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R A787 Eu5 1 876 Handbuch der Gewerbe
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HEALTH SCIENCES
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HANDBUCH
DER
GEWERBE-HYGIENE
EXPERIMENTELLER GRUNDLAGE
BEARBEITET
D* HERMANN EULENBERG,
GEH. OBEE-MEDICINAL- UND VORTRAGENDEM RATHE IM MINISTERIUM DER GEISTLICHEN,
UNTERRICHTS - UND MEDIC1NAL-ANGELEOENHEITEN.
MIT 65 HOLZSCHNITTEN.
BERLIN 1876.
VERLAG VON AUGUST HIRSCHWALD.
68. UNTER DEN LINDEN NW.
Das Uebersetzungsrecht -wird vorbehalten.
Vorwort,
öchon gleich nach Veröffentlichimg meiner „Lehre von den schädlichen
nnd giftigen Gasen" (Brannschweig bei Vieweg 1865) beabsichtigte ich,
in gleicher Weise die in der Industrie auftretenden Dämpfe einer Bearbeitung
zu unterwerfen. Das Material sammelte sich aber immer mehr an und eine
Menge anderer Gesichtspunete machte sich geltend, so dass der ursprüngliche
Plan nicht mehr festgehalten werden konnte. Da meine frühere amtliche
Thätigkeit als Regierungs-Medicinalrath in Cöln mir vielfach Gelegenheit
bot, bei den Concessionirungen von Fabriken mich eingehender mit den
verschiedenen Industriezweigen und ihrem Einfluss auf die Gesundheit der
Arbeiter zu beschäftigen, so wurde allmählig das ganze Gebiet der Industrie
in den Kreis meiner hygienischen Untersuchungen gezogen. Indem ich aus
eigener Anschauung die vielfachen sanitären Nachtheile kennen lernte und
meine Erfahrungen durch Reisen im In- und Auslande zu vermehren suchte,
gewann ich eine praktische Grundlage, auf welcher ich 'zur Verfolgung
meines Ziels weiter vorzugehen vermochte. Dazu kam aber vorzüglich die
Unterstützung Seitens des Herrn Dr. Vohl in Cöln, welcher als ein in der
chemischen Technologie gründlich bewanderter Chemiker mir während meines
dortigen Aufenthaltes seine reichen Erfahrungen auf diesem grossen Gebiete
zur Verfügung stellte und es mir ermöglichte, meine Arbeit zur Durch-
führung zu bringen. Um das Ziel, welches mir vorschwebte, nur annähernd
zu erreichen, mussten sich Medicin und Chemie einander ergänzen, denn
ein Arzt vermag ohne den Chemiker kaum den Pfad zu entdecken, welcher
zur eigentlichen Quelle der gesundheitlichen Schäden führt, während der
Chemiker des Arztes bedarf, um die Einwirkung auf den menschlichen
Organismus hinreichend zu würdigen. Auch erforderten viele Körper, welche
auf ihre giftige Wirkung bisher noch nicht untersucht worden sind, Versuche
an Thieren; es kam somit auch auf die Beurtheilung des pathologisch-
anatomischen Befundes an, während die Darstellung dieser Körper und die
Prüfung auf ihre Reinheit sowie der chemische Nachweis der Gifte in den
Leichen wiederum in das Sonder -Gebiet der Chemie fiel. Die in dieser
IV
Vorwort.
Beziehung gewonnenen Resnltate verdanke ich ebenfalls Herrn Dr. Vohl.
Auch hatte Herr Dr. Pinner hieraelbst die Frenndlichkeit, mir häufig
Beinen Ruth auf dem Gebiete der Chemie zu ertheilen.
Die Versuche an Thieren erscheinen nicht im Gewände exact-
physiologischer Methoden, denn einestheils war die Menge der zu prüfenden
Körper zn gross, um hier aüen Airforderungen an ein physiologisches Ex-
periment zu genügen, anderenteils verboten mir auch der Raum und die
Mannigfaltigkeit der zu besprechenden Gegenstände, tiefer in die Toxikologie
einzudringen; bei manchen Körpern inJsle ich mich daher mit dem Hin-
weis auf diebetreffende Literatur «.der mit der einfachen Thatsache: giftig
oder nicht giftig, begnügen. Letzteres Ergebniss dürft.- übrigens bei den
vielen, noch ungeprüften Körpern immerhin seinen Werth behalten und zur
■strengen] Sonderung der ge&hrlichen und ungeföhrÄchen Substanzen in der
Industrie beitrauen.
Wie gross noch das Feld der Forschung ist, geht aus jeder Seite
dieses Werkes hervor, und welche Bedeutung dasselbe für den Arzt hat.
zeigt Bich -.hon bei einem flüchtigen üeberblicke der vielen difterenten
Körper, welche in den Gewerben zur Einwirkung gelangen: ich bestrebte
mich deshalb, die verschiedenen Substanzen vorzugsweise in der Weise zu
prüfen, in welcher sie bei den Gewerben auftreten, nämlich in der Dampf-
und Staubförm. Sieht man von zufälligen Ingestionen ab, so sind es in
erster Linie stets die Respirationswege, von denen aus die vorkommenden
Schädlichkeiten ihre Wirkung entfalten. Es mussten daher für die Ver-
suche analoge Verhältnisse geschaffen werden, wie sie sich bei den Fabrik-
arbeitern vorfinden. Bei den Staubart en war mir dies noch nicht in
ausreichendem Grade möglich; aber andere Forscher haben bereits an-
gefangen, auch bei diesen den Weg des Experimentes zu beschreiten, ein
Beweis, wie sieh immer mehr das Bedürfniss herausstellt, die Hygiene einer-
Beits dem Dilettantismus, andererseits der blossen Emphyrie zu entziehen
und der exaeten Forschung zu unterwerfen.
Insoweit es der grosse Umfang des zu bearbeitenden Gebietes ge-
stattete, habe ich jenem Bedürfniss thunlichst Rechnung getragen und
glaube um so mehr behaupten zu dürfen, dass meine Arbeit wesentlich
auf einer experimentellen Grundlaue beruht, als ich auch bei vielen tech-
nischen Fragen den Hauptwerth auf genaue Versuche gelegt habe.
So erschien es mir auch nicht minder wichtig, die Wirkung der
Gase und Dämpfe auf die Vegetation nach eigenen und fremden Beob-
achtungen in dem erforderlichen Grade zu würdigen.
Bei Concessions -Verleihungen bleibt diese Frage eine sehr beachtuugs-
werthe und muss, abgesehen von den verschiedenen Klagen über etwaige Ver-
gütung wegen des durch Fabriken herbeigeführten Schadens, um so mehr mit
Vorwort. V
möglichster Bestimmtheit beantwortet werden, als gleichzeitig die Belästigung
oder Gesimdheits -Beschädigung der Anwohner hierbei in Frage kommt.
Es konnte nicht ausbleiben, dass manche Gesiehtspuncte berührt
werden mussten, die eigentlich der allgemeinen Hygiene angehören, z. B.
die Untersuchungen über Wasser, Abfuhr u. s. w. Diese wichtigen Capitel
konnten aber nicht umgangen werden, weil sie mit den in der Industrie
vorkommenden Abfallwässern im innigsten Zusammenhange stehen.
Ist das Vergüten der Krankheiten in der Hygiene der leitende
Grundsatz, so inuss die Beaufsichtigung der Gewerbe immer mehr aus
dem engen Rahmen einer gewerblichen Sanitätspolizei heraustreten und
eine Gewerbe-Hygiene schaffen, welche sich mit den in der Industrie
auftretenden Schädlichkeiten stetig vertraut macht und rechtzeitig der
Einwirkung derselben vorbeugt, ohne erst ihre gesundheitsschädlichen
Folgen abzuwarten.
Die grosse Rolle, welche die Chemie in den Gewerben spielt, ver-
anlasste mich, die betreffenden Körper zunächst nach ihrem Vorkommen
und ihren chemischen Eigenschaften zu betrachten und hierauf ihre Be-
arbeitung und Verwerthung folgen zu lassen.
Wer nicht einigermassen mit der Chemie vertraut ist, wird niemals
festen Fuss in der Gewerbe -Hygiene gewinnen, da die chemische Erklärung
vieler Processe unumgänglich nothwendig ist, um über die sanitäre Be-
deutung technischer Vorgänge Aufklärung zu erlangen.
Den beigefügten chemischen Formeln, welche dies Verständniss erleich-
tern sollen, ist die moderne Chemie zu Grunde gelegt, in welcher man
sich bald heimisch fühlen wird, wofern man sich nur deren elementare
Grundsätze zu eigen gemacht hat.
Chemie, Physik und Physiologie bleiben die Fundamental-
Wissenschaften der Hygiene, denn diese beruht nur auf der Anwendung
dieser Naturwissenschaften. Aber auch der Pathologie kann man noch
nicht entbehren, so lange das ideale Ziel der Hygiene: die Verhütung der
Krankheiten, noch nicht in seinem ganzen Umfange zu erreichen ist.
Die Pathologie der „Arbeiter-Krankheiten" bleibt daher noch ein un-
entbehrlicher Theil der Gewerbe -Hygiene und harrt noch mancher dunkle
Punct wegen der Mannigfaltigkeit der schädlichen Einflüsse der Aufhellung;
denn ausser der Einwirkung der Gewerbe sind auch die häuslichen Ver-
hältnisse der Arbeiter, die Krankheitsanlage und die ganze Lebensweise der-
selben zu berücksichtigen, bevor man zu einem endgültigen Urtheil gelangt.
Aus diesem Grunde gehen auch die Ansichten über diese Krankheiten oft
weit auseinander und dürften namentlich die aus den vorliegenden Erfah-
rungen gewonnenen statistischen Schlüsse nur mit Vorsicht zu verwerthen
sein. Freilich ist es dringend geboten, geeiguetes Material zu einer
y"[ Vorwort.
Gewerbe -Statistik zu sammeln; es werden aber noch Jahrzeheude
vergehen, ehe man auch nur eine leidlich sichere statistische Grundlage
gewinnt. Zunächst gehört eine ganz genaue Bekanntschaft mit den tech-
nischen Vorgängen dazu, um ihren Einnuss auf den Organismus beurtheileu
zu können; es ist unmöglich und ganz unzulässig, aus der Berufsarbeit
sofort die Ursache einer Krankheit zu erschliessen; man muss vielmehr
in jedem Einzel-Falle mit der grössten Sorgfalt erwägen, ob und inwiefern
die Art der Beschäftigung oder eine Menge anderer Einwirkungen an der
Entstehung der Krankheit betheiligt sind.
Jeder Beruf hat seine Schädlichkeiten und der Handwerker befindet
sich oft in einer weit üblern Lage als der Fabrikarbeiter; man muss daher
alle thatsächlichen Verhältnisse ergründen, um ihre Beziehungen zu den
vorhandenen Krankheiten ermessen zu können.
In der Industrie gibt es viele Schäden, die sich heilen lassen, wenn
man ihrem Ursprünge sorgfältig nachforscht; als eine Hauptaufgabe habe
ich es daher betrachtet, sowohl die Orientirung der Fachgenossen in der
Technik zu erleichtern, als auch die bei den technischen Vorgängen in
irgend einer Weise zur Geltung kommenden Schädlichkeiten stets all-
seitig zu beleuchten. Die Lösung dieser Aufgaben ist die unerlässliche
Bedingung für die Mitwirkung am Aufbau der Gewerbe- Hygiene.
Gleichzeitig habe ich nicht unterlassen, auf die bewährten thera-
peutischen Mittel bei den verschiedenen Erkrankungen aufmerksam zu
machen.
Die mit dem Nachweise der Literatur verbundenen „Erläuterungen"
sollen dazu dienen, manche Puncte weiter auszuführen; im Texte war dies
nicht immer zulässig, wollte man nicht Zusammengehöriges zu sehr trennen.
Die sociale Frage der Arbeiter habe ich schon wegen ihrer Aus-
dehnung nicht eingehend bearbeitet und hierbei hauptsächlich auf die be-
treffende Literatur verwiesen. Ebenso habe ich die Lage der eigentlichen
Handwerker nur gelegentlich berühren können, aber doch überall auf die
sanitären Schädlichkeiten hingewiesen, welche bei den einzelnen Manipu-
lationen Beachtung verdienen.
Die Holzschnitte werden hoffentlich ihren Zweck erreichen und das
Verfahren bei den wichtigern Fabricationszweigen zur deutlichen Veran-
schaulichung bringen.
Mit dem Bewusstsein, das Werk mit dem lebhaftesten Interesse für
die Sache abgefasst zu haben, verbinde ich den Wunsch, dass sich die
Theilnahme grösserer Kreise diesem wichtigen Abschnitte der Gesundheits-
lehre immer mehr zuwenden möge.
Berlin, den 30. April 1876.
H. EüLENBERG.
Inhalts - Verzeiclmiss,
Allgemeiner Theil.
Seite
Einleitung 1
Umfang der öffentlichen Gesund-
heitspflege 2
Die Entwicklung der gewerblichen
Gesundheitspflege in den ver-
schiedenen Ländern .... 5
Seite
Das Concessionsverfahren ... 16
Allgemeine sanitäre Erfordernisse
in Fabriken 21
Der Arbeiter ausserhalb der
Fabrik 33
Specieller Theil.
Metalloide.
Wasserstoff 38
Wasserstoff in der Industrie . . 39
Chlor 41
Chlorindustrie 43
Chlorwasserstoffsäure 50
Chlorwasserstoffsäure in der In-
dustrie 52
Brom 53
Bromwasserstoff 56
Chlorbrom 57
Jod 58
Jodwasserstoffsätire 60
Chlorjod 61
Bromjod 62
Brom- und Jodindustrie .... 63
Fluor 68
Sauerstoff 71
Gährung, Fäulniss, Verwesung . 76
Abschluss des Sauerstoffs. In-
dustrie der Conserven .... 80
Ozon 90
Ozon in sanitärer Beziehung . . 96
Ozon in der Industrie .... 98
Sauerstoff und Wasserstoff.
Wasser 99
Die verschiedenen Arten von
Wässern 105
Brunnenconstruction 113
Pumpenconstruction 121
Seite
Destillation des Meereswassers . 125
Wasserstoffsuperoxyd 129
Sauerstoff und Chlor. Unter-
chlorige Säure 131
Industrie der unterchlorig- und
chlorsauren Alkalien .... 133
Schwefel 135
Schwefelwasserstoff . . . 141
Wirkung und Vorkommen in der
Industrie 145
Wasserstoffsupersulfid 145
Schwefel und Chlor .... 146
Schwefel und Sauerstoff . . 149
Schweflige Säure, Fabrication und
Verwendung 149
Schwefelsäure, Wirkung ders. 159
Schwefelsäureindustrie .... 161
Selen 173
Selenwasserstoff, Wirkung dess. . 174
Tellur 174
Tellurwasserstoff, Wirkung dess. 174
Stickstoff 174
Die atmosphärische Luft .... 176
Wirkung der feuchten u. trocknen
Luft 178
Verdünnte und comprimirte Lnft 186
Abhaltung physikalischer Einflüsse
der Atmosphäre. Bekleidung . 191
VIII
Inhalts - Verzeichniss.
Seite
Massregeln zur Beschaffung einer
reinen Luft 1) in den Werk-
stätten 196
2) ausserhalb der Werkstätten 201
Wegschaffung der menschlichen
Dejeetionen, der Küchen- und
Hauswässer, der industriellen
Abfälle 202
3) Bodencultur und Benutzung
verschiedener Dungstoffe . . 219
Stickstoff und Wasserstoff.
Ammoniak 221
Ammoniakindustrie 223
Ammonium und Schwefel. . 233
Ainmoniumsulfid, Ammoniumsulf-
hydrat 234
Cloakengase 235
Schwefeiammonium in der Industrie 239
Stickstoff und Sauerstoff . 240
Stickoxydul, Stickstoffoxyd, sal-
petrige Säure, Untersalpeter-
säure 240
Salpetersäure 247
Salpetersäureindustrie 250
Phosphor 255
Phosphordampf in der Phosphor-
industrie 256
Rother Phosphor, Darstellung
desselben 265
Fabrication der Phosphorstreich-
hölzer 267
Phosphor und Wasser, Phos-
phorwasserstoff 273
Phosphor und Halogene . . 275
Phosphor und Sauerstoff,
Unterphosphorige Säure, phos-
phorige Säure, Phosphorsäure . 277
Phosphorsäureindustrie .... 281
Arsen 282
Arsenindustrie 284
Arsen undWasserstoff. Arsen-
wasserstoff 286
Arsen und Halogene. . . . 288
Arsen und Sauerstoff. Arsenig-
säureanhydrid 290
Arsenigsäureanhydrid-Industrie . 293
Künstliche Blumenfabrication . . 299
Arsensäure 300
Arsen und Schwefel .... 302
Arsen und Phosphor . . . 304
Antimon 305
Antimonindustrie 306
Legirungen von Antimon, Typen-
giessen 307
Antimon und Wasserstoff . 309
Antimon und Chlor .... 310
Antimon und Sauerstoff. Tar-
tarus stibiatus 311
Antimon und Schwefel. An-
timontrisulfid, Antimonpenta-
sulfid 312
Wisnmth 312
Industrie und Verwendung von
Wismuth 313
Seite
Bor 314
Technische Verwendung von Bor 315
Kohlenstoff .......... 316
Die Kohle als Heizmaterial, als
Farbe, als Desinfections- und
Reductionsmittel 317
Wiederbelebung der Knochen- oder
Klärkohle 325
Gewinnung der Kohle zur Be-
nutzung als Brennmaterial . . 328
Aufbereitung der Steinkohle . . 338
Verkokung der Braunkohle . . . 340
Verkohlung des Holzes .... 342
Die Verbindungen des Kohlenstoffs . 344
Kohlenstoff und Sauerstoff.
Kohlenoxyd 344
Kohlenoxysulfid 355
Kohlensäureanhydrid 356
Chlorkohlenoxyd (Phosgengas) . 361
Kohlenstoff und Schwefel . 362
Schwefelkohlenstoff-Industrie . . 364
Kohlenstoff und Wasserstoff 367
Cx Gruppe. Methyl Verbindungen . . 368
Methylwasserstoff, Methan . . . 368
Halogen - Sabstitutionspro-
ducte des Methans, Methyl-
chlorid, Chloroform, Bromoform,
Jodoform 368
Hydroxyl-Substitutionspro-
ducte des Methans .... 374
Methylalkohol, Holzgeist. Industrie
desselben 374
Oxydationsproducte desHolzgeistes,
Ameisensäure 377
Sulfo-Substitutionsproducte
desMethans, Methylmercaptan 378
Nitrogen-Substitutionspro-
ducte des Methans, Amine. 379
Cyangruppe. Blausäure in der
Industrie 380
Cyankalium,Cyanammonium, Cyan-
silber .. 383
Ferrocyankalium, Blutlaugensalz-
industrie 386
Cyan, Cyan in der Industrie . . 391
Nitrocyanmethyl (Knallsäure). In-
dustrie der Zündhütchen . . . 393
Oxydationsproducte der Blau-
säure. Cyansäure, Cyanursäure 395
Arsen- und phosphorhaltige
Derivate des Methans . . 396
Verbindungen des Methyls
mit Metallen 397
C2Gruppe. Aethyl Verbindungen . . 398
Aethylwasserstoff, Aethylen, Ace-
tylen 398
Halogenderivate des Aethans 400
Hydroxyl-Substitutionspro-
ducte des Aethans. Wein-
geistindustrie 404
Aether, Aethyläther-Industrie . . 409
Oxydationsproducte des Al-
kohols, Aldehyd. Verbindun-
dungen des Aldehyds mit Halo-
genen. Chloral, Bromal, Jodal 411
Inhalts -Verzeichniss.
IX
Seite
Essigsäure. Essigindustrie . . . 416
Holzessig 421
Dicarbonsäure des Aethans 422
Oxalsäure, Industrie desselben . 425
Sulfo-Substitutionsproducte
des Aethans 425
Nitrogen-Substitutionspro-
ducte des Aethans .... 428
C3 Gruppe. Propylverbindungen.
Propylwasserstoff, Propan . . ; 430
Halogen -Substit utionspro -
ductedesPropans. . . . 430
Oxydationsproductedeslso-
propylalkohols, Aceton, Es-
siggeist 431
Oxy dationsproduct des Pro-
pan s. Glycerin 433
AllyWerbindungen. Acrolein 434
Nitrogen- und Sulfo-Sub-
stitutionsproducte des Pro-
pans 435
C4 Gruppe. Butylverbindungen . . . 436
Butyhvasserstoff, Butylen . . . 436
Hy droxyl -Substit utionspro -
ducte des Butvlwasser-
stoffs ...."..... 436
Gährungs-Butylalkohol. Oxyda-
tionsproducte desselben . . . 436
Buttersäure 437
Bernstein-, Aepfel- und Weinsäure.
Crotonaldehyd u. Crotonchloral 438
C5Gruppe. Amylverbindungen . . . 439
Amvlwasserstoff, Amylen . . . 440
Halogen-Substitutionspro-
ducte 440
Hy droxyl -Substitutionspr o-
ducte. Amylalkohol, Industrie
desselben 441
Oxydations -Producte des
Amylalkohols. Amylaldehyd,
Baldriansäure 444
Sulfo- und Xitro gen-Substi-
tutionsproducte 446
C6 Gruppe. Hexyl Verbindungen . . 448
Oxydationsproducte. Capronsäure,
Citronensäure 448
Sechsatomiger Alkohol der Hexyl-
gruppe. Mannit. Kitromannit . 449
Cr, C8, C9, C10 Gruppe. Caprinsäure,
Palmitin-, Stearinsäure u. s.w. . . 450
Fette _ . 451
Oelindustrie. Firnissindustrie 451
Degras, Gerberfett. Fabrication
desselben 458
Talgindustrie. Wachsin-
dustrie. Bleichen des Palmöls. 458
Seifenindustrie. Harte, "weiche
Seifen. Besondere Arten der». 467
Stearinfabrieation. Stearin-
säurefabrication .... 471
Glycerin. Xitr-oglycerin-
industrie. Dynamit .... 481
Kohlehydrate 490
Zuckerindustrie. Trauben-
zuckerindustrie 491
Seite
Rohrzuckerindustrie 494
Yerwerthung derRunkelrübenrohr-
zueker-Melasse 404
Milchzuckei'industrie 508
Stärkemehlindustrie. Fabri-
cation aus Weizen, Kartoffeln
und Reis ........ 508
Dextrinindustrie. Gummi . . 515
Bierbrauerei 517
Die Biermaterialien und ihre Sur-
rogate 524
Der Ausschank des Bieres . 529
Die Pflanzenfaser 530
Cellulose, Nitrocellulose. Schiess-
baumwolle 530
Papierindustrie 533
Holz - und Strohzeugfabrication,
Papierzeugfabrication .... 534
Färben des Papiers 539
Tapetenfabrication 541
Baumwollindustrie . . . . 543
Leinenindustrie 550
Die Thierfaser 553
Wollindustrie 553
Seidenindustrie 561
Allgemeines über Beizen, Zeug-
druck und Färberei 565
Thierhänte 570
Gerberei. Lohgerberei . . . 571
Die Weissgerberei, Sämisch- oder
Oelgerberei 573
Conserriren der thierischen Häute 578
Thierisehe Abfälle 579
Das Haar und seine Bearbeitung 579
Das Hutmacher- Gewerbe . . . 580
Federn 582
Horngebilde 583
Darmsaitenfabrication 584
Leimindustrie 584
Die Knochen u. ihre Verwerthung 586
Die Poudrette-Fabrication . . . 589
Die Abdeckerei und die Behand-
lung der Thiercadaver .... 590
Gemenge von Kohlenwasserstoffen . 592
Photogen, Mineralöl, Sehieferöl . 592
Petroleum, Erdöl, Stein öl . . . 595
Kreosot 597
Leuchtgas 598
Darstellung der Dachpappe. Im-
prägniren des Holzes .... 603
Gewinnung der leichten und
schweren Theeröle 604
Die aromatischen Körper 606
Benzol, Nitrobenzol 606
Hy droxylderivate des Ben-
zols. Phenol, Phenylsäure . . 609
Phenolfarben 612
Nitroproducte des Phenols.
Pikrinsäure 613
Amidoderirate der Pikrin-
säure. Pikraminsäure . . . 617
Di- und Trihydroxylderivate
des Benzols. Oxypikrinsäure,
Pvros'allussäure 61S
Inhalts - Verzeiehniss.
Seite
A nii il oderi vat o des Benzols.
Anilin. Darstellung desselben . 622
Methylanilin, Diphonylamin, Di-
amidobenzol, Azo- und Diazo-
verbindungen 622
Toluol 623
Chlorderivate des Toluols.
Benzylchlorid 624
Nitro- und Hyd roxyl der i vat e
des Toluols. Kreosole, Ben-
zylalkohol, Benzoesäure . . . 624
A midoderi vate des Toluols.
T- »luidin 624
Anilinfarbenindustrie . . . 625
Anilinroth, Fuchsin, Industrie
Iben 626
Leukanilin, Geranosin oderAnüin-
ponceau 630
Anilinviolett. Triäthyl-, Tri-
methyl- und Triphenyianilin . 631
Anilinbla u. Triphenylrosanilin,
Tritolnylrosanilin ....
Grüne Farbstoffe Aldehyd-
grün, Jodgrün, Methylgrün . . 632
Gelbe F a rbsto ff e. Cnxysanilin,
Anilingelb, Anilinorange . . . 634
Braune, schwarze und graue
Farbstoffe
Auilinfarbenfabriken . . . 635
Xylol 638
Cümol 639
Cvmol 640
Naphtalin 640
Darstellung von Naphtalin . . . 641
Chlor- und Hydroxylderivate
des Naphtalin s 641
Bei te
Chinon-, Nitro- und Amido-
derivate des Naphtalin s . 642
Naphtalinindustrie 643
N;iphtalinfarben 644
Anthracen. Anthracenfabrieation . . 644
Alizarinindustrie 645
Picolinbasen . . . ■ • . . • . 646
Pyridin, Picolin, Lutidin, Collidin,
Parvolin. Chinolin, Leptidin,
Cryptidin, Pyrrol 647
Kanipher 648
Wirkung der Kamp herdämpfe . . 648
Aetherische Oele 648
Terpentinöl, Fichtenöl, Oleum
Cadini 648
Kautschuk 650
Kautschukfabrication Künstliche
Schleifsteine 650
Gntta-Percha 652
Reinigung desselben 653
Proteinkörper 653
Albumin und Casein 653
Alkaloide 655
Morphin, Strychnin, Nicotin . . 655
Tabaksindustrie 656
Silicium 659
Darstellung der Kieselsäure aus
dem Kieseiguhr 659
Kieselflusssäure 660
Glasindustrie 661
Wasserglas 664
Zinn 664
Gewinnung des Metalls .... 665
Zinnindustrie 665
Titan 668
Metalle.
Seite
Kalinm . . . • 669
Darstellung v. Kalium im Grossen.
Pottasche, Salpeterindustrie . . 669
Schiesspulver 670
Natrium 673
Kochsalz 673
Sodaindustrie 675
Silber ^ 680
Gewinnung des Silbers aus den
Erzen . 680 |
Silberindustrie 682
Calcium 684
Kalkbrennerei 684
Cementindustrie 686 I
Gipsbrennerei 687 i
Strontium
Strontiumnitrat, Rothfeuer . . . 688
Barium
Barytindustrie 68|
Magnesium 689
Magnesiummetall 690 i
Zink . ........... 690
Hüttenmännische Gewinnung von
Zink 691 i
Seite
Zinkiudustrie 695
Kadmium 696
Wirkung d.Kadmiumverbihdungen 696
Blei 697
Physiologische \Mrkung von Blei 697
Hüttenmännische Gewinnung von
Blei 701
Bleiindustrie 703
Bleiverbindungen. Bleiglätte,
Mennige, Bleiweiss 706
Bleizucker, Bleiessig u. Bleifarben 712
Kupfer 71?)
Hüttenmännische Gewinnung von
^ Kupfer 713
Kupferindustrie 716
Kupferverbindungen 727
Quecksilber 728
Physiologische Wirkung .... 728
Hüttenmännische Gewinnung des
Metalls 732
Quecksilberindustrie 736
Quecksilberverbindungen .... 739
Eisen 742
Inhalts -Verzeichniss.
XI
Seite I
Hüttenmännische Gewinnung des
Eisens. Gusseisen. Hohofen-
process
Darstellung des Schmiedeeisens
und Stahls
Stahl- und Eisenindustrie .
Ausarbeitung d. Metalle. Schleifen,
Schleiferkrankheit
Emailliren der Gusswaaren
Eisenverbindungen
Aluminium
Alaunindustrie
Fictilindustrie. Thon- und
Steinwaaren
Ultramarinindustrie
Chrom
Chromindustrie
Chromfarben ...."...
Mangan
Manganverbindungen
Nickel
743
747
749
751
755
756
757
758
759
766
767
768
774
774
775
775
Hüttenmännische Behandlung der
Nickel- und Kobalterze . . . 776
Nickelindustrie 719
Kobalt 779
Kobaltverbindungen 780
Kobaltfarben 781
Thallium 782
Technische Verwendung. Thallium-
oxvdul 782
Gold 782
Gewinnung von Gold 782
Goldindustrie 783
Platin 784
Gewinnung des Metalls. Legi-
rungen 784
Palladium 785
Iridium 785
Osmium 785
Molybdän .786
Wolfram 787
Uran 788
Schlussbetrachtung
Nachweis der Literatur nebst Erläuterungen
Alphabetisches Sachregister
789
807
902
Allgemeiner Theil.
Toute question d'hygiene est
aussi une question morale.
Einleitung.
Je mehr in den frühesten Zeiten das Jagd- und Nomadenleben dem Ackerbau
wich, desto mehr wurden die Menschen auf einen festen Wohnsitz angewiesen.
Erst der Ackerbau fesselte die Menschen an die Scholle -und centralisirte sie;
die weitere Folge davon war die ungleiche Vertheilung des Eigenthums, da Viele
einen Ueberschuss erzielten, dessen sie augenblicklich nicht bedurften. Sie tausch-
ten ihn deshalb gegen) andere Bedürfnisse oder gegen Grund und Boden aus. In
diesem Austausch liegt der Keim des Handels und der Industrie. Mit der Zu-
nahme der Bedürfnisse entstanden die verschiedenen Gewerbe und aus diesen
entwickelte sich immer mehr ein engeres Zusammenleben der Menschen. Dies
schuf Städte und Staaten. Je mehr die staatsbürgerliche Gesellschaft wuchs, desto
mehr bedurfte sie des Schutzes sowohl bezüglich des Besitzes als auch der eigenen
"Wohlfahrt. Schon bei den ältesten Völkern findet man Vorschriften und Gesetze,
welche sich auf die persönliche Freiheit, den Schutz des Eigenthums und die
leibliche Wohlfahrt beziehen. Die Assyrer, Babylonier, Aegypter, Phönizier,
Chinesen, Israeliten, Griechen und Römer waren schon mit den wichtigsten hygieni-
schen Grundsätzen bekannt und namentlich Moses kann als der Schöpfer der
öffentlichen Gesundheitspflege betrachtet werden. Welchen grossen Werth die
Römer auf ein gesundes und reines Trinkwasser legten, dafür sprechen noch die
Ueberreste ihrer bewunderungswürdigen Wasserleitungen. Die Unschädlichmachung
der Leichen, die Entfernung der Auswurfsstoffe und die Vorsichtsmassregeln bei
Epidemien kamen in mancher Beziehung bei den alten Völkern mehr zur Geltung
als jetzt. Bei dem geringen Umfange der Industrie konnten selbstverständlich
auch ihre nachtheiligen Einflüsse noch nicht zur Einwirkung gelangen, obgleich
bei den Phöniziern schon die Vorschrift bestand, dass die Purpurfärber nicht im
nächsten Bereiche menschlicher Wohnungen ihre Werkstätte errichten durften,
weil die Abfälle leicht in Fäulniss übergingen und die Luft verunreinigten.
In der Stadt Rom durften sich die Wäscher und Walker, welche sich des
gefaulten Urins bedienten, nicht ansiedeln ; sie mussten ihre Werkstätten entweder
in entlegenen Strassen oder vor den Thoren der Stadt errichten. Behufs Ausübung
ihres Gewerbes war es ihnen nur gestattet, an den Strassenecken Gefässe zur
Aufsammlung des Urins aufzustellen.
Eulenberg, Gewerbe -Hygiene. 1
2 Einleitung.
Mit den Fortschritten der Industrie steigerten sich auch die mannigfaltigen
Gefahren für die Gesundheit der Menschen. Zunächst musste rascher und reich-
licher producirt werden, weshalb das Sonnenlicht nicht mehr ausreichte. Es
musste die künstliche Beleuchtung hinzukommen, um die an die Industrie ge-
stellten Anforderungen zu befriedigen. Mit der künstlichen Beleuchtung trat aber
ein neuer schädlicher Factor ein, indem der nachtheilige Einfluss auf die Augen
und Respirationsorgane der Arbeiter nicht ausbleiben konnte. Erst mit den Fort-
schritten der Industrie wurde auch eine bessere künstliche Beleuchtung angebahnt
und man kann behaupten, dass der Grad der Vervollkommnung derselben gleichen
Schritt mit der Entwicklung der Industrie hielt. Andererseits spannte aber die
grössere Anstrengung und anhaltende Arbeit die Körperkräfte mehr ab, während
ein unzureichender Wechsel von Arbeit und Ruhe, das Zusammengedrängtsein in
engen und ungesunden Räumen etc. neue Uebel schuf.
Eine neue Epoche in der Industrie wird durch die Einführung der Dam p f-
kraft bezeichnet. Manche körperliche Anstrengung konnte jetzt die Dampfmaschine
übernehmen, wenn nicht andererseits die Gefahren des Maschinenbetriebes und
die Einförmigkeit der Arbeit, sowie die Manipulation mit giftigen Substanzen und
der Aufenthalt in Räumen mit extremen Temperaturen wiederum viele Schatten-
seiten hervorgerufen hätten.
Mit der Entwicklung der Mechanik gingen die Fortschritte der Chemie Hand
in Hand. Mit diesen wurden aber auch immer mehr Substanzen in den Kreis
der Industrie hineingezogen, welche bei der Verarbeitung oft grosse Gefahren für
die Gesundheit der Arbeiter in sich schlössen. In gleichem Masse machte sich
deshalb die Notwendigkeit geltend, diesen schädlichen Einflüssen entgegen zu
treten. Nicht bloss die Arbeiter und die Adjacenten der industriellen Etablisse-
ments waren vor den Nachtheilen der Fabricationsmethode zu schützen, sondern
auch die Erzeugnisse selbst enthielten oft Stoffe, welche bei der Benutzung nach-
theilig einwirken konnten. Gleichzeitig erforderte der Transport und die Auf-
bewahrung der Producte die nothwendigen Vorsichtsmassregeln.
Umfang der öffentlichen Gesundheitspflege.
Um aber alle Gefahren dieser Art kennen zu lernen, muss man sich mit
den Eigenschaften der in der Industrie vorkommenden Substanzen, sowie mit
ihrem Einfluss auf die menschliche Gesundheit bekannt machen. Die Chemie
muss den Nachweis liefern, von welcher Natur und Beschaffenheit diese Körper
sind, wo und in welcher "Weise ihre Benutzung stattfindet, während die Physio-
logie, Pathologie und Toxikologie ihre Wirkung auf den thierischen Orga-
nismus kennen lehrt. Das physiologische Experiment ist absolut erforderlich, um
die Wirkung der bekannten Stoffe immer genauer zu erforschen und über die
Wirkung neuer chemischer Verbindungen sich Klarheit zu verschaffen.
Ein Sanitätsbeamter, welcher die öffentliche Hygiene befördern will,
muss zunächst auch mit den Ursachen, welche in den verschiedenen Lagen des
Lebens die öffentliche Gesundheit schädigen, bekannt sein. In vielen Fällen ver-
mag er aber nur ein endgültiges Urtheil zu fällen, wenn er mit dem Gesammt-
gebiet der Naturwissenschaften vertraut ist und die verschiedensten Einflüsse zu
würdigen versteht, welche in chemischer, physicalischer oder physiologischer Be-
ziehung ihre Wirkung zu enfalten vermögen. Die verschiedenen Vorgänge über,
auf und in der Erde, die Wirkung des Lichts, der Luft, des Wassers und
Einleitung. 3
des Bodens, die Einwirkung der Pflanzenwelt und der niedrigsten Orga-
nismen etc. müssen die gehörige Berücksichtigung finden, da es sich bei den
meisten Untersuchungen zunächst um die allgemeinen Lebensbedingungen handelt}
welche selbst bei speciellen Erörterungen über den Einfluss der Industrie auf die
Arbeiter niemals ausser Acht zu lassen sind; denn ausserhalb der Sphäre seines
Berufes bleibt der Mensch stets Mensch und in der nothwendigen Betheiligung
an den allgemeinen Lebensbedingungen hört aller Unterschied auf.
Es gibt aber viele Einflüsse, vor deren nachtheiliger Einwirkung sich der
Einzelne nicht zu schützen vermag. Veranlasst eine Fabrik eine Menge von nach-
theiligen Dämpfen, welche eine ganze Umgegend zu beschädigen vermag, herrschen
epidemische Krankheiten, bei denen allgemeine Massregeln erforderlich sind, so
muss der Staat schützend einschreiten. Je mehr sich die Menschen centralisirten
und je grösser die Städte wurden, desto mehr wurde eine Medicinal-
und Sanitätspolizei erforderlich, d. h. eine Anleitung, wo und wie die Ver-
waltung die öffentliche Gesundheit vor allgemeinen Schädlichkeiten zu schützen
hat. Selbst in England, wo das öffentliche Gesundheitswesen der Selbstver-
waltung der Gemeinde anheimfällt, hat man einsehen gelernt, dass dieselbe
nicht für alle Fälle ausreicht, sondern dass häufig die Gesetzgebung ergänzend
eintreten muss, um die nöthige Sicherheit zu gewähren. Ist die Polizei eine
staatliche Einrichtung, wodurch der Staatsbürger bezüglich seiner Person und
seines Vermögens geschützt wird, wenn die Kraft des Einzelnen hierzu nicht aus-
reicht, so sorgt die Medicinalpolizei für den Schutz der Gesundheit und des
Lebens der Staatsbürger, wenn die individuelle Kraft die auf die Gesundheit und
das Leben schädlich einwirkenden Einflüsse weder zu verhüten noch aufzuheben
vermag.
So lange der Mensch als Individuum auftritt, ist er selbst verpflichtet, für
seine Gesundheit zu sorgen und schädliche Einflüsse von derselben abzuwehren.
Es entspricht nicht mehr dem Geiste unserer Zeit, wenn sich die Verwaltung um
Verhältnisse bekümmern soll, über welche der Mensch als Individuum gebieten
kann und soll. Wie er vernunftgemäss leben, sich kleiden, in die Ehe treten
soll etc., dafür hat er selbst zu sorgen.
Schon Zaekariae1) sagt: -Tausend Gefahren umlagern den Staat, umlagern die
einzelnen Menschen. Soll oder will die Polizei alle die Gefahren beseitigen oder
wenigstens möglichst unschädlich machen, so muss sie unausbleiblich zum Aeussersten
in der Knechtschaft führen; denn fast alle polizeilichen Massregeln sind unmittelbar oder
mittelbar zugleich Beschränkungen der äussern Freiheit der Unterthanen. Ueberdies,
je weiter eine Regierung ihre Polizeigewalt erstreckt, desto mehr überhebt sie die Unter-
thanen der Mühe, selbst für ihr Wohl zu sorgen, selbst wachsam, erfinderisch und wag-
haft zu sein. Ohnehin sind die Menschen zur Trägheit geneigt genug, als dass man
ihnen erst ein Ruhebett zu bereiten brauchte."
Anders verhält es sich, wenn der Mensch in den Verkehr des Gesammtlebens
hineintritt und ein Theil desselben wird. Hier treten schädliche Einflüsse auf,
welche er durch eigene Kenntniss nicht zu beurtheilen und durch eigene Kraft
nicht von sich abzuwehren vermag. Treten Menschen- und Thierseuchen auf,
wird die Luft verunreinigt, das Wasser verdorben, werden die Nahrungsmittel
verfälscht oder entwerthet, belästigen industrielle Etablissements ganze Gegenden,
so ist es die Pflicht der Verwaltung einzuschreiten, die Ursachen dieser Schäd-
lichkeiten aufzusuchen und zu vertilgen, da die Kraft des Einzelnen hierzu nicht
ausreicht. Je mehr aber die Einzelnen erkranken, desto mehr ist die allgemeine
Gesundheit gefährdet, weil diese nur „durch die durchschnittliche Höhe der
l*
4 Einleitung.
gesunden Kraft bei allen einzelnen Individuen getragen wird. Insofern diese durch-
schnittliche Höhe der gesunden Kraft und der Schutz derselben bei jedem Einzelnen
von den Einwirkungen abhängt, welche der Verkehr des Gesammtlebens für jeden
Einzelnen mit oder ohne seiuen Willen mit sich bringt, wird die allgemeine Ge-
sundheit zur öffentlichen Gesundheit." *) Das öffentliche Gesundheits-
wesen repräsentirt die Summe derjenigen Massregeln der Verwaltung, wodurch
die allgemeine Gesundheit gefördert, vor den Gefahren, welche aus dem Verkehr
des Gesammtlebens entstehen, geschützt und, wenn sie Schaden erlitten hat,
wieder hergestellt werden soll. Bis jetzt unterscheidet man Medicinal- und
Sanitätspolizei in der Weise, dass man unter Medicinalpolizei im engeren
Sinne die öffentliche Krankenpflege, das eigentliche Heilwesen, d. h. alle Mittel
zur Wiederherstellung des allgemeinen Gesundheitszustandes begreift,
unter Sanitätspolizei die Abhaltung der Krankheitsursachen und den
Schutz vor schädlichen und gefährlichen Einflüssen versteht. Beides, die Er-
haltung und Wiederherstellung der allgemeinen Gesundheit, gehört zur Aufgabe
des öffentlichen Gesundheitswesens. Die Principien der Medicinal- und
Sanitätspolizei sind stets dieselben. Ebenso fällt die öffentliche Gesundheits-
pflege (Hygiene), welche die allgemeine Gesundheit zu erhalten und zu fördern
hat, mit der Sanitätspolizei zusammen, weil durch den Schutz der Gesund-
heit (Sanitätspolizei) und die Förderung derselben (Gesundheitspflege) dasselbe
Ziel verfolgt wird. Mau kann nur insofern einen Unterschied zulassen, als die
Sanitätspolizei einen beschränkteren Wirkungskreis hat, sich hauptsächlich auf
die Abhaltung einzelner Gefahren beschränkt und ihre Thätigkeit nur zeitweilig
oder in aussergewöhnlichen Fällen eintreten lässt. Die öffentliche Gesund-
heitspflege soll dagegen eine regelmässige und ununterbrochene Ueberwachung der
Gesuudheits Verhältnisse und der dieselbe beeinträchtigenden Einflüsse bezwecken.
„Es ist noch nicht lange her", bemerkt schon J. P. Frank,3) „dass die medicinische
Polizei beinahe in allen Ländern sich mit nichts beschäftigte, als mit Klagen und ohn-
mächtigen Verwendungen gegen die Quacksalber und Afterärzte: höchstens wurde noch
in Pestzeiten auf Anstalten gedacht , wodurch man gewisse Vorkehrungen und Recepte
im Druck bekannt machte und Aerzten und Todtengräbern ihre Stelle und Verrichtung
anwies. In gesunden Zeiten, ich will sagen, wenn keine besondern Seuchen unter dem
Volke herrschten, war man wenig genug um die allgemeine Gesundheitspflege
bekümmert, gleich als wären es nur jene Krankheiten, welche die Provinzen entvölkerten,
und als wäre der Verlust für"s Vaterland nicht gleich, es sei, dass solches seine Bürger
nach Tausenden an einer und der nämlichen Seuche oder an so vielen besondern Krank-
heiten und Zuständen verlöre. Die vielen Unglücksfälle, welchen die Menschen in jedem
Gemeinwesen entweder durch eigene Unvorsichtigkeit oder durch das unbehutsame Ver-
fahren ihrer Mitbürger oder sonst durch gewisse heftig wirkende physische Ursachen
ausgesetzt werden, waren nirgends oder gewiss nur an wenigen Orten, wo die Vorsicht
einem thätigen Menschenfreunde das Leben und Wohl einer Gesellschaft anvertraut
hatte, der Gegenstand der obrigkeitlichen Aufsicht."
Man gelangt immer mehr zur Ueberzeugung, dass die Sorge für die allge-
meinen Lebensbedingungen, für hinreichendes Licht, gute Luft, reines Wasser
und unverfälschte Nahrungsmittel die Wohlfahrt eines Volkes am besten begründen.
Bezüglich der öffentlichen Gesundheit sind sich alle Stände gleich; denn auch
die höhern Stände sind nicht gesichert, wenn die niedern einen Krankheits-
herd für sie bilden, abgesehen davon, dass die Besitzenden zu doppelten Aus-
gaben veranlasst werden, wenn man nicht zeitig genug die Gesundheitsverhält-
nisse der niedern Stände berücksichtigt. Die Gesundheit ist stets das höchste Gut,
für den Arbeiter ist sie das Mittel zum Erwerben und für den Besitzenden ist
sie die Bedingung zum Genuss des Besitzes,
Einleitung. 5
Betrachtet man die Medicin vom jetzigen Standpunct der Wissenschaft, so
drängt Alles dahin, für sie nicht nur die Heilung, sondern auch die Prophylaxis von
Krankheiten zu vindiciren. Wenn auch jeder Arzt die letztere stets im Auge be-
halten muss, so erfordert doch die öffentliche Gesundheitspflege wegen ihres
grossen Umfanges besondere Organe, um sie in Wirksamkeit zu setzen. Man könnte
daher die Thätigkeit, welche die Medicin und gesammte Naturwissenschaft an der
Hand von polizeilichen oder gesetzlichen Anordnungen auf den Schutz vor
Krankheiten und die Pflege der öffentlichen Gesundheit applicirt, als Verwaltungs-
Medicin auffassen und zwar im Gegensatz zur Gerichts - Medicin, welche
die Anwendung der medicinischen Wissenschaft auf die Rechtspflege lehrt.
Die Gerichts- und Verwaltungs -Medicin würde somit den Umfang der
Thätigkeit derjenigen Medicinalbeamten bezeichnen, welche nach unsern staatlichen
Einrichtungen gewöhnlich beide Discipline repräsentiren. Aber schon jetzt macht
sich in grossen Städten das Bedürfniss geltend, die Verwaltungs -Medicin von
der Gerichts -Medicin zu trennen und die erstere besondern Beamten zuzuweisen,
um allen Anforderungen der öffentlichen Gesundheitspflege entsprechen zu können.
Das Gebiet derselben ist so umfangreich, dass es an der Zeit ist, einzelne Zweige
derselben einer besondern Untersuchung zu unterwerfen.
Wegen der grossartigen Fortschritte der Industrie und der damit ver-
bundenen jZunahme der schädlichen Einflüsse hat man bereits eine gewerb-
liche Sanitätspolizei unterschieden. Aber gerade die Gewerbe und die In-
dustrie erfordern nicht eine zeitweilige, sondern eine fortwährende Ueber-
wachung, welche als ein integrirender Theil der öffentlichen Gesundheitspflege
zu betrachten ist; es muss daher eine Gewerbe-Hygiene in's Leben treten.
Die Nachtheile vieler Fabricationen sind nicht nur den Arbeitern, sondern
auch oft. den Fabricanten selbst unbekannt, so dass die Nichtbeachtung derselben
die Gesundheit und das Leben vieler Menschen beständig gefährdet. Man braucht
in dieser Beziehung nur an die Manipulation mit den verschiedensten Giften und
die explosive Eigenschaft mancher Körper zu erinnern. Der erste Fabricant von
Zündhölzchen, Julien Leroy und sein Nachfolger Daguer Leroy, sind die Opfer
dieser Fabrication geworden, während der Fabricant Beilot in Prag das Augenlicht
dabei einbüsste. Und wie viele Menschen sind durch die Explosion von Dynamit-
Fabriken zu Grunde gegangen! Nicht nur der Maschinenbetrieb, sondern auch
die oft weit gefährlichere Einwirkung von Staub, Gasen und Dämpfen bedürfen
einer beständigen sanitären Beaufsichtigung, damit zur rechten Zeit die geeigneten
Präventiv- Mass regeln getroffen werden können.
Die Entwicklung der gewerblichen Gesundheitspflege in den verschiedenen Ländern.
Die öffentliche Gesundheitspflege in ihrer Anwendung auf die Gewerbe und
Industrie muss sich die Aufgabe stellen, die materielle Wohlfahrt unter der arbei-
tenden Classe immer mehr zu befördern und dadurch auch ihre sittliche Wohlfahrt
zu heben. Alle wichtigen Erfindungen und Neuerungen in der Industrie berühren
auch die öffentliche Gesundheitspflege und ihre Entwicklung muss gleichen Schritt
mit der der Industrie halten. Schon zur Zeit der Zünfte und Innungen bestand
eine Art von gewerblicher Sanitätspolizei, welche jedoch einen beschränkten Wir-
kungskreis hatte. Erst mit der Freiheit der Gewerbe trat die Aufforderung ge-
bieterisch heran, eine umfassendere sanitätspolizeiliche Beaufsichtigung zu be-
werkstelligen.
ß Einleitung.
Turgot (f 1781), Generalcontroleur der Finanzen unter Ludwig XVI., gab durch
sein berühmtes Februar-Edict von 1776 dem Zunftwesen den Todesstoss. ,,Indem Gott
dem Menschen Bedürfnisse gab", so beginnt dieses Edict, „und ihm die Hülfsquellen
der Arbeil anentbehrlich machte, hat er das Recht der Arbeit zum Eigenthum eines
jeden Menschen gemacht. Dieses Eigenthum ist das erste, heiligste und unverjiihrbarste.
Wir aber wollen deshalb diese willkührliehe Eigenschaft abschaffen, welche dem Dürf-
tigen nicht erlaubt, von seiner Hände Arbeit zu leben, welche den Wetteifer und die
Industrie vernichtet und die Talente derjenigen nutzlos macht, welche durch die Ver-
hältnisse vom Eintritt in eine Zunft ausgeschlossen werden."
Im April 1777 wurden die Arbeiter in ganz Frankreich für frei erklärt.
Leider wurden im Verlaufe der Zeit wieder neue Monopole unter andern Bedin-
gungen ertheilt und die frühern Missbräuche allmählig wieder hergestellt, bis
endlich die Revolution vom 4. August 1789 ein Machtwort sprach. Die Assemblee
Constituante verkündigte durch Decret vom 2. bis 17. März 1791: Es wird einem
Jeden freistehen, ein Geschäft zu machen oder ein Handwerk, eine Kunst oder
ein Gewerbe zu betreiben, wie er es für gut finden wird.
Was in Frankreich erst durch Blutvergiessen erreicht wurde, bahnte iu
England der grosse Nationalökonom Adam Smith durch seiue Lehrsätze an, bis
sich die Freiheit der Arbeiter immer mehr unter allen Culturvölkern verbreitete.
Wenn man von den Patentrechten abstrahirt, so besteht mit Ausnahme von
Amerika in keinem Lande eine so absolute Freiheit der Gewerbe wie in Eng-
land. Hier gilt der Grundsatz, nicht die geringste Beschränkung einer gewerb-
lichen Anlage entgegenzustellen. Man fragt nicht, wo und wie dieselbe errichtet
werden soll. Ob und inwiefern dieselbe mit Nachtheil verbunden, ist eine
Frage zweiter Linie, welche gewöhnlich erst durch die Erfahrung beantwortet
wird. In England war überhaupt die Gesundheitspflege bis zum Jahre 1848 keine
Angelegenheit der Regierung, was sich auch in der neuesten Zeit nicht wesent-
lich geändert hat. Grundsätzlich beschäftigt sich nur die Gemeinde, die Selbst-
verwaltung, mit dem Gesundheitswesen. Erst gefährliche Epidemien, wie die
Cholera, mussten auch hier endlich die Ueberzeugung verschaffen, dass die Selbst-
verwaltung vorzüglich wegen mangelhafter Beurtheilung der einwirkenden Schäd-
lichkeiten nicht überall ausreicht.
Die bisher gültigen Gesetze über Abzugscanäle, Wohnungs- und Bauver-
hältnisse wurden 1848 in die „Act for promoting the Public Health"
(11, 12 Vict. 63. 1848) aufgenommen, welche die Grundlage aller sanitärer Ver-
ordnungen bildet. Nur der Art. 64 beschäftigt sich mit den schädlichen und be-
lästigenden Fabriken. Neu hierbei war nur die Organisation der General und
Local Board of Health.
Ein Orts-Gesundheitsrath (Local Board of Health) wird von grössern
und volkreichen Ortschaften gebildet, wenn entweder ein Zehntel der Steuerzahler
es verlangt oder die Mortalitätsziffer 23 pro Mille übersteigt. Ein Central-
Gesundheits-Amt (General Board of Health) bildet die gerichtliche Instanz
bei Beschwerden und ist ermächtigt, durch Inspectoren Untersuchungen über den
Gesundheitszustand der Orte und Städte anstellen zu lassen. Die Erfahrung lehrte
aber bald, dass diese Organisation nicht ausreichte und manche Gemeinde es
scheute, die Kosten für die Bildung eines Local Board of Health zu bestreiten.
Der Staat musste sich deshalb ins Mittel legen und so entstand statt des General
Board of Health durch Verordnung vom 2. August 1858 (The Public Health Act
Amendement. 21 u. 22. Vict. C. 97.) das Privy Council, eine Art von mi-
nisteriellem Departement, ein königl. Geheimer Gesundheitsrath. welcher
Einleitung. 7
aber nur dann einschreitet, wenn die Local Boards of Health ihre Pflicht ver-
säumen. Er bildet somit gleichsam eine höhere Instanz in Sachen der Hygiene,
erlässt aber auch bei gemeingefährlichen Zuständen, bei Epidemien etc. besondere
Verordnungen, Ordresin Council (Königl. Verordnungen4).
Bei Beschwerden, welche durch gewerbliche Anlagen veranlasst werden,
entscheidet niemals die Polizeibehörde, sondern jedem Einzelnen bleibt es über-
lassen, seine Klagen über Belästigungen vorzubringen. In dieser Beziehung be-
stimmt Nuisances Removal Act vom 14. August 1855 (18, 19. Vict. 27),
welche an die Stelle der im Jahre 1848 publicirten „Nuisances Removal and Diseases
Prevention Act" trat, Folgendes:
„Wenn eine Lickterfabrik, Schmelzhütte, ein Schnielzplatz, eine Seifensiederei, ein
Schlachthaus, ein Gebäude oder Platz, welche zum Kochen von Abfällen oder Blut, zum
Kochen, Brennen oder Stampfen von Knochen, oder eine Fabrik, ein Gebäude oder Platz,
welche zu einem Handwerk, Gewerbe, Betriebe (process) oder zur Fabrication benützt wer-
den, zu irgend einer Zeit von einem Gesundheitsbeamten oder zwei qualificirten jDraktischen
Aerzten der Localbehörde als durch ihre Exhalationen (effluvia) schädlich oder belästigend
für die Gesundheit der Nachbarschaft bezeichnet wird, so soll die Localbehörde (the local
authority) direct vor einem Richter Klage erheben, welcher vor zweien in kleiner Sitzung in
ihrem gewöhnlichen Sitzungslocal versammelten Richtern die Person vorladen soll, durch
welche oder für deren Rechnung (behalf) die Arbeit, über welche man sich beklagt, betrieben
wird, und sollen solche Richter die Klage untersuchen, und wenn solchen Richtern es scheint,
dass das Gewerbe oder Geschäft, welches durch die verklagte Person betrieben wird, für die
Gesundheit der Einwohner der Nachbarschaft schädliche oder belästigende Exhalationen
verursacht, und dass eine solche Person nicht die zweckmässigsten Mittel zur Abhülfe
solcher Schädlichkeit oder zur Vorbeugung und Verhütung solcher Exhalationen ange-
wendet hat, so soll eine so sich vergehende Person (sei es der Eigenthümer oder Be-
wohner (occupier) der Gebäude, sei es der Meister oder eine andere Person, welche von
dem Eigenthümer oder Pächter beschäftigt wird) aivf die summarische Ueb erfuhr ung
eines solchen Vergehens hin in eine Summe von höchstens 5 Pfund und mindestens
40 Schillinge und für die zweite Contravention in die Summe von 100 Pfund und für jede
folgende Contravention in eine doppelt so grosse Strafe, wie die vorhergehende war,
verfallen; immer vorausgesetzt, dass die Richter ihr Endurtheil in jedem solchen Falle
unter der Bedingung verschieben können, dass die verklagte Person innerhalb einer
angemessenen Zeit (within a reasonable time) diejenigen Mittel anwenden wird, welche
die gedachten Richter für praktisch halten und auszuführen befehlen, um eine solche
Schädlichkeit aufzuheben oder die belästigenden Wirkungen solcher Ausströmungen zu
massigen oder zu verhüten, oder dass sie (die verklagte Person) in der durch diesen
Act vorgeschriebenen Weise Appell einlegen oder sich protokollarisch verpflichten wird,
einen solchen Appell zu versuchen und demgemässs appelliren wird, immer vorausge-
setzt, dass die im Vorstehenden enthaltenen Verfügungen sich nicht ausdehnen und nicht
anwendbar sein sollen auf einen Platz, welcher ausserhalb der Grenze einer grossen
oder kleinen Stadt oder eines bevölkerten Districts liegt."5)
Dieses Gesetz, welches die Belästigungen und Nachtheile der Gewerbe her-
vorhebt, ist viel zu allgemein gehalten. Die Aufzählung der Gewerbe ist höchst
unvollkommen: die Ausdrücke: Handwerk, Gewerbe, Betrieb oder Fabrik geben
keine hinreichende Definition und, was die Hauptsache ist, es bleibt dem indivi-
duellen Ermessen der Richter, welche gewiss keine Sachverständigen sind, anheim-
gegeben, ein endgültiges Urtheil auszusprechen. Ehe es aber zu einem solchen
Urtheil kommt, bleiben dem Verklagten noch viele Mittel und Wege offen, den
Process weit hinauszuschieben. Auch soll es häufig in England vorkommen,
dass man in denselben Localitäten neben den gemassregelten Gewerben viel
schädlichere Fabricationen, welche keiner Verordnung unterworfen sind, antrifft.
Andererseits liegen häufig so viele Fabriken in einem kleinen Bezirk zusammen,
dass die Entscheidung höchst schwierig ist, wo die Quelle der schädlichen und
belästigenden Einflüsse aufzusuchen und zu finden ist. Gerade in solchen Fällen
bleibt der Recurs der Nachbarschaft ohne Folge, weil es fast unmöglich ist, fest-
8 Einleitung.
zustellen, welche Fabrik den meisten Schaden zufügt, abgesehen davon, dass
die Strenge der verschiedenen Localbehürden eine sehr verschiedene ist, wes-
halb es oft vorkommt, dass dieselben Gewerbe, welche an gewissen Orten sehr
gehemmt sind, an anderen wenig oder gar nicht beschränkt werden. Ausserdem
hat man alle Ursache, die bedeutenden Processkosten zu scheuen, da es sich ge-
wöhnlich um Processe handelt, deren Ausgang gar nicht zu übersehen ist. In
England muss man sich deshalb au manche Belästigungen gewöhnen und jedesmal
genau erwägen, ob die Erhebung einer Klage Erfolg verspricht.
Für die in England geltenden Grundsätze ist der Art. 18 der Nuisances
Removal Act noch besonders charakteristisch, da nach demselben nur unter ge-
wissen Bedingungen das Recht ertheilt wird, schädliche Etablissements zu be-
suchen, weil das Gesetz im höchsten Grade die Unabhängigkeit des Privateigen-
thums berücksichtigt und nur unter vielen Schwierigkeiten den Zutritt zu
denselben gestattet. Wenn die Ortsbehörde glaubt, bestimmt annehmen zu müssen,
dass auf einem Privatgrundstück eine Ursache der Belästigung sich vorfindet, so
darf sie oder einer ihrer Beamten verlangen, zwischen 9 Uhr des Morgens und
6 Uhr des Abends zur Besichtigung des besagten Grundstückes zugelassen zu wer-
den. Wurde die Zulassung nicht bewilligt, so konnte jeder die Gerichtsbarkeit
des Ortes vertretende Richter, wenn die Annahme einer Ursache der Belästigung
vor ihm durch einen Eid erhärtet worden, die Person, welche das Grundstück
beaufsichtigt, auffordern, die Localbehörde oder ihren Beamten zuzulassen. Die
Beschränkung der Eintrittsstunde ist seit dem Jahre 1862 weggefallen, da seit
dieser Zeit vom Handelsministerium ressortirende Regierungs-Inspectoren
(Inspectors of Factories) angestellt worden, welche zu jeder Stunde des Tages
und der Nacht ohne vorhergehende Anmeldung die Fabriken zu besuchen befugt
sind. Die Aufmerksamkeit dieser Inspectoreu, welche keine eigentlichen Sachver-
ständige sind, richtet sich aber hauptsächlich auf die Prüfung der zum Schutze der
Arbeiter vor Verletzungen durch Maschinen getroffenen Einrichtungen. Auch die
Controle der Arbeitsstunden und die Aufrechthaltung der Vorschriften bezüglich
des Alters der vorhandenen Kinder liegt ihnen ob, wohingegen die eigentliche
sanitäre Fürsorge in Betreff anderer schädlicher Einflüsse sie nicht beschäftigt.
In Kohlenbergwerken wurde der Beförderungs-Maschine, der Beleuchtung,
der Instandhaltung der Grubenwerke (Act for inspection of examiner in Great
Britain vom 14. August 1850), sowie der Ventilation, Zimmerung etc. (23 u. 24
Vict. c. 151. 1860) eine grössere Aufmerksamkeit gewidmet. Die weitein be-
züglichen Verordnungen fanden einstweilen in der „Coal Mines Regulation
Act vom Jahre 1872" ihren Abschluss.
Die Beaufsichtigung chemischer Fabriken, „The alkali works Regu-
lation Act vom Jahre 1863", (26 u. 27 Vict. c. 124) wurde vorzüglich durch Lord
Derby veranlasst, nachdem die sauern Dämpfe der Sodafabriken und metallurgi-
schen Processe grosse Verwüstungen angerichtet und fast alle Vegetation in der
nächsten Umgebung solcher Anstalten vernichtet hatte. St. Helene, Newton und
Swansea sind noch immer beredte Zeugen für diese Thatsachen, obgleich vorge-
schrieben worden, dass eine Condensation der Salzsäure bei der Sodafabrication
auf mindestens 95 % der aus den Oefen hervorgehenden Quantität stattfinden
sollte. Uebrigens hat ein Inspector sämmtlicher Alkali-Works die betreffenden
Anstalten selbst zu untersuchen oder durch einen Unterinspector untersuchen zu
Einleitung. 9
lassen. Die ßesorgniss, durch sanitäre Massnahmen störend in den Betrieb zu
wirken, lässt jedoch viele Unzuträglichkeiten zu.
Ebenso verhält es sich mit der „Smoke Nuisance Abatement Act" vom
1. August 1854, wonach jede in der Hauptstadt bei den verschiedenen Fabriken
angewendete oder anzuwendende Feuerung derart construirt sein muss, dass der
aus einer solchen Feuerung hervorgehende Russ durch dieselbe verzehrt oder ver-
branntwerden soll. In Wirklichkeit kommt nämlich das ganze Gesetz erst zur Sprache,
wenn eine Klage wegen Belästigung durch Russ erhoben wird. Auch überlässt das
allgemeine Gesetz der Localbehörde einen weiten Spielraum, innerhalb dessen sie für
die vorhandene Industrie Ausnahmen gewährt. Auf solche Weise gestattet z.B. Art. 45
der Local Governement Act vom 2. August 1858 (21 u. 22 Vict. c. 98), nach-
dem er den Art. 58 der Towns Improvement Clauses Act vom 21. Juni 1847
(10 u. 11 Vict. c. 34) wieder in Erinnerung gebracht und incorporirt hat, Ausnahmen
Unter der Beschränkung, dass die oben erwähnten Anordnungen bezüglich des
Verbotes der Russerzeugung nicht so weit gehen sollen, die Verbrennung des ganzen
Russes bei allen und einigen der folgenden Fabi'iken zu bewirken, nämlich bei der
Koksfabrik, beim Calciniren des Eisenerzes oder Kalksteins, bei der Fabrication von
Ziegeln, Töpferwaaren, künstlichen Steinen, Dachziegeln, Röhren, beim Zugutemachen
von Erzen oder Mineralien, beim Schmelzen der Eisenerze, beim Raffiniren, Puddeln
und Walzen des Eisens und anderer Metalle, beim Schmelzen des Roheisens oder bei
der Glasfabrication und zwar in jedem District, in welchem die Verordnungen der be-
sagten Act (der Towns Improvement clauses Act) bezüglich des Verbotes der Russ-
erzeugung noch nicht in Kraft sind und in welchem die Ortsbehörde entscheiden wird,
ob eine oder mehrere dieser Operationen in Bezug auf die Nichtverbrennung des ganzen
Russes während einer durch dieselbe Entscheidung bestimmten Frist strafbar sein soll,
welche Frist nicht 10 Jahre überschreiten darf, aber auf einen gleichen oder kürzeren
Zeitraum erneuert werden kann, wenn die Localbehörde es für passend erklärt.
Die Belästigungen durch Fabrikanlagen müssen schon einen sehr bedeuten-
den Grad erreicht haben, ehe man es in England wagen darf, den Rechtsweg zu
beschreiten. Auch die Beschädigung der Arbeiter durch Staub, schädliche Gase
etc. hat noch nicht die nothwendige Berücksichtigung gefunden. Bisher hat eigent-
lich nur die Textil-Industrie in sanitärer Beziehung namentlich durch die Ein-
theilung der Arbeitszeit wirkliche Erfolge, welche auf andern Gebieten von gleicher
Wichtigkeit sind, erreicht.
Der Fictil-Industrie wendete man erst die öffentliche Aufmerksamkeit
zu, nachdem man namentlich in den Töpfereidistricten von Staffordshire in
Folge der langen Arbeit in den heissen und schlecht oder gar nicht ventilirten
Trockenstuben und des Einathmens des zum Poliren gebrauchten Kieselstaubes,
sowie der Einwirkung der hierzu benutzten metallischen Lösungen sehr ungünstige
Gesundheitsverhältnisse angetroffen hatte. Alle hierauf Bezug nehmende Fabrik-
gesetze, Factory Acts Exclusion Acts vom Jahre 1864, 1867 mit ihrem
Nachtrag vom 9. August 1870: „Factory and Workshops Act" beschäftigen
sich aber hauptsächlich nur mit der Arbeitszeit von unerwachsenen Personen und
Frauen, obgleich auch von Ventilations-Vorrichtungen, welche in mit Staub an-
gefüllten Localen zu errichten sind, die Rede ist. Durch die „Local Governe-
ment Board Act vom 14. August 1871" (34 u. 35 Vict. c. 70) und die „Act to
amend the Law relating to Public Health" vom 10. August 1872 (35 u.
36 Vict. c. 79) wurde ein neues Ministerium für Armenweseu, öffentliche Ge-
sundheitspflege und Ortsverwaltung geschaffen und dabei England in städtische
und ländliche Sanitäts-Districte eingetheilt. Dem „Local Governement Board"
werden als sanitärer Centralbehörde die Genehmigung von Anleihen der
1 q Einleitung.
Orts- Sanitätsbehörde, die Beaufsichtigung der öffentlichen Strassen, die Er-
nennung und Entlassung von Analytikern zur Ausführung des Gesetzes gegen Ver-
fälschung der Nahrongsmittel und Getränke, die bisherigen Befugnisse des Mini-
steriums des Innern, sowie die bisher vom Handelsministerium ressortirende
sanitäre üeberwachung der Fabriken und der Londoner Wasserwerke
übertragen.
Bei der speciell die Industrie betreffendes englischen Gesetzgebung fällt
aber bezüglich der sanitären Verordnungen, welche meistens für Schottland und
Irland keine Geltung haben, stets das Unsystematische auf. Die vielfachen Clausein
entkräften die Principieu der Gesetzgebung und macheu manche Verordnung ganz
illusorisch. Selbst Verordnungen, welche durch königliche Decrete und Parlameuts-
Acte eiue besondere Kraft erhalten, verlieren dadurch ihre Bedeutung, dass es
nur die Localbehörde ist, welcher die Abfassung und Ausführung derselben zu-
steht. Da nun die Beurtheilung und Streuge der Behörden eiue sehr verschiedene
ist, so muss sich auch nothwendigerweise eine grosse Ungleichheit der Verord-
nungen uud Bestimmungen ergeben. Jedenfalls haben wir noch keine Veranlas-
sung, England bezüglich der Gewerbe-Hygiene als Musterstaat aufzustellen.
Unterwirft man die vollständige Freiheit bei der Errichtung von industriellen
Etablissements, d. h. das concessionslose Verfahren, eiuer nähern Erwägung,
so wird man seine bedeutenden Schattenseiten nicht verkenneu. Wenn nicht schon
bei der Anlage einer Fabrik die sanitären Anordnungen controlirt werden, so
ist es in den meisten Fällen unmöglich, während des spätem Betriebes das Ver-
säumte nachzuholen. Bei einer ursprünglich schlechten Anlage bleiben alle spätem
Verbesserungen unvollkommen. Wie beim Bau eines Hauses schon beim Entwerfen
des Bauplaus die verschiedenen individuellen Bedürfnisse zu berücksichtigen sind,
so ist es bei der Anlage einer Fabrik um so notwendiger, gleich von vornherein
die baulichen Einrichtungen, die Coustruction der Apparate und alle sonstigen Vor-
kehrungen dem spätem Betriebe genau anzupassen, da alle nachträglichen Ver-
besserungen besonders dem sanitären Zwecke selten vollkommen entsprechen.
Dieser verdient aber dieselbe Berücksichtigung wie die F'abricationsraethode, denn
die Arbeiter solleu nicht als Werkzeuge, deren Abnutzung uud Zerstörung gleich-
gültig ist, betrachtet werden. Auch ökonomische Gründe sollen nicht über Ein-
richtungen, welche das Wohl der Arbeiter erfordert, entscheiden, damit nicht
Gesundheit und Leben eiuer gewissenlosen Sparsamkeit zum Opfer fallen. Bei
der gegenwärtigen Production, welche nicht nur vielseitiger, sondern auch in
mancher Beziehung gefährlicher geworden ist, erscheint es um so notwendiger,
dass der Staat die Controle übernimmt uud durch ein geregeltes Concessions-
verfahreu die Arbeiter vor Beschädigung ihrer Gesundheit und die Anwohner
vor grosser Belästigung schützt. Das Concessionswesen bietet überhaupt die Mittel
dar, sowohl den Interessen der Industriellen als den der Arbeiter und Adjacenten
gerecht zu werden, wenu bei den betreffenden Untersuchungen mit S ach kenn t-
niss verfahren wird.
In Frankreich bestimmte das Decret vom 2.— 17. März 1791, dass die
Gewerbe, obgleich sie an und für sich frei wären, die bestehenden und noch zu
erlassenden polizeilichen Vorschriften zu beachten hätten. Die Ordonnanz vom
12. Februar 1801 berücksichtigte die Industrie specieller, jedoch weniger bezüg-
lich der Gesundheitsverhältnisse, als des Beschwerdeverfahrens de commodo et
incommodo. Unterm 15. October 1810 erschien alsdann das Decret über die
Einleitung. 1 1
Etablissements insalubres et incoramodes, welches als die Grundlage des ge-
werblichen Concessionsrechts anzusehen ist. Die leitenden Bestimmungen
für das Concessionsverfahreu enthält die Ordonnauz vom 14. Januar 1815, während
das Decret vom 23. März 1832 die Competenzen und den Beschwerdezug ver-
ordneten. Dabei wurden die Gewerbe bezüglich ihrer Gefährlichkeit und Be-
lästigung classificirt.
Nach den Decreten vom 15. October 1810, vom 25. März 1852 und vom
31. November 1866 werden die gefährlichen, gesundheitsnachtheiligen
und lästigen Etablissements in 3 Classen getheilt. Die 1. C lasse umfasst die-
jenigen, welche entfernt von Wohnhäusern stehen müssen, die 2. Classe diejenigen,
welche nicht unbedingt entfernt von Wohnhäusern zu stehen brauchen, deren
Errichtung aber nur gestattet werden darf, nachdem man die Ueberzeugung ge-
wonnen hat, dass die darin betriebenen Arbeiten so ausgeführt werden, dass sie
die Eigenthümer der Nachbargrundstücke weder belästigen, noch ihnen Schaden zu-
fügen. Die 3. Classe umfasst diejenigen Etablissements, deren Errichtung ohne
Beanstandung neben Wohnhäusern gestattet ist, welche aber der Beaufsichtigung
durch die Polizeibehörde unterworfen bleiben.6)
Jede Classification der Fabriken hat ihr Bedenken und ist auch insofern
unthunlich, als mit dem Fortschritt der Technologie sich theils die Darstellungs-
methoden ändern, theils aber auch zur Verwerthung der Nebenproducte häufig
Zweigfabricationen nothwendig werden, welche oft dieselbe, wenn nicht eine noch
grössere sanitäre Wichtigkeit haben. Eine Ergänzung der Namenregister im
Verlaufe von mehreren Jahren reicht nicht aus, da sie fast jährlich erforderlich
wird. Auch ist die Eintheilung der Etablissements nach den Graden ihrer Gefähr-
lichkeit und Belästigung weder exact und richtig, noch streng durchzuführen. So
hat man z. B. die Arsensäure-Fabrication mittels arseniger Säure und Salpeter-
säure in die 1. Classe gesetzt, wenn die Dämpfe nicht absorbirt werden; ge-
schieht letzteres, so soll die Fabrication zur 2. Classe gehören. Sie gehört aber
in jedem Falle zur 1. Classe, da sie stets mit der Entwicklung eines giftigen
Staubes verbunden ist. Die Chlor- und Chlorkalk-Fabrication hat man
in die 2. Classe gesetzt, obgleich sie unbedingt zur 1. gehört. Die Mennige-
fabrication, welche ebenfalls unbedingt zur 1. Classe gehört, hat man sogar
der 3. Classe zugereiht.
Häufig hat man mehr die Schädlichkeit oder Gefährlichkeit des zu erzielenden
Productes, als die Unzuträglichkeiten, welche während der Fabrication auftreten,
berücksichtigt. Bekanntlich können aber an und für sich unschädliche Substanzen
bei ihrer Darstellung nicht nur belästigend, sondern auch nachtheilig einwirken.
Betrachtet man z. B. die Fabrication von schwefelsaurem Eisenoxydul, welche
in die 3. Classe gesetzt worden ist, so ist das zu erzielende Product allerdings
keine giftige Substanz, aber die bei der Darstellung desselben auftretenden höchst
giftigen und gefährlichen Gase und Dämpfe gebieten es dringend, dass diese
Fabrication in die 1. Classe gesetzt wird, vorausgesetzt, dass die Fabrication in
einer Lösung von metallischem Eisen in verdünnter Schwefelsäure besteht. Die
dabei auftretenden übelriechenden Kohlenwasserstoffe veranlassen nicht nur
eine grosse Belästigung, sondern das sich gleichzeitig etwa entwickelnde Schwefel-,
Phosphor- und Arsen wasserstoffgas ist für die Gesundheit der Arbeiter
und Nachbarn höchst gefährlich. Ferner vereinigen grossartige Fabrikanlagen die
verschiedensten Fabricationen in sich, so dass man nicht selten alle 3 Classen
12 Einleitung.
vod Fabriken vereinigt fiudet. Ausserdem lässt sich das Belästigende und Schäd-
liche nicht immer genau von einander trennen. Alles was beständig belästigt, muss
auch schliesslich schädlich einwirken.
Das Gute, welches wir Frankreich verdanken, besteht in dem Concessions-
v erfahren; denn die staatliche Ueberwaehung der Industrie durch Ertheiluug
der betreffenden Concession zu einem Betriebe schliesst sowohl für die Industrie,
als für die Nachbarschaft der betreffenden Fabriken viele Vortheile und Sicher-
stelluugen in sich. Der Staat schützt einerseits die Industriellen durch Erthei-
luug der Concession vor willkürlichen Chicaneu der Nachbarschaft, indem er den
Betrieb gleichsam sanctiouift, während andererseits die Nachbarschaft der Fabriken
zeitig genug auf die möglichen Nachtheile aufmerksam gemacht wird, welche für
sie durch den Betrieb einer Fabrik entstehen können. Mau hat vielfach den
schleppenden Gang der Verhandlungen, welcher mit dem Coucessionsverfahreu
verbunden ist, für ein Hinderuiss im industriellen Leben erklärt. Dieser Vor-
wurf trifft aber iu den meisten Fällen weniger die Behörde als den Coucessionär
selbst, namentlich wenn nur höchst unvollkommene Beschreibungen des zu-
künftigen Betriebes geliefert, keine erläuternden Zeichnungen hinzugefügt, die
Erfordernisse der Gesetzgebung ausser Acht gelassen oder häufig Manipulationen
und die dadurch bedingten Uebelstäude verheimlicht werden. Durch die hier-
aus nothwendig entstehenden nachträglichen Erläuterungen erwächst nur Zeit-
verlust und Aufchul) des Betriebes. Wenn der Coucessionär selbst kein Sach-
verständiger ist, so muss er zeitig genug die betreffenden Techniker zu Rathe
ziehen, um desto schneller zum Ziele zu gelangen. Die Verwaltung darf höchstens
auf diejenigen Puucte aufmerksam machen, welche einer sorgfältigen Erledigung
bedürfen; in specielle Angaben kann und darf sie sich nicht einlassen, weil sie
sonst auch für die Folgen verantwortlich bleibt, wenn die Vorschläge sich in der
Praxis uicht bewähren sollten.
Das französische Concessiousverfahren findet sich gegenwärtig unter gewissen
Modalitäten unter den wichtigsten Culturvölkern verbreitet. Die Gesundheits-
räthe (Consuls d'hygiene publique), welche für ganz Frankreich seit 1848
eingerichtet siud, sollen auch die gesundheitlichen Verhältnisse in Werkstätten
überwachen, lassen aber, wie die Sauitätscommissioneu iu Preussen, bezüglich
ihrer Wirksamkeit noch Vieles zu wünschen übrig. Das Comite consultatif
d'hygiene de France scheint eine der wissenschaftlichen Deputation für das
Medicinalwesen iu Preussen ähnliche Stellung einzunehmen und zwar dem
.Ministerium des Innern gegenüber.
In Belgien wird das Concessiousverfahren nur mit dem Unterschiede ge-
handhabt, dass die selbstständigen Organe der Selbstverwaltung, die Bürgermeister
uud uicht das Amt, die Concession bewilligen. Das belgische Gesetz vom
12. November 1849 unterscheidet Etablissements dangereux, insalubres et iu-
commodes. Das Gefährliche bezieht sich auf die Möglichkeit von Feuersbrünsten,
Explosionen, Niederschlägen etc., das Ungesunde auf schädliche Dünste, feste
oder flüssige Abfälle, das Belästigende auf vielen Staub, Kohlenrauch, heftige
Geräusche, unangenehme Gerüche etc.
Auch iu Holland verleiht der Bürgermeister die Concession, aber auf
Gruudlage eines Gemeindebeschlusses. Ueberhaupt schliesst sich das System des
Gesundheitswesens in beideu Ländern mehr dem englischen an. Auch in Belgien
und Holland enthält sich die Regierung jedes unmittelbaren Eingriffes und nur
EinleituBg. 13
die Gemeinden repräsentiren die innere Verwaltung, obgleich sieb, auch bier das
Bedürfniss beransgestellt bat, für wichtige Gegenstände der Sanitätspobzei. z. B.
für Quarantaine und Begräbnisswesen, allgemeine Gesetze zu erlassen und der
Selbstverwaltung eine staatliche zur Seite zu stellen. In Holland bat das Gesetz
vom 1. Juni 1865 eine Organisation der staatlichen Verwaltung an die Spitze
der örtlichen Gemeindeverwaltungen gesetzt. Unter demselben Datum sind vier
Gesetze erlassen worden, von denen sich drei nur mit dem Medicinalwesen be-
schäftigen, während das Gesetz über die Organisation der Gesundheitsverwaltung
die Oberaufsicht des Staates über die übrigens selbstthätige Gemeindeverwaltung
regelt. 7)
Obgleich in Belgien die Gesundheitspolizei stets noch ihren communalen
Charakter bebalten hat, so erkennt man doch immer mehr das Recht und die
Pflicht des Staates an, bei wichtigen Fragen der Sanitatspolizei seihst tbätig ein-
zugreifen. Das Reglement vom 26. März 1842 hat die Academie demedecine
als höchst berathende Behörde eingesetzt, während die provinziellen Commissions
de sante. welche vom Könige ernannt werden, örtlich berathende Behörden
sind und zugleich auch das Recht der Praxis für Specialzweige der Heilkunde
ertheilen (Gesetz vom 12. März 1818). Seit 1848 (Arr. vom 12. December 1848)
sind überall Comites locaux de salubrite eingesetzt worden, welche alle sani-
tätspolizeilichen Interessen verhandeln und auch die Gewerbesanitätspolizei berück-
sichtigen. Dem Ministerium des Innern ist die gesammte Gesundheitspflege unter-
geordnet. Dasselbe lässt durch einen Inspector general eine noch nicht genau
formulirte Aufsicht führen; er ist vernichtet, Bericht zu erstatten und Vorschläge
zu machen (Arr. vom 18. Sept. 1845).
In Italien ressortirt die öffentliche Gesundheitspflege ebenfalls vom Mini-
sterium des Innern, nachdem das Regulativ vom 8. Juni 1865 durch das Gesetz
vom 24. November 1870 eine grössere Ausdehnung erhalten hat. Als ausübende
Behörden fungiren im Ministerium der Obergesundheitsrath. bei den Prä-
fecturen die Provinzial-Gesundheitsräthe und bei den Unterpräfecturen die
Bezirks-Gesundheitsräthe.
Auch in Amerika gibt sich das regste Interesse für Gesundheitspflege kund.
Einstweilen hat New-York die Initiative in diesem Gebiete ergriffen. Unterm
19. Februar 1866 ist nämlich für diese Stadt ein Gesundheitsgesetz (Metro-
politan-Health-Bill) erlassen worden, welches 1) die Einrichtung eines Stadt-
Gesundbeitsdistrictes nach der Zahl der Polizeirayons und 2) die Einsetzung
einer Gesundheitsbehörde für jeden dieser Districte bestimmt. Letztere ist
zusammengesetzt aus 4 Polizeicommissären, dem Hafen-Gesundheitsbeamten und
4 Gesundheitscommissären, wovon 3 Aerzte sein müssen. Die Oberleitung führt
ein Gesundheits-Superintendent nebst 2 Assistenten. Jede Behörde (Board)
ernennt noch 15 Districts-Inspectoren. von denen 10 erfahrene und mit dem be-
treffenden Districte vertraute Aerzte sein müssen. Ein Gesundheits-Ingenieur
prüft ausserdem noch alle Vorschläge, überwacht die verschiedenen Locabtäten
und hat der Behörde bezügliche Gutachten abzuliefern. Die Behörde (Board)
wählt ihre eigenen Beamten und der Vorsitzende ist mit allen Machtbefugnissen
ausgestattet, welche Kraft des Gesetzes vom 1. Mai 1865 dem Stadt-Inspector
(City-Inspector), welcher eiuem prenssischen Polizei-Präsidenten entspricht, zu-
kommen. 8)
Obgleich die Behörde vorzugsweise für allgemeine sanitäre Verhältnisse
14 Einleitung.
thätig ist, so scheint doch auch die Beaufsichtigung der Gewerbe nicht ausser
ihrer Befugniss zu liegen, da sie alle Amtspflichten ausübt, welche sämnrtliche
Sanitätsverhältnisse von New-York und Brooklyn betreffen. Sie besitzt einen
vollständig amtlichen Charakter mit Executiv-Gewalt. Ein öffentliches Be-
schwerdebuch liegt stets auf. iu welchem Jeder auf die Schädlichkeiten, welche
Abhülfe erheischen . aufmerksam machen kann. Alle Gewerbe sind iu Amerika
ganz frei. Von einem Concessionsverfahren kann im Lande der vollständigen
Freiheit nicht die Rede sein.
In Deutschland ist es die Gewerbeordnung für das deutsche Reich
vom 21. Juni 18G9, welche das Concessionsverfahren vorschreibt. Ein grosser
Theil der neuen Gewerbeordnung ist den frühern preussischen Gewerbegesetzen
entnommen wordeu. § 16 derselben lautet:
-Zur Errichtung von Anlagen, welche auf die örtliche Lage oder die Beschaffen-
heit der Betriebsstätte für die Besitzer oder Bewohner der benachbarten Grundstücke
oder für das Publicum überhaupt erhebliche Gefahren. Nachtheile oder Belästigungen
herbeiführen können, ist die Genehmigung der nach den Landesgesetzen zuständigen Be-
hörde erforderlieh. Es gehören dahin: Schiesspulver-Fabriken, Anlagen zur Feuer-
werkern und zur Bereitung von Zündstoffen aller Art, Gasbereitungs- und Gasbewah-
rungs-Anstalten, Anstalten zur Destillation von Erdöl, Anlagen zur Bereitung von Braun-
kohlentheer. Stciukohlentheer und Kok. sofern bie ausserhalb der Gewinnungsorte des
Materials errichtet werden, Glas- und Russhütten, Kalk-, Ziegel-*) und Gypsöfen, Anlagen
zur Gewinnung roher Metalle, Röst-Ofen, Metall-Giessereien, sofern sie nicht bloss Tiegel-
Giessereien sind. Hammerwerke, chemische Fabriken aller Art, Schnellbleichen, Firniss-
siederek'ii. Stärke-Fabriken, mit Ausnahme der Fabriken zur Bereitung der Kartoffelstärke,
Stärke-Syrupsfabriken. Wachstuch-, Darmsaiten-. Dachpappen- und Daehfilzfabriken,
Leim-, Thran- und Seifensiedereien, Knochenbrennereien, Knochendarren. Knochenkoche-
reieo und Knochen - Bleichen , Zubereitung* - Anstalten für Thierhaare. Talgschmelzen,
Schlächtereien, Gerbereien, Abdeckereien, Poudretten- und Düngpulver-Fabriken, Stau-
anlagen für Wassertriebwerke.
Das vorstehende Verzeichniss kann je uach Eintritt oder Wegfall der im
Eingang gedachten Voraussetzung durch Beschluss des Bundesraths, vorbe-
haltlich der Genehmigung des nächstfolgenden Reichstages, abgeändert werden.
Eine genauere Präcisirung des Begriffes: chemische Fabrik, würde diesem
Verzeichnisse noch einen grössern Spielraum gelassen haben. Im Grossen und
Ganzen kann man nämlich alle Fabricationsmethoden als chemische Processe be-
zeichnen, wobei nicht allein die äussere Form des Rohproductes, sondern auch
die Elementarsubstanz des Bildungskörpers verändert oder ein anderer Körper,
welcher vorher nicht frei war, nicht auf mechanischem Wege ausgeschieden
wird. So gehören Stärkefabriken aus Kartoffeln. Reis> Getreidemehl nicht zur
Kategorie chemischer Fabriken, weil hier nur auf mechanischem Wege das fertig
gebildete Stärkemehl ausgeknetet wird. Dagegen ist die Stärkefabrication aus
Weizeu mittels der Gährungsmethode in den Bereich der chemischen Fabriken
zu ziehen, weil hier durch den Gährungsprocess (durch chemischen Process) der
Kleber zerstört und das Stärkemehl frei gemacht wird.
Nach einer Verfügung des Ministeriums der Finanzen vom LI Juli 1845
gehören in Preussen Färbereien nicht zu deu chemischen Fabriken. Sie be-
dürfen nur daun einer besoudern Erlaubnis*, wenn es sich bei ihrer Einrichtung
um die Aulagen von Dampfkesseln handelt oder mit der Färberei auch die Dar-
stellung chemischer Präparate verbunden ist. Dagegen sollen die allgemeinen
feuer- und baupolizeilichen Vorschriften bei Färbereien sowohl wie bei jeder
') Fejdziegelöfen Bind ausgeschlossen. Wenn Kalk- oder Flechtöfen nur vorübergehend zu wirth-
M-hafUicheu Bedürfnissen benutzt werden, so genügt für dieselben eine ortspolizeiliche Genehmigung.
Kescr. vom 15. October 1849.
Einleitung. 15
andern Anlage zur Berücksichtigung kommen. Andererseits ist jedoch nicht zu
verkennen, dass viele Färbereien besonders durch ihre Abflusswässer höchst ver-
derblich einwirken können, wenn sie mit nahegelegenen Brunnen in Berührung
kommen oder Flüsse für die ökonomische Benutzung unbrauchbar machen. Zieht
man in Betracht, dass die Färbekunst nur in einer Reihe aufeinanderfolgender
chemischer Processe beruht, so sollte den Färbereien in sanitärer Beziehung
mehr als bisher die gebührende Rücksicht geschenkt werden. . Es würde ganz
naturgemäss sein, sie zu den chemischen Fabriken zu rechnen. In Preussen
gilt zwar das Gesetz vom 28. Februar 1843 über die Benutzung von Privatflüssen,
Quellen und Seen und darf das zum Betriebe von Färbereien, Gerbereien, Walken
und ähnlichen Anlagen benutzte Wasser keinem Flusse zugeleitet werden, wenn
dadurch der Bedarf der Umgegend an reinem Wasser beeinträchtigt oder eine
erhebliche Belästigung des Publicums verursacht wird; erfahrungsgemäss werden
aber die betreffenden Klagen selten ausgefochten , wenn die Färbereien etc. nicht
schon bei ihrer ursprünglichen Anlage die bezüglichen erforderlichen Anordnungen
getroffen haben und späterhin nicht mehr in der Lage sind, denselben nachzu-
kommen. Die Processe schleppen sich dann in der Regel hin und schliesslich
bleibt es bei den frühern Ungehörigkeiten.
Bei Ertheilung der Concession für chemische Fabriken ist in Preussen
nach dem Resc. vom 23. September 1855 (Minist. Bl. S. 188) in jede derartige
Concession folgender Vorbehalt aufzunehmen:
Wenn die Einrichtung oder der Betrieb der Fabrik, mögen deshalb Vorkehrungen
oder Bedingungen besonders vorgesehen sein oder nicht, demnächst dem Publicum oder
den Nachbarn zu begründeten Beschwerden über erhebliche Nachtheile, Gefahren oder
Belästigungen Anlass geben sollte, so werden durch polizeiliche Verfügung diejenigen
Veränderungen in der Einrichtung oder im Betriebe vorgeschrieben Averden, welche den
Mängeln Abhülfe zu gewähren geeignet sind, und bleiben die Unternehmer solche ohne
Anspruch auf Entschädigung zu treffen verpflichtet.
Zu diesen Bedingungen gehören besonders diejenigen Anordnungen, welche
zum Schutze der Arbeiter gegen Gefahr für Gesundheit und Leben
nothwendig sind.
In Preussen sind bezüglich einzelner Fabricationszweige, z. B. der Spiegel-
fabriken, der Fabrication von Phosphorzündhölzern und Anilinfarben noch beson-
dere Bestimmungen erlassen worden.9) Dasselbe ist der Fall in Bayern, welches
erst unter dem 1. Januar 1873 der Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869 beige-
treten ist.10) Für Elsass - Lothringen ist nur der §29 derselben gültig, da die
französische Gesetzgebung erst allmählig zu eliminiren ist.
Auch in 0 esterreich besteht das Concessionsverfahren. Die in der Ge-
werbeordnung vom 20. December 1859 aufgeführten Betriebsanlagen stimmen im
Ganzen und Grossen mit den in der Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869 für das
deutsche Reich unter § 16 bezeichneten überein.11)
Wenn der Staat das Recht hat, Concessionen zu ertheilen oder zu ver-
weigern, so müssen die Organe desselben auch in der Lage, sein, an die Beurthei-
lung der verschiedenen Industriezweige bezüglich ihrer Zu- oder Unzulässigkeit
den richtigen Massstab anzulegen. Es gibt aber bekanntlich selbst unter Chemi-
kern von Fach viele, welche mit der chemischen Technologie nicht vertraut sind.
Letztere verlangt eine reiche Erfahrung, ein specielles Studium und ein sorgfältiges
Verfolgen der Riesenfortschritte dieser Wissenschaft. Die Werke über chemische
Technologie schweigen in der Regel über die Nachtheile, welche der industrielle
] 6 Einleitung.
Betrieb auf die Gesundheit der Menschen auszuüben vermag. Man muss Vieles
gesehen, geprüft, viele Erfahrungen gesammelt und diese durch ein gründliches
Wissen zum richtigen Verständniss gebracht haben, ehe man zu einem bestimmten
Urtheil über den Einfluss der Industrie auf die Gesundheit berechtigt ist.
Von manchen Seiten ist der unpraktische Vorschlag gemacht worden, zuerst
den Betrieb einer Anlage zur Probe zu eröffnen, um eventuell die Unzuträglich-
keiten desselben kennen zu lernen. Ein solcher Probebetrieb würde schon wegen
der kostspieligen Ueberwachung, wozu sich kein Industrieller verstehen würde,
unausführbar sein.. Die genaue Prüfung der Anlage vor ihrer Eröffnung wird stets
die Hauptsache bleiben. Medicinalbeamten aber, welche sich mit dem ganzen Um-
fange der öffentlichen Gesundheitspflege beschäftigen wollen, müssen den Grund
zu ihrer Befähigung hierzu schon auf Universitäten legen und ihre Studien dem-
gemäss einrichten. Eine physicalische und chemische Durchbildung muss die
Grundlage bilden, auf welcher sie den Besuch und das Studium von Fabriken
und Anlagen erst praktisch verwerthen können. Lehrstühle für die öffentliche
Hygiene, welche neuerdings als ein Hauptziel erstrebt werden, können nur
dann von Bedeutung sein, wenn sie mit Laboratorien verbunden sind, in welchen
die einschlägigen Arbeiten praktisch ausgeführt werden, wozu aber stets die
physicalischen und chemischen Kenntnisse schon vorausgesetzt werden müssen.
Wie Niemand der gerichtlichen Medicin sich widmen kann, ohne vorher die Arzuei-
kunde mit ihren sämmtlichen Hülfswissenschaften sich angeeignet zu haben, so
ist auch die öffentliche Gesundheitspflege nur durch die Anwendung der Medicin,
Chemie und Physik auf alle das öffententliche Sanitätswesen betreffende Fragen
zur Durchführung zu bringen.
Das Concessionsverfahren
Wird die Concession zur Errichtung eiuer industriellen Anlage
nachgesucht, so ist in sanitärer Beziehung zu beachten und näher zu prüfen
ob durch den Betrieb die Gesundheit der Arbeiter beschädigt oder die nächste
Umgebung belästigt oder gefährdet werden kann.
Es sollen zunächst die allgemeinen Principien, welche hier zur Geltung
kommen, erörtert werden. Es ist zu beurtheilen:
A. Die Anlage resp. die Gebäulichkeiten.
Nach der Anweisung zur Gewerbe-Ordnung für das Deutsche Reich muss aus
den Vorlagen der Gewerbetreibenden hervorgehen:
1) Die Grosse des Grundstückes, auf welchem die Betriebsstätte errichtet werden
-"II, sowie die Bezeichnung, welche dasselbe im Hypothekenbuch oder Kataster führt.
2) Die gleichzeitige Bezeichnung der Grundstücke, welche es umgeben, sowie die
Namen der Eigenthümer.
3) Die Entfernung, in welcher die zum Betriebe bestimmten Gebäude oder Ein-
richtungen von den Gränzen der benachbarten Grundstücke und Gebäulichkeiten, sowie
von den nächsten Wegen zu liegen kommen sollen.
Ueber das Mass der Entfernung einer gefährlichen oder schädlichen Fabrik
von den nächsten Wohnungen lassen sich keine bestimmten Normen angeben.
Das französische Gesetz hat 5 Kilometer und ein englisches Gesetz (the Motropo-
litan Building Act. 1844. Act. 54, 58) wenigstens 50 Fuss (engl.) angenommen.
In Belgien hat eine königl. Verordnung vom 15. August 1851 diese Entfernung
auf 200 Meter festgesetzt, wärend der im Jahre 1875 zu Brüssel tagende Gesund-
heitscongress 300 Meter für nothwendig hielt. Es lässt sich nur nach dem concreten
Einleitung. 1 7
Fall ein bestimmtes Urtheil abgeben. Manche Fabricen und Anlagen, wie Schwefel-
säurefabriken und Zinkhütten, schaden mehr den entfernt liegenden Wohnungen
als den nächsten. Zur Grundlage des Urtheils dient im Allgemeinen die höhere
oder tiefere Lage einer Fabrik, ihre Umgebung mit hohen Mauern, die Höhe der
Mauern, die rauchverzehrende Einrichtung, ganz besonders der Strichwind und
der Gebirgszug der nächsten Umgebung.
4) Die Höhe und Bauart der benachbarten Gebäude, sofern zu der Betriebsstätte
Feuerungsanlagen gehören.
5) Die Lage, Ausdehnung und Bauart der Betriebsstätte, die Bestimmung der ein-
zelnen Räume und deren Einrichtung, soweit dieselbe nicht beweglich ist.
6) Der Gegenstand der Fabrication , soweit dieselbe innerhalb der Betriebsstätte
erfolgt, die ungefähre Ausdehnung, sowie die Art und der Gang des Betriebes; bei
chemischen Fabriken insbesondere die genaue Bezeichnung des Fabricats und des Her-
gangs seiner Gewinnung.
7) Die Behörden, bei welchen der Antrag eingereicht wird, haben zu prüfen, ob
gegen die Vollständigkeit der Vorlage Etwas zu erinnern ist. Die Bauzeichnungen und
Nivellements sind zu dem Behufe den zuständigen Baubeamten, die Beschreibungen
solcher Anlagen, welche schädliche Ausdünstungen verbreiten, dem zuständigen Medicinal-
beamten (resp. einem technischen Sachverständigen) vorzulegen. Diese haben die erfolgte
Prüfung auf den Vorlagen zu bescheinigen. Finden sich Mängel, so ist der Unternehmer
zur Ergänzung auf kürzestem Wege zu veranlassen.
8) Hinsichtlich der Feuergefährlichkeit hat man noch zu unterscheiden, ob bei
der Fabrication leicht entzündliche Körper von gas- oder dampfförmiger, von flüssiger
oder fester Natur vorkommen.
Bei gas- oder dampfförmigen explosiven Substanzen ist künstliche
Beleuchtung und Ofenheizung zu vermeiden. Die Heizung muss mittels erwärmten
Wassers oder Wasserdampfes geschehen und die Beleuchtung von aussen bewerk-
stelligt werden. Bei Körpern, welche durch Schlag oder Stoss explodiren, sind
alle Erschütterungen und Reibungen zu vermeiden. Motoren oder in Bewegung
sich befindliche Maschin entheile dürfen sich nicht im Arbeitsraum befinden. Die
Arbeitsräume sind ganz zu isoliren und namentlich von den Vorrathsräumen zu
trennen. Metalle sind so viel als möglich bei der Arbeit zu vermeiden. Die
Arbeitsräume müssen unterirdisch liegen und von Wällen umgeben sein. Das
Gebäude selbst darf nicht überwölbt sein, es muss aus leichtem Holzwerk mit
Pappbedachung bestehen.
Bei flüssigen feuergefährlichen Substanzen ist eine tiefere Lage der Fabrik-
sohle unter das umgebende Terrain nothwendig, damit flüssige brennende Reste
nicht nach aussen fliessen können. Handelt es sich um flüssige explosive
Substanzen, z. B. um Nitroglycerin, so darf kein Apparat mit einem Erahnen
versehen sein, um alle Reibung zu verhüten. Am besten eignen sich hierzu die
sog. Quetschhähne.
Bei feuergefährlichen Substanzen, wobei keine Explosion zu befürchten ist,
sind Ueberwölbungen der Gebäude, eiserne Fenster und Thüren nothwendig, um
bei einem Brand unglück durch einen hermetischen Verschluss die Erstickung des
Feuers sofort veranlassen zu können.
9) Sehr wichtig ist die Anlage der Dampfkessel, da in Folge von Explosionen
noch jährlich viele Menschen geopfert werden. Die meisten Staaten haben deshalb auch
Vorkehrungen getroffen, um den nachtheiligen und gefährlichen Folgen, denen die Ar-
beiter ausgesetzt sind, soviel als möglich vorzubeugen.
In Preussen sind die desfallsigen gesetzlichen Bestimmungen in der Aller-
höchsten Cabinetsordre vom 1. Januar 1831, vom 27. September 1837, im Re-
gulativ des Handelsministeriums vom 6. September 1848 und in der Circularver-
fügung desselben Ministeriums vom 19. März 1852 enthalten.
Eulenberg, Gewerbe -Hygiene. 2
18 Einleitung.
Nach der Anweisung zur Gewerbeordnung des Deutschen Reiches sind
alle Anlagen, zu deren Errichtung es einer besondern Genehmigung bedarf,
bezüglich ihres Betriebes auch für die Zukunft derjenigen polizeilichen Aufsicht
unterworfen, welche durch besondere Gesetze oder polizeiliche Verordnungen einge-
führt ist. Deshalb bleiben die in einzelnen Landestheilen bestehenden Bestimmungen
in Betreff der regelmässig wiederkehrenden Revision der im Betriebe befindlichen
Dampfkessel, in Preussen namentlich das Gesetz, betreffend den Betrieb der
Dampfkessel, vom 7. Mai 1856 nebst dem dazu erlassenen Regulativ vom 23. Aug.
1856 (Minist.-Bl. S. 210) nach wie vor in Kraft.
Bezüglich der Dampfkessel- Anlagen sind nach den Bestimmungen des
Regulativs, betreffend die Anlage von Dampfkesseln, vom 31. August 1861 (Minist.-
Bl. S. 177) und für bewegliche Dampfkessel der Erlass vom 13. März 1855
(Minist.-Bl. S. 49) massgebend.
Ebenso behalten die auf Grund des Circular-Erlasses, betreffend die Auf-
stellung und den Gebrauch von Lokomobilen, vom 13. März 1855 (Minist.-Bl.
S. 49) ergangenen Polizeiverordnungen insoweit ihre Geltung, als sie den Betrieb
der beweglichen Dajnpf kessel unter die besondere Aufsicht der Ortspolizeibehörden
gestellt und ihre wechselnde örtliche Aufstellung an die Beachtung gewisser Vor-
sichtsmassregeln gebunden haben.
Auf Grund der nach § 24 der Gewerbeordnung ertheilten Genehmigung
können die beweglichen Dampfkessel zwar an jedem beliebigen Orte aufgestellt
und in Betrieb gesetzt werden, ohne dass es einer wiederholten Genehmigung
bedarf, es sind aber die für den Gebrauch derselben an den einzelnen Orten
erlassenen Vorschriften nach wie vor zu beachten.
Die Polizeibehörde ist befugt, vor dem Beginn des Betriebes einer jeden
gewerblichen Anlage, welche der Genehmigung bedarf, sich durch eine Unter-
suchung zu überzeugen, dass die Ausführung der Bedingungen der ertheilten
Genehmigung entspricht. Bei Dampf kessel- Anlagen ist eine solche vorgängige
Untersuchung nothwendig. Zur Ausführung derselben ist jeder königl. Bau-
beamte und Revierbeamte, sowie jeder königl. Eisenbahn-Maschinenmeister befugt.
Die allgemeinen polizeilichen Bestimmungen über die Anlegung von
Dampfkesseln für das Deutsche Reich finden sich in der Bekanntmachung des
Reichskanzleramts vom 29. Mai 1871 (Reichs- Gesetzblatt No. 23, S. 122). i2)
In Oesterreich bildet die Verordnung vom 11. Februar 1854 die Grund-
lage, während das Edict vom 15. September 1858 forciert, dass die Bedienung
der Dampfkessel sich einer besondern Prüfung unterwirft. Die neueste ausführliche
Verordnung datirt vom 1. September 1866.
In Nordamerika sind auf Kosten der Gouvernements wissenschaftliche Unter-
suchungen über Explosionen angestellt worden, nach welchen es der Einsicht und
Klugheit jedes Einzelnen überlassen bleibt, von der erlangten Kenntuiss und Er-
fahrung den nöthigen Gebrauch zu machen.
In England macht das Gesetz jeden Kesselbesitzer für den Schaden ver-
antwortlich, der durch seine Nachlässigkeit den Verunglückten oder deren Fa-
milien zugefügt wird, so dass derselbe in jedem besondern Falle, je nach der
Bestimmung einer Jury, die lebenslängliche Pensionirung jedes Verwundeten oder
die Versorgung der ganzen Familie jedes Getödteten übernehmen muss. In Folge
dieser Einrichtung haben sich in Manchester Vereine von Kesselbesitzern zu
dem Zwecke vereinigt, alle den Mitgliedern gehörige Kessel unter die Inspection
Einleitung. 19
und Aufsicht eiues praktischen Ingenieurs und zuverlässiger Inspectoren zu stellen,
welche in regelmässigen Zwischenräumen den Zustand jedes Kessels auf das Ge-
naueste untersuchen. Die älteste dieser Gesellschaften, Association for Preven-
tion of Steam Boiler Explosions, wurde im Jahre 1855 gegründet. Spätere
Gesellschaften leisten ausser der Inspection der Kessel auch noch vollständigen
Schadenersatz für jede durch Explosionen entstandene Zerstörung.
Neuerdings hat das Entschädigungsprincip auch in Preussen viele An-
hänger gefunden.13)
In Mannheim ist im Jahre 1866 eine Gesellschaft zur Ueberwachung und
Versicherung von Dampfkesseln auf Veranlassung des badischen Handelsministeriums
gegründet worden und durch freiwillige Vereinigung von Dampfkesselbesitzern
entstanden. Ihre Aufgabe besteht darin, die Dampfkessel- Anlagen ihrer Mitglieder
durch sachverständige Ingenieure revidiren zu lassen und zwar äusserlich wäh-
rend des Betriebes, innerlich und in den Zügen ausser Betrieb, um dadurch vor-
handene Schäden zu entdecken und deren Beseitigung zu veranlassen.
10) Die Centrifugalmaschinen (Centrifugen) verdienen eine eben so grosse
Beachtung, wie die Dampfmaschinen. Sie können während des Betriebes durch Bruch
und Zertrümmerung explosionsähnliche Wirkungen hervorrufen. Dieselben müssen immer
tiefer als die Arbeitsräume liegen, weil beim Zerplatzen derselben während des Betriebes
die einzelnen Fragmente sich horizontal bewegen und somit den ganzen Arbeitsraum
bestreichen können.
Die Centrifugen müssen stets mit einer Hülle umgeben sein, welche ausser-
dem das Umherschleudern der zerschmetterten Theile unmöglich macht, zu
welchem Zwecke man sie noch mit Tauen von Hanf, Eisen- oder Kupferdraht um-
wickelt. Auch sollten diese Maschinen niemals von Gusseisen, sondern von ge-
schlagenem Eisen angefertigt werden.
Ventilatoren, welche bekanntlich eine senkrechte Bewegung haben, können
beim Zerspringen niemals so bedeutende Verheerungen veranlassen, wie die Centri-
fugen. Da in diesem Falle die Fragmente in die Höhe geschleudert werden, so
müssen die Ventilatoren nicht in überbauten Räumen, sondern wo möglich im
Freien oder zwischen hohen Mauern aufgestellt werden.
B. Der Betrieb der gewerblichen Anlagen.
Eine allgemeine Beurtheilung desselben ist bei der grossen Mannigfaltigkeit
der zu bearbeitenden Stoffe sehr schwierig. Der Betrieb steht oft mit den ge-
sundheitlichen Verhältnissen im innigsten Zusammenhange, wie sich aus nach-
folgender allgemeiner Uebersicht ergibt. Man kann bezüglich der verschiedenen
Manipulationen beim Betriebe unterscheiden:
I. Mechanische Zertheilung.
1. Trockene Zertheilung. Pulverisiren und Sieben.
a) Kommen unschädliche Substanzen zur Anwendung, so handelt es sich *
nur um Belästigung durch Staub, z. B. beim Mahlen, Beuteln in Mahl-
und Stampfmühlen, bei Pulverisir- und Reibanstalten.
b) Handelt es sich um schädliche Substanzen, werden giftige Metall-
oxyde, Bleiweiss, Bleiglätte, Mennige gemahlen und gepulvert, werden
giftige Erze (Glasurerze, arsenikalische Nickel-Kobalt-Erze etc.) auf Poch-
werken bearbeitet, so ist bei unvorsichtiger Handhabung die grösste Ge-
fahr für die Arbeiter vorhanden. Selbst beim Pulverisiren von Droguen,
namentlich von sehr reizenden Substanzen, z. B. von Cayennepfeffer,
2*
20 Einleitung.
Eupborbiumharz, Gewürznelken etc. kann eine bedeutende Reizung der
Nasenschleimhaut entstehen. Das Pulverisiren von Rad. Ipecacuanha
erzeugt bekanntlich bei manchen Menschen ein vollständiges Asthma,
2. Nasse Zertheilung. Mahlen unter Zusatz vou Wasser: Schlemmen.
a) Unschädliche Substanzen. Theer- und Ockermühlen, das Fertig-
stellen von Farben in Teigform gehören hieher. Das abfliessende Wasser
kann hier nur insofern nachtheilig einwirken, als die Canäle, welche die-
selben aufnehmen, leicht verschlammen.
b) Giftige Substanzen. Hieher gehören: Blei weiss, Massicot -Schlemm-
mühlen, Stossherde bei Bergwerken etc. Hier sind ganz besonders die
Schlemmwässer zu beachten, insofern sie giftige Substanzen suspendirt
oder gelöst enthalten. Auch die Zertheilung von Calomel durch Wasser-
dampf gehört hieher.
3. Zertheilung durch feurigen Fluss oder Schmelzen. Schrotfabri-
cation, Granuliren von Metallen, Schlagloth oder Zink, Weihrauchfabrication etc.
Die beim Schmelzen aufsteigenden Dünste sind sehr beachtungswerth , wenn sie
aus giftigen Metallen und Metalloxyden bestehen. Kommt Wasser beim Granuliren
zur Anwendung, so können die Abfiusswässer wegen ihres Metallgehalts schäd-
lich einwirken.
Bei der Weihrauchbereitung wird die Umgegend sehr belästigt und die Feuers-
gefahr ist wegen der sich entwickelnden ätherischen Oele gross. Die Abfluss-
wässer enthalten ätherische und übelriechende (kreosothaltige) Substanzen, wes-
halb sie nicht in Schlinggruben abgelassen werden dürfen. Ausserdem sind sie
sauer durch ihren Ameisensäuregehalt und können Metalle, womit sie in Berüh-
rung kommen, angreifen.
II. Die Präparation verschiedener Substanzen, wobei das Wasser als Medium dient.
Hieher gehört das Ausziehen und Auslaugen mittels kalten und warmen
Wassers und Wasserdämpfe
1. von Substanzen, welche nicht in Fäulniss übergehen. Beim
Extrahiren der Nutzhölzer unterliegen nur die Abflusswässer der Fäulniss, ent-
halten Gerbstoffe und dürfen nicht in die Schlinggruben oder Flüsse abgeleitet
werden, weil sie die Brunnen verderben resp. die Fische vergiften.
2. Substanzen, welche sehr leicht in Fäulniss übergehen. Das
Schwellen der Häute, des Leimguts etc. Bei der Kartoffelstärkefabrication unter-
liegen die Rückstände und das mit organischen Substanzen imprägnirte Wasser
leicht dem Fäulnissprocesse.
3. Substanzen, welche leicht in Fäulniss übergehen und bei
welchen man durch die Behandlung mit Wasser einen Fäulniss- und
Gährungsprocess einleiten will. Weizenstärkefabrication , Indigofabrication,
Flachsrösten, Entkernen der Hörner, Enthaaren der Häute durch Schwitzen,
Reinigen der Knochen durch Maceration, Darmsaiten-, Pergament- und Käse-
fabrication etc.
III. Oxydationsprocesse.
1. Vollständige Verbrennung. Heizung und Beleuchtung als solche,
wobei Russ, schädliche Dämpfe und Gase zu beachten sind. Ferner die Anwen-
dung der Verbrennung bei der Landwirtschaft, das Schiffein und Moorbrennen.
Einleitung. 21
2. Partielle Oxydationen. Sämmtliche Rost- und Reductionsprocesse,
Staub, Rauch, Russ, schädliche Dämpfe und Gase, Einwirkung der Hitze, rascher
Temperaturwechsel und Beschädigung durch Brand kommen hier vor.
3. Oxydation an freier Luft durch den atmosphärischen Sauerstoff.
a) Verwitterungsprocess bei gewöhnlicher Temperatur. Oxy-
dation des Schwefelkieses und der Metallkiese überhaupt auf den
Halden zur Fabrication von Kupfer-, Zink- und Eisenvitriol oder auch
gemischten Vitriolen, Rasenbleiche, Wiederbelebung der Gasreinigungs-
substanzen etc.
b) Fäulniss- und Verwesungsprocess bei erhöhter Temperatur.
Schnellessigfabrication, Bereitung von Butter-, Milchsäure etc.
4. Oxydation durch Säuren, durch die Oxyde des Stickstoffs und Chlors,
Beizen der Metalle durch Salpetersäure, Darstellung der Oxalsäure durch Salpeter-
säure, Farbenfabrication, das Affiniren des Silbers, die Scheidung desselben von
Gold und Kupfer durch Schwefelsäure, Darstellung von Eisenbeize etc.
IV. Präparationen, welche avf speciellen chemischen Processen, auf Zersetzung und
Verbindung primärer und binärer Art, auf chemischer Affinität beruhen.
Hieher gehören die metallurgischen Processe, die verschiedensten chemischen
Fabriken, die Glasfabrication etc.
Es würde zu weit führen, alle Fabricationszweige hier genauer zu bezeichnen;
sie lassen sich leicht unter die genannten Rubriken bringen. Viele industrielle
Vorgänge beruhen ferner nicht auf einem einzigen Processe, sondern schliessen
eine Summe verschiedener Processe in sich, weshalb es nicht ausbleiben kann,
dass manche Industriezweige mehr oder weniger zu allen vier Kategorien ge-
rechnet werden können. So kommt z. B. bei der Glas- und Porzellanfabrication
die mechanische Zertheilung, die Feuerung, die Oxydation und schliesslich der
chemische Process, die Bildung von kieselsauren Alkalien und alkalischen Erden,
zur Sprache. Ebenso verhält es sich mit der Alaunbereitung aus Braunkohlen.
Allgemeine sanitäre Erfordernisse.
1. In allen Räumen einer Fabrik sorge man für hinreichend frische Luft. Der
Luftwechsel muss im richtigen Verhältniss stehen zu der Zahl von Personen, welche
in den Werkstätten beschäftigt sind, sowie zur Zeit, welche sie dort zubringen.
Auch auf alle die Luft verderbenden Ursachen, namentlich auf den Staub etc.
nehme man die strengste Rücksicht und sorge um so mehr für einen ununter-
brochenen Luftwechsel, je leichter die Luft durch die Art der Arbeit verdorben
wird. In grossen Fabriken kann man die Dampfkraft zur Heizung und mechani-
schen Ventilation benutzen.
2. Die Dampfheizung ist für grössere Räume die zweckmässigste, weil
sie eine gleichmässige Temperatur erzeugt und nicht mit Rauch oder schädlichen
Dämpfen verbunden ist. Besonders ist sie auch für Fabriken angezeigt, welche
durch die Beschaffenheit der Arbeit feucht sind.
3. Das Tageslicht sei nicht zu grell und nicht zu mangelhaft. Die Schei-
ben müssen so angebracht werden, dass dieselben die Sonnenstrahlen nicht
zu sehr concentriren und dadurch die Wärme in den Localen unnöthiger-
weise erhöhen. Die Lage der Fenster nach Norden ist überall vorzuziehen, wo
ohnehin grosse Hitze durch die Art der Arbeit entwickelt wird. Die jetzt vielfach
■22
Einleitung.
eingeführte Einrichtung, wonach die Arbeitsräume mit einem schiefen nach
Norden gelegenen Glasdache (Shade (Schatten) -Dächer) versehen werden, hat
rieh überall namentlich bei Spinnereien, Webereien und Färbereien bewährt.
\. Zur künstlichen Beleuchtung eignet sich das Gaslicht am besten,
wenn das Leuchtgas von hinreichend reiner Beschaffenheit ist. Da es mehr Sauer-
stoff als jede andere Beleuchtung bedarf, so ist bei vieleu Gasflammen eine aus-
reichende Lufterneuerung um so notwendiger.
5. Stets werde die grösste Reinlichkeit beobachtet, Ein Ausscheuern des
Bodens und Tünchen der Wände muss wenigstens einmal jährlich geschehen. In
geschlossenen Räumen vermeide man das Tabakrauchen und namentlich das
Tabakkauen.
6. In Fabrikräumen, welche zur Bearbeitung giftiger Substanzen dienen,
dürfen niemals Speisen oder Getränke genossen werden. Es sind stets besondere
E s s - 1 u b e n einzurichten.
7. Badeeinrichtungen (Dampf bäder, Wannenbäder, Douchen, Brausen etc.)
sollten bei grossen Etablissements niemals fehlen, da Reinhaltung des Körpers
eine Hauptbedingung zur Erhaltung der Gesundheit ist. In Fabriken, welche
giftige Substanzen bearbeiten, namentlich in Bleiweissfabriken, sind sie absolut
nothwendig.
8. Die Aborte müssen allen Anforderungen der Gegenwart entsprechen und
in hinreichender Anzahl und Trennung vorhanden sein, wenn verschiedene Ge-
schlechter iu Fabriken beschäftigt sind.
9. Tags- und Nachtsarbeiten sind unzulässig. Nur der Wechsel von Ruhe
und Arbeit kann die Gesundheit erhalten. Arbeiter, welche während des Tages
arbeiten, dürfen nie zu Nachtsarbeiten herangezogen werden. Wenn das ameri-
kanische Princip: „8 Stunden für die Arbeit, 8 Stunden für den Schlaf, 8 Stun-
den für das Studium und die Müsse11 auch noch nicht für europäische Verhält-
nisse angebracht ist, so erkennt man doch immer mehr an, dass ein Ueber-
arbeiten nicht nur für die Arbeiter schädlich, sondern auch für die Fabri-
canten nicht gewinnbringend ist. Humane Fabricanten sind längst zu der Ueber-
zeugung gekommen, dass bei massiger Arbeit mehr geleistet wird als bei einer
überangestrengten und die Arbeiter bei einer 11 stündigen Arbeit mehr verdienen
als bei einer 12stündigeu.14)
Das Ueberarbeitssystem (Overworking System) ist in England schon
längst als eine Unmenschlichkeit erkannt worden, nachdem man durch genaue
Untersuchungen die iu dieser Beziehung herrschenden Missbräuche entdeckt und
die „Early Closing movement" vom Jahre 1838 die Hauptveranlassung dazu
gegeben hatte. Nach amtlichen Berichten erlagen in London ehedem jährlich
Tausende den übermässigen Anstrengungen.
Die „Early Closing Association" hat zuerst in Eugland den halben freien
Sonnabend (the Saturday half-holiday) eingeführt, welcher bis zur Stunde
noch fortbesteht. Uebrigens ist nicht zu verkennen, dass die englischen Sitten,
nach welchen am Sonntage keine Einkäufe gemacht werden, diesen halben freien
Tag für die Arbeiter durchaus erheischen. Leider finden aber auch an diesem Tage
die meisten Trunkenheiten statt, wozu der verabfolgte Lohn die Veranlassung
gibt. Andererseits haben sich auch wiederum als Gegendamm gegen diese
Sittenlosigkeit Vereine zur Hebung des socialen und religiösen Lebens ge-
bildet, worunter die „Young Men's Christian Association", die „Church of Eng-
Einleitung. 23
land Young Men's Societies" und die _Evening Classes for Young Men" die her-
vorragendsten sind.
Uebermässige Arbeiten, welche dem Lohn nicht entsprechen, haben unter
den arbeitenden Classen hauptsächlich die vielen Unzufriedenheiten erregt. Da-
durch entstanden zuerst die Arbeitseinstellungen (Strikes), welche sowohl
für die Arbeiter als für die Fabricanten den grössten Verlust herbeiführten.
Die weitern Folgen waren alsdann socialistische Vereinigungen, weiche eine
tyrannische Herrschaft auf die Thätigkeit des Arbeiters ausüben, indem jedes Mit-
glied derselben ein blindes Werkzeug in der Hand des Vorstandes ist, dessen
Befehle er unbedingt bei Gefahr seiner Existenz ausüben muss.
"Wie früher die Zünfte auf die Arbeiter so wirkten später die „ Strikes u der
Arbeiter auf die Arbeitgeber ein. indem sie letztern die höchsten Löhne vor-
schrieben und Zeit und Art der Arbeit bestimmten. Die Zahl solcher Vereine ist
noch immer gross. Die National- Association of United Trades in London
besitzt nicht nur eine grosse Zahl von Mitgliedern, sondern auch ein bedeutendes Ver-
mögen. Weder Gewalt noch Gesetz vermochten bisher diese Uebelstände gänzlich
zu tilgen. Humanität Seitens der Arbeitgeber und erhöhte Bildung Seitens der
Arbeiter müssen Hand in Hand gehen, um. die richtigen Anschauungen über Pro-
duction und Vertheilung des Geldes immer mehr anzubahnen. Die Fabricanten
müssen Verständniss und Herz für die Noth der Arbeiter haben, nicht unnöthig
die Löhne verringern, sondern in Einklang mit ihrem Verdienst bringen. Ein
gegenseitiges Besprechen und offenes Darlegen der factischen Verhältnisse führt
am ehesten zum Ziel und zur Versöhnung.15)
10) Art und Dauer der Arbeit. Accordarbeiten heben die moralische
Kraft und das Interesse der Arbeiter an ihrem Beruf; sie gewöhnen an Fleiss
und Pünctlichkeit. Sie sind nur dann nicht zulässig, wenn es sich um die
Fabrication explosiver Substanzen handelt, weil gerade durch übereiltes Reiben
und Stossen am leichtesten Entzündungen herbeigeführt werden.
Die Dauer der Arbeit Seitens des Staates vorzuschreiben, wird stets schwierig
sein; die Industrie hängt zu sehr von den Zeitereignissen und vielen Zufälligkeiten
ab, so dass zu einer Zeit die Bestellungen sich häufen und zur andern Zeit die
Nachfragen gering sind. Demgemäss wird auch bald mehr, bald weniger produ-
cirt, folglich müssen alsdann auch die Arbeitsstunden variiren.
In einigen Ländern ist die Arbeitszeit von 16 Stunden für Erwachsene auf
13, 12 und ll1'.. Stunden reducirt worden und man hat gefanden, dass grössere
Leistungen und ein besseres Verdienst die Folgen dieser Reduction sind.
In Frankreich ist seit 1848 und im Canton Glarns durch das Gesetz vom
10. August 1864 die tägliche Arbeitszeit auf 12 Stunden festgestellt worden. Auch
darf in diesem Canton zur Nachtszeit gar nicht in den Fabriken gearbeitet wer-
den. Wenn auch die Erfahrung gemacht worden, dass bei einer gesetzlich vor-
geschriebenen Arbeitszeit häufig durch _Ueberstunden" das Gesetz umgangen
wird, so hat sich doch das Princip nach den in England gemachten Erfahrungen
als richtig bewiesen. Ausnahmen von der Regel werden immerhin durch die
Umstände geboten sein. Man kann auch zugeben, dass die Verschiedenheit der
Fabricationszweige und der damit verbundenen körperlichen Anstrengungen nicht
selten einen gewissen Spielraum in der Arbeitsdauer gestatten darf. Die Hu-
manität der Arbeitgeber und die Einsicht der Arbeiter muss alsdann das richtige
Mass auszumitteln suchen. Dazu kommt, dass manche in sanitärer Beziehung
24 Einleitung.
gefährliche Arbeiten nicht beständig von denselben Persönlichkeiten verrichtet
werden dürfen. Sehr häufig ist ein Wechsel der Arbeit erforderlich, um nicht
den Grund zu bleibenden Gesundheitsstörungen zu legen. Auch manche mit
körperlichen Anstrengungen verbundene Beschäftigungen müssen zeitlich mehr
begrenzt werden als leichtere Verrichtungen, bei deneu die Maschine die Kräfte
liefert.
Die englische Fabrikgesetzgebung erstreckte sich wesentlich nur auf die
Arbeitszeit von jungen männlichen und weiblichen Persouen und Hess
formell die Arbeit der Erwachsenen frei. Da jedoch die Arbeit der er-
wachsenen Arbeiter namentlich in der Textil -Industrie von der Mithülfe der
jungen Arbeiter und Frauen abhängig bleibt, so musste die gesetzliche Beschrän-
kung der Arbeitszeit der letztern noth wendig eine Herabsetzung der allgemeinen
Arbeitszeit zur Folge haben.
Es hat sehr heftige Kämpfe gekostet, ehe es zum Abscbluss dieser wich-
tigen Angelegenheit gekommen ist und die Fabricauten nothgedrungen den ge-
setzlichen Anordnungen sich fügen mussten. Die Vortheile, welche der einheitliche
Arbeitstag zuuächst der Textil-Iudustrie brachte, können jedoch nicht in gleichem
Grade den übrigen Industriezweigen zu Theil werden. In der Textil -Industrie
konnte die Abkürzung des Arbeitstages durch eiue vermehrte Production ausge-
glichen werden; statt der Menschenhände mussten daher sinnreich construirte
Maschinen die Massenproduction liefern. Es ist factisch, dass die englische Fabrik-
gesetzgebung vorzugsweise den unmittelbaren Anstoss „zur Einführung zeit-
sparender Maschinen1" gegeben hat.
Die Gesetzgebung hatte für die ganze arbeitende Classe die wohlthätigsten
Wirkungen durch die Herstellung eines einheitlichen und abgekürzten Arbeitstages.
Der Zwang der fixen Anfangs- und Endstunden wirkt als eine heilsame Schranke
ebensowohl gegen Lässigkeit als gegen übertriebene Hast, welche beide für Moral
und Gesundheit verderblich sind. Die längern freien Nachmittagstunden, an
welchen die auf Hilfsarbeit angewiesenen Personen gerade wie die erwachsenen
Arbeiter theilnehmen, geben mehr Zeit und Gelegenheit zur Pflege des Familien-
lebens, so dass die Abkürzung des Arbeitstages, wenn sie von der arbeiten-
den Classe richtig benutzt wird, eins der vorzüglichsten Mittel zu ihrer
Hebung werden kann. Glücklicherweise beginnen schon heute Arbeiter und Unter-
nehmer allgemein den Werth einzusehen, den die durch die Regelung der Arbeits-
zeit herbeigeführte Stetigkeit der 'Arbeit und Lebensgewohnheiten für alle Interessen
besitzt, und so ist es gekommen, dass die Fabrikgesetzgebung, welche bei ihrem
ersten Entstehen als eine Ungeheuerlichkeit und ein vorweg verfehltes Experiment
verhöhnt, als Beschränkung der persönlichen und wirthscbaftlichen Freiheit ange-
griffen und missachtet worden ist, heute in England als eine der Grundlagen der
socialen Reform und eine der wohlthätigsten staatlichen Einrichtungen anerkannt
wird.11')
11) Kinder- und Frauenarbeit. Wenn Kinder in den Kreis der Indu-
strie gezogen werden, so ist es Pflicht des Staates, über das körperliche und
sittliche Wohl derselben zu wachen, da sie selbst noch nicht im Stande sind,
sich zu schützen und vor schädlichen Einflüssen zu bewahren, welche gerade in
der Industrie in grösstem Umfange sich geltend machen.
Die Zeitverhältnisse haben die Beschäftigung der Kinder und Frauen in der
Industrie veranlasst. Die vermehrte Concurrenz und Production nöthigten zur
Einleitung. 25
wohlfeilem Fabrication und zur Herbeischaffung billiger Kräfte. Kinder und
Frauen mussten deshalb die leichtern Arbeiten übernehmen. Am unglücklichsten
war ihr Zustand in englischen Bergwerken, in welchen Trunksucht und Sitten-
losigkeit auch die Gemüther der Frauen verhärtete. Schon im Jahre 1796 haben
die englischen Aerzte Aitkin und Percival zuerst auf den Missbrauch der jugend-
lichen Kräfte in der englischen Industrie hingewiesen. Robert Peel schlug 1802
und 1819 eine Bill vor, um die Arbeit der Kinder in den Baumwollspinnereien
zu regeln, bedeutende Erfolge wurden jedoch nicht erzielt. Glücklicher waren
die Bemühungen von Lord Ashley. Als Resultat der neuen Untersuchungen wurde
am 29. August 1833 ein „Act to regulate the labour of children and
young persons in the mills and factories of the United Kiugdom" (3 and
4 Guill. IV. Cap. 103) dem Parlamente vorgelegt.
Aber erst die Fabrikacte vom 6. Juni 1844 (7 Vict. c. 15) setzte für die
Textil-Industrie die Arbeitszeit der Kinder von 8 — 13 Jahren auf 6\'2 Stunden
herab. Das Gesetz vom 8. Juni 1847 (10 Vict. c. 29) bestimmte für alle jungen
Personen und Frauen die Arbeitsdauer auf 11 Stunden täglich und vom 1. Mai
1848 auf 10 Stunden. Es entstand jedoch ein heftiger Kampf gegen dies Zehn-
stundengesetz, bis durch das Gesetz vom 5. August 1850 (13 und 14 Vict.
v. 54) ein Nornialarbeitstag für alle jungen Personen und Frauen auf die Zeit
von 6 Uhr früh bis 6 Uhr Abends eingeführt wurde. Die gesetzlichen 1V2 Stun-
den Mahlzeit wurden innerhalb dieser 12 Stunden verlegt, so dass die wirkliche
Arbeitsdauer in den ersten 5 Wochentagen auf 10r2 Stunden festgesetzt wurde,
da Sonnabends die Arbeit nach 2 Uhr Nachmittags aufhört.
Das Gesetz von 1850 regulirt noch heute die Arbeitszeit der grössten Zahl
der Fabrikarbeiter. Da es aber die Arbeit der Kinder (8 — 13) noch unter der
Herrschaft des Gesetzes von 1844 Hess, so entstand dadurch eine grosse Unzu-
träglichkeit, indem die neue Arbeitszeit (6 Uhr Vormittags bis 6 Uhr Nachmittags)
mit dem alten Arbeitstage (51 2 Uhr Vormittags und 8V2 Uhr Nachmittags) nicht
in Uebereinstimmung zu bringen war. Um nun den Arbeitstag der Kinder jenem
der jungen Personen und Frauen anzupassen, verbot das Gesetz vom 20. August
1853 (16 und 17 Vict. c. 104) Kinder vor 6 Uhr Morgens und nach 6 Uhr Abends,
resp. im Winter vor 7 Uhr Morgens und nach 7 Uhr Abends zu beschäftigen.
Mit diesem Gesetze fanden die gesetzlichen Beschränkungen der Arbeitszeit für
die Textil-Industrie ihren Abschluss. Sie sind als der Ausgangspunct aller
spätem sanitären Massregeln dieser Art zu betrachten.
Das Gesetz versteht unter Kindern Arbeiter vom 8. resp. 9. Lebensjahr
bis zum zurückgelegten 13., unter jungen Personen Arbeiter vom Beginn des
14. bis zum Abschluss des 18. Lebensjahrs, unter jungen Frauen weibliche
Arbeiterinnen vom Beginne des 19. Lebensjahres.
Kinder und junge Leute dürfen in Fabriken nicht eher zugelassen werden,
als bis sie von den durch die Fabrikinspectoren hierzu ernannten Aerzten körper-
lich untersucht worden sind. Schiefheiten und Difformitäten des Körpers in Folge
zu früher und anstrengender Arbeiten waren früher in den englischen Fabriken nicht
selten und das „Schiefbein" (Factory leg) hatte eine traurige Berühmtheit erlangt.
Auch den Rädern, Hebeln und Werkzeugen, welche in unmittelbarer Ver-
bindung mit der Dampfmaschine stehen, namentlich den horizontalen Transmissions-
cylindern und Rädern, wurde eine grössere Aufmerksamkeit gewidmet und eine
Umzäunung derselben angeordnet. Eine häufige Nichtbeachtung dieser Vorschrift
26
Einleitung.
hatte das Gesetz vom 30. Juli 1856 (19 und 20 Vict. c 38) zur Folge. Bei statt-
gefundenen Verletzungen niuss der Fabrikbesitzer binnen 24 Stunden den Arzt
des Fabrikdistrictes schriftlich benachrichtigen, wenn dies nicht schon Seitens des
Arbeiters geschehen ist. Der Arzt setzt den Fabrikinspector davon in Kennt-
Qiss, welcher einen Bericht an die Staatsbehörde einschickt, die nach Umstäuden
eine Klage auf Entschädigung erheben kann.17)
Wie bedeutend übrigens die Betheiliguug der Kinder und Frauen an der
Textil-Industrie im Vereinigten Königreich ist, geht aus folgendem dem Parlament
1870 vorgelegten Ausweis für 18G8 hervor:
Bezeichnung
der
Fabri-
Kinder anter
13 Jahren
Männliche
junge
Personen
Arbeiter-
innen über
Gesammt-
zahl der
geschützten
Personen
Erwachsene
männliche
Arbeiter
Gesannnt-
Arbeiter-
Industrie
ken
Mliiinl.
Weibl.
zwischen
13 u. 18 J.
13 Jahre
über
18 Jahre
Anzahl
Baumwolle
2,549
22,244
19,430
34,324
220,605
299,152
104,461
403,613
Schaafwolle
1,G58
:u;58
2,867
12,921
55,366
76,470
43,192
119,662
Shoddy
Kammwolle
104
140
72
293
1,579
2,188
1,103
3,291
703
11,534
14,535
9,641
71,451
107,864
24,712
132,576
Flachs
405
1,810
2,862
10,730
81,348
97,155
22,179
119,334
Banf
26
18
2
314
1,111
1,472
731
2 202
Pferdehaar
17
17
35
90
788
947
187
M34
Jute
41
305
328
1,261
10,122
12,057
2,154
14,211
Elast. Wo U Stoffe
45
2
5
496
1,629
2,177
1,689
3,866
Filz
4
—
—
2
6
12
11
23
Wirkwaaren
93
41
12
653
3,468
4,267
2,406
6,673
Maschinenspitzen
186
370
191
765
2,293
3,805
3,136
6,941
Seide
591
1,295
3,560
2,508
25,250
33,204
8,374
41,578
6,422
41,434
43,899
73,998
475,016
640,769
214,335
855,104
In England wurde ferner bezüglich der Beschäftigung der Kinder und Frauen
in Kohlen- und Eisenbergwerken durch das Gesetz vom 10. August 1842
bestimmt, dass junge Mädchen und Frauen zu Grubenarbeiten nicht verwendet
werden sollen. Dies Gesetz ist jedoch fast gar nicht zur Ausführung gelangt.
Die „Goal Mines Regulation Act" (1872, 35 und 36 Vict. c. 76) fügt noch die
unterirdische Gewinuung von Schiefer und feuerfestem Thon hinzu. Zu
diesen Beschäftigungen sollen keiue Knaben unter 10 Jahren und keine weib-
lichen Personen irgend welchen Alters zugelassen werden. Knaben zwischen
10 — 12 Jahren können mit ministerieller Erlaubniss in einzelnen Bergwerken
beschäftigt werden, aber nicht länger als 6 Tage in der Woche und nicht länger
als 6 Stunden des Tages, wenn- sie mehr als 3 Tage in der Woche arbeiten.
Niemals darf die Tagesarbeit mehr als 10 Stunden betragen.
Kinder zwischen 12 und 16 Jahren dürfen unterirdisch uie länger als
54 Stunden in einer Woche und nie länger als 10 Stunden au einem Tage arbeiten.
Bei Arbeiten über der Erde bleiben Kinder unter 10 Jahren aus-
geschlossen. Für Kinder unter 13 Jahren, so wie für weibliche und männliche Ar-
beiter unter 18 Jahren gelten die obigen Bestimmungen mit der Massgabe, dass
männliche Personen unter 18 Jahren und Frauen überhaupt niemals in den Stunden
zwischen 1 Uhr Abends und 5 Uhr Morgens, ebenso wenig an Sonntagen und nach
2 Uhr Nachmittags an Sonnabeuden zu beschäftigen sind.
Auf jede Arbeitsperiode über 5 Stunden müssen \l2 Stunde und auf jede
Arbeitsperiode über 8 Stunden wenigstens lty. Stunden Arbeitspausen für die
Mahlzeiten allen weiblichen Personen überhaupt uud allen männlichen unter
18 Jahren gewährt werden.
Einleitung. 27
Die Eigenthüiner oder -Dirigenten der Bergwerke haben Register zu führen,
in welchen das Nationale der Arbeiter, die Art der Arbeit und die betreffende
Beschäftigungszeit einzutragen sind. Dasselbe ist zu jeder Zeit den controliren-
den Polizeibeamten vorzulegen.
In Spitzenmanufacturen wurde durch das Gesetz vom 6. August 1861
(24 und 25 Vict. c. 117) die Beschäftigung von Knaben über 16 Jabren mit einer
Arbeitsdauer von 9 Stunden und die der Frauen mit einer solchen von 12 Stunden
gestattet.
Weitere Ausdehnungen erhielten diese Bestimmungen durch die Fabrik-
gesetze, Factory Acts. Die Factory Act Extension Act von 1864 (27
und 28 Vict. c. 48), welche sich mit der Fabrication von Thonwaaren, Zünd-
hölzchen, Zündhütchen, Patronen, sowie mit Papiertapeten-Drucke-
reien und Baumwollsammt-Scherereien beschäftigt, verbietet die Beschäf-
tigung von Kindern unter 12 Jahren in diesen Fabriken. Warum aber nur uner-
wachsenen Personen, d. h. solchen unter 18 Jahren oder Frauen verboten ist in
denjenigen Räumen, welche zur Anfertigung von Zündhölzeben dienen, ihre Mahl-
zeiten einzunehmen, ist nicht einzusehen, da sich ein solches Verbot auf alle Arbeiter
erstrecken muss.
Die Factory Act Extension Act von 1867 (30 und 31 Vict. c. 103)
bezieht sich auf alle Hohöfen. Eisen- und Kupferwerke, Maschinen-
werkstätten, Metallschmelzereien, Gummi- und Kautschuk-Fabriken,
Papier- und Tabak-Fabriken. Glashütten, Buchdruckereien und Buch-
binder-Werkstätten und alle Etablissements, in welchen jährlich 50 und mehr
Personen wenigstens 100 Tage gemeinschaftlich beschäftigt werden.
Bei Glasöfen soll keine Frauensperson und kein Knabe unter 12 Jahren,
in Metallschleifereien kein Kind unter 11 Jahren beschäftigt werden. In
jeder Fabrik, in welcher Polir- und Schleifarbeiten vorgenommen werden
und ein starker Staub sich entwickelt, sollen entsprechende Ventilationsvorrich-
tungen getroffen werden; Abweichungen vom Normalarbeitstage der Textil-Industrie
sind nach Umständen zulässig. So dürfen namentlich in Buchdruckereien
Knaben über 16 Jahre an alternirenden Wochen des Nachts, in Buchbindereien
junge Leute über 14 Jahre, auch Frauen 14 Stunden, in Papierfabriken und
Glashütten junge Leute überhaupt die gebräuchlichen Stunden arbeiten, wenn
die wöchentliche Stundenzahl 60 nicht übersteigt.
In Hoböfen, Eisenhütten, Papierfabriken, grossen Buchdrucke-
reien und mit Wasser getriebenen Werken ist auch die Nachtsarbeit ge-
stattet, aber in nicht mehr als 6, in Hohöfen und Papiermühlen in nicht mehr
als 7 Nächten innerhalb 14 Tagen. Ausserdem ist es dem Ermessen des Mini-
steriums des Innern anheimgestellt, bei diesen Festsetzungen der Arbeitszeit
den Gewohnheiten und Bedürfnissen die gebührende Rücksicht zu
widmen.
Durch die Factory and Workshop's Act vom 9. August 1870 wurde die
Bleaching and Dying Works Act vom Jahre 1864 aufgehoben und ausdrücklich
bestimmt, dass die Arbeitszeit unerwachsener Personen und der Frauen in che-
mischen Bleichereien und Türkischroth-Färbereien auf IOV2 Stunden
festgesetzt und die Nachtsarbeit für dieselben ganz verboten sei. obgleich sich
auch bei allen diesen Verordnungen erleichternde Modificationen in nachtheiliger
Weiss bemerkbar machten.
2g Einleitung.
Das Werk statten -Gesetz, Workshop RegulationActvom21. August
18G7 (30 uud 31 Vict. c. 14G) für das Kleingewerbe bestimmt den allgemeinen
Arbeitstag für Kinder von 6 Uhr Vormittags bis 8 Uhr Abends, für junge Per-
sonen und Frauen von 5 Uhr Vormittags bis 9 Uhr Abends. Auch die Schul-
pflicht wird hierbei auf einen lOstüodigen Schulbesuch in der Woche festgesetzt.
Die Controle hierüber fehlt aber ganz. Zieht man ferner in Betracht, dass die
Communal- Sanitätsbeamten bei der Beaufsichtigung der Werkstätten zuvor eine
Anklage beim Friedensrichter über Unzuträglichkeiteu erheben müssen, ehe sie
die Werkstätten betreten dürfen, so lässt sich leicht ermessen, dass die Durch-
führung dieses Gesetzes höchst mangelhaft bleiben musste. Die geregelte Ver-
bindung von Arbeit und Schulbesuch wie bei der Textil-Industrie wird hierbei
niemals zu erreichen sein, weil bei allen andern Industriezweigen viel weniger
Kinder beschäftigt werden, weil viele Fabricanten in Folge der Fabrikgesetze
so viel als möglich schulpflichtige Kinder entlassen haben und weil sich über-
haupt von den laxen Schulvorschriften des Werkstätten-Gesetzes nicht viel
erwarten lässt.
Obgleich die englische Fabrikgesetzgebung auf Volksbildung weniger Ein-
fluss gehabt hat und die Schulvorschriften nur auf die Kinder, d. h. auf 8 bis
13jährige beschränkt blieben, so sind die Schulbestimmungen der Fabrikacte doch
darum merkwürdig, „weil sie", wie von Plener bemerkt, „zuerst, wenn auch ohne
principielle Formulirung, den Grundsatz des Schulzwanges, welcher der frühern
englischen Gesetzgebung und Auffassung fremd war und selbst heute nach dem
Volksschulgesetze von 1870 dem Ermessen localer Behörden überlassen ist, zum
erstenmal aussprach und wenigstens auf einem bestimmten Gebiete verwirklichte.
Die Schulvorschriften der allerersteu Fabrikgesetze waren wenig wirksam, einmal
weil die Schulstunden zu beliebigen Tageszeiten genommen werden konnten, wie
dies den ungleichen und unregelmässigen Arbeitszeiten von 1844 entsprach, und
weil die allgemeine Aufsicht ziemlich lässig gehandhabt wurde. Erst mit der
zwangsweisen Einführung der sog. doppelten Reihen, welche die Arbeitsdauer für
Kinder auf die Hälfte des gewöhnlichen Arbeitstags herabsetzte und für die andere
Tageshälfte innerhalb bestimmter Stunden den Schulbesuch vorschrieb, gelang ein
wirksamer Fortschritt."18)
Unzweifelhaft ist der wohlthätige Einfluss, welchen die Fabrikgesetzgebung
auf die sanitären Verhältnisse der Arbeiter in der Textil-Industrie aus-
geübt hat. Bekannt ist es ja, dass gerade -die armen, geistig und körperlich ver-
kommenen Kinder in der Textil-Industrie für Menschenfreunde, unter denen ganz
besonders Lord Shaftesbury hervorleuchtet, eine dringende Aufforderung abgaben,
die lauge Arbeitsdauer abzukürzen, die Nachtsarbeit abzuschaffen und das Auf-
nahmsalter der Kinder zu erhöhen. Je mehr sich aber die öffentliche Aufmerk-
samkeit diesen Uebelständen zuwandte, desto mehr entdeckte man, was noch in
Bezug auf Ventilation, Reinlichkeit der Arbeitsräume, auf Schutz vor den Maschi-
nen, auf nothwendige Wasch- und Baderäume etc. zu leisten war. Mau kann
kühn behaupten, dass die reformatorische Bewegung im sanitären Gebiete der
Industrie wiederum den Anstoss zur Ausbildung der öffentlichen Gesund-
heitspflege gegeben hat; denn uothwendig musste sich der Blick erweitern und
der Gedanke lag nahe, dass Alles, was auf einem kleinen und beschränkten Ge-
biete schädlich auf die Gesundheit der Arbeiter einwirkt, in grössern Verhältnissen
auch die öffentliche Gesundheit nachtheilig berühren muss. Es ist daher kein
Einleitung. 29
zufälliges Ereigniss, sondern eine nothwenclige Folge dieser grossartigen Reform-
bewegung, dass gleichzeitig der Sinn für die Hebung der öffentlichen Gesundheit
erwachte und die Anbahnung der Städtereinigung durch Canalisirung, Wasser-
leitungen und eine geregelte Bauordnung ganz vorzugsweise in den grössern engli-
schen Fabrikstädten begonnen hat.
In Frankreich machte zuerst Sismondi19) auf den Missbrauch der jugend-
lichen Kräfte in den Fabriken aufmerksam. Späterhin widmete die Societe
industrielle de Mulhouse diesem Gegenstande ihre Aufmerksamkeit, bis die
Academie des sciences morales et politiques beschloss, den Zustand der
arbeitenden Gassen durch zwei ihrer Mitglieder an Ort und Stelle untersuchen
zu lassen. Es waren Villerrne und Benoiston de Chateaunau, welche im
Jahre 1839 den betreffenden Bericht abstatteten.20)
Hieraus entstand das Gesetz vom 22. März 1841 (loi relative au travail
des enfants dans les manufactures, usines et ateliers), welches die erste Fabrik-
ai'beitsordnung repräsentirt. Nach demselben dürfen Kinder erst im Alter von
8 Jahren in den Fabriken zugelassen werden; in ungesunden und gefährlichen
Fabriken darf dies nicht vor dem 16. Jahr geschehen.
Vom 8. bis 12. Lebensjahre darf die Arbeit nicht länger als 8 Stunden bei
einstündiger Ruhe dauern und vom 12. bis 16. Jahre werden 12 Arbeitsstunden be-
willigt. Jedes in einer Fabrik arbeitende Kind muss bis zum Alter von 12 Jahren
den Unterricht in Schulen benutzen. Die Maine führt durch besondere Kinder-
arbeitsbücher (Livrets) die Aufsicht über diese Bestimmungen, welche jedoch
noch keine besondere Gesetzeskraft erhielten, da die inzwischen ausgebrochene
Revolution es verhinderte, dass diese Vorschläge den Kammern zur nähern Er-
wägung vorgelegt wurden.
Im Jahre 1850 erklärte sich der Conseil general de ragriculture, des manu-
factures et du commerce, welcher nochmals von der Regierung mit der Prüfung
eines hierauf bezüglichen Entwurfes vom 15. Februar 1847 beauftragt wurde, zu
Gunsten desselben.
Das Gesetz vom 22. Februar 1851, betreffend die Lehrcontracte, bestimmt die
wirkliche Arbeitszeit für Lehrlinge unter 10 Jahren auf täglich 10 Stunden, für Lehr-
linge von 14 bis 16 Jahren auf 12 Stunden und verbot die Nachtsarbeit der Lehr-
linge unter 16 Jahren. Im Ganzen und Grossen ist man bei diesen Bestimmungen,
welche bezüglich der Fabrikschulen noch unvollkommen sind, stehen geblieben.
In Belgien hat man seit 1849 diesem Gegenstande die nothwendige Auf-
merksamkeit geschenkt. Durch Königl. Beschluss vom 7. September 1843 wurde
eine Commission mit der nähern Untersuchung beauftragt. Der betreffende Gesetz-
entwurf wurde aber verworfen, bis der Minister des Innern, Rogier, in Folge des
1852 in Brüssel tagenden Gesundheits-Congresses und durch die Zustimmung des
im Jahre 1856 zu Brüssel versammelten Wohlthätigkeits-Congresses ein Gesetz
entwarf, welches die Zustimmung der Deputirten und Handelskammer fand.
Hiernach werden Kinder beiderlei Geschlechts unter 12 Jahren von der
Arbeit in Fabriken ausgeschlossen. Frauen, Mädchen und Kinder unter 18 Jahren
dürfen an Sonn- und Feiertagen in Fabriken nicht arbeiten. Zu allen Zeiten
haben die Beamten freien Zutritt in die Fabriken und Werkstätten.21)
Bezüglich der Kohlenbergwerke enthält das Gesetz vom 2. Mai 1837
zweckmässige Bestimmungen, welche durch die ministerielle Verordnung vom
19. Januar 1850 und den König!. Beschluss v-om 1. Mai 1850 erweitert wurden.22)
30 Einleitung.
Belgien ist übrigens das einzige Land, welches Frauen und Mädchen noch
nicht gesetzlich von den unterirdischen Arbeiten ausgeschlossen hat, weil man
von der Ansicht ausgeht, dass viele Wirtschaften im entgegengesetzten Falle
ihrer einzigen Einnahmequelle beraubt würden, ohne jedoch zu bedenken, wie viele
andere Nachtheile dadurch für die Familie entstehen. Ohne Zweifel werden die-
jenigen Familien, welche auf solche Weise am meisten Geld verdienen, auch am
meisten ausgeben, weil eben jeder geregelte Haushalt fehlt. Factisch ist es, dass
solche Frauen viel häufiger erkranken, durch die schwere Arbeit Störungen der
Schwangerschaft erleiden und deshalb häufig abortiven. -'3)
In der Schweiz haben die Fabrikgesetze die Arbeiten der Kinder und
Frauen geregelt, so in Aargau das Gesetz vom 16. Mai 1862, in Basel-Stadt
das vom 15. November 1869, in Glarus das vom 29. September 1872. Nach
letzterm sind alltagsschulpflichtige Kinder (bis zum vollendeten 13. Jahre) in keiner
Fabrik zu verwenden. Frauenspersonen dürfen vor und nach ihrer Niederkunft
im Ganzen während 6 Wochen nicht in den Fabriken arbeiten. Die Arbeitszeit
dauert jetzt dort allgemein von 6 bis 11 Uhr Vormittags uud von 12 bis 6 Uhr
Nachmittags. 24)
Die gemeinnützige Gesellschaft zu Zürich hat sich die Regelung der wichtig-
sten Arbeiterfragen zur Aufgabe gemacht und in dieser Beziehung durch Wort
uud Schrift nützlich und erfolgreich gewirkt.25)
In Oesterreich wurde schon in den Jahren 1781 und 1816 auf die Be-
schäftigung der Kinder und Mädchen Rücksicht genommen. Eine Verordnung
vom 5. Januar 1836 und 16. Juli 1839 enthält specielle Bestimmungen über den
Unterricht und die Arbeit der Kinder. Hiernach durften Kinder unter 12 Jahren
nicht in den Fabriken zugelassen werden; auch mussten sie vor ihrer Aufnahme
ärztlich untersucht werden.
Unter dem 29. Juli 1846 wurde diese Bestimmung dahiu modificirt, dass
Kinder bereits vor dem 9. Lebensjahr zuzulassen sind, wenn sie den vorgeschrie-
benen Unterricht benutzen. Die Arbeitszeit für Kinder unter 12 Jahren soll
10 Stunden und für Kinder über 12 Jahren 12 Stunden betragen.
In Preussen beginnt mit einer Circular-Verfügung des Ministers der geist-
lichen Angelegenheiten vom 27. April 1827 die Fürsorge für die jugendlichen
Arbeiter, woran sich das Rescript vom 15. November 1828 anschloss, bis die Aller-
höchste Cabinetsordre vom 6. April 1839 diese Angelegenheit definitiv regelte,
indem hierdurch das Regulativ über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in
Fabriken vom 9. März 1839 bestätigt wurde. Der Schulbesuch wurde durch das
Gesetz vom 16. Mai 1853 und die Circ.-Verf. der Minister für Handel, der geist-
lichen Angelegenheiten und des Innern vom 18. August 1853 noch bestimmter
formulirt.
Die Principien dieser Verordnung siud in die Gewerbe-Ordnung für
das Deutsche Reich vom 21. Juni 1869 übergegangen.
Nach § 128 dürfen Kinder unter 12 Jahren zu regelmässigen Beschäftigungen in
den Fabriken nicht zugelassen werden. Dies darf vor vollendetem 14. Lebensjahre nur
dann geschehen, wenn sie täglich einen mindestens dreistündigen Schulunterricht in einer
von der hohem ^ erwnltungsbehördc genehmigten Schule erhalten. Ihre Beschäftigung
darf 6 Stunden täglich nicht übersteigen. Im Allgemeinen dürfen junge Leute vor dem
16. Lebensjahre nicht über 10 Stunden täglich beschäftigt sein.
Nach § 129 dürfen die Arbeitsstunden nicht vor o1'., Uhr Morgens beginnen und
nicht über 8l/2 TJhr Abends dauern.
Die Annahme jugendlicher Arbeiter in einer Fabrik darf nicht eher erfolgen, bevor
Einleitung. 31
der Ortspolizei-Behörde Anzeige davon gemacht worden und die Väter oder Vormünder
derselben dem Arbeitgeber ein Arbeitsbuch, eingehändigt haben, welches mit Rubriken
für das Nationale des Arbeiters, des Vaters, für die Schurverhältnisse, den Eintritt in
die Anstalt und Austritt aus derselben versehen ist.
Im Bereiche der Bergwerke und Aufbereitungsanstalten führen die Berg-
behörden die Aufsicht über diese Vorschriften und die Revierbeamten vertreten
die Ortspolizeibehörden. Schon mittels Erlasses der Ministerien des Innern und
für Handel vom 12. August 1854 wurde die Annahme von Kindern unter 16 Jahren
in den Bergwerksgruben (unter Tage) für unzulässig erklärt. Auch soll das
sog. Haspelziehen oder Karrenlaufen auf ansteigenden Bahnen unter den
Arbeiten über Tage nicht weiter geduldet wTerden. In Kupferbergwerken
ist kein Kind zuzulassen, welches nicht vorher von einem Arzte dazu geeignet
erklärt worden ist. Frauen dürfen in keinem Bergwerke unterirdisch beschäf-
tigt werden.
Die Circ.-Verf. der Minister für Handel, der geistlichen Angelegenheiten und
des Innern vom 18. August 1853 nahm auch noch Rücksicht auf die sanitären
Verhältnisse der Localitäten, auf die Vermeidung resp. Beschränkung der Arbeiten
von Mädchen unter 16 Jahren mit Knaben oder Männern in denselben Räumen,
namentlich in den Cigarrenfabriken und Buchdruckereien. Auch sollte
erwogen werden, welche Beschäftigungen für jugendliche Arbeiter nicht geeignet
sind und welche Vorsichtsmassregeln nöthig erscheinen, um den schädlichen
Folgen zulässiger Beschäftigungen vorzubeugen. Wo viel Staubbildung statt-
findet und Vorkehrungen behufs Sicherung der Circulation der frischen Luft aus-
nahmsweise nicht ausführbar sind, hat man für die Ablösung der jugendlichen
Arbeiter in angemessenen Zwischenräumen zu sorgen. Die Beschäftigung jugend-
licher Arbeiter mit der Handhabung giftiger Stoffe ist ganz zu verbieten oder
nur an genau zu controlirende Bedingungen und Vorschriften zu knüpfen. Bei
Beschäftigung in dauernd gebückter Stellung sind Vorkehrungen zu treffen,
welche eine Verkrümmung des Rückgrats oder sonstige Xachtheile für die Ge-
sundheit verhüten. Wo keine Fabrikin spectoren angestellt sind, haben die
betreffenden Departementsräthe so oft als thunlich sich von der Ausführung
dieser Vorschriften zu überzeugen.
Für das Deutsche Reich ist von dem Reichskanzleramt ein Programm der
durch Beschluss des Bundesraths vom 31. Januar 1874 angeordneten Erhebungen
zur Erörterung der Frage über die Erweiterung des gesetzlichen Schutzes der in
Fabriken beschäftigten Frauen und Minderjährigen entworfen worden. Der Erlass
des betreffenden Gesetzes steht noch in Aussicht.
12. Fabrikinspectoren. Die Controle der bestehenden gesetzlichen Be-
stimmungen ist überall, namentlich aber in der Industrie, ein Haupterforderniss,
wenn das Gesetz nicht ein todter Buchstabe bleiben soll.
Die Gewerbe-Ordnung für das Deutsche Reich schreibt die Anstellung von
Fabrikinspectoren nicht bestimmt vor. Der § 132 sagt nur, dass da, wo die
Aufsicht über die Ausführung der bestehenden Bestimmungen eigenen Beamten
übertragen ist, denselben bei Ausübung dieser Aufsicht alle amtlichen Befugnisse
der Ortspolizei-Behörden, insbesondere das Recht zur jederzeitigen Revision der
Fabriken zustehen. In Preussen sind in allen industriereichen Districten Fabrik-
inspectoren angestellt, weiche aber bisher nur die Arbeit der jungen Personen
und die Maschinen bezüglich der nothwendigen Umzäunung controliren.
In der Schweiz, speciell im Canton Zürich, stiess ihre Ernennung anfangs
32 Einleitung.
auf Schwierigkeiten . weil man dort die Gemeindeschulpfleger für die geeignetesten
Behörden zur Ueberwachung des Fabrikgesetzes hielt. Eine besondere Fabrik-
commission entschied sich doch schliesslich für das Institut der Fabrikinspec-
toren. Diese sollen nämlich nicht nur Vertreter der Arbeiter sein,
sondern auch die Interessen der Fabrikherrn und der Industrie über-
haupt wahrnehmen und nach beiden Seiten vermittelnd einwirken.
Im Schosse dieser Commission wurde auch der Wunsch ausgesprochen,
dass die Inspectionen im Interesse der Kinder noch auf manche andere Werk-
stätte und auf die Hausindustrie ausgedehnt werden möchten, da sie dort recht
oft viel notwendiger seien. Man berichtete, dass Mädchen, welche kaum aus
der Alltagsschule entlassen seien, zuweilen vom frühen Morgen bis in die späte
Nacht am Webestuhl beschäftigt würden, wodurch die vielen Fälle von Schwind-
sucht vorkämen. Andererseits verschwieg man sich jedoch nicht, dass eine weitere
Ausdehnung der Inspectionen auf Nichtfabriken als ein zu gefährlicher Eingriff
in Privat- und Familienverhältnisse erscheine, obgleich man nicht verkannte, dass
Menschenscliutzvereine oft weit notwendiger sind als Thiersclintzvereine. Man
müsste vertrauen, dass Kirchen-, Schul- und Gemeindepflege und gemeinnützige
Gesellschaften ihre segensreiche, das Volk erziehende Wirksamkeit in dieser
Beziehung immer weiter ausdehnen und im Bunde mit der wachsenden geistigen
Bildung dazu beitragen würden, eine öffentliche Meinung, eine Volkssitte und
Volksjury heranzubilden, welche solche hartherzige Behandlung und Ausnutzung
der Arbeitskräfte von Kindern und Frauen öffentlich an den Pranger stellen. Aus
diesen Gründen glaubte man auch auf die Fabrikinspectionen kein grosses Ge-
wicht legen zu dürfen, weil man die Mittel zur Abhülfe von Uebelständen
des Fabrikwesens mehr im Volke selbst und in seinem Leben als in
den Regierungen und in Gesetzen suchen müsse.26) Uebrigens wurde von
der Fabrikcommission selbst zugestanden, dass mancher Fabrikbesitzer mit Rück-
sicht auf die Inspectionen vielleicht bessere Vorkehrungen in sanitärer Hinsicht
treffen und einen Ehrenpunct darin erblicken würde, gute Einrichtungen zeigen
zu können, dass es ferner auf gewisse, namentlich unerwachsene Arbeiter günstig
und ermunternd einwirken würde, wenn sie sähen, dass man ihre Interessen zu fördern
und die Kinder zu schützen wünsche. Ferner erwähnte ein Fabricant, dass man
Aufseher, Werkführer und Meister zuweilen durch Hinweis auf die Inspection an-
sporne, ihre Pflichten, namentlich auch in Betreff der Annahme von nicht
schulpflichtigen Kindern und ihrer Behandlung, gewissenhaft zu erfüllen.
Diese Gründe sind wichtig genug, um für das Institut der permanenten
Fabrikinspectiou mit aller Entschiedenheit das Wort zu ergreifen. Der Fabri-
cant, welcher sich täglich im gewohnten Kreise bewegt, übersieht am ehesten die
in sanitärer Hinsicht der Fabricationsmethode anklebenden Mängel oder er
achtet sie für viel zu gering, um an Abhülfe derselben zu denken. Der Fabrik-
arbeiter hat keine Einsicht in die seiner Gesundheit drohenden Gefahren und be-
kümmert sich selten um den daraus erwachsenden Schaden. Fabrikinspectoren,
welche Sinn und Herz für das Wohl der Menschheit haben und dabei wirkliche
Sachkenntniss besitzen, können in doppelter Beziehung segensreich wirken. Sie
sind für den Fabricanten ein Sporn, seine Fabrik den Anforderungen der gewerb-
lichen Gesundheitspflege gemäss einzurichten; sie sind für den Arbeiter eine
Beruhigung, indem er dadurch die Ueberzeugung gewinnt, dass man ein Interesse
für sein Wohl und Wehe an den Tag legt und zwar in der Voraussetzung, dass
Einleitung. 33
sie gewissenhaft verfahren, weder einseitig das Interesse der Fabricanten oder
Arbeiter vertreten, noch einseitig am Buchstaben des Gesetzes halten, sondern
ihre Thätigkeit und Sachkenntniss auf Alles ausdehnen, was sie mit
den An fordernngen der öffentlichen Gesundheitspflege nicht in Ueber-
einstimmung finden. Von diesem Gesichtspuncte aus kann man von Plener
beistimmen, wenn er den englischen Fabrikinspectoren das Zeugniss unermüdlicher
Thätigkeit, gewissenhafter Pflichterfüllung und grosser geschäftlicher Tüchtigkeit
gibt, da sie den grössten Theil des Jahres auf Reisen zubrächten, fortwährend
Fabriken und Schulen besuchten, alle Beschwerden entgegen nähmen und die An-
klagen wegen Gesetzesübertretungen erhöben. Ihre halbjährlichen Berichte erklärt
er für eine ausführliche und lehrreiche periodische Darstellung der wichtigsten Seiten
des industriellen Lebens. Sicherlich versprechen alle Anordnungen der Gemein-
den oder Unternehmer nur dann einen Erfolg, wenn die staatliche Beaufsichtigung
mit Umsicht und Strenge durchgeführt wird. -')
Der gegenwärtige Etat für die Fabrikinspection ist folgender: 2 Inspectoren
mit je 1000 Pfd. Sterl. Gehalt und 150 Pfd. Sterl. für Schreib- und Reiseauslagen,
2 Hülfsinspectoren mit je 700 Pfd. Sterl., 40 Unterinspectoren mit Gehältern von
3 — 500 Pfd. Sterl. Die beiden letztern Classen erhalten besondere Reisevergütung
und 12 Sh. für jede auswärts zugebrachte Nacht. Für Bergwerke sind 1 In-
spector mit 710 Pfd. Sterl. und 12 Kohlenwerkinspectoren mit 6—800 Pfd. Sterl.
Gehalt angestellt. Der Staatshaushalt für 1871—72 enthält für die Ausgabe der
erstem Art zusammen 25,347 Pfd. Sterl. und für die der zweiten 13,710 Pfd. Sterl.
Der Arbeiter ausserhalb der Fabrik.
Personne n'a le pcmvoir de sauver l'ouvrier
du pauperisme, si ce n'est 1'ouvrier lui meme.
Jules Simon.
Wenn man den Arbeiter nicht nur in der Fabrik sondern auch ausser-
halb derselben berücksichtigen will, um ihm die Mittel und Wege für seine sitt-
liche, geistige und körperliche Wohlfahrt an die Hand zu geben, so tritt man
hiermit der grossen Arbeiterfrage näher, welche zum socialen Gebiete, dem grossen
Kampfplatze der Gegenwart, führt. Dieser Gegenstand kann hier nur in grossen
Zügen einer Betrachtung unterworfen werden, indem bloss auf die wichtigsten
Puncte Rücksicht genommen und für das Specielle auf die betreffende Literatur
verwiesen werden wird.28) In erster Linie steht:
1) Die Sorge für Reinlichkeit. Die Beobachtung der Reinlichkeit ist
eine Hauptbedingung zur Erhaltung der Gesundheit, zur Hebung der Ordnungs-
hebe und Veredlung der Sitte. Schon im Alterthum stand die Bildung der Völker
in der höchsten Blüthe, als die öffentlichen Bade- und Waschanstalten sich nicht
nur durch Pracht, sondern auch durch freie Benutzung und Zweckmässigkeit
auszeichneten. In Frankreich hat ein Gesetz vom 3. Februar 1851 dem Minister
für Handel und Ackerbau einen Credit von 600,000 Frcs. bewilligt, um die Ein-
richtung öffentlicher Bade- und Waschanstalten zu befördern, welche der arbei-
tenden Classe entweder unentgeltlich oder gegen geringe Zahlung offen stehen.
Nirgends wird aber ein ergiebigerer Gebrauch von Bädern als in England ge-
macht, und es ist nicht zweifelhaft, dass hierdurch die kräftige Constitution des
englischen Arbeiters mit bedingt wird. Schon das Gesetz von 1847 (Bath- and
Wash-Houses Act) gestattete jeder Gemeinde, Anleihen behufs Errichtung von Bade-
anstalten für die arbeitende Classe zu machen. Am wenigsten haben in Deutsch-
Eulenberg, Gewerbe-Hygiene. 3
34 Einleitung.
land die öffentlichen Bade- und Waschanstalten die noth wendige Verbreitung ge-
funden; die Bäder sind noch zu theuer uud die Waschanstalten noch zu selten.
In Berlin existiren seit 1856 und 1858 immer nur noch 2 grössere Waschanstalten.
Selbst die Einrichtungen für die Zufuhr des Wassers siud nicht ausreichend und
unsere Wasserleitungen entsprechen durchaus nicht dem allgemeinen Bedürf-
nisse. Die Wasserzufuhr ist eine der wichtigsten und fruchtbarsten Aufgaben
der öffentlichen Gesundheitspflege.29)
2) Turn- und Schwimmübungen sind auch für viele Arbeiter als höchst
wichtige Mittel zur Erhaltung der Gesundheit zu betrachten.30)
3) Die Sorge für passende Arbeiterwohnungen gehört zu den schwie-
rigsten Aufgaben der öffentlichen Gesundheitspflege. Eine gute Wohnung be-
festigt die Familienbande, hebt den Sinn für das Schöne und befördert das Be-
wusstsein der eigenen Selbstständigkeit; das System der getrenntenWohnungen
(Maisonnets, Cottages, Allotment-system) hat deshalb auch den entschiedensten
Vorzug vor dem Casernensystem (Hotels garnis, the common lodging houses).
In Bezug auf die Beschaffung von guten Arbeiterwohnungen ist England wiederum
mit einem glänzenden Beispiele vorangegangen und Männer wie der Fabricant
Akroyd, die Herzöge von Northumberland und Bedfort, sowie der grosse
Wohlthäter Peabody, haben sich in dieser Beziehung die schönsten Denkmäler
gesetzt. In neuerer Zeit wird das Genossenschaft sprineip auch auf den
Häuserbau angewendet. Solche Nutz- Bau- Gesellschaften (Beneflt-Building
Societies) existiren schon viele in England, namentlich solche, welche sich nach
einer im Voraus bestimmten Zeitdauer wieder auflösen. Man unterscheidet deshalb
begrenzte Gesellschaften von den permanenten.31) Diese grosse Aufgabe
harrt aber noch immer auf eine zeitgemässe Erledigung, nachdem man das Wohl-
thätigkeitsprineip der „gemeinnützigen Baugesellschaften" und „Wohnungsvereine"
aufgegeben hat. Selbst die in mancher Beziehung anerkennungswerthe Fürsorge
mancher Fabricanten für die Wohnungen ihrer Arbeiter wird insofern als mangel-
haft anerkannt, als die Leistungen, welche der Arbeiter dem Fabricanten gegenüber
zu übernehmen hat, seine Abhängigkeit vermehren und möglicherweise eine neue
Art von Hörigkeit darstellen könnten. In der Schweiz neigt man sich immer
mehr der Ansicht hin, den Arbeitern und kleinen Bauunternehmern den Bau und
die Einrichtung der Wohnungen zu überlassen, dabei denselben aber den Erwerb
des betreffenden Gruudstücks zu erleichtern, event, baare Vorschüsse zur Be-
streitung der Kosten oder Credit bei Vorschussvereinen gegen Verbürgung zu be-
schaffen oder auch ein Capital auf Hypothek zu vermitteln. Jedenfalls dürfte
dies ein geeignetes Mittel sein, die Thatkraft, Sparsamkeit und Beharrlichkeit des
deutschen Arbeiters zu beleben und in diesen Eigenschaften einen Wetteifer mit
dem englischen Arbeiter anzuregen.
4. Sorge für eine passende Ernährung. Sache des Staates ist es,
die Beschaffung der Lebensmittel zu erleichtern und jede Verfälschung derselben
mit den strengsten Strafen zu ahnden. Sache der öffentlichen Gesundheitspflege
ist es, die schändlichen Betrügereien auf diesem Gebiete aufzudecken, welche dem
Arbeiter gegenüber gleichsam einen langsamen Mord repräsentiren.32)
In grossem Fabriken ist gegenwärtig vielfach die löbliche Sitte eingeführt,
durch die Bereitung der Nahrungsmittel im Grossen namentlich den entfernt
wohnenden Arbeitern eine zweckmässige Nahrung zu verschaffen. In grosseu
Städten verdienen die „Volksküchen" die weiteste Verbreitung, wie sie Vorzugs-
Einleitung. 35
weise in Berlin seit 1866 bestehen.33) Niederlagen von Lebensmitteln, welche
Ton „Arbeitervereinen" errichtet werden, gibt es nur in England, denn die nach
Schalze-Delitzsch errichteten Consumvereine kommen weder dem Lohn-
noch Handarbeiter, höchstens dem Handwerker zu Gute. Für die eigentlichen
Arbeiter ist in dieser Beziehung noch nicht viel geschehen, bei welchen es
ausserdem auf eine rationelle Auswahl und Verwendung der Nahrungsmittel,
d. h. auf einen geregelten Haushalt ankommt. Hier ist das Gebiet, auf welchem
allein Frauen ihrer Aufgabe nachzukommen und das Wohl der Familie zu be-
gründen haben. Die „Frauenfrage" ist vielfach ventilirt und eine Menge von
wohlthätigen Vereinen begründet worden, aber es fehlt noch immer an einem
Verein, welcher die Ausbildung der Mädchen aus dem Arbeiterstande
zu ordentlichen Hausfrauen bezweckt. Es thut Noth, „Männerschutz-
vereine gegen unordentliche Frauen" zu bilden, denn der reichlichste Ver-
dienst bleibt bei einer unordentlichen und unvernünftigen Hausfrau gleich dem
Füllen des Danaidenfasses.
5) Arbeiter-Genossenschaften. Die Vereinigung der Arbeiter zur ge-
meinschaftlichen Selbstbewirthschaftung ihrer Ersparnisse (Cooperatives societies)
erstrebt die Bildung einer Arbeiter -Genossenschaft (Working men"s association),
welche bisher nur auf englischem Boden sich entwickelt hat. Unerwähnt darf in
dieser Beziehung die „Rochdale Society of equitable Pioneers" in Lancashire nicht
bleiben. Arme "Weber, welche nicht mehr durch „Strikes" sondern durch „Co-
operation" ihre Lage zu verbessern suchten, wurden im Jahre 1844 die Stifter
dieses Vereins. Sie nennten sich „Pioneers", weil sie als Bahnbrecher auf einem
neuen Gebiete auftreten wollten. Wahrscheinlich waren sie durch Richard
Owen's System der gegenseitigen Hülfeleistung (mutual assistance) dazu angeregt
worden. Schon im Jahre 1863 zählte der Verein 3900 Mitglieder mit einem Ver-
mögen von 43,325 L. Es wurden kleine Läden (Branche-Stores) errichtet, welche
ans den Hauptniederlageu mit dem Nöthigen zum Einkaufspreise versehen waren,
indem die Distributiv-Associationen (Consumvereine im weitern Sinne) für
den gemeinsamen Ein- und Verkauf allerlei Lebensbedürfnisse für den Arbeiter
sorgten und die Productiv- Associationen die Selbstfabrication vieler der
ersten Lebensbedürfnisse betrieben.34) Die auf deutschem Boden entstandene
Genossenschaftsbewegung unterscheidet sich insofern wesentlich von der
englischen, als der materielle Xothstand der Arbeiter letztere veranlasst hat,
während man in Deutschland vom theoretischen Standpunct aus die sociale Frage
in die Hand nahm, als die Berliner allgemeine Gewerbe-Ausstellung im Jahre
1845 die Preussische Regierung veranlasste, einen Verein für die Hebung und
das Wohl der arbeitenden Classen zu gründen und aus einem Centralverein
verschiedene Localvereine hervorgehen zu lassen. Hiergegen protestirte der „Ber-
liner Handwerkerverein", weil er von der Ansicht ausgiug. dass durch
Prämien- Sparcassen die Ersparnisse der Arbeiter nur der Grossindustrie zu
niedrigem Zinsfuss zugeführt würden. Man griff deshalb zu den in Berlin entstande-
nen Liedtke' sehen Sparvereinen, welche sich von den jetzigen Consumvereinen
dadurch unterschieden, dass die Lohnersparnisse der Arbeiter nicht unter Theil-
nahme der Arbeiter, sondern allein von Menschenfreunden behufs Anschaffung
von Lebensbedürfnissen verwaltet wurden. Indem der Berliner „Localverein"
auch die Arbeiter zum Einsammeln, Ankauf und zur Vertheilung der Lebens-
bedürfnisse an ihre Genossen heranziehen wollte, beabsichtigte man hiermit die
36 Einleitung.
„Selbsterhebung der arbeitenden Classe" an die Stelle der „bevormundenden He-
bung" zn setzen. Diese Idee fand aber an massgebender Stelle keinen Beifall,
weshalb die Projecte nicht ausgeführt wurden. Nach verschiedenen Versnshen
trat Schulze-Delitzsch wiederum mit dem Princip der Selbsthülfe auf, um die
Arbeiter nach dem englischen Beispiele zu Selbstproducenten und Capitalisten
zu machen und zwar im Gegensatz zu Lassalle, welcher das System der Staats-
hülfe für den Arbeiter aufstellte. Die Schulze-Delitzsch'schen Genossenschaften
sind nur Handwerker- Genossenschaften geblieben, indem die Credit-
Genossenschaften oder Vorschussvereine dem Handwerker und kleinen
Unternehmer Credit verleihen, sobald er einen Bürgen für sich stellen kann, die
Rohstoff- und Gonsumvereine aber den Mitgliedern zu gewerblichen und
Haushaltuugszwecken dienen.
Die Productiv-Genossenschaften haben in Deutschland noch keine
Aussicht auf Erfolg. Die einzigen Beispiele dieser Art liefern die Maschinenbauer
in Chemnitz und die Shawlweber in Berlin. Dagegen lässt sich vom Tantiemelohn
weit Erspriesslicheres erwarten und hat Berlin bereits einen bisher gelungenen
Versuch dieser Art in einer Broncefabrik aufzuweisen. Er liefert fast dieselben
materiellen und moralischen Erfolge wie die Productiv-Genossenschaften, ist da-
gegen in der Ausführung viel weniger schwierig. Auch die Züricher Fabrikcom-
mission erkennt zwar die Schattenseite des Tautiemelohus an, fordert aber doch
recht dringend zur Durchführung dieses fruchtbringenden Gedankens auf.
6. Unter st ützuugs vereine. Dieselben beziehen sich auf Zeiten der
Krankheit oder Arbeitsunfähigkeit und sind in den meisten Ländern staatlich ge-
regelt. Für das Deutsche Reich ist durch die Gewerbeordnung vom 21. Juni
1869 (Tit. VIII §§ 140, 141) die Verpflichtung, einer mit einer Innung verbunde-
nen oder ausserhalb derselben bestehenden Kranken-, Hülfs- oder Sterbe-
casse für selbstständige Gewerbetreibende beizutreten, aufgehoben. Die
(liesfälligen Anordnungen für Gesellen, Gehülfen und Fabrikarbeiter sind
in Kraft geblieben. Die Vorschriften wegen der Knappschafts-Vereine regelt
das Berggesetz vom 24. Juni 1865 und für die beim Bau von Eisenbahnen be-
schäftigten Arbeiter gilt die Verordnung vom 21. December 1846. 35)
7. Verhütung von Streitigkeiten zwischen Arbeitern und Arbeit-
gebern. Die Gewerbegerichte (Chambre de prudhommes, Boards of con-
ciliation and arbitration) beabsichtigen, ein gutes Verhältniss zwischen Arbeitern
und Fabricanten zu sichern und zn unterhalten. In Frankreich bestanden sie
schon im Mittelalter, denn im Jahre 1452 stellte bereits König Renatus prud1-
hommes in Marseille an, welche damals die Streitigkeiten zwischen Schiffern und
Fischern zu schlichten hatten. Dann waren es besonders die Verordnungen der
Gilden, deren Beachtung Seitens der Meister und Arbeiter sie zu überwachen
hatten Erst nach der französischen Revolution wurden sie mit der Aufhebung
der Gilden die Vermittler zwischen Arbeitern und Fabricanten. Die Gewerbe-
gerichte haben sich stets als eine sehr nützliche Einrichtung bewährt.
8. Sittliche und geistige Hebung der Arbeiter. Dass die Art der
Arbeit auch einen Einfluss auf das geistige Wesen der Arbeiter ausübt, kann nicht
geleugnet werden, wenn man beobachtet, dass der Eiseubahnaibeiter oft hart
und rauh wie das zu bearbeitende Metall ist, der Weber von Kattun- und Seide-
stoffen nicht selten eine Vorliebe für Putz zeigt oder die Spitzenarbeiterinnen
und Nätherinnen neben einem guten Geschmack in ihrem ganzen Auftreten feinere
Einleitung. 37
Manieren documentiren. 36) Andererseits drückt sich auch oft die Einseitigkeit
einer Beschäftigung im ganzen Wesen des Arbeiters aus. Immerhin ist der Ar-
beiter verpflichtet, die schädlichen Einflüsse des Bernfes mit sittlichen und geistigen
Waffen zu bekämpfen. Wissen ist Macht! Dieser Ausspruch gilt auch dem Arbeiter-
stande: denn je mehr der Arbeiter begreifen lernt, dass Jeder ein Theil des grossen
Ganzen ist und der Unterschied der Stände nur in der Lösung verschiedener Auf-
gaben liegt, desto weniger wird er über sein Schicksal murren, sondern in dem
ihm beschiedenen Berufe durch treue Pflichterfüllung seine Befriedigung finden.
Die Arbeit ist die Bedingung, aber nicht der Zweck des Lebens. Lebenszweck
ist die sittliche und geistige Vervollkommnung. Die Bedingungen dazu müssen
auch dem Arbeiter durch Unterricht, durch zweckmässige Bildungsmittel, geistige
Genüsse und Erholungen gewährt werden. „ Arbeiter-Bildungsvereine" sind
als die wichtigsten Mittel hierzu zu betrachten und daher auf jede mögliche Weise
zu befördern.37)
Specicller Theil.
Metalloide.
Wasserstoff H.
Wasserstoff kommt selten frei, sondern vorzugsweise mit andern Elementen verbunden
vor und bildet nicht nur einen Bestandteil des Wassers, sondern fast aller organischen
Körper. Mit Chlor, Schwefel und Stickstoff verbunden, tritt er in vulcanischen
Gegenden, in Verbindung mit Kohlenstoff in Kohlengruben auf Die lebenden Pflanzen
liefern nur eine spärliche Menge von H, indem sie durch die Wurzeln das im Regen-
wasser enthaltene Am m oniak aufnehmen und bei der Zersetzung desselben im Finstern
II durch die Blätter an die Atmosphäre abgeben.
Dargestellt wird Wasserstoff durch Zersetzung des Wassers: a) mittels
des electrischen Stromes; b) mittels der Metalle der Alkalien (Natrium, Kalium) bei
gewöhnlicher Temperatur, mittels der Metalle der Erdalkalien bei der Siedhitze und
clurch Eisen, Zink, Zinn und Kohle in der Rothgluth; c) bei gewöhnlicher Temperatur
durch Zink (»der Eisen unter Beihülfe einer Säure (Salz- oder Schwefelsäure). Hierbei
kommt es sehr auf die Reinheit der anzuwendenden Substanzen an, damit sich nicht,
wenn das Eisen mit Kohle, Schwefel oder Phosphor, oder das Zink mit Arsen ver-
unreinigt ist, gleichzeitig Arsen-, Schwefel-, Kohlen- oder Phosphorwasserstoff bildet.
Wasserstoffgas ist geruch-, färb-, geschmacklos und dadurch charakteristisch, dass
es der leichteste Körper auf unserer Erde ist. Spec Gew. = 0,0C93. Nach Uraham be-
sitzt das Palladium (wie Platin, Iridium, Eisen) die Eigenschaft, Wasserstoff zu ver-
dichten resp. einzuschliessen. Er brennt mit blasser Flamme (die philosophische Lampe
der Alchimisten), kann aber unter gewöhnlichen Verhältnissen das Brennen nicht unter-
halten. Ausser durch brennende Körper und den electrischen Strom kann seine Ent-
zündung durch poröse Körper (Platinschwamm. Platinmohr, Platinfolie), welche an
ihrer Oberfläche Sauerstoff verdichten, vermittelt werden. Durch die rasche
Verbindung von 0 und H entwickelt sich momentan eine Summe von Wärmeeinheiten,
welche das Metall ins Glühen bringt, die Entzündungstemperatur des Wasserstoffs er-
reicht und alsdann das zuströmende Gas entzündet, wie es beim /)ö7icm'/w'sehen Feuer-
zeug der Fall ist
Eine Kugel von reinem Thon und Platinschwarz bringt die Verbindung von 2 V,
Th. H und 1 V. Th. 0 oder 5 V. Tb., atmosphärischer Luft ohne Explosion zu Stande.
Da sich dieses Gemisch sonst mit Explosion entzündet, so heisst es Knallgas. Bei
seiner Verbrennung wird der uns bekannte höchste Grad der Hitze, circa 4000° C erzeugt.
Es wird daher in der Technik zum Schmelzen von Metallen oder sclrwer schmelzbaren
Substanzen benutzt. Mit Chlor verbindet sich H bei Einwirkung des directen Sonnen-
lichts direct unter Feuererscheinung und heftiger Explosion. Im zerstreuten Lichte ge-
schieht die Verbindung allmählig ohne Feuererscheinung.
Einwirkung von Wasserstoff anf den thierischen Organismus. Wegen der
häufigen Verunreinigung des Wasserstoffs hat man demselben früher giftige Eigenschaften
beigelegt, welche dem reinen Wasserstoff gänzlich fehlen, da er massenhaft von Menschen
und Thieren eingeathmet werden kann, ohne dass der geringste Nachtheil dadurch
entsteht.1)
Schon der bekannte Luftschiffer Pi/d/re de Ho: irr athmete das Wasserstoffgas bei
öffentlichen Versuchen mit demselben im Jahre 1783 in mehreren kräftigen Zügen ohne
Schaden ein. Er hatte sogar die Kühnheit, dasselbe beim Ausathmen anzuzünden. Bei
fortgesetzter Inhalation von purem Wasserstoff kann der Tod schliesslich nur durch
Mangel an Sauerstoff eintreten.
Wasserstoff. 39
Wasserstoff in der Industrie.
Wegen seiner grossen specifischen Leichtigkeit bat der Wasserstoff bei der
Luftschifffahrt beim Füllen der Luftballons eine grosse Rolle gespielt. Schon
die Gebrüder Montgolfier gingen beim Bau des ersten Ballons von dem Ge-
danken aus, denselben mit einem Gase, welches leichter als die atmosphärische
Luft sei, zu füllen. Da sie glaubten, dass das Aufsteigen und Schweben der
Wolken in der Luft durch Electricität bedingt sei, suchten sie ein mit electrischen
Eigenschaften begabtes Gas darzustellen, welches sie durch Verbrennen von Stroh
und einer thierischen Substanz, z. B. von Wolle etc., zu erhalten glaubten. Als
sie diese Verbrennung unter einem aus Taffet construirten Ballon ausführten, stieg
derselbe in die Höhe, aber selbstverständlich nicht in Folge eines aufgenommenen
eigentümlichen Gases, welches man damals Gas- Montgolfier nannte, sondern
durch die verdünntere Luft, welche im Innern des Ballons durch die Wärme aus-
gedehnt und folglich leichter wurde. Erst Charles gebrauchte den Wasserstoff
als das leichteste Gas zum Füllen der Luftballons, so dass man von da an Mont-
golfieren und Charlieren unterschied, bis späterhin der Wasserstoff vom
Leuchtgase verdrängt wurde.
In der Industrie kann eine sehr reichliche Entwicklung von Wasserstoff
bisweilen gefährliche Folgen haben, wenn die Fabrikräume damit angefüllt werden
und in Folge seiner Vermischung mit atmosphärischer Luft ein explosives
Geraisch entsteht. Schon häutig sind auf diese Weise Unglücksfälle herbei-
geführt worden. Ein solches Unglück ereignete sich z. B. in einem chemischen
Laboratorium, als 25 Pfund metallischen Zinks mit der hinreichenden Menge
wässriger Schwefelsäure übergössen wurden; nachdem das Laboratorium bald mit
einer grossen Menge Wasserstoff angefüllt war. wurde zufällig eine Pfanne mit
glühenden Holzkohlen hineingetragen, worauf sofort eine so heftige Explosion
entstand, dass nicht nur alle Scheiben sondern auch die eisernen Fensterrahmen
herausgeschleudert wurden.
Auch unter andern Bedingungen und bei andern Vorfällen kann der Wasser-
stoff mit atmosphärischer Luft vermischt zur Explosion gelangen. Dies kann z. B.
bei der Darstellung der Essigsäure unter besondern Umständen der Fall sein.
In neuerer Zeit geschieht dieselbe nämlich häufig durch Zersetzung von holzessig-
saurem Calcium mit Schwefel- oder Salzsäure in gusseisernen
Kesseln. Durch das Eisen der Kesselwandungen kann sich das Wasser bei
Gegenwart freier Salz- oder Schwefelsäure zersetzen und Wasserstoff bilden, welcher
beim Oeffnen der Probirhähne und bei zufälliger Berührung der ausströmenden
Gase mit Feuer sich alsdann entzündet, so dass Zersprengungen der Apparate er-
folgen. Ein solches Unglück ereignete sich vor einigen Jahren in einer Fabrik.
Der zersprungene Kessel hatte einen Arbeiter sogleich getödtet, indem ein grosser
Eisensplitter den Kopf desselben getroffen hatte; ein Eisendraht lag in seiner
Nähe und war deshalb die Annahme höchst wahrscheinlich, dass er denselben
glühend durch einen verstopften Erahnen des Zersetzungskessels geführt und auf
diese Weise die Explosion des ausströmenden Gasgemisches veranlasst hatte. Um
ein solches Unglück zu verhüten, erscheint es nothwendig, dass bei dieser Fabrica-
tionsmethode die gusseisernen Kessel im Innern mit einem bleifreien Email, z. B.
mit Borax-Email, überzogen werden. Noch besser ist die Anwendung von kupfernen,
inwendig verzinnten Kesseln.
40 Wasserstoff.
Auch in Dampfkesseln kann sich Wasserstoff entwickeln, wenn dieselben
mit Wasser, welches Chloride und Magnesiumsalze enthält, gespeist werden.
Es bildet sich hierbei Chlormagnesium, welches zerfällt und zur Bildung von
freier Salzsäure Veranlassung gibt. Dieselbe wirkt auf das Eisen der unbedeckten
Kesselfläche ein und erzeugt durch Zerlegung des Wasserdampfes freien Wasser-
stoff. Bei Reparaturen und Reinigungen der Dampfkessel kann alsdann leicht
eine Explosion erfolgen, wenn die Arbeiter zu früh mit einem Lichte in den Kessel
steigen und das Gemisch von Wasserstoff mit atmosphärischer Luft entzünden.
Auf diese Weise sind namentlich auf Seedampfschiffen schon Explosionen
vorgekommen. Es ist unter allen Umständen stets zweckmässiger, das Mannloch
der Dampfkessel einige Zeit geöffnet zu lassen, ehe man das Einsteigen von
Menschen gestattet, damit das Gasgemisch Zeit zum Ausströmen hat.
Beim Verbleien oder Verzinnen des Eisenblechs tritt oft so viel
Wasserstoff auf, dass er entzündet werden kann (S. Verzinnen). Man muss daher
stets dafür sorgen, dass er sich in geschlossenen Räumen nicht anhäuft, um die
Gefahr der Explosion zu vermeiden.
Das Knallgas (die Mischung von Wasserstoff und Sauerstoff) kommt in
der Industrie häufig zur Anwendung. Zur Darstellung künstlicher ächter Edel-
steine, z. B. des Rubins etc., zum Schmelzen der Platinmetalle hat man die Kuall-
gasflarame häufig benutzt. Das erste Knallgasgebläse fertigte der Engländer
Newman an und brachte dabei das Princip der Davy'schen Sicherheitslampe
in Anwendung, nach welchem die Flamme nicht durch die feinen Oeffnungen eines
Drahtnetzes hindnrchschlägt, weil sie hierdurch eine so grosse Abkühlung erfährt,
dass die Entzündungstemperatur sich nicht bis ins Innere fortpflanzt. Man muss nur
die Vorsicht gebrauchen, dass das Drahtnetz stets unverletzt bleibt und sich nicht
bis zur Entzündungstemperatur des Knallgases, welche bei der Rothgluth liegt,
erhitzt. Neuerdings legt man in die Ausströmungsröhre statt der Drahtsiebe
Drahtbündel ein. Aber auch bei der grössten Vorsicht sind Explosionen nicht
ausgeschlossen, weshalb das Knallgasgebläse längere Zeit ausser Gebrauch kam,
bis Maugham seinen Hahn erfand, dessen Construction ein Ausströmen der Gase
in gesonderten Röhren und eine Mischung derselben erst dicht vor der Entzün-
dungsstelle gestattete. Durch die Stellung der Hähne der Gasometer lässt man
Wasser- und Sauerstoff im Verhältniss von 2 : 1 austreten.
Ein solches Gebläse wird zu den mannigfaltigsten Schmelzungen, namentlich
zum Löthen der Metalle benutzt. Da man hierbei kein Loth, d. h. keine
Mischung von verschiedenen Metallen, deren Schmelzpunct unter dem des zu
löthenden Metalls UVgt, bedarf, so schmilzt man mittels dieser Flamme, welche
keine Oxydation bewirkt, die Ränder der zu löthenden Metallstücke und fügt
sie sofort zusammen. Die Verbindungen dieser Art sind viel fester als die
Verlöthnngen, welche leicht oxydirt und zerfressen werden, da das Loth nament-
lich bei zinnernen Gefässeu, welche zum Messen oder Aufbewahren saurer
Flüssigkeiten dienen, von diesen leichter als das reine Metall angegriffen wird.
Es ist daher sehr zu bedauern, dass man das Knallgasgebläse beim Löthen
von Gold, Kupfer, Blei und Zink noch zu wenig gebraucht. Seine Anwen-
dung in den Pariser Bijouteriefabriken ist dadurch sehr erleichtert worden, dass
man den Wasserstoff aus einem Gasbehälter austreten lässt und mittels eines
Blasebalgs nur atmosphärische Luft zuführt. Die älteste Methode dieser Art des
Löthens bestand im Gebrauch des blossen Wasserstoffs, wobei sich aber unter
Chlor. 41
Umständen leicht Knallgas bilden kaun, welches alsdann bei Entzündungen Ex-
plosionen veranlasst.
Kalk wird bekanntlich im Knallgasgebläse weissglühend. Man nennt dieses
Licht nach seinem Erfinder, einem englischen Ingenieur, Drummond'sches oder
Hydroxygengaslicht. In Leuchttürmen dient es als Signallicht; auch zu
mikroskopischen Yergrösserungen und zur Darstellung der sogen. Xebelbilder
(Dissolving views) wird es benutzt,
In der Chemie dient der Wasserstoff wegen seiner grossen Verwandtschaft
mit dem Sauerstoff bei erhöhter Temperatur als Reductionsmittel.
Chlor Cl.
