's  Freie  ver- 
sehen sein.  Zweifelsohne  bietet  dieser  Umstand  in  sanitärer  Beziehung  kein  ganz 
untergeordnetes  Moment  dar  und  zwar  um  so  eher,  als  jedenfalls  die  Reinheit  der  Luft 
dadurch  Abbruch  erleidet. 

b)  Gelbgnss  oder  gelber  Messing.  Die  verschiedene  Composition  der  Legirung 
richtet  sich  danach,  ob  man  es  zur  Verarbeitung  unter  Walze  und  Hammer,  zu  Schiffs- 
beschlägen oder  zum  Drahtziehen,  zum  Schmieden,  zum  Messingschlag-  oder  Hartloth 
( d.  h.  zum  Löthen  von  Schmiedeeisen,  Stahl  und  Kupfer)  benutzen  will.  Es  heisst  auch 
Mnntzmetall,  weil  es  im  Jahre  1432  durch  den  Engländer  Muntz  zuerst  dargestellt  und 
zum  Bekleiden  der  Schiffe  gebraucht  wurde:  es  enthält  gewöhnlich  4ß%  Zink  und  man 
kann  es  kalt  und  warm  walzen. 

c)  Weissmessing,  das  eigentliche  Messing,  hat  einen  durchschnittlichen  Ge- 
halt von  2,0%  Zink;  derselbe  kann  aber  zwischen  24 — 45^  wechseln.  Je  reiner  die  Grund- 
stoffe sind,  desto  grösser  ist  die  Weichheit  und  Zähigkeit  des  Messings  _( Tafel- 
messing) und  lässt  sich  stampfen,  walzen,  hämmern  und  in  Drähte  ziehen;  je  grösser 
der  Zinngehalt  ist,  desto  mehr  nähert  sich  die  Farbe  der  blassgelben  oder  silberweissen. 

Zur  Fabrication  von  Knöpfen,  Leuchtern,  Theekannen  u.  s.  w.  gebraucht  man  das 
Bathmetall  aus  55  Th.  Kupfer  und  45  Th.  Zink:  das  Knopfnietall  enthält  sogar  80  Th. 
Zink  und  20  Th.  Kupfer. 

Ein  geringer  Zusatz  von  Blei  gibt  dem  Metall  eine  grössere  Härte  (Guss-  und 
Drehmessing),  erfordert  aber  auch  beim  Guss  eine  grössere  Vorsicht. 


*)  Will  man  einen  glänzenden,  wässrigen  Ueberzug  hervorrufen,  so  wendet  man, 
um  eine  billige  Waare  darzustellen,  eine  Auflösung  von  Kaliharzseife  an  (s.  S.  470). 
Diese  Flüssigkeit  besitzt  die  Eigenschaft,  beim  Trocknen  _  einen  fest  haftenden,  glänzen- 
den Ueberzug  herzustellen,  welcher  aber  ziemlich  löslich  in  Wasser  ist.  Bei  den 
meisten  gefärbten  Spielsachen,  besonders  bei  den  aus  Holz  dargestellten,  kommt 
diese  Harzseife  als  Bindungs-  und  Glanzmittel  zur  Verwendung:  da  wegen  ihrer 
leichten  Löslichkeit  auch  die  giftigen  Farben  blossgelegt  und  abgewaschen  werden, 
so  gewährt  dieser  Firniss  nicht  die  geringste  Sicherheit  vor  der  Einwirkung  der 
Gifte.  Ein  besserer  Ueberzug  würde  eine  Lösung  von  Ca  sein  in  Borax  sein,  welcher 
aber  theurer  ist  und  deshalb  vermieden  wird. 


720  Kupfer. 

Fabrieation  von  Messing.  Die  älteste  Methode,  die  chinesische,  bestand 
darin,  dass  man  Kupfer-  und  Zinkerze  in  Schachtöfen  zusammenreducirte;  das 
fabricirte  Messing  führte  im  Handel  den  Namen  Pakfong.  Erst  gegen  Ende  des 
vorigen  Jahrhunderts  fing  man  an,  metallisches  Zink  und  Kupfer  in  den  sogen. 
Messingöfen  zu  schmelzen;  diese  sind  gewöhnlich  eiförmig,  5  Fuss  hoch  und 
3 — 3%  Fuss  breit.  Die  Schmelztiegel  stehen  auf  einem  gemauerten  und  durch- 
brochenen Gewölbe,  durch  dessen  Oeffuung  die  Flamme  durchschlägt;  bei  gross- 
artigem Betriebe  fassen  die  häufig  aus  Graphit  gefertigten  Tiegel  30 — 40  Pfund 
Legirung. 

Zink,  Kupfer  und  Kohlenstaub  müssen  in  wechselnden  Schichten 
eingetragen  werden.  Trotz  der  Kohlendecke  verbrennt  Zink  während  des 
Schmelzens  mit  weissbläulicher  Flamme  zu  Zinkoxyd;  der  Zinkverlust  beträgt 
durchschnittlich   wenigstens  3  %,    was   in    sanitärer  Beziehung  besonders   zu 

beachten  ist. 

Die  Messingöfen  gleichen  in  Iserlohn  Kaminen,  welche  vorn  mit  Thüren  zu  ver- 
schliessen  sind  und  deren  oberer  Theil  von  einem  6  Fuss  hohen  Blechmantel  ge- 
bildet wird.  Nach  C.  Bischoff10)  soll  sich  der  grösste  Theil  des  Zinkoxyds  schon  inner- 
halb des  Blechmantels  niederschlagen :  3  Fuss  über  dem  Blechmantel  betrug  die  mit 
Russ  gemischte  Menge  15%  und  nahm  bis  zur  Höhe  des  Schornsteins  immer  mehr  ab. 
Nur  in  einem  einzigen  Falle  enthielt  der  in  der  Nähe  der  Fabriken  auf  Pflanzen  nieder- 
geschlagene Staub  Spuren  von  Zinkoxyd.  Schädliche  Einwirkungen  auf  die  nächste 
Umgebung  könnten  hiernach  nur  auf  den  Russ  geschoben  werden;  dieser  Russ  wird 
zweifelsohne  stets  zinkoxydhaltig  und  daher  in  sanitätspolizeilicher  Beziehung  zu  beachten 
sein.  Abgesehen  davon,  dass  der  beim  Reinigen  solcher  Essen  gewonnene  Russ  nicht  an 
jedem  beliebigen  Platze  abgelagert  werden  darf,  sollte  ganz  besonders  auf  die  Höhe 
der  Schlote  mehr  Rücksicht  genommen  werden,  welche  in  den  meisten  Fällen  viel  zu 
niedrig  und  daher  ohne  Wirkung  sind.  Ausserdem  ist  zu  verhüten,  dass  sich  die 
Arbeiter  nicht  unnöthiger  Weise  den  metallischen  Dämpfen  aussetzen,  was  häufig  in  der 
Weise  geschieht,  dass  sie  die  Tiegel  mit  der  Schmelze  vor  sich  auf  den  Boden  stellen, 
mit  Stäben  letztere  einstossen  und  die  emporsteigenden  warmen  Dämpfe  in  grosser  Menge 
einathmen,  anstatt  dies  Geschäft  unter  einem  gut  ziehenden  Schlote  vorzunehmen.*) 

Was  die  Schädlichkeit  der  Zinkdämpfe  für  die  Arbeiter  anbetrifft,  so  ist  Bischoff 
der  Ansicht,  dass  dieselben  nicht  hiervon  afficirt  würden,  selbst  wenn  sie  sich  in  einer 
dicken  Wolke  von  Zinkdämpfen  befänden. 

Nach  allen  vorliegenden  Erfahrungen  kann  aber  nicht  bestritten  werden,  dass  um 
so  eher  Gesundheitsstörungen  eintreten  werden,  je  mehr  Messingdämpfe  auftreten.  Auch 
ist  zu  berücksichtigen,  dass  in  kleinern  Fabriken  häufig  altes  Messing  und  die  ver- 
schiedensten Abfälle  von  ungewisser  Zusammensetzung  benutzt  werden. 

Ferner  ist  es  eine  unbestrittene  Erfahrung,  dass  bei  Messinggiessern  häufig  eine 
Krankheit  auftritt,  welche  als  eine  Folge  der  einwirkenden  Zinkdämpfe  betrachtet  und 
deshalb  Zinkfieber  genannt  wird.  Mit  mehr  Recht  verdient  die  Krankheit  den  Namen 
Messingfieber,  denn  es  ist  sehr  zu  betonen,  dass  dies  charakteristische  Leiden  nur  bei 
den  Giessern  vorkommt,  welche  sich  mit  dem  Messingguss  beschäftigen;  die  reinen 
Zinkdämpfe  erzeugen  zwar  ein  in  mancher  Beziehung  ähnliches  Leiden  (s.  S.  690), 
dieses  beginnt  aber  nie  mit  dem  eigenthümlichen  Frostanfall,  welcher  das  Messing- 
fieber kennzeichnet. 

Einige  Modificationen  abgerechnet,  hat  man  das  Messingfieber  in  Deutschland, 
Frankreich  und  England  unter  fast  gleichen  Erscheinungen  beobachtet.  Greenhow11)  sah 
die  Krankheit  bei  den  Arbeitern  in  Birmingham,  Wolverhampton  und  Sheffield;  Verf. 
hatte  oft  Gelegenheit,  die  Krankheit  in  einer  grossen  Gefangenanstalt  zu  beobachten.  Die 
Anfälle  treten  meist  gegen  Abend  oder  Nachmittags  ein,  wenn  die  Arbeiter  sich  den 
Tag  über  mit  Giessen  beschäftigt  haben:  Druck  in  den  Hypochondrien,  Widerwillen 
gegen  Essen,  Uebelkeit  oder  auch  Erbrechen  bezeichnen  den  Anfang  dieses  Leidens. 
Seltner  sind  kolikartige  Schmerzen  und  reissende  Zahnschmerzen:  häufiger  tritt  dagegen 
ein  fixer  Kopfschmerz  in  der  Schläfengegend  ein,  zu  welchem  sich  ein  Gefühl  von 
allgemeiner  Zerschlagenheit  mit  Gliederschmerzen  hinzugesellt.  Das  Frösteln  zeigt  sich 
zuerst  unter  der  Form  von  Horripilationen  zwischen  den  Schulterblättern  mit  leichtem 
Zittern,  steigert  sich  aber  immer  mehr  zu  einem  heftigen  Frostanfall  wie  im  Kältestadium 

*)  Zur  Hervorrufung  eines  kräftigen  Zuges  könnte  die  Einrichtung  der  auf  S.  665 
von  D'Arcet  angegebenen  Anlage  ähnlich  sein. 


Kupferindustrie.  721 

der  Intermittens.  Der  Frost  kann  1,  2,  selbst  3  Stunden  lang  anhalten,  in  der  Regel 
dauert  er  aber  20—30  Minuten;  hierauf  folgt  ein  nicht  stark  ausgeprägtes  Hitzestadium, 
welches  alsbald  in  einen  profusen  Schweiss  übergeht,  wobei  sich  der  Körper  sehr 
heiss  anfühlt.  Am  andern  Morgen  sind  alle  beunruhigenden  Symptome  verschwunden 
und  der  Kranke  fühlt  nur  eine  Mattigkeit,  die  ihn  aber  selten  hindert,  seine  Arbeit 
wieder  aufzunehmen.  Nicht  immer  zeigt  sich  ein  anfangs  trockner,  kiteelnder  Husten, 
welcher  sich  später  mit  einem  Auswurf  von  zähem  Schleim  verbindet.  Der  ganze 
Krankheitsanfall  ist  zwar  kurz,  kann  sich  aber  oft  wiederholen,  bei  manchen  Arbeitern 
sogar  im  Verlaufe  von  einigen  Wochen. 

Bei  trübem  Wetter,  wenn  der  Abzug  der  Dämpfe  gehindert  ist,  oder  wenn  un- 
günstige Winde  ihn  in  den  Fabrikraum  zurücktreten  lassen,  zeigt  sich  natürlich  die 
Krankheit  häufiger:  auch  hat  man  die  Beobachtung  gemacht,  dass  Arbeiter,  die  sich 
nur  zeitweilig  in  der  Giesserei  aufhalten,  leichter  von  der  Krankheit  befallen  werden 
als  alte  Giesser,  welche  beständig  mit  dem  Messingguss  beschäftigt  sind.  Excesse  in 
der  Lebensweise  oder  auch  eine  bestimmte  Krankheitsanlage  begünstigen  die  Disposition 
zur  Krankheit. 

Die  kleinen  Modifikationen  mögen  von  dem  grössern  oder  geringern  Gehalte  an 
Zink  in  der  Leginmg  und  von  der  Beimischung  anderer  metallischer  Dämpfe  herrühren. 
Bekanntlich  ist  Arsen  ein  steter  Begleiter  von  Zink  und  ist  es  nicht  bloss  möglich, 
sondern  wahrscheinlich,  dass  in  gewissen  Fällen  das  Krankheitsbild  durch  die  bei- 
gemengten arsenikalischen  Dämpfe  Veränderungen  erleiden  kann;  bedeutend  kann 
aber  die  Menge  derselben  schon  aus  dem  Grunde  nicht  sein,  weil  sonst  die  Restitution 
nicht  so  bald  erfolgen  würde. 

In  sanitärer  Beziehung  wird  es  sich  sehr  empfehlen,  beim  Einschmelzen 
von  alten  Metalllegirungen.  deren  Compositum  unbekannt  ist,  durch  Zusatz  von 
leicht  schmelzenden  Silicaten,  Fluoriden  oder  Boraten  eine  leichtflüssige 
Schlacke  zu  erzeugen,  um  die  metallischen  Dämpfe  möglichst  aufzunehmen.  Die 
abfallenden  Schlacken  können*  sehr  gut  bei  der  Glasfabrication  verwendet  werden 
und  eine  Entschädigung  für  diesen  Zusatz  liefern;  man  würde  also  durch  diese 
sanitäre  Massregel  auch  dem  kaufmännischen  Interesse  nicht  in  nachtheiliger 
Weise  zu  nahe  treten. 

Immerhin  wird  das  Hauptgewicht  auf  ein  luftiges,  mit  zweckmässigen 
Einrichtungen  für  das  Abziehen  des  Rauches  versehenes  Local  zu  legen  sein,  da 
es  ausser  Frage  gestellt  ist,  dass  die  Krankheit  um  so  gewisser  auftritt,  je  enger 
das  Arbeitslocal  ist,  je  mehr  es  sich  mit  den  Messingdämpfen  anhäuft  und  je 
weniger  für  eine  Ventilation  gesorgt  wird.  Es  ist  höchst  tadelnswerth,  wie  sehr 
man  bei  dieser  Industrie  noch  alle  sanitären  Vorsichtsmassregeln  vernachlässigt 
und  die  Arbeiter  diesen  schädlichen  Dämpfen  preisgibt. 

In  Zinkhütten  kann  die  Krankheit  schon  deshalb  nicht  auftreten,  weil  in 
dem  zu  verarbeitenden  Metalle  verhältnissmässig  sehr  wenig  Kupfer  enthalten  ist 
und  nach  allen  vorliegenden  Erfahrungen  nur  die  Dämpfe  der  Legirung  von 
Zink  und  Kupfer,  welche  das  eigentliche  Messing  darstellt,  als  die  wirkliche 
Krankheitsursache  beschuldigt  werden  können. 

Das  Giessen  der  Metalle  in  Formen.  Es  ist  hier  der  geeignetste  Ort,  über_  das 
Giessen  der  Metalle  eine  allgemeine  Uebersicht  zu  liefern,  zumal  Messing, 
Bronze,  Neusilber,  Zink,  Blei,  Zinnlegirungen  ausser  dem  Gusseisen,  Silber 
und  Gold  am  meisten  zum  Giessen  benutzt  werden. 

Das  Material  für  die  (russfornien.  d.  h.  für  den  hohlen,  auszufüllenden  Raum,  be- 
steht bei  eisernen  Gegenständen  aus  Sand  und  Lehm,  zuweilen  auch  aus  Eisen, 
bei  Messing.  Neusilber,  Bronze  ebenfalls  aus  Sand  und  Lehm,  bei  kleinen  Figuren 
und  Statuen  "von  Bronze  aus  Sand,  Lehm,  Gips,  Ziegelmehl,  beim  Giessen 
von  Glocken  aus  Lehm  oder  zuweilen  aus  Sand.  Für  leicht  schmelzbare  Metalle 
benutzt  man  Formen  von  Eisen,  Messing,  Blei,  Gips,  Sandstein,  Schiefer,  zuweilen 
auch  von  Holz.  Dabei  unterscheidet  man  bleibende  oder  feste  und  verlorene 
Formen:  letztere  müssen  für  jedes  Gussstück  neu  gemacht  werden. 

Die  (tussmodelle  bestehen  meist  aus  Holz,  bei  Kunstgiessereien  aus  Thon,  Lehm, 
Eulenberg,  Ge^verbe-Hygiene.  46 


722  Kupfer. 

Ziegelmehl  oder  zur  Darstellung  vieler  Gegenstände,  z.B.  von  Kugeln,  Töpfen,  Orna- 
menten, aus  Metall:  sie  i-tiinnien  mit  der  Gestalt  des  gewünschten  Gussstücks  möglichst 
aberein.  Vorzugsweise  gebraucht  man  Schalen-,  Sand-.  Kasten-  und  Lehmguss: 
die  Verschiedenheit  des  Verfahrens  hierbei  bietet  auch  verschiedene  sanitäre  Interessen  dar. 

Unter  Schalenzuss  (Poterie)  versteht  man  das  Giessen  von  Eisen  in  eisernen 
Formen.  Bei  allen  hohlen  Gegenständen  gebraucht  man  sogen.  Kerne,  durch  die  man 
im  Innern  des  Gussstückes  einen  leeren  Raum  zu  erhalten  sucht. 

Herd-  oder  Sandguss  nennt  man  das  Giessen  grösserer  Gegenstände  von  Guss- 
eisen in  offenen  Sandformen;  der  Sand  muss  so  viel  Thon  enthalten,  dass  er,  mit 
Wasser  angefeuchtet,  sich  ballen  lässt.  Auf  dem  Boden  der  Fabrik  bildet  man  entweder 
in  dieser  sogen.  Masse  oder  in  nassem  Sande  durch  Eindrücken  des  Modells  die 
Formhöhlung. 

Die  Anfertigung  der  Formen  für  offenen  Guss  nach  einem  gegebenen  Modell 
gehört  zu  den  schwierigsten  Geschäften  beim  Giessen :  man  stellt  auf  diese  Weise  vor- 
zugsweise eiserne  Platten,  Roste  für  Kellerlöcher,  Gitter,  Gewichte,  Ambosse,  schwere 
Hämmer  u.  s.  w.  dar. 

Zum  Kasten^uss  sind  Formkasten  oder  Laden  erforderlich,  die  mit  Sand  gefüllt 
werden  und  aus  zwei  aufeinanderliegenden  Rahmen  bestehen.  Man  drückt  das  Modell 
bis  zur  Hälfte  in  den  Sand  des  untern  Rahmens,  setzt  den  zweiten  Rahmen  darauf  und 
füllt  auch  diesen  mit  Sand:  dann  hebt  man  vorsichtig  den  obern  Rahmen  ab,  nimmt 
das  Modell  weg  und  fügt  die  Rahmen,  deren  Construction  das  Herausfallen  des  Sandes 
beim  Aufheben  verhütet,  wieder  zusammen.  Die  erforderlichen  Gussöffnungen  werden 
meist  im  Sande  des  obern  Kastens  angebracht,  indem  man  hölzerne  Pflöcke  aufsetzt, 
welche  man,  nachdem  der  Kasten  mit  Sand  ausgefüllt  ist,  wieder  herauszieht.  Wind- 
löcher erzeugt  man  auf  dieselbe  Weise  für  das  Austreten  der  Luft  (s.  Eisengiesserei). 

Beim  Formen  von  massiven  Gegenständen  in  Sand  müssen  die  Wände 
der  Formhöhle  vor  dem  Gusse  mit  dem  Scheidungspulver  (feinem  Sande, 
Kohle,  Russ  oder  Stärkemehl)  stets  sorgfältig  bestreut  werden,  damit  das  Metall 
nicht  an  der  Formmasse  kleben  bleibt. 

In  den  Eisengiessereien  stellt  man  in  Kasten  die  conischen  Räder,  Schrauben- 
spindeln, Eisenbahnräder,  in  der  Messing-  oder  Bronzegiesserei  die  Büsten, 
Statuen  u.  s.  w.  dar.  Zum  Guss  von  Polsternägeln  benutzt  man  eine  sehr  sinn- 
reiche Form,  desgleichen  für  den  Guss  der  Fingerhüte. 

Zum  Formen  von  Gas-  und  Wasserleitungsröhren  verwendet  man  ein 
zinnernes,  eisernes  oder  messingenes  Modell. 

Lehmformen  werden  durch  Modelliren  oder  Streichen  mit  einer  Schablone 
dargestellt.  Alle  Lehmformen  müssen  vorsichtig  getrocknet  oder  auch  zuweilen  hart 
gebrannt  werden  und  zwar  mit  Kohlenfeuer  in  besondern  Trockenkammern.  Die 
Lehmformen  für  Geschütz-  und  Glockenguss  werden  mit  Pferdemist  und  Kuhhaaren 
vermischt:  gelangt  das  geschmolzene  Metall  in  die  Form,  dann  entwickeln  sich  höchst 
übelriechende  und  nicht  ganz  indifferente  Gase  und  Dämpfe.  Man  unter- 
scheidet bei  Lehmformen  den  Kern,  den  Mantel  und  das  Modell. 

Was  die  Apparate  zum  Schmelzen  der  Metalle  betrifft,  so  bedient  man  sich  zum 
Schmelzen  von  Zink,  Messing,  Neusilber  und  Bronze  der  Tiegel,  zum  Schmelzen  von 
Eisen  der  Schmelzöfen,  zum  Schmelzen  der  leicht  schmelzbaren  Metalle  (Blei,  Zinn, 
Schriftmetall),  eiserner  Löffel  und  Töpfe. 

Flammenöfen  benutzt  man  zum  Gusse  von  Kanonen,  von  Bildsäulen  und 
Thurmglocken  von  Bronze;  sie  sind  wie  die  ReverberirÖfen  construirt.  Der  Schacht- 
oder Kupolöfen  bedient  man  sich  zum  Schmelzen  von  Gusseisen  (s.  Eisengiesserei). 

In  sanitärer  Beziehung  ist  zu  bemerken,  dass  die  Giesser  von  dem 
starken  Staube  bei  der  Darstellung  der  Gussformen  sehr  viel  leiden.  Der 
traurige  Zustand  derselben  veranlasste  schon  vor  20  Jahren  die  französische 
Regierung,  eine  Commission  zu  berufen,  welche  die  nähern  Verhältnisse  zu 
prüfen  hatte;  Tardieu  hat  als  Berichterstatter  vorzugsweise  die  Werkstätten  von 
Kupfer-  und  Bronzegiessern  geschildert.12) 

Die  Arbeiter  litten  an  Asthma,  Brustkatarrh  und  allen  möglichen  Brust- 
affectionen;  selbst  ein  Fabricant  sah  sich  zu  folgendem  Geständniss  genöthigt: 
„dans  notre  profession  nous  sommes  tous  un  peu  poussif!^  Die  meisten  Arbeiter 
klagten  zwar  nicht  über  bestimmte  Krankheiten,  aber  die  schweren  Leiden  offen- 
barten sich  um  so  sicherer  nach  Verlauf  einiger  Jahre. 

Höchstens  vergehen  10  Jahre  nach  dem  Eintritt  in  diese  Arbeit,  bis  sich 


Kupferindustrie.  723 

die  Wirkung  derselben  geltend  macht,  und  grade  in  diesem  Umstände  liegt  das 
Verderbliche  aller  Staubatmosphären.  Weil  der  schädliche  Einfluss  nicht 
sofort  in  die  Erscheinung  tritt,  wird  er  auch  von  den  Arbeitern  wenig  beachtet; 
erst  muss  das  Leiden  einen  gewissen  Höhepunct  erreicht  haben,  ehe  die  Arbeiter 
und  Fabricanten  an  die  Gefährlichkeit  der  verschiedenen  Staubarten  denken.  Mit 
einer  einfachen  Brustbeklemmung  beginnend,  schreitet  das  Uebel  unaufhaltsam 
weiter,  namentlich  wenn  noch  eine  ungeregelte  Lebensweise  oder  Uebermass  von 
Spirituosen  hinzutreten,  bis  schliesslich  jede  geringe  Bewegung  die  Kurzathmig- 
keit  im  höchsten  Grade  steigert;  die  Athmungsnoth  hält  an  und  unter  grosser 
Abmagerung  und  heftigen  Beschwerden  schreitet  die  Krankheit  ihrem  letalen 
Ausgange  entgegen. 

Nach  den  von  Tardieu  mitgetheilten  Krankheitsfällen  hat  die  Krankheit 
der  Giesser  die  grösste  Aehnlichkeit  mit  der  Anthracosis  pulmonum  der 
Kohlenbergarbeiter.  Es  ist  daher  auch  die  Annahme  gerechtfertigt,  dass  es 
weniger  der  Sand  als  der  Kohlenstaub  ist,  welcher  die  Hauptursache  der  ver- 
schiedenen Brustaffectionen  ist.  Tardieu  räth  deshalb  in  präservativer  Beziehung 
an,  Stärkemehl  stets  an  Stelle  der  Kohle  als  Streupulver  zu  benutzen;  in  allen 
Etablissements,  wo  dasselbe  eingeführt  worden  sei,  habe  sich  ein  bedeutender 
Nachlass  der  Brustaffectionen  gezeigt.  Ausserdem  muss  jedoch  eine  zweckdienliche 
Ventilation  der  Fabrikräume  hinzukommen,  damit  die  Ausbreitung  der  metallischen 
Dämpfe  in  denselben  verhütet  wird. 

Der  Kohlenstaub  ist  nur  die  eine  nachtheilige  Seite  dieses  Gewerbes,  hinzu 
gesellen  sich  meist  noch  die  metallischen  Dämpfe,  die  nach  der  verschiedenen 
Darstellung  der  Legirungen  variiren  und  daher  auch  verschiedene  Krankheits- 
processe  zu  erzeugen  vermögen,  unter  denen  sich  das  „ Messing fieber"  durch  die 
auffallendsten  Erscheinungen  kundgibt,  während  die  Blei-,  Arsen-,  Antimon- 
dämpfe u.  s.  w.  meist  nur  schleichend  den  Organismus  zerrütten;  so  figuriren 
Giesser  in  den  Morbiditätslisten  nicht  selten  als  mit  Saturnismus  behaftet. 
Die  öffentliche  Gesundheitspflege  hat  daher  die  doppelte  Aufgabe,  in  allen 
Giessereien  für  die  Beseitigung  resp.  Condensation  der  metallischen 
Dämpfe  Sorge  zu  tragen  und  auch  das  Auftreten  des  Kohlenstaubes  so 
viel  als  möglich  zu  verhüten. 

Beizen  und  Gelbbrennen  des  Messings.  Der  Guss  erfordert  noch  mehrere 
Manipulationen,  um  der  Waare  das  gehörige  Ansehen  zu  geben  oder,  wie  bei 
Bronze-  und  Messingwaaren,  eine  andere  Färbung  zu  verschaffen.  Das 
Verfahren,  welches  bei  Bronzewaaren  zur  Anwendung  kommt,  unterscheidet 
sich  von  dem  bei  Messingwaaren  nur  darin,  dass  man  hierbei  noch  bisweilen 
essigsaure  und  salzsaure  Dämpfe  einwirken  lässt  oder  kleinere  Gegenstände 
mit  Sauerwasser  u.  s.  w.  behandelt,  um  die  Antik -Bronze  oder  Patina  zu 
imitiren. 

Beim  Beizen  veranlassen  die  hierzu  erforderlichen  Mineralsäuren  die  Entwicklung 
schädlicher  Dämpfe;  namentlich  tritt  hier  bei  der  Verwendung  der  Salpetersäure 
eine  grosse  Menge  salpetriger  und  Untersalpetersäure  auf,  die  durch  kraftig 
ziehende  Schlote  aus  dem  Beizlocale  entfernt  werden  müssen.  Diese  Beizlocale  oder 
Beizhänser  zerstören  wegen  dieser  ihnen  entströmenden  Dämpfe  leicht  die  gesammte 
Vegetation  der  nächsten  Umgebung;  es  ist  daher  ihre  Anlage  und  Situation  wohl  zu 
prüfen,  ehe  die  Concession  zum  Betriebe  ertheilt  wird.  Auch  ihre  innere  Einrichtung 
sollte  einer  sanitätspolizeilichen  Controle  unterliegen,  um  die  Arbeiter  durch  eine  kräf- 
tige Ventilation  vor  den  Gefahren,  welchen  sie  hier  ausgesetzt  sind,  so  viel  als  möglich 
zu  schützen. 

46* 


724  Kupfer. 

Man  unterscheidet  bei  den  verschiedenen  Proceduren  a)  das  Pökeln,  welches  die 
Beseitigung  des  vorhandenen  Kupferoxyds  bezweckt.  Die  ausgeglühten  Sachen  bringt  man 
noch  heiss  in  ein  Gemisch  von  Schwefelsäure  und  Wasser,  spült  sie  ab  und  taucht 
sie  dann  in  Salpetersäure,  bis  sie  gelb  und  blank  erscheinen:  häufig  gebraucht  man 
auch  sogleich  mit  Wasser  verdünnte  Salpetersäure. 

Der  Pökel  wird  allmählig  so  reich  au  Kupfer-  und  Zinksalzen .  dass  dieselben 
herauskrystallisiren  und  als  blauer  Vitriol  in  Färbereien  benutzt  werden.  Nicht  sehr 
concentrirten  Pökel  lässt  man  in  einigen  Gegenden  frei  abfliessen,  was  niemals  gestattet 
werden  sollte,  da  er  Brunnen  vergiften  und  alle  Vegetation  zerstören  kann:  stets  sollte 
man  das  Kupfer  aus  demselben  durch  metallisches  Zink  als  Cementkupfer  gewinnen. 
Der  Rückstand  kann  zu  Zinkvitriol  eingedampft  werden. 

b)  Das  Verbrennen.  Aus  dem  Pökel  kommen  die  Platten  in  die  Bl  ankbeize,  in 
welcher  sie  vorgebrannt  werden.  Sie  besteht  aus  Schwefelsäure,  Salpetersäure, 
etwas  Kochsalz  oder  Salzsäure;  bisweilen  setzt  man  auch  etwas  Urin,  stets  aber 
Russ  hinzu,  wodurch  die  Entwicklung  von  salpetriger  und  Untersalpetersäure 
ganz  bedeutend  vermehrt  wird:  Sägemehl,  Theer  oder  Schnupftabak  haben  dieselbe 
Wirkung. 

c)  Das  Sieden  oder  Mattiren.  Die  Mattbeize  wird  heiss  angewendet  und  besteht 
aus  Salpetersäure,  Schwefelsäure  und  in  Salpetersäure  gelöstem  Zink. 
Indem  sich  das  Metall  mit  einem  milchigen  Schaume  überzieht,  entwickelt  sich  wieder 
viel  salpetrige  Säure,  wobei  das  Metall  ein  graugelbes,  mattes  Ansehen  bekommt; 
wahrscheinlich  bildet  sich  auf  der  Oberfläche  des  Metalls  hierdurch  Kupferoxyd  mit 
vielem  Zinkoxyd  von  graugelblicher  bis  schwärzlicher  Farbe.  In  einigen  Fabriken  ge- 
braucht man  auch  Salpetersäure  mit  Wasser  oder  die  bereits  erwähnte  Mischung 
von  Salpetersäure,    Schwefelsäure  und  Kochsalz. 

d)  Das  Beizen  soll  die  dunkelgraugelbe  Oxydschicht  entfernen;  man  benutzt  zu 
dem  Ende  concentrirte  oder  nur  wenig  verdünnte  Salpetersäure. 

Das  Verfahren  ist  nur  in  grossen  Umrissen  angedeutet  worden,  um  den  Arzt  auf 
die  wichtigsten  Momente,  welche  hierbei  in  sanitärer  Beziehung  zur  Sprache  kommen, 
aufmerksam  zu  machen. 

Auch  die  salpetersauren  Dämpfe  gehören  zu  den  Giften,  welche  nicht 
sofort  ihre  deletäre  Wirkung  äussern,  aber  bei  stetiger  Einwirkung  sicher  den 
Organismus  zerrütten.13)  Es  kommt  daher  vorzüglich  darauf  an,  die  Beizgefässe  unter 
einem  Schlot  aufzustellen,  welcher  bei  einem  kräftigen  Zuge  die  Verbreitung  der 
Dämpfe  im  Fabrikraume  verhütet;  dabei  muss  der  Schlot  ausreichend  hoch  sein, 
damit  auch  die  Anwohner  nicht  von  diesen  schädlichen  Dämpfen  getroffen  werden. 
Der  bei  der  Weissblech -Verzinnung  empfohlene  Schlot  würde  auch  hier  den  Zweck 
am  vollkommensten  erreichen. 

2)  Bronzeartiges  Messing,  d.  li.  Legirungen  ans  Kupfer  und  Zink  mit  Bei- 
mengungen von  Zinn.  Hierher  gehört  der  französische  Tombak  für  Gewehr- 
beschläge, die  goldäbnliche  Bronze  zu  Schmucksachen  und  die  moderne 
Bronze  oder  Statuenbronze. 

Die  Gegenstände  bedecken  sich  mit  der  Zeit  mit  einer  grünen  Schicht  (Antik- 
bronze, Patina):  durch  Bildung  von  Schwefelkupfer  werden  sie  schwarz.  Die 
meiste  Bronze  ist  eine  Verbindung  von  Tombak  mit  2—3$  Zinn;  der  Zinkgehalt 
kann  zwischen  10$  und  82$  schwanken:  der  Bleigehalt  ist  häufig  zufällig  und  daher 
meist  sehr  gering;  ein  Gehalt  von  1  %  Blei  soll  die  Flüssigkeit  der  Legirung  befördern 
und  wird  deshalb  bisweilen  absichtlich  zugesetzt. 

Beim  Giessen  der  Statuen  ist  zu  bemerken,  dass  sich  während  des  eigentlichen 
Gusses  das  ganze  Giesshaus  mit  einem  zum  Husten  reizenden,  kratzenden,  weisslichen 
Rauch,  welcher  wesentlich  Zinkoxyd  enthält,  anfüllt  (s.  Zinkdämpfe).  Wenn  die  Form 
nicht  vollständig  trocken  gewesen  ist  und  das  glühende  Metall  mit  Wasserdämpfen  in 
Berührung  kommt,  können  auch  sehr  leicht  Explosionen  erfolgen. 

3)  Lagermetalle,  oder  Legirungen  aus  Kupfer  mit  ziemlich  viel 
Zink  und  Zinn  sowie  untergeordneten  Beimengungen  anderer  Metalle. 
Die  Legirungen  dieser  Art  finden  fast  sämmtlich  in  der  Maschinenconstruction 
Anwendung,  wovon  der  Name:  Lagermetall,  herrührt. 


Kupferinclustrie.  725 

Die  noch  schone  Goldfarbe  der  zweiten  Gruppe  geht  hier  bei  grosserm  Zusätze 
von  Zinn  in  das  Graue  oder  Weisse  über.  Der  Zusatz  von  Zink  vermehrt  die  Härte 
und  Festigkeit:  am  meisten  wird  diese  Legirung  bei  der  Construction  von  Locomotiven 
und  Dampfmaschinen  benutzt. 

4)  Aechte  Bronze  oder  Zinnbrouze.  Es  sind  Legirungen  von  Kupfer  und 
Zinn,  welche  zum  Guss  von  Glocken,  Kanonen,  Metallspiegel,  Münzen  und 
Medaillen  benutzt  werden;  hierher  gehört  vorzüglich  die  Antikbronze  der  Alten. 
Der  Zinn  geh  alt  macht  das  Kupfer  fester,  härter  und  spröder;  Zusatz  von  Blei 
macht,  wie  schon  erwähnt  worden,  die  Bronze  leichtflüssiger,  zäher  und  dehn- 
barer, befördert  aber  auch  die  Oxydation. 

Das  beste  Glockenmetall  besteht  gewöhnlich  aus  85  %  Kupfer  und  \h%  Zinn, 
aber  auch  in  andern  Proportionen.  Als  Ersatz  der  Bronze  hat  man  auch  Spiegel- 
eisen und  neuerdings  in  Bochum  Gussstahl  zum  Glockengiessen  in  Anwendung 
gebracht. 

Beim  Geschützguss  wird  zuerst  Kupfer  resp.  altes  Geschütz  geschmolzen  und 
dann  Zinn  unter  Umrühren  zugesetzt,  wobei  sich  stets  nicht  unerhebliche  Mengen  von 
Zinnoxyddämpfen  entwickeln;  gewöhnlich  steigt  der  Zinngehalt  von  8 — 10%. 

Spiegelmetall  zur  Anfertigung  von  Metallspiegeln  erfordert  einen  grössern 
Zinnzusatz,  wodurch  hellere  Farbe  und  grössere  Politurfähigkeit  erzeugt  wird. 
Wenn  das  Kupfer  geschmolzen  und  das  Zinn  unter  Umrühren  zugesetzt  ist,  wird  die 
Masse  durch  Ausgiessen  in  kaltes  Wasser  granulirt,  dann  abermals  geschmolzen  und 
kurz  vor  dem  Gusse  mit  Arsenik  versetzt;  die  Menge  des  letztern  beträgt  ungefähr 
1—2%.  Wenn  sich  schon  beim  Schmelzen  von  Zinnmetall  Spuren  von  Arsen  ent- 
wickeln, so  ist  bei  diesem  absichtlichen  Zusätze  von  Arsenik  ganz  besonders  auf  die 
arsenikalischen  Dämpfe  Rücksicht  zu  nehmen. 

Bei  der  Anfertigung  der  Medaillenbronze  schmilzt  man  die  Masse  in  Tiegeln 
schnell  ein  und  formt  sie  in  Sandformen. 

Vorzugsweise  gebraucht  man  che  Bronze  zu  Bijouterien,  Schmucksachen  über- 
haupt und  für  zu  vergoldende  Waaren.14) 

Die  Fabrication  der  Bronzewaaren  gehört  zu  den  ältesten  Industriezweigen, 
wofür  die  grosse  Menge  von  Bronzegegenständen  aus  den  frühesten  Zeiten  spricht; 
späterhin  wurde  die  Bronze  fast  ausschliesslich  zu  Geschützen  benutzt,  bis  nament- 
lich die  Fortschritte  in  der  Beleuchtungskunst  auch  dieser  Industrie  einen 
bedeutenden  Aufschwung  gegeben  haben,  wie  die  Fabrication  von  Lampen, 
Krön-  und  Wandleuchtern  beweisen. 

Verfolgt  man  diese  wichtige  Industrie  in  den  verschiedenen  Stadien  der 
Fabrication,  so  ergibt  sich,  dass  schon  die  Ausarbeitung  der  Modelle  eine  besondere 
Sorgfalt  erfordert.  D~ie  Formen  werden  aus  feuchtem  Sande  angefertigt  und  in  Wärm- 
öfen  12 — 2-4  Stunden  lang  getrocknet.  Die  beim  Gnss  entstandenen  Unregelmässigkeiten 
werden  mit  Feile  und  Meissel  oder  bei  runden  Gegenständen  auf  der  Drehbank  beseitigt; 
dann  folgt  beim  regelmässigen  Aufeinanderfolgen  der  verschiedenen  Manipulationen  die 
Lüflmng  der  zusammengehörigen  Theile,  das  Verputzen  der  Löthstellen  und  das  Beizen, 
um  das  auf  der  Oberfläche  entstandene  Oxyd  zu  beseitigen.  Theile,  welche '  glänzend 
erscheinen  sollen,  werden  polirt;  um  das  Dunkelwerden  der  Bronze  aber  zu  verhüten, 
werden  die  Gegenstände  lackirt.  d.  h.  mit  einem  feinen,  durchsichtigen  Firniss 
überzogen,  um  sie  gegen  den  Emfluss  der  Luft  zu  schützen.  Bisweilen  erzeugt  man 
absichtlich  durch  einen  dunkeln  Lack  eine  braungrüne  Farbe;  namentlich  müssen  die 
aus  Zink  angefertigten  Theile  entweder  durch  einen  solchen  Lack  oder  durch  Ver- 
golden mittels  Bronzefarben  gefärbt  werden. 

Berlin  besitzt  gegenwärtig  -±  der  grössten  Fabriken  dieser  Art,  in  welchen  in  der 
letzten  Zeit  ungefähr  1500  Arbeiter  beschäftigt  wurden;  die  meisten  für  neue  Theater 
bestimmten  Colossal-Kronleuchter  sind  aus  Berliner  Fabriken  hervorgegangen. 

Die  mechanische  Behandlung  der  Messing-  oder  Bronzewaaren  geschieht  wie 
bei  fast  allen  Metallen  durch  Schmieden,  Walzen  und  Ausziehen.  Ausser  den 
Messing-  und  Bronzeblechen  sind  besonders  die  messingenen  Drähte  von 
grosser  industrieller  Wichtigkeit. 

Unter  Metalldraht  überhaupt  versteht  man  ein  durch  Ziehen,  Walzen  oder 
Pressen  entstandenes  Stück  Metall  von  grosser  Länge  und  geringer  Dicke.    Die  genauere 


726  Kupfer. 

Beschreibung  der  Darstellung  gehört  der  Mechanik  an  und  es  sei  hier  nur  erwähnt, 
dass  in  Iserlohn  ausser  den  vielen  Schmucksachen  vorzugsweise  Panzerharnische 
und  in  Limburg  Drahtgewebe  aus  Messingdraht  dargestellt  werden.  Das  letztere 
wird  zu  sehr  vielen  häuslichen  Gegenständen  verwendet,  leider  aber  auch  mit  dem  unver- 
meidlichen Schweinfurtergrün  angestrichen.  Käseglocken,  Schränke,  Wiegen  u.  s.  w. 
von  solchem  Drahtgewebe  kommen  nicht  selten  vor.  da  die  schädliche  Farbe  leicht  ab- 
springt, so  sind  alle  Hausgeräthe  dieser  Art  gänzlich  zu  verwerfen. 

Auch  die  Stecknadelfabrication  gehört  hierher;  sie  zerfällt  1)  in  die  Anfertigung 
des  Schaftes  aus  Messingdraht,  der  zur  Erlangung  der  nötLigen  Steifigkeit  durch  die 
entsprechenden  Löcher  eines  Zieheiseus  mehrmals  gezogen  und  dadurch  gehärtet 
wird.  Zum  Graderichten  dient  das  sogen.  Richtholz;  dann  wird  der  Draht  mit  der 
Schrotschere  in  die  Länge  der  zu  verfertigenden  Nadeln  geschnitten  Zum  An- 
spitzen wird  kein  Schleifstein,  sondern  eine  scheibenförmige  Feile,  der  Spitzring, 
gebraucht,  der  von  Eisen,  an  der  Peripherie  aber  verstählt  und  feilen  artig  gehauen 
ist;  zum  Glätten  der  Spitze  benutzt  man  einen  King  mit  feinenn  Hiebe.  Dieses 
Anspitzen  und  Glätten  ist  in  sanitärer  Beziehung  ebenso  wichtig  wie  das 
Schleifen  der  Nähnadeln,  da  sich  hierbei  ein  feiner  Messingstaub  ent- 
wickelt, der  ebenso  wie  der  Stein-  und  Stahlstanb  beim  Schleifen  der 
Nähnadeln  auf  die  geeignete  Weise  aus  der  Athmungszone  der  Arbeiter 
zu    entfernen    ist    und   dieselben    Einrichtungen    erfordert    (s.   Schleifen    der 

Nähnadeln).  ....  ,  „     . 

2)  Die  Verfertigung  der  Kiipfe  geschieht  aus  spiralförmig  gewundenem  Drahte, 
3)  das  Änköpfen  mittels  eines  kleinen  Fallwerkes,  der  Wippe:  andere  Methoden,  z.B. 
das  Angiessen  der  Köpfe  mittels  einer  Legirnng  von  Blei  und  Antimon,  haben  noch 
wenig  Anklang  gefunden.  4)  Das  Verzinnender  Stecknadeln  ist  schon  S.  G50  beschrieben 
worden. 

5)  Legirungen  von  Kupfer,  Zink  und  Nickel:  Nensilber.  Neusilber  stellt 
eigentlich  Messing  mit  einem  Zusatz  von  '  G  bis  «  3  Nickel  dar.  Das  chinesische 
Pakfong  oder  Paktoug,  d.  h.  Weisskupfer,  wurde  wahrscheinlich  schon  aus 
Nickelerzen  mit  Kupfer  und  Zink  zusammengeschmolzen.  In  Suhl  wurden 
bereits  1740  die  Gewehrkolben  zur  Verzierung  mit  Neusilber  beschlagen. 

Die  erste  Fabrik  in  Berlin  im  Jahre  1824  war  die  der  Gebrüder  Hennsger; 
Geitner    in   Schneeberg    brachte    dieselbe   Waare    aber    schon    1821    als    Argentan    in 

den  Handel. 

Von  sauren  Flüssigkeiten  wird  es  weniger  als  Messing  und  etwas  mehr  als 
12löthiges  Silber  angegriffen:  sein  sehr  geringer  Gehalt  an  Arsen  (0,4 %)  ist  beim  Ge- 
brauchender daraus  angefertigten  Tischgeräthschaften  von  keinem  Belang,  obgleich  im 
Königreich  Sachsen  früher  deshalb  ein  Verbot  seiner  Verwendung  ergangen  ist. 
Mehr" Vorsicht  dürfte  beim  Schmelzen  des  Metalls  für  die  Arbeiter  nothwendig 
werden  und  es  ist  dringend  erforderlich,  für  einen  guten  Abzug  der  metallischen  Dämpfe 
zu  sorgen,  obgleich  man  einen  Theil  dos  Kupfers  mit  dem  Nickel  meist  unter  einer 
Kohlendecke  schmilzt  und  dann  Zink  zugibt;  oder  man  schichtet  die  Metalle  abwechselnd 
■m  10—15  Pfund  fassenden  Tiegeln  und  gibt  zuletzt  eine  Decke  Kohlenstaub  auf. 

Alfenide,  Christophelmetall.  Argyroide .  Argyropkan  sind  galvanisch  versilberte 
Neusilberarten.'  Man  hat  auch  Neusilberarten  zu  Glockenmetall,  Zapfenlagern,  Spiegeln, 
Refiectoren  u.  s.  w.  verwendet,  bei  welchen  das  Zink  durch  Zinn  vertreten  ist. 

Xensilberschlagloth  ist  Neusilber  mit  mehr  oder  weniger  Zink,  Alpakasilber  und 
Pernsilber  sind  Neusilberarten  mit  einem  Gehalt  an  Silber. 

Ausserdem  setzt  man  unter  Umständen  dem  Kupfer,  ausser  Zink  und  Nickel,  auch 
Blei  oder  Kobalt,  Eisen,  Mangan  und  Chrom  zu. 

6)  Legirungen  des  Kupfers  mit  edeln  Metallen,  Mnzinetalle.  Zur  Anfertigung 
der  Münzen  wird  Gold  oder  Silber  nach  dem  geltenden  Mün^fusse  mit  Kupfer 
legirt.  Die  Metalle  werden  unter  einer  Decke  von  Kohlen  geschmolzen  und  in 
gusseisernen  Formen  zu  15  Zoll  langen  und  3—4  Linien  dicken  Platten  (Zainen) 
ausgegossen;  diese  werden  im  Streckwerke  zu  Münzschienen  von  der  vorge- 
schriebenen Dicke  ausgewalzt  und  auf  der  Ausstückelungsmaschine  in  der 
vorgeschriebenen  runden  Form  ausgeschnitten. 

Diese  Scheiben  werden  )  u  stirt.  d.h.  ihrem  Gewichte  nach  sorgfältig  berichtigt,  dann 
feingesotten  resp.  gebeizt  und  zwar  in  sehr  verdünnter  Schwefelsäure;  aus  der 


Kupferverbindungen.  727 

Flüssigkeit  wird  bei  Kupfermünzen  der  Kupfervitriol  gewonnen.  Nach  dem  Sieden 
werden  die  runden  Scheiben  nochmals  justirt  und  dann  mittels  Prägewerke  gerändelt 
und  geprägt. 

Beim  Golde  heisst  die  Legirung  Karatirung.  Bei  der  rothen  Karatirung 
besteht  der  Zusatz  aus  Kupfer,_  bei  der  weissen  aus  Silber.  Ein  Zusatz  von  Palladium 
zu  Kupfer  und  Gold  macht  die  Legirung  weisser,  grade  wie  Platin  und  Zinn. 

Legirungen  aus  Platin  und  Kupfer  sind  dem  Golde  sehr  ähnlich;  sie  eignen 
sich  vortrefflich  zu  Metallspiegeln  für  optische  Instrumente.  Zu  Schreibfedern, 
die  nicht  rosten,  gebraucht  man  eine  Legirung  von  Platin,  Silber  und  Kupfer. 

7)  Legirungen  des  Kupfers  mit  vorherrschendem  Gehalt  an  Zink,  Zinn,  Eisen 
oder  Antimon:  Weisses  Lagermetall.  Diese  Legirungen  werden  hauptsächlich 
zu  Achsenlagern  verwendet.  Hierher  gehört  auch  das  bereits  erwähnte  Britannia- 
Metall  (s.  S.666),  eine  Legirung  mit  vorherrschendem  Zinn;  das  Kupfer  soll  in  der 
Regel  nicht  über  h%  betragen,  obgleich  sich  in  neuerer  Zeit  wenig  Zuverlässiges 
über  die  Composition  solcher  Legirungen  sagen  lässt. 

Britannia-Metall  wird  namentlich  zu  Tisch-  und  Speisegeräthen  aller  Art  be- 
nutzt, wobei  man  von  dem  Gedanken  ausging,  das  Zinn  durch  andere  Metalle,  besonders 
durch  Antimon,  härter,  politurfähiger  und  klingender  zu  machen.  Im  Allgemeinen  stehen 
die  Britannia-Gefässe  auf  gleicher  Stufe  mit  den  zinnernen;  sie  laufen  an  der  Luft  nicht 
leicht  an;  gegen  Pfianzensäuren,  z-  B.  Essig,  verhalten  sie  sich  wie  reines  Zinn,  wenn 
eben  Antimon  nicht  vorherrscht  oder  Zusätze  von  Blei  und  Zink  fehlen. 

Letternmetall  muss  leicht  schmelzbar  sein;  man  legirt  deshalb  80  Th.  Blei, 
20  Th.  Antimon  und  nur  höchstens  %  %_  Kupfer;  die  Legirung  wird  durch  das  Kupfer 
etwas  geschmeidiger.  Auch  ist  eine  Legirung  von  Zink,  Zinn,  Blei  und  Kupfer  be- 
sonders für  Stereotypen  beliebt.15) 

Kupferverbindungen. 

Kupferchlorür  Cu2Cl2  ist  hier  zu  erwähnen,  weil  es  zur  Darstellung  von 
Sauerstoff  im  Grossen  benutzt  wird.  Man  behandelt  Kupferspäne  oder  Kupfer- 
blech an  der  Luft  mit  Salzsäure  und  erhält  eine  dunkelbraungrüne  Flüssigkeit, 
die  verdampft  wird,  um  Kupferchlorid  C11CI2  zu  erhalten.  Bei  Erhitzung  des- 
selben geht  zuerst  Wasser,  dann  Chlor  über  und  es  bleibt  Kupferchlorür 
zurück,  das  an  der  Luft  in  Kupferoxychlorid  CuCl2.CuO  verwandelt  wird; 
erhitzt  man  dieses  bis  zu  400°,  so  entweicht  der  aufgenommene  Sauerstoff  und 
es  entsteht  wieder  Kupferchlorür,  welches  dann  demselben  Processe  dient. 

Kupferclllorid  CuCl2  wird  nach  Deacon  zur  Gewinnung  von  Chlor  benutzt  (s.  S.44); 
es  ist  leicht  löslich  nnd  bildet  mit  Chlorammonium  und  Chlorkalium  Doppelsalze.  Die 
Tinctura  antimiasmatica  Köchlini  ist  Kupferchlorid-Chlorammonium.  Als  Des- 
infectionsmittel  verbrennt  man  Kupferchlorid   in   alkoholischer  Lösung  auf  Lampen. 

Kupfersulfat,  Kupfervitriol  CuS04-f-5fl20  wird  im  Grossen  durch  Rösten  von 
Schwefelkupfer  oder  Eindampfen  der  Grubenwässer  dargestellt,  die  bei  der  Verwitterung 
der  Kupferkiese  entstehen;  da  letztere  auch  Schwefeleisen  enthalten,  so  entsteht  stets 
Eisenvitriol  neben  Kupfervitriol;  diese  gemischten  Vitriole  heissen  Goslaer-, 
Salzburger-  oder  Cyprischer  "Vitriol. 

Bei  der  Affinirung  des  Silbers,  d.  h.  bei  der  Scheidung  des  Silbers  von 
Gold,  Kupfer  u.  s.  w.  in  Münzwerkstätten,  wird  das  goldhaltige  Silber  durch  Schwefel- 
säure in  Silbersulfat  übergeführt,  welches  bei  der  Behandlung  mit  Kupfer  unter  Ent- 
stehung von  Kupfersulfat  metallisch  ausgeschieden  wird.  In  ähnlicher  Weise  liefert 
auch  das  Ziervogefsche  Verfahren  (s.  S.  680)  bei  der  Silbergewinnung  Kupfervitriol 
als  Handelswaare. 

Verwendung  findet  Kupfervitriol  in  der  Färberei  und  Farbentechnik,  namentlich 
beim  Schwarzfärben  des  wollnen  Garns  und  Tuchs.  Die  weisse  Res  er  vage  für 
Walzendruck  besteht  hauptsächlich  aus  Grünspan  oder  Kupfervitriol.  In  betrügerischer 
Weise  wird  Kupfervitriol  auch  dem  Weizenmehl  (s.  S.  88)  zugesetzt.  Die  Behandlung 
des  zum  Säen  bestimmten  Weizens  zum  Schutze  gegen  Insectenfrass  u.  s.  w.  ist  nur 
dann  schädlich,  wenn  ein  solcher  Weizen  zum  Mahlen  oder  Backen  benutzt  wird. 

Kupferacetat,  essigsaures  Kupfer.  Alle  organisch-sauren  Kupfersalze  haben  eine 
lebhaft  grüne  Farbe;   man  nennt  sie  deshalb  im  gewöhnlichen  Leben  Grünspan.    Das 


728  Quecksilber. 

neutrale,  essigsaure  Kupfer  heisst  krystallisirter  oder  destillirter  Grünspan 
Cu(C2H302)2  +  H20;  er  wird  dargestellt,  indem  man  Kupfertafeln  mit  Wcintrebern  in 
Fässern  schichtet,  -wobei  der  Alkohol  zu  Essigsäure  oxydirt  wird.  In  Schweden  und 
Grenoble  schichtet  man  das  Kupfer  mit  in  Essig  getränkten  Filzlappen. 

Der  gemeine  basische  Grünspan  kommt  im  Handel  als  hellblauer  oder 
französischer  (2Cu(C2H302)2  +  Cut ))  oder  als  grünlicher  (Cu(C2H302)2 
+  CuO)  vor. 

Verwendung  findet  Grünspan  bei  der  Darstellung  der  Tapeten-  und  Malerfarben 
sowie  der  Essigsäure;  der  Grünspan-Staub  wirkt  auf  alle  Schleimhäute  reizend  ein.16) 

Kupferfarben.  Verschiedene  Farben,  z.  B.  Bergblan,  Brannschweigerblan, 
Bremerblau,  enthalten  Kupferhydrat;  werden  die  Kupfersalze  mit  kohlen- 
sauren Alkalien  gefällt,  so  nenut  man  den  Niederschlag  von  basischem 
Kupfercarbonat  Bremer-,  Braun  Schweiger-,  Mineral-  oder  Neuwiedergrün. 

Wird  metallisches  Kupfer  mit  Kochsalz  oder  Salmiak  behandelt,  so  bildet 
sich  ein  schöner  hellgrüner  Niederschlag  von  basischem  Kupferchlorid  |  [Cupfer- 
oxychlorid);  diese  Farbe  ist  haltbarer,  aber  nur  als  Wasserfarbe  zu  benutzen,  da  sie 
bei  Gegenwart  von  Oel  Ölsäure  Verbindungen  eingeht  und  sich  verändert. 

Leider  kommen  alle  diese  Farben  auch  in  Verbindung  mit  Arsen  im  Handel  vor, 
so  dass  man  sich  auf  die  Nomenclatur  dieser  Farben  nicht  verlassen  darf  (s.  Arsen). 

Kupfernitrat  Cu(N03)8+6H20  entsteht,  wenn  man  eine  Auflösung  von  Kupfer 
in  Salpetersäure  bei  niedriger  Temperatur  abdampft;  bei  erhöhter  Temperatur  krystallisirt 
das  Salz  mit  3 H20.    In  der  Färberei  wird  es  beim  Färben  mit  Anilinschwarz  benutzt. 

Zinnsaures  Kupfer  entsteht  als  prächtiger  grüner  Niederschlag,  wenn  man  eine 
Kupferoxydlösung  mit  einer  Losung  von  Zinn  in  Königswasser  mischt  und 
dann  mit  Natronlauge  präeipitirt;  sie  ersetzt  vollständig  das  Seh  weinf  u  rtergr  ün 
und  ist  in  sanitärer  Beziehung  mit  keiner  Gefahr  in  der  Anwendung  verbunden. 


Quecksilber,  Hg. 

Quecksilber  gehört  zu  den  seltner  vorkommenden  Metallen;  meistens  findet  es  sich 
eingesprengt  und  in  Höhlungen  im  Thonschiefer  und  Sandstein,  z.  B  zu  Almaden  in  Spanien 
und  Idria  in  Krain  u.  s.  w.     In  neuerer  Zeit  liefert  auch  Californien  Quecksilber. 

Qnecksilberhorncrz  ist  Quecksilberehlorür;  sein  häufigstes  Vorkommen  ist  die 
Verbindung  mit  Schwefel  als  Zinnober  (Quecksilbersulfid),  welcher  mit  Erde  oder,  wie 
zu  Idria,  mit  Bitumen  vermischt  ist;  im  letztern  Falle  heisst  die  Verbindung  Lebererz. 

Quecksilber  ist  das  einzige  bei  gewöhnlicher  Temperatur  flüssige  Metall,  welches 
erst  bei  —40°  fest  wird  und  bei  360°  siedet;  es  verflüchtigt  sich  aber  bei  jeder 
Temperatur  und  dehnt  sich  bei  der  Wärme  ziemlich  stark  aus. 

Im  Mittelalter  wurde  Mercurius  für  einen  hypothetischen  Bestandteil  aller  Körper 
erklärt;  der  Ausspruch  von  Paracelsus:  ,.  dass  der  Mensch  aus  Sulphure,  Säle  und 
Mercurio  gleich  den  Metallen  seinen  Ursprung  nehme,"  hängt  hiermit  zusammen. 

Wirkung  der  Quecksilberdänipfe  anf  den  thierischen  Organismus,  l )  Ein 
Kaninchen  sass  im  grossen  Glaskasten:  am  1  ,  2.,  3.  und  4.  Tage  wurden  im  warmen 
Sande  binnen  2  Stunden  2  Grm.  Quecksilber  verdampft:  am  6.  und  7.  Tage  Verdampfung 
von  1,5  Grm.  Am  15.  Tage  war  noch  keine  Veränderung  im  Befinden  des  Thieres  ein- 
getreten. Es  wurden  alsdann  5  Grm.  Quecksilber  in  einer  Retorte  erhitzt  und  die  sich 
entwickelnden  Dämpfe  in  den  obern  Theil  des  Kastens  eingeblasen  und  zwar  in  Pausen 
von  10  Minuten.  Erst  G  Tage  nachher  zeigt  sich  das  Zahnfleisch  geröthet  und  ge- 
schwollen, wobei  das  Fressen  aufgehoben  ist;  auch  die  Au  gen -Bindehaut  ist  etwas 
geschwollen  und  geröthet.  Dieser  Zustand  verlor  sich  in  den  nächsten  Tagen,  worauf 
das  Befinden  ungestört  blieb. 

2)  Ein  Kaninchen  sass  im  kleinen  Kasten;  20  Grm.  Quecksilber  wurden  ver- 
dampft und  die  Dämpfe  eingeleitet.  Am  andern  Tage  Röthung  der  Bindehaut  und 
Schleimansammlung  im  innern  Augen -Winkel.  Zwei  Tage  nachher  wurden  10  Grm. 
und  darauf  nach  zwei  Tagen  binnen  %  Stunden  wiederum  10  Grm.  Quecksilber  ver- 
dampft.    Es  wurde  keine    auffallende  Veränderung   im  Befinden    bemerkt;    zwei  Tage 


Physiologische  Wirkung  des  Quecksilbers.  729 

nachher  wurde  das  Kaninchen  Morgens  iu  sitzender  Stellung  todt  gefunden.    Die  Unter- 
suchung der  Mundhöhle  ergab  nur  ein  blasses  Zahnfleisch. 

Section  Nachmittags.  Leichenstarre  erheblich ;  die  Conjunctiva  des  linken  Auges 
stark  gerothet.  Beim  Abziehen  des  Felles  zeigen  sich  die  oberflächlichen  Venen  sehr 
angefüllt;  auch  die  Schädelknochen  sind  mit  Blut  imprägnirt.  Die  Hirnhäute  stark 
injicirt  und  dadurch  dunkel  gefärbt:  ein  dünnes,  geronnen  es  Blutextravasat  über- 
zieht die  untere  Fläche  der  beiden  Hemisphären,  soweit  sie  das  Kleinhirn  bedecken. 
Die  Injection  der  Yenen  an  der  Basis  des  Gehirns  sehr  bedeutend,  die  Gehirnmasse 
etwas  weicher  als  gewöhnlich:  der  Boden  der  linken  Orbita  ist  mit  fest°eronnenem 
schwarzem  Blutextravasat  bedeckt.  Die  Lungen  von  gewöhnlicher  Ausdehnung' 
hellrother  Farbe  mit  braunrothen  Marmorirungen;  das  Parenchyrn  nirgends  fest:  drückt 
man  eine  mit  Salpetersäure  angefeuchtete  Kupfermünze  auf  einzelne  Lun°enpartien,  so 
tritt  eine  deutliche  Yerquickung  zu  Tage.  Quecksilberkügelchen  konnten  in  den  Ver- 
zweigungen der  Bronchien  nicht  aufgefunden  werden.  Aus  den  Durchschnittsflächen 
fliesst  wenig  dickflüssiges  und  dunkelrothes  Blut.  In  den  grössern  Yenen  und  in  allen 
Herzhöhlen  geronnenes,  schwarzes  Blut;  die  Schleimhaut  der  Trachea  und  selbst  der 
kleinsten  Bronchien  ist  braunroth  injicirt;  die  sehr  blutreiche  Leber  ist  dunkelbraun. 

Aus  diesen  Versuchen  ergibt  sich,  dass  die  Quecksilberdämpfe  bei  kleinern 
Thieren  nur  bei  wiederholter  und  intensiver  Einwirkung  einen  letalen  Ausgang 
herbeiführen;  dass  die  Dämpfe  in  das  Lungengewebe  eindringen,  kann  nicht 
mehr  dem  geringsten  Zweifel  unterliegen.  Den  Nachweis  von  eingelagerten  Queck- 
silberkügelchen, der  bei  obigem  Versuche  nicht  gelang,  hat  v.  Bärensprung 
beigebracht. x)  Bei  drei  Versuchen  wurden  Kaninchen  längere  Zeit  den  Dämpfen 
kochenden  Quecksilbers  ausgesetzt;  bei  der  Section  fanden  sich  zahlreiche  linsen- 
bis  stecknadelkopfgrosse  Hyperämien  und  einige  rothe  und  graue  Flecke,  in 
welchen  das  Lungengewebe  hepatisirt  war.  Als  Kern  mehrerer  solcher  Hvper- 
ämien  und  Hepatisationen  konnten  Quecksilberkügelchen  mittels  des  Mikroskops 
nachgewiessen  werden;  auch  im  Bronchialschleim  zeigten  sich  dieselben.  In  Betreff 
der  Injection  der  Schleimhaut  der  Luftröhren  und  der  Bronchien  sowie  des  Ge- 
ronnenseins des  Blutes  stimmte  der  Befund  vollständig  mit  den  oben  erwähnten 
Beobachtungen  überein. 

In  der  Industrie  sind  es  fast  immer  die  Quecksilberdämpfe,  welche 
die  Intoxication  herbeiführeu  und  bei  der  leichten  Verdunstung  dieses  Metalls 
fast  bei  jeder  Temperatur  auftreten.  Merget2)  behauptet  sogar,  dass  sie  noch 
bei  44°  C.  unter  Null  stattfinde,  auch  schreibt  er  den  Dämpfen  ein  bedeutendes 
Diffusionsvermögen  zu,  da  man  solche  vom  Boden  bis  zur  Decke  eines  Raumes 
nachweisen  könne,  wenn  z.  B.  Quecksilber  bei  verhältnissmässig  kleiner  Oberfläche 
verdampfe*). 

Die  Symptome  des  sogenannten  gewerblichen  Mercurialismus  beziehen 
sich  hauptsächlich  auf  die  gastrischen  Organe  und  das  Nervensystem. 
Digestionsstörungen  bleiben  selten  aus;  mit  dem.  verminderten  Appetit  zeigt 
sich  namentlich  Widerwillen  gegen  Fleischspeisen  und  zu  dem  schlechten  metal- 
lischen Geschmack  und  der  belegten  Zunge  gesellen  sich  häufig  Magendruck.  Auf- 
stossen  und  Uebelkeit.  Bei  zunehmender  Krankheit  kommt  es  zum  Erbrechen 
und  zu  Durchfällen,  während  Speichelfiuss  und  die  Erscheinungen  der  Stoma- 
titis mercurialis  stets  um  so  mehr  in  den  Vordergrund  treten,  je  mehr  der 
Organismus  Quecksilber  aufgenommen  hat.     Nur  die  schlimmsten  und  ganz  ver- 


*)  Dass  auch  bei  Inunctionscuren  die  Quecksilberdämpfe  auf  die  Mundschleim- 
haut einwirken  und  zur  Erzeugung  von  Stomatitis  beitragen  werden,  darf  wohl  als 
gewiss  angenommen  werden,  namentlich  wenn  kleine  Räume,  hohe  Temperatur  u.  s.  w. 
die  Verdunstung  des  Metalls  begünstigen.  Kussmaul  vergleicht  mit  Recht  die  Räume  in 
manchen  Hospitälern,  die  jahrelang  und  ohne  Unterbrechung  zu  Schmiercuren  benutzt 
werden,  mit  den  Belegräumen  der  Spiegelfabriken. 


730  Quecksilber. 

nachlässigten  Fälle  können  zu  Brand  der  Weichtheile  oder  gar  Necrose  der 
Kieferknochen  führen. 3) 

Angina  mercurialis  kann  sich  mit  Stomatitis  compliciren  und  beweist 
immer  einen  höhern  Grad  der  Intoxication.  Dass  Conjunctivitis  durch  Queck- 
silberdämpfe erzeugt  werden  kann,  ergeben  die  Versuche  an  Thieren  mit  Be- 
stimmtheit. 

Auf  der  Haut    bildet   sich  bisweilen  das  Ekzema    mercuriale;    ausserdem 

beobachtet   man    eine    Neigung   zum    Seh  weisse,    namentlich    zu  starken  Nacht- 

schweissen,    ein    Symptom,    das    der    Wirkung    des    Quecksilbers    zuverlässig 

angehört. 

Kussmaul  legt  auch  auf  die  Häufigkeit  der  Lungenschwindsucht  bei  Queck- 
silberarbeitern Gewicht;  wenn  man  auch  eine  besoudei'e  Affinität  der  Quecksilberdämpfe 
zu  den  Lungen  nicht  annnehmen  kann,  so  ist  es  doch  als  Thatsache  festzuhalten ,  dass 
sich  die  in  grösserer  Menge  eingeathmeten  Quecksilberdämpfe  im  Lungengewebe  zu 
metallischen  Kügelchen  wieder  condensiren  und  jedenfalls  zunächst  irritirend  einwirken 
können.  Ebenso  bedeutend  ist  aber  auch  die  durch  den  Mercurialismus  herbeigeführte 
Schwächung  des  ganzen  Organismus;  es  geben  sich  daher  auch  bei  Sectionen  die 
Folgen  vorzugsweise  als  ödematöse  Schwellungen  und  Blutstauungen  in  den  Lungen  zu 
erkennen.  So  viel  steht  aber  fest,  dass  man  Arbeiter  mit  tuberculöser  Anlage  von  jeder 
Beschäftigung  abhalten  soll,  die  mit  der  Entwicklung  von  Quecksilberdämpfen  ver- 
bunden ist  *). 

Die  deutlich  ausgesprochene  Beziehung  des  Mercurs  zum  Nervensystem 
gibt  sich  ganz  besonders  im  gewerblichen  Mercurialismus  kund  und  zwar  zunächst 
als  Zittern,  Tremor  mercurialis.  Man  trifft  die  Krankheit  am  häufigsten  bei 
Spiegelbelegern,  Verfertigern  von  physikalischen  Instrumenten  und 
Vergoldern. 

Eine  20jährige  Barometermacherin  hatte  schon  im  Jahre  1869  Mercurialzittern 
und  Salivation;  das  Kind,  welches  sie  damals  säugte,  bekam  ebenfalls  Zittern.  Während 
einer  3  monatlichen  Schwangerschaft  sistirte  dann  das  Zittern,  stellte  sich  aber,  nach- 
dem Patientin  abortirt  hatte,  wieder  ein.  Als  sie  abermals  schwanger  geworden  war, 
hörte  das  Zittern  wieder  auf,  kam  aber  nach  der  Entbindung  im  November  1871  wieder. 
Das  Zittern  war  so  heftig,  dass  Patientin  gar  nicht  gehen  konnte;  auch  der  Kopf  und 
die  Zunge  waren  sehr  stark  afficirt  und  das  Sprechen  lallend;  gleichzeitig  war  starke 
Stomatitis  vorhanden.  Auf  eine  elektrische  Behandlung  trat  eine  bedeutende  Besserung 
ein,  das  Zittern  kehrte  aber  nach  einiger  Zeit  verstärkt  wieder,  so  dass  sie  sich  im 
Juli  1872  abermals  der  elektrischen  Behandlung  unterziehen  musste,  die  nach  8  Wochen 
einen  guten  Erfolg  hatte  4) 

Das  Zittern  wird  in  der  Weise  gewöhnlich  eingeleitet,  dass  sich  die 
Muskeln  der  Hände  und  Arme  dem  Einfluss  des  Willens  entziehen  und  die 
Kranken  unfähig  zu  jeder  Manipulation  werden.  Während  des  Schlafes  hört  das 
Zittern  auf,  es  kann  aber  noch  jahrelang  fortdauern,  wenn  schon  die  übrigen 
Erscheinungen  des  Mercurialismus  gehoben  sind;  bisweilen  tritt  es  anfalls weise 
wie  ein  Schüttelfrost  des  Wechselfiebers  auf  und  kann  anhaltend  ausgedehnte 
Muskelgruppeu  ergreifen. 

Das  mercurielle  Stammeln  (Psellismus  mercurialis)  hat  dieselbe  Bedeu- 
tung wie  das  Zittern  der  Muskeln  der  Extremitäten. 

Allgemeine  Convulsionen  kommen  beim  Mercurialismus  nicht  vor;  höchstens 
sind  epileptiforme  Schwindelanfälle  constatirt;  diese  sowie  die  Ohnmachtsanfälle, 
ängstlichen  Träume,  Ohrensausen  u.  s.w.  sind  zum  Theil  wohl  auch  als  Folgen  der  tiefen 
Ernährungsstörung  aufzufassen. 

Apoplexia  mercurialis  kann  nach  den  Thier -Versuchen  nicht  in  Abrede 
gestellt    werden;     auch    die    thatsächlichen    Erfahrungen,    nach    welchen    nicht 

*)  Die  fettige  Degeneration  der  Leber,  Milz  oder  Nieren  kommt  wohl  nur  bei 
Sublimat-Einwirkung  vor. 


Physiologische  Wirkung  des   Quecksilbers.  731 

bloss  Quecksilberarbeiter  bisweilen  apoplektisch  sterben,  sondern  auch  der 
Missbrauch  der  Inunctionscuren  diesen  Ausgang  herbeizuführen  vermag,  sprechen 
für  ihr  Vorkommen. 

ünbehülflichkeit  der  Beine,  der  unsichere  und  schwankende  Gang  bei 
eingebogenen  Knieen  und  stark  gespreizten  Beinen  kommt  selten  vor;  wo  diese 
Erscheinung  auftritt,  da  ist  das  Vermögen,  bei  geschlossenen  Augen  zu  stehen 
und  zu  gehen,  noch  vorhanden;  hierin  ist  ein  Unterschied  von  Tabes  dorsalis 
nahe  gelegt.  Vollständige  Paralyse  ohne  Zittern  einzelner  Extremitäten  zeigt  sich 
sehr  selten. 

Auch  gibt  es  keine  bestimmte  Form  von  Psychose,  die  dem  Mercurialis- 
mus  eigenthümlich  wäre;  eine  geistige  Abstumpfung  und  Verstimmung 
kann  die  übrigen  Nervensyinptonie  begleiten.  Ganz  besonders  ist  aber  noch  der 
nachtheilige  Eiufiuss  der  Arbeit  in  Spiegelbelegräumen  u.  s.  w.  für  schwangere 
Frauen  hervorzuheben;  alle  Erfahrungen  stimmen  darin  überein,  dass  sie  leicht 
abortiren  und  todte  Kinder  gebären.  Nach  den  in  Fürth  gemachten  Beobach- 
tungen leiden  auch  die  Kinder  solcher  Belegerinnen  an  Zittern,  ein  Umstand,  der 
dadurch  erklärt  werden  kann,  dass  an  den  Kleidern  dieser  Arbeiterinnen  noch 
die  Quecksilberdämpfe  haften,  die  dann  auf  die  Säuglinge  einwirken.  Es  werden 
aber  auch  Fälle  von  angeborenem  Zittern  mitgetheilt. 

Wie  der  Organismus  stets  ein  Bestreben  zeigt,  das  ihm  Fremdartige  wieder  aus- 
zustossen,  so  zeigt  es  sich  auch  beim  Quecksilber;  es  sind  die  verschiedenen  Excretions- 
organe,  die  Speicheldrüsen,  die  Leber,  die  Nieren,  die  Schleimhaut  des  Magens  und  des 
tractus  intestinalis,  welche  diese  Ausscheidung  vermitteln.  Andrerseits  ist  aber  zu  berück- 
sichtigen, dass  das  Quecksilber  wegen  seiner  Verbindung  mit  den  Eiweissstoffen  stets 
längere  oder  kürzere  Zeit  im  Körper  zurückgehalten  werden  kann  und  nach  Veits  An- 
sicht wahrscheinlich  erst  mit  der  allmähligen  Oxydation  dieser  Eiweissstoffe  aus  dem 
Organismus  wieder  ausgeschieden  wird  ä)  \  iele  Thatsachen  sprechen  dafür,  dass  auf 
diese  Weise  das  resorbirte  Metall  längere  Zeit  im  Körper  verweilen  und  zu  Recidiven 
führen  kann,  ohne  dass  eine  neue  Aufnahme  von  Mercur  stattgefunden  hat,  grade  so  wie 
es  sich  beim  Saturnismus  chronicus  yerhält. 

Nach  Riederer's  Untersuchungen  über  die  Vertheilung  des  Quecksilbers  im  Orga- 
nismus enthalten  die  Muskeln  nächst  der  Leber  die  grösste  Menge  des  resorbirten 
Quecksilbers.  Bei  einem  Hunde  nämlich,  der  im  Laufe  von  31  Tagen  2,789  Grni. 
Calomel  in  87  Dosen  erhalten  hatte,  wurde  in  den  untersuchten  Substanzen  etwa  94% 
der  eingeführten  Quecksilbermengen  wiedergefunden:  es  waren  im  Kothe  "2, LI 7ö  Grm., 
im  Harn  0.0550  Grm.  Schwefelquecksilbc-r  enthalten:  im  Gehirn,  Herzen,  in  den  Lungen, 
in  der  Milz,  im  Pancreas,  in  den  Nieren,  Hoden,  im  Penis,  die  zusammen  ein  Gewicht 
von  335  Grm.  hatten,  konnten  0,0090,  in  der  Leber,  die  ein  Gewicht  von  213  Grm. 
hatte,  0,0140,  in  den  Muskeln,  die  2432  Grm.  schwer  waren,  aber  0,0114  Grm.  Schwefel- 
quecksilber nachgewiesen  werden.  Die  Menge  des  Quecksilbers  in  der  Leber  war 
somit  relativ  am  grössten,  in  den  Muskeln  nur  gering,  während  der  grösste  Theil  des 
dargereichten  Quecksilbers  mit  dem  Koth  abgegangen  war.6) 

WTas  die  Einwirkung  der  Quecksiloerdämpie  auf  die  Vegetation  betrifft,  so  ist 
bei  der  Bearbeitung  der  Quecksilbererze  ganz  besonders  die  schweflige  Säure  mit  in 
Anschlag  zu  bringen.  Die  Quecksilberdämpfe  verbreiten  sich  wegen  ihrer  speeifiseken 
Schwere  nicht  auf  einen  grossen  Umkreis  und  werden  daher  der  Vegetation  weniger 
schädlich  als  die  schweflige  Säure:  treffen  aber  die  metallischen  Dämpfe  direct  die 
Vegetation,  so  ist  ihr  Einfluss  ein  sehr  verderblicher,  wie  Versuche  von  Priest/*!/  und 
Boussingault  ergeben  haben.  Die  Blätter  der  Pflanzen  bekommen  unter  einer  Glasglocke, 
in  welcher  sich  etwas  Quecksilber  in  einer  Schale  befindet,  bereits  nach  24  Stunden 
schwarze  Flecke  und  die  Pflanze  selbst  fängt  an  zu  welken;  nach  längerer  Zeit  werden 
die  Blätter  ganz  schwarz  und  die  Pflanze  stirbt  ab. 

Die  "Wässer,  welche  aus  der  Nähe  der  Gruben  und  Hütten  kommen  und  mehr 
oder  weniger  quecksilberhaltig  sind,  bedürfen  einer  ganz  besondern  sanitätspolizeilichen 
Ueberwacnung;  kein  Vieh  darf  in  der  Nähe  von  solchen  Gruben  oder  Hütten  weiden, 
um  nicht  durch  jenes  Wasser  vergiftet  zu  werden:  fliesst  letzteres  in  fischreiche  Bäche, 
so  geht  alle  Fischzucht  zu  Grunde;  wird  es  zur  Berieselung  von  Wiesen  benutzt,  so  stirbt 
alle  Vegetation  ab. 

In  Krain  sistirt  der  Gruben-  und  Hüttenverkehr  im  Sommer,  indem  die  Arbeiter 


732  Quecksilber. 

sich  mit  der  Bestellung  der  Aecker  beschäftigen  und  erst  im  Winter  wieder  die 
Grubenarbeit  aufnehmen.  Ein  solcher  durch  örtliche  Verhältnisse  bedingter  Wechsel 
hat  aber  sein  Gutes,  weil  im  Sommer  durch  die  grössere  Verdampfung  des  Quecksilbers 
der  sanitäre  Nachtheil  ein  grösserer  sein  würde.  Ausserdem  ist  zu  beachten,  dass  sich 
das  Kammersystem  im  Allgemeinen  nicht  empfiehlt  und  für  die  nächste  Umgebung 
weit  nachtheiliger  wirkt  als  das  Retortensystem.  Der  Glockenofen  ist  nur  noch 
wenig  verbreitet,  aber  weniger  mit  jenen  Nachtheilen  verbunden.  Am  schädlichsten 
ist  das  Rösten  in  Stadeln  und  sollte  als  die  roheste  und  gefährlichste  Methode  ganz 
verboten  werden. 

Hüttenmännische  Gewinnung  des  Quecksilbers.  Die  ältesten  Quecksilber- Berg- 
werke sind  die  spanischen,  welche  schon  300  Jahre  v.Chr.  bekannt  waren;  nach  Plinivs 
sollen  aber  die  Griechen  schon  700  Jahre  v.  Chr.  Zinnober  aus  Spanien  geholt  haben, 
welches  in  spätem  Zeiten  als  Minium  nach  Rom  gebracht  wurde. 

Die  Gebrüder  Fvgger,  die  Rothschilds  des  16.  Jahrhunderts,  übernahmen  die 
Pacht  der  spanischen  Bergwerke,  gaben  aber  den  Betrieb  wieder  auf,  da  sie  den  ge- 
stellten Bedingungen  nicht  nachkommen  konnten.  Die  Regierung  übernahm  hierauf  die 
Verwaltung,  bis  1831  das  Rothschild,  sehe  Haus  eintrat  und  gegenwärtig  Eigenthümer  der 
Bergwerke  geworden  ist. 

Bei  der  Aufbereitung  der  Erze  handelt  es  sich  zunächst  um  die  Abscheidung  der 
begleitenden  Bergart.  Die  Handscheidung ,  das  Klauben,  Nasspochen  und  Verwaschen 
zur  Darstellung  von  Schlich  oder  Graupen  gehört  zu  den  vorbereitenden  Arbeiten.  Da 
sich  in  den  Gruben  auch  gediegenes  Quecksilber  vorfindet,  so  sind  die  Grubenwässer 
fast  stets  quecksilberhaltig. 

Zur  Ausscheidung  des  Quecksilbers  aus  dem  Zinnober    hat  man 

zwei  Methoden:  die  Destillation  und  das  Rösten. 

1)  Die  Destillation  des  Zinnobers  unter  Zusatz  von  Kalk  oder  metallischem 
Eisen  geschieht  in  irdenen  oder  gusseisernen  Retorten;  das  Quecksilber  geht 
in  Dämpfen  über  und  Calciumsulfid  resp.  Eisensulfid  bleibt  zurück. 

Man  benutzt  hierzu  am  besten  Retorten,  wie  sie  in  Gasbereitungsanstalten  ge- 
bräuchlich sind.  Der  Rost  hat  drei  Reihen  Feuerlöcher,  sogen.  Füchse,  welche  zur 
Heizung  dienen.  Alle  Retorten  werden  durch  ein  gemeinschaftliches  Gewölbe,  in 
welches  alle  Füchse  einmünden,  geschlossen,  wobei  jede  einzelne  Retorte  noch  mit  einem 
Mantelgewölbe  umgeben  ist;  von  dem  gemeinschaftlichen  Gewölbe  aus  führt  ein  Zug  zu 
dem  Kamine. 

Die  Retorten  sind  mit  schräg  abwärts  geneigten  und  in  Wasser  tauchenden  Röhren 
versehen.  Die  Gase,  welche  durch  das  Wasser  kollern,  bestehen  aus  Kohlenoxyd, 
verschiedenen  Kohlenwasserstoffen,  schwefliger  Säure  und  empyreuma- 
tischen  Stoffen. 

Die  Abzugsröhren  der  Retorten  sind  an  der  Austrittsstelle  mit  zwei  Ansätzen 
versehen,  welche  dazu  dienen,  um  mittels  eines  Eisendrahtes  diese  Röhren  von  dem 
abgesetzten  Quecksilberschwarz  (Stupp)  nach  der  horizontalen  und  verticalen  Rich- 
tung reinigen  zu  können. 

Das  überdestillirte  Quecksilber  gelangt  aus  diesen  Sammelröhren  in  eine 
Vorlage,  welche  gewöhnlich  in  einem  abgeschlossenen  Räume  steht,  um  das  Verschütten 
des  Metalls  zu  verhüten;  sie  ist  mit  einem  hölzernen  Troge  umgeben  und  nimmt  be- 
ständig zufiiessendes  kaltes  Wasser  auf.  Nach  lOstündiger  Feuerung  entleert  man  den 
Rückstand  der  Retorte  in  ein  mit  Wasser  gefülltes  Thonbecken. 

Das  Destillat,  der  Inhalt  der  Vorlage,  wird  gewaschen,  wobei  das  metallische 
Quecksilber,  theils  als  homogene  Masse,  theils  als  Stupp  zu  Boden  sinkt.  Stupp  besteht 
aus  schwefelsaurem  Quecksilberoxydul,  amorphem  Zinnober  und  fein  ver- 
theiltem  Quecksilber.  Die  Quecksilberkügelchen  sind  nämlich  mit  einer  dünnen 
Schicht  von  Bitumen  umhüllt  und  deshalb  am  ZusammenÜiessen  verhindert. 

Man  behandelt  Stupp  (Quecksilberschwarz)  mit  verdünnter  Salzsäure  oder 
alkalischen  Laugen,  wodurch  das  Bitumen  weggenommen  wird  und  das  Quecksilber 
zusammenfliesst. 

2)  Das  Rösten  in  Schachtöfen.     Hierbei   unterscheidet  man    a)  Schachtöfen 

mit  unterbrochenem  Betriebe.    Die  Schachtöfen  sind  10  Fuss  hoch,  4»/2  Fuss  breit 

und  haben  ungefähr  in  der  Mitte  ein  mit  vielen  Oeffnungen  versehenes  Gewölbe, 

auf  welches  man  durch  seitliche  und  verschliessbare  Oeffnungen  das  Erz  aufgibt. 

Die  Feuerung  geschieht  gewöhnlich  durch  Holz.  Der  Ofenschacht  ist  durch 
Canäle  mit  Aludeln,  in  denen  die  Condensation  der  Dämpfe  stattfindet,  verbunden;  diese 
sind  18  Zoll  lange,  birnförmige,  an  beiden  Seiten  offene  Thongefässe,    deren  vorderes 


Gewinnung  von  Quecksilber.  733 

schmaleres  Ende  in  das  breitere  untere  Ende  des  nächstfolgenden  Gefässes  gesteckt  und 
mit  Thon  lutirt  wird.  Sie  liegen  in  mehreren  Reihen  auf  dem  nach  der  Mitte  zu  ge- 
neigten, etwa  30  Fuss  langen  Aludelplan.  um  schliesslich  in  eine  Condensationskammer 
zu  münden,  in  der  sich  die  noch  uncondensirten  Dämpfe  niederschlagen.  Am  tiefsten 
Puncte  des  Plans  fliesst  der  grösste  Theil  des  Quecksilbers  in  eine  senkrecht  auf- 
gestellte Aludel  und  gelangt  von  hier  durch  eine  Rinne  in  steinerne  Behälter. 

Bei  diesem  Verfahren  geht  viel  Quecksilber  verloren,  da  die  einmal  erwärmten 
Aludeln  und  Condensationskammern  sich  schlecht  abkühlen:  an  jedem  dritten  Tage 
räumt  man  den  Rückstand  des  Ofens  und  beschickt  von  Neuem.  Die  ganze  Procedur 
ist  sehr  mühsam  und  für  die  Arbeiter  höchst  ungesund:  der  Thon  zum  Lutiren  reisst 
leicht  und  lässt,  trotzdem  er  mit  Pferdemist  vermischt  ist,  durch  die  feinen  Ritze  leicht 
Quecksilberdämpfe  austreten. 

Am  häufigsten  findet  sich  diese  Gewinuungs weise  des  Quecksilbers  zu  Almaden 
in  Spanien,  weshalb  sie  auch  die  spanische  Methode  genannt  wird:  sie  ist  jedoch 
eine  der  unvorteilhaftesten  und  unvollkommensten  Methoden. 

b)  Schachtöfen  mit  continuirlichem  Betriebe.  Hier  wird  das  Erz  in  Schacht- 
öfen continuirlich  geröstet.  Der  Ofen  seh  acht  ist  durch  zwei  gewölbte  Bogen 
in  3  Abtheilungen  (für  Erz  in  Stücken,  zerkleinertes  Erz  und  Rückstände)  getheilt, 
welche  durch  seitliche  Oeffnungen  beschickt  und  nachher  vermauert  werden. 

Die  Quecksilberdämpfe  gelangen  in  Verdichtungskammern,  von  denen  die 
letzte  den  Rauchfang  bildet  und  im  Innern  mit  sägeartigen  Ansätzen  versehen  ist;-  die 
Wände  sind  mit  Asphalt  stark  überzogen.  Kaltes  Wasser,  welches  durch  eine  thönerne 
Röhre  zufliesst,  hält  die  Wände  nass,  wodurch  die  schweflige  Säure  grösstentheils 
condensirt  wird.  Die  Berieselung  geschieht  stets  nur  in  der  letzten  Kammer:  dieses 
Wasser  ist  sehr  giftiger  Natur,  da  es  Quecksilbersalze,  metallisches  Quecksilber,  Arsen, 
bisweilen  auch  Selen  enthält.  Die  Kammern  enthalten  Oeffnungen  zum  Abüuss  des 
Quecksilbers  in  Recipienten,  von  wo  es  durch  Rinnen  in  einen  Wasserbehälter  gelangt. 

Dieses  Verfahren  findet  sich  vorzugsweise  in  Idria.  Das  Quecksilberschwarz 
(Stupp)  setzt  sich  an  den  Wänden  der  Condensationskammern  fest  und  wird  im 
feuchten  Zustande  oder  auch  unter  Zusatz  von  Pottasche  durch  Krücken  und  Kneten  vom 
metallischen  Quecksilber  befreit. 

Das  Rosten  mit  continuirlichem  Betriebe  hat  schon  insofern  einen  grossem  Vor- 
theil,  als  die  Arbeiter  nicht  so  häufig  und  direct  mit  den  Dämpfen  bei  der  Räumung 
des  Ofens  in  Berührung  kommen;  vorzugsweise  werden  aber  gröbere  und  reichhaltigere 
Erze  mit  3—4%  Quecksilber  auf  diese  Weise  verhüttet. 

Gegenwärtig  wird  hauptsächlich  ein  runder  Ofenschacht  von  33  Fuss  Höhe  und 
3 — 4 Fuss  Breite,  in  welchem  das  Erz  mit  dem  Brennmaterial  geschichtet  wird,  benutzt; 
er  ist  mit  einem  Aufgebetrichter  versehen,  während  am  tiefsten  Puncte  ein  schräg  liegender 
Rost  über  einer  Schienenbahn  liegt,  auf  welcher  man  mittels  Kasten  das  abgeröstete  Erz 
wegführt. 

Im  obern  Dritttheil  des  Ofens  treten  seitlich  die  Quecksilberdämpfe  durch  eine 
mit  einem  Schieber  zu  regulirende  Oeffnung  in  4  Condensationskammern,  welche 
oben  mit  eisernen  Kasten  geschlossen  sind  und  als  Abdampfpfannen  zur  Gewinnung 
des  in  den  Quecksilberwaschwässern  enthaltenen  Ammoniumsulfats  dienen.  Man  legt 
gewöhnlich  Eisen-  und  Zinkspäne  hinein,  um  das  Quecksilber  zu  gewinnen.  Die  letzte 
Kammer  dient  auch  hier  als  Esse  und  wird  mit  Wasser  berieselt.7) 

c)  Das  Rösten  in  Flammenöfen.  Dies  Verfahren  dient  zur  Verhüttung  des 
armen  Erzkleins.  Der  flache  Herd  ist  aus  Ziegeln  construirt  und  hat  an  seinem 
obern  Ende  eine  Oeffnung  zum  Einlassen  des  Schliches. 

Das  Erz  wird  zuerst  in  die  hinterste  und  allmählig  in  die  erste  Abtheilung  des 
Ofens  gebracht,  um  nicht  plötzlich  einer  zu  starken  Hitze  ausgesetzt  zu  werden.  Die 
Quecksilberdämpfe  gelangen  durch  eine  Vorkammer  in  gusseiserne  Condensations- 
r Öhren,  die  beständig  mit  kaltem  Wasser  berieselt  werden.  An  diese  Röhren  schliessen 
sich  die  Condensationskammern  an,  in  denen  die  Dämpfe  mittels  eines  Canals  aus 
der  untern  Abtheilung  in  die  obere  und  von  hier  aus  wieder  rückwärts  durch  ein 
anderes  System  von  Condensationsröhren  in  eine  zweite  Vorkammer  gelangen,  welche 
mit  einem  in  mehrere  Abtheilungen  getheilten  Schlot  in  Verbindung  steht.8) 

Das  Quecksilberschwarz  aus  den  Röhren  und  Condensationskammern  wird 
nach  dem  oben  angegebenen  Verfahren  behandelt. 

Auch  Schlich  und  Erzklein  werden  in  Flammenöfen  zugute  gemacht:  in 
Böhmen  bringt  man  sie  auf  thönernen  oder  gusseisernen  Schüsseln  (Casetten)  in  einen 
Schachtofen,  den  man  Glockenofen  nennt,  weil  er  aus  einer  eisernen,  in  Wasser  tauchenden 


784  Quecksilber. 

Glocke  besteht,  so  dass  die  Quecksilberdampfe  niederfallen  und  sich  in  einem  mit  Wasser 
gefällten  Behälter  verdichten  Mau  beschickt  den  Zinnober  mit  Hammerschlag  oder  Kalk, 
während  dio  Glocke  durch  Steinkohlen  in'a  Glühen  gebracht  wird:  man  bringt  deren 
bisweilen  6  in  einem  Schachtofen  an. 

d)  Das  Rösten  in  Stadeln,  d.h.  in  viereckig  gemauerten  Behältern,  geschieht 
nur  noch  in  Ungarn  und  Tyrol  bei  quecksilberhaltigen  Fahlerzen,  wo  die  Queck- 
silbergewinnung ein  Nebenproduct  ist.  Das  Verfahren  ist  für  die  Umgegend  sehr 
gefährlich,  da  das  Quecksilber  dabei  meist  verloren  geht. 

Sanitäre  Massregeln  bei  der  Verhüttung  des  Quecksilbers. 

Beim  Fördern  und  bei  der  Aufbereitung  der  Erze  in  den  Gruben  kommt  der 
Quecksilberdampf  viel  weniger  vor,  weil  die  ganze  Erdmasse  fast  immer  mit 
Wasser  durchtränkt  ist;  nur  die  directe  Berührung  des  Arbeiters  mit  dem  etwa 
vorhandenen  metallischen  Quecksilber  steigert  die  Gefahr.  Die  Luft  in  den  Queck- 
silber-Bergwerken ist  aber  wegen  der  häufigen  schlechten  und  matten  Wetter  stets 
höchst  ungesund  und  verlangt  die  kräftigste  Ventilation. 

Brände  in  den  Quecksilberbranderzgruben  (Idria)  können  durchschlagende 
Wetter  entstehen,  welche  durch  ihre  Entzündung  den  weitern  Brand  des  Bitumens 
zur  Folge  haben;  sie  können  aber  auch  durch  directe  Entzündung  des  Bitumens 
veranlasst  werden.  Das  Holzwerk  ist  gewöhnlich  nass  und  kann  in  diesem  Zu- 
stande dem  Brande  keine  Nahrung  bieten. 

Alle  Brände  dieser  Art  sind  mit  einer  enormen  Entwicklung  von  Quecksilber- 
dumpfen  und  schwefliger  Säure  verbunden.  Bekanntlich  wurde  18C3  zu  Idria  in 
Folge  der  Entzündung  des  Quecksilberbranderzes  eine  ganze.  1300  Mann  starke  Knapp- 
schaft derart  vergiftet,  dass  900  Mann  zeitlebens  an  den  Folgen  dieser  Vergiftung,  an 
Muskelzittern,  litten  und  arbeitsunfähig  blieben,  während  400  Mann  zwar  wiederher- 
gestellt wurden,  jedoch  niemals  wieder  ihre  frühere  Kraft  erhielten.  9) 

-  Die  Grubenwässer  und  alle  Wässer,  welche  bei  der  Aufbereitung  der  Erze 
benutzt  werden,  sind  quecksilberhaltig.  Von  der  Verwendung  der  Grubenwässer  zum 
Trinken  kann  keine  Rede  sein,  da  dies  niemals  geschieht:  aber  auch  ihr  Abfluss  in 
Bäche  und  Flüsse  ist  gänzlich  unstatthaft,  da  alle  Fische  dadurch  getödtet  werden  und 
die  ökonomische  Benutzung  eines  solchen  fliessenden  Wassers  unmöglich  wird.  Noch 
weniger  dürfen  die  Grubenwässer  zum  Löschen  des  abdcstillirten  Erzes  benutzt  werden. 

Das  Klauben,  Pochen  und  Sortiren  der  Erze  ist  bei  einem  Gehalte  an 
metallischem  Quecksilber  für  die  Arbeiter  höchst  gefährlich  und  muss  dabei  die 
grösste  Vorsicht  beobachtet  werden.  Reinlichkeit  Bäder  und  Wechsel  der  Kleider 
nach  vollendeter  Arbeit  sind  sowohl  in  der  Grube  als  bei  der  Bearbeitung  der 
Erze  absolut  erforderlich. 

Schon  in  früheren  Jahren  hat  man  in  Spanien  die  Beobachtung  gemacht,  dass  die 
freien  Arbeiter  bis  zum  herangerückten  Alter  gesund  blieben,  während  die  Sträflinge, 
welche  ihre  Kleidung  nicht  wechseln  konnten  und  in  der  Grube  selbst  ihre  Nahrung  zu 
sich  nahmen,  an  allen  Symptomen  der  Mercurial-Dyskrasie  litten. 

Zu  Neu-Almaden  in  Californien  leiden  sogar  die  Maulthiere,  welche  den 
Transport  der  Quecksilbererze  von  der  Grube  nach  den  Hütten  besorgen,  oft  an 
Speiehelfluss.  Man  nimmt  an,  dass  durchschnittlich  im  Jahre  wenigstens  20—30  Stück 
davon  für  jeden  Schacht  in  Folge  der  eingeathmeten  Quecksilberdämpfe  zu  Grunde  gehen. 

Um  die  Arbeiter  vor  dem  Einathmen  des  Quecksilberdampfes  zu  schützen, 
dürfte  sich  das  Vorbinden  von  Schwämmen,  welche  an  ihrer  äussern  Seite  mit 
einem  Ueberzug  von  fein  vertheiltem  metallischem  Zinn  (Zinnschlamm)  versehen 
sind,  ganz  vortrefflich  eignen,  indem  sich  dadurch  Zinnamalgam  bildet.  Auch 
Respiratoren  könnten  auf  die  Weise  construirt  werden,  damit  die  einzuathmende 
Luft  vorher  Zinnfolien  oder  auch  Goldplättchen  passirt. 

Tabaksrauchen  und  Tabakskauen  könnten  zwar  dadurch  von  Nutzen  sein,   dass 


Sanitäre  Verhältnisse  bei  den  Hüttenarbeitern.  735 

hierdurch  die  Speichelabsonderung  vermehrt  und  Veranlassung  zum  Ausspucken  der 
aufgenommenen  Quecksilbertheilchen  gegeben  wird,  andrerseits  ist  jedoch  mit  dem  Tabaks- 
rauchen auch  ein  verstärktes  Inspiriren  verbunden;  dieses  ist  deshalb  entschieden  ab- 
zurathen.  Tabakschnupfen  empfiehlt  sich  schon  deshalb  nicht,  weil  die  Hände  mit 
dem  gefährlichen  Schmutze  stets  verunreinigt  sind. 

Das  Mischen  der  Erze  mit  Kalk  und  Eisen  rauss  ebenfalls  mit  grosser  Vor- 
sicht geschehen,  weil  durch  den  sich  bildenden  Staub  die  metallischen  Theile  mit 
fortgeführt  werden. 

Im  Allgemeinen  sind  die  Grubenarbeiter  weniger  dem  Mercurialismus  aus- 
gesetzt als  die  Hüttenarbeiter,  welche  namentlich  beim  Rösten  der  Erze  auf 
vielfältige  Weise  mit  den  Quecksilberdämpfen  in  Berührung  kommen  und  sich  nur  bei 
grösster  Vorsicht  vor  der  Inhalation  derselben  schützen  können. 

Die  Destillation,  die  mittels  eiserner  Retorten  geschieht,  setzt  den 
Arbeiter  beim  Laden  derselben  und  beim  Ausziehen  des  abdestillirten  Erzes  am 
meisten  in  Gefahr. 

Das  Laden  und  Entladen  der  Retorten  muss  mittels  eiserner  Laden,  welche 
sich  auf  eisernen  Schienen  und  Rollen  bewegen,  geschehen,  da  hierdurch  die  Arbeit 
beschleunigt  und  daher  auch  der  Arbeiter  mehr  geschützt  wird.  Der  Verschluss  der 
Retorten  geschieht  durch  eiserne,  mit  Lehm  verschmierte  Deckel  und  Stellschrauben, 
grade  wie  bei  der  Darstellung  des  Leuchtgases  im  Grossen.  Die  während  der  Destillation 
auftretenden  Dämpfe  und  Gase  müssen  durch  eine  gute  Kühlung,  d.  h.  durch  beständigen 
Wasserzufluss  conclensirt  werden;  die  uncondensirten  Gase:  Kohlenoxyd,  Kohlen- 
wasserstoff u.  s.  w.,  sind  in  die  Feuerung  zu  leiten.  In  dem  Falle,  dass  das  Erz  sehr 
bitumenreich  war,  müssen  die  betreffenden  Vorsichtsmassregeln  bezüglich  der  Explosion 
berücksichtigt  werden. 

Bei  dieser  Destillation  werden  jedenfalls  am  wenigsten  schädliche  Gase  in  die  Atmo- 
sphäre abgeführt,  indem  das  Quecksilber  vollständig  condensirt  wird,  der  Schwefel 
in  gebundener  Form  sich  im  Rückstand  befindet  und  die  uncondensirbaren  brennbaren 
Gase  in  die  Feuerung  geleitet  und  zerstört  werden.  Diese  Methode  verdient  deshalb  in 
sanitärer  Beziehung  die  meiste  Berücksichtigung  und  um  so  mehr  eine  allgemeine  Ein- 
führung, als  sie  unter  geringen  Modifikationen  sowohl  bei  armen  als  bei  reichen  Erzen 
angewendet  werden  kann. 

Bei  allen  andern  Methoden  geht  sämmtlicher  Schwefel  als  schweflige 
Säure  über,  welche  entweder  mit  Quecksilberdämpfen  in  die  Atmosphäre  tritt  oder 
nur  theilweise  gewonnen  wird. 

Die  Verwendung  der  schwefligen  Säure  zur  Schwefelsäure-Fabrication  hat 
sich  hier  nicht  bewährt,  weil  der  nie  fehlende  Quecksilbergehalt  die  Bleikammern  durch 
Amalgamation  rasch  zerstört.  Die  condensirte  schweflige  Säure  könnte  aber  zum 
Bleichen  von  Seide  und  Wolle  benutzt  werden;  auch  dürfte  die  Absorption  der 
schwefligen  Säure  mittels  Sodarückstände  zweckmässig  sein,  weil  hierdurch  das 
Quecksilber  als  Schwefelquecksilber  gebunden  und  unterschwefligsaures 
Calcium  erzeugt  würde. 

Aus  den  Aufgebetrichtern  ist  die  Entwicklung  der  Quecksilberdämpfe  sehr  unbe- 
deutend, da  kalte  Luft  in  den  Trichter  hineinströmt,  wodurch  die  schweren  Quecksilber- 
dämpfe mehr  nach  den  Condensationsvorrichtungen  hingeführt  werden;  dagegen  tritt 
hier  nicht  selten  schweflige  Säure  auf. 

Beim  Kammersystem  dürfen  die  Kammern  behufs  Räumung  nur  dann  betreten 
werden,  wenn  sie  vollständig  abgekühlt  sind;  jedenfalls  ist  ein  vorhergehendes  Be- 
sprengen der  Kammern  sehr  noth wendig,  um  alle  Staubbildung  so  viel  als  möglich  zu 
verhüten.  Immerhin  müssen  aber  die  Arbeiter  noch  die  grösste  persönliche  Vorsicht 
gebrauchen  und  sich  der  oben  erwähnten  Schwämme  bedienen;  überhaupt  müssen  hier 
alle  Vorsichtsmassregeln  beobachtet  werden,  welche  bei  Blei  und  Bleiweiss  erwähnt 
worden  sind. 

In  Spanien  sind  die  Verdichtungskammern,  in  welche  die  Aludeln  ein- 
münden, mit  einem  Fenster  versehen,  durch  welches  die  Arbeiter  von  Zeit  zu  Zeit  ein- 
steigen, um  das  Quecksilber  herauszunehmen;  während  des  Brandes  ist  das  Fenster 
geschlossen.  Am  mühsamsten  ist  das  Auskehren  der  Verdichtungskammern;  die 
Arbeiter  gebrauchen  oft  mehrere  Stunden,  um  die  Mauern  mit  Besen  von  dem  anhängen- 
den Metallstaub  zu  reinigen.  Zur  Vermeidung  von  Mercurialintoxicationen  ist  hier  die 
grösste  Vorsicht  nöthig. 

Bezüglich  der  Destillationsrückstände  ist  zu  bemerken ,  dass  dieselben  bei  _  der 
Retortendestillation,  neben  der  Gangart  aus  dem  Muttergestein,  aus  Schwefelcalcium 


736  Quecksilber. 

oder  Schwefeleisen  bestehen:  sie  werden  fast  überall  auf  die  Halden  gestürzt,  wo 
sie  im  erstem  Falle  der  Oxydation  unterliegen  und  zur  Entwicklung  von  HiS  neben 
Gipsbildung  Veranlassung  geben.  Sie  können  wie  die  Sodarückstände  behandelt 
werden. 

Im  zweiten  Falle  veranlasst  das  Schwefeleisen  durch  Oxydation  die  Bildung 
von  schwefelsaurem  Eisen ox yd  ul:  letzteres  kann  mit  dem  Regen  abgeführt 
werden  und  leicht  zur  Verunreinigung  der  Brunnen  u.  s.w.  beitragen,  weshalb  eine 
zweckmässige  Speicherung  hierbei  nothwendig  ist. 

Die  bei  den  andern  Methoden  abfallenden  Rückstände  sind  von  geringerer  Be- 
deutung und  nur  dann,  wenn  die  Gangart  eisenhaltig  ist,  kann  sich  durch  Oxydation 
ebenfalls  Eisenvitriol  bilden. 

Das  aus  den  nassen  Erzen  condensirte  Wasser  sowie  das  Beriese  lungs- 
wasser  hat  man  in  der  Weise  zu  verwertheü  gesucht,  dass  man  es  mit  Eisen  oder  Zink 
zusammenbringt,  wodurch  Eisen-  oder  Zinkvitriol  gewonnen  wird  und  das  metallische 
Quecksilber  sich  ausscheidet.  Arsenwasserstoff  entwickelt  sich  aber  hierbei  fast 
immer,  da  dieses  Wasser  meist  Arsen  enthält:  diese  Procedur  muss  daher  im  Freien 
und  mit  der  nöthigen  Vorsicht  vorgenommen  werden. 

Beim  Waschen  des  Destillats  ist  zu  berücksichtigen,  dass  die  dabei  abfallenden 
Wässer  stets  quecksilberhaltig  sind:  auch  müssen  sich  die  Arbeiter  Arme  und  Hände 
mit  Fett  einreiben,  um  der  Haut  einen  hinreichenden  Schutz  zu  gewähren. 

Die  Verpackung  des  Quecksilbers  geschieht  in  drei  verschiedenen  Formen,  ent- 
weder in  eisernen  Flaschen  oder  in  ledernen  Beuteln,  welche  noch  in  schweren  hölzernen 
Kisten  besonders  verpackt  werden,  oder  endlich  in  Bambusröhren. 

Die  Verpackung  in  ledernen  Beuteln  ist  die  schlechteste,  besonders  beim  über- 
seeischen Transport*);  bei  Avarie  können  nämlich  die  Beutel  leicht  faulen,  so  dass  das 
Quecksilber  in  den  Schiffsraum  ausläuft  und  die  ganze  Mannschaft  vergiftet.  So  ist 
namentlich  das  Schicksal  bekannt,  welches  die  Mannschaft  des  Kriegsschiffes  „Triumph" 
betraf,  die  1810  aus  einem  bei  Cadix  gescheiterten  Schiffe,  welches  mit  Quecksilber 
beladen  war,  130  Kisten  Quecksilber  rettete  und  dieselben  an  Bord  brachte  Als  das 
Metall  aus  den  verfaulten  Lederbeutelu  ausfloss  und  in  den  mit  faulem  Wasser  ge- 
füllten  Schiffsraum  drang,  bekamen  binnen  3  Wochen  200  Mann  Speichelfluss,  Mund- 
geschwüre, Verdauungsstörungen  und  paretische  Erscheinungen;  alles  Vieh 
an  Bord,  wie  Schafe,  Ziegen,  Schweine.  Geflügel  u.  s.  w.  gingen  zu  Grunde. 

Um  den  Nachweis  der  Quecksilber -Verdampfung  zu  liefern,  darf  man  nur  ein 
Goldblättchen  oder  ein  mit  Jodkalium  oder  Schwefelalkali  getränktes  Papier  über  einer 
Quecksilberfläche  aufhängen,  wo  sich  alsdann  im  ersten  Falle  Goldamalgam  mit 
gelber  Farl>e,  im  zweiten  Queeksilberjodür  mit  grünlicher  und  im  dritten  Falle  Queck- 
silber sulfid  mit  schwarzer  Farbe  bilden  wird 

Quecksilber-  Industrie. 

Das  Quecksilber  wird  iu  der  Technik  hauptsächlich  als  Lösungsmittel  an- 
gewendet. Auf  der  Eigenschaft  des  Quecksilbers.  Metalle  ohne  Veränderung  auf- 
zulösen und  sie  iu  der  Hitze  unverändert  zurückzulassen,  beruht  vorzugsweise 
die  Anwendung  desselben  zur  Gewinnung  des  Goldes  und  Silbers  durch  Anial- 
gamation.  Eine  der  ausgedehntesten  Anwendungen  ist  die  zu  Zinnaiualgam,  welches 
zum  Belegen  der  Spiegel  benutzt  wird. 

In  den  Spiegelfabriken  geschieht  das  Amalgamiren  auf  einer  marmornen 
Tischplatte,  welche  an  allen  Seiten  mit  Rinnen  und  an  einer  Ecke  mit  einem  Loche  ver- 
sehen ist,  welches  zu  einem,  das  abfliessende  Quecksilber  aufnehmenden  Schlauch  führt, 
der  direct  mit  einem  geschlossenen  Holzgefäss  in  Verbindung  steht,  damit  kein  Ver- 
spritzen des  Quecksilbers  eintreten  kann.  Der  Tisch,  worauf  die  Platte  liegt,  kann  ver- 
möge seiner  Construction  aus  der  senkrechten  Lage  in  eine  schiefe  gebracht  werden. 

Die  Zinnfolie  wird  platt  auf  die  marmorne  Platte  ausgebreitet,  deren  äussere 
Ränder  mit  Glasstreifen,  die  mit  Wachs  aufgeklebt  sind,  umlegt  werden;  hierauf  wird 
so  viel  Quecksilber  auf  die  Folie  gegossen,  dass  sein  Niveau  etwas  die  Glasstreifen  über- 
ragt. Das  zu  belegende  Spiegelglas  ist  nun  so  auf  das  Quecksilber  aufzulegen,  dass 
sich  weder  Luft  noch  Unreimgkeiten  dazwischen  lagern  können.  Es  wird  daher  das 
Spiegelglas  mit  warm  gehaltenen  leinenen  Tüchern  sorgfältig  gereinigt,  vor  der  Einschiebe- 


Kürschner,  welche  später  solche  Beutel  bearbeiten,  können  dadurch  noch  Mer- 
curial-Affectionen  erleiden. 


Quecksilber -Industrie.  737 

stelle  ein  auf  Leinwand  befestigter  Streifen  weissen  Papiers  ausgebreitet,  auf  den  Glas- 
streifen zu  beiden  Seiten  befestigt  und  dann  das  Spiegelglas  über  diesen  und  das  Queck- 
silber hinweg  in  der  Weise  geschoben,  dass  ein  Theil  des  Quecksilbers,  namentlich  die 
sogenannte  Oxydhaut,  dadurch  verdrängt  wird.  Ist  die  Procedur  gelungen,  so  werden 
die  Glasstreifen  weggenommen,  das  Spiegelglas  mit  eisernen,  unten  mit  Filz  belegten 
Gewichten  beschwert  und  12  Stunden  in  horizontaler  Lage  gelassen;  hierauf  wird  die 
Tischplatte  etwas  nach  vorn  geneigt. 

Ist  der  Beleg  hinreichend  fest  geworden,  so  wird  das  Spiegelglas  beinah  senk- 
recht mit  einer  Ecke  so  auf  den  mit  Papier  belegten  Boden  gestellt,  dass  es  mit 
zusammengehäuften  Abfällen  von  Zinnfolie  in  Berührung  kommt;  hierdurch  soll  der  Ab- 
fiuss  des  letzten  Restes  von  Quecksilber  bewirkt  und  dies  von  den  Stanniolabfällen  auf- 
genommen werden. 

Durch  das  Abpressen  des  überschüssigen  Quecksilbers  kann  leicht  ein 
"Verschütten  und  Verspritzen  desselben  in  den  Arbeitsraum  veranlasst  werden  und  muss 
daher  mit  Sorgfalt  hierbei  verfahren  werden.  Das  vom  Belegtische  abgeflossene  und 
wieder  angesammelte  Quecksilber  wird  nämlich  in  vielen  Fabriken  mittels  Pressens 
durch  Woll-  oder  Leinenzeug  gereinigt,  eine  Manipulation,  die  äusserst  schädlich  auf 
die  Arbeiter  einwirken  kann  und  nur  als  ein  ganz  rohes  Verfahren  zu  bezeichnen  ist, 
welches  viel  zweckmässiger  durch  den  Gebrauch  eines  gläsernen  und  mit  einem  gläsernen 
Hahn  versehenen  Scheidetrichters  ersetzt  werden  kann;  dadurch  kann  auch  das  Reinigen 
resp.  das  schädliche  Ausklopfen  der  Seih-  oder  Presstücher  in  Wegfall  kommen. 

Der  Boden  des  Arbeitsraums  muss  mit  eingefalzten  Dielen  versehen  oder 
macadamisirt  sein,  damit  sich  kein  Quecksilber  zwischen  den  Ritzen  ansammeln 
kann.  Auch  beim  Reinigen  des  Bodens  kann  man  sich  der  Abfälle  von  Zinn- 
folien bedienen,  um  das  Quecksilber  zu  binden;  selbst  zur  bleibenden  Bedeckung  des 
Bodens  wären  solche  Abfälle  oder  Zinnasche  zweckmässig.  Erfahrungsgemäss  sind 
die  Arbeiter,  welche  das  verschüttete  Metall  zusammenkehren,  am  meisten  dem  Mer- 
curialismus  ausgesetzt. 

Pappenheim10)  räth  die  Bestreuung  des  Bodens  mit  Schwefel  an,  welches  schon  früher 
in  grösserer  Ausdehnung  von  Prof.  G.  G.  Stokes  empfohlen  worden  ist;  dieser  hält  es 
nämlich  für  nützlich,  dass  die  Arbeiter  nur  Kleider  tragen,  die  mit  Schwefel  imprägnirt 
sind;  es  würde  nach  seiner  Ansicht  genügen,  diese,  zumal  wenn  sie  aus  Wollstoffen  be- 
stehen, mit  Schwefelblumen  einzureiben  oder  sie  in  die  Lösung  einer  höhern  Schwefel- 
verbindung eines  Alkalimetalls  und  dann  in  eine  gehörig  verdünnte  Säure  zu  tauchen, 
um  den  Schwefel  in  den  Stoffen  niederzuschlagen;  schliesslich  soll  mit  Wasser  alles 
Lösliche  entfernt  werden.  Mund  und  Nase  sind  dabei  mit  einem  lockern,  schwefelhaltigen 
Tuche  zu  bedecken. 

v.  Schrötter  empfiehlt  in  solchen  Räumen  eine  mit  Jod  gesättigte  Jodkalium- 
lösung in  flachen  Schalen  aufzustellen,  während  neuerdings  Claude11)  in  der  Pariser 
Academie  der  Wissenschaften  berichtete,  dass  in  der  Spiegelmanufactur  zu  Chauny 
keine  Quecksilbervergiftung  mehr  vorgekommen  sei,  seitdem  man  die  Fussböden  in 
den  Werkstätten  nach  Beendigung  der  Arbeit  mit  Ammoniaklösung  besprengt  habe. 

Merge.t  empfiehlt  das  Ausstreuen  von  Chlorkalk  auf  den  Boden  der  Zimmer 
und  öftere  Waschungen  der  Arbeiter  mit  chlorkalkhaltigem  Wasser.  Wenn  hierbei  die 
Bildung  von  Calomel  erzielt  werden  soll,  so  muss  auch  der  Bedeutung  dieses  Präparats 
Rechnung  getragen  werden,  da  es  ebenfalls  schädliche  Folgen  erzeugen  kann. 

Immerhin  wird  die  höchste  Sorgfalt  auf  Reinhaltung  des  Bodens  und  Vermeidung 
von  Staub  zu  legen  sein;  der  Arbeitsraum  darf  daher  nie  zu  andern  Zwecken, _z.  B. 
zum  Verpacken  u.  s.w.,  benutzt  werden,  da  jeder  Schmutzstaub  auch  die  Quecksilber- 
dämpfe weiter  fortträgt.  Der  Kehricht,  welcher  mit  Quecksilberpartikelchen  vermengt 
ist,  muss  besonders  aufbewahrt  werden;  es  ist  aber  stets  vorzuziehen,  nur  mittels 
Zinnasche  oder  Schwefel  das  Kehren  zu  bewirken  oder  vor  dem  Kehren  den  Boden 
mit  Ammoniaklösung  zu  besprengen;  letzteres  hat  noch  den  besondern  Vortheil,  dass 
die  Feuchtigkeit  das  Aufwirbeln  von  Staub  verhütet. 

Eine  kräftige  Ventilation  ist  für  solche  Räume  nicht  zweckmässig,  weil  durch  ge- 
steigerte Luftströmung  auch  eine  vermehrte  Verdunstung  des  Quecksilbers  herbeigeführt 
wird;  dagegen  würde  die  mechanische  Exhaustion  hier  den  grössten  Effect  erzielen ; 
in  grossen  Etablissements  sollte  dieselbe  nie  ausser  Acht  gelassen  werden.  Man  hat 
auch  für  eine  gleichmässige  und  möglichst  niedrige  Temperatur  (im  Winter  höchstens 
17—18°  C.)  zu  sorgen;  strahlende  Wärme  von  Oefen  und  grosse  Leitungen  von  Ofen- 
röhren vermeide  man  ganz  besonders,  um  nicht  die  Verdunstung  des  Quecksilbers  zu  be- 
fördern resp.  die  Ablagerung  des  Quecksilberstaubes  zu  begünstigen ;  man  wende  nurWand- 
öfen  an,  die  von  aussen  geheizt  werden.  Für  den  Sommer  ist  die  Lage  der  Arbeits- 
räume nach  Norden  absolut  erforderlich,  nicht  allein  wegen  der  Temperatur,  sondern 
auch  zur  Vermeidung  des  Reflexes,  welchen  die  Sonnenstrahlen  hervorrufen  würden. 

Eulenberg,  Gewerbe-Hygiene.  47 


738  Quecksilber. 

Während  clor  Arbeit  müssen  die  Arbeiter  lange  leinene  Ueberwürfe,  welche  bis 
zum  Halse  hin  dicht  zugeknöpft  sind,  tragen,  um  die  eignen  wollenen  Kleider  vor  dem 
Einnisten  de?  Quecksüberdampfes  zu  schützen.  Es  ist  daher  auch  zweckmässiger,  dass 
sie  keine  Voll-  oder  Schnurbärte  tragen,  um  dem  Quecksilberdampfe  keine  dem  Ein- 
athmen  günstige  Ablagerungsstelle  zu  bieten.  Sowohl  für  Männer  als  auch  für  Frauen  ist 
eine  leichte,  aus  Papier  hergestellte  Kopfbedeckung  zu  empfehlen,  um  den  Quecksüber- 
dampf  thunlichst  von  den  Haaren  fern  zu  halten,  da  diese  zur  Aufnahme  des  Metalls 
vorzugsweise  geeignet  sind. 

Die  grösste  Gefahr  beruht  nach  allen  Erfahrungen  grade  in  den  mit  Quecksilber- 
dampf imprägnirten  Kleidungsstücken  und  ist  daher  auch  auf  eine  häufige  Reinigung 
der  Arbeitskleider  in  der  Weise  zu  dringen,  dass  sie  zuerst  durch  ein  Bad  von  Schwefel- 
leber und  nachher  durch  ein  schwach  angesäuertes  Bad  gezogen  werden.  Auch  ihre 
eignen  Kleidungsstücke  haben  die  Arbeiter  so  zu  wählen,  dass  sie  häufig  dieser  Behand- 
lungsweise  unterworfen  werden  können. 

Wie  im  Allgemeinen,  so  ist  auch  bei  der  Beschäftigung  mit  gefährlichen 
Metallen  wiederholt  die  grösste  Reinlichkeit  als  eine  Hauptbedingung  zur  Erhaltung  der 
Gesundheit  hervorzuheben.  Spiegelarbeiter  müssen  deshalb  häufig  Schwefelbäder 
nehmen,  um  auch  die  geringsten  Ueberreste  von  angesammeltem  Quecksilberstaub  zu 
beseitigen:  diesen  dürfen  sie  weder  am  Körper,  noch  in  den  Kleidungsstücken  herum- 
tragen, um  nicht  ausserhalb  der  Fabrik  ebenso,  gefährdet  zu  sein  wie  in  den  Arbeits- 
räumen. Im  Ganzen  dürfte  die  erstere  Art  der  Vergiftung  ebenso  sehr  zu  beachten  sein 
wie  die  letztere. 

Fabricanten.  welche  auf  das  Wohl  ihrer  Arbeiter  bedacht  sind,  haben  allen  diesen 
Verhältnissen  grosse  Aufmerksamkeit  zu  widmen.  Im  Allgemeinen  kann  man  behaupten, 
dass  aus  den  verschiedenen  technischen  Manipulationen,  welche  mit  dieser  Fabrication 
verbunden  sind,  weniger  Gefahr  als  aus  dem  Abpressen,  dem  Verschütten  und 
Verspritzen  des  Quecksilbers  erwächst,  da  ein  solches  frei  im  Arbeitsraum  ver- 
teiltes Quecksilber  vermöge  seiner  grossen  Oberfläche  die  hauptsächlichste  Quelle  der 
Quecksilber -Atmosphäre  darstellt.  Wird  die  Destillation  des  Quecksilbers  in 
solchen  Fabriken  vorgenommen,  so  sind  die  bei  dieser  Operation  bereits  hervor- 
gehobenen Vorsichtsmassregeln  zu  beobachten. 

Selbstverständlich  darf  in  den  Arbeitsräumen  niemals  gegessen  oder  getrunken 
werden;  auch  ist  ein  Wechsel  mit  den  Arbeitern  erforderlich,  während  manche 
Individuen  vermöge  einer  besondern  Disposition  zu  Quecksilbervergiftungen  oder  mit 
Rücksicht  auf  ihre  schwächliche  Constitution  zu  solchen  Arbeiten  gar  nicht  zuzulassen 
sind.  Dass  bei  Manchen  eine  grössere  individuelle  Widerstandskraft  gegen  Quecksilber- 
einwirkung vorkommt,  kann  durchaus  nicht  geleugnet  werden,  ebensowenig  wie  das 
Gegentheil:  namentlich  findet  sich  bisweilen  bei  Frauen  die  grösste  Disposition  zu 
solchen  Erkrankungen.  Aus  diesem  Grunde  muss  man  es  für  erforderlich  erachten,  die 
Spiegelfabrication  stets  einer  ärztlichen  Ueberwachung  zu  unterwerfen,  um  die  nicht 
hierzu  geeigneten  Constitutionen  frühzeitig  fern  zu  halten.  Auch  beim  jedesmaligen  Ver- 
lassen des  Arbeit slocals  zu  den  Essenszeiten  ist  eine  gründliche  Reinigung  und  namentlich 
ein  sorgfältiges  Ausspülen  des  Mundes  nothwendig. 

Als  die  wichtigsten  Affectionen  der  Spiegelbeleger  treten  Digestionsstörungen 
und  das  Zittern  auf.  Im  Allgemeinen  sind  jüngere  Leute  disponirter  als  ältere:  sie 
sollten  ebenso  wenig  wie  Frauen  zu  dieser  Arbeit  zugelassen  werden. 

Es  ist  zu  bedauern,  dass  der  Silberbeleg  (s.  Silber)  noch  so  wenig  Eingang 
gefunden  hat.  obgleich  er  bei  grössern  Spiegeln  billiger  als  der  Quecksilberbeleg  her- 
gestellt werden  kann. 

Exhalation  von  Quecksilberdampf  kann  noch  vorkommen  bei  der  Telegraphie. 
wo  die  Verbindungsdrähte  grösstentheils  in  mit  Quecksilber  gefüllte  Näpfchen  ein- 
getaucht sind.  Durch  Verschütten  des  Quecksilbers  in  den  Arbeitsraum  oder  durch 
"Verdunsten  aus  den  Näpfchen,  welche  sich  bisweilen  erwärmen,  können  schädliche  Queck- 
silberdämpfe entstehen. 

Die  bei  galvanischen  Batterien  verquickten  Zinkelemente,  die  Reibzeuge  der 
Elektrisirmaschinen,  das  Conserviren  der  Insecten  mittels  metallischen  Quecksilbers  u.  s.  w. 
sind  ebenfalls  in  Bezug  auf  sensible  Individuen  beachtungswerth. 

Wichtig  ist  noch  das  Auskochen  der  Baroilieterrühren :  wenn  dieselben  hierbei 
springen  und  ihren  Inhalt  in  das  Kohlenfeuer  ergiessen.  kann  leicht  eine  Quecksilberver- 
giftung vorkommen,  die  bei  Barometermachern  nicht  selten  als  Tremor  mercurialis  auftritt. 

Zur  Bestimmung  des  Schwerpunctes  der  Hohlgeschosse  wird  ein  Quecksilberbad 
benutzt:  auch  hierbei  kann  durch  die  Verdunstung  und  die  verschiedenen  Manipulationen 
eine  nachtheilige  Quecksilber -Einwirkung  vorkommen.  Ebenso  sehr  sind  die  Queck- 
silberwannen in  chemischen  Laboratorien  zu  beachten. 

In  neuerer  Zeit  wendet  man  leicht  flüssige  Legirnngen  von  Zinn,  Blei,  Wismuth 
und  Quecksilber   zur  Fabrication   der  sogenannten  Spiegelkugeln   an.    Es  wird  die 


Quecksilber -Verbindungen.  739 

geschmolzene  Legirung  in  die  betreffenden  Glaskugeln  gegossen  und  alsdann  so  stark 
erhitzt,  dass  das  Quecksilber  zur  Verdampfung  gelangt.  Eine  gefährliche  Einwirkung 
kann  hierbei  nicht  stattfinden,  weil  die  Menge  des  Quecksilbers  gering  ist  und  ausserdem 
in  der  Kugel  bleibt,  um  sich  beim  Erkalten  derselben  auf  der  Metalloberfläche  wieder 
niederzuschlagen. 

Eine  Zahnplombe,  welche  aus  Zinnkadmiumamalgam  besteht,  ist  ungefährlich, 
weil  diese  Verbindung  das  Quecksilber  sehr  fest  gebunden  hält;  auch  ist  in  dieser 
Composition  die  Menge  des  darin  enthaltenen  Quecksilbers  gering. 

Quecksilber -Verbindungen. 

Quecksilberoxyd  HgO,  Mercurius  praecipitatus  raher,  ist  wegen  seiner  Dar- 
stellung im  Grossen  zu  erwähnen;  benutzt  man  nämlich  eine  chlorhaltige 
Salpetersäure  zur  Darstellung  des  Quecksilbernitrats,  so  bilden  sich 
später  beim  Erhitzen  dieser  Verbindung  mit  metallischem  Quecksilber  leicht 
Sublimatdämpfe. 

Ein  Kaninchen,  welches  diesen  Dämpfen  ausgesetzt  wurde,  erlag  denselben  binnen 
2  Stunden.  Die  Section  bot  ein  ausgebildetes  Lungenödem  dar,  indem  die  Luftwege 
mit  einem  weissen  Schaum  vollständig  angefüllt  waren  (s.  Sublimat).  Man  hat  daher 
alle  Ursache,  bei  technischen  Vorgängen  dieser  Art  Vorsicht  anzuwenden. 

Quecksilberchlorür  Hg2Cl2,  Calomel,  Hydragyrum  mercuticnm  mite,  wird  im 

Grossen  durch  Sublimation  dargestellt;  derselben  geht  das  Verreiben  von 
Sublimat  und  Quecksilber  voraus,  das  nur  in  geschlossenen,  rotirenden 
Trommeln  ausgeführt  werden,  darf. 

Das  Erwärmen  des  Gemenges  in  einem  langhalsigen  Glaskolben  im  Sandbade 
muss  wenigstens  unter  einem  gut  ziehenden  Rauchfange  geschehen,  da  sich  hierbei  stets 
Dämpfe  von  Quecksilber  und  Sublimat  entwickeln.  Bisweilen  nimmt  man  überhitzte 
Wasserdämpfe  zu  Hülfe;  dann  mündet  der  Schnabel  einer  Retorte  von  Steingut  in  einen 
aus  Brettern  construirten  Abkühlungsraum  und  ist  hierbei  doppelte  Vorsicht  wegen  der 
zu  conden sirenden  Quecksilberdämpfe  nothwendig.  Das  Pulverisiren  des  sublimirten 
Calomels  geschieht  unter  Alkohol,  um  den  beigemengten  Sublimat  zu  entfernen. 

Bei  der  Darstellung  auf  nassem  Wege  wird  ein  lösliches  Mercurosalz  mit 
einem  löslichen  Chlormetall  präcipitirt  Es  bildet  sich  hierbei  stets  Sublimat  und 
es  dürfen  daher  die  Abfallwässer  nicht  frei  abgelassen  werden. 

Quecksilberchlorid  HgClo,  Sublimat,  Hydrargyrum  bichloratnm  corrosivum, 
krystallisirt  in  rhombischen  Prismen,  die  bei  270°  schmelzen,  sich  in  3  Th. 
kochenden  Wassers  und  21j2  Th.  kalten  Alkohols  lösen. 

Einwirkung  der  Sublimatdämpfe  auf  den  thierischen  Organismus.  Die  Dämpfe, 
welche  durch  Erhitzen  von  0,09  Sublimat  entstanden,  wurden  in  den  Glaskasten  geleitet,- 
in  dem  ein  mittelgrosses  Kaninchen  sass.  Die  Krankheits  -  Symptome  bestanden  nur  in 
Augenblinzeln,  wässrigem  Ausfluss  aus  der  Nase,  häufigem  Husten,  Speicheln  und  Zu- 
rückziehen des  Kopfes  in  den  Nacken.  Eine  halbe  Stunde  nach  dem  Beginne  des  Ver- 
suchs stürzt  eine  Menge  Schaum  aus  der  Nase,  blutiger  Urin  geht  ab  und  die 
Respiration  verlangsamt  sich.  Etwas  Auffälliges  zeigt  sich  nicht  mehr,  aber  1  Stunde 
nach  dem  Versuche  stirbt  das  Thier. 

Section  12  Stunden  nachher.  Hirnhäute  und  Plex.ven.  spin.  blutreich, 
ebenso  die  weichen,  schwärzlich-braun  marmorirten  Lungen,  die  viel  weissen  Schaum 
enthalten,  der  auch  die  Bronchien  und  die  Luftröhre  erfüllt,  deren  Schleimhaut  mit  einer 
dünnen  Blutschicht  bedeckt  ist.  In  allen  Herzhöhlen  schwarzes,  dickflüssiges  Blut; 
in  der  Brusthöhle  10  Grm.  blutiger  Flüssigkeit. 

Aus  diesem  Versuche  geht  die  gefährliche  Wirkung  der  Sublimat- 
dämpfe auf  die  Lunge  hinreichend  hervor,  man  sollte  sie  daher  nie  gering 
achten,  wie  es  in  der  Industrie  nicht  selten  geschieht;  ausserdem  spricht 
der  blutige  Urin  für  die  Dissolution  des  Blutes,  welche  Wirkung  des  Queck- 
silbers ist. 

47* 


74(3  Quecksilber. 

Dargestellt  wird  Sublimat  auf  trocknem  Wege  durch  Sublimation  eines  Gemisches 
von  Mercurisulfat  mit  Kochsalz  in  birnförmigen  Gefässen,  die  in  einem  Sandbade 
stehen  und  mit  losen  Kreidcstöpseln  verschlossen  werden. 

Es  gibt  keine  chemische  Operation,  die  so  nachtheilig  auf  die  Gesundheit  der 
Arbeiter  einzuwirken  vermag  wie  diese  Sublimation,  wenn  man  nicht  für  gründliche 
Beseitigung  der  sich  entwickelnden  Sublimatdämpfe  Sorge  trägt.  Haben  sich  die 
Dämpfe  im  Fabriklocale  condensirt,  so  geben  sie  noch  nachträglich  zu  sanitären 
Nachtheilen  Anlass:  so  wurde  z.  B.  ein  solches  Local,  in  welchem  ein  Galeerenofen  mit 
32  Sublimirkolben  stand,  nach  einem  Stillstand  der  Fabrication  von  14  Tagen  aus- 
gekehrt; zwei  Tage  nachher  wurde  der  Arbeiter,  der  dies  Geschäft  besorgt  hatte,  von 
starkem  Speichelfluss  befallen. 

Ohne  einen  kräftigen  Rauchfang,  unter  dem  der  ganze  Apparat  steht,  sollte  man 
diese  Fabrication  nicht  erlauben.  Noch  mehr  empfiehlt  es  sich,  das  ganze  Sandbad  durch 
einen  pyramidal  zulaufenden  und  in  ein  Rohr  endigenden  Kasten  von  Holz  einzuschliessen 
und  das  Rohr  in  eine  Condensations-Vori'iehtung  münden  zu  lassen. 

Die  Darstellung  auf  nassem  Wege  durch  Auflösen  des  Quecksilbers  in  Königs- 
wasser wird  im  Grossen  nicht  ausgeführt. 

Quecksilhersnlfid  HgS  wird  entweder  direct  aus  den  Erzen  oder  auf  künst- 
lichem Wege  dargestellt;  es  ist  nur  in  Königswasser  löslich  und  verbrennt  an  der 
Luft  zu  schwefliger  Säure  und  metallischem  Quecksilber. 

1)  Die  Darstellung  des  Zinnobers  aus  den  Erzen  geschieht  nur  am  Fundorte 
der  letztern.  Auf  das  Schlämmen,  welches  immer  quecksilberhaltiges  Wasser  liefert,  da 
das  Erz  fast  nie  frei  von  metallischem  Quecksilber  ist,  folgt  die  Digestion  mit  ver- 
dünnter Salpetersäure  behufs  Entfernung  des  Ockers  und  Thons.  Das  Erz  wird  nun 
zerkleinert  und  wiederum  dem  Schlämmprocesse  unterworfen,  um  den  Zinnober 
auszuspülen.  Die  bessere  Sorte  heisst  Carminzinnober;  die  letzte  Schlämmung  liefert 
den  schlechtesten  Zinnober,  die  Zinnoberasche.  Alle  Schlämmwässer  sind  queck- 
silberhaltig und  hiernach  zu  behandeln. 

Nach  einer  andern  Methode  wird  das  Erz  gepocht,  mit  alaunhaltigem  Wasser 
gewaschen,  pulverisirt  und  mit  Pech  zusammengeschmolzen;  die  erhaltene  Masse  wird 
in  lauwarmem  Wasser  geknetet,  um  den  Zinnober  zu  gewinnen. 

2)  Künstliche  Darstellung  des  Zinnobers  auf  trocknem  Wege.  Sie  besteht 
a)  in  der  Zusannnenschmelzung  von  Schwefel  und  Quecksilber  in  gusseisernen  Ge- 
fässen  unter  beständigem  Umrühren  bis  zur  Entzündung  des  Schwefels.  Es  entwickelt 
sich  daher  sehr  viel  schweflige  Säure,  welche  um  so  mehr  nachtheilig  einwirken  kann, 
als  die  Procedur  in  geschlossenen  Gefässen  nicht  ausführbar  ist:  die  Gefässe  müssen 
unbedingt  unter  einem  sehr  kräftigen  Rauchfange  stehen,  der  mit  einer  vor  der  Esse 
gelegenen  Gestübbekammer  zu  versehen  ist. 

Das  Zerreiben  der  schwarzen  Masse  von  Schwefelquecksilber  erfordert  eine 
ebenso  grosse  Vorsicht,  da  dieses  noch  metallisches  Quecksilber  enthält;  der  Staub  kann 
bei  den  Arbeitern  Salivation  und  Zittern  erzeugen.  Man  sollte  daher  die  Masse 
erkalten  lassen  und  unter  Wasser  in  geschlossenen  Gefässen  zerkleinern. 

b)  Die  Sublimation  des  Schwefelquecksilbers  in  Glaskolben  bezweckt  die  Ueber- 
führung  des  amorphen  Schwefelquecksilbers  in  krystallinisches.  Zuerst  entwickelt  sich 
Schwefelwasserstoff,  was  die  Arbeiter  Rauchen  (Furaer)  nennen;  dann  treten 
noch  Schwefeldämpfe  auf,  welche  sich  entzünden.  Es  können  aber  auch  durch  Ver- 
brennen geringer  Mengen  von  Zinnober  Quecksilber  dämpfe  entstehen;  war  der 
Schwefel  arsenhaltig,  so  ist  auch  arsenige  Säure  nicht  ausgeschlossen. 

Der  sublimirte  Zinnober  wird  auf  Mühlen  auf  nassem  Wege  pulverisirt  und 
geschlämmt;  die  Schlämm wässer  enthalten  noch  immer  etwas  Quecksilber.  Die  Sublimir- 
gefässe  werden  zertrümmert,  um  den  Zinnober  durch  Abkratzen  zu  entfernen,  die  Glas- 
scherben in  gusseisernen  Röhren  erhitzt,  um  den  Rest  von  Zinnober  resp.  Quecksilber 
zu  verflüchtigen.  Die  Dämpfe  gelangen  in  ein  irdenes  Gefäss,  das  einem  umgestürzten 
Trichter  (Haube)  mit  umgebogenem  Rande  gleicht  und  oben  in  ein  Rohr  ausmündet, 
das  mit  einer  gut  ziehenden  Esse  in  Verbindung  steht,  um  die  schweflige  Säure  und 
etwaige  Quecksilberdämpfe  abzuleiten,  während  sich  die  Wände  der  kühl  gehaltenen  Haube 
mit  Zinnober  beschlagen.  Metallisches  Quecksilber  kann  sich  an  dem  umgebogenen  Rande 
ansammeln.1-') 

3)  Künstliche  Darstellung  des  Zinnobers  auf  nassem  Wege.  Sie  besteht  a)  in 
einer  innigen  Mischung  von  metallischem  Quecksilber  und  Schwefelblumen  in  einem 
Trommelapparate,  wobei  man  eine  zu  starke  Erhitzung  vermeiden  muss,  weil  sonst 
leicht  Explosionen  entstehen. 


Zinnober.  741 

b)  Das  erhaltene  Schwefelqnecksilber  wird  mit  Pottasche  zu  einem  Brei  an- 
gerührt und  im  Sandbade  zum  Sieden  gebracht;  es  entwickelt  sich  hierbei  sehr  viel 
Schwefelwasserstoff,  der  unschädlich  gemacht  werden  muss,  weil  sonst  die  Arbeiter 
gefährdet  sind.  Die  gelbe,  klare  Flüssigkeit  besteht  aus  Schwefelquecksilber- 
Schwefelkalium.  Man  sollte  sie  mit  einer  Säure  versetzen,  um  das  Schwefel- 
quecksilber zu  gewinnen;  nur  ist  hierbei  auf  die  starke  Entwicklung -von  Schwefel- 
wasserstoff gebührende  Rücksicht  zu  nehmen. 

Der  mit  Wasser  gewaschene  Zinnober  wird  noch  mit  verdünnter  Salpeter- 
säure mittels  eines  Rührwerks  gewaschen,  um  die  Schwefelverbindungen  zu  zerstören; 
da  sich  hierbei  ebenfalls  noch  Schwefelwasserstoff  entwickelt,  so  muss  dieser  Act 
in  einem  geschlossenen  Gefässe  mit  Ableitungsrohr  vor  sich  gehen.  Das  säurehaltige 
"Waschwasser  wird  meist  noch  salpetersaures  Quecksilberoxydul  enthalten. 
Bei  grossen  Etablissements  könnte  man  dasselbe  über  Zinkspäne  rieseln  lassen,  ehe 
es  zum  Abüuss  gelangt.  Unter  Abscheidung  von  metallischem  Quecksilber  würde 
sich  Zinknitrat  bilden,  das  zur  Fabrication  von  Zinkchromat,  der  gelben  Malerfarbe, 
benutzt  werden  kann. 

Anwendung  des  Zinnobers.  Der  Benutzung  desselben  als  Malerfarbe  steht  in 
sanitärer  Beziehung  nichts  entgegen;  den  Zinnober  aber  zum  Färben  von  eingemachten 
Früchten,  Conserven,  Oblaten  u.  s.  w.  zu  benutzen,  hat  insofern  grosse  Bedenken,  als  er 
häufig  mit  Mennige  und  Chromzinnober  verfälscht  wird.  Den  Zusatz  der  Mennige 
erkennt  man  leicht  durch  das  Braun  werden  des  Zinnobers,  wenn  man  ihn  mit  Sal- 
petersäure behandelt,  wodurch  sich  Bleisuperoxyd  bildet.  Das  Chrom  weist  man 
nach,  indem  man  verdünnte  Salzsäure  aufgibt,  wobei  man  eine  gelbe  Lösung  erhält, 
welche  durch  Zusatz  von  Weingeist  und  Kochen  lebhaft  smaragdgrün  wird. 

Reiner  Zinnober  ist  in  Natriumsulfhydrat  und  überhaupt  in  Schwefel- 
alkalien vollkommen  löslich;  er  wird  hierbei  missfarbig,  wenn  ihm  Mennige  oder 
chromsaures  Bleioxyd  beigemischt  ist. 

Siegellack,  Wachslichter,  Cigarettenpapier  u.  s.  w.  mit  Zinnober  zu 
färben,  ist  gänzlich  unzulässig,  weil  sich  beim  Verbrennen  sicher  Dämpfe  von  metal- 
lischem Quecksilber  und  schwefliger  Säure  entwickeln.  Man  kann  den  Beweis 
für  diese  Thatsache  leicht  führen,  wenn  man  die  Verbrennungsproducte  durch  einen 
Trichter,  welcher  Baumwolle  enthält,  aufsaugen  lässt.  Dieser  Umstand  ist  wegen  des 
täglichen  und  vielfachen  Gebrauchs  von  mit  Zinnober  versetztem  Siegellack  in  ver- 
schiedenen Bureaus  von  der  grössten  Bedeutung  und  es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass 
die  Luft  in  denselben  durch  die  schädlichen  Verbrennungsproducte  verdorben  und 
die  Gesundheit  mancher  Beamten,  wenn  auch  nur  allmählig,  dadurch  gefährdet 
werden  kann. 

Der  gewöhnliche  rothe  Siegellack  enthält  ausser  Schellack,  Terpentin,  Kreide, 
Gips  und  Zinnober  häufig  noch  Zink-  und  Barytweiss;  solche  Zusätze  sollen  nicht 
bloss  die  Masse  erschweren,  sondern  auch  das  schnelle  Abtropfen  des  Siegellacks  ver- 
mindern, sind  aber  in  sanitärer  Beziehung  nicht  unbedenklich. 

In  Persien  ist  nach  Poläk  die  Inhalation  von  Zinnoberdämpfen  in  der 
Weise  eingeführt,  dass  dem  angefeuchteten  Narghile -Tabak  ein  mit  Catechu,  China, 
Mucilago  Gm.  arab.  u.  s.  w.  vermengter  Trochiscus  von  Zinnober  zugesetzt  und  diese 
Pfeife  1 — 2mal  geraucht  wird;  der  Dampf  wird  eingeathmet  und  nach  einigem  Verbleiben 
durch  Mund  und  Nase  ausgestossen ;  nach  8 — lOmaligem  Einathmen  tritt  eine  massige 
Stomatitis  ein,  worauf  ausgesetzt  wird;  während  der  Cur  wird  der  Mund  häufig  aus- 
gewaschen. 

Auch  allgemeine  Räucherungen  bei  entkleidetem  Körper,  verbundenen  Augen  und 
einer  um  den  Hals  befestigten  Decke  werden  eine  gewisse  Zeit  lang  2mal  täglich  vor- 
genommen, wobei,  unter  Mitgebrauch  von  Holztränken  und  Dampfbädern,  keine 
tiefern  Einwirkungen  auf  den  Organismus  eintreten  sollen. 

In  Persien  will  man  nach  der  Inhalation  der  Zinnoberdämpfe  bloss  Stomatitis 
beobachtet  haben;  ob  hier  die  gleichzeitig  auftretende  schweflige  Säure  die  Wirkung  der 
metallischen  Quecksilberdämpfe  beeinüusst,  mag  dahingestellt  bleiben;  Thatsache_  ist  es, 
dass  diese  therapeutische  Benutzung  der  Dämpfe  dort  seit  langer  Zeit  eingeführt  ist  und 
wahrscheinlich  deshalb  bloss  eine  Mundaffection  hervorruft,  weil  die  Dämpfe  thunlichst 
wieder  ausgestossen  werden. 

Versuche  an  Kaninchen  mit  den  Zinnoberdämpfen  fielen  negativ  aus,  weil  letztere 
rasch  zu  Boden  fallen  und  dadurch  die  Einwirkung  verloren  geht. 

Quecksilbersulfat,  Mercurisulfat  HgS04  wird  durch  Erhitzen  von  Quecksilber 
mit  überschüssiger,  concentrirter  Schwefelsäure  als  ein  weisses  Pulver  erhalten,  welches 
durch  Wasser  in  ein  gelbes,  basisches  Salz,  Turpetum  minerale  HgS044-2HgO, 
zerfällt.  Es  findet  bisweilen  noch  bei  der  Vergoldung  oder  Versilberung,  beim  sogen. 
Platiren,  Verwendung. 


742  Quecksilber. 

Quecksilberoxydulnitrat,  Mercnronitrat  Hg2(N03)24-2H20  kommt  frei  in  der 
Natur  in  Johann-Georgenstadt  vor.  Künstlich  wird  das  Salz  durch  Auflösen  von  über- 
schüssigem Quecksilber  in  Salpetersäure  dargestellt.  Es  bildet  farblose  Krystalle,  die  in 
Wasser  nicht  rollständig  löslich  sind:  in  einer  Lösung  von  salpetersäurehaltigein  Wasser 
oxydirt  es  sich  allmählig  zu  Mercurinitrat.  Zur  Verhütung  der  Oxydation  setzt  man 
zur  Lösung  Quecksilber. 

Die  Lösung  findet  Verwendung  zum  Färben  des  Horns,  zum  Aetzen  der 
Metalle,  zum  Zerstören  von  Indigo  resp.  zum  Gelbfärben  feiner  Woll- 
waaren,  ganz  besonders  in  der  Hntfabrication  zum  Beizen  der  Hasenhaare. 

(|neeksilberoxydnitiat.  Meronrinitrat  Hg(N03)2  ist  in  Auflösung  als  Liquor 
Bellostii  bekannt,  der  in  der  Medicin  zum  Aetzen  benutzt  wird.  Nach  einer  Beob- 
achtung von  Vidal13)  wurde  dieser  Liquor  aus  Versehen  bei  einer  schwächlichen  26jährigen 
Frau  statt  eines  verordneten  Liniments  eingerieben.  Ein  braunrother  Schorf  mit  schmerz- 
hafter Schwellung  der  Umgebung,  ein  choleraartiger  Zustand  mit  geschwollener  Mund- 
sehleimhaut und  blutendem  Zahnfleisch  waren  die  Folgen,  die  am  9.  Tage  den  Tod  herbei- 
führten. Bei  der  Section  fanden  sich  auf  der  Schleimhaut  des  ganzen  Tractus  intest. 
Ekchymosen  und  in  der  Leber  konnte  durch  die  chemische  Untersuchung  ziemlich  viel 
Quecksilber  nachgewiesen  werden. 

Quecksilbersulfooyanid.  Rhodamiueoksilbor  Hg  CXS,,.  wird  durch  Fällen  eines 
löslichen  Quecksilbersalzes  mit  Schwefelcyankalium  dargestellt.  Ein  schwach  gelbliches 
Pulver,  welches,  an  der  Luft  angezündet,  eine  leichte,  -chaumige  Masse  liefert,  welche  das 
(JOOfache  Volumen  der  ursprünglichen  Substanz  liefert  und  aus  Schwefelquecksilber 
und  Cvan  vor  bin  d  u  ngen  besteht.  Die  Verbrennungsproducte  bestehen  aus  Queck- 
silberdämpfen und  schwefliger  Säure. 

Einwirkung  von  Rhoilanqiieeksilber  auf  den  tkierisohen  Organismus.  Einer 
Taube  wurden  0,0  Grm.  chemisch  reinen  Rhodanquecksilbers  beigebracht.  Auffallende 
Krankheitserscheinungen  zeigen  sich  nicht:  10  Stunden  hernach  bläht  sie  sich  nur  auf 
und  vermeidet  das  Futter:  nach  40  Stunden  wird  sie  todt  gefunden,  ohne  dass  Krämpfe 
vorhergingen. 

Section  nach  20  Stunden.  Gehirn  blass,  nur  am  Hinterhaupt  eine  starke  Blut- 
anhäufung; Plex.  veno.-,,  spin.  vou  gewöhnlichem  Blutgehalte:  Kropf  ganz  leer,  die 
Schleimhaut  der  Luftrohre  blass.  Lungen  von  frischer  Röthe,  welche  an  der  Luft  noch 
etwas  heller  wird:  auf  den  Dui'chschnittsflächen  etwas  dickflüssiges  Blut  und  mehrere 
geronnene  Blutklümpchen.  Das  ganze  Herz  ist  mit  schwarzem,  geronnenem 
Blute  angefüllt,  bloss  im  rechten  Vorhof  und  in  der  Ven.  cav.  inf.  etwas  dickflüssiges 
Blut,  welches  an  der  Luft  stellenweise  sehr  hellroth  wird.  Leber  weich,  von  braun- 
rother Farbe,  ziemlich  reich  an  geronnenem  und  dickflüssigem  Blute:  Nieren  blass 
und  muskatnussartig  gefärbt.  Alle  Därme  sind  mit  stark  injicirten  Gefässen  durchzogen; 
sie  enthalten  einen  gelben  und  gelbgrünlichen  Schleim. 

Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass  Queksilbersulfo-cyanid  im  Thierorganismus 
in  Schwefel-  und  Cyanqnecksilber  zerfällt,  wodurch  seine  giftige  Wirkung 
erklärlich  wird. 

Anwendnng  findet  Rhodanquecksilber  zu  Spielereien,  indem  man  beim 
Abbrennen  der  entstehenden  Masse  allerlei  Figuren  bildet:  hierher  gehören  die  Pharao- 
schlangen, die  Hinterlader  u.  s.  w.  Diese  Spielereien  verdienen  nicht  bloss  wegen  der 
sich  entwickelnden  schädlichen  Dämpfe  eine  sanitäre  Beachtung,  sondern  auch  wegen 
des  giftigen  Präparat.-  eine  polizeiliche  Ueberwachung:  ihr  Verkauf  sollte  gar  nicht 
gestattet  werden.14) 


Eisen,  Fe. 

Das  Eisen  kommt  gediegen  fast  nur  in  den  Meteorolithen  nebst  kleinen  Bei- 
mengungen von  Nickel,  Chrom  und  Kobalt  vor.  Wegen  seiner  leichten  Oxydirbarkeit 
findet  es  sich  in  mannigfaltigen  Verbindungen:  mit  Sauerstoff  als  Eisenoxyd  Fe203  im 
Eisenglanz,  Rotheisen,  als  Hydrat  und  Oxyd  Fe2(OH)6  +  Fe203  im  Brauneisen- 
stein, als  Eisenoxydoxydul  FeO.Fe-203  im  Magneteisen,  mit  Kohlensäure  FeC03 
im  Spatheisenstein  und  in  einer  kugelig -traubigen  Varietät  im  Sphärosideri  t, 
mit  Phosphorsäure  im  Raseneisenstein,  mit  Schwefel  als  Bisulfid  im  Schwefel- 
kies, mit  Arsen  im  Arsenkies   und   mit    Kupfer   und  Schwefel   im  Buntkupfererz. 


Eisen.  74g 

Nie  fehlt  Eiseri  in  der  Ackererde  sowie  im  Thier-  und  Pflanzenreich;  wie  der  Kalk  für 
das  feste  Gerüst  der  meisten  Thiere  und  Pflanzen  nothwendig  ist,  so  erfordern  die 
circulirenden  Flüssigkeiten  der  beiden  Reiche  Eisen.  Die  Eisenarmuth  der  Pflanzen 
charakterisirt  sich  in  ähnlicher  "Weise  wie  die  Chlorosis  oder  Anämie  der  Menschen. 

Hüttenmännische  Gewinnung  des  Eisens.  In  einigen  Bergwerken,  namentlich 
in  den  saarbrückischen  und  englischen,  findet  sich  das  Eisen  als  Zwischenlager 
zwischen  dem  Kohlenthonschiefer  und  der  Kohle  als  sogen.  Blackband-  selbst- 
redend treten  hier  bei  der  Förderung  alle  die  schädlichen  und  gefährlichen  Gase 
auf,  welche  im  Allgemeinen  bei  der  Steinkohlenförderuug  vorhanden  sind.  Zu 
denselben  gehören:  Sumpfgas,  Aethylen  (ölbildeudes  Gas),  Acetylen, 
Kohlenoxyd,  Kohlensäure,  Spuren  von  Schwefelwassersoff  und 
flüchtige  Kohlenwasserstoffe;  sie  stellen  Gemische  dar,  welche  theils 
zusammen,  theils  isolirt  vorkommen.  Hauptsächlich  dürfte  unter  Umständen 
Acetylen,  welches  vielfach  als  Sumpfgas  angesehen  worden  ist,  vertreten  sein; 
seine  Einwirkung  auf  das  kupferhaltige  Drahtgeflecht  der  Davy 'sehen  Lampe 
mag  zur  Entstehung  von  Esplosionen  schon  Anlass  gegeben  haben.  Explosive 
Gasgemische  detonir  n  durch  Schlag  oder  Stoss,  entzünden  in  ihrem  Gefolge  die 
brennbaren  Gase  und  rufen  auf  diese  Weise  Explosionen  hervor;  ein  Stückchen 
Kohle,  welches  gegen  das  Netz  der  Lampe  anprallt,  kann  auf  diese  Weise  schon 
Explosionen  veranlassen.  Sonst  kommen  nur  die  sogenannten  schlechten, 
Kohlensäure  enthaltenden  Wetter  bei  Rotheisenstein  und  Brauneisen- 
stein vor;  nach  Umständen  ist  daher  eine  kräftige  Ventilation  erforderlich. 

Von  den  am  meisten  zu  verhüttenden  Erzen  sind  zu  erwähnen:  die  verschiedenen 
natürlichen  Eisenoxyde,  Eisenoxyduloxyde  und  kohlensaures  Eisenoxydul, 
welches  mit  vielem  Thon  gemengt  den  Thoneisenstein  bildet. 

Beim  Thoneisenstein  wird  es  zuweilen  nothwendig,  durch  einen  Poch-  oder 
Schlämmprocess  die  anhaftenden,  speeifisch  leichtern  Thontheilchen  von  dem 
schwerern  Erze  zu  sondern.  Da  er  nie  frei  von  Schwefeleisen  ist,  so  enthalten  die 
Schlämmwässer  den  durch  Oxydation  entstandenen  Eisenvitriol  und  wirken  dadurch 
verderblich  auf  Fische  ein,  wenn  sie  direct  in  Bäche  oder  Teiche  abfliessen.  Ebenso 
wenig  ist  das  Berieseln  der  Wiesen  mit  diesem  Schlämmwasser  gestattet;  ganz  besonders 
dürfen  auch  Wasserläufe,  welche  zu  industriellen  Zwecken,  zur  Papierfabrication ,  zu 
Färbereien,  Gerbereien,  Bleichereien  u.  s.w.  benutzt  werden,  mit  einem  solchen  Schlämm- 
wasser nicht  in  Berührung  kommen. 

In  den  meisten  Fällen  genügt  die  Anlage  von  Schlammabsatzteichen;  in 
denselben  wird  durch  die  grosse  Oberfläche,  welche  man  dem  Sauerstoff  darbietet,  das 
aufgelöste  Ferrosulfat  in  Ferrisulfat  verwandelt;  dieses  Salz  bleibt  durch  seine 
äusserst  feine  Zertheilung  lange  im  Wrasser  suspendirt;  stürmische  Witterung,  Regen  u.  s.w. 
verhindert  das  Niederfallen  dieses  Körpers  fast  gänzlich.  Es  sind  deshalb  immer  mehrere 
derartige  Teiche  in  Anwendung  zu  bringen,  um  desto  sicherer  das  Wasser  von  seinem 
Gehalt  an  Eisen  und  Schwefelsäure  gänzlich  zu  befreien,  damit  es  wieder  zum  Speisen 
der  Dampfkessel,  zu  neuen  Schlämmprocessen  und  andern  technischen  Zwecken  benutzt 
werden  kann. 

Der  Schlamm  dieser  Setzteiche  ist  nicht  selten  arsenhaltig;  immer  enthält  er 
Schwefelsäure  in  gebundenem  Zustande.  Er  wird  geschlämmt  als  Ocker  benutzt; 
gebrannt  liefert  er  eine  der  gebrannten  Terra  sienna  ähnliche  Farbe;  zur  Verhüttung 
eignet  er  sich  nicht,  weil  er  zu  viele  Schlacken  erzeugt. 

A.    Darstellung  des  Gusseisens. 

Beim  eigentlichen  Verhüttungs-  resp.  Rednctionsprocesse  kommen  drei  ver- 
schiedene Stadien  in  Betracht:  1)  das  Erhitzen  resp.  Austreiben  des  Wassers  und 
der  Kohlensäure,  2)  die  Rednction,  3)  die  Kohlenzufuhr  resp.  die  Aufnahme  des 
Kohlenstoffs  zur  Verflüssigung  des  Metalls. 

Hohofenprocess  (Eisenreductionsprocess).  In  seiner  ursprünglichen  Form  schliesst 
er   alle   drei  verschiedenen  Vorgänge  in   sich,   d.  h.   die  neu  aufgegebenen  Erze  werden 


744 


Eisen. 


zuerst  durch  die  abströmende  Wärme  so  weit  erhitzt,  dass  sie  das  Wasser  sowohl  als 
auch  die  Kohlensäure  grösstentheils  abgeben.  Beim  weitern  Niedergehen  der  Schicht 
kommen  die  Erze  bis  zur  Schicht  der  lebhaften  Rothgluth,  wo  sie  mit  Kohlenoxyd 
und  freiem  Kohlenstoff  zusammentretend  reducirt  werden. 

In  dieser  Schicht  muss  für  ein  Verglasen  resp.  Verschlacken  der  Gang-  oder 
Bergart  Sorge  getragen  werden,  d.  h.  hat  das  Erz  grosse  Mengen  von  Thon  und  wenig 
Kieselsäure,  so  muss  man  noch  Kalk  und  Kieselerde  zusetzen,  damit  ein  Verglasen 
stattfinden  kann;  ist  der  Thon  kieselerdehaltig,  so  wird  bloss  Kalk  zugesetzt.  Diese 
Zusätze  nennt  man  Zuschläge,  welche  insofern  von  grosser  Bedeutung  sind,  als  sie 
einestheils  das  glühende  Eisen  vor  der  Gebläseluft,  d.  h.  vor  Oxydation  schützen  und 
andererseits  die  Schmelzbarkeit  der  Gangart  befördern,  da  diese,  meist  aus  Sand  oder 
Thon  bestehend,  nur  als  eine  die  Erze  verunreinigende,  unschmelzbare  Masse  auftritt. 

Dieser  Process  der  Schlackenbildung  ist  daher  bei  der  Eisen-Ausbeute  von 
grosser  Wichtigkeit  und  erfordert  für  jede  Ofencampagne  ein  genaues  Studium  Ist  die 
Schlacke  zu  strengflüssig,  so  bleiben  grosse  Massen  von  metallischem  Eisen  darin  ein- 
geschlossen; ist  sie  zu  leichtflüssig,  so  gelangt  zuweilen  Berg-  oder  Gangart  in  das 
Gestell  des  Ofens  und  veranlasst  die  sogen.  Saubildung,  d.  h.  ein  Festwerden  von 
schlecht  gekohltem  Eisen  im  Gestell. 

Nachdem  das  metallische  Eisen  sich  von  der  Schlacke  getrennt  hat,  gelangt  es  in 
den  heissesten  Theil  des  Ofens,  wo  es  mit  Kohlenstoff  in  Berührung  letztern  aufnimmt 
und  sich  als  Kohlenstoff-Roheisen  oder  Gusseisen  im  sogenannten  Tümpel  an- 
sammelt. Im  Tümpel  muss  noch  so  viel  Schlacke  vorhanden  sein,  dass  das  Eisen 
bedeckt  ist,  da  dieses  sonst  durch  die  Zufuhr  der  Gebläseluft  verbrennen  würde. 

Zur  Erläuterung  dient  Fig.  55;  der  Hohofen  von  kegelförmiger  Gestalt  wird  von 
einem  starken  Gemäuer,  Raufmauer  A  B  umgeben;  sein  innerer  Theil  heisst  Kern- 
schacht, die  Abtheilung  desselben  von  L  nach  C  heisst  Schacht  und  von   D  nach  E 

Rost.    Der  schmalere  Raum  bei 
„ ■  _.-.-  F heisst  Gestell  mit  dem  Eisen- 

kasten (?,  in  welchen  das  ge- 
schmolzene Roheisen  fliesst;  im 
Gestell  liegen  die  2  Oeffnungen 
einander  gegenüber,  welche  zur 
Aufnahme  der  Düsen  des  Ge- 
bläses H  dienen;  man  bedient 
sich  gewöhnlich  des  Cylinder- 
gebläses.  Das  Gestell  führt  auf 
den  Vor  her  d,  welcher  durch 
den  Wallstein  J  begrenzt  ist; 
K  ist  die  Gichtbrücke  und  L 
die  Gicht.  Am  Wallstein  findet 
sich  eine  Spalte,  die  Abstich- 
öffnung, durch  welche  das  ge- 
schmolzene Eisen  mit  der  Schlacke 
abgelassen  wird;  während  des 
Schmelzprocesses  ist  sie  mit  Thon 
verstopft. 

Die  verschiedenen  chemi- 
schen Processe  im  Hohofen  pflegt 
man  in  5  verschiedene  Zonen  ein- 
zuthcilen :  1)  in  die  Vorwärm- 
zone (Fig.  55  1—2)  bei  400°, 
2)  in  die  Reductionszone  von 
2—3  bei  1000—1260°,  3)  die 
Kohlungszone  von  3—4  bei 
1600—1700°,  4)  die  Schmelz- 
zone von  4—5  bei  1800—2000°, 
5)  die  Verbrennungszone  von 
5  —  6  bei  2000—2600°  C. 

In  der  Kohlungszone 
nimmt  das  Eisen  die  Kohle  auf 
und  es  entsteht  stahlartiges  Eisen,  welches  aber  erst  in  der  Schmelzungszone  durch 
Sättigung  mit  Kohle  in  Gusseisen  übergeht.  Die  Verbrennungszone  heisst  auch 
Oxydationszone,  weil  hier  die  Gebläseluft  mit  den  weissglühenden  Kohlen  Kohlen- 
säure bildet,  welche  jedoch  auf  ihrem  Wege  durch  die  höher  liegenden  Kohlenschichten 
wiederum  zu  Kohlenoxyd  reducirt  wird. 

Beim  Hohofenprocess  treten  folgende  Gase  auf:  1)  Wasser  und  Kohlensäure, 


Eisengiesserei.  745 

welche  meist  von  den  Zuschlägen  herrühren;  2)  erst  in  der  Reductionsschicht  entsteht 
Kohlensäure  durch  die  Einwirkung  des  Kohlenoxyds  auf  die  Oxyde  des  Eisens, 
Wasser  als  Product  des  wasserstoffhaltigen  Brennmaterials,  Ammoniak  als  Wasser- 
stoffverbindung des  Stickstoffs,  welcher  im  glühenden  Zustande  mit  wasserstoffhaltigem 
Brennmaterial  zusammentrifft;  3)  in  der  stärksten  Weissgluth,  wo  kein  Reductionsprocess 
mehr  stattfindet,  veranlasst  der  Stickstoffgehalt  des  Gebläses  in  sehr  hoher  Temperatur 
auch  die  Bildung  von  Cyan,  welches,  in  die  Reductionsschicht  gelangend,  insofern 
wieder  kräftig  reducirend  wirkt,  als  der  Kohlenstoff  desselben  unter  Entweichung  von 
Stickstoff  Sauerstoff  aufnimmt;  ausserdem  entsteht  Cyanwasserstoffsäure  die  sich 
mit  den  vorhandenen  Alkalien  und  Erden  zu  Cyanmetallen  vereinigt,  welche  wiederum 
an  einer  andern   Stelle  der  Zersetzung  anheimfallen. 

Selbstverständlich  werden  jedoch  alle  diese  reducirenden  Gase,  wie  Kohlenoxyd 
und  Cyan,  nicht  gänzlich  verbraucht  und  kommen  deshalb  in  den  abströmenden  Gasen 
des  Hohofens,  in  den  sogen.  Gichtgasen  vor.  Die  Benutzung  derselben  als  Heizmaterial 
stützt  sich  auf  den  hohen  Gehalt  an  Kohlenoxyd. 

Ausser  Ammoniak  fehlt  selten  schweflige  Säure,  welche  vom  Brennmaterial 
und  vom  Schwefelkiese  der  Erze  herrührt. 

Neuerdings  hat  man  in  Oberschlesien  die  Beobachtung  gemacht,  dass  die  Gicht- 
gase auch  Bleidämpfe  enthalten  können,  wenn  die  zu  verhüttenden  Erze  bleihaltig 
sind;  Bleivergiftungen  sind  schon  als  Folgen  der  Einwirkung  dieser  Dämpfe  auf- 
getreten. In  solchen  Fällen  haben  die  Arbeiter  doppelte  Vorsicht  nothwendig,  um  sich 
nicht  den  Gasen  und  Dämpfen  auszusetzen.1) 

Für  das  Auffangen  der  (;ase  hat  man  verschiedene  Einrichtungen  getroffen;  viel- 
fach hat  man  am  untern  Gestell  eine  ringförmige,  mit  einem  Abzugskamin  versehene 
Umwölbung  angebracht.  Nach  dem  patentirten  verfahren  von  Emil  Langen  werden  die 
Gichtgase  an  der  Gicht  aufgefangen,  indem  ein  gusseiserner  Deckel  den  Sammelraum 
abschliesst,  aus  welchem  ein  Rohr  die  Gase  nach  dem  Orte  ihrer  Verwendung,  sei  es 
zum  Schmelzen  und  Frischen  des  Eisens,  sei  es  zum  Erwärmen  der  Gebläseluft  u.  s.  w., 
ableitet.  Der  Deckel  ruht  auf  einer  Art  von  Schlot,  in  welchem  eine  beliebige  Anzahl 
von  Oeffnungen  zum  Einschütten  der  Beschickung  angebracht  ist;  auch  befindet  sich  an 
dem  Gasableitungsrohr  ein  Sicherheitsventil,  welches  ausserdem  zur  Ableitung  der 
Gase  dient,  wenn  sie  augenblicklich  keine  Verwerthung  finden.2) 

Unglücksfälle,  welche  sich  beim  Hohofenprocess  ereignen,  entstehen  am 
häufigsten  durch  das  Entweichen  des  Kohlenoxyds  in  Folge  von  Rissen  des  Ofens  oder 
Undichtwerden  der  Ableitungsröhren  für  die  Gichtgase. 

Bisweilen  nimmt  man  den  Rost-  und  Reductionsprocess  auf  der  Grube, 
d.  h.  bei  der  Förderung  der  Eisenerze  vor,  um  namentlich  die  Kosten  des  Transports 
zu  sparen.  Gurlt  reducirt  die  Erze  in  der  Weise,  dass  er  beim  Glühen  derselben  die 
Verbrennungsproducte  von  Braunkohle  oder  grünem  Holze  darüber  leitet.  Es  wird 
dadurch  nicht  allein  das  Erz  reducirt,  sondern  auch  mit  feinvertheiltem  Kohlenstoff 
imprägnirt;  es  entwickelt  sich  hierbei  viel  Kohlensäure.  Der  ganze  Process  darf  nur 
in  unbewohnten  Gegenden  stattfinden. 

Nach   dem   Gehalte  des  Eisens  an  Kohle    unterscheidet   man  Roh-   oder 

Gusseisen,    Stab-  oder  Schmiedeeisen    und   Stahl.     Der   Kohlengehalt 

des  Gusseisens    schwankt  zwischen   2,5 — 5,9  %  und  bedingt  hauptsächlich  die 

Fähigkeit    desselben,    sich    in    geschmolzenem    Zustande    in   Formen    giessen    zu 

lassen;  es  dient  daher  vorzugsweise  zur  Darstellung  der  Eisengusswaaren. 

Man  unterscheidet  weisses  Gusseisen,  welches  durch  rasches  Abkühlen 
Kohlenstoff  chemisch  gebunden  enthält ;  ist  es  reich  an  Mangan,  so  bleibt  es  auch  beim 
langsamen  Erkalten  weiss  und  heisst  wegen  seines  grossblättrigen,  krystallinischen 
Gefüges  Spiegeleisen.  Das  graue  Gusseisen  enthält  noch  1,3-3,7$  Kohlenstoff 
in  ungebundenem  Zustande,  der  in  feinen  Blättern  (Graphit)  zwischen  den  Eisen- 
molecülen  lagert. 

Eisengiesserei. 

Die  Herstellung  von  Eisengusswaaren  kann  direct  mit  dem  Hohofen- 
process verbunden  werden,  wenn  es  sich  nicht  um  Maschinentheile  handelt;  meist 
zieht  man  es  aber  vor,  das  Eisenschmelzen  in  Tiegeln  oder  für  grössere 
Gegenstände  in  Schachtöfen,  in  den  sogen.  Kupolöfen,  vorzunehmen,  die 
in  der  Regel  5 — 6eckige,  3 — 6  Meter  hohe  Oefen  darstellen,  aus  feuerfesten  Steinen 


746  Eisen. 

gemauert  und  von  einem  gusseisernen  Mantel  umgeben  sind.  Der  Boden  besteht 
aus  festgestampftem  Sande  mit  schiefer  Oberfläche,  die  nach  der  sogen.  Abstich- 
öffnung  zuläuft;  an  der  entgegengesetzten  Seite  derselben  befindet  sich  eine 
Oeffnung  zur  Einführung  der  Düse  des  Gebläses.  Durch  die  Gicht  trägt  man 
das  Roheisen  uud  das  Brennmaterial  (Koks)  ein. 

Kriijnr  hat  den  Kupolofen  wesentlich  durch  einen  Vorherd  verbessert,  der  nur 
das  geschmolzene  Eisen  aufnimmt,  ohne  dass  dieses  mit  den  Koks  in  Berührung  bleibt: 
man  kann  das  geschmolzene  Eisen  direct  in  die  Formen  ablassen. 

Die  von  den  Oefen  ausgehenden  Gase  und  Dämpfe  müssen  nach  dem  Schorn- 
stein der  Dampfmaschine  oder  durch  eine  besondere  Flugstaubkammer  abgeleitet  werden, 
weil  sonst  die  nächste  Nachbarschaft  durch  die  Asche  der  Koks  und  die  feinen  Eisen- 
tbeilchen,  welche  durch  die  Gebläseluft  mit  fortgeführt  werden,  sehr  belästigt  wird.  Am 
zweckmässigsten  fängt  man  die  Gichtgase  und  den  Staub  unter  einem  Busen  auf, 
der  mit  einer  Flugstaubkammer  in  Verbindung  gebracht  wird.  Der  Zug  kann 
durch  den  Schornstein  der  Dampfmaschine  in  hinreichendem  Grade  vermittelt 
werden. 

Bei  völliger  Vernachlässigung  solcher  Vorsichtsmassregeln  kann  der  Vegetation 
grosser  Schaden  zugefügt  werden.  In  einem  concreten  Falle  wurde  ein  Roggenfeld  von 
einem  bedeutenden  Umfange  durch  solche  Dämpfe  eines  Kupolofens  gänzlich  zerstört; 
die  zarten  Blattflachen  waren  mit  runden,  braunen,  rostfarbigen  Puncten  wie  besät;  viele 
confluirten,  andere  erschienen  perforirt,  wenn  man  sie  mittels  der  Loupe  untersuchte.  Die 
Obstbäume  und  Weinstöcke,  welche  in  gleicher  Linie  standen,  waren  nur  an  den  Spitzen 
und  Rändern  der  Blätter  und  in  geringerm  Grade  beschädigt,  da  sie  bereits  härter  und 
weniger  empfindlich  waren. 

Diese  Veränderungen  an  den  zarten  Blättern  des  Roggens*  wurden  theils  durch 
das  metallische  Eisen  bewirkt,  welches  sich  zuerst  in  Oxydul  und  dann  in  Ox}-d 
verwandelte,  theils  auch  durch  die  schweflige  Säure  des  Brennmaterials  (Koks).  Das 
so  gebildete  Eisensalz,  welches  sich  auf  den  Blättern  bei  feuchtem  Wetter  löste,  blieb 
beim  Verdunsten  des  Lösungsmittels  auf  den  Blättern  zurück  und  wirkte  nun  corrosiv 
ein.  Durch  die  Behandlung  der  Flecke  auf  den  eingetrockneten  Blättern  mit  Kalium- 
eiseneyanür  entstand  Berlinerblau,  ein  Beweis  für  die  Gegenwart  eines  löslichen 
Eisensalzes. 

Durch  die  Einführung  der  (iasilammenüfeii,  welche  in  Spandau  und  Lüttich  zum 
Geschützgusse  im  Gebrauche  sind,  fallen  die  Nachtheile  dieser  schädlichen  Staubbildung 
weg;  sie  können  mit  und  ohne  Sipmens'scke  Regenerativfeuerung  benutzt  werden. 

Bei  der  Eisengiesserei  sind  in  sanitärer  und  technischer  Beziehung  dieselbeu 
Gesichtspuncte  wie  beim  Kupfer-  und  Bronzeguss  massgebend  (s.  S.  721). 

Den  Sandguss  benutzt  man  vorzüglich  zur  Darstellung  von  Gittern,  Stäben, 
Platten,  Pfeilern  u  s.  w.  Sind  in  diese  Formen  Buchstabenzeiehnungen  durch  Holz 
eingelegt,  so  geschieht  es  nicht  selten,  dass  sich  an  den  Luftlöchern  brennbare  Gase: 
Konlenoxyd,  Wasserstoff  oder  Kohlenwasserstoffgase,  als  Zersetzungsproducte 
des  Bolzes  entwickeln,  welche  mit  grosser  Heftigkeit  den  Luftlöchern  entströmen  und 
sich  beim  weitern  Füllen  der  Formen  mit  flüssigem  Gusseisen  unter  Explosion  ent- 
zünden. Durch  den  brennenden  Gasstrahl  können  sich  die  in  der  Nähe  beschäftigten 
Arbeiter  eine  gefährliche  Verbrennung  zuziehen:  die  Vorsicht  gebietet  es  daher,  die 
Luftlöcher  mit  aufrecht  stehenden,  wenigstens  2  Meter  hohen  Röhren  zu  versehen,  damit 
sich  die  etwa  entstehende  Flamme  über  die  Köpfe  der  Arbeiter  hinweg  ausbreiten  kann. 

Die  Einführung  der  Formen  von  Sand  und  Lehm  statt  der  flolzmodelle  ist 
ein  wesentlicher  Fortschritt  in  der  Giesserei.  Seit  der  allgemeinen  Verbreitung  des 
Leuchtgases  hat  auch  die  Röhrenformerei  ganz  bedeutend  an  Ausdehnung  ge- 
wonnen, namentlich  seitdem  man  den  stehenden  Guss  in  getrockneten  Formen 
statt  des  liegenden  Gusses  eingeführt  hat,  der  zugleich  den  grossen  Vortheil  bietet, 
dass  die  beim  Giessen  entstehenden  Gase  und  Dämpfe  rascher  nach  oben  abziehen  und 
die  Arbeiter  weniger  schädigen.  Das  Einstampfen  des  Formsandes  durch  Maschinen 
ist  ein  ebenso  wichtiger  Fortschritt.3) 

Der  Lehmguss  kommt  beim  Giessen  von  grossen  Kesseln,  topfartigen  Ge- 
lassen u.  s.  w.  zur  Anwendung.  Man  bildet  wie  beim  Kupferguss  Formen  aus  gesiebtem, 
angefeuchtetem  und  mit  Pferdemist  durchknetetem  Lehm:  sie  werden  in  Trockenöfen  resp. 
Trockengewölben  getrocknet,  in  kellerähnlichen  Räumen,  wo  die  Heizung  mittels  Koks  in 
offenen  Herden  geschieht.  Arbeiter,  welche  unvorsichtiger  Weise  auf  solchen  Gewölben 
schlafen,  können  sich  durch  die  Verbrennungsproducte  einer  Intoxication  aussetzen. 

Trotz  des  vorsichtigen  Trocknens  kann  es  sich  ereignen,  dass  die  Formen  noch 
Feuchtigkeit  enthalten:  bei  der  hohen  Temperatur  erzeugt  sich  dann  beim  Guss  Wasser- 


Schmiede-^  oder  Stabeisen.  747 

stoff,   welcher   eine  Explosion   erzeugen  kann,   wenn  er  mit  der  atmosphärischen  Luft 
vermischt  Knallgas  bildet,  ein  Umstand,  worauf  wohl  zu  achten  ist. 

KuHStguSS  ist  ebenfalls  Lehmguss;  SchalengiiSS  (Poterie)  für  feinere  Luxusgegen- 
stände erfordert  sehr  häufig  messingene  Formen.  Die  weitern  Manipulationen,  welche 
mit  den  gegossenen  Gegenständen  noch  vorgenommen  werden,  sind  mechanischer  Natur ; 
nur  hinsichtlich  des  sogen.  Verputzens  der  Gusswaaren  ist  noch  besonders  zu  be- 
merken, dass  da,  wo  Nähte  und  Zapfen  der  Eingüsse  sich  befinden,  das  Abmeisseln 
mittels  des  Kaltmeissels  geschieht;  die  Arbeiter  haben  daher  ihre  Augen  durch  Glimmer- 
brillen vor  Eisensplittern  zu  schützen. 

B.    Darstellung  des  Schmiede-  oder  Stabeisens  durch  Frischen  oder  Puddeln. 

Durch  Entkohlung  des  leicht  schmelzbaren  Gusseisens  erhält  man 
das  fast  unschmelzbare  Schmiedeeisen.  Der  Process,  durch  welchen  das  Roh- 
eisen in  Schmiedeeisen  verwandelt  wird,  heisst  der  Frischprocess  und 
bezweckt  die  Entfernung  der  grössten  Mengen  von  Kohlenstoff  und  der  übrigen 
fremden  Körper  des  Guss-  oder  Roheisens  durch  Oxydation. 

Man  unterscheidet:  l)  die  Handscheidung  oder  den  deutschen  Frischprocess, 
welcher  darauf  beruht,  dass  durch  die  Gebläseluft  fortwährend  Kohlenstoff  aus  dem 
Roheisen  zu  Kohlensäure  verbrannt  wird  und  schliesslich  durch  die  Schläge  des  Auf- 
werfhammers  alle  Schlackentheile  aus  dem  glühenden  Eisen  ausgepresst  werden; 
2)  das  Frischen  in  Flammenöfen  oder  der  Puddlingsprocess,  wobei  das  zu  entkohlende 
Eisen  in  einem  Flammenofeu,  mit  Eisenschlacken  versetzt,  bis  zum  Erweichen  erhitzt 
und  beständig  umgerührt  (gepuddelt)  wird.  Der  Sauerstoff  des  Eisenoxyduloxyds 
verbindet  sich  mit  dem  Kohlenstoff  zu  Kohlenoxyd,  welches  in  blauen  Flämmchen  auf 
dem  breiigen  Eisen  verbrennt. 

Die  Flammenöfen  sind  Reverberiröfen  mit  einem  Gewölbe  aus  feuerfesten 
Steinen;  der  Arbeitsherd  liegt  in  der  Mitte  zwischen  dem  Feuerherd  und  dem 
Schornstein  und  besteht  aus  einer  eisernen  Platte,  auf  welcher  eine  dicke  Schicht  von 
Sand  oder  Schlacken  ruht. 

Nach  dem  Puddeln  wird  das  Eisen  unter  dem  Stirnhammer  oder  durch  ein 
Quetschwerk  von  den  Schlacken  befreit.4) 

In  sanitärer  Beziehung  ist  hier  nur  die  grosse  Hitze  zu  berücksichtigen, 
welcher  die  Arbeiter  sich  aussetzen  müssen.  Die  Erkältungskrankheiten,  Rheuma- 
tismen usw.,  an  welchen  sie  vorzugsweise  leiden,  finden  in  dem  schroffen  Temperatur- 
wechsel einen  hinreichenden  Grund. 

Das  Schmiedeeisen,  das  kohlenfreieste  Eisen,  ist  hellgrau,  enthält  einen  Kohlen- 
gehalt von  l/4 — %  %  und  ausserdem  noch  eine  unbestimmte  Menge  von  Schwefel, 
Phosphor,  Silicium,  Kupfer,  Zink  u.  s.  w. ;  es  lässt  sich  sehr  gut  poliren,  ist  sehr  dehn- 
bar und  zähe,  eignet  sich  daher  ganz  besonders  zur  Erzeugung  von  Drähten  und  zur 
Blechfabl'ication  auf  Walzwerken;  sehr  wichtig  ist  in  neuerer  Zeit  die  Anfertigung 
von  Drahtseilen  geworden.  Durch  das  Walzen  bekommt  Schmiedeeisen  ein  faseriges, 
durch  Hämmern  ein  körn  iges  Gefüge;  bekannt  ist  es,  dass  auch  starke  und  häufige 
Erschütterungen,  wie  solche  bei  Hängebrücken  und  Eisenbahnachsen  vorkommen,  den 
faserigen  Zustand  in  den  körnigen  überzuführen  vermögen,  wodurch  Brüche  viel  leichter 
stattfinden,  eine  Möglichkeit,  die  zur  Verhütung  von  Unglücksfällen  nicht  zu  unter- 
schätzen ist. 

C.    Bereitung  des  Stahls. 

Nach  den  verschiedenen  Darstellungsweisen  sind  folgende  Stahlsorten  zu 
unterscheiden: 

1)  Der  Roh-  oder  Schmelzstahl ,  welcher  durch  theilweise  Eutkohluug  des 
Roheisens  entsteht,  wird  nach  der  Art  der  Entkohlung  verschieden  benannt. 

a)  Roh-  oder  Frischstahl  wird  in  Oesterreich,  in  Thüringen,  im  Regierungsbezirk 
Arnsberg  und  im  Siegen'schen  aus  Spatheisenstein  durch  allmähliges  Verbrennen  des 
Kohlenstoffs,  durch  Frischen,  erhalten.  Der  Process  stimmt  im  Ganzen  mit  dem 
Frischen  des  Eisens  überein;  man  heizt  mit  Holzkohlen. 

b)  Der  Puddelstahl  wird  durch  den  Puddlingsprocess  mit  Steinkohlen  dar- 
gestellt und  liefert  das  Material  für  die  Gussstahlfabrication.  Die  Bearbeitung  unter- 
scheidet sich  fast  gar  nicht  vom  Eisen  puddeln. 


748  Eisen. 

c)  Der  Bessemerstahl.  Das  flüssige  Roheisen  wird  aus  dem  Hohofen  in  birn- 
förmige,  von  Eisenblech  angefertigte  und  mit  feuerfestem  Thon  gefütterte  Gefässe 
i  !o  ii  v  ertor)  abgelassen:  im  Boden  des  Convertors  wird  gegenwärtig  durch  70  bis 
80  enge  Oeffnungen  Luft  in  das  geschmolzene  Eisen  eingeblasen  und  zwar  in  einer 
solches  Richtung,  dass  die  Masse  in  eine  drehende  Bewegung  geräth;  dadurch  wird 
das  Aufbrausen  und  Umherspritzen  des  Eisens  verhütet,  welches  bei  der  frühern 
Methode  sehr  belästigend  und  gefährlich  war.  Die  Beimengungen  (Phosphor,  Silicium, 
Schwefel,  Kohle)  des  Metalls  verbrennen  mit  Flammen  und  Funkensprühen.  Die  aus 
dein  Convertor  aufsteigende  Flamme  muss  durch  den  Spectralapparat  so  lange  beob- 
achtet werden,  bis  das  für  den  Kohlenstoff  charakteristische  Spectrum  schwindet;  dann 
wird  der  flüssige  Stahl  in  Formen  abgegossen. 

Die  Menge  der  sich  beim  ßtsspmer'schen  Processe  entwickelnden  Gase  ist  nicht 
so  bedeutend  wie  beim  Hohofenprocess;  bisher  werden  sie  noch  Dicht  zur  Feuerung 
benutzt.  Bei  grosser  Unachtsamkeit  der  Arbeiter  können  auch  hier  töcltliche  Fälle  ein- 
treten; es  sind  dem  Verf.  zwei  tödtliche  Vergiftungen  durch  Einwirkung  der  hier  auf- 
tretenden Gase  bekannt  geworden. 

2)  Cement-  oder  Brennstahl.  Bei  der  Fabrication  im  Grossen  bringt  man 
Schmiedeeisenstäbe  in  thönerne  Kasten,  welche  das  sogenannte  Cementpulver 
(Kohlenklein,  Holzasche  und  Kochsalz),  enthalten  und  glüht  sie  in  Flammenöfen. 
Die  4 — 5  Meter  laugen  Kasten  schliessen  sich  an  die  Seitenwände  au,  wo  sich 
die  Thüren  zum  Füllen  der  Kasten  und  zum  Probenehmen  befinden.  Das  Feuern 
muss  bis  zur  "Weissglühhitze  gesteigert  werden. 

Nach  einer  andern  Methode  bestreut  man  das  bis  zu  einer  bestimmten  Tem- 
peratur erhitzte  Eisen  mit  kohlen-  und  stickstoffhaltigen  Bestandteilen  (Hornspänen, 
Lumpenwolle,  Blutlaugensalz  u.  s.  w.)  mehrmals,  um  dem  Eisen  Kohle  und  Stickstoff 
mitzutheilen  (s.  S.  392). 

Diese  Methode  wendet  man  namentlich  bei  den  Gewehr laufen  vor  geschehener 
Bohrung  an.  Sie  ist  nicht  nur  für  die  Umgebung  durch  die  unangenehmen  Gerüche 
belustigend,  sondern  auch  für  die  Arbeiter  gefährlich,  weil  beim  Zustreuen  der  Kohle 
leicht  Kohlenoxyd  in  den  Arbeitsraum  strömt  und  erfahrungsgemäss  Vergiftungen 
hervorruft,  wenn  man  nicht  für  gehörige  Ableitung  der  Gase  sorgt;  übrigens  ist  dies  leicht 
durch  einen  gut  ziehenden,  mit  der  Esse  in  Verbindung  stehenden  Fang  über  der 
Arbeitsthür  zu  bewerkstelligen. 

Nach  dem  Glühen  folgt  bei  den  Stäben  behufs  inniger  Vertheilung  des  Kohlen- 
stoffs das  Zusammenschweissen.  Die  Gewehrläufe  werden  gefräst  und  dann 
gebohrt. 

Bei  der  Stahlfabrication  im  Kleinen,  z.B.  bei  Grobschmieden,  Schlos- 
sern und  namentlich  Uhrmachern  u.  s.w.,  durch  welche  Trieben,  Achsen,  Werkzeugen 
zum  Schneiden  der  Schrauben  u.  s.  w.  eine  harte  Oberfläche  ertheilt  werden  soll, 
werden  vorher  die  Gegenstände  durch  Schmieden  und  Feilen  in  die  nothwendige 
Form  gebracht  und  dann  in  Schichten  zwischen  Pulver  von  Holzkohle  oder  Thierkohle 
oder  auch  von  Hörn-,  Hufenabfällen  u.  s  w.  in  eiserne  Kasten  gelegt,  die  sorgfältig 
verschlossen  und  lutirt  werden.  Diese  werden  in  einem  Schmiedefeuer  einige  Stunden 
lang  einer  starken  Glühhitze  ausgesetzt;  durch  die  Verbindung  des  Kohlenstoffs  mit 
dem  Eisen  erzeugt  sich  bloss  an  der  Oberfläche  des  letztern  eine  dünne  Schicht  Stahl. 
Schliesslich  wird  der  Kasten  in  kaltes  Wasser  geworfen,  um  den  Stahl  zu  härten. 

3)  Der  sogen.  Glisentistahl  entsteht  durch  Zusammenschmelzen  von  Roh- 
eisen (Spiegeleisen)  und  Schmiedeeisen. 

Rafiiniren  des  Stahls.  Um  die  Ungleichheit  im  Gefüge  des  Stahls  aufzuheben, 
die  beigemengten  fremden  Stoffe  zu  entfernen  und  den  Stahl  zur  Anfertigung  von  In- 
strumenten u.  s.  w.  geeignet  zu  machen,  muss  er  (Bessemerstahl  ausgenommen)  raffinirt 
werden. 

Das  eigentliche  Raffiniren,  Gerben  oder  Läutern  besteht  im  Ausschmieden 
des  Rohstahls  unter  Hämmern ,  die  von  einer  mechanischen  Kraft  getrieben  werden, 
zu  Platten  (Reckhämmer):  diese  werden  im  rothglühenden  Zustande  in  kaltem  Wasser 
gehärtet  und  in  Stücke  gebrochen ;  mehrere  derselben  vereinigt  man  zu  Bündeln  (Zange), 
die  in  der  Weissglühhitze  zusammengeschweisst  und  wieder  ausgedehnt  werden. 

Durch  Umschmelzen  des  Stahls  erhält  man  den  gegossenen  Stahl  oder 
(liussstahl,  der  gegenwärtig  eine  bedeutende  Stellung  in  der  Industrie  einnimmt.  Das 
Schmelzen  kleiner  Stücke  von  Roh-,  Puddel-  oder  Cementstahl  oder  auch  von  Stab- 
und  Gusseisen  geschieht  in  Tiegeln  von  reinem  Pfeifenthon,  die  mit  Stahlbrocken  gefüllt 
auf  den  Rost  des   Tiegelofens  gestellt,    mit  einem  Deckel  versehen,  lutirt  und    mit 


Stahl-  und  Eisenindustrie.  749 

glühenden  Koks  umgeben  werden;  ein  stark  ziehender  Schornstein  unterhält  eine  inten- 
sive Verbrennung.  Der  geschmolzene  Stahl  wird  in  eiserne  Formen  gegossen.  Setzt 
man  während  des  Schmelzens  etwas  Silber  oder  Wolfram  (%  %)  zu,  so  erhält  man 
den  durch  eine  grössere  Härte  sich  auszeichnenden  Silber-  oder  Wolft'äiustalil. 

Wegen  seiner  Härte  und  Federkraft  ist  der  indische  Wootzstalil  und  Damaseener- 
stahl  berühmt;  es  sind  Mischungen  von  Stahl  und  Eisen,  die  künstlich  dargestellt 
werden  können 

Stahl-  und  Eisenindustrie. 

Der  Stahl  steht  im  Allgemeinen  in  der  Mitte  zwischen  Guss-  und  Schmiede- 
eisen; bei  den  weichen  Sorten  enthält  er  0,75 — \%  Kohlenstoff,  bei  den  harten 
bisweilen  1,75  g,  meist  aber  selten  mehr  als  1,25  g.  Durch  die  Eigenschaft,  sich 
härten  zu  lassen,  zeichnet  er  sich  vor  allen  andern  Metallen  aus.  Das  Härten 
geschieht  durch  plötzliches  Abkühlen  und  Pressen  zwischen  metallenen  Platten 
und  ist  nothwendig  bei  der  Anfertigung  verschiedener  Werkzeuge,  die  zum 
Schneiden,  Sägen,  Feilen,  Hobeln,  Bohren  u.  s.  w.  dienen,  sowie  bei  der  Darstellung 
von  Gegenständen,  die  sich  beim  Gebrauche  wenig  abnutzen  dürfen.*) 

Gehärteter  Stahl  kann  übrigens  ohne  weitere  Bearbeitung  nicht  benutzt  werden, 
weil  er  beim  Hämmern  u.  s.  w.  wie  Glas  springen  würde;  er  eignet  sich  nur  zum 
Schleifen.  Diese  grosse  Brüchigkeit  verliert  der  Stahl  durch  das  sog.  Anlassen,  d.  h. 
eine  langsame  Erwärmung  Ton  220 — 325°  C,  ohne  etwas  von  seiner  Härte  einzubüssen. 
Die  aus  Stahl  anzufertigenden  Gegenstände  unterliegen  dieser  Behandlung,  namentlich 
Federn  und  Sägen,  weniger  Rasirmesser  und  Meissel. 

Der  geschliffene  und  polirte  Stahl  verändert  beim  Anlassen  seine  Farbe 
vom  Hell-,  Stroh-  und  Dunkelgelb  zum  Purpur-  und  Carmoisinroth,  Veilchen-,  Dunkel- 
und  Hellblau.  Wird  rothglühender  Stahl  in  Holzkohlenpulver  gelegt  und  in  diesem 
langsam  abgekühlt,  so  bleibt  er  weich  wie  Eisen  und  kann  wie  dieses  gefeilt,  gebohrt 
und  gehobelt  werden. 

Der  Stahl  schmilzt  wegen  seines  Kohlenstoffgehaltes  leichter  als  Schmiede- 
eisen, aber  schwerer  als  Gusseisen;  er  bedarf  einer  Temperatur  von  1700  —  1800°  C. 
zum  Schmelzen.  Beim  Eintritt  der  Weissglühhitze  wird  der  Stahl  weich  wie 
Stabeisen  und  ist  dann  zum  Schmieden  und  Schweissen  geeignet. 

Bei  allen  diesen  Arbeiten  ist  in  sanitärer  Beziehung  die  strahlende 
Wärme  zu  beachten,  welcher  die  Arbeiter  ausgesetzt  sind  (s.  S.  182);  auch  gibt 
das  starke  Geräusch  bei  der  Anfertigung  von  grössern  Werkzeugen  oft  Anlass  zur 
Entstehung  von  Schwerhörigkeit.  Das  Tragen  von  Baumwolle  in  den  Ohren 
ist  sowohl  in  dieser  Beziehung  als  auch  zur  Vermeidung  des  Eindringens  von 
Staub  in  den  äussern  Gehörgang  zweckmässig;  um  die  Augen  vor  der  Gluth  des 
Feuers  oder  Verletzungen  zu  schützen,  sind  wiederholt  die  Glimmerbrillen  zu 
empfehlen.  Dass  bei  so  schweren  Arbeiten  auch  Verletzungen  mancher  Art  vor- 
kommen, ist  selbstverständlich;  kommen  dazu  noch  die  körperlichen  Ueberan- 
strengungen  oder  die  einseitige  Anstrengung  einzelner  Muskelgruppen,  so  vereinigt 
sich  eine  Summe  von  Gesundheits- Schädigungen,  der  man  fast  bei  allen  Eisen- 
arbeitern begegnet. 

Das  Schmieden.  Die. meisten  Metalle  besitzen  Schmiedbarkeit _ und  Dehnbarkeit, 
nur  erfordern  die  einen  Metalle  eine  höhere  Temperatur  hierzu  als  die  andern.  Eisen 
und  Stahl  können  nur  in  glühendem  Zustande  geschmiedet  werden.  Beim  Schmieden 
wird  die  Formveränderung  der  Metalle  durch  Schlagen  mit  Hämmernbewirkt;  diese 
werden  in  Bewegung  gesetzt  entweder  durch  die  Muskelkraft  der  Arbeiter  oder  durch 
eine  rotirende  Achse  (Schwanz-,  Brust-  und  Stirnhämmer),  durch  Dampf 
(Dampfhämmer),  durch  Treten  (Tritt-  oder  Stampfhämmer)  oder  durch  An- 
wendung  sich  umdrehender  Rollen  oder  Scheiben  (Reibungshämmer).    Der 


*)  Zur  Anfertigung  von  Achsen,  Eisenbahnschienen,  Stäben  für  Eisen- 
bahnbrücken u.  s.  w.  kann  nur  der  ungehärtete  Stahl  benutzt  werden,  weil  er 
sich  durch  einen  hohen  Grad  von  Festigkeit  auszeichnet. 


750  Eisen. 

Amboss  dient  den  zu  bearbeitenden  •  Metallen  als  Stütze  und  leistet  den  Hammer- 
schlägen Widerstand;  bei  den  grössern  Hämmern  ist  die  damit  verbundene  Erschütterung 
des  Erdbodens  für  die  Adjacenten  sehr  belästigend  und  erfordert  zweckmässige  Schutz- 
massregeln. 

Bei  kleinern  Dimensionen  reicht  ein  Block  von  Eichenholz  (Ambossstock)  aus, 
der  im  Boden  befestigt  wird  und  aus  dem  Boden  noch  hervorragt.  Auch  kann  man 
ans  Dauben  von  Holz  eine  Kufe  ohne  Boden  construiren,  welche  man  in  den  Grund 
setzt  und  mit  grobem  Sande  oder  Kieselsteinen  ausfüllt:  auf  diese  Lage  kommt  zunächst 
ein  Stück  Holz  und  auf  dieses  der  Amboss.  Bei  sehr  grossen  Hämmern  wird  eine  be- 
sondere Stelle  für  den  Amboss  vertieft,  ausgemauert  und  mit  einem  kleinen  Wall  um- 
geben, um  dadurch  die  Fortpflanzung  der  Erschütterung  zu  verhüten. 

Die  Feuerherde  dienen  zum  Glühen  der  Metalle  und  stellen  gewöhnliche 
Schmiedeherde  oder  Flammen-  oder  Schweissöfen  dar. 

Als  verschiedene  Arten  des  Schmiedens  unterscheidet  man  das  Ausstrecken 
eines  Stabes  in  die  Länge,  das  Stauchen,  welches  ein  Zusammendrücken  des  Stückes 
der  Länge  nach  bezweckt,  das  Biegen,  das  Ansetzen,  wobei  mittels  des  Schrotmeissels 
eine  tiefe  Kerbe  eingeschlagen  wird,  das  Durchschlagen  oder  Dornen  von  Löchern, 
das  Schmieden  in  eine  Spitze  (Nagelschmieden)  und  das  Schweissen,  welches  zwei 
oder  mehrere  Stücke  Eisen  oder  Stahl  zu  einem  Stück  vereinigt. 

In  sanitärer  Beziehung  wiederholen  sich  bei  allen  diesen  Beschäftigungen 
die  körperliche  Anstrengung,  die  strahlende  Hitze,  der  schroffe  Ternperaturwechsel 
und  die  leichte  Beschädigung  der  Augen.  Bei  Schmieden  und  Schlossern 
haudelt  es  sich  am  einen  groben  Eisenstaub,  der  nicht  eingeathmet  wird;  auch 
der  Kohlenstaub  ist  nicht  beträchtlich,  da  bekanntlich  die  Kohlen  auf  dem  Feuer- 
herde beständig  mit  Wasser  besprengt  weiden  Specifische  Staubkrankheiten 
können  bei  diesen  Arbeitern  selten  nachgewiesen  werden,  wenn  sie  nicht  noch 
andern,  Staub  bedingenden  Schädlichkeiten  ausgesetzt  sind.  Die  Werkstätte 
selbst  ist  zwar  niemals  frei  von  Staub,  wie  es  bei  allen  mit  Schmutz  verbundenen 
Beschäftigungen  der  Fall  ist;  eine  sorgfältigere  Reinigung  und  häufiges  Ausfegeu 
der  Werkstätten  würde  daher  manchen  Xachtheilen  vorbeugen;  gleichzeitig  müsste 
auch  den  Arbeitern  Gelegenheit  zur  Reinigung  ihres  Körpers  gegeben  werden.  Die 
ergiebigste  Benutzung  von  Bädern  ist  das  beste  Schutzmittel  zur  Erhal- 
tung der  Gesundheit  der  Eisenarbeiter.  Die  Gewerbe-Statistik  hat  noch  nicht 
die  Vollkommenheit  erreicht,  welche  zu  Schlussfolgerungen  berechtigen.  Auch  ist 
hierbei  stets  die  ursprüngliche  Krankheitsanlage  zu  berücksichtigen,  welche  die 
Entstehung  mancher  Leiden  mit  bedingt;  so  sind  z.  B.  varicöse  Anschwellungen 
an  den  uutern  Extremitäten  bei  Schmieden  und  Schlossern  gar  nicht  selten, 
manche  bleiben  jedoch  erfahrungsgemäss  trotz  jahrelanger  Beschäftigung  frei  davon. 
Herzkrankheiten  können  die  Folgen  der  körperlichen  Anstrengung  sein,  wenn 
sich  Arbeiter  mit  schlaffer  Musculatur  und  reizbarem  Gefässsystem  den  Ueberan- 
strengungen  aussetzen.  Bei  allen  Stahl-  und  Eisenarbeitern  sollte  man  daher  von 
vornherein  die  richtige  Auswahl  treffen;  es  ist  Sache  der  Fabrikärzte,  namentlich 
junge  Leute,  deren  Constitution  und  Krankheitsaulage  Bedenken  erregen,  von 
solchen  anstrengendeu  Arbeiten  fern  zu  halten.  Kräftige  Constitutionen  werden 
dagegen  bei  einer  guten  Ernährung  und  einem  verständigen  Lebenswandel  durch 
das  Schmiede-  und  Schlossergewerbe  au  ihrer  Gesundheit  nicht  beeinträchtigt  und 
in  ihrem  Lebensalter  nicht  verkürzt.  Dies  gilt  auch  von  den  Grob-  und  Huf- 
schmieden, von  den  Schwertfegern  oder  Waffenschmieden. 

2)  Das  Walzen.  Ein  Eisen  walz  werk  besteht  in  der  Regel  aus  zwei  sogen. 
Walzstrassen,  von  denen  eine  für  die  Fabrikation  der  Bleche,  die  andere  für  die 
von  Stab-,  Band-  und  Rundeisen  dient.  Die  Arbeiter  haben  sich  hierbei  nur  vor 
mechanischen  Verletzungen  zu  hüten. 

3)  Das  Drahtziehen.  Man  schmiedet  aus  Eisen  oder  Stahl  viereckige  Stäbe 
oder    walzt    das    glühende  Eisen    rund    bis    zu    einer    gewissen    Dicke.     Zum  Ziehen 


Ausarbeitung  von  Eisen  und  Stahl.  751 

des  Drahtes  benutzt  man  überall  das  Zieheisen  und  die  Ziehbank.  Rundgewalztes 
Eisen  (Drahteisen)  wird  fast  ausschliesslich  auf  Leier-  und  Trommelbänken  zu 
Draht  gezogen;  besondere  sanitäre  Nachtheile  treten  weder  beim  Walzen  noch  beim 
Drahtziehen  auf. 

Das  Ziehen  von  eisernen  Röhren  oder  hohler  eiserner  Stäbe  im  Allgemeinen 
für  Locomotiv-  und  Dampfkessel  u.  s.  w.  geschieht  mittels  eines  eisernen  oder  stählernen 
Kerns  (Dorn). 

Ausarbeitung  der  Metalle.  Die  hier  zur  Sprache  kommenden  Manipulationen 
gehören  zwar  hauptsächlich  der  mechanischen  Technologie  an,  sie  bedürfen 
aber  einer  kurzen  Besprechung,  weil  grade  die  Ausarbeitung  von  Eisen  und 
Stahl  in  sehr  viele  Fabricationszweige  hineingreift,  die,  wie  z.  ß.  die  Uhr- 
macherei,  Gewehrfabrication  u.  s.  w.,  hier  nicht  speciell  behandelt  werden 
können,  in  denen  aber  doch  mehr  oder  weniger  mechanische  Vorgänge  folgender 
Art  vorkommen: 

1)  Das  Verbessern  der  äussern  Gestalt  wird  bei  eisernen  Gegenständen  durch 
Drehen  auf  der  Drehbank  erzielt*).  Hierbei  bilden  sich  oft  die  Augen  verletzende 
Eisen splitter,  vor  denen  sich  die  Arbeiter  durch  Brillen  schützen  müssen. 

Zum  Schraubenschneiden  sind  besondere  Apparate  erforderlich;  zum  Hobeln 
gebraucht  man  Hobelmaschinen. 

Das  Feilen  bezweckt  das  Glätten  von  unregelmässigen  Metallstücken,  die  sich 
Aveder  zum  Abdrehen  noch  Abhobeln  eignen.  Bei  kleinern  und  kurzen  Gegenständen 
ersetzen  die  Feilmaschinen  die  Feilen,  was  fast  in  allen  Metallwerkstätten  der  Fall 
ist.  Feilenhauer  beschäftigen  sich  mit  der  Anfertigung  der  Feilen;  die  Arbeit  ist  an 
und  für  sich  nicht  schädlich,  nur  häufig  mit  körperlicher  Anstrengung  verbunden.  Die 
meisten  Eisenarbeiter  sind  aber  roh  wie  das  Metall,  das  sie  bearbeiten,  und  auf  die  Erhal- 
tung ihrer  Gesundheit  nicht  bedacht.  Auch  ist  noch  eine  Manipulation,  die  hierbei  vor- 
kommt, mit  Gefahr  verbunden;  ist  nämlich  schon  eine  Seite  der  Feile  geschärft,  so 
muss  diese  auf  eine  weichere  Unterlage  gelegt  werden,  wenn  das  Schärfen  der  andern 
Seite  stattfinden  soll:  in  England  sowie  in  Deutschland  wählt  man  dazu  ein  Lager 
von  Blei  oder  ein  Gemenge  von  Sand  und  Bleiglanz  oder  zerkleinertem  Blei  und 
Zinn.  Der  hierbei  auftretende  Bleistaub  gibt  nicht  selten  zu  Bleivergiftungen 
Anlass,  die  sich  erfahrungsgemäss  als  Koliken,  Neuralgien  und  Lähmungen  der  Exten- 
soren  der  Arme  äussern  können.  Da  während  der  Arbeit  die  linke  Hand,  welche  den 
Meissel  hält,  auf  dem  Bleilager  ruht  und  auf  demselben  den  Meissel  fortschiebt,  so  kann 
der  Staub  sehr  leicht  eingeathmet  oder  mit  den  Fingern  dem  Munde  zugeführt  werden, 
wenn  erstere,  wie  es  häufig  geschieht,  mit  Speichel  benetzt  werden.  Die  Ausbildung 
dieser  Feilenhauerkrankheit  (File-cutters  disease)  ist  daher  leicht  erklärlich, 
namentlich  wenn  auch  das  Mittagsmahl  in  den  staubigen  Arbeitsräumen  verzehrt  wird. 
Die  Prophylaxis  beruht  in  den  Vorsichtsmassregeln,  welche  auch  in  Bleiweissfabriken 
und  bei  andern  Bleiarbeiten  erforderlich  sind;  am  sichersten  würde  aber  eine  zweck  - 
mässigere  Unterlage  für  die  zu  bearbeitenden  Feilen  diese  Krankheit  verhüten.  Auch 
findet  man  nicht  bei  allen  Feilenhauern  diese  Methode,  grade  Blei  als  Lager  zu 
benutzen;  jedenfalls  ist  es  möglich,  auf  anderm  "Wege  den  beabsichtigten  Zweck  zu 
erreichen.  Ziel  und  Streben  der  öffentlichen  Gesundheitspflege  muss  es  aber  bleiben, 
mit  Ausdauer  sanitären  Nachtheilen  solcher  Art  entgegen  zu  wirken,  namentlich  wenn 
sie  in  überlieferten  Vorurtheilen  wurzeln.5) 

Das  Schleifen  der  Metalle  ist  bei  harten  Metallen,  die  von  der  Feile  nicht  an- 
gegriffen werden,  erforderlich;  sie  müssen  daher  längs  der  Oberfläche  harter  Steine 
(Schleifsteine)  gerieben  werden.  Durch  Wetzen  oder  Schärfen  auf  Steinen 
bewegt  man  die  Gegenstände  selbst  und  schleift  auf  diese  Weise  Messer,  Gravir- 
und  Hobeleisen  u.  s.  w.  Bei  grössern  Gegenständen,  bei  Ambossen,  Beilen, 
Sägen,  Gewehrläufen,  Säbeln,  Bajonneten  u.  s.  w.  werden  die  Schleifsteine  mit 
grosser  Geschwindigkeit  umgedreht  und  die  Gegenstände  gegen  ihre  Oberfläche  an- 
gedrückt, was  auch  bei  kleinern  Gegenständen,  z.B.  bei  Federmessern,  Scheren, 
Nadeln  und  Stahlfedern  geschieht,  um  ihnen  neben  einer  schneidenden  oder  scharfen 
Kante  zugleich  eine  glatte  und  schöne  Oberfläche  zu  geben;  im  letztern  Falle  bewegen  sich 


*)  Durch  das  Guillochiren  (von  GuUlot  erfunden)  werden  auf  ebenen  Flächen 
excentrische  Kreise,  elliptische  oder  wellenförmige  Linien  eingeschnitten,  z.  B.  auf  den 
Platten  zum  Drucken  von  Papiergeld,  auf  der  Rückseite  der  Taschenuhrgehäuse,  somit 
mehr  auf  weicherm  Metall. 


752 


Ei 


die  Schleifsteine  sehr  rasch,  beim  Nadelschlcifen  machen  sie  oft  in  1  Miuute  3-4000  Um- 
drehungen. 

In  den  Schleifmühlen  variirt  die  Grösse  der  Steine  von  2,5—3  Meter  und 
drehen  sich  dieselben  natürlich  um  so  langsamer,  je  grösser  sie  sind.  Das  Schleifen 
hat  schon  längst  die  öffentliche  Aufmerksamkeit  erregt,  da  der  hierbei  abfallende  feine 
Metallstaub  einen  so  entschieden  nachteiligen  Einfluss  auf  die  Lungen  der  Arbeiter 
ausübt,  dass  die  Folgen  noch  viel  eher  als  bei  den  Steinhauern  eintreten  müssen,  da  es 
sich  hier  um  eiuen  feinen  Stein-  und  Eisenstaub  handelt.  In  diesem  Jahrhundert 
hat  man  endlich  angefangen,  auf  Schutzmassregeln  Bedacht  zu  nehmen:  die  Erfahrung 
und  der  Versuch  haben  bewiesen,  dass  das  Ziel,  Schutz  der  Arbeiter,  zu  erreichen  ist. 
Man  muss  hierbei  das  Nassschleifen  und  Trockenschleifen  unterscheiden. 
Das  Nassschleifen  geschieht  gewöhnlich  bei  grössern  Gegenständen,  namentlich  bei 
den  verschiedensten  Werkzeugen,  unter  Zufluss  von  Wasser  und  würde  deshalb  an 
und  für  sich  nicht  schädlich  sein,  wenn  nicht  auch  zeitweilig  das  Schärfen  der 
Mühlsteine  hinzukäme,  welches  im  trocknen  Zustande  geschieht  und  daher  Staub 
erzeugt.  Stets  werden  aber  auf  trocknen  Steinen  spitzige  Drähte,  Näh-,  Strick- 
und  Stecknadeln  geschliffen. 

Die  meisten  Schutzmassregeln  stimmen  darin  überein,  dass  man  den  Stein  mit 
einem  Kasten  umgibt  und  diesen  mit  einem  Exhaustor  in  Verbindung  setzt,  während  au 
einer  geeigneten  Stelle  des  Kastens  nur  eine  möglichst  kleine  Arbeitsöffnung  bleibt. 
Nass-  und  Trocken  schleifen  findet  am  besten  auf  besondern  Schleifmühlen  statt. 
Die  Schleifsteine  für  Nassschleifen  hängen  in  gemauerten,  möglichst  engen  Gruben 
mit  sehr  schräger  Sohle,  an  deren  höher  gelegenem  Ende  sich  ein  Ventilationscanal 
anschliesst;  der  Fussbodenbeleg  bildet  in  der  Regel  die  obere  Decke  dieses  Canals,  während 
der  untere  Theil  der  Grubensohle  mit  einem  nach  aussen  mündenden  Abflusscanal 
für  das  Schleifwasser  verbunden  ist.  Beim  Nassschleifen  ist  die  Verbindung 
mit  dem  Ventilator  geschlossen  und  der  Abflusscanal  offen;  soll  aber  der  Schleifstein 
geschärft  werden,  so  ist  die  Verbindung  mit  dem  Ventilator  wieder  herzustellen  und 
der  Abflusscanal  abzuschliessen. 

_ Für  das  Trockenschleifen  ist  ein  apartes  System  von  Schleifsteinen  vorzuziehen  ; 
die  Einrichtung  ist  hinsichtlich  der  Gruben  und  des  Ventilationscanals  dieselbe,  nur 
setzt  sich  letzterer  nach  dem  Arbeiter  zu  in  eine  Rinne  über  den  Fussboden  hinaus 
fort,  damit  sämmtlicher  Staub  der  absaugenden  Wirkung  des  Ventilators  ausgesetzt  ist. 
Der  Abflusscanal  fällt  natürlich  weg. 

Beim  Nassschleifen  kommt  es  auch  auf  eine  zweckmässige  Methode  der  An- 
feuchtung der  Schleifsteine  an,  damit  sich  nicht  Wasserlachen  im  Fabrikraum  bilden 
und  der  Arbeiter  vor  zu  grosser  Feuchtigkeit  geschützt  bleibt.  Am  besten  hat  sich  die 
Berieselung  des  Steins  mittels  eines  durchlöcherten,  horizontalen  und  der  Breite  des 
Steins  entsprechenden  Rohrs  bewährt.6) 

Da  beim  Nassschleifen  auch  gewöhnlich  grössere  und  schwere  Gegenstände 
geschliffen  werden,  so  ist  die  körperliche  Anstrengung  nicht  gering;  man  lehnt 
die  Stücke  gegen  ein  Brett  und  drückt  dies  mit  dem  Knie  gegen  den  Schleifstein, 
wobei  sich  der  Schleifer  mit  dem  Rücken  gegen  einen  festen  Gegenstand  anstemmen 
muss.  Schlimmer  ist  die  Gewohnheit  der  Arbeiter,  sich  mit  dem  ganzen  Gewicht  ihres 
Körpers  vornüber  auf  den  zu  schleifenden  Gegenstand  zu  legen,  um  dadurch  die  Arbeit 
zu  beschleunigen  und  mehr  Lohn  zu  verdienen ;  sie  können  aber  den  grössern 
Verdienst  nur  auf  Kosten  ihrer  Gesundheit  erreichen,  daher  diese  Stellung  durchaus  zu 
tadeln  ist. 

Bei  der  Nadelschleiferei,  bei  welcher  stets  trocken  geschliffen  wird,  sind  die 
nämlichen  Grundsätze  massgebend.  Fig.  56  stellt  eine  Umhüllung  des  Schleifsteins  mit 
Weissblech  dar,  die  in  einen  Canal  übergeht,  an  dessen  Ende  ein  Exhaustor  in  Thätig- 

keit    ist.      Gegenwärtig    sind    die    Schleif- 
Fig,  5  6.  apparate  aber  sehr  vervollkommnet  worden ; 

nirgends  hat  sich  aber  der  Ersatz  des  Ven- 
tilators durch  eine  kräftige  Esse  bewährt. 
Macht  das  Schleifsystem  die  Anwendung 
eines  Ventilators  nothwendig,  so  kann  man 
sich  nur  von  der  absaugenden  Wirkung 
desselben  einen  Erfolg  versprechen,  mögen 
die  Stellung  der  Schleifsteine  zu  einander 
oder  die  ganze  Einrichtung  auch  noch  so 
verschieden  sein.  Das  System,  bei  dem 
die  Mühlsteine  durch  walzenförmige,  mit  Feilenhieben  versehene  Scheiben 
von  Stahl  ersetzt  sind,  macht  die  Absaugung  des  Staubes  unnöthig,  indem  die  Nadeln 
unter  die  Walze  auf  einer  Fläche  von  Stahl  vertheilt  werden  und  der  Mechanismus  so 
eingerichtet  ist,    dass   die  Maschine  aufhört  zu  arbeiten,   wenn   die  Nadeln  fertig  sind. 


Schleif er  krankheit.  753 

Sie  hat  den  Vortheil,  dass  sie  die  Erhitzung  der  Nadeln  vermindert,  fast  keinen  Abfall  und 
deshalb  auch  kaum  Staub  aufkommen  lässt;  aber  auch  die  Gefahr  vor  dem  Zerspringen 
der  Schleifsteine  verschwindet  mit  dieser  Einrichtung;  aus  dieser  Ursache  war  man 
früher  genöthigt,  die  Schleifsteine  noch  besonders  zu  befestigen  oder  die  Arbeiter  durch 
eine  gusseiserne  Platte,  die  man  zwischen  dem  Schleifstein  und  der  Arbeitsstelle  auf- 
stellte, zu  schützen.7) 

Die  erwähnte  Einrichtung  hat  nur  den  Nachtheil,  dass  ihre  Leistungen  wegen  der 
langsamem  Bewegung  der  Walzen  denen  der  Schleifsteine  noch  nicht  gleichkommen; 
zweifelsohne  sind  aber  noch  grössere  Vervollkommnungen  zu  erwarten,  wenn  man  diese 
Wege  weiter  verfolgt,  da  sich  auf  allen  andern  Gebieten  der  Technik  das  Walzensystem 
Bahn  gebrochen  hat.*) 

Bei  den  Stecknadeln  von  Messing  oder  Kupfer  hat  man  wegen  der  leich- 
tern Behandlung  dieser  Metalle  noch  grössere  Erfolge  bei  dem  Schleifprocesse  erlangt. 
Die  sogenannten  amerikanischen  Maschinen  stellen  diese  Nadeln  vollständig  her;  sie 
nehmen  den  auf  der  Spule  aufgewickelten  Messingdraht  ab,  theilen,  schleifen  und  ver- 
sehen ihn  auch  mit  dem  Kopfe,  so  dass  die  Nadel  fertig  aus  dieser  Maschine  hervor- 
geht. Zum  Schleifen  dienen  die  erwähnten  walzenartigen,  mit  Feilenhieben  versehenen 
und  in  einem  geschlossenen  Kasten  befindlichen  Scheiben,  in  welchem  sich  der 
metallische  Staub  ansammelt,  der  hierbei  wegen  der  weichern  Beschaffenheit  des  zu 
bearbeitenden  Metalls  stets  auftritt.**) 

Eine  Morbiditäts-  und  Mortalitäts  -  Statistik  der  Schleifer  in  grösserm  Um- 
fange gibt  es  noch  nicht,  obgleich  die  Erfahrung  längst  über  die  Gefährlichkeit 
des  Schleifstaubes  entschieden  hat.8) 

Die  Schleiferkrankheit,  in  Sheffield  Grinder 's  Asthma  genannnt,  ist 
namentlich  durch  Holland9)  einer  genauem  Untersuchung  unterworfen  und 
als  Staubinhalationskrankheit  aufgefasst  worden;  freilich  deutet  schon  der 
Name  „Asthma"  auf  die  Vielseitigkeit  des  Leidens  hin,  welches  auch  in  der  That 
nach  der  Constitution  und  der  Krankheitsanlage  unter  mannigfaltigen  Erschei- 
nungen auftritt,  grade  wie  es  sich  mit  dem  Asthma  der  Kohlengruben- 
arbeiter verhält.  Von  den  einfachsten,  erbsengrossen  Ablagerungen  des  Schleif- 
staubes in  kleinen  circumscripten  Herden  bis  zur  wirklichen  Vomica-Bildung  findet 
man  bei  den  Sectionen  die  verschiedensten  Uebergangsformen.  Seltner  zeigt  sich 
ein  mit  der  Anthracosis  pulmonum  übereinstimmender  Befund;  genauere  patho- 
logische Untersuchungen  hierüber  fehlen  noch  und  nur  die  schwarze,  das  Lungen- 
gewebe durchdringende  Flüssigkeit  beweist  die  Analogie;  ausserdem  sind  vorzugs- 
weise die  Bronchialdrüsen  in  eine  schwarze  und  mit  eingelagertem  Schleifstaube 
versehene  Masse  verwandelt. 

Die  verursachten  Reizungen  der  Luftwege  können  jahrelang  bestehen  und 
nur  mit  Husten  begleitet  sein,  wofern  gut  constituirte  Individuen  dem  Schleif- 
staube ausgesetzt  sind;  handelt  es  sich  aber  um  junge  Leute  mit  phthisischem 
Thorax  und  kümmerlicher  Entwicklung,  so  geht  die  Zerstörung  der  Lunge 
weit  rascher  vor  sich,  bis  der  Tod  unter  colliquativen  Erscheinungen  eintritt. 
Diese    Affection    der    Lunge    wird    eingeleitet    durch    Einlagerung    des    Schleif- 

*)  Die  Fabrication  der  Nähnadeln  umfasst  im  Allgemeinen  1)  das  Abschneiden 
und  Richten  des  Eisen-  oder  Stahldrahts,  welcher  von  den  Drahtziehereien  geliefert 
wird;  2)  das  Schleifen,  3)  das  Poncen  der  Furchen  oder  Gruben  der  Augen 
mittels  der  Durchstossmaschine;  4)  das  Blankmachen,  5)  das  Härten  durch  Glühen, 

6)  das  Scheuern   auf  einer  der  gewöhnlichen  Mang -Rolle  ähnlichen  Scheue  rmühle; 

7)  das  Sortiren,  8)  das  Verpacken,  9)  häufig  noch  das  Poliren  und  Bruniren, 
obgleich  ersteres  eigentlich  nur  ein  Schleifen  darstellt. 

**)  Die  Stecknadeln  werden  vielfältig  mit  einem  gläsernen  Kopfe  versehen;  diese 
Arbeit  wird  meist  von  Frauen  und  Mädchen  ausgeführt,  die  nicht  selten  in  einem 
schlecht  ventilirten  Räume  nahe  an  Gasflammen  sitzen,  um  das  Glas  zu  schmelzen  und 
die  Köpfe  zu  bilden.     Man  sollte  auch  hier  für  eine  kräftige  Ventilation  sorgen. 

Eulenberg,  Gewerbe -Hygiene.  48 


754  Eisen. 

staubes  iu  das  Lungengewebe,  grade  wie  es  sich  bei  deu  Steinhauern  und  den 
Arbeitern  in  Porcellanfabriken  u.  s.  w.  verhält,  denn  in  allen  diesen  Fällen  findet 
man  als  Folgeu  des  fortschreitenden  Verschwärungsprocesses  mehr  oder  weniger 
den  Auswurf  von  erbsengrossen,  festen  und  in  Eiter  gehüllten  Concrementen 
(s.  S.  660),  der  jahrelang  von  derselben  Beschaffenheit  bleiben  kann,  bis  er 
schliesslich  in  profuse,  eitrige,  grünliche  oder  auch  schwär/liehe  Sputa  übergeht, 
die  meist  mit  der  Bildung  von  Hohlräumen  im  Lungenparenchym  in  Ver- 
bindung stellen. 

Nach  der  verschiedenen  Entwicklung  und  den  Ausgängen  der  Krankheit 
muss  sich  natürlich  auch  ihre  Symptomatologie  richten.  Es  ist  hierbei  nur 
bemerkenswerth  und  charakteristisch  für  das  durch  Schleifstaub  erzeugte  Lungen- 
leiden,  dass  oft  alle  Erscheinungen  ganz  in  den  Hintergrund  treten,  wenn  der 
betreffende  Arbeiter  das  Schleifen  aufgibt  und  eiue  gesundere  Beschäftigung 
wählt;  nach  jahrelangem  Stillstande  der  Krankheit  kann  aber  diese  mit  erneuter 
Heftigkeit  erwachen,  wenn  die  frühere  Schädlichkeit  wieder  einwirkt.  Charak- 
teristisch ist  ferner  eiue  schon  früh  eintretende  Kurzathmigkeit  mit  Husten, 
eiu  Symptom,  das  hauptsächlich  die  Veranlassung  war,  dass  man  die  Krankheit  im 
Allgemeinen  als  Asthma  aufgefasst  hat.  Die  Mittel  sind  jetzt  vorhanden,  um 
diesen  tödtlichen  Erkrankungen  ganz  vorzubeugen;  möchten  sie  fernerhin  nur 
noch  ein  historisches  Interesse  darbieten !  — 

2)  Die  Darstellung  hohler  Löcher  oder  Räume  wird  durch  verschiedene  Arten 
von  Bohrer  oder  Bohrgewinden ,  durch  Bohren  auf  der  Drehbank,  durch  Bohr- 
maschinen bewirkt;  die  letztern  werden  durch  Dampfkraft  in  Bewegung  gesetzt.  Es 
fallen  hierbei  grössere  Eisensplitter  ab,  die  nur  den  Augen  schädlich  werden  können. 
Beim  Bohren  in  Schmiedeeisen  und  Stahl  entwickelt  sich  aber  eine  bedeutende 
Warme,  die  ein  fortwährendes  Begiessen  des  Bohrers  mit  Wasser,  Oel  oder  Seifenlauge 
erfordert.  Beim  Bohren  von  Kanonen  oder  Gewehr  laufen  bedient  sich  der  Arbeiter, 
namentlich  bei  den  letztern,  eines  qualmenden  Lichtes,  um  die  Bohrung  zu  beobachten; 
man  sollte  hier  stets  für  eine  zweckmässige  Beleuchtung  sorgen,  um  die  Arbeiter  nicht 
den  Nachtheilen  des  Russes  auszusetzen.  Einen  Bohrer,  den  man  Senker,  Aus- 
recker oder  Fräser  nennt,  benutzt  man,  wenn  man  ein  Bohrloch  an  seiner  Mündung 
erweitern  will. 

Das  Durchstossen  oder  Lochen  dient  zur  Darstellung  von  Scheiben  oder  Platten 
für  Knöpfe,  Münzen,  von  Augen  in  den  Nähnadeln,  von  Rädern,  Zeigern  für  Uhren  u.  s.w. 

3)  Die  Zertlieilnng  der  Metalle  geschieht  durch  Sägen  und  die  Schere:  vielfach 
im  Gebrauche  sind  ^die  Kreissägen  (namentlich  in  der  Holzschneiderei)  und  die 
Kreisscheren.10) 

4)  Beim  Biegen  der  Metalle  kommt  das  Anstreiben,  Ausklopfen  und  Stangen  vor, 
namentlich  beim  Klempner,  Kupfer-,  Gold-  und  Silberschmied. 

5)  Das  Verbinden  der  Stücke  wird  durch  Nieten  und  Lüthen  (s.  S.  667)  bewirkt. 

G)  Zum  Fertigmachen  und  Verschönern  gehören  folgende  Proceduren.  Zum  Rei- 
nigen der  Oberfläche  der  Metalle  dient  das  Schahmesser  oder  der  Schaber,  wobei  mehr 
oder  weniger  Metallstaub  entsteht. 

Ausser  dem  Schleifen  auf  Steinen  dient  das  Schleifen  mit  Bimstein,  Schachtel- 
halm, Glas-  oder  Metallpulver  oder  mittels  kreisförmig  bewegter  Scheiben  von  Holz, 
deren  Ränder  mit  Smirgel  oder  andern  Polirmitteln  u.  s.w.  eingerieben  werden.  Diese 
Operation  ist  daher  schon  ein  Poliren,  obgleich  das  eigentliche  Poliren  durch  den 
Pulirstalil  bewirkt  wird.  Metallstaub  fällt  bei  eisernen  Gegenständen  in  weit  geringerer 
Menge  ab,  obgleich  beim  Poliren  von  Silbersachen  doch  die  Thatsache  ausser  Frage 
steht,  dass  hier  stets  mehr  oder  weniger  metallische  Theilchen  abfallen  (s.  Literatur  No.  2 
bei  Silber);  in  ähnlicher  Weise  wird  es  sich  bei  den  Messingsorten  verhalten.  Weit  wich- 
tiger sind  jedenfalls  die  hei  ersterer  Methode  zur  Anwendung  kommenden  Polirmittel, 
von  deren  Natur  die  Schädlichkeit  des  Staubes  abhängig  ist;  auch  der  vielfach  benutzte 
Smirgel  ist  keineswegs  indifferent,  da  er  stets  Kieselsäure  und  Eisen  enthält, 

Durch  Oraviren  und  Aetzen  erzeugt  man  Verzierungen;  das  Bruniren  (s.  S.  310) 
bezweckt,  die  Eisenwaaren,  namentlich  die  Gewehrläufe,  mit  einer  dünnen  Oxydschicht 
zu  versehen,  den  Metallglanz  der  Oberfläche  zu  beseitigen  oder  den  damascirten 
Läufen  ein  schönes  Ansehen  zugeben;  ausser  Antimonchlorid  zieht  man  auch  eine 


Emailliren  der  Gusswaaren.  755 

Subliniatlö^sung  oder  eine  verdünnte  Salz-  und  Salpetersäurelösung  in  An- 
wendung. Nach  dem  Abwaschen  und  Reinigen  der  Läufe  wird  mit  dem  Polirstahl 
polirt  oder  auch  ein  Schellackfirniss  aufgetragen. 

In  Betreff  des  Ueberziehens  der  Metalle  mit  andern  Metallen  s.  Gold, 
Silber  und  Zinn.     Das  Verkupfern  geschieht  hauptsächlich  bei  Eisen  und  Stahl. 

Ausser  den  Firnissen  wird  vorzugsweise  Email  (Glasmasse)  zum  Bedecken 
metallener  Oberflächen  benutzt. 

Das  Emailliren  der  Gusswaaren.  Die  leichte  Oxydirbarkeit  des  Eisens  macht 
es  in  vielen  Fällen  wünschenswert!],  die  Gefässe  mit  einer  schützenden  Decke  zu 
versehen,  welche  wenigstens  den  schwachen  Säuren  widerstehen  kann.  Beim 
Glasiren  ist  Folgendes  zu  beachten:  1)  niuss  das  Eisen  eine  rein  metallische 
Oberfläche  haben,  2)  muss  die  Glasur  einen  niedrigem  Schmelzpunct  als  das 
Gusseisen  haben  und  sich  innig  mit  der  Metallfläche  verbinden,  3)  dürfen  die 
Ausdehnungscoefficienten  der  beiden  Substanzen,  des  Eisens  und  der  Glasur,  nicht 
zu  weit  auseinanderliegen,  da  sonst  bei  raschem  Temperaturwechsel  ein  Reissen 
der  Glasur  stattfindet;  dadurch  kommt  die  Flüssigkeit  mit  dem  metallischen 
Eisen  in  Berührung  und  kaun  hier  ein  Oxydiren  bedingen,  in  Folge  dessen  dann 
die  Glasur  abgestossen  wird;  4)  darf  bei  Kochgeschirren  die  Glasur  keine 
schädlichen  Bestandtheile,  namentlich  kein  Blei  enthalten,  welches  sich  in 
verdünnten  Säuren  löst  und  dadurch  der  Gesundheit  schädlich  wird. 

Durch  das  Putzen  resp.  Beizen  des  Gnsseisens  müssen  die  Gussgegenstände  zuerst 
von  dem  anhängenden  Formsand  u.  s.w.  mechanisch  befreit  werden.  Nachdem  alle  Un- 
ebenheiten weggenieisselt  worden  sind,  kommen  verdünnte  Säuren,  Schwefel-  und  Salz- 
säure als  Beize  zur  Anwendung;  hierbei  findet  eine  Entwicklung  von  Wasserstoff 
resp.  Kohlenwasserstoff  statt,  welcher  stets  mit  unerheblichen  Mengen  von  Schwefel- 
und  Arsenwasserstoff  verbunden  ist,  weil,  wenn  auch  das  Eisen  arsenfrei  ist,  die 
rohen   Säuren  stets  arsenhaltig  sind. 

Nach  der  Beize  wird  durch  Schleifen  mit  scharfem  Sande  und  nachherigem 
S mir g ein  der  blossgelegte  Kohlenstoff  weggeschafft,  eine  Manipulation,  die  wegen  der 
Staubbildung  um  so  beachtungswerther  ist,  als  sie  meist  ohne  Anfeuchtung  geschieht. 
Man  schwenkt  dann  die  Gefässe  mit  einer  Lösung  von  Natrium carbonat-  oder  Wasser- 
glaslösung, um  das  Anhaften  des  Emails  beim  Einbrennen  zu  befördern.  Dieses  wird 
nach  dem  Trocknen  durch  Schwenken  aufgetragen,  worauf  das  Erhitzen  der  Gefässe 
in  Muffelöfen  folgt;  hierbei  entweicht  unter  Blasenaufwerfen  Kohlensäure  und  Koh- 
lenoxyd; erst  nach  Aufhören  dieser  Erscheinung  setzt  man  die  Gefässe  der  vollstän- 
digen Schmelzhitze  aus.  Ist  eine  gleichmässige  Oberfläche  entstanden,  so  folgt  ein 
vorsichtiges  Abkühlen  in  Kühlöfen,  um  Haarrisse  im  Email  zu  vermeiden,  die  man  leicht 
erkennt,  wenn  man  das  Email  zuerst  mit  angesäuertem  Wasser  und  dann  nach  dem  Ausspülen 
mit  Wasser  in  einer  verdünnten  Lösung  von  Ferrocyankalium  behandelt;  es  geben 
sich  dann  die  Haarrisse  als  dunkelblaue  Linien  (Bildung  von  Berlinerblau)  zu  erkennen. 

Unter  den  metallischen  Glasuren  ist  die  bleifreie  Zinnglasur  von  reinem 
Zinnoxyd  unter  Zusatz  von  Borax,  Feldspath,  Flussspath  und  Soda  die  beste,  da  sie 
den  Säuren  am  kräftigsten  widersteht,  selbst  für  Pumpenröhren  in  sauren  Grubenwässern 
geeignet  und  auch  weniger  dem  Reissen  unterworfen  ist. 

Zinkhaltiges  Email  zersetzt  sich  leicht  und  ist  deshalb  zu  verwerfen:  blei- 
haltiges Email  ist  im  Allgemeinen  in  sanitärer  Beziehung  als  schädlich  zu  betrachten, 
obgleich  es  noch  häufig,  namentlich  bei  den  belgischen  Gusseisenwaaren,  vorkommt, 
welche  sich  äusserlich  wegen  ihrer  schönen  blauen  Glasivr  auszeichnen  und  daher  viel- 
fach im  Verkehr  vorkommen.  Es  gibt  Gefässe  dieser  Art,  in  welchen  sich  nach  ein- 
stündigem Kochen  mit  1  Liter  Essig,  der  nur  o%  Essigsäure  enthält,  löMgrm.  Blei  auf- 
lösen. Jedes  Email  ist  aber  stets  zu  verwerfen,  bei  welchem  ein  Essig  mit  &%  Essig- 
säure Blei  nachzuweisen  vermag:  dies  geschieht  am  zuverlässigsten  durch  Einleitung  von 
Schwefelwasserstoff  in  die  saure  Lösung.  Enthält  das  Email  Phosphorsäure,  so  rührt 
diese  von  der  Knochenasche  her:  statt  dieser  benutzt  man  nicht  selten  die  arsenige 
Säure,  weil  sie  billiger,  leichtflüssiger  ist  und  das  sogenannte  Spiegelweiss  erzeugt; 
gewöhnlich  wird  sie  erst  mit  der  F ritte,  d.  h.  mit  einer  glasartigen,  dem  gewöhnlichen 
Krystallglase  ähnlichen  Masse  zusammengeschmolzen,  wobei  die  Arbeiter  von  den 
arsenikalischen  Dämpfen  ausserordentlich  zu  leiden  haben;  in  einzelnen  Fällen  hat  Verf. 
dadurch  die  Entstehung  von  Arsenintoxicationen  beobachtet.  Seltner  verbindet 
sich  das  Arsen  mit  dem  Blei  zu  arsensaurem  Blei. 

48* 


•756  Eisen. 

Das  Email  der  Eisengusswaaren  verdient  dieselbe  sanitäre  Berücksich- 
tigung wie  das  Zinngeschirr  und  die  Verzinnung;  es  bedarf  ebenso  sehr 
einer  gesetzlichen  Regelung,  um  der  willkürlichen  Benutzung  der  Bleipräparate 
ein  Ende  zu  machen;  aber  auch  in  diesem  Falle  befürchtet  man,  die  Industrie 
d.  h.  das  Interesse  der  Fabricanten  zu  schädigen  und  bedenkt  nicht,  dass  Hun- 
derte von  Menschen  durch  diese  ungerechtfertigte  Rücksichtnahme  Gesundheits- 
störungen erleiden.  Verf.  hat  sich  vielfach  mit  diesem  Gegenstande  beschäftigt 
und  den  nachtheiligen  Einfluss  solcher  Emailen  nachgewiesen.  Das  schlechteste 
Email  wird  durch  Zusammenschmelzen  von  Kali-  oder  Natronglas  mit  Blei- 
glätte und  Knochenasche  dargestellt. 

Eine  solche  Emailmasse  enthielt  in  100  Th. : 

Kieselsäure 43,48, 

Bleioxvd 39,12 

Phosphorsäure  (an  Bleioxyd  gebunden)    .      3,51 

Phosphorsaures  Calcium 2,61 

Kali 4,91 

Natron 6,37 

100,00. 
Ein  solches  Email  springt  beim  Gebrauche  in  Küchen  leicht  ab,  das  Bleioxyd  wird 
dadurch  blossgelegt  und  löst  sich  dann  um  so  leichter  in  sauren  Flüssigkeiten  auf. 

Der  Vortheil  der  Bleiglätte  besteht  nur  in  dem  leichtern  Schmelzen  und  in  der 
Ersparung  des  Brennmaterials;  gegen  einen  solchen  pecuniären  Vortheil  soll  und  darf 
aber  nicht  die  öffentliche  Gesundheit  zurückstehen.11) 

Das  beste  Email  für  Eisen   ist  Quarz,    Soda,   Borax,  Magnesia  oder 

borsaures  Calcium  und  Magnesium  nebst  Thon;  benutzt  man  Wasserglas, 

so  überzieht  man  zuerst  die  Gefässe  mit  demselben,  brennt  dann  ein,  bestreut  die 

Fläche  mit  Kieselsäure  und  brennt  abermals  ein,  um  ein  unangreifbares  Email  zu 

erhalten.12) 

Beim  Braten  dürfen  emaillirte  Kochgeschirre  niemals  verwendet  werden;  zu 
häuslichen  Zwecken,  z.  B.  bei  Bratpfannen  von  Eisenblech,  genügt  ein  dünner  Fettüber- 
zug, wie  er  sich  durch  den  Gebrauch  von  selbst  bildet.  Bei  grossen  Wasserbehältern 
für  technische  Zwecke  kann  Eisen  nicht  unvortheilhaft  mit  Theer  überzogen  werden. 

Eisenverbindungen. 

Eisenoxyd  Fe203  kommt  in  der  Natur  als  Eisenglanz,  Rotheisenstein, 
Blutstein,  rother  Glaskopf  vor.  Künstlich  stellt  man  es  durch  Glühen  des  Eisen- 
oxydhydrats dar;  bei  der  Darstellung  der  rauchenden  Schwefelsäure  aus  dem  Eisen- 
sulfat bildet  es  den  Rückstand  in  der  Retorte  und  heisst  Caput  mortuum  oder 
Colcothar;  bei  der  Darstellung  der  schwefligen  Säure  aus  Schwefelkies  bleibt  es  als 
sogenannter  Ofenbrand  zurück.  Es  findet  eine  grosse  Verwendung  in  der  Technik; 
so  gebraucht  man  das  gepulverte,  krystallisirte  Eisenoxyd  als  Polirmittel  in  der  Stahl- 
industrie (Blutstein,  Englischroth,  rother  Smirgel,  Schleifroth),  ferner  als 
Schleifmittel  bei  den  Patent -Streichriemen  und  zum  Poliren  der  Spiegel.  Das 
amorphe  Eisenoxyd  dient  zur  Darstellung  von  Farben  und  Kitten  (Patentmastix,  Eisen- 
mastix), zum  Anstrich  als  Schutz  gegen  Rost,  in  der  Porcellan-  und  Glasmalerei  zur 
Darstellung  von  farbigen  Glasuren.  Eisen oxydhydrat  Fe2(OH)6  ist  das  bekannte 
Antidot  von  Arsen. 

Durch  Verstauben  von  Eisenoxyd  bei  den  erwähnten  Gewerben  können  Staub- 
krankheiten, d.h.  chronische  Lungenleiden,  entstehen.  Zenker13)  hat  die  durch  Eisen- 
staub entstehende  Lungenkrankheit  Siderosis  pulmonum  (acorjpo;,  Eisen)  genannt 
und  sie  zuerst  bei  einer  31jährigen  Arbeiterin  beobachtet,  welche  7  Jahre  in  einer 
Fabrik  beschäftigt  war,  in  welcher  Büchelchen  von  rothem  Fliesspapier  für  Blatt- 
gold angefertigt  wurden.  Man  gebraucht  aber  hierzu  nicht  Englischroth,  sondern  den 
gewöhnlichen  Röthel,  welcher  wegen  seines  Thongehalts  glättet  und  nur  5— 6%  Eisen- 
oxyd enthält.  Dies  Glätten  ist  nothwendig,  damit  ein  Anhängen  des  Goldes  verhütet 
wird;  man  wählt  grade  diese  rothe  Farbe,  weil  dadurch  das  Gold  nicht  beeinträchtigt 
wird.  Die  Arbeit  des  Glättens  wird  gewöhnlich  durch  Walzwerke  vorgenommen.  In 
dem  von  Zenker  beobachteten  und  unter  hektischen  Erscheinungen  tödtlich  gewordenen 
Falle  zeigte   sich   eine  intensiv  ziegelrothe  Färbung  des  Lungengewebes  und  in  beiden 


Aluminium.  757 

Lungen  nadelknopf-  bis  erbsengrosse,  rundliche,  derbe,  gelblich-graue  Knoten  mit  ziegel- 
rothen  Flecken  durchsprengt;  überall  fanden  sich  grössere  und  kleinere,  unregelmässig 
buchtige  Cavernen  mit  zerklüfteten  Wänden  und  mit  bröckliger,  graugelber  und  ziegel- 
farbiger Masse  erfüllt.  Auch  die  Innenfläche  der  feinen  Bronchien  bot  ziegelrothe  Flecke 
dar;  nirgends  wurden  frische  Tuberkeln  gefunden. 

Zenker  fasst  die  Knoten  als  lobuläre,  interstitielle  Pneumonie  auf.  In  1000  Th. 
Lunge  fand  Gorup-Besanez  14,5  Th.  Eisenoxyd;  das  Gesammtgewicht  der  Lunge  betrug 
ca.  1500  Grm    und  die  darin  enthaltene  Masse  Eisenoxyd  21 — 22  Grm. 

Bei  einem  39jährigen  Spiegelglas-Polirer,  welcher  25  Jahre  lang  Polirer  gewesen, 
seit  dem  25.  Lebensjahre  beständig  gehustet,  in  seinem  37.  Lebensjahre  an  Pneumonie 
und  Pleuritis  gelitten  und  seit  dieser  Zeit  beständig  gekränkelt  hatte,  fand  Zenker  bei 
der  Section  ausser  grauen  Miliartuberkeln  in  beiden  Lungen  das  zwischenliegende  Ge- 
webe mit  ockerbraunen  Zeichnungen  und  die  Bronchial-  und  Trachealdrüsen  mit  Ocker  - 
flecken  durchsetzt.  Auch  im  Centrum  der  grauen  Tuberkeln  zeigten  sich  hier  und  da 
Eisenkörner. 

Da  das  Poliren  des  Spiegelglases  zwar  durch  Englischroth  ausgeführt 
wird,  aber  stets  nass  geschieht,  so  ist  der  Sectionsbefund  höchst  auffallend.  Immerhin 
ist  dieser  Eisenstaub  um  so  beachtungswerther,  als  er  nach  den  vorliegenden  Erfah- 
rungen keine  Immunität  gegen  Lungentuberkeln  gewährt,  wie  dies  von  der  Kohle  be- 
hauptet wird. 

Eisenoxyduloxyd  FeO.Fe0203  kommt  in  der  Natur  als  Magneteisen  vor  und 
ist  der  hauptsächlichste  Bestandtheil  des  Hammerschlags.  So  sind  auch  die  grossen, 
aus  den  "Walzwerken  hervorgehenden  Eisenbleche  meistens  mit  einem  Ueberzuge  von 
Eisenoxyduloxyd  bedeckt;  um  sie  davon  zu  befreien,  müssen  sie  mit  Sandsteinstücken 
abgerieben  werden ;  hierbei  erzeugt  sich  viel  Eisenstaub,  welcher  ebenfalls  Lungenkrank- 
heiten hervorzurufen  vermag.  Merkel1*)  hat  einen  Krankheitsfall  dieser  Art  bei  einem 
56i ährigen  Arbeiter  beobachtet,  welcher  an  einer  chronischen  Pneumonie  litt  und  grau- 
schwarze, eitrige  Sputa  auswarf,  in  denen  sich  mikroskopisch  kleine,  schwarze,  theils 
freie,  theils  in  Zellen  eingeschlossene  Eisenpartikelchen  erkennen  Hessen. 

Eisensulfat,  Ferrosulfat,  Eisenvitriol,  Grüner  Vitriol  FeS04-r-7H20  wird  im 
Grossen  durch  Verwitterung  des  Schwefelkieses,  sehr  häufig  aber  als  Nebenproduct 
erhalten,  z.  B.  bei  der  Alaunindustrie,  bei  der  Gewinnung  des  Zinns  aus  den  Ab- 
fällen des  Weissblechs  u.  s.  w.  Die  Darstellung  der  Zinnbeize  fällt  mit  der  der  essig- 
sauren Eisenbeize  zusammen.  Die  Weissbleche  werden  zunächst  unter  Einwirkung  von 
indirectem  Dampfe  in  verdünnter  Schwefelsäure  gelöst;  das  hierbei  abfallende  Zinn 
dient  zur  Gewinnung  der  Zinnbeize,  während  die  Flüssigkeit,  das  Eisensulfat ,  mit 
holzessigsaurem  Calcium  versetzt  wird;  es  schlägt  sich  Gips  nieder  und  das 
essigsaure  Eisen  bleibt  in  Lösung. 

Diese  Fabrication  bietet  ein  sanitäres  Interesse  dar  und  ist  für  die  Adja- 
centen  belästigend,  wenn  man  die  bei  der  Auflösung  des  Blechs  auftretenden  Gase 
(übelriechende  Kohlenwasserstoffe,  Schwefelwasserstoff  und  auch  Arsen- 
wasserstoff, wenn  mit  arsenikalischen,  grünen  Kupferfarben  versehene  Bleche  benutzt 
werden)  nicht  in  eine  Feuerung  leitet.15) 

Verwendung  findet  die  essigsaure  Eisenbeize  in  den  Wollfärbereien. 


Aluminium,  AI. 

Aluminium  ist  ebenso  verbreitet  wie  Eisen  und  kommt  am  meisten  als  Silicat, 
als  kieselsaure  Thonerde  und  in  Gemeinschaft  mit  andern  Metallsilicaten  vor.  Zu 
seinen  Sauerstoffverbindungen  gehören  der  Rubin,  Saphir,  Korund  und  Smirgel, 
zu  der  Fluorverbindung  der  Kryolith  und  der  Topas. 

Die  technische  Darstellung  des  Metalls  erfolgt  durch  Glühen  von  Aluminium - 
chlorid-Natriumchlorid  mit  Natrium.    Man  erhält  als  Nebenproduct  nur  Kochsalz. 

Die  Arbeiter  haben  besonders  von  der  strahlenden  Hitze  zu  leiden;  sonst  bilden 
sich  keine  schädlichen  Dämpfe  und  der  ganze  Process  verläuft  rasch. 

Verwendung  hat  das  Aluminium  bisher  nur  zur  Anfertigung  von  Denkmünzen, 
Preismedaillen  und  Schmucksachen  gefunden.  Unter  den  verschiedenen  Legirungen  ist 
nur  die  Aluminiumbronze  (90  Th.  Kupfer  und  10  Th.  Aluminium)  hervorzuheben, 
welche  eine  schöne  goldgelbe  Farbe  hat  und  eine  ausgedehntere  Anwendbarkeit  verspricht. 
Für  die  Industrie  ist  der  Alaun  und  der  Thon  am  wichtigsten. 


758  Aluminium. 


Alaunindustrie. 

Der  Alann,  Kaliuiualuminiumalann  Al2 (SO^  -f-  K2 S04  +  24H20  wird  auf 
verschiedene  Weise  im  Grossen  dargestellt. 

1)  Kryolith  wird  in  der  Nähe  von  Kopenhagen  und  Hamburg  (Harburg) 
verarbeitet,  weil  dort  das  Mineral  leichter  zu  beziehen  ist. 

2)  Alaunstein  oder  Alunit,  der  aus  Kaliumalaun  und  Thonerde- 
hydrat  besteht,  benutzt  man  im  Kirchenstaat  und  Ungarn. 

3)  Alaun  schiefer  findet  sich  besonders  in  Deutschland,  z.  B.  in  der  Ober- 
lausitz, im  Mansfeld'scheu,  namentlich  in  der  Rheinprovinz,  nnd  liefert  den  meisten 
Alaun.  Zu  den  Alaunerzen  rechnet  man  a)  den  Alannschiefer,  welcher  einen 
mit  Braunkohle,  Thon  und  Schwefelkies  gemengten  Schiefer  darstellt; 
b)  die  Alannerde  ist  ärmer  an  Kieselsäure  und  reicher  an  kohligen  Bestand- 
teilen. 

Man  unterscheidet  bei  dieser  Fabrication  mehrere  Processe:  1)  die  Erzeugung 
von  schwefelsaurer  Thonerde  a)  durch  Verwitternlassen  an  der  Luft.  Gewöhnlich 
benutzt  man  dazu  die  Alaun  er  de  und  setzt  sie  in  kleinern  oder  grössern  Haufen  zu- 
sammen. Durch  die  Oxydation  geht  Schwefelkies  (FeS3)  schliesslich  in  Eisen- 
sulfat FeS04  und  Schwefelsäure  über;  letztere  dient  zur  Zersetzung  des 
Aluminiumsilicats,  des  Thons  und  bildet  schwefelsaure  Thonerde  (Alu- 
miniumsulfat) A13(S04)S  +  18H20. 

Man  bringt  die  Alaunerze  auf  einen  thonbestampften  und  gewöhnlich  hoch  ge- 
legenen Platz,  welchen  man  mit  einem  Gerinne  zur  Aufnahme  der  sogen,  wilden  Lauge 
umgibt.  Zweckmässig  ist  es,  die  Haufen  auf  irgend  eine  Weise  zu  bedachen;  in  Folge 
des  Oxydation sprocesses  erhitzen  und  entzünden  sich  die  Haufen  oft  von  selbst,  so  dass 
Schwefel  zu  schwefliger  Säure  verbrennt.  Der  ganze  Process  wird  durch  das 
Rösten  befördert. 

b)  Dem  Röstprocess  werden  namentlich  die  dichtem  Alaunschiefer  und  in 
der  Rheinprovinz  auch  die  dichtem  Alaun  erden  unterworfen,  nachdem  der  Ver- 
witterungsprocess  vorhergegangen  ist  Man  versetzt  die  Haufen  mit  so  viel  Brenn- 
material, als  zur  Entzündung  nothwendig  ist. 

Beim  Röstprocesse  ist  es  nicht  zu  vermeiden,  dass  sich  die  schweflige 
Säure  mit  den  Yerbrennungsproducten  der  organischen  Substanzen  in  der 
nächsten  Umgebung  ausbreitet  und  für  die  benachbarten  Ortschaften  eine  Quelle  höchst 
unangenehmer  Eindrücke  wird.  Es  hält  sehr  schwer,  diese  Belästigungen  vollständig  zu 
beseitigen,  da  die  Haufen  gewöhnlich  ziemlich  entfernt  von  der  Fabrik  und  zwar,  wenn 
es  ausführbar  ist,  auf  Anhöhen  liegen;  die  Dämpfe  verbreiten  sich  daher  auf  eine  Ent- 
fernung von  30 — 40  Minuten  und  müssen  diejenigen  Ortschaften  vorzugsweise  leiden, 
welche  im  Strichwinde  liegen. 

Die  schweflige  Säure  übt  wegen  ihrer  grossen  Verdünnung  keinen  bemerk- 
baren nachtheiligen  Einfluss  auf  die  Vegetation  aus,  nur  in  der  nächsten  Nähe  der 
Halden  leidet  das  kleine  Buschwerk  am  meisten  durch  Hitze;  die  Säure  ist  aber  stets 
mit  den  Verbrennungsproducten  der  organischen  Körper  und  daher  mit  unangenehmen 
Riechstoffen  verbunden.  Ableitungen  der  Dämpfe  in  das  Feuer  des  Dampfschornsteins 
würden  wegen  der  Entfernung  der  Halden  sehr  lange  Canäle  und  daher  grosse  Kosten 
erfordern.  Am  zweckmässigsten  ist  es,  die  Rösthalden  mit  Erdwällen  zu  umgeben,  um 
zunächst  die  herrschenden  Winde  abzuhalten;  dann  legt  man  von  einem  Erdwall  zum 
andern  Bretter,  welche  mit  Mutterlauge  getränkt  werden;  auf  die  Bretter  häuft  man 
Reisbündel,  welche  man  mit  ausgelaugtem  Erz  bestreut.  Durch  die  Aufnahme  der 
schwefligen  Säure  verwandelt  sich  dasselbe  zuerst  in  schwefligsaure  und  allmählig 
in.  schwefelsaure  Thonerde.  Der  Betrieb  sistirt  vom  Ende  December  bis  Ende 
März  und  beginnt  erst  bei  wärmerer  Witterung,  grade  zu  einer  Zeit,  wo  der  Genuss 
der  frischen  Luft  durch  die  Nähe  der  Rösthalden  sehr  beeinträchtigt  werden  kann. 

2)  Das  Auslaugen  der  verwitterten  oder  gerösteten  Alaunerze.  Dasselbe 
geschieht  in  gemauerten  Cisternen,  welche  gewöhnlich  terrassenförmig  angelegt  sind. 
Gips,  kohlensaure  Erden,  Ferrisulfat  und  Ferrosulfat  scheiden  sich  aus, 
während  Aluminiumsulfat  wegen  seiner  Leichtlöslichkeit  stets  gelöst  bleibt;  Ferro- 
sulfat ist  meist  so  reichlich  vorhanden,  dass  es  zu  Gute  gemacht  werden  kann. 

3)  Durch  Eindampfen  in  Pfannen  befördert  man   die  Concentration   der  Lauge. 


Thonwaaren.  759 

4)  Durch  Zusatz  von  Kaliumsulfat  zur  heissen  Mutterlauge  gewinnt  man 
Kaliumaluminmmalaun  (A12(S04)3  +  K2S04  +  24H20),  durch  Zusatz  eines  entsprechen- 
den Natrium-  oder  Ammoniumsalzes  Natriumalaun  (AL(SOA  + NaSO. -I- 24ELO")  oder 
Ammoniumalaun  (Al2(S04)3-f  (NH4)8S04  +  24H80). 

Der  Alaun  schlägt  sich  als  krystallinisches  Pulver,  als  Alaunmehl  nieder,  das 
durch  Waschen  und  Umkrystallisiren  in  den  krystallisirten  Alaun  des  Handels 
übergeführt  wird. 

Bei  der  ganzen  Fabrikation  sind  es  nur  der  Verwitterungs-  und  der  Röst- 
rocess,  welche  mit  Rücksicht  auf  die  Nachbarschaft  einer  sanitätspolizeilichen  Ueber- 
wachung  bedürfen. 

Fictilindustrie. 

Verbindungen  der  Kieselsäure  mit  der  Thonerde  (Aluminiumoxyd 
A1203),  Aluniiniumsilicate,  kommen  in  grosser  Verbreitung  vor.  Eine  sehr  wichtige 
Verbindung  dieser  Art  ist  Kaolin  und  Thon,  welche  beide  durch  Zersetzung  des 
Feldspaths  entstanden  sind;  letzterer  ist  entweder  Kalifeldspath  (Orthoklas) 
oder  Natronfeldspath  (Albit),  also  eine  Doppelverbindung  von  Aluminiumsilicat 
mit  Kalium-  oder  Natriumsilicat.  Porcellanthon  ist  reines  Kaolin  (Al2(Si03)3 
+  H4AI2O5)  und  dient  in  Verbindung  mit  Feldspath  zur  Darstellung  des  Por- 
c  eil  ans.  Durch  eine  geringere,  nicht  bis  zur  Weissgluth  gesteigerte  Hitze  erhält 
man  eine  mehr  poröse  Masse,  Fayence. 

Nach  der  Beschaffenheit  und  Bearbeitung  der  Materialien  unterscheidet  man 
bei  der  Fictilindustrie  Thonwaaren  und  Steinwaaren;  beide  zerfallen  wieder  in 
unglasirte  und  glasirte  Waaren. 

A.    Thonwaaren. 

Die  Töpferkunst  oder  Keramik  gehört  zu  den  ältesten  Gewerben,  da 
die  Töpferscheibe  in  den  frühesten  Urkunden  vorkommt  und  den  Assyriern  und 
Babyloniern  schon  bekannt  war.1) 

I.  Die  unglasirten  Thonwaaren.  Hierher  gehören  die  gewöhnlichen  und 
feuerfesten  Ziegel,  die  Terra  cotta,  die  Thonpfeifen,  der  Alcarrazas,  die  lackirten 
Siderolithe. 

Ziegelfabrication.  Das  hierzu  gebräuchliche  Material  ist  sehr  verschieden.  Je 
mehr  die  verschiedeneu  Thonarten  dem  Feuer  widerstehen  können,  desto  geeigneter  sind 
sie  für  die  Ziegelfabrication;  je  reicher  dieselben  aber  an  Calciumcarbonat  sind,  desto 
mehr  nimmt  auch  ihre  Festigkeit  ab,  da  ein  kalkhaltiger  Thon  nach  dem  Brennen 
Wasser  anzieht. 

Den  ausgegrabenen  Thon  lässt  man  längere  Zeit  an  der  Luft  liegen,  setzt 
ihn  auch  gern  dem  Frost  ans,  damit  er  beim  Aufthauen  um  so  mehr  aufgelockert  wird. 
Dies  Einsumpfen  des  Thons  in  Gruben  bezweckt  ein  Weichwerden  des  Thons  und 
das  Durchtreten  eine  Mischung  desselben,  sowie  die  Entfernung  von  harten  Körpern, 
z.  B.  Kieselgerölle  und  Kalknieren.  Diese  Arbeit  wird  aber  gegenwärtig  meist  durch 
Maschinen  verrichtet;  dadurch  ist  ein  grosser  sanitärer  Nachtheil  in  Wegfall  ge- 
kommen, da  diese  Arbeit  zu  den  sehr  anstrengenden  gehörte  und  auch  am  leichtesten 
zu  Erkältungskrankheiten  Veranlassung  gab,  abgesehen  von  der  Erschöpfung  der  Kräfte, 
die  damit  verbunden  war. 

Ein  Schlämmen  geschieht  nur  beim  sandreichen  Thon.  Das  Streichen 
oder  Formen  mit  der  Hand  wird  vielfältig  schon  durch  Maschinenarbeit  ersetzt.  Das 
Brennen  in  Feldöfen  oder  Meilern  schwindet  immer  mehr,  weil  man  beim  grössern 
Consum  auch  zweckmässigere  Einrichtungen  einführen  musste;  gebraucht  man  Steinkohle 
als  Brennmaterial  bei  den  Feldziegeleien,  was  vorzugsweise  der  Fall  ist,  so  wechselt  eine 
Schicht  der  eingesetzten  Steine  mit  einer  Schicht  Kohle;  die  in  den  Feuercanälen  be- 
findlichen Steinkohlen  werden  angezündet,  so  dass  sich  das  Feuer  allmählig  auf  den 
gauzen  Ofen  ausdehnt.  Der  ganze  Meiler  wird  mit  einer  Schicht  Lehm  bedeckt,  während 
seitliche  Luftlöcher  dazu  dienen,  die  Feuerung  zu  reguliren.  Die  Nachbarschaft  eines 
solchen  Feldofens  ist  belästigend,  weil  die  Verbrennungsgase  häufig  einen  sehr  unan- 
genehmen   Geruch    haben;    die    schweflige    Säure    kann    als    Verbrennungsproduct 


760  Aluminium. 

übrigens  nur  zur  Zeit  der  Blüthe  der  Cerealien  und  Obstbäume  schaden.  Glücklicher- 
weise werden  zu  dieser  Jahreszeit  die  Ziegelöfen  fast  niemals  angezündet;  hierin  liegt  auch 
der  Grund,  weshalb  Klagen  über  Entschädigungen  fast  nie  laut  werden,  denn  späterhin 
wird  die  Vegetation  weniger  nachtheilig  berührt.  Kurz  nach  dem  Anzünden  des  Ofens 
treten  ausser  der  schwefligen  Säure  noch  Kohlensäure,  Kohlenoxyd,  sowie  die 
Producte  der  trocknen  Destillation  der  Kohle  und  des  Thons,  Sumpfgas,  schwerer 
Kohlenwasserstoff  und  Ammoniak  auf;  enthält  der  Thon  fein  zertheilten  Schwe- 
felkies, so  ist  die  Menge  der  schwefligen  Säure  ganz  bedeutend.  Chlorwasser- 
stoffsäure und  Schwefelsäure  können  im  letzten  Stadium  der  Verbrennung  in 
Folge  der  Zersetzung  der  Chloride  und  Sulfate  der  Alkalien  durch  die  Kiesel- 
säure der  kieselsauren  Thonerde  entstehen  und  wenigstens  theilweise  als  Dampf  ent- 
weichen.2) 

Die  Ziegelbrennöfen  haben  ebenfalls  eine  verschiedene  Construction,  je  nach- 
dem man  Holz  oder  Steinkohlen  als  Brennmaterial  benutzt.  Unter  den  continuir- 
lichen  Brennöfen  hat  der  ringförmige  Zicgelofen  von  Hoff  mann  und  Licht  eine 
grosse  Verbreitung  gefunden;  sein  Vortheil  beruht  in  der  möglichst  vollständigen  Aus- 
nutzung des  Brennmaterials. 

Die  sanitären  Verhältnisse  bei  den  Ziegeleien  sind  in  Bezug  auf  die 
damit  verbundene  grosse  körperliche  Anstrengung  nicht  günstig,  namentlich  wenn 
die  meiste  Arbeit  noch  in  der  Handarbeit  besteht.  Die  Feuchtigkeit  des  Bodens, 
die  Erhitzung  bei  der  Arbeit,  die  Accordarbeit  und  die  nicht  immer  ausreichende 
Ernährung  vereinigen  sich,  um  entweder  den  Grund  zu  fieberhaften  Erkrankungen 
(Intermitteus,  Ruhr,  Rheumatismus  acutus  u.  s.  w.)  zu  legen  oder  frühzeitige  Er- 
schöpfung der  Kräfte  herbeizuführen.  Seitdem  die  Maschinen  die  übermässigen 
Anstrengungen  der  Arbeiter  übernehmen,  ist  zwar  in  mancher  Beziehung  die 
Stellung  derselben  eine  bessere  geworden,  immerhin  ist  jedoch  die  Art  der  Arbeit, 
die  Einwirkung  des  Witterung -Wechsels,  das  Wohnen  in  schlechten  Hütten  ge- 
eignet, die  Constitution  zu  zerrütten.  Schmerzhaftigkeit  der  Handwurzelgelenke, 
Varicen  und  Hernien  finden  sich  nicht  selten  als  äussere  Uebel,  welche  hier  in 
den  Vordergrund  treten. 

Einer  besondern  sanitätspolizeilichen  Ueberwachung  bedürfen  die  Abtrage- 
jungen, welche  die  geformten  Steine  nach  dem  Trockengerüste  tragen;  sind  sie 
erst  10 — 11  oder  12  Jahre  alt,  so  kann  die  mit  dieser  Arbeit  verbundene  An- 
strengung nicht  ohne  die  nachtheiligsten  Folgen  bleiben;  es  sollte  daher  nicht 
gestattet  werden,  Knaben  unter  14  Jahren  zu  dieser  Arbeit  zuzulassen,  es  sei 
denn,  dass  ein  ärztliches  Zeugniss  ihre  Leistungsfähigkeit  ausweist.3) 

Dachziegelbrennerei.  Bei  der  Fabrication  der  Dachziegel  darf  kein  schlechter 
Thon  genommen  werden;  man  bedient  sich  zum  Mengen  desselben  gewöhnlich  der 
Thonmühlen.  Um  den  Dachziegeln  eine  graue,  fast  schwärzliche  Farbe  zu  geben, 
lässt  man  grüne  Erlenzweige  in  Brennöfen  zur  Zeit  der  grössten  Gluth  verbrennen,  um 
einen  starken  Rauch  zu  erzeugen  und  den  Absatz  der  Kohle  in  die  poröse  Ziegelmasse 
zu  bezwecken. 

Hohlziegeln  und  Drainröhren  werden  mittels  Maschinen  dargestellt. 

Feuerfeste  Steine,  Chamottesteine.  Man  benutzt  dazu  einen  Thon,  der  reich  an 
Kieselerde  und  Thon,  aber  arm  an  Kalk,  Eisenoxydul  und  Alkalien  ist.  Häufig  ver- 
mischt man  auch  den  Thon  mit  gebranntem  Thon  (Chamotte),  mit  Sand,  Kohle  und 
Koks,  wobei  das  trockne  Zerkleinern  sehr  zu  beachten  ist.  Hierher  gehören  auch  die 
verschiedenen  Schmelztiegel,  die  Graphittiegel,  die  englischen  Tiegel  u.  s.  w. 

Terra  cotta-Waaren  sind  Gegenstände  von  gelb-  oder  rothgebranntem  Thon,  die 
in  Gipsformen  dargestellt  und  in  Fayence-Oefen  hart  gebrannt  werden. 

Pfeifenthon  dient  zur  Darstellung  der  thönernen  Pfeifen.  Beim  Glätten  der 
geformten  Pfeifen,  das  durch  einen  Achat  oder  Feuerstein  bewirkt  wird,  entsteht  ein 
feiner,  sehr  beachtenswerther  Staub. 

Pastellstifte  werden  aus  Pfeifenthon  mit  verschiedenen  Deckfarben  unter  Zu- 
satz von  Schellackfirniss  und  Traganthschleim  dargestellt.  Die  Hauptsache  beruht  hier- 
bei in  sorgfältigem  Mahlen  der  Bestandtheile  in  Breiform  auf  besondern  Mühlen;  zu 
bedenken  ist  dabei,  dass  auch  giftige  Farben,  wie  Auripigment,  Bleiweiss  u.  s.  w. 
benutzt  werden. 


Thonwaaren. 


761 


Alcarrazas  sind  sehr  poröse  Kühlkrüge,  die  ihren  flüssigen  Inhalt  aussickern 
lassen,  wodurch  eine  starke  Abkühlung  entsteht. 

Ferrolitll  oder  Siderolith  sind  nur  Thonwaaren,  die  namentlich  in  Böhmen 
fabricirt  werden;  statt  der  Glasur  haben  sie  einen  gefärbten  oder  bronzirten  Firniss- 
uberzug  Meist  stellt  man  Luxusgegenstände,  Blumenvasen,  Leuchter,  Becher  Frucht- 
korbe^  Schreibzeuge  u.  s.w.  dar.  Bernsteinfimiss  dient  zum  Anrühren  der  Farben 
und  Bronze,  während  mit  Terpentinöl  oder  Leinöl  verdünnt  wird.  Das  Auftragen  Ge- 
schieht mittels  eines  Pinsels  und  wird  die  Waare  in  Muffeln  bis  zur  Verdunstung  der 
ätherischen  Dämpfe  gebrannt.  ö 

Die  sanitären  Massnahmen  haben  das  Auftreten  der  ätherischen  Dämpfe  den 
Gebrauch  der  verschiedenen  Farben  und  Bronzen  zu  berücksichtigen. 

IL  Die  glasirten  Thonwaaren  1)  mit  durchsichtiger  Glasur  a)  auf 
rechlichem  oder  gelblichem  Thongrunde.  Hierher  gehört  das  gewöhnliche 
Töpfergeschirr,  welches  wegen  seines  vielseitigen  Gebrauchs  um  so  mehr  Beach- 
tung verdient,  als  die  Glasur  desselben  trotz  aller  Warnungen  noch  immer  blei- 
haltig dargestellt  wird.  Es  wird  meist  der  gewöhnliche  Töpferthon  und 
Thonmergel  dazu  benutzt;  obgleich  derselbe  vielfach  verbreitet  ist,  so  sind  es 
doch  bestimmte  Gegenden,  welche  sich  mit  dieser  Fabrication  vorzugsweise  be- 
schäftigen. Der  gemeine  Töpferthon  wird  gewöhnlich  für  die  Weiss- 
töpferei benutzt,  während  das  Bunzlauer  und  Waldenburger  Geschirr 
aus  feuerbeständigem  Thon  dargestellt  und  zur  Brauntöpferei  gerechnet  wird. 

Ist  der  Thon  zu  fett,  so  wird  er  noch  mit  Sand,  Feuerstein,  Kreide  oder  Chamotte 
vermischt.  Um  eine  gleichmässige  Masse  zu  erzielen,  muss  dieselbe  längere  Zeit  in 
einer  Grube  eingeweicht  und  namentlich  während  des  Winters  dem  Froste  ausgesetzt 
werden.  Das  Mengen  des  Thons  geschieht  noch  vielseitig  durch  Treten  mit  den  Füssen 
eine  sehr  anstrengende  und  durch  die  Feuchtigkeit  leicht  Rheumatismen  bedingende 
Arbeit;  trotzdem  wird  diese  Methode  noch  immer  dem  Umschaufeln  oder  dem  Mahlen 
in  Thonmühlen  vorgezogen. 

Die  Waaren  werden  auf  den  bekannten  Töpferscheiben  geformt;  dann  folgt  das 
Trocknen  und  Brennen  meist  mit  Glasur.  Zum  Brennen  bedient  man  sich  der  sogen. 
Casseler  Oefen;  die  Flamme  des  Feuerherdes  liegt  seitlich  und  schlägt  durch  die 
Oeffnungen  der  Seiten  wand,  welche  aus  losen,  nicht  gebrannten  Mauersteinen  besteht, 
auf  die  in  einem  langen,  dunklen  Seitenraum  aufgestellten  Waaren.  Beim  Einsetzen 
derselben  kommt  das  qualmende  Petroleumlicht  mit  in  Betracht,  das  namentlich  an 
dunklen  Tagen  hierbei  benutzt  werden  muss;  Schwarzspucken  ist  nicht  selten  die 
Folge  des  eingeathmeten  Kusses. 

Glasiren.  Das  hauptsächlichste  Material  zur  Glasur  der  Töpferwaaren  ist 
der  Bleiglanz  (Bleisulfid  PbS),  welcher  auf  einer  Handmühle  mit  Steinen  fein 
gemahlen  und  mit  Lehm  (Thon  und  Sand)  gemengt  wird.  Schon  dieser  Act  ist 
in  sanitärer  Beziehung  wichtig,  weil  jede  Vorsicht  dabei  ausser  Acht  gelassen 
und  an  die  Verhütung  der  Staubbildung  kaum  gedacht  wird;  ein  Anfeuchten 
würde  hier  ganz  zulässig  sein  und  vielen  Gefahren  vorbeugen. 

Das  Glasiren  geschieht  durch  Eintauchen,  Begiessen  oder  Bestäuben, 
wenn  die  Waare  lufttrocken  ist.  Die  Methode  des  Eintauchens  empfiehlt  sich 
in  sanitärer  Beziehung  nicht,  weil  die  Arbeiter  ihre  Hände  beständig  mit  der 
bleihaltigen  Glasurbrühe  in  Berührung  bringen;  es  ist  übrigens  bei  Töpferwaaren 
nicht  gebräuchlich. 

Das  Bestäuben  ist  noch  gefährlicher,  indem  man  hierbei  das  Bleiglanz- 
pulver  über  das  frisch  geformte  Geschirr  beutelt,  wodurch  sehr  viel  Blei  staub 
erzeugt  wird. 

Das  Glasiren  durch  Begiessen  schliesst  für  die  Arbeiter  noch  die  geringste 
Gefahr  in  sich,  wenn  sie  nicht  unnöthigerweise  mit  der  Glasurbrühe  in  Berührung 
kommen.  Beim  Glasiren  sind  überhaupt  alle  Vorsichtsmassregeln  wie  in  Blei- 
weissfabriken  zu  treffen. 


7ß2  Aluminium. 

Beim  Brennen  der  Geschirre  fiudet  ein  Rösten  des  Bleiglanzes  statt;  der 
Schwefel  entweicht  als  schweflige  Säure  und  zwar  oft  in  belästigender  Weise; 
das  entstandene  Bleioxyd  bildet  mit  der  Kieselsäure  und  der  Thonerde  ein  Blei- 
Aluininiumsilicat,  welches  nur  bei  sehr  sorgfältiger  Darstellung  in  den 
im  täglichen  Leben  vorkommenden  Säuren,  namentlich  im  Essig,  nicht  löslich  ist. 
In  den  meistern  Glasuren  fiudet  sich  aber  noch  auflösliches  Bleioxyd, 
welches  vom  Essig  leicht  aufgenommen  wird,  zumal  wenn  die  Glasur  Risse  oder 
Sprünge  bekommen  hat.     Aus  dieser  Ursache  verdienen  die  Töpferwaaren  die 

grösste#sauitäre  Beachtung. 

Der  Einwand,  dass  ein  vollständiges  Brennen  der  Waaren  solche  Gefahren  be- 
seitigen würde,    ist  zwar  richtig;   wer   liefert   aber  dem  Käufer   derselben  die  Garantie, 

ieses  geschehen  ist?  Die  vielfachen  Vorschläge,  bleifreie  Glasuren  herzustellen. 
sind  fruchtlos  geblieben,  obgleich  sich  Wasserglas,  namentlich  im  Verein  mit  borsanrem 
Calcium,  ganz  vorzüglich  hierzu  eignen  würde.  Der  Hauptgrund  liegt  darin,  dass  man 
eine  möglichst  leichtflüssige  Glasur  herzustellen  sucht,  weil  dies  Thongeschirr  wegen 
der  Leichtschmelzbarkeit  seiner  Masse  nur  ein  schwaches  Feuer  braucht  und  man  die 
Productionskosten  durch  eine  Glasur,  welche  schwieriger  als  Blei  schmilzt  und  über- 
haupt nicht  so  leichtflüssig  wie  die  Ma.-se  ist,  nicht  vermehren  will.4) 

Da  noch  kein  Staat  die  Anwendung  der  Bleiglasur  bei  den  Töpferwaaren  ver- 
boten hat  und  man  in  dieser  Beziehung  jeder  Gefahr  ausgesetzt  ist,  so  sollte  man 
wenigstens  in  den  Haushaltungen  das  gemeine  Top  fergeschirr  erst  dann  benutzen, 
wenn  man  dasselbe  mit  Essig  behandelt  hat,  um  das  auflösliche  Bleioxyd   zu  entfernen. 

b)  Als  Thonwaareu  mit  durchsichtiger  Glasur  auf  weissem  Grunde 
sind  die  sogen.  Wedg  wo  od -Waaren  zu  betrachten. 

Sie  kamen  zuerst  als  „Earthware"  in  den  Handel;  ihre  Glasur  ist  in  der 
Regel  weit  besser  eingebrannt  als  beim  gemeinen  Töpfergeschirr,  aber  nicht  in  allen 
Fällen  zuverlässig,  namentlich  bei  den  deutschen  Waaren. 

2)  Glasirte  Thonwaaren  mit  undurchsichtiger  Glasur.  Die  Fayence, 
das  englische  Steingut,  hat  den  Namen  von  der  Stadt  Faenza  im  Kirchenstaate  er- 
halten, wo  die  Fabrication  der  Fayence-Gefässe  ganz  besonders  im  Schwünge  war. 
Die  Thonwaaren,  welche  hierher  zu  rechnen  sind,  bestehen  aus  einer  porösen, 
erdigen,  an  der  Zunge  hängenden,  undurchsichtigen  und  wenig 
klingenden  Masse;  sie  werden  aus  plastischem  Thon  (feuerfestem  Thon)  oder 
aus  einem  Genienge  von  diesem  und  gemeinem  Töpferthone  (Walkererde)  ange- 
fertigt, aber  nicht  bis  zu  hoher  Weissgluth  erhitzt.  Wegen  der  porösen  Beschaffen- 
heit bedürfen  sie  einer  Glasur,  wenn  sie  zu  Geschirren  verarbeitet  werden. 

Die  feine  Fayence.  Halhporcellan.  besteht  in  der  Hauptsache  aus  plastischem 
Thon  mit  Zusatz  von  gemahlenem  Quarz  oder  Feuerstein,  Kaolin  oder  Feldspath.  Die 
Masse  wird  fast  weiss  gebrannt  und  erhält  eine  durchsichtige  Glasur. 

Die  gemeine  emaillirte  Fayence  besteht  aus  einem  Gemenge  von  Töpfer- 
thon  oder  plastischem  Thon ,  Kalkmergel  oder  Quarz  und  Quarzsand.  Der  Gehalt  der 
Masse  an  Calciumcarbonat  ist  charakteristisch;  die  gargebrannte  Fayence  braust 
nämlich,  mit  Säuren  übergössen,  auf.  Ihr  Gefüge  ist  locker  und  erdig,  durch  den  Eisen- 
oxydgehalt aber  stark  gelb  gefärbt;  sie  bedarf  daher  einer  undurchsichtigen 
Glasur,  eines  Emails,  dessen  Bestandtheile  zwar  varriiren,  aber  neben  Feuerstein, 
Schwerspath,  Alkalien  (Soda),  Borax  und  Thonerde  stets  aus  Zinnoxyd  und  Bleioxyd 
(Bleiweiss,  Bleiglätte.  Mennige)  bestehen.  Sie  werden  zu  einem  Glase  geschmolzen,  sehr 
fein  gemahlen  und  zu  einem  dünnen  Brei  angerührt. 

Die  Manipulationen  mit  den  Bleipräparaten  erfordern  stets  die  nothwendigen 
Vorsichtsmassregeln;  sie  repräsentiren  in  der  Fictil-Industrie  noch  immer  in  sanitärer 
Beziehung  den  gefährlichsteil  Act,  da  das  Vermischen  stets  einen  gefährlichen  metallischen 
Staub  erzeugt,  wenn  auch  das  spätere  Mahlen  bei  gehöriger  Anfeuchtung  stattfindet. 
Die  allgemeine  Einführung  des  Calciumborats  würde  einen  sanitären  Fortschritt  be- 
zeichnen. 

Das  Brennen  der  Waaren  geschieht  wie  beim  Porcellan  in  Kapseln:  der  erste 
Brand  ist  aber,  umgekehrt  wie  beim  Porcellan,  der  stärkste.  Die  hartgebrannte  Fayence 
wird  dann  mit  der  Glasur  durch  Eintauchen  überzogen  und  zum  zweiten  Male  nur 
schwach  gebrannt. 


Steinwaaren.  7(53 

Das  Bemalen  der  Fayence  geschieht  wie  beim  Porcellan  mit  dem  Pinsel,  jedoch 
in  weit  einfacherer  Weise.  Für  rosen-  und  purpurrothe  Färbungen  ist  in  England  jetzt 
allgemein  die  Pink-colour  (Nelkenfarbe)  eingeführt,  deren  wesentlicher  Bestandteil  die 
Zinnsäure  ist,  welcher  Kreide,  Kaliumchromat,  Kieselerde  und  Thonerde 
zugesetzt  wird;  das  färbende  Princip  ist  das  aus  der  Chromsäure  durch  Reduction 
während  des  Glühens  entstandene  Chromoxydul. 

Die  Flowingcolours  stellen  die  bekannten  blauen  Zeichnungen  auf  den  grossen 
Waschgefässen,_  Tellern,  Geschirren  u."s.  w.  vor,  welche  gegenwärtig  viel  im  Handel  ver- 
breitet sind.  Hierzu  gebraucht  man  eine  Kobaltoxydulzeichnung,  welche  aufgedruckt 
wird;  alsdann  wird  glasirt  und  in  Kapseln  glatt  gebrannt,  wobei  man  in  Tiegeln 
Chloride  aufstellt,  die  sich  verflüchtigen  und  das  blaue  Kobaltchlorür  CaCl3  er- 
zeugen. Ein  solcher  metallischer  Anflug  heisst  Lüster;  so  unterscheidet  man  auch 
Gold-,  Silber-,  Platin-,  Blei-  und  Kupferlüster. 

Um  den  Gefässen  äusserlich  und  innerlich  einen  gefärbten  Ueberzug  zu  geben, 
bedient  man  sich  eines  Breies  von  fettem  Thon  und  färbenden  Metalloxyden;  den  auf 
denselben  applicirten  Abdruck  von  Zeichnungen  bestäubt  man  mit  fein  pulverisirten 
Farben,  deren  Natur  und  Beschaffenheit  man  sehr  zu  berücksichtigen  hat. 

B.    Steinwaaren. 

I.  Unglasirte  Steinwaaren.  Hierher  gehören:  1)  die  weissen  Waaren: 
Porcellanbiscuit,  Parian,  Lithophanien;  2)  die  farbigen  Steinoiassen:  Chro- 
molithe,  Mosaikplatten,  Fliesen  von  Mettlach  und  Minton. 

H.  Glasirte  Steinwaaren.  1)  Glasirte  Steinwaaren  mit  gefärbter 
Glasur,  Mauerfliesen.  Diese  Industrie  stammt  ursprünglich  aus  Holland; 
man  benutzt  dazu  den  gewöhnlichen  Pfeifenthon,  welcher  wie  die  Porcellan- 
erde  behandelt  wird. 

Die  Glasur  wird  aus  Sand,  Soda,  Zinn-  und  Bleiasche  dargestellt;  nach 
dem  Stampfen,  Pulverisiren  und  Schlämmen  des  Glases  geschieht  das  Glasiren  durch 
Begiessen  und  ein  zweites  Brennen.  Zum  Bemalen,  das  diesem  Brennen  vorausgeht, 
gebraucht  man  Antimonoxyd.  Die  bunten  Ofenkacheln  werden  iu  ähnlicher  Weise 
behandelt. 

2)    Glasirte  Steinwaaren  durch  Glasuranflug.     Das  gemeine  Stein- 

zeng  besteht  aus  einem  Gemenge  von  plastischem  Thon,   Sand  und  gemahlenen 
Scherben  von  gebranntem  Steinzeug. 

Auch  hier  wiederholen  sich  die  schon  oft  erwähnten  Processe,  z.B.  das  Durch- 
einanderkneten des  Thons,  welches  jetzt  meist  mit  Erdmaschinen  geschieht,  aber 
auch  bei  dieser  Industrie  vor  noch  nicht  vielen  Jahren  durch  Treten  mit  den  Füssen 
bewirkt  wurde,  so  dass  die  Arbeiter  oft  tagelang  im  nassen  Thonschlamm  herumwateten. 
Das  FormPn  auf  der  Drehscheibe  ist  an  einzelnen  Orten  noch  mit  einer  unnatürlichen, 
die  Bauchorgane  übermässig  zusammenpressenden  Stellung  verbunden,  so  dass  Ob- 
stipationen und  Digestionsstör  im  gen  in  solchen  Fällen  häufig  auftreten.  Geschieht 
das  Trocknen  in  besondern  Trockenräumen,  so  ist  es  keineswegs  bedenklich,  wohl  aber, 
wenn  beim  Hausbetrieb  jeder  Wohnraum  dazu  benutzt  und  mit  dem  feuchten,  unan- 
genehmen Erdgeruch  erfüllt  wird,  während  sich  im  Sommer  ein  starker  Staub  ent- 
wickelt, der  sich  überall  ablagert  und  leicht  aufgewirbelt  wird.  Als  Folge  des  inhalirten, 
aus  kieselsaurer  Thonerde  bestehenden  Staubes  entwickelt  sich  auch  hier  die  ganze 
Reihe  von  Brustleiden,  die  bei  Schleifern,  Steinhauern  u.  s.  w.  entsteht.  Acute  ent- 
zündliche Leiden  und  chronisches  Emphysem,  Lungenblutungen  und 
Lungenschwindsucht  beobachtet  man  beim  Betriebe  der  Kannenbäckerei  ebenso 
oft  wie  bei  den  Arbeitern  in  Porcellanfabriken ,  da  gleiche  Ursachen  obwalten. 

Einer  eigentlichen  Glasur  bedarf  das  Steinzeug  nicht,  da  beim  Brennen  eine  "Ver- 
glasung eintritt;  um  der  Waare  aber  ein  besseres  Ansehen  zu  geben,  wendet  man  das 
Glasiren  durch  Verflüchtigung  an,  indem  man  gegen  das  Ende  des  Brandes 
Kochsalz  in  den  Brennofen  wirft.  In  dem  Gewölbe  des  Hegenden  Ofens  befinden  sich 
mehrere  Oeffnungen,  durch  welche  dies  Einwerfen  geschieht. 

Das  Kochsalz  wird  bei  Gegenwart  von  Wasser  durch  die  Kieselsäure  in 
Salzsäure  und  Natrium  zersetzt;  letzteres  verbindet  sich  mit  der  Kieselsäure.  Die 
Glasur  besteht  somit  aus  kieselsaurem  Thonerde-Natrium  und  ist  in  jeder  Be- 
ziehung ungefährlich.   Die  Manipulation  hat  aber  an  und  für  sich  ein  sanitäres  Interesse; 


76  4  Aluminium. 

die  Salzsäure  entwickelt  sich  nämlich  in  den  meisten  Fällen  ganz  frei  und  verbreitet 
sich  durch  die  offenen  Gebäude,  in  welcher  die  ungenügend  geschlossenen  Oefen  liegen, 
oder  durch  die  niedrigen  Schornsteine  in  die  nächste  Umgebung,  wo  sie  namentlich  bei 
feuchter  und  trüber  Witterung  am  Boden  lagert  und  nicht  nur  für  die  Menschen  be- 
lästigend ist,  sondern  auch  auf  die  Vegetation  höchst  schädlich  einwirkt;  dies  ist  beson- 
ders zur  Blüthezeit  der  Obstbäume  der  Fall.  Wirkten  in  dieser  Periode  die  salz- 
sauren  Dämpfe  ein,  so  wird  jede  Hoffnung  auf  Ernte  vernichtet  und  die  schönste 
Blüthenpracht  geht  zu  Grunde.  Bei  Cerealien  ist  zur  Zeit  der  Blüthe  dasselbe  Schicksal 
zu  erwarten;  die  Körnerentwicklung  bleibt  ganz  aus.  Nach  dem  Einbringen  des  Koch- 
salzes verschliesst  man  zwar  die  Oeffnungen  des  Ofens  einige  Zeit  lang;  in  der  Regel 
geschieht  dies  aber  auf  eine  so  unvollständige  Weise,  dass  der  Verflüchtigung  der  salz- 
sauren  Dämpfe  dadurch  kein  Hinderniss  entgegengesetzt  wird.  Es  ist  absolut  erforder- 
lich, hohe  Schornsteine  zu  errichten,  damit  die  sauren  Gase  mehr  verdünnt  in 
eine  höhere  Luftschicht  gelangen;  um  so  nothwendiger  wird  dies  sein,  wenn  man  nach 
dem  Eintragen  des  Kochsalzes  Birkenrinde  in  das  Feuer  wirft,  um  durch  die  russigen 
Verbrennungsgase  verschiedene  kastanienbraune  oder  graubraune  Färbungen  der  Glasur 
zu  erzielen.5) 

3)  Glasirte  Steinwaaren  mit  durchsichtiger,  ungefärbter  Glasur. 
Hierher  gehört  das  eigentliche  Porcellan  und  das  weiche  Fritt-  und  Knochen- 
porcellan.  Porcellan  unterscheidet  sich  von  der  Steinmasse  nur  durch  die 
weisse  Farbe  und  durch  einen  geringern  Gehalt  an  Eisenoxydul  und  Natron. 

Hartes  Porcellan.  Es  stellt  eine  klingende  Masse  dar  und  besteht  aus  Kaolin, 
dem  Flussmittel,  (welches  in  Berlin  aus  Felds path,  in  Frankreich  und  Belgien 
aus  weissem  Sande  und  Gips  besteht),  und  der  Glasur.  Die  Zubereitung 
der  Porcellanmasse  gehört  zu  den  technisch  wichtigsten  Acten  und  hat  auch 
ein  sanitäres  Interesse,  denn  die  Flussmittel  müssen  zerkleinert  werden; 
ausserdem  wird  der  Sand  in  einem  besondern  Ofen  geglüht,  wobei  alle  bei  der 
Glasfabrication  bereits  erwähnten  Nachtheile  eintreten. 

Bei  der  Verwendung  des  Feldspaths  erzeugt  sich  Staub,  wenn  er  zwischen 
Walzen  grob  pulverisirt  wird;  das  Mahlen  geschieht  auf  Mühlen  unter  Mitwirkung  von 
Wasser.  Aehnlich  wird  der  Sand  und  Gips  gemahlen;  auch  das  Vermischen  der 
Materialien  geschieht  im  breiigen  Zustande  in  grossen  Kufen. 

Das  Trocknen  der  breiartigen  Masse  des  Feldspaths  und  Kaolins  geschieht  nach 
dem  Abmessen,  Mengen  und  sorgfältigen  Umrühren  im  Sommer  an  der  Luft,  im 
Winter  durch  Wärme,  Absorption  oder  verdünnte  Luft;  das  Pressen  wird  in 
hänfenen  Säcken  durch  Hebelpressen  bewirkt. 

Das  Faulenlassen  oder  Rotten  der  Masse,  das  in  grossen  Behältern  in  Kellern 
vorgenommen  wird,  wird  belästigend,  wenn  unreines,  an  organischen  Bestandtheilen 
reiches  Wasser  benutzt  wird,  das  dann  bei  einem  Gehalt  an  Gips  Veranlassung  zur 
Entwicklung  von  Schwefelwasserstoff  gibt.  Nach  den  vorliegenden  Erfahrungen 
ist  aber  die  Menge  desselben  nicht  bedeutend  und  wirkt  nicht  nachtheilig  auf  die 
Arbeiter  ein;  nur  beim  Ablassen  dieses  Wassers  ist  darauf  Bedacht  zu  nehmen,  dass  es 
sich  nicht  in  Schlinggruben  ansammelt. 

Hierauf  folgt  das  Trocknen,  Spalten  der  Masse  in  Späne  und  Zusammen - 
kneten  zu  Ballen.  Das  Formen  der  Porcellanmasse  wird  durch  die  Töpferscheibo 
oder  besondere  Formen  von  Gips,  Messing  oder  Kupfer  bewirkt.  Auf  das  Trocknen 
und  Verglühen  der  geformten  Porcellanmasse  folgt  das  Glasiren. 

Die  Porcellanglasur  gehört  zu  den  Erdglasuren,  zu  denen  man  leicht 
schmelzbare  Sätze:  Kieselerde,  Thonerde  und  Alkalien,  oder  ein  Gemisch  von 
Kaolin,  Quarzmehl,  Gips  und  pulverisirten  Porcellanscherben  benutzt. 

Das  Glasiren  geschieht  durch  Eintauchen  (s.  Töpfergeschirr)  der  schwach 
gebrannten  oder  verglühten  Porcellanmasse  in  die  mit  Wasser  gemahlene  Glasur- 
brühe, welche  die  Consistenz  einer  Kalkmilch  hat;  wenn  der  Ueberzug  getrocknet 
ist,  muss  der  Glasirer  die  noch  vorhandenen  Unebenheiten  mittels  eines  Pinsels 
ausgleichen.  Dieser  einfache  Process  ist  erfahrungsgemäss  für  die 
Arbeiter  höchst  gefährlich,  weil  sich  hierbei  ein  feiner  Staub  bildet,  der 
durch  seinen  Gehalt  an  Silicaten  höchst  verderblich  für  die  Respirationswege 


Steinwaaren.  7(35 

ist.  Nicht  selten  werden  Glasirer,  welche  mit  kräftigster  Constitution  diese  Arbeit 
beginnen,  nach  einigen  Jahren  von  der  Lungenschwindsucht  hinweggerafft;  man 
sollte  daher  diese  Arbeit  niemals  ohne  vor  Nase  und  Mund  gebundene  Schwämme 
verrichten  lassen  und  mit  der  grössten  Strenge  diese  Massregel  zur  Durchführung 
bringen.  Die  Gleichgültigkeit  der  Arbeiter  darf  nie  die  Fabricanten  bestimmen, 
von  strengen  Massregeln  Abstand  zu  nehmen;  Jeder,  der  sich  nicht  den  sanitären 
Anforderungen  fügt,  muss  aus  der  Arbeit  entlassen  werden.  Es  ist  Aufgabe  der 
Fabrikärzte  und  Fabrikinspectoren,  diesem  anscheinend  geringfügigen  Acte  die 
grösste  Sorgfalt  zu  widmen  und  auf  Abhülfe  der  sanitären  Schäden  hinzuwirken. 

Die  Folgen  des  eingeathmeten  Thonstaubes  hat  man  bekanntlich  mit 
Aluminosis  pulmonum  bezeichnet;  dieser  Name  entspricht  nicht  ganz  der 
Sache,  da  es  weniger  die  Thonerde,  das  Aluminiumoxyd,  ist,  welche  die  Krank- 
heit erzeugt  als  die  Kieselsäure,  die  überall,  in  welcher  Form  sie  auch 
auftreten  mag,  ihre  bestimmten  Opfer  fordert,  wenn  man  dem  Ein- 
dringen derselben  in  die  Respirationswege  keinen  Damm  entgegensetzt. 

Beim  eigentlichen  Brennen  werden  die  geformten  Gegenstände  durch  Kapseln 
oder  Casetten  vor  der  Verunreinigung  durch  Flugasche  u.  s.  w.  geschützt  und  ausser- 
dem noch  auf  einer  Platte  von  Kapselmasse  (Pumpse)  placirt*). 

Das  Brennen  des  Porcellans  geschieht  in  aus  feuerfesten  Steinen  angefertigten 
Porcellanöfen,  die  schon  seit  anderthalb  Jahrhunderten  dieselbe  cylindrische,  mit  3  Ge- 
wölben und  einem  Schornstein  versehene  Gestalt  haben.  Statt  des  frühern  Holzfeuers 
bedient  man  sich  gegenwärtig  an  vielen  Orten  des  Leuchtgases  zur  Feuerung.  Nach 
dem  Verglühen  oder  Vorfeuer  folgt  das  Scharffener  oder  Glattbrennen  der  glasirten 
Porcellanmasse. 

Porcellannialerei.  Die  meisten  Porcellanfarben  sind  Muffelfarben,  d.  h.  sie 
werden  auf  die  Glasur  aufgetragen  und  in  einer  Muffel  im  sogenannten  Muffelofen 
besonders  eingebrannt.  Scharffeuerfarben  (Uran-,  Kobalt-,  Chrom-,  Mangan-,  Eisen- 
und  Titanoxyd)  trägt  man  unter  der  Glasur  auf  und  verschmilzt  sie  mit  derselben. 
Schmelz  färben  erhalten  erst  nach  dem  Zusammenschmelzen  mit  dem  Flussmittel 
(Kieselsäure,  Borsäure,  Bleioxyd)  ihre  Farbe;  die  Frittefarben  bedürfen  eines  vorher- 
gehenden Frittens,  d.h.  eines  unvollständigen  Schmelzens. 

In  sanitärer  Beziehung  ist  noch   zu  erwähnen,    dass  alle  Farben  mit  Ter- 

S entin-  und  Lavendelöl  aufgetragen  werden;  die  Arbeitsräume  sind  mit  dem  Dunst  dieser 
»ele  beständig  angefüllt  (s.  Terpentinöl  S.  648). 

Die  Vergoldung  von  Porcellan  geschieht  auf  der  Glasur.  Königswasser 
dient  zur  Lösung  des  Goldes,  wobei  die  sich  entwickelnden  Chlordämpfe  wohl  zu 
beachten  sind.  Bei  einem  Chemiker,  der  an  grauem  Staar  litt  und  sich  viele  Jahre  lang 
mit  dieser  Lösung  beschäftigt  hatte,  lag  es  nahe,  die  langsame  Entstehung  dieses  Leidens 
auf  seine  langjährige  Beschäftigung  zurückzuführen.  Das  Gold  wird  aus  seiner  Lösung 
durch  salpetersaures  Quecksilberoxydul  oder  Oxalsäure  gefällt  und  das  Präcipitat  mit 
dem  Flussmittel  (Bismuth.  subnitr.)  innig  gemischt  (s.  Vergoldung). 

Frittenporcellan,  weiches  Porcellan.  Das  französische  oder  eigentliche 
Frittenporcellan  wird  aus  Fritte  (einer  glasartigen  Masse),  Mergel  und  Kreide 
ohne  Zusatz  von  Kaolin  bereitet  und  mit  bleihaltiger  Glasur  versehen.  Die 
Materialien  werden  zwar  als  feiner  Brei  gemahlen,  dann  aber  getrocknet  und  abermals 
pulverisirt,  wobei  ein  gefährlicher  Staub  auftritt.  Das  trpckne  Pulverisiren  könnte  ver- 
mieden werden,  da  die  Masse  doch  später  mit  Seifen-  oder  Leimwasser  versetzt  wird. 
Das  Glasiren  geschieht  durch  Begiessen  nach  dem  Garbrennen  in  Kapseln.  Der 
Bleigehalt  der  Glasur  ist  durch  eine  Auflösung  von  Schwefelleber  leicht  nach- 
zuweisen. 

Zum  englischen  Porcellan  benutzt  man  Thon,  Feuerstein  und  Knochenasche. 
Die  Glasur  ist  ebenfalls  bleihaltig  und  wird  nach  dem  Garbrennen  der  Masse  durch 
Eintauchen  aufgetragen.  Da  das  Porcellan  leicht  rissig  wird  und  die  Risse  die  Blei- 
theile  der  Glasur  biossiegen,  so  kann  sich  der  Bleigehalt  den  Flüssigkeiten,  welche  in 
den  betreffenden  Gefässen  aufbewahrt  werden,  leicht  mittheilen. 

*)  Die  Kapseln  sind  hier  in  sanitärer  Beziehung  hervorzuheben,  da  sie  aus 
feuerfestem  Thon  und  zerkleinerten  Kapselscherben  bereitet  werden.  Auch 
diese  Manipulation  verdient  wegen  der  Staubbildung  weit  mehr  Aufmerksamkeit,  als  ihr 
bisher  gewidmet  worden,  da  es  sich  um  die  Einathmung  der  gefährlichen  Silicate  handelt. 


7ß(^  Aluminium. 


Ultramarin  -  Industrie. 

Früher  wurde  die  bekannte  schöne  Farbe,  das  Ultramarin,  aus  dem  in 
der  Natur  frei  vorkommenden  Lasurstein  (Lapis  Lazuli)  dargestellt,  bis  man 
durch  die  Forschungen  über  die  chemische  Zusammensetzung  dieses  Naturproducts 
auch  die  künstliche  Darstellung  von  Ultramarin  kenuen  lernte;  indessen  herrscht 
auch  gegenwärtig  noch  bei  keiner  Fabrication  mehr  Geheimnisskräruerei  als  in 
deu  Ultramarinfabriken. 

Im  Ganzen  unterscheidet  man  3  Methoden  der  Darstellung:  1)  das  Sulfat- 
Ultramin  wird  aus   Kaolin,  Natriumsulfat  und  Kohle  dargestellt. 

Die  Materialien  werden  kräftigst  durcheinander  gemischt  und  dann  in  kleine 
Bafen  ron  feuerfestem  Thon  gebracht,  welche  ähnlich  wie  die  kleinen  Porcellanöfen 
construirt  sind.     Man  steigert   die  Temperatur  bis  zur  hellen  Rothglühhitze. 

Bei  diesem  I'  ntwickelt  sich  in  Folge  clor  Zersetzung  «los  Natriumsulfats 

viel  Kohlensäure,  da  das  ^atriumsulfat  durch  die  Kohle  unter  Bildung  von  Kohlen- 
säure zu  Schwefelnatrium  Na3S  reducirt  wird: 

Na3SC4  +  2C=  Na2S  +  2C03. 

Im  Hafen  bleibt  eine  graue  bis  gelbgrüne  gesinterte  Masse,  welche  wieder  ab- 
gewässert wird,  bis  >\-a±  Ultramarin  eine  lockere,  poröse  Masse,  darstellt,  welche  auf 
Mühlen  bis  zur  grössten  Feinheit  gemahlen  wird.  Fast  niemals  werden  in  Fabriken 
hierbei  Vorsichtsmassregeln  beobachtet  und  die  Arbeiter  sind  in  vollem  Masse  diesem 
verderblichen  Staube  ausgesetzt,  welcher  nach  seiner  Beschaffenheit  dem  Staube  in  den 
Porcellanfabriken  sehr  analog  ist. 

Das  Pulver  wird  nochmals  gewaschen  und  dann  getrocknet;  hiermit  ist  aber 
dieser  Process  noch .  nicht  beendigt,  sondern  das  trockne  Pulver  wird  in  besondern 
Mühlen  nochmals  gemahlen  und  gesiebt,  wobei  dieselben  Nachtheile  auftreten,  wenn  man 
den  Arbeitern  keinen  Schutz  gewährt.  Das  erhaltene  Product  heisst  grünes  Ultramarin, 
wird  für  sich  nur  als  Tüncherfarbe  benutzt  und  kann  die  Concurrenz  mit  den  Kupfer- 
farben nicht  bestehen.  Um  das  grüne  Ultramarin  in  das  blaue  überzuführen ,  wird  es 
mit  Schwefel  vermischt  und  bei  niedriger  Temperatur  geröstet. 

Dieses  Röstverfahren  wird  jetzt  fast  allgemein  in  kleinen,  über  einem  Feuer- 
raum eingemauerten  Cylindern  ausgeführt:  Oeffnungen  an  denselben  dienen  zum  Ein- 
tragen des  Schwefels.  Die  Cylinder  sind  mit  einer  Flügelwelle  verschen,  deren  Axc  in 
einer  Oeffnung  an  der  vordem  und  hintern  Seite  der  Cylinder  ruht.  Durch  das  Drehen 
der  Flügelwelle  soll  eine  gleichmässige  Erhitzung  des  eingetragenen  grünen  Ultramarins 
bewirkt  werden. 

Das  Zugeben  des  Schwefels  ist  ein  für  die  Arbeiter  höchst  nachtheiliger  Act, 
da  sie  der  vollen  Einwirkung  der  schwefligen  Säure  ausgesetzt  sind;  man  setzt  ge- 
wöhnlich so  lange  Schwefel  zu,  bis  das  Product  die  gewünschte  blaue"  Farbe  zeigt. 

Unter  allen  Umständen  ist  über  den  Cylindern  ein  Schornsteinbusen  anzubringen, 
der  mit  einer  kräftig  ziehenden  Esse  in  Verbindung  steht;  ebenso  gut  würde  ein 
Exhaustor  wirken,  wenn  die  Verbindung  mit  der  Esse  nicht  zu  ermöglichen  wäre.  Um 
aber  nicht  die  ganze  Masse  der  schwefligen  Säure  nach  aussen  zu  verjagen,  müssten  in 
den  ableitenden  Canälen  geeignete  Absorbentien  für  die  schweflige  Säure  lagern,  welche 
nach  den  örtlichen  Verhältnissen  auszuwählen  sind.  Liegt  die  Fabrik  in  einer  Gegend, 
wo  Alaunschiefer  leicht  zu  beziehen  ist,  so  ist  dieser  das  geeignetste  Absorptionsmittel. 
Eine  Combination  mit  einer  Schwefelsäure-Fabrik  würde  eine  sehr  zweckmässige 
Verwerthung  der  schwefligen  Säure  herbeiführen,  obgleich  in  dieser  Richtung  kaum 
ausreichende  Versuche  angestellt  worden  sind:  niemals  darf  man  aber  die  schweflige 
Säure  ohne  Weiteres  entweichen  lassen. 

Durch  das  Auswässern  des  fertigen  Ultramarins  gehen  Natriumsulfat  und 
Eisenoxyd  in  die  Wasehwässer  über,  welche  in  grössere  Wasserläufe  abgelassen 
werden  können.  Das  ausgewaschene  Ultramarin  wird  auf  Mühlen  mit  Läufern 
präparirt  und  dann  noch  geschlämmt,  wobei  man  gewöhnlich  Porcellanerde  zusetzt,  um 
die  verschiedenen  Farbennüanceu  zu  erzielen;  auch  die  Schlämmwässer  werden  noch 
in  besondere  Bottiche  abgelassen,  um  die  verschiedenen  Farben  zu  sortiren.  Auf  das 
Pressen  der  breiigen  Ultramarinmasse  folgen  Trocknen  und  Sieben;  letzteres 
darf  nur  in  geschlossenen  Apparaten  geschehen. 

2)  Das  Soda-Ultramarin  wird  aus  Kaolin,  Soda,  Kohle  und  Schwefel 
bereitet,  wozu  einige  Fabricanten  auch  noch  Natriumsulfat  und  Kolophonium 
setzen.     Das  Product  ist  etwas  dunkler  gefärbt  als  das  Sulfat -Ultramarin. 


Chrom.  767 

Man  gebraucht  zum  Erhitzen  des  Gemenges  in  der  Regel  Flammenöfen,  wobei 
schon  die  grösste  Menge  in  "Dltramarinblau  übergeht,  welches  in  Muffeln  mit  Schwefel 
abgebrannt  wird:  auch  hierbei  sind  die  oben  erwähnten  Yorsichtsmassregeln  erforderlich. 

3)  Das  Kieselerde-Ultramarin  charakterisirt  sich  durch  eine  eigen- 
thümlich  röthliche  Färbung  und  ist  Soda-Ultramarin,  welchem  bei  der 
Darstellung  fein  pulverisirte  Kieselerde  zugesetzt  worden  ist*). 

Alle  ultramarine  enthalten  Schwefel,  Thonerde,  Eisenoxyd,  Calcium- 
oxyd,  Natriumoxyd.  Schwefel,  Schwefelsäure  und  Kieselsäure. 

Das  Fitrainarm  ist  ein  im  Wasser  unlösliches,  lasurblaues  Pulver,  welches  von 
alkalischen  Langen  nicht  angegriffen,  durch  Säuren  und  sauer  reagirende  Salze  aber 
unter  Schwefelwasserstoff-Entwicklung  und  Abscheidung  von  Schwefel  entfärbt 
wird.     Nur  das  Kieselerde-Fltramarin  widersteht  dem  Alaun. 

Die  Verwendung  des  Ultramarins  ist  sehr  mannigfach.  Beim  Malen  und  Tünchen 
auf  Kalkgrnnd  ist  es  unentbehrlich  und  eine  sehr  beliebte  Farbe  beim  Tapeten  druck, 
beim  Drucken  überhaupt  und  in  der  Buntpapierfabrication.  Zum  Bläuen  des  Zuckers 
(s.  Zucker),  der  Papiermasse,  der  Wäsche,  der  Stärke  und  des  Kerzenmaterials  ist  es 
allgemein  bekannt. 

Da  Ultramarin  an  und  für  sich  keine  schädlichen  Bestandtheile  enthält,  so  ist 
seine  weit  verbreitete  Anwendung  nicht  mit  Gefahr  verbunden.  Beim  Zucker  erzeugt 
es  nur.  wenn  derselbe  mit  irgend  einer  organischen  Säure  zusammentrifft,  die  höchst  un- 
angenehme Entwicklung  von  Schwefelwasserstoff,  wodurch  z.B.  der  Genuss-  von  Compot 
oder  "Weinbowlen  u.  s.  w.  sehr  benachtheiligt  wird. 


Chrom,  Cr. 

Das  Chrom  kommt  in  der  Natur  nur  in  Verbindung  mit  Sauerstoff  und  andern 
Metalloxvden  vor.  Als  eine  dem  Magneteisenstein  entsprechende  Verbindung  ist  der 
Chromeisenstein  Fe0.0203  bekannt,  der  im  Banat,  in  Norwegen,  Griechenland  und 
namentlich  zu  Jekaterinburg  (Kasan)  vorkommt.  Der  Name  rührt  von  yrjtöaa  her, 
weil  seine  Verbindungen  schöne  Farben  liefern. 

Man  stellt  das  Metall  entweder  durch  Reduction  des  Chromoxyds  mittels 
Kohle  oder  durch  Glühen  von  Chromchlorid  mit  überschüssigem  Zink  unter  einer 
schützenden  Decke  dar.  Durch  Behandeln  mit  Salpetersäure  wird  es  vom  Zink  befreit 
und  bildet  dann  ein  hellgraues,  krystalhnisches  Pulver. 

Das  reine  Metall  ist  von  silberweisser  Farbe  und  stimmt  in  seinem  chemischen 
Verhalten  vielfach  mit  dem  Eisen  überein. 

Bei  der  Einwirkung  der  Chromverbindnngen  auf  den  thierischen  Organismus 
handelt  es  sich  meist  um  die  Chromate.  Eigentliche  Vergiftungen  durch  Ingestion 
derselben  kommen  bloss  als  Unglücksfälle  vor  und  selbst  diese  sind  nur  spärlich  in  der 
Literatur  vertreten.  Versuche  an  Thieren  hat  Gn-^lin1)  gemacht  und  gefunden,  dass 
Kaliumchromat  weit  stärker  einwirkt  als  Chr omchlorür  CrCl3.  49  Gr.  des  letztern 
brachten,  in  den  Magen  eines  Kaninchens  eingespritzt,  keine  Wirkung  hervor,  während 
30  Gran  Kaliumchromat  bei  Kaninchen  nach  1%— 2  Stunden  unter  Diarrhoe  den 
Tod  herbeiführten.  Ein  kleiner  Hund  bekam  nach  30  Gran  Kaliumchromat  nur 
mehrmaliges  Erbrechen  und  selbst  ein  Kaninchen  blieb  nach  12  Gran  gesund. 

Einem  mittelgrossen  Hunde  wurden  30  Gran  Kaliumchromat  in  das Fnterhaut- 
zellgewebe  gebracht :  er  verlor  die  Fresslust,  magerte  ab  und  bekam  nach  6  Tagen  ein 
trocknes  Exanthem  auf  dem  Rücken  mit  stellenweisem  Ausfallen  der  Haare:  Erbrechen 
und  Diarrhoe  stellten  sich  nicht  ein.  . 

Kaliumbichromat  wirkt  intensiver  als  Kaliumchromat  und  erzeugt  bei 
Menschen  Magen-  und  Darmreizungen,  die  Durchfall  mit  Tenesmus,  schwärzlichen  oder 
blutigen  Abgang  und  der  Cholera  asiatica  ähnliche  Erscheinungen  zur  Folge  haben. 
Erfahrungssem  äss  vermögen  Gaben  von  0,3  Grm.  Kaliumbichromat  schon  ^  ergiftungs- 
erscheinungen  hervorzurufen:  ein  Esslöffel  voll  Kaliumchromat  wirkt  unter  heftigem 
Durchfall  erst  binnen  12  Stunden  letal.2)    In  allen  Fällen  von  Vergiftung  waren  heftiges 


*)  Neuerdings  stellt  man  auch  ein  violettes  und  rothes  Ultramarin  dar. 


768  Chrom. 

Erbrechen  und  eine  profuse  Diarrhoe  die  vorherrschenden  Krankheitserscheinungen, 
welche  besonders  an  die  Wirkung  von  Arsen  und  Sublimat  erinnerten.  Der  Sections- 
befund  ist  nicht  prägnant:  man  findet  höchstens  partielle  Röthung,  Schwellung  oder 
Erweichung  der  Schleimhaut  des  Magens  und  des  übrigen  Tractus  intestinalis.  Wie  die 
das  Nervensystem  lähmende  Wirkung  der  Chromate  zu  erklären  ist,  bedarf  noch 
weiterer  Forschungen. 

Bekannter  ist  die  reizende  Wirkung  der  Chromate  auf  die  Haut  und  die  Schleim- 
haut der  Nase,  der  man  namentlich  in  der  Technik  bei  der  Fabrication  von  Kalium- 
bichromat  und  Kaliumchromat  sowie  in  Färbereien  beim  Gebrauch  der  Auflösungen 
begegnet.  Concentrirte  Laugen  vermögen  auch  bei  Färbern  Erythem  und  Geschwüre 
der  Haut  zu  erzeugen  (s.  S.  769). 

Chromindustrie. 

Die  wichtigste  Verbindung  von  Chrom  ist  für  die  Industrie  das  chromsaure 
Kalium. 

Kaliumchromat,  gelbes  chromsanres  Kalium  K2Cr04  stellt  gelbe,  rhombische 
Krystalle  dar,  ist  isomorph  mit  dem  Kaliumsulfat,  in  2 — 4  Tb.  Wasser  löslich, 
und  verwandelt  sich,  wenn  seine  Lösung  mit  Schwefel-  oder  Salpetersäure 
versetzt  wird,  in  Kaliumbichromat. 

Kaliumbichromat,  Kaliumpyrochromat,  rothes  chromsanres  Kalium  K2Cr207 
bildet  den  Ausgangspunct  zur  Darstellung  aller  Chromverbindungen,  obgleich  es 
zunächst  aus  dem  Kaliumchromat  erhalten  wird.  Bei  der  Fabrication  im 
Grossen  wird  der  Chromeisenstein  mit  Pottasche  und  Kalk  geglüht,  um 
das  Chromoxyd  in  Kaliumchromat  überzuführen;  dieses  ist  wegen  seiner 
Leichtlöslichkeit  in  Wasser  schwierig  zu  reinigen  und  muss  deshalb  in  der 
Fabrik  in  das  saure  Salz  verwandelt  werden,  welches  in  kaltem  Wasser  schwerer 
löslich  ist  und  daher  leicht  durch  Umkrystallisiren  gereinigt  werden  kann. 

Die  Darstellnng  im  Grossen  geschieht  in  folgenden  Phasen:  l)  Pulverisiren  und 
Mischen  des  Chromerzes.  Wegen  der  grossen  Härte  des  Erzes  muss  dasselbe  zunächst 
durch  Glühen  und  Ablöschen  in  Wasser  zerklüftet  resp.  mürbe  gemacht  werden.  Hierauf 
folgt  das  Zerkleinern  im  Pochwerk,  das  Sieben  und  Mischen  mit  den  Oxydations- 
mitteln*). Es  bildet  sich  ein  Staub  von  den  alkalischen  Zuschlägen  (Pottasche,  Kalk) 
und  dem  Chromeisenstein. 

2)  Erste  und  zweite  Calcination  geschieht  in  Tiegeln  oder  in  Calcinir-  und 
Flammenöfen  unter  beständigem  Umknicken.  Nach  dem  Erkalten  der  calcinirten 
Masse  folgt  jedesmal  auch  das  Zerkleinern,  Sieben  und  Mischen  mit  den  Oxydations- 
mitteln **). 

3)  Das  Auslangen  geschieht  in  grossen  eisernen  oder  hölzernen,  mit  Blei  aus- 
gefütterten Bottichen.  Die  gelbe  Lauge  enthält  ausser  Kaliumchromat*"*)  noch 
kohlensaure  und  kieselsaure  Salze  neben  Aetzalkalien  und  Erztheilchen;  letztere 
werden  beim  Calciniren  wieder  verwendet.  Neuerdings  setzt  man  Kaliumsulfat 
hinzu,  um  unter  Ausscheidung  von  Kohlensäure,  Kieselsäure  u.  s.w.  Calciumsulfat  zu 
erhalten,  und  dann  erst  eine  hinreichende  Menge  Schwefelsäure.  Nach  dem  Erkalten 
schlägt  sich  Kaliumbichromat  nieder,  das  durch  Umkrystallisiren  gereinigt  wird.  Die 
Mutterlauge  wird  häufig  zum  Durchrieseln  der  gerösteten  Erze  benutzt. 


*)  In  einigen  englischen  Fabriken  wird  der  Chromeisenstein  nach  dem  Zerstampfen 
und  Vermählen  fein  gesiebt  und  in  Cylindern,  die  sich  um  eine  diagonale  Achse  drehen, 
sorgfältig  mit  Kali-Kalk  gemischt. 

**)  Das  mehrmalige  Pulverisiren  und  Mischen  mit  den  Oxydationsmitteln  findet 
namentlich  in  den  grössern  englischen  Fabriken  nicht  mehr  statt;  man  lässt  eine 
oxydirende  Flamme  auf  das  Gemenge  einwirken,  indem  die  Flamme  mittels  Dampf- 
strahlen auf  den  Herd  niedergeblasen  wird.  Durch  diese  vollkommenere  Einrichtung 
wird  der  Act  für  das  Pulverisiren  abgekürzt  und  somit  ein  grosser  sanitärer  Vortheil 
erreicht. 

***)  Will  man  das  neutrale  gelbe  Kaliumchromat  gewinnen,  so  setzt  man 
zur  Lauge  Holzessig  zu,  um  namentlich  Thonerde  und  Kieselerde  zu  fällen.  Nach 
Trennung  des  Präcipitats  dampft  man  ein. 


Chromat-Fabriken.  759 


Sanitäre  Verhältnisse  in  den  Chromat-Fabriken. 

Die  Chromindustrie  ist  hauptsächlich  in  Glasgow  vertreten;  im  Jahre  1868 
gab  es  im  Ganzen  nur  6  Fabriken  dieser  Art,  die  sich  auf  Schottland,  Frankreich, 
Russland,  Norwegen  und  Amerika  vertheilten. 

Das  Pulverisiren  und  Mischen  der  Erze  mit  den  Zuschlägen  sowie  des 
Calcinirgutes  bleiben  in  sanitärer  Beziehung  die  Hauptsache,  wenn  auch  die 
Darstellungsweise  sehr  vielen  Modificationen  unterliegt. 

Der  Chromeisenstein  ist  zwar  chemisch  indifferent,  vermag  aber  auch 
als  Staub  an  und  für  sich  nachtheilig  einzuwirken,  wenn  die  Arbeiter  demselben 
anhaltend  ausgesetzt  bleiben;  er  wird  in  dieser  Beziehung  von  gleicher  Be- 
deutung wie  der  Eisenoxydstaub  sein.  Die  bisherigen  Erfahrungen  sprechen 
zwar  nicht  für  eine  sehr  deletäre  Wirkung  dieses  Staubes,  trotzdem  ist  es  nicht 
gestattet,  denselben  als  wirkungslos  hinzustellen,  wenn  man  sich  die  Siderosis 
pulmonum  vergegenwärtigt;  bekannt  ist  es,  dass  die  Arbeiter  beim  Chrom- 
staube bisweilen  einen  eisenartigen  Geschmack  empfinden. 

Wenn  das  Pulverisiren  und  Sieben  des  Calcinirgutes  vorgenommen 
wird,  so  steigert  sich  die  Gefahr,  weil  dem  Staube  schon  Chromat  beigemischt 
ist.  Die  Hände  und  das  Gesicht  werden  nicht  bloss  gelb  gefärbt,  sondern  die 
Haut  schält  sich  förmlich  ab;  namentlich  werden  die  verschiedenen  Schleimhäute 
stark  gereizt,  da  sich  der  Staub  vorzugsweise  an  feuchten  Stellen  festsetzt.  Indem 
sich  dann  die  chromsauren  und  Alkali-Salze  lösen,  erzeugen  sie  eine  förmliche 
Aetzung,  aus  welcher  schliesslich  Geschwüre  entstehen;  sie  bilden  sich  vorzüglich 
auf  der  Nasenscheidewand  aus,  woselbst  sie  häufig  eine  Perforation  herbei- 
führen. Diese  Einwirkung  ist  nicht  auffallend  und  kann  auch  wohl  kaum  als 
eine  specifische  Einwirkung  des  Kaliumbichromats  aufgefasst  werden.  Bedenkt 
man  nämlich,  dass  sich  die  Nasenscbleimhaut  für  die  Aufnahme  des  Staubes  am 
meisten  eignet,  auch  eine  ziemlich  bedeutende  Fläche  hierfür  darbietet,  so  muss 
der  hier  angesammelte  Staub  eines  Gemenges  von  Chromat  und  Aetzalkalien  bei 
der  vorhandenen  Feuchtigkeit  um  so  mehr  seine  ätzende  Wirkung  äussern,  als  er 
in  der  Regel  hier  längere  Zeit  abgelagert  bleibt  und  namentlich  bei  den  Arbeitern 
nicht  durch  sorgfältiges  Reinigen  der  Nase  entfernt  wird;  das  Tragen  von  Barten 
ist  deshalb  unzweckmässig,  weil  sich  der  Staub  hier  festsetzt  und  somit  leichter 
in  die  Respirationsöffnungen  gelangt.  Die  anfängliche,  durch  den  Staub  hervor- 
gerufene Reizung  der  Nasenschleimhaut  hat  Niesen,  eine  wässrige  und  später 
dickliche  und  selbst  blutige  Absonderung  zur  Folge.  Man  will  die  Beobachtung 
gemacht  haben,  dass  Arbeiter,  welche  Tabakschnupfer  sind,  von  den  Leiden  der 
Nasenscheidewand  frei  bleiben.  Jedenfalls  müssen  der  Durchbohrung  der  Nasen- 
scheidewand Pusteln  und  Geschwürsbildung  vorhergehen,  wie  dies  auch  an 
andern  Stellen  der  Fall  ist,  wo  Feuchtigkeit  mit  dem  Staube  zusammentritt, 
z.  B.  am  äussern  Gehörgange  oder  an  der  Caruncula  lacrymalis. 