Chlor tritt nur in Verbindungen auf: unter diesen ist die mit Natrium theils in
krystallisirtem Zustande (Steinsalzlager), theils in wässriger Lösung (Meerwasser. Salinen)
ausserordentlich verbreitet. Im Thier- und Pflanzenreich fehlt diese Verbindung nie.
Zur Darstellung von Chlor benutzt man, seitdem Schneie 1774 seine berühmte
Abhandlung über Braunstein geschrieben hat, eine Mischung von Braunstein (Mn02)
mit Salzsäure oder eine solche von Braunstein, Kochsalz und Schwefelsäure. In letzterem
Falle liefert Kochsalz und Schwefelsäure die Salzsäure (s. Chlorwasserstoffsäure).
Mn02 -f- 4 H Cl = MnCl2 + C1C1 + 2H20
Chlor ist ein grünlich-gelbes (y/.iupdc), verdichtbares Gas und durch seinen durch-
dringenden Geruch zu erkennen; es ist 2,4ömal schwerer als die Luft, 35.5mal schwerer
als Wasserstoff. Es lässt sich aus einem Gefäss in das andere giessen, ist nicht brenn-
bar und unterhält auch nicht die Verbrennung. Chlor verbindet sich fast mit allen
Elementen, ganz besonders mit Wasserstoff. Mit dem in organischen Verbindun-
gen enthaltenen Wasserstoff vermag es unter Feuererscheinung zusammenzutreten. Ein
Wachslicht brennt daher im Chlorgase fort, vreü Wachs Kohlenwasserstoffe als
Verbrennungsproducte liefert. Während der Wasserstoff im Chlor weiter verbrennt,
scheidet sich der Kohlenstoff als Russ aus. Wasser absorbirt bei 10° 2,75 Vol Chlor-
gas, bei höherer Temperatur nur 1.8 Vol. Dieses Chlorwasser zersetzt sich allmählig,
fndem Sauerstoff frei wird und Salzsäure entsteht.
2 Cl -f- H20 = 2 H Cl 4- 0
Durch dieses Verhalten gewinnt Chlor seine Bedeutung als Desinfections mittel,
weil nascirender Sauerstoff befähigter als der atmosphärische ist, sich mit leicht oxydir-
baren Substanzen zu verbinden, und daher Miasmen und Contagien leichter zu zerstören
vermag. Aus diesem Grunde ist Chlor ein kräftiges, wenn auch indirectes Oxydations-
mittel, nicht minder ein Bleichmittel, indem es alle organischen Farben zerstört.
Es vermag aber auch Farben unter Umständen zu erzeugen. Tränkt man nämlich
Streifen von weissem Fliesspapier mit Tinct. Guaj. (1 : 24) und trocknet dieselben, so
erscheinen sie farblos, in einer verdünnten Chlorlösung wird jedoch das Papier blau,
weil Chlor das Wasser zersetzt, den Wasserstoff aufnimmt und den freien Sauerstoff
liefert, welcher alsdann die bekannte oxydirende Einwirkuno- auf das Guajakharz ausübt
(S. Ozon).
Hierauf beruht "auch die Ansicht über die Wirkung des Chlors bei der Bleiche.
Es gibt nämlich keine färbende Verbindung der organischen Welt, welche keinen Wasser-
stoff enthält. Dieses Wasserstoffs bemächtigt sich das Chlor, so dass der aus der organi-
schen Substanz und aus dem Wasser freiwerdende Sauerstoff die Verbindung oxydirt
und ihrer färbenden Eigenschaft beraubt.
Nach einer andern Ansicht bedingt schon der aus der Verbindung austretende
Wasserstoff eki Zerfallen des färbenden Körpers und in den meisten Fällen ein Schwin-
den der färbenden Eigenschaft desselben.
Einwirkung von Chlor auf den thierischen Organismus. Versetzt man Thiere
plötzlich in eine Chlor-Atmosphäre, so verlangsamt sich die Respiration, wahrscheinlich
weil die Thiere das Inspiriren zu vermeiden suchen. Ein Glottiskrampf konnte hierbei
nicht beobachtet werden: erst nach 3 Minuten entsteht bei Kaninchen Taumel und
Schwindel bis zum Hinfallen; unter leichten convulsivischen Zuckungen in den Extre-
mitäten und tiefen krampfhaften Inspirationen tritt nach 5 Min. schon der Tod ein. Dies
kurze Krankheitsbild wiederholt sich in den Fällen, wo geringere Mengen von Chlor-
dämpfen tödtlich einwirken, nur macht sich hier vorher die heftige Reizung der Schleim-
40 Chlor.
haut der Nase, des Mundes und der Augen durch reichliche schleimige Absonderung
geltend. Eine Opalisirung der Hornhaut bildet sich durch die Coagulation der albu-
minösen Gebilde. Kaninchen können in einer Atmosphäre von einem Proc. Cl. zu
Grunde gehen. . _ "
Der Leichenbefund charakterisirt sich bei den durch Chlor umgekommenen
Thieren durch eine braunrothe. Bcbwarz gefleckte Lunge. Die Schleimhaut der Trachea
und Bronchien ist braunroth injicirt und ein feinblasiger Schaum füllt die feinsten
Bronchien bis in den Larynx aus. Einzelne Partien der Lungen erhalten dadurch
eine ödematöse Beschaffenheit," während andere dicht und fest sind. Diese Verdichtung
kann nur von der entstandenen Salzsäure herrühren , -während die flüssigen Exsudate
eher der reizenden Einwirkung des freien Chlors angehören. Das Blut ist immer dick-
flüssig, bisweilen auch feinkörnig; es färbt die Haut schmutzigbraun, ist klebrig, von
dunkelbraunrother bis Bchwarzhcb.rotb.er Farbe, je nachdem das Chlor längere oder
kürzere Zeit eingewirkt hat.1)
In vieler Beziehung stimmt hiermit der Obductionsbefund bei Menschen überein.
Camoron*' fand bei der Obduction eines Matrosen, welcher auf einem mit Chlorkalk
und Natriumsulfat beladenen Schiffe eines Morgens todt gefunden wurde, 30 Stunden
nach dem Tode blasses, aber nicht livides Gesieht, erweiterte Pupillen, Schaum vor den
Nasenlöchern und dem Munde, die Lippen weiss und etwas geschwollen, das Zahnfleisch
wie gebleicht, das Epitheliom stellenweise auf der Zunge und den Lippen erweicht.
Die Halsaefässe zeigten sich gefüllt, die Lungen nur hyperämisch, aber nicht von sehr
dunkler Farbe, die Bronchien mit schaumiger und blutiger Flüssigkeit ange-
füllt, die Trachea durch Gefässinjection geröthet und das ganze Yenensvstem von Blut
strotzend. Die linke Herzhälfte war leer und die rechte mit dunklem Blute angefüllt.
An den Unterleibsorganen fand sich nichts Abnormes. Die Schädelknochen waren blut-
reich, die Oberfläche des Gehirns und seine Häute zeigten schwach angefüllte Gefässe,
dagegen waren die Sinus angefüllt. Die Gehirnsubstanz fest und normal. Ganz unver-
kennbar trat aber beim Einschneiden in die Hirnventrikel ein Geruch nach Chlor
auf. welcher bei der Eröffnung der Unterleibshöhle nicht bemerkbar war.
Die primäre Einwirkung von Chlor gibt sich stets durch eine Reizung der
Respirationswege kund. Es entsteht Husten, Schnupfen. Heiserkeit, schmerzhaftes
Schlucken oder entzündliche Affection des Kehlkopfs. Der Husten kann sich zu
einer solchen Heftigkeit steigern, dass nicht selten Blut aus Nase und Mund
stürzt. In einem concreten Falle wurde sogar hierdurch ein Riss im Trommelfelle
hervorgerufen. Zerreissung der Lungenalveoleu und die dadurch erzeugte Lun-
genblutung kann Todesursache werden.3) Taumel und Schwindel steigert sich bis-
weilen bis zum bewusstlosen Hinstürzen oder der asphyktische Zustand tritt plötzlich
ohne alle Vorboten ein. An der frischen Luft schwindet in der Regel die grösste
Gefahr; nicht selten bleibt aber in solchen Fällen ein von der Stirnbeinhöhle bis
zur Protuberant. oeeip. strahlender Schmerz zurück.
In einer Chloratmosphäre verliert man Geschmack und Geruch. Indem sicli
das Chlor mit allen thierischen Häuten, namentlich mit den Schleimhäuten ver-
bindet, empfindet man nur Geruch und Geschmack nach den hierbei entstandenen
gechlorten Albuminaten.
Behandelt man frisches Ochsenblut mit Chlor, so wird es sogleich schwarz und bei
fortgesetztem Zuleiten von Chlor erstarrt es zu einer chocoladebraunen Masse. Auch
das mit i Theilen Wasser verdünnte Blut wird durch Chlor chocoladebraun und dick.
Bei längerer Einwirkung scheidet sich ein lederbraunes Coagulum ab. Die abfiltrirte
hellgelbe Flüssigkeit enthält Eisenchlorid und zeigt im Spectrum keine Blutbänder mehr.
Falk*) bezeichnet den Tod der durch Chlor umgekommenen Thiere.als eine Herz-
lähmung und nimmt bei dieser Vergiftung eine aUmählig fortschreitende Depression
der Herzthätigkeit an. Ob das Chlor an sich oder erst bei seinem Uebergange in Salz-
säure als Herzgift einwirkt, wird wohl nur nach den concreten Fällen zu beurtheilen
sein. Um die tödtliche Wirkung zu erzeugen , scheint dieser Uebergang nicht noth-
wendig zu sein . da namentlich in dem Cameron'schen Falle im Gehirn sich noch ein
deutlicher Geruch nach Chlor wahrnehmen Hess.
Nach dem Sectionsbefunde bei Thieren documentirt sich dieser Uebergang
ganz entschieden durch feste und dichte Partien der Lungen, da eine solche Ver-
änderung des Lungengewebes sich stets bei den durch salzsaures Gas umgekommenen
Thieren findet. (S. Salzsäure.)
Chlorindustrie. 43
Als Schutzmittel gegen Chlor ist das Riechen an mit Alkohol befeuch-
tetes Ammoniumcarbonat vorgeschlagen worden, indem ersterer gegen das freie
Chlor und das Ammoniak gegen die gebildete Salzsäure wirken.
Für Arbeiter in Chlorfabriken ist das Tragen von in blossem Alkohol ge-
tauchten Schwämmen vor Mund und Nase mehr zu empfehlen, da sich hierdurch
unschädliche Chloralkoholverbindungen bilden. Die Inhalation von Schwefel-
wasserstoff ist zu verwerfen, ebensowenig das vonBolley empfohlene Riechen
an Anilin anzurathen, welches zwar die scharfe Geruchsempfindung und das
Kratzen im Schlünde aufhebt, dagegen aber Chloranilin bildet, dessen schäd-
licher Einfluss auf die Arbeiter zu befürchten ist.
Wenn angeblich Arbeiter in Fabriken, in denen sich viel Chlor entwickelt,
häufig an Pyrosis leiden, so ist diese Säurebildung im Magen nur mit den ver-
schluckten Chlordämpfen in Verbindung zu bringen. Auch will man bei Menschen
und Thieren, welche häufig und längere Zeit in einer Chloratmosphäre verweilen,
eine auffallende Abmagerung beobachtet haben; eine Erscheinung, welche nur
mit der gebildeten Salzsäure und ihrer nachtheiligen Wirkung zusammenhängen
kann. Die Behauptung, dass Arbeiter in Chlorkalkfabriken epidemischen Krank-
heiten, namentlich der Cholera weniger ausgesetzt sind, findet in eigenen und
fremden Beobachtungen keine Bestätigung. Die Cholera kommt auch bei Arbei-
tern vor, welche fast täglich mehr oder weniger mit Chlordämpfen in Berührung
kommen.
Die Einwirkung des Chlors auf die Pflanzenwelt besteht in der Zerstö-
rung des Chlorophylls, dessen spectrales Absorptionsvermögen verloren geht. Die
Pflanzen werden in kurzer Zeit nankinggelb und welken schnell.
Chlorindustrie.
A. Chlorkalkfabrication. Unter chlorigsau res Calcium Ca (C10)2 kommt in
reinem Zustande nicht vor und nur ein Gemenge von Calciumchlorid (Chlorcalcium
Ca Cl2) mit uuterchlorigsaurem Calcium ist als Chlorkalk, Bleichkalk
(Calcaria chlorata) bekannt.
Er gehört zu den wichtigsten Artikeln in der Technik und wird in grossen
Mengen namentlich in Sodafabriken fabricirt, wo man die abfallende Salzsäure
zu seiner Darstellung benutzt.
Seine Fabrication zerfällt 1. in die Darstellung des gelöschten Kalkes, des
Calciumhydrats Ca(OH)2, da das Calciumoxyd CaO (Kalk, gebrannter Kalk) als
solches kein Chlor aufnimmt.
In der Regel bewirkt man das Löschen des Kalkes in der Weise, dass derselbe
auf eine grössere Fläche ausgebreitet und mit einer Giesskanne besprengt wird. Mittels
zeitweiligen Umwendens und wiederholten Besprengens zerfallen die Steine zu einem
leichten Pulver. Alles fremde Gestein und der ungelöscht gebliebene Kalk werden
aussortirt.
Es entwickelt sich hierbei stets Kalkstaub, weshalb sich der Arbeiter nicht
vor den Wind stellen darf. Der Kalkstaub reizt besonders die Schleimhäute des
Auges, der Nase und des Rachens; selten dringt er tiefer in die Respirations-
wege ein. Das Sieben (Beuteln) des Kalkes oder Pulverisiren sollte nur in
geschlossenen Kasten vorgenommen werden. Nach einer andern Methode breitet
man auf grossen siebartig durchlöcherten und mit erhabenen Rändern versehenen
Schaufeln den Kalk aus und taucht diese in Wasser.
44
Chlor.
Schon Ramazzini schildert die „dicken und scharfen Dünste", welche sich
heim Kalklöschen entwickeln, als schädlich für die Augen und Luftwege der
Arbeiter. Da hierbei aber sehr viele Wasserdämpfe auftreten, so wird hierdurch
die reizende Einwirkung dieser Dämpfe sehr gemildert.
Den gelöschten Kalk wirft man zunächst auf Haufen, beutelt den pulverig zerfallenen
Theil und behandelt die hartem Stücke noch in einem Pulverisirungsapparat. Beim Weg-
schaufeln, Transiociren etc. des Kalkhydratpulvers ist aber Staubbildung niemals ganz
zu vermeiden.
2. Darstellung von Chlor. Verwendet man hierzu nur Braunstein und
Salzsäure, so reicht die Erwärmung mittels Wasserdämpfe aus, welche in einen
Kasten von Holz oder Mauerwerk, in welchem die Chloreutwicklungsgefässe stehen,
geleitet werden. Zu letztern benutzt man in kleinern Fabriken die aus Chemnitz
zu beziehenden thönernen Gefässe, welche in jeder beliebigen Form dargestellt
werden.
Die Hälse der Entwicklungsgefässe ragen aus einem hölzernen Deckel, dessen Fugen
sorgfältig mit Filz zu verschliessen sind, hervor. Die Säure lässt man durch einen nach
dem Welt er 'sehen System gebogenen bleiern oder gläsernen Trichter (Fig. 1. a) zufliessen
und bewirkt hierdurch gleichzeitig einen Verschluss. Bei h
gibt man den Braunstein ein, verschliesst die Oeffnung mit
einem hölzernen Keil, überbindet mit Kautschuk und über-
zieht das Ganze mit einem aus Thon und Gyps bereiteten
Kitt. Bei o tritt das Chlor aus und das Rohr d dient zum
Ablassen des Rückstandes, der Manganchlor ürlauge.
Während des Betriebes wird letzteres mittels eines hölzernen
Zapfens verschlossen. Ueberall ist eine sorgfältige Verkittung
anzubringen.
Der Schwerpunct liegt in sanitärer Beziehung
auf dem sorgfältigen Verschluss der Apparate, damit sich
keiue Chlordämpfe im Fabrikraum verbreiten. Dieses
Ziel muss bei jedem Apparate erstrebt werden, wenn
auch die Construction der Entwicklungsgefässe nach den
localen Verhältnissen sehr verschieden ist und sich nach
der Menge des zu verwendenden Chlors richtet.
Die Mischung von Kochsalz, Braunstein und Schwefel-
säure, welche eine stärkere Erhitzung erfordert, wird wegen
der massenhaft producirten Salzsäure seltener benutzt. Vielfach bestehen die Entwick-
lungsgefässe aus Steingut - Ballons , welche in mit Wasser gefüllten gusseisernen
Kesseln stehen und über freiem Feuer erhitzt werden; oder man treibt Wasserdämpfe
in das Wasser ein.
Zweckmässig ist es, den Braunstein mittels eines unten geschlossenen und siebartig
durchlöcherten Cylinders in das Entwicklungsgefäss zu bringen, nachdem vorher die
Säure eingelassen worden ist. Zur Abkühlung des sich entwickelnden Chlors wird das-
selbe noch durch zwei leere Ballons geleitet, ehe es in den Condensationsraum gelangt.
In sehr grossen Fabriken benutzt man auch grosse cubische Sandsteintröge, welche
aber im Allgemeinen nicht zweckmässig sind. Sie müssen inwendig mit Theer getränkt
werden, um der Einwirkung der Säure zu widerstehen *)
Die Eigenschaft des Kupferchlorids (Cu OL,), in der Hitze in Chlor und
Kupferchlorür zu zerfallen (2Cu Cl2 = Cu, Cl2 + Cl2), hat D-acon benutzt, um Chlor
im Grossen darzustellen. Da das zurückbleibende Kupferchlorür leicht wieder Sauer-
stoff aufnimmt und sich dadurch in Kupfero xy chlorid verwandelt, welches durch
Salzsäure wieder in Kupferchlorid übergeführt werden kann, so verspricht der con-
tinuirliche Gang dieses Processes für die Industrie grosse Erfolge.
Zur Zeit werden thönerne Steine oder Röhren mit einer concentrirten Lösung von
Kupfersulfat imprägnirt und in Retorten und Canäle gebracht, welche von aussen zu
heizen sind, während eine (am besten vorher erwärmte) Mischung von Salzsäuregas und
Luft hindurchgeleitet wird. Anfänglich tritt Schwefelsäure neben salzsauren
*) Chlor- und Bromindustrie haben vieles Gemeinsame, weshalb in Betreff der Construction der Apparate
auf letzere verwiesen wird. Auch die Behandlung der Rückstände ist dieselbe.
Chlorkalkfabrication. 45
Dämpfen auf, deren Absorption zn bewirken ist. Es bildet sich Kupferchlorid und
der oben erwähnte Process gebt continuirlich vor sich. Der gute Erfolg hängt von einer
sorgfältigen Regelung der Temperatur ab, welche 400° nicht übersteigen darf.
In England ist man noch um die Vervollkommnung dieses Verfahrens und die Con-
struction von zweckmässigen Apparaten sehr bemüht.5)
3. Die Absorption des Chlorgases geschieht am besten in steinernen Kam-
mern, die inwendig durch einen Anstrich mit eingekochtem Theer verdichtet
sind. Das Galciumhydrat wird auf dem Boden auf Sandsteinplatten in einer
Höhe von 6 Zoll ausgebreitet. Das Durchkrücken der Masse wird nicht mehr vor-
genommen. Am Boden der Kammern finden sich hölzerne Thüren zum Betreten
des Raumes, welche während des Betriebes mit Lehm verkittet und durch eiserne
Bolzen befestigt werden.
Nach vollendeter Absorption wird die Kammer mittels eines Rohrs
mit einem kräftig ziehenden Schornstein in Verbindung gesetzt, um das rück-
ständige freie Chlor zu entfernen. "Wenn die Thüren geöffnet sind, wird der
fertige Chlorkalk ausgekrückt; die letzten Reste werden zusammengekehrt. Der
Arbeiter, welcher zu diesem Zweck die Kammer betritt, muss sich vor Mund
und Nase einen feuchten Schwamm binden.
Beim Verpacken des Chlorkalks ist darauf zu achten, dass er in aus trock-
nem Holze angefertigten Fässern fest eingestampft wird; auch muss er gehörig
abgekühlt sein, um Alles zu vermeiden, was die freiwillige Zersetzung des Chlor-
kalks begünstigt. Man zieht die kältere und kühlere Jahreszeit für die Chlor-
kalkfabrication vor, da die Erfahrung bewiesen hat, dass in den warmen Mo-
naten sich leicht chlorsaures Calcium Ca(C]03)2 und Chlorcalcium CaCl2
bildet.
3Ca(C10)2 = Ca(C103)2 -f- 2CaCl2.
Chlorkalk muss überhaupt an kühlen und vor Licht geschützten Orten auf-
bewahrt und deshalb in den Fabriken sofort auf Fässer gepackt werden.
Einige Fabricanten benutzen Kalkmilch statt des Calciurnhydrats, wenn sie die
Lösung des Chlorkalks sofort für den eigenen Bedarf verwenden. Man gebraucht dazu
in der Regel Retorten, welche im Sandbade erwärmt werden und deren Hälse in einen
steinernen, die Kalkmilch enthaltenden Trog münden und zwar unmittelbar über dem
Niveau. Die Kalkmilch muss dabei durch ein Rührwerk in Bewegung gesetzt werden.
Man muss auch hier für eine sorgfältige Lutirung des Apparates sorgen.
Der Vorgang bei der Darstellung von Chlorkalk, sowie bei seiner Verwendung ist
folgender:
2CaO + 4C1= Ca(C10)2 + CaCL.
Meistens enthält er aber auch noch Calciumhydrat, welches bei der Lösung des Chlor-
kalks in Wasser grösstentheils ungelöst bleibt. Ein Zusatz von Salzsäure macht die
unterchlorige Säure frei und bildet Chlorcalcium
Ca(C10;2 + 2HC1 = CaCl2 + 2HC10 ;
die unterchlorige Säure zersetzt sich jedoch sofort mit der Salzsäure in Wasser und Chlor.
HC10 4- HCl = H20 + 2C1.
Auf diese Weise kann der Chlorkalk wie freies Chlor wirken und beruht seine
desinficirende und bleichende Vvirkung in dieser Zersetzung durch Salzsäure. Durch
Kochen mit WTasser verwandelt er sich sofort in chlorsaures Calcium und Chlorcalcium.
Die Benutzung des Chlorkalks zur Desinfection von Wäsche, Kleidern etc.
in den Haushaltungen führt für die Wäscherinnen viele Beschwerden beim
Waschen herbei, da der Kalk sich mit der Seife verbindet und die Hände wund
macht. Es entsteht eine Art Verkleisterung, wenn die Gegenstände nach dem
Chlorkalkbad sogleich mit Seife gewaschen werden. Um dies zu verhüten, müssen
46 Chlor.
sie nach dem Chlorkalkbade zunächst in einer Sodalösung ausgewaschen werden;
deshalb zieht man hierbei eine Bleichflüssigkeit, welche aus gleichen Theilen
Chlorkalk und Bittersalz bereitet wird, vor. Man übergiesst das Gemenge mit
Wasser und lässt es einige Zeit stehen. Es bildet sich unterchlorigsaures
Magnesium und der belästigende Aetzkalk wird ausgeschieden.
B. Chlorbleiche. Schon Scheele kannte die bleichende Eigenschaft des Chlors
und einige Jahre später versuchte Berthollet die Chlorbleiche statt der
Rasenbleiche einzuführen, wozu er zuerst Chlorwasser gebrauchte. Später
benutzte er statt des Wassers Pottasche und Soda als Absorptionsmittel, bis
Tennant in Glasgow 1799 zuerst den Chlorkalk darstellte. Gegenwärtig liefert
eine Auflösung desselben noch immer die gebräuchlichste Bleichflüssigkeit. Alle
Bleichflüssigkeiten dieser Art bedürfen aber noch eines Säurezusatzes, um das Chlor
frei zu machen.
Mit der fortgesetzten Einwirkung der chlorhaltigen Substanz auf die Fasern
war auch eine grössere Zerreissbarkeit derselben verbunden; es mussten daher
noch Mittel in Anwenduug kommen, welche dieser zerstörenden Einwirkung des
Chlors entgegenwirkten. Zu diesem Zwecke wurden vorzugsweise schweflig-
saure oder auch unterschwefligsaure Salze benutzt, welche deshalb den
Namen Antichlor erhielten. Die Manipulation selbst heisst Antichloriren,
findet jedoch vorzugsweise beim Papierzeug, seltener bei Gespinnsten statt.
Verfahren bei der Chlor- oder Schnellbleiche für baumwollene oder leinene
Stoffe. Man muss hierbei 1. die Yorbereitungsarbeiten und 2. das eigentliche Bleich-
verfahren unterscheiden.
1) Zu den Vorbereituugsarbeiten gehören ausser dem Zeichnen, Zu-
sammenheften der Zeuge
a. das Sengen der Fasern von der Oberfläche der baumwollenen Stoffe,
welches mit einem brenzlichen Geruch verbunden ist; deswegen hat man
in den betreffenden Arbeitsräumen einiger Fabriken mechanische Ex-
haustoren angebracht, welche die dabei auftretenden empyreumatischen,
höchst unangenehm riechenden und die Luft verderbenden Substanzen
abführen ;
b. das Waschen in lauem Walser mittels Waschräder und Waschmaschinen
als ein einfacher Reinigung-sact zur Entfernung der Schlichte;
c. das Beuchen oder Einlangen zur Entfernung der Fette; man bedient
sich dazu vorzugsweise bei baumwollenen Stoffen der Kalkmilch*). Die
Beuchkessel sind verschieden construirt und werden entweder auf freiem
Feuer geheizt oder mit Wasserdämpfen behandelt.
d. Das Säuren, d. h. das mit Schwefelsäure versetzte Bad, folgt hier-
auf, um die durch Fette und Harze entstandenen Kalkseifen zu besei-
tigen. Bei ganz feinen Stoffen gebraucht man saure Molken, während
nur bei ordinären und groben Zeugen die nie eisenfreie Salzsäure des
Handels zulässig ist.
*) Seifen werden nur bei der Rasenbleiche benutzt. Ueberhaupt unterliegen die
verschiedenen Manipulationen noch verschiedenen Einschränkungen je nach der Art der
Zeuge. So sind z.B. bei Stoffen, welche türkischroth gefärbt werden, oder bei Lein-
wand das Beuchen mit Kalk und das nachfolgende Säurebad nicht zweckmässig. Hier
kommen nur die Laugen zur Anwendung.
Chlorbleiche. 47
e. Nach einem sorgfältigen Auswaschen wird das Beuchen in schwachen
Laugen vorgenommen, indem man Kalium- oder Natriumcarbonat mit
Kalkmilch zusammenbringt, um Kalium- oder Natriumhydrat dar-
zustellen, welches in der entsprechenden Verdünnung zum Auskochen
der Zeuge benutzt wird.
Bei der Bereitung dieser Laugen sind dieselben Vorsichtsmassregeln zu
beachten, welche bei diesem Vorgange in Seifensiedereien noch zur Sprache
kommen werden*).
Beim Bewegen der Zeuge in den Beuchkesseln und bei der Herausnahme
derselben entwickeln sich wie in Färbereien massenhafte Wasserdämpfe, für
deren Abzug man möglichst Sorge tragen muss, da sie auf die Arbeiter jeden-
falls sehr belästigend einwirken. Die Erzeugung eines starken Zuges würde für die
durch die Wasserdämpfe erhitzten Arbeiter in mannigfacher Beziehung schädlich
sein; es ist deshalb vorzuziehen, die Beuchkufen unter einem gemeinschaftlichen
Dampffange aufzustellen und auch in der First des Gebäudes Oeffnungen oder
Fenster, welche nach der Richtung des Windes zu handhaben sind, anzubringen.
Eine kräftige Aspiration mittels eines geheizten Schornsteins hat sich hierbei
am besten bewährt.
Der Boden der Fabrik muss von beiden Seiten nach der Mitte zu abfallen,
damit das Wasser gehörig abfliessen kann. Zweckmässig ist es ausserdem, den
Stand der Arbeiter mit Holzgittern zu belegen, da selbst Holzschuhe nicht immer
vor dem massenhaft abfliessenden Wasser schützen.
Dass die Arbeiter bei der Schnellbleiche vorzugsweise zur Schwindsucht
neigen, wie von mancher Seite behauptet worden, ist durch keine zuverlässige
Erfahrung bewiesen. Dagegen steht es fest, dass der Flachs- und Hanffaser
ein eigenthümlicher Geruch anhaftet, welcher schon beim Behandeln derselben
mit blossem Wasser, noch mehr bei der Einwirkung der Laugen auftritt und
weniger für die Arbeiter als ganz besonders für die Nachbarschaft höchst be-
lästigend wird, da bei den erstem schon die Macht der Gewohnheit mitspricht.
Handelt es sich aber um Handge spinn st, welches während des Spinnens mit
Speichel benetzt worden ist, so treten ammoniakalische und vielleicht auch
noch andere flüchtige organische Stoffe auf, welche einen höchst widrigen Ge-
ruch verbreiten, beim ersten Auftreten die Augen zum Thränen reizen und bei
einzelnen Individuen Ekel und Uebelsein erzeugen können.
Auch kommt es nicht selten vor, dass das Handgespinnst beim ersten Ein-
weichen einen starken rauch- oder kreosotähulichen Geruch entwickelt; derselbe
rührt von der Eigenschaft der Flachsfaser, den Rauch stark zu absorbiren, her
und ist namentlich wiederum für die Adjacenten höchst unangenehm**).
Das Wundwerden der Hände der Arbeiter durch die Einwirkung der Laugen
wird nur durch eine zu grosse Concentration derselben oder durch Nachlässigkeit
hervorgerufen. In einer geregelten Bleicherei wird schon das Interesse der Fabri-
canten auf die Vermeidung dieser Zufälligkeiten gerichtet sein, da eine schwache
Lange häufig besser als eine zu starke auf die Unreinigkeiten einwirkt. Das
*) Bei den feinsten Sorten von Leinwand ist die Rasenbleiche nicht zu
umgehen. Nach mehrtägigem Ansetzen der Leinwand in Wasser wechseln Beuchen,
Spülen, Waschen und Rasenbleiche mehrmals nach einander ab, ehe schliesslich
ein schwaches Chlor bad an die Reihe kommt.
**) Kommen Thranseifen zur Anwendung, so treten auch alle flüchtigen Riechstoffe,
der Seife mit auf.
48 Chlor.
Verbrennen der Arbeiter durch die Lange in Folge von Ueberspritzen und Ueber-
sprudeln durch einen zu starken Dampfstrahl kann bei gehöriger Aufmerksamkeit
vermieden werden.
Die Behauptuug, dass die Dämpfe der Laugen Asphyxie erzeugen können,
gehört ins Reich der Fabelu. Der bezügliche Fall, welchen Patissier6) als Be-
weis für eine solche Einwirkung der Laugendämpfe anführt, betrifft nur eine
Asphyxie durch Kohlendunst. Derselbe bedürfte kaum einer Widerlegung, wenn
er nicht von verschiedenen Schriftstellern, selbst von Tardieu, citirt worden
wäre; denn die Alkali nität der Flüssigkeit geht nicht in den Dampf über und es
bleibt stets nur das massenhafte Auftreten der Wasserdämpfe der belästigende
Factor.
Die Abfallwässer beim Beuchen mittels blossen Wassers, welches
die Schlichte, die ausgenutzten Laugen, die Seifenwässer etc. aufnimmt, sind ge-
wöhnlich von dunkelbrauner Farbe und reich an organischen Substanzen. Es
ist sehr zweckmässig, dieselben mit einem geringen Ueberschuss von Kalkmilch
zu versetzen, um dadurch die fetten und organischen Substanzen möglichst zu
binden und zu präcipitiren. Der gebildete Niederschlag ist zur Darstellung von
Kalkseife zu benutzen, während die schwach alkalische Flüssigkeit frei
abgelassen werden kann; nur ist darauf zu achten, dass sie nicht in kleine fisch-
reiche oder der ökonomischen Benutzung dienende Wasserläufe gerathen. Ge-
schieht dies, so werden die einer solchen Verunreinigung preisgegebenen Flüsse
oder Bäche nach allen, vorliegenden Erfahrungen in beiden Beziehungen werthlos.
Bisweilen ist es rathsam, die sauren und alkalischen Abfallwässer
zu vermischen. Namentlich ist dies zu empfehlen, wenn beim Beuchprocess statt
der Pottasche die Lauge der Holzasche direct verwendet wird. Die Rückstände
bestehen dann aus düngkräftigen Mineralsubstanzen (Kalk, Magnesia, Phosphor-
säure etc.), welche durch die Vermischung mit den sauren Wässern gleichsam
aufgeschlossen und zur Berieselung sehr gut verwerthet werden können.
Sämmtliche Abflusswässer verdienen mehr Beachtung, als ihnen bisher zu
Theil geworden ist. Die „Beucbwässer", womit man gewöhnlich sämmtliche
abfallende Wässer bezeichnet, stehen nicht mit Unrecht überall in sehr üblem Rufe,
wenn der Abfluss derselben in der Willkür der Fabricanten liegt. Sie bedürfen
derselben Berücksichtigung wie die Abfallwässer der Wollfabriken. (M. vergl. diese.)
2) Das eigentliche Bleichverfahren. Der Chlor- oder Bleichkalk
ist das Hauptbleich ungsmaterial. Seltner werden die unterchlorigsauren Alka-
lien benutzt. (Man vergl. die Fabrication der unterchlorigsauren Alkalien.)
Man unterscheidet bei der Benutzung des Chlorkalks folgende Manipulationen:
a. Man bringt die Zeuge zuerst in eine verdünnte Chlorkalklösung und lässt
sie in derselben längere Zeit entweder bei gewöhnlicher oder erhöhter Tempe-
ratur stehen. Sie wird so lange benutzt bis sie noch ein Bleichen bei den
Zeugen hervorruft. Die Bleichflüssigkeit befindet sich in einem ausgemauerten
oder mit Blei ausgelegten Bassin und wird in der Regel mittels eines Pump-
werks in den über ihr stehenden Bleichbottich gehoben resp. aus demselben
nach gemachtem Gebrauche in das Bassin wieder abgelassen.
b. Zu den nun folgenden Säurebädern wird bei Anwendung von Chlorkalk
nur Salzsäure benutzt. In Folge des sich hierbei entwickelnden Chlors tritt
jetzt erst der eigentliche B leichprocess ein. Gewöhnlich bleiben die Zeuge
10 — 12 Stunden im Säurebad liegen, wodurch gleichzeitig die noch anhaftenden
Kalkthcilc durch Bildung von Chlorcalcium entfernt werden.
In sanitärer Beziehung ist darauf zu achten, dass die Bleichbottiche mit
einem gut schliessenden Deckel versehen sind. Ein Abzugsrohr nach dem Schorn-
Chlorbleiche. 49
stein ist mit einem Schieber versehen, um denselben nach beendigter Arbeit öffnen
zu können. Bei aller Sorgfalt ist ein schwacher Chlorgehalt in der Atmosphäre
nicht zu vermeiden. Derselbe darf jedoch niemals eine solche Höhe erreichen, dass
er zu ernstlichen Befürchtungen für die Gesundheit der Arbeiter Anlass bietet.
Immerhin ist daher auch aus diesem Grunde die Beschaffung hoher und
geräumiger Arbeitslocale erforderlich. Ganz besonders muss das Abzugsrohr der
Bleichbottiche nach dem Schornstein gegen Ende des Processes durch Oeffnen des
Schiebers in volle Wirksamkeit treten, damit beim Entleeren derselben das über-
schüssige Gas in den Schornstein und nicht in den Fabrikraum gelangt. Vorzugsweise
sind es die baumwollenen Stoffe und das Papierzeug, welche dieser Chlor-
bleiche unterworfen werden.
c. Das Auskochen in einer Lösung von Soda oder Aetznatron folgt
auf das Auspressen der Stoffe nach dem Chlorbade. Alsdann zieht man die
Zeuge wieder
d. durch ein Säurebad und schliesst mit einem gründlichen Auswaschen.
Zur Entfernung des Wassers bedient man sich allgemein der Centrifugalmaschinen
und Presswalzen. Das Stärken der Zeuge in der Textil-Industrie, welches schon zur
Appretur derselben gehört, geschieht mittels eines Walzwerks, dessen unterste Walzen
in einem mit Kleister gefüllten Troge sich drehen. Das Trocknen wird durch Trocken-
maschinen, welche aus hohlen durch Dampf geheizten Trommeln bestehen, bewirkt,
während das Kalandern im Besprengen des Zeuges mit Wassertropfen und im
Pressen zwischen kleinen Walzen besteht. Bei einem grossartigen Betriebe folgen diese
Manipulationen systematisch auf einander, wovon die letztern rein mechanischer Natur
sind und höchstens wegen der damit verbundenen erhöhten Temperatur in den Arbeits-
räumen Beachtung verdienen.
Beim Blei chprocesse ist noch die Thatsache zu erwähnen, dass die Arbeiter
hierbei bisweilen an einem Augenübel leiden, welches der Blendung der Tou-
risten auf Schnee-Alpen ähnlich ist und besonders dann eintritt, wenn die Bleicherei
den directen Sonnenstrahlen ausgesetzt ist. Die Bleichereien müssen deshalb
mit der Fensterfront stets nach Norden liegen, um Nachtheile dieser Art zu ver-
meiden.
Die beim Bleichprocesse (2 a. b.) entstehenden Abfall w äs s er enthalten
Chlorcalcium, sind aber noch als saure Wässer zu betrachten, welche nach-
theilig auf die gemauerten Canäle einwirken, aber auch nicht in Schlinggruben
oder fischreiche Bäche abgelassen werden dürfen. Nur in grosse Wasserläufe
dürfen sie direct abgeführt werden. Ueber ihre Verwerthung vergleiche man die
Papierindustrie. Die beim spätern Laugen- und Säurebad (c. d.) resul-
tirenden Wässer lassen sich vermischen und dadurch um so eher unschädlich
machen, als sie überhaupt von sehr geringer Concentration sind.
Es kommt bisweilen in den Magazinen der Bleichereien ein Zerspringen
der mit Chlorkalk gefüllten Fässer vor, welches oft irrthümlich als eine Explosion
aufgefasst wird. Ein solches Ereigniss kann dann eintreten, wenn der Chlor-
kalk resp. die unterchlorige Säure sich in der Weise zersetzt, dass auf der einen
Seite Chlorcalcium entsteht und auf der andern freies Sauerstoffgas entweicht.
Letzteres bedingt durch seine Expansion das Zersprengen der Fässer, wenn sie
hermetisch verschlossen sind. Man hat zur Verhütung einer solchen Gefahr nur
dafür zu sorgen, dass solche Fässer einen zweckmässigen Verschluss haben, wobei
das Austreten der Luft ermöglicht ist.
Chlor kommt zum Bleichen der Wolle, der Seide und des Strohs niemals
zur Anwendung, wohl aber noch beim Bleichen der Waschschwämme, des
Elfenbeins, der von ihrem Fette befreiten Knochen, des Glycerins, der
Eulenberg, Gewerbe-Hygiene. 4
50 Chlor.
Fourniere in der Kunsttischlerei etc. und sind daher hier dieselben Vorsichts-
massregeln bezüglich des Schutzes der Arbeiter mehr oder weniger erforderlich.
Vielseitige Verwendung findet der Chlorkalk noch in der Kattundruckerei, um
verschiedene Zeichnungen auf farbigem Grunde zu erzeugen; namentlich bei der
Krapp- und Türkischrothfärberei dient er als sogenannte Fress- oder Aetz-
beize. Weisse Zeichnungen auf dunklem Grunde erhält man nämlich, wenn man
mit Chlorkalk, Thonerde und Gummi versetzte Weinsteinsäure mittels Formen
auf die ausgefärbten Kattune druckt; durch die Chlorentwicklung an den be-
druckten Stellen wird die Farbe zerstört und treten alsdann die Zeichnungen
nach dem Spülen weiss auf. Will man andere Farben hervorrufen, so setzt
man der Weiusteinsäure solche Farben zu, welche durch Chlor nicht zerstört
werden. Zu blauen Farben eignet sich z. B. das Pariser Blau; eine gelbe
Farbe entsteht, wenn man das Gemisch von Weinsteinsäure, Chlorkalk etc. mit
Bleinitrat versetzt. Chlor verwandelt alsdann letzteres in weisses Chlorblei,
welches durch ein nachträgliches Bad von Kaliumchromat in das gelbe Blei-
chromat verwandelt wird. Das Verfahren ist übrigens so mannigfaltig, dass die
ausführliche Erläuterung desselben mehr zum Gebiete der Technologie gehört.
Die hervorgehobenen Gesichtspuncte sollen nur für die Beurtheilung der sani-
tären Verhältnisse einen Anhalt bieten. Die Druckereien und Färbereien
machen überhaupt den ergiebigsten Gebrauch von den verschiedensten metallischen
Verbindungen, deren Verbleib im Interesse der öffentlichen Gesundheit der sorg-
fältigsten Controle bedarf. Es wird sich noch häufig Gelegenheit finden, hierauf
zurückzukommen.
Chlorwasserstoffsäure HCl oder Salzsäure, Acid. muriatic. s. hydrochloratum.
Salzsäure kommt frei in der Natur nur sparsam in den Gasen der Vulcane
und in den Bächen und Quellen in der Nähe derselben vor. Bei vielfachen industriellen
Processen, bei Feldziegeleien, bei der "Verhüttung von Kobalt- und Nickelerzen, bei
Soda- und Glasfabriken, bei der Reinigung der Platinerze wird man sie häufig in der
Umgebung der betreffenden Etablissements nachweisen können.
Die Stollen wässer sehr schwefelkieshaltiger Steinkohlenfiötze enthalten nicht selten
freie Salzsäure, wenn das Kohlenlager Steinsalz enthält und die Schwefelkiese der Ver-
witterung stark unterworfen sind; sie sind daher beim Ablassen sehr zu berücksichtigen,
damit sie nicht die Vegetation zerstören resp. die Fische in den Flüssen tödten.
Im Magensafte kommt flüssige Chlorwasserstoffsäure in verhältnissmässig kleinen
Mengen vor.
Dargestellt wurde die gasförmige Salzsäure zuerst durch Priestley 1772. Gegen-
wärtig wird sie durch TJebergiessen von Kochsalz (10 Th.) mit Schwefelsäure (18 Th.)
und Wasser (6 Th.) unter Mitwirkung einer gelinden Erwärmung gewonnen. Als Neben-
product fällt sie bei der Sodafabrication in grosser Menge ab.
NaCl + H2S04 = NaHS04 + HCl.
Auf das entstandene primäre oder saure Natriumsulfat (NaHS04) wirkt in der
Hitze noch ein Molecül NaCl ein, wodurch neben secundärem oder neutralem Natrium-
sulfat (Na2S04) wiederum Salzsäure sich bildet.
NaCl -f- NaIIS04 = Na3S04 4- HCl.
Chlorwasserstoff ist gasförmig, von stechendem Gerüche, farblos, nicht stark sauer,
zieht Feuchtigkeit aus der Luft an, raucht deshalb stark an der Luft, brennt nicht und
unterhält auch das Brennen nicht. Er ist verdichtbar und wird von Wasser sehr begierig
absorbirt. Bei 0° absorbirt Wasser sein 500faches, bei 10° sein 450faches Volumen an Gas.
Eine Säure von 40% HCl, welche an der Luft stark raucht und ein spec. Gew. von 1,2 hat,
ist die Salzsäure des Handels; sie ist stets arsenhaltig. Die medicinische Salz-
säure enthält o0°/0 HCl, raucht nicht stark an der Luft und hat das spec. Gew. 1,160.
Eine Säure von 1,060 spec. Gew. raucht nicht an der Luft und wird durch Vermischen
der letztern Säure mit dem gleichen Volumen Wasser dargestellt. Sie heisst Acidum
hydrochloricum dilutum und kommt in der Medicin und Chemie am häufigsten
zur Anwendung; sie hat einen stark sauren Geschmack, ist von ätzender Wirkung und
röthet Lackmuspapier sehr stark.
Chlorwasserstoffsäure. 51
Einwirkung der Clilorwasserstoffsänre auf den thierischen Organismus, l) Eine
Taube wird unter eine Glasglocke gebracht. *) Beim Eindringen der Dämpfe, welche aus
Kochsalz und Schwefelsäure entwickelt wurden, sogleich Blinzeln, Putzen der Augen,
Röthung derselben. Nach 1 M. Schwanken, Kothabgang, Dyspnoe mit weitem Oeffnen des
Schnabels. Nach der sofortigen Herausnahme die heftigsten Convulsionen, welche
die Taube hin und her schleudern. Nach 21/2 M. bleibt sie liegen, athmet ein paar Mal
krampfhaft auf und stirbt nach 3 M.; Hornhaut auf beiden Seiten sehr trübe. Die
Section verunglückte.
2) Ein starkes Kaninchen unter der Glasglocke. Beim Eintritt der Dämpfe Blinzeln,
Putzen der Schnauze, Thränen der Augen bei 10 unregelmässigen Inspir. binnen 1/iM. ;
Ausathmen eines weissen Dampfes (Wasserdampf mit Salzsäure). Nach 10 M. neue
Zufuhr der Dämpfe, bis eine trübe Atmosphäre entsteht. Das Kaninchen erhebt sich
und putzt stark die Schnauze. Nach 14 M. allmähliges Herabsinken aus der aufrechten
Stellung; 8 angestrengte Inspir. binnen 1/i M.; nach 22 M. neue Einleitung der Dämpfe;
ruhiges Liegen bei geschlossenen Augen und angestrengter Respiration. Nach 21 M.
nochmaliges Erheben und Putzen der Schnauze. Nach 28 M. Zuleitung der Dämpfe bis
zur leichten Trübung der Atmosphäre. Ruhiges Sitzen bei zurückgezogenem Kopfe und
16 sehr angestrengten Inspir. binnen 1/i M.
Nach 30 M. Herausnahme des Thieres. Cornea opalisirt, Augen mit Thränen-
ffüssigkeit angefüllt; häufiges Schütteln des Kopfes und Putzen der Schnauze. Nach 3 M. 32
Inspir. binnen l/i M. in der Bauchlage. Diese beschleunigte Respiration hält eine Stunde
lang an und geht dann in eine kurze, oberflächliche über. Am zweiten Tage 7 angestrengte
Inspir. binnen 1/i M. ; häufiges Aufschreien; geringes Schleimrasseln in den Bronchien.
Am dritten Tage noch 7 angestrengte Inspirationen; oft lautes Jammern. Gegen 10 Uhr
fällt es bisweilen auf die Seite; hierauf sehr heftiger Husten mit Erschütterung des
ganzen Körpers. Gegen 1 Uhr nur 3 Inspir. binnen 1/i M.; alsdann Zusammensinken
und gegen 2 Uhr Tod unter kurzen, krampfhaften Inspirationen.
Section nach 21 Stunden. Die Augen mit verdicktem Schleim verklebt, Cornea
auf beiden Seiten opalisirt. Todtenstarre stark. Schädelhöhle: Pia mater überall sehr
hyperämisch. Am hintern Rande der beiden Hemisphären ein geronnenes Blutklümpchen,
welches von einer dünnen Schicht blutiger Flüssigkeit umgeben ist. Plex. venös, spin.
mit geronnenem Blute angefüllt. Von der Medull. obl. an bis zu den Rückenwirbeln
hin ein ganz dünnes, flüssiges Blutextravasat auf der Dura mater. Brusthöhle: Die
Lunge überall hell- und braunroth marmorirt. Der mittlere rechte Lungenlappen
dunkelbraun, fest und im Wasser untersinkend; der rechte untere und der
linke obere Lappen baten theilweise dieselbe Beschaffenheit, nur die Ränder sind hier
etwas hellroth. Das Parenchym an diesen Stellen dunkelbraunroth und nicht
knisternd beim Einschneiden. Auf den Schnittflächen wenig flüssiges, dunkles,
schwach sauer reagirendes Blut. An den lufthaltigen Stellen tritt ein feiner Schaum aus.
Auf der braunroth injicirten Trachealschleimhaut eine dünne Lage schleimiger, blutig
fefärbter Flüssigkeit. Das ganze Herz strotzt von dickem geronnenem Blute. Unter-
eibshöhle: Leber braunroth und reich an dickflüssigem Blute. In der Ven. cav. inf.
nur geronnenes Blut. Galle flüssig und dunkelbraun. Nieren nicht blutreich; Milz
blauroth. Der Magen mit unverdautem grünem Futter und viel Flüssigkeit angefüllt.
Urinblase leer. Auf der Oberfläche sämmtlicher Gedärme starke Injection. Wenig
flüssiges, dunkelbraunrothes, an der Luft sich mehr röthendes Blut. Die Blntkügelchen-
sind grösstentheils normal; einzelne haben einen gekerbten Rand.
Die salzsaureu Dämpfe erzeugen eine Reizung aller Schleimhäute, mit denen
sie in Contact kommen. Bei Thieren zeigt sich Blinzeln mit den Augen, Röthung
derselben, vermehrte Thränenabsonderung und Stechen in der Nasenschleimhaut,
welches zum Jucken nöthigt; bei längerer Einwirkung der Dämpfe treten alle
Erscheinungen einer starken Dyspnoe ein; dazu kommt eine Trübung der Cornea,
welche in Corrosion übergehen kann. Bei Kaninchen erfolgt der Tod nicht so
rasch wie bei Chlordämpfen. Als Sectionsbefund ist in allen Fällen die festere
und dichtere Beschaffenheit einzelner Lungenlappen charakteristisch, welche
sicher mit der Coagulation von Albuminaten zusammenhängt und den Eintritt
des Todes mit bedingt.
Versetzt man defibrinirtes Blut mit verdünnter Salzsäure, so wird es schwarz -
*) Die Glasglocke ist an der obern Wölbung mit zwei Hälsen versehen, um Gase
und Dämpfe aus- und eintreten zu lassen; unten ist sie offen und steht auf einer Glas-
platte. Ihr cubischer Inhalt beträgt 7655 C.-Ctm.
4*
52 Chlor.
braun. Bei der Prüfung mittels des Speetroseops zeigt sieh ein Band im Roth
zwischen den Fraunhofer'schen Linien A und B, welches durch ein Alkali wieder
schwindet.
Je mehr die Alkaliuität des Blutes abnimmt, desto sicherer ist der tödtliche
Ausgang; diese Alteration des Blutes dürfte bei der Einwirkung der salzsauren
Dämpfe nicht ausser Acht zu lassen sein; sie kanu auch beim Eiuatlimen von
Chlor mehr oder weniger vorkommen, wenn durch die Beschlagnahme des Wasser-
stoffs Salzsäure gebildet wird.
Alle diese Vorgänge müssen sich beim Eiuatlimen der sauren Dämpfe eher
und schneller ausbilden, als bei der Aufnahme der Säure durch den Magen.
Dass dabei die Circulation selbst beeinträchtigt wird und eine allmählig zu-
nehmende Depression der Herzthätigkeit die Folge ist, leuchtet eiu, indem, wie
Goltz und Bobrik nachgewiesen haben wollen, die Mineralsäaren zwar nicht
direct auf die Herzganglien, wohl aber auf die regulatorischen Centra
deletär einwirken7). Bei den durch salzsaures Gas umgekommenen Thieren
fällt stets die Menge des geronnenen Blutes auf; mit seiner dunkelbraun-
rothen Farbe hängt die braunrothe Injection der Schleimhaut der Bronchien und
Trachea, sowie die dunkelbraunrothe Farbe der Lunge zusammen. Bei der Ver-
dichtung des Lungenparenchyms fehlt dagegen die schaumigflüssige Absonderung
auf der Schleimhaut der Respirationswege, welche sich nach Chlor-Einwirkung
stets in einem auffallenden Grade zeigt. —
In der Industrie hat die bei der Sodafabrication abfallende Salzsäure
stets zu vielen Klagen Veranlassung gegeben. Es ist noch nicht lange her, dass
man namentlich in Belgien in den Sodafabriken die Ursachen einer vermehrten
Sterblichkeit unter der dortigen Bevölkerung suchte. Die Hinfälligkeit dieser Be-
schuldigung ist durch die von der Belgischen Regierung im Jahre 1855 angeord-
nete Commission von Sachverständigen hinreichend bewiesen worden.8) Ob-
gleich epidemische Krankheiten dort keinen günstigem Boden als anderswo ge-
funden haben, so ist doch nicht in Abrede zu stellen, dass die massenhaft ins
Freie ausströmende Salzsäure für den Menschen eine grosse Belästigung, für die
Pflanzenwelt aber eine bedeutende Schädigung herbeiführt. Beides beobachtet
man schon bei Töpfereien, wo das Kochsalz zum Glasiren gebraucht wird und
salzsaures Gas entweicht.
Von geringerer Bedeutung ist das Auftreten der Salzsäure bei der künst-
lichen Düngerbereitung, in Glasfabriken und bei Feldziegelöfen.
Menschen mit reizbaren Lungen empfinden die Belästigung am meisten durch den
beständigen Husten, welchen das Gas erzeugt, wohingegen viele Arbeiter bekannt-
lich davon unberührt bleiben, wenn sie sich an die Einwirkung desselben gewöhnt
haben. Für die Arbeiter bleibt der Umstand immer günstig, dass die Entwicklung
des Gases fast nie in geschlossenen Räumen stattfindet und daher auch die Ein-
wirkung desselben sich höchst selten in prägnanter Weise bemerkbar macht. Aus
Rücksicht auf die Adjacenten uud die zunächst befindliche Vegetation ist es jedoch
stets geboten, auf die Unschädlichmachung des salzsauren Gases zu dringen. Neuer-
dings werden auch die Fabricanten schon aus pecuniären Rücksichten veranlasst,
die salzsauren Dämpfe anderweitig zu verwerthen.
Dass das salzsaure Gas auf die Vegetation den nachtheiligsten Einfluss aus-
übt, ist ausser Frage gestellt. Die erwähnte Belgische Commission nahm an, dass
noch in einer Entfernung von 2000 Meter von der Fabrik die Wirkung auf die
Chlorwasserstoffsäure. 53
Vegetation bemerkbar wird, obgleich die Lage der Fabrik, Witterung und Wind-
richtung diese Ausdehnung sehr modificiren. Je mehr die Luft Wasserdampf
enthält, desto rascher werden auch die sauren Gase condensirt und auf die Erde
niedergeschlagen, was man besonders beim Thau bemerkt, Erfolgt die Einwirkung
intensiv, so vertrocknen die Blätter der Bäume, werden schwarzgrau und rollen
sich ein; bei allmähliger Einwirkung fallen sie meistens ab. Die Rinde verdickt sich,
haftet fester am Stamme und wirkt dadurch störend auf die Säftecirculation.
Die Bänder des Blattgrüns treten im Spectrum nur modificirt auf, werden also nicht
wie durch Chlor gänzlich zerstört. Unter den Bäumen sind die Weissbuche
und Obstbäume am meisten, die Eiche, Erle und Birke am wenigsten für die Ein-
wirkung empfänglich.
Die Getreidepflanzen leiden während der Blüthezeit am meisten; sie ge-
deihen zwar im Halm, liefern aber zur Erntezeit keiue Körner. Unter den Nutz-
pflanzen sind es die Bohnen, Felderbsen und der Flachs, welche mehr oder
weniger gefleckt, schwarz und trocken erscheinen, während die Kartoffelpflanzen
den kräftigsten Widerstand leisten. Die Blätter von Crataegus und wildem
Wein können noch in einer Entfernung von 1000 Metern afficirt werden. Auch
der Weinstock zeigt sich gegen das Gas empfindlich.9) Alle Wasserpflanzen
sollen ganz besonders gegen saure Dämpfe reagiren. Je constanter die Windströ-
mung nach einer bestimmten Richtung hin ist, desto auffälliger wird sich selbst-
verständlich die Wirkung auf die betreffende Vegetation zeigen.
Brom. Br.
Brom wurde zuerst vou Baiard in der Mutterlauge des Meerwassers, alsdann von
Liebig in der Kreutznacher Mutterlauge aufgefunden. Es kommt überhaupt in Salz-
ablagerungen, Salzsoolen und kochsalzhaltigen Mineralquellen an Magnesium und Natrium
gebunden und niemals frei vor. Auch in den Pflanzen und Thieren des Meeres, in
der Steinkohle, in der Braunkohle und in den mexicanischen, hauptsächlich aus Chlor-
silber bestehenden Silbererzen findet es sich. Sein Name rührt von pptöfjioe (Gestank) her.
Es wird dargestellt wie Chlor, indem man Bromnatrium mit Braunstein und
Schwefelsäure erwärmt. Für die Darstellung im Grossen benutzt man die Mutter-
lauge der Salinen, die Asche gewisser Meerespflanzen, namentlich Fucus-Arten,
wobei wie beim Chlor auf die Dichtheit der Apparate vorzugsweise zu achten ist.
Brom zeichnet sich dadurch aus, dass es als das einzige nicht metallische Element
bei gewöhnlicher Temperatur flüssig ist: je nach den dünnem oder dickern Schichten er-
scheint es dunkelroth bis dunkelbraunroth und hat ein spec. Gew. von 2,97. Sein Geruch
ist chlorähnlich, sein Geschmack sehr scharf und herb. Bei — 24,5 °C. wird Brom fest und
geht in eine blättrige, stahlblaue, metallglänzende, dem Jod ähnliche Masse über. Bei
+ 63° siedet und verflüchtigt es sich zu gelbrotken Dämpfen, welche fünfmal schwerer
als atmosphärische Luft sind. In 30 Theilen Wasser ist es löslich: die rothe Flüssigkeit
heisst Bromwasser. Alkohol, Aether und Schwefelkohlenstoff lösen es leichter auf.
Bromhydrat (Br2 + 10H2O) entsteht, wenn Brom mit Wasser von etwa 0° in Be-
rührung kommt. Auf gleiche Weise bildet sich Chlorhydrat. Mit Chlor hat Brom
in seinem chemischen Verhalten überhaupt die grösste Aehnlichkeit, namentlich ist seine
grosse Verwandtschaft mit dem Wasserstoff fast ebenso gross, da es gerade wie Chlor
Wasserstoffverbindungen zersetzt.
Mit einigen einfachen Körpern, mit Arsen, Antimon und Phosphor verbindet es
sich unter Feuererscheinung. Mit ätherischen Oelen, mit Haaren, Holzspänen, Federn,
zusammengepresster Baumwolle, Sägemehl in Berührung gebracht, können Bromdämpfe
ebenfalls ein Entflammen bewirken. Dieser Umstand ist beim Transport von Brom wohl
zu beachten _ und ist es deshalb erforderlich, die dickwandigen Gläser, welche Brom
enthalten, mit Infusorienerde zu verpacken.
Das Brom wirkt zwar wie Chlor bleichend nnd auch desinficirend, die reizende
Wirkung der Bromdämpfe und der höchst widerliche Geruch der neugebildeten Sub-
stanzen beim Desinfectionsverfahren empfehlen jedoch Brom als Desinfectionsmittel nicht.
54 Brom.
In der Photographie, in chemischen Laboratorien und Anilinfarben-
fabriken wird es vielfach benutzt. Die Verwendung von Bromaethyl und Brom-
amvl in letztem ist jedoch sehr beschränkt worden. In der Industrie sind die Broni-
dämpfe in sanitärer Beziehung am wichtigsten.
Einwirkung von Brom anf den thierisehen Organismus. 1) Ein kleines Kaninchen
sitzt im Holzkasten.*) Vi GC. Brom kommt zur Verdunstung. Häufiges Schliessen
der Augen und unregelmässige Respiration. Nach 5 M. Zu.-atz von 1/t CC. Ruhiges
Sitzen mit geschloss« gen. Kurzer Husten, 11 unregelmässige Inspirationen
hinnen V-i IC; nach 9 M. Putzen der Schnauze und Unruhe. Nach 15 M. kurze Un-
ruh^, dann Stillsitzen mit zurückgezogenem Kopfe hei 7 unregelmässigen Inspir. Nach
•-'- VL l/s CC- Brom. Nach 42 M. leichtes Schwanken heim Sitzen mit stark zurück-
gezogenem Kopfe; nach ^4 M. Nass werden der Nase: 5 sehr angestrengte Inspir.: die
Barthaare an der Spitze versengt; Augen geschlossen. Nach 46 M. 1 CC. Brom. Nach
49 M. stark 1 »yspnoe und Zittern der Vorderbeine. Nach 60 M.Herausnahme des Thieres.
Cornea Leicht getrübt; Schleimrasseln in den Bronchien, Herzschlag nicht beschleunigt.
Am zweiten Tage Schleimrasseln und Rhonch. sonorus, 9 tiefe Inspir. binnen 2/4 M. Auf
der linken Cornea noch eine erbsen grosse weisse Trübung Häufiges Putzen der Schnauze.
Am 3 . 4., 5. und 6. Tage ruhiges \ erhalten, geringe Fresslust und Sehleimrasseln bei ziem-
lich freier Respiration. Arn 7. Tage frisst es lebhaft, am 8. Tage 20 mehr angestrengte
Inspir. binnen V« M.. Schleimrasseln geringer. Die Cornea ist wieder hell. Gegen
Abend ßchreit es heftig und anhaltend. Am folgenden Morgen wird es todt in starker
Gliederstarre gefunden, Section sofort. Schädelhöhle: Die Kopfknochen blutig in-
filtrirt. Dura mater massig, Pia mater aber sehr hyperämisch, so dass die ganze Ober-
fläche des Gehirns rosaroth erscheint. An der hintern untern Fläche der beiden He-
misphären geronnenes Blut auf einer kleinen Fläche von 3 Linien Durchmesser. An der
Oberfläche "des Kleinhirns und in der Umgebung der Medull. oblong, dieselbe Hyperä-
mie. Plex. venös, spin. massig angefüllt. Die Wirbelknochen selbst sind blutreich.
Brusthöhle: Linke Lunge rosaroth mit einzelnen rothbraunen Marmorirungen; letztere
walteten bei der rechten Lunge vor. Der rechte untere Lappen ganz dunkelbraun mit
einzelnen hellen, erweiterten Lungenbläschen: an der untern Fläche schwarze Ekchy-
mosen im Umfange einer Erbse und kleinen Bohne. Die Farbe des Parenchyms ent-
sprach der äussern Färbung. An den dunkelbraunen Stellen fehlte das Knistern
beim Durchschneiden. Aus den Schnittflächen floss dunkelviolettrothes Blut aus. welches
an der Luft hellkirschroth wurde. Trachea von aussen blauroth; ihre Schleimhaut
intensiv roth gefärbt und bis zu den feinsten Bronchien hin mit einer Schleimlage
bedeckt. Die ganze rechte Herzhälfte und der linke Vorhof mit geronnenem Blute
angefüllt. Nur wenig- flüssiges Blut zeigte sich im Allgemeinen. Unterleibshöhle:
Leber von normaler Farbe und wenig blutreich. Magen mit Futter angefüllt: seine
Schleimhaut normal. Milz blassroth, Harnblase mit blassgelbem Urin angefüllt.
2] Ein mittelgrosses Kaninchen sitzt in der Glasglocke. 60 Tropfen Brom werden
aus einem kleinen Glasballon allmählig in Dampfform eingetrieben. Beim Auftreten der
Dämpfe in der Glasglocke sogleich Unruhe, Schliessen der Augen. Husten, Zurückziehen
des Kopfes. Nach 4 M. Schwanken. Bauchlage. Opalisirung der Hornhaut Die Bart-
haare erscheinen versengt. Nach ü M. erscheint die Atmosphäre der Glocke gelb. Nach
7 M. 8 unregelmässige Inspir. binnen */, M. Alle weissen Haare werden gelbbraun.
nach 10 M. die Barthaare fast ganz aufgelöst. Ruhiges Verhalten. Nach 12 M.Haare wie
verfilzt. Nach 14 M. Einblasen, nachdem die Atmosphäre wieder klar geworden. Das
linke Auge mit Eiter angefüllt. Husten. 8 Inspir.; nach 16 M. beschwerliche Respiration
mit Aufblasen der Backen. Nach 25 M. ist der ganze Körper in Unruhe, während
sieh das Maul bei jeder Inspiration weit öffnet: 8 Inspir. binnen V* M. Herausnahme
des Thieres nach 20 M.: es bleibt ruhig sitzen. Die angestrengte Respiration bleibt:
bei jeder Inspiration wird ein weisser Dampf (Brom Wasserstoff ?) ausgestossen. Die Zahl
der Inspirationen vermindert sich immer mehr und Abends 10 Uhr (6 Stunden nach dem
Experiment; ist es dem Tode nahe. Am andern Morgen wird es in Starre gefunden.
Section nach 24 Stunden. Beide Augen mit "Eiter verklebt und die Hornhaut
opalisirt. Schädelhöhle: Kopfknochen blutig infiltrirt. Dura mater wenig. Pia
mater sehr stark hyperämisch. Am hintern untern Rande der beiden Hemisphären zwei
geronnene. 2 und 3 Linien lange und 1 Linie breite und dicke Blutklümpcken. In der
Umgebung der Medull. oblong, eine ganz dünne und durchsichtige Blutschicht. Plex.
ven. spin. mit geronnenem und flüssigem Blute angefüllt. Brusthöhle: Vom Larynx
*) Der Holzkasten ist viereckig, an zwei Seiten mit Scheiben und in der Decke
mit mehreren, mittels Pfropfen zu verschliessenden Oeffnungen versehen. Eine runde
Oeffnung in einer der hölzernen Wände dient zum Einlassen der Thiere und wird mit
einer Kapsel verschlossen. Sein cubischer Inhalt beträgt 37050 C.-Ctm.
Brom. 55
bis zu den feinsten Bronchien eine zarte croupöse Schicht und im Larynx noch etwas
eitrige Flüssigkeit. Die Schleimhaut selbst stark geröthet und sammetartig geschwollen.
Die Lungen überall schwärzlich roth, nur an der vordem Oberfläche und an den untern
Rändern mit flachen, erbsen- bis bohnengrossen, erweiterten Lungenbläschen von hell-
rother Farbe besetzt. An der Luft röthet sich die Lunge zur dunkeln Kirschröthe; sie
ist überall sehr blutreich und wenig knisternd beim Durchschneiden. Aus den dunkeln,
fast schwarzrothen Schnittflächen fliesst dunkles Blut und aus den feinsten Bronchial-
ästchen viel gelblicher Schaum aus. Unterleibshöhle: Leber blassbraun, massig
blutreich. Die Leberzellen arm an Fett; Galle hellgrün. Milz blassroth. Die Schleim-
haut des Magens normal: Nieren normal; Harnblase mit gelbem Urin angefüllt, in dem
Brom deiitlich nachgewiesen werden konnte: Stärkemehl wurde mit Wasser gekocht und
mit Urin vermischt, beim Zusatz von einigen Tropfen Chlorwasser bildete sich ein
orangerother Niederschlag.
Die Wirkung der Bromdämpfe stimmt in den Hauptpuncten mit der der
Chlordämpfe überein. Die Reizung der Conjunctiva, die Opalisirung der Horn-
haut, die vermehrte Absonderung auf der Nasenschleimhaut und der Hustenreiz
finden sich auch bei den Bromdämpfen wieder. Dagegen ist die Reizung der
Respirationswege dadurch charakteristisch, dass sie schon nach 6 Stunden eine
exquisite croupöse Bronchitis zur Folge haben kann, und zwar war dies beim
zweiten Versuche der Fall, nachdem 60 Tropfen Brom binnen 26 Minuten in
einem engen Räume zur Verdampfung gekommen waren. Beim ersten Versuche
erfolgte der Tod erst nach 8 Tagen, nachdem die Verdunstung von 2 C.-C. Brom
in einem grössern Räume stattgefunden hatte.
Am Sectionsbefunde fiel die geröthete und mit einem croupösen Ex-
sudate bedeckte und sammetartig geschwollene Schleimhaut der Luftröhre auf. In
Folge der dem Tode vorausgehenden Dyspnoe zeigten sich einzelne Lungenbläschen
emphysernatös erweitert, während das Lungenparenchym sehr hyperämiscb« war
und an mehreren Stellen beim Durchschneiden kein Knistern wahrnehmen Hess. Das
Blut war dunkel gefärbt, von theils dickflüssiger, theils geronnener Beschaffenheit.
Beim Menschen kann durch intensive Einwirkung der Bromdämpfe plötzlich
Bewusstlosigkeit und Hinstürzen erfolgen und zwar ganz in derselben Weise, wie
man dies auch bei Chlordämpfen beobachtet. a) Es sind solche Vorkommnisse zu
den Unglücksfällen zu rechnen, da Jeder sich den heftig zum Husten reizenden
Bromdämpfen so bald als möglich entziehen kann. Bei der Darstellung von
Brom eisen wird durch den unvorsichtigen Zusatz von Brom zu Eisenfeilspänen
eine sehr bedeutende Menge Wärme frei, welche eine plötzliche und sehr starke
Entwicklung von Bromdämpfen veranlasst und Unglücksfälle der oben erwähnten
Art herbeiführen kann. Um diese zu verhüten, muss nämlich Brom mittels einer
Pipette nur tropfenweise den im Wasser suspendirten Eisenfeilspänen zuge-
fügt werden.
Die Inhalation von Wasser dämpfen ist in solchen Unfällen von guter Wir-
kung; während des bewusstlosen Zustandes sind sie mittels einer Compressions-
pumpe und eines Kautschukrohrs einzutreiben ; ist das Bewusstsein zurückgekehrt,
so muss die Inhalation noch consequent fortgesetzt werden, bis die schlimmsten
Symptome beseitigt sind. — Auf die Vegetation wirkt Brom ebenso schädlich
wie Chlor ein.
Bei äusserer Einwirkung des Broms entstehen Verletzungen der Haut wie
nach Verbrennungen. Solche Zufälle können leicht in Bromfabriken entstehen,
wenn unglücklicherweise ein Gefäss zerbricht. Waschungen mit einer schwachen
Kalilauge sind hier am Platze, um die weitere Einwirkung des freien Broms zu
verhüten2).
58 Brom.
Bromwasserstoff. HBr.
Bromwasserstoff ist in jüngster Zeit in den vuleanischen Eruptionen des Vesuvs
und Aetnas nachgewiesen worden.
Man stellt es aus Phosphorbromid dar. Um Phosphor und Brom nicht
direct zusammenzubringen, weil sonst heftige Explosionen entstehen würden, nimmt
man eine doppelt gebogene Glasröhre, in welche man bei a (Fig. 2.) etwas Brom, bei h einige
Stückchen Phosphor einschüttet und den Schenkel cd mit
Glassplittern, die mit Wasser befeuchtet sind, anfüllt. Fig. 2.
Bei vorsichtiger Erwärmung von Brom verbinden sich
seine Dämpfe mit Phosphor zu Phosphorbromid. welches
unter Wasserzersetzung phosphorige Säure und Bromwasser-
stoff bildet. Letzteres entweicht durch die Gasleitungs-
röhre c
PBr3 -f- 3H20 = 3HBr + PH303
Der Bromwasserstoff ist ein coercibles, farbloses, an der Luft dicke weisse Nebel
verbreitendes und dem Chlorwasserstoff sehr ähnliches Gas von stechendem Geruch. Chlor
scheidet von ihm Brom ab und bildet mit dem "Wasserstoff Chlorwasserstoff. Brom-
wasserstoff ist in Wasser sehr leicht löslich: die Lösung ist der wässrigen Salzsäure
sehr ähnlich, raucht an der Luft schmeckt und reagirt sauer. Beim Erwärmen gibt sie
ßromwas.-erstoff ab und siedet bei 126°. An der Luft wird diese Säure roth, weil ein
Theil davon durch den atmosphärischen Sauerstoff in freies Brom und Wasser zerlegt
wird.
2HBr + 0 = ILO -f- 2Br.
Einwirkung von Bromwasserstoff auf den thierischen Organismus. Eine Taube
sitzt unter der Glasglocke und hat 8 Inspirationen binnen 1/4 M Sobald der aus Phosphor
und Brom bei Gegenwart von Wasser entwickelte Bromwasserstoff eintritt, entsteht Un-
ruhe, Blinzeln und Kothentleerung : alsdann ruhiges Stehen. Nach 2 M. wird der
Schnabel feucht. Nach 4 M. wieder Unruhe und Schwanken. Nach 10 M. bei neuer
Zufuhr Blinzeln und Schütteln mit dem Kopfe; alsdann Schwanken. Niederfallen und
Wiederaufstehen; 11 angestrengte Inspir. binnen 1/i M. Nach 15 M. neue Zufuhr und
bald darauf heftiges Schlagen mit den Flügeln. Nach 18. M. ruhiges Sitzen. Nach 20 M.
Herausnahme der Taube. Sie geht sogleich ohne Schwanken einher. Nach 6 M. noch
1 1 Inspir. bei gesteigerter Herzthätigkeit. Das Auge ist klar, die Pupille unverändert
geblieben. Die Inspiration regulirt sich allmählig, so dass nach 1 Stunde wieder 8 In-
spirationen binnen 1/i M. vorhanden sind. Krankheitserscheinungen folgten nicht.
Aus diesem Versuche geht hervor, dass die Inhalation der Broinwasserstoff-
säure eine schwache Betäubung, Taumel, Dyspnoe uud eine vermehrte Frequenz
der Herzschläge erzeugt. Mau hat somit eiue schwache Bromwirkung vor sich,
welche dadurch erklärlich ist, dass sich Bromwasserstoff in Berührung mit thie-
rischen Gebilden insofern gleich den Bromalkalimetalleu verhält, als Brom aus-
tritt, welches sich mit den erstem verbindet; beim Freiwerden des Wasserstoffs
entsteht nur Wasser, während sich bei den Bromalkalimetallen noch kohlen-
saure Alkalien bilden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass grössere Mengen dieser
Verbindung gefährlichere Erscheinungen hervorrufen, namentlich wenn man die
Versuche mit der flüssigen Säure damit vergleicht; die Schwierigkeit, ein hin-
reichendes Quantum des Gases darzustellen , verhinderte die Wiederholung der
Versuche.
Bei der subcutanen Injection von Bromwasserstoffsäure beobachtete Stei-
nauer an Kaltblütern nach einer Gabe von 0,06 — 0,3 Grm. Seltnerwerden der
Respiration und der Herzschläge, sowie Störungen der Motilität; die electrische Reiz-
barkeit der Nerven und Muskeln blieb noch lange nach dem Tode erhalten. Gaben
über 0,5 Grm. wirkten bei Kaninchen tödtlich. Zuerst sank die Pulsfrequenz bei
geringem Ansteigen der Respiration; nach ruhigem Verhalten trat dann Taumel,
Unbeweglichkeit, unregelmässige und beschleunigte Herzaction nebst
Sinken der Respirationsfrequenz ein. Bei diastolischem Herzstillstande erfolgte
der Tod.3)
Chlorbrom. 57
Hiernach treten auch bei der subcutanen Application der Bromwasserstoff-
säure fast dieselben Erscheinungen wie bei der Inhalation des Gases auf; nur
zeigen sie sich intensiver. Die Hauptwirkung wird aber nach der obigen Auf-
fassung nur dem Brom zufalleu, wobei die Beobachtung nicht uninteressant ist,
dass sich in dieser Verbindung gerade die Einwirkung von Brom auf das Gehirn
durch den Eintritt von Schwindel und Taumel schneller bemerkbar macht, als
wenn bloss Bromdämpfe einwirken.
Chlorbrom. BCI.
Chlorhrom bildet sich, -wenn man Chlor über überschüssiges Brom leitet; es ent-
steht eine rothgelbe, flüchtige Flüssigkeit von durchdringendem Gerüche, welche röth-
lichgelbe Dämpfe ausstÖsst; sie löst sich in Wasser auf und wirkt bleichend. Mit
Alkalien zusammengebracht, gibt Chlorbrom ein bromsaures Salz und die entsprechende
Chlorverbindnng.
Wirkung von Chlorbrom auf den thierischen Organismus. Ein mittelgrosses Ka-
ninchen sitzt unter der Glasglocke. Beim Eintritt der Dämpfe in die Glocke Unruhe,
Putzen der Schnauze, Husten. Nach 2 M. schrumpfen die Barthaare zusammen, der
Athem stockt und die Augen schliessen sich. Nach 3 M. aufrechte Stellung mit
zurückgezogenem Kopfe. Ohren gelb gerändert. Nach 9 M. schwellen die Augenlieder
an; ein weisser dicker Schleim zwischen denselben. Ausathmen von weissen Dämpfen.
Die Atmosphäre der Glocke hat einen röthlichen Schimmer. Putzen der Nase, Unruhe
und dann wieder ruhiges Sitzen. Nach 19 M. ist das ganze Fell gelb. Angestrengtes
Athmen mit geöffnetem Munde; 9 Inspir. binnen 1/4 M. Die Atmosphäre der Glocke ist
gelblichbraun. Nach 20 M. Herausnahme. Cornea auf beiden Seiten opalisirt. Das
Thier bleibt anfangs ruhig sitzen; nach 8 M. läuft es umher, stösst aber wegen Blindheit gegen
alle Gegenstände und verfällt kurz darauf in die heftigsten Convulsionen. Nach 9 M.
noch einige krampfhafte Inspirationen mit Schleim rasseln und nach 11 M. Tod. Aus
Maul und Nase stürzt weisser Schaum, welcher Lackmuspapier sehr stark röthet.
Section nach 24 Stunden. Schädelhöhle: Pia mater überall sehr hyperämisch. Auf
den Corp. quadrig. 2 geronnene Blutklümpchen, welche 3 Linien lang und 1 Linie dick
sind. Plex. venös, spin. massig angefüllt. Auf der Dura mater eine ganz dünne,
flüssige Blutschicht. Brusthöhle: Lungen sehr ausgedehnt und von blassrother Farbe
mit zarten braunrothen Marmorirungen ; überall auf der Oberfläche erweiterte Lungen-
bläschen. Auf den Schnittflächen blassgelber Schaum und etwas flüssiges Blut. Der Schaum
füllte sowohl die feinsten Bronchien als auch die ganze Luftröhre bis zum Kehlkopf
aus. Schleimhaut sehr intensiv geröthet und sammetartig geschwollen bis zum Kehlkopf
hin. Bei der chemischen Uutersuchung der Lunge konnte Brom deutlich nachgewiesen
werden. Die rechte Herzhälfte und der linke Vorhof sind ganz mit geronnenem Blute
angefüllt. Unterleibshöhle: Leber braunroth und blutreich. Das Blut ist flüssig;
Galle dunkelgrün. Auch in der Leber konnte Brom chemisch nachgewiesen werden.
Milz und Nieren normal. Auf den dünnen Gedärmen die gewöhnliche Gefässinjection;
in den grössern Venen geronnenes und flüssiges Blut; das flüssige Blut waltete aber
vor, hatte eine braunrothe Farbe und wurde an der Luft kirschroth. Viele Blutkügelchen
gekerbt und ungleich.
Bei der Entwicklung der Dämpfe von Chlorbrom macht sich die reizende
"Wirkung von Chlor und Brom gleichzeitig geltend. Die Wirkung von Brom
äussert sich schon durch das Zusammenschrumpfen der Barthaare der Thiere und
die Entzündung der Augenlieder, während die Opalisirung der Hornhaut der
gleichzeitigen Einwirkung von Chlor und Brom angehört. Die Anfüllung der
Bronchien mit Schaum war eine Folge der höchst irritirenden Wirkung dieser
Verbindung. Man kann sicher annehmen, dass der Tod durch Erstickung
erfolgte.
Man benutzt Chlorbrom in der Photographie, sowohl zum Niederschlagen der
Silbersalze (Negativ-Bilder), als auch zum Fixiren der Positiv-Bilder; Silbernitratlösung
erzeugt nämlich damit eine gelblichweisse Fällung von Silberbromid, welches sich
vom Chlorsilber nur durch seine weit geringere Löslichkeit in Ammoniak unter-
scheidet.4)
58
.Tod.
Jod. J.
Jod wurde durch Courtoia im Jahre 1811 ' entdeckt; seitdem hat man es als
einen sehr verbreiteten Körper kennen gelernt. Die CAa/m'schep Angaben über sein
freies Vorkommen in der Lufl und im Regenwasser haben sich jedoch nicht bestätigt.
Meistens findet es ßich an Metalle gebunden in Begleitung von Chlor und Brom. Auch
in vielen Mineralien, im Gichtstaub der Hohöfen, in der Ackererde, im Torf, im Höhen-
rauch, in vielen Seethieren, in Süsswasserthieren, Süsswasserpflanzen, ja sogar in der
Milch und in Eiern hat man es nachgewiesen.
Bei der Bearbeitung der Asche vieler Strandpflanzen, insbesondere der Fucus- Arten,
and Algen (in Frankreich und Spanien Varec, in Schottland Kelp genannt) auf
Soda bleiben Mutterlaugen zurück, welche neben Bromnatrium Jodnatrium enthalten.
Wim unterwirft die Laugen unter Zusatz von Braunstein und Salzsäure der Destillation,
wobei die Joddämpfe in Glasbaüons aufgefangen werden. Das Product wird durch
Sublimation gereinigt. Die grössten Fabriken dieser Art finden sich in Cherbourg,
Brest, Glasgow und in der irischen Grafschaft Donegal.
Auch die Mutterlaugen der Kalisalpeterfabriken, welche Chilisalpeter verwenden,
sind sehr jodhaltig und können zur Gewinnung von Jod verarbeitet werden.
Jod bildet schwärzlich-stahlblaue, graphitblättrige Krystalle, welche metallisch glän-
zen, sieh alxr bei jeder Temperatur verflüchtigen. Bei 180° destillirt es und ent-
wickeli intensiv violette (M>8t]s) Dampfe, welche unter allen gas- und dampfförmigen
Körpern die schwersten sind, da ihr spec. Gew. 8,G5 beträgt. Sein Schmelzpunct liegt
bei 107°. Jod hat einen eigentümlichen, safranähnlichen Geruch. Im Allgemeinen
i es die organischen Körper nicht so leicht wie Brom und Chlor. Es ist in
7000 Th. Wasser löslich: Alkohol. Aether, Chloroform, Benzol, Schwefelkohlenstoff und
tue löslichen Jodalkalien sind dagegen gute Lösungsmittel.
Stärkekleister ist das empfindlichste Reagens auf Jod. Jodkaliumhaltiger Stärke-
kleister wird durch Ozon unter Abscheidung von Jod gebläut, worauf das Princip
der bisherigen Ozonometer beruht. Auch Brom und Chlor scheiden Jod aus ihren
Metallverbindungen aus. Mit Phosphor, Schwefel und den Metallen verbindet es sich
direct.
Einwirkung von Jod auf den thierischen Organismus, l) Ein mittelgrosses Ka-
ninchen sitzt im grossen Glaskasten, welcher in der Sonne steht*). 36 Ctgrm. Jod werden
in einer Schüssel aufgestellt. Bei 36°C. füllt sich alsbald der Kasten mit blauvioietten
Dampfen. Hierauf die grösste Unruhe, Aufspringen, starkes Speicheln und Röthung
der Nase. Der Speichel tliesst in langen Fäden aus. Heftiges, jämmerliches Schreien
bei unzählbarer Respiration und heftigem Herzklopfen. Indem das Kaninchen herum-
springt und sich auf die Hinterbeine erhebt, fällt es beständig auf die Seite und rück-
lings. Nachdem kaum 20 Ctgrm. innerhalb 10 M. verdunstet sind, wird das Jod heraus-
genommen und der Kasten aus der Sonne gestellt. Das Kaninchen bleibt noch 6 Stunden
lang im Kasten, verhält sieh ruhig und athmet noch mit Anstrengung. Zuletzt 15 Inspir.
binnen ]/4 M. Nach der Herausnahme ruhiges Verhalten. Die weissen Haare sind gelb
gefärbt. : die obere Hälfte beider Hornhäute ist opalisirt. Das Thier verräth grossen
Durst. Rhonclms sonorus in der ganzen Brust und vermehrtes Herzklopfen. Am folgen-
den Tage schält sich das Epithelium der Hornhaut ab. 10 angestrengte Inspir. binnen
V4 M- Am 3. Tage wird es todt gefunden. Auf der linken Hornhaut noch eine geringe Trü-
bung. — Section nach 24 Stunden. Schädelhöhle: Dura mater massig, Pia mater sehr
stark injicirt, namentlich an der Basis des Gehirns; hier finden sich in der Nähe des
hintern Randes der beiden Hemisphären zwei erbsengrosse, geronnene Blutklumpchen.
Plex. venös, spin. mit geronnenem Blute angefüllt. Brusthöhle: Die rechte Lunge
braunroth und mit hellziegelrothen, erbsengrossen Erweiterungen der Lungenbläschen
besetzt. Der linke obere Lappen ist leberbraun, fest und sinkt im Wasser unter; die
übrige Partie dieser Lunge ist blauroth. Auf den Durchschnittsflächen wenig Blut und
blutiger Schaum : letzterer findet sich auch in den Bronchien. Die Schleimhaut der Luft-
röhre etwas geschwollen, stark geröthet und an einzelnen Stellen des Epitheliums beraubt.
An andern Stellen war es abgelöst und Hess sich in kleinen Streifen abziehen. Das ganze
Herz mit geronnenem Blut angefüllt, ebenso die grössern Blutgefässe. Es floss nirgends
flüssiges Blut aus. Unterleibshöhle: Leber von normaler brauner Farbe, enthält
etwas dickflüssiges Blut; Milz blassroth; Nieren blutreich.
*) Auf einer blechernen, flachen und mit einem Rande umgebenen Schüssel sitzt
das Kaninchen, worüber der Glaskasten gestülpt und mittels Sand luftdicht verschlossen
wird. Im obern, dachförmig construirten Räume befinden sich Oeffnungen, welche mit
Pfropfen versehen sind und eventuell zur Zuleitung der Gase und Dämpfe benutzt wer-
den. Der cubische Inhalt beträgt circa 72000 C.-Ctm.
Jod 59
2) Ein mittelgrosses Kaninchen sitzt im grossen Kasten. 24 Ctgrm. Jod kommen
zur Verdunstung, während die Sonne auf den Kasten scheint. Nach 5 M. Ausfluss von
klaren Schleimtropfen aus dem Maule. Violette Dämpfe sind sichtbar. Blinzeln mit den
Augen. Nach 15 M. ist weiter keine Erscheinung als starkes Speicheln eingetreten.
Zusatz von 24 Ctgrm. Jod. Nach 30 M. Putzen der Nase; es liegt abwechselnd auf dem
Bauche und stellt sich auf die Hinterfüsse. Schliessen der Augen. Nach 40 M. geringes
Schwanken beim Aufstehen; alsdann wieder Bauchlage mit gespreizten Vorderbeinen.
Nach 45 M. 12 Jnspir. binnen l/t M. Sitzen mit zurückgezogenem Kopfe ; es erscheint wie
betäubt und schreckt oft wie aus dem Schlafe auf. Nach 50 M. momentanes Schwanken
und Anlehnen an die Wand des Kastens. Nach 75 M. angelehntes Sitzen mit zurück-
gezogenem Kopfe; Putzen der Schnauze; Aufhusten. Nach 2 Stunden 8 angestrengte
Inspir. binnen 1/4 M. Dann Herausnahme Starkes Herzklopfen; Hornhaut opalisirt
mit geringer Schleimabsonderung in den Augenwinkeln. Am folgenden Tage freie Bewe-
gung. Am dritten Tage normales Verhalten.
3) Dasselbe Kaninchen wurde einige Tage nachher in die Glasglocke gebracht, in
welche die violetten Dämpfe von Jod eingeblasen wurden, nachdem letzteres ausserhalb
derselben durch Wasser erwärmt worden war. Das Thier wird sogleich unruhig und erhebt
sich auf die Hinterbeine. Die weissen Haare werden gelb. Nach 2 M. Putzen der Schnauze,
momentanes Schliessen der Augen. Nach 6 M. Zurückziehen des Kopfes. Nach 13 M.
bei wiederholter Einleitung der Dämpfe vermehrte Unruhe, Putzen der Schnauze, Nass-
werden der Nasenschleimhaut und Trübwerden der Augen. Nach 15 M. Schwanken,
Husten, Anlehnen an die Wand des Kastens. Nur 5 Inspir. binnen V4 M. in aufrechter
Stellung. Nach 23 M. Zufuhr der Dämpfe, worauf jedesmal stärkeres Putzen der
Schnauze folgt. Dann wieder aufrechte Stellung mit zurückgezogenem Kopfe und bei
häufigem Husten. Nach 30 M. Hornhaut opalisirt; Thränen der Augen; alle weissen
Haare sind gelb gefärbt. Alsdann Herausnahme des Kaninchens. Es bewegt sich
sogleich und sucht dunkle Ecken auf; Respiration bleibt verlangsamt. Am folgenden
Tage freiere Bewegung und wiederum 20 Inspir. binnen 1/4 M.: wenig Eiter in den Augen-
winkeln und die Hornhaut nur noch schwach opalisirt. An den folgenden Tagen bemerkt
man nichts Besonderes an demselben.
In der Industrie sind es nur die Jod dämpfe, welche nachtheilig auf die
Gesundheit der Arbeiter einwirken können. Aus den vorhergehenden Experimenten
geht zunächst die höchst irritirende Wirkung des Joddampfes hervor. Alle
Schleimhäute, mit denen ein solcher Dampf in Contact kommt, werden im höchsten
Grade gereizt, weshalb starkes Speicheln, Blinzeln mit den Augen, Putzen der
Nase und Husten die vorherrschenden Symptome bei den Thieren sind. Die
Hornhaut wird opalisirt, ihr Epithelium schält sich ab oder die Bindehaut ent-
zündet sich unter Absonderung einer schleimigen Flüssigkeit. Bei der weitern
Einwirkung befällt (in ähnlicher "Weise wie bei Bromdämpfen) Taumel und
Schwindel die Thiere; sie vermögen sich nicht mehr auf den Beinen zu halten,
die Herzaction ist vermehrt, die Respiration beschleunigt sich oder wird sehr be-
schwerlich, regulirt sich aber bald wieder, wenn die Thiere an die freie Luft gebracht
werden, während bei ihrem längern Verweilen in einer jodhaltigen Atmosphäre
schliesslich der Tod in Folge von Entzündung der Respirationsorgane eintritt. In
letzterm Falle erfolgte der Tod erst am 3. Tage, nachdem nur 20 Ctgr. Jod zur
Verdunstung gekommen waren, das Thier aber noch 6 Stunden lang in der jod-
haltigen Atmosphäre verweilt hatte (Erster Versuch). Ein anderes Kaninchen
konnte 2 Stunden lang ohne bleibenden Schaden in einem Kasten verweilen,
in welchem 48 Ctgr. Jod zur Verdunstung kamen (Zweiter Versuch). Ein drittes
Kaninchen verweilte eine halbe Stunde lang ohne Nachtheil in der Glasglocke,
deren Atmosphäre durch Joddampf violett gefärbt war. Die Joddämpfe bedürfen
somit stets einer längern Zeit, ehe sie ihre Wirkung vollständig entfalten.
Am Sectionsbefunde fiel die geschwollene und geröthete Schleimhaut
der Trachea auf, welche an einzelnen Stellen ihres Epithels ganz beraubt war;
an andern Stellen Hess sich dasselbe in kleinen Streifen abziehen. Der linke
60 Jod-
obere Lungenlappen war hepatisirt und die ganze rechte Lunge bot ein ausge-
prägtes Emphysem dar. Fast alles Blut war geronnen oder dickflüssig.
Reim Menschen erzeugen Joddämpfe in nicht zu starker Einwirkung zu-
nächst Schwere im Kopfe. Hustenreiz, Ermüdung und bisweilen einen fieberhaften
Zustand, welcher einige Tage anhalten kann und mit dem Lockerwerden des
Hn-ten;. in der Regel uachlässt. Der Husten pflegt aber längere Zeit anzuhalten.5)
Das Augeuthräuen. Niessen und Husteu nöthigt zum sofortigen Verlassen des
Locals. in welchem solche Dämpfe verbreitet sind. Gefährlichere Folgen, wie sie
sich aus den Versuchen an Thieren ergeben, sind bei Menschen noch nicht be-
obachtet worden. Der _ Jodschnupfen " scheint sich nach den in französischen
Fabriken gemachten Erfahrungen bisweilen auszubilden. Selbst bei Photo-
graphen, welche bekanntlich am meisten mit Joddämpfen in Berührung kommen,
hat mau >elteu bleibende Nachtheile beobachtet, welche auch bei einiger Vorsicht
zu verhüten sind, da sich die Dämpfe in einem geschlossenen Räume entwickeln
und die Menge derselben nur gering ist. Nur bei einem Photographen mit cruden
Tuberkeln schien die häufige Einwirkung der Joddämpfe nicht ohne Einfluss auf
die spätere Eutwickluug dieser Krankheit geblieben zu sein. Jedenfalls dürfte
denjenigen Autoren nicht beizustimmen sein, welche die Joddämpfe als Desinfec-
tiousmittel empfehlen (s. Jodoform).
Als Gegengift von Quecksilber-, Blei-, Strychniu-, Bruciu- und Atropin-
Vergiftung wird Jod nebst seinen Präparaten empfohlen.
Alle Pflanzen werden durch freies Jod getödtet. während die Jodalkalien
von denselben ohne Nachtheil aufgenommen werden. Die Pflanzen häufen die
Jodalkalien während ihres Lebeusprocesses an, Thiere scheiden dagegen alle ihnen
zuseführteu Jodalkalien wieder aus. So sind bekanntlich die Meerstrandgewächse
reich an Jodverbindungen: die Thiere des Meeres enthalten nur Spuren von Jod,
aber etwas mehr Brom.
Technische Verwendung finden Jod uud seine Präparate in der Photo-
graphie und in Anilinfarbenfabriken. In letztern sind es besonders Jod-
aethyl und Jodmethyl, welche früher noch mehr als jetzt, nachdem die Dar-
Btellnngsweise der Theerfarben einen neuen Umschwung erfahren hat. im Gebrauch
waren. Die Photographen bedienen sich auch der Verbindungen des Jods mit
Ammonium, Cadmium uud Lithium.
Jodwasserstoffsäure. HJ.
Jodwasserstoff •wird in ähnlicher Weise dargestellt -wie Bromwasserstoff, indem
man Phosphorjodid durch Wasser zersetzt,
PJ3 + 3H20 = PH30, + 3HJ.
Auch gewinnt man ihn durch Erwärmen von Natriumsulfit mit Jod und Wasser. Er ist
ein farbloses Gas von 4.4-1 spec. Gew.. raucht an der Luft und wird vom Wasser zu einer
rauchenden Flüssigkeit absorbirt. Diese Lösung lässt sich auch in der Weise darstellen,
das? man Jod in Wasser vertheilt und Schwefelwasserstoff hineinleitet, bis alles Jod
verschwunden ist.
1I,S4-2J=2HJ4- S.
Bei 127° destillirt dann eine Säure von 1.56 spec. Gewicht über, welche sich an der
Luft unter Jodausscheidung zersetzt. Dieselbe erfolgt auch durch Zusatz von Brom
und Chlor.
Einwirkung von Jodwasserstoffsäure auf den thierischen Organismus, l) EineTaube
sitzt unter der Glasglocke. Gleich beim Eindringen der Dämpfe, welche aus schweflig-
saurem Natrium. Jod und Wasser dargestellt wurden, Blinzeln mit den Augen und Putzen
derselben bei grosser Unruhe und sehr beschleunigter Respiration. Thränen der Augen
Jodwasserstoffsäure. 6 1
und Ausfluss von Schleim aus den Nasenlöchern. Nach 4 M. angestrengtes Athmen mit
jedesmaligem Oeffnen des Schnabels. 9 Inspir. binnen x/4 M.; nach 6 M. starke Con-
vulsionen, worauf nach einigen krampfhaften Inspirationen mit weitem Oeffnen des
Schnabels der Tod erfolgt. Ein dumpfer Herzschlag ist noch ein paar Minuten lang
hörbar. Die Hornhaut ist nicht getrübt.
Section nach 24 Stunden. Pia mater stark injicirt. Plex. venös, spin. ent-
halten nur geronnenes Blut- Ein feiner Blutfaden verläuft über die ganze Dura mater.
Brusthöhle: Beide Lungen sind theils hell- und dunkelkirschroth, theils braunroth
gefärbt. Auf den Schnittflächen geronnene Biutklümpchen uud blutiger Schleim. Der
grösste Theil des Parenchyms ist fest, knistert nicht beim Durchschneiden
und sinkt in Wasser. Die ganze Trachealschleimhaut schwach braunroth injicirt.
Im Herzen geronnenes und krümliges Blut. In allen grössern Gefässen geronnenes
Blut. Unterleibshöhle: Leber schwärzlichbraun, Galle dunkelbraun; sonst die ge-
wöhnliche Injection. Das sparsame flüssige Blut ist dunkelroth und wird an der Luft
hellkirschroth. Chemisch konnte Jod in den Lungen nachgewiesen werden.
2) Ein mittelgrosses Kaninchen wird in die halb mit Dämpfen angefüllte Glocke
gebracht. Sogleich die grösste Unruhe und starkes Putzen der Schnauze. Nach 3. M.
neue Zufuhr der Dämpfe; 20 angestrengte und unregelmässige Inspir. binnen 1/i M.;
nach 5 M. Schliessen der Augen bei ruhigem Sitzen und 11 Inspirationen. Der Zustand
bleibt derselbe; deshalb Herausnahme nach 15 M. Eine weisse schleimige Flüssig-
keit füllt die Augen. Praecipitirtes Jod zeigt sich an den Haaren. Häufiges Husten
bei Schleimrasseln. Am folgenden Tage ruhiges Verhalten bei häufigem Husten und
starkem Schleimrasseln. 7 angestrengte Inspir. binnen Vi M. Am 3. Tage steigert sich
die Dyspnoe. Aengstliches Lmherlaufen oder ruhiges Sitzen bei zurückgezogenem
Kopfe. Die Respiration wird immer seltner und angestrengter. Tod gegen Mittag.
Section nach 6 Stunden. Pia mater stark injicirt. Ein erbsengrosses Blut-
coagulum am hintern untern Rande der beiden Hemisphären. Plex. venös, spin. ent-
halten nur geronnenes Blut. Auf der Dura mater eine ganz dünne flüssige Blutschicht.
Brusthöhle: Vom Larynx bis zu den Bronchien hin ist das Epithelium aufgelockert
und gleicht der zarten Schicht eines entzündlichen Exsudats. Unter derselben ist die
Schleimhaut geröthet. Die Lungen zinnoberroth mit braunrothen Marmorirungen; der
mittlere rechte Lappen leberbraun, fest und auf seinen Schnittflächen geronnenes
Blut und röthlicher Schaum. Die untere Fläche der Lunge vorzugsweise von . braun-
rother Farbe; auf der Oberfläche der linken und an den Rändern der rechten Lunge
viele ausgedehnte Lungenbläschen. Im rechten Herzen und im linken Vorhof schwarzes
geronnenes Blut. Fast gar kein flüssiges Blut scheidet sich aus. An der Luft wird
es hellkirschroth. Blutkügelcken normal. Unterleibshöhle: Leber schwärzlich-
braun und reich an dickflüssigem Blute. Uebrigens die gewöhnliche Injection auf der
Oberfläche der Eingeweide und eine starke Anfüllung der Venen mit geronnenem
oder dickflüssigem Blute. In Lunge und Leber konnte Jod chemisch nachgewiesen
werden.
Die experimentellen Versuche ergeben eine vollständige Gleichheit in der
Wirkung des freien Jods und des Jodwasserstoffs bei der Inhalation, nur mit dem
Unterschiede, dass letzterer rascher eine gefährliche Wirkung entfaltet. Die
Dämpfe des Jodwasserstoffs erzeugen wie freies Jod eine irritirende Wirkung
auf allen Schleimhäuten, weshalb Blinzeln mit den Augen, Augenthränen, ver-
mehrte Nasenabsonderung, Husten und erschwerte Respiration entstehn. Bei
energischer Einwirkung sterben Tauben sehr rasch unter Convnlsionen und
höchst angestrengter Respiration; Kaninchen sterben nachträglich an den Folgen
der Lungenentzündung. Zieht man das Verhalten des Jodwasserstoffs gegen
Membranen in Betracht, so erklärt sich das gleichartige Verhalten des Jodwasser-
stoffs und des freien Jods bei der Inhalation, da der Jodwasserstoff seinen Jod-
gehalt an die thierische Substanz abgiebt und sich damit verbindet, während der
Wasserstoff Wasser liefert. Es findet somit hier ganz dasselbe Verhältniss wie
beim Bromwasserstoff statt.
Chlorjod. JCI.
Einfach-Clllorjod stellt eine gelbröthliche ölige Flüssigkeit von stechendem Ge-
ruch und adstringirendem Geschmack dar, welche sieh in Wasser und Weingeist mit
62 ^d.
gelber Farbe, in letzterm aber unter Zersetzung auflöst. Um es darzustellen, wird Jod
mit 4 Th. ehlorsaurem Kalium erwärmt. Unter Entwicklung von Sauerstoff destillirt Chlor-
jod über. Durch längeres Einleiten von Chlor in diese Verbindung entsteht Dreifach-
Chlorjod JC13 in pomeranzengelben Krystallen.
Benutzt wird Einfach-Chlorjod in wässriger Lösung in der Photographie und iu
Anilinfarbenfabriken, namentlich zur Darstellung der grünen Farben.
Einwirkung von Chlorjod auf den thierischen Organismus. Eine Taube sitzt unter
der Glasglocke. Bei Einleitung des Dampfes, welcher aus Jod und ehlorsaurem Kalium
dargestellt wurde, entstehen sogleich grosseUnruhe, Blinzeln, Putzen der Augen und Husten.
Nach 1 M. starkes Thränen der Augen und Ausfliessen von flüssigem Schleim aus den
Nasenlöchern. Nach 3 M. werden die weissen Federn gelb. Nach 5 M. geschwollene
Augenlieder. In der Bauchlage sehr angestrengtes Athmen mit Aufsperren des Schnabels.
Nach 6 M. heftige Convulsionen. Nach 7 M. 7 tiefe Inspir. mit jedesmaligem weitem
Oeffnen des Schnabels. Alsdann Herausnahme der Taube. Sie bleibt auf dem Bauche
mit ausgestreckten Füssen liegen. Sehr beschleunigter Herzschlag. Nach 7 M. 6 weniger
angestrengte Inspir. binnen 1/4 M.: Cornea opalisirt. Nach In M. steht sie aufrecht.
Am folgenden Tage 12 Inspir. binnen 1ji M. mit schwachem Oeffnen des Schnabels.
Braune Krusten an den Augenliedern: Cornea trüb weisslich; vorherrschende Bauchlage;
Nasenöffnung mit Schleim angefüllt. Heisere Stimme und hartes, rauhes Respiriren, als
ob die Luft durch eine metallene Röhre ginge, eine Erscheinung, welche man be-
kanntlich bei croupkranken Kindern beobachtet. Herzschlag normal. 9 Inspirationen
binnen l/4 M. Am 3. Tage stirbt sie Morgens früh, nachdem sie vorher einigemal krampf-
haft inspirirt hatte.
* Section nach 20 Stunden. Cornea ganz opalisirt, Augenlieder noch geschwollen
und auf der innern Seite mit einer schleimigen, schwach blutigen Flüssigkeit bedeckt.
Hirnhäute massig inficirt. Plex. venös, spin. angefüllt. Beim Oeffnen der Wirbel
fliessen einige Tropfen dunkelkirschrothen Bluts aus. Brusthöhle: Lungen kirschroth
und in Wasser schwimmend; auf den Schnittflächen etwas geronnenes Blut und feiner
Schaum. Die Schleimhaut der ganzen Luftröhre ist mit einer festen croupösen Schicht
bedeckt, in welcher man unter dem Mikroskope faseriges Gewebe und Zellen beobachtet.
Dieselbe Schicht setzt sich über die Zunge, die Mundhöhle sowie auch die Speiseröhre
bis zum Kröpfe, welcher leer ist, fort. In der Mundhöhle lässt sich die croupöse Masse
in dicken Klümpchen, in der Speiseröhre und in der Trachea die Neubildung als zusam-
menhängende Haut erkennen. Unter dem croupösen Exsudat war überall die Schleimhaut
geschwollen und geröthet. In allen grössern Blutgefässen geronnenes Blut. Ebenso in der
rechten Herzhälfte und im linken Vorhof festes geronnenes Blut. Unterleibshöhle:
Leber schwärzlichbraunroth und geronnenes Blut enthaltend. Nieren und Milz normal.
Auf der Oberfläche der Eingeweide die gewöhnliche Injection. Flüssiges Blut findet sich
fast gar nicht vor. An den Stellen des Tellers, wo Lunge und Leber auflagen, bildeten
sich hellrothe Blutflecke. Jod liess sich in der Lunge chemisch nachweisen.
Die vereinte Wirkung von Chlor und Jod erzeugte ein Krankheitsbild,
welches die grösste Aehnlichkeit mit der häutigen Bräune hatte. Die heisere
Stimme, die erschwerte Respiration und das rauhe Athmen sprachen schon wäh-
rend des Lebens für eine Kehlkopfsaffection. Die Section ergab, dass das crou-
pöse Exsudat sich von der Trachea sowohl in die Mundhöhle als auch in die
Speiseröhre bis zum Kröpfe ausdehnte. Die Auflagerung erwies sich auch bei der
mikroskopischen Untersuchung als fibrinöse, während die unter ihr liegende
Schleimhaut geschwollen und stark geröthet war. Der Tod war die erklärliche
Folge dieses Krankheitszustandes.
Bromjod. Brj.
Broinjod wurde in der Weise dargestellt, dass 30 Grm. Brom mit 30 Grm. Jod
vermischt und der Destillation unterworfen wurden, worauf sich rothbraune Dämpfe
entwickelten.
Bromjod findet Verwendung in der Photographie zum^Empfindlichmachen der
Platten und zum Niederschlagen des Silbers, sowie zum Aetzen der metallischen Photo-
graphieplatton.
Einwirkung von Bromjod auf den thierischen Organismus. Ein starkes Kaninchen
sitzt unter der Glasglocke. Eine nach Aequivalenten-Mengen bereitete MischuDg von Brom
Bromjod. 63
und Jod -wurde erwärmt. Beim Eindringen der Dämpfe in die Glocke sogleich Unruhe,
Schliessen der Augen, Aufrechtstehen und Zurückziehen des Kopfes. Stockende Respi-
ration. Nach 2 M- starkes Putzen der Schnauze, nach 3 M. 11 ungleiche, bloss an der
Nase bemerkbare Inspir. binnen x \ M. Hellbraune Glockenluft. ><ack 4 M. die Augen
mit Schleim angefüllt. Nach 6 M. 12 sehr angestrengte Inspir. mit tiefem Einziehen
der Weichen. Hierauf wieder starkes Reiben der Schnauze. Nach 10 M. 14 angestrengte
Inspir. mit Aufblasen der Backen. Herausnahme des Thieres. Augen stark ver-
klebt, Cornea auf beiden Seiten opalisirt: ruhiges Verhalten und angestrengte Respi-
ration. Nach 4 M. 17 leichte Inspirationen. Nach ö M. läuft es umher, stösst aber
gegen alle Gegenstände an. Nach 6 M. stürzt es im Laufe hin und verfällt in Tetanus,
wobei eine grosse Masse gelblichen Schaums aus dem Maule stürzt. Nach einigen
krampfhaften Inspirationen Tod. Der Schaum reagirte stark sauer; ein Beweis, dass sich
eine Wasserstoffsäure gebildet hatte.
Section nach 6 btunden. Leichenstarre noch nicht ausgebildet. Beide Hornhäute
trübe. Das rechte Auge ist mit blutiger Flüssigkeit angefüllt; das linke tritt stark her-
vor. Hirnhäute stark injicirt. Plex. ven. spin. stark angefüllt. Im \ erlaufe der
Halswirbel ein dünner flüssiger Bluterguss auf der Dura mater. Brusthöhle: Lungen
ausgedehnt und mit blassrothen, braun- und sehwärzlichbraunrothen Flecken besetzt;
erstere bestehen aus erweiterten Lungenbläschen. Den sehwärzlichbraunrothen Flecken
an der untern Fläche der untern Lungenlappen entsprach ein ähnlich gefärbtes, beim
Durchschneiden nicht knisterndes Parenchym. Die Lungen schwimmen im "Wasser: auf
den Durchschnittsflächen etwas flüssiges Blut und viel gelblicher Schaum, welcher alle
Bronchien und die Luftröhre bis zum Kehlkopf hin anfüllt. Die Schleimhaut der Luft-
röhre bis zum Kehlkopf hin dunkelroth injicirt. In dem die Luftröhre umgebenden
Zellgewebe ein dünnes Blutextravasat. Im rechten Herzen dickes geronnenes Blut. In
der Brusthöhle hatte sich etwas frischrofcb.es flüssiges Blut angesammelt. TJnter-
leibshöhle: Leber von braunrother Farbe und blutreich; Galle dunkelbraun: Milz
bläulichroth ; Nieren in der Corticalsubstanz blutreich. Die grössern Venen stark ange-
füllt. Flüssiges Blut war vorherrschend und hatte eine dunkelkirschrothe Farbe, welche
an der Luft etwas heller wurde. Viele Blutkügelchen mit gezacktem Rande. In der
Leber und Lunge konnte Jod recht gut, Brom nur in Spuren nachgewiesen werden.
Bromjod erzeugte die heftigste Reizung in den Respirationsorganen. Gerade
wie beim Chlorbrom bildete sich ein massenhafter Schaum in den Bronchien,
welcher auch noch die Luftröhre bis zum Larynx füllte. Während derselbe mit
grosser Macht aus dem Maule des Versuchsthieres stürzte, starb dieses unter teta-
nischen Krämpfen, so dass auch hier Erstickung den Tod bewirkte. Diese heftige
Reizung der Respirationswege wird weder durch Brom, noch durch Jod allein
hervorgerufen; ein Beweis, class dem Bromjod eine eigenthümliche Wirkung
zukommt. Für den Erstickungstod spricht der Leichenbefund, besonders der Zu-
stand der Luftwege; die schwärzlichen, nur nadelkopfgrossen Flecke unter dem
Lungenfell glichen vollkommen den vielbesprochenen subpleuralen Ekchymosen.
Brom- und Jodindustrie.
Die Bromindustrie hat in der neuesten Zeit wegen der grossartigen Ver-
wendung von Brom und seinen Präparaten eine bedeutende Ausdehnung erhalten.
Ausser dem Kelp oder Varec waren es besonders die letzten Laugen der Salinen,
sowie die Mutterlauge des Nordseewassers auf der Insel Wangeroge, welche schon
früher für die Bromdarstellung benutzt worden sind, während seit 1865 auf dem
Continent Stassfurt bei Magdeburg die wichtigste Productionsstelle ist.
Das dortige Abraumsalz, welches grösstentheils aus Chlorkali urn und Chlor-
magnesium besteht, enthält nicht unbedeutende Mengen von Brommetallen und
zwar hauptsächlich von Brommagnesiuni und Bromnatrium. Indem das Abraum-
salz auf Chlorkalium bearbeitet wird, häuft sich der Bromgehalt in der Mutter-
lauge an. Man concentrirt die 35° B. starke, durch Erkalten von Chorcalcium
möglichst befreite Carnallit-Mutteiiauge durch weiteres Eindampfen auf höchstens
(34 Brom- und Jodindustrie.
40" B. Beim Erkalten bis 25° krystallisirt viel Chlormagnesium ((MgCl2H-
6H20) aus und die zurückbleibende Mutterlauge enthält 0,3—0,5% Brom als
Brommagnesium.
Man behandelt dieselbe wie bei der Chlordarstellung in Trögen von 3 Cbm.
Capacität mit falschem Boden, welche aus einem besonderen, den Säuren wider-
stehenden Stein*) dargestellt werden, mit der entsprechenden Menge Braunstein
and Schwefelsäure unter Mithülfe eines am Boden sich verzweigenden Dampfrohrs.
Eine Platte von demselben Material mit Mannloch und Oeffnungen zum Ein-
giessen der Bromlauge und der Säure verschliesst die Tröge. Statt der Dampf-
spirale kann auch Wasserdampf durch ein Steinzeugrohr eingeführt werden.
Alle Fugen werden mit plastischem Thon verschlossen. Häufig werden die Brom-
laugen durch eine Dampfspirale vorgewärmt. Jede Füllung beträgt in Stassfurt
4 Centner. — Die alsbald auftretenden rothen Bromdämpfe condensiren sich in
Kühlröhren aus Thon und werden in einer vorgeschlagenen Woulff sehen
Flasche aufgefangen. Die Verbindung zwischen diesen und dem Kühlrohr wird
mittels eines gläsernen Verstosses vermittelt. Die Flasche ist dreifach tubulirt
und mit einem Sicherheitstrichter. sowie mit einem zweckmässigen Glasheber zur
Entfernung des Bromwassers versehen. In der Flasche bildet sich nämlich
eine untere (Brom) und eine obere Schicht (Bromwasser). Die noch nicht con-
densirten Dämpfe gehen in einen mit nassen Eisenabfällen gefüllten Topf über,
um hier vollständig absorbirt zu werden. Wenn sich gegen Ende der Operation
immer mehr Chlor (als grüner Dampf) entwickelt, unterbricht man dieselbe.
Das gewonnene Brom ist stets mit Chlor und mehr oder weniger mit Blei
aus dem bleiernen Dampfrohr verunreinigt.
Die Reetifieation des Broms wird in tubulirten, in einer Sandcapelle
lagernden Glasretorten mit gläsernen, von Wasser umspülten Vorlagen unter sorg-
fältiger Verkittung vorgenommen. Die nicht verdichteten Dämpfe gelangen durch
eine mit Natronlauge gefüllte Woulff sehe Flasche und "alsdann noch durch einen
offenen, mit derselben Flüssigkeit gefüllten Topf. Um es vollständig von Chlor
zu reinigen, schüttelt man es mit Bromkalium, damit sich Chlorkalium bildet.
Der Rückstand bei der Reetifieation stellt eine dicke, dunkle Masse dar,
welche organische Brom Verbindungen enthält; letztere werden wieder in die
Tröge zurückgegelieu. Um das Auftreten von Bleiverbindungeu zu vermeiden, hat
man immer mehr die bleiernen Dampfspiralen zur Erhitzung der Laugen in den
Trögen zu beseitigen und durch thönerne zu ersetzen gesucht.
Das flüssige Brom gelangt aus den Vorlagen in Flaschen, welche über dem
Boden mit einem Glashahn versehen sind. Man lässt dasselbe durch den Hahn
in die Versan dt fla sehen abfliessen, welche gut eingeriebene Glasstöpsel und
eine Tectur aus Harzlack, Thon und Pergamentpapier haben müssen. Sie fassen
ungefähr 4 — 5 Pfund Brom und werden je vier davon in eine mit Kleie oder
Sägespänen eingefütterte Kiste mit vier Abtheilungen verpackt. Der Transport
auf Eisenbahnen wird nur bedingungsweise zugelassen. Die Gefahr, welche mit
dem Versenden des Broms verbunden ist, führt immer mehr dahin, die Darstel-
lung von Bromkalium oder Eisenbromiden mit der von Brom zu verbinden.
Man condensirt zu diesem Zweck das Brom in drei Woulff sehen Flaschen, deren
* Man geht gegenwärtig mit dem Plan um, aus Schiefertafeln die Apparate dar-
zustellen.
Brom- und Jodindustrie. 65
erste das flüssige Brom aufnimmt, während die zweite Bromkaliumlauge resp.
Eisenbromürlauge, die dritte Kalilauge resp. Eisendrehspäne enthält. Die aus der
ersten wenig gekühlten Vorlage entweichenden Bromdämpfe sind chlorhaltig
und geben in der Bromidlösung ihr Chlor ab; indem an seine Stelle Brom aus
den Bromiden tritt, gelangen sie als reines Brom in die dritte Vorlage, wo sie mit
den Eisendrehspänen resp. der Kalilauge sofort reine Bromverbindungen eingehen.
Bei der Benutzung von Eisenabfällen entsteht zuerst ein Gemisch von
Eisenchlorid (Fe2Cl6) und Eisenbromid (Fe2Br6). Das Chlor treibt aber all-
mäblig das Brom aus, welches mit dem Eisen des dritten Gefässes Eisenbromür-
bromid (Fe3Br8) bildet; letzteres kann durch Kaliumcarbonat leicht zersetzt
werden. In der Kalilauge entsteht zuerst Brom- und Chlorkalium, bromsaures
und chlorsaures Kalium. Das Chlor zersetzt die Bromverbindungen und es destil-
lirt reines Brom in die dritte Flasche mit Kalilauge über; diese wird mit Kohle
geglüht und auf Bromkalium verarbeitet. (S. Bromkalium S. 68.)
In Stassfurt wird auf diese Weise Eisen bromürbromid als teigartige
Masse von 65 — 70% Brom in den Handel gebracht; es kann in Steintöpfen,
Blechgefässen, selbst Holzfässern verpackt und versandt werden.
Die Manganlaugen exhaliren nach beendigter Operation noch immer
Brom- und Chlordämpfe; ihre Entleerung wird in Stassfurt in folgender Weise
bewirkt: Längs der Destillirgefässe läuft ein gemauerter Canal hin, durch welchen
der grosse Schornstein der Fabrik einen mächtigen Luftstrom in entgegengesetzter
Richtung zur ablaufenden Lauge hindurchzieht. Der Canal hat eine solche Lage,
dass die Abflussöffnungen der Steinkufen in denselben münden; vor jeder Kufe
befindet sich in der Verdachung des Canals ein Schieber, welchen man herauszieht,
wenn der Zapfen ausgeschlagen werden soll. Auf diese Weise werden die Ar-
beiter nicht in nachtheiliger Weise von den Dämpfen der Manganlaugen berührt,
obgleich in den Werkstätten ein Geruch nach Brom nicht zu vermeiden ist. —
Zweckmässig würde es sein, beim Ablassen der Manganlaugen einen Dampfstrom
in die Tröge zu leiten, um die Brom- und Chlordämpfe zu verdünnen und den
Abfluss der Laugen zu beschleunigen.
Die Atmosphäre im Rectificationsraum pflegt angreifender als im Destilla-
tionsraume zu sein; die Arbeiter haben aber diesen Raum nur vorübergehend zu
betreten. — Das Umgiessen des Broms geschieht in Holzkasten, durch welche der
Fabrikschornstein einen heftigen Luftstrom hindurchtreibt; in der Regel begnügen
sich aber die Arbeiter, welche bereits eine Uebung in dieser Manipulation erlangt
haben, Mund und Nase mit einem feuchten Tuche zu verbinden.
Die Erfahrung hat übrigens ergeben, dass sich nur Arbeiter mit gesunden
Respirationsorganen in diesen Fabriklocalen beschäftigen dürfen; Asthmatiker
werden am meisten afficirt. Auch soll der Genuss von Spirituosen die Disposi-
tion zum Erkranken vermehren, weshalb in Stassfurt derselbe allen Arbeitern auf
das Strengste verboten ist. Neben einer kräftigen Nahrung hat sich der Genuss
fetter Speisen, wie Butter, Speck u. s.w., sehr wohlthätig erwiesen; eine Er-
fahrung, welche auch in Fabrikstätten mit metallischen Dämpfen (Gelbgiesse-
reien, Arsenikhütten u. s. w.) seit langer Zeit bestätigt worden ist. Iu Stassfurt
sollen die Arbeiter angeblich während der Zeit der dortigen Bromindustrie stets
gesund geblieben sein, wenn sie sich der geistigen Getränke enthielten.
Eine sehr wichtige Frage bleibt noch die Behandlung resp. Verwerthung
der Manganlaugen; ihr freier Abfluss dürfte nie gestattet werden; Mangan-
Eulenberg, Gewerbe -Hygiene. 5
66
Brom- und Jodindustrie.
chlorür und die verschiedenen Chloride der Mutterlaugen werden, in Senkgruben
abgelassen, alle benachbarten Brunnen verderben, in kleinen Wasserläufen alle Fisch-
zucht vernichten und jede Vegetation, mit welcher sie in Berührung kommen, zer-
stören. In Stassfurt werden sie in nicht geringer Concentration frei in ein kleines
Gebirgswasser, die Ocker, welche in die Saale mündet, abgelassen. Der nachtheilige
Einfluss der Rückstände auf die Vegetation hat sich aber auch schon in einem hohen
Grade herausgestellt, so dass bald die bezüglichen Massregeln im öffentlichen
Interesse getroffen werden müssen, (üeber die Verwerthung der Rückstände vergl.
man : Manganchlorür. 6)
Die Jodindustrie in Glasgow ist gegenwärtig die grossartigste. Man be-
nutzt dazu die verschiedeneu See- und Seestrandgewächse (Fucus serratus und
nodosus, Laminaria digitata), welche getrocknet und in Gruben verbrannt werden;
die Asche wird in Wasser gelöst, filtrirt, durch Abdampfen und Krystallisation
von den kohlensauren und schwefelsauren Alkalien und Chlormetallen möglichst
befreit. Die zurückbleibende Mutterlauge ist die Jodlauge, welche Jodnatrium,
Schwefelnatrium und unter schwefligsaures Natrium neben Chlornatrium enthält;
es wird ihr Schwefelsäure zugesetzt, um den Schwefel auszuscheiden, was
unter starker Entwicklung von Schwefelwasserstoff geschieht. Wenn die
Operation nicht entfernt von menschlichen Wohnungen im Freien vorgenommen
werden kann, so hat man sorgfältig für die Ableitung dieses Gases zu sorgen,
damit es die Arbeiter und die Umgebung nicht belästige oder gefährde. Alsdann
wird die Lauge mit Braunstein und Schwefelsäure der Destillation unterworfen,
die in gusseisernen Kesseln mit kleinem Helm vorgenommen wird; letzterer wird
bei sorgfältiger Lutirung mit Vorlagen verbunden, welche aus Steinzeug be-
stehen und Flaschen ohne Boden darstellen, deren Boden aber von einer ein-
setzbaren Thonplatte gebildet wird, um das spätere Herausnehmen des Jods
für die Arbeiter zu erleichtern und dieselben den Dämpfen desselben weniger aus-
zusetzen. In der Mitte dieses Bodens befindet sich eine Oeffnung, welche das
Helmrohr resp. die Hälse der vorhergehenden Flaschen aufnimmt; als Lutirungs-
mittel dient nasser Thon. Anfangs gehen hier Chlor- und Bromdämpfe
über, welche absorbirt werden müssen; treten die Joddämpfe auf, so ist die
letzte Vorlage mittels eines Glasrohrs mit einem Gefäss mit Kalilauge zu verbin-
den. — Die Rückstände werden wie bei der Chlor- und Bromindustrie behandelt.
Da bei dieser Methode schon beim Einäschern viele Jod- und Brommetalle ver-
loren geben, auch späterhin ein Verlust an Jod durch Bildung von Bronijud oder Chlor-
jod nicht zu vermeiden ist, so hat man die Seetange der trocknen Destillation
unterworfen, wobei neben den bekannten kohlenwasserstoffhaltigen, flüssigen und testen
Destillationsproductcn u. s. w. Salzsäure, Brom- und Jodwasserstoffsäure neben brom-
und jodhaltigen Kohlenwasserstoffen auftreten. Das wässerige und olartige Destillat
( Wasser und Theer ) wird in geschlossenen Gefässen mit concentnrter Natronlauge be-
handelt wodurch die organischen Jod- und Bromverbindungen, sowie die freien \\ asser-
stoffsäuren dieser Körper zerlegt und das Jod und Brom vom Kali gebunden werden.
Die alkalischen Laugen, welche ausserdem noch mit organischen Sauren und
Basen (namentlich Ammoniak) überladen sind, werden zur Gewinnung der letzteren
mittels Wasserdämpfe abgeblasen. (S.Ammoniak.) Die schwach kaustischen Laugen
werden hierauf etwas eingedampft, nach der Filtration mit Schwefelsäure neutrahsirt und
mit einer Mischung von Kupfervitriol und Bleiacetat gefällt. Alles Jod schlägt
sich beim Ueberschuss des Kupfersalzes als Kupferjodür (Cu2J,), die einzige Jod-
verbindung des Kupfers, und alles Brom als Bromblei (Bleibromid PbBr2) nieder
(s. Kupferjodür). , . , . • , ,.
Der Niederschlag wird von der Flüssigkeit geschieden , das Filtrat auf die orga-
nischen Säuren (S. Trockene Destillation) verarbeitet und das Präcipitat entweder durch
Auskochen mit siedendem Wasser, worin sich Bromblei löst, in seine Bestandteile
Brom- und Jodindustrie. 67
getrennt oder gradezu mit Braunstein und Salzsäure der Destillation unterworfen, wobei
Jodbrom entsteht, welches durch ein kaustisches Alkali zerlegt wird.
Obgleich diese Methode die grossen Vortheile hat, dass die Nebenproducte
Verwendung finden, auch die Asche beim Auslaugen Natriumcarbonat und für die
Düngung werthvolle Substanzen (Kaliumsalze, phosphorsaure Salze, lösliche Kieselsäure-
Verbindungen, Magnesiumsalze u. s. w.) liefert, so ist sie trotzdem fast in Vergessenheit
gerathen. Die sanitären Massregeln stimmen_ mit den bei der Ammoniakfabrication
mittels trockne r Destillation erforderlichen Vorkehrungen überein.
Bei der Darstellung des Kalisalpeters aus dem Chilisalpeter (s. Natrium)
häufen sich nicht unbedeutende Mengen von Jodmetallen in der Mutterlauge
an. Dies ist besonders mit dem in Peru gewonnenen Chilisalpeter der Fall, so dass
der Jodhandel dort bedeutend geworden ist; man behandelt die Lauge mit saurem
schwefligsaurem Natrium und Kupfersulfat, um Kupferjodür zu erhalten, welches
als Jodkupfer eine bedeutende Handelswaare geworden ist, da es 60 — 66 pCt. Jod
enthält. In Deutschland wird jetzt Jod fast nur aus Jodkupfer dargestellt, indem
man es mit concentrirter Schwefelsäure unter geringem Zusatz von Salpeter der
Destillation unterwirft. Um Jod aus der Lauge direct zu erhalten, wird zuerst
Jodwasserstoffsäure dargestellt und diese mittels salpetriger Säure zersetzt.
Bei der Joddarstellung ist noch in sanitärer Beziehung der Umstand
wichtig, dass durch Kupfersulfat auch Kupfercyanür gefällt wird, wenn das
zur Darstellung des Kaliumnitrats benutzte Kaliumsalz Pottasche aus der Rüben-
melasse war. In diesem Falle würde der Niederschlag aus Kupfercyanür und
Kupferjodür bestehen, aus welchem sich alsdann bei der Destillation Jod cy an
resp. Cyanwasserstoffgas entwickeln würde. Diese flüchtigen und sehr ge-
fährlichen Substanzen können unter Umständen den Tod der Arbeiter herbei-
führen, wenn sie sich denselben zu sehr aussetzen. Um solchen Gefahren vorzu-
beugen, fügt man zum Kupferniederschlag vor dem Zusätze der Schwefelsäure ge-
pulvertes Kaliumchromat hinzu; es entwickelt sich dann das Cyan als solches
und kann unter die Feuerung geleitet werden.
Uebrigens ist hervorzuheben, dass auch in der Jod lauge, welche bei der
bisherigen gebräuchlichen Behandlung der Asche des Kelp entsteht, nicht selten
geringe Mengen von Cyanverbindungen enthalten sind, so dass in der letzten
üestillations -Vorlage die farblosen, nadeiförmigen Krystalle von Jodcyan vor-
kommen können (vgl. Jodcyan).
Das technisch dargestellte Jod bedarf noch einer Sublimation, welche in
Glas- oder Steingutretorten vorgenommen wird, deren Boden mit trocknem Sande
beschüttet ist, um das im Jod etwa enthaltene Wasser aufzunehmen. Die Re-
torte ist bis zum Ausmündungsrohr in Sand gebettet, damit sich kein Jod am
Retortenhalse ausscheidet und alles Jod in die Vorlage getrieben wird; letztere
besteht aus hohen Glascylindern. Die Joddämpfe führt man an
der Seite (Fig. 3 a) ein. Der Glasdeckel (b) hat einen Sandverschluss
und ist mit einer fast bis auf den Boden reichenden Scheide-
wand (c) versehen, welche den Raum in zwei fast gleiche Hälf-
ten theilt. Die schweren Joddämpfe verdichten sich und fallen
auf den abnehmbaren Thonboden; die leichten flüchtigen Pro-
ducte, namentlich Jodwasserstoff, entweichen durch den Tu-
bulus (d) und werden durch Kalilauge absorbirt. Bei einiger
Aufmerksamkeit werden die Arbeiter auf diese "Weise vollkom-
men vor den Joddämpfen geschützt.
In sanitärer Beziehung ist wiederholt bei der Jodindustrie
5*
68 Fluor.
hauptsächlich die vollkommene Condensation der Joddämpfe hervorzuheben,
wofür übrigens auch der Fabricant selbst besorgt ist, um keinen pecuniären
Verlust zu erleiden; es hängt daher Alles von guten Vorlagen ab. Die Arbeiter
leiden am meisten bei der Herausnahme des Jods und sind daher die oben
erwähnten Flaschen mit beweglichem Boden als Vorlagen sehr zu empfehlen, um
das überdestillirte oder sublimirte Jod auf eine bequemere und raschere
Weise zu gewinnen und die reizende Einwirkung der Joddämpfe auf die Schleim-
haut der Augen, Nase und Respirationswege zu vermeiden. Wo diese Vorsicht
nicht beachtet wird, bildet sich alsdann bei Arbeitern ein chronischer Schnupfen
aus (s. S. 60); sonst sind sie nach den bisherigen Erfahrungen keinen besonderen
Krankheiten unterworfen, wenn sie massig leben und sich nicht unnöthigerweise
den Joddämpfen aussetzen. Nur bei undichten Lutirungen kommt es am häufigsten
vor, dass sich Gesundheitsstörungen bemerkbar machen; Husten, Augenthränen
und Kopfschmerzen sind gewöhnlich die vorherrschenden Symptome, welche
aber in frischer Luft bald verschwinden. Es gibt übrigens auch Personen, welche
mit einer ganz besonderen Empfindlichkeit gegen die Einwirkung der Joddämpfe
behaftet und daher genöthigt sind, Fabriken dieser Art ganz zu vermeiden; sehr
lästige und chronisch verlaufende Halsreizungen sind sonst die Folgen.
Was die Brom- und Jodsalze betrifft, so kommt Kaliumbromid , Bromkalium
KBr. als solches in den Salzsorten und im Meereswasser spärlich vor; in Verbindung
mit anderen Alkalien zeigt sich Brom häufiger. Man stellt es, wie schon erwähnt
worden, dar, indem man Kaliumhydrat so lange mit Brom versetzt, bis dieses
entfärbt wird. Die Lösung dampft man ein; da sich aber gleichzeitig hierbei brom-
saures Kalium bildet, so muss man noch den Rückstand mit Kohle erhitzen, um dieses
zu entfernen.
6 Br •+■ 6 KHO = 5 KBr + KBr03 + 3 H,0
KBrOj + 3 C = KBr. + 3 C02.
Durch Lösen und Abdampfen erhält man glasglänzende Würfel, welche in Wasser und
Alkohol löslich sind.
Kaliumjodid, Jodkalium KJ. kommt in der Natur fast nur in Begleitung von
Bromkalium vor und wird künstlich in analoger Weise wie Bromkalium dargestellt; es
krystallisirt ebenfalls in Würfeln. Die wässerige Lösung besitzt die Eigenschaft, noch
viel Jod aufzunehmen.
Reibt man Jod mit Eisenfeilspänen zusammen, so bildet sich Eisenj odürjodid,
welches, durch Kaliumcarbonat zersetzt, ebenfalls Jodkalium liefert, daneben aber auch
Eisenoxyduloxyd und Kohlensäure.
Fe3 J8 -f- 4 K2 C03 = 8 K J + Fe3 04 + 4C02.
Fluor F.
Fluor ist in freiem Zustande noch nicht bekannt; möglicherweise ist es ein Gas,
welches mit allen MetalleD, namentlich auch mit Wasserstoff Verbindungen eingeht.
Die Verbindung mit Calcium ist als Fl ussspath, und mit Natrium und Aluminium als
Kryolith bekannt. In den Knochen und im Schmelz der Zähne ist es ebenfalls an
Kalium gebunden1); auch hat man es in den vorweltlichen Ueberresten der Liasfor-
mation, in den Coprolithen und in der Asche des rheinischen Schiefers (Blätterschiefers)
nachgewiesen.
Fluorwasserstoff HF., Flusssäure, Fluorwasserstoffsäure.
Fluorwasserstoff wird durch Destillation von Fluor calci um (Flussspath CaF2)
mit Schwefelsäure dargestellt und zwar in bleiernen oder kupfernen verplatinirten oder
Platinagefässen.
CaF2 + H2. S04 = CaS04 4- 2 HF.
Die Vorlage muss mit einem Bleirohr versehen sein, um etwa mit der Luft ent-
weichendes Gas in ein Gefäss mit Wasser zu leiten. Alle Fugen sind sorgfältig zu verkitten.
Die Flusssäure ist bei gewöhnlicher Temperatur ein farbloses, stechend riechendes
und stark rauchendes Gas, welches sich bei starker Abkühlung zu einer Flüssigkeit
Fluor. 69
verdienten lässt, mit wenig Wasser aber schon eine farblose, stark rauchende, bei
+ 19,4° C siedende Flüssigkeit darstellt; sie erzeugt auf der Haut tief fressende
Wunden und absorbirt Wasser unter bedeutender Erhitzung. Die Säure lässt sich nur
in Flaschen von Gutta-Percha oder Blei aufbewahren. Mit dem Kieselsäureanhydrid
Si02 und allen kieselsauren Verbindungen bildet sie das gasförmige Fluorsilicium und
Wasser.
Si02 + 4HF = SiF4 + 2 H20.
Die Flusssäure wird deshalb in der Technik vielfach zum Aetzen von Glas oder
Porzellan angewendet; man benutzt hierzu sowohl die dampfförmige, wie flüssige Säure,
und zwar macht jene eine matte, letztere eine glänzende oder durchsichtige Aetzung.
Diese Kunst des Aetzens wurde schon 1670 von Heinrich Schwankhard in Nürnberg
erfunden.
Einwirkung der Fluorwasserstoffsäure auf den thierischen Organismus, l) Eine
Taube sitzt in dem kleinen Kasten, dessen Fenster mit Copalfirniss überzogen
waren. 1 l/2 Unzen Flussspath wurden mit 2 — 3facher Schwefelsäure destillirt;
sogleich beim Eintritt des Gases heftiges Schütteln des Kopfes und Putzen der Augen.
Nach 2 M. starke Schleimabsonderung aus dem Schnabel; heftiges Schütteln und
Putzen der Augen bei grosser Unruhe. Nach 7 M. geringes Schwanken beim Gehen;
nach 8 M. ruhiges Sitzen bei starker Anschwellung der Augenlieder. Nach 9 M. 17 ange-
strengte Inspirationen binnen %M. ; nach 10 M. Herausnahme der Taube. Cornea nicht
opalisirt; Schnabel ganz nass; Herzschlag sehr beschleunigt und angestrengte Respiration.
ISlach 7 M. noch 18 Inspirationen binnen l/4 M.; wässeriger Durchfall, welcher nicht sauer
reagirt; dagegen reagirt der aus dem Schnabel fliessende Schleim stark sauer. Nach
einer Stunde starkes Schleimrasseln beim Athmen; Abends spät ganz heisere Stimme,
sonst ruhigeres Athmen bei häufigem Strecken des Halses. Am anderen Morgen
gegen 6 Uhr läuft sie noch eine kurze Strecke umher und stürzt dann todt hin.
Section 10 Stunden hernach. Schädelhöhle: Gehirnhäute massig injicirt;
über der Dura mater des Rückenmarks ein ganz dünnes, wässriges Blutextravasat.
Brusthöhle: Die Schleimhaut der ganzen Kehlkopfshöhle ist gerÖthet, vom Epithelium
entblösst, welches aufgelockert das Lumen fast vollständig wie ein Pfropfen verschliesst ;
in dem die untere Hälfte der Trachea umgebenden Zellgewebe ein dünnes Blutextravasat.
Hier ist die Schleimhaut nur stellenweise injicirt, unterhalb der Theilung aber mit einer
dünnen Lage blutigen Schleims bedeckt. Lungen von zinnoberrother Farbe, nur an
der untern Hälfte auf beiden Seiten blau gefleckt. Das Parenchym ist hellroth; auf
den Schnittflächen fliesst flüssiges Blut aus Das Herz strotzt von flüssigem, schwarz-
rothem Blute, welches an der Luft langsam mit Ausscheidung eines klaren, gelben
Serums gerinnt und dunkelkirschroth wird; Blutkügelchen normal. Unterleibs -
höhle: Leber und Nieren schwärzlich-braun und sehr blutreich.
2) Ein grosses Kaninchen sitzt in demselben Kasten. Bei der Einleitung des Gases
starkes Putzen der Schnauze und Stocken der Respiration; Augen geschlossen. Nach
4 M. sehr starkes Speicheln, so dass der Speichel tropfenweise aus dem Maul fliesst;
nach 7 M. grosse Unruhe und Husten, abwechselnd mit starkem Putzen der Schnauze.
Nach 15 M. Herausnahme des Kaninchens.
Eiteriger Schleim in den Augen; mitten über die Cornea zieht sich eine 1% Linien
breite Opalisirung. 26 Inspirationen binnen % M. bei starkem Schleimrasseln in der Nasen-
höhle; die Nasenöffnung stark geröthet. Nach 2 Stunden 12 angestrengte Inspirationen;
das Thier steckt seine Schnauze häufig in kaltes Wasser. Am 2ten Tage ruhiges
Verhalten ; die Augen sind mit Schleim verklebt und die Hornhaut ist ganz weiss und
undurchsichtig. Am 3ten Tage ist die linke Hornhaut wieder klar, das Auge aber
noch mit eiterigem Schleim augefüllt; das rechte obere Augenlied ist gespalten und die
Hornhaut trübe und runzelig. Am öten Tage ist das rechte obere Augenlied durch
Eiterung zerstört, so dass die obere Hälfte des Bulbus bloss liegt; Conjunctiva auf
beiden Seiten geschwollen, geröthet und mit eiterigem Schleim bedeckt. Starkes
Schleimrasseln in der Nasenhöhle. Allgemeinbefinden bessert sich; am lOten Tage ist
auch der rechte Bulbus durch Vereiterung ganz atrophisch geworden. Das linke Auge
ist noch häufig durch eiterigen Schleim verklebt; sonst bemerkt man 'ausser dem
Schleimrasseln in der Nasenhöhle nichts Auffallendes am Thiere, indem die Fresslust
vollständig wieder eingetreten ist. Da die Wunde gar keine Tendenz zur Heilung
zeigt, so wird das Kaninchen am 40ten Tage nach dem Experimente durch Kohlenoxyd
getödtet.
Bei der Section fand sich vom rechten Bulbus noch ein bohnengrosser Rest;
auch der grösste Theil der Augenlieder war vereitert. Das rechte Nasenbein und die
obere Hälfte des rechten Oberkiefers waren bloss mit schwachgelben, dünnen Borken
bedeckt; nach Abwaschen derselben trat der Knochen zu Tage. Das rechte Nasenbein
war aus seiner Verbindung gelöst und Hess sich leicht entfernen; auf dem Boden
70 Fluor.
beider Nasenhöhlen fand sich eine G Linien lange und 3-4 Linien breite granulirende,
bochrothe und mit dickem Eiter bedeckte Fläche. Die ganze Wunde verbreitete einen
böchsl ekelhaften Geruch, wie er bei cariösen Geschwüren vorzukommen pflegt. Der
übrige Leichenbefund hing mit der stattgefundenen Einwirkung des Kohlcnoxydes zu-
sammen.
Weun die Dämpfe der Fluorwasserstoffsäure mit "Wasser zusammenkommen,
so werden sie condensirt; ihre Wirkung auf den Thierorganismus ist alsdann
gleich der der flüssigen Fluorwasserstoffsäure. Aus diesem Grunde wurde im
obigen Experimente das Auge des Kaninchens vorzugsweise afficirt, weil durch
die vermehrte Thränenflüssigkeit die Absorption der Dämpfe stattfand, und
somit ihre Einwirkung auf das Auge und seine Umgebung veranlasst wurde.
Die flüssige Fluorwasserstoffsäure wirkt sofort ätzend und erzeugt fressende
Geschwüre, welche sich in die Tiefe und Breite ausdehnen, so dass im vorliegen-
den Falle der ganze Bulbus des Thieres atrophisch zu Grunde ging und die
Augeulieder sogar in den Eiterungsprocess hineingezogen wurden, bis schliesslich
selbst das Nasenbein und der Oberkiefer nekrotisch wurden.
Bei Arbeitern, welche zum Aetzen der Gläser die dampfförmige Säure ver-
wenden, hat man ebenfalls Ulcerationen auf der Schleimhaut der Augenlieder
bis zu ihrer Spaltung beobachtet; auch die Nasenöffnung, das Zahnfleisch und
die Mundschleimhaut können schwären. Die Nägel werden gewöhnlich an ihrer
Lunula corrodirt; die Aetzung dringt immer tiefer ein und erzeugt ein Absterben
und Abstossen des Nagels. Die Reizung der Respirationsschleimhaut gibt sich
durch Husten und eiterigen Ausfluss kund. Bei der den Dämpfen der Fluor-
wasserstoffsäure ausgesetzt gewesenen Taube verschloss das aufgelockerte Epi-
theiium das Lumen des Larynx vollständig, während auf der Schleimhaut der Luft-
röhre und der Nasenhöhle ein blutiger Schleim abgelagert war.
Rabuteau2) berichtet über einen Vorfall, welcher sich in einer chemischen
Fabrik zu Paris ereignete, wo wenige Tropfen der Säure mit den Fingern in
Berührung kamen und einen heftigen, brennenden, drei Tage anhaltenden, mit
Fieber und Schlaflosigkeit verbundenen Schmerz erzeugtem Es entstand ein tief
um sich fressendes Geschwür, welches erst nach Monatsfrist vernarbte. Auf die
Oberhaut eines Hundes wurden 3 Tropfen gebracht, wodurch rasch eine leichte
Verhärtung und ein in 3 Tagen abfallender trockener Schorf entstand; nach
Application eines Tropfens auf die entblösste Haut bildete sich ein indurirtes
Geschwür aus, welches sich mehrmals mit einem weichen, später abfallenden
Schorfe bedeckte und erst in 3 Wochen heilte.
Auch bei dem oben erwähnten Kaninchen war die Bildung eines weichen
und bröckligen Schorfes, unter welchem die Eiterung und der Substanz-
verlust immer tiefer drang, charakteristisch. Alle durch Fluorwasserstoffsäure
erzeugten Geschwüre haben eine entschiedene Tendenz zur Zerstörung und ge-
langen äusserst schwierig zur Heilung resp. Vernarbung; neutralisirende Mittel,
wie Alkalien, sind ganz wirkungslos. Der Seltenheit des Falles wegen ist hier eine
von King3) mitgetheilte Beobachtung zu erwähnen, nach welcher 1/2 Unze dieser
Flüssigkeit getrunken wurde und 35 Min. nachher der Tod eintrat. Bei der Section
zeigte sich Röthung der Schleimhaut der Trachea und Bronchien. In der Mund-
höhle, in der Epiglottis und im Verlaufe des Oesophagus war mehr oder weniger
das Epithelium abgestreift. Der Magen war mit schwarzer Flüssigkeit angefüllt
und die Magenschleimhaut selbst stellenweise schwarz; Erosionen fanden sich
nirgends. Das Blut reagirte sauer.
Sauerstoff. 71
Bei der technischen Verwendung der Flusssäure kittet man
zum Aetzen von Glas zwei Glasscheiben zusammen, so dass zwei Flächen
geschützt sind. Die beiden äusseren Oberflächen werden mit dem sogenannten
Aetzguss, einer Mischung von Wachs, Asphalt und peruvianischem Terpentin,
bestrichen. Mit einem Metallgriffel gravirt man die betreffenden Zeichnungen in
den Aetzgrund ein ; diese Scheiben setzt man alsdann in einen Bleikasten,
welcher aus einem besondern, mit einer Mischung von Flussspath und Schwefel-
säure versehenen Apparat mit den Dämpfen der Flusssäure gespeist wird. Hat
der Apparat seinem Zwecke gedient, so wird er, nachdem er vollständig erkaltet
ist, im Freien oder unter einem gut ziehenden Rauchfange geöffnet. Die Arbeiter
haben hierbei die grösste Vorsicht zu gebrauchen; um sich vor der Einwirkung
dieser Dämpfe zu sichern, ist es vorzuziehen, an dem Eutwicklungskasten ein
Bleirohr anzubringen, welches den Ueberschuss der Dämpfe direct in einen
Wasserbehälter leitet. Auf diese Weise erhält man zugleich noch die flüssige
Flusssäure und schützt sich am besten gegen die giftigen Dämpfe. Bei diesem
Aetzprocess entsteht durch die Einwirkung der Flusssäure auf das Glas resp.
auf Kieselsäureanhydrid Siliciumfluorid und Wasser.4)
Sauerstoff 0.
Sauerstoff bildet mit Stickstoff die Atmosphäre, welche aus 21 Vol. oder 23 je-
wichtsprocenten Sauerstoff und 79 resp. 77% Stickstoff besteht; Wasser enthält
88,89 Gewichtsprocent davon. Ausserdem ist er der wichtigste Bestandtheil aller die
Erdoberfläche bildenden festen und flüssigen Stoffe. In chemischer Beziehung ist
er das erste Glied der zweiwerthigen Metalloide. Die bisher beobachteten Schwan-
kungen in dem Sauerstoffgehalt der Luft sind unbedeutend; jedenfalls herrscht eine
Gleichförmigkeit der Bestandteile der Luft vor, welche zum Fortbestehen der Organis-
men auch absolut nothwendig ist. Der gewöhnliche oder inactive Sauerstoff der Luft
stellt ein Gemenge mit Stickstoff dar.
Dargestellt wird er: 1) durch Elektrolyse des Wassers; 2) durch Erhitzen des
Quecksilber-Oxyds; 3) durch starkes Glühen von Braunstein, welcher hierbei '/3 seines
Sauerstoffs entlässt und sich in Manganoxyduloxyd verwandelt.
3Mn02 = Mn304 + 2 0.
4) Durch Erhitzen von Braunstein und Schwefelsäure; es bildet sich Mangansulfat
und die Hafte des Sauerstoffs tritt aus.
5) Die häufigste Darstellungsmethode ist die durch Erhitzen von Kaliumchlorat
(Kali chloricum), welches seinen ganzen Sauerstoffgehalt hierbei abgibt und in Kalium-
chlorid (Chlorkalium) übergeht.
KC103 = KCl + 3 0.
6) Durch Erhitzen von Kaliumchromat und Schwefelsäure; es entsteht Chrom-
sulfat und die Hälfte des Sauerstoffs, welcher ozonisirt ist, wird frei.
7) Behandelt man eine dicke, mit etwas Kobaltsesquioxyd versetzte Kalkmilch
mit Chlor, so verwandelt die unterchlorige Säure des Chlorkalks das Kobaltsesquioxyd
in die unbeständige Kobaltsäure, welche im Entstehungsmoment in Sauerstoff und
Sesquioxyd zerfällt.
Co203 -f- 3 [CaCl(OCl)] = 3CaCl2 + 2Co03
2Co03 = Co203 + 03.
Diese Darstellungsweise eignet sich sehr, um in Krankensälen durch Entwicklung
von Sauerstoff desinficirend zu wirken. *)
8) Zu technischen Zwecken hat schon Deville durch Glühen von Zinksulfat
Sauerstoff dargestellt. Unter Entweichimg von schwefliger Säure und Sauerstoff geht
das Salz in Zinkoxyd über; beide Gase werden durch eine alkalische Lösung getrieben,
wobei die schweflige Säure an das Alkali tritt und der Sauerstoff aufgefangen wird.
Leitet man schweflige Säure durch Wasser, in welchem Zinkoxyd suspendirt ist, so
entsteht Zinksulfit, welches sich an der Luft in Zin ksulf at verwandelt und wiederum
für diesen Process verwendet werden kann.
72
Sauerstoff.
9) Die Darstellung des Sauerstoffs durch Gewinnung desselben aus der Atmosphäre,
welche bereits von Bomaingault durch Glühen von Äetzbaryt und Ueberführen des-
selben in Bariunisuperoxyd angebahnt worden, hat in neuerer Zeit grosse Fortschritte
gemacht. Für die Industrie benutzt man gegenwärtig vorzugsweise Kupferchlorür
10) Eine andere Methode beruht auf der verschiedenen Löslichkeit des Sauerstoffs
und Stickstoffs im Wasser; 1000 V. Wasser absorbiren nämlich 46 V. Sauerstoff und
mir 25 V. Stickstoff bei Atmosphärendruck. Malk-t hat einen Apparat construirt,
durch welchen er Luft unter einem Druck von 5 Atmosphären in grosse eiserne Cylinder
presst und die vom Wasser absorbirte Luft in 1, 2, 3 oder 4 Cylinder treten lässt, um
möglichst sauerstoffreiche Luft zu erhalten. Die Kosten der Triebkraft stehen der Ein-
führung dieses Verfahrens in die Industrie noch entgegen.
11) Marechal und Tessie du Motai/ stellen mangansaures Natrium durch Zu-
sammenschmelzen von Braunstein und Natriumhydrat an der Luft dar.
MnOa + 2 Na HO -f- 0 = Na2 Mn04 -f- H20.
Wird Wasserdampf über dieses Salz geleitet, so wird der Sauerstoff frei und
das Salz zerfällt wieder in Braunstein und Natriumhydrat. Beim Schmelzen der beiden
letzteren Substanzen an der Luft oxydirt sich das Gemenge wieder und es ist daher
eigentlich nur der Sauerstoff der Luft, welcher bei der Zersetzung durch Wasser-
dampf gewonnen wird. Dasselbe Gemenge kann immer wieder von Neuem benutzt werden.
Der hierzu nothwendige Apparat hat grosse Aehnlichkeit mit demjenigen für Leucht-
gasbereituug. Die Retorten sind mittels Röhren für die Zuleitung des Luftstromes und
des Wasserdampfes mit einander verbunden.2)
Sauerstoff ist ein färb-, geruch-, geschmackloses und permanentes Gas, welches
\im einem starken Magneten angezogen wird; vom Wasser wird es nur in geringer
Menge absorbirt. Mit allen einfachen Stoffen geht der Sauerstoff sehr zahlreiche und
wichtige Verbindungen ein, welche man im Allgemeinen Oxyde nennt; erfolgt eine
solche Vereinigung unter Feuererscheinung, so heisst sie Verbrennung.
Der Name Sauerstoff (Oxygenium) rührt von Lavoisier her, welcher die StahPsche
Theorie des Phlogiston stürzte und den Sauerstoff für den einzigen Säureerzeuger hielt.
Viel später hat man nachgewiesen , dass nicht alle Säuren Sauerstoff enthalten.
Physiologische Bedeutung des Sauerstoffs. Der Sauerstoff ist einer der we-
sentlichsten Factoreu des thierischen Lebensprocesses. Der Verbrauch dieses
Gases wird reichlich durch seine Production mittels der Pflanzen gedeckt^; es
besteht somit ein inuiger Zusammenhang zwischen Thier- und Pflanzenleben.
Das Thier nimmt den Sauerstoff durch die Lungeu in das Blut auf, d. h. die
Blutkörperchen besitzen vorzugsweise die Eigenschaft, den Sauerstoff zu binden
resp. ihn aus einem Gasgemische gleichsam zu extrahiren. Diese Absorptionskraft
ist so gross, dass stets verhältnissmässig viel Sauerstoff vom Blut resp. von den
Blutkörperchen aufgenommen wird; es wird stets ein geringeres Volumen Luft
exspirirt als inspirirt.
Manche Thatsachen dürften dafür sprechen, dass die Aufnahme des Sauerstoffs
von den Blutkügelchen lediglich in einer absorbirenden Anziehung, gleichsam in
einer Verdichtung oder Aufspeicherung durch Flächenanziehung in diesen organi-
sirten Körperchen besteht, dass aber von einer chemischen Verbindung im
gewöhnlichen Sinne nicht die Rede sein kann; auch lässt sich eine derartige che-
mische Verbindung zwischen einem organisirten Körper als solchen und einem
Elemente nicht nachweisen. Die Aufnahme von Sauerstoff durch die Blut-
körperchen kann man sich fast analog derjenigen, welche der Sauerstoff durch
Platinschwarz erfährt, oder auch ähnlich der Absorptionsfähigkeit der Kohle vor-
stellen. Es ist nicht möglich, durch Aufhebung des Druckes dem Platinschwarz den
Sauerstoff zu entziehen ; vollständig gelingt dies auch bei den Blutkörperchen nicht.
Niemand wird das mit Sauerstoff beladene Platinschwarz als eine chemische Ver-
bindung betrachten, weil, wenn dies der Fall wäre, diese oxydhaltige Verbin-
dung sich entweder als eine salzfähige Basis oder als eine Säure verhalten müsste.
Platiuschwarz, welches mit Sauerstoff gesättigt ist, löst sich unter Sauerstoff-
Sauerstoff. 73
entwicklung in schmelzendem Blei und bildet damit eine Legirung. Diese Auf-
lösung könnte nicht stattfinden, wenn das Platinschwarz nicht seine sämmtlichen
Eigenschaften als freies Metall behalten hätte. Die Wärme allein, z. B. das
Glühen reicht hin, das Platinschwarz seines Sauerstoffs zu berauben.
Aehnlich erscheint das Verhalten der Blutkörperchen, welche den Sauerstoff
beim Erwärmen abgeben und beim Erkalten wieder aufnehmen. Die Blut-
körperchen sind daher die Träger des Sauerstoffs und führen ihn auf ihrer weit
verzweigten Bahn durch den Thierkörper; sie vermitteln den Oxydationsprocess
in allen seinen Theilen, wodurch eine gleichmässige Verbrennung und eine be-
ständige Wärmequelle erzeugt wird.
Wenn man von einer gänzlichen Unabhängigkeit des Druckes bezüglich der Auf-
nahme des Sauerstoffes Seitens der Blutkörperchen spricht, so ist hierbei zu bedenken,
dass von einer absoluten Unabhängigkeit nicht die Rede sein kann. Schon durch die
Versuche, die Blutgase mittels einer Luftpumpe zu entfernen, wird der Beweis ge-
liefert, dass die Aufnahme des Sauerstoffs seitens der Blutkörperchen von einem gewissen
Drucke wohl abhängig ist.
Diese Kraft der Blutkörperchen, den Sauerstoff aus Gasgemischen zu extrahiren,
muss mit der Abnahme desselben immer mehr geschwächt werden, so dass bei einer
gewissen Verdünnung auch die frequentesten Athemzüge nicht mehr hinreichen, den für
das Leben nothwendigen Sauerstoff aufzunehmen Das schnellere Athmen auf hohen
Gebirgen, also in verdünnter, sauerstoffärmerer Luft, ist unter andern Ursachen auch
hierauf zu beziehen.
Dass bei momentaner Abhaltung des Sauerstoffs nicht sofort der Tod eintritt, be-
ruht indessen auf dem Vermögen der Blutkörperchen , ein Plus von Sauerstoff in
sich aufzunehmen und somit auf eine kurze Zeit hin den Organen noch einen noth-
dürftigen Antheil von Sauerstoff zu bieten; wäre dies nicht der Fall, so würde nie-
mals ein Wiederbelebungsversuch bei Scheintodten mit Erfolg gekrönt werden. Wird
umgekehrt dem Thierkörper eine grössere Menge von Sauerstoff, als zum Leben noth-
wendig ist, geboten, so nehmen die Blutkörperchen doch ein entsprechendes Plus von
Sauerstoff auf; dagegen verkürzt sich die Zeit, in welcher sie das nothwendige Quantum
absorbiren, weshalb die Athemzüge weniger frequent werden (s. comprimirte Luft).
Darüber kann kein Zweifel mehr herrschen, dass der Sauerstoff nie sofort zur
Oxydation bis zu den letzten Producten der Verbrennung verwendet wird; er muss
jedenfalls längere oder kürzere Zeit im Organismus verweilen und die dadurch ein-
geleitete Oxydation verschiedene Stadien durchlaufen, ehe die Verbrennungsproducte iu
den bekannten Formen auftreten können. Durch seine Fähigkeit, die verbrauchten
Bestandtheile des Thierkörpers in die einfachsten Verbindungen, den Kohlenstoff in
Kohlensäure, den Wasserstoff in Wasser zu verwandeln und den Stickstoff zuletzt in
der Form von Harnstoff, Harnsäure, Ammoniak etc. zur Ausscheidung zu bringen, stellt
er das mächtigste Agens des Rückbildungsprocesses dar.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass auch das Auftreten von leichtem Kohlen-
wasserstoff in der exhalirten Luft auf einer Abspaltung desselben während des Oxy-
dationsprocesses beruht. In der organischen und unorganischen Chemie gibt es Tau-
sende von Beispielen für diesen Vorgang; ein solcher ist jedenfalls wahrscheinlicher als
die Annahme, dass jene Gase aus dem Darme in Folge von Diffusion in's Blut ge-
langen.
Sauerstoff befördert nicht bloss den Rückbildungsprocess, sondern ist
auch das erste und unentbehrlichste Glied in der Kette der Factoren, welche
den Anbildungsprocess einleiten. Die vielen sich hieran knüpfenden physio-
logischen und pathologischen Fragen noch weiter zu verfolgen, würde hier zu weit
führen, es sei daher nur noch gestattet, auf die von Rosenthal entdeckte That-
sache aufmerksam zu machen, nach welcher durch reichliche Zufuhr von Sauer-
stoff zum arteriellen Blute des Thieres das Athmungsbedürfniss aufgehoben und
der mit Apnoe bezeichnete Zustand hervorgerufen wird, in welchem die Respira-
tionsbewegung sistirt.
In sanitärer Beziehung ist auch das Einathmen einer sehr sauerstoff-
reichen Luft zu erwähnen; es tritt hierbei nach den Untersuchungen von
74 Sauerstoff.
Regnault, Reiset3) und W. Müller4) keine grössere Menge von Kohlensäure
mit der exsph irten Luft aus. als wenn die gewöhnliche atmosphärische Luft
eingeathmet wird, vorausgesetzt, dass man das Experiment nur auf einen Tag
aasdehnt. Hierbei ist alter wohl zu beachten, dass bei einer vermehrten Sauerstoff-
zufuhr und gleichzeitig gesteigerten Kraftproduction schliesslich auch eiue
vermehrte Kohlensäureaushauchung stattfinden muss.
Bei einer VermehruDg des Sauerstoffgehaltes der Luft kann auch eine ent-
sprechende Vermehrung der Kohlensäure längere oder kürzere Zeit ohne schädliche
Wirkung bleiben. So fanden Regnault und Reiset, dass Thiere in einer Luft,
welche anderthalb bis zwei Mal so viel Sauerstoff wie die atmosphärische Luft enthält,
auch bei einem Gehalte von "17—23 pCt. Kohlensäure seihst nach 22 — 26 Stunden noch
ungehindert athmen können.
Man kann Kaninchen und Tauben mehrere Stunden lang in reinem Sauerstoff
athmen lassen, ohne einen bleibenden Nachtheil davon zu erfahren, vorausgesetzt dass
die exspirirte Luft einen gehörigen Abzog hat.
Im Anfange dieser Experimente war jedoch eine reizende Einwirkung des Sauer-
stoffs nicht zu verkennen, indem die Thiere häufig aufhusteten, eine feuchte Nase und
eine sehr beschleunigte Respiration bekamen, bis sieh nach 30 — 40 Minuten wieder Alles
ausglich. An der freien Luft zeigte sich häufig noch eine erhöhte Temperatur und
ein beschleunigter Herzschlag; auch trat einige Mal vermehrter Durst ein. Thomas
Reid*) will sogar bei einem Hunde, welchen er täglich G Stunden lang während
14 Tage und alsdann noch 14 Tage lang in kürzerer Zeit reinen Sauerstoff inhaliren
Hess, eine Lungenentzündung erzeugt haben : er sorgte dabei für den Abzug der durch
Exspiration verschlechterten Luft. Am Ende der Versuche konnte der Hund fast* gar
nicht mehr athmen und schreien; seine Respiration wurde hörbar, pfeifend und
mühsam. Nachdem er getödtet worden, fand sich in der rechten Brusthöhle vieles mit
Blutklümpchen vermehrtes Serum und eine rothe, geschwollene Pleura, während die
rothen Lungen beträchtliche Verhärtungen zeigten.
Die Wirkungen des Sauerstoffs bei diesem Experimente können sehr leicht auf eine
Verunreinigung des Gases zurückgeführt werden, da die damaligen Methoden, Sauer-
stoffgas zu bereiten, noch mit vielen Mängeln behaftet waren, welche eine Verunreini-
gung des Gases sehr leicht ermöglichten.
Eigene Versuche bestätigen die Beobachtungen von Demargvay6), dass 15 — 30
Liter 0 ohne nachtheilige Folgen eingeathmet werden können. Man beobachtet dabei
im Allgemeinen folgende Symptome: Die ersten Inhalationen erregen meistens ein an-
genehmes Gefühl von Wärme im Munde, im Schlünde und in der Brust, welches bisweilen
nach dem Epigastrium ausstrahlt, aber, sehr bald wieder verschwindet. Dieses Gefühl
kann auch ganz fehlen oder bei krankhaften Zuständen heftig sein, wie es z. B. bei
solchen Phthisischen, welche sich nicht für diese Behandlung eignen, häufig gefunden
wird ; gleichzeitig wird der Puls um 4 — 20 und mehr Schläge schneller und härter,
jedoch nur für kurze Zeit, In seltenen Fällen trat keine Beschleunigung, manchmal
sogar eine schwache Verzögerung der Pulsschläge ein: mehrere Personen wollten wäh-
rend der Inspiration auch ein erhöhtes Gefühl von Wärme in der Haut haben. Die
Wirkungen auf die Sinne und das Nervensystem sind nicht sehr deutlich und werden
sehr abweichend angegeben; seitens der Verdauungsorgane tritt zunächst ein gestei-
gerter Appetit hervor, was auf einen beschleunigten Rückbildungsprocess hinweist.
Die Injection von Sauerstoff in das Venensystem erfordert dieselbe Vorsicht wie
die Injection von atmosphärischer Luft, da bei grösseren Mengen desselben Ausdehnung
des rechten Herzens und Ansammlung von schäumigem Blute in den Lungen er-
folgen kann.
In die Vena portarum konnte Demarquay grössere Mengen von Sauerstoff ohne
Schaden einspritzen, wobei er die in physiologischer Beziehung interessante Beobach-
tung machte, dass die Milz darnach scharlachroth, härter und voluminöser wurde,
während das venöse Blut in seiner Farbe stets unverändert blieb.
Die reizende Einwirkung des reinen Sauerstoffs auf wunde Hautstellen ist schon
längst bekannt ; machen wir doch täglich die Erfahrung, dass schon die Einwirkung
des atmosphärischen Sauerstoffs auf frische Wunden deren Heilung verlangsamt, weshalb
wir durch eine sorgfältige Verhüllung derselben, durch den sogenannten Verband, die
Reizung der Luft abzuhalten suchen.
Nach der Beobachtung von Demarqvay ist diese "Wirkung des reinen Sauer-
stoffs auf Wrunden stets dieselbe, gleichviel ob er dem Organismus durch Injection in
die Venen oder durch Inspiration einverleibt wird, oder ob die afficirten Stellen nur
mit einer Atmosphäre dieses Gases umgeben werden.
Sauerstoff. 75
Werden Thiere in eine abgeschlossene Atmosphäre von reinem Sauer-
stoff gebracht, so leben dieselben in einer solchen länger als in einem ebenso grossen
Lufträume, sterben aber doch schliesslich und zwar zu einer Zeit, wo noch so viel Sauer-
stoff in derselben vorhanden ist, dass glimmende Körper noch entzüudet werden.
Bei der Section findet sich dann nur eine erhöhte Gefässinjection und eine Hyperämie
der Lungen, Leber und Nieren. Demargnai/ zieht aus dieser Thatsache den Schluss,
dass der Sauerstoff selbst zur Todesursache werde und nicht die durch die Exhalation
der Versuchsthiere eingetretene Verschlechterung der umgebenden Atmosphäre. Jeden-
falls befördert letztere den Eintritt des Todes, weil der Sauerstoff vom Blute nicht
mehr absorbirt und die Kohlensäure nicht mehr aus demselben ausgeschieden wird, so
dass der nothwendige Austausch beider Gase wesentlich gestört wird.
Die reizende Einwirkung des puren Sauerstoffs auf das Blut ist übrigens
schon a priori anzunehmen, weil er in der atmosphärischen Luft dem Volumen
nach nur zu einem Fünftel enthalten ist; auch sprechen die Folgen eines län-
gern Aufenthaltes in comprimirter Luft für eine nachtheilige "Wirkung grosser
und concentrirter Mengen von Sauerstoff. Nur in der richtigen Vermischung
resp. Verdünnung ist er ein normaler Lebensreiz und steht dem wichtigen Processe
der Belebung und Erregung der Blutkörperchen d. h. der Blutbildung vor; denn
es ist wohl unzweifelhaft, dass die normale Blutbiklung durch den Contact mit
dem atmosphärischen Sauerstoff beeinflusst wird. Andererseits spricht auch der
Zustand des Blutes bei der Absorption des Sauerstoffs mit; venöses Blut mit
träger Circulation kann eine stärkere Einwirkung des Sauerstoffs ertragen als
ein reizbares Gefässsystem, bei welchem leicht Ueberreizung eintritt. Es ist eine
häufige Erfahrung, dass dieselbe Luftbeschaffenheit nicht auf alle Individuen die-
selbe Wirkung äussert, dass die Einen sich an der Meeresküste unter einem
höhern Luftdrucke, die Anderen dagegen auf Höhen unter einem verminderten
Luftdrucke wohler fühlen.
Quellen des Sauerstoffs. Der Sauerstoff der Atmosphäre wird trotz des un-
geheuren Verbrauchs constant erhalten, weil die Pflanzen ihn beständig reprodu-
ciren. In diesen findet die Sauerstoffentwicklung nur im Tageslichte statt; bei
Abwesenheit des Lichtes hört dieselbe allmählig auf, bis zuletzt die Entwicklung
von Kohlensäure eintritt.
Die Behauptung, dass die Pflanzen den Sauerstoff bei Nacht absorbiren, ist
durch kein Experiment bewiesen worden. Nur die Pilze nehmen Tag und
Nacht Sauerstoff auf und bilden in dieser Beziehung gleichsam einen Uebergang
vom Pflanzen- zum Thierreich. Die Pflanzen geben einen Theil der Kohlensäure an
die Atmosphäre zurück, welche sie in Folge der Verdunstung durch die Blätter
aus dem Wasser des Bodens aufgenommen haben. Aehnlich wie im Sonnenlicht
verhalten sich die Pflanzen auch während der Mondbeleuchtung, indem sie Kohlen-
säure aufnehmen und den Sauerstoff an die Atmosphäre abgeben.
'Unzweifelhaft sind die Pflanzen als ein geeignetes Mittel für die Luft-
verbesserung zu betrachten ; die Forstcultur hat daher auch in dieser Beziehung
eine grosse Bedeutung. Zu Städten und Ortschaften, welche in einer waldreichen
Flur liegen, dringen erfahrungsgemäss seltener epidemische Krankheiten, wenig-
stens fehlt ihnen die Intensität, mit welcher sie volkreiche Städte mit spärlicher
Vegationswelt befallen. Beim Studium der geographischen Verbreitung der Krank-
heiten sollte man hierauf mehr Rücksicht nehmen als bisher geschehen ist, und
überhaupt die Pflanzengeographie nicht ausser Acht lassen.
Es kann nicht genug empfohlen werden, die Strassen der Städte mit Bäumen zu
bepflanzen oder innerhalb der Städte grosse Parkanlagen zu errichten, da sie ausser
den Annehmlichkeiten, welche sie im Sommer gewähren, die besten Luftreinigungs-
76 Sauerstoff.
apparate abgeben und deshalb für grosse Städte, die Depots aller schädlichen Dünste,
anentbehrlich sind. Namentlich sollte mau stets darauf bedacht sein, grosse Kranken-
häuser nur ausserhalb der Städte oder wenigstens in der Mitte von grossen Gärten an-
gelegen Für den Winter würde es sehr "zweckmässig sein, Gewächshäuser mit den
Krankenhäusern zu verbinden, am auch während dieser Jahreszeit den Kranken den
wohlth&tigen Einfiuss der Pflanzenwelt zu bieten
Manche Sitten und Gebräuche deuten darauf hin. dass man schon instinctmässig
nach diesem Mittel greift So bestreut man in Schweden die Wohn- und Kranken-
staben mit Tannenreisern: so umstellt man im Orient die Krankenbetten mit grünen
Zweigen oder traut die Kranken in den duftenden Wald.
Wenn die frische Luft das echte Lebenselement ist, so muss die Hauptsorge der
öffentlichen Gesundheitspflege darauf gerichtet sein, den lautern Born derselben nicht
gen zu lassen. AI- Rom und Athen in Blüthe standen, wurde auch in sanitärer
Beziehung am meisten für das öffentliche Wohl gesorgt und die gymnastischen Hebungen
im Freien bildeten einen Baupttheil der Erziehung. Als das Christenthum auftrat, war
es mehr das Seelen-, als das Körperheil, welches der Menschen Sinn und Denken
erfüllte, und als das Mittelalter den Geisl ganzlich in Fessel schlug, dachte man noch
viel weniger an öffentliche Hygiene.
Im 12. Jahrhundert hiess Paris noch mit Recht Lutetia, die Stadt des Kothes, und
erst gegen Ende desselben begann man dort mit der Strassenpflasterung. Sehr langsam
wurden Missbrauche und Uebelstände, welche die Gesundheit gefährden, beseitigt; aber
auch jetzt noch begegnet man überall in grossen Städten tausend Schwierigkeiten, wenn
es -ich darum handelt, nur das Notwendigste in's Werk zu .setzen. Ist die Furcht vor
ansteckenden Krankheiten oft übertrieben, so ist man andererseits nicht selten gleich-
ordne geuen Gefahren, welche uns täglich im eignen Hause durch Beeinträchtigung des
Belebenden Einflusses des Sauerstoffes drohen.
Gährung, Fäulniss, Verwesung.
„Seit der Eutdeekuug des Sauerstoffs", sagt v. Lieb ig in seineu chemischen
Briefen, „hat die civilisirte Welt eine Umwälzung in Sitten und Gebräuchen
erfahren. Die Kenntniss der Zusammensetzung der Atmosphäre, der festen Erd-
rinde, des Wassers, ihr Einfiuss auf das Leben der Pflanzen und Thiere knüpfen
sich an diese Entdeckung. Der vortheilhafte Betrieb zahlloser Fabriken und Ge-
werbe, die Gewinnung von Metallen stehen damit in engster Verbindung; man
kanu sagen, dass der nationale Wohlstaud der Staaten um das Mehrfache dadurch
seit dieser Zeit erhöht worden ist, dass das Vermögen jedes Einzelnen damit zu-
genommen hat." Iu unzähligen Vorgängen des Lebens begegnen wir dem Sauer-
stoff. Wie alles Leben durch ihn bedingt ist, so werden auch nach dem Absterben
der Organismen die eintretenden Veränderungen, welche die organischen Gebilde
erleiden, vorzugsweise durch die Einwirkung des atmosphärischen Sauerstoffs
herbeigeführt und finden mit der Zurückführuug dieser Gebilde in die ursprüng-
liche Form ihren Abschluss.
Auf organische Körper wirkt der Sauerstoff in der Weise ein, dass er die com -
plicirten Molecüle durch Oxydation in einfachere zerlegt. Die Processe, welche durch
ihn eingeleitet werden, sind, sobald seine Wirkung bei gewöhnlicher Temperatur erfolgt,
Verwesung, Fäulniss und unter gewissen Bedingungen auch Gährung. Fäulniss
und Verwesung sind ein fortschreitender Oxydationsprocess, bei welchem schliesslich
der Kohlenstoff in Kohlensäure, der Wassserstoff in Wasser und der Stickstoff
in Ammoniak übergeführt wird.
Es versteht >ieh von selbst, dass das Zerfallen der hoch constituirten Molecüle, der
Eiweisskörper und Kohlehydrate in die obengenannten Stoffe nicht ohne Ueber^ang
stattfindet, und eine grosse Reihe von intermediären, einfacheren organischen Stoffen
entsteht. So sind im faulenden Pferdefleisch nachgewiesen worden: Ameisensäure, Essig-
säure, Buttersäure, Baldriansäure, Caprylsäure, Pelargonsäure, Benzoesäure, Milchsäure,
Bernsteinsäure. Aceton, die Aminbasen des Methyls, Aethyls, Propyls und Amyls,
Leucin und Tyrosin.
Die Fäulniss tritt bei unzureichendem, die Verwesung bei hinreichendem Luft-
zutritt ein. so dass bei der Verwesung die Endproducte der Zersetzung: Kohlensäure,
Ammoniak und Wasser als Hauptproducte auftreten, während bei der Fäulniss sich
Gährung. 77
vorzüglich die intermediären Producte zeigen. Der Schwefel der Proteinstoffe verwandelt
sich hierbei stets in Schwefelwasserstoffgas.
Unter Gährung, welche für die Industrie von der höchsten Bedeutung ist, ver-
steht man das Zerfallen an sich beständiger Stoffe bei Gegenwart von lebenden Orga-
nismen oder verwesenden Proteinstoffen (Ferment). Die meisten Zuckerarten sind
gährungsfähige Substanzen und zerfallen bei Gegenwart lebender Hefe in Alkohol
und Kohlensäure, bei Gegenwart faulender Proteinstoffe, wozu fast alle Eiweiss-
körper gehören, in Milchsäure und diese wiederum in Buttersäure.
Die Ansichten über die Gährung sind bekanntlich getheilt; Liebjghäit sie für einen
mechanischen, Pastei/r für einen physiologischen Process. Nach Liebig werden die Mole-
cüle des g ährungsfähigen Stoffes (des Zuckers) durch den ununterbrochenen Stoff-
wechsel der Hefen gleichsam in Mitleidenschaft gezogen ; die sich stets verändernden
Hefezellen sind nach ihm im Stande, ihre eigene molecüläre Bewegung auf die Zucker-
molecüle zu übertragen. Nach Pastevr -wird dagegen der Zucker durch den Lebenspro-
cess der Hefezellen zersetzt, er dient ihnen als Nahrung und wird schliesslich von ihnen
als Alkohol und Kohlensäure ausgeschieden.
Die Natur des Fermentes bedingt die Art des Zerfallens gährungsfähiger Körper;
man unterscheidet hiernach dieWeingährung, Milchsäuregährung und schleimige Gährung.
1) Weingährung. Ueberlässt man einen klaren zuckerhaltigen Pflanzensaft unter
Luftzutritt bei einer Temperatur von 20—24° und bei Gegenwart von stickstoffhaltigen
Substanzen sich selbst, so wird er zunächst trübe, entwickelt Kohlensäure unter Erwär-
mung und bleibt je nach der Temperatur, dem Gehalte an Zucker und der Natur der
stickstoffhaltigen Substanzen so lange in Zersetzung begriffen, als noch Zucker vorhanden ist.
Nach Beendigung der Kohlensäureentwicklung scheidet sich je nach der Temperatur
eine bis dahin suspendirte Substanz, die Hefe, entweder nach oben (Oberhefe) oder
nach unten (Unterhefe) aus der Flüssigkeit aus, welche jetzt klar erscheint und statt
des Zuckers neben Weingeist die höheren Alkohole (Fusel), aber auch noch
Glycerin und Bernsteinsäure enthält.
C6H1206 = 2C2H60 + 2C02.
Bringt man eine solche Hefe bei derselben Temperatur in eine frische und reine
Zuckerlösung, so zerfällt der Zucker unter Bildung derselben Producte bis zu einem
bestimmten Grade. Enthält die Zuckerlösung auch Proteinstoffe, so kann eine geringe
Menge Hefe jede beliebige Quantität Zucker in Alkohol und Kohlensäure verwandeln.
Die Weingährung erfolgt stets unter dem Einflüsse der Lebensthätigkeit der
Hefezellen (Bierhefe, Torula cerevisiae Blondeau), mag man der zuckerhaltigen Lösung
die Bierhefe zusetzen oder in derselben entstehen lassen, wenn die Verhältnisse der
Flüssigkeit dieses gestatten. Bevor die Gährung beginnt, entwickeln sich stets Pflanzen-
keime in der gährungsfähigen Flüssigkeit, Gewöhnlich findet man neben Torula cere-
visiae auch noch Penicillium glaucum.
Der Saft von Trauben und andern Früchten gährt nur bei Luftzutritt, was bei mit
Hefe versetzter Zuckerlösung nicht nothwendig ist. Meistens haben gährende Substanzen
das Bestreben, der Luft und andern Körpern den Sauerstoff zu entziehen: der Gäh-
rungsprocess ist deshalb nur bei fortwährendem Luftzutritt möglich.7)
2) Milchsäuregährung. Wird eine Zuckerlösung mit faulenden Proteinstoffen (altem
Käse) bei 30—35° stehen gelassen, so entsteht nach einigen Tagen ebenfalls eine Gäh-
rung, aber der Zucker zerfällt hierbei grade auf in Milchsäure (C6H,206 = 2C3He03).
Die Gährung hört alsdann auf, weil die freie Milchsäure der Gährung entgegenwirkt;
wird jedoch die freie Milchsäure, sobald sie sich bildet, neutralisirt, was man durch
Zusatz von Kreide zum Gährungsgemisch erreicht, so vergährt der Zucker vollständig.
Hierbei bleibt jedoch der Process nicht stehen, sondern es wird die entstehende Milch-
säure unter Wasserstoff- und Kohlensäureentwicklung in Buttersäure übergeführt, so
dass man nebst milchsaurem Calcium stets buttersaures erhält.
2C3H603 = C4Hs02 + 2C02 + 4H.
Auch bei der Milchsäuregährung entsteht ein hefeartiger Pilz, welcher sich nach
vollendeter Gährung als grauer Niederschlag am Boden des Gefässes absetzt; er besteht
aus kleinen Kügelchen, welche kleiner als die der Bierhefe sind und theils einzeln, theils
in Klumpen vorkommen. Die Milchsäurehefe (Penicillium glaucum) ist im Stande, in
reiner Zuck erlösung eine Milchsäuregährung bis zu einem gewissen Grade zu erzeugen,
in proteinhaltiger Lösung dagegen jede beliebige Menge Zucker in Milchsäure über-
zuführen. Tritt in proteinhaltigen Säften eine freiwillige Gährung ein, so ist dieselbe
bald Milchsäuregährung, bald Weingährung, meistens beides zugleich. Schwach alka-
lische Flüssigkeiten begünstigen die Entwicklung der Milchsäurehefe, schwach saure da-
gegen die der Weinhefe.
3) Schleimgährnng. Zuweilen geht Rohrzucker (C,2H220u) bei Gegenwart von
stickstoffhaltigen Substanzen an der Luft in Schleimgährung über; es entwickelt
7^ Sauerstoff.
sich hierbei neben Kohlensäure und Wasserstoff Mann it (C(-,JI,4U6), ein eigentümliches
Gummi und eine schleimige Materie. Die Schlei m hefe licsieht aus rosenkranzartigen
Kugeln von 0,0012 0,0014 Mm. Durchmesser und bewirkt in eiweisshaltigen Zucker-
lösungen ein Zerfallen des Zuckers in Mannit, K i»li I e n s a u re und Gummi. Frischer
Rübensari wird an der Lull schleimig und enthall alsdann Mannit, Gummi, Milchsäure
und unkryetallisirbaren Zucker.
Setzt man den lYisi lieu Saft der Mohrrübe einer Temperatur von 30— 40<> aus, so
verwandeH sich der in ihm enthaltene Rohrzucker in Traubenzucker, Mannit, Milchsäure
und in ein dem arabischen Gummi isomeres Gummi.
Viele Umstände vermögen die Gährung im Allgemeinen zu hindern. Hieher gehören:
die Abhaltung der Luft, grosse Trockenheit, Frostkälte, Siedhitze und antiseptische
Mittel, in welcher Weise diese Wirkung erfolgt, lässt sich, je nachdem man der einen
oder andern Gährungstheorie huldigt, verschieden erklären; so kann man die ver-
hinderte Gährung entweder durch Abhaltung des Sauerstoffs oder ilw in der Luft ver-
I. leiteten organisirten Keime erklären. Die Hitze wirkt entweder so, dass sie alle Fer-
ähnlich wie das Albumin verändert, welches als coagulirtes der Gährung oder
Fäulniss nur srUi- schwer unterliegt, oder dass sie die Keime und Sporen tödtet. Anti-
septische Mittel wirken entweder chemisch durch Wasserentziehung, Zersetzung des
Ferments, Sauerstoffentziehung oder Tödtung der organisirten Mikrozoen.
Für das praktische Leben haben alle Pilze eine grosse Bedeutung und in
sofern noch ein wichtiges sanitäres Interesse als sie entweder die Luft
verbessern oder verschlechtern. Was z. B. die Schimmelpilze betrifft, so
verhalten sie sich nach de Bary zur Hefe wie Verwesung zum Gährungs-
process.8) In der That bemerkt mau auch beim Auftreten der Schimmelpilze eine
Beschleunigung der Verwesung, indem sie die Zurüekführung der todten Substanz
in ihre Bildungsstoffe zu befördern vermögen. Das Pilzfei], welches auf der Kar-
toffel- und Fruchtbranntwein-Schlempe sich entwickelt, ist sogar ein mächtiges
Absorbens für Schwefelwasserstoff.
Die Abfälle bei der Extractbereituug aus Pflanzen hauchen, wenn sie in
Fänlniss übergehen, höchst stinkende Effluvien aus; sie liefern aber einen
ganz besonders günstigen Boden für Schimmelbildung, womit alsdann der
Geruch aufhört und die ganze Masse allmählig zerbröckelt. Dasselbe ist bei
Krapp und den Farbhölzern in Färbereien der Fall. In ähnlicher Weise wirken
grüne Algen auf Wasser, welches mit zersetzten organischen Substanzen ver-
unreinigt ist, durch Beförderung des Verwesungsprocesses verbessernd ein, gerade
wie manche im Wasser lebende Infusorien (die Navicula- und Gallionella-Arten,
so wie Chlamidomouas pulviculus) als Sauerstoffs-Eutwickler zu betrachten sind
und deshalb den Uebergang der Fänlniss in Verwesung befördern. Ganz be-
sonders liefern Stärkemehl, die Cellulose und die Amylaceen überhaupt einen
günstigen Boden für viele Pilze ; es ist bekaunt, dass in Stärkemehlfabriken
die feuchten Fenster sich sehr- bald mit einem Ueberzug von grünen Algen be-
decken. Wenn ferner die Leinwand feucht zusammengelegt wird und längere
Zeit liegen bleibt, so nennt man sie verstockt, d. h. sie wird mürbe und
unterliegt dem Verwesungsprocesse bei gleichzeitiger Pilzbilduug; auf dieselbe
Weise wird Baumwolle und Wolle verstockt. Sind Leinwand, Wolle oder Baum-
wolle mit Krankheitsstoffen inficirt, so kann man sicher sein, dass das Contagium
während des Verstocktseins, d.h. während der Pilzbildung, zerstört worden ist.
Alle höheren Pilzformen verschlechtern die Luft, indem sie den Sauerstoff
absorbiren und Kohlensäure aushauchen; am nachtheiligsten wirkt in dieser Be-
ziehung der Hausschwamm, welcher in allen Wohnräumen die für die Respira-
tion zuträgliche Luft vermindert. In unterkellerten Räumen entwickelt sich der
Hausschwamm selten; wo Kellerräume nicht anzubringen sind, müssen deshalb
hohle Räume unter den Fussböden angelegt werden, welche durch Züge mit
Contagien. 79
dem Schornstein oder durch kleine, mit verschliessbaren Rosetten versehene
Canäle mit der äusseren Luft in Verbindung stehen. Der Boden unter den
Dielen ist mit trockenem Sande zu bestreuen; die Lagerhölzer müssen von
Eichenholz und mit Zinkchlorid imprägnirt sein und dürfen nicht bis an die
Mauer stossen.
In faulenden Kartoffeln und Rüben kommt eine Pilzbildung vor,
welche eine so vermehrte Kohlensäure-Entwicklung veranlassen kann, dass das
unvorsichtige Betreten von verschlossen gewesenen Gruben, in welchen solche
faulende Vegetabilien lagern, Asphyxie und Tod zur Folge haben kann. —
Die Parasitenthiere hat man bekanntlich schon zu verschiedenen Zeiten
zur Erklärung der Entstehungsweise vieler Krankheiten benutzt. Die Hypothese,
dass namentlich epidemische Krankheiten durch das Eiudringeu sehr kleiner
thierischer oder pflanzlicher Wesen oder deren Keime in den Thierkörper ent-
ständen, ist sehr alt und finden sich Andeutungen davon schon bei den römi-
schen Autoren Varro und Columella. Nach der Entdeckung der Infusorien
durch Leuwenhoek gewann diese Ansicht einen günstigen Boden, bis sie sich in
der neueren Zeit immer mehr zu der Lehre vom Contagium animatum aus-
gebildet hat. Die Ursachen der epidemischen Krankheiten sollen demnach spe-
cifischer Natur sein und die Specificität der Ursachen in eigenthümlichen, ver-
schiedenen Organismen beruhen.9)
Dass bei verschiedenen Krankheiten bestimmte Pilzformen vorkommen, ist
eine sichere Thatsache; in vielen Fällen bleibt es aber noch fraglich, ob der Pilz
die Ursache oder nur die Folge der Krankheit ist, ob der Pilz die Krankheit ein-
leitet oder nur zufällig den für seine Entwicklung günstigen oder nothwendigen
Boden findet. Alle diese möglichen Vorkommnisse sind in den concreten Fällen
noch festzustellen, um zur endgültigen Entscheidung hierüber zu gelangen.
Die Ansicht, dass die Contagien wie ein Ferment wirken, ist ebenfalls
nicht neu und wurzelt schon in den Lehren des van Helmont und Sylvius.
Die gegenwärtig namentlich in England beliebte Bezeichnung der Infectionskrank-
heiten als zymotische beruht ja auch auf der Gährungs- oder Ferment-
theorie; diese schien durch Liebig's Forschungen über Gährung eine natur-
wissenschaftliche Grundlage zu gewinnen.
Jedenfalls ist es zweifellos, dass der Gährungsprocess im lebendigen Orga-
nismus ein anderer sein wird, als in der Retorte. Wenn die Chemie wenigstens
40 Arten von Gährungen unterscheidet, so werden sich im Organismus die ver-
schiedenen Gährungsarten mit ihren Modificationen gewiss noch auf eiue grössere
Anzahl belaufen; wahrscheinlich entstehen auch mehrere „Gährungsprocesse" zu
gleicher Zeit. Es kann sich hierbei nur um ein Bild handeln, in dem die Mit-
wirkung des thierischen Organismus die verschiedenen Modificationen bedingt.
Diese Mitwirkung ist nach der Aufnahme der Noxe für die Entwicklung der
Krankheit wesentlich; denn wenn man auch der Parasitentheorie huldigt, wird
man nicht annehmen können, dass der Parasit selbstständig und unabhängig vom
Organismus sich entwickle.
Man kann annehmen, dass ein gesunder Organismus vorherrschend Oxy-
dationsproducte erzeugt, wobei Spaltungs- und Reductionsprocesse in den
Hintergrund treten; Spaltungsvorgänge ohne Mitwirkung der Oxydation dürften
dem thierischen Leben stets feindlich sein. Bei den vielfachen physiologischen
Vorgängen während des Lebensprocesses spielt der Oxydationsprocess die wich-
80 Sauerstoff.
tigste Rolle. Die ergiebige Benutzung des Sauerstoffs ist daher schliesslich die
wichtigste Lebensbedingung und die schrankenlose Wirkung des Sauerstoffs das
Mittel, um die Luft in dem für das Leben notwendigen Zustande zu erhalten und
Krankheitsstoffe in derselben zu tilgen. Dem oxydirenden Einfluss des Sauer-
stoffs unterliegen sowohl die Schizomyceten oder Mikrozoen als auch sonstige
Fäulnissproducte, und sicher ist es, dass in diesem Puncte die verschiedenen An-
sichten sich einigen, mag man der Parasiten- oder Gährungstheorie huldigen; denn
die verschiedenen Bestrebungen, Coutagien und Miasmen zu zerstören, werden
in der ungehinderten Herrschaft des Sauerstoffs gipfeln.
Abschluss des Sauerstoffs. Wenn man vegetabilische oder thierische Sub-
stanzen vor freiwilliger Zersetzung schätzen will, so schliesst man den atmo-
sphärischen Sauerstoff von denselben ab. Schon in den ältesten Zeiten bewahrte
man Früchte in Oel auf, wovon noch die heutigen Ausgrabungen von Hercula-
num und Pompeji Zeugniss ablegen. Zu demselben Zwecke bestreicht man Eier
mit Fett oder taucht sie in Kalkmilch ein. Die Industrie derConserven hat
in der neuesten Zeit einen grossen Umfang erreicht und die Kunst, Gemüse,
Früchte und Fleischspeisen in frischer Beschaffenheit zu erhalten, übt einen sehr
wohlthätigen Einfluss auf unsern Haushalt aus.
Man hat verschiedene Methoden benutzt, um die verschiedenen Bedingungen
zu erfüllen, welche eine Zersetzung der organischen Stoffe resp. die Einwirkung
des Sauerstoffs auf dieselben verhüten; hierbei kommt es ausser der Abhaltung
der Luft auch noch auf das Fernhalten der Fermente und des Wassers an.
Hiernach kann man folgende Methoden unterscheiden: 1) Zerstörung sämmt-
licher Fermente durch Siedhitze und Abhaltung der atmosphärischen
Luft resp. der Sporen und Pilze (nach der Parasitentheorie). Das Apperfsche
Verfahren10) besteht darin, dass man die Gemüse oder Fleischspeisen nach der ge-
wohnten Methode zubereitet, Büchsen aus Weissblech damit füllt, dieselben mit einem
Deckel in der Weise verlöthet, dass man zum Entweichen der durch die Wärme aus-
gedehnten Luft eine kleine Oeffnung lässt und alsdann die Gefässe einige Stunden lang in
einem mit Wasser gefüllten Kessel einer Hitze von 100° C. aussetzt. Während der Erhitzung
löthet man die offen gelassene Stelle zu. Das sicherste Zeichen für den hermetischen
Verschluss ist die coneave Einbiegung der beiden Böden.
_ Es fallen häufig kleine Partikelchen der Löthung in die Speisen; wenn auch der
geringe Bleigebalt derselben bei der späteren Zubereitung der Speise kaum zur Gel-
tung kommen kann, so ist ein solches Ereigniss doch möglichst zu vermeiden. Jones
bringt auf die betreffenden Büchsen ein kleines Röhrchen und setzt dieses, während die
gefüllten Büchsen in kochendem Wasser stehen, mit einem Räume in Verbindung, aus
welchem die Luft ausgetrieben worden. Die Speisen brauchen dann nicht einer zu
hohen Temperatur ausgesetzt zu werden, so dass namentlich Fleisch Geschmack und
Farbe besser behält.
Mayet11) empfiehlt die Erwärmung der Früchte und Fruchtsäfte durch Wasser-
dampf bis zu 84° C, wodurch nicht bloss das Ferment zerstört, sondern bei Vegeta-
bilien auch das Wachs flüssig gemacht wird, welches ein Zusammenkleben der Stoffe
und dadurch Schutz vor der atmosphärischen Luft gewährt.
Hiernach leuchtet ein, wie verwerflich die Methode der Fleischer ist, Kalb-
mnl Hammelfleisch mittels eines Blasebalgs aufzublasen, weil dadurch noch mehr Sauer-
stoff zugeführt und die Zersetzung befördert wird ; geschieht dies Aufblasen mit dem
Munde, so^ist diese Procedur ekelhaft und sollte polizeilich verboten werden.
2) Conservirung durch Kälte. Zu jeder Art von Fäulniss ist ein gewisser
Wärmegrad erforderlich: am meisten wird sie durch eine warme Luft von 20 — 25° R.
befördert. So wie die Siedhitze die Fermente zerstört, so verhütet auch Frostkälte die
Fäulniss, wie wir im täglichen Leben beobachten. Im Sommer benutzt man die niedere
Temperatur des Kellers oder die bekannten Eis schränke, um Fäulniss von unseren
Nahrungsmitteln abzuhalten
3. Conse r virung d urch ein facheAbhaltung der atmosphärischen Luft.
Hierher gehört das älteste Verfahren, wonach man Früchte in Oel legt, welches
nicht leicht ranzig wird, z. B. gutes Olivenöl ; bei den Früchten kann der Stiel frei
Industrie der Conserven. 81
bleiben, damit eine gewisse Abdunstung der Flüssigkeiten möglich ist. Geschmolze-
nes Paraffin hat sich für diesen Zweck nicht bewährt. Petroleum, Benzin, Naphtalin,
Glycerin etc. können in ähnlicher Weise durch Abhaltung der atmosphärischen Luft
wirken, eignen sich aber nicht zum Aufbewahren von Speisen. Das Einschmelzen von
Fleisch, namentlich von gebratenem, in Fett ist ein bekanntes Conservirungsmittel.