Aus  den  neuern  Mittheilungen  von  A.  Delpech  und  Hillair -et3)  geht  hervor,  dass 
namentlich  auch  bei  Arbeitern,  welche  sich  mit  Sieben  des  Sehweinfurter  Grüns  beschäftigt 
hatten,  ein  ähnliches  Leiden  der  Nasenschleimhaut  beobachtet  worden  ist.  Bei  Chrom- 
Arbeitern  ist  das  Leiden  indess  häufiger;  bisweilen  geht  ihm  Nasenbluten,  seltner  ein 
scharfer,  beissender  Schmerz  voraus.  Vermischt  sich  der  Nasenausfluss  mit  härtlichen 
Krusten,  so  deutet  dies  Symptom  schon  darauf  hin,  dass  der  ulceröse  Process  in  Per- 
foration übergegangen  ist;  von  der  Grosse  eines  Hanfsamenkorns  kann  sie  sich  bis 
zur  Zerstörung  der  ganzen  Nasen  Scheidewand  ausdehnen,    obgleich    sie   in    der  Regel 

Eulenberg,  Gewerbe-Hygiene.  49 


77Q  Chrom. 

nur  einen  Durchmesser  -von  1,5 — 2  Ctm.  behält  und  mehr  von  rundlicher  als  von  ovaler 
Form  erscheint.  Charakteristisch  für  diesen  Verschwärungsprocess  ist  der  Mangel  eines 
üblen  Geruchs,  welcher  sich  bekanntlich  bei  Ozaenen  auf  eine  sehr  unangenehme  Weise 
bemerkbar  macht:  auch  behält  die  Nase  stets  ihre  Form. 

Die  Geschwüre,  welche  auf  der  Haut   entstehen,   haben   denselben   zerstörenden 
Charakter:  ans  Papeln  oder  Ekzemabiäschen  entstehend,  dringen  sie  schnell  in  die  Tiefe 
ein,  behalten  alier  meist  glatte  Ränder  und  sehen  wie  ausgemeisselt  aus.     Bei  Vernach- 
lässigung können  sie  bis  auf  die  Knochen  dringen,  indem  sich  der  Schorf  beständig  ab- 
und  den  Substanzverlust  herbeiführt. 

Auf  der  Rachenschleimhaut  sollen  sich  bisweilen  Geschwüre  bilden,  die  den  syphi- 
litischen ähnlich  sind.  Dass  der  Chromstaub  auch  bei  der  Inhalation  bedeutende  Reizung 
hervorrufen  muss,  ist  leicht  erklärlich;  man  hat  daher  auch  Bronchitis  mit  ihren 
Folgezuständen  beobachtet.  Ferner  wird  ein  bestimmter,  mit  grosser  Hinfälligkeit  ver- 
bundener Kopfschmerz  als  Leiden  der  Chromarbeiter  geschildert,  über  den  dem  Verf. 
eigene  Beobachtungen  fehlen.  Auch  eine  gelbe  Färbung  der  Cornea  kommt  bis- 
weilen vor,  die  sich  in  eine  grüne  verwandelt,  wenn  die  Chromsäure  zu  Chromoxyd 
reducirt  wird. 

Das  Pochen,  Sieben  und  Mischen  sollte  sowohl  beim  Chromerz  als 
auch  hauptsächlich  beim  Calcinirgute  stets  nur  in  abgeschlossenen  Apparaten 
vorgenommen  werden;  es  sind  hierzu  dieselben  Einrichtungen  erforderlich,  die 
sich  auch  für  Bleiweiss-  und  Mennige -Fabriken  empfehlen.  Ganz  besonders 
würde  ein  geregeltes  Walzensystem  oder  eine  dem  Trommel- Apparate  ähnliche 
Einrichtung  die  grössten  sanitären  Vortheile  gewähren  und  die  gefährliche  »Staub- 
bildung gar  nicht  aufkommen  lassen.  Es  kann  hier  nur  wiederholt  auf  die  bereits 
beim  Bleiweiss  erörterten  Vorsichtsmassregeln  verwiesen  werden  (s.  S.  710). 

Bei  der  Calcination  entweichen  keine  nachtheiligen  Dämpfe  durch  die 
Esse,  wenn  dieselbe  in  Tiegeln  vorgenommen  wird,  weil  sie  hierbei  eine  glühende 
Koblenschicht,  in  welcher  die  Tiegel  stehen,  passiren  müssen.  Dagegen  ist 
wiederum  das  Füllen  und  Einsetzen  der  Tiegel  in  den  Schachtofen  sowie  ihr 
Herausnehmen  und  Entleeren  mit  Gefahr  verbunden.  Die  beste  Vorsicht  besteht 
hier  im  Schutz  der  Mund-  und  Nasenhöhle  durch  vorgebundene  Tücher. 

Bei  der  Calcination  in  Reverberir-  oder  Calciniröfen  muss  die 
Masse  beständig  umgekrückt  werden  und  ist  hierbei,  namentlich  im  Anfange, 
ein  Verstauben  unvermeidlich.  Die  Arbeitsöffnungen  müssen  wie  bei  den  Mennig- 
öfen mit  einem  Fang  versehen  sein.  Der  Staub  gelangt,  wenn  keine  Flugstaub- 
kammern vorhanden  sind,  in's  Freie,  und  lagert  sich,  da  er  ziemlich  schwer 
ist,  in  der  nächsten  Umgebung  ab;  Hunde  und  Katzen,  die  in  der  Nähe  leben, 
können  deshalb  mit  Geschwüren  der  Pfoten  behaftet  werden.  Das  Piegenwasser 
kann  dadurch  verdorben  und  die  Vegetation  vernichtet  werden.  Selbst  wenn 
Flugstaubkammern  vorhanden  sind,  dürfen  solche  Calciniröfen  nicht  in  der 
nächsten  Nähe  von  Wohnungen  geduldet  werden;  sie  sind  nur  in  wenig  bewohuten 
Gegenden  zu  concessioniren. 

Der  norwegische  Chromeisenstein  enthält  bisweilen  auch  Arsen,  welches 
sich  aber  bei  der  Calcination  nicht  verflüchtigt,  sondern  in  Arsensäure  übergeführt 
wird;  diese  findet  sich  zuletzt  in  der  Mutterlauge  als  arsen saures  Alkali  wieder. 

Bei  dem  Versetzen  der  Rohlauge  mit  Säuren  entwickeln  sich  Kohlensäure 
und  Chlor:  letzteres  rührt  von  den  Oxydationsmitteln  her,  welche  stets  mit  Chloriden 
verunreinigt  sind.  Salpetrige  Säure  tritt  auf,  wenn  die  Lauge  von  Kaliumchromat 
nach  dem  vorherrschenden  Verfahren  direct  mit  Salpetersäure  versetzt  worden  ist. 
Die  Bottiche  sind  jedenfalls  mit  einem  Deckel  zu  verschliessen,  aus  welchem  ein  Ab- 
zugsrohr für  die  Gase  und  Dämpfe  nach  dem  Calciniröfen  zu  leiten  ist. 

L'as  Abdampfen  geschieht  theils  in  gusseisernen,  verbleiten  Kesseln  auf  freiem 
Feuer  theils  in  verbleiten  Bottichen  mittels  circulirender  Wasserdämpfe.  In  beiden 
Fällen  wird  während  des  heftigen  Siedens  immer  ein  kleiner  Theil  der  Laugen  als 
Nebelbläschen  in  die  Atmosphäre  fortgeführt;  man  beobachtet  daher  auch  nicht  selten 
bei  den  an  der  Auslaugerei   beschäftigten  Arbeitern   die  Perforation   der   Nasenscheide- 


Chromfarben.  77  \ 

wand,  häufiger  aber  äussere  Geschwüre.  Es  müssen  deshalb  die  Dämpfe  mittels  be- 
sonderer Vorkehrungen  unschädlich  gemacht  werden;  die  Einrichtung,  die  sich  bei  der 
Seifenfabrication  bewährt  hat,  reicht  hier  aus. 

Das  Ablassen  der  Langen  aus  den  Krystallirgefässen  geschieht  mittels  Heber, 
weil  die  Wandungen  der  Bottiche  mit  Krystallisationen  dick  bekleidet  sind  und  dadurch 
das  Ablassen  durch  Hähne  unmöglich  wird.  Diese  Heber  dürfen  nie  mit  dem  Munde 
angesaugt  werden;  sie_  müssen  so  eingerichtet  sein,  dass  sie  nicht  ablaufen,  sondern 
nach  der  Schliessung  eines  Hahns  gefüllt  bleiben;  auch  wendet  man  die  sog.  Becher- 
heber an. 

Es  sind  durch  Unvorsichtigkeit  bei  dieser  Manipulation  schon  Vergiftungsfälle 
vorgekommen,  wenn  die  Lauge  beim  Ansaugen  der  Heber  plötzlich  in  den  Schlund  ge- 
räth  und  verschluckt  wird.4) 

Das  Auskeilen  der  Salzkrystalle  ist  von  geringer  Bedeutung;  Staub  kann  hier 
nicht  vorkommen,  da  die  Masse  noch  Wasser  enthält.  Ein  Verspritzen  der  Krystalle 
ist  nur  bei  der  grössten  Ungeschicklichkeit  möglich.  Schlagen  und  Klopfen  ist  schon 
wegen  der  Verbleiung  der  Gefässe  nicht  zulässig;  man  bedient  sich  dazu  hölzerner 
Spatel,  durch  welche  man  die  Masse  von  oben  nach  unten  abkeilt.  Damit  der  Arbeiter 
hierbei  nicht  den  Boden  betritt,  steht  er  in  einem  hängenden  Korbe,  da  die  Bottiche 
häufig  eine  Höhe  von  4  Meter  und  einen  Durchmesser  von  2  Meter  haben. 

Beim  Herausnehmen  der  Krystalle  werden  die  Bottiche  umgelegt,  um  das  Salz 
mit  hölzernen  Schaufeln  herauszuschaffen  und  auf  Abtropf  bühnen  zu  bringen.  Bei  Un- 
vorsichtigkeit kann  hier  ein  Benetzen  der  Hände  und  Vorderarme  ebenfalls  Geschwüre 
zur  Folge  haben;  bilden  sich  diese  an  den  Geschlechtstheilen  aus,  so  kann  dies  nur 
durch  Uebertragen  der  Flüssigkeit  mittels  schmutziger  Finger  geschehen.  Die  Mutter- 
lauge übt  noch  eine  reizende  Einwirkung  auf  die  Haut  aus,  da  sie  neben  Eisen,  Blei 
und  Arsen  noch  Chromsäure  enthält. 

Das  Trocknen  des  Salzes  geschieht  in  Trockenkammern  und  das  Verpacken 
in  Fässern,  die  inwendig  mit  Papier  zu  verkleben  sind  und  beim  Transport  nicht 
gleichzeitig  mit  Nahrungs-  oder  Genussmitteln  verladen  werden  dürfen. 

Verwerthung  des  Rückstandes.  Die  ausgelaugten  Calcinationsrückstände 
enthalten  stets  chromsaure  Salze,  welche  beim  Lagern  im  Freien  durch  Regen wasser 
ausgewaschen  werden  können;  es  sollte  dies  nie  stattfinden,  um  die  mannigfachen  schäd- 
lichen Folgen,  die  hieraus  entstehen  können,  zu  verhüten  Man  kann  sie  verwerthen, 
wenn  man  sie  auf  Mühlen  zerkleinert,  mit  Zuckermelasse  versetzt  und  ausglüht.  Die 
Chromsäure  wird  hierdurch  zu  Chromoxyd  reducirt,  das  im  gepulverten  Zustande  als 
Polirmittel,  zur  Anfertigung  von  Streichriemen  und  zum  Anstrich  von  Eisen  und  Stahl 
benutzt  werden  kann. 

Um  aus  den  Mutterlangen  Chromoxyd  zu  gewinnen,  versetzt  man  sie  mit 
Schwefel,  Holzkohle  oder  Kienruss,  dampft  ein,  trocknet  und  glüht  die  trockne  Masse 
in  Muffeln.  Nach  dem  Erkalten  der  zusammengesinterten  Masse  laugt  man  sie  aus; 
dann  mahlt,  schlämmt  und  trocknet  man  sie  wieder.  Am  schlimmsten  ist  hier  die  reich- 
liche Menge  von  schwefliger  Säure,  die  beim  Glühen  in  denMuffeln  auftritt  und 
daher  sachgemäss  zu  behandeln  ist.    Die  Abflusswässer  sind  mit  Kalk  zu  behandeln. 

Die  Verwendung  des  Kaliumbichromats  in  der  Färberei  und  Druckerei  ist  schon 
häufig  erwähnt  worden.  Sie  begann  mit  seiner  Einführung  als  Aetzbeize  auf  Türkisch- 
roth und  hat  seit  den  zwanziger  Jahren  immer  mehr  an  Ausdehnung  gewonnen.  Be- 
schränkter ist  seine  Benutzung  als  Politur  bei  der  Tischlerei  in  Verbindung  mit 
Catechu,  welches  hierbei  einer  Oxydation  unterliegt.  Man  sollte  aber  bei  seiner  Ver- 
wenduug  in  der  Hausindustrie  mehr  Rücksicht  auf  seine  giftige  Beschaffenheit  nehmen 
und  die  beim  Gift  verkaufe  geltenden  Bestimmungen  auch  auf  Kaliumbichromat  an- 
wenden, um  jeden  Missbrauch  mit  diesem  sehr  differenten  Körper  zu  verhüten. 

Die  Chromfarben. 

Die  meisten  Chromverbindungen  sind  für  die  Färberei,  Porcellan-  und 
Glasmalerei,  für  den  Kattun-  und  Leinendruck,  den  Tapetendruck, 
die  Buntpapierfabrication  und  die  Farbentechnik  von  der  grössten 
Wichtigkeit. 

Chromoxyd  C203  wird  durch  Glühen  des  Chromhydrats  G,(OH)6  oder  kalium- 
bichromats erhalten  und  ist  als  Polirmittel  durch  den  Smirgel  verdrängt  worden.  Mit 
Fernambukholz  bildet  es  ein  schönes  Blau  schwarz,  welches  m  der  Vvoütarberei  und 
in  den  Dintenfabriken  dargestellt  wird.  Mit  der  Pflanzenfaser  verbindet  es  sicJi  wie 
Thonerde  und  Eisenoxyd. 

49* 


772  Chrom. 

Für  die  eigentliche  Farbentechnik  ist  das  Chromhydrat  weit  -wichtiger, 
da  es  bei  verschiedenen  Arten  von  Grün  zur  Verwendung  kommt.  Pannetier's  Grün, 
das  von  Guignet  näher  untersucht  wurde,  wird  durch  Calciniren  von  Kalium- 
bi Chromat  und  Borsäure  dargestellt;  letztere  ist  aber  hierbei  unwesentlich,  da  ein 
Chromoxydhydrat  von  der  Formel:  2Cr203.3H20  dieselben  Eigenschaften  besitzt. 
Aehnlich  ist  Mittler'*  Grün,  während  Matthien- Plessy  's  Grün  neben  Chromoxyd  noch 
Phosphorsäure  enthält:  Arnandon's  Grün  wird  durch  Erhitzen  von  Ammoniumphosphat 
und  Kaliumbichromat  und  Salvetat' s  Grün  (Türkisgrün)  durch  Mischung  von  Thenard's 
Blau  mit  Chromoxyd  erhalten. 

Kaisergrün  entsteht  beim  Versetzen  eines  Chromsalzes  mit  gewöhnlichem  Natrium- 
phosphat; wird  der  Niederschlag  geglüht,  so  heisst  die  Farbe  neues  Chromatgrün,  welches 
das  bchweinfurtergrün  zu  ersetzen  vermag  und  namentlich  in  der  Porcellan-  und  Glas- 
malerei benutzt  wird. 

Ckromsänre  ist  nur  als  Chromsänreanhydrid  Cr03  bekannt  und  bildet  sich,  wenn 
Kaliumbichromat  mit  Schwefelsäure  zersetzt  wird: 

K2Cr207  -4-  H2  S04  =  K2  S04  +  H2  0  +  2  Cr  03. 
Sie  ist  hier  nur  als  das  wichtigste  Oxydationsmittel   zu  erwähnen   und  wird  namentlich 
zum  Bleichen  verschiedener  Oele   (Leinöl,  Palmöl,   Petroleum  u.  s.  w.)   benutzt,  welche 
man   mit   Kaliumbichromat   und  verdünnter   Schwefelsäure  behandelt   (s.  auch  Alizarin, 
Seite  645). 

Neuerdings  stellt  man  Clironilehn  aus  einer  Gelatinelösung  mit  Kaliumbichromat 
dar,  der  bei  Einwirkung  des  Sonnenlichts  für  Wasser  unlöslich  und  unaufquellbar  wird, 
während  die  Chromsäure  einer  Reduction  unterliegt. 

Unter  den  chromsauren  Salzen,  die  alle  mehr  oder  weniger  giftig  sind, 
werden  hauptsächlich  Blei-,  Zink-  und  Wisniuthchromat  in  der  Kattun-  und  Leinen- 
druckerei benutzt.  Das  wichsigste  Präparat  ist  das  Bleickroniat,  ehromsanres  Blei, 
Chromgelb  PbCr04,  das  auch  in  der  Natur  als  Rothbleierz  vorkommt. 

Bei  der  Leinendr  ucker  ei  wendet  man  zum  Aufdrucken  entweder  Bleisulfat 
oder  Bleiacetat  an,  indem  man  diese  Salze  mit  Verdickungsmitteln  (Pappe)  zusammen- 
mengt. Nach  dem  Drucken  werden  sie  dann  durch  ein  Bad  von  Kaliumbichromat 
gezogen,  wobei  das  Bleichromat  auf  das  Zeug  niedergeschlagen  wird,  ohne  dass  eine 
innige  Verbindung  mit  der  Faser  stattfindet.  Aus  diesem  Grunde  sind  diese  gelben 
Muster  auch  leicht  dem  Bleichen  resp.  Verschwinden  unterworfen:  schon  durch  Reiben 
werden  sie  von  dem  Stoffe  entfernt. 

Alle  Wasch-  und  Spülwässer  enthalten  stets  Kaliumchromat  in  Lösung 
und  dürfen  daher  niemals  in  Schlinggruben  abgelassen  werden.  Nur  bei  grosser  Ver- 
dünnung ist  ihr  Abfluss  in  Wasserläufe  gestattet,  widrigenfalls  sie  auf  die  Fischzucht 
nachtheilig  einwirken. 

Zur  Darstellung  von  orangefarbigen  Mustern  sind  zwei  Methoden  gebräuch- 
lich. Man  druckt  ein  basisches  Bleisalz  (Mordant)  auf  und  zieht  das  Muster  durch 
ein  chromsaures  Bad,  oder  man  druckt  das  Bleichromat  auf  und  zieht  die  so  gefärbten 
Stoffe  durch  eine  erwärmte  Kalklösung,  wobei  basisches  Bleichromat  (Chromroth) 
zurückbleibt:  im  letztern  Falle  enthalten  die  Wässer  chromsaures  Calcium  (Calcium- 
chromat) ;  sie  sind  immer  beachtungswerth. 

In  sanitärer  Beziehung  ist  zu  bedenken,  dass  die  basischen  Bleichroma  te 
dadurch  nachtheilig  wirken  können,  dass  sie  beim  Tragen  der  Stoffe  durch  den  sauer 
reagirenden  Schweiss  in  Chromate  verwandelt  werden;  hierbei  tritt  das  überschüssige 
Blei  als  organisch- saures  Salz  auf,  welches,  falls  es  auf  der  Haut  sitzen  bleibt,  möglicher- 
weise absorbirt  wird. 

Auch  haben  alle  mit  Bleichromat  gedruckten  Stoffe  den  Nachtheil,  dass  sie  leicht 
entzündlich  sind  und  ausserordentlich  rasch  fortbrennen.  Die  sogen.  Zunderlunten 
verdanken  nur  der  Imprägnation  mit  Bleichromat  ihre  Eigenschaft,  rasch  Feuer  zu 
fangen  und  fortzuglimmen,  wobei  sich  übrigens  stets  Bleidämpfe  entwickeln. 

Bei  der  Fabrication  der  Zunderlunten  kann  sich  beim  x\bhaspcln  der  Zünd- 
schnüren so  viel  Bleistaub  entwickeln,  dass  Bleivergiftungen  entstehen.5) 

Für  Reibzündhölzchen  benutzt  man  bisweilen  eine  Verbindung  von  Blei- 
bichromat  mit  Kaliumchlorat  (s.  S.  272). 

Das  Chromgelb  wird  leider  auch  noch  häufig  zum  Färben  von  Genuss-  oder 
Nahrungsmitteln  benutzt.  Bei  der  WTurstbereit ung  werden  die  Gedärme  nicht  selten 
statt  durch  Curcuma  durch  Bleichromat  gelb  gefärbt.  Vor  nicht  langer  Zeit  war  in  der 
Rheinprovinz  das  Grünfärben  der  Kaffeebohnen  mittels  folgender  Mischung  ein  sehr 
gebräuchliches  Verfahren:  man  wählte  ein  Gemenge  von  15 %  Berlinerblau,  35%  Blei- 
chromat neben  35%  Gips,  Thonerde  oder  ähnlichen  Körpern,  um  die  passende  Farbe 
hervorzurufen. 

Die  sogenannten  Chromgrüne  werden  häufig  durch  Vermischen  des  Chrom- 
gelbs mit  Berlin  er  blau  dargestellt;  obgleich  diese  Grüne  wenig  haltbar  sind,  namentlich 


Chromfarben.  773 

beim  Tapetendruck,  und  sich  meist  nur  zum  Oelfr.rbenanstrich  verwenden  lassen,  so 
war  die  oben  genannte  Composition  dennoch  zur  künstlichen  Darstellung  der  Cherbon- 
Kaffeebohnen  so  gut  gewählt,  dass  nur  Sachkenner  den  Betrug  entdecken  konnten.6) 

Das  Färben  der  Lebkuchen,  Brezeln  und  Conditorwaaren  geschieht  bisweilen 
mit  Chromgelb.  Noch  in  der  neuesten  Zeit  sind  zwei  tödtliche  Vergiftungen  durch 
Chromgelb  bei  einem  l^und  einem  3  Jahre  alten  Knaben  beobachtet  worden,  die 
von  den  aus  Traganthgummi  und  Bleichromat  dargestellten  Verzierungen  eines  Kuchens 
genossen  hatten.  Die  Gabe  von  ca.  0,01  Grm.  Bleichromat  war  für  jeden  der  beiden 
Knaben  von  letaler  Wirkung.7) 

Auch  zum  Imprägniren  von  Papier  dient  Chromgelb.  Ein  gelbes  Papier  dieser 
Art  wird  häufig  als  Enveloppe  für  Kaffeesurrogate,  Conditorwaaren,  Tafelsalz  u.  s.  w. 
verwendet;  im  letztern  Falle  bildet  sich  bei  feuchter  Luft  leicht  Chlorblei,  was  man 
an  der  Entfärbung  des  betreffenden  Papiers  wahrnimmt.  Gefährlich  sind  auch  die 
gelben  Farbsteine  von  Chromgelb  in  den  Malkasten  für  Kinder.8) 

Chromzinnober,  Chronirotll  PbCr04  +  Pb(OH)2  ist  ein  basisches  Bleichromat 
und  bildet  sich  beim  Eintragen  von  Bleichromat  in  schmelzenden  Salpeter.  Auf  nassem 
Wege  erhält  man  es  durch  Fällen  einer  Lösung  von  Bleiacetat  mit  Kaliumbichromat- 
lösung  unter  Zusatz  von  Kaliunihydrat. 

Chromorange  ist  ein  Gemisch  von  Chromgelb  und  Chromroth. 

Zinkcbromat  hat  in  jüngster  Zeit  das  Bleichromat  beim  Drucken  häufig  ersetzt. 
Seine  geringere  Haltbarkeit  empfiehlt  dasselbe  jedoch  nicht  für  die  Industrie,  während 
Wismuthchromat  nur  zum  Drucken  feinerer  Stoffe  zu  benutzen  ist.  Man  druckt 
auch  hierbei  das  entprechende  Salz  auf  und  zieht  alsdann  die  Stoffe  durch  ein  chrom- 
saures Bad.  Die  Abflusswässer  haben  dieselbe  Bedeutung  wie  bei  der  Darstellung 
von  Bleichromat. 

Fermnichroniat ,  chromsaures  Eisen  FeCr04  entsteht  beim  Zusammenbringen 
eines  Eisenoxydsalzes  mit  Kaliumbichromat  als  dunkelrothe  Flüssigkeit,  welche  in  der 
Schwarzfärberei  beim  Färben  der  Seide,  Wolle,  Baumwolle  bei  gleichzeitiger  Mit- 
wirkung von  Holzfarben  benutzt  wird.  Seiner  Verwendung  als  Desinfectionsmittel  ist 
der  hohe  Preis  hinderlich,  obgleich  es  wegen  seiner  oxydirenden  Eigenschaft  sehr 
gerühmt  wird. 

Versetzt  man  neutrales  Eisenchlorid  mit  einer  gesättigten  Lösung  von  Kalium- 
bichromat, so  erhält  man  einen  feurig  gelben  Niederschlag  (basisch  chrom- 
saures Eisen),  der  sich  ganz  vorzüglich  zum  Wasserglasanstrich  und  als 
Aquarellfarbe  eignet.  Mit  Ultramarin  liefert  diese  Farbe  sogen.  Sideringelb,  ein 
schönes  Grün. 

Das  eigentliche  Chromaventurin,  ein  dunkelgrün  gefärbtes  Glas,  in  welchem 
hellgrüne  Flitter  von  abgeschiedenem  Chromoxyd  vertheilt  sind,  wird  durch  Zusatz  von 
Kaliumbichromat  zum  gewöhnlichen  Glassatze  erhalten. 

Silberchromat,  chromsaures  Silber  Ag2Cr04  bildet  sich  als  dunkel  rother 
Niederschlag,  wenn  eine  Silberlösung  mit  Kaliumchromat  versetzt  wird.  Wird  dieser 
mit  Chlornatrium  geglüht,  so  bildet  sich  eine  Doppelverbindung  von  Chlorsilber  und 
Chromchlorid,  welche  feuerbeständig  ist,  den  Glasflüssen  eine  grüne  Färbung 
ertheilt,  die  bei  auffallendem  Lichte  intensiv  zinnoberroth  reflectirt.  Auch  kann  sie 
zur  Darstellung  eines  aventurinähnlichen  Glases  und  zur  Färbung  des  Strasses 
benutzt  werden. 

Quecksilberchromat  Hg2Cr04  wird  im  Grossen  durch  Versetzen  eines  löslichen 
Quecksilberoxydulsalzes  mit  Kaliumbichromat  als  ein  schöner  zinnoberrother  Nie- 
derschlag erhalten,  der  in  der  Porcellanmalerei  Verwendung  findet.  Die  Wasch- 
wässer enthalten  Chromsäure  und  Quecksilberoxyd  und  dürfen  daher  niemals  frei  ab- 
gelassen werden. 

Vermischt  man  die  genannten  Lösungen  in  der  Siedhitze  und  säuert  mit  Salpeter- 
säure  an,  so  erhält  man  einen  krystallinischen  Niederschlag,  der  mit  verdicktem  Ter- 
pentinöl vermischt  direct  in  der  Porcellanmalerei  und  zwar  zur  Darstellung  von  grünen, 
rauhen  Blättern  benutzt  wird.  Indem  sich  nämlich  das  Quecksilber  verflüchtigt, 
zieht  sich  gleichsam  jedes  Krystallschüppchen  zusammen  und  bildet  einen  eigenthüm- 
lichen  chagrinartigen  Ueberzug.  Die  Manipulation  mit  dieser  Verbindung  erfordert  alle 
Vorsicht.  Beim  Muffelbrande  müssen  die  Quecksilberdämpfe  vorsichtig  abgeleitet 
werden,  während  das  Quecksilber,  welches  in  den  bei  der  Bereitung  des  Salzes  abfallen- 
den Wässern  enthalten  ist,  durch  Zink  metallisch  auszuscheiden  ist.  Die  Chromsäure 
bleibt  als  lösliches  Salz  in  der  Lösung  und  kann  wieder  benutzt  werden. 

Chromsalze  werden  bei  der  Zeugdruckerei  sehr  häufig  in  der  Weise  benutzt, 
dass  man  das  Chromoxyd  durch  ein  phosphorsaures,  kieselsaures  oder  auch  ein 
arsenig-  und  arsensaures  Salz  niederschlägt.  Da  die  beiden  letztern  Verbindungen  den 
schönsten  Farbenton  besitzen,  so  kommen  sie  noch  vielfältig  zur  Anwendung.     Zu  dem 


774  Mangan. 

Ende  werden  die  mit  Chromoxyd  gebeizten  Stoffe  in  der  Hitze  mit  arsenig-  oder 
arsensaurem  Natrium  so  länge  behandelt,  bis  man  den  gewünschten  Farbenton 
erhält.  Derartige  Stoffe  haben  nicht  bloss  in  der  Faser  Arsenik,  sondern  letzteres  haftet 
auch  noch  äusserlich  an. 

Um  dasselbe  Grün  auf  den  Stoffen  hervorzurufen,  wird  bisweilen  direct  mit 
Kaliumbichromat  unter  Mitwirkung  von  arseniger  Säure  gedruckt. 

Die  beim  Färben  abfallenden  Wässer  enthalten  neben  der  arsenigen  Säure 
auch  Arsen  säure.  Die  Stoffe  selbst  erzeugen  bei  Nähterinnen  Reizungen  der  Hände, 
welche  sich  in  kleinen,  frieselähnlichen  Bläschen  oder  Wundwerden  zwischen  den 
Fingern  äussern.  Wegen  dieser  Wirkung  der  grünen  Farbe  hat  man  oft  die  Anwesen- 
heit von  Schweinfurtergrün  vermuthet,  obgleich  das  Chromgrün  sich  schon  an  und 
für  sich  durch  eine  mehr  dunkle  Nuance  auszeichnet  und  grade  deshalb  meist  die  Ver- 
muthung  gar  nicht  aufkommen  lässt,  dass  man  es  hier  mit  der  reizenden  Einwirkung 
von  Arsen  zu  thun  hat. 

Calcininchromat  CaCr04.  Wenn  man  Caleiumhydrat  mit  Kaliumbichromat  kocht, 
so  erhält  man  die  basische  Verbindung  (CaCr04  +  Ca(OH)2),  ein  schöner  gelber,  in 
Wasser  unlöslicher  Niederschlag,  der  Stefnbülller  Gelb  heisst  und  als  Deckfarbe  im  Handel 
vorkommt.  Behandelt  man  denselben  mit  einer  Lösung  von  Kupfersulfat,  so  entsteht 
ein  lebhaft  grüner  Niederschlag,  der  dem  Schweinfurtergrün  sehr  ähnlich  ist.  Die 
hier  abfallenden  Wässer  enthalten  im  erstem  Falle  Kaliumchromat  und  im  letztern  Falle 
Kupferchromat. 

Cliroinclllorid  Cr2ClG  wird  durch  Glühen  eines  Gemenges  von  Chromoxyd  und 
Kohle  in  einem  Chlorstrom  erhalten.  Es  wird  in  der  Buntpapierfabrication  als 
violette  Farbe  benutzt. 

Barimiichromat  BaCr04  entsteht  durch  Zusatz  einer  Lösung  von  Kaliumchromat 
zu  einer  Bariumsalzlösung  als  lichtgelber  Niederschlag,  welcher  im  Handel  als  gelbes 
Ultramarin  vorkommt  und  mit  gewöhnlichem  Ultramarin  vermischt  beim  Tapeten- 
druck benutzt  wird. 

Chromsulfat  Cr,(S04,)3+  18H20  bildet  blaue  Krystalle,  welche  durch  Auflösen 
von  Chromhydrat  in  concentrirter  Schwefelsäure  entstehen. 

Kalininchromsulfat,  Chromalann  Cr2(S04)3-f-  K2S04  -f-  '24H20  entsteht,  wenn  man 
zu  einer  mit  Schwefelsäure  versetzten  Lösung  von  Kaliumchromat  eine  oxydable  Sub- 
stanz, z.B.  Alkohol,  zusetzt.  Es  bilden  sich  tief  violette  Octaeder,  die  sich  in  Wasser 
mit  violettblauer  Farbe  lösen.  Man  nennt  diese  Verbindung  Chromalaun,  weil  die 
Thonerde  durch  Chrom  vertreten  wird.  Man  unterscheidet  Kalium-,  Natrium-  und 
Ammonium-Chromalaun,  wovon  der  erstere  am  wichtigsten  ist,  da  er  in  der 
Färberei  zu  Grün,  Schwarz  und  andern  Farben  benutzt  wird;  auch  dient  er  als  Beize 
oder  zum  Anfertigen  wasserdichter,  wollener  Stoffe.  Die  Verbindung  mit  Kochsalz  wird 
zur  Darstellung  von  chromgarem  Leder  gebraucht.9) 


Mangan. 

Mangan  kommt  zwar  in  grosser  Verbreitung,  aber  nur  in  beschränkter  Menge 
vor.  Brannstein  (Pyrolusit),  die  am  häufigsten  vorkommende  und  technisch  wichtigste 
Verbindung,  ist  Mangansuperoxyd  Mn02;  als  Manganoxyduloxyd  Mn304  tritt 
Hansmannit,  als  Manganoxyd  Mn203  Brannit  auf ;  Manganit  ist  Manganoxydhydrat 
H2Mn204,  unterscheidet  sich  somit  vom  gewöhnlichen  Manganoxydhydrat  oder 
Mang'anihydrat  Mn2(OH)6  durch  einen  geringern  Wassergehalt.  Ausserdem  ist 
noch  Manganspath  MnC03  und  Manganblende  MnS  zu  erwähnen. 

Das  Metall  wird  aus  seinen  Verbindungen  hauptsächlich  durch  Reduction  mittels 
Kohle  dargestellt;  seine  Verwendung  ist  aber  sehr  beschränkt.  Man  benutzt  es  zu 
Legirungen  mit  Kupfer,  Zinn  und  Zink.  Kupf ermanganlegirungen  sollen  sich 
wie  Kupferzinnlegirungen,  und  die  Kupfer-Mangan-Zinklegirungen  wie  Neusilber 
verhalten.  Bekannt  ist  auch  der  Zusatz  von  Mangan  zum  Gussstahl,  welches  denselben 
noch  werthvoller  machen  soll. 


Manganverbindungen.  775 


Manganverbindungen, 

Mangansnperoxyd  Mq02,  Braunstein,  ist  für  die  Technik  bei  der  Darstellung 
von  Chlor  und  Salzsäure  unentbehrlich.  Die  colossalen  Mengen  von  Mangan-- 
chlorür  MnCl2,  die  hierbei  abfallen,  hat  man  schon  seit  längerer  Zeit  zur 
Regeneration  des  Braunsteins  zu  verwerthen  gesucht. 

Die  Weldorfsche  Methode  scheint  die  meiste  Aussicht  auf  Erfolg  zu  haben,  nach 
welcher  aus  den  Manganlaugen  zunächst  Eisenoxyd,  Thonerde  und  Schwefelsäure 
durch  Calciumcarbonat  niedergeschlagen  werden.  Durch  weitere  Behandlung  der 
abgegossenen  klaren  Flüssigkeit  mit  Kalkmilch,  einem  Dampf-  und  Luftstrom  erhält 
man  eine  Verbindung  von  Kalk  und  Mangansuperoxyd  (Calciummanganit),  die  für 
die  Chlorentwicklung  wieder  zu  benutzen  ist,  aber  viel  Salzsäure  hierzu  bedarf.  In 
England  ist  man  noch  immer  mit  der  Verbesserung  dieses  Verfahrens  beschäftigt.  Man 
hat  auch  die  mit  Kalk  behandelten  Manganlaugen  mit  Erfolg  für  die  Glasfabri- 
cation  wieder  nutzbar  zu  machen  gesucht. 

Ein  aus  den  Manganlaugen  durch  Fällen  mit  einem  Alkali carbonat  als  grünes 
Pulver  erhaltenes  Mangancarbonat  MnC03  wird  als  Anstrichfarbe  in  der  Glasmalerei 
und  zur  Darstellung  der  violetten  Glasflüsse  benutzt. 

Hat  man  das  Chlor  aus  Kochsalz,  Schwefelsäure  und  Braunstein  dargestellt,  so 
findet  sich  im  Rückstande  ausser  Manganchlorür  noch  Natriumsulfa-t  mit  einem 
Ueberschuss  an  Schwefelsäure.  Man  kann  diesen  Rückstand  eindampfen,  schwach 
calciniren  und  mit  Wasser  auslaugen;  die  Lauge  enthält  dann  Manganosulfat  MnS04 
neben  Natriumsulfat.  Letzteres  gewinnt  man  durch  Krystallisation,  während  man 
das  Manganosulfat  in  Mangan  borat  überführen  kann,  um  es  als  ein  vortreffliches 
Siccativ  in  der  Firnisskocherei  zu  benutzen.  Behandelt  man  Manganosulfat  mit  Kali, 
so  erhält  man  Manganoxydhydrat,  welches  beim  Bisterbraunfärben  Ver- 
wendung findet.1) 

Manganchlorür  ist  als  solches  fast  nie  zum  Desinficiren  zu  gebrauchen, 
weil  die  freie  Salzsäure  sehr  nachtheilig  auf  den  Mörtel  der  Abtrittsgruben  und  Canäle 
einwirkt.  In  solchen  Fällen  ist  stets  eine  vorhergehende  Abstumpfung  mit  Kalk 
erforderlich. 

Uehermangansanres  Kalium,  Kalium  hypermanganicum  KMn04  ist  in  tech- 
nischer, chemischer  und  sanitärer  Beziehung  eine  sehr  wichtige  Verbindung.  Für 
technische  Zwecke  kann  es  dargestellt  werden,  indem  man  Natriumhydrat 
(Natriumhydroxyd)  und  Kalisalpeter  (statt  des  theuren  Kaliumchlorats) 
schmilzt  und  in  die  Schmelze  allmählig  erhitzten  Braunstein  einträgt. 

Verwendung  findet  es  jetzt  in  der  Technik  zum  Bleichen  von  sämisch  gegerbtem 
Leder,  von  Baumwolle,  Leinen,  Hanf,  Seide,  Wolle  u.  s.w.  Man  löst  übermangan- 
saures Kalium  und  Manganosulfat  zu  gleichen  Theilen  in  lauwarmem  Wasser 
auf.  Man  lässt  die  Stoffe  so  lange  in  demselben  liegen,  bis  sie  sich  braun  (mit  Man- 
ganoxyd) überzogen  haben;  dann  kommen  sie  in  ein  verdünntes  Schwefelsäure-Bad  (1 :  25), 
wobei  sich  wieder  Manganosulfat  unter  Freiwerden  von  bleichendem  Sauerstoff 
bildet;  auch  im  ersten  Bade  wird  schon  Sauerstoff  frei.  Schliesslich  folgt  ein  Spül- 
und  Seifenbad  unter  Zusatz  von  etwas  Salmiakgeist.  Die  Zeuge  leiden  bei  dieser  Bleich- 
methode am  wenigsten.2) 

Uebermangansaures  Kalium  ist  ein  vortreffliches  Desinfectionsmittel  und 
mit  Unrecht  durch  die  Carbolsäure  verdrängt  worden.3) 


Nickel,  Ni. 


Nickel  findet  sich  in  der  Natur  gediegen  nur  im  Meteoreisen  und  kommt 
sonst  wie  Kobalt  in  Verbindung  mit  vielen  Metallen,  namentlich  mit  Arsen  und 
Schwefel  als  Nickelglanz,  mit  Arsen  als  Kupfer- oder  Arseniknickel,  mit  Schwefel 
als  Haarkies    vor.     Kupfernickel  soll  dem  Metall   den  Namen   gegeben  haben,  das 


776  Nickel. 

wie  Kupfer  aussah,  aber  keine  Ausbeute  an  Kupfer  gab  und  daher  mit  diesem  in  der 
niedersächsischen  Volkssprache  für  gemeine  Frauenzimmer  gebräuchlichen  Scheltworte 
belegt  wurde. 

Nickel  ist  silberweiss  mit  einem  Stich  in's  Graue,  stark  glänzend,  sehr  hart, 
dehnbar,  strengflüssig,  erst  in  der  Weissgluth  schmelzbar,  magnetisch  und  bleibt  an  der 
Luft  unverändert.     In  Salz-  und  Schwefelsäure  ist  es  schwer,  in  Salpersäure  leicht  löslich. 

Bei  der  Wirkung  von  Nickel  auf  den  thierischen  Organismus  kann  nur  von 
seinen  Verbindungen  die  Rede  sein.  Nach  Gmelin1)  erfolgte  bei  einem  Hunde  mittlerer 
Grösse  nach  Ingestion  von  10  Gran  Nickelsulfat  NiS04  mehrmaliges  Erbrechen; 
auch  20  Gran  hatten  keine  andere  Wirkung.  Bei  einem  Kaninchen  übten  10  Gran 
keinen  EinÜuss  auf  das  Befinden  aus,  dagegen  führte  die  Ingestion  von  20  Gran  am 
andern  Morgen  den  Tod  unter  Convulsionen  herbei. 

30  Gran  trocknen  Nickelsulfats,  in  das  Unterhautzellgewebe  eines  kräftigen 
Hundes  gebracht,  blieben  ohne  Wirkung.  Nickel  gehört  somit  zu  den  unschädlichen 
Metallen. 

1)  Hüttenmännische  Behandlung  der  Nickel-  und  Kobalterze.  Beide  Erze  werden 
meist  gemeinschaftlich  behandelt;  sie  erfordern  wie  die  Kupfererze  ein  Concentrations- 
sclimelzen,  um  die  Metalle  allmählig  anzureichern.  Bei  Erzen,  die  Nickel  als 
Schwefelmetall  enthalten,  z  B.  bei  mit  Nickelerzen  imprägnirtem  Magnetkies  oder 
Schwefelkies,  schmilzt  man  zuerst  mit  reducirenden  Mitteln,  schwefelt  Nickel  und 
Eisen  und  nennt  das  Product  Stein.  Bei  Erzen,  die  neben  Nickel  vorzugsweise  Arsen 
enthalten,  wählt  man  als  Zuschlag  Arsen  und  zwar  meist  in  Form  von  Arsenkies; 
das  Product  heisst  dann  Speise. 

a)  Concentrationsschmelzen  auf  Stein.  Man  röstet  die  Erze  theilweise  ab, 
um  Eisen  und  Nickel  zu  oxydiren  und  schmilzt  dann  mit  kieselerdereichen  Zu- 
schlägen. Das  Eisenoxyd  verschlackt  sich  und  das  oxydirte  Nickel  sammelt  sich  im 
Stein  als  reducirtes  Metall  an;  bei  gleichzeitig  vorhandenem  Kupfer  concentrirt  sich  das- 
selbe ebenfalls  im  Stein.  Den  Rost-  und  Reductionsprocess  wiederholt  man  oft,  bis  man 
schliesslich  den  rohen,  eisenhaltigen  Stein  mit  feinem  Schwerspath  und  Quarz  ein- 
schmilzt. Es  entsteht  Schwefelbarium,  welches  dem  noch  vorhandenen  oxydirten 
Nickel  und  Kupfer  seinen  Schwefel  abgibt  und  als  Baryt  mit  dem  Quarz  und  Eisen 
verschlackt  wird. 

b)  Concentrationsschmelzen  auf  Speise.  Die  hauptsächlich  aus  Nickel, 
Arsen  und  Eisen  bestehenden  Erze  werden  einer  theil weisen  Röstung  unterworfen, 
um  den  grössten  Theil  des  Arsens  auszuscheiden.  Das  Röstgut  wird  mit  reducirenden 
Mitteingeschmolzen,  um  das  Eisen  in  die  Schlacke  überzuführen,  das  oxydirte  Nickel 
zu  Metall  und  die  vorhandenen  arsensauren  Salze  zu  Arsenmetallen  (Speise)  zu 
reduciren.  Wegen  der  grossen  Verwandtschaft  des  Metalls  zu  Arsen  sammelt  sich 
dasselbe  immer  mehr  in  der  Speise  an,  je  öfter  man  diesen  Process  wiederholt;  auch 
gibt  man  zur  vollkommnern  Entfernung  des  Eisens  Zuschläge  von  Schwerspath  und 
Quarz  zu. 

2)  Gewinnung  des  metallischen  Nickels,  a)  Gewinnung  auf  trocknem  Wege. 
Man  benutzt  hierzu  gewöhnlich  die  Nickel  speise,  indem  man  sie  unter  Wasser  klein 
stampft  und  mit  Schwefel  mengt  und  erhitzt,  wobei  sich  Seh wefelnickeL  bildet 
und  Kupfer  als  Schwefelkupfer  ausgeschieden  wird.  Indem  letzteres  auf  der  Nickel- 
speise schwimmt,  verhindert  es  theilweise  die  Verflüchtigung  von  Schwefelarsen;  die 
Speise  wird  dann  nochmals  unter  Anfeuchtung  fein  gepulvert  und  in  Röstöfen  durch 
Sublimation  von  Arsen  befreit.  Um  alles  Arsen  zu  entfernen,  kann  ein  wiederholtes 
Erhitzen  mit  Schwefel  erforderlich  werden;  schliesslich  entsteht  Nickelsulfat,  das 
beim  Glühen  die  Schwefelsäure  fahren  lässt,  als  Oxyd  zurückbleibt  und  dann  noch  mit 
Kohle  reducirt  wird. 

b)  Nickelgewinnung  auf  nassem  Wege.  Diese  Methode  variirt  sehr  nach 
der  Zusammensetzung  der  Erze  und  es  existirt  kein  für  alle  Fälle  massgebendes  Verfahren. 
Hauptsächlich  kommen  folgende  Operationen  vor:  1)  Auflösen  des  Röstgutes  in  Salz- 
säure, 2)  Ausfällen  des  Eisens  durch  Kalk  oder  Soda  nach  vorhergehender  Oxydation 
durch  Chlor  oder  Chlorkalk,  wenn  das  Eisen  als  Chlorür  oder  Oxydul  in  Lösung  war; 
3)  Ausfällen  des  Kupfers  durch  Schwefelwasserstoff,  ein  in  sanitärer  Beziehung  sehr 
wichtiger  Act,  der  zur  grössten  Vorsicht  auffordert  und  neuerdings  durch  den  ursprüng- 
lich für  die  Ausfällung  des  Arsens  aus  der  Schwefelsäure  construirten  Fällthurm  von 
Gerstenhöfer  eine  viel  grössere  Sicherheit  für  die  Arbeiter  darbietet.  Der  Thurm  ist 
hydraulisch  verschlossen  und  die  Lösung  fällt  tropfenweise  in  eine  Atmosphäre  von 
Schwefelwasserstoff  herab,  der  am  obern  und  untern  Theile  des  Thurms  in  einem  be- 
sondern Apparat  entwickelt  wird,  in  welchen  auch  der  in  der  kupferfreien  Lösung  auf- 
gelöste Schwefelwasserstoff  durch  Erhitzen  derselben  mittels  Wasserdampf' s  wieder  zurück- 


Verhüttung  der  Nickel-  und  Kobalterze.  777 

getrieben  wird.  4)  Ausfällen  des  Kobalts  als  Sesquioxyd  Co203  durch  Chlorkalk. 
5)  Ausfällen  des  Nickels  als  Nickeloxydhydrat  Ni2(ÖH)6  durch  Kalkmilch;  6)  Glühen 
des  Niederschlags,  um  wasserfreies  Nickeloxyd  Ni203  zu  erhalten;  7)  Reduction  des 
vom  Kalke  und  Gipse  gereinigten  Nickeloxyds  durch  Glühen  mit  Kohle.2) 

In  Deutschland  werden  namentlich  in  Iserlohn,  auf  dem  Blaufarbenwerkconsortium 
zu  Oberschlema  und  Pfannenstiel  bei  Schneeberg  sowie  auf  der  Victoriahütte  bei  Naum- 
burg am  Bober  Nickel-  und  Kobalterze  zu  Nickelmetall,  Nickelkupferlegirungen, 
Nickel-  und  Kobaltbarren  sowie  zu  Kobaltoxyd  verarbeitet.  Häufig  wird  auch  nickel- 
und  kobalthaltige  Speise  als  Nebenproduct  an  Nickelwerke  abgesetzt. 

Ausser  in  Schweden  und  Norwegen  finden  sich  namentlich  in  Ungarn  reiche 
Nickel-  und  Kobalterze. 

Sanitäre  Verhältnisse  bei  der  Verhüttung  der  Nickel-  und  Kobalterze. 

Wenn  man  berücksichtigt,  dass  die  Kobalt-  und  Nickelerze  das  Haupt- 
material  für  die  Gewinnung  des  Arsens  liefern  (Arsenkies  ausgenommen),  so 
muss  bei  der  Verhüttung  auch  auf  diesen  Hauptbestandtheil  ein  grosses  Gewicht 
gelegt  werden;  es  existirt  kein  Kobalt-  oder  Nickelerz,  welches  nicht  Arsen  in 
chemischer  Verbindung  oder  als  Beimengung  enthält.  Die  ganze  Kobalt-  und 
Nickelindustrie  ist  daher  von  diesem  giftigen  Metall  begleitet;  weder  der 
nasse  noch  trockne  "Weg  zur  Gewinnung  des  Metalls  ist  ohne  das  Auftreten  von 
Arsen  einzuschlagen.  Hierauf  beruht  die  sanitäre  Bedeutung  dieses  Verfahrens ; 
mag  man  auch  in  den  verschiedenen  Darstellungsweisen  noch  so  sehr  variiren,  dem 
Arsen  wird  man  dabei  überall  begegnen.  Stets  ist  daher  bei  der  Nickelindustrie 
die  Gefährlichkeit  des  Staubes  sowie  die  Beschaffenheit  der  Abfallwässer 
in's  Auge  zu  fassen. 

So  lange  die  Erze  im  Gestein  eingeschlossen  sind,  können  sie  keiner  Oxydation 
unterliegen ;  diese  tritt  aber  sofort  ein,  sobald  sie  im  feuchten  Zustande  dem  Ein- 
flüsse des  atmosphärischen  Sauerstoffs  unterliegen.  Beim  Arsen  bildet  sich  stets 
arsenige  Säure,  welche  entweder  frei  auftritt  oder  aber  mit  den  Oxyden  derjenigen 
Metalle  sich  verbindet,  mit  welchen  das  Arsen  verbunden  vorkommt. 

Die  Handscheidung  mit  dem  damit  verbundenen  Staube  tritt  dann  stets 
als  der  erste,  gefährliche  Act  auf.  Der  arsenikalische  Erzstaub  gelangt  auf  den 
Respiration s wegen  leicht  in  den  Organismus  und  da  hier  Feuchtigkeit,  Sauerstoff 
und  Wärme  vereinigt  sind,  so  bildet  sich  rasch  arsenige  Säure,  welche  dann 
ihre  weitere  Wirkung  entfalten  wird. 

Bei  den  Scheid-  oder  Klaub  jungen  können  sich  die  Erscheinungen  der 
Vergiftung  um  so  eher  zeigen,  wenn  die  Arbeit  zur  Winterszeit  in  den  Scheide- 
baracken und  überhaupt  Handarbeit  stattfindet. 

Das  Pochen  und  Schlämmen  der  Erze  wirkt  auf  die  Beschaffenheit  der 
Abflusswässer  ein;  gewöhnlich  enthalten  sie  mechanisch  mitgeführte  Erze 
und  sind  nicht  selten  fast  gesättigt  mit  arseniger  Säure.  Die  Stollenwässer 
sind  nur  bei  neuen  Gruben  unschädlich;  sie  werden  aber  nach  einer  längern  Be- 
triebszeit arsenikalisch,  wenn  das  blossgelegte  Erz  mit  Wasser  und  Sauerstoff  in 
Berührung  kommt  und  hierdurch  die  Oxydation  des  Arsens  bedingt  wird. 

Leider  besitzt  man  noch  keine  hinreichenden  Mittel,  die  Schlämm-  und 
Stollenwässer  unschädlich  zu  machen;  gefährlich  bleibt  es  immer,  sie  in  kleine 
Wasserläufe  abzulassen;  es  droht  dadurch  nicht  allein  der  Fischzucht,  sondern 
auch  den  Thieren  des  Feldes,  denen  es  als  Tränke  dient,  Gefahr.  Wo  es  der 
Raum  und  die  Gegend  gestatten,  sind  so  umfangreiche  Klärbottiche  als  möglich 
anzulegen,  um  alle  unlöslichen  Substanzen  thunlichst  zurückzuhalten. 


778  Nickel. 

Sehr  gefährlich  sind  auch  die  aufgestürzten  Halden,  welche  häufig 
jahrelang  der  Verwitterung  preisgegeben  werden,  um  das  Erz  mürbe  zu  machen. 
In  solchem  Falle  werden  die  arsenikalischeu  Verwitterungsproducte  durch  das 
Regenwasser  auf  weite  Strecken  fortgeführt;  häufig  tritt  bei  dieseu  Halden  ein 
rother  Beschlag,  die  Kobaltblüthe,  auf. 

Wenn  diesen  Verhältnissen  oft  nur  höchst  schwierig  Abhülfe  zu  verschaffen 
ist,  so  lässt  sich  aber  um  so  mehr  dem  Scheidpersonal  die  gehörige  Aufmerk- 
samkeit widmen.  Vor  Allem  muss  dasselbe  dazu  geuöthigt  werden,  während  der 
Arbeit  Schwämme  vor  den  Mund  zu  biuden  und  das  Essen  während  der  Arbeit 
bei  schmutzigen  Händen  zu  vermeiden.  Ein  Wechsel  der  Kleidungsstücke  nach 
der  Arbeit  muss  den  Arbeitern  auf  allen  Arsenhütten  ermöglicht  werden;  auch 
soll  ihnen  stets  die  Gelegenheit  geboten  werden,  sich  nach  der  Arbeit  reinigen 
zu  können. 

Das  Rösten  findet  meist  iu  liegenden  thönernen  Retorten  statt;  bei  diesem 
Processe  ist  für  die  Arbeiter  das  Aufgeben  der  Erze,  das  Umknicken  und  das 
Ausziehen  des  Rüstgutes  beachtungswerth  und  zwar  sowohl  wegen  des  Staubes  als 
der  auftretenden  Dämpfe.  Schon  beim  Aufgeben  der  Erze  treten  arseuikalische 
Dämpfe  auf  und  werden  die  Arbeiter  am  meisten  von  denselben  afficirt,  wenn 
die  Beschickung  durch  Einschaufeln  geschieht.  Man  bedient  sich  am  besten 
hierzu  der  Füllladeu,  deren  ßodenfläche  dem  Boden  der  Retorte  entspricht; 
wenn  sie  iu  den  Röstraum  eingeschoben  sind,  zieht  man  den  verschiebbaren 
Boden  aus  und  hebt  den  Kasteu  über  das  Röstgut  weg. 

Beim  Umknicken  müssen  die  Krückstaugen  durch  Oeffnnugen  iu  den 
Deckeln,  welche  vorn  die  Retorten  verschliessen,  eingeführt  werden,  damit 
möglichst  weuig  Dämpfe  iu  den  Fabrikraum  eintreten;  deshalb  ist  auch  das 
Ausziehen  der  Erze  gefährlich,  weil  sich  dann  hauptsächlich  die  arseuikalischen 
Dämpfe  entwickeln.  Um  die  Arbeiter  möglichst  vor  diesen  zu  schützen,  ist  ein 
gut  ziehender  Ranchfang  über  den  Mündungen  der  Retorten  anzubringen.  Das 
Röstgut  muss  man  sofort  in  eiserne  Kasten  ablassen;  die  hierbei  beschäftigten 
Arbeiter  leiden  vielfach  an  Geschwüren  der  Arme  und  Hände.  Immerhin  müssen 
sie  sich  durch  Vorbinden  von  Schwämmen  vor  Mund  und  Nase  schützen;  der 
reichliche  Geuuss  von  Speck  und  fettigen  Speisen  wird  allgemein  bei  Arbeiten 
mit  Arsen  für  ein  Präservativ  gehalten.  Der  Hauptschutz  muss  stets  darin  be- 
stehen, dass  man  die  schädlichen  Dämpfe  aus  dem  Bereiche  der  Arbeiter  ent- 
fernt; es  müssen  daher  hinreichend  lange  Condensatious-Cauäle,  die  mit  der 
hinteru  Ausmündung  der  Retorten  in  Verbindung  steheu.  den  Abzug  der  Dämpfe 
bewirken.  Die  meist  gleichzeitig  auftretende  schweflige  Säure  erschwert  die 
Condensation  der  arsenikalischeu  Dämpfe  sehr,  weil  diese  durch  die  schweflige 
Säure  erfahruugsgemäss  lange  suspendirt  gehalten  werden.  Ausser  den  Absorp- 
tionsmitteln für  diese  Säure  würde  sich  noch  mehr  eine  regelmässige  Beriese- 
lung iu  einzelnen  Condensations-Kammern  empfehlen. 

Bei  der  Nickelgewinnung  aus  der  Nickelspeise  auf  trocknem 
Wege  sind  namentlich  beim  Rösten  die  erwähnten  Vorsichtsmassregeln  zu  be- 
achten. In  einer  Fabrik  in  der  Provinz  Sachsen  führt  aus  jedem  Röstofen  ein 
gemauerter  Coudensationscaual  in  horizontaler  Richtung  nach  einem  22,6  Meter 
hohen  und  0,18  Meter  weiten  Schornstein,  der  im  Ganzen  8  Condensationsröhren 
aufnimmt.  Bei  sorgfältiger  Leitung  der  Feueruug  und  Regelung  der  Zuglöcher 
sollen    keine    Dämpfe    in    den    Fabrikraum    treten.     Ueber    der    Mündung  jeder 


Nickelind  astrie.  770 

Retorte  ist  ein  geräumiger  Fang  von  Eisenblech  angebracht,  der  mit  einem 
15  Meter  hohen  Schornstein  von  Eisenblech  communicirt.  Obgleich  auf  diese 
Weise  die  beim  Ausnehmen  des  Röstgutes  auftretenden  Dämpfe  frei  in  die 
Atmosphäre  treten,  so  sollen  doch  angeblich  keine  nachtheiligen  Einwirkungen 
auf  die  zunächst  gelegenen  Gärten,  Wiesen  und  Aecker  beobachtet  worden  sein; 
nur  die  Bienenzucht  soll  dort  ganz  eingegangen  sein,  eine  Erfahrung,  die  auf 
allen  Arsenhütten  gemacht  worden  ist.  Jedenfalls  gebietet  die  Vorsicht,  die 
Fangkappen  über  den  Retorten  mittels  gemauerter  Züge  mit  den  Condensations- 
Canälen  und  dem  Hauptschornstein  in  Verbindung  zu  setzen;  je  zahlreicher  die 
Retorten  sind,  desto  länger  müssen  auch  die  Condensations-Canäle  sein  und 
nötigenfalls  mit  Condensationskammern  versehen  werden. 

Ganz  besondere  Beachtung  verdienen  auch  die  beim  Kleinmachen  der 
Nickelspeise  abfallenden  Wässer;  sie  dürfen  weder  frei  noch  in  Schlinggruben 
abgelassen  werden,  sie  müssen  vielmehr  aufgespeichert  und  mit  Eisenvitriol 
und  Kalk  versetzt  werden,  bevor  sie  zum  Abfluss  gelangen. 

Bei  der  Nickelgew*nnung  auf  nassem  Wege  ist  die  Fällung  des 
Kupfers  durch  Schwefelwasserstoff  in  sanitärer  Beziehung  am  wichtigsten.  Wird 
der  Gerstenhöfer'sche  Fällthurm  sachgemäss  behandelt,  so  kann  man  der 
Beschädigung  der  Arbeiter  und  der  Belästigung  der  Adjacenten  vorbeugen.  3) 
Ausserdem  hat  man  bei  den  verschiedenen  chemischen  Processen  den  Abfall- 
wässern  die  sorgfältigste  Aufmerksamkeit  zu  widmen,  wenn  sie  arsenhaltig 
sind;  sie  müssen  dann  in  oben  angegebener  Weise  behandelt  werden. 

Nickelindustrie.  Nickel  gewinnt  immer  mehr  an  Werth,  da  es  manche  Legirungen 
darstellt,  welche  den  Säuren  und  dem  atmosphärischen  Sauerstoff  widerstehen.  Bis  vor 
einem  Decennium  diente  es  vorzugsweise  zur  Darstellung  von  Neusilber  (Nickel, 
Kupfer  und  Zink).  Die  Versuche,  Gusseisen  für  Geschützguss  durch  Nickelzusatz  zu 
verbessern,  haben  noch  keinen  Erfolg  gehabt;  Legirungen  von  Nickel,  Antimon  und 
Zinn  werden  aber  hoffentlich  der  Legirung  von  Blei  und  Zinn  starke  Concurrenz 
machen,  da  eine  solche  Legirung  für  die  Anfertigung  vieler  Gegenstände  sich  weit 
besser  eignet  als  Zinn  und  Blei.  Nickel  und  Kupfer  für  das  Prägen  von  Scheide- 
münzen zu  benutzen,  bietet  viele  Vortheile  dar. 

Einen  grossartigen  Umschwung  hat  aber  die  Vernickelung  von  Eisen  oder 
Stahl  genommen;  die  verschiedensten  Gegenstände,  Handgriffe  an  Thüren,  Koch- 
geschirre ,  Verzierungen  an  Oefen  u.  s.  w.  werden  auf  galvanischem  Wege  vernickelt, 
nachdem  Amerika  den  Anstoss  dazu  gegeben  hat.  Man  löst  kupfer-  und  arsenfreies 
Nickel  in  Schwefelsäure  und  fügt  die  Lösung  zu  einer  Lösung  von  Ammoniumsulfat, 
wobei  das  Nickel  als  Nickelammoniumsulfat  präcipitirt  wird.  Durch  Auswaschen  und 
Neutralisiren  des  Niederschlags  mit  Ammoniak  erhält  man  ein  neutrales  Ammonium- 
doppelsalz, das  als  Vernickelungsbad  dient. 


Kobalt,  Co. 

Kobalt  kommt  nie  gediegen,  sondern  meist  mit  Arsen  als  Speiskobalt  (Sacheen, 
Böhmen,  Spanien)  und  mit  Schwefel  und  Arsen  als  Glanzkobalt  (Schweden,  Nor- 
wegen) vor.  Kobaltkies  ist  Kobaltsulfürsulfid  mit  Eisensulfid  (Schweden,  Westphalen) 
und  Kobaltblüthe  arseniges  und  arsensaures  Kobalt.  Manganhaltiges  Kobalterz  kommt 
in  der  Lausitz  vor  und  wird  zur  Gewinnung  von  Nickel  und  Kobalt  in  der  Weise 
benutzt,  dass  man  zunächst  die  Erze  in  verschlossenen  Bottichen  mit  Salzsäure 
behandelt  und  das  sich  entwickelnde  Chlor  gleichzeitig  zur  Chlor  kalk  fabrication 
benutzt.     Die  rückständige   Lauge   enthält  Mangan,  Eisen,  Kobalt,  Nickel  und  Kupfer. 


780  Kobalt. 

Letzteres  wird  durcb  Sc'iwefelcaleiuni  resp.  Schwefelwasserstoff  herausgefällt:  die  hier- 
von getrennte  Flüssigkeit  wird  mit  bo  viel  Kalk  versetzt,  dass  sie  noch  etwas  sauer 
reagirt  Dadurch  wird  Eisen  gefällt,  während  Mangan,  Nickel  und  Kobalt  durch 
KrystaUisation  getrennt  werden:  es  ist  dies  ein  ganz  neuer  und  höchst  wichtiger 
Industriezweig. 

D  -  Fast  weisse  und  dehnbare  Kobalt-Metall  findet  noch  keine  Verwendung. 

Die  Einwirkung  von  Kobalt  auf  den  thierisehen  Organismus  bedarf  noch  einer 
genauem  Prüfung.  Gmelin1)  sah  nach  der  Ingeslion  von  (»Gran  (0,36  Grm.)  Kobalt- 
Sulfat  bei  einem  Kaninchen  keine  Wirkung:  erst  30  Gran  (2  Grm.)  hatten  am  folgenden 
Tage  den  Tod  zur  Folge. 

Kobaltchlorür  erzeugte  in  einer  Gabe  von  10  Gran  (0,6  Grm.)  bei  einem  Hunde 
mittlerer  Grösse  nur  einige  Mal  Erbrechen;  dasselbe  war  auch  bei  einem  Hunde  der 
Fall,  dem  24  Gran  (1,5  Grm.)  trocknen  Kobaltchlorürs  in  das  Unterhautzellgewebe 
gebracht  wurde. 

Siegen2)  will  dagegen  gefunden  haben,  dass  Kobaltnitrat  und  Kobaltchlorür, 
die  arsenfrei  waren,  bei  einem  Frosche  in  einer  Gabe  von  0.01  Gr.n.  in  einer  halben 
Stunde  und  bei  einem  kräftigen  Kaninchen  in  einer  Menge  von  0,3  Grm.  wahrscheinlich 
durch  Lähmung  der  Herzmusculatur  tödtlich  einwirkten.  Jedenfalls  gehört  Kobalt  nicht 
zu  den  sehr  giftigen  Metallen,  wenn  es  arsenfrei  ist. 

Kobaltverbindungen. 

Kohaltsilioat  (Kali -Kobaltoxydul -Silicat  CoO,  2Si03  +  KO,  2SiO,  nach 
Ludwig)  ist  in  industrieller  Beziehung  die  wichtigste  Verbindung,  heisst 
Smalte  und  wird  durch  Zusammenschmelzen  von  Kobaltoxyd  mit  farblosem  Glase 
dargestellt.  Sie  wird  zum  Bläuen  von  Papier  und  namentlich  bei  der  Glas-  und 
Porcellaumalerei  benutzt.  Kobalterze,  namentlich  Glanzkobalt  und  Speis- 
kobalt, sind  schon  im  16.  Jahrhuudert  zum  Blaufarben  der  Glasmasse  benutzt 
worden.  Zuverlässig  hat  sich  um  die  Jahre  1550 — 1560  Christian  Schürer, 
ein  böhmischer  Glasmacher,  hiermit  beschäftigt;  er  brachte  wenigstens  zuerst  ein 
blaugefärbtes  Glas  in  den  Handel.  Aus  Sachsen  ging  dieser  Industriezweig  nach 
Holland,  dann  nach  Zafra,  einem  Orte  der  spanischen  Provinz  Estremadura. 

Der  Name  Zaffer,  Kobalt-Zaffer,  welcher  kieselsaure  Kobaltoxydul -Verbin- 
dungen bezeichnete,  mag  daher  rühren:  später  benannte  man  so  das  Rohmaterial 
zum  Bläuen,  nämlich  das  geröstete  und  mit  Sand  gemischte  Kobalterz.  Der  Name 
Saflor,  Kobaltsaflor  ist  lrrthümlich  aus  Zaffer  entstanden. 

Die  Darstellung  der  Smalte   geschieht   auf  den   sogen.  Blaufarbwerken.     Die 

ten  Kobalterze,  welche  hauptsächlich  aus  Kobaltoxyd,  Kobaltoxydul,  Arsen  und 
Nickel  besteben,  werden  gepocht  und  gesiebt  und  heissen  dann  Zaffer;  sie  werden  mit 
Sand  und  Puttasche  gemischt  und  zusammengeschmolzen.  Die  Blaufarböfen  sind  den 
gewöhnlichen  Glasöfen  ganz  gleich,  indem  rund  um  das  Feuer  die  Hafen  auf  einer 
Herdbank  stehen:  die  Feuerung  geschieht  durch  Holz.  Während  des  Schmelzens  ent- 
weicht ausser  der  Kohlensäure,  die  sich  aus  der  frittenden  Masse  entbindet,  eine  Menge 
arsenikalischer  Dämpfe  und  schweflige  Säure. 

Das  Kobalt  verbindet  sich  mit  dem  Glasfluss  und  stellt  die  Smalte  dar,  während 
die  übrigen  fremden  Metalle,  namentlich  Nickel  und  Eisen,  unoxydirt  bleiben  und  in 
den  Hafen  zusammenschmelzen.  Diese  geschmolzene  Metallmasse  wird  durch  die 
Speisgasse  abgelassen:  sie  stellt  die  sogen.  Kobalt-  oder  Nickelspeise  dar,  welche 
von  weiss-röthlicher,  metallglänzender  Farbe  ist,  49— 52g  Nickel  enthalten  kann  und 
daher  hauptsächlich  zur  Gewinnung  des  Nickels  benutzt  wird  (s.  Nickelindustrie). 

Das  Sortiren  des  blauen  Glasflusses  geschieht  durch  Pulverisiren,  Schlämmen 
und  den  Gebrauch  verschiedener  Siebapparate.  Die  Schmelze  wird  nämlich  sofort  ab- 
gelöscht, wodurch  das  erhaltene  Glas  mürbe  wird  und  zerfällt.  Je  feiner  das  Pulver 
ist,  desto  heller  ist  die  Farbe.    Die  gröbsten  Theile  wurden  früher  als  Streusand  benutzt. 

Seit  der  Darstellung  des  künstlichen  Ultrarnarins  werden  die  Blaufarbwerke  mehr 
zur  Gewinnung  des  Nickels  als  der  Smalte  benutzt;  nur  Holland  ist  das  einzige 
Land,  in  welchem  die  Smalte  noch  viel  Verwendung  findet. 

In  sanitärer  Beziehung  ist  zu  bemerken,  dass  das  Pulverisiren  des 
gerösteten  Erzes  sehr  leicht  einen  gefährlichen  Staub  veranlassen  kann,  welcher 
auch  beim  Vermischen  der   betreffenden  Ingredienzen  entsteht.    Die  Augenlieder 


Kobaltfarben.  781 

werden  hierbei  am  meisten  afficirt  und  würden  sich  die  Arbeiter  am  besten  durch 
Masken  von  FJorseide  schützen,  wenn  keine  geschlossenen  Siebapparate  zur  Ver- 
fügung stehen;  letztere  sollten  aber  nie  fehlen,  da  sie  auch  beim  schliesslichen 
Sieben  des  Röstgutes  erforderlich  sind. 

Beim  Schmelzen  resp.  Fritten  und  Schmelzen  der  Mischung  ziehen  die 
arsenikalischen  Dämpfe  und  schweflige  Säure  mit  den  Feuergasen  ab 
und  es  ist  höchst  schwierig,  hierbei  eine  Condensation  derselben  zu  bewirken. 
In  den  meisten  Fällen  scheut  man  auch  die  hieraus  erwachsenden  Kosten,  so 
dass  sich  die  schädlichen  Dämpfe  in  der  nächsten  Umgegend  verbreiten  und  die 
Vegetation  im  Umkreise  von  mehreren  Stunden  vernichten.  Aus  diesem  Grunde 
sind  aber  auch  Blaufarbwerke  nur  in  sterilen  Gegenden  anzulegen  und  durchaus 
nicht  in  der  Nähe  von  bewohnten  Ortschaften  zu  dulden. 

Das  Ablöschen  des  Kobaltgutes,  d.  h.  der  Smalte,  das  Vermählen 
derselben  unter  Wasser,  sowie  schliesslich  das  Schlämmen  der  gemahlenen 
Smalte  erzeugen  bisweilen  arsenikalische  Abfallwässer,  deren  Ab fiuss  dann 
in  vorschriftsmässiger  Weise  (s.  S.  779)  zu  regeln  ist.  Dies  ist  aber  nur  dann 
erforderlich,  wenn  die  Smalte  speishaltig  ist,  was  jedoch  nicht  im  Interesse  der 
Fabricanten  liegt  und  daher  nur  selten  vorkommt. 

Die  Kobalt-  oder  Nickelspeise  entwickelt  beim  Ablassen  stets  giftige 
Dämpfe  von  arseniger  Säure  und  Arsen;  diese  Procedur  muss  deshalb  stets  unter 
einem  gut  ziehenden  Rauchfange  stattfinden. 

Kobaltfarben. 

Roseokobaltchlorid.  Für  die  Darstellung  von  Zinkgrün,  Rinmann's  Grün  benutzt 
man  jetzt  eine  andere  Methode,  indem  man  dazu  Roseokobaltchlorid  verwendet. 
Die  braune  Lösung  von  Kobaltchlorür  in  Ammoniak  wird  an  der  Luft  allmählig 
roth;  kocht  man  sie  mit  überschüssiger  Salzsäure,  so  scheidet  sich  ein  rothes  Pulver, 
Parpurkobaltclllorid  CoCl3.5NH3,  aus.  Setzt  man  zu  der  genannten  Lösung  kalte 
Salzsäure,  so  wird  ein  ziegelr othes  Pulver  gefällt,  das  Roseokobaltchlorid  oder  Chlor- 
roseokobaltiak  C0CI3. 5NH3  +  H20  heisst;  wird  dieses  Pulver  mit  Zinkweiss  ver- 
mischt und  bei  schwacher  Rothgluth  erhitzt,  so  lange  noch  Chlorzinkdämpfe  entweichen, 
so  erhält  man  ein  sehr  gut  deckendes  Grün. 

Kobaltoxyd.  Die  Benutzung  des  Kobaltoxyds  Co203  zur  Sauerstoffentwicklung 
s.  S.  71.  Wird  Kobaltoxyd  mit  Zinkweiss  erhitzt,  so  erhält  man  den  grünen 
Zinnober.  Für  sich  allein  wird  es  wie  Kobaltoxydul  in  der  Porcellan-  und  Glasmalerei 
benutzt.  Ein  schönes  Violett  für  Papier-  und  Zeugdruck  wird  durch  Glühen  des  sal- 
petersauren Kobaltoxyduls  erhalten.  Kobaltgelb  erhält  man  durch  Vermischen  einer 
Kobaltoxydullösung  mit  Kaliumnitrit. 

Kobaltultramarin,  Tkenard's  Blau,  ist  ein  Kobaltoxydul-Aluminat,  welches 
dargestellt  wird,  indem  man  eine  Lösung  von  Alaun  und  einem  Kobaltoxydulsalze  mit 
Natriumphosphat  oder  Natriumcarbonat  fällt,  das  Präcipitat  auswäscht,  trocknet  und 
glüht.  Die  Farbe  ist  zwar  luft-  und  feuerbeständig,  erscheint  aber  beim  Lampenlicht 
schmutzig -violett.  Letztere  Eigenschaft  besitzt  nicht  das  zinnsaure  KobaltO^y»  nl 
Sn03.CoO,  welches,  mit  Zinnsäure  und  Gips  gemengt,  das  sogenannte  Coeruleuin 
darstellt. 

Kobaltchlorür  CoCk,  welches  man  durch  Auflösen  von  Kobalt oxydul  CoO 
in  Salzsäure  erhält,  dienten  Auflösung  als  sympathetische  Dinte.  Schreibt  man 
nämlich  damit  auf  Papier,  so  schwindet  die  Schrift  zu  einer  hellrosarothen  Farbe,  er- 
wärmt man  aber  das  Papier  auf  120  -150°,  so  wird  die  Schrift  lebhaft  blau. 


782  Thallium. 


Thallium,  Tl. 

Thallium  kommt  nicht  frei  in  der  Natur,  sondern  hauptsächlich  in  Begleitung 
von  Schwefel-  und  Kupferkies  vor:  Crookea  entdeckte  es  zuerst  (1861)  im  Bleikammer- 
sehlamm  einer  Schwefelsäurefabrik  am  Harze.  Es  ist  namentlich  der  Schlamm  der 
Schwefelsäurefabriken,  welche  thalliunihaltige  Pyrite  [Eisenkies]  bearbeiten,  aus  welchem 
es  auch  jetzt  noch  häufig  dargestellt  wird. 

Das  Metall  ist  zinnweiss,  weich  und  überhaupt  dem  Blei  ähnlich;  es  schmilzt  bei 
285°  und  destillirt  in  der  Weissgluth:  an  der  Luft  oxydirt  es  sich  bald;  die  Oxydschicht 
ist  im  Wasser  leicht  löslich.  Alle  seine  Verbindungen  färben  die  Flamme  intensiv 
grün  und  wirken  auf  den  thierischen  Organismus  höchst  giftig  ein  und  zwar  wegen 
ihrer  Leichtlöslichkeit  noch  bedeutender  als  die  betreffenden  Bleisalze. 

Die  Verbindungen  des  Thalliums  sind  mit  denen  des  Bleies  in  chemischer  und 
physiologischer  Beziehung  sehr  ähnlich:  im  Allgemeinen  werden  sie  aber  noch  für 
giftiger  gehalten,  wie  sich  auch  aus  Versuchen  an  Thieren  ergeben  hat,  die  unter  Zittern 
und  Lähnnrngserscheinungen  zu  Grunde  gehen.  Ein  kleiner  Hund  wird  durch  i  Grm. 
Thalliumcarbonat  binnen  wenigen  Stunden  getödtet.1)  Der  Chemiker  Sti eckt r  hat  in 
Folge  jahrelanger  Beschäftigung  mit  Thallium  seine  Gesundheit  ganz  zerrüttet  und 
wahrscheinlich  seinen  frühen  Tod  herbeigeführt. 

Technische  Verwendung  hat  das  Thallium  bis  jetzt  fast  nur  in  der  Glasfabrication 
gefunden:  das  Thalliumglas  zeichnet  sich  durch  das  grösste  specifische  Gewicht  aus.2) 

Ein  prachtvolles  Grünfeuer  bildet  sich  aus  einer  Mischung  von  chlorsaurem 
Thallium,  Calorael  und  Harz.  Die  Dämpfe,  welche  hierbei  entstehen,  sind  aber  sehr 
gefährlich  und  gestatten  die  allgemeine  Anwendung  dieses  Feuersatzes  nicht. 

Mit  Thalliumoxydul  getränktes  Papier  ist  ein  sehr  empfindliches  Reagens 
auf  Ozon,   wie   Schönbein  gefunden  hat. 


Gold,  Aur. 

Gold  kommt  meist  gediegen  vor  und  findet  sich  im  Sande  fast  aller  grössern 
Flüsse.     Es  wird  nur  von  Königswasser  zu  Goldchlorid  gelöst. 

(iewinnung  von  Gold.  Beim  goldführenden  Sande  bedarf  es  nur  eines 
Schlämmens  mittels  besonders  construirter  Apparate,  um  das  Gold  zu  gewinnen.  Der 
goldführende  Quarz  wird  geglüht,  durch  Wasser  abgeschreckt  und  dann  wie  der 
Goldsand  behandelt. 

Der  goldhaltige  Schlämmschlich  ist  nicht  frei  von  Eisenverbindungen  und 
wird  deshalb  in  den  sogen.  Quick-  oder  Goldmühlen  mit  Quecksilber  behandelt.  Das 
hierdurch  entstandene  Goldquecksilber  (Amalgam)  wird  durch  Auspressen  in 
ledernen  Beuteln  vom  überschüssigen  Quecksilber  befreit  und  in  Glockenöfen  geglüht, 
um  das  Gold  als  sogen.  Tellergold  zu  gewinnen. 

Die  A  malgamation,  die  auch  bei  goldreichen  Erzen  im  Gebrauche  ist,  erfordert 
stets  eine  grosse  Aufmerksamkeit,  um  Mercurialaffectionen  zu  verhüten. 

Die  Flintränkungsarbeit  wird  bei  goldhaltigen  Schwefelmetallen  nothwendig 
und  besteht  in  Rösten  und  Schmelzen,  um  das  Gold  zu  concentriren;  dann  wird  es  mit 
Bleiglätte  zusammengeschmolzen,  während  das  Blei  auf  dem  Treibherde  oder  in  Muffeln 
wieder  abgetrieben  wird.  Man  hat  hier  auf  eine  sorgfältige  Ableitung  der  auftretenden 
Bleidämpfe  zu  achten,  um  die  hier  oft  vorkommenden  Bleivergiftungen  zu  verhüten. 

Die  Ext r actio n  mit  Chlor w asser  geschieht  bei  sehr  goldarmen  Erzen, 
namentlich  bei  Arsenikabbränden.  Das  entstandene  Goldchlorid  AuCl3  wird  mit 
Schwefelwasserstoff  behandelt,  um  das  Gold  niederzuschlagen. 

Im  Deutschen  Reiche  wurde  im  Jahre  1870  eine  Menge  von  411  Pfund  Gold 
gewonnen  und  zwar  meist  als  Nebenproduct   der  Blei-,  Silber-    und  Kupferhütten.     Die 


Goldindustrie.  783 

Bleientsilberung  durch  Zink  gestattet  jetzt  mehr  als  sonst  die  Gewinnung  von  Gold  auf 
Bleihütten. 

Goldscheidnng.  Da  das  Gold  stets  Silber  enthält,  so  wendet  man  zur  Trennung 
des  Silbers  vorzugsweise  zwei  Methoden  an:  1)  Die  Affinirung  besteht  in  der  Be- 
handlung des  Metallkorns  mit  concentrirter  Schwefelsäure,  welche  das  Silber 
unter  Entwicklung  von  schwefliger  Säure  auflöst;  letztere  tritt  so  reichlich  auf,  dass 
sie  verwerthet  oder  jedenfalls  unschädlich  gemacht  werden  muss.  Das  präcipitirte 
Gold  wird  ausgewaschen  und  unter  einer  Borasdecke  eingeschmolzen,  das  erhaltene 
Silbersulfat  mit  Kochsalz  gefällt  und  das  präcipitirte  Chlorsilber  mit  Soda  in 
Graphit  reducirt. 

21  Das  Scheiden  durch  die  Quart  oder  die  Quartation.  Diese  Bezeich- 
nung rührt  von  der  frühern  Annahme  her,  dass  Silber  dreimal  mehr  als  Gold  vorhanden 
sein  müsse,  wenn  die  Scheidung  auf  nassem  "Wege  zu  Stande  komme.  Gegenwärtig 
schmilzt  man  den  Regulus  mit  so  viel  Silber  zusammen,  dass  das  Gold  nur  %  der 
Legirung  beträgt.  Man  walzt  letztere  aus  und  behandelt  sie  mit  chlorfreier  Sal- 
petersäure, wobei  viel  salpetrige  Säure  auftritt,  die  abgeleitet  werden  muss.  Das 
in  Streifenform  zurückbleibende  Gold  wird  noch  mit  Borax  eingeschmolzen. 

Goldindustrie. 

Legirungen  des  Goldes.  Das  Gold  geht  fast  mit  allen  Metallen,  Eisen  aus- 
genommen, Legirungen  ein.  Um  ihm  eine  grössere  Härte  zugeben,  wird  es  mit  Kupfer 
und  Silber  legirt,  wobei  keine  nachtheiligen  Einflüsse  auf  die  Gesundheit  der  Arbeiter 
stattfinden.  Um  den  Gehalt  einer  Goldlegirung  zu  bezeichnen,  gebraucht  man  das  Wort 
karätig;'  man  theilt  ein  halbes  Pfund  oder  eine  Mark  in  24  Karate  und  den  Karat  in 
12  Grän  ein;  unter  14karätigem  Gold  ist  eine  Legirung  von  14  Th.  Gold  und  10  Th. 
Kupfer  zu  verstehen. 

Das  Probiren  des  Goldes,  d.  h.  die  Bestimmung  des  Goldes,  geschieht  durch 
Kupellation,  indem  man  dem  goldhaltigen  Korn  je  nach  seiner  Farbe  ein  bestimmtes 
Gewicht  an  Silber  und  ungefähr  die  lOfache  Menge  an  Blei  zusetzt  und  das  Ganze 
zusammenschmilzt.  Nach  dem  Abtreiben  wird  das  silberhaltige  Korn  ausgeplattet  und 
mit  Salpetersäure  degerirt.  Das  Gold,  welches  zurückbleibt,  wäscht  man  ab,  trocknet, 
glüht  und  wägt  es. 

In  sanitärer  Beziehung  sind  hier  die  Bleidämpfe  sehr  zu  beachten,  da  sie 
leicht  Bleiaff ectionen  bei  Goldarbeitern  bedingen. 

Das  Färben  des  Goldes  besteht  darin,  dass  man  die  aus  kupferlegirtem_  Golde 
angefertigten  Waaren,  um  ihnen  ein  schöneres  Ansehen  zu  geben,  glüht  und  in  eine 
Beize  von  verdünnter  Salpetersäure  bringt,  welche  das  Kupfer  von  der  Oberfläche 
auflöst  und  reines  Gold  blosslegt.  Dann  folgt  das  Abkochen  im  Absud  oder  in  der 
Goldfarbe,  einer  Mischung  von  Kochsalz,  Salpeter  und  Salzsäure;  das  hierbei  sich 
bildende  freie  Chlor  löst  zwar  etwas  Gold  auf,  dasselbe  schlägt  sich  aber  als  sehr  feine 
Schicht  auf  der  Oberfläche  wieder  nieder. 

Die  Goldschlägerei  bringt  das  Gold  auf  mechanische  Weise  durch  blosses 
Hämmern  zur  grossen  Vertheilung.  Man  behandelt  auf  dieselbe  Weise  die  Blätter  von 
Bronze,  Silber,  Platin  und  Aluminium  (s.  S.  717)  und  schlägt  sie  zwischen  Pergament 
oder  bei  grösserer  Feinheit  zwischen  dem  Epithelium  des  Blinddarms  des  Ochsen  (Gold- 
schlägerhäutchen).  Gesammelt  werden  sie  in  Form  von  Büchelchen  zwischen  mit  Bolus 
geglättetem  Papier.1) 

Der  Abfall  heisst  Gekrätz,  Krätze,  Schawine;  wird  letztere  eingeschmolzen 
(s.  S.  253),  so  benutzt  man  sie  auch  als  Goldbronze  (Maler-,  Muschelgold).  Statt 
des  Einschmelzens  kann  man  auch  die  Extraction  mit  Chlorwasser  anwenden  (s.  S.  782). 

Das  Blattgold  benutzt  man  wie  die  Bronze  zum  Vergolden  von  Holz,  Stein, 
Eisen  u.  s.  w„  wobei  in  sanitärer  Beziehung  zu  beachten  ist,  ob  man  zum  Grundiren 
Bleiweiss  und  Firniss,  oder  Leim  und  Kreide  benutzt. 

Die  Vergoldung  auf  chemischem  Wege  findet  in  derselben  Weise  wie  das 
Versilbern  (s.  S.  682)  statt.  Auch  hier  ist  bei  Legirungen  von  Kupfer,  bei  .Neu- 
silber u.  s.w.  die  Reinheit  der  metallischen  Oberfläche  die  erste  Bedingung:  erst  nach 
der  Beize  folgt  die  Application  des  Goldamalgams.  Bei  der  Abtreibung  des  Queck- 
silbers ist  der  Condensation  der  metallischen  Dämpfe  die  erforderliche  Aulmerksamkeit 
zu  widmen:  beim  Mangel  derselben  tritt  bekanntlich  bei  Vergoldern  naung  Zittern 
der  Glieder  als  Folge  der  Quecksilber -Vergiftung  ein. 

Für  Malerei  auf  Glas  und  Porcellan  wird  Gold  in  Königswasser  gelöst;  die 
Lösung  verdünnt  man  mit  vielem  Wasser,  trennt  zuerst  das  ausgeschiedene  Silber  clurcn 
Filtration  und  präcipitirt  das  Gold  durch  salpetersaures  Quecksilberoxydul,  wobei  sicü 


784  Platin. 

Quecksilberchlorid  bildet,  das  in  der  Lösung  bleibt.  Letztere  ist  deshalb  mit  Vor- 
sicht zu  behandeln  und  durch  Zink  zu  Gute  zu  machen,  um  das  Quecksilber 
metallisch  auszuscheiden.  Der  braungelbe  Niederschlag  von  Gold  wird  abgewaschen 
und  mit  Wismut  ho  xyd  und  Rosmarinöl  auf  Glasplatten  abgerieben.  Die  Arbeits- 
räume  sind  gewöhnlich  mit  den  ätherischen  Dämpfen  erfüllt  und  erfordern  daher  eine 
kräftige  Lüftung. 

Nach  dem  Auftragen  und  Trocknen  des  Goldniederschlags  erfolgt  das  Ein- 
brennen in  Muffeln  und  das  Poliren  mit  dem  Polirachat. 

Die  Vergoldung  von  Gläsern  auf  nassem  Wege  beruht  auf  der  Reduction  des 
Goldes  mittels  Traubenzuckers.  Zur  Darstellung  von  Spiegeln  ist  jedoch  dieses  Ver- 
fahren nicht  zu  empfehlen,  da  das  Licht  roth  reflectirt  wird. 

Goldpurpnr  ist  ein  durch  Zersetzung  von  Goldchloridlösung  mit  Zinn- 
chlorürlösung  entstandener  purpurfarbiger  Niederschlag,  der  ebenfalls  in  der  Glas- 
und  Porcellanmalerei  verwendet  wird  und  früher  Purpur  des  Cassius  genannt  wurde. 

Fixirsalz  für  photographische  Zwecke  entsteht  durch  Zusatz  von  Natriumhypo- 
sulfit zu  einer  verdünnten  Goldchloridlösung  und  ist  demnach  unterschwefligsaures 
Goldoxydul-Natrium  3Na2S203  +  Au2S203  +  4H30.2) 


Platin,  Pt. 

Platin  kommt  stets  in  Verbindung  mit  Palladium,  Iridium,  Rhodium, 
Osmium  und  Ruthenium  vor,  die  deshalb  auch  Platinmetalle  genannt  werden. 

Die  Gewinnung  des  Metalls  aus  den  Erzen  erfolgt  vorzugsweise  auf  nassem 
Wege,  indem  diese  in  Königswasser  gelöst  werden;  die  Lösung  wird  eingedampft  und 
mit  einer  Lösung  von  Salmiak  versetzt.  Es  bildet  sich  eine  unlösliche  Doppelverbin- 
dung: Platinchlorid-Ammoniumchlorid  PtCL,  -f-  2NH4C1,  welche  durch  Glühen 
zu  metallischem  Platin  reducirt  wird.  In  neuerer  Zeit  schmilzt  man  auch  die  Erze  in 
kleinen  Oefen  aus  gebranntem  Kalk  mittels  des  Knallgasgebläses. 

Platin  ist  nur  in  Königswasser  löslich  und  deshalb  zur  Anfertigung  von  Ab- 
rauchschalen  für  Schwefelsäure  -  Fabriken  sehr  geeignet.  In  grossartigem  Massstabe 
wird  Platin  fast  nur  in  London  und  Paris  verarbeitet. 

Eine  vielseitige  Verwendung  findet  Platin  jetzt  zur  Verplatinirung  von 
Metallen,  Porcellan,  Glas  u.  s.  w.  In  der  Porcellanmalerei  dient  es  namentlich 
als  Scharffeuerfarbe  und  zur  Darstellung  der  Lüsterfarben,  mit  denen  man 
Porcellan,  Fayence  und  feines  Steinzeug  verziert. 

Die  Leichtigkeit,  mit  welcher  Platin  auf  Glas  übertragen  werden  kann,  lässt  noch 
auf  eine  mannigfache  Benutzung  dieses  Metalls  für  technische  Zwecke  hoffen.  Platin- 
spiegel  sollen  sogar  die  Metallspiegel  ersetzen ;  man  braucht  hierzu  nur  mit  Lavendelöl 
zusammengeriebenes  Platin chlorid  mit  dem  Pinsel  auf  das  Spiegelglas  aufzutragen, 
den  Ueberzug  zu  trocknen  und  in  einer  Muffel  einzubrennen. 

Legirungen  von  Platin  mit  Stahl,  Silber  und  Kupfer  sind  schon  für  die 
Technik  benutzt  worden.  Eine  Legirung  von  Platin  und  Iridium  zeichnet  sich 
namentlich  durch  Härte  und  Unlöslichkeit,  eine  solche  von  Platin  und  Kupfer  durch 
grosse  Aehnlichkeit  mit  Gold  aus. 

Platinschwarz  oder  Platinmohr  ist  ein  aus  den  Lösungen  von  Platinchlorid 
gefälltes,  Platinsehwamni  durch  Glühen  des  Platinsalmiaks  PtCl4  +  2NH4C1  erhal- 
tenes Platin  von  grosser  Feinheit  und  Zertheilung. 

Nach  Gmelin1)  riefen  10  Gran  Platin salmiak,  in  1  Unze  Wasser  suspendirt  in 
den  Magen  eines  Kaninchens  gespritzt,  nach  8  Stunden  Diarrhoe  hervor;  am  andern 
Morgen  wurde  es  todt  gefunden.  Die  Section  ergab  Entzündung  des  Magens  und 
Darms.  —  Ein  Hund  mittlerer  Grösse  verfiel  nach  der  Ingestion  von  20  Gran  nur  in 
heftiges  Erbrechen,  erholte  sich  aber  am  andern  Tage  vollständig.  Nach  einer  subcutanen 
Application  von  12  Gran  zeigten  sich  keine  Symptome. 


Palladium.     Iridium.     Osmium.  7§5 


Palladium,  Pd. 

Palladium  hat  in  der  Industrie  nur  eine  sehr  beschränkte  Verwendung  Da  es 
nicht  von  Schwefelwasserstoff  geschwärzt  wird,  so  dient  es  zur  Darstellung  von  Scalen 
und  Kreiseintheilungen  bei  astronomischen  Instrumenten. 

Legirangen  von  Palladium,  Silber,  Gold  und  Kupfer  werden  als  Zapfen- 
lager in  Uhren  oder  auch  zum  Ersatz  des  Goldes  in  der  Zahntechnik  benutzt.  Das 
mit  Wasserstoff  beladene  Palladium  hält  bekanntlich  Graham  für  eine  Legirung  von 
Palladium  mit  metallischem  Wasserstoff  —  Hydrogenium. 

Palladiunichlorür  PdCl2,  das  beste  Reagens  auf  Kohlenoxyd,  bewirkt  nach  Gmelin 
nach  einer  Ingestion  von  10  Gran  bei  Hunden  Erbrechen  und  Durchfall;  Kaninchen 
sollen  in  Folge  von  Magenentzündung  zu  Grunde  gehen.1) 


Iridium,  Ir. 


Iridium  ist  fast  ausschliesslich  in  der  Porcellanmalerei  in  Gebrauch ;  es  liefert  eine 
schöne  schwarze  und  graue  Farbe. 

Nach  Gmelin  sind  die  schwer  löslichen  Iridiumsalze  unwirksam,  die  leicht  lös- 
lichen wirken  ähnlich  wie  die  Palladiumverbindungen.1) 


Osmium,  Os. 

Osmium  kommt  meist  schon  mit  Iridium  legirt  in  der  Natur  vor  oder  wird  aus 
den  goldhaltigen  Osmium-Iridium-Erzen  dargestellt.  Die  Legirung  zeichnet  sich  dadurch 
aus,  dass  sie  nicht  magnetisch,  nicht  oxydirbar  und  unbiegsam  ist;  man  hat  sie  daher 
zur  Darstellung  der  Zapfen,  auf  denen  die  Nadeln  der  Schiffscompasse  ruhen,  empfohlen. 

Osmiumverbindungen. 

Osmiumoxyd  Os02  und  Osmiumsesuuioxyd  Os203  werden  dadurch  dargestellt, 
dass  man  die  entsprechenden  Chlorverbindungen  (Osmiumchlorür  OsCl2  und 
Osmium chlorid  OsCl3)  mit  Kalilauge  versetzt;  es  schlagen  sich  dann  die  Oxyde  als 
schwarze  Pulver  nieder. 

Gmelin  fand,  dass  die  Osmiumoxydlösung  bei  Hunden  starkes  Erbrechen  hervor- 
rief; er  ist  jedoch  der  Ansicht,  dass  das  Osmiumoxyd  vom  Magen  aus  nicht  in  sehr  hohem 
Grade  giftig  sei,  weil  mit  den  flüssigen  Excrementen  schwarze  Flocken  abgingen,  die 
reducirtes  Osmium  zu  sein  schienen.  Bekannt  sei  es,  dass  Osmiumoxyd  durch 
thierische  Substanzen  reducirt  werde;  dies  reducirte  Osmium  könne  dann  die  ganze 
innere  Fläche  des  Tractus  intest,  überziehen  und  hauptsächlich  hierdurch  die  Ernährung 
stören. 

Bei  einem  kräftigen  Hunde  wurden  Morgens  15  Drachmen  Osmiumoxydlosung 
(=  1,325  Gran  metallisches  Osmium)  in  die  Vena  jugularis  injicirt;  nach  mehrmaligem 
Erbrechen  erfolgte  der  Tod  unter  leichten  Convulsionen  1  Stunde  hernach.  Bei  der 
Section  fanden  sich  die  Lungen  stark  aufgetrieben,  blass,  mit  rothen  Flecken  besetzt; 
die  Bronchialverzweigungen  und  die  ganze  Luftröhre  waren  mit  einem  dicken ,  schnee- 
weissen  Schleim  erfüllt,  der  die  Consistenz  von  Seifenschaum  hatte.  Das  Herz  zog 
sich  auf  Reize  nur  schwach  zusammen.1) 

Weit  entschiedener  hat  sich  die  giftige  Wirkung  der  Osmiumsäure  heraus- 
gestellt. 

Eulenberg,  Gewerbe-Hygiene.  00 


786  Molybdän. 

Osmiumsänre  H20s04  ist  in  freiem  Zustande  nicht  bekannt;  von  den  Salzen 
kommt  das  osminmsanre  Kalinill  K20s04-f- 2H20  am  häufigsten  vor  und  kann  wie  die 
Osmiumoxydlösung  in  der  Mikroskopie  zur  Schwärzung  der  anatomischen  Präparate 
benutzt  werden. 

Die  Osmiumsäure  besitzt  giftige  Eigenschaften;  schon  Vauquelin,  Ber- 
zelins  und  Wähler  heben  ihre  irritirende  Wirkung  auf  die  Respirationsorgane,  Augen 
und  die  Haut  hervor,  womit  alle  Chemiker  übereinstimmen,  die  sich  mit  ihrer  Dar- 
stellung beschäftigten.  Auch  Fremy,  der  Entdecker  der  Osmiumsäure,  spricht  von  ihren 
giftigen  Eigenschaften.  Sie  hat  einen  unangenehmen,  an  Chlor  und  Jod  erinnernden 
Geruch,  einen  stechenden  Geschmack  und  ist  namentlich  sehr  flüchtig:  wegen  letzterer 
Eigenschaft  erfordert  sie  die  grösstc  Vorsicht  bei  den  Manipulationen  mit  derselben. 
Ein  von  Raymond2)  mitgetheilter  Unglücksfall,  der  sich  im  Laboratorium  von  DevUle 
ereignet  hat,  wird  als  Beweis  hierfür  angeführt;  dabei  kam  während  der  chemischen 
Operationen  Schwefelammonium  als  Gegenmittel  zur  Anwendung.  Bei  dem  bis  dahin 
gesund  gewesenen  30jährigen  Manne  konnte  eine  schleichende  Pneumonie  mit  Tendenz 
zu  Gangrän  nachgewiesen  werden:  die  ganze  linke  Lunge  war  in  eine  verdichtete 
Masse  verwandelt,  die  an  einzelnen  Stellen  zur  Cavernenbüdung  neigte.  Die  Nieren 
befanden  sich  im  zweiten  Stadium  der  Bright'schen  Krankheit,  während  sich  an  der 
grossen  Magencurvatur  Blut-Austretungen  von  Handgrösse  zeigten.  Personne  vermochte 
aber  die  Osmiumsäure  nirgends  mehr  chemisch  nachzuweisen. 

Der  Verstorbene  hatte  sich  bei  der  Darstellung  des  Normalmetermasses  seit  dem 
December  1873  viel  mit  Osmium  beschäftigt,  welches  er  mit  salpetersaurem  Barium  in 
osmiumsaures  Barium  überführte,  während  letzteres  mit  Salpetersäure  behandelt  wurde. 
Zuerst  zeigten  sich  Augenschmerzen  ohne  Störung  der  Sehkraft,  unruhiger,  ängst- 
licher Schlaf  und  im  Februar  1874  ein  röthlicher  Hautausschlag  an  den  Händen  und 
im  Gesicht;  hierauf  folgten  heftige  Kopfschmerzen,  Verdauungsbeschwerden,  Koliken, 
Diarrhoe  mit  blutigen  Entleerungen.  Vor  seinem  Eintritt  in  das  Hospital,  am  15.  April  1874, 
traten  Brechneigung  ohne  Erbrechen  und  Husten  ein,  zu  dem  sich  Schüttelfrost  und 
Atembeschwerden  gesellten.  Bei  seiner  Aufnahme  hatte  er  eine  Temperatur  von  40,6° 
und  bot  die  Erscheinungen  einer  Bronchitis  und  linksseitigen  Pneumonie  dar,  welches 
durch  die  Section  bestätigt  wurde.  Die  Hände  und  der  Vorderarm  bedeckten  sich  mit 
einem  papulösen  Exanthem,  die  Papeln  erschienen  von  verschiedener  Grösse,  von  röth- 
lich-brauner  Farbe  und  hatten  eine  Abschuppung  der  Epidermis  zur  Folge.  Die 
Temperatur  blieb  auf  40°  und  im  Urin  liess  sich  deutlich  Eiweissgehalt  nachweisen; 
20  Tage  nach  der  Aufnahme  in's  Hospital  trat  der  Tod  ein. 

Inwieweit  in  diesem  Falle  das  Antidot  und  vielleicht  die  Dämpfe  der  Sal- 
petersäure oder  auch  die  K rankheit s- Anlage  mit  eingewirkt  haben,  lässt  sich 
natürlich  nicht  mehr  ermessen. 

Ueberosmiumsäureanhyurid  Os04  entsteht  beim  Erhitzen  von  Osmium  im  Sauer- 
stoffstrom und  krystallisirt  in  langen  farblosen  Prismen.  Diese  Säure  hat  ebenfalls  einen 
stechenden  und  durchdringenden  Geruch,  der  an  Chlor  Schwefel  erinnert;  ihre 
Dämpfe  reizen  ebenfalls  im  höchsten  Grade. 


Molybdän,  Mo. 

Molybdän  kommt  in  der  Natur  als  Molybdänglanz  (MoS2)  und  Gelbbleierz 
(Bleimolybdat  PbMo04)  vor. 

Molybdänwassei'Stoff  Mo  IL  entsteht  durch  Einwirkung  von  verdünnter  Salzsäure 
auf  Molybdänkalium  und  ist  ein  farbloses,  geruch-  und  geschmackloses  Gas;  es  übt 
keine  giftige  Wirkung  auf  den  Thier-Organismus  aus.1) 

Molybdänsälire  H2Mo04  wurde  einer  Taube  in  einer  Menge  von  1  Grm.  ein- 
geflösst,  ohne  dass  auffällige  Erscheinungen  eintraten. 

Gmelin  fand,  dass  30  Gran  molybdänsaures  Ammonium  bei  einem  starken 
Kaninchen  erst  am  :;.  Tage  Convulsionen  erzengten,  auf  die  '4  Stunde  hernach  der  Tod 
eintrat.     Es  ist  fraglich,  ob  das  Präparat  auch  ganz  rein   war.-) 

In  der  Industrie,  namentlich  beim  Seiden-  und  Baumwoll-Zeugdruck,  finden  die 
Molybdänvei  bindungen  nur  eine  beschränkte  Anwendung. 

Das  Molybdänblan  besteht  aus  molybdänsaurem  Molybdänoxyd;  mit  Pikrinsäure 
kann  es  zum  Grün  färben  benutzt  werden. 


Wolfram.  737 


Wolfram,  W. 

Wolfram  findet  sich  in  der  Natur  als  Wolfram  (wolframsaures  Eisen),  als 
Scheelit  (wolfram  saures  Calcium)  und  Scheelbleierz  (wolframsaures  Blei).  Wolfram- 
erze finden  sich  in  Sachsen,  Böhmen,  im  Harz,  in  England,  Frankreich  und  Schweden. 

Das  Metall   geht  mit  Eisen   eine  harte  Legirung  ein;  der  Wolframstahl  enthält 

2  %  Wolfram  und  besitzt  einen  grossen  Vorzug  vor  dem  gewöhnlichen  Stahl.1) 

Wolframsänre  H,W04  stellt  ein  gelbes  Pulver  dar,  welches  durch  Zusatz  von  Sal- 
petersäure zur  heissen  Lösung  eines  wolframsauren  Salzes  erhalten  wird. 

Einwirkung  der  Wolframsäure  auf  den  tliicrischen  Organismus.  Nach  der  In- 
gestion von  0,9  Grm.  Wolframsäure  bemerkte  man  bei  einer  kräftigen  Taube  am  2.  Tage 
einen  Zustand  von  Betäubung,  der  sich  durch  schläfriges  Wesen  und  Schwanken  kund 
gab.  Dabei  zeigten  sich  Ausfluss  einer  trüben  Flüssigkeit  aus  dem  Schnabel,  wässrige 
Kothentleerung  und  unregelmässiger,  zeitweilig  vermehrter  Herzschlag.  Während  sich 
die  Respiration  verlangsamt,  sinkt  die  Körperwärme  um  1  Grad;  das  Thier  vermag  sich 
nicht  mehr  auf  den  Beinen  zu  halten.  Am  3.  Tage  zittert  der  ganze  Körper  unter 
schwachen  Zuckungen,  die  Pupille  erweitert  sich  und  reagirt  schwach-;  die  Taube 
bleibt  dann  in  der  Seitenlage  und  wird  am  Morgen  des  4.  Tages  in  der  Leichenstarre 
gefunden. 

Sectio n.  Das  Gehirn  und  seine  Häute  sind  nicht  blutreich,  ebenso  wenig  die 
Plex.  venös,  spinal.;  der  Kropf  enthält  nur  ein  paar  Wicken.  Die  Lungen  sind  blass 
und  nicht  blutreich,  dagegen  strotzt  das  ganze  Herz  von  flüssigem,  kirsch- 
rothem  Blute.  Die  Schleimhaut  des  Magens  ist  dunkelgrün,  die  des  Duodenums  und 
Leerdarms  mit  dunkelblauem  Schleim  bedeckt. 

Beim  Sectionsbefunde  fiel  am  meisten  das  von  Blut  strotzende  Herz  auf,  während 
unter  den  Krankheitserscheinungen  die  verminderte  Fresslust,  die  Verlangsamung  der 
Respiration  und  die  herabgesetzte  Körperwärme  hervorzuheben  sind. 

v.  Hasselt  und  Gmelln  beobachteten  bei  Hunden  nach  der  Ingestion  von  1  Dr. 
wolframsaurem  Ammonium  keine  Wirkung.  Bei  einem  Hunde  mittler  Grösse 
bewirkte  nach  Gmelin  eine  Gabe  von  40  Gran  wolframsaurem  Natrium  nur  ein 
einmaliges    Erbrechen;    ein    Kaninchen    starb    bei    40   Gran    desselben    Präparats    nach 

3  Stunden  unter  Convulsionen.  TJebrigens  konnten  Hunden  selbst  Gaben  von  10  Gran 
ohne  Nachtheil  in  das  Gefässsystem  eingespritzt  werden,  so  dass  man  berechtigt  ist, 
Wolfram  nicht  zu  den  sehr  giftigen  Metallen  zu  rechnen.2) 

In  der  Technik  gebraucht  man  die  Wolframbronze  (wolframsaures  Natrium 
mit  wolframsaurem  Wolframoxyd)  beim  Tapetendruck,  zum  Anstreichen  der  Metalle,  zur 
Darstellung  des  Glanzpapiers ;  das  Salz  hat  aber  nicht  denselben  Werth  wie  die  Metall- 
bronze-Farben. Ausserdem  gibt  es  ein  neues  Mineralgelb  (Wolframsäure),  ein 
braunes  Wolf  ramoxyd  (W  02),  ein  neues  Mineralblau  (wolframsaures  Wolfram- 
oxyd W205).  Wolframsaures  Chrom  und  wolframsaures  Kupfer  kommen  bei 
der  Fabrication  von  Anilinschwarz  zur  Verwendung;  ausserdem  liefert  die  Wolfram- 
säure mit  Nickel  und  Chrom  eine  grüne,  mit  Kobalt  eine  violette,  mit  Zinn 
eine  indigblaue  Farbe. 

Unter  den  Salzen  ist  das  wolframsänre  Ammonium  das  wichtigste;  man  stellt 
es  dar,  indem  man  Wolframsäure  in  Aetzammoniak  löst  und  abdampft,  wobei  das  Salz 
in  weissen,  glänzenden  Nadeln  anschiesst.  Man  wendet  die  Losung  dieses  Salzes  zum 
Durchtränken  von  weiblichen  Kleidungsstücken  an,  um  dieselben  schwer  entzündlich  zu 
machen;  übrigens  kann  man  dieses  Salz  vortheilhaft  durch  Ammoniumsulfat  und  Am- 
moniumphosphat ersetzen. 

Nach  Sacc  benutzt  man  das  wolframsaure  Barium  bei  Aquarell-  und  Oel- 
malerei  sowie  bei  der  Chromolithographie  anstatt  des  Bleiweisses  als  weisse  Deckfarbe 
mit  gutem  Erfolge. 

Wolframsaures  Natrium,  das  erste  Product  bei  der  Verarbeitung  der  Wolf  ramerze, 
dient  in  der  Färberei  statt  der  Zinnsalze  und  zur  Fabrication  von  Dinte.  Wolfram- 
säure verbindet  sich  mit  allen  Prote'inkörpern  zu  unlöslichen  Verbindungen,  die  sich  in 
alkalisch  reagirenden  Flüssigkeiten  lösen;  diese  Eigenschaft  ist  in  der  Technik  zur  Dar- 
stellung eines  künstlichen  Albumins  benutzt  worden.  Frisch  gefälltes  Wolframsäure- 
hydrat besitzt  eine  stark  entfärbende  Kraft. 

Setzt  man  nach  Sonnensckem  zu  Leim  Wolframsäure  oder  wolframsaures  Natrium 
und  dann  Salzsäure  hinzu,  so  bildet  sich  bei  30— 40°  eine  so  elastische  Verbindung  von 

50* 


788  UraD- 

Wolframsäure  und  Leim,  dass  sie  sich  zu  dünnen  Platten  ausziehen  lässt.    Das  Gerben 
mit  Natriumwolfrainiat  hat  sich  nicht  bewährt,  weil  das  Leder  zu  hart  wird. 

Durch  Behandlung  von  Natriumwolframiat  mit  Phosphorsäure  erhält  man  nach 
Scheibler  die  Natriumsalze  von  zwei  Pbosphorwolfranisänren:  die  Säuren  selbst  haben 
sich  als  ausgezeichnete  Reagentien  auf  orgauische  Basen  bewährt.3) 


Uran,  U. 

Uran  findet  sich  in  der  Natur  hauptsächlich  als  Uranpecherz  (Uranoxydoxydul 
U308=2U03  +  UO,).1) 

In  Betreff  der  Einwirkung  der  Uranverbindungen  auf  den  thierisehen  Orga- 
nismus ergab  sich,  dass  eine  Taube  nach  der  Ingestion  von  0,9  Grm.  UranoxydU203 
gar  kein  Unwohlsein  verrieth. 

Gmelin  hat  nach  15  Gran  salpetersaurem  Uran  *)  bei  einem  Hunde  gar  keine 
Störung  im  Befinden  desselben  beobachtet.  Nach  der  Ingestion  von  24  Gran  Uran- 
chlorid starb  ein  Kaninchen  52  Stunden  hernach  und  fanden  sich  im  Magen  Erschei- 
nungen einer  heftigen  Entzündung.2)  Leconte  will  die  Ausbildung  der  letztern  bei  kleinern 
Thieren  und  selbst  bei  grössern  Hunden  nach  Gaben  von  0,5—1  Grm.  beobachtet  haben. 
Wenn  aber  eine  Taube,  die  bekanntlich  zu  den  empfindlichsten  Thieren  gehört,  nach 
unsern  Beobachtungen  selbst  bei  0,9  Grm.  ganz  gesund  blieb,  so  dürfte  bei  den  hiermit 
nicht  im  Einklänge  stehenden  Versuchen  die  Reinheit  der  Präparate  zu  bezweifeln  sein. 
Bei  der  hüttenmännischen  Gewinnung  der  Uranverbindungen  aus  dem  Uran- 
pecherz treten  viele  schädliche  Gase  und  Dämpfe  auf,  namentlich  wenn  das  Erz  in 
Reverberir-  oder  gewöhnlichen  Calciniröfen  geröstet  wird.  Ausser  Wasser  und 
empvreumatischen  Stoffen  entweichen  arsenige,  schweflige  Säure,  Quecksilber-, 
Blei-  und  Antimonoxyddämpfe  neben  geringen  Mengen  von  Zink-,  Blei-  und 
Thalliumdämpfen:  es"  sind  daher  Condensation  svorrichtungen  hierbei  erfor- 
derlich. Nach  dem  Rösten  folgen  das  Pochen  und  die  Behandlung  mit  Königswasser, 
wobei  viel  Chlor  und  Untersalpetersäure  entweichen.  Zu  Joachimsthal  in 
Böhmen  glüht  man  die  Erze  nach  dem  Rösten  mit  Soda  und  Salpeter  und  laugt  sie 
mit  heissem  Wasser  und  Schwefelsäure  aus. 

Durch  Uebersättigung  mit  Soda  stellt  man  die  U  ranoxyd-Natronlö  sung  dar 
und  erhält  durch  deren  Behandlung  mit  Kalium-,  Natrium-  und  Ammoniumhydrat 
gelbe  Fällungen,  welche  im  Handel  nach  den  verschiedenen  Nüancirungen  verschiedene 
Namen  bekommen.  Zu  Joachimsthal  beschäftigt  man  sich  vorzugsweise  mit  der  Dar- 
stellung folgender  Präparate: 

Urailgelb  (Kaliumuranat  K2U207  -f-  3H20)  erhält  man,  wenn  die  mit  Kalium- 
carbonat  bereitete  Uranlösung  mit  Kaliumhydrat  gefällt  wird. 

Urangelb,  licht-  und  orangefarbig,  wird  aus  der  Sodalösung  mit  Schwefel- 
säure resp.  Natriumhydrat  gefällt:  glüht  man  den  Niederschlag,  so  erhält  man  die 
hochorangefarbige  Nüancirung. 

Uranoxvdhydrat  (Uranoxyd-Ammoniak)  wird  erhalten,  wenn  man  die  Uransalz- 
lösung mit  Salmiak  oder  Ammoniumsolfat  kocht.3 

Uranoxydul  ÜOa  stellt  man  durch  Glühen  des  Hydrats  bei  Luftabschluss  dar. 

Verwendung  finden  die  Uranpräparate  in  der  Glasfabrication  zum  Färben  des 
Glases,  in  der  Porcellanmalerei  und  Photographie. 


*)  Nach  der  modernen  Chemie  entsteht  durch  Auflösen  von  Uranoxyd  in  Salpeter- 
säure salpeter  sau  res  Uranyl  U02(N03)2  -+-  6H20. 


ScMussbetrachtung.  789 


Schlussbetrachtung. 


Nachdem  die  mannigfachen  Vorgänge  in  der  Industrie,  welche  die  Gesund- 
heit der  Arbeiter  zu  schädigen  vermögen,  im  Specielien  dargelegt  worden  sind, 
bleibt  noch  übrig,  einige  allgemeine,  das  Wohl  der  Arbeiter  betreffende  Gesichts- 
puncte  zu  beleuchten.  Es  gehören  hierher:  die  innere  Einrichtung  der 
Fabriken,  die  Arbeitsdauer,  die  Unterrichts-  udfi  Bildungsmittel,  die 
Wohnungs-Verhältnisse  und  die  Anstalten  zur  Fürsorge  für  erkrankte 
Arbeiter. 

Die  innere  Einrichtung  der  Fabriken.  Wenn  der  Grundsatz:  Sorge  für  eine 
reine  Luft,  an  der  Spitze  aller  sanitären  Bestrebungen  steht,  so  muss  auch  die 
innere  Einrichtung  der  Fabriken  zur  Verwirklichung  desselben  beitragen.  Das 
Besondere  der  Einrichtung  hängt  natürlich  von  der  Art  der  Fabrication  ab,  eine 
allgemeine  Berücksichtigung  kann  aber  die  Sorge  für  Licht  und  Luft  finden. 
Es  müssen  daher  bei  allen  nach  der  Gewerbe- Ordnung  vom  21.  Juli  1869  con- 
cessionspflichtigen  Anstalten  die  Grösse  des  Grundstücks,  die  Entfernung  desselben 
vom  benachbarten  Grundstücke,  die  Lage,  Bauart  und  Ausdehnung  der  Betriebs- 
stätte stets  mit  Rücksicht  auf  die  genannten  Erfordernisse  geprüft  werden.  Der 
Umfang  der  Arbeitsräume  muss  der  Anzahl  der  Arbeiter  entsprechen,  das 
Tageslicht  ist  durch  Herstellung  grosser  Fenster  zugänglich  zu  machen  und 
die  Erneuerung  der  Luft  durch  eine  hinreichende  Grösse,  Anzahl  und  zweck- 
mässige Lage  der  Fenster  so  viel  als  möglich  zu  begünstigen.  Die  Höhe  der 
Arbeitsräume  hängt  von  der  Art  der  Beschäftigung  ab;  eine  Höhe  von  3,5  Meter 
ist  aber  als  das  Minimum  zu  betrachten,  welches  durchschnittlich  unter  allen  Um- 
ständen zu  verlangen  ist.  Spinnereien,  Färbereien,  Beuch-  und  Wasch- 
anstalten u.  s.  w.  verlangen  aber  schon  wegen  der  erhöhten  Temperatur,  die 
dort  vorherrschend  ist,  viel  höhere  Räume;  sie  müssen  um  so  höher  sein,  je 
grösser  der  Betrieb  und  je  umfänglicher  die  Aufstellung  der  Maschinen  ist.  Bei 
allem  Maschinenbetrieb  ist  so  viel  Raum  zu  erfordern,  dass  die  gefährlicheren 
Maschinenteile  hinreichend  mit  Schutzvorrichtungen  versehen  werden  können 
und  die  Bewegung  der  Arbeiter  frei  und  ungehindert  bleibt.  Eine  offene  Dach- 
first ist  für  viele  Arbeiten  sehr  zweckmässig  und  um  so  mehr  zu  empfehlen,  je 
mehr  sich  Dampf  oder  Staub  in  den  Betriebsstätten  entwickelt.  Der  Dachfirst  ist 
dann  mit  der  hinreichenden  Anzahl  von  Luken  zu  versehen,  um  die  Wirkung 
derselben  nach  der  Richtung  der  Winde  beliebig  reguliren  zu  können. 


790  Schlussbetrachtimg. 

Die  Ventilations-Einrichtungeu  sollten  weit  mehr  als  bisher  in  Gebrauch 
gezogen  und  bei  allen  Arbeiten  mit  starker  Staubbildung  polizeilich  vorgeschrieben* 
werden.  In  den  meisten  Fabriken  liefert  die  vorhandene  Dampfmaschine  den 
hierzu  erforderlichen  Motor;  man  gehe  nur  einen  Schritt  weiter  und  bringe  mit 
dem  Motor  den  für  die  Verhältnisse  geeigneten  Ventilator  in  Verbindung,  um 
viele  Leiden  zu  verhüten  und  die  Arbeitskräfte  zu  erhalten.  Wegen  der  hohen 
Wichtigkeit  dieses  Gegenstandes  werden  wir  auf  denselben  noch  einmal  zurück- 
kommen und  die  vielfachen  Mittel  und  Wege  zur  Erreichung  des  anzustrebenden 
Zieles  berühren. 

Staub,  differente  Gase  und  Dämpfe  bleiben  die  grüssten  Feinde  der 
menschlichen  Gesundheit,  wo  sie  auch  auftreten  mögen.  "Wenn  in  Krankenhäusern 
eine  unreine  Luft  das  Blut  der  Pfleglinge  zu  alteriren  im  Stande  ist,  so  muss 
solches  natürlich  auch  in  Betriebsstätten  in  ähnlicher  Weise  stattfinden,  wenn  eine 
mannigfach  verunreinigte  Luft  beständig  auf  die  Arbeiter  einwirkt.  Ein  bestimmtes 
Luftquantum  aber  für  jeden  Arbeiter  pro  Stunde  festzusetzen,  unterliegt  in  der 
Praxis  vielen  Schwierigkeiten,  obgleich  man  vom  theoretischen  Standpuncte  aus 
in  gewöhnlichen  Fabriken  eine  ventilatorische  Zufuhr  von  60  Kubikmeter  Luft  und 
in  solchen  mit  schädlichen  Dämpfen  u.  s.  w.  eine  Menge  von  100  Kubikmeter  pro 
Kopf  und  Stunde  für  nothwendig  erklärt  hat.  Die  Lufterneuerung  muss  jedenfalls 
um  so  ergiebiger  sein,  je  mehr  die  Fabrication  mit  Staub,  schädlichen  Gasen  und 
Dämpfen  verbunden  und  je  grösser  die  Anzahl  der  Arbeiter  ist,  die  in  einem 
bestimmten  Räume  thätig  ist.  Unter  gewöhnlichen  Verhältnissen  kann  man 
übrigens  die  Regel  aufstellen,  für  jeden  Arbeiter  wenigstens  einen  Luftcubus  von 
15 — 20 Kubikmeter  festzusetzen,  um  hiernach  im  hygienischen  Interesse  der  Zahl 
der  Arbeiter  entsprechend  den  Umfang  der  Arbeitsräume  zu  bemessen  (s.  S.  550). 

Die  Lufterneuerung  muss  mit  der  Sorge  für  allgemeine  Reinlichkeit 
Hand  in  Hand  gehen  und  in  der  ganzen  Einrichtung  der  Fabrik  eine  Unter- 
stützung finden.  Die  Wände  der  Räume  müssen  deshalb,  wenn  es  die  Fabrication 
gestattet,  mit  Mörtel  verputzt  und  mit  einem  Kalkanstrich  versehen  werden; 
letzterer  ist  wenigstens  einmal  jährlich  zu  erneuern.  Der  Fussboden  ist,  wo 
es  thunlich  erscheint,  aus  Fliesen,  Klinkern  oder  guten  Ziegelsteinen  u.  s.  w.  her- 
zustellen, um  das  Scheuern,  Aufwischen  u.  s.  w.  desselben  zu  erleichtern  und  die 
Ansammlung  des  Staubes  zu  verhüten.  Er  muss  cementirt  oder  mit  Steinplatten 
belegt  werden,  wenn  dem  Eindringen  schädlicher  Flüssigkeiten  u.  s.  w.  vorgebeugt 
werden  soll;  es  darf  daher  auch  nicht  au  wasserdichten  Rinnen  oder  Rohrleitungen 
fehlen;  sogen.  Schlinggruben  sind  um  so  weniger  zulässig,  wenn  es  sich  um 
differente  Abfallwässer  handelt;  Flüssigkeiten,  die  aufzuspeichern  oder  mit  Prä- 
cipitations-  resp.  Desinfectionsmitteln  zu  behandeln  sind,  dürfen  nur  in  cementirte, 
isolirt  gelegene  und  gehörig  bedeckte  Absatzgruben  abgelassen  werden. 

Die  Treppen  der  Fabrik  sind  in  einem  Treppenhause  anzubringen  und 
aus  Stein,  Cement  u.  s.  w.  zu  construiren.  um  die  Reinlichkeit  besser  handhaben 
zu  können.    Corridore  wird  man  schon  des  Raumersparnisses  wegen  vermeiden. 

Besondere  Räume  für  die  verschiedenen  Mahlzeiten  und  den  Wechsel  der 
Kleidung  sind  um  so  unerlässlicher,  je  gefährlicher  die  Stoffe  sind,  mit  denen  der 
Arbeiter  sich  beschäftigen  muss.  Badeeinrichtungen  müssen  zum  Inventar 
einer  jeden  grössern  Fabrik  gehören. 

Die  Arbeiter  in  grossen  Etablissements  sind  in  sanitärer  Beziehung  immerhin 
in  einer  bessern  Lage  als  die  im  Kleingewerbe,  da  sich  dieses  noch  viel  zu 


Arbeitsdauer.  791 

sehr  der  Controle  entzieht  und  in  keinem  Lande  die  Gesetzgebung  hinreichende 
Anhaltspuncte  liefert,  um  hier  den  sanitären  Nachtheilen  entschieden  entgegen 
zu  treten. 

Die  Arheitsdauer.  Grade  bei  den  vielseitigen  Verhandlungen  über  die  Arbeit s- 
dauer  hat  man  stets  mehr  die  Grossindustrie  als  das  Kleingewerbe  berücksich- 
tigen können,  weil  nur  erstere  eine  ausreichende  Beaufsichtigung  ermöglicht. 
England  ist  namentlich  oft  das  Land  gewesen,  in  welchem  die  Interessen  der 
Arbeitgeber  mit  denen  der  Arbeiter  in  Confüct  geriethen  und  erst  lange  Kämpfe 
mit  der  Selbstsucht  der  Humanität  den  Sieg  verschafften.  Mag  auch  dort 
noch  mancher  Schaden  fortwuchern  und  das  Gesetz  häufig  illusorisch  machen*), 
immerhin  hat  England  den  Anstoss  zu  Reformbewegungen  auf  dem  Gebiete  der 
öffentlichen  Gesundheitspflege  gegeben.  Kaum  ist  das  Gesetz  vom  10.  August  1872 
(35  u.  36.  Vict.  8.  79)  erlassen  worden,  nach  welchem  der  Inspector  sowohl  über 
jeden  schädlichen  und  gesundheitswidrigen  Gewerbe-  und  Fabriksbetrieb  innerhalb 
seines  Districtes  als  auch  über  alle  Contraventionen  gegen  die  bezüglichen  Ver- 
ordnungen Bericht  zu  erstatten  hat,  als  schon  neue  Verhandlungen  das  Gesetz 
vom  Jahre  1874  (37  u.  38.  Vict.  Cap.  44)  geschaffen  haben,  welches  mit  dem 
1.  Januar  1876  in  Wirksamkeit  getreten  ist.  Auf  Grund  dieses  Gesetzes  sind  die 
frühern  Bestimmungen  theilweise  ergänzt,  theilweise  geregelt  worden  und  beziehen 
sich  fast  ausschliesslich  auf  die  vom  Gesetze  geschützten  Personen,  somit  1)  auf 
Kinder,  d.h.  Unerwachsene  unter  14  Jahren,  2)  auf  junge  Leute,  d.h.  Un- 
erwachsene von  14  Jahren  bis  unter  18  Jahren  und  3)  auf  Frauen  von  18  Jahren 
und  darüber.    Diese  Bestimmungen  lauten  folgendermassen: 

Niemand  unter  18  Jahren  darf  in  einer  Fabrik  beschäftigt  werden,  ehe  sein 
Name  in  ein  öffentliches  Register  eingetragen  ist.  Jede  Person  unter  18  Jahren  muss 
ein  ärztliches  Attest  über  das  Alter  beibringen;  die  betreffenden  Aerzte  sind  von  dem 
Inspector  zu  ernennen.  Ein  ärztliches  Attest,  dem  er  hinsichtlich  der  Angabe  des 
Alters  keinen  Glauben  schenkt,  kann  er  für  ungültig  erklären.  Kein  Kind  unter 
10  Jahren  darf  in  einer  Fabrik  beschäftigt  werden. 

Die  Tageszeit  für  die  Beschäftigung  der  Kinder,  Unerwachsenen  und  Frauen  sollen 
die  Stunden  zwischen  6  Uhr  Morgens  und  6  Uhr  Abends  oder  zwischen  7  Uhr  Morgens 
und  7  Uhr  Abends  sein.  In  beiden  Fällen  dürfen  sie  nicht  länger  als  4%  Stunden  hinter- 
einander ohne  Unterbrechung  von  einer  halben  Stunde  für  eine  Mahlzeit  beschäftigt 
■werden;  an  jedem  Tage  sollen  2  Stunden  für  alle  Mahlzeiten  zusammen  gewährt  werden 
und  zwar  mindestens  1  Stunde  vor  3  Uhr  Nachmittags;  die  eigentliche  Arbeits- 
dauer ist  somit  auf  10  Stunden  für  die  geschützten  Personen  festgesetzt.  Ein 
Kind,  -welches  des  Vormittags  in  Schichtarbeit  beschäftigt  gewesen  ist,  darf  Nach- 
mittags nach  1  Uhr  nicht  mehr  arbeiten;  geschieht  die  Schichtarbeit  an  abwechseln- 
den Tagen,  so  darf  ein  Kind  gleich  Unerwachsenen  und  Frauen  beschäftigt  werden, 
aber  niemals  an  zwei  aufeinanderfolgenden  Tagen.  An  Samstagen  dürfen  überhaupt 
Kinder,  Un erwachsene  und  Frauen  nicht  später  als  bis  Nachmittags  2  Uhr  beschäftigt 
werden. 

Die  Frist  für  die  Beschäftigung  der  geschützten  Personen  darf  nur  nach 
schriftlicher  Meldung  beim  Inspector  geändert  werden.  Keine  derselben  darf  während 
der  für  die  Mahlzeiten  gelassenen  Frist  in  irgend  einem  Räume  der  Fabrik  beschäftigt 
werden  oder  sich  nur  aufhalten,  widrigenfalls  sie  als  ungesetzlich  beschäftigt  an- 
gesehen wird. 

Am  Eingange  einer  jeden  Fabrik  muss  folgende  Bekanntmachung  ange- 
schlagen werden:  1)  Name  und  Adresse  des  Inspectors  und  des  Subinspectors, 
2)    Name   und    Adresse    des   Arztes,    welcher    die  Zeugnisse   für  die  Fabrik  ausstellt, 


*)  In  dem  halben  Jahre  vou  Ende  October  bis  Ende  April  1875  wurden  1003  Fälle 
von  Verletzung  der  Fabrik-  und  Werkstättengesetze  durch  die  Iospectoren  verfolgt.  An 
Strafen  sind  insgesammt  658  Pfd.  Sterl.  bezahlt  worden.  Die  meisten  Straffälle  bezogen 
sich  auf  Kinder  ohne  Schulatteste  und  Beschäftigung  der  Kinder  und  Frauen  bei 
Nachtarbeit. 


792  Schlussbetrachtung. 

3)  Bezeichnung  derjenigen  Uhr,  nach  welcher  die  Arbeitsstunden  in  der  Fabrik  regulirt 
werden:  diese  Uhr  muss  eine  öffentliche  und  vom  Inspector  gebilligte  sein.  4)  An- 
gabe der  Stunden,  während  deren  Kinder,  Unerwachsene  und  Frauen  in  der  Fabrik 
beschäftigt  werden;  5)  die  Tageszeiten  und  Fristen  für  die  Mahlzeiten,  6)  die  Art  der 
Beschäftigung  von  Kindern,  ob  schichtweise  je  am  Morgen  und  am  Nachmittage  oder 
an  abwechselnden  Tagen. 

Im  Wesentlichen  stimmen  somit  die  aufgestellten  Grundsätze  mit  den  bereits 
S.  25  u.  s.  w.  erörterten  Bestimmungen  überein. l) 

Unterrichts-  und  BildnngsniitteL  Die  neuern  englischen  Bestimmungen  haben 
auch  den  Schulbesuch  für  die  Fabrikkinder  geregelt;  die  Eltern  sind  jetzt  verpflichtet, 
jedes  Kind  unter  14  Jahren,  welches  in  einer  Fabrik  beschäftigt  ist,  zum  Schulbesuche 
anzuhalten,  wofern  nicht  ein  Kind  von  mindestens  13  Jahren  von  einer  dazu  ermächtigten 
Person  ein  Zcugniss  beibringt,  dass  es  die  vorschriftsmässigen  Kenntnisse  im  Lesen, 
Schreiben  und  Rechnen  besitzt.  Bei  Tagesschichtarbeiten  müssen  die  Kinder  an  jedem 
Tage,  wo  sie  nicht  arbeiten,  5  Stunden  die  Schule  besuchen  (Samstag  ausgenommen). 
Der  Besitzer  einer  Fabrik  muss  dem  Inspector  auf  Verlangen  ein  Zeugniss  über  den 
Schulbesuch  der  verflossenen  Woche  vorzeigen.  Für  den  Schulunterricht,  welchen  der 
Besitzer  bezahlt,  darf  nur  der  zwölfte  Theil  des  Lohnes  abgezogen  werden.2) 

Ueber  die  grosse  Bedeutung  des  Schulbesuchs  und  dessen  nachhaltigen  Ein- 
fluss  auf  die  ganze  Gesittung  der  Arbeiter  können  nur  übereinstimmende  Urtheile 
laut  werden.  Auch  in  England  ist  dies  stets  anerkannt  worden,  aber  es  hat 
dort  eines  langen  Kampfes  mit  alten  Vorurtheilen  bedurft,  ehe  man  den  Schul- 
zwang siegreich  durchgeführt  hat.  Auch  jetzt  noch  müssen  die  englischen  Fabrik  - 
inspectoren  die  Erfahrung  machen,  dass  manche  Eltern  ihre  Kinder  nur  als  Mittel 
zum  Erwerbe  betrachten  und  den  Schulunterricht  zu  umgehen  suchen.  Ueberall 
gibt  sich  die  Wahrnehmung  kund,  dass  Arbeiter,  die  Schulkenntnisse  zeigen, 
fleissiger,  sittsamer  und  ordnungsliebender  sind,  auch  sich  bereitwilliger  den  be- 
stehenden, ihr  leibliches  Wohl  befördernden  Anordnungen  fügen,  während  sich 
Gleichgültigkeit  oder  Widerstreben  gegen  die  Vorschriften  der  Fabrikordnung  am 
häufigsten  mit  Rohheit  uud  Unwissenheit  paaren.  Mit  guten  Schulkennt- 
nissen vereinigt  sich  viel  häufiger  ein  Sinn  für  das  Schöne,  für  Naturgenuss, 
Gesang,  Musik  und  bessere  Gesellschaft;  es  befestigt  sich  die  sittliche  und  religiöse 
Grundlage,  welche  den  Charakter  veredelt  und  auch  das  selbstständige  Denken 
fördert.  Verständiges  Nachdenken  wird  den  Arbeiter  am  sichersten  leiteu  und 
ihn  überzeugen,  dass  er  stets  die  gesundheitlichen  Gefahren  seines  Standes  zu 
beachten  hat.  Nicht  um  ein  Anhäufen  von  Kenntnissen  handelt  es  sich  beim 
Arbeiter,  sondern  nur  um  eine  in  der  Volksschule  erworbene  Grundlage  der 
Geistesentwicklung,  auf  welcher  er  seine  weitere  geistige  und  sittliche  Ausbildung 
zu  fördern  vermag.  Volksbibliotheken  und  Arbeiterbildungsvereine  sind 
daher  wichtige  Hebel  zur  Hebung  des  Arbeiterstaudes  und  die  geeigneten  Mittel, 
um  die  Kluft  zwischen  Fabricanten  und  Arbeitern  zu  überbrücken.  In  solcher 
Weise  hat  die  „Ligne  de  l'enseignement  de  France"  ihre  Thätigkeit  begonnen, 
indem  ältere  Bürger  als  Lehrer  der  Jüngern  auftreten  und  öffentliche  Vorlesungen, 
Lehrcurse,  Abendgesellschaften  u.  s.w.  die  wohlthätigsten  Anregungsmittel  liefern. 

Wohnungen  der  Fabrikarbeiter.  Die  grossen,  dichtbevölkerten  Städte  sind 
es  besonders,  welche  den  Arbeitern  den  Besitz  einer  gesunden  Wohnung  immer 
mehr  erschweren,  da  die  hohen  Miethpreise  sie  nöthigen,  sich  auf  den  kleinsten 
Raum  zu  beschränken;  von  einer  Trennung  der  Wohn-  und  Schlafräume  ist  selten 
die  Rede;  schlechte  Wohnungen  bilden  daher  auch  am  häufigsten  Krankheitsherde 
und  wirken  dann  um  so  verderblicher  ein,  je  mehr  schlechte  Ernährung  und 
Pflege  des  Körpers  hinzutreten;  epidemische  Krankheiten  finden  erfahrungsgemäss 
den  günstigsten  Boden  beim  Zusammenwirken  solcher  Verhältnisse. 


Arbeiterwohnungen.  793 

In  schlechten  "Wohnungen  geht  auch  häufig  der  Sinn  für  Sittlichkeit  zu 
Grunde,  denn  wo  die  verschiedensten  Altersclassen  zusammengedrängt  sind,  ver- 
liert sich  das  Schamgefühl,  es  entstehen  Sittenlosigkeit  und  Verwahrlosung. 
Will  man  die  Gesittung  eines  Volkes  heben,  so  muss  man  auch  die 
Verbesserung  seines  leibli  eben  Wohles  zu  fördern  suchen. 

Die  Wohnungsfrage  hat  somit  eine  grosse  Bedeutung  und  übt  einen  wich- 
tigen Einfluss  auf  das  körperliche  und  geistige  Wohl  der  Menschen  aus.  Den 
ersten  Anstoss  zu  Reformbewegungen  auf  diesem  Gebiete  hat  ebenfalls  England 
gegeben,  nachdem  durch  die  Verherungen,  welche  die  Cholera  unter  der  ärmeren 
Bevölkerung  angerichtet  hatte,  die  grössten  Uebelstände  und  eine  gänzliche  Ver- 
nachlässigung der  öffentlichen  Gesundheitspflege  aufgedeckt  wurden. 

Auch  in  Deutschland  und  andern  Ländern  mussten  erst  allgemeine  Noth- 
stände  die  Wichtigkeit  sanitätspolizeilicher  Ueberwachung  der  Wohnungsverhält- 
nisse der  armem  Bevölkerung  vor  Augen  führen. 

Prinz  Albert,  der  verstorbene  Gemahl  der  Königin  Victoria,  hat  ein  Musterhaus 
auf  eigene  Kosten  erbauen  lassen,  um  ein  practisches  Beispiel  zu  liefern,  -wie  solche 
Häuser  gebaut  werden  sollten.3)  Wir  wollen  hierbei  von  den  einzelnen  Einrichtungen, 
welche  durch  die  klimatischen  Verhältnisse,  Sitten  und  Gebräuche  geboten  werden, 
absehen  und  nur  den  wichtigsten  Umstand  erwähnen,  dass  alle  überirdischen  Theile  des 
Gebäudes  aus  Hohlziegeln  angefertigt  sind:  hierbei  ist  darauf  Rücksicht  genommen 
worden,  dass  sich  in  den  Umfassungsmauern  regelmässige,  vertieale  Canäle  bilden. 
Man  erspart  dadurch  im  Winter  Brennmaterial  und  gewinnt  im  Sommer  kühle  Räume. 
Bringt  man  an  diesen  Canälen  an  geeigneten  Stellen  Oeffnungen  an,  so  erzielt  man 
eine  Ventilation,  welche  auch  jede  Feuchtigkeit  aus  den  Mauern  in  Folge  der  raschen 
Verdunstung  verdrängt  und  auf  diese  Weise  das  Gebäude  vollkommen  trocken  erhält. 
Statt  der  Balkenlage  sind  Gewölbe  angebracht,  welche  nach  dem  System  der  Topf- 
gewölbe  ebenfalls  aus  Hohlziegeln  bestehen.  Hierdurch  wird  bei  "Feuersgefahr  den 
Bewohnern  eine  grössere  Sicherheit  geboten:  auch  werden  die  einzelnen  Familien  vor 
dem  Geräusch  der  nächsten  Nachbarschaft,  Kindergeschrei  u.  s.  w.  geschützt. 

Diese  ganze  Bauart  schliesst  so  viele  ausserordentliche  Vortheile  in  sich,  dass  sie 
auch  für  Casernen,  Schulen  und  kleinere  Hospitäler  zu  empfehlen  ist. 

Das  Cottage-System,  nach  welchem  jedes  Wohnhaus  nur  zweistöckig  und  rechts 
und  links  von  einer  Gartenanlage  umgeben  ist,  liefert  das  Hauptmittel,  um  der  natürlichen 
Ventilation  einen  ausreichenden  Spielraum  zu  gewähren.  In  den  industriereichen  Gegen- 
den von  Westphalen  und  Oberschlesien  hat  dieses  System  nach  dem  Muster  von  England 
schon  viel  Verbreitung  gefunden.*) 

In  den  Vereinigten  Staaten  ist  man  mit  manchen  hygienischen  Einrichtungen  schneller 
vorgegangen  als  in  Europa:  man  sorgt  dort  nicht  bloss  für  Wohnhäuser,  sondern  auch 
für  Pensionen,  Bibliotheken  u.  s.  w.  Die  Pacific  Mills,  ein  sehr  bedeutendes  Etablissement 
in  Lawrence  (Massachusetts),  halten  z.  B.  viele  Wohnhäuser,  welche  den  Arbeitern  für 
einen  massigen  Preis  verpachtet  werden.  Baut  sich  ein  Arbeiter  selbst  ein  Haus,  so 
erhält  er  von  den  Banken  gegen  Hypothek  die  halbe  Bausumme  geliehen.  Für  Unver- 
heiratete ist  durch  Logirhä  us er  gesorgt,  von  denen  die  einen  für  männliche,  andere 
für  weibliche  Arbeiter  bestimmt  sind;  ein  grosser  Speisesaal  und  ein  Versammlungs- 
local  gewähren  ausserhalb  der  Arbeit  einen  angenehmen  Aufenthalt,  während  grossartige 
Bibliotheken  für  geistige  Nahrung  sorgen. 

Ländliche  Arbeiterwohnungen  leiden  wenigstens  in  Deutschland  noch 
an  grossen  Mängeln;  kalte,  nasse,  tiefer  als  die  Strasse  gelegene  Wohn-  und 
Schlafstuben,  kleine  Fenster,  schlechte  Feuerung  und  jeder  Mangel  au  Ventilation 
vereinigen  sich  hier,  um  den  vielgepriesenen  Landaufenthalt  nur  in  seinen  sanitären 
Xachtheilen  kennen  zu  lernen.  In  Preussen  hat  sich  zwar  die  öffentliche  Fürsorge 
auch  auf  die  ländlichen  Arbeiterwohnungen  erstreckte)  Gleichgültigkeit,  Fest- 
halten am  Bestehenden  und  Beschränktheit  erschweren  aber  die  Fortschritte  in 
dieser  Richtung  ungemein.  Auch  hier  sollte  jede  Familie  streng  geschieden 
von  der  andern  sein,  besondere  Wohn-  und  Wirthschaftsräume  besitzen.  Die 
Einzelwohnung    schliesst     überall    die    grössten    Vortheile    in    sieb,     wie     die 


794  Schlussbetrachtung. 

ursprüngliche  altgernianische  Einrichtung  war,  aber  die  zunehmende  Verteuerung 
des  Bodens  und  die  Vermehrung  der  Bevölkerung  hat  dieses  System  immer  mehr 
iu  den  Hintergrund  gedrängt. 

Der  Billigkeit  wegen  sind  bisher  stets  mehrere  Familien  Bewohner  eines  Hauses; 
freilich  kann  man  auch  hierbei  durch  zweckmässige  Anordnung  den  Wohnräumen 
grosse  Vorl heile  verschaffen;  um  die  Reinlichkeit  beobachten  zu  können,  inuss  jede 
Wohnung  einen  doppelten  Ausgang  haben ;  der  Fronteingang  führt  vom  Flur  grade  in 
die  Küche,  welche  mit  dem  Hofe  zu  verbinden  ist;  Wohnstube  und  Kammer  liegen 
seitlich  vom  Flur.  Auf  diese  Weise  können  4  Familien  in  einem  Hause  untergebracht 
werden;  da  es  aber  eine  geringe  Tiefe  hat,  so  lässt  es  sich  im  Winter  schwieriger  heizen; 
Hohlwände  würden  diesen  Nachtheil  beseitigen. 

Mustergiltig  sind  in  dieser  Beziehung  die  in  England  angelegten  Arbeiter-  Colonien 
der  bemittelten  Gutsherren  (Gentlemen  farmers),  wo  durchschnittlich  2  Familien  in  einem 
zweistöckigen  Hause  wohnen. 

Die  Fürsorge  für  erkrankte  Arbeiter.  Ausser  einer  sachgemässen  ärzt- 
lichen Behandlung,  die  hierbei  stets  in  den  Vordergrund  zu  stellen  isi,  kommt 
die  nicht  minder  wichtige  Frage  über  die  Anlage  der  Krankenanstalten 
zur  Sprache.  Die  Lage,  der  Boden  und  die  Construction  der  Kranken- 
anstalten sind  namentlich  in  Betreff  der  Beschaffung  zuträglicher  Luft 
so  wichtig,  dass  sie  einer  eingehenden  Erörterung  bedürfen.  Uebrigens  kommen 
die  hier  massgebenden  Gesichtspuncte  auch  für  die  Reinerhaltung  der  Luft  in  den 
Werkstätten  zur  vollen  Geltung,  da  sich  die  bezüglichen  hygienischen  Ziele 
unter  den  verschiedensten  Verhältnissen  begegnen. 

Zunächst  soll  selbstverständlich  auch  ein  Arbeiter-Krankenhaus  nie  in 
einem  Complex  von  Häusern  oder  zwischen  und  in  engen  Strassen  liegen;  eine 
erhöhte  Lage  ist  bezüglich  der  Anlage  der  Abzugscauäle  vonVortheil;  bei  der  Wahl  der 
Himmelsrichtung  zieht  man  im  Allgemeinen  die  nach  Süd-Osten  vor.  Der  Boden 
darf  nicht  feucht  und  muss  frei  von  hohem  Grundwasser  oder  putriden  Zersetzungs- 
stoffen sein;  ein  felsiger  Untergrund  oder  ein  Lager  von  Sand  und  Kies  mit  einer 
Unterlage  von  Mergel  ist  sehr  geeignet.  Bei  der  Wahl  des  Baumaterials  sehe 
man  vorzugsweise  auf  die  Durchlässigkeit  desselben,  um  der  Diffusion  der  Gase 
kein  Hinderniss  entgegen  zu  setzen ;  gebrannte  Ziegeln  und  Saudsteine  sind  wegen 
ihrer  Porosität  am  gebräuchlichsten. 

In  Betreff  des  Grundrisses  ist  gegenwärtig  von  dem  einfach-  oder 
mehrfach  gekuppelten  Viereck  sowie  von  der  Hufeisenform  keine  Rede 
mehr.  Ein  einziger  Tract,  welcher  nach  allen  Richtungen  frei  steht,  ist  für 
kleinere  Kraukenhäuser  am  zweckmässigsten.G) 

Beim  ursprünglichen  Pavillon-  oder  Blocksystem  wird  eine  Anzahl 
kleinerer  Gebäude  mit  einander  verbunden  und  der  ganze  Complex  in  einzelne 
Flügel  (Pavillons)  aufgelöst,  welche,  iu  Radien,  Parallelen  oder  Linien  gruppirt, 
durch  Höfe  getrennt  und  nur  durch  einen  ebenerdigen  Corridor  verbunden  sind. 
Dieses  System  ist  in  seiner  jetzigen  Vervollkommnung  das  herrschende  geworden, 
indem  jeder  Pavillon  für  sich  ein  getrenntes  kleines  Krankenhaus  darstellt  und 
die  Zwischenräume  zwischen  den  einzelneu  Pavillons  hinreichend  grosse,  freie 
und  möglichst  bewachsene  Plätze  darstellen.  Indem  ein  jeder  Pavillon  mit  einer 
doppelten,  einander  gegenüber  liegenden  Fensterreihe  und  sein  Dach- 
first mit  stellbaren  Klappfenstern  versehen  ist,  sind  für  die  wärmere  Jahreszeit 
alle  Bedingungen  einer  natürlichen  Ventilation  gegeben. 

Das  Pavillon-System  hat  den  grossen  Vortheil,  dass  niemals  eine  zu 
grosse  Masse    von  Kranken    zusammengehäuft    wird,    da  in   der  Regel  nur   ein 


Krankenhäuser.  795 

Saal  zur  ebenen  Erde  liegt  und  nur  bei  nicht  contagiösen  Krankheiten  höchstens 
noch  ein  Saal  in  der  ersten  Etage  hinzukommt.  Jeder  Saal  wird  nur  mit  12 
oder  höchstens  24  Kranken  belegt. 

Ansteckende  Kranke  werden  in  einem  besondern  Pavillon  untergebracht. 
Der  Pavillonbau  ermöglicht  somit  eine  Krankenzerstrenung,  welche  erfahrungs- 
gemäss  den  günstigsten  Einfluss  auf  den  Verlauf  der  Krankheiten  ausübt,  während 
sich  viele  Nachtheile  in  den  mehrstöckigen,  kasernenartigen  Krankenhäusern  ver- 
einigen. 

Bei  der  innern  Einrichtung  sind  hinreichend  hohe  Säle  schon  durch  den 
ganzen  Baustiel  gegeben.  Die  Fenster  müssen  möglichst  hoch  sein  und  möglichst 
tief  am  Fussboden  liegen,  um  die  natürliche  Ventilation  zur  vollen  Geltung  zu  bringen. 
Sehr  zweckmässig  ist  es,  jedes  Fenster  in  zwei  Theile  zu  theilen,  wobei  man'dem  obersten 
Theil  mittels  einer  Kurbel  eine  solche  schräge  Stellung  nach  dem  Innern  des  Saales 
geben  kann,  dass  der  Luftstrom  nach  der  Decke  geführt  wird.  Bei  Doppelfenstern  legt 
sich  hierbei  das  äussere  Fenster  an  seinem  untern  Ende  nach  aussen,  wodurch  der  Luft- 
strom noch  mehr  gebrochen  wird,  indem  beide  Fenster  eine  parallele  Stellung  in 
schräger  Richtung  einnehmen  und  die  Richtung  des  Luftstroms  von  aussen  und  unten 
nach  oben  und  innen  gehen  muss. 

Für  den  Winter  würden  auch  Glasjalousien  in  den  obern  Scheiben  sich  sehr 
gut  eignen.  Ver senkungs-Schiebfenster  sind  leider  ganz  ausser  Mode  gekommen, 
obgleich  man  hierbei  durch  eine  Versenkung  von  oben  nach  unten  jede  beliebige,  der 
Jahreszeit  entsprechende  Oeffnung  herstellen  kann.  Da  für  die  Versenkung  ein  Hohl- 
raum in  der  Mauer  erforderlich  ist,  so  erzielt  man  hierdurch  gleichzeitig  den  grossen 
Vortheil  einer  isolirenden  Luftschicht  und  zwar  an  der  Fensterwand,  wo  sonst  die  Ab- 
kühlung gewöhnlich  am  unangenehmsten  empfunden  wird. 

Corridore  in  der  Mitte  zweier  Zimmerreihen  sind  unter  allen  Um- 
ständen zu  verwerfen. 

Das  Pavillon-System  schliefst  grundsätzlich  alle  Corridore  aus.  Auch  behaupten  die 
Bautecbniker,  dass  alle  Corridore  eine  Raumverschwendung  in  sich  schliessen,  wodurch 
ausserdem  die  Baukosten  sehr  gesteigert  würden,  so  dass  das  Pavillon-System  auch 
durch  Billigkeit  sich  auszeichne. 

In  einem  kalten  Klima  werden  jedoch  Corridor-Krankenhäuser  namentlich 
für  nicht  contagiöse  Krankheiten  nicht  ganz  zu  vermeiden  sein,  weil  bei  rauher  und 
kalter  Witterung  schon  ein  gewöhnliches  Wohngebäude  für  gesunde  Menschen,  welches 
bei  freier  Lage  2  gegenüberliegende  Fensterreihen  besitzt,  viele  Unzuträglichkeiten  mit 
sich  führt.  Jeder  Corridor  soll  wo  möglich  nach  dem  Hofe  oder  besser  nach  einem 
Garten  zu  gelegen  sein,  auch  mittels  nach  innen  gelegener  Fenster  mit  den  Kranken- 
sälen in  Verbindung  stehen,  um  sie  für  die  Ventilation  benutzen  zu  können.  Wird  der 
Corridor  geheizt,  so  lassen  sich  ausserdem  noch  an  beiden  Enden  behufs  Ventilation 
thurmartige  Glaslaternen  anbringen,  welche  zwei  Dächer  haben,  zwischen  denen  die 
frische  Luft  einströmt,  um  sich  in  den  Thurm  zu  ergiessen. 

Ob  man  für  den  Luftraum  eines  Bettes  30" Kubikmeter  (1000  Kubikfuss")  oder 
60  Kubikmeter  fordern  soll,  hängt  von  der  Xatur  der  Krankheiten  ab.  Unter  gewöhn- 
lichen Verhältnissen  wird  bei  sorgfältiger  Reinlichkeit  und  Luftversorgung  das  Minder- 
mass  ausreichen  und  zwar  bei  der  Höhe  eines  Saales  von  4,5  Meter  (15  Fuss). 

Bei  der  Construction  der  Säle  hat  man  darauf  zu  achten,  dass  ihre  Länge 
viel  mehr  betragen  soll  als  die  Breite  und  die  Fenster  natürlich  stets  an  der  Längs- 
wand anzubringen  sind.  Den  Oelanstrich  der  Wände  zieht  man  dem_  Kalken  vor, 
weil  ersterer  abgewaschen  werden  kann.  Fussboden  von  Mettlaeher  Fliesen  haben 
sich  sehr  gut  bewährt. 

In  Betreff  der  Wasserversorgung,  Ventilation,  Heizung  und  der  Aborte  vergleiche 
man  die  bezüglichen  Artikel.  Küche,  Waschanstalt,  Leichenhaus  u.  s.  w.  müssen  in 
besondern  Gebäuden  Hegen. 

Baracken  sind  einstöckige,  hölzerne  Pavillons  mit  First -Ventilation,  deren 
höchst  erfolgreiche  Verwendung  sich  in  dem  letzten  deutsch-französischen  Kriege  glänzend 
herausgestellt  hat,  nachdem  bereits  im  Krimkriege  und  im  amerikanischen  Bürgerkriege 
von  den  „Hospitalzelten"  ein  ergiebiger  Gebrauch  gemacht  worden.  Ganz  besonders 
hat  der  frühere  Kriegsminister  der  V ereinigten  Staaten,  Stanton,  die  Errichtung  von 
Barackenspitälern  angeregt.  Eine  beliebige"  Anzahl  von  Baracken  wurden  nach  dem 
Pavillonsystem  so  zusammengestellt,  dass  sie  30  Fuss_  von  einander  standen  und  ent- 
weder zwei  eonvergirende  Linien  oder  strahlenförmig  einen  Kreis,  eine  Ellipse  oder  ein 
Oblongum  bildeten.    Statt  sie  aber,  wie  früher,  mit  einander  durch  gedeckte,  zu  beiden 


796 


Schlussbetrachtung. 


Seiten  offene  Gänge  zu  verbinden,  werden  sie  jetzt  auf  Grund  besserer  Erfahrungen  von 
einander  getrennt. 

Der  Haupterfolg  bei  der  Krankenbehandlung  liegt  in  der  ergiebigsten  spontanen 
Ventilation  und  man  ist  immer  mehr  zu  der  Ueberzeugung  gelangt,  dass  die  Einrich- 
tungen, welche  aus  dem  Schrecken  des  Krieges  entstanden,  auch  im  Frieden  als  muster- 
gültig zu  betrachten  sind.  Und  so  ist  es  schon  dazu  gekommen,  dass  gegenwärtig  ein 
Unterschied  zwischen  Pavillon  und  Baracke  kaum  noch  besteht,  indem  auch  der  Pavillon 
bereits  eine  First-Ventilation  erhalten  hat  und  der  Corridor  ganz  verschwunden  ist.  Ein 
wesentlicher  Unterschied  besteht  nur  noch  darin,  dass  bei  den  Pavillons  die  Aussen- 
und  Zwischenwände  von  Ziegeln  ausgeführt  sind,  um  auch  für  kältere  Jahreszeiten  be- 
nutzt werden  zu  können,  während  die  aus  Holz  construirten  Baracken  sich  ganz 
besonders  für  die  wärmere  Jahreszeit  eignen,  im  Winter  aber  nur  aus  Noth  in  Gebrauch 
kommen  und  dann  in  Anbetracht  unserer  klimatischen  Verhältnisse  mit  besondern  Ein- 
richtungen zum  Schutze  gegen  die  Einflüsse  der  Kälte  versehen  werden  müssen. 
Einstweilen  scheint  das  Pavillonsystem  mit  Dachfirst-Ventilation  eine 
höchst  beachtungs werthe  Art  der  Kranken-Unterbringung  zu  gewähren. 

Das  Pavillon- System  hat  auch  die  Ventilationsmethode  vereinfacht.  Vom 
Puisionssystem  ist  man  bei  Krankenhäusern  in  der  neuern  Zeit  fast  ganz  zurück- 
gekommen: die  erste  Einrichtung  dieser  Art  befand  sich  im  Hospital  Lariboisiere,  in 
welchem  sie  von  Grouvelle  und  Farcot  nebst  Dampfheizung  mit  Wasseröfen  von  Laurena 
eingeführt  wordeu  ist  (s.  Fig.  j~). 

Fig.  57. 


JJMJSM.^«.     ~~,«^.».^^^>>.re^.-^.~^~^.-.~~»-l«<-'^~J*«^^  ss 


Im   Souterrain   wird   ein    Centrifugalventilator   (a)   durch    eine   Dampfmaschine   in 
rang    gesetzt:    derselbe    zieht   die   Luft    aus   einem    Luftschacht    und   treibt   sie   in 
eine  Blechroitre  (6),  aus  der  sie  bei  h  mittels  kleiner  Röhren*)  durch  den  W 

*)  Die  Methode,  die  eintretende  oder  einzutreibende  frische  Luft  auf  grossen 
Flächen  durch  viele,  aber  kleine  Oeffnungen  zu  leiten,  ist  in  der  Poren  Ventilation 
vertreten,  die  durch  Reid  (Illustration  of  the  Theory  and  Practice  of  Ventilation  with 
remarkes  on  warming.  London  1S44)  eingeführt  worden  ist,  für  welche  in  neuerer  Zeit 
namentlich  der  Arehiteet  Schorrath  Propaganda  macht.  Dass  sie  in  mancher  Beziehung 
auch  für  die  Fabriken  mit  Nutzen  Verwendung  findet,  ist  schon  S.  201  gezeigt  worden: 
ebensogut  könnte  sie  für  Eisenbahn  Waggons  und  Schiffsräume  nutzbar  gemacht 
werden. 


Versammlungslocale. 


797 


Fig.  58. 


ofen  tritt  und  durch,  die  hier  spiralförmig  gewundenen  Dampfröhren  erwärmt  wird  (<?). 
Bei  hohen  Kältegraden  wird  die  einzubringende  Luft  noch  in  einem  besondern  Räume 
durch  Dampfheizung  vorgewärmt.  Angeblich  strömen  bei  diesem  System  pro  Kopf  und 
Stunde  88—132  Kubikmeter  Luft  ein,  während  kaum  die  Hälfte  durch  die  Evacuations- 
canäle  (cl)  austreten  soll:  diese  haben  an  der  Decke  und  am  Fussboden  Oeffnungen  (»), 
und  münden  im  Dachraume  in  einen  gemeinschaftlichen  Schlot,  der  die  verdorbene 
Luft  fortführt. 

Dieses  System  hat  wenig  Nachahmung  gefunden;  nur  in  Betreff  des  Luftschachtes 
ist  noch  zu  erwähnen,  dass  man  bisweilen  an  demselben,  wie  bei  den  Kaminen,  eine 
drehbare  Klappe  in  der  Art  anbringt,  dass 
stets  die  Einströmungsstelle  für  die  Luft 
dem  Strichwinde  entgegensteht  (s.  Fig. 58); 
der  Regen  schlägt  auf  die  schiefen  Ebenen 
in  der  "Windrose  ( b  b)  und  füesst  auf  der 
untern  Ebene  in  einer  Rinne  durch  einen 
Trichter  (r)  nach  aussen  (d)  ab. 