Eier legt man in Häcksel, Sägespäne etc., um die atmosphärische Luft abzuhalten;
das Einlegen derselben in Kalkwasser soll ihnen einen unangenehmen Geschmack ver-
leihen.12)
Beim Einmachen der Früchte in Zucker löst sich derselbe in dem wäs-
serigen Safte, welchen er aus den Früchten auszieht und verwandelt sich dadurch
in einen dicken Syrup, welcher keiner Gährung fähig ist und die atmosphärische Luft
abschliesst. Sehr gut ist es, die dafür bestimmten Gefässe auszuschwefeln, weil als-
dann, grade wie beim Schwefeln des Weins, der atmosphärische Sauerstoff durch die
schwefelige Säure gebunden wird.
Nach der Parasitentheorie hemmt jede Säure die Pilzvegetation. Gasarten, welche
die Verbrennung nicht unterhalten, wie Kohlensäure und Ammoniak, eignen sich
auch zur Conservirung von thierischen und vegetabilischen Stoffen, wahrscheinlich durch
Abhaltung des Sauerstoffs. Für Pflanzenstoffe nnd gegohrene Flüssigkeiten empfiehlt
sich besonders die Kohlensäure ; so kann man auch Milch längere Zeit aufbewahren,
wenn man sie erst sieden lässt, alsdann mit Kohlensäure schwängert und zuletzt in
Flaschen hermetisch verschliesst.
4. Conservirung durch einfache Wasserentziehung.
Das Trocknen und Dörren der Früchte an der Luft oder in Trockenstuben bei
allmählig einwirkender Wärme ist das bekannteste Verfahren. 13) Masson ' s Methode
besteht in dem Trocknen der Pflanzen bei massiger Temperatur (28 — 30° R.) in einer
Trockenstube, bis das überschüssige Wasser, welches die Fäulniss der Pflanzenstoffe
befördern würde, entfernt ist ; schliesslich werden sie mittels der hydraulischen Presse
stark zusammengedrückt. Hierher gehört auch die condensirte Milch, welche nament-
lich auf grossen Reisen sehr zweckmässig ist, zur künstlichen Ernährung der Neu-
geborenen sich aber weniger eignet. In England kommt ein getrocknetes Fleischpulver
unter dem Namen Pemmican vor, welches vielfach zur Verproviantirung von See-
schiffen benutzt wird; auch der berühmte John Franklin hatte solches bei der Nord-
polexpedition an Bord. Eobertoii's Extract of beef stellt ein feines hellbraunes
Pulver dar.
Bei der Wasserentziehung ist zu beachten, dass auch die Eiweisskörper des
Fleisches oder der Vegetabilien im ausgetrockneten Znstande durch die Einwirkung des
Sauerstoffs nicht verändert werden; dieselben trocknen bei einer Temperatur von -i8°R. aus,
ohne zu coaguliren, zeigen aber später in kaltem Wasser wieder ihre frühern Eigenschaften.
Das zu trocknende Fleisch wird gewöhnlich mit Kochsalz und Salpeter eingerieben,
um zuvor das in den eiweisshaltigen Säften gebundene Wasser aufzunehmen und das
Eiweiss durch Entziehung eines Theiles des Wassers mehr vor Fäulniss zu schützen.
Auch durch vorheriges Behandeln des Fleisches mit heissem Wasser wird Gerinnung
des Eiweisses und theilweise Abscheidung des Wassers bewirkt. Das blosse Austrocknen
des Fleisches wird nur unter besonders günstigen Umständen die Fäulniss abhalten.
Das Einpökeln des Fleisches schützt ebenfalls durch Entziehung des Wassers
vor Fäulniss; die entstehende Salzlake enthält aber auch einen bedeutenden Antheil an
Eiweiss und Kroatin, wodurch ein Theil der Nährkraft des Fleisches verloren geht.
Der Alkohol wirkt in gleicher Weise durch Entfernung des zur Fäulniss thie-
rischer Substanzen nothweudigen Wassers fäulnisswidrig und ausserdem durch allmäh-
ligen Uebergang in Essig, wenn er den vorhandenen Sauerstoff aufnimmt; so beruht
auch die fäulnisswidrige Wirkung des Aethers auf der Wasserentziehung.
Gebraucht man Essig zum Einmachen der Früchte, so entzieht er denselben
einestheils das Wasser und hält anderntheils die Oxydation der Früchte auf, geht aber
selbst allmählig in Wasser und Kohlensäure über und schützt durch seine eigene Um-
wandlung die Früchte vor der Einwirkung des Sauerstoffs. - Die in England auf diese
Weise eingemachten Früchte, worunter das sogenannte Mixe d pickle am bekanntesten
ist, sind fast immer kupferhaltig, weil bei der Bereitung kupferne Gefässe gebraucht
werden.
Wird Fleisch in Essig gelegt, so gelangt das Eiweis zur Coagulation ; ähnlich-
wirkt Milchsäure fäulnisswidrig ein, weshalb sich Fleisch in saurer Milch sehr
gut erhält.
5) Conservirung durch Erzeugung einer organischen Säure. Beim
Einmachen der Gemüse wird der in denselben enthaltene Zucker in Milchsäure über-
geführt, welche alsdann der organischen Substanz gegenüber schützend auftritt. Beim
Einmachen der Bohnen, des Sauerkrauts und der Rüben erzeugt sich als Neben-
product stets Baldrian-, Butter- und Propionsäure; sind die Vegetabilien schwefel-
Enlenberg, Gewerbe -Hygiene. "
g2 Sauerstoff.
baltig, so entwickelt sich auch Schwefelwasserstoff, welches vorzugsweise bei Rüb-
stielen und Bohnen, weniger beim Sauerkraut der Fall ist.
Bei eingemachten Gemüsen überzieht sich fast immer der Pökel mit einer
Schimmelhaut, wodurch Bämmtlicher Geruch verschwindet: beseitigt man dieselbe, so
werden die verschiedenen organischen Säuren exhalirt, and dies hört erst dann auf, wenn
sich diese schützende Docke der Pilzvegetation wieder gebildet hat.
6) Conservirung durch Räuchern. Das Räuchern beruht auf der Imprägnirung
des Fleisches mit dem im Rauche enthaltenen Kreosot ; man reibt das Fleisch vorher
iiiii Sulz ein and bangt es in Rauchkammern auf. Der Rauch von den Beeren und dem
Holze des Wachholders ist der beste und theilt dem Fleische ein eigenthümliches Aroma
mit: Rauch von Buchen- und Eichenholz ist besser als der von Tannen- oder Fichten-
holz. Man bindet das Fleisch in Leinwand ein oder bestreut es vorher mit Kleie, um
das Anhängen von Russ an dem Fleisch zu verhüten.
Denselben Zweck kann man erreichen, wenn man das Fleisch einigemal mit Holz-
essig bestreicht und alsdann in der Luft zum Trocknen aufhängt; es trocknet aber
hierbei häufig stärker aus als beim Räuchern. Wahrscheinlich wird eine Atmo-
sphäre, welche Kreosotdampf enthält, dasselbe leisten, da die fäulnisswidrigen Eigenschaften
des Rauches und des Holzessigs doch nur auf dem Kreosotgehalt beruhen: jedenfalls hat
das Räuchern einen entschiedenen Vortheil vor dem Einpökeln, da dabei Nichts von den
' nahrhaften Bestandteilen des Fleisches verloren geht.
Kreosot verleiht dem Fleische eher einen unangenehmen Beigeschmack; es
verdient daher der Vorschlag von Krönig Beachtung, welcher zu 30 Grm. Kochsalz nur
1 Tropfen Kreosot zusetzt. Vermischt man 1 Th. dieser Mischung mit 1000 Th. ge-
hacktem, von Fett befreitem Fleisch und hüllt dasselbe in natürliche oder künstliche
Därme, so soll sich dasselbe vortrefflich conserviren. u)
7) Conservirung durch chemische Stoffe Pikrinsäure, Pflanzenalkaloide,
wie Chinin, Strychnin, ferner Opium u. s. w. halten die Fäulniss thierischer Körper
kräftig auf, was auch in Bezug auf Vergiftung beaehtungswerth ist. Aehnlich verhält
es sich mit den unterschwefligsauren, schwefiigsauren Saizen, dem salzsauren Barium,
Zinksulfat, Alaun, Sublimat und Arsenik, Substanzen, welche bekanntlich zur Erhaltung-
menschlicher Leichname vielfach in Anwendung kommen.
Im Norden, namentlich Schweden, wird die Borsäure, Aseptin, als ein sehr
wirksames Mittel gerühmt und besonders zur Conservirung der Milch und des Fleisches
sehr häufig benutzt.15) Ein Gemisch von Borsäure und Alaun zu gleichen Theilen
nennt man doppeltes Aseptin und bezweckt dadurch Aufhebung der das äussere
Ansehen des Fleisches schädigenden Einwirkung des Eichenholzes der Fässer, welche
zum Transport dienen. Von nicht geringer Bedeutung scheint die Salicylsäure zu
werden (s. diese).
Es ist hier nothwendig, auf die Conservirung und Behandlung des
Getreides näher einzugehen, denn kein materielles Interesse steht höher als
die Sorge um das tägliche Brot, welches neben dem Fleische den ersten Rang
unter den Nahrungsmitteln einnimmt. Die Pflanzen, welche unser Brot liefern,
haben auch insofern den höchsten Wertb, als sie den Menschen fast nach allen
Zonen hin begleiten, sich überall aeclimatisiren und mit Erfolg anbauen lassen.
Was zunächst die Conservirung des Getreides betrifft, so fällt gegen-
wärtig das lästige Umschaufeln des Getreides weg, wodurch man früher dasselbe
vor Insektenfrass, Feuchtigkeit u. s. w. schützen musste; man bedient sich statt
dessen einer systematischen Ventilation des Speichers oder einer Drainage des
Getreides, um die hinreichende Austrocknung desselben durch den reichlichen
Zutritt der frischen Luft zu bewirken. In einzeluen Gegenden wird durch sogen.
Silos, geschlossene Räume unter oder über der Erde, das Getreide conservirt,
indem man dadurch alle Feuchtigkeit der Luft abzuhalten sucht, *6)
Das Sieben und Messen des Getreides erzeugte früher sehr viel Slanb
und gab es wenig Sieber oder Fruchtmesser, welche nicht an chronischem
Lungenkatarrh litten, während die damit verbundenen körperlichen Anstrengungen
nicht selten die Ausbildung von Hernien veranlassten. Gegenwärtig wird durch
zweckmässige mechanische Einrichtungen an Zeit und Mühe gespart und der
Nutzen, welcher hieraus den Industriellen erwächst, kommt auch der Hygiene zu Gute.
Die Müllerei. 83
Die Behandlung des Getreides auf Mühlen ist Jahrtausende lang die-
selbe geblieben und erst langsam vervollkommneten sich die zum Mahlen dienen-
den Werkzeuge. Lange Zeit war das einfache Schroten des Getreides die
wichtigste Manipulation, bis man später zur Trennung der Kleie vom Mehle über-
ging und neuerdings ein Mühlensystem geschaffen hat, welches auf eine
eclatante Weise beweist, wie vortrefflich sich hygienische und industrielle Zwecke
vereinigen lassen. Amerika, England und Belgien haben vorzugsweise das alte
Mühlensvstem gründlich erschüttert und die sinnreichsten Maschinen eingeführt.
Die erste Vorbereitung beim Mahlen besteht in der Reinigung des
Getreides. Dasselbe geschieht in einer aufrecht stehenden Trommel aus ge-
lochtem Blech oder einem Drahtgewebe, in welcher sich eine mit Flügeln ver-
sehene Welle rasch umdreht. Das hineinfallende Getreide wird von den Flügeln
gefasst, an den Mantel geschleudert und durch einander gerieben: der dabei ab-
geriebene Schmutz u. s. w. dringt in einer förmlichen Staubwolke durch die Patzen
oder Oeffnuugen der Trommel heraus. Um die Arbeiter aber vor diesem in Mund,
Nase und Lunge eindringenden Staub zu schützen, wird der ganze Apparat mit
einem dichten Mantel umgeben, welcher oben eine Röhre hat. die in eine zweite
Kammer einmündet; hier befindet sich ein Saugapparat, welcher allen Schmutz
und Staub fortsaugt und in dieser zweiten Kammer niederfallen lässt. Alsdann
bewirkt die Auslieferungsmaschine (Tireur) die Entfernung der Wicken,
Raden und runden Körper, um schliesslich das Getreide noch einer Puhlmann-
schen oder Sec'schen Reinigungsmaschine zu unterwerfen; häufig sind diese
Maschinen zu einem System verbunden.
Aus der Reiniguogskammer gelangt das Getreide mittels eines nach dem
Princip der Baggermaschine construirten und in einer geschlossenen Röhre sich
bewegenden Elevators (Xoria. Jacobsleiter) nach der sogenannten Korn-
schnecke*), welche das Getreide zunächst zu den Quetschwalzen bringt, um
namentlich den Weizen massig zu drücken; häufig wird er auch direct in den
Behälter über die Schrotgänge geführt. Der Schrot wird mittels des Elevators
gehoben und in die Kühlstöcke (Hopperboy's **) geführt, welche ihn auf die
Mehlcy linder vertheilen; von dem Mehlcylinder geht er direct auf die Gries-
sortirer (s. Hochmüllerei).
Es ist hierbei zunächst die Flachmüllerei und Ho chmüllerei zu unter-
scheiden: bei der Flachmüllerei, der ältesten Methode, -wird sowohl der Kern als die
Hülse fein gemahlen, wozu man sich besonders der harten, fein und scharf gemachten fran-
zösischen Steine, welche dicht aufeinander laufen, bedient. Hierbei wird das Mablproduct
ziemlieh warm und mass deshalb durch Ventilatoren gekühlt werden. Die neueste Ein-
*) Schnecken heissen die nach dem Princip der Archimedischen Schraube con-
struirten walzenförmigen Schrauben, welche sich ebenfalls in einem geschlossenen Ge-
häuse bewegen.
**) Der Hopperboy oder amerikanische Abkühler besteht aus einer in der
Mitte einer Kammer senkrecht stehenden Achse mit zwei oder mehr etwa 3 Dm über
dem Fussboden an ihr befestigten horizontalen Armen von 3 — 4 M. Länge: sie dreht
sich langsam (etwa ömal in der Minute) um. Kleine hölzerne, gegen die Länge schief
gestellte Brettchen befinden sich unter den Armen und streichen mit dem unteren Rande
über den glatten Fussboden. wodurch das Schrot nicht nur umgerührt, sondern auch
von der Ausschüttungsstelle der Noria näher nach der Achse hin bewegt wird, wo es
durch eine Oeffhung im Fussboden in die Mehlcylinder fällt: hierdurch verliert das
Schrot nicht bloss Wärme, sondern auch Feuchtigkeit. Auf dieselbe Weise behandelt
man auch das Mehl, welches aber in eine Metallröhre fällt und alsdann durch die Noria
zur Beutelmaschine gefühlt wird. Wo aber der Ventilator wie in Fig. 4 zur Anwendung
kommt, ist die Benutzung des Abkühlers nicht immer erforderlich.
6*
M
Sauerstoff.
rieht ung dieser Art findet sich in Fig. 4 abgebildet. « ist der befestigte Bodenstein,
Läufer, «reicher sich an einer senkrecht stehenden Achse in einer horizontalen
Ebene umdreht Beide Steine sind mit einem Gehäuse umgeben, in welches der Venti-
lat.«r ■ einmündet und die Luft ansaugt. Damit nicht das Mahlgut, sondern bloss Luft
in den Ventilator dringe, ruht ein Rahmen mit eingespanntem Tuche ('■) über den Steinen.
Auf di wird sowohl der Staubbildung, als auch der Erwärmung des Mahlgutes
und der Kleisterbildung vorgebeugt. Bei/ befindet sich eine senkrecht stehende Schnecke,
das Mahlgut wiederum einem Elevator zuführt, mittels dessen es in die Sieb-
oud Beutelmaschine gelangt, wenn die Kleie von den Mehlsorten geschieden werden
-..IL was bisweilen auch noch durch die Bäcker geschieht. Wird die Kleie nicht geschieden.
Bondern mit verbacken, so erhält man das sogenannte Roggen- oder Schwarzbrot.
Von der Beutelmaschine wird das Mehl durch Röhren in die Mehlkammer geleitet,
wo das Mischen des Mehls mittels einer mit Stäben versehenen centrifugirenden
Holzscheit)« . weihe in einen; Gehäuse läuft und alle Staubwirkung verhütet, bewirkt
wird. Das Mehl wird alsdann durch eiserne Röhren, wenn es nicht schon in der Beutel-
maschine mittels einer hölzernen Schnecke direct einem solchen Mehlrohr zugeführt
worden ist, nach unten in die Säcke geleitet: jedes Mehlrohr hat in seinem unteren Ende
eine Klappe, welche man nach Belieben öffnet und schliesst. Auf diese Weise ist
vom Anfange bis zum Ende des Mahlprocesses ein Verlust am Mahlgute
oder irgend eine schädliche Staubbildung unmöglich.
Fig. 4.
Die Hochmüllerei ( Weissmahlen. Mahlen vonGries) erfordert ein wieder-
holtes Mahkn des Getreides mittels harter, grob geschärfter und weit gestellter Mühl-
steine. Beim ersten Mahlen. Wim oben erwähnten Schroten, erhält man meistens ge-
brochene Körner (Graupen) und oberflächlich abgestossene Kleie. Das Mehl entfernt
man durch Beuteln, während man die Mischung von Graupe und Kleie mit einer Sortir-
ma sehine behandelt, wobei man leichte Kleie, noch nicht vollständig ansgemahlene
Kleie, feine Mehlkörner (Griesmehl). grobes Mehl und Graupen erhält. Die letzteren
Producta unterwirft man wiederum einem besonderen Mahlprocesse und verfährt auf die-
selbe "\\ eise wie vorher, bis das körnige Mehl eine hinreichende Feinheit erlangt hat.
E- kommt als Griesmehl in den Handel oder man mahlt es noch zu ganz feinem Mehle
(Weissmahlen), welches auch Kaisermehl genannt und namentlich in Wien und Paris
zum Backen des feinen Brotes benutzt wird*).
*) lgnaz Bauer, gest. 1842 zu Leobersdorf bei Wien, ist der Erfinder der Hochmüllerei.
Die Müllerei. 85
Bezüglich des Griesmehls ist noch zu bemerken, dass von 8 Gängen stets dieselben
6 Gänge zum Schroten bestimmt sind, während der siebente die guten (Vorschuss)
und der achte die schlechten Griese ausmahlt; letztere liefern das sogenannte Mittel-
mehl. Das Mehl von den auf dem siebenten Gange ausgemahlenen guten Griesen ver-
mischt sich unmittelbar bei dem Austritt aus dem Cylinder mittels einer Schnecke mit
dem aus dem Schrot ausgebeutelten Mehle. Die geringen Griese, welche sich aus der
Vermahlung des Schrotes ergeben, werden schliesslich noch durch die Cabanes'sche
Griesputzmaschine gereinigt; die hierdurch erzielten Griese werden mit den guten
Griesen vermählen, während die übrig bleibenden zum Mittelmehl gelangen. Die fer-
tigen Mehle laufen dann in die Mehlkammer, von wo aus sie eingesackt werden.
In ein neues Stadium scheint die ganze Müllerei gegenwärtig durch die Ein-
führung von Wegniann's Porzellan-Walzenstuhl zu treten, wobei das Ge-
treide nach geschehener Reinigung durch ein System von Walzen läuft, dessen
Vortheile sich bis jetzt schon in der Vereinfachung der ganzen Müllerei, in der
Beseitigung sämmtlicher Griesputzmaschinen, in der Erzielung eines grösseren
Quantums hellen reineren Mehles und in der Unmöglichkeit, die Qualität dessel-
ben durch die Vermahlung zu verderben, herausgestellt haben.
Zu erwähnen sind noch die Schälmühlen, welche die Erhaltung der Gestalt der
Getreidekörner bezwecken, wie dies beim Reis und bei den Graupen der Fall ist.
Da es hierbei auf die Abscheidung der Hülsen oder Bastschichten ankommt, so heisst
der ganze Process Schälen, welches besonders bei der Gerste und beim Reis, seltner
beim Weizen vorgenommen wird. Nur von der faserigen Schale befreite, aber in ihrer
Gestalt wenig veränderte Gerstenkörner heissen geschälte Gerste, Graupen; sind
bei ihnen auch die Spitzen entfernt worden, so heissen sie Perlgerste, Perlgraupen.
Die Einrichtung der Schälmühlen stimmt im Ganzen und Grossen mit der der
Mahlmühlen überein; nur ist der Läufer mit einem Behälter eingeschlossen, welcher
inwendig mit Weissblech, welches eine Art Raspe darstellt, bekleidet ist. Der Zwischen-
raum zwischen Läufer und Bütte wird mit den Getreidekörnern ausgefüllt ; durch die
rauhe äussere Fläche des Läufers werden die Körner mitgeführt, übereinander und gegen
die raspenförmigen Bleche geschoben, wodurch die Hülsentheile mehr abgerieben als
abgeschält werden. Zur Entfernung der geschälten Körner dient eine Oeffnung in der
Seitenwand der Bütte oder im Bodenstein; diese sowohl als auch die Oeffnung im
Deckel der Bütte zum Eingeben der Körner sind mit Schiebern versehen, welche sich
automatisch öffnen und schliessen, wenn der Läufer eine bestimmte Zahl von Umdrehun-
gen gemacht hat. Damit die Körner nicht zwischen Läufer und Bodenstein gerathen,
vermehrt man die Umdrehungsgeschwindigkeit der Läufer und bewirkt einen starken
Luftstrom von der Mitte zur Peripherie dadurch, dass man die Kerben auf der unteren
Fläche des Läufers tief aushaut. Die Mahl flächen der Mühlsteine werden bekannt-
lich mit Furchen, Einschnitten oder Rippen versehen (Hauschlag), wozu man sich in der
Regel eines Hammers mit meisselförmig zugeschärften Enden von Stahl bedient. Gegen-
wärtig gebraucht man in den neueren Mühlen stets eine mit einem Diamant versehene
Steinschärf- Maschine hierzu, wodurch die für die Müller höchst gefährliche Hau-
arbeit ganz umgangen wird ; mit der Einführung dieser Maschine kann man einen
grossen sanitären Fortschritt begrüssen. Die Zeichnung der Linien ist je nach
dem Zweck, den man beim Mahlen erreichen will, verschieden.
Es ist häufig behauptet worden, dass Ausbesserungen der beschädigten Stellen an
Mühlsteinen auch durch Eingiessen von Blei bewirkt würden; da das Blei während
des Mahlens abgerieben und mit dem Mehl vermischt würde, so seien hierdurch beim
späteren Genuss des Mehls Vergiftungen herbeigeführt worden. Sehr erfahrene und in-
telligente Müller stellen dies in Abrede, da es sehr unpraktisch sein würde, ein so weiches
Metall hierzu zu wählen; fast ausnahmslos wird eine Mischung, deren Hauptbestand-
teil Alaun ist, bei solchen Vorkommnissen benutzt.17)
Je feiner die Sorten werden sollen, desto öfter wird das Schälen wiederholt.
Damit Reis und Perlgerste glänzend erscheinen, werden sie noch polirt; dies ge-
schieht wie das Schälen, nur wählt man zum Beschläge des äusseren Behälters des
Läufers ein feines Drahtgewebe.
Um namentlich dem Reis eine bläuliche Farbe zu geben, werden die Körner
beim Poliren mit einer Auflösung von Indigo in rauchender Schwefelsäure be-
sprengt; eine Methode, welche in sanitärer Beziehung nicht zu empfehlen ist.
Wirft man einen Rückblick auf das ganze Mühlensystem, so wird man nicht
verkennen, dass die Mühlenbesitzer immer mehr genöthigt werden, sich den Fort-
gß Sauerstoff.
schritten desselben anzuschliessen. Je mehr dieselben sich aber geltend machen,
desto mehr werden auch die hervorgehobenen gesundheitsschädlichen Einflüsse
dieses Gewerbes schwinden.
Bei dem jetzigen Mühlensystem ist jedoch noch auf einen Umstand Rück-
sicht zu nehmen, welcher zu grossen Gefahren Veranlassung geben kann; geht
nämlich ein Gang leer oder sind die Steine sehr dicht gestellt, so entstehen häufig
Funken, welche eine geringe Menge des Mahlgutes entzünden. Das fortglimmende
Mehl kann durch den Elevator befördert werden, ohne diesen zu beschädigen;
ist es im Beutelkasten oder Exhaustorkasten angelangt, so wird der Luftzutritt und
damit die Verbrennung sehr begünstigt; die Entzündung kann sich alsdann durch die
ganze Mühle fortpflanzen und die Explosion derselben herbeiführen. Auch ist der
Fall schon vorgekommen, dass sich der durch eine Erschütterung aufgewirbelte
Mehlstaub an einer Solaröllampe ohne Cylinder entzündet hat; es ist daher der
Gebrauch tragbarer Lichter in Mühlen zu vermeiden.
Das zum weitern Transport bestimmte Mehl muss möglichst trocken sein
nm\ ist daher einer besonderen Trocknung zu unterwerfen; wird ein solches Mehl
noch mittels der hydraulischen Presse behandelt, so eignet es sich durch seine
compendiöse Form namentlich für Kriegsproviant. — Die Verpackung des
Mehls in Fässern wird vielseitig getadelt, weil es den sogenannten Fassgeruch
annimmt, wobei der Kleber in eine lösliche Modification übergehen soll.
Behandlung des Mehls. Um das Mehl wohlschmeckender und verdaulicher zu
machen, unterwirft mau es in der primitivsten Form dem Anteigeu, d. h. dem
Mischen mit Wasser und dem spätem Erhitzen mit heissen Steinen, um das
Stärkemehl in Kleister und die stickstoffhaltigen Bestandteile in eine mehr
assimilirbare Form zu verwandeln. Hierher gehören das ungesäuerte Brot der
Juden (Passahbrot) und der Schiffszwieback. Erst später begegnet man dem
angesäuerten Brote; wird nämlich das Mehl mit Wasser gemengt und sich selbst
überlassen, so treten alle Stadien der Zersetzung wie bei einem Fruchtsafte ein. Die
stickstoffhaltigen Bestandtheile, die Proteinstoffe, nehmen Sauerstoff auf und
bilden ein Ferment; es tritt eine wahre weinige oder Alkohol-Gährung
ein, welche aber bald in Essig- und Milchsäure-Gährung übergeht.*) Dabei bläht
sich der Teig durch die Entwicklung von Kohlensäure auf (das Gehen des
Teigs) und die vorherrschenden Säuren wirken lösend auf das Pflanzeneiweiss
und die phosphorsauren Erden ein. Ein solcher sauer reagirender Teig heisst
Sauerteig; derselbe beschleunigt als Ferment den Vorgang der sauren Gäh-
rung (Milchsäure-Gährung), wenn er frischem Teige zugesetzt wird.
Hemmt man diese beständig fortschreitende Zersetzung nicht, so wird der Teig
weich (übergegangener Sauerteig), und schliesslich entsteht eine nach Butter-,
Baldriansäure und Schwefelwasserstoff riechende schleimige Flüssigkeit, welche als
Nahrungsmittel nicht verwendet werden kann. Zersetzungen dieser Art können aber,
wie schon oben (S. 80) erwähnt worden, durch eine Hitze von 100° C. aufgehalten
werden. Diese, benutzt man auch beim gährenden Brotteige, indem man letztern in
geschlossene, über die Temperatur des siedenden Wassers erhitzte Räume (Backöfen)
I «ringt und so lange hier verweilen lässt, bis die ganze Teigmasse durch und durch
eine Temperatur erhalten hat, welche den Gährungs- resp. Zersetzungsprocess aufhebt.
Während dieser _ Erhitzung geht das unzersetzte Anvylum in Kleister und
Dextrin über; die im Teige sich entwickelnde Kohlensäure wird durch die Wärme
ausgedehnt, wodurch der Teig aufgetrieben und ausgedehnt wird (Aufgehen des
Brotes), während der äussere Theil durch die hohe Temperatur ausgetrocknet und
*) Die Bemühungen, den hier auftretenden Alkohol zu verwerthen, haben noch zu
keinem befriedigenden Resultate geführt.
Das8* Brotbacken. 87
einer Art von trockener Destillation unterworfen wird (Krustenbildung). Diese
Manipulationen nennt man das Backen des Teiges und die dabei eintretenden chemi-
schen Veränderungen desselben die Panification oder Brotbildung.
Dieser Vorgang erleidet in der Praxis unendlich viele Modifikationen ; diese
bestehen hauptsächlich darin, dass man 1) die Kleie mehr oder weniger vom feinen
Mehle trennt (Weissbrot) oder demselben zusetzt(Schwarzbrot); 2) dass man das
Mehl der verschiedenen Samenarten mengt (gemischtes oder gemengtes Brot);
3) dass man das Getreide bloss schrotet und die ganze Masse verbackt (Schrotbrot);
4) dass man statt des Wassers Milch nimmt und dadurch den Nährwerth erhöht
(Milchbrot); 5) dass man den Sauerteig durch Hefe .ersetzt (Weissbrot) oder
durch Amoniunicarbonat, nach Iriebig durch Binatriumcarbonat und Salzsäure, nach
Horsford durch saures phosphorsaures Calcium und Binatriumcarbonat das Aufgehen
des Teigs erzielt; 6) dass man bezüglich des Backverfahrens eine ein- und zweimalige
Wiederholung eintreten lässt (Zwie- oder Triback) l8).
Beim mechanischen Betriebe der Bäckerei mit Einschluss der Luxusbäckerei
(Conditorei) schleppen sich noch alte Gewohnheiten fort, welche nur langsam dem
Fortschritt der Neuzeit weichen. Bäcker leiden nicht bloss durch den Mehlstaub, son-
dern auch durch körperliche Anstrengungen beim Anmengen des Teiges, sowie durch
starken und plötzlichen Temperaturwechsel; der „Bäckerhusten" ist allgemein
bekannt, während die vielfachen Verdauungsstörungen häufig mit einer unregelmässigen
und unzweckmässigen Lebensweise zusammenhängen. Die bei Conditoren so häufig
vorkommenden schlechten Zähne sind unzweifelhaft die Folge vom häufigen Genuss des
Zuckers.
Der Mehlstaub beim Beuteln könnte auf das geringste Mass zurückgeführt
werden, wenn der Verschluss des Mehlkastens ein ausreichender sein und nur einige
Sorgfalt auf den Schutz der Respirationswege durch Vorbinden eines Tuches vor Mund
und Nase verwendet werden würde. Die körperlichen Anstrengungen beim Teigkneten
können durch die Maschinenkraft ersetzt werden, namentlich auch in solchen Gegenden,
in welchen der Teig für Schwarzbrot durch Treten mit den Füssen bearbeitet wird;
so sind z. B. in Frankreich einfache Kneter eingeführt, welche mit mehreren Armen
versehen sind und durch ein Rad in Bewegung gesetzt werden; hierdurch wird derselbe
Zweck wie durch die Hände des Arbeiters erzielt und auch den Anforderungen der
Reinlichkeit mehr entsprochen.
Die Backöfen für grossartige Bäckereien gestatten einen fortwährenden Betrieb,
wenn das Feuer in der Mitte des Ofens liegt und man den Gang der Flamme mittels
Zügen regelt. Am meisten Verbreitung verdienen die rotirenden Backöfen schon
deshalb, weil dabei nicht auf der Sohle des Backofens gebacken wird; sie sind kreis-
rund und in der Mitte des flachen Kreisgewölbes hängt eine Scheibe, welche denselben
fast ganz ausfüllt und worauf man das Brot legt, so dass dasselbe nur einen Zoll hoch
über dem erhitzten Boden schwebt und von der eigentlichen Gluth desselben nicht
berühi-t wird.
Der neueste Fortschritt besteht in der Construction der Backöfen mit Heiss-
wasserheizung, deren Vortheile neben der Ersparniss an Brennmaterial auch in
sanitärer Beziehung hervorzuheben sind, da die strahlende Gluth des Feuers mit ihrer
schädlichen Einwirkung wegfällt; es kommt hierbei nur auf eine solide Construction der
Röhren an, damit nicht ein Zersprengen derselben stattfindet, wie dies schon vor-
gekommen ist.
Das Brotbacken. Das bis jetzt gebräuchliche Brotbacken verdient in sani-
tärer Beziehung insofern noch eine Beaufsichtigung, als nicht selten altes Holz,
welches mit arsenikalischem, kupfer-, blei- oder zinkhaltigem Farbenanstrich ver-
sehen ist, zum Heizen des Backofens benutzt wird. Abgesehen davon, dass die hierbei
entstehenden Holzkohlen die betreffenden basischen Metallsalze enthalten und bei
ihrer anderweitigen Benutzung durch Ausbreitung metallischer Dämpfe schädlich
einwirken, bleibt auch der Boden des Backofens mit diesen Oxyden mehr oder
weniger bedeckt, weil sie specifisch schwerer als die Holzkohlen sind und daher
durchfallen. Dadurch können auch die Backwaaren mit diesen Oxyden verun-
reinigt werden und konnte in einem concreten Falle deutlich nachgewiesen wer-
den, dass an einem fertig gestellten Zwieback 0,05—0,1 Grm. zinkhaltiges Blei-
oxyd haftete. Solche Oxyde haben eine schmutzig-blassgelbe Farbe und unter-
scheiden sich wenig von der Farbe der Backwaaren; der Consument wird
gg Sauerstoff.
daher am so weuiger veranlasst, die Backwaare von dieser Verunreinigung zu
befreien.
Bei Verwendung eines Holzes, welches einen Anstrich von Schweinfurter
Grün hat, verflüchtigt sich ausserdem das Arsenik und lagert sich im Schorn-
stein ab. Durch die Einwirkung der Kohle auf die Metalle in der Oelfarbe
werden diese zuerst reducirt und durch die erhöhte Temperatur in Dampf
übergeführt, welcher wiederum durch die Einwirkung des atmosphärischen Sauer-
stoffs eine Veränderung erleidet, so dass abermals Metalloxyde entstehen, welche
meistens an den weniger heissen Theilen des Ofens sich niederschlagen und
festsetzen. Beim Einschieben des Brotes in den Ofen werden durch den sich
entwickelnden Wasserdampf die an seiner oberen Decke haftenden Metalloxyde
zum Herabfallen gebracht; die schädliche Verunreinigung der Backwaaren mit
denselben ist alsdann die natürliche Folge.
In einem Dorfe wurde der Gemeinde-Backofen mit einem Gartenzaun, der
mit Schweinfurter Grün angestrichen war, geheizt ; sämmtliche Brote wurden
hierdurch vergiftet und zwar musste das Ereigniss in diesem Falle um so eher
eintreten, als bei einem freistehenden Backofen die flüchtigen und giftigen Ver-
bindungen sich leichter ablagern konnten als bei einem Ofen, der beständig in
Betrieb ist.
Eine ebenso grosse Beachtung verdienen alte Eisenbahnschwellen, wenn sie
zum Heizen der Backöfen benutzt werden. Es ist bekannt, dass sie früher noch häufiger
als jetzt mit verschiedenen Metalllösungen imprägnirt wurden, um dieselben zu con-
serviren; werden sie verbrannt, so ist der mögliche Schaden durch die Beschaffenheit
der zum Conserviren benutzten Metalle (Sublimat, Chlorbarium, Chlorzink, Kupfer- oder
Zinkvitriol etc.) bedingt. Die schädlichsten Folgen hat der Sublimat, welcher sich als
solcher verflüchtigt, während beim Chlorbarium Bariumcarbonat entsteht und die übrigen
Metalle die entsprechenden Oxyde liefern.
Das Verfälschen des Mehls, welches in neuerer Zeit in grossartigem
Massstabe betrieben wird, ist in sanitärer Beziehung von grosser Wichtigkeit;
gewöhnlich geschieht es schon auf den Mahlmühlen, weil hier ein innigeres
Mischen leichter ermöglicht ist. Die gewöhnlichen, geflissentlichen Zusätze be-
stehen, abgesehen von dem Mehle anderer und gemischter Getreidearten, in
Schwerspath, Gips, Lenzin, Chinaklei, Aluminiumsilicaten, Magnesiumsilicat, In-
fusorienerde etc. Am häufigsten wird Schwerspath benutzt, so dass besondere
Mühleu sich mit dem Mahlen des Schwerspathes nur zu diesem Zwecke beschäftigen.
Gewissenlose Bäcker setzen beim Anmachen des Teigs bisweilen Kupfer-
vitriol, Zink vitriol oder Alaun hinzu; mitunter kommen auch zwei dieser
Substanzen vor. In Belgien benutzt man am häufigsten Kupfervitriol,
welches einen grösseren Wasserzusatz gestattet und dadurch die Brotausbeute
vermehrt; auch soll dadurch angegangenes Mehl noch verwerthet, eine schönere
Krustenbildung erzielt, die weisse Farbe des Brotes erhöht und das Austrocknen
mehr hinausgeschoben werden.
In einem concreten Falle kamen 3 Sorten von Weissbrod zur Untersuchung, welche
aus Belgien stammten.
Der Aschengehalt betrug im Innern bei
Zinkoxyd
Thonerde.
I. 2,01660%
mit 0,0350
0,0222.
IL 5,3662%
„ 0,0311
0,0613.
IL 4,6990%
„ 0,0309
0,0593.
Da gutes Weissbrot durchschnittlich 1,07—1,50% Asche enthält, so musste man
schon aus dem hohen Aschengehalt einen Verdacht auf fremdartige Beimischungen
schöpfen. 19)
Sauerste ff. 89
Blauholztinctur soll den Alaun auf eine rasche Weise durch eine dunkelrothe
oder pur purröthliche Färbung nachweisen. Unverfälschtes Brot wird dadurch nur
strohgelb gefärbt. Bei 1/8% Alaungehalt ist der durch die Tinctur bewirkte röthlich-
gelbe Fleck mit einem blaugrauen Saum versehen. Mittels des Mikroskops erkennt
man aber auf dem Fleck noch deutlich blaue Puncte; diese lassen sich auch noch
bei % °/„ Alaun nachweisen, obgleich sich alsdann der graublaue Rand nicht mehr deut-
lich zeigt.
Verunreinigung des Mehls mit Mutterkorn. Um Roggenmehl auf
Mutterkorn zu prüfen, hat Böttcher ein einfaches Verfahren angegeben: Man
überschüttet eine Probe des betreffenden Mehls in einem Reagensgläschen mit dem
gleichen Volumen Essigäther, fügt einige Kry Stallfragmente von Oxalsäure hinzu
und erhitzt das Ganze vorsichtig einige Minuten lang bis zum Kochen; erscheint beim
Erkalten die über dem Mehle stehende Flüssigkeit mehr oder weniger röthlich
gefärbt, so war Mutterkorn im Mehle vorhanden.
Gemischte Mehlsorten. Schwierig ist die Unterscheidung der verschiedenen
Mehlsorten in einem Gemenge. Abgesehen von der mikroskopischen Prüfung der
Stärkemehlkörperchen ist hier noch die Beschaffenheit des Klebers (des Gemenges
von Pflanzenfibrin , Pfianzenleim und Pflanzencasein) zu erwähnen, da er bezüg-
lich der Beschaffenheit und Menge in den verschiedenen Mehlsorten differirt. Das
Weizenmehl ist am reichsten an Kleber und lässt sich derselbe durch Auskneten
mittels Wassers leicht darstellen. Je mehr er sich dehnen lässt, je mehr seine
Farbe gelblichbraun erscheint, desto backfähiger wird sich der Weizen erweisen, so dass
nach dem Urtheile der Praktiker es hierbei weniger auf die Quantität, als auf die
Qualität des Klebers ankommt. Je mehr der Kleber kurz abreisst, desto weniger
ist das Mehl als ein „gesundes" zu betrachten. Den Klebergehalt als Erkennnungs-
zeichen für die verschiedenen Mehlsorten zu benutzen, unterliegt jedoch vielen Schwie-
rigkeiten.
Im Roggenmehl hat der Kleber stets eine schleimige, schwärzliche, ungleiche
und klebende Beschaffenheit. Der Kleber im Gerstenmehl ist schmutzig-röthlich und
bildet korkzieherähnliche, trockene Stränge, während das Hafermehl einen schwärzlich-
gelben und weiss punctirten Kleber zeigt. Wenn nun aber die verschiedenen Mehl-
sorten untereinander gemischt sind, so muss sich die Schwierigkeit, die Beschaffenheit
des Klebers als diagnostisches Mittel zu benutzen, steigern. Einigermassen vermag
noch die Menge des Klebers hierüber zu entscheiden, namentlich wenn es sich um die
in Steuerangelegenheiten oft vorkommende Frage: ob Weizenmehl mit Roggenmehl ver-
mischt ist, handelt.20)
In sanitärer Beziehung ist die Vermischung des Weizen- oder Roggenmehls
mit dem Bohnenmehle aus der Pferdebohne (Vicia faba) wichtiger, da hierdurch das
Brot feucht und klebrig wird; dabei enthält dies Mehl eine stickstoffhaltige Substanz,
welche leicht den Fäulnissprocess befördert und Ammoniakbildung zur Folge hat, wes-
halb das Brot auf dem Durchschnitt oft faulig riecht. Vermischt man die Krume mit
Liq. Kai. caust., so entwickelt sich alsbald Ammoniak. Betupft man ein solches Brot
mit einer Lösung von Pottasche und Aetzkali zu gleichen Theilen in 8 Th. destillirten
Wassers, so erhält man einen intensiv braun rothen Fleck (beim Roggenbrot einen
gelben, bei Buchweizenmehl einen braunen).
Die Beimengung dieses Mehls gestattet beim Anteigen noch einen Zusatz von
10% Wasser, wodurch auch eine Gewichtsvermehrung veranlasst wird. Nach den vor-
liegenden Erfahrungen hat schon ein Zusatz von 5% Bohnenmehl zum Getreidemehl
eine nachtheilige Einwirkung auf die Verdauung zur Folge, namentlich treten leicht
Durchfälle ein. —
Kehren wir zum Sauerstoff zurück, so ist noch zu erwähnen, dass man
auch bei vielen andern Vorgängen im täglichen Leben darauf angewiesen ist,
die Einwirkung des Sauerstoffs durch chemische Mittel aufzuheben; will man
z. B. die in Schornsteinen entstehenden Brände rasch löschen, so gebraucht man
dazu Schwefel, um dem Feuer den ihm zum Fortbestehen notwendigen Sauer-
stoff zu entziehen. Wenn Schwefel mit blassblauer Farbe brennt, so erzeugt sich
bekanntlich schweflige Säure. Um nun Schornsteinbrände rasch zu ersticken,
lässt man im Schornstein eine Handvoll Schwefelfäden verbrennen; die sich ent-
wickelnde schweflige Säure, welche in die Esse aufsteigt, mischt sich mit der Luft,
wodurch alsdann dem Feuer die Nahrung resp. der Sauerstoff entzogen wird. Die
Buch er 'sehen Feuerlöschdosen, welche aus Salpeter, Schwefel, Kohle und etwas
90 Sauerstoff.
Eisenoxyd bestehen, halten denselben Zweck; das Eisenoxyd dient nur zur Färbung
der Mischung, während der Salpeter den Sauerstoff zur Verbrennung des Schwefels
und der Kohle liefert, so dass hier schweflige Säure und Kohlensäure zum Löschen
des Feuers dienen.
Znfnhr von Sauerstoff liei technischen Forgängen. Es ist nicht möglich, die
verschiedenen Vorgänge in der Technik, welche eine Zufuhr von Sauerstoff erfor-
dern, speciell aufzuführen.
Ausser der Heizung, Beleuchtuug und Feuerung, welche au einem
andern Orte zur Sprache kommen, ist hier nur die Rasenbleiche oder das
Bleichen der Farben an der Luft zu erwähnen, da dieser Vorgang auf eiuem
Oxydationsprocesse beruht. Leinwand oder Baumwolle ist gewöhnliche Holz-
faser, welche entweder durch schon in der Pflanze enthaltene oder bei der Dar-
stellung hinzugekommene organische Substanzen mehr oder weniger gefärbt ist.
Benetzt man Leinwand oder Baumwolle mit Wasser und setzt sie dem Sonnen-
lichte aus. so wird der Sauerstoff der das Zeug berührenden Luft sich vorzugs-
weise auf die leicht oxydabeln Farbstoffe werfen und Wasser und Kohlensäure
erzeugen. In dem Masse, als die färbenden Substanzen hierdurch schwinden,
nimmt auch das Gewicht der Stoffe ab, da mit ihnen auch die Elemente einer
gewissen Menge Holzfaser mit dem Sauerstoff Verbindungen eingegangen sind.
Mit der Zeit entsteht eine der Papiermasse ähnliche Substanz; je länger der
Sauerstoff eingewirkt hat, um so mehr ist alsdann der Zusammenhang der Holz-
faser zerstört. Die Papier- und Lumpenbleiche besteht häufig darin, dass man
die alten Lumpen in den Papierfabriken durch einen Fäulnissprocess bleicht (siehe
Papierfabrication).
Ozon. Ol Aetiver Sauerstoff wird in der Luft stets nur in geringer Menge
augetroffen: dieselbe nimmt aber im Laufe des Jahres regelmässig ab und
zu. Im November ist die Ozonreaction am geringsten und im Frühjahr nament-
lich im März am deutlichsten. Nach Berigny sollen die absoluten Maxima und
Minima genau 6 Monate auseinander liegen; nach Prestel steht die Stärke der
Reaction in eiuem bestimmten Verhältniss zur Stärke und Wirkung des Windes.
Besonders ist die Färbung des Ozonometers bei den seewärtskommeucleu
X-, NW- und W-Wiuden stärker, als bei den Landwinden*). Die Wirkung
der kräftigem Luftströmung auf das Ozonometer schreibt man dem dadurch be-
dingten stärkern Aneinanderreihen der eiuzelnen Luftmolecüle zu, wodurch der
elektrische Zustand vermehrt wird; andererseits wird durch eine kräftige Luft-
strömung auch die Wasserverduustung vermehrt. Dass Ozon beim Verdunsten
des Wassers auftritt und Feuchtigkeit überhaupt ein Hauptvermittler der Ozon-
wirkung ist, hat bereits Schönbein hervorgehoben. Neuerdings ist diese That-
sache durch v. Gorup-Besanez21) und Lender2'-) auf Grund vielfacher Messun-
gen immer mehr bestätigt worden. Man kann daher um so sicherer auf Ozon-
bildung rechnen, je mehr die Verduustuug des Wassers durch Luftbewegung be-
fördert wird.
Bei hochgelegenen und mit reichlicher Vegetation umgebenen Ortschaften findet
sich ein relativ reicher Ozongehalt vor : dagegen vermögen Verunreinigungen der Luft.
*) Je nach der Lage eines Landes zum Meere variiren deshalb auch die ozonreichen
Winde.
OZOD. 91
durch faulende organische Substanzen etc. den Ozongehalt bedeutend zu vermindern.
In Krankensälen, in engen Gassen und an niedrig gelegenen Plätzen erhält man selten
Ozonreactionen; in Krankenhäusern hat man bekanntlich bei der stärksten und anhal-
tenden Ventilation bisher noch keine Spur von Ozon nachweisen können.
Wo Ozon in freier Luft vorkommt, steht es nach Strm-e in sehr nahem Zusammen-
hange mit Wasserstoffsuperoxyd und Ammoniumnitrit; i\ Gorup-Besanez nennt
diese drei Körper eine eng verbundene Trias und alle in der Luft möglichen Bildungs-
weisen derselben sind auf eine vorgängige Polarisation, auf ein Activwerden des Sauer-
stoffs, d. h. auf die Bildung von Ozon zurückzuführen.
Es bildet sich das Ozon durch elektrische, elektrolytische und chemische Actionen.
S'-hönbpin wies zuerst nach, dass eine riechende Substanz im Sauerstoff enthalten sei,
welchen man durch die Fo/fa'sche Wasserzersetzung erhält; er nannte daher diesen
Körper Ozon (von o£etv, riechen). Ebenso entsteht er bei langsamer Oxydation des
Phosphors; giesst man zu einem Stück reinen Phosphors in einem Glase so viel Wasser,
dass es bis zur Hälfte bedeckt wird, und lässt das Glas einige Stunden bei einer Tem-
peratur von 18— 20° C unter leichtem Verschlusse stehen, so ozonisirt sich der Sauer-
stoff, indem der knoblauchartige Geruch des Phoi'phors schwindet und dem charakteri-
stischen des Ozons Platz macht.
Reichlicher entwickelt sich Ozon, wenn man übermangansaures Kalium oder Kaliuni-
chromat mit Schwefelsäure behandelt; das Ozon zeigt aber hier nur im Eutstehungs-
nioment seine charakteristischen Eigenschaften und ist stets mit inactivem Sauerstoff
vermischt. Die sicherste Methode besteht in der Darstellung mittels des Induetions-
apparates, wenn man den Inductionsstrom durch Sauerstoffgas gehen lässt. Loew fand
in einem kräftigen Luftstrom, den er in die Flamme eines Bunsen'schen Brenners ein-
leitete und auf die geeignete Weise auffing, einen reichlichen Ozongehalt; wahrschein-
lich tritt Ozon bei allen Oxydationen und bei der Verbrennung auf*).
Ozon zeichnet sich durch ein stärkeres Oxydationsvermögen vor dem gewöhnlichen
inactiven Sauerstoff aus; hierdurch ist es im Stande, stinkende Gase und Eftluvien so-
fort zu zerstören. Es oxydirt sogar Silber in Silbersuperoxyd, Phosphor in phosphorige
Säure, Arsen iu arsenige Säure , verwandelt Ammoniak in Salpetersäure und Wasser,
Weingeist in Aldehyd, Essigsäure in Ameisensäure und Thallium oxydul in schwarzes
Oxyd; Thalliumpapier gebraucht man deshalb auch als Reagens auf Ozon. Durch
Fällung von schwefelsaurem Thalliumoxydul mit Barytwasser stellt man eine lOprocen-
tige Lösung von T halliumoxydulhyd rat dar, mit welcher man schwedisches Filtrir-
papier in der Weise tränkt, dass jeder Quadratcentimeter des Papiers etwa 1 Mgrm.
Oxydul enthält. Durch rasches Trocknen erhält man alsdann das Thalliumpapier, welches
übrigens weit weniger empfindlich ist als Jodkaliumstärkepapier; ist ersteres schwach
gefärbt, so bläut es sich jedoch durch Zusatz von Guajaktinctur. Freie Untersalpeter-
säure, Chlor, Brom und namentlich Wasserstoffsuperoxyd bläuen ebenfalls Jodkalium-
stärkepapier. Um nun Wasserstoffsuperoxyd von Ozon zu unterscheiden, eignet sich das
Thalliumpapier sehr gut zu Controlversuchen, da Wasserstoffsuperoxyd das durch
Thalliumoxyd gebräunte Papier rasch ausbleicht. Freie salpetrige oder Salpeter-
säure, welche nur höchst ausnahmsweise in der Atmosphäre vorkommen, bläuen
Guajaktinctur und das Jodkaliumstärkepapier, vermögen aber nicht das Thalliumoxydul
in Thalhumoxyd zu verwandeln. Freies Chlor und Brom werden nur unter ganz be-
sondern Umständen zur Sprache kommen können; daher wird es sich fast nur um die
Unterscheidung von Wasserstoffsuperoxyd und Ozon handeln; zwei Körper, die sich in
ihrer Wirkung bekanntlich sehr nahe stehen.
Schönhein unterschied den elektronegativen activen Sauerstoff (Ozon) und den elek-
tropositiven (Antozon). Meissner suchte diese Lehre weiter auszubilden und nahm an,
dass bei jeder Oxydation Ozon und Antozon gleichzeitig gebildet würden; v. Babo und
Weltzien bezweifelten schon die Existenz von Antozon entschieden, bis die Untersuchungen
von Engler und Nasse ergeben haben, dass Antozon nur Wasserstoffsuperoxyd ist.
Lopw bestätigte diese Versuche, nimmt aber doch noch 3 Modifikationen des Sauer-
stoffs an: gewöhnlichen Sauerstoff (00), Ozon (00)0 und Antozon (0); letz-
terer soll in lockerer, mehr physicalischer als chemischer Verbindung im Terpentinöl
gelöst und im Stande sein, mit Wasser direct das Superoxyd des Wasserstoffs zu bilden.
*) Nach Struve soll sich bei jeder Verbrennung und jeder Athmung Ozon, Wasser-
stoffsuperoxyd und Ammoniumnitrit bilden, wovon aber nur letzteres der Unter-
suchung zugänglich sei.
Es ist hierbei an die Untersuchung von Chalvier zu erinnern, nach welcher auch
der Wasserstoff durch die Einwirkung der Elektricität in den Zustand der Activität
gesetzt wird, welche der elektrisirte Wasserstoff dadurch bekundet, dass er sich mit dem
atmosphärischen Stickstoff zu Ammoniak zu verbinden und frisch bereitetes Silberoxyd
zu reduciren vermag.
92 Sauerstoff.
Nicht allein Terpentinöl, sondern auch Petroleum, alle natürlichen und künst-
lichen flüssigen Kohlenwasserstoffe, Bittermandelöl, ätherische Oele, das Alkarsin.
Stanuäthyl, Stibmethyl und Stibäthyl beladen sich bei Einwirkung des Lichtes
gleichsam mit dein Sauerstoff der Luft, verwandeln denselben in Ozon und ver-
mögen dasselbe wieder leicht auf andere Körper zu übertragen; man nennt sie
daher Ozonbildner. Unter diesen steht aber das Terpentinöl oben an, da es
beim Schütteln mit Luft 2% Sauerstoff in der Form des ozonisirten Sauerstoffs
aufnimmt und in diesem Zustande wieder andere Körper oxydiren kann, z. B.
schweflige Säure in Schwefelsäure, Phosphor in Phosphorsäure, Indigo in Pikrin-
säure und Isatin.
Andrews und Toit hatten schon gefundeu, dass während der Bildung des
Ozons beim Durchgänge des elektrischen Funkens durch Sauerstoffgas eine Ver-
dichtung stattfinde, dass demnach Ozon schwerer als Sauerstoff sein müsse.
Hierauf gründete Odling seine Ozontheorie, wonach das Sauerstoffmolecül 2 Atome
und Ozonmolecül 3 Atome hat. Wie die Formel für Sauerstoff O2 ist, so ist sie
für Ozon O3, so dass seine oxydirende Kraft nur in der Leichtigkeit beruht, wo-
mit jedes Molecül sein drittes Sauerstoffatom verliert. Soret entdeckte 1865,
dass die meisten Substanzen bloss das dritte Atom Sauerstoff des Ozons aufneh-
men, während Terpentiuöl und die übrigen genannten Körper die Fähigkeit be-
sitzen, das ganze Ozonmolecül zu absorbiren. Diese Auffassung entspricht am
meisten den wirklichen Thatsachen und dürfte es demnach angemessen erschei-
nen, von dem Meissner'schen und Loew 'sehen Antozon ganz abzusehen.23)
Die Wirkung des Ozons auf manche Farbstoffe bedarf noch einer genauem
Erörterung; die schon erwähnte Eigenschaft der Guajaktinctur, durch Ozon
gebläut zu werdeu, steht im Gegensatz zur Indigolösung, welche dadurch ent-
bläut wird.
Vermischt man einige Tropfen altes, am Lichte gestandenes Terpentinöl mit
Guajaktinctur, so wird sie sich nicht immer sofort bläuen, wohl aber augen-
blicklich, wenn man Blut, Eisenvitriollösung oder Platinmohr zusetzt; eine Me-
thode, welche auch behufs Untersuchung von Blutflecken angewendet wird. Solche
Körper nun, welche eine raschere Ozonisiruug vermitteln, hat man Ozouträger
genannt; Ozonbildner und Ozonträger müssen übrigens nebeneinander liegen. Im
Allgemeinen kann man behaupten, dass alle Körper, welche nicht oxydirt werden
können, auch kein Ozon freimachen.
Die Löslichkeit von Ozon im Wasser ist vielfach bestritten worden. Nach
Carius vermag Wasser nur wenig Ozon zu absorbiren; nach 3 Versucheu
absorbirten 1000 Cbc. Wasser im Mittel 4,40 Cbc. Ozon bei 0° und 0,76 M.24)
Einwirkung des Ozons anf den Thierkürper. 1 ) Es wurden 8 Grm. Kalihyper-
manganicum mit Schwefelsäure übergössen uncl die sich entwickelnden Gase unter den
geeigneten Vorsichtsmassregeln in eine Glasglocke, unter der ein mittelgrosses Kaninchen
sass, mittels einer Compressionspumpe eingeblasen.
Im Anfange des Versuchs 30 Inspirationen während x/4 Minute bei grosser Unruhe ;
Zusammenkneifen der Augen; mehrmaliges Husten und Niessen. Nach 3 M. Stillstehen
der Respiration, Nasswerden der Schnauze, Zurückziehen des Kopfes in den Nacken.
Nach 5 Minuten ruhiges Sitzen bei zurückgezogenem Kopfe; dann Putzen der Nase und
mehrmaliges Husten und Niessen; letzteres wiederholt sich bei jeder neuen Zufuhr der
Dämpfe. Nach 15 M. 6 leichte Inspirationen binnen 1/i M.; Putzen der Nase; Augen
trübe. Nach 35 M. Lecken mit der Zunge, 7 Inspirationen mit geringem Aufblähen der
Backenmuskeln. Nach 40 M. derselbe Zustand bei zurückgezogenem Kopfe; daher
Herausnahme des Thieres, weil sich kein Ozon mehr entwickelte.
Der untere linke Augenliedrand ist mit einem ganz feinen, weissen Schaum bedeckt,
welcher neutral reagirte. 8 Inspirationen bleiben noch, die Ohren fühlen sich sehr heiss
Ozon. 93
an, der Herzschlag sehr vermehrt: übrigens ruhiges Verhalten und Aufsuchen von
dunklen Stellen. Noch nach 5 M. Putzen des Maules und Lecken mit der Zunge; erst
nach 1 Stunde wird die Respiration wieder normal.
2) Eine ausgewachsene Taube hat anfangs 12 Inspirationen binnen Vi M. Sobald die
Dämpfe in die Glocke eindringen, zeigen sich grosse Unruhe, Aufhusten, Schmecken mit
der Zunge und Zusammenkneifen der Augen; der Schnabel wird nass. Nach 4 Min.
beständiger Husten mit einem eigenthümlichen tronipetenartigen Ton; Blinzeln mit den
Augen. Nach 10 M. 9 Inspirationen: die Exspiration bestand in dem eigenthümlichen
Husten, welcher bis zum Schlüsse des Experimentes anhielt ; ausserdem Schmecken mit
dem Schnabel und Blinzeln mit den Augen. Nach SO M. Aufhören der Gasentwicklung,
daher Herausnahme der Taube.
Vermehrtes Herzklopfen, Rhonchus sibilans in den Bronchien. Der Husten hält
noch 10 M. lang an; nach 20 Minuten wird er seltener. Nach 1/2 Stunde noch Schleim-
rasseln in der Trachea; ruhiges Verhalten. Nach 3/4 Stunden wieder 12 Inspirationen.
Am andern Morgen noch weniger lebhaft, aber scheinbar gesund: Nachkrankheiten ent-
standen nicht.
3) Der Sauerstoff der atmosphärischen Luft wurde ozonisirt und zwar mittels des
■ S/67i/-er'schen Inductionsapparates und der r. ßaAo'schen Röhre unter den geeigneten Vor-
sichtsmassregeln, d. h. unter Wegnahme der Kohlensäure und des Wassers. Ein Ka-
ninchen wurde unter die Glocke gebracht, welche mit dem erwähnten Apparate in Verbin-
dung stand; letzterer wurde durch einen continuirlichen trocknen Luftstrom gespeist,
der nun, nachdem er ozonisirt war, in die Glocke gelangte. Anfang des Experi-
mentes um 3 Uhr: häufiges Aufhusten und Putzen des Maules. Nach 45 M. Urinlassen
und 18 Inspirationen binnen V4 M. Nach 1 Stunde Seitenlage, schweres Athmen,
Schliessen der Augen, Thränen derselben und häufiges Lecken mit der Zunge. Nach
1 St. 45 M. Einschlafen und wieder Aufspringen; Zurückziehen des Kopfes in den
Nacken. Nach 1 St. 50 M. starkes Husten und Putzen : nach 2 St. kaum bemerkbare
Respiration. Nach 3 St. beständige ruhige Lage mit zurückgezogenem Kopfe; der Kopf
fällt bisweilen auf die Seite, wird aber sofort wieder grade gerichtet. Nach 3 St. 15 M.
12 Inspirationen binnen 1/4 M. : Anlehnen an die Wand. Nach 4}/2 St. dasselbe Verhal-
ten bei ruhiger Bauchlage mit geschlossenen Augen: 18 Inspirationen. Nach 5 St. 24 M.
ganz kurze und oberflächliche Inspiration bei ruhigem Verhalten. Alsdann Herausnahme
des Kaninchens ; es bewegt sich sofort und bleibt dann ruhig sitzen. Häufiges Putzen
des Mauls : die Respiration wird bald normal.
4) Schwartzenbach25) bediente sich einer durch Phosphor in grossen Glascylindern
möglichst stark ozonisirten Luft, welcher Thiere ausgesetzt wurden; ein zweiter gleich
grosser Glascylinder wurde dann mit seiner Oeffnung über den erstem gekehrt und nun
das Verhalten des im letztern befindlichen Thieres geprüft. Bei Kaninchen trat bald
eine beträchtliche Dyspnoe und Verlangsamung der Respiration ein: es floss eine schau-
mige klare Flüssigkeit aus Mund und Nase, bis nach mehreren Stunden der Tod unter
suffocatorischen Erscheinungen entweder im Cylinder oder, nachdem das Thier aus dem-
selben entfernt war, erfolgte. Bei der Section fanden sich die Alveolen, Bronchien und
Trachea bis zum Larynx hinauf mit derselben klaren Flüssigkeit angefüllt, welche wäh-
rend des Lebens aus Nase und Mund geflossen war. Das Herz, die Vena cava inf. und
die Venen der Eingeweide waren mit schwärzlichem Blute stark gefüllt.
5) Häcker2(>) benutzte bei seinen Versuchen den v. ßa//o'schen Apparat und zur
Elektrisirung einen grossen /sWim^or/f'schen Inductionsapparat. Die Elektrisirung ge-
schah durch zwei Elemente: in einer Stunde passrrten 18 — 19 Liter Luft die Glocke,
unter der die Thiere sassen. Er beobachtete nach kurzer Zeit bei einem jungen Kaninchen
Verlangsamung der Respiration und eine sich steigernde Dyspnoe, welche sich durch
Aufrichten des Vorderkörpers, Ueberbeugen des Kopfes nach hinten und Oeffnen der
Nasenflügel kundgab. Nach einer halben Stunde trat aus Nase und Mund eine helle
Flüssigkeit, welche die Umgebung des Mundes und der Nase bis zum Ende des Ver-
suches, welcher eine Stunde dauerte, feucht erhielt; Lippen und Ohren zeigten eine
livide Färbung. Aus der Glocke entfernt, erholte sich das Thier bald. Nach 2 Tagen
wurde der Versuch mit demselben Erfolge wiederholt; in der darauf folgenden Nacht
trat der Tod ein. Am andern Morgen fand sich bei der Section am untern Theile der
Trachea und in den grössern Bronchien eine ziemlich beträchtliche Injection. Die beiden
untern Lappen der Lungen waren zum grössern Theile vollständig ver-
dichtet und Hessen sich nicht aufblasen: die übrigen Partien der Lungen sehr
blutreich; Ueberfüllung des rechten Herzens mit venösem Blute; die Vena cava. inferior
und die übrigen Unterleibsvenen stark ausgedehnt.
Bei einer jungen Katze zeigte sich nach 20 M. ein heftiger Ausfluss schaumiger Flüs-
sigkeit aus Nase und Mund, dabei Verlangsamung der Respiration und Dyspnoe: gegen
Ende einer Stunde krampfhaftes Abdominalathmen, wobei das Thier mit geöffnetem
Maule kläglich schrie. Aus der Glocke entfernt, erholte es sich erst nach einer halben
94 Sauerstoff.
Stunde. Beim 2. und 3. Versuche zeigten sich ähnliche Erscheinungen; heim 4. Ver-
suche wurde der [nductionsapparat durch 3 Elemente in Bewegung gesetzt. Die erwähn-
ten Symptome traten fasl sogleich mit der höchsten Heftigkeit auf; unter langsamem,
krampfhaftem Atlunen fiel das Thier nach 50 M. in der Glocke zu Boden und zeigte
einige Zuckungen. Aus der Glocke entfernt, starb es nach ein paar Athemzügen. Bei
der sofort angestellten Section erschienen die Lungen stellenweise tief geröthet und blut-
reich, an den Rändern stark emphysematös; die Bronchien, Trachea und Larynx mit
schaumiger, farbloser Flüssigkeit angefüllt: aus den Schnittflächen des Lungenparenchyms
strömt eine schaumige, etwas blutig gefärbte Flüssigkeit aus. Geringe Injection im
untern Theile der Trachea und in den grössern Bronchien. Das rechte Herz, die Vena
<av. inf. und die Venen der Eingeweide stark mit schwärzlichem Blnte angefüllt.
An einem Huhne steigerten sich erst beim 3. Versuche, nachdem 2 einstündige
Versuche vorhergegangen waren, die Respirationsbeschwerden bedeutend; nach 50 M.
fiel es zu Boden und starb unter Couvulsionen. Sectionsbefund derselbe, wie bei der
Katze.
6) Dewar und Mac Hendrik tödteten mittels des durch Iuduction ozonisirten Sauer-
stoffs, welcher höchstens 10% Ozon enthielt, Kaninchen, Mäuse und kleine Vogel, und
zwar die beiden letztern innerhalb 20 Minuten. Die Respiration wurde dadurch ver- '
langsamt, der Puls geschwächt und das Blut venös.2')
Aus diesen Versuchen geht mit Bestimmtheit hervor, dass Ozon ein starkes
Reizmittel für die Respirationswege ist. Bei Menschen bewirkt die Inhalation von
ozonreicher Luft sofort einen starken Schnupfen, welcher noch längere und kürzere
Zeit anhalten kann, selbst wenn man sich der Einwirkung des Ozons entzogen
hat; ebenso fehlt selten eine mehr oder weniger grosse Reizung des Kehlkopfs.
Bei Thieren gibt sich die Irritation der Schleimhäute durch starkes Putzen der
Nase und des Mauls, Niessen und häufiges Aufhusten kund; weiterhin verlang-
samt sich die Respiration, es tritt Dyspnoe ein und in Folge der Reizung der
Bronchialschleimhaut sondert sich viel Feuchtigkeit ab, welche besonders bei
Katzen aus Nase und Mund fliesst.
Bei einem Kaninchen (1 Versuch) entstand eine Augenentzündung, welche
die grösste Aehnlichkeit mit einer rheumatischen Entzündung hatte. Vögel, na-
mentlich Tauben, scheinen eine grössere Widerstandsfähigkeit gegen die Wirkun-
gen der ozonisirten Luft zu besitzen. Es hängt aber ganz besonders von der
Stärke und schnellern Wiederholung der elektrischen Einwirkung ab, ob sich die
Wirkung in ihrer ganzen Intensität äussert.
Wenn Hacker einen starken Ruhm kor ff 'sehen Apparat mit 2 — 3 starken
Bunsen'schen Elementen benutzte, so musste er auch eine stärkere Wirkung
erzeugen. Die einfache Bronchialreizung, welche sich im 2. Versuche bei einer
Taube deutlich zu erkennen gab, kann sich bis zu einer Entzündung des Lungen-
parenchyms steigern, wie sich bei der Section des Kaninchens (No. 5) zeigte;
dabei findet sich die Schleimhaut der Bronchien und der Trachea nicht selten
injicirt. Selbst die Verlangsamung und schliessliche Unterdrückung der Inspiration
dürfte theilweise auf eine Reizung des N. laryng. sup., dessen Endigungen in der
Schleimhaut des Larynx verlaufen, zurückzuführen sein28). Diese Verlangsamung
der Respiration tritt nicht ein, wenn man, wie Schwarzenbach gezeigt hat,
die Thiere mittels einer in eine Trachealwunde eingeführten Röhre die ozonisirte
Luft einathmeu lässt, so dass letztere die Larynxschleimhaut nicht berührt.
Die reichliche Absonderung der Flüssigkeit in deu Bronchien und Alveolen,
überhaupt die Erscheinungen eines acuten Lungenödems lassen sich nur durch
die reizende Einwirkung der ozonisirten Luft erklären. Füllt diese Flüssigkeit
schliesslich alle Respirationswege aus, so muss auch der normale Gasaustausch
gehindert werden und schliesslich der Tod durch Erstickung erfolgen; dafür
spricht auch die starke venöse Hyperämie, welche sich namentlich in den Lungen,
Ozon. 95
im rechten Herzen und in den grössern Venen kundgab. Ausser der primären
reizenden Einwirkung der ozonisirten Luft ist jedoch auch noch eine Secundär-
wirkung derselben anzunehmen, welche in dem Einfluss der gebildeten Zer-
setzuDgsproducte thierischer Flüssigkeiten auf die Schleimhäute besteht. Die
wässrigen Absonderungen der Schleimhäute reagiren nämlich häufig
sauer.
Wird defibrinirtes Ochsenblut mit ozonisirter Luft behandelt, so nimmt es
eine saure Reaction an, was unzweifelhaft das Auftreten einer freien Säure be-
kundet. Die Analyse ergibt einen Gehalt an freier Salzsäure, welche in Folge
der Bildung von Oxalsäure entsteht; die Oxalsäure zerlegt nämlich das Koch-
salz des Blutes und bildet schwer lösliches Natrinmoxalat, in Folge dessen freie
Salzsäure auftritt.
C204H2 + 2NaCl = Na2C204 + 2HC1.
Indem schliesslich der Blutfarbstoff alterirt wird, schwinden im Spectrum
die normalen Blutbänder und das Säüreband im Roth tritt auf. Wird die
Ozoneinwirkung noch länger fortgesetzt, so wird der Blutfarbstoff vollständig zer-
stört; auch die Blutkügelchen werden angegriffen, sehen ungleich, zerissen und
zerfallen aus.
Froschblutzellen werden nach Huizinga29) sehr schnell angegriffen; sie
schwellen rasch auf, werden farblos mit glänzenden, starkkörnigen Kernen und kaum
wahrnehmbaren Contouren. Das entfärbte Stroma erscheint angefressen und be-
kommt unregelmässige Umrisse; endlich verschwindet auch dieses und der Kern
ist nur übrig geblieben, welcher weiterhin wenig alterirt wird.
Schon diese Tbatsachen machen es höchst wahrscheinlich, dass Ozon in circu-
lirendem Blute nicht enthalten ist und den Process der Oxydation nicht unter-
stützt. Ferner wird nach den Versuchen von Hacker die Kohlensäureproduction
bei den Thieren durch vermehrten Ozongehalt der Einathmungsluft resp. durch
Einathmung elektrisirter atmosphärischer Luft in keiner Weise geändert, weder
vermehrt noch vermindert.
Ginge der active Sauerstoff der ozonisirten Luft in das Blut über, so müsste
selbstverständlich die Kohlensäureproduction bedeutend zunehmen; da dies aber
nach den Untersuchungen von Hacker nicht der Fall ist, so haben wir einen
weitern Beweis dafür, dass das Ozon nicht in das Blut gelangt; der vermehrte
Ozongehalt der Luft hat somit keinen directen Einfluss auf den Stoffwechsel. Es
würde zu weit führen, die verschiedenen Ansichten, welche sich hierüber in der
Literatur finden, ausführlicher mitzutheilen. Lewisson, Kühne und Scholz,
sowie A. Schmidt und Huizinga sprechen sich für den Ozongehalt des Blutes
aus.30) Pokrowsky nimmt dagegen kein Ozonisirungsvermögen und keinen Ozon-
gehalt des Blutes an; er weist darauf hin, wie unsicher der Nachweis des Ozons
im Blute durch die Guajak- Reaction sei, da die Guajaktinctur durch alle oxy-
direnden Substanzen gebläut werde.31)
Jedenfalls ist es unwahrscheinlich, dass die Pflanzen Ozon entwickeln, wenn
man bedenkt, dass eine Chlorophyll lösung durch Ozon gänzlich zerstört wird
und die Bänder derselben im Spectrum vollständig schwinden. Bringt man
frische Blätter in ozonisirte Luft, so werden sie gelblich und bleichen allmählig
gänzlich.
Alles führt zur Annahme, dass der inactive Sauerstoff in dem Moment
in ozonisirten Sauerstoff übergeht, in welchem er sich mit einem
96 Sauerstoff.
andern Körper verbindet ; es ist aber noch nicht bestimmt bewiesen,
dass er auch als ozonisirter Sauerstoff die organischen Processe ver-
mittelt.
Ozon in sanitärer Beziehung. Thatsache ist es, dass in allen Räumen und
Wohnungen, in welchen die Luft stagnirt, ein Ozonmangel eintritt und hiermit
die Gesuudheitsverhaltnis.se nachtheilig berührt werden. Ebenso ist der Ozon-
gehalt überall da, wo übelriechende Gase und Dämpfe vorwalten, ein geringer,
weil unter solchen Verhältnissen viele oxydable Substanzen in die Atmosphäre
übergeben, welche das Ozon attaqniren und zerstören. Der schädliche Einfiuss
der stinkenden Effluvien auf die Gesundheit der Menschen wird vorzugsweise
auf diesen Umstand zurückzuführen sein, weshalb alle Stinkstoffe aus der Jsähe
der menschlichen Wohnungen zu entfernen sind, um die Eiuwirkung einer frischen
und belebenden Luft zu ermöglichen. Wenn es auch noch nicht möglich ist, den
Ozongehalt der Luft beliebig zu vermehren, so stehen uns doch viele Mittel zu
Gebote, um die Hindernisse hinwegzuräumen, welche der Entwicklung und Ein-
wirkung des Ozons hemmend entgegentreten. In den Wohnungen und namentlich
in Räumen für Kranke ist es die Reinlichkeit im Allgemeinen und die Erneue-
rung der Luft durch eine zweckmässige Luftströmung, wodurch das Stagniren
der Atmosphäre verhütet und die Entwicklung von Ozon befördert wird.
Das Oeffnen der Fenster reicht aber nicht immer aus; es müssen häufig Thüren
und Fenster geöffnet werden, um die Luftbewegung zu bewirken. Die Aengst-
lichkeit, wromit jeder geringste Luftzug als eine Schädlichkeit betrachtet wird, ist
in den wenigsten Fällen begründet. Die Engländer liefern den Beweis, wie auch
in dieser Beziehung die Macht der Gewohnheit eine grosse Rolle spielt, wie Ge-
sunde und Kranke gleich grosse Vortheile aus der Einwirkung der frischen Luft
ziehen, wenn auch zugegeben werden niuss, dass das eine Hautorgan im Ertragen
der Luftströmungen unempfindlicher ist als das andere und Rücksichten auf die
Individualität oft geboten sind.32)
Von grosser Bedeutung ist die Thatsache, dass eine starke Verdunstung
eine Elektricitätsentwicklung zur Folge hat und die Luft elektrisirt; sie wird
hierdurch auf secundärem Wege ozonisirt. Ein Verdunsten des Wassers durch
die Ofenwärme während des Winters und eiu tägliches Reinigen des Fussbodens
mittels nasser Tücher während des Sommers führt stets eine Erfrischung der Luft
herbei. Geölte Fussböden sind deshalb für alle Wohnräume von grösstem
Vortheil, um das Abwaschen derselben täglich vornehmen zu können, ohne dass
man ein lästiges Feuchtbleiben dabei zu befürchten hat. Stinkende Aborte inner-
halb der Wohnungen sind immer als die grössten Feinde des Ozons zu fürchten.
Das Verdampfen aromatischer Substanzen hat hinsichtlich der Ozon-
entwicklung dieselbe Bedeutung wie das Verdampfen des Wassers; die früher viel
benutzteu Wachholderräucherungen gehören in diese Kategorie. Haller
hat im allgemeinen Krankenhause zu Wien nachgewiesen, dass Ozonpapiere,
welche 12 — 24 Stunden oberhalb der Oeffnung einer irdenen glasirten Spuck-
schale, in welcher auf ein Schwämmchen getropftes Oleum Juniperi verdampfte,
an den Rändern deutliche Ozonspureu zeigten.
Hierher gehört auch die Verdampfung von Terpentinöl, welche in zweck-
mässiger Weise vorgenommen namentlich bei Infectionskrankheiten ihre grosse
Bedentuug hat, wenn die Umstände Luftströmungen verbieten.
Sauerstoff. 97
Die Chlorkupferlampe würde denselben Zweck erreichen, wenn hier
nicht die ansehnliche Entwicklung von Salzsäuren Dämpfen nachtheilig einwir-
ken könnte. Räucherungen mit Essig, das Aufhängen von mit Essig oder mit
Chlorkalklösung und Essigsäure durchtränkten Tüchern sind von demselben
Gesichtspuncte aus zu betrachten; im letztern Falle bildet sich Chloressig-
säure, welche keinen unangenehmen Geruch hat und daher die belästigenden
Chlorräueherungen ersetzen kann.
Mit Unrecht ist auch das Döbereiner'sche Essiglämpchen in Ver-
gessenheit gerathen, welches für einzelne Krankenstuben sehr gute Dienste leistet
und auf der Thatsache beruht, dass, wenn Platinmohr oder Platinschwramm mit
Alkohol befeuchtet wird, sich letzterer oxydirt und Aldehyd neben Essigsäure,
Essigsäureäthyläther und Wasser entsteht. Bei diesem Processe wird so viel
Wärme frei, dass der Platinschwamm in's Glühen kommt, wodurch die Ver-
dunstung ununterbrochen vor sich geht.
Eine sehr zweckmässige Modification dieser Einrichtung ist folgende, welche
die wärmste Empfehlung verdient : Man überzieht eine Glaskugel von 1 Zoll
Durchmesser mit Platinmohr und bringt sie auf einen fingerdicken Docht, welcher
in einer oben sich trichterförmig erweiternden Glasröhre angebracht wird; letz-
tere wird in ein entsprechendes mit Alkohol angefülltes Glas eingesetzt. Die
Kugel muss oben eine hohle Spitze haben, welche abgeschnitten wird, damit der
während der Erhitzung in der Kugel sich ausdehnendeu Luft durch diese Oeff-
nung ein Ausgang verschafft wird. (S. Fig. 5.)
Fig. 5. So vorgerichtet kann die Kugel von selbst in's Glühen
gerathen, wenn die Platinmohrschicht ziemlich stark und
der Alkohol wasserfrei ist; da aber Letzteres selten der
Fall ist, so zündet man die Dochtspitzen an und löscht
sie nach kurzer Zeit wieder aus, wodurch alsdann das
erhitzte Platinmohr in ein vollständiges Glühen geräth.
Setzt man dem Alkohol noch ätherische Oele hinzu, so
kann man sich gleichzeitig den Genuss des Wohlgeruches
dieser Oeldämpfe verschaffen.*)
Die meisten aromatischen Substanzen können als
Ozon träger betrachtet werden. Der Gebrauch der Par-
füms dürfte daher nicht bloss einen ästhetischen, sondern
auch einen sanitären Zweck haben, ist somit für Alle zu
empfehlen, welche viel mit Kranken in Berührung kom-
men. Acetum aromaticum, Vinaigre des quatres voleurs heisst nicht mit Unrecht
auch Pestessig, weil er eben als Aromaticum Schutz gegen Ansteckung gewählt.
Bei den Vorgängen in der Natur sind es ganz besonders die durch die
Winde bewirkten Luftströmungen, welche die schädlichen Gase und Dämpfe
vernichten und die Entwicklung von Ozon befördern; von derselben Bedeutung
sind die Gewitter, welche mit ihren elektrischen Entladungen den atmospliä-
rischen Sauerstoff wieder neu beleben. Inwiefern ein grösserer oder geringerer
Ozongehalt in der Luft auf die Entstehung von Krankheiten influirt, ist noch
nicht mit Bestimmtheit ermittelt worden. Es ist nur wahrscheinlich, dass ein
• *) Die Verbindung von gleichen Theilen Ol. Ligni Jump., Acid. acet. mit 2 Th.
Aether ist sowohl für diesen Zweck, als auch zum einfachen Verdunstenlassen in Kranken-
häusern sehr empfehlenswerth.
Eulenberg, Gewerbe-Hygiene. 7
Cjg Sauerstoff.
relativ stärkerer Ozongehalt auf die Entstehung von Influenza und katarrhalischen
Erscheinungen begünstigend einwirkt, während umgekehrt ein Fehlen von Ozon-
gehalt jedenfalls um so nachtheiliger einwirken muss, wenn putride Effluvien die
Luft dieses Körpers beraubt haben. Schlachtfelder, auf denen die Leichen nicht
tief genug beerdigt worden sind oder Massen von Thiercadavern offen dem
Fäulnissprocesse unterliegen, können auf diese Weise epidemische Krankheits-
processe erzeugeu.
Sumpfgegenden sind uicht wegen des fehlenden Ozongehaltes für die
jheu schädlich; eiuzelne Autoren wollen sogar dort einen relativ vermehrten
Ozongehalt nachgewiesen haben. (Man vergl. Sumpf.) Auf dem Marschboden
sind es stets die Zersetzungen organischer Substanzen, welche um so verderb-
licher einwirken, je mehr durch Bauten etc. der Boden aufgewühlt wird und der
putride Process an der Luft seinen Abschluss findet. Si)
Fast alle Beobachtungen stimmen darin überein, dass in grossen Städten
die Ozonbeobachtungen ein sehr verschiedenes Resultat haben und häufig ganz
locale Ursachen auf den Ozougehalt der Luft influiren; auch hier sind es
meistens die stiukenden organischen Effluvien, welche die belebende Einwirkung
des Ozons unmöglich machen.
Die Entfernung aller Stinkstoffe, eine zweckmässige Anlage der Strassen,
nicht zu hohe Häuser in engen Strassen, hinreichende Hofräume und eine ge-
ordnete Beseitigung der Abfallstoffe gehören zu den ersten und hauptsächlichsten
Forderungen, welche man an die Hygiene der Städte stellen muss; auch hier ist
es die Reinlichkeit, welche die Basis aller Bestrebungen sein muss. Eine sorg-
fältige Reinigung und häufige Besprengung der Strassen während des Sommers
bedingt aus den oben angeführten Gründen eine Erfrischung der Luft, welche
stets durch das Zusammenwohnen vieler Menschen geboten wird. Nicht häufig
genug kann man darauf aufmerksam machen, dass grade das Besprengen mit
Wasser nicht allein die Entfernung des höchst lästigen und für die Respirations-
organe schädlichen S taubes, sondern ganz vorzugsweise die Ozonisirung der
Luft um so sicherer bewirkt, je mehr die Verdunstung durch Luftbewegung
gefördert wird.
Ozon in der Industrie.
AVas zunächst die Darstellung von Ozon im Grossen betrifft, so hat
zuerst Loew in den Vereinigten Staaten ein Verfahren angegeben, welches auf
der Thatsache beruht, dass, wenn Luft durch eine Flamme geblasen wird, sie
sich zum Theil in Ozon verwandelt. Der betreffende Apparat besteht in einer
Anzahl Bunsenscher Brenner; durch Röhren, welche in einer gewissen Ent-
fernung horizontal über den Brennern angebracht sind, wird kalte Luft gegen die
Flamme geblasen. Den Röhren gegenüber ist eine Anzahl von Trichtern ange-
bracht, um das sich auhäufende Ozon zu sammeln.
Ein ähnliches Verfahren ist neuerdings in England patentirt worden, um
das so erhaltene Ozon mit ausfliessendem Alkohol in Berührung zu bringen und
dadurch aas Alkohol direct Essigsäure zu bilden. Dass bei der Rasenbleiche
auch Ozon eine Holle spielt, ist unzweifelhaft; bei der Elfenbeinbleiche lässt
man Elfenbein wochenlang in Photogen oder andern verwandten Oelen liegen, um
es alsdann starkem Sonnenlicht und der Luft auszusetzen. w7obei letztere ozonisirt
wird und bleichend einwirkt.
Wasser. 99
Für die Darstelluug von Ozon im Kleinen bleibt die geräuschlose Entladung
in mit Sauerstoff gefüllten Inductionsröbren mittels des Ruh mkorff 'sehen Appa-
rates das beste Verfahren; die Siemens'schen luductionsröhren haben sich hierbei
sehr gut bewährt.3*)
Sauerstoff und Wasserstoff.
1) Wasser (H20).
Wasser stellt eine farblose klare Flüssigkeit dar, welche geruch- und ge-
schmacklos ist, bei 4-4° ihre grösste Dichtigkeit hat und bei — 0U krystallisirt,
d. h. sich in Eis verwandelt. Bei 760 Mm. B. liegt der Siedepunct des Wassers
bei 100° C; es verdunstet bei allen Temperaturgraden, reagirt neutral und
geht mit vielen Körpern, sowohl einfachen als zusammengesetzten, Verbindungen
ein, welche man Hydrate nennt. Es ist unentbehrlich für das Thier- und
Pflanzenleben und ein nie fehlender Bestandteil unserer Atmosphäre.
Der eigentliche Wasser dampf ist bei einer Temperatur von 100° C. völlig farb-
los, gasförmig und unsichtbar; entzieht ihm die Umgebung Wärme, so verwandelt er
sich in einen weissen Nebel und bildet kleine Luftbläschen, welche mit einer Wasser-
hülle umgeben sind (Nebelbläschen). Findet die Abkühlung noch weiter statt, wird also
die Luft in den Bläschen noch mehr zusammengezogen, so berühren sich schliesslich die
Umhüllungswandungen, wodurch alsdann ein Tröpfchen gebildet wird.
Auf der Möglichkeit, die Dämpfe zu verdichten, beruht der Hauptunterschied
zwischen diesen und den permanenten Gasen, welche luftförmig bleiben. Neuerdings
sind jedoch viele gasförmige Körper, welche bisher nur als solche bekannt waren.
als Dämpfe von Flüssigkeiten erkannt worden, deren Siedepuncte weit unter dem Ge-
frierpunet des Wassers liegen. Es gehört aber ein hoher Grad von Druck oder eine
bedeutende Temperaturerniedrigung dazu, um solche gasförmigen Körper flüssig oder
fest zu machen; mit Aufhebung dieser Agentien nehmen sie rasch wieder ihren früheren
Aggregatzustand an.
Eigentlich ist der Stickstoff das einzige Gas, welches man nach dem jetzigen
Stande der Wissenschaft für permanent erklären muss, da für den Sauerstoff und
Wasserstoff insofern eine Ausnahme anzunehmen ist, als man ersterem im Platinmohr
und Platinschwarz und letzterem im Wasserstoff-Palladium einen festen oder auch einen
flüssigen Aggregatzustand zuschreiben muss.
Der Wasserdampf ist für die Industrie von der grössten Wichtigkeit, da er
Wärme nnd Kraft repräsentirt; die Wärme desselben gebraucht man zum Kochen,
Trocknen und Heizen, während die Benutzung der Spannkraft der Wasserdämpfe als
bewegende Kraft die grossartigste Umwälzung in der Industrie hervorgerufen hat.
Das kochende Wasser erzeugt durch die ganze Masse der Flüssigkeit Dampfbläs-
chen. Mit der Abnahme des Druckes resp. Luftdruckes nimmt auch der Siedepunct
des Wassers ab, so dass dieser bei verschiedenen Barometerständen .an verschiedenen
Höhepuncten ein verschiedener ist, weshalb auch umgekehrt der Siedepunct massgebend
ist für die Elevation eines Ortes über der Meeresfläche.
Durch künstliche Erniedrigung des Luftdruckes beschleunigt man in der
Technik häufig das Verdampfen des Wassers, namentlich beim Abdampfen von
Flüssigkeiten, wobei die zu gewinnende Substanz, einer erhöhten Temperatur ausgesetzt,
eine Zersetzung erleiden würde Um nun den Luftdruck zu vermindern, evaeuirt man ent-
weder mittels der Luftpumpe oder durch Verdichtung des sich entwickelnden Wasser-
dampfes mittels Abkühlung. Hierauf beruht die Construction der Vacuumpfannen
in der Zuckersiederei : da man den Zuckersaft nur bis 65 — 70° erhitzen darf, so ver-
dünnt man die Luft über dem Flüssigkeitsspiegel und vermindert hiermit den auf der
Flüssigkeit lastenden Druck. Dasselbe Verfahren hat man auch bei der Leim sie der ei
und Gelatinebereitung eingeführt.
Durch die Verstärkung des Luftdruckes auf die Oberfläche des Wassers
kann umgekehrt der Siedepunct beliebig erhöht werden; im bekannten Papini sehen
Topfe kann das Wasser bis zu 265° erhitzt werden und, wenn die Gefässe den Druck
aushalten können, noch höher. Man wendet ein solches unter hohem Druck über seinen
gewöhnlichen Siedepunct erhitztes Wasser zum Auflösen und Ausziehen verschie-
dener Substanzen in der Leimsiederei, Färberei, bei der Petroleumrecti-
fication mit gleichzeitiger Zerstörung des Paraffins, bei der Trennung der fetten
Säuren vom Glycerin, zur Darstellung des Stearins, des Wasserglases u. s. w.
7*
100 Sauerstoff und Wasserstoff.
an, indem ausser dem Wasser auch die gespannten Dumpfe mehr disponirt sind. Zer-
setzungen einzuleiten and Verbindungen zu befördern.
Ueberhitzte Wasserdämpie stellt mau durch Leiten von Dampfen durch ein
stark erhitztes Röhrensystem bei gewöhnlichem atmosphärischem Drucke dar: man ge-
braucht sie beim Verkohlungsprocesse der Schiesspulverkohle, heim Gyps-
brennen, bei der Destillation des Stearins, Harzes u. s. w.
Die Spannkraft des Wasserdampfes nimmt bekanntlich mit der Wärmezufuhr zu,
wenn der Kaum, in welchem er sich befindet, unverändert bleibt, d h. die Erwärmung
in einem geschlossenen Gefässe stattfindet.
Der Wasserdampf kommt iu neuerer Zeit häufig als Heizungsmate-
rial zur Anwendung, indem er seine Wärme an die Wandungen der metalleneu
Rühren, welche er durchläuft, unter Condensation abgibt. Die Dampfheizung
eignet sich am besten für grosse Fabrikanlagen, da die "Wärme ohue nenneus-
werthen Verlust auf bedeutende Entfernungen übertragen werden kann; selbst bei
ungünstigen Verhältnissen, z. B. bei hohen Fenstern und dünnen Wänden, vermag
man hohe Temperaturgiade zu erzielen. Dagegen ist die Anlage kostspielig und
meistens uur da auszuführen, wo man über eine Dampfmaschine resp. bereits vor-
handenen Wasserdampf gebieten kann. Auch die Entfernung des Condeusa-
tionswassers ist oft mit Schwierigkeit zu bewirken; ebenso ist ein störendes
Geräusch in den Röhren besonders beim Anlassen und Abkühlen der Heizung
nicht zu vermeiden.
Am vortheilhaftesten ist die Dampfhe izung in Fabriken, welche Hochdruck-
maschinen benutzen, wobei der abgeblasene Dampf zur Verwendung kommen kann.
Als Centralheizung für Schulen, Kirchen und grosse Räume überhaupt und selbst in
neuester Zeit auch vielfaltig für Privathäuser eignet sich ganz vorzüglich die Warm-
wasserheizung.
Man unterscheidet Wasserheizungen mit Hoch-, Mittel- und Niederdruck;
erstere werden auch als Heisswasse r heiz ungen, die beiden letzteren als Warm-
wasserheizungen unterschieden.
Bei den Hochdruckheizungen wird das Wasser bis zu 170° C. erhitzt, wozu
man nach Perkins ein Röhrensystem benutzt, dessen sechster Theil in Form einer
Spirale aufgewickelt ist und in einem Ofen erhitzt wird. Die Circulationsröhren haben
circa 22 Mm. inneren und 33 Mm. äusseren Dmchmesser und sind aus Schmiedeeisen
geschweisst; die Verbindung der einzelnen Röhren geschieht durch Verschraubung
mittels Muffen mit Rechts- und Links Gewinden, während die Verzweigung durch beson-
dere T- und Kreuzstücke bewirkt wird. Die Röhren vermögen im kalten Zustande etwa
200 Atmosphären Druck auszuhalten, die Festigkeit nimmt aber in der Spirale mit der
Zeit bedeutend ab, da hier die Röhre von aussen stets rothglühend wird. Das ganze
System ist mit Wasser gefüllt und am höchsten Puncte mit einem Expansionsgefässe
versehen. Dies besteht in einem Wasserkasten, in welchen ein vom obersten Puncte
der Leitung abgehendes Rohr einmündet; dies ist jedoch durch ein Ventil geschlossen,
und nur wenn der Druck durch Expansion des eingeschlossenen Wassers über die zu-
lässige Höhe steigt, wird das Ventil gehoben und es tritt Wasser in den Kasten ein,
bis der Druck so weit nachgelassen hat, dass das Ventilgewicht das Ventil wieder
schliesst, was sofort geschieht, wenn der normale Druck wieder erreicht ist. Nimmt
aber alsdann der Druck noch mehr ab, was beim Erkalten des ganzen Systems stets
stattfindet, so tliesst durch ein zweites nach innen sich öffnendes Ventil wieder Wasser
in das System hinein, bis der normale Druck aufs Neue erreicht ist.
Die Circulationsröhren werden theils am Boden in mit Gittern überdeckten
Rinnen, theils hinter den Fussleisten, theils in Form von Spiralen in sogenannten
Oefen gelegt.
Das ganze System enthält verhältnissmässig wenig Wasser und ist deshalb rasch
anzuheizen, kühlt sich aber auch eben so rasch wieder ab; es ist nur vortheilhaft für
grössere Locale, wo es auf eine rasche Erwärmung ankommt, zeichnet sich durch Ein-
lachheit, sowie Billigkeit im Betriebe und in der Anlage aus und lässt sich auch in
alten Gebäuden einrichten.
\\\\\ man gleichzeitig Ventilation bezwecken, so reicht ohne complicirte Vor-
richtungen dieses System nicht aus; auch hat es den Nachtheil, da s es wegen der
raschen Alikühlung eine anhaltende Heizung erforderlich macht, die Gefahr des Ein-
frierens nahe liegt und in staubigen Localen leicht durch ein Versengen der Staubtheil-
chen ein unangenehmer Geruch entsteht. Die Röhren können ausserdem leicht platzen,
Wasserheizung. 101
da sich das Expansionsventil unter Umständen festsetzen kann, was namentlich bei man-
gelnder Beaufsichtigung leicht eintritt; unangenehm ist ferner die grosse Strahlung in
der Nabe der Heizröhren resp. Oefen.
Bei Mitteldruckheizungen wird das Wasser bis etwa 3—4 Atmosphären
erhitzt, wonach auch die Stärke der Röhren bemessen ist. Auch hier wird das "Wasser
in Röhren, welche im Feuer liegen, erwärmt: die Zahl und der Durchmesser derselben
richten sich nach der Grösse der zu erwärmenden Räume. Der Complex derselben
stellt somit eine Art von Röhren-Dampfkessel dar xxnd tritt an die Stelle des Dampf-
kessels bei der Niederdruckheizung. Das System eignet sich am besten für lang-
gestreckte Gebäude, z. B. Krankenanstalten: die Gefahr des Platzens ist hier auf ein
Minimum reducirt.
Die Niederdruckheizung enthält sehr viel Wasser, welches nicht in den
Röhren selbst, sondern in einem besondern Kessel erwärmt wird, aus diesem an der
höchsten Stelle aus- und an der niedrigsten eintritt. Das Wasser wird nur massig
erhitzt, etwa bis zu 80°, d. h. nie bis zum Kochpunct; es steigt nun entweder direct
bis zum höchsten Puncte des Systems und verzweigt sich von da nach den verschiedenen
Oefen, welche somit im absteigenden Zweige liegen, oder aber es steigt in einem sanft
aufsteigenden Rohre der Decke des Kellers entlang und zertheilt sich nach den ein-
zelnen Oefen, welche alsdann im aufsteigenden Strome liegen.
Dieses System hat zwrei Vortheile: 1) das Hauptrohr liegt an der Decke des
Kellers, also in einer Schicht, welche, wenn sie einmal erwärmt ist, dasselbe nicht ab-
kühlt ; der Wärmeverlust ist also geringer, als wenn das Hauptrohr auf der Diele des
Bodens liegt, wo es stets auf's Neue die kalte Luft erwärmen muss; 2) werden die
Oefen mit heisserem Wasser gespeist, wenn sie ihr Wasser aus dem aufsteigenden
Zweige erhalten
Die Leitungsröhren sind von Guss- oder Schmiedeeisen und haben je nach der
Grösse des Systems am Ausgangspuncte der Leitungen bis 150 Mm. lichten Durch-
messer, welcher von Abzweigung zu Abzweigung sich reducirt, aber im Minimum nicht
unter 20 Mm. beträgt. Die auf dem Boden verlaufenden Röhren können ebenfalls mit
Gusseisengittern bedeckt werden. Das Expansionsgefäss ist mit Filz oder schlechten
Wärmeleitern vor Abkühlung zu schützen und mit einem gut schliessenden eisernen
Deckel zu versehen.
Sobald das Wasser durch seine Ausdehnung in Folge der Erwärmung bis über
die als normaler Wasserstand angenommene Linie steigt, besteht unter andern Einrich-
tungen eine darin, dass das Wasser durch ein Signalrohr nach dem Keller abfliesst. Ist
das Expansionsgefäss bei Beginn der Feuerung leer, so kann keine Wassercirculation
stattfinden ; geräth das Wasser im Kessel und im Steigrohr in's Kochen und steigt der Dampf
alsdann durch das Signalrohr nieder, so ist dies ein Zeichen, dass es an Wasser fehlt
und die Pumpe angesetzt werden muss, welche neben dem Wasserkessel im Keller auf-
gestellt ist und mit dem Rücklaufrohr in Verbindung steht.
Zur Sicherheit gegen mögliche Gefahren muss der Deckel des Expansionsgefässes
nicht darauf befestigt, sondern nur aufgelegt werden.
Der Feuerungskessel besteht häufig aus 2 concentrischen Cylindern, zwischen
denen das Wassei" circulirt, indem es fortwährend durch das Steigrohr fortgeht und
durch die Fallröhren wieder zuüiesst
Am zweckmässigsten bringt man die Kesselanlage in dem mittlem Theile des Sou-
terrains an: Röhrenkessel werden vorzugsweise beim Mitteldrucksystem gewählt.
Es empfiehlt sich, den der Stichflamme ausgesetzten Theil des Kesselmauerwerks aus
besten Chamotte-Steinen herzustellen. Bei rationeller Construction ist auch die Anlage
einer Rauchverbrennung zweckmässig. Was die Rohrleitung betrifft, so verdienen die
Flant seh en röhr en den Vorzug, die Zweigröhren sind aus Schmiedeeisen mit Flantschen
oder aus Kupfer herzustellen.
Die Regulirun gshähn • bestimmen die Circulationsgeschwindigkeit des zu den
verschiedenen Wasseröfen fliessenden Wassers, so dass entweder alles Wasser oder ein
Theil desselben durch letztere geht. Auch kann man bestimmte
Abtheilungen aus der Leitung ausschalten. .
F<g- Ö. Einige Ingenieure verwerfen alle Hähne und ersetzen sie
durch eine Art kleiner Was s er schieb er.
Wasseröfen. Die Höhe derselben variirt nach der Grösse
und Lage der zu heizenden Zimmer; sie sind aus Eisenblech ge-
löthet und werden hauptsächlich nach 2 Systemen gebaut: 1) Man
construirt Cylinder, durch welche der Strom des
Wassers circulirt, während durch mehrere im Innern liegende
2 — üzöllige Röhren (Fig. 6 a), welche die. obere und untere Wand
verbinden, Luft von unten nach oben hindurchstreicht. Die Heiz-
fläche besteht somit aus dem Cylindermantel, der von innen
102
Sauerstoff und Wasserstoff,
erwärmt die Wärme nach aussen abgibt, und aus den Röhren, welche von aussen mit
dem heissen Wasser umspült weiden und die Wärme nach innen abgeben.
2) Es besteht ein System von Rohren, durch welche das Wasser
circulirt und welche die Wärme nach aussen abgeben: dieselben sind oben und unten
durch flache Kasten verbunden. Die Heizfläche besteht aus der Oberfläche der Röhren
und Kasten (Fig. 7). Dies System kommt vorzugs-
Fiat 7. weise zur Anwendung: man kann auch noch Röhren
hindurchziehen, so dass Wärme nach innen abgegeben
wird und Luftcirculation eintritt.
Das erste System ist das älteste und
gebräuchlichste, macht aber viele Reparaturen
erforderlich, da es ausserordentlich viel Lötharbeit
bedingt. Es eignet sich am besten für Kirchen
und grosse Versammlungsorte, um grosse Räume
bei hohen Kältegraden rasch zu erwärmen.
Das zweite System ist in dieser Beziehung-
wesentlich besser und auch überhaupt mehr im
Gebrauch.
Die Warmwasserheizung hat im Allge-
meinen den Vortheil einer angenehmen und erquickenden Erwärmung, einer
leichten Verbindung mit Ventilation, einer raschen Regulirung der Wärme, welche
bei Heisswasserheizung fast unmöglich ist, und massiger Betriebskosten. Das
grosse Wärmereservationsvermögen des "Wassers bedingt nahezu constante Wärme-
abgabe noch lange nach Schluss der Feuerung; die Wärme ist wegen der geringen
Strahlung eine sehr wohlthuende.
Ihr Nachtheil besteht in den bedeuternden Anlagekosten; auch erfordert
die Bedienung Sorgfalt und namentlich Sachkenntniss, da ohne diese Reparaturen
nicht zu umgehen sind.
In Berlin hat sich die Warmwasserheizung für Verwaltungsgebäude und
mehrere Schulen sehr gut bewährt. Die Möglichkeit, Wasser auch horizontal
leicht zu leiten, spricht namentlich für die nützliche Verwendung desselben in
Gebäuden mit langgedehutem Grundriss. Die Warmwasserheizung hat auch noch
den grossen Vortheil, dass man die Heizkörper direct an und unter die
abkühlenden Fenster placiren und durch ihre Strahlun-g das Gefühl
der Kühlung fast ganz compensiren kann; dabei bewirkt sie eine gleich-
massigere Vertheilung der W7ärme, vermeidet Schmutz, Staub und bei Schulen
namentlich die Störung des Unterrichts.1)
Combinirte Luft- und Wasserheizung. Erst in der neuesten Zeit hat
man dieses System, welches ein gutes Resultat verspricht, eingeführt. Der
Wasserheizapparat resp. Kessel ist im Souterrain aufgestellt. Die Heizkörper
(Schlangen oder Register) stehen auf dem Grunde eines senkrechten Canals,
welcher zu dem zu heizenden Räume führt, so dass für jeden Raum ein beson-
derer Canal und besondere Heizkörper construirt werden; der Heizapparat resp.
Dampfkessel versieht die Heizkörper mit heissem Wasser. Der Vortheil besteht
darin, dass man nur senkrechte Canäle anlegt, so dass die durch das heisse
Wasser erwärmte Luft sich schnell und ohne alle Reibung in die verschiedenen
Räume erhebt (conf. Luftheizung).
Diese Einrichtung eignet sich auch ganz vorzüglich dazu, um die frische
Luft, welche den Sälen der grösseren Krankenhäuser zuzuführen ist, zu erwär-
men. Ein Canal, welcher vom Luftschacht ausgeht, führt die frische Luft, wie
Die Wandlung des Wassers. 103
es im hiesigen Krankenhause am Friedrichshain der Fall ist. einem im Souterrain
gelegenen Räume zu, in welchem die Heizkörper aufgestellt sind. Dieser Raum
hat im Fussbodeu des Saales eine quadratische Oeffhung. welche seitlich noch
mit Heizkörpern und einem Gitterwerk für die ausströmende erwärmte Luft bis
zu einer gewissen Höhe (1 — l1 2 Meter) umgeben ist. Das Ganze wird oben mit
einer entsprechenden Platte versehen, um eine gefällige Form herzustellen.
Der grosse Vortheil besteht darin, dass die einströmende Luft niemals über-
hitzt werden kann uud daher ihre belebende Einwirkung nicht einbüsst; nach
der Grösse des Saales bringt man eine oder zwei solcher Vorrichtungen an.
Die Wanderung und Wandlung des Wassers.
Die tausendfältigen Wanderungen und Wandlungen des Wassers im grossen
Haushalte der Natur sind die Ursachen der gewaltigsten Phänomene in der-
selben; sie bieten dem Forscher unstreitig das grösste Interesse dar. Die Ver-
dampfung des Wassers bei allen Temperaturen über und unter 0° ist die Ursache
eines beständigen Wassergehaltes unserer Atmosphäre. Die Meere, Flüsse,
Seen, alle Gewässer, die feuchte Erdoberfläche u. s. w. sind in beständiger Ver-
dunstung begriffen. Ebenso trägt das Pflanzen- und Thierlebeu durch ununter-
brochene Wasserverdunstung nicht minder zu dem ständigen, wenn auch wechseln-
den Wassergehalt unserer Atmosphäre bei.
Da bei gesteigerter Temperatur die Wasserverdunstung zunimmt, so ist es
leicht erklärlich, dass der Wassergehalt unserer Atmosphäre bedeutenden Schwan-
kungen ausgesetzt sein muss und dass je nach den Jahres- und Tageszeiten der
Wassergehalt wechseln wird.
Die Wasserverdunstung gehört zu den grossartigsten Processen in der Natur;
sie repräsentirt im Pflanzen- und Thierleben eine mächtige Kraft, welche die
Säftebewegung hauptsächlich bedingt und die Ernährung befördert. Andererseits
wird das Wasser bei Temperaturabnahme aus der Luft ausgeschieden und kommt
in Form von Regen, Thau oder Schnee wieder zur Erde zurück und bildet die
Quellen, welche zu Bächen, Flüssen oder Strömen anwachsen, um im Ocean ver-
einigt der Verdunstung wiederum ein unerschöpfliches Material zu liefern.
Es ist eine bekannte Thatsache. dass die Reichhalti°-keit der Quellen mit der
Regenmenge in einem bestimmten Verhältnisse steht, weshalb die Gebirge die meisten
Quellen liefern, weil es hier häufiger regnet und das zu Boden gefallene Regenwasser
wegen der niedern Temperatur nicht rasch verdunstet, namentlich wenn eine schützende
Walddecke hinzukommt.
Auf dem unterirdischen Wege, welchen das Wasser macht, kommt es mit ver-
schiedenen Bodenbestandtheilen in Berührung: es nimmt einen Theil derselben auf
und verändert hiernach seine Bestandtheile. Schon Plinius sagt: Tales sunt aquae,
qualis est terra, per quam fluunt.
Eine Hauptbedingung zur Auflösung der mineralischen Bestandtheile ist der Kohlen-
säuregehalt des Wassers: dieser Vorgang wird durch hydrostatischen Druck und
eine geeignete Temperatur begünstigt.
In angebauten Ebenen, namentlich wenn das Terrain aus Sand und Geröll besteht,
können nur zufällig vorhandene, tiefer liegende Thonschichten das zu rasche und tiefe
Eindringen des Regenwassers verhindern. Durch die Wälder wird dasselbe in seinem
Abfluss aufgehalten und in seiner Verdunstung beschränkt: die schonungslose
Fällung der Wälder wird daher mit der Zeit nicht bloss Mangel an Brenn-
stoff, sondern auch an Wasser und folglich ein Verkümmern der übrigen
"Vegetation bedingen und den allgemeinen Wohlstand des Landes ge-
fährden.
Für die Vegetation ist das Wasser von der allergrössten Wichtigkeit, da durch
ein Verdunsten desselben, wie schon erwähnt worden, hauptsächlich die Saftbewegung
in den Pflanzen veranlasst wird. Die Blätter nehmen theils die gasförmigen Körper
104 Sauerstoff und Wasserstoff.
auf und übernehmen die Verdunstung des Wassers, während die Wurzeln zur Auf-
nahme des Wassers und der in demselben enthaltenen mineralischen Nahrungsmittel
neben aufgelösten Gasen dienen. Je kräftiger nun dir» Verdunstung ist, desto schneller
findet einsteigen der Säfte von Asl zu Ast stall und desto rascher nehmen die Wurzeln
Wasser auf, wenn es reichlich dargeboten wird
Wirkt abwechselnd grosse Nässe und Kälte, besonders nach grosser Hitze, auf die
Pflanzen ein, so leiden sie durch die mit Wasserdampf gesättigte Atmosphäre; denn die
Pflanzen sind nicht befähigt, ihre Verdunstung regelnnissig fortzusetzen. Das Wasser
wird zwar durch Endosmose von ihnen aufgenommen, aber in Folge der unterdrückten
Verdunstung kann es nicht mehr der Zufuhr entsprechend austreten, so dass häufig ein
Zersprengen der Gefässe im Innern der Pflanzen eintritt und hierdurch auch zuletzt
Absterben durch Fäulniss bedingt wird.
Hierauf beruht hauptsächlich die Kartoffelkrankheit, die Hopfenkrank-
heit, das Bersten und Aufspringen der Weintrauben, wenn plötzlich ein an-
hallender Regen eintritt.
Ist im Sommer die Verdunstung durch die Blätter stärker als die Aufnahme des
Wassers durch die Wurzeln, so kränkeln die Pflanzen wegen zu geringer Wasserzufuhr,
bringen aber häufig durch Blätterabwurf die Verdunstung mit der Aufnahme in's Gleich-
gewicht.
Nach Liebig besitzt die Ackerkrume ein grosses Vermögen, der feuchten Luft
den Wasserdampf zu entziehen und in ihren Poren zu verdichten: mai kann behaup-
ten, dass sie in dieser Beziehung allen porösen Körpern und sogar der Schwefelsäure
fleichstehl Nur aus dieser Absorptionskraft der Ackerkrume für das Wasser ist der
Imstand zu erklären, dass den Pflanzen auch während eines trocknen Sommers oder in
den Tropen hinreichendes Wasser geboten wird, weil während der Nacht die atmosphä-
rische Feuchtigkeit energisch vom Boden absorbirt wird.
Der Wassergehalt des Bodens ist somit ein nothwendiges Erforderniss für das
Gedeihen der Pflanzenwelt. Das Wasser vermittelt aber nicht allein die Bewegung des
Saftes, den Üebergang der mineralischen Bestandteile des Bodens durch die Wurzeln
in die Pflanzen, sondern bildet auch selbst ein unentbehrliches Ernährungselement für
dieselben.
Es ist unzweifelhaft, dass das Wasser mit der Bildung und dem Bestehen aller
organisirten Gebilde auf der Erde im Zusammenhange steht; sogar die meisten Mine-
ralien enthalten das Wasser theils chemisch gebunden, theils mechanisch beigemengt.
Bei den Pflanzen waltet das Wasser vor den festen Theilen vor und zwar in
verschiedenen Verhältnissen nach der Natur derselben Alle Nahrungsmittel und nament-
lich die Obstarten sind sehr wasserreich: Aepfel und Birnen enthalten z. B 80°/0, Möhren
6G%. Kartoffeln 69—75%, Getreide 17%, Erbsen 15%, Pflaumen und Spargel 96—
98% Wasser.
Den Wassergehalt der thierischen Körper schätzt mau im Allgemeinen auf
mehr als dreiviertel des ganzen Gewichts; das Wasser findet sich fast in allen Theilen
des thierischen Körpers und namentlich in den flüssigen Gebilden.
Die starren Theile, wie die Knochen und Zähne, sind wasserärmer. Das Männer-
blut enthält 73 — 80%, das Frauenblut 75 84%, das Gehirn 73-80%, das Muskel-
fleisch 77,17%, die Bänder enthalten 77%, die Leber 68%, die Sehnen 50% und die
Schienbeinknochen 46% Wasser.
Ein solcher Procentgehalt ist natürlich sehr verschieden, da auch im Thierkörper
das Wasser mannigfaltige Wandlungen durchläuft, in denen es mehr oder weniger frei wird
und durch Haut und Lunge nach den individuellen Verhältnissen, sowie nach der Tempe-
ratur der Atmosphäre flüssig oder dampfförmig wieder ausgeschieden wird.
Bezüglich der Art und Weise, wie die verschiedenen Körper das Wasser
aufgenommen haben und der Form, in welcher es von der Substanz fest-
gehalten wird, unterscheidet man:
1. Das hygroskopische Wasser, welches aus der Luft aufgenommen wird
und grösstenteils auf der Porosität der Körper resp. Flächenanziehung beruht,
2. Das Krystallisationswasser, ein locker gebundenes Wasser, welches
nicht aus der Substanz ausgeschieden werden kann, ohne ein gänzliches Zer-
fallen des Körpers zu veranlassen, wie es bei vielen Salzen der Fall ist.
3. Das Alkajest-Wasser, d. h. dasjenige Wasser, welches als allgemeines
Auflösungsmittel im Blute, in der Lymphe, im Speichel und in den übrigen
thierischen Flüssigkeiten, sowie im Safte der Pflanzen vorkommt.
Verschiedene Arten von Wässern. 105
Es gibt auch Körper, welche als Wasserverbindungen angenommen werden,
wobei man sich die Elemente des Wassers in der Substanz als fest verbun-
den denkt, z. B. bei den Kohlehydraten (Zucker, Stärkemehl). Wird die Ver-
bindung durch irgend einen Einfluss, wie durch Wärme, veranlasst, Wasser
abzugeben, so zerfällt auch hier die Verbindung auf Kosten der Wasserbilduug;
letztere Form des Austritts kommt bei den vitalen Processen des Thierkörpers
häufig vor.
Aus allen diesen Thatsacheu geht zur Genüge hervor, wie unentbehrlich
das Wasser für alles Geschaffene und namentlich für die lebendigen Organismen
ist; neben dem Sauerstoff spielt es die allerwichtigste Rolle im
grossen und bewunderungswürdigen Haushalte der Natur. Schon Hip-
pocrates hat in seinem berühmten ßuche: Fiept <yipa>v, üSarwv, tottwv, dieses wich-
tigste Lebensbedürfniss gewürdigt und seinen mächtigen Einfluss auf Gesundheit
und Krankheit hervorgehoben.
In Betreff der Einwirkung unreineu Wassers auf den Pflanzen- und Thier-
Organismus sei nur im Allgemeinen bemerkt, dass erstere keine alkalischeu,
sondern viel eher saure Wässer vertragen, wohingegen Thiere leichter durch den
anhaltenden Genuss von sauren Wässern afficirt weYden.
Zu den Hauptaufgaben der öffentlichen Gesundheitspflege gehört die Sorge
für ein gutes und die physiologischen Functionen des Organimus beförderndes
Wasser.
Die verschiedenen Arten von Wässern und ihre Zusammensetzung.
Das reinste Wasser ist gewöhnlich das Regenwasser; es enthält wie
das Gletschereis die Bestandtheile der atmosphärischen Luft. In der Nähe des
Meeres findet sich bisweilen Chlorwasserstoffsäure und nach Gewittern
freie und gebundene Salpetersäure in demselben vor; Ammoniak ist
gewöhnlich an Salpetersäure oder Kohlensäure gebunden. Im Sommer ist der
Salpetersäuregehalt und im Winter der Ainmoniakgehalt bedeutender; Spuren
von Kali, Natron, Kalk, Magnesia und Eisensalzen rühren mehr von zufälligen
Verunreinigungen durch Staub etc. her. So ist es auch in sanitärer Beziehung
sehr wichtig, dass man nicht selten Blei und Zink, welches von den betref-
fenden Dachrinnen herrührt, im Regenwasser antrifft.
Die schweflige Säure, welche als Verbrennungsproduct in der Atmosphäre
vorkommt, wird ebenfalls vom Regen wasser aufgenommen, fällt mit dem Regen
nieder, greift nicht selten da, wo sie sehr reichlich vorkommt, die Bedachung an,
bedingt eine erhebliche Vermehrung der aufgelösten Metalloxyde und verleiht da-
durch dem Regenwasser nachtheilige Eigenschaften. In gleicher Weise wirkt die
Nachbarschaft einer Essigfabrik, deren Exhalationen die Lösung der Metalle
bedingen und deshalb sehr unangenehme Folgen haben können.
Alles Wasser enthält Gase resp. atmosphärische Luft; in derselben ist der
Sauerstoffgehalt höher als in der Atmosphäre. Schneewasser ist das
sauerstoffreichste und bezüglich seiner Reinheit dem Regenwasser am ähnlichsten.
Aehnlich verhält es sich mit dem Eiswasser; man hat daher den Vorschlag
gemacht, schlechtes Wasser durch Gefrierenlassen zu verbessern; eine Methode,
welche jedenfalls nicht ausreichend ist
Quell- und Flusswasser enthält häufig Vs Sauerstoff auf % Stickstoff;
dieser höhere Sauerstoffgehalt kommt ganz besonders den Fischen zu Gute.
10(5 Sauerstoff und Wasserstoff.
Kohlensäure kommt als gebundene und freie vor; letztere verschwindet bei
Tempei aturerhöhung und bei Bewegungen des Wassers. Da der Kohlensäure-
gehalt des Wassers die Auflösung des Kalkes bedingt, so ist es erklärlich, dass
durch Entweichen dieses Gases der Kalkgehalt abnehmen muss. Je weiter das
Wasser von der (Quelle sich entfernt, desto mehr fallen deshalb die Kalksalze
nieder, weil eben die Kohlensäure entweicht und dieselben nicht mehr aufgelöst
erhält. Je nachdem das Wasser viel oder wenig Kalksalze enthält, nennt man
es hart oder weich; wegen des geringen Gehaltes an Kalksalzen ist namentlich
das Flusswasser gewöhnlich weicher als das Brunnenwasser.
Das Flusswasser zeichnet sich besonders durch einen geringen Gehalt an
alkalischen Erden und Alkalisalzen resp. an festem Rückstande aus; die festen
Bestandteile sind entweder suspendirt (Schlamm, Trübung) oder gelöst. Erstere
besteheu grösstenteils aus Thousilicaten, letztere aus Kalksalzen und den Salzen
der Alkalien. Da organische stickstoffhaltige Substanzen im Flusswasser in viel
grösseren Mengen als in anderen Wässern vorhanden sind, so fehlen auch die
salpetersauren und Ammoniumsalze selten in ihm.
Die geschlossenen resp stillstehenden Wässer, z. B. Teiche etc. be-
halten, obschon sie durch die Excremente der in ihnen lebenden Thiere verunreinigt
werden, die Reinheit, welche für die Existenz dieser Thiere erforderlich ist: höchst
wahrscheinlich spielen hier der grössere Sauerstoffgehalt des Wassers so wie die Pflanzen-
welt eine grosse Rolle mit.
Das Sumpfwasser enthält neben viel Alkalien und Mangan auch noch eine
erhebliche Menge aufgelöster Kieselsäure, aber weniger kohlensaure Salze; das
Mangan kann man als den Sauerstoffträger, welcher die Verwesung befördert, betrachten.
Im Allgemeinen ist das Sump fwa sser nicht als gesundheitsschädlich zu betrach-
ten, so lange die Vegetation in demselben fortbesteht : wird aber diese durch irgend eine
Ursache unterdrückt oder aufgehoben, so geht der lebendige Sumpf in einen todten
über, welcher alsdann alle Fäulnissproducte, die überhaupt bei faulenden und verwesenden
Pflanzenstoffen auftreten können, liefert. Eigentliche Sümpfe nennt man stehende
Gewässer, welche bloss eine Speisung durch atmosphärisches Wasser, aber keinen Ab-
fluss haben und wobei der Boden ein Einsickern nicht gestattet. Letzteres ist durch
den thonartigen Untergrund bedingt; deshalb finden sich Sümpfe nur in ge-
wissen Gegenden, namentlich da, wo Braunkohlenformationen vorhanden sind, welche das
Vorkommen des blauen Letten als Untergrund bedingen. In Wäldern, wo das Wasser
schwieriger zur Verdunstung kommt, wird die Sumpfbildung begünstigt; bisweilen
sammelt sich das Wasser auch vor Abhängen an und zieht nur zum kleinsten Theil
in die Erde hinein, wodurch alsdann unter begünstigenden Umständen ein Sumpf
entsteht.
Solche stehenden Gewässer geben zu einer üppigen Vegetation verschiedener
Wasserpflanzen Veranlassung: ausser Ledum palustre, Lotus uliginosus sind es beson-
ders die Sphagnum-Arte n, die Torfmoose, welche hier einen günstigen Boden finden.
Sie verursachen durch den jährlichen Abwurf ihrer Wurzel und alten Blatt- und Ranken-
bildung die Entstehung einer holzfaserähnlichen Masse, welche unter Wasser der
weiteren Zersetzung unterliegt und alsdann ihre Mineralsubstanz in löslicher Form dem
Wasser mittheilt: diese dient wiederum zur Ernährung der nächsten Vegetation, wohin-
gegen der eigentliche holzfaserähnliche Theil unter Abgabe von gasförmigen Produc-
ten als humose Substanz ausgeschieden wird und so zur Bildung von Torf Veranlas-
sung gibt. Da letzterer auch noch nach Jahrzehnten einer fortwährenden weiteren Ver-
wesung unterliegt, so wird er immer wasserstoffärmer und kohlenstoffreicher; seine
Structur wird nach und nach eine festere und dadurch zur Benutzung als Brennmate-
rial geeigneter.
Die gasförmigen Producte des verwesenden holzfaserähnlichen Theils liefern
die sogenannten Sumpfgase, welche hauptsächlich aus leichtem Kohlenwasser-
stoff und Kohlensäure bestehen. Schwefelwasserstoff und der die Menschen
noch immer irreleitende P ho spho rwasserstoff können hier unmöglich entstehen, da
1) ein zu grosser Sauerstoffgehalt des Wassers durch die Vegetation bedingt ist und 2) das
Vorwalten verschiedener Metalloxyde, wie Mangan und Eisen, das Auftreten dieser
Gase gar nicht zulassen. In Sümpfen und Mooren bilden sich nämlich stets Rasen-
erze, Eisenoxydmassen, welche mit phosphorsaurem, basisch schwefelsaurem Eisen und
Sumpfwasser. 1 07
etwas Schwefeleisen gemengt sind: Bohnerz besteht namentlich aus diesen Bestand-
teilen.
Aus Allem ist ersichtlich, dass nicht jeder Sumpf an und für sich einen schäd-
lichen Einfluss ausübt, was auch schon daraus hervorgeht, dass verschiedene Thiere in
und an Sümpfen leben. Bekanntlich leben Frösche, Unken, Vipern, Salamander im
Sumpfwasser, während Schnepfen, Störche und Dickhäuter vorzugsweise an den Sümpfen
verweilen: mehrere der verschiedenen Arten des Wasserhuhns leben sogar während
der ganzen Brutzeit auf dem Wasser in Nestern. Jeder Su mpf- bedingt aber
stets eine Erhöhung der atmophärischen Feuchtigkeit.
Die Feuchtigkeitszunahine wird durch drei Ursachen herbeigeführt. 1) Die
Temperatur des Sumpfes als eines stillstehenden Wassers steigt während des Som-
mers mit der erhöhten Lufttemperatur, es wird daher im Verhältniss zur Höhe der letztern
auch eine vermehrte Wasserverdunstung stattfinden ; 2) bildet die Siimpfvegetation eine
unendlich vergrösserte Oberfläche, welche stets die Verdunstung einer entsprechenden
Wassermenge zulässt und zwar unabhängig von der Temperatur, da das Wasser bei
jedem Temperaturgrade verdunstet; nur hat man es in der kälteren Jahreszeit mit
einer nasskalten und in der wärmeren mit einer feuchtwarmen Atmosphäre zu
thun. Endlich 3) reissen die Gase, welche sich aus dem Sumpfe reichlich entwickeln
(Kohlensäure, Sumpfgas, Stickstoff), stets Wassertheilchen mit sich fort und
tragen auf diese Weise ebenfalls zur Vermehrung der atmosphärischen Feuchtigkeit bei.
Dazu kommt ein zweiter Factor: es ist nämlich seit langer Zeit bekannt,
dass die Luft der Sumpfgegenden vorzugsweise viele pflanzliche Organis-
men enthält. Die ersten Untersuchungen sind in dieser Beziehung von Moscati
in den Reisfeldern von Toscana gemacht worden, indem derselbe durch mit Eis ge-
füllte Glaskolben, welche er in einiger Entfernung vom Boden aufhing, die Feuchtigkeit
der Luft zu verdichten suchte. Aennliche Versuche stellte Brocchi in Rom und in den
Sümpfen des Languedoc an. Auf diese Weise erhielt man eine Flüssigkeit, welche wegen
ihres Gehaltes an organischen Stoffen sehr bald in Fäulniss überging und bei einigen
Thieren, welche dieselbe genossen, tödtliche Wirkung erzeugt haben soll(?), bei anderen
aber wirkungslos blieb; die Sumpfluft betrachtet man deshalb als Sumpfmiasma
und bezeichnet sie als Malaria (Ai'ia cattiva).
Die neuesten Untersuchungen über die Sumpfluft rühren von SaUsbun/*) her,
die derselbe in den malariareichen Thälern der Flüsse Ohio und Missisippi anstellte.
Er behauptet, im Speichel, Mund- und Nasenschleim, sowie constant im Urin der
Kranken, in dem über Pfützen und sumpfigem Boden aufgefangenen Condensations-
wasser und in der Luft in einer Höhe von 35 — 60 Fuss, an einigen Orten bis 100 Fuss
über der Ebene, sehr kleine Zellen, einzeln oder aneinander gereiht, mit einem deutlich
unterscheidbaren Kern und einer zarten Zellenmembran gefunden zu haben, welche er
für zur Species Palmella gehörige Algenzellen hielt. Dieselben sollen nur wäh-
rend der Nacht in den vom Boden aufsteigenden feuchten Exhalationen suspendirt
sich in die Luft erheben und bald nach Aufgang der Sonne wieder auf den Boden
zurückfallen.
Diese Beobachtung bedarf jedoch noch sehr der Bestätigung, und namentlich ist die
Beschreibung der Zellen noch viel zu ungenau und nicht charakteristisch genug, um daraus
schon einen bestimmten Schluss ziehen zu können. lVood3)laebt mit Recht hervor,
dass die Palmella als chlorophyllhaltige Pflanze des Lichtes bedarf und deshalb im
Thierkörper nicht fortkommen kann. Er und ein anderer Arzt schliefen monatelang in Zim-
mern, in welchen mehrere Palmella- Arten gezogen wurden, und verschluckten ausserdem zu
Tausenden von diesen Püänzchen, ohne von Intermittens befallen zu werden. Nur so viel
steht fest, dass die Sumpffieber, die intermittirenden und remittirenden Fieber mit be-
sonderen Bodenverhältnissen und der mit ihnen correspondirenden Luftbeschaffenheit in
causalem Zusammenhang stehen. Mit höchster Wahrscheinlichkeit spielt hier neben dem
hohen Feuchtigkeitsgehalt der Luft die Fäulniss von vegetabilischen
Stoffen eine Hauptrolle.
Die Erfahrung, dass manche Lungenkranke sich in der Nähe von Sümpfen wohler
fühlen, weshalb man sogar Sumpfluft gegen Lungentuberkulose empfohlen hat, spricht
dafür, dass die reizende Einwirkung des atmosphärischen Sauerstoffs durch die
Sumpfgase modificirt wird. Andererseits kann aber auch die belebende Einwirkung
des Sauerstoffs auf das Blut und den Stoffwechsel gesunder Menschen dadurch bedeu-
tend alterirt werden, so dass beim Hinzutritt einer beständig feuchten Atmosphäre
leicht Veranlassung zur Entstehung von intermittirenden Fiebern gegeben wird;
jedenfalls soll man keine Wohnungen in der Nähe von Sümpfen errichten; gänzlich
unzulässig ist dies, wenn es sich um öffentliche Anstalten, Schulen, Seminare u. s. w.
handelt.
Bei der Frage über den Einfluss der Sümpfe auf die Gesundheit der
Menschen und Thiere muss man stets die Veränderungen, welchen ein Sumpf aus-
108 Sauerstoff and Wasserstoff.
gesetzt sein kann, berücksichtigen. Sobald nämlich die Vegetation des Sumpfes schwindet
sei es durch gewaltige Naturereignisse, grosse Trockenheit u. s. w. oder durch Kunst,
so treten die Ursachen, welche das Auftreten der Fäulnissproducte verhindern, in den
Hintergrund. Die Sauerstoffzufuhr durch die Pflanzen wird alsdann gänzlich
abgeschnitten und dadurch der Fäulniss- resp. Verwesungsprocess in ein ganz
anderes Stadium gebracht, wobei nicht allein Sumpfgas und Kohlensäure, sondern auch
Schwefelwasserstoff, Buttersäure, Baldriansäure u. s. w. auftreten: gleich-
zeitig verschwindet alle Thierwelt und der Sumpf ist im wahren Sinn des Wortes ein
todter geworden. Erst nachdem das Wasser gänzlich verdunstet oder abgeführt und
der Sumpf trocken gelegt worden ist. bildet sich auf der humosen Substanz eine Gras-
narbe, welche besonder.- mit Rume.x - Arten und Orchideen versehen ist. Tritt dage-
gen durch zu grosse Wasserzufuhr ein U eb er schwemmen dieser Grasnarbe ein,
kommt dazu im Winter noch der Frost, so verschwindet nicht bloss das Gras, sondern
auch die übrigen Pflanzen gehen durch Absterben der Wurzel und Zerstörung der
Keimfähigkeit ihrer Samen im Frühjahr zu Grunde: bleibt alsdann das Wasser im
Sommer stehen, so tritt wiederum die Vegetation der ersteren Art ein, womit sich gleich-
zeitig die Thierwelt wieder einfindet.
Diese sind die sogenannten regenerirten Sümpfe, womit alsdann die schäd-
lichen Einflüsse für die Thierwelt wieder verschwinden: hier kann besonders der erhöhte
Feuchtigkeitsgehalt der Atmosphäre zu Erkältungskrankheiten oder bei vorhandener
.Disposition der Constitution zu Malaria Veranlassung geben. — Dagegen bietet der
todte Sumpf alle ätiologischen Momente dar, welche bei Thieren Milzbrand, bei
Menschen die Entwicklung von Cholera, Typhus und anderen Fieberkrankheiten be-
fördern können. Die Austrocknung des Haarlemer Meeres hat den besten Aufschluss
über alle diese Verhältnisse geliefert, da sich dort je nach den verschiedenen Zuständen,
welche durch die Trockenlegung herbeigeführt wurden, auch die verschiedenen Einflüsse
geltend machten.
Der Morast ist stets ein todter Sumpf, da jede Vegetation und alles animalische
Leben in demselben fehlen: auch die künstlich angelegte Flachsröstgrube ist ein Morast
Moor, Torfmoor ist stets ein lebendiger Sumpf: Bruch wird gewöhnlich ein Sumpf
genannt, welcher mit grösseren baumartigen Pflanzen, namentlich mit Eschen und Erlen
bewachsen ist.
Die Brackwässer an Flüssen und Meeren, eine Vermischung von Salz- und
Süsswasser, stellen ein Mittelding von Morast und Sumpf dar. In der ersten Periode
nähern sie sich mehr dem Sumpfe und werden durch das Verdunsten oder Zurücktreten
des Wassers, wobei die spärliche Vegetation und die Thierwelt gänzlich vernichtet
werden, allmähkg in einen Morast verwandelt: hiermit beginnt und vermehrt sich als-
dann auch ihr schädlicher Einfluss auf die Gesundheit der Menschen.
Wasseransammlungen, welche zur Seite von Flüssen, Bächen u. s. w. ent-
stehen, mit dem Spiegel des Flusses fallen oder steigen oder auch ganz verschwinden,
wenn der Flussspiegel unter ihr Niveau sinkt, können nicht als Sümpfe bezeichnet
werden. Dagegen sind die Deltas verschiedener Flüsse, z. B. des Nil, Po, der Donau,
Weichsel u. s. w. lebendige Sümpfe, welche durch theilweise Trockenlegung einen gün-
stigen Boden für den Anbau verschiedener Nährpflanzen, z. B. von Sumpfhirse, Reis,
Mais u. s. w. bieten.
Reisfelder werden hauptsächlich nach der Ernte ungesund, wenn die zurück-
gebliebenen Wurzelstöcke in dem feuchten Terrain der Verwesung unterliegen. Auch
die Pontinischen Sümpfe sind bekanntlich im Sommer, wenn das Wasser durch
Verdunstung zurücktritt und die Vegetation in Abnahme begriffen ist, am schädlichsten.
Wäre es möglich, in allen Sumpfgegenden perennirende und sich regenerirende Sumpf-
pflanzen anzubauen, so würden sie alle gefährlichen Eigenschaften verlieren.
Der Vorschlag des amerikanischen Schiffslieutenants Maury, Sümpfe mit Heli-
anthus annuus zu bepflanzen, wird bei dem eigentlichen Sumpfe auf eine absolute Un-
möglichkeit stossen, dagegen in den Fällen angezeigt sein, wenn das Terrain nur im
Frühjahr sumpfiger Natur ist und somit der Entwicklung dieser Pflanze bei der dazu
erforderlichen Wärme eine grosse Wasserzufuhr bietet, aber während der Blüthezeit
durch die kräftige Entwicklung der Blätter so weit ausgetrocknet wird, dass der Samen-
bildung, welche stets bei verminderter Verdunstung stattfindet, kein Hinderniss in den
Weg tritt. Die Brackwässer sind wegen ihres Salzgehalts und der gleichzeitig
verwesenden stickstoffhaltigen Substanzen sehr beachtungswerth: die verwesenden
Fische und Couchilien, welche mit dem Fortgehen des Wassers sich nicht entfernen
können, führen eine ächte Fäulniss unter Entwicklung von Seh wefelamrnonium,
flüchtigen Fettsäuren etc. und damit einen höchst unangenehmen Geruch herbei.
Die Art und Weise der Zersetzung in solchen Morästen wird durch die speeifische
Einwirkung der sich entwickelnden Producte auf Metalloxyde erklärt. So gibt z. B.
faulendes Blut im ersten Stadium sehr übelriechende Gase, welche in den betreffenden
Trinkwasser». 109
Metalloxydlösungeu keine Sehwefelmetalle erzeugen: sie sind grösstenteils reducirender
Wirkung, ibrer eigentlieben Natur nach aber nicht näher erforscht. Erst viel später er-
halten sie das Vermögen, Schwefelmetalle zu erzeugen, offenbar in Folge des Auftretens
von Schwefelwasserstoff und Ammonium. Zuletzt hört auch diese Wirkung auf und nun
sind es nur noch die Metalloxyde der alkalischen Erden, welche durch die sich ent-
wickelnden Gase in kohlensaure Salze verwandelt werden.
Wenn ein Fluss aufgehalten und seine Strömung vermindert wird, z. B. wenn
an einzelnen Stellen Wehre angebracht werden , so entsteht bei der geeigneten Tempe-
ratur, welche wenigstens 13° C, betragen muss, Fäulniss im Schlamme des
Flussbettes. Nach Frankland*) besteht die zuverlässigste und empfindlichste Probe, um
den im Wasser vor sich gehenden Fäulnissprocess nachzuweisen, in der Bestimmung des
relativen Verhältnisses von Sauerstoff zum Stickstoff in den im Wasser gelösten und von
ihm absorbirten Gasen.
Das normale Verhältniss des in den aufgelösten Gasen enthaltenen Sauerstoffs zum
Stickstoff muss 1 : 2,02 betragen. Sobald das Wasser in Fäulniss übergebt, verändert
sich dieses Verhältniss, indem der Sauerstoff des Wassers grösstentheils verzehrt wird;
so fand Frankland in einem Flusse, welcher fauligen Geruch entwickelte und eine Tem-
peratur von 15,5° C. hatte, das Verhältniss ces Sauerstoffs zum Stickstoff wie 1:25.
Nicht unerwähnt kann hier das Bilsch- oder sogenannte Kielwasser der
Schiffe bleiben. Als eine Mischung von See- und Regenwasser ist es um so mehr dem
Fäulnissprocess unterworfen, als die verschiedensten Abfälle, Ratten u. s. w. in dasselbe
gelangen; der ekelerregende Geruch desselben macht schon viele Menschen see-
krank. Die Schiffshygiene liegt in dieser Beziehung noch sehr im Argen und die Ver-
suche, die vielfach hier vorkommenden sanitätswidrigen Umstände zu beseitigen, könnten
noch mit mehr Energie betrieben werden. Ob nicht das häufige Vorkommen der Cho-
lera, selbst des gelben Fiebers, Typhus u. s. w. mit solchen localen Einflüssen in Ver-
bindung steht, bedürfte noch einer genauem Untersuchung. Korn-, Reis- und Zucker-
ladungen sind in Bezug auf die Verunreinigung des Bilschwassers am berücbtigsten. 5)
Trink- und Brunnenwasser.
Die grosse Bedeutung eines guten Trinkwassers hat sich schon im frühesten
Alterthum geltend gemacht. Die Brunnen dienten häufig als Versammlungsort
und wurden dadurch der Mittelpunct von Ansiedelungen. Sowohl im alten, als
im neuen Testamente wird das Trinkwasser als das wichtigste Lebensbedürfniss
bezeichnet; selbst in bildlicher Beziehung bedeutet Wasser Mark und Saft des
Lebens. Und doch konnte diese grosse Wahrheit wieder in Vergessenheit ge-
rathen! Erst seitdem die Erweiterung der Städte, die Verderbniss des Unter-
grundes und der vielfältige Genuss filtrirten Cloakenwassers die öffentliche Ge-
sundheitspflege wieder neu belebt haben, wurde auch dem Trinkwasser die gebührende
Sorgfalt von Neuem zugewendet.
Die Bestandtheile des Trink- und Brunnenwassers kann man eintheilen:
1) in Erdalkalien, namentlich Kalk und Magnesia; 2) in Alkalien, hauptsäch-
lich Natron und Kali; 3) in Metalloxyde, besonders die Oxyde von Eisen und
Mangan; 4) in Säuren, unter denen Schwefelsäure und Kohlensäure selten fehlen.
Bei Wasser aus Alluvialboden kommen auch Salpetersäure, salpetrige Säure,
Quellsäure, Quellsalzsäure, Humussäure, seltener Phosphorsäure vor. Gelangen
putride Stoffe in das Trinkwasser, so lassen sich Spuren von Essigsäure, Pro-
pion-, Butter- und Essigsäure nachweisen.
Gang bei der qualitativen Analyse des Wassers. Man beachte zunächst die phy-
sicalischen Eigenschaften: Farbe, Geruch, Geschmack, Klarheit oder Trübsein. In letz-
terem Falle muss das Mikroskop über die Natur der suspendirten oder abgelagerten
Stoffe entscheiden; man prüfe ferner das Verhalten gegen Reagenspapier und bei er-
höhter Temperatur.
Die Summe der fixen Bestandtheile wird in der Weise bestimmt, dass man
200 Ccm. des Wassers in einer tarirten Platinschale abdampft, den Rückstand bei 120° C.
bis zum constanten Gewicht trocknet und abwiegt.
Durch Glühen des Rückstandes bis zur Zerstörung der organischen Gemengtheile,
Befeuchten mit Ammoniumcarbonat und abermaliges Trocknen bis 120° C. erhält man
\\Q Sauerstoff und Wasserstoff.
annäherungsweise die Summe der organischen Bestandtheile. Hierbei ist jedoch zu be-
rücksichtigen, dass die Magnesium-, Aluminium- und Eisenoxydsalze durch Glühen ihre
Säuren ganz oder theilweise verlieren, sowie dass salpetersaure und essigsaure Salze
partiell zersetzt werden.
Durch Kochen weiden Wässer, welche die Bicarbonate von Calcium, Magnesium
und Eisen enthalten, selten getrübt: ist dies der Fall, so wird bis zur vollständigen
Klärung gekocht und nach vollständigem Absetzen des Niederschlags filtrirt.
War Eisen vorhanden, so ist dieses mitgefällt worden: es färbt das weisse Prä-
cipitat gelblich oder rothlich. Genauer wird Eisen im Wasser nachgewiesen, wenn zum
unveränderten Wasser Ammoniumsulfhydrat gesetzt wird, da hierdurch ein grünschwarzer
oder hei Gegenwart von Thonerde ein weisslich- grüner Niederschlag entsteht. Die
Thonerde wird als weisser gallertartiger Niederschlag durch Ammoniak gefällt, welcher
bei Gegenwart von Eisen bräunlich wird. Die durch Erwärmen mit Ammoniak resp.
Ammoniumsulfhydrat von Thonerde und Eisen befreite Flüssigkeit wird filtrirt.
War Schwefelammonium verwendet worden, so wird der Schwefelwasserstoff durch
Digestion mit Salzsäure unter Zusatz von Salpetersäure zerstört und der ausgeschiedene
Schwefel abfiltrirt. Das ammoniakalisch gemachte Filtrat wird so lange mit Oxalsäure
versetzt, als dadurch noch ein Niederschlag entsteht. Es wird hierdurch Kalk gefällt;
hat sich dieser nun durch gelindes Erwärmen gänzlich ausgeschieden, so wird auf's
Neue filtrirt.
Ein Theil des Filirats wird mit Natriumphosphat erwärmt: ein krystallinischer
Niederschlag bekundet die Anwesenheit von Magnesiumsalzen. Der andere Theil der
Flüssigkeit wird abgedampft und bis zur Verjagung der Ammoniumsalze geglüht. Der
Rückstand wird in wenig Wasser gelöst, ein Theil mit Platinchlorid und Alkohol ver-
netzt: ein orangegelber Niederschlag beweist die Gegenwart von Kaliumsalzen. Der
andere Theil wird mit absolutem Alkohol übergössen und dieser angezündet: eine gelbe
Flammenfärbung verräth die Gegenwart von Natriumsalzen.
Beide Reactionen können auch auf die Weise verbunden werden, dass ein höchst
feiner Platindraht in die Lösung getaucht und damit möglichst beladen wird; wird dieser
Draht nun in einer Flamme glühend gemacht, so erscheint dieselbe bei Natriumgehalt
gelb gefärbt. Betrachtet man dieselbe hierauf durch ein blaues Kobaltglas, so erscheint
sie bei Gegenwart von Kaliumgehalt roth.
Da in den gewöhnlichen Wässern der Gehalt an Magnesium- und Alkalisalzen ein
unbedeutender ist, so erscheint es zweckmässiger, die von dem Calciumoxalat abfiltrirte
Flüssigkeit nicht zu theilen, sondern dieselbe direct abzudampfen, die Ammoniumsalze
durch Glühen zu verjagen und den Rückstand mit einer concentrirten Oxalsäurelösung
zu übergiessen, wieder abzudampfen und zu glühen. Das Residuum wird mit Wasser
ausgekocht, wobei Magnesiumsalze ungelöst bleiben, welche nach dem Abfiltriren für
sich ebensowohl vsie das Filtrat auf Alkalien näher untersucht werden können.
Ammoniak wird am besten besonders in einer neuen Portion Wasser dadurch
nachgewiesen, dass man eine grössere Menge nach dem Ansäuern mit Salzsäure durch
Abdampfen concentrirt und Phosphor molybdänsäure hinzufügt. Nach einigem
Stehen in einem Ammoniakdämpfen nicht zugänglichen Gefässe scheidet sich bei Gegen-
wart von Ammoniak ein citronen gelber pulvriger Niederschlag aus.
Diese Methode ist zuverlässiger als die Anwendung des AVs.s^r'schen Reagens,
der bekannten Mischung von Jodquecksilber, Jodkalium und Aetzkali, da bei Gegen-
wart von organischen Körpern durch dieses Mittel auch eine Färbung veranlasst
werden kann.
Sind auf diese Weise die gewöhnlich vorkommenden Basen in einem Wasser
dargethan worden, so werden die Säuren am bequemsten in einzelnen Proben nachge-
wiesen.
Kohlensäure fehlt fast nie. Beim gelinden Erwärmen des Wassers entweicht
sie in perlenden Blasen, während sich die gelösten Erdcarbonate ausscheiden.
Schwefelsäure gibt mit Chlorbarium einen weissen, in Wasser und verdünnter
Salzsäure unlöslichen Niederschlag.
Chlorwasserstoff säure gibt mit Silbernitratlösung einen weissen käsigen, in
Salpetersäure unlöslichen, in Ammoniak löslichen, am Sonnenlicht sich schwärzenden
Niederschlag.
Salpetersäure wird dadurch nachgewiesen, dass in einer Porzellanschale eine
Probe Wasser mit absolut chemisch reiner Schwefelsäure übergössen wird,
nachdem vorher einige Tropfen einer wässrigen Brucinlösun g zugefügt worden; wird
die Mischung durcheinander gerührt, so bringen auch Spuren von Salpetersäure eine
mehr oder minder hervortretende rot he Färbung hervor. Man muss hierbei aber von
der chemischen Reinheit der Schwefelsäure überzeugt sein.6)
Der Nachweis der salpetrigen Säure ist schwierig. Man empfiehlt zu dem
Ende 20 CC. des zu untersuchenden Wassers in einem Reagensgläschen mit 1 CC. Stärke-
Trinkwasser. 111
kleister und 0,5 CC. Jodkaliumlösung ( 1 : 200) zu versetzen und stehen zu lassen ; bei
Spuren von salpetriger Säure soll sieb die Flüssigkeit nach einigen Minuten sehwach
violettblau, bei stärkerm Gehalt schön blau färben. Hierbei ist nur zu bedenken, dass
durch dieses Verfahren die salpetrige Säure mit der Salpetersäure, zusammen bestimmt
wird T).
Schwefelwasserstoff schwärzt in's "Wasser getauchtes Bleipapier und erzeugt
mit Nitropiussidnatrium nach Zusatz von Kali eine vorübergehende schöne Purpur-
färbung.
Werden bei der qualitativen Probe grössere Mengen von Chlor, Schwefelsäure und
namentlich von Salpetersäure gefunden, so ist eine quantitative Analyse des Wassers
erforderlich: diese wird im Allgemeinen nach den bekannten analytischen Methoden
ausgeführt. Die Salpetersäure wird als Ammoniak oder Stickoxyd und die orga-
nischen Beimengungen werden durch Kaliumhypermanganat bestimmt. Letz-
teres weist jedoch nur das Vorhandensein von organischen Stoffen überhaupt nach: die
Frage nach Art und Menge der organischen Stoffe wird dadurch nicht einmal annähernd
erledigt
Fleck 8) empfiehlt zum Nachweis organischer Substanzen im Brunnenwasser eine
alkalische Silberoxydullösung, nämlich 17,0 Grm. Silbernitrat, 50,0 Grm. unterschweflig-
saures Natrium, 48,0 Grm. Natriumhydrat auf 1 Liter Aq. destill. 10 CC. davon sollen
für 100 CC. des zu untersuchenden W assers verwendet werden. Nach Blasa vermag man
jedoch nach dieser Methode die organischen Substanzen im Brunnenwasser nur sum-
marisch annähernd zu bestimmen: Veooo Urin kann mit dieser Mischung nicht mehr
nachgewiesen werden, selbst dann nicht, wenn man 500 CC. davon benutzt.9)
Bei Untersuchung des Trinkwassers kann der Gebrauch des Mikroskops nicht
mehr umgangen werden, da auch das Vorhandensein der kleinsten Organismen, welche
an der Grenze des Thier- und Pflanzenlebens stehen, schon von vornherein einen Schluss
auf die schlechte Beschaffenheit des Wassers erlauben. Die Schizomyceten leben nur
von den in Auflösung und Fäulniss übergegangenen stickstoffhaltigen organischen Ver-
bindungen. Weisse bräunliche Flöckchen oder Häutchen (Zoogloea) verleihen dem
Wasser häufig eine opalisirende Trübung; bewegliche Bacterien trüben eine Flüssigkeit
gleichmässig, während die ruhenden sich als freier Bodensatz ansammeln und ein feines
Häutchen an der Oberfläche bilden. Ein Wasser, welches diesen Mikrozoen eine Brutstätte
liefert, ist als Nahrungsmittel gänzlich zu verwerfen. Auch Wasserpilze (Mycelien)
sind stets verdächtig, da sie nach der Art und Weise ihrer Ernährung das Vorhanden-
sein von zersetzten stickstoffhaltigen thierischen oder pflanzlichen Substanzen vermuthen
lassen: namentlich steht Crenothrix polyspora in üblem Rufe.
Die Grundwasser-Alge (Palmella floeculosa) ist ganz unschädlich und das Vor-
handensein von Diatomeen und grünen Algen spricht sogar für reines Wasser. Auf
Seeschiffen überlässt man das Trinkwasser nicht selten sich selbst, indem man die Ober-
fläche desselben mit einem schwimmenden Tuch bedeckt; es bilden sich alsdann massen-
haft Algen, welche als Sauerstoffquelle den Verwe sungsprocess beschleunigen, die ver-
wesbare Substanz consumiren und das theilweise verdorbene Wasser wieder trinkbar
machen. In Bucharest macht man das trübe Wasser der Dumbo witza dadurch trink-
bar, dass man es in Tonnen, welche inwendig mit Algen bekleidet sind, in der Stadt
verkauft. Dieses Wasser ist sogar sehr beliebt und ein altes Volkslied hat den Refrain:
„Dumbowitza süsses Wasser! wer es trinkt, kann's nie vergessen."
Was die Infusorien betrifft, so weisen nach Ferd. Gohn die Monaden, Glaucoma
scintillans, Cyclidium oxytricha, Pellionella und Lameila, Amphileptus, Mellagris etc. auf
die Gegenwart von Fäulnissproducten hin; nur die Navicula- und Gallionella-Arten
machen eine Ausnahme (s. Sauerstoff.) Für die Reinheit des Wassers spricht das Vor-
handensein der zur Gattung der Kieferfüsse (Entrom astraeeen) gehörenden und mit un-
bewaffnetem Auge sichtbaren Thierchen, so lange sie sich im Wasser lebenskräftig be-
wegen. Hierher gehören der Wasserfloh (Cypris conchacea), der Hüpferling und die
Wasserläuse (Daphnia pulex, Cyclops quadicornis, Cyclops staphylinus). In einem Wasser,
dessen Genuss dem Menschen schädlich ist, sterben auch diese Thierchen ab; treiben
ihre Cadaver in einem solchen Wasser herum, so liefert dies den sichersten Beweis, dass
es verdorben und als Getränk schädlich ist.10)
Die Menge von fremden Substanzen, welche sich in unreinem Brunnenwasser
auffinden lassen, ist wegen ihrer Mannigfaltigkeit nicht ausführlich anzugeben. Beispiels-
weise ist zu erwähnen, dass Lrbert im Breslauer Trinkwasser fand: Splitter von faulem
Holz, Gänsefeder, Fäden von Wolle, Baumwolle, Flachs, Reste von Mückenlarven,
Tracheen von Insekten, Fäcalstoffe als bräunliche Flocken im Zusammenhange mit deut-
lichen Nahrungsstoffen, Pflanzenzellen, Spiralgefässen, verwestes Pflanzengewebe, theils
Zungenepithel, Leptothrixfäden, Rattenhaare, Flügel einer Fliege, Fussglieder einer
Spinne, Splitter von Kalk, Kiesel, Eisen etc.11) »
\)2 Sauerstoff und Wasserstoff.
Nach Koch in St. Petersburg unterliegt es keinem Zweifel, dass die breiten
Bandwürmer (Bothriocephalus latus) auf den Menschen mittels des Trinkwassers und zwar
meist als Embryonen oder auch als Eier übertragen werden können; die Embryonen
könnten sich in süssem Wasser in den Eiern entwickeln und in demselben wandern.
Mit dem Flusswasser könnten sie als Getränk in den Daim der Säugethiere übertragen
werden und sich dort nach einiger Zeit zu geschlechtsreifen breiten Bandwürmern ent-
wickeln. Bekanntlich kommt der Bothriocephalus latus nur in den westlichen Provinzen
und östlichen Gouvernements von Russland, sowie in der Schweiz, in Schweden und in
Polen vor.
Schmidt will in dem schlechten Brunnenwasser zu Dorpat sogar nicht selten Em-
bryonen von Distonia , Bothriocephalus u. s. w. gefunden haben. Mosler nimmt an,
dass die Einführung von Ascaridcneiern mit dem Trinkwasser zur Entwicklung von
Spulwürmern im Darmcanal nicht genüge, obgleich andere Autoren unreines Trinkwasser
für geeignet halten, Helminthen zu verbreiten.12; Ausserdem sind noch zufällige metal-
lische Verunreinigungen des Trinkwassers, z. B. mit Blei beim Gebrauch von Bleiröhren,
zu beachten.
Nicht grade selten werden die Brunnenwässer mit Phenol ( Carbolsäure), das
aus den Gasröhren in's Wasser dringt, verunreinigt; 1 Th. davon lässt sich noch in
57100 Th. Wasser auf folgende Weise erkennen: Man setzt Bromwasser zu dem zu
untersuchenden Wasser, wodurch sich entweder sofort ein gelblichweisser flockiger
Niederschlag ausscheidet oder, bei grosser Verdünnung, sich nach mehreren Stunden ein
krystallinischer Niederschlag bildet Der Niederschlag wird mit Natriumamalgam ge-
schüttelt und schwach ei wärmt, wodurch das Phenol wieder restituirt wird und leicht
erkannt werden kann: sehr zweckmässig ist es, in einem solchen Falle grosse Mengen des
Wassers zu destilliren und einen Theil ues Destillats zu untersuchen. Die feinste Reac-
tion auf Phenol besteht darin , dass man dasselbe mit einer von salpetriger Säure voll-
kommen freien Quecksilberoxydulnitratlösung versetzt ; beim Kochen entsteht alsdann
unter Reduction des Quecksilbers eine rothe Färbung der Flüssigkeit.
Schliesslich verdient hier noch die Untersuchung des Wassers mittels des elek-
trischen Lichtes nach John Tyndall Erwähnung, welche nur insofern ein gutes Hülfs-
mittel gewährt, als dabei der prägnante Unterschied zwischen verschiedenen Brunnen-
wässern sogleich in die Augen fällt. Wenn man nämlich den Strahl einer elektrischen
Lampe durch mehrere Flaschen Wasser fallen lässt, so ist die Bahn desselben um so
deutlicher, je grösser die Menge der darin enthaltenen festen Theile ist, welche das
Licht zerstreuen; unsichtbar bleiben aber die darin gelösten Verunreinigungen.
Die Erfordernisse, welche man an ein gutes Trinkwasser stellen soll, lassen
sich nach den vorliegenden Erfahrungen iu folgender Weise formuliren:
1) Ein gutes Trinkwasser soll klar, färb- und geruchlos sein.
2) In 100,000 Th. Wasser dürfen enthalten sein:
an festen Rückständen 10—50 Th. (0,10-0,50 Grm. im Liter)
an Gesammtkalk . . 18 — 20 - (0,18 — 0,20 - - )
an Salpetersäure . . 0,4 - 0,6
an organ. Substanzen . 1,0 - 5,0
an Chlor 0,2 - 0,8
an Schwefelsäure . . 0,2 - 6,0
Was die organischen Substanzen betrifft, so ist noch zu erwähnen, dass die
Ansichten über die Menge des zu verbrauchenden Kaliumhypermanganats, um
ein Trinkwasser als brauchbar zu erklären, noch sehr differiren. Nach Petten-
kofer darf ein trinkbares Wasser höchstens 5 Theile durch übermangansaures
Kalium zerstörbare organische Substanzen auf 100,000 Th. (im Liter 50 M^r.
entsprechend 10 Mgr. KMn04) enthalten; Reichardt gestattet dagegen bei
Wasserleitungswasser nur einen Verbrauch von 2—4 Mgr. KMn04 auf 1 Liter.
Nach allen Erfahrungen dürfte im Ganzen und Grossen, wenn man es nicht
mit einem torfigen Boden zu thun hat, der Pettenkofer'schen Ansicht beizu-
treten sein, wobei jedoch nicht zu vergessen ist, dass es sich bei der Be-
nutzung des Kaliumhypern anganats nur um eine oberflächliche Prüfung han-
deln kann.
(0,004-0,006 -
- )
(0,010-0,050 -
- )
(0,002-0,008 -
- )
(0,002-0,063 -
- )
Construction der Brunnen. 113
3) Ein Gehalt an Ammoniak weist auf die Notwendigkeit hin, das
Brunnenwasser zu verbessern.
4) Grössere Mengen von Nitraten sind stets verdächtig, wenn das "Wasser
nicht aus einem Kalkboden stammt, welcher stets mehr oder weniger salpeter-
saure Salze enthält; finden sich neben denselben noch Chloride und Phos-
phate, so kann man in den meisten Fällen auf einen verdächtigen Ursprung
dieser Verbindungen schliessen.
5) Der Kohlensäuregehalt bedingt nicht immer die Güte des Wassers;
der Ursprung der Kohlensäure muss stets massgebend sein.
6) Die Temperatur des Wassers darf nur geringen Schwankungen unter-
worfen sein.
7) Als Trinkwasser eignet sich am besten ein nicht zu hartes Quellwasser.
8) Filtrirtes Flusswasser kann als Trinkwasser den Anforderungen der Hy-
giene entsprechen und unter Umständen das Quellwasser ersetzen.
9) Bedingen die örtlichen Verhältnisse die Benutzung des Regenwassers, so
muss für die richtige Art der Ansammlung und der Aufbewahrung Sorge ge-
tragen werden. 13)
Construction der Brunnen in sanitärer Beziehung. Die öffentlichen Brunnen
bedürfen ganz besonders der polizeilichen Beaufsichtigung, um sie vor jeder
Verunreinigung zu schützen; man sollte solche Brunnen wie ein Heiligthum
betrachten und ihnen die hohe Bedeutung, welche sie in den frühesten Zeiten und
bei den ältesten Völkern genossen, wiedergeben.
Alle Brunnen müssen hinreichend entfernt von allen Schling- und Senk-
gruben liegen; der Quellstein muss einen hermetischen Verschluss haben; alles
Spülen und Waschen unter der Ausgussröhre ist zu verbieten und die nächste
Umgebung einer jeden Pumpe bedarf ein höher liegendes Geschränk, um alle
überirdische Zuflüsse zu verhüten. Die Rinnsteine der Strassen dürfen niemals
über oder dicht neben den Brunnenkesseln liegen und müssen überhaupt so an-
gelegt werden, dass die Strassenunreinigkeiten nicht durch das Gewölbe und die
Seitenwände des Brunnenkesselmauerwerks einsickern können.
Was den Brunnen selbst betrifft, so muss er so stark gebaut sein, dass
er dem Druck des Erdreichs genügend widerstehen und auch den Zufluss soge-
nannter falscher Quellen abhalten kann; er muss deshalb vollständig ausge-
mauert sein und der dazu benutzte Mörtel muss hydraulischen Kalk enthal-
ten. Das als Baumaterial zu verwendende Gestein darf nicht durch seine
Porosität den Zufluss fremder Wässer gestatten oder selbst mehr oder weniger
lösliche Substanzen enthalten, die durch allmählige Auflösung ein Auflockern des
Gesteins hervorrufen. So dürfen z. B. die als Baumaterial zu verwendenden
Bruchsteine nicht gypshaltig sein oder Adern von Gyps enthalten; sie würden
bei längerer Dauer der Einwirkung des Wassers nicht widerstehen können und
das Wasser sehr gypshaltig inachen.
Bei der Verwendung gebrannter Ziegel ist zu bemerken, dass man so-
genannte bleiche oder halb gebrannte Steine zum Mauerwerk des Kessels nie ver-
wenden darf, weil diese den porösen Gesteinen vollständig entsprechen; dieselben
müssen sich vielmehr in einem halbverglasten Zustande (Klinker) befinden oder
aber, was noch besser ist, man glasirt dieselben mit Kochsalz.
Ganz ähnlich verhalten sich die sogenannten Schmelzen, d. h. solche
Enlenberg, Gtewerbe-Hygiene. 8
114
Sauerstoff und Wasserstoff.
Fig.
Ziegelsteine, die im heissesten Theile des Ofens durch ein wirkliches Verglasen der
Silicate auf Kosten des im Thone enthaltenen Kalkes und Eisenoxyds in einen ge-
schmolzenen Zustand übergegangen sind.
Das sogenannte Brunnenrad oder der Brunuenkranz sollte immer nur aus
altem gutem Eichenholze bestehen und nicht, wie es so häufig geschieht, aus
Buchenholz angefertigt werden.
Die Brunnen müssen eine gewisse Tiefe haben, welche sich erst nach ver-
schiedenen Versuchen normiren lässt. Je näher sich unreine Stoffe (Senkgruben,
Aborte u. s. w.) finden, desto tiefer müssen die Brunnen sein, weil durch die
grössere Tiefe die putriden Stoffe einer längeren Filtration unterworfen werden,
als wenn sie auf gleichem Niveau mit dem Brunnen stehen.
Brunnen durch Einführung von Röhren so zu verbessern, dass hierbei
die Quelle des Zuflusses der schädlichen Substanzen vermindert wird, lässt nur
dann auf ein gutes Resultat hoffen, wenn dadurch die Kiesschicht, d. h. die des-
inficirende und filtrirende Bodenmasse so vermehrt wird, dass sie als ein Absor-
bens für diese Stoffe auftreten kann.
In flachen Gegeuden, namentlich in den Niederungen, in welchen das Brunnen-
wasser viele organische, leicht in Fäulniss übergehende Bestandtheile enthält, hat
sich folgende Einrichtung (Fig. 8) als sehr
nützlich erwiesen. Hier sind nicht bloss
die Mauerwände wasserdicht mit hydrau-
lischem Mörtel hergestellt (^4), sondern
auch die Sohle des Brunnens wird durch
eine Beton- oder Cementschicht (B)
wasserdicht abgeschlossen. Durch diese
Schicht wird ein thönernes Rohr (C),
welches an beiden Enden Oeffnungen
hat und mit reinem Sand, Kies, Kohle
oder anderen Filtrationsmitteln bis oben an-
gefüllt ist, in der Weise durchgeführt, dass
es unten noch ein Stück in den Boden
hinein- und oben über den Wasserspiegel
hervorragt.
Das von allen Seiten andrängende
Untergrund wasser findet an den unteren
Oeffnungen des Rohres C einen Ausweg,
wird in dasselbe hineingedrückt, passirt die in demselben befindlichen fütrirenden
Substanzen und tritt an den oberen Oeffnungen wieder aus, von wo aus der Brunnen-
kessel gefüllt wird. Bei Erneuerung des Filters wird das Rohr herausgenommen,
neu gefüllt und beim Einsatz in die Betonschicht unten am Umfange mit Cement
zur Dichtung verstrichen. Die Grösse der Oeffnungen und des Rohrs richtet sich
nach dem Grade des Wasserreichthums und muss hierüber eine mit einem thöner-
nen Rohre vorgenommene Probe entscheiden; nötigenfalls kann man bei geringem
Wasserzufluss auch zwei Röhren anbringen.
Immer sind die Bodenverhältnisse und die sogenannten Schichtungen bei der An-
lage von neuen Brunnen von Wichtigkeit; die zu Tage geförderten Erdschichten müssen
über die P'rage entscheiden, ob man bloss das Niveau des Wassers benutzen oder das
Trinkwasser aus einer tiefern Erdschicht entnehmen soll.
Die Brunnen bei den Terrainverhältnissen eines Flussgebietes, wobei die Bett-
Einfluss des Terrains auf Brunnen. 115
bildung und das Abdachungsverhältniss der Geschiebe und Gerolle mitsprechen, ent-
nehmen ihr Wasser eigentlich nur aus dem über der ersten Thonschicht liegenden Kies-
bestande. Es ist dies gleichsam die Mischungsschicht für den Austausch des Meteor-
resp. Flusswassers mit den durch künstliche Infiltration eingeführten fremden Stoffen
aus Latrinen, Schlinggruben u. s. w.
Das Wasser in'solchen Brunnen steht stets auf gleichem Niveau mit dem Flusse,
d. h. die Höhe des Wassers im Brunnen ist gleich der Höhe des Wassers im Flusse,
minus des durch die Friction -während des Durchsickerns entstandenen. Minderdruckes.
Es wird daher, wenn man auch von gleichem Niveau spricht, stets eine geAvisse
Differenz zwischen dem Wasserstande des Brunnens und dem des Flusses obwalten.
Ist in dieser Mischungsschicht, welche gleichsam als ein grosses desinficirendes Filter
anzusehen ist, der Brunnen weit genug von der putriden Quelle entfernt, so wird man
auch in diesem Bezirke gutes Wasser erhalten können.
Handelt es sich um die Versorgung der Städte mit Wasser oder um Öffentliche
Brunnen, so ist es stets erforderlich, solche Wasseranlagen in möglichst grosser Entfer-
nung von den Städten in der Mischungsschicht anzulegen und auf diese Weise eine Fil-
tration zu bewerkstelligen, welche durch die Kunst viel schwieriger zu erzeugen ist. Das
Steigen und Fallen der Flüsse gibt stets den Impuls der bewegenden Kraft, welche ein
inniges Mischen der verschiedenartigen in der Mischungszone vorkommenden Flüssig-
keiten bedingt, weshalb namentlich in den an grossen Flüssen gelegenen Städten kurz
nach dem Hochwasser alle Brunnen schlechter sind. Aus derselben Ursache sind die
Brunnen caeteris paribus um so besser, je entfernter sie vom Wasser liegen.
Artesische Brunnen. Es ist unzweifelhaft, dass man jedenfalls gutes Wasser
erlangen würde, wenn man es ausserhalb des Bereiches dieser Mischungszone erhalten
könnte. Die Erfahrung hat dargethan, dass in den meisten Gegenden unter der Kies-
schicht fast überall eine Thonschicht vorkommt, welche dem über ihr befindlichen
Wasser nicht gestattet, in die Tiefe zu dringen. Diese Thonschicht ist eine schützende
Decke, und wenn man sie durchbricht und den über ihr befindlichen sogenannten wilden
Wässern den Zufluss nicht gestattet, so erhält man unter allen Verhältnissen ein reines
und gutes Trinkwasser.
Solche Brunnen nennt man artesische; sie können ein hohes und tiefes
Niveau haben. Im letzteren Falle tritt das Wasser nicht überirdisch aus und nur bei
einem hohen Niveau wird das Wasser gleichzeitig in die Höhe getrieben und zwar ent-
sprechend dem hydrostatischen Drucke, welcher auf dasselbe wirkt.
Einfluss bestimmter Terrain Verhältnisse auf die Brunnen. Wie sehr die Terrain-
verhältnisse auf alle diese Fragen influiren. ersieht man am deutlichsten, wenn man die
geologischen Verhältnisse einer bestimmten Gegend erörtert. In der Rheinniederung
z.B., welche am Siebengebirge beginnt und sich bis nach Holland erstreckt, liegt an
der Oberfläche ausser stellenweise aufgeschüttetem Boden und Bauschutt, dessen Alter
bis in die Römerzeit reicht, unter der Dammerde ein Lehmlager (Ziegelerde in
Mergel und Löss übergehend) von verschiedener Stärke: nur selten übersteigt dasselbe
15 Fuss. Alsdann folgt in einem Niveau von 32 — 38 Fuss über dem Nullpunct des
Pegels Kies von sehr verschiedener Grösse und mit gröberem und feinerem ganz thon-
freiem Sande vermischt. Dieser Kies und Sand reicht bis zu den tiefsten
Stellen des Rheinbettes unter den Nullpunct des Pegels. Nur in den
alten Flussbetten, welche als langgestreckte schmale Vertiefungen .durch die Thalfläche
ziehen, finden sich unter der Dammerde ein blauer, schwärzlicher, zäher Thon und
dünne Lager torfähnlicher Substanzen, worauf das allgemeine Kies- und Sandlager folgt.
An den Rändern und Abhängen dieser früher sumpfigen und morastigen Flussbetten ist
der Lehm und Thon abwechselnd gemengt: der Thon bildet über dem Kieslager eine
Wasserdichte Decke, da ohne eine solche keine Versumpfung hätte eintreten können.
Im Kiese und Sande wird nicht eher Wasser getroffen, als bis man zur Tiefe des
Wasserstandes im Rheine gelangt ist; unter dieser Tiefe steigert sich der Zufluss des
Wassers im Arerhältniss zum Drucke. Mit dem Rheinspiegel sinkt und steigt das Wasser
in den Brunnen. Ueber dem Wasserspiegel ist die Kieslage immer trocken: selbst bei
anhaltendem Regen, welcher namentlich im Sommer 1867 bedeutend war, dringt das
Wasser von der Oberfläche aus in keiner Weise durch das Lehmlager: deshalb können
auch Schmutz- und Tagewässer zweckmässig construirte Brunnen nicht verunreinigen.
Nur die leichte Durchdringlichkeit der Kies- und Sandlage, welche den Boden der
Rheinfläche bildet, macht einestheils die Anlage von Brunnen und anderntheils die An-
lage von Senk- und Schlinggruben möglich. Alle Flüssigkeiten, welche von oben dieser
Lage zugeführt werden, sinken mit Leichtigkeit darin bis zum Wasserspiegel nieder und
vermischen sich mit der die ganze Kieslage durchdringenden und mit dem Rhein in un-
behinderter Verbindung stehenden Wassermasse; durch das fortwährende Steigen und
Fallen des Rheins kann diese Vermischung nur erleichtert werden. Bekanntlich bleibt
1]ß Sauerstoff und Wasserstoff.
der Rheinspiegel selten längere Zeit derselbe: durch seine Bewegungen werden nun die
schädlichen Flüssigkeiten, welche mittels Schlinggruben in die Kieslage kommen, in dem
zunächst gelegenen Boden verbreitet und dem Wasser zugeführt, welches die Brun-
nen speist.
Die Thonschicht liegt an den Ufern des Rheins so tief, dass sie durch Bohr-
versuche noch nicht aufgefunden worden ist: auch hat noch kein einziger Brunnen
schützende Thonschicht erreicht, unter welcher das Wasser möglicherweise nicht
mit putriden Stoffen vermischt werden kann: bei allen noch so tiefen Bauten hat man
bisher immer Kies gefunden. Dies ist das Schicksal aller Deltaländer: so sind die
Mündangsländer der Donau, der Weichsel, des Nils, des Ganges, des Amazonenstroms,
des gelbes Flusses in China u. B- w. gleich denen des Rheins situirt. Aus diesem Grunde
sind in der Rheingegend die Schling- und undichten Abtrittsgruben die
Yerderber aller Brunnen 14)
Schädlichkeit der Versickemugsgruben. Es ist eine Hauptaufgabe der Sanitäts-
polizei, 1) jede Stadt sowohl in ihrer Luft, als in ihrem Untergrunde von faulenden Un-
einigkeiten frei zu erhalten: 2) der Bevölkerung ein solches Trinkwasser zu liefern,
welches mit Fäcal6toffen in keiner Weise verunreinigt werden kann: 3) alle Abtritts-
Schlinggruben zu vernichten, welche eine solche Verunreinigung des Trinkwassers er-
möglichen.
In an grossen Flüssen, wie am Rheine, gelegenen Städten hat man mehrmals die
Wahrnehmung gemacht, dass grade nach Ueberschwemmungen nicht selten epidemische
Krankheiten auftreten und zwar namentlich in den tiefer gelegenen Stadttheilen. wo durch
das Steigen des Flusswassers die Brunnen und Schlinggruben in ein Niveau gebracht
werden und beim Zurücktreten der Fluth ein leichteres Vermischen der verschiedenen,
specifisch ungleichen Flüssigkeiten eintreten muss. Selbstverständlich nimmt dies Ver-
mischen mit der höheren Lage der Wohnungen ab. Dauert die Fluth nur kurze Zeit,
so ist diese Vermischung in den höher gelegenen Stadttheilen sehr wenig wahrnehmbar;
das Wasser in Bonn macht z. B. den Weg vom Rhein bis zum Bahnhof — eine Ent-
fernung von 15 Minuten - — binnen drei Tagen.
Je wässeriger der Inhalt der Gruben ist. je mehr man sich also der Wasserciosets
bedient, um so mehr wird die Flüssigkeit die Erdschicht durchdringen und sich mit den
naheliegenden Brunnenwässern vermischen. Ferner ist zu beachten, dass die Brunnen
tiefer als die Schlinggruben liegen, dass aber die Flüssigkeit in den letzteren ein höheres
-peeifisches Gewicht als das Brunnenwasser hat, weshalb sie sich nach dem leicht durch-
dringlichen Untergrund begibt und mit dem leichteren Wasser des Erdreichs, welches
die Brunnen speist, vermengt.
Diese Vermischung der verschiedenen Flüssigkeiten wird auch dadurch nicht ver-
hütet, wenn die Schlinggruben in eine tiefere Lage als in die der Brunnen münden: denn
auch hier muss theils durch den Unterschied des speeifischen Gewichts, theils durch den
hydrostatischen Druck und theils durch die Diffusion der Flüssigkeiten ein Mischen der
beiden Flüssigkeiten stattfinden. Allerdings begünstigt das Erdreich die Zersetzung resp.
Entmischung der putriden Flüssigkeiten ganz bedeutend: jedoch ist bei diesem natür-
lichen Desinfectionsmittel sehr wohl zu beachten, dass diese Zurückführung in die un-
schädlichen Endproducte bei der geringen Zufuhr des atmosphärischen Sauerstoffs eine
höchst langsame ist und grade die intermediären, zwischen Fäuln iss und voll-
ständiger Oxydation stehenden Substanzen es sind, welche durch ihre Vermischung
mit dem Trinkwasser höchst nachtheilig auf den thierischen Organismus einwirken.
Wenn die Analyse von städtischen Trinkwässern so häufig einen Gehalt an orga-
nischen Stoffen nachweist, so sind es hauptsächlich diese intermediären Stoffe, welche
die Schädlichkeit dieser Wässer bedingen.
Ein zweiter Factor, welcher das Aufsteigen der Flüssigkeiten nach oben resp. ein
Vermischen der verschiedenen Flüssigkeiten im Erdboden bedingt, beruht auf der Ver-
dunstung der Erdoberfläche, weshalb namentlich in heissen und trocknen Sommern
jener Umstand eintritt.
Ganz ähnlich wirkt eine starke Benutzung des Brunnens, was bezüglich der
öffentlichen Brunnen sehr zu beachten ist: erfahrungsgemäss wird das Wasser stark
benutzter Brunnen ärmer an fixen Bestandtheilen und zwar deshalb, weil beim raschen
Ersatz det V, assers im Brunnen dem erstem keine hinreichende Zeit gelassen wird, sieb
mit den Mineralsubstanzen des Boden.- zu sättigen. Dagegen sind alle leicht löslichen
Chloride, die Nitrate und die organischen putriden Stoffe desto reichlicher darin ver-
treten, wenn in der Nähe öffentlicher Brunnen der Boden mit Fäcalstoffen impräg-
nirt i-t.
Wasserdichte (cemontirtel Brunnenschächte, welche auch durch abgesenkte
eiserne Röhren repräsentirt werden, können zwar das seitliche Eindringen von
putriden Stoffen verhindern, ob aber dadurch auch das Eindringen derselben von unten
Brunnen. 117
verhütet wird, hängt von localen Terrainverhältnissen ab. In an Flüssen gelegenen
Städten kann durch das Variiren des Flussniveaus nie eine Ruhe im Grundwasser
eintreten und keine scharfbegrenzteMischungszone sich bilden; es ist des-
halb auch nicht möglich, mit positiver Bestimmtheit die Grenze zu bestimmen, wo das
Vermischen der putriden Stoffe mit dem Grundwasser aufhört.
Hat man es dabei wie in den Rheingegenden mit einer Kalk- und Sandschicht zu
thun, so wird durch die Porosität derselben eiu unendlich rasches Diffundiren der ver-
schiedenen Flüssigkeiten bedingt. Ist die Sand- oder Kiesschicht sehr fein und thon-
arm, so kann von einer wirklichen Begrenzung der Mischungszone noch weniger die
Rede sein ; die Flüssigkeiten werden alsdann von der Erdschicht wie von einem porösen
Schwämme aufgesaugt. Fehlt es dabei noch an einer die verschiedenen Schichten von
einander trennenden Thonp chicht, so ist ein unbegrenztes Mischen der in die
Kiesschicht eindringenden Flüssigkeiten ermöglicht; das Absenken von
Rohren in den Brunnen vermag alsdann das Trinkwasser nicht vor der Verunreinigung,
welche durch die Schlinggruben in das Erdreich dringen, zu schützen.
Wenn sich diese Nachtheile in den an Flüssen gelegenen Städten noch nicht überall
in prägnanter Weise kundgegeben haben, so verdankt man dies grösstentheils dem zu
Zeiten eintretenden Auswaschen des Bodens resp. Verdünnen der putriden Flüssigkeiten
durch das Steigen des Flusswassers; freilich während solcher Ueberschwemmungen und
kurz nach denselben machen sich, wie schon erwähnt worden, die schädlichen Einflüsse und
Folgen oft besonders geltend. Mag auch in den Theorien, nach welchen ein mit faulenden
organischen Substanzen imprägnirtes Grundwasser in causale Verbindung mit der Ent-
stehung von epidemischen Krankheiten, namentlich von Cholera und Typhus gebracht
wird, Manches streitig sein, so fordert uns schon allein die Sorge für ein gutes
Trinkwasser auf, alle Abtritts - Schlinggruben gänzlich auszurotten und
mit diesem schlechten und nicht mehr haltbaren System zu brechen.
Absorbirende oder verschluckende Brunnen (Puits absorbants) hat man
in einigen Gegenden von Frankreich errichtet, um eine Menge von Abfallwässern unter-
zubringen. Es richtet sich nur nach den Terrainverhältnissen, ob sie ohne Schaden be-
nutzt werden können; letzteres ist nur möglich, wenn sie in einer isolirten Mischungs-
schicht, welche nicht mit einem Flussgebiete in directer Verbindung steht, angelegt
werden. Sie können deshalb auch nur eine sehr vereinzelte locale Anwendung finden,
und sind sie z B. an den Ufern des Niederrheins gänzlich zu verwerfen, da die dortigen
Terrainverhältnisse ihre Anlage verbieten.
Die Schlinggruben für Küchenwasser, Seifenwasser etc. kann man wegen
ihres leichten Verschlammens für weniger schädlich als die Abtritts-Schlinggruben halten,
da sie schliesslich, wenn sie angefüllt sind, zum häufigen Reinigen nöthigen und somit
dem eigentlichen Zwecke des Schlingens weniger entsprechen. Auch ist ihr Inhalt in
qualitativer Beziehung weniger gefährlich als der der Abtritts-Schlinggruben, weil man
es bei letztern mit den leicht löslichen Chloriden und salpetersauren Salzen zu thun hat
und hierdurch das Durchtränken des Erdbodens mit organischen Substanzen begünstigt
wird. Am zweckmässigsten ist es, die sogenannten Küchenwässer in die öffentlichen
Canäle der Stadt abfliessen zu lassen.
Schliesslich muss die Reinerhaltung des Bodens die Hauptsorge und das
immer mehr zu erstrebende Ziel einer jeden Stadt oder Gemeinde sein.
• Die von v. Pettenkofer wieder angeregte Grundwasserfrage steht seit vielen Jahren
auf der Tagesordnung, weil man einen Zusammenhang von epidemischen Krankheiten mit
dem Stande des Grundwassers zu finden glaubte. In Berlin ist letzterer insofern von
Wichtigkeit, als eine zu grosse Feuchtigkeit des Bodens dadurch bedingt wird, nament-
lich wenn das Grundwasser schon bei einer Tiefe von 3 — 4 Fuss unter der Oberfläche
angetroffen wird; dass hierdurch die Fundamente der Häuser, namentlich die Keller-
wohnungen nachtheilig berührt werden müssen, bedarf keiner weitern Erörterung.
Die hiesigen Untersuchungen haben ergeben, dass das Grundwasser hauptsächlich
von atmosphärischen Niederschlägen abstammt und die Strömung desselben
fegen die Spree hin gerichtet ist; seine Temperatur war am niedrigsten, wenn es seinen
ochsten Stand erreicht hatte, und umgekehrt am höchsten, je stärker es sank.15)
Das Hauptgewicht ist auf die häufige Verunreinigung des Grundwassers mit putriden
Stoffen zu legen, die stets mit dem Zurücktreten des Grundwassers in Folge der statt-
fehabten Ausspülung des Bodens sich am meisten bemerkbar machen wird. Je höher
as Grundwasser steigt, desto mehr und desto leichter wird es den Boden auslaugen,
beim Sinken aufgewühlte unreine Stoffe nach sich ziehen und in diesem Zustande auch
nicht ohne Einfluss auf die Beschaffenheit der Brunnenwässer bleiben.
Wenn den Städten kein Quellwasser zugeführt werden kann, so muss den
Brunnen eine um so grössere Sorgfalt gewidmet und ihre Verunreinigung als ein
Verbrechen an der öffentlichen Gesundheit betrachtet werden.
118 Sauerstoff uud Wasserstoff.
Darüber dürfte kein Zweifel herrschen, dass namentlich Typhus und Cho-
lera in vielen Fällen in einem ätiologischen Verhältniss zum Genuss eines
schlechten, mit organischen Fäulnissproducteu verunreinigten Wassers stehen. In
dieser Beziehung ist namentlich die Beobachtung von Ballard lfi) beachtungs-
werth, welcher in der Nähe von London eine ganz beschränkte Typhusepidemie
mit höchster Wahrscheinlichkeit auf den Genuss von Milch, die mit fauligem,
durch Canalinhalt verunreinigtem Wasser vermischt worden war, zurückführen
konnte. In mehreren Fällen liegt der Nachweis vor, dass der Typhus in Städten
nur in dem Gebiete sich entwickelte, wo die Einwohner auf den Genuss eines
wirklich schlechten Trinkwassers angewiesen waren, während derjenige Theil der
Bevölkerung, welchem gutes Quellwasser zu Gebote stand, frei davon blieb.
Ausser vielen anderen Autoren, die dem unreinen Trinkwasser eine wich-
tige Rolle bei der Entstehung von Typhus zuschreiben, spricht sich Lebert ganz
entschieden für diese Ansicht aus und nennt den Abdominaltyphus das en-
demische, die Cholera das epidemische Barometer für schlechtes Brunnen- und
Trinkwasser. 1T)
Es ist übrigens uicht zu verkennen, dass man sich bei den bezüglichen
ätiologischen Forschungen eine Einseitigkeit zu Schulden kommen lässt, wrenn
man nur einem Factor Rechnung trägt; uud was versteht man unter schlech-
tem Trinkwasser? Doch nur solches, welches mit putriden Stoffen oder inter-
mediären Fäulnissproducten verunreinigt ist, während man nicht berechtigt ist,
die Chloride. Nitrate u. s. w. desselben von vornherein als Krankheitsursachen
hinzustellen und alle Brunnen, welche ein solches Wasser liefern, zu verdächti-
gen. In dieser Beziehung spielt das post hoc ergo propter hoc noch eine zu grosse
Rolle, so dass es immer geboten erscheint, bei der Trinkwasserfrage nur zuver-
lässige Thatsachen und strenge Beobachtungen gelten zu lassen.
Auch in der Thierheilkunde will man die Beobachtung gemacht haben, dass
beim Rindvieh der Milzbrand entsteht, wenn es Wasser aus Brunnen, zu dem
die Mistjauche Zutritt hat, oder aus Teichen, deren Wasser mit vielen faulenden
vegetabilischen Substanzen geschwängert ist, säuft. Es machen sich hierbei übri-
gens dieselben Erfahrungen wie beim Erkranken der Menschen geltend; kräftige
und stärkere Thiere überwinden häufig die einwirkenden Schädlichkeiten, bei an-
deren zeigen sich die Folgen erst nach Wochen oder Monaten, während wieder
andere kurze Zeit nach dem Genuss au Blutzersetzung und Lähmung zu Gründe
gehen.
Immer werden die in Zersetzung begriffenen Substanzen, ganz be-
sonders wenn sie thierischer Natur sind und mittels des Wassers rascher
und reichlicher dem Blute zugeführt werden, mehr oder weniger nach der indivi-
duellen Constitution und Disposition Krankheitsprocesse zu erzeugen vermögen.
Dies ist um so sicherer der Fall, wenn gleichzeitig noch andere schädliche, in der
ganzen Lebensweise begründete Factoren hinzutreten, deren Erforschung eine
nicht minder wichtige Aufgabe ist.
Reinigung des Wassers. Die Reinigung des Wassers mittels Filtration
ist besonders für technische Zwecke wichtig, wenn es sich darum handelt,
aufgeschwemmten Schlamm und ähnliche Unreinigkeiten zu entfernen.
Flusswasser mittels Filtration zu reinigen und dadurch als Trinkwasser zu
verwerthen, ist eine traurige Noth wendigkeit geworden, obgleich die filtrirenden
Substanzen: Kies, Flusssand, Wolle u. s. w. nur die gröberen suspendirten
Reinigung des Wassers mittels Filtration. 119
Bestandteile, wie Erde, Thon und Schmutz, zurückhalten, aber auch die Kohlen-
säure theilweise oder ganz iu sich aufnehmen. Dabei kann die Anwendung der
Wolle, welche in neuester Zeit vorgeschlagen worden ist, zu manchem Bedenken
Veranlassung geben, da die filtrirende Substanz selbst der Verwesung unterliegen
und somit zu einer Verunreinigung des Wassers durch organische Substanzen
führen kann.
In London will man die Beobachtung gemacht haben, dass in gewissen
Stadtvierteln, welche mit filtrirtem Flusswasser versorgt werden, die Cholera mit
ungleicher Intensität auftrat, je nachdem von einer bestimmten Wasserleitungs-
Anstalt das Wasser geliefert wurde; der Bezirk der einen Anstalt hatte nachweis-
lich mehr Kranke als der der anderen.
Man hat auch die Thierkohle und den Thon als filtrirende Substanzen
vorgeschlagen; wenn hierdurch jedenfalls die Riech- und Farbstoffe beseitigt
werden, so ist jedoch erwiesen, dass nicht alle aufgelösten organischen Stoffe
zurückgehalten werden. Die Kohle muss ausserdem stets nach einiger Zeit wieder
ausgeglüht werden, wenn sie ihre Wirkung behalten soll. 18)
Unter den verschiedenen Filtrirmethoden ist die Schottische Gravita-
tions-Filtrirmethode zu nennen, wobei drei terrassenförmig übereinander auf-
gestellte Filtrir-Reservoirs in Thätigkeit sind; zwischen den Filtern befinden sich
Räume von wasserdichtem Mauerwerk.
Fon'vielle wendet gleichzeitig einen hydrostatischen Druck an, indem der
Sammler 12 Meter hoch über dem Filtrir-Apparat steht; bei seinem „Filtre plon-
geur" liegen die filtrirenden Substanzen (Kies, Sand, Flockwolle) im Wasser. 19)
Die städtischen Wasserleitungen behufs Filtration von Flusswasser bestehen
aus der Wasserhebungs-, Filtrir- und Wasservertheilungs- Anlage.
Anstatt das Flusswasser direct zu benutzen, ist es zweckmässiger, in der nächsten
Nähe des Flusses Brunnen zu taufen, um auf diese Weise die erste Filtration zu
bewirken. Von hier aus wird das Wasser durch die Wasserhebungsmaschine in
die Filtrirbassins gefördert; diese werden in der Regel von Erddämmen ein-
geschlossen, welche mit einem Thonschlag bedeckt und mit Steinen abgepflastert
werden. Die Filtrirschicht besteht aus einer Bruchsteinlage, aus Lehmsteinen
und einer Kieslage, über welche schliesslich eine Sandschicht angebracht wird.
Das filtrirte Wasser gelangt durch gusseiserne Röhren in das Reinwasser-
Reservoir im Maschinenhause, wird von dort zu dem Hochreservoir gehoben und
gelangt alsdann mittels der Abfallsrohrleitung nach dem Rohrnetz der Stadt.
Für manche industrielle Zwecke, für Bleichereien, Gerbereien, Färbereien,
Papierfabriken, Brauereien, Leim- und Zuckersiedereien, sowie zum Speisen der
Dampfkessel reicht das filtrirte Flusswasser vollkommen aus; für den Genuss
bietet es nur unter Umständen die Garantie eines gesunden und schmackhaften
Trinkwassers dar, wenn man nämlich über die Benutzung eines Flusswassers,
welches noch frei von schädlichen Zuflüssen ist, gebieten kann oder die Anlage
grosser Brunnen in der Nähe des Flusses ermöglicht ist.20)
Um trübes Flusswasser klar zu machen, reichen sehr geringe Mengen
von Alaun aus; bekanntlich bedienen sich die Chinesen des cubischen Alauns
zum Klären des Wassers des gelben Flusses. Durch die Zersetzung des Alauns
bildet sich nämlich Calciumsulfat, welches präcipitirt wird, während die
freigewordene Thonerde (Aluminium hydrat) die der Humussäure ähnlichen
Säuren sowie alle Riech- und Farbstoffe absorbirt und sich mit ihnen nieder-
120 Sauerstoff and Wasserstoff.
schlägt. Von den aufgelösten organischen Körpern sind es nur die albumin- und
casei'nhaltigen Bestandteile, nicht aber die leim haltigen, welche hierbei präcipitirt
werden.
Auch durch Kochen kann manches unreine Wasser rein und geniessbar
gemacht werden, weil dadurch gleichzeitig mit dem Kalke nicht nur andere mine-
ralische, sondern auch viele organische Bestandtheile abgeschieden werden.
Gyps lässt sich am besten schon durch einfaches Erwärmen des Wassers
entfernen, da er im heisseu Wasser weniger löslich ist, als im kalten; er
schiäst sich mit dem Calciumcarbonat uieder; eine Eigenschaft, welche er mit
vielen baldriansauren Salzen, namentlich mit baldriansaurem Zink und Cal-
cium theilt. Gvps ist als Bestaudtheil des Trinkwassers auch deshalb noch
beachtungswerth. weil er in Berührung mit organischen Stoffen leicht Schwefel-
calcium resp. Schwefelwasserstoff erzeugt und alsdann das Wasser ungeuiess-
bar macht.
Für die Industrie ist ein grosser Kalkgehalt des Wassers oft
nachtheilig; schon beim gewöhnlichen Waschen in den Haushaltungen muss be-
kanntlich bei einem kalkreichen Wasser mehr Seife gebraucht werden als bei
einem weichen Wasser, da die Kalksalze die Seife zerlegen und sich mit der Talg-
und Oelsäure derselben zu talg- uud ölsaurem Calcium verbinden, während an-
dererseits ein auflösliches Xatriumsalz entsteht.
Die Kalksalze kann man vor dem Gebrauche des Wassers mit Seifenspiritns
oder etwas Opodeldoc niederschlagen und annähernd nachweisen: diese Methode
ist aber unsicher. Für technische Zwecke präcipitirt mau sie mit Natrium- oder
Kaliumcarbouat; ist der Kalk an Kohlensäure gebunden, so setzt man Kalk-
wasser hinzu, damit sich der Kalk mit der freien Kohlensäure, welche die Auf-
löslichkeit des Calciumcarbonats bedingt, wieder zu Calciumcarbonat verbindet;
dieser schlägt sich dann allmählig nieder.
Durch Kalk können auch Eisen, Magnesia und Humussäure nieder-
geschlagen werden; diese Methode ist deshalb besonders in Papierfabriken
angezeigt.
In den Haushaltungen wirft man oft Kochsalz in die Brunnen zur angeb-
lichen Verbesserung des Wassers; es können hierdurch nur vorübergehend die
niedrigen Organismen im Wasser vernichtet werden und einen bedeutenden Zweck
erreicht man dadurch nicht. Früher war es auch sehr gebräuchlich, Eisen feile,
Blechschnitzel, Drehspäne u. s. w. in die Brunnen zu werfen; durch die
Einwirkung der Luft bildet sich allmählig kohlensaures Eisenoxydul, welches sich
im Wasser mehr oder weniger löst und ganz besonders die Humussäure festhält,
so dass durch dieses Verfahren alle humosen Substanzen sicher weggeschafft
werden. Durch Kochen oder längeres Stehenlassen des Wassers an der Luft tritt
die Kohlensäure wieder aus und das Oxydul verwandelt sich in Eisenoxyd-
hydrat, welches niederfällt.
Folgendes Verfahren hat sich bei der Reinigung des Maaswassers, worauf
namentlich die am unteren Theile ihres Laufes gelegenen Ortschaften für ihr
Trinkwasser angewiesen sind, vollkommen bewährt: Auf jedes Liter Wasser werden
0,032 Grm. trocknes Eisenchlorid in der nöthigen Menge destillirten Wassers
gelöst zugesetzt; nach dem Umrühren lässt man das Wasser 36 Stunden lang
stehen, bis sich ein flockiger Niederschlag abgesetzt hat. Obgleich die Unter-
suchung die Bildung von freier Salzsäure nicht nachgewiesen hat, so zieht man
Construction der Pumpen. 121
es doch vor, dem Wasser einige Stunden vor seinem Gebrauche noch eine dem
angewendeten Eisensalze äquivalente Menge krystallisirter Soda (0,055 Grm. für
das Liter) zuzusetzen.