Das  Pulsionssystem  kann  sich  nur 
in  Verbindung  mit  einer  kräftigen 
Aspiration  wirksam  erweisen  und 
zwar  aus  dem  Grunde,  weil  man  den 
Nachweis  nicht  zu  liefern  vermag,  ob 
die  verdorbene  Luft  auch  proportional 
der  eingetriebenen  verdrängt  worden 
ist.  Auch  unterliegt  die  Erwärmung 
der  einzutreibenden  Luft  vielen  Schwie- 
rigkeiten, da  es  nicht  ausreicht,  die  Luft 
bloss  auf  einen  bestimmten  Grad  zu 
erwärmen,  man  muss  vielmehr  die  Tem- 
peratur derselben  nach  den  Jahreszeiten 
beliebig  zu  erwärmen  im  Stande  sein; 
man  hat  daher  zur  Construction  einer 
Mischkammer  seine  Zuflucht  nehmen 
müssen,  in  welche  man  nach  Bedürfuiss 

mittels  eines  Registers  aus  der  Luftkammer  kalte  Luft  zu  der  aus  der  Heiz- 
kammer tretenden  Luft  zuströmen  lässt.7)  Die  Luft  muss  wenigstens  auf  25—30°  C. 
erwärmt  werden,  da  sie  auf  ihrer  Wanderung  mehr  oder  weniger  an  Wärme  ein- 
büsst;  ihre  Eintrittsgeschwindigkeit  soll  nur  zwischen  0,5 — 1  Meter  pro  Secunde 
schwanken,  weil  dann  am  wenigsten  Belästigung  entsteht,  —  kurz,  die  ganze  Ein- 
richtung ist  sehr  umständlich  und  erfordert  die  sorgfältigste  Ueberwachung  eines 
Sachverständigen.  Da  sich  die  Luft  auf  diese  Weise  in  langgestreckten  Gebäuden 
gleichmässiger  vertheilen  lässt,  so  ist  die  Pnlsionsmethode  auch  nur  in  grossen 
Versammlungslocalen  und  in  Theatern  zur  Anwendung  gekommen,  um  die  frische 
Luft  den  einzelnen  Sitzen  zuzuführen.  Von  anderer  Seite  ist  sie  zwar  auch  für 
alle  Hospitäler  empfohlen  worden,  weil  man  dadurch  den  Yortheil  zu  erreichen 
hofft,  nur  kleinere,  weniger  hohe  und  deshalb  weniger  kostspielige  Säle  nöthig 
zu  haben;  die  Erfahrung  hat  jedoch  noch  nicht  hierüber  entschieden.  Nur  so 
viel  steht  fest,  dass  das  Pulsionssystem  hauptsächlich  da  am  Platze  ist,  wo  es 
sich  nur  um  die  Zuführung  frischer,  aber  nicht  vorher  erwärmter  Luft  handelt; 
dies  kann  namentlich  dann  der  Fall  sein,  wenn  in  Werkstätten  (s.  S.  201)  oder 
in  grossen  Localen  schon  durch  Beleuchtung  oder  Ansammlung  vieler  Menschen 
hohe  Temperaturgrade  vorherrschen. 

Nachdem  durch  ein  Decret  des  Kaisers  Napoleon  HI.  vom  29.  August  1862 


798 


Schlussbetrachtung. 


ein  Comite  superieur  zur  Prüfung  sämmtlicher  Hospitalfragen  berufen  worden  ist, 
dessen  Vorsitzender  der  General  Morin  war,  hat  man  sich  bezüglich  der  Kranken- 
anstalten immer  mehr  für  das  Aspirationssystem  ausgesprochen,  welches  nicht  minder 
in  der  Industrie  mit  Benutzung  der  absaugenden  Ventilatoren  eine  höchst 

wichtige  Stelle  einnimmt. 

Die  Aspiration  mittels  absaugender  Ventilatoren  hat  man  in  Hospitälern 
mit  Unrecht  wenig  benatzt;  ein  Beispiel  dieser  Art  findet  sich  im  grossen  Krankenhause  zu 
Kopenhagen.  Die  Menge  der  pro  Kopf  und  Stunde  abgesogenen  Luft  beträgt  ca.  77  Kubik- 
meter, während  in  der  Nacht  mittels  der  Zugsteinesse  nur  10  Kubikmeter  entfernt 
werden.  Von  der  sehr  gutin  Atmosphäre,  welche  während  des  Tages  in  den  Kranken- 
sälen  herrscht,  hat  sieh  Verf.  selbst  überzeugt.  Meist  wendet  man  nur  den  sog.  Lock- 
kamin an.  eine  eiserne,  in  der  Mitte  des  Sehnrnsteins  liegende  Röhre,  welche  mit  den 
Evacuationscanälen  in  Verbindung  steht  und  in  Folge  der  Temperaturdifferenz  absaugend 
wirkt.     Die  Einrichtung  für  die  Industrie  s.  S.  199. 

Bei  der  lleiss  wasserheiz  nng  hat  man  nach  dem  Duvui/-L>:ötar>c,sch.en  System 
auf  dem  Dachraum  in  der  Saugesse  einen  Wasserofen  (Fig.  50  </)  aufgestellt,  der  mit  dem 
Wasserofen  im  Saale  (aa,  oo)  verbunden  ist  und  die  Aspiration  (Appel  en  haut)  bewirkt. 
Die  Evacnationscanäle  für  die  verdorbene  Luft  (rr)  haben  ebenfalls  an  der  Decke  und 
am  Fassboden  eine  Oeffhung,  eine  Einrichtung,  die  im  Allgemeinen  Beifall  verdient,  da 
man  nach  Umständen,  namentlich  bei  zunehmender  Hitze  oder  stärker  besetzten  Räumen, 
die  an  der  Decke  gelegenen  Austrittsöffnungen  in  Wirksamkeit  setzen  muss.  Die 
Luft  ei  nführungsc anale  (/>/>)  münden  unter  den  Fenstern  und  sind  mit  dem  Canale 
verbunden,  in  welchem  die  Heisswasserröhren  liegen,  so  dass  hier  die  kalte  Luft  im 
Winter  vorgewärmt  wird. 

Fig.  5.9. 


Im  neuen  Hospital  im  Friedrichshain  zu  Berlin,  das  nach  dem  Pavillonsystem 
erbaut  ist.  besteht  die  Wasserheizung  im  Mitteldrucksystem  (s.  S.  101).  In  einem 
langgestreckten  Canal  im  Souterrain  liegen  die  Heizröhren,  welche  die  kühle  Luft  er- 
wärmen, die  aus  dem  in  der  Mitte  eines  Rasenplatzes  gelegenen  Luftschacht  mittels 
eines  (Janais  diesen  zugeführt  wird.  Die  auf  diese  Weise  erwärmte  Luft  tritt  nun  durch 
eine  in  der  Mitte  des  Bodens  belegene  quadratische,  mit  einem  Gitterwerk  versehene 
Oeftnung  in  den  Saal:  ausserdem  steigen  die  Heizröhren,  diese  Oeffniing  zunächst  umgebend, 
in  den  Saal  auf  und  gruppiren  sich  an  den  Wänden  desselben,  so  dass  sich  die  Heizflächen 
am  Boden  und  an  den  Wänden  vertheilen.  wodurch  eine  gleichmässigere  Ausbreitung  der 
Wärme,  namentlich  aber  auch  die  Erwärmung  des  Fussbodens  erzielt  wird.  Die  Heiz- 
röhren sind  bis  zum  obern  Saale  fortgeleitet,  in  dem  sie  ebenfalls  an  den  Wänden  auf- 
gestellt sind  und  zur  Erwärmung  dienen:  hier  fehlt  aber  die  Zuleitung  der  frischen  Luft. 

Die  Absaugung  der  verdorbenen  L  u f t  wird  durch  einen  in  der  Mitte  des 
Saales  aufgestellten  eisenblechernen  Schlot  bewirkt,   welcher  am  Fusse  einen  seitlichen 


Evacuations  -Pavillon. 


799 


Ausschnitt  hat,  mit  Gasflammen  versehen  ist  und  nach  oben  unter  der  Decke  zum 
Hauptaspirator  führt,  welcher  auch  die  Evacuationscanäle  aufnimmt,  die  zwischen 
den  Fenstern  liegen  und  mit  Gitterwerk  verschlossen  sind. 

Der  Hauptaspirator  ist  ein  eiserner  Schlot,  dessen  Luftbewegung  durch  einen 
ßö'Ä/n'schen  Indicator  (s.  S.  802)  controlirt  wird  und  in  dem  Schornstein  für  die  Wasser- 
heizung liegt. 

Bei  der  Luftheizung  in  andern  Räumen  ist  der  die  frische  Luft  zur  Heizkammer 
führende  Canal  ebenfalls  mit  Klappen  oder  Schiebern  versehen,  um  den  Eintritt  der  Luft 
nach  Belieben  zu  reguliren.  Da  die  warme  Luft  erfahrungsgemäss  nach  rechts  und 
links  nur  höchstens  15  Meter  weit  horizontal  geleitet  werden  kann,  so  kann  eine  solche 
Centralheizung  für  grössere  Complexe  von  Räumen  nicht  benutzt  werden;  es  sind 
daher  nach  der  Grösse  und  Zahl  der  zu  heizenden  Räume  stets  mehrere  Heizkammern 
erforderlich,  wenn  eine  zweckmässige  Wirkung  erzielt  werden  soll.8) 

Einen  sogen.  Evacuations-Pavillon  haben  Gropius  und  Schmieden 
für  das  Krankenhaus  Bethanien  in  Berlin  construirt,  der  sich  bis  jetzt  nach  den 
vorliegenden  Erfahrungen  sehr  bewährt  hat  und  für  kleinere  Hospitäler  mit 
12 — 18 — 24  Betten  sehr  zu  empfehlen  ist.  Nach  den  hierbei  beobachteten  Ge- 
sichtspuneten  werden  neuerdings  nach  einer  gefälligen  Mittheilung  von  Gropius 
das  Krankenhaus  in  Wiesbaden  und  das  Militairlazareth  zu  Tempelhof  bei  Berlin 
erbaut.  Die  Einrichtung  empfiehlt  sich  ganz  besonders  für  mit  Fabriken  oder 
Bergwerken  verbundene  Krankenanstalten;  eine  specielle  Beschreibung  derselben 
halten  wir  deshalb  für  zweckmässig  und  erforderlich. 

Die  Aussenwände  sind  in  einer  Stärke  von  zwei  Steinen  in  Ziegeln  und  die 
Zwischenwände  theils  einen  Stein,  theils  5  Zoll  stark  in  Ziegeln  mit  Cement  gemauert 
und  verputzt;  es  ist  somit  die  Fachwerk-Construction  aus  sanitären  Gründen  vermieden. 

Fig.  60. 


Die  Unterkellerung  fehlt  und  ist  das  Gebäude  über  der  Erdfläche  mit  einem 
steinernen  Fussboden  von  Mettlacher  Fliesen  versehen.    Auf  einem  flachen  Klinker- 


800 


Schlussbetrachtung. 


pflaster  siud  kleine  Pfeiler  aus  je  zwei  Ziegeln  errichtet,  die  wiederum  mit  flachen 
Ziegeln  überdeckt  sind,  auf  denen  die  Mettlacher  Fliesen  in  einer  Cementkleidung 
ruhen.  Um  einer  Stagnation  der  isolirenden  Luftschicht  vorzubeugen,  sind  zur  Verbin- 
dung derselben  mit  der  äussern  Luft  in  den  Aussen  wänden  Canäle  angelegt,  die 
in  die  äussere  Fensterlaibung  münden  und  dort  mit  Drahtgittern  verschlossen  sind. 

Der  Fussboden  von  Mettlacher  Fliesen  hat  sich  in  jeder  Beziehung  bewährt;  er 
nimmt  keine  Feuchtigkeit  auf  und  kann  täglich  durch  Scheuern  und  Abwischen  ge- 
reinigt werden:  er  hat  sich  auch  gar  nicht  als  zu  kalt  erwiesen. 

Die  Ventilation  erfolgt  im  Sommer  durch  die  geöffneten  Fenster  und  den 
offenen  Dachfirst,  der  mit  doppelten  Klappen  zu  versehen  ist.  Das  Dach  ist  ein 
sogen.  Holz-Cement-Dach  nach  Bäusier'scaer  Methode.  Ein  Dachhoden  fehlt  zwar, 
jedoch  findet  rieh  ein  für  die  ungehemmte  Luftcirculation  genügender  Zwischenraum  vor 
(s.  Fig.  60,  die  den  Querschnitt  eine.-  Saales  mit  12  Betten  darstellt).  In  den  Bade- 
Cabinetten,  den  Theeküchen  und  den  Closets,  welche  sämmtlich  von  den  Krankensälen 
durch  eine  bis  zur  Decke  reichende  feste  Mauer,  unter  sich  aber  durch  niedrige,  2%  Zoll 
starke,  in  Ccment  gemauerte  Wände  getrennt  sind,  geschieht  die  "Ventilation  im  Sommer 
und  Winter  mittels  eines  in  der  Mitte  des  Gebäudes  befindlichen  Sauge-Schorn- 
steins  (Lockkamin),  der  durch  die  Feuerung  des  Badeofens  erwärmt  wird.  Auf  diese 
Weise  kann   die  Luft  aus  diesen  Räumen  nicht  in  den  Saal  zurücktreten. 

Im  Winl  er  wird  die  Ventilation  bei  geschlossenem  Dachfirst  in  den  grössern 
Sälen  durch  die  Heizapparate  vermittelt.  Zu  diesem  Zwecke  sind  in  jedem  Saale  zwei 
Koks-Oefen  aufgestellt,  von  denen  jeder  mit  zwei  Blechmänteln  so  umgeben  ist, 
dass  die  Zwischenräume  je  2  Zoll  betragen.  Diese  Blechmäntel  nehmen  die  strahlende 
Wärme  der  gusseisernen,  mit  Chamotte  gefütterten  Oefen  zunächst  auf  und  geben 
dieselben  theils  nach  aussen  direct  an  die  Luft  des  Saales,  theils  an  die  von  unten 
nach  oben  zwischen  den  Blechmänteln  durchstreichende  Luft  ab. 

Fig.  61. 


Der  eine  der  beiden  Oefen  (/>  in  Fig.  61,  welche  den  Längsschnitt  des  Saales 
darstellt)  saugt  nämlich  durch  einen  unter  dem  Fussboden  hinlaufenden  und  bei  A  durch 
die  Isolirschicht  B  in  den  Saal  mündenden  Canal  von  aussen  her  frische  knlte  Luft  an, 
während  der  andere  Ofen  (C),  dessen  Blechmäntel  nicht  bis  zum  Fussboden  hinabreichen, 


Natürliche  Ventilation.  gQ]_ 

Äie.,Luft  des  Saales  durch  Circulation  derselben  zwischen  den  Blechcylindern  erwärmt 
Beide  (Men  geben  ihren  Rauch  in  ein  zwischen  ihnen  befindliches  Rauchrohr  (E)  ab' 
welches  mit  einem  Mantel  von  Eisenblech  umgeben  ist,  der  oben  weit  über  das  Dach 
hinausragt  und  zwischen  dessen  unterer  Kante  und  dem  Fussboden  sich  eine  Lücke 
von  1  huss  Hohe  befindet  Es  entsteht  auf  diese  Weise  ein  stark  erwärmter 
Evacuationsschlot,  der  die  Luft  des  Saales  am  Fussboden  durch  jene  Lücke  auf- 
nimmt und  durch  seine  obere  Oeffnung  aus  dem  Saale  fortführt.  Bei  geringer  Kälte 
reicht  die  Heizung  mit  dem  Ofen  D  vollkommen  aus*).  Die  Baukosten  betrugen  für 
Bethanien  ca.  600  Thlr.  pro  Bett.  ° 

Das  System  der  Ventilation  durch  Benutzung  der  natürlichen  Tem- 
peratur-Differenzen und  natürlichen  Luftströmung  nach  Böhm  in  Wien 
ist  hier  noch  zu  erwähnen;  Verf.  hat  es  aus  eigener  Anschauung  in  München 
und  Wien  in  seiner  erfolgreichen  Wirkung  kennen  gelernt;  sein  Wesen  beruht 
nur  in  der  Benutzung  der  Temperatur-Differenz  im  Innern  eines  Gebäudes 
und  im  Freien  sowie  der  Strömung  der  Luft  im  Freien.  Es  bedarf  nur 
einer  sachgemässen  Beaufsichtigung,  die  aber  leicht  zu  erlernen  ist  und  um  so 
wirksamere  Erfolge  erzielt,  je  mehr  man  die  vorhandenen  Verhältnisse  zu  berück- 
sichtigen versteht. 

Das  System  kann  zwar  auch  einem  alten  Gebäude  angepasst  werden,  zweck- 
mässiger ist  es  aber,  dasselbe  schon  von  vornherein  dem  Bauplane  zu  Grunde 
zu  legen. 

Es  sind  zur  Ausführung  des  Systems  in  den  Scheidemauern  des  Gebäudes 
verticale  Canäle  anzulegen,  welche  vom  Fussboden  bis  über  den  Dachfirst  des  Ge- 
bäudes reichen  und  am  Fussboden  sowie  unter  der  Decke  mit  durch  Jalousien  und 
Klappen  verschliessbaren  Oeffnungen  versehen  sind.  Diese  Canäle  heissen  Dachcanäle 
(Fig.  62  C  J  D).  Ausserdem  werden  in  den  beiden  gegenüberliegenden  Hauptmauern 
oder  Haupt-  und  Mittelmauern  Etagencanäle  angelegt,  welche  nur  die  Höhe  des  zu 
ventilirenden  Raumes  (H  G  F)  einnehmen,  sich  unten  nach  innen  und  aussen  (67  E  F), 
oben  aber  nur  nach  innen  (H)  öffnen  und  wie  die  Dachcanäle  verschliessbar  sind  (die 
Figur  62  liefert  einen  Längsschnitt  durch  den  Dach-  und  Etagencanal). 

Die  Etagencanäle  einer  Seite  sollen  die  gleiche  Summe  der  Querschnitte  wie 
die  Dachcanäle  haben;  um  aber  die  Richtung  und  Kraft  der  Strömung  in  den  Canälen 
leicht  zu  übersehen,  ist  in  denselben  ein  Anemometer  mit  einem  Zifferblatt,  das  in 
dem  zu  ventilirenden  Räume  sichtbar  ist  («/),  eingesetzt.  Je  nach  dem  Ausschlagen  des 
Zeigers  dieses  Indicators  nach  rechts  oder  links  erfährt  man,  ob  in  einem  geöffneten 
Canäle  eine  Strömung  nach  oben  oder  unten,  stärker  oder  schwächer  stattfindet. 

Bei  der  Handhabung  des  Apparates  muss  man  die  Heizperiode  und  die 
wärmere  Jahreszeit  unterscheiden. 

A.  Während  der  Heizperiode  sind  1)  die  Etagencanäle  im  Allgemeinen 
und  jedenfalls  bei  niedriger  Temperatur  im  Freien  ausser  Wirksamkeit  zu  setzen, 
d.  h.  mit  der  Klappe  E  wird  die  untere  Zimmeröffnung  (G)  geschlossen;  auch  die 
Aussenöffnung  des  Etagencanals  (F)  ist  zu  schliessen  und  nur  bei  schönen  Tagen  im 
Frühjahr  und  im  Herbst  kann  der  Einlass  der  frischen  Luft  durch  geringes  Oeffnen  der 
Aussenöffnung  (F)  mittels  des  Schiebers  p  unterstützt  werden. 

2)  Die  frische  Luft  ist  durch  den  Mantelofen  (s.  S.  183)  einzuführen.  Der 
Mantel  ist  aus  Backsteinen  mit  Lehmmörtel  gemauert  und  mit  einer  oben  offenen,  abheb- 
baren Blechkuppel  bedeckt.  In  das  Innere  des  Mantels  führen  zwei  Oeffnungen,  a  und  e, 
von  denen  die  eine  (<*)  den  Mantel  mit  dem  Zimmer  verbindet,  die  andere  (e)  an  der  Ein- 
mündungsstelle  des  die  frische  Luft  zuführenden  Canals  b  liegt.  Soll  nun  die  frische 
Luft  in  den  Mantel  des  Ofens  eingeführt  werden,  so  wird  a,  die  aus  dem  Zimmer  iu 
den  Mantel  führende  Oeffnung,  geschlossen  und  die  Einströmungsklappe  e  für  den  Luft- 
canal  b  den  Umständen  nach  mehr  oder  weniger  geöffnet;  sie  bleibt  häufig  für  längere 
Perioden  eingestellt  (s.  Fig.  62  e  und  b).  B  (Fig.  63)  ist  die  Stellleiste  an  der  Front- 
seite des  Ofens,  an  welcher  die  Schnur  eingehängt  wird,  welche  die  Klappe  e  bewegt. 


*)  Diese  Art  der  Heizung  mit  Zuführung  von  frischer  Luft  würde  sich  auch  für 
manche  Schuliocale  trefflich  eignen. 

Eulenberg,  Gewerbe-Hygiene.  51 


802 


Schlussbctrachtung. 


3)  Die  Zimmerluft  ist  durch  die  Dachcanäle  abzuführen  und  zwar  bei 
A  (Fig.  63)  über  dem  Fussboden.  Zu  diesem  Behuf«  ist  die  obere  Oeffmmg  des  Canals 
durch  die  Klappe  C  zu  schliessen  und  mitttels  des  Zeigers  der  Regulirungsscheibe  (£>) 
die  Drosselklappe  0  im  Dachcanal  nach  Bedürfniss  zu  reguliren.  Liegt  die  Drossel- 
klappe horizontal,  so  ist  der  Canal  geschlossen  und  der  Zeiger  vertical  nach  oben  ge- 
richtet. Bei  der  Bewegung  des  Zeigers  nach  rechts  wird  der  Canal  immer  mehr  geöffnet; 
diese  Bewegung  hört  auf,  wenn  die  Klappe  vertical  steht. 

Fig.  62. 


B.  Luftwechsel  während  der  wärmeren  Jahreszeit  (Fig. 62  u.  63).  Man 
hat  zu  dieser  Zeit  Folgendes  zu  beachten: 

1)  Die  Drehthüre  am  Mantelofen  (a)  ist  so  zu  stellen,  dass  die  Zimmeröffnung 
des  Mantels  offen  ist: 

2)  die  obere  Oeffnung  des  Dachcanals  (C)  ist  offen  zu  halten: 

3)  Mittels  des  Schiebers  (p)  ist  die  Aussenöffnung  des  Etagencanals  (F)  mit 
Rücksicht  auf  die  Temperatur  im  Freien  und  die  Luftströmung,  aber  stets  nur  so  weit 
zu  öffnen,  dass  die  bei  der  obern  Oeffnung  des  Etagencanals  (fi)  eintretende  Luft  keine 
Belästigung  verursacht. 

4)  Die  untere  Zimmer  Öffnung  des  Etagencanals  (G)  soll  nur  dann  geöffnet 
werden,  wenn  der  Zeiger  des  Indicators  (J)  nach  rechts  ausschlägt,  also  ein  Ab- 
fliessen  der  Luft  aus  dem  Saale  in's  Freie  anzeigt. 


Natürliche  Ventilation. 


803 


Sobald  frische  Luft  m  belästigender  Weise  durch  diese  Oeffnung  (G)  in  den  Saal 
dringt,  niuss  sie  mittels  der  Klappe  E  geschlossen  werden.  Im  hohen  Sommer  kann 
das  Eindringen  der  frischen  Luft  durch  den  Etagencanal  durch  Oeffnen  der  obern 
Fenster  noch  befordert  werden,  während  sich  die  Wirkung  der  Dachcanäle  durch 
eingesetzte  Gasflammen  verstärken  lässt*).  Mit  der  Quaste  /  wird  die  Klappe  E,  mit  der 
Quaste  m  die  Jalousiethür  bei  H  gehandhabt. 

Fig.  63. 


Die  Möglichkeit,  auf  die  verschiedene  Tageszeit,  die  Windrichtung,  die  Er- 
wärmung der  einen  oder  andern  Umfassungsmauer  durch  die  Sonne  u.  s.  w. 
Rücksicht  zu  nehmen  und  den  Ab-  und  Zufluss  der  Luft  durch  den  Indicator  zu 
controliren,  empfiehlt  diese  Einrichtung  ebenso  wie  die  geringe  Kostspieligkeit  der 
ganzen  Anlage.  Auch  ist  der  Vortheil,  welchen  die  in  den  Mauern  befindlichen 
Hohlräume  gewähren,  hoch  anzuschlagen,  obgleich  nicht  in  Abrede  zu  stellen  ist, 
dass  die  Strömung  in  den  Canälen  nicht  regelmässig  und  manchen  Zufälligkeiten 
unterworfen  ist;  man  kann  sie  aber  immerhin  durch  Stellung  der  Klappen  und 
Schieber  reguliren,    was  bei  einer  aufmerksamen  Leitung  des  Ganzen   niemals 

*)  Im  jüdischen  Krankenhause  zu  Wien  kann  auch  nach  Bedürfniss  ein  absaugender 
Ventilator  in  Wirksamkeit  gesetzt  und  namentlich  mit  den  chirurgischen  Krankensälen 
verbunden  werden. 

51* 


804 


Schlussbetrachtung. 


gering  zu  achten  ist  Die  Lufterneuerung  beträgt  pro  Bett  und  .Stunde  50  bis 
80  Kubikmeter,  kann  aber  nötigenfalls  bis  zu  ca.  150  Kubikmeter  vermehrt 
werden.  Hospitäler  für  gewöhnliche  Kranke  erfordern  aber  bekanntlich  in  der 
Regel  nicht  mehr  als  60  —  70  Kubikmeter  Luft  pro  Stunde.  In  technischer 
Beziehung  ist  die  vollkommen  isolirte  Ventilation  eines  jeden  Saales  nicht  minder 
wichtig,  da  hierdurch  eine  völlige  Decentralisation  ermöglicht  und  den  wich- 
tigsten Anforderungen  der  Aerzte  Rechnung  getragen  wird. 

Nicht  bloss  für  Krankenanstalten,  sondern  auch  für  Fabrik-Säle,  bei  denen  es 
auf  eine  regelmässige  Lufterueuerung  ankommt,  ist  die  ganze  Einrichtung  empfeh- 
lenswerth  und  zwar  für  erstere  um  so  mehr,  als  auch  die  Heizuug  eine  zweck- 
mässige ist  und  selbst  bei  einer  Kälte  von  — 12. 5°  bis  20°  C.  noch  eine  Zimmer- 
temperatur von  4-18.5°  bis  4-23,5°  C.  erreicht  werden  kann.  Wenn  sogar  im 
Gebärhause  zu  Wien  die  in  den  Sälen  circulirende  Luft  nach  dem  Zeugniss  von 
Braun  allen  hygienischen  Anforderungen  entsprach,  so  kann  die  Einrichtung 
unter  Umständen  auch  für  viele  Werkstätten  in  Betracht  kommen. 

Eine  Heiz  nngs-Vorrichtung,  die  für  kleinere  Hospitäler,  für  Schul  räume 
und  namentlich  auch  für  manche  mit  Riechstoffen  überfüllte  Arbeitsrä  ume  passt, 
die  verdorbene  Luft  auf  die  kräftigste  Weiße  absaugt  und  sich  in  gleicher  "Weise  durch 
Zweckmässigkeit  und  die  Annehmlichkeit  auszeichnet,  dass  der  Fassboden  erwärmt  wird, 
ist  die  durch  Fig.  Hl  näher  erläuterte:  sie  lässt  sich  aber  nur  zu  ebener  Erde  anbringen. 

Fig.  64. 


Fig   65. 


Der  Feuerkasten  (Fig.  64  a)  enthält  vier  kreuzartig  zusammengesetzte  Roste 
(Fig.  65  b  b  b  b).  Die  zu  den  Feuerräumen  gehörenden  Thüreu  sind  wie  der  ganze  Feuer- 
kasten  inwendig  mit  Chamottesteinen  bekleidet.  Bei  c  wird  die  Stubenluft  abgesaugt. 
Die  Einströmungsstellen  sind  mit  einem  feinen  Gitterwerk  versehen.  Die  Luft  gelangt 
zunächst  in  den  Aschenfall  e  und  von  da  durch  den  Rost  b  zum  Brennmaterial  «:  die 
heisse  Feuerluft  steigt  nun  2j  in  den  Mantelofen /,  welcher  aus  geschlagenem  Eisenblech 


Ventilation.  30  5 

besteht,  und  dringt  dann  3)  in  die  gusseisernc  Zugröhre  fi,  welche  oben  mit  einer 
kleinen  Platte  zum  Schutze  gegen  Schmutz,  Russ  u.  s.  w.  versehen  ist.  Die  Zugröhre 
setzt  sich  in  eine  Röhre  fort,  welche  unter  dem  Fussboden  verläuft  und  hier  mit  einer 
durchbrochenen  Platte  oder  mit  Gitterwerk  bedeckt  ist;  man  führt  sie  nach  Belieben 
weiter  und  schliesslich  in  den  Kamin.  4)  Der  Aschenfall  e  geht  durch  das  Keller- 
gewölbe thurmähnlich  nieder,  weshalb  die  Aufstellung  des  Ofens  nur  ■  im  Erdgeschoss 
möglich  ist.  Am  Boden  des  Kellers  befindet  sich  eine  zu  verschliessende  Thür  zum 
Ausbringen  der  Asche;  Öffnet  man  sie,  so  wird  ein  bedeutender  Zug  uud  grosse  Hitze 
erzielt.  Nach  Bedürfniss  gebraucht  man  1,  2  oder  alle  i  Heizräume :  soll  ein  Rost  nicht 
benutzt  werden,  so  wird  er  mit  einem  einzuschiebenden  Blech  bedeckt.  Bleibt  die  Thür 
im  Keller  verschlossen,  so  wirkt  der  Ofen  als  kräftigster  Aspirator. 

Bei  jeder  Ventilation  sind  die  Querschnitte  der  Oeffnungen  für  den 
Ein-  und  Austritt  der  Luft  nach  bautechnischen  Grundsätzen  zu  bestimmen, 
obgleich  sich  niemals  eine  Regel,  wenn  sie  auch  auf  mathematischem  Wege  als 
richtig  bewiesen  ist,  mit  Strenge  festhalten  lässt,  sonst  müsste  man  in  der  Praxis 
nicht  beständig  zu  Schiebern  und  Drosselklappen  seine  Zuflucht  nehmen,  um 
nach  den  verschiedenen  günstigen  oder  ungünstigen  Verhältnissen,  insbesondere 
nach  der  Windrichtung,  die  Ein-  und  Austrittsöffnung  der  Canäle  zu  verengern 
oder  zu  erweitern.  Immerhin  darf  aus  naheliegenden  Gründen  der  Querschnitt 
nicht  zu  klein  gewählt  werden. 

Die  Stelle,  an  welcher  diese  Oeffnungen  für  die  abzuleitende  Luft 
anzubringen  sind,  richtet  sich  nach  den  localen  Umständen.  Im  Winter  kühlt 
sich  bei  unsern  baulichen  Verhältnissen  die  warme  Luft  in  der  Stube  beständig 
an  den  Wänden  ab,  so  dass  man  in  der  Nähe  der  Fenster  stets  vorzugsweise 
abwärtsgehende  Luftströmungen  wahrnimmt;  es  ist  nicht  selten,  dass  die 
Differenz  zwischen  der  Temperatur  am  Boden  und  an  der  Decke  8 — 10°  C.  beträgt. 
Der  Vortheil  der  Ho  hl  wände  besteht  grade  in  der  geringem  Abkühlung  der 
Zimmerluft,  obgleich  bei  unserer  Bauart  die  verschiedenen  Temperaturdifferenzen 
zwischen  der  äussern  Luft  und  der  Zimmerluft  stets  verschiedene  Luftströmungen 
erzeugen.  Um  diese  Verschiedenheiten  zu  controliren,  ist  der  in  den  Canälen  an- 
gebrachte Böhm'sche  Indicator  ein  vorzügliches  Mittel.  Stets  ist  es  daher  vor- 
zuziehen, die  Evacuationsöffnungen  an  der  Decke  und  am  Fussboden  an- 
zubringen, um  nach  dem  Ueberwiegen  der  auf-  oder  abwärtsgehenden  Luftströ- 
mungen die  eine  oder  die  andere  Oeffnung  benutzen  zu  können.  Während  der 
Heizperiode  ist  vorherrschend  die  Abzugsöffnung  am  Fussboden  für  die  Ab- 
leitung der  schlechten  Luft  zu  benutzen;  fast  bei  allen  Ventilations-Einrichtungen 
wird  daher  auch  diese  Stelle  gewählt,  namentlich  wenn  ein  Kranken-  oder 
Fabrik -Saal  isolirt  liegt,  dünne  Mauern  hat  und  der  Einwirkung  der  Kälte  sehr 
ausgesetzt  ist. 

Nur  in  Localen  oder  Fabriken,  in  denen  viele  Menschen  versammelt  sind, 
oder  viele  Gasflammen  brennen,  ist  die  Decke  die  geeignete  Ausströmungsstelle 
für  die  verdorbene  und  heisse  Luft  (s.  S.  201). 

Die  Einführung  der  frischen  und  reinen  Luft  kann  während  des  Winters 
nur  in  der  Nähe  der  Heizkörper  geschehen,  sei  es,  dass  sie  zwischen  den  Mantel 
eines  Ofens  oder  in  die  Heizkammer  einer  Centralheizung  geführt  wird.  Letzteres 
muss  auch  bei  der  Pulsionsmethode  geschehen,  während  hier  die  Eintrittsstelle 
der  in  der  Heizkammer  erwärmten  Luft  so  gewählt  werden  muss,  dass  sie 
sich  möglichst  nahe  der  Athmungszone,  in  Kopfhöhe,  ausbreitet.  Jede  bewegte 
Luft  wird  aber  nicht  angenehm  empfunden,  es  ist  daher  Regel,  die  eintretende 
Luft  wenigstens  durch  ein  Gitterwerk  zu  vertheilen.  Je  grösser  die  Fläche 
ist,  auf  welcher  sie  sich  ausbreitet,  desto  weniger  wird  die  Einströmimg  der  Luft 


§06  Schlussbetrachtung. 

wahrgenommen.  Die  Porenventilation,  nach  welcher  die  eingetriebene  Luft 
zunächst  in  einen  Hohlraum  der  Wand  tritt  und  dann  durch  Schlitze,  kleine 
Oeffnungen  oder  poröse  Zeuge  austritt,  hat  daher  zweifelsohne  gewisse  Vorzüge; 
ihr  Nachtheil  besteht  nur  darin,  dass  die  einzutreibende  Luft  mehr  Hinder- 
nisse findet  und  einen  desto  kräftiger  wirkeuden  Motor  verlangt.  Vergleichende 
und  unter  fast  gleichen  Verhältnissen  angestellte  Versuche  haben  auch  ergeben, 
dass  bei  der  Bekleidung  der  Austrittsöffnungen  213,9  Kubikmeter  Luft 
pro  Stunde  und  bei  einem  canalartigen  Ausgange  517,9  Kubikmeter  Luft  pro 
Stunde  eingetrieben  wurden;  dabei  breitet  sich  die  eingetriebene  Luft  im  erstem  Falle 
nicht  horizontal  aus,  sondern  steigt  sofort  in  die  Höhe.9)  Hohe  Räume  passen  daher 
nicht  für  die  strenge  Durchführung  der  Porenventilation;  da  sie  ausserdem 
nur  beim  Pulsions -System  wirksam  ist,  so  spricht  auch  jedenfalls  in  sehr  vielen 
Fällen  der  Kostenpunct  mit,  während  jedes  System,  welches  sich  durch  Ein- 
fachheit auszeichnet,  von  vornherein  den  Vorzug  verdient.  Je  mehr  überhaupt 
die  natürliche  Ventilation  mit  benutzt  werden  kann,  desto  sicherer  ist  auch  die 
Wirkung,  vorausgesetzt,  dass  überall  in  den  Räumen  Reinlichkeit  herrscht. 
Schliesslich  gipfeln  die  wichtigsten  sanitären  Bestrebungen  in  der  Reinerhaltung 
der  Luft  und  in  der  Beseitigung  aller  schädlichen  Einflüsse,  welche  der  natur- 
gemässen  Eiuwirkung  dieses  Lebenselements  störend  entgegen  treten.  Auch  in 
der  Gewerbe-Hygiene  tritt  dies  Bedürfniss  als  unabweisbar  in  den  Vorder- 
grund; wohin  man  auch  seinen  Blick  in  der  vielgestaltigen  Industrie  richten  mag, 
überall  ist  die  reine  Luft  in  den  Werkstätten  die  erste  Bedingung  für  die  Wohl- 
fahrt der  Arbeiter.  Die  Natur  bietet  den  nie  versiegenden  Born  und  es  ist  unsere 
Aufgabe,  die  Hindernisse  zu  bewältigen,  welche  den  vollen  Genuss  dieser  Himmels- 
gabe schmälern. 


Nachweis  der  Literatur  nebst  Erläuterungen 


&' 


Einleitung  (S.  1—37). 

1)  Zachariae:  Vierzig  Bücher  vom  Staate,  1.  Bd.  S.  558,  Stuttgart  1820. 

2)  Stein,  Lorenz:  Die  innere  Verwaltung.     Stuttgart  1867.     S.  2. 

3)  Frank,  J.  P.:  System  einer  medicinischen  Polizei.  1.  Bd.  1784.  S.  6. 

4)  Ausführliches  hierüber  findet  sich  in  Finkelnburg's  öffentlicher  Gesundheitspflege 
Englands  nach  ihrer  geschichtlichen  Entwicklung  und  gegenwärtigen  Organisation. 
Bonn  1874. 

5)  Keane,  David:  The  Nuisance  Removal  Act  for  England.   London  1860.    p.  73. 
Smith,  Toulmin:  Practical  proceedings  for  the  reniova  1  of  Nuisances  ofhealth  and 
safety  and  for  the  execution  of  Drainage  works  etc.    Third  Editi  oir.    London  1861. 

6)  Ladrey,  C:  Les  etablissements  industriels  et  l'hygiene  publique.  Paris  18G7. 
Die  neueste  Classification  findet  sich  deutsch  abgedruckt  in:  Die  deutsche 
Literatur  von  1851 — 1867  über  öffentliche  Gesundheitspflege  zuuächst  in 
lechnischer  Beziehung:  nebst  einigen  Mittheilungen  aus  der  englischen  und  fran- 
zösischen Literatur  und  einer  Uebersicht  englischer  Patente  über  Cloakenwesen, 
Desinfection  und  Verwerthung  der  Abfallstoffe.  München,  Fleischmann's  Buch- 
handlung, 1868. 

Levieux  hat  in  Annal.  d'hyg. . publ.,  Oct.  1873,  eine  Uebersicht  der  sanitären 
Verordnungen  in  Frankreich  ( Institution  d'hygiene  et  de  salubrite  en  France) 
geliefert. 

7)  Eine  Vorlage  über  das  gesammte  Sanitätswesen  in  den  Niederlanden  ist  im 
Jahre  1872  erschienen:  Verslag  van  den  Koning  van  de  Bevindingen  en  Hande- 
lingen van  het  Geneeskundig  Staatstoezigt  in  het  Jaar  1871.  Gravenhage  1872. 
Man  vergleiche  auch  noch:  Das  Medicinalwesen  im  Königreich  der  Niederlande. 
Im  Haag  bei  M.  J.  Visser  1870. 

8)  v.  Vivenot  in  der  Deutschen  Vierteljahrsschrift  für  öffentliche  Gesundheitspflege. 
1.  Bd.,  4.  Heft.  S.  577. 

9)  Eulenberg,  Hermann:  Das  Medicinalwesen  in  Preussen.   Berlin  1874.  S.  116. 

10)  Hoff  mann,  CR.:  Civil- u.  Medicinalwesen  im  Königreich  Baiern  (Landshut  1S63, 
2  Bände)  enthält  nur  die  Bestimmungen  bis  zum  Jahre  1862. 

11)  In  Schau  enstein's  Handbuch  der  öffentlichen  Gesundheitspflege  in  Oesterreich 
(Wien  1863)  sind  die  Anlagen  S  234  aufgeführt.  —  Die  Organisation  des 
Sanitätsdienstes  ist  in  Oesterreich  durch  das  Gesetz  vom  30.  April  1870  ge- 
regelt worden  (s.  Dr.  Mach  er 's  Handb.  der  neuesten  Kaiserl.  Oesterr.  Sanitäts- 
Gesetze   und  Verordnungen,  4.  Bd.  vom  Jahre  1S67  bis  Ende  1870.    Graz  1872). 

12)  Engel:  Zur  Statistik  der  Dampfkessel  und  Dampfmaschinen  in  allen  Ländern  der 
Erde.    Berlin  1874. 

12)  Born,  W.:  Die  Selbstverwaltung  der  Patentrechte  und  Dampfkessel-Revisionen  durch 
die  Industriellen.     Berlin  1865. 

14)  Lewy,  E.:  Die  Arbeitszeit  in  den  Fabriken  vom  sanitären  Standpuncte. 
Wien  1874. 

15)  Coronel,  S.:  Gezondheitsleer,  togepast  op  de  Fabrieknyrerheid.  Amsterdam  1S63. 

16)  v.  Plener,  Ernst:  Die  englische  Fabrikgesetzgebung.  Wien  1871.  S.  95  u.  111. 

17)  Göttisheim:  Die  Kinder-  u.  Frauenarbeit  in  englischen  Fabriken  (in  der  Deutschen 
Vierteljahrsschrift  für  öffentliche  Gesundheitspflege,  1.  Bd.,  S.  85,   1869). 
Blondel:     Le    travail     des     enfants     et     des    femmes     dans     les     manufactures, 
Paris  1875. 


SOS  Einleitung. 

18)  v.  Plener,  loc.  cit.  S.  43. 

19)  Sismondi:  Nouveaux  principes  d'economie  politique.    Tom  1.  p.  353. 

20J  Rapport  Bur  l'etat  physique  et  murale  des  ouvriers  employes  dane  les  fabriques  de 

soie,  de  coton  et  de  iaine. 

M.  Villerme:    Tableau  de  l'etat  physique   et  moral  des  ouvriers  employes   dans 

les  manufactures  de  coton,  de  lainc  et  de  soie.    Paris  1840. 

Villerme  betont  3  Hauptnachtheile:  1)  das  gemeinschaftliche  Arbeiten  beider 
Geschlechter,  2)  die  zu  lange  Arbeitsdauer  für  Kinder.  3)  das  Geldverleihen  Seitens 
der  Meister  an  junge  Arbeiter  unter  dem  Namen  des  Vorschusses  auf  den  Lohn. 

20)  Um  die  Vorsichtsmassregeln  zur  Verhütung  der  Unglücksfälle  durch  Maschinen 
kennen  zu  lernen,  gibt  nachstehendes  Werk  die  beste  Anleitung:  Association  pour 
prevenir  les  accidents  de  la  machine  fondee  sous  les  auspices  de  la  Societe  in- 
dustrielle de  Mulhouse  et  continuee  avec  le  concours  de  son  comite  de  niecanique. 
Compte  rendu  de  la  premiere  periode  triannale,  accompagne  de  25  planches 
L867-— 1870.     Mulhouse,  imprimerie  veuve  Boden  &  Co.,   1870. 

21)  Mareska  et  Heymann:   Enquete  sur  le  travail  et  la  condition  physique  et  morale 
des  ouvriers  employes  dans  des  manufactures  de  Coton  ä  Gand.    Gand  1845. 
Considerant,  N.:    Du   travail   des   enfants   dans  les   manufactures    et  dans   les 
ateliers  de  la  petite  industrie.     Bruxelles  et  Leipsic  1863. 

22)  .Ausführliche  Mittheilungen  hierüber  finden  sich  in:  Resultats  de  l'enquete  ouverte 
pour  les  officiers  du  corps  des  mines  sur  la  Situation  des  ouvriers  dans  les 
mines  et  les  mines  metallurgiques  de  la  Belgique  en  exeeution  de  la  cir- 
culaire  adressee  le  3  novembre  18(38  2^ar  le  ministre  des  travaux  publics  aux  inge- 
nieurs  en  chef  des  mines.    Bruxelles   1869. 

23)  Frantz,  Adolf:  Die  Beschäftigung  der  Frauen  und  Mädchen  beim  Bergbau  unter 
Tage.    Beuthen  1869. 

Kapport  sur  l'enquete  fait  au  nom  de  l'academie  royale  de  Belgique  par  la  com- 
mission  chargee  a  etudier  la  question  de  Temploi  des  femmes  dans  les  travaux 
Souterrains  des  mines.  Bruxelles  1868.  Der  Bericht,  welcher  im  Auszuge  in 
Engel's  Zeitschrift  des  Königl.  Preuss.  Statist.  Bureaus  ISO!».  No.  1,  2,  3.,  S.  06 
mitgetheilt  ist,  weist  namentlich  die  zahlreichen  Früh-  und  Fehlgeburten  bei 
ßergarbeiterinnen  nach  und  drängt  auf  eine  gesetzliche  Abhülfe  des  in  Belgien 
herrschenden  Uelielstandes. 
211  Neumann,  F.  J.:  Die  Deutsche  Fabrikgesetzgebung.  Jena  1873.  Die  Schrift 
berücksichtigt  hauptsächlich  die  Fabrikgesetzgebung  in  der  Schweiz. 
Hirt,  Ludwig:  Die  gewerbliche  Thätigkeit  der  Frauen  vom  hygienischen  Stand- 
puncte  aus.     Breslau  u.  Leipzig  1873. 

25)  Böh  inert.  V.:  Beiträge  zur  Fabrikgesetzgebung.     Zürich  1868. 

—  —  Arbeiterverhältnisse  und  Fabrikeinrichtungen  der  Schweiz.  2  Bände. 
Zürich  1874. 

Ein  beachtungswerthes  und  gemüthvolles  Schriftchen  hat  Pfarrer  Dr.  Bernhard 
Becker  verfasst:  Ein  Wort  über  die  Fabrikindustrie  (Basel  1858),  welches 
eine  reiche  Erfahrung  über  den  Eintluss  der  Fabrikindustrie  auf  Land  und  Volk 
liefert. 

26)  ßöhmert,  V.:  Beiträge  zur  Fabrikgesetzgebung,  Zürich  1868,  p.  105 — 108. 

27)  v.  Plener,  1.  c.   S    112. 

28)  An  die  Spitze  dieser  Literatur  ist  das  classische  Werk  von  Brentano  zu  stellen. 
Brentano,  Lujo :  Die  Arbeitergilden  der  Gegenwart.  1.  Bd.  Zur  Kritik  der 
englischen  Gewerbevereine,  2.  Bd.,  Leipzig  1871  u.  1872. 

29)  Veitmeyer:  Die  Vorarbeiten  zu  einer  künft.  Wasserversorgung  der  Stadt  Berlin. 
■1  Tide.     Berlin  1871  u.  1875. 

30)  Simon,  Max:  Hygiene  du  corps  et  de  Päme,  ou  conseils  sur  la  direction 
physique  et  morale  de  la  vie  adresses  aux  ouvriers  des  villes  et  des  campagnes. 
Paris  1S53. 

31 1  Jones,  Theodor:  Every  man  Ins  own  landlord.  or  how  to  buy  a  house  with 
its  own  rent.  London  1863.  Deutsch:  Jedermann  Hauseigenthümer.  Das  be- 
währteste System  englischer  Baugenossenschaften  für  deutsche  Verhältnisse  bearbeitet 
und  in  seiner  Brauchbarkeit  für  Arbeiter,  Genossenschaften  jeder  Art  nachge- 
wiesen. Mit  einer  Einleitung  von  L.  Sonnemann.  Herausgegeben  von  Dr. 
F.  A.  Lange.     Duisburg  1865. 

Die  Wohnungsfrage  ist  mit  Berücksichtigung  des  Systems  der  begränzten  Gesell- 
schaften in  dem  Sinne  erörtert  worden,  dass  Häuser  von  den  Arbeitern  auf  eigne 
Rechnung  gebaut  werden  können. 

v.  Plener,  Eduard:  Englische  Baugenossenschaften.     Wien  1873. 
Rolla  Rouse,  Esq.:  Building  Societies  and  Borrowers.    London  1874. 


Wasserstoff  und  Chlor.  gQ9 

32)  «ri?in  9raf  zur  LiPPe-Weissenfeld:  Die  Ernährung  des  Volkes.  Leipzig  1866 
Moleschott:  Lehre  der  Nahrungsmittel.    3.  Aufl.    Erlangen   1 851. 

—  Physiologie  der  Nahrungsmittel.    2.  Aufl.    Giessen   1859. 

Oesterlen:  Handbuch  der  Hygiene  etc.    3.  Aufl.     Tübingen  1876. 

33)  Morgenstern,  Lina:  Die  Berliner  Volksküchen.    3.  Aufl.  Berlin  1870. 

34)  Fläxl,  August:  Die  Productivgenossenschaft  und  ihre  Stellung  zur  socialen  Fra<*e 
Gekrönte  Preisschrift.    München  1872  ö  ' 

35)  Eulenberg's  Medicinalwesen  S.  57. 

36)  Coronel,  1.  c.  S.  183-231. 

37)  Die  „Ligne  de  l'enseignemeiit  en  France"  beschäftigt  sich  mit  dem  Unterricht  der 
arbeitenden  Classe  und  ist  hauptsächlich  vom  Elsass  aus  angeregt  worden.  Man 
vergl.  Mace,  Jean:  Morale  en  action.  Mouvement  de  propagande  inf.ellectuelle 
en  Alsace.     Paris  1865. 

Wasserstoff  (S.  38—41). 

1)  Eulenberg;  Herrn.:  Die  Lehre  von  den  schädlichen  und  giftigen  Gasen.  Braun- 
schweig 1865,  S.  16. 

Bei  Löthungen  hat  man  auf  die  Anwesenheit  von  Arsenwasserstoff  zu 
achten;  man  leite  deshalb  das  Gas  vor  seiner  Verwendung  durch  eine  Lösung  von 
Kupfer  sulfat. 

Chlor  (S.  41-53). 

1)  Eulenberg:  Die  Lehre  von  den  schädlichen  und  giftigen  Gasen,  S.  208. 

2)  Cameron,  Death  from  inhalation  of  chlorine.  Dubl.  Jour.  49.  Febr.  1870. 

3)  In  Fabriken  und  chemischen  Laboratorien  beobachtet  man  am  häufigsten  die 
reizende  Einwirkung  von  Chlor  auf  die  Respirationswege.  Ein  Chemiker  fand  in 
einem  Laboratorium  eine  wohl  verschlossene,  anscheinend  leere  Flasche  von 
2- 3  Liter  Umfang;  er  öffnete  sie  und  wollte  sich  davon  überzeugen,  ob  sie  irgend 
etwas  durch  den  Geruch  Erkennbares  enthielte;  er  athmete  hierbei  unglücklicher- 
weise kräftig  eine  starke  Quantität  Chlorgas  ein.  Es  entstand  sofort  eine  brennende 
Hitze,  welche  sich  von  der  Nasenhöhle  bis  zur  Kehle  fortpflanzte;  hierauf  folgte 
ein  Gefühl  von  Beklemmung  und  Zusammenschnüren  der  Brust  nebst  trocknem 
Husten,  der  3  Tage  lang  Tag  und  Nacht  anhielt.  Nach  2  Tagen  trat  ein  starker 
Schnupfen    nebst    Thränenfluss    und    Röthung    der   Conjunctiva  auf  und  erst  am 

4.  Tage  wurde  der  Husten  lockerer,  obgleich  Erscheinungen  von  Bronchitis  noch 
eine  Woche  lang  anhielten.  Noch  lange  blieb  der  Kehlkopf  so  empfindlich,  dass 
der  geringste  Staub  oder  Wind  einen  heftigen,  fast  bis  zur  Erstickung  sich 
steigernden  Hustenanfall  hervorrief.  Die  Stimme  blieb  ganz  unverändert,  auch 
zeigte  sich  keine  Spur  von  Fieber,  aber  der  allgemeine  Zustand  war  in  den  ersten 
Stunden  nach  dem  Unfall  sehr  beängstigend  und  die  geringste  Bewegung  rief  eine 
unerträgliche  Brustbeklemmung  hervor  (s.  Les  aeeidents  dans  les  laboratoires  de 
chimie  par  J.  A.  Thelmier  (Tholomier).  Paris  1866,  p.  29). 

4)  Falk,  F.,  in  der  Vierteljahrsschrift  für  gerichtl.  Medicin  und  öffentl.  Sanitäts- 
wesen. Herausg.  von  H.  Eulen berg.  Berlin  bei  Hirschwald,  1872,.  Bd.  XVI.  S.  6. 
Hirt,  Ludwig:    Die  Gasinhalationskrankheiten,  Breslau  u.  Lcij^zig  1873,  S.  96. 

Ueber  die  Contact -Wirkung  des  Chlors  auf  die  Gewebe  vergl.  man  Bryk  in 
Virchow's  Archiv,  18.  Bd. 

5)  Deacon,  Henry:  On  Deacon's  method  of  obtaining  chlorine,  illustrating  some 
principles  of  chemical  dynamics.    Chem.  soc.  Journ.  1872,   725. 

6)  Pati ssier:  Die  Krankheiten  der  Künstler  und  Handwerker.  Nach  Ramazzini. 
Ilmenau  1823,  S.  272. 

7)  Bobrik:    Acida   et  vegetabilia   et   mineralia,   qualem   vim  atque  effectum  habeant 
in  motum  cordis  experimentis  demonstratur.     Dissert.  inaug.     Königsberg  1863. 
Nager,  Gustav,  im  Archiv  für  Heilkunde  (13.  Jahrg.,   2.  u.  3.  Heft,  1872)   hat  bei 
einer   Vergiftung   durch   Salzsäure    ausser  Perforationsstellen   im  Magen   auch   die 
Bronchien  bis  in  die  feinsten  Verzweigungen  stark  katarrhalisch  afficirt  gefunden. 

8)  Schubarth:  Die  sauren  Gase,  welche  Schwefelsäure-  und  Sodafabriken  verbreiten. 
Verhandlungen  des  Vereins  zur  Beförderung  des  Gewerbefleisses  in  Preussen,  1857, 

5.  135.     Dingler's  Journ.,  Bd.  145,  S.  374-427.     Man  vgl.  die  Sodafabrication. 
Durch    die   Verbesserung   der   Sulfatöfen    ist   es   allein   möglich   geworden,  eine 

vollkommenere  Condensation  der  salzsauren  Gase  zu  erzielen.  In  Belgien 
wurden  früher  enorme  Quantitäten  dieses  Gases  in  die  Atmosphäre  getrieben, 
so  dass  von  allen  Seiten  die  grössten  Beschwerden  laut  wurden  und  eine  wahre 
Revolution  gegen  die  Sodafabriken  ausbrach,  da  man  den  Ausbruch  von  Cholera 
und  Typhus  der  Einwirkung  dieser  Dämpfe  zuschrieb.  Nur  der  verderbliche 
Einfluss    auf    die    Vegetation    konnte    nicht    abgeleugnet    werden;    in    Betreff   der 


810  Brom.  Jod  und  Fluor. 

Empfindlichkeit  der  Bäume  und  Sträucher  gegen  die  Säure  folgten  auf  die  Weiss- 
buche der  Haselstrauch,  die  Eiche,  Birke,  der  Ahorn,  die  Winde,  die  Ulme,  Linde, 
Esche,  Pappel,  der  Weinstock,  die  Obstbäume  und  zuletzt  der  Himbeerstrauch,  der 
Hopfen  und  die  Erle. 
9)  Christel:  Ueber  die  Einwirkung  von  Säuren-Dämpfen  auf  die  Vegetation.  Arch. 
f.  Pharmac.  1871,  p.  252.     Vierteljahrsschrift  für  gerichtl.  Medicin  u.  s.  w.,  17.  Bd. 


S.  404,  1872. 


Brom  und  Jod  ( S.  53—68). 


1)  Journal  de  Med.  de  Bruxelles.    Juillet,  58,  1867. 

2)  Durch  unglückliches  Verschütten  von  Brom  oder  zufälliges  Zerbrechen  der  mit 
Brom  gefüllten  Flaschen  können  höchst  gefährliche  und  schmerzhafte  Verbrennungen 
entstehen,  wenn  die  Körpertheile  von  Brom  getroffen  werden. 

Thelmier  theilt  einen  Unglücksfall  bei  einem  jungen  Chemiker  mit,  der  beim 
Auftröpfeln  von  Brom  auf  Phosphor  unvorsichtig  war.  Das  Bromgefäss  zersprang, 
das  Brom  floss  über  und  eine  3  Meter  hohe  Flamme  erhob  sich,  die  zwar  bald 
wieder  erlosch,  aber  das  Laboratorium  mit  einem  erstickenden  Dampf  erfüllte. 
Kehlkopf  und  Schlund  waren  wie  gelähmt;  fast  athemlos  und  halb  ohnmächtig 
ging  er  in  den  Hof  hinunter,  nachdem  er  vorher  den  Kopf  einige  Secunden 
unter  einen  Strahl  kalten  Wassers  gehalten,  aber  vergeblich  versucht  hatte,  einige 
Tropfen  Wassers  zu  trinken;  nur  einen  unarticulirten  Laut  vermochte  er  aus- 
zustossen.  Bald  kamen  drei  Freunde  hinzu,  welche  vom  Dampfe  weniger  belästigt 
waren,  und  standen  ihm  bei.  Man  bemerkte  dann,  dass  Stirn,  Augenlieder,  Nase, 
mit  einem  Worte  das  ganze  Gesicht  von  Brom  corrodirt  waren:  nur  die  Augen 
waren  unversehrt  geblieben.  Die  linke  Hand  und  die  untere  Hälfte  des  Vorderarms 
waren  vom  Brom  schrecklich  verbrannt;  Kleider,  Schuhe  u.  s.w.  waren  vom  Brom 
durchnässt.  Die  Berührung  des  durchtränkten  Stoffes  hatte  auf  dem  linken  Beine 
eine  ziemlich  tiefe,  15  Ctm.  grosse  Wunde  erzeugt.  Am  folgenden  Tage  verfiel  er 
in  einen  fieberhaften  Zustand,  welcher  ihn  5  Wochen  lang  an's  Bett  fesselte. 

3)  Steinauer  in  Virchow's  Archiv,  Bd.  59,  1873,  p.  65. 

4)  Man  hat  neuerdings  eine  Verbindung  von  Brom  und  Kampher  in  die  Medicin  ein- 
geführt, welche  durch  Erhitzung  dieser  beiden  Körper  in  geschlossenen  Ge- 
lassen dargestellt  wird,  wobei  neben  Bromwasserstoff  ein  krystallinischer  Körper, 
Bromkampher  CJ0Hi5BiO,  entsteht.  Da  Kampher  die  Formel  CJ0HJ6O  hat,  so 
ist  ein  Molec.  Brom  an  Stelle  eines  H  getreten.  Der  Bromkampher  soll  als 
Hypnoticum  (3  Grm.  auf  24  Stunden)  nützlich  sein. 

5)  Bär  bin  (im  Journ.  Cbim.  med..  Juin  1856  und  in  Schmidt's  Jahrb.,  92.  Bd.,  S.  44) 
wurde  erst  am  dritten  Tage  nach  der  Einwirkung  der  Joddämpfe  von  Ermüdung, 
Fieber,  Schwere  im  Kopfe  befallen,  Erscheinungen,  welche  sich  am  vierten  Tage 
vermehrten  und  dann  mit  einem  Husten  verbanden,  welcher  14  Tage  lang  anhielt. 
B.  hatte  sich  bei  der  Darstellung  von  Eisenjodür,  welches  durch  Erwärmen  von 
Eisenfeile  mit  Wasser  und  Jod  dargestellt  wird,  den  Joddämpfen  zu  sehr  aus- 
gesetzt. Hier  sind  dieselben  Vorsichtsmassregeln  wie  bei  der  Darstellung  von 
Eisenbromür  erforderlich.  Bemerkenswerth  ist  es,  dass  die  Joddämpfe  bei 
Menschen  häufig  nicht  sofort  ihre  Wirkung  äussern;  andrerseits  sind  manche 
Individuen  für  Joddämpfe  besonders  empfänglich,  wie  aus  Chevallier's  Note  sur 
les  influences  de  l'Jode  et  Bromure  (Annal.  d'hyg.  publ.,  Janv.,  27.  Bd  ,  p.  313,  1842) 
hervorgeht.  Manche  Arbeiter  sind  bei  massiger  Lebensweise  jahrelang  in  Jod- 
fabriken ohne  allen  Nachtheil  beschäftigt,  während  solche,  welche  den  Spirituosis 
ergeben  sind,  die  Arbeit  verlassen  müssen.  Diese  Erfahrung  stimmt  mit  den  in 
Bromfabriken  gemachten  Beobachtungen  vollständig  überein. 

6)  Michel,  F.,  in  Wagner's  Jahresbericht  1867,  p.  194. 

Amtlicher  Bericht  über  die  Wiener  Ausstellung  im  Jahre  1873.  16.  Heft. 
HI.  Gruppe:  Chemische  Industrie.  Von  Prof.  Dr.  A.W.  Hofmann  in  Berlin. 
Braunschweig  1875.  Chlor.  Brom,  Jod,  Fluor  von  Dr.  Ernst  Mylius  in  Ludwigs- 
hagen, S   107,  nebst  Anmerkungen  des  Herausgebers. 

Fluor  (S.  68—71). 

1)  Fluorkalium  soll  dem  Schmelz  der  Zähne  Härte  und  Dauer  verleihen,  somit  vor 
Caries  schützen,  so  dass  Fluorkalium  zum  Schmelz  in  derselben  Beziehung  steht, 
wie  Eisen  zum  Blut  und  die  Phosphate  zu  den  Knochen.  Man  hat  daher  auch  schon 
Fluorpastillen  in  den  Arzneischatz  eingeführt,  welche  besonders  für  Kinder  während 
des  Zahnens  oder  für  schwangere  Frauen  empfohlen  werden. 


Sauerstoff.  Q\\ 

2)  Rabuteau^  Etüde  experim.  sur  les  effets  physiol.  des  fluorrures  et  des  composes 
nietall.  en  generale.    Paris  1872. 

Die  Verbrennungen  durch  Flusssäure  stimmen  mit  den  durch  Brom  darin  über- 
ein, dass  sie  stets  mit  einem  heftigen  Fieber  verbunden  sind.  Folgender  Fall 
ereignete  sich  in  einem  Laboratorium  zu  Paris  und  ist  von  Thelmier  (I.e.  S.  15) 
mitgetheilt  worden:  Ein  Chemiker  setzte  seine  Hand  unvorsichtigerweise  den 
dicken  Dämpfen  der  Flusssäure  aus  und  zog  sich  dadurch  eine  Brandwunde 
zweiten  Grades  zu.  Dieser  anscheinend  wenig  gefährlichen  Affection  folgten  be- 
unruhigende Symptome;  die  Entzündung  verbreitete  sich  von  der  Rückenfläche 
der  Hand,  welche  zuerst  mit  den  ätzenden  Dämpfen  in  Berührung  gekommen 
war,  bis  zum  Vorderarm  und  dann  bis  zum  Oberarm.  Am  Abend  stellte  sich  ein 
Fieber  mit  leichten  Delirien  ein  und  die  Schmerzen  hielten  7  Tage  lang  an, 
welche  nur  einer  energischen,  antiphlogistischen  Behandlung  wichen.  Nur  langsam 
besserten  sich  die  Erscheinungen,  aber  die  vollständige  Genesung  Hess  noch  einen 
Monat  lang  auf  sich  warten. 

Nach  eigenen  Beobachtungen  können  wir  den  Eintritt  eines  sehr  heftigen  Fiebers 
bei  solchen  Verbrennungen  bestätigen,  welches  sich  bei  einem  sehr  kräftigen 
Manne  entwickelte,  der  an  diese  Eigenschaft  der  Flusssäure  nicht  glauben  wollte 
und  deshalb  aus  Uebermuth  ein  paar  Finger  in  dieselbe  eintauchte. 

3)  Sitzung  der  Path.  societ.  of  London  vom  21.  Jan.  1872.  Allgem.  medic.  Central- 
zeitung,  29.  St.,  1873. 

4)  Die  Verwerthung  der  Flusssäure  als  Aetzmittel  hat  durch  das  Sandblasver- 
fahren von  B.  0.  Tilghmann  eine  bedeutende  Einschränkung  erlitten.  Der  mit 
Heftigkeit  auf  die  Glasfläche  geschleuderte  Sandstrahl  erzeugt  dieselbe  Wirkung 
wie  das  Aetz verfahren.  Der  Sandstrahl  wird  entweder  durch  bewegte  Luft  oder 
durch  einen  Dampfstrahl  in  Thätigkeit  gesetzt.  Der  Dampfstrahl  durchströmt  eine 
Hülse  von  etwa  10  Mm.  Bohrung,  in  deren  Achse  sich  das  etwa  3,7  Mm.  weite 
Sandzuführungsrohr  befindet.  Die  Gewalt  des  durchströmenden  Dampfes  reisst 
den  Sand  aus  dem  innern  Rohr  heraus  und  schleudert  ihn  auf  die  zu  ätzende 
Fläche.  Da  elastische  oder  zähe  Körper  der  reibenden  Gewalt  des  Sandes  viel  be- 
deutender widerstehen,  so  kann  man  Schablonen  von  Kautschuk,  Schmiede- 
eisen u.  s  w.  verwenden,  um  die  den  Schablonen  entsprechende  Figuren  zu  ätzen. 
Auf  diese  Weise  hat  die  Flusssäure  eine  Concurrenz  erfahren,  die  in  sanitärer  und 
technischer  Beziehung  grosse  Vortheile  bietet;  man  wird  sich  der  Säure  höchstens 
nur  noch  bei  Messinstrumenten  zur  Darstellung  von  zarten  und  feinen  Zeichnungen 
bedienen.  Ausser  Glas  werden  nämlich  auch  Granit,  Marmor,  Sandstein,  selbst 
Korund  vom  Sandstein  corrodirt;  durch  das  Sandgebläse  kann  daher  ein  bedeu- 
tender Theil  der  gesundheitsschädlichen  Arbeiten  mittels  des  Meiseis  in  Wegfall 
kommen. 

Auch  in  der  Photographie  lässt  sich  beim  Copiren  der  Negativen  auf  Glas- 
platten das  Sandgebläse  verwerthen.  Da  hierbei  die  Glasplatten  mit  der  zur  Dar- 
stellung der  sogen.  Kohlebilder  dienenden  Chromsäure -Lösung  überzogen  sind, 
so  bilden  nach  dem  Abwaschen  der  belichteten  Platte  die  Partien  des  Leimüber- 
zuges, welche  hierbei  stehen  bleiben,  eine  Schablone,  wodurch  die  Behandlung  der 
entblössten  Stellen  des  Glases  mittels  des  Sandstrahles  ermöglicht  wird.  Man  vergl. 
Dr.  Mylius  1.  c.  S.  141. 

Sauerstoff  (S.  71—99). 

1)  Fleitmann  (Annal.  d.  Chem.  u.  Pharm.,  Bd.  134,  S.  64)  hat  die  von  Mitscherlich 
hervorgehobene  Thatsache,  dass  verschiedene  Metalloxyde,  wie  Mangansuper- 
oxyd, Eisenoxydhydrat,  Kupferoxyd  u.  s.  w.,  zu  einer  Chlorkalklösung  gesetzt,  eine 
reichliche  Sauerstoffentwicklung  veranlassen,  wieder  aufgenommen  und  das  frisch 
bereitete  Kobaltsesquioxyd  hierzu  benutzt.  Er  empfiehlt  eine  concentrirte,  durch 
Filtriren  und  Absetzen  geklärte  Chlorkalklösung  mit  0,1—  0,5  %  ihres  Gehaltes  an 
Kobaltsesquioxyd  auf  70—80°  zu  erwärmen.  Ein  Zusatz  von  einigen  erbsengrossen 
Stückchen  Paraffin  zur  Chlorkalklösung  überhebt  der  Mühe,  eine  klare  Chlorkalk- 
lösung darzustellen  und  verhindert  durch  die  Bildung  einer  dünnen  Oelschicht  auf 
der  Oberfläche  das  Schlämmen,  welches  bei  dieser  Operation  oft  belästigend 
eintritt. 

Die  Methode,  eine  dicke  Kalkmilch  mit  Chlor  zu  behandeln,  rührt  von 
A.  Winkler  (Journ.  f.  pract.  Chemie,  Bd.  98,  S.  340)  her. 

2)  Philipps,  Joseph:  Der  Sauerstoff,  Vorkommen,  Darstellung  und  Benutzung  des- 
selben zu  Beleuchtungszwecken  u.  s- w.     Berlin  1871. 

3)  Regnault  und  Reiset  in  Annal.  de  chimie  et  phys.    Tome  XXVI.  p.  399,  1849. 


8  ]  2  Sauerstoff. 

4)  Müller  im  Sitzungsberichte  der  Kaiserl.  Acad.  d    Wissensch.  zu  Wien,  Bd.  33. 

5)  Reid:  Essay  sur  la  nature  et  le  traitement  de  la  phthisie  pulmonaire,  Paris  1792. 

6)  Deraarquai:  Versuch  einer  medicinischen  Pneumatologie.  Deutsch  von  Oscar 
Reyher.     Leipzig  und  Heidelberg  1867,  p  233 

7)  Nach  Oscar  Brefeld  (Untersuclmngen  über  Alkoholgährung  im  Sitzungsber.  der 
physik.-incdic.  Gesellsch.  in  Würzburg  für  1873,  p.  22)  bedarf  die  Alkohol-Hefe 
wie  alle  Pflanzen  zu  ihrer  vegativen  Entwicklung  und  Vermehrung  der  Einwirkung 
des  freien  Sauerstoffs.  Die  nicht  wachsende,  vom  Zutritt  des  freien  Sauerstoffs 
abgeschlossene,  lebende  Hefezelle  erregt  in  Zuckerlösung  alkoholische  Gährung. 
Die  Gährung  ist  hier  der  Ausdruck  eines  abnormalen,  unvollkommenen  Lebens- 
processes,  bei  welchem  die  zur  Ernährung  der  Hefe  notwendigen  Stoffe  (Zucker, 
stickstoffhaltige,  mineralische  Bestandtheile  und  freier  Sauerstoff)  nicht  alle  gleich- 
zeitig und  harmonisch  zum  Wachsthujn  der  Hefe  zusammenwirken. 

8)  De  Bary:  Schimmel  und  Hefe  2.  Aufl.,  Berlin  1874  In  der  Sammlung  wissen- 
schaftlicher Vorträge.  Man  findet  hier  eine  Erörterung  der  Hallier'schen  An- 
sichten über  Hefe  und  Schimmelbildung. 

Man  vergl.  auch  Karsten:  Die  Fäulniss  und  Ansteckung.    Schaffhausen  1872. 
Colin,  Ferdinand:    Ueber  Bakterien,  die  kleinsten  lebenden  Wesen     Berlin  1873. 
In  der  Sammlung  der  wissenschaftl.  Vorträge. 

9)  Liebermeister:  Ueber  die  Ursachen  der   volkskraukheiten.    Basel  1865.    S.  36. 

10)  Appert:  Le  livre  de  tous  les  menages,  ou  l'art  de  conserver  etc.    Paris  1830. 
Willaumer:     De    conserver    alimentaires    nouveau    procede     dans    la    Meurthe. 
Paris  1850. 

Das  A pp er t'sche  Verfahren  bleibt  noch  immer  der  Ausgangspunct  aller  neuern 
Versuche  auf  dem  Gebiete  der  Conserven,  welche  immer  mehr  an  Bedeutung  ge- 
winnen und  ganz  besonders  auch  der  Militairverwaltung  im  Kriege  grosse  Vortheile 
versprechen.  Neuerdings  ist  das  Australische  Büchsenfleisch  ein  grosser 
Industriezweig  geworden,   hat  aber  in  Deutschland  noch  wenig  Eingang  gefunden. 

Crosse  und  Blackwell  in  London  vertreten  die  Conservenindustrie  in  einem 
grossartigen  Massstabe;  sie  versenden  eingemachte  Fleischpasteten  (Potted  meats), 
Saucen,  conservirte  Suppen,  Salm  und  sonstige  Fischspeisen,  deren  Absatz  durch 
die  Kriegsmarine,  die  Handelsflotte  und  die  Garnisonen  in  den  Colonien  u.  s.  w. 
hinreichend  gesichert  ist,  so  dass  „das  Zeitalter  der  Blechbüchsen"  (The  age  of 
Tin)  immer  näher  rückt.  Um  übrigens  den  Metall-  oder  Blechgeschmack,  welchen 
die  Büchsen  den  conservirten  Gemüsen  oft  ertheilen,  zu  vermeiden,  fängt  man  an, 
Gläser  statt  der  Büchsen  für  diesen  Zweck  einzuführen,  seitdem  ihr  hermetischer 
Verschluss  weniger  Schwierigkeiten  darbietet. 

In  Mainz  ist  aus  Mitteln  des  Reichs  die  erste  grosse  Fabrik  für  Militaircon- 
serven  errichtet. 

Das  Jones'sche  Verfahren  ist  in  Dingler's  Polyt.  Journ.  CCX.  p.  319  genauer 
beschrieben. 

Man  vergl.  den  Bericht  über  die  Wiener  Weltausstellung  im  Jahre  1873.  Drittes 
Heft,  IV.  Gruppe:  Nahrungs-  und  Genussmittel  als  Erzeugnisse  der  Industrie 
von  Prof.  Dr.  Carl  Eugen  Thiel  in  Darmstadt.    Braunschweig  1874. 

11)  May  et  im  Journ.  de  chim.  et  phys.,  1851,  p.  42. 

12)  Neuerdings  ist  das  Wasserglas  zur  Conservirung  der  Eier  vorgeschlagen  worden; 
sie  sollen  mit  einer  30  %  haltigen  Wasserglaslösung  behandelt  werden.  Da  sie  auf 
der  Oberfläche  schwimmen,  so  sind  sie  öfter  unterzutauchen;  nach  10  Minuten 
werden  sie  auf  einem  hölzernen  Rost  getrocknet.  Sie  erhalten  durch  diese  Be- 
handlung einen  glänzenden,  luftdichten  Üeberzug. 

13)  Lucas,  Eduard:  Kurze  Anleitung  zum  Obstdörren,  3.  Aufl.    Ravensburg  1869. 

Getrocknete  und  comprimirte  Gemüse  haben  in  Frankreich,  namentlich  in  der 
Armee  und  Marine,  grosse  Verbreitung  gefunden. 

14)  Das  Verfahren  von  Krön  ig  ist  im  Polyt.  Notizblatt  29,  p.  198  beschrieben. 

Die  Kunst,  die  Speisen  in  Därmen  aufzubewahren,  hat  sich  bekanntlich  auch  bei 
der  im  letzten  Kriege  vielfach  besprochenen  Erbsen wur st  bewährt,  eine  Methode, 
welche  noch  weiter  zu  verfolgen  ist  und  grosse  Vortheile  verspricht. 

Ausführliche  Belehrung  über  Wurstbereitung  gewährt  L.  F.  Dronne:  Charcuterie 
ancienne  et  moderne.    Paris  1869 

15)  Man  vergl.  Hirschberg,  H.:    Ueber  die  Conservirung  der  Milch  durch  Borsäure 
im  Archiv  d.  Pharmac.  CC.  p  45  und  Chemisch.  Centralblatt,  S  498,  1872. 
Ponziau,  A.  L.:  Le  Laiterie.  Art  de  traiter  le  lait,  de  fabriquer  le  beurre  et  les 
prineipaux  fromages  francais  et  etrangers.     Paris  1872. 

16)  Das  Waschen  des  Getreides  bezweckt  den  durch  langes  Lagern  in  schlecht 
ventilirten  Magazinen  oder  in  Schiffsräumen  erlangten  schimmlichen  Geruch  des- 
selben wegzuschaffen.     Man  gebraucht  dazu   eine  6— 7malige  Waschung  und  zwar 


Ozon.  g]3 

abwechselnd,  ein  alkalisch  gemachtes,  pures  Wasser,  eine  Chlorkalk  enthaltende 
Losung,  reines  Wasser,  mit  Salzsäure  angesäuertes  Wasser  und  schliesslich  wieder 
reines  Wasser;  das  Trocknen  geschieht  mittels  Centrifugalmaschinen  und  in  heissen 
Kammern. 

17)  Unter  andern  Autoren  erwähnt  Taylor  ein  solches  Vorkomnmiss,  welches  in 
Frankreich  sich  ereignet  und  die  Erkrankung  mehrerer  Familien-  veranlasst  hatte 
Die  Nachforschungen  ergaben,  dass  Risse  an  den  Mühlensteinen  mit  Bleikitt 
verstopft  und  mit  Gips  überdeckt^  waren.  Der  Gips  war  abgefallen  und  das  Blei- 
salz, welches  abbröckelte,  war  mit  vermählen  worden  und  so  unter  das  Mehl  ge- 
rathen.     (Taylors  Gifte.    Uebersetzt  von  Seydeler.    2.  Bd.  S.  434.    Cöln  1863.) 

18)  Horsford  nimmt  3  Th.  weisse,  gewaschene  Knochenasche,  behandelt  dieselbe  mit 
2,4  Th.  Schwefelsäure,  aus  welcher  man  durch  Verdünnen  mit  10  Th.  Wasser  das 
etwa  vorhandene  Blei  entfernt  hat,  um  Calciumphosphat  (Ca(H2P04),j  zu  erhalten, 
welches  noch  J/s  des  Kalkes  der  Knochen  enthält.  Nach  Entfernung  des  Gipses 
wird  die  Flüssigkeit  zur  Honigdicke  eingedampft  und  nach  dem  Erkalten  1  Th. 
Stärke  beliebiger  Sorte  zugesetzt,  wodurch  eine  bröcklige  Masse  entsteht,  die  bei 
gelinder  Wärme  ein  weisses,  trocknes  Pulver  liefert.  Auf  3  Th.  Phosphat  wird 
nun  1  Th.  Natriumbicarbonat  zugesetzt.  Man  bereitet  aus  beliebigem  Mehl  einen 
Teig,  salzt  denselben  und  setzt  vom  Backpulver  eine  entsprechende  Menge  zu, 
mengt  gut  und  backt  das  Brot  auf  die  gewöhnliche  Weise;  die  hierbei  ent- 
weichende Kohlensäure  macht  das  Brot  locker  und  leicht.  Ein  Zusatz  von  Kalium- 
bicarbonat  statt  Natriumbicarbonat  soll  das  Brot  noch  wohlschmeckender  machen 
und  sprechen  hier  nur  die  höhern  Kosten  mit. 

Man  kann  daher  nach  Liebig  auch  durch  ein  Gemenge  von  Natriumbicarbonat 
und  Chlorkalium  im  Verhältnisse  von  2 :  1  das  Kaliumbicarbonat  ersetzen.  Da 
das  Brot  für  einige  Zeit  die  Fleischnahrung  ersetzen  kann,  so  ist  es  namentlich 
für  Armeen  im  Felde  von  grossem  Werthe;  im  letzten  amerikanischen  Kriege  hat 
es  bereits  grosse  Dienste  geleistet.  Auch  kann  man  das  Brot  durch  geeignete 
Zusätze  noch  nahrhafter  machen.  (The  Theory  and  Art  of  Bread  making.  A  new 
Process  without  the  use  of  ferment.    By  Prof.  E.  N.  Horsford.) 

19)  Eulenberg  und  Vohl:  Ueber  Brotvergiftung  in  Vierteljahrssch.  f.  gerichtl.  Med. 
Bd.  XII.  S.  322.  1870. 

20)  Meyer,  Gustav:  Ueber  die  Nährfähigkeit  verschiedener  Brotsorten  in  der  Zeitschr. 
für  Biologie,  1.  Heft  1871.  Die  bezüglichen  Versuche  fielen  zu  Gunsten  des  ge- 
wöhnlichen Roggenbrotes  aus. 

Ozon  (S.  90-99). 

21)  v.  Gorup-Besanez  in  den  Annalen  der  Chemie  und  Pharmacie.  Februar-  und 
März-Heft  1872. 

22)  Lender:  Deutsche  Klinik,  1872,  No.  19  u.  s.  w. 

23)  Oldling  hat  im  Monit.  scientif.  1873  No.  376,  p.  319  eine  ausführliche  Geschichte 
des  Ozons  geliefert. 

Man  vergl.  ferner  History  of  Ozone,  Proceedings  of  the  Royal  Institut.    1872. 

Zu  beachten  ist  ferner:  Beilud,  Guisseppe:  Süll'  Ozono,  note  e  reüexioni. 
Trato  1869. 

Houzeau  und  Renard  (Monit.  scient.  1873,  No.  376,  p.  340)  benutzten  con- 
centrirtes  Ozon  zum  Studium  der  organischen  Verbindungen,  wobei  angeblich 
ein  neuer  Körper  (Ozobenzin)  entstand. 

24)  Carius  im  Bericht  der  Deutschen  ehem.  Gesellsch.  zu  Berlin     Juli-Heft  1872. 

25)  Schwartzenbach  in  den  Verhandlungen  der  physik.-medic.  Gesellsch.  zu  Würz- 
burg.   1.  Bd.  p.  322. 

26)  Hacker,  Adalbert:  Ueber  den  Einfluss  ozonisirter  Luft  auf  die  Athmung  warm- 
blutiger Thiere.     Riga  1863. 

27)  Dewar  und  Mac  Kendrick  in  Roy.  Soc.  Edinb.  Proc.  Session  1873—1874. 

28)  Rosenthal,  J.:  Die  Athembewegungen  und  ihre  Beziehungen  zum  Nervus  vagus. 
Berlin  1862. 

29)  Huizinga  im  Centralblatt  der  medic.  Wissensch.   No.  21,  1867. 

30)  Kühne  und  Scholz  in  Virchow's  Archiv,  33  Bd.,  S.  96—111. 
Lewison  eod.  loc.  36.  Bd.  S.  15. 

31)  Pokrowski,  eod.  loc.  36.  Bd.  S.  482-501. 

32)  Hammerschmidt:  Das  Ozon  und  seine  Wichtigkeit  im  Haushalte  der  Natur 
und  des  menschlichen  Körpers.     Wien  1873- 

33)  Dr.  Wenzel:  Ueber  die  Marschfieber  in  ihrer  ursächüchen  Beziehung  während 
des  Hafenbaues  im  Jadegebiete  von  1858—1859.     Prag  1870. 

34)  Werner  Siemens  hat  in  Poggend.  Annal.  CIL  120  die  lnductionsröhren  beschrieben. 


814  Wasser. 

Wasser  (S.  99-131). 

1)  Henneberg,  Rudolf,  im  Communalblatt  der  Stadt  Berlin,  No.  26,  1870. 

Mehrere  Arten  von  Wasser-  und  Dampfheizungen  sind  im  15.  Heft  des 
Amtlichen  Berichts  über  die  Wiener  Weltausstellung  von  Seelhorst  S.  309  be- 
schrieben.   Braunschweig  1874 

2)  Salisburv:  On  the  cause  of  intermittens  and  remittens  fevers  etc.  Americ.  Journ. 
of  Med.  Science,  Jan.  1867,  p.  51. 

3)  Wood,  eod.  loc.  1868,  p.  333— 352. 

4)  Frankland  in  Dingler's  polyfc  Journ.,  184.  Bd.,  p.  166,  1867. 

—       über  Trinkwasser  im  Amtlichen  Bericht  über  die  Wiener  Ausstellung', 
16.  Heft,  1875,  S.  47. 

5)  Reincke  in  der  Vierteljahrsschrift  für  gerichtl.  Medicin    u.  öffentl.  Sanitätswesen, 
XXII  Bd ,  1875,  S.  127.' 

6)  Tiemann  hat  eine  Reihe  genauer  Versuche  ZUr  Bestimmung  der  Salpetersäure 
im  Wasser  angestellt  (Zeitschr.  der  Berl.  ehem.  Gesellsch.  1873,  1034). 

7)  Fischer,   Ferdinand:    Das  Trinkwasser,   seine  Beschaffenheit,  Untersuchung  und 
Reinigung.     Hannover  1873. 

8)  Fleck:    Erster  Jahresbericht  der  chem    Centralstelle   für  die  öffentl.  Gesundheits- 
pflege, 1872,  S.  27. 

—    Journ.  für  prakt.  Chemie,  Bd.  4,  1871,  S.  364. 

9)  Vohl:  Ueber  die  Anwendung  alkalischer  Silberlösungen  zum  Nachweise  organischer 
Stoffe  im  Wasser.     Archiv  d.  Pharmac,  4.  Heft,  1874. 

10)  Prestel:  Der  Boden,  das  Klima  und  die  Witterung  von  Ostfriesland.    Emden  1871. 

11)  Lebert,  Hermann:  Aetiologie  und  Statistik  des  Rückfalltvphus  und  des  Fleck- 
typhus     Leipzig  1870. 

12)  Virchow's  Archiv  1860  S.  242  und  1862  S.  453. 

13)  Reichardt:  Grundlagen  zur  Beurtheilung  des  Trinkwassers.   2.  Aufl.  Jena  1872. 
Kübel,  Wilhelm  :    Anleitung  zur  Untersuchung  von  Wasser,  welches  zu  gewerb- 
lichen und  häuslichen  Zwecken  benutzt  werden  soll.    2.  verm.  Aufl.  von  Dr.  Ferd. 
Tiemann.     Braunschweig  1874. 

O'Brien  Mahony:  The  presence  of  organie  matter  in  potable  water  always 
deleterious  to  health,  to  which  is  added  the  modern  analvsis.  Second  edition. 
Dublin  1869. 

14)  Falkland  classificirt  die  Trinkwässer  folgendermassen:  1)  Regenwasser  (ver- 
dachtig), 2)  Bergland -Tagewässer  aus  kalkigen  und  nicht  kalkigen  Schichten 
(meistens  gutes  Wasser),  3)  Tagewässer  von  eultivirtem  Lande  aus  kalkigen  und 
nicht  kalkigen  Schichten  (häufig  verdächtig),  4)  Flachbrunnenwässer  (gefährliches 
Wasser),  5)  Tiefbrunnenwässer  aus  kalkigen  und  nicht  kalkigen  Schichten,  6)  Quell- 
wasser aus  kalkigen  und  nicht  kalkigen  Schichten  (5  und  6  meist  gutes  Wasser). 
Das  Wasser  der  Flachbrunnen  rechnet  F.  zu  den  gefährlichen,  ganz  einerlei, 
aus  welcher  geologischen  Formation  sie  schöpfen,  namentlich  wenn  sie  sich  in  der 
Nähe  von  Sielen,  Senkgruben  u.  s.  w.  befinden.  In  vielen  Fällen  habe  sich  der 
Ausbruch  epidemischer  Krankheiten  in  Städten  und  Dörfern  auf  die  Benutzung 
solchen  W7assers  zurückführen  lassen.  Quell-  und  Tiefbrunnenwasser  zieht  er 
selbst  dem  Bergland-Tagewasser  vor. 

15)  Virchow:  Reinigung  und  Entwässerung  Berlins.     Berlin  1873. 

16)  Ballard:  Med.  Times  and  Gaz.  Nov.  26.  611.  1870,  eod.  loc.  May  24.  p.  550,  1873. 

17)  Lebert,  loc.  cit.  (No.  11). 

18)  Nach  Falkland  ist  die  Wirksamkeit  eines  Kohlenfilters  nach  4  Monaten  er- 
schöpft: er  hält  die  Filtration  durch  eine  2  Meter  dicke  Schicht  gewöhnlichen 
porösen  Bodens  für  wirksamer  als  die  Sandfiltration,  wenn  das  Durchmessen  nach 
je  6  Stunden  unterbrochen  und  der  Luft  Zutritt  zu  den  Poren  des  Bodens  gestattet 
wird  (1.  c.  p.  72,  73). 

19)  Bolley's  Handbuch  d.  chemischen  Technologie,  7.  Bd.,  Braunschweig  1862,    S.  71. 

20)  Falkland  spricht  überall  den  tiefen  Brunnen  und  Quellen  das  W7ort,  zu  denen 
sich  das  WTasser  erst  durch  das  langsame  natürliche  Hindurchsickern  durch  dicke 
Schichten  von  Gestein  und  Erde  seinen  Weg  bahnen  müsste  Hier  käme  die 
kräftig  oxydirende  Wirkung  des  porösen  und  durchlüfteten  Bodens  auf  die  im 
Wasser  gelöste  organische  Materie  zur  vollen  Geltung  (1    c.  p.  56). 

Die  Sitte,  filtrirtes  Wasser  nochmals  mittels  Kohlenfilter  in  den  Haushaltungen 
zu  behandeln,  verdient  immerhin  Beifall.  In  Bezug  auf  die  Entfernung  organischer 
Substanzen  ist  erfahrungsgemäss  ganz  besonders  der  sogen.  Eisenschwamm  zu 
empfehlen  Man  stellt  ihn  durch  Reduction  von  Haematit  mit  Kohle  bei  mög- 
lichst niedriger  Temperatur  dar  und  hat  in  neuerer  Zeit  Filtrirapparate  mittels 
desselben  construirt. 


Schwefel.  815 

"Wird  ein  mit  Fäcals toffen  verunreinigtes  Wasser  dieser  chemisch en  Reinigung 
unterworfen,  so  hält  Frankland  es  noch  nicht  für  bewiesen,  dass  ein  solches 
Wasser  auch  die  Fähigkeit  verloren  habe,  epidemische  Krankheiten  zu  verbreiten. 

21)  Roth,  Ludwig:  Die  Kesselsteinbildung  imd  die  Mittel  zur  Verhütung  derselben. 
Berlin  1872. 

DeHaen  über  radicale  Beseitigung  d.  Kesselsteins  in  Dingler's  Journ.  CCVII1.  p.271. 

22)  Foussagrives  in  Annal.  d'hyg.  publ.  etc.,  Avril  1865,  p.  257. 

23)  Virchow-Hirsch's  Jahresbericht  1866,  I.  282,  1868,  I.  293. 

24)  Fuhrmann:  Beiträge  zur  Verpflegung  mit  Wasser  an  Bord  von  Kriegsschiffen. 
Beiheft  zum  Marine -Verordnungsblatt  No.  11,  Berlin  1874.  Hier  findet  sich  auch 
die  Abbildung  und  Erklärung  des  Normandy'schen  Apparates. 

Auch  Bolley  hat  mehrere  Apparate  für  die  Destillation  des  Seewassers  ab- 
gebildet. 

25)  Möller:  Ueber  die  Methode  zur  Ermittelung  der  Feuchtigkeit  in  Gebäuden,  in 
Pappenheim's  Monatsschrift  f.  Sanitätsp.,  I.  Jahrg.  1860,  S.  337. 

Erismann  in  der  Zeitschrift  für  Biologie,  XL  Bd.,  S.  1 — 78,  1875. 

26)  Die  Behauptung,  dass  säurefreies  H20:3  längere  Zeit  unzersetzt  bliebe,  ist  noch 
nicht  ganz  sicher  gestellt.  Die  meisten  Präparate  enthalten  Salpetersäure  in 
kleinen  Mengen. 

Wasserstoffsuperoxyd  ist  nicht  bloss  ein  mächtiges  Oxydationsmittel,  sondern 
auch  ein  Reductionsmittel,  indem  es  Jod  in  Jodwasserstoffsäure  überführt  (J-f  H202 
=  2HJ  +  02),  aus  Silberoxyd  metallisches  Silber  ausscheidet  und  Braunstein  zu 
Mangan oxydul  reducirt: 

Ag2  0  +  H2  02  =  Ag2  +  H2  0  +  02, 

Mn02  +  H,02  =  MnO  +  H20  +  02. 

Bei  diesen  Reactionen  treten  stets  2  Atome  Sauerstoff  zu  einem  Molec.  zusammen. 

Bisweilen  wirkt  H202  gleichzeitig  oxydirend  und  reducirend  ein.  Die  redu- 
cirende  und  oxydirende  Wirkung  des  Wasserstoffsuperoxyds  spielt  beim  Bleichen 
die  eigentliche  Rolle,  grade  wie  schweflige  Säure  und  Zinkstaub  als  Reductionsmittel, 
Chlor  und  Ozon  als  Oxydationsmittel  den  Bleichprocess  vermitteln.  Die  Entfärbung 
durch  H202  erfolgt  nur  langsamer  als  durch  Chlor. 

Tessie  du  Motay  und  Marechal  schlugen  H202  zum  Bleichen  der  Gewebe 
vor  und  zwar  in  der  Weise,  dass  dieselben  nach  der  Bleiche  mit  übermangansaurem 
Kalium  in  eine  Lösung  von  H202  getaucht  werden  sollten. 

Dass  Wassersuperoxyd  Haare  und  Federn  bleicht,  ist  sicher.  In  England  wird 
es  zum  Rothfärben  der  Haare  als  golden  hair  water  oder  Auricome  vielfach 
verwendet. 

In  technischen  Kreisen  zweifelt  man  nicht  daran,  dass  Wasserstoffsuperoxyd  mit 
Ausschluss  des  Lichtes  dem  Bleichprocesse  dienen  kann,   was  von  grosser  Bedeu- 
tung  sein  würde,   da  z.  B.  die  Ozonbleiche  des  Elfenbeins  nur  bei  starkem 
Sonnenlichte  im  Sommer  vorgenommen  werden  kann. 
Oppenheim  im  Amtl    Bericht  der  Wiener  Ausstellung,  16  Heft,  S.  41. 

27)  Assmuth,  J. :  Ueber  die  Einwirkung  von  Wasserstoffsup.  auf  d.  physiol.  Verbr. 
Dorpat  1864. 

28)  Stöhr  im  Arch.  f   klin.  Med.,  3.  Bd.  5.  Heft  S.  421. 

Schwefel  (S.  135-173). 

1)  Barbaglia,  Angelo:  Die  Schwefelindustrie  Siciliens  (im  Amtlichen  Bericht  der 
Wiener  Ausstellung,  S.  144). 

2)  Bouisson:  Ophthalmie  produite  par  le  soufrage  de  la  vigne  in  den  Annal.  d'hyg. 
publ.  1863,  p.  469. 

3)  Der  Apparat  von  Thomas  und  die  Fabricationsmethode  ist  in  Payen's  Handb. 
der  techn.  Chemie  (übers,  von  Stohmann  u.  Engler,  Stuttgart  1872,  S.  122)  abge- 
bildet und  beschrieben. 

4)  Die  Thatsache,  dass  Schwefelwasserstoff  nicht  zu  den  spec.  leichten  Gasen  gehört, 
ist  in  manchen  Fällen  von  Bedeutung  (s.  Vierteljahrsschr.  f.  ger.  Medic.  1876,  4. Heft). 

5)  Eulenberg 's  Lehre  u.  s.  w.,  S.  262. 

6)  Falck  und  Amelung:  Deutsche  Klinik  1864,  S.  39— 41,  1865  No.  17—33. 

7)  Schaffner,  Max,  in  den  Verhandlungen  der  physik.-medic.  Gesellsch.  in  Würzburg 
1869,  p.  179-183  In  dem  mitgetheilten  Falle  stellten  sich  3  Wochen  lang  Tob- 
suchtsanfälle ein. 

8)  Arch.  für  Anatomie  und  Phys.  von  Reichert  und  Dubois-Reymond,  1865,  S.  659. 

9)  Med.  Centralbl.  1863,  No.  28.     Med.  ehem.  Unters.,  Berlin  1866,  1.  Heft  S.  151. 

10)  Eulenberg's  Lebre  u.  s.  w.,  1.  c.  S.  272. 

11)  Eulenberg's  Lehre  u.  s.  w.,  S.  460  u.  507. 


816  Schwefel. 

12)  Chevallier  hat  zwei  Fälle  von  tödtlicher  Einwirkung  der  schwefligen  Säure  auf 
Arbeiter  mitgetheilt  (s.  Effets  d*acide  sulfureux  sur  les  vegetaux  in  Annal.  d'hyg. 
publ ,  Oct.  1863,  S.  408). 

TJeber  den  Einfluss  der  schwefligen  Säure  auf  die  Vegetation  vergl.  man 
noch  Julius  Schröder  (  Landwirthschaftl.  Versuchsstation  XV.,  p.  321,  Wagner's 
Jahresber.  1874,  S.  277). 

Die  Hauptursache  des  naclitheiligen  Einflusses  von  S02  soll  in  der  Depression 
der  normalen  Wasserverdunstung  liegen.  Nadelhölzer  werden  im  Allgemeinen 
weniger  als  Laubhölzer  afficirt,  weil  die  Blattfläche  eines  Nadelholzes  weniger 
schweflige  Säure  aufnimmt  als  die  von  Laubholz.  Die  Aufnahme  von  S02  konnte 
bei  Laub-  und  Nadelholz  nachgewiessen  werden,  wenn  die  betreffenden  Zweige  in 
einer  Luft  verweilten,  die  nicht  mehr  als  V5000  ihres  Volumens  an  schwefliger 
Säure  enthielt.  Licht,  hohe  Temperatur  und  trockne  Luft  begünstigen  ihre  Auf- 
nahme und  beeinträchtigen   am  stärksten  die  Verdunstung. 

Stöckhardt  '.Ceutralblatt  für  Agriculturchemie  1872,  p.  15,  Wagner's  Jahresber. 
1874,  S.  178)  hat  nachgewiesen,  dass  der  Nachtheil  des  Hütten-  und  Stein- 
kohlenrauches auf  die  Vegetation  ausschliesslich  seinem  Gehalte  an  S02  zu- 
zuschreiben ist. 

Eine  Entfernung  von  630  Metern  scheint  auch  die  empfindlichste  Vegetation 
gegen  die  Wirkung  der  Rauchmassen  zu  schützen,  wenn  die  Schornsteine  wenigstens 
25  Meter  hoch  sind.  Stöckhardt  hält  Nadelhölzer  für  empfindlicher  gegen  S02 
als  Laubhölzer  und  zwar  in  folgender  Reihe:  Tanne,  Fichte,  Kiefer  und  Lärche. 
Von  Laubhölzern  sind  Weissdorn,  Weissbuche,  Birke  und  Obstbäume  am  empfind- 
lichsten; ihnen  folgen  Haselnuss,  Rosskastanie,  Eiche,  Rothbuche,  Esche,  Linde 
und  Ahorn.  Die  Pappel  soll  sich  am  widerstandsfähigsten  zeigen,  was  wir  nach 
eignen  Beobachtungen  nicht  bestätigen  können,  während  St.  ausser  dieser  auch  die 
Erle  und  Eberesche  für  am  meisten  geschützt  hält.  In  den  durch  S02  getödteten 
oder  corrodirten  Pflanzentheilen  konnte  S02  nicht,  wohl  aber  eine  grössere  Menge 
von  Schwefelsäure  nachgewiesen  werden. 

Zu  erwähnen  ist  hier  der  Vorschlag  von  Todd,  die  Röstgase  der  Pyrite 
und  die  Rauchgase  dadurch  zu  verwerthen,  dass  man  diese  Gase  unter  Schichten 
von  Kohle  oder  Koks  führt,  welche  durch  abgehende  Wärme  erhitzt  werden.  Die 
Kohlensäure  verwandele  sich  dann  in  Kohlenoxyd,  welches  als  Heizmaterial 
diene,  und  die  schweflige  Säure  liefere  ausser  Kohlenoxyd  noch  Schwefel, 
der  in  einem  Kühlapparat  condensirt  werden  könne. 

13)  Asphyxie  accidentelle  par  des  fumigations  sulfureuses.  Journ.  de  chim.  med.,  Janv , 

g47 :  Jahresber.  von  Virchow-Hirsch  I.  1867,  S.  419 
irt:  Gasinhalations- Krankheiten,  S.  75.     Breslau  u.  Leipzig  1873. 

15)  Würtembergisches  Corresp  -Blatt  No.  48,  1852. 

16)  Ausführliches  über  die  Verwendung  der  schwefligen  Säure  findet  sich  bei 

De  war:  On  the  application  of  sulphurous  aeid.  gaseous  and  liquid  to  the  pro- 
vention  and  eure  of  diseases.    Second  edit.   Edinb.  1868. 

Pairman:  The  great  sulphure  eure  brought  to  the  test  and  workings  of  the  new 
curative  machine  proposed  for  human  lungs  and  windpipes.    Edinb.  1868. 

17)  Die  Zeichnung  ist  dem  Payen'schen  Werke  (S.  232)  entnommen. 

18)  Winkler,  C.  A.:  Untersuchungen  über  die  chemischen  Vorgänge  in  den  Gay- 
Lussac'schen  Condensationsapparaten  der  Schwefelsäurefabriken.    Freiberg  1867. 

Winkler  sieht  die  Bleikammerkrystalle  für  eine  Vereinigung  von  Schwefel- 
säurehydrat mit  salpetriger  Säure  an.  Untersalpetersäure  bilde  in  Be- 
rührung mit  feuchter  schwefliger  Säure  nitrose  Schwefelsäure  in  festem, 
krystallisirtem  Zustande.  Salpetrige  und  schweflige  Säure  gäben,  falls 
Feuchtigkeit  zugegen  sei,  bei  ihrem  Zusammentreffen  Schwefelsäurehydrat 
und  entweichendes  Stickoxyd  gas. 

19)  Die  beiden  Figuren  sind  dem  Werke  von  Friedrich  Bode:  Beiträge  zur  Theorie 
und  Praxis  der  Schwefelsäureproduction  (Berlin  bei  Oppenheim,  1872)  entnommen. 

Bezüglich  der  Schwefelsäurefabrication  ist  noch  beachtenswerth: 
Smith,  Henry  Arthur:  The  chemistry  of  sulphurid  and  manufacture.    Lond.  1873. 
Deutsche  Ausgabe  von  Friedr.  Bode  unter  dem  Titel:  Die  Chemie  der  Schwefel- 
säurefabrication.   Freiberg  1874. 

Schwarzenberg,  Philipp:  Technologie  der  chemischen  Präparate.  Braun- 
schweig 1865. 

20)  Der  Ofen  von  II  äsen  clever  und  Heibig  ist  beschrieben  in  der  Zeitschrift  des 
Vereins  deutscher  Ingenieure  1870,  S.  706,  sowie  in  Dingler's  polytechn.  Journ. 
1871,  erste  Hälfte. 

21)  Eine  ausführliche  Beschreibung  dieses  Ofens  findet  sich  in  der  Berg-  und  Hütten- 
männischen Zeitung  1871,  No.  5. 


Selen  und  Tellur.  817 

Bei  den  ursprünglichen  Perret'schen  Oefen  wurde  das  Erz  von  einer  Etage  zur 
andern  mit  der  Hand  geknickt,  wodurch  viele  Arbeit  entstand.  Die  neuern  Oefen 
haben  eine  Höhe  von  2  Meter  und  4  Reihen  Platten  übereinander,  auf  denen  der 
Kies  vollständig  abbrennt,  ohne  dass  man  ihn  von  oben  nach  unten  zu  schieben 
braucht. 

Maletras  hat  nach  diesen  Principien  einen  Ofen  construirt,  in  welchem  Fein- 
kiese ohne  Stückkies  und  ohne  Kohlenfeuerung  abgeröstet  werden.  Es  sind  aber 
schwefelreiche  Kiese  von  46—48%  Schwefel  erforderlich,  wenn  das  Resultat 
günstig  sein  soll. 

Aus  diesen  vielfachen  Ofenconstructionen  ersieht  man,  dass  kein  Ofen  allen 
Zwecken  dienen  kann  und  man  daher  von  der  Natur  der  Kiese  auch  die  Con- 
struction  der  Oefen  abhängig  machen  muss.  In  der  Nähe  von  Berlin  sind  Oefen 
von  Maletras  im  Betriebe.  Ueber  den  Walter'schen  Ofen  s.  Wagner's  Jahresber. 
1874,  S.  246. 

22)  Bei  fehlerhaften  Pumpen  kann  in  Folge  des  Druckes  ein  Platzen  derselben  erfolgen, 
wodurch  schon  bedeutende  Verletzungen  und  "Verbrennungen  der  Arbeiter  ent- 
standen sind.  Es  ist  daher  Pflicht  der  Fabricanten,  alle  Pump  Vorrichtungen  einer 
öftern  und  sorgfältigen  Revision  zu  unterwerfen,  um  ein  Unglück  dieser  Art  zu 
verhüten. 

23)  Lunge  hat  in  Dingler's  polytechn.  Journ.  (CCI.  p.  341)  eine  genaue  Beschreibung 
des  Glover'schen  Thurmes  geliefert.  Man  vergl.  hierüber  auch  Fr.  Vorster  in 
Dingler's  Journ.,  203.  Bd.,  p.  204.   Wagner's  Jahresber.  f.  1875,  S.  341,  355,  358  u  s.w. 

Wie  der  Gay-Lussac'sche  Thurm  sich  an  die  Bleikammer  anschliesst,  so  ist 
der  Glover'sche  Thurm  zwischen  Kammern  und  Brenner  eingeschaltet;  man  kann 
ihn  als  Denitrir-  und  Concentrationsthurm  bezeichnen.  Seine  Hauptaufgabe 
besteht  aber  im  Concentriren  der  Kammersäure  durch  die  Hitze  der  aus  dem 
Brenner  kommenden  schwefligen  Säure  und  in  dem  Denitriren  der  aus  dem 
Gay-Lussae'schen  Thurm  ausfliessenden  nitro sen  Schwefelsäure,  obgleich  der 
erstere  Zweck  vollständiger  als  der  letztere  erreicht  werden  soll,  weil  viele  Stick- 
stoffverbindungen  angeblich  zu  Stickstoff  reducirt  werden. 

24)  Ueber  den  Transport  der  concentrirten  Schwefelsäure  in  Dinglers  Journ.  1874,  S.518. 

Ueber  Reinigung  der  Schwefelsäure  von  Arsen  mittels  Schwefelwasserstoffs 
nach  Gerstenhöfer  s.  Wagner's  Jahresber.  1874,  S.  259;  ferner  S.  237. 

Selen  (S.  173—174). 
1)  Eulenberg's  Lehre  u.  s.w.,  S.  455. 

Tellur  (S.  174). 

1)  Eulenberg:  Die  Lehre  u.  s.  w.  S.  463. 

2)  Gmelin,    C.   G. :    Versuche    über    die    Wirkung    von    Baryt,    Strontian    u.  s.  w. 
Tübingen  1824,  S.  43. 

Stickstoff  und  seine  Verbindungen  (S.  174—255). 

1)   Boussingault  hat  die  Untersuchungen  über  die  Kohlensäure  im  Boden  angeregt. 
v.  Pettenkofer:    Die   Luft  im  Boden   oder   Grundluft    (in  den  Vorlesungen  in 
Beziehung  der  Luft  zu  Kleidung,  Wohnung  und  Boden.     Braunschw.  1872). 
—     Zeitschr.  f.  Biologie  VIT  S.  395,  1871,  u.  IX.  S.  250,  1873. 
Fleck:  Zweiter  und  dritter  Jahresbericht  der  ehem.  Centralstelle  f.  Öflentl.  Gesund- 
heitspflege in  Dresden.     Dresden  1873  u    1874. 

Staebe,  C.  L.:  Boden-Ventilation  als  Schutzmassregel  wider  Cholera  und  Typhus. 
Herausgeg.  von  Paul  Niemeyer,  Magdeburg  1873. 

Staebe  geht  von  der  Erwägung  aus,  dass  Epidemien  von  Cholera,  Typhus  u.  s.  w. 
dadurch  zu  "verhüten  sind,  dass  man  unaufhörlich  grosse  Mengen  frischer,  reiner 
Luft  in  den  Boden  leitet,  die  verdrängte  Luft  aber  an  einem  vom  Menschenverkehr 
entfernt  gelegenen  Puncte  zum  Abfluss  in  die  Atmosphäre  bringt.  Zu  diesem 
Zwecke  empfiehlt  er,  die  Keller  unter  den  Wohnräumen  12  Zoll  hoch  auszugraben 
und  sämmtliche  in  den  Kellerwänden  liegende  Schornsteine  des  Hauses  bis  zu 
dieser  Tiefe  hinabzuführen,  gegen  den  Grund  durch  dichtes  Mauerwerk  abzu- 
schliessen  und  mit  jenem  12  Zoll  hohen  Räume  durch  eine  ebenso  hohe  seitliche 
Oeffnung  in  Communication  zu  setzen.  Danach  sei  der  12  Zoll  hohe  Hohlraum 
über  Eisenbahnschienen  zuzuwölben,  mit  einer  Betonschicht  zu  belegen  und  die 
nunmehr  gewölbte  Kellersohle  zu  planiren.  Damit  der  Hohlraum  rem  erhalten 
werde,  ist  beim  Fegen  der  Schornsteine  in  die  Reimgungsthüren  ein  Schutzblech 
einzufügen.     Man  könne  auch  besondere  Canäle  aufmauern,  welche  über  der  Kei- 

Eulenberg,  Gewerbe-Hygiene.  3" 


818  Stickstoff  und  seine  Verbindungen. 

nigungsthür   in   die  nicht  hinunter  geführten   Schornsteine  münden  und   im   Hohl- 
raum ebenso  wie  die  letztern  mit  seitlichen  Oeffnungen  versehen  sind. 
Vogt,   Adolf:    Trinkwasser   oder  Bodengase.     Eine   Streitschrift   zur   Beleuchtung 
der    Tagesfragen    über    die    Entstehung    des    Typhus    und    dessen    Bekämpfung. 
Basel  1874. 

Fodor:    Experiment.  Unters,   über  Boden  und  Bodengase.     Vierteljahrsschrift  für 
öffentl.  Gesundheitspflege  VII.  S  205.  1875. 

Pfeiffer:  Ueber  Bodenwärme  und  Infectionskrankheiten.    Berl.  Klin.  Wochenschr. 
IX.  Jahrg.,  S.  15.     Port  im  Bayer,  ärztl.  Intelligenzblatt  XXII.  9. 

2)  Festschr.  f.  d.  Versamml.  deutscher  Naturforscher  in  Rostock.  Tägliche  Beobach- 
tungen von  Franz  Schulze.     Rostock  1871. 

3)  Schmid,  Ernst  Erhard:  Grundriss  der  Meteorologie.     Leipzig  1862. 

Dove,  H    W.:  Die  Witterungsverhältnisse  in  Berlin.    2    Aufl.    Berlin  1858.     Eine 
sehr  praktische  Schrift. 

Smith,   Rob.  Angus:    Air   and  Rain,   the  beginnings   of  a   chemical  Climatologie. 
London  1872. 

4)  Man  vergl.  die  Versuche  von  Seitz  (Deutsche  Klinik   1865,  No.  41). 

5)  Obernier,  F.:  Der  Hitzschlag,  Insolatio  —  Coup  de  Chaleur  —  Sun-stroke.  Nach 
neuen  Beobachtungen  und  ausgedehnten  Versuchen.     Bonn   1867. 

Passauer   (Vierteljahrsschrift  für  gerichtl.  Medicin  u.  s.  w.,  VI.  Bd.,  2.  Heft  1867) 
hält  den  Hitzschlag  für  eine  Infectionskrankheit. 

Arndt,   Rudolf:    Zur  Pathologie  des  Hitzschlages   (in  Virchow's  Archiv,  64.  Bd., 
1875,  S.  15). 

6)  New-York  Journ.,  New  Ser.  XIII.,  p.  45,  1854. 

7)  v.  Pettenkofer:  Ueber  das  Verhalten  der  Luft  zum  Wohnhause  des  Menschen 
(p.  50  in  der  cit.  Vorles.). 

8)  Möller:  Ueber  die  Methoden  zur  Ermittelung  der  Feuchtigkeit  in  Gebäuden. 
(Pappenheim's  Monatsschr.  für  ex.  Forsch,  im  Gebiete  d.  Sanitätspolizei,  I.  Jahrg. 
Berlin  1860,  S.  337). 

9)  Lehnert  in  der  Vierteljahrsschr  für  gerichtl  Medicin  u.  s.  w.,  8.  Bd.,  S.  261,  1868. 
Bresler,  1.  c.  6.  Bd.  2.  Heft  1854. 

Der  §  89  der  Bau-Polizei-Ordnung  für  Berlin  und  Umgegend  vom  21.  April  1853 
schreibt  vor,  dass  Kellergeschosse  nur  dann  zu  Wohnungen  eingerichtet  werden 
dürfen,  wenn  deren  Fussböden  mindestens  einen  Fuss  über  dem  höchsten  Wasser- 
stande, deren  Decke  aber  wenigstens  3  Fuss  über  dem  Niveau  der  Strasse  liegen. 
Auch  müssen  die  Mauern  und  Fussböden  solcher  Wohnungen  gegen  das  Eindringen 
und  Aufsteigen  der  Erdfeuchtigkeit  geschützt  werden. 

Nach  der  neuesten  Zählung  gibt  es  in  Berlin  22,000  Kellerwohnungen,  die,  zu  je 
75  Thlr  Jahresrente  gerechnet,  einen  jährlichen  Ertrag  von  1,650,000  Thlr.  bringen. 

Schlechte  Kellerwohnungen  sind  allerdings  mit  höchst  schädlichen  Einflüssen 
verbunden;  Kellerwohnungen  sind  aber  nicht  gänzlich  zu  verwerfen,  sondern  bedürfen 
mehr  als  jede  andere  Wohnung  bei  der  ganzen  Anlage  einer  sanitätspolizeilichen 
Ueberwaehung.  Ein  Haupterforderniss  ist  die  gewissenhafte  Beachtung  einer  alle 
Umstände  berücksichtigenden  Bau-Polizei-Ordnung,  denn  Verstösse  gegen  eine 
sachgemässe  Bauconstruction  können  bei  Kellerwohnungen  nicht  wieder  gut  gemacht 
werden,  sie  machen  ihre  sanitären  Nachtheile  auf  die  Insassen  permanent  geltend. 

10)  Bei  den  Kasematten  ist  es  auch  noch  die  mangelhafte  Einwirkung  des  Lichtes, 
welche  als  ein  sanitärer  Nachtheil  zu  betrachten  ist.  Man  kann  hier  zwar  ent- 
gegnen, dass  in  Bergwerken  Kinder  geboren  und  erzogen  werden,  ehe  sie  das 
Tageslicht  erblicken;  diese  Ausnahme  berechtigt  aber  noch  nicht  dazu,  die  wohl- 
tätige Wirkung  des  Lichtes  gering  zu  achten.  Pas  Licht  ist  ein  Belebungs- 
mittel für  das  Nervensystem  und  für  die  harmonische  Function  der  physiologischen 
Processe  erforderlich.  Man  vergl.  die  interessante  Schrift  von  Forbes,  Winslow: 
Light,  its  influence  on  lit'e  and  health.     London  1867. 

Moleschott:  Licht  und  Leben.     Eine  Rede.     Frankfurt  1856. 

11)  Anders  verhält  es  sich  bei  den  Heizern  auf  Eisenbahnen  und  den  Locomotiv- 
führern,  welche  schon  wegen  der  bedeutenden  Luftströmung  den  höhern  Hitze- 
graden weniger  ausgesetzt  sind.  Erfahrungsgemäss  sind  auch  die  Locomotiv- 
beamten  eher  Krankheiten  ausgesetzt,  welche  auf  die  in  stehender  Stellung  zu 
ertragenden  Erschütterungen  zu  beziehen  sind,  wie  Steifigkeit  in  den  Gelenken  und 
Gelenkkrankheiten  überhaupt.  Was  aber  die  Wärme  des  Heizapparates  betrifft, 
von  welcher  das  Locomotivpersonal  getroffen  wird ,  so  schwankte  bei  den  auf 
5  Locomotiven  angestellten  Wärmemessungen  eine  \%  Fuss  vom  hintern  Kessel- 
umfange entfernte  Quecksilbersäule  je  nach  dem  Einflüsse  des  Windes  zwischen 
24,5°  und  30,5°  R. ,  während  die  Wärme  der  atmosphärischen  Luft  16°  R.  im 
Schatten    betrug.      Eine    belästigende    Wärmestrahlung    verbreitet    sich    bei   jeder 


Warme  Luft.  g;[C) 

Oeffnung  der  Feuerthür  und  wird  nur  von  den  Heizern  empfunden.  Wichtiger  ist 
der  Umstand,  dass  sehr  ungleiche  Temperaturgrade  oft  den  Körper  treffen;  während 
die  Erhitzung  der  untern  Körperhälfte,  namentlich  der  Fusssohlen,  unerträglich 
werden  kann,  wird  der  obere  Theil  des  Körpers  ebenso  oft  dem  abkühlenden 
Winae  ausgesetzt.  Trotzdem  hat  die  bisherige  Eisenbahn-Statistik  noch  nicht  ein 
vorzugsweises  Erkranken  der  Locomotivbeamten  nachgewiesen.'  Sehr  lehrreiche 
Andeutungen  hierüber  finden  sich  in  der  Schrift:  „Zum  Eisenbahn-Medicinalwesen. 
Von  einem  Hannoverschen  Eisenbahnarzte.     Celle  1863." 

Es  ist  hier  besonders  auf  v.  Weber's  Vorschlag:  an  jeder  Bahnlinie  Wannen- 
und  Dampfbäder  zur  reichlichen  Benutzung  für  das  Maschinen-  und  Fahrper- 
sonal anzulegen,  aufmerksam  zu  machen,  ein  Vorschlag,  dem  wir  aus  voller  Ueber- 
zeugung  beitreten,  da  neben  Reinerhaltung  des  Körpers  die  belebende  Wirkung 
des  Bades  als  das  beste  Mittel  zur  Förderung  einer  normalen  Hautthätigkeit  erachtet 
werden  muss. 

v.  Weber,  M.:  Die  Gefährdungen  des  Personals  beim  Maschinen-  und  Fahr- 
dienst der  Eisenbahnen.     Leipzig  1862. 

Soule:  Praktische  Bemerkungen  über  die  Krankheiten,  welche  bei  Eisenbahn- 
beamten vorkommen.     Deutsch  von  Gustav  BÖ  gel.     Leipzig  1866. 

Verf.  hat  keine  besondern  Krankheiten  bei  den  Locomotivführern,  Maschinisten 
und  Heizern  auffinden  können;  namentlich  vermisste  er  bei  denselben  Leiden  der 
Nervencentren,  welche  angeblich  ebenfalls  durch  die  schwankende  Bewegung 
der  Maschine  entstehen  sollen. 

Die  Statistik  der  Eisenbahnbeamten  ist  erst  im  Entstehen.  Cfr.  Flinzer: 
Die  Krankheit's-Statistik  der  Eisenbahnbeamten  (Vierteljahrsschr.  f.  gerichtl.  Medic. 
23.  Bd.,  S.  355,  1875),  Lent  ( Correspondenzblatt  des'  Nieders.  Vereins  f.  öffentl. 
Gesundheitspflege,  Bd.  IV.,  No.  4,  5,  6,  S.  64,  1875). 

Anders  verhält  es  sich  mit  den  Maschinisten  auf  Dampfschiffen,  die  ent- 
schieden grössern  Extremen  in  der  Temperatur  ausgesetzt  sind,  wenn  die  geeig- 
neten Schutzmassregeln  fehlen.  Diese  bestehen  gegenwärtig  auf  allen  grössern 
Dampfschiffen  in  Ventilationsschloten  aus  Blech  oder  Leinwand,  die  nach  dem 
Winde  zu  stellen  sind  und  eine  bedeutende  Menge  frischer  und  kühler  Luft  dem 
Maschinenräume  und  namentlich  dem  Heizraume  zuführen;  nur  in  tropischen 
Gegenden  wird  diese  Einrichtung  nicht  ausreichen:  s.  Senftleben  (Vierteljahrsschr. 
25.  Bd.  1876). 

12)  Vierteljahrsschr.  f.  gerichtl.  Medicin,  Bd.  XVIL,  S.  119,  1860. 

13)  In  der  Seidenindustrie  sind  die  Trocken'stuben  gegenwärtig  fast  ganz  in  Weg- 
fall gekommen  (s.  S.  564).  Für  viele  technische  Zwecke  sind  sie  aber  noch  unent- 
behrlich und  werden  am  zweckmässigsten  in  der  Weise  construirt,  dass  von  einem 
im  Souterrain  gelegenen  Centralfeuerherd  die  Feuergase  in  Canälen  oder  Röhren 
aufwärts  ziehen,  in  einem  Röhrensystem  sich  vertheilen  und  unten  in  das  Rauch- 
rohr zurückkehren.  Für  Arbeiter,  welche  in  solchen  Räumen  länger  verweilen 
müssen,  gibt  es  kein  vortrefflicheres  Mittel,  als  der  Gebrauch  von  kalten  Regen- 
bädern, Brausen  und  Douchen.  Die  Einrichtung  derselben  ist  so  einfach, 
dass  sie  sehr  leicht  und  ohne  grössere  Kosten  fertig  gestellt  werden  können;  man 
sollte  sie  den  Arbeitern  überall,  wo  excessive  Temperaturgrade  auf  dieselben  ein- 
wirken, zur  Verfügung  stellen,  da  sie  den  Körper  erfrischen  und  gegen  die  Hitze 
widerstandsfähiger  machen. 

Was  die  Luftheizung  in  Wohnräumen  und  Schulen  betrifft,  so  wird  ihr  Werth 
noch  vielfältig  bestritten.  Da  die  Schulen  oft  der  Schauplatz  der  bezüglichen  Ver- 
suche gewesen  sind,  so  erklärt  es  sich,  dass  grade  viele  Lehrer  entschiedene 
Gegner  dieses  Systems  geworden  sind.  Viele  Nachtheile  sind  jedenfalls  _  auf  eine 
unzweckmässige  Anlage  zurückzuführen,  namentlich  wenn  sie  sich  als  die  Folgen 
einer  übermässigen  Erhitzung  der  Luft  oder  der  Zuführung  von  Kohlenstaub  u.  s.w. 
kund  geben.  Schwierig  ist  die  Erwärmung  des  Fussbodens  und  die  Herstellung 
einer  gleichmässigen  Erwärmung  mehrerer  Stockwerke,  denn  es  ereignet  sich  nicht 
selten,  dass  zu  ebener  Erde  eine  unzureichende  Erwärmung  und  im  ersten  Stocke 
eine  unerträgliche  Hitze  vorwaltet.  Man  zieht  es  daher  neuerdings  vor,  nur  ein- 
zelne Räume  mit  einer  Centralheizung  zu  versehen,  woraus  aber  natürlich  grössere 
Kosten  erwachsen,  die  man  bei  Schulen  u.  s.  w.  im  Allgemeinen  zu  scheuen  pflegt. 

Die  stärkere  Bewegung  der  Luft  bedingt  notwendigerweise  eine  kräftigere 
Ventilation,  aber  gleichzeitig  grössere  Trockenheit  der  Luft;  auch  die  Temperatur- 
differenz im  geheizten  Räume  ist  jedenfalls  auffallend,  sie  kann  in  horizontaler 
Richtung  2°  C.,  in  verticaler  vom' Boden  bis  zur  Decke  12°  betragen.  Man  hat 
grade  diesen  Umstand  als  die  Ursache  mancher  Erkrankungen,  z.  B-  von  Hals- 
affectionen,  Kopf-  und  Brustschmerzen,  angesehen,  obgleich  Zuverlässiges  hierüber 
noch  nicht  vorliegt. 

52* 


820  Stickstoff  und  seine  Verbindungen. 

Kammerer  (Untersuchungen  über  die  Luft  in  Schulzimmern  bei  Luft-  und 
Ofenheizung.  Bayer.  Industrie-  u.  Gewerbe-Blatt  VII.,  G  u.  7,  1875)  hat  die  Frage: 
ob  die  Heizeinriehtungen  und  die  Ventilation  in  dem  mit  Luftheizung  nach  Rein- 
hard t'schem  Systeme  versehenen  Gebäude  der  Winterbaugewerkschule  zu  Nürn- 
berg den  heutigen  Ansprüchen  der  Technik  und  Hygiene  vollkommen  genügen,  in 
jeder  Beziehung  bejaht  und  die  Luftheizung  bei  einer  guten  Anlage  für  zuträglicher 
als  die  Ofenheizung  erklärt:  kein  anderes,  bis  jetzt  erprobtes  Heizsystem  liefere 
in  Bezug  auf  gleichzeitige  Erwärmung  und  Ventilation,  auf  zuträglichen 
Feuchtigkeitsgehalt  der  Luft,  Einfachheit  der  Anlage  und  Unter- 
haltung bessere  Resultate. 

K.  hat  besonders  den  Gehalt  an  Kohlensäure  als  Massstab  benutzt  und  bei 
Luftheizung  im  Mittel  0,17575  Volumprocent  (auf  6°  und  760°  Mm.  Baro- 
meterstand berechnet),  bei  Ofenheizung  im  Mittel  0,26084  Volumprocent 
wählend  der  Unterrichtszeit  im  Lehrzimmer  gefunden. 

Während  der  Unterrichtszeit  ohne  Gasbeleuchtung  enthielt  die  Luft  in  den  Lehr- 
zimmern der  erwähnten  Schule  im  Durchschnitt  0,14276  Volumprocent  Kohlen- 
säure bei  der  Luftheizung. 

Der  Gesammtmittelwerth  aller  Kohlensäurebestimmungen  während  der  Unter- 
richtszeit mit  und  ohne  Gasbeleuchtung  belief  sich  bei  Luftheizung  auf 
0,1753  Volumprocent,  bei  Ofenheizung  auf  0,26014  Volumprocent. 

Bei  Luftheizung  bewegte  sich  die  einströmeude  Heizluft  im  Mittel  während 
1  Secunde  3,050  Meter,  die  abziehende  Luft  1,893  Meter. 

Was  den  Feuchtigkeitsgehalt  der  Luft  betrifft,  so  ergaben  sich  beiLuft- 
heizung als  Gesammtmittelwerth  bei  allen  Beobachtungen  60,95%  relativer 
Feuchtigkeit,  bei  Ofenheizung  69,21%:  bei  Luftheizung  10,3%  absoluter 
Feuchtigkeit  und  bei  Ofenheizung  9,17%. 

Es  wird  somit  durch  das  Experiment  bewiesen,  dass  die  Luftheizung  trocknend 
wirkt,  was  in  der  stärkern  Luftbewegung  und  der  hierdurch  bedingten  raschen  Weg- 
führung der  wässrigen  Ausscheidungen  seinen  Grund  haben  mag.  Es  gibt  nun  Fälle,  in 
denen  sich  diese  Trockenheit  auf  eine  unangenehme  Weise  bemerkbar  macht:  man 
kann  zwar  hierauf  erwiedern,  dass  dann  die  Schuld  nur  an  der  Einrichtung  oder 
an  einer  unzweokmässigen  Leitung  der  Feuerung  liegt.  Gibt  man  dies  zu,  so  folgt 
aber  weiter,  dass  die  Luftheizung  im  Allgemeinen  einer  weit  sachverständigeren 
Ueberwachung  bedarf  als  die  Ofenheizung,  wenn  sie  ihrem  Zweck  vollständig 
entsprechen  soll.  In  Schulen  wird  dies  um  so  nothwendiger  sein,  weil  es  sich 
hier  nur  um  eine  vorübergehende  Heizung  von  kürzerer  Dauer  handelt,  während 
welcher  alle  Bedingungen  zur  Erreichung  einer  angenehmen  Wärme  noch  schwieriger 
zu  erfüllen  sind. 

Gut  construirte  Oefen  können  weit  leichter  nach  dem  jeweiligen  Bedürfnisse 
gehandhabt  werden  und  eignen  sich  namentlich  für  Volks-Schulen  weit  besser. 

14)  Deber  eine  choleraartige  Erkrankung  nach  dem  Genüsse  von  Fruchteis  hat 
Cheval  Her  berichtet  (s.  Espece  de  cholera  morbus  cause  par  des  glaces  im  Bull, 
de  l'Acad.  de  med.  23.,  p.  717).  Jahresbericht  von  Virchow- Hirsch,  I.  Bd.,  S.  458 
bis  459,  1868 

Ueber  Vanilleeis-Vergiftung  vergl.  man  noch 
Maurer  im  Arch.  f.  klin.  Medicin,  IX.,  p.  303,  1872. 
Rosenthal,  L.,  in  Berl.  klin.  Wochenschr.  No.  10,  S.  115,  1874. 
Ferber  im  Archiv  der  Heilkunde,  3.  u.  4.  Heft,  S.  362,  1874. 

15)  Meidinger,  Heinrich:  Die  Fortschritte  in  der  künstlichen  Erzeugung  von  Kälte 
und  Eis.     Amtl.  Bericht  über  die  Wiener  Ausstellung,  16.  Heft,  S  74. 

Die  W  indhausen'sche  Maschine  ist  in  Wagner's  Jahresber.  für  techn.  Chemie 
(1870,  S.  542)  beschrieben. 

16)  Rose,  Edmund:  Die  Mechanik  des  Hüftgelenkes.  (Separat-Abdruck  aus  Reichert's 
u    du  Bois-Reymond's  Anh..  .luhrg.  1865,  Heft  5.) 

17)  Meyer-Ahrens  :  Die  Bergkrankheit.    Leipzig  1854. 

18)  Schlaginweit  in  Koner's  Zeitschr.  f.  Erdkunde  (Berlin  1866,  Bd.  1.  4.  Heft,  S.  332): 
Ueber  den  Einfluss  der  Höhen  auf  die  menschliche  Gesundheit. 

19)  Compt.   rend.   1.  Juillet  1872.     Ferner  loc.  eod.  17.  Juillet   1871,  946,  1874. 
Bert  gibt  den  Rath,  45-   <•">  %  O.  und  55—25$  N.  den  Luftschiffern  mitzugeben. 

20)  Ein  Opfer  der  verdünnten  Luft  und  des  verminderten  Luftdruckes  sind  in  der 
jüngsten  Zeit  die  Lnftschiffer  Oroce-Spinelli  und  Sivel  geworden.  Eine  aus- 
reichende Benutzung  von  Sauerstoff  würde  wahrscheinlich  diesem  Unglücke  vor- 
gebeugt haben.  Die  Höhe  von  7000— 7400  Meter  kann  man  als  diejenige  bezeichnen, 
bis  zu  der  unsere  Atmosphäre  noch  athembar  ist.  Die  Höhe,  welche  der  Ballon 
der  genannten  Luftechiffer  erreichte,  betrug  nahezu  8600  Meter.  Neben  der  Ver- 
dünnung mag  auch  vielleicht  die  Trockenheit  der  Luft  mit  eingewirkt  haben. 


Atmosphärische  Luft.  321 

21)  Man  vergl.  Guerard  in  Annal.  d'hyg.  publ.  1860,  S.  279. 
Freund  in  der  Wiener  medic.  Presse  No.  11,  1866. 
Panum  in  Pflüger' s  Arch.  f.  Phys.  1868,  S.  125. 

v.  Vivenot:    Zur   Kenntniss   der  physiolog.   Wirkung   der   comprimirten   Luft. 
Erlangen  1868. 

—  —  Ueber  den  Einfluss  des  verstärkten  und  verminderten  Luftdruckes. 
Wien  1865. 

G.  v  Liebig:  Ueber  das  Athmen  unter  erhöhtem  Luftdrucke.  Zeitschrift  für 
Biologie,  Bd.  1,  1869. 

Jourdanet,  D.:  Influence  de  la  pression  de  l'air  sur  la  vie  de  l'homme.  Climats 
d'altitude  et  climats  de  montagne.  2  vol.  gr.  in-8,  avec  cartes  et  pl.  Paris, 
G.  Masson  1875. 

22)  Arch.  f.  Ohrenheilk.,  I.,  4.  Heft,  p.  269—283,  1864. 

23)  Annal.  d'hyg.  publ,  Oct.  1866,  p.  289. 

24)  Pol  et  Watelle  in  Annal.  d'hyg.  publ.  1854,  S.  241. 

25)  Friedberg,  Herrn.:  Ueber  die  Rücksichten  der  öffentlichen  Gesundheitspflege 
auf  das  Arbeiten  in  comprimirter  Luft.  Separat- Abdruck  aus  den  Verhandlungen 
des  Vereins  für  Beförderung  des  Gewerbefleisses.     Berlin  1872. 

26)  Foley:  Du  travail  dans  l'air  comprime,  etude  medicale,  hygienique  et  biologique. 
Paris  1863.     Annal.  d'hyg.  publ,  Janv.  1864;  S.  214. 

27)  Die  bezüglichen  Beobachtungen  auf  preussischen  Bergwerken  finden  sich  in  der 
Zeitschr.  f.  Berg-,  Hütten-  u.  Salinenwesen,  Bd.  4  S.  255,  1857,  Bd.  8  S.  43  u.  152, 
1860,  Bd.  17  S.  385,  1869. 

In  Compt.  rend.  T.  XIII.  p.  884  sind  die  ersten  Versuche  des  Ingenieurs  Triger, 
welche  ein  unter  durchsickerndem  Sande  liegendes  Kohlenlager  bebaubar  zu  machen 
bezweckten,  mitgetheilt  worden. 

28)  Jede  Stadt  und  jedes  Land  hat  einen  besondern  Staub.     Man  vergl.: 
Lichtenstein,  Eduard:  Zur  Strassen-Hygiene  in  der  Berliner  klin.  Wochenschr. 
No.  45,  46  u.  s.  w.,  1874. 

Archiv  der  Deutschen  Medicinal- Gesetzgebung  von  Müller  und  Ziurek, 
11.  Bd.,  1858. 

Sonnenkalb:  Der  Strassenstaub  in  Leipzig  1861. 

Chrastina:    Der    Strassenstaub    in     Wien    als    gesundheitsschädliche    Potenz. 
Oesterr.  Zeitschr.  f.  prakt.  Aerzte,  VI.,  45,  1861. 

Süss,  Eduard:  Ueber  den  Staub  Wiens  in  den  Schriften  des  Vereins  zur  Ver- 
breitung naturw.  Kenntnisse  in  Wien.     IV.  Jahrg.  1863 — 64.     Wien  1865. 

Ein  Hauptbestandteil  des  Wiener  Strassenstaubes  besteht  aus  s  über  weissen 
Glimmerblättchen,  die  von  dem  zum  Schutt  (Beschotterung)  der  Strassen 
benutzten  Sandstein  herrühren. 

Tissandier:  Der  Staub  von  Paris  und  Umgegend.  Compt.  rend.,  Tome  78, 
No.  12,  Mars  1874. 

•Unger,  Franz:  Mikroskopische  Untersuchungen  des  atmosphärischen  Staubes 
von  Graz.  Sitzungsber.  der  K.  K.  Academie  d.  Wissensch.  zu  Wien  im  Nov.  1849. 
Wien  1849. 

Tyndall:  Ueber  Nebel  und  Staub  (Roy.  Instit.  1870  vom  21.  Jan.  Naturforscher 
No.  13,  1870). 

Wild:  Ueber  den  Staubgehalt  der  Luft  in  Poggend.  Annal.  IV.  V.,  1868. 
Dellmann    (Vorträge   über  neuere   Forschung.    Kreutznach  1870)    behandelt  den 
atmosphärischen  Staub,  Rauch  und  Höhenrauch. 

Ueber  die  Luft  in  Fabrikstädten  und  namentlich  ihren  Gehalt  an  Schwefel- 
säure, Salzsäure  u.  s.  w.  conf.  Dr.  A.  Smith,  1  c.  No.  3. 
Brit.  med.  Journ.,  Juni  1870.  Quart.  Journ.  of  Microscop.,  Jan.  1869. 
Sidebothar  (Industrie -Blätter  No.  13,  1872)  hat  über  die  Abgänge  von  den 
Schienen  und  Räderspeichen  bei  Eisenbahnfahrten  Beobachtungen  gemacht.  Da 
viele  dieser  Eisentheilchen  magnetisch  waren,  so  schlägt  er  für  Reisende  in  Gegen- 
den von  bedeutender  Eisenindustrie  das  Tragen  magnetischer  Eisenbahnbrillen  und 
eines  magnetischen  Respirators  vor! 

29)  Ehrenberg,  C.  G.:  Monatsbericht  der  Academie  der  Wissensch.,  Jan.  1871,  S.  3. 

—       Uebersicht  der  seit  1847  fortgesetzten  Untersuchungen   über  das  von  der 
Atmosphäre  unsichtbar  getragene,  reiche  organische  Leben.     Berlin  1871. 

30)  Co hn,  Ferdin.:  Unsichtbare  Feinde  in  der  Luft.     Ein  Vortrag.     Tagesblätter  der 
47.  Vers,  der  Deutschen  Naturf.  u.  Aerzte  in  Breslau   vom  18.  bis  24.  Sept.  1874, 
p.  138,  Breslau  1874.  ■  ,  _„      . 
Richter,  E.  H. :    Ueber   das  Vorkommen   krank  machender  Schmarotzer-Pilze  m 
der  Atmosphäre  (Schmidt's  Jahrb.,  Oct.  1871). 


822  Stickstoff  und  seine  Verbindungen. 

31)  Caslin:  Shut  your  inouth.  4.  Ed.,  Lond.  1869.  Deutsch  von  Flachs:  Geschlos- 
sener Mund  hält  gesund.     Leipzig  1870. 

32)  Oppenheimer,  Z.:  Ueber  den  Einfluss  des  Klimas  auf  den  Menschen.  Sammlung 
gemeinverständlicher  wissenschaftl.  Vorträge,  Berlin  1867,  S   35. 

33)  Melloni.  Macedoinal:  La  Thermochrate  ou  la  coloration  calorifique.  Frem.  part. 
Naples  1830. 

34)  Graf  v.  Rumford:  Abhandlungen  über  die  Wärme.     Weimar  1805,  S.  318. 
Kleinere  Schriften,  2.  Bd.  2.  Abth.,  1800,  S.  290. 

351   Krieger  in  der  Zeitschr.  f.  Biologie.  5  Bd.  4.  Heft  1869. 

36)  Coulier  im  Journ.  de  physiol.     Tom.  1,  1859. 

Levy:  Traite  d'hyg;  priv.  et  publ.  (11.  T,  4.  Edit.  1862,  p.  202). 
Falk,   Friedrich:    Ueber  die   hygienische  Bedeutung   des  Wassergehaltes  der  At- 
mosphäre im  Arch.  f.  path.  Anat ,  62.  Bd.,  1875. 

37)  Zeitschr.  f.  Biologie,  1.  Bd.  S.  180,  1865. 

38)  Hoppe,  J.:  Die  leinene  und  baumwollene  Bekleidung  der  Menschen.  Magde- 
burg 1851. 

39)  Annal    d'hyg.  et  publ.,  XII  Bd.,  p.  54,  1834. 

Stark   hat   namentlich   auch   bezüglich   der  Farbe  der   Zeuge   experimentell   fest- 
gestellt ,   dass  schwarze  Stoffe  hygroskopischer   als  weisse   sind  und  neben  Wärme . 
und  Licht  ebenso  leicht  flüchtige  und  riechende  Stoffe  aufnehmen,   so  dass  bei  der 
Krankenpflege  und  bei  Reisen  in  ungesunden  Gegenden  schwarze  Kleidungsstücke 
zu  vermeiden  sind. 

40)  v.  Pettenkofer:  Beziehungen  der  Luft  zur  Kleidung  in  den  cit.  Vorlesungen. 

Ueber  militärische  Bekleidung  ist  zu  vergl.: 
Parkes:  A  manual  of  practicale  Hygiene.     Third  edit.     London  1869. 
Roth  und  Lex:   Handbuch  der  Militair-Hygiene.     Berlin  1871  —  75. 

41)  Einzelne  Regierungen  haben  besondere  Anweisungen  zum  Schutze  der  in  gewerb- 
lichen Anlagen  beschäftigten  Arbeiter  publicirt.  Ausführlich  ist  eine  solche  Be- 
kanntmachung Seitens  der  Regierung  zu  Düsseldorf  im  45.  Stück  des  Amtsblattes 
vom  October  1874  mitgetheilt. 

42)  Möllinger,  Carl:  Handbuch  der  zweckmässigen  Systeme  der  Abtritts-Senkgruben 
und  Siebanlagen.     Höxter  1867. 

Eine  ausführliche  Beschreibung  der  Saug-Druckpumpen  findet  sich  bei  Salviati 
Röder    und   Eichhorn:    Die   Abfuhr   und  Verwerthung   der  Dungstoffe   u.  s.  w  .' 
Berlin  1865. 

43)  Laurin,  Philipp:  Entfernung  und  Verwerthung  von  Abortstoffen  u.  s.w.  Prag  1869. 
Pieper,  Carl:  Schwemmcanäle  oder  Abfuhr.     Dresden  1869. 

Knauff  und  Esser:  Deutsche  Viertel) ahrsschr.  f.  öffentl.  Gesundheitspfl.,  IV.  Bd. 
2.  Heft,  S.  316,  1872. 

Ranke,  H.:  Bericht  über  die  Anwendung  des  Liernur'schen  Systems  in  Prag. 
München  1870. 

44)  Eigenbrodt:  Die  Städtereinigung.     Darmstadt  u.  Leipzig  1868. 

45)  Darstellung  des  Müller- Schür'schen  Systems  zur  Abfuhr  menschlicher  Excremente. 
Stettin   1865. 

Müller,  Alex.:  Ueber  landwirtschaftliche  Verwerthung  der  Faeces.  Erdmauu's 
Journ.  f.  prakt.  Chemie,  Bd.  88,  p.  226,  1862. 

46)  Bockendahl,  J.:  Das  Erd-,  Gruben-,  Eimer-  und  modificirte  Wasser-Closet  in 
England.    Nach  dem  Public  Health  Report  für  1869.     Kiel  1871. 

Moule:  On  the  System  of  earth  sewage.  Journal  of  the  societ.  of  arts. 
May  15,  1863. 

Schwarz  und  Limer:  Ueber  das  Fass-Abortsystem  der  Stadt  Graz.  Dingler's 
polyt.  Journ.,  p.  487,  1867. 

Schauenstein,  Adolf:  Die  Abfuhr  der  Auswurfstoffe  und  die  Gesundheits- 
verhältnisse in  Graz.  Deutsche  Viert elj ahrsschr.  f.  off.  Gesundheitspfl.,  Bd.  "\  III., 
Heft  2,  1876. 

47)  Die  neuern  Bemühungen,  aus  den  in  desinficirtem  Zustande  abgefahrenen  Excre- 
menten  Bre  nnmaterial  darzustellen,  rühren  vom  Oberlehrer  Dr.  Petri  in  Berlin 
her  (s.  Allgem.  polyt.  Zeitschr.  1874,  p.  1868.,  —  Deutsche  Industriezeitung  1874, 
p.  284,  —  Dingler's  polyt.  Journ.,  213.  Bd.,  p.  258).  Die  hierzu  erforderliche  Ein- 
richtung der  Aborte  besteht  im  Trommelsystem.  Die  Trommel  besteht  aus 
emaillirtem  Topfeisen,  ist  47  Ctm.  hoch,  40  Ctm.  im  Lichten  weit  und  umfasst  auf 
jeder  Seite  5  Aborte.  Die  in  die  Aborte  entleerten  Excremente  werden  durch  eine 
gezahnte  Welle  von  Schmiedeeisen  mittels  einer  Kurbel  in  Bewegung  gesetzt,  nach- 
dem vorher  die  Petri'sche  Desinfectionsmasse  in  die  Trommel  geschüttet  ist,  welche 
bis  zur  Anfüllung  der  Trommel  ausreicht. 

Unterhalb  jeder  Trommel  befindet  sich  eine  hebelartige  Vorrichtung,  welche  einen 


Sewage.  g23 

Schieber  seitlich  schiebt,  damit  die  geruchlosen,  moorartigen  Fäcalmassen  in  ein 
darunter  m  einer  Grube  aufgestelltes  Petroleumfass  fallen,  dessen  Deckel  nach  der 
Füllung  mit  einem  Schraubenverschluss  versehen  wird. 

Die  geruchlose  Fäcalmasse  wird  schliesslich  in  eine  doppelte  Schnecke  gebracht, 
welche  mittels  eines  durch  2  Pferdekräfte  in  Thätigkeit  gesetztes  Göpelwerk  die- 
selbe zu  Fäcalsteinen  formt  und  dabei  immer  zwei  gleichzeitig  herausbefördert. 
In  einer  Stunde  liefert  die  Maschine  750  Fäcalsteine. 

Die  von  der  hiesigen  Militair-Verwaltung  angestellte  Prüfung  hat  ergeben ,  dass 
die  Fäcalsteine  höhern  Brennwerth  als  Torf  haben  und  die  dabei  ge- 
wonnene Asche  7%  Kali,  8 %  Phosphorsäure  und  10-12%  Kalk  enthält;  sie  ist  daher 
als  ein  gutes  Dungmittel  zu  benutzen,  cf.  Deutsche  Vieiteljahrsschrift  für  öffentl. 
Gesundheitspflege,  S.  495  u.  747,  1875. 

48)  On  the  sewering  of  towns  and  draining  of  houses.  Journ.  of  the  societv  of  arts 
March  21,  1862.  J 

49)  Bürkli-Ziegler:  Die  Wasserversorgung  der  Stadt  Zürich.     Winterthur  1872. 
Bürkli,  A.:  Anlage  und  Organisation  städtischer  Wasserversorgung.    Zürich  1867. 

50)  —  Ueber  Anlage  städtischer  Abzugscanäle  und  Behandlung  der  Abfallstoffe  in 
Städten.     Zürich  1866. 

Was  die  Construction  der  Schwemmcanäle  betrifft,  so  hat  man  in  Berlin  nur 
für  die  Hauptcanäle  grosse  gemauerte  Gewölbe  errichtet.  Die  seitlichen  Zuflüsse 
werden  durch  kräftige  Thonröhren  vermittelt. 

51)  Bekannt  ist  es,  dass  die  Fische  den  frischen  Fäcalien  mit  Begierde  nachgehen; 
nur  die  faulen  Stoffe  sind  für  sie  gefährlich.  Ausserdem  sind  es  aber  die  Abfälle 
der  chemischen  Fabriken,  welche  unter  Umständen  höchst  verderblich  auf  die 
Fische  einwirken. 

Frankland  im  Amtl.  Berichte  der  Wiener  Ausstellung,  S.  71. 

52)  First,  second  and  third  Report  of  Commissioners  to  inquire  in  to  the  best  Means 
of  preventing  the  Pollution  of  Rivers.    London. 

Reinigung  und  Entwässerung  Berlins.     Von  1870—1874.     Berlin  bei  Hirschwald. 
Virchow:  Reinigung  und  Entwässerung  Berlins.     Generalbericht.     Berlin  1873. 

53)  Ger  ardin:  Alteration,  corruption  et  assainissement  des  rivieres.  Annal.  d'hyg. 
publ.,  T.  XLIH,  p.  5  u.  261,  1875. 

54)  Die  Ergebnisse  der  Clark 'sehen,  Lenk'schen  und  Sillar'schen  Verfahren  finden 
sich  in  Reinigung  und  Entwässerung  Berlins. 

55)  Zu  den  Schattenseiten  der  Berieselung  gehört  noch  der  Umstand,  dass  ein  hin- 
reichend grosses  Gebiet  von  Aeckern  und  Feldern  zu  Gebote  stehen  muss,  um 
eben  den  nothwendigen  Wechsel  in  der  Berieselung  eintreten  lassen  zu  können. 

In  England  rechnet  man  durchschnittlich  auf  63  Einwohner  1  Morgen  Rieselland, 
während  man  in  Berlin  mit  1  Morgen  für  200  Einwohner  auszukommen  glaubt. 

Wichtig  bleibt  es,  auch  für  die  vorschriftsmässige  Ableitung  des  Rieselwassers 
Sorge  zu  tragen.    In  einem  concreten  Falle  wurde  dasselbe  in  Festungsgräben  ab- 

feleitet,  in  denen  es  durch  weitere  Zersetzung  wegen  mangelnden  Abflusses  der 
äulniss  unterlag  und  sanitätspolizeiliche  Bedenken  hervorrief.  Der  von  der 
Regierung  verklagte  Magistrat  führte  aus,  dass  in  den  qu.  Festungsgraben  schon 
seit  längerer  Zeit  wildes  Tageswasser  geflossen  sei.  Die  Gerichtsbehörde  bestritt 
aber,  dass  dem  Magistrat  hieraus  das  Recht  erwachse,  die  Rieselwässer  in  den 
Festungsgraben  einzuführen.  Nach  dem  Ausspruch  der  Gerichtsbehörde  hat  der 
Kläger  nur  von  der  im  §  102  Tit.  8.  Th.  I.  des  Allgem.  Landrechts  bisher  keinen 
Gebrauch  gemacht,  vielmehr  den  Uebertritt  des  Wassers  von  den  Nachbargrund- 
stücken nur  geschehen  lassen;  es  könne  hieraus  allein  der  verklagte  Magistrat  den 
Besitz  eines  Rechtes  für  sich  überhaupt  nicht  herleiten.  Bestehe  aber  ein  solches 
Recht  —  wie  aus  der  Existenz  von  zwei  Feldgräben  als  Vorfluthgräben  anzunehmen 
sei  — ,  so  könne  sich  dasselbe  nach  den  gesetzlichen  Bestimmungen  (§  102  u.  s.  w. 

I.  c,  Vorfluth-Edict   vom   15.  November  1811,    Gesetz  vom  28.  Februar  1843  und 

II.  Mai  1853)  immer  nur  erstrecken  entweder  auf  das  Regen-  und  Schnee- 
wasser, welches  vom  Himmel  auf  das  verklagte  Grundstück  falle  oder  auf  das 
in  dem  letztern  stehende  Wasser  (Teiche  und  stehende  Seen),  welches,  weil  es 
immer  vorhanden,  von  unterirdischen  Zuflüssen  herrühren  müsse  (conf.  Ent- 
scheidungen des  Ober- Tribunals,  Bd.  36,  S.  40).  Nicht  aber  sei  ohne  vorgängige 
Constituirung  die  Existenz  eines  dinglichen  Rechts,  speciell  einer  Servitut 
—  wie  das  Recht  vom  verklagten  Magistrate  genannt  wird  —  denkbar,  Inhalts 
deren  der  verklagte  Magistrat  befugt  sei,  sich  von  fremden,  künstlich  seinem 
Grundstücke  zugeführten  Flüssigkeiten  zu  entledigen.  Mögen  diese 
Flüssigkeiten  ihre  Beschaffenheit  durch  Bodeninfiltration  verändern, 
wie  sie  wollen,  immer  bleiben  sie  wegen  Mangels  des  natürlichen 
Zusammenhanges  mit   dem  Grundstücke  ausserhalb  der  Grenzen  der 


824  Stickstoff  und  seine  Verbindungen 

in  den  vorcitirten  gesetzliehen  Vorschriften  behandelten  Fällen, 
namentlich  ausserhalb  der  Existenz  einer  nothwendigen  oder  Legal- 
servitut. 

Der  Magistrat  suchte  zu  beweisen,  dass  der  Sandboden  des  Dünenterrains  fast 
überall  mit  einem  rothbraunen  Stoffe,  dem  sogen.  Fuchssande,  imprägnirt  sei, 
welcher  eine  der  Braunkohle  ähnlich  zusammengesetzte,  stark  eisenhaltige  Humus- 
substanz sei.  Durch  diese  rothbraunflockige  Substanz  werde  das  qu.  Rieselwasser 
getrübt,  enthalte  aber  keine  Residua  des  Sielwassers. 

Gegneriseherseits  wurde  die  Qualität  des  filtrirten  Rieselwassers  bestritten  und 
das  Vorhandensein  des  sogen.  Fuchssandes  für  bedeutungslos  erklärt,  indem  der- 
selbe das  Wasser  nur  mit  etwas  Eisenoxyd  würde  färben  können,  dasselbe  aber 
sonst  frei  von  organischen  Stoffen  sein  müsse,  was  nicht  der  Fall  sei. 

Das  Gericht  entschied  zu  Gunsten  des  Klägers. 

Ganz  besonders  wichtig  ist  auch  ein  passender  und  das  Wasser  aufsaugender 
Boden,  damit  so  wenig  als  möglich  Wasser  zum  Abtluss  gelangt;  ein  mit  Lehm 
oder  Mergel  gemischter  Sandboden  eignet  sich  am  besten  dazu. 

Sehr  praktische  Fingerzeige  liefert  in  dieser  Beziehung: 
Fegebeutel:  Die  Canalwasser-(Sewage-)  Bewässerung  in  Deutschland.  Danzig  1874. 

—  Die  Canalwasser-  (Sewage-)  Bewässerung.  Danzig  1870.  Man  vergl.  ferner 
Varrentrapp:  Die  Entwässerung  der  Städte.     Berlin. 

Eine  gute  Uebersicht  der  bezüglichen  Bestrebungen  enthält: 
v.  Sommaruga:  Die  Städte -Reinigungs- Systeme  in  ihrer  land-  und  volkswirth- 
schaftlichen  Bedeutung.  Halle  1874. 
56)  In  Lübeck  ist  z.  B.  die  Canalisation  und  Abfuhr  mit  einander  verbunden.  Für 
letztere  dienen  transportable  Gefässe,  während  die  Canäle  aus  gradeliegenden 
Strecken  von  50 — 60  Meter  Lauge  zusammengesetzt  sind  und  vielfältig  aus  glasirten 
Thonröhren  bestehen.  Bei  etwaigen  Verstopfungen  eines  Hauptsieles  reinigt  man 
mittels  einer  durchziehenden  Kette,  weshalb  Canäle  in  grader  Linie  erforderlich 
sind.  Die  Verbindung  der  einzelnen  Strecken  erfolgt  durch  sog.  Einsteigeschachte, 
die  sich  auch  bei  jeder  Einmündung  durch  eine  Nebenstrasse  und  bei  jeder  Verände- 
rung des  Gefälles  befinden.  Sie  sind  86  Centimeter  (3  Kubikfuss)  weite,  aus  Form- 
steinen in  Cement  gemauerte  Brunnen,  deren  Sohle  mit  Keilsteinen  halbkreisförmig 
nach  demselben  Halbmesser  wie  die  einmündenden  Thonröhren  gewölbt  ist.  Diese 
Einsteigeschachte  werden  unter  dem  Pflaster  mit  einer  glockenförmigen,  gusseisernen 
Kappe  geschlossen,  in  welcher  sich  oben  eine  im  Niveau  des  Pflasters  liegende, 
40  Centimeter  weite,  viereckige  Einsteigeklappe  befindet;  ihre  Oberfläche  ist  mit 
Asphalt  ausgegossen.  Die  Abfallröhren  der  Dachrinnen  und  die  Strassenrinnen 
münden  unmittelbar  in  die  Sielen.  Da  kein  Schmutzwasser  auf  die  Strasse  ge- 
gossen werden  darf,  so  müssen  alle  Häuser  durch  Privatsiele  einen  Anschluss 
haben.  Die  Hauptröhren  sind  15—18  engl.  Zoll  weit,  die  Zweigröhren  5  Zoll.  Die 
Mündung  des  Siels  in  das  Flussbett  wird  durch  verzimmerte,  etwa  3  Meter  lange 
viereckige  Kasten  von  eichenen  Bohlen  vermittelt,  welche  durch  die  Quaimauern 
hindurchgehen  und  beständig  im  Wasser  liegen. 
57 1   Lefeldt:  Der  gegenwärtige  Stand  der  Abfuhr-  u.  Canalisationsfrage.   Berlin  1872. 

58)  Egen,  P.  N.  C:  Der  Haarrauch.  Ursprung.  Erscheinung  u. s.w.  desselb.  Essen  1835. 
Prestel  in  der  Oesterr.  Zeitschr.  f.  Meteorologie,  Bd.  III,  No.  13.  S.  323,  1868. 

59)  Eulenberg:  Die  Lehre  von  den  schädlichen  u.  s.  w.  Gasen,  S.  191. 

60)  Preyer  (Die  Blutkrystalle,  Jena  1871,  S.  83)  hat  hierüber  ebenfalls  Versuche  an- 
gestellt. 

61)  Potain  in  Gaz.  de  hop.  No.  18,  1862. 

Christen  sah  den  Tod  eintreten,  nachdem  50— 60  Grm.  Salmiakgeist  aus  Versehen 
verschluckt  worden.  Auch  hier  zeigten  sich  nach  1%  Stunden  profuser  Schweiss, 
mühsame  Athmung  und  geschwollene  Zunge.  Die  mit  Schleim  angefüllten 
Bronchien  Hessen  einen  suffocatorischen  Katarrh  befürchten .  welcher  beim  Aus- 
flusse einer  grossen  Menge  weissen  Schaums  aus  dem  Munde  und  unter  stetiger 
Zunahme  der  asphvktischen  Erscheinungen  nach  3%  Stunden  letal  wurde  (Journ. 
de  Chim.  medic.  5."ser.  Juillet  1869,  S.  309). 

61)   Harless   in  Henle's  und  Pfeuffer's  Zeitschr.  f.  ration.  Medic,  Bd.  12,  Heft  1  u.  2. 
S.  68,  1861. 
Abeking,  Jenaische  Zeitung.  S.  213,  1859. 

63)  Das  Ammonium carbonat  ist  vorzugsweise  in  Beziehung  zur  Uraemie  geprüft 
worden.  S.  Rosenstein  (Virchow's  Archiv,  56.  Bd.,  3.  Heft)  sah  nach  subcutaner 
Einspritzung  von  Ammoniumcarbonat  bei  Fröschen.  Kaninchen  und  Hunden  epi- 
leptiforme  Krämpfe  eintreten,  welche  er  für  Krämpfe  cerebraler  Natur  hält,  da  sie 
nicht  auftreten,  wenn  Gehirn  und  Rückenmark  getrennt  ist.  Die  Krämpfe  seien 
nicht   reflectorisch,   da   sie  glatte  Muskelfasern   verschonten.     Die  Elimination   des 


Ammoniak.  g25 

Giftes  erfolge  in  geringer  Menge  durch  die  Lungenschleimhaut,  mehr  durch  die 
Haut  und  die  Nieren ;  die  chemische  Umsetzung  des  Ammoniaks  in  Nitrate  finde 
innerhalb  der  Blutmasse  statt. 

64)  Nach  einer  Beobachtung  von  Castan  leitete  ein  Techniker  eine  Carre'sche  Eis- 
maschine_  und  blieb  dabei  dem  Gasstrome  5-10  Minuten  lang  ausgesetzt.  Sofort 
zeigten  sich  Angst-  und  Constrictionsgefühl  im  Epigastrium,  Brennen  in  der  Kehle, 
Schwindel,  Hustenanfälle  und  Erbrechen.  Bei  kleinem,  frequentem  Pulse,  jedoch 
normaler  Temperatur  erschien  das  Gesicht  blass,  collabirt  und  der  Körper  mit 
Schweiss  bedeckt;  zugleich  starker  Speichelfluss  bei  stark  gerötheter  Mund-  und 
Rachenschleimhaut.  Auscultation  und  Percussion  der  Brust  ergab  nichts  Abnormes. 
Nach  einhüllenden  und  krampfstillenden  Mitteln  hielt  die  Besserung  bis  zum  4.  Tage 
an,  an  welchem  Erstickungssymptome  ein  Emeticum  erforderten.  Am  8.  Tacre 
kehrte  der  Erstickungsanfall  in  geringerm  Grade  zurück;  Patient  genass  dann  voll- 
ständig.    Schmidt's  Jahrb.  1872,  L,  S.  30. 

65)  Eulenberg:  Die  Lehre  u.  s.w.,  S.  527. 

Der  Desinfectionsofen  ist  ein  kleiner  Schachtofen,  welcher  auf  einem  Gewölbe 
steht  und  nach  oben  schlotähnlich  ausläuft.  Unter  den  Rost  der  Feuerung  führt 
ein  mit  einem  Schieber  versehenes  Rohr  die  Gase  oder  Dämpfe  ein.  In  der  Mitte 
des  Gewölbes,  1  Meter  unterhalb  der  Eintrittsstelle  dieses  Rohrs,  beginnt  ein  Cylinder 
von  2  Meter  Höhe,  welcher  nach  unten  durch  den  Aschenfall  vollständig  geschlossen 
werden  muss,  damit  der  Zug  der  Gase  in  die  Feuerung  nicht  gestört  wird;  seitlich 
hat  der  Cylinder  noch  eine  Schiebethür,  um  etwa  festsitzende  Asche  loszustossen. 

66)  Seidel,  M.:  Ammoniak  und  Ammoniaksalze  im  Amtl.  Bericht  über-die  Wiener 
Ausstellung,  S.  192,  16.  Heft. 

67)  Die  Carre'sche  Eismaschine,  welche  in  der  letztern  Zeit  grosse  Verbreitung  gefunden 
hat,  findet  sich  genau  beschrieben  in  Dingler's  polytechn.  Journ.,  168.  Bd.,  S.  171. 

Man  vergl.  auch: 
Tellier:  L'ammoniaque  dans  1'industrie.     Paris,  J.  Rothschild,  1867. 

68)  A.W.  Hofmann,  Viertel]' ahrsschr.  f.  gerichtl.  Medicin,  18.  Bd.,  S.  318,  1873. 

69)  Eulenberg:  Die  Lehre  u.  s.  w.,  S.  304.  Bei  den  wiederbelebten  Cloakenfegern 
zeigt  sich  meist  ein  gedunsenes,  bläulich-rothes  Gesicht  mit  cyanotischer  Färbung 
der  Lippen,  Ohren  und  Nägel;  die  Respiration  ist  schnarchend,  frequent,  mit 
Rhonch.  sibil.  und  sonor,  verbunden.  Das  Sensorium  bleibt  noch  einige  Tage  lang 
eingenommen,  Fragen  werden  daher  nur  langsam  und  zögernd  beantwortet.  Zu 
gesteigerter  Pulsfrequenz  kann  sich  leicht  eine  geringe  Erhöhung  der  Temperatur 
gesellen. 

70)  Hemmer,  M.:  Experiment.  Studien  über  die  Wirkung  faulender  Stoffe  auf  den 
thier.  Organismus.     München   1866. 

Schweninger,  F.:  Ueber  die  Wirkung  faulender  Stoffe  auf  den  thier.  Organism. 

Bayer.  Intelligenzbl.  No.  42-47,  1866. 

Hunt,    William:     Ein    Beitrag    zur    Lehre    von     der    Blutvergiftung.     Loc.   eod. 

No.  29,  1868. 

Finkeinburg,  Viertelj ahrsschr.  f.  gerichtl.  Media,  20.  Bd.,  S.  301,  1874. 

Blumenstock,  loc.  eod.  18.  Bd.  S.  295,  1873. 

Siegfried,  loc.  eod.  21.  Bd.  S.  338,  1874. 

Erismann  (Zeitschr.  f.  Biol.,  XL  Bd.  11.  Heft  1875,  S.  207—254)  fand,  dass  eine 

mittelgrosse  Abtrittsgrube,  die  18  Kubikmeter  Excremente  enthält,  auch  bei  äusserst 

geringer  Luftbewegung   an   der  Oberfläche  binnen   24  Stunden    18792,7  Liter  oder 

in   runder  Zahl   18,79  Kubikmeter  =  20,681  Kilogramm  unathembare   oder   direct 

schädliche  Gase  an  die  Atmosphäre  abgibt.     Letztere  bestanden  aus 

Kohlensäure 11,144  Kilogr. 

Ammoniak 2,040      „ 

Schwefelwasserstoff 0,033      „ 

Kohlenwasserstoffe,  Fettsäure       .     .      7,464      „ 

135  Grm.  Excremente  nehmen  täglich  13,85  Kilogr.  Sauerstoff  aus  der  Luft  auf. 

71)  Mech.  Magaz.  307,  Nov.  1866.     Dingler's  polytechn.  Journ.,  183  Bd.,  S.  397. 

72)  Davy:  Chemische  und  physiolog.  Untersuchungen  über  das  oxydirte  Stickgas  und 
das  Athmen  in  demselben.    Aus  dem  Engl,  übersetzt.    2  Theile.    Lemgo  1812-1814. 

Seiner  Begeisterung  über  die  durch  das  Gas  erzeugten  gehobenen  Gefühle  gab 
Davy  in  folgenden  Worten  Ausdruck:  „Nichts  existirt  als  der  Gedanke!  Aus 
Empfindung.  Vorstellung,  Vergnügen  und  Schmerz  besteht  das  Weltall!" 

73)  Noch  heute  steht  das  Colton'sche  zahnärztliche  Institut  in  New-York  sehr  im  Rufe. 
v.  Haurowitz  (Das  Militair-Sanitätswesen  der  Vereinigten  Staaten  während  des 
letzten  Krieges  u.  s.  w.,  Stuttgart  1866)  fand  daselbst  in  einem  Buche,  in  welches 
die  Patienten  ihre  Bemerkungen  eintragen,  folgende  Stellen :  „Das  Lachgas  ist  kein 
humbug,  aber  der  Zahnschmerz  ist  es  dadurch  geworden."   —   „Ich  habe  nie  eine 


826  Phosphor. 

angenehmere   Empfindung    gehabt,    als    während    Herr    Colton    mir    vier    Zähne 
ausriss. " 

74)  Hermann,  Ludimar,  in  Reichert's  Archiv  für  Physiol.  u.  Anat.,  p.  520,  1864. 

—     Lehrbuch  der  experimentellen  Toxicologie,  p.  245.     Berlin   1874. 

75)  Grohnwald,  Carl:  Das  Stickstoffoxydul  als  Anaestheticum.     Berlin  1872. 

Ueber  einen  Todesfall  während  der  Narcose  berichtet  Brit.  Journ.  of  dent.  scienc. 
Febr.  1873. 

Auch  v.  Nussbaum  beobachtete  einen  Todesfall  bei  einem  Trinker.  Bei  der 
Section  fanden  sich  die  Blutkörperchen  zerstört  und  in  eine  schmierige  Lackfarbe 
aufgelöst  (Bericht  des  II    Congresses  der  Deutschen  Gesellsch.  f.  Chirurg.,  1873). 

Stickstoffoxydul  erzeugt  sehr  leicht  Cyanose,  die  stets  Gefahr  verkündet;  ver- 
schwindet sie  nicht  bald,  wird  der  Anästhesirte  sogar  tief  dunkel  cyanotisch,  so 
stockt  die  Respiration  bald  und  der  Tod  ist  die  unausbleibliche  Folge.  Herz- 
kranke dürfen  Stickoxydul  niemals  als  Anaestheticum  benutzen. 

76)  Eulenberg:  Die  Lehre  u.  s.  w.,  S  247. 

77)  Brereton  will  bei  einem  in  Folge  von  Pneumonie  entstandenen  Lungenabscess  die 
Dämpfe  von  Salpetersäure  mit  Erfolg  angewendet  haben.  (Schmidts  Jahrbücher, 
S.  10,  1835.) 

78)  Preyer:  Die  Blutkrystalle.     Jena  1871. 

79)  In  den  statistischen  Nachweisungen  figuriren  die  Kupferstecher  und  Litho- 
graphen häufig  als  Brustkranke. 

80)  Die  Verbindung  NOC1  heisst  Nitr  osylchlori  d.  Sie  soll  sich  nach  T bilden 
(Chem.  News,  1874,  29,  No.  752:  Wagner's  Jahresber.  für  ehern.  Technol.,  S.  362, 
Jahrg   1874)  nach  folgender  Gleichung  bilden: 

HN03  +  3HC1  =  N0C1  +  C12  +  2H20. 

Phosphor  (S.  255—282). 

1)  v.  Bibra  und  Geist:  Die  Krankheiten  der  Arbeiter  in  Phosphorzündholzfabriken. 
Erlangen   1847. 

Albrecht,  E.:  Die  Krankheiten  an  der  Wurzelhaut  der  Zähne.     Berlin  1860. 
Thiersch:   Die  Phosphornekrose  der  Kieferknochen.     (Arch.  d.  Heilk.,  9.  Jahrg., 
1.  Heft,  S.  71.     Leipzig  1868.) 

2)  Gaz.  hebdom.  de  Med.  29,  p.  461,  1868.     l'Union  medic.  No.  86,  p.  97,  1868. 

3)  L'Union  medic.  No.  74  u.  75,  1868.     Jahresber.  v.  Virchow-Hirsch,  I.,  814,  1868. 

4)  Wegner:  Der  Einfluss  des  Phosphors  auf  den  Organismus.  Virchow's  Arch.  für 
path.  Anatomie,  55.  Bd  ,  1.  u.  2.  Heft,  1872. 

5)  Am  meisten  sind  in  letzterer  Zeit  noch  aus  Wien  Fälle  von  Kiefernekrose  mit- 
getheilt  worden.  Man  vergl  die  Berichte  über  die  K.  K  Krankenanstalt  Rudolph- 
Stiftung  für  die  Jahre  1872  und  1873.     Wien  1873  u.  1874 

6)  Fleck,  Hugo:  Die  Fabrication  chemischer  Producte  und  thierischer  Abfälle. 
Braunschw.  1862.    2.  Bandes  2.  Gruppe  von  Bolley's  Handb.  d.  chem.  Technologie. 

7)  Causse  hat  im  Bullet  de  l'Acad.  XIX.,  Sept.  1854,  Versuche  über  die  Unschäd- 
lichkeit des  amorphen  Phosphors  mitgetheilt. 

8)  Nach  Coignet  in  Lyon  wird  der  weisse  Phosphor  direct,  ohne  Anwendung  der 
beiden  Bäder,  in  einem  gusseisernen  Kessel  erhitzt  und  zwar  mittels  Koksfeuerung. 
Die  Temperatur  wird  durch  4  Thermometer,  die  im  Deckel  des  Kessels  stecken, 
beobachtet:  in  der  Mitte  des  Kessels  dient  ein  Rohr  zur  Ableitung  der  Gase 
(s.  Payen's  Lehrb.  d.  Technol  ,  deutsche  Ausg.,  S.  399). 

9)  Bellini:  Della  fabbrica  di  fiammiferi  di  Rimini.  Firenze  1867.  Virchow-Hirsch's 
Jahresber.  1867,  L,  430. 

10)  Jettel,  Wlad.:  Die  Zündwaaren-Fabrication  in  ihrer  gegenwärtigen  Ausbildung. 
Braunschweig  1871. 

Freitag,  Josef:  Die  Zündwaaren-Fabrication.     Wien,  Pest,  Leipzig  1876. 

11)  Nach  Freycinet  (Traite  d'assainissement  industriel.  Paris  1870)  werden  in  einer 
Fabrik  in  der  Nähe  von  Antwerpen  die  getrennten  Räume  für  die  Schwefel- 
schmelzung, die  Anfertigung  der  Zündmasse,  das  Tunken,  für  das 
Trocknen,  die  Anfüllung  der  Büchsen  und  für  das  Expeditionszimmer 
mittels  eines  grossen  centralen  Schornsteins  von  2  Meter  Durchmesser  und 
36  Meter  Höhe  ventilirt.  Derselbe  dient  der  Dampfkesselfeuerung  und  kann 
nöthigenfalls  auch  noch  mit  einer  besondern  Feuerung  versehen  werden. 

Den  zwei  aneinanderstossenden  Seiten  jedes  Raumes  entlang  läuft  aussen  herum 
ein  unterirdischer  gemauerter  Canal  von  0,60  im  Quadrat,  der  in  den  Schornstein 
mündet.  Im  Innern  dieser  Räume  stehen  Oeffnungen  in  der  Mauer  mit  diesem 
Zuge  in  Verbindung.  In  dem  Räume  für  die  Anfertigung  der  Zündmasse 
befindet  sich   ausserdem  noch  ein  breiter   und  niedriger  Rauchfang,   dessen  Saug- 


Phosphor.  007 

Wirkung  durch  den  kleinen  Schmelzherd  verstärkt  wird.  Das  Tunken  geschieht 
sehr  rasch  und  die  Rahinen  werden  sofort  auf  die  Trockenbänke  gebracht.  Im 
Trockenraum    sind    zwei  Seiten    entlang   18   Bänke  aufgestellt,   die  je  3  Meter 

Sef?'  £  ^6ter  H°he  ^  1'80  Meter  Breite  haben-  Sie  communiciren  mittels 
3facher  Oeänungen  am  Boden  mit  dem  Ventilationszug  und  stehen  mit  der 
äussern  Luit  mittels  eines  über  das  Dach  hinausreichenden  Schlotes  in  Verbindung 
Erwärmt  werden  sie  mit  Dampfröhren,  die  unter  dem  Fussboden  aufgestellt  sind; 
ausserhalb  dieses  Raumes  gelegene  Klappen  regeln  nach  Bedürfniss  die  Wärme 
Vor  jeder  Reihe  der  Trockenbänke  befindet  sich  eine  kleine  Eisenbahn,  welche  vom 
Schmelzraume  kommt  und  zum  Expeditionszimmer  geht.  Sobald  die  Rahmen  auf 
die  Trockenbänke  aufgestellt  sind,  werden  die  eisernen  Thüren  des  Trockenraums 
geschlossen. 

Unter  den  Tischen,  auf  denen  die  Holzbüchsen  gefüllt  werden,  sind  ebenfalls  die 
Aspirations-Mündungen  angebracht. 

Diese  Ventilations  -  Methode  ist  einfach,  sehr  wirksam  und  nicht  kostspielig  in 
der  Anlage. 

Bei  Verbrennungen  mit  Phosphor  soll  das  sofortige  Waschen  mit  Eau  de 
Javelle,  in  welcher  Magnesia  suspendirt  ist,  in  5  Minuten  den  Schmerz  beseitigen. 

12)  In  einem  solchen  Buche  sind  Vor-  und  Zuname,  Alter,  Wohnort  sowie  der  Tag 
des  Ein-  und  Austritts  jedes  Arbeiters  enthalten.  Der  Arzt,  welchem  die  Ueber- 
wachung  des  Gesundheitszustandes  übertragen  ist,  hat  die  Ausführung  der  Vorsichts  - 
massregeln zu  controliren  und  sowohl  die  Arbeiter  als  auch  die  Besitzer  auf  vor- 
gefundene Mängel  aufmerksam  zu  machen.  Noch  zweckmässiger  würde  es  sein, 
keinen  Arbeiter  zuzulassen,  ehe  er  von  einem  Arzte  auf  seinen  Gesundheitszustand 
untersucht  worden  ist.  Ausserdem  ist  dem  Kreis-  oder  Bezirks-Physikus  der  Ein- 
tritt in  die  Fabrik  jeder  Zeit  zu  gestatten,  damit  dieser  sich  von  der  nachhaltigen 
Befolgung  der  vorgeschriebenen  Anordnungen  überzeuge.  Man  vergl.  Eulen- 
berg:  Das  Medicinalwesen  in  Preussen,  S.  118. 

13)  Köhler,  Hermann:  lieber  Werth  und  Bedeutung  des  sauerstoffhaltigen  Terpen- 
tinöls für  die  Therapie  der  acuten  Phosphor-Vergiftung.    Halle  1872. 

Nur  sauerstoffhaltiges,  nicht  chemisch  reines  und  frisches  Terpentinöl  ist 
anzuwenden.  Bei  der  eigentlichen  Phosphorvergiftung  wirkt  es  zweifach:  einmal, 
indem  es  den  Phosphor  in  phosphorige  Säure  überführt,  und  zum  andernmal, 
indem  es  mit  dieser  die  unschädliche  terpentinphosphorige  Säure  bildet. 

Terpentinöl  wird  auch  zum  Besprengen  der  Fussboden  in  den  Arbeitsräumen 
benutzt  oder  in  offenen  Schalen  hingestellt. 

14)  Eulenberg  und  Vohl:  Die  Kohle  als  Desinfectionsmittel  und  Antidot.  Viertel- 
jahrsschr.  für  gerichtl.  Medicin,  XIII.  Bd.,  1870.  Dingler's  polyt  Journ.,  Bd.  198, 
S.  435,  1870. 

Im  Allgemeinen  ist  aber  zu  bemerken,  dass  man  nicht  einen  allzugrossen  Werth 
auf  Antidote  lege  und  nicht  im  Vertrauen  auf  diese  zur  Vernachlässigung  der 
hygienischen  Massregeln  verleitet  werde. 

Beim  Phosphor  dampf  ist  ausserdem  noch  zu  berücksichtigen,  dass  er  sich 
auch  in  den  Kleidern  festsetzen  und  von  hier  aus  noch  nachträglich  einwirken 
kann.  Die  Hauptsache  bleibt  daher  stets  die  möglichst  schnelle  Beseitigung 
resp.  Vernichtung  des  auftretenden  Dampfes. 

Thiernesse  und  Casse  (Annal.  de  la  Societ.  de  Med.  de  Gand,  5  Livraison  du 
Vol.  42,  1875;  Allg.  medic.  Central-Zeitung  No.  55,  1875)  empfehlen  bei  Phosphor- 
vergiftung Einspritzung  von  Sauerstoff  in  die  Venen.  Bei  einem  Thiere  von 
5-8  Kilogramm  wurden  150 — 200  Cm.  Sauerstoff  und  bei  grössern  Thieren  bis  zu 
500  und  800  Cm.  für  nothwendig  erachtet,  um  die  Phosphorwirkung  zu  paralysiren. 

15)  Man  kann  annehmen,  dass  der  Phosphor  durchschnittlich  1/50%  Arsen  enthält. 

Es  ist  hier  noch  der  von  Porte  (Necrose  phosphoree,  These,  Paris  1869)  aus- 
gesprochenen, aber  nicht  begründeten  Ansicht  zu  erwähnen ,  dass  nämlich  nach 
Beschäftigung  mit  arsenhaltigen  Gegenständen,  z.  B.  mit  bunten  Papieren  u.  s.  w., 
Nekrosen  entstehen  können. 

16)  Die  bisherigen  Versuche,  Zündhölzer  mit  dem  amorphen  Phosphor  in  der  Brand- 
masse herzustellen,  haben  durch  die  Firma  H.  Hochstätter  in  Langen  bei 
Frankfurt  a.  M.  einen  Abschluss  gefunden.  Dieselben  lassen  nach  v.  Schrotter, 
dem  Berichterstatter  über  die  Wiener  Ausstellung,  nichts  mehr  zu  wünschen 
übrig,  da  sie  sich  an  beliebigen  Reibflächen,  sogar  an  einer  solchen  von  Tuch  ent- 
zünden, ganz  ruhig,  geräuschlos,  ohne  Spritzer,  fast  ohne  Rauch  und  Geruch  ab- 
brennen und  selten  versagen. 

Die  Zündmasse  besteht  aus  giftfreien  Stoffen  und  erfordert  einen  weit  höhern 
Wärmegrad  zur  Entzündung  als  die  der  gewöhnlichen  Phosphormasse;  die 
Hölzchen    sind   in   Stearin   oder  Paraffin  getränkt   und  ihre  Köpfchen  widerstehen 


32S  Phosphor. 

vollständig  der  Feuchtigkeit:  auch  stellt  sich  der  Preis  der  neuen  giftfreien  Masse 
billiger  als  der  der  bisherigen  Phosphor-Minium-Masse.  Auf  diese  Weise  wäre 
alle  öffentliche  Gefahr,  die  sich  bisher  an  die  Phosphor  Zündhölzer  knüpfte, 
vollständig  beseitigt  und  ein  ausserordentlicher  Fortschritt  in  der  Hygiene  an- 
gebahnt. 

Dabei    genügen    15  Grm.   Züudmasse   mit   einem  Gehalte   von    7  %  Phosphor   für 
1000  Hölzchen,  während  früher  wenigstens  31  Grm.  einer  Masse  von  nahezu  gleichem 
Phosphorgehalte  erforderlich  waren. 
17)   Eulenberg's  Medicinalwesen.  S.  121. 

Eine  Fabrik,  in  welcher  mit  gewöhnlichem  Phosphor  gearbeitet  wird,  bedarf 
keiner  wesentlichen  Veränderungen,  um  auch  die  Fabrieation  mit  amorphem  Phos- 
phor vorzunehmen. 
IS)  Nach  C.  Liebig  soll  folgende  Miv'hung  eine  gute  phosphorfreie  Zündmasse  liefern: 
Schwefelantimon  8  Th..  Kaliumchlorat  16  Th.,  Mennige  10  Th.,  Kaliumbichromat 
1  Th..  Nitromannit  8  Th..  Glas  4  Th.,  Arab.  Gummi  5  Th.  Ihre  Bereitung  wird 
stets  mit  Gefahr  verbunden  sein. 

Vielfach  hat  sich  Wie  den  hold  mit  der  Darstellung  phosphorfreier  Zündhölzer 
beschäftigt  (s.  Wagner^  Jahresber.,  S.  622,  1861). 

19)  Ueber  die  Darstellung  des  flüssigen  Phosphorwasserstoffs  cfr.  A.  W.  Hofmann 
im  Bericht  der  Deutsch,  ehem.  Gesellsch.  1874,  p.  531.  Diugler's  polvtechn.  Journ., 
210  Bd..  p.  156. 

20)  Eulenberg:  Die  Lehre  u.  s.  w.,  p.  428. 

21)  Brenner  stellte  in  der  Sitzung  des  Allgemeinen  Vereins  St.  Petersburger  Aerzte 
vom  8  Dec.  1864  (St.  Petersburger  Medic.  Zeitschr.  186."),  4.  Heft)  einen  Patienten 
vor.  der  an  Ataxia  muscularis  litt.  Derselbe  war  ein  28jähriger  Pharmaceut,  der 
sich  bisher  stets  wohl  befunden  hatte.  Vor  4%  Jahren  begab  er  sich  nach  Tiflis 
und  war  dort  2'/2  Jahre  lang  ausschliesslich  mit  der  Bereitung  der  unterphos- 
phorigsauren  Salze  beschäftigt  und  zwar  in  einem  schlecht  ventilirten  Locale. 
Nach  ^monatlicher  Beschäftigung  zeigten  sich  im  Sehfelde  flimmernde  Puncte,  die 
sich  ra.-eh  vergrösserten  und  in  4  Wochen  das  Fixiren  der  Gegenstände,  namentlich 
Lesen  unmöglich  machten.  Zugleich  entwickelte  sich  eine  Diarrhoe  und  beide 
Erscheinungen  dauerten  9  Monate,  worauf  sie  nach  ärztlicher  Behandlung  nach- 
liessen.  Eine  Schwäche  und  Unsicherheit  in  den  Armmuskeln,  die  sich  ebenfalls 
im  ersten  Jahre  ausbildete  und  namentlich  beim  Schreiben  lästig  wurde,  schwand 
jedoch  nicht,  sondern  steigerte  sich  noch  im  zweiten  Jahre  und  es  gesellte  sich 
auch  eine  Unsicherheit  der  Ünterextremitäten  hinzu  mit  intercurrenten  schiessenden 
Schmerzen  in  denselben  und  im  Unterleibe,  so  dass  der  Gang  ein  sehr  schwankender 
wurde.  Auffallend  war  auch  ein  frühzeitiges  Zerbröckeln  der  Zähne, 
sowohl  der  gesunden  als  auch  der  cariösen.  Kopfschmerz,  Schwindel, 
Anästhesie,  Empfindlichkeit  der  Rückenwirbel,  Störungen  der  Geisteskräfte  u.  s.  w. 
fehlten.  Nach  den  Extremitäten  zeigte  sich  die  Ataxie  zunächst  in  den  Muskeln, 
welche  der  Artieulation  der  Sprache  vorstehen:  ein  weit  grösserer  Willensimpuls  war 
nothwendig,  um  ein  gewünschtes  Wort  zu  stammeln;  auch  die  Schluckbewegungen 
wurden  etwas  schwieriger. 

In  ätiologischer  Beziehung  war  keine  andere  Veranlassung  als  die  langdauernde 
Einwirkung  von  Phosphor  Wasserstoff  zu  finden,  wobei  Arsendämpfe  aus- 
geschlossen waren.  Der  Kranke  machte  ganz  den  Eindruck  eines  Ataktischen:  er 
stand  mit  gespreizten  Beinen :  coordinirte  Bewegungen,  Gehen  waren  bei  geschlos- 
senen Augen  unmöglich.  Patient  gerieth  sogleich  in  Schwanken  und  stürzte  hin. 
Dies  war  auch  der  Fall,  wenn  dem  Patienten  starke  Convexiläser  vor  die  Augen 
gehalten  wurden:  dabei  war  im  motorischen  Apparate  die.  elektrische  Er- 
regungsfähigkeit ^ehr  erhöht,  die  Contractionen  waren  schleudernd,  durch  anta- 
gonistische Muskelwirkungen  weder  moderirt,  noch  durch  synergische  unterstützt. 
Muskelatrophie  fehlte:  der  N.  opticus  war  sehr  reizbar,  nicht  allein  durch  Reizung 
des  Trigeminus  von  der  Backe  aus,  sondern  auch  vorn  untern  Winkel  der  Scapula 
und  vom  Oberarm  aus  Hessen  sich  durch  Reflex  optische  Erscheinungen  hervorrufen. 

Der  constante  Strom,  auf  den  sehr  erregbaren  N.  hypoglossus  am  grossen 
Zungenbein  applicirt.  rief  eine  vollkommene  Schluckbewegung  hervor.  Die  elek- 
trische Behandlung  wirkte  wohlthätig  auf  das  Sprechen  und  die  Oberextremitäten 
ein,  aber  gar  nicht  auf  die  Unterextremitäten,  da  das  Schwanken  bei  geschlossenen 
Augen  blieb.  Man  vergl.  hiermit  das  durch  phosphorige  Säure  entstandene,  von 
Huss  mitgetheilte  Krankheitsbild.) 

22)  Die  von  Huss  (Chronische  Alkoholkrankheiten  oder  Alcoholismus  chronicus.  Aus 
dem  Schwedischen  von  van  dem  Busch,  1852,  p.  248— 251)  beobachteten  Folgen 
der  inhalirten  Phosphordämpfe,  welche  bei  der  Entzündung  einer  grossen  Menge 
Phosphor    entstanden     und    somit    wesentlich     phosphorige    Säure    enthielten, 


Phosphor.  829 

stimmen  in  vielen  Puncten  mit  dem  Brenner'schen  Falle  überein,  in  welchem  die 
Einwirkung  des  Phosphorwasserstoffs  ein  deutliches  Spinalleiden  erzeugte. 

Der  Huss'sche  Fall  betrifft  einen  36jährigen  Mann,  welcher  bei  dem  Versuche, 
den  in  Brand  gerathenen  Phosphor  zu  löschen,  so  viel  Phosphordämpfe  einathmete, 
dass  er  unter  dem  Gefühl  der  Erstickung  ohnmächtig  wurde.  Dann  folgte  ein 
Gefühl  von  Schwäche  im  Rücken  und  in  den  Extremitäten,  Zittern  bei  jeder 
Anstrengung  und  gleichzeitig  ein  Gefühl  von  Kriechen  und  Jucken  unter  der  Haut. 
Auf  die  anfängliche  Geilheit  folgte  nach  6  Monaten  Impotenz;  dabei  war  der  Gang 
schwankend  und  unsicher,  die  Kniee  knickten  ein  und  Zittern  der  Hände  und 
Arme  zeigten  sich  beim  Versuche,  sie  anzustrengen,  während  bei  ruhiger  Lage 
Zuckungen  in  allen  Muskeln  entstanden.  Anästhesie  oder  Empfindlichkeit  des  Rück- 
grats fehlte,  aber  der  Kranke  war  so  schwach,  dass  er  sich  weder  aufrichten,  noch 
aufgerichtet  sitzen  bleiben  konnte.  Brust-  und  Unterleibsorgane,  sowie  die  Sinnes- 
organe functionirten  normal,  nur  die  Sprache  blieb  bei  ungestörten  Geisteskräften 
stammelnd.     Pat.  lebte  bei  zunehmender  Lähmung  noch  3— 4  Jahre. 

Was  die  Einwirkung  des  Phosphors  auf  den  Geschlechtstrieb  betrifft,  _ so _ beob- 
achtete auch  Bellini  in  der  grossen  Phosphorreibhölzerfabrik  zu  Rimini,  in  der 
300—400  Arbeiter  (darunter  6/8-7U  Frauen)  beschäftigt  sind,  bei  denjenigen,  welche 
mit  der  Anfertigung  der  Zündmasse  und  mit  dem  Eintauchen  beschäftigt  waren, 
starke  Aufregung  des  Geschlechtstriebes,  aber  mit  incompleten  Erectionen:  bei 
Frauen  war  keine  Einwirkung  auf  den  Geschlechtstrieb  wahrnehmbar.  Sonst  konnten 
die  im  Sommer  häufig  vorkommenden  Verdauungsstörungen  (Kolikenr  Durchfall) 
nicht  auf  die  Beschäftigung  geschoben  werden,  da  sie  auch  bei  der  übrigen  Be- 
völkerung vorkamen;  im  Winter  waren  Männer  und  Frauen  zu  Bronchialkatarrh 
und  Rheuma  geneigt. 

Dass  auch  der  Phosphordampf  Reizungen  der  Brustorgane  zu  erzeugen 
vermag,  ist  sicher.  Ein  Fall  von  Lungenentzündung  wird  in  der  Med.  Gaz., 
Vol.  39,  p.  210,  mitgetheilt,  Dupasquier  wollte  sogar  den  Phosphordämpfen 
nur  eine  reizende  Einwirkung  auf  die  Bronchialschleimhaut  zuschreiben, 
welche  er  aber  mit  Unrecht  auf  den  zufälligen  Gehalt  des  Phosphors  an  Arsenik 
bezieht  (Journ.  de  Pharm.,  Oct.  1846,  284;  Annal.  d'hyg.  publ.,  Oct.  1846;  Gaz. 
med.,  Dec.  5.  1846,  946). 

Es  ist  mit  höchster  Wahrscheinlichkeit  anzunehmen,  dass  sich  die  Wirkung  aui 
die  Brustorgane  um  so  mehr  äussert,  je  mehr  der  Phosphordampf  phosphorige 
Säure  enthält  (m.  vergl. ■  phosphorige  Säure,  S.  278).  Ueberhaupt  ist  die  Aehn- 
lichkeit  zwischen  der  Vergiftung  durch  Phosphor,  phosphorige  Säure  und  Phosphor- 
wasserstoff in  den  Hauptzügen  niemals  zu  verkennen. 

Es  ist  hier  noch  die  Thatsache  hervorzuheben,  dass  sich  in  dem  Kleingewerbe 
die  Nachtheile  des  Phosphors  bei  weitem  seltner  als  in  der  Grossindustrie  kund 
geben.  Die  Ursache  dieser  Erscheinung  liegt  auf  der  Hand;  bei  der  Grossindustrie 
ist  es  die  Masse  des  zu  verarbeitenden  Materials,  welche  eine  derselben  entsprechende 
Menge  nachtheiliger  Dämpfe  entwickelt  und  daher  die  grössere  Gefahr  bedingt. 

23)  Munk  und  Leyden:   Die  acute  Phosphorvergiftung.     Berlin  1865. 

Ueber  die  Aufnahme  des  Phosphors  in  Substanz  vergl.  man 
v.  Bamberger:  Würzb.  medic    Zeitschr.,  VII.  Jahrg.,  S-  41. 
Vohl  in  Berl.  klin.  Wochenschr.  No.  32  u.  33,  1865. 

Husemann  und  Harme  in  den  Nachricht,  v.  d.  K.  Gesellsch.  d.  Wissensch.  in 
Göttingen,  Mai  9.,  No.  12,  1866.  .  .  . 

Ueber ' den  Phosphor  in  physiol.,  klinisch,  u.  therap.  Beziehung  schrieb  Lecorcne 
im  Arch.  de  Physiol.  n,  p.  488,  1869;  über  das  Verhältniss  des  Stickstoüs  zur 
Phosphorsäure  im  Urin  Zuelzer  im  66.  Bd.  von  Virchow's  Archiv.  , 

24)  Scheibler  benutzt  reine  käufliche  Superphosphate  zur  Darstellung  der  Phospor- 
säure.    Das  Verfahren  ist  in  Dingler's  Journ.,  221.  Bd ,  p.  27o  mitgetheilt. 

Arsen  (S.  282-305). 

1)  Arsen  äussert  als  Metalloid  nach  den  bisherigen  Erfahrungen  keine  giftigen  Eigen- 
schaften. .     , 

2)  Fester  Arsenwasserstoff  As4H2  entsteht  aus  Arsenverbindungen  mittels 
nascirenden  Wasserstoffs  bei  Gegenwart  von  Salpetersäure,  worauf  bei  chemischen 
Untersuchungen  sehr  zu  achten  ist.  Dieser  Körper  stellt  ein  rothbraunes,  10  der 
Hitze  sich  zersetzendes  Pulver  dar. 

3)  Eulenberg:  Die  Lehre  u.  s.w.,  S.  402.  . 

4)  Trost:  Vergiftung  durch  Arsenwasserstoff  bei  der  technischen  Gewinnung  des 
Silbers.     Vierteljahrsschr.  f.  gerichtl.  Medicin,  XVIII.  Bd.,  S.  269,  1873. 

Der  Rath,   den  Thelmier  gibt:   in  einer  Atmosphäre,  wo  man  Arsenwasserston 


830  Arsen. 

erzeuge,   gleichzeitig   Chlor   zu   entwickeln,   ist   sehr  bedenklich.     Allerdings  wird 
Arsenwasserstoff  zersetzt,  aber  das  sich  bildende  Arsenchlorid  ist  ebenso  giftig. 

5)  Ueber  das   Verhalten  des  Arsen  Wasserstoffs  dem  Blute  gegenüber  vergl.  man: 
Rabuteau  in  Gaz.  de  Paris  18,  1873. 

Koschlakoff  und  Bogomoloff  im  Centralblatt   der  medicinischen  Wissensch., 
S.  627,  1868.  _ 

6)  Nach  einer  Mittheilung  des  Chemikers  Herrn  C lassen  wurde  in  den  Leichen  der 
in  der  Nähe  von  Aachen  durch  Arsenwasserstoff  umgekommenen  Arbeiter  Arsen 
in  Lunge  und  Leber  nach  der  Sonnen  sehe  in'schen  Methode  nachgewiesen. 

7)  v.  Jäger,  Georg:  Die  Wirkung  des  Arsens  auf  Pflanzen,  Stuttgart  1864,  S.  27, 
eine  diesen  Gegenstand  sehr  eingehend  behandelnde  Schrift. 

8)  Fleck,  Hugo,  Zeitschr.  f.  BioL,  3.  Heft,  1872:  Vierteljahrsschr.  f.  gerichtl.  Medic, 
XVIII.  Bd,  S.  391,  1873. 

9)  Kletzinski  in  der  Wiener  Wochenschr.  No.  43  u.  44,  1859. 
Dr.  Müller  in  Augsburg,  eod.  loc.  No.  18,  19,  20. 

Dr.  Fabian  in  Dingler's  Journ.,  S  21,   1860. 

Die  Fälle  von  Vergiftungen  durch  Tapeten  mit  arsenikalischen  Farben  sind  so 
ausser  Frage  gestellt,  dass  es  der  speciellen  Aufführung  dei'selben  nicht  mehr 
bedarf.  In  den  oben  angeführten  Abhandlungen  ist  der  Nachweis  der  Vergiftung 
auf  die  überzeugendste  Weise  vor  Augen  geführt,  während  allerdings  viele  Beob- 
achtungen nur  auf  Vermuthungen  und  Wahrscheinlichkeiten  beruhen, 
cf.  Kirchgässer:  Der  nachtheilige  Einfluss  arsenhaltiger  grüner  Tapeten.  Viertel- 
jahrsschr. f.  gerichtl.  Medic,  19.  Bd  ,  S.  96,  1868. 

10)  Eulenberg:  Die  Lehre  u.  s.  w.,  S.  410. 

11)  Ueber  die  durch  arsenige  Säure  bewirkte  Beschränkung  des  Stoffwechsels  haben 
Schmidt  und  Bret Schneider,  Schmidt  und  Stürzwage  (Moleschott's  Unter- 
suchungen z.  Naturl.  VI.  146  o.  283),  sowie  Lolliot  (Etüde  physiol.  de  Arsene. 
These,  Paris  1868)  genaue  Versuche  angestellt.  In  derselben  Richtung  lieferte 
Cunze  (Zeitschr.  f.  rat.  Medic,  27.  Bd  ,  S.  33)  Beiträge  und  hat  besonders  Tem- 
peraturabnahme nach  kleinen  Arsendosen  beobachtet,  während  Saikowsky 
(Virchow's  Arch.  34.  Bd.,  S.  73)  danach  eine  vermehrte  Fettanhäufung  namentlich 
in  der  Leiter  und  in  den  Nieren  nachwiess  und  zwar  in  Uebereinstimmung  mit 
den  Versuchen,  in  welchen  Thiere,  die  mit  kleinen  Gaben  Arsen  gefüttert  wurden, 
bedeutende  Fettzunahme  zeigten.  In  letzterer  Beziehung  scheint  es  nicht  auf  die 
Präparate  anzukommen:  so  fütterte  Roussin  Kaninchen  mit  Calciumarseniat  und 
sah  sie  nach  kurzer  Zeit  fett  werden  (Journ.  de  pharm,  et  chim.,  T.  43,  p.  102). 

Schon  im  vorigen  Jahrhundert  war  den  Pferdehändlern  bekannt,  dass  man 
Pferde  mit  kleinen  Gaben  von  arseniger  Säure  fett  machen  kann.  Viele  Bewohner 
von  Steyermark  sind  bekanntlich  Arsenesser  und  bringen  es  allmählig  durch  Ge- 
wohnheit dahin,  1 — 2 mal  wöchentlich  4 — 5  Gran  arsenige  Säure  zu  nehmen,  um 
grössere  Anstrengungen  und  namentlich  das  Bergesteigen  besser  ertragen  zu 
können.  Bekannt  ist  aber  auch,  dass  sie  später,  wie  die  Säufer  an  den  Brannt- 
wein, sklavisch  an  den  Genuss  von  Arsen  gefesselt  sind  und  Viele  an  asthma- 
tischen Leiden  zu  Grunde  gehen. 

Man  vergl.  C  Gähtgens  (Centralblatt  der  medic.  Wissensch.,  No,  32,  1875) 
über  den  Einfluss  toxischer  Gaben  von  Arsensäure  ( in  Form  der  Natriumverbin- 
dung) auf  den  Eiweissumsatz  im  Thierkörper. 

Kosel.  Albrecht:  Zur  Kenntniss  der  Arsenwirkungen.    Arch.  f.  experiment.  Path. 
Pharm,  V  Bd..  1.  u.  2.  Heft,  1875,  S.  128. 

Schon  Hahneinann,  Harless  und  Brodie  beobachteten  nach  kleinen  Gaben 
eine  Anregung  der  Herzthätigkeit,  nach  grössern  aber  Lähmung  des  Herzens 
und  der  Nervencentren,  eine  Erfahrung,  die  neuerdings  von  Sklarek 
(Arch.  f.  Anat.  u.  Physiol.  1866,  S.  481)  durch  Versuche  an  Fröschen  und  Säuge- 
thieren  bestätigt  wurde.  Die  Wirkung  auf  die  Nervencentren  (Gehirn  und  Rücken- 
mark) scheinen  mehr  die  Folgen  von  Circulationsstörungen  zu  sein,  obgleich 
Sklarek  auch  eine  directe  Einwirkung  auf  das  Rückenmark,  namentlich  auf  dessen 
hintere  graue  Substanz,  annimmt:  das  Rückenmark  würde  in  der  Leitung  der 
sensiblen  Eindrücke  zu  den  motorischen  Nerven  gestört.  Neuerdings  vertritt  jedoch 
Unterb erger  (Archiv  für  experiment.  Pathol.,  (I.,  89)  die  Ansicht,  dass  Arsen 
vorzugsweise  auf  die  Unterleibsgefässe  wirke,  wie  aus  der  Stauung  der  Unterleibs- 
organe hervorgehe,  die  ihrerseits  die  Verminderung  der  Herzenergie  zur 
Folge  habe. 

Ablagerungen  von  Arsen  in  der  Leber  und  Milz  kommen  auch  vor,  der  Orga- 
nismus zeigt  aber  eine  entschiedene  Tendenz,  das  aufgenommene  Arsen  vorzugs- 
weise durch  den  Urin  und  Speichel  zu  eliminiren;  nachhaltige  Störungen  bleiben 
daher  nicht  zurück,   wenn   überhaupt  Arsen   nicht  in  letalen  Gaben  aufgenommen 


Arsen.  §31 

worden  ist.  Bei  grossen,  innerlich  genommenen  Gaben  ist  die  Magenschleim- 
haut meistens  striemen-  und  punctfÖrmig  geröthet  und  mit  einem  glasigen  oder 
blutig  gefärbtem  Schleim  bedeckt;  bisweilen  ist  sie  geschwollen  und  sammetartig 
geröthet.  Wo  sich  Körnchen  der  arsenigen  Säure  abgelagert  haben,  finden  sich 
Arrosionen  oder  Schichten  geronnenen  Blutes;  wirkliche  Ulcerationen  sind  höchst 
selten;  bisweilen  fehlen  aber  alle  Erscheinungen  von  localer  Reizung. 

Beachten swerth  ist  noch  der  Umstand,  dass  unter  Umständen  die  arsenige 
Säure  als  Schwefelarsen  gefunden  wird.  (cf.  Dr.  J.  U.  Lerch,  Prager  Viertel- 
jahrsschr.,  Jahrg.  V.,  1848,  Bd.  III,  S.  50).  Bei  Leichen,  die  nach  Monaten  und 
Jahren  exhumirt  werden,  muss  man  diese  Erscheinung  sehr  beachten. 

Bekannt  ist  die  Eigenschaft  der  arsenigen  Säure,  Leichen  zu  mumificiren;  sie 
verhindert  übrigens  nicht  die  Pilzbildung,  sondern  befördert  sogar  gewisse  Pilz- 
wucherungen. Nach  den  Untersuchungen  von  Fleck  (Benzoesäure,  Carbolsäure, 
Salicylsäure,  Zimmetsäure,  vgl.  Unters,  zur  Feststellung  des  Werthes  der  Salicyl- 
säure  als  Desinfectionsmittel,  München  1875)  stimmt  Arsen  in  dieser  Beziehung 
mit  den  von  ihm  geprüften  Säuren  überein,  welche  ebenfalls  die  Nahrung  der 
Schimmelpilze  nicht  consumiren.  Die  arsenige  Säure  scheint  aber  in  Flüssigkeiten 
das  Auftreten  von  Bacterien  und  Vibrionen  zu  verhüten. 

12)  Man  vergl.  die  Nickelindustrie,  S.  776.  Zu  bemerken  ist  noch,  dass  nachLolliot 
bei  mit  Arsen  langsam  vergifteten  Hunden  erythematöse  Eruptionen  in  der 
Nähe  der  Gelenke,  an  den  Ohren  und  an  andern  Körperstellen  mit  Ausfallen 
der  Haare,  auch  Conjunctivitis  mit  Thränenfluss  und  Photophobie  auftreten. 

13)  Jäger  hebt  noch  besonders  hervor,  dass  das  Eisenoxydhydrat  bei  Pflanzen  nicht 
als  Gegengift,  wie  beim  Menschen,  zu  betrachten  ist,  indem  es  die  Wirkung  der 
Vergiftung,  auch  wenn  sich  diese  kaum  kund  gegeben  hat,  nicht  zu  heben  vermag, 
denn  eine  Pflanze  scheidet  niemals  die  aufgenommene  arsenige  Säure  aus.  Mancher 
Boden  wird  aber  wahrscheinlich  schon  wegen  seines  Eisengehaltes  die  Wirkung 
derselben  vermindern  oder  aufheben. 

Man  vgl.  ferner  v.  Gorup-Besanez:  Ueber  das  Verhalten  der  vegetirenden 
Pflanzen  und  der  Ackererde  gegen  Metallgifte,  in  den  Annal.  der  Chemie  und 
Pharmac,  Bd.  127,  Heft  2,  p.  243.  Er  gelangt  zu  dem  Resultate,  dass  Pflanzen 
aus  einem  Boden,  welcher  Arsenik  und  Quecksilber  in  inniger  Mischung  ent- 
hält, von  diesen  Metallen  nichts  oder  nur  geringe  Spuren  aufnehmen 

Was  das  Verhalten  der  Ackererde  gegen  arsenige  Säure  betrifft,  so  zeigte 
sich,  dass  von  250  Mgrm.  arseniger  Säure  213  Mgr.,  d.h.  85,2%,  durch  die  hierzu 
benutzte  Ackererde  von  Erlangen  unabsorbirt  hindurchgegangen  waren. 

14)  Wolff,  Reinhold:  Der  Brand  des  Getreides,  seine  Ursachen  und  seine  Verhütung. 
Halle  1874. 

15)  Ueber  die  Nachtheile  der  Hüttenwerke  im  Allgemeinen  vergl. 
Langendorff  in  Henke's  Zeitschr.  f.  Staatsarzneik.,  37.  Jahrg.,  1857. 
Trebuchet:  Code  administ.  des  etabl  danger.,  insalub.  ou  incommod.    Paris  1832. 

Auf  Arsenhütten  befinden  sich  stets  besondere  Instructionen,  die  nur  leider 
nicht  immer  mit  Strenge  durchgeführt  werden.  Wir  erwähnen  hier  nur  die  all- 
gemeinen Schutzmassregeln,  welche  überall  bei  giftigen  Dämpfen  noth- 
wendig  sind  und  bei  den  einzelnen  Operationen  noch  häufig  zur  Sprache  kommen. 

Die  Gruben-  und  Werkvorsteher  müsseD  zunächst  Sorge  tragen,  dass  so 
wenig  als  möglich  arsenikalische  Dämpfe  in  den  Fabrikraum  zurücktreten  und 
nirgends  abgelagerter  Arsenstaub  liegen  bleibt.  Ueberall  ist  eine  besondere  Vor- 
sicht beim  Ausräumen  der  Giftfänge  nöthig;  je  gefährlicher  überhaupt  eine 
Arbeit  ist,  desto  eher  muss  ein  Wechsel  der  Arbeiter  eintreten. 

Die  Gruben-  und  Werkarbeiter  sollen  stets  bei  der  Arbeit  ihre  Stellung 
so  wählen,  dass  sie  nicht  direct  den  gefährlichen  Dämpfen  ausgesetzt  werden;  in 
dieser  Beziehung  äussert  sich  noch  vielfach  ein  unverzeihlicher  Leichtsinn. 

Was  die 'Condensation  der  Dämpfe  betrifft,  so  ist  zu  betonen,  dass  die 
Wasserberieselung  für  die  Dämpfe  der  arsenigen  Säure  kein  ausreichendes 
Verfahren  ist,  da  letztere  bekanntlich  dem  Wasser  gegenüber  unbenetzbar  ist.  Für 
diese  Dämpfe  ist  die  Fortleitung  durch  Wasserdämpfe  und  die  Conden- 
sation durch  Abkühlung  die  einzige  wirksame  Methode,  weil  sich  dann  die 
arsenige  Säure  mit  den  Wasserdämpfen  niederschlägt  und  sammeln  lässt.  Es  ist  that- 
sächlich  erwiesen,  dass  die  Dämpfe  von  arseniger  Säure  durch  eineWasserberiese- 
lung  hindurch  gehen,    während  dies   bei  allen  andern  Dämpfen  nicht  der  Fall  ist. 

Ueberall,  wo  gefährliche  metallische  Dämpfe  auftreten,  wird  empirisch _  als 
Nahrung  der  Genuss  von  Milch,  schleimigen  Getränken  überhaupt  und  fettigen 
Speisen  empfohlen.  Der  Schwerpnnct  liegt  aber  in  der  genauen  ärztlichen  Unter- 
suchung der  Arbeiter  und  in  der  Verpflichtung  der  Arbeiter,  bei  jedem  durch  die 
metallischen  Dämpfe  bedingten  Erkranken  ärztliche  Hülfe  aufzusuchen. 


832  Arsen. 

Ueber  Arsengewinnung  aus  den  Rückständen  der  Anilinfarbenfabriken 
cf.  Beyer:  Bericht  über  die  Verwaltung  und  den  Stand  des  Medicinal-  und 
Yeterinärwesens  des  Regierungsbezirks  Düsseldorf,  Oberhausen  1874,  S.  35. 

Die  durch  den  Reductionsprocess  aus  der  Arsensäure  entstandene  arsenige 
Säure  ist  meist  als  arsenigsaures  Natrium  vorhanden,  da  Kochsalz  zur 
Präcipitation  des  Farbstoffs  in  den  meisten  Anilinfarbenfabriken  benutzt  wird.  Man 
setzt  Kalk  hinzu,  um  eine  weniger  lösliche  Verbindung  von  arsenigsaurem 
Calcium  zu  erhalten,  dem  aber  noch  immer  mehr  oder  weniger  arsen saures 
Calcium  beigemischt  ist. 

16)  In  naturhistorischen  Cabinetten  wird  vielfältig  folgende  Seife  benutzt:  Arsen. 
alb.  180,0,  Sap.  Hisp.  120,0,  Calcar.  ust  45,0,  Kali  carb.  dep.  30,0,  Aq.  ferv.  360,0Grm. 
Delpech  (Annal.  d'hyg.  publ,  p.  314,  1870)  hat  eine  Arsenvergiftung  mitgetheilt, 
welche  durch  Aufenthalt  in  Zimmern  entstanden  war,  in  denen  sich  mittels  Arsens 
ausgestopfte  Thiere  befanden. 

17)  Eulenberg:  Das  Medicinalwesen.  S.  101.  Auch  gegen  Krätze  hat  man  folgende 
Mischung  empfohlen:  Acid.  arsen.  0,05  Grm.,  Kali  carb.  1,0,  Spir.  vin.  rect.  10,0, 
Aq.  foet.  100,0.  Täglich  2 mal  erwärmt  anzuwenden.  (Allg.  med.  Centralzeitung, 
08.  St.,  1874). 

18)  Eulenberg,  eod.  loc.  S.  97. 

19)  Kletzinsky  über  Scheel'sches  Grün  als  Wandfarbe.  Pappenheim's  Monatsschr. 
1860,  S.  84." 

20)  Eulenberg:    Ueber  arsenhaltige  rothe  Tapeten.     Pappenheim's   Monatsschr., 

1.  Heft,  1860. 

—     Medicinalwesen,  S.  98,  99,  100. 

Draper:  Ueber  arsenhaltige  Farben.     Chem.  News  1872,  No.  660  u.  s.w. 

Johnson,  Georg:  Ueber  häufig  vorkommende  Quellen  von  Arsenvergiftung.  Publ. 

Health.,  p.  193,  1874.     Schmidt's  Jahrb.,  165.  Bd.,  S.  128,  1875. 

Chevallier,  M.  (Annal.  d'hyg.  publ.,  Janv.  1874)  und 

v.  Linprun    (Bayer    ärztl.  Intelligen zbl.   No.  9,   S    81,   1869)   schrieben   über   die 

Arsenvergiftung  durch  Kinderspielzeuge. 

Tödtliche  Vergiftungen  durch  den  Gebrauch  von  giftigen  Farbsteinen  in  den 
Kindermalkasten  haben  wir  mehrmals  kennen  gelernt. 

21)  Eulenberg:  Das  Medicinalwesen,  S.  100. 

22)  Holm  in  Gefle  (Deutsche  Klinik  No.  31,  1874)  beobachtete  nach  dem  Gebrauche 
eines  grünen  Lampenschirms  Kopfschmerzen,  Frostschauder,  gastrische  Symptome, 
Abmagerung,  Kräfteabnahme,  gelbliche  Haut,  Schlaflosigkeit,  Müdigkeit,  Muth- 
losigkeit,  Zittern  und  Abnahme  des  Gedächtnisses. 

Zuntz  (Berl.  klin.  Wochenschr.  No.  43,  1S75)  hat  einen  ähnlichen  Fall  beobachtet, 
in  dem  Uebelkeit,  Appetitlosigkeit  und  Eingenommenheit  des  Kopfes  vorwalteten. 
Binz  macht  bei  dieser  Gelegenheit  auf  ein  Reagens  aufmerksam,  das  sich  zum 
Nachweis  von  Arsen  sehr  gut  eigne.  Man  übergiesst  ein  Stückchen  der  zu  unter- 
suchenden Substanz  mit  Salzsäure,  fügt  einige  Krystallc  von  Zinnchlorür 
hinzu  und  erwärmt :  Arsen  schlägt  sich  dann  als  eine  schwarzbraune  Masse 
(metallisches  Arsen)  unter  Bildung  von  Zinnchlorid  nieder.  Selbstverständlich  muss 
Salzsäure  und  Zinnchlorür  ganz  frei  von  Arsen  sein. 

Biggs  (Lancet.,  Jan.  1860)  beobachtete  beim  Gebrauch  solcher  Schirme  Speichel- 
fluss  und  Mundgesehwürc.  Erscheinungen,  die  übrigens  mehr  auf  Quecksilberdämpfe 
hinweisen. 

23)  In  Italien  hat  man  sich  zuerst  mit  der  Darstellung  der  künstlichen  Blumen  be- 
schäftigt und  bis  zum  Mittelalter  besassen  die  Frauenklöster  gleichsam  das  Monopol 
der  Anfertigung,  da  man  sie  vorzugsweise  zum  Ausschmücken  der  Altäre  benutzte. 
Gegen  Ende  des  18.  Jahrhunderts  begann  man  zuerst  in  Lyon  mit  der  Fabrication 
und  von  dorther  gelangte  dieselbe  nach  Paris,  wo  sie  anfangs  auch  nur  in  Klöstern 
betrieben  wurde.  In  Deutschland  war  es  besonders  die  sächsisch-böhmische  Grenze, 
wo  dieser  Erwerbszweig  sich  im  Anfange  dieses  Jahrhunderts  entwickelte,  aber 
sich  mehr  mit  der  erobern  Waare  befasste. 

Ausser  dem  gewöhnlichen  Papiere  liefern  Jaquenottes,  Mull,  Sammet,  sogen, 
englisches  Leder  das  Material:  zu  den  schönsten  Blumen  wird  Papier  de  Chine 
benutzt,  das  aus  dem  Marke  einer  in  China  wachsenden  Pflanze  dargestellt  wird. 

Paris,  neuerdings  auch  Berlin  und  München,  vertreten  hauptsächlich  diese 
Fabrication:  in  Paris  waren  schon  vor  15  Jahren  150,000  „Fleuristes"  beschäftigt. 
Wegen  der  sanitären  Nachtheile,  die  sich  bei  dieser  Fabrication  immer  entschie- 
dener herausstellten,  wurde  1859  eine  Commission  berufen  und  mit  der  Prüfung 
dieser  Industrie  beauftragt.  Boussinaiault,  Chevallier,  Bouchardat  und 
Vernois  waren  Mitglieder  derselben.  Es  wurden  folgende  hygienische  Massregeln 
für  nothwendig  erklärt: 


Arsen  833 

1)  Das  Gemenge  von  arsenikalisehem  Grün  und  Stärkemehl  oder  ähnlichen 
Substanzen  ist  mittels  eines  hölzernen  oder  metallenen  Spatels  in  einem  Gefässe 
zu  bearbeiten  und  zuzubereiten:  dasselbe  ist  mit  einem  Deekel  zu  versehen,  dessen 
Mitte  Raum  für  die  Aufnahme  des  Rührers  lässt. 

2)  Die  Application  des  Teigs  auf  das  Zeug  geschieht  mittels  einer  Bürste,  die 
einen  wenigstens  4  Centim.  hohen  Holzrücken  hat,  und  benutzt  man  dabei  lange 
lederne  Handschuhe. 

3)  Das  Klopfen  des  Zeugs  geschieht  in  der  Weise,  dass  es  vorher  in  ein 
Stück  starker  Leinewand  eingewickelt  wird. 

4)  Das  Trocknen  des  Zeugs  geschieht  auf  Rahmen,  dessen  Drahtstifte  6  Ctm. 
von  einander  stehen.  Die  Arbeiter  müssen  sich  vor  jeder  Verwundung  an  diesen 
Drähten  hüten,  weil  die  kleinste  Verletzung  durch  die  Verunreinigung  mit  dem 
Farbstoffe  einen  bösartigen  Character  annehmen  kann. 

5)  Dann  folgt  das  Falten  auf  weiten  Rollen,  um  das  Abblättern  zu  verhüten: 
durch  den  Kalander  (Glättrolle)  wird  der  Farbstoff  mehr  imprägnirt  und  das  Zeug 
geglättet. 

6)  Eine  Benetzung  des  Bodens  des  Arbeitsraumes  und  sorgfältige  Entfernung 
der  Abfälle  rnuss  täglich  stattfinden. 

Die  Arbeiter  müssen  sich  die  Hände  mit  Talkpulver  einreiben  und  sie  nach 
der  Arbeit  mit  angesäuertem  Wasser  abwaschen. 

Zu  berücksichtigen  ist  noch  besonders  das  Auseinanderdrehen  der  in  Packeten 
befindlichen  Blätter  und  das  Ausschneiden  der  Blätter  mittels  eines  Locheisens,  da 
sich  hierbei  viel  Staub  entwickelt.  Diese  Procedur  sollte  nur  auf  Tischen  mit 
weissem  Papier  ausgeführt  werden,  auf  welchem  sich  der  Staub  ansammelt  und 
entfernt  werden  kann.  Staubbildung  ist  sehr  leicht  möglich,  da  der  Stärkezusatz 
zur  Farbe  die  Brüchigkeit  bedingt.  Zweckmässig  würde  hierbei  der  Gebrauch 
einer  Maske  oder  eines  Respirators  sein:  wenigstens  sollte  man  vor  Mund  und  Nase 
Schwämme  binden.     Cyankalium  kommt  sehr  selten  zur  Verwendung. 

Alle  Vorsichtsmassregeln  sind  im  höchsten  Grade  erforderlich,  wenn  noch  das 
Bepudern  mit  arsenikalischen  Kupferfarben  stattfindet.  Die  Hautaffectionen  be- 
stehen in  Bläschen,  Papeln  und  Pusteln  wie  bei  der  Hüttenkrätze  Das  Krösen 
oder  Krausmachen  geschieht  mit  einem  Brenneisen. 

Ausführlich  hatVernois  (Ann.  d'hyg.  publ.  Oct.  1859)  diesen  Gegenstand  behandelt. 
Pappenheim:  Ueber  Fabrication  und  Consumtion  künstlicher  Blumen  (in  der 
Monatsschr.  f,  Sanitätspolizei,  1.  Jahrg    1860,  S.  453 — 462). 

Beaugrand:    Les  differentes   sortes  d'aeeidents   causees  par  les  verts   arsenicaux 
employes  dans  l'industrie.     Gaz.  des  höpitaux  1859. 

F ollin:    Sur    l'eruption    papulo-ulcereuse    qu'on    observe    chez    les    ouvriers    qui 
manient  le  vert  de  Schweinfurt      Arch.  gener.  de  Med.  1857. 

Es  ist  im  höchsten  Grade  zu  bedauern,  dass  überall  noch  das  Schweinfurter 
Grün  seine  Herrschaft  ausübt,  obgleich  es  nicht  an  Farben  fehlt,  die  ihm  den 
Rang  streitig  machen,  abgesehen  davon,  dass  man  das  Grün  auch  durch  Mischen 
von  Gelb  (Pikrinsäure,  Chromgelb)  und  Blau  (Ultramarin,  Thenard's  Blau  u.  s.w.) 
darstellen  kann.  Nur  die  Billigkeit  und  der  Glanz  des  arsenikalischen  Grüns  ge- 
währen der  Fabrication  bedeutende  Vorzüge. 

24)  Stohmann  in  Muspratt's  Techn.  Chemie,  1.  Bd.,  S.  671,  1865. 

25)  Die  Arsen sulfide  werden  hauptsächlich  in  Andreasberg  in  Sachsen  dargestellt  und 
nach  Frankreich  und  China  exportirt,  wo  sie  zur  Darstellung  von  gelben  Farben 
benutzt  werden.  Seit  dem  letzten  französischen  Kriege  werden  sie  auch  in  Frank- 
reich bei  St.  Denis  fabricirt. 

Eine  ausführliche  Arbeit  über  Schwefelverbindungen  des  Arsens  hat  A.  Gehlis 
geliefert  (s.  Annal.  de  chim.  et  de  phys.  XXX.,  p.  114,  Dingler's  Journ.  CCXL,  p.  23, 
Wagner's  Jahresber.  pro  1874,  S.  191). 

Speciell  über  die  Fabrication  von  Realgar  vergl.  man 
Kerl,  Bruno:  Grundriss  der  Metallhüttenkunde,  1873,  p   336. 

Hierher  gehört  auch  die  Schwefelarsen-Gewinnung  bei  der  Behandlung  der 
Kammersäure  mittels  Schwefelwasserstoffes:  es  entsteht  hierbei  stets  Arsen- 
trisulfid.  Bei  grossartigem  Betriebe  benutzt  man  Fällthürme  nach  Gersten- 
höfe r,  in  welchen  man  mittels  Schaukeltrögen  die  Schwefelsäure  über  Quarzstücke 
rieseln  lässt:  gleichzeitig  strömt  von  unten  Schwefelwasserstoff  in  den  Thnrm  uud 
zwar  der  langsam  nieder  tropfen  den  Schwefelsäure  entgegen. 

Das  Verfahren  hat  kein  sanitäres  Bedenken,  wenn  mit  der  erforderlichen  Vorsicht 
die  Darstellnno;  und  Leitung  des  Gases  erfolgt.  Ein  Entweichen  von  bchweiel- 
wasserstoffgas  findet  hierbei  nicht  statt,  weil  es  im  Thurme  vollständig  zersetzt  wird. 
Bode:  Die  Reinigung  der  Schwefelsäure  von  Arsen  auf  den  Kgl.  Sachs.  Hütten- 
werken b.  Freiberg.  Dingler's  Journ.  CCXIII.  p.25.  Wagner's  Jahresber.  18(4,  S.2o9. 

Eulenberg,  Ge-sverbe  -Hygiene.  Oo 


834  Antimon. 

Antimon  (S.  305-312). 

1)  Sehr  häufig  werden  die  Beobachtungen  von  Lohmeier  über  Vergiftungen  durch 
Spiessglanzdäm  p  fe  (Casper's  Woehensehr.  f.  d.  ges.  Heilk.,  No.  17  u.  18,  1840) 
erwähnt.  Unter  den  verschiedenen  Symptomen  wird  auch  duukelrothcr  und 
sogar  blutiger  Urin  angeführt:  diese  Thatsaclie  spricht  aber  ganz  besonders  für 
die  Mitwirkung  der  Dämpfe  von  arseniger  Säure,  da  das  Symptom  ausschliesslich 
diesem  Gifte  zuzuschreiben  sein  dürfte:  keinesfalls  gehört  blutiger  Urin  in  den 
Wirkungskreis  von  Antimonoxyd.  Ebenso  gehört  ein  pustulöser  Ausschlag 
an  den  Genitalien  oder  am  Halse  mehr  der  reizenden  Einwirkung  der  arsenigeu 
Säure  als  dem  Antimonoxyd  an.  Die  chemische  Untersuchung  des  Urins  würde 
hier  wahrscheinlich  allen  Zweifel  beseitigt  haben. 

Lohmeier  eitirt  namentlich  zwei  Fälle,  in  denen  die  Darstellung  von  Antimon - 
chlorid  Hautreizung  und  Pusteln  bei  den  Laboranten  hervorgerufen  hatte;  hier 
kann  man  mit  Bestimmtheit  die  Mitwirkung  von  arseniger  Säure  resp.  Arsen- 
chlorid annehmen.  Ebenso  weisen  die  andern  Symptome:  stechender,  bohrender 
Kopfschmerz,  ängstliche  Träume,  Zuckungen  in  den  Gliedern,  Rückenschmerzen 
mit  Erschlaffung  und  Abspannung  mehr  auf  Arsen  als  auf  Antimon  hin. 

2)  Ein  solcher  Staub  bestand  in  einem  speeiellen  Falle  aus  metallischem  Blei  und 
nur  ein  paar  Procenten  Antimon.  In  der  betreffenden  Setzerei  war  aber  in  den 
letzten  10  Jahren  kein  Fall  von  Blcikrankheit  vorgekommen. 

3)  Nach  v.  Holsbeck  (Journ.  de  Med.  de  Bruxelles  1858,  im  Auszuge  in  den  Annal. 
d'hyg.  publ.,  T.  XV.,  1864)  sollen  25  %  der  Setzer  der  Lungenschwindsucht  unter- 
liegen. Schon  Chevallier  (Annal.  d'hyg.  publ..  T«  XIII.  1835  hat  dieser  Auf- 
fassung widersprochen  und  namentlich  unter  den  Druckern  vorzugsweise  ganz  ge- 
sunde Leute  angetroffen,  wenn  sie  sich  eines  ordentlichen  Lebens  befleissigten 
Wir  können  dasselbe  behaupten,  halten  aber  dafür,  dass  Leute  mit  tuberculöser 
Anlage  das  Setzergeschäft  vermeiden  sollten,  weil  die  Einwirkung  einer  mangelhaft 
ventilirten  Luft  leicht  nachtheilige  Folgen  herbeiführen  kann.  Es  mag  sein,  da?s 
viele  Brustschwache  das  Setzergeschäft  wählen,  da  es  nicht  mit  körperlichen  An- 
strengungen verbunden  ist:  dadurch  werden  sie  freilich  die  Zahl  der  Lungen- 
schwindsüchtigen  in  diesem  Gewerbe  vermehren  können.  Constatirt  ist,  dass  sich 
wenige  Setzer  durch  kräftige  Körperentwicklung  auszeichnen;  auch  beobachtet 
man  bei  ihnen  bisweilen  den  blauen  Rand  am  Zahnfleische,  aber  ohne  alle  ander- 
weitige Symptome  einer  Bleierkrankung. 

Stumpf,  P.  R.:  Berufskrankheiten  der  Schriftgiesser  und  Buchdrucker  mit  be- 
sonderer Berücksichtigung  der  Verhältnisse  in  Leipzig.     Arch.  d.  Heilk.  1875,  S.  471. 

Nach  Stumpf  sollen  Giesser  am  meisten  erkranken,  da  sie  sich  täglich  der 
Dampfatmosphäre  des  Schriftgutes  aussetzen,  während  sich  die  Schleifer  bei  einiger 
Vorsicht  mehr  schützen  könnten.  Das  Letztere  lässt  sich  aber  auch  von  den 
Giessern  behaupten  und  kann  Verf.  nach  seinen  Beobachtungen  kein  auffallend 
häufigeres  Vorkommen  von  Bleivergiftung  bei  Giessern  annehmen. 

Bei  Setzern  will  Stumpf  im  \\  inter  bei  geschlossenen  Fenstern  und  mangel- 
hafter Ventilation  mehr  Erkrankungen  beobachtet  haben,  eine  Erfahrung,  die 
nicht  zu  bestreiten  ist. 

Die  Störungen  der  Verdauungs-  und  Respirationsorgane  bei  Druckern  und 
Giessern  kommen  in  gleicher  Weise  auch  bei  andern  Arbeitern  vor. 

4)  de  Neufville,  W.  C:  Lebensdauer  und  Todesursachen  22  verschiedener  Stände 
und  Gewerbe.     Frankfurt  1855.  p.  85—87. 

5)  Die  Druckerschwärze  wird  in  den  Druckereien  Firniss  genannt  und  besteht 
vorzugsweise  aus  Russ  und  Leinöl  nebst  einem  Zusatz  von  weisser  Seife  oder 
auch  von  Kolophonium.  Der  Geruch  stammt  vorzugsweise  vom  Oel  und  Russ  her, 
der  bekanntlich  auch  den  frischen  Druckbogen  anhaftet. 

In  der  Gaz.  des  hopit.  No.  25,  1866,  hat  Mar  misse  mitgetheilt,  dass  sich 
ein  Redaeteur  beim  Lesen  der  frischen  Abzüge  eine  Bleikolik  zugezogen  habe, 
eine  Behauptung,  die  ganz  unbegründet  ist  und  den  Beweis  liefert,  wie  leichtfertig 
man  in  der  Bourtheilung  der  Krankheitsursachen  sein  kann. 

Zu  bemerken  ist  noch,  dass  man  durch  den  Zusatz  von  Berlinerblau  und 
Indigo  den  braunen  Schimmer  der  Schwärze  aufzuheben  sucht.  Nichtiger  ist 
die  Thatsaclie,  dass  man  zur  Erzeugung  farbiger  Buchstaben  Chromgelb. 
Zinnober,  Grünspan  und  Mennige  benutzt.  Auch  Greenhow  (Medic. 
Times,  I..  1864)  berichtet,  dass  Metallpulver  für  bestimmte  Zwecke  auf  feuchte 
Druckerplatten  gestreut  oder  auf  eigens  dazu  präparirtes  Papier  aufgetragen  wird. 
Er  will  in  solchen  Fällen  bei  Druckern  schwarze  Indurationen  der  Lunge 
(Melanose)  beobachtet  haben,  welche  man  auch  bei  Farbenreihern  antrifit. 

Die  gewöhnliche  Druckerschwärze   wird  mittels   der  von  Lord  Stanhope    er- 


Wismuth,  Bor,  Kohlenstoff.  835 

fundenen  Auftrag-  resp.  Arbeitswalze  applicirt;  diese  erhält  einen  Ueberzug 
von  elastischer,  aus  Glycerin  und  Gelatine  dargestellter  Masse. 

6)  Eulenberg's  Lehre  u.  s.  w.,  S.  425. 

7)  Schwefelantimon  kommt  in  vielen  Feuerwerkssätzen  vor. 

Wismuth  (S.  312-314). 
1)   Valenciennes,   A.:    Beiträge   zur  Metallurgie   des   Wismuths.     Annal.   de  chim. 
phys.,  1874,  L,  p.  397;  Wagner's  Jahresber.  1874,  S.  202. 

Bor  (S.  314—315). 

1)  Tiemann,  Ferdin.:  Bor  und  seine  Verbindungen.  Amtl.  Bericht  über  die  Wiener 
Ausstellung,  16  Heft,  S.  322. 

Kohlenstoff  (S.  316—367). 

1)  Gegenwärtig  ist  der  Deflector  von  Windhausen  und  Büssing  in  Braun- 
schweig viel  in  Gebrauch. 

Wolpert  hat  einen  Rauch-  und  Luftsauger,  Vogt  (s.  1.  c.)  einen  Ventilationshut 
construirt.  Auf  dem  hiesigen  Rathbause  befindet  sich  ein  von  Dorn  angegebener 
Schornstein- Aufsatz. 

Muyschel:  Ueber  Schornstein-Aufsätze  in  der  Deutsch.  Bauzeitg.,  7.  April  1870, 
No.  14,  S.  113.     Hier  findet  sich  die  betreffende  Literatur  zusammengestellt. 

2)  Otto  Braun  hat  einen  Apparat  construirt,  um  allen  Rauch,  alle  Dämpfe  und  Gase 
aufzufangen  und  unschädlich  zu  machen. 

3)  Rossignon  in  Compt.  rend.,  Avril  1842,  S.  613. 

4)  Jeder  Kohlenstaub  vermag  die  Anthracosis  pulmonum  hervorzurufen;  der  von 
Traube  1860  beobachtete  Fall  betraf  grade  einen  Holzkohlenarbeiter,  obgleich  im 
Allgemeinen  die  Holzkohle  weniger  intensive  Krankheitszustände  hervorruft  als  die 
Steinkohle.  Noch  weniger  gefährlich  erweist  sich  Graphit,  dessen  Staub  in  den 
Bleistiftfabriken,  Giessereien,  in  der  Fictilindustrie  u  s.w.  vorkommt,  jedoch  nach 
den  bisherigen  Erfahrungen  keine  bedenklichen  Krankheitszustände  zur  Folge  hat. 

5)  Man  muss  bei  dem  Gebrauch  dieser  Respiratoren  auf  die  Oxydationsproducte  auf- 
merksam sein ;  in  einer  Schwefelwasserstoff- Atmosphäre  wird  sich  z.  B.  schweflige 
Säure  bilden,  die  dann  nachtheilig  einwirken  könnte.  Diese  Respiratoren  bedürfen 
daher  einer  häufigen  Regeneration  resp.  eines  erneuten  Ausglühens. 

6)  Man  benutzt  gewöhnlich  Natriumearbonat  (Sodalaugen),  um  den  Gips  in  Calcium- 
carbonat umzuwandeln  und  Natriumsulfat  zu  bilden,  das  in  Wasser  löslich  ist  und 
durch  Waschen  entfernt  wird.  Das  Säuern  dient  dann  noch  zur  Entfernung  des 
Calciumcarbonats. 

Nach  dem  Eisfeld'schen  Verfahren  kocht  man  die  Kohle  nach  der  Gährung 
und  Waschung  mit  den  bei  der  Zuckerfabrication  gewonnenen  ammoniaka- 
lischen  Condensationswässern,  um  den  Gips  zu  zerlegen  und  das  Auslaugen 
mit  Soda  dadurch  zu  umgehen:  gleichzeitig  wird  hierdurch  auch  ein  Theil  des 
Calciumcarbonats  entfernt. 

Bisweilen   unterlässt  man  auch  die  Behandlung   der  Kohle  mit  Soda;    dann   ist 


.  .„  cylir-- 
oiebboden  liegen,  unter  dem  die  Wasserdämpfe  eindringen,  um  oben  wieder  zu 
entweichen  Je  nach  der  Lage  der  Fabrik  kann  das  freie  Ablassen  dieser  Dämpfe 
für  die  Adjacenten  lästig  werden,  so  dass  locale  Verhältnisse  die  Condensation 
derselben  gebieten  können. 

Uebrigens  folgen  die  genannten  Operationen  nicht  immer  in  der  aufgeführten 
Reihenfolge,  da  jede  Fabrik  ihre  besondern  Methoden  hat. 

Stets  bleibt  der  Waschprocess  ein  sehr  wichtiger  Act,  zu  dessen  Ausfuhrung 
besondere  Waschmaschinen  construirt  worden  sind;  so  sind  die  Maschinen  von 
Klusemann  und  Cönner  sehr  gebräuchlich. 

7)  Der  Glühprocess  bezweckt  vorzugsweise  die  vollständige  Entfernung  der  noch  vor- 
handenen Reste  von  organischer  Substanz.  Man  hat  hierzu  sehr  verschiedene 
Oefen  construirt,  von  denen  der  von  Schatten  eingeführte  der  gebräuchlichste 
und  dem  im  Texte  abgebildeten  Ofen  ähnlich  ist.  Eine  Hauptaufgabe  bleibt 
hierbei,  mag  der  Ofen  construirt  sein  wie  er  will,  dass  die  Gase  und  Dampfe  in 
die  Feuerung  geleitet  und  hier  vollständig  verbrannt  werden,  da  sonst  der  ganze 
Process  zu  einem  sehr  belästigenden  und  höchst  unangenehmen  werden  kann,  unter 
welchem  nicht  bloss  die  Arbeiter,  sondern  auch  die  Adjacenten  zu  leiden  haben. 

8)  Emil  Langen  in  Dingler's  Journ.,  Bd.  182,  Heft  4,  S.  459,  1866. 
Walkhoff  (eod.  loc.  S.  329)  hat  auch  eine  selbstständige  Knochenkohlendarre 

53* 


836  Kohlenstoff. 

für  Zuckerfabriken  construirt,  welche  in  einer  conischen  und  um  ihre  Achse  sich 
drehenden  Blechtrommel  besteht,  in  deren  engern  Theil  die  Kohle  mittels  einer 
kleinen  Schnecke  gleichmässig  eingeführt  wird,  worauf  sie  von  selbst  dem  weitern 
Ende  der  Trommel  zufällt.  Die  Erhitzung  geschieht  von  aussen  entweder  durch 
abfallende  oder  directe  Feuerung.  In  den  meisten  Fällen  beschränkt  man  sich  noch 
auf  die  Darr  platten.  Dieses  Trocknen  soll  die  Kohle  vorher  von  der  Haupt- 
menge  des  anhaftenden  Wassers  befreien,  ehe  sie  dem  Glühprocesse  ausgesetzt  wird. 

9)    Herold:    Der    Bergbau    im    Steinkohlengebirge    Englands    und     Schottlands     in 
v.  CarnalFs  Zeitschr.  f.  Berg-  u.  Hüttenk.,  HI.  Bd.,  S.  63,  1856. 
Nöggerath,    Max:   Ueber  Steinkohlenbergbau  des  Staates  in  Saarbrücken  in  der 
Zeitschr.  f.  Bau-  u.  Hüttenwesen,  III.  Bd.,  S.  193,  1856. 

Hartmann,  C.  Fr.  Aug.:  Berg-  n.  Hütten- Ingenieur.  Die  Fortschritte  des 
Steinkohlen- Bergbaues  in  der  neuesten  Zeit  oder  der  heutige  Standpunet  der 
Aufsuchung,  Gewinnung  u.  Förderung  der  mineralischen  Brennstoffe.  Mit  11  lithogr. 
Longfoliotafeln.     Berlin,  Springer  1859. 

Lottner,  H:  Leitfaden  zur  Berghaukunde.  Nach  den  in  der  Kgl.  Berg-Aeademie 
zu  Berlin  gehaltenen  Vorlesungen.  Nach  dessen  Tode  und  in  dessen  Auftrage 
bearbeitet  von  Dr.   Albert  Sello.     2.  Aufl.  Berlin  1873. 

Burat,  Amadee:  Das  Material  des  Braunkohlenbergbaues.  Deutsche  Bearbeitung 
von  Dr.  Carl  Hartmann.     Brüssel  u.  Leipzig   1861. 

Green  well,  G.  C.:  A  Practical  Treatise  on  Mine  Engineering.  See.  edit.  Newcastle, 
London  1870.    Ein  praktisches  Werk,  welches  in  jeder  Beziehung  zu  empfehlen  ist. 

10)  Die  Häuerarbeit  ist  die  anstrengendste  und  veranlasst  am  meisten  die  Anthracosis 
pulmonum.  In  neuerer  Zeit  hat  man  bei  denselben  auch  Nj'stagmus  beobachtet 
und  die  Ursache  dieses  Augenzitterns  auf  Uebermüdung  der  M.  rect.  super,  geschoben. 
Nur  in  seltnen  und  schlimmem  Fällen  findet  man  Paralyse  oder  Gewebsdegeneration, 
noch  seltner  eine  Complication  mit  Herzklopfen  und  profusen  Schweissen.  Taylor 
in  Nottingham  hat  die  Krankheit  ziemlich  häufig  bei  Kohlengrubenarbeitern  beob- 
achtet und  schiebt  die  Ursache  ebenfalls  auf  die  Ueberanstrengung  der  Augen- 
muskeln, die  aus  dem  Bestreben,  bei  unvollkommenem  Lichte  deutlich  zu  sehen. 
entstehe,  während  Andere  den  nachtheiligen  Umstand  betonen,  dass  die  Arbeiter 
liegend  mit  beständig  in  die  Höhe  gerichteten  Augen  ihrer  Beschäftigung  obliegen. 
Die  Krankheit  tritt  nur  bei  Erwachsenen  auf  und  ist  heilbar:  Wechsel  der  Be- 
schäftigung und  Aufenthalt  in  guter  Beleuchtung  waren  die  Heilmittel,  cf.  Lancet, 
12.  Juni  1855,  27.  Nov.  1875.  Berl.  klin.  Wochenschr.  No.  32  1875.  Deutsche  med. 
Wochenschr.  No.  13  1876. 

Den  Häuern  stehen  in  Bezug  auf  die  sanitären  Nachtheile  die  Schlepper  am 
nächsten;  sie  laden  die  aufgeladenen  Steine  auf  und  schieben  sie  in  den  Galerien 
auf  kleinen  Wagen  fort,  wobei  namentlich  die  Anstrengungen  der  Brustmuskeln 
bei  gebückter  Stellung  leicht  Anlass  zu  Herzkrankheiten  geben :  diese  Stellung  ver- 
anlasst auch  das  Genu  valgum,  besonders  wenn  jugendliche  Personen  schon  zu 
dieser  Beschäftigung  herangezogen  werden. 

11)  In  Frankreich  versteht  man  unter  Mofettes  oder  Mouffettes  im  Allgemeinen  böse 
"Wetter,  welche  Stickstoff  und  Kohlensäure  enthalten. 

In  einigen  Braunkohlen  kommen  nach  Kolbo   (Journ.  f.  prakt.  Chemie  1872, 

Bd.V.,  S.  19)  Kohlensäure,  Kohlenoxyd,  Stickstoff  und  Sauerstoff  vor.    Es  wurden 

böhmische   Patent -Braunkohlen    und    eine    erdige    Braunkohle    geringerer   Qualität 

untersucht.     Es  ergab  sich  folgende  Zusammensetzung: 

CO,  CO 

DItj-v.    •    v    u  ui  1     89/6  1,80 

n    Böhmische  Kohle    ....         \>  ±0  300 

3)  Erdige  Braunkohle      .     .     .        83'99  L04 

Ammoniak  in  der  Luft  der  Kohlenbergwerke  rührt  bloss  von  den  Pferdeställen 
her  und  kommt  im  Allgemeinen  nur  in  geringen  Mengen  vor. 

12)  Mit  feu  grison,  feu  sauvage  bezeichnet  man  in  Frankreich  die  schlagenden  Wetter. 
Nach  jeder  Explosion  füllt  sich  die  Atmosphäre  mit  den  Verbrennungsproducten, 
d.h.  mit  einem  fein  vertheilten  Kohlenstoff  an,  den  man  Schwaden,  Nach- 
sehwaden. After damp  nennt  (s.  S.  338).  eonf.  Bourguet  in  Gaz.  de  Hop. 
142.  Bd.,  1876. 

Wehrle  behauptet,  dass  die  gewöhnliche  Grubenlampe  bei  16';,  Sauerstoff,  ein 
Talglicht  bei  18$  und  ein  Argand'scher  Brenner  bei  \\"„  Sauerstoff  noch  brenne. 
Eine  Luft  von  20,6';,  Sauerstoff  muss  als  schlecht  und  eine  von  20,5'£  als  gefährlich 
bezeichnet  werden.  Der  normale  Gehalt  kann  mit  20,9  %  Sauerstoff  bezeichnet 
werden,  cf.  Taylor:  Ueber  Verhütung  der  Explosion  durch  Ventilation  in  Sanit. 
Record,  IV.  85,  1875. 

13)  In  England  benutzt  man  Roste  von  9—25  Fuss  Länge  und  6—8  Fuss  Breite.    Ueber 


N 

O 

8,03 

0,51 

14,15 

0,45 

19,91 

0,65 

Berg-Polizei -Verordnung.  §37 

die  Construction  dieser  Oefen  conf.  die  Zeitschr.  f.  Berg-  u.  Hüttenkunde    X  Bd 
2.  Heft,  S.  41,  1862. 

14)  Ein  Ventilator  muss  während  1  Secunde  10  Kubikmeter  Luft  aus  jedem  Schachte 
absaugen.  Die  Heftigkeit  dieser  Wirkung  macht  aber  viel  Zug  in  den  Galerien 
und  führt  leicht  rheumatische  Leiden  oder  entzündliche  Brustaffectionen  herbei; 
hauptsächlich  aus  dieser  Ursache  zieht  man  unter  gewöhnlichen  Verhältnissen  die 
ruhige  und  constante  Wirkung  der  Wetteröfen  vor. 

Bluhme:  Bericht  über  einige  neuere  namentlich  in  Belgien  übliche  Wettermaschinen 
in  der  Zeitschr.  f.  Berg-  u.  Hüttenk.,  XIII.  Bd.,  S.  187,  1865. 

15)  Ueber  die  Entwicklung  der  Englischen  Bergwerks-Gesetzgebung  in  Brassei't's  und 
Achenbach's  Zeitschr.  f.  Bergwesen,  1.  Bd.,  S.  186. 

In  Preussen  haben  mehrere  Oberbergämter  allgemeine  Berg-Polizei-Ver- 
ordnungen erlassen,  welche  die  Sicherung  der  Oberfläche  der  Grubenbaue  be- 
zwecken und  die  bei  der  Förderung,  Fahrung,  Wetterführung  und  Beleuch- 
tung, sowie  bei  der  Häuer  arbeit  nothwendigen  Vorsichtsmassregeln  erörtern. 
Die  neueste  Instruction  dieser  Art  ist  Seitens  des  Königl.  Oberbergamtes  zu  Halle 
unter  dem  15.  Juli  1873  ergangen  und  mit  dem  1.  Januar  1874  in  Kraft  getreten: 

Allgemeine  Berg-Polizei -Verordnung 
für  den  Verwaltungsbezirk  des  Königl.  Oberbergamts  zu  Halle  a.  S. 
Auf  Grund  der  §§  196  und  197  des  Allgemeinen  Berggesetzes  vom  24.  Juni  1865 
verordnet  das  unterzeichnete  Oberbergamt  für  den  ganzen  Umfang  seines  Verwal- 
tungsbezirks, was  folgt: 

I.  Sicherung  der  Oberfläche.  §  1.  Beim  Bergwerksbetrieb  müssen  zur 
Sicherung  von  Eisenbahnen,  Chausseen,  Communicationswegen  jeder  Art,  Canälen, 
Flüssen,  Bächen,  Gebäuden  u.  s  w.  Sicherheitspfeiler  von  angemessener  Stärke  stehen 
gelassen  werden,  sofern  die  zu  schützenden  Anlagen  nicht  nach  gütlichem  Ueber- 
einkommen  verlegt  oder  die  Flüsse  und  Bäche  nicht  in  Gefluther  gefasst  werden. 

§  2.  DieDurchorterung  dieser  Sicherheitspfeiler  ist  nur  mit  ausdrücklicher  schrift- 
licher Erlaubniss  des  Revierbeamten  und  unter  Beobachtung  der  von  Letzterem  vor- 
geschriebenen Sicherheitsmassregeln  gestattet. 

§  3.    Das  Ausrauben  und  Schwächen  dieser  Sicherheitspfeiler  ist  verboten. 

§  4.  Bei  dauernder  Einstellung  eines  unterirdisch  betriebenen  Bergwerks  müssen 
geeignete  Vorkehrungen  getroffen  werden,  um  die  Oberfläche  dauernd  sicher  zu 
stellen.  Der  Vertreter  des  Bergwerks  ist  für  Ausführung  dieser  Bestimmung  ver- 
antwortlich. 

§  5.  Tagebaue  sind  auf  den  Seiten  sowohl  der  in  als  der  ausser  Betrieb  befind- 
lichen Abraumstösse  mit  einer  mindestens  1  Meter  hohen  Wehre  oder  einem  min- 
destens 0,6  Meter  tiefen  und  auf  der  Sohle  gleich  breiten  Graben  mit  Dammaufwurf 
auf  der  dem  Tagebau  zugekehrten  Seite  zu  versehen. 

§  6.  In  gleicher  .Weise  sind  die  Feldestheile,  in  welchen  Tagebrüche  in  Folge 
des  Bergbaues  vorhanden  oder  zu  besorgen  sind,  abzusperren.  Das  Verbot  des 
Betretens  solcher  abgesperrten  Flächen  ist  durch  Warnungstafeln  ersichtlich  zu 
machen. 

§  7.  Grenzt  ein  Weg,  ein  öffentlicher  Platz  oder  ein  zum  Wohnen  eingerichtetes 
Gebäude  an  einen  solchen  Feldestheil  oder  an  einen  Tagebau,  so  ist  längs  des 
Weges,  Platzes  oder  Gebäudes  eine  mindestens  1  Meter  hohe,  hinreichend  starke 
Barriere  anzubringen. 

H  Sicherung  der  Grubenbaue.  §8.  In  Tagebauen  darf  die  Höhe  der 
Abraumsstrossen  nicht  über  6  Meter,  die  der  Kohlenstrossen  nicht  über  10  Meter, 
die  Breite  beider  aber  nicht  unter  3  Meter  betragen.  Doch  ist  es  gestattet,  sowohl 
das  Deckgebirge  als  auch  die  Kohle  in  je  einer  Strosse  zu  gewinnen,  wenn  für 
ersteres  eine  Böschung  von  nicht  über  55  Grad  und  für  letztere  von  nicht  über 
65  Grad  Neigung  innegehalten  wird. 

§  9.  Sämmtliche  unterirdische  Grubenbaue  müssen  bei  ungenügender  Festigkeit 
des  Gebirges  dauerhaft  verzimmert,  ausgemauert  oder  sonst  wie  sichergestellt  und, 
so  lange  sie  benutzt  werden,  in  sicherem  Zustande  unterhalten  werden.  Der  Ver- 
treter des  Bergwerks  ist  für  Ausführung  dieser  Bestimmung  verantwortlich,  wenn 
der  Betriebsführer  nachzuweisen  vermag,  dass  ihm  die  dazu  erforderlichen  Mittel 
verweigert  worden  sind. 

§  10.  In  Grubenräumen,  welche  zur  Communication  zwischen  den  Arbeits- 
puncten  und  der  Tagesoberfläche  benutzt  werden,  insbesondere  in  Schächten, 
Querschlägen,  Haupt-  und  Tagesstrecken,  ist  der  Einbau  von  mit  Kreosotöl  ge- 
tränkten Hölzern  verboten.  Auf  Kreosotnatrium  und  diesem  ähnliche  Präparate 
bezieht  sich  das  Verbot  nicht. 

§  11.    Die  Braunkohle  darf  bei  unterirdischem  Abbau  nur  bis  zu  einer  Mächtig- 


£38  Kohlenstoff. 

keit  von  5  Meter  auf  einmal  gewonnen  werden.  Zur  Betreibung  eines  Baues  mit 
grösseren  Bruchhöhen  bedarf  es  der  schriftlichen  Erlaubniss  des  Revierbeamten. 

§  12  Bei  dem  Betriebe  von  Grubenbauen,  in  deren  Nahe  Standwasser,  böse 
Wetter  oder  wasserreiches  Gebirge  bekannt  oder  zu  vermuthen  sind,  muss  durch 
Vorbohrungen  oder  andere  zweckentsprechende  Sii'herungsmassregeln  der  Gefahr 
eines  plötzlichen  Wasserdurehbruehs  vorgebeugt  werden.  In  diesen  Fällen  müssen 
besondere  Bohrtabellen  geführt  werden,  in  welchen  die  Zahl,  Stellung  und  Tiefe 
der  Bohrlöcher,  sowie  deren  Ergebniss  (Wasserergiebigkeit,  Beschaffenheit  der 
ausströmenden  Wetter  und  des  durchbohrten  Gebirges  u.  s  w.)  täglich  einzu- 
tragen sind. 

§  13.  Alle  Oeffnungen  und  Zugänge  der  Schächte,  Gesenke,  Bremsberge,  Brems- 
schächte, Rolllöcher  und  Ueberhanen  unter  und  über  Tage  sind  derartig  abzu- 
sperren, dass  Niemand  ohne  eigene  Schuld  in  dieselben  hinabstürzen  kann. 

§  14.  Münden  solche  Grubenbaue  direct  in  eine  Förderstrecke  ein,  so  ist  die 
Befahrung  der  letzteren  durch  geeignete  Vorrichtungen  (Unibruchsort,  Verschlag 
u.  s  w.)  sicher  zu  stellen. 

§  15.  Gezähstücke,  Holz,  Steine  und  andere  lose  Gegenstände  dürfen  nur  in 
solcher  Entfernung  von  Schächten  und  Gesenken  niedergelegt  und  geduldet  werden, 
dass  ein  Hinabfallen   derselben  in  letztere  nicht  erfolgen  kann. 

III.  Förderung  a)  in  Schächten  und  Gesenken.  §16.  Beim  Abteufen 
von  Schächten  und  Gesenken  mit  dem  Haspel  dürfen  nur  starke,  mit  Fängern, 
eisernen  Vorsteckern  und  bei  einer  Teufe  von  mehr  als  40  Metern  mit  einer  kräf- 
tigen Bremsvorrichtung  versehene  Haspel  benutzt  werden.  Das  Haspelgeviere  ist 
stets  auf  Rüsthölzer  zu  verlagern. 

§  17.  Findet  beim  Abteufen  die  Forderung  mittels  Dampf  kraft  statt,  so  muss 
an  der  Seilkorbachse  eine  kräftige  Bremsvorrichtung  derartig  angebracht  sein, 
dass  der  Maschinenwärter  dieselbe,  ohne  seinen  Stand  zu  verlassen,  leicht  und  sicher 
handhabeu  kann. 

§  18.  Beim  Abteufen  sind  nur  fehlerfreie  und  vorher  erprobte  Seile  zu  benutzen; 
auch  ist  deren  Verbindung  mit  dem  Fördergefäss  so  herzustellen,  dass  eine  zufällige 
Lösung  derselben  nicht  stattfinden  kann. 

§  19.  Beim  Abteufen  dürfen  die  Fördergefässe  nur  bis  zu  einer  Hand  breit 
unter  dem  Rande  gefüllt  werden. 

§  20.  Beim  Abteufen  müssen  die  zur  Ein-  und  Ausförderung  gelangenden 
Materialien,  wie  Gezähstücke,  Holz  u.  s.  w.,  mit  Heftstricken  an  das  Seil  befestigt 
werden. 

§21.  Allen  Haspelvorrichtungen,  die  zur  Förderung  benutzt  werden,  muss  eine 
solche  Einrichtung  gegeben  werden,  dass  das  Fördern  sowie  das  Abziehen  und  Ein- 
hängen der  Fördergefässe  ohne  Gefahr  für  die  Arbeiter  erfolgen  kann. 

§  22.  Bei  regelmässiger  Förderung  mittels  Maschinen  ist  ein  selbstthätiger  Ver- 
schluss der  Schachtmündung,  z.  B.  durch  Fallgittei-,  anzubringen. 

§  23.  An  den  Anschlagspuncten  ist  nöthigenfalls  durch  Umbruchsörter  eine 
solche  Einrichtung  zu  treffen,  dass  Niemand  genöthigt  ist,  unter  den  Förderschacht 
zu  treten  oder  ihn  zu  durchschreiten. 

§  24.  Die  An-  und  Abschlagspuncte  der  Schächte  sind  während  der  Förderung 
durch  besondere,  dauernd  angebrachte  Lampen  erleuchtet  zu  erhalten. 

§  25.    Das  Betreten  der  Fördertrümmer  während  der  Förderung  ist  verboten. 

§26.  In  Förderschächten,  welche  eine  solche  Teufe  besitzen,  dass  die  gegen- 
seitige Verständigung  der  Arbeiter  an  den  Anschlagspuncten  und  an  der  Hänge- 
bank durch  Zurufen  nicht  deutlich  erfolgen  kann,  müssen  Signalvorrichtungen  vor- 
handen sein,  welche  gestatten,  zwischen  den  einzelnen  Anschlagspuncten  unterein- 
ander und  mit  der  Hängebank  Zeichen  zu  wechseln.  Tafeln,  auf  welchen  die  Be- 
deutung der  von  dem  Betriebsführer  festgestellten  Signale  erklärt  ist,  sind  in  der 
Maschinenstube,  an  der  Schachthängebank  und  an  den  Anschlagspuncten  anzu- 
bringen. 

b)  in  Bremsbergen,  Bremsschächten.  §27.  In  Bremsbergen  und  Brems- 
schächten sind,  sofern  eine  gegenseitige  Verständigung  der  Arbeiter  durch  Zurufen 
nicht  deutlich  erfolgen  kann,  Signalvorrichtungen  anzubringen,  die  gestatten,  von 
jedem  Anschlagspuncte  aus  Zeichen  nach  oben  und  unten  zu  geben. 

§  28.  Vor  dem  gehenden  Zeuge  der  Bremswerke  muss  ein  hinreichend  starker 
Lattenverschlag  angebracht  sein,  der  den  Seilen  allein  einen  Durchgang  gestattet. 

§29.  Die  Bremswerke  müssen  mit  einer  selbstwirkendeu,  d.h.  einer  solchen 
Bremsvorrichtung  versehen  sein,  die  gelüftet  werden  muss,  wenn  der  Bremskorb 
umgehen  soll,  sonst  aber  geschlossen  ist. 

§  30.  Der  Stand  des  Abbremsers  ist  so  einzurichten,  dass  derselbe  ohne  Gefahr 
und  in  bequemer  Stellung  seine  Arbeit  verrichten  kann. 


Berg -Polizei -Verordnung.  339 

§  31-  Im  Falle  die  Förderleute  das  Abbremsen  der  Fördergefässe  selbst  be- 
sorgen sollen,  muss  die  Bremsvorrichtung  von  jedem  Anschlagspuncte  aus  leicht 
und  so  gehandhabt  werden  können,  dass  der  Fördermann  nicht  genöthigt  ist,  in 
den  Bremsberg  oder  Bremsschacht  selbst  zu  treten. 

§  32  Während  des  Ganges  des  Bremswerkes  darf  Niemand  unter  den  Brems- 
berg oder  Bremsschacht  treten 

c)  über  Tage  und  in  Strecken.  §  33.  Im  Tagebau  darf  der  Arbeiter  beim 
Füllen  der  Fördergefässe  seine  Stellung  nicht  zwischen  Arbeitsstoss  und  Förder- 
gefäss  nehmen. 

§  34.  Beim  Füllen  der  Fördergefässe  in  einem  Bruchbau  muss  der  Fördermann 
eine  solche  Stellung  einnehmen,  dass  er  durch  Zimmerung  gehörig  gesichert  ist, 
auch  ihm  zur  Flucht  der  erforderliche  Raum  frei  bleibt. 

§  35.  Laufbrücken  zur  Förderung  sind  mit  einem  festen  Bodenbelag  und  bei 
einer  Höhe  von  mehr  als  3  Meter  an  beiden  Seiten  mit  einem  festen  Geländer  zu 
versehen. 

§  36.  In  Fahr-  und  Förderstrecken,  deren  Sohle  unter  Wasser  steht,  muss 
Tragewerk  vorhanden  sein. 

§  37.  Auf  Schienenbahnen  mit  einer  solchen  Neigung,  dass  die  Fördergefässe 
auf  denselben  sich  von  selbst  fortbewegen,  müssen  letztere  gebremst  werden 
können.  Findet  die  Förderung  in  Zügen  statt,  so  müssen  in  jedem  Zug  so  viele 
mit  Bremsen  versehene  Fördergefässe'  eingestellt  werden,  dass  derselbe  jederzeit 
mit  Sicherheit  zum  Stehen  gebracht  werden  kann. 

§  38.  In  Strecken,  in  denen  Förderung  mittels  Maschinen  stattfindet,  ist  eine 
Signalvorrichtung  anzubringen,  die  gestattet,  von  jedem  beliebigen  Puncte  derselben 
dem  Maschinenwärter  Zeichen  zu  geben. 

rV.  Fahrung  a)  im  Allgemeinen  und  in  Schächten.  §39.  Jede  selbst- 
ständig für  sich  betriebene  unterirdische  Anlage  eines  Braunkohlen-  oder  Alaun- 
bergwerks muss  mit  zwei  fahrbaren  Ausgängen  nach  der  Erdoberfläche  versehen 
sein,  die  von  allen  Puncten  des  Grubengebäudes  ohne  Gefahr  erreichbar  sein 
müssen;  sind  es  Schächte,  so  muss  mindestens  einer  den  Vorschriften  der  §§  41,  42 
und  43  genügen. 

§  40.  Auf  allen  übrigen  unterirdisch  bauenden  Bergwerken,  in  welchen  die  Be- 
fahrung  nicht  ausschliesslich  durch  Stollen  oder  einfallende  Strecken  stattfindet, 
muss  mindestens  ein  von  allen  Puncten  des  Grubengebäudes  ohne  Gefahr  erreich- 
barer, mit  Fahrten  versehener  Schacht  vorhanden  sein.  Wo  bei  Tiefbauen  durch 
das  Aufgehen  der  Wasser  in  der  tiefsten  Sohle  eine  Abschliessung  des  Fahr- 
schachtes von  den  Grubenbauen  eintreten  kann,  muss  zur  Sicherheit  der  Arbeiter 
ein  zweiter  Zugang  zu  dem  Fahrschachte  mindestens  4  Meter  oberhalb  der  tiefsten 
Sohle  vorhanden  sein. 

§  41.  Bildet  derselbe  nur  eine  Abtheilung  eines  auch  zu  andern  Zwecken 
des  Betriebes  dienenden  Schachtes,  so  ist  derselbe  nach  der  Seite  der  Förder-Ab- 
theilung hin  vollständig,  nach  der  Seite  der  übrigen  Abtheilungen  hin  aber 
wenigstens  derartig  zu  verschlagen,  dass  Niemand  durch  die  Zwischenräume  den 
Kopf  hindurchstecken  kann.  Diese  Vorschrift  findet  für  Schächte  bis  zu  10  Meter 
Teufe  keine  Anwendung,  doch  ist  hier  das  Fahren  während  der  Förderung  ver- 
boten. 

§  42.  In  den  Fahrschächten  über  10  Meter  Teufe  und  über  70  Grad  Neigung 
müssen  Ruhebühnen  angebracht  sein,  die  bei  saigeren  Schächten  nicht  über  8  Meter 
von  einander  entfernt  sein  dürfen.  Die  Fahrten  sind  dabei  nicht  steiler  als  mit 
80  Grad  Neigung  zu  stellen  und  müssen  die  Bühnlöcher  decken. 

§  43.  Sämmtliche  Fahrten  müssen  hinlänglich  stark  construirt  und  dauerhaft 
befestigt  sein,  sowie  in  gutem  Zustande  erhalten  werden.  An  der  Hängebank  sowie 
an  jeder  Ruhebühne  müssen  entweder  die  Fahrten  wenigstens  1  Meter  hervorstehen 
oder  feste  Handgriffe  angebracht  sein. 

§44.  Die  Benutzung  des  Seiles,  sowie  die  Anwendung  einer  Fahrkunst  zum 
Ein-  und  Ausfahren  der  Belegschaft  bedarf  der  Erlaubniss  des  Oberbergamts, 
welches  die  Bedingungen  und  "Sicherheitsmassregeln  nach  Vernehmung  des  Ver- 
treters des  Bergwerks  festsetzt. 

§45.  Von  dieser  Erlaubniss  darf  erst  Gebrauch  gemacht  werden,  wenn  die 
Ausführung  der  Bedingungen  und  Sicherheitsmassregeln  an  Ort  und  Stelle  geprüft 
und  die  Benutzung  der  Seilfahrt  bezw.  Fahrkunst  für  zulässig  erklärt  worden  ist. 
§  46.  Auf  allen  Bergwerken,  woselbst  das  Fahren  auf  der  Fahrkunst  oder  am 
Seil'  nicht  erlaubt  ist,  muss  die  Ein-  und  Ausfahrt  in  den  dazu  bestimmten  Fahr- 
schächten bewirkt  werden.  Das  Befahren  anderer  Sehächte  oder  Schacht-Abthei- 
lungen  ist  nur  den  Aufsichtsbeamten  und  denjenigen  Personen  gestattet,  die  von 
dem  Betriebsführer  mit  der  Revision  oder  Reparatur  derselben  beauftragt  sind. 


340  Kohlenstoff. 

§  47.    Beim  Fahren  von  Schächten  ist  das  Mitführen  von  Gezäh  verboten. 

b)  in  Bremsbergen,  Bremsschächten  und  Rolllöchern.  §48.  Alle  in 
Betrieb  stehenden  Bremsberge,  Bremsschächte  und  Rülllöcher,  die  für  mehr  als 
einen  Betriebspunct  vorgerichtet  sind,  müssen  besondere  Fahr-Ueberhauen  oder 
Fahr-Abtheilungen  und  zwar  nötigenfalls  zwei  besitzen,  so  dass  die  Arbeiter  nicht 
gezwungen  sind,  in  den  Förder-Abtheilungen  oder  durch  dieselben  zu  fahren,  um 
vor  ihre  Arbeit  zu  gelangen. 

§  49.  Die  Fahrschächte  oder  Fahrabtheilungen ,  die  sich  in  den  Bremsbergen, 
Bremsschächten  oder  Rolllöchern  selbst  befinden,  sind  gegen  die  Förderabtheilung 
hin  sicher  zu  verschlagen. 

§  50.  Die  Fahrüberhauen  sind  möglichst  bequem  herzustellen  und  stets  in  fahr- 
barem Zustande  zu  erhalten. 

§  51.  Das  Befahren  der  Förderabtheilungen  der  Bremsberge,  Bremsschächte  und 
Rolllöcher  ist  nur  den  mit  ihrer  Revision  oder  Reparatur  beauftragten  Personen, 
sowie  den  Aufsichtsbeamten  gestattet. 

§  52.  Vor  einer  solchen  Befahrung  muss  die  Bremse  stillgesetzt  sein  und  darf 
nur  auf  ein  bestimmtes  Signal  wieder  geöffnet  werden. 

c)  in  Strecken  mit  maschineller  Förderung.  §53.  Das  Fahren  in 
horizontalen  oder  flachgeneigten  Strecken,  in  welchen  Förderung  mittels  Maschinen 
stattfindet,  ist  während  der  Förderung  nur  den  dabei  beschäftigten  Arbeitern  und 
den  Aufsichtsbeamten  gestattet. 

V.  Wetterführung  und  Beleuchtung.  §  54.  Bei  allen  Bergwerken  muss 
für  ausreichenden  Wetterwechsel  derartig  gesorgt  sein,  dass  sämmtliche  in  Betrieb 
stehende  Arbeitspuncte  und  die  zu  befahrenden  Strecken  unter  gewöhnlichen  Um- 
ständen sich  in  einem  zur  Arbeit  und  Befahrung  tauglichen  Zustande  befinden. 

§  55.  Die  erforderlichen  Angaben  über  Wetterführung  sowie  sämmtliche  Aende- 
derungen  des  einmal  aufgestellten  Wetter s)-stenis  sind  in  die  Betriebspläne  auf- 
zunehmen. 

§  56.  Alle  Grubenbaue,  insbesondere  Schächte,  Geseuke  und  Gesenkbaue,  welche 
nicht  mit  andern,  frische  Wetter  führenden  Bauen  in  Verbindung  stehen,  müssen 
vor  dem  jedesmaligen  Anfahren  der  Belegschaft  von  einem  Aufsichtsbeamten  oder 
einem  zuverlässigen  Arbeiter  auf  das  Vorhandensein  stickender  Wetter  mit  einem 
brennenden  Lichte  untersucht  werden.  Das  Betreten  solcher  Baue  vor  der  Unter- 
suchung ist  den  Arbeitern  verboten.  Zeigen  sich  stickende  Wetter,  so  darf  das 
Einfahren  erst  nach  deren  vollständiger  Beseitigung  gestattet  werden. 

§  57  Alle  Zugänge  nicht  belegter  Grubenräume,  in  welchen  das  Vorhandensein 
böser  Wetter  irgend  einer  Art  zu  besorgen  ist,  müssen  derartig  abgesperrt  werden, 
dass  Niemand  ohne  Oeffnung  des  Abschlusses  dieselben  betreten  kann.  Vor  der 
Wiederbelegung  derselben  muss  die  Gefahrlosigkeit  von  dem  Betriebsführer  oder 
einem  durch  den  letztern  zu  bestimmenden  Grubenbeamten  durch  geeignete  Unter- 
suchung festgestellt  werden. 

§  58.  Das  unbefugte  Betreten  nicht  belegter  und  in  geeigneter  Weise  abge- 
sperrter Grubenräume  ist  verboten. 

§  59.  Das  Kesseln  (Einhängen  von  Gefässen  mit  brennenden  Stoffen  zum  Zweck 
der  Wettercirculation)  ist  verboten. 

§  00.  Auf  Stein-  und  Braunkohlen-  sowie  Alaunbergwerken  ist  die  Anlage  von 
Wetteröfen  oder  Wetterherden  unter  Tage  nur  gestattet,  wenn  der  ausziehende 
Schacht  vollständig  in  festem  Gestein  oder  in  Mauerung  steht. 

§  61.  Auf  jedem  Steinkohlenbergwerke  sind,  so  lange  sich  schlagende  Wetter 
nicht  gezeigt  haben,  mindestens  zwei  brauchbare  Sicherheitslampen  vorräthig  zu 
halten. 

§  62.  Der  Betriebsführer  hat  das  erste  Auftreten  schlagender  Wetter  sofort  dem 
Revierbeamten  anzuzeigen. 

§  63.  Die  auf  Bergwerken  mit  schlagenden  Wettern  zu  beobachtenden  besondern 
Massregeln  werden  durch  besondere  \erordnungen  von  dem  Oberbergamte  vor- 
geschrieben werden. 

§  64.  Es  ist  verboten,  in  Grubenräumen,  die  nicht  durch  Tageslicht  oder  fest 
angebrachte  Beleuchtung  erhellt  werden,  ohne  Grubeulicht  zu  fahren. 

§  65.  In  unterirdischen  Grubenräumen  muss,  soweit  nicht  durch  besondere  Ver- 
ordnung (§  63)  etwas  Anderes  bestimmt  wird,  jeder  Arbeiter  und  Aufsichtsbeamte 
ein  Feuerzeug  zum  Anzünden  des  Grubenlichts  bei  sich  führen. 

VI.  Häuerarbeiten,  a)  Schiessarbeit.  1.  Allgemeine  Vorschriften. 
§.  66.  Jeder  Aufbewahrungsraum  für  Sprengstoffvorräthe  ist  so  zu  verschliessen, 
dass  derselbe  von  Unbefugten  nicht  ohne  Anwendung  von  Gewalt  geöffnet  werden 
kann.  An  der  Aussenseite  des  Verschlusses  sind  in  leicht  erkennbarer  Weise  die 
Worte:  „Warnung!  Sprengmittel!"  anzubringen. 


Berg -Polizei -Verordnung.  841 

§  67.  Die  Aufbewahrungsräume  der  Sprengstoffvorräthe  über  Tage  müssen  von 
bewohnten  Räumen,  Eisenbahnen,  Chausseen  und  Communalwegen  mindestens 
150  Meter  entfernt  sein.  Aufbewahrungsräume  unter  Tage  müssen  von  den 
nächsten  Fahr-  oder  Förderstrecken  und  Schächten  mindestens  50  Meter  entfernt 
und  seitlich  der  Zugangsstrecken  hergestellt  sein.  Sind  sie  zur  Aufnahme  von 
Dynamit  oder  andern  aus  Sprengöl  dargestellten  Sprengstoffen  bestimmt,  so  darf 
ihre  Temperatur  nicht  unter  +8°  C.  (+6%°  R.)  und  nicht  über  50°  C.  (40°  R.) 
betragen. 

§  68.  Zündhütchen  und  sonstige  Zündstoffe  dürfen  weder  unverschlossen,  noch 
in  denselben  Räumen  mit  den  Sprengstoffen  aufbewahrt  werden. 

§  69.  Räume,  in  denen  Sprengstoffe  aufbewahrt  werden,  dürfen  nicht  mit 
offenem  Lichte  betreten  werden.     Das  Tabakrauchen  in  denselben  ist  untersagt. 

§  70.  Sprengstoffe  dürfen  in  der  Kauenstube  weder  aufbewahrt  noch  in  die  Nähe 
offener  Feuer,  geheizter  Herde  oder  Oefen  gebracht  werden. 

§  71.  Die  Sprengmaterialien  (Spreng-  und  Zündstoffe)  müssen  in  einer  ange- 
messenen Entfernung  vom  Arbeitspuncte  an  einem  sicheren  und  trocknen  Orte  auf- 
bewahrt werden. 

§  72.  Beim  Fertigen  der  Patronen,  beim  Besetzen  und  Wegthun  der  Bohrlöcher 
ist  das  Tabakrauchen  verboten. 

§  73.  Vor  dem  Anzünden  eines  jeden  Schusses  ist  den  in  der  Nähe  befindlichen 
Arbeitern  durch  den  lauten  Ruf:  „es  brennt!"  Kenntniss  zu  geben. 

§  74.  Der  Betriebsführer  hat  in  angemessener  Entfernung  von  den  Orten,  wo 
geschossen  wird,  eine  Stelle  anzuweisen  und  nöthigenfalls  herzurichten,  an  welcher 
die  Arbeiter  vor  den  Wirkungen  der  Schüsse  gesichert  sind. 

§  75.  Beim  Versagen  eines  Schusses  darf  der  Ort  nicht  vor  Ablauf  von  10  Minuten 
nach  dem  Anzünden  betreten  werden. 

§  76.  Das  Ausbohren  oder  YVegthun  von  Schüssen,  welche  einmal  versagt  haben, 
ist  untersagt.  Bei  Anwendung  von  Spreu gölpräparaten  ist  auch  das  Tieferbohren 
stehen  gebliebener  Pfeifen  verboten. 

§  77.  In  jeder  Kameradschaft,  welche  Schiessarbeit  betreibt,  muss  mindestens 
ein  Häuer  (Kameradschaftsführer,  Ortsältester,  Drittelführer  u.  s.w.)  sich  befinden, 
der  mit  dieser  Arbeit  vollkommen  vertraut  und  zuverlässig,  und  welcher  in  der 
Arbeiterliste  ausdrücklieh  als  solcher  zu  bezeichnen  ist.  Ihm  liegt  die  Verpflichtung 
ob,  die  Ausführung  der  für  die  Schiessarbeit  bestehenden  Vorschriften  zu  über- 
wachen und  es  haben  die  übrigen  Mitarbeiter  seinen  Befehlen  unweigerlich  Folge 
zu  leisten. 

Ausserdem  gelten  noch  folgende  Vorschriften: 
2.    Beim    Gebrauch    von    Sprengölpräparaten.     §78.    Die  Verwendung 
reinen  Sprengöls  auf  den  Bergwerken  ist  verboten. 

§  79.  Die  Anschaffung  von  Dynamit  und  andern  Sprengölpräparaten  ist  nur 
den  Berg werksbesitzern  oder  deren  Beauftragten  gestattet.  Sie  dürfen  diese  Stoffe 
nur  von  dem  Fabricanten  oder  von  polizeilich  concessionirten  und  überwachten 
Niederlagen  kaufen.  Dem  Revierbeamten  ist  auf  Verlangen  der  Nachweis  hierüber 
zu  führen. 

§  80.  Diese  Stoffe  dürfen  nicht  anders  als  in  Patronen  bezogen  werden.  Eine 
Umarbeitung  der  letztern  darf  nur  unter  Aufsicht  eines  vom  Betriebsführer  hierzu 
bestimmten  Aufsehers  und  nur  in  Räumen  erfolgen,  welche  mit  andern  Grubeu- 
gebäuden  nicht  im  Zusammenhange  stehen. 

§  81.  Sprengölpräparate  dürfen  nur  in  den  von  der  Fabrik  gelieferten  Behält- 
nissen aufbewahrt  werden. 

§  82.  Gefrorene  Sprengölpräparate  dürfen  nicht  mit  festen  Körpern  bearbeitet 
und  nicht  zum  Sprengen  gebraucht  werden:  sie  sind  in  diesem  Zustande  nicht  aus- 
zugeben, sondern  vorher"  aufzuthauen.  Das  Aufthauen  darf  nur  in  Gefässen  mit 
lauwarmem  Wasser  geschehen,  in  welchem  die  Sprengstoffe  mit  letzterem  nicht  in 
Berührung  treten  (Nobel'scher  Topf).  Um  ein  Gefrieren  der  Patronen  nach  der 
Ausgabe  zu  vermeiden,  sind  dieselben  von  dem  Arbeiter  unter  der  Kleidung  dicht 
am  Körper  zu  tragen. 

§  83.  Sprengölpräparate,  welche  sich  zu  zersetzen  beginnen  (was  durch  stechen- 
den Geruch  oder  Entwicklung  rothbrauner  Dämpfe  zu  erkennen  ist),  dürfen  zur 
Schiessarbeit  nicht  verwendet  werden.  Sie  müssen  unter  Aufsicht  eines  Gruben- 
beamten oder  Aufsehers  im  offenen  Feuer  verbrannt  werden. 

§  84.  Behältnisse,  welche  zur  Aufbewahrung  von  Sprengölpräparaten  gedient 
haben,  müssen  sofort  nach  ihrer  Entleerung  im  offenen  Feuer  im  Freien  unter 
Aufsicht  verbrannt  werden. 

§  85.  Sprengölpräparate  dürfen  nicht  mit  festen  oder  leicht  explochrbaren 
und  feuergefährlichen  Stoffen  gleichzeitig   in  demselben  Fördergefässe  transportirt 


842  Kohlenstoff. 

werden.  Sie  dürfen  auf  letzterem  nur  in  verschlossenen,  mit  lockeren  Massen 
(Sägespänen,  Heu,  Stroh  u.  s.  w.)  ausgefütterten  Holzkästen  bewegt  werden.  Die 
Förderung  der  Sprengölpräparate  im  Schachte  darf  nicht  ohne  vorherige  Benach- 
richtigung des  Maschinenwärters  und  des  Anschlägers  im  Füllorte  erfolgen.  Ersterer 
darf  nicht  schnell  fordern  und  das  Fördergefäss  nicht  hart  aufsetzen  lassen:  letz- 
terer muss  dasselbe  von  der  Förderschale  vorsichtig  abziehen  und  darf  die  Spreng- 
stoffe nur  von  den  dazu  bestimmten  Personen  aus  den  Gefässen  entnehmen  lassen. 
§  86.  Die  Verausgabung  dieser  Stoffe  darf  nur  durch  Steiger  oder  andere 
technische  Aufseher  an  die  Kameradschaftsführer  (§  77)  erfolgen.  Keinem  der- 
selben darf  mehr  als  der  Bedarf  der  Kameradschaft  für  eine  Schicht  übergeben 
werden. 

§  87.  Die  in  einer  Schicht  nicht  zur  Verwendung  gekommenen  Sprengstoffe  und 
die  zum  Transport  derselben  benutzten  Behältnisse  müssen  nach  der  Schicht  dem 
ausgebenden  Beamten  zurückgegeben  werden. 

§  88.  Die  (  Schlag-)  Zündpatronen  dürfen  nicht  in  Vorrath  gehalten  werden, 
sondern  müssen  erst  vor  ihrer  unmittelbaren  Verwendung  durch  Einbringung  der 
mit  dem  Zündhütchen  versehenen  Zündschnur  fertig  gestellt  werden. 

§  89.  Das  Fertigstellen  der  Bohrlöcher  zum  Wegthun  durch  Einführung  der 
Schlagpatrone  und  das  Wegthnn  der  Schüsse  selbst  darf  nur  durch  die  dazu  be- 
stimmten Personen  (§§  77  und  86)  erfolgen. 

3.  Beim  Gebrauch  des  gewöhnlichen  Sprengpulvers  und  der  diesem 
in  den  Eigenschaften  ähnlichen  Sprengstoffe.  §  90.  Gewöhnliches 
Sprengpulver  und  diesem  in  den  Eigenschaften  ähnliche  Sprengstoffe  müssen  in 
einem  mit  festem  Verschlusse  versehenen  ledernen  Beutel  oder  in  einer  verschlos- 
senen metallenen  Büchse  mitgeführt  werden.  Ebenso  sind  die  zu  dieser  Schiess- 
arbeit erforderlichen  Zündstoffe  (Zündhalme,  Raketchen  u.  s  w.)  in  Büchsen  oder 
Kapseln  zu  verwahren. 

§91.  Das  Schiessen  ohne  Patronen  ist  verboten;  zu  letztern  darf  nur  entweder 
gut  geleimtes  Papier  oder  ein  anderer  solcher  Stoff,  der  nicht  fortglimmt,  ver- 
wendet werden. 

§  92.  Als  Besatzmaterial  sind  nur  Lettennudeln  oder  milde  Gesteinsarten,  welche 
keine  Funken  reissen,  zu  benutzen. 

§  93  Die  Anwendung  eiserner  Schiess-  oder  Räumnadeln  ist  unbedingt  unter- 
sagt, ebenso  die  Anwendung  von  Zündschwamm  oder  faulem  Bolz  zur  Entzündung 
des  Zündstoffs. 

§  94.  Bereits  besetzte,  aber  erst  später  anzuzündende  Bohrlöcher  sind  durch 
hölzerne  Pflöcke,  welche  in  die  Räumnadellöcher  gesteckt  und  mit  Letten  ver- 
strichen werden,  zu  sichern. 

b)  Sonstige  Arbeiten.  §95.  Das  Unterschrämen  rolliger  Massen  im  Tagebau 
ist  verboten. 

§  96.  Bei  allen  Schrämarbeiten  müssen  die  verschrämten  Stösse  durch  Ver- 
spreizung  oder  durch  Stehenlassen  kleiner  Pfeiler  im  Schräme  hinreichend  gegen 
ein  vorzeitiges  Niedergehen  gesichert  werden.  In  Tagebauen,  woselbst  sich  diese 
Sicherheitsmassregeln  nicht  ausführen  lassen,  muss  während  des  Schrämeus  ein 
zuverlässiger  Mann  augestellt  werden,  der  von  oben  beobachtet,  ob  „es  aufmacht" 
oder  sich  sonst  Anzeichen  bemerken  lassen,  dass  nicht  ferner  geschrämt  werden 
darf.  Auf  seinen  Warnungsruf  haben  die  Arbeiter  die  unterschrämte  Strosse  sofort 
zn  verlassen. 

§  97.  Auf  den  unterirdischen  Kohlenbergwerken  darf  das  Rauben  der  Zim- 
merung und  das  Werfen  eines  Bruches  nur  unter  Aufsicht  und  Leitung  eines 
Grubenbeamten  oder  eines  zuverlässigen,  mit  dieser  Arbeit  vertrauten  Häuers  aus- 
geführt werden. 

VII.  Maschinen.  §98.  Alle  Arbeiter,  welche  ihre  Beschäftigung  in  die  Nähe 
umgehender  Maschinentheile  führt,  dürfen  nur  solche  Kleider  tragen,  deren  Theile 
sich  dem  Körper  eng  anschliessen. 

§  99.  Die  gehenden  Maschinentheile  sind,  soweit  sich  in  ihrer  Nähe  Menschen 
bewegen  müssen,  mit  einer  Vergitterung  derartig  zu  umgeben,  dass  durch  sie  eine 
Verunglückung  ohne  Verschulden  des  Betroffenen  nicht  herbeigeführt  werden  kann. 
§  100.  Der  unbefugte  Zutritt  in  die  Kesselhäuser  und  Maschinenräume  ist  ver- 
boten. An  den  Eingangsthüren  der  betreffenden  Räume  ist  eine  Warnungstafel 
anzuschlagen. 

VIII  Arbeiter.  §  101.  Bei  Arbeiten  unter  Tage  dürfen  weibliche  Arbeiter 
nicht  beschäftigt  werden. 

§  102.  Vor  vollendetem  sechszehnten  Lebensjahre  dürfen  jugendliche  Arbeiter 
weder  mit  Haspelziehen,  noch  mit  Karrenlaufen  auf  ansteigenden  Bahnen  beschäf- 
tigt werden. 


Berg-Polizei-Verordnung.  843 

§  103.  In  der  Häuerarbeit  unerfahrene  Arbeiter  dürfen  bei  dieser  nicht  allein 
angelegt  werden. 

§  104.  Auf  jedem  in  Betrieb  befindlichen  Bergwerke  müssen  Einrichtungen  be- 
stehen, welche  es  ermöglichen,  die  auf  derselben  angefahrene  Mannschaft  nach  Zahl 
und  Person  jederzeit  genau  zu  ermitteln.  Der  Vertreter  des  Bergwerks  hat  die 
Art  dieser  Einrichtung  und  die  zur  Handhabung  derselben  erforderlichen  Pflichten 
der  Grubenbeamten  und  Arbeiter  mittels  Aushanges  in  der  Zechenstube  öffentlich 
bekannt  zu  machen. 

§  105.  Die  Grubenbeamten  und  Arbeiter  sind  verpflichtet,  die  Vorschriften  der 
in  §  104  bezeichneten  Bekanntmachung  genau  zu  befolgen. 

§  106.  Jeder  belegte  Arbeitspunct  ( beim  Kupferschieferbergbau  jeder  Streb- 
Hügel)  mnss  in  jeder  Schicht  mindestens  einmal  von  einem  Aufsichtsbeamten  be- 
fahren werden.  Bei  Arbeitspuncten,  an  welchen  nur  ein  Mann  arbeitet,  ist  Vor- 
sorge zu  treffen,  dass  ausserdem  mindestens  einmal  in  der  Schicht  Jemand  nach 
ihm  sieht. 

§  107.  Auf  jeder  selbstständig  für  sich  betriebenen  Anlage  eines  Bergwerks 
muss  eine  heizbare,  der  Stärke  der  Belegschaft  entsprechend  grosse  Kauenstube 
vorhanden  sein,  in  der  sich  die  Arbeiter  ausruhen  und  ankleiden  können. 

§  108.  Ein  die  §§  3,  15,  19,  20,  25,  32,  33,  34,  37,  46,  47,  51,  52,  53,  56,  58, 
64  —  107  einschliesslich,  114,  120  und  123  umfassender  Auszug  dieser  Polizei -Ver- 
ordnung ist  in  der  Kauenstube  auszuhängen  und  überdies  mindestens  vierteljährlich 
einmal  durch  Vorlesen  zur  Kenntniss  der  Belegschaft  zu  bringen.  Auf  Braun- 
kohlen- und  Alaunbergwerken  können  die  §§  66 — 94  einschliesslich  von  dem  Vor- 
lesen ausgeschlossen  werden. 

IX.  Markseheiderwesen.  §109.  Die  Markscheiderarbeiten  dürfen,  soweit 
die  Ausführung  derselben  nicht  durch  die  Berggesetzgebung  ausdrücklich  auch 
den  Feldmessern  gestattet  ist,  nur  von  Personen  verrichtet  werden,  welche  nach 
vorgängiger  Prüfung  als  Markscheider  von  einem  Preuss.  Oberbergamte  concessionirt 
worden  sind. 

§  110.  Die  concessionirten  Markscheider  sind  dafür  verantwortlich,  dass  die  auf 
Ausführung  der  Markscheiderarbeiten  bezüglichen  Bestimmungen  der  Allgemeinen 
Vorschriften  des  Handelsministers  für  die  Markscheider  im  Preussischen  Staate  vom 
21.  December  1871  und  unsere  Geschäfts- Anweisung  für  die  concessionirten  Mark- 
scheider vom  15.  August  1872,  sowie  die  künftig  darüber  ergehenden  Vorschriften 
beachtet  werden. 

§  111.  Für  jedes  Bergwerk  ist  eine  Orientirungslinie  von  einem  angemessen  zu 
wählenden  und  zu  fixirenden  Standpuncte  aus  durch  Kirchthürme  oder  ähnliche 
unverrückbare  Gegenstände  festzulegen.  Der  Vertreter  des  Bergwerks  ist  für  Aus- 
führung dieser  Bestimmung  verantwortlich.  Mit  Genehmigung  des  Oberbergamtes 
kann  eine  solche  Orientirungslinie  auch  für  eine  Gruppe  von  Bergwerken  Gültig- 
keit haben. 

§  112.  Der  Betriebsführer  ist  für  die  Erhaltung  und  nötigenfalls  Neufestlegung 
der  Festpuncte  dieser  Orientirungslinie  verantwortlich.  Ist  eine  Gruppe  von  Berg- 
werken nur  im  Besitze  einer  Orientirungslinie,  so  ist  derjenige  Betriebsführer,  in 
dessen  Grubenfeld  die  Festpuncte  der  Orientirungslinie  sich  befinden,  für  Erhaltung 
derselben  verantwortlich. 

§  113.  Der  Betriebsführer  ist  für  Erhaltung  der  von  dem  Markscheider  bei 
seinen  Zügen  unter  und  über  Tage  geschlagenen  Zeichen  verantwortlich. 

§  114.    Das  Verrücken  und  Beschädigen  von  Markscheiderzeichen  ist  verboten. 

§115.  Die  regelmässige  Nachtragung  der  Grubenbilder  muss  erfolgen:  a)  bei 
unterirdisch  bauenden  Erzbergwerken  mit  einer  jährlichen  Förderung  von  weniger 
als  60,000  Centner  und  bei  allen  Bergwerken  mit  Tagebau  in  Zeitabschnitten  von 
längstens  drei  Jahren,  b)  bei  Stein-  und  Braunkohlen-  sowie  Alaunbergwerken  mit 
einer  jährlichen  Förderung  von  weniger  als  60,000  Hectoliter  und  bei  allen  Stein- 
salzbergwerken in  Zeitabschnitten  von  längstens  zwei  Jahren,  c)  bei  allen  übrigen 
Bergwerken  in  Zeitabschnitten  von  längstens  einem  Jahre.  Bei  jeder  Nachtragung 
muss  auch  das  amtliche  Exemplar  des  Grubenbildes  nachgetragen  werden. 

§116  Die  Aufnahme  der  Baue  und  die  Nachtragung  beider  Exemplare  des 
Grubenbildes  hat  sich  stets  über  das  ganze  Grubengebäude  bis  zu  den  dermaligen 
Orts-  und  Betriebspuncten,  so  »de  über  die  ganze  im  Bereiche  des  Baufeldes  ge- 
legene Tagessituation  auszudehnen. 

§  117.  Unverzüglich  und  unabhängig  von  den  im  §  15  für  die  Nachtragung  der 
Grubenbilder  festgesetzten  Fristen  müssen  1)  alle  Gebäude  (die  einzelnen  Wohn- 
häuser mit  Bezeichnung  des  Namens  des  derzeitigen  Besitzers),  alle  Wasserläufe 
und  Wasserbehälter,  alle  Eisenbahnen,  Chausseen,  Communal-  und  andere  grossere 
Wege,   welche  im  Bereiche   des  Baufeldes   belegen   sind,    2)  alle  Gegenstände  der 


844  Kohlenstoff. 

Tagessituation,  zu  deren  Schutz  besondere  polizeiliche  Anordnungen  zu  treffen  sind, 
3)  alle  Betriebspuncte,  bei  deren  Fortgang  der  Durchbruch  von  Standwassern  oder 
bösen  Wettern  u.  s.w.  oder  der  Eintritt  einer  ähnlichen  Gefahr  bezüglich  der  im 
§  196  des  allgemeinen  Berggesetztes  bezeichneten  Gegenstände  zu  besorgen  ist, 
4|  alle  Markscheiden,  sowie  alle  durch  Polizei-Verordnungen  oder  durch  besondere 
Anordnung  bestimmte  Bau-  und  Sicherheitspfeiler  Grenzen  auf  das  Grubenbild 
und  zwar,  soweit  dies  thunlich,  auf  die  sämmtlichen  Grundrisse  und  Profile  auf- 
getragen werden. 

$  118  Alle  Betriebe,  mit  denen  voraussichtlich  Sicherheitspfeiler-Grenzen  an- 
gefahren oder  alte  Baue  und  Wassersäcke  gelöst  werden  sollen,  dürfen  nur  nach 
markscheiderischer  Angabe  aufgefahren  werden. 

§  119.  Wenn  auf  einem  Bergwerke  der  Betrieb  vorläufig  oder  definitiv  einge- 
stellt wird,  so  rauss  jedesmal  vorher  die  vollständige  Nachtragung  der  beiden 
Exemplare  des  Grubenbildes  erfolgen.  Der  Vertreter  des  Bergwerks  ist  für  Aus- 
führung dieser  Bestimmung  verantwortlich. 

X.  Schlussbestimmungen.  §  120.  Niemand  darf  die  zur  Sicherheit  der 
Baue  und  des  Lebens  der  Arbeiter,  sowie  zum  Schutz  der  Oberfläche,  insbesondere 
die  zur  Wetterversorgung,  zur  Erleuchtung,  zum  Signalisiren  und  Bremsen  ge- 
troffenen Einrichtungen  beschädigen  oder  solche  ohne  ausdrückliche  Anweisung 
oder  Erlaubniss  des  Betriebsführers  oder  seines  Stellvertreters  abändern,  versetzen 
oder  unbrauchbar  machen. 

§  121.  Die  gegenwärtige  Verordnung  tritt  am  1.  Januar  1874  in  Kraft.  Mit 
diesem  Zeitpuncte  treten  die  sämmtlichen  für  den  ganzen  Oberbergamtsbezirk  oder 
für  Theile  desselben  gültigen  Bergpolizei -Verordnungen  ausser  Kraft.  Die  für 
einzelne  Bergwerke  ergangenen  bergpolizeilichen  Bestimmungen  und  Anordnungen 
bleiben  hiervon  unberührt. 

§  122.  Zur  Ausführung  der  in  den  §§  39,  40  Absatz  2,  41,  42,  48,  67  und  111 
vorgeschriebenen  Einrichtungen  wird  die  Frist  von  einem  Jahre,  vom  Tage  des 
Inkrafttretens  dieser  Verordnung  ab  gerechnet,  bewilligt. 

§  123.  Uebertretungen  der  gegenwärtigen  Verordnung  werden,  sofern  nicht  in 
Folge  anderer  /strafgesetzlicher  Vorschriften  höhere  Strafen  verwirkt  sind,  auf 
Grund  des  §  208  des  Gesetzes  vom  24.  Juni  1865  mit  Geldbuße  bis  zu  fünfzig 
Thalern  bestraft.  Für  die  Ausführung  der  nach  derselben  auf  dem  Bergwerke  zu 
treffenden  sicherheitspolizeilichen  Einrichtungen  und  betrieblichen  Vorschriften  ist 
sofern  darin  nicht  anders  bestimmt  ist,  nach  §76  des  Allgemeinen  Berggesetzes 
insbesondere  der  Betriebsführer  verantwortlich,  wegen  Uebertretung  der  übrigen 
Vorschriften  aber  jeder  Zuwiderhandelnde  strafbar. 

Halle,  15.  Juli  1874.  Königliches  Oberbergamt. 

Es  ist  hier  noch  eines  Umstandes  zu  erwähnen,  der  für  die  Anwohner  der 
Kohlenbergwerke  sehr  belästigend  werden  kann.  Der  Haldenbrand  auf  Kohlen- 
zechen hat  nämlich  insofern  ein  sanitätspolizeiliches  Interesse,  als  die  Halden  oft 
ein  Terrain  von  30  Morgen  bedecken:  sie  bestehen  aus  Kohlenschiefer  und  Berg- 
gestein, welche  beim  Gewinn  der  Kohle  ausgebrochen  werden.  Die  in  denselben 
befindlichen  Kohlentheile  reichen  hin,  um  das  ganze  Gestein  in's^  Glühen  zu 
bringen.  Stösst  man  in  eine  brennende  Halde,  so  stellt  sie  sich  wie  ein  glühender 
Haufen  von  Brennmaterial  dar;  es  bildet  sich  ein  unangenehmer  Geruch  wie  beim 
Brande  der  Ziegelöfen,  der  sich  weit  ausdehnen  kann.  Schweflige  Säure  ist 
meist  wegen  des  beigemengten  Schwefelkieses  vorhanden.  Im  Innern  der  Halden 
bilden  sich  oft  die  Producte  der  unvollkommenen  Verbrennung  (Kohlenoxyd)  und 
dringen  dann  durch  Risse  und  Spalten  aus;  selbst  die  Producte  der  trocknen 
Destillation  können  entstehen  und  zwar  in  den  Spalten  und  Löchern  bei  'gänz- 
lichem Abschluss  der  atmosphärischen  Luft.  Es  treten  dann  die  dem  Leuchtgase 
verwandten  Kohlenwasserstoffe  auf.  welche  durch  Spalten  und  Risse  ihren  Ausgang 
in  die  Keller  der  benachbarten  Wohnungen  finden  können.  Unglücksfälle,  die 
mit  dem  Tode  endigen,  können  um  so  eher  eintreten,  je  näher  sie  den  Halden 
liegen :  letztere  dürfen  daher  nur  mit  Rücksicht  auf  die  schon  bestehenden  Häuser 
ausgedehnt  werden,  während  die  Concession  zur  Neuanlage  von  Häusern  zu  be- 
schränken und  nur  mit  Rücksicht  auf  die  vorhandenen  Verhältnisse  zu  ertheilen 
ist,  was  mit  Strenge  zu  beachten  ist,  da  die  Neigung  bekanntlich  vorwaltet,_  sich 
in  der  Nähe  von  Halden  nach  Massgabe  des  neu  entstandenen  Geschäftsbetriebes 
anzubauen. 

Den  Haldenbrand  durch  gestampften  Lehm  zu  ersticken,  hat  sein  Bedenken,  da 
die  Gase  sich  dann  leichter  unterirdisch  ausdehnen:  das  beste  Mittel  besteht  in 
der  Herstellung  eines  raschen  Luftzuges,  in  der  Anlage  von  Canälen  zum  Durch- 


Krankheiten  der  Bergleute.  345 

strömen  der  Luft  und  in  der  Errichtung  eines  mit  diesen  in  Verbindung  zu  setzen- 
ic\    vi    u      t  Kamins,  l™  die  Gase  und  Dämpfe  den  höhern  Luftschichten  zuzuleiten. 

16)  Zeitschr.  f.  Berg-  u.  Huttenk.,  1.  Bd.,  S.  154,  1854. 

17)  Die  sehr  interessanten  Verhandlungen  über  diesen  Gegenstand  finden  sich  in  fol- 
genden bchnften: 

Kuborn:  Rapport  sur  l'enquete  faite  au  nom  de  l'Academie  royale  de  medecine 
en  Belgique,  par  la  commission  chargee  d'etudier  la  question  de  l'emploi  des 
iemmes  dans  les  travaux  souterrams  des  mines.  Bullet.  dAcad.  de  med  de  Bete 
No.  10,  1868.  &" 

—  Discussion  de  rapport  de  la  commission,  qui  a  ete  chargee  de  l'examen  des 
questions  relatives  a  l'admission  des  femmes  dans  les  travaux  souterrains  Bullet 
de  PAcad.  de  med.  de  Belg.  No.  1,  2,  3,  5,  7,  8,  10,  1869. 

Die  materiellen  Interessen  haben  bisher  noch  über  die  Gründe  der  Wissenschaft 
den  Sieg  davongetragen. 

Man  hat  bisher  die  Frauen  und  Mädchen  in  Belgischen  Bergwerken  1)  zum 
Schleppen  der  Kohlen  oder  Steine  (trainage),  2)  zum  Ausfüllen  von  Löchern  während 
der  Nacht  (remblayage  des  tailles),  3)  zum  Schaufeln  (montage)  der  abgebauten 
Kohlen  auf  die  Streckenbahn,  4)  zum  Zügeln  oder  Bremsen  (maniement  des  freins) 
5)  zum  Haspeln  (manoeuvre  des  treuils),  6)  zur  Pumpenbedienung  und  7)  zur 
Ventilation  bei  den  Vorrichtungsarbeiten  benutzt. 

In  ähnlicher  Weise  werden  Kinder  von  12—16  Jahren  beschäftigt,  namentlich  für 
die  drei  zuerst  genannten  Arbeiten. 

Auch  in  England  gebraucht  man  diese  noch  zum  Wagenschmieren,  Bremsen, 
Weichenstellen  und  ZugführeD  beim  Wagentransport.  Zum  Schleppen  werden  jetzt 
dort  vorzugsweise  Pony's  verwendet. 

Es  sind  oft  genug  und  in  drastischen  Farben  die  üblen  Folgen  bei  den  frühen 
Anstrengungen  jugendlicher  Personen  in  Bergwerken  geschildert  worden.  Hemmung 
der  Entwicklung  und  frühzeitige  Erschöpfung  der  Lebenskräfte  begründen  ein 
frühes  Siechthum,  während  durch  die  Frauenarbeit  das  Familienleben  in  jeder  Be- 
ziehung auf  die  nachtheiligste  Weise  beeinflusst  wird. 

18)  Schirmer:  Die  Krankheiten  der  Bergleute  in  den  Grünberger  Braunkohlengruben. 
Vierteljahrsschr.  f.  gerichtl.  Med.,  X.  Bd.  2.  Heft,  1856. 

19)  Rachel:  Quem  vim  fodinae  carbonum  fossilium  in  valetudinem  et  vitam  operariorum 
exterant     Dissert.  inaug.,  Berol.  1867.     Jahresber.  1867,  S.  556. 

20)  Kuhborn:  Du  role  pathogenique  des  poussieres  charbonneuses  dans  les  organes 
respiratoires  des  ouvriers  mineurs.  Bullet,  de  l'Acad.  de  medec.  de  Belgique 
No.  1,  4.  1864. 

Boens:  Note  sur  la  valeur  des  crachats  noirs  et  sur  les  effets  de  la  poussiere  chez 
les  houilleurs.    Ibid.  No.  11,  1862. 

21)  Es  ist  eine  unzweifelhafte  Thatsache,  dass  man  bei  manchen  Kohlenarbeitern 
Anthracosis  pulmonum  erst  durch  die  Section  entdeckt,  die  während  des  Lebens 
keine  Symptome  eines  Lungenleidens  dargeboten  haben,  ein  Beweis,  dass  unter  den 
verschiedenen  Staubarten  der  Kohlenstaub  unter  Umständen  die  Lungen  wenig 
lädirt,  so  dass  man  beträchtliche  Einlagerungen  desselben  antrifft,  ohne  dass  sich 
immer  Gewebsstörungen  damit  verbinden.  Wenn  man  diese  Thatsache  auch  nicht 
als  Regel  aufstellen  kann,  so  ist  dadurch  doch  ausser  Frage  gestellt,  dass  bei  den 
Staubinhalationskrankheiten  die  Art  des  Staubes  den  höhern  oder  geringern 
Grad  der  Gefährlichkeit  bedingt  (s.  Siderosis,  Chalicosis  pulmonum).  Je  nach  der 
Ausdehnung  der  Anthracosis  finden  sich  die  Kohlentheilcben  entweder  spärlich  oder 
massenhaft  in  allen  Theilen,  in  den  Bronchien,  Alveolen,  im  Parenchym  der  Lungen 
und  selbst  in  den  Bronchialdrüsen.  Die  Ausstossung  der  fremden  Partikelchen 
erfolgt  um  so  weniger,  je  mehr  die  Flimmerbewegung  auf  der  Bronchial- 
schleimhaut sich  verringert  und  der  durch  die  Kohle  bewirkte  Reiz  nicht  mehr 
empfunden  wird. 

Die  Kohlenpartikelchen  geben  sich  als  dunkelschwarze  Körnchen  von  verschie- 
dener Dimension  oder  als  Plättchen  von  unregelmässiger,  meist  polygonaler  Gestalt 
zu  erkennen.  Sie  vermögen  zweifelsohne  in  die  Wand  der  Lungen-Alveolen  und 
in  das  interstitielle  Gewebe  zu  dringen;  theils  bleiben  sie  hier  liegen,  theils  finden 
sie  durch  die  Lymphgefässe  einen  Weg  nach  den  Bronchialdrüsen.  Auch  bei 
bedeutenden  Depots  der  Kohle  vermisst  man  meistens  Verdichtungen  des  inter- 
stitiellen Gewebes  oder  entzündliche  Processe,  wodurch  sich  wiederum  ganz  be- 
sonders die  weniger  schädliche  Wirkung  des  Kohlenstaubes  documentirt,  während 
bekanntlich  Kiesel-,  Ei  senstaub  u.  s.  w.  leicht  zu  Ulcerationen,  Verdichtungen, 
Tuberculose  oder  Phthise  führen.  Fast  alle  Beobachtungen  stimmen  darin  überein, 
dass  der  Kohlenstaub  bei  Tuberculose  sogar  günstig  wirke. 

Nur  höchst  selten  kommen  als   die  höchsten  Grade  der  Anthracosis  Lungen- 


846  Kohlenstoff. 

cavernenvor,  welche  Seit  mann  (Arch.  f.  klin.  Med.  3.  Heft,  1866)  in  sächsischen 
Kohlengruben  bei  Arbeitern  höhern  Alters  theils  für  sich,  theils  mit  Miliartuberkeln, 
bedeutendem  Lungenemphysem  und  Herzleiden  complicirt  angetroffen  hat.  Schon 
Brockmann  (die  metallurg.  Krankh.  des  Oberharzes.  Osterode  1851)  hat  ahnliche 
Zustände  beschrieben,  die  bei  englischen,  belgischen  und  französischen  Kohlen- 
arbeitcrn  ebenfalls  in  den  letzten  Stadien  der  Anthracosis  beobachtet  worden  sind. 
Diese  Cavernen  können  entweder  als  die  Folgen  einer  cireumscripten  Pneumonie  oder, 
was  jedenfalls  weit  häufiger  ist  und  näher  liegt,  als  ein  theilweiser  Mortifications- 
process  des  Lungengewebes  aufgefasst  werden.  Für  letztern  spricht  auch  die 
Beschaffenheit  der  Wände  solcher  Cavernen,  da  sie  stets  ungleich,  oft  buchtig,  wie 
zernagt,  mit  Parenchymfetzen  und  oblitirirten  Gefässen  bedeckt  erscheinen.  Der 
Inhalt  der  Cavernen  ist  meistens  eine  dintenartige  Flüssigkeit,  welcher  selten  Eiter 
beigemischt  ist.  Das  Parcnchym  der  Umgebung  ist  lufthaltig  oder  luftleer,  viel 
seltner  aber  verdichtet.  Schon  das  Vorkommen  dieses  Processes  im  höhern  Alter 
spricht  dafür,  dass  eine  geraume  Zeit  zur  Ausbildung  desselben  gehört. 

Dass  sich  übrigens  auch  in  jünaern  Jahren  unter  Umständen  Miliartu  ber  kein 
zur  Anthracosis  gesellen  können,  beweist  der  von  Leuthold  aus  der  Traube'scheii 
Klinik  mitgetheilte  Fall  (Berl.  klin.  Wochenschr.   1866,  No.  3). 

Namentlich  haben  die  Untersuchungen  von  Traube  (Deutsche  Klinik  No.  49,  50, 
1860)  und  Zenker  (Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medic,  Bd.  1,  S.  116)  den  positiven 
Beweis  geliefert,  dass  die  Kohlenpartikelchen  nicht  nur  in  das  interstitielle  Lungen- 
parenchym, sondern  auch  in  die  Bronchialdrüson  gelangen  können. 

Speciell  zu  erwähnen  sind  noch:  Vi  IIa r et:  Cas  rare  d'Anthracosis.  Paris  1862, 
sowie  eine  Beobachtung  von  Mannkopf  aus  der  Frerichs'schen  Klinik  (Berl.  klin. 
Wochenschr.  No.  8,  1864). 

Rosenthal,  M.:  Untersuchungen  und  Beobachtungen  über  Einwirkung  pulver- 
förmiger  Substanzen  auf  den  menschlichen  Organismus.  Jahresber.  der  Gesellsch. 
der  Aerzte  in  Wien,  XL  S.  97-112,  1866. 

Kussmaul,  A.:    Die  Aschenbestandtheile  der  Lungen-  und   Bronchialdrüsen  nach 
Analysen  von  Dr.  C.  W.  Schmidt.     Archiv  f.  klin.  Med,  IL,  S.  89-115,  1866. 
Slavjansky:  Experimentelle  Beiträge  zur  Pneumoconiosenlehre.    Virchow's  Arch. 
III.,  2.  1869. 

Ueber  die  Krankheiten  der  Kohlengrubenarbeiter  handeln : 
Küpper:    Krankheiten   und  Gefahren,  welche  den  Bergmann  in  den  Steinkohlen- 
gruben betreffen.     Rhein. -westphäl.  Corresp.-Bl.  No.  17  -  22,  1845. 
Cox,  W.  J. :   Krankheiten  der  Kohlenarbeiter  und  ihre  Ursachen.     Journ.  of  publ. 
health,  March  1857. 

Fossion:  Bericht  über  die  Krankheiten  der  Arbeiter  in  den  Steinkohlengruben. 
Ballet,  de  l'Acad.  de  med.  de  Belgique,  8.  1859. 

Märten:  Die  Schädlichkeiten  und  Krankheiten,  denen  die  Kohlengrubenarbeiter 
ausgesetzt  sind.     Vierteljahrsschr.  f.  gerichtl.  Med  ,  XVI.  Bd.,  2.  Heft,  S.  264,  1859. 

Ueber  die  Statistik  der  Brustaffectioncn  bei  Kohlengrubenarbeitern  vgl.  man 
Hirt:  Die  Staubinhalationskrankheiten,  Breslau  1871,  S.  151. 

Ueber  die  Gesundheitsverhältnisse  der  Arbeiter  in  den  Bergwerken  von  Corn- 
wallis  schrieb  Barham  (Brit.  Med.  Journ,  Oct.  21.,  S.  480,  1871).  Er  fand  bei 
83  Bergleuten  54,  welche  an  Miner's  Asthma  litten.  Er  bestätigt  die  Thatsache, 
dass  es  sich  selten  um  Tuberculose  bei  den  Grubenarbeitern  handelt. 

Fast  alle  Beobachter  stimmen  aber  darin  überein,  dass  Rheumatismen,  entzünd- 
liche Krankheiten,  Katarrhe  und  Digestionsleiden  mit  Ernährungsstörungen  bei  den 
Kohlengrubenarbeitern  vorwalten. 

22)  Lavet,  Alexandre:  Hygiene  des  professions  et  des  industries.  Paris  1875,  S  347, 
Art.  Houilleurs. 

Die  Ursachen  der  schlimmem  Fälle,  die  in  England  und  namentlich  in  Belgien 
beobachtet  worden  sind,  dürften  zweifacher  Art  sein:  erstens  hängt  es  sehr  von 
der  Natur  und  Beschaffenheit  der  Kohle  ab,  ob  sich  mehr  oder  weniger  Staub 
entwickelt;  so  ist  die  Kohle  namentlich  in  dem  rheinisch- westphälischen  Gebiete 
fester  und  härter,  sie  erzeugt  daher  weniger  den  feinen  Staub  wie  die  belgische 
Kohle.  Zweitens  kommt  es  sehr  auf  den  Bau  der  Strecken  an,  ob  sie  die  hin- 
reichende Höhe  haben  und  das  Stehen  der  Arbeiter  gestatten,  während  diese  überall 
viel  eher  den  Staub  inhaliren  müssen,  wo  sie  knieend  oder  sogar  liegend  die  Arbeit 
verrichten. 

23)  Eulenberg:  Die  Lehre  u.  s.w.,  S.  276. 

24)  Kein  Stand  ist  wohl  mehr  den  verschiedensten  Unglücksfällen  ausgesetzt  als  der 
der  Bergleute  Genauere  Angaben  über  die  Ereignisse  in  den  englischen  Kohlen- 
gruben finden  sich  in  den  Annal.  des  mines  1864  und  1868;  die  Zeitschrift  für 
Hüttenkunde  berichtet  regelmässig   über  die  auf  preussischen   Kohlengruben  vor- 


Kohlengase.  g47 

gekommenen  Unglücksfälle.     Fractaren   der  Extremitäten   und   des  Schädels   sind 
unter  den  Verletzungen  am  häufigsten.    lieber  Todesfälle  in  Kohlengruben  s.  Sanit 
Record,  IIL,  Dec.  1875. 
25)   Keckeis  (Wiener  Wochenschr.  No.  35  n.  36.  1860)  hat  eine  ausführliche  Beschrei- 
bung der  Folgen  bei  Explosionen  schlagender  Wetter  geliefert 

In  Bezug  auf  die  äussern  Verhältnisse  sind  namentlich  die  bessern  Wohnungs- 
~\  erhältnisse  der  Bergleute  hervorzuheben.  Man  vgl.:  Die  Einrichtungen  zum  Besten 
der  Arbeiter  auf  den  Bergwerken  Preussens.  1.  Bd.  1875,  2.  Bd.  1876.  Berlin  bei 
Ernst  &  Korn.     Die  Herausgabe  erfolgt  im  Auftrage  des  Randeisministeriums. 

Im  2.  Bande  finden  sich  in  ausführlicher  Weise  durch  Abbildungen  die  Anstalten 
zur  Kranken-  und  Gesundheitspflege,  die  Anstalten  zur  Invaliden-,  Wittwen-  und 
Waisenversorgung  anschaulich  gemacht.  Auch  einzelne  bergmännische  Co- 
lonien,  Bergarbeiterhäuser,  Schlafhäuser  und  Speiseanstalten,  Bade- 
und  Waschanstalten,  die  namentlich  in  Westphalen,  in  der  Rheinprovinz,  am 
Harz  und  in  der  Provinz  Brandenburg  errichtet  worden  sind,  finden  hier  eine  aus- 
führliche Beschreibung.  Ebenso  sind"  die  Einrichtungen  zur  Hebung  des 
geistigen  Wohls:  Schulhäuser.  Betsäle,  Industrie-  und  Kleinkinderschulen, 
Pröbefsche  Kindergärten,  ein  Lese-,  Unterrichts-  und  Vereinigungshaus 
in  Saarbrücken,  ein  Gesellschafts-  und  Vergnügungshans  nebst  Consumverein  auf 
der  Zeche  Hannibal  bei  Dahlhausen  vertreten. 

Wer  die  Special- Studien  verfolgen  will,  hat  hier  eine  reiche  Fundquelle  und  ge- 
winnt die  Ueberzeugung,  dass  die  segensreichsten  Anfänge  für  geistige  und  körper- 
liche Hebung  der  Arbeiterclasse  schon  eine  kräftige  Grundlage  gewonnen  haben. 
26")  Hiltrop  in  der  Zeitschr.  des  Königl.  Statist.  Bureau's.  4 — 6,  1869. 

27)  Ausland  1867,  S.  864. 

28)  So  ereignete  sich  im  März  1868  in  Belgien  bei  Charleroi  auf  einem  mit  fetten 
Steinkohlen  beladenen  Schiffe  ein  solcher  Fall.  Die  Frau  des  Schiffers  versuchte 
in  der  Cajüte  Morgens  früh  mit  einem  Streichhölzchen  Licht  zu  machen,  hatte  aber 
kaum  eine  Flamme  damit  erzielt,  als  die  Cajüte  durch  eine  Explosion  auseinander- 
flog und  kein  Nagel  an  derselben  sitzen  blieb.  Das  Gesicht  der  Frau  war  eine 
Brandwunde,  jedoch  blieben  die  Augen  erhalten:  ein  kleiner  Sohn  in  der  Cajüte 
erhielt  eine  grosse  Aerbrennung  am  Beine:  beide  wurden  wieder  hergestellt. 

Zweifelsohne  hatten  sich  die  von  den  Steinkohlen  ausgehauchten  und  aus  dem 
Schiffsräume  ausgetretenen  Gase  Nachts  in  der  dicht  verschlossenen  Kammer  stark 
angesammelt  und  am  Feuer  des  Streichhölzchens  entzündet.  Von  eingeschlossenen 
Räumen,  in  denen  fette  Steinkohlen  lagern,  hat  man  daher  Licht  und  Feuer  entfernt 
zu  halten. 

Nach  den  Untersuchungen  von  Ernst  v.  Meyer  (Journ.  f.  prakt.  Chemie,  Bd.V, 
S.  407)  sind  in  einigen  englischen  Steinkohlen  bis  zu  89,61  %  Grubengase  enthalten, 
während  das  Maximum  der  Kohlensäure  20,8%  beträgt,  der  Stickstoffgehalt  von 
9,61-85.65  und  der  Sauerstoffgehalt  zwischen  0,19  —  5,65  schwankt. 

Beim  Transporte  der  Steinkohlen  auf  Seeschiffen  tritt  der  unangenehme  Umstand 
ein,  dass  der  Kohlenstaub  nicht  nur  die  Schiffsmannschaft  belästigt  und  ihren 
Körper  mit  Staub  bedeckt,  sondern  auch  die  Nahrungsmittel  sind  vor  demselben 
kaum  zu  schützen,  so  dass  in  den  amerikanischen  Seestädten,  namentlich  in  King- 
ston in  Jamaica,  die  Ansicht  verbreitet  ist,  dass  die  Hautthätigkeit  der  Matrosen 
dadurch  gestört  und  die  Verdaulichkeit  der  Speisen  beeinträchtigt  würden.  Manche 
Aerzte  versteigen  sich  zu  der  nicht  begründeten  Ansicht,  dass  die  Entstehung 
des  gelben  Fiebers  auf  Kohlenschiffen  begünstigt  würde.  Es  ist  hieraus  wenig- 
stens ersichtlich,  dass  der  Aufenthalt  auf  solchen  Schiffen  mit  nachtheiligen  Ein- 
flüssen verbunden  sein  kann,  deren  Ursachen  aber  nur  in  den  bereits  erörterten 
Verhältnissen  zu  suchen  sind. 

29)  Fälle  sind  bekannt  geworden,  in  denen  die  Nichtbeachtung  dieser  Vorsicht 
grosses  Unglück  veranlasst  hat.  Landleute,  welche  frische  Holzkohlen  in  die  Stadt 
gebracht  und  in  einem  kellerartigen  Gewölbe  abgelagert  hatten,  konnten  an  dem- 
selben Tage  nicht  wieder  nach  Hanse  zurückkehren:  sie  schlugen  deshalb  aus 
Sparsamkeit  in  diesem  Lagerraum  ihr  Nachtquartier  auf.  Am  andern  Morgen  fand 
man  in  Folge  des  aus  den  Holzkohlen  ausgetretenen  Kohlenoxyds  2  Menschen  und 
1  Pferd  todt. 

Experimentell  kann  nachgewiesen  werden,  dass  sogar  Holzkohlen,  die  längere 
Zeit  an  der  Luft  gelagert  hatten,  noch  Kohlenoxyd  abgeben  können.  So  wurde 
ein  Glaskolben  vom  Umfange  einer  starken  Faust  mit  zerstossenen  Buchholzkohlen, 
die  schon  längere  Zeit  an  der  Luft  gelagert  hatten,  angefüllt  und  erwärmt.  Die 
austretenden  Gase  wurden  in  den  kleinen  Zinkkasten  geleitet,  in  welchem  sich  eine 
Taube  befand.  Nach  16  Min.  steigt  zunächst  die  Respiration,  die  Taube  hockt 
zusammen    und    verfällt   in    die    heftigsten    Convulsionen.      2   Min.   hernach    wird 


§48  Kohlenstoff. 

die  Taube  in  einem  asphyktischen  Zustande  herausgenommen,  aus  welchem  sie  sieh 
nach  4  M.  erholt. 

Eine  Analyse  der  Gase  ergab  einen  Gehalt  von  00%  Kohlensäure  und  10% 
Kohlen oxyd  nebst  Spuren  von  Stickstoff. 

Eine  andere  Portion  Kohle  wurde  in  einem  graduirten  Rohre  mit  kochendem 
Wasser  behandelt,  wodurch  hauptsächlich  die  Kohlensäure,  weniger  das  Kohlen- 
oxyd ausgetrieben  wurde  1  Kubikzoll  Kohle  ergab  L,25  Kubikzoll  Gas  bei  0°  und 
28  Z.  Barometerstand:  die  mit  kochendem  "Wasser  behandelte  Holzkohle  ist  jedoch 
noch  nicht  gasfrei,  sondern  enthält  noch  Kohlenoxyd.  Wird  nämlich  eine  solche 
Kohle  bei  gelinder  Wärme  getrocknet  und  dann  in  einer  Retorte  bei  Luftabschluss 
erwärmt,  so  tritt  reines  Kohlenoxyd  auf.  Ganz  ähnlich  verhält  sich  das  Bein- 
schwarz und  die  Thierkohle. 

30)  Compt.  rend.   18.  No*    1863. 

31)  Eulenberg's  Lehre  u.  s  w.,  S.  108. 

32)  Im  Steinkohlendampf  kann  unter  gewöhnlichen  Verhältnissen  niemals  Schwefel- 
wasserstoff vorkommen.  Wenn  Siebenhaar  dies  annimmt  (Siebenhaar  und 
Lehmann.  Die  Kohlendunstvergiftung,  Dresden  1808,  so  ist  diese  Auffassung 
nach  den  thatsächlichen  Verhältnissen   zu  modificiren. 

33)  Leber  den  Arsengehalt  der  Steinkohlen  vergl.  man  Bädeker  in  Pappenheim's 
Beiträgen  u.  s.  w.,  -4.  Heft.   1862,  S.  52. 

34)  Friedberg  (Die  Vergiftung  durch  Kohlenduust,  Berlin  1866,  S  92—100)  beschreibt 
einen  solchen  Fall. 

35)  Griesinger's  Arch.  f.  Psychiatrie,  1.  Bd.  2.  Heft,  S.  263. 

36)  Virchow's  Arch.,  32.  Bd.,  S.  471-517,  1865. 

37)  Gesammelte  Abhandl.  No.  2,  S.  440.     Berlin  1871. 

38)  Eulenberg's  Lehre  u.  s.  w.,  S.  137. 

39)  Philos.  Magaz.,  Vol.  28,  Nov.  1864,  p.  391. 

Hübner"  s  Zeitschr.  f.  Chemie,  1860.  1.  43  47.  Centralbl.  f.  d.  medic.  Wissensch., 
No  15,  1865. 

40)  Eulenberg's  Lehre  u.  ?.  w..  p.  5]  u  52  Verf.  hat  hier  zuerst  die  Ansicht,  dass 
Kohlenoxyd  keine  chemische  Verbindung  mit  dem  Blute  im  gewöhnlichen  Sinne 
des  Wortes  eingehe,  durch  das  Experiment  erhärtet  Das  deutlich  vor  Augen 
liegende  Ergebniss  wurde  aber  als  irrthümlieh  bezeichnet,  bis  der  Physiologe 
Donders  dasselbe  zur  Geltung  brachte. 

41)  Donders:  Der  Chemismus  der  Athmung  ein  Dissociationsprocess.  PfiügeFs  Arch. 
f.  Phys.,  V.  Bd ,  S.  24. 

42)  Zuntz,  eod.  loc.  5.  Bd.  S.  584. 

Gamgee  im  Journ.  of  anat.  and  phys.,  IL  Bd.,  p.  372.     Jahresber.  1867,  S.  446. 

43)  Hünefeld:  Die  Blutprobe  vor  Gericht  und  das  Kohlenoxyd-Blut  in  Bezug  auf  die 
Asphyxie  durch  Kohlendunst.    Leipzig  1875. 

H.  "übersieht,  dass  im  Leuchtgase  neben  Kohlenoxyd  auch  Acetylen  selten  fehlt 
und  wie  dieses  eine  Reaction  auf  Palladiumchlorür  ausübt. 

Jäderholm,  Axel:  Die  gerichtlich-medicinische  Diagnose  der  Kohlenoxydvergif- 
tung.  Deutsche  Original-Ausg.  Mit  einem  Vorworte  von  Husemann.  Berlin  1876. 
Eine  gründliche,  auf  Experimenten  beruhende  Untersuchung. 

44)  Virchow's  Arch ,  30.  Bd.,  S.  555. 

45)  Eulen berg:  Ueber  die  forensische  Bedeutung  des  eingetrockneten  Kohlenoxyd- 
Blutes.     Berl.  klin.  Wochenschr.  No.  22,  1866. 

46)  Hoppe-Seyler  in  Virchow's  Arch,  XIII.  Bd.  S.  104. 