Schwere Metalle können aus natürlichen oder zufälligen Ursachen in das
Wasser gelangen. Die natürlichen Ursachen hängen von dem Vorbandensein ver-
erzten Gesteins ab, welches durch den Gehalt des Wassers an Sauerstoff und
Kohlensäure gleichsam einem Verwitterungsprocess unterliegt und die löslichen
Salze dem Wasser zuführt; zufällig können solche Metalle, z. B. durch die Lei-
tung des Wassers, in dasselbe gelangen. Wasser in Bleicysternen wird immer
bleihaltig; fliesst dasselbe durch Bleiröhren bei Abschluss der atmosphärischen
Luft, so findet keine Auflösung statt. Lufthaltiges destillirtes Wasser löst davon
am meisten auf; es bildet sich zuerst Bleioxyd, welches sich als Bleicarbonat
niederschlägt. Am allerleichtesten lösen warme Wasserdämpfe Blei auf, wenn
die atmosphärische Luft Zutritt hat; man sieht dies_ besonders, wenn bei der
Destillation die Wasserdämpfe Bleiröhren passiren*).
Organische Substanzen, wie Baldrian- und Buttersäure, wirken auf alle
Bleisalze und sogar auf das sonst unlösliche Bleisulfat lösend ein; ein Umstand,
welcher die grösste Beachtung verdient. Ausser diesen organischen Säuren be-
günstigt auch das Vorwalten der Chloride und Nitrate im Brunnenwasser die
Aufnahme des Bleies. Bei frischen bleiernen Pumpenröhren ist das Wasser,
welches in der ersten Zeit herausbefördert wird, stets bleihaltig; hat sich später
im Innern der Röhre eine Incrustation von Sulfaten und Carbonaten des Metalls
gebildet, so ist wegen der unter gewöhnlichen Verhältnissen unlöslichen Beschaffen-
heit dieser Salze keine weitere Gefahr bei dem Gebrauche solcher Pumpen ver-
bunden, wenn sie nicht durch das Wasser mechanisch nach oben befördert werden.
Man soll jedoch nie alte, schon bei Wasserleitungen gebrauchte Röhren für
Pumpen verwenden, weil dann andere Bestandteile des neuen Brunnenwassers,
welche dem ersteren Wasser fremd waren, die Incrustationen möglicherweise auf-
zulösen vermögen.
Construction der Pumpen. Hierbei niuss es stets Grundsatz bleiben, so
viel als möglich das Blei zu vermeiden; die Bleistiefelaufsätze, welche über
dem Kolben das gehobene Wasser aufnehmen, bieten namentlich dem Wasser ganz
unnöthigerweise eine grosse metallische Oberfläche dar.
Sind solche Aufsätze nöthig, so ist es in sanitätspolizeilicher und auch in
pecuniärer Beziehung zweckmässiger, sie aus Eisen zu construiren; dasselbe gilt
auch bezüglich des Steigrohrs. Ebenso sind die kleinen Befestigungslap-
pen, welche zur Unterstützung der Pumpe und des Saugrohrs dienen, zu vermeiden,
da sie, der feuchten Atmosphäre ausgesetzt, der Oxydation leicht unterworfen
sind und somit viel leichter eine Verunreinigung des Wassers ermöglichen, wes-
halb in solchen Fällen den Brunnen mehr von oben, als von unten Blei zuge-
führt werden kann.
Dies wird erklärlich, wenn man bedenkt, dass durch das Aufpumpen von
kaltem Wasser an den obern Theilen des bleiernen Steigrohrs, sowie am untern
Theile des oben im Brunnen befindlichen Bleistiefels und an den Befestigungs-
lappen derselben sich aus den wärmeren Liiftschichten Wasserdämpfe mit ihren
*) 1075 CC. Wasser ergaben bei der Destillation durch bleierne Röhren 0,275 Grm.
Bleisulfat. Das dazu verwendete Wasser enthielt in 100 Grm. 0,089 Ammoniak, 0,051 Gyps
(wasserfrei), 0,002 Kieselsäure und 0,010 Phosphorsäure.
122 Sauerstoff und Wasserstoff.
verschiedenen Verunreinigungen (Ammoniak, Salpeters. Salze u. s. w.) niederschla-
gen, welche die Oxydation des Bleies hervorrufen und bei ihrem Abfliessen oder
Abtropfen das oxydirte resp. gelöste und suspendirte Bleioxyd dem Brunnen zu-
führen. Es ist auch eine bekannte Thatsache, dass bei solchen Ein-
richtungen von Pumpen das Brunnenwasser im Sommer bleihaltiger
als im Winter ist.
Hat sich in Folge der Oxydation stickstoffhaltiger orgauischer Substanzen
Ammoniak im Wasser gebildet, so wirkt es durch seine Gegenwart sehr
fördernd auf die Oxydation von Blei, Kupfer, Zink und Eisen ein. Das
Kupfer gelangt sogar auf diese Weise in gelöster Form in's Wasser und zwar in
ammouiakalischen Knpferoxydverbindungen; kupferne Röhren sollten deshalb nie
zu Wasserleitungen und Brunnen gebraucht werden. Auch bei der Destillation
des Wassers durch kupferne Schlaugengewinde wird dem übergehenden Wasser
stets Kupfer mitgetheilt; so ergaben in eiuem concreten Falle 100 Grra. destillirtes
Wasser 0,002 Kupferoxyd.
Zinkene Röhren sind insofern unschädlich, als sich durch die Einwir-
kung von Ammoniak unlösliche basische Verbindungen bilden; sie stehen
daher in dieser Beziehung in gleicher Linie mit den bleiernen Röhren und haben
insofern noch einen Vorzug vor letzteren, als sich diese Verbindung rasch bildet
und das Metall vor weiteren Eingriffen schützt; sie sind aber dennoch stets zu
verwerfen.
Bei eisernen Leitungsröhren entsteht leicht ein Niederschlag von ba-
sischem kohlensaurem Eisenoxydul und Eisenoxyd, welches viel Ammoniak
bindet, womit alsdann jede weitere Zersetzung aufgehoben ist. Wird aber koch-
salzhaltiges Wasser, z. B. bei Salinen, durch eiserne Röhren geleitet, so wird das
Eisen angegriffen; es bilden sich Wülste und Risse, welche die Leitung sehr
behindern.
Die besten Leitungsröhren für Wasser sind die thönernen und inwendig
gut glasirten Röhren und nur diese sollten zur Verwendung kommen.
Kesselstein. Beim Kochen des Wassers scheidet sich ein Theil der Mineral-
bestandtheile desselben aus und dieser umschliesst auch mehr oder weniger die orga-
nischen Substanzen. Diese krustenähnliche Ausscheidung, welche man Kessel-
stein zu nennen pflegt, hat eine sehr verschiedenartige Zusammensetzung und
nicht bloss eine polizeiliche Bedeutung bezüglich der Entstehung von Explo-
sionen, sondern er verdient auch in sanitärer Bedeutung grosse Beachtung.
Man nimmt einen weichen und einen harten Kesselstein an; beide Arten
unterscheiden sich häufig schon durch ihre Farbe, indem ersterer durch den Gehalt an
Eisenoxydhydrat gelblichgrau, letzterer dagegen durch das Vorhandensein humus-
ähnlicher Verbindungen braun bis braunschwarz gefärbt ist. Der weiche Kessel-
stein besteht hauptsächlich aus kohlensaurem, schwefelsaurem, phosphorsaurem Cal-
cium, kohlensaurem Magnesium, einer geringen Menge von Silicaten, stets aus Eisenoxyd-
hydrat, Manganoxyduloxyd und bisweilen auch aus Arsen ; man kann annehmen, dass unter
100 Brunnen wohl 80 einen Kesselstein liefern, der einen Arsengehalt hat.
Der harte Kesselstein besteht ausser den eben angegebenen Bestandtheilen
noch aus grossen Mengen von humussaurem Calcium und kieselsauren Verbindungen; das
Auftreten der letzteren in erheblicher Menge bedingt die Härte und Festigkeit des Steins.
Vorzugsweise sind es die Wässer, welche aus sumpfigen Gegenden, aus Torfmooren oder
Braunkohlenlagern gewonnen werden, die den harten Kesselstein bilden.
Wenn der weiche Kesselstein schon Schwierigkeit bei der Erzeugung von Wasser-
dämpfen in geschlossenen Gefässen bietet, so thut dies der harte um so mehr; ersterer
kann durch sogenannte Vorwärmer aus dem Speisewasser grösstentheils entfernt werden,
wenn man nicht das Incrustiren der Kessel durch bestimmte Zusätze zum Wasser zu
Kesselstein. ] 23
verhindern sucht. So sind z. B. Chlorbarium zur Fällung des Calcium sulfats uud etwas
Kalkmilch zur Fällung des Calciumcarbonats Mittel, welche man in dieser Beziehung
in der neuesten Zeit mit dem besten Erfolg anwendet.21)
Der harte, kieselhaltige Kesselstein bietet dagegen seiner Entfernung oder Zer-
theilung viel grössere Schwierigkeiten dar; er setzt sich nämlich erst dann aus dem
Wasser ab, wenn dies eine gewisse Concentration erhalten hat, weshalb Vorwärmer hier-
bei nicht mit Erfolg anzuwenden sind.
Der harte Kesselstein lagert sich so fest an das Eisen au, dass man ihn
nur mit Hammer und Meissel entfernen kann; wenn nun die Ablagerung einige
Linien dick geworden ist, so müssen bei der schlechten Wärmeleitungsfähigkeit
des Steins die Eisenplatten in's Glühen gebracht werden, um den Kesselinhalt in's
Sieden zu bringen. Dadurch ist aber eine Zersetzung der in dem Kesselstein ent-
haltenen organischen Substanzen unvermeidlich, deren Producte theils brenzlicher
Natur sind, theils aus den bei der trockenen Destillation auftretenden Gasen be-
stehen; letztere sind: Kohlensäure, gasförmige und flüssige Kohlen-
wasserstoffe, Kohlenoxyd, Ammoniak, Schwefelwasserstoff resp.
Schwefelammonium. Alle diese Producte bieten ein sanitäres Interesse dar; es
werden nämlich die Dampfkessel häufig in der Art gereinigt, dass man, nachdem
das Feuer ausgezogen worden, das siedende Wasser aus dem Kessel abfliessen
lässt. Da nun aber durch die sehr hohe Temperatur des Feuerraums, sowie der
über diesem zunächst liegenden Kesselplatte die Zersetzung der organischen Sub-
stanz des Kesselsteins bedingt wird, so kann nach der Entfernung des Wassers
aus dem Kessel noch eine weitere Zersetzung des Kesselsteins stattfinden, und
werden die dabei sich entwickelnden Gase den Kesselraum, wenn auch nur in
verdünntem Zustande, erfüllen.
Wird nun ein 'solcher Kessel nach dem Abkühlen von einem Arbeiter be-
treten, so wird letzterer der Einwirkung dieses Gasgemisches ausgesetzt sein und
mehr oder weniger von dem schädlichen Einflüsse desselben getroffen werden.
Zur Bestätigung der eben ausgesprochenen Ansichten wurde ein Kesselstein einer
Eisenbahn -Werkstätte, welcher sehr kiesel- und humussäurehaltig war, in eine Verbren-
nungsröhre von streng flüssigem Glase in einem Liebifächen Verbrennungsofen einer er-
höhten Temperatur bis zur Pothglühhitze ausgesetzt. Die sich entwickelnden Dämpfe
und Gase waren brennbar; sie enthielten besonders flüssige Kohlenwasserstoffe,
theerähnliche Substanzen und waren, nachdem Ammoniak und Schwefel-
wasserstoff ausgeschieden worden, befähigt, in einer Auflösung von Palladium-
chlorür einen bedeutenden schwarzen Niederschlag zu erzeugen, welcher unzweifelhaft
Kohlenoxyd-Palladium war. Der Kesselstein resp. der Kesselschlamm aus den
Dampfkesseln der Seeschiffe bietet die Bedingungen zur Bildung dieser Gasgemische im
höchsten Grade dar; namentlich muss hier auch durch die Ansammlung und Zersetzung
thierischer Substanzen eine beträchtliche Bildung von Ammoniak und andern schäd-
lichen Gasen hervergerufen werden. Dass dies keine theoretischen Anschauungen sind,
beweisen die wirklich vorgekommenen Unglücksfälle bei Arbeitern und Matrosen, welche
die Dampfkessel sogleich nach kaum geschehener Abkühlung betreten. Fanssagriv.es 22)
beschreibt einen solchen von Bourel-Ronciere beobachteten Fall ausführlich und hebt
dabei mit Recht hervor, dass es sich hierbei um keine einfache Asphyxie, sondern um
eine wahre Vergiftung handle. Auch theilt er nicht die Ansicht von Bourel-Ronciere,
dass Ammoniak allein die gefährlichen Zufälle hervorgerufen habe, sondern er nimmt
an, dass sich mit dem Ammoniak „eines der feinen Gifte verbunden habe, welches die
Chemie noch nicht dargestellt und nicht isolirt habe, das jedoch bei der Zersetzung der
organischen Substanzen entstände". Glücklicherweise ist die Chemie wohl im Stande, hier-
über Aufklärung zu verschaffen; auch sind, wie oben erörtert worden ist, die Bedin-
gungen zur Entstehung dieser Gifte hinreichend bekannt und ihre Verschiedenheit ist
nur von der verschiedenen Beschaffenheit der Kesselsteine abhängig.
Es kann daher auch nicht auffällig sein, dass nicht bei allen Dampfkesseln die
Entwicklung der genannten Gase stattfindet, weil eben der Gehalt an organischen Sub-
stanzen im Kesselstein sehr variabel ist.
Der Arbeiter, über welchen Fonssagrives berichtet, hatte 6 — 8 Minuten lang im
124 Sauerstoff und Wasserstoff.
Dampfkessel des Schiffes „Bisson" verweilt: nachdem er mit Mühe dieser schädlichen
Atmosphäre entrissen worden war, bot er folgende Erscheinungen dar: Vollständige
Asphyxie hei bläulichen Ohren, bläulicher Färbung der Lippen, angeschwollenen äusse-
ren Jugularvenen: dabei die Bulbi eonvulsiviseh in die Orbita hineingezogen, aufge-
hobene Respiration, die Pupillen ohne Reaction, die Extremitäten schlaff und unempfind-
lich gegen äussere Reizmittel. Langsame Wiederkehr der Respiration, wobei der Ver-
unglückte wie ein wiederbelebter Ertrunkener nach Luft schnappte; Congestion zum
Kopfe, kaum fühlbarer Puls und sehr gesunkene Temperatur der Extremitäten. Die
Innenfläche der Mundlippen und das Zahnfleisch waren mit einem zarten, weissen
Hauchen bedeckt, als ob diese Theile mit HölleDstein bestrichen worden wären; über
die untere Hälfte der Cornea zog sich ein querer Streifen von weisser Opalisirung,
dabei zusammengezogene Pupille und Injection der Conjuuctiva.
Als nach einiger Zeit die Sensibilität wiederkehrte, schloss der Kranke die bisher
halbgeschlossenen Augenlieder krampfhaft: diese Lichtscheu schwaud erst nach mehre-
ren Tagen. Durch Anwendung von äusseren Reizmitteln und die Einleitung der künst-
lichen Respiration mittels Erweiterung und Compression des Brustkorbes besserte sich
allmählig die Athmung. der Puls hob und beschleunigte sich mit der wiederkehrenden
äusseren Wärme
Bei jeder Athembowcgung quoll viel Schleim hervor und erst dann regulirte sich
die Respiration, als es dem Kranken möglieh wurde, selbstständig eine Menge blutigen
Schleimes auszuwerfen. Auf dies Stadium der Asphyxie folgte ein Stadium der hefti g-
sten Krämpfe; es zeigte sich Trismus, Zähneknirschen, tetanische Contractur der
oberen Extremitäten und der Nackenmuskeln mit nach hinten zurückgezogenem Kopfe.
Diese Symptome hielten eine Viertelstunde lang an. worauf ein unruhiges Hin- und Her-
werfen des Körpers und eine ganz unregelmässige Bewegung der Arme mit abwechseln-
der Flexion und Extension der Sehenkel eintrat.
Gegen S Uhr erfolgte der Unfall : gegen 10 Uhr trat nach dieser Periode der Un-
ruhe Schlaf ein: bis 9 Uhr hatte der Kranke keinen Laut von sich gegeben. Das Sen-
sorium blieb 26 Stunden lang getrübt, worauf eine starke fieberhafte Reaction eine Blut-
entziehung nöthig machte. Am 5. Tage Reconvalescenz : eine grosse allgemeine Schwäche
hielt aber noch längere Zeit an.
Die Symptomatologie dieses Falles spricht mit ganzer Bestimmtheit für eine
Intoxication durch giftige Gase. Die Opalisirung der Cornea und die Ent-
färbung der Schleimhaut der Muudlippen sowie des Zahnfleisches führen zu-
nächst auf eine amraoniakalische Einwirkung hin. Ammoniakgas vermag
aber nicht die zwei bestimmt ausgesprochenen Stadien von Asphyxie und Con-
vulsionen hervorzurufen; dieses Krankheitsbild spricht mehr für die stattge-
habte Einwirkung von Schwefelammonium. Bezüglich der Opalisirung der
Cornea hat Schwefelammonium dieselbe Wirkung wie reines Ammoniakgas, er-
zeugt aber ausserdem noch sehr rasch Asphyxie und tetanische Krämpfe.
Die tetanische Erstarrung einzelner Muskelpartien kommt vorzugsweise bei der
Einwirkung von Schwefelwasserstoff und Schwefelammonium vor; ebenso möchte
die starke Reizung der Bronchialschleimhaut als eine Folge von eingeathmetem
Schwefelammonium zu betrachten sein.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass auch gleichzeitig Kohlenoxydgas ein-
gewirkt hat; um hierüber positive Gewissheit zu erlangen, hätte man den
Kesselstein des betretenen Dampfkessels einer sorgfältigen chemischen Analyse
unterwerfen müssen, was in dem betreffenden Falle nicht geschehen ist.
Aus allen diesen Thatsachen geht nun mit Bestimmtheit hervor, dass die
Entfernung des Kesselsteins aus Dampfkesseln für die Arbeiter unter Umständen
mit grosser Gefahr verbunden seiu kann. Die Vorsicht erfordert es, dass
man in allen Fällen die zum Ausströmen der Gase nothwendige
Zeit abwarten muss, ehe die Arbeiter hineinsteigen. Bei Seeschiffen
geschieht die Manipulation zur Entfernung des Kesselsteins gewöhnlich sehr
rasch, so dass man häufig kaum die zur Abkühlung der Dampfkessel nothwendige
Zeit abwartet, daher auch hier am meisten Fälle von Intoxicationen vorkommen.
Reinigung des Meerwassers durch Destillation. 125
Die Reinigung und Darstellung des Trinkwassers aus dem Meerwasser mittels
Destillation. Von der grössten Wichtigkeit ist die Beschaffung guten Trinkwassers
für die Schiffsmannschaft. Das Mitführen von süssem Wasser in inwendig verkohl-
ten Tonnen kann selten, namentlich für längere Zeit, dem Zwecke entsprechen;
derartiges Wasser ist arm an Kohlensäure und schmeckt fade. Besser haben sich
eiserne Wasserbehälter bewährt, obgleich sie durch die bedeutende Oxydation
der inneren Flächen sich schnell abnutzen.
Man hat lange Zeit Versuche angestellt, um das Meerwasser durch Destil-
lation trinkbar zu machen, und man ist auch schliesslich nach unzähligen Ver-
suchen dahin gekommen, sich auf diese Weise ein gutes Trinkwasser zu ver-
schaffen; es ist selbstverständlich, dass durch eine blosse Destillation das Ziel
kaum erreicht werden kann, es muss vielmehr allen Bestandtheilen des Meer-
wassers Rechnung getragen werden.
Fasst man die Bestandteile des Meerwassers näher in's Auge, so ergibt sich, dass
sie sowohl organischer, als auch unorganischer Natur sind. Bezüglich der organischen Be-
standteile ist zu bemerken, dass dieselben entweder durch zahllose Organismen oder
durch die Excremente der im Meere lebenden Thiere bedingt werden; diese organischen
Bestandtheile geben dem Destillate einen widerlichen, fischähnlichen Geschmack und
müssen deshalb vorweg beseitigt werden. Von einer grauenerregenden Beschaffenheit
ist besonders das Wasser in manchen Häfen, so dass es nicht einmal zum Reinigen der
Schiffe zu benutzen ist, weil es leicht Infectionsstoffe in die verschiedenen Räume zu
übertragen vermag.
Bezüglich der anorganischen Bestandtheile ist zu bemerken, dass vorzugsweise
Chlormagnesium die Güte des Destillats beeinträchtigt; alle anderen Mineralbestand-
theile, Kochsalz, Kalk, Alkalien, Schwefelsäure, Brom, Jod u. s. w. , können bei der De-
stillation nicht nachtheilig einwirken. Das Meerwasser muss deshalb, ehe es zur Destil-
lation kommt, einer vorläufigen Behandlung behufs Ausscheidung dieser die Destillation
benachteiligenden Substanzen unterworfen werden.
Das Meerwasser wird zu diesem Zweck in grossen eisernen Behältern mit Kalk-
milch unter Zusatz von Gerbstoff behandelt, und zwar setzt man zuerst Kalkmilch
zu, rührt eine Viertelstunde lang das Gemisch um und bringt es alsdann durch einge-
leitete Wasserdämpfe auf eine Temperatur von 50 — 60° C. ; hierdurch wird alles orga-
nische Leben zerstört und die von den Organismen herrührenden albuminösen Gebilde
coaguliren. Ferner wird das Chlormagnesium durch den Aetzkalk bei der Wärme
zersetzt und sämmtliche Magnesia ausgefällt; behufs raschen Präciprtirens setzt man alsdann
die Gerbstofflösung hinzu. Was die Menge des Kalkzusatzes betrifft, so muss man diese
durch mehrfache vergleichende Versuche zu ermitteln suchen; es ist nämlich für den
Wohlgeschmack des Wassers unerlässlich, dass kein Kalk im Ueberschuss vorhanden
ist. Würde man z. B. die Destillation nach einem überschüssigen Kalkzusatze machen,
so bekommt das Wasser einen höchst faden, unangenehmen Geschmack und zwar in
Folge von ammoniakalischen Verbindungen, welche sich aus den organischen Substanzen,
die sich im Wasser noch immer vorfinden, bilden. Während der Erwärmung durch
Wasserdämpfe entsteht stets ein widerlicher ammoniakalischer Geruch, welcher eben nur
von der Zersetzung der organischen Bestandtheile herrühren kann.
Nach der vollständigen Klärung wird das Wasser der Destillation unterworfen,
welche nur so lange fortgesetzt wird, bis das Sechsfache des Kesselinhalts durchdestil-
lirt ist. Die Destillation wird in schmiedeeisernen Kesseln mit einer Haube und Schlange
von Zinn vorgenommen.
Die Kühlung geschieht mit präparirtem Meerwasser, um die Wärme zu benutzen
und das Wasser vorzuwärmen. Würde man dem WTasser keinen Kalk zusetzen, d. h.
würde man die Magnesia dadurch nicht vorher ausgefällt haben, so würde sich das
Chlormagnesium während des letzten Stadiums der Destillation zersetzen und eine
Entwicklung von Salzsäure hervorrufen, welche mit in das Destillat übergehen resp.
die Kühlapparate zerstören und das Wasser durch Metalloxyde verunreinigen würde.
Man hat überhaupt sehr dafür zu sorgen, dass der Destillationsapparat niemals
Blei oder bleihaltiges Zinn enthält; denn es unterliegt keinem Zweifel, dass dann
das Trinkwasser bleihaltig wird. Die auf französischen Schiffen beobachtete „Colique
seche" ist weiter nichts als Bleikolik; sie ist auf der französischen Kriegsmarine
häufig, auf der Handelsmarine und auf der englischen Flotte fast gar nicht beobachtet
worden. Alle neueren Untersuchungen von Leferre, Dupre und Vilette unterstützen
keineswegs die frühere Ansicht, dass die „Colique seche" eine Tropenkrankheit sei. Je
]26 Sauerstoff und Wasserstoff.
grössere Sorgfalt die Marineärzte auf die Verminderung der schädlichen Einwirkungen
verwendet, haben, desto seltener ist auch die Krankheit geworden; hierzu gehört namentlich
die sorgfältige Beaufsichtigung der Destillation des Seewassers.23) Das Destillat muss reines
destillirtes Wasser Bein, welches jedoch wegen Mangels an Kohlensäure, Mineralsubstanzen
and Sauerstoff einen weichen Geschmack hat; um nun dasselbe wohlschmeckend zu
machen, lässl man es in grossen Steingutgefässen einen Cascaden-Apparat passiren, wie
sich aus Fig. 9 ergibt.
Das mit Luft geschwängerte Wasser gelangt alsdann
pi <!^\ auf ein zweites Filtergefäss, welches ebenfalls aus Steingut
besteht und mit haselnussgrossen Stücken von Kiesel und
carrarischem Marmor in wechselnden Schichten gefüllt ist.
Hier nimmt das Wasser Calciumcarbonat auf; man will
nämlich die Erfahrung gemacht haben, dass kalkfreies
Wasser, längere Zeit getrunken, die Verdauung stört.
Mit einem auf diese Weise präparirten Wasser
werden auch häufig künstliche Mineralwässer, nament-
lich Selterswasser auf Schiffen dargestellt. Zu bemerken
ist jedoch, dass das ganze Verfahren bei stürmischer
Seebewegung schwierig auszuführen und manchen
Störungen unterworfen ist.
Neuerdings ist daher auf allen Schiffen der deutschen Marine der Nor-
mandy'sche Destillatiousapparat eingeführt worden, welcher so construirt ist, dass
schon während der Destillation dem darin destillirten Wasser atmosphärische Luft
zugeführt wird ; jedoch ist die Art und Weise, wie diese Luftmischung geschieht,
keine praktische und zweckmässige, da nach der Einrichtung des Apparats die
Luft dem bald reinen, bald unreinen Kühlwasser entnommen wird. Auch kommt
es bei unruhiger See vor, dass mittels der Röhre, welche die Luft dem destillir-
ten Wasser zuführt, Kühlwasser zum Destillat überstürzen kann. Von grösserem
Werthe ist der Filterapparat aus Knochenkohle, durch welchen schliesslich das
destillirte Wasser hindurch fliesst, damit nicht bloss die organischen Stoffe, son-
dern auch die gebildete Salzsäure hier aufgenommen werden.
Abgesehen von den am Apparate noch anzubringenden Verbesserungen soll
das Resultat bisher im Allgemeinen ein befriedigendes gewesen sein, wenn nicht die
unzureichende Menge des Wassers, welche der Apparat liefert, zu beklagen wäre;
auch dürfte das erwähnte vorbereitende Verfahren nicht zu umgehen sein.24)
Zum Kühleu des Trinkwassers wendet man jetzt wieder das schon von den Rö-
mern und Griechen benutzte Verfahren an. Zu dem Ende wird das Wasser in poröse
Thongefässe gegeben; dasselbe wird von der Thonmasse aufgenommen und verdunstet
auf der äusseren Seite auf Kosten der Wärme, welche das Wasser besitzt. Diese Thon-
gefässe müssen von sehr kieselsäurereichem Thon angefertigt werden und das Brennen
derselben muss bei hoher Temperatur stattfinden. Ist der Thon fett und war die Tem-
peratur nicht hinreichend hoch, so theilen diese Gefässe dem Wasser einen unangenehmen
Erdgeschmack mit.
Die mechanische Aufsaugung des Wassers. Die Anziehungskraft der Erd-
körper dem Wasser gegenüber ist eine ausserordentlich mächtige. Wir kennen
keine Substanz, weder einfacher noch zusammengesetzter Natur, welche nicht
mehr oder minder das Vermögen besitzt, Wasser in ihre Substanz, d. h. in ihre
Poren, aufzunehmen; wenigstens verdichten die festesten Substanzen Wasser an
ihrer Oberfläche. Die Structur hat allerdings einen wesentlichen Einfluss auf diese
Anziehungskraft, so dass poröse Körper eher und mehr Wasser aufnehmen als
*) a Rohr mit Krahnen zum Zufliessen des Wassers. I>) Rohr für den Austritt
der Luft, c Luftlöcher für das Eindringen der Luft, d Syphon zum Abfluss des mit
Luft geschwängerten Wassers.
Die mechanische Aufsaugung de? Wassers. 127
eine dichte und feste Substanz: jedoch selbst das Spiegelglas condensirt stets an
seiner Oberfläche eine gewisse Menge Wasser, die durch das Auge nicht wahr-
nehmbar ist. Wird z. B. ein Spiegelglas in Luft gebracht, welche man vorher
über Chlorcalcium hat streichen lassen, und streut nun in diesen Raum, in
welchen das Spiegelglas gebracht worden, unter Abschluss der Luft wasserfreies
Kupferchlorid. welches bekanntlich eine dunkel lederbraune Farbe hat. so ver-
wandelt es sich alsbald in einen schönen smaragdgrünen Körper, in die Wasser-
verbindung des Kupferchlorids. Sind die Körper poröser Natur, aber nicht aus
der organischen Welt, so ist die Kraft, mit welcher das Wasser festgehalten wird.
so gross, dass erst beim vollständigen Glühen das Wasser ausgetrieben wird. So
zieht z. B. der gebrannte Thon mit der grössten Begierde nicht allein Wasser
aus der Atmosphäre, sondern ist auch befähigt, chemischen Verbindungen das
Hydratwasser zu entziehen. Dieses Verhalten des Thons ist deshalb für die Vege-
tation von der grössten Wichtigkeit, da grade diese Eigenschaft ihn befähigt.
nach heissen trocknen Tagen während des Nachts die mit Wasser geschwängerte
Luft gleichsam auszutrocknen, das Wasser in sich aufzunehmen und der Pflanze
wieder zuzuführen.
Bei weitem energischer absorbiren die organischen Substanzen, z. B. Holz.
Fleischfaser. Haare, Hornsubstanz in trocknein Zustande n. s. w. den Wasser-
dampf. Das Holz ist bekanntlich aus feinen Fasern zusammengesetzt und des-
halb befähigt, 40— 50 Procent Wasser zubinden; selbst das lufttrockne Holz ent-
hält durchschnittlich noch 25 — 30 Procent Wasser. Wird Holz mit heissem Wasser
ausgekocht, um alle Salze aus demselben zu entfernen, und alsdann bei 120° in
einem luftverdünnten Räume getrocknet, so besitzt man in diesem Körper eine
Substanz, deren Kraft, Wasser mechanisch aufzunehmen, nur mit der energisch-
sten chemischen Thätigkeit. mit Hydratbildung, verglichen werden kann. Das
Wasser wird wirklich mechanisch aufgenommen und bildet nicht eine chemische
Verbindung mit dem Holze: dies erhellt daraus, dass das Wasser den Raum, welchen
es früher besessen hat, wieder einzunehmen und dadurch das Volumen der Holz-
faser zu vermehren vermag (Quellen des Holzes). Die Kraft, mit welcher das
Wasser aufgenommen wird, ist so gewaltig, dass dem Aufquellen des Holzes
keine Kraft widerstehen kann. Um noch ein anderes Beispiel dieser Art anzu-
führen, ist das Sprengen der Schädel mittels quellender Erbsen zu erwähnen.
Obgleich nun diese Kraft so unendlich gross ist und deshalb in der Technik
noch manche Anwendung finden könnte, so tritt sie doch auch häufig dem Menschen
hemmend entgegen und veranlasst ausser mechanischen Zerstörungen auch die
Beschleunigung der Fäulniss und Verwesung, weil eben das Wasser, welches stets
grössere Mengen Sauerstoff als die atmosphärische Luft enthält, auch den meisten
Substanzen eine Sauerstoffquelle, welche Fäulniss und Verwesung befördert.
darbietet.
Die Bildung des Holzschwammes wird z. B. durch diese Eigenschaft des
Holzes begünstigt. Es ist leicht ersichtlich, dass die organischen Substanzen,
welche das Vermögen in so hohem Grade besitzen, Wasser mechanisch zu binden.
um so eher der Zerstörung unterworfen sind, wenn sie abwechselnd trockner
und feuchter Luft ausgesetzt sind: auf einem solchen raschen und häufigen
Wechsel beruht das Faulen des Segeltuches, der Zeltdecken, der Schiffstaue u. s. w,
Das Bestreichen mit Fett. Theer, Asphalt u. s. w. hat. abgesehen von der
solchen Körpern eigenthümlichen antiseptischen Eigenschaft, auch eine rein mecha-
128 Sauerstoff and Wasserstoff.
nische Wirkung, insofern diese das Wasser nicht aufnehmenden Substanzen die
Poren erfüllen und für das Eindringeu des Wassers verschliessen*).
Hat eine organische Substanz sich über dem Gefrierpunct mit Wasser ge-
sättigt und tritt alsdann plötzlich Frost ein. der natürlich von aussen nach innen
das Wasser zum Gefrieren bringt, so sind von aussen her die Poren schon längst
geschlossen, wenn im inuern Kern das Wasser zur Kristallisation kommt.
Durch die Aufnahme des Wassers haben die einzelnen Fasern schon ihre
grösstmöglichste Ausdehnung erhalten und ein jedes Plus von Kraft muss sie zum
Zerspringen und Zerplatzen zwingen. Es darf daher nicht auffallend erscheinen,
dass von Wasser durchtränkte Gebilde durch rasch eintretenden Frost zerplatzen
können. Ein solches Zerspringen findet auch bei Mineralien, z. B. beim Sand-
stein, bei der Grauwacke u. s. w., und zwar in der Form des Abblätterns statt:
der Verwitterungsprocess bei der Ackerkrume wird durch diesen Vorgang mächtig
unterstützt.
Selbstverständlich beeinfiusst die mechanische Wasseraufnahnie auch den
Feuchtigkeitszustand der die Substanz zunächst umgebenden Atmosphäre und zwar
zunehmend mit der steigenden Temperatur.
Das Aufsauguugsvermögen resp. das mechanische Aufnehmen des Wassers
durch Capillarität bedingt auch die Feuchtigkeit der unteren Geschosse
bei Gebäuden, bei welchen man ein Baumaterial poröser Art angewendet hat.
Um dieses zu verhüten, ist es zweckmässig, Isolir schichten anzulegen, wozu
sich am besten der Asphalt wegen seiner Undurchdringlichkeit für das Wasser
eignet, der gleichzeitig hier als Bindemittel dient. Man gebraucht dazu auch Glas-
platten. welche aus den Schlacken der Hohöfen bereitet werden, oder Metall-
platten von Blei, Zink u. s. w. Feuchte Wohnungen entstehen meistens durch
diese mechanische Kraft der Aufnahme des Wassers, können aber auch durch physi-
calisch-chemische Eigenschaften der Baumaterialien dem atmospärischen und
flüssigen Wasser des Bodens gegenüber eingeleitet oder vermehrt werden. Hygrosko-
pische Substanzen, welche das Feuchtwerden der Wohnungen mit bedingen, sind:
Chlorkalium, Chlornatrium, Chlorcalcium, Chlormagnesium, die salpe-
trigsauren und salpetersauren Salze von Calcium, Magnesium, Natrium, sowie orga-
nisch saure Salze, die Producte der Fäulniss und Verwesung organischer Stoffe, wie
baldriansaure und buttersaure Salze, Chlorammonium, Salpeter und Ammonium-
nitrat. Alle diese Substanzen und die Gelegenheiten zur Bildung derselben müssen
vom Mauerwerk der Häuser abgehalten werden wenn es sich um die wichtige
Autgabe handelt, trockne und gesunde Wohnungen zu beschaffen.
In manchen Städten herrscht die üble Gewohnheit, dass man wegen Mangels
eines naheliegenden Brunnens das Wasser der Strassanrinnen aufstaut und zur
Bereitung des Mörtels anwendet. Durch dies schmutzige "Wasser wird eine grosse
Menge stickstoffhaltiger organischer Substanzen in das Mauerwerk eingeführt,
welche der Fäulniss resp. der Salpetersäurebildung unterliegen, so dass ein Feucht-
w erden der Wände die unausbleibliche Folge davon sein wird ; ausserdem ent-
hält das Strassenriunenwasser an und für sich schon eine Menge zerfliesslicher
hygroskopischer Salze.
Backsteine gehören selbstverständlich zur Kategorie des gebrannten Thons
Ein Kitt, welcher Holzgegenstände vollkommen wasserdicht macht, be-
steht aus 3 Th. Irischen deübrinirten Blutes und ^ Ti). zu Staub gelöschten Kalks
nebst einem geringen Zusatz von Alaun.
Die mechanische Aufsaugung des Wassers. 129
und nehmen "Wasser sehr begierig auf und zwar nicht bloss das flüssige des
Bodens, sondern auch das in der Atmosphäre als Dampf verbreitete; je stärker
die Ziegel gebrannt sind, um so weniger besitzen sie dies Vermögen.
Sandsteine absorbiren ebenfalls die Feuchtigkeit und können nur dann
für Häuserbauten ohne Xachtheil benutzt werden, wenn in den Umfassungs-
mauern ein hohler Raum angebracht wird.
Basalt wirkt eigentlich nur durch seine schlechte Wärmeleitung, wodurch
er befähigt ist, die einmal aufgenommene Wärme längere Zeit festzuhalten und
an seiner Oberfläche die Wasserdämpfe der ihn umgebenden wärmeren Luft nieder-
zuschlagen; er lässt deshalb die Feuchtigkeit in einem Räume als tropfbarflüssig
erscheinen. Will man Keller, z. B. beim Aufbewahren des Weines u. s. w.. feucht
halten, so mauert man sie mit Basalt aus.
Am schlechtesten ist bezüglich des Wasseraufsaugungsvermögens derPise-
bau, welcher nicht selten aus gewöhnlicher Erde, Schlamm aus Teichen, Strassen-
koth, etwas Lehm und sogar xMistjauche dargestellt wird; abgesehen von der
hygroskopischen Beschaffenheit dieser Substanzen können auch die verfaulten or-
ganischen Stoffe von Einfluss sein. Derartige Gebäude sind meistens als Salpeter-
anlagen zu betrachten.
Bei Kellerwohnungen wird die Feuchtigkeit der Fundamente und der
aufsteigenden Mauern gewöhnlich durch das Erdreich bedingt; auch können sie,
wenn darin Wasserdämpfe, z. B. durch Kochen, den Aufenthalt vieler Menschen und
dergleichen, entwickelt werden, die Gesundheit schädigen, weil alsdann der Wasser-
dampf an den Wänden condensirt herabfliesst und hierdurch eine höchst ungesunde
Atmosphäre erzeugt wird.25)
2) Wasserstoffsuperoxyd H202.
Wasserstoffsuperoxyd kommt bei gewissen elektrischen Zuständen im atmo-
sphärischen Wasser vor. Schonbein hat überall, wo Ozonbildung stattfindet, auch Wasser-
stoffsuperoxyd frei in der Natur gefunden.
Künstlich wird es durch Zersetzung von Bariumsuperoxyd mit verdünnter Salz-
säure dargestellt, wobei sich Chlorbarium bildet.
Ba02 + 2C1H = BaCl2 + H202.
Durch Verdunsten der wässerigen Lösung unter der Luftpumpe erhält man eine
farblose, syrupartige Flüssigkeit, die sich schon bei 15 — 20° Wärme zersetzt.
H202 zeichnet sich wegen der leichten Abgabe des 0 durch seine oxydirende
Wirkung aus, zerstört deshalb alle organischen Farben und bleicht, indem sein 0 an
die färbende Substanz tritt und mit ihr farblose Verbindungen bildet.
Absolut säurefreies Wasserstoffsuperoxyd soll sich monatelang unzersetzt auf-
bewahren lassen und deshalb Aussicht auf eine vielseitigere Verwendung gewähren.26)
Einwirkung von Wasserstoffsuperoxyd auf den thierischen Organismus. Von
einer directen Einwirkung desselben kann wohl keine Rede sein, da es sofort sein
zweites Sauerstoffmolecül an seine Umgebung abgibt; bei jeder Berührung mit
einer organischen Substanz zerfällt es.
Assmuth27) hat über den Einfluss von H202 auf die Ausscheidung der
Kohlensäure experimentirt, indem dasselbe in:s Blut eingespritzt oder in den
Magen eingeführt wurde; er glaubte darnach nur eine grössere Eigenwärme als
Wirkung annehmen zu müssen. Dass man kein bestimmtes Resultat bezüglich
der Menge der ausgeschiedenen Kohlensäure erhielt, ist erklärlich; wenn man aber
Spuren von H202 im Harn gefunden haben will, so ist dies wegen seiner leichten
Zersetzbarkeit unmöglich.
Die Einwirkung von Wasserstoffsuperoxyd und Ozon ist fast identisch,
Eulenberg, Gewerbe -Hygiene. 9
1 30 Sauerstoff und Wasserstoff.
weshalb die Annahme von Schönbein gerechtfertigt erscheint, dass sich bei der
Ozonisirung feuchter Luft H202 erzeugt.
Auf den Blutfarbstoff wirkt es ebenso zerstörend wie Ozon ein, indem das
Blut braun wird und in Folge einer Bildung von Natriumoxalat und freier Salz-
säure sauer reagirt (s. Ozon).
Nach Stoehr2s) entsteht bei Berührung von säurefreiem H202 mit Blut
eine stürmische Gasentwicklung, wobei die Blutfarbe rasch durch Gelbroth in ein
blasses Gelb übergeht, die Flüssigkeit nach 5 — 6 Minuten ziemlich klar und bei
längerem Stehen farblos, schwach opalisirend wird, dabei einen graublauen
Fluorescenzkegel zeigt und am Boden ein weisses flockiges Coagulum absetzt.
Diese Erscheinungen können nur durch eine sehr energische Einwirkung
von H202 hervorgerufen werden; das weisse Coagulum besteht aus Albumin und
bildet sich immer bei der Einwirkung von H202 auf das Blut. Bei schwachen
Lösungen erscheinen die Blutkörperchen nur geschrumpft oder gezackt, während
sie bei stärkern Lösungen schliesslich ganz zerstört werden, grade wie es bei
Ozonwirkuug der Fall ist. Die weissen Blutkörperchen zeigen keine Veränderung;
im Spectrum verschwinden die Hämoglobinstreifen und nur bei säurehaltiger
Lösung tritt der Häraatinstreif im Roth auf.
Nach Stoehr soll das Contagium der Diphteritis und des Schankers durch
Wasserstoffsuperoxyd vernichtet werden; die morphologische und chemische Ver-
änderung der Wundsecrete, der croupösen und diphtheritischen Exsudate durch
HoO; kann als das Resultat der kräftigen Oxydation und der dadurch entstehenden
sauren Producte betrachtet werden.
Vorkommen von Wasserstoffsuperoxyd in der Technik. In der Technik scheint
H202 beim Rasenbleichprocesse und bei dem durch Elektricität eingeleiteten
Bleichprocesse von Zucker und Leinwand dieselbe Rolle wie Ozon zu spielen.
Dass bei der Rasenbleiche H202 höchst wahrscheinlich mitwirkt, geht aus
den Untersuchungen von Heiur. Struve hervor. Derselbe hat H202 nachge-
wiesen im Schnee, Regenwasser und besonders bei starken Gewitterregengüssen;
auch in der Luft resp. im Wasserdampf der Luft ist H202 aufgefunden
worden.
Die Methode, nach welcher dasselbe in den verschiedenen Niederschlägen der
Atmosphäre, sowie in der Luft aufgefunden wird, kann als eine ziemlich sichere an-
gesehen werden.
Bei Schnee, Regen etc. nimmt Striae 100 C. C. des zu prüfenden Wassers,
setzt demselben 4 Tropfen einer klaren Lösung von Bleioxyd-Kali und alsdann einige
Tropfen von basisch essigs. Blei zu, bis ein deutlicher Niederschlag entstanden ist;
darauf schüttelt man gut, lässt absetzen und sammelt den Niederschlag nach einigen
Stunden auf einem kleinen Filter, auf welchem man ihn mit destillirtem Wasser
auswäscht. War in chm Walser Wasserstoffsuperoxyd auch nur spurweise enthalten,
so hat sich dafür eine entsprechende Menge von Bleisuperoxyd gebildet- Um die
Gegenwart des letztern darzuthun, nimmt man 2 kleine Porzellanschalen, gibt in jede
2 Tropfen d< stillirtes Wasser und 1 Tropfen Jodkaliumstärkelösung und trägt mittels
eines Glasstabes eine Spur von dem erhaltenen Niederschlage in jede Porzellanschale ein;
ist nur eine Spur Bleisuperoxyd vorhanden, so tritt in Folge von Abseheidung freien
Jod's aus dem Jodkalium eine lebhaft blaue Färbung von Jodstärke ein.
Diese Reaetion kann noch empfindlicher gemacht werden, wenn man 1 Tropfen
verdünnter Essigsäure zusetzt.
Nach Struve enthält das Schnee- und Hagelwasser mehr davon als das
Regenwasser bei Gewitterregen, am wenigsten findet sich im gewöhnlichen Regen-
wasser. Um in der Luft dasselbe nachzuweisen, werden Glasgefässe mit Eis gefüllt
Wasserstoffsuperoxyd. 1 3 l
und das auf die Glaskugel sich niederschlagende Wasser prüft man alsdann nach
der oben angegebenen Methode.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass das rasche Bleichen im Februar, März
und April, die sogenannte Frühjahrsbleiche, wobei häufig die Stoffe mit
Wasser, welches von Schnee und Hagel herrührt, getränkt werden, mit der Ein-
wirkung von Wasserstoffsuperoxyd in Verbindung steht. Es trifft diese Erfahrung
auch mit dem hohen Ozongehalt der Luft in diesen Monaten zusammen, was
ebenfalls dafür spricht, dass Ozon Wasserstoffsuperoxyd zu erzeugen vermag und
überhaupt in allernächster Beziehung zu diesem steht.
Sauerstoff und Chlor.
1) Untercll lorige Säure HCIO kommt nur in wässriger Lösung vor: frei wird
sie erhalten, wenn man Chlor auf mit Wasser geschlemmtes Quecksilberoxyd einwirken
lässt, wobei das entstehende Quecksilberchlorid mit dem Quecksilberoxyd eine schwer-
lösliche Verbindung eingeht.
Die freie Säure ist ein rötklichgelbes Gas, welches wie Chlor riecht und durch
Salzsäure in Chlor und Wasser zerfällt.
HCIO + HCl = H20 + 2C1.
Einwirkung der unterchlorigen Säure auf den thierischen Organismus. Eine
Taube sitzt unter der Glasglocke, welche mit den Dämpfen der unterchlorigen Säure
augefüllt ist. Sogleich Blinzeln mit den Augen und Schütteln des Kopfes, Husten und
Putzen der Augen. Nach 1 M. Würgen, Nasswerden des Schnabels, Augen geschlossen,
Kothabgang bei beständigem Husten. Nach 3 M. Schwanken und alsdann Niedersitzen
bei unterdrückter Respiration; häufiges starkes Aufhusten. Nach 5 M. 5 Iuspirat. binnen
1/i M.; nach 10 M. Herausnahme der Taube. Sie bleibt bei beschwerlichem Athmen
auf dem Bauche liegen; nach 2 M. 6 beschwerliche Inspirationen bei geringem Schleim-
rasseln; Augen geschlossen. Nach 4 M. geht sie ein paar Schritte schwankend einher;
aus dem Schnabel fliesst eine schleimige weisse Flüssigkeit; der Athem wird immer be-
schwerlicher und langsamer. Nach 14 M. leichte Convulsionen in der Rückenlage; nach
15 M. Tod.
Section nach 24 Stunden. Schädelhöhle: die vordem Kopfknochen blutig
injicirt: Hirnhäute ziemlich blutreich, vorzüglich aber an der Basis des Gehirns. Am
hintern Rande der linken Hemisphäre ist ein kleiner Blutstropfen aus der Dura mater
ausgetreten; Plex. ven. spin. mit dickflüssigem, schwarzem. Blute angefüllt. Brust-
höhle: das Zellgewebe in der Umgebung der Trachea stark injicirt; Trachealsehleim-
haut in der obern Hälfte massig injicirt, in der untern Hälfte mit einer aufgelockerten
Epithelialschicht bedeckt, nach deren Lösung die rothbraune Schleimhaut zu Tage
tritt. Unterhalb der Theilung lagert ein blutiger Schaum ; die Oberfläche der Lungen
sieht mit Ausnahme der Ränder schmutzig - hellbraun aus. Auch das Parenchym
hat eine ähnliche Farbe und zeigt auf den Durchschnittsflächen dickflüssiges, schwarzes
und mit kleinen geronnenen Klümpchen vermischtes Blut; nur am untern Rande der
beiden Lungen ist das Parenchym von etwas heller Farbe. In beiden Vorhöfen des
Herzens dickflüssiges schwarzrothes Blut, welches in dünnem Schichten dunkelkirschroth
erscheint. Die Umrandung der Blutkügelchen ist vielfach punctirt; einzelne sind zer-
fallen oder contrahirt. Unterleibs höhle : Leber schwarz dunkelbraun und ziemlich
blutreich; in den grossem Venen dickflüssiges dunkles Blut; Nieren normal.
2) Chlorige Säure HC10a wird durch Erwärmen eines Gemenges von Kalinm-
chlorat mit Arsenigsäureanhydrid und etwas Salpetersäure gewonnen. Die Temperatur
darf hierbei nie 45— 50 °C. übersteigen; auch darf das Gemenge keine Chloride enthal-
ten, weil sonst heftige Explosionen entstehen.
Die übergehenden Dämpfe müssen in einem auf — 20 ° C. abgekühlten Gefässe auf-
gefangen werden: sie sehen dunkel grünlichgelb aus, 5 — (i Vol davon werden von I V-
Wasser gelöst. Es bildet sich eine rothbranne Lösung von ätzendem, schrumpfendem
Geschmacke, welche gelbe Flecke auf der Haut erzeugt Beim Erwärmen oder bei Be-
rührung mit Schwefel, Eisen, Phosphor und Arsen detonirt die gasförmige Säure sehr
heftig, worauf bei ihrer Darstellung sehr zu achten ist; sie hat kein technisches Inte-
resse und ist nur in ihren Salzen bekannt.
3) Unterchlorsäure, Chlorsäare-ChlorigsäureanhyiMd C1304 entsteht, wenn die
Salze der Chlorsäure mit Schwefelsäure im Wasserbade erwärmt werden; es ist ein
dunkelgelbes, zwischen 60— 63 ° C. explosives Gas, welches sich bei —20 ° zu einer
rothen Flüssigkeit condensirt. Bei der Darstellung können leicht Explosionen entstehen.
9*
132 Sauerstoff und Chlor.
Einwirkung des Gases auf den thierisehen Organismus. Eiue Taube, welche
unter der Glasglocke sass, wurde beim Eindringen der Dämpfe sehr unruhig, sprang in
die Höhe, blinzelte mit den Augen und hustete beständig. Nach 5M. Nasswerden des
Schnabels und beständiges Husten ; nach 7 M. starkes Schwanken nach der rechten
Seite. Nach 10 M. hustet sie bei jeder Inspiration; nach '25 M. angestrengte Respiration
bei offenem Schnabel; der Husten klingt jetzt heiser und trocken. Nach 30 M. Heraus-
nahme der Taube. Die Atmosphäre der Glocke hatte bis zum Schlüsse des Experi-
mentes eine gelbliche Farbe behalten. Der Husten halt an und hat einen heisern
Bräune-Ton j Schleim flieset aus den Nasenlöchern und die Augenlieder sind geschwollen.
Fresslust nicht gestört; beschwerliche Respiration und ein heiserer Husten halten bis zum
7. Tage bei starkem Durste an. Erst nach 28 Tagen ist die Respiration normal; weitere
Nachkrankheiten traten nicht ein.
4) Chlorsäure HC103 ist nur in wässriger Lösung, welche stark sauer reagirt, be-
kannt; man erhält sie durch Zersetzung des in Wasser gelösten Bariumchlorats mittels
Schwefelsäure.
ßa VC103)2 -f- H2S04 = BaSCu + HC103.
Der Chlorsäure entsprechen die Brom- und Jodsäure, welche in analoger Weise
dargestellt werden. Die chlorsauren Salze sind sämmtlich in Wasser löslich; das
chlorsaure Kalium ist das bekannteste unter ihnen.
Chlorsaures Kalium, Kali umchlorat KC103, Kali chloricum wird in
Laboratorien durch Einleiten von Chlor in eine heisse concentrirte Kalilauge erhalten;
das sich dabei bildende Kaliumchlorid wird durch Umkrystallisiren entfernt.
6KHO + 6C1 = 5KC1 H- KC103 + 3H20.
j) Ueberelllorsäure HCIO4 wird durch Destillation von überchlorsaurem Kalium mit
dem vierfachen Ueberschuss von Schwefelsäure gewonnen. Das zuerst übergehende
Destillat erstarrt; unterwirft man dieses einer nochmaligen Destillation, so spaltet es sich
in zwei Flüssigkeiten: 1) in die reine Ueberchlorsäure HC104 als eine bei 110°
siedende, an der Luft rauchende und ätzende Flüssigkeit, welche mit wenig Wasser
nadeiförmige Krystalle mit 1 Mol. Wasser liefert; diese haben die Zusammensetzung
HCIO4 -f- H20; 2) in eine bei 203° siedende ölige Flüssigkeit mit 2 Mol. Wasser:
HC104 -f- 2H30.
Der Ueberchlorsäure entsprechen die Ueberbrom säure HBr04 und Leber-
jodsäure HJO4.
Einwirkung der Ueberchlorsäure auf den thierisehen Organismus. 1) Eine
mittelgrosse Taube sitzt unter der Glasglocke. Sobald die Dämpfe, welche durch De-
stillation von überchlorsaurem Kalium mit Schwefelsäure dargestellt wurden, in die
Glocke dringen, entsteht Blinzeln mit den Augen und Husten. Nach 4 M. beständiger,
sehr erschütternder Husten; nach 15 M. dieselben Erscheinungen, nur fliesst viel Schleim
aus dem Schnabel. Herausnahme der Taube, weil die Entwicklung der Dämpfe auf-
hörte ; sie behält noch 3 Stunden lang einen bald feuchten, bald trocknen Husten,
welcher am andern Tage seltner wird, während die Stimme heiser bleibt. Am 3. Tage
sind alle krankhaften Erscheinungen verschwunden.
2 ) Eine mittelgrosse Taube sitzt unter der Glocke. Sobald die Dämpfe der Säure
in die Glocke dringen, entsteht Blinzeln mit den Augen und Husten; nach 4 M. heftiger,
erschütternder Husten. Nach 7 M. 7 mit Husten begleitete Exspirationen binnen '/j M. ;
nach 15 M sind noch dieselben Erscheinungen vorhanden. Herausnahm e der Taube,
welche ebenfalls 3 Stunden lang noch einen bald feuchten, bald trocknen Husten behält.
Am folgenden Tage ist der Husten seltner, aber die Stimme noch heiser; am 3. Tage
ist die Taube wieder hergestellt.
Halt man eine Rückschau auf die Wirkung der Chlorsäuren in physiolo-
gischer Beziehung, so ist die unterchlorige Säure auf gleiche Stufe mit dem
Chlor zu stellen, weil sie eine Quelle von freiem Chlor ist. Man könnte sie als
Paradigma für die Chlorwirkung aufstellen, wenn mau namentlich den Obductions-
befuud beim obigen Versuche in Betracht zieht; denn es liess sich hier ganz ent-
schieden nur die Wirkung des Chlors nachweisen. Nirgends bot das Lungen-
gewebe die feste und dichte Beschaffenheit dar, welche entsteht, wenn Chlor in
Salzsäure übergegangen ist und als solche eingewirkt hat. Dabei zeigte sich die
reizende Wirkung auf die Schleimhaut der Luftröhre in besonders prägnanter
Weise an der Auflockerung des Epitheliums ; auch das Blut war wie bei
Chlor dickflüssig und duukel. Je höher die Oxydation steigt, desto mehr spricht
Unterchlorige Säure. 133
sich die reine Säureeinwirkung aus; damit tritt die Wirkung der Säure in den Vorder-
grund und die des Radicals in den Hintergrund. Die Unterchlorsäure macht
gleichsam den Uebergang und lässt kaum noch die charakteristische Einwirkung
von Chlor erkennen, da selbst eine Taube den Dämpfen derselben 30 Minuten
lang ohne bleibenden Schaden ausgesetzt werden konnte. Die Chlorsäure ist
an und für sich nicht flüchtig und kann daher als Dampf nicht inhalirt werden.
Die Ueberchlor säure wirkte auf die Versuch sthiere nur reizend ein, indem
dadurch ein anhaltender Husten hervorgerufen wurde; aber selbst Tauben konnten
15 Minuten lang in den Dämpfen derselben verweilen, ohne nachhaltig afficirt
zu werden; auch verloren sich der Husten und die heisere Stimme nach dem Ver-
suche weit schneller als nach der Einwirkung der Unterchlorsäure.
Industrie der unterchlorig- und chlorsauren Alkalien.
Die unterchlorigsauren Alkalien kommen nur in Lösungen vor. da sie sich
beim Eindampfen zersetzen. Man unterscheidet in der Technik das unter-
chlorigsaure Kalium (Eau de Javelle) und das unterchlorigsaure Na-
trium (Eau de Labarraque); Grouvellers Bleichflüssigkeit ist unter-
chlorigsaures Magnesium.
Bei der Darstellung der Bleichflüssigkeiten wird das Chlor wie bei
der Chlorfabrication gewonnen und aus dem Entwicklungsgefässe in einen Ballon
geleitet, welcher eine Lösung von Kalium- oder Natriumcarbonat enthält. Indem
sich unterchlorigsaures Kalium und Chlorkalium unter Entweichen von Kohlen-
säure bilden, fährt man mit der Einleitung des Chlors nur so lange fort, bis noch
einige Procente der unzersetzten kohlensauren Alkalien zurückbleiben.
Häufig versetzt man auch Chlorkalk, welchen man von seinen unlöslichen
Theilen befreit hat, mit den kalten Lösungen der kohlensauren Alkalien, wobei
sich dann durch gegenseitige Zersetzung unterchlorigsaures Alkali und Calcium-
carbonat bilden; letzteres wird als unlöslich durch Decantiren abgeschieden.
In sanitärer Beziehung kommen die bei der Chlordarstellung angegebenen
Vorsichtsmassregeln zur Beachtung. Nach der Grösse des Betriebes richten sich
auch die Apparate; die Rückstände, die Manganlaugen, sind selbstverständ-
lich dieselben; einfacher und weniger belästigend ist deshalb die zweite Methode
der Darstellung mittels Chlorkalks.
Verwendung finden die Bleich flüssigkeiten in derselben Weise wie der
Chlorkalk; es sind daher auch hauptsächlich die Stoffe von vegetabilischen
Fasern, welche damit behandelt werden.
Chlorsaures Kalium, Kaliumchlorat KC103. Im Grossen wird es durch Ein-
leiten von Chlor in einen dünnen Brei von Calci urnhydrat (Kalkmilch) und Chlor-
kalium dargestellt; es entsteht zunächst chlorsaures Calcium, welches durch
Chlorkalium in Chlorcalcium und chlorsaures Kalium übergeführt wird.
6Ca(HO)2 -1- 6C12 = 5CaCl2 + Ca(C103)2 + 6H,0
Ca(C103)2 + 2KC1 = CaCl2 -f 2KC103.
Das Salz stellt kleine glänzende Blättchen dar; die reichlichen Rückstände
von Chlorcalcium sind hierbei zu beachten, da sie niemals frei abfiiessen dürfen.
Das Kaliumchlorat ist eines der stärksten Oxydationsmittel und erzeugt in
Verbindung, mit manchen Körpern eine heftige Explosion, wenn ein Schlag oder Stoss
einwirkt Hierher gehören : 1 ) einfache Körper, wie Schwefel, Phosphor, Arsen, Selen
und Tellur: 2) die zusammengesetzten Körper, wie die meisten Schwefelmetalle, Schwefel-
134 Sauerstoff und Chlor.
antimon, Schwefelblei, Schwefelquecksilber, Schwefelarsen etc ; 3) organische Körper,
wie Zucker. Stärkemehl und arabischer Gummi; 4) organisch-saure Salze, wie pikrin-
saures Kalium. Wird es mit letzterm zusammengerieben, so entsteht eine furchtbare Ex-
plosion; die Kenntniss dieser Thatsachen ist sehr wichtig, um die Entstehung vieler
möglichen Unglücksfalle zu verhüten. Von verschiedenen Säuren wird Kai. chloric. mit
Heftigkeit zersetzt, z. B. mit concentrirter Schwefelsäure explosionsähnlich : mit Salz-
säure entwickelt es Chlor.
KClOs + 6HC1 = KCl -+- 3H20 + 6C1.
Eine technische Verwendung findet es bei der Darstellung von Zünd-
massen, namentlich bei der Darstellung der phosphorfreien Streichhölzchen,
sowie in der Lustfeuerwerkerei und in der Kriegsfeuerwerkerei zur Erzeu-
gung von brillanten Buntfeuern oder Signalfeuern, je nachdem man zu einem
Geraenge von chlorsaurem Kalium und Schwefel oder Schwefelnatrium etc. noch
salpetersaure Strontianerde (rothe Farbe) oder Kupferoxyd (blaue Farbe) oder
salpeters. Barium (grüne Farbe) zusetzt; durch Vermischeu dieser Salze erzeugt
man die verschiedensten Farben.
Eine grosseBedeutung hatKaliumchlorat für die Darstellung derZündspiegel-
sätze bekommen, welche durch die vorschnellende Züudnadel explodiren und aus
chlorsaurem Kalium uud Schwefelantimon bestehen. Häufig wählt man von
ersterm 5 und von letzterm 4 Th.; hierbei bilden sich bei der Verpuffung Anti-
monoxyd und schweflige Säure.
Der in Preussen gebräuchliche Züudpillensatz soll aus ä Th. chlor-
saurem Kalium, 4 Th. Schwefelautimon und etwas Schwefel bestehen; auch be-
nutzt man an andern Orten Gemenge von chlorsaurem Kali, Schwefelantimon,
Zucker, Blutlaugensalz und Bleisuperoxyd.
Bei grössern Quantitäten ist stets die feuchte Bearbeitung durchaus
erforderlich, indem nur das mit Wasser und dünnem Kleister vermengte chlorsaure
Kalium den übrigen Bestandtheilen hinzuzufügen ist. Das Mengen geschieht
auf Papier mittels eines Holzspatels; das trockne Mengen sollte auch bei kleinen
Quantitäten verboten werden. Aus der teigigen Masse formt man Stangen auf
einem Brettchen und presst aus diesen die Zündpilleu mittels einer Kugelform
von entsprechender Grösse aus, um sie in die Höhlungen der Spiegel einzulegen,
wenn man nicht den Gebrauch einer siebartigen, durch eine verschiebbare Platte
verschlossenen Metallplatte vorzieht. In letzterm Falle drückt man die Masse,
nachdem die Platte weggenommen worden, in die unten bereit stehenden Spiegel,
in welche sie zum Trocknen gelangen. Das Einpressen der Zündmasse in
die Spiegel geschieht durch Aufdrücken eines dreikantigen Stempels mittels einer
Hebelpresse, nachdem man die Zündmasse mit lose eingelegten Pillen in eine
passende Stanze gebracht hat, Da der Stempel so construirt ist, dass bei einer
etwaigen Explosion das Entweichen der Gase stattfindet, so ist diese Arbeit mit
keiner Gefahr verbunden.
Die Militär zündna de lpatrone besteht aus dem Geschoss, dem Zündspiegel,
der Zündpille, der Pulverladung und der Papierhülse mit einem Tuchboden.
Die Chassepotpatronen enthalten Zündhütchen mit Knallquecksilber: die
dazu gebräuchlichen Mischungen bestehen im Allgemeinen aus chlorsaurem Kali. Knall-
quecksilber, Salpeter, Schwefel, Leim oder Gummi (s. Zündhütchenfabrication).
In der artilleristischen Technik hat das chlorsaure Kalium eine beschränkte
Anwendung, weil durch ein solches Pulver die eisernen Läufe der Feuerwaffen zu stark
angegriffen, auch die Mannschaften bei der Bedienung der Geschütze durch das frei-
werdende Chlor zu sehr belästigt werden.
Man hat verschiedene Compositionen für solche Pulversorten angegeben, bei denen
das chlorsaure Kalium häufig den Salpeter ersetzt. Am meisten bekannt ist das weisse
Pulver von Au<jendrr, welches aus chlorsaurem Kalium, Blutlaugensalz und weissem
Schwefel. 135
Zucker besteht; es soll gefahrlos sein, wenn es ganz frei von beigemengten Kohlen-
oder Schwefeltheilchen ist, eine Angabe, welcher jedoch von mancher Seite widersprochen
wird. Sicher ist, dass Manipulationen mit grösseren Quantitäten aller Mischungen von
chlorsaurem Kalium namentlich in der Sprengtechnik mit vielen Gefahren verbunden sind.
Ausser in Feuerwerksmischungen ist die Benutzung des Kaliumchlorats als
Oxydationsmittel und Sauerstoffquelle in Laboratorien und chemischen
Fabriken nicht minder wichtig.
In der Zeugdruckerei dient es wie Chlorkalk zur Erzeugung gewisser
Farbennüancen. Zu diesem Zwecke werden die mit der Farbe aus Kaliumchlorat
gedruckten Zeuge einem Dampfdrucke von einigen Atmosphären ausgesetzt, wobei das
Kaliumchlorat sich zersetzt und oxydirend resp. zerstörend auf den Farbstoff ein-
wirkt, so dass Veränderungen desselben die nothwendigen Folgen sind; diese sind
jedoch vorher uicht zu bestimmen und daher durch kleine Proben zu ermitteln.
Die früheren Tauchzündhölzchen beruhten auf der Zersetzung des Kalium-
chlorats mittels Schwefelsäure.
Ueberchlor saures Kalium, Kaliumhyperclilorat (RC104) erhält man durch Er-
hitzen von chlorsaurem KaHum auf ungefähr 360°. Das gleichzeitig auftretende Chlor-
kalium wird durch Umkrystallisiren ausgeschieden: es ist in kaltem Wasser viel schwerer
löslich als in heissem.
Seine Verwendung ist viel beschränkter als die von Kaliumchlorat, obgleich es
sich ähnlich wie dieses verhält, sich aber nicht so leicht zerlegt.
Schwefel S.
Der Schwefel kommt im Mineralreich in grösster Verbreitung vor; die Glänze,
Kiese oder Blenden bilden die eigentlichen Schwefelerze oder Schwefelmetalle. In
gediegenem Zustande findet er sich in Italien (Sicilien), Croatien, Polen, Lüneburg, am
rothen Meere u. s.w.; in vulcanischen Eruptionen: in den sogenannten Solfataren
fehlt er nie. Der erdige Schwefel ist mit fremden Mineralien, der grüne oder
rothe natürliche mit bituminösen Substanzen, Arsen oder Selen gemengt.
Die Bergleute, welche in Schwefelgruben (Solfaren) arbeiten, heissen in Italien
Picconieri, weil sie sich zum Ausspalten der Schwefelerze aus den Gängen eines
schweren Hammers (Piccone) bedienen; nur sehr selten und zwar bei einer Gangart
aus dem härtesten Kalkstein bedient man sich des Schiesspulvers zum Sprengen. Die
Breite der Galerien beträgt 2 — 21/2 M., während die Höhe von der Dicke und Härte
des umschliessenden Gesteins abhängt; um sie vor dem Einstürzen zu sichern, unter-
stützt man die Wände durch Mauerwerk. Der Transport der Erze geschieht durch
acht- bis zehnjährige Jungen (Manuali), welche das Erz auf Schulter und Rücken tragen.
Bei 100 M. tiefen Gruben muss man schon zur Bewältigung des Wassers zu Maschinen
seine Zuflucht nehmen, abgesehen von den gesundheitsschädlichen Einflüssen, welche hier
einwirken. Nur in wenigen Schwefelgruben sind die hierzu nothwendigen Fahr-
falerien resp. die Förderungen in Schachten eingeführt, obgleich in neuerer Zeit der
ortschritt hierin nicht zu verkennen ist. Das geförderte Erz wird an der Mündung
der Schwefelgrube auf Haufen geworfen, welche dann von besonderen Beamten ge-
messen werden. 1)
Schwefel ist ferner ein nie fehlender Bestandtheil des Pflanzen- und Thierreichs.
Unter den Pflanzen sind es besonders die Cruciferen, die Zwiebel, der Knoblauch, die
Asa foetida u.s. w. , welche schwefelreiche Verbindungen enthalten: alle Proteine oder
!)rotein ähnliche Verbindungen enthalten Schwefel. In den Ausdünstungen des mensch-
ichen Körpers und unter den Gasen im Darmcanal zeigt sich mehr oder weniger
Schwefel in der Pbrm von H2S.
Aus den schwefelsauren Salzen des Bodens, welche wohl nirgends fehlen, gelangt
der Schwefel in die Pflanzen und alsdann weiter mittels der vegetabilischen Nahrungs-
mittel in den Thierkörper.
Der Schwefel ist im Wasser unauflöslich, geschmack- und fast ganz geruchlos;
wird er gerieben, so verflüchtigen sich in Folge der durch Reibung entstandenen Wärme
Schwefeltheilchen, welche den bekannten Schwefelgeruch haben. In Aether und Alkohol
ist er schwer, in ätherischen Flüssigkeiten und beim Sieden leichter und in Schwefel-
13fi Schwefel.
kohlenstoff bei gewöhnlicher Temperatur sehr leicht Löslieh; aus der Lösung krystalli-
sirt er in Octaedern.
Wird der Schwefel auf 160° erhitzt, so wird er dickflüssig und bei -f- 230° ztiha ;
über diese Temperatur hinaus erhitzt, wird er dünnflüssiger. Giesst man ihn alsdann in
einem dünnen Strahl in kaltes Wasser, so entsteht eine dunkelbraune, durchsichtige und
elastische Masse, welche erst nach längerer Zeit fest wird und die ursprüngliche Farbe
wieder bekommt, aber amorph ist: dieser amorphe Schwefel ist in Schwefelkohlen-
stoff unlöslich und geht allmahlig theilweise in octaedrischen Schwefel über. Bei
langsamer Erkaltung des geschmolzenen Schwefels entstehen Krystalle von rhombi-
schen Prismen, welche jedoch wiederum in Octaeder übergehen.
Der Schwefel siedet bei 420°, wobei er aber mit der Luft nicht in Berührung
kommen darf, da sein Entzündupgspunct weit unter seinem Siedepunct, nämlich bei
260° liegt: das Entzündungsproduct ist Schwefligsäureanhydrid S02. Hält man bei der
Destillation des Schwefels die Vorlage recht kühl, so condensiren sich die Dämpfe zu
einem gelben Pulver, welches man Schwefelblumen nennt; sie sind zum Theil amor-
pher Schwefel, daher in Schwefelkohlenstoff nicht vollständig löslich. Erwärmt sich aber
die Vorlage bis zu 111°, so verdichtet sich der Schwefel zu einer Flüssigkeit, welche zu
krystallinischem Schwefel erstarrt.
Die leichte Entzündlichkeit des Schwefels ist seit den ältesten Zeiten bekannt,
weshalb ihn Paracelsus für die wahre Feuermaterie ansah, an deren Stelle das später von
Stahl angenommene Phlogiston trat; man sah es als denjenigen Bestandtheil einer
Substanz an, durch welchen sie erst zum Verbrennen befähigt war,» bis späterhin
durch die Entdeckung des Sauerstoffs die antiphlogistische Theorie begrün-
det wurde.
Der Schwefel ist in seinem chemischen Verhalten dem Sauerstoff am ähnlichsten,
da er sich mit allen übrigen Elementen, namentlich mit den Metallen verbindet; fast
immer erfolgt diese Verbindung unter Feuererscheinung, wenn der Schwefel dampfförmig
einwirkt.
Einwirkung der Schwefel dämpfe auf den thierischen Organismus, l Drachme
Schwefel wurde bei einer Temperatur, welche 120° nicht überstieg, geschmolzen; die
sich bildenden Dämpfe wurden in die Glasglocke, unter welcher sich ein mittelgrosses
Kaninchen befand, geleitet. Schon nach 1 M. trat ein Thränen und Blinzeln der Augen
ein. Nach 2 M. ruhiges Verhalten in der Bauchlage; 15 sehr unregelmässige Inspira-
tionen. Nach 24 M. hatte sich der Schwefel an der Nasenöffnung abgelagert; häufiges
Schliessen der Augen. Nach % Stunden 18 unregelmässige Inspirationen; stärkere Rei-
zung der Augen trat nicht ein. Bei der darauf folgenden Herausnahme zeigte sich nichts
Auffallendes; das Kaninchen blieb gesund.
Wir selbst empfanden nach der Einwirkung der Dämpfe ausser einem ge-
linden Kratzen im Halse ein leichtes Brennen in den Augen, welches zum Wischen
uöthigte, grade als ob ein fremder Körper in's Auge gerathen wäre; bei vielen
Menschen steigert sich jedoch die Reizung der Augen nicht selten zu einer wirk-
lichen Conjunctivitis mit starker Thränenabsonderung.
Bei einzelnen Arbeitern, welche sich beständig mit dem Auflösen des
Schwefels beschäftigen und längere Zeit der Einwirkung der Schwefeldämpfe aus-
setzen, kann sich eine heftige, bis zur Blenorrhoe steigende Augenentzün-
dung ausbilden. Manche Menschen sind in dieser Beziehung so empfindlich für
die Einwirkung des Schwefels, dass häufig schon das in der Nähe der Augen auf
Stirn und Nase abgelagerte Schwefel pul ver, wenn dasselbe als Schüttelmixtur
gegen Hautreizungen angewendet wird, die Augen afficirt, ohne dass man das
etwaige Hineinfallen des Schwefelpulvers in die Augen beschuldigen kann. Wahr-
scheinlich hängt diese Erscheinung mit dem baldigen Uebergange des fein ver-
theilten Schwefels in schweflige Säure zusammen, da diese ebenfalls Reizun-
gen der Conjunctiva erzeugt (s. schweflige Säure).
In Frankreich finden die Schwefelblumen eine ausgedehnte Verwendung als Mittel
gegen die Traubenkrankheit, welcher der bekannte Pilz Oidium Tuckeni zu
Grunde liegt; um den Schwefel aufzustäuben, bedient man sich der sogen. Troddel-
büchsen, welche ein conisches, mit einem durchlöchertet! Deckel versehenes Rohr aus
Weissblech darstellen und mit Schwefclblumen halb gefüllt sind. Auf dem Deckel sind
Gewinnung dos Schwefels. 137
Wolldochte wie die Borsten eines Pinsels befestigt: beim Schütteln dringt der Schwefel
zwischen den Dochten sehr vertheilt aus.
Auch bedient man sich eines Blasebalgs ohne Ventil, welcher beim Zudrücken
durch den vorderen Ansatz, einen siebartigen Behälter, den Schwefelstaub austreten lässt.
Bei diesem Verfahren sind die Arbeiter stets dem Schwefelstaube ausgesetzt
und hat die Erfahrung die charakteristische Einwirkung desselben auf die Augen
hinreichend bewiesen. Es bildet sich hierbei häufig eine Conjunctivitis aus, wobei
die Augen anschwellen und starker Thränenfiuss eintritt; bei grosser Lichtscheu
verbreiten sich strahlende Schmerzen von den Augen nach der Stirugegend hin
und exaeerbiren namentlich im Sonnenschein, wohingegen die Erscheinungen wäh-
rend der Nacht nachlassen; auch kaltes Wasser erleichtert die Krankheit, Diese
Nachtheile würden vermieden werden, wrenn man den Schwefel mittels eines
Wasserstauberzeugers (Pulverisateur) appliciren würde. 2)
Die Ausbringung des Schwefels. Man unterscheidet die Gewinnung des
Schwefels aus Schwefelerzen und aus Kiesen.
1) Die Gewinnung des Schwefels aus Schwefelerzen. In Sicilien
wurden früher die Schwefelerze in grossen Meilern (Calcarelle) verbrannt, wobei
die benachbarten Felder durch die auftretende schweflige Säure ausserordentlichen
Schaden erlitten; gegenwärtig bedient man sich mehr einer Art von Schacht-
öfen (Calcaroni), welche aber in sanitärer Beziehung noch Vieles zu wünschen
übrig lassen. Meistens giesst man den geschmolzenen Schwefel in grosse Brote.
Das Bestreben, die Oefen zu verbessern und den Verlust an Schwefel zu ver-
meiden, macht sich auch in Italien geltend. Am meisten Aussicht auf Erfolg verspricht
die von den Gebrüdern Thomas in Palermo eingeführte Methode, den Schwefel durch
gespannten Wasser dampf aus den Erzen auszuschmelzen. 3)
In andern Gegenden von Italien, z. B. in einigen Solfaren der Romagna, bedient
man sich gusseiserner Retorten und Vorlagen, welche man paarweise aufstellt und daher
Doppion i nennt; dies ist eine rohe Art der Destillation, wobei mit dem Schwefel noch
viele erdige Theile vermischt bleiben.
2) Gewinnung des Schwefels aus Kiesen. Bei seiner bergmänni-
schen Gewinnung ist zunächst der Umstand beachtenswerth , dass die Ein-
wirkung des atmosphärischen Sauerstoffs in Schwefelkiesgruben chemische Pro-
cesse veranlassen kann, welche eine sanitäre Würdigung verdienen. Erstlich
werden die blossgelegten Lager durch den atmosphärischen Sauerstoff bei Gegen-
wart von Wasser theilweise oxydirt, d. h. in schwefelsaures Eisenoxydul und freie
Schwefelsäure verwandelt; letztere kann auf die theilweise entschwefelten Kiese
in der Art einwirken, dass eine Entwicklung von Schwefelwasserstoff die Folge
ist. Kommt der Schwefelkies in feiner Zertheilung vor, sei es nun in einer
Thon- oder Braunkohlenschicht, so kann nach der Förderung zweitens durch
die energische Einwirkung des atmosphärischen Sauerstoffs • sogar eine Entzün-
dung stattfinden, welche dann Veranlassung zur Entwicklung schwefliger Säure
gibt. Unter denselben Umständen können auch angehauene Lager resp. auf-
gefahrne Strecken zur Entzündung kommen; ist ein solcher Brand entstanden,
so kann nur ein Abschliessen der atmosphärischen Luft durch Decken der Luft-
schächte ihn löschen. Aus diesem Grunde eignen sich verschiedene Braun-
kohlenlager nicht zum Abbau für Brennmaterial, geben aber alsdann ein vorzüg-
liches Material zur Darstellung von Alaun (s. Alaun).
Werden Schwefelkieslager von überirdischen Wässern durchdrungen, so
treten letztere mit einem bedeutenden Gehalte an Eisenvitriol zu Tage, welcher
sich auf Kosten des im Wasser enthaltenen Sauerstoffs gebildet hat; man nennt
solche zu Tage tretende Wässer auch Ocker- und Vitriolquellen.
1-38 Schwefel.
Schwefelkies FeS2 (zweifach Schwefeleisen) gibt einen Theil seines Schwefels
grade so ab wie Braunstein als Superoxyd einen Tbeil seines Sauerstoffs. Er
findet sich häufig in Steinkohlen, Braunkohlen, im Thonschiefer, in der Lias-
formatiou, im bituminösen Schiefer und andern Gebirgsarten als Reductionsproduct
der Sulfate den betreffenden Mineralien beigemengt.
Der Strahl- oder Wasserkies ist eine minder verbreitete Modification desselben
und zeichnet sich durch verschiedentlich grössern Gehalt an Arsenkies aus; wenn
i'eder rohe Schwefel mehr oder weniger arsenhaltig ist, so ist es der aus dem Wasser-
;ies dargestellte ganz besonders.
Seit der Sicilianischen Schwefelfrage sind die Schwefelkiese zur Darstellung von
Schwefel und schwefliger Säure erst recht in Aufnahme gekommen. Sicilien liefert
gegenwärtig noch den meisten Schwefel für die Pulverfabrication, aber eine verhältniss-
mässig geringe Menge desselben benutzt man noch bei der Schwefelsäurefabrication ;
zu letzterer liefern die Pyrite (Schwefelkiese) fast 9/io des notwendigen Schwefel-
quantums. Die in Deutschland benutzten Schwefelkiese stammen grÖsstentheils aus dem
Siegenschen, während Frankreich sie aus der Nähe von Lyon bezieht; Spanien, Portugal
und Norwegen versorgen England.
Zur Darstellung des Schwefels bedient man sich in Böhmen, Sachsen
und Schlesien gewöhnlich eines Ofens, in welchem ein System von schiefliegenden,
runden, thönernen und nach unten sich verengenden Röhren eingemauert ist.
Der sich verflüchtigende Schwefel gelaugt theils als Dampf, theils als Flüssigkeit
in eine geschlossene und mit Wasser gefüllte resp. gesperrte Vorlage, welche
meistens aus einem eisernen Kasten besteht; ausserdem bildet sich stets schwef-
lige Säure, deren Beseitigung resp. Unschädlichmachung zu bewirken ist. In
Schweden bedient man sich der continuirlicheu Schwefelöfen, welche den
Kalköfen sehr ähnlich sind.
Der Rückstand besteht aus Einfach-Schwefeleisen, Eisensulfid FeS,
welches sich an der Luft schliesslich in basisch-schwefelsaures Eisenoxyd ver-
wandelt. Da aber dieses Salz auf das daneben liegende Einfach-Schwefeleisen
einwirken kann, so ist eine Entwicklung von Schwefelwasserstoff bedingt, wo-
durch alsdann das Eisensalz stets auch Oxydul nebst freiem Schwefel enthalten
kann. Es dürfen deshalb die Abbräude nicht auf die Halden gestürzt werden;
man muss sie unter Wasser halten, um eine Selbstentzündung zu verhüten, welche
die Entwicklung von schwefliger Säure und Schwefelsäure bedingen würde.*)
Der Rohschwefel aus den Schwefelgruben bildet grosse unregelmässige
Klumpen von schmutziggelber oder braungelber Farbe; der aus dem Schwefel-
kies erhaltene Rohschwefel (Tropf seh wefel) hat dagegen eine schmutzig-
grünliche oder röthliche Farbe und enthält ausser den mechanisch beigemengten
Unreinlichkeiten besonders Schwefelarsen. Alle Substanzen, welche wie Arsen,
Selen etc. mit dem Schwefel flüchtige Verbindungen bilden, gehen nämlich bei
der Destillation mit demselben über.
Die Reinigung des Schwefels geschieht auf 3fache Art: 1) durch Saigerung,
2) durch Destillation und 3) durch ein combinirtes Verfahren, d.h. durch
die Vereinigung der Saigerung mit der Destillation.
Die Saigerung bezweckt, den Schwefel von den erdigen Substanzen zu
befreien; es geschieht dies bei einer Temperatur, welche seinen Schmelzpunct
nicht weit überschreitet. Man benutzt dazu grosse thönerne oder gusseiserne
Gefässe, die am Boden eine Oeffnung oder eine Röhre haben, welche unter
Wasser mündet. Die Beschickung geschieht in der Weise, dass man zunächst eine
*) Ueber die Schwefelgewinnung aus Sodarückständen siehe Sodafabrication.
Reinigung des Schwefels. 139
Schicht von Kieselsteinen und grobem Quarzsand bildet, worauf das Saigergut
kommt; bei hermetischem Verschluss und Erwärmung der Gefässe fliesst der
geschmolzene Schwefel, durch die erwähnten Schichten filtrirt, in die Vorlagen ab.
Die Destillation geschah früher vorzugsweise in Kolben mit thönernen
Helmen in Galeerenöfen; letztere mündeten in thönerne Krüge, die im Boden
eine Oeffnung hatten, aus welcher der condensirte Schwefel in ein mit Wasser
gefülltes Gefäss abgelassen wurde. Das Schwefelarsen verdichtete sich im
Helm, wo es zeitweise herausgenommen wurde, um als Rauschgelb in den
Handel zu kommen; die Rückstände in den Kolben hiessen Rossschwefel, weil
sie vielfach von Pferdeärzten benutzt wurden.
Späterhin ging man zu Schwefelöfen über, nach deren ursprünglichen Ein-
richtung der Schwefel in einem gusseisernen mit Helm versehenen Kessel erwärmt
wird, um die Schwefeldämpfe mittels eines Canals in eine grosse aus Backstein
erbaute Kammer zu leiten. In der obern Wölbung der Kammer ist ein Abzugs-
canal mit Klappe angebracht, welche bloss den Austritt der warmen Luft, aber
nicht das Eindringen der äussern Luft gestattet; eine solche Klappe schützt
grade wie das Sicherheitsventil beim Dampfkessel vor Brand und audern Un-
glücksfällen, weil sich die Temperatur dadurch regeln lässt.
Will man bloss Schwefelblumen darstellen, so wird die Destillation von
Zeit zu Zeit unterbrochen, damit sich die Wände der Kammer abkühlen können
und ihre Temperatur nicht den Schmelzpunct des Schwefels errreicht. Um
Stangenschwefel zu gewinnen, gestattet die Einrichtung des Apparats auch
das Giessen des geschmolzenen Schwefels in Formen.
Michel in Marseille begründete, Feisat, Lamy, Dujardin und Cle-
ment verbesserten diese Oefen in der Weise, dass sie einen continuirlichen Be-
trieb gestatten. Es findet hierbei eine Combination der Saigerung und De-
stillation insofern statt, als man einen besondern Schmelzkessel als Vorwärmer
benutzt, welcher mittels einer Röhre mit dem Destillationskessel verbunden ist;
letzterer wird durch die abfallenden Verbrennungsgase erwärmt. Der geschmolzene
Schwefel wird mit Zurücklassung der Rückstände nach Belieben in den Destilla-
tionskessel abgelassen, so dass keine directe Beschickung des letztern erforderlich
ist, beim Einfüllen jede Berührung der äussern Lnft mit den heissen
Schwefeldämpfen verhütet und dadurch die Gefahr einer Explo-
sion bedeutend vermindert wird; Vortheile, welche auch in sanitärer
Beziehung hoch anzuschlagen sind. Somit gehen auch bei der Schwefelgewin-
nung die Verbesserungen in der Technik mit den sanitären Vortheilen
Hand in Hand.
Entfernung von Arsen ans dem Schwefel. Man benutzt hierzu Calci um-
nitrat, weil dasselbe eine unlösliche arsenige und arseniksaure Verbindung
bildet, welche durch blosse Decantation vom geschmolzenen Schwefel getrennt
wird. Arsenikalische Dämpfe bilden sich hierbei nicht; es handelt sich bloss um
eine zweckmässige Entfernung des Calciumarseniats.
Auswaschen der Schwefelblumen. Die Schwefelblumen enthalten stets
Schwefelsäure, da die in den Kammern vorhandene Luft die Bildung von
schwefliger Säure veranlasst, welche von den Schwefelblumen absorbirt und durch
die stets in der atmosphärischen Luft vorhandene Feuchtigkeit in Schwefelsäure
übergeführt wird; man reinigt den Schwefel davon durch Auswaschen mit
Wasser.
140 Schwefel.
Da aber die ia der Technik gereinigten Schwefelbluraea häufig noch mehr
oder weniger Arsen enthalten, so hat sich herausgestellt, dass sie beim Aus-
waschen mit Wasser, d. h. bei Gegenwart von Sauerstoff und Wasser, das
Arsen als arsenige Säure abgeben und dem Wasser mittheilen, welches des-
halb nicht in Schlinggruben oder an solchen Orten abgelassen werden darf,
wo es mit Brunnen in Berührung kommen könnte; es muss stets mit Kalk ver-
setzt werden. Nur die sorgfältig gewaschenen Schwefelblumeu sind arsenfrei.
Im höchst fein vertheilteu Zustande bilden sowohl die Schwefelblumen
als auch die Schwefelmilch (der aus alkalischen Polysulfideu durch Säuren ab-
geschiedene Schwefel) allmählig an der Luft schweflige Säure, welche ihrerseits
in Schwefelsäure übergeht. Es sollte daher bei Feuerwerkskörpern Schwefel
niemals iu Form von Schwefelblumeu zur Anwendung kommen, da aus den
dabei zu benutzenden chlorsauren Salzen durch die Schwefelsäure Chlorsäure
frei gemacht und eine Entzündung des Schwefels herbeigeführt werden kann.
Durch eine auf diese Weiss entstandene Explosion zog sich ein Chemiker so be-
deutende Brandwuuden zu, dass er an den Folgen derselben starb.
DieVerwendnng des Schwefels ist sehr bedeutend, namentlich bei derFabrication
des Schiesspulvers, der Schwefelsäure, bei der Darstellung der Schwefel-
hölzer und Schwefelfädeu, beim Schwefeln der Weinfässer, der Wolle,
Seide. Strohhüte und Korbmacherarbeiten. Die Kammern, welche zum Schwefeln
dienen, sind mit hermetisch verschlossenen Thüren und Fenstern und unter der
Decke mit Stangen zum Aufhängen der verschiedenen Stoffe versehen; eiserne
Schalen, in welchen der Schwefel verbrennt, sind in den vier Ecken der Kammer
aufgestellt. Um nach Erforderniss frische Luft eintreten zu lassen, befindet sich
in der Thür über dem Fussboden eine kleine Schiebethür. Da die Zeuge und
Stoffe stark angefeuchtet werden, so muss der Fussboden mit Fliessen versehen
sein und sich rinnenartig nach einer Seite hin neigen, damit das herabtröpfelnde
Wasser ab fliessen kann. An der Decke sollte ein nach dem Schornstein führen-
des Rohr angebracht sein, das namentlich am Schlüsse der Arbeit bei gleich-
zeitigem Oeffneu der Schiebethür in volle Thätigkeit tritt, um die schweflige
Säure vollständig auszutreiben, ehe die Arbeiter diesen Raum betreten.
Wegen der specifischen Schwere des Gases ist der kräftige Zug eines Schorn-
steins erforderlich, welchen man nötigenfalls durch eine besondere Feuerung
verstärkt.
Ist der Betrieb sehr bedeutend, so entsteht die Frage, ob das Gas nicht
vorher absorbirende oder oxydirende Mittel zu bestreichen hat, ehe es durch den
Schornstein in die Atmosphäre tritt und die Adjacenten belästigt. Erforderlichen-
falls empfiehlt es sich, zwischen dem Schornstein und dem Verbrennungsraum
Hürden aufzustellen, auf denen mit Kalkmilch befeuchtete Hobelspäne lagern;
dies ist ein einfaches, billiges und in vielen Fällen auch ausreichendes Verfahren,
um die schweflige Säure grösstentheils zu absorbiren.
In der Korbmacherei wird häufig ein grosser, mit einem dicht schliessen-
den Deckel versehener Kasten benutzt, welcher ebenfalls mit einem Schornstein in
Verbindung stehen muss.
Das Stroh für die Hutfabrication wird meistens vom Sommerweizen
gewonnen, der hierzu besonders cultivirt wird. Die ganze Pflanze wird vor voll-
ständiger Reife zuerst einer Rasenbleiche und nach Behandlung mit Wasserdämpfen
dem Schwefeln ausgesetzt. Dieses geschieht in einem bodenlosen Kasten, der am
Verwendung des Schwefels. 141
oberen Ende mit einem Netz, auf welchem das Stroh ausgebreitet wird, versehen
ist; ein überfassender Deckel wird aufgelegt, sobald der Schwefel auf einem
darunter gestellten Kohlenbecken in's Brennen geräth. Nach 3 — 4 Stunden wird
das Stroh nochmals eine Nacht hindurch auf Rasen ausgebreitet und alsdann ge-
wöhnlich mittels eines besonderen Werkzeugs gespalten.
Das Schwefeln darf nur in einem grossen und luftigen Schuppeu, der mit
einem Abzugsrohre versehen ist, vorgenommen werden.
Bei der "Wolle ist es die weisse wollene Waare, welche, bevor sie in den
Handel kommt, geschwefelt wird und zwar entweder mittels der gasförmigen oder
flössigen schwefligen Säure; im letztern Falle taucht man die Wolle in mit
schwefliger Säure versetztes Wasser ein. Man schwefelt die Wolle im Fliess, als
Garn oder Zeug; Seide wird wie die Wolle gebleicht (s. schweflige Säure).
Seitdem Goodyear aus Connecticut die Entdeckung gemacht hat, dass
Kautschuk und Gutta Percha durch Schwefel unempfindlich gegen Temperatur-
veränderung werden, d. h. ihre Elasticität behalten, ist das Vulcanisiren von Kaut-
schuk und Gutta Percha ein grossartiger Industriezweig geworden. Obgleich man
jetzt nicht mehr den geschmolzenen Schwefel, sondern eine Mischung von Schwefel-
kohlenstoff und Chlorschwefel anwendet, so werden doch auch noch Schwefel und
Schwefelmetalle mechanisch in die Gummiwaaren eingeknetet.
Ferner gebraucht man den Schwefel zur Darstellung sehr vieler pharmaceu-
tischer und chemischer Präparate, zur Darstellung von Abdrücken, zur Berei-
tung des Eisenkitts (1 Th. Schwefel, 1 —2 Th. Salmiak und 40 Th. Eisenfeile),
sowohl zur Erleichterung und Verbreitung der Entzündung als auch zum Feuer-
löschen (s. Sauerstoff).
Bei der Präparation des Stangenschwefels für die Schiesspulver-
fabrication geschieht das Mahlen desselben häufig unter Wasser; die dabei
abfallenden Wässer können, abgesehen von arseniger Säure, auch Schwefelsäure
enthalten, weshalb sie grade wie die Waschwässer der Schwefelblumen zu be-
handeln sind.
Schwefel und Wasserstoff.
l) Schwefelwasserstoff, Hydrothionsäure (H2S) tritt überall auf, wo organische
Gebilde, welche schwefelsaure Salze oder sonstige schwefelhaltige Substanzen enthalten,
in Zersetzung übergehen resp. der Verwesung unterliegen. Beim Flachsrösten, in Loh-
gerbereien, in den Abzugscanälen grosser Städte, in Abtrittsgruben, in Stärkemekl-
und Darmsaitenfabriken, in Knochen siedereien und bei sehr vielen chemischen und tech-
nischen Processen, namentlich bei der Bearbeitung der Gaswässer auf Ammoniak, ent-
wickelt sich Schwefelwasserstoff. Bleibt Meereswasser in Pfützen stehen und bildet _ so
das sogenannte Brackwasser, so entwickelt es Schwefelwasserstoff, wenn es reich
an Seethieren ist. Ebenso verhält es sich mit den Grachten der holländischen Städte,
in welchen viele organische Stoffe verfaulen, ferner mit den Mündungen grosser und an
organischen Stoffen reicher Flüsse in das Meer, wo sehr reichlich Schwefelwasserstoff
auftritt, wenn die organischen Substanzen bei Gegenwart von schwefelsauren Salzen in
Fäulniss übergehen. Derselbe Process findet auch im Mineralreiche statt, wenn schwefel-
saure Salze durch die Gegenwart von organischen Substanzen reducirt werden; der
Kohlenstoff der letzteren verbindet sich nämlich mit dem Sauerstoff der Säure all-
mählig in der Weise, dass das Sauerstoffsalz in ein Schwefelmetall übergeht, welches
wiederum durch die Einwirkung der Kohlensäure des Wassers zersetzt wird, so dass
sich schliesslich Schwefelwasserstoff und ein kohlensaures Salz bilden kann.
Auf diese Weise gelangt Schwefelwasserstoff in die Quellwässer und tritt mit
diesen zu Tage. In der Kegel finden sich auch die Schwefelquellen in der Nähe
von schwefelsauren Salzlagern, von Gypsgebirgen, Kohlenflötzen, bituminösem Schiefer
und überall da, wo verwesende organische Substanzen lagern. In Kohlengruben
kommt H2S selten vor; etwas häufiger zeigt er sich in Erzgruben.
142 Schwefel und Wasserstuft.
Der Sehwefelgehalt des Schlammes verschiedener Schwefelbäder entsteht
durch Abscheidung des Schwefels aus dem Schwefelwasserstoff. Selbst gewöhnliche
Brunnen, welche schwefelsaure Salze enthalten, können durch organische Körper,
hölzerne Pumpenröhren, hölzerne Brunnenräder oder Brunnenkufen Schwefelwasser-
stoff haltig werden, wenn diese Gegenstände nicht ;ms Eichenholz, sondern aus leicht
verwesbarem Fichten- oder Tannenholz angefertigt und nicht ganz vom Wasser be-
deckt sind.
In den sogenannten Fnmarolen oder Solfataren entsteht Schwefelwasserstoff durch
die Reduction der schwefelsauren Salze in Schwefelmetalle und die Zersetzung letzterer
mittels Wasserdämpfe.
In jungem W ein bildet sich Schwefelwasserstoff durch die Zersetzung schwefel-
haltiger organischer Salze, die in den Tranben enthalten sind. Im Tabakrauch
findet er sich in der Verbindung von Schwefelammonium; er wird dargestellt durch
Einwirkung von verdünnter Schwefelsäure auf Eisensulfid.
Fe S + H2 S04 = Fe S04 4- H2 S.
Er ist ein farbloses, verdichtbares, nach faulen Eiern riechendes Gas, das mit blauer
Flamme zu Wasser und Schwefelsäureanhydrid verbrennt: H2S + 3 0 = H20-1-S02.
Bei gewöhnlicher Temperatur nimmt Wasser 1 Volumtheile davon auf; bei Zunahme
des angewendeten Druckes nimmt selbstverständlich, wie bei der Kohlensäure, die Menge
des gelösten Gases zu. Es bildet sich hierdurch Seh wef elwasserstoffwasser,
welches häutig statt des Gases zur Anwendung kommt; an der Luft zersetzt es sich
allmählig durch die Einwirkung des Sauerstoffs unter Ausscheidung von Schwefel:
H2S -f 0 = H20-+-S. Andere oxydirende Mittel, wie Salpetersäure, schweflige Säure,
wirken ebenso, während Chlor, Brom und Jod den Wasserstoff binden. Mit Metallen
bildet das Gas bei erhöhter Temperatur Sulfide und scheidet Wasserstoff ab: glühende
Metalloxyde verwandelt es in Wasser und Sulfide, Sein spec. Gewicht ist 1,177. *J
In feuchter Luft und bei Gegenwart von porösen Körpern, z. B. von Leinwand,
geht der aus Schwefelwasserstoff niedergeschlagene feine Schwefel (Lac sulphuris ) in
schweflige Säure und bald in Schwefelsäure über, wodurch namentlich Leinwand leicht
zerstört wird; hierdurch erklärt sich der Umstand, dass beim Gebrauch von Schwefel-
bädern Handtücher, Vorhänge u. s. w. leicht zerstört werden.
Einwirkung von Schwefelwasserstoff aal den thierischen Organismus. Die
Versuche mit Schwefelwasserstoff an Thieren haben den Beweis geliefert, dass diese viel
heftiger auf dies Gas reagiren, als Menschen. Frühere Mittheilungen5) können wir
noch dahin ergänzen, dass bei Tauben schon V4000 Volumproc. des Gases Würgen und
Erbrechen erzeugen kann. Einige Tauben ertrugen zwar V1000 Volumproc, konnten sich
dabei aber nicht auf den Füssen halten und verriethen deutlich eine angestrengte und
unregelmässige Respiration. Andere Tauben stürzen schon bei dieser Einwirkung hin,
erheben sich zwar, bleiben aber schwankend stehen und geben eine starke Dyspnoe durch
häufiges Aufsperren des Schnabels kund. Werden sie nach o — 6 Minuten an die Luft
gebracht, so erholen sie sich wieder: bleiben sie aber 10 12 M. dem Gase ausgesetzt,
so sterben sie unter leichten Zuckungen. Kaninchen verfallen schon bei Vzoo'Vclump1"00-
in die heftigsten Convulsionen.
Die Vergiftung tritt ein, mag das Gas inhalirt in die Arterien und Venen ein-
gespritzt oder dem Magen und Darmcanal zugeführt werden6). Bei Thieren bestehen
die ersten Zeichen der Vergiftung in allgemeiner Unruhe, beschleunigter, beschwer-
licher Respiration und einem schwankenden Gange: letzterer kündigt gewöhnlich den
baldigen Eintritt der heftigsten Convulsionen unter Pupillenverengerung an. Tonische
nnd klonische Krämpfe folgen oft wechselsweise aufeinander , die Pupille erweitert sich
und der Tod tritt unter tetanischen Erscheinungen ein.
Beim Sectionsbefund ist die Hyperämie der Häute des Gehirns und
Rückenmarks constant; bisweilen zeigen sich auch Extravasate von dünnem, flüssigem
Blute. Die Farbe der Lunge vorn schmutzig hellroth auf dunkelbraunem
Grunde, nach hinten dunkelbraun oder dunkelblau. Viel weisser oder röthlieh
gefärbter Schaum in den Bronchien bis zur Trachea: die Schleimhaut von Gefässinjectionen
dunkelbraun geröthet. Das rechte Herz mit theils flüssigem, theils geronnenem Blute
angefüllt. Bei plötzlichem Tode zeigt sich stets ein von Blut strotzendes
Herz; das Blut ist vorherrschend flüssig und von dunkelrother oder
dunkelbrauner Farbe, Alle wichtigeren Unterleibsorgane und die grösseren Venen
sind reich au solchem Blute.
Bei Menschen hat man die Vergiftung vorzugsweise in Fabriken beob-
achtet, in denen Schwefelwasserstoff sehr reichlich entwickelt wird. In einer
Atmosphäre, welche nur geringe Mengen von Schwefelwasserstoff enthält, treten
Schwefelwasserstoff. 1 43
Kopfweh, Schwindel, Appetitlosigkeit, bisweilen auch Uebelkeit oder Erbrechen
mit kaltem Schweiss ein , Erscheinungen, welche nach der individuellen Empfäng-
lichkeit mehr oder weniger, früher oder später eintreten; denn hinreichend
bekannt ist es, dass einige Menschen auch auf kleine Mengen des Gases sehr
heftig reagiren. Solche Individuen sind absolut genöthigt, jede Entwicklungsstätte
von Schwefelwasserstoffgas sofort zu verlassen.
Auf die Augen der Arbeiter übt das Gas oft eine eigenthümliche Ein-
wirkung aus ; zuerst entsteht ein heftiges Brennen um die Augenlieder; sie
röthen und entzünden sich unter bedeutender Anschwellung, so dass das Oeffnen
der Augen fast unmöglich wird.*)
Heftigere Einwirkungen treten ein, wenn die Arbeiter plötzlich von einem
starken Strom des Gases getroffen werden, was gewöhnlich durch Undichtigkeit
der betreffenden Apparate oder auch durch Unvorsichtigkeit veranlasst wird. In
einem solchen Falle stürzen die Arbeiter oft hin, als seien sie von einer Kugel ge-
troffen; alle Glieder werden starr und unbeweglich, die Augen verdrehen sich und
die Brust hebt sich röchelnd auf und nieder. Werden die Betroffenen rasch an
die Luft gebracht und am Kopf mit kaltem Wasser gewaschen oder besprengt,
so kehrt das Bewusstsein nach einigen Minuten wieder; es bleibt nur eine Er-
müdung und Zerschlagenheit der Glieder zurück. Selbstverständlich erfolgt der
Tod, wenn nicht rasche Hülfe eintritt und der Hingestürzte iu der Schwefelwasser-
stoff-Atmosphäre liegen bleibt. Nach allen Erfahrungen sind letale Fälle jedoch
höchst selten und es fehlt bisher das Ergebniss der an solchen Verunglückten an-
gestellten Obductionen.
Sehr bemerkenswerth ist die Thatsache, dass bisweilen mit der wieder-
kehrenden Beweglichkeit der Glieder die heftigste Tobsucht eintreten kann,
so dass die Kranken kaum zu bändigen sind, da sie in der heftigsten Weise um
sich schlagen und dadurch für andere gefährlich werden; solche Tobsuchts-
anfälle können sich wochenlang wiederholen, ehe Genesung eintritt.7) Diese
Fälle von heftigster Erregung des Central-Nervenapparates werfen einiges Licht
auf die Art der Wirkung des Schwefelwasserstoffs und beweisen, dass diese Ver-
giftung nicht bloss auf der Entziehung des Sauerstoffs beruht, wie Kaufmann
und Rosenthal8) behaupten.
Zuerst hat Hoppe -Seyler9) nachgewiesen, dass die ursprünglicheEinwirkung
von Schwefelwasserstoff auf das Blut in einer Trennung des locker gebundenen
Sauerstoffs vom Hämoglobin beruhe, so dass die Absorptionsstreifen des sauer-
stofffreien Hämoglobins auftreten; dieser Vorgang erfordert aber stets einige
Zeit. Als Zeichen der weitern Zersetzung erscheint alsdann ein Absorptions-
streifen im Roth und zwar nach dem Grade der Verdünnung iu der Gegend von
65 oder 67 — 70 oder 72 der Scala des Spectralapparats, dessen Fraunhofer'sche
Linien C auf 61 und D auf 80 der Scala stehen. Er hat das Charakteristische, dass
er bleibt, wenn man Schwefelammonium zusetzt, während alle Hämatinlösungen
bei diesem Zusatz nur die von Stokes beschriebenen Streifen des reducirten
Hämatins zeigen, welche im Grün des Sonuenspectrums liegen. Dieses durch
Schwefelwasserstoff gebildete Product ist bisher noch nicht isolirt worden; es
zerlegt sich aber bei der weitern Einwirkung von Schwefelwasserstoff und alsdann
bildet sich eine in dünnen Schichten olivengrüne, in dickern Schichten braun-
*) Am zweckmässigsten sollen sich Waschungen von 0,002 Grm. Sublimat auf !!0 Grm.
Wasser hiergegen erwiesen haben. •
144 Schwefel and Wasserstoff.
rothe Substanz ohne Absorptionsstreifen. Diese Resultate der Spectralunter-
suchungen konnten zwar bei vergifteten Kaltblütern, aber noch nicht bei lntoxi-
cationen von Menschen durch Schwefelwasserstoff bestätigt werden. In Betreff des
Zersetzungsprocesses im Blute ist bei dieser Vergiftung noch nichts Bestimmtes
ermittelt worden. Sicher ist, dass von Menschen Schwefelwasserstoff eingeatlimet
werden kann, ohne dass er dauernde Alteration im Blute erzeugt; wäre dies
nicht der Fall, so würde es unerklärlich bleiben, dass Arbeiter sich wochenlang
in einer Schwefelwasserstoff -Atmosphäre aufhalten, dass Kranke längere Zeit
Schwefelbäder gebrauchen und sich sogar Schwefelwasserstoffgas-Inhalationscuren
unterwerfen können, ohne dass dadurch eine der Wirkung des Schwefelwasser-
stoffgases eigenthümliche Gesundheitsstörung sich kundgibt.
Wenn bloss die Entziehung von Sauerstoff durch den Schwefelwasserstoff
die Ursache der auftretenden Symptomenreihe (Erweiterung der Pupille, Dyspnoe,
Convulsionen, Lähmung, besonders Lähmung des Herzens) wäre, so muss man es
mit Hoppe -Seyler auffallend finden, dass Thiere, welche durch Schwefelwasser-
stoff umgekommen sind, noch Sauerstoff im Blute enthalten, während bei Ent-
ziehung des Sauerstoffs der Athmungsluft das Blut noch bei Lebzeiten schwarz
und fast frei von Sauerstoff erscheint. Mittels Aspiration lässt sich auf das
Bestimmteste nachweisen, dass bei durch Schwefelwasserstoff umgekommenen
Thieren ein Theil des eingeathmeten Gases nur absorbirt war und wieder frei
gemacht werden konnte. 10)
Die blitzschnelle Wirkung des Schwefelwasserstoffs erinnert in vieler Be-
ziehung an die Blausäure, an eine plötzliche Depression der Central -Apparate
und speciell der Circulations- und Athmungscentren. Ein von Blut strotzend ange-
fülltes Herz fällt bei dem plötzlichen Tode ganz besonders auf, wohingegen in den
Lungen die Hyperämie viel weniger ausgeprägt ist.
Schwindel, sowie die tonischeu und klonischen Krämpfe weisen deutlich
auf die Reizung des Gehirns und der Medulla oblongata hin. Zugleich beweisen
die Tobsuchts anfalle bei Menschen, dass die Erregung dieser Ceutren längere
Zeit anhalten kann, ohne zu Lähmung oder bleibenden Veränderungen im Nerven-
system zu führen, wie denn überhaupt die baldige Erholung nach plötzlichem
Hinstürzen der Menschen in Folge der Inhalation des Gases dafür spricht, dass es
durch die Lungen schnell ausgeschieden werden kann.
In der Industrie tritt der Schwefelwasserstoff sehr häufig auf. Es würde zu
weit führen, hier die eiuzelnen Proceduren, bei welchen dies der Fall ist, aufzuführen ;
bei den bezüglichen chemischen Processen wird hiervon die Rede sein. Um die
Arbeiter in Fabriken vor der Einwirkung des Schwefelwasserstoffs zu schützen,
sind Sorgfalt, Aufmerksamkeit und das Verhüten des Auftretens dieses Gases in
den Fabrik räumen das sicherste und nothwendigste Mittel. Das vielfach empfohlene
Chlor ist schon au und für sich schädlich und kann weder als Schutzmittel noch
als Gegenmittel zur Anwendung kommen.
Bei Unglücksfällen ist der sofortige Transport au die frische Luft nebst
Begiessungen mit kaltem Wasser das erste und beste Mittel; tritt nicht
sehr bald ein günstiger Erfolg ein, so soll man die Einleitung der künstlichen
Respiration niemals unterlassen. Ob in verzweifelten Fällen die Blut-Transfusion
von Nutzen sein würde, ist noch nicht versucht worden; um dieses Mittel zu
ergreifen, müsste wenigstens noch der Herzschlag wahrnehmbar sein.
Auf die Pflanzenwelt wirkt Schwefelwasserstoff als Gas wenig oder gar
Schwefelwasserstoff in der Industrie. 145
nicht ein; wird es aber als solches oder in Wasser gelöst den Wurzeln zuge-
führt, oder wird eine abgeschnittene Pflanze mit der Schnittfläche in Schwefel-
wasserstoffwasser gesetzt, so stirbt sie bald ab.
Schwefelwasserstoff in der Industrie.
Schwefelwasserstoff ist bei allen Analysen ein unentbehrliches Reagens
und wird deshalb bei sehr vielen chemischen Processen verwendet; auch dient
er zur Trennung der fremden Metalle bei den Nickel- und Kobalterzen.
Zur Darstellung von Schwefelfarben, namentlich von Antimonzinnober,
kann Schwefelwasserstoff benutzt werden, indem man ihn in eine wässrige, nicht
zu saure Lösung von Butyrum Antimonii einleitet, (Man vergl. unterschweflig-
saures Natrium.) Früher benutzte man H2S in der Kattundruckerei, um auf
dem Zeuge eine gelbe Farbe hervorzubringen; ein Kadmiumsalz oder arsenige
Säure wurde nämlich aufgedruckt und dann das Zeug durch Schwefelwasser-
stoffwasser gezogen. Um verschiedenen Metallwaaren ein anderes Ansehen und
eine braune oder violette Färbung zu geben, bringt man sie mit Schwefelwasser-
stoff zusammen; damit die Farbe haften bleibt, werden nachher die Gegenstände
mit einem Firniss überzogen.
Zum Versilbern der Phosphorzündhölzchen wird Schwefelwasserstoff in
die Trockenkammern eingeleitet, wobei er sich mit dem in der Zündmasse vor-
handenen Blei zu einem silberweissen Ueberzug verbindet.
Auch zum Bleichen hat man Schwefelwasserstoff benutzt; der Wasserstoff
desselben bemächtigt sich nämlich des Sauerstoffs der färbenden Substanzen, bildet
Wasser und vernichtet durch diesen Process die Farbe. Der ausgeschiedene Schwefel
(Lac sulphuris) wird auf dem Zeuge oder auf den Fasern unendlich fein vertheilt
niedergeschlagen. Es ist schon mehrmals erwähnt worden, dass dieser fein ver-
theilte Schwefel bei Gegenwart von Feuchtigkeit in schweflige resp. Schwefelsäure
verwandelt wird, wodurch diese Bleichmethode häufig dieselbe zerstörende Nach-
wirkung wie der Chlorkalk hat. Um diese zu vermeiden, hat man vorge-
schlagen, die Zeuge nach dem Bleichen durch ein verdünntes Soda- oder Pott-
aschenbad zu ziehen, wodurch nicht allein die gebildete Säure neutralisirt, sondern
auch, da die Einwirkung warm geschieht, der grösste Theil des niedergeschlagenen
Schwefels gelöst wird und Schwefelleber entsteht; letztere geht aber be-
kanntlich mit thierischen Substanzen eine Verbindung ein, welche mit einem üblen
Geruch behaftet ist. Die auf solche Weise gebleichten Zeuge haben deshalb einen
oft widerlichen, bisweilen krankmachenden Geruch.
Hahnemann's Weinprobe besteht in einem mit Schwefelwasserstoff ge-
sättigten Wasser, dem Weinsteinsäure zugesetzt wird; sie war zur Zeit der
Weinfälschungen mittels Blei sehr im Gebrauch und insofern von grossem Werthe,
als auch der Laie sich schnell mittels dieses Prüfungsmittels von einem Blei-
gehalt des Weins überzeugen konnte.
2) Wasserstoffsupersulfid, flüssiger Schwefelwasserstoff, geschwefelter Schwefel-
wasserstoff H2S2 stellt eine tropfbare, im reinsten Zustande dünne, gewöhnlich ölartige
Flüssigkeit von bernsteingelber Farbe und widerlichem Geruch dar und wird durch Be-
handeln von Calciumpolysulfid mit überschüssiger Salzsäure dargestellt.
CaS5 + 2C1H = CaCl2 + ILS2 + 3S.
Der freiwerdende Schwefel bleibt in H2S2 gelöst, Die Zersetzung der Flüssigkeit
erfolgt schon bei gewöhnlicher Temperatur; sie löst sich wenig in Wasser, dagegen
leicht in Aether. Die Lösung zersetzt sich aber auch bald in S und H2S.
Eulenberg, Gewerbe -Hygiene. 10
140 Schwefel und Chlor.
Einwirkung des Wasserstoffsupersulfids anf den tliierisehen Organismus.
20 Tropfen dieser Flüssigkeit wurden auf den Boden des hölzernen Kastens, in welchem
ein starkes Kaninchen sass. gegossen: sofort trat grosse Unruhe ein: das Thier schloss
die Augen und schwankte. Nach ; 0 Secunden Hinstürzen unter den heftigsten Convul-
sionen und starker Verengerung der Pupille: nach 1 Min. vollständige Asphyxie,
nur in den Bauchmuskeln schwache convulsivisehe Bewegungen. Nach 2 Min. ist der
Tod eingetreten und die Pupille stecknadelkopfgross contrahirt: die Cornea
sieht rann und zerfressen aus
Bei der Section erscheint die Farbe der Lungen hellroth, hyperämisch, das
ganze Herz .-trotzt von flüssigem rothbraunen Blute, welches an der Luft eine
intensiv rot he Farbe annimmt.11)
Der geschwefelte Schwefelwasserstoff entwickelt hiernach eine starke toxische
Wirkung, unterscheidet sich aber entschieden und namentlich dadurch von dem
gewöhnlichen Schwefelwasserstoff, dass er eine besondere Reizung der pupillen-
verengernden Fasern erzeugt, die Cornea arrodirt, schliesslich aber in der läh-
menden Einwirkung auf die Herzfunction mit dem gewöhnlichen Schwefelwasserstoff
übereinstimmt. Das rothbraune Blut zeichnet sich durch die schnelle Aufnahme
von Sauerstoff an der Luft aus.
Dieser Körper verdient in wissenschaftlicher Beziehung eine eingehende
Untersuchung und bei seinem Auftreten in der Industrie die grösste Beachtung,
da er den Menschen unzweifelhaft gleich gefährlich wie den Thieren sein wird.
In industrieller Beziehung ist es wichtig, dass jener Körper bei der
Reinigung der Rohöle, welche aus Petroleum von Cauada und Boghead. aus der
Braunkohle, der Blätterkohle und dem Posidonienschiefer gewonnen werden, ent-
stehen kann, wenn nach der Behandlung dieser schwefelhaltigen Kohlen-
wasserstoffe mit Natronlauge noch Schwefelsäure zur Einwirkung gelangt.
Auch kann bei der Bereitung von Lac sulphuris flüssiger Schwefelwasserstoff ent-
stehen, wenn unvorsichtigerweise die Schwefelleberlösung in die verdünnte Säure
(statt umgekehrt) getröpfelt wird, wobei sich der Wasserstoff mit sämmtlichem
Schwefel verbunden als eine ölartige Flüssigkeit ausscheidet.
Schwefel und Chlor.
1) S< hwefelclilorür S2C12 bildet sich, wenn durch Schwefelsäure von Wasser be-
freites Chlor über geschmolzenen Schwefel geleitet und die entstandene Flüssigkeit von
dem überschüssigen Schwefel in eine Vorlage abdestillirt wird.
Eine braunrothe, ölige Flüssigkeit von erstickendem Gerüche und stark saurem
Gesehmacke, welche an der Luft raucht, bei 139° siedet und durch Wasser in Salzsäure,
Schwefligsäureanhydrid und Schwefel zerfällt.
2S2Cl2 + 2H,0 = S02 + tHCl4-3S.
Da die Flüssigkeit viel Schwefel aufzulösen vermag, so wird sie mit Schwefel-
kohlenstoff gemischt fast allgemein zum Vuleanisiren des Kautschuks gebraucht: durch
dieses Verfahren ist das mechanische Einkneten des Schwefels bei vielen Waaren fast
ganz in Wegfall gekommen.
Einwirkung von Sclnvefelchloi iir auf den tliierisehen Organismus. 1) Das
Schwefelchlorür befindet sich in einer birnförmig gebogenen Glasröhre. Die Dämpfe
werden kalt in die Glasglocke, unter welcher eine Taube sitzt, getrieben. Sogleich
Unruhr. Blinzeln mit den Augen, Ausfluss von Schleim aus dem Schnabel, Putzen
der Augen. Kothentleerung nach 10 Kolbenstössen: nach 3 Minuten Aufsperren des
Schnabels: beim Versuche, den rechten Fuss zu erheben, schwaches Schwanken Nach
6 M. nochmals 10 Kolbenstösse: beständiges Blinzeln mit den Augen und Putzen
derselben: nach 9 M. 9 Inspirationen, sonst ruhiges Verhalten bei geschlossenen Augen :
nach 14 M 5 Kolbenstösse: Husten, Putzen der Augen: nach 20 M. Herausnahme
der Taube, welche sogleich umhergeht. Der aus dem Schnabel fliessende Schleim rea-
irt sauer. Nach 15 M. starkes Niesen und Husten; nach 3 Stunden normale Respira-
Schwefelchlorür. ~[ 47
tion bei geringem Schleimrasseln. Am zweiten Tage scharfes, trocknes Inspiriren; am
dritten Tage schwaches Schleimrasseln, 12 Inspirationen binnen 1/i M.: weitere Nach-
krankheiten entstanden nicht.
2) Ein kleines Kaninchen sitzt unter der Glasglocke, in Avelche die Dämpfe etwas
erwärmt eingetrieben werden. Anfangs 20 Inspirationen: nach 10 Kolbenstössen
Schliessen der Augen und Bauchlage; nach 3 M. 9 Inspirat,: nach 5 M. krampfhafte
Zuckungen in den Beinen mit zurückgezogenem Kopfe, beschleunigter Respiration und
jämmerlichem Aufschreien. Sofort Herausnahme des Thiers in vollständiger Asphyxie,
welche eine halbe Minute anhält; alsdann kurze und leichte convulsivische Bewegungen,
nach denen es sich erhebt. Nach 2 M. 18 angestrengte Inspirat. binnen 1/1 M.; Cornea auf
beiden Seiten opalisirt, schleimige Absonderung in den Augen, das rechte Auge steht
etwas hervor. Nach 15 M. 22 unregelmässige Inspirat., Bauchlage mit ausgespreizten
Hinterbeinen; nach 3 Stunden wenig angestrengte Respiration bei schwachem Schleim-
rasseln. Am zweiten Tage ist das linke Auge theilweise verklebt und mit wenig Eiter
angefüllt, rechtes Auge vollständig verklebt: 16 etwas angestrengte Inspirat, binnen 1/4 M.,
Rhonch. sibilans, geringe Fresslust, häufiges Zittern des Kopfes. — Am dritten Tage
ruhiges Verhalten, 15 angestrengte Inspirat.: in beiden Augen eitrige Flüssigkeit, die
Conjunctiva bulbi stark entzündet: Rhonch. sibilans und sonorus. Gegen Abend winde
es in sitzender Stellung todt gefunden.
Section nach 16 Stunden. Linke Cornea in der Mitte stark opalisirt. Röthe
und Anschwellung der gesammten Conjunctiva, welche mit zähen weissen Fäden bedeckt
ist: Gliederstarre sehr stark. Schädelhöhle: Hirnhäute hyperämisch. Ein 6 Linien
langes und 1 Linie breites, mit geronnenem Blute angefülltes Gefäss liegt auf den Corp.
quadrig. und ist von einer sehr zarten, strahlenförmigen Lage Blutes umgeben. Auch
auf der unteren Fläche der Medull. oblong, befindet sich ein ganz oberflächliches, aus
geronnenem Blute bestehendes Extravasat: Plex. venös, spinal, massig angefüllt.
Brusthöhle: Beide Lungen vorherrschend rothbraun, vielfältig mit blassrothen,
erbsengrossen Erweiterungen der Lungenbläschen versehen; alle braunen Partien knistern
nicht beim Durchschneiden; aus den Schnittflächen dringt eine schleimig-blutige Flüssig-
keit hervor. Die einzelnen Lungenlappen schwimmen auf dem Wasser, einzelne braune
Partien derselben sinken aber vollständig unter. Unter dem Mikroskope bemerkt man
in der blutigen Flüssigkeit des braunen Parenchyms viele „Entzündungskugeln". In allen
Herzhöhlen, vorzugsweise im rechten Vorhof, viel geronnenes Blut. Die Trachealschleim-
haut geröthet und injicirt, an einzelnen Stellen lässt sich das aufgelockerte Epithe-
lium abschälen. Unterleibshöhle: Leber blassbraun, enthält aber dunkles, dick-
flüssiges Blut; Galle braungelb. Milz blassblau; Magen mit Futter angefüllt; Nieren
in der Corticalsubstanz blutreich; in den grössenen Venen geronnenes Blut. Alles Blut
ist vorherrschend geronnen und schwärzlich braunroth, es scheidet fast kein Serum
aus und geht an der Luft in dunkle Kirschröthe über, viele Blutkügelchen sind ganz
zerfallen.
Beim Inhaliren der Dämpfe von Schwefelchloriir wirken die Zersetzungs-
producte desselben, schweflige Säure und Salzsäure, ein. Wenn man sich
die Wirkung dieser beiden Substanzen vergegenwärtigt, so muss ihr Zusammen-
wirken die grösste Reizung in den Respirationswegen verursachen. Ausfluss
einer wässerigen Flüssigkeit aus Nase und Mund, Stechen in den Augen, Opali-
sirung der Hornhaut und Husten sind die ersten Symptome der irritirenden Wir-
kung. Die Entstehung einer Conjunctivitis gehört besonders der Wirkuug der
schwefligsauren Dämpfe an, während die erschwerte oder beschleunigte Respira-
tion Effect der beiden Säuren ist; der asphyktische Zustand und die leichten
convulsivischen Bewegungen dürften aber eher auf die schweflige Säure zurück-
zuführen sein. Erfolgt der Tod nicht rasch, sondern erst am dritten oder vierten
Tage, so gehen die Thiere in Folge der Lungenaffection zu Grunde.
Wenn Delpech nach Einwirkung der Dämpfe von Schwefelchlorür bloss
eine sehr heftig reizende Wirkung und keine Symptome von Paralyse beobachtet
hat, so ist diese Wahrnehmung begründet; wenn er aber Thiere 6 — 7 Tage
lang in einem Kasten den Dämpfen von Schwefelchlorür ausgesetzt haben will,
ohne dass der Tod hierauf erfolgt ist, so kann diese Beobachtung nur richtig
sein, wenn sehr geringe Mengen dieses Körpers zur Einwirkung gelangt sind.
10*
1 |s Schwefel and Chlor.
Verwendung findet Schwefelchloriir in Verbindung mit Schwefelkohlen-
stoff beim Vulcanisiren des Kautschuks, wobei sich aber in sanitärer Beziehung
hauptsächlich die Einwirkung des letzteren kund gibt (s. Schwefelkohlenstoff).
2 Sehwefelehlorid SCla entstellt durch Einleiten von überschüssigem Chlor in
Schwefel, lässt sich aber nicht abdestilliren Durch Wasser zersetzt es sich in ähnlicher
wie Schwefelchlornr und .-teilt eine dunkelrothe, beständig Chlor ausstossende
Flüssigkeit dar, die häufig im Schwefelchlornr enthalten i:-t. für sich aber keine Ver-
wendung findet.
Schwefeltetrachlorid SC13 ist nur in Verbindung mit einigen Metallchloriden
bekannt Brom löst Schwefel reichlich auf und bildet eine dem Chlorschwefel ähnliche
Flüssigkeit Jod und Schwefel vereinigen sich bei gelinder Erwärmung: Schwefel-
jodür >_•!_• -Teilt eine schwarzgraue geschmolzene Masse dar.
Einwirkung von Sehwefelehlorid auf den thierisehen Organismus. Chlor
wurde in Scbwefelchlorür geleitet und die Mischung erwärmt. Die sich bildenden
Dämpfe wurden in 3 Kolbenstössen in die Glasglocke, unter welcher ein grosses Kanin-
chen sass, getrieben. Sogleich starkes Blinzeln der Augen und grosse Unruhe: nach 2 M.
nochmals 2 Kolbenstösse : Zusammenkauern und kaum sichtbares Athmen. Nach 3 M.
7 Inspirat. binnen J4 M.; nach 4M. 12 Inspirat., wobei sich das Maul ein wenig öffnet:
Ansammlung einer schleimigen Flü.-sigkeit in den Augenwinkeln nebst Opalisirung der
Hornhaut. Nach 9 M. sehr beschwerliche Respiration mit Einziehen der Weichenliegend :
nach 12 M 5 Kolbens - - gleich grosse Unruhe und heftiges Putzen der Schnauze:
starkes Zurückziehen des Kopfes und Hinfallen. Nach 15 M. 9 unregelmässige Inspir.:
alsdann Herausnahme des Kaninchen:-. Augen- und Maulschleimhaut reagirt stark
snuer: Ammoniak, vor das Maul gehalten, erzeugt deutliche weisse Dämpfe: die Augen-
lieder sind mit Schleim verklebt: die Conjunct. palpebr. geröthet. die Cornea auf beiden
Seiten opalisirt. Nach 2 M. 9 Lnspir. binnen l 4 5l : in der Brust Rhonch. sibil. und
sonor.; Herzschlag - mal. Nach 6 M. sehr angestrengte Inspirationen ; schwerfällige
Abend.-: 10 mit Schleimrasseln verbundene Inspir. Am zweiten Tage ruhiges
Verhalten; Augen verklebt: Rhonch. sibil. und sonor.. Respiration weniger ange-
strengt: Fresslust gering. Gegen Mittag tiefe und seltene Inspirat. bei zuiückgezoge-
nem Kopfe: unter progressiver Abnahme der Athmung tetanisches Strecken und Tod.
ion nach 15 Stunden. Hornhaut auf beiden Seiten milch weiss; Conjunct. palp.
geröthet. Scbleimfäden überziehen die Cornea. Schädelhöhle: Hirnhäute sehr hyper-
ämiscb, auf den Corp. quadrig. ein '■'■ Linien langes und 1 Linie breites, mit geronnenem
Blute angefülltes Gefäss; an der Basis cerebri erscheinen sämmtliche Gefässe ausgedehnt
und angefüllt: ein feiner strahlenförmiger Kranz von ausgetretenem Blute umgibt die-
selben. Plex. venös, spin. im Verlaufe der Halswirbel mit geronnenem Blute ange-
füllt. Brusthöhle: Beide untere Lungenlappen schwarzbraunroth mit hellrothen Rän-
dern, die hintere Hälfte des mittleren rechten Lappens von derselben Farbe; die übrigen
Partien heüroth und dunkelbraunroth marmorirt. Das der dunkel gefärbten Oberfläche
chende Parenchym ist fest, nicht knisternd und schwimmt unter dem Spiegel des
-: der mittlere rechte Lappen sinkt im Wasser vollständig unter. Auf den Durch-
schnittsflachen sehr viel Schaum von sehwaehgelblicher Färbung: er füllt die Bronchien
bis zum Larynx aus. In der blutigen Flüssigkeit, welche man beim Durchschneiden
des testen Parenehyms erhält . entdeckt man viele Exsudatkörperchen und Zellen. Die
Trachealschleimhaut ist bis zum Larynx mit einer aufgelockerten Epithelialschich t
bedeckt, nach deren Ablösung die tief braune Schleimhaut zu Tage tritt. Unterleibs-
höhle: Die braunrothe Leber enthält viel dickflüssiges, schwarzes Blut: Galle dunkel-
grün. Die Schleimhaut des mit Futter angefüllten Magens ist normal: Harnblase
angefüllt; sonst überall injicirte Blutgefässe. Wenig flüssiges Blut hatte sich ausgeschie-
- blieb flüssig an der Luft und wurde kirschroth: viele Blutkügelchen erscheinen
eckig und ungleich gerändert.
S awefelchlorid zersetzt sich mit Wasser im ersten Stadium in unter-
schweflige Säure und Salzsäure: 2SC12 -+- 3H20 = H2S2C\ + 4 HCl. Die
gebildete unterschweflige Sänre zerlegt sich aber sofort weiter in schweflige
Scänre. Schwefel und Wasser: H2S203 = S02 -|- H20 + S. Die Dämpfe von
Schwefelchlorid müssen daher von ähnlicher Wirkung sein wie die von Schwefel-
chloriir: hierfür sprechen auch die Symptomatologie und der Leichenbefund bei
ihn dnreh diese Dämpfe umgekommenen Thieren.
. Schweflige Säure. 149
Schwefel und Sauerstoff.
1) Schweflige Sälire H2S03 existirt nur in Form von Salzen; werden diese
durch eine stärkere Säure zersetzt, so zerfällt H2S03 sofort in Wasser und Schweflig-
s äure- Anhydrid (S02), welches im gewöhnlichen Leben schweflige Säure heisst. S02
findet sich überall, wo schwefelhaltige Substanzen verbrannt werden, also überall, wo
Steinkohlen verbrennen oder Schwefelmetalle geröstet werden, in der Nähe von Schwefel-
säure- und Ultramarinfabriken, bei den Halden der Alaunwerke u.s.w. : in vulcanischen
Eruptionen fehlt es selten. In der Technik tritt dasselbe bei der Reduction der Schwefel-
säure auf, z. B. in Glas- und Stearinsäurefabriken, bei der Reinigung des Petroleums,
der Theeröle und bei der Darstellung des Paraffins u. s. w. Wo bisher von schwefliger
Säure die Rede gewesen ist, war darunter stets das Schwefligsäur e - Anhydrid zu
verstehen.
Man stellt das Anhydrid dar: 1) durch Verbrennen von Schwefel in den soge-
nannten Schwefelkammern zum Bleichen von pflanzlichen und thierischen Substanzen;
2) durch Einwirkung von organischen Substanzen, namentlich Holzkohle. Sägespänen
u. dergl. , auf Schwefelsäure; die schweflige Säure ist alsdann mit Kohlensäure und
etwas Kohlenoxyd vermischt. Beide Methoden werden fast nur in der Technik benutzt;
bei letzterer geschieht die Absorption in einem System von Woulff'schen Flaschen,
wobei die aus dem letzten Gefässe ausströmenden Gase (Kohlenoxyd und Kohlensäure)
unter den Rost einer Feuerung geleitet werden müssen. 3) Durch Einwirkung mancher
Metalle, namentlich von Kupfer, auf heisse Schwefelsäure unter Bildung von Kupfersulfat.
2 Ho S04 + Cu = Cu S04 + 2 H20 + S 02.
4) Durch Zersetzung von schwefligsauren Salzen mittels einer stärkeren Säure. In beiden
letzteren Fällen erhält man die Säure rein. Zum täglichen Gebrauch in Haushaltungen
behufs Vertilgung von Obstflecken, Bleichen von Wolle, Seide u. s. w. kann man sich zur
Zersetzung der schwefligsauren Salze des gewöhnlichen Weinessigs bedienen.
Das Anhydrid ist ein farbloses Gas von starkem, erstickendem Gerüche, welches
weder die Verbrennung noch das Athmen zu unterhalten vermag; es geht leicht in den
flüssigen Zustand über. Die flüssige Säure siedet bei — 10° C, verdampft unter der
Glocke der Luftpumpe und unter gewöhnlichem Atmosphärendruck; Wasser absorbirt
ungefähr sein öofaches Volumen des Gases. Bei ungehindertem Luftzutritt bildet sich
in der wässerigen Lösung bald Schwefelsäure H2S04; ein Zusatz von Chlor, Brom
und Jod bewirkt dasselbe.
S02 + 2H..0 + 2C1 = H2S04 4- 2 HCL
Mit trocknem Sauerstoff verbindet sich das Gas nicht; nur unter Mitwirkung einer
Hitze von 300° C. und von Platinschwamm bildet sich Schwefelsäureanhydrid S03;
Salpetersäure , Chromsäure und andere ihren Sauerstoff leicht abgebende Arerbindungen
oxydiren S02 und werden selbst dadurch reducirt. Auf dieser reducir enden Kraft
beruht sein Vermögen, bleichend auf manche Pflanzenfaser zu wirken und die Fäulniss
und zu verhindern.
Einwirkung der schwefligen Säure auf den thierischen Organismus, l) Ein kleines
Kaninchen wird unter die Glasglocke gebracht und eine wässerige Lösung von 1 Drachme
saurem schwefligsaurem Ammonium erhitzt; die Dämpfe werden sofort in die Glocke
geleitet. Beim Beginn des Versuchs sogleich Unruhe, Thränen der Augen und Putzen
der Nase; nach 1 Min. 11 Inspirationen; nach 3 M. bei erneuerter Zuleitung grössere
Unruhe; das Thier erhebt sich, die Cornea wird trübe und der Kopf zieht sich zurück,
die Nasenöffnuug ist geröthet. Nach 8 M. 9 angestrengte Inspirationen, wobei das Thier
sich nicht mehr aufrecht erhalten kann. Nach der Herausnahme bleibt es ruhig sitzen.
Nach 3 M. 15 weniger angestrengte Inspirat., starkes Schleimrasseln in der Luftröhre,
vermehrter Herzschlag; nach 3 Stunden läuft es im Hofe umher und lässt sich schwer
einfangen. Am folgenden Tage noch Rhonch. sibilans und mucosus in den Bronchien.
Am 3. Tage 14 angestrengte Inspirat., häufiges Husten: nach 4 Tagen 20 sehr ange-
strengte Inspirat. bei häufigem Husten. Fresslust ungestört; gegen Abend vermehrte
Dyspnoe. Am 5. Tage wird das Thier todt in der Starre gefunden. Section gegen
Mittag. Linke Cornea opalisirt in Form eines schmalen graden Streifens. Pia mater
sehr stark hyperämisch. Die Gefässchen erscheinen schwärzlich; ein 6'" langes und
1/2"' breites Gefäss mit schwarzem Blutcoagulum liegt auf den Corp. quadrig. und ist
mit etwas flüssigem Blute umgeben. PI ex. ven. spin. stark mit geronnenem Blute
angefüllt. Zwischen Dura mater und Wirbel stellenweise eine dünne Lage von Blut.
Brusthöhle: Die Luftröhre siehtvon aussen bläulich aus, unter demLarynx beginnt eine
dünne Lage einer aufgelockerten Epitheliumschicht, welche sich bis zum Eintritt
der Bronchien in die Lungen ausdehnt; unter derselben sieht die Schleimhaut dunkelroth aus.
Beide Lungen von braun rother Farbe; der untere rechte Lappen hat an seinem
150 Schwefel und Sauerstoff.
untern Drittheile eine blassrothe Farbe mit Emphysembildung, während 2/3 davon nach
oben tief dunkelbraunroth erscheinen. Diese Partie sinkt im Wasser und knistert
nicht beim Durchschneiden. Der linke obere Lappen ist grösstentheils emphy se-
in atös; der linke untere Lappen ist nur am Rande emphy sematös, sonst braun- und
hellroth marmorirt; sein Parenchym hat dieselbe Farbe. Auf den Schnittflächen tritt
weisser resp. blutig gefärbter Schaum hervor: nur sehr wenig flüssiges Blut findet
sich ; weisser Schaum tritt aus den feinsten Bronchien überall hervor und setzt sich in
geringerm Grade bis zum Larynx fort. In der Brusthöhle hat sich wenig flüssiges,
dunkelkirschrothes Blut mit einem Stich in's Violette angesammelt, welches bald eine
syrupartige Beschaffenheit annimmt. In dünnen Schichten wird es an der Luft etwas
hellroth, beim Eintrocknen braunrot h: Blutkügelchen vielfach granulirt. Das ganze
Herz ist mit geronnenem Blute angefüllt. Unterleibshöhle: Leber ist hellbraun und
enthält ziemlich viel schwarzes, dickflüssiges Blut; in der Gallenblase dunkelgrüne Galle.
Milz blassblauroth ; Magen mit unverdauten Fwtterresten angefüllt, Schleimhaut normal.
Die Corticalsubstanz der Niere sehr blutreich; in der Harnblase dunkelgelber Urin.
2) 0 Drachmen saures sehwefligsaures Ammonium werden erwärmt und die sich
stark entwickelnden Dämpfe in die Glocke, in der sich ein mittelgrosses Kaninchen
befindet, eingeblasen. Etwa der 20. Tlieil der Lösung wird verbraucht; sogleich grosse
Unruhe, Putzen der Nase, Erheben des Körpers und Schliessen der Augen. Nach 4 M.
sinkt es auf den Boden, erhebt sich dann wieder und sinkt zur Seite; beim nochmaligen
Erheben schwankt es bedeutend. Respirationsbewegung kaum bemerkbar; nach 10 M.
kurze convulsivische Bewegungen unter Urinabgang und plötzlicher Tod. Cornea opali-
sirt; das Epithelium an einzelnen Stellen abgelöst, die Augen mit Thränen gefüllt. Sec-
tion nach 18 Stunden. Gehirnhäute stark hyperämisch, namentlich an der Basis; auf
den Corp. quadrig. ein kleines wurstförmiges, geronnenes Blutklümpchen, umgeben von
einer sehr dünnen Lage flüssigen Blutes. PI ex. ven. spin. mit geronnenem und flüssi-
gem Blute angefüllt. Beim Zusammendrücken der geöffneten Wirbelsäule tritt eine
dünne flüssige Blutlage zwischen Wirbel und Dura mater hervor. Brusthöhle: Lun-
gen hellroth mit rothbraunen Marmorirungen, letztere namentlich auf der hintern Fläche
der beiden untern Lappen. Tracheaischleimhaut von den Bronchien bis zum Larynx mit
einer Lage Schaum bedeckt, braunroth injicirt und sammetartig geschwollen; auch
von aussen sah die Trachea braunroth aus. Parenchym der Lungen dunkelbraun, auf den
Durchschnittsflächen viel Schaum und etwas flüssiges Blut; an den Rändern der obern
Lappen Emphysem. In der rechten Herzhälfte geronnenes und wenig flüssiges Blut,
der Herzmuskel injicirt. Unterleibshöhle: Leber hellbraun und reich an dickflüssigem
Blute. Milz blassroth ; Nieren in der Corticalsubstanz sehr blutreich. In den grössern
Venen dickflüssiges Blut, welches in dünnen Lagen dunkelroth mit einem Stich in's Vio-
lette erscheint und an der Luft eine helle Kirschröthe annimmt; Blutkügelchen vielfältig
zerrissen. Das flüssige Blut trocknet ein, ohne Serum auszuscheiden.
Bei Thieren folgen, wenn das Gas plötzlich und in grosser Menge ein-
wirkt, wildes Umherrennen, Hinstürzen, Convulsionen uud Tod rasch aufeinander
(binnen P/2 — 2M.); Vögel sind am empfindlichsten und selbst Frösche ertragen
S02 schlechter als Kohlenoxyd. Bei nicht zu rascher Zuleitung des Gases empfin-
den die Thiere starken Reiz in der Nase, es zeigt sich Dyspnoe, viel Schleim
sammelt sich im Munde an, die Cornea trübt sich und ein asphyktischer Zustand
führt unter leichten Zuckungen oder Convulsionen binnen 8 — 12 M. zum Tode;
Erscheinungen, welche für Glottiskrampf sprechen, treten nicht auf. Die Fähig-
keit der schwefligen Säure, auf ihrer Wanderschaft Sauerstoff aufzunehmen,
führt ihre höhere Oxydation herbei und stempelt sie zu einem Sauerstoffräuber.
Durch diese Sa uer st offent Ziehung vermag sie jedenfalls den physiologischen
Respirationsprocess zu stören, obgleich sie unzweifelhaft auch als SO2 in
die Lunge eindringt; hierfür spricht der Umstand, dass sich bei Kaninchen
durch die Inhalation von S02 Verdichtungen des Lungenparenchyms ausbilden
können, wie aus dem 1. Versuche hervorgeht. Die Absorptionsfähigkeit der
thierischen Membranen für die schweflige Säure möchte vorzugsweise als die
Ursache jener Erscheinung zu betrachten sein, weil die von den Geweben
aufgenommene schweflige Säure die Coagulation der Eiweisskörper hervor-
ruft. Die Opalisirung der Cornea entsteht ebenfalls in Folge der Verbindung
Wirkung der schwefligen Säure. 151
von S02 mit den Häuten. Dieser Thatsache widerspricht nicht die weniger
energische Einwirkung der Dämpfe der Schwefelsäure (s. Schwefelsäure), da die
thierischen Parenchyme weniger die Eigenschaft besitzen, sich direct mit den
Dämpfen der Schwefelsäure zu verbinden. Im Blute verwandelt sich die schweflige
Säure allmählig in Schwefelsäure und kann in diesem auf dem Wege der Analyse
durch Chlorbarium nachgewiesen werden.
Erfolgt der Tod rasch in Folge intensiver Einwirkung der Säure im ge-
schlossenen Räume, so lassen die sehr heftige Dyspnce, der asphyktische
Zustand und die convulsivischen Bewegungen eine Affection der nervösen
Centralapparate nicht verkennen; die veränderte Blutbeschaffenheit dürfte hierbei
ebenfalls nicht ohne Mitwirkung sein.
Wird defibrinirtes Ochsenblut direct mit schwefliger Säure behandelt, so
wird es dunkelroth, dunkelbrauu und zuletzt bei weiterer Einwirkung schwarz
und dick. Das mit Wasser verdünnte Blut wird sogleich schwarz und behält
diese Farbe an der Luft, wird aber allmählig gallertartig wie bei der Einwirkung
von Mineralsäuren.
Bei der Section fällt das geronnene und dickflüssige Blut ganz besonders
auf. Selbst in den Gefässen der weichen Hirnhaut trifft man coagulirte Blut-
klümpchen (vgl. No. 1 und 2 der Versuche). Die Lungenfarbe ist dunkelbraun,
bisweilen cacaofarbig; Emphysem fehlt selten. Viel Schaum tritt überall auf den
Durchschnittsflächen des Lungenparenchyms hervor und füllt alle Bronchialver-
zweigungen bis zur Trachea an; das aufgelockerte Epithelium spricht für die
ätzende Wirkung, welche auf der Wasserentziehung beruht und zum letalen
Ausgange mit beiträgt. Die Schleimhaut der Trachea ist von Gefässinjectionen
braunroth und sammetartig geschwollen. Unter den Unterleibsorganen sind die
Nieren vorherrschend hyperänrisch. Die Blutfarbe ist schmutzigbraunroth, röthet
sich aber an der Luft. Der Spectralapparat zeigt den Absorptionsstreifen des
Hämatins in saurer Lösung, das sogenannte Säureband im Roth zwischen den
Fraunhofer'schen Linien A und B.
Bei Menschen gibt sich die Wirkung der schwefligen Säure stets durch die
Reizung der Respirationswege kund. Sie erzeugt zunächst ein stechendes Ge-
fühl auf der Nasenschleimhaut und ein Kratzen im Halse, womit ein trockner,
heftiger und mehr oder weniger anhaltender Husten verbunden ist. Dieser heftige
Reiz nöthigt die Menschen, eine Atmosphäre, welche reich an schwefliger Säure
ist, alsbald zu verlassen, weshalb eine tödtliche Einwirkung derselben nicht so
leicht vorkommt.12) Selbst während des Schlafes wird man dadurch zeitig genug
geweckt, um der drohenden Gefahr zu entfliehen. Die angeblichen Fälle von
Selbstmord durch schweflige Säure sind zu dürftig mitgetheilt, um daraus zuver-
lässige Schlüsse zn ziehen. In chemischen Fabriken, in welchen man schweflige
Säure darstellt, kann durch Springen der Apparate ein momentan massenhaftes
Auftreten dieser gasförmigen Säure veranlasst werden, so dass die zunächst
stehenden Arbeiter von starker Brustbeklemmung und dem heftigsten Husten
befallen werden können, wobei Blut aus Nase und Mund stürzt; auf diese
Weise können auch Todesfälle eintreten. Plinius soll 79 n. Ch. angeblich durch
die schwefligsauren Gase bei den Eruptionen des Vesuvs umgekommen sein. Bei
wiederholter Einwirkung nicht zu grosser Mengen schwefliger Säure hat man
Eingenommenheit des Kopfes und selbst asphyktische Zustände beobachtet;
so wird der Fall berichtet, dass ein Mitglied eiuer Familie, welche in einer Korb-
15"2 Schwefel und Sauerstoff.
fabrik wohnte, in der Räucherungen mit schwefliger Säure vorgenommen wurden,
zuerst Benommenheit des Kopfes empfand und späterhin bei erneuter Einwirkung
dieses Gases in einen asphyktischen Zustand verfiel, aus dem es erst nach
3 Stunden mittels ärztlicher Hülfe erweckt werdeu konnte.™)
Bei dem mannigfachen Auftreten der schwefligen Säure in der Industrie
sind es namentlich die Ultramarinfabrication, die Phosphorfabrication und
Schwefelsäurefabrication, bei welchen von ihrer Einwirkung auf die Arbeiter
die Rede sein kann. Vorzugsweise wird bei letzterer die Beschäftigung an den
Verbrennungsöfen der Kiese zu einer sehr angesunden und verdient iu sanitärer
Beziehung die aufmerksamste Berücksichtigung.
Beim Verbrennen von Schwefelkies ist es aber nicht allein die schweflige
Säure, sondern es sind auch die arsenikalischen Dämpfe, welche hier zu
beachten sind. Dazu kommt noch, dass dieselben Arbeiter häufig auch das
zur Darstellung der Salpetersäure dienende Gemisch von Schwefelsäure und
Salpeter in dem Verbrennungsofen aufzustellen resp. aus demselben herauszuholen
haben, wobei sie alsdann mehr oder weniger den salpetersauren Dämpfen aus-
gesetzt sind. Bei vorhandenen Krankheitszuständen ist deshalb die Entscheidung
sehr schwierig, welche nachtheiligen Einflüsse eingewirkt haben, da sich diese
selten so charakteristisch äussern, dass prägnante Symptome die Diagnose erleich-
tern. Die Ursache hiervon liegt in der Verdünnung der einwirkenden Gase und
Dämpfe sowie in den meist hohen und luftigen Räumlichkeiten, in welchen
grade die Verbrennungsöfen liegen. Nur eine lange und wiederholte Einwirkung
der Schädlichkeiten wird schliesslich ein complicirtes Krankheitsbild hervorrufen,
für dessen Zustandekommen auch noch der starke Luftzug in den Fabrikräumen
in Rede kommen kann. So ist z. B. in der Nähe der Bleikammern der Geruch
nach schwefliger Säure meistens iutensiv und doch wird dieselbe sich hier fast
nie als solche geltend machen, weil bei der losen Bedachung der Fabrik eine
beständige Luftströmung auf den Gängen zu den Bleikammern herrscht; hier-
durch entstehen viel leichter Katarrhe und Rheumatismen als Iutoxicationen durch
schweflige Säure.
Hirt14) behauptet, dass die schweflige Säure, wenn sie verdünnt inhalirt
wird, in einigen Fällen einen wohlthätigen Einfluss auf die Verdauung durch
die Erhöhung des Appetits ausübe. In den industriellen Verhältnissen, in welchen
die schweflige Säure auftritt, haben wir nie eine ähnliche Beobachtung gemacht,
was auch kaum möglich sein dürfte, da S02 namentlich in Schwefelsäurefabriken
fast nie rein, sondern grade da, wo sie sich am meisten geltend macht, stets in
Gemischen mit andern Gasen und Dämpfen auftritt.
Immerhin ist aber festzuhalten, dass die schweflige Säure ein sehr diffe-
rentes Gas ist, welches nicht bloss eine örtliche Reizung der Respiratiouswege,
sondern auch eine Alteration des Blutes mit allen ihren nachtheiligen Folgen für
Ernährung und Blutbildung bedingen und ein Siechthum erzeugen kann, das
man bei Fabrikarbeitern häufig in den weiten Rahmen des chronischen
Lungenkatarrhs oder der Dyspepsie, Säurebildung etc. zu bringen geneigt
ist (s. Schwefelsäure).
Zeller15) spricht von einer chronischen Vergiftung durch schwef-
lige Säure, welche er in den Trockenräumen für Zuckerrüben beobachtet haben
will. Die Zuckerrüben werden daselbst auf einem eisernen Drahtgeflecht durch
Hitze, die sich aus mit Koks geheizten Backsteiuöfeu entwickelt, getrocknet,
Einfluss der schwefligen Säure auf die Vegetation. 153
wobei sich, bekanntlich neben schwefliger Säure auch noch erhebliche Mengen von
Kohlenoxyd und Kohlensäure bilden. Auch dies Gasgemisch wird verschiedene
Krankheitszustände bedingen, je nachdem das eine oder andere Gas vorwaltet; es
wird chronische Leiden erzeugen, wenn es in einem verdünnten Zustande zur
Einwirkung gelangt und die den geringen Mengen der Gase entsprechenden Krank-
heitserscheinungen hervorruft, welche langsam fortschleichen und fast unmerklich
den Organismus zerrütten, indem eben die Schädlichkeit zwar nicht anhaltend,
aber doch immer aufs Neue einwirkt. Ebenso wird man bei den Arbeitern in
den Schwefelsäurefabriken häufig chronische Gesundheitsstörungen beobachten
können, ohne dass man ein charakteristisches und den mannigfachen dort vor-
kommenden Gasen und Dämpfen entsprechendes Krankheitsbild zu entwerfen
vermag. Höchstens sind es verschiedene Augenaffectionen, die man der
specifischen Einwirkung der schwefligen Säure zuschreiben kann, eine Wirkung,
welche beim Schwefel beginnt und bei seinen verschiedenen Verbindungen sich
wiederholt (s Schwefel). Hauptsächlich ist es die Conjunctiva der Augenlieder
und des Bulbus, welche durch Schwefel afficirt wird: auch entstehen nach den
vorliegenden Erfahrungen ausser Kopfschmerzen und Zittern namentlich
Brustbeklemmung, Dyspnoe und eine Art von trocknem und convulsi-
vischem Asthma, wenn in einem eingeschlossenen Räume schweflige Säure längere
Zeit in verdünntem Zustande eingeathmet wird, während sich die intensivere
Einwirkung auf die Schleimhaut der Respirationswege und das Lungenparenchym
nicht kund gibt.
Die Wirkung der schwefligen Säure auf die Vegetation tritt bei metal-
lurgischen Processen, beim Zinkhüttenbetrieb aus Blende, bei der
Schwefelsäure- und ültramarinfabrication, beim Rösten der Alaun-
erze, bei der Glas- und Steariusäurefabrication vorzugsweise auf.
Meistens ist die schweflige Säure bereits in der Atmosphäre zu Schwefelsäure
oxydirt, ehe sie auf den Boden gelangt ; die Wirkung der schwefligen und
Schwefelsäure wird sich namentlich dann zeigen, wenn die Atmosphäre wasserreich
ist. Nur starker Regen schwächt die Wirkung ab, weil dadurch ein Abwaschen
der Pflanzen erfolgt; sie ist aber auch, wie bei allen schädlichen Einflüssen dieser
Art, während der Still Standsperiode der Vegetation am schwächsten; bei den
Nadelhölzern wirkt die schweflige Säure jedoch im Sommer und Winter nach-
theilig ein; die Krankheit derselben, die man als „Schütten" bezeichnet, dürfte
hauptsächlich dem Einflüsse dieser Säure zuzuschreiben sein.
Lauhhölzer leiden am meisten in der Blüthezeit, namentlich wenn im Früh-
jahr Nebel eintreten, welche die schweflige Säure auf die sich entwickelnde Blüthe
niederschlagen. Obstbäume, die früh zur Blüthe gelangen, z. B. Aprikosen,
Pfirsiche, die Pflaumenarten etc. können auf diese Weise derart afficirt werden, dass
sie ihre Blüthenknospen abwerfen. Es kann dann höchstens noch zur Entwick-
lung von Blättern kommen; wiederholt sich aber dann die schädliche Ein-
wirkung, so tritt eine vollständige Erschöpfung ein, wenn auch die Wurzel in-
tact bleibt.
Futterkräuter leiden am meisten während ihrer kräftigen Vegetationszeit;
die Blätter werden zuerst duukler, mehr braungelb, alsdann braun und zuletzt
gelb. Fast alle sauren Gase üben diese Wirkung aus. Ein Topf mit Brassica
olerac. wurde unter eine Glocke gebracht, die nur 1IiqY. Proc. schwefliger Säure
l,r,4 Schwefel und Sauerstoff.
enthielt,; nach 45 M. zeigte sich schon ein vollständiges Hinwelken der Blätter;
ihre Farbe ging in eine schinutzig-bräunliehgrüne über. Mau nimmt gewöhnlich
au, dass eine Atmosphäre, welche 5—10 V. Th. der Säure auf 1000 V. Th. enthält,
eiue nachtheilige Einwirkung auf die Vegetation auszuüben vermag.
Unschädlichmachung der schwefligen Säure. Bei dem häufigen Auftreten und
dem mannigfachen schädlichen Einfluss dieser Säure ist es von der grössten
Wichtigkeit, die Mittel uud Wege kennen zu lernen, durch welche sie unschädlich
gemacht wird. Man kann hier absorbireude und oxydirende Mittel unter-
scheiden.
1) Zu den absorbirenden Mitteln gehören Wasser, Alkalien, alkalische
Erden, Metalloxyde und organische Substanzen (feuchte Sägespäne). Wasser
und Alkalien reichen nicht aus, wenn es sich darum handelt, die bei grossen chemischen
Processen auftretende Säure unschädlich zu machen. Kalk verkrustet sich leicht durch
die Bildung von schwefligsaurem Calcium, wodurch die Absorption von schwef-
liger Säure aufhört; bei Üeberschuss von schwefliger Säure bildet sich auch saures
schwefligsaures Calcium, welches einen Theil der schwefligen Säure freimacht. Würde
in Kalkmilch ein Rubrer angebracht, so dass der schwefligen Säure immer neue Be-
rührungsflächen dargeboten würden, so könnte unter Umständen der Zweck für längere
Zeit erreicht weiden. Bei Anwendung von Calciumcarbonat wirkt die sich ent-
wickelnde Kohlensäure begünstigend auf die Absorption ein, da das gebildete schwer-
lösliche schwefligsaure Calcium von der Kohlensäure mechanisch weggedrückt wird; bei
gehörigem Wrasserzufluss würde alsdann das gebildete schwefligsaure Calcium stets weg-
gespült. Sind aber noch andere Gase, z. B. salpetersaure und salzsaure, vorhanden, so
werden diese durch die Kohlensäure mechanisch mit fortgerissen.
Metalloxyde, wie Eisenoxyd, Kupferoxyd u. s. vv., sind besonders bei Röst-
processen zu benutzen, wenn die schweflige Säure in grosser Menge auftritt; schliess-
lich lässt man alsdann das Gas nasses Calciumcarbonat durchstreichen. Brauneisen-
stein, Eisenocker, überhaupt eisenoxydhydrathaltiges Gestein eignen sich
ganz besonders zur Bindung von S02, da sich hierbei seh wefelsaures Eisenoxydul
bildet, welches in concentrirter Lösung gewonnen werden kann. Im Anfange der Reac-
tiou entsteht schwefligsaures Eisenoxydul neben schwefelsaurem.
Fr2 03 + 2 S02 = Fe S03 + Fe S04.
Ersteres geht durch die Einwirkung des atmosphärischen Sauerstoffs allmählig in
Eisenvitriol (Eisensulfat, Ferrosulfat) FeS04 + 7H20 über.
Wendet man Malachit (Kupfercarbonat CuC03) oder andere kupferoxydhaltige
Erze an, so bildet sich durch die Einwirkung von S02 Kupfervitriol.
2 (Cu 0) 4- S02 = Cu S04 + Cu.
Sägespäne, vorher auf Platten erwärmt, geben ein vortreffliches Absorptionsmittel für
S02 ab, wenn sie an Ort und Stelle zum Bleichen von Wolle, Seide u. s. w. benutzt
werden können.
2) Zu den Oxydationsmitteln gehören Bleisuperoxyd (Mennige), verdünnte
Ch rom säurelösung und Mangan super oxyd (Braunstein Mn02). Sie binden das
Oxydationsproduct, führen es als neutrale Substanz weg und sind vorzugsweise da
anzuwenden, wo S02 in grosser Verdünnung auftritt. Bleisuperoxyd und die
Chromsäurelösung (Kaliumchromat mit Schwefelsäure) sind nur da anwendbar, wo
der Kostenpunct nicht massgebend ist. Der Braunstein bietet in jeder Beziehung
bedeutende Vortheile dar; er ist billig und verwandelt mit grosser Energie S02 selbst
bei grosser Verdünnung durch indifferente Gase in Unter schwefelsaure (Dithion-
säure H2S20«)*), wobei Mangausuperoxyd in unterschwefelsaures Mangan übergeht.
Ist S02 mit Stickoxyd und Untersalpeter säure gemischt, so verliert Man-
gansuperoxyd die Hälfte seines Sauerstoffs, während die Untersalpetersäure
*) Der Name Thionsäure rührt von Detov (Schwefel) her; Dithionsäure
existirt nur in wässeriger Lösung; ihr Mangansalz bildet sich, wenn man S02 in
Wasser, in dem gepulverter Braunstein vertheilt ist, leitet.
Mn02 + 2S02 = MnS20G.
In wäseriger Lösung zerfällt die Säure in Schwefelsäure und Schwell ig-
sä u rean hy d ri d.
H2S20G = H2S04 4-S08.
Technische Verwendung der schwefligen Säure. 155
unter Stickstoffentwicklung vollständig ihren Sauerstoff einbiisst; sämmtlicher Sauerstoff
wirft sich auf S02 und bildet damit Schwefelsäure, die sich mit dem Manganoxydul
zunächst zu schwefelsaurem Manganoxy d ul verbindet (s. Mangan).
In der neueren Zeit benutzt man die bei chemischen Processen ab-
fallende SOo möglichst zur Fabrication der Schwefelsäure, wenn ihre
Menge eine ausreichende ist. Durch die Einleitung von S02 in die Blei-
kammern kommt das Princip der Unschädlichmachung dieser Dämpfe
auch am sichersten zur Geltung, wenn die localen Verhältnisse oder das
zu verarbeitende Erz die Scnwefelsäurefabrication gestatten (s. Zink-
blende).
3) Es ist hier noch zu erwähnen, dass durch gegenseitige Einwirkung von S02
und Schwefelwasserstoffwasser Penthathionsäure H2S506 unter Ausscheidung von
Schwefel entsteht*).
5S02 + 5H2S = H2S506 + 4H20 + 5S
Zur Zerstörung von H2S ist daher S02 ein vortreffliches Mittel und werden auf diese
Weise beide Gase unschädlich gemacht.
Die technische Verwendung der schwefligen Säure. Sie findet in vierfacher Weise
statt: 1) als Bleichmittel für thierische stickstoffhaltige Substanzen (Seide, Wolle,
Federn, Badeschwamm, Leim, Borsten, Darmsaiten), für Stroh- und Korb mach er-
waaren. Man unterscheidet das Bleichen mit flüssiger und gasförmiger
schwefliger Säure; in letzterem Falle findet das sogenannte Schwefeln statt. Die
schweflige Säure wirkt ganz anders wie Chlor beim Bleichen, sie verbindet sich
hierbei mit den Farbstoffen der organischen Gebilde zu farblosen Verbindungen.
Wenn aus letzteren durch eine stärkere Säure die schweflige Säure wieder aus-
geschieden wird, so tritt entweder die ursprüngliche Farbe oder die Modification
derselben durch die stärkere Säure auf. Es ist deshalb auch erklärlich, warum
die durch schweflige Säure gebleichten Stoffe allmählig ihre ursprüngliche Farbe
wieder annehmen, weil die schweflige Säure bei Gegenwart von Wasser auch in
organischen Verbindungen sehr begierig den atmosphärischen Sauerstoff aufnimmt
und Schwefelsäure bildet, welche nun zersetzend auf den andern Theil der
schwefligsauren Farbenverbindung einwirkt.
Thierische Stoffe, wie Haare, Wolle, Seide u. s. w., werden durch Chlor in
ihrer Structur verändert; namentlich verliert die Wolle dadurch ihre Elasticität; es
muss deshalb die schweflige Säure zur Anwendung kommen. Da diese Stoffe mehr oder
weniger schwefelhaltig sind und durch die allmählig sich bildende Schwefelsäure atta-
quirt werden, so tritt hier bei der Zersetzung der chemischen Verbindung Schwefel-
wasserstoff auf. Wickelt man die so gebleichten Stoffe in Bleipapier ein, so wird
dasselbe um so mehr geschwärzt werden, je längere Zeit seit dem Bleichprocess ver-
flossen ist. Der unangenehme Geruch, den die auf diese Weise gebleichten, namentlich
wollenen Stoffe behalten, rührt von der Zersetzung der thierischen Substanz durch die
gebildete Schwefelsäure her; um denselben zu vermeiden, müssen daher solche Stoffe
durch eine verdünnte Lösung von Natriumkarbonat gezogen werden.
Beim Schwefeln der Stoffe tritt auch häufig Schwefeldampf auf, der sich
auf das Zeug ablagert und zu einer beständigen und schwachen Entwicklung von H2S
Veranlassung geben kann, wenn dies nachträgliche Bad unterlassen wird.
2) Als Desoxydationsmittel ist die schweflige Säure zur Reduction der
Arsensäure, der chromsauren Salze, zum Ausfällen von Selen und Tellur u. s. w.
und ganz besonders bei der Scnwefelsäurefabrication von grosser Bedeutung (s. die
betreffenden Artikel).
3) Als antiseptisches Mittel dient sie zum Schwefeln des Weins, des
Hopfens, zum Conserviren des Fleisches, beim Raffiniren des Zuckers u. s. w. Die
*) Die Trithionsäure H2S306 existirt nur in Salzen und die Tetrathion-
säure H2S406 nur in wässeriger Lösung; beide Säuren haben keine technische Be-
deutung.
156 Schwefel und Sauerstoff.
Versuche von Braconuot, Fleisch und Gemüse mittels der schwefligen Säure
frisch zu erhalteu, haben sich indess nicht bewährt und mau benutzt sie in dieser
Richtung vorzugsweise zur Erhaltung der eingemachten Früchte, indem man in
dem für die Aufnahme der Früchte bestimmten Gefässe Schwefel abbrennen lässt.
Auf der Eigenschaft von S02, Fäulniss und Gährung aufzuheben, beruht auch
das Schwefeln des Weins. Sie wirkt dadurch, dass sie theils mit den stickstoff-
haltigen Substanzen gährungsunfähige Verbindungen eingeht und theils die Einwirkung
des Sauerstoffs abhält, indem sie ihn anzieht und sich dadurch allmählig in Schwefel-
säure umwandelt : diese hat in sehr kleinen Mengen kaum Einfluss auf den Geschmack
des Weines, da sie bei jungen Weinen genug Kalk findet, um als Gyps präcipitirt zu
werden. Wo S02 noch nicht diese Umwandlung gemacht hat, erzeugt sie bei reizbaren
Constitutionen manchmal eine lästige Eingenommenheit des Kopfes, namentlich im
Vorderkopfe. Bei den südlichen zuckerreichen, aber gerbsäurearmen Weinen ist dies
Verfahren absolut erforderlich. In betrügerischer Weise wird auch bisweilen der
Traubenmost, ehe er zur Gährung kommt, auf stark geschwefelte Fässer gebracht;
indem S02 auf die fermentbildenden Substanzen einwirkt, hebt sie die Gährung auf oder
verzögert sie wenigstens. Die Weine bekommen dadurch anfangs einen lieblichen Ge-
schmack und ein schönes Bouquet, sind aber nachher wegen der Bildung von Schwefel-
säure dem Sauerwerden sehr ausgesetzt*).
Durch das Schwefeln des Hopfens bezweckt man die Erhaltung des äthe-
rischen Oels, das ausser dem stickstoffhaltigen Bitterstoff (Lupulin) und der Gerb-
säure zu den wichtigsten Bestandteilen des Hopfens gehört und dem Biere vorzüglich
das Aroma und den Geschmack verleiht.
Das Hopfenöl enthält einen Kohlenwasserstoff, der zu den Amylverbin-
dungen gehört und durch Aufnahme von Sauerstoff in Baldriansäure übergeht, wo-
durch der alte Hopfen einen unangenehmen Käsegeruch erhält.
Durch das bchwefeln wird die Einwirkung des atmosphärischen Sauerstoffs abge-
halten, ohne dass der Hopfen dadurch nachtheilige Eigenschaften erhält. Weil man aber
auf diese Weise auch dem alten und gebräunten Hopfen eine frischere Farbe beizubringen
sucht, ist in Baiern das Schwefeln des Hopfens verboten : im Regierungsbezirk Mittel-
franken war dasselbe nur für den Export-Hopfen erlaubt. **)
4) Als Desinfectionsmittel reicht die schweflige Säure in manchen
Fällen aus, oft wird sie aber in dieser Beziehung von Chlor übertroffen. Tritt
nämlich die schweflige Säure mit organischen Substanzen zusammen, so hebt sie
bei vielen pflanzlichen Gebilden (Hefe, Algen. Conferven u. s. w.) die Lebensfunc-
tion auf. ohne ihre Constitution zu zerstören; bei Chlor findet dagegen eine voll-
ständige Umwandlung resp. Zerstörung der Gebilde statt, indem es mit deren Wasser-
stoff Salzsäure bildet.
Am sichersten werden die Kleider der Krätzkranken durch das Verbrennen
von Schwefel desinficirt: in den Hospitälern existiren für diese Procedur besondere, aus
Eisen construirte Heizkammern. Zur Heilung der Krätze wurden früher in Frankreich
*) Die Methode von Pastrur verdient hier erwähnt zu werden , nach welcher
junge Rothweine behufs besserer Conservirung einer Erwärmung von CO0 ausgesetzt
wercTen: die gut gefüllten und verkorkten Flaschen werden auf Stroh liegend in einem
Wasserbade etwa \'2 Stunde auf 60 — 65° C. erwärmt. Solche Weine sollen an Geruch,
Geschmack und Reife bedeutend edler werden, auch vor dem Bitter werden geschützt
bleiben.
**) Alten und verdorbenen Hopfen erkennt man übrigens leicht durch eine Loupe,
da diesem die glänzenden gelben, das ätherische Oel enthaltenden Drüschen auf dem
Fruchtboden fehlen. Der chemische Nachweis wird durch Ausziehen mit Wasser ge-
liefert, welches man alkalisch macht und dann mit Nitroprussidnatrium versetzt;
bei vorhandener schwefliger Säure bildet sich eine intensiv rothe Farbe. Man kann auch
den Hopfen auf glühende Kupferplatten legen, wobei sich der Schwefel in schweflige
Säure verwandelt und durch den Geruch verräth, wenn nämlich das Schwefeln höchst
roh ausgeführt ist und der Schwefel als Substanz am Hopfen haftet. Die neueste Me-
thode zur Conservirung des Hopfens besteht in einem njch geheim gehaltenen
chemischen und mechanischen Verfahren: auch ist man der Darstellung eines brauch-
baren Hopfen ext racts näher getreten.
Fabrication der wässrigen schwefligen Säure.
157
vielfach Bäder von gasförmiger schwefliger Säure benutzt, wobei jedoch grosse Vorsicht
nothwendig ist.16)
Wendet man die gasförmige schweflige Säure in Wohnräumen an, so muss
man Vorhänge. Betten und überhaupt Gespinnste aus Pflanzenfasern entfernen, weil die
aus der schwefligen Säure entstehende Schwefelsäure zerstörend auf die Pflanzenfaser
einwirkt. Will man übrigens die entwickelte schweflige Säure rasch wieder aus einem
Räume entfernen , so erzeuge man mittels eines Gemisches von Salpeter und Schwefel-
säure salpeter saure Dämpfe, damit sich die rascher entfernbare Untersalpeter-
säure sowie Schwefelsäur e bilden; Istztere verbindet sich innig mit dem Kalkmörtel.
Zur Desinfection der Wäsche, Kleider u. s. w. eignet sich die wässerige
schweflige Säure am besten: wird sie zum Beuchen benutzt, so ist zu beachten,
dass die Arbeiter, welche viel mit der wässerigen schwefligen Säure in Berührung
kommen, an den Händen eine aufgeweichte Haut bekommen. Die Epidermis erscheint
graugelb und blättert sich an manchen Stellen ab; namentlich leiden der Daumen und
Zeigefinger, wenn mit diesen die eingebeuchten Gegenstände, die zwischen Walzen laufen,
ausgedehnt werden: es müssen deshalb Kautschuküberzüge bei dieser Arbeit angelegt
werden.
Fabrication der wässerigen schwefligen Säure und der schwefligsauren Salze im
Grossen. Es ist hierbei besonders auf den Schutz der Arbeiter vor der schwefligen
Säure zu achten. Folgende Methode ist in sanitärer Beziehung sehr zu empfehlen:
Zum Verbrennen des Schwefels benutzt man einen röhrenförmigen, ziemlich hohen
eisernen Schwefelofen (Fig. 10. A). Die sich entwickelnde schweflige Säure passirt ein
Fig. 10.
Kühlrohr (ß), welches durch zuströmendes Wasser abgekühlt wird; alsdann gelangen
die Dämpfe in einen länglichen, mit Blei ausgefütterten Kasten _ (Absorptionsgefäss D),
in dessen Innern Scheidewände derart angebracht sind, dass sich das Gas schlangen-
förmig hindurchwinden muss. Bei 0 ist ein Gefäss mit Wasserverschluss für die Auf-
nahme der Condensationsflüssigkeit. Der Boden des Kastens ist stark geneigt; das Gas
tritt an der tiefsten Stelle ein. Der Kasten muss beständig abgekühlt werden. Die Ab-
sorptionsflüssigkeit (Wasser bei der Darstellung von wässeriger schwefliger Säure, Soda-
lauge bei der von schwefligsaurem Natrium) befindet sich in einem besonderen Reser-
voir (E) oberhalb des Absorptionsgefässes und zwar an einer dem Eintritt der schwefligen
Säure entgegengesetzten Steile. Die Flüssigkeit fliesst in einem continuirlicken Strome
in das Absorptionsgefäss (bei.F), muss also die verschiedenen Abtheilungen allmählig
ausfüllen und fliesst an der tiefsten Stelle, wo die schweflige Säure eintritt, durch ein
Sförmig gebogenes Rohr (G) in einen Canal (H) ab. Trotz dieser sinnreichen Vorrichtung
ist die Absorption selten so vollkommen, dass nicht schliesslich schweflige Säure dem Ab-
l')g Schwefel und Sauerstoff.
sorptionsgefässe leicht entweicht; zur Bindung desselben wird das abströmende Gas durch
das Rohr (/) in ein Gefäss (A.°) geleitet, welches mit kry stallisirter Soda angefüllt
ist. Man wählt dieses Salz, weil es mehr Krvstallwasser als das schwefligsaure Natrium
enthalt. Es wird alsdann bei der Absorption von S02 durch das Natriumcarbonat so viel
Wasser frei, dass das sclnvefligsaure Salz durch das unter dem siebförmigen Boden an-
gebrachte S förmige Rohr (.V) in den Ballon N geführt wird. Das abströmende Gas,
fast nur aus Kuhlen säure bestehend, entweicht durch das Rohr L in den Schornstein
und das unveränderte Natriumcarbonat bleibt im Gefässe zurück.17)
Die solnvefligsauren Salze, Snltite, entstehen ausser durch Einleiten von SO., in
Wasser, in dem eine Basis gelöst ist, auch mittels gegenseitiger Zersetzung eines
Alkalisulfits durch die Salzlösung eines andern Metalls. An der Luft gehen alle Sulfite
in Sulfate über.
K2S03 + 0 = K2S04.
Alle, Säuren /ersetzen die schwefligsauren Salze in S02 und das Salz der betref-
fenden Säure.
K3S03+2HC1=2KC1 + H30 + S03.
Dadurch nehmen sie als Mittel zum Bleichen und zum De sin ficiren dieselbe Stellung
wie die untersc h we fligsauren Salze, die Hyposulfite, ein; letztere Art der
Darstellung von S02 ist für viele Zwecke passender, leichter ausführbar und auch in
sanitärer Beziehung geeigneter, als die durch Verbrennen des Schwefels.
Unter den Sulfiten kommen am häufigsten vor: Natriumsulfit, Natrum sul-
furosum und zwar als secundäres oder neutrales Na2S03 und als primäres oder saures
NaHS03: auch Calcium sulfit Ca2S03 tritt bei vielen technischen Processen auf.
2) Unterschweflige Sänre H2S203. Sie wurde von Vavqvr-lin 1800 in ihrer Ver-
bindung mit Natrium entdeckt und ist nur in Verbindung mit Basen bekannt. Im
Grossen stellt man das unterschwefligsaure Salz dar. indem man die entsprechenden
Mischlingsgewichte der Schwefelmetalle mit schwefligsauren Salzen in wässeriger
Lösung zusammenbringt. Es kann dies füglich geschehen, indem man das Schwefel-
alkali bei Gegenwart von Wasser dem atmosphärischen Sauerstoff längere Zeit aussetzt.
(Man vergl. die Rückstände bei der Sodafabrication.)
Nicht minder häufig stellt man die Salze durch Kochen wässeriger Lösungen eines
schwefligsauren Salzes mit Schwefel dar; man setzt das Kochen mit Schwefel so lange
fort, bis der Ueberschuss des Schwefels geschmolzen ist.
Na2S03+S = Na2S,,03.
Wird die unterschweflige Säure mittels einer stärkeren Säure, z. B Schwefelsäure,
aus dem Salze geschieden, so zerfällt sie sofort in schweflige Säure, Schwefel und das
betreffende Natriumsalz.
N2 S2 03 + H2 S04 = Na, S04 4- S02 + S + H2 0.
Technische Verwendung der nnterschwefligsauren Alkalien. Am meisten
wird das unterschwefligsaure Natrium (Natriumhyposulfit, Natrum sub-
sulfnrosum) N2S2O3 benutzt und zwar zur Extraction des Chlorsilbers bei der
Silbergewinnung aus den Rückständen der Photographie, zur Scheidung des
Arsens aus Kobalt- und Nickelerzen, zur Scheidung des Zinns von Antimon und
Arsen, zur Reduction verschiedener Farbstoffe, z. B. des Indigos beim Drucken;
auch dient es zur Darstellung verschiedener Farben, namentlich des Antimon-
zinnobers, indem man es in eine saure Antimonlösung bringt. Da es sämmt-
liche Silbersalze, namentlich Chlor-, Jod- und Bromsilber leicht löst, so ist
es in der Photographie und Dagnerreotypie unentbehrlich; Chlor, Jod und Brom
werden durch die Lösung des Salzes in ihre Wasserstoffverbindungen übergeführt.
Als Antichlor, behufs Entfernung von Chlor aus dem Papier, kann der gefällte
Schwefel wegen seiner Oxydation zu S02 und H2S04 nachtheilig werden; oft
zieht man deshalb Natriumsulfit vor. Beim Versetzen des Natriumhyposulfits
mit Säuren ist stets auf die reichliche Entwicklung von SOo zu achten. Eine
wässrige Lösung des Salzes mit Salzsäure wird häufig zum Bleichen vegetabilischer
Stoffe, namentlich von Seide und feinen Strohsachen, sowie zum Desinficiren
Schwefelsäure. ] 59
benutzt. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass bei der Anwendung des Gaskalks
zu Desinfectionszwecken der Gehalt an unterschwefligsauren Salzen mitwirkt.
Die Zersetzung durch Säuren darf nie in Gefässen ans Eisen oder Zink vor-
genommen werden, weil diese Metalle unter Wasserstoffentwicklung von der
Zersetzungssäure gelöst werden und sich alsdann Schwefelwasserstoff in Masse
entwickelt. In der Pyrotechnik dient Natriumhyposulfit zur Darstellung vou
unterschwefligsaurem Blei PboS203.
3) Schwefelsäure H2S04. In der Nähe der Vulcane entsteht die frei in der Natur
vorkommende Schwefelsäure durch Oxydation der schwefligen Säure. In Südamerika
befindet sich ein an einem Vulcan an den Anden entspringender Essig fluss (Rio Vi-
nagre), welcher sehr grosse Mengen Schwefel- und Salzsäure dem Meere zuführt: auch
in Nordamerika und in Java gibt es schwefelsäurehaltige Gewässer. Die grossartigsten
Verbrennungsprocesse schwefelhaltiger Verbindungen im Innern der Erde müssen hier
die schweflige Säure liefern, welche durch weitere Oxydation in Schwefelsäure übergeht.
In Verbindung mit Basen ist die Schwefelsäure über die ganze Erde verbreitet;
hierher gehören z. B. Gyps, Schwerspath, Alaun, Glaubersalz, Bittersalz, die Vitriole
von Eisen, Kupfer, Zink, Kobalt, Uran etc.
Bödeker und T/os'-kel haben im Speicheldrüsengewebe einer gi'ossen Schnecke in
Sicilien (Dolium Galea Lam.) Schwefelsäure und Salzsäure nebst schwefelsauren und
andern Salzen nachgewiesen; wird eine solche Schnecke gereizt, so spritzt sie mit
grosser Kraft dieses Secret hervor.
Banilius Valentimis beschreibt im 15. Jahrhundert zuerst die Darstellung der
Schwefelsäure genauer; sie wurde bis zum 1 5. Jahrhundert fast ausschliesslich aus dem
Eisenvitriol gewonnen, wie es gegenwärtig noch in der Nähe von Goslar geschieht.
Leferre und Lempi-y führten im 17. Jahrhundert die Verbrennung von Schwefel und
Salpeter ein; als Protestanten mussten sie unter Ludwig XIV. nach England fliehen
und verbreiteten hier diese neue Methode der Darstellung. So entstand die erste Fabrik
zu Richmond bei London, wodurch England ausschliesslich den Markt mit Schwefel-
säure bekam und der Name: „Englische Schwefelsäure" fast allgemein eingeführt
wurde.
Statt der zur Fabrication benutzten gläsernen Glocken und Ballons errichtete
Feebuk in Birmingham 1746 grosse, inwendig mit Blei ausgeschlagene Kammern aus
Mauerwerk und ermöglichte dadurch erst eine reichliche Production von Schwefelsäure.
In Frankreich entstand 1774 die erste Fabrik dieser Art und gegen Ende des vorigen
Jahrhunderts wurde in den Rheinlanden von Backenberg zu Bonn die Schwefelsäure-
Industrie eingeführt. Man hat mit Recht behauptet, dass die Schwefelsäurefabrication
in allen Ländern einen Massstab für die allgemeine Entwicklung der Industrie liefert.
Auch gegenwärtig wird die Schwefelsäure noch in Bleikammern dargestellt; man ver-
brennt Schwefel oder vorzugsweise Schwefelkies und leitet die entstandene schweflige
Säure in die Bleikammern, wo sie mit Salpetersäuredämpfen zusammentrifft und zu
Schwefelsäure sich oxydirt. Bei diesem Processe ist es von der grössten Wichtigkeit,
dass sich die Salpetersäure stets regenerirt, so dass man mit kleinen Mengen Salpeter-
säure grosse Mengen Schwefelsäure darstellen kann. Damit die durch die schweflige
Säure reducirte Salpetersäure sich regenerire, sind Wasser und Sauerstoff notn-
wendig; es wird nämlich die Salpetersäure durch die schweflige Säure in Unter-
salpetersäure übergeführt, während Schwefelsäure H.i,S04 entsteht.
2HN03 + S03 = H2 S04 + 2N02.
Die Untersalpetersäure zerlegt sich durch Wasser wieder in Salpetersäure und
Stickstoff oxvd-
3N02 H- H20 = 2HNO3 4- NO.
Das Stickoxyd verbindet sich alsdann direct mit dem Sauerstoff der Luft zu
Untersalpetersäure NO + 0 = N02, welche bei Gegenwart von Wasser wieder
Salpetersäure und Stickoxyd gibt, so dass eigentlich der Sauerstoff der
Luft die Oxydation der schwefligen Säure durch Vermittlung der Sal-
petersäure bewirkt; daher muss in den Kammern stets Wasser und
Sauerstoff vorhanden sein. Das Wasser wird in die Kammern in _ Form von
Wasserdampf geführt; der Sauerstoff gelangt zugleich mit der schwefligen Säure
hinein. Es wird nämlich beim Verbrennen des Schwefels der Zug in den Oefen so
regulirt, dass überschüssige Luft stets vorhanden ist. Die so entstehende Säure (Kam-
mersäure) darf nicht zu concentrirt sein, weil concentrirte Schwefelsäure mit Unter-
salpetersäure eine krystallinische Verbindung (Kammerkrystalle HS03(N02)) bildet,
1(30 Schwefel und Sauerstoff.
welche die Kammern stark angreift und ausserdem einen Verlust an Salpetersäure her-
beiführt.1"
Die rohe oder englische Schwefelsäure, Aeidum sulfuricum erudum, ist eine
dicke, ölige Flüssigkeit, die bei 0° grosse farblose Krvstalle mit 1 Molec. Wasser
von der Zusammensetzung: HjSO^ -+- ILO absetzt; ihr spee. Gewicht ist 1,83, ihr Wasser-
gehall v " ,,. Sie zieht mit grosser Begierde Feuchtigkeit an und dient deshalb zum Aus-
trocknen der Gas«»: auch zerstört sie viele organische Körper, indem sie ihnen Wasser-
stoff und Sauerstoff entzieht und den Kohlenstoff frei macht: sie verkohlt daher Bolz.
Kork und ähnliche Körner. Mit Wasser vermischt sie sich in allen Verhältnissen und
unter grosser Temperaturerhöhung; man darf daher nie Wasser zur Schwefelsäure
uie-sen, sondern man muss umgekehrt letztere in dünnem Strahl zum Wasser zufiiessen
Durch Destillation der rohen Schwefelsäure erhält 'man die reine destillirte
Schwefelsäure, Aeidum sulfuricum mit einem Wassergehalt von 1,5%.
Schwefelsäureanliydrid S03 erhält man durch Erwärmen der rauchenden
Schwefelsäure in langen farblosen Prismen: es raucht sehr stark an der Luft.
Früher stellte man namentlich in Nordhausen Schwefelsäure aus Eisensulfat (FeS04)
dar. welches in thönernen röhrenartigen Retorten geglüht wurde, wobei SOj und S03
entstand.
2FeS04 = Fe.,03 + SO,. + S03.
Sobald S03 aber mit Wasser zusammentrifft, bildet sich sofort Schwefelsäure.
S03 + HoO = H,S04.
Gewöhnlich nimmt man nur wenig Wasser, das zur TJeberfübrung des Schwefelsäure-
anhydrids S03v in Schwefelsäure nicht ausreicht: man erhält daher das in Schwefel-
säure aufgelöste Schwefelsäureanhydrid oder die rauchende Schwefelsäure
(Nordhäuser Vitriolöl), eine dicke ölige, meistens bräunlich gefärbte, an der Luft
rauchende Flüssigkeit, aus welcher bei gelindem Erwärmen das Schwefelsäureanhydrid
abdestillirt werden kann.
Einwirkung der dampfförmigen englischen Schwefelsäure auf den thierischen
Organismus. Ein mittelgrosses Kaninchen sitzt unter der Glasglocke, während 4Grm. Acid.
sulph conc verdampft werden : die Dämpfe ei zeugen eine weissliche Atmosphäre in der
Glocke. Bei der ersten Einwirkung derselben wird das Thier unruhig und schreit auf;
als es herausgenommen und dann nach einer halben Stunde wieder in eine dichtere
Dampf atmosphäre gebracht worden, bleibt es ruhig. Nach 3 M. 18 Inspirationen: nach
5 M. Putzen des iiauls und nach 10 M. unruhige Bewegungen: nach 20 M. starker
Husten. Bei neuer Zufuhr der Dämpfe Putzen, Husten und Zurückziehen des Kopfes,
wobei die Augen ein wenig thränen. Nach 1 Stunde treten keine weitern Veränderungen
ein; die Zahl der Inspir. bleibt 18. Bei der darauf folgenden Herausnahme bewegt es
sich sogleich und die Respiration regulirt sich: Nachkrankheiten zeigten sich in keiner
Weise.
Dampf förmige Schwefelsäure greift den tb.ieriscb.en Organismus nur
wenig an, weil, wie schon erwähnt worden, die thierischen Gewebe sich weniger
innig mit den Schwefelsäuredämpfen zu verbinden vermögen; ausserdem senken
sich die Dämpfe bekanntlich schnell zu Boden und nehmen sehr begierig Wasser
auf, wodurch stets nur eine verdünnte Säure zur Wirkung gelangt.
Der irritirende Effect der Dämpfe gibt sich durch den Reiz, welchen sie
auf der Nasen- und Kehlkopfschleimhaut erzeugen, hinreichend kund, indem die
Thiere jedesmal bei neuer Zufuhr der Dämpfe heftig Nase und Maul putzen und
häufig aufhülfen; diese Einwirkung lässt aber alsbald nach, sobald sich die
Dämpfe auf den Boden gesenkt haben. Bei fortdauernder Zufuhr derselben würde
allerdings die corrosive Einwirkuug zunehmen und schlimmsten Falls durch die
Beschädigung der Respirationswege schliesslich Erstickung entstehen.
In der Industrie tritt die dampfförmige Schwefelsäure nicht häufig auf.
Ausser in Schwefelsäurefabriken entwickelt sich davon am meisten bei Zugute-
machung der Nickel- und Kobalterze, wenn saures schwefelsaures Kalium oder
Natrium bei der Glühhitze einwirkt; auch kommt sie bei der Darstellung der
rauchenden Schwefelsäure aus eleu sauren schwefelsauren Alkalien vor. Da jedoch
Schwefelsäurekidustrie. 161
diese verschiedenen Processe meistens in Räumen, in welchen sich eine hin-
reichende Ventilation befindet, vorgenommen werden, so fällt die nachtheilige Ein-
wirkung der dampfförmigen Schwefelsäure in der Industrie nicht sofort in die
Augen.
Es ist übrigens nicht unwahrscheinlich, dass in den Fällen, wo Arbeiter über
Magensäure, gestörte Verdauung und ihre Folgen klagen, vorzugsweise die ver-
schluckten schwefelsäurehaltigen Dämpfe (selbstverständlich auch wenn diese als
Oxydationsproduct der schwefligen Säure einwirken) als Ursache solcher Leiden
anzusehen sind. Es ist dies um so wahrscheinlicher, als bekanntlich in Fabriken,
in welchen viele Chlordämpfe auftreten, ähnliche Zustände bei den Arbeitern
vorkommen. Die Dämpfe der Schwefelsäure werden aber wegen ihrer specifischen
Schwere weniger leicht die Arbeiter afficiren, während die schweflige Säure länger
in der Atmosphäre verweilt, hier oxydirt wird und alsdann als Schwefelsäure sich
geltend machen kann.
Ueber die schliesslichen Folgen der Seitens der Arbeiter eingeathmeten
oder aufgenommenen Schwefelsäure in Bezug auf die Störung der physiologischen
Processe fehlen noch genauere Untersuchungen. Ob und inwieweit das Blut die
aufgenommene Säure noch zu neutralisiren vermag, ob nicht zuletzt die All-
gemeinwirkungen der Säure, nämlich die Ernährungsstörungen und die fettigen
Degenerationen der verschiedenen Unterleibsorgane, eintreten werden, dürfte noch
näher festzustellen sein und eine sorgfältige Beobachtung der betreffenden Arbeiter
erheischen. Es gilt dies in gleichem Masse von der dampfförmigen Einwirkung
anderer Mineralsäuren.
Schwefelsä u rei ndustri e.
Da in neuester Zeit fast nur Schwefelmetalle und unter diesen ganz beson-
ders der Schwefelkies (Eisenkies, Pyrit, Eisenbisulfid FeSg) zur Dar-
stellung der Schwefelsäure benutzt werden, so erscheint es zweckmässig, das dabei
übliche Verfahren hier in erster Linie zu erörtern, zumal es in sanitärer Be-
ziehung die meiste Aufmerksamkeit verdient. Es sind hierbei verschiedene wichtige
Puncte zu beachten, um die Arbeiter vor Schädigung ihrer Gesundheit und die
Adjacenten vor grosser Belästigung zu schützen.
Die Aufspeicherung des Rohmaterials. Der mit bituminösen Fossilien ge-
mengte und daher feine Schwefelkies entzündet sich sehr leicht; er darf deshalb
nicht frei auf dem Boden lagern, damit nicht durch Feuchtigkeit eine schliesslich
bis zur Entzündung sich steigernde Oxydation eintrete; der Fussboden des Lager-
raums muss ganz trocken, wasserdicht, wo möglich asphaltirt sein, damit nicht
die etwaigen Oxydationsproducte in den Boden dringen und benachbarte Brunnen
verderben.
Die Aufbereitung oder Zerkleinerung des Schwefelkieses. Dieselbe geschieht
entweder mittels Maschinen oder durch Handarbeit mit Hämmern. Es entsteht
hierbei ein für die Arbeiter höchst gefährlicher S t a u b , welcher die Respirations-
organe bis zum Bluthusten reizen kann; er verdient daher die grösste Be-
achtung und gehört zu den Hauptschädlichkeiten bei der Schwefelsäurefabrication.
Die Arbeiter müssen sich durch Vorbinden von Schwämmen vor Nase und Mund
sorgfältig vor dem Einathmen dieses Staubes schützen.
Der Röstprocess. Derselbe bezweckt die Ueberführung des Schwefels im
Kiese in die schweflige Säure S02. Die hierbei gebräuchlichen Oefen sind sehr
Eulenberg, Gewerbe-Hygiene. 11
Iß2 Schwefel und Wasserstoff.
verschieden construirt und es ist für die Beuriheilung der Schwefelsäurefabrication
absolut noth wendig, wenigstens die wichtigsten derselben kennen zu lernen.
Röhrenöfen. In Schweden und Norwegen wird der Schwefelkies noch in
schiefliegenden Röhren (Röhrenöfen) geröstet; die Schwefelsäure ist hierbei mit
deu verschiedenen Metalloxyden verunreinigt und nur zu metallischen Processen
brauchbar.
Kilns. In England heissen die Kiesöfen Kilns und stellen Schachtöfen
dar, wovon oft mehrere kreisförmig um einen gemeinschaftlichen Schornstein ge-
stellt sind. Der Ofen mit starkem horizontalen Roste ist von dickem Mauerwerk
umgeben and wird durch beliebiges Brennmaterial vor der Beschickimg stark er-
hitzt, Die zerkleinerten Kiese werden durch eine Oeffnung im oberen Theile des
Ofens eingetragen und zwar so lange, bis die Kiesschicht ungefähr 80 Ctm. hoch
ist. Die Luft tritt durch deu Aschenfall unter dem Rost ein und kann ihr Zu-
tritt mittels eines Schiebers beliebig regulirt werden; beim Nachfüllen soll der
Schieber ganz geschlossen sein, damit der Zug nur durch die Füllöffnung eintritt
und die Arbeiter nicht zu sehr von den Dämpfen zu leiden haben.
Das Beschicken der Oefen ist bei schlechter Construction derselben mit
grosser Belästigung für die Arbeiter verbunden, wenn nämlich der Luftstrom ein
so starker ist, dass beim Oeffnen des Fülltrichters nicht unerhebliche Mengen von
S02 entweichen. Die Arbeiter können bei keinem anderen Processe in der
Schwefelsänrefabrication einem grösseren sanitären Nachtheile ausgesetzt sein als
bei diesem; ebenso beruht grade in dieser Procedur häufig auch eine Quelle der
Belä itigung für die Adjacenten.