47)  Eulenberg's  Lehre  u.  s.w.,  S.  47. 

48)  Verhandlungen  der  Berl.  medic.  Gesellsch.,  3.  Heft  1867,  S.  301  Deutsche  Klinik 
No.  14,  1867. 

Hüter:  Ein  durch  Transfusion  geheilter  schwerer  Fall  von  Kohlenoxydvergiftung. 
Berl.  klin.  Wochenschr.  No.  28,  1870. 

49)  Decaisne  (Gaz.  des  höp.  No  26,  1868)  behandelte  eine  arme,  aus  5  Personen  be- 
stehende Familie,  welche  ein  5  Meter  langes,  4  Meter  breites  und  niedriges  Zimmer 
bewohnte.  Dieses  wurde  fast  immer  von  einem  bis  zum  Rothglühen  erhitzten 
Ofen  erwärmt.  Vater  uud  Mutter  klagten  schon  seit  einigen  Tagen  über  Kopf- 
schmerz und  Schwindel,  die  Frau  hatte  auch  einigemale  gebrochen,  während  die 
beiden  Kinder  an  Betäubung,  brennendem  Kopfe,  Ohrensausen  und  Prostation  der 
Kräfte  litten.  Die  Stube  wurde  unter  Darreichung  der  entsprechenden  Mittel  ge- 
lüftet. Zehn  Tage  später,  als  die  Leute  den  Rath  des  Arztes,  den  Ofen  nicht  mehr 
zum  Glühen  zu  erhitzen,  nicht  befolgt  hatten,  constatirte  Decaisne  die  entschie- 
densten Typhus- Symptome:  Bauchschmerz,  Diarrhoe,  Meteorismus  u.  s.  w.  Die 
Kranken  genasen  zwar,  aber  die  Reconvalescenz  war  sehr  langwierig. 


Kohlensäure.  §49 

Auch  dieser  Fall  -wird  häufig  als  Beweis  dafür  angeführt,  dass  Kohlenoxyd 
durch  einen  glühenden  Ofen  diffundire.  Kohlendunst  mag  hier  immerhin  einge- 
wirkt haben,  da  bekanntlich  eine  chronische  Kohlendunstvergiftung  typhöse  Krank- 
heitserscheinungen vorzutäuschen  vermag,  jedenfalls  war  aber  ihre  Ursache  irgend 
anderswo  und  nicht  in  dem  glühenden  Ofen  zu  suchen. 

50)  St.  Ciaire  Deyille  (Compt.  rend.,  56.  u.  57.  Bd.,  p.  729  resp.  965,  1863)  hat  über 
das  Zerfallen  der  Kohlensäure  folgenden  Versuch  angestellt:  Wenn  er  reine 
Kohlensäure  mit  einer  Geschwindigkeit  von  783  Liter  in  der  Stunde  durch  eine 
auf  etwa  1300°  erhitzte,  mit  Porcellanstücken  gefüllte  Porcellanröhre  leitete,  so 
bekam  er  ein  Gasgemisch,  das  nicht  vollständig  von  Kalilauge  absorbirbar  war. 
"Von  diesen  783  Liter,  welche  gleich  7830  C.-C.  sind,  erhielt  er  pro  Stunde  im 
Maximum  30  C.-C.  eines  Gases,  von  welchem  dem  Volumen  nach  in  100  Vol.-Th. 
enthalten  waren:  30  O,  62,3  CO  und  7,7  N.  Somit  gaben  7830  C.-C.  Kohlensäure  in 
einer  Stunde  nur  0,8  Volumprocent  Kohlenoxyd  und  zwar  unter  den  günstigsten 
Verhältnissen,  die  gewiss  nicht  bei  einem  glühenden  Ofen  vorkommen  können. 
Man  bedenkt  ferner  nicht,  dass  Kohlensäure  nur  bei  Gegenwart  vieler  bis  zur 
Hellrothgluth  erhitzter  Kohlen  zu  Kohlenoxyd  reducirt  werden  kann;  ebenso 
muss  das  Eisen  nicht  bis  zur  Dunkelrothhitze,  sondern  stets  bis  zur  Hellroth- 
gluth erhitzt  werden,  ehe  es  für  Kohlenoxyd  durchlässig  wird.  Es  ist  daher 
unerklärlich,  dass  man  einer  Erscheinung,  die  nur  unter  ganz  andern  Verhältnissen 
möglich  ist,  mit  dem  Auftreten  intensiver  Krankheitsprocesse  in  ursächliche  Ver- 
bindung bringt.  Morin  (Compt.  rend.  66.  No.2, 1868)  hat  zur  Verbreitung  der  letztern 
Ansicht  beigetragen.  Boissiere  (Compt.  rend.  LXVI.  No.  8,  1868)  und  Coulier 
(Jahresb.  I.  453,  1868)  bestreiten  dagegen  ebenfalls  die  Möglichkeit  desDurckdringens 
von  Kohlenoxyd  durch  einen  glühenden  eisernen  Ofen.  Immerhin  hat  man  das 
Glühendwerden  der  Oefen  zu  verhüten,  da  beim  Ablagern  von  organischem  Staube 
mehr  oder  weniger  Kohlenoxyd  als  Verbrennungsproduct  auftreten  kann.  Oefen  mit 
Chamottebekleidung  oder  solche,  welche  namentlich  rund  um  den  Feuerkasten  mit 
zahlreichen  aufgegossenen  Kippen  versehen  sind,  gestatten  ein  Glühendwerden  nicht. 

51)  Nöggerath,  Max,  in  der  Zeitschr.  f.  Berg-  u.  Hüttenk.,  III.  Bd.,  S.  193,  1856. 

52)  Annal-  f.  Chem.  u.  Pharmac,  5.  Suppl.-Bd.,  236.  1868. 

53)  Radziej  ewski  (Arch.  f.  path.  Anat.,  53.  Bd.,  S.  370)  glaubte  in  dieser  Verbindung 
ein  Anaestheticum  zu  entdecken.  Wir  gingen  von  derselben  Auffassung  aus  und 
stellten  hauptsächlich  zur  Feststellung  derselben  die  Versuche  an.  Unrichtig  ist 
jedenfalls  die  Ansicht  von  Schwalbe  (Beiträge  zur  Kenntniss  der  Malariakrank- 
heiten, Zürich  1869),  dass  Kohlenoxysulfid  zu  den  Gasarten  gehöre,  welche  bei 
Malaria  auftreten. 

54)  Eulenberg's  Lehre  u.  s.  w.,  S.  58, 

55)  Ueber  den  Kohlensäuregehalt  in  Schulen  sind  schon  viele  Untersuchungen  ange- 
stellt worden. 

Oertel:  Ueber  die  Anhäufung  der  Kohlensäure  in  der  Luft  bewohnter  Räume 
(Kunst-  u.  Gewerbeblatt  d.  polyt.  Vereins  f.  d.  Königr.  Bayern,  VIII.  u.  IX.  Heft 
1869,  S.  450)  liefert  folgende  Uebersicht.  Als  Normalmass  wurden  1,0—1.5  ATol.-Th. 
Kohlensäure  auf  1000  Vol.-Th.  angenommen  (Andere  nehmen  0.2  Yolumprocente 
=  2,0  auf  1000  VoL-Th.  an).    Es  ergab  sich: 

in  zwei  Krankenhäusern {a'ooo 


in  einem  Gebärhause 2,236 

in  zwei  Pfründneranstalten      .     .     .     .  1 3070 

in  zwei  Polizeigefängnissen ->'612 


in  Strafhäusern il'864 

in  der  Protest.  Schule |5677 

in  der  Waisenschule 2,006 

1  .  P           •  (2,295 

in  zwei  Gymnasien ig  ggg 

•  P  ]  2/784 
in  zwei  Casernen |4  958 

•  A        r  I3'621 
in  zwei  andern  Casernen 4  297 

in  der  Hauptwache 5,366 

in  Privatwohnungen 1,560. 

Eulenberg,  Gewerbe-Hygiene.  54 


§50  KohleD  stoff. 

Pettenkofer  (München)  fand 

in  einem  Wohnzimmer    .     .     .     0,0600  Kohlensäure  in  Vol.-Proc. 
in  einem  vollen  Auditorium     .        0.32  „  „  „ 
in  einem  Kneipzimmer     .     .     .        0,49              „                „          ,, 
in  einem  stark  gefüllten  Schul- 
zimmer            0,72              „                „  „ 

Roscoe  (London): 

in  einem  Casernenzimmer      .    .        0,12—0,14  „  „  „ 

in  einem  Schulzimmer        .     .     .       0,24—  0,33  „  „  „ 

in  einem  gefüllten  Theater     .     .    0,264-0,321  „  ,'  „ 

Breiting  (Basel): 

in  einem  mit  64  Kindern  besetzten 

Schulzimmer  im  Mittel       ....       0,592  „  „  „ 

Dorn  er  (Hamburg): 

in  einer  Mädchenschule  mit 

37  Kindern 0,1303-0,5051  „  „  „ 

56)  Traube:  Gesammelte  Abhandlungen  zur  Phys.  und  Pathol.,  I.  S.  336. 

57)  Gasometrisehe  Unters.,  Braunschweig  1857,  S.  89. 

58)  Eulenberg's  Lehre  u.  s.  w.,  S.  306. 

Schwefelainmonium  kann  in  unterirdischen  Gewölben  nur  auftreten,  wenn  der 
Fäulnissprocess  noch  nicht  vollendet  ist.  So  kann  sich  auch  beim  Auswerfen  von 
Gräbern  auf  einem  Kirchhofe,  wenn  derselbe  noch  viele  unzersetzte  Leichname 
enthält,  Schwefelammonium  entwickeln.  Man  vgl.  Guerard  in  Annal.  d'hyg. 
publ.,  T.  23,  1840. 

Fälle  dieser  Art  gehören  jedoch  zu  den  grössten  Seltenheiten  und  können  nur 
bei  gänzlich  vernachlässigtem  Begräbnissturnus  vorkommen. 

59)  v.  Gorup-Besanez  im  Journ.  f.  Gasbeleuchtung  1867,  S.  401.  Arch.  d.  Pharm., 
1868,  185.  Bd.,  3.  Heft,  S.  265. 

60)  Phöbus:  Der  typische  Frühsommer-Katarrh  od.  das  sog.  Heufieber.    Giessen  1862. 
Binz  in  Virchow's  Arch.,  46.  Bd.,  p.  100.     Berl.  klin.  Wochenschr.  1869,  S.  135. 
Luhe  im  Deutschen  Arch.  f.  klin.  Med,  14.  Bd.,  S.  426,  1874. 

Pirrie,  W.:    On  hayasthma,  hayfever  or  summerfever.     Medic.  Times  and  Gaz., 
Juli  6,  1867. 

61)  Es  schliesst  sich  hier  eine  Verbindung  an,  welche  Zeise  1822  zuerst  dargestellt 
und  Xanthogensäure  des  Aethyls,  Aethyloxyd-Sulfocarbonat  genannt 
hat;  man  kann  ihr  die  Formel  CaHL  OH  4-  CS2 ,=  C3H6OS2  geben.  Sie  wird  dar- 
gestellt, indem  man  Tinct.  Kaiina  mit  Schwefelkohlenstoff  zusammenbringt,  das 
auskrystallisirte  Kalisalz  durch  Umkrystallisiren  reinigt  und  dann  mit  verdünnter 
Salz-  oder  Schwefelsäure  zerlegt.  Die  ölig  abgeschiedene  Säure  wird  durch  einen 
Scheidetrichter  von  der  Salzlösung  getrennt.  Die  farblose  Flüssigkeit  riecht  stark 
und  unangenehm,  schmeckt  schwach  sauer  und  nachher  bittersüss;  sie  brennt  mit 
blauer  Farbe  und  zerlegt  sich,  bis  24°  erwärmt,  bei  Gegenwart  von  Wasser  in 
Alkohol  und  H2S. 

Man  hat  das  betreffende  Kupfersalz  als  gelbe  Malerfarbe  in  Vorschlag  ge- 
bracht; wegen  seiner  leichten  Zersetzbarkeit  empfiehlt  es  sich  aber  nicht. 

Es  wurden  folgende  Versuche  mit  der  Xanthogensäure  gemacht:  1)  Die 
Dämpfe  wurden  aus  15  Grm.  trocknem,  xanthogensaurem  Kalium  entwickelt  und 
durch  eine  Vorlage  mit  Kautschuk  und  Bleiacetat  behufs  Absorption  von  Schwefel- 
kohlenstoff und  Schwefelwasserstoff  in  die  Glasglocke  geleitet,  in  welcher  ein 
mittelgrosses  Kaninchen  sass.  Sogleich  grosse  Unruhe,  Thräncn  der  Augen,  nach 
5  M.  Schwanken,  Zittern  des  ganzen  Körpers,  nach  9  M.  convulsivische  Zuckungen, 
bisweilen  Aufschreien  und  dann  Zusammensinken.  Nach  15  M  Herausnahme  des 
Thieres.  Pupille  erweitert,  unzählbarer  Herzschlag,  erschwerte  Respiration  und 
fehlende  Reaction  bei  äussern  Reizen.  Nach  12  M.  kehlt  die  Empfindlichkeit  der 
Augen  zuerst  zurück,  dann  Niesen  nach  19  M.,  allmähliges  Erheben  des  Kopfes 
und  nach  30  M.  noch  Unfähigkeit  sich  zu  erheben.  Häufig  zeigt  sich  noch  Zittern, 
bis  nach  1  Stunde  die  Restitution  vollständig  ist. 

2)  Ein  Tropfen  der  Säure  wurde  mit  Wasser  vermischt  in  die  Glocke  geblasen, 
in  welcher  eine  Taube  sass.  Sofort  Blinzeln  mit  den  Augen,  Unruhe,  Bauchlage, 
nach  6  M.  Hinfallen  auf  die  Seite  bei  angestrengter  Respiration.  Nach  8  M.  her- 
ausgenommen, zeigt  sie  beschleunigte  Athmung,  sie  taumelt  und  fällt  oft  hin, 
bleibt  dann  auf  dem  Bauche  liegen,  schüttelt  sich  heftig  und  macht  nach  5  M.  nur 
langsame  Gehversuche. 

Die  Xanthogensäure  wirkt  stark  reizend  auf  die  Schleimhäute  ein  und  führt  einen 
anästhetischen  Zustand  herbei,  welcher  nebst  den  übrigen  Symptomen  lebhaft  an 
Schwefelkohlenstoff  erinnert. 


Methylverbindungen.  851 

Die  Verbindung:  Kaliumsulfocarbonat  (sulfocarbon  saures  Kalium,  Schwefel- 
kohlenstoff-Schwefelkalium)  CS3K2  hat  durch  Dumas  als  Mittel  gegen  die  Reb- 
laus (Phylloxera)  eine  grosse  Wichtigkeit  erlangt  Man  streut  das  Salz  auf  den 
Erdboden  um  die  Reben;  wird  es  durch  den  Regen  den  Wurzeln  zugeführt,  so 
tödtet  es  die  hauptsächlich  an  der  Wurzel  sitzende  Reblaus.  Da  sich  hierbei  aber 
auch  der  für  die  Pflanzen  schädliche  Schwefelwasserstoff  entwickelt,  so  haben 
Zoll  er  und  Grete  (Berichte  der  Deutschen  ehem.  Gesellsch.  1875,  p.  802,  955) 
xanthogensaures  Kalium  CS2.C2H5OK  empfohlen,  welches  in  wässriger 
Losung  nur  Schwefelkohlenstoff  entwickelt.  Noch  billger  stellt  sich  das  Amyl- 
xanthogenat  CsHjjKOSa  (xanthamylsaures  Kalium),  welches  man  erhält, 
wenn  man  concentrirte  Kalilauge  mit  Amylalkohol  statt  mit  Alkohol  schüttelt 
und  Schwefelkohlenstoff  zumischt  (s.  S.  446).  Wird  das  Salz  für  sich  oder  noch 
besser  mit  Superphosphat  dem  Boden  zugeführt,  so  entwickelt  es  ebenfalls  bei  vor- 
handener Feuchtigkeit  Schwefelkohlenstoff. 

62)  Delpech:  Memoire  sur  les  aeeidents,  que  developpe  chez  les  ouvrieres  en  cautch. 
l'inhal.  du  sulfure  de  carb.  en  vapeur.    Paris  1856. 

L'TJnion  med.  No.  66  1856. 

Tavera,  de  l'intoxication  par  le  sulfure  de  carbone.     Paris  1865. 

Tavera  beobachtete   einen  Fall   von  anhaltender  Sehstörung    mit  beginnender 
Atrophie  des  N.  opticus,  der  nach  unserer  Ansicht  nicht  mit  Schwefelkohlenstoff- 
Vergiftung  zusammenhängt. 
Gallard:  L'ünion  med.  No.  22,  23,  24,  1866. 

Bergeron  und  Levy  (Gaz.  de  hopit.  No.  111,  1864)  heben  besonders  eine  voll- 
ständige Anästhesie  der  Cornea  als  Wirkung  des  Schwefelkohlenstoffs  hervor. 
Eulenberg:  Die  Lehre  u.  s.w.,  S.  393  u.  532. 

63)  Bernhardt  (Berl  klin.  Wochenschr.  No.  2  1871)  beobachtete  die  Krankheit  bei 
einem  22jährigen  Mädchen,  die  seit  6  Wochen  in  einer  Kautschukfabrik  gearbeitet 
hatte.  Ausser  der  Gedächtnissschwäche  und  den  Digestionsstörungen  fand  er  an 
allen  Stellen  der  Haut  Anästhesie  und  Analgasie.  Nach  dem  Verschwinden 
der  Anästhesie  trat  das  bei  Thieren  charakteristische  Zittern  und  Vibriren  im 
Körper  ein,  welches  nach  2  Tagen  wieder  aufhörte. 

64)  Flies  (Berliner  klinische  Wochenschrift  No.  32,  1866)  hat  diesen  Fall  ausführlich 
beschrieben. 

65)  Otto  Braun  im  Amtl.  Ber.  der  Wiener  Ausstellung,  S.  267,  16.  Heft. 

66)  Compt.  rend.,  63.  Bd.,  p.  85. 

67)  Mittheilungen  des  Gewerbe-Vereins  des  Herzogth.  Braunschweig,  1865,  p.  3. 

68)  Zweifelsohne  ist  der  unangenehme  Geruch  des  Schwefelkohlenstoffs  von  dem  ihm 
anhaftenden  Schwefelwasserstoff  abhängig.  Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  die 
verschiedenen  Angaben  über  die  physiologische  Wirkung  des  Schwefelkohlenstoffs 
nicht  selten  mit  der  Wirkung  der  Reste  von  Schwefelwasserstoff  in  Verbindung 
stehen. 

69)  Braun,  1.  c,  liefert  die  genauere  Beschreibung  seines  Apparates. 

Ausführlich  sind  die  verschiedenen  Apparate  in  Payen's  Lehrb.  d.  techn.  Chemie 
(deutsche  Ausg.)  I.  Bd.  S.  157  mitgetheilt. 

Methylverbindungen  (S.  368— 397). 

1)  Eulenberg:  Die  Lehre  u.  s.w.,  S.  18. 

Richardson  in  Med.  Times  and  Gaz.,  Sept.  and  Oct.  1871.  On  the  physiol. 
action  of  the  org.  hydrides. 

2)  Med.  Times  and  Gaz.,  Oct.  19.  p.  423,  Nov.  2.  p.  429,  1867. 

3)  Holländer  in  der  Berl.  klin.  Wochenschr.  No.  49,  1867,  No.  11,  1868. 
Tourdes  und  Hepp  (in  Gaz.  de  Strassb.  p.  25,  1868)  wollen  convulsivische  Er- 
schütterungen bei  der  Anwendung  dieses  Mittels  gefunden  haben.  Es  ist  hier 
stets  die  Frage  erlaubt,  ob  das  Präparat  rein  gewesen;  dasselbe  soll  beim  An- 
zünden rasch  erloschen  sein;  reines  Methylenchlorid  verbrennt  aber  nur  mittels 
eines  Dochtes  und  zwar  mit  grün  gesäumter  und  Salzsäure  verbreitender  Flamme. 
Es  wird  auch  vielfältig  Methyl-Bichlorid,  Chloromethyl,  genannt.  Bei 
Menschen  soll  die  Narcose  stets  am  Kopfe  beginnen  und  erst  später  der  übrige 
Körper  anästhetisch  werden. 

Das  Mittel  hat  durchaus  keinen  Vorzug  vor  dem  Chloroform  (cf.  Nussbaum, 
Handb.  d.  allgem.  u.  spec.  Chirurg.,  redig.  von  Pitha  und  Billroth,  Bd.  1, 
St.  2,  S.  584).  . 

Die  Gefahr  aller  Anaesthetica  liegt  nach  Nussbaum  dann,  dass  die  im  Ex- 
citationsstadium  erzeugte  Muskelspannung  oft  die  Luftwege  ganz  verschliesst  oder 
dass  die  Lähmung  der  Gefühls-  und  Bewegungsnerven  sich  auf  die  Muskeln  des 

54* 


$52  Methylverbindungen. 

Herzens  und  der  Respiration  ausdehnt.  Das  Unglück  ist  stets  die  Folge  einer 
unvorsichtigen  oder  unglücklichen  Steigerung  der  beabsichtigten  normalenWirkung. 
Spencer  Wells  (Diseases  of  the  ovaries,  London  1872,  S.  339)  will  nur  aus- 
nahmsweise beim  Methylcnchlorid  Würgen,  Brechen  und  Katzenjammer  beobachtet 
haben. 

Sänger  (Berl.  klin.  Wochenschr.  No.  38,  1<S74)  fand  Würgen  und  Erbrechen  gleich 
dlt   bei  Chloroform  and  Methylenchlorid;  er  rühmt  letzteres  mehr  als  Anaestheticum, 
weniger  als  Narcoticum. 
I)    Brit.  med.  Jonrn.,  Sept.  16.  1871. 

Ferner  eod.  loc  ,  Öct.  23.,  p.  436,  1869,  ein  Fall,  in  welchem  selbst  bei  sorgfältiger 
Anwendung  der  Tod   eintrat. 

5)  Sabarth:  Das  Chloroform.     Würzburg  186(5. 

6)  M.  vgl.  Rabuteau:  Note  sur  trois  anaesthetiques  nouveaux,  le  bromoform,  le  bromal 
et  l'jodal  (Gaz.  hebdom.  No.43,  p.  681,  1869,  Jahresber.  1869,1.345);  er  beobachtete 
eine  kurze  Narcose,  die  er  als  eine  der  Chloroformwirkung  ähnliche  beschreibt. 

7)  Smith  im  Lancet,  June  1867.     Jahresber.  1.,  p.  455,  1867. 

8)  Brit.  med.  Journ.,  Sept.,  p.  200,   1807. 

'.>)   eod.  loc,  Juni  10 ,  p.  685,  1807.     Jahresber.  I.,  p.  455,  1807. 

10)  Med.  Times,  Dec.  1800.     Jahresber.  1860,  p.  318. 

11)  Pulmonary  consumption  succesfully  treated  with  naphta.     London   1845. 

In  England  pflegt  man  alle  Flüssigkeiten,  welche  sich  durch  Flüchtigkeit  und 
Brennbarkeit  cnarakterisiren,  im  Allgemeinen  als  Naphta  zu  bezeichnen. 

12)  Dingler's  Journ.  CC11I.  p.  191. 

[:'<)  In  WittBtein's  Vierteljahrsschr.  XX.  3.  S.  429  sind  die  bezüglichen  Untersuchungen 
von  Karsten  mitgetheilt. 

II)   Frank  in  der  Vierteljahrsschr.  f.  gerichtl.  Med.,  IX.  Bd.,  p.  179,  1868. 

Mit  Recht  macht  Frank  darauf  aufmerksam,  dass  das  Vorkommen  der  Schaum- 
bläschen  im   Lungenparenchym   nicht  als  ein  zufälliges  oder  vereinzeltes  Symptom 
der  Blausäurevergiftung  zu  betrachten  ist. 
In  Betreff  der  Ekchymosen  vergl.  man: 
Siegel    im   Archiv    für    Heilkunde,    IX.  Bd.,  p.  332,   1868.     Arch.  gener.,  Mai, 
1».  529,  1868. 

15)  Man  vergl.  Gaethgens's  Unters,  über  mit  Blausäure  behandeltes  Blut  in  Bezug 
auf  Sauerstoffaufnahme,  Sauerstoffabgabe  und  Kohlensäurebildung  in  Hoppe-Seyler's 
med. -ehem.  Unters.,  3.  Heft,  p.  325. 

Eine  Eigenthümlichkeit  beim  Sectionsbefunde  besteht  namentlich  in  der  Umwand- 
lung der  Blutfarbe  an  der  Luft;  alles  Blut,  welches  zuerst  braunroth  oder  selbst 
dunkelroth  erscheint,  geht  alsbald  in  eine  auffallende  helle  Kirschröthe  über.  Nur 
in  denjenigen  Fällen,  in  denen  grosse  Mengen  der  Blausäure  eingewirkt  haben, 
zeigt  das  Blut  sofort  bei  der  Section  eine  Röthe,  die  dem  Kohlenoxydblut  sehr 
ähnlich  ist. 

conf.  Eulenberg:  Die  Lehre  u.  s.  w.,  p.  49.     In  Betreff  der  Aminbasen  siehe 
Selige,  A.:  Einige  Versuche  über  Trimethylamin.     Diss.  inaug.,  Göttingen  1875. 
Gaethgens:    Ueber  die  Wirkung  des  Neurins   und  Trimethylamins.      Dorpater 
med,  Zeitschr.  IV.  2.  p.  185. 

Buchheim,  E. :  De  trimethylamino  aliisque  ejusdem  generis  corporibus.  Dor- 
pat  1854. 

Kussmaul:  Verhandl.  d.  Heidelb.  Naturf.  Ver.  1857,  18.  Dujardin-Beaumetz, 
S.  857,  No.  12. 

Die  verschiedenen  Aminbasen  zeigen  im  Allgemeinen  bei  subcutaner  Appli- 
cation und  Injection  in  die  Gefässe  eine  dem  Ammoniumcarbonat  ähnliche  Wirkung. 

I0J  Nach  Preyer  (Die  Blausäure,  I.  Th.,  Bonn  1868,  p.  35— 79)  erfolgt  der  Tod  durch 
Blausäure  in  der  Weise,  dass  eine  Lähmung  des  N.  vagus  und  des  respiratorischen 
Centralorgans  und  weiterhin  in  Folge  der  aufgehobenen  Respiration  Lähmung  des 
Herzens  eintrete. 

Nach  Knie  (Arch.  f.  experiment.  Pathol.,  IL  129)  zeichnet  sich  Blausäure  vor- 
züglich durch  die  Wirkung  auf  das  centrale  Nervensystem  aus;  aus  dieser 
Quelle  entsprängen  die  Störungen  der  Respiration  und  Circulation;  der  N.  vagus 
sei  hierbei  nicht  betheiligt  und  das  Atropin  kein  Gegengift. 

Kollicker  (Virchow's  Arch.,  10.  Bd.  p.  272)  schloss  aus  Versuchen  an  Fröschen, 
dass  die  Blausäure  zuerst  das  Gehirn  und  dann  das  Rückenmark  lähme. 
Rabuteau  et  Massul  im  Journ.  de  Pharm,  et  Chim.,  Avril  1872,  p.  311. 

17)    Verhandl.  d.  Naturf.  Gesellsch.  zu  Basel,  IV.  ßd.  S.  767. 
Bnchner's  Repert.  XVI. Bd.,  p.  605,  1867. 

Voit  (Zeitschr.  f.  Biol.,  10.  Bd.,  S.  304,  1868)  erkennt  zwar  die  Reaction  als  Reagens 
an,  dieselbe  lasse  aber  unter  gewöhnlichen  Verhältnissen  schon  nach  3  Tagen  nach. 


Methylverbindungen.  853 

18)  Greiner  in  Dingler's  polyt.  Journ.,  192.  Bd.,  p.  167,  1869. 
Lelaigne  im  Journ.  pharm,  p.  107,  1868. 

19)  Aerztl.  Intelligenzbl.  p.  135,  1872. 

20)  In  der  Sehering'schen  chemischen  Fabrik  zu  Berliu  besorgt  ein  Arbeiter  schon 
über  10  Jahre  lang  diese  Fabrication  und  ist  während  dieser  Zeit  noch  niemals 
erkrankt. 

21)  van  der  Werde  in  Philad.  med.  and  surg.  Reporter  XVIII.  No.  6.  p.  116,  1868. 
Schmidfs  Jahrb.  1868  p.  164. 

22)  Nach  Taylor's  Ausspruch  (Die  Gifte,  in  deutscher  Uebersetzung  von  Seydeler, 
Com  1863,  p.  207)  soll  Cyansilber  noch  nicht  Änlass  zu  Vergiftungen  gcgebon 
haben,  obgleich  er  dasselbe  doch  für  eine  schädliche  Substanz  erklärt.  Nunnel  ey 
will  dagegen  durch  Versuche  an  Thieren  gefunden  haben,  dass  es  ebenso  wie 
Blausäure  wirke,  nur  in  schwächerem  Grade  (Prov.  Transact.  N.  S.  3.  86). 

23)  Manche  Autoren  behaupten,  dass  Quecksilbercyanid  mehr  die  Symptome  der 
Quecksilberwirkung  entfalte.  Pelikan  setzt  es  jedoch  in  die  Reihe  von  Cyan- 
kaliuni  und  Cyanammonium.  Auch  Bernard  (sur  les  substances  toxiques,  Paris 
1857,  p.  66—103)  nimmt  an,  dass  es  bei  der  innern  Aufnahme  durch  den  sauern 
Magensaft  zersetzt  werde  und  wie  Blausäure  wirke.  Wird  es  erhitzt,  so  lässt 
es  Cyan  fahren  und  zeigt  dann  sicher  alle  Wirkungen  der  Blausäure.  Auch 
die  Untersuchungen  von  Tolmatscheff  (Einige  Bemerkungen  über  die  Wirkung 
von  Cyanquecksilber  in  Hoppe-Seyler's  med.-chem.  Unters.,  2.  Heft,  p.  279)  sprechen 
dafür,  dass  es  wie  Blausäure  wirkt. 

24)  Dies  Verfahren  beruht  auf  der  Bildung  von  Ferricyanwasserstoffsäure, 
welche  sich  in  ähnlicher  Weise  wie  Ferrocyanwasserstoffsäure  (s.  S.  387  u.  388) 
zersetzt  und  zwar  so,  dass  Blausäure  frei  wird  und  Eisencyanürcyanid 
(Berlinerblau)  auf  der  Faser  zurückbleibt  und  von  der  Oxalsäure  gelöst  wird.  Die 
Bildung  des  sog.  Bleu  de  France  beruht  ebenfalls  nur  auf  der  Zersetzung  der 
Ferro-  oder  Ferricyanwasserstoffsäure  an  der  Luft.  Man  gebraucht  dazu  keine 
Beize,  sondern  zieht  die  Zeuge  durch  eine  Auflösung  von  Ferro-  oder  Ferricyan- 
kalium,  Alaun  und  Schwefelsäure  in  Wasser  und  setzt  sie  der  atmosphärischen 
Luft  oder  dem  Danipfbade  aus. 

Besonders  wird  die  Seide  auf  diese  Weise  gefärbt;  bei  der  Wolle  gebraucht 
man  mehr  das  gewöhnliche  im  Texte  angegebene  Verfahren. 

Ueber  Blutlaugenfabrication  und  Berlinerblau-Darstellung  vgl-  man  Fleck:  Die 
Fabrication  ehem.  Producte  aus  thier.  Abfällen,  p.  6  u.  53. 

25)  Eulenberg's  Lehre  u.  s.w.,  p.  467. 

26)  Arch.  f.  Anat.  u.  Physiol.  1868,  p.  649. 

27)  Schlieper  in  den  Annal.  der  Pharmac.  u.  Chemie,  59.  Bd.  1.  Heft. 
Guckelberger,  eod.  loc.  54.  Bd.  p.  39. 

Keller,  eod.  loc.  72.  Bd.  p.  91. 

28)  Husemann  (Handb.  der  Toxikol.  p.  714)  führt  an,  dass  Cyanmethyl  nach 
Pelikan's  Experimenten  erst  in  Dosen  von  1  Grm.  und  darüber  Convulsionen 
und  Tod  herbeiführten.  Die  Dämpfe  dieser  Verbindung  wirken  jedenfalls  schon 
in  geringer  Concentration  tödtlich  ein. 

29)  Knallsilber  wird  in  ähnlicher  Weise  wie  Knallquecksilber  dargestellt  und  besitzt 
auch  fast  dieselben  Eigenschaften.  Beim  Filtriren  und  Trocknen  ist  nament- 
lich wegen  der  sehr  grossen  Explosivität  die  grösste  Vorsicht  nöthig.  Beim 
Umrühren  benutze  man  nur  Stäbe  von  Holz  und  beim  Aufnehmen  des  getrock- 
neten Pulvers  nur  Kartenblätter.  Bei  einer  Erhitzung  von  130°  tritt  Explosion 
ein.  Bisher  wird  es  nur  in  Knallbonbons  benutzt  und  in  sehr  geringer  Menge 
auf  einem  Pergamentstreifen  befestigt,  der  mittels  eines  andern,  mit  rauher  Fläche 
versehenen  Streifens  beim  Auseinanderziehen  gerieben  wird,  wodurch  die  Explosion 
entsteht. 

30)  v.  Meyer,  Eduard:  Die  Explosivkörper  und  die  Feuerwerkerei.  Braunschweig 
1874,  p.  88. 

31)  Sulfocyansäure  verhält  sich  ziemlich  ähnlich  wie  Sulfocyankalium;  erst  grossere 
Gaben  erzeugen  Symptome  von  Blausäurevergiftung.  In  der  Cyangruppe  sind 
diese  beiden  Körper  am  wenigsten  giftig,  natürlich  Ferro  cyan  ausgenommen,  bei 
welchem  von  einer  giftigen  Beschaffenheit  gar  nicht  die  Rede  sein  kann. 

32)  Dubreuil  et  Legros  (Compt.  rend.,  T.  64,  p.  1256,  1867)  behaupten,  dass  subcutane 
Injectionen  von  Sulfocyankalium  bei  Thieren  eine  locale  Paralyse  der  Muskeln, 
später  tonische,  mit  klonischen  untermischte  Krämpfe  erzeugen,  die  auch  bei 
directer  Application  auf  das  Gehirn  entständen.  Die  Einbringung  grosser  Gaben 
in  den  tract.  intestin.  rufe  allgemeine  Paralyse  und  letale  tetanische  Erscheinungen 
hervor. 


854  Aethylverbindungen. 

Nach  Setschenow  (Virchow's  Arch.,  14.  Bd.  p.  35G,  1858)  verfallen  auch  Frösche 
in  tetanische,  seltener  in  klonische  Bewegungen. 

33)  Deutsch.  Arch.  f  Hin.  Medic,  1.  Bd.  2.  Heft  1865. 

34)  Schmidt  und  Cliomal  (Molesohott's  Unters.  VI.  122)  behaupten,  das  Kakodyl- 
säure  und  Kakodyloxyd  nur  locale  Reizungen  hervorrufen.  Nach  Lebahn  (Dissert. 
inaug,  Rostock  18G8.  Jahresber.  1868,  I.  316)  starben  Kaninchen  nach  subcutanen 
Injectionen  von  0,5 — 0,75  Grm.  der  Säure  binnen  23  resp.  29  Stunden.  Alle  Er- 
scheinungen (Muskelschwäche,  Uuempfindlichkeit  der  Pupille,  Diarrhoe)  deuten  auf 
die  Aehnlichkeit  der  Wirkung  mit  der  von  Arsen  hin;  mau  kann  aber  annehmen, 
dass  Arsen  wenigstens  um  das  Dreifache  stärker  einwirkt. 

35)  Unter  den  antimonhaltigen  Derivaten  ist  noch  Trimethylstibin  (CH3)3Sb  zu 
erwähnen. 

36 j  Edwards,  G.  N,  in  St.  Barthol.  Hosp.  Rep.  I.  141,  IT.  211.  Schmidt' s  Jahrb.  1866, 
p.  27.     Jahresber.  von  Wiggers,  Göttingen  1867. 

Aethylverbindungen  (S.  398—430). 

1)  Richardson  in  Med.  Times  and  Gaz.,  Sept.  27,  30,  Oct.  7.  1871. 

2)  Nunneley,  Edinb.  med.  and  surg.  Journ.,  Oct.   1849. 

3)  Liebreich  und  v.  Langenbeck  in  Berl.  klin.  Wochenschr.  No.  31,  33,  1870. 
Steffen  (eod.  loc.  No.  6  1872)  hält  bei  Kindern  3 — 4  Grm.  behufs  Hervorrufung 
der  Narcose  für  ausreichend. 

4)  Die  vielfachen  Untersuchungen,  welche  in  neuerer  Zeit  über  die  physiologische 
Wirkung  des  Alkohols  angestellt  worden  sind,  können  hier  nicht  in  extenso  ver- 
folgt werden.     Man  vergl.: 

Lallemand,  Perrin  et  Duroy:  Du  röle  de  l'alcohol  et  des  anaesthetiques  dans 

l'organisme.    Paris  1860. 

Schulin us  im  Arch.  f.  Heilk.,  p.  97,  1866. 

Suleynski:  Ueber  die  Wirkung  des  Alkohols,  Chloroforms  und  Aethers  auf  den 

thier.  Organismus,  Dorpat  1866. 

Bouvier,  Cuny:  Alkoholstudien.    Centralbl.  f.  d.  med.  Wissensch.  No.  51,  p.  801. 

—     Pharmakolog.  Studien  über  den  Alkohol.     Berlin  1872. 

Die  abkühlende  Wirkung  von  Alkohol  in  kleinen  Dosen  negiren: 
Rabow  in  der  Berl.  klin.  Wochenschr.  No.  22  p.  257,  1871. 
Obernier,  Arch.  f.  d.  ges.  Physiol.,  II.  494. 

Es  ist  wohl  unzweifelhaft,  dass  der  aufgenommene  Alkohol  nicht  bloss  im  Blute, 
sondern  auch  in  den  Geweben  und  Organen,  namentlich  im  Gehirn  und  in  der 
Leber,  vertheilt  ist.  Seine  Umwandlung  in  Aldehyd  resp.  Essigsäm-e  erfolgt  keines- 
wegs so  schnell,  wie  man  bisher  angenommen  hatte. 

Die  Wirkungen,  welche  Alkohol  im  Organismus  auf  die  Nervencentren  ausübt, 
gehören  ihm  als  solchem  an  und  treten  nur  weniger  intensiv  auf  als  bei  den  ihm 
verwandten  Mitteln,  wie  Aether  und  die  Aethylverbindungen. 

Die  Verlangsamung  des  Stoffwechsels  durch  Alkohol,  namentlich  die  verminderte 
Ausscheidung  von  Kohlensäure  und  Harnstoff,  hat  schon  Vierordt  (Physiol.  der 
Athmung,  Carlsruhe  1845)  nachgewiesen. 

In  Bezug  auf  chronischen  Alkoholismus  ist  auf  Magn.  Huss:  Chronische 
Alkoholskrankheit  u.  s.  w.  zu  verweisen. 

Vorherrschend  ist  beim  Leichenbefunde  bekanntlich  die  fettige  Degeneration  der 
Muskeln,  namentlich  des  Herzmuskels  und  der  Leber.  Die  Ausdehnungen  der  Gefässe 
in  den  Häuten  führen  dann  schliesslich  auch  zur  Exsudation,  zur  Pachymeningitis. 
Rüge,  Virchow's  Arch.  49.  Bd.  p.  252. 

Ebstein  (eod.  loc.  55.  Bd.  p.  469,   1872)    fand  Ekchymosen   und  hämorrhagische 
Erosionen  in  der  Magenschleimhaut. 

Man  vergl.  noch: 
Heinrich:    Ein  seltner  Leichenbefund  bei  Alkoholvergiftung.     Vierteljahrsschrift 
IX.  Bd.  p.  359,  1868. 

Mitscherlich:  Todesfall  durch  Alkoholvergiftung.    Virchow's  Arch.  Bd.  38  2.  Heft 
S.  309,  1867. 

5)  Die  Kunsthefe  wird  besonders  in  Brennereien,  seltner  in  Bierbrauereien  in 
grösserem  Massstabe  dargestellt  und  zwar  mittels  besonderer  Flüssigkeiten,  in 
denen  ein  Zusatz  der  Mutterhefe  nur  zur  Einleitung  der  Gährung  dient.  Dies 
Verfahren  hat  den  Nachtheil,  dass  die  ursprünglich  erzeugte  Mutterhefe,  wenn 
sie  zu  lange  mit  der  Luft  in  Berührung  bleibt,  leicht  zur  Essig-  und  Milchsäure- 
bildung Veranlassung  gibt.  Die  Mutterhefe  muss  daher  sorgfältig  vor  der  Ein- 
wirkung der  Luft  geschützt  und  behutsam  abgekühlt  werden,  indem  man  sie  in 
mit  Eiswasser  gefüllte  Gefässe  stellt. 


Aethylverbindungen.  §55 

Presshefe  heisst  die  durch  Pressen  von  der  Hauptmasse  ihres  "Wassers,  durch 
Decantiren  und  Auswaschen  von  Verunreinigungen  befreite  Hefe.  Die  aus- 
gewaschene Hefe  wird  noch  mit  15—  30%  Stärke  versetzt,  in  Säcke  gefüllt  und 
nochmals  gepresst.  Die  betr.  Arbeiter  leiden  oft  an  Eingenommenheit  des  Kopfes. 
G)  Zum_Entfuseln  des  Branntweins  gebraucht  man  meist  Chlorkalk;  man  muss 
dabei  sehr  vorsichtig  verfahren,  weil  sich  sonst  seine  chlorosirende  und  oxydirende 
Wirkung  auf  den  Alkohol  überträgt.  %  — 1  p.  Mille  Zusatz  darf  nicht  überstiegen 
werden. 

Von  Salpetersäure  ist  entschieden  abzurathen,  weil  sie  die  Gefässe  angreift. 
Die  T  hier  kohle  wird  wegen  ihres  hohen  Preises  leider  sehr  wenig  gebraucht, 
obgleich  sie  am  besten  wirkt. 

7)  Kuyper  hat  bei  der  Section  eines  Dienstmädchens  noch  22  Stunden  nach  dem 
Ertrinken  im  Gehirn  Alkohol  nachgewiesen,  wobei  es  sich  um  die  Frage  handelte, 
ob  die  Ertrunkene  im  berauschten  Zustande  in's  Wasser  gekommen  war;  schon 
bei  der  Section  war  ein  deutlicher  Geruch  nachgewiesen  worden.  Magen  und 
Mageninhalt  wurden  mit  Natr.  earbon.  neutralisirt,  die  Retorte  im  Wasserbade  er- 
hitzt und  zunächst  22  C.-C.  überdestillirt,  welche  14,8  Alkohol  enthielten;  dann 
wurden  in  einem  Oelbade  bei  120°  C.  noch  5  Destillate  gewonnen.  Für  618  C.-C. 
der  gesammten  Destillate  aus  Magen  und  Mageninhalt  berechnet  Kuyper  22,1  C.-C. 
Alkohol. 

In  gleicher  Weise  wurde  das  Gehirn  einer  7  maligen  Destillation  unterworfen. 
Die  Gesammtmenge  von  7  Destillationen  zusammen  berechnete  sich  .auf  2,76  C.-C. 
Es  konnten  sogar  einige  Tropfen,  die  ganz  gut  brannten,  isolirt  gesammelt  werden. 

Um  Alkohol  im  Blute  oder  in  einem  Organe  nachzuweisen,  wird  der  be- 
treffende Antheil  im  Chlorcalciumbade  vorschriftsmässig  abdestillirt  und  das 
bei  guter  Kühlung  erhaltene  Destillat  unter  Zusatz  von  Chlorcalcium  sorgfältigst 
rectificirt.  Das  zweite  Destillat  wird  nun  entweder  mit  einer  mit  Schwefelsäure 
angesäuerten  Kaliumchromatlösung  der  Destillation  bei  guter  Kühlung  unter- 
worfen, oder  man  lässt  die  Dämpfe  des  zweiten  Destillats  ein  senkrechtes  Rohr 
passiren,  welches  mit  Bimstein  gefüllt  ist,  der  vorher  mit  einer  Chromsäure- 
losung  durchtränkt  worden  ist.  Die  Dämpfe  werden  dann  mittels  einer  guten 
Kühlung  condensirt.  In  beiden  Fällen  wird  bei  Anwesenheit  von  Alkohol  eine 
aldehy  dhaltige  Flüssigkeit  gewonnen,  welche  nun  mit  Ammoniak  und  Silber- 
nitrat_  bei  Erwärmeng  im  Wasserbade  den  bekannten  Silberspiegel  liefert. 

8)  Rawitz  (Wiener  med.  "Wochenschr.  No.  13,  1866)  ist  als  eifriger  Vertheidiger  der 
Aetherisation  aufgetreten.  , 

9)  Richardson  (Brit.  and  foreign.  med.  chirg.  Rev.  59.  p.  259,  1867,  Jahresber.  I., 
p.  456,  1867)  hält  die  Wirkung  des  Aethylnitrits  für  analog  mit  der  des  Amyl- 
nitrits.  Schon  nach  der  Inhalation  von  1  Gran  soll  es  Kopfschmerz,  beschleunig- 
ten Herzschlag  und  etwas  Cyanose  erzeugen.  15  Tropfen,  in  1  Cubikfuss  Luft 
verdampft,  sollen  Thiere  sofort  tödten,  wobei  Synkoptisches  Bewusstsein  und 
Sensibilität  bis  zum  Tode  fortdauerten.  Der  schnelle  Eintritt  des  Todes  lässt  die 
Reinheit  des  Präparats  bezweifeln,  wie  schon  aus  der  angeblichen  Wirkung  auf 
das  Blut  geschlossen  werden  dürfte.  Dagegen  ist  die  Cyanose  ein  ganz 
charakteristisches  Symptom  der  Wirkung  dieses  Gases  und  beruht  in  einer  Er- 
weiterung der  kleinern  Venenäste,  während  beim  Aniylnitrit  eine  Erwei- 
terung der  kleinen  Arterien  beobachtet  wird  (s.  Aniylnitrit).  Gefäss- 
ektasien  sind  übrigens  schon  der  Alkoholeinwirkung  eigenthümlich ,  welche  be- 
kanntlich im  Gesichte  alter  Säufer  auftreten  und  sich  auch  durch  verschiedene 
Hämorrhoidalleiden  (Blasenhämorrhoiden  u.  s.  w.)  kund  geben. 

10)  Lancet,  Sept.  28.,  1867. 

11)  Edinb.  Journ.,  Oct.  1847. 

12)  Liebreich,  Oscar:  Das  Chloralhydrat,  ein  neues  Hypnoticum  und  Anästheticum, 
3.  Aufl.,  Berlin  1871. 

Feltz  et  Ritter  (de  l'action  du  chloral  sur  le  sang,  Compt.  rend.  79.  Bd.  p.  324 
bis  328,  1874)  fanden  bei  Injection  von  Chlorallösung  (1 : 5)  in  die  Venen  der 
Hunde,  dass  die  Blutkörperchen  ihre  Elasticität  verlieren  und  das  Plasma  sich 
roth  färbt.  Namentlich  bestätigen  sie  aber,  dass  das  Blut  nicht  im  Stande  ist, 
so  viel  Sauerstoff  aufzunehmen  wie  in  normalen  Verhältnissen, 
grade  wie  es  sich  beim  Chloroform  verhält.  In  der  Exspirationsluft  fanden  sie 
Chloral. 

Die  sehr  ausführliche  Literatur  über  Chloralhydrat  findet  sich  in  Liebreich's 
Monographie. 

Neuerdings  hat  man  auch  Chloralhydrat  als  antiseptisches  Mittel  beim 
Aufbewahren  von  Fleisch,  von  Albumin  in  den  Kattundruckereien  und  von 
Leimgallerte  benutzt.    Namentlich  soll  es  sich  beim  Albumin  empfehlen;   man 


§5G  Propylverbindangen. 

löst  zuerst  Clilorhydrat  auf  und  bringt  das  Albumin  in  diese  Losung.  Man  geht 
von  der  Ansicht  aus,  dass  es  nach  der  Zersetzung  in  Chloroform  und  Ameisen- 
säure die  beim  Beginn  der  Fäulniss  stickstoffhaltiger  Substanzen  eintretende 
Alkalescenz  neutralisire,  während  das  freiwerdende  Chloroform  den  Sauerstoff  ab- 
halte und  die  Vibrionen  tüdte. 

13)  Levinstein  in  Vierteljahrssehr.  f.  gerichtl.  Med.  20.  Bd.  p.  227,  1874. 

14)  —     im  Centralbl.  f.  med.  Wissenseh. 

15)  Stcinauer  in  Virchow's  Arch.,  50.  Bd.,  p.  235,  1870. 

Dougall:  On  Bromatic  Hydrate.     Glasgow  med.  Journ.,  Nov.  1870,  p.  34. 

IG)  Rabuteau  in  Gaz.  hebd.  de  med.  43,  p.  681,  1869.    Jahresber.  1.,  p.  345,  18G9. 
Bromal  und  Jodal  spalten   sich,    analog   dem  Chloral,   in   alkalischer  Lösung  in 
ameisensaures  Kalium  und  in  Bromoform  resp.  Jodoform. 

Nach  Guyot  (Journ.  de  chim.  et  med.,  Decbr.,  p.  750,  1871,  Jahresber.  I.  p.  337 
1871)  erhöht  Jodal  zunächst  die  Sensibilität,  wirkt  dann  aber  hypnotisch  und 
anästhetisch.  Die  Restitution  ist  vollständig.  1 — 2  Grm.  bewirken  vollständige 
Anästhesie,  3— 4  Grm.  wirken  letal;  junge  Kaninchen  können  schon  durch  2  Grm., 
Katzen  durch  2%  Grm.  zu  Grunde  gehen. 

17)   Urner,  Fr.  Alb.:  Ueber  die  Chloressigsäure  als  Aetzmittel.    Dissert    Bonn  18G8. 

L8l   Bobrik.  1.  c. 

19)  Bei  der  fabrikmässigen  Reinigung  des  rohen  Holzessigs  hat  man  einen  neuen  korn- 
blauen Farbstoff,  Coerulignon,  gefunden. 

20)  Journ.  f.  prakt.  Chemie  1848  No.  11. 

21)  Cyon,  Arch.  f.  Anat.  u.  Phvsiol.  18GG  p.  196-203. 
221   Ylrehow's  Arch.,  28.  Bd.  p.  233. 

23)  Lancet,  Sept.  28.  18G7. 

Propylverbindungen  (S.  430—  436). 

1)  Acetonaemie  nennt  man  einen  Krankheitszustand,  der  mit  einer  spontanen  Ent- 
wicklung von  Aceton  im  Organismus  verbunden  sein  soll.  Man  nimmt  an ,  dass 
sie  durch  Gährung  organischer  Stoffe,  besonders  des  Traubenzuckers,  entstehe  und 
am  spec.  Gerüche  der  ausgeathmeten  Luft  erkennbar  sei.  Man  will  Acetonaemie 
in  fieberhaften  Krankheiten,  bei  Blattern,  beim  Scharlach,  Typhus  oder  auch  beim 
Diabetes,  bei  organischen  und  krebsartigen  Leiden  des  Magens  beobachtet  haben. 
Im  Harne  könne  sie  leicht  durch  Schwefelsäure  und  Kochsalz  nachgewiesen  werden 
(s.  Cantani  in  Gaz.  des  höp.  No.  27  1866). 

Berti:  Un  cas  d'empoisement  par  l'acetone  chez  une  diabetique.  Centralbl.  der 
med.  Wissensch.  No.  13,  1875. 

Kussmaul  hat  bereits  Versuche  mit  subcutanen  Injectionen  von  Aceton  und  den 
Inhalationen  seiner  Dämpfe  angestellt;  er  konnte  nur  Betäubung  und  keine  voll- 
ständige Anästhesie   damit  erzeugen.     (Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medic,  1.  Bd.) 

In  therapeutischer  Beziehung  vergl.  man: 
Dr.  Christian  Aug.  Becker:  Das  Aceton,  der  geheime  Weingeist  der  Adepten, 
Spiritus  vini  Lulliani  s.  philosophici.     2  Ausg.,  Mühlhausen  1867. 

2)  Die  Milchsäure  löst  ähnlich  wie  Buttersäure  die  organische  Faser  auf.  Preyer 
(Centralbl.  f.  d.  medic.  Wissensch.  No.  35,  1875)  hat  milchsaures  Natrium  als 
Schlafmittel  empfohlen.  Die  betreffenden  Prüfungen  dieses  Mittels  hat  Mendel 
angestellt  und  in  der  Deutsch,  med.  Wochenschr.  No.  17  1876  mitgetheilt.  Lothar 
Meyer  will  mit  der  reinen  Milchsäure  gleiche  Erfolge  erzielt  haben  (Virchow's 
Arch.,  66.  Bd.  1.  Heft,  p.  120). 

3)  Ueber  die  physiologische  Wirkung  des  reinen  Glycerins  sind  die  Acten  noch  nicht 
geschlossen.  Auf  manche  Organismen  scheint  es  wenig  oder  gar  keine  Wirkung 
zu  haben,  während  Versuche  an  Thieren  ergeben  haben,  dass  Glycerin  keineswegs 
zu  den  indifferenten  Körpern  gehört.  Vorzugsweise  scheint  sich  seine  wasser- 
entziehende  Eigenschaft  geltend  zu  machen,  welche  auf  die  Lebensthätigkeit 
der  in  seinen  Wirkungskreis  fallenden  Gewebe  nachtheilig  einzuwirken  vermag. 
Hiermit  mag  auch  die  capilläre  Circulationsstörung  in  Verbindung  stehen, 
welche  man  nach  der  äussern  Application  von  Glycerin  bei  Fröschen  beobachtet. 

Die  Eigenschaft  des  Glycerins,  für  die  Fäulnisserreger  ein  tödtliches  Gift  zu 
sein,  darf  nicht  unerwähnt  bleiben.  Mit  Glycerin  vermischtes  Blut  hält  sich 
monatelang  unverändert,  ohne  dass  sich  Monaden  oder  Mikrokokken  in  demselben 
entwickeln. 

Saviotti  im  Centralbl.  f.  medic.  Wissensch.  1870  No  10  p.  148. 
Hoppe,   Ferdin. :   Ueber  die  physiol.  Wirkung  des  Glycerins  nach  Versuchen  an 
Fröschen.    Inaug.-Dissert.    Greifswald  1873. 


Amylverbindungen.  857 

4)  Hermann:  Experiment.  Toxikologie,  p.  277. 

Die  Inhalation  der  Dämpfe  von  Trichlorhydrin  soll  eine  Chloroform  ähnliche 
Wirkung  äussern.  Ein  Tropfen  bewirkt  nach  'Romensky  (Arch.  f.  d.  gesammte 
Physiolog.,  V.,  565)  bei  Fröschen  Verlust  der  Reflexe;  bei  Kaninchen  erzeugten 
0,5  —  1  Grm.  nach  5  M.  Schlaf  mit  Reflexdepression. 

5)  Cerasi:  Ueber  die  therapeutische  Wirkung  des  Propylamins. "  (Allgem.  medic 
Zeitg.  No.  56,_  1875.  The  Lond.  medic.  Record.  No.  106,  1875.)  Das  Mittel  ist  be- 
kanntlich bei  rheumatischen  Leiden  vielfach  empfohlen  worden.  Es  wird  von 
1  Grm.  bis  3  und  5  Grm.  in  Aq.  Menth,  pip.  120  Grm,  2stündl.  ein  Esslöffel  voll 
gereicht.  Virchow's  Jahresber.  1873,  I.  385.  Schweiz.  Corresp.-Bl.  No.  4,  p.  99. 
Berl.  klin.  Wochenschr.  No.  42  1875. 

Butylverbindungen  (S.  436— 439). 

1)  Butylwasserstoff  erzeugt  nach  Richards on  Narcose  und  Anästhesie  und  soll  bei 
längerer  Einwirkung  an  Stickstoffoxydul  erinnern,  da  schliesslich  Zuckungen  ein- 
treten.    Med.  Times  and  Gaz.,  Sept.  23,  30,  Oct.  7,  1871. 

2)  Rabuteau:  Ueber  die  Wirkung  des  Aethyl-,  Butyl-  und  Amylalkohols.  l'Union 
No.  90,  91,  1870.      Schmidt's  Jahrb.  Bd.  149  p.  263. 

3)  Deutsche  Klinik  No.  50  1864. 

4)  Liebreich,  Brit.  med.  Journ.,  Dec.  20.  1873.    Schmidt's  Jahrb.  p.  161,  1874. 
Bouchut  (Gaz.  de  höp.  141,  1874)  zieht  das  Crotonchloral  dem  Chloral  vor,  weil 
es  weniger  scharf  und  widrig  schmecke;  er  empfiehlt  es  in  allen  Fällen,  in  welchen 
man  die  reizende  Wirkung  des  Chlorais  auf  den  Magen  zu  fürchten  habe. 

Nach  neuern  Untersuchungen  von  Pinner  (Berichte  d.  Deutschen  ehem.  Gesellsch. 
in  Berlin  1875,  S.  1561)  ist  Crotonchloral  als  Butylchloral  C4H5C130  aufzufassen. 

Amylverbindungen  (S.  439—448). 

1)  Richards  on  in  Med.  Times  and  Gaz.,  Sept.  23,  30,  Oct.  7,  1871. 

2)  Deutsche  Klinik  1857  No.  20. 

3)  Lancet,  1856,  IL  No.  26. 

4)  Gaz.  hebdom.  1857,  No.  10. 

5)  Med.  Times  1857,  9.  May. 

6)  Richardson  beobachtete  ebenfalls  die  anästhesirende  Wirkung  von  Jodamyl.  Med. 
Times  1865,  No.  796. 

7)  Cross:  Action  de  l'alcohol  amylique  et  methyl.  sur  l'organisme.  These.  Strass- 
bourg  1863. 

8)  Rabuteau,  1.  c. 

9)  Dr.  Robert  Pick:  Ueber  das  Amylnitrit  und  seine  therapeutische  Anwendung. 
Berlin   1874. 

Filehne  (Pflüger's  Arch.,  Bd.  9,  p.  470  u.  s.w.)  sucht  zu  beweisen,  dass  bei  der 
Einwirkung  von  Amylnitrit  das  Gefässnerven-Centrum  ergriffen  wird. 

Charakteristisch  ist  die  durch  Amylnitrit  bewirkte  Erweiterung  der  kleinen 
Arterien  und  Capillaren,  welche  sich  besonders  gut  in  der  Schwimmhaut  der 
Frösche,  welche  Amylnitrit  eingeathmet  haben,  beobachten  lässt  (s.  Droz  in  Arch. 
de  physiol.  norm,  et  pathol.  1873,  p.  457—504,  Centralbl.  No.  13,  1874,  p.  20S). 

Die  ausführliche  Literatur  ist  in  Herrn ann's  experimenteller  Toxikologie  mit- 
getheilt. 

Das  Radical  Amyl  besitzt  überhaupt  die  Eigenschaft,  Congestionen  zum  Gehirn 
in  Folge  von  Erschlaffung  der  Gefässe  zu  erzeugen. 

10)  Tröpfelt  man  ein  paar  Tropfen  der  genannten  Mischung  auf  einen  kleinen  Baum- 
wollpfropfen, den  man  in  ein  kleines,  aus  zwei  aufeinander  geschraubten  Theilen 
bestehendes  und  an  beiden  Köpfchen  mit  einer  nach  aussen  trichterförmig 
erweiterten  Oeffnung  versehenes  Büchschen  bringt,  so  kriechen  die  Insecten.  wenn 
man  dasselbe  mittels  eines  Bandes  am  Halse  trägt,  hinein  und  sterben  in  Folge 
der  Betäubung. 

11)  conf.  die  Note  61  S.  362. 

Xanthamylsaures  Kalium  ist  gleich  dem  amylxanthogensauren  Kalium  und 
wurde  zuerst  von  O.  L.  Erdmann  und  Krutzsch  (Journ.  f.  prakt.  Chemie, 
36. Bd.  p.4)  dargestellt.  Es  ist  zu  bemerken,  dass  die  Dämpfe  der  Xanthogensäure 
leichter  Anästhesie  bei  den  Thieren  erzeugen  als  die  der  Xauthamylsäure,  welche 
jedenfalls  grössere  Mengen  erfordert,  um  diese  Wirkung  hervorzurufen. 

12)  Dujardin-Beaumetz  (Sitzungsber.  d.  Pariser  Acad.,  Dec.  1873.  Centralbl.  der 
med.  Wissensch.  No.  1  1874.    Jahresber.  I.,  p.  385,  1873). 


858  Talgin  dusfirie. 


H  e x  y  1 V 6 rh  i  n  d  u  n  g c  n  ( S.  448  -4.')1 ). 

1)  Richardson  behauptet  vom  Caprylwasserstoff  (Hoxylen),  dass  er  in  unan- 
genehmer Weise  in  den  Dosen  des  Chloroforms  anästhesirend  wirk«1:  das  Stadium 
der  Excitation  sei  lang  und  oft  mit  Erbrechen  verbunden,  die  Restitution  erfolge 
aber  in  3  -4  Minuten  (Med.  Times  and  Gaz.,  Sept.  (Jet.  1871).  Aus  der  Beschrei- 
bung geht  nicht  deutlich  hervor,  ob  dieser  Kohlenwasserstoff  zur  C6  oder  C8Gru]>i>e 
gehört,  obgleich  nicht  daran  zu  zweifeln  ist .  dass  alle  diese  Kohlenwasserstoffe 
theils  narcotisirende,  theils  anästhesirende  Wirkungen  besitzen. 

Firnissindustrie  (S.   153    458). 

1)  Annal.  d'hyg.  publ.  1874  p.  135 

/um  Lackkochen  hat  Feichtinger  (Bayer,  [ndustrie-  u.  Gewerbebl.  1872, 
p.  18,  Dingler's  polyt.  Journ.  (,'('111.  p.  318)  eine  Einrichtung  empfohlen,  die  in 
grössern  Lederfabriken  Englands  und  Deutschlands  eingeführt  ist.  Ein  grösserer 
Kessel  dient  zum  Kochen  des  Leinöls  und  i.-t  mir  zu  zwei  Drittel  des  Raumes 
angefüllt.  Das  Feuer  darf  den  Kessel  nur  bis  zum  Stande  des  Oels  in  demselben 
erreichen;  seitlich  ist  er  mit  einer  Schnauze  versehen,  durch  welchen  das  allenfalls 
iiberfliessende  Oel  in  einen  zweiten  kleinern,  etwas  tiefer  stellenden  und  nicht  ge- 
heizten Kessel  abfliessen  kann.  Auf  den  gn^sen  Kessel  kommt  wahrend  des  Kochens 
ein  Hut  mit  einem  Beobachtungsthürchen.  Letzterer  verlängert  sieh  in  ein  Rohr, 
welches  die  Dämpfe  und  Gase  in  einen  Kamin  ableitet,  in  welchem  ein  kleines 
Feuer  aus  Reiz.  Kehle  u.  s.  w.  unterhalten  wird  und  zwar  zur  Verbrennung  der 
Gase  und  Dämpfe  sowie  zur  Verstärkung  des  Zuges. 

Zweckmässig  würde  es  sein,  in  der  Ausmündungsstelle  d<\s  Rohrs  in  den  Kamin 
ein  Eisendrahtnetz  oder  ein  Eisenbündel  anzubringen,  um  das  Zurückschlagen  der 
verbrennenden  Dämpfe  zu  verhüten. 

liier  sind  auch  noch  die  Wachstuchfabriken  zu  erwähnen,  in  denen  Lack- 
Überzüge  über  Zeuge  gemacht  werden.  Bei  dieser  Industrie  ist  besonders  die 
Feuergefährlichkeit  zu  beachten.  Die  Schmelzkessel  dürfen  nicht  mit  dem  offenen 
Feuer  in  Berührung  kommen;  es  ist  überhaupt  geboten,  dass  letzteres  von  aussen 
bedient  wird.  Auch  müssen  die  Kessel  geschlossen  und  mit  einem  Abzugsrohr  in 
der  oben  erörterten    Weise  versehen  sein. 

Sowohl  das  Aufstreichen  der  Lacke  als  auch  das  Trocknen  der  gestrichenen  Zeuge 
entwickeln   sehr   unangenehme  Gerüche;    diese  Fabriken   dürfen    daher  in  Städten 
nicht  geduldet   werden. 
Andes,  L.  E.:  Die  Lack-  und  Firnissfabrication.     Wien  1874 

Talgindustrie  (S.    L58  -463). 

1)  Die  Abbildung  dieser  Vorrichtung  findet  sich  in: 

Eulenberg's  Lehre  u.s.w.,  p.  525.    Dingler's  polyt.  Journ.   1861,  '2.  Februarheft. 
Thran siedereien  stehen  auf  gleicher  Stufe  mit   der  Talgschmelzerei,    da  bei 
diesen  aus  dem  Fischspeck  Thran  gewonnen  wird      Es   sind   daher  hier  dieselben 
Vorsichtsmassregeln  erforderlich. 

2)  Nach  diesem  Princip  halten  Lookwood  und  Everett  einen  Apparat  zum 
Talgschmelzen  construirt,  der  aus  dem  Aussclimelzkessel  und  einem  Ver- 
brennungsofen für  die  sich  entwickelnden  Gase  und  Dämpfe  besteht  Der  Kessel 
oder  Digestor  besteht  aus  einem  dampfdichten  cylindrischen  Behälter  von 
Kesselblech,  welcher  mit  einem  Mantel  zum  Einleiten  der  Wasserdämpf e 
umgeben  ist;  seine  Füllung  geschieht  durch  ein  Mannloch  und  das  Ausziehen  der 
Rückstände  am  untern  Ende  des  Kessels.  Das  flüssige  Fett  wird  mittels  einer 
um  einen  Drehring  drehbaren  Röhre  ausgeschöpft.  Durch  ein  besonderes 
Rohr  entweichen  die  Dämpfe  nach  dem  Argand-Ofen,  wie  die  Erfinder  den 
Verbrennungs- Apparat  benennen:  hier  ourchziehen  die  Dämpfe  zunächst  ein 
erhitztes  Röhrensystem  und  treten  unten  durch  vier  im  Kreise  symmetrisch 
angeordnete  Brenner  aus,  wo  sie,  mit  atmosphärischer  Luft  gemischt,  entzündet 
und  verbrannt  werden.  Die  Verbrennungsgase  steigen  aufwärts,  bestreichen  das 
Röhrensystem  und  entweichen  durch  den  Kamin. 

Will  man  die  Rückstände  als  Futter  verwenden,  so  trocknet  man  sie  im  Kessel 
bei  schwach  angeheiztem  Verbrennungsapparat  über  Nacht. 

Beim  Ausschmelzen  des  Fettes  soll  die  Dampfspannung  im  Kesselmantel 
4    Atmosphären     nicht     übersteigen  ,      während     im     Digestor     ein     Druck     von 


Wachsindustrie  und  Seifenfabrication  859 

2%  Atmosphären  ausreicht.  Es  liegen  günstige  Zeugnisse  über  die  Wirksamkeit 
des  Apparates  vor,  der  sich  durch  die  gänzliche  Zerstörung  der  übelriechenden 
Dampfe  und  seine  Sicherheit  gegen  Explosion  auszeichnet,  da  die  Fettmasse  im 
Digestor  nur  allmählig  in's  Schmelzen  geräth.  Die  Abbildung,  die  nur  ein  klares 
-Büd  von  dieser  Einrichtung  liefern  kann,  findet  sich  in  Dinglefs  Journ.  CCX11I 
p.  493  und  Wagner's  Jahresber.  1874,  p.  965. 

3)  viel  zu  wenig  ist  das  "Verfahren,  mittels  einer  verdünnten  Lösung  von  Aetz- 
natron  das  rohe  Fett  zu  behandeln,  berücksichtigt  worden,  da  hierbei  die  übel- 
riechenden fetten  Säuren  gebunden  werden,  auch  eine  Temperatur  über  100°  nicht 
erforderlich  ist.  Schliesslich  wird  die  Masse  noch  einer  einfachen  Waschung 
unterworfen. 

4)  In  Dinglers  Journ.  1870,  198.  Bd.  p.  29  abgebildet  und  beschrieben. 

5j  Benutzt  man  Kessel  mit  Doppelboden  oder  Dampfheizung,  die  das  Rühren 
während  des  Schmelzens  nicht  erforderlich  machen  und  den  grossen  Yortheil  haben, 
dass  kein  Anbrennen  der  Masse  stattfinden  kann,  so  lässt  sich  über  den  Kesseln 
ein  Siebboden  anbringen,  der  einige  Zoll  hoch  mit  Kohle  und  Kalk  bedeckt  ist. 
Die  sich  entwickelnden  Gase  und  Dämpfe  dringen  durch  diese  Schicht  und  werden 
auf  solche  Weise  desinficirt.  Bei  jeder  neuen  Beschickung  des  Kessels  muss  aber 
auch  die  Desinfectionsschicht  erneuert  werden,  was  lästig  ist  und  den  Betrieb  stört. 
Das  Verbrennen  der  Dämpfe  verspricht  stets  den  sichersten  Erfolg. 

In  einigen  französischen  Fabriken  hat  auch  die  Condensation  der  Dämpfe 
mittels  Wassers  einen  guten  Erfolg  gehabt.  Aus  dem  hermetisch -geschlossenen 
Sudgefässe  werden  die  Dämpfe  mittels  eines  U förmigen  Rohrs  in  den  sog  Con- 
densator  geleitet,  der  zum  Dritttheil  mit  Wasser  gefüllt  ist,  welches  nach  Bedarf 
erneuert  wird.  Man  kann  hierzu  auch  ein  grosses  Fass  benutzen,  dasselbe  mit 
Wasser  füllen  und  in  dieses  das  Ableitungsrohr  senken.  Ein  trichterförmiger, 
aufgeschraubter  Hut  ist  mit  einem  Rohr  versehen,  welches  die  uncondensirten 
Dämpfe  in  einen  Feuerherd  leitet;  wo  dieses  aus  dem  Hute  austritt,  ist  noch  eine 
Brause  angebracht,  um  hier  noch  einen  Theil  der  nicht  condensirten  Dämpfe 
niederzuschlagen. 

6)  Die  gewöhnlichen  Talglichter  oder  Uns  chlittkerzen  werden  meistens  in 
Formen  gegossen,  die  aus  einer  Legirung  von  Blei  und  Zinn  bestehen. 
Gezogene  Kerzen  werden  durch  häufiges  Eintauchen  der  Dochte  in  geschmol- 
zenen Talg  dargestellt. 

Wachsindustrie  (S.  463—464). 

1)  Beim  Bleichprocesse  wird  das  Terpentinöl  durch  ein  nachfolgendes  Umschmelzen 
wieder  entfernt. 

Die  Wachskerzen  werden  durch  Angiessen  oder  Anschütten  dargestellt, 
indem  man  die  aufgehängten  Dochte  mittels  eines  Löffels  von  oben  her  mit  ge- 
schmolzenem Wachse  begiesst. 

Wachsstöcke  werden  durch  Ziehen  oder  Pressen,  Christbaumlichter  nur 
durch  Ziehen  angefertigt;  bei  Altarkerzen  umwickelt  man  den  Docht  mit  einem 
Wachsbande. 

Verfälschungen  des  Wachses  mit  Fichtenharz,  Talg  und  namentlich  Paraffin 
sind  nicht  selten. 

Seifenfabrication  (S.  464-471). 

1)  Bei  der  Verleihung  von  Concessionen  ist  vorzüglich  auch  auf  die  Aufspeicherung 
des  Rohmaterials  zu  achten,  da  Nachlässigkeit  hierbei  zu  den  meisten  Belästigungen 
Anlass  gibt.  In  vielen  Fällen  ist  die  Mitbenutzung  der  Carbol säure  zum  Be- 
sprengen des  Bodens  oder  des  Materials  sehr  zu  empfehlen.  Auch  die  rohe 
Salicylsäure  ist  hier  am  Platze. 

Man  vergl.  Buchner,  E.:  Gutachten,  die  Ausübung  der  Seifensiederei  u.  s.  w. 
betreffend.  °  Bayer,  ärztl.  Intelligenzbl.  No.  46,  p.  563. 

2)  Vohl  hat  die  Beobachtung  gemacht,  dass  die  mit  einer  solchen  Seife  gewaschene 
Charpie  bei  ihrem  Gebrauehe  als  Verbandmittel  höchst  reizend  auf  Wunden  ein- 
wirkt (s.  Dingler's  Journ.,  Bd.  204,  Heft  1,  53.  üeber  die  Kali-  oder  Schmier- 
seifen, ihre  Verfälschungen  und  die  daraus  beim  Gebrauche  entstehenden  Nach- 
theile). 


SCO  Stearin  säure  fabrication. 

Stearinsäurefabrication  (S.  472—478). 

1)  Die  schwarze  Masse  in  den  Fettsäuren  rührt  von  den  theil  weise  carbonisirten 
Eiweissholftern  her,  die  in  den  Fettsäuren  schwimmen,  weil  sie  dasselbe  specifische 
Gewicht  wie  die  Fettsäuren  haben.  Die  Schwierigkeit,  welcher  die  Spaltung  der 
neutralen  Fette  im  Allgemeinen  unterliegt,  beruht  auf  der  Gegenwart  dieses  Zell- 
gewebes, welches  als  eine  sehr  dünne  Membran  die  Fettkügelchen  einhüllt  und  aus 
Albuminaten,  leimgebendem  Gewebe,  Faserstoff  u.  s.  w.  besteht.  Durch  den  Zusatz 
von  Schwefelsäure  coagulirt  das  Eiweiss  und  erschwert  die  Einwirkung  derselben, 
während  sich  diese  Gewebestoffe  bei  der  Saponification  mit  Kalk  lösen  und  nach 
der  Zersetzung  der  Kalkseife  im  Gipse  wieder  finden. 

Bock  sieht  in  der  Behandlung  der  Fettmasse  mit  Schwefelsäure  nur  eine  vor- 
läufige Operation,  welche  die  nachfolgende  Zersetzung  der  Fette  möglich  mache, 
indem  sie  das  Zellgewebe  entwässere,  verkohle  und  porös  mache.  Die  eigent- 
liche Zersetzung  beginne  erst  unter  der  Einwirkung  des  überhitzten 
Wasserdampfes;  sowohl  hierbei  als  auch  bei  Anwendung  von  heissem  Wasser 
unter  hohem  Drucke  (s.  S.  475)  werde  die  Zersetzung  des  Zellgewebes  durch  die 
Wärme  bewirkt,  indem  durch  diese  die  Hüllen  desorganisirt  würden,  da  sich 
Eiweiss  in  Wasser  bei  150°  löse. 

Bock  wendet  hiernach  drei  Operationen  an:  1)  rationelle  Säuerung,  um  das 
Zellgewebe  zu  carbonisiren  und  durchdringlich  zu  machen;  2)  Spaltung  der  ihrer 
Hüllen  beraubten  Fette  durch  verdünnte  Säuren;  ein  grosser  Fehler  bestehe 
in  einem  zu  reichlichen  Zusätze  von  Säure:  3)  Entfernung  der  gebräunten  und 
das  Fett  schwarz  färbenden  Hüllen  durch  Kochen  mit  Kaliumpermanganat  und 
nachheriges  Auswaschen.  Auf  diese  Weise  würden  die  Säuren  weiss  gewonnen 
und  das  Glycerin  sei  tadellos  (s.  Ber.  d.  Deutsch,  ehem.  Gesellsch.  1875,  p.  G98, 
Wagner's  Jahresber.  1873,  p.  871,  1875  p.  969). 

2)  Bei  der  Destillation  der  rohen  Fettsäuren  mit  überhitztem  Wasserdampfe  entstehen 
nach  Cahours  und  Demarcay  Kohlenwasserstoffe,  nämlich  Hexyl-,  Heptyl-, 
Octyl-,  Nonyl-,  Decyl-  und  Undecylwasserstoff.  (Ber.  d.  Deutsch,  ehem.  Gesellsch. 
1875,  p.  987.) 

Acrolein  tritt  um  so  weniger  auf,  je  sorgfältiger  die  Fabrication  geleitet  wird: 
immerhin  erfordert  die  Destillation  Vorsichtsmassregeln,  um  die  mit  ihr  verbun- 
deneu Belästigungen  möglichst  zu  mindern. 

In  einigen  französischen  Fabriken  hat  man  nach  Freycinet  (1.  c.  p.  289)  die 
Einrichtung  getroffen,  dass  sich  das  Kühlrohr  an  seinem  untern  Ende  in  zwei 
Arme  theilt;  der  eine  untere  Arm  führt  das  Destillat  zu  einem  Gefäss  mit  Wasser- 
verschluss,  'während  der  obere  Arm  zu  einem  Wasserbehälter  steigt,  in  welchem 
sich  die  uncondensirten  Dämpfe  condensiren;  was  hier  nicht  condensirt  wird, 
gelangt  in  eine  Feuerung  oder  in  diejenige  Partie  des  Schornsteins,  wo  die 
Temperatur  für  die  Verbrennung  noch  ausreicht 

3)  Zum  Färben  der  verschiedenen  Kerzen  benutzt  man  noch  häufig  Metallfarben; 
nach  Vohl  für  Roth  ausser  Alkanna  und  Drachenblut  Zinnober  und  Mennige, 
für  Gelb  ausser  Curcuma  auch  Bleichromat,  Schwefelarsen  (Königsgelb),  Zink- 
chromat,  für  Grün  Schweinfurter  Grün,  stearin saures  Kupfer  und  grünen 
Zinnober  (eine  Mischung  von  Bleichromat  und  Berlinerblau). 

Besonders  wirken  Zinnober  und  Mennige  durch  ihre  Verbrennungsproducte 
schädlich  ein.  Beim  Bleichromat  entwickelt  sich  Bleioxyd,  während  die  Chrom- 
säure als  Chromoxyd  in  der  Dochtasche  zurückbleibt.  Beim  Schwefelarsen 
treten  schweflige  und  arsenige  Säure,  beim  Schweinfurter  Grün  arsenige  Säure 
auf;  reines  stearin  saures  Kupfer  bleibt  als  reines  Kupfer  auf  dem  Dochte 
zurück  (s.  Vohl:  Ueber  die  Unzulässigkeit  der  Anwendung  von  Metallfarben  zum 
Färben  der  Stearin-,  Wachs-,  Paraffin-  und  Wallrath-Lichter.  Dingler's  polytechn. 
Journ.  1865). 

Macfarlane  (On  the  poisoneus  agents  in  coloured  tapers.  Glasg.  med.  Journ. 
p.  215,  Jahresber.  1875  I.  p.  618)  fand  in  den  rothen  Wachsstöcken  pro  Stück 
0,28'— 0,5  Grm.  Zinnober,  in  den  grünen  0,55  Grm.  Arsen. 

4)  Dingler's  polyt.  Journ.,  187.  Bd.  1.  Heft. 

5)  Bei  den  verschiedenen  Fabrications-Methoden  kommt  es  auch  sehr  auf  die  richtige 
Ausführung  derselben  an.  Bei  der  Verseifung  durch  Schwefelsäure  ist  noch- 
mals hervorzuheben,  dass  im  Allgemeinen  ein  zu  reichlicher  Zusatz  von  Schwefel- 
säure und  eine  zu  starke  Erhitzung  die  Bildung  von  Acrolein  resp.  schwefliger 
Säure  vermehrt.  In  Frankreich  hat  man  schon  längst  die  Erfahrung  gemacht,  dass 
3%  Schwefelsäure  vollkommen  ausreichen.  Auch  ist  es  zweckmässig,  den  Talg  vor- 
her in  höher  gestellten  Kufen  zum  Schmelzen   zu  bringen   und  durch  Röhren  die 


Nitroglycerinindustrie.  gßl 

Schwefelsäure  allmäh lig  zufliessen  zu  lassen,  anstatt  diese  der  gesammten  Fett- 
masse auf  einmal  zuzusetzen.  Man  erzielt  dadurch  den  Vortheil,  dass  sich  die 
schweflige  Säure  nicht  plötzlich  und  massenhaft  entwickelt,  deshalb  auch  leichter 
abgeleitet  werden  kann. 

Ausserdem  ist  eine  grosse  Reinlichkeit  ganz  besonders  in  den  Stearinsäurefabriken 
erforderlich;  man  vermeide  soviel  als  möglich  das  Verschütten  der  Fettsäuren,  um 
den  Boden  rein  zu  erhalten;  durch  Bestreuen  des  Bodens  mit  Sägemehl  werden 
alle  fettige  Substanzen  am  schnellsten  und  sichersten  absörbirt.  • 

Beim  Pressen  sorge  mau  ganz  besonders  für  eine  sorgfältige  Ansammlung  der 
Flüssigkeiten  und  leite  dieselben  sofort  durch  Rinnen  resp.  Röhren  in  einen  zweck- 
mässig, am  besten  unterirdisch  gelegenen  Raum. 

Glycerinindustrie  (S.  478—481). 
1)    Annal.  d.  Chemie  u.  Pharm.,  59.  Bd.  p.  260. 

Nitroglycerinindustrie  (S.  481—490). 

1)  Dingler's  Journ.,  202.  Bd.  p.  540. 

2)  Berl.  klin.  Wochenschr.  No.  24  1865. 

Es  ist  jetzt  ausser  Frage  gestellt,  dass  unter  den  im  Grossen  dargestellten 
Präparaten  neben  dem  Trinitroproducte  auch  Mono-  und  Binitroglycerin 
vorkommen.  Trinitroglycerin  C3H5(ON02)3  verlangt  18,5  %  Stickstoff, 
während  uuter  deu  im  Handel  vorkommenden  Sprengölen  der  Stickstoffgehalt 
zwischen  13,7$  und  16,6%  schwankt.  Beckerheim:  Mittheilungen  über  Gegen- 
stände des  Artill.-  u.  Geniewesens,  Wien  1871.    Wagner's  Jahresber.  1875,  p.  530. 

3)  Die  von  Schuchardt  in  der  Zeitschr.  f.  prakt.  Heilkunde  (1866,  1.  Heft,  S.  41) 
veröffentlichte  Mittheilung  rührt  eigentlich  von  Ivar  Onsum  (Nork  Magaz.  1865, 
Heft  D  her,  der  auf  Demme's  Beobachtung  hinweist,  cf.  Husemann  in  Schmidts 
Jahrb.'  1867,  No.  6,  S.  344. 

4)  Das  Nähere  über  diese  Fabrications-Methode  findet  sich  in  Dingler's  polyt.  Journ., 
208.  Bd.  p.  184.     Chem.  Centralbl.  1873,  p.  494. 

5)  Capitaine  (Dingler's  Journ.,  206.  Bd.  p.  34)  lieferte  eine  ausführliche  Schilderung 
der  Dynamit-Fabrication. 

Bender:  Geschichte  und  Anwendung  der  Dynamite  im  Arch.  d.  Pharmac,  3.  Hft. 
p.  506,  1875. 

6)  Schweiz,  polyt.  Zeitschr.,  Bd.  XIV.  p.  89,  1869. 

Dynamit  hat  eine  sehr  verschiedene  Zusammensetzung  und  kommt  daher  immer 
mehr  unter  verschiedenen  Namen  vor.  Balistit  besteht  aus  Nitroglycerin,  Salpeter, 
Kleie  und  Ziegelmehl;  statt  der  Infusorienerde  nimmt  man  auch  Kandanit 
(Kieselerdehydrat).  Auch  enthält  Dynamit  häufig  noch  einen  Zusatz  von  Schwer- 
spath  neben  Kohlenpulver.  Neuerdings  setzt  man  noch  Paraffin  oder  Naph- 
talin  zu,  um  das  Gemisch  weniger  hygroskopisch  zu  machen.  Auch  Kalium- 
chlor at  fehlt  nicht  in  einzelnen  Compositionen,  während  eine  unter  dem  Namen 
Lignose  in  den  Handel  gebrachte  Verbindung  wahrscheinlich  aus  Holzfaser  und 
Nitroglycerin  besteht:  sie  soll  den  Vortheil  haben,  dass  sie  durch  Berührung  mit 
offenem  Feuer  nicht,  durch  Reibung  oder  Schlag  aber  nur  schwer  explodirt. 

Noch  ist  zu  erwähnen,  dass  eine  Lösung  von  Natriumsulfhydrat  nach 
BÖttger  in  der  Siedhitze  ein  gutes  Lösungsmittel  für  Trinitrocellulose  ist. 

7)  v.  Meyer:  Die  Explosivkörper  u.  s.  w.,  p.  69. 
Mahler,  J.:  Die  moderne  Sprengtechnik,  Wien  1873. 

Trauzl,  Isidor:  Dynamite,  ihre  ökonomische  Bedeutung  u.  Gefährlichkeit.    Wien, 

Lehmann  &  WTentzel. 

Holmes:  Ueber  Torpedo-Minen  in  Dingler's  Journ.  CCA.V.  p.  2o9. 

Traubenzuckerindustrie  (S.  491—493). 

Bei  dem  grossartigen  Verbrauche  von  Traubenzucker  ist  der  Nachweis  des- 
selben in  Weinen  besonders  wichtig,  da  bekanntlich  Weine  vorzugsweise  mit 
Traubenzucker  gallisirt  werden.  Neubauer  (Berichte  der  Deutschen  ehem. 
Gesellsch.  1875,  p.  285)  fand,  dass  lOprocentige  Lösungen  von  Traubenzucker  des 
Handels,  welche  18  *  Wasser  enthielten,  eine  stärkere  Rechtsdrehung  der  Pola- 
risationsebene zeigten  als  Lösungen  von  reinem,  trocknem  Traubenzucker.  Diese 
Substanz  ist  kein  Dextrin,  sondern  ein  zwischen  Dextrin  und  Zucker  liegendes 
Zwischenglied,  welches  der  Gährung  widersteht.  Man  erhält  dies  Präparat  durch 
Vergährenlassen  einer  lOprocentigen  Lösung  von  Traubenzucker  unter  Zusatz  von 
Hefe:  nach  der  Filtration  und  Abdampfung    bleibt  ein  brauner  Syrup  von  wider- 


862  Rübenzuckerindustrie. 

lichem  Geschmack  zurück,  welcher  sich  durch  die  starke  Rechtsdrehung  aus- 
zeichnet. 

Im  Traubenmost  ist  der  Zucker  theils  als  Dextrose,  theils  als  Levulose 
enthalten;  letztere  zeichnet  sich  durch  ein  stärkeres  Moleculardrehungsvermögen 
nach  links  aus. 

Nach  der  Vergährung  der  Traubenmoste  resultirt  ein  Wein,  dessen  Drehungsver- 
mögen nahezu  0  ist  oder  höchstens  +0,1  bis  0,3°  rechts  beträgt,  während  der  er- 
wähnte Traubenzuckersyrup  eine  Rechtsdrehung  von +8,4°  besitzt.  Edle  Aus- 
leseweine lenkten  die  Polarisationsebene  um  — 2,4  bis  7°  nach  links  ab. 

Der  aus  Rohrzucker  erhaltene  Invertzucker,  der  mit  dem  im  Traubensafte 
enthaltenen  Zucker  identisch  ist,  polarisirt  zwar  auch  links,  derselbe  wird  aber 
wegen  seines  höhern  Preises  selten  zum  Gallisiren  benutzt;  man  kann  daher  mit 
höchster  Wahrscheinlichkeit  behaupten,  dass  rechts  polarisirende  Weine  unbedingt 
verdächtig  sind.  Wenn  aber  ein  theurer  Wein  links  polarisirt,  so  ist  dabei  nicht 
ausgeschlossen,  dass  demselben  durch  Hefe  invertirter  Rohrzucker  beigemengt  ist, 
worauf  Wartha  nachträglich  aufmerksam  gemacht  hat  (Ber.  der  Deutsch,  ehem. 
Gesellsch.  1875,  1515). 

Rübenzuckerindustrie  (S.  494—508). 

1)  Fühling:  Der  praktische  Rübenbauer.     Bonn  1860. 

2)  Swift  in  New-York.  Journ.  of  med.,  Vol.  II.  1854. 

3)  L  er  ick,  Americ.  Journ.  of  med.  scienc,  Jan.  1859. 

4)  Walkhoff,  Louis:  Der  praktische  Runkelrübenfabricant  u.  Raffinadeur.  2.  Thl. 
4.  Aufl.     Braunschw.  1872. 

Stammer,  K. :  Lehrbuch  der  Zuckerfabrication.    Braunschweig  1874. 
—     Die  Zuckerfabrication.     3.  Thl.  von  Birnbaum's  Lehrb.  der  rationell.  Praxis 
der  landwirthschaftl.  Gewerbe.     7.  Aufl.  von  Dr.  F.  Jul.  Otto's  Lehrb.  der  land- 
wirthschaftl.  Gewerbe.    Braunschweig  1875. 

Für  die  Saftgewinnung  und  das  Scheidungsverfahren  gibt  es  sehr  verschiedene 
Methoden;  stets  bleibt  aber  ein  Schlamm  zurück,  welcher  noch  Saft  enthält  und 
daher  noch  zu  verwerthen  ist.  Früher  füllte  man  ihn  in  Beutel  und  brachte  diese 
in  die  hydraulische  Presse,  jetzt  benutzt  man  allgemein  die  Filterpresse  hierzu, 
welche  ursprünglich  in  England  zur  Entwässerung  des  Thons  in  Porcellanfabriken 
gebräuchlich  war.  Die  verschiedenen  Arten  derselben  stimmen  darin  überein,  dass 
man  in  schmalen  Kasten  filtrirende  Flächen  anbringt.  Man  versieht  z.  B.  die 
massive  Kastenwand  mit  Cannelirungen  und  belegt  diese  mit  einem  durchlöcherten 
und  mit  Leinwand  überzogenen  Blech;  der  ausgepresste  Saft  fliesst  dann  in  den 
Cannelirungen  herab  und  an  einem  verschliessbaren  Hahn  aus  dem  Kasten.  Man 
hat  auch  in  die  Cannelirung  der  einen  Seite  des  Kastens  Wasser  unter  starkem 
Drucke  gebracht,  um  ein  Auswaschen  des  Schlammes  zu  bewirken.  Dieses  Ver- 
fahren hat  jedoch  keinen  Beifall  gefunden,  nach  unserer  Erfahrung  in  einem  con- 
creten  Falle  auch  eine  Explosion  des  ganzen  Apparats  erzeugt. 

5)  Wolff  in  der  Vierteljahrsschr.  f.  gerichtl.  Medicin,  19.  Bd.  1873. 

Ueber  die  Menge  von  Schwefelwasserstoff,  die  sich  aus  den  organischen  Orga- 
nismen entwickelt,  vergl.  man  Polytechn.  Notizbl.  22,  175.  Man  kann  oft  in  den 
Wasserläufen  eine  dicke  schwarze  Schicht  Schwefeleisen  und  unter  dieser  einen 
weissen  Schwefelüberzug  beobachten,  cf.  Kuntz  in  der  Vierteljahrsschr.  f.  ger. 
Media,  9.  Bd.,  S.  185,  1868. 

6)  Göppertim  Jahresber.  der  schles.  Gesellsch.  f.  vaterl    Cultur  1852,  p.  60. 

7)  Man  muss  folgende  Abfall  was  ser  unterscheiden:  Die  Condensationswässer 
enthalten  Spuren  von  Ammoniak  und  Zucker,  haben  beim  Verlassen  der  Fabrik 
eine  Temperatur  von  40—50°  C.  und  kühlen  sich  beim  Durchgange  durch  die 
Canäle  meist  auf  10—15°  ab.  Man  sollte  sie  zur  Speisung  von  Kesseln,  wie  es 
bisweilen  geschieht,  nicht  benutzen;  weit  besser  eignen  sie  sich  zum  Waschen  der 
Knochenkohle.  Man  kann  sie  zu  diesem  Zwecke  über  flache  Bühnen  oder  über 
kaskadenartige  Gerüste  wie  bei  Gradirwerken  laufen  lassen,  was  auch  dann  vor- 
zuziehen ist,  wenn  sie  direct  in  kleinere  Wasserströme  abgelassen  werden. 

Ueber  das  Quantum  Wasser,  welches  Zuckerfabriken  nöthig  haben,  kann  man 
sich  einen  Begriff  machen,  wenn  man  bedenkt,  dass  eine  Zuckerfabrik  von 
massigem  Betriebe  wenigstens  70  Liter  Wasser  für  die  Minute,  8400  Liter  für  den 
Arbeitstag  von  20  Stunden  und  12  Millionen  600,000  Liter  für  150  Tage  oder  eine 
ömonatliche  Campagne  verwenden  muss.  D«r  vierte  Theil  dieses  Wassers  wird 
in  Dampfform  in  die  Luft  getrieben  und  Dreiviertel  meist  den  Wasserläufen  wieder 
zugeführt.  Die  Dampfheizung  der  Läuterungskessel  und  der  Verdampfungsapparate 
(S.  496)  liefert  das  Condensationswässer,  welches  frei  abttiessen  kann,  wenn 
dessen  Temperatur  den  localen  Verhältnissen  entsprechend  geregelt  wird. 


Rübenzuckerindustrie  863 

Die  Rübenwaschwässer  enthalten  Schmutz,  erdige  Bestandteile  u.  s.  w.  und 
sind  daher  an  und  für  sich  nicht  gährungsfähig.  Man  reinigt  sie  am  besten  durch 
Absetzenlassen  in  besondern  Bassins  und  hält  durch  ein  Gitterwerk  beim 
Ablassen  derselben  den  Schlamm  u.  s.  w.  zurück.  Man  muss  den  Grundsatz  fest- 
halten, dass  ein  systemloses  Vermischen  der  verschiedenen  Abfallwässer  zu  den 
grdssten  Schwierigkeiten  führt:  je  sorgfältiger  man  die  einzelnen  Abfallwässer 
einer  besondern  und  getrennten  Behandlung  unterwirft,  desto  eher  gelangt  man  zu 
einem  befriedigenden  Ergebnisse. 

Sehr  beachtungswerth  sind  die  Presstuchwässer  wegen  ihres  Gehalts  an 
organischen  Substanzen  (Stärkemehl,  Eiweiss)  und  geben  in  stehenden  Wässern 
daher  am  ehesten  zur  Entstehung  von  Leptomitus  lacteus  Veranlassung. 

Diese  Wässer  durch  chemische  Agentien  zu  reinigen,  ist  sehr  schwierig:  es  hat 
auch  das  Süvern'sche  Verfahren  nicht  der  Erwartung  entsprochen,  weil  es  nicht 
alle  organischen  Bestandteile  zurückhält  und  daher  auch  den  Eintritt  der  Gährung 
nicht  verhütet,  wenn  die  Wässer  nicht  in  Wasserläufe  mit  ausreichender  Strömung 
abgelassen  werden  können.  Der  Erdboden  würde  auch  hier  das  beste  Absorptions- 
mittel liefern,  wenn  die  Fabrik  über  das  geeignete  Terrain  gebieten  kann.  Man 
hat  bei  der  Berieselung  auch  schon  die  Erfahrung  gemacht,  dass  sich  besonders 
die  Bebauung  mit  kräftigen  Gewächsen,  z.  B.  mit  Mais,  empfiehlt  und  sollte  man 
nie  unterlassen,  die  Versuche  in  dieser  Richtung  fortzusetzen,  um  wenigstens  die 
Presstuchwässer  in  dieser  Weise  zu  benutzen. 

Am  meisten  Schwierigkeiten  bieten  die  Sauerwässer,  d.  h.  die  bei  der 
Regenerirung  der  Klärkohle  entstehenden  Abfallwässer  dar,  da  sie  noch  Salzsäure 
und  alle  stickstoffhaltigen  organischen  Stoffe  der  Rübe  enthalten,  welche  durch 
die  Knochenkohle  abgeschieden  und  dieser  durch  Gährung  wieder  entzogen  sind. 
Diese  Wässer  befinden  sich  noch  in  Gährung,  entwickeln  sehr  unangenehme  Dünste 
und  vermögen  fliessendes  Wasser  auf  weite  Strecken  hin  zu  verderben.  Beim 
Mangel  eines  hinreichend  grossen  Wasserlaufes  hat  man  sie  auf  verschiedene  Weise 
zu  beseitigen  gesucht.  In  Gegenden,  wo  Braunkohle  als  Brennmaterial  dient, 
hat  man  diese  mit  den  Sauerwässern  benetzt,  um  sie  durch  Verbrennen  zu  ver- 
nichten. Dieses  Mittel  wird  aber  höchstens  in  kleinern  Fabriken  ausreichen;  wo 
es  zur  Verwendung  gekommen  ist,  soll  es  sich  bewährt  haben. 

Man  hat  auch  die  AT  er  sumpf  ung  der  Sauerwässer  auf  Ackerflächen  oder 
in  Gruben  vorgeschlagen.  Dieselben  auf  diese  Weise  sich  selbst  zu  überlassen  und 
nur  den  sich  absetzenden  Schlamm  als  Dünger  abzufahren,  würde  nur  dort  unbe- 
denklich sein,  wo  sich  in  der  Nähe  keine  Brunnen  und  Wohnungen  befinden;  je 
grösser  eine  solche  Fläche  ist,  desto  eher  vermag  sie  die  Salubrität  einer  Gegend 
zu  gefährden,  denn  zum  wenigsten  würde  sie  Zustände  herbeiführen,  welche  m  den 
mit  Flachs-Rotten  versehenen  Gegenden  vorkommen. 

Wo  Braunkohlenfeuerung  eingeführt  ist,  hat  man  auch  die  Wässer  mit  der 
Braunkohlenasche  der  Kohlenfeuerung  einzudicken  gesucht,  um  zunächst  die  etwa 
vorherrschende  Säure  zu  neutralisiren  und  auf  diese  Weise  aus  der  Mischung  der 
Asche  mit  den  organischen  Substanzen  einen  guten  Dünger  zu  erhalten. 

Gute  Erfolge  würde  die  Ableitung  des  versickerten  Wassers  mittels 
Drainage  versprechen,  da  es  auf  diese  Weise  wenigstens  von  so  klarer  Be- 
schaffenheit aufgefangen  werden  kann,  dass  es  sich  für  die  Fabrik  wieder  ver- 
wevthen  lässt.  Für  alle  Fälle,  in  welchen  es  an  Land  für  die  systematische  Be- 
rieselung fehlt,  würde  diese  Methode  am  ehesten  in's  Auge  zu  fassen  sein. 

Man  sieht  hieraus  deutlich,  wie  sehr  es  auf  die  örtlichen  Verhältnisse  ankommt, 
welche  Methode  ausführbar  und  empfehlenswert!!  erscheint. 

Das  Verfahren  bei  der  Regenerirung  der  Knochenkohle  mag  noeh  so  ver- 
schieden sein,  die  betreffenden  Abfallwässer  werden  stets  sehr  reich  an  organischen 
Stoffen  sein. 


Stc 

I.  1870) 

273,  loc.  eod. 

Stärkefabrication  (S.  509—515). 

Einen  Einfluss  auf  die  Fischzucht  können  die  Abfallwässer  nur  haben  wenn  sie 
in  Teichen  oder  kleinen  Seen  in  Fäulniss  übergehen.  Ohne  Nachtheil  blieben  die 
Wässer,  welche  durch  einen  1  Kilometer  langen  Graben  m  einen  20  Morgen  grossen 
See  geleitet  wurden.  In  einem  andern  Falle  wurden  die  Abfallwasser  durch  einen 
Graben  von  630  Meter  Länge  und  2  Meter  Breite  in  ein  10  Quadratruthen  weites, 
abgeschlossenes  Wasserbassin  abgelassen.  Der  im  Graben  sich  absetzende  bcnlamm 
konnte   zur   Düngung    benutzt   werden;    in   der  Nähe  machte  sich   aber   ein  übler 


864  Bierbrauerei. 

Geruch  bemerkbar.  Eine  andere  Fabrik  leitete  die  "Wässer  in  einen  Mühlenteich; 
der  mit  abgeführte  Schaum  machte  räch  noch  eine  halbe  Meile  bemerkbar,  während 
sich  an  den  öfern  des  Baches  Leptomitus  lactens  entwickelt  hatte,  ein  Beweis, 
dass  man  diesen  Abfallwässern  alle  Sorgfalt  zuzuwenden  hat. 

Unzuträglichkeiten   entstehen   dadurch,   dass  die   Bereitung  der  Kartoffel- 
stärke im   §  16  der  Gewerbe- Ordnung  vom  21.  Juni   1869  ausgeschlossen  i-t  und 
daher  keiner  besondern  Concession  bedarf. 
Die  Abfallwasser  der  Stärkefabriken  eignen  sich  vorzugsweise  zur  Berieselung. 

Bierbrauerei  (S.  517—529). 

ll  Flinzer  in  der  Vierteljahrsschr.   f.  gerichÜ.   Medic,  7.  Bd.  p.  122,    1867,   8.  Bd. 
p.  356,  1868. 

_' i   Stein  in  der  Zeitschr.  f.  Medic,   Chir.  u.  Geburtsh.   von  Küchenmeister  u.  Ploss, 
Leipz.  1865,  IV.  Bd.  p.  133. 

3)  Dingler's  Journ..  Bd.  CCVII,  p.  511. 

4)  Nessle r  im  polytechn.  NotizbL,  29.  Bd.  p.  56. 

5)  DubL  Journ.,  Nov.,  p.  353,  18 

61   Zeitschr.  f.  prakt    Medic,  3.  Reihe,  11.  p.  30. 

Ti    Ripping,  eod.  loc.  XXUX  p.  133,   1864.    Deutsche  Klinik  No.38,  1? 

iich.  !.  Heilt,  VI.  p.92,  1864. 
'.'i   Förster,  Spec.  path.  Anat  1854  p. 
lOJ   Virchow's  Arch.,  EX.  18 
111   Annal.  d.  Charite,  X.   1862. 
121   Virchow's  Arch.,  XXII.  p.  411. 

131    Höche  in  Vierteljahrsschr.  f.  ger.  Medic,  XL  Bd.  p.  140  1869. 
Dieffeuba.li.  eod.  b.c.  XXI.  Bd.  1875,  p.  182. 

Mair,  A  :  Das  Bier  und  dessen  Untersuchungen  auf  Gehalt  und  Fälschungen. 
München   1864 

Wittstein:  Beiträge  zur  Untersuchung  der  Biere.  Arch.  d.  Pharmac.  1875,  VI. 
]■.  25.     Chem.  Centralbl.  1875,  p.  754. 

Die  sog.  Biercouleur  wird  durch  Brennen  des  Trauben-  oder  Kartoffelstärke- 
zuckers bereitet. 

Paste ur's  Bieres  de  la  revanche  nationale   sind  noch  als  Zeichen  der  Zeit  zu  er- 
wähnen :  sie  werden  durch  Gährung  bereitet,  die  bei  völligem  Abschluss  der  Luft 
vor  sich  gehen  soll. 
14i    Arneric  Journ.  of  med.  scienc,  Jan.  1859.    Virchöw-Hirsch's  Jahresber.  von  1874, 

1.  Th.,  p. 
15)   Röber  im  Arch.  f.  Anat.  u.  PhysioL,  I.Heft  1869. 

Köhler:  Toxikol.  Studien  über'Pikrotoxin.  Berl.  klin.  Wochenschr.  No.  47,  1867. 
Blas:  Sur  la  recherche  de  la  pikrotoxine  dans  la  biere.  Journ.  de  chim.  med.  VI. 
p.  396,  1870.    Jahresber.  1871,  L,  ]  . 

Depaire:  Rapport  sur  l'emploi  de  la  coque  du  Levant  dans  la  fabrication  de  la 
biere.  Bullet,  de  l'Acad.  de  med.  de  Belgique  No.  10,  p.  889.  Jahresber.  1868, 
I..  p  458. 
Der  Gebrauch  der  Kokkelskörner  in  der  Bierbrauerei  soll  Malz  und  Hopfen 
sparen;  auch  soll  sich  das  Bier  besser  halten  und  nicht  so  leicht  gähren.  Ihre 
Verwendung  sollte  aber  yiolizeilicherseits  verboten  werden. 

Ein  neuer  Bitterstoff  ist  aus  Amerika  unter  dem  Namen  Chiretta  eingeführt 
worden,  der  von  Ophelia  Chirayta  abstammt.  Als  Absinthin  kommt  ein  Prä- 
parat aus  Wermuth  im  Handel  vor. 

Die  Thatsache  ist  bekannt,  dass  das  Hopfenbitter  aus  seinen  Lösungen  durch 
basisch  essigsaures  Blei  grösstenteils  gefällt  wird.  Ein  Bier,  welches  nach 
einer  solchen  Behandlung  noch  bitter  schmeckt,  muss  somit  Bitterstoffe  enthalten, 
die  nicht  vom  Hopfen  herstammen.  Ausführlich  handelt  hierüber  Siegfried 
in  Büchner'»  Repert.  1875,  "24.  Bd.,  p.  412. 

Bei  der  Untersuchung  der  Biere  ist  stets  die  Menge  der  in  der  Asche  des  Bier- 
rückstandes enthaltenen  Phosphorsäure  von  ganz  besondei-er  Wichtigkeit,  da 
sie  allein  Aufschluss  über  die  Substituirung  von  Melasse  an  Steile  von  Malz  ge- 
währt, wenn  nicht  die  Phosphate  etwa  nachträglich  hinzugesetzt  worden  sind.  In 
dieser  Richtung  untersuchte  Goppelsröder  mehrere  Baseler  Biere  (Dingler's 
polytechn.  Journ.,  "207.  Bd.  p.  32S,     Chem.  Centralbl.  1875,  p.  679). 

Schiessbaum  wolle  (S.  530 — 533). 
1)  Journ.  f.  prakt.  Chemie,  91.  Bd.  p.  129.     Wagner's  Jahresber.  1874,  p.  434. 


Baumwollindustrie.  gß5 

Papier-  und  Tapetenfabrication   (S.  533—543). 

1)  Weber,  Rud.:  Die  Papierindustrie.  Elfte  Gruppe  des  amtl.  Ber.  über  die  Wiener 
Ausstellung  1873.     Braunschw.  1874. 

Den  Holzstoff  hat  man  bei  feinen  Concept-  und  Druckpapieren  schon  bis  zu 
75 1,  bei  feinen  Kanzlei-  und  Briefpapieren  bis  zu  50^;  zugesetzt,  obgleich  er  im 
Allgemeinen  mehr  für  Zeitungspapier  benutzt  -wird. 

Espartogras  wird  in  England  benutzt;  auch  aus  der  Brennessel,  Maulbeer- 
baumrinde und  dem  Kartoffelkraut  hat  man  geringere  Papiersorten  dargestellt. 

2)  Man  vergl.  die  Darstellung  der  Pottasche  aus  den  Abfallwässern  der  Tuch- 
fabriken. 

Die  alkalischen  Laugen  bei  der  Papierbreidarstellung  lassen  sich  behufs 
Wiedergewinnung  der  Alkalien  eindampfen  und  glühen.  Da  das  Holz-  und  Stroh- 
zeug immer  häufiger  benutzt  wird,  so  sind  die  meisten  Abfallwässer  auch 
reich  an  organischen  Stoffen;  man  kann  sie  daher  auch  als  Dungmittel  oder  selbst 
zur  Darstellung  von  Leuchtgas  benutzen  (s.  die  Ber.  der  Deutsch,  ehem.  Gesellsch 
1872  p.  543  u.  652,  1873  p.  762  u.  1422,  1875  p.  273). 

3)  In  manchen  Papier-  und  Tapetenfabriken  wird  der  thierische  Leim  dargestellt, 
was  wohl  zu  beachten  ist,  da  aus  dieser  Fabrication  vielfache  Belästigungen  ent- 
stehen können. 

4)  Die  Verwendung  des  Pergamentpapiers  ist  sehr  vielseitig:  namentlich  kann  es  auch 
die  Därme  ersetzen  und  bei  der  Wurstbereitung  gebraucht  werden.  Da  es  sich 
mit  Anilinfarben  färben  lässt,  so  wird  es  zu  den  mannigfaltigsten  Buchbinder- 
arbeiten benutzt. 

5)  Auch  die  Metallpapiere  sind  noch  zu  erwähnen;  sie  sind  mit  dünnen  Metall- 
blättern belegte  Papiere  und  stellen  einen  besondern  Industriezweig  dar,  der  be- 
sonders in  München  und  Augsburg  vertreten  ist;  sie  werden  vorzugsweise  zu 
Decorationen  benutzt. 

6)  Die  sogen.  Papierwäsche  stellt  Imitationen  von  Gegenständen  aus  Zeugstoffen 
dar  und  hat  bereits  grosse  Verbreitung  gefunden;  namentlich  zeichnen  sich  die 
aus  Papier  dargestellten  Gardinen  durch  grosse  Schönheit  aus.  Die  Berliner 
A.  &  C.  Kaufmann'sche  Fabrik  leistet  in  diesem  Zweige  Ausserordentliches.  In 
sanitärer  Beziehung  ist  hier  Alles,  was  bei  den  Farben  und  beim  Zeugdruck 
zur  Sprache  kommt,  zu  berücksichtigen,     conf.  S.  711  No.  22. 

Baumwollindustrie  (S.  543—550). 

1)  Grothe,  Herrn.:  Technologie  der  Gespinnstfasern.  Vollständiges  Handbuch  der 
Spinnerei,  Wirkerei  und  Appretur.  2  Thle.  Berlin  1875. 

2)  Lohren,  A.:  Die  Kämm-Maschine  für  Wolle,  Baumwolle,  Flachs  und  Seide.  Mit 
einem  Atlas  in  Fol.     Stuttgart  1875. 

3)  Um  das  Austrocknen  des  Garns  zu  verhüten,  waren  die  Weber  früher  genöthigt, 
die  Arbeitsräume  verschlossen  zu  halten;  es  sammelte  sich  daher  stets  eine 
schlechte  Luft  an,  die  um  so  schädlicher  einwirkte,  wenn  die  Schlichte  in  Gährung 
überging. 

4)  Wunde  Stellen  an  den  Händen  werden  durch  eine  Bleiessiglösung  ganz  bedeutend 
verschlimmert. 

5)  Enquete  sur  le  travail  et  la  condition  physique  et  morale  des  ouvriers  empl.  dans 
les  manufactures  de  coton  ä  Gand.    Gand  1845. 

6)  Coetsemin  Annal.  de  Med.  belg.,  Juillet  1836. 

Es  kommt  auch  sehr  auf  die  Beschaffenheit  der  Baumwolle  an,  die  verarbeitet 
wird.  Den  schlimmsten  Ruf  geniesst  in  dieser  Beziehung  die  ostindische 
Baumwolle,  die  in  Fabriken  im  Elsass  und  in  der  Rheinprovinz,  _  vorzugsweise  aber 
auch  in  der  Schweiz  vorkommt.  Die  ägyptische  und  amerikanische  Baum- 
wolle hat  mehr  lange  und  weiche  Fasern  und  erzeugt  einen  weniger  unangenehmen 
Staub.  Am  belästigendsten  ist  der  Staub  stets  bei  der  Reinigungsmaschine, 
während  er  bei  der  Krämpelmaschine,  bei  dem  sogen.  Cardiren,  in  weit 
gerin  germ  Grade  auftritt. 

7)  Ueber  den  Einfluss  einiger  Industriezweige  auf  den  Gesundheitszustand.  Em  Bei- 
trag zur  öffentlichen  Gesundheitspflege  und  zur  Lösung  der  xlrbeiterlrage. 
Leipzig  1866. 

8)  Näheres  hierüber  findet  sich  in  Schuler:  Die  glarinerische  Baumwollindustneund 
ihr  Einfluss  auf  die  Gesundheit  der  Arbeiter.  Deutsche  Vierteljahrsscbr.  f.  offentl. 
Gesundheitspflege,  4.  Bd.  p.  90,  1872. 

Eulenberg,  Gewerbe-Hygiene.  00 


86(3  Leinenindustrie. 

Zu  den  die  Luft  verunreinigenden  Dämpfen  rechnet  Schuler  besonders  die  der 
Essigsäure,  welche  von  den  Beizen  (essigs.  Thonerde  und  holzessigs.  Eisen) 
herrühren.  Er  hält  sie  für  die  Ursachen  mancher  Hautleiden,  namentlich  der 
Ekzeme  und  mit  Recht  auch  mancher  Leiden  der  Respirationsorgane  (man  vergl. 
Schnellessigfabrication ). 

Die  Ab  fall  wässer  in  den  Baumwollfabriken  rühren  hauptsächlich  von  dem 
Entschlichten  und  Beuchen  her;  sie  sind  bei  weitem  nicht  so  reich  an  organischen 
Stoffen  wie  die  Abfallwässer  in  den  Wollfabiiken ,  obgleich  sie  in  der  Qualität 
ziemlich  übereinstimmen.  Durchschnittlich  sind  in  1  Liter  enthalten:  gelöst 
42,4  Mgrm.  organ.  Kohlenstoff,  2,99  Mgrm.  organ.  Stickstoff,  1,25  Mgrm.  Ammoniak, 
4,0  Mgrm.  Gesammt-Stickstoff,  48,6  Mgrm.  Chlor,  0.34  Mgrm.  Arsen;  suspendirt: 
190  Mgrm.  organ.  Stoffe.  Wegen  der  häufigen  Benutzung  von  arsensaurem 
Natrium  als  Beize  sind  die  Wässer  gegenwärtig  wegen  ihres  Arsengehaltes  be- 
sonders beachtungswerth. 

lieber  die  mechanischen  Schädlichkeiten  in  der  Textilindustrie  vgl.  man: 
Association  pour  prevenir  les  accidents  des  machines.  Compt.  rend.  de  la  premiere 
annee  1867— 1868.  Mulhouse  1868.  Die  Uebersetzung  dieses  Berichts  mit  den  Fort- 
setzungen finden  sich  in  den  Verhandlungen  des  Vereins  zur  Beförderung  des  Ge- 
werbeneisses  in  Preussen. 

Für  Schutzvorrichtungen  bei  den  verschiedenen  Walzen,  bei  den  Schlagmaschinen 
und  besonders  bei  den  Transmissionen  wird  in  Preusseu  Seitens  der  Fabrik- 
inspectoren  hinreichend  Sorge  getragen. 

Es  ist  selbstverständlich,  dass  Arbeiter,  die  bei  Maschinen  mit  schnellen  Um- 
drehungen beschäftigt  sind,  nur  eng  anschliessende  Kleider  tragen  müssen,  wie  die 
Mädchen  und  Frauen  sich  hüten  müssen,  mit  flatternden  Haaren  in  den  Bereich 
der  Maschinen  zu  kommen. 

Bei  den  Schützen  (Weber -Schiffchen)  der  Handwebestühle  kommt  es  vor,  dass 
dieselben  von  der  Schützenbahn  herab  in  die  Kette  laufen  oder  auch  den  Weber 
selbst  treffen.  Interessante  Untersuchungen  hierüber  und  die  Mittel  zur  Abhülfe 
hat  Karmarsch  (Mitth.  d.  Hannov.  Gewerbever.  1854,  1.  Heft.  Dingleris  Journ., 
153.  Bd.  1854,  S.  4171  geliefert. 

Dass  schon  die  Erschütterungen,  welche  durch  grössere  Maschinen  erzeugt 
werden,  namentlich  auf  das  weibliche  Arbeiterpersonal  nachtheilig  einwirken  sollen, 
ist  nicht  bewiesen. 

Sehr  zu  beachten  sind  die  Centrifugen,  bei  denen  Sicherheitsmassregeln  bei 
etwaigen  Zersprengungen  nothwendig  sind  (s.  S.  19). 

Leinenindustrie  (S.  550—553). 

1)  Hirt:  Die  Staubkrankheiten,  I.  p.  176. 

2)  Lancet  H.,  21.  Nov.  1874.     Schmidt's  Jahrb.  1875,  p.  133. 

Die  verschiedenen  Schmiermittel  stammen  meist  aus  den  Photogen-  und 
Petroleum-Fabriken  her.  Dass  sie  auch  die  Reinheit  der  Luft  in  vielfältiger  Be- 
ziehung schädigen,  ist  zweifellos;  Arbeiter,  welche  sich  mit  dem  Schmieren  be- 
schäftigen und  demgemäss  auch  von  Schmutz  und  Oel  zu  glänzen  pflegen,  ver- 
breiten schon  eine  Atmosphäre,  die  für  jeden  Andern  höchst  unangenehm  ist.  Nach 
der  Beschaffenheit  der  gebrauchten  Schmiermittel  ist  natürlich  auch  der  Geruch 
verschieden.  Das  Schmieröl,  welches  man  neuerdings  Vulcanöl  getauft  hat,  wird 
bei  der  Rectification  des  Photogens  gewonnen  und  eignet  sich  nur  für  schwere 
Maschinen,  die  weniger  in  engen  iabrikräumen  aufgestellt  sind.  Der  Geruch 
kann  daher  nicht  sehr  nachtheilig  einwirken. 

Was  die  Abfallwässer  betrifft,  so  ist  noch  zu  bemerken,  dass  die  Rott- 
wässer besonders  reich  an  Buttersäure  und  übelriechenden  Gasen  sind;  der 
Gehalt  an  Propion-  und  Essigsäure  ist  geringer.  Als  Dungmittel  in  Form 
der  Berieselung  finden  sie  die  beste  Verwendung,  da  namentlich  der  hohe  Gehalt 
der  Lein-  und  Hanffaser  an  Ei  weiss  Stoffen  eine  grosse  Menge  von  aufgelöstem 
Stickstoff  bedingt.  In  einem  Liter  Röstwasser  sollen  3872  Mgrm.  Buttersäure, 
6140  Mgrm.  gelöste  Stoffe  und  unter  diesen  663  Mgrm.  Stickstoff  vorkommen 
(s.  Dingler's  Journ.  1875,  Bd.  216,  p.  88). 

Ganz  ähnlich  verhalten  sich  auch  die  Wässer  beim  Nassspinnen  und  nament- 
lich die  Beuchwässer,  welche  eine  grosse  Tendenz  zur  Fäulniss  haben  und  auf  irgend 
eine  Weise  zu  verwerthen  sind,  wenn  man  keine  Gelegenheit  hat,  sie  in  grosse 
Wasserläufe  abzulassen.  Müssen  sie  aufgespeichert  werden,  so  ist  ihre  Versetzung 
mit  Kalk  in  erster  Linie  erforderlich. 


Wollindustrie.  867 


Wollindustrie  (S.  553—561). 

1)  Ueber  Wollfett  s.  Ernst  Schulze  und  Ulrich  im  Bericht  der  Deutschen  ehem. 
Gesellsch.  1874,  S.  570. 

Der  Wollschweiss  besteht  aus  den  Kaliseifen  der  Oel-  und  Stearinsäuren,  mit 
wenig  Essig-,  Baldrian-,  Phosphorsäure,  Ammoniumsalzen  u.  s.  w.  Die  Woll- 
schweissasche  enthält  hauptsächlich  Kaliumcarbonat.  Die  Rohwolle  kann 
über  20  %  Wollschweiss  und  ausser  Schmutz  noch  10—15  %  Wollfett  enthalten. 
Schon  bei  der  Schafwäsche  geht  ein  bedeutender  Dungwerth  verloren,  da  die  Ab- 
fallwässer reich  an  Stickstoffverbindungen  sind. 

2)  Edinb.  med.  Journ.,  June  1858. 

3)  Itard  und  Lecoup  haben  zuerst  auf  das  Verfahren,  die  Wolle  auf  chemischem 
Wege  zu  reinigen,  hingewiesen;  es  umfasst  1)  das  Einlegen  der  rohen  oder  ver- 
webten Wolle  in  Schwefelsäure  von  3 — 4°  B.,  2)  das  Ausschleudern  in  Centrifugen 
und  3)  das  Trocknen  bei  einer  Temperatur  von  100°. 

4)  Kraut  (Deutsche  Industriezeitung  1874  p.  308,  Wagner's  Jahresber.  1874,  p.  417) 
lässt  zur  Gewinnung  der  Wollschweisspottasche  die  Wolle  in  gewöhnlichen 
Wollmaschinen  mit  warmem  Wasser  waschen,  dem  Pottasche  zugesetzt  worden  ist. 
Die  Waschwässer  dampft  man  zur  Trockne  ein  und  erhitzt  sie  auf  dem  Herde 
eines  Flammenofens.  Der  Rückstand  enthält  die  zum  Waschen  verwendete  Pott- 
asche und  auch  das  in  der  Wolle  vorhanden  gewesene  Kali  zum  grössten  Theile 
in  Form  von  Pottasche. 

Daudenart  und  Verbert  (Wagner's  Jahresb.  p.  851, 1874)  wollen  die  Abfallwässer 
der  Wollwäschereien  mit  Aetzbarytlösung  präeipitiren ,  die  klare  Lösung  dann 
abdampfen  und  den  Rückstand  calciniren,  wobei  Pottasche  und  etwas  Chlorkalium 
erhalten  wird.  Das  erste  Präcipitat,  welches  die  Fettsäuren  enthält,  soll  mit  Salz- 
säure zu  ihrer  Abscheidung  behandelt  werden.  Die  Chlorbariumlösung  wird  mit 
Magnesiahydrat  versetzt  und  in  die  Mischung  Kohlensäure  so  lange  eingeleitet,  bis 
aller  Baryt  gefällt  ist.  Das  Bariumcarbonat  wird  mittels  Kohle  calcinirt  und 
in  Aetzbaryt  wieder  übergeführt. 

5)  Die  entwickelten  Ausführungen  sind  dem  Reisebericht  von  den  Prof.  Landolt  und 
Stahlschmidt  entnommen,  der  sich  in  den  Acten  des  Kgl.  Handelsministeriums 
befindet,  nachdem  die  Genannten  auf  Anlass  des  Herrn  Handelsministers  eine 
Rundreise  durch  die  bedeutendsten  Fabriken  von  Belgien  und  Rheinland  gemacht 
hatten.  Später  ist  die  Arbeit  in  den  Verhandlungen  des  Vereins  zur  Beförderung 
des  Gewerbefleisses  in  Preussen  (Jahrg.  1874,  p.  216}  erschienen.  M.  s.  auch  Polyt. 
Centralbl.  39,  371.  1875,  Chem/ Centralbl.,  p.  25,  1875,  Wagner's  Jahresber.  1874. 

6)  Chlorcalcium  kann  ebenso  gut  wie  Aetzkalk  benutzt  werden;  die  Auswahl 
richtet  sich  nach  den  localen  Verhältnissen. 

Die  Abfallwässer  vom  Walken  und  Spülen  der  Tuche  sind  gewöhnlich 
stark  gefärbt  und  eignen  sich  wegen  ihres  Gehaltes  an  Oel  aus  der  Spinnerei,  an 
Seife  u.  s.  w.  ganz  besonders  zu  der  Kalksaponification. 

Das  erwähnte,  zu  Aachen  stattfindende  Verfahren  hat  Schwamborn  in  Dmgleris 
Journ.  (Bd.  216,  p.  517,  1875)  genau  beschrieben.  Ein  Sammelbassin  von  150p.-C. 
Inhalt  ist  in  der  Regel  bei  einem  Verbrauche  von  1000  Kilogramm  Seife  binnen 
14  Tagen  gefüllt. 

Man  hat  berechnet,  dass  in  Europa  jährlich  etwa  500,000  Tonnen  (1  Tonne  ist 
=  1000  Kilogrm.)  verwalkt  werden,  die  etwa  100,000  Tonnen  Kalkseife,  einen  Werth 
von  18  Millionen  Mark,  ergeben  würden.  Man  vergl.  Fischer,  Ferdinand:  Die 
Verwerthung  der  städtischen  u.  Industrie-Abfallstoffe,  Leipzig  1875.  Hier  (S.  142) 
ist  auch  eine  genaue  Analyse  der  Wässer  nach  der  Schafwäsche,  der  Abfallwässer 
einer  Wollwäscherei,  Flanellwäsche,  Wolldecken fabrik  und  Teppichfabrik  mitgetheilt. 
Durchschnittlich  enthielten  die  Abfallwässer  aus  15  Wollfabriken  in  1  Lit.  647,8  Mgrm. 
organ.  Kohlenstoff,  103,8  Mgrm.  organ.  Stickstoff,  116,47 Mgrm.  Ammoniak,  0.4Mgrm. 
Stickstoff  als  Nitrat  und  Nitrit,  200,1  Mgrm.  Gesammt-Stickstoff,  219,4  Mgrm.  Chlor 
und  0,11  Mgrm.  Arsen  gelöst,  3724  Mgrm.  organ.  Stoffe  suspendirt. 

7)  Färbereien,  die  oft  stundenweit  von  einem  grossen  Flusse  entfernt  liegen,  sind 
nicht  selten  zur  Errichtung  von  sehr  langen  Canälen  genÖthigt.  Bisweilen  leitet 
man,  z.  B.  in  Basel,  die  Abfallwässer  erst  unterhalb  der  bewohnten  Stadtviertel  in 
den  Rhein  ein,  um  hierdurch  den  Bewohnern  derselben  die  ökonomische  Benutzung 
des  Wassers  nicht  zu  erschweren.  Man  rechnet  hierbei  auf  eine  sehr  rasche  Ver- 
theilung  der  Unreinigkeiten ,  so  dass  für  die  tiefer  gelegenen  Ortschaften  weniger 
Nachtheil  hierdurch  entsteht.  .  , 

Ueber  das  Genauere  bei  diesem  Verfahren  vergl.  man  Musterzeitung  JNo.  24  und 
Chem.  Centralbl.  No.  19  u.  20  1875. 

55* 


gßg  Beizen,  Druckerei  und  Färberei. 

Specielle  Anweisung  über  die  Technik  der  Tuchweberei  ertheilt: 
Stommel,  Cuno  :    Das  Ganze  der  Weberei  des  Tuch-  und  Buckskinfabricanten. 
Braunschweig  1876. 

Seidenindustrie  (S.  561-565). 

1)  Potton:  Recherches  et  observations  sur  le  mal  de  vers  ou  de  bassines  chez  les 
fileuses  de  cocons  de  vers  ä  soie.  (Annal.  d'hyg.  publ.  1853,  T.  49.) 
Melchior i:  La  Malattie  delle  mani  delle  trattore  da  seta  observata  in  Novi.  Annal. 
univers.  di  med.  Milano,  T.  160,  1857.  Wenn  dieser  Autor  das  Seifen  wasser 
als  Ursache  der  Handaffection  beschuldigt,  so  dürfte  ihm  hierin  nicht  beizustimmen 
sein;  ebensowenig  trägt  die  Beschaffenheit  der  Puppen  die  Schuld.  Seit  der  Be- 
nutzung der  Dampfkraft  sind  diese  Leiden  überhaupt  immer_  seltener  geworden. 

Man  vergl.  auch  Thouvenin:  De  l'influence  que  l'industrie  exerce  sur  la  sante 
des  professions  dans  les  grands  centres  manufacturiers  de  l'industrie  de  la  soie. 
(Annal.  d'hyg.  publ,  Juill.  1846).  Die  Schilderungen  der  frühern  Verhältnisse  der 
Seidenarbeiter  treffen  aber  gegenwältig  nicht  mehr  zu,  seitdem  auch  in  der  Seiden- 
indnstrie  die  betreffenden  Maschinen  vervollkommnet  sind  und  die  Arbeiter  von 
mannigfachen  nachtheiligen  Einflüssen  befreit  haben. 

Die  Abfallwässer  in  den  Seidenfabriken  sind,  wenn  man  die  Behandlung  der 
Cocons  berücksichtigt,  im  Allgemeinen  den  beim  Beuchen  der  Baumwolle  und 
Leinwand  vorkommenden  ähnlich,  enthalten  aber  kein  Chlor  aufgelöst,  sondern  haupt- 
sächlich organ.  Kohlenstoff  und  Stickstoff  neben  geringen  Mengen  von  Ammoniak. 
In  einem  Liter  befinden  sich  durchschnittlich  15  Mgrm.  organ.  Kohlenstoff,  1,5  Mgrm. 
organ.  Stickstoff  und  etwa  0,3  Mgrm.  Ammoniak;  je  mehr  sie  aber  nach  dem 
neuern  Verfahren  mit  Wasser  verdünnt  werden,  desto  geringere  Belästigung  ver- 
anlassen sie.  Der  sanitäre  Nachtheil  entsteht  hauptsächlich  dann,  wenn  man  die 
Waschwässer  sich  selbst  überlässt  und  einem  höchst  widrigen  Fäulnissprocesse 
preisgibt;  sehr  häufig  können  sie,  wenn  sie  nicht  zu  sehr  verdünnt  sind,  zu  einer 
Berieselung  der  Aecker  benutzt  werden. 

Wegen  Behandlung  der  Abfallwässer  der  Seidenfärbereien    s.  Färberei. 

2)  Egen°:  Ueber  Conditioniren.  Verhandl.  d.  Vereins  z.  Beförderung  d.  Gewerbefl.  in 
Preussen  1840,  2.,  3.  u.  6.  Lief. 

3)  Mit  der  Floretseide  verarbeitet  man  auch  abgetragene  seidene  Stoffe  oder  Lumpen, 
welche  nach  dem  bei  der  Kunstwolle  erwähnten  Verfahren  behandelt  werden, 
obgleich  diese  Fabrication  noch  nicht  die  Bedeutung  der  Shoddy  -  Manufactur  er- 
langt hat. 

4)  Picard:  De  l'Hygiene  des  ouvriers  employ.  dans  les  filatures.  (Annal.  d'hyg. 
publ.,  Oct.  1863,  p.  258.) 

5)  Schlesinger,  Robert:  Mikroskopische  Unters,  der  Gespinnstfaser  im  rohen  und 
gefärbten  Zustande.     Zürich  1873. 

6)  Blümlein:  Die  Sammet-  und  Seidenstoff-Weberei  in  ihrem  Einfluss  auf  den 
Körper  und  den  Geisteszustand  der  Weber.  Viertel)  ahrsschr.  f.  gerichtl.  Medicin, 
XV.  Bd.,  1.  u.  2.  Heft  1859. 

Beizen,  Druckerei  und  Färberei  (S.  565 — 569). 

1)   Spirk,  A.:  Praktisches  Handbuch  der  Färberei  und  Druckerei.     Berlin  1869. 
Schützenberger,  M.  P.:    Die  Farbstoffe,   insbesondere   deren   Berücksichtigung 
in  ihrer  Anwendung   in  der  Färberei   und  Druckerei.     Autoris.  deutsche  Ausgabe. 
Bearbeitet  von  Hermann  Schröder.     2  Thle.     Berlin  1869. 

Bezüglich  der  Abfallwässer,  die  speciell  der  Baumwoll-  und  Seidenfärberei 
angehören,  ist  noch  auf  den  Gehalt  an  Arsen-  und  Phosphorsäure  aufmerksam 
zu  machen. 

Es  empfiehlt  sich  hierbei  ein  Mischen  mit  Eisen-  und  Mangansalzen  mit 
darauf  folgender  Präcipitation  durch  Kalk.  Bei  einem  rationellen  Betriebe  kann 
man  auch  die  von  den  Indigoküpen  und  Chrombädern  herrührenden  Farb- 
fiüssigkeiten  verwerthen,  ehe  man  sie  abfliessen  lässt.  Das  Nähere  hierüber  findet 
sich  in  Dingler's  polyt.  Journ.  1836  Bd.  59,  p.  236,  1837  Bd.  65  p.  441,  1844  Bd.  91, 
p.  223:  in  den  Ber.  der  Deutschen  ehem.  Gesellsch.  1873,  1273.  Ueber^die  Ver- 
wendung der  benutzten  Farbhölzer  zur  Papierfabrication  ist  eod.  loc.  1872,  542  u. 
742  die  Rede 

conf.  Eulenberg:  Ueber  schädliche  rothe  Farben.     Preuss.  Vereinszeitung  No.  5 
u.  6,  1861. 


Gerberei.  ggcj 

Gerberei  (S.  570—579). 

1)  Reimer,  A.:  Studien  zur  wissenschaftl.  Begründung  der  Gerberei.  Dincler's  nolvt 
Journ,  205.  Bd.,  p.  143,  248,  357  u.  457.  °  F  '  ' 
Lietzmann:  Die  Herstellung  des  Leders  in  ihren  ehem.  u.  physikal.  Vonjän°-en 
Bonn  1870.  &     °     " 

Gegenwärtig  scheint  man  nach  dem  Vorschlage  von  Knapp  mehr  Gebrauch  von 
einer  Eisenoxydlösung  zu  machen,  deren  chemische  und  physikalische  Be- 
schaffenheit den  Gesetzen  entsprechen  soll,  welche  die  Umwandlung  der  Haut  in 
Leder  bedingen.  Das  damit  in  einem  Zeiträume  von  8  Tagen  hergestellte  Leder 
scheint  allen  Anforderungen  zu  entsprechen,  welche  man  an  ein  gutes  lohgares 
Leder  zu  stellen  berechtigt  ist. 

2)  Beangrand:  Etudes  sur  les  malad,  des  artisans.  Rech,  histor.  et  stat.  sur  les 
malad,  des  ouvriers,  qui  prepar.  les  peaux  en  gen.  et  sur  Celles  des  tanneurs  en 
partic.     Paris  1862. 

3)  Es  ist  nicht  hervorgehoben  worden,  mit  welchen  Arbeiten  sich  die  erkrankten 
Gerber  beschäftigt  haben;  am  ehesten  kann  die  Berührung  mit  Rhusma  solche 
Affectionen  veranlassen. 

Man  vergl.  noch  Ziurek:  Zur  Revision  der  Gerbereien  in  der  Vierteliahrsschr. 
f.  ger.  Med,  11.  Bd.  p.  175,  1869. 

Richter:  Ueber  den  Nachtheil  der  Gerbereien  auf  die  menschl.  Gesundheit,     loc. 
eod.  9.  Bd.  1856. 

4)  In  den  Schwitzkammern  können  die  Gerber  von  Schwindel  und  Ohnmacht  befallen 
werden,  Erscheinungen,  die  mehr  oder  weniger  auf  die  Wirkung  von  Schwefel- 
ammonium zu  beziehen  sind.  Aehnlichen  Emanationen  können  sich  die  Arbeiter 
aussetzen,  welche  sich  in  den  Gruben  beschäftigen;  man  sollte  daher  alle  Weich- 
kufen oder  Kalkäscher  niemals  in  geschlossenen  Räumen  unterbringen  und  stets 
dieselben  einige  Zeit  offen  stehen  lassen,  ehe  man  zur  Entleerung  ihres  Inhaltes 
schreitet. 

Bekanntlich  ist  die  Luft  überall,  wo  thierische  Substanzen  dem  Eäulnissprocesse 
unterliegen,  ozonarm  (s.  Leimbereitung);  in  Gerbereien  ist  dies  besonders  der  Fall. 
Welchen  Einfluss  dieser  Umstand  auf  die  menschliche  Gesundheit  ausübt,  ist  noch 
nicht  sieher  festgestellt:  jedenfalls  ist  hierbei  die  individuelle  Constitution  zu  be- 
rücksichtigen; Individuen  mit  reizbaren  RespirationsorganeD  mögen  sich  unter  solchen 
Verhältnissen  oft  wohl  befinden,  weshalb  Gerbereien  früher  in  dem  Rufe  standen, 
dass  sie  wohlthätig  auf  „Schwindsüchtige"  einwirkten.  Man  trifft  übrigens  nicht 
selten  auch  unter  Gerbern  Schwindsüchtige  an  und  bedarf  es  stets  der  genauesten 
Untersuchung,  um  den  Einfluss  des  Gewerbes  auf  die  verschiedenen  Constitutionen 
richtig  ermessen  zu  können. 

Kaum  sollte  man  glauben,  dass  auch  bei  Gerbern  Bleikoliken  vorkommen, 
und  doch  ist  dies  der  Fall,  wenn  z.  B.  Weissgerber  zur  Ausarbeitung  des 
Leders  Bleiweiss  (Kremser weiss)  gebrauchen,  oder  wenn  Handschuhmacher 
zu  ähnlichen  Zwecken  kieselsaure  Bittererde  benutzen,  die  oft  33  %  Bleiweiss 
enthalten  kann.  Auf  diese  Weise  können  bei  diesen  Gewerben  alle  Erscheinungen 
des  chronischen  Saturnismus  (Gesichts-  und  Gehörschwäche,  Anämie  und  Atrophie, 
Gelenkschmerzen  und  heftige  Koliken)  auftreten. 

Im  Kleingewerbe  werden  nicht  selten  loh-  und  weissgare  Leder  in  Räumen  ge- 
trocknet, die  auch  noch  zu  andern  Beschäftigungen  verwendet  werden;  es  können 
sich  dann  die  verschiedensten,  vom  Einfetten  u.  s.  w.  herrührenden  Ausdünstungen 
nachtheilig  geltend  machen.  In  sanitärer  Beziehung  sind  daher  in  Gerbereien  von 
allen  übrigen  Werkstätten  getrennte  Trockenstuben  von  grosser  Bedeutung.  So 
muss  auch  der  Boden  der  Werkstätten,  in  welchen  das  Reinigen  der  Häute  vor- 
genommen wird,  wasserdicht  resp.  asphaltirt  und  mit  einem  abschüssigen  Boden 
versehen  sein,  damit  alle  fauligen  Flüssigkeiten  rasch  zum  Abüuss  gelangen.  Zum 
Desinficiren  der  verschiedenen  Abfälle  lässt  sich  die  Süvern'sche  Flüssigkeit 
(10  Th.  gelöschter  Kalk,  1%  Th.  Theer,  1%  Th.  Chlormagnesium)  benutzen. 

5)  Je  strenger  die  bestehenden  Gesetze  über  die  bei  ansteckenden  Thierkrankheiten 
zu  ergreifenden  Massregeln  beachtet  werden,  je  weniger  sind  die  Gerber  den  Ge- 
fahren vor  übertragbaren  Thierkrankheiten  ausgesetzt ;  schon  die  frühzeitige  Be- 
handlung der  Thierhäute  durch  Einweichen  und  Kalken   vermindert  diese  Gefahr. 

Conserviren  der  thierischen  Häute  (S.  578 — 579). 

In  neuerer  Zeit  hat  man  statt  der  Carbolsäure  die  rohe  Salicylsäure  benutzt, 
um  mit  derselben  die  Fleischseite  der  Häute  zu  behandeln.  Die  Häute  sollen 
dadurch  gleichsam  gegerbt  werden:  sicher  wird  auf  diese  Weise  der  Fäulnissprocess 
aufgehalten  und  der  widrige  Geruch  vermieden. 


70  Thierische  Abfälle. 

Das  Haar  (S.  579—580). 
1)   Hitzig,  Eduard:  Studien  über  Bleivergiftung,  Berlin  1868,  p.  31. 

Das  Hutmacher-Gewerbe  (S.  580—581). 

1)  Lewy:  Die  Gewerbekrankheiten  der  Hutmacher.  Wiener  Wochenschr.  No.  25,  1869. 
Hillairet:  Note  sur  un  nouveau  moyen  de  preparer  sans  mercure  les  poils  de 
lievre  et  de  lapin  destines  ä  la  fabrication  des  chapeaux  de  feutre:  extraits  d'un 
memoire  sur  l'intoxication  mercurielle  professionelle.  Rapport.  Bullet,  de  l'acad. 
de  med.  No.  38,  p.  1082.     Jahresber.  I.  p.  479,  1872. 

Federn  (S.  582— 583). 

1)  Petruschky:  Ueber  Desinfectionsanstalten.  Militairärztl.  Zeitung,  3.  Heft  1873, 
Vierteljahrsschr.  f.  ger.  Med.,  XIX.  Bd.  1873,  p.  200.  Die  beschriebenen  Einrich- 
tungen haben  sich  sehr  gut  bewährt  und  sind  besonders  da  angebracht,  wo  es 
sich  darum  handelt,  den  ganzen  Körper  zu  reinigen  und  zu  desinficiren,  sowie  die 
einzigen  Kleider  der  Betreffenden  zu  desinficiren.  Es  wurden  zu  diesem 
Zwecke  Wasser-Brause-Vorrichtungen  hergestellt,  deren  Temperatur  je 
nach  Stärke  der  Heizung  resp.  der  Zuleitung  von  kaltem  Wasser  regulirt  werden 
konnte. 

2)  Ein  Kescript  des  Ministers  für  Handel  u.  s.  w.,  den  Trödel -Handel  betreffend, 
erging  unter  dem  22.  Mai  1870  und  lautet: 

„In  den  in  Folge  der  Circ- Verfügung  vom  10.  September  v.  Js.  erstatteten  Be- 
richten —  die  'Beaufsichtigung  des  Trödel -Gewerbes  betreffend  —  ist  von  einer 
Anzahl  von  Behörden  das  Bedürfniss  zum  Erlass  besonderer  Controlvorschriften 
verneint  worden.  Mit  Rücksicht  hierauf  halte  ich  eine  gleichmässige  Regelung  des 
in  Rede  stehenden  Gegenstandes  für  den  ganzen  Umfang  der  Monarchie  nicht  für 
angemessen.  Es  bleibt  demzufolge  das  Gewerbe  der  Trödler  da,  wo  nach  dem 
Ermessen  der  Königl.  Regierung  auch  ohne  specielle  Controlmassregeln  ein  die 
Sicherheit  des  Eigenthums  und  die  Gesundheit  des  Publicums  gefährdender  Ge- 
schäftsbetrieb nicht  zu  befürchten  steht,  in  Zukunft  nur  denjenigen  Beschränkungen 
unterworfen,  welche  durch  die  Gewerbe-Ordnung  vom  21.  Juni  v.  J.  selbst  vor- 
geschrieben sind.  Wo  jedoch  nach  den  besondern  Verhältnissen  eines  Bezirks 
oder  einzelner  Theile  desselben  die  Nothwendigkeit  hervortreten  sollte,  an  Stelle 
der  bisher  geltenden,  durch  die  Gewerbe-Ordnung  für  aufgehoben  zu  erachtenden 
polizeilichen  Bestimmungen  besondere  Vorschriften  über  die  Ausübung  dieses  Ge- 
werbebetriebes, namentlich  über  die  Führung  von  Geschäftsbüchern  und  die  Hand- 
habung der  polizeilichen  Controle,  zu  erlassen,  ist  die  Regelung  dieser  Verhältnisse 
nach  Massgabe  der  hierneben  angeschlossenen  Verordnung  zu  bewirken ,  welche 
unter  ausdrücklicher  Bezugnahme  auf  die  von  mir  nach  Massgabe  des  §  38  der 
Gewerbe -Ordnung  vom  21.  Juni  v.  J.  gegebenen  Vorschriften  zu  erlassen  und 
auf  Grund  des  Gesetzes  über  die  Polizei  -Verwaltungen  vom  11.  März  1850  zu 
publiciren  ist." 

Nach  Lage  der  Gesetzgebung  kann  somit  auf  dem  Polizei-Verordnungswege  noch 
Vieles  erreicht  werden,  was  zum  Schutze  der  öffentlichen  Gesundheit  erforderlich 
ist;  der  Schwerpunct  liegt  in  der  polizeilichen  Controle. 

Horngebilde  (S.  583—584). 

1)  Das  Einweichen  der  entkernten  Hörner  sollte  im  Bereiche  grosser  Städte  nicht 
geduldet  werden,  da  es  der  grössten  Aufmerksamkeit  bedarf,  um  die  Anwohner  vor 
einer  grossen  Belästigung  zu  schützen. 

Darmsaitenfabrication  (S.  584). 

Bei  der  Concessions -Verleihung  muss  dem  Concessionär  zur  Bedingung  gemacht 
werden,  nur  frisches  Material  zu  verarbeiten  und  die  Abfallwässer  in  wasserdichten 
Gruben  unter  Zusatz  von  Kalk  u.  s.  w.  aufzubewahren ,  wenn  ihr  directer  Ablauf 
in  grosse  Wasserläufe  nicht  möglich  ist. 

Leimindustrie  (S.  584—586). 

1)  Bei  der  Bearbeitung  der  thierischen  Abfälle  ist  eine  ganz  besondere  Aufmerksam- 
keit   auf   die   Speicherung  des  Rohmaterials  in  zweckmässig  eingerichteten 
und  mit  den  passenden  Desinfectionsmitteln  versehenen  Lagerräumen  zu  richten. 
Das    Abfliessenlassen    der    Spülwässer    in    die    Strassenrinnen    veranlasst    die 


Abdeckerei.  §7} 

grössten  Belästigungen  und  macht  die  betreffenden  Strassen  fast  unbewohnbar, 
obgleich  man  noch  grosse  Städte  antrifft,  in  denen  solche  Missstände  ganze  Stadt- 
viertel verpesten 

2)  Wendet  der  Leimsieder  diese  Vorsichtsmassregel  nicht  an,  so  muss  er  jedenfalls 
den  Siedekessel  mit  einem  Abzugsrohre  versehen,  welches  die  Dämpfe  in  einen 
gut  ziehenden  Schornstein  führt. 

3)  Becker:  Sind  Leimsiedereien  der  Gesundheit  der  Arbeiter  nachtheilig?  Viertel- 
jahrsschr.  f.  gerichtl.  Med.  1857,  p.  234. 

Diese  Frage  ist  a  priori  kaum  zu  beantworten.  Es  ist  schon  hervorgehoben 
worden,  dass  bei  allen  Fäulnissprocessen  in  der  Luft  Ozon  nicht  nachzuweisen  ist ; 
Schönbein  hat  gefunden,  dass  eine  stark  ozonisirte  Luft  durch  eine  Leimlösung 
sofort  ihres  Ozongehaltes  beraubt  wird.  Becker  zieht  hieraus  den  Schluss, 
dass  die  Leimsiederei  vor  Brustaffectionen  schütze,  da  Ozon  nachtheilig  auf  die 
Respirationsorgane  wirke  und  namentlich  Katarrhe  erzeuge.  Es  gilt  daher  das  bei 
der  Gerberei  über  die  Wirkung  des  Ozons  Gesagte  auch  in  Betreff  der  Leimsiederei 
sowie  der  Knochensiederei. 

Auch  Verf.  hat  sowohl  Leimsieder  als  Knochensieder  stets  die  sanitäre  Seite 
ihres  Gewerbes  rühmen  hören.  Wirklich  ist  ihm  ein  Fall  bekannt  geworden,  der 
einen  schwächlichen,  von  Aerzten  für  ,, tuberculös "  anerkannten  Arbeiter  betraf; 
nach  zwei  Jahren  fand  Verf.  ihn  als  einen  rothwangigen,  wohlgenährten  Knochen- 
sieder  wieder,  der  gar  nicht  mehr  über  Brustleiden  klagte.  Hier  mögen  neben 
der  ozonärmern  Luft  auch  die  beständigen  Wasserdämpfe  wohlthätig  eingewirkt 
haben,  da  das  zu  verarbeitende  Material  meist  frisch  war. 

In  einigen  Städten,  namentlich  in  Merseburg  im  Jahre  1850,  will  man  auch  die 
Beobachtung  gemacht  haben,  dass  die  Leimsiederviertel  am  wenigsten  Cholerafälle 
darboten;  jedoch  ist  auf  solche  statistische  Beweisführung  nicht  viel  zu  geben, 
wenn  man  dabei  nicht  alle  Verhältnisse  mit  grosser  Sorgfalt  berücksichtigt.  Nur 
darüber  kann  kein  Zweifel  obwalten,  dass  sowohl  Gerbereien  als  Leimsiedereien  den 
Anwohnern  die  grösste  Belästigung  bereiten  können. 

Die  Knochen  und  ihre  Verwerthung  (S.  586 — 589). 

1)  Bisweilen  wird  durch  Polizei -Verordnungen  die  Menge  der  in  Städten  aufzube- 
wahrenden Knochen  vorgeschrieben,  eine  Massregel,  die  nichl  zu  controliren  und 
deshalb  unzweckmässig  ist.  Es  sollte  vielmehr  jedesmal  die  polizeiliche  Erlaubniss 
zur  Errichtung  von  Knochenlagern  nachzusuchen  sein,  damit  der  Polizeibehörde 
die  Prüfung  der  Zweckmässigkeit  der  Anlagen  überlassen  bleibt. 

2)  Das  hierbei  abfallende  Chlorcalcium  darf  nicht  in  Schlinggruben  abgelassen 
werden;  mit  vielem  Wasser  verdünnt,  kann  es  zum  Abfluss  gelangen,  da  seine 
Menge  nicht  bedeutend  ist. 

Poudrette-Fabrication  (S.  589—590). 
1)  Man  vergl.  das  Petri'sche  Verfahren  S.  822. 

Abdeckerei  (S.  590-592). 

1)  Alle  Abdeckereien  sind  in  möglichst  entlegenen  Gegenden  anzulegen.  Die  Höhe 
der  Einfriedigung  muss  wenigstens  2,5  Meter  betragen  und  mit  einer  Baumpflan- 
zung, grünen  Hecken  u.  s.  w.  versehen  sein. 

2)  Nach  dem  durch  Verfügung  des  Ministers  der  geistlichen  u.  s.  w.  Angelegenheiten 
vom  18.  Januar  1876  mitgetheilten  Gutachten  der  Wissenschaftl.  Deputation  für  das 
Medicinalwesen  ( Berl.  klin.  Wochenschr.  No.  6,  1876)  kann  das  ausgeschmolzene 
Fett  (Schmalz)  völlig  frei  gegeben  werden,  also  auch  für  den  Gebrauch  als  mensch- 
liches Nahrungsmittel;  es  bedarf  dazu  gar  keines  Zusatzes,  weder  der  Schwefel- 
säure noch  eines  andern  Mittels.  Das  Ausschmelzen  oder  Ausbraten  ist  dem  Aus- 
kochen vorzuziehen,  da  höhere  Hitzegrade  dabei  auf  das  Fleisch  und  Fettgewebe 
einwirken.  Ebenso  unterliegt  es  keinem  Bedenken,  anderweitige  Verwendungen  der 
trichinösen  Schweine  zur  technischen  Verarbeitung  zuzulassen,  z.B.  zurSeifen- 
und  Leimbereitung.  Die  Verwendung  der  Borsten  und  der  Haut  bringt  nicht  die 
o-eringste  Gefahr  mit  sich.  Wo  zweckmässige  Anstalten  zur  chemischen  Verarbei- 
tung *d.es  ganzen  Thieres  bestehen,  da  ist  es  in  jeder  Beziehung  ungleich  besser,  die 
Schweine  ganz  und  gar  in  die  Fabrik  zu  hefern  und  verarbeiten  zu  lassen,  als  sie 
zu  vergraben,  auch  wenn  sie  vorher  gekocht  sind;  denn  erfahrungsgeniäss  wird 
das  Kochen  häufig  nicht  lange  genug  fortgesetzt  und  das  Vergraben  schützt  trotz 


872  Photogen. 

des  Bedeckens   mit   Kalk   nickt  ganz   vor  unterirdischen  fleischfressenden  Thieren. 
Jedenfalls  wäre  das  Verbrennen  dem  Vergraben  bei  weitem  vorzuziehen. 
3)   Man    will  besonders   nie  Beobachtung   gemacht  haben,   dass  Hühner,   welche  mit 
faulem  Fleisch  gefüttert  werden,  höchst  widerlich  riechende  Eier  legen. 

Photogen  (S.  592-594). 

1)  Bei  Benutzung  der  liegenden  Retorten  findet  sich  eine  ähnliche  Einrichtung,  wie 
sie  S.  341  abgebildet  worden  ist.  Der  vordere  Verschluss  der  Retorte  durch  einen 
Deckel  und  ihre  Verbindung  mit  dem  Sammelrohr  findet  sich  auch  in  Photogen- 
fabriken; es  liegen  10—20  solcher  Retorten  in  einem  Ofen.  Von  dem  Sammel- 
kasten aus  streichen  die  Gase  durch  ein  System  von  Eisenblechröhren,  die  auch 
bei  der  Destillation  des  Steinkohlentheers  (s.  diese)  im  Gebrauche  sind,  um  ihre 
weitere  Condensation  zu  bewirken.  Ein  besonderes  Ausgangsrohr  dient  zur  Ab- 
leitung der  nicht  condensirten  Gase.  Die  Füllung  der  Retorten  geschieht  durch 
Hineinwerfen  der  Kohle  in  die  vordere  Oeffnung  bei  gleichzeitigem  "\  erschlusse 
eines  hintern  Abschlussventils,  das  den  Eintritt  der  atmosphärischen  Luft  in  das 
Sammelrohr  verhüten  und  somit  der  Gefahr  einer  Explosion  vorbeugen  soll.  Die 
Kohle  muss  den  Boden  der  Retorte  stets  gleichmässig  bedenken.  Die  Arbeiter 
leiden  hier  viel  von  der  Hitze  beim  Aufgeben  der  Kohle 

Besser  sind  in  dieser  Beziehung  die  stehenden  Retorten,  obgleich  auch  hier 
Explosionen  vorkommen  können,  wenn  sich  die  Kohlengase  mit  der  zu  ihrer 
Explosion  hinreichenden  Menge  atmosphärischer  Luft  vermengen.  Die  stehenden 
Retorten  sind  verticale,  gusseiserne  Cylinder  und  im  Innern  mit  einem 
System  von  vertical  übereinander  liegenden  Ringen  versehen,  die  eine  glocken- 
förmige, nach  aussen  schräg  abfallende  Wandung  haben  und  theilweise  an  einer 
durcbf  den  Cvlinder  gehenden  Mittelachse  mittels  Stegen  befestigt,  theilweise  durch 
an  der  Innenseite  ihrer  "Wandung  angebrachte  Knaggen  übereinander  geschichtet 
sind.  Durch  diese  Glocken  entsteht  somit  ein  zweiter  cylindrischer  Raum,  welcher 
mittels  der  zwischen  ihnen  befindlichen  Lücken  mit  der  zwischen  Glocken-  und 
Cylinderwandung  befindlichen  Luftschicht  —  Schweelschicht  —  in  Verbindung 
steht.  Nach  unten  läuft  der  Cvlinder  in  einen  Conus  aus,  der  mit  einem 
cylindrischen  Kasten  (Schieber kästen)  in  Verbindung  steht.  Dieser  Kasten  ist 
durch  einen  Schieber  nach  oben  von  dem  Conus  abgeschlossen  und  kann 
durch  einen  zweiten  Schieber  nach  unten  entleert  werden  Oben  ist  der  Cylinder 
mit  einem  Glockenhute  versehen,  auf  den  die  Kohle  aufgegeben  wird,  damit  sie 
zwischen  Cylinder-  und  Glockenwand  hinabrutscht.  Zweckmässig  ist  es, 
den  Cylinder  mit  einem  Chamottemantel  zu  umgeben,  der  nicht  bloss  die  Haltbar- 
keit sichert,  sondern  auch  die  Arbeiter  vor  der  strahlenden  Hitze  schützt. 
Feuer züge,  die  rund  um  den  Cylinder  verlaufen  und  mit  einer  unten  und  seit- 
lich gelegenen  Feuerung  verbunden  sind,  erhitzen  die  Cylinderwände  bis  zur  Roth- 
gluth:  die  sich  entwickelnden  Gase  treten  zunächst  in  den  Raum  innerhalb  der 
Glocke  und  dann  durch  zwei  seitlich  gelegene  Abzugsrohre  in  einen  Sammelkasten 
behufs  Condensation.  Die  Koks  sammeln  sich  im  Conus  des  Cy linders  an  und 
werden  zeitweilig  in  den  Schieber  kästen  abgelassen.  Diese  Manipulation  ist 
der  wichtigste  Act  und  ist  es  sehr  zweckmässig,  das  untere  Ausgangsrohr  des 
Cvlinders  durch  eine  Drosselklapp  e  abzuschliessen,  damit  nicht  die  im  Schieber- 
kästen befindliche  atmosphärische  Luft  in  das  Sammelrohr  steigt  und  eine  Explosion 
veranlasst.  Um  so  leichter  ist  dies  der  Fall,  wenn  unter  Mithülfe  eines  Exhaustors 
die  Gase  in  das  Sammelrohr  abgesaugt  werden.  Wirklich  sind  auch  die  meisten 
Fälle  von  Explosionen  auf  das  Eindringen  der  atmosphärischen  Luft  zurück- 
zuführen ;  eine  Hauptaufgabe  besteht  daher  auch  darin,  das  Abrutschen  der  Kohle 
durch  ein  rechtzeitiges  Nachschütten  frischer  Kohlen  regelmässig  zu  be- 
wirken, um  den  Eintritt  der  atmosphärischen  Luft  zu  verhüten.  Auch  empfiehlt 
sich  eine  mechanische  Vorrichtung,  durch  welche  der  Koksabzieher  im  Stande 
ist,  vom  Schieberkasten  aus  mittels  einer  Kette,  die  über  eine  Rolle  läuft,  den 
Hebearm  der  Drosselklappe  auf  und  ab  zu  bewegen  und  somit  selbst  ein- 
zustellen. Diese  wichtige  Arbeit  kann  auf  diese  Weise  prompter  ausgeführt 
werden,  als  wenn  ein  besonderer  Arbeiter  die  Drosselklappe  zu  bedienen  hat. 

In  sanitärer  und  technischer  Beziehung  verdient  die  Einführung  der  über- 
hitzten Wasserdämpfe  noch  mehr  Empfehlung,  durch  welche  die  Kohlen  in 
einer  umfangsreichen  Retorte  geschweelt  werden,  während  die  Condensation  durch 
Wasserkühlung  erfolgt. 
2)  Das  Verfahren  bei  der  Condensation  des  Benzins  geschieht  nach  den  allgemeinen 
Grundsätzen,  bedingt  aber  auch  die  Feuergefährlichkeit  solcher  Fabriken.  Trennung 
der  verschiedenen  Arbeitsräume  ist  daher  das  erste  Erforderniss ;    ferner   müssen 


Petroleum. 


873 


sammthche  Gasflammen  oder  Lampen  mit  einem  Glaskasten  versehen  werden.  Dies 
ist  auch  im  Retortenhause  nothwendig,  weil  immerhin  noch  Kohlengase  aus 
den  Leitungsröhren  in  Folge  zufälliger  Undichtheiten  entweichen  können.  Daher 
ist  auch  Holzwerk  im  Retortenhause  zu  vermeiden;  das  in  alten  Fabriken  noch 
vorhandene  Holz  ist  mit  Wasserglas  anzustreichen. 

2)   Volkmann  in  der  Sammlung  von  Vorträgen,  1875. 

4)  Die  Reinlichkeit  muss  sich  namentlich  auch  auf  den  Fussboden  erstrecken,  der 
am  besten  zu  asphaltiren  ist,  um  ihn  häufig  mit  Wasser  abzuspülen. 

Petroleum  (S.  595—597). 

1)  Bei  der  chemischen  Wäsche  ist  gegenwärtig  Petroleumbenzin  fast  ausschliess- 
lich im  Gebrauche;  diese  umfasst  1)  das  Sortiren  der  Gegenstände  nach  Art  des 
Gewebes,  2)  das  Bürsten  des  Gegenstandes  auf  einem  mit  Marmorplatten  bedeckten 
Tische  mit  Benzin,  3)  das  Einbringen  in  die  Waschmaschine,  welche  aus  einer 
äussern  feststehenden  und  innern  beweglichen  liegenden  Trommel  besteht; 
letztere  ist  aus  von  einander  abstehenden  Latten  construirt  und  mit  verschliessbaren 
Einfallthüren  versehen.  In  die  äussere  Trommel  füllt  man  das  Benzin  so  ein,  dass 
es  einige  Zoll  hoch  in  der  innern  Lattentrommel  einsteigt;  dann  bringt  man  die 
vorbereiteten  Waschstücke  in  die  Lattentrommel  und  setzt  diese  in  langsame  Um- 
drehung; 4)  das  Ausspülen  in  frischem,  reinem  Benzin;  5)  das  Trocknen  mittels  der 
Schleudermaschine;  6)  das  Trocknen  in  einer  stark  geheizten  und  gut  ventilirten 
Trockenstube.    Hierauf  wird  das  Zeug  appretirt  und  detachirt. 

Das  mit  Fett  und  Schmutz  beladene  Benzin  wird  in  grossen  Reservoirs  gesammelt, 
mit  Schwefelsäure  vermischt,  dann  stehen  gelassen,  vom  Bodensatz  abgezogen 
und  in  kupfernen  Destillirgefässen  destillirt.  In  den  Fabrikräumen  ist  der  Geruch 
nach  Benzin  sehr  verbreitet  und  berührt  den  aus  freier  Luft  Eintretenden  unan- 
genehm. Die  meisten  Arbeiter  gewöhnen  sich  an  denselben,  obgleich  auch  manche 
Arbeiterin  genÖthigt  ist,  diese  Beschäftigung  zu  verlassen,  namentlich  wenn  ein 
anhaltender  Kopfschmerz  und  eine  wüste  Eingenommenheit  des  Kopfes  den  Auf- 
enthalt in  solchen  Räumen  unerträglich  macht.  Nur  die  kräftigste  Ventilation  ist 
im  Stande,  den  Geruch  einigermassen  zu  massigen;  jedenfalls  sind  sehr  hohe  Werk- 
stätten nothwendig.    (cf.  S.  879,  No.  9.) 