Je ärmer die Kiese an Schwefel sind, desto häufiger ist das Nachfüllen er-
forderlich und desto häufiger wiederholt sich der genannte Nachtheil; es sind
daher Massregeln zu treffen, um diesem vorzubeugen. Zweckmässig ist bei
Schachtöfen die Verwendung eines besonderen Füllkastens, welcher einen
mobilen Boden resp. Scheibenschieber hat und luftdicht auf den Fülltrichter passt;
der obere Deckel ist mit einem abwärts gerichteten Rande versehen, der in
eine Rinne eiugreift und mit einem Sandverschluss versehen ist. Wenn die Kiese
eingegeben sind, wird der Deckel aufgelegt, der ganze Kasten auf den Fülltrichter
aufgesetzt uud alsdann der Scheibenschieber geöffnet, wodurch die Entweichung
von SOo nach aussen verhütet wird.
Das Ausziehen des abgerösteten Erzes ist in sanitärer Beziehung
ein eben so wichtiger Act. Die schwefelreichen Pyrite enthalten durchschnittlich
I 2°/0 Arsen; ein Theil derselben tritt während der Verbrennung mit S02
aus, ein anderer bleibt an Eisen gebunden im Rückstande; werden nun die
glühenden Massen ausgezogen, so exhaliren sie ausser S02 auch Arsen und ar-
senige Säure. Diese Rückstände dürfen daher zur Abkühlung sich nicht selbst
aberlassen bleiben, sie müssen so rasch als möglich abgelöscht werden, um der
Entwicklung dieser schädlichen Gase und Dämpfe vorzubeugen. Ausserdem
würden sie sich an der freien Luft sehr bald in Eisenvitriol verwandeln,
der durch Regen weggespült werden kann und zwar zum Nachtheile der zu-
nächst gelegenen Vegetation und Wasserläufe; sie sind deshalb in mit Wasser
gefüllte cementirte Gruben zu bringen, in welchen sich Kasten mit Böden von
eisernen Drahtsieben befinden. Sobald der Röstrückstand einen solchen Kasteu
gefüllt hat, wird er durch eiuen Krahnen aufgewunden, das Wasser zum Ablaufen
gebracht und der Inhalt entleert; da das Löschwasser durch das Hineinwerfen
Der Röstprocess. 163
der heissen Kiesabbrände grösstentheils verdampft, so muss stets neues Wasser
zufliessen.
Ein -weiterer Fortsehritt in der Schwefelsäurefabrication nahm mehr auf die Form
des Rostes Rücksicht. Um namentlich grössere Kiesstücke (Stuck, Stuff) zu ver-
brennen, wurden Roststäbe eingeführt, welche entweder drehbar sind oder fest
liegen. In Frankreich hat man sich schon lange der drehbaren Roststa.be bedient,
während in Belgien und an vielen Orten in Deutschland die Roste noch fest sind; diese
haben den sanitären Nachtheil, dass die Arbeiter die Abbrände mit langen eisernen
Haken auskratzen und sich dabei den schwefligsauren Dämpfen im höchsten Grade aus-
setzen müssen. Gemindert wird diese gefährliche Arbeit dadurch, dass ein grosser
Canal unter dem Rost beginnt und mit dem Schornstein in "Verbindung steht, um den
beim Ausleeren entstehenden Qualm absaugen zu lassen: späterhin wird der Canal
durch einen Schieber wieder vom Schornstein geschieden. Der bewegliche Rost,
wobei die Roststäbe ganz ausgezogen werden können, gestattet ein directes Ablassen
der Abbrände in einen unter dem Ofen stehenden Erzhund oder noch besser in ein mit
Wasser gefülltes Bassin. Dieser Aschenraum muss aber ebenfalls mit dem Schornstein
in Verbindung gesetzt werden können, um die schweflige Säure, welche von den Kies-
abbränden exhalirt wird, abzuleiten. Auf diese Weise wird die schweflige Säure
wenigstens nach Aussen abgeführt und alsdann um so- mehr verdünnt, je höher
der Schornstein liegt. Ein möglichst hoher Schornstein ist daher stets die
Hauptbedingung, wenn es sich um die Concession einer Schwefelsäure-
fabrik handelt. Bei einem grossartigen Betriebe müsste aber die in dieser Weise
auftretende schweflige Säure vor ihrem Eintritt in den Schornstein auch noch durch
einen Canal, welcher mit den die schweflige Säure absorbirenden oder oxydirenden
Mitteln beschickt würde (s. S. 154), geleitet werden, damit die Adjacenten und die be-
nachbarte Vegetation keinen Schaden dadurch erleiden. Selten geht man aber in den
zu treffenden Massregeln so weit, weshalb auch die Klagen der Nachbarschaft von
Schwefelsäurefabriken sehr häufig laut werden und zwar in den meisten Fällen mit
Recht. Die Bemühungen, die Kiesöfen zu verbessern, verfolgen bisher mehr industrielle
Zwecke, d. h. die gehörige Ausnutzung der Erze, und nur bei einigen Oefen hat man
wenigstens auch auf den benutz der Arbeiter Rücksicht genommen.
Stucköfen oder Stuffkiesöfen. Der in der Rheinprovinz und an vielen
anderen Orten zu verarbeitende Schwefelkies hat meistens die Grösse von Bruch-
steinen, welche man, wie oben erwähnt worden, zur Grösse von Hühnereiern
zerklopft oder mittels mechanisch getriebener Steinbrecher behandelt. Es entsteht
hierbei der sehr zu beachtende Staub und ca. 20 — 25% Gries, der am besten
in dem nachher zu erwähnenden Schlich- oder Schüttofen verwerthet oder
mit Thon oder Lehm zu Batzen geformt wird, um im Stuffkiesöfen verbrannt
zu werden.
Die Kiesstücke werden durch Füllthüren (Fig. 11. 6, e, b\ die nach dem Char-
giren sofort hennetisch verschlossen werden, auf die in gusseisernen Lagern drehbaren
elliptischen Roststäbe (», a, «) gebracht, wo sie in einer Schicht von 40 — 47 Ctm. lagern
und ohne jeden Zusatz von Brennmaterial verbrennen, nachdem der Ofen in Betrieb
gesetzt worden. Der Zutritt der Luft wird durch die Thüren (d, c/, d) regulirt.
Beim Oeffnen der Füllthüren und beim Chargiren treten stets die schwefligsauren
Dämpfe auf; deshalb ist der Aufenthalt in den Ofenhäusern der schädlichste bei der ganzen
Schwefelsäurefabrication und zwar um so mehr, weil man selten geeignete Massregeln
zur schnellen Ableitung dieser Dämpfe trifft. Zwar versieht man diese Ofenhäuser mit
hohem Dache, deckt sie mit losen Dachpfannen und bringt zuweilen auch noch Dachreiter
an, den Arbeitern wird jedoch hierdurch wenig Schutz gewährt, den Adjacenten aber
die grösste Belästigung bereitet. Rauchfänge über den Füllthüren, die mit dem
Fabrikschornstein in Verbindung stehen, würden die Arbeiter einigermassen schützen
und der Umgegend diese sauren Gase wenigstens in weit verdünnterem Zustande
zuführen.
Die eisernen Einsätze in den Fallthüren (b b) enthalten ein Beobachtungsloch,
welches während des Betriebes mit einem eisernen conischen Stopfen geschlossen ist.
Bei c ist der Deckel vorgestellt, g ist der Raum, in dem die Kiese auf den Rost-
stäben lagern, bei e, />, i liegen die Canäle, durch welche die sich bildenden Gase mittels
des Rohres k in die daneben liegenden Bleikammern ziehen (Fig. 1 1 u. 12).
Um bei kleineren Reparaturen an den Bleikammern in den Stand gesetzt zu
werden, die Ofengase anstatt in die Kammern, direct in den Schornstein eintreten zu
lassen, ist bei l ein Schieber angebracht; wird derselbe geöffnet, so entweichen die
11*
164
Schwefel und Sauerstoff.
Fig. 11.
Fig. 12.
Ofengase durch den Canal m in den Schornstein, jedenfalls zur grossen Belästigung der
Adjacenten und zur Schädigung der zunächst befindlichen Vegetation. Man ersieht hier-
aus, welche üble Nachbarschaft eine Schwefelsäurefabrik unter Umständen sein kann,
wenn die geeigneten Präventivmassregeln, die man in der Neuzeit zu treffen vermag,
unterlassen worden sind. Die Stuffkiesöfen der bezeichneten Art werden
immer am meisten Belästigung für die Arbeiter und die Nachbarschaft in
sich schliessen.
Sind die Kiese ausgebrannt, so werden sie durch Drehen der mit einem vier-
kantigen Theile aus dem Ofen herausragenden Roststäbe « mittels eines passenden
Schlüssels in den Aschenfall oo allgelassen (Fig. 11).
Schlich- oder Schüttöfen. Gerstendörfer hat das Verdienst, für die
Vervollkommnung des Röstprocesses sehr viel beigetragen zu haben. In den ur-
sprünglichen Oefen fiel der Schlich durch eine Reihe thönerner, prismenförmiger
Stangen und musste 15 Reihen dieser Erzträger passiren, ehe er nach unten in
eine Vertiefung fiel. Durch eine Oeffnung am unteren Theile des Ofens wurden
Röststäbe eingelegt und auf dem dadurch gebildeten Rost das Brennmaterial (Holz
oder Kohle) verbrannt, um den Ofen in Betrieb zu setzen; alsdann wurden die
Röststäbe wieder herausgezogen und die zum Rösten noth wendige Luft durch
einen besonderen Canal zugeleitet.
Die neueste Verbesserung dieser Oefen findet sich in Fig. 13. u. 14. Das Röstgut fällt
hier in einem Strahl durch eine trichterförmige Vertiefung zwischen zwei emaillirten
Der Röstprocess.
165
Fig. 13.
Walzen (Fig. 14. c) auf die Bänke
(Fig. 13. u. 14. c). Selbstverständlich
lässt sich auch hierbei ein Füllkasten
verwenden, um bei Einfüllung des
Schlichs den Staub zu vermeiden.
Der Abzug der Gase geschieht durch
vier in der Seite des Deckgewölbes an-
gebrachte Oeffnungen (Fig. 13. a) und
zwar möglichst weit vom einfallenden
Strom des zu verbrennenden Röstgutes
entfernt; von diesen münden allemal
je zwei mit seitlichen Zügen (Fig. 13. bb)
direct nach rückwäi'ts in die Flugstaub-
kammer (Fig. 14./). In dieser gibt ein
gemauerter Vorhang dem Gasstrome
eine niedergehende Richtung.
Eiserne Einsätze (Fig. 14. g) mit Beob-
achtungslöchern liegen vor den Bänken
(e). Durch diese Oeffnungen tritt die
Verbrennungsluft ein, aus welchen zu
diesem Zwecke die Thonstopfen heraus^
genommen werden. Hierbei muss es
Grundsatz bleiben, im oberen Theile
möglichst viele Luft und unten zur Ver-
meidung der Abkühlung des Ofens mög-
lichst wenig Luft eintreten zu lassen.
Dieser natürliche Luftzug soll sich besser
als die Anwendung von gepresster und
erwärmter Luft bewähren.
Fig. 14.
Der Ofen wird durch eine seitlich gelegene Feuerung (Fig. 14. d) in Betrieb
gesetzt; man kann hier auch nöthigenfalls bei der Röstung selbst mit Brennmaterial
nachhelfen. Die Abbrände werden durch Drehen einer Schnecke (Fig. 14. b) in den
untergestellten Erzhund (/) abgelassen, da die Platte unter dem Sammelraum (Je) eine
16G
Schwefel und Sauerstoff.
viereckige Oeffnung frei lässt. durch welche die Abbrände in das gusseiserne Gehäuse /
gelangen. Die Abbrände selbst verhindern den Zutritt der Luft in den Röstraum: da sich
aber auch aus diesen stets noch eine beträchtliche Menge schwefliger Säure zur
grossen Belästigung der Arbeiter entwickelt. ?o ist in dem freien Theile unter dem
Öfen in einer Ecke ein kleiner, nach dem Schornstein führender Zug (Fig. 14. e) von
etwa IG Quadratzoll Querschnitt angebracht. Um das Saugen durch diese Oeffnung zu
befördern, versetzt man die vordere Seite des Zuganges unter dem Oefen mit zwei
Blechen (Fig. 14. /><)• Hört die Entwicklung von schwefliger Säure auf, so bedeckt man
die Oeffnung des Canals (?) mit einer Platte, um die kalte und die übrigen Feuerungen
behindernde Luft vom Kamin abzuhalten. 19)
Durch diese Einrichtung ist jedenfalls ein wichtiger sanitärer Yortheil geliefert:
auch geht die Röstung ihren ruhigen Gang weiter, ohne dass die Arbeiter beim Auf-
geben des Röstgutes von dem entsetzlichen Qualm betroffen werden.
Eine Modifikation des Gerstendörfer'schen Ofens rührt von Hasenclever
und Heibig her. Die feinen Kiese rösten mit der Wärme der St uffki es Ver-
brennung und liegen auf Thonplatten, welche um 38° gegen die Horizontale
geneigt sind. Sechs solcher Platten sind vorhanden und erfordern wegen des
Neigungswinkels eine bedeutende Höhe des Ofens: sie liegen alternirend an der
Ofenwand, so dass die Röstgase schraubenförmig im Ofen aufsteigen und bei h in
die Bleikammer gelangen.
Fig. 1i
Die feinen Kiese werden oben in
eine trichterartige Oeffnung des Ofens
aufgegeben (Fig. 15), bilden hier einen
Verschluss und rutschen in dem Masse
auf der geneigten Ebene (b) in den
Aschenfall herab, als unten eine gerippte
Walze (ß) die Abbrände wegnimmt. Der
Aschenfall (</) ist 1 Meter breit, 3 Meter
tief uud so hoch angelegt, dass die Ab-
brände in Erzhunde entleert werden
können. Der Stuffkiesofen (e) liegt
seitlich und befindet sich in dessen Decke
eine Oeffnung zum Chargiren (/). Beim
Aufgeben der feinen Kiese sind in
sanitärer Beziehung dieselben Vor-
sichtsmassregeln wie bei den Schachtöfen
zu treffen. Bei g liegen die Roststäbe.
Bei der ganzen Einrichtung ist die
Verbrennung von Stuffwerk ein inte-
grirender Theil und die Erfinder haben
hierbei vorzugsweise die Benutzung der
Kiesabfälle, welche beim Brechen der
Stückkiese mit dem Steinbrecher resul-
tiren und im Stuffofen nicht geröstet
werden können, im Auge gehabt, weil
die Benutzung von Gries in der Form
von Batzen den Oefen nicht nützlich sei.
Andere Fabricanten behaupten jedoch,
dass solche Batzen ohne >iachtheil für
den Ofengang auch im Stuffkiesofen ver-
brannt werden können: weitere Erfah-
rungen müssen hierüber noch endgültig
entscheiden. Die Abbrände im Stuffkies-
ofen werden, wie oben angegeben wor-
den, behandelt.
In sanitärer Beziehung ist es nicht unwichtig, dass unter den Rosten ein
langer Canal mit dem Schornstein in Verbindung steht, obgleich man ursprünglich damit
einen geringern Verlust von schwefliger Säure bei einer neuen Beschickung des Ofens
zu erreichen suchte. Der Canal ist so gross, dass ein Wagen unter den Rost geschoben
werden kann, um die Kiesabbrände direct aufzunehmen. 20)
Der Ofen von Olivier und Perret verfolgt denselben Zweck wie der
Hasencleversche; er ist ursprünglich Stuffkiesofen mit drehbaren Roststäben,
Reinigung der schwefligen Säure. 1G7
wie ein solcher in Fig. 11 u. 12 abgezeichnet worden. Ueber den zum Beschicken
dienenden Oeffnungen sind aber noch sieben horizontale Thonplatten in senkrechten
Abständen von 20 Ctm. angebracht, auf welchen das zu röstende Gries ausge-
breitet wird. Die betreffenden Abbräude werden durch Oeffnungen in den Seiten-
wänden ausgezogen; über der obersten Platte sind Bleipfannen behufs Concen-
tration der Kammersäure aufgestellt.
Der Röstofen von Stetefeldt stellt einen hohen Schacht dar, in den
die Erze oben mittels einer Schüttelvorrichtung eingetragen werden, während die
Abbrände unten in der Vorderwand ausgezogen werden; zwei seitlich vom Ofen
aufgestellte Generatoren liefern die nöthige Wärme. Die Gase treten sammt dem
fortgerissenen Flugstaub durch einen Fuchs in Flugstaubkammern; vorher wird
aber der Flugstaub durch einen dritten hinter dem Fuchs aufgestellten Generator
erhitzt und abgeröstet. 21)
Der Röstprocess wird somit sehr verschiedenartig ausgeführt und hat
man bei der Prüfung einer Concession in erster Linie die Art der Oefen und das
hierbei zu beobachtende Verfahren einer sorgfältigen Erwägung zu unterziehen,
um hiernach den Einfluss der Fabrication auf die Arbeiter und die Adjacenten
richtig würdigen zu können.
Die Reinigung der schwefligen Säure. Sie ist zweifacher Art, erstlich be-
züglich der mechanisch mitgerissenen Substanzen (Flugaschen) und zweitens der
gas- oder dampfförmigen Verunreinigung wegen. Hervorzuheben siud: unveränderter
Schwefelkies, Selen, Eisen-, Zink-, Blei- und Thalliumoxyd. S02 muss von diesen
Substanzen namentlich von dem Eisen gereinigt werden, weil die Schwefelsäure
sonst zu vielen technischen Zwecken, wie in der Färberei, unbrauchbar werden
würde.
Flugstaubkammer. Ein viereckiger mit dichten, möglichst kalkfreien
Steinen und Theermörtel gemauerter und gewölbter Raum (Fig. 16 a), welcher
gleich hinter dem Ofen (A) liegt und mit Scheidewänden versehen ist, repräsen-
tirt die Flugstaubkammer, wodurch die Circulation der Dämpfe verlangsamt
werden soll. Die schwersten Metalloxyde fallen schon grösstentheils in der ersten
kleinern Hälfte nieder, während das leichtere Zinkoxyd sich erst in der zweiten
grössern Hälfte ablagert.
Zur vollständigen Ausscheidung der arsenigen Säure sowie des metallischen
Arsens lässt man S02 eine sogenannte Condensationskammer (C) passiren,
die mit groben Koksstücken gefüllt und durch einen schwachen Wasserdampf-
strahl gespeist wird; diese Kammer bildet auch gleichsam einen Kühlraum für
S02 und scheidet das Arsen bis auf ein Minimum aus S02 ab.
Es ist hierbei das in sanitärer Beziehung wichtige Ausräumen und Rei-
nigen der Flugstaubkammer zu erwähnen. Wenn die Kiesöfen gelöscht sind,
wird zunächst Wasserdampf eingeleitet, um alle S02 auszutreiben und die staub-
förmige Masse anzufeuchten. Beim Betreten der Flugstaubkammern müssen alle
Vorsichtsmassregeln, die überhaupt bei solchen erforderlich sind, zur Anwendung
kommen (s. Blei und Arsen). Der Inhalt der Kammer wird auf Gewinnung von
Thallium und Selen benutzt; letzteres befindet sich grösstentheils im sogen.
Selenschlamm, welcher aus Bleisulfat und den Bestandtheilen des Flugstaubes
besteht. Die mit arseniger Säure imprägnirten Koks der Condensations-
kammer werden alle 2 — 3 Jahre entfernt und in England vorzugsweise als
Brennmaterial bei der Dampfkesselfeuerung benutzt. Dieses Verfahren ist zwar
168
Schwefel und Sauerstoff.
Fig. 16.
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kurz und einfach, entspricht aber nicht den Anforderungen der öffentlichen Ge-
sundheitspflege. Geschieht dies Verbrennen bei dem sogenannten Rauchverzehrer,
so findet sich ein grosser Theil des Arsens in der Russkammer wieder, so dass
bei der Verwendung eines solchen Russes auf diese giftige Beimengung wohl zu
achten ist.
Diese Koks müssten in geschlossenen Räumen ausgeglüht oder aber mit
einer verdünnten Natronlauge behandelt werden; die resultirende Lauge ist mit
verdünnter Schwefelsäure zu neutralisiren. um alsdann die ausgeschiedene arsenige
Säure entsprechend zu verwertheu. Diese Reinigungsmethode fällt natürlich bei
Benutzung des reinen (sicilianischen) Schwefels weg; der bei der Sodafabrication
abfallende Schwefel (s. Sodafabrication) dürfte jedoch zu ähnlichen Vorsichts-
massregeln auffordern, da er in Folge der Darstellung arsenikhaltig ist und daher
die Anwendung einer Condensationskammer gebietet.
Das Vermischen der schwefligen Sänre mit Salpetersäure resp. Untersalpeter-
sänre. In der zweiten Bleikammer (Fig. 16, Dil) stehen terassenförmig auf-
gestellte Schalen aus Steingut, auf welche Salpetersäure aus Gefässen. die ausser-
halb der Bleikammer sich befinden, entweder permanent oder intermittirend
herunterfliesst. *) Der Schornsteinzug. welcher die Gase weiter führt, wird durch
*) Die Bleikanimern ruhen gewöhnlich auf einer hölzernen Zimmerung und sind mit
einer lockern Bedachung versehen. Es kommt bisweilen vor. dass Holzwespen (Sirex-
Artenl die Bleikammern anbohren, wenn sie sich einen Ausweg aus dem Holzwerk
suchen und auf diesem Wege selbst die Bleiplatten angreifen.
Vermischen der schwefligen Säure mit Salpetersäure. . 169
Einleiten eines Dampfstrorns befördert; derselbe tritt zunächst in die hinter der
Condensationskarnmer liegende Vorkammer (Tambour, Fig. 16, J5), dann in
die erste, dritte und vierte Kammer (DI, III, IV). Gleichzeitig wird die schweflige
Säure auf diese Weise mit der hinreichenden Menge Wa s s e r und L u f t versorgt,
um in Berührung mit Salpetersäure den oben beschriebenen Process durchzu-
machen.*)
Gay-Lussac'sche Koksthürme. Ehe die Gase in die fünfte Kammer gelangen,
passiren sie in einigen Fabriken noch einen flachen, durch die äussere Luft ab-
gekühlten und mit Querwänden versehenen bleiern Kasten und bei ihrem Austritt
aus der fünften Kammer nochmals einen ähnlichen Abkühlungsraum, damit das
Wasser in den Gasen und Dämpfen condensirt und die in den Gay-Lussac'schen
Koksthürmen herabfliessende Kammersäure nicht durch eine zu grosse Verdünnung
an der Absorptionsfähigkeit für Stickoxyd resp. Untersalpetersäure einbüsst. Hinter
der letzten Kammer sind nämlich mit Koks gefüllte Cylinder (Koksthürme) als
Condensationsapparate (Fig. 16 u. 17, EE) aufgestellt, durch welche von oben nach
unten concentrirte Schwefelsäure fliesst, während die gasförmigen Stickstoff Ver-
bindungen aus den Bleikammern unten in den Thurm geleitet und bei dem Auf-
steigen von der herabfliessenden Schwefelsäure absorbirt werden.**) Die unten
abfliessende, mit den Stickstoffverbindungen gesättigte Schwefelsäure gelangt in
die Bleikammern zurück, um neue Mengen schwefliger Säure zu Schwefelsäure
zu oxydiren. Zur gleichmässigen Vertheilung der Schwefelsäure ist über dem
Thurm ein Segner'sches Rad anzubringen; dadurch, dass dasselbe durch die
ausfliessende Schwefelsäure in rotirende Bewegung gesetzt wird, erreicht man
diesen Zweck vollständig. Es sollte keine Concession zur Schwefel-
säurefabrication verliehen werden, ohne dass dem Concessionär
die Einschaltung eines solchen Koksthurmes zur Bedingung gemacht
würde, da sonst die Uebelstände, welche der Nachbarschaft durch die aus dem
Schornstein entweichenden Gase bereitet werden, nicht zu beseitigen sind.
Vorzugsweise ist es die schweflige Säure, welche bei Unterlassung ihrer
vorschriftsmässigen Absorption nicht bloss Menschen, sondern auch den Thieren,
besonders den Pferden, höchst unangenehm ist. In einem concreten Falle wm-de
ein in der Nachbarschaft gelegener Exercierplatz fast unbrauchbar, weil die Pferde
in Folge der exhalirten schwefligen Säure von einer beständigen Unruhe und
einem quälenden Hustenreiz befallen wurden und die Exercitien dadurch eine be-
*) Neuerdings wird statt Wasserdampf Wasserstaub empfohlen, der nach
dem Princip des bekannten Pulverisateurs dargestellt wird ; es soll hierdurch an Brenn-
material gespart werden.
**) Nach Winkler' s Untersuchungen wird St ickoxycl nicht von Schwefelsäurehydrat
absorbirt; auch Stickoxyd und Sauerstoff vereinigten sich im 6ra?/-Lvssac'schen
Condensator nicht wie sonst zu Untersalpeter säure, sondern es entstehe nur sal-
petrige Säure auch bei Sauerstoffübersckuss ; dagegen erfolge die Vereinigung von
Schwefelsäurehydrat mit salpetriger Säure sehr lebhaft; eine Temperatur-
erhöhung löse diese chemische Verbindung nicht, wohl aber der Zutritt von Wasser;
sie befinde sich in den Bleikammerkrystallen in festem Zustande, im Ga?j-Lvssac'sch.en
Thurme aber in der abfliessenden Schwefelsäure in aufgelöster flüssiger Form.
Unter Salpeter säure bilde im flüssigen und gasförmigen Zustande mit Schwefel-
säurehydrat eine sehr lose chemische Verbindung, welche durch Erhitzen völlig auf-
gehoben werde, wobei die Untersalpetersäure entweder unverändert entweiche oder sich
in salpetrige Säure, die mit der Schwefelsäure in chemische Verbindung trete, sowie
in entweichendes Sauerstoffgas zerlege. Schwefelsäure und Salpetersäure
bilden wahrscheinlich nur mechanische Gemische, bei der Erhitzung zerfallen sie aber in
entweichende Salpetersäure, Sauerstoff und nitrose Schwefelsäure.
170 Schwefel und Sauerstoff.
deutende Störung erlitten. Unter den verschiedenen Baumsorten werden vor-
zugsweise die Pappelu vollständig entblättert. Die Nachbarschaft wird je nach der
Windrichtung belästigt; wenigstens in einer Entfernung von 15— 20 Minuten wirkt
die schweflige Säure noch auf die Respirations- und Geruchsorgane ein. (Man
vergl. schweflige Säure.)
Die aus der letzten Kammer austretenden Gase und Dämpfe können vermischt
sein: 1) mit viel Stickoxyd, wenn zu wenig und zur Oxydation desselben nicht aus-
reichende Luft in den Kämmen) war: 2") mit viel Untersalpeter säure, wenn es an
Wasser und schwefliger Säure gefehlt hat: 3) mit viel schwefliger Säure, wenn der
\N asserdampf und die Untersalpetersäure unzureichend waren.
Bei der Fabricathm ist daher namentlich darauf zu sehen, dass die sieh bildende
Untersalpetersänre sogleich wieder zersetzt wird: nur bei rasch auf einander folgender
Entstehung und Zersetzung derselben verläuft die Schwefelsäurebildung ungestört: die
rothen Dämpfe der Untersalpetersäure dürfen sich deshalb bei einer guten Fabrication
niemals massenhaft in den Bleikammern bilden; Mangel an Wasserdampf erschwert ihre
Zerlegung.
Ist die Absorption der Gase und Dämpfe in den Gay-L>/ssac' sehen Thürmen eine
so vollständige, dass die oben aus dem Thurme entweichende Luft vollständig entfärbt
ist, so bedarf es in der Regel keiner weitern Einrichtung. Sollten aber noch Dämpfe der
schwefligen Säure entweichen, so könnte man auf den Gai/-L>/ssac'seh.en Apparat noch
einen Absorption sthurm (Fig. 16. F) folgen lassen, der in zwei gleiche, mit Braunstein
ausgefüllte Hälften getheilt ist. Unten hat die Mittelwand einen kreisförmigen Ausschnitt,
damit die auf der einen Seite hinabsteigenden Gase und Dämpfe durch diesen in der
andern Hälfte hinaufsteigen. Bei Gegenwart von Wasser beschleunigt sich die Bildung
von schwefelsaurem Manganoxydul s. schwell. Säure). Der Canal ec verbindet die Thürme.
In einigen Fabriken wird statt der fertigen Salpetersäure ein Gemisch von Sal-
peter mit Schwefelsäure zur jedesmaligen Darstellung der Salpetersäure benutzt.*) In
diesem Falle entstehen aus dem fast nie fehlenden Kochsalzgehalt des Salpeters Salz-
säure Dämpfe: treten sie in einem gegebenen Falle in erheblicher Menge auf. so
würde es erforderlich sein, schliesslich noch einen mit Wasserberieselung versehenen Koks-
thurm (Fig. 15. g) anzubringen. Das sauer abfließsende Wasser darf aber nicht zur
Speisung der Kammern benutzt werden, da es arsenhaltige Salzsäure enthalten
kann. Der Thurm g steht mittels des Canals g mit dem Schornstein H in Verbindung.
Die im Gay -L us sac" sehen Apparate gewonnene nitrose Schwefelsäure
wird in den meisten Fabriken noch einer Denitrification unterworfen. Man
bringt alsdann die Säure, was stets durch eine Pumpe oder Dampfdruckvonichtung
geschieht, in einen mit Koks gefüllten und vor der Vorkammer stehenden Cylinder
(Fig. 15 u. 10, J), den Denitrificateur, in dem durch eingeleiteten Wasserdampf
die beständig zufliessende Verbindung von Schwefelsäure mit Stickoxyden
zerlegt wird. Die gasförmig sich entwickelnden Stickoxyde werden der Vorkammer
wieder zugeführt, während man die Schwefelsäure in die erste Bleikammer leitet.22)
Glover'scher Thurm. Der neuerdings in die Schwefelsäurefabrication einge-
führte Glover'sche Thurm bezweckt ebenfalls eine Denitrification neben einer
besseren Verwerthung der heissen schwefligen Säure. Ein solcher Thurm besteht
aus einem Bleikasten von 4 — 8 M. Höhe und etwa 6 — 10 Q.-M. Grundfläche;
iuwendig ist er mit einer Steiuschicht ausgefüttert und im Innern mit groben
Saudsteiubrocken und Ziegelsteinen angefüllt. Dieses Material muss seiner Be-
schaffenheit nach der heissen Schwefelsäure widerstehea können. Unten in den
Thurm treten die heissen Gase der Röstöfen ein, concentriren die Schwefelsäure
•) Zu diesem Zwecke -teilt man bei Schwefelöfen gusseiserne Tiegel, welche
dieses Gemisch enthalten, in den verbrennenden Schwefel; nach vollendeter Zersetzung
ersetzt man sie durch neu beschickte. Bei Schwefelkiesöfen placirt man sie in der
Regel am Ausgange des Canals, der die schweflige Säure in die Bleikammer leitet.
In sanitärer Beziehung ist dies Verfahren, mag man es ausführen wie man will, ein
sehr nachtheibges. da die Arbeiter dabei stets den ausströmenden Gasen und Dämpfen
ausgesetzt sind. Etwas schneller kann diese Manipulation ausgeführt werden, wenn man
kleine gusseiserne, auf Schienen laufende Wagen dazu benutzt.
Concentration der Kammersäure. 171
auf 1,7 V.-G. und werden oben abgekühlt den Bleikammern zugeführt. Oben
wird nämlich ein Gemenge von Kammersäure und nitroser Schwefel-
säure aus dem Gay-Lussac'schen Apparate eingelassen, welches sich im
Thurm vertheilt und mit der schwefligen Säure in Berührung kommt; die
dabei sich entwickelnden Wasserdämpfe zersetzen die nitrose Schwefelsäure voll-
ständig unter Mitwirkung der schwefligen Säure, so dass die concentrirte Säure
aus dem Glover'schen Thurm ganz frei von Stickstoffverbindungen ist. Von be-
sonderer Wichtigkeit sind hierbei Vorkehrungen zum Auffangen des Flugstaubes
und zweckmässige Materialien, damit sich der Apparat nicht verstopft. Die ge-
wonnene Säure ist nur für die Sodafabrication, Darstellung von Superphosphat und
ähnlichen Producten zu verwerthen, aber weniger für die Bereitung von Sulfat,
das für die Fabrication von weissem Glase dienen soll. 23)
Reinigung der Kammersäure. Die gewöhnlichsten Verunreinigungen sind
schweflige Säure, Selen, Thallium, Blei, arsenige Säure und die Oxyde des Stick-
stoffs; zur Beseitigung des Arsens benutzt man entweder Schwefelwasserstoff
oder Schwefelbarium. Die Oxyde des Stickstoffs entfernt man durch Zusatz von
Ammoniumsulfat oder Erhitzen mit etwas Oxalsäure; auch die Behandlung der
Säure mit schwefligsaurem Gase ist zweckmässig.
Concentration der Kammersäure. Sie wird bei einem spec. Gewicht von 1,5
oder bei 50° B. abgezogen; man benutzt zu ihrer Concentration Eindampf-
pfannen aus Blei, die auf gusseisernen Platten stehen, oder Bleipfannen mit
oberschlägiger Feuerung. Bei letzterm Verfahren entweichen beträchtliche Mengen
von Schwefelsäure mit den Feuerungsgasen; dasselbe ist daher nicht zu
empfehlen. Benutzt man gespannten Wasserdampf, so wird die Säure in
mit Blei ausgekleideten Holzkasten abgelassen, auf deren Boden Bleischlangen
liegen, durch welche der Dampf strömt; hierbei verflüchtigt sich gar keine
Schwefelsäure.
Vielfach stellt man auch die Bleipfannen (Fig. 16. m) auf die Kiesbrenner
(Fig. 11./); erstere werden aber oft undicht und verderben alsdann den Ofen. —
Auch die heissen Dämpfe der schwefligen Säure, die aus dem Kiesbrenner
zugeleitet werden, hat man zur Concentration benutzt. Der hierzu dienende Apparat
besteht aus einem Deckel aus Bleiplatten, welcher glockenartig über der Schwefel
säure in Bleipfannen steht. Die Gase treten in die erste Bleikammer zurück.
Zur weitem Concentration der auf 60° B. eingedampften Säure gehört eine
das Blei angreifende Temperatur. Um das spec. Gewicht der Säure von 1,85 zu
erreichen, muss daher der zweite Concentrationsact in Platingefässen vorge-
nommen werden. Mau benutzt auch besondere Glasgefässe hierzu, namentlich
unter Zusatz von einigen Stücken dichter Gasretortenkohle, wobei die ab-
destillirte Säure auf 1 Liter nur 20 Ccm. schweflige Säure enthalten soll, welche
sich durch einen trocknen Luftstrom abtreiben lässt. Bei gusseisernen Retorten
muss aber, da es sich bei dieser Concentration um eine Destillation handelt,
das Dampfleitungsrohr und das Kühlrohr von Piatina sein; ebenso ist für das
Ueberziehen der concentrirten Säure in die zur Versendung dienenden Krüge oder
Ballons ein besonderer, aus Piatina construirter Heber nothwendig.
Da die Räume, in welcher die Concentration und Destillation der Säure vor-
genommen wird, in der Regel gross und luftig sind, so kann von einer Belästi-
gung hier nicht die Rede sein. Häufig kann man sogar beobachten, dass Sperlinge
oder Schwalben in solchen Localen ihre Nester bauen und dadurch den Beweis
172 Schwefel und Sauerstoff.
von der Unschädlichkeit der Luft liefern. Die Gefahr vor der Schädigung der
Arbeiter befindet sich, wie schon mehrmals betont worden, bei den Kiesbrenuern,
während beim Austritt der Gase uud Dämpfe aus der letzten Bleikammer mehr die
Rücksicht auf die Adjacenten und die Vegetation der Umgegend zur Sprache
kommt.
Wird bei der Schwefelsäurefabrication arsenfreier Schwefel ver-
braunt, so ist bei einem aufmerksamen Betriebe und bei der Benutzung von flüs-
siger Salpetersäure die Gefahr für die Arbeiter weit geriuger : auch die Fing-
st au b kämm er fällt hier weg. Die Brenner sind so eingerichtet, dass kalte
Luft unter die Eisenplattte. auf welcher der Schwefel verbrennt, geleitet werden
kann, damit die Gase nicht zu heiss iu die Bleikammern gelangen. Man leitet
deshalb auch die Gase vorher durch lange Röhren oder Canäle in einen Kühlraum
oder sucht auf andere Weise diesen Zweck zu erreichen; man hat auch beson-
dere Schwefelöfen mit continuirlicher Verbrennung des Schwefels construirt.
Das übrige Verfahren stimmt mit dem bereits beschriebenen überein.
Die Verwendung der Schwefelsäure ist ausserordentlich mannigfaltig und
gibt es nur wenig technische Processe, bei denen die Schwefelsäure nicht irgend
eine Aufgabe zu übernehmen hat. So dient sie z. B. zur Darstellung der meisten
andern Säuren und der wichtigsten Salze, zur Scheidung des Goldes vom Silber
und des Silbers von Kupfer, sowie zur Darstellung anderer Elemente, z. B. von
Phosphor, Jod. Brom, Sauerstoff. Wasserstoff u. s. w.. zur Reinigung organischer
Substanzen, z. B. des Rüböls, des Petroleums, Paraffins. Talgs, der Wolle u. s. w.,
zum Verseifen der Fette und Oele. als Auflösuugsmittel zur Bereitung von Krapp-
und Theerfarben. in den Färbereien und Druckereien überhaupt, zur Darstellung
von Pergamentpapier, Nitroglycerin und Schwefeläther, in der Galvanoplastik, als
Austrocknungsmittel. zum Verzinnen und Verzinken, zum Beizen des Kupfers und
Messings u. s. w. . in der Poudrett- und Wichsfabrication; bei letzterer verbindet
sie sich mit dem Kalk in Knochenschwarz und bildet damit Calciumsulfat (Gyps),
welches die Kohle vertheilt und den Glauz hebt.
Rauchende (Nordhäuser) Schwefelsäure. Dieselbe findet weniger Verwendung
und wird hauptsächlich noch in Böhmen, im Erzgebirge, in Schlesien und am
Harze fabricirt.
Je sorgfältiger die Calcination des Eisensulfats geschieht, desto weniger
entwickelt sich SOo. Immerhin ist es nothwendig. die Vorlagen mit einem System
von Woulff 'sehen Flaschen aus Steingut, welche coucentrirte Schwefelsäure ent-
halten, zu verbinden. Die nicht absorbirten Gase lässt man dann in den Schorn-
stein entweichen.
Vielfach wird auch der Rückstand bei der Salpetersäurefabrication, das primäre
(saure) Natriunisulfat, in feuerfesten Thonretorten und bei Hellrothgluth der Destillation
unterworfen. Die entweichenden Dämpfe von S03 leitet man in 66grädige concentrirte
Schwefelsäure, welche sehr kühl zu halten ist.
Man hat hier sehr darauf zu achten, dass bei Erschöpfung des sauren Natrium-
sulfats die Vorlage sofort entfernt -wird, weil sonst die Säure in das Destillationsgefäss
zurücktritt und ein vollständiges Zerschmettern desselben bewirken kann. Der
Rückstand besteht aus neutralem Natriumsulfat. Die Säure hat eim-n coustanten Gehalt
an S03. ist frei von S03 und wird deshalb vorzugsweise zum Auflösen von Indigo
und in Laboratorien zur Darstellung von S03 benutzt. In Russland dient sie auch zur
Reinigung der rohen Torf- und Braunkohlenöle.
Je stärker sie ist. desto mehr entwickelt sie an der Luft weisse Dämpfe: eine
Erscheinung, welche nur in der grossen Verwandtschaft des in ihr enthaltenen Schwefel-
säureanhydrids zum Wasser beruht. Jeder Tropfen der Säure, welche man in kaltes
Wasser fallen lässt, erregt ein zischendes Geräusch.
Selen. 173
Der Transport der englischen Schwefelsäure geschieht in Glasballons, die
mit Weidengeflecht umgeben sind. Die Stöpsel aus Steingut werden mit Schwefel
eingegossen und erhalten eine Umhüllung von Lehm und rohem Packtuch.
Die rauchende Schwefelsäure kommt in viereckigen Töpfen mit
Schraubenstöpseln aus Steingut in den Handel; die Stöpsel werden ebenfalls mit
Schwefel vergossen.
Beim Transport auf Eisenbahnen müssen nach dem Betriebs -Reglement
für die Eisenbahnen vom 10. Juni 1870 (R. G.-Bl. S. 10) alle Mineralsäuren ge-
trennt verladen, sorgfältig verpackt und in mit Handhaben versehenen Korb-
geflechten eingeschlossen werden.
Der Transport auf Schiffen ist der sicherste, wenn die Flaschen vor
Regen und Sonne geschützt sind; beim Ausladen müssen sie auf waagschalen-
ähnlichen Vorrichtungen und nicht an den Handhaben herausgezogen werden.
Der Transport auf Frachtfuhrwerken sollte möglichst vermieden werden;
jedenfalls sollte man sich in Städten nur der auf Federn ruhenden und mit
Fächern versehenen "Wagen bedienen, in welche man die Ballons seitlich ein-
schiebt. Platzt ein Ballon, so muss die verschüttete Säure, wenn augenblicklich
keine grössern Quantitäten Wasser zu Gebote stehen, sofort mit Erde überschüttet
werden. Der Schaden, der sonst der ledernen Fussbekleidung zugefügt wird, ist
bekannt genug.
In einem geschlossenen Räume kann die verschüttete concentrirte Säure
noch dadurch schädlich wirken, dass sie die Verpackung (Stroh, Weidengeflecht
u. s. w.) angreift und zur Entwicklung von erheblichen Mengen schwefliger
Säure neben flüchtigen organischen Säuren Anlass gibt. So berichtet Vohl über
einen auf einem Fahrzeuge vorgekommenen Fall, in welchem durch den Wellen-
schlag einige Ballons zersprungen waren; die in das Schiff ausgelaufene Säure
war die Veranlassung, dass der betreffende Schiffer in Folge der hierbei auf-
tretenden Gase und Dämpfe von einer heftigen Augenentzündung und asthmati-
schen Beschwerden befallen wurde.24)
Selen Se.
Selen ist ein steter Begleiter des Schwefels und ihm in allen seinen Verbindungen
sehr ähnlich; in der Natur kommt es als Selenblei und Selensilber vor. Dargestellt
wird es aus dem Selenschlamm, welcher in manchen Schwefelsäurefabriken aus dem
Absätze der Bleikammern gewonnen wird, in dem er als selenigsaures Blei vorkommt
und aus dem benutzten Schwefel oder Schwefelkies stammt.
Selen stellt ein rothes Pulver dar, das man durch Reduction der selenigen Säure
erhält und welches wie der Schwefel in mehreren Modificationen vorkommt. Das ge-
schmolzene und rasch erkaltete Selen ist von schwarzer Farbe und spröder Beschaffen-
heit. Bei seiner Erhitzung auf 96° steigt seine Temperatur plötzlich sehr bedeutend und
es verwandelt sich hierbei in einen eisengrauen krystallinischen Körper; sein Schmelz-
punct liegt bei 217° und sein Siedepunct bei 700°. An der Luft verbrennt es zu
Selenigsäureanhydrid Se02- Ausserdem ist die Selensäure B^SeO^ bekannt.
Die selenige Säure H2Se03 bildet sich beim Auflösen des Anhydrids in Wasser
oder beim Auflösen von Selen in Salpetersäure.
Selenwasserstoff H2Se soll in den Gasen mancher Vulcane vorkommen. Man
stellt ihn durch Zersetzen von Seleneisen mit Salzsäure dar. Ein farbloses, brenn-
bares, coercibles Gas von furchtbar stechendem Gerüche, welches sich durch den atmo-
sphärischen Sauerstoff sehr leicht in Selen und Wasserstoff zersetzt. Verschiedene Metall-
salze werden durch das Gas mit eigenthümlicher Farbe gefällt.
1 7 4 Tellur.
Einwirkung von Selenwasserstoff anf den thierischen Organismus. Das Gas
nimmt unter den irritirenden Gasen den ersten Platz ein. Sobald es mit der Schleim-
haut der Augen, Nase oder der Kespirationswege in Berührung kommt, schlägt sich
Selen auf dieselbe nieder und erzeugt den heftigsten Reiz, der erst mit dem Aus-
stossen dieses fremden Körpers nachlässt. Das Selen wirkt fast nur örtlich, indem es sich
auf die Schleimhäute mit einer Festigkeit, welche der von Farbstoffen auf Zeugen ähnlich
ist, ablagert; dadurch kann der Tod erfolgen, wenn grössere Mengen des Gases ein-
geathmet werden.1)
Die technische Verwendung von Selen ist noch geringfügig; bis jetzt wird
es fast nur zur Anfertigung von Medaillen gebraucht: stets hat man aber die grösste
Vorsicht anzuwenden, wenn Selendämpl'e auftreten.
Tellur Te.
Tellur ist ein sehr seltenes Metall, welches entweder gediegen, oder in Verbindung
mit Gold, Wismuth und Blei hauptsächlich in Siebenbürgen vorkommt; es wird aus
dem Tellurwismuth dargestellt, hat aber bis jetzt noch keine technische Verwendung
gefunden.
Das Tellur ist silberweiss, stark metallisch glänzend: es schmilzt bei 500° C. und
destillirt in der Weissgluthhitze im Wasserstoffstrom unverändert über. An der Luft
verbrennt es mit blaugrüner Farbe zum Anhydrid der tellurigen Säure Te02, das auch
beim Rösten der Tellurmetalle auftritt. Es kommt häufig mit Arsen vor.
Tellnrige Säure H2Te03 wird durch Auflösen von Tellur in concentrirter Salpeter-
säure erhalten. Tellursähre hat die Formel: H2Te04.
Tellurwasserstoff H3Te wird aus Tellureisen und Salzsäure erhalten und ent-
spricht dem Schwefelwasserstoff in chemischer Beziehung vollständig. Das Gas hat eine
schwache irritirende Wirkung, ist aber sonst ganz ungefährlich.1)
C. G, ijmdi/i-) hat angeblich mit Telluro xyd experimentirt, welches wahrschein-
lich tellurige Säure war. Drei Gran davon erzeugten bei einem Hunde Erbrechen,
während ein Kaninchen 4 Gran ohne Schaden nahm und erst nach 10 Gran am dritten
Tage starb. Bei Eröffnung der Bauchhöhle nahm man einen eigenthümlichen Geruch
wahr, welcher sehr an Knoblauch erinnerte und beim Aufschneiden der Eingeweide
noch stärker wurde. Die Schleimhaut des Magens löste sich leicht ab, in der Nähe
des Pylorus fand sich eine Menge schwarzen, dintenartigen Schleims, welcher die
ganzen dünnen Därme, sowie die dicken bis an den Mastdarm erfüllte, sich mit
Schwierigkeit wegwaschen Hess und den erwähnten Geruch besonders auffallend zeigte.
Der knoblauchartige Geruch und der dintenartige Schleim im Darm deuten darauf hin,
dass die Tellurverbindung im thierischen Organismus reducirt worden: jedenfalls wäre
zur genauem Constatirung dieser Reduction die Analyse des erwähnten schwarzen
Schleims nothwendig gewesen. Würde das Tellur speeifisch giftige Eigenschaften besitzen,
so hätten sich solche beim Tellurwasserstoff zeigen müssen, da hier das Tellur in un-
endlich fein vertheiltem Zustande ausgeschieden wird: nur das etwa beigemengte Arsen
kann hier giftig einwirken.
Stickstoff N.
Stickstoff kommt gasförmig nur in der atmosphärischen Luft frei vor, welche
70 Vol.-Proc. oder 77 Gew.-Proc. davon enthält. Der gebundene Stickstoff macht
einen wichtigen Bestandtheil der pflanzlichen und thierischen Organismen aus und ist
deshalb für die Ernährung der organischen Welt von der grössten Bedeutung. Die
Pflanzen assimiliren den Stickstoff aus seinen Verbindungen mit Sauerstoff und Wasser-
stoff (Salpetersäure, Ammoniak), während der thierische Organismus kohlenwasserstoff-
haltiger Stickstoffverbindungen zur Assimilation und zum Aufbau bedarf. Die Pflanzen
müssen daher den Stickstoff zuerst in diejenige Form bringen, die ihn befähigt, den
Thieren Existenz und Gedeihen zu verleihen, und es ist das Pflanzeneiweiss der Futter-
kräuter, das von dem Thier in Fleisch verwandelt wird. Das fleischfressende Thier
führt die von den Pflanzen gelieferten Stickstoffverbindungen schliesslich wieder in
Harnstoff resp. in Ammoniak und Salpetersäure zurück. So tritt bei der Wanderung
und Wandlung des Stickstoffs derselbe ewige Kreislauf ein, wie er auch beim Verbrauch
und hei der Iteproduction des Sauerstoffs dem Pflanzen- und Thierleben gegenüber
bemerkt wird. In der anorganischen Natur findet sich der Stickstoff vorzugsweise
Stickstoff. 175
in den salpetersauren Salzen und Ammonium Verbindungen. In Gasquellen ist er gewöhn-
lich von Kohlensäure begleitet, was auch in unterirdischen, lange verschlossen gewesenen
Räumen der Fall ist, wenn in Folge von Fäulnis s- und Verwesungsprocessen der Sauer-
stoff verschwunden ist.
Dargestellt wird der Stickstoff durch Erhitzen einer concentrirten Auflösung
von salpetrigsaurem Ammonium, Ammoniumnitrit NH4N03, wobei eine Zer-
legung in Wasser aus Stickstoff stattfindet.
NH4N02 = 2N + 2H20.
Die Versuche, den atmosphärischen Stickstoff aus der atmosphärischen Luft zu
gewinnen und für die Technik zu verwerthen, sind noch nicht zum Abschluss gekommen.
Der Stickstoff ist geruch-, färb- und geschmacklos, wird auch nicht vom Magneten
angezogen: nur selten verbindet er sich direct mit den übrigen Elementen. Auch vom
Wasser wird er wenig absorbirt. Spec. Gew. 0,972.
Die physiologische Bedeutung des atmosphärischen Stickstoffes
beruht lediglich nur in der Verdünnung des Sauerstoffs; wird durch absichtliche
Inhalation des Stickstoffs diese Verdünnung so hoch gesteigert, dass keine Oxy-
dation des Blutes mehr möglich ist, so ist die Grenze zwischen Leben und Tod
sehr schmal, wenn nicht sofort für erneute Zufuhr von Sauerstoff gesorgt wird.
Der Vorschlag von Sanderson und Murray, durch Stickstoffinhalationen
Anästhesie hervorzurufen, ist daher ein sehr gefährlicher; sie beoabachteten dabei
zuerst Beschleunigung des Pulses und der Respiration; später wurde der Puls
langsam und unregelmässig, während das Gesicht eine livide Färbung bekam;
Anästhesie soll binnen 3 — 4 Minuten eingetreten sein. Einem Patienten konnte
während derselben ein Zahn schmerzlos ausgezogen werden.
Nach den an Thieren angestellten Versuchen tritt, wenn sie in eine Stickstoff-
Atmosphäre versetzt werden, sofort eine sehr beschleunigte Respiration, hierauf starke
Dyspnoe ein. Bei Tauben zeigt sich dann Würgen, Erbrechen ; danach erfolgt im
Verlaufe von 25 Minuten unter heftigen Convulsionen der Tod. Bei allmähliger
Vermehrung des Stickstoffs vereinigt sich die Dyspnoe mit Schwindel und Taumel, ehe
der Suffocationstod eintritt.
Die Section zeigt eine starke Hyperämie des Gehirns, bisweilen ein flüssiges
Blutextravasat in der Umgebung der Medulla oblong., flüssiges Blut beim Einschneiden
der Brustmuskeln, schwache Injection der Trachealschleimhaut, welche hier und da mit
einer dünnen Lage blutigen Serums bedeckt ist. Aus den Schnittflächen der Lungen
tritt flüssiges und dunkles Blut aus. Das Herz ist in allen Höhlen strotzend mit Blut
von der nämlichen Beschaffenheit angefüllt; dieselbe Hyperämie findet sich in den Unter-
leibsorganen. Die Section liefert somit alle Erscheinungen, wie sie auch bei der auf
mechanische Weise herbeigeführten Abhaltung des Sauerstoffs, d. h. bei Erstickung,
vorkommen.
Stickstoff in sanitärer Beziehung. Der Verwesungs- und Fäulnissprocess
liefert vorzugsweise Producte, die auch noch nach Jahrtausenden befähigt sind,
in feuchtem Zustande den atmosphärischen Sauerstoff zu ihrer weitern Zerlegung
zu verwenden und auf diese Weise die Atmosphäre stickstoffreicher zu machen.
Es kann demnach nicht befremden, dass beim Braunkohlen- und Stein-
kohlenabbau die sogenannten „schlechten Wetter" entstehen; sie können eben
so gut durch die gebildete Kohlensäure, wie auch durch den restirenden Stick-
stoff der Atmosphäre bedingt werden. Wo der Stickstoff vorwaltet, heissen sie
„böse Wetter"; ist dagegen der Proceutgehait der Kohlensäure bedeutender, so
nennt man sie „matte Wetter". In letzterer Zeit ist besonders die Absorp-
tionsfähigkeit der Braunkohle für den atmosphärischen Sauerstoff und die Er-
zeugung einer stickstoffreichen Luft in der Umgebung der Braunkohlenhalden
nachgewiesen worden.
In den Gruben der bituminösen Fossilen, speciell in den Kohlenbergwerken,
kann der Stickstoff 80 — 86 Proceut betragen; bei 84° löschen gewöhnlich die
176 Stickstoff.
Lampen aus und Schwindel und Taumel, welcher die Arbeiter befällt, ist für die-
selben eine strenge Aufforderung, sich aus einer solchen Atmosphäre zu entfernen.
In Brunnen, die lange verschlossen gewesen sind, ist der Gehalt an
Kohlensäure gewöhnlich grösser als der an Stickstoff; der Tod kann äusserst
rasch eintreten, wenn man ohne alle Vorsichtsmassregeln solche Brunnen betritt.
Es genügt nicht, durch Herablassen eines Lichtes sich davon zu überzeugen, ob
dasselbe noch hinreichenden Sauerstoff zur Verbrennung findet, denn die gefähr-
lichsten Zustände sind erfahrungsgemäss auch in dtn Fällen erfolgt, in denen
das Licht noch eine kurze Zeit fortbrannte; es ist daher nothwendig, diese Prü-
fung nicht auf eine ganz kurze Zeit zu beschränken, sondern wenigstens 15 bis
20 Minuten darauf zu verwenden.
Die atmosphärische Luft.
Luft, Licht und Wärme stellen die Trias dar, welche im engen Bunde
alles Leben auf der Erde bedingt. Die reine Luft ist ein fast stets gleichmässi-
ges Gemenge von Sauerstoff und Stickstoff; diese stellen die essentiellen
Bestandtheile der Atmosphäre dar. Zu den durch chemische und physicalische
Processe auf der Erde nothwendig bedingten Luftbestandtheilen gehören die
Kohlensäure und der Wasserdampf.
Die Kohlensäure ist erst im Jahre 1774 durch den schwedischen Chemiker
Bergmann nachgewiesen worden: dann stellte Saussvre in den Jahren 1809 und 1827 zu
Genf gründlichere Untersuchungen hierüber an und fand, dass in 10000 R. -TL Luft
durchschnittlich -4,15 G.-Th. Kohlensäure enthalten sind. Die grösste Menge davon
betrug nach seinen Untersuchungen 5,74 G.-Th. und die geringste 3,15 G.-Th.
Mannigfaltige Verhältnisse haben jedoch Einüuss auf den grössern oder geringern
Gehalt an Kohlensäure. Da die Pflanzen, um nur einige dieser Einflüsse hervorzuheben,
bekanntlich während der Nacht Kohlensäure abgeben und zwar proportional dem ver-
dunstenden Wasser, so könnte letztere anscheinend in einer pflanzenreichen Gegend auch
des Nachts reichlicher als am Tage vorkommen. Ist der Boden aber feucht, so nimmt
er die Kohlensäure begierig auf und bedingt dadurch wieder eine Verminderung der
Kohlensäure der Luft, während die Kohlensäure des Bodens, wenn letzterer austrocknet,
mit dem entweichenden Wasserdampfe in die Atmosphäre wieder zurücktritt. Das letztere
Verhalten des Bodens findet nicht selten im März und in der Mitte September bis zur
Mitte October statt, wo sich durchschnittlich der reichlichste Kohlensäuregehalt der Luft
in unserm Klima* findet.
Es muss, wenn man das Wasser als Träger der Kohlensäure betrachtet, die Luft
nach eingetretenem Nebel oder Regen ärmer an Kohlensäure werden, im entgegen-
gesetzten Falle wird nach Regenwetter bei eintretendem klarem Wetter und Erhöhung
der Lufttemperatur die Kohlensäure entsprechend der Verdunstung zunehmen.
Dass die Bildung von Kohlensäure im Boden durch den Regen gefördert
werden kann, ist insofern unzweifelhaft, als durch die Befeuchtung der humösen Stoffe
der Verwesungsprocess wieder angeregt wird.
Inwiefern die Luft im Boden in die Wohnungen überzugehen und nachtheilig
auf deren Insassen einzuwirken vermag, ist bis jetzt noch nicht durch verbürgte That-
sachen ermittelt worden, wenn man von den Fällen absieht, in welchen zufällig Leucht-
gas, durch den Boden in Parterre -Wohnungen eingedrungen, Intoxicationen hervorgerufen
hat. Die Processe der organischen Verbindungen im Boden sind noch nicht annähernd
erforscht und erst mit dem Nachweise der Kohlensäure im Boden hat man die be-
züglichen, immerhin sehr dankenswerthen Untersuchungen begonnen. x)
Wie in der Luft so wirken auch im Boden unendlich viele und verschiedenartige
Ursachen auf die Vermehrung oder Verminderung der Kohlensäure ein; jedoch erreicht
erfahrungsgemäss die Vermehrung der atmosphärischen Kohlensäure nur ein
bestimmtes und überall fast gleiches Maximum.
Nach den in Rostock2] vom 18. October 1868 bis 31. Juli 1871 angestellten Beob-
achtungen belief sich die Kohlensäure in 10000 Th. Luft im Mittel im Jahre 1868 auf
4,401 G.-Pr. oder 2,894 V.-Pr., im Jahre 1869 auf 4,375 G.-Pr. oder 2,866 V.-Pr., im
Jahre 1870 auf 4,409 G.-Pr. oder 2,905 V.-Pr., im Jahre 1871 auf 4,58 G.-Pr. oder
3,012 V.-Pr.; das Maximum betrug am 23. October 1868 5,20 G.-Pr. oder 3,42 V.-Pr.,
das Minimum am 29. November 1868 3,43 G.-Pr. oder 2,25 V.-Pr.
Die atmosphärische Luft. 177
Die Grenze dieser Schwankungen stimmt mit den von Saussure, Boussingault und
Levy an den verschiedensten Orten der "Welt gemachten Untersuchungen überein.
Auch in den höchsten Schichten der Atmosphäre findet sich Kohlensäure; in der
Regel sind aber die niederen Schichten der Luft kohlensäurereicher als die höhern und
zwar vermöge des höhern spec. Gew. der Kohlensäure.
Bei den unerschöpflichen Quellen der Kohlensäure, welche auf der Erde verbreitet
sind, ist es eine der wunderbarsten Erscheinungen, dass sich die Schwankungen des
Kohlen Säuregehaltes in bestimmten Grenzen bewegen und die Menge derselben nie einen
extremen Grad erreicht. Es ist einleuchtend, dass der Einfluss der Pflanzenwelt und
die Anziehung des Bodens von ganz gewaltiger Wirkung sind, um in dieser Beziehung
stets das Gleichgewicht in der Atmosphäre wieder herzustellen, und was der Boden
und die Pflanzen nicht aufnehmen, wird durch die bewegte Luft, die Winde, in weite
Entfernungen übergeführt.
Der Wassergehalt der Luft ist ein Bestandtheil derselben, welcher für die
Ernährung der Pflanzen und das "Wohlbefinden der Thierwelt von grösstem Eiu-
flusse ist.
Das "Wasser kommt in drei verschiedenen Zuständen in der Luft vor: 1) in
Form von Dampf als unsichtbares Gas; 2) in Form von Nebelbläschen bei der
"Wolkenbildung und bei den eigentlichen Nebeln; 3) gleichsam als compactes,
niedergeschlagenes Wasser in zwei verschiedenen Aggregatzuständen, als flüs-
siges Wasser, als Regen oder niederfallender Nebel, oder aber als Schnee und
Hagel in krystallinischeni Zustande.
Wir haben hier vorzugsweise dem in der Luft dampfförmig enthaltenen
Wasser Rechnung zu tragen, wogegen bezüglich der anderen Zustände des Wassers
auf die Meteorologie verwiesen werden muss. 3)
Auch der Wassergehalt der Luft unterliegt vielen Schwankungen. Die Aus-
dehnung der Wasserflächen, mit welchen die Luft in Berührung kommt, die Richtung der
Winde, je nachdem sie grosse Wasserflächen bestrichen haben, sowie die Beschaffenheit
des Bodens sind nur bezüglich der herrschenden Temperatur auf den Wassergehalt ein-
wirkend und massgebend. Je wärmer die Luft ist, desto mehr Wasser nimmt sie auf,
weil sich der Sättigungspunct resp. die Sättigungsfähigkeit der Luft für den
Wasserdampf mit der Zunahme der Temperatur steigert. So enthält die Luft
im Zustande der Sättigung bei + 35° C. an Wasser dampf 26,5 Gran, bei +25° 15.8 Gr.,
bei -f- 100 658 q1% l^ei +0° 3,6 Gr., bei - 20° 0,89 Gr. {August). In heissen Gegenden
ist deshalb der Wassergehalt der Luft im Allgemeinen viel bedeutender als in den
gemässigten und in diesen wieder bedeutender als in den kalten. Bei allen klimatischen
Erscheinungen steigert sich im Allgemeinen der Wassergebalt der Luft mit der zuneh-
menden Temperatur, also in unserm Klima gewöhnlich von Mai bis September; je mehr
die Temperatur dann sinkt, desto mehr nimmt auch der Wassergehalt ab.
Die Luft enthält fast immer weniger Feuchtigkeit als sie aufzunehmen vermag,
sie befindet sich fast nie im Sättigungszustande; man kann gewöhnlich nur er-
forschen, ob sie sich mehr oder weniger dem Sättigungspuncte nähert. Die Luft ist um
so durchsichtiger, je mehr sie entsprechend der Temperatur den Sättigungspunct er-
reicht; sie gibt alsdann zu der Erscheinung Veranlassung, dass alle entfernten Gegen-
stände gleichsam näher rücken.
Wenn ein hoher Feuchtigkeitsgehalt der Atmosphäre vorhergegangen und dann
eine Temperaturerniedrigung eingetreten ist, so wird der Wasserdampf als Nebel nieder-
geschlagen; er gibt zur Bildung von Wolken Veranlassung, und es entsteht trübes
Wetter, bis schliesslich das Wasser als Regen der Erde zurückgegeben wird.
Der Regen hängt somit mit dem Sättigungspunct der Luft und der herrschenden
Temperatur eng zusammen. Wird eine mit Feuchtigkeit bei einer bestimmten Temperatur
gesättigte Luft auch nur um ein Minimum abgekühlt, so muss sich dieser Abkühlung
entsprechend eine gewisse Wassermenge ausscheiden, welche sich in der erwähnten
Regen- und Wolkenbildung kundgibt.
Man muss besonders den Unterschied zwischen absoluter und relativer
Feuchtigkeit der Luft festhalten. Die absolute Feuchtigkeit, d. h. die auf 0° R.
und 28 Zoll Barometerstand reducirte, steigt im Allgemeinen mit der zunehmenden
und fällt mit der abnehmenden Temperatur; dagegen fällt die relative Feuchtig-
keit der Luft, d. h. der der jedesmaligen Temperatur proportionale Feuchtigkeits-
gehalt derselben, mit der zunehmenden und steigt mit der abnehmenden Temperatur.
Die relative Feuchtigkeit verhält sich somit ganz entgegengesetzt dem absoluten
Wassergehalte der Luft; da letztere in den kälteren Monaten dem Sättigungspunct
Eulenberg, Gewerbe -Hygiene. 12
1 78 Die atmosphärische Luft.
näher ist als in den wärmeren, so wird die Luft der kälteren Monate eine feuchte und
die der wärmeren Monate eine trockne genannt, obgleich die Luft im Sommer reicher
an Wasserdampf ist als im Winter.
Die Bestimmung der Luftfeuchtigkeit ist in sanitärer Beziehung wichtig;
schon seit den ältesten Zeiten hat man hierzu hygroskopische Körper benutzt und
bereits im Buch der Richter (Cap. 6, v. 37) findet sich eine Anleitung hierzu.
Der feuchten Luft steht die trockne gegenüber und es ist io sanitärer
Beziehung wichtig, die Wirkung der verschiedenen Luftbeschaffenheit näher kennen
zu lernen, wozu ausser dem Wassergehalte auch noch die verschiedenen Grade
ihrer Ausdehnung und Conipression gehören.
1) Wirkung der feuchten Luft auf den thierischen Organismus. Da hierbei
ausser der Feuchtigkeit auch die Temperatur zu berücksichtigen ist, so muss man
a) die feuchte und warme, b) die feuchte und kühle Luft unterscheiden.
a) Eine mit Feuchtigkeit gesättigte und warme Luft wird als schwül em-
pfunden; da ihr das Vermögen fehlt, mehr Wasserdampf aufzunehmen, so scheidet
sich die auf der Haut ausgetretene Feuchtigkeit tropfförmig ab und bildet den
Schweiss. Unter diesen Verhältnissen kanu bekanntlich eine Temperatur von 20"
oft drückender und unangenehmer einwirken als eine Temperatur von 30 u C. Man
sagt: „Die Sonne sticht", wenn die Sonne eine an Wasserdampf sehr reiche
Atmosphäre, gleichsam eine compactere Luft antrifft, auf welche sie die Wärme
übertragen kann.
Die feuchte und heisseLuft findet sich hauptsächlich in den Tropen und er-
zeugt neben dem erschöpfenden Schweisse eine Erschlaffung aller Functionen; die Krank-
heit, welche unter dem Namen: Hitzschlag, Heat-stroke oder auch Sonnenstich be-
kannt ist, entsteht vorzugsweise bei feuchter Hitze; sie ist kein Vorrecht der Tropen,
sondern tritt unter begünstigenden Umständen auch in unserm Klima auf und wird
namentlich bei Märschen oder anstrengenden Arbeiten im Sommer nicht selten beobachtet.
Der Name rSonnenstich" ist insofern ein ungeeigneter, als die Krankheit auch im ab-
feschlossenen Räume, in grossen Versammlungslocalen und in manchen industriellen
itablissements vorkommen kann. Als Vorläufer der Krankheit zeigen sich häufig
Schwindel, Kopfschmerzen, Durst, Athembeklemmung mit Hallucinationen und Illusio-
nen. Ihr Wesen beruht in einer bedeutend gesteigerten Körpertemperatur, welche um so
mehr zunimmt, je mehr die wässerige Secretion der Haut abnimmt: während des Lebens
hat man in der Achselhöhle schon Temperaturen von 40 — 45° C. beobachtet.
Bei den Leichen fällt am meisten die Hyperämie und Hämorrhagie der emphyse-
matösen Lungen auf: die Hyperämie kann sich bis zur Lungenapoplexie steigern. Flüs-
siges Blut erfüllt gewöhnlich das rechte Herz, während die Hyperämie in den Unter-
leibsorganen fehlen kann.
Versuche an Thieren ergaben, dass grössere Kaninchen eine Temperatur von
40° C. eine halbe Stunde lang ertrugen, während bei 43° C. der Tod nach 40 Minuten
unter Convulsionen eintrat; Tauben starben bei 45° C. schon nach 15 Minuten und junge
Meerschweinchen erlagen einer Temperatur von 55° C. binnen 16 Minuten.
1. Versuch. Ein grosses Kaninchen wurde in den grossen Glaskasten gebracht.
Die Temperatur wird durch heisse Wasserdämpfe nach 3 M. auf 34° C gesteigert, wobei
die Respiration sich beschleunigt. Nach 5 M. ist die Athmung bei 40° C. ganz ober-
flächlich und im höchsten Grade beschleunigt; nach 13 M. Seitenlage, nach 23 M. Aus-
fluss von Speichel, krampfhaftes Zucken in den hintern Extremitäten; nach 35 M.
Herausnahme. Die Temperatur im Kasten betrug 40° C , die Körperwärme des heraus-
genommenen Kaninchens 42° C. ; seine Augen prominiren, sind anfangs unempfindlich
reagiren aber alsbald wieder: es bleibt in der Seitenlage liegen. Herzschlag und Respi-
ration sehr beschleunigt, Nasenschleimhaut stark geröthet; nach 10 M. in eine sitzende
Stellung gebracht, bleibt es in derselben; nach 16 M. geht es vorwärts, bleibt aber oft
wie gelähmt stehen; die Ohren fühlen sich noch sehr heiss an: Temperatur in der
Schenkelbeuge 35° C. Erst nach einer Stunde tritt eine bemerkbare Erholung ein.
2. Versuch. Eine ausgewachsene Taube sitzt im Glaskasten. Beim Einleiten der
Dämpfe Unruhe, Kratzen am Kopfe, Blinzeln mit den Augen, Putzen der Augen auf den
Flügeln. Temperatur der Dämpfe 30° C. Nach 2 M. Ausstrecken des Halses, Aufsperren
des Schnabels, Flugversuche: nach 5 M. 45° C. Wärme: grosse Unruhe; nach 6 M.
Temper. 46° C.: beständiges Taumeln, schlägt mit den Flügeln, fällt hin und richtet
Wirkung der feuchten Luft auf den thierischen Organismus. 179
sich wieder auf: bei angestrengter Respiration Aufsperren des Schnabels. Nach 8 M.
fällt die Temperatur beim Nachlass der Zuleitung der Dämpfe auf 4:,° C. Die Taube
bleibt kurze Zeit auf dem Bauche liegen: Eintritt von starken Convulsionen und Liegen-
bleiben mit stark zurückgezogenem Kopfe; dann Vibriren des ganzen Körpers. Nach
12 M. verlangsamte, aber sehr angestrengte Inspiration, nach 15 M. 45° C, tetanischer
Krampf, 8 krampfhafta Inspirationen binnen V4 M.; nach 17 M. Herausnahme des
Thiers. Vollständige Asphyxie, Körpertemperatur 45° C, nach 3 M. sehr schwacher und
immer mehr abnehmender Herzschlag, im Schlünde 40° C-, nach 1 Stunde noch 32° C.
unter den Flügeln. Tod nach 1 Stunde 15 Alinuten.
Sectio n 14 Stunden hernach. Gehirnhäute massig injicirt: in der Umgebung der
Med. oblong, etwas flüssiges Blut. Die Plex. ven. spin. _ massig angefüllt. Das Zell-
gewebe in der Umgebung der Trachea blutig infiltrirt; die Lungenvenen von normaler
Farbe, beim Einschneiden fliesst dunkelrothes, flüssiges Blut aus. Die Schleimhaut der
Bronchien und der Luftröhre kurz oberhalb ihrer Theilung rothbraun injicirt, Die
rechte Herzhälfte strotzt von flüssigem und geronnenem Blute, die linke enthält nur
wenig flüssiges Blut, Die dunkelbraune Leber ist blutreich: im serösen Blatte des Darm-
canals eine starke Gefässinjection.
3. Versuch. Ein junges Meerschweinchen wurde in einen grossen Glasballon
gebracht, dessen Boden mit feuchtem Sande bedeckt war; er stand in einer Schale mit
Wasser, welches durch heisse Wasserdämpfe auf eine beliebige Temperatur gebracht
werden konnte. Durch den den Glasballon nur lose verschliessenden Kork wurde das
Thermometer eingeführt, Nach 5 M. Temperatur: 30° C. Grosse Unruhe des Thieres:
nach 6 M. beschleunigt sich schon die Respiration: nach 10 M, bei 40° C. die grösste
Unruhe, Hin- und Herrennen; nach 12 M. bei 45° C. unzählbare, ganz oberflächliche
Respirationen. Nach 14 M. bei 50° C. ist die Nase feucht, die Augen thränen, vor
Mattigkeit bleibt das Thier liegen. Nach 15 M. sind die hintern Extremitäten ausge-
streckt und bewegungslos: gleich darauf bei 55° C. heftige, mit Tetanus wechselnde
Convulsionen. Nach einigen krampfhaften Inspirationen erfolgt der Tod nach 16 M.
Temperatur im Mastdarm 50° C.
Section sogleich. Die Gehirnhäute namentlich in der Umgebung des Klein-
hirns injicirt. Die Plex venös, spin. sehr blutreich. Die rechte Herzhälfte mit
geronnenem und flüssigem Blute angefüllt, die linke ist fast leer; auch in den grössern
Blutgefässen, namentlich in den Ven. jugular., fand sich geronnenes und flüssiges Blut.
Lungen dunkelbraun und sehr blutreich; an der Luft färbten sich nur die Ränder hell-
roth; das die Trachea umgebende Zellgewebe weich und blutreich, die Schleimhaut der-
selben schwach injicirt. Die Leber dunkelbraun und blutreich : Milz hellroth; Nieren
sehr hyperämiseh; die Harnblase mit klarem Urin gefüllt. Auffallend war die sofort
nach dem Tode eintretende Leichenstarre: die linke Cornea zeigte eine geringe
Opalisirung. 4J
Es ist eine bekannte Thatsache, dass die Steigerung der innern Körper-
temperatur grosse Gefahr für das Leben bedingt; es würde aber zu weit führen,
die hieran sich knüpfenden Folgerungen hier weiter zu erörtern; es sei daher
nur noch hervorgehoben, dass der Hitzschlag um so eher eintritt, je weniger
die Luft bewegt und je mehr sie mit Feuchtigkeit gesättigt ist.
Die Erfahrung hat auch bewiesen, dass bei Soldaten der Hitzschlag auf Märschen
in geschlossenen ColonneD, in Hohlwegen, beim Aufenthalt in Zelten, in Schiffen
u. s. w. weit eher sich zeigt, als beim Marschiren im Freien über weite Ebenen
und in kleinen Colonnen, wo die stärker bewegte Luft der Perspiration, nament-
lich der wässerigen Ausdünstung nicht hemmend entgegentritt.5)
Die heisse und feuchte Luft in der Industrie. Eine solche Luft findet sich
meistens bei allen denjenigen Gewerben, bei denen frei auftretende Wasser-
dämpfe zur Anwendung kommen, z. B. in Decantiranstalten, bei der chemischen
Reinigung der Bettfedern, beim Ausschmelzen des Talges durch Wasserdämpfe, bei
der Leim- und Knochensiederei, in Salinen und verschiedenen chemischen Fa-
briken. In Färbereien und Waschanstalten ist die Temperatur gewöhnlich nicht
hoch und steigert sich höchstens zu 30 — 35° C. Der Nachtheil ist hierbei um
so geringer, je mehr den Arbeitern Gelegenheit gegeben wird,- mit der Arbeit zu
wechseln, oder je mehr die Ventilation eine Ausgleichung der innern Temperatur
12*
IgO Die atmosphärische Luft.
mit der äussern ermöglicht. Wenn Swift6) in einer Waschanstalt Krankheits-
fälle, die mit dem sogenaunten „Sonnenstich" Aehnlichkeit hatten, beobachtet
haben will, so müssen hier noch andere Umstände eingewirkt haben, da die dort
herrschende Temperatur fast nie die Körperwärme übersteigt und also der für
die Entstehung des Hitzschlags nothwendige Factor fehlt.
Sehr nachtheilig sind die Einwirkungen der Kohlenbergwerke, deren
Temperatur sich bekanntlich mit der Tiefe steigert und nicht selten 30 — 38° C.
beträgt, weshalb die Arbeiter meistens ohne Kleider arbeiten müssen. Mehr oder
weniger vereinigen sich hier alle Nachtheile der feucht- heissen Tropenluft, nur
mit dem Unterschiede, dass in den Bergwerken eine Einwirkung von aussen fast
gar uicht stattfindet und deshalb die Temperatur- Verhältnisse viel constanter
sind, indem die Luftwärme durch die Erdwärme bedingt wird. Ausser der
Feuchtigkeit und Wärme der Luft kommen auch noch der grössere Kohlensäure-
gehalt, der Staub u. s. w. derselben hinzu, um die Lebensweise der Kohlengruben-
Arbeiter zu einer der ungesundesten zu machen; eine nicht zu lange Arbeits-
zeit — höchstens 6 Stunden — muss daher als das Maximum betrachtet werden.
Regelmässiger Wechsel der unterirdischen Arbeit mit Beschäftigung im Freien,
Badeeinrichtuugen für die Bethätigung der Hautfunction und passende Räume,
welche ein Umkleiden beim Verlassen des Bergwerks gestatten, sind nothwendige
Requisite und verhüten den Nachtheil des Aufenthalts unter der Erde, wenn
eine regelmässige Lebensweise und namentlich eine Enthaltsamkeit in Spirituosis
hinzutreten.
Eine therapeutische Benutzung der heissen und feuchten Luft findet beim Ge-
brauch der russischen Dampf bäder statt, deren Nutzen bei Arbeitern, welche wegen
Staub, Schmutz u. s. w. auf eine Hautcultur ganz besonders angewiesen sind, nicht hoch
genug anzuschlagen ist.
Man kann übrigens hier die interessante Beobachtung machen, dass der Durst
im russischen Dampfbade in weit erhöhterm Grade als im römischen Bade, d, h. bei der
heissen und mehr trocknen Luft, eintritt. Der Grund hiervon dürfte in der gehinderten
Perspiration während des Verweilens in der heissen und feuchten Luft, sowie in der
hieraus nothwendig entstehenden grössern innern Erhitzung liegen, wodurch das Ver-
langen nach Getränken bedingt wird, während in der heissen und mehr trocknen Luft
des römischen Bades die reichliche wässerige Hautausdünstung zur Mässigung
der grossen innern Erhitzung beiträgt. Ein zu langer Aufenthalt im russischen Dampf-
bade kann daher auch die Erscheinungen des Hitzschlags hervorrufen: geringere Grade
desselben, welche sich grade wie in mit Menschen vollbesetzten Theatern vorzugsweise als
Ohnmachtsanfälle documentiren, kommen gar nicht selten vor.
b) Feuchte und kühle Luft findet sich während der kälteren Jahreszeit
vorzugsweise in Sumpfgegenden (s. Sumpf); in geschlossenen Räumen
führt diese Luftbeschaffenheit leicht zur Schimmelbildung. Da die eingeschlossene
Luft gewöhnlich wärmer ist als die Wandungen der Wohnräume, so entziehen
letztere der sie berührenden Luftschicht Wärme und es wird deshalb im Verhält-
niss zur Wärmeabnahme Wasser in dieser ßerührungsschicht ausgeschieden,
welches sich auf der Oberfläche der Wandungen verdichtet und namentlich in der
wärmern Jahreszeit leicht Schimmelbildung veranlasst.
Neue Häuser entwickeln, auch wenn sie ausgetrocknet zu sein scheinen, beim
Bewohnen stets Feuchtigkeit, weil die ausgeathmete Kohlensäure auf den Mörtel in der
Weise einwirkt, dass sich das II y drat wasser im Kalke des Mörtels ausscheidet, wenn
sich die Kohlensäure mit dem Kalke verbunden hat. Es ist deshalb zweckmässig, dass
alle neuen Häuser vor dem Bewohnen mit Kohlen- oder Koksfeuerungen geheizt
werden, damit das Verbrcnnungsproduct, die Kohlensäure, auf eine zweckmässigere
Weise denselben Erfolg erzielt. Neuerdings hat zwar v. Petienkofer diese chemische.
Erklärung zurückgewiesen und die Wirkung des Kohlenfeuers nur auf die Wärme be-
zogen, indem er die Feuchtigkeit der Wände in Neubauten auf die Niederschläge
Kellerwohnungen. 181
von Wasser aus der Luft auf die Wand zurückführt; indess dürfte dem Hydrat-
wasser nicht jeder Antheil an dieser Erscheinung abzusprechen sein. Freilich muss die
häufige Lüftung der Zimmer und die Austrocknung durch Wärme hinzukommen, um
Neubauten vollständig trocken zu machen. 7)
Die Entscheidung der Frage, ob eine Wohnung trocken sei, ist sehr schwierig,
da die Mittel zur Erforschung eines bestimmten Grades von Feuchtigkeit nicht ganz
zuverlässig sind. Gewöhnlich bedient man sich hierzu chemischer Substanzen, welche
den Wasserdampf der Luft begierig aufnehmen; zu diesen gehören: entwässertes Kupfer-
sulfat, Schwefelsäure, bei 100° C. ausgetrocknete Sägespäne, Aetzkali oder Aetzkalk,
namentlich aber bei 100° getrocknetes, nicht geschmolzenes, kalkfreies Chlor calcium.
Man wiegt von diesen bestimmte Mengen ab, leitet ein gewisses Quantum Luft mittels
Aspiration darüber und prüft dann die Gewichtszunahme. Vorzuziehen ist es, eine
Mörtel probe auf ihr mechanisch gebundenes Wasser zu untersuchen; man muss aber
an verschiedenen Stellen der Wand Proben entnehmen, sie sorgfältig zerkleinern, wiegen,
bei 100° austrocknen und wiederum wiegen. Es dürften 4 — 5 Gewichtsprocent Wasser
im Mörtel als die sanitär zulässige Grenze hierbei gelten.8)
Feuchte Wohnungen sind meistens kühl und ihre Schädlichkeit besteht haupt-
sächlich in zwei Ursachen, erstlich in dem gestörten Austausch der Luft wegen der mit
Wasser gefüllten Poren der Wände und zweitens in Störungen unserer Wanne -Oeco-
nomie, weil kalte Wände unsere Wärmeabgabe durch Strahlung einseitig steigern und
hierdurch weiterhin zu verschiedenen Erkältungskrankheiten Anlass geben können.
Dazu kommt endlich noch , dass nasskalte Wände die Wärme besser leiten als trockne
und auch die Producte der Respiration und Perspiration sich wegen der gestörten
Ventilation mehr anhäufen und zu Gesundheitsstörungen beitragen. Die wichtigste sa-
nitäre Bedingung bei Neubauten besteht daher in einer sorgfältigen Auswahl der Bau-
materialien, welche die erforderliche Porosität besitzen und ein Verdunsten der
Feuchtigkeit gestatten. Gebieten die localen Verhältnisse die Benutzung eines nicht aus-
trocknenden oder undurchlässigen Materials, so kann mau den Nachtheilen desselben oft
durch die Herstellung eines Hohlraums zwischen der Giebel- und innern Mörtelwand
vorbeugen; geschieht dies nicht, so bleibt die Wohnung stets feucht, weil das Wasser
nicht verdunsten kann und sich auf der undurchlässigen Wand niederschlagen muss.
In vielen Städten, wie in Liverpool, London, Manchester, Prag und Lille, sind
viele Arbeiter auf Kellerwohnungen angewiesen; im Jahre 1864 waren in Berlin
9,18 pCt. aller Einwohner Kellerbewohner.9) Die sanitären Erfordernisse, welche
man an eine Kellerwohnung zu stellen hat, sind folgende:
1; In keiner Kellerwohnung darf es an Licht, Luft, Ventilation und Isolirschichten
fehlen ; sie sollten nur in solchen Häusern angelegt werden, die an einem freien Platze
oder in Strassen liegen, deren Häuser bis zur Traufkante nicht höher sind als die Breite
der Strassen beträgt.
2) Keine Kellerwohnung darf in einem Inundationsgebiete, welches das Aufsaugen
der Flüssigkeit verhindert, liegen.
3) Der Fussboden muss wenigstens 0,9 — 1 Meter hoch über dem höchsten Stande
des Grundwassers liegen und von der aufsteigenden Feuchtigkeit isolirt sein, was ent-
weder durch stillstehende Luft (einen hohlen Boden) oder durch undurchlässige Sub-
stanzen (Asche, Kohlenkleie u. s. w.) bewerkstelligt wird, wenn man das Estrichen des
Bodens nicht vorzieht. Ein betonirter Fussboden muss wenigstens 0,15 Meter dick sein,
worauf erst das Balkenlager und die Dielung folgen darf.
4) Von grossem Vortheil ist die Anbringung von Hohlräumen in den Umfas-
sungsmauern, um gleichzeitig Austrocknung und Ventilation zu bewirken.
5) Die Zimmer müssen nach der Zahl der Bewohner einen hinreichenden Umfang
und eine Höhe von wenigstens 3 Meter haben.
6) Die Decke der Zimmer liege 0,9 — 1,3 Meter über dem Niveau der Strasse,
damit die Fensterfläche wenigstens 0,7 Quadratmeter betrage, um eine vollständige Ven-
tilation ermöglichen zu können. Die Schwierigkeit, welche schlecht angelegte Keller-
wohnungen der Ventilation entgegenstellen , gehört zu den grössten Schattenseiten der-
selben. Fensterschachte sind sehr vortheilhaft , wenn dabei das Fenster an der
äussern Seite auf Strassenhöhe angelegt wird, damit sich keine Unreinigkeiten im Schachte
ansammeln können.
7) Im Winter muss eine passende Feuerstätte die Ventilation bewirken, welche
ausserdem noch entweder durch die erwähnten Züge in den Umfassungsmauern oder
auch durch Benutzung der übrigen Kamine im Souterrain benutzt wird.
8) Bruch- oder Basaltsteine dürfen nie zum Aufbau von Kellerwohnungen benutzt
werden, weil sie stets feucht bleiben und solche Wohnungen zur Kategorie der
Felsenkeller gehören würden.
9) Sand- oder Kiesboden oder sandiger Lehm bildet die beste Grundlage für
Kellerwohnungen.
182 Die atmosphärische Luft.
Werden die Kellerwohnungen nach diesen Regeln eingerichtet, so haben sie sogar
entschiedene V ortheile vor den höheren Stockwerken, auf welche die Arbeiterclasse
grosser Städte sonst noch angewiesen ist. Die Kellerwohnung ist im Sommer weniger
heiss, im Winter weniger kalt als ein oberes Stockwerk : der Mittellose hat daher schon einen
grossen Vortheil durch den geringern Verbrauch von Brennmaterialien, wenn er im Winter
eine gute Kellerwohnung besitzt. Es ist eine durchaus falsche Ansieht, dass der Erd-
boden beständig Wärme entzieht, er schützt vielmehr vor einem raschen Temperatur-
wechsel: der tiefste Stand der Temperatur in einer Kellerwohnung liegt gewöhnlich
nicht unter +9°. Auch schützt die Kellerwohnung vor Ungeziefer, da namentlich die
Wanze sich nie in unterirdischen Räumen aufhält. Bei Dachwohnungen findet sich in
allen diesen Puncten das Gegentheil: wer sich von dem Ungemach derselben überzeugt
hat, wird um so wärmer den guten Kellerwohnungen das Wort reden. Alle Nach-
theile einer schlechten Kellerwohnung bieten die Kasematten gleichsam als über-
irdische Keller. 10)
In der Industrie koiniut die feuchte uud kühle Luft bei sehr vielen Be-
schäftigungen zur Geltung, namentlich beim Schlemmen und Reinigen der Erze,
beim Wollwaschen, beim Spülen in kaltem Wasser überhaupt, beim Rauhen in Tuch-
fabriken, bei der Lohgerberei, bei der Leirnfabrication, beim Reinigen der Caldaunen
u.s.w. Es tritt hier häufig die Durchnässung der Kleidungsstücke hinzu, wes-
halb je nach der Art der Arbeit auf eine zweckmässige Bekleidung Bedacht zu
nehmen ist. Hier muss die eigene Sorgfalt des Arbeiters das Richtige wählen,
um sich vor bleibendem Schaden zu schützen.
2) Die Wirkung der trocknen Luft auf den thierisclien Organismus. Auch
hier hat man einen Unterschied zu statuiren, je nachdem die Trockenheit a) mit
Hitze oder b) mit Kälte verbunden ist.
a) Trockne und heisse Luft in der Industrie. Es kommt dabei die leuchtende
Wärme und die hohe Temperatur in geschlossenen Räumen zur Einwirkung. Die
erstere wirkt stets einseitig und macht sich beim Heizen der Dampfkessel11), bei den
Glasöfen, in den Gasfabriken, Koksbrennereien, bei metallurgischen Processen u.s.w.
geltend. Ganz besonders setzt das Verarbeiten des glühenden Eisens, das Pud dein,
die Arbeiter der strahlenden Hitze aus. Märten12) fand bei einer Lufttemperatur von
16 — 17° C. in einer Entfernung von l1 '3 Schritten vom Puddelofen +51,2° C. und in einer
Entfernung von 3 Schritten H-43 — 44° C. Sechs Schritte vom Ofen entfernt sank das
Thermometer in 5 Minuten auf -f-28° C.; an heissen Sommertagen soll die Hitze bis
auf -i-Gi0 C. steigen. Die Puddler sind ununterbrochen % — '/2 Stunde dieser Gluth
ausgesetzt und, wie die Schweisser und Walzer, mit leinenen oder wollenen Beinkleidern
und gleichen Schweisskitteln bekleidet, welche sie nach zwölfstündiger Schicht mit Hemd
uud Jacke resp. Kittel vertauschen. An Hohöfen betrug bei derselben Luftwärme
die Temperatur vor der Eintragöffnung +53 — 54° C, fünf Schritte entfernt +40° C.
und am Aufzuge der Gicht -+- 32,5° C. Je niedriger die Lufttemperatur ist, desto grösser
sind natürlich die Temperaturdifferenzen, welche bei ihrer plötzlichen Einwirkung noth-
wendigerweise Erkältungen bedingen, wenn auch die Macht der Gewöhnung hier
mitspricht. Wechsel der Kleidung. Hautcultur durch häufige Bäder, unter Umständen
auch Oeleinreibungen u. s. w. vermögen manchen Nachtheilen vorzubeugen.
Nach Lariyham stieg auf einer Fahrt an der Küste von Oberguinea bei Sierra
Leone die Hitze auf dem Verdecke eines Tages auf 35° R. und am Schürloch des Dampf-
kessels auf 45° R. Ein Heizer stürzte zu Boden und starb binnen 43 Minuten; bei
der Section fand sich im rechten Seitenventrikel und im mittleren Lappen der linken
Hirnhemisphäre ein Blutextravasat.
Bekanntlich vermag auch die strahlende Sonnenhitze bei Arbeiten im Freien
Gehirnkrankheiten und consecutive Geistesstörungen hervorzurufen, ein Krankheits-
zustand, der vom eigentlichen Hitzschlage wohl zu unterscheiden ist.
Trockne und heisse Luft in einem mehr oder weniger geschlossenen Räume
findet sich in grossen Bäckereien, Kochanstalten, ebenso in Zucker-, Stärke-
mehl-, Dextrinfabriken, beim Trocknen der Formen zum Lehmguss in Eisen-
giessereien, beim Ausräumen grosser Destillirkessel, in den verschiedenen
Trockenstuben u.s.w. Die trockne heisse Luft wirkt insofern nicht so nach-
theilig wie die heisse und feuchte Luft ein, als die vermehrte wässerige Haut-
"Wirkung der trocknen Luft auf den thierischen Organismus. 183
ausdünstung der zu starken Steigerung der innern Körpertemperatur stets mehr
oder weniger entgegenwirkt. Edwards hat experimentell nachgewiesen, dass in
trockner warmer Luft die Menge der durch die Haut ausgeschiedenen Flüssigkeit
zehnmal grösser als in feuchter und warmer Luft ist. Auf die Dauer kann sich
aber der Organismus lediglich durch das Uebermass der Ausdünstungen er-
schöpfen.
Bei Thierversuchen ist ein auffälliger Unterschied zwischen feuchter und heisser,
sowie trockner und heisser Luft weniger zu constatiren, weil bekanntlich bei Kaninchen
und Vögeln die tropfbar flüssige Seeretion der Haut fehlt. Unter mehreren Ver-
suchen sei nur der folgende erwähnt: Ein Kaninchen mittler Grösse wurde 15 Minuten
lang einer trocknen Hitze von 40° C. und dann eben so lang einer solchen von
45° ausgesetzt. Bei seiner Herausnahme aus dem Glasballon Hess sich im Mastdarm
eine Temperatur von 45° C, dabei starke Verengerung der Pupillen nebst Schleim-
rasseln in den Bronchien bei oberflächlichen Inspirationen und sehr beschleunigtem Herz-
schlage nachweisen. Nach 17 M. noch 13 Inspir. binnen l/4 M. ; die Application des
Ferrum candens in der Nackengegend brachte keine Reaction mehr hervor. Unter pro-
gressiver Abnahme des Herzschlages trat der Tod nach einer Stande ein; Leichenstarre
zeigte sich sofort.
Nach den Versuchen von Bernard soll schon bei einer Temperatur von 4- 45° C.
die ATitalität des Muskelgewebes und besonders die des Herzmuskels zerstört werden,
kein Muskel reagire dann mehr auf mechanische oder elektrische Reizung, womit
der oben erwähnte Versuch vollständig übereinstimmt. Das Muskelgewebe gehe in einen
Zustand von Rigidität über, welcher sich gar nicht von der Leichenstarre unterscheide.
Diese Erscheinung betrachtet er mit Bestimmtheit als das Resultat der Wirkung der
Hitze auf den Muskelsaft, welcher bei +45° C. coagiüire. Sicher trat die Leichenstarre
bei allen Versuchsthieren sofort nach dem Tode ein.
In der Industrie verdienen die extremen Hitzegrade mehr Beachtung, als
ihnen bisher zu Theil geworden ist. Bei den Badewärtern in den römisch-
irischen Bädern beobachtet man. dass sogar eine kurz dauernde Hitze von 50° C.
keinen bleibenden Schaden bewirkt, wenn eine Abkühlung mittels kalter Douchen
darauf folgen kann. Anders verhält es sich aber bei längerem Aufenthalt in ge-
schlossenen Räumen mit heisser Luft. Es sind besonders die Trockenstuben in
Zuckerfabriken und die sogenannten Gummirstuben in der Seidenmanufactur,
welche auf die Dauer auch die kräftigste Constitution zerrütten. Wenn irgendwo
ein geregelter Wechsel der Arbeit nothwendig erscheint, so ist es hier der Fall;
Arbeiter, welche schon frühzeitig die nachtheiligen Folgen, Abmagerung, Schwäche
u. s. w., zeigen, sollten ganz von dieser Beschäftigung ausgeschlossen bleiben. Hier
würde die Beaufsichtigung Seitens verständiger Fabrikinspectoren ganz beson-
ders am Platze sein. 13)
Luftheizung. Es ist hier der Ort, der Luftheizung zu erwähnen, welche in letz-
terer Zeit als Centralheizung immer mehr Eingang findet, nachdem die bezüglichen Ein-
richtungen sich zusehends vervollkommnet haben. Trotzdem kann man nicht in
Abrede stellen, dass sich mit dieser Centralheizung eine erhöhte Wasserentziehung ver-
bindet, die schon aus der in Bewegung gesetzten warmen Luft resultirt.
Diese Thatsache gibt sich durch das Reissen der hölzernen Möbel hinreichend kund und
bedingt auch eine vermehrte Abgabe von Wasserdampf durch Haut und Lungen. Man
sucht diesem Uebelstande bekanntlich so viel als möglich dadurch vorzubeugen, dass
man die warme Luft über eine Wasserfläche streichen lässt, ehe sie in die Wohnräume
eintritt.
Centralheizapparate von Reinhardt, Böhm', Heckmann und Kelling werden neuer-
dings viel genannt
Der Apparat von Böhm eignet sich sehr gut für nicht zu grosse Verhältnisse. Hier
verbreitet sich ein nicht sehr hoher ausgemauerter Feuerkasten etwas nach rechts und
links. Links steht auf demselben ausserhalb der Mauerung ein etwa meterhohes Rohr,
welches zur Aufnahme des Brennstoffs dient, der nach dem Füllprincip in dem Verhält -
niss, als er auf dem Roste verzehrt wird, nachrutscht. Rechts erhebt sich ein etwa
1,5 Meter hohes Rohr, in welchem das Feuer zunächst aufsteigt, um dann in zwei
plattgedrückte Rohre einzutreten und darin getheilt niederzugehen; unten vereinigen sie
1^4 Die atmosphärische Luft.
sieh alsdann zu dem gemeinsamen Rauchrohr. Ueberall sind Reinigungsthüren auge-
bracht und der Zutritt der Luft zum Brennstoff lässt sich gut reguliren.
Der Beckmann' sc he. Apparat wird in einer besondern gemauerten Kammer
aufgestellt und von aussen geheizt. Er besteht aus drei Haupttheilen: 1) dem Feuer-
herd, -welcher mit feuerfesten Steinen bekleidet ist, um ein Glühendwerden desselben
zu verhindern; ein Wasserbehälter unter demselben dient als Aschenkasten; 2) der
Wärmezerstreuer ist mit dem Feuerherd durch ein horizontales Rohr verbunden,
welches wie alle Eisentheile durch eiserne Strahlen verstärkt ist. Der Wärmezerstreuer
ist so construirt, dass er den Rauch- und Feuerstrom zertheilt und wieder zusammen-
zieht, um möglichst vielfache Flächen darzubieten, welche die Wärme an die äussere
Luft abgeben. Er leitet schliesslich den Feuerstrom nach demjenigen Theile, welcher
die Verbindung 3) mit dem aus Eisen construirteu Rauchkamin vermittelt. Ein Theil
des zum Rauchabzuge dienenden Apparates besteht aus Eisenblech, um sich den gege-
benen baulichen Verhältnissen anzuschliessen.
Am untern Theile der Heiz kämm er (Calorifere) fliesst die kalte zu erwär-
mende Luft ein und trifft hier mit einem Theile des Wärmezerstreuers zusammen. Die
Luft zieht durch die Wärmecanäle, welche auf der Höhe der Heizkammer abgehen,
zu den betreffenden Räumen. Die Einströmung soll auf Kopf höhe erfolgen: in den
meisten Fällen liegt die Einströmungsöffnung kurz oberhalb des Bodens. Die erstere
Einrichtung ist vorzuziehen, da hierbei kein Luftstrom bemerkbar wird. Die ein-
strömende warme Luft steigt nach der Decke und senkt sich an den Wänden, wo sie
abgekühlt wird, auf den Fusshoden. In der Heizkammer befinden sich mit Wasser
angefüllte Rinnen, die sich anfüllen und reinigen lassen und deren Wasserstand von
aussen beobachtet wird.
Die in den Mauern liegenden Abzugscan äle verlaufen senkrecht und haben
sowohl an der Decke als über dem Fussboden eine E' itrittsöffnung. Die erstere
wird bei zu starker Hitze, namentlich bei Beleuchtung, oder auch im Sommer und
Winter kurze Zeit des Morgens behufs rascher Ventilation benutzt. Im Dachraum
münden die Abzugscanäle in einen Mantel aus, der durch den Rauchkamin des
Apparates erwärmt wird.
Das neuerdings vom Ingenieur Kelling in Dresden eingeführte Central-
Heizungssystem unterscheidet sich dadurch von den bisherigen Systemen, dass
die erwärmte Luft in Kachelschlote strömt. Ein solcher Kachelschlot sieht
wie ein mittelgrosser Ofen aus, der die Luft 1 Meter über dem Fussboden in
die Wohnräume ausströmen lässt; sie kann auch vor dem Einströmen mit frischer
Luft gemischt werden.
Für die Ableitung der verdorbenen Luft dienen auch hier verticale Ven-
tilatiouscanäle in den Giebeln und Zwischenräumen, welche an der Decke (für
den Sommer) und am Fussboden (für den Wiuter) eine Oeffnung haben, aber
nach unten zu nach dem Souterrain verlaufen und hier mit Aspirationsschorn-
steinen in Verbindung stehen.
Luftheizungen eignen sich im Allgemeinen mehr zu Schulen und Kranken-
häusern als zu Fabriklocalen, in denen die Dampfheizung als Centralheizung stets
den Vorzug behalten wird.
b) Der trocknen und kalten Lnft sind die Arbeiter während der kälteren
Jahreszeit bei allen Beschäftigungen ausgesetzt, bei denen durch Feuerstätten er-
wärmte Locale nicht zulässig sind, z. B. in Dynamitfabriken und bei der Verfertigung
anderer explosiver oder feuergefährlicher Substanzen, obgleich gegenwärtig durch
die Warmwasserheizung ohne alle Gefahr für die Erwärmung der Arbeitsräume
gesorgt werden kann.
Höhere Kältegrade, Frostkälte, werden in der Industrie künstlich zur Erzie-
lung besonderer Zwecke hervorgerufen. Kälte wird erzeugt: 1) durch Auflösung oder
Verflüssigung fester Körper (Salze), 2) durch Verdampfung einer flüchtigen Flüssigkeit,
3) durch Ausdehnung stark comprimirter Gase.
ad 1) Die bekannteste Mischung besteht aus 3 Th. Eis und 1 Th. Kochsalz,
deren sich namentlich die Conditoren zur Bereitung des Fruchteises bedienen. Die
Salzgemenge bestehen aus 2 Th. Ammoniumnitrat, 1 Th. Salmiak und 3 Th. Wasser,
oder aus 3 Th. Salmiak, 2 Th. Salpeter, 4 Th. kryst. Glaubersalz und 9 Th. Wasser.
Trockne und kalte Luft. 135
Zu einem Gefrierapparate gekört in der Regel ein Zinntopf, welcher die
Cremes aufnimmt, und ein grösseres Gefäss von Holz oder verzinntem Kupfer;
der Zwischenraum wird mit der Kältemischung ausgefüllt, die fortwährend gerührt
werden muss, damit Salz und Eis sich innig berühren und ersteres sich nicht senkt,
weil sonst seine Einwirkung auf das Eis aufgehoben wird. Neuerdings sind besondere
Apparate für Eisbereitung construirt worden. Bei der Unsicherheit über den Procent-
satz der Zinnlegirung ist es immer rathsam, Zinngeschirre für die Aufnahme der
Cremes oder Syrupe zu vermeiden, wenn auch die schon öfter vorgekommenen Vergif-
tungen durch Vanilleeis mehr auf eine verdorbene Vanille als auf eine metallische
Vergiftung hinweisen; jedoch ist letztere, wenn schlechte, bleihaltige Zinngefässe ver-
wendet worden sind, nicht ausgeschlossen. Man hat auch Vergiftungen nach dem Ge-
nuss von Fruchteis beobachtet.14)
ad 2) Um Kälte durch freiwillige Verdampfung zu erzeugen, gebraucht man
Aether, namentlich Methyläther. Es gibt besondere Aethermaschinen nach
Perkins, Harriso?!, Siebe und Andern; den Methyl äther hat TeUier in Paris eingeführt.
Ausserdem ist die Kohlensäure behufs Kälteerzeugung vorgeschlagen worden. Be-
kannter ist die Ammoniakmaschine von Carre; die Luftpumpen- Schwefel-
säuremaschine bezweckt ursprünglich nur die Herstellung der sogen. Carafe frappee,
d. h. die Kühlung des Trinkwassers durch Eis.
ad o) Die Kälte durch Espansioneignetsich mehr für industrielle Zwecke.
Die Luft wird durch wiederholtes Comprimiren bis zu einer Dichtigkeit von etwa
2% Atmosphären gebracht, wobei sie sich auf ungefähr 120 Grad Wärme erhitzt. Diese
heisse Luft wird durch ein in einem Kühlgefäss liegendes Schlangenrohr gepresst, wo
ihr 100 Grad von ihrer Wärme genommen werden, so dass sie auf 20 Grad abgekühlt
wird. Lässt man nun diese Luft sich wieder bis zu ihrer frühern gewöhnlichen
Atmosphären Spannung ausdehnen, so fehlen ihr die durch das Wasser genommenen
100 Grad Wärme; da sie vorhin 20 Grad Wärme gehabt hat und davon 100 Grad ab-
gibt, so entstehen 80 Grad Kälte. In Wirklichkeit entstehen gewöhnlich 40 — 50 Grad
Kälte, da immer Einiges von der Kälte verloren geht.
Eine Dampfmaschine bewegt fortwährend den Kolben einer Compressionspumpe
und presst die bis zu dem gewünschten Grade zusammengepresste Luft durch das
Schlangenrohr in dem Kühlfass und weiter bis zu dem Expansionscylinder, wo die Luft"
sich frei ausdehnend die niedrige Temperatur erhält.
Man kann nun die kalte Luft direct zur Abkühlung grosser Räume, wie z.B.
von Versammlungssälen, Theatern, grossen Hospitälern, Schiffscajüten , Heizerständen,
namentlich Bierkellem etc. benutzen, indem man den kalten Luftstrom einfach sich
dort hinein ergiessen lässt. Auf diese Weise würde auch das beste Mittel zur Conser-
vation von Fleisch, zur Abkühlung von Getreidevorräthen, um deren Selbst-
erwärmung zu verhüten, zur Kühlhaltung von Brennereien, Stearin- und Paraf-
finfabriken geliefert werden. Bezüglich der Ventilation hat eine solche Luft noch
den grossen Vortheil, dass sie vollständig frei von schädlichen organischen Bei-
mengungen ist.
Lässt man den kalten Luftstrom in einen geeignet eonstruirten Gefrier-Apparat,
in den fortwährend Wasser einfiiesst, strömen, so kann er auch zur Eiserzeugung
benutzt werden, obgleich das hierdurch producirte Eis weniger cohärent als das natür-
liche ist. Der grösste Vortheil ist aber schon durch die beliebige Erzeugung einer
kalten Luft geboten und werden die technischen Verdienste, welche sich in dieser
Richtung Franz Windhausen erworben hat, immer mehr Anerkennung finden. 15)
Einwirkung der Kälte auf Getränke. Gefrorenes Bier lässt alle stickstoff-
haltigen Substanzen fallen und ist deshalb der Nachgährung weniger unterworfen; das
sogen. Eisbier ist in manchen Gegenden ein beliebtes Getränk, da ein Theil seines
Wassers durch den Frost ausgeschieden worden ist. Wird frisch gekelterter Most
einem so hohen Kältegrade ausgesetzt, dass er theilweise gefriert, so kann man den
flüssig gebliebenen und abgegossenen Theil monatelang aufbewahren, ohne dass er in
Gährung übergeht, weil die stickstoffhaltige, Fermente bildende Substanz durch den Frost
zur Coagulation und Ausscheidung gebracht worden ist.
Einwirkung des Frostes auf Pflanzen. Bei den lebenden Pflanzen werden
die verschiedenen Säfte durch den Frost untereinander gemischt, welche beim Aufthauen
durch das Zurückbleiben der fermentbildenden Substanz alsdann um so schneller der
Zersetzung unterliegen. Durch den Frost verderben Knollengewächse, wie die Kar-
toffeln; Früchte wie Aepfel und Birnen gehen bekanntlich nach dem Aufthauen sehr
rasch in Fäulniss und Gährung über. Bei gefrornen und wieder aufgethauten Früchten
findet man fast alle Producte, die auch entstehen, wenn man die betreffenden frischen
Früchte zu einer Emulsion verreibt und sie alsdann einige Zeit sich selbst überlässt.
Unter Umständen kann ein und dieselbe Pflanze bei einem höhern oder niedern
Kältegrade erfrieren, je nachdem ihr Saft coneentrirter oder verdünnter ist. Die Au-
18ß Die atmosphärische Luft.
sieht, dass Pflanzen mit speckigen Blatteten dem Froste leichter erliegen, ist eine irrige;
es gibt z. B. Sedumarten, welche den höchsten Kältegrad ertragen können; auch
einige Cacteen können einer Kälte von 10° widerstehen.
Ein rascher Temperaturwechscl schädigt die Pflanzen ebenso gut wie die Thiere
werden gefrorne Kartoffeln oder Aepfel rasch in eine warme Luft gebracht, so unter-
liegen sie allen schädlichen Folgen des Frostes, während sie durch allmähliges Auf-
thauen bisweilen wieder geniessbar werden können.
Sind stärkemehlhaltige Früchte, Knollen, ■/.. B. Kartoffeln, durch und durch ge-
froren, so enthalten sie einen nicht unerheblichen Zuckergehalt, sogenannten gestaltlosen
Zucker, während pectinhaltige Früchte, z. B. Rüben, Aepfel u. s. w., nach dem Froste
Pectinsäure enthalten.
3) Verdünnte Lnft. In manchen "Verhältnissen des Lebens tritt die Frage über
die Wirkung der ausgedehnten oder comprimirten Luft an uns heran. Die Luft auf
Berghohen ist arm an Kohlensäure und Wasserdampf und, weil sie verdünnter
ist, auch relativ ärmer an Sauerstoff. Die Respirationsorgane müssen deshalb auf Berg-
höhen zu grösserer Thätigkeit angeregt werden, um durch vermehrte Athemzüge den
für die Existenz des Organismus nothwendigen Sauerstoff aufzunehmen, weshalb man in
neuerer Zeit die Einwirkung der Höhenluft in vielen Fällen als eine Gymnastik der
Respirationsorgane betrachtet. Bergbewohner zeichnen sich häufig durch einen breiten
Brustkorb, kräftige Lungen, feste Muskeln und geringe Fettablagerung aus; sie bedür-
fen weniger Nahrung, repräsentiren gleichsam im Gegensatze zu den Thalbewohnern
eine mehr arterielle Constitution.
Der verminderte Luftdruck äussert schon auf einer Höhe von 1550 bis
1900 Meter seine Wirkung; bei einer Höhe von 5300 Meter ist die Luft um die Hälfte
verdünnt. Hier findet sich die Grenze der von Menschen bewohnbaren Bergeshöhen und
zwar bei einem Barometerstande von 190 Mm.
Die Folgen des verminderten Luftdruckes sind: eine reichlichere Ver-
dunstung von Wasser durch Haut und Lungen, daher Verminderung der Harnsecretion,
der Temperatur des Körpers, eine beschleunigte Respiration und ein frequenter Puls
wegen des angeregten Respiration sprocesses, vermehrter Blutandrang nach der Peri-
pherie des Körpers und Ausdehnung der im Blute enthaltenen Gase, wes-
halb nicht selten Erweiterung und schliesslich Zerreissung der Blutgefässe oder ein
Durchpressen des Blutes auf die Mund-, Nasen-, Augen-, Ohren- und Lungenschleim-
haut erfolgt, ferner das Gefühl von grosser Ermüdung. Die Wehe /'sehe Theorie, dass
durch den verminderten Luftdruck die correspondirenden Gelenkflächen nicht mehr hin-
reichend aneinandergepresst werden und deshalb Ermüdung entstehe , ist durch Ed.
Rose erschüttert worden.16)
Die grosse Ermüdung und Abspannung wird als ein Hauptsymptom der sogen.
Bergkrankheit betrachtet, welche sich ausserdem noch durch Kopfweh, Athem-
beklemmung, Appetitmangel und grosse Niedergeschlagenheit charakterisirt. Die Be-
wohner der Hochebenen in den Andenketten auf einer Höhe von 2600 -4050 Meter
beweisen übrigens, dass frühzeitige Gewöhnung selbst die Nachtheile eines verminderten
Luftdrucks ausgleicht. 17)
Die Ermüdung auf Berghohen soll sich von der durch körperliche Anstrengung
entstandenen dadurch unterscheiden, dass sie nach kurzer Ruhe wieder verschwindet.
Sie wird auch von Luftschiffern in bedeutender Höhe empfunden, bei denen die ge-
nannten Erscheinungen sich überhaupt um so rascher und intensiver zeigen werden, je
schneller sie aus einer dichten Atmosphäre in eine sehr verdünnte versetzt werden.
Sogar fieberhafte Regungen (Bergfieber) befallen bisweilen Menschen, welche aus
Niederungen auf Berge ziehen, obgleich man bei allen diesen Krankheitszuständen
auch noch andere ätiologische Momente, wie Wärme und Kälte, Ruhe oder Bewegung
der Luft, Wassergehalt und elektrisches Verhalten derselben berücksichtigen muss.18)
In neuerer Zeit hat Bert verschiedene Thiere dem Einfluss bald plötzlicher, bald
allmähliger Luftverdünnung ausgesetzt und sowohl den Luftdruck , bei dem das Thier
starb, als auch die Zusammensetzung der verdünnten Luft im Augenblick des Abster-
bens der Thiere bestimmt. Das Resultat stimmt mit den bisherigen Erfahrungen über
den Einfluss des verminderten Luftdrucks überein. Er fand, dass die Thiere bei einer
plötzlichen Erniedrigung des Luftdrucks auf 18 — 15 Ctm. Quecksilber starben und zwar
gleich schnell, ob die Luft erneuert wurde oder nicht. Bei einer allmähligen Vermin-
derung des Luftdruckes und gleichzeitiger Erneuerung der Luft ist es bei genügender
Vorsicht möglich, dass die Thiere selbst unter sehr niedrigem Luftdrucke noch eine
längere Zeit leben.19)
Die Luftschiffer pflegen mit Sauerstoff gefüllte Ballons mitzuführen, von dem
sie Gebrauch machen, wenn die Wirkung der zu sehr verdünnten Luft eintritt.20)
4) Comprimirte Lnft. Der vermehrte Luftdruck wird wie der verminderte
Luftdruck sowohl in physicalischer als auch in chemischer Beziehung seine Wirkung
Comprimirte Luft. 187
äussern. Die nächste Wirkung davon ist Verminderung der Hautausdünstung und
Lungenaushauchung, Zunahme der Lungencapacität und Verdrängen des Blutes von der
Peripherie zum Centrum; dabei stellt sich bisweilen eine vermehrte Thätigkeit der
Nieren ein.
Die comprimirte Luft dringt in alle Höhlen, selbst in die Tub. Eustach. ein,
allmählig stellt sich aber das Gleichgewicht zwischen innerem und äusserem Drucke
wieder her; widerstehen die zarten Blutgefässe diesem Drucke nicht, so können sie
zerreissen.21)
Die chemische Einwirkung des vermehrten Luftdruckes besteht vorzüglich
in der vermehrten Sauerstoff zufuhr bei einem verminderten Luft-Volumen. Die
nächste Folge davon ist Verlangsamung des Pulses und der Respiration; mit jedem
Athemzuge erfolgt anfangs ein stärkerer Gasaustausch, demnach auch eine vollständigere
Ausscheidung der Kohlensäure, bis sich späterhin die Kohlensäureausscheidung wieder
relativ zur Luftdichtigkeit vermindert, d. h. accommodirt.
Ein gesunder Mensch macht durchschnittlich 20 Respirationen in der Minute und
nimmt bei jedem Athemzuge 30 K.-Z Luft auf; kann die Lunge wegen Krankheit nur
20 K.-Z. aufnehmen, so muss sich die Zahl der Respirationen um 30 vermehren. Wird
nun dem Kranken eine Luft geboten, welche z. B. um 1/3 Atmosphäre verdichtet ist, so
enthalten 20 K.-Z. dieselbe Quantität Sauerstoff wie 30 K.-Z der gewöhnlichen Luft;
die kranke Lunge braucht daher in solcher Luft nur 20 Respirationen zu machen.
Hierdurch wird das physiologische Gesetz nur bestätigt, dass der Mensch stets
gleich viel, d h. so viel Sauerstoff aufnimmt, als er grade bedarf und deshalb die An-
zahl der Athemzuge der vorhandenen Sauerstoffmenge accommodirt. Ein gesunder
Mensch muss daher in comprimirter Luft weniger tief und langsamer athmen. *)
In industrieller und sanitärer Beziehung ist die Beschäftigung der
Arbeiter in comprimirter Luft bei Berg- und Brückenbau hervorzuheben.
In Frankreich wurden 1839 die ersten Versuche dieser Art gemacht. Viel-
fältig hat man dazu glockenförmige Apparate (Cylinder) benutzt, in welche die
Arbeiter hineinstiegen, während der wieder geschlossene Apparat in's Wasser ge-
lassen und mittels einer Luftpumpe beständig so lange mit Luft gespeist wurde,
bis alles Wasser aus dem Cylinder entfernt worden.
Die gegenwärtigen Apparate bestehen 1) aus der Luftschleuse, die
sich über dem Wasser befindet, aus Eisenblech construirt und mit Ventilen
und Thüren versehen ist. Auf dem Boden führt eine Thür 2) in den cylinder-
formigen Steigeschacht; derselbe liegt im Wasser und wird mittels eines
Rohrs (der Luftröhre), welches mit einer durch Dampf getriebenen Luftdruck-
pumpe in Verbindung steht, beständig mit Luft angefüllt. In dem Grade, als
dieses geschieht, fliesst das Wasser seitlich aus demselben aus. Sobald dies
stattgefunden hat, senkt sich 3) die Luftkammer oder Glocke, die Fortsetzung
des Steigeschachts, wie ein Brunnenkranz auf den Grund des Wassers; die
Arbeiter steigen hinab und beginnen ihre Arbeit. In der Luftschleusse bleiben
Arbeiter als Handlanger zurück; damit diese sich zeitweilig mit den Arbeitern
in der Luftkammer in Verbindung setzen können, werden bestimmte Ventile ge-
öffnet, welche das Aus- und Eintreten der comprimirten Luft gestatten und da-
durch das Oeffnen und Verschliessen der Thüren ermöglichen.
Durch das fortwährende Zupumpen neuer atmosphärischer Luft soll die im
Cylinder sich befindliche und von der Respiration oder Beleuchtung herrührende
Kohlensäure verdrängt und verdünnt, sowie gleichzeitig hinreichender Sauer-
stoff zugeführt werden. Ein ausreichender Luftwechsel findet aber selten statt,
da die Erfahrung zeigt, dass die Arbeiter nicht selten in Folge des eingeathmeten
*) Wenn Sperlinge bei einem Luftdruck von 20 Atmosphären sterben, so schreibt
Bert den Tod der giftigen Wirkung des Sauerstoffs und nicht dem Drucke als solchem
zu. Bei sehr niedrigem Drucke trete Erstickung aus Sauerstoffmangel, bei sehr hohem
Drucke Vergiftung ein.
1S8 Diß atmosphärische Luft
Russes, welchen die Beleuchtung absetzt, an Schwarzspucken leiden; eine
zweckmässige und gute Beleuchtung ist daher ein Haupterforderniss.
Folgende Symptome hat man bei den betreffenden Arbeitern wahrgenommen:
1) Ohrenschmerzen, welche am häufigsten in Folge des eingedrückten Trom-
melfells entstehen und am besten durch Schneuzen und häutiges Niederschlucken des
Speichels gelindert werden, indem dadurch die Luft in die Tub. Eust. getrieben und
ein Gegendruck gegen die von aussen drückende Luft ausgeübt wird.
Magnus *-) beobachtete diese Symptome bei einzelnen Personen schon bei
Vg Atmosphärendruck und bei anderen erst bei 2 Atmosphärendruck und mehr. Das
schmerzhafte Trommelfell zeigt eine fast gleichmässige Röthe, die bei den höhern
Graden des Druckes in Scharlachrothe übergeht.
Ein Kranker, welcher kein Trommelfell hatte, fühlte nicht den geringsten
Schmerz. Wenn eine mechanische Verstopfung oder organische Verschliessung der Tub.
Eustach. vorhanden ist oder der oben beschriebene 1 alsalva'schß Schluckversuch aus
Ungeschicklichkeit nicht gelingt, so kann Zerreissung des Trommelfells herbeigeführt
werden.
2) Abstumpfung des Gehörs, Geruchs- und Tastsinns. Namentlich
hört man schlechter und selbst die eigene Stimme erscheint uns dumpf, weil sich die
Schallwellen in einer comprimirten Luft nicht so leicht bewegen und fortpflanzen.
3) Scheinbar vermehrtes Schwitzen. Die auf der Haut sich aus-
scheidende Flüssigkeit besitzt nicht das Vermögen, bei dem hohen Luftdruck und dem
starken Feuchtigkeitsgehalt der umgebenden Luft zu verdunsten: sie muss sich in
Tropfenform auf der äussern Haut ansammeln und abfliessen. Hierdurch unterscheidet
sich die Wirkung der comprimirten Luft in der Taucherglocke wesentlich von der im
pneumatischen Apparat, weil erstere mehr eine mit Feuchtigkeit gesättigte Luft repräsen-
tirt. Auch ist die Temperatur im Innern der Apparate stets höher als im Freien; sie
kann dort 27 u C. betragen, wenn das Thermometer im Freien nur 17° C. zeigt.
4) Verlangsamung der Respiration bei geringerer Ausdehnung des Brust-
kastens. Es ist erwähnt worden, dass der Mensch in einer comprimirten und deshalb
compacteren Luft nur einer geriügern Anzahl von Athemzügen und einer geringern Aus-
dehnung des Brustkastens bedarf, um die zu seinem Leben nothwendige Sauerstoff-
menge zu erhalten.
Bezüglich der ausgeathmeten Kohlensäure muss sich anfangs eine Vermin-
derung derselben ergeben, da das Blut unter einem erhöhten Druck auch eine grössere
Menge von Kohlensäure gebunden hält. Erst nachdem ein vollständiges Gleichgewicht
zwischen den im Körper enthaltenen Gasen und der äussern Atmosphäre eingetreten ist,
wird sich scheinbar eine Vermehrung der ausgeathmeten Kohlensäure zeigen,
welche aber nur proportional dem eingeathmeten Sauerstoff ist. Sobald der Druck nach-
lässt, sobald also ein geringerer Druck auf dem Blute und dessen Gasen lastet, werden
sich äqual dieser Druckverminderung die gleichsam durch den höhern Druck gefesselten
Gase entwickeln. Es wird also scheinbar eine grössere Kohlensäureausscheidung statt-
finden, indem das Plus von Kohlensäure schon früher vorhanden war.
Bei einem plötzlichen Wechsel resp. Aufheben des äussern Druckes kann ein
Zerreissen der Lungenzellen oder Blutgefässe durch die momentane Expansion eintre-
ten. Bei organischen Herzfehlern will man sogar schon Berstung des Herzens beob-
achtet haben.
5) Verlangsamung des Pulses. Er fällt nicht selten auf 55 Schläge in
der Minute.
6) Langsamere Muskelbewegungen. Meistens fühlt man sich nur in der
ruhigen Lage erleichtert. Bewegung veranlasst bei den meisten Personen Athem-
beschwerden und Ermüdung, so dass Gehen, Steigen und selbst das Sprechen bei steifer
Zunge schwer fallen; bisweilen tritt Stottern ein. Wenn Franrois23) bei den Arbeitern
eine leichtere Beweglichkeit beobachtet hat, so konnte diese Wirkung nur in der indi-
viduellen Constitution begründet sein.
7) Steigerung des Appetits in der ersten Periode der Pression; späterhin
nimmt er bei den meisten Arbeitern ab. Ueberhaupt ist der Stoffwechsel nur anfangs
vermehrt, so lange die comprimirte Luft als ein neuer und fremder Reiz auf den
Organismus einwirkt und ein vollständiges Gleichgewicht noch nicht stattgefunden hat.
8) Die Reizung der Augen und der Husten mit schwärzlichem Aus-
wurf, sowie der schwarze Anflug an der Nase. Diese Symptome werden nur durch die
Verbrennungsproducte des Beleuchtungsmaterials hervorgerufen; Kerzen mit Baumwollen-
docht geben besonders einen belästigenden Rauch und brennen bei 3 Atmosphärendruck
schon binnen 15 Minuten ab. Petroleumlampen sind vorzuziehen, weil der Kohlenstoff
vollständiger verbrennt und keinen Russ bildet; am besten ist das elektrische Licht.
9) Die Luft im Apparat wird sehr verschlechtert, wenn man sich beim Sprengen
Comprimirte Luft. 189
von Felsen der Schwefelfäden zum Anzünden des Pulvers bedient, deren Verbren-
nungsproduct, die schweflige Säure, sieb dann nocb mit ihrem nachtheiligen Einffuss
auf die Gesundheit der Arbeiter geltend macht. Man darf zur Zündung sich nur des
Galvanismus bedienen.
Zufälle nach der Entschleussung. Wenn die Arbeiter den Apparat zu rasch
verlassen, können folgende ernste Zufälle eintreten:
1) Nasen-, Ohren- und Lungenbliitungen, weil, -\vie schon erwähnt worden,
durch die Differenz des innern und äussern Luftdrucks zarte Blutgefässe zerreissen
können, wenn die Lungenluft sich momentan um Vieles wieder ausdehnt und nicht augen-
blicklich den gewöhnlichen Ausweg finden kann.
2) Ohrensausen und Ohrenschmerzen treten wie anfangs ein, wobei man
das Gefühl hat, als ob die Luft aus dem innern Gaumen nach dem Ohre dränge; das
Trommelfell wird dabei nach aussen gedrängt.
3) Brustbeklemmung mit frequentem Pulse. Die Blutwallungen zu den
Lungen und zum Gehirn können so heftig werden, dass ein bewusstloses Hinstürzen
erfolgt. Es kann Apoplexie entstehen oder es bildet sich eine Symptomengruppe aus,
welche mit der beim Hitzschlag (Sonnenstich) geschilderten grosse Aehnhchkeit hat.
Auch die Sectionsresultate in einem concreten Todesfälle stimmen in mehreren
Puncten mit dem Leichenbefunde beim Hitzschlag überein24]. Es fanden sich Hyperämie
der Hirnhäute, eine starke Anschoppung der Lungen bei geringer Crepitation an der
Basis derselben, das Herz mit flüssigem schwarzem Blute angefüllt. Hyperämie der
Nieren, Leber, Milz und des Magens und eine eontrahirte Urinblase. Das Blut war
dunkel, was aus dem beeinträchtigten Austausch der Respirationsproducte resultirt: es
röthete sich dagegen das aus der Ader gelassene Blut sehr schnell an der Luft, weil es,
unter erhöhtem Drucke mit Kohlensäure geschwängert, diese nun bei vermindertem
Drucke um so leichter wieder fahren Hess.
i) Ein lästiges Hautjucken, von den Franzosen ..Puces" genannt.
5) Frostgefühl in Folge des stattgefundenen starken Schwitzens.
6) Heftige Muskelschmerzen in den Armen, Schultern und am Thorax, Er-
scheinungen, welche sich ebenfalls auf die Differenz zwischen dem äussern und innern
Drucke resp. auf die Ausdehnung der Gase in den Muskeln zurückführen lassen. So
beobachtete Franko is bei einem Arbeiter eine bedeutende und schmerzhafte Anschwellung
der linken Regio mammaria, welche dem vollen Busen einer Frau glich und durch die
Application von ein paar blutigen Schröpfköpfen rasch gehoben wurde. Nachkrank-
heiten bestehen bisweilen in Taubheit, Otitis, Bronchitis, grosser Schwäche, bedeutender
Abmagerung, Zurückhaltung des Urins und Paresis: letztere beruht wahrscheinlich in
passiven Congestionen im Gebiete der Plex. venös, spinal. Die Abmagerung ist wegen
der bedeutenden Oxydation der Kohlehydrate und der profusen Hautausscheidung bei
längerem Aufenthalte in comprimirter Luft erklärlich.
Nach den bisherigen Erfahrungen über die Arbeiter in comprimirter Luft ergibt
sich in sanitärer Beziehung" Folgendes:
1) Ein 4% Atmosphärendruck ist das Maximum, welches noch ertragen
wird, wenigstens besser als ein entsprechender Luftverdünnungsgrad.
2) Beim Verlassen des Apparates ist die grösste Vorsicht zu beob-
achten. Die Entschleussung muss zur Verhütung gefährlicher Zufälle nur allmählig
erfolgen , so dass keine plötzliche Ausgleichung in der Differenz des Luftdrucks eintritt,
was um so gefährlicher ist, je höher der Atmosphärendruck gewesen ist. Unter Um-
ständen, namentlich beim Eintritt einer tiefen Ohnmacht, muss der Arbeiter in den
Apparat zurückgebracht werden, um unter der Einwirkung der von Neuem und all-
mählig comprimirten Luft sich zu erholen.25)
3) Ein Lebensalter zwischen 18 — 35 Jahren verträgt die Arbeit am besten;
dieses soll auch bei der sogenannten lymphatischen, venösen und scrophulösen Constitu-
tion der Fall sein.
4) Leute mit chronischen Herz- und Lungenkrankheiten oder mit grosser Nei-
gung zu Congestionen oder Hämorrhagien vertragen die Arbeit schlecht. Auch die
erethische, mit häufiger Hämoptoe verbundene Form von Lungentüberculose passt nicht
für einen längern Aufenthalt in comprimirter Luft, während die torpide Form derselben
sich mehr dafür eignet. Zu dieser Form wird auch der Fall gehören, welcher einen
Arbeiter betraf, der nach der Beobachtung von Foley 26) mit einer grossen Vomica be-
haftet war, nach einer zweimonatlichen Arbeit in comprimirter Luft ein gutes xVussehen
bekam und kräftig wurde. Sonst liefert das Stadium der Erweichung bei der Lungen-
tüberculose im Allgemeinen eine Contraindication für den Aufenthalt in compri-
mirter Luft.
5) Vor dem Eintritt in den Apparat müssen sich die Arbeiter mit warmen resp.
dicken Kleidern versehen, um sie nachher vor der Entschleussung sogleich anziehen
zu können.
190 Die atmosphärische Luft.
6) Nach der Ent schien ssung sind Frottirungen der Haut und körperliche
Bewegungen sehr zweckmässig, um die peripheren Blutgefässe zu entlasten.
7) Arbeiter, welche während der Arbeit beunruhigende Symptome dargeboten
halien, dürfen dieselbe nicht wieder aufnehmen.
S) Gegen das Hautjucken nützen am besten kalte Waschungen, trockne und
blutige Schröpfköpfe. Gegen Gliederschmerzen empfiehlt Fratifoia ölige, mit Belladonna.
( Ipium oder Campher versetzte Einreibungen der Haut.
9) Auf eine zweckmässige Beleuchtungsmethode ist grosses Gewicht zu legen.
10) Das Verstopfen des äusseren Gehörganges mit Baumwolle ist eher schädlich
als nützlich.
11) Bei Otalgien nützt das Eintröpfeln von Ol. Hyosciam. coct.
12) Congestionen zum Gehirn und zu den Lungen müssen nach allgemeinen thera-
peutischen Grundsätzen behandelt werden.
13) Um 4 und mehr Atmosphären anwenden zu können und dabei alle gefähr-
lichen Erscheinungen zu vermeiden, ist der Rath von Bert sehr beachtenswerth. Man
soll nämlich in diesem Falle der Gebläsemaschine statt reiner Luft eine Mischung von
Luft und Stickstoff liefern, welche derart berechnet ist, dass der Druck des Sauerstoffs
einen gewissen geringen Werth nicht übersteigt. Im Allgemeinen ist aber ein Druck
von 4 Atmosphären nur ausnahmsweise zu gestatten; bei 2 — 3 Atmosphärendruck
soll man nur in Schichten von 4. höchstens 6 Stunden arbeiten. Bei einer Wassertiefe
von 32 Fuss ist 1 Atmosphären druck schon ausreichend.
Ein anderweitiger Nachtheil bei Wasserbauten besteht namentlich darin, dass
die Arbeiter stets in einem mit Feuchtigkeit vollständig gesättigten Medium arbeiten,
wobei sie nicht selten bis an die Schenkel im Wasser stehen. Nicht minder ist beim
Bergbau die Wirkung der feuchten comprimirten Luft zu berücksichtigen.27)
Ueberhaupt erfordern diese täglich an Ausdehnung gewinnende Arbeiten auch eine sorg-
fältigere sanitäre Beachtung, welche ebenso den Industriellen wie den Aerzten obliegt.
Zufällige Bestandteile der Atmosphäre. Sie werden hier nur kurz erwähnt,
da das Nähere sich bei den einzelnen Körpern vorfindet. 1) Ammoniak. Sein Vor-
kommen ist sehr variabel und nur von localen Verhältnissen abhängig: wo zahlreiche
Feuerstätten sich finden, wird Ammoniak selten vermisst werden. 2) Salpetersäure
kommt stets in Verbindung mit Ammoniak vor. 3) Salzsäure wird namentbch in
üistricten, in welchen sich viele Sodafabriken befinden, angetroffen : in Manchester hat
man zu Zeiten 8 — 9% nachgewiesen. 4) Schweflige Säure und Schwefelsäure
treten überall auf, wo Steinkohlen verbrannt werden. 5) Kohlenwasserstoff findet
sich meistens in Sumpfgegenden. 6) Kohlenoxyd und Schwefelwasserstoff wird
man selten in der Atmosphäre nachweisen können. 7) Metallische Beimischungen
der verschiedensten Art hängen namentlich von den verschiedenen Hüttenprocessen ab.
8) Zum Staube der Atmosphäre tragen alle Naturreiche bei. Zum mineralischen
Staube gehören die Partikelchen von Sandstein, Granit, Marmor, Eisen oder andere
einer bestimmten Gegend angehörige Mineralien. Der Frost erzeugt vorzüglich den
Mineralstaub, indem er unter Mithülfe des Windes ganze Berge allmählig erniedrigt und
tiefe Spalten in die Sandsteinfelsen u. s. w. unter Mitwirkung von Regen und
Schnee bohrt.28)
Im vegetabilischen Staube entdeckt man die Gewebsfragmente der verschie-
densten Pflanzen: der Blüthenstaub wird bekanntheh vom Regen so massenhaft
niedergeschlagen, dass er den Ursprung zu den Sagen von Blut- und Schwefel regen ge-
liefert hat, namentlich ist der Pollen der Nadelhölzer als Schwefelregen bekannt. Auf
stehenden Gewässern bildet der Blüthenstaub eine schleimige Haut, welche zahllose
Infusorien beherbergt und beim Platzregen die bekannten Schleimblasen erzeugt. Die
Stärkemehlkörperchen, welche Pom-het in allen Weltgegenden und an allen Orten nach-
gewiesen haben will, sind nach Ehrenberg nur Morpholithe, d. h. unorganische, in
ihrer Krystallbildung wahrscheinlich zurückgebliebene Stoffe.
Im Staube organischen Ursprungs findet man dann die Hautfragmente von
allen möglichen Insecten, Epithelialzellen aller Art, Haare der verschiedensten Thiere.
Die von Ehrenberg aufgefundenen Infusorien sind kieselschalig bepanzert: die Bacillarien,
Eunotia amphioxys und Pinularia borsalis. finden sich im Staube fast aller Welttheile.
Im rothen Passatstaube fand E, unter 548 dem unbewaffneten Auge ganz entzogepen
Gebilden 192 Polygastern- A rten, welche vorzugsweise den Süsswassergebilden an-
gehören und oft scheintodt in der Atmosphäre schweben, um später durch hinzutretende
Feuchtigkeit zur neuen Entwicklung zu gelangen.29)
Dass lebensfähige Keime der verschiedensten Art in der Luft vorkommen, ist
nicht mehr zweifelhaft : Cunningham vermochte zu Kalkutta innerhalb 24 Stunden eine
Zahl von 30—300 organisirter Körperchen in der Luft nachzuweisen. Dagegen
ist es bisher nicht gelungen, einen bestimmten Zusammenhang der in der Luft schwe-
Abhaltung physicalischer Einflüsse der Atmosphäre. 191
benden Keime mit epidemischen und contagiosen Krankheiten darzuthun.30) Die Anschau-
ungen von Caslinn) hierüber beruhen auf keinen bestimmten Thatsachen und bewegen
sich in Phantasien. Nur in der Luft über Cloaken und Düngerhaufen will man Bac-
terienkeime nachgewiesen haben; diese finden sich aber bekanntlich auch in allen ge-
schlossenen Bäumen, in welchen die Luft durch Perspiration, Bespiration oder Fäulniss-
processe verdorben ist.
Wenn man den Luftstaub den „Schmutz der Atmosphäre" genannt hat, so kann
man den Begen und die Gewitter als die mächtigsten Desinfectoren der Luft be-
trachten, da namentlich der Begen Alles , was er in der Luft findet, mit sich zur Erde
reisst, so dass sich aus dem Begenwasser die Natur und Menge der Stoffe, die auf
diese Weise der Atmosphäre entzogen werden , annähernd berechnen lassen. Nach den
auf der Pariser Sternwarte angestellten Untersuchungen wurden im Laufe eines Jahres
folgende Mengen von Stoffen, welche zugleich für die Ernährung der Pflanzen von Be-
deutung sind, dem Boden im Umfange eines preussischen Morgens zugeführt:
4,13 Pfund Ammoniak,
36,52 ., Salpetersäure,
3,25 .. Chlor,
9,06 „ Kalk,
3,99 „ Bittererde.
Wenn für die auffallend grosse Menge dieser Substanzen auch che Bichtung der
herrschenden Winde mitsprechen dürfte, so steht doch so viel zweifellos fest, dass der
Begen alle Gase, wie Kohlensäure, Ammoniak, Schwefelwasserstoff u. s. w., alle Dämpfe
und alle der Luft beigemengte Staubtheile auf die Erde niederschlägt und somit einen
ganz bedeutenden Factor für die Erhaltung der allgemeinen Gesundheit repräsentirt.
Man hat schon längst die Beobachtung gemacht, dass in regenreichen Jahren die
Zahl der Kranken verhältnissmässig eine geringe ist; nach den in Greenwich beobach-
teten jährlichen Kegenmengen hat man statistisch festgestellt, dass für den Zeitraum von
1854 — 1865 die grösste Sterblichkeitsziffer in England und Wales von 23,9 mit dem
kleinsten Begenfall im Jahre 1864, und die kleinste Todeszahl von 21,2 auf das Jahr 1860
mit der grössten Begenmenge fiel.
Der Schnee wirkt wie der Begen reinigend auf die Luft ein und findet man in
jenem Alles wieder, was der Begen zur Erde führt; Schnee und Begen wirken somit
auf eine grossartige Weise durch Attraction und Praecipitirung fremdartiger Bestand-
teile der Atmosphäre. Die Winde wirken in gleicher Weise wie Schnee und Begen;
auch tragen sie dazu bei, frischere und reinere Luft aus andern Gegenden zuzuführen.
Je nachdem die Winde, welche bekanntlich stets durch Temperaturveränderungen
in der Luft entstehen, verschiedene Gegenden, Meere oder Gebirge bestreichen, besitzen
sie allerdings auch verschiedene Eigenschaften. Manches Land hat seine ominösen
Winde, welche mehr oder weniger regelmässig Aviederkehren und bezüglich des Ver-
haltens in Kleidung, Lebensweise u. s. w. besondere "Vorsichtsmassregeln erfordern (Mon-
soon, Samum, Chamsin, Harmattan, Scirocco u. s. w.).
Im Allgemeinen aber sind Begen, Schnee und Wind als die natürlichen Beini-
gungsmittel der Atmosphäre zu betrachten. Ein Gewitter mit Begen und Wind ge-
staltet bekanntlich oft die ganze Atmosphäre um und verleiht dadurch für alle organi-
sirten Wesen eine Quelle des grössten Wohlbehagens. Die Frage nach dem Wetter
ist somit keine banale Phrase, sondern ..gleichbedeutend mit der Frage nach dem Be-
finden".32)
Abhaltung physicalischer Einflüsse der Atmosphäre.
Die Bekleidung.
Um über Zweck und Wirkung der Kleidung zu einer klaren Anschauung zu
gelangen, ist es erforderlich, die Begriffe von Wärmeleitung und Wärme-
strahlung näher zu erläutern.
Eine bekannte Thatsache ist es, dass ein warmer Körper in einer kältern
Umgebung sich mit dieser in ein thermisches Gleichgewicht setzt; diese Erschei-
nung wird durch verschiedene Vorgänge hervorgebracht. Man stelle sich zunächst
eine heisse Metallkugel vor, die sich in einem kalten Zimmer befindet; zunächst
kühlen sich durch verschiedene noch zu besprechende Processe die oberflächlichen
Partien ab; in dem Masse aber, wie dies geschieht, fliesst Wärme von dem heissen
Innern zu dem kältern Aeussern. Diesen Wärmefluss, welcher immer von den
heissern Theilchen zu den unmittelbar anliegenden kältern Theilchen geht?
192 Die atmosphärische Luft.
nennt man Wärmeleitnng. Auch die Oberfläche der Kugel verliert Wärme
durch Leitung au die sie berührenden Lufttheilchen; der hieraus hervorgehende
Wärmeverlust ist um so grösser, je bedeutender die Temperaturdifferenz zwischen Me-
tall und Luft ist. Lässt man einen Blasebalg auf die Kugel einwirken und ersetzt
dadurch die von der Kugel erwärmte Luft fortwährend durch kältere, so beschleu-
nigt man die Abkühlung. Jedoch auch ohne unser Zuthun wird die erwärmte
Luft in gewissem Masse fortwährend durch die Wirkung der Schwere entfernt;
die dicht an der Kugel befindliche Luft ist nämlich wärmer und daher leichter
als die entferntere kältere und wird daher von dieser in die Höhe getrieben und
von ihr ersetzt. Durch diesen Luftstrom wird also die Abkühlung befördert,
während die Wärme dabei stets durch Leitung von der Kugel an die Luft ab-
fliesst. Man hat der Abkühlung durch Luft- oder Flüssigkeitsströme
einen besondern Namen gegeben, englisch: Convection; deutsch etwa: Wärme-
strömung. Bei der letztern bewegt sich die Wärme mit ihrem Träger, bei der
Wärmeleitung in ihrem Träger.
Bringt man einen kalten festen Körper in die Nähe der Kugel, so findet
man, dass sie sich rascher abküht; durch die Anwesenheit des kaltem Körpers
ist die Temperatur der die Kugel berührenden Luftschicht nicht merklich geän-
dert worden. Da der Verlust durch Wärmeleitung nach aussen nur von der
Temperaturdifferenz zwischen der Kugel und diesen Luftschichten herrührt, so
muss ein anderer Vorgang Ursache der gesteigerten Abkühlungsgeschwindigkeit
sein. Diesen Vorgang nennt man Wärmestrahlung.
Zum bessern Verständniss sollen folgende Angaben dienen.- Von jedem
Körper gehen Wirkungen in die Ferne aus, welche physicalisch von ganz gleicher
Art sind wie die Wirkungen, welche leuchtende Körper aussenden; das Aus-
gesandte nennt man Lichtstrahlen, wenn es unsere Netzhaut erregend Licht-
empfindung erzeugt, Wärmestrahlen, insofern es auf unser Gemeingefühl
sowie auf das Thermometer einwirkt.
Wenn verschiedene Körper gleicher Temperatur sich in einer Hülle von der-
selben Temperatur befinden, so muss das Gesammtquantum der Wärme, welche
einer der Körper ausstrahlt, gleich derjenigen sein, die er von der gesammten
auf ihn fallenden Wärmestrahlung absorbirt (Prevost).
Ist einer der Körper wärmer als die andern, so nimmt er weniger Wärme
durch die Strahlung der Umgebung auf, als er durch seine eigene Strahlung ver-
liert; daher sinkt die Temperatur des wärmern und steigt die des kältern Kör-
pers. In diesem Sinne ist die Abkühlung der Metallkugel durch Strahlung in
dem kalten Zimmer aufzufassen.
Die Gesammtquantität der Wärme, die ein Körper aussendet (emittirt),
wächst hiernach mit seiner eigenen Temperatur. Sie hängt aber ausser der Tem-
peratur auch von der Natur des strahlenden Körpers ab; überzieht man näm-
lich die Seitenfläche eines hohlen mit kochendem Wasser gefüllten Metallwürfels
mit Russ, so findet man, dass die berusste Fläche mehr Wärme ausstrahlt
als eine der blanken Flächen, obwohl im Beginne des Versuchs der Metallwürfel
überall gleiche Temperatur hat. In einer blank polirten Theekanne hält sich
z. B. der Thee gut warm; würde mau dieselbe berussen, so würde der Thee weit
rascher kalt werden.
Wenn strahlende Wärme auf einen Körper auffällt, so wird ein Theil
reflectirt, ein Theil durchgelassen, ein Theil absorbirt. Der Werth des absor-
Abhaltung physicalischer Einflüsse der Atmosphäre. 193
birten Antheils hängt von der Beschaffenheit des Körpers ab; der Russ,
welcher bei gleicher Temperatur mehr Wärme aussendet als das Metall, absorbirt
auch einen grösserD procentischen Theil der auffallenden Strahlung als dieses.
Diejenigen Körper, weiche einen merklichen Theil auffallender Strahlung durch-
lassen, nennt man diatherman; man findet nun, dass eiu und derselbe Körper
für die aus verschiedenen Wärmequellen stammenden Strahlungen verschieden
diatherman ist, d. h. dass er verschieden aliquote Theile der verschiedenen auf-
fallenden Strahlungen durchlässt. Glas lässt Sonnenwärme gut durch, ist aber
für Ofenwärme wenig diatherman, daher man gläserne Ofenschirme anwendet.
Durch diese und ähnliche Thatsachen ist man darauf geführt worden, verschie-
dene Wärmefarben zu unterscheiden; die Sonnenwärme muss eine andere
Mischung von Wärmefarben enthalten als die Ofenwärme.33)
Man hat seit langer Zeit einen Zusammenhang zwischen Emission und
Absorption experimentell aufgefunden, der sich allgemein dahin aussprechen
lässt, dass ein Körper in dem Masse wie er stärker absorbirt als andere Körper,
auch stärker als dieser emittirt; ein Beispiel hierfür liefert das oben beschriebene
Verhalten von Russ und blankem Metall. Den zu Grunde liegenden allgemeinen
Satz hat mit voller Schärfe Kirchhoff bewiesen. Folgender Ausspruch enthält
einen Theil dieses Satzes: „Wenn ein Körper bei gegebener Temperatur gewisse
bestimmte Wärmefarben aussendet, andere nicht, so absorbirt er bei dieser Tem-
peratur, wenn Strahlungen verschiedener Farbe auf ihn fallen, von denjenigen,
welche er aussendet, von den andern nicht."
Nach dieser Abschweifung über die Wärmestrahlung sind noch andere Ur-
sachen der Abkühlung zu betrachten. Befeuchtet man die heisse Metallkugel, so kühlt
sie sich rascher ab; dieses Phänomen studirt man am besten, wenn man zwei
gleiche Thermometer nebeneinander aufstellt und die Kugel des einen mit einem
feuchten Lappen umgibt (August's Psychometer). Das feuchte Thermometer
wird dann eine niedrigere Temperatur zeigen als das trockne, und zwar wird die
Temperaturdifferenz eine um so grössere sein, je mehr Wasserdampf die umge-
bende Luft aufnehmen kann; sie kann um so mehr aufnehmen, ein je gerin-
geres Quantum sie davon enthält und je höher ihre Temperatur ist. Die Abküh-
lung, welche das feuchte Thermometer erfährt, rührt daher, dass Wasser von dem
feuchten Lappen verdampft; beim Verdampfen des Wassers wird Wärme ver-
braucht (latente Wärme), welche die Thermometerkugel und das Quecksilber her-
geben müssen. Die Verdunstung als Ursache der Abkühlung spielt in
unserm Körper gleichfalls eine bedeutende Rolle; es ist hierbei nicht zu übersehen,
dass ausser der Verdampfung des Schweisses die Perspiratio insensibilis wesent-
lich zur Mässigung der Körpertemperatur beiträgt.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass verschiedene Vorgänge Abkühlung
hervorbringen: Wärmeleitung, Wärmefortführung, Wärmestrahlung und
Verdunstung. Alle diese Vorgänge kommen bei der Abkühlung des menschlichen
Körpers in Betracht; um die Functionen der Kleider nicht nur im Allgemeinen,
sondern auch die verschiedenen Wirkungen verschiedener Stoffe und Bekleidungs-
arten zu verstehen, muss man untersuchen, wie jene Vorgänge von der Natur und
Art der Bekleidung abhängen und durch eine passende Wahl derselben in zweck-
mässiger Weise geregelt werden können.
Von diesen Gesichtspuncten aus wird die Wahl der Kleidungsstücke zu
Eulenberg, Gewerbe -Hygiene. 13
1 94 T>io atmosphärische Luft.
treffen sein, um den Körper vor Abkühlung zu bewahren, und sollen im Nach-
folgenden nur einige Corollarieu deu vorstehenden Hauptsätzen zugefügt werden.
Für die Verminderung unseres Wärmeverlustes durch Strahlung kommt
zuvörderst in Betracht, dass unsere Kleidungsstücke nicht diathermau sind;
wichtiger ist aber, dass diese zugleich schlechte Wärmeleiter sind.
Versuche über die wärmeleitende Kraft bestimmter Stoffe stellte zuerst
Rumford3*) an und fand, dass Leinwand und Baumwolle die Wärme am schnellsten, Pelz und
Eiderdunen die Wärme am langsamsten leiten: dazwischenlagen bezüglich dieser Eigen-
schaft die Schafwolle und rohe Seide. Gleichzeitig fand er, dass auch die Dichtigkeit und
innere Structur dieser Substanzen, d. h. die Lage ihrer Theile zu einander, hierbei von
Eiufluss ist, so dass die Luft, welche die Zwischenräume der Bekleidunosgegenstände
einnimmt, beim Zusammenhalten der Warme eine wichtige Rolle spielt. Die Thatsache,
dass es der Luftgehalt der Kleider ist, welcher den Wärmeabfluss von unserm Körper
mässigt, hat dann auch Metfoni nachgewiesen. Es kommt daher auch auf die Art des
Gewebes an, um Erwärmung zu erzielen; ein lockeres und poröses Gewebe bietet den
schlecht leitenden Luftschichten viele kleine Zwischenräume dar und erwärmt deshalb
unter Umständen mehr als ein dichter und glatter Stoff.
Krieger*5) ist später zu fast gleichen Resultaten gelaugt, In folgender Reihe
hat er die Procente angegeben, um welche die Stoffe die Wärmeleitung hemmen:
dünnes Seidenzeug 3%, Guttaperchatuch 4%, Shirting b%, Leinwand b%, dickeres
Seidenzeug 6 /„', dickere hausgemachte Leinwand 9 %, Waschleder 10 — 12%, Flanell 14?;,
Winterbuckskin IG — 26* Doppelstoff 25 — 31%. Ebenso macht er auf die Dichtigkeit
und Feinheit der Zeuge, sowie auf die Art der Bekleidung aufmerksam: zwei Lagen
von Flanell erwärmen mehr, weil die Zwischenräume, welche zwischen Haut und Be-
kleidung liegen, die Wärmebewegung sehr bedeutend hemmen. Im Winter ziehen wir
bekanntlich zwei Röcke übereinander an und erreichen 'dadurch eher Erwärmung als
durch einen verhältnissmässig dickern Stoff: bekannt ist auch die Sitte der Frauen,
durch viele Umhängsei dünnerer Stoffe dickere zu ersetzen. Zwei Hemden übereinander
angezogen, befördern die Erwärmung ganz bedeutend: mit Baumwolle wattirte Seide
kommt fast dem Pelz gleich. Beim Leder- und Pelzwerk kommt auch noch seine grössere
Undurchdringlichkeit für die äussere Luft hinzu. Wie bedeutend der von der Körper-
oberüäche aufsteigende Luftstrom ist, hat », Pettenkofpr durch den Anemometer nach-
gewiesen; die Windflügel bewegen sich bei warmer Luft langsamer, bei kalter Luft
schneller, wenn man dieses Instrument in der ruhigen Luft eines Zimmers ganz einfach
zwischen Rock und Weste hält.
Der Wärmeverlust durch Verdunstung gibt sich ganz besonders deut-
lich bei schwitzeuder Haut kund; im Sommer schwitzt die Haut, um die Wärme
durch Verdunstung herabzusetzen. Der Neger würde in der Hitze umkommen,
wenn ihm nicht durch den reichlichen Schweiss und die damit verbundene Ver-
dunstung Kühlung verschafft würde.
Bekannt ist der mit der reichlichen wässerigen Hautabsonderung verbundene
unangenehme Geruch der Neger; nimmt er instinetmässig häufig noch Oel- oder Fett-
einreibungen zu Hülfe, so wird auf der eingeölten Oberfläche der Haut die Wärme-
ausstrahlung befördert. Bei vielen Menschen kann man beobachten, wie Fetteinreibungen
jedesmal ein fröstelndes Gefühl erzeugen. — Im Sommer und Herbst wird die kühle
Abendluft bei der feuchten Haut mehr empfunden als die kalte, aber trockne Winter-
luft: schon ein geringer Grad von Kälte kann bei feuchter Luft sehr unangenehm ein-
wirken, so dass das Thermometer nicht immer allein den Massstab liefern kann, ob wir
uns wärmer oder kühler bekleiden sollen. Das Schlafen in feuchten Betten und das
Wohnen in feuchten Räumen ist grade wegen der grössern Abkühlung der Haut schäd-
lich und führt deshalb leicht Erkältungskrankheiten herbei: „Erkältungen" entstehen
am ehesten, wenn die insensible Verdunstung plötzliche Veränderungen erfährt.
Dass der Luftdruck, d. h. die Dichtigkeit der Luft Einfluss auf die Schnelligkeit
der Verdunstung hat, ist bereits durch Wumförd nachgewiesen worden; je geringer der
Luftdruck ist, desto rascher erfolgt die Verdunstung: auf hohen Bergen ist deshalb die
Wärmeabgabe eine grössere als in der Ebene. Andererseits ist zu betouen, dass auch
mit der Stärke der Luftströmung die Verdunstung zunimmt. Versuche von Uouiier und
von Falk erweisen grade, wie geeignete Kleidung den Wärmeverlust durch Verdunstung
bei windiger Witterung herabsetzen kann.3G) Die Kleidungsstücke dürfen den Ver-
dunstungsprocess auf der Haut nicht stören, wenn wir uns behaglich fühlen sollen.
Weiterhin ist der interessante experimentelle Nachweis geliefert worden, dass
grade die schlechten Wärmeleiter der Luft am leichtesten den Durchgang gestatten
Abhaltung physicäliseher Einflüsse der Atmosphäre. 1 95
und die Verdunstung befördern, weil mit der leichten Permeabilität der Zeuge für die
Luft auch eine grössere "Verdunstungsoberfläche und mit dieser eine günstige Bedingung
zur Dampfbildung geboten wird; sie verhüten die unter Umständen so höchst nach-
theilige Condensation des der Haut entströmenden Wasserdampfes und erzeugen des-
halb auch weniger als luftdichte Zeuge das Gefühl der Kälte. Unter den mit Gummi-
lösungen überzogenen Stoffen, den sogenannten Mackintosh - Röcken , sammeln sich be-
kanntlich stets die wässerigen Ausscheidungen der Haut als Wasserniederschlag an.
Die Dichtigkeit der Zeuge ist wegen ihrer geringem Permeabilität für die Luft
vorzugsweise bei windigem und kaltem Wetter am Platze. Da bei bewegter Luft die
Wärmeabgabe durch Verdunstung eine grössere ist, so suchen wir um so mehr den Ein-
druck derselben auf die Haut abzuhalten; hierzu eignet sich am besten die lederne
Bekleidung oder das Pelz werk. Tartaren, Türken, Perser tragen häufig lederne Jacken
und Hosen, wie wir sie bei Jägern, Forstleuten und Bergbewohnern antreffen ; Sämisch-
Leder ist für die Bekleidung am geeignetsten. Ihm nahe steht das Seidenzeug bezüglich
der geringen Durchgängigkeit der Luft; seidene Stoffe eignen sich daher vorzugsweise
für Oberkleider, jedenfalls besser als zum Tragen auf blosser Haut. Von Schweiss
durchnässt erzeugt Seide fast eben so leicht wie Leinwand Abkühlung der Haut.
Die Absorptionsfähigkeit der Stoffe für die wässerige Ausschei-
dung der Haut, für den Schweiss, ist bezüglich der Bekleidung von der
grössten Bedeutung.
Ueber die Fähigkeit der Bekleidungsstoffe, tropfbar flüssiges Wasser aufzunehmen
und abzugeben, hat zuerst QaiiMer Versuche angestellt, welche durch r. Pettenkofer37)ver-
vollständigt wurden: dieser fand in Bezug auf die beiden wichtigsten Kleidungsstoffe, die
Leinwand und Wolle, dass jene Eigenschaft bei Schafwolle viel mehr als bei Lein-
wand hervortritt. Von einer benetzten Fläche Leinwand verdunstet auch das Wasser
schneller als von einer gleichen Fläche Flanell, weshalb die nasse Leinwand auch
eine niedrigere Temperatur annimmt als ein nasses Stück Wolle.
Das Experiment bestätigt somit die alltägliche Erfahrung, dass durch Schweiss
durchnässte Leinwand auf der Körperoberfläche ein viel grösseres Kältegefühl erzeugt
als feuchter Flanell; eben so verhält es sich mit der hygroskopischen Seide, welche in
dieser Beziehung der Leinwand näher als dem Flanell steht. Feuchte Leinwand schliesst
sich auch der Körperoberfläche viel mehr an als Flanell, der selbst im feuchten
Zustande noch mehr oder weniger Zwischenräume darbietet und stets eine gewisse
Elasticität behält. Baumwolle hält die Mitte zwischen Leinwand und Flanell und eignet
sich für manche Constitutionen mit sehr reizbarer Haut besser als Flanell; Seide
hat immerhin als schlechterer Wärmeleiter den Vorzug vor der Leinwand und erzeugt
auch wegen der Natur der einzelnen Fasern mehr Reibung auf der blossen Haut. Es
ist endlich noch die wichtige Thatsache zu erwähnen, dass bei der Aufnahme von tropfbar
flüssigem Wasser, deutlicher aber bei der Absorption des Wasserdampfes, eine Tem-
peraturzunahme nachzuweisen ist, und dass somit auch die Kleidungsstücke durch ihre
hygroskopische Eigenschaft dazu beitragen, den Wärmeverlust durch die menschliche Haut
zu moderiren.38)
Was die Farbe der Kleidungsstücke betrifft, so hat dieselbe auf die Ab-
sorption der von dunklen Körpern ausstrahlenden Wärme keinen Einfluss.
Mel/oiü überzog einen Würfel auf verschiedenen Seiten mit schwarzem, rothern und
weissem Sammet, füllte den Würfel mit heissem Wasser und stellte ihu der Therrnosäule
gegenüber. Sämmtliche Sammetoberflächen bewirkten trotz ihrer verschiedenen Färbung
denselben Ausschlag der Multiplicatornadel, ein Beweis, dass die Ausstrahlung der Kleider,
welche unsern Körper bedecken, von ihrer Farbe unabhängig ist. Dagegen hat die
Farbe einen bedeutenden Einfluss auf die Absorption der leuchtenden Wärme,
z. B. der Sonnenstrahlen; zur Abhaltung der Sonnenstrahlen ist daher die Farbe mehr
als das Gewebe der Kleidungsstücke zu berücksichtigen. Die ersten Versuche hierüber
stellte Franklin an, indem er fand, dass Schnee am schnellsten unter schwarzem, am
langsamsten unter weissem Tuche schmolz. Diese Versuche nahmen später Humphry
T)avy (1799) und Start, in Edinburg auf.39)
Bezüglich der geringern oder grössern Fähigkeit der Farben für die Absorption
der leuchtenden Wärme nimmt man gewöhnlich an, class auf Weiss und Grau Gelb,
Roth, Blau und zuletzt Schwarz folgen.
Krieger fand, wenn er die Absorption der leuchtenden Wärme durch Shirting
== 100 setzte, folgende Scala: Weiss = 100, Blassgelb => 162, Dunkelgelb == 140,
Hellgrün = 155, Dunkelgrün — 168, Türkischroth = 165, Halbblau = 198 und
Schwarz = 208.
Hiernach absorbirt Schwarz die leuchtende Wärme um das Doppelte mehr als
13*
196 Die atmosphärische Luft.
Weiss, in der Mitte steht Grün, Thatsachen, welche bei der Auswahl der farbigen
Kleidungsstücke nach Jahreszeit, Klima und Wetter massgebend sein sollten.
Auch in diesem Puucte ist die Erfahrung der Theorie vorausgeeilt: bekannt ist
es, dass die Beduinen und Araber anter der Gluth der Sonne sich langer wollener,
aber weisser Mäntel bedienen, weil es im tropischen Klima hauptsächlich auf die Ab-
haltung der Sonnenstrahlen ankommt und ausserdem die Kühle der Nacht ein dichteres
Einhüllen in die Mäntel erfordert. Weite Mäntel und Hosen mit reicher Faltenbildung,
die eine regere Luftströmung befördern, finden sich ebenfalls bei deu Bewohnern
warmer Klimate. Der Norden erfordert dagegen mehr engauschliessende Stoffe, um die
Luftströmung zwischen Körperoberfläche und Kleidung zu verringern und damit eine
grössere Absperrung und geringern Wechsel der Luftschichten zu erzielen; Form und
Schnitt der Kleidung müssen sich daher nach Klima und Jahreszeit richten und zwar
in mancher Beziehung unabhängig von der Tyraunei der Mode.
Der Mensch hat den grossen Yortheil. dass er sich nach Bedürfniss und den Er-
fordernissen des Klimas und der Witterung kleiden kann, obgleich auch bei Thieren
die Körperhülle nicht unverändert bleibt. Der Wechsel von Haaren und Federn fällt
meistens in die gemässigte Jahreszeit, also in Zeiten, wo nicht so schroffe Temperatur-
wechsel auf den Körper einwirken.
Der Hauptzweck der Bekleidung soll in der Regulirung und Beförderung der für
das Wohlbefinden höchst wichtigen Hautfunction bestehen: wie überall so muss auch
bei der Bekleidung dem individuellen Bedürfnisse Rechnung getragen werden.
Das Wärmebedürfniss und namentlich die Hautthätigkeit bezüglich der wässerigen
Ausscheidungen sind sehr verschieden und eine beständig feuchte Haut erfordert eine
andere Bekleidung als die mehr trockne und weniger abgekühlte. Die Abhärtung der
Haut hat daher ihre bestimmten Grenzen und kann nicht überall erzwungen werden.
Bei der arbeitenden Classe der Bevölkerung, welche an einer ausreichenden Er-
nährung Mangel hat, ist die Wärmeproduction eine minder rege als bei wohlgenährten
Individuen; sie bedarf daher um so mehr der Wärmeretention durch wärmere Bekleidung.
Nicht unerwähnt kann der Umstand bleiben, dass häufig das feste Einschnüren
einzelner Theile Congestionen nach wichtigen Organen oder varicöse Ausdehnung der
Venen erzeugt. Es ist hierbei an die Wirkung des Corsets und an das feste Binden
der Unterröcke beim weiblichen Geschlechte zu erinnern, wodurch die bekannten Ab-
schnürungen der Leber u. s. w. hervorgerufen werden, während bei der männlichen
arbeitenden Bevölkerung der Bauchriemen als Ersatz der Hosenträger Störungen in den
Functionen von Leber und Magen bewirken kann. Es sind dies Krankheitsursachen,
welche nicht ausser Acht zu lassen sind, wenD vom Zweck der Bekleidung im Allge-
meinen die Rede ist.40)
Die Einrichtung des Bettes ist nach denselben Principien wie die Auswahl der
Kleidungsstücke zu behandeln. Bekanntlich ist während des Schlafes der Stoffwechsel
herabgesetzt und die Wärmeproduction eine geringere: wir bedürfen daher während der
Ruhe und des Schlafes einer grössern Aufspeicherung der Wärme als am Tage und
während körperlicher Bewegungen.
Massregeln zur Beschaffung einer reinen Luft.
1) Reinerhaltung der Luft in den Werkstätten.
Bei den Bestrebungen für die Reinerhaltung der Luft in den Werkstätten
handelt es sich um die Principien der Ventilation, die hier nicht unerwähnt
bleiben dürfen, da die reine Luft unter den nothwendigsten Lebensbedürfnissen
die erste Stelle einnimmt. Die betreffenden Einrichtungen werden mit besonderer
Berücksichtigung der industriellen Verhältnisse erörtert werden.
Bei der natürlichen oder spontanen Ventilation bedarf es keiner be-
sondern Einrichtung, um die frische Luft zuzuleiten, da man einfach das Oeffnen
der Fenster und Thüren für diesen Zweck benutzt. In der Industrie soll man hier-
von stets den umfassendsten Gebrauch machen, wenn die Art der Fabrication
nicht hemmend entgegentritt; auch die Ansammlung vieler Menschen fordert
hierzu dringend auf, damit nicht die Producte der Perspiration und Respiration
zur Verschlechterung der Luft beitragen. „Man's own breath is his greatest
enemy" sagt ein englisches Sprüchwort und drückt damit iu kurzen Worten die
hohe Bedeutung der Lufterneuerung aus.
Reinerhaltung der Luft in den Werkstätten. 197
Schon bei der ursprünglichen Anlage einer Fabrik muss stets auf die Mög-
lichkeit einer ergiebigen natürlichen Ventilation Rücksicht genommen und Alles
vermieden werden, wodurch die Stagnation der Luft begünstigt wird. Es kommt
daher auf die richtige Lage der Fabrik, auf die Construction der Fenster, der
Corridore, der Treppen, die Ausdehnung und Höhe der Arbeitsräume und nament-
lich auch auf eine sachgemässe Trennung der letzteren an. 41)
Nicht immer reicht aber die natürliche Ventilation aus; wo Dämpfe der
verschiedensten Art oder Staubmassen die Luft verderben, da muss man zur
künstlichen Ventilation schreiten und die geeigneten Massregeln ergreifen,
um die Luft so viel als möglich von allen fremdartigen und schädlichen Bestand-
teilen frei zu erhalten.
Der Fabrikstaub kann wie der Luftstaub aus allen Naturreichen herrühren.
Im Allgemeinen lassen sich nach seiner Wirkung unterscheiden: 1) der chemisch und
mechanisch indifferente Staub, wie er in der Müllerei, Bäckerei, in Stärkemehl-
fabriken, beim Sortiren der Lumpen, der Wolle, in der Flachs- und Baumwollspinnerei,
beim Kürschnergeschäft, in der Hutfabrication u. s. w. vorkommt.
Ein solcher Staub vermag zwar mehr oder weniger in die Respirationswege zu
dringen, sich auf den Schleimhäuten abzulagern und dadurch die Function der Lungen
zu beeinträchtigen, hat aber das Charakteristische, dass er nicht in das Lungengewebe
eindringt. Die durch Baumwollenstaub erzeugte Pneumonie — Pneumonie cotonneuse —
ist noch nicht klinisch festgestellt, obgleich sicherlich der aus feinen Fäserchen, Erde
und Sand bestehende Staub geeignet ist, Reizungen der Respirationswege zu erzeugen,
namentlich beim „Wolfen" der Baumwolle oder beim „Rauhen" des Barchent;
eben so verhält es sich beim Brechen und Hecheln des Flachses und Hanfes.
Indifferent ist der Knochen-, Hörn- und Holzstaub, wenn er fein vertheilt
ist und nicht in scharfen Ecken und Spitzen vorkommt. Der Staub beim Haar-
schneiden kann noch mit den Resten der verwendeten Quecksilberpräparate vermischt
sein und dadurch eine specifische Schädlichkeit entfalten, während er an sich nur
reizend einwirkt. Eine Ausnahme macht ferner der sonst chemisch indifferente Koh-
lenstaub (S.Kohlenstoff), dessen Einlagerung in die Lungen unzweifelhaft ist. Wie es
sich in dieser Beziehung mit dem Tabakstaub verhält, bedarf noch weiterer Unter-
suchungen; sicher ist, dass. in den Tabakfabriken beim Sortiren der Tabakblätter, beim
Mahlen, Sieben des Schnupftabaks und Verpacken des Rauchtabaks ein die Respira-
tionswege reizender Staub entsteht, dessen Einwirkung sich, zwar durch die Macht der
Gewöhnung weniger geltend macht, bei Lungenkranken aber vermieden werden muss,
widrigenfalls der weitern Entwicklung der Tuberculose bestimmt Vorschub geleistet
wird. Arbeiter, welche verdächtige Lungen haben, sollten nie in Tabakfabriken zuge-
lassen werden, während solche mit gesunden Brustorganen zwar oft an Katarrhen leiden,
aber ein verhältnissmässig hohes Alter bei dieser Arbeit erreichen können.
2) Der in mechanischer Beziehung einwirkende, mit scharfkantigen
oder krystallinischen Theilen vermischte Staub, der sich in die Lungen
einlagert.
Der „Schleifstaub ", wie er sich beim Schleifen von Messern, Gabeln, Nadeln,
Achat, Diamant u. s. w., beim Schleifen und Drechseln von Perlmutter, Poliren von
Eisenblechen u. s. w. entwickelt, verdient die grösste Beachtung, da die beständige In-
halation desselben erfahrungsgemäss häufig Krankheiten erzeugt.
Hierher gehören ferner die verschiedenen Steinhauerarbeiten; am gefähr-
lichsten sind überhaupt der Quarzstaub, Sandsteinstaub, der Thonstaub, Speck-
steinstaub und jeder Staub, welcher Kieselerde oder Kieselsäure enthält (s. Keramik).
Der Eisenstaub entsteht bei der bergmännischen Gewinnung der Eisenerze, bei Eisen-
arbeiten, beim Schmieden, Feilenhauen, Poliren der Eisenbleche u. s. w. (_s. Eisen).
Die Einlagerung von Steinstaub (Chalicosis pulmonum), von Thonerde-
staub (Aluminosis pulmonum) und Eisenstaub (Siderosis pulmonum) in die
Lungen ist bis jetzt durch Meinet, Zenker, Merkel, Kussmaul und Andere anatomisch fest-
gestellt worden.
3) Der in chemischer Beziehung einwirkende Staub. Hierher gehört
der chemisch differente Metallstaub, der sich in Bleiweissfabriken , auf Zinkhütten,
Gifthütten, bei der Darstellung von Schweinfurter Grün, in Chromsäurefabriken, in
Messinggiessereien, Broncefabriken u. s. w. entwickelt (s. Metalle).
Natürlich kommen auch die verschiedensten Gemische von Staubarten vor, so dass
eine scharfe Trennung derselben in der Industrie nicht möglich ist; so kann, wie
198 Die atmosphärische Lui't.
namentlich bei [der Nadel Schleiferei und andern Metallsehleifercien, gleichzeitig Metall-
und Sandstein staub auftreten. Das Spezielle wird noch bei den einzelnen Körpern er-
örtert werden.
Bei der künstlichen Ventilation sucht man vorzugsweise eine Bewegung
der Luft hervorzurufen; hierzu kann man sich in einzelnen Fällen mittels besonderer
Einrichtungen der Temperaturdifferenzen zwischen der äussern Luft und Stuben-
luft bedienen, wie es z. B. beim Böhmischen Ventilationsverfahren der Fall ist.
Dasselbe eignet sich jedoch mehr für Krankenhäuser und Schulen und wird an einer
andern Stelle zur Sprache kommen. In Fabriken und Bergwerken kann es nur
auf zwei Verfahren ankommen: 1) auf die Entfernung der schlechten Luft
durch Exhaustion (Aspirationsmethode, Ventilation par aspiration
ou par appel); die frische, durch Thüren und Fenster eindringende Luft soll
dann die verdrängte ersetzen; 2) auf die mechanische Eintreibung der
frischen Luft (Pulsionssystem).
1) Die Aspirationsmethode. Die Entfernung der schlechten Luft wird
a) durch künstlich erzeugte Temperaturdifferenzen oder b) durch
mechanisches Absaugen mittels Saugapparate bewirkt.
ad a) Die bezügliche Verwendung von Temperaturdifferenzen existirt schon
so lauge als mau durch Oefen oder Kaminfeuerung geschlossene Räume
erwärmt; der Schornstein bildet hier den fixhaus tor, dessen ventilirende Kraft
durch die heissen Ofengase bedingt wird.
Die Zjmmerluft wird unterhalb des Rostes angesaugt, passirt die glühende Koh-
lenschicht und gelangt, mit Kohlensäure geschwängert, sowie durch die Wärme auf das
in 20fache Volumen ausgedehnt, als eine sehr leichte Atmosphäre in den Schornstein,
wo sie dann vermöge ihres speeifischen Gewichts mit einer gewissen Geschwindigkeit
sich in die obere Luftschicht erhebt.
Um eine solche Saugkraft zu Ventilationszwecken zu benutzen, bedarf es jedoch
besonderer Vorrichtungen; allgemeine Regel ist es, durch ein besonderes eisernes Rohr
im Innern des Schornsteins die Eieizungsgase abzuführen und den Raum zwischen diesem
Rohr und dem Schornstein mit dem zu ventilirenden Raum in Verbindung zu bringen.
Je, bedeutender nun die Temperaturdifferenz zwischen Exliaustor und äusserer Lu(t ist,
desto lebhafter ist die ventilirende Luftströmung.
Als Regel gilt es, diese Differenz wenigstens auf 25° C. zu steigern, wobei man
.ine Lullbewegung von 2 o Meter in der Secunde zu erzielen vermag. Eine solche
Einrichtung reicht aber in grösseren industriellen Etablissements nicht aus; sie könnte
höchstens da zur Anwendung kommen, wo es sich um die Entfernung der Pcrspirations-,
Respirations- und Beleuchtungsproducte handelt. Sollen z. B. bedeutende Mengen von
Wasserdämpfen, wie in Färbereien, Waschanstalten, beim Beuchen u. s. w. entfernt
werden, so ist eine besondere Saugkammer erforderlich, welche eine kräftige und
constante Aspiration bewirkt, auch ganz getrennt von der Feuerung liegt, um ihrem be-
sondern Zwecke zu dienen; da die Dampf kesselfeuerung hierzu mit benutzt werden
kann, so ist der Heizer in der Lage, auch die Wirkung der Saugkammer zu controliren.
Die Erfahrung hat bewiesen, dass namentlich beim Auftreten von sehr reichlichen
Wasserdämpfen das Pulsionsverfahren bei Weitem nicht so kräftig einwirkt wie die
Exhaustion, wenn sie mittels einer Saugkammer bewirkt wird.
Eine Einrichtung dieser Art ist in Fig. !Ü abgebildet. C ist der Hauptkamin,
welcher den Zug für die Feuerung etablirt; er hat bei einer Höhe von 60 Fuss 28 Zoll
im Geviert und verjüngt sieh bis zu seiner obersten Krone auf 18 Zoll im Geviert.
Der Canal 6, welcher in diesen Kamin einmündet, steht mit den circulirenden Zügen acta
in Verbindung. Durch die Oeffnung e treten die Verbrennungsgase ein, circuliren durch
die Züge a nach der angegebenen Pfeilrichtung und treten durch den Canal b in den
Kamin ' '. Die erwähnten Züge (<«) sind mit eisernen Platten belegt////: damit diese
sich nicht bei <h\r hohen Temperatur weifen, greifen sie \'2 Zoll dachziegelförmig über-
inander und werden durch die Zungen oo getragen. Selbstverständlich sind die Züge
an den betreffenden Enden mit Feglochern versehen, die mit eisernen Thüren versehlos-
en werden.
I eber den eisernen Platten [gy) erhebt sich ein gemauerter vierseitiger Kasten,
welcher mit einem Tonnengewölbe (hh) in der Weise geschlossen ist, dass er in der Mitte
mit einem Ibzugscanal [OU), der ungefähr 1 * ■ Zoll im Geviert hat, versehen ist;
Ventilation in den Werkstätten.
199
Fig. 18.
man kann ihn füglich in den Hauptkamin 0 kurz über dem Dachfirst des Gebäudes,
z. B. durch ein Blechrohr u. s. w., einführen.
Die Oeffnung (-W) dient znm Einströmen der Luft aus den zu yentilirenden
Räumen; da die Luft über den Platten gg bis auf 120—130° C. erwärmt werden kann,
so muss ein kräftiger Effect erzielt werden. Eine solche Einrichtung ist die einfachste,
billigste und eine "continuirlich wirksame: die Billigkeit besteht darin, dass, wie schon
erwähnt worden, die Dampfkesselfeuerung u. s. w. dazu benutzt werden kann.
ad b) Die Exhaustion mittels mechanischer Saugapparate sollte
in der Industrie weit mehr zur Anwendung kommen als bisher geschehen ist.
Ausser in der Müllerei hat man sie auch schon in der Woll- and Baumwoll-
industrie sowie in der Schleiferei benutzt und wird bei den betreffenden In-
dustriezweigen noch die Rede davon sein.
In Betreff der Ausführung dieser Ventilationssmethode sei^ im Allgemeinen
nur bemerkt, dass es sich hierbei stets um die Deplacirung des Staub es aus den
200
Die atmosphärische Luft.
Arbeitslocalen in einen besondern abgeschlossenen und mit einem Ventilator in Verbin-
dung stehenden Räume handelt. Zum Auffangen und Ableiten des Staubes dienen ent-
weder hölzerne Schlote oder Schläuche von grober Leinwand, welche in der Nähe der
Fabricationsstätte und Staubentwicklung anzubringen und bis zum Isolirungsraume fortzu-
leiten sind, wp das mit dem absorbirenden Ventilator communicirende Rohr ausmündet.
Bei allen Staubarten wird man am zweckmässigsten die Ventilatoren als Saug-
apparate benutzen, wie sie von van Hecke, Haag, Heger, Schiele und Anderen construirt
worden sind. Man unterscheidet Flügel-, Schrauben- und Centrifugalventilatoren.
Bei schädlichen Dämpfen in Laboratorien und chemischen Fabriken eignet sich fol-
gende Vorrichtung (Fig. 10) ganz vorzüglich. An einem gleichschenkligen Balancier (yg)
Fig. l'J.
sind zwei oben geschlossene Metallcylinder (rfd) angehängt, die mit nach aussen sich öff-
nenden Klappenventilen versehen sind. Die Achse (l>) des Balanciers bildet einen
doppelt durchbohrten Hahn, welcher durch Auf- und Abbewegung einmal den rechten
und ein andermal den linken Cylinder mit dem Rohr a in Verbindung setzt. Die Durch-
bohrung ist so eingerichtet, dass der aufwärts sich bewegende Cylinder mit dem gemein-
schaftlichen Rohr </ in Verbindung steht, wohingegen der sich abwärts bewegende Cy-
linder nicht mit a communicirt, sondern die Klappe </ öffnet.
Das Spiel des Mechanismus besteht einfach darin, dass der abwärts gehende Cy-
linder die eingesaugte Luft bei d alibläst und der aufwärts gehende Cylinder sich mit
Luft füllt, welche durch das Rohr a zugeführt wird.
Der ganze Apparat spielt in einer mit Wasser gefüllten Cisterne; selbstverständlich
dürfen die Röhren // nicht unter Wasser münden, sondern müssen stets das Niveau
des Wassers überragen. Durch diese Vorrichtung kann man ziemlich genau bestimmen,
wie viel Luft abgesaugt wird, da die Capacität der beiden Cylinder bekannt ist, obgleich ein
Theil der in letzere gelangten Dämpfe und Gase unter Umständen auch vom Wasser der
Cisterne absorbirt worden wird, worauf beim Ablassen dieses Wassers jedenfalls zu achten ist.
Man hat diese Methode viel zu wenig benutzt; sie ist von einer höchst gleich-
massigen Wirkung und überall zu gebrauchen, wo sich schädl iche Dämpfe entwicklen,
z. B. in Phosphorzündhölzchenfabriken, Anilin- und Anilinfarbenfabriken, Pikrinsäure-
fabriken, in Räumen, in welchen Quecksilberdämpfe, Schwefelwasserstoff, saure Dämpfe,
leicht entzündliehe Gase u. s. w. auftreten. Da sich in allen grossen Etablissements
leicht Gelegenheit findet, den Balancier mit der Dampfmaschine in Verbindung zu
Illingen, so kann auch hier der Kostenpunct nicht mitsprechen.
In den bisher besprochenen Fällen ist es nicht erforderlich, für die Zulei-
tung der frischen Luft besondere Sorge zu tragen, da diese in demselben
Verhältniss nachstürzt, in welchem die staubige oder dunstige Luft weggesaugt
Ventilation in den Werkstätten. 201
wird. Nun kommt es aber auch vor, dass der Zutritt einer frischen und
kühlem Luft erwünscht ist und zwar in Localen, in welchen in Folge der Be-
leuchtung hohe Temperaturgrade die Arbeiter sehr belästigen. Dies kann z. B.
in grossen Setzersälen von Druckereien der Fall sein, in denen die Hitze in
Folge der vielen Gasflammen unerträglich wird. Alsdann ist auch die Stelle vor-
gezeichnet, an welcher der Abzug der warmen Luft zu bewirken ist; dies kann
nämlich nur an der Decke, wo sich die grösste Hitze ansammelt, geschehen.
So wurde z. B. in dem grossen Setzersaal der Kölnischen Zeitung durch den
Mechaniker Stahl zu Deutz ein Exhaustor nach Schiele an der Decke dieses Raumes in
Thätigkeit gesetzt. Der Saal hatte mit Abzug der Setzerkästen, Tische u. s. w. einen
Kubikinhalt von 18,000 Fuss und eine Höhe von 12 V2 Fuss; brannten im Winter
50 — 100 Gasflammen, so steigerte sich die Hitze selbst in den untern Schichten oft bis
über 25° R. An der Decke des Saales wurden 3000 dünne Zinkröhren angebracht,
welche in zwei stärkere Abtheilungsröhren mündeten, die wiederum in ein Hauptrohr
ausliefen, das mit dem durch Dampfkraft getriebenen Exhaustor in Verbindung stand.
Beginnt die Absaugung, so strömt die an der Decke angesammelte heisseste Luft in die
Röhren und durch das Hauptrohr zum Exhaustor.
Zur gleichzeitigen Zuführung von frischer Luft und Erhaltung einer vollständigen
Ventilation laufen noch über den Boden zwei Hauptröhren, welche durch die Mauern
nach aussen bis ins Freie münden. In diesen Röhren sind ebenfalls 3000 Oeffnungen
angebracht und in dem Masse, wie oben verdorbene und heisse Luft abströmt, strömt
hier unten kühle und reine Luft zu und zwar ohne alle Zugluft oder sonstige Unzu-
träglichkeiten.
Die Wärme sank bis auf 17—18° R. in den späten Abendstunden und die mitt-
lere Temperatur betrug 15—16° R., während der Kohlensäure-Gehalt von 0,25 % bis
auf 0,041 Gewichtsprocent abnahm. Die Führung des Exhaustors bedarf nur 1 bis
\% Pferdekraft.
Wo es sich um feuergefährliche, specifisch leichte Gase und Dämpfe handelt,
wird man ebenfalls eine Stelle in der Nähe der Decke zum Absaugen derselben wählen
müssen, während die specifisch schweren Dämpfe und Gase, z. B. Kohlensäure, Schwe-
felwasserstoff u. s. w., selbstverständlich mehr am Boden abgesaugt werden müssen.
In Bergwerken sind vielfach die Ventilatoren von Schiele, Dinnen-
dahl, Lemielle und Guibal in Gebrauch. Meistens werden sie in Schächten
verwendet, welche an der Hängebank dicht abgeschlossen werden können, um
die directe Abführung der vom Ventilator angesaugten Luft zu ermöglichen; für
eine wirksame Ventilation sind in Bergwerken stets besondere Wetterschächte
erforderlich. Neuerdings hat der Belgische Ingenieur Briart den Förderschacht
mit einer Wetterklappe (clapet d'aerage) versehen, um auch diesen zum
Wetterschacht benutzen zu können; es wird dadurch ein Abschluss des Förder-
schachts erzielt, damit der Ventilator die Grubenwetter unterhalb der armirten
Schachtabtheilungen durch einen Seitencanal anzieht.
2) Die Pulsionsmethode (Ventilation par pulsion), d. h. das Verfahren, die
frische Luft in die zu ventilirenden Räume mechanisch einzutreiben, ist zuerst
für Bergwerke benutzt worden. Man bedient sich auch hierzu der Ventilatoren,
wendet aber dies Verfahren gegenwärtig im Allgemeinen immer seltener als die
Aspirationsmethode an. Nicht zu umgehen ist das Eintreiben der Luft bei
Arbeiten unter Wasser und bei gewissen unterirdischen Bauten (s. comprirnirte
Luft).
2) Reinerhaltung der Luft ausserhalb der Werkstätten.
Ausser den bei der Fabrication entstehenden Abfällen kommen hier auch
noch die menschlichen Dejectionen sowie die Küchen- und Hauswässer in Be-
tracht, wenn in grossen industriellen Districten die Arbeiterwohnungen sich eng
an die Fabrikiocale anschliessen. Es soll deshalb hier die Wegschaffung der
202
Die atmosphärische Luft.
Abfallstoffe im Allgemeinen näher erörtert werden, wobei andere die öffentliche
Gesundheitspflege betreffenden Fragen insofern nicht ausgeschlossen werden können,
als es sich hierbei um Arbeiterfamilien handelt.
Es ist daher die Wegschaffung 1) der excremeutitiellen Stoffe, 2) der
Küchen- und Hauswässer und 3) der industriellen Abfallstoffe zu unter-
scheiden.
1) Wegschatfung der menschlichen Dejectionen. Die grosse Tagesfrage, ob
Abfuhr oder Canalisation vorzuziehen ist, lässt sich niemals in abstracter Weise
beantworten, sondern richtet sich nach den localen Verhältnissen. Da die
Abfuhr nothwendig bleiben wird, so kann auch die Aufbewahrung der
menschlichen Dejectionen in der Nähe von Wohnstätten uicht vermieden werden.
Es kommt nur darauf an, letztere in zweckmässiger Weise zu bewirken.
Manches kann hier nicht verschwiegen bleiben, welches eigentlich nur noch ein
historisches Interesse haben sollte, aber leider noch in Wirklichkeit besteht. So
existiren noch in manchen Städten Süddcutschlands und der Schweiz die sogenannten
Ehegräben, d. h. Zwischenräume von zwei aneinander grenzenden Häusern, in welche
die Abtritte münden; die festen Excremente sammeln sich auf einer Unterlage von
Stroh, Asche, Kehricht u. s. w., während der flüssige Anthcil auf die Strasse in die
Rinnen abfliesst, um hier alle Nachtheile eines widerlichen Fäulnissprocesscs zu schaffen.
Senk-, Schling- oder Seh wind gruben, d. h. ausgebaute Gruben, deren
Boden aber frei ist und alle Flüssigkeiten „verschlingt", sind schon in ihrer schädlichen
Einwirkung auf den Untergrund geschildert worden; werden sie gar nicht entleert, so
verwandeln sich die festen Massen allmählig in eine torfähnliche Masse.
Wie sehr auf diese Weise der Boden für lange Zeiten verunreinigt werden kann,
bat man in Bamburg beobachtet, als nach dem grossen Brande die Fundamente zur
Nicolai Kirche gelegt winden. Bei einer Ausgrabung von 40 Fuss Tiefe fand man in
der untersten Schicht in einer schwarzen, grösstenteils aus organischen Substanzen ge-
bildeten Masse zahllose Struvitkry stalle (Ammonium-
Magnesiumphosphat), welche sich zweifelsohne aus den in diese
Tiefe gedrungenen menschlichen Dejectionen gebildet hatten.
Ausgemauerte Gruben verhüten nur bei zweck-
mässiger Construction die Imprägnirung des Bodens mit
putriden Massen. Die Grube muss ausserhalb der Ge-
bäude liegen und einen mit Mauerwerk umschlossenen
hohlen Kaum darstellen. Die Materialien dazu müssen aus
Basalt, Schiefer oder Bruchstein bestehen; der Verputz
mit Cement oder hydraulischem Kalk reicht für urinöse
Flüssigkeiten nicht aus, da der in Zersetzung begriffene Harn
als Ammoniakquelle bei Gegenwart alkalischer Erden zur
Bildung von salpetriger und Salpetersäure Veranlassung
gibt. Biese Säuren bilden mit den alkalischen Erden
leicht lösliche Salze, greifen den Mörtel an, führen das
Bindemittel in gelöster Form weg und veranlassen auf
diese Weise das Durchsickern der putriden Flüssigkeit.
Der Mörtel muss daher stets mit Theer versetzt werden,
um diesen Uebelstand zu verhüten. Will man Ziegeln
benutzen, so sind dieselben vorher mit einer erwärmten
theer- oder carbolsäurchaltigen Flüssigkeit zu tränken;
Ozokerit, ein an Paraffin reiches fossiles Erdwachs, ist
ebenfalls ein vorzügliches Mittel zum Tränken der Ziegeln.
Das blosse Ausstreichen solcher Gruben mit Theer reicht
niemals aus.
Die Gruben werden auf die sicherste Weise nach
der D'Arcet'schen. Methode ventilirt. Jede Grube muss
alsdann auf einen halben Cirkel gewölbt sein und alle
K'nllirohren steigen senkrecht bis zum niedrigsten
Puncte des Gewölbes herab, während auf dem S ch eitel -
puncto desselben ein gemaserter Schlot steht, dessen
Durchmesser gleich der Summe aller Durchmesser der
untern Oeffnuugen der Kothröhrcn sein muss. Zur Er-
wärmung des Schlotes kann man eine Feuerung benutzen,
welche beständig im Gebrauch ist {.Fig. 20).
Wegschaffung der menschlichen Dejectionen.
203
Fig. 21.
Trennung der flüssigen und festen Theile in Gruben mittels
Scheidewände (Diviseurs) wird auf gänzlich unzureichende Weise durch gemauerte
Abtrittsgruben mit Ueberläufen hergestellt. Eine Scheidewand geht ent-
weder bis nahe zur Decke oder ist 1 Fuss abwärts von der Decke durchlöchert;
ist die erste Abtheilung mit Excrementen angefüllt, so fliesst der flüssige Theil über,
um, wie es hier in Berlin derFall ist, durch einen Canal seinen Abfluss in die Spree
oder die Stadtcanäle zu nehmen. Eine zeitweilige Entleerung der Grube soll geschehen ;
wo aber Wasserciosets vorhanden sind, können Jahre vergehen, ehe es dazu kommt. Bis-
weilen stellen solche Gruben aus Cement dargestellte und hermetisch verschlossene
gekoppelte Behälter dar.
Eine wirkliche Trennung des flüssigen und festen Gehalts ist nur möglich, wenn
man in vorschriftsmässig construirten Gruben Separatoren mit cylindrischen Löchern
aufbaut, durch welche die Flüssigkeiten in eine tiefer gelegene Grube abfliessen. Sehr
gut lässt sich die Kothgrube nach dem D' Ar-fit Aschen System ventiliren, während man
den Urin mit dcsinficirenden Substanzen behandelt: für die Landwirthschaft geht
nichts verloren, wenn man den flüssigen und festen Antheil wieder zusammenmischt.
Ganz vorzüglich ist folgende Einrichtung (Fig. 2 t). Die Grube ist in zwei
Hälften getheilt; ungefähr am untern Drittheil der
eigentlichen Kothgrube (o) findet sich ein poröses
Steingewölbe (/'), welches aus leichten porösen Zie-
geln erbaut ist. Diese werden durch Vermischen
des Lehms mit % grobem Sägemehl und Brennen
dieser Masse hergestellt. Während des Brandes
verbrennen die organischen Theile und bewirken
dadurch eine grosse Porosität der Ziegeln, so dass
sie den flüssigen Theilen der Excremente einen
Durchgang gestatten. Die massive Scheidewand der
Grube («) reicht nicht ganz bis auf den Boden, son-
dern ruht an ihrem untern Ende auf einem gemauer-
ten Gittergewölbe (6), unter welchem sich die aus
/ eingedrungenen Flüssigkeiten befinden. lieber
dem Gittergewölbe wird der Zwischenraum mit des-
inficirenden Mitteln, am besten mit gebranntem
Dolomit, derart ausgefüllt, dass auf einer Lage
von grobem Kiese der Dolomit in der Grösse eines
Hühnereies aufgeschüttet wird. Der flüssige Theil
der Grube steigt allmählig in dem Zwischenraum
(c) in die Höhe, bis er bei d abfliesst; will man
diesen Inhalt behufs seiner Entleerung austrocknen
lassen, so öffnet man den Abfluss bei e. Auf diese
Weise wird das desinficirende Mittel in ein gutes Dungmittel verwandelt, indem es
die für die Landwirthschaft wichtigen Stoffe (Phosphorsäure, Ammoniak, Alkalien)
zurückbehält. — Die festen Kothmassen lassen sich mit Schaufeln ausleeren.
Die Entleerung der Gruben mit festem und flüssigem. Inhalte
geschieht auf die roheste Weise durch Ausschöpfen in Wagenfässer, eine Methode,
die noch in vielen Städten zur Ausführung gelangt und ganze Strassen verpestet,
wenngleich die Procedur gewöhnlich des Nachts vorgenommen wird. Die Ent-
wicklung von Schwefelwasserstoff resp. Schwefelammonium ist hierbei oft ganz
bedeutend und gibt sich durch Schwarzwerden des weissen Bleiweissanstriches zu
erkennen. Dass dies Verfahren auf zarte Constitutionen, namentlich auf Kinder,
einen schädlichen Einfluss auszuüben vermag, ist höchst wahrscheinlich (conf.
Abtrittsgase); zweckmässiger ist das mehr geruchlose Verfahren der Entleerung
mittels Saugdruckpumpe n.42)
Am bekanntesten ist die Schiettinger'sche Maschine oder Newyorker Pumpe;
die stinkenden Gase werden hierbei durch ein Kautschukrohr, welches an das Fass an-
geschraubt ist, unter die Feuerung eines transportablen Ofens geleitet.
Das hydropneumatische System des Capitains Liernur ist in neuerer
Zeit vielfach besprochen und sehr verschiedenartig beurtheilt worden; es unterscheidet
sich vom gewöhnlichen Grubensystem besonders dadurch, dass die Excremente nur
kürzere Zeit aufgespeichert werden.43)
In Holland ist das System in verschiedenen Städten bei einem grösseren Häuser-
complex bereits benutzt worden. Eiserne unter der Erde liegende Röhren dienen zur
204
Die atmosphärische Luft.
/•V- 22.
Aufnahme der fäcalen Stoffe der Abtrittssitze, welche aus einer Anzahl von Nachbar-
häusern in einem gemeinsamen gusseisernen, in der Mitte der Strasse liegenden Kessel
angesammelt werden; jedes Rohr und jeder Kessel ist durch einen im Strassenpfiaster
liegenden Drehhahn verschliessbar.
Ueber dem Kessel wird eine fahrbare Dampfmaschine aufgestellt, am denselben
luftleer zu pumpen; alsdann wird ein Hahn nach dem andern geöffnet, damit der Luft-
druck den Rohrinhalt in den Kessel hineindrückt. Den Inhalt des Kessels pumpt die
Dampfmaschine in ein Gefüss, welches weggeführt wird. Eine solche Entleerung findet
täglich statt und lieg! der grösste Vortheil do Verfahrens grade in dem Umstände,
dass die Excremente möglichst schnell aus dem Bereiche der Wohnungen geschafft werden.
Die Hauswässer müssen besonders abgeleitet werden. Eine Wasserbespülung des
Abortes ist nicht erlaubt, weil die abzuführende Masse dadurch zu sehr vergrössert und
verdünnt wird. Ein Geruch in den Aborträumen macht sieh leicht bemerkbar, wenn
kleine Kothpartikelchen an den Kothröhren hängen bleiben; auf der Wiener Weltaus-
stellung roch es sogar sehr unangenehm in den dort errichteten Aborten. Die Ent-
leerung selbst ist vollständig geruchlos und die beste und wichtigste Seite dieses
Verfahrens.
Das Aufsteigen der Gase aus der Rohrleitung
in die Trichter und Aborträume soll ein Siphon unter
dem Trichter verhüten. Ein Rest der alten Excre-
mente bleibt aber, wenn man sich die Gestalt eines
Siphon vergegenwärtigt (Fig. 22), leicht zurück, und
wird erst durch die frischen Excremente verdrängt.
Jede Aspiration senkt den Spiegel auf die
Linie <« oder etwas tiefer, wobei Luft unter die Zunge
o tritt, bis der Zutritt frischer Excremente den Spiegel
wieder auf die Linie b erhebt, auf welcher er beharrt
und einen vollständigen Verschluss bis zur nächsten
Entleerung bewirkt. Diese Oberfläche der Excremente
nebst der unvermeidlichen Beschmutzung des Trichters
muss Inconvenienzen herbeiführen, wenn man den Trich-
ter nicht noch mit einem Aspirationsschlot in Verbin-
dung bringt oder geeignete Dcsinfcctionsmittel benutzt.
Technische Bedenken werden auch bezüglich der Wirk-
samkeit der Ballklappc laut, die aus einem hohlen
Gummiballe besteht und bei der Entleerung den Ab-
schluss des Seitenrohrs, in welche die Fallröhre mündet,
bezweckt, um das Zurücktreten der Gase zu verhüten.
Auch bedient man sich hierzu der sog. Trägheits-
klappen. Soviel ist sicher, dass dies System kaum für
grössere Städte brauchbar wird; nur für kleinere Ar-
beiterviertel könnte es seine Aufgabe erfüllen.
Das Fässer- oder Tonnensystem. Die Fäces gelangen in bewegliche Fässer
(Kothtonne, fosses mobiles), welche in der Regel zweimal in der Woche weg-
transportirt und durch leere ersetzt werden. Der wesentliche Unterschied zwi-
schen dem Grubensystem beruht also darin, dass die Excremente eine viel kürzere
Zeit im Bereiche der menschlichen Wohnungen verweilen und keine Gelegenheit
zur Verunreinigung des Bodens geboten wird.
Die Ausführung ist schwierig, weil sich die ganze bauliche Einrichtung darnach
richten muss und alte Häuser höchst schwierig hierfür umzuändern sind; auch sind
die Kosten wegen der nothwendigen Apparate bedeutender. Die Abfuhr-Utensilien
sind aus Eisenblech zu eonstruiren und inwendig mit Asphalt anzustreichen, der Deckel
ist in einen rin nc nförmigen Falz, welcher mit Sand gedichtet wird, einzulassen.
Die Aufstellung der Tonne geschieht so, dass das untere Ende des Fallrohrs,
welches aus zwei teleskopähnlich eingeschachtelten Röhren besteht, beim Unterschieben
der Tonne auf die kürzeste Dimension gebracht wird; dann wird das äussere Rohr
in die Tonne niedergedrückt. Bisweilen bringt man im untern Verlaufe des Fallrohrs
ein Siphon an.
Zum bequemern Transport stehen die Tonnen auf einem kleinen Wagen (Fig. 23);
unsauber und ganz unzulässig ist die Einrichtung, wenn bloss ein grosser Trichter auf
der Tonne zur Aufnahme der Excremente aufgestellt ist. Will man die Separaration
vornehmen, so bringt man eine durchlöcherte Scheidewand in der Tonne und eine seit-
liche Abtlus6rohre an.
Das Fässer- oder Tonnensystem.
205
Fig. 23. Die zum Transport nothwendigen Wagen haben
einen Schrägen, woran die Tonnen hängen, um beim
Fahren eine horizontale Stellung zu behalten. Am
Bestimmungsort werden sie durch Drehen um ihre
Achse umgestürzt und entleert.
Auch beim Fässersystem kann in Folge un-
zweckmässiger Einrichtung viel Geruch entstehen.
Eine besondere Sorgfalt ist auf die Construction der
Fässerkammer zu legen, welche hermetisch zu
verschliessen und mit einem Schlot in Verbindung
zu setzen ist, damit sich hier kein unangenehmer
Geruch ansammelt.
Der Umfang der Fässer richtet sich nach der
Zahl der Personen, welche den Abort benutzen.
■Bürkli berechnet für einen Hausbewohner binnen
4 Tage 8,76 Pfd. (täglich */,„ Kilo) fester und flüs-
siger Excremente, für 20 Personen müssen somit
für diesen Zeitraum die Fässer 200 Pfd. aufneh-
men. Wo man, wie iu Fabriken, über Arbeits-
kräfte gebieten kann, hat das Fässersystem viele
Vortheile«)
Das Fässersystem ist vielfach modificirt worden.
Beim Miiäpr-Sch>"tr''sche-n. System, welches eine Thei-
lung des Urins und der Faeces unmittelbar bei der
Entleerung bewirkt, wurde ursprünglich ein auf
Rollen laufender Bretterkasten unter das Sitzbrett
des Abortes geschoben (Schwedisches Closet). Das
Desinfectionspulver besteht aus Kalk und Holzasche;
der abgeleitete Urin wird durch eine Schicht Torfkleie filtrirt.45)
Moule hat das Fässersystem nebst Austrocknung der Excremente mittels einfacher
Gartenerde empfohlen, vielleicht eingedenk der Vorschrift, welche bereits Moses 5. Buch
23. Cap. 14. v. gegeben hat. Das Erdcloset bietet grosse Vortheile dar, wenn man
über passende Erde (sandigen Mergel) gebieten kann, und hat sich unter ländlichen
Verhältnissen für Arbeiterwohnungen ganz vortrefflich bewährt.46)
Nach dem Mosse Im anrC sehen Verfahren werden die Faeces vom Urin getrennt und
separat mit zerfallenem gebrannten Kalk behandelt: der Dungwerth wird hierbei durch
den grossen Kalkgehalt vermindert.
Das Eimer- System findet sich in England, Schweden und Dänemark. Die
Eimer sind in Nottingham einfache viereckige hölzerne Kasten, die unter dem Sitze
stehen und auf deren Boden Asche oder Erde liegt; in Glasgow und Edinburg benutzt
man hierzu eine Wanne ohne oder mit wenig Wasser; die Geschirre werden entweder
täglich oder 2 — 3 mal wöchentlich abgeholt. Die Abfuhr geschieht des Nachts, bedarf
aber einer besonderen Beaufsichtigung, wenn sie ohne Störung verlaufen soll.47)
Je häufiger die Eimer entleert werden, desto grösser ist der Vortheil; unschön
ist es nur, wenn am Sitzbrett der Trichter fehlt und man beim Aufschlagen des Deckels
des Sitzes sofort einen Ueberblick über deu Inhalt des Eimers erhält. Dieser Umstand
gewährt namentlich in den Gasthöfen von Schleswig, Dänemark und Schweden einen
höchst unangenehmen Eindruck. Zweckmässiger würde es sein, wenn die Excremente
häufiger mit einer Lage von Asche und Erde geschichtet würden; man würde dann
weiter zu den selbst thätigen (selfacting) Erd-Closets übergehen und dadurch
namentlich in Gasthöfen den Zweck vollständig erreichen.
Aufspeicherung der aus den Städten abgeführten Fäcalien. Bei der Abfuhr
entsteht auch die wichtige Frage: Wo und wie soll die weitere Auf-
speicherung der Immunditien ausserhalb der Städte bewirkt werdeu?
Das Deponiren derselben in Form von Comp osthaufen, d. h. das Mischen
und Schichten der Excremente mit Erde, Asche und humösen Substanzen ist
zwar bezüglich der Düngung eine geeignete Form, veranlasst aber durch die stin-
kenden Exhalationen den Adjacenten grosse Belästigung. Das Ausleeren der
Tonnen in Gruben mit Ueberschütten von Erde und Asche liefert weniger Ge-
ruch, ist aber nicht überall ausführbar, abgesehen davon, dass häufig Verirrte
oder Betrunkene in solchen Gruben verunglückt sind.
206 Die atmosphärische Lnft.
Composthaufen dürfen nie in der Nähe bewohnter Häuser oder ohne Zu-
satz von Desiufectiousmitteln errichtet werden. (lyps ist liierzu* ein sehr
geeignetes uud billiges Desinfectionsmittel, welches bei gehöriger Handhabung
um so mehr den Zweck erreicht als es in mancher Beziehung den Dungwerth
der Masse noch vermehrt. Alle Composthaufen rnüsseu so gelegen sein, dass sie
niemals Ueberfluthungen ausgesetzt sind.
Tu der neuesten Zeit gehl das Bestreben dahin, die Excrcmente durch geeignete
Zusätze und Desinfectionsmittel in eine passende Form zu bringen, sie auszutrocknen
uud wie Ziegelsteine längere Zeit ohne alle Belästigung aufzubewahren oder sie alsbald
zur Feuerung zu benutzen. Das Abfuhrwesen würde dadurch in eine neue Phase ein-
treten und für kleinere Städte oder grössere Häusereomplexe viele Vortheile bieten.
Die in dieser Richtung in hiesiger Stadt bisher angestellten Versuche seheinen nament-
lich \'ü\- grössere Fabriken ein gutes Resultat zu erzielen und verdienen alle öffentliche
Aufmerksamkeit.
Das directe Appliciren der Fäcalstoffe auf die Felder sollte nur dann
geschehen, wenn die Ackerkrume lose, poröse und Regenwetter eingetreten ist, so dass
das Unterbauen derselben sofort erfolgen kann. Bei trockner Witterung liefert diese
Application schlechte Resultate, da die Pflanzen dann, wie man zu sagen pflegt, ver-
brennen, während durch die enorme Verdunstung ein widerlicher und höchst be-
lästigender Geruch entsteht.
Beim Transporte der nicht weiter präparirten Fäcalstoffe auf Eise nb ahnen
dürfen nur geschlossene und nur metallene Gefässc benutzt werden. Die damit bela-
denen Waggons müssen stets die letzen des Zuges sein; wo möglich muss die Beför-
derung des Nachts geschehen. Der Gebrauch besonderer Waggons zur Aufnahme der
Excremente sollte verboten sein, weil das Aus- und Einladen den Bahnkörper verun-
reinigt und die grösste Belästigung erzeugt. Dieselben Nachtheile entsteheu beim Um-
füllen der Fäcalstoffe in offene Schiffsräume. Es liegen uns Beobachtungen vor,
welche mit höchster Wahrscheinlichkeit dafür sprechen, dass an den Orten, wo das
Aus- und Einladen stattfindet, epidemische Krankheiten einen günstigen Boden für ihre
Verbreitung finden und auch manche sporadische Erkrankungen hiermit in Connex zu
bringen sind. Zu Wasser geschieht der Transport am Besten in Fässern unter Wasser
mittels Flösse.
2) Wegscliaffung der Küchen- und Hanswässer. Wo es an öffentlichen, zur
Aufnahme der flüssigen Abfälle bestimmten Cauäleu fehlt, können die Küchen-
uud Hauswässer sehr viele Uebelstände bereiten uud besonders auch zur Ver-
derbniss des Untergrundes beitragen. Fliessen sie in Canäle ohne Spülung ein,
so geben sie zu den widerlichsten Exhalationen Anlass und liefern hierdurch
gleich den Fücalien stets den grössten Beitrag zu den sanitären Nachtheileu der
alten Ablagerungscanäle, abgeseheu davon, dass sie hauptsächlich die Ver-
schlammung der letzteren vermehren. Wo es an Gelegenheit zu ihrem freien Abfluss
fehlt, da ist es sehr zweckmässig, sie vorher zu desinficiren, weil sie durch ihreu
Gehalt au Fettstoffen eiuen widerlichen Fäuluissprocess erzeugen, der durch Ab-
scheidung derselben wesentlich vermindert werden kann. Solche Fettstoffe enthalten
ausser den Küchen- uud Seifenwässern namentlich die blutigen Flüssigkeiten aus
Schlächtereien, die bekanntlich durch ihr Staguiren in öffentlichen Strassen-
rinnen die Luft verpesten. Der Kalk ist ein sehr geeignetes Mittel, diesen
Belästigungen vorzubeugen, weil er alle Fettstoffe fixirt, so dass diese noch pecu-
nair verwerthet werden können.
Voh.1 hat für die Stadt Cöln berechnet, dass bloss (ür den Zufluss der gebrauch-
ten Seifenwässer in die Canäle ein Verlust von Fettstoffen im jährlichen Betrage von
24—25000 Thlrn. erwächst, wenn man nur die gebrauchte Schmierseife berücksichtigt.
Rechnet man noch die Benutzung der Seife Seitens der öffentlichen Anstalten hinzu, so
ist der zu erzielende Gewinn nach Abzug aller Kosten mit circa .'37,000 Thlrn. zu
beziffern.
Die Einrichtung in den Haushaltungen könnte sehr einfach in der Weise ge-
troffen werden, dass man die Küchen- oder Seifenwässer in ein aufrechtstehencles Fass
laufen lässt, welches am Boden mit einem Zapfen versehen ist. Auf dem Boden des
Wegschaffung der industriellen Abfälle. 207
Fasses liegt eine 3 Zoll hohe Schicht kleiner Kieselsteine, die mit einem groben Pack-
tuche bedeckt ist; letzteres wird durch aufgelegte grössere Steine auf dem Boden fest-
gehalten. Das eingelassene Wasser Avird so lange mit Kalkmilch versetzt, bis kein
Gerinnsel mehr entsteht; alsdann scheidet sich nach einiger Zeit die Kalkseife rähna-
ähnlieh auf der Oberfläche ab, während das klare Wasser durch den Erahnen abgelassen
werden kann. Die so gebildete Kalkseife kann 40— 60% fette Säuren enthalten und ist
ihr Werth dem des Leimfettes gleichzustellen: sie lässt sich zur Darstellung
der Karrenschmiere, der geringen Schmierseife und besonders .des Leuchtgases u. s. w.
benutzen. Es könnte hieraus den Bediensteten ein Vortheil erwachsen, wenn sie zn
dieser kleinen Mühewaltung bereit wären, grade wie sie schon jetzt auf die Ansamm-
lung von Knochen, Lumpen, Papier u. s. w. Bedacht nehmen.
Ausserdem verdienen hierbei die offenen überirdischen Strassenrinn en
noch eine besondere Beachtung, da sie schon wegen des Abflusses des Regenwassers
nicht entbehrt werden können; müssen sie aber noch zum Abfluss der HausAvässer
dienen, so kann das Hiueinkehren von Kehricht, Gemüseabfällen u. s. w. nicht verhütet
werden, wodurch alle Strassenrinnen um so mehr mit sanitären Nachtheilen verbunden
sind, je weniger ihre sachgemässe Construction im Auge behalten wird.
Fast alle Strassenrinnen verderben den Untergrund, weil häufig bei ihrer ersten
Anlage ein richtiges Nivelliren übersehen und dadurch von vornherein ein Stauen ihres
Inhalts herbeigeführt wird. Fast überall begegnet man nur gepflasterten Rinnen ohne
undurchlässigen Untergrund; hierdurch wird nicht nur der Abfluss gehemmt, sondern
auch die Aufsaugung des schmutzigen Rinnsteinwassers vom Boden befördert.
Die Anlage der Strassenrinnen steht in engster Verbindung mit deni Strassen-
pf last er: so lange dieses noch aller sanitärer Rücksichten entbehrt, kann auch von
einer sachgemässen Beschaffenheit der Strassenrinnen nicht die Rede sein, da ün-
durchlässigkeit bei Strassenbauten die erste Bedingung ist. Hier ist es die Aufgabe
der Techniker, sich die alten Römer zum Vorbilde zu nehmen, welche bekanntlich nur
gänzlich undurchlässige und allen Einflüssen widerstehende Strassen bauten, wenn man
nicht die in der Gegenwart eingeschlagene Richtung, asphaltirte Strassen herzu-
stellen, verfolgen will; dadurch würde auch den Strassenrinnen der undurchlässige
Untergrund gesichert. Ausserdem eignen sich feste, nicht aufsaugende Bruchsteine
für solche Rinnen; diese müssen stets einen Halbkreis bilden, um so viel als möglich
ein Ueberfliessen zu vermeiden, während Eisengitter, namentlich bei Querrinnen, das
Ueberfahren von Fuhrwerk gestatten. Alle Rinnen müssen wie die Stadtcanäle nach
einem bestimmten Plan angelegt werden, damit sich die Neben- oder Zweigrinnen in
eine Hauptrinne vereinigen, die schliesslich in einen Haupt- oder Ringcanal mündet.
Alle diese Gesichtspuncte sind (ceteris paribus) auch für grössere Fabrikanlagen
und Arbeiterviertel massgebend.
3) Wegschaffung der industriellen Abfälle. Hier kann die Canalisationsfrage
nicht umgangen werden, da es sich bei der Beseitigung der industriellen Ab-
fälle darum handelt, ob die öffentlichen Canäle hierzu zu benutzen sind oder
nicht. Bisher stand nur bezüglich der Beseitigung der Fäcalien die Frage: ob
Abfuhr oder Canalisation ? auf der Tagesordnung; sie ist aber auch für die Be-
seitigung der industriellen Abfälle ebenso wichtig.
Was zunächst die Fäcalstoffe betrifft, so kann es keinem Zweifel Unterliegen, dass
die Canalisation bei richtiger Construction der Canäle und bei ausreichender Spülung
alleDejectionen am sichersten, schnellsten und bequemsten aus dem Bereiche der
Städte entfernt. Der wichtigste Einwurf gegen dieses System besteht in dem Kosten-
punct, da schon vor 12 Jahren Rawlinson für Städte von 30,000 Einwohnern die Aus-
gaben auf 1 Pfd. Sterl. pro Kopf berechnet hat.48) In Dan zig beliefen sich die Kosten
auf 8 Thlr. und in Berlin werden sie sich wahrscheinlich auf 14 Thlr. pro Kopf er-
höhen. Je ungünstiger das Gefälle ist, desto höher steigen die Kosten durch die Ein-
richtungen zum Aufpumpen und Fortbewegen des Canalinhaltes. Was man sonst noch
gegen dieses System eingeworfen hat, z. B. das Undichtwerden der Canäle, das Ver-
derben des Untergrundes, das Austreten von stinkenden Ausdünstungen aus den Canälen
in die Wohnungen u. s. w., ist bei sachgemässer Anlage irrelevant. Die heftige Oppo-
sition gegen die Canalisation ist sicher aus Unkenntniss der Verhältnisse entstanden,
da man beständig die Nachtheile der alten Canäle, der eigentlichen Ablagerungs-
canäle, auch auf die Schwemmcanäle übertrug. Erstere sind im eigentlichsten Sinne
Cloaken und gehören zur Kategorie der Abtrittsgrubeu, da sie alle Nachtheile der-
selben in sich vereinigen. Sie erfahren nur gelegentlich eine Spülung durch Regengüsse :
alle intermittirenden Spülungen sind aber recht geeignet, die alten Schlammmassen
aufzuwühlen und die riechenden Gasexhalationen sehr fühlbar zu machen. Bei
208 Die atmosphärische Luft.
Schwemmcanälen beginnt die Spülung schon beim Wassercloset, weshalb eine
zweckmässige Einrichtung desselben zu den ersten Bedingungen gehört. Man bedient
sich jetzt allgemein der Closets mit Klappentopf, die im Handel als Closets erster
Classe vorkommen: an einen Topf mit verschliessbarcm Deckel schliesst sich nämlich ein
Siphon an, so dass das Zurücktreten der Gase aus den Röhren unmöglich ist. Durch
die Gesammtwirkung dieser Einflösse in die Canäle muss wenigstens eine 3 00 fache
Verdünnung der Fäcalien mit Wasser bewirkt werden, wobei schon alle urinösen
Flüssigkeiten den Geruch verlieren. Da die Temperatur des Canaliuhalts wenig oder
gar nicht von der äusseren Temperatur abhängt, so werden auch die etwa auftretenden
Fäulnissproducte modificirt, d.h. es werden weniger stinkende und flüchtige Substanzen
auftreten. Je reichlicher die Spülung ist, desto weniger können sich Canalgase bilden
und wo sie entstehen, werden sie rasch vom Schwemmwasser absorbirt. Wie bedeu-
tend aber der Wasserconsum hierbei Werden kann, hat bereits Hamburg gezeigt, wo
sich derselbe bis auf 6 Cubikfuss pro Kopf und Tag gesteigert hat.49)
Die Construction der Canäle gehört in das Gebiet der Bautechnik und
kann hier nicht näher erörtert werden: zuverlässig kann gegenwärtig ihre Undurch-
lässigkeit mittels guter Cementirungen dargestellt werden.50) Wichtiger ist in sanitärer
Beziehung die Frage der Wegschäffung des Canalinhalts.
Die Schwierigkeit der Frage, auf welche Weise die Beseitigung resp.
Verwerthung des Canalinhalts (Sewage) bewirkt werden soll, ist aus der Mannig-
faltigkeit der in dieser Richtung angestellten Versuche ersichtlich. Bisher hat
man folgende Methoden theils ausgeführt, theils vorgeschlagen:
a) den directen Einfluss des Canalinhalts in Flüsse, b) das Filtratiousver-
l'ahren, c) das Präcipitationsverfahren, d) die Combination von Filtration und
Praecipitation, e) die Berieselung der Aecker, Wiesen u. s. wr. mit dem Canalinhalt.
ad a) Der directe Einfluss des Canalinhalts in die Flüsse hat die grössten
Bedenken und sollte eigentlich nie zur Ausführung kommen, da man die Flüsse
dadurch entwerthet, kleinere Wasserläufe ganz unbrauchbar macht, die öko-
nomische und technische Benutzung des Flusswassers ganz ausserordentlich er-
schwert und bei Ueberschwemmungen solcher Flüsse höchst gesundheitswidrige
Zustände schafft, wenn Wohnungen im Inundationsgebiete liegeu. Bei Flüssen mit
Ebbe und Fluth wird die Fortspülung der Zuflüsse erschwert, wie besonders in
der Themse experimentell festgestellt worden ist.
Wenn in Hamburg schon 30 Jahre lang die Elbe allen Canalinhalt angeb-
lich ohne nachweisbaren Schaden aufgenommen hat, so ist dadurch noch nicht
die Unschädlichkeit dieses Verfahrens bewiesen, wenigstens haben sich au man-
chen Uferstellen schon bedeutende Verschlammungen bemerkbar gemacht und
jedenfalls ist ein häufiges Ausbaggern des Flusses nothwendig geworden, so
dass noch nicht abzusehen ist, ob nicht auch Hamburg künftig wie Paris ge-
zwungen sein wird, von diesem Verfahren abzustehen; freilich ist die Seine
nicht mit der Elbe zu vergleichen, da grade bei diesem Flusse das bedeutende
Wasserquautum selbst Massen von fremdartigen Substanzen zu bewältigen ver-
mag. Immerhin geht der Landwirthschaft durch die Vergeudung der Dungstoffe
ein grosses Capital verloren, während unter Umständen auch die Fischzucht
gefährdet ist/'1) Bei der ökonomischen Benutzung eines solchen Flusswassers wird
es selbst nach stattgefundener Reinigung noch fraglich bleiben, ob dasselbe dann
auch die Fähigkeit verloren hat, der Verbreitung von epidemischen Krankheiten
Vorschub zu leisten. Die Verwerthung des Canalinhalts ist daher durchaus nicht
eine blosse Geldfrage, wie man bisher vielfältig behauptet hat, sondern vielmehr ein
sauitäres Erforderniss. Man hat zwar angenommen, dass namentlich die von
den Schwemmcanälen zugeführteu frischen Fäcalien iu den Wasserläufen keiner
fauligen Zersetzung unterliegen, sondern durch den Einfluss des Sauerstoffes
Wegschaffung der industriellen Abfälle. 900
rascher oxydirt und in die geruchlosen Endproducte (Ammoniak, Salpetersäure
u. s. w.) übergeführt werden; man hat aber dabei übersehen, dass dieser Process
viel langsamer vor sich geht als man sich gewöhnlich vorstellt. Nach Frank-
land1s Untersuchungen soll ein mit dem 20fachen Volumen Wasser gemischtes
Sielwasser selbst nach 168 (engl.) Meilen langem Fliessen mit einer Geschwindig-
keit von einer Meile die Stunde oder nach Verlauf einer Woche kaum Zwei-
drittel seiner organischen Materie verlieren.51)
Die frischen Excremente haben durchschnittlich ein etwas geringeres spec. Ge-
wicht als das Wasser: sie werden theilweise gelöst und zerfallen dann in eine breiige
Masse, welche noch auf der Oberfläche schwimmt. Einzelne Fragmente sinken aber
unter und lagern sich bei unzureichender Strömung auf der Flusssohle oder an seichten
Uferstellen ab. Je geringer die Strömung und das Wasserquantum sind, desto eher
zeigen sich selbstverständlich diese Zustände, desto eher treten auch die Verschlam-
mungen der Ufer ein, namentlich wenn das Wasser sinkt und grössere Strecken der-
selben bloss gelegt weiden. Je wechselnder der Wasserstand eines Flusses ist, desto
weniger sollte man den Einfluss des Canalinhaltes gestatten. Selbst bei grossen Flüssen
muss sich schliesslich der Nachtheil in irgend einer Weise kundgeben, wenn alle grössern
Städte u. s. w. sich auf eine so bequeme Weise ihres Canalinhaltes entledigen wollten.
Mag auch in einem gegebenen Falle die Einwohnerzahl einer Stadt im richtigen Ver-
hältniss zur Grösse, zum Gefälle und zum Wasserquantum des Flusses stehen, mag
auch der Canalinhalt in der vorschriftsmässigen Verdünnung in den Fluss gelangen,
mögen auch dessen Ufer undurchlässig und mit einer reichlichen Vegetation versehen
sein, alle diese Bedingungen vermögen nicht auf die Dauer die Selbstreinigung des
Flusses sicher zu stellen, wie England uns durch warnende Beispiele gelehrt hat.
Freilich sind dort auch noch die massenhaften Industrieabfälle hinzugekommen, um
das Flusswasser einzelner Flüsse in eine schwarze Brühe zu verwandeln: ist aber ein-
mal der Einfluss des Canalinhalts in einen Fluss gestattet, so hört alle Controle über
den Zu- und Einfluss des Zulässigen oder Unzulässigen auf und grade in diesem Um-
stände liegt der Schwerpunct aller Gründe, welche überhaupt gegen den Einfluss des
Canalinhalts in die Flüsse sprechen. Bei den Schwemmcanälen wird man stets
darauf zu achten haben, dass nicht alle Industrieahfälle ohne Weiteres in dieselben
abgeleitet werden. Starke Säuren, viele Metalle oder ein reicher Gehalt an Carbol-
säure werden nicht bloss alle Flüsse benachtheiligen, sondern auch die Benutzung des
Canalinhaltes zur Berieselung sehr beeinträchtigen. Eine Verunreinigung der
Flüsse wird im höchsten Grade besonders durch die Abfälle der Färbereien und
Druckereien herbeigeführt.
Seit der häufigen Anwendung des aus arseniksaurem Natrium herge-
stellten Kuhkothbades sind die Abfallwässer oft mit diesem giftigen Körper ver-
unreinigt. In England hat man im Flusse Merbey in 100,000 Theilen 0,24 und
im Irwell 0,48 Theile Arsenik nachgewiesen. Bei Bleichereien hängt es von
der Concentration der Abfallwässer ab, ob und inwieweit sie den Flüssen Scha-
den zufügen; je kleiner diese sind, desto eher wird sich auch ein Nachtheil für
die angrenzende Vegetation bemerkbar machen. Chemische Fabriken können
in mannigfacher Weise, je nach der Art der Fabrication auf die Flüsse nachtheilig
wirken. Es sei hier bloss an die Manganrückstände bei der Chlorkalk-
fabrication, das Calciumoxysulfid bei der Sodafabrication und die
Menge von Salzsäure, welche bei der Fabrication von Barytweiss abfällt
erinnert. Abgesehen davon, dass namentlich die Salzsäure auf die Dauer
alle Canäle verdirbt und ganz baufällig macht, müssen alle differenten Substanzen
der genannnten Art auch die industrielle Benutzung des Flusswassers erschweren
oder unmöglich machen.
Der hieraus entstehende Nachtheil hat in England immer mehr auf die
Notwendigkeit hingewiesen, die Schmutzwässer der Fabriken vor dem Einleiten
in die Flüsse zu reinigen; man hält es sogar für möglich, ihre Reinigung bis
auf den Grad zu bringen, dass sie für die Fabrication wieder brauchbar werden.
Eulenberg, Gewerbe -Hygiene. 14
210 Die atmosphärische Luft.
Die Vortheile der Reinerhaltung des Flusswassers haben sich auch für
die Industrie bereits in hohem Grade bewährt, so dass z.B. neun und dreissig Firmen,
«reiche im Mersey- und Ribble-Becken verschiedene Industriezweigebetreiben, den
Nutzen, welchen sie hieraus ziehen, auf jährlich 70,000 Thlr. berechnen. Eine Kattun-
druckerei gab den für sie jährlich aus dem reinen Flusswasser erwachsenden Gewinn
auf ca. 20,000 Thlr. an.
Eine für die Untersuchung der Flüsse berufene Englische Commission ist mit
Berücksichtigung der im Becken des Mersey und Ril>Me auftretenden Arten der
Verunreinigung und nach dem Resultate der bisher benutzten Reinigungsniethoden zu
der Deberzeugung gelangt, dass folgende Flüssigkeiten als verunreinigend anzusehen
sind und nicht in die Wasserläufe eingelassen werden dürfen:
1) Jede Flüssigkeit, welche in 100,000 G. Th. Wasser mehr als 3 G. Th. süspen-
dirte anorganische oder 1 G. Th. suspendirte organische Stoffe enthält.
•2) Jede Flüssigkeit, welche in 100,000 G. Th. mehr als 2 G. Th. organischen
Kohlenstoff oder 0,3 G. Th. organischen Stickstoff in Lösung enthält.
3) Jede Flüssigkeit, welche bei Tageslicht eine bestimmte Farbe zeigt, wenn
sie in einer Schicht "von 1 Zoll Tiefe in ein weisses irdenes oder Porcellangefäss ge-
bracht wird.
4) Jede Flüssigkeit, welche in 100,000 G. Th. mehr als 2 G. Th. eines Metalls
mit Ausschluss von Calcium, Magnesium, Kalium und Natrium in Lösung enthält.
i>) Jede Flüssigkeit, welche in 100,000 G. Th., gleichviel ob suspendirt
oder gelöst, mehr als 0,05 G. Th. metallisches Arsen als solches oder in Form
irgend welcher Verbindung enthält, gleichviel ob in Suspension oder Lösung.
6) Jede Flüssigkeit, welche nach ihrer Ansäuerung mit Schwelelsäure in
100,000 G. Th. mehr als 1 G. Th. freies Chlor enthält.
7) Jede Flüssigkeit, welche in 100,000 G. Th. mehr als 1 G. Th. Schwefel in Form
von Schwefelwasserstoff oder als lösliches Sulfid enthält.
8) Jede Flüssigkeit, die mehr Säure enthält als eine solche, welche man
durch Zusatz von 2 Th. (wasserfreie) Chlorwasserstoffsäure in 1000 Th. destillirtem Wasser
darstellt.
9) Jede Flüssigkeit, die eine grössere Alkalinität besitzt als eine solche,
welche man durch Losung von 1 G. Th. trocknem Aetznatron in 1000 G. Th. destillirtem
Wasser darstellt.52)
Selbstverständlich verdienen die localen Verhältnisse, namentlich die Grösse
und Strömung der Flüsse, eine Berücksichtigung. Ueberall aber, wo die Industrie
eine bedeutende Entwicklung nimmt, ist mit Rücksicht auf obige Untersuchungen
stets für die Reinheit der Flüsse zu sorgen; liegen deutliche und nachgewiesene
Schäden vor, so erzwinge man aber auch mit Consequenz eine Abhüfe dieser
Uebelstände. Es ist durchaus erforderlich, dass die Gesetzgebung hier zu Hülfe
komme, damit die Gewerbe-Hygiene in ihr eine Handhabe gewinne, um die auf-
gedeckten Schäden auch zu beseitigen.
In Preussen gilt das Gesetz über die Benutzung der Privatflüsse
vom 28. Februar 1843 (G.-S. S.41), welches durch Verordnung vom 9. Januar 1845
(G.-S. S. 35) auch in den Landestheilen, die zum Bezirk des Appellations-
gerichtshofes zu Co In gehören, Anwendung finden soll.
§ 1 dieses Gesetzes lautet: „Jeder Uferbesitzer an Privatflüssen*) (Quellen,
Bächen oder Fliessen, sowie Seen) ist, sofern nicht Jemand das ausschliessliche Eigen-
1 h um tles Flusses hat oder Provincialgesetze, Localstatuten oder specielle Rechtstitel
eine Ausnahme begründen, berechtigt, das an seinem Grundstück vorüberfliessende
Wasser anter den in den § 13 u. s. w. enthaltenen näheren Bestimmungen zu seinem
besonder! Vortheile zu benutzen. Jedoch verbleibt es in Ansehung der Benutzung des
Wassers zu Mühlen und andern Triebwerken, sowie auch in Ansehung der Fischerei-
Bi rechtigung und der Vorfiuth bei den bestehenden gesetzlichen Vorschriften, so weit
diese durch gegenwärtiges Gesetz nicht ausdrücklich abgeändert sind.''
§ 3: ..Las zum Betriebe von Färbereien. Gerbereien, Walken und ähnlichen An-
d benutzte Wasser darf keinem Flusse zugeleitet werden, wenn dadurch der Bedarf
der Umgegend an reinem Wasser beeinträchtigt oder eine erhebliche Belästigung des
Publicums verursacht wird."
*) Unter Privatflüssen versteht man solche, welche ein bestimmtes abgegrenztes
Bet1 haben.
Wegschaffung der industriellen Abfälle. 211
Die Entscheidung hierüber steht der Polizeibehörde zu. Nach einem Er-
kenntniss des Competenz- Gerichtshofes vom 9. November 1861 (Just.-Min.-Bl.
S. 192) ist gegen die polizeiliche Verfügung, welche den Zweck hat, die Ent-
scheidung hierüber zwangsweise durchzuführen, nur der Weg der Be-
schwerde, nicht aber der Rechtsweg zulässig.
Auch nach einem Erkenntniss des Rhein. Appell. - Gerichtshofes vom
.7. März 1860 sind die Gerichte incompetent, über eine Klage zu erkennen,
welche Unterdrückung oder Abänderung gewerblicher Anlagen aus dem Grunde
verlangt, weil durch die bestehenden Einrichtungen schmutzige Stoffe einem
Privatflusse in solcher Menge zugeführt würden, dass dadurch der Bedarf der
Umgegend an reinem Wasser beeinträchtigt uud eine erhebliche Belästigung des
Publicums veranlasst werde. Eine solche Klage ist auch Seitens einer Stadt-
gemeinde unstatthaft; auch diese kann als solche nur auf Schadenersatz in ihrer
Eigenschaft als Adjacentin des Privatflusses klagen.
§ 6: „Die Anlegung von Flachs- und Hanfrösten kann von der Polizeibehörde
untersagt werden, wenn solche die Heilsamkeit der Luft beeinträchtigt oder zu den im
§ 4 bezeichneten Nachtheilen (bezüglich des freien Abflusses des Wassers) Anlass gibt."
§ 13: „Das dem Uferbesitzer nach § 1 zustehende Recht zur Benutzung des
vorüberfliessenden Wassers unterliegt der Beschränkung, dass 1) kein Rückstau über
die GreDze des eigenen Grundstücks hinaus und keine Ueberschwemmung oder Ver-
sumpfung fremder Grundstücke verursacht werden darf, und 2) das abgeleitete Wasser
in das ursprüngliche Bett des Flusses zurückgeleitet werden muss, bevor dieses das
Ufer des fremden Grundstücks berührt.
Sind mehrere an einander grenzende Uferbesitzer über eine Anklage einverstan-
den, so werden die Grundstücke derselben, bei Anwendung der vorstehenden Beschrän-
kungen, als ein einziges Grundstück angesehen."
Bei kleiuern Bächen oder Flüssen muss somit der Fabricant schon bei der
Anlage einer Fabrik über die Fragen schlüssig sein: 1) ob der betreffende
Wasserlauf das zum Betriebe erforderliche Wasser liefert, und 2) ob
demselben ohne Beschädigung der unterhalb liegenden Besitzer die
Abgänge zugeführt werden können. Ist letzteres nicht der Fall, so muss
er auf die Mittel und Wege Bedacht nehmen, durch welche eine vorhergehende
Reinigung ermöglicht wird, sei es nun durch eine der bisher am meisten bewähr-
ten Methoden der Filtration und Präcipitation oder durch Berieselung. Eine
Versenkung des Wassers ist bisher nur statthaft gewesen, wenn es aus Brunnen,
nicht aber, wenn es aus Bächen oder Flüssen entnommen ist. Jedenfalls darf
das einem Wasserlaufe entnommene Wasser demselben nicht wieder zugeführt
werden, wenn es durch seine unreine Beschaffenheit die Umgegend in ihrem Be-
darf an reinem Wasser beeinträchtigt oder auf anderweitige Weise belästigt.
Das Gesetz kommt somit der Gewerbe-Hygiene zur Hülfe und es ist Sache
der Polizeibehörde, zeitig die betreffenden Uebelstände aufzudecken und zu be-
seitigen, nicht aber Jahre lang, wie es meistens der Fall ist, zum öffentlichen
Aergernisse und zur Schädigung der öffentlichen Gesundheit fortbestehen zu
lassen.
Bezüglich der Verunreinigung der schiff- und flossbaren Flüsse
und Canäle ist die Cabinets-Ordre vom 24. Februar 1816 (G.-S. S. 108) mass-
gebend. Dieselbe lautet:
„Auf Ihren Bericht vom 18. d. Mts. setze Ich, zur Verhütung der Verunreinigung
der schiff- und flossbaren Flüsse und Canäle, hierdurch fest, dass kein Besitzer von
Schneidemühlen Sägespäne oder Borke, und überhaupt Niemand, der eines Flusses
sich zu seinem Gewerbe bedient, Abgänge in solchen Massen in den Fluss werfen
darf, dass derselbe dadurch, nach dem Urtheil der Provincial-Polizeibehörde, erheblich
r 14*
21 '2 Die atmosphärische Luft.
verunreinigt werden kann, und dass Jeder, der dawider handelt, nicht nur die Weg-
ränmung der den Wasserlauf hemmenden Gegenstände auf seine Kosten vornehmen
lassen niuss, sondern auch ausserdem eine Polizeistrafe von zehn bis fünfzig Thalern
I »-wirkt hat.
Bei gewerblichen Anlagen, die keiner besondern Genehmigung der nach
den Landesgesetzen zuständigen Behörde, sondern nur einer polizeilichen Erlanb-
niss bedürfen, ist die Rücksichtnahme auf die erwähnten Pimcte ganz besonders
erforderlich, um uicht während des Betriebes mit dem Gesetze in Conflict zu
kommen. — 53)
ad b) Das Filtrationsverfaliren hat man in England längere Zeit bei der
Reinigung des Canalinhalts angewendet; bei den Fäcalien hat man aber mit
demselben keine günstigen Erfahrungen gemacht und bald eingesehen, dass eine
nachhaltige Einwirkung der atmosphärischen Luft und ganz besonders ein geeig-
neter filtrirender Boden erforderlich ist, um die organischen Substanzen in un-
schädliche unorganische Verbindungen zu verwandelu. Diese Versuche sind des-
halb ganz besonders bemerkenswerth , weil sie den notwendigen Uebergang zur
Berieselung bilden, indem man von den verschiedenen Filtern mit Sand, Kies,
Kalk u. s. w. zu roh aufgepflügtem Lande überging. Man überzeugte sich aber
bald, dass ein solches Land während dieser Zeit für den Ackerbau nutzlos blieb
und dabei eine grosse Fläche von mehr oder weniger in Fäulniss übergegaugenen
Stoffen darbot, welche wieder andere sanitäre Nachtheile im Gefolge hatte; aus
practischen und sanitären Gründen hat man daher bei den Fäcalien von diesem
Verfahren Abstand genommen.
Bei den flüssigen Industrieabfällen schickt man gewöhnlich ein Ab-
setzenlassen der Filtration voraus; häufig begnügt man sich aber auch mit
dem erstem, da die Filtration schon wegen der dazu erforderlichen filtrirenden
Substanzen und ihrer öftern Reinigung eine grössere Mühewaltung erfordert.
Zum Absetzenlassen gebraucht man stets mehrere Klärbassins, um zunächst
die grobem und dann die mehr suspend.irten Theile sich senken zu lassen. Eine solche
Einrichtung findet man vorzugsweise in Kattundruckereien und Färbereien. In
den grossartigen Druckereien zu Levenshulme bei Manchester gelang es bei einer
sorgfältigen Ausführung der Klärung Abfallwässer zu erzeugen, welche in 100,000 Th.
39,75 lösliche Stoffe, 1,051 organ. Kohlenstoß", 0,119 organ. Stickstoff, 0,21 Arsenik,
0,131 gebundenen Stickstoff, -1.28 Chlor enthielten. Wegen des Arsengehalts würde es
jedoch noch bedenklich bleiben, solche Abfallwässer in kleinere Flüsse ablaufen zu
lassen: bei einer noch grössern Verdünnung in Schwemmcanälen würde sich die Gefahr
erheblich mindern.
Bei der Filtration unterscheidet man die absteigende intermittirende
und die aufsteigende; im Allgemeinen kommt erstere häufiger als letztere zur An-
wendung. Ein mergelhaltiger Sand filtrirt am besten: je grösser das Quantum der
Abfallwässi r ist, desto mehr Filter bedarf man natürlich. In England benutzt man oft
6—10 Filter von 10 Ellen Länge, während die Klärbassins bisweilen den Umfang eines
Morgen erreichen; die Reinigung der Filter geschieht in der Regel alle 14 Tage, wenn
die Hohe der Sandschicht 5 Fuss beträgt. Die Filtration wird erleichtert, wenn man
die frischen Abfallwässer derselben unterwirft: je älter sie sind, desto mehr steigert
sich die Schwierigkeit hei ihrer Reinigung.
In Kattundruckereien hat man die Beobachtung gemacht, dass durch die
Filtration alles Arsen zurückgehalten wird, wenn die Filter ein paar Wochen in
Thätigkeit sind. In Deutschland ist das Fili rationsverfahren fast unbekannt, obgleich es
auch in England vorzugsweise dann gebräuchlich ist. wenn schmutziges Flusswasser
wieder zur Fabrication, namentlich zum Beuchen, Waschen u. s. w , nutzbar gemacht
werden soll.
ad c) Das Präcipitationsverfahren hei den Fäcalien besteht darin, dass man
mittels rheinischer Mittel die Dungstoffe aus dem Canalwasser zu fixiren
sucht, um die rückständige Flüssigkeit frei ablaufen zu lassen.
Präcipitation und Filtration. 213
Zunächst ist das Süvern^sche Verfahren zu erwähnen, welches gleichzeitig
eine Desinfection des Canalinhalts bezweckt. Man löst 100 Th. Kalk in 300 Th. Wasser,
setzt 8 Th. Theer, 30 Th. Chlomiagnesium und so viel Wasser hinzu, dass das Ganze
1000 Th. beträgt.
Die Ausführung desselben ist mit grossen Kosten verbunden: die Mischung wird
fortwährend in dünnem Strahl der in einen engen Canal abgeleiteten Flüssigkeit zuge-
setzt, welche alsdann in Klärbassins gelangt, wo sich eine mit dem Spaten bearbeitbare
Masse absetzt, die wegen ihres Gehalts an carbolsaurem Calci um keiuen Dungwerth
hat. Dazu kommt, dass das Chlormagnesium als solches sich leicht mit Kalkyerbin-
dungen umsetzt und zwar unter Bildung von Chlore alcium, welches bekanntlich der
grösste Feind aller Vegetation ist.
Allerdings enthält der Niederschlag ausser den gesammten suspendirten Bestand-
teilen den grossten Theil der gelost gewesenen Phosphorsäure; dieselbe verliert aber
unter den obwaltenden Verhältnissen ihre Bedeutung für den Ackerboden. Das ab-
fliessende Wasser enthält neben gelöstem Kalk die gesammten, durch Kalk in
weitere Zersetzung gebrachten extractiven Materien und ausserdem den bei Weitem
grossten Theil der Alkalien; gelangt dasselbe in Gräben mit mangelndem Gefälle, über-
haupt in stillstehendes Wasser, so tritt eine höchst belästigende Nackgährung
ein, die mit sehr unangenehmen Gerüchen verbunden ist.
Das Clav Ä'sche Verfahren besteht in einer Vermischung des Canalinhalts mit
Kalkmilch, in Absetzenlassen in Klärbassins und Gewinnung des Niederschlages.
Dieses und das Le7;£'sche Verfahren, welches in der Benutzung von rohem Alumi-
niumsulfat besteht, vermag weder einen verwerthbaren Dünger, noch eine ausreichende
Reinigung der abfliessenden Massen zu bewirken.
Dasselbe lässt sich von dem Sillar' sehen Verfahren oder dem A-B-C-Pro-
cess sagen, dessen Name von den Anfangsbuchstaben der hierzu gebräuchlichen Sub-
stanzen herrührt, da die Mischung aus ^laun, ßlut und Clav (Thon) nebst Magnesia,
Chlornatrium, Kohle und Dolomit besteht.
Dem Präcipitationsverfahren steht überhaupt der Umstand entgegen, dass sich die
Menge des Präcipitationsmittels auch nach dem Gehalte der Abfallstoffe an Stickstoff,
Phosphorsäure u. s. w.. d. h. nach der Nahrung der Einwohner richten muss. So ist es
z. B. bekannt, dass die Ernährung mit ungebeuteltem Brot, mit Schwarzbrot, einen
höhern Phosphorgehalt der Excremente bedingt, welcher dann auch einen reichlichem
Zusatz des Präcipitationsmittels erfordert.54)
Bei den Industrieabfällen ist das Präcipitationsverfahren nach ihrer Natur und
Beschaffenheit verschieden und wird, um Wiederholungen zu vermeiden, bei den betref-
fenden Artikeln, z. B. bei Manganchlorür, Calciumoxysulfid u. s. w., näher be-
sprochen werden. Die vielfach hier vorkommenden chemischen Processe haben ein be-
sonderes Gewerbe, die Industrie der Abfälle, geschaffen, ein Gebiet, welches den
Forschungstrieb der Chemiker um so mehr in Anspruch nimmt, als es auch oft in pecu-
niärer Beziehung bedeutende Vortheile bietet; gleichzeitig aber kommen alle bezüglichen
Entdeckungen ebenfalls der Gewerbe-Hygiene zu Gute. Man kann behaupten, dass
jene Art der Industrie einen wesentlichen Theil der letztern repräsentirt.
ad d) Die Comhination von Präcipitation nnd Filtration. Sie ist bei Fäca-
lien angezeigt, jedoch nicht unter zu grossen städtischen Verhältnissen, wohl aber
bei grössern Fabrikanlagen, bei denen es nicht an Arbeitskräften mangelt und
jede andere Verwerthung der Dejectionen auf Schwierigkeiten stösst.
Unter den Präcipitationsmitteln hat man den Dolomit oder Bitter spath, das
bekannte Doppelsalz von Calcium- und Magnesiumcarbonat, noch zu wenig be-
nutzt. Die Natur liefert dasselbe in unbegrenzter Menge; durch Calciniren wird die
Kohlensäure verjagt und man erhält ein Gemisch von alkalischen Erden, welche sich in
Berührung mit Wasser in Hydrate verwandeln. Dieses Löschen geschieht _ wie beim
Löschen des Kalkes, erfordert jedoch etwas längere Zeit und das Product ist ein mage-
rer Kalk, welcher dem Cloakenwasser die stickstoffhaltigen Substanzen,
die Phosphorsäure und einen grossen Theil von Kali zu entziehen vermag; grade
diese Stoffe haben aber bekanntlich den grossten Dungwerth.
Die stickstoffhaltigen organischen Substanzen sind theils gelöst, theils suspen-
dirt: die suspendirten Substanzen können leicht durch Zusatz von eigentlichen und
alkalischen Erden gebunden werden. Was die löslichen Substanzen betrifft, so wird
der Harnstoff, abgesehen von dem schon aus ihm entstandenen Ammoniak, durch
Zusatz von alkalischen Erden in Ammoniak verwandelt, während die Harnsäure
hierdurch als eine unlösliche Verbindung fixirt wird.
Es handelt sich nun vorzugsweise um die Fixirung von Ammoniak. Ini
Canalinhalt befinden sich stets aus dem Urin stammende phosphorsaure Salze in
214
Die atmosphärische Luft.
löslicher Form; die Phosphorsäure verbindet sich aber leicht in einer alkalischen resp.
ammoniakalischen Flüssigkeit mit der Magnesia zu dem schwer, fast unlöslichen
Tripel-Phosphat ( A m m o n i u m m a g n e s i u m p h o s p h a t Mg (NH4) P04 -f- 6 H2 0 ).
Calcium- und Magnesiumhydrat vermögen somit den Stickstoff in Form von Ammoniak
gleichzeitig mit der Phosphorsäure zu fixiren. Durch den Zusatz dieser Hydrate wird auch
die Entwicklung von Schwefelwasserstoff sofort gehoben, da dieser in einer alka-
lischen Flüssigkeit bei Gegenwart von im Canalwasser nie fehlendem Eiseuoxyd sofort
zerlegt wird, indem sich neben Schwefeleisen Wasser bildet. Der schwarze
Schlamm im Canalwasser besteht gewöhnlich aus Schwefeleisen.
Die als Nitrate und Nitrite auftretenden Zersetzungsproducte der stickstoff-
haltigen animalischen Substanzen werden allerdings nicht fixirt; sie sind aber bei allen
frischen Abfällen wenig vertreten, unterliegen keiner weitern Zersetzung und könnten
ohne Gefahr mit demabnltrirten Wasser, z. B. zur Bewässerung von Wiesen, Gärten u. s. w.,
benutzt werden; sie können auch in Bäche mit guter Strömung direct abgelassen werden.
Zu diesem Filtrations- und Präci-
pitationsverfahren gehört ein Klär-
bassin (Fig. 25), welches überwölbt
und nötigenfalls mit einem Schlot
(F), der mit einer Feuerung in Ver-
bindung steht, versehen ist. Das
Bassin enthält mehrere Abtheilun-
gen; in der ersten Abtheilung ( B)
setzt sich Sand mit den specifisch
schweren Substanzen, in den Abthei-
lungen C und f> ein Schlamm ab,
welcher dem PräcipitationsmJttel (E)
in der Richtung von unten nach oben
zugeführt wird. Es handelt sich so-
mit um eine aufsteigende Fil-
tration, wie sie beim Theilungs-
system in Abtrittsgraben schon be-
schrieben worden ist ( s. S. 203).
Arbeitskräfte sind schon für die
Herbei -und Wegschaffung des Filter-
materials erforderlich : auch müssen die Klärbassins wegen der Reinigung doppelt vor-
handen sein und unterirdisch liegen, um ein Einfrieren ihres Inhaltes während des
Winters zu verhüten: alle diese Erfordernisse erschweren allerdings die Ausführung
dieses Verfahrens.
Die Niederschläge, welche durch Kalk und Magnesia bewirkt werden, haben eine
mehr körnig krystallinische Beschaffenheit und lassen sich deshalb leicht von der Flüssig-
keit trennen; ihre Verbindungen werden durch die Kohlensäure leicht zersetzt und die
Pflanzen vermögen deshalb weit leichter die phosphorsauren Verbindungen dieser alka-
lischen Erden aufzunehmen.
In der Industrie können Präcipitation und Filtration bei den Wasch-
w äs sern der Woll-, Seiden-, Leinenfabriken u. s. w. und bei den verschiedenen
Macerationswässern thierischer Substanzen benutzt werden.
ad e) Die Berieselung der Aecker und Wiesen mittels des Canalwassers
und der industriellen Abfälle. Die Berieselung kommt im Allgemeinen der ab-
steigenden intermittirenden Filtration gleich. Die Frage: ob und inwiefern
sie für die verschiedenen klimatischen Verhältnisse geeignet ist, hat noch keine
vollständige Erledigung gefunden; einstweilen ist es dankbar anzuerkennen, dass
die Städte Danzig und Berlin in dieser Beziehung die Fortschritte der Wissen-
schaft benutzt haben.
Im Allgemeinen muss man annehmen, dass nicht jede Pflanze in jeder Wachs-
thumperiode eine Zufuhr von Wasser resp. Dünger erfordert, dass es sogar Zeiten gibt,
in denen eine Wasserzufuhr gradezu schädlich ist. Bei Wiesen wirkt ein Dungguss
bis zur Entwicklung der Blüthenknospe wohlthätig ein ; nach der Entwicklung der
Blüthe und beim Ernten des Heus ist aber die Bewässerung unthunlich und schädlich.
Nach dem ersten Schnitt ist die Berieselung nach einigen Tagen wieder zu sistiren, um
die Grummeternte nicht zu stören. Am stärksten zeigt sich im Allgemeinen der Ge-
ruch an der Ausflussstelle auf das Land, nimmt aber immer mehr ab, je weiter das
Canalwasser abfliesst, bis er auf der Grasfläche verschwindet. Die reinigende Kraft des
Die Berieselung der Aecker.
215
Bodens ist oft so gross, dass das abfliessende Rieselwasser wenigstens dem äussern An-
sehen nach sich nicht vom gewöhnlichen Brunnenwasser unterscheidet.
In welchem Verhätnisse die verschiedenen Stoffe vom Boden aufgenommen wer-
den, zeigt folgende zu Rugby in der Saison vom November 1862 bis October 1863 an-
gestellte Analyse.
organische . .
unorganische
zusammen . .
organische . .
unorganische . .
zusammen . . .
Gesammte organische Stoffe
Gesammte unorganische Stoffe
Gesammte feste Stoffe . . =
löslich . . . .
Ammoniak { suspendirt . .
zusammen . .
Lösliche
Stoffe
Suspendirte J
Stoffe |
Mittel
in zwei
Feldern
von 5 u.
10 Acres.
Canal-
Abfluss-
wasser.
wasser.
8-32
7,73
39,18
3",98
47,50
47,n
26,69
2,37
37,22
3,06
63,91
5,43
35,oi
10,10
76,40
43,04
Hl,«
53,14
5,76
',28
2,03
0,23
7,79
1,51
Uebrigens liefert auch jeder städtische Boden hinreichende Beweise für diese Thatsachen,
da fast alle Brunnen filtrirtes Canal- und Cloakenwasser enthalten und es noch schlim-
mer mit den öffentlichen Gesundheitszuständen stände, wenn nicht die reinigende
Kraft des Bodens grössere sanitäre Uebel verhüten würde.
Auf dem Ackerboden gibt das Canalwasser die Dungstoffe ab und nimmt andere
lösliche Stoffe auf, woraus sich der Umstand erklärt, dass das Abflusswasser oft mehr
lösliche Stoffe als das Canalwasser enthält, wie aus folgender Analyse erhellt:
Die Zahlen geben die in 100,000 Th. Wasser enthaltenen Bestandtheile an.
Nummer der Probe
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Gesammtgehalt
an chemisch-ge-
bundenem Stick-
stoff.
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Härte.
und Datum
ihrer Entnahme.
o .
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EH
=8 m
a +2
(2 n
i> S
o a
No. 1. 13. Juli 1869.
„ 2. desgl.
„ 3. desgl.
52,6o
55.rp
68,20
5,505
2,506
1,526
2,322
0,506
0,164
7,276
2,772
0,120
0
0
0
8,314
2,739
0,510
8,25
10,20
10,50
3,48
0,72
0,88
8,95
0,28
0,36
12,44
■'jOO
No. 1 ist das rohe Canalwasser von Rugby; No. 2 das am Ende eines 21/2 Mor-
gen grossen, mit Raygras bestandenen Ackerstreifen genommene Wasser; No. 3 wurde
am Ende dieses Graslandes, etwa 233 Preuss. Fuss von dem Zuführungsgraben entfernt
geschöpft.
Was noch den Einfluss des Winters betrifft, so hat man allerdings bemerkt,
dass der anhaltende Frost bisweilen störend eintritt; jedoch beobachtete man ein
eigentliches Gefrieren des Rieselwassers nur an seiner Ausflussstelle. Ein glücklicher
Umstand ist die Temperatur des Canalwassers, welche nie unter 0° sinkt. Wenn es
sich deshalb auch einen Weg unter der Eisdecke bahnt, so ist doch die Regulirun g
der Berieselung dadurch unausführbar; es bleiben daher namentlich bei Wiesen ein-
zelne ihrer Partien oft ungedüngt; in solchen Zeiten muss 'man zur Berieselung der
Aecker übergehen. Eine Schneelage mindert den nachtheiligen Einfluss des Frostes
und selbst bei einer Höhe von 6 — 10 Zoll soll die Berieselung auch bei anhaltendem
Froste ungestört verlaufen.55)
Weitere Erfahrungen und die richtige Wahl des für ein gegebenes Terrain geeig-
neten Berieselungssystems müssen hierüber entscheiden. In letzterer Beziehung wendet
man an: 1) den Hangbau oder das Auffang-System (catchwork-system), welches be-
sonders bei hügligem Lande eingeführt ist; 2) das Furchensystem (pane- and gutter-
system) für Rieselfelder mit geringem Gefälle; 3) das Beetsystem (Bed-system, ridge
and furrow).
216 Die athiuosphärische Luft.
So viel steht fest, dasa las jetzt mit Rücksicht auf grosse Städte noch keine
bessere Methode für die Verwerthang des Canalwassers aufgefunden worden ist; selbst
die eifrigsten Vertheidiger des Abfuhrsystems müssen gestehen, dass hierbei der Abfluss
der städtischen Canäle in die Flüsse dem grössten Bedenken unterliegt. Man hat des-
halb in vielen Fällen die Notwendigkeit eines gemischten Verfahrens anerkennen
müssen.5' i
So spricht sich auch in neuerer Zeit Lefeldt61) zwar für das Abfuhrsystem, nament-
lich für das Aschen-Trockeneloset aus, hält jedoch für die flüssigen Küchenabfälle
und Waschwässer eine besondere Röhrenleitung, entweder Desinficirung und Ab-
fluss dieser Schmotzwasser in die Flüsse oder ihre Desinficirung zum Zwecke der Be-
rieselung für erforderlich. Es geht hieraus nur mit Bestimmtheit hervor, dass in grossen
Städten trotz eines etwa vorhandenen Abfuhrsystems eine Canalisation unentbehrlich
und schon für die Ableitung des Meteorwassers absolut erforderlich ist, eine Thatsache,
deren Wichtigkeit auch im internationalen medicinischen Congress zu Wien im Sep-
tember 1S73 Ausdruck gefunden hat, indem allgemein anerkannt wurde, dass durch ein
gutes Schwemmsystem den hygienischen Anforderungen in einfacher, prompter und wirk-
samer Wei>e möglichst Rechnung getragen werden kann.
Bezüglich der Salubrität sf rage bei der Berieselung scheinen die früher häufig
geäusserten sanitären Bedenken immer mehr in den Hintergrund zu treten. In England
liegen die Wohnungen nicht weiter als 660 — 900 Prenss Fnss (2 — 300 Tarda)
von den Rieselfeldern entfernt. Es unterliegt keinem Zweifel, dass der üble Geruch
vielfach noch vermindert werden kann, wenn mau, statt in offenen Rinnen, in bedeckten
Graben "der in Drainröhren die Leitung bewirkt: in Norwood führt sogar ein breiter
Weg durch die Rieselfelder, welcher häufig als Spaziergang benutzt wird. Aehnliche
Erfahrungen über die Unschädlichkeit der Rieselfelder hat man in Edinburg, Croy-
don und Barking gemacht
Der Einwurf, dass Helminthiasis durch die Fütterung mit Rieselgras oder durch
den Genuss von mit Rieselflüssigkeit behandeltem Gemüse befördert werde, ist als die
Grille eines englischen Arztes zu betrachten.
Wenn die Schwemme-anale für die grossen Städte eine Notwendigkeit ge-
worden sind, so wird doch auch die Abfuhr durchaus nicht zu entbehren sein: denn selbst
in grossen Städten werden stets einzelne Stadtquartiere von der Betheiligung an den
Schwemmcanälen ausgeschlossen bleiben und auch das Waasercloset lässt sich nicht mit
Gewalt allen Häusern aecommodiren. Ausserdem ist nicht zu verkennen, dass nur durch
die Abfuhr der Excremente ihre vollständige Ausnutzung ermöglicht wird. Die gross-
artige Gemüsezucht in Belgien und Holland verdankt ihre Existenz lediglich der Abfuhr
der Excremente. Eine Stadt, welche einen bedeutenden Consum von vegetabilischen
und animalischen Nahrungsmitteln hat, wird wohl daran thun. ihre Abfälle für den
Garten- und Gemüsebau zu verwenden, grade wie der Landwirth sein Stroh, seinen
Stallmist und seine Mistjauche seinem Acker nicht entziehen wird. Wie die Streunutzung
in den Wäldern geboten ist. ebenso sollte mit der grössten Strenge der Verschleuderung
der Excremente und namentlich dem Verschütten derselben in die Wasserläufe entgegen-
gewirkt werden.
Für viele industrielle Abfälle ist die Berieselung ebenfalls zweckmässig an-
zuwenden; manche Abfälle, z. B. die in Zuckerfabriken, haben früher nicht
selten bedeutende sanitäre Nachtheile geschaffen, während sie gegenwärtig
bei einer rationellen Benutzung für die Aecker sogar Gewinn abwerfen (s. Zucker-
fabrication).
Die Abfälle der Gerbereien können ohne Bedenken den Schwemm-
canälen zugeführt werden, wenn der Canalinhalt zur Berieselung benutzt wird:
liegen die Gerbereien auf dem Lande, so können die Abfallwässer direct für die
Aecker verwerthet weiden; der Abfluss in kleinere Flüsse, Bäche, Gräben u.s. w.
erfordert unbedingt eine vorhergehende Filtration. Ganz besonders muss man
diese Bedingung an alle Weissgerbereien stellen, welche Hunde- sogar bis-
weilen Menschenkoth dem Fäulnissprocesse unterwerfen und für die Fabrication
benutzen. Von welchem fürchterlichen Gerüche dann die Abfallwässer be-
gleitet sind, ist selbstverständlich; ganze Stadtviertel können dadurch verpestet
werden, wenn solche Gerbereien noch aus früheren Zeiten innerhalb der Wohn-
häusercomplexe gelegen sind und nur Gräben oder kleine, wasserarme Bäche zur
Wegschaffung der thierischen Excremente. 217
Verfügung haben. Ueberhaupt sollte die Anlage von Gerbereien niemals ober-
halb der an einem Wasserlaufe gelegenen Städte gestattet werden; leider finden
sie sich noch häufig innerhalb der Städte und verderben die Luft und den
Untergrund.
In dieselbe Kategorie gehören die Macerationswässer der Knochen,
Hufe, Felle, des Leimguts und ähnlicher thierischer Substanzen. Die Wasch-
wässer bei Wollfabriken, Seidenfabriken, bei der Leinenindustrie
u. s. w. können in die Schwemmcanäle zur Berieselung oder auch direct auf die
Aecker abgelassen werden, wenn solche zur Verfügung stehen; sonst entzieht
man ihnen das Fett durch Präcipitationsmittel, filtrirt sie mittels Sand und ge-
stattet dann ihren freien Abfluss.
Die in dieser Richtung angestellten Versuche sehen noch einer grossen
Vervollkommnung entgegen; manche Abfallwässer, z. B. die der Färbereien,
erfordern, wie die Erfahrung schon gelehrt hat, ein vorhergehendes Absetzen-
lassen in Klärbassins, ehe sie auf die Aecker abgelassen werden. Klärbassins
ohne Präcipitation mit Kalk scheinen hier vollständig auszureichen und sogar den
Vorzug vor jedem andern Verfahren zu verdienen.
Wegschaffung der thierischen Excremente. Im engen Zusammenhange mit
den eben besprochenen Abfallstoffen grösserer Fabrikanlagen steht das Sammeln,
Wegführen und Verwerthen der thierischen Excremente. Hauptsächlich sind es
Pferde, Rindvieh, zuweilen auch Schafe, Ziegen und Schweine, welche in Arbeits-
vierteln gehegt und gepflegt werden.
Alle Ställe sind nur da zu errichten, wo sie in keiner Weise durch ihre
Exhalationen zu schädlichen Einflüssen Veranlassung geben; auch sind ihre innern
Einrichtungen derart zu treffen, dass sie ein vollständiges Ablassen der flüssigen
Dejectionen fortwährend gestatten und auch die Anhäufung der festen Excre-
mente ohne schädlichen Einfluss auf die Thiere ermöglichen.
Die Ställe müssen einen festen Untergrund haben; blosse Pflasterung, sei es
mit Basalt oder Ziegeln, reicht nicht aus. Der eingesaugte Harn sickert bald tiefer in
den Boden und kann auf diese Weise in die Brunnen, Regensärge u. s. w. gelangen;
selbst dann, wenn der Boden sogar mit einer Ziegelschicht und einem nachfolgenden
Mörtel- oder Cementguss versehen ist, schützt derselbe doch nicht vor dem Ein-
dringen des Harns, weil durch die Erzeugung von salpetersauren Salzen und durch
den Gehalt des Harns an Chlormetallen das Bindemittel, der Kalk, sehr bald weggeführt
und auf diese Weise der Infiltration ein offener Weg geschafft wird, ein Umstand,
welcher viel zu wenig beachtet ist.
Wird in einem solchen, mit thierischen Excrementen getränkten Boden späterhin
ein Brunnen gegraben, so kann der hohe Gehalt des Wassers an salpeter- und salpetrig-
sauren Salzen neben einer grossen Menge von Chloriden nicht auffallen. Der Boden
des Stalles sollte deshalb stets für die Excremente undurchdringlich gemacht und
den flüssigen Theilen derselben ein Ausweg verschafft werden. Das Platten und
Asphaltiren des Stallbodens bringt grosse Unannehmlichkeiten mit sich, indem die
Thiere darauf leicht ausgleiten, fallen und sich verletzen. Das Einhauen von Rinnen
in die Platten hat den Uebelstand, dass stets ein Theil der Excremente darin zurück-
bleibt, wodurch die Fäulniss begünstigt wird.
Um diesem Uebelstande abzuhelfen, hat man das Legen von Platten in Asphalt-
massen angewendet und über denselben einen zweiten nicht dichten Boden von Bohlen
gelegt. Dadurch aber, dass die Bohlen mit einem Theile der Substanzen durchtränkt
wurden, entstand ein stetiger Fäulnissprocess, welcher wiederum eine sehr grosse Ent-
wicklung von Ammoniak nothwendig zur Folge hatte; selbst ein Anstrich der Bohlen
mit Theer hat nur für kurze Zeit eine günstige Wirkung.
Die beste Methode besteht darin, dass gleichsam ein Separationssystem auch
in den Ställen zur Anwendung kommt, wodurch beständig die flüssigen Theile
218 Die atmosphärische Luft.
durch unterirdische Röhren allmählig nach einer tiefer liegenden asphaltirten
Grube abgeführt werden.
Zu diesem Zwecke drainirt mau nach Boussingault den Stall; die Drain-
rühren haben nach oben einen Längsschnitt oder mehrere kleine Quereiuschuitte;
sie werden der Länge nach in der Weise fest in einander gelegt, dass sie sämmt-
lich nach einer Seite hin Gefälle haben und in ein Hauptableitungsrohr mündeu.
Die Zwischenräume zwischen den Röhren werden mit Cement oder hydrauli-
schem Mörtel ausgefugt, wobei selbstverständlich die obern Einschnitte oder
Schlitze ganz offen bleiben. Nach dem vollständigen Austrocknen der Cementi-
rung folgt ein Anstrich mit warmem Steinkoblentheer, die ganze Oberfläche wird
dann mit Bohlen und Stroh belegt; ein Bestreuen der Bohlen mit Gyps ist nicht
uuerlässlich, jedoch sehr vortheilhaft. Sämmtliche Flüssigkeiten sickern zwischen
den Bohlen durch und gelangen dann durch den Hauptabzugscanal in die as-
phaltirte Grube; solche Ställe können nach Bedürfniss vollständig ausgespült
werden.
Das Stroh bleibt natürlich viel trockner und kann, wenn es am Tage auseinander
geworfen wird, in hinreichend trocknem Zustande mehrmals benutzt werden. Es ver-
steht sich von selbst, dass hier der Ausfall an Strohdünger ein geringerer ist; dagegen
erhält der flüssige Inhalt der asphaltirten Grube einen grösseren Dungwerth, weil
Nichts verloren geht, namentlich wenn die Sammelgrube zeitweise mit Gyps beschickt
wird. Die örtlichen Verhältnisse werden natürlich mannigfache Modificationen dieses
Systems erfordern: so sind z. ß. bei Ställen in Souterrains stets noch die Umfassungs-
mauern auf Isolirschichten aufzuführen.
Die Blindheit der Pferde hängt höchst wahrscheinlich von der schlechten Luftbe-
schaffenheit in den Ställen und namentlich von einer vorwaltenden ammoniakalischen
Atmosphäre ab. Auch viele andere Krankheiten der Thiere werden unzweifelhaft der
schlechten Beschaffenheit der Thierställe zuzuschreiben sein ; die Klauenseuche beim
Rindvieh und bei den Schafen und mehrere Hufkrankheiten der Pferde, Esel und
Maulthiere werden am sichersten durch gute Ställe verhütet. Der Einfluss des ge-
schlossenen, nicht ventilirten Raumes gibt sich bei den Thieren nicht minder
als bei den Menschen kund, er schafft stets mehr oder weniger abnorme Zustände
welche schliesslich in Krankheiten ausarten.
Die Pferde der Steppenbewohner sind frei von den sogenannten Culturkrank-
heiten, obgleich sie grossen Strapazen ausgesetzt sind und oft sogar spärliches Futter
erhalten, grade wie die Barackenwohnungen bei Truppenansammlungen u. s. w. am
meisten vor Krankheiten schützen und Barackenhospitäler am besten die Genesung
begünstigen.
Die Entstehung der Rinderpest beim russischen Steppenvieh beruht in örtlichen
Verhältnissen, die hier nicht weiter zu erörtern sind. Jedenfalls besitzt aber das russische
Steppenvieh wegen seiner beständigen Lebensweise im Freien die grösste Widerstands-
fähigkeit gegen diese Krankheit.
Unter den verschiedenen Ställen führen die der Schweine die meiste Belästi-
gung herbei, da die Excremente dieser Thiere einen ganz besonders widrigen Geruch
verbreiten. Der Boden muss hierbei ausnehmend undurchlässig sein und das Ab-
fliessen der Flüssigkeiten gestatten. In vielen Gegenden herrscht dabei die Unsitte, die
Schweineställe derart mit den Aborten zu verbinden, dass die Fäcalien zur Nahrung
der Schweine dienen. Ein solches Vei'fahren ist aus den mannigfaltigsten Ursachen un-
zulässig, abgesehen davon, dass auch das Schweinefleisch dadurch einen sehr üblen Ge-
schmack erhält.
Das Aufstapeln des Thiermistes erfordert wie bei den menschlichen Dejectionen
ein Lagern mit Erdschichten Asche, u. s. w., d. h. ein Anlegen von Composthaufen, um
die Dungsubstanzen festzuhalten; sie dürfen aber nie in der Nähe von Brunnen oder
au Gebäuden angelegt werden, damit die ablaufende Mistjauche nicht schädlich einwirke.
Dungstätten, bei denen die flüssigen und festen Excremente mit Stroh aufgeschichtet
oder die festen Excremente mit Stroh gemischt und mit Harn übergössen werden, dürfe/?
nur in cementirten, mit Theer getränkten und verschlossenen Gruben angelegt wer-
den, welche keiner Ueberschwemmung ausgesetzt sind. In der Nähe von grösseren
Häusercomplexen, Vorstädten, Villenanlagen u. s. w. muss der frisch aufgeworfene Dünger
sofort umgepflügt wei'den.
Benutzung verschiedener Dungstoffe. 219
3) Die Bodeneultur und die Benutzung verschiedener Dungstoffe.
Der Boden muss die für die Pflanzennakrung erforderlichen Stoffe in einer
assimilirbaren Form erhalten; wenn die Natur hierzu nicht ausreichend wirkt,
so müssen mechanische und chemische Kräfte die Ueberführung der Pflanzen-
nahrungsstoffe in jene Form unterstützen. Der Verwitterungsprocess be-
steht nur in einem Zerfallen der im Boden befindlichen Mineralien durch Wasser,
Luft resp. Kohlensäure und jTemperaturwechsel; er wird beschleunigt durch
Pflügen und Umgraben, um der Einwirkung der Atmosphäre eine grössere
Oberfläche zu bieten. Ganz besonders ist in chemischer Beziehung das Kalk-
hydrat ein geeignetes Mittel zum Aufschliessen des Bodens; das Aufstreuen
auf die Aecker darf niemals bei starkem Winde stattfinden; auch ist es zweck-
mässig, den Kalk mit feuchter Erde zu mischen. Er erzeugt vorzugsweise die
Verwesung der sickstoffhaltigen Substanzen resp. aus dem Ammoniak Salpeter-
säure; der Kalk sowie die Alkalien und alkalischen Erden leiten nämlich Oxy-
dationsprocesse ein, an welchen sie selbst sich nicht betheiligen.
Das Selliffeln besteht in einem Verbrennen der Grasnarbe, wobei die im Heide-
kraut spärlich vorkommender) Nahrungsstoffe in die für Pflanzen assimilirbare Form
gebracht werden. Durch das Brennen werden nämlich die Löslichkeit der Silicate und
Alkalien so wie die Absorptionsfähigkeit des Bodens für Ammoniak hervorgerufen. Durch
das Moorurennen wird die humose Torferde der Verbrennung unterworfen, wobei wegen
ihres Bitumengehaltes die Producte der trocknen Destillation auftreten, welche nament-
lich auf die Blütben der Pflanzen und Bäume nachtheilig einwirken und unter der Er-
scheinung des Höhenrauchs (HaaiTauch) allgemein bekannt sind.
Aspirirt man die hiermit geschwängerte Luft durch feuchte Baumwolle, um allen
atmosphärischen Staub abzuhalten, und leitet sie in Schwefelsäure, so färbt sich letztere
zuerst gelb und dann braun. Man erhitzt diese 3—4 Stunden lang mit Oxalsäure, bis
eine langsame Zersetzung und eine schwache Entwicklung von Kohlensäure resp. Koh-
lenoxyd eintritt. Nach dem Erkalten verdünnt man die Mischung mit Wasser und
übersättigt sie mit Natrium carbonat: es tritt sofort eine lebhaft violettrothe Färbung
durch Bildung von rosolsaurem Natrium ein, welches seinen Ursprung der Carbol-
säure verdankt.
Der Nachweis von Carbolsäure im Höhenrauch lässt keinen Zweifel über den
Ursprung desselben zu. Durch das Moorbrennen geht eine unberechenbare Menge von
Brennmaterial resp. von Wärme verloren: durch Aufschliessen, Entwässern und Drai-
niren würde man denselben ökonomischen Zweck erreichen.
In Anbetracht, dass durch das Moorbrennen in einem verhältnissmässig kleinen
Gebiete ganze Ländercomplexe belästigt und beschädigt werden, sollte im öffentlichen
Interesse das Moorbrennen Seitens der verschiedenen Staaten gänzlich verboten werden.
Es sind hierüber zwar schon viele Stimmen laut geworden, man ist aber dem Ziele
nicht im Geringsten näher gerückt und die Calamität kehrt in jedem Jahre zurück.58)
Erst in Holland hat man den Anfang gemacht, den Torf zu verkoken, wo-
bei 2 G. Th. Torf als Brennmaterial benutzt werden, um 1 G. Th. in eine holzähn-
liche Masse zu verwandeln. Dieser Torfkok wird von Conditoren und Pasteten-
bäckern gern benutzt, da er ohne Geruch verbrennt und leicht entzündlich ist. In
Holland wird er deshalb vorzugsweise zum Warmhalten des Theewassers in den soge-
nannten Stoofjas verwendet. Die beim Verkoken gewonnene Asche dient zur Dün-
gung des entwässerten und ausgetorften Landes.
Das Verbrennen der Wurzelstöcke beim Ausrotten der Wälder erzeugt einen
sehr belästigenden Rauch, der alle Eigenschaften des Höhenrauchs hat: bei Regen-
wetter können dadurch die benachbarten Felder ganz verwüstet werden. Dieses Ver-
brennen sollte daher in einer Art von Kohlenmeilern oder in Gruben vorgenommen
werden, damit eine energische Verbrennung mit Flammenbüdung unterhalten wird.
Beim Düngen des Bodens, d.h. bei der Zuführung der fehlenden Boden-
bestandtheile, beobachtet man nach den verschiedenen Zwecken, die man zu er-
reichen sucht, auch ein verschiedenes Verfahren. Die Bewässerung ist von der
Berieselung zu unterscheiden; sie findet bei den Wiesen, beim Reisanbau, bei den
Indigo- und Zuckerpflanzungen statt. Es kommt hierbei die starke Verdunstung
220 Die atmosphärische Luft.
der bewässerten Grundstücke in Betracht. So lange diese unter Wasser stehen,
macht sich die Einwirkung der Verdunstung weniger geltend als nach dem Ab-
lassen des Wassers, wenn die Grundstücke durch Bestrahlung der Sonne einer
starken Verdunstung unterworfen werden und die Oxydation zunimmt. Es zeigen
sich dann alle nachtheiligen Einflüsse der Sumpfluft; dichte weisse Nebel
lagern sich namentlich des Abends über solche Flächen, und das Auftreten des
Wechselfiebers iu der Nähe ist nicht selten.
Hier muss der Hauptschutz in einer zweckmässigen Bekleidung und in der
Vermeidung von Sitzen oder Liegen im Freien, namentlich des Abends, bestehen.
Die JauchednnglUlg ist für jeden Freund der Natur eine lüstige Zugabe. Man
hat noch nicht versucht, dieser Belästigung durch zweckmässige Desinfectionsnrittel ent-
gegenzutreten, obgleich oft schon ein einfacher Zusatz von Kalk zur Mistjauche in
dieser Beziehung sehr zweckmässig sein würde.
Die Düngung mit Exerementen ist für die Adjacenten eine höchst unangenehme
und für sensible Constitutionen oft unerträgliche Procedur; ein Zusatz von Mineralsub-
stanzen, namentlich von Gyps, würde die höchst übelriechenden Exhalationen bedeutend
mindern.
PischgnanO wird an der Norwegischen und Schottischen Küste aus Sprotten
(Clupaea sprattus) bereitet, indem diese getrocknet und durch Mahlen grob pulvei-isirt
werden; es entwickeln sich hierbei stark faulige Gerüche, welche zweckmässig durch
Schlote abzuleiten sind. In der Nähe menschlicher Wohnungen sollte diese Fabrication
nicht geduldet werden. Beim Dörren in der wärmeren Jahreszeit geht das Fischfleisch
schon vor seiner vollständigen Austrocknung in Fäuluiss über: die Ausdünstungen locken
eine Menge von Insekten herbei, welche scharenweise solche Werkstätten umlagern.
In kälterer Jahreszeit benutzt man zum Trocknen künstliche Wärme. Auch hierbei ist
der Fäulnissprocess mit der Exhalation von Methylamin, Propylamin und den Ammo-
niakbaseu aller Art nicht zu vermeiden.
Eine dritte Art des Trocknens besteht darin, dass man die Fische und Fisch-
theile auf erhitzten eisernen Platten gleichsam backt. Von dem Trocknen und Mahlen
der Masse behält dieser Handelsartikel noch immer einen an faules Stockfisclrwasser erin-
nernden Geruch. Wird dieser Dünger mit verdünnter Schwefelsäure besprengt und
fieissig uingekrükt, so findet ein wirkliches Aufschliessen der im Dünger enthaltenen
Gräten statt: dieser Act geschieht aber meistens an Ort und Stelle, wo der Dünger sofort
gebraucht wird. Ein anderes Verfahren besteht noch darin, dass man Breitlinge oder
Heringe (100 Pf.) mit Schwefelsäure (5 Pfd.) in bleierne Kufen mischt, bis die Masse
eine teigige Consistenz angenommen hat. Man trocknet dieselbe durch künstliche
Wärme aus, wobei alle flüchtigen fetten Säuren neben Schwefelwasserstoff auftreten.
Man hat auch die Fische durch Erhitzen mittels Wasserdampfes behandelt uud
das Oel ausgepreist, um den Thran zu gewinnen. Beim Lagern dieses Düngers ist
derselbe Geruch wie beim Superphosphat vorhanden, weshalb dieselben Massregeln wie
bei Knochenlagern zu beobachten sind (S. Knochenlager).
In Schottland und Irland werden die Fische häufig frisch zu einein Brei ge-
stossen; derselbe wird mit Wasser verdünnt und als flüssiger Dünger auf die Aecker
gebracht. An der Küste von Friesland, Norwegen und Schottland werden auch die so-
genannten Garnelen (Seespinnen) zerstossen uud zum Düngen gebraucht. In den
Cisternen, wo dieser Dünger aufbewahrt wird, entwickelt sich ein unerträglicher Ge-
ruch; auch hier sammelu sich eine Masse von Fliegen an, um daselbst ihre Eier zu
legen. Der Stich solcher Fliegen, die mit diesen faulen Substanzen in Berührung
gekommen sind, soll höchst schmerzhafte und in brandige V er seh wärung übergehende
Pusteln erzeugen.
Dünger von Hörn-, Woll-, Tiederabfällen und Haaren. Die betreffenden Gegen-
stände werden iu mit Blei ausgefütterten Kesseln mit einem Gemisch vou Schwefel-
säufe und Wasser zu gleichen Volumina siedend heiss behandelt. Es lösen sich diese
Substanzen in der Flüssigkeit auf, wobei sich ein eigentümlicher, an stinkenden Schweiss
erinnernder Geruch entwickelt.
Die Flüssigkeit wird nach dem Erkalten mit Kalk neutralisirt, wodurch sie in
eine pnlverförmige trockne Substanz übergeführt wird. Bei dieser Neutralisation ent-
steht eine Entwicklung von Schwefelammonium und andren Substanzen, welche höchst
fade riechen, ihrer eigentlichen Natur nach aber noch unbekannt sind.
Diese Düngerart behält stets einen widerlichen Geruch, weshalb beim Lagern
derselben die grösste Sorgfalt anzuwenden ist.
Benutzung verschiedener Dungstoffe. 221
Besondere Düngerarten. Für die Blumenzucht dienen die Excremente der Hunde
(Album graecum, 3 basisch phosphorsaures Calcium Ca3 (P04)2 nebst Ueberresten von
thierischen Geweben) als Dünger; dieselben werden an der Luft getrocknet, fein ge-
pulvert und als Streupulver benutzt. Auch der Abfall von Bierbrauereien resp. des
Hopfens und Malzes, sowie der Bier- und Weinhefe dient als Dünger; man überlässt
die Hefe der Fäulniss und setzt Gypspulver so lange hinzu, bis das Ganze eine trockne
Masse geworden ist: auch hier muss man so viel als möglich für die Entfernung der
höchst stinkenden Dämpfe sorgen. Es empfiehlt sich sehr, die schon in Fäulniss be-
griffene Masse mit einer Decke von Gyps und Holzasche zu bestreuen.
Hierher gehört auch das getrocknete Blut; das Eintrocknen ist sets mit dem
widerlichsten Gerüche verbunden, weshalb man am besten Torf- und Braunkohle zusetzt.
Kulturbefördernng durch Färben resp. Schwärzen des Bodens. In manchen
Fällen ist es vortheilhaft, den Boden zu befähigen, sich durch die Sonnenstrahen schon in
den ersten Frühlingstagen rasch und dauernd zu erwärmen. Bei allen Gemüse-
treibereien kommt es darauf an, class dem Boden auch bei niedrigem Stande
der Sonne eine verhältnissmässig starke Erwärmung zu Theil wird Bekanntlich werden
alle schwarzen Gegenstände von der Sonne stärker als weisse erwärmt; es ist deshalb
leicht erklärlich, warum ein dunkler resp. schwarz gefärbter Boden ein rascheres Wach-
sen hervorruft als eine andere Bodenart, die bei ganz gleichen Bodenbestandtheilen
eine helle oder weisse Farbe besitzt, Die grosse Triebkraft des Sandbodens in Ost-
friesland ist nur durch seine schwarze Farbe bedingt; namentlich Spargel lässt sich in
einem schwarzen Boden viel rascher aufziehen als in einem hellfarbigen.
Das Schwärzen des Bodens geschieht einfach durch Zufuhr von pulverisirter
Holz- oder Steinkohle oder einer andern Substanz, welche durch Verwesung schwarzge-
färbte Producte erzeugt. Hierbei kann nnr der Staub belästigend oder nachtheilig wir-
ken, wenn sich zufällig in der Nähe Bleichereien befinden sollten.
Stickstoff und Wasserstoff.
Ammoniak NH3.
Ammoniak kommt frei in der Natur fast nur als salpetrigsaures Salz NH4N03
in der Atmosphäre und im Regenwasser vor. Auch entsteht es bei der trocknen
Destillation stickstoffhaltiger organischer Körper und bei der Fäulniss solcher Stoffe; in
der Damm- oder Ackererde fehlt es daher nie, tritt aber hier meistens als Carbonat
auf. Das Carbonat entsteht stets beim Faulen des Urins und verbindet sich alsdann
mit stinkenden organischen Basen; auch Guano entwickelt Ammoniumcarbonat neben
essigsaurem, buttersaurem und baldriansaurem AmmoBium. Die Vereinigung von Stick-
stoff und Wasserstoff findet nur statt, wenn diese Elemente in statu nascendi zusammen-
treten; so oxydirt sich beim Auflösen von Zink in Salpetersäure ersteres auf Kosten
des Sauerstoffs des Wassers und der Salpetersäure, wodurch einerseits Wasserstoff,
andererseits Stickstoff frei wird, welche sich alsdann in statu nascendi zu Ammoniak
verbinden.
4Zn + 9HN03 = 4Zn (N03), + 3H20 + NH3.
Das gasförmige Ammoniak hat einen scharfen durchdringenden Geruch, einen
laugenartigen Geschmack, ein spec Gew. von 0,597, ist farblos und in gewöhnlicher
Atmosphäre nicht verbrennbar. In concentrirtem und wasserfreiem Zustande verbrennt
es im Sauerstoff mit weisslich-bläulicher Farbe. Es ist eine starke Base, bläut geröthetes,
feuchtes Lackmuspapier, verbindet sich direct mit Säuren und bildet damit Salze,
die eine grosse Aehnlichkeit mit denen des Kaliums haben. Wasser, Aether, Al-
kohol, Kohle und alle porösen Körper, wie Platinschwamm und Eisenoxyd, absorbiren
das Gas mit grosser Begierde. Mit den Dämpfen der Salzsäure bildet es die bekannten
weissen Salmiak - Nebel. Durch einen Druck von 4,5 Atmosphären bei 0° lässt es
sich zu einer Flüssigkeit verdichten, welche bei — 40° siedet; bei gewöhnlicher Tem-
peratur vermag ein Vol. Wasser 600 Vol. des Gases zu absorbiren. Je mehr das Wasser
durch die Aufnahme von Ammoniak sein Volumen vergrössert, desto speeifisch leichter
muss es natürlich werden.
Das wässerige Ammoniak, Salmiakgeist, besitzt daher ein verschiedenes
spec. Gewicht; der Liquor Ammonii caustici der Pharmacopoea germ enthält nur 10%
Ammoniak bei dem spec. Gew. von 0,90; im Handel kommt ein tonhaltiger vor.
In allen Verbindungen von Ammoniak hat man die Atomgruppe NH4 als ein
Element angenommen und Ammonium genannt. Seine Isolirung scheiterte bisher an
seiner leichten Zersetzbarkeit in Wasserstoff und freies Ammoniak; dagegen kann seine
Legirung mit Quecksilber, das Ammoniumamalgam, als ephemere "Verbind.ung dar-
gestellt werden , wenn man eine concentrirte Lösung von Salmiak mittels Natriumamal-
gams in Chlornatrium und das voluminöse schwammige Ammoniumamalgam zersetzt.
Aus demselben entsteht aber unter Wasserstoff- und Ammoniakabdunstung sehr bald
222 Stickstoff und Wasserstoff.
reines Quecksilber. Lässt man auf Salmiak bei Gegenwart von Quecksilber den elek-
trischen Strom einwirken, so erhält man ebenfalls Ammoniumamalgam.
Einwirkung von Ammoniak auf den thierischen Organismus. Bei den Ver-
suchen an Thieren gibt sich die irritirende Wirkung der Animoniakdämpfe
durch Thräneu, Röthuug der Augen, Schleinifluss aus Nase und Maul, grosse Un-
ruhe und heisere Stimme kund. Fährt man mit der Zuleitung der Dämpfe in
einem geschlossenen Raupte fort, so tritt bald der Tod unter heftiger Dyspnoe
und tetanischeu Krämpfen ein. Kaninchen und selbst junge Katzen können
den Dämpfen binnen 15 Minuten erliegen; in dem kurzen Krankheitsverlaufe
zeigt sich merkwürdigerweise kein Husten, nur bei Katzen deutet die heisere
Stimme auf die Reizung der Respirationswege hin; auch tritt bei letzteren
Brechwürgen ein. Bei der Section fällt der die feinsten Bronchialverzweigungen
ausfüllende feinblasige Schleim, die geröthete, sammetartig aufgetriebene Schleim-
haut des Kehlkopfes, der Luftröhre und Bronchien auf. Die Lunge hat eine
emphysematöse Beschaffenheit, aber keine auffallende Färbung, höchstens hier und
da eine braunrothe und schwärzliche Marmorirung, während das Herz geronnenes
und flüssiges Blut zeigt. Im Allgemeinen waltet das flüssige Blut vor und hat
eine dunkelbraunrothe Farbe. äy)
Leitet man Ammoniakdämpfe in frisches Ochsenblut, so bleibt es flüssig,
nimmt aber bei fortgesetzter Zuleitung eine braune Farbe an; es verschwinden
die Blutbänder, die Blutkügelchen lösen sich auf und das Haeinoglobiu wird zer-
stört.60) Ausserdem absorbirt das ammoniakalische Blut sehr rasch Sauerstoff
und liefert mehrere noch nicht naher untersuchte Oxydationsproducte; inwieweit
dies im Organismus stattfindet, ist ebensowenig sichergestellt. Bei Menschen
erzeugen Ammoniak und alkalische Ammoniumsalze auf der Haut Risse und
Schrunden, weil sich das Fett in den Talgdrüsen mit dem Ammoniak verbindet;
Arbeiter, die sich mit der Sublimation von Ammoniumcarbonat beschäftigen,
leiden hauptsächlich an dieser Hautaffection; Waschungen mit Essig wirken hier
sehr wohlthätig ein. Die durch Ammoniak erzeugte Augenentzündung (la
mitte) verbindet sich mit Geschwulst und starkem Thränenfluss; man beobachtet
sie am häufigsten bei Cloakenfegern. Nicht selten gesellt sich ein starker Schmerz
in der Stirngegend hinzu, der bei den französischen Arbeitern Fron ton heisst.
Bei Leuten, welche über Guanolagern wohnen, hat man Taubheit und auf
der Haut über der Nase und Stirnbeinhöhle eine eigentümliche Röthe beobachtet,
die sich auch bei Vergiftungen durch Ammoniak zeigt und hier in rosenrothen
Flecken an den Vorderarmen auftritt, eine Erscheinung, welche wahrscheinlich
mit der durch die Vergiftung bewirkten Blutveränderung in Zusammenhang steht.61)
Ausser der Arrosion der Respirationsschleimhaut, die beim Einathmen der
Dämpfe entsteht und unter Umständen die grössten Beschwerden erzeugt, sind
es die mit Schleim angefüllten Bronchien, welche höchst gefährliche Erstickungs-
anfälle erzeugen. Dass bei örtlicher Einwirkung von Ammoniak auf die Nerven
diese getödtet werden, ist durch Versuche festgestellt.62) Dazu kommt, dass Am-
moniak die Ausscheidung der Kohlensäure aus dem Blute verhindert, indem es
sich mit ihr verbindet; dadurch muss der normale Gasaustausch gestört und die
Blutbeschaffenheit alterirt werden.63)
Die thatsächlichen Erfahrungen sprechen dafür, wie sehr man sich in der
Industrie vor Ammoniakdämpfen zu hüten hat. da die Vergiftungserscheinungen
(Schwindel, Husten, Erbrechen, Erstickungsanfälle, Speichelfluss, Aufüllung der
Ammoniak-Industrie. 223
Bronchien mit Schleim u. s. w.) sehr leicht einen letalen Ausgang nehmen können,
namentlich wenn der Puls frequent und klein wird, das Gesicht collabirt und der
Körper sich mit Schweiss bedeckt, e4) Man hat auch croupöse, vom Larynx bis in
die feinern Bronchien sich ausdehnende Exsudate beobachtet, welche natürlich
das Krankheitsbild um so gefährlicher und hoffnungsloser gestalten.
Auf die Pflanzen wirken Ammoniak und die alkalisch reagirenden Am-
moniumverbindungen sehr verderblich ein, während die neutralen oder sauer
reagirenden Ammoniumsalze wahre Nahrungsmittel der Pflanzen sind. Das Be-
giessen der Pflanzen mit frischem Urin ist nur aus dem Grunde nachtheilig, weil
sich aus dem Harnstoff alkalisch reagirendes Ammoniumcarbonat bildet; 30 pCt.
davon dem Wasser zugesetzt, tödten eine Pflanze binnen einer Stunde, mag das-
selbe zum Begiessen verwendet oder der Wurzel zugeführt werden; dem Nach-
theile kann einigermassen dadurch vorgebeugt werden, dass durch reichliches Be-
giessen mit reinem Wasser oder einer angesäuerten Flüssigkeit das Ammoniak
wieder weggespült wird, ein Abwurf der Blätter ist jedoch fast immer die Folge
davon. Das Absterben der Bäume in Städten wird meistens dadurch herbeige-
führt, dass man sie als Standpunct zum Uriniren wählt.
Die Pflanzen nehmen die salpeter sauren Salze aus dem Regen wasser,
dem Thau und dem Boden auf; sie reduciren die Salpetersäure, wobei der
Sauerstoff als Wasser austritt und der Stickstoff assimilirt wird. Im Ammoniak
trennt sich der Stickstoff erst nach und nach vom Wasserstoff und tritt mit den
Kohlenwasserstoffverbindungen, die aus der Kohlensäure entstehen, zu complexern
stickstoffhaltigen Verbindungen zusammen.
Ammoniak- Industrie.
Bei der grossen Bedeutung der Ammonium salze für die Industrie hat
man ihre Darstellung auf sehr verschiedene Weise zu bewirken gesucht. Fäul-
niss und Verwesung, die trockne Destillation thierischer Substanzen, sowie die
Spaltung stickstoffhaltiger Körper bei Gegenwart starker Alkalien oder Säuren
liefern vorzugsweise Ammoniak.
Wird der Harn der Fäuluiss ausgesetzt, so gruppiren sich seine Elemente
unter Aufnahme von Wasser zu Kohlensäure und Ammoniak.
CON2H4 + H20 = C02 + 2NH3.
Dasselbe geschieht auch, wenn Harnstoff in wässeriger Lösung mit dem Ueber-
schuss eines Alkali oder einer alkalischen Erde zum Sieden erhitzt wird. Das
Gaswasser der Leuchtgasfabriken liefert gegenwärtig die wichtigste Quelle für
Ammoniak; es besteht aus anderthalbfach kohlensaurem Ammonium,
unterschwefliger Säure, Schwefelammonium, Cyan- resp. Schwefel-
cyanammonium, essig-, butter- und baldriansaurem Ammonium,
Kreosot und Carbolsäure nebst Spuren von Ammoniumsulfat und Ammonium-
chlorid. Der Zusatz von Kalk bei der Fabrication dient nur zur Bindung der
Säuren, an welche das Ammonium im Gaswasser gebunden ist. Seltner wird
fauler Urin allein, häufiger ein Gemenge von Urin und Gaswasser benutzt;
diese Fabrication führt die grösste Belästigung für die Abjacenten herbei, da die
widerlichsten Gerüche damit verbunden sind. Nach den verschiedenen Rohmate-
rialien ist die Darstellung eine verschiedene; es ist daher zu unterscheiden:
1) Die Darstellung der Ammoniimisalze aus Harn und Abort - Flüssig-
keiten. Der Transport dieser Flüssigkeiten geschieht in Fässern, welche möglichst
22 | Ammoniak-Industrie.
bald zu entleeren sind. Zn diesem Zwecke haben sie in beiden Böden mit
Stopfen versehene Löcher; man zieht zuerst den Stopfen aus einem Boden
aus, stellt das Fass mit der Oeffnung nach unten auf den Trichter des Destilla-
tionskessels und nimmt alsdann aus dem obern Boden den Stopfen heraus, damit
die Flüssigkeit in kräftigem Strome heransstürzt. Die Flüssigkeiten werden in
grossen eisernen und langen Cylindern von der Form der Dampfkessel mit Kalk
versetzt und der Destillation unterworfen. Das Ammoniak entwickelt sich hierbei
reichlich und passirt gut abgekühlte bleierne Schlangen; es scheidet sich hierbei
stets eine ölartige Flüssigkeit aus, die man in einem besondern Gefässe, in welche
die Kühlschlange mündet, ansammelt und späterhin ablässt. Von hier aus gelan-
gen die Ammoniakdämpfe in Begleitung von sehr übelriechenden Gasen in ein
Absorptionsgefäss. welches Schwefelsäure oder Salzsäure enthält, je nachdem
man die Fabrication von Ammoniumsulfat (NH4)2S04 oder Chlorammonium
NEU Cl bezweckt. Ist die Flüssigkeit arm an Ammoniak, so müssen mit dem Roh-
material angefüllte und geschlossene Z wischengefässe aufgestellt werden, in
welchen die aus dem Cyliuder entweichenden Ammoniakdämpfe angereichert
weiden, ehe sie in die Kühlschlangen gelangen; diese Flüssigkeit der Zwischen-
gefässe wird später zur Speisung der Cyliuder verwendet. In manchen Fabriken
wird sogar statt des Kühlwassers das Rohmaterial genommen; alsdaun muss der
Kühlbottich hermetisch verschlossen und durch ein besonderes Röhrensystem mit
den Zwischengefässen verbuuden sein, um die Exhalation der Gerüche zu ver-
meiden.
Die aus dem Absorptionsgefässe entweichenden Gase und Dämpfe be-
stehen vorzugsweise aus Kohlensäure, Schwefelwasserstoff und der ganzen
Reihe der flüchtigen fetten Säuren. Unter allen Umständen müssen diese
unter den geeigneten Vorsichtsmassregeln unter die Kohlenfeuerung oder bei
grossem Betriebe in eineu besondern Desinfectionsofen geleitet werden.65)
Die Verdampfung der Salzlösung geschieht in flachen Pfannen entweder über
freiem Feuer oder mittels in Schlangenröhren circulirender Wasserdämpfe. Bei
dieser Procedur handelt es sich nicht um die Darstellung reiner Präparate, sie
bereitet aber der Nachbarschaft die meiste Belästigung, da sich die Gerüche auf eine
Entfernung von 20 — 30 Minuten in die Umgegend verbreiten können. Nach einem
kurzen Aufenthalte in diesem Räume werden alle wollenen Keidungsstücke mit
den unangenehmen Dämpfen iinprägnirt; sie verlieren diesen Geruch nicht so bald,
so dass dadurch für die Umgebung mannigfache Belästigung entsteht.
Das Abdampfen muss unter einem steinernen Gewölbe vorgenommen werden,
um die Gase und Dämpfe in die Feuerung der Fabrik ableiten zu können;
wollte man sie dem Schornsteine zuführen, so würde hieraus für die Adjacenten
nur wenig Vortheil erwachsen, weil sie dadurch nicht hinreichend verdünnt
werden.
Der Inhalt der lylinder wird nach vollendeter Destillation in Cisternen oder
geschlossene Behälter abgelassen. Nach dem Absetzenlassen wird die schwach
alkalische Flüssigkeit mittels Heber abgelassen und zwar entweder in Canäle
oder auf Aecker; der zurückbleibende Schlamm ist ein gutes Dungrnittel und
muss als solches verwerthet werden.
2) Darstellung von Ammoniak ans Gaswasser. Ammoniak wird aus dem
Gaswasser, welches durchschnittlich 0,3 pCt. davon enthält, mit oder ohne
Zusatz von Kalkwasser mittels Destillation resp. Fractioniruug erhalten. Die
Ammoniak-Industrie.
225
meisten Fabriken dieser Art liegen gegenwärtig in der Nähe der Leuchtgasfabri-
ken, um den Transport der Gaswässer zu vermeiden und das Gaswasser aus der
Gasanstalt durch ein unterirdisches Röhrensystem in die Ammoniakfabrik zu
leiten; wo dies nicht der Fall ist, darf sich wenigstens kein überflüssiges Roh-
material in der Fabrik anhäufen. Für den Transport eignen sich am besten
eiserne Behälter, namentlich alte Dampfkessel, welche mit Achsen und Rädern
versehen sind. Um das Auspumpen zu vermeiden, setzt man das Destillations-
gefäss mittels eines Rohrs mit dem Gaswasserbehälter in Verbindung, macht
ersteres mittels Wasserdämpfe luftleer und bewirkt dadurch ein rasches Aufstei-
gen des Gaswassers. Die Destillationsapparate basiren auf dem Princip der
fractionirten Destillation, wie solche bei der Spiritusfabrication zur Anwendung
kommt.
Das einfachste Verfahren besteht darin, dass man zwei Dampfkessel nebeneinander
legt, welche durch ein Feuer geheizt werden (s. Fig. 26). Bei 0 liegt das Feuer:
Fig. 26.
beide Kessel (^1 und B) werden mit frischem Ammoniakwasser unter Zusatz von Kalk-
milch gespeist; dann wird A zum Sieden gebracht, nachdem man den Schieber D
geschlossen und den Schieber C geöffnet hat. Während des Siedens gelangen die am-
moniakalischen Dämpfe durch das Rohr E in den Kessel B , wobei der Halm G und H
geschlossen und der Hahn F und J geöffnet ist. Wenn nun schliesslich die Flüssigkeit
in ß durch den eingetriebenen Dampf in's Sieden geräth, so tritt das Ammoniak aus A
nebst dem aus B in das Condensations- resp. Absorptionsgefäss. Enthalt A kein Ammo-
niak mehr, was durch Probehähne zu ermitteln ist, so lässt man die Flüssigkeit aus dem-
selben ab und füllt neues Ammoniakwasser ein. Dieses Einfüllen kann entweder mit-
tels Pumpen oder, was noch zweckmässiger ist, mittels Wasserdämpfe bewerkstelligt
werden. In letzterm Fall stehen die Kessel in directer Verbindung (durch das Rohr A')
mit dem das Rohmaterial enthaltenden Reservoir. Wenn der Kessel A durch Wasser-
dämpfe aus dem Kessel B von aller atmospärisehen Luft befreit worden ist und der
Dampf durch L kräftig abströmt, öffnet man den bisher geschlossenen Hahn A~ und
schliesst L, F, H und (r, um das Rohmaterial aufsaugen zu lassen.' Dann schliesst man
den Schieber C und öffnet den Schieber D; der Hahn F ist geschlossen, G geöffnet,
./ geschlossen und H geöffnet. Es treten die aus B sich entwickelnden Dämpfe
durch den Hahn G nach A. Hier gelangt nun die Flüssigkeit zum Sieden und das Am-
moniakgas geht alsdann aus A durch das Rohr E und den Hahn H nach der Conden-
sationsvorrichtung. Das bei der Destillation auftretende und schon oben erwähnte Oel,
welches aus schwefelhaltigen und schwefelfreien Theerölen sowie aus Carbolsäurc besteht,
wird in einem besondern geschlossenen Gefässe {M) vom flüssigen Ammoniak separirt
und abgelassen. Das Rohr 0 dient zur Ableitung der Gase und Dämpfe.
Beim Zusatz von Kalk entwickelt sich stets der ganze Ammoniakgehalt;
die mit dem Ammoniak verbunden gewesenen Säuren: Kohlensäure, Schwefel-
Eulenberg, Gewerbe-Hygiene. 15
__'! Stickstoff und Wasserstoff.
waßseretoff, unterschwellige Saure, Schwefelcyanwasserstoflfsäure bleiben, an Kalk
gebunden, in der Flüssigkeit.
Wird das Gaswasser für sich erhitzt, so entweicht das an Kohlensäure
und Schwefelwasserstoff gebundene Ammoniak vollständig, das an unter-
schweflige Säure gebundene theilweise unter Entwicklung von Schwefelwasser-
stoff, während das mit Schwefelcyanwassertoffsäure verbundene in der
Losung zurückbleibt.
Die Ammoniakdämpfe gelangen in ein Gefäss mit Wasser, von dessen
Menge das specifische Gewicht des Salmiakgeistes abhängt. Dieses Gefäss ist
stets noch mit einem Ableitungsrohr für die flüchtigen austretenden Gase zu
verschen; letztere müssen in die Feuerung abgeleitet werden.
Beim Kalkzusatz findet eine reichlichere Ausbeute von Ammoniak statt;
die Rückstände müssen iu wasserdichten Cisternen aufbewahrt und anderweitig
verwerthet werden, während die über dem Kalke sich ansammelnde Flüssig-
keit wegen ihres Gehaltes an löslichen Schwefel Verbindungen nur mittels dichter
Rohren den Abzugskanälen zugeführt werden darf.
Wenn der Kalkzusatz fehlt, so enthält der Destillationsrückstand
noch immer schwefelcyanwasserstoffsaures Ammonium; mittels dichter
Röhren kann er aber in die Abzugscanäle abgelassen werden.
Der erhaltene Salmiakgeist ist stets unrein und kann nur zu technischen
Zwecken benutzt werden.
Handelt es sich bei der Ammoniakfabrication besonders um die Wegschaffung
des Schwefels, so setzt man eine demselben entsprechende Menge von Eisenvitriol
und Kalk dem Gaswasser zu; der Schwefel wird alsdann als Schwefeleisen gebun-
den, wählend die übrigen empyreumatisehen Verbindungen frei bleiben.
Der Destillationsrückstand in den Destillirkesseln verdient hierbei noch
eine besondere Beachtung, weil er Ferrocy ancalcium und Carbolsäure enthält;
derselbe wird gewöhnlich siedend heiss abgelassen, darf aber in diesem Zustande nie-
mals in Senk- und Schlinggruben gelangen, weil hierdurch die nahegelegenen Brunnen
sehr gefährdet würden. Man muss diesen Rückstand in besondern Cisternen erkalten
lassen, wobei sich die unlöslichen Kalkverbindungen (Ferrocyancalcium) und das
Schwefeleisen ausscheiden. Die stark alkalische Flüssigkeit, welche ausser Kalk
und Kalksalzen stets noch etwas Carbolsäure enthält, kann ohne Gefahr in verdeckten
Canälen in Schwenimcanäle oder grössere Wasserläufe abfliessen; niemals darf man sie
aber in Schlinggruben versinken lassen, da der Carbolsäuregehalt die benachbarten
Brunnen verderben würde.
Der eigentliche Schlamm der Cisternen kann wegen des erwähnten Gehalts an
Ferrocyancalcium unter Umständen durch Behandeln mit Pottasche in der Siedhitze auf
Blut laugen salz bearbeitet werden.
Die Reinigung des Salmiakgeistes geschieht gegenwärtig oft während der Fa-
brication, indem man die Dämpfe Kohlen filter passiren lässt.
In einer hiesigen Fabrik liegen drei Kessel übereinander, von denen die beiden
untersten durch directe Feuerung erhitzt werden und mit Rührwerken zur innigen
Mischung des Kalkes versehen sind. Der oberste Kessel dient als Vorwärmer oder
Dephlagmator ; vom dritten Kessel wird das Gas durch ein ausgedehntes System von
sehen Kühlern geleitet, um den Wasserdampf abzugeben, und dann den Wasch-
idensationsapparaten zugeführt. Letztere sind unter sich durch mit
Holzkohle gefüllte Ruine verbunden, die etwaige Reste von Empyreuma wegnehmen
und chemisch reinen Salmiakgeisl liefern sollen. Durch das Einbringen der ganzenMenge
von Kalk in die Kessel vor der Operation soll die Verunreinigung des Salmiakgeistes
durch die flüchtigen Ammoniumyerbindungen (Schwefelamnionium, Ammonium-
onat) verhütet werden 66)
In Laboratorien gebraucht man zur Darstellung des Salmiakgeistes ein
Gemenge von Salmiak und gelöschtem Kalk (Calciumhydrat) , welche man in grosse
Retorten aus Steingut bringt und erhitzt:
' 2 Nll4 Ol + Ca(OH2) = CaCl2 4- 2 HaO + 2 NH3.
Das Gas wird in Vorlagen aufgefangen, welche nach Art der IVou/f 'sehen Flaschen
Ammoniak-Industrie.
227
construirt, theilweise mit Wasser angefüllt und mittels Röhren untereinander sorgfältig
verbunden sind, damit sieb, kein Gas verflüchtigt.
Um Flaschen mit Salmiakgeist zu füllen, bedient man sich häufig eines einfachen
Hebers, wodurch schon oft Unglückfälle herbeigeführt worden sind, wenn die Flüssigkeit
hierbei in den Mund gelangte. Es sind hierbei stets Säureheber mit Saugrohr zu
verwenden, um jede Berührung der Flüssigkeit mit der Mundhöhle oder selbst zufällige
Vergiftungen zu verhüten.
Salmiakgeist darf nur in Glas- und Steingutgefässen mit gleichnamigem Verschluss
oder mit in Paraffin getränkten Kork- oder Kautschukstöpseln aufbewahrt oder versandt
werden.
Technische Verwendung des Salmiakgeistes. Ausser in der Medicin wird
Salmiakgeist bei sehr vielen chemischen und technischen Processen, beim Präci-
pitiren, beim Auflösen, Scheiden, bei der Extraction der Erze (Kupfererze), beim
Waschen der Wolle und Seide, in der Färberei and in der Farbenfabrication,
namentlich zur Darstellung der Ürseille, des Persio (Cud-bear), des Lackmus aus
den verschiedenen Flechtenarten, der Anilin- und Naphtalinfarben, bei der In-
digobereitung auf Java, beim Ammoniak-Sodaprocess u. s. w. verwendet.
Die Carre'sche Eismaschine beruht auf der bedeutenden Kälte, welche
sich bei der Entwicklung der Ammoniakdämpfe im luftverdünnten Räume erzeugt.
Die sogenannte Kraftmaschine, bei welcher die motorische Kraft durch die
Expansion der Ammoniakdämpfe erzeugt wird, hat sich in der Praxis nicht
bewährt.67)
3) Directe Darstellung von Annuoniumsulfat aus den Gaswässern. Man ge-
braucht dazu einen Apparat, welcher sich wenig von dem in Fig. 26 dargestellten
unterscheidet. Der Hauptunterschied besteht in der Lage der beiden Kessel und
in der Feuerungsanlage (s. Fig. 27).
Fig. 27.
c
Das Ammoniak entweicht aus dem Gaswasser im Kessel A durch das Rohr a in
den Kessel #, erwärmt das Wasser darin und macht aus diesem einen weitern
Theil Ammoniak frei. Die Ammoniakdämpfe entweichen dann sämmtlich durch das
Rohr b in den mit Schwefelsäure und mit Blei ausgefütterten Apparat /?, in welchem
sich Ammoniumsulfat bildet. Wasserdämpfe, nicht condensirte Gase, namentlich
Schwefelwasserstoff und Kohlensäure, neben Schwefelcyan Wasserstoff, schwef-
liger Säure, Essig-, Butter- und Baldriansäure, entweichen durch das Rohr e in einen
Canal, welcher unter dem Rost der Feuerung des Kessels mündet, um hier zur voll-
ständigen Verbrennung zu gelangen. Wenn alles Ammoniak aus dem Wasser im
Kessel A entwichen ist, wird letzteres abgelassen; dann wird durch das Rohr d aus
dem Kessel B das Wasser, welches noch etwas Ammoniak enthält, in den Apparat A
abgelassen und B durch die Röhre e mit frischem Ammoniakwasser gefüllt. Der ganze
Apparat spielt dann weiter, wie oben angegeben worden ist.
15*
j}28 Stickstoff und Wasserstoff.
Der Destillationsrückstand darf auch hier wegen seines Gehalts an Carbol-
säurc niemals in Senkgruben abgelassen weiden.
Bei dieser Methode wird (He Verbindung, Ammoninmsulfat, sofort kristallinisch
ausgeschieden, wenn die angewendete Schwefelsäure 50° B. stark war: das so gewonnene
Präparat ist aber sehr unrein.
Je grösser der Betrieb ist, desto sorgfältiger ist auf die Verbrennung der
entweichenden Gase und Dämpfe zu achten. Da die Dämpfe viel Wasserdampf
enthalten, so ist es zweckmässig, sie durch lange, möglichst erwärmte Röhren zu
leiten, um die grössere Menge vou Wasserdampf niederzuschlagen und dadurch die
Verbrennung des Schwefelwasserstoffs zu erleichtern. Die Zerstörung des
letztern wird sowohl im Interesse der Arbeiter als der Adjacenten absolut erfor-
dert. Hierzu reicht aber die Kesselfeuerung nicht immer aus; es wird vielmehr
häufig eine besondere, mit dem Schornstein verbundene Feuerung noth wendig;
dazu kommt dann die grosse Menge schwefliger Säure, welche aus der Ver-
brennung von Schwefelwasserstoff entsteht und durch den Schornstein entweicht.
Man hat berechnet, dass unter diesen Umständen bei 1 Centner Gaswasser
1 2 Pfund, bei 10,000 Centner also 50 Centner schweflige Säure in die Luft ge-
langen. Schätzt man den Gehalt des Gaswassers an Schwefel auf das Mittel von
0,4% Schwefel, so würden 10,000 Centner eigentlich 80 Centner dieser Säure
bilden; berücksichtigt man aber, dass ein Theil des Schwefels noch in der Form
von schwefelcyanwasserstoffsaurem Ammonium in der Flüssigkeit zurückbleibt,
ein andrer Theil desselben au die unterschweflige Säure gebunden bleibt, so
kann man das zuerst hervorgehobene Verhältniss im Allgemeinen als massgebend
betrachten. ,;s)
Bei einem massigen Betriebe werden jährlich 10,000 Centner Gaswasser
bearbeitet; ein 60 Fuss hoher Schornstein würde dann immerhin eine Menge von
ca. 12 Pfd. S02 pro Tag ohne Belästigung der Adjacenten in der Atmosphäre zur
Vertheilung bringen. Oertliche Verhältnisse. Richtung der Winde, eine zeitweilig
stärkere Entwicklung von Schwefelwasserstoff resp. schwefliger Säure vermögen
aber immerhin eine grössere Belästigung zu bedingen: dann könnten Mass-
regeln erheischt werden, wodurch auch die schweflige Säure auf irgend eine
Weise unschädlich gemacht werden müsste; welches Mittel man dazu wählt,
hängt dann von dem etwa gleichzeitig beabsichtigen Zwecke ab (s. schweflige
Säure S. 154).
Reinigung des rohen Aiiimoiiiiunsulfats. Bei der Versetzung von Ammoniak mit
Schwefelsäure ist stets ein kleiner Ueberschuss derselben erforderlich, damit beim
Eindampfen uudConcentriren der Salzlösung die meisten theerartigen Producte durch
die Einwirkung der freien Schwefelsäure zerstört werden. Bei der Abdampfung
ist, wie schon erwähnt worden, die Abführung des Empyreuma sehr nothwendig.
Es ist deshalb zweckmässig, die Flüssigkeit vor dem Abdampfen ein mit Wasser
durchtränktes Sand- oder Bimssteinfilter passiren zu lassen, wenu eine Filtervorrich-
tung ähu lieber Art nicht schon bei der Fabrikation benutzt worden ist. Immerhin
gehen aber während des Abdampfens eine Menge stinkender Bestandteile (Pyr-
rhol. Carbolsäure) ab, welche sich besonders in wollnen Kleidungsstücken fest-
setzen und auch weit über die Fabrik hinaus das Geruchsorgan belästigen. Bei
grösserer Concentration fehlt selten eine schwache Entwicklung von schwefliger
Säure.
Rüstung uVr Salzmasse. Die feste Salzmasse gelaugt weiterhin in Röst-
kessel, welche gewöhnlich aus Gusseisen construirt und fest sind. Hier wird
A m moniak -In d ustrie. "2 2 9
das Salz bis zur Entwicklung von seh wenigsauren und schwefelsauren Dämpfen
erhitzt; während dieser Röstung werden alle organischen Substanzen zerstört resp.
verflüchtigt. Die riechenden Stoffe werden durch die hohe Temperatur ausgetrieben
and die färbenden Substanzen durch den Ueberschuss von Schwefelsäure zerstört.
Es entwickeln sich neben der schwefligen Säure noch beträchtliche Mengen von
Anilin, Picolin, Lutidin, Leucolin u. s.w., wenn es sich um das aus Gaswässern
bereitete Ammoniak handelt, ferner Methylamin, Amylaniin, Propylamin, wenn
das Salz vom Urin herrührt, lediglich die ganze Reihe der Picolin b äsen, wenn die
trockne Destillation tkierischer Substanzen oder bituminöser Fossilien das Rokproduct ge-
liefert hat. Diese flüchtigen Picolinbasen reizen die Augen der Arbeiter sehr bedeutend
und erzeugen beim Einathmen einen äusserst bittern Geschmack. Bei dieser Röstung ist
es deshalb durchaus erforderlich, alle diese flüchtigen Producte zu beseitigen und zu zer-
stören. Zu diesem Zwecke gebraucht man birnförmig construirte Kessel, welche nur seit-
lich eine Oeffnung haben, aber mit einem Rohr versehen sind, wodurch die sich ent-
wickelnden Gase "und Dämpfe entweichen und direct in eine Feuerung geleitet werden
müssen. Nach dem Rösten wird die Salzmasse in "Wasser gelöst, filtrirt und zur
Krystallisation gebracht.
Dies so" dargestellte Ammoniunisnlfat ist das seeundäre oder neutrale Salz
(NH4)2 S04, welches in farblosen rhombischen Säulen krystallisirt , sauer schmeckt und
in Wasser leicht löslieh ist Es wird zur Darstellung des Ammoniumalauns und der
meisten Ammoniumsalze benutzt.
Das saure oder primäre Animoniumsulfat (NH4)HS04 erhält man, wenn man dem
neutralen Salz noch so viel Schwefelsäure zusetzt, als es bereits enthält.
Das rohe Ammoniumsulfat findet fast nur für künstliche Dungbereitung Ver-
wendung, die sich gegenwärtig sehr grossartig gestaltet und einen besondern Industrie-
zweig repräseutirt.
4) Darstellung von Ammoniumcaroonat als Nehenproduct der trocknen
Destillation. Behufs Darstellung von Bein schwarz werden die ausgekochten
Knochen in liegenden gusseisernen Cylindern der trocknen Destillation unter-
worfen. Das hierbei auftretende Gasgemisch enthält ausser den stinkenden
brenzlichen Dämpfen von Oleum Dippelii grosse Mengen von kohlensaurem
Ammonium, Kohlenoxyd, leichtem und schwerem Kohlenwasserstoff,
Ammoniak, Cyanammonium resp. Schwefelcyanammonium und die
ganze Reihe der Picolinbasen.
Zur Abscheidung des Ammonium carbonats lässt man die Gase und
Dämpfe ein System von Fässern oder Bleikammern durchstreichen, in welchen sich
dasselbe krystallinisch, mit den empyreumatischen Flüssigkeiten durchtränkt, ab-
scheidet. Auch besteht die wässrige Flüssigkeit, welche sich hier absetzt, aus
einer concentrirten Lösung dieses Salzes. Man nennt sie Spirit. cornu cervi,
während das feste Salz, Ammoniumsesquicarbonat (NH4)2C03 + 2(NH4)HC03
unter dem Namen Ammonium carb. pyro-oleos. s. sal volat. cornu cervi bekannt
ist. Es ist leicht löslich in Wasser, entwickelt an der Luft Kohlensäure und Am-
moniak und zerfällt dabei allmählig in ein weisses Pulver, primäres (saures)
Ammoniumcarbonat (NH4)HC03.
Der Rückstand der trocknen Destillation ist das Beinschwarz (Ebur
ustum, Knochenkohle).
Die Gase und Dämpfe, welche aus der letzten Condensationsvorrichtung
entweichen, müssen unter den Rost der Retortenfeuerung geleitet werden und
zwar jedenfalls mit Benutzung der Sicherheitsapparate, weil sonst bedeutende
Explosionen entstehen können Das Salz wird nachträglich noch durch Subli-
mation in eisernen Töpfen mit bleiernen Deckeln gereinigt, nachdem es vorher
in wässriger Lösung durch Zusatz von Thierkohle entfärbt und desodorificirt
worden ist.
230 Stickstoff und Wasserstoff.
Die ganze Fäbrication gehört ausserhalb jeden Häuserbereiches und rauss
in möglichst einsamen und nicht bewohuteu Gegenden stattfinden, da der lästige
Gestank nie ganz zu vermeiden ist.
Kohlensaures Ammonium als Handelswaare. Um eiu vollkommen
reines kohlensaures Ammonium darzustellen, unterwirft man 1 Th. Salmiak und
3 Th. Kreide (Calciumcarbonat) der Sublimation. Es entsteht uebeu Ammouium-
carbonat noch das werthlose Chlorcalcium:
2 NH4 Cl + Ca C03 == (NH4), C03 + CaCk
Nimmt man Kreide und Ammoniumsulfat, so geht hierbei nur etwas Koh-
lensäure weg. Es bildet sich zuerst einfach kohlensaures Ammonium und
als Rückstand bleibt Gips. Ersteres zerlegt sich aber sogleich in anderthalb
kohlensaures Ammonium und Ammoniak.
Nimmt man statt Calciumcarbonat das entsprechende Bariumsalz, so erhält
man Chlor barium, welches zur Darstellung vou Permaneutweiss dienen kann.
Das neutrale Salz, Ammonium carbonicum, existirt nur in Lösung.
Das Ammonium carbonicum der Pharmacopöe ist Ammonium sesqui-
carbonat; um es rein darzustellen, muss es einer nochmaligen Sublimation unterworfen
werden.
Die Anwendung lies ATlimoniunisesqniearboiiats in der Technik und in den Ge-
werben ist vielseitig. In reinem Zustande dient es in der Zucker- und Lebkuchen-
bäckerei, bei feinem Weissbrot als Zusatz zum Teige statt der Hefe, zum Bleichen der
Kupferstiche, im unreinen Zustande zum Ausziehen des Kupfers aus den Erzen, der
Flechtenfarbstoffe aus den verschiedenen Flechtenarten, zur Darstellung der übrigen
Ammoniumsalze, zum Waschen von wollenen und seidnen Gegenständen, zum Entfetten
des Handschuhleders (fälschlich Beizen genannt), bei der Horuwaarenfabrication, beim
Walken der Tücher in der Form des faulenden Urins, da Ammoniumsesquicarbonat
mit den fetten Säuren unter Fahrenlassen der Kohlensäure eine im Wasser lösliche Seife
bildet.
5) Darstellung von Salmiak. Die fabrikmässige Darstellung von Salmiak iu
Europa datirt aus dem 18. Jahrhundert, nachdem die Gebrüder Graven hörst
1759 in Braunschweig die erste Salmiakfabrik angelegt hatten Je nach den
Ortsverhältnisseu wird der Salmiak auf verschiedene Weise dargestellt. Die
hauptsächlichsten Methoden sind folgende:
1) Man fällt die an Chlormagnesium und Chlornatrium reichen Mutterlaugen
von Salzsoolen oder vom Meereswasser mit Ammoniumcarbonat.
2) Man neutralisirt das aus faulendem Urin oder aus Gaswasser gewonnene Am-
moniak mit Salzsäure. Nach dem Abdampfen und Krystallisirenlassen der Lauge in
Bottichen erhält man ein braunes und grobkörniges Salz, welches durch Sublimation
oder' Umkrystallisiren gereinigt wird. Beim Abdampfen sind die oben angeführten
Dämpfe zu berücksichtigen.
3) Wendet man Ammoniumsulfat und Kochsalz an, so lässt sich der Sal-
miak auf nassem und trocknen Wege darstellen. Im erstem Falle bildet er sich
durch gegenseitige Zersetzung von concentrirten Lösungen der genannten Salze, wobei
sich Glaubersalz ausscheidet und Salmiak in der Flüssigkeit bleibt. Beim Abdampfen,
wobei wieder die erwähnten Vorsichtsmassregeln zu beachten sind, er-
hält mau zuerst Glaubersalz und alsdann mit Glaubersalz verunreinigten Salmiak , wes-
halb ein Auswaschen und Umkrystallisiren oder eine Sublimation nachfolgen muss.
Wählt man den trocknen Weg, so wird das wasserfreie Ammoniumsulfat mit Koch-
salz gemischt und der Sublimation unterworfen. Das sich bildende Glaubersalz bleibt
zurück und Salmiak sublimirt. Die Sublimation geschieht in runden gnsseisernen
Kesseln, deren flacher Boden mit Chamotte bekleidet ist; der hutähnliche Deckel von dem-
selben Metall oder gebranntem Thon hat in der obern Oeffnung einen Eisenstab zum
Rühren. Man gebraucht auch Thongefässe, deren oberer Theil mit einer Oeffnung ver-
sehen ist, welche mit einem Kreidestöpsel lose verschlossen wird.
Es entweichen anfangs mit salzsauren Dämpfen gemischte Salmiakdämpfe,
die neben dem losen Kreideverschluss weggehen, weshalb der Ofen mit den Kesseln
oder Töpfen unter einem gut ziehenden Rauchfange anzulegen ist. Die thönernen Töpfe
Ammoniak-Industrie. "231
sind zwar die ältesten, aber sehr praktisch, indem sie das in der zu sublimh enden
Masse enthaltene Wasser aufsaugen und nach aussen hin wieder zur Verdampfung
bringen; sie stehen gewöhnlich in einem Galeerenofen. Um dabei jeden Verlust zu
vermeiden, bedeckt man den Kreideverschluss noch mit einem thönernen Blumentöpfe.
Die ganze Kunst bei dieser Fabrication besteht in der ruhigen Regulirung des
Feuers, damit der Salmiak nur zusammenballt und nicht zusammenÜiesst. Im Handel
kommt er entweder in Broden resp. in weissen und durchscheinenden -Scheiben und
Ziegeln oder seltner in Zuckerhutform vor. Im letzteren Falle wird der auf nassem
Wege dargestellte Salmiak durch Umkrystallisiren gereinigt, seine Lösung zu einem
dicken Brei angerührt und in thönerne Zuckerhutformen gebracht.
Salmiak, Amnioniumchlorid, Chlorammonium, Ammoninm chloratum s. mnriaticum
NH4 Cl kommt als vulkanisches Product in den Höhlungen der Laven fertig gebildet
vor , in kleinen Mengen auch in den thierischen Se- und Excreten. Früher versorgte
Aegypten fast ganz Europa mit Salmiak, als er noch aus dem beim Verbrennen des
Kameelmistes entstehenden Russ dargestellt wurde. Auch beim Brande von Torf-, Braun-
kohlen- und Steinkohlenlagern kann er sich bilden.
Salmiak krystallisirt in Würfeln und Oktaedern, welche sich zu federartigen
A7egetationen gruppiren: er greift Eisen, Kupfer, Zink, Zinn, Messing und Blei an. In
der Technik benutzt man ihn zum Verzinnen und Verzinken, zum LÖthen, in den
Kattundruckereien, in den Färbereien, bei der Schnupftabakfabrication, in der Metallurgie.
zur Gewinnung der Platinmetalle, in der Goldseheidekunst, Galvanoplastik und viel-
fach beim Düngen der Felder.
Hält rnau eine Rückschau auf die Amnion iakindustrie, so hängt die
Frage, ob die betreffenden Fabriken in der nächsten Nähe der Gasfabriken, so-
mit im Bereiche von bewohnten Häusercomplexen, zu gestatten sind, nur von der
sachgemässen Durchführung der die Adjacenten betreffenden Schutzmassregeln ab.
Ihr Schwerpunkt liegt in der Vernichtung der höchst übelriechenden Gase und
Dämpfe (Schwefelwasserstoff, Scbwefelammonium, Empyreuma). welche beim Zu-
satz der Säuren zum flüssigen Ammoniak, also bei der Darstellung von Ammo-
niumsulfat oder Ammouiumchlorid, entstehen. Auch das Wohl der Arbeiter
erfordert ihre Beseitigung aus den Fabrikräumen, weil sie sonst erfahrungs-
gemäss heftige Augenentzündungen erzeugen. Die Verbrennung dieser
Gase und Dämpfe ist unter den geeigneten Vorsichtsmassregeln, nöthigenfalls
unter Benutzung besonderer Desinfectionsöfen. stets erforderlich; unter
diesen Vorsichtsmassregeln ist immer das Einlegen von Drahtbündeln in das
Ableitungsrohr zu verstehen, um hierdurch das Zurückschlagen der Flamme zu
verhüten.
Ob und wie das Verbrennungsproduct, die schweflige Säure, un-
schädlich gemacht werden soll, hängt von den concreteu Fällen und localen
Verhältnissen ab. Sicherheitsventile an den Destillationsapparaten dürfen
niemals fehlen, weil die leicht eintretenden Verstopfungen in den Gasleitungs-
röhren weit eher als der geringe Druck, unter welchem gearbeitet wird, Kessel-
explosionen herbeiführen können.
Die Fabriken, welche mit gefaultem Urin arbeiten, die Salzlösung eindam-
pfen, die Röstung der Salzmasse vornehmen oder Ammoniumcarbonat durch
trockene Destillation gewinnen, sind aus jedem Häuserconrplex zu verbannen und
nur entfernt von menschlichen Wohnungen zu dulden, da auch bei der grössten
Sorgfalt der durchdringende Geruch, welchen solche Fabriken exhaliren, nie ganz
zu vermeiden ist.
Beseitigung der amnioniakalischen Dämpfe in sanitärer Beziehung. Es kom-
men nicht selten Fälle vor, wo die Beseitigung der ammoniakalischen Dämpfe
und Verbindungen wünschenswerth und nothwendig wird.
1) Die Desinfection der Uringruben ist besonders dann erforderlich,
232 Stickstoff und Wasserstoff.
wenn die localen Verhältnisse eine ökonomische Benutzung des Urins nicht ge-
statten und ein Abfluss desselben in öffentliche Canäle oder Gräbeu durch die
Umstände geboten ist.
Die vorhergehende Uesiufection wird alsdann am sichersten durch Chlor-
magnesium und zwar in Form der chlormagnesiumreichen Mutterlaugen der
Saliueu bewirkt. Das Chlormaguesium bindet nicht nur die Phosphorsäure, sondern
fixirt auch das Ammoniak und die andern flüchtigen Basen, indem die Phosphor-
säure mit dem Ammoniak als phosporsaures Ammonium - Magnesium
Mg (NH^) POj + 6HyO auftritt. Die hierbei abfallende Flüssigkeit kann jedenfalls
in Canälen zum Abfluss gelangen.
Eine ähnliche Wirkung wird der gebrannte Dolomit haben und
an manchen Orten leichter zu beschaffen sein; Gips ist ebenfalls hier an-
wendbar.
2) In Lagerräumen von Guano erscheint das Bestreuen des Bodens und
der Säcke mit Gipspulver als ein sehr geeignetes Mittel, um die vom Guano
ausgehenden ammouiakalischen Gase zu binden. Durch die Schwefelsäure des
Gipses wird das Ammoninmcarbonat in Ammouiumsulfat verwandelt, während
die ausgeschiedene Kohlensäure mit dem freien Kalk neutrales Calciumcarbonat
bildet. Die flüchtigen organischen Säuren, die Butter-, Baldriausäure u.s.w.,
welche am meisten den unangenehmen Geruch verursachen, kommen nun mit
dem Calciumcabonat in Berührung und werden von demselben partiell gebunden.
Hat eine Sättigung durch diese Säuren stattgefunden, so kann durch den Eiu-
fiuss der atmosphärischen Luft wieder ein Aushauchen der flüchtigen Fett-
säuren veranlasst werden, weshalb das Bestreuen mit Gips stets nach einer ge-
wissen Zeit um so eher erneuert werden kann, als das sich bildende Ammo-
niumsulfat ebenfalls ein gutes Dungmittel ist.
Man kann auch noch Vorhänge von grobem, in Kalkmilch getauchten Zeuge
vor den Säcken aufhängen, um die Säuren zu binden.
3) In Viehställeu, namentlich in Pferde- und Eselställen, in den Bau-
lichkeiten der zoologischen Gärten wird das Bestreuen des Bodens mit wasser-
haltigem Gips (faserigem Gips) das Ammoniak vor dem Verdunsten schützen;
der wasserfreie, natürlich vorkommende Gips ist ebensowenig wie gebrannter
Gips zu gebrauchen.
Bei der Tuchfabricatiou heisst das Entfetten der Laken Walken. Es wird
hierzu der gefaulte Urin unter Zusatz von Thou (Walkererde) und Oel-Kali-
Seife benutzt, wobei fast lediglich sein Gehalt an Amraoniumcarbonat in Betracht
kommt; hier sind die ammouiakalischen und andere übelriechende Gase und
Dämpfe schwer zu beseitigen. Die betreffenden Wasch wässer, welche ausser
den Bestandteilen des Urins auch noch Seife und Thon enthalten, sind für die
Fischzucht sehr nachtheilig, wenn sie in Bäche oder Teiche abfliesseu. Am zweck-
mässigsten würden sie zur Berieselung dienen; um ihueu, wenn letztere nicht
zulässig ist, einigermassen die düngenden Bestandtheile und den Fettgehalt zu
entziehen, ist es vortheilhaft, die ersten Walk wässer zuerst mit eiuer Auflösung
von Chlorcalcium und dann mit Chlormagnesium zu versetzeu. Das
Chlorcalcium scheidet das Fett der Seife als eine unlösliche Kalkseife
ab, die gesammelt und mit Schmiermaterialien verwerthet wird. Durch das
Chlormagnesium wird aus dem Urin die Phosphorsäure und das Ammoniak
als das oben erwähnte tertiäre Phosphat ausgeschieden. Ist kein Ueberschuss
Arnmoniak-In dustrie 23 3
des Fällungsinittels zugegeben worden, so können die klaren Wässer frei abge-
lassen werden.
5) Bezüglich der Anwendung des gefaulten Urins bei der Haudschuh-
fabrication ist zu bemerken, dass die Application desselben mittels Aufbür-
stens stattfindet und dabei ein rasches Verdunsten der übelriechenden Gase
und Dämpfe eintritt, weshalb für die Beseitigung resp. Unschädlichmachung
derselben gesorgt werden muss. Es wird allerdings schwierig bleiben , dies
durch eine kräftige Ventilation in den kleinlichen Arbeitslocalen zu bewerk-
stelligen; man wird in dieser Beziehung immer nur das Oeffneu der Fenster
und Thüren benutzen köunen. Stets werden zunächst die Augen, die Nase
und der Mund der Arbeiter von diesen scharfen Ausdünstungen getroffen, wes-
halb das Tragen von in Essig getränkten Schwämmen vor Mund und Nase recht
gute Dienste leisten wird. Bei Vernachlässigung dieser Vorsichtsmassregeln muss
die Gesundheit der Arbeiter gefährdet werden; nach unseren Erfahrungen haben
viele derselben ein sehr ungesundes Aussehen und klagen stets über Mangel an
Appetit. In einem concreten Falle konnte mit Bestimmtheit die Ursache der raschen
Entwicklung einer Lungentuberkulose auf diese schädlichen Einflüsse bezogen
werden.
Uebrigens ist der Gebrauch des gefaulten Urins eine alte, nur durch die
Empirie sanctionirte Methode, welche keine wissenschaftliche Begründung hat, da
ebenso gut Ammoniumcarbonat oder Ammoniumphosphat angewendet werden
kann, wodurch am besten alle Nachtheile, die der Verwendung des gefaulten
Urins anhaften, vermieden werden könnten. Auch hat man in vielen Fällen als
Ersatzmittel eine Lösung von Boras mit Vortheil benutzt.
Alles dieses gilt auch von der Application des gefaulten Urins bei Dar-
stellung von Hornwaaren, wodurch der Oberfläche des Horns das Fett vor
dem Färben entzogen und die Aufnahme der Farbe begüustigt wird; deshalb
nennt man diese Präparation auch fälschlich das Beizen.
Ammonium und Schwefel.
l) Ammoninmsnlfid, Einfach Schwefelammoninm (NH4)2S. Es entspricht dem
Schwefelkalium und stellt nadelförmige, farblose Krystalle von alkalischer Reaction dar.
Schou bei gewöhnlicher Temperatur £eben sie einen Theil ihres Ammoniaks ab; es ent-
steht durch Zusammenbringen von 1 Vol. Schwefelwasserstoff und 2 Vol. Ammoniakgas.
Als Flüssigkeit in wasserfreiem Zustande bildet es sich bei der Destillation von Salmiak
und Ein fach- Schwefelkalium:
K,S + 2NH4C1 = 2 KCl + (NH4)2S.
In wässeriger Lösung erhält man es, wenn man Salmiakgeist in zwei gleiche
Theile theilt, den einen mit Schwefelwasserstoff sättigt und den andern alsdann hinzu-
schüttet. Man bildet somit Ammoniumsulfhydrat, dem man Ammoniak hinzufügt:
(NH4) OH + H, S = (NH4) SH + EL 0 .
(NH4) SH + (NH4") OH = (NH4)2S 4- H,0.
Einwirkung von Schwefelammonium auf den thierischen Organismus, i) Eine
Taube sitzt in der Glasglocke. 4 Grm. Salmiak und 12 Grm. Kaliumsulfid werden der
Destillation unterworfen. Als die Dämpfe in der Glocke kaum sichtbar werden, schüt-
telt die Taube mit dem Kopfe, blinzelt mit den Augen, wird unruhig, während aus dem
Schnabel und den Augen Flüssigkeit quillt. Nach 2 M. 14 Inspirationen binnen '/4M. ;
grosse und beständige Unruhe, häufiges Schmecken. Bei schwacher Zuleitung der Dämpfe
nach 4 M. Putzen in den Federn, grösste Unruhe, Blinzeln mit den Augen und An-
schwellen derselben. Nach 7 M. Taumel und Niedersetzen; nach ll[2 M. allgemeine
'Convulsionen: dann sofortige Herausnahme. Vollständige Asphyxie, erst nach
IV2 M. beginnt ein schwaches und unterbrochenes Athmen; der Körper ist ganz steif
und die Taube lässt sich wie eine todte Masse hin und her bewesren. Nach 3 M. 13 un-
234 Ammonium und Schwefel.
regelmässige Inspirationen; die Täube stellt sich dann aufrecht, schwankt aber beständig
nach vom und hinten. Nach 5 M. noch starkes Schwanken; nach 7 M. geht sie grade
einher und sucht einen dunklen Ort auf; die Respiration regelt sich allmählig. Die
Taube erholt sich vollständig.
2) Ein Kaninchen sitzt in der Glocke, in welche die Dämpfe dringen Sogleich
Urinlassen und halbes Schliessen der Augen: schon nach 1 M. die heftigsten Convul-
sionen: dann sofortige Tierausnahme. Vollständige Asphyxie, die offenen Augen mit
erweiterten Pupillen stehen hervor: nach l/a M. einige krampfhafte mit Schleimrasseln
verbundene Inspirationen, welche .-ich alsbald beschleunigen. Nach 4 M- ist die Pupille
w.aiigcr erweitert bei noch hervortretenden Augen: nach ."> M. Husten mit geringer Er-
höhung des Kopfes; nach 6 M. legt sich das Thier auf den Bauch und bleibt in dieser
Lage mit gespreizten Vorderbeinen; die Hinterbeine zieht es erst auf einen angebrachten
Reiz wieder an sich. Nach 8 M. 26 unregelmässige Inspirationen in derselben Bauch-
lage, nach 9 M. 14 Inspirationen, muh '2h M. macht es schwache Gehversuche, nach
30 M. erhalt es sich immer mehr und bleibt gesund.
3) Eine Taube sitzt in der Glasglocke: beim Eindringen der Dämpfe in dieselbe so-
gleich grosse Unruhe, Blinzeln mit den Augen, heftiges Würgen ohne Erbrechen und
Schwanken. Nach 1 M. fällt sie auf die Seite und flattert mit den Flügeln: hierauf
weites Aufsperren des Schnabels hei einzelnen krampfhaften Inspirationen; dann sehr
heftige Convulsionen. Nach 2 M. Asphyxie, in den Nacken zurückgezogener Kopf, ein
schwaches Zittern der Flügel und rascher Tod.
Section 4 Stunden nachher. Pupille in mittler Contraction, Hals schwanenartig
gebogen. Hirnhäute schwach injicirt: Plex. venös, spin. massig mit dunklem flüs-
sigem Blute angefüllt. Das Zellgewebe in der Umgebung der Trachea stark injicirt;
beim Durchschneiden der linken Brustmuskeln fliesst viel flüssiges Blut aus. Tracheal-
schleimhaut schwach injicirt und mit einer dünneu Lage schleimiger Flüssigkeit
bedeckt, welche unterhalb der Theilung der Luftröhre blutig gefärbt ist; die Schleim-
haut der grössern Bronchien ist sehr geröthet. Die Lungen von hellrother Farbe; nur
am untern Rande ein 1 Linie breiter, braun gefärbter Streifen, das Parenchym braun-
roth marmorirt; es knistert und entleert überall wenig flüssiges Blut Das Herz und
alle grossem Gefässe strotzen von flüssigem Blute, der Herzmuskel ist stark
injicirt. Blut vorherrschend flüssig und in starken Schichten schwärzlich braunroth,
gerinnt an der Luft sehr rasch und röthet sich wenig: Blutkügelchen vorherrschend
normal, mehrere seitlich eingerissen, einzelne zerfallen. Leber dunkelbraunroth
mit schwärzlicher Schattirung, sehr blutreich, ebenso die Nieren. Die Oberfläche der
Därme ist bis zum Magen hin stark injicirt : alle grossem Gefässe strotzen von flüssi-
gem Blute.
Es ist hier hervorzuhebeu, dass mau in der Technik dem Einfach-
Schwefelammonium selten begegnet. Auch bei der obigen Darstellung ist es
bloss im Entstehungsmomeute rein, zersetzt sich aber sofort durch den Einfluss
der atmosphärischen Luft und bildet höhere Schwefluugsstufen. Bei der statt-
gehabten Einwirkung auf den Thierorganismus kann es sich daher auch nur
um Mehrfach-Schwefelammonium handeln, das im Blute die Entwicklung
von Schwefelwasserstoff unter Abscheidung von Schwefel veranlassen wird; die
Symptome sind daher ähnlich den der Schwefelwasserstoff-Intoxication,
wie aus dem Taumel, den sehr heftigen Convulsionen und der Asphyxie hervor-
geht, Erscheinungen, die sich stets bei der Einwirkung coucentrirter Mengen
dieser Verbindung kuud geben, (s. S. 238.)
2) Ainmoiiimnsnlfhydrat, Ainiiioiiininhydrosnlfid, Schwefelwasserstoff-Sehwefelain
moii i um (NHJHS entsteht bei der Fäulniss Stickstoff- und schwefelhaltiger organischer
Substanzen, findet sich daher in Abtrittsgruben und fast überall, wo in Folge der Fäul-
niss Schwefelwasserstoff auftritt, z. B. bei den jauchigen Eiterproductionen im Thier-
körper. Ausserdem fehlt es nie im Gasreinigungskalk und in den Gaswassern bei der
Darstellung des Leuchtgases aus Steinkohlen, Torf, bituminösem Schiefer und Braun-
kohle. Durch Einleiten von Schwefelwasserstoff in eine alkoholische Ammoniaklösung
erhält man es in farblosen, höchst übelriechenden Blättern, die sich an der Luft sehr
bald gelb färben. Die wässerige Lösung bildet sich durch Einleiten von Schwefel-
wasserstoff in wässeriges Ammoniak. Die anfangs farblose Flüssigkeit färbt sich an der
Luft durch Bilduug von Polysulfiden gelb und ist unter dem Namen Schwefelammo-
nium als Reagens bekannt.
Indem der Sauerstoff der Luft oxydirend einwirkt, erzeugt sich unterschwef-
Cloakengase. 235
ligsaures Ammonium und freier Schwefel, welcher sich aber in dem noch unzer-
setzt gebliebenen Ammoniumsulfhydrat auflöst und Ammoniumbisulfid bildet:
4(NH,)HS 4- 5 0 = (NH4)2S203 + (NH412S2 + 2H20.
In Folge weiterer Oxydation geht das unterschwefligsaure Ammonium allmählig
in schwefligsaures (NH4)2S03 und schwefelsaures Ammonium (NH4)2S04 über, während
Schwefel austritt.
Die zwei- und dreifach geschwefelte Verbindung (Ammoniumbi sulfid (NH4)2S2
und Ammoniumtersulfid (NHj)2S3) stellt man direct dar, wenn man in der frisch
bereiteten klaren Lösung von Ammoniumsulfhydrat Schwefel auflöst, wobei sie sich unter
Entwicklung von Schwefelwasserstoff gelb färbt:
2 (NH4) HS + S = (NH4)2 S2 + H2 S.
Fährt man mit der Lösung des Schwefels fort, so entsteht Ammoniumtersulfid
An der Luft geht das Bisulfid in unterschwefligsaures Ammonium und das Ter-
sulfid unter Abscheidung von Schwefel in dieses über:
(NH.\S2+30 = (NH4)2S,03.
(NH4)2 S8 + 3 0 = (NH4)2 S2 03 + S.
Das Verhalten der Abtrittsflüssigkeiten bezüglich der sieh bildenden flüchtigen
nnd stinkenden Körper. Wenn Fäcalniassen oder schwefel- und stickstoffhaltige
organische Substanzen überhaupt in Fäulniss begriffen sind, so tritt bei hohem
Gehalt an Harnstoff, also bei beträchtlicher Ainmoniakbildung, zunächst Ein-
fach-Schwefelammonium auf; der atmosphärische Sauerstoff bedingt aber
sofort eine Zersetzung desselben und die Bildung von Mehrfach-Sch wefel-
ammonium ist die Folge hiervon. Dieses erzeugt in offenen Abtrittsgruben
beim Zutritt der Luft und bei alkalischer Reaction unterschwefligsaures, schweflig-
saures und schliesslich schwefelsaures Ammonium und zwar bei gleichzeitiger
Schwefelausscheidung.
Wird durch einen Oxydationsprocess, wenn z. B. durch Zufluss von Küchen-
und Spülwasser u. s.w. eine saure Gährung entsteht, eine saure Reaction hervor-
gerufen, so erzeugt sich Schwefelwasserstoffgas, wenn noch eine Verbindung
von Schwefel und Ammonium vorhanden ist. Ist aber letztere schon in Folge des
fortgeschrittenen Oxydationsprocesses verschwunden, so kann auch unmöglich
H2S auftreten. Die Zersetzung der schwefligsauren und unterschwefligsauren
Salze, welche bei weiterer Oxydation eintritt, hat jedoch fast niemals eine Ent-
wicklung von schwefliger Säure zur Folge, weil diese bei dem grossen Ueber-
schuss von organischen Ueberresten zurückgehalten wird (s. schweflige Säure).
Werden jedoch derartig oxydirte Abtrittsflüssigkeiten mit einer starken Säure,
z. B. bei der Poudrettefabrication, mit Schwefelsäure versetzt, so treten neben
Butter-, Essig-, Metaceton-, Baldriansäure u. s. w. stets nicht unerheb-
liche Mengen von schwefliger Säure und Salzsäure auf, wenn keine
Schwefelwasserstoffquelle, d. h. kein Schwefelmetall in der Masse sich findet. Im
letztern Falle wird der Schwefelwasserstoff in Berührung mit schwefliger Säure
neben Ausscheidung von Schwefel nur Wasser bilden. In Gruben, in welchen
urinöse Flüssigkeiten und somit die Ammoniakbildung vorherrschen, kann nie
Ammoniumsulfhydrat vorkommen, wie sich aus der obigen Erörterung er-
gibt, sondern es müssen sich die Polysulfide bilden.
Sämmtliche Schwefelverbindungen des Ammoniums sind flüchtig
und constituiren ceteris paribus vorzugsweise die Atmosphäre in geschlosse-
nen Abtrittsgruben. Sie sind auch brennbar, weshalb ihre Dämpfe, mit atmo-
sphärischer Luft vermischt, explosiv sind. Das Einwerfen von glühenden
Schwefelhölzchen in solche Gruben vermag daher Explosionen zu erzeugen,
welche erfahrungsgemäss bedeutende Verbrennungen zur Folge haben können. —
230 Ammonium und Schwefel.
Das Auftreten der weissen Dämpfe nach solchen Explosionen erklärt sich durch
die Bildung von schwefliger Säure, die sich mit dem Ammoniak verbindet.
Ausser diesen Schwefelammonium - Dämpfen treten noch Kohlen-
säure, Sümpfgas, Stickstoff als Reste der des Sauerstoffs beraubten Atmo-
sphäre neben Kohlenoxyd auf. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass das Vor-
kommen des Kohlenoxyds an die Spaltung der Oxalsäuren Salze resp. Oxalsäure,
die in Fäcalmassen niemals fehlen, gebunden ist; seiue Wirkung wird aber
wegen der grossen Verdünnung verschwindend klein sein.
Hieraus geht hervor, dass die Cloakengase stets variabel sein
müssen, je nachdem die Zersetzung der Excremeute bei alkalischer,
neutraler oder auch bei saurer Reaction stattfindet, Auch die Qualität der
genosseuen Nahrungsmittel bedingt das Auftreten verschiedener Gase; Fleisch-
überreste, Blut, Kleber, Eiweiss, Legumin, überhaupt die schwefel- uud stick-
stoffhaltigen organischen Substanzen erzeugen, sich selbst überlassen, also der
Fäulniss ausgesetzt, grosse Mengen von einfach und mehrfach geschwefeltem
Ammonium. Der reichliche Genuss von Zwiebeln bringt, wenn die betreffenden
Excremeute faulen, Allylverbindungen resp. merkaptanähnliche Pro-
duete hervor, die ebeufalls flüchtiger Natur siud.
Werden Desinfectionsmittel angewendet, so bedingen dieselben nach
ihrer verschiedenen Reaction ebenfalls eine Verschiedenheit der sich entbindenden
Gase. Sauer reagirende Desinfectionsmittel, wie z. B. Eisen-, Zinkvitriol, Man-
ganchlorür, Schwefelsäure, entbinden im Aufauge enorme Quautitäteu Schwefel-
wasserstoff neben den organischen Säuren resp. flüchtigen Fettsäuren, wie
Butter-, Baldrian-, Capronsäure u. s. w., Kreosot, Theer, carbolsaures Na-
trium oder Calcium. Carbolsäure heben die Fäulniss auf und verdecken zu-
gleich alle andern Gerüche.
Neutral oder alkalisch reagirende Desinfectionsmittel, z. B. mangan-
oder übermangansaure Verbindungen, unterchlorigsaure, schweflig-
saure Salze, Aetzkalk u. s. w., siud stets vorzuziehen und eignen sich am
besten zum besagten Zweck, da sie theils ganz, theils in geringerm Grade die
Fäulniss aufheben, die Riechstoffe binden oder zerstöreu und auch die düngende
Kraft der Excremeute durchaus nicht beeinträchtigeu. In frisch gebauten
Abtritten, welche noch viel unzersetzten, aus dem Mörtel herrührenden Kalk ent-
halten, entwickelt sich bekanntlich nur Ammoniak.
Die chromsauren Salze, welche zu dieser Gruppe gehören, würden eben-
falls mit Vortheil anzuwenden sein, wenn der Preis nicht dagegen spräche. Am
besten würde sich das Calciumchromat als das billigste chromsaure Salz, na-
mentlich zur Desinfeetion von Nachtgeschirren u. s. w. . eignen. Es ist ganz un-
löslich und bildet schliesslich Chromoxyd, welches sich den Pflanzen gegenüber
indifferent verhält. Am allerwenigsten eignen sich freie Mineralsäuren zur
Desinfeetion, weil sie die Entwicklung von H2S und flüchtigen organischen Säuren
im höchsten Grade bedingen. Ausserdem greifen sie die Fassungsmauern der
Abtrittsgruben an uud veranlassen auf diese Weise ein Durchsickern der putriden
Massen.
Soll eine geschlossene Abtrittsgrube behufs Reinigung befahren werden, so
ist die grösste Vorsicht hierbei anzuwenden und vorher eine gründliche Ven-
tilation oder zweckmässige Desinfeetion zu bewerkstelligen; Unvorsichtigkeit
hierbei wird leider noch oft mit plötzlichem Tode bestraft.
Cloakengase. 237
Stadtcanäle, welche bloss Küchenwasser und den Inhalt der Strassenrinnen
aufnehmen, belästigen ganz besonders durch die Exhalation von flüchtigen Fett-
säuren, zu deren Entwicklung namentlich das Seifenwasser beiträgt. Ans eleu
mannigfachen Küchenwässern können sich auch die stinkenden organischen Basen.
wfePropyl-, Methyl-, Aethyl- und Butylamin u.s.w. bilden. Wo der Abtrittsinhalt
noch zufliesst, sind es ausser den flüchtigen Schwefelverbindungen vorzüglich
Butter- und Baldriansäure, welche die Luft in den Strassen verderben. Ist der
Canalinhalt dabei bedeutenden Stauungen ausgesetzt, fehlt alle Wasserbespülung.
so treten stets mehr oder weniger die Verhältnisse der geschlossenen Abtritts-
graben ein, weshalb mau solche Canäle mit Recht als Äblagerungscanäle
bezeichnet hat.
Einwirkung der Fäulniss- resp. Cloakengase auf den thierischen Organismus.
In dem variablen Gemisch der Fäulniss- und Cloakengase sind es stets die
Schwefelverbindungen von Ammonium, die Kohlensäure und der Stick-
stoff, welche die gefährlichen Folgen bedingen.
Bilden diese Gase die Atmosphäre der Abtrittsgruben oder Cloaken, so ist
ein asphyktischer Zustand resp. der Tod die unausbleibliche Folge für Alle, welche
sich plötzlich in diese Räume begeben, da schon der Maugel an Sauerstoff den
Respirationsprocess gefährdet; dazu kommt dann noch die bekannte reducirende,
den Sauerstoff des Blutes in Beschlag nehmende Wirkung von Schwefel-
ammonium, durch welches im Vereine mit den übrigen Gasen das Obductions-
resultat sich verschieden von einer eigentlichen Erstickung gestaltet; ganz be-
sonders zeichnet sich bei einer letalen Vergiftung durch Schwefelammonium resp.
Cloakengase das Blut durch seine dunkelbraunrothe, fast dintenartige und flüssige
Beschaffenheit aus. Letzterer entsprechend bekommen daher auch che grössern
Organe eine mehr dunkle Farbe, und besonders auffallend ist die graugrün-
liche oder schmutzig-graue Farbe der Rindensubstanz des Gehirns,
welche der durch Fäulniss hervorgerufenen nur ähnlich ist, da der übrige
Befund in der Mehrzahl der Fälle noch keine oder geringe Fäulnisserscheinungen
darbietet, auch namentlich alle übrigen Organe mehr oder weniger an dieser
dunklern Färbung partieipiren. So ist die Farbe der Lungen mehr dunkelgrau,
dunkelbraunroth oder blauroth mit schwarzer, bisweilen durch einige röthere
Stellen unterbrochener Marmorirung. wobei die Schleimhaut der Bronchien und
der Trachea stets eine dunkle Injectionsröthe darbietet. Auch die Leber hat
häufig eine schwarzbraune, fast schwärzliche Farbe, während die Herzmuskulatur
bläulichroth erscheint.
Wegen des variablen Gemisches dieser Gase wird aber das Obductions-
resultat natürlich mannigfache Modifikationen darbieten; besonders wird die
schwärzliche Farbe des Blutes um so entschiedener sich ausbilden, je mehr
die Kohlensäure im Gasgemische vorgewaltet hat.
Da sich bekanntlich Eisen mit Seh wefel ammonium in alkalischer
Flüssigkeit leicht verbindet, so dürfte die Frage entstehen, ob bei dieser Farbenver-
änderung nicht das Eisen im Blut betheiligt sei; die bezüglichen Cntersuchungen
sprecheu jedoch nicht für diese Auffassung. Dagegen wird sich bei der Ein-
wirkung der Dämpfe von Sckwefelammouium auf das Blut leicht Schwefel
ausscheiden können, was beim Schwefelwasserstoff nicht möglich ist. Dieser
chemische Vorgang dürfte für die Annahme, dass grade bei der Schwefel-
ammonium-Vergiftnng der ausgeschiedene Schwefel Embolien in den Capil-
238 Ammonium und Schwefel.
laren des Gehirns zu erzeugen und dadurch ganz bedeutende Functionsstörungen
hervorzurufen vermöge, einen Anhaltspunkt liefern. Es würde dadurch auch er-
klärlich, dass letale Apoplexien noch nachträglich bei der Schwefelammouium-
Vergiftung eintreten können. (i!))
Auch die Lähmung einzelner Glieder, der Sinnesorgane, namentlich der
Stimm- und Sprachorgane, und selbst Geistesstörungen, welche als Nach-
krankheiten dieser Vergiftungen auftreten, können mit Störungen innerhalb
der cerebralen Gefässe in Connex stehen. Es liegt hier ein grosses und interes-
santes Forschungsgebot noch offen.
Wirkt Schwefelammonium mehr in verdünntem Zustande ein, so geben
sich erfahrungsgemäss neben einem Steifigkeitsgefühl in allen Gliedern und Frost-
schauer vielfache Digestionsstörungen kund und zwar Uebelkeit, Erbrechen,
grosse Anorexie, Kolik und Diarrhoe. Die Erscheinungen treten meistens inner-
halb der ersten 24 Stundeu nach geschehener Einwirkung ein, können 8 — 14 Tage
anhalten und verschwinden höchst wahrscheinlich gleichzeitig mit der Aus-
scheidung von Schwefelwasserstoff, der sich wohl sicher nach der Inhala-
tion von Mehrfach-Schwefelammonium innerhalb der Blutbahn entwickelt.
Es ist auch eine thatsächliche Erfahrung, dass verunglückte, aber in's Leben
zurückgerufene Cloakenfeger bis zur vollständigen Genesung stets eine höchst un-
angenehme, nach Schwefelwasserstoff riechende Ausdünstung wahrnehmen lassen.
Concentrirtere Gase rufen häufig bei Cloakenfegern heftige Kopf-
schmerzen hervor, welche leicht in Delirien übergehen, und zwar häufiger
als dies bei der Einwirkung von blossem Schwefelwasserstoff der Fall ist. Bei
starker Concentration der Gase folgen Asphyxie, tetanische Krämpfe und der
Tod rasch aufeinander, wenn die betreffenden Individuen nicht sofort der giftigen
Atmosphäre entzogen werden. Es fällt dann der symptomatische Unterschied von
einer Vergiftung durch Schwefelwasserstoff fort, da sich die plötzliche und inten-
sive Einwirkung der Cloakengase im nämlichen Grade kundgibt.
Häufig wird die Vergiftung durch Schwefelwasserstoff mit der durch
Schwefelammonium identificirt, wodurch bisher manche Missverständnisse hervor-
gerufen worden sind. Die äussere Aehnlichkeit berechtigt nicht dazu, auch den
innern Vorgang bei beiden Vergiftungen für gleichartig zu halten; die oben ange-
deuteten Verschiedenheiten können aber hier nicht weiter verfolgt werden, da die
betreffenden Untersuchungen zu weit in das Gebiet der Physiologie und Pathologie
führen würden.
In sanitärer Beziehung müssen hauptsächlich die schleichenden, häufig
verkannten und noch nicht genug gewürdigten Wirkungen von Schwefel-
ammonium auf den menschlichen Organismus wiederholt hervorgehoben werden. 7u)
Was die Wiederbelebung der durch Abtrittsgase asphyk tisch ge-
wordenen Menschen betrifft, so haben sich für den ersten Moment die kalten
Begiessungen am besten bewährt, mit welchen man kräftige Frictionen
des ganzen Körpers verbindet. Reicht dieses Verfahren zur Anregung der
Respiration nicht aus, so zögere man keinen Augenblick mit der Einleitung
der künstlichen Athmung, die besonders für Verunglückte, bei denen
man noch Herzpalpitationen wahrnimmt, einen günstigen Erfolg verspricht. Auch
Tabakrauchklystiere sind empfohlen worden, weil sie häufig Erbrechen her-
vorrufen und dadurch anregend und umstimmend einwirken sollen. Die weitere
Behandlang muss sich nach dem individuellen Falle richten.
Schwefelaninioniuni in der Industrie. 239
Die nachteilige Einwirkung von Schwefelannnonium auf die Pflanzen ist
unzweifelhaft; es ist hier die Causticität des Schwefelammoniuins resp. des
freien Ammoniaks als Zersetzuugsproduct desselben, welche die schädliche Ein-
wirkung verursacht. Die Blätter schrumpfen zuerst zusammen, verdorren dann
und die noch vorhandenen grünen Triebe büssen ihre Farbe ein, wobei sämmt-
liches Chlorophyll zerstört wird; es tritt dann die sogenannte Bleichsucht der
Pflanzen ein.
Schwefelammonium in der Industrie.
In der Industrie kommt bei der Bereitung des künstlichen Zinnobers
auf nassem Wege nach der Liebig "sehen Methode mehrfach geschwefeltes
Schwefelannnonium in Anwendung und wird zu dem Ende durch Destillation
eines Gemisches von Chlorammonium mit Schwefelkalium oder Schwefelnatrium
bereitet. Das Destillat wird mit weissem Präcipitat zusammengebracht und
längere Zeit digerirt, worauf sich Zinnober bildet. Bei der Destillation und
Digestion entstehen schwefelammoniumhaltige Dämpfe, die bei geringerer
Production in einen Schlot, bei grösserer aber unter den Rost einer Feuerung zu
leiten sind und zwar im letztern Falle unter Beobachtung der erforderlichen Vor-
sichtsmassregeln .
In neuerer Zeit scheinen die Schwefelammoniumverbindungen eine grössere
technische Bedeutung zu erhalten, indem sie nicht nur in grosser Menge in den
Laboratorien als Reagentien verwendet werden, sondern auch zur Trennung edle]
Metalle, z. B. des Silbers von Gold, sowie zur Darstellung von Schwefelcyanver-
bindungen, eine weit ausgedehnte Anwendung finden.
P. Spence 71) theilt ein Verfahren mit, um Mehrfach - Schwefel
ammonium in der geeigneten Concentration zu erhalten. Er destillirt ein Ge=
misch von Ammoniumsulfat oder Chlorammonium mit der zweifachen Gewichts-
menge von Sodarückständen oder Gaskalk mittels eines eingeblasenen Wasser-
dampfstrahls. Die sich entwickelnden Dämpfe, welche die verschiedenen Schwef-
lungsstufen des Ammoniums enthalten, müssen kühl gehaltene Conden-
sationsapparate passiren.
Das Destillat besteht aus reinem Schwefelammonium; es ist durchaus er-
forderlich, dass die Destillations- resp. Condensationsröhren sorgfältig überwacht
werden, da das Schwefelammonium viel flüchtiger als das Wasser ist und im Be-
ginn der Operation in solcher Menge und mit solcher Heftigkeit übergeht, dass
es sich wasserfrei in starrer Form condensirt.
Spence macht noch besonders darauf aufmerksam, dass sich aus letzterer
Ursache die Condensationsröhren verstopfen können, wodurch grosse Gefahr für
die Arbeiter entsteht. Ihm selbst ist der Fall vorgekommen, dass der mit dem
Oeffnen der verstopften Condensationsröhren beauftragte Arbeiter durch das in
Masse sich entwickelnde Schwefelammoniumgas und das Verdunsten des flüssigen
Schwefelammoniums in Asphyxie mit Starre verfiel. Nach Uebergiessnngen
mit kaltem Wasser über den Kopf traten heftige Krämpfe ein, welche l1 2 Stunde
anhielten, wonach allmählig Erholung folgte; am andern Morgen war der Be-
troffene wieder arbeitsfähig.
Bei der Darstellung ist somit wohl darauf zu achten: 1) dass die Conden-
sationsröhren hinreichend weit sind, 2) dass die Destillation sehr langsam vor
sich geht, und 3) dass der Condensationsapparat mit einem Gassammeikasten
qa() Stick stoff und Sauerstoff.
versehen ist. welcher unter den geeigneten Vorsichtsrnassregeln die Leitung der
Gase in die Feuerung zulässt. Der Betrieb dieser Fabrication dürfte in .Städten
kaum statthaft sein.
Sticktoff und Sauerstoff.
I» Stickoxydul. Lustgas, NsO. Man stellt es durch Erhitzen von salpetorsaurem
Ammonium dar.
NU, N03 = 2^0 + ^0.
Die Entwicklung des Gases beginnt bei 170°, eine Temperatur, welche genau zu
titen ist, um Uebcrhitzung und Zersetzung des Gases, namentlich das Auftreten
von Stickoxyd zu verhüten.
um das Gas von seiner Verunreinigung mit Chlor und Untersalpetersäure
zu reinigen, leitet man es durch Kalilauge oder Kalkwasser. Es muss farblos sein und
einen eigenthümlichen süsslichen Geruch und Geschmack haben; es ist schwerer als at-
mosphärische Luft und bei einem Druck von 50 Atmosphären bei ü°C coudensirbar.
Wasser, namentlich kaltes, löst es ziemlich leicht; Kuhle. Schwefel, Phospor, Magnesium
verbrennen, angezündet, in ihm wie in reinem Sauerstoff; mit Wasserstoff gemengt explo-
dirt es beim Anzünden wie Knallgas. Im Handel kommt auch comprimirtes Gas vor.
Einwirkung des Stickoxyduls auf den thierischei Organismus. Stick stoff-
oxvdul ist schon 1776 von Pristley entdeckt, aber erst 1809 von Humphry
Daw in seiner „rauscherzeugenden Eigenschaft" geschildert worden.7-') Es erhielt
den Namen ..Lachgas" (Langhing gas), aber erst 40 Jahre später (1^44) wurde
es von dem Zahnarzt Horace Wels in Boston zum Inhaliren in die Zahnpraxis
eingeführt. 7a)
Die Empfindungen während des Schlafes sind jedoch nicht immer ange-
nehmer Art: manche Personen können auch mit Luft vermischtes Stickoxydul
|1 :4) in grosser Menge einathmen, ohue irgend eine andere Wirkung als Klingen in
den (ihren oder ein Gefühl von Ausdehnung des Kopfes wahrzunehmen, während
das anvermischte Gas eine grosse Spannung in den Gefässen, nach eigener Er-
fahrung ein höchst beunruhigendes Pulsiren im Gehirn, als ob bei jedem Puls-
schlage ein schwerer Hammer niederfiele, erzeugt, ohne dass Empfindungs- oder
Bewusstlosigkeit eintritt.
Davy war der Ansicht, dass Stickoxydul für längere Zeit den atmosphä-
rischen Sauerstoff vertreten und für sich die Athmung unterhalten könne,
jedoch mit der Nebenwirkung des Rausches und der Gefühllosigkeit. Jedenfalls
ging Davy in dieser Auffassung zu weit, da er selbst die Erfahrung gemacht
hatte, dass Thiere in einer Stickoxydnl-Atmosphäre zu Grunde gehen.
1. Versuch. Nachdem ein massig grosses Kaninchen gegen 6 Uhr Abends in eine
nydul-Atmosp] cht worden, schreit es nach 3 Min. heftig auf, taumelt und
schwankt, wobei die Inspirationen an Frequenz so zunehmen, dass sie nach 25 Min,
auf 45 binnen J 4 M. steigen. Herausgenommen bewegt es sich nach 3 Stunden freier: am
.indem Morgen wurde es in Starre gefunden. Aus den Nasenlöchern war viel weisser
Schaum ausgeflossen.
Bei der Section fand sich die Pia mater namentlich an der Basis cranii sehr
misch; in der Nähe der med. öbl. eine Lage dünnflüssigen Bluts zwischen Wir-
bel und dura mater. Die Ränder der dunkel- und hellbraun marmorirten Lungen
emphysematös; beim Einschneiden des an dunkelbrothem Blut reichen Parenchyma tritt
überall ein weisser Schaum hervor, welcher die feinsten Bronchien bis zur Trachea und
zum Larynx ausfüllt. In den kleinern Venenästen geronnenes Blut: flüssiges Blut fliessl
nirgends aus; das Herz ist in allen Höhlen mit geronnenem Blute angefüllt, während sich
in der Brusthöhle ein Theelöffol voll blutigen Serums findet. Aus der vena cava inf.
ein wenig flüssiges und schwarzrothes Blut aus. welches sich an der Luft lebhaft
röthet; aus den g Venen des Unterleib- lässl sieh das geronnene Blut in langen
d herausziehen. Alles Muskelfleisch ist von blassrother Farbe.
_'. Versuch. Bei einer auf gleiche Weise umgekommenen Taube war besonders die
bung der med. obl. hyperämisch. Aus den Durchschnitten der Lungen fliesst
Stickstoff oxyd. 241
flüssiges Blut: die Schleimhaut der Bronchien ist bis zum Larynx mit einer dünnen Lage
flüssigen Blutes bedeckt. Im rechten Vorhof des Herzens viel geronnenes Blut;
das flüssige Blut, welches sich besonders in der Leber fand, röthete sich an der Luft
ziemlich lebhaft.
Dass sich Stickstoffoxydul in Bezug auf die respiratorischen Functionen
ganz wie ein indifferentes Gas verhalten soll, wie Hermann annimmt,74)
geht aus den obigen Versuchen nicht hervor; schon das geronnene Blut, welches
in den Leichen der Thiere ganz entschieden vorwaltet, spricht nicht sehr für die
Einwirkung eines indifferenten Gases. Wird frisches, defibrinirtes venöses Och-
senblut mit Stickoxydul geschüttelt, so erscheint namentlich der Schaum, welcher
sich beim Eindringen des Gases bildet, hellkirschroth ; venöses Blut absorbirt
mehr davon als arterielles; bringt man in eine mit Stickoxydul angefüllte und
mittels Quecksilbers gesperrte Röhre venöses Blut, so nimmt es zuerst eine hell-
rot he Farbe an, welche allmählig schwindet und der Farbe des venösen Blutes
wieder Platz macht. Aus der Gesammtwirkung des Gases auf den thierischen
Organismus gehen seine charakteristischen Eigenschaften klar hervor; dabei
zeichnet sich N20 durch eine feste Constitution aus und gibt im Gegensatz
zu andern niederen Oxydationsstufen seinen Sauerstoff nur schwer ab. Im ver-
dünnten Zustande wirkt es bekanntlich bei vielen Individuen mehr auf die
psychischen Functionen, während concentrirtere Mengen die Respirations- und
Circulationsapparate beeinflussen, weshalb Personen mit Affectionen des
Herzens die Inhalationen dieses Gases ganz vermeiden sollten.75)
Vorkommen des Stickoxyduls in der Industrie. Wenn Stickoxyd mittels
eines schwefligsauren Alkalis oder eines Gemenges von Eisenfeile und Wasser redu-
cirt wird, tritt Stickoxydul auf. In den Bleikammern der Schwefelsäure-Fabriken kann
es bei einem unrichtig geleiteten Processe entstehen; wird Zink in sehr verdünnter
Salpetersäure aufgelöst oder Alkohol durch Salpetersäure langsam in Aether verwan-
delt, z. B. bei der Bereitung von Spirt. nitr. dulc. oder des Knallquecksilbers, so ent-
wickelt sich ebenfalls N20. Bei keinem dieser Vorgänge in der Industrie hat man bis-
her nachtheilige Folgen beobachtet.
2) Stickstoffoxyd NO entsteht durch Einwirkung von Kupfer auf Salpetersäure:
8HNO3 + 3 Cu = 3 Cu (N03) 2 + 2 NO + 4 H2 0.
Der aus der Salpetersäure frei werdende Wasserstoff wirkt auf einen andern Theil
der Salpetersäure reducirend ein.
Ein farbloses, permanentes, in Wasser wenig lösliches Gas, das an der Luft sofort
die gelbrothen Dämpfe der Untersalpetersäure bildet. Der angezündete Phosphor und
die weissglühende Kohle brennen in ihm fort, nicht aber der angezündete Schwefel.
Von einer Wirkung des Stickstoffoxyds auf den thierischen Organismus kann
keine Rede sein, weil es sich in sauerstoffhaltigen Medien (Luft, Wasser, sauerstoffhalti-
gem Blute) sogleich in Untersalpetersäure verwandelt und überall als solche
wirkt. Wird das entleerte venöse Blut mit Stickoxyd behandelt, so bleibt es
hellroth, so lange die atmosphärische Luft abgeschlossen bleibt und die Umwandlung
von Stickoxyd in Untersalpetersäure noch nicht eingetreten ist; im letztern Falle wird
es graubraun und später cacaobraun, ohne seine flüssige Beschaffenheit zu verlieren.
Erst später setzt es ein dunkelbraunes Coagulum ab. Bei der Einwirkung des Stick-
oxyds auf das Blut wird somit der Hergang ein derartiger sein, dass sich der Sauer-
stoff des Blutes auf das Stickoxyd wirft und damit Untersalpeter säure bildet,
welche alsdann secundär auf die Blutbestandtheile zerstörend einwirkt.
Schon Davy kannte die höchst gefährliche Wirkung des Stickoxyds und warnt
deshalb bei der Inhalation des Stickoxyduls ganz besonders vor der gefährlichen Bei-
mischung von Stickoxyd.
Von einem Verdrängen des Sauerstoffs aus dem Blute durch Stickoxyd kann aber
keine Rede sein, wenn man überhaupt das Verhalten des Stickoxyds in einem sauer-
stoffhaltigen Medium berücksichtigt; früher wurde Stickoxyd zur Bestimmung des Sauer-
stoffs in Gasgemischen verwendet.
In der Industrie ist Stickoxyd bei der Darstellung von Schwefelsäure von grosser
Wichtigkeit. Es kommt überall vor, wo die Salpetersäure als Oxydationsmittel resp.
als sog. Beizmittel für Metalle gebraucht wird, Da es das grösste Bestreben hat, sich
Eul enberg, Gewerbe-Hygiene. J fi
242 Stickstoff und Sauerstoff
mit Sauerstoff zu verbinden, so ist es als Schutzmittel bei der Aufbewahrung organischer
Substanzen, namentlich von Fleisch u. s. w. vorgeschlagen worden. Wegen seiner Um-
wandlung in Untersalpetersäure ist diese Methode jedoch nicht anzurathen, weil dadurch
die organischen Substanzen einer Veränderung unterliegen und als Nahrungsmittel un-
brauchbar werden.
3) Salpetrige Säure HNO., findet sich in der Natur nur in der Form von salpe-
trig.-;» u re ii Salzen (Nitrite), die als Fäulnissproduete im Dünger und als Oxydation.—
produete putrider Stoffe im Trinkwasser vorkommen. Nach Gewittern lässt sich die
Säure an Ammonium gebunden im Regenwasser nachweisen.
In wässriger Lösung erhält man sie durch Einwirkung von Arsenigsäurean-
hydrid auf Salpetersäure:
Asa03 + 2HNOa + 3H80 = 2H3As04 + 2HN03.
Bei Erhitzung organischer Substanzen mittels Salpetersäure entsteht sie ausser
andern Oxydationsproducten des Stickstoffs, z. B. Untersalpetersäure, neben Cyanwasser-
stoff s. Oxalsäure). Die wässrige Lösung zerfällt bei gelindem Erwärmen in Salpeter-
säure, Wasser und Stickoxvd:
' 3HNOs = H N03 + H20 + 2 X« 1.
DasSalpetrigsänreanhydrid N,03. eine tiefblaue, «hon bei 0° siedende Flüssig-
keit, entsteht durch Zersetzen der flüssigen Untersalpetersäure mittels Wassers bei sehr
niederer Temperatur :
4X0. + iL« > = 211 NO, 4- N0O3.
Einwirkung der salpetrigen Säure auf den thierischen Organismus. Für die
Versuche wurde die Säure durch Erwärmung von 1 Th. Stärkemehl mit 8 Th. Salpe-
tersäure von 1,25 spec. Gew. bereitet. Die sich entwickelnden Dämpfe wurden durch
ein wenig Wasser geleitet, um die etwa gebildete Blausäure und die Untersalpeter-
säure zurückzuhalten. Bei einer Taube entstanden beim Eindringen der orangerothen
Dämpfe in die Glasglocke sogleich grosse Unruhe und die höchste Athemnoth unter all-
gemeinen Convulsionen, welche schon nach 1 Minute, den Tod herbeiführten. Section
nach 12 Stunden. Die weissen Federn gelb gefärbt, Leichenstarre praegnant, Cornea opali-
sirt, Pupille contrahirt; Pia mater stark injicirt, die Plex. venös, spinal, mit ge-
ronnenem Blute angefüllt. Lungen von schwärzlich- graubrauner Farbe, an
den Rändern mehr cacaofarbig; im Lungenparenchym einzelne feste Partien, welche
im Wasser untersanken: auf der Durchschnittsfläche tritt etwas schmutzig-grauer
Schaum hervor: auf der Tracheaischleimhaut einzelne schmutzig -braune Iniectionen.
In den Herzhöhlen und grössern Venen geronnenes Blut: Leber von hcllrother
Farbe, auf den Durchschnittsflächen etwas flüssiges, braunrothes Blut, welches an
der Luft dunkelroth wird. Blutkügelchen meistens ohne deutliche Contouren und un-
gleich: einige sind zu einer granulösen Masse aufgelöst.
2) Ein mittelgrosses Kaninchen wurde in dieselbe Glocke, welche noch mit
gelblichen Dämpfen angefüllt war, gebracht. Sogleich grosse Unruhe, Putzen der Nase,
Thränen der Augen: mit jedem Athemzuge treten Dämpfe von Salpetersäure aus dem
Maule. Nach 1 "Minute angestrengte Respiration, nach 4 Min. 12 Inspirationen binnen
l/4 Min.: Hornhaut opalisirt. Herausnahme nach b Minuten. Beschleunigter
Herzschlag, Rlionchus sonorus mit schwachem Schleimrasseln in den Bronchien. Nach
1 Mic. 11 Inspirationen: Lackmuspapier, auf die Zunge gedrückt, röthet sich: nach
7 Min. 32 Inspirationen bei freier Bewegung, nach 10 Min. heftige Convulsionen,
welche in Tetanus übergehen, wobei sehr viel gelblicher Schaum aus dem Munde stürzt:
nach 17 Min. einzelne unregelmässige Inspirationen: nach 18 Min. Tod.
Section nach 12 Stunden. In der Mitte der Hornhaut ein weisser Fleck,
Gliederstarre deutlich. Sehr starke Hyperämie der Hirnhäute: ein linsengrosses Blut-
extravasat an der hintern untern Fläche der beiden Hemisphären: die Plexus ven.
spinal, ziemlich stark angefüllt, wenig flüssiges Blut zwischen Wirbel und Dura mater.
Lungen von schwärzlich rothbrauner Farbe mit einzelnen hellrothen Flecken, an den
Rändern partielles Emphysem; das Parenchym schwarzbraunroth und hellroth marmo-
rirt, einzelne Stellen sinken bei der Schwimmprobe unter den Wasserspiegel. Auf den
Durchschnittsflächen viel röthlichcr. die Bronchien, die Trachea und sogar den Larynx
ausfüllender Schaum: Tracheaischleimhaut intensiv rothbraun. In beiden Herzhöhlen
hwarzes geronnenes Blut: das flüssige Blut ist braunroth und röthet sich kaum
an der Luft. Blutkügelchen unverändert. Leber reich an flüssigem braunrothem Blute:
Nieren sehr blutreich: Urinblase leer.
Unter den verschiedenen Stickstoffsäuren wirkt die salpetrige Säure am
nachtheiligsten auf die Respirationsorgane ein, was man in der Technik noch
nicht genug gewürdigt hat; es wird in dieser Beziehung noch stets die Gesund-
Salpetrige Säure. 243
heit der Arbeiter viel zu wenig beachtet. Glücklicherweise sind die Räume, in
welchen die salpetrige Säure dargestellt wird oder ihre unbeabsichtigte Entwick-
lung stattfindet, gewöhnlich von grossen Dimensionen, so dass die betreffenden
Dämpfe sehr verdünnt werden. Die Experimente liefern den Beweis, wie höchst
reizend die Dämpfe in concentrirter Form auf die Respirationsorgane einwirken;
mit ihrer Eigenschaft als Säure hängen die partiellen Verdichtungen im Lungen-
parenchym, die Coagulation eiweisshaltiger Gebilde und des Blutes sowie die
Opalisirung der Hornhaut zusammen.
Ueberall, wo salpetrige Säure auf organische Substanzen einwirkt, bildet
sich rasch Salpetersäure; durch diese grosse Begierde, überall den Sauerstoff
weg zu nehmen, wirkt die salpetrige Säure um so nachtheiliger auf den Respi-
rationsprocess ein, als es grade die Athmungswege sind, auf welchen bei der
Inhalation der Dämpfe dieser Oxydationsprocess so rasch vor sich geht, dass
schon die Exspirationsluft Salpetersäure enthält; die Wirkung der salpetrigen
Säure ist deshalb viel gefährlicher als die der Salpetersäure, wenn letztere in
Dampfform inhalirt wird. Wirken die Dämpfe nicht sofort tödtlich ein, so kann
in Folge der sehr reichlichen Absonderung von schleimiger Flüssigkeit in die
Lungenzellchen und Respirationswege der Tod durch Erstickung erfolgen.
Das bei der Section des Kaninchens vorgefundene Lungenemphysem spricht
für die grosse Dyspnoe, welche sogleich bei der Einwirkung der Dämpfe auftrat
und sich alsbald mit Schleimrasseln in den Bronchien verband, bis der Tod unter
Convulsionen und Hervorstürzen einer Masse gelblichen Schaums aus Nase und
Maul erfolgte.
Salpetrige Säure in der Industrie.
Bei der Darstellung der Oxalsäure durch Oxydation organischer Körper
mittels Salpetersäure entwickelt sich sehr viel salpetrige Säure; man gebraucht
dazu vorzüglich Melasse, Stärke, Holzfaser u. s. w.; gleichzeitig entwickelt
sich fast immer Cyanwasserstoff, wozu die Salpetersäure den Stickstoff liefert.
Diese Fabrication ist nur dann practisch, wenn die gebildete salpetrige Säure noch
zu andern technischen Zwecken, namentlich zur Darstellung der Schwefel-
säure, benutzt wird; hierdurch würde auch gleichzeitig der schädlichen Einwir-
kung der salpetrigen Säure auf die Arbeiter am besten vorgebeugt werden.
Um Oele, z. B. Ol. olivarum, Ricini, überhaupt Olein, zu erhärten,
leitet man Dämpfe von salpetriger Säure in diese ein; die Säure wird durch Be-
handeln mit siedendem Wasser weggeschafft und, um die ganze rohe Masse zu
reinigen, mit einem Alkali saponificirt.
Die Unterlauge enthält neben der an das Alkali gebundenen Salpeter-
säure und salpetrigen Säure alle Farbstoffe; die davon getrennte Seife wird in
warmem Wasser aufgelöst und mit einer Mineralsäure zersetzt. Das oben
schwimmende Fett, welches unter +40 bis 50° erstarrt, wird als Kerzenmaterial
benutzt.
Die letzten sauren Waschwässer sind salpetersäurehaltig und können
bei Anwendung von thierischen Fetten auch noch sonstige stickstoffhaltige Sub-
stanzen gelöst enthalten; sie müssen daher mit Kalk neutralisirt und als Dung-
mittel benutzt werden.
Diese Methode, nicht nur die flüssigen Oele, sondern auch alle andern, nicht
weiter zu verwertenden flüssigen oder ölartigen Fette zu erhärten und als Kerzen-
16*
944 Stickstoff und Sauerstoff.
material zu verwenden, ist wegen des hohen Preises des Fettes und Talges in der
neusten Zeit immer allgemeiner geworden. Sie verdient in sanitärer Beziehung
die grösste Beachtung, da sie neben den andern Oxyden des Stickstoffs zuweilen
eine sehr reichliche Entwicklung von Blausäure veranlassen kann, durch deren
Einwirkung die Arbeiter nicht selten betäubt hinstürzen.
Um solche Gefahren zu verhüten, müssen Rührer in den Mischgefässen an-
gebracht und letztere mit einem Helm oder Deckel verschlossen werden, der
mit einem Abzugsrohr versehen ist, um die entweichenden Stickstoffsäuren
und die Blausäure in einen geschlossenen Raum über Hürden zu leiten, auf wel-
chen Kalk und Eisenvitriol ausgebreitet sind. Es bildet sich alsdann auf Kosten
der Blausäure so viel Ferrocyancalcium, dass dieses zu Berliner blau
verarbeitet werden kann, ein Beweis, wie ausserordentlich nothwendig diese Vor-
sichtsmassregeln sind. Die Oxyde des Stickstoffs werden hierbei absorbirt, wäh-
rend sich zunächst Cyancalcium bildet, das sich mit dem Eisenoxyd dann
schliesslich zu Ferrocyancalcium verbindet.
Bisweilen gebraucht man statt der salpetrigsauren Dämpfe eine Auflösung
von salpetersaurem Quecksilberoxydul, welches bekanntlich freie salpetrige
Säure enthält. In diesem Falle sind die Waschwässer wegen ihres Gehaltes
an Quecksilber salzen sehr beachtungswerth und dürfen deshalb nie frei ab-
gelassen werden; ehe dies geschehen darf, müssen die Salze auf die geeignete
Weise niedergeschlagen werden, wenn man die betreffenden Wasch wässer nicht
noch zu andern Zwecken benutzen will.
Diese Erhärtungsmethode findet auch in der Kosmetik, z. B. bei der
Darstellung von Pomaden, Anwendung; in diesen ist der Quecksilbergeh alt
nicht ausgeschlossen, wenn das Auswaschen nicht mit der gehörigen Sorgfalt ge-
schieht.
Bei der Darstellung von flüssigem Leim mittels Salpetersäure
treten ausser einer grossen Menge von salpetriger Säure noch Blausäure,
Benzoesäure und andere saure Oxydationsproducte auf. Hier ist eine
Condensation der Dämpfe nicht möglich, weil sie sehr verdünnt und nur stoss-
weise auftreten; jedenfalls ist aber ein gut ziehender und sehr hoher Kamin
erforderlich, um die Dämpfe in die höhern Luftschichten zu führen und dadurch
unschädlich zu machen, wenn die Darstellung im Grossen geschieht.
Zur Darstellung von arsenigsaurem Kalium, das in der Färberei als
Fressbeize und Befestigungsinasse benutzt wird, erhitzt man Salpeter mit arseniger
Säure in den entsprechenden Mengen, wobei viel Salpetrigsäureanhydrid ent-
weicht, das sorgfältig abzuleiten resp. unschädlich zu machen ist:
As203 + 2KN03 = N203 + 2KAs03.
4) Ulltersalpetersäure N02 erhält man durch Destillation von salpetersanrera Blei
in einer schwer schmelzbaren Glasretorte, welches hierbei in Bleioxyd, Sauerstoff und
Untersalpetersäure zerfällt :
Pb(N03)a = PbO + 2 NOa -r- 0.
Eine gelbe, bei 20° siedende Flüssigkeit von dem spcc. Gew. 1,45. Je höher sie er-
wärmt wird, desto intensivere rothgelbe Dämpfe entwickelt sie; bei —20° geht sie in
farblose, bei 12° schmelzende Krystalle über. Untersalpetersäure tritt überall auf, wo
sich Stickoxyd entwickelt und mit einem Ueberschuss von atmosphärischer Luft zusam-
menkommt.
Sie ist keine Säure, da sie keinen vertretbaren Wasserstoff hat: durch Basen, wie
Kali und Natron, wird sie in salpetrigsaure und salpetersaure Salze (in Nitrite und
Nitrate) zerlegt :
2 NO, 4- 2 KHO = KNO,, 4- KN03 4- H,0.
Untersalpetersäure. 245
Da sie in organischen Körpern häufig an die Stelle des Wasserstoffs tritt, so muss
man sie in diesem Falle als eine eigenthümliche Oxydationsstufe des Stickstoffs betrach-
ten. Man nennt diesen für die gegenwärtige Industrie bedeutungsvollen Vorgang
Nitriren; so ist z.B. nitrirtes Benzol Nitrobenzol, nitrirter Holzfaserstoff die Schi es s -
baumwolle (Nitrolignit, Pyrolignit). Beim Nitriren bildet sich die Uutersalpetersäure
dadurch, class die Salpetersäure durch den Wasserstoff der organischen Substanz
unter Bildung von Wasser zu Unter Salpetersäure reducirt wird: -
HN03 + H = NO, + H30.
Dieses Austreten von H und das Ersetzen desselben durch N02 kann bei einer
und derselben Substanz in verschiedenen Verhältnissen stattfinden. So können 1, 2,
3 Atome H durch 1, 2 und 3 Atome N02 vertreten werden; die Verbindungen sind
alsdann mono-, bi- und trinitrirt.
Die Bildung von Wasser beim Nitriren ruft gewöhnlich eine weitere Zer-
setzung hervor; um diese aufzuhalten, muss das gebildete Wasser gebunden werden,
weshalb man concentrirte Schwefelsäure zum Gemisch gibt. Noch vorteilhafter
ist es, schon vor der Einwirkung die Salpetersäure mit concentrirter Schwefelsäure zu
vermischen.
Da auch die stärkste Salpetersäure noch stets Wasser enthält und man so viel
als möglich beim Nitriren die Gegenwart von Wasser ausschliessen muss, so ist es
leicht erklärlich, warum man in manchen Fällen eine Mischung von trocknem Kalisal-
peter mit concentrirter Schwefelsäure mit Vortheil beim Nitriren benutzt hat.
Einwirkung der Dämpfe von Untersalpetersäure auf den thierischen Organis-
mus. 1) Eine Taube in der Glasglocke wird sogleich beim Eintritt der Dämpfe, die
aus Bleinitrat dargestellt waren, unruhig, blinzelt mit den Augen, reibt dieselben über
die Federn und hockt zusammen. Nach 2 M. angestrengte Respiration, die Nasenlöcher
sind feucht und nach 5 M. Schleimfluss aus denselben; nach 9 M. häufiges Aufsperren
des Schnabels. Nach 10 M. Herausnahme. Lackmuspapier, auf die Zunge gedrückt,
röthet sich lebhaft; die Taube schwankt und fällt nach 2 M. hin, richtet sich aber
wieder auf. Nach 4M. tonische und klonische Krämpfe; nach 5 M. Tod unter krampf-
haften Inspirationen. 250 C.-C. Dämpfe wurden verbraucht, welche ungefähr 2% des
Glockeninhalts entsprachen.