2)  Beim  Transport  des  rohen,  nicht  rectificirten  Petroleums  sind  alle  Vorsichtsmass- 
regeln wie  beim  Transport  des  Pulvers  und  Nitroglycerins  zu  beobachten.  Es 
darf  nur  auf  besondern  Schiffen  ohne  alle  Feuerung  verladen  werden;  diese 
Schiffe  müssen  mindestens  200  Schritte  entfernt  von  andern  Fahrzeugen  oder  be- 
wohnten Gebäuden  anlegen;  die  Polizeibehörde  weist  einen  bestimmten  Liegeplatz 
an  und  bestimmt  die  Frist,  innerhalb  welcher  die  Löschung  der  Petroleumladung 
zu  erfolgen  hat,  sowie  den  Lagerraum. 

Auf  Eisenbahnen  sollte  Rohpetroleum  gar  nicht  zugelassen  werden;  höchstens 
dürfen  besondere  Waggons  von  Güterzügen,  die  nicht  mit  Laternen  versehen  sind, 
benutzt  werden.  Während  des  Ausladens  darf  kein  Licht  oder  Feuer  in  der  Nähe 
sein,  auch  kein  Tabak  geraucht  werden.  Fuhrwerke,  die  mit  Rohpetroleum  beladen 
sind,  müssen  unter  beständiger  Aufsicht  gehalten  werden. 

Die  schrecklichen  Unglücksfälle,  die  in  neuerer  Zeit  auf  Dampfschiffen  durch 
Einladen  von  feuergefährlichen  Substanzen  (Benzol,  Nitroglycerin)  entstanden  sind, 
sollte  endlich  zur  strengsten  Controle  in  dieser  Beziehung  Anlass  geben. 

3)  cf.  Felix  in  der  Deutsch.  Vierteljahrsschr.  f.  öffentl.  Gesundheitspfl.,  Bd.  IV.  1872. 

4)  Auf  Grund  eines  Circ. -Erlasses  des  Ministers  für  Handel  u.  s.  w.  und  des  Innern 
vom  14.  December  1869  sind  Seitens  der  Regierungen  Polizei- Verordnungen  erlassen 
worden,  die  nicht  mehr  als  30  Pfund  Petroleum  in  den  Verkaufslocalen  zulassen : 
es  wird  diese  Bestimmung  aber  selten  aufrecht  erhalten. 

Vorräthe  bis  zu  500  Pfund  können  in  den  mit  den  Verkaufslocalen  in  Ver- 
bindung stehenden  Kellern  oder  zur  Ebene  gelegenen  Speicherräumen  lagern,  wenn 
diese  gehörig  ventilirt  sind  und  keine  Abflüsse  nach  aussen  haben.  Der  Fussboden 
des  zur  Aufbewahrung  des  Petroleums  oder  Photogens  dienenden  Theils  muss 
aber  mit  einer  8  Ctm.  hohen  Sandschicht  bedeckt  sein,  die  mit  einer  aus  feuer- 
festem Material  hergestellten  Umfassung  zu  umschliessen  ist;  der  Raum  zwischen 
dieser  und  den  Lagerfässern  muss  %  Meter  breit  sein. 

Vorräthe  über  500  Pfund  bis  zu  25  Centnern  dürfen  nur  in  feuersichern, 
gewölbten,  von  Holz  construirten  freien  Räumen  lagern,  in  deren  Mitte  eine  Senk- 
grube liegt,  nach  welcher  der  Boden  nach  allen  Seiten  hinfällt.  Die  eisernen 
Thüren  sind  wenigstens  16  Ctm.  über  dem  Fussboden  anzulegen  und  die  Fenster 
mit  durch  Eisenblech  verkleideten  Laden  zu  versehen.  Künstliche  Beleuchtung  ist 
nur  von  aussen  anzubringen. 


874  Leuchtgas. 

Mengen  über  "25  Centner  sind  wenigstens  150  Meter  weit  von  andern  Bau- 
lichkeiten unter  den  obigen  Bedingungen  so  anzulegen,  dass  sie  von  allen  Seiten 
mit  Löschgeräthen  befahren  wei'den  können. 

Kreosot  (3.  597—598). 

1)  Das  Buchholztheerkreosot,  das  vorzugsweise  aus  Kreosol  und  Guajacol 
besteht,  unterscheidet  sich  wesentlich  vom  Steinkohlentheerkreosot,  welches 
wc-ni_r  Kreosol,  Guajacol  und  Brenzcatechin.  dagegen  hauptsächlich  Phenol 
enthält. 

Unter  den  letzten  Producten  der  Destillation  des  Buchholztheers  erhält  mau 
eine  farblose,  kreosotartig  riechende  und  bei  270°  siedende  Flüssigkeit,  die  sich 
durch  Zusatz  von  Kaliumbicbxomat  bräunt  und  bald  darauf  violettschillernde 
Kry stalle  absetzt.  Diese  sind  identisch  mit  dem  von  Liebermann  benannten 
Coerulignon.  ein  Körper,  der  im  rohen  Holzessig  angetroffen  wird.  Durch 
Reduction  erhält  man  nach  Lieb  ermann  aus  demselben  Hydro  coerulignon. 
Coerulignon  ist  identisch  mit  einem  Körper,  den  v.  Reichenbach  Cedriret 
fCc-di-uni  Holzessig,  rete  Netz  )  genannt  und  aus  dem  Tbeeröle  isolirt  hat.  Man 
hat  Coerulignon  zum  Zeugdruck  benutzt. 

Leuchtgas  (S.  59S-  603). 

1)  Das  Regenerationsverfahren  ist,  in  grossartigem  Massstabe  ausgeführt,  für  die  An- 
wohner oft  sehr  belästigend,  weil  der  Schwefelgehalt  der  Masse  bei  stärkerer  Er- 
hitzung Anlas?  zur  Entwicklung  von  schwefliger  Säure  gibt.  Benutzt  man  beson- 
dere Trockenräume,  so  darf  man  die  Masse  nicht  auf  Haufen  schütten,  sondern 
muss  sie  möglichst  gleichmässig  ausbreiten :  dabei  stelle  man  eine  Verbindung  mit 
dem  Schornstein  her,  um  die  etwa  auftretende  schweflige  Säure  mit  den  Rauchgasen 
abzuleiten. 

Eine  andere  Belästigung  für  die  Anwohner  entsteht  leicht  bei  einer  unzweck- 
mässigen Behandlung  der  Aufsteigeröhren,  wenn  sich  die  Theerproducte  an- 
gesammelt haben  und  dem  Durchgange  des  Gases  hinderlich  sind:  sucht  man  die- 
selben nämlich  durch  Einführen  von  glühenden  Staugen  wieder  frei  zu  machen, 
so  entwickelt  sich  ein  höchst  unangenehmer  Qualm,  der  überall  Russ  ablagert  und 
in  vielfacher  Beziehung  den  Anwohnern  zur  Qual  wird.  Dieses  sog.  .Ausbrennen- 
ist auch  mit  Feuersgefahr  verbunden  und  sollte  gar  nicht  geduldet  werden.  Man 
soll  die  Aufsteigeröhren  stets  nur  auf  mechanischem  Wege  durch  Auskratzen  u.  s.  w. 
reinigen. 

2)  Böhm  im  Chem.  Centralbl.  No.  48  1873. 

3)  Eulenberg's  Lehre  u.  s.w.,  S.  159. 

•4)   Die  Beziehung  der  Luft  zur  WohnuDg  u   s.w.,  p.  87. 

Aehnliche  Beobachtungen  haben  gemacht:  deChaumont  (Lancet,  25.0ct.  1873), 
Jacobs  (Berliner  klin.  Woehensehr.  No.  27  1874),  Taylor  (Edinb.  med.  Journ., 
July  17.  1874). 

Leber  die  Erlaubniss  zur  Benutzung  der  Chausseen  und  öffentlichen  Strassen 
zum  Einlegen  von  Röhren  handelt  ein  Erlass  des  Ministers  für  Handel  u.  s.w.  vom 

4.  März   1857.     Ueber   sonstige   Bedingungen   vergl.   man  auch  Ministerialbl.  1856, 

5.  72-97. 

5)  Diehl  und  Jelgen:   Gasbeleuchtung  und  Gasverbrennung.    Iserlohn  1S72. 

Der  hydrostatisch-galvanische  Gas-Anzünder  von  Klinke rfues  (Journ.  f.  Gas- 
beleuchtung 1872,  p.  9)  ist  zu  complicirt,  um  Eingang  zu  finden.  Mehr  Beifall 
findet  der  pneumatisch-elektrische  Entzündungsapparat  von  B  eau  (Deutsche  Indust.- 
Zeitung  1875  p.  473,  Wagners  Jahresber.  1874  p.  1097). 

Gl  Ammoniak  im  Leuchtgase  ist  besonders  in  Seidenfabriken  sehr  nachtheilig, 
da  es  alle  seidene  Stoffe  angreift. 

7i  Sindermann  (Deutsche  Industriezeitung  1875,  p.  157)  hat  Leuchtgas  aus  Fäcal- 
massen  dargestellt,  wobei  das  Tonnensystem  erforderlich  ist.  Eine  an  Calcium- 
phosphat  reiche  Kohle  bleibt,  während*  Ammoniakwasser,  Fett  und  Theer  ge- 
wonnen wird.  Das  Verfahren  scheint  aber  nach  Troschel  (Journ.  f.  Gasbeleucht. 
1^75.  p.  510)  nicht  rentabel  zu  sein,  da  die  Qualität  des  Gases  nicht  die  des 
Steinkohlengases  erreicht,  auch  der  Preis  desselben  wegen  der  grössern  Anlagen 
weit  höher  ist. 

Darwin  (Ber.  der  Deutsch,  chem.  Ges.  1S75.  p.  169)  mengt  den  durch  Fällen 
von  Cloakenflüssigkeit  mit  Kalk  erhaltenen  Niederschlag  mit  Petroleum  und  ver- 
arbeitet ihn  auf  Lenchtgas. 

Bekanntlich  werden  die  Rückstände  beim  Raffiniren  des  Petroleums  zur  Gas- 


Leuchtgas.  375 

erzeugung    benutzt.      Die    hierzu     erforderlichen    Apparate    haben    Hirzel    und 
Riedinger  angegeben. 

Das  Petroleumgas  eignet  sich  sehr  gut  zur  Erhöhung  der  Leuchtkraft  eines 
gerin  gwerthigen  Gases.  Schon  S.  360  ist  von  den  bei  der  Gasificirung  auftretenden 
Gasen  die  Rede  gewesen;  es  genüge  daher,  hier  nochmals  auf  die  Notwendigkeit, 
das  Gas  mit  Kalk  zu  reinigen,  hinzuweisen,  obgleich  die  Benutzung  des  Petroleum- 
gases noch  nicht  sehr  verbreitet  ist.  Auch  soll  man  sorgfältig  darauf  achten,  dass 
die  Retorten  erst  nach  dem  vollständigen  Erkalten  entleert  werden,  widrigen- 
falls höchst  belästigende  Gerüche  entstehen.  Der  Gasometer  darf  niemals  mit 
der  Feuerung  in  einem  Räume  liegen;  am  allerwenigsten  darf  man  unterirdisch  über- 
wölbte Räume  wählen.  Auch  die  für  den  Gasometer  bestimmten  Cisternen  müssen 
ganz  wasserdicht  sein,  damit  nahe  gelegene  Brunnen  nicht  verdorben  werden. 
8)  Jede  trockne  Destillation  ist  im  Allgemeinen  mehr  oder  weniger  mit  Belästigung 
für  die  Nachbarschaft  verbunden.  Ausser  dem  Ausbrennen  der  Aufsteigeröhren 
ist  auch  das  Ablöschen  der  Koks  (s.  S.  340)  zu  erwähnen,  welches  niemals  in 
der  Nähe  bewohnter  Häuser  vorgenommen  werden  sollte. 

Häufig  wird  das  Ammoniakwasser  in  den  Leuchtgasfabriken  selbst  bearbeitet; 
dann  sind  auch  hier  die  bereits  erwähnten  Vorsichtsmassregeln  (s.  S.  227)  anzu- 
wenden. Der  Gaskalk  darf  niemals  im  Fabriklocal,  namentlich  nicht  im  Retorten- 
hause, aufgespeichert  werden;  es  sind  stets  besondere  Räume  mit  wasserdichtem 
Fussboden  hierzu  erforderlich.  Beim  Lagern  im  Freien  kann  er  durch  den  Regen 
ausgelaugt  werden  und  dann  leicht  Anlass  zum  Verderben  der  benachbarten  Brunnen 
geben. 

Auch  der  Gasometer  sollte  in  einem  besondern,  gut  ventilirten  Gebäude  liegen, 
um  namentlich  die  Einwirkung  des  Frostes  auf  das  Gaswasser  zu  verhüten;  ebenso 
muss  der  für  den  Gasometer  bestimmte  Raum  von  allen  Seiten  zugängig  sein, 
damit  bei  einem  Brandunglück  die  Löschapparate  zweckmässig  aufgestellt  werden 
können.  Das  betreffende  Gebäude  darf  des  Abends  nur  mit  der  Davy 'sehen 
Sicherheitslampe  betreten  werden,  die  auch  in  allen  übrigen  Räumen  zu  verwenden 
ist,  in  denen  man  das  Auftreten  von  Leuchtgas  zu  befürchten  hat;  es  ist  dabei 
stets  das  grösste  Gewicht  auf  die  vollständige  Condensation  der  Gase  und  Dämpfe 
sowie  auf  die  möglichste  Dichtigkeit  der  Destillationsapparate  zu  legen,  was  auch 
durch  die  Rücksicht  auf  das  Wohl  der  Arbeiter  erfordert  wird,  um  Unglücksfälle 
durch  Gasvergiftung  zu  verhüten.  Meist  ist  namentlich  das  Retortenhaus  so  ge- 
räumig, dass  von  einer  nachtheiligen  Einwirkung  der  Hitze  oder  des  Staubes  auf 
die  Arbeiter  kaum  die  Rede  sein  kann. 

Rectification  des  Steinkohlentheers  (S.  604— 605). 

1)  Lunge:  Destillation  und  Verarbeitung  des  Steinkohlentheers.    Braunschw.  1867. 
Manouvriez:  Malad,  et  hyg.  des  ouvr.  travaill.  ä  la  fabric.  de,  houille  et  de  brai- 
Annal.  d'hyg.  publ.  1876,  p.  459. 

Die  aromatischen  Körper  (S.  606 — 623). 

1)  Die  Umwandlung  von  Nitrobenzol  in  Anilin  durch  den  thierischen  Organismus 
wird  von  manchen  Autoren  (Guttmann)  in  Abrede  gestellt,  kann  aber  durch 
das  Experiment  nachgewiesen  werden.  Wie  es  scheint,  ist  dies  bei  Vergiftungen, 
die  einen  raschen  letalen  Ausgang  haben,  weniger  möglich  als  bei  solchen  von 
längerer  Dauer. 

Die  Spaltung  von  Nitrobenzol  in  Pikrinsäure  gab  sich  schon  durch  die  höchst 
auffallende  gelbe  Färbung  der  Schleimhaut  des  ganzen  tractus  intestin.  kund  und 
wurde  wahrscheinlich  durch  den  langsamen  Verlauf  der  Vergiftung  mit  bedingt. 

2)  Starkow:  Zur  Toxikologie  der  Benzingruppen  in  Virchow's  Arch.  1871,  p.  464. 

3)  Die  Literatur  über  Vergiftungen  durch  Nitrobenzol  ist  sehr  reich;  man  vergl. 
namentlich:  Schenk  (Viertel] ahrsschr.  f.  gerichtl.  Medic.  1866,  p.  374),  Lehmann 
(loc  eod.  1870,  1.  Heft),  Kreuser  (Würtemb.  medic.  Correspondenzbl.  No.  36, 
Bd.  37,  p.  207),  Riefkohl  (Deutsche  Klinik  No.  18,  p.  49,  1868),  Bruglechner 
(Bayer,  ärztl.  Intelligenzbl.  XXII.  1.  1875). 

4)  Der  Branntweingenuss  muss  deshalb  in  allen  Fabriken,  m  denen  Nitrobenzol 
fabricirt  oder  verwendet  wird,  streng  verboten  werden.  Erfahr ungsgemäss  hat 
sich  derselbe  auch  überall  als  schädlich  herausgestellt. 

5)  Heibig  (Deutsche  Militairärztl.  Zeitung  1,  p.  36,  1873)  berichtet  über  18  Soldaten, 
die  aus  Versehen  Nitrobenzol  statt  Branntwein  getrunken  hatten,  cf.  Schumacher 
u.  Spängier  (Wiener  Wochenschr.  No.  12,  p.  230,  1875).  Jüdell:  Die  Vergiftung 
durch  Blausäure  und  Nitrobenzol  in  forens.  Beziehung  u.  s.  w.,  Erlangen  1876. 


876  Die  aromatischen  Körper. 

G)   Americ.  Journ.  of  med.  scienc,  July  1865. 

Ti   Machin  in  Med.  Times  and  Gaz,  March  7,  p.  220,  1868;  Jahresber.  I.,  p.  339,  18G8. 

Köhler  im  Würtcuib.  medic.  Correspondenzbl.  No.  G  u.  7,  1872. 

Hoppe-Seyler  im  Arch.  f.  d.  ges.  Phys.  1872,  p.  470. 

8)  Berl.  klin.  Wochenschr.  vom  22.  Dec.   1873. 

Hoffmann,  W.:  Beiträge  zur  physiologischen  Wirkung  der  Carbolsäure.     Dissert. 
Dorpat  1866. 

9)  So  theilt  Schwarz  (Vierteljahrsschr.  f.  ger.  Medic,  19.  Bd.,  p.  329,  1873)  einen 
Vergiftungsfall  mit,  iu  dem  statt  Carlsbader  Wasser  Carbolsäure  getrunken  wurde. 
Jeffreys  und  Hainworth  in  Med.  Times  and  Gaz.  1871,  No.  1085.  Centralbl. 
f.  med.  Wisseusch.  No.  33,  1871. 

10)  Bert  u.  Jolyet,  Gaz.  med.  de  Paris  No.  IG  — 19  1872.  Schmidt's  Jahrb.,  1G1.  Bd., 
No.  3,  p.  236. 

Salkowski  im  Arch.  f.  d.  ges-  Physiol.,  V.  Bd.  p.  335,  1872. 

11)  Ueber  die  Wirkung  der  Carbolsäure  bei  verschiedenen  Thieren  vergl.  man 
Husemann,    Deutsche   Klinik   No.  32 — 46,   1871.     Derselbe    empfiehlt    Calcaria 
saccharata  als  Antidot,  ein  Mittel,  welches  höchst  widerlich  schmeckt  und  leicht 
Erbrechen  erregt. 

Neumann,  Isidor,  in  der  Wiener  med.  Wochenschr.  No.  35,  1867. 

12)  Ausführlich  handelt  hierüber  Lemaire:  De  l'acide  phenique,  de  son  action,  etc. 
Paris  1863. 

13)  Genaueres  über  die  Einwirkung  der  Phenolfarben  berichten  Eulenberg  und 
Vohl:  Ueber  den  schädlichen  Einfluss  der  Theerfarben.  "Vierteljahrsschr.  f.  ger. 
Med.,  XII.  Bd.  p.  300,  1869. 

Ueber  verschiedene  Ansichten  hinsichtlich  der  Wirkung  des  Corallins  vergl.  man 
Tardieu  (Annal.  d'hyg.  publ.,  Avril  18G9),  welcher  8  Fälle  mittheilte,  in  denen 
durch  das  Tragen  von  mit  Corallin  gefärbten  Strümpfen  ein  Bläschenausschlag  an  den 
Füssen  entstand.  Da  die  Versuche  an  Thieren  die  Giftigkeit  dieses  Corallins  heraus- 
stellten, so  war  das  Präparat  jedenfalls  unrein. 

Laudrin,   Bourgongnon    und  Guyot  erklären   das  reine  Corallin   ebenfalls  für 
angiftig.     Compt.  rend.,  T.  68,  No.  26,  69,  p.  388. 

Hinsichtlich  des  Eosins  ist  zu  erwähnen,  dass  man  schon  mit  der  Darstellung 
desselben  im  Grossen  begonnen  hat.  Die  Phthalsäure  wird  zunächst  in  der 
Fabrik  dargestellt  (s.  S.  648)  und  das  Resorcin  (s.  S.  618)  durch  Schmelzen  von 
Harzen,  namentlich  Galbaumharz,  mit  Kaliumhydrat  gewonnen.  Seine  Darstellung 
aus  Phenol  unterliegt  noch  vielen  Schwierigkeiten  und  werden  die  ersten  Ver- 
suche noch  mit  Geldopfern  verknüpft  sein.  Es  lässt  sich  noch  nichts  Bestimmtes 
aber  die  sanitäre  Seite  dieser  Fabrication  sagen. 

Von  dem  Phenylbraun  ist  noch  das  Phenylen-  oder  Bismarckbr aun  zu 
unterscheiden,  das  sich  bei  Einwirkung  von  salpetriger  Säure  auf  salz  saures 
Diamidobenzol  bildet  (s.  S.  623  u  634). 

14)  Beneke,  Berthold,  im  Centralbl.  f.  d.  med.  Wissensch.  No.  4,  18G5. 

15)  Pariset:  Propriete  therap.  de  l'acide  picrique  et  special  de  son  emploie  comme 
succedane  du  sulfate  de  quinine.    These.    Paris   1868. 

Pariset  beobachtete  bei  Fröschen,  die  schon  durch  1  Ctgrm.  in  wenigen  Stuuden 
getödtet  wurden,  ein  Aufhören  der  Herzschläge  vor  dem  Erlöschen  der  Mo- 
tilität und  Sensibilität.  Pikratisation  nennt  er  den  Zustand,  der  sich  durch 
Nierenreizung,  einen  orangegelb  bis  blutroth  gefärbten  Urin,  Verminderung  der 
Urinsecretion,  einen  Pseudoicterus  auszeichnet  und  sich  nach  der  Grösse  der  Gabe 
(ca.  5  Ctgrm.,  1  Decgrm.,  1% —  2  Decgrm.)  in  14,  8,  5  oder  2—3  Tagen  aus- 
bilden kann. 

Aeltere  Beobachtungen  über  die  Giftigkeit  der  Pikrinsäure  rühren  von  Rapp 
und  Föhr  her:  Dissert.  de  effect.  ven.  mat.-amar.  Weltheri.  Tübingen  1827.  Sie 
fanden,  dass  Hunde  durch  10  Gran  in  1 — 2  Stunden  zu  Grunde  gingen. 
Seitz  (Deutsche  Klinik  No.  40,  1855)  und  Erb  (Die  Pikrinsäure,  Würzburg  1865) 
haben  mehr  die  Pikrinsäuren  Alkalien  berücksichtigt.  Nach  letzterm  Beobachter 
vertrugen  Kaninchen  von  pikrinsaurem  Kalium  1  Gran  (0,06  Grm.)  längere  Zeit 
ohne  Nachtheil,  während  sie  bei  einer  Dosis  von  0,18  Grm.  durch  Inanition  zu 
Grunde  gingen.  0,5 — 0,6  Grm.  tödteten  die  Kaninchen  binnen  24  Stunden.  Kräftige 
Menschen  können  längere  Zeit  0,5 — 0,9  Grm.  ohne  Schaden  nehmen,  während 
Kinder  nach  0,5  Grm.  in  Erbrechen,  Appetitlosigkeit  und  Mattigkeit  verfallen. 

Beneke  nahm  selbst  0,9  Grm.  pikrinsaures  Kalium  binnen  11  Tagen  und  litt 
dann  an  Kolikschmerzen  und  reichlicher  Diarrhoe.  Als  er  später  binnen  6  Tagen 
7,50  Grm.  mit  Opium  genommen  hatte,  bildete  sich  am  5.  und  6.  Tage  ein  voll- 
ständiger Icterus  aus,  zu  dem  sich  starkes  Hautjucken  und  das  Gefühl  höchster 
Ermüdung    gesellte,    so   dass  von    weitern  Versuchen  Abstand  genommen  werden 


Anilin.  gyy 

musste.     In  dem  dunkelbraunen,   fast  schwarzbraunen  Urin   konnte   keine  Pikrin- 
säure nachgewiesen  werden. 

Bei  der  fabrikniässigen  Darstellung  der  Pikrinsäure  ist  immerhin  auf  die  Un- 
schädlichmachung der  Dämpfe  die  grösste  Sorgfalt  zu  verwenden,  da  ausser  der 
salpetrigen  Säure,  stets  die  mit  den  Wasserdämpfen  sich  verflüchtigende 
Pikrinsäure  in  Betracht  kommt,  worauf  wiederholt  aufmerksam  zu  machen  ist. 
Was  die  Condensation  der  Dämpfe  betrifft,  so  gilt  in  diesem  Puncte  überall 
das  bei  der  Salpetersäure  (S.  251—  252)  Hervorgehobene.  Je  grösser  der  Fabrik- 
betrieb ist,  desto  sorgfältiger  hat  man  daher  auch  die  Absorption  resp.  Con- 
densation der  Dämpfe  im  Auge  zu  behalten,  zu  welchem  Zwecke  sich,  wie  bei 
der  Salpetersäure,  ganz  besonders  Vorlagen  von  Steingut  in  Form  der 
Wo  ulf sehen  Flaschen  eignen.  Auch  sind  die  Glasretorten  immer  mehr  den 
Retorten  von  Steingut  gewichen,  so  dass  letztere  gegenwärtig  bei  der  für  die 
Technik  zu  verwendenden  Pikrinsäure  fast  ausschliesslich  benutzt  werden.  Zur 
Erhitzung  bedient  man  sich  statt  der  directen  Feuerung  mehr  des  Wasserbades. 

16)  Ferrand:  Falsification  de  la  biere  par  l'acide  picrique  im  Journ.  de  chim.  med., 
Fev.,  p.  85.     Jahresber.  I.  p.  340,  1868. 

17)  Annal.  d.  Chem.  u.  Pharmac ,  58.  Bd.  p.  244,  1871. 

18)  Per  sonne  in  Compt.  rend.  740,  1869. 

19)  Jüdell,  G.:  Ueber  das  Verhalten  der  Pyrogallussäure  im  Organismus  in  Hoppe 
Seyler's  med.-chem.  Unters,  3.  Heft  p.  419,  Berlin  1868. 

20)  So  werden  Respirationsbeschwerden,  namentlich  Katarrhe,  bald  auf  Anilin-,  bald 
auf  Nitrobenzoldämpfe  zurückgeführt.  Beide  Arten  von  Dämpfen  entfalten  aber 
keine  auffallenden  Symptome  von  Reizung  der  Respirationswege;  nur  Brust- 
beklemmung ohne  Husten  gehört  zu  den  charakteristischen  Symptomen  der 
Anilindämpfe,  während  Nitrobenzoldämpfe  nur  in  den  schwersten  Fällen 
Dyspnoe  erzeugen. 

Wo  Reizungen  der  Brustorgane  auftreten,  muss  man  ganz  besonders  die  Fabri- 
cation  der  Salpetersäure,  wenn  diese  in  Nitrobenzolfabriken  selbst  dargestellt  wird, 
im  Auge  behalten.  So  konnte  in  einem  concreten  Falle  das  Eintreten  von  Asthma, 
an  welchem  ein  in  der  Nähe  einer  Nitrobenzol-  resp.  Anilinfabrik  wohnender  Mann 
litt,  weit  eher  mit  den  bei  der  Fabrication  der  Salpetersäure  sich  sehr  stark  ent- 
wickelnden salpetrigsauren  Dämpfen  in  Verbindung  gebracht  werden,  als  mit  der 
Fabrication  von  Nitrobenzol,  obgleich  auch  hierbei  die  mögliche  Verflüchtigung 
der  salpetrigsauren  und  salpetersauren  Dämpfe  im  Fabrikraum  sehr  zu  berück- 
sichtigen ist  (s.  S.  609).  Im  letztern  Falle  werden  aber  mehr  die  Arbeiter  als  die 
Adjacenten  geschädigt. 

Häufig  wird  auch  der  von  Macken zie  (Med.  Times  and  Gaz.,  March  1862, 
Schmidt's  Jahrb.,  114.  Bd.  p.  300)  veröffentlichte  Fall  als  ein  Beitrag  zu  der  schäd- 
lichen Wirkung  der  Anilindämpfe  betrachtet.  Der  betreffende,  in  halber  Be- 
wusstlosigkeit  vorgefundene  18jährige  Arbeiter  hatte  zwar  in  einer  Anilinfabrik 
gearbeitet,  aber  seine  Kleider  und  sein  Körper  roehen  stark  nach  Benzol,  so  dass 
die  Annahme  einer  schädlichen  Einwirkung  der  Benzoldämpfe  viel  näher  liegt. 
Diese  Fälle  sollen  nur  zur  Illustration  der  Thatsache  dienen,  wie  vorsichtig  man 
in  der  Beurtheilung  der  Schädlichkeiten  von  gewerblichen  Einflüssen  sein  muss 
und  wie  sorgfältig  der  Arzt  die  Wirkung  der  verschiedenen  Agentien,  die  hier  zur 
Einwirkung  gelangen,  von  einander  halten  muss. 

21)  Ueber  die  Wirkung  von  Anilin  vergl.  man:  Schuchardt  in  Virchow's  Archiv, 
20.  Bd.,  5.  u.  6.  Heft  1861;  Ollivier  und  Bergeron  im  Journ.  de  Physiol.  1863, 
p.  368;  Knaggs  in  Med.  Times,  Juni  7.  1864;  Daendliker  im  Jahresber.  des 
Cantons  Zürich  1862,  p.  118:  K reu s er  im  Correspondenzbl.  f.  gem.  Arb.,  Juh  1864: 
Turnbull  in  Annal.  de  Therap.  1863;  Letheby  in  Brit.  and  For.  med.  chim. 
rev.,  Oct.   1863:  Sonnenkalb:  Anilin  und  Anilinfarben.     Leipzig  1864. 

22)  Ueber  die  Wirkung  von  Anilin  auf  die  Circulation  hat  Hirt  (Die  gewerblichen 
Vergiftungen.  Leipzig  1875,  p.  91.  3.  Th.  der  Krankheiten  der  Arbeiter)  spedelle 
Versuche  an  Thieren  angestellt. 

23)  Laillier:  Vergiftung  mit  salzsaurem  Anilin  (L'Union  67,  1873).  Es  waren  Com- 
pressen,  getränkt  mit  ca.  50  Grm.  Lösung  von  10%,  auf  den  mit  Psoriasis  behaf- 
teten Vorderarm  gelegt  worden.  Es  entstanden  darnach  Erbrechen,  Incontinenz 
der  Blase,  choleraähnliches  Aussehen  ohne  Diarrhoe  und  sehr  stark  ausgeprägte 
Cyanose. 

24)  Jaffe  (Berl.  klin.  Wochenschr.  No.  21  1873,  Archiv  f.  esperiment.  Pathol.  lb<4, 
Bd.  11,  p.  6)  hat  das  salpetersaure  Diazobenzol  bei  Kaninchen  geprüft. 
0,03—0,5  Grm.  tödteten  nach  einer  subcutanen  Iniection  unter  allen  Erscheinungen 
der  Asphyxie  mit  terminalen  allgemeinen  Convulsionen.  Die  Todesursache  sucht 
er  in  reichlicher  Gas-  resp.  Stickstoff entwicklung  im  Herzen  und  in  den  Gelassen. 


878 


Toluol. 


Es  fragt  sich  aber,  ob  nicht  Phenol  einen  grössern  Antheil  an  der  "Wirkung  hat. 
Salpetersanres  Diazobenzol  heisst  auch  Knallanilin,  da  es  durch  Erwärmen 
noch  leichter  als  Knallquecksilber  explodiren  soll. 
25)  Safranin  wird  auch  A  nilinrosa  oder  Anilinpink  genannt.  Seine  sämmtlichen 
Salze  charakterisiren  sich  dadurch,  dass  sich  die  rothbraune  Farbe  durch 
Schwefelsäure  in  eine  violette  verwandelt,  die  mit  der  Vermehrung  der  Säure 
tiefblau  wird,  um  dann  in  Dunkelgrün  und  Lichtgrün  überzugehen.  Mauvein 
kann  man  für  phenylirtes  Safranin  halten,  dessen  Formel  C27H04N4  als  gleich 
C8iH19(C6H5)N4  zu  betrachten  ist. 

Toluol  (S.  603-638). 

1)  Kolbe  im  Journ.  f.  prakt.  Chemie,  Bd.  10,  p.  89,  1874. 

v.  Heiden   in   der  Deutschen  Vierteljahrsschr.  f.  öffentl.  Gesundheitspfl.,    6.  Bd., 
3.  Heft  1874,  p.539 

Phenol  und  Kohlensäure  C6H5(OH)  -+-  C03  ist  =  C6H4(OH)C02H  od.  CrH603, 
d.  h.  Salicylsäure. 

Nach  Kolbe  löst  man  in  käuflicher  starker  Natronlauge  so  viel  krystallisirtes 
Phenol,  dass  Natron  und  Phenol  sich  gradezu  absättigen.  Nach  dem  Eindampfen 
erhitzt  man  die  resultirende  teigige  Masse  bis  zur  staubigen  Trockne.  Das  ent- 
standene Product  (Phenolnatrium  C,;H5ONa)  wird  in  einer  metallenen  Retorte 
mittels  eines  Oelbades  langsam  unter  beständiger  Einleitung  von  trockner  Kohlen- 
säure  bis  auf  180°  erhitzt.  Bei  dem  chemischen  Vorgange  wird  die  Hälfte  des 
Phenols  unter  Bildung  von  salicvlsaurem  Natrium  regenerirt: 
•2C6HsONa  +  C02  =  C6H4(ONa)C02Na  +  C6H5OH. 

Auf  Zusatz  von  Salzsäure  wird  die  Salicylsäure  frei,  welche  durch  Um- 
krvstallisiren  gereinigt  wird.  Sie  ist  in  kaltem  Wasser  schwer,  in  heissem  ziem- 
lich leicht  löslich  und  bildet  als  Methylätlier  den  Hauptbestandteil  des  Winter- 
greenöls (Oel  aus  Gaultheria  procumbens).  Sie  ist  eigentlich  eine  einbasische 
Säure,  aber  zugleich  ein  Phenol  und  vereinigt  sich  daher  mit  einer  starken  Base. 
Bei  der  Destillation  mit  Kalk  zerfällt  sie  wieder  in  Kalk  und  Kohlensäure. 

Die  der  Salicylsäure  nahestehende  Benzoesäure  gewinnt  immer  grössere 
technische  Bedeutung  und  wird  in  grossen  Mengen  aus  dem  Rinderharn  dargestellt. 
Auf  die  Verkohlung  und  die  Behandlung  mit  Schwefelsäure  folgt  die  Sublimation, 
Proceduren,  welche  in  sehr  gut  geschlossenen  Apparaten  stattfinden  müssen.  Trotz- 
dem ist  eine  Belästigung  für  die  Anwohner  nicht  zu  vermeiden  und  sollte  die 
Fabrication  gleich  der  Blutlaugensalzfabrication  nur  an  einsamen,  von  menschlichen 
Wohnungen  entfernt  liegenden  Orten  gestattet  werden. 

2)  GirardetdeLaire:  Traite  des  derives  de  la  houille  applicables  ä  la  produetion 
des  matieres  colorantes.  Avec  12  planches  gravees  ä  1  echelle  representant  les 
appareils  employes  ä  la  fabrication.    Paris  1873. 

Wurtz:  Progres  de  Tindust.  des  matieres  colorantes  artific    Paris  1876. 
Ueber  die  giftigen  Eigenschaften  der  Anilinfarben  s.  Bergmann  in  Prag.  Viertel- 
jahrsschr., p.  109  1865. 

3)  Die  grössten  Schwierigkeiten  bereiten  die  Arsenrückstände  der  Auilinfarbenfabriken 
Eine  Untersuchung  derselben  aus  6  Fabriken  ergab  folgendes  Resultat: 


-fci 

-s         "£  -' 
'3          '",  ~ 

gjo 

Enthält  Arsenverbin- 

■3 
M 

a 

F— 1 
'- 

Aussehen. 

"So  u       J3  s  "— 

-§2  « 

0  c3  tc 

düngen 

gelöste 
Arsen- 

ungelöste 
Arsen- 

Zu- 
sammen 

~- 

S      p  a 

g« 

säure 

säure 

1 

roth  mit  rÖthlichem 

Bodensatz      .     . 

neutr.        — 

20Grm 

1,66 

4,07 

5,73 

2 

blaugrüu  m.  grünem 

1  nicht  be- 

Bodensatz      .     . 

sauer  1     7,3 

1,H„ 

0,1 

f  stimmt. 

— 

3 

dunkelgrün  m.  wenig 

Bodensatz      .     . 

sauer       20,0 

6,2  „ 

0,26 

dito. 

— 

4 

gelblich  mit  reichl. 

1  schw. 

}  nicht 

Bodensatz       .     . 

(sauer 

(best. 

60,0  „ 

2,7 

0,9 

3,6 

5 

braun     mit     wenig 

1  nicht  be- 

Bodensatz      .     . 

sauer 

52,4 

6,4  „ 

18,0 

[  stimmt. 

— 

6 

tiefroth  mit  reich- 

1     iichem  Bodensatz 

sauer 

26,6 

56,0  „ 

7,4 

4,8 

12,2 

Anilinfarben.  379 

Den  durchschnittlichen  Gehalt  der  Effiuvien  an  Arsen  kann  man  auf  \%  fest- 
setzen. Es  entsteht  nun  die  schwierige  Frage:  welcher  Behandlung  sollen  dieselben 
unterworfen  werden  ?  Das  hierbei  bisher  beobachtete  Verfahren  variirt  sehr;  viele 
Fabriken,  die  an  grössern  Flüssen,  z.B.  am  Rhein  und  Main,  liegen,  haben  schon 
seit  Decennien  den  directen  Abfluss  in  die  Wasserläufe  bewirkt,  ohne  dass  bis 
jetzt  ein  nachweisbarer  Schaden  daraus  erwachsen  ist;  wenigstens  sind  noch  nie- 
mals Vergiftungen  durch  den  Genuss  von  Rhein-  und  Mainwasser  bekannt  ge- 
worden, wobei  aber  immerhin  andere,  weniger  in  die  Augen  fallende  Gesundheits- 
schädigungen vorgekommen  sein  können. 

Die  Ursache  dieser  auffallenden  Erscheinung  ist  nur  in  dem  Eisengehalt  der 
Flüsse_  zu  suchen;  es  bildet  sich  bald  Arseneisen,  welches  sich  wegen  seiner 
Unlöslichkeit  niederschlägt.  Erfahrungsgeniäss  findet  man  stets  im  Schlamm  der 
genannten  Flüsse  Arseneisen. 

Im  Regierungsbezirke  Düsseldorf,  in  welchem  sehr  bedeutende  Anilinfabriken 
im  Betriebe  sind,  ist  der  directe  Abfluss  der  arsenhaltigen  Abfallwässer  nicht  ge- 
stattet; sie  müssen  in  wasserdichten  Reservoirs  aufgespeichert  und  unter  Kalk- 
zusatz eingedampft  werden. 

Mit  welchen  Schwierigkeiten  dies  Verfahren  verbunden  ist,  geht  aus  der  That- 
sache  hervor,  dass  in  grossen  Fabriken  jährlich  1000  Centner  arsenige  Säure  ver- 
braucht werden.  Von  130—150,000  Liter  täglicher  Abfallwässer  sind  wenigstens 
30 — 50,000  Liter  arsenikalische  Laugen. 

Es  würde  immer  einem  grossen  Bedenken  unterliegen,  diese  ganze  Masse  den 
Flüssen  zu  überliefern;  unter  allen  Umständen  sind  deshalb  Sammelbassins 
zur  Aufnahme  der  arsenikalischen  Laugen  geboten.  Durch  Zusatz  von 
Kochsalz  könnte  man  noch  viel  Farbstoff  gewinnen;  man  scheut  aber  die  hierauf 
zu  verwendende  Arbeit.  Man  begnügt  sich  daher  meist  mit  dem  Kalkzusatz, 
sammelt  den  Niederschlag  und  lässt  die  überstehenden  Flüssigkeiten  abfliessen. 

In  mehreren  Fabriken  am  Oberrhein  werden  angeblich  die  arsenikalischen 
Kalkniederschläge  nach  Holland  versandt  und  in  das  Meer  versenkt.  Wer 
vermag  aber  dieses  Verfahren  zu  controliren?  Die  nach  der  Behandlung  mit  Kalk 
zurückgebliebenen  Flüssigkeiten  werden  immer  noch  arsenhaltig  sein.  Ob  ihr 
freier  Abfluss  keine  Gefahr  in  sich  schliesst,  kann  nur  mit  Berücksichtigung  der 
localen  Verhältnisse,  namentlich  der  Grösse  des  Wasserlaufes,  welcher  sie  aufzu- 
nehmen hat,  beurtheilt  werden.  Im  Hinblick  auf  die  oben  angeführte  Thatsacke, 
dass  sich  bald  unlösliches  Arseneisen  bilden  wird,  braucht  man  in  diesem 
Puncte  nicht  gar  zu  ängstlich  zu  sein,  namentlich  wenn  es  sich  um  einen  Strom, 
wie  der  Rhein  ist,  handelt,  dessen  tägliche  Wassermenge  auf  ca.  5000  Hill.  Kubik- 
fuss  geschützt  werden  kann. 

Im  Regierungsbezirk  Düsseldorf  haben  die  Fabricanten  ein  Consortium  gebildet, 
welches  für  die  Regeneration  der  arsenikalischen  Rückstände  eine  besondere  Fabrik 
errichtet  hat.     Wegen  des  hierbei  zu  beobachtenden  Verfahrens  s.  S.  295. 

4)  Price  (Ber.  der  Deutsch,  ehem.  Gesellsch.  1874,  p.  1028)  schlägt  zur  Wieder- 
gewinnung der  Arsensäure  statt  des  Kalkes  Ammoniakflüssigkeit  vor,  um 
durch  Abdestilliren  des  Ammoniaks  zunächst  die  arsenige  Säure  wieder  zu  ge- 
winnen und  diese  dann  in  bekannter  Weise  in  Arsensäure  überzuführen. 

5)  Eulenberg's  Medicinalwesen,  p.  119. 

6)  Die  erste  Fabrik  dieser  Art  wurde  in  Deutschland  von  der  Firma  Meister,  Lucius 
u.  Brüning  zu  Höchst  a.  M.  errichtet. 

7)  Es  würde  jedenfalls  wünschenswerther  sein,  wenn  statt  des  umständlichen  Um- 
stürzens  des  Digestors  sein  Inhalt  am  Boden  durch  ein  Rohr  abgelassen  werden 
könnte. 

8)  Bei  der  Fabrication  von  Anilin  blau  treten  weniger  sanitäre  Bedenken  auf,  Tveil 
als  Rohmaterial  hauptsächlich  das  durch  den  Fabricationsprocess  von  der  größten 
Menge  des  Arsens  befreite  Fuchsin  neben  den  genannten  nicht  gefährlichen 
Chemikalien  zur  Anwendung  kommt.  In  einem  Kilogramm  der  violetten 
Masse  können  übrigens  noch  0,47  Grm.  arsenige  Säure  enthalten  sein.  Die  beim 
Anilinblau  entstehenden  sehr  farbigen  Abgänge  können  nur  durch  Ableitung  be- 
seitigt werden,  da  sie  oft  täglich,  wie  beim  Fuchsin,  ca.  150,000  Liter  betragen. 
Sammelbassins  sind  nothwendig,  wenn  bei  kleinern  Flüssen  der  Abfluss  nur 
während  der  Nacht  stattfinden  muss.  Kalkzusatz  schlägt  noch  einen  Theil  des 
Farbstoffes  nieder. 

Göttisheim:  Anilinfarbenfabrication.  Deutsche Vierteljahrsschr.,5.  hä.  4.Hett,  187d. 

9)  Unter  den  verschiedenen  Chemikalien  stehen  die  ätherischen  Mittel  m  ihrer 
Wirkung  auf  den  Organismus  gewiss  in  erster  Reihe.  Man  sollte  sie  weit  mehr 
als  bisher  beachten;  wenn  sie  auch  nicht  lebensgefährlich  einwirken,  so  ist  doch 
die  immer  wiederkehrende  Einwirkung  nicht  ohne  Einfluss  auf  das  Wohlbefinden. 


880  Kohlenwasserstoffe. 

Es  können  mehr  oder  weniger  ähnliche  Zustände  entstehen,  welche  man  auch  bei 
der  missbräuchlichen  Vorwendung  von  Aether,  Chloroform  u.  s.  w.  beobachtet: 
namentlich  macht  sich  unter  denselben  die  Abnahme  des  Gedächtnisses  bemerkbar. 

10)  Unter  den  Aethern  nimmt  das  Methylnitrat  in  technischer  Beziehung  eine 
wichtige  Stelle  ein.  Glücklicherweise  kommt  die  Sorge  für  die  Feuersgefahr  auch 
den  Arbeitern  zu  Gute,  da  zur  Verhütung  derselben  die  sorgfältigste  Condensation 
der  Dämpfe  stattfinden  muss. 

11)  Die  Menge  des  Arsens  im  Fuchsin  schwankt  sehr  und  zwar  von  0,25—6,5  und 
sogar  10  %.  Die  damit  gefärbten  Zeuge  enthalten  aber  durchschnittlich  wenig 
Arsen.  Springmühl  (Musterzeitg.  No.  11,  1872)  konnte  in  1  Quadratfnss  Wolle 
etwa  0.0001  Grm.  Arsen  nachweisen.  Etwas  Bestimmtes  lässt  sich  aber  hierüber 
nicht  feststellen,  wenigstens  lehrt  die  Erfahrung,  dass  eine  reizbare  Haut  von 
solchen  Stoffen  sehr  irritirt  werden  kann  Man  hat  neuerdings  in  violett  gefärbten 
Batistroben  aus  Elsass'schen  Fabriken  so  bedeutende  Mengen  Arsen  gefunden, 
dass  man  bei  ihrer  Bearbeitung  nicht  bloss  Entzündung  der  Haut  und  Ausschläge, 
sondern  auch  Uebelkeit.  Magen-  und  Leibschmerzen  u.  s.  w.  beobachtet  hat  (Pharm. 
Centralhalle,  16.  344,  1875). 

12)  Annal.  d'hyg.  publ.,  Oct,  T.XX.  p.  281,  1863. 

13)  Es  ist  hier  noch  zu  erwähnen,  dass  bei  der  Bearbeitung  der  harzigen  Rück- 
stände noch  vielfache  chemische  Processe  vorkommen,  die  hier  wegen  ihrer 
Complicirtheit  nicht  mitgetheilt  werden  können.  Ein  Farbstoff,  welchen  man 
Inulin  nennt,  da  er  in  vielen  Fällen  wie  Indigo  benutzt  werden  kann,  wird  am 
häufigsten  durch  Einwirkung  von  Schwefelsäure  auf  diese  Rückstände  gewonnen. 

14)  In  manchen  Fabriken  besteht  die  Einrichtung,  dass  den  Arbeitern  vorn  geschlos- 
sene Unterhosen  geliefert  werden,  um  das  unnöthige  Betasten  der  Genitalien  zu 
verhüten  und  bei  Befriedigung  eines  Bedürfnisses  zur  vorhergehenden  Reinigung 
der  Hände  zu  nöthigen. 

Es  ist  hier  hervorzuheben,  dass  Cichorienfabriken  denselben  unangenehmen 
süsslichen  Geruch  wie  die  Anilinfarbenfabriken  verbreiten,  da  beim  Rösten  der 
Wurzeln  ausser  den  Producten  der  Caramelisirung  auch  die  dem  Anilin 
homologe  Basen,  Picolin.  Lutidin  u  s.  w.,  auftreten.  Dabei  schlagen  sich  die 
Dämpfe"  auf  allen  Gegenständen  mit  gelber  Farbe  nieder  und  selbst  das  von  den 
Dächern  abüiessende  Wasser  färbt  sich  braun:  man  sollte  daher  solche  Fabriken 
in  Städten  nicht  dulden.  Bei  der  Verpackung  der  Cichorien  werden  häufig  mit 
schädlichen  Metalloxyden  gefärbte  Papiere  verwendet. 

Thymol   (S.  640). 

Lewin,  L. :  Thvmol  als  antiseptisches  und  antifermentatives  Mittel.  Med.  Centralbl. 
1875.  p.  324.     Chem.  Centralbl.  1875,  p.  359. 

Die  Versuche  ergeben,  dass  Thymol  zu  den  besten  Antisepticis  zu  rechnen  ist. 
In  technischer  Beziehung  ist  hier  nur  zu  erwähnen,  dass  ein  geringer  Zusatz  von 
Thymol  zu  Leim-  oder  Gummilösungen  die  Fäulniss  für  4 — 5  Monate  und  noch 
länger  absolut  aufhebt. 

Ueber  die  Wirkung  der  Desinfectionsmittel  im  Allgemeinen  vergl.  man 
noch  Erismann  in  der  Zeitschr.  f.  Biol.  XL,  p.  207. 

Naphtalin  (S.  640-644). 

1)   Ballö:  Das  Naphthalin  und  seine  Derivate  in  Beziehung  zur  Technik  u.  Wissen- 
schaft dargestellt.     Braunschweig  1870. 

Anthracen  (  S.  644—646). 
1)    Auerbach.  G. :  Die  Anthracenfabrication  und  seine  Derivate.     Berlin  1873. 

Picolinbasen  (S.  646—648). 

1)   Deutsch  in  der  Preuss.  Vereinszeitung  1851  No.  8. 

cf.  Vohl  u    Eulenberg  in  der  Vierteljahrsschr.  f.  ger.  Med.,  XV.  Bd.  1871,  p.  249. 

Kamp  her  (S.  648). 

1)  Journ.  f.  Kinderkrankheiten   von   Hildebrandt  u.  Behrend,  23.  Jahrgg.  1865, 
9.  u.  10.  Heft. 

Aetherische  Oele  (S.  648-650). 
1)  Ueber  die  Wirkung  der  Terpentinöldämpfe  schrieben:    Liersch  (Vierteljahrsschr. 


Kautschuk.  Tabaksindustrie.  881 

f.  ger.  Med.,  23.  Bd.,  p.  232,  1862),  Chevallier  (Annal.  d'hyg.  publ.,  p.  95,  1863), 
Hirt  (Die  Gasinhalations-Krankheiten,  p.  174). 

_  Unter  den  verschiedenen  Terpentinölsorten  entwickelt  das  französische  Terpen- 
tinöl jedenfalls  die  intensivste  .Virkung.  Die  mitgetheilten  Versuche  bezweckten 
vorzüglich  diesen  Nachweis.  Ausserdem  spielt  aber  beim  Terpentinöl  die  Idio- 
synkrasie eine  grosse  Rolle;  namentlich  sind  es  sehr  empfindliche,  sog.  hysterische 
Frauen,  welche  durch  die  Dämpfe  des  Terpentinöls  sehr  afficirt  werden :  meist  sind 
es  Frauen,  die  überhaupt  keine  starken  Gerüche,  auch  keine  Wohlgerüche  ver- 
tragen. Es  sind  grade  die  Kohlenwasserstoffe,  welche  auf  die  Nervencentren 
solcher  Individuen  eine  aussergewöhnliche  Wirkung  äussern. 

Unzweifelhaft  irritiren  die  Dämpfe  die  verschiedenen  Schleimhäute:  Augenent- 
zündungen, Kratzen  im  Halse  und  Hustenreiz  können  die  Folgen  sein.  Es  ist  mög- 
lich, dass  hierbei  schon  die  reizende  Wirkung  von  Ozon  betheiligt  ist  (s.  S.  827). 
Unbegründet  ist  aber  die  Annahme,  dass  bei  einem  terpentinhaltigen  Bleianstrich 
auch  Bleitheilchen  mit  fortgerissen  werden. 
2)  Blei  weiss  wird  niemals  zu  weissem  Siegellack  genommen,  da  sich  beim  Ver- 
brennen Bleioxyd  bilden  würde,  welches  die  Masse  gelb  färbt. 

Kautschuk  (S.  650—652). 

1)  Lüdersdorf:  Das  Auflösen  und  Wiederherstellen  des  Federharzes  zur  Darstellung 
luft-  und  wasserdichter  Gegenstände.  Berlin  1832.  Von  Lüdersdorf  rührt  die 
erste  Idee  des  Vulcanisirens  her. 

2)  Neuerdings  setzt  man  die  incorporirten  Gegenstände  nur  heissen  Wasser- 
dämpfen aus,  da  die  Lösungen  von  Schwefelkalium  den  Arbeitern  zu  grosse  Be- 
lästigungen bereiten. 

Das  Incorporiren  mit  Zinkweiss,  namentlich  bei  den  Kinderspielzeugen,  ver- 
dient noch  alle  Beachtung,  abgesehen  von  den  schädlichen  Farben,  welche  man 
hierbei  benutzt.  Die  Kautschuk- Saughütchen  enthielten  früher  stets  Zink  und 
Bleiweiss:  Verf.  vermochte  in  einem  Falle  13,5%  Bleiweiss  nachzuweisen  (siehe 
Eulen  berg  in  Pappenheim's  Monatsschr.,  3.  Heft  1862,  S.  33  u.  35,  1861  2.  Heft 
S   114;  Preuss.  Vereinszeitung  No   18,  1862). 

3)  Die  Wirkungen  des  Schwefelkohlenstoffs  in  Kautschukfabriken  machen  sich  weniger 
geltend,  seitdem  Petroleumbenzin  vorherrschend  gebraucht  wird:  Zustände,  welche 
Delpech  geschildert  hat,  kommen  fast  gar  nicht  mehr  vor. 

A.  Delpech:  Memoire  sur  les  accidents  que  developpe  chez  les  ouvriers^  en 
caoutchouc  l'inhalation  du  sulfure  de  carbone  en  vapeur:  travail  presente  ä 
l'Academie  de  medecine.    Paris  1856.     (conf.  Annal.  d'hyg.  publ.  1863.) 

4)  Payen's  Lehrb.  d.  techn.  Chemie,  S.  196. 

5)  Die  Verwendung  des  Kautschuks  ist  so  mannigfaltig,  dass  die  Gegenstände,  die 
aus  demselben  angefertigt  werden,  kaum  namhaft  zu  machen  sind. 

Proteinkörper  (S.  653—654). 

1)  Camp  über  Albumindarstellung  in  Dingler's  polyt.  Journ.,  204.  Bd.,  p.  56. 

2)  Risch,  Theodor:  Ueber  Schlachthäuser  und  Viehmärkte    Berlin  1866. 

Pauli:  Ueber  Schlachthäuser  in  der  Viertel]  ahrsschr.  f.  gerichtl.  Medic,  20.  Bd., 
S.  339,  1874. 

3)  Eulenberg's  Medicinalwesen,  S.  236. 

Tabaksindustrie  (S.  657 — 659). 

1)  Vohl  u.  Eulenberg:  Ueber  Tabaksrauch  in  toxikol.  Beziehung.  Viert eljahrsschr. 
f.  gerichtl.  Medic,  XV.  Bd.,  1871,  p.  249.  Picolin,  Collidin,  Pyridin  und 
Parvolin  konnten  im  Tabaksrauche  als  Basen  nachgewiesen  werden:  sie  bedingen 
mit  höchster  Wahrscheinlichkeit  die  krank  machende  Wirkung  des  Tabakrauchens. 
Bei  dem  Tabaksrauch  aus  Pfälzer  Tabak,  der  \%  Nicotin  enthielt,  konnte  keine 
Spur  von  Nicotin  nachgewiesen  werden.  Unter  den  Gasen  traten  Kohlensäure. 
Cyan-  und  Schwefelwasserstoff  auf,  während  in  den  nicht  verdichtbaren 
Gasen  des  Tabakrauches  ausser  Sauerstoff  und  Stickstoff  noch  Sumpfgas  und 
Kohlenoxyd  angetroffen  wurden. 

Letzteres  Gas  hat  auch  Krause  (Dingler's  polyt.  Journ.,  213.  Bd.,  P- 490)  nach- 
gewiesen; er  fand  durchschnittlich  9,3Volumproc.  Kohlenoxyd  und  l2,2\olumproc. 
Kohlensäure:    er   schreibt  daher    die   üblen   Folgen   der  ersten   Rauehstudien    den 
Wirkungen  des  Kohlenoxyds  zu,  eine  Annahme,  die  noch  nicht  bewiesen  ist. 
Eulenberg,  Gewerbe-Hygiene.  5b 


882  Tabaksindustrie. 

Heubel  (Centralbl.  f.  d.  niedic.  Wissensch.,  Oct.  5.  1871)  behauptet,  im  Tabaks- 
rauch Nicotin  direct  nachgewiesen  zu  haben.  Wir  können  in  dieser  Beziehung 
nur  auf  unsere  mit  Sorgfalt  angestellten  Versuche  verweisen. 

2)  Die  Aufbewahrung  der  Tabaksblätter  verdient  daher  alle  Beachtung.  Die  be- 
treffenden Lagerräume  müssen  luftig  und  geräumig  sein :  Arbeiten  in  denselben 
sind  nur  zu  gestatten,  nachdem  Thür  und  Fenster  einige  Zeit  vorher  geöffnet 
worden  sind. 

3)  Saucen  können  auch  durch  die  metallenen  Gefässe,  in  denen  sie  bereitet  werden, 
Bisen,  Kupfer,  Zinn  oder  Blei  enthalten:  in  frühem  Zeiten  war  sogar  eine  Mischung 
von  Alaun  und  Blei  zuck  er  gebräuchlich,  um  die  hierbei  frei  werdende  Essig- 
-iuire  als  Beize  zu  benutzen. 

Die  schwarze  Farbe  des  Schnupftabaks  erhöht  man  bisweilen  durch  einen 
Zusatz  von  Kohlenpulver,  Kienruss,  Braunkohlenpulver  u.  s.  w.  Der  Spaniol  ver- 
dankt sein  Aussehen  einer  feinen  rothen  Ockererde:  man  hat  aber  auch  Schwefel- 
arsen, Mennige  und  Zinnober  in  demselben  nachgewiesen. 

4)  Eulenberg's  Medicinalwesen,  S.  91.  Ueber  die  nachtheiligen  Folgen  dieser  Ver- 
packung haben  geschrieben: 

Meyer,  Moritz,  in  Virchow's  Arch.  1857,  p.  209. 

Reumont  in  der  Berl.  klin.  Wochenschr.  1865,  No.  28. 

Flinzer  in  der  Vierteljahrsschr.  f.  ger.  Med.,  9.  Bd.,  S.  175,  1868. 

Garrod  (Pharmac.  Centralh.  1873,  S.  12)   beobachtete   noch  in  neuerer  Zeit  nach 

dem  Genuss   eines   solchen   bleihaltigen   Schnupftabaks  Schwund  der  Muskeln  der 

Arme  und  Schultern,  sowie  eine  Atrophie  der  Beugemuskeln. 

Es  kann  auch  vorkommen,  dass  man  im  Schnupftabak  Massicot  findet,  was 
nur  dadurch  zu  erklären  ist,  dass  man  beim  Plombiren  des  Tabaks  die  Plombage 
mittels  Bleidrähte  an  die  Karotten  bindet  und  beim  Rapieren  diese  mit  ver- 
kleinert. 

5)  Die  sanitäre  Seite  der  Tabaksfabriken  wird  sehr  verschieden  beurtheilt,  was  um 
so  auffallender  ist,  als  die  grosse  Zahl  der  Arbeiter  ein  hinreichendes  Beobachtungs- 
material liefert.  Im  Jahre  1^74  bestanden  bloss  im  Grossherzogthum  Baden 
227  Fabriken  mit  11,581  Arbeitern. 

Ein  Hauptnachtheil  beruht  in  dem  zu  frühzeitigen  Eintreten  jugendlicher  Arbeiter, 
worauf  namentlich  Kostial  (Statist,  med.  Studien  über  die  Sanit -Verhältnisse  der 
weibl.  Bevölkerung  in  der  K.  K.  Cigarrenfabrik  in  Iglau  imWochenblatt  der  Gesellsch. 
der  Aerzte  in  Wien  No.  34 — 41,  186S)  hinweist.  Dort  treten  Arbeiterinnen  in 
der  Regel  schon  mit  dem  13.  Lebensjahre  in  die  Arbeit  ein;  dabei  wohnt  ein  Theil 
derselben  auf  dem  Lande  und  muss  längere  oder  kürzere  Wege  nach  der  Stadt 
zurücklegen.  Von  100  frisch  eingetretenen  Mädchen  erkrankten  im  Alter  von 
12—16  Jahren  72  in  den  ersten  6  Monaten:  die  Krankheiten  bestanden  in  Hirn- 
congestionen,  Neurosen  verschiedener  Art,  Präcordialangst,  Palpitationen,  anämischen 
Erscheinungen,  Reizungen  des  Magens  und  Darmcanals,  allgemeiner  Mattigkeit  und 
Schlaflosigkeit:  seltner  zeigten  sich  Reizungen  der  Respirationswege. 
Es  ist  nicht  bemerkt  worden,  bei  welcher  Art  von  Beschäftigung  die  eben  genannten 
Erscheinungen  eintraten :  es  soll  aber  bei  den  betreffenden  Kranken  Nicotin  im 
Harne  nachgewiesen  worden  sein,  ein  Beweis,  dass  es  sich  um  Nicotin- Vergiftung 
handelte,  deren  Vorkommen  in  den  Tabaksfabriken  somit  nicht  in  Abrede  gestellt 
werden  kann. 

Bei  den  Cigarrenspinnern  zeigt  sich  nicht  selten  eine  dem  Schreibekrampf 
analoge  Affection  der  rechten  Hand  und  des  rechten  Vorderarms  nebst  Anästhesie 
der  Finger:  seltner  tritt  Steifheit  und  Verkrümmung  der  Finger  hinzu.  Es  hat 
sich  ergeben,  dass  die  Arbeiterinnen  leichter  afficirt  werden,  wenn  sie  nüchtern 
zur  Arbeit  kommen,  eine  Erfahrung,  welche  nicht  nur  bei  der  Einwirkung 
narkotischer,  sondeim  auch  ätherischer  Dämpfe  als  sicher-  angenommen  werden 
kann.  Wöchnerinnen  sollten  stets  erst  6  Wochen  nach  der  Entbindung  in  die 
Fabriken  wieder  eintreten. 

Obgleich  die  Verbesserung  der  Arbeitsräume,  die  Einführung  besserer  Arbeits- 
maschinen, gesundere  Wohnungsverhältnisse,  Kranken-  und  Unterstützungscassen, 
Consumvereine  u.  s.  w.   auch   wohlthätig   auf  die  Arbeiter   in  Tabaksfabriken   ein- 

wirkt    haben,    so   lässt  sich   doch   nicht  leugnen,    dass  die  Ausdünstung  des 

Tabaks    mehr    in's    Gewicht    fällt    als    der    Tabaksstaub.     Schwindel   und   Ein- 

ommenheit   des   Kopfes    sind   bei  mangelhafter  Ventilation   und  beim  Trocknen 

der  Einlagen  zu  den  Cigarrcn  im  Arbeitsraum  keine  seltnen  Erscheinungen.    Noch 

hlimmer  sind  die  Folgen,  wenn  der  noch  feuchte  Tabak  in  mit  Deckeln  ver- 
sehenen vcrsehliessbaren  Kasten  aufbewahrt  wird  und  letztere  von  den  Arbei- 
terinnen als  Sitze  benutzt  werden:  öffnet  man  diese  nun,  um  den  Tabak  heraus- 
zunehmen,  so  füllen  sich  die  Arbeitsräume  mit  den  schädlichen  Dünsten,   die  um 


Silicium.  ggg 

so  eher  Gesundheitsbeschädigungen  und  namentlich  eine  schlechte  Blutbildun"  zur 
Folge  haben,  je  weniger  eine  regelmässige  Luftzufuhr  stattfindet, 

In  der  Industrie  findet  sich  oft  eine  Menge  schädlicher  Einflüsse,  die  nur  aus 
einem  traditionellen  Schlendrian  herstammen  und  mit  leichter  Mühe  beseitigt 
werden  könnten,  wenn  die  Fabricanten  nur  auf  die  Bedeutung  derselben  aufmerS- 
sam  gemacht  und  aus  ihrer  Gleichgültigkeit  aufgerüttelt  würden.  So  würde  auch 
in  den  Tabaksfabriken  mancher  sanitäre  Vortheil  schon  erreicht  werden,  wenn  aus 
den  Arbeitsräumen  alles  TTnnöthige  entfernt,  das  zu  verarbeitende  Material  nicht 
in  zu  grosser  Menge  angehäuft,  jeder  Arbeitsraum  in  den  Pausen  gründlich  ge- 
lüftet und  gekehrt  würde. 

In  Hamburg  ist  in  neuerer  Zeit  die  Cigarrenfabrication  fast  ganz  in  die  Form 
der  Hausindustrie  übergegangen,  welche" ihre  Licht-  und  Schattenseite  hat:  sehr 
häufig  tritt  hier  der  Mangel  luftiger  und  der  iNachtheil  beschränkter  Arbeitsräume 
auf.  Ausserdem  ist  grade  bei  den  Cigarren-  und  Tabaksarbeitern  das  Leben  ausser- 
halb der  Fabrik  zu  beachten;  sie  stehen  im  Allgemeinen  nicht  im  besten  Rufe: 
auch  die  Arbeiterinnen  werden  leicht  zur  Putz-  und  Vergnügungssucht  verleitet, 
weil  sie  einen  verhältnissmässig  hohen  Lohn  ohne  grosse  Anstrengungen  verdienen. 
Der  Missstand,  dass  Arbeiter  beiderlei  Geschlechts  in  denselben  Arbeitsräumen 
und  an  demselben  Arbeitsstück  arbeiten,  ist  auf  die  Moraktät  nicht  ohne  Einfluss. 

6)  Zenker  im  Tagebl.  der  40.  Versamml.  Deutscher  Naturf.  u.  Aerzte  in  Hannover 
1865,  Nö.  5,  p.  66. 

Der  b  r  a  un  e  Auswurf  könnte  auch  von  den  Färbungsmitteln  ( Kohle,  Braunkohle  etc.) 
des  Tabaks  herrühren :  wo  diese  gebräuchlich  sind,  da  ist  ihre  Betheiligung  an  dem 
Zustandekommen  der  beschriebenen  Brustaffection  nicht  auszuschliessen. 

7)  Selbstverständlich  ist  hier  nur  von  einem  Tabaksstaub  die  Rede,  welcher  von  den 
Blättern  herrührt,  die  den  Gährungsprocess  schon  durchgemacht  haben. 

8)  Man  vergl.  Schwalbe:  Der  Tabak  in  sanitätspoliz.  Beziehung.  Viertel] ahrsschr. 
f.  gerichtl.  Medicin  1867,  S.  105. 

Jolly:  Etudes  medicales  sur  le  tabac.    Paris  1865. 

Silicium  (S.  659-660). 

1)  Die  Einlagerung  von  Kieselstaub  in  die  Lungen  ist  von  Meinel  in  einer 
Inaugural-Dissertation  als  Chalicosis  pulmonum  (Kiesellunge  von  ya\i<;  kleiner  Stein') 
bezeichnet  worden.  Es  treten  dabei  massenhafte  kleine,  schwärzliche  Knötchen  in 
der  Lunge  auf,  die  als  die  Folgen  einer  chronischen  Reizung  und  nicht  eines 
tuberculösen  Processes  aufzufassen  sind,  da  sie  vorwiegend  aus  einem  faserigen 
Bindegewebe  bestehen.  In  wenigen  Fällen  gelang  es,  im  Centrum  der  Knötchen 
scharfkantige,  eckige,  den  Kieselerdekörnchen  ähnliche  Körperchen  aufzufinden: 
dabei  ergab  die  chemische  Analyse  einen  Gehalt  von  30,71  %  Kieselsäure  in  der 
Asche  der  Lungensubstanz  und  von  41,08  %  in  der  Asche  der  Bronchiallappen. 

In  normalen  Lungen  erhielt  F.  Riegel  (Deutsches  Archiv  f.  klin.  Media,  XV., 
p.  214)  bei  Kindern  4,1  %,  bei  einem  47jährigen  Tagelöhner  13,39  %,  bei  einer 
69jährigen  Köchin  16,69  %,  dagegen  bei  einem  an  Pneumatothorax  gestorbenen  Stein- 
hauer 41,38—58,38  %  Kieselsäure. 

Man  vergl.  auch  die  interessanten  experimentellen  Untersuchungen  über  Kiesel- 
staubinhalation von  Adolf  von  Ins  im  Arch.  f.  experiment.  Pathol.  u.  Pharmac, 
5.  Bd.,  p.  169,  1876. 

Die  Steinhauerarbeit  fordert  trotz  aller  Warnungen  stets  ihre  Opfer:  es  wird 
nicht  eher  besser  in  dieser  Beziehung,  als  bis  bestimmte  polizeiliche  Vor- 
schriften die  Anwendung  der  Schutzmassregeln  gebieten  werden.  Der  Stein- 
hauer selbst  verachtet  dieselben  entweder  aus  Unkenntniss  der  Gefahr,  welcher  er 
sich  täglich  aussetzt,  oder  aus  einem  falschen  Ehrgefühl,  welches  das  Gespötte  seiner 
Mitarbeiter  befürchtet.  ATerf.  hat  (Pappenheim's  Monatsschr.,  4.  Heft,  1862,  p.  56) 
in  dem  Zeiträume  von  1845  bis  1861  die  Mortalitätsliste  über  3199  Steinhauer  ge- 
prüft und  gefunden,  dass  mit  Ausnahme  von  8  Fällen  alle  übrigen  an  Phthisis 
tuberculosis  zu  Grunde  gegangen  waren.  Eclatanter  lässt  sich  die  mit  diesem 
Gewerbe  verbundene  Gefahr  kaum  nachweisen.  Eine  vom  Verf.  empfohlene  Ein- 
richtung dürfte  sich  schon  wegen  ihrer  Einfachheit  sehr  empfehlen.  Man  bildet 
ein  einfaches  Drahtgestell  in  Form  einer  Maske  mit  einem  vordem,  rundlich  aus- 
gebuchteten Drahtbügel  und  überzieht  das  Ganze  mit  einem  Siebflor.  Die  Be- 
festigung geschieht  mittels  kleiner  Schlingen  an  den  Ohren,  so  dass. das  Gesicht 
bis  unter  die  Augen  wie  mit  einem  Helmgitter  bedeckt  ist.  Vor  dem  Gebrauche 
wischt  man  mit  einem  feuchten  Schwämme  über  die  äussere  Fläche  des  Florsiebes, 
damit  auch  der  feinste  Staub  zwischen  den  sehr  feinen  Maschen  des  Gewebes  hängen 
bleibt.     Nach  der  Menge   des   anklebenden  Staubes   richtet   sich  selbstverständlich 

56* 


884  Silicium. 

die  Wiederholung  der  Reinigung,  die  durch  einfaches  Anklopfen  der  Maske  be- 
werkstelligt wird.  Man  ersiebt  dann,  welche  Masse  von  Staub  sich  auf  diese 
Weise  ansammelt  und  wie  sehr  derselbe  bei  der  Inhalation  Lungenkrankheiten 
begünstigen  muss.  Das  höchste  Alter  unter  den  Verstorbenen  betrug  60  Jahre, 
wahrend  sich  die  durchschnittliche  Lebensdauer  auf  37  Jahre  erstreckte. 
Dieses  Resultat  ist  um  so  zuverlässiger,  weil  es  sich  um  ein  ganz  streng  abge- 
schlossenes Gewerbe  handelte,  in  dem  meistens  sogar  der  Sohn  seinem  Vater  folgte 
und  andere  Einflüsse  jeder  Art  fern  blieben. 

Die  Steinschleiferei  unterscheidet  sich  von  der  Steinhauerei  dadurch  sehr 
bedeutend,  dass  die  Schleif-  und  Polirmittel  meist  angefeuchtet  werden.  Zum 
Schleifen  von  Diamant  gebraucht  man  Scheiben  von  weichem  Stahl  und  Eisen 
und  Diamantpulver,  das  mit  etwas  ßrennöl  angefeuchtet  ist.  Bei  den  übrigen 
Edelsteinen  wendet  mau  Scheiben  von  Kupfer  oder  Blei  an,  die  an  der  Peri- 
pherie mit  Oel  und  Schleifpulver  bestrichen  werden. 

Aehnlich  verhält  es  sich  beim  Steinschneiden,  d.h.  beim  Graviren  der  Pet- 
schaften, wobei  der  Stein  zuerst  auf  einer  Glastafel  mit  etwas  Smirgel  matt  ge- 
schliffen und  dann  auf  der  Schleifmaschine  behandelt  wird ,  um  mittels  feiner 
Instrumente,  die  mit  Oel  und  Smirgel  bestrichen  werden,  die  Gravirung  vor- 
zunehmen. 

Die  Achatschleiferei  in  der  Nahegegend  ist  wegen  ihres  grossen  Betriebes 
besonders  zu  erwähnen;  sie  hatte  früher  sehr  viele  sanitäre  Nachtheile,  namentlich 
in  Bezug  auf  Stellung  und  Haltung  der  Arbeiter  während  des  Schleifens,  das 
übrigens  meist  feucht  geschieht.  Wo  trocknes  Schleifen  nothwendig  wird,  da 
ist  auch  die  Mithülfe  eines  Ventilators  dringend  angezeigt. 

2)  Biedermann,  Rudolf:  Siliciumverbindungen.  16.  Heft  der  Wiener  Ausstellung, 
S.  287  n.316. 

Als  Silicat  kommt  auch  Cer  vor,  welches  sich  gleichzeitig  mit  zwei  andern 
Metallen  (Lanthan  und  Didym)  in  seltnen  schwedischen  Mineralien,  namentlich 
im  Cerit,  vorfindet. 

Sonnenschein  hat  im  Ceroxydoxydul  ein  vorzügliches  Reagens  auf  Strychnin 
entdeckt.  Das  Ceroxalat  wird  in  Dosen  von  0,05 — 0,12  Grm.  täglich  als  ein 
vorzügliches  Mittel  gegen  das  Erbrechen  der  schwangeren  Frauen  gerühmt,  conf. 
Julius  Philipp:  Seltne  Metalle,  im  20.  Heft  der  Wiener  Ausstellung,  S.  1014. 

3)  Siliciumfluorid  SiF4  ist  ein  Gas,  welches  ähnlich  dem  salzsauren  Gase  sehr 
leizend  auf  die  Respirationswege  einwirkt.  In  der  Technik  tritt  es  beim  Aetzen 
der  Gläser  mittels  Flusssäure  auf  (s.  S  71).  Da  es  mit  Wasser  sofort  in 
Kieselsäure  und  Kicselfluorwasserstoffsä  ure  (3SiF4  +  4HaO  =  Si(OH)4 
+  2H.i!SiF6)  zerfällt,  so  sind  auch  die  Zersetzungsproducte  sehr  zu  berücksichtigen. 

4)  Biedermann,  I.e.  S.  320. 

5)  Bädeker  (Pappenheim's  Monatsschr.,  2.  Heft  1861,  S.  180)  hat  ausführliche  Unter- 
suchungen über  den  Verbleib  des  Arsens  bei  der  Glasfabrication  angestellt.  Ein 
Theil  des  Arsens  bleibt  im  Glase;  in  der  nächsten  Umgebung  der  Glashütte,  im 
Hüttenstaube  und  in  den  Ofenansätzen  fand  sich  Arsen  theils  als  arsenige  Säure, 
theils  als  Arsensäure. 

6)  Zu  den  bleihaltigen  Gläsern  gehört  auch  das  Mousselinglas ,  auf  welchem  mittels 
einer  Patrone  Muster  durch  Auftragen  einer  Schicht  von  Bleiglasstaub  dar- 
gestellt werden.  Das  spätere  Abbürsten  erzeugt  einen  gefährlichen  Staub,  der  sich 
noch  in  einem  höhern  Grade  ausbildet,  wenn  man  die  Glasscheiben  in  einen  Kasten 
einsetzt,  in  welchem  man  Staub  von  Bleiglassatz  erzeugt.  Beobachten  die  Arbeiter 
nicht  die  grösste  Vorsicht  hierbei,  so  sind  Bleiintoxicationen  unvermeidlich  (siehe 
Du  Mesnil  in  Annal.  dhyg.  publ ,  Avril  1865  und  Janv.   1866. 

7)  In  der  jüngsten  Zeit  macht  auch  das  Hartglas,  Vulcanglas,  Verre  malleable, 
viel  Aufsehen.  Die  Härtung  der  Glasmasse  beruht  auf  einer  physikalischen  Ver- 
änderung: man  erhitzt  das  Glas  bis  zur  Weissgluth,  taugt  es  dann  rasch  in  um 
3 — 400°  weniger  erhitztes  Fett  und  lässt  es  in  demselben  abkühlen:  es  verliert 
die  Härtung ,  wenn  es  wieder  erhitzt  und  nach  der  gewöhnlichen  Methode 
langsam  abgekühlt  wird.  Roger  de  la  Bastie,  ein  französischer  Edelmann, 
hat  diese  Entdeckung  gemacht. 

8)  Die  Glasmalerei  in  ihrer  Anwendung  auf  den  Profanhau  von  Dr.  H.  O.  Separat- 
Abdruck  aus  der  deutschen  Kunstzeitung  „Die  Dioscureu".    Berlin   1874. 

0)   Benrath:  Die  Glasfabrication.    Braunschweig  1*7"). 

10)  Das  Natriumsilicat  besitzt  antiseptische  Eigenschaften,  da  es  Mikrophyten  und 
Mikrozoen  tödtet.  Schon  1834  hat  es  Ganal  zu  Injectioiien  behufs  Conservirung 
von  menschlichen  Leichnamen  benutzt;  es  dient  wie  Gips  zu  Bandagen  und  wirkt 
wie  Carbolsäure  als  desinficirendes  Mittel  bei  Wunden. 


Zinn.  885 


Zinn  (S.  664-668). 

1)  Annal    d'hyg.  publ ,  Juillet  1842,  p.  310. 

2)  Bulletin  des  lois,  p.  486.  Dieser  Procentsatz  rührt  von  Vauquelin  her,  welcher 
durch  seinen  EinÜuss  und  grossen  Ruf  als  Chemiker  diesem  Satze  gleichsam  eine 
dogmatische  Bedeutung  verschaffte. 

3)  Eichordnung  für  den  Norddeutschen  Bund  vom  16.  Juli  1869.  2te  Ausgabe  von 
F.  W.  0.  Müller.     Berlin  bei  Decker  1872. 

4)  Pleischl  im  Sitzungsber.  der  Wiener  Acad.  d.  Wissensch.  XLIII.  p.  555.  Dingler's 
polyt.  Journ.  CLXI\  .  p.  200.  Blei  wird  aus  einer  Lösung  durch  Zinn  metallisch 
niedergeschlagen^  nicht  aber  Zinn  aus  seiner  Lösung  durch  Blei.  Das  Blei  wird 
in  Legirungen  mit  Zinn  niemals  gegen  die  auflösende  Einwirkung  von  selbst  sehr 
verdünnter  Essigsäure  durch  das  Zinn  geschützt,  wie  früher  angenommen  wurde. 
In  der  Regel  wird  bei  einem  grössern  Bleigehalt  der  Legirung  auch  mehr  Blei 
gelöst.  Die  durch  24stündige  Einwirkung  verdünnter  Essigsäure  erlittenen  Ge- 
wichtsverluste waren  im  Mittel  von  9  Versuchen  folgende: 

Ostindisches  Zinn 0,80  % 

Sächsisches  Zinn 0,94% 

Böhmisches  Zinn 1,28  % 

99  Zinn  und  1  Blei 1,08  % 

98     „      „      2    „ 1,27%  - 

97      „      „      3     „ 1,283% 

90     „      „    10    „ 1,255% 

80     „      „    20    „ 1,222% 

70     „      „    30    „ 1,39% 

5)  Hiermit  stimmen  auch  die  Untersuchungen  von  Roussin  in  den  Annal.  d  hyg. 
publ.,  Janv.  1866,  und  von  Gobley,  loc.  eod.,  Janv.  1869,  überein. 

6)  Reich  elt:  Ueber  das  Verhalten  von  Blei  und  Zinn  und  deren  Legiruug  zu  Koch- 
salz (Kunst-  u  Gewerbcbl.  des  polyt.  Vereins  f.  d.  Königr.  Bayern,  Heft  XI.  u.  XII. 
1863).  Bei  der  Einwirkung  des  Kochsalzes  auf  solche  Legirungen  ist  es  nicht  mü- 
der Antheil  von  Blei,  welcher  sich  auflöst,  sondern  auch  der,  welcher  sich  in 
Osychlorid  und  Bleicarbonat  verwandelt  und  in  dieser  Form  in  den  mensch- 
lichen Organismus  gelangen  kann. 

Jeannel,  J.:  Ueber  die  Wirkung  der  flüssigen  Nahrungs"'-  und  Arzneimittel  auf 
bleihaltige  Zinngefässe     Bullet,  de  Therap.  LXXVII.  p.  410,  1874. 

7)  Viele  Fälle,  welche  für  die  schädliche  Wirkung  der  bleireichen  Zinnlegirungen 
sprechen,  finden  sieh  in  den  Annal.  d'hyg.  publ.,  1834  p.  360,  1844  p.  350—356. 
Man  vergl.  ferner  Lefevre  in  Compt  rend.,  26.  Nov.  1860,  Faber  im  Würtemb. 
Correspondenzbl.  No.  23,  S.  185,  1867;  K  er  seh  in  der  Pharmac.  Centralhalle 
1873,  S.  199 

In  den  französischen  Militärhospitälern  dürfen  keine  Zinngeräthe  benutzt  werden, 
bevor  sie  auf  ihren  etwaigen  Bleigehalt  geprüft  worden  sind  (Journ.  de  chim.  med. 
p.  269,  1869).  Seit  dem  Anfange  des  vorigen  Jahrhunderts  war  ein  Zusatz  von 
7  %  Blei  die  Regel,  bis  man  allmählig  ganz  willkürlich  verfuhr  und  alle  sanitäre 
Rücksicht  ausser  Acht  Hess. 

8)  Eine  bleihaltige  Zinnlegirung  macht  sich  auch  bei  der  Verzinn  ung  geltend; 
selten  gewährt  sie  einen  wirklichen  Schutz,  denn  ihr  Gehalt  an  Blei  erzeugt 
häufig  mehr  Nachtheil  als  die  etwaige  Einwirkung  des  Messings,  welches  man  in 
der  Regel  mit  dieser  angeblich  schützenden  Decke  überzieht.  Van  der  Werde 
(Med.  and  surg.  Rep.,  Febr.  8.,  p.  116)  beobachtete  bei  einem  4jährigen  Kinde  eine 
Vergiftung  unter  den  Erscheinungen  von  Glottiskrampf,  Eklampsie  und  Erbrechen, 
welche  durch  den  Genuss  von  Aepfeln  entstanden  war,  die  in  einer  verzinnten, 
d.  h    mit  Zinn  und  Blei  dünn  überzogenenen  Kanne  aufbewahrt  waren. 

Cheva liier  berichtet  über  Bleikoliken,  die  durch  den  Genuss  von  Wasser  ent- 
standen waren,  welches  in  schlecht  verzinnten  Gefässen  aufbewahrt  worden  war 
(Annal.  d'hyg.  publ.  1859,  S.  304). 

Titan  (S    668). 
1)   Gmelin,  C.  G.:  Versuche  u.  s.  w.,  S.  46. 

Schiesspulver  (S.  670—673). 

1)  Poggendorffs  Annal,  Bd.  103,  S.  335. 

2)  Annal  der  Chemie  u  Pharmac,  Bd.  109,  p.  59.  Dingler's  polytechn.  Journ., 
Bd.  152,  p.  72. 


886  Natrium. 

3)   Poggendorff's  Annal.,  Bd.  118,  p.  552.     Dingler's  polyt    Journ  ,  Bd.  168,  p.  158. 
4|    De  l'analyse  des  producta  de  la  eombustion  de  la  poudre.     Paris  1866. 
5}   Zeitschr.  f.  Chemie,  Bd.  12,  p.  12,  und  Wagner's  Jahresber.   1870,  p.  248. 

6)  Upmann,  J. :  Das  Schiesspulver,  dessen  Geschichte,  Fabrication  u.  s.  w.  Braun- 
schweig 1874. 

7)  Nobel  und  Abel  (Compt.  rend.  1874,  p.  160,  Dingler's  polyt.  Journ.  1875,  p.  123) 
schliessen  aus  ihren  vorläufigen  Untersuchungen,  dass  die  Menge  des  Kohlen - 
oxyds  viel  beträchtlicher  sei,  als  bisher  angenommen  worden  ist;  auch  die  Menge 
des  Kaliumcarbonats  sei  bedeutender,  alsBunsen  angenommen  habe;  dagegen 
betrage  das  Maximalquantum  von  Kaliunisulfat  weit  weniger.  Kaliumsulfid 
trete  nie  in  grosser  Menge  auf,  aber  im  Allgemeinen  doch  in  grösserer,  als 
Bunsen  angenommen  habe.  Das  unterschwefligsaure  Kalium  wechsele  in 
quantitativer  Beziehung  sehr;  ebenso  sei  die  Menge  des  Schwefels  sehr  verschieden. 
Ueber  die  andern  gasförmigen  und  festen  Producte  lasse  sich  nichts  Bestimmtes 
sagen. 

8)  Commissarischer  Berieht  über  die  Erkrankungen  durch  Minengase  bei  der  Grau- 
denzer  Minenübung  im  August  1S73.  Berlin  1875.  Die  Minengase  ergaben  an 
Kohlensäure  0,07-2,70%,  an  Kohlenoxyd  0,01  —  0,48%,  an  Sauerstoff 
20,78-17,86%.  Schwefelwasserstoff  konnte  nur  in  2  Kolben  mit  Sicherheit 
nachgewiesen  werden. 

9)  Eulenberg's  Lehre  u.  s.w.,  S.  129. 

Ueber  Minen  gase  schrieben: 
Josephsohn  in  der  Preuss.  Militainirztl.  Zeitschr.  1861,  No.  1. 
Rawitz,  eod.  loc.  1862,  No.  11.     Evers,  eod.  loc.  1875,  1.  Heft. 
Cabasse  in  Gaz.  des  höp.,  p.  460,  1867. 

10)  Polek,  Theodor:    Ueber  die  chemische  Zusammensetzung   der  Minengase.     Arch. 
f.  d.  Offiz.  des  Kgl.  Preuss.  Artillerie-  u.  Jäger-Corps,  Bd.  59,  2.  Heft,  p.  172. 

—  Dr.  Scheidemann  und  die  Wissenschaft!  Kritik.     Berlin  1867. 

11)  Vierteljahrsschr.  f   gerichtl.  Medio.,  V.  Bd.,  2.  Heft  1866. 

Natrium  (S.  673-679). 

1)  Man  benutzt  das  Natriummetall  auch  zu  einer  gefährlichen  Spielerei,  indem  man 
es  in  sogen.  Feuer pillen  auf  dem  Wasser  zerplatzen  lässt. 

2)  Lender  in  der  Deutschen  Klinik  No.  19,   1872. 

3)  Zeitschr.  f.  Chemie,  16  Heft,  1867,  p.  512.     Göttingen. 

Ueber  die  Gesundheitsverhältnisse  der  Salinenarbeiter  s.  Hirt  in  der  Wiener 
med.  Wochenschr.  No.  88,  89,  1867.  Cammerer,  eod.  loc.  No.  8,  1868.  Traut- 
wein in  der  Vierteljaljrsschr.  f.  ger.  Med,  Bd.  8,  p.  17,  1855. 

4)  Ueber  die  Condensation  der  sauren  Dämpfe  von  Dr.  Angus  Smith.  Aus  dem 
Engl,  von  Dr.  Tiemann.     20.  Heft  der  Wiener  Ausstellung,  S.  495. 

5)  Werden  die  Rückstände  nicht  bald  verwcrthet,  so  dürfen  sie  niemals  angehäuft, 
sondern  müssen  in  dünnen  Schichten  ausgebreitet  werden,  damit  sich  der 
durch  die  Luft  eingeleitete  Oxydationsprocess  allmählig  und  ohne  starke  Gasent- 
wicklung vollzieht.  Zweckmässig  ist  es,  sie  mit  Substanzen  zu  versetzen,  welche 
die  etwa  frei  auftretenden  Gase  absorbiren;  hierzu  eignet  sich  ganz  besonders 
das  in  den  Kiesabbränden  der  Schwefelsäurefabriken  vorhandene  Eisenoxyd. 
Auch  das  Bedecken  dieser  Rückstände  mit  Erde  und  feinem  Kies  empfiehlt 
sich,  vorausgesetzt,  dass  man  nicht  eher  eine  neue  Schicht  von  Rückständen  auf- 
trägt, als  bis  der  Oxydationsprocess  in  der  vorhergehenden  Schicht  unter  der  Be- 
deckungsmasse sich  wenigstens  nahezu  vollendet  hat. 

6)  Dingler's  polytechu.  Journ.  CXVIII.,  p.  420. 

7)  Deutsche  Vierteljahrsschr.  f.  offen tl.  Gesuudheitspfl    1874,  p.  408. 

8)  Wagner 's  Jahresber.,  S.  240,  1865. 

9)  Wagners  Jahresber.  1868,  S.  185,  1869,  S.  193. 

10)  Cheiu.  Centralbl.  1868,  1064.     Wagners  Jahresber.  1871,  S.  276. 

11)  Wiener  Ausstellung,  20.  Heft,  S.  469. 

Silber  (S.  680—683). 

1)  Wedding:  Ueber  Entsilberung  des  Werkbleies  durch  Zink.  Zeitschr.  f.  d.  Berg- 
u.  Hüttenwesen  1871,  p.  159 — 171. 

Zeiler  und  Herbst:    Entsilberung  des   Werkbleies    zu  Call  in  d.  Eitel,    eod.  loc. 
1871,  p.  422.     Polytechn.  Centralbl.  1871,  p.  589. 

Die  Silberproduction  ist  in  den  letzten  Jahren  durch  den  Import  von  mexika- 
nischen und  peruanischen  Erzen  sehr  gehoben  worden. 


Calcium.  ggy 

Das  Augustin 'sehe  Verfahren  hatte  schon  das  Amalgamationsverfahren  fast 
ganz  verdrängt,  während  in  neuerer  Zeit  die  Zie  rvogel'sche  Methode  vorzugs- 
weise zur  Ausführung  gelaugt. 

2)  Auf  eine  besondere  Hautfärbung  bei  Silberpolirerinnen  hat  Ollivier 
(Gaz.  med.  de  Paris,  1872,  20.,  Medic.-chirurg.  Rundschau,  1.  Bd.,  3.  Heft,  1873) 
aufmerksam  gemacht  und  sie  unter  Umständen  in  forensischer  Beziehung  für 
wichtig  erklärt,  um  die  Identität  eines  Individuums  festzustellen.  Bei  einer  Frau, 
die  50  Jahre  lang  dies  Geschäft  betrieben  hatte,  waren  Gesicht  und  Vorderarme 
blassbläulich  gefärbt:  am  linken  Vorderarm  fanden  sich  eine  Menge  kleiner  blauer 
Flecke  von  1—2  Millim.  Durchmesser.  Da  die  Schleimhaut  der  Wangen  und  des 
Zahnfleisches  keine  Flecke  zeigte  und  der  linke  Vorderarm,  der  am  meisten  auf 
dem  mit  Silberstaub  bestreuten  Tische  auflag,  vorzugsweise  verfärbt  war,  so  liegt 
die  Annahme  einer  einfachen  mechanischen  Einwirkung  nahe. 

3)  Bekanntlich  kommen  in  den  Familien  der  Photographeu  gar  nicht  selten  zufällige 
Vergiftungen  durch  Cyankalium  vor. 

Calcium  (S.  684—687). 

1)  Wiener  medic.  Wochenschr.  No.  43—48,  1870. 

2)  Arch.  f.  klin.  Chirurg.,  18.  Bd.,  4.  Heft,  1875. 

3)  In  Betreff  des  Kalkstaubes  ist  stets  zu  beachten,  dsss  er  um  so  eher  in  die 
natürlichen  Oeffnungen  des  Körpers  eintritt,  je  feiner  er  ist  (cf.  die  Anmerkung 
auf  S.  648).  Beim  Pulverisiren  und  Sieben  des  Kalkes  kann  sich  dann  eine  sehr 
schmerzhafte  Angina  faucium  ausbilden,  die  sich  unter  Umständen  bis  auf  die  tuba 
Eustachiana  fortpflanzt  und  eine  vorübergehende  Taubheit  veranlasst.  Da  der  Staub 
in  Wasser  löslich  ist,  so  wird  er  sich  nicht  in  das  Lungengewebe  ablagern:  selten 
setzt  sich  die  Reizung  weiter  auf  den  Kehlkopf  oder  die  Luftröhre  fort.  Häufig 
tritt  ein  eigenthümliches  Reissen  der  Haut  ein,  wenn  der  Staub  sich  auf  derselben 
ablagert;  da  er  nämlich  mit  dem  Hautfett  eine  Verseifung  eingeht,  so  verliert 
diese  ihre  natürliche  Geschmeidigkeit  und  Schrunden  oder  Risse  sind  die  Folgen. 
Das  Waschen  mit  saurer  Milch  oder  der  Brühe  des  Sauerkrauts  ist  ein  bekanntes 
und  probates  Hausmittel  gegen  dieses  Leiden. 

Um  das  Einathmen  des  Kalkstaubes  zu  verhüten,  dienen  in  Essig  getauchte 
Schwämme.  Das  beste  Präservativmittel  muss  stets  in  der  Benutzung  geschlos- 
sener Pulverisir-  und  Siebapparate  bestehen;  ganz  besonders  müssen  die- 
selben auch  bei  dem  Pulverisiren  des  Chlorkalks   zur  Anwendung  kommen. 

4)  In  Betreff  der  Theorien  dieses  Processes  s.  Friedrich  Knapp:  Mörtel  u.  Cement 
im  20.  Heft  der  Wiener  Ausstellung,  S.  566. 

5)  Der  grösste  sanitäre  Nachtheil  tritt  bei  der  Cementindustrie  auf,  wenn  das  Mahlen 
und  Pulverisiren  ohne  alle  Controle  und  Vorsicht  von  den  Arbeitern  ausgeführt 
wird.  Die  Gegenwart  von  Silicaten  im  Staube  verleiht  dem  letztern  von  vorn- 
herein einen  gefährlichen  Charakter  und  es  ist  unverantwortlich,  wenn  die  Arbeiter 
nicht  selten  tagelang  in  Staubwolken  zubringen  müssen.  Es  gilt  hier  mehr  oder 
weniger  Alles,  was  schon  von  der  Gefährlichkeit  des  Kieselerdestaubes  gesagt 
worden  ist. 

6)  Selenitmörtel  (Scott's  selenitic  mortar),  der  aus  Kalk  und  Gips  bereitet  wird,  soll 
doppelt  so  viel  Sand  als  der  gewöhnliche  Kalk  binden. 

7)  Die  Gipsung  (plätrage)  des  Weins  geschieht  besonders  in  Frankreich,  nament- 
lich bei  Tresterweinen,  um  eine  grössere  Ausbeute,  ein  schnelleres  Niederschlagen 
der  Hefe  und  eine  lebhaftere  Farbe  zu  erzeugen.  Diese  „vins  plätres"  erzeugen 
leicht  Diarrhoe,  weil  sich  Kaliumsulfat,  unlöslicher  weinsteinsaurer  Kalk  und  freie 
Weinsäure  bildet  (s.  Chevallier  in  Annal.  d'hyg.  publ.,  Janv.  1876). 

Die  desinficirende  Wirkung  des  Gipses  lässt  sich  in  mancherlei  Weise  ver- 
werthen:  es  genüge  hier,  nur  in  Beziehung  zur  Düngung  auf  dies  ausgezeichnete 
Mittel  aufmerksam  zu  machen. 

Wird  in  der  Nähe  von  Städten  Gemüse-  und  Blumenzucht  betrieben,  so  ent- 
stehen oft  grosse  Belästigungen,  wenn  der  Dünger,  speciell  menschliche  Excre- 
mente,  in  der  Nähe  von  Promenaden  und  öffentlichen  Wegen  abgelagert  weiden. 
So  muss  namentlich  zur  Düngung  der  Brunnenkresse  ein  Material  verwendet 
werden,  das  durch  mehrjähriges  Lagern  vollständig  verrottet  ist  und  sich  in  eine 
leicht  zerreibliche,  lockere  Masse  verwandelt  hat;  dieser  vorbereitete  Dünger  wird 
ganz  fein  zerkleinert  und  in  die  Gräben  der  Brunnenkresse-Kolturen  geworfen  und 
dient  mit  seinen  durch  den  Verwesungsprocess  zum  grössten  Theil  leicht  löslich 
gewordenen  Bestandteilen  zur  Ernährung  dieser  Pflanzern  Dünger,  der  mit 
grössern  Mengen  von  Erde  versetzt  ist,  eignet  sich  nicht  zu  diesem  Zweck, 
da    derselbe    mit    seinen    erdigen   Theilen    die   Gräben  verschlämmt    und  an  den 


Barium 'ndustrie. 

Blättern  der  Brunnenkresse  anhaftet;  Composthaufen  lassen  sich  deshalb  hier 
nicht  anlegen.  Dagegen  hat  sich  hier  der  Gips  als  ein  ausgezeichnetes  Desinfec- 
tionsmittel  bewährt,  das  auch  als  Dungsubstanz  der  Brunnenkresse  nützlich  ist; 
den  Werth  des  Düngers  vermehrt  er  nämlich  durch  Amruoniakbindung  und 
Beeinflussung  des  Gährungsvorganges  (s.  König  u.  Kiesow,  Landwirthschaftl. 
Jahrb.  IL  107). 

Auf  eine  Fuhre  von  ungefähr  "20  Centner  Dünger  müsste  beim  Abladen  ungefähr 
1  Centner  Gips  zugemischt  werden  und  ein  Bedecken  des  Düngers  mit  einer  ganz 
leichten  Decke,  die  aus  1  Th.  Gips  und  1  Th.  Erde  besteht,  stattfinden:  mit  geringen 
Kosten  würde  dann  ein  doppelter  Zweck  erreicht,  indem  mit  der  Hebung  der 
Gartencnltur  die  grössten  Belästigungen  beseitigt  werden,  die  sonst  jedem  Freunde 
der  Natur  den  Genuss  derselben  in  empfindlicher  Weise  trüben. 

Barium  (S.  688). 

1)  Der  grosse  Missbrauch,  der  in  dieser  Beziehung  mit  Schwerspath  getrieben  wird, 
ist  noch  niemals  gehörig  berücksichtigt  worden;  wir  ergreifen  daher  diese  Ge- 
legenheit, recht  nachdrücklich  auf  dies  gewissenlose  Verfahren  aufmerksam  zu 
machen. 

Bariumindustrie  (S.  688—689). 

1)  Das  Barytweiss  wird  sehr  häufig  auch  als  Nebenproduct  gewonnen,  conf.  Eulen- 
berg in  Vierteljahrsschr.  f.  gerichtl.  Med.,  2.  Heft,  25.  Ba.,  1876. 

2)  Biedermann:  Ueber  Barium.     20.  Heft  der  Wiener  Ausstellung,  S.  516. 

Bariumhydrat  Ba;OH)2  nimmt  doppelt  so  viel  Sauerstoff  auf,  wenn  nach 
schwachem  Glühen  atmosphärische  Lult  oder  Sauerstoff  über  dasselbe  geleitet 
wird;  es  entsteht  dann  Bariumsuperoxyd  Ba02  (s.  S.  129). 

Ueber  die  Wirkung  von  Chlorbarium  conf.  Wolf  in  Casper's  Wochenschr. 
No.  37,  1850,  über  die  Wirkung  der  Barytsalze  Onsum  in  virchow's  Archiv, 
Bd  28,  p.  233,  1863,  Cyon  im  Arch.  f.  Anat.  u.  Phys.,  2  Heft  1866,  p.  196. 

Die  löslichen  Barytsalze  erzeugen  Coagulationen  des  Blutes  in  den  Herzventrikeln; 
Onsum  sucht  deshalb  das  Weten  der  Vergiftung  in  Verstopfung  der  Lungen- 
arterienzweige,  aber  mit  Unrecht,  wie  Cyon  nachgewiesen  hat.  Die  Wirkung  der 
löslichen  Bariumsalze  auf  Hirn  und  Rückenmark  hat  schon  Gmelin  (1.  c.  S.  15) 
nachgenommen:  Cyon  stimmt  dieser  Annahme  zu,  hebt  aber  auch  die  deletäre 
Wirkung  auf  das  Herz  hervor. 

Chlorbarium  und  Bariumcarbonat  können  entschieden  als  giftige  Präparate 
angenommen  werden. 

Magnesium  (S.  689—690). 

1)  Für  die  Technik  wird  ein  künstliches  Gemenge  von  Magnesia  und  Calciumcarbonat 
benutzt. 

Auch  gebrannte  Magnesia  liefert  mit  einer  Lösung  von  Chlormagnesium  eine 
erhärtende  weisse  Masse,  die  mit  einem  Pinsel  auf  das  Mauerwerk  aufgetragen 
werden  kann.  Diese  Verbindung  (Magnesiumoxychlorid)  soll  chemisch  gebundenes 
Wasser  enthalten.  Albolith  wird  eine  solche  Mischung  genannt,  wenn  man  die- 
selbe noch  mit  amorpher  Kieselerde  versetzt  und  als  breiige  Masse  zum  Anstreichen 
von  Gips,  Holz  u.  s.  w.  benutzt. 

Zink  (S.  690-696). 

1)  Rust's  Magazin,  XXI.  Bd.,  S.  563. 

Die  von  Botkin  und  Popoff  (Berl.  klin.  Wochenschr.  No.  5,  1873)  mitgetheilte 
Beobachtung  betrifft  nicht  die  reinen  Zinkdämpfe;  es  handelt  sich  hier  vielmehr 
um  Messingdämpfe. 

2)  Wenn  die  langjährige  Einwirkung  der  Zinkdämpfe  auch  Lähmungen  zur  Folge 
hat,  so  kann  man  wohl  mit  ziemlicher  Sicherheit  auf  eine  Betheiligung  von  Blei- 
dämpfen schliessen. 

3)  Busse  (Casper's  Wochenschr.  1837,  No.  19)  rettete  noch  einen  Knaben,  nachdem 
derselbe  3246  Gran  Zinkblumen  gegen  Epilepsie  genommen  hatte. 

4)  Michaelis:  Ueber  die  physiolog.  Wirkung  des  Zinkoxyds  im  Arch.  f.  physiolog. 
Heilk ,  Jahrg.  X.  1851,  p.  127. 

5)  Pharmac.  Centralhalle  No.  8,  1871,  S.  77. 


Blei.  889 

6)  Die  Abbildung  des  Hasen  clever 'sehen  Ofens  findet  sich  in  Wagner's  Jahresber. 
1873,  p.  331,  die  betreffende  Abhandlung  in  der  Zeitschrift  des  Vereins  Deutscher 
Ingenieure,  1872,  S.  705. 

Man  ist  überhaupt  sehr  bemüht,  die  Zinköfen  in  jeder  Beziehung  zu  verbessern; 
man  vergl.  in  dieser  Beziehung  Thum's  Ofen  zur  Verhüttung  der  Zinkblende  in 
Wagner's  Jahresber.  1874,  p.  170.  Ausserdem  haben  die  Siemens'sche  Regene- 
rativfeuerung und  die  Gasfeuerung  von  ßoetius  den  günstigsten  Einfluss  auf  die 
Zinkverhüttung  ausgeübt,  so  dass  mit  den  Fortschritten  der  technischen  Einrich- 
tung auch  die  Belästigung  für  die  Adjacenten  sehr  gemindert  worden  ist. 

7)  Ziurek  (Vierteljahrsschr.  für  gerichtl.  Medicin  1867,  Bd.  6,  p.  356)  fand  in  einem 
Liter  "Wasser,  welches  in  einem  nicht  angestrichenen  Zinkreservoir  aufbewahrt 
gewesen,  1,0104  Grm  Zink,  obgleich  der  Kochsalzgehalt  im  Wasser  nur  0,0740  im 
Liter  betrug. 

8)  Chlor  zink  wird  jetzt  häufig:  statt  der  Carbolsäure  in  Schiffsräumen  als  des- 
inficirendes  Mittel  benutzt.  Leber  Chlorzinkvergiftung  s.  Honseil  in  der 
Berl.  klin.  Wochenschr.  No.  18,  19,  1866. 

9)  Das  Zinkgrün  wird  auf  den  sächsischen  Blaufarbwerken  in  vier  Nuancen  dar- 
gestellt und  kommt  auch  unter  dem  Namen  Sächsisch-Grün,  Gellertsgrün, 
Ultramaringrün  im  Handel  vor.  Das  Sächsisch-Grün  ist  eine  Verbindung 
von  Kobalt  mit  Zink,  Chlormagnesium  und  Spuren  von  Eisen;  es  eignet  sich  gut 
zum  Tapeten-  und  Papierfarbendruck,  zum  Anstreichen  der  Kinderspielwaaren  und 
als  Farbstein  in  Malerkasten  für  Kinder.  Man  erkennt  die  Farbe  durch  Schwefel- 
ammonium, das  anfangs  eine  hellbraune,  dann  allmählig  eine  schwarzbraune 
Verfärbung  erzeugt.  Schwefelwasserstoff  wirkt  nicht  auf  die  Farbe  ein.  Man 
hat  nur  dafür  zu  sorgen,  dass  das  gebrauchte  Kobalt  arsenfrei  ist.  Günther  in 
Pappenheim's  Monatsschr.  1860,  I.  Jahrg.,  p.  329-337.  (s.  Kobalt.) 

Kadmium  (S.  696-697). 

1)  In  Oberschlesien  wurde  im  Jahre  1872  eine  Menge  von  2839  Pfd.  erzeugt. 

Eine  Legirung  von  Kadmium  mit  Blei,  Zinn  und  Wismuth  heisst  Wood's 
Metalllegir ung    und   dient  nur   als   Metallkitt.     Schwefelkadmium   wird  als 

felbe    Malerfarbe    und    in    der   Lustfeuerwerkerei    zur    Erzeugung    eines    blauen 
euers  benutzt 

2)  Zeitschr.  f.  ration.  Medic.  XXIX.  I.  1867. 

Blei  (S.  697-712). 

1)  Dass  die  Haut  Bleiverbindungen  aufnimmt,  wird  durch  die  schädlichen  Folgen  der 
bleihaltigen  Haarfärbemittel  bewiesen. 

2)  Pathogenese  u.  Symptomatologie  der  chron.  Bleivergiftung,  Berlin  1871,  p.  66. 
Man  vergl.  auch  Gussero  w  in  Virchow's  Arch.,  21.  Bd.,  S.  413;   Hitzig:  Studien 
über  Bleivergiftung.  Berlin  1868. 

3)  Färbungen  des  Zahnfleisches  können  bekanntlich  auch  bei  der  Ingestion  von 
Höllenstein,  Eisen  und  beim  Gebrauche  kohlenhaltiger  Zahnpulver  entstehen.  Aber 
auch  bei  Bleiarbeitern  bleibt  bisweilen  der  schiefergraue  Rand  des  Zahnfleisches 
ein  locales  Symptom  und  man  kann  nicht  behaupten,  dass  er  sich  stets  nur  in 
Folge  der  Ausscheidung  des  Metalls  durch  die  Speicheldrüsen  bildet. 

4)  Bei  der  Schilderung  dieses  Krankheitsbildes  hatte  Verf.  die  von  Schniewind 
(Vierteljahrsschr.  f.  gerichtl.  Medic.  u.  s.  w.,  XXI.  Bd.,  S.  277,  1862)  beschriebenen 
Fall  im  Auge,  welcher  ihm  wegen  der  genauen  Bekanntschaft  mit  dem  Verstorbenen 
ein  besonderes  Interesse  darbot.  Solche  mehr  acut  verlaufende  Fälle  werden 
hauptsächlich  durch  Ingestion  von  Bleiacetat  hervorgerufen. 

Viele  Vergiftungen,  die  zum  chronischen  Saturnismus  gehören,  verlaufen 
schleichend  und  bleiben  oft  in  ätiologischer  Beziehung  dunkel,  wenn  es  nicht  zu 
eclatanten  Lähmungen  kommt,  denn  gar  nicht  selten  bleibt  es  bei  den  Digestions- 
störungen,  ohne  Affectionen  des  Nervensystems,  namentlich  wenn  nur  sehr  kleine 
Mengen  von  Blei  einwirken,  z.  B.  beim  Gebrauch  von  bleihaltigen  oder  schlecht 
verzinnten  Gefässen,  von  irdenen  Töpfen  mit  bleihaltiger  Glasur  oder  von  Eisen- 
geschirr mit  bleihaltigem  Email. 

Kussmaul  und  Maier  (Deutsch.  Arch.  f.  klin.  Med.,  9.  Bd.,  3.  Heft,  p.285,  1872) 
haben  eine  ausführliche  Beschreibung  des  chronischen  Saturnismus  geliefert  und 
einen  sehr  beachtungswerthen  Fall  geschildert,  der  einen  35jährigen  Arbeiter 
betraf,  welcher  sich  länger  als  20  Jahre  mit  Bleifarben  beschäftigt  hatte.  Er  litt 
seit  vielen  Jahren  an  chronischem  Saturnismus,  war  aber  niemals  von  Lähmung 
oder  Nervenaffectionen  befallen  worden.  Die  Symptome  der  Vergiftung  bestanden 
in  blassgelber  Hautfarbe,  Abmagerung,  Dyspepsie,  Verstopfung  und  Leibweh,  das 


§90  Blei 

sich  nur  zweimal  in  der  letzten  Zeit  seines  Lebens  zu  Kolikanfällen  mit  Dysurie 

und  Pulsverlangsamung    gesteigert    hatte;    er    starb    im    zweiten    Anfalle,    in 

welchem  es  zum  Erbrechen  reichlicher,  gallig  gefärbter  Massen  (bei  vorhandenem 

Icterus]   und  zu  profusem  Durchfall  kam. 
5)    Tietz.  (Jh.  F.  Lnaug.-Dissert.,  Leipzig  1809.     Die  Beobachtungen   erstrecken  sich 

auf  den  Zeitraum  von  1852 — 1862. 
G)   Chevallier:  Recherohes  sur  les  causes  de  la  maladie  de  la  colique  de  plomb.  chez 

les  ouvriers,  qui  preparent  la  ceruse.    Annal.  d'hyg.  publ.,  T.  XV.,  p.  183G.     Ferner 

Adeluii  et  Chevallier,  loc.  eod.  1838,  T.  XIX. 

7)  Ren  au  t.  J  ;  De  lintoxication  saturnine  chronique.  Paris  1875.  Eine  mono- 
graphische Arbeit  mit  vollständigem  Literaturverzeichnisse. 

8)  Marinisse,  Gaz.  des  hopit.  No.  "25,  1866.  Der  mitgetheilte  Fall  von  Paralyse  in 
Folge  langjährigen  Lesens  von  frischen  Druckbogen  klinvt  unglaublich. 

9)  Samelsohn,  Monatsbl.  f.  Augenheilk.,  XL,  p.  246,  1873. 

Ueber   R  'tinitis  albuminosa  bei  Bleivergiftungen  vergl.  Rau  im  Arch.  f.  Ophthal., 
I.  2.  p.  205,   1855,  in  Schmidt's  Jahrb.,  Bd.  133,  p.  116,  u.  Bd.  143,  p.  G7. 

10)  Es  gibt  aber  auch  Fälle,  in  denen  diese  Lähmungen  in  Begleitung  von  Saturnismus 
chronicus  verlaufen. 

11)  Cousins  'Med.  Times,  Sept.  IG,  18G4)  beschreibt  einen  solchen  Fall  von  Gesichts- 
lähmung 

12 1   Virehow-   Arch..  39.  Bd..  p.  1  u.  174. 

L3j  Lewy  bat  unter  1186  Bleikranken  lömal  Caries  und  Necrose  am  Oberkiefer, 
4mal  am  Vorderarm.  2mal  am  Oberschenkel,  lmal  an  den  Rippen  und  am  Brust- 
hein beobachtet  (s.  Die  Berufskrankh.  d.  Bleiarbeiter,  Wien  1873,  S.  Gl.  Oesterr. 
Zeitechr    F.  prafct    Heilk.,  XVI.  G    1870. 

14)  Asthma  saturnintim  chronicum  kommt  im  Allgemeinen  selten  vor.  Lewy 
(1.  c.  S.  43:  will  es  unter  1186  Bleikranken  nur  21mal  beobachtet  haben.  Bleistaub 
wird  immerhin  in  den  Re.-pirationswegen  reizend  einwirken,  er  kann  aber  hier  auf 
die  Dauer  nicht  abgelagert  bleiben,  da  der  Kochsalzgehalt  der  organischen  Flüssig- 
keiten stets  mehr  oder  weniger  verändernd  auf  das  Metall  einwirken  wird ;  ausser- 
dem hat  das  Blei  die  geringste  Affinität  zu  den  Lungen.  Die  Lungenschwind- 
sucht bei  Buchdruckern,  Setzern  oder  Giessern  hat  man  bekanntlich  auch 
auf  das  Einathmen  des  Bleistaubes  geschoben:  da  aber  bei  Bleiweiss-  und  Mennig- 
arbeitern entschieden  die  Lungenschwindsucht  am  wenigsten  vorherrscht,  obgleich 
hier  der  Bleistaub  in  den  meisten  Fällen  jedenfalls  reichlicher  als  bei  irgend  einem 
andern  Gewerbe  auftritt,  so  wird  dadurch  der  Beweis  geliefert,  dass  namentlich 
in  Buchdruekereien  noch  andere  schädliche  Momente  mit  eüiwirken. 

15)  Paul,  Constantin,  (These  inaugurale,  Paris  1861)  hat  besonders  darauf  aufmerk- 
sam gemaelit.  dass  Frauen,  die  sich  mit  Bleiarbeiten  beschäftigen,  häufig  abortiren. 
Blei   wirkt  in  dieser  Beziehung  ebenso  nachtheilig  wie  Quecksilber. 

Ausserd<  m  begegnet  man  aber  im  täglichen  Leben  tausendfach  den  Gefahren  der 
Bleivergiftung.  Wertheimer  (Deutsch.  Arch ,  I.  2.,  p.  222,  18G5)  hebt  besonders 
die  Falle  hervor,  in  denen  Kinder  durch  Lecken  von  Muschelfarben,  durch  Kauen 
von  Visitenkarten  u.  s.  w.  in  Bleikolik  verfielen.  Bei  den  Gewerben  lassen  sich 
nicht  alle  Möglichkeiten,  unter  denen  die  Arbeiter  mit  Bleipräparaten  in  Berührung 
kommen  können,  angeben.  Eine  sehr  reichliche  Casuistik  liefert  Tanquerel  des 
Plauches:  Traite  des  maladies  de  plomb  ou  saturnines.    Paris  1839. 

In  historischer  uud  industrieller  Beziehung  sind  die  von  Stockhausen  bei  den 
Hüttenarbeitern  in  Goslar  gemachten  Erfahrungen  ganz  besonders  hervorzuheben, 
da  sie  die  Literatur  über  Gewerbekrankheiten  begründen.  Das  Werk  führt  den 
Titel:  De  lithargyrii  fnmo  nexio,  morbifico  ejusque  metallico  frequentiori  morbo, 
vulgo  dicto  ..  Hüttenkatze",  Goslar  1556. 

16)  Percy's  Metallurgie.  Uebersetzt  von  Knapp.  Wedding  und  Rammeisberg. 
3.  Bd.:  Metallurgie  des  Bleies  von  Rammeis berg.  Braunschweig  1872,  p.  31G. 

Am  mei-ten  Blei  wird  auf  den  S.  682  erwähnten  Hütten  gewonnen.  Wie  bei 
allen  technischen  Vorgängen,  so  haben  sich  auch  in  neuerer  Zeit  bei  der  Blei- 
gewinnung mit  bessern  technischen  Einrichtungen  auch  die  sanitären  Vortheile 
günstiger  gestaltet.  So  sind  namentlich  die  Oefen  bei  der  Niederschlagsarbeit  sehr 
verbessert  worden.  Aus  dem  Rachette-Ofen,  einem  länglichen,  viereckigen, 
nach  oben  sich  erweiternden  und  gichten weise  zu  beschickenden  Ofen  ist  nach  der 
Modification  von  Käst  der  Ruudschachtofen  entstanden,  bei  welchem  sich 
weniger  Flugstaub  bildet  und  Blei  weit  weniger  durch  Verdunstung  verloren  geht, 
weil  "die  Gase  langsamer  aufsteigen  und  die  Gicht  vollkommen  kalt  bleibt.  Die 
Schmelzer  sind  daher  vor  den  Bleidämpfen  und  der  strahlenden  Hitze  mehr 
geschützt,  namentlich  wenn  kräftige  Exhaustoren  uud  zweckmässige  Condensations- 
canäle  hinzukommen.     In  Freiberg  umfassen  die  Condeusations-Vorrichtuugen  eine 


.      Kupfer.  891 

Ausdehnung  von  16,582  Cubikm.,  ohne  die  hierzu  gehörigen  Schwefelsäure - 
fabriken.  Die  verminderte  Entschädigung  an  die  Forst-  und  Landwirtschaft, 
sowie  die  Wiedergewinnung  von  werthvollem  Flugstaube  haben  die  Erbauungs- 
kosten vollständig  gedeckt. 

Eine  neue  Reinigungsniethode  des  Bleies  nach  Payen  und  Roux  wird 
Natronmetallurgie  genannt  und  besteht  im  Schmelzen  des  Bleies  mit  caustischer 
Soda  und  einer  geringen  Menge  Salpeter.  Die  Schlacke  wird  auf  Arsen  und 
Antimon,  welche  an  Natron  gebunden  sind,  verarbeitet. 

Die  Bloihütte  zu  Call  in  d.  Eifel  raffln irt  das  Blei  durch  Zusatz  von  chlorhaltigem 
Salpeter. 

17)  Clemens  (Viertel]  ahrsschr.  f.  gerichtl.  Med.  u.  s.w.,  4.  Bd.  1853,  p.  177)  berichtet 
über  eine  Bleivergiftung,  welche  durch  Exhalation  warmer  Metallflächen  bei  einem 
jungen  Manne  in  der  Weise  entstanden  sein  soll,  dass  derselbe  sich  Abends  auf 
die  durch  die  Sonnenstrahlen  erwärmten  Bleiplatten  eines  Balkons  oder  auch 
Mittags  mit  dem  Gesicht  nach  den  Bleiplatten  gekehrt  auszustrecken  pflegte. 

18)  Pappenheim:  Die  bleiernen  Utensilien  für  das  Hausgebrauchswasser,  Berlin 
1868,  S.  128. 

19)  In  neuerer  Zeit  werden  Bleiröhren  angefertigt,  die  inwendig  einen  zinnernen 
Mantel  haben,  so  dass  Flüssigkeiten  nur  mit  dem  Zinn  in  Berührung  kommen 
können,  wobei  es  allerdings  auch  auf  die  Reinheit  des  Zinns  ankommt. 

20)  Frank-Smith,  William,  in  Lancet,  22.  May  1869. 

21)  E.  Meyer  (L'Union,  76.  1868)  beobachtete  bei  einem  Mädchen,  welches  sich  mit 
diesem  Bleichen  der  Brüsseler  Spitzen  beschäftigt  hatte,  rechtsseitige  Hemiplegie 
mit  Diplopie  und  Strabismus;  es  bildete  sich  allmählig  eine  Atrophie  beider 
N.  optici  aus.  Bei  einer  Schwester  dieser  Kranken  trat  Neuritis  des  N.  opticus 
ein,  welche  wieder  gehoben-  wurde.     In  einem  dritten  Falle  entstand  Morb.  Bricht. 

Ebenso  gefährlich  kann  das  Bleichen  der  Strohhüte  mittels  Bleisalze  werden, 
nachdem  sie  vorher  behufs  Entziehung  des  Fettes  in  einer  Auflösung  von  Ammo- 
niumcarbonat  oder  Aetzammoniak  eingeweicht  und  gebürstet  worden  sind. 

22)  van  der  Weyde:  Nachtheilige  Einwirkung  der  Papierkragen.  Med.  and  surg. 
Report.  18.,  I,  1868. 

Kupfer  (S.  713—728). 

1)  Die  Fortschritte  in  der  Schmelzung  der  Kupfererze  bestehen  in  besserer  Wind- 
vertheilung  und  in  der  Anwendung  erhitzter  und  gepresster  Gebläseluft.  Auch  auf 
Kupferhütten  ist  der  Rundofen  statt  der  früheren  Schachtöfen  eingeführt.  Beim 
Garmachen  und  Raffiniren  des  Kupfers  benutzt  man  vielfach  Wasserdampf, 
indem  man  auf  das  einschmelzende  und  mit  Wasser  bespritzte  Schwarzkupfer 
Gebläseluft  einwirken  lässt,  oder  man  bewirkt  das  Schmelzen  mittels  einer  aus 
Leuchtgas  and  Sauerstoff  erzeugten  Flamme. 

2)  Der  nasse  Weg  oder  das  Extractionsverfahren  hat  namentlich  in  England 
bei  Kupfererzen  eine  grosse  Verbreitung  gefunden.  Auch  hat  man  durch 
Theilung  der  Arbeit  den  Zweck  zu  befördern  gesucht,  indem  die  chemischen 
Fabriken  die  beim  Rösten  abfallende  schweflige  Säure  zur  Schwefelsäurefabrication 
benutzen,  die  Kupferwerke  das  Kupfer  extrahiren  und  die  Eisenhütten  die 
eisenreichen  Rückstände  in  Hohöfen  verwerthen.  Geschwefelte  Erze  rostet  man 
für  sich  oder  mit  Schwefelkies,  um  Kupfersulfat  zu  erzeugen;  die  oxydirten 
Erze  werden  jetzt  mehr  einem  chlorirenden  Rösten  in  Röstöfen  mit  Drehherd 
unterworfen,  wodurch  auch  die  Arbeiter  mehr  geschützt  werden.  Die  entweichen- 
den sauren,  etwas  kupferhaltigen  Dämpfe  condensirt  man  und  laugt  sie  mit 
Kalkmilch  zur  Abscheidung  von  Eisenoxyd  und  arsensaurem  Eisen  aus;  zum 
Präcipitiren  des  Kupfers  gebraucht  man  statt  der  Eisenabfälle  auch  Schwefel- 
wasserstoff. In  Deutschland  hat  man  schon  längst,  namentlich  in  Linz  und 
Braubach  a.  Rh.,  die  Kupfergewinnung  auf  nassem  Wege  ausgeführt. 

3)  In  Betreff  der  Erzaufbereitung  ist  hier  noch  im  Allgemeinen  zu  bemerken, 
dass  die  Fortschritte  in  der  Maschinenkunde  auch  auf  diesen  Zweig  des  Hütten- 
wesens einen  bedeutenden  Einfluss  ausgeübt  haben,  so  dass  viele  Handarbeiten 
jetzt  mittels  Maschinen  verrichtet  werden.  Die  speciellen  Erörterungen  über  deren 
Construction  würden  hier  zu  weit  führen;  es  genüge  daher  die  Bemerkung,  dass 
zum  Setzen  von  Schlich  und  Graupen  sogen.  Mittelkornsetzmaschmen,  zum 
Waschen  der  Erze  Harzer  Setzsiebe  mit  Doppeltrundherden  und  hit- 
tinger'sche  Stossherde  vielfach  im  Gebrauche  sind. 

4)  Dumas:  Handb.  d.  angew.  Chemie,  3.  Bd.,  p.  671,  4.Bd    p. ,181. 

5  Man  kann  zu  diesem  Zwecke  die  Erze  in  Stück-  und  Schlichform  rosten,  hur 
erstere  benutzt  man  aber  noch  vielfältig  die  nach  oben  sich  erweiternden  Schacht- 


892  Kupfer. 

Öfen  (Kilns),  während  sich  für  Schlich  und  Erzklein  die  im  Texte  genannten  Oefen 
vorzugsweise  eignen.  Wo  die  schweflige  Säure  zu  sehr  verdünnt  oder  mit  den 
Feuerungsgasen  vermischt  ist,  muss  man  sich  mit  den  Koksthürmen  begnügen. 

G)  Bekannt'liehfhaben  manche  Thiere,  z.B.  Helix  pomata,  Unio  pictonnm,  Limatus 
Cyclops,  Kupfer  im  Blute.  Wenn  man  dies  auch  vom  Menschen  behauptet  hat, 
so  beruht  diese  Annahme  auf  Täuschung  oder  irrthümlicher  Analyse. 
Lossen  (Journ.  f.  prakt.  Chemie,  96.  Bd.,  p.  460)  hat  besonders  darauf  aufmerk- 
sam gemacht,  dass  der  Kupfergehalt  der  Aschen  bei  derartigen  Untersuchungen 
von  den  beim  Einäschern  benutzten  kupfernen  oder  messingenen  Gegenständen 
herrühren  kann.  Man  vergl.  Blasius  in  der  Zeitschrift  f.  ration.  Medic  ,  3.  R  , 
26.  Bd..  p.  240—268.    Bergeron  et  l'Höte  in  Compt.  rend.,  80.  Bd.,  p.  268— 270. 

7)  Reines  metallisches  Kupfer  wirkt  nicht  als  Gift:  je  leichter  aber  seine  Verbin- 
dungen in  Wasser  löslich  sind,  desto  leichter  erfolgt  auch  eine  Einwirkung  auf 
den  Organismus,  die  sich  vorzugsweise  durch  Erbrechen  und  Diarrhoe  kund  gibt. 
Der  Grünspan  und  ähnliche  saure  Salze  geben  am  ehesten  Anlass  zu  solchen 
Zufällen,  wenn  solche  Verbindungen  in  kupfernen  Gefässen  durch  die  Einwirkung 
ihres  Inhaltes  auf  dieselben  unter  Mitwirkung  der  atmosphärischen  Luft  ent- 
standen sind. 

In  dieser  Beziehung  ist  aber  zu  beachten,  dass  ein  benutzter,  im  Innern  mit 
Fett  überzogener  gusseiserner  Topf  Kupfersalze  entweder  gar  nicht  oder  nur 
sehr  langsam  zerlegt,  so  dass  auf  diese  Weise  eine  Kupferlösung  ziemlich  lange 
unverändert  und  unzersetzt  bleiben  kann.  Diese  Thatsache  kann  oft  von  grosser 
Tragweite  sein;  so  hatten  sich  z.  B  nach  Tardieu  im  Jahre  1830  zwei  Sachver- 
ständige darüber  auszusprechen,  ob  eine  fette  Suppe,  in  welcher  man  ein  Kupfer- 
salz gefunden  hatte,  mit  letzterm  während  ihrer  Zubereitung  in  dem  betreffenden 
eisernen  Topfe  versetzt,  oder  ob  erst  nach  dem  Ausgiessen  der  Suppe  aus  dem 
Topfe  das  Kupfersalz  zugesetzt  worden  sei.  Indem  sich  die  Sachverständigen  auf 
die  rasche  Fällung  des  Kupfers  aus  seinen  Lösungen  durch  metallisches  Eisen, 
sowie  darauf  stützten,  dass  jeder  rothe  Ueberzug  auf  der  Innenwand  des  Kessels 
fehlte,  entschieden  sie  sich  für  die  zweite  Ansicht,  deren  Begründung  aber,  wie  aus 
dem  Obigen  hervorgeht,  noch  einer  nähern  Untersuchung  des  betr.  Topfes  bedurfte. 
Galippe,  L.  M.  V.:  Etüde  toxicologique  sur  le  cuivre  et  ses  composes.    Paris  1876. 

SJ  Nürnberg  und  Fürth  sind  noch  immer  der  Hauptsitz  der  Blattmetall-  und 
Bronzefarbenfabrication.  Die  Fabrication  besteht  vielfältig  noch  in  Hand- 
arbeit, wenn  man  von  dem  Walzen  absieht;  namentlich  ist  das  stundenlange 
Schlagen  mit  schweren  Hämmern  als  eine  sehr  anstrengende  Arbeit  zu  betrachten, 
da  die  zu  einem  Bande  ausgewalzte  Legirung  noch  weiter  ausgeschlagen  werden 
muss.  Ausschlagen  und  Ausglühen  wechseln  einigemal,  wobei  zur  Entfernung 
des  Glühspans  auch  die  Beize  mit  Schwefelsäure,  das  Waschen,  das  Blank- 
sieden  in  Weinsteinlösung  und  das  Bürsten  zur  Anwendung  kommen.  Dann 
folgt  das  Zerschneiden  des  Bandes  und  weiteres  Strecken  mit  dem  Hammer. 
Mittels  des  Quetsch-  oder  Lothhammers  werden  die  Quadrate  (Lothe)  ausge- 
schnitten, die  dann  von  den  Handscblägern  noch  weiter  verdünnt  werden,  um 
schliesslich  zwischen  den  aus  der  innern  Haut  von  Rindsdärmen  angefertigten 
Goldschlägerhäutchen  auf  einem  aus  dolomitischem  Kalkstein  angefertigten  Amboss 
noch  weiter  ausgeplattet  zu  werden.  Um  das  Ankleben  der  Blättchen  zu  verhüten, 
stäubt  man  dieselben  mit  Gips,  dem  sogen.  Braun  Die  Arbeiterinnen,  die  sich 
ausschliesslich  hiermit  beschäftigen,  heissen  Einlegerinnen.  Je  nach  der  Natur 
des  Verstaubungsmittels,  welches  hier  zur  Anwendung  kommt,  können  nachtheilige 
Folgen  für  die  Brustorgane  entstehen.  Man  gebraucht  hier  im  Allgemeinen  viel 
zu  wenig  Vorsicht,  weil  eben  das  Mittel  werthloser  ist  als  das  zu  verarbeitende 
Metall,  dessen  Abfall  sehr  sorgfältig  wieder  gewonnen  wird.  Die  Blättchen  aus 
achtem  Gold  und  Silber  werden  auf  dieselbe  Weise  behandelt. 

Den  Abfall  bei  dieser  Blattmetallfabrication  nennt  man  Schawin  oder  Schabin; 
bei  dem  starken  Verbrauch  der  Broncefarben  wird  auch  das  Metall  selbst  zu 
Schabin  verarbeitet.  Das  Pulverisiren  des  Schabins  geschieht  auf  besonders  con- 
struirten  Mühlen,  auf  denen  die  kleinen  Blättchen  noch  weiter  zerrissen  werden. 
Das  Sortiren  bewirkt  man  durch  Schlämmen  oder  durch  einen  in  einen  geschlos- 
senen, mit  Kästchen  umgebenen  Cylinder  eintretenden  Luftstrom,  der  in  der 
Weise  sortirt,  dass  er  den  feinsten  Metallstaub  am  höchsten  hebt  und  daher  in  das 
höchste  Kästchen  fallen  lässt.  Eine  gröbere  Sorte  heisst  Brocat,  die  durch  Stampf- 
werke hergestellt  wird. 

Die  auf  diese  Weise  erhaltenen  Broncefarben  zeichnen  sich  dadurch  aus,  dass 
die  feinen  Staubtheilchen  die  Blattform  haben,  welche  grade  den  Glanz  dieser 
Farben  bedingt.  Kein  anderes  Verfahren  hat  bisher  dies  Ziel  erreicht.  Die  Zer- 
kleinerung   auf    der    Fraismaschine     erzeugt    namentlich    die    eckigen    oder 


Kupfer.  893 

rundlichen  Körner,  da  die  ausgewalzten  und  durch  Hammerwerk  dünn  ge- 
schlagenen Blätter  mittels  einer  Kratzbürste  durch  ein  Eisendrahtnetz  getrieben 
und  dann  mit  einer  Reibmaschine  behandelt  werden.  (Seelhorst  in  Nürnberg: 
Wiener  Weltausstellung,  15.  Heft,  1874,  S.  354). 

Diese  Methode  wird  übrigens  gegenwärtig  auch  in  England  ausgeführt.  Die 
Darstellung  des  Metallpulvers  mittels  Amalgamation  ist  stets  mit  sanitären  Nach- 
theilen  verbunden.  Sowohl  in  technischer  als  in  sanitärer  Beziehung  ist  daa 
chemische  Verfahren,  das  Kupferoxyd  in  Schuppenform  zu  reduciren,  vorzuziehen. 

Bekanntlich  pflegen  Bronzirer,  Gürtler,  wie  alle  übrigen  Arbeiter,  die 
metallischem  Staube  oder  metallischen  Dämpfen  ausgesetzt  sind,  reichlich  Speck 
uud  Fett  zu  gemessen,  weil  man  in  den  fetten  Speisen  gleichsam  ein  Einhüllungs- 
mittel für  die  metallischen  Partikelchen  erblickt.  Hierbei  ist  aber  zu  beachten, 
dass  Kupfer  durch  Oleosa  leichter  aufgelöst  wird;  es  ist  daher  auch  nicht  zweck- 
mässig, bei  Kupferaufnahme  Oleosa  als  Laxantia  zu  empfehlen. 
9)  Man  vergl.  S.  455.  Nach  dem  Trocknen  der  Farben  wird  mit  Glanzpapier  noch- 
mals geglättet  und  sind  die  hiermit  beschäftigten  Arbeiter  mehr  den  Bleiintoxi- 
cationen  ausgesetzt  als  diejenigen,  welche  nach  dieser  Procedur  unter  Anfeuchtung 
mit  Bimstein  glätten.  Ausserdem  trägt  auch  die  meist  gänzlich  vernachlässigte 
Ventilation  in  den  Werkstätten  zur  Vergrösserung  dieser  Nachtheile  bei. 

10)  Bischoff,  Carl:  Das  Kupfer  und  seine  Legirung,  Berlin  1865,  S.  149. 

11)  Greenhow:  On  brass-founder's  ague.  Med.  chir.  Transa.ct  XXVII.  1862,  p.  177. 
Als  Krankheit  der  Messinggiesser  wird  das  Leiden  genauer  bezeichnet,  während 
die  Franzosen  es  im  Allgemeinen  Courbature  ou  fievre  des  fondeurs  nennen,  womit 
aber  auf  die  Ursache  der  Krankheit  nicht  genauer  hingewiesen  wird.  conf.  Annal. 
d'hyg.  pabl.,  Oct.  1863,  p.  467. 

Schnitzer,    Media  Zeitung  vom  Verein  f.  Preussen,  No.  25,  1862. 
Hirt:  Die  Gasinhalations-Krankheiten,  S.  165.     Breslau  1873. 

12)  Tardieu,  A.:  Etüde  hygienique  sur  la  profession  de  Mouleur  en  cuivre  pour 
servir  ä  l'histoire  des  professions  exposees  aux  poussieres  inorganiques.  Paris  1855. 
Separ.-Abclr.  aus  Annal.  d'hyg.  publ.  1854,  T.  IL,  1.  part. 

Üeber  die  anthrakolog.  Pneumokoniose  der  Kupferformer'  vgl.  m.  noch  A.Proust 
im  Arch.  gener.,  27.  Bd.,  p   148,  1876. 

13)  Es  ist  hier  auf  einen  durch  salpetersaure  Dämpfe  herbeigeführten  Todesfall^  bei 
einem  Arbeiter,  den  Tardieu  und  Roussin  (Annal.  d'hyg.  publ.  1875,  p.  34oj 
beschrieben  haben,  hinzuweisen.  Das  Lungengewebe  war  an  einzelnen  Stellen 
erweicht  und  hatte  ein  geleeartiges  Aussehen.  Saure  Reaction  wurde  durch  Lack- 
muspapier, und  durch  die  Analyse  die  Gegenwart  von  Natr.  nitric.  nachgewiesen. 

Neuerdings  sind  die  Dämpfe  von  Untersalpetersäure  als  Desinfektionsmittel 
in  Hospitälern  und  auf  Seeschiffen  vielfach  empfohlen  worden.  Verf.  kann  sich 
auf  Grund  von  Versuchen  und  vielseitiger  Erfahrung  mit  dieser  Empfehlung  nicht 
befreunden  und  muss  diese  Dämpfe  nach  wie  vor  für  recht  schädliche  erklären. 

14)  Talmigoldwaaren,  z.B.  Ohrringe,  Uhrketten  u.  s.  w.,  aus  mit  Goldblech  be- 
legten Kupfer-,  Tombak-  und  Messingplatten  angefertigt,  die  zu  Blech  ausgewalzt 
und  zu  Draht  ausgezogen  werden,  enthalten  \%  Gold  als  Decke  und  sind  recht 
dauerhaft. 

Unter  leonischen  Waaren  oder  Drähten  versteht  man  Fabncate  aus  ver- 
silberten und  vergoldeten  Kupferdrähten  und  sogen.  Plätten,  d.  h.  bandartig 
plattgewalzten  Drähten ;  man  benutzt  sie  für  Theater-  und  Maskencostüme,  Militär 
effecten  u.  s.  w.    Die  Fabricate  nennt  man  Bouillon  und  Cannetillen. 

Phosphorbronze  wird  durch  geringen  Zusatz  von  Phosphor  zur  Bronze  dar- 
o-estellt  und  ist  dem  roth  karatirten  Golde  ähnlich:  sowohl  zu  Schmuck  und 
Decorationssachen  als  zu  Statuen,  Kanonen  u.s.w.  wird  es  verwendet  Phosplior- 
kupfer  enthält  in  der  Regel  »/,  %  Phosphor.  Der  Zusatz  von  Phosphor  macht  den 
Guss  von  Kupfer  und  Eisen  leichtflüssiger. 

15)  Die  Legirungen  sind  so  vielfach,  dass  sie  nicht  sämmtlich  namhaft  gemacht  werden 

können.  ,  ..,''.'■,  •  i      •      -,  i„ 

16)  Pechelier  et  Saintpierre:    1/etude  sur   Thygiene   des   ouvners  eniploye*   a  la 

fabrication  du  verdet.     Paris  1861. 

Saintpierre  im  Monit.  scient.  186o,  831.     Wagners  Jahresber.   lbbb.  p.  4(b. 

In  den  französischen  Fabriken  hat  man  die  Beobachtung  gemacht,  dass  der 
Grünspanstaub  nur  wie  jeder  andere  Staub  die  Schleimhaut  der  Augen  und  der 
Respirationswege  reize;  auch  ist  es  Thatsache,  dass  Hühner  die  \\  eintre.ter,  die 
zur  Fabrication  des  Grünspans  gedient  haben,  ohne  Nachtheil  verzehren. 


894  Quecksilber. 

Quecksilber  ( S.  728—74-:) 

1)   Journ.  f.  prakt.  Chemie,  50.  Bd.,  S.  20,  1850. 

"_' i  Merget  im  Journ.  de  Med.  et  de  Chim.,  Janv.  1872.  Wittstein's  Vierteljahrsschr. 
f.  prakt.  Pharmac,  22  Bd.,  S.  258,  1873. 

3)  Kussmaul:  Untersuchungen  über  den  constitut.  Mercurialismus  und  sein  Verhält- 
niss  zur  constit-  Syph.    Würzburg  1861. 

4)  Bericht  des  K    K.  Allgem.  Krankenhauses  zu  Wien  im  Jahre  1872.     Wien  1873. 

Schon  Vigier  hat  gegen  Tremor  mercurialis  Zincum  phosphoratum 
empfohlen.  Neuerdings  hat  es  Gueneau  de  Mussy  (Lancet,  5.  Febr.  1876)  mit 
sehr  gutem  Erfolge  angewendet  und  zwar  in  zwei  Pillen  von  je  0,004  Grm.  pro 
die.  Eine  zweitägige  Verabreichung  dieses  Medicaments  soll  das  Leiden,  welches 
seit  6  Wochen  bestand,  ganz  gehoben  haben. 

Nöthigenfalls  kann  man  bis  zu  6  Pillen  derselben  Dosis  pro  die  steigen.  Das 
Mittel  soll  eine  <  onstantere  Wirkung  als  der  reine  Phosphor  entfalten.  Angeblich 
hat  es  auch  bei  einer  chronischen  Arsenvergiftung  günstig  gewirkt,  die  mit 
lähmungsartigen  Erscheinungen  in  den  Extremitäten  verbunden  war  und  einen 
Arbeiter  betraf,  welcher  in  einer  Anilinroth -Fabrik  gearbeitet  hatte. 

5)  Voit:  Phvsiol.-chem.  Unters.     Augsburg  1857. 

6)  Büchners  Neues  Repert.  f.  Pharmac,  Bd.  XVII,  S.  257,  1868. 

7)  Im  Venetianischen  zu  Vallalta  kommen  arme  Erze  mit  nur  0,5^  Quecksilber  vor, 
die,  mit  Holzkohlenpulver  und  Thon  zu  Ziegeln  geformt,  in  Schachtöfen  verhüttet 
werden. 

8)  In  Idria  sind  die  etagenformigen  Schachtöfen  fast  ganz  ausser  Gebrauch  gekommen. 
Die  horizontalen  Flammenöfen  nach  Alberti  benutzt  man  hauptsächlich  für  Schlich 
aus  ärmern  Erzen,  obgleich  letztere  auch  in  Schachtöfen  wie  in  Vallalta  verhüttet 
werden,  namentlich  seit  der  Einführung  der  nach  Exeu  construirten  Oefen,  bei 
welchen  die  Condensatkm  der  Quecksilberdämpfe  auf  eine  zweckmässige  Weise  in 
auf-  und  absteigenden  Röhren  erfolgt  (s.  Rammeisberg  in  den  Schriften  der 
Wiener  Weltausstellung,  20.  Heft,  S  918). 

0)  Der  Brand  in  Idria  ist  beschrieben  in  T.  G.  Krünitz:  Oekonomisch-technolog. 
Encvclon..  Bd.  119.,  Art.:  Quecksilber. 

10)  Verhandlungen  des  Vereins  zur  Beförderung  des  Gewerbefleisses  in  Preussen,  1869, 
S.  33  u.  106. 

11)  Sitzungsber.  der  Acad.  d.  Wissensch ,  66.  Bd.,  Oct.  1872. 

12)  In  Idria  benutzt  man  zur  Bildung  von  Schwefelquecksilber  einen  Trommel- 
apparat  und  bewirkt  die  Sublimation  in  eisernen  Kolben  mit  Helm  und  Vorlage 
von  Thon.  Man  hat  hierbei  für  eine  dichte  Lutirung  und  vollständige  Conden- 
sation  der  Dämpfe  zu  sorgen. 

13)  Gaz.  de  hopit.,  Juillet  1864. 

14)  Eulenberg  in  der  Berl.  klin.  Wochenschr.  No.  46,  p   460,  1865. 

Eisen  (S.  742-757). 

1)  In  Oberschlesien  sind  die  mulmigen  Brauneisenerze  so  reich  an  Zink  und  Blei, 
dass  sie  als  Nebenproducte  gewonnen  werden  können  und  zwar  das  Zink  aus 
dem  mit  den  Gichtgasen  abgeführten  Zinkstaub,  sowie  aus  dem  Zinkschwamm,  der 
sich  an  den  Wänden  des  Ofens  ansetzt.  Um  das  Blei  zu  erhalten,  wird  der 
„Bodenstein"  mit  engen  Canälen  hergestellt,  aus  denen  das  Blei  tropfenweise 
hervorquillt.     Serlo  im  Amtl.  Ber.  der  Wiener  Ausstell.,  1.  Heft  1874,  S.  60. 

Es  ist  hier  auch  noch  die  Schlackenwolle  oder  Glaswolle  zu  erwähnen, 
welche  ein  Gemisch  aller  erdigen  Theile  der  Erze  darstellt.  Sie  zeichnet  sich 
durch  ein  sehr  geringes  Leitungsvermögen  für  die  Wärme  aus :  man  benutzt  sie 
besonders  zu  Isolirschichten. 
2l  Eine  Verbesserung  der  Hohöfen  besteht  in  der  Erweiterung  und  Erhöhung  der- 
selben, in  der  Erhitzung  der  Gebläseluft  und  in  der  Herstellung  kräftiger  Gebläse. 
Die  Winderhitzungsapparate  sind  verschieden  construirt.  Die  Ableitung  der  Gicht- 
g    -  se   stets  mittels  eines  besondern  Gichtverschlusses  mehr  aus  der  Mitte 

des  Ofens   bewirkt  werden:    das  Brennmaterial   wird   daher  ausschliesslich   in  die 
Mitte  des  Ofens  und  das  Erz  an  den  Rand  desselben  gegeben. 

3)  Ledebur  in  der  Deutschen  Industriezeitung  1874,  S.  313.  Wagner's  Jahres- 
bericht   1874,  S.  45. 

4)  Die  Einführung  der  rotirenden  Puddelöfen  und  der  Regenerativ- Gussstahl- 
schmelzöfen  nach  Siemens -Martin  bezeichnet  einen  bedeutenden  Fortschritt  im 
Puddelprocesse.     Gurlt  im  amtl.  Bericht  der  Wiener  Ausst.    20  Heft,  S.  757. 


Eisen.  895 

5)  Es  ist  hier  noch  hervorzuheben,  dass  die  Feilenhauer  beim  Haubbefcriebe,  was 
z.B.  in  Remscheid  der  Fall  ist,  gar  nicht  an  Bleiintoxication  leidea.  Verf  hatte 
früher  zehn  Jahre  lang  Gelegenheit,  viele  Feilenhauer  in  dortiger  Gegend  zu  be- 
handeln, ohne  Erkrankungen  dieser  Art  zu  beobachten.  Neuere  Erkundigungen 
bei  dortigen  Collegen  haben  dasselbe  Ergebniss  geliefert  Das  .Verfahren  besteht 
darin,  dass  m  einer  der  Breite  der  Feile  entsprechenden  Rinne  des  Ambosses  eine 
germge_  Menge  geschmolzenen  Bleies  gegossen  wird;  nach  dem  Erkalten  des- 
selben wird_  die  betreffende  Seite  der  Feile  in  die  noch  weiche  Bleirnasse  einge- 
drückt. Feine  Bleitheilchen  setzen  sich  in  die  gehauenen  Rinnen  und  werden 
später  durch  Bürsten  entfernt.  Trotzdem  ist  die  Abnutzung  der  Blei  platte  sehr 
gering  und  kann  eine  solche  wenigstens  zehn  Tage  lang  benutzt  werden;  je  grösser 
aber  die  Feilen  sind,  desto  breiter  muss  natürlich  auch  die  Bleiunterlage  sein: 
immerhin  kann  aber  bei  der  beschriebenen  Methode  das  Auflegen  der  Hand  auf 
die  Bleirinne  vermieden  werden.  Das  Härten  der  Feilen  geschieht  in  grösseren 
Werkstätten,  und.  zwar  in  der  Weise,  dass  die  Feilen  bis  zu  dem  Toi  Sprunge,  wo 
die  Schärfen  beginnen,  in  geschmolzenes  Blei  gesteckt  werden.  In  weissglühendem 
Zustande  werden  sie  dann  in  Oel  getaucht,  wodurch  sie  schnell  erkalten.  Diese 
Arbeit  kommt  wöchentlich  höchstens  zweimal  vor  und  dauert  nur  kurze  Zeit; 
nachtheilige  Einwirkungen  von  Bleidämpfen  hat  man  bisher  auch  hierbei  nicht 
beobachtet.  Es  bestätigt  sich  somit  die  bereits  S.  703  erwähnte  Thatsache,  dass 
beim  Schmelzen  des  Bleies  kein  sanitärer  Nachtheil  entsteht,  wenn  ea  dabei  zu 
keiner  Oxydation  kommt. 

Uebrigens  ist  das  eigentliche  Feilenhauen  schon  wegen  des  anhaltenden  Sitzens 
und  der  nach  vorn  gebogenen  Körperstellung  nachtheilig,  wozu  auch  häufig  noch 
ein  übermässiger  Branntweingenuss  kommt,  da  die  Arbeit  eine  einträgliche  ist. 

6)  Krumme  hat  im  Correspondenzbl.  des  Niederrh.  Vereins  f  öffentl.  Gesundheitspfl. 
(No.7,  8,  9,  1875)  die  Schleiferei  von  Goldenberg  &  Comp,  in  Zornhoff  bei  Zabern 
beschrieben. 

M.  vergl  auch:  Systeme  de  Ventilation  applique  aux  meules  et  polissoirs  des 
usines  de  Goldenberg  &  Comp,  au  Zornhofi  pres  Saverne.  Extrait  du  19.  vol.  de 
la  public  indust.  etc.  de  M.  Armengaud   aine.    Paris  1870. 

7)  Die  Regierung  zu  Aachen  hat  bereits  unter  dem  2.  Februar  1857  eine  Polizeiver- 
ordnung erlassen,  nach  welcher  jeder  Schleifstein  mit  einer  aus  starkem  Eisen 
bestehenden  Schutzvorkehrung  zu  versehen  ist,  welche  verhindert,  dass  ein  ab- 
springendes Stück  des  Schleifsteines  in  den  Arbeitsraum  fliege.  Ausserdem  muss 
in  jedem  Schleifiocale  eine  Vorrichtung  bestehen,  welche  die  Verbreitung  des  beim 
Schleifen  entstehenden  feinen  Metall-  und  Steinstaubes  in  den  inneren  Raum  des 
Locales  verhütet. 

Die  Nähnadelfabriken  zu  Aachen  datiren  aus  dem  16.  Jahrhundert  zurück;  die 
ersten  Maschinen  zur  Nähnadelfabrication  wurden  in  Burtseheid  bei  Aachen  ein- 
geführt; Iserlohn  und  Altena  vertreten  gegenwärtig  die  westphälische  Nadel- 
fabrication.  Preussen  zählt  34,  Bayern  30  Nadelfabriken,  in  denen  zusammen 
4000  Arbeiter  beschäftigt  sind. 

8)  Krumme  theilt  (1.  c.)  einige  statistische  Notizen  über  die  Altersverliälinisse  der 
Schleifer  in  Remscheid  mit: 

a)  in  dem  Alter  von  15 — 24  Jahren  incl.  befanden  sich  88 

b)  „  „  „  „  26—34        „        ,,  „  „    52 

c)  „  „  „  „  36—44        „        „  „  „     38 

d)  „  „  „  „  45—54 

e)  „  „  „  „  55—64 


f)    „     „        „        »    65—74 


Summa :    196 


Ueber  40  Jahre  alt  sind  überhaupt  nur  24  geworden,  über  50  Jahre  10,  über 
60  Jahre  3.     Von  den  letzteren  betrieben  zwei  das  Schleifen  nur  wenig. 

Auch  in  England  hat  man  den  tödtlichen  Ausgang  in  der  Regel  vor  Eintritt  des 
40.  Lebensjahres  bei  der  Schleiferkrankheit  beobachtet,  die  auch  vielseit.j,  Schleifer- 
faule-  (gfinder's  rot)  genannt  wird.  Sie  stimmt  im  Allgemeinen  am  meisten  mit 
der  Schwindsucht  der  Steinmetzer  (Stone-cutter's  consumptiou,  überein,  die 
sich  in  allen  Ländern  wiederholt,  in  denen  ohne  Vorsichtsmassrege'n  hartes  Stein- 
material bearbeitet  wird.  So  sind  es  in  Frankreich  ganz  besonders  die  dort  vor- 
kommenden Mühlsteine,  deren  Bearbeitung  die  Meisten  noch  vor  dem  40.  Lebens- 
iahr  hin  wegrafft. 

J  Hinsichtlich  der  Schleiferkrankhe.it  ist  noch  hervorzuheben,  dass  dieselhe  vor 
dem  Jahre  1786  noch  unbekannt  war  und  sich  erst  mit  der  Vergrösserung  der 
Fabriken,    sowie    der  Ueberfüllung   der   Werkstätten  mit   Arbeitern    immer  mehr 


896  Eisen. 

bemerkbar  machte,    während   früher  die  Fabriken  mehr  auf  dem   flachen  Lande 
zerstreut,   auch   kleiner   waren   und   namentlich  den  Wechsel   der  Arbeit  noch  ge- 
statteten. 
!))   Holland,   Disease   of  the  lungs   from   mechanical   causes   and   inquiries   into   the 
condition  of  the  artisan  exposed  to  the  inhalation  of  dust.     London  1843. 
—  Inhalation  gritty  and  metallis  particles.     Monthly  Journ.     Novbr.  18415. 
Jordan,  Die  Krankheiten  der  Arbeiter  in  Stahlfabriken.     Viertel] ahrsschr.  f.  ger. 
Media,  23.  Bd.,  S.  13(5,  1863. 
Hirt,  Die  Staubinhalation  s-Krankheiten.    S.  73  etc.    Breslau  1871. 

10)  Bei  der  Holzbearbeitung  nehmen  die  Dampfsägemühlen  eine  wichtige 
Stellung  ein.  Man  benutzt  dazu  Kreis-,  Band-,  Fournirsägen  etc.,  je  nach- 
dem man  Latten,  Stämme  oder  Blätter  herstellen  will.  Findet  die  Arbeit  in  ge- 
schlossenem Räume  statt,  so  ist  der  Holzstaub  immer  beachtungswerth,  wenn 
er  auch  keine  specifische  Schädlichkeit  enthält  und  bisher  besondere  Leiden  der 
Brustorgane  bei  Sägemüllern  nicht  beachtet  worden  sind.  Immerhin  wird  aber  die 
Reinheit  der  Luft  in  geschlossenem  Räume  dadurch  beeinträchtigt  und  bleibt 
es  fraglich,  ob  nicht  dadurch  die  Entstehung  von  Katarrhen,  Bronchitis  und  Em- 
physem begünstigt  wird.  Würde  mit  der  Dampfmaschine  ein  Exhaustor  in  Ver- 
bindung gebracht,  so  könnte  man  die  in  den  Werkstätten  sich  ansammelnden 
Staubwolken  leicht  verhüten.  Der  Abfall,  das  Sägemehl,  ist  in  technischer  Be- 
ziehung wichtig  geworden:  man  benutzt  es  zur  Darstellung  von  Spiritus,  Oxal- 
säure, zum  Reinigen  des  Leuchtgases,  zur  Cementation  des  Eisens  und  zur  Her- 
stellung künstlichen  Holzes,  welches  man  zu  Ornamenten  benutzt,  indem 
durch  Zusammenmischen  des  Sägemehls  mit  Leim,  Leinöl,  Firniss,  Kreide,  Thon  etc. 
zunächst  ein  Teig  gebildet  und  dieser  in  Formen  von  Metall,  Schwefel,  gebranntem 
Gips  u   s.  w.  gedrückt  wird. 

Zu  erwähnen  ist  auch  das  Biegen  des  Holzes,  wozu  man  in  den  Fabriken 
Maschinen  benutzt  Beim  Hausbetriebe  werden  die  Hölzer  hierzu  durch  Ein- 
weichen vorbereitet;  namentlich  werden  die  frischen  Stäbe,  welche  zu  Tonnen- 
reifen dienen,  einer  Maceration  unterworfen.  Wird  diese  Procedur  in  engen 
Strassen  grosser  Städte  vorgenommen,  so  soll  hierdurch  die  Entstehung  von 
Malariafieber  leicht  begünstigt  werden  (s.  Martineau:  De  Pinsalubrite  des 
tonnelleries  a  St.  Pierre.  (Martinique):  Annal.  d'hyg.  publ.,  p.  320,  1869.). 

Die  Bearbeitung  der  Oberfläche  des  Holzes  wird  durch  Hobeln,  Raspeln, 
Pressen,  Ziehen  u.  s  w.  bewirkt.  Zum  Verschönern  dient  das  Schleifen 
und  Schaben  (Staubbildung),  das  Beizen,  das  Bohnen,  Poliren,  Lackiren, 
Vergolden  und  Versilbern. 

11)  Eulenberg:  Ueber  emaillirte  gusseiserne  Kochgeschirre.  Preuss.  Vereinszeitung 
No.  16  1862,  No.  40  1863.     Dingler's  polyt,  Journ.  1864,  S.  449. 

Ziurek,  Deutsche  Industriezeitung  1871,  No.  48,  p.  478. 

12)  Zur  Darstellung  von  bleifreiem  Email  schmilzt  man  zuerst  Kieselsäure  und  Soda 
und  lässt  die  flüssige  Masse  in  Wasser  auslaufen.  Dieses  Glas  wird  nochmals  in 
Tiegeln  unter  Znsatz  von  Borax,  Magnesia,  Soda,  Thon  und  Kieselerde  geschmolzen 
und  als  Email  benutzt,     s.  Dingler's  polyt.  Journ.,  Bd.  103,  S.  369,  1847. 

Vor  nicht  langer  Zeit  war  die  Gräflich  Einsiedel'sche  Eisengiesserei  in  Lauch- 
hammer die  einzige,  welche  metallfreies  Email  lieferte;  in  neuerer  Zeit  sind  auch 
die  Eisenhütte  zu  Gleiwitz,  die  Marienhütte  zu  Kotzenau,  die  Wilhelmshütte  in 
Sprottau  und  die  Eisenhütte  bei  Thale  hinzugekommen. 

13)  Zenker  in  Deutsches  Arch.,  II.  Bd  ,  1  Heft  1866. 

14)  Merkel,  eod.  loc.  VIII.  Bd.,  p.  206,  1871. 

15)  Eulen berg:  Die  Lehre  u.  s.  w,  S.  419. 

Aluminium  (S.  757—765). 

1)  J.  B.  Dornbusch:  Die  Kunstgilde  der  Töpfer  in  der  abteilichen  Stadt  Siegburg 
und  ihre  Fabricate.  Mit  Berücksichtigung  von  andern  bedeutenden  rheinischen 
Töpferniederlassungen.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  des  Kunsthandwerks  am  Rhein. 
Mit  36  lithogr.  Abbild,  u.  3  Taf.     Köln,  J.  M.  Heberle,  1873. 

2)  Vohl:  Die  Gase  und  Dämpfe,  welche  sich  bei  den  hier  zu  Lande  üblichen  Feld- 
ziegeln entwickeln.     Dinglers  polyt  Journ.,  178.  Bd.,  4.  Heft,  S.  296. 

3)  Heise:  Die  Krankheiten  der  Arbeiter  in  den  Ziegelsteinfabriken.  Viertel jahrsschr. 
f.  gerichtl.  Medic,  17.  Bd.,  S.  20,  1860. 

4)  Die  Bleiglasur  der  Töpfeigeschirre  stammt  aus  dem  16.-  17.  Jahrhundert:  aber 
erst  im  Jahre  1794  machte  Ebell  auf  den  sanitären  Nachtheil  derselben  aufmerksam. 
Seit  dieser  Zeit  sind  namentlich  aus  Frankreich  viele  Fälle  von  Vergiftungen  in 
Folge  des  Gebrauchs  dieses  Töpfergeschirrs  mitgetheilt  worden,  da  man  dort  einen 


Ultramarin  und  Chrom.  397 

künstlichen  Wein  (Piquette)  in  denselben  mittels  Zuckersyrups,  Essigs  und  eines 
Aufgusses  von  Blättern  des  Weinstocks,  des  Pfirsichbaums,  der  Johannisbeeren 
und  des  Flieders  darzustellen  pflegt,  wobei  sich  ein  Gährungsprocess  bildet  (conf. 
Chevallier  (Annal.  d'hyg.  publ,  Avril  1859,  p.  308). 

Zur  Darstellung  der  Bleiglasur  nimmt  man  gewöhnlich  Bleiglanz,  Glätte,  Mennige 
oder  Bleiweiss  und  Thon  (kieselsaure  Thonerde);  nur  wenn  alles  Bleioxyd  durch 
die  Kieselsäure  gebunden  wird,  ist  diese  Verbindung  unschädlich,  da  sie  von  den 
gewöhnlichen,  in  den  Haushaltungen  gebräuchlichen  "Säuren  nicht  angegriffen  wird. 
In  diesem  Falle  muss  aber  das  Bleioxyd  in  einem  äquivalenten  Verhältniss  zur 
Kieselsäure  vorhanden  sein;  man  muss  daher  ganz  genau  den  Kieselsäuregehalt  in 
den  Ingredienzen  (Thon,  Lehm,  Sand)  kennen  und  dabei  eine  solche  Temperatur 
beim  Brennen  beobachten,  dass  die  chemische  Verbindung,  d.h.  die  Bildung  des 
Bleisilicats,  erfolgen  kann.  Bei  der  gewöhnlichen  Fabrication  verlässt  man  sich 
aber  nur  auf  empyrische  Manipulationen  und  beachtet  nichts  weniger  als  die  oben 
erwähnten  Bedingungen  Aus  dieser  Ursache  bleibt  die  Bleiglasur  des  Töpfer- 
geschirres in  sanitärer  Beziehung  stets  gefährlich.  Eine  intensive  Vergiftung  dieser 
Art  hat  in  neuerer  Zeit  Swederus  (Deutsche  Klinik  No.  42,  1873)  mitgetheilt, 
während  Hohnbaum  in  Henke's  Zeitschr.  f.  Staatsarzneikunde  1872  über  die  Ver- 
giftung einer  ganzen  Familie  durch  die  Bleiglasur  von  Töpfergeschirr  berichtet  hat. 
Ebell's  Schrat:  Die  Bleiglasur  der  irdenen  Küchengeschirre  als  eine  unerkannte 
Ursache  vieler  Krankheiten,  erschien  zu  Hannover. 

Genaue  chemische  Untersuchungen  über  die  Bleiglasur  hat  Dr.  Emil  Erlen- 
meyer (Mittheilungen  f.  d.  Gewerbeverein  in  Nassau,  1856,  No.  19,  20,  59.  Polyt. 
Centralbl.,  p.  675,  1857)  angestellt.  Erlenmeyer  macht  darauf  aufmerksam,  dass 
viele  Töpfer  die  schlechte  Sitte  haben,  Bruchstellen  oder  Stellen,  wo  keine  Glasur 
sitzt,  je  nach  der  Farbe  mit  einem  Brei  von  Bleiglanz  oder  Bleiglätte  anzu- 
streichen, damit  solche  dem  Käufer  nicht  so  leicht  auffallen. 

Innhäuser  hat  die  betreffenden  Arbeiten  über  Bleiglasur  und  Bleiintoxication  in 
der  Wiener  Medicin.  Presse  (No.  25  u.  s.  w.  1871)  zusammengestellt. 
5)   Wilbrand:  Einige  Bemerkungen  über  Gewerbekrankheiten  der  Steinzeug-Arbeiter 
und  ihre  Ursachen.     Vierteljahrsschr.  f.  ger.  Medic.  u.  s.  w.,  S.  124,  24.  Bd.,  1876. 

Ultramarin-Industrie  (S.  766). 

Man  unterscheidet  in  der  Technik  kieselarmes  Ultramarin  (Sulfat-  und 
Soda -Ultramarin)  und  kieselreiches  Ultramarin.  Je  nachdem  man  die  eine 
oder  andere  Sorte  darstellt,  benutzt  man  auch  häufig  ein  besonderes  Ofensystem. 
Man  zieht  für  kieselarmes  Ultramarin  noch  häufig  die  Tiegel  vor,  für  kieselreiches 
Ultramarin  sind  aber  ausschliesslich  Muffelöfen  mit  cylin drischer  Form  in  Gebrauch. 
Im  Allgemeinen  soll  nach  dem  Urtheil  der  Techniker  die  Menge  des  zugesetzten 
Schwefels  über  den  notbwendigen  Verbrauch  hinausgehen,  welcher  daher  auch 
theils  im  Ofen  verdampft,  theils  zu  schwefliger  Säure  verbrennt  und  daher  verloren 
geht.  Ueber  die  Bindungsweise  des  Schwefels,  sowie  über  die  chemische  Con- 
stitution der  Ultramarinverbindungen  sind  die  Ansichten  noch  sehr  schwankend 
und  hat  deshalb  der  Verein  deutscher  Ultramarinfabricanten  einen  Preis  für  die 
beste  Arbeit  hierüber  ausgesetzt.  In  sanitärer  Beziehung  würde  die  Lösung  dieser 
Frage  von  grosser  Bedeutung  sein,  wenn  namentlich  die  Menge  der  schwefligen 
Säure  vermindert  werden  könnte;  ihr  nachtheiliger  Einfluss  auf  die  Vegetation  in 
der  Umgebung  dieser  Fabriken  gibt  sich  nicht  immer  in  prägnanter  Weise  kund, 
conf.  Reinhold  Hoff  mann  im  Amtlichen  Bericht  der  Wiener  Weltausstellung, 
20.  Heft,  S.  678. 

Chrom  (S.  768—773). 

1)  Gmelin,  I.e.  S.  22. 

2)  Neese,  N.,  Pharmac.  Zeitschr.  f.  Russl.,  No.  7,  1862.    Die  Vergiftung  betraf  den 
Prof.  Parochow  zu  Charkow. 

Schrader:  Kaliumbichromat  als  Abortivum.  Vierteljahrsschr.  f.  gerichtl.  Medic, 
V.  Bd.  S.  113,  1866. 

Als  Antidote  gelten  die  Alkalien,  welche  die  Bildung  des  neutralen  Kalium- 
chromats  veranlassen. 

3)  Annal    d'hyg.  publ.,  Janv.  et  Mars  1876.    Die  erste  Abhandlung  erschien  loc.  eod., 
T.  21,"  S.  18,  1869. 

4)  Brit.  med.  rev.,  T.  28,  Oct.  1861. 

5)  Lancereaux,  Annal.  d'hyg-  publ.,  S.  339,  1875. 

6)  Arch.  d.  Pharm.,  81.  Bd.,  2te  Reihe,  1855. 

Eulenberg,  Gewerbe -Hygiene.  Ol 


398  Mangan,  Nickel,  Kobalt,  Molybdän. 

7}    v.  Linstow  in  der  Yierteliahrsschr.  f.  gericbtl.  Med.,  20.  Bd.,  S.  60,  1874. 

8)  Das  gelbe  Papier  wird,  erfahrungsgemäss  häufig  als  Enveloppe  für  Brustcaramellen 
benutzt;  ein  derartiger  Beutel  kann  0,294  Chromblei  enthalten. 

9)  Uppenkamp,  Julius:  Leber  Chromverbindungen.  Wiener  Weltausstellung, 
20.  Heft,  S.  723. 

Mangan  (S.  774—775). 

1)  Man  hat  auch  Braunstein  und.  künstlieh  dargestelltes  Mangansuperoxyd,  als  An- 
btrichfarben  benutzt.  Mangan-  oder  Nürnberger-Violett  wird  durch  Schmelzen 
von  Manganoxyd  mit  Phosphorsäure  und  Abkochen  der  resultirten  Masse  mit 
Ammoniumcarbonat  erhalten  (s.  Bendix  im  20.  Heft,  S.  849  des  Amtl.  Ber.  über 
die  Wiener  Ausstellung). 

2)  T  es  sie  du  Motay  und  Marechal  stellen  zu  diesem  Zwecke  übermangansaures 
Natrium  im  Grossen  dar,  indem  sie  mangansaures  Natrium  mit  einer  Lösung  von 
Magnesiumsulfat,  Chlormagnesium  und  Chlorcalcium  versetzen,  wobei  gleichzeitig 
M  an  gan  superoxydhydrat  gefällt  wird: 

3NaJMn04  +  2MgS04  +  3H20  =  2NaMn04  +  2Na2S04  +  2HoMg02  +  H2Mn03. 

3)  Kühne  (Verhau  dl.  des  Vereins  z.  Beförd.  des  Gewerbefleisses  in  Preussen  1866, 
S.  116  u.  171)  nennt  Eisenchamäleon  eine  Verbindung  von  Eisensulfat  und  über- 
mangansaurem Natrium,  welche  ganz  besonders  den  Leichengeruch  an  den  Händen 
nach  Sectionen  rasch  beseitigt. 

Nickel  (S.  775-779). 

1)  Gmelin,  1.  c.  S  70. 

2)  Künzel:  Nickel  und  Kobalt.     Wiener  Weltausstellung.  20.  Heft,  S.  859. 

3)  In  Betreff  des  Gerstenhöfer'schen  Fällthurmes  s.  S.  833. 

Kobalt  (S.  779-781). 

1)  Gmelin,  1.  c.  S.  75. 

2)  Siegen,  Medic.  Centralbl.  No.  57,  1873. 

Thallium  (S.  782). 

1)  Paulet  im  Arch.  gener.,  p.  507,  1863.  Lamy  in  Gaz  des  höp ,  p.  104.  1863. 
Grandeau  in  Robin's  Journ.  de  Panat,  p.  378,  1864.  Rabuteau  in  Gaz.  hebd. 
de  med.,  18.,  p.  293.     Letzterer  hält  das  Thallium  für  ein  Muskel-  und  Herzgift. 

2)  Thallium  legirt  sich  mit  Magnesium  sehr  gut  und  lässt  sich  zu  Drähten  und 
Bändern  verarbeiten.  Die  Legirung  verbrennt  weniger  lebhaft  als  Magnesium. 
Wi  ?muth-Thalliumglas  wird  für  optische  Instrumente  und  zur  Darstellung 
der  Pierres  de  Strass  benutzt. 

Gold  (S.  782-7S4). 

1)  Die  Goldschlägerei  ist  eine  sehr  anstrengende  Arbeit  und  wird  ohne  Mithülfe  von 
Maschinen  ausgeführt  (s.  S.  892). 

2)  Natriumgoldchlorid  AuCl3  + NaCl  +  2H20  (Auro-natrium  chloratum)  dient 
in  der  Photographie  zur  Tonung  der  Papierbilder. 

Knallgold  wird  durch  Uebergiessen  von  Goldoxyd  mit  Ammoniak  dargestellt. 
Der  gewöhnliche  Goldlack  für  Metallwaaren  besteht  aus  einer  Schellacklösung 
mit  Pikrinsäure  und  krystallisirter  Borsäure. 


1)    Gmelin,  I.e.  S.  66. 
1)   Gmelin,  I.e.  S.  63. 


Palladium  (S.  785). 
Iridium  ( S.  785). 
Osmium  (S.  785). 


1)  Gmelin.  1.  c.   S.  50  und  52. 

2)  Gaz.  de  Paris,  28,  1874. 

Molybdän  (S.  786). 

1)  Gmelin,  1.  c.  S.  47. 

2 )  Eulenberg's  Lehre  u.  s.  w.,  S.  47i.. 


Wolfram  und  Uran. 


899 


Wolfram  (S.  787-788. 

1)  Der  Wolframstahl  wird  zur  Anfertigung  von  Magneten  benutzt. 

2)  Gmehn,  1.  c.  S.  40  -  41. 

3)  Philipp  im  20.  Heft  der  Wiener  Ausstellung,  S.  745.  Schwefelwolfram  ist  wie 
Graphit  zu  gebrauchen. 

Uran  (S.  788). 

1)  In  den  Uranerzen  von  Joachimsthal  findet  sich  Vanadin,  das  auch  in  manchen 
Eisen-  und  Kupferschlacken,  sowie  in  Eisenerzen  enthalten  ist.  Dasselbe  liefert 
mit  Chrom  eine  schöne  Farbe;  aus  vanadinsaurem  Ammonium,  Pyrogallussäure  und 
arabischem  Gummi  nebst  Regenwasser  wird  auch  eine  Schreibtinte  bereitet 

2)  Gmelin,  1.  c.  S.  79. 

3)  Uranhydrat,  welches  als  gelber  Körper  auftritt,  die  Eigenschaft  einer  Base  und 
Säure  hat,  ist  als  Uranylhydrat  U02(OH)2   aufzufassen.      Das   Uranhydrat 
welches   ein   brauner  Niederschlag  ist,   hat   die  Formel  U(OH)4.     In  technischer 
Beziehung  vergl.  man  Patera  im  20.  Heft  der  Wiener  Ausstellung,  S.  836. 

Schlussbetrachtung  (S.  789—806). 

1)  Die  Gleichstellung  der  weiblichen  Arbeiterinnen  mit  den  geschützten  Personen  ist 
als  ein  zeitgemässer  Fortschritt  zu  betrachten  und  sollte  auch  in  Deutschland  zur 
baldigen  Nachahmung  auffordern  (s.  Die  Ergebnisse  der  über  die  Frauen-  und 
Kinderarbeit  in  den  Fabriken  auf  Beschluss  des  Bundesraths  angestellten  Er- 
hebungen, zusammengestellt  im  Reichskanzler-Amt.  Berlin  1876,  Druck  der  Königl. 
Geh.  Ober-Hofbuchdruckerei,  S.  41). 

Die  Initiative  zu  eingehenden  Erhebungen  über  die  Beurtheilung  der  Angemessen- 
heit und  Notwendigkeit  eines  gesetzlichen  Schutzes  der  in  Fabriken  beschäftigten 
Frauen  und  Minderjährigen  gegen  sonntägliche  Arbeit  und  gegen  über- 
mässige Beschäftigung  an  den  Werktagen  ist  vom  Reichstage  in  der 
Sitzung  vom  30.  April  1873  ausgegangen  und  zwar  auf  Grund  mehrfacher,  während 
der  Sessionen  von  1872  und  1873  eingegangener  Petitionen.  Es  hat  sich  heraus- 
gestellt, dass  in  Preussen  etwa  3%mal  so  viel  Männer  wie  Frauen  beschäftigt 
sind,  in  Bayern  und  Würtemberg  ist  die  Zahl  der  männlichen  und  weiblichen 
Arbeiter  fast  gleich  gross,  in  Sachsen  sind  etwa  um  die  Hälfte  mehr  Männer  als 
Frauen  beschäftigt;  in  Hessen  übersteigt  die  Zahl  der  Arbeiter  die  der  Arbeite- 
rinnen um  etwa  15%  in  Baden  umgekehrt  die  Zahl  der  Arbeiterinnen  die  der 
Arbeiter  um  etwa  10  %. 

Die  tägliche  Arbeitszeit  der  Arbeiterinnen  ist  sehr  verschieden  und 
meistens  noch  dem  Ermessen  der  Fabricanten  anheimgegeben.  Meist  beginnt  sie 
im  Winter  um  6  oder  7  Uhr  und  endet  Abends  um  dieselbe  Zeit;  im  Sommer  be- 
ginnt sie  nicht  selten  früher.  Die  Arbeitspausen  umfassen  durchschnittlich 
1%  —  2  Stunden,  die  wirkliche  Arbeitszeit  beträgt  daher  durchschnittlich 
10 — 11  Stunden  täglich;  nur  in  der  Textilindustrie  dehnt  sie  sich  nicht  selten  auf 
13  Stunden  aus. 

Man  kann  annehmen,  dass  die  Verwendung  der  Frauen  zu  Fabrikarbeit  noch 
im  Steigen  begriffen  ist,  namentlich  ist  man  bei  der  Cigarrenfabrication  zu 
dieser  Annahme  berechtigt,  auch  bei  denjenigen  Industriezweigen,  welche  zum 
Maschinenbetriebe  übergegangen  sind,  hat  man  mehr  weibliche  Arbeitskräfte  heran- 
gezogen. 

Nachts-  und  Sonntags  arbeit  der  Arbeiterinnen  kommt  namentlich  in  Preussen 
am  häufigsten  in  der  Thonwaaren-  und  Glasindustrie,  in  der  Papier- 
industrie, in  der  Rübenzuckerfabrication  und  besonders  in  der  Textil- 
industrie vor.  Häufig  hängt  diese  Arbeit  wie  in  allen  andern  Staaten  von  den 
lebhaften  Geschäftszeiten  und  bisweilen  auch  von  der  Art  des  Betriebes  ab. 

Gesonderte  Räume  für  Arbeiterinnen  finden  sich  in  einzelnen  Gegenden  in 
den  Papierfabriken,  am  seltensten  im  Hüttenbetriebe,  während  in  der 
Textilindustrie  sehr  verschiedene  A'erhältnisse  obwalten  und  in  manchen  In- 
dustriezweigen eine  gemeinsame  Arbeit  oft  durch  die  Eigenthümlichkeit  des  Be- 
triebes geboten  wird.  Am  häufigsten  scheinen  männliche  und  weibliche  Arbeiter 
an  denselben  Arbeits-  und  Maschinenstücken  in  der  Thon-,  Porcellan-  und 
Glaswaarenfabrication,  in  Tabaks-  und  Cigarrenf abriken  sowie  in  der 
Fabrication  von  Zündwaaren  beschäftigt  zu  sein.  Die  vereinte  Thätigkeit  bildet 
in  der  sog.  Veredelungsindustrie  (Bleichereien,  Färbereien,  Appretur- 
anstalten und  Druckereien)  die  Regel. 

Die  Verhältnisse  hinsichtlich  der  zu  Gunsteu  der  Arbeiterinnen  getroffenen 


900  Schlussbetrachtung. 

besondern  Veranstaltungen,  -wie  Einrichtung  von  An-  und  Auskleideräumen,  Wasch- 
und  Baderäumen,  Schlafanstalten,  Logirhäusern,  Koch-,  Speise-  und  ähnlichen 
Anstalten  stellen  sich  noch  nicht  vortheilhaft  heraus.  Besondere  An-  und  Aus- 
kleidezimmer finden  sich  regelmässig  nur  in  Zündwaarenfabriken.  In  den 
Rübenzuckerfabriken,  in  denen  Nachtarbeit  üblich  ist,  finden  sich  auch  mitunter 
Schlafanstalten  und  Logirhäuser;  Sonntags-Nachmittagsschulen ,  gemeinsame  Näh- 
uncl  Strickschulen  kommen  nur  vereinzelt  vor. 

Vor  und  nach  der  Niederkunft  haben  die  Frauen  in  den  meisten  Fabriken 
keine  andere  Erleichterung,  als  dass  ihnen  der  Platz  zum  Wiedereintritt  offen  ge- 
lassen wird.  Nur  in  einigen  chemischen  Fabriken  im  Regierungsbezirk  Breslau 
wird  den  Frauen  die  Einstellung  der  Arbeit  zwei  Monate  vor  ihrer  Entbindung 
zur  Pflicht  gemacht  (s.  S.  30).  Der  Kreis  Iserlohn  zeichnet  sich  durch  die  Rück- 
sicht aus,  die  er  den  Frauen  widmet;  hier  beginnt  die  Frauenarbeit  erst  um  9  Uhr 
und  die  Arbeitspause  kann  von  11—2  Uhr  dauern. _  Auch  in  andern  Gegenden 
Deutschlands  gibt  sich  namentlich  in  der  Textilindustrie  die  Fürsorge  dadurch  kund, 
dass  die  Arbeiterinnen  die  Arbeit  früher  verlassen  oder  später  mit  derselben  beginnen 
dürfen,  namentlich  wenn  sie  in  Accord  arbeiten.  Eine  gänzliche  Entfernung  der 
Frauen  aus  den  Fabriken  ist  nicht  zulässig,  da  manche  Arbeiten  eine  Fingerfertig- 
keit erfordern,  die  den  Arbeitern  meist  abgeht;  man  halte  sie  nur  von  solchen 
Arbeiten  fern,  die  überhaupt  dem  weiblichen  Organismus  nicht  angemessen  sind 
und  denselben  einer  grössern  Gefahr  aussetzen.  Dies  gilt  namentlich  von 
schwangeren  und  stillenden  Frauen,  die  mit  keinen  giftigen  Farben,  keinen 
Bleipräparaten,  keinen  Phosphor-  und  Quecksilberdämpfen  in  Berührung  kommen 
dürfen  (s.  Hirt:  Die  gewerbliche  Thätigkeit  der  Frauen  vom  hygienischen  Stand- 
puncte  aus.    Breslau  u.  Leipzig  1873). 

Von  der  grössten  Wichtigkeit  ist  die  Sorge  für  die  kleinen  Kinder  der  Frauen. 
Als  unentbehrlich  für  Fabrikorte  sind  die  Krippen  (creches)  oder  Säuglings- 
Bewahr -Anstalten  zu  betrachten;  sie  verdienen  eine  allseitige  Unterstützung 
und  ist  ihr  segensreicher  Zweck  nicht  hoch  genug  anzuschlagen;  es  ist  zu  bedauern, 
dass  die  vom  Reichskanzler-Amt  angestellten  Erhebungen  diesen  Gegenstand  nicht 
berühren.  Wir  unterlassen  nicht,  diese  höchst  wichtige  und  namentlich  auch  auf 
die  Verminderung  der  Kindersterblichkeit  hinzielende  Einrichtung  als  eine  wahre 
Humanitäts-Anstalt  dringend  zu  empfehlen  (s.  Eulenberg's  Medicinalwesen,  S.  60.) 
Verbreiteter  sind  die  Kinderbewahranstalten  und  Kindergärten  für 
2  -4  jährige  Kinder,  deren  Nutzen  sich  auch  indirect  auf  die  Mütter  erstreckt, 
insofern  diese  dadurch  schon  mehr  genöthigt  werden,  die  Kinder  in  einem  rein- 
lichen Zustande  diesen  Anstalten  zu  überweisen  und  sich  selbst  an  Ordnung  zu 
gewöhnen. 

Was  die  jugendlichen  Arbeiter  betrifft,  so  haben  die  Erhebungen  ergeben, 
dass  in  Preussen  47,500,  in  Bayern  5600,  in  Sachsen  17,000,  in  Würtemberg  3000 
junge  Leute  von  12—16  Jahren  in  Fabriken  beschäftigt  sind.  Die  meisten  sind  in 
der  Textilindustrie,  in  den  Berg-  und  Hüttenwerken,  in  Tabak-  und  Cigarren- 
fabriken  beschäftigt,  Die  jugendlichen  Arbeiter  bilden  ungefähr  den  zehnten  Theil 
der  in  Fabriken  beschäftigten  Arbeiter. 

Die  gesetzlichen  Bestimmungen  (s.  S.  30)  über  die  Arbeitszeit  kommen  im 
Deutschen  Reiche  noch  lange  nicht  zur  gleichmässigen  Ausführung;  die  meisten 
Zuwiderhandlungen  kommen  in  Glasfabriken  vor  und  überhaupt  in  denjenigen 
Fabriken,  in  welchen  die  jugendlichen  Arbeiter  den  erwachsenen  Arbeitern  zur 
Hand  gehen,  wie  in  Eisen-  und  Zinkhütten,  Spielwaarenfabriken,  Spin- 
nereien, Ziegeleien,  Papier-  und  Cigarrenfabriken,  eine  Erfahrung,  die 
sich  auch  in  andern  industriereichen  Ländern,  namentlich  in  England,  wiederholt. 
Wegen  Beaufsichtigung  der  Fabriken  beginnt  in  Preussen  eine  neue  Aera 
durch  den  grössern,  den  Fabrikinspectoren  bewilligten  Wirkungskreis.  Hier  muss 
die  Erfahrung  darüber  noch  entscheiden,  wie  sich  überhaupt  das  Verhältniss  der 
Fabrikinspectoren  zu  den  Behörden  zu  gestalten  hat  und  namentlich  wie  weit  die 
Befugniss  derselben  den  Industriellen  gegenüber  gehen  soll.  Die  Beaufsichtigung 
der  jugendlichen  Arbeiter,  welcher  die  bestehenden  Bestimmungen  zu  Grunde  liegen, 
ist  leicht  zu  handhaben;  die  Schwierigkeit  entsteht  erst  bei  den  hygienischen 
Fragen,  deren  Erledigung  nicht  in  allen  Fällen  als  eine  Aufgabe  der  Fabrik- 
inspectoren zu  betrachten  ist.  Hier  muss  die  Medicinalbehörde  das  ergänzende 
Glied  sein  und  dürfte  man  von  diesem  Gesichtspuncte  aus  der  Thätigkeit  eines 
Kreisausschusses,  wenn  zu  seinen  Mitgliedern  Aerzte  und  Techniker  gehören,  eine 
günstige  Prognose  stellen.  Hoffen  wir  daher,  dass  die  Geschäfte  des  Kreisaus- 
schusses bezüglich  der  gewerbepolizeilichen  Angelegenheiten  (nach  §  135  V.  der 
Kreisordnung)  dieses  wichtige  und  dem  Bedürfnisse  der  Zeit  entsprechende  Ziel 
anstreben  werden;    der  Fabrikinspector  könnte  dann  immerhin  als  die  geeignete 


Schlussbetrachtung.  9Q1 

Persönlichkeit  zu  betrachten  sein,  welcher  die  etwaigen  üebelstände  aufzusuchen 
und  zu  constatiren  hat,  um  dann  nach  genauer  Feststellung  der  Thatsachen  mit 
der  zuständigen  Behörde  das  Weitere  wegen  Abhülfe  der  üebelstände  zu  ver- 
handeln. 

2)  Die  Schulhygiene  kann  wegen  ihres  grossen  Gebietes  hier  nicht  speciell  erörtert 
werden  In  Bezug  auf  Reinheit  der  Luft,  Heizung  und  Ventilation  sind  die  be- 
treffenden Artikel  zu  vergleichen. 

3)  Roberts,  Henry:  Das  Musterhaus  u.  s.w.    Deutsch  von  Busse.    Potsdam  1852. 

4)  leid,  H.  S.:  "Geber  die  Ergebnisse,  die  sich  von  der  Ausführung  des  Gesetzes 
über  die  Arbeiter- Wohnungen  erwarten  lassen.  The  Sanitary  Record,  Oct,  30.  1875. 
Das  betreffende  Gesetz,  „Artisans  Dwellings  Act  1875",  bezweckt  die  Verbesserung 
der  Arbeiterwohnungen  in  grossen  Städten  und  verfolgt  somit  eine  sehr  schwierige 
Aufgabe.  Yeld  hebt  besonders  den  nachtheiligen  Einfluss  schlechter  Wohnung  auf  das 
leibliche  und  geistige  Wohl  hervor.  In  dieser  Beziehung  vgl.  man  besonders  noch 
Etienne-Laspeyeres:  Der  Einfluss  der  Wohnung  auf  die  Sittlichkeit.  Eine 
moralstatistische  Studie  über  die  arbeitenden  Classen  der  Stadt  Paris.    Berlin  1869. 

Abbildungen  von  Arbeit  er  Wohnungen  im  Regierungsbez.  Düsseldorf  finden  sieh  bei 
Beyer:  Bericht  über  die  Verwaltung  und  den  Stand  des  Medicinal-  u.  Veterinär- 
wesens im  Regierungsbezirk  Düsseldorf.     Oberhausen  1874. 

—  Die  Fabrikindustrie  des  Regierungsbezirks  Düsseldorf  vom  Standpuncte  der 
Gesundheitspflege.    Oberhausen  1876. 

5)  Thaer:  Geber  ländliche  Arbeiterwohnungen.  15.  Heft  der  Deutschen  Zeit-  und 
Streitfragen.    Berlin. 

Richter,  Langsdorff  und  von  der  Goltz:    Die  Lage  der  ländlichen  Arbeiter 

im  Deutschen  Reiche.   Berlin  1875. 

von  der  Goltz  und  Kintzel:  Ländliche  Arbeiterwohnungen.    Königsberg  1865. 

6)  Allgemeine  Gesichtspuncte  erörtern: 

Horkv:   Studien  über  Krankenanstalten,   deren  bauliche  Anlage  und  Ausführung. 

Wien  1860. 

Plage:  Studien  über  Krankenhäuser.    Berlin  1873. 

Esse:  Die  Krankenhäuser,  ihre  Einrichtung  und  Verwaltung,  2.  Aufl.   Berlin  1868. 

Oppert:  Die  Einrichtung  der  Krankenhäuser.    Berlin  1S59" 

Degen,  Ludw-:  Der  Bau  der  Krankenhäuser  mit  besonderer  Berücksichtigung  der 

Ventilation  und  Heizung.    München  1862. 

Die  neuern  Anschauungen  finden  sich  in  folgenden  Schriften : 
Virchow:  Ueber  Lazarethe  und  Baracken.    Berlin  1871. 

Waring,  Ed.  John:  Hüttenhospitäler,  ihre  Zwecke,  Vorzüge  und  Einrichtung.    Mit 
einem  Nachtrage  von  Dr.  W.  Menke.    Berlin  1872. 
Steinberg:  Kriegslazarethe  und  Baracken.    Berlin  1872. 

Sander,  Friedrich:  "Geber  Geschichte,  Statistik,  Bau  und  Einrichtung  der  Kranken- 
häuser.   Köln  1875. 

7)  Man  denke  sich  ein  Quadrat,  welches  in  zwei  Hälften  getheilt  ist:  die  eine  Hälfte 
stellt  die  Heizkammer  für  die  Aufstellung  der  Heizkörper  dar.  die  andere  Hälfte 
besteht  aus  zwei  Theilen,  aus  der  Luft-  und  Mischkammer.  In  die  Luftkammer 
wird  die  äussere  Luft  mittels  eines  Canals  geführt,  damit  sie  von  hier  aus  direct 
in  die  Heiz  kämm  er  gelangt.  Die  hier  erwärmte  Luft  wird  mittels  eines  Ven- 
tilators durch  die  Mischkammer  in  den  betreffenden  Saal  getrieben.  Die  Misch- 
kammer steht  mit  der  Luftkammer  mittels  eines  Schiebers  in  Verbindung.  Steigt 
die  Temperatur  zu  hoch,  so  lässt  man  kalte  Luft  aus  der  Luftkammer  direct 
in  die  Mischkammer  eintreten.  Es  ist  somit  erforderlich,  dass  ein  Sachverstän- 
diger das  Thermometer  in  der  Mischkammer  beständig  beobachtet,  um  die  Tem- 
peratur dem  Bedürfnisse  entsprechend  zu  regeln. 

8)  Degen,  Ludwig:  Praktisches  Handbuch  für  Einrichtungen  der  Ventilation  und 
Heizung  von  öffentlichen  und  Privatgebäuden.  München  1869.  Das  Werk  basirt 
auf  den  von  Morin  gewonnenen  Resultaten  und  berücksichtigt  auch  mehrere  Ein- 
richtungen, welche  in  der  Industrie  zu  verwenden  sind. 

Wolpert:  Die  Principien  der  Ventilation  und  Heizung.    Braunschweig  1860. 

9)  Die  bezüglichen  Versuche  sind  in  der  gynäkologischen  Klinik  zu  Bonn  von  Sachver- 
ständigen angestellt  worden. 


Alphabetisches  Sachregister. 


A. 

Seite 

Seite 

Aethylamiu. 

428. 

A-B-C-Process    bei    der   Behandlung 

Aethylamnioniak. 

428. 

der  Fäcalien. 

~    213. 

Aethylaniline. 

622. 

Abdeckereien. 

590.  591. 

Aethylbenzol 

606. 

Abfälle,   industrielle        207 

504. 

534.  539. 

Aethylehlorid. 

400. 

0-32. 

557.  868. 

Aethylcyanid  s.  Cyanäthyl. 

—    thierische 

57'. ». 

Aethylen. 

398. 

AVilagerungscanäle. 

20G.  2-7 

Aethylenbromid. 

102. 

Abraumsalz  in  Stassfort. 

670.  673. 

Aethylenchlorid. 

401 

402. 

Absinthin. 

864. 

Aethylen  Cyanid. 

42'.). 

Abtreiben  auf  den  Treibherden. 

680. 

Aethylenjodid. 

402 

403. 

Abtrittsüüssigkeiten. 

235. 

Aethyl  schwefelsaure. 

409. 

Abtrittegruben  s.  Gruben. 

Aethylensulfid. 

425. 

Aeetaldehyd. 

411. 

Aethylglycol. 

422. 

Aceton. 

352. 

421.  431. 

Aethyliak. 

428. 

naemie. 

856. 

Aethylidenchlorid. 

402. 

Acetnm. 

421. 

Aethyljodid. 

400. 

Aeetum  plumbicum. 

708.  712. 

Aethylmercaptan. 

426. 

Acetylen. 

399 

Aethylnaphtylamin. 

643. 

Achat. 

659. 

Aethylnitrit. 

411. 

Achatschleiferei. 

884. 

Aethvloxyd-Sulfocarbonat. 

850. 

Acidum  aceticum. 

416. 

Aethvlrosanilin. 

631. 

—     carbolicum. 

609. 

Aethyl  sulfid. 

426. 

—     chloro-nitrosum. 

254. 

Aethyltoluidin. 

625. 

—     citricum. 

449. 

Aethyl  Verbindungen. 
Aethylwasserstoff. 

398. 

—     formicum. 

377. 

398. 

—     muriatic.  s.  hydrochloratum. 

50. 

Aetzbeizen. 

50 

566. 

—     lacticum. 

433. 

Aetzbaryt. 
Aetzkalk 

689. 

—     nitricum. 

247. 

684 

686. 

—     nitricum  fumans. 

247. 

Alaun. 

119 

758. 

—     oxalieum. 

422. 

Alaunerze. 

758. 

phosphoric. 

Alaunindustrie. 

758. 

—     sulfuricum. 

159. 

Alaunschiefer. 

758. 

Acrol. 

434. 

Alaunstein. 

758. 

Acrolein.                             434. 

475. 

477.  478. 

Albit. 

759. 

Acrylsäure. 

434. 

Albolith. 

888. 

Adrianopelroth. 

568. 

Albumin.                            497 

.  500.  566. 

653. 

Aepfelöl. 

443. 

Alcarrazas. 

761. 

Aep  feisäure. 

438. 

Aldehyd. 

411.   412 

414. 

Aescher. 

571.  573. 

—     dreifach  gebromtes  u. 

gejodetes 

416. 

Aethan. 

398. 

—     dreifach  gechlortes 

415. 

Aether. 

409. 

Aldehydammoniak. 

414 

—     aceticus. 

417. 

Aldehydgrün. 

632. 

—     nitricus. 

411. 

Alfenide. 

726. 

—    nitrosus. 

411. 

Algarothpulver 

310. 

—     sulfuricus. 

409. 

Alizarin  im  Krapp. 

568. 

Aethyläther. 

409.  410. 

Alizarindinte. 

375. 

Aethylalkohol. 

404 

Alizarinindustrie. 

645. 

Alkalien. 


Arbeit. 


903 


Alkalien,   chlorsaure  u.  unterchlorig- 

Seite 

Amylxanthogenat. 

Seite 

851. 

saure 

133. 

Ananasäther. 

443 

—     unterschwef ligsaure,   techn. 
wendung  derselben. 

Ver- 
158. 

387. 

Anemometer. 
Anilein. 

33L 

631. 

Alkaloide. 

655. 

Anilin. 

619. 

Alkarsin. 

396. 

—    essigsaures 

621. 

Alkohol. 

404. 

—     salzsaures 

621. 

—     Lagern  desselben. 

409. 

— ■    schwefelsaures 

621. 

—    Nachweis  desselben. 

409. 

Anilinblau. 

631. 

632    879. 

Allylalkohol. 

434. 

Anilinfabriken. 

635. 

Allylcyanid. 

435. 

Anilinfarben,   Einwirk.  ders. 

auf  den 

Allylen 

430. 

thier.  Organismus. 

635. 

Allylsenföl. 

435. 

Anilinfarbendruck. 

566. 

Allylsulfid. 

435. 

Anilinfarbenindustrie. 

625. 

Alpakasilber. 

726. 

Anilingelb. 

634. 

Altarkerzen. 

859. 

Anilingranat. 

629. 

Aluminium. 

757. 

Anilin  grau. 

635. 

Aluminiumbronze. 

757. 

Anilingrün. 

632. 

Aluminiumsilicate. 

759. 

Anilinöl. 

619. 

Alunit. 

758. 

Anilinorange. 

624.  634. 

Ameisensäure. 

377. 

378. 

Anilinpink. 

878. 

—  -Aethyläther. 

—  -Amyläther. 

372. 

Anilinponceau. 

630. 

444. 

Anilinrosa. 

878. 

—     -Methyläther. 

327. 

Anilinroth. 

626.  628. 

Amidobenzol. 

619. 

—    Arsengehalt  desselben. 

880. 

Amidocymol  s.  Cymidin. 

—     arsenfreies  (Rubin) 

629. 

Amidoglycolsäure. 

422. 

—     Behandlung  d.  arsenhall 

j.  Laugen.  628. 

Amido  n  aphtalin. 

642. 

—     Coupier'sches  Verfahren 

zur 

Dar- 

Ammoniakindustrie. 

223. 

Stellung  von 

629. 

Ammonium,  cyansaures 

395. 

—     Darst.  dess.  mittels  Arsensäure.     626. 

—     kohlensaures 

230. 

—         —       —     m.  Quecksilbers 

alze.     630. 

—     anderthalb  kohlensaures 

223. 

230. 

—    Nicholson'sches  Verfahren. 

630. 

—     wolframsaures 

787. 

Anilinschwarz. 

569.  634. 

Ammoniumalaun. 

759. 

Anilin  violett. 

630. 

Ammoniumamalgam. 

221. 

Animalisiren. 

569.  653. 

Ammoniumbisulfid. 

235. 

Anlagen,  gewerbliche 

19.  i 

10.  21.  22. 

Ammoniumcarbonat. 

229. 

Anlauffarben. 

718. 

Ammoniumchlorid. 

224. 

231. 

Anstreicher. 

697. 

Ammouiumhydrosulfid. 

234. 

Anthracen. 

644. 

Ammonium-Magnesium,   arsensaures 

302. 

Anthraehinon 

645. 

Ammonium-Magnes.,  phosphorsaures 

232. 

Anthracit 

316.  317. 

Ammoniumsalze,  Darstellung  derselb. 

Anthracosis  pulmonum. 

336.  723. 

aus  Harn. 

223. 

Anthrapurpurin. 

646. 

Ammoniumsesquicarbonat. 
Ammoniumsulfat.            224.  227. 

230. 

Antichlor. 

46 

.  158.  537. 

228. 

229. 

Antikbronze. 

724.  725. 

—     Darstellung  aus  Gaswässern 

227. 

Antimon. 

305.  306. 

Ammoniumsulf  hydrat. 

234. 

—     Legirungen  desselben. 

307.  308. 

Ammoniumsulfid. 

233. 

Antimongelb. 

712. 

Ammoniumtersulfid. 

235. 

Antimonoxyd. 

306.  311. 

Amygdalin. 

408. 

—     antimonsaures 

312. 

Amyläther. 

443 

444. 

—     -Kalium,  weinsaures 

311. 

Amylaldehyd. 

444. 

Antimonoxysulfid. 

312. 

Amylalkohol.                    408.  441. 

442. 

443. 

Antimonpentachlörid. 

310. 

Amylamin. 

447. 

Antimonpentasulfid 

31-2. 

Amylchlorid. 

440. 

Antimonsäure. 

306.  311. 

Amyldisulfocarbonsäure. 

446 

447. 

Antimontrichlorid. 

310. 

Amylen. 

439 

.440. 

Antimontrisulfid. 

310.  312. 

Amylmercaptan. 

446. 

Antimonwasserstoff. 

309. 

Amylnitrit. 

444 

857. 

Antimonzinnober.    145.  158. 

307 

.  310.  312. 

Amyloide. 

490. 

Antozon. 

91. 

Amylsulfhydrat. 
Amylsulfid. 

446. 
446. 

Apatit. 
Applicationsfarben. 

684. 
565. 

Amylum. 

509. 

Aqua  regia. 

254. 

Amyl  verbindun  gen . 

439. 

Aragonit. 

684. 

Amylwasserstoff. 

439 

595. 

Arbeit,  Accordarbeiten. 

23. 

904 


Arbeit.  —  Bergblau. 


Seite 

Arbeit 

—  Art  und  Dauer  ders.         23.  791.  899. 

—  der  Frauen                  24.  791.  890.  900. 

—  der  Kinder                    24.  25.  791.  900. 

—  Tag-  und  Nachtarbeiten.  22.  896. 

—  unterirdische,  d.  Kinder  i.  England.  26. 
Arbeiter,  dei-,  ausserhalb  der  Fabrik.     33. 

—  Fürsorge  für  erkrankte  794. 

—  Wohnungen  ders.  34.  792.  793.  901. 
Arbeiter-Genossenschaften.  35. 
Arbeitsdauer.  >  791.  899. 
Arbeitseinstellungen  (strikes)."  23. 
Arbeitszeit,  tägliche.  30.  899. 
Argentine.  383. 
Argyroide.  726. 
Argyrophan.  726. 
Arnandon's  Grün.  772. 
Aromatische  Körper.  606. 
Arrac.  408. 
Arsen.  282. 

—  Einwirk,  der  Dämpfe  dess.  283. 

—  Industrie  dess.  284. 

—  techn.  Verwendung  dess.  286. 
Arsenbisulfid.  302. 
Arsenbromid.  289.  305. 
Arsenchlorid.  288. 
Arsendimethyl.  396. 
Arsen  glänz.  283. 
Arseniate  (arseniksaure  Salze).  301. 
Arsenige  Säure  (Arsenigsäureanhydrid)  290. 

—  Ausstopfen  d.  Thierbälge  mit  ders.  296. 

—  bei  der  Glasfabrication.  296.  884. 

—  bei  der  Viehwäsche.  296. 

—  Einwirk,  der  Dämpfe  ders.  auf  den 
Organismus.  290. 

—  Einwirk,  der  Dämpfe  ders.  auf  die 
Pflanzen.  292.  293. 

—  Wiedergewinnung  ders.  aus  den 
Anilinfarbenrückständen.  295. 

Arsenigsaures  u.  essigsaures  Kupfer.     297. 

Arsenik,  weisser  290. 

Arsenikalische  Laugen  in  Anilinfarben- 
fabriken. 879. 

Arsenikblüthe.  282.  290. 

Arsenjodid.  290. 

Arsenite,  arsenigsaure  Salze.  297. 

Arsenkies.  138.  282.  742. 

Arsenküpe.  567. 

Arsenkupfer.  283. 

Arsenmenl,  Sublimation  dess.  294. 

Arsennickel.  775. 

Arsenpentasulfid.  303.  304. 

Arsenphosphid.  304.  305. 

Arsenrubin.  302. 

Arsenrückstände  in  den  Anilinfarben- 
fabriken. 295.  878. 

Arsensäure.  300.  301. 

Arsensäureanhydrid.  300. 

Arsentrisulfid.  139.  303. 

Arsenwasserstoff.  263.  266.  286.  287.736.809. 

Ascolin.  481. 

Asparaginsäure.  495. 

Asphalt.  594.  605. 

Asphaltlack.  458. 

Aspirationsmethode.  198. 


Seite 

Assemblee  Constituante.  6. 
Association  for  Prevention  of  Steam- 

Boiler  Explosions.  19. 

Asthma  saturninum.  890. 

Atakamit.  713. 
Atmosphäre,  zufällige  Bestandtheile 

derselben.  190.  191. 

Aufsparungspappe.  566. 

Augendre's  weisses  Pulver.  134.  670. 

Auricome.  815. 

Aurin.  612. 

Auripigment.  282. 

Avignonkörner.  568. 

Azoverbindungen.  623. 

Azulin.  612. 


B. 


Backkohle. 

Backöfen. 

Backpulver  nach  Liebig  u.  Horsford. 

Baggertorf. 

Baldriansäure.  445.  446.  507.  526. 

—  -Aethyläther. 

—  -Amyläther. 
Balistit 
Bandanasdruck. 


Banknotenpapier. 

Baracken. 

Barium. 

Bariumcarbonat. 

Bariumchlorid. 

Bariumchromat.  • 

Bariumhydrat. 

Bariumnitrat. 

Bariumoxyd. 

Bariumsuperoxyd. 

Bajonette. 

Barytsalze. 

Barytweiss. 

Bathmetall. 

Baumwolle,  verschiedene  Arten  ders. 

—  Reinigen  ders. 

—  Spinnen  ders. 
Baumwollfabriken,  sanit.  Verhältn.  der 

Arbeiter. 
Baumwollfärberei.  569. 

Baumwollindustrie.  543- 

Baumwollzeuge.  49. 

—  Appretur  u.  Erschweren  ders. 
Bauspapier. 

Beinschwarz. 

Beizen  in  der  Textilindustrie. 

Beizhäuser  in  der  Kupferindustrie. 


316. 
87. 
87. 

317. 

614. 

445. 

443. 

861. 

566. 

896. 

533. 

795. 

688. 

888. 

688. 

774. 
689.  888. 

689. 

689. 

888. 

751. 

888. 
689.  888. 

719. 

865. 

543. 

544. 


Bekleidung. 

Beleuchtungskunst. 

Benzin  aus  Petroleum. 

Benzoesäure. 

Benzol. 

Benzylamin. 

Benzylchlorid. 

Benzylmethylanilin- Violett. 

Berg-  u.  Brückenbau. 

Bergblau. 


191- 

595. 
624. 


548. 
868. 
■548. 
547. 
547. 
533. 
316. 
565. 
723. 
-196. 
725. 
873. 
878. 
606. 
624. 
624. 
624. 
187. 
728. 


Berggesetz.  —  Braunkohlengruben. 


905 


Seite 

Berggesetz  v.  24.  Juni  1865. 

334. 

Bergkrystall. 

659. 

Berg-Polizei- Verordnung. 

837. 

Bergsucht  der  Bergleute. 

337. 

Bergwerke,  Ventilation  ders. 

201. 

Bergwerksgruben,  Beaufsichtig,  ders. 
Berieselung  d.  Aecker  m.  Canalwasser 

334. 

.  214. 

—           —          —          na.  industrieller 

L 

Abfällen.                              216.  561 

863. 

Berlinerblau.            389.  395.  499.  537 

567. 

—    technische  Verwendung  dess. 

389. 

Bernstein  firniss. 

454. 

Bernsteinsäure.                                  438 

614. 

Berylldruck. 

566. 

Beschwerdebuch,  öffentl,  in  Amerika 

14. 

Bessemerstahl. 

748. 

Betain. 

495. 

Bettfedern,  Reinigungsanstalt. 

582. 

—    Handel  mit  denselben. 

583. 

Bettzeug. 

582. 

Beuchwässer.                               46.  48. 

552, 

Bezirks-Gesundheitsräthe  in  Italien. 

13. 

Biberfelle. 

575. 

Bienenwachs. 

463. 

Bier. 

523. 

—    Aufbewahrung  u    Lagern  dess. 

523. 

—    Ausschank  dess. 

529. 

—    Untersuchung  dess.                   526 

528. 

Bierbrauerei. 

517. 

Biercouleur.                                       498. 

864. 

Bieressig. 

418. 

Biermaterialien  u.  ihre  Surrogate. 

524. 

Bierpumpen. 

529. 

Bierwachs. 

527. 

Bierwürze.                                        520- 

-522. 

Bilschwasser  s.  Kielwasser. 

Binitroglycerin. 

861. 

Birnenessig. 

418. 

Birnöl. 

444. 

Bismarckbraun.                         629.  634. 

876. 

Bismuthum  subnitricum. 

314. 

Bittererde,  kieselsaure 

869. 

Blac  band. 

337. 

Blanc  fixe.                                 688.  689. 

888. 

Blattgold. 

717. 

Blattmetall  fabrication. 

892. 

Blattsilber,  unächtes 

667. 

Bläser  in  Bergwerken. 

330. 

Blätterkohle. 

316. 

Blätterschiefer  (Papierkohle). 

592. 

—    rheinischer 

592. 

Blaufärben. 

567. 

Blauholz.                                          567. 

569. 

Blausäure. 

380. 

—    in  der  Industrie.      243.  244.  259- 

260. 

261.  382.  462. 

600. 

Blauviolett. 

631. 

Blechf abrication . 

747. 

Blei. 

697. 

—    antimonsaures                            312. 

712. 

—    unterschwefligsaures                159. 

273. 

Bleiacetat.                                        712. 

889. 

Bleicarbonat.                                    697. 

708. 

Bleichen  mit  Schwefel. 

141. 

—    mit  Schwefelwasserstoff 

145. 

Bleichflüssigkeit. 

Bleichlorid. 

Bleichromat. 

Bleidyskrasie. 

Bleierde.  697. 

Bleiessig.  708. 

Bleifolien. 

Bleiglanz.  697.  702. 

Bleiglasur  der  Töpferwaaren.         761. 

Bleiindustrie. 

—  Legirungen  von  Blei. 

—  Verhüttung  von  Blei. 
Bleiintoxicationen.  308.  697. 
B 1  eikammerkrystalle. 

Bleinitrat.  50. 

Bleioxyd. 
Bleirauch. 

Bleiröhren,    Darstellung    und    Ver- 
wendung ders.  121.  703. 
Bleistiftf abrication . 
Bleisulfat. 

Bleisuperoxyd.  130.  154. 

Bleitetramethyl. 
Bleiweiss,  Darstellung  dess. 

—  Pattinson'sches 

—  in  der  Weissgerberei. 
Bleiweissfabrication  in  sanit.Beziehung. 
Bleizucker.  708. 
Blende. 

Bleu  de  France. 

Blockblei. 

Blossen,  geschwellte 

—  Schwellen  oder  Treiben  ders. 
Blumenfabrication,  künstliehe 
Blutalbumin. 
Blutlaugensalz,  Industrie  dess. 

—  gelbes 

—  rothes 
Blutkohle. 
Blutstein. 

Boards  of  Health  (local  and  general). 

Bockbier. 

Bodencultur.  219. 

Bogheadkohle. 

Bonbonnes. 

Bor. 

Borax. 

Boraxglas. 

Boronatrocalcit. 

Borsäure. 

Borsten  der  Schweine. 

Bouillon  (Kupferindustrie). 

Boulinikon. 

Brackwässer.  108. 

Branntweine. 

—  Färben  ders. 
Brasilienholz. 
Brauerpech. 
Brauneisenstein. 
Braun  it. 

Braunkohle.  316. 

—  Halden  brand  bei  der 

—  Verkokung  ders. 
Braunkohlendunst. 
Braunkohlengruben . 


Seite 

46. 
712. 
772. 
698. 
702. 
712. 
703. 
761. 
897. 
703. 
705. 
701. 
869. 
816. 
712. 
706. 
702. 

704. 
316. 
712. 
706. 
397. 
708. 
712. 
869. 
709. 
712. 
135. 
853. 
703. 
572. 
571. 
299. 
566. 
387. 
386. 
388. 
316. 
756. 
6.  7. 
527. 
221. 
592. 
675. 
314. 
315. 
315. 
315. 
314. 
579. 
893. 
574. 
141. 
405. 
409. 
569. 
524. 
742. 
774. 
592. 
343. 
340. 
345. 
337. 


906 


Braunkohlentheer.  —  Ceroxalat. 


298. 
774. 


297.  298. 


666. 
53.  54. 


G3 


Braunkohlentheer 

Braunschweigerblau. 

Braun  seh  weigergrün. 

Braunstein. 

Brauntöpferei. 

Braupfannen. 

Bremerblau. 

Bremergrün. 

Brennstahl. 

Brenzcatechin. 

Briefcouverts,  grüne 

Briquettes. 

Britannia-Metall. 

Brocat. 

Brom. 

Bromal. 

Bromäthyl. 

Bromcyan. 

Bromindustrie. 

Bromjod. 

Bromkalium. 

Bromkampfer. 

Brommethyl. 

Bromoform. 

Bromsalze,  Vorkommen  dei 

Bromwasserstoff. 

Bronze,  ächte 

—  goldähnbche 
Bronzefarben. 

—  Fabrication  ders. 
Bronzepulver. 
Bronzewaaren. 
Bronziren. 
Brotbacken. 
Brotzucker. 
Brucin. 
Bruniren. 
Brunnen. 

—  artesische 
Brunnenschachte. 
Brunnenwasser  s.  Trinkwasser. 
Buchbiuderkleister. 
Buchdrucker,  sanitäre  Verhältu.  ders 
Buchholztheer. 
Büchsenfleisch,  australisches 


310. 


Büffelhäute 

Buntkupfererz. 

Bunzlauer  Geschirr 

Butaldehyd. 

Büttenpapier. 

Butter. 

Buttersäure. 

—  -Aethyläther. 

—  -Amyläther. 

—  -Methyläther. 
Buttermaschinen. 
Butylalkohol,  Gährungs- 
Butylchloral. 
Butylchlorid. 
Butylen. 

Butyl  Wasserstoff. 

Butylverbindungen. 

Butyljodid. 


585. 
713. 


437.  438.  507. 


408. 


436.  595. 


Seite 

593. 
728. 
728. 
775. 
761. 
521. 
728. 
728. 
748. 
618. 
299 
605. 
727. 
892. 
810. 
416. 
400 
390. 
.  64. 

62. 

68. 
810. 
369. 
372. 

68. 

56. 
725. 
724. 
718. 
892. 
717. 
725. 
893. 

87. 
498. 
656. 
754. 
113. 
115. 
353. 

512. 
308. 
874. 
812. 
586. 
714. 
761. 
437. 
538. 
451. 
614. 
438. 
443. 
438. 
487. 
436. 
857. 
436. 
436. 
857. 
436. 
436. 


Cade-Oel  s.  Oleum  Cadini. 
Cadaver,  Verwerthung  ders. 
Calcaria  usta  s.  Calciumoxyd. 


591. 


Calcium. 

684 

—     arsensaures 

301' 

—     baldriansaures  u.  buttersaures 

438 

508' 

—     chlorsaures 

4.7 

—     milchsaures 

508. 

512' 

—     unterphosphorigsaures 

277" 

Calciumborat. 

762- 

Calciumcarbonat. 

684' 

Calciumchromat. 

774' 

Calciumfluorid. 

684- 

Calciumhydrat.             43.  45. 

600. 

676. 

686- 

Calciummetaphosphat. 

261- 

Calciumoxyd. 

676. 

684* 

Calciumphosphat. 

260. 

265. 

684" 

Calciumpyrophosphat. 

261- 

Calciumsulfat. 

684. 

687- 

Calciumsulfit. 

158- 

Calomel. 

739- 

Canadol. 

595- 

Canalinhalt,  Wegschaffung  dess. 

208- 

Canalisation. 

207- 

Candis,  Fabrication  dess. 

500- 

Cannetillen. 

893- 

Caprinsäure. 

450- 

Caprolen. 

448- 

Capronsäure 

448- 

Capronwasserstoff. 

595- 

Caproylalkohol. 

448. 

Caproyl  Wasserstoff. 
Caprylalkohol. 

448. 

450- 

Caprylsäure. 

450- 

Capryl  Wasserstoff. 

595. 

Caramel. 

493 

880. 

Carbolsäure.                      609. 

610 

611 

612. 

Carminlacke. 

569. 

Carminnaphta. 

643. 

Carminroth. 

569. 

Carminsäure. 

569. 

Caseün. 

653 

654. 

Case'inleim. 

586. 

Casselergelb. 

312 

712. 

Casselergriin. 
Cassonade. 

689. 

494. 

Catechu  in  der  Bierbrauerei. 

526. 

—     in  der  Färberei. 

567. 

—     in  der  Gerberei. 

570. 

Cedriret. 

874. 

Cellulose. 

530. 

Cement. 

686. 

Cementindustrie. 

686. 

Cementpulver  z.  Darst.  d.  Cementstahls 

748. 

Cementstahl. 

748. 

Central-Gesundheitsamt. 

6. 

Centi-ifugalmaschinen. 

19. 

Centrifugalventilatoren. 

333. 

Cetylalkohol. 

450. 

Cer. 

884. 

Cerotinsäure. 

451. 

—     -Cerotyläther. 

451. 

Ceroxalat. 

884. 

Chagrain.  —  Crotonaldehyd. 


907 


Chagrain,  künstliches 

Chalcedon. 

Chamottesteine. 

Chassepotpatronen. 

Chinin. 

Chinolin. 

Chinon. 

Chiretta. 

Chlor,  Darstellung  dess.  41 

—  Einwirkung  a.  d.  thier.  Organism. 
Chloracetone. 
Chloraethyl. 
Chloraethyliden. 

Chloral.  371. 

Chlor  alcyanhydrat. 

Chlorammonium  s.  Ammoniumchlorid. 
Chloramyl. 

Chlorbarium.  688.  689. 

Chlorbenzol. 
Chlorblei. 

Chlorbleiche,  Verfahren  dabei.  46.  48. 
Chlorbrom. 

Chlorcalcium.    45.  232.  676.  678.  688. 
Chlorcyan. 

Chlorhydrine.  434.  462. 

Chlorige  Säure. 
Chlorindustrie. 

Chlorjod;  61 

Chlorkalium. 

Chlorkalkfabrication.  43.  45. 

Chlorkohlenstoff. 
Chlorkohlenoxyd. 
Chlorkupferlampe. 
Chlormethyl  s.  Methylchlorid. 
Chlornaphtalinsäure. 
Chlornatrium. 

Chloroform.  370.  371. 

ChloromethyL 
Chloroxynaphtalinsäure. 
Chlorpikrin. 
Chlorroseokobaltiak. 
Chlorsaure  Alkalien,  Industrie  ders. 
Chlorsäure. 

—  -Chlorigsäureanhydrid. 
Chloruntersalpetersäure. 
Chlorwasserstoffsäure.  50.  51 

Einwirk,  ders.  auf  die  Vegetation. 


Chlorzink.  696. 

Christoflearbeit  s.  Alfenide. 
Christoflemetall. 
Chrom. 

—  Industrie  dess. 
Chromalaun.  645. 
Chromatgrün. 
Chromaventurin. 
Chromchlorid. 
Chromeisenstein. 
Chromfabriken,  sanit.  Verh.  ders.    769. 

—  Verwerthung  der  Rückstände. 
Chromfarben. 

Chromgelb.  772. 

Chromgrün. 
Chromhydrat. 
Chromleim . 
Chrom  orange. 


Seite 

574. 
659. 
760. 
134. 
655. 
647. 
618. 
684. 
,  44. 
41. 
433. 
400. 
402. 
415. 
416. 

440. 
888. 
624 
712. 
552. 

57. 
867. 
389. 
480. 
131. 

43. 
.  62. 
670. 
887. 
373. 
361. 

97. 

642. 
673. 
372. 
851. 
642. 
616. 
781. 
133. 
132. 
131. 
254. 

52. 

53. 
889. 

726. 
767. 
768. 
774. 
772. 
773. 
774. 
767. 
770. 
771. 
771. 
773. 
772. 
772. 
772. 
773. 


Seite 

Chromoxyd.  771. 

Chromroth.  773. 

Chromsalze.  773.  774. 

Chrom  sau  res  Eisen.  773. 

Chrom  saures  Silber.  773. 

Chromsäure.  772. 

Chromsäureanhydrid.  772. 

Chromsulfat.  774. 

Chromzinnober.  773. 

Chrysanilin.  633. 634. 

Chrysopas.  659. 

Chrysotoluidin.  629. 

Chylariose.  493. 

Cichorienfabriken.  880. 

Cigarettenpapier.  741. 

Cigarrenfabriken.  253    860. 

Citronensäure.  449. 

Clark'sches  Verfahren  bei  den  Faecal.  213. 

Cloakengase  236.  237.  825. 

Coal  Mines  Regulation  Act.         8.  26.  334. 

Cochenille.  569. 

Cocons.  561. 

Cocosnussöl.  466. 

Codöle.  648. 

Coeruleum.  781. 

Coerulignon.  856.  874. 

Cognac,  künstlicher  408 

Colchicum- Samen  i.  d.  Bierbrauerei.      527. 

Colcothar  oder  Caput  mortuum.            756. 

Colique  seche.  125.  667. 

Collidin.  647. 

Collodium.  532. 

Collodiuniverfahren.  682. 

Colophonium.  456.  648.  766. 

Coloristen.  697. 

Colxa.  453. 

Comite  consultatif  d'hyg.  de  France.       12. 

Comites  locaux  de  salubrite  i.  Belgien.     13. 

Commissions  de  sante  (Belgien).  13. 

Composition.  668. 

Compositionsmetalle.  666. 

Composthaufen.  206.  218.  506. 

Compressionspumpen  beim  Bieraus- 
schank. 729. 

Concessionsverfahren.  16.  17. 

Conchiolin.  584.  684. 

Condensationswässer   in   den  Zucker- 
fabriken. 862. 

Conditioniren  der  Seide.  563. 

Conservenindustrie.  80.  812. 

Consumvereine.  35. 

Contagium  animatum.  79. 

Copalfiruiss.  455. 

Coprolithen.  590. 

Corallin,  rothes  612. 

Corallingelb  (Aurin).  612. 

Corallinlack.  612. 

Corduanleder.  572. 

Cottage-System.  793. 

Coupier'sches  Verfahren  b.  d.  Fuchsin- 
darstellung. 629. 

Coupier's  Blau.  632. 

Creches.  900. 

Creme.  ^OS. 

Crotonaldehyd.  439. 


908 


Crotonchloral.  —  Eisenbromid. 


Seite 

Crotonchloral.  439.  857. 

Crotonsäure.  439. 

Cryp  tidin.  648. 

Cubaextract.  568. 

Cudbear.  568. 

Cumidin.  639. 

Cumol.  639. 

Cvan.  67.  386.  390. 

—  in  den  Knochen.  259. 
Cvanäthvl.  428. 
Cyanallyl.  _  435. 
Cyanammonium.  385.  387. 
Cyanamyl.  447. 
Cyanblei.  712. 
Cyangruppe.  380. 
Cyankalium.  383.  384. 
Cyanmethyl.  392.  393.  853. 
Cyanquecksilber.  386. 
Cyansäure.  387.  395. 

—  -Methyläther.  395. 
Cyansaures  Ammonium.  395. 
Cyansilber.  386. 
Cyanursäure.  395.  396. 
Cyanwasserstoffäther.  428. 
Cyanwasserstoffsäure  s.  Blausäure.  380. 
Cvlindermaschine.  545. 
Cymidin.  640. 
Cymol.  640. 

D. 

Dachpappe,  Darstellung  ders.  603. 

Dachziegelbrennerei.  760. 

Daguerreotvpie.  683. 

Dahlia.  631. 

Damar.  457. 

Damascenerstahl.  749. 

Dampffarben.  565. 

Dampfheizung.  100. 

Dampfkessel,  Gesetze  bei  der  Anlage 

derselben.  17.  18. 

Dampfsägemühlen.  896. 

D'Arcet'sche  Methode  bei  den  Ab- 
trittsgruben. 202. 

Darmsaitenfabrication.  584.  870. 

Decatirer.  557. 

Deckpappe.  566. 

Defilage.  536. 

Deflector.  835. 

Degras.  458.  574. 

Dejectionen,  Wegschaffung  ders.  202. 

Denitrificateur.  170. 

Derochage.  252. 

Desinfectionsmittel  bei  Abtritten.  236 

—  im  Allgemeinen.  880. 
Dextrin.  509.  515.  864. 

—  Darstellung  dess.  516. 
Dextrinsyrup.  516. 
Dextrose.  862. 
Diamant.  316. 
Diamantbor.  314. 
Diamidobenzol,  salpetersaures  623. 
Diamidonaphtalin.  642. 
Diastase.  517. 
Diazoverbindungen.  623. 


Seite 

Diazobenzol,  salpetersaures  877. 

Dibenzylamin.  624. 

Dichlornaphtalin.  641. 

Dichlornaphtochinon.  642. 

Didyni.  884. 

Diffuseurs.  496. 

Dimethyl.  398. 

Dimethylketon.  431. 

Dimethylamin.  379. 

Dimethylanilin.  622.  631. 

Dimethylarsinsäure.  396. 

Dimethylbenzol.  638. 

Dinitronaphtol.  642. 

Dinitroamidophenol.  617. 

Dinte,  blaue  425. 

—  sympathetische  781. 
üioxyanthrachinon.  645. 
Dioxybenzol.  618. 
Dioxynaphtochinon.  642. 
Diphenylamin,  salzsaures  623. 
Diphenylaminblau.  632. 
Disulfanthrachinonsäure.  645. 
Dividivi.  570. 
Diviseurs.  203. 
Dochte  der  Stearinkerzen.  282. 

—  Tränken  ders.  282. 
Döbereiner'sches  Essiglämpchen.  97. 
Dolomit.  213.  232.  628.  689. 
Doppelschwärze  in  d.  Buchdruckerei.  324. 
Drahtgeflechte  mit  Arsengrün.  298. 
Drähte,  eiserne  747. 

—  messingene  725. 
Drahtseile.  747. 
Drahtziehen.  750. 
Drucker,  Krankheiten  ders.  308. 
Druckerschwärze.  309. 
Drumond'sches  Licht.  40. 
Dualin.  ■  489. 
Dumasin.  432.  433. 
Düngerarten,  besondere  220.  221. 
Dungstoffe.  219.  220. 
Dungziegel,  Trocknen  ders.  590. 
Dynamitfabrication.  488. 


Eau  de  Javelle.  133. 

—  de  Labarraque.  133. 
Ebur  ustum.  316. 
Ehegräben.  202. 
Elemiharz.  457. 
Eichenrinde  als  Lohe.  570. 
Eichgalläpfel.  570. 
Eiderduneo.  582. 
Eimersystem.  205. 
Einlegerinnen  in  Blattmetallfabriken.  892. 
Eisen.  742. 

—  Ausarbeiten  dess.  751. 

—  Hüttenmännische  Gewinnung  dess.  743. 

—  Schmieden  dess.  749. 
Eisenbahnbeamte,  Statistik  ders.  819. 
Eisenbeizen.  253.  757. 
Eisenbisulfid.  161. 
Eisenblech,  Verbleien  u. Verzinnen  dess.  40. 
Eisenbromid.  65. 


Eisenbromür.  —  Fixirsalz. 


909 


Eisenbromür. 

Eisenbromürbromid 

Eisenchamäleon. 

Eisencyanürcyanid. 

Eisengiesserei. 

Eisenglanz. 

Eisenindustrie. 

Eisenjodür. 

Eisenkitt. 

Eisenocker. 

Eisenoxyd. 


Seite 

810. 
65. 

898. 

389. 
745.  746. 
742.  756. 
749—751. 

810. 

141. 

174. 

756. 


Eisenoxydlösung  in  der  Gerberei.  869. 

Eisenoxyduloxyd.  757. 

Eisenschwamm.  814. 

Eisenstaub.  197. 

Eisensulfat.  757. 

Eisensulfid  s.  Schwefelkies.  138. 

Eisenvitriol.  757. 

Elaylchlorid.  401. 

Elaylgas.  398. 

Elevatoren.  83.  543. 

Elfenbeinbleiche.  49.  98. 

Email.                                        663.  755.  756. 

—  bleifreies.  896. 
Englischroth.  756. 
Enlevage.  566. 
Entfuseln  des  Branntweins.  853. 
Entgolden.  252. 
Eosm.  612.  876. 
Erdeloset.  205. 
Erdglasuren.  764. 
Erdöl.  595. 
Erhärtungen  der  Oele  und  Fette.  243. 
Erzaufbereitung.  891. 
Espartogras.  86o. 
Essig.  420. 
Essigäther.  417. 
Essigbrenzöl.  432. 
Essiggeist.  431. 
Essigindustrie.  418—420. 
Essigmutter.  418. 
Essigsäure.  416. 

—  Einwirk.  a.  d.  thier.  Organism.  416.  417. 
Essigsäure-Aethyläther.  417. 

—  -Amyläther.  444. 
Essigsprit.  r  420. 
Ether  chlorhydrique  monochlorure.  402. 
Excremente,  thier.,  Aufstapelung  ders.  218. 

—  —  Wegschaffung  ders .  217.  218. 
Exportbiere.  526. 
Extractionsverfahren  beim  Kupfer 


891. 


Fabrikarbeiter,  Wohnungen  ders.  792. 

Fabriken,  chemische,  Beaufsichtigung 

ders.  in  England.  _  8- 

—  Beaufsichtigung  der  Fabriken  im 
Allgemeinen.  "00. 

—  Begriff  der  ehem.  Fabriken.  14. 

—  Classification  der  Fabriken.  16. 

—  Concessions-Ertheilung  ders.  15. 

—  Innere  Einrichtg.  d.  Fabriken.  789.  790. 

—  Nachtheile  der  ehem.  Fabriken  für 

die  Flüsse.  -09. 


Seile 

Fabrikinspectoren.                        8.  31.  900. 

—  Wirksamkeit  ders.  i.  cl.  Schweiz.  31.32. 

—  —  in  England.  33. 
Fachbogen.  543.  581. 
Factory  Act  Exclusion  Act.  9. 
Factory  Act  Extension  Act.  27. 
Factory  and  Workshops  Act.  27. 
Fäcalien,  Aufspeicherung  ders.  205. 

—  Filtrations-  u.  Präcipittsverfahren  212. 

—  Transport  ders.  206. 

—  Verbrennen  ders.  822. 
Fäcalsteine.  823. 
Fahlerze.  283. 
Fahrten  in  den  Bergwerken.  328. 
Fahrkünste  in  Bergwerken.  328. 
Fällthurm  nach  Gerstenhöfer.  779.  833. 
Fangvorrichtungen.  328. 
Farbkasten  für  Kinder.  298. 
Färben  a.  d.  Kessel.  566. 
Färber.  697. 
Färbereien.  14.  560.  567—569. 
Farinzucker.  499. 
Fässersystem  s.  Tonnensystem. 
Fäulniss  u.  Fäulnissgase.  76.  237. 
Fayence.  759.  762.  763. 
Federn.  582. 
Feilenhauerkrankheit.  751.  860.  895. 
Feinspinnen  i.  d.  Baumwollindustrie.  544. 
Feldspath.  759.  764. 
Felle.  580. 

—  Abhaaren  ders.  i.  d.  Lohgerberei.  571. 

—  Enthaaren  ders.  b.  Haarschneiden.  580. 

—  Läutern  ders.  575. 
Fernambuk.  569. 
Ferricyankalium.  388. 
Ferricyanwasserstoffsäure.  389.  853. 
Ferrieisencyanür.  389. 
Ferrocyaneisen.  389. 
Ferrocyankalium.  386. 
Ferrocyankupfer.  388. 
Ferrocyanwasserstoffsäure.  387. 
Ferrolith.  761. 
Ferro  sulfat.  757. 
Ferrumchromat.  773. 
Fette.  451. 

—  verschiedene  Arten  von  465. 
Feuer,  wildes,  in  Bergwerken.  329. 
Feuerfeste  Steine.  89. 
Feuerlöschdosen  nach  Bucher.  760. 
Feuersetzen  in  Bergwerken.  338. 
Feuerstein.  659. 
Feuerungsanlagen.  318. 
Feuerwerkssätze.  671. 
Fibrin.  653. 
Fibroin.  °61. 
Fichtenöl.  649. 
Fictilindustrie.  9>  7o9. 
Filterpresse.  86'-- 
Filtrationsverfahren.  2r_. 
Filz,  Walken  dess.  ^  581. 
Firnissindustrie.  453 — 457. 
Fischbein.  ?84. 
Fischleim.  ^°6. 
Fischguano. 
Fixirsalz. 


784. 


910 


Flachs. 


Glucoside. 


Seite 

Flachs.  533.  550. 

—  gerotteter  551. 
Flaehtnüllerei.  83. 
Flasebenlack,  grüner  299. 
FlatterrusB.  321. 
Flechtenarten.  ■I>';. 
Fleischmilchsäure.  433. 
Fliegenpapier.  296.  567. 
Fliegenstein.  282.  286. 
Fliesen  von  Hettlach.  763. 
Flockmaschine.  544. 
Floretseide. 

Flüsse.  Verunreinigung  ders.         208.  211; 

Flugstaulikammer.  167. 

Fluor.  Vorkommen  dess.  88. 

Fluorescein.  612. 

Fluorwasserstoff.  68.  259. 

Fluorwasserstoffsäure.  69.  811. 

—  Techn.  Verwendung  ders.  71.  496. 
Flusswasser,  Filtration  dess.  119. 
Flusssäure.  68. 
Flussspath.  68.  684. 
Förderstuhl.  328. 
Fournirsägen.  396. 
Fressbeizen.  50.  566. 
Frischen  des  Eisens  in  Flammenöfen.  747. 
Friseure.  580. 
Frittenporcellan.  765. 
Fruchtäther.  444. 
Fruchtbrennerei.  406. 
Frühjahrsbleiche.  131. 
Fuchsfelle  575. 
Fuchsin  s.  Anilinroth. 

Füllöfen.  318. 

Fuseläther.  443. 

Fuselöl.  408.  443. 


G. 

Gährung. 

Gährungsprocess  beim  Flachs. 

Galläpfel. 

Galliren. 

Gallisiren  der  Weine. 

Galmei. 

Ganzzeug,  Fabrication  dess. 

—  -Holländer. 

—  Leimen  dess.  in  der  Bütte 
Garancin. 

Garne,  baumwollene,  s.  Banmwoll 

Industrie. 
Garnelen. 
Gas,  Ölbildendes 
Gasgeneratoren. 

Gaskalk.  395. 

Gaskohle. 
Gas-Montgolfier. 
Gasoline. 
Gasometer. 
Gassammeikasten. 
Gaultheria  procumbens,  Oel  ders 
Gay-Lussac'sche  Koksthürme. 
Gazolen. 
Gelbbeeren. 
Gelbbleierz. 


76 


600. 
174. 


600. 


1 1. 
550. 
570. 
569. 
861. 
690. 
537. 
537. 
537. 
568. 


220. 

354. 
875. 
316. 
39. 
595. 
B75. 
375. 
374. 
169. 
595. 
568. 
697. 


Seite 

Gelbfärben.  568. 

Gellertsgrün.  889. 

Genevre.  408. 

Georgin.  629; 

Geranosin.  630. 

Gerber.  578. 

Gerbereien,  die  festen  u.  flüssigen  Ab- 
gänge ders.  571.  577. 

—  Sanit.  Verhältnisse  der  Arbeiter.     575. 

—  Wegschaffung  der  Abfälle.  216; 
Gerberfett.  458.  574. 
Gerberhaare.  581. 
Gerberwolle.  573. 
Gerbstoffe,  eisenbläuende  u.  eisengrün.  569; 
Gerichts-Medicin,  Thätigkeit  ders.  5. 
Gesundheits  -  Gesetz  in  New  -  York , 

Thätigkeit  dess.  13.  14. 

Gesundheitspflege,  öffentliche,   Um- 
fang ders.  2.  4. 

—  Entwicklung  ders.  13. 

—  in  Amerika  13. 

—  in  Belgien.  12. 

—  in  Holland  u.  Italien.  13. 
Gesundheitsrath.  Geh..  Thätigkeit  dess.  6.  7. 
Gesundheitsräthe  in  Frankreich.  12. 
Gesundheitswesen,  öffentliches,  Auf- 
gabe dess.  4. 

Getreide.  82.^83. 

Gewebe,  tuchartige  554. 

Gewehrläufe.  748.  751. 

Gewerbe- Gerichte  in  Frankreich.  36. 

Gewerbe-Hygiene,  Notwendigkeit  ders.   5. 
Gewerbeordnung  f.  d.  Deutsche  Reich, 
Inhalt  ders. 

—  in   Bezug   auf  die  Beschäftigung 
der  Kinder  in  Fabriken. 

Gichtgase. 

Giessen  der  Metalle. 

Gifthütten. 

Giftkammern. 

Giftmehl. 

Gin. 

Gips.  684.  688.  887 

Gipsmarmor. 

Gipsung  des  Weins. 

Giselagelb. 

Glanzkobalt. 

Glanzruss. 

Glas,  bleifreies  u.  bleihaltiges. 

—  gefärbtes 

Glasarbeiter,  sanit.  Verhältnisse  ders. 
Glaser. 

Glasindustrie.  661 

Glasiren  der  Thonwaaren. 
Glasmalerei. 
Glasperlen. 
Glassätze. 
Glasschleifer. 
Glasur  der  Steinwaaren. 
Glaswolle. 
Glätte. 
Glisentistahl. 
Glockenmetall. 
Glover'scher  Thurm.. 
Glucoside. 


354. 


321. 


14. 

30. 

745. 

721. 

293. 
284.  294. 
290.  294. 

408. 

892. 

687. 

887. 

698. 

779. 

323. 

662. 

662. 

663. 

697. 

663. 

761. 

783. 

663. 

662. 

763. 
894. 

706. 
748. 
725. 
817. 
570. 


663. 


170. 


Glyceride.  —  Holländer. 


911 


Glyceride. 

Glycerin.  433. 

—  in  der  Bierbraiterei. 

—  Industrie  dess. 

—  öl  saures 

—  Raffiniren  des  rohen 

—  Verwendung  dess. 
Glycerinarsenik. 
Glycerinsalpetersäure-Aether. 
Glycerinschwefelsäure.    434.  474.  476. 
GlyceriD  sulfit. 

Glycin. 

Glycole. 

Glycocoll. 

Glycolsäure. 

Glycosan. 

Glycose  s.  Traubenzucker. 

Gmelin's  Salz. 

Gobelins. 

Gold. 

—  Färben  dess. 

—  Legirungen  dess. 
Goldamalgam. 

Goldarbeiter.  697. 

Goldbronze. 

Goldfirniss. 

Goldglätte. 

Goldlack. 

Goldleistenfabrication. 

Goldpurpur. 

Goldrahmenfabrication. 

Goldscheidewasser. 

Goldscheidung. 

Goldschlägerei. 

Goldschwefel. 

Goldwaaren,  Anreicherung  ders.    252. 

Golgasdruck. 

Gomnie  d'Asance  s.  Dextrin. 

Goudron. 

Gradiren  der  Soolquellen. 

Graphit. 

—  in  der  Papierfabrication. 
Grauspiessglanz.  305. 
Grenadin. 

Griffel  mit  arsenigs.  Kupferfarben. 

Grignons. 

Grouvelle's  Bleichflüssigkeit. 

Gruben,  ausgemauerte 

—  Entleerung  ders.  nach  Liernur. 
Grubenbrandwetter. 
Grubengas. 

Grubenluft  in  Kohlenbergwerken. 
Grubensystem  bei  der  Aufbewahrung 

der  Dejectionen. 
Grüner  Vitriol. 
Grünfärben. 
Grünfeuer. 
Grünspan. 
Grundbleierz. 
Grundirer. 
Grundwasserfrage. 
Guajacol. 

Guano.  220.  221. 

Gürtler. 
Guillochiren. 


423. 


597. 
222. 


Seite 

451. 
856. 
525. 
478. 
473. 
486. 
481. 
566. 
481. 
479. 
481. 
422. 
422. 
422. 
422. 
493. 

388. 
555. 

782. 
783. 
783. 
783. 
783. 
783. 
668. 
706. 


784. 
668. 
253. 
783. 
783. 
312 
893. 
566. 

594. 
674. 
316. 
316. 
312. 
629. 
298. 
451. 
133. 
202. 
203. 
353. 
368. 
329. 

203. 
757. 
569. 
689. 
727. 
697. 
697. 
117. 
874. 
232. 
893. 
751. 


Seite 

Gummi. 

517. 

Gusseisen,  Darstellung  dess. 

743. 

Gussstahl. 

748. 

Gusswaaren,  Emailliren  ders. 

755. 

Gutta-Percha. 

652. 

H. 

Haare,  Fachen  ders. 

580. 

—     Schneiden  und  Beizen  ders. 

579. 

580. 

Haar  kies. 

775. 

Haarkräusler. 

580. 

Haarrauch  s.  Höhenrauch. 

Haarschneider. 

580. 

Haarstaub. 

580. 

Häuer  in  Bergwerken. 

328. 

836. 

Häute,  thierische,  Aufbewahren 

ders. 

durch  Einsalzen. 

578. 

—        —        —     durch  Trocknen. 

578. 

Hahnemann's  "Weinprobe. 

145. 

Halbporcellan. 

762. 

Halbwollene  Zeuge. 

555. 

Halbzeug,  Bleichen  dess. 

536. 

— -     Fabrication  dess. 

536. 

—     -Holländer. 

536. 

Haldenbrand  auf  Kohlenzechen. 

844. 

Hamburgerblau. 

389. 

Handgespinnst. 

47. 

Handpapier. 

538. 

Handschuhfabrication. 

233. 

Handschuhleder,  Färben  dess. 

574. 

Handschuhmacher. 

869. 

Handwerker-Genossenschaften. 

36. 

Hanf. 

533. 

550. 

Hartglas. 

884. 

Harnküpe. 

567. 

Harz,  amerikanisches 

648. 

Harzessenz. 

596. 

648. 

Harzseife.  _                               298 

466. 

537. 

Hausmannit. 

774. 

Hausschwamm. 

78. 

Hauswasser  s.  Küchenwasser. 

Haut,  Absorptionsfähigkeit  ders. 

195. 

—     Wärmeverlust  ders.  durch  Ver- 

dunstung. 

194. 

Hefe. 

522. 

—     Ober-  u.  Unterhefe. 

522. 

—     Stellen  der 

522. 

Heisswasserheizung. 

100 

102. 

Heizer  auf  Eisenbahnen. 

818. 

—     auf  Dampfschiffen. 

819. 

Heizkammer. 

901. 

Herdguss. 

72-2. 

Heufieber. 

361. 

850. 

Hexanitrodiphenylamin. 

634. 

Hexylalkohol. 

448. 

Hexylwasserstoff. 

448. 

860. 

Hochdruckheizungen. 

100. 

Hochmüllerei. 

83.  ! 

Höhenraiich. 

219. 

Hofmann's  Grün. 

632. 

Hofmann's  Naphtalinroth. 

641. 

Hofmann's  Violett. 

631. 

Hohofenprocess. 

743. 

Holländer  in  der  Papierfabrication. 

536. 

912 


Holz.  —  Kalk. 


Holz.  Biegen  dess. 

—  Imprägniren  dess.  mit  Theer. 

—  künstliches 
Holzäther. 
Holzbearbeitung. 

Holzessig,  Darstell,  des».        375.  421. 

Holzfeuerung. 

Holzgeist.  374. 

Holzkohle. 

—  Darstellg..  Lagerg  u.  Transp.  ders 

—  Verwendung  ders. 
Holzkohlendampf. 
Holzkohlenfeuerung. 
Holzkohlengase. 
Holzstaub. 
Holzzeugfabrieation. 
Holzwespen. 
Honigessig. 

Hopfen.  Schwefeln  dess. 
Hopfenöl,  ätherisches 
Hopfensurrogate. 
Hopperboy. 
Horngebilde. 
Hornplätterei. 
Hornstaub. 
Hornwaaren. 
Hörner,  Entkernen  ders. 

—  Waschen  ders. 
Hüttenkrätze  in  der  Arsenindustrie. 
Hüttenrauch.  250. 
Hundezwinger. 

Hungerstein. 

Hutmacher.  "252.  580. 

Hydragvrum  muriaticum  mite. 

Hydrochinon. 

Hydrocoerulignon. 

Hydrothionsäure. 

Hydroxygengaslicht. 

Hydroxylbenzol. 

Hypophosphite. 

Hyposulfite.  158. 


197. 


156. 


197. 
■233 


Seite 
896. 
603. 

896. 
376. 
896. 
422. 
318. 
375. 
316. 
342. 
325. 
345. 
353. 
343. 
896. 
534. 
168. 
418. 
526. 
526. 
615. 

83. 
583. 
583. 
584. 
584 
583. 
583. 
285. 
831. 
591. 
674. 
581. 
739. 
618. 
874. 
141. 

41. 
609. 
277. 
677. 


Jacquard'sche  Webstühle.  550.  705. 

Jauchedüugung.  220. 

Jennymaschine.  545. 

Indican  567. 

Indigblau.  537.  567. 

Indigweiss.  567. 

Inductionsröhren,  Siemens'sche  99. 

Infusorien  des  Wassers.  111. 

Infusorienerde.  650. 

Inulin.  509.  880. 

Inosit.  490. 

Invertzucker.  862. 

Jod,  Darstellung,  Eigensch.  dess.      58.  60. 

Jodal.  416. 

Jodamyl,  Einwirk.  a.  d.  thier.  Orj 

Jodäther. 

JodäthyL,  Verwendung  dess 

Jodblei. 

Jodcyan. 

Jodgrün. 

Jochiidustrie. 


gan. 


441. 

400. 

400.  401. 

712. 

67.  390. 

632.  633. 

63. 


6eite 

Jodkalium.  68. 

Jodmethyl.  369. 

Jodmethylgrün.  632. 

Jodoform.  373. 

Jodsalze.  Vorkommen  ders.  68. 

Jodwasserstoff.  Darstellung  dess.  60. 

Jodwasserstoffsäure.  60.  61. 

Iridium.  785. 

Isobutyaldehyd.  437. 

Isobutylalkohol.  436. 

Isobutylwasserstoff.  436. 

Isopropylalkohol.  430. 

Isopropylen.  430. 

Isopropvlglycolsäure.  433. 

Juchtenleder.  572. 

Jungfernblei.  703. 

Jungfernöl.  451. 

Jungferntalg.  459. 

Jute.  550. 


Kadmium.  696. 

Kadmiumsalze.  696. 

Kaffee-Surrogate.  498. 

Kaisergrün.  298.  727. 

Kaiserviolett,  ruthes  u.  blaues  631. 

Kakodyl.  396. 

Kakodyloxyd.  396. 

Kakodylsäure.  396. 
Kali  chloricum  s    Kaliumchlorat. 

Kalidünger.  590. 

Kaliseife.  466. 

Kalisalpeter.  67.  669. 

Kalium.  669. 

—  amylxanthogensaures  857. 

—  arsenigsaures  244.  297. 

—  arsensaures  301. 

—  chlorsaures  272. 

—  ferrocyanatum  flavurn  386. 

—  pikrinsaures  273. 

—  überchlorsaures  135. 

—  übermangansaures  775. 

—  weinsaures  439. 

—  xanthamylsaures  857. 

—  xanthogensaures  857. 
Kaliumalaun.  759. 
Kaliumaluminiumalaun.  758.  759. 
Kaliumarsenit.  297. 
Kaliumbichromat.  272.  273.  768. 
Kaliumbromid.  68. 
Kaliumcarbonat.  669. 
Kaliumchlorat.  133.  134.  272. 
Kaliumchromat.  645.  768. 
Kaliumchromsulfat.  774. 
Kaliumcyanid  s.  Cyankalium. 
Kaliurueisencyanid.  388. 
Kaliumeisencyanür.  386. 
Kaliumhvperchlorat.  135. 
Kalium  hvpermanganicum.  775. 
Kaliumjodid.  68. 
Kaliumpyrochromat.  768. 
Kaliumsulfarseniat.  303. 
Kaliumsulfocarbonat.  851. 
Kalk,  gebrannter  43.  684. 


Kalk.  —  Kohlengruben. 


913 


312 
650. 
181. 


307. 


Kalk. 

—  gelöschter.  43. 

—  hydraulischer. 

Kalkbrennerei.  684. 

Kalksinter. 
Kalkspath. 

Kalkstaub.  685. 

Kalkstein. 
Kalktuff. 
Kammersäure. 
Kamm  f abrication . 
Kammgarn. 
Kammwolle. 
Kampher. 
Kamptulikon. 
Kaninchenfelle. 
Kandanit. 
Kaolin. 
Karatirung. 
Kartoffelbrennerei. 
Kartoffeln,  faulende 
Kasematten. 

Käsebereitung  im  Grossen. 
Kastenguss. 

Kattundruckereien.  50.  212. 

Kautschuk. 

Kellerwohnungen.  129. 

Kelp. 
Keramik. 
Kermes  minerale. 
Kerosen. 
Kerosolen. 
Kerzen,  gezogene 

—  Färben  ders. 
Kesselfarben. 
Kesselstein. 
Kielwasser. 
Kienruss. 

—  leichter  und  schwerer 
Kienöl  s.  Fichtenöl. 
Kiese. 
Kiesel. 

Kieselfluorwasserstoffsäure.  259. 

Kieselflusssäure. 
Kieseiguhr. 
Kieselsäure. 
Kieselsäureanhydrid. 
Kieselstaub. 

Küns.  162. 

Kinderarbeit.  24 

—  in  Belgien. 

—  in  Bergwerken. 

—  in  Frankreich. 

—  in  Preussen. 

—  in  der  Schweiz. 

—  unterirdische 
Kinderarbeitsbücher  (livrets). 
Kinderbewahranstalten. 
Kindergärten. 

Kinderspielzeuge  mit  arsenikal.  Grün. 
Kino. 

Kirchbergergrün. 
Kirschwasser. 
Kiserit. 
Kitte. 

Eulenberg,  Gewerbe-Hygiene. 


122.  123.  124, 
321. 


686. 
686. 
685. 
684. 
689. 
887. 
684. 
684. 
171. 
583. 
554. 
554. 
648. 
574. 
575. 
861. 
759. 
727. 
406. 

79. 
818. 
654. 
722. 
422. 
651. 
818. 

58. 
759. 
312. 
596. 
595. 
859. 
860. 
565. 
354. 
109. 
316. 
322. 

135. 

659. 
660. 
660. 
659. 
659. 
659. 
883. 
892. 

25. 

29. 
328. 

29. 

30. 

30. 

26. 

29. 
900. 
900. 
298. 
570. 
298. 
408. 
689. 
452. 


8eite 
Klären  des  Lutters.  404. 

Klärsei.  497. 

Kleber  als  Nahrungsmittel.  513. 

Klebergraupe.  513. 

Kleesäure.  422. 

Kleesalz.  423. 

Knallanilin.  878. 

Knallbonbons.  853. 

Knallgasgebläse.  40. 

Knallgold.  898. 

Knallquecksilber. 
Knallsäure. 
Knallsilber. 
Knappschaftsvereine. 
Knoblauch  öl. 
Knochen,  Lagern  ders. 

—  Bleichen  ders. 

—  Dämpfen  ders. 

—  Verarbeitung  ders. 

—  Verbrennen  ders.  in  Schachtöfen.  258. 
Knochenabfälle  zur  Darstellung  von 

Superphosphat. 
Knochenasche,  Bearbeitung  ders.  259, 
Knochenkohle. 

—  zum  Entfärben  u.  z.  Desinfection 

—  Wiederbelebung  ders.      325 
Knochenlager. 
Knochenleim. 
Knochenöl. 
Knochensiedereien. 
Knochenstaub. 
Knopfdrechsler. 
Knöpfe,  oxydirte 
Knopffabriken. 
Knopfmetalle. 
Knoppern. 
Kobalt. 
Kobaltblüthe. 
Kobaltchlorür. 
Kobalterz,  manganhaltiges 
Kobaltgelb. 
Kobaltoxyd. 

Kobaltoxydul,  zinnsaures 
Kobaltsaflor. 
Kobaltsilicat. 
Kobaltultramarin. 
Kobalt-Zaffer. 

Kochsalz.  673. 

Kohle,  als  Antidot  des  Phosphors 

—  Anwend.  ders.  als  Reductionsmittel 
bei  metallurgischen  Processen. _ 

—  Benutzung  ders.  als  Brennmaterial 

—  zur  Entfärbung  u.  Desinfection. 

—  Gewinnung  ders. 

—  platinirte 

—  Transport  und  Lagerung  ders. 

—  Verwendung  ders.  als  Farbe. 
Kohlehydrate. 
Kohlenbergwerke,  Beschäftigung  der 


393.  878. 

393. 

853. 

36. 

435. 

586. 

49. 

588.  589. 

588. 


265. 

316. 

324. 
326.  327. 

586. 
586.  587. 

588. 

587. 

197. 

587. 

717. 

717. 

719. 
569.  570. 
779.  780. 

779. 

781. 

779. 

781. 

781. 

781. 

780. 

780. 

781. 

780. 
674.  675. 

271. 


28. 
324. 
328. 
325. 
342. 
321. 
490. 


Frauenbund  Kinder.  26 

—  Einrichtung  in  dens. 

—  Luftbeschaffenheit  ders. 
Kohlendunstvergiftung. 

—  Behandlung  ders. 
Kohlengruben,  Beaufsichtigung  ders. 

58 


328. 
328. 
180. 
34i;. 
352. 
334. 


914 


Kohlengruben.  —  Leder. 


Seite 
Kohlengruben. 

—  versch.  Ventilationen  in  dens.  331.  333. 
Kohlengrubenarbeiter.  336. 

—  äussere  Verhältnisse  ders.  338. 

—  Krankheiten  ders.  336. 

—  sanitäre  Verhältnisse  ders.  334. 
Kohlendunst.  345. 
Kohlenfilter.  814. 
Kohlenoxyd.  344. 

—  Absorptionsfähigk.  d.  Blutes  für     351. 

—  Behandl.  d.  Vergiftungen  durch      352. 

—  Nachweis  dess.  im  Blute.  349. 

—  Verwendung  dess.  354. 

—  in  Wohnräumen.  352. 
Kohlenoxysulfid.  354.  355.  849. 
Kohlensäure  in  der  Luft.  176. 
Kohlensäureanhydrid,     gewöhnliche 

Kohlensäure.  356. 

—  Ansamml.  ders.  in  geschlossenen 
Räumen.  360. 

—  beim  Keimprocesse.  358. 

—  in  den  Schulen.  849. 

—  alsVerbrennungsproduct.  359. 

—  beim  Verwesungsprocesse.  358. 
Kohlenstoff.  316. 
Kohlenwasserstoff,  leichter  368. 

—  schwerer  398. 
Kohlenwasserstoffe.  860. 

—  geschwefelte  596.  597. 
Kokkelskörner  in  der  Bierbrauerei.  527. 
Koks.  316. 

—  Ablöschen  ders.  340.  875. 
Koksdunst.  345. 
Koksöfen,  Construction  ders.  339. 
Koksofengase.  339. 
Koksthürme,  nach  Gay-Lussac.  169. 

—  nach  Glover.  170. 

—  nach  Gossage.  675. 
Kolben-  und  Glockenmaschinen  in  Berg- 
werken. 333. 

Königsgelb.  303. 

Königswasser.  254. 

Korbmacherei.  140. 

Korund.  757. 

Kraftwebestuhl  (powerloon).  546. 

Krankenhäuser.  794. 

—  Ventilationseinrichtung.  796.  806. 
Krapp.  568. 
Krappblumen.  568. 
Krappfärberei.  50. 
Krappfarben.  565. 
Krappfarbendruck.  566. 
Krappkohle.  568. 
Krapplack.  565. 
Krappmühlen.  568. 
Krappstaub.  568. 
Kratz-  oder  Streichmaschine.  544. 
Krätze,  zu  Gute  machen  ders.  253.  783. 
Kreissägen.  754.  896. 
Krempeln  oder  Kratzen  d.  Baumwolle.  544 


Kressole.  624. 

Krippen  (creches). 

Krümelzucker. 

Kryolith.  68.  757. 

Küchenwässer,  Wegschaffung  ders. 

Kühlapparate  b.  d.  Weingeistindustrie. 

—  in  Branntweinbrennereien. 
Kühlschiff  in  der  Brauerei. 
Kühlstöcke  in  der  Müllerei. 
Küpe,  kalte 

—  warme 

Kürschner.  579. 

Kugellacke. 

Kuhhaare. 

Kuhkothbad. 

Kuhkothsalz. 

Kumys. 

Kunstwolle. 

Kupfer. 

—  Industrie  dess. 

—  Legirungen  dess. 

—  sanitäre  Massregeln  bei  der  Ver- 
hüttung. 

—  Versilbern  dess. 

—  Verzinnen  dess. 
Kupfer,  stearinsaures. 

—  zinnsaures. 
Kupferacetat. 

Kupferchlorid.  44 

Knpferchlorür.  44 

Kupfercyanid. 

Kupfercyanür.  67 

Kupferfarben,  verschiedene 

Kupferiodür. 

Kupferkrankheit. 

Kupfermanganlegirungen. 

Kupfernickel. 

Kupfernitrat. 

Kupferoxychlorid. 

Kupferoxyduloxyd,  xanthamylsaures 

Kupferschiefer,  bituminöser    337.  354, 

Kupfersulfat  s.  Kupfervitriol. 

Kupfervitriol.  44.  714 

Kupolöfen.  722 


283. 


Seite 
874. 

900. 
491. 
758. 
206. 
405. 
716. 
521. 
83. 
567. 
567. 
736. 
569. 
581. 
566. 
566. 
508. 
555. 
713. 
716. 
717. 

714. 

717. 
717. 
860. 
728. 
727. 
727. 
727. 
386. 
386. 
728. 

67. 
715. 
774. 
775. 
728. 

44. 
447. 
713. 

727. 
745. 


Krempeln  der  Seide. 

Kremserweiss  s.  Bleiweiss. 

Kreosol. 

Kreosot. 

Kreosotnatron. 


597. 


563. 

597. 
598. 
594. 


Lachgas.  240. 

Lackfirniss.  454. 

Lackirer.  455.  697. 

Lackkochen.  858. 

Lactose.  508. 

Lagermetall,  weisses  <27. 

Lagermetalle.  724. 

Lakritzensaft,  künstlicher  517. 

Laming'sches  Pulver.  600. 
Lampenschirme,   mit  Schweinfurter- 

grün  gefärbte  298.  832. 

Lampenruss.  321. 

Lannoy'sches  Pulver.  533. 

Lanthan.  884. 

Laurinsäure.  450. 

Laurostearinsäure.  450. 
Läutertonnen  in  der  Sämischgerberei.  575. 

Leder,  Färben  dess.  572. 


Leder.  —  Mauve. 


915 


Leder,  dänisches 

—  künstliches 

—  lackirtes 

—  lohgares 

Lederleim.  585. 

Legirungen  von  Antimon. 

—  von  Zinn  und  Blei.  665. 
Lehmgus  s. 
Leim,  elastischer 

—  flüssiger 

—  thierischer  462.  584. 
Leimgut.  571. 

—  Kalken  und  Versieden  dess. 
Leimindustrie. 
Leimversilberung. 
Leimzucker  s.  Glycocoll. 
Leinenindustrie. 

—  Beuchwässer  in  der  46.  217. 

—  Besondere  Arten  von  leinenen 

Zeugen. 

—  sanit.  Verhältnisse  der  Arbeiter. 
Leinwand,  verstockte 
Leonische  Waaren. 
Leptidin. 

Leptomitus  lacteus. 
Letternmetall. 
Leuchtgas. 

—  Einfluss  dess.  auf  die  Vegetation. 

—  Reinigung  dess. 

—  Verbrennungsproducte  dess. 

—  Vergiftung  durch  dass. 

—  verschiedene  Arten  dess. 

—  Vertheilung  dess. 
Leuchtgasfabrication. 

—  aus  Fäcalien. 

Leukanilin.  630. 

Levulosan. 
Levulose. 
Leviatans. 
Libidibi. 
Lichenin. 

Liernur'sches  System. 
Lignose. 
Ligro'in. 
Linoleum. 
Liqueure. 
Liquor  ammonii  caust. 

—  anaesthetic. 

—  Hollandicus. 
Lithofracteur. 
Lithophanien. 

Local  Governement  Act.  9. 

L  o  comotivf ühr  er . 
Lohgerberei. 
Lohkuchen. 
Loth  (Strengloth). 

Löthen  der  Metalle.  40.  282. 

Lüsterfarben.  763. 

Luft,  atmosphärische 

—  Kohlensäuregehalt  ders. 

—  "Wasserstoffgehalt  ders. 

—  zufällige  Bestandtheile  ders. 
Luft,  comprimirte 

—  feuchte  und  kühle 

—  feuchte  und  warme 


Seite 

8eite 

572. 

Luft. 

574. 

—    trockne  und  heisse 

182. 

573. 

—    trockne  und  kalte 

184. 

572. 

—     verdünnte 

186. 

586. 

Luftheizung.                             183. 

353. 

819. 

307. 

—     Heckmann'scher  Apparat. 

184. 

666. 

—    Kelhng'sches  System. 

184. 

722. 

Luft-  u.  Wasserheizung,  combinirte 

102. 

586. 

Luftkammer. 

901. 

244. 

Lumpen. 

535. 

865. 

—    Lagern  ders. 

535. 

585. 

— ■     Präparation  f.  d.  Papierfabrication. 

535. 

585. 

—    Sortiren  ders. 

535. 

584. 

Lumpenbleiche. 
Lutidin. 

90. 

668. 

647. 

Lutter. 

404. 

550. 

552. 

M. 

552. 

Magdalaroth. 

644. 

552- 

Magnesium. 

689. 

78. 

• —     arsensaures 

302. 

893. 

Magnesiummetall. 

690. 

648. 

Magnesiumoxychlorid. 

888. 

491. 

Magneteisen. 

742 

757. 

727. 

Mahlen  des  Getreides. 

83. 

598. 

Maischbottiche. 

405. 

601. 

Maischen. 

405 

520. 

599. 

Maischmethoden  in  der  Bierbrauerei. 

520. 

602. 

Malachit. 

154 

713. 

601. 

Malaria. 

108. 

602. 

Malergold. 

783. 

601. 

Malz,  bernsteingelbes 

520. 

599. 

—    braunes 

520. 

874. 

—     gelbes 

520. 

634. 

Malzbereitung. 

518. 

493. 

Malzen. 

517. 

862. 

Malzessig. 

418. 

558. 

Malzquetschmühle. 
Manchestergelb. 

520. 

570. 

644. 

509. 

Mandarinen  druck. 

566. 

203. 

Mangari. 

774. 

860. 

Manganblende. 

774. 

595. 

Manganit. 

774. 

574. 

Manganlaugen. 

65. 

408. 

Manganspath. 

774. 

221. 

Mangansuperoxyd. 

775. 

400. 

Mangansuperoxydhydrat. 

898. 

401. 

Manganviolett. 

898. 

489. 

Mannit. 

449. 

763. 

Maraschino. 

408. 

.  10. 

Marderfelle. 

575. 

818. 

Margarinsäure. 

450. 

571. 

Marmor. 

684. 

571. 

Marmorcement. 

687. 

667. 

Maroquin. 

572. 

809. 

Marron. 

634. 

784. 

Martiusgelb.                              468 

644 

668. 

176. 

Maschinenöl. 

593. 

176. 

Maschinenpapier. 

538. 

177. 

Massicot. 

706. 

190. 

Mastix. 

457. 

186. 

Matthieu-Plessy's  Grün. 

772. 

180. 

Mauvanilin. 

622 

.  629. 

178. 

Mauve. 

631. 

58 ■ 


916 


Mauvein.  —  Naphtilcarmin. 


Seite 

Mauveln.  631.  878. 

Medaillenbronze.  725. 

Meerschaum.  689. 

Meerwasser,  Destillation  dess.  125. 

—  Normandy'scher  Destillations- 

apparat. 126. 

Mehl,  Behandlung  u.  Verpackung  dess.     86. 

—  Verfälschen  dess.  88. 
Mehlsorten,  gemischte  89. 
Mehrfach-Schwefelammonium.  239. 
Melasse.  494.  495.  498.  499.  504. 
Melis.  499. 
Mennige.                                    706.  707.  860. 

—  Fabrication  ders.  706. 
Mercurinitrat  s.  Quecksilberoxydnitrat. 
Mercuronitrat  s.  Quecksilberoxydulnitrat. 


Mergel,  bituminöser  316. 

Mesitylen.  432. 

Mesityloxyd.  432. 

Messing,  bronzeartiges  724. 

—  Beizen  und  Gelbbrennen  dess.        723. 

—  gelbes  719. 
Messingfieber.  720.  893. 
Messinggiesser.  893. 
Messinglöthung.  696. 
Messingöfen.  720. 
Messingstaub.  726. 
Metaceton.  432. 
Metall,  englisches  666. 
Metalldraht.  725. 
Metalle,  Ausarbeitung  ders.  751. 

—  Biegen  ders.  750.  754. 

—  Giessen  u.  Schmelzen  ders.     721.  722. 

—  Schleifen  ders.  751. 

—  Verschönern  u.  Zertheilung  ders.  754. 
Metalllackiren.  719. 
Metalloide.  38. 
Metallpapiere.  865. 
Metapnosphorsäure.  280. 
Metarsensäure.  300. 
Methan.  368. 
Methyläther.  376. 
Methylalkohol.  374. 
Methylamid.  379. 
Methylamin.  379. 
Methylammoniak.  379. 
Methylanilin,  salzsaures  622. 
Methylanilingrün.  376.  633. 
Methylbenzol.  623. 
Methyl-Bichlorid.  851. 
Methylbromid.  369. 
Methylchlorid.  368. 
Methyldiphenylamin.  623. 
Methylenbromid.  369. 
Methylenchlorid.  369. 
Methvlenjodid.  369. 
Methylgrün.  376.  633. 
Methyljodid.  369. 
Methylirtes  Rothviolet.  631. 
Methylmercaptan.  378. 
Methyloxyd.  376. 
Methylquecksilber.  397. 
Methylschwefelsäure.  374. 
Methylverbindungen.  368. 
Methylviolett.  631. 


Seite 

Methylwasserstoff.  368. 
Milchsäure.                              433.  512.  856. 

Milchsäuregährung.  77. 

Milchzuckerindustrie.  508. 

Militärzündnadelpatrone.  134. 

Milly's  Kerzen.  471. 

Minengase.  886. 

Minenkrankheit.  672. 

Miner's  asthma.  336. 

Mineralblau.  389. 

Mineraldünger.  590. 

Mineralgelb.  712. 
Mineralgrün.                                        297.  728. 

Mineralkermes.  307. 

Mineralöl.  592. 

Mineralölfabriken.  594. 

Mineralwässer,  künstliche  678. 
Mirbanöl.  607.  609. 
Mischkammer  bei  Centralheizungen.      901. 

Mitisgrön.  298. 

Mitteldruckheizung.  101. 

Mittlers  Grün.  772. 

Moellon.  458. 

Molybdän.  786. 

Molybdänblau.  786. 

Molybdänsäure.  786. 

Molybdänwasserstoff.  786. 

Mononitroglycerin.  861. 

Monoxybenzol.  609. 

Moorbrennen.  219. 

Moortorf.  317. 

Moosstärke.  509. 

Morast.  108. 

Mordant  s.  Beize.  565. 

Morphin.  655. 

Mosaikplattcn.  763. 

Moscovade.  494. 

Mouselinglas.  884. 
Mühlensystem.                                       83.  84. 

Münzmetalle.  726. 

Mulemaschine.  545. 

Mundleim.  586. 

Mungowolle.  555. 

Muntzmetall.  719. 

Murexid.  646. 

Muschelgold.  783. 

Musivgold.  667. 

Muskelzucker.  490. 

Myristinsäure.  450. 

N. 

Nachgährung  des  Bieres.  522.  523. 

Nachtsarbeit.  899. 

Nadelpapier.  316. 

Nadelschleiferei.  752. 

Nähnadeln,  Fabrication  ders.  753. 

Nagelpilz  der  Bierbrauer.  523. 
Naphtalin.  317.  640.  641.  861. 
Naphtalindichlorid.  641.  643. 
Naphtalingelb.                                   642.  644. 

Naphtalin  roth.  644. 

Naphtamein.  644. 

Naphtazarin.  642. 

Naphtilcarmin.  643. 


Naphtoehinon.  —  Ozobenzin. 


917 


611.  624. 


675. 


Naphtochinon. 

Naphtol. 

Naphtylamin. 

Naphtylaminroth. 

Naphtylamin  violett. 

Nassspinnen  in  der  Leinenindustrie 

Natrium,  arsensaures 

—  arsenigsaures,  in  der  Färberei. 

—  metaphosphorsaures 

—  milchsaures 

—  pyrophosphorsaures 

—  salicylsaures 

—  wolframsaures 
Natriumalaun. 

Natriumarsenit  in  der  Färberei. 
Natriumborat. 
Natriumchlorid. 
Natrium  go  ldchlorid . 
Natriummethylat. 
Natriumphenylat. 
Natriumphosphat. 
Natriumsilicat. 
Natriumsulfantimoniat. 
Natriumsulfat  b.  Sodaproeess 
Natronfeldspath. 
Natronit. 
Natronmetallurgie. 

Natronseife.  466. 

Neapelgelb. 
Nebelbilder. 

Nessel  als  Gespinnstfaser. 
Neugrün. 
Neusilber. 
Neusilberschlagloth. 
Neu-wiedergrün.  298. 

Nicbolson'sches  Verfahren  bei  der  Dar- 
stellung von  Fuchsin. 
Nickel. 

—  Behandlung  der  Nickel-   und 

Kobalterze. 

—  Gewinnung  des  metall.  Nickels. 
Nickelglanz. 

Nickelindustrie. 

Nicotin. 

Niederdruckwasserheizung. 

Nitriren. 

Nitroarabin. 

Nitrobenzol.  607. 

Nitrocellulose. 

Nitrochloroform. 

Nitrocyanmethyl. 

Nitroglycerinindustrie. 

—  Darstellung  im  Grossen. 
Nitroglycerinsalpetersäureäther. 
Nitrolactit. 

Nitrolignit. 

Nitromannit. 

Nitr  ophen  ylsäure. 

Nitroprussid-Kalium. 

Nitroprussidnatrium.  156. 

Nitrosaccharit. 

Nitrostärke. 

Nitrosylchlorid. 

Nitrotoluol. 

Noppen  der  Tuche. 


Seite 

642. 
641. 
642. 
644. 
644. 
866. 
302. 
299. 
280. 
856. 
280. 
878. 
787. 
759. 
299. 
315. 
673. 
898. 
374. 
878. 
280. 
884. 
312. 
676. 
759. 
590. 
891. 
468. 
712. 
41. 
550. 
298. 
726. 
726. 
728. 

630. 
775. 

776. 
776. 
775. 
779. 
656. 
101. 
245. 
517. 
608. 
530. 
616. 
393. 
481. 
485. 
481. 
508. 
245. 
449. 
613. 
388. 
526. 
493. 
533. 
826. 
624. 
557. 


Seite 

Nordhäuser  Schwefelsäure.  172. 

Nuisances  Removal  Act.  7. 

Nürnberger  Violett.  898. 

Nystagmus  bei  Grubenarbeiten.  836. 


0. 


Obergährung.  522. 

Obergesundheitsrath  in  Italien.  13. 

Oblaten,  grüne  299. 

Obstessig.  418. 

Oelbildendes  Gas  s.  Aethylen. 
Oele,  ätherische 

—  flüssige,  fette 

—  Pflanzenöle. 

—  Raffiniren  ders. 

—  Samenöle. 

—  trocknende. 
Oelgerberei. 
Oelindustrie. 
Oel-Lackfirnisse. 
Oelkuchen. 
Oelsäure. 
Oelseife. 
Oelsüss. 
Oeltrüb. 
Oenanthäther. 

Oenanthylsäure,  Oenanthsäure. 
Ofenröhren,  Klappen  u.  Schieber  ders 
Ofenschirme,  grüner  Anstrich  ders.      298. 
Oidium  Tuckeri.  136. 

Olein.  473. 

Oleum  animale  Dipp.  459. 

Oleum  Cadini.  650. 

Oleum  empyreumaticum  Juniperi.  650. 

Oligaemia  montana.  337. 

Olivenöl.  451. 

Onychomykosis  der  Bierbrauer.  523. 

Operment.  303.  573. 

Opermentküpe.  567. 

Orce'ide  (Messingarten).  717. 

Orcein.  568. 


648.  650. 

451. 

465. 

452. 

452. 

453. 

574. 

451. 

454. 

452. 
450.  473. 

466. 

433. 

452. 

408. 

450. 

318. 


Orcin.  568.  624. 

Ordres  in  Council.  7. 

Orlean.  568. 

Orseille.  568.  569. 

Orseillin.  629. 

Orthoklas.  759. 
Orts-Gesundheitsrath  (Local  Board  of 

Health).  6. 

Osmium.  785. 

Osmiumoxyd.  785. 

Osmiumsäure.  786. 

Osmiumsesquioxyd.  785. 

Osteolith.  590. 

Otternfelle.  575. 

Oxalsäure.  422.  614. 

—  Wirkung  ders.  423. 

—  Industrie  ders.  243.  424. 

—  Verwendung  ders.  425. 
Oxalsäure-Amyläther.  444. 
Oxyphensäure.  618. 
Oxypikrinsäure.  618. 
Ozobenzin.  813. 


918 


Ozokerit  —  Phosphorsäureanhydrit. 


Seite 

Ozokerit. 

202.  463. 

593. 

Ozon. 

90.  91 

.  92. 

—     in  der  Iudustrie. 

98. 

—     in  sanitärer 

Bezi 

ehung. 

96. 

Ozonbleiche. 

815. 

Ozonträger. 

97. 

p. 


Packpapier. 

533 

538 

Paeonin. 

612 

Pakfong. 

726 

Paktong. 

726 

Palladium. 

785 

Palladiumchlorür. 

785 

Palmella. 

107 

111 

Palmitin. 

464 

Palmitiii-Kerzenfabrication. 

466 

Palmitinsäure. 

450 

473 

Palmitinsäure-Cetyläther. 

450 

Palmöl,  Bleichen  dess. 

464 

Palmölseifen. 

469. 

Pannetier's  Grün. 

315. 

772. 

Papageis;rün. 

298 

Papier,  Hand-  oder  Büttenpapier 

538 

—    besondere  Arten  von 

539 

—    Färben  des  Papiers. 

539. 

Papierbleiche. 

90 

Papierindustrie. 

533 

Papierkohle. 

592. 

Papier-mache. 

538 

Papiermaterial. 

533. 

Papierzeugfabrication. 

46 

534 

Papierwäsche. 

865 

Pappe  oder  Pappendeckel. 

538 

Paraffin.                                     317. 

593. 

861. 

Paraffinkohle. 

316. 

Paraffin-  oder  Maschinenöl. 

593 

Paraffinöle  im  Petroleum. 

360. 

Paramyluru. 

509 

Parasitentheorie. 

79.  I 

Parian. 

763. 

Pariancement. 

687 

Pariserblau. 

389 

Parisergelb. 

712 

Pariserroth. 

707 

Parkesin. 

584 

Parvolin. 

647 

Passante. 

559 

Pastellstifte. 

760 

Patentleim. 

588 

Patina. 

724 

Pattinson'sches  Bleiweiss. 

712 

Pattinson'sche  Methode  bei  der  Silber- 

gewinnung. 

680 

Pavillon-System. 

796 

Pech,  hartes 

605 

—     weiches 

605 

Pelargonsäure.     ' 

450. 

505 

Pelzfärben. 

575. 

Pelzgerberei. 

574 

Pelzwaaren,  Färben  ders. 

575. 

Pentathionsäure. 

155. 

Perchloraethan. 

403 

Seite 

Pergament.  574. 

Pergamentleim.  586. 

Pergamentpapier.  530.  539. 

Perkin's  "Violett.  631. 

Perlmutterdrechslerei.  684. 

Perrotine.  566. 

Persico  als  Farbstoff.  568. 

Persico  (Liqueur).  408.  609. 
Personen,  junge,  im  Sinne  des  Gesetzes.    26. 

—  geschützte  791. 
Perusilber.  726. 
Petroleum,  raffinirtes  597. 

—  Aufbewahrung  u.  Transport  dess. 873.. 

—  Rectification  dess.  595. 

—  Verbrennungsproducte  dess.  360. 
Petroleumäther.  595. 
Petroleumbenzin.  593.  595. 
Petroleumessenz.  360.  596. 

—  Aufbewahrung  ders.  597. 

—  Verwendung  ders.  597. 
Petroleumgas.  360.  875. 
Petrosolaröl.  596. 
Pfannenstein.  674. 
Pfeif enthon.  760. 
Pferdehaare.  579. 
Pflanzenfaser.  530. 
Phenol.  609. 
Phenolfarben.  352.  612.  876. 
Phenolnatrium.  611.  878. 
Phenylbraun.  612.  876. 
Phenylenbraun.  623.  634.  876. 
Phenylendiamin.  623. 
Phenylgelb.  612. 
Phenylroth.  352. 
Phenylsäure.  609. 
Phlegma  bei  der  Branntweinbrennerei.  407. 
Phoron.  432. 
Phos°;eiigas.  361. 
Phosphin.  634. 
Phosphite.  278. 
Phosphocalcit.  590- 
Phosphor.  255. 

—  Aufbewahrung  dess.  264. 

—  Destillation  dess.  261. 

—  Formen  dess.  264. 

—  Reinigung  dess.  263. 

—  rother,  amorpher,  Darstellung  dess.  265. 

—  —  —  Reinigung  dess.    266- 

—  weisser,  Verwendung  dess.  266. 
Phosphorbronze.  893. 
Phosphordämpfe.  255.  256.  267. 
Phosphordijodid.  276. 
Phosphordyskrasie.  257. 
Phosphorige  Säure.  278. 
Phosphorigsäureanhydrid.  278. 
Phosphorindustrie.  258. 
Phosphorit.  590.  684. 
Phosphorkupfer.  893. 
Phosphorpentabromid.  276. 
Phosphorpentachlorid.  275.  276. 
Phosphornekrose.  256.  257. 

—  Vorkommen  ders.  264. 
Phosphorsäure.  280. 

—  Industrie  ders.  281. 
Phosphorsäureanhydrid.  280. 


Phosphorstre 

chhölz 

Seite 

st.  — ■  Quecksilber. 

919 

Seite 

Phosphorstreichhölzer, 

Fabrication 

Presshefe. 

855. 

ders. 

267- 

-270. 

Pressrückstände  des  Olivenöls. 

451. 

—     schwedische 

272. 

Presstuchwässer  in  Zuckerfabriken.  496.  863. 

Phosphortribromid. 

276. 

277. 

Productiv-Genossenschaften. 

36. 

Phosphortrichlorid. 

275. 

Propan. 

430. 

Phosphortrijodid. 

276. 

Propionsäure. 

430.  431. 

Phosphorwasserstoff. 

261.  262.  263. 

266. 

Propionsäure- Aether. 

431. 

273. 

274. 

Propylaldehyd. 

430. 

Phosphorwolfram  säuren 

788. 

Propylalkohol. 

408.  430. 

Photogalvanographie. 

683. 

Propylamin. 

435. 

Photogen. 

592. 

Propylbenzol. 

639. 

—    Fabrication  dess. 

872. 

Propylbromid. 

430. 

Photographie. 

683. 

Propylchlorid. 

430. 

Photoglyphie. 

683. 

Propylen. 

430. 

Photolithographie. 

683. 

Propyljodid. 

430. 

Phtalein. 

612. 

Propylverbindungen. 

430. 

Phtalsäure,  Einwirk,  der  wasserfreien 

Propylwasserstoff. 

430. 

auf  den  thier.  Or( 

^anismus. 

639. 

Proteinkörper. 

653. 

—    Fabrication  ders. 

643. 

Provinzial-Gesundheitsräthe  in  Italien.    13. 

Physik  (Composition). 

668. 

Primula. 

631. 

Picolin. 

646. 

647. 

Privy-Council,  Thätigkeit  dess. ' 

6.  7. 

Pierres  de  Strass. 

898. 

Pseudocumol. 

639. 

Pikramin. 

617. 

Ps  eudo  schwef elcy  an . 

395. 

Pikraminsäure. 

617. 

Pseudotoluidine. 

624. 

Pikratisation. 

876. 

Puddelöfen,  rotirende 

894. 

Pikrinsäure. 

609.  613. 

615. 

Puddlingsprocess. 

747. 

—     in  der  Bierbrauerei 

527. 

615. 

Puderzucker. 

494. 

—     als  Sprengmittel. 

615. 

Pulsionsmethode. 

201.  796. 

Pikrotoxin  in  der  Bierbrauerei. 

528. 

Pulvermagazine. 

671. 

Pilzdachkammer  in  der 

Arsenindustrie. 

284. 

Pulvermühlen. 

670. 

Pilze,  Entstehung  ders. 

78. 

Pumpen,  Construction  ders. 

121.  122. 

Pinchbeck. 

717. 

Purpur  des  Cassius. 

784. 

Pininsäure. 

466. 

Purpurcarmin. 

646. 

Pink-colour. 

763. 

Purpurin  im  Krapp. 

568. 

Pinolin. 

596 

648. 

Purpurin  (oxydrrtes  Alizarin). 

646. 

Piquette. 

897. 

Purpurkobaltehlorid. 

781. 

Plaids. 

555. 

Putzöl. 

595. 

Platin. 

784. 

Puzzolane. 

686. 

—     Legirungen  dess. 

784. 

Pyroarsensäure. 

301. 

Platinmohr. 

784. 

Pyrophosphate. 

280. 

Platinschwamm. 

784. 

Pyrophosphorsäure. 

280. 

Platinschwarz. 

784. 

Pyridin. 

646. 

Plumb.  aceticum. 

708 

712. 

Pyrite. 

138.  161. 

Plumb.  subaceticum. 

708 

712. 

Pyrogallussäure.                        618 

619.  683. 

Pneumomelanosis. 

336. 

Pyrolignit. 

245. 

Porcellan,  hartes 

764. 

Pyropapier. 

533. 

—    weiches 

765. 

Pyrophosphorsäure. 

280. 

—    Halbporcellan. 

762. 

Pyroxam. 

533. 

Porcellanbiscuit. 

763. 

Pyroxylin. 

530. 

Porcellanglasur. 

764. 

Pyroxylinsubstanzen. 

533. 

Porcellanmalerei. 

765 

783. 

Pyrrol. 

228.  648. 

Porcellanthon. 

759. 

Pyrrolroth. 

648. 

Porcellan- Walz  en  stuhl 

von  Wegmann. 

84. 

Porenventilation. 

806. 

a 

Portlandcement. 

687. 

Posamentirgewerbe. 

550. 

Quartation. 

783. 

Posidonienschiefer. 

316. 

Quarz. 

659. 

Poterie. 

722. 

Quarzstaub. 

197. 

Pottasche,  Darstellung 

ders.  aus  Kali- 

Quassia in  der  Bierbrauerei. 

527. 

salzen. 

669. 

Qu  assia-Fliegenp  apier . 

567. 

Pottaschen  darstellung 

in    den   Tuch- 

Quassiakampker. 

567. 

fabriken. 

558. 

Quecksilber. 

728. 

Poudrette-Fabrication. 

589. 

—     Gewinnung  von 

732—734. 

Präcipitationsverfahren 
Präparirsalz. 

bei  Faecalien 

212. 
668. 

—  —  sanitäre  Massregelo  bei 

—  knallsaures 

ders.  734. 
393. 

920 


Quecksilberchlorid.   —  Salpetersäure. 


Seite 

Quecksilberchlorid.  739. 

Quecksilberchlorür.  739. 

Quecksilberchromat.  773. 

Quecksilbercyanid.  386.  853. 

Quecksilberhornerz.  728. 

Quecksilberindustrie.  736. 

Quecksilberoxyd.  739. 

Quecksilberoxydnitrat.  739.  742. 

Quecksilberoxydulnitrat.  244.  742. 

Quecksilberschwarz  (Stupp).  732. 

Quecksilbersulfat.  741. 

Quecksilbersulfid.  728.  740. 

Quecksilbersulfocyanid.  742. 

Quercitronrinde.  568. 

Quickwasser.  252. 

Quittenessenz.  450. 


Rachette-Oefen. 

Rapirrnühlen.  657. 

Raps. 

Rasenbleiche.  46.  47.  90. 

Raseneisenstein. 

Ratafia.  408. 

Rauchverzehrung. 

Raufwolle  s.  Gerberwolle. 

Rauher. 

Rauschgelb.  139. 

Rauschroth. 

Realgar. 

Regeneratoren,  Siemens'sche,  mit  Gas- 
feuerung. 

Reinigungsmaschinen  für  Getreide. 

Reisbiere. 

Reisfelder. 

Reissblei. 

Reisstärkernekl. 

Reservage  i.  d.  Färberei  u.  Druckerei. 

566. 

Resorcin. 

Respirationsschläuche. 

Retinole. 

Rhigolen. 

Rhodanblei. 

Rhodankalium. 

Rhodauquecksilber. 

Rhodan  wasserstoffsäure. 

Rhusma  in  der  Weissgerberei.      291. 

Rinmann'sches  Grün.  696. 

Rohöle  bei  der  Theerdestillation. 

Röhrenöfen  bei  der  Schwefelsäure- 
fabrication. 

Rohparaffin 

Rohrzucker. 

—  aus  Runkelrüben. 

—  aus  dem  Zuckerrohr. 
Rohrzuckerindustrie. 
Rohzucker. 
Rolltabak. 
Romancement. 

Rosanilin.  626. 

Roseokobaltchlorid. 

Rosolsäure. 


890. 
658. 
453. 
130. 
742. 
499. 
319. 

557. 
303. 
303. 
282. 

354. 
83. 
528. 
108. 
316. 
515. 
253. 
727. 
618. 
333. 
648. 
595. 
712. 
395. 
742. 
395. 
573. 
781. 
593. 

162. 
593. 
490. 
494. 
493. 
493. 
494. 
657. 
686. 
628. 
781. 
612. 


Seite 

Rossschwefel.  139. 

Roste,  Construction  ders.  318. 

Röstöfen  nach  Stetefeld.  167. 

—  nach  Olivier  und  Perret.  166 
Rostpapier.  316. 
Rothbleierz.  697. 
Rotheisenstein.  742.  756 
Rothgiltigerze.  283. 
Rothguss.  717. 
Rothholz.  569. 
Rothkupfer.  714. 
Rothkupfererz.  713. 
Rothmessing.  717. 
Rothspiessglanz.  312. 
Rothviolett,  methylirtes  631. 
Rotte  der  Leinpflanze.  550. 

—  Fluss-  und  Kastenrotte.  551. 

—  Teich-  und  Thaurotte.  550. 
Rottwässer.  866. 
Rouleauxdruckmaschine.  566. 
Rouille  s.  Eisenbeize. 

Ruberythrinsäure.  568. 

Rubin.  757. 
Rubin    oder    arsenfreies  Fuchsin    s. 

Anilinroth. 

Rübenwaschwässer.  863. 

Ruhmkorff'scher  Apparat.  94.  99. 
Rum.                                          408.  443.  494. 

Rundschachtöfen.  890.  891. 

Ruakelrübenrohrzucker.  494. 

Runkelrübenrohzucker-Melasse.  498.  504. 

—  Darstellung  d.  Alkohols  aus  ders.    505. 

—  Darstellung  der  Milch-,  Butter-  u. 

Baldriansäure  aus  ders.  507. 

Runkelrübenzuckerfabrication.  494.  499. 

Russ,  Arten  dess.  321.  323. 

—  Bereitung  dess.  321. 

—  Verpackung  dess.  323. 
Russkammern  321. 
Rutinsäure.  450. 

s. 

Säbeln.  751. 

Sächsisch-Grün.  889. 

Sägen.  751. 

Sägemehl.  425.  896. 

—  technische  Benutzung  dess.  896. 
Sägespäne.  530. 
Sämischgerberei.  574. 
Saffian,  Färben  dess.  572. 
Safflor  in  der  Färberei.  569. 
Safranin.  623.  878. 

—  phenylirtes  878. 
Safraninsalze.  623. 
Saft-  oder  Lackfarben.  542. 
Sago.  509.  515. 
Salicylsäure.  624.  869.  878. 
Sahnenarbeiter.  886. 
Salmiak,  Fabrication  dess.  230. 
Salmiakgeist.  221.  227. 

—  techn.  Verwendung  dess.  227. 
Salpeterindustrie.  669. 
Salpeterpapier.  391. 
Salpetersäure,  Darstellung  ders.  247.  250. 


Salpetersäure..  —  Schwefelblei. 


921 


Salpetersäure. 

—  Verwend.  ders.  in  der  Industrie. 

—  rothe,  rauchende 
Salpetersäure-Aethyläther. 

—  -Amyläther. 
Salpetersäureindustrie. 
Salpetersäure-Methyläther. 
Salpetrige  Säure. 

—  in  der  Industrie. 
Salpetrigsäure-Aether.  411. 
Salpetrigsäure-Amyläther  444. 
Salvetat's  Grün. 
Salzäther,  leichter 
Salzhäuer. 
Salzsäure. 
Salzsieder. 
Sandarach  (Arsenschwefel) 

—  (Harz). 
Sandblasverfahren. 
Sandelholz. 
Sandguss. 
Sandkohle. 
Sandsteinstaub. 

Sanitäts-Commisionen  in  Preussen. 
Sanitätätspolizei. 

—  gewerbliche 
Santorinerde. 
Sapanholz. 
Saphir. 
Sattler. 
Satzmehl. 
Sauerstoff.  71 

—  Abschluss  dess.  80 

—  in  der  Luft. 

—  Quellen  dess. 
Sauerwässer  bei  der  Stärkefabrication. 

—  in  den  Zuckerfabriken. 
Saugdruckpumpen  zum  Entleeren  der 

Gruben. 
Säuglings-Bewahranstalten. 
Sayet. 

Schabebaum  in  der  Lohgerberei. 
Schabe. 

Schäfchen-  oder  Stengelstärke. 
Schälmühlen. 
Schalenguss. 
Scharlach  (Anilinroth). 
Schawine. 
Schawinebronze. 
Scheel'sches  Grün. 
Scheelbleierz. 
Scheelisiren  des  Weins. 
Scheelit. 

Scheerwolleb.  d.Tapetenfabrication.  542, 
Schellack. 
Scherbenkobalt. 
Scherwollstaub. 
Schichtarbeiten. 
Schteferöl. 
Schieferweiss. 
Schiessbaumwolle.  245. 

—  comprimirte 

—  Verbrennungsproducte  ders. 

—  Verwendung  ders.  in  Minen  und 

Bergwerken. 


Seite 

252. 
247. 
411. 
444. 
250. 
376. 
242. 
243. 
855. 
855. 
772. 
400. 
673. 

50. 
674. 
302. 
457. 
811. 
567. 
722. 
316. 
197. 

12. 

39. 
5. 
686. 
569. 
757. 
579. 
509. 
.  72. 

82. 
176. 

75. 
511. 
863. 

204. 
900. 
554. 
571. 
551. 
514. 
85. 
722. 
630. 
892. 
717. 
297. 
787. 
525. 
787. 
556. 
457. 
282. 
556. 
791. 
592. 
708. 
530. 
531. 
531. 

532. 


Schiessen  in  Bergwerken. 
Schiesspulver.  316. 

—  Fabrication  dess. 

—  Verbrennungsproducte. 
Schiettinger'sche  Maschine. 
Schiffein  des  Bodens. 
Schiffs  z  wieback . 
Schilderfarben. 
Schimmelbildung. 
Schindanger. 
Schlachthäuser. 
Schlackenwolle. 
Schleiferfäule. 

Schleiferkrankheit.  197.  753.  879. 

Schleifsteine,  künstliche 
S  chleimgährung. 
Schleimhefe. 
Schleimsäure. 
Schleimzucker. 

Schlempe.  407.  5 

Schlempekohle. 

Schlempepottasche.  505. 

Schlepper  in  Bergwerken. 
Schlich-  oder  Schüttöfen. 
Schlichten. 
Schlippe'sches  Salz. 
Schmalz. 

Schmiede  und  Schlosser. 
Schmiedeeisen. 

Schmieden  des  Eisens  und  Stahls. 
Schmierfett,  grünes  (green-grease). 
Schmiermittel.  452. 

Schmierseife.  469. 

Schmuckfedern. 
Schneewasser. 
Schnellbleiche. 
Schnellessigfabrieation. 
Schnellgerbereien. 
Schnupftabak. 

Schornsteine,  Construction  ders.     318. 
Schreibfedern. 
Schrotf abrication . 
Schütten  der  Nadelhölzer. 
Schüttofen  nach  Gerstenhöfer. 

—  nach  Hasenclever  und  Heibig. 
Schultze'sches  Pulver. 
Schusterstärke 
Schwaden  s.  Wetter. 
Schwarzfärben. 
Schwarzkupfer. 

Schwarzmehl.  325. 

Schwarzspucken.  324.  336. 

Schwefel. 

—  Reinigen  dess.  138. 

—  Verwendung  dess.  140. 
Schwefeläther. 
Schwefeläthyl. 
Schwefelammonium. 

Einfach 


—  Mehrfach 
Schwefelamyl. 
Schwefelantimon. 

—  Reduction  u. 
Schwefelarsen. 
Schwefelblei. 


234. 

306. 

Röstung  dess.    306. 

833. 


Seite 

337. 
670. 
670 
671. 
203. 
219. 
86. 
565. 
78. 
591. 
654. 
894. 
895. 
895. 
652. 
77. 
78. 
508. 
493. 
505. 
507. 
506. 
328. 
164. 
547. 
312. 
451. 
750. 
747. 
749. 
604. 
473. 
473. 
583. 
191. 
46. 
419. 
572. 
657. 
319. 
583. 
705. 
153. 
165. 
166. 
533. 
512. 

569. 
714. 
407. 
761. 
138. 
139. 
141. 
409. 
426. 
239. 
233. 
235. 
446. 
307. 
307. 
860. 
712. 


922 


Schwefelblumen.  —  Sonnenbrenner. 


Schwefelblumen. 


Seite 

139.  140. 


Schwefelcalcium-Schwefelantimon.  312. 

—  -Schwefelarsen.  573. 
Schwefelchlorid.  148. 
Schwefelchlorür.  146. 
Schwefelcyanäthyl.  429. 
Schwefelcvanamyl.  447. 
Schwefelcyanwasserstoffsäure.  395. 
Schwefelkies.                             138.  161.  742. 

—  zur  Darstell,  des  Schwefels.    137.  138. 

—  zur  Darst.  der  Schwefelsäure.  161. 
Schwefelkiesöfen  nach  Gerstenhöfer.  164. 

—  nach  Hasenclever  und  Heibig 
Olivier  und  Perret. 

—  nach  Maletras  und  Walter. 


Schwefeln. 

Schwefelkohlenstoff. 

Schwefelmethyl. 

Schwefelmilch. 

Schwefelöfen. 

Schwefelquecksilber. 

Schwefelquellen. 

Schwefelsäure,  englische 

—  Fabrication  ders. 

—  rauchende 

—  Transport  ders. 
Schwefelsäureanhydrid. 
Schwefelsäureindustrie. 
Schwefelwasserstoff. 

flüssiger 
geschwefelter 


140 
263 


155. 

362. 


166. 
817. 
156. 
366. 
379. 
140. 
139. 
740. 
141. 
159. 
159. 
172. 
173. 
160. 
161. 
141.  259.  329. 
261.  263. 
145. 


145. 


Schwefelwa=serstoff-Schwefelamnionium234. 

Schwefelwasserstoff-Schwefelcalcium.  573. 

Schweflige  Säure.  149. 

—  Einwirkung  ders.  auf  die  Vege- 

tation.                                    153.  816. 

—  Technische  Verwendung  ders.  155. 

—  Unschädlichmachung  ders.  154. 
Schwefligsaure  Salze.  157.  158.  307. 
Schweine,  trichinöse,  591.  871. 
Schweineschmalz,  Ausschmelzen  dess.  463. 
Schweinfurter  Grün.  297.  860. 
Schweissen  des  Stahls.  749. 
Schweelprocess  beim  Blätterschiefer.  872. 
Schwellbeize,  rothe  571. 

—  weisse  572. 
Schwemmcanäle.  207.  208. 
Schweröle  (heavy  oils).  604. 
Schwerspath.  499.  688.  861. 
Schwitzkammern   oder  Schwitzkasten 

in  der  Lohgerberei.  571. 

Secretage  in  der  Hutmacherei.  253. 

Seide.    '  562. 

—  Bleichen  ders.  49. 

—  Entschälen  ders.  562. 

—  Erschweren  ders.  569. 
Seidenabfälle.  563. 
Seidenarbeiter.  564. 
Seidenfabriken,  Abfallwässer  ders.  217.  868. 
Seidenfärbereien.  565.  568.  569.  868. 
Seidengummi.  561. 
Seidenhüte.  581. 
Seidenindustrie.  561. 
Seidenleim.  561. 
Seidenraupe.  561. 


Seite 

Seidenweberei.  563. 

Seifen.  Aussalzen  ders.  466. 

—  besondere  Arten  von  471. 

—  Färben  ders.  468. 

—  gefüllte  468. 

—  geschliffene  468. 

—  harte  467. 

—  weiche  469. 
Seifenfabriken.  470. 
Seifenleim.  467. 
Seifensiederfluss.  466. 
Seilfahrt  in  Gruben.  328. 
Selen.  173. 
Selenige  Säure.  173. 
Selenitmörtel.  887. 
Selen  Wasserstoff.  173. 
Selfactor.  545. 
Senföl.  485. 
Senkgruben.  202. 
Separatoren.  203. 
Sericin.  561. 
Setzer  in  Buchdruckereien.  308. 

—  Krankheiten  ders.  308. 
Setzsiebe.  891. 
Sewage.  208. 
Shagreen.  574. 
Shaker  (Lumpenwolfj.  555. 
Sharewoodoil.  595. 
Shawls.  555. 
Shiste  bitumineux.  592. 
Shoddvwolle.  555. 
Sicherheitslampe  in  Bergwerken  nach 

Davy,  Herold,  Müseier  u.  s.  w.        330. 

Sicherheitszündmasse.  272. 

Sideringelb.  773. 

Siderolith.  761. 

Siderosis  pulmonum.  197.  756. 

Siegellack.  649.  741. 

Siena.  634. 
Silber,  Extra ctionsmethode  nach 

Augustin  und  Ziervogel.  680. 

—  Gewinnung  aus  Blei  durch  Zink    288. 

nach  Parkes  und  Pattinson.         680. 

Silberchromat.  773. 

Silberglätte.  706. 

Silberlegirung.  682. 

Silberpolirerinnen.  887. 

Silberstahl.  749. 

Silbersud.  683. 

Silicium.  659. 

Siliciumfluorid.  884. 
Sillar'sches  Verfahren  bei  der  Des- 

infection.  213. 

Sinterkohle.  316. 
Skelete,  anatomische,  Darstellung  ders.   588. 

Slivovitz.  408. 

Smalte.  537.  780. 

Smirgel.  757. 
Soda,  Behandlung  der  Rückstände.        676. 

—  Schwefelgewinnung  aus  dens.  677. 
Sodaindustrie.  675. 
Solanin  im  Weingeist.  406. 
Sokröl.  593. 
Solfataren.  135. 
Sonnenbrenner.  360. 


Sonntag 

sarbeit 

—  Tafelblei. 

923 

Seite 

Seite 

Sonntagsarbeit. 

899. 

Steinstaub. 

97. 

Sorbin. 

408. 

Steinwaaren,  glasirte  und  unglasirte 

763. 

Spatheiserstein. 

742. 

Stellhefe. 

525. 

Speckstein. 

689. 

Steppentalg. 

459. 

Speiskobalt. 

283. 

779. 

Stibio-Kali  tartaricum. 

311. 

Spermacetöl. 

463. 

Stibium  s.  Antimon. 

Spermöl. 

463. 

Stibium  sulfuratum  aurantiacum. 

312. 

Sphärosiderit. 

742. 

Stichtorf. 

317. 

Sphagnum- Arten. 

106. 

Stickstoff. 

174- 

-176. 

Spialter. 

690. 

Stickstoffoxyd. 

241. 

Spiauter. 

690. 

Stickstoffoxyduh 

240. 

Spiegelbeleger. 

730. 

Stickstofftitan. 

668. 

Spiegelfabriken. 

736. 

Stollen  wässer. 

50. 

Spiegelkugel. 

738. 

Stomatitis  mercurialis. 

729. 

Spindelöl. 

452. 

Stossherde. 

891. 

Spinnereien.                                544. 

551. 

557. 

Strahlkies. 

138. 

Spinnmaschinen. 

545. 

557. 

Strass. 

663. 

Spiritus  muriatico  aetherens. 

400. 

Strassenbau. 

207. 

Spiritus  pyroxilieus. 
Spiritus,  Rectification  dess. 

374. 

Strassenpflaster. 

207. 

408. 

Strassenstaub. 

821. 

Spitzen,  leinene,  Erschweren  ders. 

552. 

Streichgarn  und  Streichwolle.  " 

554. 

Spitzenklöppeln. 

550. 

Streichgarnspinnereien. 

558. 

Sprenglöcher,  Bohren  ders. 

338. 

Streudünger. 

590. 

Spülicht  bei  der  Branntweinbrennerei. 

407. 

Strickgarn. 

554. 

Stabeisen. 

747. 

Strikes. 

23. 

Stahlfed8rn. 

751. 

Strohbleichen. 

49. 

Stärke,  Bleichen  ders. 

514. 

Strohhüte,  Bleichen  ders. 

891. 

—    Verfälschen  ders. 

514. 

Strohhutfabrication. 

425. 

Stärkefabrication  aus  Kartoffeln. 

513. 

Strohzeugfabrication. 

534. 

Stärkefabrication  aus  Reis. 

515. 

Strontium. 

688. 

—     aus  Rosskastanien. 

515. 

Struvitkrystalle. 

203. 

—     aus  Weizen. 

509. 

Strychnin. 

656. 

Stärkegummi. 

515. 

Stuck-  oder  Stufföfen. 

163. 

Stärkemehl. 

490 

509. 

Styphninsäure. 
Sublimat. 

618. 

Stärkesyrup. 

492. 

739 

740. 

Stahl,  gehärteter 

749. 

Süvern'sches  Verfahren.          213 

863 

869. 

—    Raffiniren  dess. 

748. 

Sulfaldehyd. 

427. 

Stahlbereitung. 

747. 

Sulfantimonite. 

312. 

Stahlfabrication  im  Kleinen. 

748. 

Sulfite  s.  Schwefligsaure  Salze. 

Stahlindustrie. 

749. 

Sulfocyanäthyl. 

429 

.  448. 

Stangenschwefel. 

139 

141. 

Sulfocyankalium. 

395 

853. 

Stanniol  s.  Zinnfolien. 

Sulfocyansäure. 

395. 

Staub  in  den  Fabriken. 

197. 

Sulu  schmelzen. 

713. 

Staubinhalationskrankheiten. 

753 

845. 

Sumach. 

569 

.  570. 

Stearinf abrication . 

471. 

Sumachen. 

569. 

Stearinlichter. 

463. 

Sumpf. 

107. 

Stearinsäure. 

451. 

—    regenerirter  und  todter 

108. 

—    Fabrication  ders. 

477. 

Sumpfgas. 

368. 

Stearinsäurelichter,  grün  gefärbte 

298. 

Sumpfgase. 

106. 

Stecknadelfabrication. 

726. 

Sumpfwasser. 

106. 

—    von  Messing  oder  Kupfer. 

753. 

Superphosphat 

588. 

Steinbühlergelb . 

774. 

—     ammoniakalisches. 

589. 

Steingut,  englisches 

762. 

—     Guanosuperphosphat. 

589. 

Steinhauer  arb  eit. 

883. 

Syrop  imponderable. 

492. 

Steinkohle. 

316. 

Syrup,  grüner 

498. 

—    Aufbereitung  ders. 

338. 

—     Gase  in  dens. 

343 

847. 

T. 

Steink  ohlen  dampf. 

345. 

Steinkohlenfeuerung. 

318. 

Tabaksarbeiter. 

657. 

Steink  ohlenthe  er. 

603 

874. 

Tabaksindustrie. 

656. 

Steinmetzer. 

895. 

Tabaksrauch. 

887. 

Steinpappe. 

538. 

—     Kohlenoxyd  in  demselben. 

887. 

Steinschärf -Maschinen. 

85. 

Tabakssaucen. 

657. 

Steinschneiden. 

884. 

Tabaksstaub. 

197 

658. 

Steinschleiferei. 

884. 

Tafelblei. 

703. 

924 


Tafelfarbeu.  —  Unterehlorigsaure  Alkalien. 


Seite 

Seite 

Tafelfarben. 

565. 

Topas. 

757. 

Talg. 

458. 

Torf. 

316 

317. 

—     Bleichen  dess. 

252 

462. 

—     Bildung  dess. 

106. 

—     Fasstalg. 

459. 

—     Verkokung  dess. 

219 

342. 

—     Krinim-  u.  Steppentalg. 

459. 

Torf  koksdämpfe. 

340. 

Talgbrote. 

459. 

Traganthgummi. 

517. 

Talgindustrie. 

458. 

Traganthverzierungen, 

grüne 

298. 

Talglichter. 

859. 

Traganthwaare. 

517. 

Talgnachlauf. 

459. 

Trampeltonne. 

574. 

Talgöl. 

463. 

Transparentseifen. 

471. 

Talgschmelzen. 

458 

858. 

Trass. 

686. 

Talgseifen. 
Talk. 

466. 

Traubenkrankheit. 

136. 

689. 

Traubenmost. 

156. 

862. 

Talnrigoldwaaren. 

S93. 

Traubensäure. 

439. 

Tannin. 

569 

683. 

Traubenzucker. 

490.  491. 

5U5 

861. 

Tapeten,  besondere  Arten  ders. 

542. 

—     gekörnter 

492. 

—     mit  giftigem  Grün. 

298. 

—     in  der  Bierbrauerei. 

524. 

Tapetenfabrication. 

541. 

Traubenzuckersyrup. 

492. 

Tapezierer. 

579. 

Tremor  mercurialis. 

780. 

894. 

Tarlatan,  grün  gefärbter 

299. 

548. 

Triaethvlrosanilin,  Jodwasserstoffs. 

631. 

Tartarus  stibiatus. 

311. 

Triamiclonaphtalin. 

642. 

Tauchzündhölzer. 

135. 

Tribenzylamin. 

624 

Teiche. 

106. 

Trichinöse  Schweine,  s 

Schweine. 

Tellur. 

174. 

Trieulorhydrin. 

434. 

857. 

Tellurige  Säure. 

174. 

Trimethylamin. 

379.  852. 

Tellurwasserstoff. 

174. 

Trimethylphenylammoniumchlorid. 

631. 

Teppiche. 

555. 

Trimethylrosanilin. 

631. 

Terpentinöl. 

648. 

Trimethylstibin. 

854. 

—     als  Antidot  des  Phosphors. 

271. 

Trinitrocellulose. 

861. 

Terpentinphosphorige  Säure. 

827. 

Trinitroglycerin. 

861. 

Terpentinölfirnisse. 

457. 

Trinitrophenol. 

613. 

Terra- cotta-Waaren. 

760. 

Trinitroresorcin. 

618. 

Terra  iaponica,  C.  d.  Bierbrau. 
Tetrachloräthylen. 

526. 

Trinkwasser. 

109. 

403. 

—     Analyse  dess. 

109- 

-111. 

Tetrachlorid. 

373. 

—    Bestandteile  dess. 

109- 

-112. 

Tetraehlornaphtalin. 

641. 

—     Reinigung  dess 

118. 

Tetrathionsäure. 

155. 

Triphenylrosanilin. 

631. 

Textilindustrie. 

9. 

—     salzsaures 

632. 

Thallium. 

782. 

Trithionsäure. 

155. 

Thalliumoxydulhydrat. 

91. 

782. 

Tritoluylrosanilin. 

632. 

Thalliumpapier. 

91. 

Trockenstuben. 

819. 

869. 

Theer.  Destillation  dess. 

593. 

Trödelhandel,  Controle  dess. 

582. 

Theerhof. 

596. 

Tropfschwefel. 

138. 

Theerkrätze. 

594. 

Tuchfabriken. 

557 

558. 

870. 

Theeröle,  leichte  und  schwere 

604. 

Tuchweberei. 

554. 

Thenard's  Blau. 

781. 

Türkischroth,  Darstellung  dess. 

568. 

Thierfaser. 

553. 

Türkischrothfärberei. 

50. 

566. 

Thierhäute. 

570 

Turinergelb. 

712. 

Thierkohle. 

316. 

Turpetum  minerale. 

741. 

Thon. 

759. 

Tusche,  chinesische 

323. 

Thonerde,  essigsaure 

573 

721. 

Typengiessen. 

308. 

—      kieselsaure 

757. 

759 

Thonerdestaub. 

197. 

u. 

Thonwaaren. 

759. 

Thransiedereien. 

858. 

Uchatius'sches  Pulver. 

533. 

Thymol. 

640 

880. 

Ueberarbeitssystem. 

29. 

Titan. 

668. 

Ueberchlorsäure. 

132 

Titansäureanhydrid. 

668. 

Ueberosmiumsäureanhy 

irid. 

786. 

Toiletteseifen. 

471. 

Ultramarin,  gelbes 

774. 

Toluidin. 

624. 

—    kieselarmes  und  kieselreiches 

897. 

Toluidinblau. 

632. 

Ultramaringrün. 

889. 

Toluol. 

623 

Ultramarinindustrie. 

153. 

766. 

Toluylsäure. 

639. 

Unschlittkerzen. 

850. 

Tombak. 

717. 

Unterchlorige  Säure. 

131. 

Tonnensystem. 

204 

Unterchlorigsaure  Alkalien. 

133. 

462. 

Unterchlorsäure.  —  Wein. 


925 


Unterchlor  säure.  131. 

Untergährimg. 
Unterphosphorige  Säure. 
Unterphosphorigsaure  Salze.  275. 

Untersalpetersäure.  157.  244.  245. 

Unterschweflige  Säure. 
Unterschwefligsaure  Alkalien  resp. 

Salze.  158. 

Unterstützungsvereine. 
Uran, 
Urangelb. 
Uranoxydhydrat. 
Uranoxydoxydul. 
Uranylhydrat. 
Usebe'sches  Grün. 


444. 

445. 


198. 

196. 

201. 
332. 


Vacnumpfannen. 

Valeral. 

Valeriansäure  s.  Baldriansäure. 

Vanadin. 

Varec. 

Ventilation  in  Bergwerken. 

—  Aspirationsmethode 

—  nach  Böhm. 

—  natürliche  oder  spontane 

—  Principien  der 

—  Pulsionsmethode. 

—  vor  Ort  in  Bergwerken. 
Verbleien  des  Eisenblechs. 
Veredelungsindustrie. 

Vergolden.  252.  717. 

Vergolder. 

Verkokungsprocess. 

Verkupfern. 

Vernickelung  von  Eisen  und  Stahl. 

Veronesergelb. 

Verplatinirung. 

Verre  malleable. 

Verseifung  der  Fette  durch  Kalk. 

—  dnrch  Schwefelsäure. 

—  durch  überhitzte  Wasserdämpfe. 

—  durch  Zinkchlorid. 
Verseifungsprocess. 
Versickerungsgruben,  Schädlichk.  ders, 
Versilbern  durch  Platiren. 

—  galvanisches  383. 

—  der  Phosphorzündhölzchen. 
Verwaltungs-Medicin. 
Verzinken  des  Kupfers. 
Verzinnen. 

Victoriagelb. 

Viehhof. 

Viehställe. 

Violanilin. 

Violett,  phenylirtes 

Vitriol,  weisser,  s.  Zinksulfat. 

Vogelbeerbranntwein. 

Volksküchen. 

Vorlauf  und  Nachlauf. 

Vorspinnen  bei  der  Baumwollindustrie. 

Vulcanglas. 

Vulcanisiren  des  Kautschuks.  141. 

Vulcanöl. 


Seite 

132. 
522. 

277. 
277. 
893. 
158. 

307. 
36. 

788. 
788. 
788. 
788. 
899. 
632. 


494. 
526. 
526. 
890. 
58. 
331. 
798. 
801. 
796. 
196. 
796. 
333. 
288. 
899. 
783. 
783. 
339. 
755. 
779. 
712. 
784. 
884. 
472. 
473. 
475. 
475. 
466. 
116. 
682. 
683. 
145. 
5. 
717. 
288. 
624. 
654. 
232. 
629. 
631. 

408. 
34. 
404. 
544. 
884. 
651. 
593. 


232. 
559. 


w. 

Waaren,  leonische 
Wachs,  amerikanisches 

—  Ausschmelzen  dess. 

—  Bleichen  dess. 

—  japanesisches 

—  Verfälschungen  dess. 
Wachskerzen. 
Wachslichter. 

Wachsstöcke.  oqö    oko 

Wadistuchfabriken.  ^ 

Wärmefortführung. 
Wärmeleitung. 
Wärmestrahlung. 
Wärmeverlust. 
^JdcKe'  chemische,  mittels  Benzins. 

Waidküpe, 

Waldwoll^ 

Walken  dei,  Tuche. 

Walker. 

Walkwässer. 

WalzHei. 

Walze)  des  Bleies. 

—  de)  Eisens. 
Walzeriruckmaschine. 
Warmwasserheizung. 
Waschphwämme,  Bleichen  ders. 
Wasenjatz. 
Wasser. 

—  Ahjest 

—  Krjtallisationswasser. 

—  mei.a,nische  Aufsaugung  des 

—  Q\  und  Flusswasser. 

—  Keimung  mittels  Filtration. 
_     £e?]Png  und  Darstellung  des 

IruWassers  a.  d.  Meereswasser 
duriDestillation. 

—  SunWgser. 
Triri  und  Brunnenwasser. 

—  versfedene  Arten  von  Wasser 
und  ta  Zusammenstellung. 

—  Wandung  u. Wandlung  dess.  103 
WasserbL 

Wasserclfc. 

W  asser  daif. 

—  in  deLuft. 
Wassergl^ 

—  zum  jsiren 
WasserheiU 

Hochffittel-  u.  Niederdruck- 


101. 


Seite 


893. 

463. 

463. 

463. 

463. 

859. 

859. 

741. 

860. 

858. 

193. 

193. 

193. 

194. 

873. 
567. 
567. 
551. 
554. 
557. 
867. 
703. 
703. 
750. 
566. 
102. 

49. 
591. 

99. 
104. 
104. 
126. 
105. 
119. 


125. 
106. 
109. 

105. 
,104. 
316. 
208. 

99. 
176. 
664. 
762. 
100. 


heizu 
Wasserkie 
Wasseröfe 
Wasserpil: 
Wassersto 

—  in  derjustrie. 
WasserstofLr0xyd 

—  in  derjhmk 
Wasserstoffes  ulfid 
Watermasc' 
Wau. 

Wedgwood^n. 
Wein,  Verfing  dess. 


100, 


91. 


101. 

138. 

101. 

111. 

38. 

39. 

129. 
130. 
145. 
545. 
568. 
762. 
861. 


926 


Weingährung    —  Zinnchlorid. 


Weingährung. 
Weingeist. 

—  Färben  dess. 

—  rectificirter 

—  Lagern  dess. 

—  Rectification  dess. 
Weingeistfirnisse. 

W  ein  geistindn  strie. 

Weinsäure. 

Weinstein. 

Weissblech,  Lackiren  dess. 

Weissbleierz. 

Weissgerber. 

Weissgerberei,  französische 

—  gemeine 

—  ungarische 
Weisskupfer. 

Weissmessing.  -51 

Werg. 

Welther's  Bitter.  , 

Werkstätten,  Reinerhaltung  da  mn 

in  dens. 
_     Reinerhaltung  der  Luft  aussei  - 

halb  ders.  ..■.<, 

—  "Ventilation  ders. 
Werkstättengesetz. 
Wetter,  böse 

—  leichte,  schlechte 

—  matte 

_     schwere,  schlechte 

_     sauerstoffarme  u.  stickstoffreüe 


Ventilation. 


schlagende 
Wetterführung  s. 
Wetter-Indicator. 
Wetterklappe. 
Wetterlatten. 

Wetterlosung  s.  Ventilation. 
Wetterräder  in  Bergwerken. 
Wetterschächte. 
Wichsfabrication. 
Wienerbraun. 
Wienergrün. 

Windhaube.  „. 

Windhausen'sche  Maschine  tiüis 

erzeugung. 
Wismuth. 
Wismuthchlorid. 
Wismuthchromat. 
Wismuthglanz. 
Wismuthindustrie. 
Wismuthlegirungen. 
Wismuthocker. 
Wismuthoxychlorid. 
W  ismuth-T  hal  liumglas. 
Witherit. 

Wohnungen,  feuchte 
—     der  Arbeiter. 
Wolfen. 
Wolfram. 
Wolframbronze. 
Wolframstahl. 
WTolframsäure. 
Wollbleiche. 
Wolle. 
—     Carbonisiren  ders 


$29. 


201, 


Seite 

77. 
404. 
409. 
405. 
409. 
408. 
457. 
404. 
439. 
469. 
718. 
697. 
869. 
574. 
573. 
573. 
726. 
719. 
876. 
527. 

196. 

201. 

199. 
28. 
329. 
329. 
329. 
329. 
329. 
330. 

331. 
201. 
333. 

333. 
332. 
261. 
629. 
298. 
319. 

820. 
312. 
314. 
772. 
312. 
313. 
314. 
312. 
314. 


128. 

34.  792. 

543. 


181. 
901. 
554. 
787. 
787. 
749. 
787. 
49. 
553. 
558. 


Wolle,  Entschweissen  ders. 

—  sanitäre  Verhältnisse  der  Arbeiter 
in  den  Fabriken. 

—  Waschen  ders. 
W7ollfabriken,  Abfallwässer  ders.  217. 


Wollfärberei. 

Wollindustrie. 

Wollschweiss 

Wollschweiss-Pottasche. 

Wollspinnerei. 

Wuod's  Metalllegirung. 

Wootzstahl. 

Workshop  Regulation  Act. 


Xanthamylsäure. 

Xanthogensäure. 

Xanthin. 

Xyloidin. 

Xvlidin. 

Xylol. 


560. 
553. 


Seite 

554. 

555. 
558. 
557. 
568. 
553. 
867. 
867. 
554. 
696. 
748. 
28. 


446. 
850. 
629. 
509.  533. 
638. 
638. 


z. 


Zaffer 
Zechhäuser. 
Zehnstunden-Gesetz. 
Zeugdruck  mit  grüner  Farbe. 

—  in  der  Textilindustrie. 
Zeugküpe. 
Ziegelfabrication. 

Ziervogel'sche  Methode  bei  der  Silber- 
gewinnung. 
Zinalin. 

Zincum  phosphoratum. 
Zincum  sulfophenylicum. 
Zink.  690. 

—  Hüttenmännische  Gewin.  von   153. 

—  phenolsulfosaures 
Zinkblende. 
Zinkbronze. 
Zinkchlorid. 

Zinkchromat.  696. 

Zinkfieber. 

Zinkgelb. 

Zink  grau. 

Zinkgrün.  696.  781. 

Zinkguss. 

Zinkmethyl. 

Zinknitrat 

Zinkoxyd. 

Zinkreservoir. 

Zinkschwamm. 

Zinkspath. 

Zinkstaub. 

Zinksulfat.  695. 

Zinkweise,  Fabrication  dess. 

Zinn. 

—  Industrie  dess. 

—  Legirungen  dess.  665. 

—  salpetersaures 
Zinnbeize,  Darstellung  ders. 
Zinnbronze.  667. 
Zinnchlorid. 


780. 
329. 
25. 
299. 
565. 
567. 
759. 

329. 
634. 
894. 
696. 
694. 
691. 
696. 
690. 
724. 
696. 
773. 
720. 
696. 
694. 
889. 
695. 
397. 
741. 
695. 
695. 
894. 
690. 
694. 
696. 
695. 
664. 
665. 
666. 
668. 
757. 
725. 
668. 


Zinnchlorür.  —  Zymotische  Krankheiten. 


927 


Seite 

Zinnchlorür. 

668. 

Zinnfolien. 

664. 

666. 

668. 

Zinnkies. 

664. 

Zinnküpe. 

567. 

Zinnober. 

728. 

740. 

860. 

—     grüner 

781. 

860. 

Zinnoberasche. 

740. 

Zinnoberdämpfe. 

741. 

Zinnoxychlorid. 

668. 

Zinnsaures  Kupfer. 

728. 

Zinnstein. 

664. 

Zinnsulfid. 

667. 

Zinntetramethyl. 

397. 

Zobelfelle. 

575. 

Zuckerfabriken. 

500. 

Seite 

—  Behandlung  der  Abfallwässer.         502. 

—  sanitäre  Verhältnisse  d.  Arbeiter.  500. 
Zuckerhutformen.  498. 
Zuckerindustrie.  491. 
Znckerkohle.  316. 
Zuckerküpe.  567. 
Zuckersäure.  425. 
Zündhölzer,  giftfreie  827. 

—  Metallisiren  ders.  273. 

—  phosphorfreie  134.  273. 

—  schwedische  272. 

—  Sicherheitszündhölzer.  272. 
Zündhütchenfabrication.  393. 
Zündspiegelsätze.  134. 
Zymotische  Krankheiten.  79. 


Druck  von  R.  BOLL,  Berlin,  Mittelstr.  29. 


Errata. 


Seite  17,  Alin.  6  von  oben  lese  man:  in  Bewegung  befindliche  statt  in  Bewegung  sich 

befindliche. 

„      79,      ..      2     „         „       ,.         _       Parasitentheorie  statt  Parasitenthiere. 

„    117  in  der  14.  Zeile  v.  oben  lese  man:   den  Verunreinigungen  statt  der  Ver- 
unreinigung. 

„    135,  Alin.  3  von  oben  lese  man:  (KC104)  statt  (RC104). 

„    136,  in  der  4.  Zeile  von  unten  lese  man  Oidium  Tuckeri  statt  Oidium  Tuckeni. 

„    164,  Alin.  2  von  unten  und  S.  166,  Alin.  2  von  oben  lese  man  Gerstenhöfer  statt 

Gerstendörfer. 

„    256,      „    2  von  oben:  enthält  statt  enthielt. 

„    276,      „    3    „        „      lese    man    Phosphorpentabromid    statt    Phosphorpeuta- 

bromid. 

„    280,      „     7  von  unten  pyrophosphor saures  Natrium  statt  pyrophosphorigsaures. 

„    282,  in  der  vorletzten  Zeile  lese  man  As203  statt  Asj03. 

„    325,  Alin.  3  von  unten  lese  man  4)  statt  d). 

„    338,  ist  am  Schlüsse  von  Alin.  4  zu  setzen:  26). 

„    504,  in  der  5.  Zeile  von  oben  ist  7)  statt  8)  zu  lesen. 

„    556,  Alin.  4  von  unten  Berylldruck  statt  Berilldruck. 

„    568,  in  der  3.  Zeile  von  oben:  Cudbear  statt  Cudbeard. 

„     —     in  der  S.  Zeile  von  oben:  Waid  statt  Wad. 

„    623,  Alin.  4  von  oben:  Phenylenbraun  statt  Phenylbraun. 

„     —     in  der  nächstfolgenden  Zeile  (s.  S.  634)  statt  (s.  S.  612). 

„    642,  Alin.  6  von  unten  lese  man  Dioxynaphtochinon  statt  Dioxynaphtachinon. 

„    739,  Alin.  5  lese  man  Hydrargyrum  muriaticum  statt  mercuticum. 


RA787 

Eu5 
Eulenberg  I876 

Handbuch  der  gewerbe-hygiene 

auf  experimenteller  grundlage.