Section nach 20 M. Schädelknochen und die Hirnhäute hyperämisch; PI ex.
venös, spin. blutreich; Lungen dunkelbraunroth, härtlich anzufühlen, sinken im
Wasser unter, blutiger Schaum und etwas geronnenes Blut auf den Durchschnittsflächen ,
Emphysem an den Rändern. Die ganze Luftröhre mit gelblichem Schaum angefüllt,
die Luftröhrenschleimhaut partiell injicirt und braunroth gefärbt. In beiden Vorhöfen
geronnenes Blut, ebenso in den grössern Venen; Serum scheidet sich erst nach meh-
reren Stunden aus dem Blute aus und ist hellgelb, Blutkügelchen normal. Leber blut-
reich und von braunrother Farbe; alle grössern Gefässe enthalten geronnenes und flüs-
siges Blut. Spuren von Salpetersäure konnten in den Lungen chemisch
nachgewiesen werden.
2) Ein mittelgrosses Kaninchen wurde beim Einleiten der Dämpfe in die Glocke
sehr unruhig; nach 1 M. reibt es stark die Nase, schliesst die Augen und hält den
Athem an; nach 3 M. Zittern der Schnauze; nach 4 M. 6 Inspirationen bei Bauchlage
und zurückgezogenem Kopfe. Nach 5 M. neue Zuleitung der Dämpfe; nach 6 M. er-
hebt es sich, Nase etwas feucht, schwaches Thränen der Augen; nach 8 M. ruhige
Bauchlage bei 11 Inspir. Herausnahme nach 10 M. Die Respiration beschleunigt
sich sogleich; nach 5 M. heftiger Husten, nach 8 M. starkes Niessen und Husten, nach
22 M. noch beschleunigter Herzschlag bei 22 Inspir., Rhonchus sonorus in den Bron-
chien, nach 43 M. noch häufiger Husten bei 29 Inspir. Auch am folgenden Tage be-
schleunigte Respiration; geringe Fresslust; am 2. Tage 50 Inspirationen binnen 1/i M.,
vermehrte Fresslust. Am 3. und 4. Tage ist die Respiration noch vermehrt bei häu-
figem Husten. Dann werden keine weitern Nachkrankheiten beobachtet.
3) Ein mittelgrosses Kaninchen wird beim Eintritt der Dämpfe in die Glocke
sehr unruhig, reibt stark die Nase, schliesst die Augen und unterdrückt die Respira-
tionsbewegungen. Nach 3 M. 7 Inspir. bei ruhiger Lage, nach 4 M. wieder Unruhe
und starkes Reiben der Nase (bei blassgelber Atmosphäre in der Glocke). Nach 6 M.
Aushauchen von weissen Dämpfen der Salpetersäure, nach 7 M. 7 Iusp. mit jedesmaligem
Oeffnen des Mauls, nach 12 M. Husten bei angestrengter Inspiration. Nach 19 M. neue
Zufuhr der Dämpfe, welche die Atmosphäre stark gelb färben; dann heftiges Schreien
und Reiben der Nase, nach 22 M. sehr angestrengte Inspir., ein convulsivisches Aufschnellen
des Körpers geht in allgemeine Convulsionen über, nach 23 M. einige krampfhafte In-
spir. und nach 24 M. Tod.
Section nach 6 St. Gliederstarre gering, das ganze Fell gelb gefärbt, Cornea
etwas trübe. Pia mater stark injicirt, an der untern hinteren Fläche der beiden
24ß Stickstoff und Sauerstoff.
Hemisphären ein erbsengrosses Blutextravasat, welches mit einer dünnen Lage flüssigen
Blutes umgeben ist: zwischen Wirbel und dura mater überall flüssiges und geronnenes
Blut- Lungen rothbraun auf der Oberfläche mit einzelnen hellen, emphvsematös aus-
gedehnten Lungenbläschen: an der untern Fläche von hellbrauner Farbe, am Rande
und an der Spitze einige hellrothe Flecke: das Parenchym fast durchgängig dunkel-
rothbraun, aar an einzelneu Stellen hellroth marmorirt. Die Lungen schwimmen auf
dem Wasser, obgleich die rnthbraunen Stellen beim Durchschneiden nicht knistern und
keine Luft enthalten: nur die vielen ausgedehnten Lungenbläschen bedingen das Schwimmen.
Auf den Dmvh.-ehnittsflächen viel gelblicher Schaum und geronnene Blutklümpchen: die
Bronchien und die Luftröhre sind mit gelblichem Schaum angefüllt, Tracheaischleimhaut
braunroth injieirt. In allen Herzhöhlen und in den grössern Venen geronnenes und
flüssiges Blut: das letztere ist braunroth und nimmt an der Luft eine schmutzig-braun -
rothe Färbung an. welche sich in dünnen Schichten der hellen Cacaofarbe nähert : einzelne
Blutkügelchen sind ungleich und gezackt. Leber blutreich und dunkelbraunroth; die
Gefässe^ de.- Magens, Mesenteriums und des serösen Ueberzuges der Gedärme stark in-
jieirt. Galle graugelb: Nieren normal; Milz bläulichroth ; Harnblase leer.
Im Allgemeinen wirken die Dämpfe der Untersalpetersäure nicht so rasch
letal ein wie die der salpetrigen Säure, was besonders aus dem Verhalten der
Versuchsthiere den beiden Dämpfen gegenüber erhellt. Ein Kaninchen vermochte
10 M. lang den Dämpfen der Untersalpetersäure zu widerstehen, während ein
anderes den Dämpfen der salpetrigen Säure schon nach 5 M. erlag; ein drittes
Kaninchen starb erst nach 24 M., nachdem es anhaltend den intensiven Dämpfen
der Untersalpetersäure ausgesetzt gewesen war.
Eine bedeutende Reizung der Schleimhäute der Nase, der Augen und
der Luftröhre gibt sich bei der Einwirkung der Dämpfe der Untersalpetersäure
kund; Husten und Niessen treten aber hier gewöhnlich erst heftig ein, wenn die
Thiere an"s Freie gelangen. Unterliegen sie nicht der stattgefundenen Einwir-
kung, so zeigen sich noch mehrere Tage lang Rhonchus sonorus und mucosus,
auhaltender Husten, beschleunigte Respiration und allgemeine Abspannung bei
erhöhter Herzthätigkeit. Bleiben die Thiere den Dämpfen ausgesetzt (Tauben
5 M. und Kaninchen über 20 M. lang), so erfolgt nach einem kurzen Stadium
der gänzlichen Erschlaffung und Betäubung der Tod unter tonischen und kloni-
schen Krämpfen, wobei schliesslich noch einige spastische Inspirationen die
peinliche Scene beendigen, grade wie es sich bei Einwirkung der Dämpfe von
salpetriger Säure verhält.
Der Sectionsbefund ist in beiden Fällen sehr ähnlich; ausser der Hy-
perämie der Nervencentren und der grössern Unterleibsorgane finden sich auch
dieselbe Injection der Lungenschleimhaut, dieselbe Aufüllung der Bronchien und
der Luftröhre mit einer schaumigen Flüssigkeit, bei Kaninchen die Hyperämie
des Lungenparenchyms und bei Tauben die feste harte Beschaffenheit der Lunge
sowie stark geronnenes Blut im Herzen.
Die bei Menschen beobachteten Fälle von Vergiftungen durch Dämpfe der
Stickstoffsäuren beziehen sich hauptsächlich nur auf die Untersalpetersäure.
Die Symptome während des Lebens treten gewöhnlich in folgender Reihenfolge
auf: zuerst tritt vorwiegend ein zusammenschnürendes Gefühl in der Kehle ein,
womit sich bald grosse Angst und Orthopnoe verbinden; ein starker Husten,
welcher entweder trocken oder mit einem zähen, gelblichen Auswurf verbunden
ist, quält die Kranken; mau hört grossblasige Rasselgeräusche in den Bron-
chien, die Extremitäten werden kalt und wTährend zunehmender Athembeklemmuug
zeigt sich eine cyanotische Färbung der Lippen. Ueberhaupt geben sich die vor-
herrschenden Symptome eines acuten Lungenödems mit bronchitischer
Reizung kund und zwar in fast vollkommener Uebereiustimmung mit den Ver-
Salpetersäure. 247
suchen an Thieren. Eine plötzliche und massenhafte Einwirkung der Dämpfe
vermag auch bei Menschen Erstickungsnoth und wirkliche Asphyxie zu er-
zeugen.
Der Sectionsbefund beim Menschen unterscheidet sich nicht viel von
dem Leichenbefunde bei Thieren; denn auch beim Menschen finden sich eine starke
Hyperämie der Lungen, bisweilen Blutextravasate im Parenchym derselben, viel
gelblicher oder röthlicher Schaum in den Bronchien und auf den Durchschnitts-
fiächen der Lungen. Der Tod kann bei Menschen sehr rasch oder erst nach
Monaten eintreten, wenn die Lungenaffection einen chronischen Verlauf ange-
nommen hat.76)
3) Salpetersäure HN03 Acidum nitricnm, kommt in den tropischen Gegenden als
Ammoniumnitrat in der Luft und im Regenwasser vor. Auch der elektrische _ F unke
vermag in feuchter Luft die Bildung von Salpetersäure zu veranlassen. In Chili findet
sie sich in grossen Lagern an Natrium gebunden als sog. Chilisalpeter: am häufig-
sten bildet sie sich durch die Oxydation des Ammoniaks, welches beim Faulen thieri-
scher Substanzen und bei Gegenwart starker Basen (Kalk, Kali) in salpetrige und
Salpetersäure übergeht; selbstverständlich geht dabei gleichzeitig Wasserstoff in Wasser
über. Viele Pflanzen, z. B. Borago, Tabacum u. s. w., sind besonders reich an Nitraten.
Dargestellt wird die Salpetersäure durch Erwärmen von 1 Molec. salpeter-
saurem Natrium mit 1 Molec. Schwefelsäure:
NaN03 -)-H2S04=NaHS04 + HN03.
In Laboratorien gebraucht man gläserne Retorten, welche mittels Galeerenofen
in Sandcapellen erhitzt und mit Vorlagen in der Form der IVoulf sehen Flaschen in
Verbindung gebracht werden. Es bildet sich neben der Salpetersaure primäres
(saures) Natriumsulfat; die so erhaltene wasserfreie, farblose Säure ist die weisse
rauchende Salpetersäure des Handels, hat ein spec. Gew. von 1,54, erstarrt
bei 40° und siedet bei 86°. Durch das Licht zerlegt sie sich in freien Sauerstoff und
Untersalpetersäure. Da der frei gewordene Sauerstoff einen sehr grossen Raum eiu-
uimmt, so kann hierdurch ein Zersprengen des Ballons entstehen, wodurch schon
grosses Unglück veranlasst worden ist. Sie kann thierische Substansen, wie Wolle,
Haare, Leder, ätherische Oele, Ol. Terebinth. Rorism. u. s. w. zur Entzündung bringen.
Bei der Destillation zersetzt sie sich zum Theil in Wasser, Sauerstoff und Unter-
salpetersäure : 2H N03 = H20 4- 0 + 2 N02.
Mit Wasser vermischt sich die Salpetersäure in allen Verhältnissen. Bei der
Destillation einer verdünnten Säure geht zuerst fast reines Wasser über, wobei der Siede-
punet allmählig auf 121° steigt und eine 68% haltige Salpetersäure gewonnen wird,
welche constant bei dieser Temperatur siedet. Acidum nitricnm crudum der Phar-
mac. germ. (Scheide w asser, Aqua fortis) enthält 50 — 52°/0 bei einem spec. Gew.
von 1,323—1,331, Acidum llitricum (reine Salpetersäure) 30% bei einem spec. Gew.
von 1,185.
Die Salpetersäure verwandelt alle Metalloide, Chlor, Brom und Stickstoff aus-
genommen, auf Kosten ilrrcs Sauerstoffs in Säuren und alle Metalle, Gold lind Platin
ausgenommen, in salpetersaure Salze (Nitrate). Bei den Metallen wirkt der frei werdende
Wasserstoff reducirend auf die Säure ein und führt sie je uach der Stärke der Reaction
in niedere Oxydationsstufen (Untersalpetersäure) über.
Bei Zinn und Zink findet die Zersetzung mit einer solchen Energie statt, dass
der Wasserstoff die Salpetersäure zu Ammoniak reducirt, welches als salpetersaures
Salz auftritt.
Salpetersäure wurde schon frühzeitig zur Scheidung von Gold und Silber be-
nutzt und daher Scheidewasser genannt. Albertus Magnus, der bekannte Alchymist,
nannte sie „philosophisches Wasser vom ersten Grade der Vollkommenheit."
Gewöhnlich nimmt ihre oxydirende und auflösende Wirkung um so mehr ab, je
mehr Wasser sie enthält. Bei Eisen, Zinn und Kupfer verhält es sich umgekehrt;
während eine starke 26,5% haltige Säure diese Metalle uicht angreift, ist dies erst bei
Zusatz von Wasser der Fall. Aehnliches findet sich bei der Holzfaser und beim
Stärkemehl.
Die meisten stickstoffhaltigen organischen Verbindungen färbt sie_ gelb und ver-
wandelt sie in organische Säuren, z.B. Harz, Seide, Indigo in Pikrinsäure, Aloe
in Chrysaminsäure.
Rothe ranchende Salpetersäure, Acidum nitricnm fnmans, wird fabrikmässig dar-
gestellt und zwar bei höherer Temperatur, wobei ein Theil der Säure in Wasser,
•248 Stickstoff und Sauerstoff.
Sauerstoff and Untersalpetersäure zerfällt; letztere löst sich in der überschüs-
sigen Salpetersäure und färbt diese roth. Man gebraucht dazu 2 Mol (170Th.) salpeter-
saures Natrium und 1 Mol. (98 Th.) Schwefelsäure. Anfangs wirkt die Schwefelsäure
nur auf die Hälfte des Natriumnitrats und bildet neben freier Salpetersäure das
primäre (saure) Natriumsulfat:
2 Na N03 + H2 S04 = H N03 + Na HS04 -+- Na N03.
Bei höherer Temperatur wirkt dann auch das primäre Natriumsulfat auf den
noch unzersetzt gebliebenen Theil des Natriumnitrats und verwandelt sich unter Frei-
werden der Salpetersäure in secundäres (neutrales) Natriumsulfat:
NaHS04 + NaN03 = Na, S04 + HN03.
Bei dieser hohen Temperatur wird aber auch die Salpetersäure zum grossen
Theil in Untersalpetersäure und Sauerstoff zersetzt und man erhält daher eine
Lösung von Untersalpetersäure in Salpetersäure, d. h. rauchende Salpetersäure.
Einwirkung der Salpetersäure auf den thierischen Organismus.l) Ein mittel-
grosses Kaninchen sitzt in der Glasglocke. 101,14 G. Th. Kali nitric. wurden mit
98 G. Th. concentrirter Schwefelsäure erwärmt und der sich bildende Dampf
(63 G. Th. Salpetersäure) mittels einer Pumpe eingeblasen; derselbe ist stets mit etwas
Untersalpetersäure verunreinigt. Nach 3 M. schwache Speichelabsonderung, welche sich
späterhin wieder verlor, Redjen der Nase, nach 5 M. schwaches Zurückziehen des
Kopfes bei ruhigem Sitzen. 13 Inspir. binnen 1/i M. : nach 10 M. Unruhe, das Thier
erhebt sich und bleibt auf den Hinterbeinen stehen. Nach 15 M. 11 äusserst ange-
strengte Inspirationen, Augen halb geschlossen, Cornea etwas getrübt, nach 20 M.
9 höchst angestrengte Inspirationen mit Aufblasen der Backen, Husten, nach 25 M.
Unruhe und geringes Schwanken: linke Cornea mit einem weissen, 2 Linien breiten
Streifen überzogen. Nach 30 M. Abgang eines trüben Urins, nach 40 M. 10 sehr ange-
strengte Inspirationen, wobei sich das Maul weit öffnet. Herausnahme nach 45 M.
Das Kaninchen verhält sich ruhig und zeigt viel Durst: am folgenden Tage 25 ange-
strengte Inspirationen: es sucht überall kühle und dunkle Stellen auf, lehnt sich an,
frisst wenig und bewegt sich nicht. Die Zahl der Inspirationen variirt zwischen
18 — 24 binnen 1/i M., Rhonch. sibil. deutlich und am 4. Tage ein schwaches Schleim-
rasseln in den Bronchien. Am 5 Tage noch 18 Inspirationen mit starkem Einziehen
der Weichengegend; Temperatur normal, Ohren kalt: erst am 11 Tage freiere Bewe-
gung. Vier Wochen nachher war noch ein schwaches Schleimrasseln vorhanden und
zwar bei 25 noch immer etwas angestrengten Inspirationen binnen 1/i M. : allmählig erholte
es sich und nahm an Fleisch zu.
2) Nach zwei Monaten wurde dasselbe Kaninchen nochmals den Dämpfen ausge-
setzt, welche sich durch Versetzen der rauchenden Salpetersäure mit Schwefelsäurehydrat
zu gleichen Theilen unter Erwärmen bildeten. Das Thier erhebt sich sogleich beim
Eintritt der Dämpfe: nach 1 M. 9 Inspirationen, nach 4M. Blinzeln mit den Augen: es
reibt sich stark die Nase, erhebt sich und sinkt wieder zu Boden. Nach 10 M. 15 In-
spirationen; nach 12 M. neue Zufuhr der Dämpfe. Die Haare des Thieres fangen
in Folge eines herabfallenden Tropf ens an zu brennen, die Verbrennung wird
durch Zuhalten der obern Leitungsröhre der Glasglocke unterdrückt. Weites Aufsperren
des Mauls bei der Inspiration, nach 15 M. 14 Inspirationen: Schwanken und Hinfallen:
nach 16 M. 7 äusserst angestrengte Inspirationen in der Seitenlage, nach 17 M. heftiges
Aufschreien, allgemeine Convulsionen und Tod.
Section nach 18 Stunden. Linke Hornhaut trübe, rechte nur fleckig weiss;
auch das linke Augenlied ist geröthet, aus der Nase fliesst gelblicher zäher Schleim.
Hirnhäute überall stark injicirt, die Gefässe sind entschieden ausgedehnt und mit
einer strahligen blutigen Ausschwitzuno umgeben; ein linsengrosses Blutextravasat an
der hintern untern Fläche der beiden Hemisphären. Zwischen Wirbel und Dura mater
überall ein dünnes flüssiges Blutextravasat. Lungen stark ausgedehnt, an den Rändern
der obern Lappen Emphysem, Oberfläche dunkelbraun- und schwarzbraunroth marmo-
rirt. Der rechte mittlere Lungenlappen leberbraun, luftleer und im Wasser unter-
sinkend: die untere Hälfte des linken untern Lappens braunroth, aber nicht im Wasser
untersinkend; auf den Durchschnittsflächen flüssiges Blut und einzelne geronnene Blut-
klümpchen. An den DurchsehnittsÜächen derjenigen Stellen, welche noch knistern und
lufthaltig sind, fliesst gelblicher Schaum aus, der auch die Trachea bis zum Larynx
ausfüllt. Trachealschleimhaut intensiv rothbraun; an der Stelle, wo ein Bronchus in den
mittlem rechten Lungenlappen übergeht, liegt ein lockeres weisses Exsudat,
welches sich in kleinen Zäpfchen in die kleinsten Bronchialverzweigun-
gen des festen und luftleeren Lungenlappens verfolgen lässt. Es besteht
aus kernhaltigen Zellen mit granulirtem Inhalte und ..Entzündungskugeln". In den
Herzhöhlen mehr geronnenes als flüssiges Blut; letzteres ist schwarzröthlich und
hat in dünnen Schichten einen Stich in's Violette; nach 6 Stunden ist es noch flüssig
Wirkung der Salpetersäure. 249
geblieben und dunkel kirschroth geworden. Leber von normaler Farbe und reich an
flüssigem Blute: solches findet sich auch in allen grösseren Venen. Milz blass blau-
roth, Galle hellbraun; Nieren normal; starke Gefässinjection auf der Oberfläche der
Därme. Alles Muskelfleisch sehr hellroth; in Lunge und Leber konnte Salpeter-
säure nachgewiesen werden.
Die Dämpfe der Salpetersäure wirken langsamer als die der salpetrigen
und Untersalpetersäure ein, wie aus dem ersten Versuche deutlich hervorgeht; ein
45 Minuten langer Aufenthalt eines Kaninchens in den Dämpfen der Salpeter-
säure hatte aber den Erfolg, dass sich eine vollständige croupöse Bronchitis
ausbildete. Zweifelsohne war dieser Befund bei dem zweiten Experimente mit jenem
Thiere eine Folge des ersten Versuches, da sich während des zweiten Experi-
mentes, welches nur 17 Minuten dauerte, dieser Krankheitszustand nicht entwickeln
konnte; er war jedoch die Ursache, dass die Dämpfe bei dem zweiten Versuche
einen schnellern letalen Ausgang bewirkten.
Im Uebrigen besitzt Salpetersäure wie Salzsäure und Schwefelsäure
eine das Albumin coagulirende Eigenschaft; das compacte, bei dem Versuche vor-
gefundene Lungenparenchym hing jedoch mehr mit der Unwegsamkeit der Bronchien
zusammen. Alle Stickstoffsäuren bewirken eine bedeutende Reizung der Schleim-
häute, namentlich sind es aber die salpetrige und Untersalpetersäure, welche in
dieser Beziehung rasch ihre Wirkung entfalten. Auch gibt die Untersalpeter-
säure viel schneller als die Salpetersäure ihren Sauerstoff an die organische
Substanz ab; die dabei sich bildenden organischen stickstoffhaltigen Verbindungen
sind aber noch wenig oder gar nicht bekannt. Ebenso werden die Dämpfe des
Stickoxyds, wenn sie in das Blut dringen, auf Kosten des Sauerstoffs im Blute
in salpetrige und Salpetersäure resp. in Untersalpetersäure übergeben, während
die Salpetersäure höchst wahrscheinlich ebenfalls im Blute eine Oxydation hervor-
ruft, wobei sie selbst in salpetrige Säure und diese durch Aufnahme von Sauer-
stoff wieder in Untersalpetersäure verwandelt wird.
Die Wirkung der Stickstoffsäuren muss somit eine und dieselbe sein; die
Differenz beruht nur in der Zeit, welche zum Hervorrufen der Alterationen
nothwendig ist, wie aus den vorhergehenden Versuchen deutlich erhellt.
Es ist auch eine bekannte Erfahrung, dass man in Laboratorien die Dämpfe
der Salpetersäure weit besser als die der Untersalpetersäure oder salpetrigen
Säure ertragen kann; hat man doch die salpetersauren Dämpfe sogar zu thera-
peutischen Zwecken verwendet!77)
Auf das Blut wirken alle Stickstoffsäuren in gleicher Weise ein, wenn sie
demselben direct zugesetzt werden; es wird schliesslich hellbraun, ein Zeichen,
dass das Haemoglobin wesentlich verändert ist.78)
Auf die Pflanzen wirken die Stickstoffsäuren in zwiefacher Beziehung schäd-
lich ein, erstens durch ihre ätzende Eigenschaft und zweitens durch die Fähigkeit,
die in den Pflanzen enthaltenen Chloride (Kochsalz) zu zersetzen und Chlor frei
zu machen, welches dann das Chlorophyll zerstört und die Blätter bleicht.
Besonders sind es die weichen Blätter der Trifolium-, Brassica- und Plan-
tago -Arten, sowie die Tabakpflanzen, welche hauptsächlich durch diese
sauren Dämpfe geschädigt werden. Auch die Laubhölzer, die Aepfel-, Birnen-
und übrigen Obstbäume leiden sehr darunter, während die Nadelhölzer wahr-
scheinlich wegen des schützenden Harzgehaltes ihrer Blätter und die Gramineen
wegen ihres vorherrschenden Gehaltes an Silicaten am wenigsten einer nachthei-
ligen Einwirkung der Stickstoffsäuren unterliegen.
250
Stickstoff und Sauerstoff.
Salpetersäure- Industrie.
Bei der Salpetersäurefabrication ha Grossen benutzt mau häufig guss-
eiseme Cylinder, welche reihenweise in Gasretortenüfeu erhitzt werden. Gewöhn-
lich liegen zwei Cylinder auf einem Feuer: uachdem sie mit dem getrockneten
Chilisalpeter beschickt worden sind, gibt mau die Schwefelsäure (gewöhnlich von
1.718 sp. G. oder 60° B.) mittels eines S förmigen Trichterrohrs (Fig. 28 o) in ent-
sprechenden Mengen ein. Bei b liegt das Schürloch, und e ist ein Rohr, welches bis
auf den Boden der Vorlage (</) reicht und das Sicherheitsrohr darstellt.
Fig. 28.
*m m&mm *«s *« *» §« v/m ■§» i«
■
Die Oeffnung, durch welche der Trichter gesteckt wird, ruuss im Verlaufe des
Processes wieder geschlossen und mit Thon verdichtet werden. Die Cylinder werden
bisweilen an der Grundfläche mit Platten von Sandstein versehen, um sie nicht dem
Feuer direct auszusetzen. Sie stehen durch ein Rohr (<•) mit den Vorlagen (</) in Ver-
bindung, die in der Form von Woulf&chea Flaschen aus Steingut construirt sein
müssen. Ganz besoniers sollen die Abzugsröhren eine hinreichende Weite haben,
um allen Gasen einen ungehinderten Abzug zu verschaffen; sind dieselben zu enge, so
können in Folge der grossen Spannung der Gase die lutirten Stellen unmöglich dicht
bleiben, wodurch dann die entweichenden Gase und Dämpfe sowohl für die Arbeiter
als auch für die Nachbarschaft eine beständige Quelle von Belästigungen gewähren.
Ein solcher Fehler in der ersten Anlage lässt sich fast gar nicht mehr verbessern, so
dass die Salpeter.-äurefabriken auf diese Weise beständig zu Klagen Veranlassung geben.
Um das flüssige Natrinmsulfat nach beendigtem Processe ausfliessen zu lassen, bringt
man noch am untern Theile der Cylinder auf der vordem Seite ein Ausflussrohr an,
welches während des Betriebes mit einem Stöpsel von Gusseisen versehen ist, dessen
sorgfältige Lutirung mittels Thon zu bewirken ist. Bei der Verwendung von 1 Mol.
Schwefelsäure und '2 Mol. Chilisalpeter wird der Rückstand dickflüssig resp. fest. In
diesem Falle muss die vordere Fläche des Cylinders mit einer Gussplatte verschlossen
werden, welche auf der innern Seite durch eine Thonschicht geschützt wird. Man
dichtet mit Pferdemist und plastischem Thon: auf den Boden des Cylinders legt man
scharfkantige Prismen von Gusseisen, an welchen sich der erkaltete Kuchen von (seeun-
därem) Natrinmsulfat bricht und nach der Wegnahme der Gussplatte leicht ausgezogen
werden kann.
Die Herausnahme der Rückstände ist in sanitärer Beziehung wichtig
und erfordert unbedingt die genannten Vorschriftsmassregeln, um die Arbeiter
nicht den Salpetersäuren Dämpfen auszusetzen. Mehrere Fabriken gebrauchen
oft grosse gusseiserne Kessel, welche am obern Ende eine weite Oeffnung für
das Einbringen von Chilisalpeter und Schwefelsäure haben, wobei aber die Ar-
beiter schon mehr oder weniger den sich entwickelnden Salpetersäuren Dämpfen
ausgesetzt sind; ein solches Verfahren ist daher in sanitärer Beziehung verwerflich.
Stets muss die Oeffnung für die Beschickung während des Betriebes einen
sorgfältigen Verschluss haben; der Kessel wird meistens von allen Seiten von der
Salpetersäure -Industrie. 251
Flamme umspült. Ein angegossener, im Innern mittels eines Thonrohrs gegen die
Einwirkung der Säure geschützter Hals nimmt das Rohr auf, welches die Salpeter-
säure in die Condensationsgefässe führt, während das flüssige Natriumsulfat
durch ein am Boden angegossenes Rohr direct in eiserne, auf Wagen stehende
Kasten abgelassen wird. Bei einem mehr festen Rückstande empfiehlt sich das
oben angegebene Verfahren mittels der wegnehmbaren Gussplatte.
Um die Belästigungen, welche Salpetersäurefabriken den Adjacenten bereiten,
sowie die gesundheitsschädlichen Einwirkungen der Gase und Dämpfe auf die Ar-
beiter zu verhüten, sorge man vorzugsweise für eine zweckmässige Be-
schickung, für die sorgfältigste Lutirung der Apparate, die vollständige Con-
densation der Gase und Dämpfe in den Vorlagen, sowie für eine rasche
Beseitigung der Rückstände. An die Vorlagen, welche abzukühlen sind,
könnte man noch einen Kühlapparat, d. h. ein Schlangenrohr von Steingut an-
schliessen, in welches man von oben her einen schwachen Strahl kalten Wassers
fiiessen lässt, um die Gase so vollständig als möglich zu condensiren. Iu vielen
Fabriken benutzt man gegenwärtig vielfach wie in Schwefelsäurefabriken Koks-
thürme mit Berieselung mittels eines Schüttelapparates, um namentlich die noch
entweichende Untersalpetersäure mittels Schwefelsäure wiederum zu gewinnen.
Uebrigens treten hierbei auch die vom Chilisalpeter herrührenden Dämpfe
auf, da derselbe stets Jod entwickelt, während Chlor sowohl beim Natron-
ais Kalisalpeter auftritt. Bleibt Jod längere Zeit im Destillate, so bildet
sich schliesslich Jodsäure; ist Chlor und Jod gleichzeitig vorhanden, so ent-
steht Chlorjod. Untersalpetersäure zeigt sich um so mehr, wenn die
rauchende Salpetersäure dargestellt wird. Es ist unzweckmässig und auch in
pecuniärer Beziehung unvortheilhaft, die nicht absorbirte Säure unter die Feue-
rung zu leiten, wie es in manchen Fabriken geschieht. Will man den Koksthurm
nicht benutzen, so sind jedenfalls absorbirende Mittel zu verwenden, unter
welchen die Bleiglätte noch insofern einen grossen Vorzug hat, als man da-
durch Chlor- und Jodblei neben basisch salpetrigsaurem Blei und ge-
ringen Spuren von Bleinitrat gewinnt. Man kann die Bleiglätte auf befeuchtete
und in einem geschlossenen Kasten befindliche Koks streuen (s. Nitroglycerin).
Eine Sodalösung ist weniger zweckmässig, weil das Jodblei sich nach der
vollständigen Sättigung mit siedendem Wasser ausziehen lässt, indem es sich in
goldglänzenden Blättern, mit etwas Chlorblei vermischt, abscheidet, die mit Schwefel-
säure erhitzt Jod abgeben.
Uebrigens unterwirft man in der Industrie auch häufig den Chilisalpeter
vorher einer sorgfältigen Waschung, um alles Chlornatrium zu entfernen und eine
chlorfreie Salpetersäure zu erhalten; oder man befreit die fertige weisse Salpeter-
säure dadurch von ihrem Chlorgehalt, dass man sie in Thongefässen, welche im
Wasserbade stehen, erwärmt und mittels einer Compressionspumpe einen kräftigen
Luftstrom durch dieselbe treibt, um die entweichende chlorhaltige Untersal-
petersäure in einen Koksthurm zu leiten, in welchem sie der oben erwähnten Be-
handlung zu unterwerfen und von Chlor und Untersalpetersäure zu befreien ist.
Bei der Concession einer Salpetersäurefabrik sind somit alle oben
erwähnten Puncte sorgfältig zu berücksichtigen, widrigenfalls die Belästigung
der Nachbarschaft und die Beschädigung der Vegetation zu beständigen Klagen
Anlass geben. In dieser Beziehung kann nicht oft genug betont werden, dass bei
der Unschädlichmachung der Gase und Dämpfe stets drei Methoden im Auge zu
252 Stickstoff und Sauerstoff.
behalten sind: 1) die der Wegführ ung durch den Schornstein, wenn die Gase
und Dämpfe durch die Feuergase eine so beträchtliche Verdünnung erleiden, dass
sie weder die Adjacenten belästigen noch die Vegetation schädigen; 2) die Me-
thode der Absorption, wenn die Gase und Dämpfe noch zu verwerthen sind;
3) die Methode der Zerstörung, wenn sie sanitäre Nachtheile in sich schliessen.
Nicht selten verdient aber hierbei das Verbrenuungsproduct noch eine besondere
Berücksichtigung, wie namentlich bei der Verbrennung von Schwefelwasserstoff
bereits hervorgehoben worden ist. ßei allen in dieser Richtung zu treffenden
Vorsichtsmassregeln muss man durch die sorgfältigste Erwägung aller hierbei iu
Betracht kommenden Umstände geleitet werden.
Die Anwendung der Salpetersäure in der Industrie ist eine sehr verbreitete,
welche sich noch täglich steigert; man benutzt sie vorzugsweise wegen ihres
Sauerstoffsgehaltes, welchen sie unter Umständen mit Leichtigkeit abgibt. Beim
Oxydiren und Nitriren verschiedener Substanzen spielt sie eine grosse Rolle,
wovon bei der Darstellung der Pikrinsäure, Oxypikrinsäure, des Nitro-
benzols, der Schiessbaumwolle, des Nitroglycerins u. s. w. die Rede sein
wird; ebenso hat sie bei der Schwefelsäurefabrication die wichtigste Be-
deutung. Ueberall werden bei diesen chemischen Processen reichliche Dämpfe
von Stickoxyd resp. Untersalpetersäure entwickelt.
Wird zum Bleichen und auch zum Härten des Talgs Salpetersäure be-
nutzt, so tritt viel salpetrige Säure neben Butter-, Baldrian-, Capron-, Capryl-
säure u. s. w. auf. Beim Vergolden von Kupfer, Bronze oder Messing dient
sie zum Beizen dieser Metalle resp. zur Wegschaffung der Oxydschicht au ihrer
Oberfläche; hierbei entwickelt sich stets eine enorme Menge von Stickoxyd resp.
Untersalpetersäure. In geringer m Masse bilden sich diese Dämpfe, wenn die
Metalle zum Entgolden in eine Mischung von Salpeter und Schwefelsäure ge-
taucht werden; dasselbe ist der Fall beim Anreichern der Goldwaaren von
geringem Gehalte, bei der sogenannten Derochage (Aetzung). Beim Vergol-
den mit Goldamalgam gebraucht man eine Lösung von salpetersaurem Queck-
silberoxydul (Quickwasser); geschieht das Auftragen des Amalgams mittels
blosser Salpetersäure, so treten wieder die Dämpfe von Stickoxyd resp. Unter-
salpetersäure auf.
Bei allen diesen Manipulationen ist eine besondere Räumlichkeit mit einer
passenden Einrichtung für das Unschädlichmachen dieser Dämpfe erforderlich. Da
letztere stark mit atmosphärischer Luft verdünnt sind, so ist eine chemische
Condensation derselben, wenn nicht unmöglich, doch unpractisch; wo ein Ver-
schluss der Gefässe, iu welchen die Entwicklung der Dämpfe vor sich geht, nicht
statthaft ist, da muss die Wirksamkeit einer hohen und kräftig ziehenden Esse
eintreten. Besondere Räume sind deshalb erforderlich, damit wenigstens alle übrigen
Arbeiter des Fabriklocals ausser dem Bereiche dieser Dämpfe bleiben, deren Be-
deutung für die menschliche Gesundheit man noch lange nicht genug gewürdigt hat.
In Telegraphen-Bureaus, in welchen man früher die galvanische Bat-
terie mit Salpetersäure beschickte, hat sich die höchst schädliche Einwirkung der
salpetersauren Dämpfe auf die Beamten oft bemerkbar gemacht.
Die Hut mach er pflegen das Quecksilber iu Salpetersäure aufzulösen, um
das salpetersaure Quecksilberoxydul bei der Präparation der Haare zum Filzen zu
benutzen, eine Procedur, welche in Frankreich Secretage genannt wird und stets
die Entwicklung von salpetriger Säure veranlasst.
Salpetersäure-Industrie. 253
Früher wurden die Schreib federn mit Salpetersäure gelb gefärbt und
noch gegenwärtig benutzt man diese, um dem Nussbaumholze eine dunkelgelbe
Farbe zu geben. In Cigarrenfabriken bringt man die gelben Flecken auf den
Blättern mittels Salpetersäure hervor, um denselben das Aussehen einer bessern
und theuerern Sorte zu verschaffen. Alle diese Manipulationen dürften für die
Aetiologie mancher Krankheiten, besonders der chronischen Brustleiden, von
erheblicher Bedeutung sein.
Will man die Salpetersäure als Desinfections - und Räucherungs-
mittel benutzen, indem man sie aus einem Gemisch von Salpeter und Schwefel-
säure durch Erwärmen entwickelt, so ist dabei sehr grosse Vorsicht anzuwenden,
da die geringste Beimengung von organischem Staub eine reichliche Entwicklung
von Untersalpetersäure veranlasst; in bewohnten Räumen darf deshalb diese
Methode der Räucherung nicht vorgenommen werden.
Zum Aetzen von Kupfer, Stahl und Stein gebrauchen die Metallo- und
Lithographen Salpetersäure; die dabei sich bildende Untersalpetersäure bleibt im
Verdünnungsmittel aufgelöst79). Auch in der Färberei dient sie als Aetz- und
Beizmittel und beim Drucken als sogen. Reservage. Die gelben Muster auf
blauen wollenen Tüchern oder auf Seide werden nämlich mittels Salpetersäure'
welche durch Kleister verdickt worden ist, gedruckt, damit die blaue, durch
Indigo hervorgerufene Farbe durch Salpetersäure zerstört und in eine gelbe
verwandelt wird. Eine kräftige Ventilation ist in solchen Räumen absolut er-
forderlich, da sich auch hier mehr oder weniger Dämpfe von Untersalpetersäure
entwickeln.
Die Darstellung der Eisenbeizen (Ronille) geschieht mittels Eisenvitriols
und Salpetersäure; letztere gibt hierbei nur einen Theil ihres Sauerstoffs ab, um
das Eisenoxydnl in Eisenoxyd zu verwandeln; die Entwicklung von Stickoxyd
resp. Untersalpetersäure ist deshalb bei dieser Operation sehr bedeutend. Ge-
wöhnlich geschieht die Darstellung der Eisenbeize in den Färbereien, da sie
vielfach zum Schwarzfärben und Erschweren der Seide benutzt wird. Es ge-
hört dazu ein besonderer und von allen andern Localen getrennter Raum, in
welchem ein Herd für die Aufstellung der Gefässe und ein kräftig ziehender
und nicht zu niedriger Schlot für die Ableitung der Dämpfe vorhanden sein
müssen, damit der Arbeitsraum frei davon bleibt. Die Mischgefässe dürfen
nicht zu niedrig stehen und müssen sich im Bereich des Schlotes befinden,
welcher bis auf den Herd reicht, nur an der vorderen Arbeitsseite eine Oeffnung
hat und sich an den Feuerkamin anlehnt.
Das Zugutemachen der sog. Krätze, des Kehrichts der Goldarbeiterwerk-
stätte, kann den Adjacenten oft Belästigung bereiten, namentlich wenn diese
Procedur innerhalb der Städte vorgenommen wird.
Man gebraucht dazu einen Reverberir- Verbrennungsofen, dessen Feuer-
raum mit Koks gespeist wird und ans welchem die Feuerluft über eine Feuerbrücke
den zur Verbrennung der Krätze dienenden Raum durchstreicht, die organischen Theile
der Krätze verbrennt und die leicht oxydirbaren Metalle, wie Kupfer u. s. w.. oxydirt.
Die Verbrennungsproducte des Brennmaterials und der Krätze müssen durch einen
wenigstens um 30 Fuss das Dach überragenden Schornstein abgeleitet werden, da sie einen
unangenehmen, brenzlichen und sehr belästigenden Geruch verbreiten, wofern man nicht
für ihre Ableitung sorgt. Ausserdem dient noch ein kleiner Herd zum Erhitzen der
Schmelztiegel und des bei der Trennung der edlen Metalle anzuwendenden Gold-
scheidewassers (Königswassers). Ueber dem Herd ist ein Fangtrichter anzubringen,
welcher mittels einer Röhre mit dem Schlot in Verbindung steht and die sauren Dämpfe
(Stickoxyd, salpetrige Säure) ableiten muss. wenn es sich auch hier nur nin kleine
254 Stickstoff und Sauerstoff.
Mengen derselben Landelt, da höchstens 10 Loth Metallmengen zur Anwendung kommen:
immerhin bedarf man dieser Vorsicht schon zum Schutze der Arbeiter.
Beobachtet man die genannten Vorsichtsmassregeln, so kann von keiner
grossen Belästigung die Rede sein: diese gibt sich nur kund, wenn höchst primi-
tive Einrichtungen, namentlich der Mangel eines hohen Schlots, die Wegführung
der Gase und Dämpfe unmöglich machen.
Atiduin chloro-nitrosuni, Königswasser, Aqua regia, entsteht, wenn l Vol. Salpeter-
säure mit 3 Vol. Salzsäure gemischt wird; der Name rührt daher, weil die Säure ieden
Regulns, d. h. jeden Metallkuchcn, also auch Gold und Platin, aufzulösen vermag. Diese
Wirksamkeit beruht auf dem aus der Salzsäure durch die Salpetersäure frei gewor-
denen Chlor, sowie auf den beiden Chlorverbindungen des St ickox \ <1 - NOC1
and N0C13. Bei der Erwärmung des Königswassers erhält man zuerst die Dämpfe
von Chi or nntersalp etersäur e NOCk.80)
Einwirkung des Königswassers auf den thierischen Organismus. 1) Eine
Taube sitzt in der Glasglocke. Die Dämpfe von erwärmtem Königswasser werden in
die Glocke geleitet: sogleich entsteht Blinzeln mit den Augen, Kothentleernng, Putzen
der Augen, Ausfluss von Flüssigkeit aus dem Schnabel: nach 3 M. Husten, nach 4 M.
Anschwellen der Augenlieder. Bauchlage, Husten: nach 10 M. ist jede Exspiration mit
Huster: . nach 17 M grosse Unruhe und Athmen mit aufgesperrtem Schnabel:
nach 18 M. streckt die Taube die Füsse aus und neigt sich stark seitwärts. Bei der
Herausnahme beschleunigt sich die Athmung sehr und auf heftige Convulsionen folgt
Tetanus, welcher nach 1 M. den Tod herbeiführt. Cornea klar, Pupille erweitert; der
aus dem Sehnabel fliessende Schleim reagirt sauer.
Section nach 24 Stunden. Pia mater stark injicirt: auf der Med. oblong,
ein ganz dünnes Extravasat von geronnenem Blute: Plex. venös, spin. stark ange-
füllt. Lungen x«n hellbrauner .Farbe und nur an den Rändern roth. auch das
Parenchym erscheint theils bräunlich, theils roth. Die rechte Lunge sinkt ungefähr
1 Zoll tief unter den Wasserspiegel, die linke bleibt eben unter demselben: auf den
Durchsehnittsflächen flüssiges und geronnenes Blut: Tracheaischleimhaut schwach injicirt.
In allen Herzhöhlen schwarzes geronnenes Blut, ein paar Tropfen flüssigen Blutes von
dnnkelrother Farbe hatten sich in der Brusthöhle angesammelt. Die Leber von dunkel-
braunrother Farbe; das Blut in den grössern Gefässen geronnen.
2) Ein grosses Kaninchen sass im Glaskasten. Beim Einleiten der Dämpfe
zeigen sich bald stockende Athmung und Husten: nach 4M. starkes Reiben der Schnauze,
nach 6 II. erhebt es sich auf die Hinterbeine: Maulhaare feucht und starker Husten:
der Kasten ist mit einer schwach gelblichen Atmosphäre erfüllt: nach 10 M. fällt es auf
den Rücken, steht aber sogleich wieder auf und setzt sich hin : starke Dyspnoe, 7 Inspir.
binnen ', M : nach 10 M. krampfhaftes Aufsperren des Maules bei jeder Inspiration:
nach 18 M Schwanken und Zittern des ganzen Körpers ; Hinfallen auf die Seite. Nach
19 M. heftige (.'-mvulsionen, wobei massenhafter Schaum aus dem Maul stürzt. Sogleich
Herausnahme. Zuckende Bewegungen der Muskeln am Thorax: die Respiration
nimmt rasch ab. nach 2 M. Tod. Die Haare fühlen sich härtlich an: die Cornea ist
milchig trübe, der Körper wird alsbald kalt.
Section nach ö Stunden. Die Hirnhäute stark injicirt, die Plex. venös.
spin. stark mit flüssigem Blute angefüllt. Lungen überall braunroth mit schwach-
gelblichen erweiterten Lungenbläschen: auf den Durchsehnittsflächen des knisternden
Parenchyms dringt überall viel weisser Schaum neben flüssigem Blute hervor. Die
Lungenvenen stark mit flüssigem Blute angefüllt: Bronchial- und Trachealschleim-
haut braunroth injicirt und mit einer dünnen Schicht wässrigen braunrothen
Blutes bedeckt: von den feinsten Bronchien aus erstreckte sich ausserdem bis zum
Larvux hin eine Lage seh wachgelblichen Schaums. In der rechten Herzhälfte viel
dunkles flüssiges Blut. In der Ünterleibshöhle fällt besonders die Leber durch einen
auffallenden Blutreichthum aus: das schwarzrothe flüssige Blut röthet sich fast gar nicht
an der Luft und scheidet kein Serum aus.
Bei den Dämpfen des Königswassers wirken Chlor und Untersalpeter-
säure ein: die nachfolgende Reizung der Respirationswege erreicht deshalb den
höchsten Grad, so dass die schleimige. Bronchieu und Luftröhre anfüllende
Flüssigkeit die heftigste Dyspnoe und Erstickungsnoth erzeugt, welche unter
klonischen und tonischeu Krämpfen bei den Versuchsthieren schnell den Tod
herbeiführen.
Mau bat alle Ursache, die Arbeiter vor der schädlichen Einwirkung dieser
Phosphor. 255
Dämpfe zu schützen. Am meisten wird das Königswasser von den Goldarbei-
tern als AuflösuDgsmittel für Gold benutzt; Unachtsamkeit und Geringschätzung
der Gefahr haben schon oft chronisch - entzündliche Reizungen der Brustorgane
hervorgerufen, so dass späterhin die gewohnte Beschäftigung gar nicht mehr auf-
genommen werden kann. In einem concreten Falle bildete sich ein Verdichtungs-
process in den Lungen aus; die damit verbundenen Leiden schwanden erst nach
längerer Behandlung, aber die grösste Empfindlichkeit der Schleimhäute der
Respirationswege forderte noch lange Zeit zu besonderer Schonung auf.
Phosphor P.
Phosphor kommt in der Natur nie frei, aber sehr häufig in Verbindungen, na-
mentlich mit Kalk im Apatit, Phosphorit und Osteolith vor; Wawellit
ist Aluminiuinphosphat, Vivianit phosphors. Eisenoxyduloxyd, welches im Torfe
und in der Braunkohle sich findet. Manche mergelartige Schichten der Kreide-
formation, welche reich an Versteinerungen sind, enthalten bisweilen über 26 — 30%
Calciumphosphat. Aus der Ackererde nehmen die Pflanzen das hier nie fehlende
Calciumphosphat auf; Natriumphosphat bildet einen wichtigen Bestandtheil des
Blutes und phosphorhaltiges Fett findet sich im Gehirn und Rückenmark.
Einwirkung des Phospliordampfes auf den thierischen Organismus, l) Zwei
kräftige Tauben sassen im grossen, mit offenen Ventilationslöchern versehenen Glas-
kasten, in welchem ein mit Phosphoröl getränkter Leinwandstreifen hing; das Oel
enthielt 0,5 grm. Phosphor in 50 grm. Ol. Olivar. Schon nach 10 M. traten
Blinzeln mit den Augen, Würgen und Erbrechen nebst Durst ein; diese Erscheinungen
wiederholten sich, wenn der Leinwandstreifen wieder angefeuchtet wurde. Am 2. Tage
Schwanken, Betäubung und Seitenlage auf den Flügeln; am 3. Tage Fresslust ver-
schwunden, die Tauben tranken bloss. Täglich war die Anfeuchtung des Leinwand-
streifens zweimal wiederholt worden. Am Nachmittage kurz nach der erneuerten An-
feuchtung Bauchlage mit ausgebreiteten Flügeln und häufigem seitlichem Umdrehen des
Kopfes; Respiration und Herzthätigkeit zeigten nichts Abnormes. Als am 4. Tage das
Anfeuchten des Leinwandstreifen unterlassen worden, erholten sich die Tauben zusehens;
sie frassen und bewegten sich normal. Am 5. Tage wurde Morgens 8 und Nachmittags
3 Uhr der Leinwandstreifen angefeuchtet; gegen Abend lagen beide Tauben mit ausge-
breiteten Flügeln auf dem Bauche; o Stunden nachher trat der Tod ohne auffallende
Erscheinungen ein.
Section 15 St. nachher. Leichenstarre massig; Pupille in mittler Contraction,
die Schädelknochen blutig infiltirt und zwischen Dura mater und Schädel ein sehr zartes,
durchsichtiges Blutextravasat, die Hirnhäute massig blutreich, auch diePlex. ven. spin.
von gewöhnlichem Blutgehalte; nur in der Umgebung der Med. oblong, fand sich ein
grösserer Blutreichthum. Lungen von normaler rother Farbe, lufthaltig und massig
blutreich, die Schleimhaut schwach geröthet und von den Bronchien bis zum Larynx
mit einer ganz dünnen Lage Schleim bedeckt; aufgedrücktes blaues Lackmuspapier
röthete sich sofort. Dieselbe Reaction zeigten das Lungenparenchym und das ausflies-
sende Blut. Das ganze Herz strotzte von dickflüssigem schwarzem Blute,
das an der Luft heller wurde, kein Serum ausschied und sich in eine gelatinöse Masse
verwandelte; die Blutkügelchen vorherrschend normal, einige seitlich eingerissen. Die
schwarzbraune Farbe der Leber wurde an der Luft hellbraun, sie war ziemlich blut-
reich; in allen grössern Venen dickflüssiges Blut. Die Muskeln nahmen an der Luft
eine frisch hellrothe Farbe an. Durch die AJitsche?-lick'sch.e Probe Hessen sich in der
Leber nur höchst geringe, dagegen in der Lunge deutliche Spuren von Phosphor
nachweisen.
2) Die, bei der freiwilligen Verbrennung des Phosphors entstandenen Dämpfe wur-
den mit viel atmosphärischer Luft in den Holzkasten geleitet, in welchem ein starkes
Kaninchen sass. Nach Verbrauch von 0,005 Grm. Phosphor binnen 30 M. machten sich
nur ein geringer Speichelfluss und eine beschleunigte und angestrengtere Respiration
bemerkbar. Erst nach 24 St. zeigte sich ein allgemeines Unbehagen, wobei das Thier
plötzlich wie leblos hinfiel, die hintern Extremitäten weit ausstreckte und sichtbare Be-
wegungen der Därme darbot. Bei jedem Anfalle, der sich nur in den ersten Tagen
halbstündlich wiederholte und nach 12 Tagen verschwand, fand eine Urinentlee-
256 Phosphor.
rang statt. Nach 14 Tagen wurde der nämliche Versuch bei demselben Kaninchen wiederholt.
Es blieb 3 4 Stunde lang den Dämpfen ausgesetzt: auch jetzt traten erst nach 24 St.
die oben erwähnten Zufälle und zwar fast regelmässig nach dem Fressen ein. In den
Zwischenzeiten zeigte sich bisweilen ein starkes und mit mühsamer Respiration verbun-
denes Herzklopfen; nach 10 Tagen schwanden diese Erscheinungen und man bemerkte
nur zuweilen noch die starken Darmbewegungen. 8 Wochen nach dem letzten Ver-
suche bildete sich aber ein intensiver Icterus aus, welcher sich durch schmutzig-gelbe
Flecke auf der Conjunctiva, graue Excremente und einen dunklen, braunrothen, an
Gallenpigment reichen Urin charakterisirte. Dieser Zustand verschwand nach 10 Wochen.
In der Industrie kann nur von Phosphordämpfen die Rede sein; man
muss hierbei die weissen Nebel, welche bei der freiwilligen Verbrennung des
Phosphors an der Luft entstehen, von den dicken Nebeln, die sich beim
Anzünden des Phosphors bilden, unterscheiden. In beiden Fällen handelt es
sich nicht bloss um fein vertheilten Phosphor, sondern auch um seine Oxyda-
tionsproduete. In den Fabriken für Reibzündhölzchen ist es stets der bei der
Verdunstung des Phosphors entstehende Dampf, dessen Molecüle mit einer sol-
chen Oxydschicht mehr oder weniger umhüllt sind, so dass höchst wahrschein-
lich stets neben Phosphor auch die phosphorige Säure ihre giftige Wirkung
entfaltet. Bei der grossen Verdünnung dieses Dampfes mit atmosphärischer Luft
und bei seiner Neigung, sich nach dem Boden zu senken, dauert es aber oft
längere Zeit, ehe sich die Folgen bei den Arbeitern kund geben.
Die Oxydation des gewöhnlichen Phosphordampfes geht nicht sofort vor sich;
so enthielt der bei der Darstellung der Zündmasse entstehende Dampf meistens
nur Phosphor und Wasser, aber noch wenig Oxydationsproducte, während in
den Niederschlägen auf dem Fussboden, auf den Bänken und Geräthen der
Fabrikräume Phosphorsäure fast immer nachgewiesen werden kann. In der
Atmosphäre der Trockenstuben und Magazine lässt sich ebenfalls hauptsäch-
lich Phosphor, auf dem Boden aber Phosphorsäure constatiren.
Der Speichel der Arbeiter verhält sich meist neutral oder alkalisch, bei
einzelnen Arbeitern an der Zündmasse kann er aber auch schon saure Re-
action zeigen, wenn sie den Phorsphordämpfen sehr ausgesetzt sind.
Bei den durch Phosphordampf umgekommenen Tauben gab sich die bereits
stattgefundene Oxydation des Phosphors auf den Schleimhäuten der Respirations-
wege und selbst im Blute des Lungenparenchyms unzweifelhaft durch eine saure
Reaction kund; dass aber noch nicht der gesammte inhalirte Dampf in Phos-
phorsäure übergegangen war, bewies der nach der Mit seh er lieh' sehen Methode
in der Lunge nachgewiesene Phosphor. Es kann keinem Zweifel mehr unter-
liegen, dass bei allen Phosphorvergiftungen auch der Phosphor als solcher
resorbirt wird.
Bei den Arbeitern in den Zündholz -Fabriken ist bekanntlich die Phos-
phornekrose eine Folge des eingeathmeten Phosphordampfes. Die Krankheit
beginnt in der Regel mit Zahnschmerzen, welche durch Ausziehen der mehr oder
weniger cariösen Zähne nicht gelindert werden; bald schwillt dann die Wange
an, die Gesichtsfarbe wird fahl, Salivation und ein übler Mundgeruch stellen sich
ein. während Abscesse am Unterkiefer die fortschreitende Krankheit bekunden.
Es ist durch die Erfahrung festgestellt worden, dass Arbeiter mit schadhaften Zäh-
nen am meisten zu dieser Krankheit disponiren; man hat daher auch mit Recht
als Regel aufgestellt, solche Individuen von den Zündholz -Fabriken ganz fern
zu halten. Ebenso wichtig ist es aber, jeden Zahnschmerz und jede Krankheit
der Mundhöhle bei den in Fabriken schon beschäftigten Arbeitern zu würdigen
Phosphornekrose. 257
und die gewohnte Beschäftigung während der Dauer der Krankheit ruhen
zu lassen.
Die Phosphornekrose wird mit einer Entzündung der Wurzelhaut des
Zahns (Periostitis) eingeleitet; der Zahn tritt unter Schmerzen aus seiner Alveole
und kann nicht selten in diesem gelockerten Zustande leicht ausgezogen
werden. Nicht bloss bei cariösen, sondern auch bei ganz gesunden Zähnen kann
die Krankheit auf diese Weise beginnen; die Schwellung des Kieferknochens
nimmt zu, wenn sich die Entzündung auf das Periost der Alveole fortpflanzt
und in Eiterung übergeht.
Bei fortscheitender Krankheit wird der ganze Alveolarfortsatz bloss gelegt
und beim höchsten Grade des Leidens verliert der harte Gaumen seine
Schleimhaut; ein allgemeiner Collapsus, Speichelfluss, aufgehobene Verdauung und
ein fieberhafter Zustand sind dann die Folgen des grossen Säfteverlustes. Wird
das nekrotische Knochenstück abgelöst, so können sich die abgestorbenen Theile
auf eine wunderbare Weise wiederersetzen, wenn das Periost gerettet worden ist.
Die Verdickung des Kieferknochens besteht in einer Knochenablagerung,
in einer die Oberfläche des Knochens überziehenden und meist an den Gelenk-
köpfen des Unterkiefers beginnenden osteophy tischen Rinde, die eine Dicke von
mehreren Linien erreicht, ehe die Eiterung beginnt; auch können einzelne
Osteophyten entstehen. Wo die Knochenablagerung stattfindet, wird das ursprüng-
liche Knochenstück förmlich eingekapselt und mehr oder weniger der Blutzufuhr
beraubt; in dem Masse, als dies geschieht, bildet sich ein hohler Raum zwischen
den ursprünglichen Knochen und den aufgelagerten; man muss dann den Kiefer
exstirpiren, soll der Kranke nicht durch Eiterung zu Grunde gehen.1)
Dass der Phosphordampf eine specifische Beziehung zur Wurzelhaut der
Zähne und zum Kieferperiost hat, geht aus dem Umstände hervor, dass man bis-
her ein Leiden der Nasenmuscheln nicht beobachtet hat, obgleich der Phosphor-
dampf nicht nur in die Mund- sondern auch in die Nasenhöhle dringt. Es
ist viel darüber gestritten worden, ob die Kiefernekrose ein örtliches Leiden
oder die Folge einer allgemeinen Phosphordyskrasie sei. Bekanntlich dauert
es stets längere Zeit, Monate oder Jahre, ehe das örtliche Kieferleiden beginnt,
mögen nun die Arbeiter gesunde oder cariöse Zähne haben. Die Ursache dieses
Ereignisses dürfte in der verhältnissmässig geringen Menge Phosphor, welche
von den Arbeitern aufgenommen ist, zu suchen sein, so dass es stets längerer
Zeit bedarf, ehe die Folgen des im Organismus verweilenden Giftes zu Tage
treten. Der Einwand, dass man auch in intensiven Fällen von Phosphornekrose
oft keine andere Störung im Gesammtorganismus beobachte als die durch den
Säfteverlust und die verhinderte Nahrungsaufnahme veranlasste, dürfte nicht zu-
treffen. Wenn auch bei zufälligen Todesfällen nicht immer fettige Degenerationen
der Organe angetroffen werden, so vermisst man doch bei näherer Nachforschung
selten Magen- und Digestionsstörungen oder krankhafte Blutbildung. So ent-
wickelte sich z.B. nach dem Berichte von Fournier und Ollivier bei einem
bereits 4 Jahre in Zündholzfabriken beschäftigt gewesenen 14jährigen Mädchen
plötzlich eine acute Periostitis des Oberkiefers mit hochgradiger Anämie, nach-
dem schon früher pustulöse Eruptionen der Finger bestanden hatten; unter
Auftreten von Purpuraflecken und einem comatösen Zustande staih die Kranke
plötzlich. Bei der Section wurde der flüssige Zustand des Blutes und eine
Apoplexia capillaris nachgewiessen.2) Bucquoy~fand dagegen bei einer 27jährigen
Eulenberg, Gewerbe-Hygiene. 17
258 Phosphor.
Frau nach Tjäbriger Beschäftigung in Zündholzfabriken Nekrose des rechten
Oberkiefers und ein Jahr später, als der Tod durch Variola erfolgt war, eine
fettige Degeneration der Leber, Nieren, des Herzens und der Muskeln,
nachdem bei Lebzeiten schon Albuminurie auf diese Kraukheitszustäude hin-
gewiesen hatte, die sicher auf die langjährige Beschäftigung in Phosphordämpfen
zurückgeführt werden müssen.'1)
Zieht man dabei die durch langdauernde Phospborfütterung bei Thieren
herbeigeführten Kuochenappositionen in Betracht, so kann es keinem Zweifel
mehr unterliegen, dass das Kieferleiden in den Phosphorzündhölzerfabriken als
das Resultat einer Allgemeinerkrankung aufgefasst werden muss. 4)
Wenn Andere der phosphorigen Säure eine ätzende Wirkung zuschreiben,
welche sich durch die cariösen Zähne dem Kiefer mittheile, so spricht hier-
gegen der bereits hervorgehobene Umstand, dass die Phosphornekrose auch
bei ganz gesunden Zähnen vorkommt.
Jedenfalls ist es eine wichtige Aufgabe der Hygiene, überall, wo Phosphor-
dampf auftritt, für die ergiebigste Ventilation Sorge zu trageu; erfahrungsgemäss
hat sich auch die Phosphoroek rose in allen gut geleiteten und beaufsichtigten
Fabriken entschieden vermindert (s. Phosphorzüudholz-Fabrication).*)
Phosphorindustrie.
Zur Darstellung des Phosphors bedient man sich in der Regel der Thier-
kohle und erst in neuerer Zeit hat man auch angefangen, die phosphorsauren
Salze aus dein Mineralreiche: Osteolith, Phosphorit, Vivianit u. s. w., aufzu-
Bcbüessen und zur Phosphorgewiuuuug zu benutzen. Sind die phosphorsauren
Erden reich an Bitumin, so geht dem Aufst hliessen mit Säure ein Brennen
voraus, wobei sich übelriechende, empyreumatische Gase und Dämpfe entwickeln
können, vorausgesetzt, dass die betreffenden Erden keine Silicate enthalten, weil
diese leicht ein Versickern veranlassen. Bisweilen unterwirft man das Roh-
mater.ial mit Soda gemischt in Reverberiröfen der Calcination, um beim Aus-
laugen der Schmelze die Phosphorsäure als phosphorsaures Natrium zu ge-
winnen. Vorläufig bleibt die Darstellung des Phosphors aus den Thierknochen
noch die wichtigste, wobei folgende Operationen hervorzuheben sind:
1) Die Verbrennung der Knochen und das Zerkleinern der Knochenerde. Frische
Knochen werden nur noch in der Nähe grosser Abdeckereien benutzt, wenn der
Transport u. s. w. erschwert ist. Das Brennen in offenen Gruben kann nur in
öden Gegenden vorgenommen werden, weil die dabei auftretenden empyreuma-
tischen Producte einen höchst widerlichen Geruch verbreiten.
Das Verbrennen der Knochen in Schachtöfen, welche nach dem Princip der
Kalköfen construirt sind, ist weniger mit einem starken Gerüche verbunden, darf aber
nicht in der Nähe menschlicher "Wohnungen stattfinden. Man hat deshalb combinirte
Schachtverbrennungsöfen construirt, um die bei den frisch aufgelegten Knochen
entstehenden Gase und Dämpfe durch die glühende Schicht der verglimmenden Knochen
zu leiten und dadurch die Zerstörung der envpyreumatischen Stoffe zu bewirken.
Auf diesem Princip beruht auch der von Fleck*) angegebene Ofen, wobei ein
cvlindrischer Schacht durch einen Fuchs und den Feuerungsraum der Pfannenfeuerung
mit dem Schornstein in Verbindung steht. Durch die um die Sohle des Ofens seitlich an-
gebrachten 3 Oeffnungen (Fig. 29 bbh) wii d ein Holzrost gelegt und entzündet. Die Be-
schickung geschieht durch die Oeffnung <7, welche mit einer Klappe von starkem Eisen-
blech geschlossen wird. Die Oeffnungen bbb dienen ausserdem noch zur Entfernung der
gebrannten Knochen und als Zugöffnungen , weshalb sie mit Schiebern von Eisenblech
versehen sind. Die stinkenden Dämpfe streichen durch den Fuchs c und den Zug H über
die Rostfeuerung d und werden hier entzündet, ehe sie in den Schornstein C dringen.
Phosphorindustrie.
259
Der Betrieb ist ein continuirlicher und kann der Ofen sogar im Innern der
Fabrikgebäude aufgestellt werden, da von Geruch Nichts zu bemerken ist. Bei e können
die Laugen abgedampft werden.
Die weissgebrannten Knochen werden durch Walz- oder Pochwerke zu Linsen-
grösse zerkleinert.
Die Verbrennung der Knochen bei gleichzeitiger Gewinnung der Destillations-
producte geschieht jetzt häufiger; zu dem Ende werden die rohen Knochen einer
Destillation unterworfen und die Rückstände vollkommen eingeäschert. Die hierzu
erforderlichen Apparate sind wie bei der Destillation ganzer Thiercadaver construirt
(s. Abdeckerei).
Fig. 29.
2) Die Bearbeitung der Knocheiiasche nnd das Zersetzen der Knochcnerde durch
Schwefelsäure. Die Knochenasche, Thierasche (weiss gebrannte Knochen)
wird mit concentrirter Schwefelsäure behandelt, um das in ihr enthaltene
tertiäre (neutrale) Calciumphosphat Ca3(P04)2 in das primäre oder saure
Salz CaH4(P04)2 zu verwandeln:
Ca3 (P04)2 + 2 H2 S04 = 2 Ca S04 +- CaH4 (P04)2.
Da sich beim Verbrennen der Knochen stets Schwefel- und Cyancalcium
bildet, so entwickeln sich bei diesem Processe höchst schädliche Gase, wie
Schwefelwasserstoff, Kohlensäure, Blausäure, Chlorwasserstoff und
Fluorwasserstoff; letzterer tritt gewöhnlich als Kieselfluorwasserstoff
erst beim Eindampfen der Lauge auf.
Es sind hierzu mit Blei ausgefütterte und verschlossene Gefässe zu benutzen,
durch deren Deckel Abzugscanäle zum nächsten Schornstein führen. Fleck benutzt
hölzerne Ständer, welche inwendig mit Pech überzogen sind. Die Lauge wird abgezapft
und der entstandene Gips (CaS04) mit heissem Wasser ausgesüsst.
Unter den erwähnten Gasen tritt Schwefelwasserstoff um so reichlicher auf,
je frischer die gebrannten Knochen sind. Haben dieselben lange an der Luft gelegen,
so ist ihr Gehalt an Schwefelcalcium in unterschwefligsaures resp. sehwefligsaures
Calcium übergegangen; es kann sich alsdann kein H2S entwickeln. Der Cy angehalt
der Knochen ist stets abhängig von der in den Knochen enthaltenen Leimsubstanz und
sind daher Knochen, welche lange vergraben gewesen sind, frei davon.*)
Das Gemisch von Knochenpulver und Schwefelsäure lässt man -±8 Stunden in
den Ansatzständern stehen. Das Vermischen geschieht pausenweise und wird wie-
*) Zur Illustration dieser Thatsachen dienen folgende Versuche:
1) Weiss gebrannte Knochen, welche .2 Jahre an der Luft gelegen hatten und
demnach zur Kategorie derjenigen Knochen gehörten, welche durch eine lange Sauer-
stoffeinwirkung verändert worden sind, werden in einer Quantität von 3 Unzen und im
grob zerstossenen Zustande mit verdünnter Salzsäure in hinreichender Menge Übergossen.
Selbstverständlich musste also hier eine Entwicklung von H2S fehlen und Kohlen-
17*
260 Phosphor.
derholt, wenn keine Gasentwicklung mehr stattfindet. Die geklärte Flüssigkeit läset
man kurz über dem Niederschlage durch einen Bleiansatz mittels eines mit Blei ausge-
schlagenen Holzcanals auf Filter und alsdann in die bleiernen Abdampfschalen ab-
Üiessen.
Die Gipsmasse wird auf Auswaschständer mit doppeltem Boden, der mit
Stroh und doppelter Leinwand bedeckt ist, gebracht und mit Wasser umgerührt. Mit
den ersten Flüssigkeiten behandelt man noch andere Partien Rückstand und setzt die
letzten Waschwasser den Ansatzständern zur Herstellung neuer Laugen zu.
3) Das Eindampfen des sauren primären Calciumphosphats geschieht iu klei-
nen Abdampfpfannen mit reverberireudem teuer bis zu 45° R. ; der wahrend
des Abdainpfens sich ausscheidende Gips wird mit Sieblöffelu herausgenommen.
Hat die filtrirte Lauge Syrupscousistenz bei ca. 50° B. erhalten, so setzt man
fein gesiebte Holzkohle zu, trocknet in gusseisernen Kesseln ein und erhitzt nach
Fleck nur so weit, dass sich die Masse, ohne zu stäuben, bequem durch ein Sieb
reiben lässt. Bei dieser Erhitzung geht das primäre Phosphat in Calcium-
metaphospat Ca(P03)2 über: CaH4P208==CaP206 + 2H20.
säure neben dem in der Asche enthaltenen Cyan, welches als Cyanwasserstoff auf-
tritt, stattfinden.
Eine Taube sass in einem kleinen Zinkkasten (von 4725 C.-Ctm. Inhalt), in welchen
die sich entwickelnden Gase eingeleitet wurden ; nach 3 M. stieg die Zahl der Inspirationen
von 9 auf 15, nach 5 M. 26 sehr angestrengte Inspir., dabei geringes Schwanken und An-
lehnen an die Wand des Kastens, Nasswerden des Schnabels; die Athemnoth steigert sich,
der ganze Körper bewegt sich, der Schnabel öffnet sich bei jeder Inspir., die Pupille ist
erweitert; bisweilen blinzelt sie mit den Augen und steht mit gespreitzten Füssen da.
Nach 15 M. derselbe Zustand und dieselbe Anzahl von Inspir.; als die Glasthür des
Kastens hierauf geöffnet wird, hört sogleich die Athemnoth auf.
2) Kurz darauf Wiederholung des Experimentes. Nach 4 M. wiederum 26 sehr
angestrengte Inspir. binnen 1/i M., nach 15 M. derselbe Zustand, welcher die grösste
Aehnlichkeit mit einem heftigen asthmatischen Anfall hat. Als die Taube hierauf her-
ausgenommen wird, hören alle Besehwerden sofort auf: ein Beweis, dass in beiden Fällen
nur die Kohlensäure eingewirkt hatte. Die etwa vorhandenen Spuren von Cyan-
wasserstoff waren hier durch die Kohlensäure so verdünnt, dass sie keine Ein-
wirkung äussern konnten.
Jedenfalls verdient aber aus den eben angeführten Gründen der Act der Ver-
mischung der Kohlenasche mit den Säuren alle Beachtung und dürfen die Arbeiter den
sich hierbei entwickelnden Gasen in keinem Falle ausgesetzt werden, da schon die
grosse Menge von Kohlensäure, abgesehen von allen andern Gasen, höchst schädlich
einwirken kann.
3) Eine Unze frischer, schwarz gebrannter Knochen wurde mit Salzsäure
behandelt. Die sich entwickelnden Gase drangen in den kleinen Zinkkasten, in welchem
eine Taube sass. Schon nach 1 M. beschleunigte sich die Respiration; nach 2 M. 26
sehr angestrengte Inspir. mit Erhebung des ganzen Körpers und weitem Oeffnen des
Schnabels. Nach 4 M. Würgen, Erbrechen, rauhes, schnarrendes Athmen: nach 6 M.
heftiges Erbrechen; nach 11 M. Bauchlage bei 11 sehr angestrengten Inspir. binnen
1/i M. : die Taube sucht den Schnabel zwischen die Thürritze des Kastens zu bringen
Nach 15 M. derselbe Zustand und dieselbe Bauchlage; nach 16 M. Herausnahme.
Die Taube bleibt auf dem Bauche liegen und blinzelt mit den Augen, Pupille schwach
contrahirt. Nach 2 M. 23 angestrengte, aber nicht hörbare Inspir. ; beim Anstossen ver-
sucht sie aufzustehen, schwaches convulsivisches Aufschrecken, Herzschlag sehr stark,
laut, aber nicht beschleunigt. Nach 5 M. bewegt sie die Füsse, als wenn sie auf-
stehen wollte, während sie mit dem Vorderkörper auf dem Boden bei erweiterter Pu-
pille liegt. Nach 8 M. 14 angestrengte Inspr. bei undeutlichem, kaum zu hörendem Herz-
schlage, nach 11 M. nimmt che Anzahl der Inspir. immer mehr ab; sie werden stossweise
und krampfhaft. Unter schwachen convulsivischen Bewegungen stirbt sie nach 12 M. :
die Temperatur nimmt rasch ab, aber 4 M. lang hört man noch einzelne, ganz schwache
Herzschläge.
Section 1 Stunde nachher. Hirnhäute nur in der Umgebung des Kleinhirns
hyperämisch, ganz besonders in der Umgebung der Med. oblong.; PI ex. venös, spinal.
nicht sehr stark angefüllt. Auf der Durchschnittsfläche der zinnoberrothen Lunge etwas
flüssiges und geronnenes Blut, die Lungenvenen sind mit geronnenem Blute angefüllt;
die Tracheaischleimhaut braunroth injicirt. Das ganze Herz strotzt von ganz dunklem
Phosphordestillation. 261
Beim Calciniren entwickelt sich neben Kohlenoxyd und Kohlensäure
sehr viel schweflige Säure. Es empfiehlt sich, diese Gase in Kasten, welche
mit weiss gebrannten Knochen angefüllt sind, zu leiten, um hierdurch ein vor-
läufiges Aufschliessen der letztern einzuleiten. Sie stehen mittels Steingutröhren
mit den Abdampfgefässen in Verbindung und haben an ihrem tiefsten Puncte
eine S förmig gebogene Bleiröhre, um die saure Kalklösung abfliessen zu lassen.
In einigen Fabriken findet sich nur eine dachförmige Ueberdeckung der Kessel
mit einem hohen Abzugsrohre. Vorsichtiger ist es, nach dem Vorschlage von Gentele
die Kessel in einem steinernen Gewölbe mit einer Arbeitsöffnung aufzustellen, da wäh-
rend dieses Processes beständig gerührt werden muss. Der Arbeitsöffnung gegenüber
steht das Gewölbe durch eine Oeffnung mit dem Schornstein der Kesselfeuerung in
Communication, um auf diese "Weise einen raschern Abzug der Gase zu bewirken. Die
Arbeiter werden durch diese Vorrichtung allerdings geschützt, aber die Nachbarschaft
um so mehr durch diese Gase belästigt; ihre Verwerthung ist daher jedenfalls vor-
zuziehen.
Dieser Theil der Phosphorfabrication gehört überhaupt in sanitärer Be-
ziehung zu den wichtigsten Abschnitten derselben und muss bei der Verlei-
hung der Concession ganz vorzugsweise berücksichtigt werden, da es sich
hierbei um die Gefährdung der Arbeiter und die Belästigung der Adjacenten
handelt.
4) Die Destillation des Phosphors. Man unterscheidet hierbei das Vor-
feuern und die eigentliche Destillation.
a) Das Vor feuern. Das Destillationsgut wird in Retorten aus feuerfestem
Thone, die in Galeerenöfen aufgestellt werden, dem sog. Vor feuern ohne Vor-
lagen unterworfen; Calciummetaphosphat verwandelt sich nun in Phosphor
und Calciumpyrophosphat (2 CaP206 + 5 C = 2 P -f- Ca2P207 + 5 CO), während
Kohlenoxyd (CO) entweicht.
Da die Retorten allmählig von aussen nach innen in's Glühen gebracht werden,
so müssen die zuletzt im Innern sich entwickelnden Wasserdämpfe die äussere glühende
Hülle des Destillationsgutes passiren und dadurch die Entwicklung von Schwefel- und
Phosphorwasserstoff neben Kohlenoxyd veranlassen:
CaS04 + 4C = CaS + 4CO._
Schwefelwasserstoff bildet sich aus dem Schwefelcalcium , welches aus einem An-
theil des Gipses entstanden : CaS + H20 = CaO + H2 S.
Mit dem Phosphor bilden die Wasserdämpfe theils Phosphorwasserstoff,
theils phosphorige Säure; letztere entsteht durch den Sauerstoff des Wassers und
wird später durch die Kohle wieder zu Phosphor reducirt.
Die Flamme der sich entwickelnden brennbaren Gase liefert das Kriterium, wie
geronnenem und wenig flüssigem braunrotheni Blute. Leber und Nieren von nor-
maler Farbe und reich an dickflüssigem braunrothem Blute; alle grössern Gefässe mit
geronnenem Blute angefüllt. Das flüssige Blut, welches nur in geringer Menge aufge-
fangen werden konnte, wird allmählig an der Luft hellkirschroth.
Cyanwasserstoff wurde in den schwarz gebrannten Knochen durch Destillation
qualitativ nachgewiesen; Schwefelwasserstoff fand sich nur in höchst geringen Spuren
vor. Kommt nun dazu, dass auch Cyanwasserstoff in Lunge und Leber der Taube,
welche zusammen der Untersuchung unterworfen wurden, durch die Analyse und
zwar als Berlinerblau, wenn auch nur spurweise, aufgefunden wurde, so unterliegt es
keinem Zweifel, dass die Taube durch Cyanwasserstoff umgekommen ist, der aber
auch in diesem Falle noch durch Kohlensäure verdünnt war, weil sonst der Tod
viel rascher erfolgt sein würde.
Bedenkt man nun die Masse von Materialien, welche in der Technik zur Anwen-
dung kommen, so verdienen die sich hierbei entwickelnden Gase jedenfalls die grösste
Beachtung. Bei einem sehr gewöhnlichen technischen Vorgange, bei der Wichsbereitung,
ündet ebenfalls die Einwirkung der Schwefelsäure auf schwarz gebrannte Knochen statt,
um durch Bildung von Gips den Kohlenstoff fein zu vertheilen. Man wird selten hier-
bei die Entwicklung von Schwefelwasserstoff, Cyanwasserstoff und Kohlen-
säure vermissen. Vorsichtsmassregeln sind daher auch hier, namentlich bei grossen
industriellen Anlagen, in der oben angegebenen Art und Weise zu treffen.
2Cr> Phosphor.
weit die innere Masse zur Destillation vorbereitet ist. Brennt die Flamme mit einer
blauen Farbe, so bildet sich Kohlenoxyd, wird aber gleichzeitig ein stechender Ge-
ruch nach schwefliger Säure wahrgenommen, so hat man eine Schwefelwasser-
stoff erzeugung in der Retorte. Bildet die Flamme einen weissen Rauch, so findet
eine Reduction des Arsens statt, welches sich bisweilen in bedeutender Menge in dem
sauren Calciumphosphat ansammelt und von der Zersetzungssäure herrührt; der gebil-
dete Arsen \va sserst off verbrennt zur arsenigen Säure. Brennt die Flamme mit
g ;r ü n li cheni Schein, so entwickelt sich ein weisser Rauch, welcher aber am Mundloch
der Retorte einen rothen Ring absetzt und ein Zeichen für die kräftige Reduction der
Phosphorsäure liefert. Die gefärbte Flamme rührt entweder von Phosphor wass er-
stofr oder von Phosphordampf her; beide geben beim Verbrennen Phosphorsäure-
anhydrid.
Die Verbrennungsproducte bestehen somit aus schwefliger Säure
Phosphorsäureanhydrid, arseniger Säure und Kohlensäure; sie müssen
von denselben Apparaten, welche bei der eigentlichen Destillation des Rohphos-
phors zur Anwendung kommen, aufgenommen werden.
b)Die eigentlicheDestilla-
Fi9- 30. tion des Phosphors. Nach dieser
vorbereitenden Operation des Calci-
nirens und Vorfeuerns, welche die Ent-
fernung des hygroskopischen oder
Kry stallwassers bezweckt, verbindet
man erst die Retorte ä (Fig. 30)
mittels eines "Verstosses mit der Vor-
lage 0).
Die Retorten sind flaschenförmige Gefässe aus porösem Thon, deren Hals
aus der Gewölbemauer hervorragt; man bestreicht sie mehrmals mit einem dünnen, mit
Kuhmist gemischtem und mit Borax getränktem Lehmbrei, damit sie vollständig luftdicht
werden.
Die Vorlagen haben die Form eines Topfes oder einer Haube, sind oben ge-
schlossen und mit ihrem untern offenen Ende in eine mit Wasser gefüllte Unterlage
gestülpt.
Der Röhren ans atz oder Vorstoss vermittelt die Verbindung zwischen Retorte
und Vorlage. Da bei der Destillation stets Phosphor Wasserstoff, sowohl selbst-
entzündlicher als nicht entzündlicher, auftritt, so kann anfangs eine Explosion der
Vorlage erfolgen, wenn die zuerst auftretenden brennbaren Gase sich mit der in
der Vorlage befindlichen atmosphärischen Luft vermischen und dieses explosive Gemisch
durch eine nachfolgende Entwicklung von selbstentzündlichem Phosphorwasserstoff ent-
zündet wird.
Um diese höchst gefährliche E x p 1 o s i o n zu vermeiden, versetzt man das Wasser
in den Vorlagen mit einigen Stückchen Natriumbicarbonat und gibt alsdann irgend eine
Säure zu, um die Gefässe auf diese Weise mit Kohlensäure zu füllen.
Die Dämpfe, welche sich aus der Vorlage entwickeln und späterhin fast nur
aus Phosphor dampf bestehen, müssen durch eine besondere, mit Sicherheitsvorrich-
tung versehene Röhrenleitung unter einen eisernen Trichter geleitet und hier verbrannt
werden. Der Trichter mündet mit dem gebogenen Rohr in den obern Theil eines weiten,
horizontal liegenden Rohrs aus Steingut, welches mit feuchter loser Baumwolle oder mit
Werg angefüllt ist: die als Rauch in das Rohr eindringende Phosphorsäure und
etwaige arsenige Säure werden von der nassen Baumwolle aufgenommen und selbst-
verständlich aus derselben gewonnen (s. S. 2G3).
Findet in grossen Etablissements die Destillation des Phosphors in Galeeren-
öfen statt, wo oft 50 — 100 Retorten zu gleicher Zeit destilliren, so werden die
auftretenden Dämpfe zwar auch auf die genannte Weise zur Verbrennung ge-
bracht, aber die Verbrennungsproducte durch einen Ventilator in der Art aufge-
saugt, dass sie mit nassem Koks angefüllte Horizontalröhreu aus Steingut
passiren.
Diese Vorrichtungen, welche den Arbeitern vollständigen Schutz gewähren,
sind nicht aus der ßesorgniss vor Beschädigung derselbeu hervorgegangen, sie
Reinigung des Phosphors. 263
sind vielmehr aus den Bemühungen der Fabrikanten, aus dem Verbrennungs-
producte noch einen pecuniären Vortheil zu erzielen, entstanden. Die mit viel
arseniger und wenig phosphoriger Säure vermischte Phosphorsäure,
welche hierbei gewonnen wird, behandelt man nämlich mit Schwefelwasserstoff;
das hierbei entstehende Schwefelarsen wird abgeschieden, die Säure einge-
dampft und namentlich in England als Acidum phosphoric. glaciale in den
Handel gebracht.
Die meisten Oefen sind für Holzfeuerung eingerichtet; Fleck hat dagegen
einen Ofen für Steiukohlenfeuerung construirt, der den Retortenöfen bei der
Leuchtgasfabrication sehr ähnlich ist.
5) Die Reinigung des Phosphors geschieht mittels Pressens durch starkes
Sämischleder, durch Rectification, Behandeln mit Salpetersäure oder Auflösen in
Schwefelkohlenstoff; sie bezweckt die Entfernung der mechanisch beigemengten
Unreiuigkeiten.
Das mechanische Durchpressen des Phosphors wird gegenwärtig sehr
empfohlen, seitdem man sich dazu einer warm gehaltenen /iVrt/'schen Presse bei geringer
Druckhöhe bedient.
Die Rectification resp. Destillation geschieht in eisernen Retorten, deren
Schnäbel unter Wasser tauchen. Soll der Phosphor ganz chemisch rein werden, so sind
Retorten von Steingut anzuwenden; durch die blosse Rectification wird er jedoch weder
arsen- noch schwefelfrei. Einige Chemiker nehmen an, dass beide Körper als chemisch
verbundenes Schwefelarsen im Phosphor vorkommen. Das Eintauchen der Retorten-
schnäbel in Wasser soll nur den Zutritt der atmosphärischen Luft verhüten; die sich
entwickelnden Dämpfe, phosphorige Säure, Phosphor- und Schwefelwasser-
stoff, kollern durch das Wasser und müssen auf dieselbe Weise wie bei der Rohdestil-
lation beseitigt werden.
Arsenwasserstoff kommt, nur 'spurweise und dann erst am Ende der Destil-
lation vor, welche eigentlich eine fractionirte ist, da die Producte in verschiedenen Zeit-
intervallen aufgefangen werden. Das Arsen häuft sich mit dem Schwefel in den letzten
Resten des Retorteninhaltes an, kann aber schliesslich durch verstärkte Hitze überge-
trieben werden; gewöhnlich werden aber die letzten Antheile der Destillation zum Roh-
phosphor zurückgegeben.
Die chemisch-reine Darstellung wird in chemischen Laboratorien vorge-
nommen und zwar entweder durch mehrmalige Rectification oder durch Behandlung mit
verdünnter Salpetersäure, wobei Arsen wegen seiner leichten Oxydirbarkeit zuerst
in Arsenik säure über- und durch nachträgliches Waschen mit Wasser weggeführt wird.
Bei der Behandlung mit Salpetersäure werden geschlossene Glasretorten
nebst Vorlagen gebraucht; letztere müssen mit der Retorte durch einen hermetischen
Verschluss verbunden sein, während die Tubulatur der Vorlage mittels einer Röhre oder
eines Gummischlauchs mit einem gut ziehenden Rauchfange in Verbindung steht, um das
auftretende Stickstoffoxyd resp. die Untersalpetersäure mit geringen Mengen von Phos-
phordämpfen resp. phosphoriger Säure wegzuführen.
Bei dieser Rectification des Phosphors aus Glasretorten kann, wenn die Masse
nur einigermassen beträchtlich und deshalb der Raum der Retorte gross ist, leicht eine
gefährliche Explosion entstehen, welche man am besten dadurch verhütet, dass man
sowohl Retorte als Vorlage tubulirt anwendet, die Relorte mit der Vorlage durch einen
Gipsverschluss hermetisch verbindet und durch den Tubus der Retorte einen trocknen
Kohlensäurestrom leitet, welcher aus dem Tubus der Vorlage mittels eines zweischenklig
gebogenen und mit einigen Linien Quecksilber gesperrten Rohrs wieder austritt und
alsdann in einen Kamin abgeleitet wird.
DieReinigung des Phosphors durch Auflösen in Schwefelkohlenstoff
ist eine der interessantesten Methoden, welche auch den reinsten Phosphor liefert. Zu
dem Ende wird der Phosphor in eine Art von Scheidetrichter gebracht, welcher unten
und oben mit einem Glasstöpsel versehen ist und in einem Behälter mit Wasser ruht.
Das untere Abzugsrohr mündet zunächst in einen mit Sand angefüllten Filterapparat,
der mittels eines gekrümmten Glasrohrs mit einem tubulirten, einer Woielf sehen Flasche
ähnlichen Destillationsgefässe verbunden ist; das Rohr reicht bis auf den Boden, der
einige Zoll hoch mit Wasser bedeckt ist.
In den Scheidetrichter wird Wasser nebst Phosphor und alsdann Schwefelkohlen-
stoff eingegeben. Die Auflösung kann durch Erwärmung des Wassers im Behälter be-
fördert werden . Die Phosphorlösung lässt man durch das Sandfilter in das Destillations-
2(54 Phosphor.
gefäss fliessn, in welchem mittels eingetriebener Wasserdämpfe die Trennung des Lösungs-
mittels vom Phosphor bewirkt wird.
Die Dämpfe des Schwefelkohlenstoffs müssen durch eine Röhre in eine
Kühlschlange gelangen, deren Ausgang wieder unter Wasser resp. in den sogen. Gas-
Bammelkasten (s. ELolzgeist) mündet, wo die allenfalls noch entweichenden Gase in den
Schornstein abgeleitet werden. Diese Vorsichtsmassregeln sind wegen der feuergefähr-
lichen und gesundheitsschädlichen Dämpfe sehr nothwendig.
Diese Methode hat gleich nach der Entdeckung des rothen Phosphors
Eingang gefunden und wird auch zur Reinigung resp. zum Ausziehen dieses Körpers
benutzt.
6) Das Formen des Phosphors zu Stangen geschieht mittels Glasröhren und
ist eine der ältesten Manipulationen und hat insofern noch ein besonderes Inter-
esse, als es früher durchgehends und auch jetzt noch vereinzelt durch Aufsaugen
mittels des Mundes in konischen Glasröhren geschah.
Die grosse Gefahr, welche mit diesem Verfahren für die Arbeiter verbunden ist,
leuchtet von selbst ein, obgleich man neuerdings in Frankreich wieder zu diesem Ver-
fahren zurückgekehrt ist, jedoch mit einer verbesserten Saugvorrichtung.
Auf den Vorschlag von Dumas kommt das Aufsaugen des Phosphors mittels eines
Kautschukballons zur Anwendung, wobei man auf die bekannte "Weise verfährt, indem
man dnrch Zusammendrücken des Ballons die Luft aus der Glasröhre, welche mit dem
untern offenen Ende in geschmolzenem Phosphor steht, entfernt. Durch Aufhebung des
Druckes auf die Blase dehnt sich die Luft wieder aus und zieht den Phosphor in die
Höhe. Gewöhnlich stehen viele Röhren zusammen, welche mittels eines Gummischlauchs
in einen gemeinschaftlichen Ballon münden.
Sembert hat eine mechanische Vorrichtung erfunden, welche in deutschen Fabriken
vielfach in Gebrauch ist. Neuerdings formt man aber auch den Phosphor in Platten
und Scheiben, um seine Versendung zu erleichtern.
7) Aufbewahrung des Phosphors. Der Phosphor muss stets unter Wasser
aufbewahrt werden, was bei grössern Massen in gut verlötheten Blechbüchsen
oder noch besser in kleinen, mit Paraffin getränkten und von aussen lackirten
hölzernen Fässchen geschieht, da die Löthungen von metallenen Gefässen leicht
beschädigt werden können.
Beim Versenden sollte man nicht grössere Mengen als einzelne Pfunde in die
Fässchen eingeben: Gläser, welche sonst am zweckmässigsten sind, eignen sich aber
wegen der leichten Zerbrechlichkeit und der damit verbundenen Gefahren nicht zum
Versenden.
Nach' dem Betriebs -Reglement für die Eisenbahnen vom 10. Juni 1870 muss er
unter Wasser in Blechbüchsen, welche höchstens 12 Pfund fassen und verlöthet sind, in
starken Kisten mit Sägemehl verpackt sein. Die Kisten müssen ausserdem in Leinwand
emballirt, mit Handhaben und dem Zeichen „Oben" versehen sein, dürfen aber nicht
mehr als 150 Pfund wiegen.
Zu den Eigenschaften des Phosphors gehört, dass er bei gewöhnlicher
Temperatur eine weiche, schwach-gelbliche Masse bildet, am Lichte aber gelb und roth
wird: er schmilzt bei 40° und siedet bei 290°, verflüchtigt sich aber mit Wasser-
dämpfen. Er oxydirt sehr leicht und raucht an der Luft; er ist in Schwefelkohlenstoff
leicht löslich: verdunstet die Lösung, so erstarrt er in Rhombendodekaedern: er ver-
brennt zu Phosphorsäureanhydrid. An sich ist er geruchlos, die Nebel aber, welche er
an der Luft ausstösst, riechen knoblauchartig. Sein Verhalten an der Luft führte
Schönbein zur Entdeckung des Ozons; die Ozonisirung der Luft findet nämlich dadurch
statt, dass ein Theil des Sauerstoffs vom Phosphor gebunden wird, während gleichzeitig
ein anderer Theil desselben .activer" gemacht wird. Unter Wasser aufbewahrt, wird
er am Lichte auf seiner Oberfläche matt, krystallinisch und färbt sich gelb. Erhitzt man
den Phosphor einige Stunden auf 250° in luftfreien Gefässen, so stellt er ein rothes Pulver
dar, welches rother oder amorpher Phosphor heisst und alle charakteristischen
Eigenschaften des weissen Phosphors verloren hat.
In sanitärer Beziehung ist im Allgemeinen noch zu bemerken, dass die
Phosphornekrose viel seltener in den Phosphorfabriken als in den Phosphor-
zündhölzer-Fabriken vorkommt; dies hat darin seinen Grund, dass die meisten
Arbeiten wegen der heftig strahlenden Hitze der Oefen mehr im Freien oder
Darstellung des rothen Phosphors. 265
doch wenigstens in sehr zugigen und stark ventilirten Räumen vorgenommen
werden. Bei grosser Unvorsichtigkeit und gänzlicher Vernachlässigung der an-
gegebenen Vorsichtsmassregeln ist es aber nicht unmöglich, dass sich Phosphor-
nekrose bei den betreffenden Arbeitern ausbilden kann, wofür auch bestimmte
Thatsachen sprechen. Beim Entleeren der Vorlagen nach geschehener Rohdestil-
lation, beim Einfüllen der Retorten zur Vornahme der Rectification, sowie beim
Verpacken des Phosphors sind sie immerhin noch vielfach den Phosphordämpfen
ausgesetzt; hier würde sich jedenfalls ein Schutz durch Respiratoren empfeh-
len (s. Phosphorzündhölzer-Fabrication).
Es kann nicht bezweifelt werden, dass bei Anwendung arsenhaltiger Säure
zum Aufschliessen der Knochenasche das saure Calciumphosphat arsen-
haltig wird und letzteres alsdann durch die Reduction mit Kohle sowohl
metallisches Arsen als auch Arsenwasserstoff liefert, wodurch bei Vernachlässigung
der nothwendigen Vorsichtsmassregeln eine Arsen Vergiftung sehr leicht ein-
treten kann. Das Arsen entwickelt sich stets am meisten im Anfange des Re-
ductionsprocesses, nämlich bei dem sogen. Vorfeuern, wo die Vorlage noch
nicht angeschoben und eine Verbreitung dieser giftigen Dämpfe im Arbeitsraum
um so eher möglich wird.
Beim Calciniren, Mischen und Füllen der Retorten entstehen durch die Ein-
wirkung des staubförmigen, sauren phosphorsauren Calciums sehr leicht Augen-
entzündungen von intensivem und gefährlichem Charakter, indem dasselbe be-
sonders die Hornhaut anätzt und trübe macht. Bei dieser Arbeit ist deshalb das
Tragen von sogenannten Schutzgläsern dringend angezeigt; diese bestehen aus
runden Gläsern, welche mittels einer Hornfassung in einer Art von lederner Halb-
maske eingefügt sind.
Rother Phosphor. Der rothe krystallinische Phosphor, fälschlich amorpher
genannt, "weil man ihn früher nur amorph kannte, wurde 1848 von Schrötter in Wien
entdeckt. Er ist bloss eine Modification des gewöhnlichen Phosphors: seine Umwand-
lung beginnt schon bei 215°, aber langsam: bei 240° findet die eigentliche Bildung des
rothen Phosphors statt. Er wird am besten durch eine Temperatur, welche zwischen
240 — 250° liegt, erzielt; wird alsdann dieser rothe Phosphor bis auf 260° erhitzt, so
verwandelt er sich wieder in den gewöhnlichen Phosphor. Er stellt ein glänzendes,
dunkelcarmoisinrothes Pulver oder feste zerbrechliche Stücke von muscheligem Bruche
dar und besitzt alle Nuancen vom Carminroth bis zum Dunkelrothbraun. An der Luft
ist er bei weitem unveränderlicher als der gewöhnliche Phosphor, weshalb er sich auch
in Kisten verpacken lässt. Mit der Zeit oxydirt er sich aber und reagirt sauer;
er leuchtet nicht bei gewöhnlicher Temperatur; an der Luft lässt er sich auch nicht
durch Reiben oder Stossen entzünden; erst bei 260° entzündet er sich; durch Zusatz
von chlorsaurem Kalium kann ihm aber eine leichte Entzündlichkeit ertheilt werden.
Auch Chromsäure, Kaliumbichromat, Salpeters. Blei, Mennige und Bleisuperoxyd
entzünden ihn, wenn diese Körper trocken mit ihm zusammengerieben werden.
In Schwefelkohlenstoff, Steinöl und Aether ist er unlöslich, nur in siedendem Ter-
pentinöl löst er sich und scheidet sich als gewöhnlicher Phosphor aus. Wegen seiner
grössern Beständigkeit dem atmosphärischen Sauerstoff gegenüber, sowie wegen seiner
Gefahrlosigkeit wird er jetzt immer mehr zur Fabrication der Zündhölzer benutzt.7)
Darstellung des rothen Phosphors. Das Schmelzen des gewöhnlichen
Phosphors behufs Darstellung des rothen geschieht in einem Apparat, welcher
aus einem sogen. Doppelbad und dem Digestor (Fig. 31.) besteht; letzterer
dient zur Aufnahme des Phosphors, ersteres enthält 2 Kessel, von denen einer
ca. 6—8 Zoll weiter als der zweite ist und oben einen Ring hat, in welchem
der zweite Kessel befestigt werden kann. Der grössere Kessel wird mit flüssigem
Blei gefüllt, welches den Zwischenraum zwischen beiden Kesseln ausfüllt; der
zweite Kessel, welcher zur Aufnahme des Paraffinbades dient, umfasst den sog.
266
Phosphor.
Fig. 31.
D i g e s t o r , welcher entweder aus
emaillirtera Eisen. Porzellan oder Glas
besteht und ebenfalls durch einen
Ring im Paraffinbad schwebend erhal-
ten wird; die ganze Vorrichtung wird
direct über einer Feuerung erhitzt.
Der Digestor ist mit einer luftdicht
schliessenden Metallhaube (&) versehen,
weihe durch ein kupfernes Rohr (c) mit
dem Z wischengefäss (<"/) verbunden
ist. Der Digestor ist femer mit einem
Thermometer versehen, welches durch die
Metallhaube in den flüssigen Phosphor
mündet: ebenso befindet sich im Blei-
und Paraffinbad ein Thermometer. Es
hat sich jedoch als nothwendig heraus-
gestellt, dass man sämmtliche Ther-
mometer mit sog. Sehutzröhren umgeben
muss, welche beim Erkalten der ver-
schiedenen Substanzen ein Zertrümmern
der Thermometer durch die Zusammen-
ziehung verhüten. Die beiden Bäder
sind mit kupfernen Schutzröhren versehen, während der Digestor ein Schutzrohr von
Porzellan oder Glas hat.8)
Das Zwischengefäss ist nach dem System der fro^Z/'schen Flaschen aus Stein-
gut oder Kupfer construirt. Aus demselben mündet ein kupfernes, doppelt gebogenes
Rohr ( f). das mit einem 30 — 32 Zoll Rhein, langen Glasrohr (Barometerrohr) luftdicht
verbunden ist. Letzteres mündet in einen Glascvlinder, welcher ca. 2 Zoll hoch mit
Quecksilber und 4 — G Zoll hoch mit Wasser gefüllt ist: die sich entwickelnden Gase
durchstreichen., nachdem sie das Quecksilber passirt haben, die Wassersäule und ge-
langen alsdann in den obern Theil des Cvlinders, welcher mit einem Metallmantel um-
geben ist, an dessen Decke ein Rohr in den Kamin führt.
Der durch diese Vorrichtung sich entwickelnde Luftstrom nimmt die bei dieser
Operation sich entwickelnden giftigen Gase, selbstentzündliches, nicht selbstent-
zündliches Phosphorwasser stoff gas, Arsenwasserstoff und Phosphor-
dampf resp. ihre Verbrenn ungsproducte, Phosphorsäureanhydrid und Arsenig-
säureanhvdrid auf nnd führt sie sofort in den Kamin.
Es kommen hier fast alle bei der Phosphorfabrieation auftretenden Gase und
Dämpfe vor, mit Ausnahme von Kohlenoxyd und Kohlensäure, weshalb hier die er-
wähnten Schutzmassregeln für die Arbeiter dringend geboten sind, wenn man ernstliche
Gefährdungen derselben vermeiden will. Durch das hier vorherrschende selbstent-
zündliclio Phosphorwasserstoffgas gelangen zwar die übrigen Gase und Dämpfe zur
Verbrennung, aber auch die Verbrennungsproducte verdienen wegen ihrer giftigen Eigen-
schaft die grösste Beachtung.
Ein wichtiger Process ist auch noch die Reinigung des amorphen
Phosphors von dem ihm anhängenden unveränderten krystallinischen Phosphor.
Die älteste Methode bestellt darin, dass man den fein geriebenen und noch feuch-
ten Phosphor in dünnen Schichten auf flache Eisen- oder Bleitröge, welche durch ein
- oder Sandbad u. s. w. erwärmt werden, bringt. Enter fortwährendem Um-
rühren des Phosphors wird die Temperatur allmählig erhöht, bis im Dunkeln keine
leuchtenden Dämpfe mehr sichtbar sind. Bei dieser Methode sind die Arbeiter nicht
der Vergiftung, sondern auch der Verbrennung ausgesetzt, weshalb sie gänzlich
zu verwerfen ist. Die sicherste und unschädlichste Methode besteht im Ausziehen des
Phosphors mittelst Schwefelkohlenstoffs nach der oben angegebenen Weise.
Zu erwähnen ist hier noch eine andere allotrope Modification des Phosphors,
welche Bittorf dadurch erhielt, dass er amorphen Phosphor mit Blei in einer evacuirten
Glasröhre der Glühhitze aussetzte. Er nennt diese Modification die ^metallische kry-
stallisirte", da sie in metallglänzenden, schwarzen Krystallblättchen auftritt.
Verwendung des weissen Phosphors nnd die het reffen den sanitären Massregeln.
Die reducirende Wirkung des Phosphors auf die Lösungen schwerer Metalloxyde
hat man in der Galvanoplastik benutzt, um nicht-leitende Oberflächen, z. B.
Fabrication der Phosphorzündhölzer. 267
Formen von Stearin u. s. w., mit einem Metall zu überziehen. Zu diesem Zwecke
bringt man auf die betreffende Oberfläche eine Auflösung von Phosphor in Schwe-
felkohlenstoff und, wenn diese verdunstet ist, eine sehr verdünnte Lösung von
Argent. nitric. oder Chlorgold, worauf nach kurzer Zeit eine feine und glänzende
Silber- oder Golddecke zu Tage tritt, auf die man das durch den galvanischen
Strom ausgeschiedene Kupfer überträgt. Neuerdings zieht man für diese Fabri-
cation fast überall den Phosphorwasserstoff und die unterphosphorig-
sauren Salze vor.
Bei Anfertigung von Chemiealien, z. B. von Jod-, Brom Wasserstoff, Jodamyl,
Jodäthyl u. s. w., findet Phosphor eine ausgedehnte Anwendung; Phosphor wird
auch gewissen Metallen, namentlich Blei, Kupfer, Zink, Nickel und ähnlichen
Mischungen zugeschmolzen, um denselben eine besondere Zähigkeit und Festig-
keit zu verleihen; hauptsächlich geschieht dies bei den kupfernen Zapfenlagern.
Allgemein ist die Verwendung von Phosphor als Rattengift und zur Fabrica-
tion von Reibzündhölzchen und Zündmassen; letztere hat sich zu einem
der grossartigsten Fabrikzweige ausgedehnt.
Fabrication der Phosphorstreiehliülzer. Bei der Geschichte der Feuerzeuge
lassen sich die physicalischen Methoden (durch Reibung von Holz auf Holz
oder von Stahl und Stein, durch Compression von Luft und durch Hohlspiegel),
und die chemischen Methoden (durch Entzündung von Wasserstoff mittels des
elektrischen Funkens oder des Platinschwamms, durch Verbindung von Kaliumchlorat
mit Schwefelsäure und durch Phosphor) unterscheiden. Stahl und Stein waren
schon im 14. Jahrhundert bekannt, wurden aber durch die chemischen Feuer-
zeuge verdrängt; das Tunkfeuerzeug wurde dagegen erst seit der Entdeckung
des Kunsthobels durch Weilhofer in Wien allgemeiner. Die ersten Phosphor-
streichhölzer sind von Römer und Preshel 1832 in Wien angefertigt wor-
den; ihr eigentlicher Erfinder ist unbekannt geblieben.
Die mit der Anfertigung dieses Feuerzeuges verbundene Gefahr für die
Arbeiter, sowie die dem Publicum zur freien Verfügung gestellte giftige Substanz
haben stets eine Reaction gegen diese an Bequemlichkeit alle andern Feuerzeuge
übertreffenden Streichhölzer hervorgerufen. Obgleich der amorphe Phosphor dem
gewöhnlichen Phosphor starke Concurrenz gemacht hat, so ist doch der Ver-
brauch der aus letzterm angefertigten Feuerzeuge nach wie vor ein sehr bedeu-
tender. Man hat berechnet, dass in Frankreich auf jeden Einwohner 5 Zünd-
hölzer kommen und täglich 180 Millionen Stück verbraucht werden; dort hat
gegenwärtig die „Compagnie generale des allumettes chimiques" diese gesammte
Industrie in die Hand genommen.
Es ist bemerkenswert)!, dass diese ganze Fabrication schon 10 Jahre lang im
Grossen betrieben worden war, ehe man auf die nachtheiligen Folgen derselben, die
Kiefernekrose, aufmerksam wurde. Vielleicht ist man anfangs vorsichtiger gewesen, bis
man später, durch die beständige Manipulation mit Phosphor kühner geworden, die
nöthigen Schutzmassregeln vernachlässigte. Jedenfalls ist die Krankheit viel häufiger
in grossen Fabriken vorgekommen als bei der mehr häuslichen Fabrication ; es ist mög-
lich, dass die Ursache dieser Thatsache in der grössern Quantität von Phosphor, welche
dort zur Verarbeitung resp. Verdunstung gelangt, liegt. Wenn schon beim gewöhn-
lichen Liegen des Phosphors in grössern Stücken an der Luft sich Phosphordampf bil-
det, so ist leicht einzusehen, dass sich mit der Vermehrung der Oberfläche z. B. beim
Verreiben und Zertheilen des Phosphors, die Menge dieses Dampfes vermehren muss.
Wie schon erwähnt worden, enthält der Phosphor dampf Phosphor und sein
Oxydationsproduct. Von der Gegenwart der phosphorigen resp. Phospkorsäur e und
des Phosphors kann man sich überzeugen, wenn man den Dampf durch eine Silber-
nitratlösung aspirirt. Es kann alsdanu eine Zersetzung dieses Salzes unter Aussckei-
9(5g Phosphor.
düng von metallischem Silber und Phosphorsilber stattfinden. Die Ausschei-
dung des metallischen Silbers isl die Wirkung der phosphorigen Saun' auf das
Silbersalz, während durch den vorhandenen freien Phosphor gleichzeitig Phosphor-
silber gebildet wird; in der sauren Lösung findet man dann gleichzeitig Phosphor-
s;i irre.
Leitet man den Phosphordampf durch eine siedende Lösung von Kupfersalzen,
so werden diese durch blossen Phosphor reducirt; die Lösung wird alsdann getrübt
und es scheidet sich ein rother krystallinischer Körper, chemisch reines Kupfer, ans, da
die Kupfersalze von den uiedern Oxydationsstufen des Phosphors nicht reducirt werden,
wenigstens nicht in der Weise, dass sich metallisches Kupfer ausscheidet; dagegen ist ('\vr
freie Phosphor ein kraftiges Reductionsmittel für Kupfersalze.
Eine andere Methode besteht darin, dass man den Phosphordampf zuerst Kalk-
milch, Barytwasser oder verdünntes Actzkali passiren lässt, um die etwa vorhandene
Phosphorsäure an diese Basen zu binden. Wird der so behandelte Dampf alsdann
durch eine enge und glühend gehaltene Glasröhre getrieben, so sieht man im Dunkeln
ein eigentümliches Leueliten an der erhitzten Stelle Hier schlägt sich ein Ring von
Phosphorsäure nieder, den man mit Wasser auswäscht und mit molybdänsaurem
Ammonium behandelt, welches bekanntlich das empfindlichste Reagens auf Phosphor-
säure ist.
Bei der Fabrication der Reibhölzer hat man vorzugsweise diejenigen Mani-
pulationen zu berücksichtigen, mit denen eine Verdampfung des Phosphors not-
wendig verbunden ist. Die wichtigsten Manipulationen sind folgende:
1) Das sogenannte Stecken, d. h. das Einschichten der Hölzchen in viereckige
Rahmen. Wir übergehen hier die verschiedenen Schneide- und Hobelmaschinen
zur Bearbeitung des Holzes und bemerken noch, dass auch das Stecken mei-
stens mittels Maschinen bewirkt wird. In sanitärer Beziehuug ist nur zu be-
achten, dass die bezüglichen Manipulationen in Räumen vorgenommen werden
müssen, die von denjenigen ganz getrennt sind, in welchen das Schwefeln und
die Bereitung der Zündmasse stattfindet.
2) Das Schwefeln oder das Eintauchen der Hölzchen in geschmolzenen
Schwefel. Statt Schwefel gebraucht man auch Stearin, Wachs, Paraffin u. s. w. ;
dem Stearin setzt man meistens Colophonium zu.
Das Schmelzen des Schwefels wird in flachen eisernen Pfannen vorgenommen,
welche aus zwei Abtheilungen bestehen, von denen die eine viel tiefer liegt und als eigent-
liche Schmelzpfanne dient, während die andere so flach ist, dass die Hölzchen nur bis
auf eine bestimmte Tiefe eingetunkt werden können. Es ist wegen der Feuersgefahr
zweckmässig, dass die Feuerung ausserhalb des Fabrikraums angebracht wird; sonst ist
diese Manipulation ganz gefahrlos, da der Schwefel bei niederer Temperatur geschmol-
zen wird, nachtheilige Dämpfe sich daher nicht entwickeln können.
Bisweilen geht dem Eintauchen in Schwefel ein "Vorwärmen der Hölzer voraus,
wobei sieh zwar ein ungefährlicher, aber doch die Augen reizender Holzrauch ent-
wickelt, für dessen Abzug man deshalb zu sorgen hat.
Früher liess man auf das Schwefeln das Zertheilen des Phosphors folgen,
welches mittels Urins geschah, den man mit Phosphor in einer Schale bei einer Tem-
peratur von 18° R. verrieb. Deu Phosphorbrei füllte man in doppelte Leinwandbeutel
und hing dieselben in mit Wasser gefüllte Fässer so auf, dass sie vom Wasser bedeckt
waren, um den Urin wieder austreten zu lassen: die betreffenden Wässer waren sehr
beachtenswerth, da sie Phosphor und phosphorige Säure enthielten.
3) Die Bereitung der Ziindmasse. Die Züudmasse besteht aus einem Gemenge
von Phosphor, sauerstoffhaltigen Substanzen, Binde- und Färbemitteln. Als den
Sauerstoff leicht abgebende Körper benutzt man Braunstein, nicht gern Kalium-
chlorat, weil es Spritzer macht, sondern hauptsächlich ein Gemenge von Blei-
superoxyd und Bleinitrat, welches in den Fabriken gewöhnlich aus Minium
und Salpetersäure bereitet wird.
Es sind hierbei selbstverständlich die notwendigen Vorsichtsmassregeln zu be-
achten, namentlich wenn man das Gemenge nicht sofort zu der schon fertigen Phosphor-
gummilösung setzt, weil es alsdann getrocknet und fein gemahlen werden muss.
ehe es als Zusatz zur Phosphorlösung benutzt werden kann. Um diesen gefährlichen
Fabrication der Phosphorzündhölzer. 269
Staub zu vermeiden und den Arbeitern nicht noch Gelegenheit zu Bleiintoxicationen
zu geben, sollte man aus sanitären Rücksichten stets das erwähnte Gemenge nur als
steifen, gleichmässigen Brei benutzen.
Als Färbemittel gebraucht man vielfach Englischroth, Zinnober, Kienruss,
Kokspulver, Ultramarin oder auch mit Anilin gefärbte Lacke. Bezüglich der letztern
ist zu bemerken, dass man häufig die Farben geringerer Qualität, namentlich die bei
der Anilinfabrication abfallenden arsenhaltigen Farbenrückstände, benutzt; es ist
dies kein gleichgültiger Umstand und sollte derselbe polizeilicherseits mehr überwacht
werden. In einigen Fabriken wird auch noch Schwefeleisen zugesetzt.
Unter den Bindemitteln ist Leim ganz zu verwerfen, weil die Leimmasse nur
warm verarbeitet werden kann, wodurch die Verdampfung des Phosphors befördert wer-
den muss. Eine Circularverlügung der Ministerien für Handel, Gewerbe und für Medi-
cinal-Angelegenheiten vom 29. October 1857 verbietet deshalb auch mit Recht die Ver-
wendung einer Leimlösung. Gummi und Dextrin werden gegenwärtig allgemein
benutzt.
In sanitärer Beziehung ist der Act am wichtigsten, wenn der Phosphor
in die siedend heisse Gummilösung geworfen wird, weil hierbei leicht eine Ent-
zündung des Phosphors eintreten kann. Es wird so lange umgerührt, bis die
Masse ganz gleichförmig und hinreichend kühl geworden ist; erst dann werden
unter erneutem Umrühren die Bleipräparate und Färbemittel zugesetzt. In vielen
Fabriken lässt man die Masse noch 6 — 8 Stunden stehen, ehe man sie verarbei-
tet, wobei dann ein nochmaliges Umrühren stattfinden muss.
Der Phosphorgehalt der Zündmasse darf nur 6—7% betragen; Sätze von
10, 15 und 17% sollten gänzlich verboten werden, da hierdurch die Gefahr für die
Arbeiter unnothig gesteigert wird. Die Sorge für die Verminderung des Phosphor-
dampfes ist ebenso wichtig wie die Bemühung, den vorhandenen wegzuschaffen.
Die sorgfältigsten Schutzmassregeln sind anzuordnen, wenn das Umrühren der
Zündmasse in offenen emaillirten Töpfen vorgenommen wird ; dasselbe darf nur unter
einem gut ziehenden Rauchfange geschehen, welcher mit seinem untern Ende
mit einem, auf einem Herd angebrachten, Glaskasten in Verbindung steht. Die Vor-
derseite des letztern reicht so weit herab, dass der Arbeiter bequem seine Hände ge-
brauchen kann, um die Masse in dem Gefässe umzurühren, eine Einrichtung, die jedoch
nur in kleinen Fabriken ausreichen würde.
Bei weitem vorzuziehen ist das Mischen in einem geschlossenen Rühr-
apparate, der aus einem über der Feuerung eingemauerten Kessel besteht, in welchem
ein zweiter mit einem gut schliessenden Deckel versehener emaillirter Kessel sitzt.
Eine hölzerne Rührschaufel steht mit einer Kurbel in Verbindung. Durch eine beson-
dere, später mittels eines Keils zu verschliessende Oeffnung wird der Phosphor einge-
tragen, während sich an der Seite ein Rohransatz befindet, der mittels eines Kautschuk-
rohrs die sich entwickelnden Dämpfe in den Schornstein leitet, so dass während des
Kochens der Masse im Wasserbade und des Umrührens gar kein Phosphor danipf in
den Fabrikraum austritt. Die erkaltete Masse wird nach Entfernung des Deckels mit
dem Rührwerk ausgegossen, nachdem derselben die Bleipräparate u. s. w. zugesetzt.
worden sind.
Bei Nichtbeachtung der nothwendigen Vorsichtsmassregeln muss sich grade bei
diesem Acte am meisten Phosphordampf entwickeln; er ist dann leicht mittels der As-
piration nach der oben angegebenen Methode nachzuweisen.9)
4) Das Tunken der geschwefelten Hölzer in die Zündniasse. Man pflegt die
Zündmasse auf einer Marmorplatte oder in einer eisernen Pfanne mittels eines
hölzernen Lineals möglichst in gleicher Dicke aufzustreichen und die Rahmen mit
den Enden der Hölzer auf dieselbe zu drücken; letztere gelangen alsdann sofort
in die Trockenkammer. Die gewöhnlichen Hölzer werden nur einmal getunkt,
die sogen. Salonhölzer zweimal, nachdem der Kopf nach dem ersten Tunken nur
so schwach getrocknet worden ist, dass er keine trockne Kruste bildet.
Man kann beim Tunken eine ähnliche Vorrichtung wie bei der Bereitung der
Zündmasse treffen oder vielmehr die Arbeit in einem mit dem Schornstein durch
einen Canal in directer Verbindung stehenden Gewölbe voTuehmen (s. d. Anm. S. 271).
Da der Phosphordampf wegen seiner specifischen Schwere mehr zu Boden
270 Phosphor.
fällt, so ist stets die Absauguug der Luft mittels eines Aspirators oder me-
chanischen Exhaustors vorzuziehen, dessen Ausgangsstelle nah den Arbeitsplätzen
angebracht ist. Welche specielle Anordnung zu treffen ist, muss sich nach den
Idealen Verhältnissen und dem Umfange des Betriebes richten; Vorsichtsmassregeln
dieser Art sind aber bei diesem Acte unentbehrlich und um so notwendiger,
als die sogen. Tunkmaschinen noch wenig Eingang gefunden haben.
Die von Jettel beschriebene Tunkmaschine besteht aus zwei sechseckigen Trom-
meln, über welche eine endlose Gliederkette geht, deren obere Glieder über einen
Trog geführt werden, in welchem sich zwei Walzen bewegen, von denen die grössere
cannelirte die eigentliche Tunkwalze vorstellt, die von der kleinem Walze mit Phosphor-
brei versehen wird. Wird der Rahmen auf die Kette gelegt, so werden die Hölzchen
durch den Druck von zwei Rollen bis zu einer bestimmten Tiefe in den auf der Walze
haftenden Phosphorbrei getaucht. In sanitärer Beziehung i.-t dabei wichtig, dass
sich über dem Troge ein Gla.-kar.ten befindet, welcher zwei schmale Oeffuungen für den
Ein- und Austritt der Kette enthält und dessen obere Oeffnung mit einer gut ziehenden
Esse in Verbindung steht. ' ')
5) Das Trocknen der Zündhölzer. Man trocknet die Hölzer in kastenähn-
licheu Kammern oder in grossen Trockenstuben und zwar mittels Luftheizung;
am besten sind massiv gebaute, nicht zu grosse Kammern. Die Heizkammer liegt
im Keller, von der aus die heisse Luft mittels Canäle oder Röhren in die Trocken-
kammern geleitet wird; ihre Temperatur beträgt 26 — 32" G Jeder Kammer muss
aber der Heizeana] direct von der Heizkammer aus zugeführt werden; selbst-
verständlich dienen Schieber oder Klappen zur Reguli rung der Temperatur sowie
zum Abströmen der Kammerluft. Die durch das Trocknen entstehenden schäd-
lichen Ausdünstungen betreffen ebenso sehr die Adjacenten wie die Arbeiter und
verdienen daher eine Hauptberücksichtigimg.
Die Trockenkammer kann zwischen dem Tunk- und Packlocal liegen, muss
aber alsdann an den Stirnseiten zwei hermetisch zu verschliessende Thüren haben.
Vom Gewölbe aus führen die Abzugsröhren iu ein Hauptrohr, welches ausser-
halb der Kammer liegt und direct in den Schornstein führt, der für die Heizung
des Trockenofens dient.
Auf diese Weise wird der Phosphordampf durch die heissen Verbrennungs-
gase des Trockenofens hinreichend verdünnt, theil weise oxydirt und jedenfalls
für die Adjacenten unschädlich gemacht, was nicht der Fall ist, wenn man die
Trockenkammerluft durch einfache Schlote direct in die Atmosphäre abführt.
Zweckmässig ist es, in jeder Eammerthür erstlich ein Fenster anzubringen, um
mittels eines Thermometers die Temperatur im fnnern der Kammern zu beobachten,
und zweitens über dem Boden einen Ausschnitt mit Blechschieber (etwa 12 Zoll
im Quadrat) herzustellen. Letztere Einrichtung ist schon bei den Schwefelkammern
(s. S. HO) erwähnt worden und wird benutzt, um nach bendiegter Trocknung die Luft
in den Kammern abzukühlen und alle Dämpfe kräftiger in die Esse zu treiben, nach-
dem das Ruhr für die warme Luft abgesperrt worden ist. Sollte in irgend einer Weise
Brand entstehen, so sind alle Röhren und Schieber zu schliessen, um den Brand zu er-
sticken, weil schon die beim Verbrennen von Schwefel entstehende schweflige Säure
den in der Kammer vorhandenen Sauerstoff bald absorbiren wird.
6) Das Ausnehmen der Hölzer. Sobald die Rahmen aus dem Trockenraum
kommen, werden die Hölzer auf das sog. Mensurblech gebracht, welches aus ein-
zelnen Abtheilungen besteht, die grade so viele Hölzchen fassen, wie ein gewöhn-
liches Holzdösehen u. s. w. aufnehmen kann.11)
Gegenwärtig wird das Ausleeren der Rahmen mittels sinnreich construirter
Maschinen ausgeführt und dadurch sehr viel an Zeit gespart.
Die Verpackung geschieht in Papier, Patronen, geleimten Kapseln oder in Holz
und Span. Die Döschen "der Schachteln werden entweder sofort in Colli verpackt
oder, wenn sie aufgespeichert werden sollen, in Kisten untergebracht, um sie vor der
Fabrication der Phosphorzündhölzer. 271
atmosphärischen Luft zu schützen; solche Vorräthe dürfen nur auf Speichern oder in
luftigen Räumen lagern. Auch in Verkaufsläden müssen trockne, geschlossene und von
den übrigen Waaren separirte Behälter benutzt werden.
Die schon erwähnte Ministerial -Verordnung schreibt für die eigentlichen
Arbeitsränme eine Höhe von 15 Fnss vor; sie müssen anch gewölbt sein und
dürfen mit andern Geschäftsräumen nicht in Verbindung stehen. In einem
grossen Räume soll das Einsetzen der Hölzer geschehen, in dem kl einem
gewölbten soll der hintere Theil zum Trockenraum eingerichtet und der
vordere zum Schmelzen des Schwefels und zum Eintauchen in die Zündmasse
benutzt werden, falls zur Zeit, wenn diese Operationen ausgeführt werden, zum
Trocknen nichts ausliegt; sonst soll für das Eintauchen in Schwefel und in die
Züudmasse ein besonderer Raum angelegt werden.*) Der Schornstein soll 30 Fuss
hoch sein resp. die benachbarten Gebäude um 5 Fuss überragen.**)
Die Arbeiter müssen einen besondern Anzug für die Fabrik haben und
dürfen in den Arbeitsräumen weder essen noch triuken; auch ein sorgfältiges
Reinigen der Hände und häufiges Ausspülen des Mundes sind sehr zu empfehlen.
Ebenso ist das Reinigen der Räume von allen Abfällen nicht zu versäumen,
wie überhaupt Reinlichkeit in jeder Beziehung nicht genug anzurathen ist. Der
Inhaber der Fabrik wird verpflichtet, ein Buch über den Wechsel und den Ver-
bleib der Arbeiter zu führen, auch ihren Gesundheitszustand durch einen Arzt
überwachen zu lassen. 12)
Der Arzt hat vorzugsweise auf cariöse Zähne, auf blossgelegte Zahnhälse,
auf Geschwüre am Zahnfleische, auf Zahnwurzeln, besonders auf Zahnfleischfisteln
zu achten und die Wiederaufnahme der Arbeit nicht eher zu gestatten, als bis
die verschiedenen Krankheiten der Mundhöhle geheilt, die Zahnwurzeln entfernt
oder cariöse Zähne plombirt worden sind.
Wichtig ist auch ein Wechsel der Arbeit, damit nicht ein und derselbe
Arbeiter sich bloss mit der Präparation der Zündmasse oder mit dem Eintauchen
der Hölzer in dieselbe beschäftige und auf diese Weise gerade den gefährlichsten
Einflüssen beständig ausgesetzt bleibe.
Man hat das Terpentinöl als Antidot des Phosphor auch in den Reib-
hölzerfabriken eingeführt und auf den Rath von Letheby die Arbeiter mit
Terpentinöl gefüllte Blechkapseln auf der Brust tragen lassen, damit das
ozonisirte Terpentinöl dem Phosphor den Sauerstoff zur Oxydation liefert.13) Man
hat hierbei nur zu berücksichtigen, dass auch die Verdampfung des Terpentin-
öls auf manche Menschen nachtheilig einwirkt (s. Terpentinöl). In solchem
Falle dürfte die Wirkung der Kupfersalze dem Phosphor gegenüber wohl zu
berücksichtigen sein; auf eine Auflösung von Phosphor in fetten Oelen wirkt
eine wässrige Lösung von Kupfervitriol sofort ein, indem sich Phosphor -
kupfer neben metallischem Kupfer niederschlägt. Da ferner die Kohle
ein mächtiges Absorbens für Phosphordampf ist, so würde sich eine mit Kohle
gemengte wässrige Lösung von Kupfervitriol ganz vorzüglich als Antidot
eignen, wenn man in dieselbe kleine Schwämme oder Bäuschchen von Watte
*) Besondere Trockenräume dürften unter allen Umständen zu erfordern sein.
**) Jedenfalls müssen in den Schornstein die Heizungen des Schwefel-, Stearin-
schmelz- und Holzröstofens münden, um einen kräftigen Zug zu etabliren. Die Feuerungs-
gase müssen durch ein besonderes Rohr im Schornstein abgeleitet werden, um Oeffnungen
in demselben zum Absaugen der Gase aus den Fabrikräumen anbringen zu können. Bei
einem grossen Betriebe empfiehlt sich die Seite 198 beschriebene Saugkammer.
272 Phosphor.
tauchte, schwach ausdrückte und vor einer, bloss den Mund und die Nase be-
deckenden Maske von Kupferdraht in geeigneter Weise applicirte.14)
Die Annahme, dass beim Verdampfen des Phosphors, wenn derselbe
arsenhaltig ist, auch ein Verflüchtigen dieses Körpers stattfinde, ist nicht be-
gründet.1') Dagegen ist die Entwicklung von Seh wefelwasserstoff bei einem
Gehalt des Phosphors an Schwefel oder nach einem Zusätze von schwefelhaltigen
Substanzen zum Phosphorbrei nicht zu bestreiten, obgleich in den meisten Fällen
die Menge dieses Gases unerheblich sein wird.
um allen Gefahren gründlich vorzubeugen, ist der Vorschlag von Jettel
sehr zu beachten, welcher es für ausreichend hält, wenn bei Ertheiluug der Con-
cession ein Maximalquantum des Phosphorgebrauchs pro Woche nach
Massgabe der Anzahl und Leistungsfähigkeit der Einlegemaschinen und der
Capacität der Trockeustuben festgesetzt und dabei jeder Fabricant verpflichtet
würde, die an Phosphorkrankheiten leidenden Arbeiter auf seine Kosten
curiren zu lassen und während ihrer Arbeitsunfähigkeit auch zu erhalten.
Sicherheitszüiuiniasse. Unter Sicherheits- oder schwedischen Zünd-
hölzern versteht man bekanntlich solche, zu deren Fabrication der amorphe
Phosphor benutzt wird. Obgleich hierdurch der gewöhnliche giftige Phosphor
verdrängt werden kann, so verdienen diese Zündhölzer doch nicht den Namen
„giftfrei", weil die Zündmasse immerhin das gefährliche Kaliumbichromat
oder Mennige neben Schwefelantimon, Schwefelkies, Goldschwefel u. s. w.
enthält.*)
Der Hauptbestandteil bleibt chlorsaures Kalium, dessen Menge 40 bis
90° 0 beträgt; die Menge der andern Sauerstoff abgebenden Salze (Kalium-
bichromat, Mennige, Braunstein) variirt ebenfalls sehr, entspricht aber meistens
der des Kaliumchlorats. Ein dritter wesentlicher Bestandtheil ist der Schwefel,
welcher meistens durch ein Schwefelmetall vertreten wird. Andere die Explosion
verlangsamende Zusätze sind Glaspulver, Sand, Umbra u. s. w.; das Verdickungs-
mittel ist Gummi oder Dextrin.
Die Reibfläche der Schachteln besteht meist aus amorphem Phosphor,
Grauspiessglanz, Schwefelkies, Braunstein und Glas.16)
Die Materialion müssen mit Ausnahme von amorphem Phosphor in feingepulver-
tem und geschlemmtem Zustande benutzt werden: gewöhnlich gebraucht man zum Zer-
kleinern Kollfässer. Selbstverständlich muss Kaliumchlorat (s. dieses S. 133) für
sich allein dieser Behandlung unterworfen werden, weil sonst heftige Explosionen un-
vermeidlich sein würden. Der an der Seite des Fasses angebrachte Deckel muss für
den Fall einer Explosion jedenfalls zur Hälfte aus einem mit starkem Papier über-
zogenen Rahmen bestehen, um alsdann den Austritt der Gase zu ermöglichen: das be-
treffende Fass wird mit der entsprechenden Menge Broncekugeln gefüllt. Schwefel-
kies, Braunstein und Grauspiessglanz werden in eiserueu Mörsern gestampft,
gesiebt und mittels übereinanderstehender Bottiche geschlemmt. Kaliumbichromat,
Schwefel und Umbra lassen sich in hölzernen Trommeln pulverisiren.
Die Bestimmungen über die Einrichtung und den Betrieb der Phosphor-
zündhölzcheu- Fabriken finden nach einer Verfügung der Ministerien für Handel
und der u. s. w. Medicinal -Angelegenheiten vom 19. Januar 1872 keine Anwen-
dung auf diejenigen Fabriken, in welchen ausschliesslich rother Phosphor
zur Darstellung der sogen, schwedischen Zündhölzchen verarbeitet wird.
* Die Composition ist sehr verschieden und wird von den Fabricanten geheim
gehalten; die grossartige Fabrik zu JönkÖping gestattet z. B. Niemanden den Zutritt.
Häufig besteht die Zündmasse aus 400 Th. Kaliumchlorat. 400 Th. Mennige, 300 Th.
Schwefelantimon, 150 Th. Kaliumbichromat und 67 Th. Gummi arabicum.
Phosphorwasserstoff. 273
Da Einrichtung und Betrieb dieser Fabriken unter den § 16 der Gewerbe-
Ordnung vom 21. Juni 1869 fallen und demnach das Concessionsverfahren Ge-
legenheit bietet, die in feuerpolizeilicher Hinsicht erforderlichen Einrichtungen
durch die Concessions-Bedingungen zu sichern, so ist im Allgemeinen nur zu be-
merken, dass zur Aufbewahrung der zur Verwendung gelangenden Materialien:
amorpher Phosphor, Kaliumchlorat, Schwefelantimon u. s. w., nur feuersichere,
von den Arbeitslocalen gesonderte Räume benutzt werden dürfen. Das Kalium-
chlorat ist von den übrigen Materialien separirt aufzubewahren und die Anferti-
gung der Zündmassen in einem besondern Locale vorzunehmen.17)
Die schwedischen Streichzündhölzchen werden vorzugsweise aus der Silberpappel
angefertigt; ihre erste Behandlung besteht gewöhnlich in Paraffinirung ; zu diesem
Zwecke werden ihre Enden in eine Auflösung von Paraffin in flüchtigen! Photogenöl
oder in an und für sich schon genügend paraffinhaltiges Photogen eingetaucht; dann
folgt Trocknung und Eintauchen in die Zündmasse.
In Deutschland ist ein Gemenge von unterschwefligsaurem Blei, chlor-
saurem Kalium, Grauspiessglanz und Kaliumbichromat als Zündmasse ge-
bräuchlich; pikrinsaures Kalium wird selten zugesetzt.
Bei der Präparation wird Gummi mit dem Bleisalz stundenlang gekocht und dann
das mit Wasser angerührte Kaliumchlorat zugesetzt; es muss bis zum Erkalten um-
gerührt werden, um eine gleichmässige Mischung zu erhalten.
Zum Lackiren der Zündhölzer gebraucht man eine Lösung von Schellack und
Colophonium in Spiritus, welcher man die betreffenden Farben zusetzt, um bunte Köpfe
zu erhalten.
Das Metallisiren der Zündhölzer wird durch Einwirkung von Schwe-
felwasserstoff erzeugt, welches man in den Trockenkammern in Steingut-
schalen mittels Schwefeleisen und Schwefelsäure entwickelt.
Zu diesem Zwecke müssen die schon getrockneten Hölzer in eine schwache
Gummilösung getaucht und mit den Köpfen nach aufwärts placirt werden; das ganze
Verfahren ist eigentlich zwecklos, da die Hölzer hierdurch nicht vor Feuchtigkeit ge-
schützt werden.
Die Gasentwicklung dauert bei vollständig verschlossenen Kammern nur circa
5 Minuten und hat man alsdann mit Benutzung des Blechschiebers in der Thür für eine
reichliche Durchströmung der frischen Luft Sorge zu tragen.
Phosphorfreie Zündhölzer. Die Fabrication derselben hat noch nicht das
erwünschte Ziel erreicht und bietet insofern grosse Schwierigkeit dar, als die
dazu erforderlichen chemischen Präparate höchst fein pulverisirt werden müssen.
Das hierzu in Frankreich benutzte pikrinsaure Kalium hat schon zu furcht-
baren Explosionen Anlass gegeben und dadurch vor weiterer Verwendung ab-
geschreckt.18)
Phosphor und Wasserstoff.
Phosphorwasserstoff. Man unterscheidet 1) den dem Ammoniak entsprechenden
gasförmigen Phosphorwasserstoff PH3. Derselbe kommt in der Natur nicht
fertig gebildet vor, bildet sich aber beim Kochen von gewöhnlichem Phosphor mit con-
centrirter Aetzkalilösung. Gleichzeitig entsteht unterphosphurigsaures und phosphor-
saures Kalium neben freiem Wasserstoff:
2P -+- 4KHO + 2H20 = KH3P02 + K3P04 + PH3 + 3H
In reichlicher Menge erhält man das Gas durch Zersetzung von Phosphorcalcium
mittels Wassers oder Salzsäure:
Ca3 P2 + 6 HCl = 3 CaCl2 + 2 PH3.
Das Gas ist farblos, riecht nach Knoblauch oder faulen Fischen, ist in Wasser
unlöslich, in Alkohol und Aether leicht löslich und wegen eines geringen Gehaltes an
flüssigem Phosphorwasserstoff selbstentzündlich; Chlor zersetzt es zu Chlorphosphor und
Salzsäure :
PH3-1-6C1 = PC13 + 3HC1.
2) Flüssiger Phosphorwasserstoff P2H4 entsteht, wenn man selbstentzünd-
lichen Phosphorwasserstoff durch eine U förmig gekrümmte und in einer Kältemischung
stehende Röhre leitet.19)
Eulenberg, Gewerbe -Hygiene. 18
274 Phosphor und Wasserstoff.
3) Fester Phosphorwasserstoff PJEL entsteht als gelbes flockiges Pulver,
wenn man Phosphorcalcium durch warme concentrirte Salzsäure zersetzt.
Einwirkung des nicht selbstentzündlichen Phosphorwasserstoffs anf den thie-
rischen Organismus. 1) Das Gas wurde in der Weise dargestellt, dass 95proc. fuselfreier
Alkohol mit Kali causticum gesättigt und die concentrirte Losung mit Phosphor in
einem Kölbchen bis zum Sieden erhitzt wurde. Das sich entwickelnde Gas passirte
einen gut abgekühlten Kolben und wurde, mittels einer Röhre in eine graduirte Glocke
geleitet. 5 C.-Z. reines Gas wurden mit 297 C-Z. atmosphärischer Luft zusammengebracht;
diese Mischung entsprach 1,683%. Als das Gas auf eine Taube, welche im Zinkkasten
sass, einwirkte, entstanden alsbald grosse Unruhe, nach 3 M. beschwertes und sehr
beschleunigtes Athmen, 50 Inspirationen binnen % M., nach 7 M. Bauchlage, Zittern
des Körpers und weites Oeffnen des Schnabels, nach 8 M. Erbrechen, nach 9 M. ver-
langsamte Athmung, 17 Inspir. binnen l/2 M., nach 12 M. convulsivisches Aufschlagen
mit den Flügeln, nach 13 M. allgemeine Convulsionen und der Tod.
Section 12 Stunden hernach. Die Hirnhäute massig injicirt; ein schmaler
flüssiger Blutstreifen zog sich der Länge nach über die Mitte des grossen Gehirns; rund
um die Med. oblong, war dickflüssiges dunkles Blut mit einem Stich in's Violette ab-
gelagert. Unter der Schleimhaut der obern Hälfte des Kropfes lag ein Blutextravasat;
Schleimhaut der Trachea blass, mit einzelnen Schleimfäden bedeckt: Lungen äusserlich
und im Innern von einer schmutzig -braunrothen Farbe, auf den Durchschnittsflächen
geronnene Bluttröpfchen; das ganze Herz ist mit geronnenem Blute angefüllt.
Leber dunkelbraunroth und reich an dickflüssigem, dunkelrothem Blute, das sich an
der Luft röthete und schwach sauer reagirte.
2) Bei einem zweiten Versuche mit einer Taube entzündete sich das Gas wegen
des beigemengten flüssigen Phosphorwasserstoffs. Es traten keine auffallenden Symptome
auf: nur verhielt sich die Taube ruhig, frass wenig und hatte eine beschleunigtere
Respiration; nach 4 Tagen wurde sie todt gefunden.
Section 12 Stunden hernach. Die Hirnhäute, ganz besonders am Kleinhirn,
sehr hyperämisch, dickflüssiges Blut umgibt die Med. oblong.: die Plex. venös, spin.
massig angefüllt: die Schleimhaut der Luftröhre und Bronchien schwach injicirt; auf
ersterer zeigte sich stellenweise ein dünnes plastisches Exsudat. Lungen von
ziemlich hellrother Farbe, wenig blutreich: auf den Durchschnittsflächen wenig geronne-
nes Blut; Herz und grössere Venen mit geronnenem Blute angefüllt. In der Leber
dickflüssiges, geronnenes, schwach sauer reagirendes Blut.20)
Phosphorwasserstoff zerlegt sich alsbald in phosphorige Säure und
Wasser; 100 Gewichtstheile des Gases erfordern dazu von reinem Sauerstoff
140,26 und von atmosphärischer Luft 609,83 Gewichtstheile; der blosse
Phosphor erfordert dazu nur 76,5 G.-Th. Sauerstoff oder 332,6 G.-Th. atmosphä-
rische Luft. Der Phosphorwasserstoff bedarf somit zu seiner Oxydation weit mehr
Sauerstoff als der Phosphor und zieht denselben überall, wo er mit ihm in Be-
rührung kommt, begierig an. Die beschleunigte und erschwerte Respiration,
welche sofort nach der Inhalation des Gases bei den Versuchsthieren entsteht,
dürfte daher vorzugsweise auf die Sauerstoffentziehung zurückzu-
führen sein.
Auch bei Menschen hat man Dyspnoe mit einem peinlichen Angst- und
Druckgefühl in der Brust beobachtet; es ist sogar der asphyk tische Tod
bei Einwirkung grosser Mengen dieses Gases nicht ausgeschlossen. Dass das
Gas auch eine reizende Einwirkung auf die Schleimbaut ausübt, geht aus der
reichlichen Speichelabsonderung hervor, welche sich namentlich bei Katzen zeigt.
Das croupöse Exsudat auf der Luftröhrenschleimhaut der Taube (2. Versuch)
könnte auf eine directe Einwirkung der phosphorigen Säure bezogen werden,
weil sich ein Theil des Gases schon während des Versuchs entzündete.
Der Phosphorwasserstoff, welcher als solcher in das Blut gelangt, wird sich
hier rasch zu phosphoriger Säure oxydiren, die alsdann einestheils wie jede
andere Säure wirkt, anderutbeils aber den Eiufluss des Radicals nicht ver-
kennen lässt; wirkt nämlich Phosphorwasserstoff längere Zeit in kleinern Mengen
ein, so hat mau eigenthümliche Affectionen der Nerveucentren, namentlich
Phosphor und Halogene. 275
des Spinalnervensystems, beobachtet, welche nur auf die specifische Einwir-
kung des Phosphors bezogen werden können.21)
In der Industrie tritt Phosphorwasserstoff vorzugsweise bei der Dar-^
Stellung der unterphosphorigsauren Salze auf und ist deshalb hier die
grösste Vorsicht nothwendig.
Phosphor und Halogene.
1) Phosphortrichlorid PC13 wird durch Ueberleiten eines Stromes von trockenem
Chlorgas über etwas erwärmten überschüssigen Phosphor dargestellt und zwar als eine
farblose, an der Luft rauchende Flüssigkeit; Wasser zerlegt sie in Salzsäure und
phosphorige Säure:
PCI3 + 3 H20 = 3 HCl -4- PH3O3.
Dieser Körper findet in Laboratorien Verwendung.
Einwirkung von Phosphortrichlorid auf den thierischen Organismus. Eine Taube
sitzt in der Glocke ; sogleich nach dem ersten Kolbenstosse der Compressionspumpe, mit
welcher die Dämpfe eingetrieben werden, entstehen grosse Unruhe und starkes Putzen der
Augen, nach 2 M. Niederlegen, nach 3 M. 7 tiefe Inspir. und nach 5 M. Dyspnoe
mit Oeffnen des Schnabels, Blinzeln und Ausfluss von Feuchtigkeit aus den Nasen-
öffnungen. Nach 8 M. nochmals ein schwacher Kolbenstoss, hierauf Würgen, Diarrhoe,
Keiben der Augen, momentane Unruhe und vermehrter Nasenausfluss, nach 14 M. 8 ange-
strengte und beschwerliche Inspir. binnen %~M.. Nach 15 M. Herausnahme der Taube; sie
hat starkes Herzklopfen , geht und steht aber ohne Schwanken ; nach 5 M. 7 weniger
angestrengte Inspirationen bei heiserer Stimme; nach 10 M. läuft sie plötzlich umher
und verfällt in leichte Convulsionen, auf welche nach 5 M. der Tod folgt.
Section 24 Stunden hernach. Von den Hirnhäuten nur die Pia mater
stark injicirt, die Plex. venös, spin. mit schwarzem geronnenem Blute angefüllt, der
Schnabel enthält eine wässrige Flüssigkeit, das Zellgewebe in der Umgebung der Trachea
ist blutig infiltrirt, Tracheaischleimhaut schwach injicirt und mit wenig schleimiger
Flüssigkeit bedeckt; an der Bifurcation stärkere Injection. Beide Lungen von
schwärzlich-braunrother Farbe, auf den Schnittflächen dunkles flüssiges Blut; Parenchym
schmutzigroth und links etwas fester als rechts. Beide Vorhöfe des Herzens strotzen
von schwarzem geronnenem Blute, linker Ventrikel fast leer von Blut; wenig flüssiges
Blut von dunkelkirschrother Farbe hatte sich in der Brusthöhle angesammelt. Leber
von normaler Farbe, enthält flüssiges und geronnenes Blut; das geronnene Blut herrschte
im Allgemeinen vor; Nieren blassbraun. Phosphorige Säure konnte in Lunge und
Leber durch die Analyse nachgewiesen werden.
Da Phosphortrichlorid im Organismus bei Gegenwart von Wasser sofort
in Salzsäure und phosphorige Säure zerfällt, so wirken beide Substanzen
gemeinschaftlich ein. Es ist kaum zweifelhaft, dass die tödtliche Wirkung bei
dem Versuche vorzugsweise der phosphorigen Säure zuzuschreiben ist; die
angestrengte und beschwerliche Respiration deutet mit Bestimmtheit auf diese
hin, während die Symptome der Reizung (das Blinzeln mit den Augen, der
Nasenausfluss u. s. w.) durch die Chlorwasserstoffsäure noch gesteigert
wurden; auch die festere Beschaffenheit des Lungenparenchyms, welche bei der
Section der Taube angetroffen wurde, dürfte vorzugsweise der Wirkung dieser
Säure zuzuschreiben sein.
Man hat alle Ursache, in chemischen Laboratorien Vorsicht zu beob-
achten, wenn man mit Phosphortrichlorid zur Darstellung von phosphoriger
Säure manipulirt (s. phosphorige Säure).
2) Phosphorpentachlorid PC15 entsteht durch Zuleiten von überschüssigem Chlor
zu Phosphortrichlorid. Es ist eine farblose, an der Luft stark rauchende, krystallinische
Masse, welche durch wenig Wasser in Salzsäure und Phosphoroxychlorid P0C13
zersetzt wird:
PC15 + 4 H20 = 2 HCl -f- POCI3.
Bei vielem Wasser entstehen Salzsäure und Phosphorsäure:
PC15 + 4H20 = 5 HCl -4- PH304.
18*
276 Phosphor und Halogene.
Einwirkung von Phosphorpentachlorid auf den thierischen Organismus. Sobald
die Dämpfe eine Taube in der Glasglocke erreichen, entstehen Augenblinzeln, grosse
Unruhe und unregelmässige Athmung ; nach 5 M- krampfhaftes Zucken im rechten
Beine, nach 6^M. bei der Herausnahme tonische und klonische Krämpfe Unter krampf-
haften Inspirationen tritt der Tod schon 2 M. hernach ein; Cornea auf beiden Seiten
opalisirt.
Section 12 Stunden jhernach. Die Pia mater vorzugsweise an der Basis des
Gehirns blutreich, Halswirbel blutig injicirt; die Plex. venös, spin. mit wenig flüssigem
Blute angefüllt. Beim Durchschneiden der linken Brustmuskeln ziemlich reichlicher
Auslluss von flüssigem Blute; beide Lungen hellziegelroth , vermischt mit einzelnen
braunrothen Marmorirungen, auf den Durchschnittsflächen wenig flüssiges und geronne-
nes Blut. In der Brusthöhle hat sich wenig flüssiges hellrothes Blut angesammelt, das
an der Luft schnell gerinnt und sich etwas heller färbt; Trachealschleimhaut schwach
injicirt, im rechten Vorhof und Ventrikel des Herzens schwarzes geronnenes Blut.
Leber dunkelbraun und reich an flüssigem Blute; Nieren blassbraun.
Bei der Zersetzung des Phosphorpentachlorids im Organismus waltet
die Salzsäure vor, wofür im vorliegenden Falle auch die Opalisirung der Horn-
haut sprechen dürfte; die Menge derselben wirkt so heftig ein, dass sich die
Phosphorsäure gar nicht geltend machen wird.
Mit Brom geht Phosphor ähnliche Verbindungen wie mit Chlor ein. Unter den
Bromiden des Phosphors sind besonders zu bemerken: Phosphortribroinid PBr3 und
Phosphorpeutabroniid PBr5.
Die Jodide des Phosphors werden wie die Bromide dargestellt. Für die "Versuche
an Thieren wurden Phosphor und Jod in äquivalenten Verhältnissen mit Schwefelkohlen-
stoff in einer Kältemischung zusammengebracht; der Schwefelkohlenstoff wurde dann
abdestillirt.
1) Phosphordijodid PJ2 stellt hell-orangerothe Prismen dar, welche bei 110° zu
einer schönen hellrothen Masse schmelzen. Durch Wasser wird es in phosphorige
Säure, Jod und Jodwasserstoff zersetzt; das Jod bewirkt aber bei Gegenwart
von Wasser und phosphoriger Säure die Zersetzung des Wassers, so dass Jodwasser-
stoff und Phosphorsäure entstehen
Einwirkung von Phosphordijodid auf den thierischen Organismus. Eine Taube
sitzt in der Glocke; nach 2 Kolbenstössen Blinzeln mit den Augen, nach 4 M. stoss-
weise Zuckungen des ganzen Körpers, schleimige Absonderung aus den Nasenlöchern,
die weissen Federn haben sich gelb gefärbt. Nach 10 M. Unruhe, nach 11 M. tritt
nach einem dritten Kolbenstosse stärkeres Blinzeln der Augen ein, nach 13 M. 9 Inspir.
binnen l/i M. Sonstige Symptome treten nicht hervor; nach 15 M. Herausnahme. Es
bilden sich auch späterhin keine Krankheitserscheinungen aus.
Aus der Art und Weise der Zersetzung dieses Körpers wird die weniger
intensive Wirkung desselben auf den Thierkörper erklärlich. Während hier Jod-
wasserstoffsäure und Phosphorsäure als Zersetzungsproducte auftraten und
als solche nicht toxisch wirkten, wird überall da, wo phosphorige Säure als
Zersetzungsproduct sich geltend macht, wie beim Phosphortrichlorid und Phosphor-
trijodid, ihre toxische Wirkung sofort zu Tage treten.
2) Phosphortrijodid PJ3 bildet dunkelrothe, sehr zeffliessliche Krystalle, welche
schon in feuchter Luft in phosphorige Säure und Jodwasserstoffsäure zerlegt
werden.
Verwendung finden die Jodide und Bromide des Phosphors in der Photographie.
Einwirkung von Phosphortrijodid auf den thierischen Organismus. Eine Taube
sitzt in der Glasglocke; nach 2 warmen Kolbenstössen, welche die Dämpfe eintreiben,
beginnt ein geringes Schütteln des Kopfes, welches nach 5 Min. in einzelne Zuckungen
übergeht. Nach 8 M. häufiges Schmecken mit dem Schnabel; nach 10 M. ist die ganze
Glocke mit weissgelblichen Dämpfen angefüllt; hierauf ein heftiger, den ganzen Körper
erschütternder Husten. Nach 14 M. 6 Inspir. binnen % M. in der Bauchlage, bisweilen
Zittern des Kopfes; nach 15 M. Herausnahme. Besondere Erscheinungen werden
weder am Versuchstage noch am folgenden Tage bemerkt; am 3. Tage tritt Dyspnoe
ein, welche sich immer mehr steigert, bis am Abend der Tod eintritt.
Section nach 24 Stunden. Schädelknochen blau gefärbt, die Gehirnhäute
hyperämisch, Plex. venös, spin. mit geronnenem Blute gefüllt. Lungen von ziegel-
rother Farbe mit schwachbraunrothen Marmorirungen. Alle Halsgefässe mit Blut an-
Phosphor und Sauerstoff. 277
gefüllt; der ganze Kehlkopf mit einem theils festen, theils mit einem
weichen croupösen Exsudat angefüllt; eine dünne croupöse Neubildung an der
Theilungsstelle der Trachea; die übrige Schleimhaut ist geröthet und etwas geschwollen.
Auf den Schnittflächen der Lunge kleine geronnene Blutklümpchen und viel weisser
und röthlicher Schleim, welcher beim Zusammendrücken des Parenchyms sehr reichlich
zu Tage tritt; letzteres ist überall weich und nachgiebig (Oedema pulmonum). Die ganze
rechte Herzhälfte und der linke Vorhof mit festem geronnenem Blute angefüllt; in der
Brusthöhle hatte sich ein wenig flüssiges Blut angesammelt. Leber und Nieren sind
von normaler Farbe und enthalteu geronnenes und wenig flüssiges Blut ; in allen grössern
Venen findet sich nur geronnenes Blut. Das flüssige Blut ist dunkelroth, in dünnern Schich-
ten mehr violettroth ; viele Blutkügelchen sind an den Rändern eingerissen oder haben
unregelmässige Contouren. Weder Jod noch phosphorige Säure konnten in den Lungen
oder der Leber nachgewiesen werden; wahrscheinlich hatten sich beide Körper während
der längern Lebensdauer schon ausgeschieden.
Die reizende Einwirkung der phosphorigen Säure ist im vorliegenden
Falle durch die Jodwirkung noch vermehrt worden, weshalb sich ein exquisites
Bild von Croup ausbildete, welcher schliesslich den Tod herbeiführte und zwar
durch acutes Lungenödem, das bekanntlich meist in den letalen Fällen von
Croup vorkommt. Diese Uebereinstimmung ist so frappant, dass Phosphor-
trijodid als ein geeigneter Körper betrachtet werden könnte, um behufs patho-
logischer Experimente künstlich Croup zu erzeugen.
Aehnlich wirkt Phosphortribromid, welches durch Wasser in Brom-
wasserstoffsäure und phosphorige Säure zerfällt; nur bildet sich das
plastische Exsudat hierbei nicht so entschieden wie bei Phosphortrijodid aus.
Alle diese Versuche, in welchen die phosphorige Säure das wirksame
Princip darstellt, liefern einen höchst wichtigen Beitrag zu der toxischen Bedeutung
dieser Säure, die sich aus den betreffenden Versuchen mit Bestimmtheit ergeben
wird; wir verweisen daher auf die phosphorige Säure S. 278 und 279.
Phosphor und Sauerstoff.
1) Unterphosphorige Säure H3P02 bildet sieh durch Fällen von unterphosphorig-
saurem Barium mit Schwefelsäure. Das Bariumsalz wird durch Kochen von Phosphor
mit Bariumhydrat erhalten, indem neben Phosphor Wasserstoff und phosphor-
saurem Barium auch unterphosphorigsaures Barium entsteht. Die filtrirte Lösung
wird im Vacuum so lange abgedampft, bis eine farblose, syrupartige Flüssigkeit ent-
steht, welche beim Erwärmen in Phosphorwasserstoff und Phosphorsäure
zerfällt:
2H3P03 = PH3 + H3P04.
Die Säure gehört wegen ihrer grossen Begierde, Sauerstoff aufzunehmen, zu den
sehr stark reducirenden Mitteln.
Die unterphosphorigsauren Salze, Hypophospkite, werden in der Regel durch
Kochen von Phosphor mit Aetznatron oder Aetzkalk sowie durch Neutralisation
der unterphosphorigen Säure mit einer Base dargestellt; werden sie bei Luft-
abschluss stark geglüht, so verwandeln sie sich unter Entwicklung von
Phosphorwasserstoff in ein Gemenge von Pyro- und Metaphospbat.
Bei der Darstellung dieser Salze ist auf sorgfältigen Verschluss der
Apparate und sofortiges Zerstören des auftretenden Phosphorwasserstoffs mittels
der Feuerung zu achten.
Die unterphosphorigsauren Salze haben in neuerer Zeit namentlich
für die Galvanoplastik eine grosse Wichtigkeit erlangt und werden deshalb
auch im Grossen dargestellt. Man bereitet hierbei zuerst das Calci umsalz der
Säure, indem man Phosphorcalcium mit Wasser zusammenbringt und den sich
entwickelnden Phosphorwasserstoff ableitet und anzündet. Auch diese
Manipulation muss stets in geschlossenen Gefässen geschehen, welche möglichst
278 Phosphor und Sauerstoff.
wenig Luft enthalten und deshalb grösstenteils mit Wasser angefüllt sind, aber das
Abziehen der Gase ermöglichen; um die Retorten möglichst vollständig mit Wasser
zu füllen, wird der Schnabel der Retorte aufwärts gerichtet. Nicht bloss eine
grosse Gefährdung der Arbeiter, sondern auch eine förmliche Verpestung der
ganzen Umgegend sind die Folgen, wenn man diesen Process in offenen Schalen
vornimmt und für die Verbrennung des Phosphorwasserstoffs gar keine
Sorge trägt.
Nach vollendeter Zerlegung des Phosphorcalciums filtrirt und dampft man
die Lösung, welche das unterphosphorigsaure Calcium enthält, im Wasser-
bade ab. Um die andern Salze aus dieser Verbindung darzustellen, löst man sie
wieder auf und gewinnt aus dieser Lösung durch Hinzufügen der betreffenden
kohlensauren Alkalisalze die entsprechenden Salze der unterphosphorigen Säure.
Die Erfahrung hat hinreichend bewiesen, welche verderbliche Wirkung
Phosphorwasserstoff auf den menschlichen Organismus hier auszuüben vermag; je
anhaltender kleine Mengen einwirken, desto intensiver sind die Folgen, die sich
durch langwierige Krankheitszustände kundgeben können.
2) Phosphorige Sänre H3P03 bildet sich gleichzeitig mit Phosphorsäure beim
langsamen Verbrennen des Phosphors oder durch Zersetzung von Phosphortrichlorid mit
WaSSCT : PC13 + 3 H20 = H3PO3 + 3 HCl.
Sie bildet eine krystallinische , in Wasser leicht lösliche Masse , gehört zu den
schwächsten Säuren und geht leicht durch Aufnahme von Sauerstoff in Phosphorsäure
über. In der Hitze zerlegt sie sich in Phosphorsäure und Phosphorwasserstoff:
4H3P03 = PH3 + 3H3P04.
Ihre Salze, Phosphite, stellt man durch Neutralisation der phosphorigen Säure mit
einer Base dar. Zu den Versuchen an Thieren wurde die Säure aus Phosphortrichlorid
und Silberoxyd dargestellt, indem das überschüssige Silber mit Salzsäure gefällt und
das Filtrat eingedampft wurde. Die trockne Salzmasse wurde in einem Rohr erhitzt
und zwar bei gleichzeitigem Uebei'leiten von trockner atmosphärischer Luft mittels der
Compressionspumpe. Will man Pho sphorigsäureanhydrid P-,>03 erhalten, so leitet
man einen trockenen Luftstrom langsam über erwärmten Phosphor.
Einwirkung der phosphorigen Säure auf den thierischen Organismus. 1) Eine
Taube sitzt in einer Glasglocke. Sobald ein dichter weisser Nebel die Glocke anfüllt,
entstehen starkes Blinzeln und heftiges Schütteln mit dem Kopfe, nach 1 M. krampfhaftes
Inspiriren mit weitem Oeffnen des Schnabels, Hinfallen auf den Rücken, nach 2 M.
18 Inspirat. binnen % M. und krampfhaftes Aufschlagen mit den Flügeln, nach 3 M.
Herausnahme der Taube: sie ist bewegungs- und fast athemlos; nur eine schwache
unregelmässige Herzbewegung und ein leises Schleimrasseln in der Luftröhre; Augen
opalisirt: nach 4 M. keine Spur von Lebenszeichen.
Section 4 Stunden hernach bei starker Todtenstarre. Dura mater ziemlich
stark und Pia mater nur an der Basis cerebri hyperämisch, Plex. venös, spin.
stark mit flüssigem Blute angefüllt. In dem die Trachea umgebenden Zellgewebe zwei
silbergroschengrosse, flacheBlutextravasate: beim Durchschneiden der linken Brustmuskeln
fliesst flüssiges dunkles Blut aus. Lungen hellroth mit rothbrauner Marmorirung, am
untern Rande der linken Lunge ein erbsengrosses Blutextravasat unter der Pleura, auf
den Durchschnittsflächen etwas flüssiges Blut und ein feiner weisser Schaum, das
Parenchym vorherrschend hellroth, Tracheaischleimhaut kaum injicirt. Der rechte und
der linke Vorhof des Herzens strotzten von flüssigem Blute. Leber reich an flüssigem
Blute: Nieren ebenfalls blutreich. Alles flüssige Blut ist dunkelkirschroth, mit einem
Stich ins Violette, wird an der Luft heller und gerinnt schnell, ohne Serum auszuscheiden :
Blutkügelchen normal.
2) Eine zweite Taube wird in dieselbe Atmosphäre der Glocke, welche noch trüb-
weisslich erscheint, gebracht. Sogleich Blinzeln, Husten und grosse Unruhe; nach 2 M.
Zuckungen am rechten Fusse, Nasswerden des Schnabels, nach 3 M. beschleunigte
Respiration, 19 Inspirationen binnen l/4 M. , nach 5 M. ruhiges Verhalten, nachdem die
Atmosphäre der Glocke wieder klar geworden, aber angestrengte Respiration bei öfterm
Husten; nach 8 M. viel Blinzeln und nach 13 M. Ausfluss von Schleim aus den Nasen-
löchern, nach 15 M. 12 etwas weniger angestrengte Inspirationen binnen % M.; hierauf
Herausnahme. Die angestrengte Athmung hält an: nach 2 Stunden noch 9 mühsame
Phosphorige Säure. 279
Inspirationen binnen % M. Am folgenden Tage weniger angestrengte Athmung bei
Husten und Schleimrasseln in der Luftröhre; am 3. Tage dieselben Erscheinungen, Fress-
lust und Bewegungen ungestört Am 4. Tage noch etwas Schleimrasseln in der Luft-
röhre; am 5. Tage 12 mehr angestrengte Inspirationen binnen % M., schon von Weitem
hörbares Schleimrasseln, gegen Abend zunehmende Schwäche, so dass die Taube nicht
mehr zu stehen vermag und die Bauchlage einnimmt; am 6. Tage wird sie in der
Leichenstarre gefunden.
Section lö Stunden hernach. Hirnhäute stark blutreich; Plex. ven. spin.
mit hellem flüssigem Blute angefüllt; beim Durchschneiden der Brustmuskeln etwas
dickflüssiges Blut; Trachealschleimhaut überall geröthet und mit einer schlei-
migen Flüssigkeit bedeckt. Die Lungen beiderseits an den Rändern hellroth und auf
der Oberfläche braunroth; am untern Drittheile des linken untern Lappens eine Ver-
dichtung im Parenchym vom Umfange einer weissen Bohne; diese Partie ist
rothbraun, fest und sinkt im Wasser. An der untern Hälfte des rechten untern
Lungenlappens erstreckt sich eine rothbraune Färbung 3 Linien tief in das Paren-
chym; beim Einschneiden tritt hier eine weisse, eiterige und zähe Flüssigkeit
aus, welche unter dem Mikroskope viele Eiterkörperchen und fettig infiltrirte Epithelien
zeigt; das übrige Parenchym ist theils hell-, theils braunroth, auf dessen Schnittflächen
überall eine schleimige schaumige Flüssigkeit zu Tage tritt. Das ganze Herz ist
theils mit schwarzem geronnenem, theils mit dunkelrothem flüssigem Blute angefüllt.
Leber von normaler Farbe und reich an flüssigem Blute; Kropf noch theil weise mit
Wicken angefüllt; alle übrigen Organe normal. In den grössern Gefässen flüssiges
Blut, welches in dünnen Lagen dunkelkirschroth mit einem Stich ins Violette erscheint,
bald an der Luft gerinnt, aber sich nicht heller röthet, beim Eintrocknen vielmehr
braunroth erscheint; die Blutkügelchen von normaler Gestalt.
3) Ein grosses Kaninchen wird sofort in die intensiv weisse Atmosphäre der Glocke
gebracht. Nach 1 M. grosse Unruhe, Herumdrehen im Kreise und Stocken des Athems;
nach 2 M. ruhiges Sitzen mit zurückgezogenem Kopfe und geschlossenen Augen; nach
3 M. 6 angestrengte Inspirationen binnen % M., welche durch Husten unterbrochen wer-
den, nach 6 M. 8 unregelmässige Inspirationen. Sonstige Veränderungen zeigen sich
nicht, obgleich die Atmosphäre noch trüb-weisslich geblieben ist; deshalb nach 15 M.
Herausnahme des Kaninchens; es nimmt alsbald eine natürliche Stellung ein und
bleibt ruhig sitzen. Nach 6 M. 11 Inspirationen binnen 1/i M., bisweilen Husten und
schwacher Rhonch. sonorus in der Brusthöhle. Auch am folgenden Tage hält dieser
Zustand an; am 3. Tage läuft es wieder umher bei guter Fresslust; Respiration normal,
kein Husten mehr.
Die Eigenschaft der phosphorigen Säure, mit grosser Begierde Sauerstoff
aufzunehmen, muss sich auch bei ihrer Einwirkung auf den thierischen Organis-
mus geltend machen; die sehr angestrengte Respiration gehört daher zu den
ersten und auffallendsten Symptomen; die Dyspnoe steigerte sich bei Tauben zu
krampfhaften Inspirationen bei weit geöffnetem Schnabel. Diese Erscheinungen
stimmen vollkommen mit der Wirkung der inhalirten Phosphordämpfe und des
Phosphorwasserstoffs überein und führen ungezwungen zu der Annahme, dass die
phosphorige Säure einen wesentlichen Factor bei diesen Vergiftungen repräsen-
tirt; denn auch Phosphor und Phosphorwasserstoff erzeugen, wenn sie auf
den Respirationswegen in das Blut dringen, ihre deletären Wirkungen in dem
Masse, als sie dem Oxydationsprocess unterliegen und schliesslich dem Blute
mehr oder weniger die Alkalescenz rauben.
Wirken die Dämpfe der phosphorigen Säure sehr concentrirt ein, so erfolgt
der asphyktische Tod (1. Versuch), während verdünntere Dämpfe eine ent-
schiedene Reizung der Respirationswege erzeugen, welche (wie beim 2. Versuche)
das zweite und dritte Stadium der Pneumonie herbeizuführen vermag. Tauben
scheinen aber überhaupt leichter von der phosphorigen Säure afficirt zu werden
als Kaninchen; im 3. Versuche hatte wenigstens ein 15 Minuten langer Aufenthalt
eines Kaninchens in einer ziemlich concentrirten Atmosphäre von phosphoriger
Säure nur eine vorübergehende Reizung der Bronchialschleimhaut zur Folge.
Bei Menschen hat man in Folge von Inhalation der phosphorigen Säure auch
noch besondere Einwirkungen auf das Spinalnervensystem beobachtet und
280 Phosphor und Sauerstoff.
zwar in sehr grosser Uebereinstiminung mit den Folgen des inhalirten Phosphor-
wasserstoffs, wodurch die Erfahrung, dass sich auch das Radical der Säure
geltend macht, eine bedeutende Stütze gewinnt.22)
Es ist erklärlich, dass alle diese Erscheinungen bei der Inhalation der
phosphorigen Säure im Allgemeinen rascher eintreten als bei ihrer Aufnahme
per os. Nach Munk und Leyden vertrugen Kaninchen Mengen von 4Ccm., welche
in den Magen derselben gebracht wurden; nach 9 Ccm. bildete sich aber eine
heftige Gastroenteritis aus, welche nicht selten tödtlich wurde und ebenfalls
einen Beweis für die reizende Primär -Wirkung der phosphorigen Säure abgibt.
Nach subcutanen Injectionen grösserer Gaben bildete sich schliesslich fettige
Degeneration der Leber aus, wie man sie bekanntlich nach Phosphorvergif-
tung antrifft.23)
3) Phosphorsäure H3P04, Acidum phosphoricum, wird durch Erwärmen vou
Phosphor mit Salpetersäure dargestellt. Die durch Abdampfen verjagte Salpetersäure
wird so lange in die Retorte zurückgeschüttet, bis alle phosphorige Säure in Phoä-
Shorsäure umgewandelt ist. Die aus dem Tubus der Vorlage sich entwickelnden
»ämpfe von Unter Salpetersäure, welche anfangs noch etwas Phosphordampf
enthalten, müssen entweder in die Feuerung oder in den Kamin geleitet werden. Der
Retorteninhalt ist schliesslich in einer Porcellanschale über freiem Feuer unter einem
gut ziehenden Rauchfange so lange zu erhitzen, bis keine salpetersauren Dämpfe
mehr entweichen.
Die gewöhnliche Phosphorsäure ist eine dreibasischeSäure; im concentrir-
testen Zustande hat sie Sy rupsco nsistenz, ist aber in allen Verhältnissen mit
Wasser mischbar. Die Phosphorsäure der Pharmacopöe hat ein spec. Gewicht
von 1,120, welches 20 Th. Phosphorsäure in 100 Th. Wasser entspricht; wird sie auf
den fünften Theil ihres Gewichts verdampft, so krystallisirt sie als Acidum phos-
phoricum siccum s. glaciale in langen, farblosen, prismatischen Krystallen.
Die Phosphorsäure bildet 3 Reihen von Salzen:
a) tertiäres oder neutrales Natriumpkosphat Na3P04, welches mit 12H20 in sechs-
seitigen Prismen krystallisirt;
b) secundäres oder einfach sanres Natrinmphosphat Na2HP04 (gewöhnliches
Natrnm phosphoricum), krystallisirt ebenfalls mit 12H20 und wird durch Neutralisiren
der Phosphorsäure mit Natriumcarbonat dargestellt; es ist das beständigste Salz
unter den Phosphaten und bildet einen wesentlichen Bestandtheil des Blutes; durch
Glühen wird es in neutrales pyrophosphorsanres Natrium Na4P207 verwandelt, welches
mit 10H20 krystallisirt und an der Luft nicht verwittert:
2Na2HP04 = Na4P2Or -1- H20.
c) primäres oder zweifach sanres Natriumphosphat NaH2P04 entsteht aus dem
secundären durch Zusatz von Phosphorsäure; durch Erhitzen auf 100° verliert es sein
Krystallwasser und geht in secundäres pyrophosphorigsanres Natrium Na2H2P.,07 über :
2NaH3P04 = Na2H2P207 + H20.
Steigert man die Hitze bis auf 240°, so bildet sich metaphosphorsaures Natrium
NaP03:
NaH2P04 = NaP03 -4- H30.
Die Pyrophosphorsäure H4P207 entsteht beim längern Erhitzen der gewöhnlichen
Phosphorsäure auf 200— 300° und stellt eine krystallinische Masse dar, welche als vier-
basische Säure Salze, die Pyrophosphate, liefert.
Die einbasische Metaphosphorsäure HP03 bildet sich, wenn die Phosphorsäure
bis auf 400° erhitzt wird.
Phosphorsäureanhydrid P205 wird durch Verbrennen von Phosphor in einem
Strom trockner Luft dargestellt.
Einwirkung der dampfförmigen 3basischen Phosphorsäure auf den thierischen
Organismus. Eine Taube sitzt in der Glocke; Luft wird zuerst durch ein Chlorcalcium-
rohr und alsdann über brennenden Phosphor geleitet; 0,1 Grm. Phosphor wurde ver-
braucht. Ein weisser Dampf von wasserfreier Phosphorsäure erfüllte die Glocke, worauf
die Taube unruhig wird und hastet; 4 M. nachher ist noch ein beständiges Aufhusten
vorhanden. Die Atmosphäre in der Glocke ist nach 15 M. wieder klar; nach 19 M.
Zuleitung von neuen Dämpfen, worauf sich der Husten wieder vermehrt; die Zahl der
beschleunigten Inspirationen fällt allmählig wieder auf 9 binnen % M. zurück. Da sich
Phosphorsäure - Industrie. 28 1
keine weitern Symptome zeigen, wird die Taube nach 30 M. heraus genommen. Der
Husten hält noch 3 M. lang in der bisherigen Weise an und wird allmählig seltener;
nur ein schwaches Schleimrasseln bleibt noch bemerkbar. Nach 2 Stunden sind alle auf-
fallenden Erscheinungen verschwunden; die Taube bleibt auch später gesund.
Es Hess sich von vornherein erwarten, dass die Dämpfe der Phosphorsäure
einen minder nachtheiligen Einfluss auf den thierischen Organismus ausüben
würden als die der phosphorigen Säure, da die Phosphorsäure in allen thierischen
Substanzen vorkommt und diese das Vermögen haben, eine ziemlich grosse Menge
Phosphorsäure zu binden; auch wird die vom Thierkörper aufgenommene Phos-
phorsäure als Natriumphosphat im Harn wieder ausgeschieden werden. Hierauf
beruht vorzüglich die weniger gefährliche Einwirkung der Phosphorsäure; auch
bei der Phosphorvergiftung wird sie sich daher erst in zweiter Linie geltend
machen, nachdem die deletäre Wirkung der phosphorigen Säure schon ihren
Abschluss gefunden hat. Dass grössere Gaben von Phosphorsäure, welche dem
Blute zugeführt werden, schliesslich fettige Degenerationen der Organe erzeugen
werden, ist selbstverständlich; es wird dies aber niemals so prägnant er-
folgen wie bei der Schwefelsäure, da sie überhaupt viel milder als diese
einwirkt.
Phosphorsäure - Industrie.
Die Darstellung der Phosphorsäure im Grossen geschieht aus gebrannten
Knochen mittels Schwefelsäure, da diese Methode die billigste ist; sie ist aber in
Bezug auf die zu gewinnende Reinheit der Säure die schwierigste. Man beob-
achtet ein zweifaches Verfahren hierbei: 1) Man schliesst die Knochen mit einem
Ueberschuss von Schwefelsäure auf; nach der Trennung des Gipses wird die
Lösung in mit Blei ausgefütterten Pfannen eingedampft, wobei sich noch fort-
während Gips ausscheidet, der mittels eiserner verbleiter Schaumlöffel entfernt
wird. Wenn die Temperatur bis auf 300° gestiegen ist, lässt man die Pfanne
bedeckt erkalten.
Bei diesem Abdampfen nimmt die saure Lösung eine veilchenblaue Farbe an,
welche von einem Arsengehalt herrührt; man setzt alsdann der erkalteten Lösung"
unterschwefligsaures Ammonium zu, um Arsen als Schwefelarsen auszu-
scheiden.
Die Flüssigkeit wird in hölzerne, mit Blei ausgefütterte Bottiche abgelassen und
unter fortwährendem Umrühren so lange mit 90procentigem Weingeist versetzt, als noch
eine Trübung erfolgt; der Niederschlag besteht aus Magnesium-, Natrium- und Calcium-
salzen.
Man unterwirft nun die alkoholische Lösung der Phosphorsäure der Destillation,
um den Weingeist abzuscheiden. Der Kolben des Destillationsapparates steht in einer
Sandkapelle, dessen aufgeschliffener Helm mit einer Kühlschlange verbunden und mit
einem Tubus versehen ist, durch welchen eine zu einer Spitze ausgezogene Glasröhre
bis in die Flüssigkeit geführt wird. Sobald die Flüssigkeit ins Sieden gekommen ist,
wird durch die Glasröhre alkoholische Phosphorsäure zugelassen und zwar so viel, als
man an Destillationsproduct gewinnt. Das Destillat besteht aus Aether, Alkohol, zu-
weilen Fuselöl, im letzten Stadium aus schwefliger Säure und geringen Mengen von
Kohlensäure. Wenn sich keine Weingeistdämpfe mehr entwickeln, lässt man den Inhalt
erkalten und erhitzt ihn alsdann in grossen verplatinirten Porcellanschalen auf freiem
Feuer unter einem gut ziehenden Rauchfange und zwar so lange, bis alle Schwefelsäure
verdampft ist.
Neben Schwefelsäure entwickeln sich, wenn der Weingeist unrein war,
schweflige Säure und, im Falle die Schwefelsäure arsenhaltig war, nicht selten
arsenige Säure. Es sind deshalb dieselben Vorsichtsmassregeln anzuwenden, welche
schon früher bei der Darstellung des sauren Calciumphosphats angegeben worden sind;
namentlich ist die Leitung der Dämpfe durch weiss gebrannte Knochen zu empfehlen.
Schliesslich gibt man der Säure eine geringe Menge Ammoniumnitrat zu, welches
282 Arsen.
dieselbe durch seinen SauerstoÖ' bleicht. Auf diese Weise erhält man Acidum phos-
phoricum glaciale ex o.-.-ibus.
In vielen Fabriken wird das Mischen mit Alkohol umgangen und die in den Blei-
pfannen concentrirte Phosphorsäure in grossen Porcellanschalen bis zum Verdampfen
der Schwefelsäure erhitzt. Es scheidet sich hierbei eiDe nicht unbeträchtliche Menge
von Magnesium- und Calciumsulfat aus, wodurch das Gefäss nicht selten dem Springen
ausgesetzt wird, weshalb dieses Abdampfen in einer Sandkapelle stattfinden muss.
Es entwickeln sich hierbei Dämpfe von Schwefelsäure und arseniger
Säure und bisweilen auch von etwas Salzsäure, weshalb die oben erwähnten Vor-
sichtsmassregeln auch hier nothwendig sind.
Im letzten Stadium des Abdampfens setzt man, um die Säure zu reinigen,
und alle Reste der Schwefelsäure wegzubringen, eine gewisse Menge gut ausgeglühter
Kohle zu, wobei sich eine geringe Menge seh wefliger Säure entwickelt. Die auf diese
Weise dargestellte Säure ist aber weit mehr verunreinigt als die nach der zuerst er-
wähnten Methode gewonnene.24)
2) Zur Darstellung höchst reiner Phosphorsäure resp. phosphorsaurer Am-
moniurasalze, welche zum Tränken der Dochte der Stearinkerzen benutzt
werden, geschieht das Aufschliessen der Knochenasche und das Eindampfen in
bleiernen Pfannen ganz nach der bei der ersten Methode angegebenen Weise;
der Unterschied liegt nur darin, dass man die syrupsdicke Phosphorsäurelösung
mit rohem Aetzammoniak oder rohem Ammoniumcarbonat sättigt. Es fallen
hierbei Calciumphosphat, Ammoniuin-Magnesiumpho.sphat und Calciumsulfat neben
arsenig- und arseniksaurem Ammonium nieder; dieser Niederschlag ver-
dient daher alle Beachtung.
Die klare Lösung von neutralem phosphorsaurem Ammonium wird nun
in Porzellanschalen, welche inwendig versilbert oder verplatinirt sind, zuerst eingedampft
und schliesslich unter einer Art von Muffel geglüht. Das Ammoniak und die Schwefel-
säure gehen weg: es entwickelt sich Ammoniak neben schwefliger Säure und
Schwefelsäure und reine Phosphorsäure bleibt zurück. Auf diese Weise erhält man
die reinste Phosphorsäure.
Die phosphorsauren Rückstände, welche durch das Ammoniak ausgeschieden wor-
den sind, werden entweder beim Aufschliessen mit in Verarbeitung genommen oder des
Phosphorsäuregehaltes wegen als Dünger verwendet.
Technische Verwendung der Phosphorsänre. Concentrirte Lösungen der
Phosphorsäure werden in der Palingraphie angewendet; ihre Wirkung hierbei
ist ähnlich der der Schwefelsäure bei der Bereitung von Pergamentpapier. In
der Zeugdruckerei dient die Phosphorsäure als Ersatz der Wein-. Citronen-
und Oxalsäure; bei der Brotbereitung ohne Hefe spielt sie eine wichtige
Rolle (s. S. 87).
Phosphorsaure Salze kommen in der Metallurgie zur Anwendung;
sie bilden dort eine schützende Decke, welche das geschmolzene Metall vor
weiterer Oxydation schützt, das beim Metall vorhandene Oxyd auflöst und in die
Schlacken überführt; sie köunen somit namentlich beim Feinschmelzen des Goldes
und Silbers den Borax vertreten.
Auch beim Löthen werden phosphorsaure Alkalien zum Reinigen der
Metalloberrläche von der noch vorhandenen Oxvdschicht benutzt.
Arsen As.
Arsen ist in der Natur sehr verbreitet und kommt fast in jeder Gebirgsart und
deshalb auch in den meisten Mineralwässern vor. Gediegen zeigt es sich im Scherben-
kobalt oder Fliegenstein, am häufigsten aber in Verbindungen und zwar mit
Sauerstoff als Arsenikblüthe (Arsenigsäureanhydrid As303), mit Schwefel als
Realgar (As2Sa) und Aurigpigment (AsgSa), mit Schwefel und Eisen im Arsen-
Wirkung der Dämpfe des Arsens. 283
kies (FeAs2FeS2), mit Kobalt und Nickel im Speisekobalt (CoAs2) und Kupfer-
nickel (NiAs), mit Schwefel, Antimon- und Kupfer im Arsenkupfer, mit
Wismutb im Arsenglanz u. s. w.; mit Schwefel, Antimon, Zink, Kupfer und Queck-
silber in den Fahlerzen und Rothgiltigerzen.
Arsen tritt in stahlgrauen Krystallen oder in einer schwarzen, amorphen, glän-
zenden Masse auf; es ist unlöslich in Wasser und verändert sich nicht an der trocknen
Luft. Es ist der einzige Körper, welcher direct aus dem festen Zustande
in den dampfförmigen übergeht; die Dämpfe oxydiren sich an der Luft zu
Arsenigsäureanhydrid. Ohne Veränderung ist es in fetten Oelen löslich; Salpetersäure
oxydirt es zu Arsenigsäureanhydrid und Königswasser zu Arsensäure. Es verbrennt an
der Luft mit weisslich-blauer Farbe zu Arsenigsäureanhydrid.
Einwirkung der Dämpfe von Arsen auf den thierischen Organismus, l) Es
wurden 2 Grm. pulverisirtes Arsen in eine Glasröhre gebracht und erwärmt; dann
wurde die Luft mittels der Compressionspumpe in 5 Kolbenstössen durch dieselbe in
den grossen Glaskasten, in welchem eine Taube sass, getrieben. Beim Eintritt der
Dämpfe wurde die Taube unruhig, nach 30 M. trat Erbrechen ein und die Nasenlöcher
wurden feucht; ersteres wiederholte sich mehrmals. Nach einer nochmaligen Eintreibung
der Dämpfe grössere Unruhe, starkes Schütteln des Kopfes und Gähnen, nach 50 M.
beschwerliche Respiration, nach 59 M. viel Brechwürgen, nach 1 Stunde Herausnahme
der Taube, nachdem 0,16 Grm. Arsen verbraucht worden. Bemerkenswerthe Krank-
heitserscheinungen wurden nicht beobachtet.
2) Nach 6 Tagen wurde diese Taube nochmals den Dämpfen ausgesetzt, wozu
0,560 Grm. Arsen verbraucht wurden. Nach 15 M. starkes Würgen und nach 20 M.
Erbrechen, welches sich unter Würgen noch mehrmals wiederholt. Nach 1 Stunde
Herausnahme der Taube; sie verhält sich ruhig, frisst fast nichts und bläht sich nur
oft auf. Ausser einem vermehrten Durst bemerkt man Nichts an ihr; auch Bewegung
und Inspiration sind normal. Am 2. und 3. Tage Abgang flüssiger Excremente, verlang-
samter Herzschlag und grosse Scheu vor Bewegung; am 4. Tage sitzt sie meistens und
bläht sich auf, gegen Abend wird die Respiration verlangsamt, Aufsperren des Schnabels
bei jeder Inspiration ; bei Gehversuchen flattert sie mit den Flügeln und stürzt auf den
Kopf. Späterhin liegt sie auf der Seite bei sehr langsamer und beschwerlicher Respi-
ration und kaum wahrnehmbarem Herzschlage, bis der Tod unter progressiver Abnahme
der Herzthätigkeit ohne alle Convulsionen ganz allmählig eintritt.
Section nach 20 Stunden. Leiche sehr abgemagert, im Kröpfe kein Futter und
im Magen nur Steinchen. In der Schädelhöhle und im Wirbelcanal fast gänzliche
Blutleere; die Lungen von blasser, ziegelrother Farbe; am untern Ende der
rechten Lunge eine Ekchymose von 4 Linien Durchmesser, das Lungenparenchym ist
an dieser Stelle etwas hart und grau gefärbt; am untern Rande der linken Lunge eine
etwas kleinere Ekchymose; die hintere Fläche beider Lungen ist rothbraun marmorirt,
auf den Durchschnittsflächen ein feiner weisser Schaum. In den grössern Blutgefässen
ein wenig hellrothes Blut; in beiden Vorhöfen des Herzens schwarzes geronnenes
und nur wenig flüssiges hellrothes Blut, welches beim Eintrocknen braunroth wird;
viele Blutkügelchen sind eingerissen oder verschrumpft. Leber braunroth mit geringem
Gehalte an flüssigem, dunkelrothem Blute; Nieren braunroth; die Därme sind mit
einem schaumigen Schleim angefüllt. Chemisch Hess sich in Lunge und Leber Arsen
nachweisen.
Sowohl die Wirkungslosigkeit der Dämpfe im ersten Falle als auch der
langsame Verlauf der Vergiftung im zweiten Falle waren durch die reichliche Ver-
mischung derselben mit atmosphärischer Luft bedingt. Die Intoxication kündigte
sich im zweiten Falle erst deutlich nach 3 Tagen durch verminderte Fresslust,
erhöhten Durst, Diarrhoe und ein allgemeines Unbehagen an, bis die Alteration
des Respirationsprocesses, das verlangsamte und beschwerliche Athmen und die
damit eng verbundene Verlangsamung des Herzschlages die Vorläufer des letalen
Ausgangs wurden.
Dass sich die arsenikalischen Dämpfe im Organismus in arsenige Säure
verwandeln, ist als höchst wahrscheinlich anzunehmen; sie oxydiren sich bereits
theilweise an der atmosphärischen Luft und haben in dieser Beziehung Aehnlich-
keit mit den Phosphordämpfen; wird dann Arsen in Dampfform inhalirt, so tritt
hauptsächlich die Wirkung seiner Oxydationsproducte zu Tage.
284 Arsen.
Wie Betäubimg und Schwindel, so steigerte sich auch die Dyspnoe;
gleichzeitig entwickelte sich eine zunehmende Verlangsamung der Herzthätigkeit,
bis vollständige Herzlähmung die Scene beschloss. Lähmung des Herzens und
der Nerveucentren fallen offenbar bei der Inhalation der Arsendämpfe schliesslich
zusammen, Erscheinungen, die in allen spätem Versuchen als Wirkungen der
arsenigen Säure auftreten werden.')
Arsenindustrie.
Bei der Gewinnung des Arsens wird im Allgemeinen selten Arsenkies
auf Arsen verarbeitet; am häufigsten wird es als Nebenproduct bei der Ver-
hüttung von arsenikalischeu Erzen (Nickel, Kobalt u. s. w.) gewonnen. Bei
der Förderung arsenhaltiger Erze und beim Ausklauben und Pochen derselben
müssen die Arbeiter stets die grösste Vorsicht gebrauchen, sich Schwämme vor
den Mund bindeu und namentlich Gesicht und Hände mit Oel . oder Fett ein-
reiben.
Bei der Aufbereitung der Erze durch Pochen und Schlemmen auf Stoss-
herden ist der Arsengehalt der Abwässer zu berücksichtigen: eine ganz besondere
Beachtung verdienen diejenigen Erze, welche im Spätherbste gefördert und erst
in dem darauf folgenden Frühjahre zur Verarbeitung kommen; hier hat nämlich
der Verwitterungsprocess, welcher noch besonders durch den Frost begünstigt
wird, eine grosse Menge arseniger Säure resp. arsenigsaurer Salze erzeugt, die durch
ihre Löslichkeit und leichte Zersetzbarkeit eine besonders giftige Einwirkung auf
die Arbeiter ausübeu. Dass diese Vorräthe von arsenikalischeu Erzen durch
einen solchen Verwitterungsprocess und das nachträgliche Auswaschen durch
Regen u. s. w. auf die Wasserzuflüsse, Bäche u. s. w. einen nachtheiligen Einfluss
ausüben können, unterliegt keinem Zweifel; durch Ueberfluthungen können ganze
Strecken Wiesenlandes zu Grunde gehen.
Bei der Verhüttung kommt die Sublimation zur Anwendung; nachdem
die Erze durch Aufbereitung von der Gangart befreit worden sind, werden sie
in Schlich verwandelt und mit Kohlenpulver gemengt. Das Gemisch bringt
man in 2 — 3 Fuss lange thönerne, röhrenförmige Retorten, welche in einen
Galeerenofen eingelegt und mit Vorlagen verbunden sind.
In Schlesien und Sachsen benutzt man Arsenkies, welchen man mit etwas
Eisen vermischt erhitzt; das zurückbleibende Schwefeleisen wird wegen seines Gold-
gehaltes auf Gold verarbeitet, nachdem es vorher durch den Verwitterungsprocess in
Eisenvitriol übergeführt worden ist, den man als Nebenproduct gewinnt; derselbe
ist übrigens nie arsenfrei.
Die Vorlagen der Retorten communiciren bei der schlesischen und säch-
sischen Methode mit Abzugsröhren, die in eine Giftkammer münden. Diese stellt
einen grossen, aus sechs miteinander communicirenden Abtheilungen bestehenden Thurm
dar, in dem die Dämpfe zickzaekförmig von unten nach oben bis zu einem am Dache
mündenden Schlot steigen.*)
Zerenner hat zu diesem Zwecke sogenannte Pilzdachkammern construirt,
welche vorzugsweise im böhmischen Erzgebirge bei den Uranhütten (Uranpecherzen) in
Anwendung kommen. Der Pilzstamm («) (Fig. 32) ist gemauert, während die Dächer
*) In Schlesien wurden früher flache Muffeln von feuerfestem Thon benutzt, die
etwas schräg lagen und durch ein in zahlreichen Zügen um sie spielendes Feuer glühend
gemacht wurden. Am hintern Ende der Muffeln führten zwei Oeffnungen die
arsenikalischen Dämpfe in einen abwärts gehenden und in ein Gewölbe mündenden
Canal; dieses Gewölbe stand noch mittels puip? Cnnais mit dem eigentlichen Gift-
thurm in Verbindung.
Arsenindustrie.
285
(b) aus Dachziegeln bestehen: die Dämpfe stossen sich überall an den vorspringenden
Dächern ab: bei e ist der Canal, welcher mit den Vorlagen communicirt und die
Dämpfe aufnimmt. Sehr zweckmässig ist es, wenn das Aus-
mündungsrohr [d) noch in lange horizontal geschleifte Gift-
fänge übergeht.
Das verflüchtigte Arsen enthält noch arsenige
Säure und wird deshalb einer nochmaligen Sublimation
mittels Kohle, unterworfen: dies geschieht in eisernen Kesseln
mit aufgesetztem Hute, der mittels einer eisernen Tülle mit
einer Gestübbekammer oder mit der erwähnten Pilzdach-
kammer in Verbindung steht (s. Stracken). Der Hut wird
nach beendigtem Processe abgenommen und von seinem In-
halte durch Klopfen entleert; der Staub ist durch die Bei-
mischung von arseniger Säure, welche im ersten und
letzten Stadium der Sublimation stets auftritt, sehr gefährlich.
Die Condensation wird durch das Auftreten von Kohlenoxyd
und Kohlensäure sehr erschwert.
Schröder stellte 1691 zuerst Arsen dar, während Brandt
es 1773 zuerst aus der arsenigen Säure gewann.
Bei der Verhüttung ist da^ Beschicken und Ent-
leeren der Retorten oder Muffeln für die Arbeiter eine sehr
gefährliche Manipulation ; es sind hierbei das Tragen von
Masken oder Schwämmen, das Einreiben der Hände und
des Gesichts mit Fett oder Oel sowie der Genuss sehr fetter Speisen ganz besonders
zu empfehlen.
Bezüglich des Vv egführens der arsenikalischen Verbrennungs- oder Entwicklungs-
gase ist zu bemerken, dass die Abzugscanäle nie mit Schiebern oder Klappen versehen
sein dürfen, weil dadurch eine willkürliche Hemmung oder Verlangsamuno- in der Weg-
führung der betreffenden Gase bewirkt werden kann: nur in den Zuführungscanälen,
welche die atmosphärische Luft zum Ofen führen, dürfen mit Oeffnungen versehene
Schieber, sogenannte Scheibenschieber, angebracht werden. Es ist überhaupt dafür
zu sorgen, "dass alle arsenikalischen Gase und Dämpfe so rasch wie möglich zu den
Condensationsvorrichtungen hingeführt oder, wenn sich solche im Arbeitsiocale ange-
sammelt haben, daraus entfernt werden. Für letztern Fall müssen solche Räume stets
mit kräftig wirkenden Ventilationsvorrichtungen versehen sein.
Die Arbeiter, welche sich mit der Aufbereitung der arsenikalischen Erze
oder mit der Entleerung der Giftfänge beschäftigen, leiden vorzugsweise an Haut-
affectionen, an heftig juckenden Papeln und Pusteln, an der sogen. Hütten-
krätze. Durch Uebertragung des arsenikalischen Staubes finden sich solche
Hauteruptionen auch häufig an den zarten Stellen des Körpers, z. B. an den Ge-
schlechtsteilen oder im Gesichte: hauptsächlich bemerkt man sie an den Händen
und Armen, weil diese Körpertheile zunächst mit dem gefährlichen Staube in Be-
rührung kommen.
Es ist darauf aufmerksam zu machen, dass sich unter Umständen bei der Sub-
limation des wasserhaltigen Schlichs leicht arsenige Säure und Arsenwasser-
stoff entwickeln, wodurch die Arbeiter einer grossen Gefahr ausgesetzt werden:
Schutz der Nase und des Mundes sowie kräftigste Ventilation des Arbeitsraumes
müssen hier die Prophylaxis bilden.
Die grösste Aufmerksamkeit ist ferner auf die Dichtigkeit der Subli-
mationsapparate zu verwenden, damit das metallische Arsen nicht mit der
Feuerluft fortgerissen und als arsenige Säure durch den Schornstein in der
nächsten Umgebung abgelagert wird; für die Arbeiter bleibt der Zeitpunkt vor
der festen Lutirung zwischen den Vorlagen und den Retorten der gefährlichste,
weshalb hier stets die grösste Vorsicht nothwendig ist.
Die gebrauchten Retorten sind sorgfältig aufzubewahren; werden sie als
Zusatz zu der neuen Retortenmasse verwendet, so muss das Brennen unter den
grössten Cautelen geschehen, damit die arsenikalischen Dämpfe condensirt werden.
286 Arsen und Wasserstoff.
Technische Verwendung des Arsens. Sie ist im Alleemeinen selten; man benutzt
es zu Legirungen und statt der arsenigen Säure in der Schrotfabrication, aber vorzugs-
weise zur Darstellung von Arsenpräparaten; von seiner frühern Benutzung als Fliegengift
hat es den Namen Fliegenstein erhalten.
Arsen und Wasserstoff.
Arsenwasserstoff AsH3 wird durch Auflösen von Arsenzink in Salzsäure dargestellt:
As2 Zn3 -4- « '. HCl = 2 AsH3 -+- 3 Zu Cl?.
Dies farblose und geruchlose Gas gehört zu den gefährlichsten Gasen ; es ver-
brennt mit stahlblauer Flamme zu Wasser und Arsenigsäureanhydrid. Beim Durchleiten
durch brennende Röhren zerlegt es sich in Wasser und Arsen; auch kalte Körper,
welche man in die Flamme bringt, beschlagen stets schwarz durch niedergeschlagenes
Arsen.2)
Einwirkung des Arsenwasserstoffs auf den thierischen Organismus. Arsenwasser-
stoff ist deshalb eins der giftigsten und gefährlichsten Gase, weil schon die geringsten,
kaum merkbaren Mengen desselben höchst nachtheilige Folgen haben können. Bei einer
jungen Katze traten schon bei 0,168% des Gases Thränen der Augen, Gähnen, krampf-
haftes Inspiriren und Unvermögen sich aufrecht zu halten ein. Ein Zusatz von 0,079 °/0
rief Dyspnoe und häufiges Erbrechen hervor, bis unter zunehmender Schwäche, stetiger
Abnahme der Respiration, unter convulsivischen Bewegungen und heftigem Zittern der
Extremitäten der Tod im Verlaufe von 30 Minuten eintrat.3)
Bei Menschen gibt sich das erste Unwohlsein durch Brechneigung, Auf-
stossen und Zerschlageuheit der Glieder zu erkennen, wozu sich alsbald eine
gelbe oder gelbbraune Hautfärbuug gesellt. Oppression der Brust, Schwindel,
Kopfschmerzen und starke Schlafsucht, aus welcher die Krauken kaum zu wecken
sind, sowie pappiger Geschmack bei Trockenheit des Mundes, grosser Durst, ein be-
schleunigter Puls, Drang zum üriniren nebst Abgang eines blutig gefärbten Urins,
bisweilen auch ein blutig gefärbter Stuhlgang setzen ein Krankheitsbild zusammen,
bei welchem entweder erst nach mehreren Monaten Genesung eintritt oder der
Tod erfolgt, indem die Haut sich mit kaltem Schweisse bedeckt, die Somnolenz
anhält, der Puls immer beschleunigter und kleiner wird.4) Es ist auch hier der
Herztod, welcher sich ähnlich wie bei der arsenigen Säure geltend macht;
indem aber der Arsenwasserstoff, von den Respirationswegen aufgenommen, auf
einer grossen Fläche seine Wirkung entfaltet und direct in's Blut gelangt, müssen
sich auch die Folgen weit rascher und iutensiver äussern.
Die Vergiftung stimmt mit der durch die Dämpfe arseniger Säure er-
zeugten auch insofern überein, als hier ebenfalls Erbrechen, Blutharnen,
Betäubung, Ohnmächten, Zittern nnd eine namenlose Angst (in Folge
der alterirten Herzthätigkeit) als vorherrschende Symptome auftreten.
Bei Thieren fallen besonders die dintenartige Beschaffenheit des Blutes
und die von der Blutfarbe abhängige schwärzliche Färbung des Gehirns, der Lunge und
der Leber auf. Auf den Durchschnitten des Lungenparenchyms treten ebenfalls schmutziger
Schaum und nur etw^as schwärzliches Blut aus; der Schaum füllt sämmtliche Luft-
wege aus, deren Schleknhaut schwärzlich gefärbt ist. Nur im rechten Herzen schwarzes
und flüssiges Blut; in der Schädelhöhle sind die Sinus mit schwarzem Blute angefüllt.
Die intensive Wirkung des Arsenwasserstoffs auf das Blut lässt sich, abgesehen
von seiner auffälligen Farbe, bestimmt durch die Spectral-Analyse nachweisen. Das
Oxyhämoglobin wird nämbch reducirt und schliesslich ganz eerstört. Die zwischen D und
E des Spectrums gelegenen Streifen verschmelzen und verschwinden schliesslich ganz ;
Einleitung von Sauerstoff ändert an diesem Zustande nichts; die Blutkörperchen haben
somit ihre Fähigkeit zur Aufnahme des Sauerstoffs verloren, werden auch zum Theil
aufgelöst, wodurch Blutfarbstoff diffundirt und das Blutharnen erklärt wird.5)
Um das vom Blute aufgenommene Arsen nachzuweisen, empfiehlt sich folgende
Methode: Das Blut wird in einem langhalsigen Kolben mit Salzsäure und chlorsaurem
Kalium bis zur Zerstörung des Hämoglobins behandelt; die erhaltene Flüssigkeit neu-
tralisirt man vorsichtig mit Ammoniak und säuert sie dann wieder mit Salzsäure an.
Dann leitet man Schwefelwasserstoff bei einer Erwärmung auf wenigstens 80° C. durch
Arsenwasserstoff in der Industrie. 287
und lässt die nach Schwefelwasserstoff riechende Flüssigkeit so lange stehen, bis der
Geruch verschwunden ist. Der gesammelte Niederschlag (Schwefelarsen) wird mit
rauchender Salpetersäure behandelt und mit Schwefelsäure erwärmt, um die Salpeter-
säure zu verjagen; um letztern Zweck vollständig zu erreichen, lässt man die Flüssig-
keit erkalten, verdünnt sie mit Wasser und erwärmt sie nochmals. Den filtrirten Nieder-
schlag unterwirft man zuletzt, wie üblich, dem Marsh.' sehen Apparate.
An den Leichen der durch Arsenwasserstoff umgekommenen Menschen bleibt
die Haut und die Conjunctiva schmutzig- gelb, auch alle Gewebe des Körpers sind
schmutzig-gelb gefärbt. Aus Nase und Mund üiesst bisweilen eine schwärzliche, nach
Knoblauch riechende Flüssigkeit. Die Pia mater ist sehr gefässreich und in den
Windungen des Gehirns befindet sich eine Lage serös-blutiger Flüssigkeit; selbst die
Substanz des nicht blutreichen Gehirns fällt durch eine schmutzig-gelbe Färbung auf.
Die Lungen sind meist blutarm, blaugelb marmorirt und auf den Durchschnitts-
flächen tritt eine dunkelrothe, schaumige Flüssigkeit aus: die Schleimhaut des Larynx
und der Trachea ist schmutzig-gelbgrün gefärbt. Im rechten Herzen findet sich mehr
oder weniger schmutzig-dunkles geronnenes Blut, während das linke Herz gewöhnlich
leer ist. Die grüngelbe Leber ist meistens blutleer, die Nieren sind blutreich,
dunkelroth: die Milz ist braunschwarz und in der Harnblase findet sich blutiger
Urin.
Die Genesung erfolgt äusserst langsam und viele Monate hindurch können
Schwäche und Hinfälligkeit noch anhalten; vergleicht man diese Reconvalescenz
mit der Erholung nach Einwirkung der arsenikalischen Dämpfe, so kann es
nicht zweifelhaft sein, dass mittels des Speichels, der Faeces und des Urins
das aufgenommene Arsen wieder ausgeschieden und dadurch die Genesung bedingt
wird; im Urin lässt sich dasselbe in solchen Fällen leicht nachweisen.6)
Auf Pflanzen wirkt Arsenwasserstoff ebenfalls zerstörend ein; die Blumen
werden welk, die Blätter bekommen mehr oder weniger gelbe und braune Flecke
oder werden hellbraun; Samen von Kresse verlor in Berührung mit dem Gase
seine Keimkraft.7)
Vorkommen von Arsenwasserstoff in der Industrie. Die Behauptung, dass in
mit arsenhaltigen Tapeten bekleideten Wohnräumen sich Arsen wasserstoffgas
entwickeln könne, ist vielfach bekämpft worden. Fleck hält nach seinen Ver-
suchen diese Möglichkeit aufrecht und macht zunächst darauf aufmerksam, dass
in keinem Schweinfurter Grün ein, wenn auch geringer, Gehalt an ungebun-
dener arseniger Säure fehle; die Entwicklung von Arsenwasserstoff finde
nun als Zersetzungsproduct dieser freien arsenigen Säure vorwaltend unter Mit-
wirkung der Zimmerfeuchtigkeit und organischen Materien und zwar haupt-
sächlich der organischen Bindemittel statt. s)
Fleck nimmt hiernach an, dass überall, wo organische Stoffe mit freier
arseniger Säure zusammentreten, die Entwicklung von Arsenwasserstoff
möglich sei und somit in einer Zimmerluft unter den angeführten Bedingungen
vorkommen könne, wo Schweinfurter Grün als Anstrich der Wände oder mittels
Tapeten verwendet worden sei.
Immerhin bildet jedoch das Abstäuben der arsenhaltigen Farben einen
wesentlichen Factor in den meisten Fällen derartiger Vergiftungen; siud die
Tapeten mit Schweinfurter Grün bearbeitet, so ist namentlich durch das Auffinden
von Kupfer und Arsen im Urin der betreffenden Kranken mit Bestimmtheit der
Tapetenstaub als Krankheitsursache nachgewiesen.9)
Auch ist auf den Umstand noch aufmerksam zu machen, dass bei Tapeten, welche
mit einem schlechten, aus fauligen Stoffen dargestellten Leim aufgeklebt werden, sich
stets ein höchst unangenehmer Geruch in den betreffenden Wohnräumen entwickelt.
Auch kann die Essigsäure des beim Tapetendruck benutzten Schweinfurter
Grüns bei Feuchtigkeit und Schimmelbildung eine Zersetzung erleiden, welche als
Hauptproduet die Propionsäure liefert. Bildet diese mit dem Kalk des Mörtels ein.
288 Arsen und Halogene.
f>ropionsaures Salz, so kann dasselbe durch die Einwirkung der atmosphärischen Koh-
ensäure zersetzt werden: die sich entwickelnde Propionsäure gibt dann zu einem höchst
unangenehmen Gerüche Veranlassung.
Zur Gewinnung des Silbers aus Blei auf Bleihütten wird dem geschmolzenen
Blei Zink zugesetzt; das Silber legirt sich mit dem Zink und scheidet sich als silber-
haltiger Zinkschaum aus; bei dem Acte nun, wenn durch Zusatz von Salzsäure
das unlösliche Chlorsilber voui löslichen Chlorzink geschieden wird, kann sich
Arsenwasserstoff in sehr grossen Mengen entwickeln, da Blei und Zink nie
arsenfrei, die käufliche Salzsäure aber stets sehr arsenhaltig ist.
Wird diese Arbeit an einem offenen Kessel vorgenommen und bleiben die Arbeiter
dem massenhaft ausströmenden Gase, ausgesetzt, so bilden sich, wie die Erfahrung schon
hinreichend bewiesen hat, die schwersten Krankheitszustände aus, welche entweder erst
nach Monaten in Genesung übergehen oder sich unaufhaltsam weiter bis zu einem letalen
Ausgange entwickeln.
Ein hermetischer Verschluss der Kessel, in welchen der Process vor sich geht, ist
absolut erforderlich: die Säure muss langsam durch ein im Deckel angebrachtes und
gebogenes Glas- oder Bleirohr zufliessen. damit ein Selbstverschluss stattfindet: ein
anderes für die Ableitung des Gases bestimmtes Rohr führt diese in eine Feuerung; dieVer-
brennungsproducte müssen, ehe sie in den Schornstein gelangen, einen Raum passiren,
in welchem auf Hürden Calciumhydrat aufgestreut ist, mit welchem sich die arsenige
Säure verbindet. Das entstandene Calciumarsenit muss sorgfältig aufbewahrt und ent-
sprechend verwerthet werden.
Beim Verbleien des Eisenblechs wird letzteres vorher mit Salzsäure
oder Schwefelsäure gebeizt ; es bildet sich wegen des Arsengehaltes dieser
Säuren stets auf der einen Seite Arsenwasserstoff und auf der andern Seite
wegen des Kohlen- und Schwefelgehaltes des Eisens Kohlen- und Schwefel-
wasserstoff. Die Arbeit muss deshalb stets unter einem gut ziehenden Schlot
vorgenommen werden, wenn die Quantität der betreffenden Gase gering ist; ihre
Qualität fordert aber stets zu grosser Vorsicht auf.
Beim Verzinnen des Eisenblechs dürfen ebenfalls nur reine Schwefel-
säure und Salzsäure zum Beizen benutzt werden; aber auch das Zinn kann arsen-
haltig sein, obgleich vorschriftsmässig nur reines Zinn genommen werden soll,
das ausserdem noch im geschmolzenen Zustande durch eine Decke von Talg vor
Oxydation zu schützen ist.
Arsen und Halogene.
1) Arsenchlorid AsCl3 bildet sich, wenn man trocknes Chlorgas über arsenige
Säure leitet und stellt eine farblose, rauchende Flüssigkeit dar, welche sich mit wenig
Wasser mischt, allmählig aber zersetzt:
AsCl3 + 2H20 = AsCl(OH)2 -h 2 HCl.
Durch vieles Wasser zersetzt es sich zu Arsenigsäureanhydrid und Salzsäure.
Einwirkung des Arsenchlorids auf den thierischen Organismus. 2 Grm. Arsen-
chlorid wurden in einen kleinen Kolben gebracht und erwärmt; mittels der Compressions-
pumpe wurden die Dämpfe eingetrieben. Nach 8 M. grosse Unruhe, starkes Reiben der
Nase, Anschwellen der Augenlieder: nach 10 M nochmalige Zufuhr der Dämpfe, dann
Dyspnoe und Thränen der Augen; nach IG M. ist die Respiration mit tiefem Einziehen
der Weichen verbunden, beständiges Yibriren am Unterkörper, leichtes Zittern des
Kopfes; nach 20 M. Herausnahme des Kaninchens. Sein Maul ist weiss von ausge-
schiedener arseniger Säure, Cornea trübe, in den Augenwinkeln weisser Schleim und
die gerötheten untern Augenlieder ein wenig nach aussen gekehrt: es sitzt mit ge-
spreizten Hinterbeinen und wankendein Kopfe da: nach 7 M. lässt es wie ein Schlafen-
der den Kopf immer tiefer sinken und schreckt dann plötzlich wieder auf, grade
als ob es gegen die Betäubung ankämpfen wollte. Nach 10 M. schreit es plötzlich auf
und wird convulsiviseh eine Strecke weit fortgeschleudert; dann bleibt es mit gespreiz-
ten Beinen auf dem Bauche bei unregelmässiger Respiration und schwankendem Kopfe
liegen. Unter schlnmmersüchtigem Zustande, Abnahme der Respiration und des Herz-
schlags stirbt es nach :iö Minuten.
Section nach 6 Std. Die Schleimhaut der Coniunctiva und der Augenlieder geröthet,
Arsencklorid. 289
die Hornhaut trübe; die Hirnhäute stark kyperämisch, auf den Corp. quadrigem. etwas
geronnenes und flüssiges Blut; Plex. venös, spin. angefüllt; Nacken- und Halsmuskeln
stellenweise blutig infiltrirt. Lungen von hellrother Farbe mit braunrother und stellen-
weise schwarzbrauner Marmorirung: auf den Schnittflächen überall weisser Schaum und
flüssiges Blut; ein röthlicher Schaum bedeckt die intensiv dunkelroth gefärbte Tracheal-
schleinihaut bis zum Larynx. Im rechten Herzen und im linken Vorhof schwarzes,
fest geronnenes Blut: das flüssige Blut ist braunroth mit einem Stich ins Violette, färbt
sich aber an der Luft hellkirschroth; viele Blutkügelchen sind ungleich gerändert und
schwach eingekerbt. In der Brusthöhle hat sich ein wenig flüssiges Blut angesammelt.
Leber blassbraunroth und ziemlich reich an flüssigem und geronnenem Blute; die Milz
blassroth, die Harnblase leer. In den grössernVenen flüssiges und geronnenes Blut; in
Lunge und Leber konnte Arsen nachgewiesen werden.
2) 4 Grm. wurden in einem KÖlbchen erwärmt und die sich entwickelnden
Dämpfe in den kleinen Zinkkasten getrieben, in welchem eine Taube sass. Schon nach
2 M. floss ein weisser Schaum aus der Nase; nach 6 M. 35 kurze Inspirationen binnen
1/i M. mit jedesmaligem Oeffnen des Schnabels, dabei grosse Unruhe und Erbrechen;
nach 10 M. nochmals Erbrechen und flüssiger Kothabgang; danach Herausnahme der
Taube. Die beschleunigte Respiration nimmt ab, nochmaliges Erbrechen; nach 2l/i St.
stirbt sie bei progressiver Abnahme der Respiration und des Herzschlages unter leichten
Convulsionen.
Section nach 12 Stunden. Zwischen Dura mater und den Wirbeln ein sehr
dünnes, wässrigesBlutextravasat; dieHirnhäute nur schwach injicirt; die Schleimhaut des
Schnabels geröthet, geschwollen und mit einer dicken Lage Schleim bedeckt; Lungen-
schleimhaut injicirt. An der Theilung der Luftröhre eine dünne Lage flüssigen Blutes;
die Ränder der Lunge ziegelroth, das übrige Gewebe schmutzigbraun; auf den Durch-
schnittsflächen des überall braun gefärbten Parenchyms tritt zäher blutiger Schaum hervor.
Die rechte Herzhälfte und der linke "Vorhof mit schwarzem dickflüssigem Blute ange-
füllt, welches erst nach 5 Stunden an der Luft dunkelkirsehroth wird; viele Blutkügelchen
sind ganz zerfallen. Leber schmutzigbraunroth und reich an dickflüssigem Blute:
Nieren schmutzigbraun. Im Gehirn, in den Lungen und der Leber konnte arsenige
Säure nachgewiesen werden.
Arsenchlorid wirkt bei der Inhalation vorzugsweise durch seine Zer-
setzungsproducte, die arsenige Säure und die Salzsäure, doppelt giftig ein und
erzeugt dadurch den höchsten Grad der Reizung in den Respirationswegen. Die
Einwirkung der Salzsäure gab sich beim Kaninchen ganz bestimmt durch die
milchige Trübung der Hornhaut kund, während die Dyspnoe der Wirkung der
arsenigen Säure angehört, auf welche auch die nervösen Symptome (Vibriren,
Zittern) zurückzufühi*en sind.
Technische Verwendung findet bisweilen noch eine salzsaure Lösung der
arsenigen Säure zum Graubeizen des Messings. Dieses Verfahren beruhtauf
einem Niederschlagen des metallischen Arsens und sollte, wenn auch die betreffenden
Gegenstände mit einem Firniss überzogen werden, nicht gestattet sein. Die Pro-
cedur ist auch an und für sich gefährlich, weil sich während des Beizens stets
Arsenwasserstoff entwickelt.
2) Arsenbl'Omid AsBr3 wird durch directes Zusammenschmelzen von metalli-
schem Arsen und Brom dargestellt. Der Körper destillirt unverändert über und bildet
eine farblose Flüssigkeit, welche bei 20° zu weissen Krystallen erstarrt.
Einwirkung von Arsenbromid auf den thierischen Organismus. Eine Taube
sitzt in der Glasglocke. Nachdem das Präparat erwärmt worden, werden die Dämpfe
mittels der Compressionspumpe eingetrieben; die Taube wird sofort sehr unruhig,
schüttelt mit dem Kopfe, bemüht sich zu entfliehen und blinzelt mit deu Augen. Aus
den Nasenlöchern fliesst eine schleimige Flüssigkeit; nach 5 M. ist die Zahl der Inspir.
von 8 auf 17 binnen 1/i M. gestiegen. Nachdem noch durch 8 Kolbenstösse neue Dämpfe
eingetrieben worden sind, entsteht schwaches Würgen; nach 18 M. 14 Inspir. während
1/i M. mit geringem Oeffnen des Schnabels; nach 20 M. Herausnahme.
Die Taube verhält sich ruhig bei Sehleimrasseln in der Luftröhre ; die Respiration
bleibt noch vermehrt. Am folgenden Tage heisere Stimme, welche noch mehrere Tage
bei angestrengter Inspiration anhält; Fresslu9t ungestört; dann vollständige Stimm-
losigkeit.
Eulenberg, Gewerbe -Hygiene. 19
•J90 Arsen und Sauerstoff.
Die Taube wurde 11 Tage uach dem Experimente getödtet; bei der Sectiou fand
sich ein umschriebenes croupöses Exsudat im Larynx und zwar an den Stimm-
bändern im Durchmesser von 21 •, Linien; die Lungen waren stellenweise hellroth
auf duukelbrauuem Grunde, nicht sehr blutreich und überall lufthaltig. In diesem
Falle waren die Dämpfe mit so viel atmosphärischer Luft vermischt, dass es bei
der eigentümlichen localen Einwirkung blieb; durch die croupöse Affection war
jedenfalls die Stimmlosigkeit bedingt.
3) Arsenjodid AsJ3 wird durch directes Zusammenschmelzeil von metallischem
Arsen und Jod dargestellt und bildet eine orangerothc, goldglänzende, krystallinische
Masse. In sanitärer Beziehung ist zu bemerken, dass bei der Darstellung von Jod und
Brom sich Arsenjodid resp. Arsenbromid bilden kann, wenn die angewendete Schwefel-
säure arsenhaltig war.
Einwirkung von Arsenjodid auf den thierischen Organismus. 0,6 Grm. Arsen-
jodid werden erwärmt und die sich entwickelnden Dämpfe mittels der Compressions-
pumpe in die Glocke getrieben, in welcher eine Taube sitzt. Nach 3 Kolbenstössen ist die
Atmosphäre rothbraun: sogleich Unruhe, Blinzeln mit den Augen, Unruhe, Schlagen
mit den Flügeln, rasches Erheben und Recken des Kopfes nebst Schliessen der Augen.
Die weissen Federn sind gelb geworden, leichtes Würgen; nach 7 M. Feuchtwerden der
Nasenlöcher und grosse Unruhe: nach 10 M. Herausnahme der Taube. Anfangs
geringes Schwanken, sie schüttelt den Kopf und schleudert dabei den Schleim aus den
Nasenlöchern heraus: nach 10 M. unregelmässige Respiration bei sonst ruhigem Ver-
halten : auch beim Yorwärtsschieben ist sie nicht zum Gehen zu bringen Nach 6 St.
wird sie todt, aber noch warm mit offenstehendem Schnabel und zurückgezogenem
Kopfe gefunden.
Section 12 Stunden hernach. Hirnhäute schwach injicirt; in den Plex. ven. spin.
geronnenes Blut. Die Nackenmuskeln sind dunkelroth gefärbt, Maul- und Nasenhöhle
mit Schleim angefüllt, die Trachealschleimhaut dunkelroth injicirt, an einzelnen Stellen
mit einem zarten croupösen Exsudat bedeckt. Lungen hellziegelroth mit rothbrauner
Marmorirung, Parenchym überall braunroth; auf seinen Schnittflächen etwas blutiger
Schleim. Herzmuskel stark injicirt, im rechten Herzen und im linken Vorhof stark
geronnenes, schwarzes Blut: es scheidet sich wenig flüssiges Blut aus, das anfänglich
duukelbraunroth ist, an der Luft aber in dünnen Schichten hellkirschroth wird. Leber
von normaler Farbe, arm an dickflüssigem dunklem Blute, Nieren von hellbrauner Farbe.
Die Einwirkung der arsenigen Säure ist hier durch Jod insofern modificirt
worden, als letzteres jedenfalls die Erzeugung von croupösem Exsudat auf der
Trachealschleimhaut mit bedingt hat.
Arsen und Sauerstoff.
1) Arsenigsäoreanhydrid As,03, weisser Arsenik, Hüttenrauch, Giftmehl des
Handels, kommt in der Natur als Arsenikblüthe vor. Es bildet eine weisse, amorphe
Masse, welche allmählig in einen krystallinischen Zustand übergeht; im letztern Falle
ist sie in 75 Th. Wasser, als amorphe Säure in 25 Th. Wasser löslich. In kochendem
Wasser sind beide Säuren ziemlich gleich löslich, wobei die amorphe Säure wieder in
die krystallinische übergeht. Concentrirte Salpetersäure oxydirt das Anhydrid zu Arsen-
säure: mit Basen geht es salzartige Verbindungen ein.
Einwirkung der Dämpfe von arseniger Säure anf den thierischen Organismus.
Eine Taube sass im grossen Glaskasten; 0,5 Grm. arsenige Säure wurden in einer Glas-
röhre erhitzt und die sich entwickelnden Dämpfe in den Kasten eingetrieben. Schon
nach 1 M. entstand Blinzeln mit den Augen bei beständigem Picken zwischen den
Federn ; nach 10 M. häufiges Schwanken, geringer Ausfluss aus den Nasenlöchern und
bald darauf Erbrechen von Schleim. Nach 30 M. war der Vorrath des Arsens ver-
flüchtigt, wovon sich aber wenigstens ein Drittel im vordem Theile der Röhre niederge-
schlagen hatte. Nach 34 M. Bauchlage, Blinzeln mit den Augen und Schliessen derselben,
Schütteln mit dem Kopfe; nach 40 M. Erbrechen von Wicken und Schleim; nach
50 M. wässriger Kothabgang. Nach 60 M. war die Zahl der Inspirationen von 9 auf 13
binnen 1/4 M. gestiegen, starkes Erbrechen ; hierauf Herausnahme. Nach 10 M. erfolgte
nochmals starkes Erbrechen: sonst nichts Auffallendes. Am folgenden Tage erhebliche
Dyspnoe, sehr beschleunigter Herzschlag, aufgehobene Fresslust und starker Durst. Am
2. Tage derselbe Zustand bei sehr grosser Hinfälligkeit und sehr verlangsamtem Herz-
schlage. Am Abende wurde sie todt gefunden.
Arsenigsäureanhydrid. 291
Section 8 Stunden hernach. Die Schädelknochen zeigen angefüllte Venen ; Dura
mater und weiche Hirnhaut massig hyperäniisch ; die Plex. ven. spin. mit dickflüssigem
dunklem Blute gefüllt. Schwache lnjection der Tracheaischleimhaut; Lungen von
heller Ziegelröthe, auf den Durchschnittsflächen wenig flüssiges Blut. In der rechten
Herzhälfte und im linken Vorhofe dickflü-ssiges Blut; in dicken Lagen erscheint
es ganz dunkelroth, in dünnen Schichten hat es mehr einen Stich ins Violette und wird
an der Luft hellkirschroth; viele Blutkügelchen sind geschrumpft oder an den Rändern
eingerissen. Leber reich an flüssigem dunklem Blute, die untere Hälfte ist an der
vordem und hintern Fläche schwarzbraun gefärbt. Die Oberfläche des Magens zeigt
angefüllte Gefässe. Chemisch lässt sich in Lunge und Leber sehr deutlich arsenige
Säure nachweisen.
Die Erscheinungen stimmen in den Hauptpuncten mit denjenigen überein,
welche durch die Einwirkung der arsenikalischen Dämpfe und des Arsenwasser-
stoffs hervorgerufen werden; bei der arsenigen Säure ist nur noch eine grössere
Reizung der äussern Haut und der Schleimhäute zu bemerken. Bei der Taube
gab sich diese Reizung durch das Blinzeln der Augen und den starken schlei-
migen Ausfiuss aus den Nasenlöchern zu erkennen.
Bei Menschen erzeugt schon die Berührung der Säure mit der Haut vesiculöse
Hautaffectionen; es kann sehr lange bei dieser einfachen Hautreizung bleiben, ehe
sich andere Symptome der Arsenvergiftung kund geben. Man beobachtet dies
namentlich bei Arbeitern, welche viel mit Schweinfurter Grün manipuliren, oder
bei Lohgerbern, welche mittels Rhusma (s. Gerberei) die Enthaarung der Felle
bewirken. Das Arsen kann sich in solchen Fällen auch in den Nägeln oder
Kopfhaaren ansammeln, ohne dass weitere Krankheits Symptome auftreten; dies
zeigte sich z. B. in einem Falle, wo ein Mann 30 Jahre lang in einer Fabrik
von Schweinfurter Grün gearbeitet hatte; noch nach 2 Jahren, nachdem er die
Fabrik verlassen hatte, konnte in seinen Kopfhaaren Arsen nachgewiesen
werden. In solchen Fällen hat sich die arsenige Säure in Arsensäure um-
gewandelt, und man kann mit höchster Wahrscheinlichkeit annehmen, dass sich
aus diesem Grunde keine schädlicheren Folgen kund geben, weil die Arsen-
säure gleich vielen andern höhern Oxydationsproducten (m. vergl. Chlorsäure,
Schwefelsäure, Salpetersäure u. s. w.) beim Zurücktreten des Radicals die
charakteristische Wirkung desselben viel weniger zeigt (s. Arsensäure). 10) Viel
gefährlicher sind die Erscheinungen, wenn die arsenige Säure als arsenika-
lischer Dampf in grösserer oder geringerer Menge einwirkt. Es entsteht ein
schmerzhaftes Brennen der Nasenschleimhaut, der Lippen und Augen, welches
durch Waschen mit Wasser wenig gelindert wird; Lippen, Nasenflügel und Augen-
lieder schwellen vielmehr an, das Gesicht röthet sich, der Gaumen und die Luft-
röhre werden sehr schmerzhaft; dann bildet sich im Verlaufe von mehreren
Stunden, meist trotz aller angewendeten Gegenmittel, der höhere Grad der
Vergiftung aus; heftiges Erbrechen, Kolik, Diarrhoe mit Tenesmus und ßlutharnen
deuten hinreichend auf das vom Blute bereits aufgenommene giftige Metall hin;
Ohnmächten, Zittern, vorübergehende Krämpfe in verschiedenen Muskeln, Stiche
und Kribbeln in den Extremitäten, Speichelfluss, schmerzhafte Zahnfleischgeschwüre
gesellen sich dann zu einer solchen intensiven Vergiftung, welche im glücklichsten
Falle, wenn das aufgenommene Metall ausgeschieden wird oder sich in, besonders
im Harn nachweisbare, Arsensäure verwandelt, erst nach vielen Monaten unter
grosser Schwäche und Hinfälligkeit in Genesung übergeht.11)
Die chronische Arsenvergiftung bildet sich bei den Hüttenarbeitern
aus, wenn längere Zeit hindurch kleinere Mengen des Dampfes oder Staubes von
arseniger Säure einwirken. Hier liegt vorzugsweise die Ernährung darnieder;
10 *
292 Arsen und Sauerstoff.
Haare und Nägel fallen leicht aus, die Haut wird trocken, fast pergamentartig
oder ist mit verschiedenen papalösen, pastulösen u. s. w. Exanthemen bedeckt
Jedes Essen erzeug! üebelkeit, Erbrechen oder Schmerzen im Epigastrium; eine
vermehrte Absonderung eines übelriechenden und schwarzen Speichels erzeugt
Arrosionen oder kleine Geschwürchen in der Mundhöhle, am Gaumen, Zahnfleisch
oder an der Zunge; letztere ist entweder gelblich belegt oder roth und trocken
bei grossem Durst; Kolikanfälle fehlen selten bei empfindlichem und meist ein-
gefallenem ünterleibe. Profuse und wässrige Diarrhoe wechselt oft mit Ver-
stopfung und Tenesmus; im letztem Falle zeigt sich dann der Bauch mehr
tympanitisch. Nimmt die Krankheit noch zu, was übrigens in der Industrie
höchst selten vorkommt, so beobachtet man bei erschwerter und keuchender
Respiration einen trocknen Husten, welcher erst später mit einem zähen, selbst
blutig gefärbten Auswurfe verbunden ist. Der Kräfteverfall steigert sieh um
so mehr, je deutlicher eine dem hektischen Fieber ähnliche Fieberreizung oder
sogar eine Trübung des Sensoriums hinzutreten. Affectionen sensibler Nerven
äussern sich als schmerzhaftes Ziehen und Kribbeln in den Gliedern. Zeigt
sich Lähmung der motorischen Nerven, so schreitet die allgemeine Schwäche
uuter hydropischen Erscheinungen rasch weiter zum Tode; Lähmung der
sensiblen Hautnerven ist bisweilen mit Schmerzgefühlen verbunden (Anaesthesia
dolorosa).
Auf alle Pflanzen wirkt arsenige Säure giftig ein; die gewöhnlichen Folgen
ihrer Einwirkung auf dieselben sind, wenn die Wurzeln mit der in Wasser ge-
lösten Säure in Berührung gebracht oder die Stengel in ein solches Wasser
gesetzt werden, meist Veränderung der grünen Farbe in eine braune oder
weissliche, oder ein mattes, welkes Ansehen, wie in Folge von Uebergiessen
mit heissem Wasser, meist Ausbreitung der Verfärbung am Stengel von unten
nach oben und nach dem Laufe der Nerven der Blätter. Die Einwirkuug auf
die Blumen gibt sieh durch Welken, Bräunung, Verwelken und Abfallen ihrer
Blätter zu erkennen.
Die Gegenwart des Arsens in den verschiedenen Theilen von Pflanzen,
welche seiner Einwirkung ausgesetzt wurden, lässt sich durch die chemische
Analyse nachweisen. Es hat sich dabei herausgestellt, dass es nur einer sehr
kleineu Menge Arsen bedarf, um eine tödtliche Wirkung auf die Pflanzen
hervorzubringen. Da demnach die Pflanzen in der Regel durch ihr Erkranken
und Absterben zu ökonomischen Zwecken nicht verwendet werden können, so
ist iu dieser Beziehung kaum eine Gefahr für die Menschen zu befürchten; auch
suchen die Besitzer der industriellen Etablissements gewöhnlich durch Entschä-
digungen den verursachten Schaden wieder gut zu machen. Sobald die Futter-
kräuter die Zeichen der arsenikalischen Einwirkuug darbieten, ist es ebenso
dringend geboten, sie zu vernichten, da alles Vieh sich sehr empfänglich für
solche Schädlichkeiten zeigt.
Es ist eine bekannte Thatsache, dass Geflügel in der Nähe der Etablissements,
welche Arsen bearbeiten, zu Grunde geht; dasselbe hat mau bei Bienen be-
obachtet, welche höchst wahrscheinlich mit dem in den Blumen abgelagerten
arsenikalischen Staube in Berührung kommen und dadurch vergiftet werden.12)
Der Hochwald sowie die mehr harzige Stoffe enthaltenden Coniferen
und unter den Strauchpflanzen die Kartoffeln scheinen für die Einwirkung der
arsenikalischen Dämpfe weniger empfänglich zu sein. Befinden sich die Nadel-
Arsenigsäureanhydrid-Industrie.
291
hölzer, besonders die Kiefer, noch in einem Alter von 5 — 6 Jahren, so tritt häufig
die Krankheit eiu, welche das Schütten genannt wird, in dem abnormen Ab-
fallen aller Nadeln besteht und auch durch schweflige Säure hervorgerufen wer-
den kann (s. S. 153). In manchen Gegenden kann man diese Affection um so
mehr als eine Folge der arsenikalischen Dämpfe betrachten, wenn die Kiefer-
bestände nur in der Richtung schütten, in welcher sie von den Hüttengasen be-
strichen werden und sonstige schädliche Einflüsse nicht nachweisbar sind. Am
meisten werden stets die Wiesen und der Feldbau durch arsenikalische Dämpfe
benachtheiligt.
Ueber das Verhalten des Bodens der arsenigen Säure gegenüber sind die
Untersuchungen noch nicht abgeschlossen; derselbe scheiut wenigstens nicht
grosse Mengen der Säure zu absorbiren ; immerhin kann aber das Eindringen der
arsenigen Säure in den Boden mit nachtheiligeu Folgen für die Vegetation in
der Nähe der betreffenden Etablissements verknüpft sein. 13)
Bekanntlich fand früher vielfältig ein Einweichen des Saatkorns in einer
Lösung von arseniger Säure statt, um dasselbe gegen den Brand zu schützen.
Obgleich genaue Untersuchungen ergeben haben, dass aus diesem Verfahren
kein Bedenken für die daraus zu erzielende Frucht erwächst, so ist es
doch wegen der Manipulation mit einem höchst giftigen Körper und der damit
verbundenen Gefahr zu verwerfen.14)
Arsenigsäureanhydrid - Industrie.
Man unterscheidet das Rösten der arsenhaltigen Erze und die Subli-
mation der erhaltenen arsenigeu Säure.
Die Rüstung. Die arsenige Säure wird durch Rösten der arsenhaltigen Erze
auf Hüttenwerken in Flamm- oder Muffelöfen dargestellt, indem man die ent-
weichenden Dämpfe in Kammern leitet. In Schlesien und Sachsen wird sie auf
besondern Hütten, den sogen. Gifthütten, eigens aus Arsenkies gewonnen.
Zu diesem Zwecke wendet mau Reverberiröfen , sogen. Arsen-Muffelröstöfen,
an; der Boden der Muffel (Fig 33 a) besteht aus grossen feuerfesten Thonplatten.
Die Verbrennungsproducte sammeln sich in einem Canal (6), welcher sich nach
beiden Seiten theilt, zwischen doppelten Seiten wänden der Muffel verläuft, somit noch
zur Erwärmung der Muffel mitwirkt und schliesslich in den Schornstein (<•) übergeht.
Fig. 33.
Der Arsenschlich, welchen man bei d aufgibt, wird während des Röstens häufig
urngekrückt, wobei grosse Vorsicht Seitens der betreffenden Arbeiter erforderlich ist;
sie müssen sich hierbei stets Mund- und Nasenhöhle schützen. Die erzeugte arsenige
294
Arsen und Sauerstoff.
Säure gelangt mittels eines Fuchses (o) in die Giftkammer (/"). Der abgeröstete Schlich
wird glühend aus der Muffel gezogen und in einen vor der Feuerung liegenden Kasten
(//) zur Abkühlung gestürzt, um später auf die betreffenden Metalle wieder bearbeitet
zu werden. Wegen der während des Umkrückens und Ausziehens sich stets mehr oder
weniger entwickelnden Dämpfe Ton Arsen resp. arseniger Säure muss vor der Arbeits-
öffnung noch ein Rauchfang, welcher in einen nach der Giftkammer fahrenden Schorn-
stein (/) mündet, vorhanden sein: andernfalls ist der Schornstein selbst mit Unterbrechungen
resp. Giftfängen zu versehen, um die abziehenden Gase zu nöthigen, sich an den Wan-
dungen zu reiben : dadurch findet die Ausscheidung des Giftmehls möglichst vollständig
statt. Der Abkühlungskasten (h) wird mit einem Horizontalschieber sofort geschlossen, um
dadurch die noch auftretenden Dämpfe von arseriger Säure unter den nahe liegenden
a treiben.
In neuerer Zeit zieht man vielfältig Röstöfen mit Gasfeuerung den Muffel-
öfen vor. weil die arsenige Säure dabei reiner dargestellt und auch an Brennmaterial
gespart wird.
Statt der genannten Giftkammern oder Giftthürme gebrauchen viele Fabri-
canten lange unterirdisch gelegene, im Zickzack verlaufende Canäle, welche in im Innern
der Gebäude liegende Kammern münden, um die Dämpfe in denselben vollständig zu
condensiren, weil die eingeschlossen liegenden Kammern länger warm bleiben, daher
die heissen Dämpfe in denselben langsam circuliren. Es ist aber zweckmässig . an die
Letzte Kammer noch einen Koksthurm mit Berieselung anzuschliessen, um die
Condensation möglichst vollständig zu bewirken.
Sublimation oder Raffination des Arsen- oder Giftmelils. Das in den Con-
densationskaromern gewonnene Giftmehl ist mit metallischen! Arsen oder mecha-
nisch fortgerissenem Schlich verunreinigt und wird deshalb in besondern Kesseln
der Sublimation unterworfen.
Dieses Verfahren ist schon bei der Verhüttung des me-
F'9' "■ tallischen Arsens erwähnt worden, wo natürlich ein Zusatz von
I Kuhle zur Reduction der Säure erforderlich ist. Hier wird die
arsenige Säure für sich sublimixt; zu dem Ende setzt man auf
gusseiserne Sublimirkessel mehrere cylindrische Ringe von
-* Eisenblech, sogenannte Strakeil (Fig. 34) auf. Der letzte Ring
ist mit einem Hute bedeckt, welcher mit einer trichterförmigen
Tülle in die Giftkammer mündet. Im Hute befindet sich eine
Oeffnung (oj, um zeitweilig einen Draht einführen und etwaigen
Verstopfungen vorbeugen zu können. Je höher die arsenige
Säure steigt, desto reiner ist sie; enthält sie noch viel metallisches
Arsen, so muss der Process wiederholt werden Die eisernen
Ringe dienen als Condensatoren und müssen gut verkittet wer-
den. Die arsenige Säure wird schliesslich als eine glasige Masse
gewonnen, während sich in den Condensatiouskamern das weisse
Mehl ansammelt, welches als solches in den Handel kommt oder
einer abermaligen Raffination unterworfen wird.
Das Aufschütten des arsenhaltigen Erzes uud das Um-
knicken des Arsenschlichs sind die gefährlichsten Acte für
die Arbeiter, weil sich grade hier stets arsenikalische
Dämpfe entwickeln. Das Aufschütten sollte nur mittels der
Füllkasten geschehen (s. Schwefelsäure), damit die Arbeiter
hierbei nicht den austretenden Gasen ausgesetzt werden.
Aus derselben Ursache ist der Rauch fang vor der Arbeits-
öffnnng absolut erforderlich, um die austretenden Dämpfe sofort in die Giftfänge
abzuführen; diese entwickeln sich besonders reichlich, wenn das abgeröstete Erz
zu früh aus dem Ofen genommen wird.
Beim Sublimiren oder Raffiniren der arsenigen Säure kommt es ebenso
sehr auf die Ableitung der Dämpfe in die Condeusationskammern (Fig. 33 i)
sowie auf die sorgfältigste Lutirung der Fugen zwischen den sog. Straken an,
damit auch die geringsten Mengen der Säure vom Arbeitsraume abgehalten
werden; geschieht es nicht, so können sich besonders bei diesem Vorgange die
gefährlichsten Formen der acuten Arsenvergiftung ausbilden.
Arsenigsäureanhydrid-Industrie. 295
Es ist hier der Ort, auf die irrthümliche Auffassung mancher Techniker auf-
merksam zu machen, welche den Dampf der arsenigen Säure für weniger gefährlich
erachten. Es bedarf keines weitern Beweises, dass der Dampf viel leichter in die
Respirationswege resp. in das Blut einzutreten vermag als der Staub der arsenigen
Säure, welcher zwar auf den Schleimhäuten zunächst Reizung hervorruft, aber zu
einem grossen Theile durch Räuspern u. s. w. wieder ausgeworfen werden kann.
Vor dem Staube kann man sich auch leichter schützen als vor dem Dampfe,
welcher in so geringen Mengen, dass er kaum wahrnehmbar ist, leicht die gefähr-
lichsten Wirkungen erzeugt, Aus diesem Grunde dürfen auch die Condensations-
kammern niemals vor vollständiger Abkühlung derselben betreten werden.
Um sich dann vor dem arsenikalischen Staube zu schützen, müssen die
Arbeiter mit leinenen Kleidungsstücken verseben werden, welche alle natürlichen
Oeffnungen des Kopfes bedecken. Ein solcher Anzug besteht aus Hosen und
Kittel; letzterer wird mit einer Schnur um die Hüften zusammengebunden; eine
Kappe, welche über den Kopf gezogen wird und bis über die Schultern reicht,
wird in ähnlicher Weise um den Hals zusammengezogen; sie ist mit einem in
Blech und Blei gefassten Glasfenster versehen.
Auf allen grösseren Berg- und Hüttenwerken finden sich besondere sa-
nitäre Regulative für die Gruben- und Werk Vorsteher sowie für die Gruben-
und Werkarbeiter, deren Ausführung einer vorschriftsmässigen Controle unter-
liegen muss.15)
Auf Gifthütten muss stets das Gegengift von Arsen, Eisenoxydhydrat,
vorräthig gehalten werden. Das beste Schutzmittel beruht aber in der sorgfäl-
tigsten Ableitung des arsenikalischen Dampfes, in der Dichtigkeit der Sublimir-
apparate, in der Beachtung der strengsten Reinlichkeit, im Vermeiden von Essen
und Trinken in den Arbeitsräumen und im regelmässigen Waschen des Gesichts
und der Hände vor jeder Mahlzeit, die mit Vortheil aus Milch und Milchspeisen
besteht. Gegen Wundsein ist Lehmbrei ein probates Mittel; viele Arbeiter
trinken sogar Lehmwasser als Präservativ.
Die Wiedergewinnung der arsenigen Säure aus den Anilinfarbenröckständen
resp. ans der Arseniksänre erfordert ähnliche Vorrichtungen wie auf den sogen. Gift-
hütten, weshalb dies Verfahren hier erwähnt zu werden verdient, obgleich die daraus
erwachsenden Kosten sehr bedeutend sind und auch der beabsichtigte Zweck selten voll-
kommen erreicht wird. Man benutzt hierzu ebenfalls Herd-Flammen öfen; die Verbren-
nung lässt einen Rückstand von Kalk zurück, welcher etwa 5 % Arsenik enthält. Die
Rückstände bestehen nämlich wesentlich aus arsensaurem Calcium und Anilinharzen
(s. die Anilinfarbenfabrication). Die Harze veranlassen beim Verbrennen einen für die
Adjacenten höchst unangenehmen Geruch; behufs Condensirung dieser mehr oder weniger
arsenhaltigen Dämpfe ist die Herstellung eines langen unterirdischen Canals, der
mit einem Kammersystem in Verbindung steht, sehr geboten. Letzteres wird aus ge-
mauerten, 8 — 10 Quadratfuss grossen, unter- und übereinander angelegten Zellen zu-
sammengesetzt, deren Zahl sich nach der Grösse des Betriebes richtet. Aus diesen
kleinen Kammern gelangen die Gase noch in 3 Condensationsthürme, welche 20— 30Fuss
hoch und in zwei Theile getheilt sind, um den Weg der Gase noch zu verlängern. Der
erste Thurm bleibt trocken, während die beiden andern mit Dornen und nassen Tüchern
gefüllt sind und beständig berieselt werden. Am Boden der Berieselungsthürme bildet
sich noch immer ein dicker, arsenhaltiger Schlamm: die aus denselben schliesslich in
einen hohen Kamin austretenden Gase müssen dagegen so weit von den arsenikalischen
Dämpfen befreit sein, dass sie für die Umgebung nicht mehr gefährlich sind.
Eine grössere Gefahr liegt für die Arbeiter in dem Beschicken der Flammenöfen,
aus denen sehr leicht die arsenhaltigen Dämpfe in den Fabrikraum austreten können.
Die oben erläuterten Einrichtungen zur Ableitung dieser Dämpfe sind daher auch hier
in demselben Masse erforderlich.
Das auf diese Weise gewonnene Arsenmehl ist durch Aschenbestandtheile sehr
verunreinigt und bedarf daher stets noch einer Sublimation. Benutzt man hierzu
296 Arsen und Sauersloff.
aus zwei oder mehr Retorten bestehende Sublimiröfen mit Kohlenfeuerung, so i-t
wiederholt darauf aufmerksam zu machen, dass dieselben leicht Risse oder Sprünge be-
kommen, wodurch dann eine Masse Arsen in die Feuerung gerathen und mit den
i in die Atmosphäre der nächsten Umgebung entweichen kann. Jeden-
falls müssen die Retorten mit dem Kammersystem in Verbindung stehen, um hier das
übergetriebene Arsenmehl zum Ablagern zu bringen: noch mehr empfiehlt es sich, für
die Sublimiröfen ein besonderes Kammersystem einzurichten. Hoffentlich wird aber die
Zeit nicht mehr fern sein, wo man gar keine arsenikalißchen Rückstände mehr erhält
und dieser höchst gefährlichen und lästigen Reduction der Axsensäure nicht mehr be-
darf, denn kein Fabricant wird und kann noch Anstand nehmen, die neue Methode zur
Darstellung des Fuchsins zu adoptiren 's. Anilin roth .
Technische Verwendimg der arseiiigeu Säure. Sie kommt als solche and in
Verbindung mit Metallen bei sehr vielen Vorgängen in der Industrie zur An-
wendung; eine Einschränkung dieser vielfachen Benutzung ist in sanitärer Be-
ziehung durchaus zu wünschen und zu erstreben.
Als Reductionsmittel wurde sie früher wegen ihres billigen Preises bei der
G lasfabricatiou vielfach verwendet. Im ersten Stadium, beim Frittprocesse, wird
die arsenige Säure durch den im Glassatz befindlichen Kohlenstoff u. s. w. zu Arsen
reducirt, welches sieh als arsenige Säure im Arbeiteraum verbreitet, wenn die geschlos-
senen Häfen in denselben ausmünden: bei offenen Häfen gelangt sie mit den Ver-
brennungsproducten in den Schlot. Bei geschlossenen Häfen muss daher stets eine be-
sondere "Vorrichtung zur Condensation der arsenikalißchen Dämpfe angebracht werden
(s. Glasfabrication).
Der Zusatz der arsenigen Säure soll ein Entfärben der Gläser bezwecken,
ihr Gebrauch ist aber bei der grossartigen Darstellung der Katrongläser sehr einge-
schränkt und durch Braunstein, Bleisuperoxyd resp. Mennige ersetzt worden.
Die reducirende Eigenschaft der arsenigen Säure benutzt man auch in der
Färberei bei der Indigoküppe, indem das Indigblau seinen Sauerstoff an die arsenige
Säure abgibt, Arsensäure bildet und zu löslichem Indigweiss reducirt wird.*) Der
Küppenschlamm besteht aus arsenigsaurem und arsensaurem Calcium und
muss auf eine geeignete Weise unschädlich gemacht werden.
In der Anilinfarbenfabrication hat die arsenige Säure bisher eine grosse
und gefährliche Rolle bei der Reduction des Nitrobenzols gespielt. Die arsenige
Säure tritt im Rückstand vorzugsweise als arsensaures und nur theilweise als
arsenigsaures Calcium auf.
Als Conservationsmittel zum Ausstopfen von Thierbälgen wird es meistens in
Form einer Seife eingerieben. Der Staub in solchen Naturaliencabineten hat daher eine
sanitäre Bedeutung; es ist aber beim Ausklopfen der verschiedenen Objecte ganz
besonders auf diesen gefährlichen Staub zu achten.16)
Als Gift Liegen Ungeziefer überhaupt, besonders als Vertilgungsmittel der Feld-
mäuse, kommt arsenige Säure noch vielfältig in Anwendung, jedoch im letztern Falle
mehr in Verbindung mit Alkalien.
Fliegenpapier ist mit arseniger Säure getränktes Filtrirpapier, welches schäd-
lich wirken kann, wenn es aus Unachtsamkeit als Tabaks- oder Pfeifenzünder benutzt
wird: ein Auszug desselben kann auch in verbrecherischer Weise benutzt werden.
In manchen Gegenden wird die arsenige Säure noch als Vieh wäsche bei Schaf-
räude, Ungeziefer u. s.w. vielfach benutzt.17)
Die Verpackung der arsenigen Säure und ihrer Präparate erfordert wegen des
Verstaubens die grösste Vorsicht. Früher wurde sie als Arsenikglas in Beutel von
Lohgarem Led< i. wobei die spätere Benutzung eines solchen Leders maunig-
ii Schaden herbeigeführt hat.
Später benutzte man innen mit Papier verklebte Fässer, die auch gegenwärtig
beim Transport der pulverförmigen arsenigen »ränehlich sind; von au
wird das ganze Fass in Packleinen eingenäht. Nach dem Betriebs-Reglement für die
«bahnen vom 10. Juni 1S70 dürfen alle Arsenikalien nur dann zum Eisenbahn-
transport angenommen werden, wenn sie in doppelten Fässern oder Kisten verpackt
sind. Die Böden der Fässer müssen mit Einlagereifen und die Deckel der Kisten mit
Keifen oder eisernen Bänden gesichert werden: die Fässer und Kisten sind von starkem
trocknem Holze anzufertigen und inwendig mit Leinwand oder ähnlichen dichten G
weben zu verkleben. Auf dem CoUo muss in schwarzer Oelfarbe das Wort ..Arsenik
(Gift.)" angebracht »ein. |
*) In ähnlicher Weise benatzt man auch Schwefelarsen.
Arsenigsaure Salze. 297
Zweckmässig würde es sein, an den Stellen, wo die Bretter zusammen stossen,
einen Falz oder eine sogenannte Nothleiste anzubringen; dadurch würde die doppelte
Holzverpackung unnöthig und sowohl an Pack- als auch an Frachtlohn gespart.
Stets ist zu berücksichtigen, dass das benutzte Material mit der arsenikalischen
Substanz verunreinigt ist; dasselbe darf niemals zum Heizen von Backöfen benutzt
werden, da der sich bildende Russ und die abziehenden Gase arsenikalisch sind. Selbst-
verständlich dürfen die leeren Fässer weder zu ökonomischen noch zu andern Zwecken
benutzt werden, wobei der Arsengehalt irgend eine Gefahr bedingen kann; nur ihr Aus-
laugen mit alkalischen Laugen vermag den Arsengehalt grösstenteils zu beseitigen.
Arsenigsaure Salze, Arsenite, stellt man dar, indem man eine Lösung von
arseniger Säure mit einer gelösten Base versetzt.
Die Arsenite der Alkalien lösen sich in Wasser, die der andern Metalle in
Säuren; ihre Lösungen oxydiren sich allmählig an der Luft zu Arseniaten. Schon
die Kohlensäure der Luft zerlegt die Arsenite, namentlich die Alkali- Arsenite; durch
Glühen mit Kohle werden sie gleich den Arseniaten reducirt. Die löslichen Arsenite
reagiren stark alkalisch.
Das arsenigsaure Kaliam (Kalinmarsenit) K2(As03) wird zum Vergiften der
Feldmäuse zweckmässig aus 1 Th. arseniger Säure, 1 Th. Pottasche und 25 Th. Wasser
durch Kochen in einem eisernen Kessel dargestellt. Zur entstandenen klaren Lösung
fügt man noch 25 Th. Wasser hinzu und rührt in die noch warme Flüssigkeit 50 Th.
Gersten-, Weizen- oder Haferkörner ein. Bei gelindem Erwärmen und fleissigem Um-
schaufeln bringt man die Flüssigkeit zur allmähligen Aufsaugung durch die Frucht-
körner, wozu 24 — 28 Stunden erforderlich sind.
Um den Kessel von jeder Arsenspur zu reinigen, benutzt man abgelöschten Kalk
und bringt das damit versetzte Wasser . in demselben zum Kochen. Ehe man das Gift
legt, müssen 3 — 4 Tage vorher alle Mauselöcher zugetreten werden, um nur die frisch
ausgeworfenen Mauselöcher damit zu belegen.
Zu den Arseniten der schweren Metalle gehört das arsenigsaure Kupfer
Cu3(As03)2, Mineralgriin , Scheel'sches Grün, welches als Malerfarbe und beim
Tapetendruck leider noch häufig Verwendung findet. Der zeisiggrüne Niederschlag
ist in Säuren und in Ammoniak leicht löslich, in seiner Zusammensetzung aber
unbeständig. 19)
Bei der Darstellung im Grossen werden 2 Pfund Kupfervitriol in 24 Pfund
warmem Wasser und andererseits 2 Pfund gereinigte Pottasche und 22 Loth Arsenig-
säureanhydrid in 8 Pfund Wasser gelöst. Man decantirt die vermischten Flüssigkeiten
und wäscht den Niederschlag sorgfältig aus; die Waschwässer sind stets arsenikalisch
und kupferhaltig und dürfen deshalb nicht frei abgelassen werden.
Das erste üecantationswasser enthält Kaliumsulfat, arsenige Säure und
Kupferoxyd. Es wird deshalb noch häufig zur Darstellung von seegrünen Farben und
auch zur Fabrication des Bremergrüns benutzt; aus diesem Grunde kann auch das
Bremergrün arsenhaltig sein.
Die Löslichkeit des Scheefschen Grüns in Ammoniaksalzen, in Zuckerlösungen
und in schwachen Säuren verbietet seine Verwendung zum Färben von Papieren. Die
Verpackung von Conditorwaaren, Schnupftabak, Kaffeesurrogaten u. s. w. in so gefärbten
Papieren ist gänzlich unzulässig.
Arsenigsaures und essigsaures Kupfer oder Sehweinfurter Grün ist ein krystal-
linischer Niederschlag von schöner grüner Farbe, welcher in Wasser unlöslich, in
Säuren und alkalischen Laugen aber löslich ist.
Bei der Darstellung im Grossen löst man arsenige Säure iu Pottasche auf
und lässt Grünspan unter Umrühren in die siedende arsenikalische Lösung fliessen.
Häufig wird hierbei das Arsen als glasige Säure (Arsenglas) benutzt und muss deshalb
zerkleinert werden, wobei sich ein für die Arbeiter gefährlicher Staub entwickelt.
Der Mörser, in welchem dies Zerkleinern vorgenommen wird, muss deshalb mit einem
Ledersack von hinreichendem Umfange unigeben sein, so dass er gleichzeitig das Pistill
möglichst luftdicht umschliesst und das Stossen nicht verhindert. Der Staub erregt
leicht Geschwüre an den Händen.
Während des Kochens findet durch den Austritt der Kohlensäure leicht ein
Verspritzen statt; die Spritzer werden mit dem Dampfe als Nebelbläschen in den Ar-
beitsr.ium fortgeführt, wodurch die Gesichtshaut und die Schleimhaut der Nase häufig-
gereizt werden. Die Gefässe müssen deshalb bedeckt und mit einem Ableitungsrohre in.
den Schornstein versehen sein.
298 Arsen und Sauerstoff.
Die Abwässer, welche beim Decantiren des Präeipitats entstehen, werden
meist wieder benutzt und mit einem kalkhaltigen Kupferhydrat versetzt, um daraus
Papageigran, Nenwieder-, Braunsehweiger- und Bremergrün darzustellen, so dass alle
diese grünen Farben, anter welchem Namen sie auch verkauft werden mögen, von vorn-
herein als verdächtig anzusehen sind, da sie fast durchgängig mehr oder weniger
arsenikalisch sind
Hierher gehören auch noch da? Mineralgrün, welches aus arsenigsaurem
Kupfer und Berggrün (Malachit) besteht, und das MitisgrÜU. eine Mischung von
Schweinforter Grün mit Scheelsc-hem Grün.
Da> Wiener oder Kirchberger Grün, das Kaisergrüu und Nengrün sind sänimt-
lieh arsenikalisch.
Das fertige Schweinforter Grün wird ohne Auswaschen in Spitzbeuteln zum Ab-
trupfen und dann auf Hürden in Trockenkammern gebracht, wobei sich grosse, die
Arbeiter sehr belästigende Mengen von Essigsäure entwickeln. Gewöhnlich enthält es
noch freie arsenige Saure und ist in seiner Zusammensetzung sehr variabel.
Da.- reine Schweinfurter-Grün wird nie gesiebt: geschieht es, so bezweckt mau
damit nur betrügerische Zusätze von Lenzin. Schwerspath u. s. w., eine Operation, welche
gewöhnlich zum Verderben der Arbeiter in der leichtfertigsten Weise geschieht. Nicht
selten kommen darnach die heftigsten, choleraähnlichen Erscheinungen vor.
Es ist bekannt, welche Ausdehnung der Gebrauch des Schweinfurter Grüns
und seiner Abkömmlinge seit mehreren Decennien gewonnen hat. Trotz aller
neuen, eben so schönen Grüne behauptet das Schweinfurter Grün seine Macht
und nimmt immer von Neuem den siegreichen Kampf mit der Concurrenz
wieder auf; die sanitäre Ueberwachung dieser Farbe ist daher dringend
nothwendig.
Ganz besonders sind es der grüne arsenikalische Anstrich und die
Tapeten mit giftigem Grün, welchen man noch in allen Verhätnissen des Lebens
begegnet.-'0) Die Wiege, welche den Säugling aufnimmt, bietet ihm gleich im Beginne
seines Lebens das arsenikalische Grün, und der Farbkasten für Kinder kann die
Ursache von Krankheit und Tod werden; Kinderspielzeuge werden oft durch ihre
Farben nur Marterzeuge.*)
So verdienen auch die mit arsenikalischen Kupferfarben bemalten Griffel alle
Beachtung, da das Bindemittel Harz seife ist, welche in Wasser löslich ist und daher
auch von Kindern leicht abgeleckt werden kann: beim Zuspitzen derselben muss ein
arsenikalischer Staub entstehen.
Im weitern Lebenslaufe sind es die Farben der Utensilien für den Hausbedarf,
welche mit ihrem Grün die Gesundheit gefährden. Die in neuester Zeit vielfach einge-
führten Drahtgeflechte mit arsenikali^chem Anstrich dienen als Spinden, Käse-
glocki 11 u. s. w. Hier kann ein Abblättern der Farbe die Speisen vergiften, weil das
sauer reagirende Schweinfurter Grün die Rostbildung einleitet und dadurch das Ab-
blättern der Farbe begünstigt Auf den schützenden Lackfirniss kann man sich hierbei
nicht immer verlassen.-1)
Bei den mit Arsengrün gefärbten Wachsstöcken und Stearinlichtern wird
beim Verbrennen derselben arsenige Säure in der Flamme zu Arsen reducirt, welches
in der äussern Flamme wieder zu arseniger Säure oxydirt wird. Das Kupferoxyd bleibt
in der Doehtasehe.
Bei grünen Lampen- oder Ofenschirmen kann das Schweinfurter Grün,
wenn diese Gegenstände aus Blech bestehen, zerlegt werden, da die Temperatur sich
ziemlich hoch steigern kann und der Wasserstoff- und Kohlenstoffgehalt des Oelfirnisses
bei dieser erhöhten Temperatur auf das Arsenigsäureanhydrid reducirend wirkt: unter
solchen Umständen kann metallisches Arsen verflüchtigt werden.
Noch schädlicher sind die papiernen Schirme, welche durch die hohe Temperatur
leicht zum Verkohlen und schliesslich zum Verglimmen gebracht werden: dann entwickelt
sich neben arseniger Säur.' schiesslich metallisches Arsen, wobei die Verbrennung durch
das vorhandene Kupferoxyd begünstigt wird. Thatsächliche Beobachtungen, dass eine
chronische Arsenvergiftung auf diese Weise herbeigeführt werden kann, liegen vor.22)
Dass die Traganthverzierungen für Conditorwaaren mit Arsengrün gefärbt
*) Nicht bloss schmerzhafte Koliken, sondern sogar Todesfälle sind dadurch
herbeigeführt worden, dass die Kinder die mit Schweinfurter Grün angefüllten Maler-
pinsel oder die damit gefärbten Spielsachen häufig in den Mund nahmen.
Künstliche Blumenfabrication. 299
werden, viele grüne Oblaten, Briefcouverts und der Flaschenlack ihre Farbe
nur dem Schweinfurter Grün verdanken, ist eine bekannte Thatsache.
Beim Tapeten druck ist Schweinfurter Grün noch stets eine beliebte Farbe,
wenn auch alle Erfahrungen die Schädlichkeit dieses Verfahrens nachgewiesen haben.
Alte Tapeten dieser Art werden dann wieder zur Darstellung geringerer Papiersorten,
z. B. von Löschpapier, Filtrirpapier u. s. w. benutzt, welche als Enveloppen für die ver-
schiedensten Victualien oder zum Filtriren des Kaffees u. s. w. dienen. und auf diese
Weise das Arsen wieder mit Nahrungs- und Genussmitteln in Berührung bringen.
Sowohl beim Zeugdruck als auch beim Färben im Stück werden
arsenikalische Kupferfarben benutzt; in beiden Fällen verbindet sich die Farbe
nicht mit der Faser des Zeuges, sondern sie haftet nur mittels eines Klebe-
mittels auf derselben. Beim Zeugdruck wird die grüne Farbe mit Leinölfirniss
unter Zusatz von Blei- und Zinkweiss abgerieben, wobei wegen der Staubbildung
schon grosse Vorsicht anzurathen ist; die Muster werden so stark aufgedrückt,
dass man sie als Erhabenheiten mit den Fingern fühlen kann. Dieser Oelfirniss
wird mit der Zeit immer brüchiger und lässt sich abreiben; es liegt auf der
Hand, dass auch ein Verstauben desselben mit seinen schädlichen Folgen ein-
treten kann.
Das Färben im Stück geschieht bei dem sogenannten Tarlatan; hier
wird die Farbe mit Leim- oder Gummiwasser oder auch mit aufgelöstem
Käsestoff und Dextrin zusammengebracht und das Zeug durch diese Mischung
gezogen.
Das leichte Abstäuben der giftigen Farben erzeugt zum wenigsten belästigende
Hautreizungen, welchen besonders auch die Nähterinnen beim Bearbeiten dieser Stoffe
ausgesetzt sind. Die Macht der Mode ist aber rücksichtslos und kennt nicht die Sorge
für die Gesundheit, denn die Tarlatane tauchen immer wieder in neuer Gestalt auf. Wie
das Ultramarin zum Bläuen, so wird auch das Schweinfurter Grün zum Lustriren der
Stoffe und Papiere in grüner Farbe gebraucht; zu dem Ende wird die grüne Farbe in
Salzsäure gelöst und die höchst verdünnte Lösung als Färbebad benutzt. Den durch-
zogenen Stoff lässt man abtropfen und bringt ihn in eine höchst verdünnte Lösung von
kohlensauren Alkalien.
Bei den Papieren wird die Lösung in die Papiermasse gegeben; nach gutem
Durchmischen wird Kalk zum Abstumpfen der Säure zugesetzt.
Selbst die im Handel vorkommenden, mit Jodgrün gefärbten Woll- und
Seidenstoffe sind sehr häufig arsenikalisch, weil die Befestigung der Farbe mittels
arsenigsauren Natriums (Natriumarsenits) bewirkt wird.
Künstliche Blumenfabrication. Sie schliesst sich eng an die mit arseni-
kalischen Farben gefärbten Stoffe an. Hauptsächlich sind es 1) die grünen
Blätter, welche mit Schweinfurter Grüu gefärbt werden.
Ihre Darstellung geschieht nach folgenden Methoden: a) Die Blätter werden aus
Papier ausgeschlagen, welches mit arsenikalischer Kupferiarbe in der Masse gefärbt ist
und nachher geglättet wird. Hierher gehören die Blätter von sehr geringer Sorte,
z. B. für Todtenkränze.
Bei der Bearbeitung dieser matten Papiere kann leicht ein Verstauben stattfinden
und sind die damit beschäftigten Arbeiterinnen häufig mit Entzündungen der Finger und
Augen behaftet.
b) Noch gefährlicher ist das Bestäuben der Blätter. Die aus Papier oder
Zeug angefertigten Blätter werden mit einer bestimmten Farbe grundirt und nach dem
Trocknen mit Gummi oder Firniss überzogen; hiernach beutelt oder siebt man die
dunkelste resp. grobkörnigste Sorte des Schweinfurter Grüns auf. Um diese Sorte von
Grün zu erhalten, wird das käufliche Schweinfurter Grün abgesiebt; was hierbei auf
dem Siebe zurückbleibt, wird benutzt.
Da diese Operation von den Blumenarbeiterinnen häufig selbst auf ganz unvor-
sichtige Weise ausgeführt wird, so sind sie in doppelter Beziehung dem gefährlichen
arsenikalischen Staube ausgesetzt.
Beim Aufpudern auf die Blätter wird bisweilen noch pulverisirter Blei-
glanz, Broncepulver u. s. w. zugesetzt, so dass auch der schädliche Staub dieser
Körper noch hinzutritt.
300 Arsen und Sauerstoff.
Chronische Augenentzündungen. Anschwellung des Gesichts, Geschwüre an den
Händen u. s. w. sind die unvermeidlichen Folgen dieser Arbeit, welche eine sorgfältige
sanitäre Beaufsichtigung und die Anordnung von Präventiv-Massregeln erheischen. Man
hat noch viel zuwenig die öffentliche Aufmerksamkeit dieser höchst gefährlichen Arbeit
endet; nur in P;iris i.-t das Pudern der Blätter verboten; man muss dort die
Arsenfarbe mit Terpenthinspiritue oder mit Collodium versetzen, wenn man die Farbe
nicht mit Leim verreibt.
c) Di.' sogenannten Wachsblätter, welche der Natur am nächsten kommen
und transparent sind, werden aus gesteiftem Tarlatan ausgeschlagen, mit alkoholischer
Pikrinsäurelösung gelb gefärbt, nach dem Trocknen in eine verdünnte Lösung von
Indigocarmin eingetaucht und schliesslich mit einer Wachsschicht, die mit Schwein-
turter Grün imprägnirt ist. überzogen. Letzterer Act ist nicht ohne Gefahr: wird
nämlich das Wach- zu .-ehr erhitzt, was .-ich durch einen deutlichen Arsen- resp. Al-
karsingeruch verräth, so kann sich Arsen verflüchtigen. Scheidet .-ich dabei Kupfer-
oxydul ab. so i-t der bestimmte Beweis geliefert, dass ein zu hoher Wärmegrad ange-
wendet worden i?t -. Methylverbindungi
2) Um Knospen, Stengel und Staubfäden aus Zeug darzustellen,
mischt man Tragauthmasse mit Schweinforter Grüu und behandelt damit das
I "'treffende Papier oder Zeug.
Besteht die Traganthinasse aus Kleister oder Leim und Stearin, -n muss die
warm gehalten werden; brennt dieselbe unvorsichtigere - , so entwickelt sich
auch hier Alkarsin, welches sich durch seinen entsetzlichen Geruch hinreichend
kennzeichnet: beim Einrühren der Farbe ist Staubbildung möglichst zu verhüten.'-3)
3) Die Anfertigung von "Wickelgarn und Wickelpapier kommt hierbei
ebenfalls in Betracht: beide Theile werden zur Bekleiduug der Blumenstiele
sowie zum Binden der einzelnen Blumen an die Zweige benutzt. .Sie sind fast
stets mit arsenikalischen Kupferfarben imprägnirt, denen mehr oder weniger
noch Bleichroinat zugesetzt wird.
Eine andere Art von mit Schweinfurter Grün gefärbtem Wickelpapier hat als
Grundfarbe Pikrinsäure. Die schädliche Wirkung dieser Farbstoffe tritt bei der
Bearbeitung um so mehr hervor, wenn die Blumenarbeiterinneu beim Wickeln die Finger
mit Speichel befeuchten.
"2) Arsensäure H,As04 entspricht der Phosphorsäure, entsteht durch Auflösen der
arsenigen Säure in Salpetersäure und stellt beim Abdampfen der Lösung kleine Nadeln
dar. Geschieht dieses unter 15°, so krvstallisirt sie mit '2 Molee. Krystallwasser
(H3AsÜ4 -+- '2H..<i : auf ISO0 erhitzt, verliert sie letzteres wieder:
2H3As04 = H4A-..\7 — H20.
Sie heisst dann Pyro arsensäure, die sehr unbeständig ist. Bei 200° bildet
sich die Metarsensäure HAs03; beide Säuren gehen schon beim Auflösen in Wasser
in Arsensäure über. Bei schwachem Glühen verwandelt sich letztere in Arsensäure-
anhydrid A.-J_>5 und bildet alsdann eine weisse, farbli Nascirender Wasser-
stoff, schweflige Säure und Schwefelwasserstoff reduciren die Arsen sä nie in Arsenig-
säureanhydrid: 2H3As04 4- 2H2S = As,03 + 5H20 + - -
Bei der Darstellung im Grossen beobachtet man zwei Methoden: 1) Man
leitet Chlorgas in ein breiartiges Gemenge von arseniger Säure und Wasser. Es
bilden sich hierbei stets Dämpfe von Arsenchlorid, auch freie- Chlor ent-
weicht; es muss deshalb für völlige Dichtigkeit der Gefässe gesorgt werden.
ird eine Reihe von Woulf'schen Ballons aufgestellt, durch welche die ab-
gehenden Gase strömen und hier so viel als möglich ztir Absorption gelangen.
i u lässt Salpetersäure auf arsenige Säure in einem tböoeruen Ballon
einwirken: es entwickelt sich hierbei viel Stickoxyd resp. üntersalpeter-
säure. Auch hier müs>en die Gase eine Reihe von Woulf'schen Ballons,
welche Wasser und arsenige Same enthalten, durchstreichen, damit sie vollstän-
dig absorbirt werden. Ihr Inhalt besteht dann aus arseniger, Arsensäure,
Salpetersäure und salpetriger Säure, den man in die Entwicklungsgefässe
zurückbringt.
Arserisaure Salze. 301
Bei grossartigen) Betriebe ist es erforderlich, die letzten Ballons mit
einem Koksthurm in Verbindung zu setzen, um durch Wasserberieselung den
Uebergaug des Stickoxydes in Salpetersäure zn befördern und gleichzeitig die
Nachbarschaft vor Belästigung zu schützen. Bei der erstem Methode dürfte
wegen des giftigen Arsenchlorids eine ähnliche Vorrichtung erforderlich sein.
Eine ausgedehnte Verwendung hat bisher die Arsensäure zur Erzeugung von
Fuchsin gefunden; sie wird daher auch in besondern Geschäften zu diesem
Zweck und zwar meistens in Syrupsform dargestellt. Beim Zeugdruck dient sie
bisweilen noch als Beize statt der Weinsäure.
In sanitärer Beziehung ist zu bemeiken, dass die wasserfreie Arsen-
säure die Haut bis zur Blasenbildung irritirt; Manipulationen mit so verdünnten
Arsensäurelösuugen, dass die saure Reaction verschwunden ist, erzeugen noch
Schwellungen der Finger und schmerzhafte Empfindungen unter den Nägeln; die
Geschwulst kann sich bis auf die Vorderarme ausdehnen und mit einem fieber-
haften Zustande verbinden.
Stohmaun24), welcher sich zwei Monate lang mit Arsensäure beschäftigte,
konnte, trotz seines allgemeinen Wohlbefindens, im Harn und in den Excrementen
Arsen nachweisen; auch uahm sein Körpergewicht währeud dieser Zeit um
10 Kilogramm zu, sank aber nach 9 — -10 Wochen wieder auf das frühere Gewicht
von 75 Kilogramm.
Es ist mit höchster Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die Arsensäure,
in verdünntem Zustande vom Organismus aufgenommen, weniger intensiv wirkt
als arsenige Säure; sie scheint als solche auch leichter ausgeschieden zu werden.
Arsensaure (oder arseniksanre) Salze, Arseniate, verhalten sich im Allgemeinen
wie die phosphorsauren; man stellt sie entweder durch Zusammenbringen der betreffen-
den Base mit Arsensäure oder durch Zersetzung eines arsensauren Salzes mit der Salz-
lösung eines andern Metalls dar. Die primären (zweifach sauren) Arseniate sind
meistens in Wasser löslich, die secundären (einfach sauren) und tertiären (neutralen)
dagegen meistens unlöslich, mit Ausnahme der Alkali-Arseniate.
Arsensanres Calcium kommt in der Natur als Pharmakolith im Elsass, am
Harze und in Baden vor. Küustlich stellt man es durch Fällen einer Chlorcalcium-
lösung mit arseniksaurem Natrium dar.
Das zweifach saure (primäre) Salz entsteht durch Fällen einer Chlorcalcium-
lösung mit zweifach saurem arseniksaurem Natrium und ist in Wasser löslich. Das
einfach saure (secundäre) Ca2HAs04 und das neutrale (tertiäre) Ca3As04 Salz sind in
chemisch reinem Wasser unlöslich, aber leicht löslich in Wässern, welche Ammoniak,
Kalisalze oder Säuren enthalten; deshalb kann Arsensäure nicht aus Flüssigkeiten mittels
Calciumsalze präcipitirt werden, wenn irgend eine Ammoniak verbin düng oder
sonstige fremde Salze, welche seine Löslichkeit begünstigen, zugegen sind, ein Umstan d
welcher bei der Fuchsindarstellung wohl zu beachten ist.
Arsensanres Kalium KH2As04 wird als zweifach saures Salz in den Färbereien
wie das entsprechende Natriumarseuiat benutzt
Bei der Darstellung im Grossen bringt man Kalisalpeter mit der entsprechenden
Menge von arseniger Säure in einem rothglühenden Tiegel zusammen. Unter Entwick-
lung von Untersalpetersäure entsteht arseniksaures Kalium. Die Schmelze wird in
kochendem Wasser gelöst; beim Erkalten erhält man das Salz in farblosen quadratischen
Pyramiden und Prismen.
Die sauren Dämpfe enthalten stets eine geringe Menge von arseniger
Säure und sind deshalb sehr zu beachten; auch wird bei längerm Schmelzen in
offenen Oefen das arseniksaure Salz durch die Kieselsäure der Tiegelmasse leicht zer-
legt. Es bilden sich dann kieselsaure Salze und die ausgeschiedene Arsensäure wird
entweder durch die Hitze in Sauerstoff und arsenige Säure zerlegt oder durch das
Kohlenoxyd reducirt. Auf alle diese Momente ist bei der Darstellung sehr zu achten;
jedenfalls muss sie unter einem sehr gut ziehenden Schlote vorgenommen werden.
302 Arsen und Schwefel.
Arsensaures Natrium. Das tertiäre Salz Na3As04 ist in Wasser löslich, das
secundäre Na._,HAs04 entspricht dem gewöhnlichen (einlach sauren) Natriumphosphat
und krystallisirt auch wie dieses mit 12HaO, während das primäre Salz NaH2As04
nur mit einem Molec. Wasser krystallisirt und ebenfalls in Wasser löslich ist
Tm Grossen stellt man das Salz durch Erhitzen von Chilisalpeter mit arseniger
Säure dar, wobei man die frei werdende Salpetersäure gewinnt. Es sind daher hier
dieselben Vorsichtsmassregeln wie bei der Salpetersäurefabrication am Platze; das Er-
hitzen muss in sehr gut verschlossenen Gefässen geschehen.
Die salpetersauren Dämpfe sind stets arsenhaltig; die Vorlagen sind daher auch
hier mit der grössten Vorsicht zu behandeln und mit der Feuerung in Verbindung zu
bringen.
Das zweifach saure (primäre) Salz NaH2As04 findet vorzugsweise in der Fär-
berei Verwendung, indem es als Kuhkothbad zur Befestigung der Farben dient; es muss
wiederholt betont werden, dass aus diesem Grunde noch sehr viele Zeuge und Stoffe
in den Verkehr kommen, welche arsenikalisch sind; die Rückstände bei der
F uch sin d ars teil ung liefern gewöhnlich das Material dazu.
Das arsensaure Magnesium MgHAs04-f- 7H20 kommt in der Natur mit Kalk
als Pikropharmakolith vor; mit Ammoniak verbindet es sich zu arseniksaurem
Ammonium-Magnesium Mg(NH4)As04 -4- 6H20. Diese Verbindung ist in Wasser
fast unlöslich und entspricht vollkommen dem betreffenden phosphorsauren Salze.
Arsen und Schwefel.
1) Arsenbisulfid AsS2 (Realgar, Sandarach, Arsenrubin, Rausch-
roth) kommt in der Natur in dunkelrothen vierseitigen Säulen vor.
Im Grossen stellt mau es auf den sächsischen Hütten durch Erhitzen von
gleichen Theilen Arseukies und Schwefelkies dar. Man benutzt dazu Röhreu von
2 Fuss Länge und 5 Zoll Weite mit 1% Fuss langen und 6 Zoll weiten Vorlagen.
Das Erhitzen der Röhren geschieht in Galeerenöfeu und zwar bis zur Rothgluth
bei guter Lutirung der Vorlagen; man bringt in denselben nur eine kleine
Oeffnnng zum Entweichen der Wasserdämpfe an. Das iu den Vorlagen gewonnene
Roh glas wird in Cylindern von Scbwarzblech nochmals umgeschmolzen und als
flüssige Masse in Formen von Eisenblech abgelassen.
Die Arbeiter haben sich hierbei sorgfältigst vor den sich entwickelnden
Dämpfen zu hüten, weshalb über dem Arbeitsherd stets ein Schlot anzubringen
ist, der längs des Feuerkamins nach der Giftkammer verläuft.
Das Realgar ist nur in Salpetersäure , Königswasser und Aetzalkalien lös-
lich, aber sonst flüchtiger als Auripigment.
Einwirkung der Dämpfe von Arsenbisulfid auf den thierischeu Organismus.
Eine Taube sass im grossen Glaskasten; reines Arsenbisulfid wurde erwärmt und mittels
der Compressionspumpe die sich entwickelnden Dämpfe eingetrieben. Nach 30 Kolben-
stössen Blinzeln mit den Augen; nach 10 M. Putzen mit dem Schnabel; nach 17 M.
beschwerliche Respiration unter jedesmaligem Oeffnen des Schnabels; nach 25 M. grosse
Unruhe und Zittern; nach 45 M. Erbrechen mit starkem Würgen; dasselbe wiederholte
sich mehrmals; die Athmung ist wenig verändert. Nach 1 St. 15 M. Durchfall und
Erbrechen; nach 1 St. 45 M. 12 beschleunigte Inspirationen binnen 1/iM. Nach 2 St.
Herausnahme, nachdem 0,46 Grm. AsS2 verbraucht worden.
Ausser mehrmaligem Erbrechen trat keine auffallende Veränderung ein; die
Taube blieb gesund. In dem grössern Räume und bei der raschen Condensation
der Dämpfe hatte sie jedenfalls nur ein sehr geringes Quantum inhalirt. Bei
der grossen Empfänglichkeit der Vögel für giftige Gase scheint jedoch aus
diesem Versuche hervorzugehen, dass die Dämpfe von Realgar im Vergleiche zu
den der übrigen Arsensulfide am wenigsten giftig einwirken.
Verwendung findet Realgar bei der Kattundruckerei, beim Tapetendruck, als
Malerfarbe und bei der Schrotfabrication, wo das Arsen in's Blei übergeht, während der
Schwefel die Ausscheidung des Kupfers aus dem Blei bezweckt. Zur Darstellung des
Weissfeuers verwendet man 24 Th, Salpeter, 7 Th. Schwefel und 2—3 Th. Realgar;
Auripigment. 303
dasselbe sollte in geschlossenen Räumen, wie in Theatern, gar nicht zur Anwendung
kommen , da bei der Verpuffung nicht alles Arsen als arsensaures Salz zurückbleibt,
sondern ein grosser Theil desselben sich als arsenige Säure verflüchtigt; auch schweflige
Säure tritt auf. Das Antimon ersetzt in diesen Fällen das Arsen vollkommen.
2) Arsentrisulfid AsaS3, Anripiginent, Operment, Rauschgelb, kommt in der Natur
in Verbindung mit Realgar vor und stellt goldgelbe, glänzende Blättchen dar. Auf den
Hütten wird es dargestellt, indem man ein Gemenge von einer entsprechenden Menge
arseniger Säure und gepulverten Schwefels in den bei der Raffination der arsenigen
Säure zur Verwendung kommenden Sublimirkesseln bis zur Rothgluth erhitzt, wobei
die Dämpfe sorgfältigst in die Flugstaubkammern abzuleiten sind. Die Einrich-
tung derselben und die nothwendigen Vorsichtsmassregeln richten sich nach dem Um-
fange der Fabrication und sind nach den bereits entwickelten Principien stets zur Aus-
führung zubringen; um eine gute Waare zu erzielen, nimmt man gewöhnlich eine zweite
Sublimation vor.
Das Rauschgelb des Handels besteht gewöhnlich aus arseniger Säure und
Operment; seine Dämpfe sind deshalb sehr gefährlich. Da Realgar und Auripigment
als glasige Masse gewonnen werden, so hat man ganz besonders auf die Beschaffenheit des
Staub es, welcher beim Pulverisiren entsteht, Rücksicht zu nehmen und die erforder-
lichen Vorsichtsmassregeln zu treffen, weil beide Schwefelverbindungen fast stets freie
arsenige Säure entfalten.25)
Einwirkung von Arsentrisulfid auf den thierisclien Organismus. Eine Taube
sitzt im grossen Glaskasten; die Dämpfe von 0,903 Grm. käuflichem As2S3 werden ein-
getrieben. Nach 10 M. Würgen und nach 15 M. beschwerliches Athmen mit Oeffhen
des Schnabels, nach 20 M. Erbrechen. Da nach 1 Stunde keine weitern Veränderungen
eintreten, wird sie herausgenommen; Nachmittags hält die beschwerliche Respiration mit
deutlichem Rhonch. sibilans bis spät in die Nacht hinein an. Am andern Morgen wird
sie schon gegen 6 Uhr todt gefunden.
Section nach 12 Stunden. Die Augen tief in den Augenhöhlen liegend, der
Schnabel mit Schleim angefüllt; am Ausgang des Kropfes 2 Wicken. Das Zellgewebe
in der Umgebung des Kropfes und der Trachea enthält sehr entwickelte venöse Gelasse,
hier und da ein kleines Blutextravasat. In den grössern Venen, im rechten Herzen und
im linken Vorhof geronnenes und dickflüssiges Blut. Lungen von hellrother Farbe mit
einzelnen braunen Marmorirungen, auf den Durchschnittsflächen etwas flüssiges Blut
ohne Schaum; das Lungenparenchym theils von rother, theils von braunrother Farbe:
Trachealschleimhaut vorzugsweise an der Bifurcationsstelle injicirt. Leber nur an ein-
zelnen Stellen von dunkler Farbe; Nieren blassgrauroth. Die Gefässe des Magens und
Mesenteriums injicirt. Hirnhäute und Gehirn zeigen sich blutleer; nur an der Basis
cerebri ist die Pia mater injicirt: Plex. venös, spin. mit dickflüssigem Blute angefüllt.
Viele Blutkügelchen sind unregelmässig oder seitlich eingerissen; das dunkle Blut er-
scheint nur in ganz dünnen Schichten violettroth.
Die tödtliche Wirkung ist sicher die Folge der auftretenden schwefligen und
arsenigen Säure; die reizende Einwirkung dieser Dämpfe auf die Respirations-
wege gibt sich daher ganz besonders kund. Die bisher vielfach aufgestellte Be-
hauptung, dass die Sulfide des Arsens nicht giftig seien, ist daher nicht richtig,
namentlich wenn es sich um eine Handelswaare handelt.
Technische Verwendung findet das Auripigment nur wenig; als Malerfarbe
heisst es Königs gelb, ist aber als solche durch Chromblei verdrängt worden. In der
Färberei wird es nur, noch selten zur Reduction des Indigos in alkalischer Lösung
benutzt. Am meisten diente es bisher in der Gerberei als Haarvertilgungsmittel; als
Rhusma der Orientalen wird es zu diesem Zweck mit Aetzkalk gemengt:
2 As2S3 4- 3 Ca(OH2) = 2 As203 -f- 3 Ca(SH)2.
In sehr vielen Fällen kann es aber durch Calciumsulfhydrat Ca(SH>2 vertreten
werden, welches durch Einleiten von Schwefelwasserstoff in einen Brei von Calcium-
hydrat Ca(OH)2 dargestellt wird und in sanitärer Beziehung jedenfalls den Vorzug-
verdient (s. Gaskalk).
3) Arsenpentasulfid As2S5 wird nur künstlich in der Weise dargestellt, dass man
durch Auflösen von Arsentrisulfid in einer Kaliumsulfidlösung unter Zusatz von Schwefel
zuerst Kaliumsulfarseniat K3AsS4 darstellt, welches sich durch Säuren in Arsen-
pentasulfid zersetzt:
2K3AsS4 + 6 HCl = 6 KCl + 3H2S + As2Sä.
304 Arsen und Phosphor.
Es stellt ein gallgelbes Pulver dar, welches dem Trisulfid entspricht und selten noch
zum Anstreichen und beim Tapetendruek verwendet wird.
Einwirkung dpi* Dämpfe von Arsonnentasiillid auf den thierischen Organismus.
Eine Taube sass im grossen Glaskasten; nach 20 Kolbenstössen Blinzeln mit den Augen,
Austluss von Schleim aus den Nasenlöchern, nach 10 M setzt sie sich unter Würgen
nieder, nach 20 M. Schliessen der Augen, starkes Schütteln mit dem Kopfe, 7 ange-
strengte und ungleiche Inspirationen hinnen '/4 M. bei weit geöffnetem Schnabel, nach
35 M. Husten nach jeder Inspiration, mehrmaliges Erbrechen- Nach 1 % St. Heraus-
nah me, nachdem 0,48 Grm. Arsensupcrsullid verdampft resp. verbraucht worden. Schleim-
rasseln bei beschwerlicher Respiration hält an; Rasselgeräusche und vermehrter Herz-
schlag sind die auffallendsten Erscheinungen. Nach 3 Stunden wird die Taube todt
gefunden.
Section nach 20 Stunden. Aus dem Schnabel ist eine trübe Flüssigkeit ge-
flossen, welche aus dem Kröpfe gekommen. Unter den Hirnhäuten ist nur die Pia
mater injicirt, die Plex. ven. spin. sind mit dickflüssigem Blute gefüllt. Beim Durch-
schneiden der Brustmuskeln tritt dickflüssiges Blut aus: das Zellgewebe in der Umgebung
der Trachea injicirt, ebenso die Schleimhaut der Trachea. Lungen blassroth, an der
hintern Seite des linken untern Lungenlappens ein 6 Linien langes und 3 — 4 Linien
breites Blutextravasat unter der Pleura; das untere Dritttheil des rechten untern Lungen-
lappens ist braunroth gefärbt, auf den Durchschnittsflächen etwas flüssiges Blut; in den
kleinsten Bronchialverzweigungen ein gelblicher Schleim, in welchem man mittels des
Mikroskops kleine rothe Krystalle von Ai'senpentasulfkl wahrnimmt. Herz äusserlich
injicirt; im rechten Herzen und im linken Vorhof schwarzes geronnenes Blut, ebenso
in den grössern Venenstämmen. Leber von dunkelbraunrother färbe und reich an dick-
flüssigem und geronnenem Blute; Nieren blassbraun. Das dunkle Blut röthet sich kaum
an der Luft, beim Eintrocknen erscheint es schmutzig-braunroth.
Die reizende Einwirkung der Dämpfe dieser Verbindung auf die Respira-
tionswege gibt sich in einem höchst auffallenden Grade zu erkennen; berner-
kenswerth ist noch der Nachweis der kleinen Krystalle dieses Arsensulfids im
Bronchialschleim.
Jedenfalls hat die schweflige Säure an dieser reizenden Wirkung einen
wesentlichen Autheil, obgleich die starke Dyspnoe, welche sich während des Versuchs
zeigte, durch beide Zersetzungsproducte, die arsenige und seh weflige Säure,
erzeugt wurde. Bedenkt man, dass die Taube kaum den fünften Theil des
Präparats inhalirt tiat, so geht hieraus dessen Gefährlichkeit hinreichend hervor;
es ist daher unzweifelhaft, dass die Arbeiter sich vor der Einwirkung des Dampfes
und auch des Staubes dieser Schwefelverbindungen des Arsens hüten müssen.
Arsen und Phosphor.
Arsenphospllid kann im rohen Phosphor des Handels vorkommen, wenn bei der
Darstellung des Phosphors aus saurem Calciumphosphat arsenhaltige Schwefel-
säure benutzt worden ist; die Verbindung kann alsdann im Anfange der Destillation
auftreten und auf die Arbeiter höchst nachtheilig einwirken. Sie stellt eine schwarze,
glänzende, spröde Masse von einem unbestimmten Verhältnisse dar und bildet sich
beim Zusammenschmelzen von Phosphor und Arsen unter Wasser.
Einwirkung von Arsenphosphid auf den thierischen Organismus. Eine Taube
bleibt in der mit den Dämpfen von Arsenphosphid angefüllten Glocke anfangs ruhig
sitzen; nach 3 M. Schütteln mit dem Kopf und einzelne Zuckungen, nach 5 M. Erzittern
des ganzen Körpers mit Hustenreiz, nach 8 M. 10 mit kurzem, erschütterndem Husten
verbundene Inspirationen: nach 10 M. Herausnahme. Ruhiges Verhalten und häufiges
Aufblähen, 13 regelmässige Inspirationen binnen |/4 M.; am folgenden und zweiten Tage
beschwerliche Respiration und Stimmlosigkeit. In der darauf folgenden Nacht stirbt
die Taube.
Section nach 20 Stunden. Schnabel weit offen stehend, massige Injectiou der
Hirnhäute, die Plex. venös, spin. fast leer, Brustmuskeln dunkelroth gefärbt, beim
Durchschneiden derselben etwas geronnenes Blut; Nasenschleimhaut geröthet und ge-
schwollen, der ganze Larynx ist mit einer festen croupösen Masse angefüllt, welche
im Zusammenhange herausgeschält werden kann; die Schleimhaut daselbst fällt durch
eine intensive Röthe auf. Im linken Bronchus ein liusengrosses croupöses Exsudat;
Antimon. 305
auch hier ist die Schleimhaut gerötheter als an andern Stellen. Lungen hellziegelroth
mit schmutzig-brauner Marmorirung, auf den Durchschnittsflächen etwas geronnenes
Blut; letzteres füllt besonders die Lungenvenen aus; beim Zusammendrücken der Lunge
tritt auf den Durchschnitten viel röthlicher Schaum aus. Im rechten Herzventrikel und
ganz besonders im rechten Vorhof viel geronnenes Blut; im Allgemeinen findet sich
nur wenig flüssiges Blut vor, das sich an der Luft etwas heller röthet, beim Eintrock-
nen aber wieder schmutzig- braunroth wird; mehrere Blutkügelchen sind ungleich und
am Rande eingerissen. Leber von normaler braunrother Farbe, enthält schwarzes ge-
ronnenes Blut, das sich vorwaltend in allen grössern Venen findet; Corticalsubstanz der
Nieren injicirt. Chemisch konnte Arsen in Lunge und Leber nachgewiessen werden.
Charakteristisch ist im vorliegenden Falle die Entstehung einer vollständigen
Angina membranacea, wie sie in keinem pathologischen Falle ausgebildeter
vorkommen kann; auch der Ausgang des Croups, acutes Lungenödem, fand sich
vor. Die Verbindung von Arsen und Phosphor übt somit einen bedeutenden Reiz
auf der Respirationsschleimhaut aus, dessen Wirkung den Folgen der inhalirten
Dämpfe von Phosphortrijodid höchst ähnlich ist. Wahrscheinlich ist es in
beiden Fällen die phosphorige Säure, welche vorzugsweise die entzündlichen Er-
scheinungen in den Respirationsorganen bedingt, obgleich sie allein nicht den
croupösen Process in einem so prägnanten Grade zu erzeugen vermag; zur Aus-
bildung desselben scheint die Mitbetheiligung von Jod, Brom -oder Arsen
nothwendig zu sein, wie besonders aus der Wirkung des Arsenjodids und
Arsenbromids erhellt.
Antimon Sb.
Antimon findet sich selten gediegen, sondern in Verbindung mit Silber, Nickel,
Arsen und Kupfer.*) Meistens kommt es mit Schwefel verbunden als Grauspiess-
flanzerz Sb2S3 (Antimonium crudum) vor; dasselbe wird mit Eisen in einem
iegel geschmolzen, wobei sich Antimon als Regulus ausscheidet und der Schwefel mit
dem Eisen verbindet.
Antimon (Stibium) ist von bläulich- zinnweisser Farbe, von krystallinisch
blättrigem Gefüge, schmilzt bei 430° und clestillirt in Hellrothgluth bei Abschluss der
Luft; an der Luft verbrennt es mit leuchtender Flamme zu Antimonoxyd Sb203.
Kochende concentrirte Schwefelsäure führt es unter Entwicklung von Schwefligsäure-
anhydrid in Antimonsulfat über; Salzsäure greift es nicht an, Salpetersäure oxydirt es
zu Antimonoxyd und Antimonsäure, Königswasser zu Antimonsäure.
Wirkung der Antimondämpfe auf den thierischen Organismus. Es kann
hierbei nur von den Oxydationsproducten, namentlich von Antimonoxyd, die
Rede sein, da sowohl bei der Verhüttung als bei der Darstellung der verschie-
denen Spiessglanzpräparate in den chemischen Fabriken die Dämpfe von Antimon-
oxyd sich geltend machen. Es darf aber hierbei nicht übersehen werden, dass
Arsen ein treuer Verbündeter von Antimon ist und in den meisten Fällen als
arsenige Säure diese Dämpfe begleiten wird. Dadurch hat sich bei der Beurthei-
lung dieser Antimondämpfe manche Unklarheit eingeschlichen und dem Antimon-
oxyd werden viele Symptome zugeschrieben, welche offenbar der Wirkung der
arsenigen Säure angehören.1)
Sicher wirkt Antimonoxyd nachtheilig auf die Digestionsorgane; es kann
sich Erbrechen bei belegter Zunge, Magendruck, aufgetriebener Leib und ge-
*) Oesterreich- Ungarn, Frankreich, Algier, Amerika, Sibirien, Indien, weniger
Deutschland (Harz, Sachsen, Westphalen) besitzen Antimonerze.
Eulenberg, Gewerbe-Hygiene. 20
306
Antimon.
störte Leibesöffnung ausbilden, je nachdem die Dämpfe längere oder kürzere
Zeit« mehr oder weniger concentrirt einwirken. Als charakteristisch für Antimon-
oxyd kann auch die Einwirkung auf die Harn- und Geschlechtsorgane betrachtet
werden; wenn demnach Arbeiter, welche den concentrirten Antimonoxyddämpfen
längere Zeit ausgesetzt waren, an Drängen und Schmerzen im Blasenhalse,
brennenden Empfindungen in der Harnröhre mit schleimigem Ausflüsse leiden,
sogar über Impotenz mit Verkleinerung der Hoden klagen, so widersprechen
solche Angaben nicht der Wirkung des Radicals . welches aber bei der
liöhern Oxydationsstufe, bei der Antimonsäure, ganz in den Hintergrund
treten dürfte.
In der Industrie hat man immerhin alle Vorsichtsmassregeln zu treffen, um
die Condeusation dieser Dämpfe sicher zu stellen und zwar um so mehr, als man
in den meisten Fällen beim Antimon auch der arsenigen Säure begegnen wird.
Antimonindustrie.
Zur Darstellung des Antimons benutzt man das Antimonium erudum
(Grauspiessglanzerz), welches ausgesaigert uud alsdann der Röst ung oder der
Reduction unterworfen wird.
Die Saigerung ist ein Ausschmelzen, wobei 2 Tiegel ineinander gestellt
werden, von denen der obere einen durchlöcherten Boden hat. Die Flamme des
Ofens bestreicht nur den obern Tiegel, welcher das auszusaigende Erz enthält,
während der untere in heissem Saude oder in heisser Asche steht.
Nach einer andern Methode ist der zweite Tiegel, der Recipient, feststehend und
mit einem Abzugsrohr versehen (Fig. 35, a), welches mit Thon verschmiert wird, später-
hin aber zum Ablassen des Schwefelantimons dient.
Sämmtliche Tiegel steheu kreisförmig in einem lang-
gestreckten Gewölbe, in dessen Mitte der Schlot ab-
geht, welcher mittels eines schief liegenden und
lang geschleiften Canals mit dem Hauptkamine in
Verbindung stehen muss. Es entsteht somit eine
Art von Gestübbekammer, in welcher sich die
arsenige Säure und das Antimonoxyd ablagern,
während schweflige Säure in ziemlich bedeuten-
der Menge mit den Verbrennungsgasen abgeht. Auch
die Meuge von Antimonoxyd ist bisweilen nicht
unerheblich und kann bei Unterlassung von ^ or-
sichtsmassregelu die Benutzung der in der nächsten
Nähe solcher Etablissements wachsenden Futter-
kräuter insofern beeinträchtigen, als beim Rindvieh
häufig Erbrechen eintritt und Pferde sogar nach
einem so verunreinigten Futter crepiren können,
namentlich wenn das Antimonoxyd gleichzeitig mit
arseniger Säure vorkommt.
Die sanitären Uebelstände zeigen sich be-
sonders, wenn das Antimonerz unmittelbar auf den
geneigten Herd eines Flammenofens gebracht wird :
das ausgesaigerte Schwefelantimun flieest dann mittels
einer Rinne nach einem ausserhalb des Ofens stehenden Recipientcn ab.
Röstung des Schwefelantiinons. Das durch Saigeruug gewonnene Schwefel-
antimon (Antimonium erudum) wird in einem Flamuienofeu so lange unter Um-
rühren geröstet, bis es grösstenteils in Antimonoxyd übergeführt ist. wobei
sämmtliches Arsen als arsenige Säure und sämmtlicher Schwefel als schwef-
lige Säure entweichen; auch grosse Mengen von Antimonoxyd können sich
\
hierbei verflüchtigen :
Sb2 S3 + 9 0 - Sb, 0, + 3 S02.
Antimonindustrie. 307
Auch hier sind Gestübbekammern für die Condensation der Dämpfe von Antimon-
oxyd und arseniger Säure erforderlich. Das geröstete Gut heisst Spiessglanzasche
und gelangt in Tiegeln zur Reduction, nachdem es mit rohem Weinstein oder mit
Kohle und Natrium carbonat gemischt ist ; unter der sich bildenden Schlacke erstarrt der
Regulus langsam.
Reduction des Schwefelantimons. Wählt man statt der Röstung die Reduc-
tion des Schwefelantimons. so schmilzt man es in Tiegeln direct. mit Eisen zu-
sammen, wobei sich das Antimon am Boden des Tiegels metallisch ausscheidet
und der Schwefel mit dem Eisen verbindet.
Sb2S3 + 3Fe = FeS + 2Sb.
Bei der Reduction mittels Zuschläge entwickeln sich keine schädlichen Gase oder
Dämpfe; die Schlacken sind nur wegen ihres Gehaltes an Schwefelnatrium resp.
Schwefeleisen beachtenswerth.
Um die letzten Spuren von Arsen im Antimon zu beseitigen, muss dasselbe mit
entwässertem Glaubersalz, Kohle und metallischem Eisen nochmals umgeschmolzen
werden, wobei alles Arsen sich mit Schwefelnatrium verbindet und als Schwefelarsen-
Schwefelnatrium in der Schlacke bleibt.
Das sanitäre Interesse wird am meisten vom Saigerungsprocess in An-
■ spruch genommen und hierbei ist die grösste Sorgfalt auf die sich entwickelnden
Dämpfe zu richten, zu deren Condensation Gestübbekammern nicht zu ent-
behren sind. Es handelt sich hierbei vorzugsweise um das Antiraonoxyd, welches
zwar arsenhaltig ist, aber zur Gewinnung des metallischen Antimons mit benutzt
werden kann. Die Ablagerung der arsenigen Säure ist jedoch im Allgemeinen
nicht erheblich, da der grösste Theil davon im Saigerproduct bleibt. Für die
Absorption der schwefligen Säure ist bis jetzt bei diesem Process fast nichts
geschehen, obgleich dieselbe für die Umgegend höchst belästigend werden kann;
es wären deshalb auch hier Condensations- uud Absorptions -Vorrichtungen für
dieses belästigende und schädliche Gas geboten. Neuerdings verwerthet man S02
sehr zweckmässig zur Darstellung der schwefligsauren Salze, welche beim
Zugutemachen der Schlacken zur Anwendung kommen.
Die Schlacken werden nämlich auf Kermes minerale verarbeitet; zu dem
Ende werden sie unter den nothwendigen Vorsichtsmassregeln gepocht und unter Zusatz
von Soda siedend heiss extrahirt. Die heisse, klar filtrirte Flüssigkeit setzt beim Er-
kalten den Mineralkermes, ein Gemisch von Schwefelantimon mit Antimon-
oxyd, ab. Die hier abfallende Flüssigkeit, welche alles Arsen enthält, wird mit einem
schwefligsauren Alkali behandelt, durch welches nach schwacher Ansäuerung mit
Salzsäure Äntimonzinnober präcipitirt wird.
Die hierbei abfallende Flüssigkeit enthält ausser den Chloralkalien noch so viel
unterschwefligsaure Salze, dass diese wieder gewonnen werden können. Die
ausgelaugten Schlackenrückstände enthalten noch Schwefelantimon und Schwefel-
eisen; sie können beim Verwitterungsprocess die Bildung von H2S und Eisenvitriol ver-
anlassen; man muss sie daher an einem geeigneten Orte ablagern In seltenen Fällen
enthalten die Schlacken auch Gold, was dann selbstverständlich zu verwerthen ist und
zwar unter Verpuffung mit Salpeter und Ausziehen mit Salzsäure
Der gewonnene Mineralkermes wird als Anstrichfarbe und neuerdings auch
in der Kautschukindustrie zum Vulcanisiren benutzt. Die Anwendung eines solchen
röthlich gefärbten Kautschuks für ökonomische Zwecke, namentlich für Bierpumpen,
Saugflaschen, Saughütchen, Stöpsel u. s. w. ist nicht nur verwerflich, sondern sollte
gänzlich verboten werden.
Der Antimonzinnober wird in der Technik vielfach zum Anstreichen benutzt;
es ist aber hierbei zu beachten, dass er alles Arsen der Schlacke enthält und zwar als
Arsentrisulfid (As2S3).
Antimon und seine Legirungen.
Die vorzüglichsten Legirungen sind Britanniametall, Schriftmetall, Schüs-
seknetall, Spiegelmetall und eine Legirung zum Ausfüttern der Lager bei Loco-
20*
308 Antimon.
motivachsen; auch wird bisweilen der Glockenspeise Antimon zugesetzt, um die
Schmelzbarkeit und Klangfähigkeit zu vermehren.
Das Mischungsverhältniss der verschiedenen Metalle variirt. je nachdem eine
besondere Eigenschaft mehr oder weniger hervortreten soll. Das Schriftmetall
ist gewöhnlich aus 75 Th. Blei, 20 Th. Antimon und 5 Th. Zinn zusammengesetzt,
nicht selten werden auch Kupfer, Nickel, Zink oder Wismuth zugesetzt. Folgende
Legirung kommt nicht selten vor: 67 Th. Blei, 25 Tb. Antimon, 5 Th. Zinn und
3 Th. Kupfer. Die Menge des Antimons kann bis zu 30 — 34'; gesteigert oder
auch auf 16 % reducirt werden; letztere Legirung wird z.B. beim Giessen der
Stereotypplatten benutzt. Diese Legirungen werden in der Weise dargestellt, dass
das Blei zuerst in einem eisernen Kessel geschmolzen wird und die andern Metalle
allmählig zugesetzt werden. Bei richtig geleiteter Operation entwickeln sich
keine metallischen Dämpfe; jedoch ist beim Ueberhitzen des Metallgemisches sowie
bei einem Arsengehalte des Antimons eine Entwicklung giftiger metallischer Dämpfe
möglich; deshalb ist die Darstellung der Legirung stets unter einem gut
ziehenden Rauchfange vorzunehmen. Das Metall wird nun mittels Kellen ausge-
schöpft und in Formen gegossen, wodurch es in Barren gewönnen wird; es hat
einen krystallinischen Bruch, ist weich und färbt deshalb leicht ab.
Das Typengiessen ist viel weniger mit einer schädlichen Exhalation verbun-
den, da der Schmelzpunct der Legirung weit unter dem Verflüchtigungspuncte
liegt. Ein Abzug mittels eines Rauchfanges ist hier weniger wegen der Exhalation
schädlicher Dämpfe als wegen Ableitung der strahlenden Wärme anzubringen.
Beim Giessen selbst haben die Arbeiter von deu Metallspritzern zu leiden, wes-
halb ihre Hände meistens verbrannt sind; letzteres wird durch die Anwendung
von Giessmaschinen vermieden.
Nach dem Giessen ist vorzugsweise das Schleifen der Typen in sanitärer
Beziehung zu beachten; dasselbe geschieht auf einem rauhen Sandstein und kann
der hierbei abfallende Metallstaub schädlich einwirken, wenn nicht die gehörige
Reinlichkeit und Vorsicht beobachtet werden; gewöhnlich geschieht diese Arbeit durch
Mädchen. Ein Zusatz von Wasser beim Schleifen würde die Gefahr sehr vermindern.
Nach dem Schleifen kommen die Typen zum Richten uud Hobeln und
werden auf dem Rictittische mittels des Stosshobels und der Zieh klinge be-
arbeitet. Hier tritt ebenfalls Metallstaub auf, welcher besonders bei der An-
wendung der Ziehklinge einwirken kann, da dieselbe in der Weise gehandhabt
wird, dass die Bewegung gegen den Arbeiter hin geschieht.
Beim Schleifen und am Hobeltisch ist eine Intoxication, welche mit der
Bleikolik die grösste Aehnlichkeit hat, am häufigsten beobachtet worden, obgleich
auch Fälle vorkommen, dass 30 — 40 Jahre lang diese Arbeit ohne sichtbaren
Schaden ausgeführt worden ist. Die grösste Reinlichkeit kaun hier nur Schutz
gewähren; der Staub ist zu schwer, als dass er sich weit erheben könnte. Die
Behauptung, dass Schriftgiesser häufig von Lungenschwindsucht und Wassersucht
hinweggerafft werden, ist nicht begründet. Bezüglich des Essens im Fabviklocale,
der Reinigung des Körpers u. s.w., sind die bei der Bleiweissfabrication erwähnten
Vorsichtsmassregeln zu beachten.
Bei den Buchdruckern resp. Setzern wirkt derselbe metallische Staub
ein, der durch Abnutzung der Typen entsteht und sich vorzugsweise in den
Setzerkasten ansammelt.2) Die Bleikolik kann sich bei denselben nur bei grosser
Uureiulichkeit und Unachtsamkeit ausbilden, wenn die Typen häufig iu deu Mund
Antimonlegirungen. 309
genommen werden; geschieht dies mit den gewaschenen und noch nicht trocknen
Typen, so hat man wohl in Folge der anhaftenden Lauge Risse an den Lippen
oder entzündliche Anschwellung der Mundschleimhaut wahrgenommen (s. Antimon-
wasserstoff); als weitere Folgen können dann auch Verdauungsstörungen der ver-
schiedensten Art auftreten. Reinigung der Hände vor jedem Essen ist ein not-
wendiges Erforderuiss, um den an den Fingern klebenden Metallstaub nicht auf
die Speisen zu übertragen; deshalb ist auch in den Werkstätten jedes Essen und
Trinken zu untersagen.
In grossen Setzersälen steigert sich oft auch die Temperatur durch viele
Gasflammen auf eine unerträgliche Höhe, so dass eine zweckmässige, die Ableitung
der heissen und die Zuführung der frischen Luft erzielende Ventilation erfor-
derlich wird. Der Mangel einer frischen Atmosphäre kann wie in allen Werk-
stätten nachtheilig wirken; es ist aber nicht bewiesen, dass die Setzer vorzugs-
weise der Lungenschwindsucht unterliegen, wie behauptet worden ist.3) Die
Ausbildung von Varicen oder varicösen Geschwüren an den Unterschenkeln hängt
mit dem beständigen Stehen zusammen und wird bekanntlich überall beobachtet,
wo ähnliche Ursachen einwirken. Bis jetzt ist es nicht gelungen, eine den
Setzern eigentümliche Krankheit nachzuweisen; gute Luft und Reinlichkeit in
den Werkstätten sowie eine nüchterne und naturgemässe Lebensweise sichern
hier die Gesundheit. Dass bei den Druckern früher vielfach Hernien vor-
kamen, mag mit der körperlichen Anstrengung bei der Handpresse in Verbindung
gestanden haben, die Schnellpresse schützt vor solchen körperlichen Gebrechen.
Dass zu den vorzüglichsten Todesursachen der Drucker Auszehrung und Typhus
gehören, wie de Neufville statistisch nachgewiesen hat, können wir auf Grund
eigner Erfahrungen nicht bestätigen.4) Trennung der Räume, besondere Setzer-
und Druckersäle, sind bei jedem grössern Betriebe durchaus erforderlich, damit
den hygienischen Anforderungen entsprochen werde.
In den Räumen, in welchen gedruckt wird, entsteht in Folge der
Druckerschwärze, die auch mehr oder weniger noch an den gewaschenen
Typen hängen bleibt, eine unangenehme Atmosphäre, an welche die Arbeiter sich
zwar gewöhnen, die aber jedem Fremden in höherm Grade auffällt; jedenfalls
fordert dieser Geruch dringend dazu auf, für eine sorgfältige Lufterneuerung aller
Werkstätten zu sorgen.5)
Früher war es an manchen Orten Sitte, die Druckerschwärze mitTerpen-
thinöl und Bleiglätte zu vermischen, wodurch natürlich vielfach Anlass zu
Bleiintoxicationen geboten wurde. Im Allgemeinen haben sich aber viele schäd-
liche Einflüsse, welche man den Druckereien traditionell zuschrieb, bei näherer
Nachforschung als nicht vorhanden erwiesen.
Antimon und Wasserstoff.
Antimonwasserstoff AsH3 ist mit viel freiem H vermischt, aber noch nicht rein
dargestellt worden. Er entsteht, wenn nascirender Wasserstoff auf die Sauerstoffver-
bindungen des Antimons einwirkt und ist ein farbloses , brennbares Gas , wel ches den
Antimonspiegel liefert; frei von Arsen übt es keine nachtheilige Wirkung auf die
Menschen aus.6) Höchst wahrscheinlich entsteht es beim Abwaschen des Schrift-
giessermetalles (Antimon und Blei) mittels kaustischer Natronlauge, wobei sich unter
Wasserzersetzung einerseits Antimonoxyd und andrerseits Antimonwasserstoff
bilden. Die Laugen erzeugen nur bei Unachtsamkeit entzündliche Affectionen der
Finger, da die Procedur mittels Abbürstens geschieht.*)
*) Holzstöcke werden mittels KienÖls gereinigt.
310 Antimon.
Antimon und Chlor.
1) Antimontrichlorid SbCl3, eine weisse krystallinische Masse von weicher
Consistenz (Butyrum antimonii), wird im Grossen durch Behandeln des Auti-
montrisulfids (Autimouium crudum) mit Salzsäure dargestellt.
Sb, So + 6 H Cl = 2 Sb Cl3 + 3 H2S.
Man gebraucht hierzu gläserne tubulirte Retorten von 30—40 Pfd. Capacität, welche
im Sandbade liegen und mit tubulirten Vorlagen verbunden sind; letztere hält man durch
auftliessendes Wasser kühl und leitet den aus der Tubulatur entweichenden Schwefel-
wasserstoff in Kalkmilch oder unter den nothwendigen Vorsichtsmassregeln in die
Feuerung. Bei geringerm Betriebe kann er in den Schornstein abgeleitet werden; keines-
falls darf er sich im Fabrikiocale verbreiten. Das Zugeben der Salzsäure durch den
Tubulus der Retorte muss allmählig geschehen und wiederholt werden, wenn die Ent-
wicklung von H2S aufgehört hat.
Zuerst destillirt sehr wässrige Salzsäure nebst geringen Mengen von Antimon-
chlorid und Arsenchlorür über; erst wenn alles Schwefelantimon in der Retorte gelöst
ist, wird ohne weitere Zugabe von Salzsäure so lange destillirt, bis das Destillat im
Retortenhalse zu erstarren beginnt. Man wechselt nun die Vorlage mit einer trocknen:
unter verstärktem Feuer destillirt nun das Antimonchlorid continuirlich über und er-
starrt in der Vorlage zu einer krystallinischen Masse.
Die zuerst übergegangene arsenhaltige Salzsäure kann 3 — 4mal wieder auf
frisches Schwefelantimon gegossen werden, um das in ihr enthaltene Antimonchlorid
nicht zu verlieren. Schliesslich wird sie aber so arsenhaltig, dass sie auf Zusatz von
Wasser neben AI gar oth pul ver (ein weisses krystallinisches Pulver 2(SbOCl) -t- Sb303)
arsenige Säure in schönen glänzenden Octaedern absetzt. Sie verdient daher in
sanitärer Beziehung alle Beachtung und sollte wie die arsenikalischen Abflusswässer
in Anilinfabriken unschädlich gemacht werden.
Die Arbeiter leiden sehr durch die Dämpfe des wasserfreien Anti-
monchlorids, welche das fertige Product umhüllen. Mund, Nase und das Ge-
sicht werden leicht geätzt; selbst Trübungen der Hornhaut können eintreten;
nasse Schwämme vor Mund und Nase sind durchaus nothwendig und müssen
häufig gewechselt und ausgewaschen werden. Kommt die Flüssigkeit mit der
geringsten Verwundung der Haut zusammen, so entstehen die heftigsten Schmerzen.
In der Technik dient das Antimonchlorid vorzugsweise zum Bruniren (Bräunen)
von Gewehrläufen und wird daher auch in solchen Gegenden, wo die Gewebrfabri-
cation heimisch ist, am meisten dargestellt. Gewöhnlich bedient man sich jedoch
hierzu eines in salzsäurehaltigem Wasser gelösten Antimonchlorids; dieses
Wasser muss wenigstens 15° Salzsäure enthalten, um den sogen. Liquor stibii
chlor ati darzustellen, da ein grösserer Zusatz von Wasser das erwähnte Alga-
rothpulver ausscheidet; dieser Licpuor entwickelt keine Dämpfe. Beim Bruniren
bildet sich aber Autimonwasserstoff, welcher nach der Beschaffenheit der an-
gewendeten Salzsäure mit Arsenwasserstoff mehr oder weniger gemischt sein
kann. Es ist hierauf sehr zu achten, da die Procedur gewöhnlich in kleinen
Werkstätten vorgenommen wird; die Arbeit muss daher jedenfalls unter einem
gut ziehenden Rauchfauge vorgenommen werden.
Zur Erzeugung von rothen Mustern resp. von Antimonzinnober in der Lei-
nen- und Kattundruckerei behandelt man das Antimonchlorid mit unterschweflig-
saurem Natrium.
In der Glasmalerei gebraucht man zur Erzeugung gelber Farben Antimon-
oxyd, welches man sich durch Präcipitation des Antimonchlorids mittels Natriumcarbonats
bereitet.
2) Antimonpentachlorid SbCl5 entsteht durch Einleiten von Chlorgas in
Antimontrichlorid; es ist eine fast farblose, an der Luft rauchende Flüssigkeit,
welche vielfach in der organischen Chemie zur Anwendung kommt und ein abso-
lutes Absorbens für das reine schwere Kohlenwasserstoffgas ist.
Antimonoxvd. 31 1
Antimon und Sauerstoff.
1) Anthnonoxyd Sb203 kommt wie die Arsenikblüthe frei in der Natur dimorph
vor und zwar alsWeissspiessglanzerz in rhombischen Prismen und als Senarm ontit
in regulären Oetaedern. Künstlich erhält man es durch Verbrennen von Antimon an
der Luft oder durch Oxydation desselben mittels Salpetersäure. In einer Lösung von
Salzsäure wird, es durch Natriumcarbonat als Antimonhydrat oder antimonige
Säure SbO(OH) gefällt, welches in einer concentrirten Kali- oder Natronlauge löslich
ist und sich hierbei wie eine schwache Säure verhält; stärkern Säuren gegenüber tritt
es aber als eine Base auf und vertritt als SbO (Antimonyl) ein H der Säuren.
Weinsaures Antimonoxyd-Kalium CjLrI4K(SbO)Oö + 1/2H20 oder Tartarus sti-
Matus, StiMo-Kali tartaricuui hat wegen seiner technischen Darstellung im Grossen
ein sanitäres Interesse. Es wird hierbei arsenfreies Schwefelantimon mit Salpeter
verpufft, das Product pulverisirt und mit heissem Wasser ausgewaschen. Der
Rückstand wurde früher Antimonium diaphoreticum ablutum genannt und
besteht grösstentheils aus Antimonoxyd. Man trägt denselben in eine siedende
wässrige Weinsteinlösung, welche sich in einem mit Blei gefütterten Kessel be-
findet, bis zum Ueberschusse ein; die eingedampfte Salzlauge wird filtrirt und zur
Krystallisation hingestellt.
In sanitärer Beziehung ist hierbei Folgendes zu beachten: Beim Ver-
mischen und Pulverisiren von Schwefelantimon und Salpeter bilden sich in Folge
des einwirkenden Staubes leicht Hautleiden furunculöser Art; häufig beginnt der
Verschwärungsprocess an den Haarwurzeln, wo sich zuerst kleine schwarze
Puncte in Folge des abgelagerten Staubes zeigen.
Beim Pulverisiren und Sieben des Verpuff ungsrückstan des ist ebenfalls
Vorsicht erforderlich; die Arbeiter müssen sich hierbei einen Schwamm vor den Mund
binden und die Arbeit darf nur in einem von dem allgemeinen Fabriklocale ge-
trennten Räume vorgenommen werden. Der hierbei auftretende Staub (Antimon-
oxyd) verursacht sehr leicht Erbrechen; Hunde und Katzen, welche das Erbrochne
fressen, werden gleichfalls von starkem Erbrechen befallen.
Auch der Verpuffnugsprocess selbst muss unter einem Schlot oder in einem
geschlossenen Feuerraum auf eisernen Platten oder in flachen eisernen Kesseln
vorgenommen werden, weil sich neben schwefliger Säure ein starker weisser
Rauch von Antimonoxyd entwickelt; Arbeiter, welche sich diesen Dämpfen zu
sehr aussetzen, werden von heftigem Erbrechen befallen.
Die Waschwässer bestehen grösstentheils aus Kaliumsulfat und wenig antimon-
saurem Kalium: sie enthalten Arsen in der Form von Arseniksäure, wenn das Schwefel-
antimon arsenikhaltig war; sie dürfen dann weder in Schlinggruben noch in öffentliche
Canäle abgelassen werden.
Ebenso kann in diesem Falle die Mutterlauge vom Tart. stibiat. arsenhaltig sein,
was insofern zu beachten ist, als dann die späteren Krystallisationen ohne besondere
Reinigung nicht zu medicinischen Zwecken verwendet werden dürfen.
Die technische Verwendung von Brechweinstein findet in Färbereien und Drucke-
reien statt, um verschiedene Farben zu erzeugen; so druckt man z.B. eine Mischung
von Brechweinstein, Salzsäure und Thonpappe auf und zieht das gedruckte Zeug durch
ein Bad von verdünntem Schwefelcalcium; der frei werdende Schwefelwasserstoff wird
vom Antimon festgehalten, wodurch rothes Schwefelantimon entsteht.
Hat man die Pappe sehr angesäuert, so kann der Niederschlag auch durch ein
Bad von unterschwefligsaurem Natrium erzeugt werden, indem die unterschwef-
lige Säure in Schwefel, welcher an das Antimon tritt, und in entweichende schwef-
lige Säure zerfällt. Bei dieser Methode wird die Farbe lebhafter und besteht aus
Antimonzinnober; die Arbeiter haben sich vor dem entweichenden Gase zu hüten
und für eine hinreichende Ventilation der Arbeitsräume Sorge zu tragen.
2) Antimonsäure HSb03 entspricht der Metaphosphorsäure, kommt in der Natur
312 Wismuth.
sparsam als Antimonoeker vor und entsteht durch Erhitzen von Antimon mit con-
centrirter Salpetersäure als ein weisser, in Wasser sehr schwer löslicher Niederschlag;
mit Natrium bildet sie das unlöslichste Natriumsalz.
Technisch wird die Säure in der Glas-, Porcellan- und Emaillemalerei zur Er-
zeugung der gelben Farbe in beschränktem Masse angewendet, weil sie im Glattbrand-
feuer flüchtig ist. Ein schwaches Glühen verwandelt nämlich die Säure in Antimon -
Säureanhydrid Sb205. eine schwach gelbe amorphe Masse. Die Antimonsäure wird
im unreinen Zustande (Antimonasche) hauptsächlich in der Töpferei zur Darstellung
der gellten Glasuren benutzt.
Antimonsaures Antimonoxyd SbO. Sb03 oder Sb204 ist ein weisses, in der Hitze
sich gelb färbendes und durch Glühen sich nicht verflüchtigendes Pulver, welches ent-
steht, wenn eine Sauerstoffverbindung des Antimons an der Luft stark und anhaltend
geglüht wird.
Antimonsaures Bleioxyd ist der Hauptbestandteil des Neapel- und
Casselergelbs.
Antimon und Schwefel.
1) Antimontrisnlfid Sb.S3 kommt in der Natur als Grauspiessglanz vor und
stellt das Antimonium crudum des Handels, das aus den Erzen durch Saigerung
gewonnene Schwefelantimon dar: es hat eine stahlgraue Farbe und eine krystallinisch
faserige Textur von Metallglanz. Man stellt es durch directes Zusammenschmelzen von
Antimon und Schwefel dar.7) Mit alkalischen Sulfiden bildet es Sulfantimonite und
wird durch Salzsäure in Antimonchlorid und Schwefelwasserstoff zerlegt:
Sb2S3 -f- 6 HCl = 2 SbCl3 + 3 H2S.
Antimon oxysulfid Sb2S20 kommt in der Natur als Rothspiessglan z vor und
wird durch Erhitzen einer Lösung von Antimonchlorid oder Brechweinstein mit unter-
schwefligsaurem Natrium erhalten. Es stellt den S. 310 und 311 erwähnten Antimon-
zinnober dar.
Der Kenn es minerale für medicinische Zwecke wird durch Kochen von An-
timonsulfid mit Natriumcarbonat dargestellt und ist stets ein Gemisch von Antimon-
trisulfid und Antimonoxyd.
2 1 Antimonpentasnlfid Sb,Sä, Goldschwefel. Snlfnr anratam, Stibium sulfuratum
anraiitiacam , wird im Grossen durch Zerlegung des Sehiippe'ach.ea Salzes (Na3SbS4-f-
9H20) dargestellt. Dieses wird durch Kochen von Antimontrisulfid (Antimonium crudum)
und" Schwefel mit Natriumhydrat als Natriumsulfantimoniat erhalten; man dampft
ab und lässt krystallisiren. Wird dies Salz, welches eine schöne schwefelgelbe Farbe
hat, mit einer verdünnten Säure versetzt, so schlägt sich der Goldschwefel unter
starker Entwicklung von H2S als ein orangegelbes Pulver ab :
2Na3SbS4 + 3H2S04 = 3Na2S04-f-3H2S-r-Sb2S:.
Das massenhafte Auftreten von H2S ist sehr wohl zu beachten und kann bei Un-
vorsichtigkeit die schlimmsten Folgen für die Arbeiter haben ; es sind daher für die
letztere Manipulation durchaus geschlossene Bottiche erforderlich, welche mit einer Vor-
richtung zur Ableitung des Gases in den Schlot oder die Feuerung zu versehen sind.
In Kattundruckereien wird das Sehlippe'sche Salz zur Erzeugung orangerother
Farbe benutzt, indem man das mit diesem Salz bedruckte Zeug durch ein saures Bad
zieht, worauf sich der Goldschwefel auf dem Zeuge niederschlägt; der hier auftretende
H2S ist wegen seiner grossen Vertheilung weniger gefährlich.
Neuerdings stellt man der Billigkeit halber durch Glühen von Schwefelantimon,
Gips und Kohlenpulver ein Schwefelcalcium-S chwefelantimon dar und verfährt
damit wie oben, nachdem das Product in Wasser gelöst, die Lösung mit Thonpappe ver-
dickt und die Zeuge damit bedruckt worden sind.
Wismuth, Bi.
Wismuth kommt meistens gediegen auf Kobalt- und Silbergängen vor; mit Sauer-
stoff tritt es als Wismut hock er, mit Schwefel als Wismuth glänz (Bi2S3) sowie
als Begleiter des Tellurs, Arsens und Antimons auf. Es wird wie Antimon durch Aus-
saigern gewonnen; in Deutschland stellen es die Blaufarbenwerke in Oberschlema
und Pfannenstiel und die Freiberger Hütten dar; eine grossartige Wismuth-
saigerei findet sich zu Schneeberg in Sachsen. Das Metall hat ein grossblättriges
krystallinisches Gefüge, ist röthlich- weiss, sehr spröde, pulverisirbar und schmilzt bei
Wismuthindustrie.
313
267°; in der Weissgluth ist es vollständig flüchtig, beim Erhitzen verbrennt es zu
Wismuthoxyd Bi203; an trockner Luft bleibt es unverändert.
Wismuthindustrie
Wismuth muss wegen seines niedern Schmelzpunctes durch Aussaigern
von seiner Gangart befreit werden. Man mengt die wismuthhaltigen Erze mit
Kohlenpulver und bringt sie in eine schiefliegende Röhre (Fig. 36 «), die durch
ein Feuer umspült wird und an ihrem untern Ende (b) eine Thonplatte mit einer
Oeffnung zum Abfliessen des Metalls in den Tümpel c hat.
An ihrem höher gelegenen Ende
Fig. 36. -werden die abgesaigerten Erze, das sog.
trübe Erz, über eine geneigte Fläche
(d) in einen Wasserbehälter (e) gezogen.
Bei eee finden sich die Zuglöcher des
Ofens, welche in ein Gewölbe münden,
das mittels eines Fuchses mit dem
Schlot ( i) und der Gestübbekammer (h)
in Verbindung steht. Ein Schieber an
der Einmündung des Fuchses in den
Schlot dient zur Regulirung des Feuers.
Die aus dem Tümpel (e) aufsteigenden
metallischen Dämpfe passiren ebenfalls
den Schlot (i) und die Gestübbekammer
(h); der Tümpel ist mit Kohlenpulver
versehen, um die Oxydation des ge-
schmolzenen Wismuths zu verhüten und
steht auf einer Art von Rost, der einen
nach aussen mündenden Raum (o)
bedeckt. Das aus dem Saigerrohr
fliessende Metall geht mit der Schlacke
n den Tümpel über ; die specifisch schwereren Metalle sammeln sich im Tümpel an,
während die Schlacken als leichtere Substanzen überfliessen und sich unter dem erwähn-
ten Rost ansammeln. Die Schlacken werden dann nach aussen abgezogen und in Wasser
abgelöscht.
In sanitärer Beziehung ist zu bemerken, dass beim Einsetzen der
Mischung arsenikalische Dämpfe auftreten; da diese Manipulation alle halbe bis
dreiviertel Stunde vorgenommen wird und eine Schicht 12 Stunden dauert, so
werden die Arbeiter sehr häufig diesen schädlichen Dämpfen ausgesetzt; es kann
daher nicht auffallen, dass sie sehr häufig an den Folgen dieser giftigen Dämpfe
leiden. Es ist sehr noth wendig, an dem höher gelegenen Ende der Röhre eine
Arbeiternische mit einem gut ziehenden und in eine Gestübbekammer mündenden
Rauchfang anzubringen. Ausserdem müssen sich die Arbeiter bei der ganzen
Beschäftigung durch sorgfältiges Verbinden des Mundes und der Nase mit Tüchern
vor den schädlichen Dämpfen schützen.
Das Ablöschen der abgesaigerten Erze geschieht, um die arsenikalischen
Dämpfe sofort zu beseitigen; diese Löschwässer des faulen Erzes und der
Schlacken sind mit Vorsicht zu behandeln, da sie arsenikalisch sind; wenn die
Wismutherze kobalthaltig sind, so wird das taube Erz auf Kobalt weiter be-
handelt. Im Allgemeinen sind bei der Verhüttung des Wismuths dieselben Vor-
sichtsmassregeln wie bei Kobalt- und Nickelerzen zu beobachten, sowohl was die
Aufbereitung der Erze als auch die Gewinnung des Metalls betrifft.
Das im Handel vorkommende Wismuth ist niemals rein und enthält Arsen,
Blei, Kupfer, Quecksilber, Silber, Schwefel, Eisen u. s. w.
Das Metall wird durch Umschmelzen mit einem Zehntel seines Gewichts Salpeter
gereinigt; selbstredend bleiben dann die edlen Metalle in demselben zurück. Sind bloss
Schwefel und Arsen im Wismuth enthalten, so kann es durch Schmelzen mit kohlen-
314 Bor
saurem Natrium resp. Schwefel gereinigt werden: die Sehlacke enthält alsdann diese
beiden Verunreinigungen als Schwefelarseu und Schwefelnatrium neben Gold.
Das reine Wismuth übt bekanntlich keiue toxische Wirkung auf den thierischeu
Organismus aus.1)
Technische Verwendung von Wismuth. Wismuth legirt sich mit fast allen
Metallen; aus 1 Th. Blei. 1 Th. Zinn und 2 Th. Wismuth besteht das Rose'sche
Metall, welches bei 93,75° schmilzt. 8 Th. Wismuth, .0 Th. Blei und 3 Th. Ziuu
bilden das Newton'sche Metall, welches bei 98° C. schmilzt; eine Legirung von
5 Th. Wismuth. 2 Th. Zinn und 3 Th. Blei schmilzt bei 91, Gl" und wird nament-
lich zum Abgiesseu von Formen, Clicbiren von Holzschnitten, Stereotypen u. s. w.,
sowie zur Darstellung von Stereotypplatten augewendet, weil beim Erkalten der
geschmolzenen Legirung eine Ausdehnung stattfindet und die Schärfe des Ab-
druckes dadurch vermehrt wird.
Wird der Wismuthgehalt vermindert, so wird der Schmelzpunct erhöht, so dass
man dadurch Legirungen von Schmelzpuncten zwischen 100—200° darstellen kann: des-
halb wendet man dieselben auch als Sicherheitsvorrichtung bei Hochdruckdampfmaschinen
an; zu dem Ende verschliesst man ein kurzes Rohr, welches in dem Dampfkessel
ächraubt ist, mit einer Platte von dieser Legirung Erreicht nun die Temperatur
der Dämpfe den Schmelzpunct der Legirung, so schmilzt die Platte und gestattet den
Dämpfen einen Ausweg.
Wismuthlegirungen gebraucht man auch zu Metallbädern, zum Anlaufen resp.
Härten des Stahls, zur Darstellung von Stiften, womit man auf besonders (mit
Knochenasche) präparirtem Papier schreibt, sowie zur Anfertigung von Panorama-
Kugeln.
Mit Kalium geht Wismuth Verbindungen ein, welche bezüglich der Darstellung
organischer Wismuthverbindungen wichtig sind.
Wisilinthchlorid BiCl3 ist eine Wismuthverbindung, die ein gewerbliches Interesse
hat: diese weisse, in der Hitze schmelzende und butterähnlich erstarrende Masse
: Wismuthbutter) ist in Salzsäure löslich und an der Luft zerÜiesseud. Durch Wasser
wird sie in Wisiuuthoxychlorid BiOCl zersetzt, welches eiu in Wasser völlig unlösliches
Pulver darstellt und zur Erzeugung von künstlichen Perlen als Perl weiss und als
Schminke benutzt wird. Frisch aufgetragen macht die Schminke die Haut glänzend,
durch Aufnahme von Schwefel bekommt die Haut jedoch ein graues Ansehen: auch
dringt sie in die Hautporen und lässt sich durch mechanische Mittel sehr schwer daraus
entfernen.
Unter den übrigen Verbindungen ist nur das Bismuthum subnitricum,
Magisterium Bismuthi Bi 0 (N03) -f- Bi 0 (OH ) als Arzneimittel hervorzuheben; es
entsteht durch Behandeln des Wism u thnitrats Bi(N(V3 mit vielem Wasser.
Bor, B.
Bor kommt in der Natur nicht frei, sondern in Verbindung mit Sauerstoff als
Borsäure vor. Als Tinkal wurde borsaures Natrium seit den ältesten Zeiten aus
Indien nach Europa und im gereinigten Zustande als Borax in den Handel gebracht.
Man stellt Bor dar. indem man Borsäureanhydrid B;>03 unter einer Decke ge-
schmolzenen Kochsalzes mit Natrium bis zur Kothgluth erhitzt. Man erhält ein
amorphes Pulver von gräulich - brauner Farbe, welches sich leicht entzündet und zu
Bor säureanhydrid vei'brennt. Im krystallinischen Zustande wird es erhalten,
wenn man Borsäureanhydrid in der stärksten Weissgluth mit überschüssigem Aluminium
behandelt :
B203 + 2 AI = Alj 03 + 2 B.
Das erhaltene Bor heisst Diamantbor, weil es stark glänzende Quadratoctaeder
darstellt, geschliffen, gefasst und wie ein Edelstein benutzt werden kann.
Borsäure B(OH3) oder H3B03 findet sich im kochenden Wasser, im Wasser-
dampfe und in den heissen Gasen, die in Toscana aus Erdspalten ausströmen. Diese
Verbindungen des Bors. 3 1 5
Wässer und Dämpfe (Soffioni) lässt man durch Wasser, das ca. 20 % krystallisirte Bor-
säure aufnimmt, streichen und dampft dieses in grossen Pfannen von Bleiblech ab
und zwar mittels der Soffioni, die man in Canälen unter die Pfannen leitet. Die un-
reinen Krystalle der Borsäure werden durch Umkrystallisiren gereinigt.
Die Dämpfe der Soff ionen riechen schwach nach Schwefelwasserstoff und sind
von einem Gasgemenge begleitet, das vorzugsweise aus Kohlensäure (57,3 %\ Sauer-
stoff (6,57%) und Schwefelwasserstoff (1,42 %] neben Ammoniak besteht; letzteres
ist wahrscheinlich als Einfach-Schwefelammonium in den Dämpfen vorhanden.
Eine wichtige Quelle für Borsäure ist Boronatrocalcit, ein Doppelsalz von
Calcium- und Natriumborat (Na2B4Or-4- 2CaB40T + 18aq.), geworden, das sich in grossen
Lagern in Chili, Peru und der Nevada nahe der Central-Pacific-Eisenbahn findet.
Boraxhaltige Seen kommen in Centralasien und iu Californien vor. Die reine Borsäure
bildet glänzende, schuppige Krystalle und ist feuerbeständig: zündet man eine alkoho-
lische Lösung derselben an, so erhalten die Ränder der Flamme eine grüne Färbung.1)
Technische Verwendung findet die Borsäure zur Darstellung von Borax, zum
Glasiren von Porcellan, Fayence und gewöhnlichen Thonwaaren, zur Fabrication
von Flintglas und künstlichen Edelsteinen, beim Lötben, bei metallurgischen Pro-
cessen und zum Tränken von Dochten. Zur Darstellung von Manganborat,
dem besten Siccativ für Firnisse und Oelfarben, sowie zur Bereitung von Chrom-
borat, als Smaragdgrün oder Pannetier's Grün in der Kattundruckerei
bekannt, ist die Borsäure von Wichtigkeit; auch als antiseptisches Mittel zur
Conservirung von Fleisch, Milch "u. s.w. geniesst sie einen nicht unverdienten
Ruf und kann hier um so mehr zur Anwendung kommen, als sie keinen nach-
theiligen Einfiuss auf den Tbierorganismus ausübt (s. S. 82). Einer Taube wurde
1 Grm. davon eingeflösst, ohne dass sich Gesundheitsstörungen bemerkbar machten.
Borsanres Natrium, Xatrininborat, Borax Na2B4Or-f- 10H20 wird ebenfalls
hauptsächlich in Toskana künstlich durch Behandeln der Borsäure mit Natriumcarbonat
dargestellt. Beim Erhitzen geht Borax in eine schwammige Masse (gebrannter Borax)
über, während er durch Schmelzen in der Rothgluth beim Erkalten durchsichtig wird
(Boraxglas).
Technische Verwendung findet Borax in ähnlicher Weise wie Borsäure; durch
seine Eigenschaft, im geschmolzenen Zustande Metalloxyde aufzulösen, ist er zum
Löthen in den Gewerben unentbehrlich geworden. V\ie die Borsäure wird er auch
zur Glasur der Fayence und Thonwaaren benutzt und ist ein wichtiger Bestandtheil
vieler Glas- und Porcellanfarben: als Flussmittel zur Ausscheidung der Metalle aus
ihren Erzen nimmt er in der Metallurgie eine wichtige Stelle eiu. In der Hutfabrik
wird ein Firniss zum Steifen der Filzhüte benutzt, welcher aus Borax und Schellack
besteht und in Wasser löslich ist; mit Ca sein bildet er ein vortreffliches Klebemittel.
Aach kann er vielfach die Soda bei der Wäsche, beim Reinigen der Haare u. s. w. er-
setzen, da er die Fette emulgirt. Zur Fixation derMordants dient er in der Zeug-
druckerei und Färberei, als Ersatz des Kuhkothbades in der Türkischroth-Färberei
und als Lösungsmittel im Wasser unlöslicher Farbstoffe (Krapp, Kino, Sandelholz,
Drachenblut).
Noch ist hier zu erwähnen, dass sich Borax auch als Vertilgungsmittel der
Schwaben (Blatta orientalis) einen Ruf erworben hat.
316 Kohlenstoff.
Kohlenstoff, C.
Der Kohlenstoff ist ein nie fehlender Bestandteil aller pflanzlichen und tliie-
rischen Gebilde. Als amorphe Kohle tritt er besonders als Zersetzungsproduct orga-
nischer Substanzen auf und zwar entweder bei der unvollkommenen Verbrennung oder
bei der trocknen Destillation derselben; als Graphit, Reissblei, Wasserblei stellt
er kleine Krystallschüppchen dar, welche Metallglanz besitzen und abfärben.*; Als
Diamant findet er sich in reinem, farblosem und krystallisirtem Zustande Man unter-
scheidet 1) die Holzkohle als die reinste Kohle mit geringen Mengen von Alkalien
und alkalischen Erden. 2) die Thierkohle, welche Blutkohle heisst, wenn sie durch
Glühen vom Blut erhalten wird, während die Knochenkohle (Beinschwarz. Ebur
ustum) beim Verkohlen der Knochen entsteht; 3) die Zuckerkohle bildet sich beim
Glühen von Zucker: -4) der Kienruss scheidet sich beim unvollständigen Verbrennen
kohlenstoffreicher Substanzen ab: 5) die Gaskohle entsteht durch Zersetzung kohlen-
stoffhaltiger Gase als Kruste an den innern Wänden der Gasretorten: (!) die Koks
werden aus den Steinkohlen dargestellt.
Die Steinkohlen, die Braunkohlen und der Torf sind nicht mehr als reiner
Kohlenstoff zu betrachten, da sie als kohlenstoffreiche TJeberbleibsel organischer Gebilde
noch viele andere, hiervon herrührende flüchtige Stoffe enthalten. Der Anthracit enthält
aber 96 — 9S % Kohlenstoff und bildet den TJebergang zwischen Steinkohle und Graphit,
wie die Braunkohle das Uebergangsglied zwischen Torf und Steinkohle repräsentirt.
Eine italienische Kohle, die Carbone fossile, ist ein Zwischenglied zwischen Braunkohle
und Steinkohle.
Die Steinkohlen unterscheidet man nach ihrem Verhalten bei der trocknen
Destillation in Backkohlen (fette Kohlen), in Sinterkohlen und in Sandkohlen
(magere Kohlen). Die Backkohlen sind reich an Erdharz (Bitumen l und brennen wegen
der Entwicklung von flüchtigen Kohlenwasserstoffen aus dem Bitumen mit grösserer
Flamme als die Sinter- und Sandkohlen.
Bei allen diesen Gebilden finden sich ausserordentlich viele Uebergangsstufen; so
nähert sich die Braunkohle um so mehr der Steinkohle, je älter sie ist, während sie
im entgegengesetzten Falle mehr dem Torfe ähnlich ist
Die Paraffinkohle findet sich nur in der erdigen Braunkohle und besteht
grösstentheils aus den in den Pflanzen enthalten gewesenen Harz- und Wachstheilen,
welche der Verwesung nicht erlegen sind.
Die Blätter kohle (Shiste bitumineux) wird gewöhnlich von der Braunkohle
überdeckt und gehört mit dem Posidonienschiefer und dem bituminö sen Mergel
eigentlich der Liasformation an.
*) Graphit kommt im Gneis, Glimmerschiefer. Urkalkstein, in geringerer Menge
im Granit und Thonschiefer vor. Die berühmtesten Fundorte sind Südsibirien und die
Insel Ceylon. Im Roheisen entsteht er wahrscheinlich durch Zersetzung von Cyan und
Cyanverbindungen; daher kommt er auch als Nebenproduct bei der Sodafabrication vor.
Brodle sieht ihn für ein besonderes Element an, nennt ihn Graphon oder Graphium
und weist ihm eine Stelle neben Silicium und Bor an. Der bergmännisch geförderte
Graphit wird durch Zerkleinern, Mahlen und Schlämmen einer Reinigung unterworfen;
um absolut reinen Graphit zu erhalten, ist noch eine chemische Behandlung erforderlich.
Bekannt ist seine technische Verwendung zur Bleistiftfabrication, woher auch
sein Name (ypdcpelv) herrührt. Zu diesem Zwecke wird Graphitmehl mit höchst fein
geschlämmtem Thon vermischt; die Masse wird durch einen eisernen Cylinder gedrückt,
welcher an seiner untern Seite ein der gewünschten Breite und Form des Bleistifts ent-
sprechendes Loch hat : die einzelnen Stränge werden getrocknet und geglüht. In
sanitärer Beziehung ist auf den Staub beim Mahlen zu achten.
Ausserdem sind Graphittiegel als Schmelztiegel unentbehrlich. Ferner dieut
es zum Anstrich, zum Lustriren des Schiesspulvers, in der Galvanoplastik,
um die Gips-, Wachsformen u. s. w. leitend zu machen.
In der Papierfabrication setzt man Graphitstaub der Papiermasse vor dem
Schöpfen zu, um das graue Nadel- oder Rostpapier zum Einpacken von Näh- und
Stricknadeln zu fabriciren.
Ein Gemenge von Graphit und Holzkohle dem Schiesspulver zugesetzt, soll
dasselbe beim Transport schwerer entzündlich machen, weil die ganze Masse plastische
Eigenschaften dadurch erhält. Späterhiu kann das Gemenge durch Sieben vom Schiess-
pulver getrennt werden.
Verwendung der Kohle. 317
Der Torf stellt im Allgemeinen die Moorsubstanzen dar, welche als Reste unter-
gegangener Pflanzen, namentlich der Arten von Sphagnum, Hypnmn, Erica u. s. w. sich
aus stagnirenden Wässern absetzen. Der Baggertorf ist der älteste und festeste und
steht deshalb der Braunkohle am nächsten; von geringerer Güte ist der Stich- und
Moortorf.
Die trockne Destillation liefert ein gutes Mittel, um Steinkohle von Braunkohle
und Braunkohle von Torf zu unterscheiden. Die wahre Steinkohle liefert nämlich
hierbei stets Naphtalin und Paranaphtalin, die wahre Braunkohle dagegen
niemals Naphtalin, stets jedoch Paraffin. Die Destillation sproducte der wahren
Stein- und Braunkohlen reagiren stets alkalisch, die der Lignite aus der jüngsten
Braunkohlenformation oft sauer und zwar in Folge der hier reichlich auftretenden
Essig- und Buttersäure.
Der Torf liefert stets saure Destillationsproducte mit einem bedeutenden Gehalte
an Holzgeist; die saure Reaction rührt von Essig-, Butter- und Baldriansäure
her. Die zurückbleibenden Kohlenüberreste sind beim Torf stets cy anhaltig.
Die amorphe Kohle ist immer schwarz und verändert sich beim Glühen nicht,
wenn der Luftzutritt gehindert ist; beim Glühen an der Luft wird sie zu Kohlen-
säureanhydrid C02 oxydirt. Dies ist beim Diamant der Fall, wenn er weissglühend
in Sauerstoffgas gebracht wird. Die amorphe Kohle wird durch Lösen in geschmolze-
nem Eisen in Graphit verwandelt; je poröser die Kohle ist, desto leichter verbrennt
sie. In der Industrie nimmt sie als Brennmaterial die erste Stelle ein; ausserdem
besitzt sie eine grosse Befähigung, Gase, Riechstoffe, färbende Substanzen, Pflanzen-
alkaloide und Metalloxyde aufzunehmen und zwar um so mehr, je feiner sie vertheilt
ist Dies ist besonders bei der Knochenkohle der Fall, welche deshalb auch zur Des-
infection und Reinigung vieler Substanzen in der Technik häufig zur Anwendung
kommt; nicht minder sind ihre antiseptischen Eigenschaften bekannt.
Verwendung der Kohle 1) als Heizmaterial. Ein Brennmaterial ist eine um
so ergiebigere Wärmequelle, je mehr Sauerstoff es zu seiner Verbrennung bedarf;
so gebraucht 1 G. Tb. Wasserstoff 8 G. Th. Sauerstoff zu seiner vollständigen
Verbrennung, d. b. zur Bildung von Wasser. Dieser Körper würde, wenn er in hin-
reichender Menge und billig zu beschaffen wäre, das beste Brennmaterial sein.
Ihm zunächst steht der Kohlenstoff, welcher zu seiner Verbrennung für 3 G. Th.
an Sauerstoff 8.G. Th. verlangt.
Der Anthracit nimmt als reinste Kohle den ersten Platz ein, weil er die
verhältnissmässig grösste Menge Sauerstoff zu seiner vollständigen Verbrennung
bedarf. Die Steinkohle, Braunkohle und der Torf kommen ihm in der Wärme-
entwicklung nicht gleich, weil hier der Wasserstoff schon mit Kohlenstoff ver-
bunden ist und zur Entwicklung dieser Kohlenwasserstoffe ein Theil der Ver-
brennungswärme consumirt wird und hiernach als Heizeffect verloren gehen muss.
Hieraus geht hervor, dass die verschiedenen Brennmaterialien eine verschiedene
Zufuhr von Sauerstoff erfordern, daher auch die zur Verbrennung anzuwendenden
Apparate nach der Natur des Brennmaterials eine verschiedene Construction haben
müssen. Auch die Entzündlichkeit eines Brennmaterials kommt hierbei in Be-
tracht; so ist z. B. die Entzündlichkeit der Holzkohle bedeutend grösser als
die des Anthracits; ebenso liegt ihre Entzündungstemperatur bedeutend unter
der des Anthracits, sie bedarf daher einer viel langsamem Zufuhr von Sauerstoff,
d. h. eines schwächern Zuges im Ofen als Anthracit, obgleich beide Körper für
3 G. Th. Kohlenstoff 8 G. Th. Sauerstoff bedürfen.
Ein Ventilationsofen, der nur auf Holzkohlen eingerichtet ist, würde somit
seinem Zwecke wenig entsprechen, wenn derselbe auch zur Beschickung mit
Anthracit dienen sollte. Nach diesen Gesichtspuncten sind auch Steinkohle,
Braunkohle und Torf als Brennmaterial zu beurtheilen.
Die Sauerstoffmenge, welche ein Brennmaterial zu seiner vollständigen Ver-
brennung erfordert, findet man, wenn man die Sauerstoffmenge, welche zurVerbrennung
318 Kohlenstoff.
der einzelnen, im Brennmaterial enthaltenen Elemente (Kohlenstoff und Wasserstoff) noth-
wendig ist. summirt.
Durch Versuche sind nachstehende Zahlen im Durchschnitt ermittelt worden:
1 Kilogrm. Holz mit '25 % Wasser verlangt zur Verbrennung 5,2 Cm. Luft,
1 trocknes Holz — „ „ 6,9 _
1 .. Torf — — .... .. 11,2 „
1 .. Braunkohle — .. _ .. 11,6
1 _ Steinkohlä (geringere Sorte) .. „ 15.1
1 _ Koks — _ .. 15.1 _
1 _ 3 wohnliche Holzkohle .. _ 15,1 _ „
1 _ Steinkohle beste Sorte) .. .. _ 17,8 „
Die spezielle, hieraus resultirende Cunstruotion der Feuerungsanlagen lehrt
die Technik. Im Allgemeinen i^t hier nur zu bemerken, dass namentlich der Aschen-
l'all eine hinreichend grosse Oeffnttng haben muss. um die zur VerVjrennung notwen-
dige atmosphärische Luft leicht eindringen zu lassen. Das Spatium zwischen den ein-
zelnen Stäben des Rostes muss bei Steinkohlenfeuerung y4, bei Holzfeuerung
1 H der ganzen Rostfläche betragen. Die Beschaffenheit der Kostfläche richtet sich
nach den besondern Zwecken der Feuerung: bei einem stündlichen Gebrauche von
1 Kilogrm. Steinkohle verlangt man 1 Quadratdecimeter Rostfläche, bei Holzfeuerung
beträgt die Rostfläche nur die Hälfte hiervon. Es ist zweckmässig, unter dem Aschen-
fall eine Schicht Wasser anzubringen: es wird dadurch der Kost vor dem Verbrennen
geschützt, während die vom Rost nach unten auf die Wasserfläche ausstrahlende Wärme
das Wasser zum Verdunsten bringt. Auch kann man die Wasserfläche als Spiegel
benutzen, um den Gang der Feuerung zu beobachten, was bei den Centralheizungen
besonders wichtig ist. Die Feuerungst hür darf dem Brennmaterial nicht zu nahe
liegen: bei technischen Anlagen muss die Entfernung wenigstens 0,3 - 0,5 Meter betragen.
Ein wichtiges sanitäres Interesse nehmen die Verbrennungsproducte in
Anspruch. Man hat unter allen Umständen für einen ungehinderten Abzug derselben
durch den Kamin zu sorgen: ist die Verbindung zwischen Ofen und Schornstein ge-
stört oder stauen die sich entbindenden Gase, so tritt Kohlenoxyd nebst Kohlen-
säure in den zu erwärmenden Raum.
Nichts ist bekanntlich gefährlicher als das Schliessen der Ofenklappen, um den
Zug zu hemmen ; letzteres kann viel zweckmässiger durch Sperrung der Luftströmungs-
öffnungen bewirkt werden und sollten deshalb alle Klappen und Schieber an
Ofenröhren endlich polizeilich verboten werden, nachdem diese gefährliche
Einrichtung schon Hunderten von Menschen das Leben gekostet hat.
Undichte und schadhafte Röhrenleitungen, Risse im Ofen, sind ebenso beachtungs-
werth und sind deshalb auch Luftheizungen nicht immer gefahrlos.
Offene Kohlenbecken, wie in südlichen Gegenden, verderben ohne Ableitung
der Verbrennungsproducte die Luft iu den Wohnräumen im höchsten Grade; bei fossilen
Brennstoffen kann auch schweflige Säure auftreten.
Bei Füllöfen sammeln sich bisweilen unverbraunte Gase an und erzeugen als-
dann heftige und gefährliche Explosionen
Die Construction des Schornsteins ist für die Regulirung des Zuges der Oefen
von der grössten Wichtigkeit. In Wohnhäusern sollte jede Ofenfeuerung ihren
besonderu Kamin haben, um jede Störung des Zuges zu verhüten: die grössten
Gefahren können durch das Einmünden mehrerer Oefen in denselben Schornstein
entstehen, da unter Umständen der Kohlenduust dann in diejenigen Räume, in
welchen gar nicht geheizt wird, einzudringen vermag.
Auch die Schleifung der Kamine und der zu ihnen führenden Canäle ist
zu vermeiden, weil der Zug dadurch gehemmt, die Ablagerung von Russ ver-
mehrt und hierdurch die Feuersgefahr vergrössert wird.
Zur Verminderung der Reibung und Vermehrung des Zuges muss der Kamin
im Innern ganz glatte Flächen und von aussen ganz dicht sein. Der
Schornstein muss sich möglichst über den Dachfirst erheben, wobei jedoch zu
beachten ist, dass die Höhe und Weite desselben sich stets nach der Summe
der Rostflächen und nach der Beschaffenheit des Brennmaterials richten muss.
Im Allgemeinen kann man annehmen, dass der Quadratinhalt des Quer-
Verwendung der Kohle. 319
Schnitts des Kamins wenigstens das Doppelte vom Quadratinhalte
der Summe der Rostzwischenräume betragen muss.
Die Störungen des Luftzuges in den Schornsteinen sind in sanitärer Beziehung
sehr zu beachten, da sie unter Umständen lebensgefährliche Intoxicationen herbeiführen
können, namentlich wenn sie da eintreten, wo eine Beaufsichtigung der Feuerung nicht
stattfindet.
Die geringsten Störungen treten bei den Kaminen ein, wenn sie frei liegen und
ihre Mündung die höchsten Gebäulichkeiten überragt. Es kann dann "der Wind nicht,
von irgend einem Gegenstande aufgehalten, zurückprallen und hemmend auf den Zug
des Kamins einwirken; nur ein unendlich starker Windstoss, welcher über den Kamin
wegstreicht und stärker ist als die aufsteigende warme Luft, ist dann vermögend, den
Zug momentan zu hemmen und das Austreten von Rauch und Dampf in den be-
treffenden Wohnräumen zu verursachen. Mann nennt diesen Zustand das Abschnei-
den des Zuges; er tritt übrigens sehr selten ein.
Werden die Kamine von höher liegenden Gegenständen irgend einer Art über-
ragt, so kann der von diesen Gegenständen zurückprallende Wind den Zug nicht allein
für Augenblicke, sondern für längere Zeit hemmen. Es kann diesem Uebelstande, der
besonders in grössern Städten vorkommt, nur durch Erhöhung des Kamins oder Auf-
setzen einer sogenannten Windhaube abgeholfen werden; letztere wird durch eine
wimpelartige Einrichtung so gedreht, dass der Zug in derselben Richtung mit dem
Winde geht.1)
Ein anderes Hemmniss des Zuges beruht auf der ungleichmässigen Erwär-
mung der verschiedenen Luftschichten im Kamin und tritt dann ein, wenn der
obere Theil der Luftsäule im Kamin wärmer und leichter als der untere ist. Dieser
Umstand zeigt sich, wenn z. B. der obere Theil des Kamins von der Sonne getroffen
wird; man pflegt alsdann zu sagen: „die Sonne liegt auf dem Kamine". Dieselbe Fata-
lität kann auch dann entstehen, wenn bloss eine windstille, gewitterschwüle Luft vor-
handen ist; man sagt alsdann im gewöhnlichen Leben: „das Gewitter liegt auf dem
Kamine".
Diesem Uebelstande ist leicht dadurch abzuhelfen, dass man eine flackrige und
wenig Rauch gebende Flamme, z. B. durch Anzünden von in Alkohol getauchten
Papierschnitzeln oder Lumpen u. s. w., im Ofen des Erdgeschosses erzeugt und dadurch
die unten stehende kältere Luftschicht erwärmt und in Bewegung setzt.
Es können ferner die Uebelstande des sogenannten Rauchens des Kamins erzeugt
werden, wenn in einen und denselben Kamin zu viele Feuerungen gehen oder auch
der Kamin durchgehends zu weit ist. Im erstem Falle kann der Schornstein nicht alleVer-
brennungsprodiicte fassen, der Zug wird gehemmt und das Austreten des Rauches aus
dem Ofen in die betreffenden Räume ist die nächste Folge. Im letztern Falle bilden
sich zwei Luftströmungen, die eine, die warme Luftströmung, geht nach oben und
führt die "Verbrennungsgase mit sich; letztere werden allmählig abgekühlt, oben von dem
kältern nach unten sich bewegenden Luftstrom erfasst und somit in die bewohnten
Räume zurückgeführt. Diese Nachtheile geben sich besonders bei offenen Schorn-
steinbusen, welche auf dem platten Lande noch häufig in Gebrauch sind, kund
Rauchverzelirnng. Um den Zug zu beschleunigen, muss der Kamin für technische
Anlagen erhöht werden: reicht die Erhöhung des Kamins nicht aus, so muss mit der-
selben die Verminderung des Spatiums zwischen den Roststäben Hand in Hand gehen.
Ist auch dies nicht genügend, so muss künstliche Luftzuführung, also ein Gebläse zur
Anwendung kommen. Sowohl bezüglich des Zuges als auch der geringen Belästigung
durch den Russ haben sich die sogenannten Abkühlkamm ern sehr vortheilhaft be-
währt; dieselben stellen grosse, viereckige, überwölbte leere Räume dar, in welche die
verschiedenen Züge der Feuerung münden; diesen gegenüber ist nur ein einziger
Austritt in einen hohen Schornstein vorhanden.
Es ist vorzugsweise zu beachten, dass die Oeffnungen für das Zu- und Abströmen
der Luft an den obern Theilen der Kammer sich befinden, da sich die grösste Menge
Russ im sogenannten faulen Raum, in welchem keine directe Bewegung stattfindet,
ansammelt. Später nimmt man durch eine seitlich angebrachte Thür Russ und Flug-
asche heraus.
Der einzige Nachtheil dieser Einrichtung besteht in einem beständigen Geräusch,
welches sich ähnlich dem Brummen eines Ventilators in der Abkühlkammer erzeugt.
Die sicherste Rauchver zehrung geschieht dadurch, dass die Feuergase vor
ihrem Abgange in den Kamin einen glühenden Raum passiren. Diese Einrichtung
passt vorzüglich für solche Etablissements, welche für Anheizung und Erwärmung einer
besondern rauchfreien Feuerung^ bedürfen, wie dies z.B. bei Glashütten und manchen
metallurgischen Processen der Fall ist. Hierbei ist zu beachten, dass der Zug in dem
320 Kohlenstoff.
Hauptkaruin tiefer Hegen muss. als der russführende Zug. damit der Rauch das Feuer
passirt. — In England wird das Gesetz, nach welchem jeder Schornstein nur 5 Minuten
lang rauchen darf, durch Errichtung von zwei miteinander verbundenen Schornsteinen
umgangen, indem man bald den einen, bald den andern mittels eines Schiebers ab-
-"lnd benutzt.3
Die verschiedenen Etagen roste behufs Rauchverbrennung erfordern zwar
viel Aufmerksamkeit bei der Bedienung, haben aber eine grosse Verbreitung ge-
funden; ihr Princip beruht ebenfalls darauf, dass über glühende Kohlen die
russende Flamme des frisch aufgeworfenen Brennmaterials streichen muss.
Ueber die Notwendigkeit der Ranchverzehrnng bei Anwendung von bituminösen
Fossilien. Die bei der Verbrennung sehr bitumenreicher Fossilien auftretenden
Russmassen siud nicht unerheblich und können durch Verunreinigung manche Be-
lästigung hervorrufen. Auf der andern Seite sind es auch die Bestandteile des-
selben, welche häufig störend in die gewerbliche Beschäftigung eingreifen oder die
Vegetatiou beeinträchtigen. Der Russ enthält ausser Kohlenstoff noch eine ganze
Reihe empyreumatischer Producte, worunter die Ammoniumsalze, das Kreosot
resp. die Carb olsäure, Brandharze und nicht selten Theerbasen vorzugs-
weise iu Betracht kommen. Es kann deshalb nicht auffallend sein, dass in der
Nähe von Fabriken, welche sehr russende Kohle verwenden, das von den Dächern
aufgefangene Regenwasser höchst unrein und für etliche Zwecke ganz unbrauch-
bar ist. Zur Bereitung mancher Speisen wird unbedingt weiches Wasser erfor-
dert; will man nun ein derartig verunreinigtes Regenwasser hierfür gebrauchen,
so büssen nicht selten die Speisen viel von ihrem Wohlgeschmack ein.
Es gibt Länder, z. B. Holland, ein grosser Theil von Dänemark und mehrere
Küstenstriche von Holstein, •welche kein trinkbares Brunnenwasser besitzen, da dasselbe
durch organische Substanzen mehr oder minder gelb gefärbt ist und einen mulstrigen
Geschmack hat. In diesen Ländern ist die Aufhebung des Regenwassers zur Benutzung
als Trinkwasser geboten: die Güte desselben kann aber durch den Aufschwung der
Industrie sehr beeinträchtigt werden. Hierfür liefern die grossen Städte Hollands, wie
Amsterdam und Rotterdam . den augenscheinlichsten Beweis. So lange diese beiden
Städte Torf als Brennmaterial benutzten, blieb das Regenwasser gut; da aber in neuerer
Zeit die billigeren Steinkohlen aus England und Deutschland eingeführt worden sind,
hat sich die Qualität des Regenwassers sehr bedeutend verschlechtert und zwar des-
halb, weil beim Verbrauch sehr bituminöser Steinkohlen die Russerzeugung gross ist
und die verhältnissmässig niedrigen Kamine das Ablagern des Russes auf den Dächern
begünstigen. Dies rührt nämlich daher, dass die Construction der Kamine der
Verbrennung des Torfes, welcher einen viel geringern Zug als die Stein-
kohlen bedarf, angepasst ist, nicht aber der der Steinkohlen. Für alle diese
Länder ist deshalb die Rauchverzehrung von der grossten Wichtigkeit, abgesehen davon,
dass der Rauch überall Belästigung verschafft.
Ein mit Russ verunreinigtes Regenwasser hat auch bezüglich der Wäsche grosse
Nachtheile und erfordert besonders einen grössern Consum von Seife, wreil die Be-
standteile eines solchen Regenwassers die Seife zerlegen und gleichzeitig auch
die durch den Russ entstandenen Flecke einen grössern Verbrauch von Seife er-
heischen : ausserdem wird bekanntlich das Trocknen der Wäsche durch eine Russatmosphäre
sehr benachtheiligt.
Für die Pflanzen kann der Russ ebenfalls mechanisch nachtheilig werden, da er
die feinen Poren der Blätter verstopft, dadurch die Verdunstung hemmt und somit die
Circulation beeinträchtigt. Enthält der Russ noch empyreumatische Stoffe, so kann er
ein sofortiges Absterben der Blätter bewirken: es ist vorzugsweise der Gehalt an
Carb olsäure. der stets diese Erscheinung resp. Störung hervorruft. Das Getreide,
welches in solchen Gegenden wächst, liefert immer ein weniger weisses, ein graues
Mehl, das eine geringere Qualität darstellt und deshalb schlechter bezahlt wird, so
dass die Eigenthümer peeuniären Schaden durch die Einwirkung des Russes erleiden.
Auch Getreide, welches in der Nähe volkreicher und indnstriereieber Städte gezogen
wird, liefert fast niemals ein ganz weisses Mehl.
Russfabrication. 321
So ist auch die Leinen- und Wachsbleiche da, wo russende Steinkohlen
verbrannt werden, ganz unausführbar. Alle diese Thatsachen sprechen für die dringende
Nothwendigkeit, dass die Baupolizei bezüglich der Rauchverzehrung kräftiger, als es bis-
her geschehen ist, einschreite.
2) Die Kohle als Farbe. Die Kohle ist der eigentliche Repräsentant der
schwarzen Farbe; ganz besonders ist es der fein zertheilte Kohlenstoff, derRuss,
welcher als Deckfarbe benutzt wird. Nach der Beschaffenheit des zur Darstellung
benutzten Brennmaterials richtet sich auch die Natur resp. Qualität des Russes.
Man unterscheidet leichten, schweren und Glanzruss; unter leichtem
Russ begreift man Flatter-, Kien- oder Lampenruss. Diese Sorten des
leichten Russes unterscheiden sich weniger durch ihre Zusammensetzung und
Eigenschaft als durch ihre Darstellungsweise.
Der schwere Russ enthält meist Bitumen und hat ein bedeutend höheres
specifisches Gewicht; der Glanzruss ist völlig von Bitumen durchtränkt und
bildet einen glänzenden Ueberzug, woher sein Name stammt; er kann bei hoher
Temperatur durch seinen Gehalt an Bitumen und Brandharz flüssig werden, ab-
tropfen und in Brand gerathen.
Die Russbereitung beruht im Allgemeinen auf der Verbrennung sehr kohlen-
stoffhaltiger Kohlenwasserstoffe, wobei die Sauerstoffzufuhr so regulirt wird, dass
hauptsächlich nur der am leichtesten entzündliche "Wasserstoff verbrennt und
der Kohlenstoff sich als feiner Staub in Form von feinem Russ ausscheidet.
Die verschiedenen Russarten erfordern zu ihrer Erzeugung besondere
Apparate, welche aus dem Verbrennungsraume, dem sogen. Herde und den
Russkaramern resp.Rnsscanälen, sowie aus der zurWegführung derVerbrennungs-
producte angebrachten Luftzufuhr- resp. Luftabfuhr-Eiurichtung bestehen.
Werden zu letztem Zwecke bloss hohe Kamine angewendet, so findet die Ab-
lagerung des Russes in grossen Kammern statt, wird jedoch die Luftzufuhr
mittels Ventilatoren erzeugt, so lagert sich der Russ in langen Canälen, welche
durch kleine Kammern unterbrochen sind, ab.
Je weiter sich alsdann der Russ vom Verbrennungsapparate entfernt abge-
lagert hat, desto leichter und besser ist die Qualität desselben; es hat deshalb
die Anwendung des Ventilators den grossen Vortheil, dass gleichsam ein Sortiren
des Kienrusses sofort bei der Erzeugung stattfindet.
a) Den leichten Kienruss erhält man durch Verbrennen von Harzen, harz-
reichen Hölzern, Theer, Theerölen, Rückständen der Petroleumrectification oder
der Leuchtgasbereitung, bei beschränkter Sauerstoffzufuhr.
Den feinsten Kienruss, den Lampenruss, stellt man dar, wenn man die
schweren Steinkohlen-Theeröle, die Oele der beiden letzten Fractionirungen,
deren Siedepunct bis 275° und darüber geht, bei gehemmtem Luftzuge verbrennt; sie
werden zusammen in Behälter gegeben, welche durch künstliche Wärme so weit erhitzt
werden, dass das Naphtalin in dem Oel gelöst bleibt. Aus diesem Behälter wird eine
Röhre nach dem sogenannten Lampenrohre geführt, welches 50-100 Lampen ent-
hält, deren Oelbehälter nach dem System der umgestürzten Flaschen oder Sturz Haschen
bei constantem Niveau (Benkler'sches System) construirt sind und deren Dochte 1 — 1 1/4 Zoll
Durchmesser haben. Die Lampen werden dann angezündet und durch unvollkommenes
Schliessen der eisernen Thür des Lampenofens wird nur so viel Luft zugelassen, dass
hauptsächlich nur der Wasserstoff dieser Oele verbrennen kann und sich der. Kohlenstoff
als Lampenruss ausscheidet. Man verbindet diese Lampenöfen mit Exhaustoren,
welche den gebildeten Russ in Ablagerungscanäle einsaugen.
Häufig wird der leichte Kienruss (Flatterruss) aus Theer dargestellt. Die
Eulenberg, Gewerbe-Hygiene. "
322 Kohl eD stoff.
\ 't -rbrennung geschieht in grossen Herden, wobei der Theer sich in pfannenähnlichen
offenen Behältern befindet, in welchen er verbrannt wird: auch hier wird die Zufuhr
des Sauerstoffs durch die Thür an der Feuerung regulirt und zwar entweder durch
Schieber in der Thür oder durch Oeffnen und Sehliessen der Thür selbst.
Man beobachtet hierbei zwei Methoden, um die Wärme zu verwerthen, die bei
der Kienrussbereitung in Folge des beschränkten Zuges der Feuerung abfällt. In dem
einen Falle wird nämlich frischer Theer, welcher sich in Kesseln über demVerbrennungs-
apparate befindet, durch die Verbrennungswärme abdestillirt: die Producte werden ent-
weder als solche gebraucht oder nach der oben erwähnten Weise zur Darstellung von
Lampenrnss benutzt.
Nach der andern Methode sind die über dem Verbrennungsapparate hegenden
Kessel mit Was füllt, welches durch die abfallende Wärme ins Sieden gebracht
wird und mannigfache Benutzung erfährt: man hat sogar mit Erfolg den Versuch ge-
macht, diese Kessel als Dampferzeuger für Dampfmaschinen zu benutzen.
Die Gase und Dämpfe, welche aus den Russkammern resp. Russcanälen
austreten, bestehen aus Kohlensäure, Kohlenoxyd, Wasser, Sumpfgas,
Leuchtgas, schwefliger Säure, Blausäure, Ammoniak, Acetylen und
der ganzen Reihe der flüchtigen Kohlenwasserstoffe, unter denen
Naphtalin nie fehlt. In den meisten Fällen sind die abziehbaren Gase brenn-
bar, können aber nur bei der grössten Vorsicht durch Verbrennung unschädlich
gemacht werden; dieselbe ist nur bei der Anwendung des Ventilators ausführbar,
weil sich die Verbrennung bei den Russkammern sehr leicht auf diese selbst aus-
dehnen kann. Wo hohe Kamine den Luftzug herstellen, da lässt man die Gase
und Dämpfe stets in's Freie austreten, was auch mit keinem weitern Bedenken
verbunden ist, da die Fabriken dieser Art ohuehin nicht in volkreichen Städtea
etablirt werden können und dürfen; sie müssen stets schon wegen der Aus-
breitung des Russes in die nächste Umgebung eine freie Lage haben. Dieser
Umstand hat aber häufig eine Benachtheiligung der Vegetation zur Folge und
namentlich wird das in der Nähe solcher Fabriken gezogene Getreide niemals
ein normales weisses Mehl liefern; erfahrnngsgemäss muss nicht selten den
Besitzern der betreffenden Felder deshalb ein Schadenersatz geleistet werden.
Die Fabricanten sind sogar häufig genöthigt, den der Fabrik zunächst gelegenen
Grund und Boden anzukaufen, um diese Nachtheile selbst zu tragen.
Verwendung des leichten Kienrnsses. Kienruss wird für die Bereitung der
Druckerschwärze, der schwarzen Lacke zu Glanzleder u. s. w. benutzt. Da er aber
noch brenzliche Producte. namentlich Carbolsäure und Naphtalin enthält, so müssen
■■ Korper ganz besonders dann zerstört werden, wenn er zur Bereitung der Drucker-
schwärze verwendet werden soll; geschieht dies nicht, so bekommen die Buchstaben als-
bald einen gelblichen Rand. Zur Zerstörung dieser brenzbchen Producte wird der Russ
in gur-seisernen Cvlindern, welche fest verschlossen sind und nur eine kleine Oeffnung
für die Entweichung dieser Producte haben, 1. 2 oder Urnal geglüht. Der Russ heisst
alsdann 1. 2 oder 3mal gebrannt und man erkennt diese Sorten schon an der Ver-
packung, indem man das Fabrikzeichen eben so viele Mal einbrennt als der Russ ge-
brannt worden ist.
Die hierbei auftretenden brenzlichen Producte haben einen penetranten und un-
angenehmen Geruch und sind denselben erhebliche Mengen Kohlenoxyd beigemengt:
es muss deshalb unter allen umständen für die Ableitung resp. Verbrennung
derselben gesorgt werden.
b) Den schweren Kienruss erhält man durch Verbrennen von bituminösen
Fossilien (Steinkohle. Braunkohle, Torf), von bituminösem Liasschiefer, natür-
lichem Asphalt, überhaupt fossilen Erdharzen, unter Anwendung der obengenann-
ten Apparate. Da er mehr oder weniger mit Aschenbestandtheilen und Brand-
harzen verunreinigt ist, so hat er einen geringern Farbwerth und wird vorzugs-
weise für die Wichsfabrication u. s. w. benutzt.
Russverpackung. 323
c) Der Glanzruss (Fuligo splendens) bildet sich als Nebenproduct bei der
Holzverbrennung; er hat eine beschränkte Anwendung. Man benutzte ihn früher
als Arzneimittel oder als Conservirungsmittel für Fleisch in einem wässrigen,
essighaltigen Auszuge; auch eine sepiabraune Farbe stellt man daraus dar; seltner
wird er beim Zeugdruck benutzt.
Zu den Russarten gehört auch noch der chinesische Russ oder das chine-
sische Schwarz, welches, in Bambusrohren verpackt, über Indien in den Handel ge-
bracht und aus Campheröl, Campherharz und überhaupt aus campherhaltigen Rück-
ständen bereitet wird; es zeichnet sich durch einen metallischen Glanz aus und ist be-
deutend leichter als der gewöhnliche Kienruss. Die chinesische Tusche besteht
hauptsächlich aus dem Russ von Sesamöl oder von dem Oel der Bignonia tomentosa.
Frankfurter Schwarz, Rebschwarz bereitet man durch Verkohlen von Trauben-
kämmen, Weinhefe und von im Frühjahr abgeschnittenen Weinreben, das Spanische
Schwarz durch Verkohlen der Abfälle des Korkholzes. Durch Verkohlen des Spindel-
baums entsteht die Reisskohle, welche zu Zeichenstiften fabricirt wird.
Die Russverpackung. Der Russ wird nach seiner Feinheit verschieden verpackt:
den feinen und leichten Lampenruss verpackt man in kleinen Fässchen, den schwereren
Flatterruss in grossen Fässern oder selbst Ballen.
Da der Russ sehr locker ist, so muss die ganze Masse compacter gemacht werden,
damit sie ein geringeres Volumen einnimmt; deshalb bringt man den Russ in Säcke und
übt auf dieselben entweder durch Treten mit den Füssen oder durch ein Walzenpaar
einen kräftigen und anhaltenden Druck aus.
In einigen Gegenden Deutschlands und Frankreichs geschieht die Verpackung
noch durch Eintreten mit den Füssen. Gewöhnlich besorgen Frauenzimmer das
Geschäft: ein Frauenzimmer steigt in das zu verpackende Fass und ist mit einem langen
Kleide angethan, welches über den Hüften mit einem Gürtel fest verschlossen ist; das
Kleid ist so weit, dass es das ganze Fass bedeckt. Es wird nun ein Reif über den
Kopf des Mädchens in der Art herabgelassen, dass das Kleid hermetisch auf das
Fass gedrückt wird. Eine zweite Ferson bringt nun durch den Schlitz des Kleides
einen leinenen Schlauch, um mittels desselben den Russ in das Fass zu leiten. Wenn
die Person fühlt, dass sie einige Zoll Russ unter den Füssen hat, so tritt sie, indem sie
die Oeffnung des Kleides fest zuhält, den Russ mit den Füssen auf der ganzen Boden-
fläche fest zusammen; dann lässt sie neuen Russ zuschütten, welchen sie wieder mit
den Füssen feststampft; dadurch erhebt sie sich im Fasse und zieht das Kleid unter
dem Reifen so lange nach, bis das Fass gefüllt ist.
Bei dieser Arbeit bildet sich eine eigenthümliche Hautkrankheit aus,
namentlich zwischen den Fusszehen, am Schenkel und an den äussern Genitalien;
seltner zeigen sich Mundgeschwüre. Das Leiden besteht in einer Ver-
eiterung der Talgdrüschen der Haut; ein kleiner schwarzer Punct an
der Ausmündungstelle der Talgdrüsen umgibt sich mit einem rothen Hofe, es
treten Anschwellung und Verdickung in Folge von Exsudation ein, worauf gewöhn-
lich Eiterbildung folgt. An den Genitalien bekommen die Geschwüre leicht einen
speckigen Grund und werden dadurch den syphilitischen Geschwüren sehr ähn-
lich. Das schwarze Püuctchen scheint nicht allein vom Schmutze resp. vom Russe,
sondern auch von einer Vereinigung des Naphtalins mit dem Inhalt der Talg-
drüschen herzurühren. Rossignon3) fand nämlich, dass ^aphtalin und
Schweineschmalz, wochenlang der Luft ausgesetzt, unter Aufnahme von Sauer-
stoff und Entwicklung von Kohlensäure eine schwarze Masse bilden. Bekanntlich
besteht das Fett der Talgdrüschen wie das Schweineschmalz aus Margariu und
Olein und es liegt deshalb die Annahme nahe, dass in der Haut ein ähnlicher
Process stattfinden kann, da der gewöhnliche Russ immer Naphialin enthält.
Eine sorgfältige Reinigung der Haut ist das Mittel, diese Hautkrankheit zu
verhüten; die Arbeiter müssen sich aber zuerst mit wenig Theer, dann mit Fett
die Haut einreiben und sich schliesslich mit einem Seifenbade vollständig
reinigen.
21*
3-J4 Kohlenstoff.
Das Eintreten des Rnsses mit den Füssen ist übrigens eine sehr anstrengende
Arbeit; erfahrnngsgemäss kann Niemand länger als 5 Tage diese Verpackung
aushalten. Das Seh warzspuckeu zeigt sich fast bei allen Arbeitern, die in
den Fabriken von Kienruss beschäftigt sind; niemals fehlt es bei denjenigen,
welche vorzugsweise die Verpackung besorgen. Ein Xachtheil tritt selten bei ge-
sunden Leuten ein; es verliert sich meist schnell wieder, wenn man den äussern
Einflüssen nicht mehr ausgesetzt ist. Bei tubercnlösen Individuen bringt es jedoch
bisweilen einen entschiedenen Nachtheil und auf Grund eigener Beobachtungen
glauben wir annehmen zu müssen, dass der Erweichungsprocess der Tuberkeln
dadurch begüustigt wird, indem wohl zu beachten ist, dass sich der Russ durch
seinen Gehalt an Carbolsäure wesentlich von dem gewöhnlichen Kohlenstaub uuter-
scheidet und mehr Reizuugeu der Respirationsorgane zu erzeugen vermag.
3) Amvendnng der Kohle znr Entfärbung und Desinfection. Man benutzt zur
Entfärbung vorzüglich die Knochenkohle (Ebur ustum). deren Darstellung iu
der trocknen Destillation der Kuochen beruht.
In ganz primitiver Weise füllt man eiserne Töpfe mit den zerschlagenen Knochen,
stürzt sie übereinander und verkittet sie so mit Lehm, dass dadurch das Austreten der
oic-ht verhindert wird: letztere entzünden sich und unterstützen auf diese Weise
den Yerbrennungsprocess. Diese ganze Procedur ist wegen ihrer grossen Belästigung
nur in unbewohnten Gegenden zulässig: in technischer und sanitärer Beziehung ist das
Verfahren vorzuziehen, nach welchem die Knochen in Retorten oder Gründern bei Ab-
schluss der Luft der Rothgluth ausgesetzt und die Producte der trocknen Destillation
in Vorlagen und Kühlapparaten aufgefangen und verwerthet werden.
Die verkohlten Knochen werden in Stampfmühlen bei häufiger Wasserbefeuchtung
grob gemahlen und die verschiedenen Sorten bezüglich de? Kurns durch Sieben getrennt.
Die stickstoffhaltige Kohle, welche mit dreibasisch phosphorsaurem Calcium innig ge-
mengt und äusserst fein vertheilt ist, besitzt die Eigenschaft der Entfärbung ganz be-
sonders, weshalb sie vorzugsweise Klär kohle genannt wird: sie hat in der Runkel-
rübenzuckerfabrication einen vollständigen Umschwung hervorgerufen.
Durch Ausziehen des Calciumphosphats mittels verdünnter Salzsäure aus
den verkohlten Knochen wird die Entfärbungsiähigkeit vermehrt, weil erstere=> die Kohle
gleichsam umhüllt. Dem vollkommenen Ausziehen des Calciumphosphats steht die
schwierige Filtrirbarkeit der mit einer solchen feinen Kohle behandelten Flüssigkeit ent-
gegen, weshalb das Ausziehen nur so weit vorgenommen werden darf, dass die Structur
der Knochen bleibt und nur die Oberfläche derselben kohlenstoffreicher geworden ist.
Gebraucht man zu diesem Zwecke verdünnte Schwefelsäure, so wird ein Theil
der Phosphorsäure austreten und der dieser ausgetretenen Säure entsprechende Antheil
von Kalk in Gips verwandelt, welcher durch die Volumszunahme die Porosität der
Knochenkohle und somit auch ihre entfärbende Kraft vermehrt, auf der andern Seite
jedoch auch durch seine Anwesenheit dem Zuckerfabricanten viel Belästigung verschafft.
Eine auf diese Weise behandelte Knochenkohle heisst Doppelschwärze, da
sie den doppelten Werth in Bezug auf Entfärbung hat.
Dieses Ausziehen der Knochen mittels Säuren muss iu Bottichen vorge-
nommen werden, die verschlossen und so construirt sind, dass die auftretenden
Gase (Kohlensäure, Schwefelwasserstoff, Cyanwasserstoff, Kieselfluorwasserstoff)
mittels eines Rauchfauges unter den Rost einer Feuerung geleitet werden können;
man benutzt dazu am besten die Feuerung der Trockenpfannen, auf welchen
die Klärkohle nach der Behandlung mit der Säure getrocknet wird.*) Das
Auskrückcn der Doppelschwärze aus der Trockenpfanne ist wegen des damit
verbundenen Staubes für die Arbeiter sehr belästigend; sie leiden fast durch-
gehends am Schwarzspucken, wenn sie uicht durch sorgfältiges Vorbinden von
I Wegen des Gehalts der Knochen an Chlorcalcium und Fluorcalcium entwickeln
sica leichl gi ringe Mengen von Fluor- resp. Kieselfluorwasserstoff (s. S. 259).
Wiederbelebung der Knochenkohle. 325
nassen Tüchern oder Schwämmen vor Nase und Mund das Einathmen des Staubes
verhüten; diese Vorsichtsruassregel ist daher durchaus erforderlich.
*
Die Holzkohle4) wird als sogenanntes Schwarzmehl, d. h. im pulverisirten
Zustande, beim Entfuseln des Branntweins verwendet; auch bei der Filtration
des Wassers wird diese Kohle benutzt, wenn es sich um die Wegnahme übel-
riechender und übelschmeckender organischer Substanzen handelt.
Durch frisch ausgeglühte und in Gefässen hingestellte oder in Kruken an der
Decke aufgehängte Holzkohle lässt sich sogar die Luft in Krankens^len verbessern und
es ist diese Benutzung derselbeu bis jetzt zu wenig gewürdigt worden.
Die sogenannte platinirte Kohle, welche man durch Tränken von Kohlen-
stückchen in einer verdünnten Lösung von Platinchlorid und nachfolgendes Ausglühen
bei Luftabschluss erhält, unterscheidet sich im Aeussern gar nicht von der gewöhnlichen
Kohle, ist aber grade wie Platinschwamm befähigt, chemische Verbindungen zu beför-
dern; leitet man Wasserstoff auf dieselbe, so erglüht sie ebenso rasch wie Platin-
schwamm. Hieauf beruhen die von Stenhouse construirten Respiratoren, bei welchen
die Zwischenrärme zwischen zwei Drahtgitter wänden mit Kohle, die 2% Platin enthält,
angefüllt sind.5)
Aufgespeicherte Holzkohlen können unter Umständen von selbst in Brand ge-
rathen; in Folge der Selbstentzündung der Kohle sind nicht selten Pulvermühlen
explodirt; dieselbe Eigenschaft besitzt auch der Kienruss, überhaupt jede fein zer-
theilte Kohle. Auch das Schwarzmehl darf nie in grossen Quantitäten trocken auf-
gespeichert werden, weil sonst leicht Selbstentzündung erfolgt.
Die Holzkohle hat noch die besondere Eigenschaft, dass sie sich in Berührung
mit fetten Oelen durch die rasche Oxydation, welche in den Poren derselben stattfindet,
rasch erhitzt und sich auf diese Weise entzünden kann.
Von grosser Wichtigkeit ist die Eigenschaft der Kohle, resp. Holz- oder Thier-
kohle, organische Substanzen aus Lösungen aufzunehmen. Hiermit hängt eine andere
Thatsache zusammen, welche in neuerer Zeit der analytischen Chemie in Bezug auf ge-
richtliche Medicin einen neuen Weg gebahnt hat, nämlich die Absorptionsfähigkeit der
Kohle für Alkaloide, z. B. für Strychnin, Morphin, Peucedanin, Coffein, Theein, Solanin,
Atropin, Chinin und Chinoidin. Nicht absorbirt werden : Theobromin, Coniin, Cinchonin,
Veratrin und Cantharidin.
d) Anwendung der Kohle als Reductionsmittel bei metallurgischen Processen.
Der Sauerstoff der verschiedenen Oxyde der Metalle bildet mit dem Kohlenstoff,
wenn beide in glühendem Zustande zusammen kommen, Kohlenoxyd, während
das Metall frei abgeschieden wird. Diese Verwendung der Kohle findet bei den
wichtigsten metallurgischen Processen statt; eine grosse Rolle spielt die Kohle
in dieser Beziehung beim Hohofenprocesse.
Wiederbelebung der Knochen- oder Klärkohle.
Während der Entfärbung von Flüssigkeiten sättigt sich die Knochenkohle
mit Farbstoffen; auch nimmt sie noch Schleim und sonstige fremde Bestand-
teile der zu entfärbenden Flüssigkeiten auf, namentlich dann, wenn sie z. B. bei
der Darstellung des Rohzuckers verwendet worden ist.
Durch Entfernen der fremden Bestandtheile kann man die Knochenkohle
regeneriren, d. h. die färbenden Bestandtheile aus derselben wegschaffen und
sie zu einer abermaligen Benutzung geeignet machen. Dies Verfahren heisst der
Wiederbelebungsprocess der Knochenkohle; er findet stets in Zucker-
fabriken statt. Dieses Verfahren wird auf drei verschiedene Arten ausgeführt :
1) durch Gährung, 2) durch Behandeln mit Alkalien und nachheriges
Ausziehen mit verdünnter Salzsäure, 3) durch Behandeln mit Säure
allein und Zerstörung der noch rückständigen organischen Stoffe
(Eiweisskörper, Farbstoffe u. s. w.) mittels Glühens.
326 "Kohlenstoff.
1) Die Gährnng. Dieselbe geschieht entweder in Haufen (trockne) oder in
Bottichen (nasse Gährung ). Beim erstem Verfahren wird die Kohle auf 3-4 Fuss
hohe Haufen gesetzt . wobei sich durch häufiges Umschaufeln der sich erwärmenden
feuchten Masse die Gase des Gährungs- und Fäulnissprocesses entwickeln. Im Allge-
meinen bestehen dieselben aus Kohlenwasserstoff, Kohlensäure und Schwefel-
wasserstoff: stammt die Kohle aus Runkelrübenzuckerfabrikeu her, so bestehen die
Gase und Dämpfe schliesslich aus Buttersäure, Baldriansäure, Schwefelwasser-
stoff resp. Schwefelammonium. Auch hier fehlen Kohlensäure, Wasserstoff
and K o hl en Wasserstoff als Spaltungs- und Fäulnissproducte der organischen Ge-
bilde niemals: ihre Entfernung ist der Hauptzweck des Gährungsprocesses.
Diese Procedur muss zum wenigsten in hohen und luftigen Räumen vorgenommen
werden : in Zuckerfabriken sollten aber dazu besondere flache Gewölbe benutzt werden,
welche durch Gänge resp. Züge mit dem Hauptschornstein in Verbindung stehen , um
den Gasen und Dämpfen einen vollkommenen Abzug zu gewähren. Durch den hierbei
stattfindenden raschern Luftwechsel wird auch die Zersetzung in viel kürzerer Zeit be-
endigt sein.
Bei der Gährung in Bottichen tritt wegen des beschränkten Luftzutritts eine
▼ollständige Gährung ohne eigentliche Fäulniss ein, indem der Zucker sich zuerst in
Alkohol und alsdann in Essigsäure verwandelt und Calciumacetat auf Kosten des von
der Kohle absorbirten Calciumcarbonats entsteht.
Auf das eine oder andere dieser Verfahren muss jedesmal ein sorgfältiges Aus-
waschen der Kohle folgen. Die abfallenden Wasch wässer sind ganz besonders zu
beachten : sie enthalten ausser essigsaurem und phosphorsaurem Calcium noch baldrian-
saures, buttersaures, bernsteinsaures und asparaginsaures Calcium. In manchen Fälleu
lohnt es sich, sie zur Darstellung der in ihnen enthaltenen Säuren, der Essig-,
Butter- und Baldriansäure u. s. w. zu benutzen. Niemals dürfen sie in Schling-
gruben oder kleine Bäche abgelassen werden; sollen sie frei abfliessen, so ist ein Zusatz
von Kalkmilch im Ueberschuss zur Vermeidung der weitern Zersetzung nöthig.
Hierdurch werden die phosphorsauren Salze grösstentheils neben den stickstoffhaltigen
Verbindungen niedergeschlagen: der Niederschlag kann als Dünger und das abfliessende
Wasser alsdann ohne Bedenken in öffentliche Canäle oder grössere Flüsse abgelassen
werden, wenn es vollständig geklärt und von allen organischen Beimischungen befreit
worden ist.
2) Behandeln der Kohle mit Alkalien und nachheriges Ausziehen mit ver-
dünnter Salzsäure. Wenn die Kohle nach der Gährung zunächst mit Alkalien in Be-
rührung kommt, so entwickelt sich durch die Zersetzung der noch vorhandenen Eiweiss-
körper Ammoniak: diese Procedur geschieht in Bottichen oder auf Bühnen, in welchen
Einrichtungen zum Abzüge der ammoniakalischen Gase und Dämpfe anzubringen sind.
Nachdem die Kohle gehörig ausgewaschen worden ist, wäscht man sie mit an-
gesäuertem Wasser nach. Beim Zusatz der Säure entwickeln sich Kohlensäure
und Schwefelwasserstoff, bisweilen neben Spuren von Essig-, Butter- und
Baldrian säure. Luftige Räume, in welchen diese Procedur vorgenommen wird, ge-
nügen für den Schutz der Arbeiter: immerhin ist für eine kräftige Ventilation Sorge
zu tragen. Der Zweck dieses Verfahrens ist die Entfernung des Gipses aus der Kohle.c)
Was die Wasch wässer, die sogenannten Säurewässer, betrifft, so ist es am
zweckmässigsten, die alkalischen und sauren Wässer zu vermischen und als Düngmittel
resp. zur Berieselung zu benutzen ; ein directer Abfluss sollte nie gestattet werdeD.
3) Wiederbelebung durch Glühen. Enthält die gebrauchte Knochenkohle Zucker
und Eiweissstoffe, so reicht das Glühen allein nicht aus, da sich sonst eine blasige,
glänzende und harte Kohlenmasse bildet, die durch ihre geringe Porosität ein geringes
Entfärbungsvermögen besitzt.
Da der Zucker und das Ei weiss vor ihrer Zerstörung durch die Wärme weich
werden und gleichsam in Fluss gerathen, so umhüllen sie die Knochenkohle und bilden
bei einer weitern Erhitzung, die eine vollständige Zerstörung dieser Gebilde veran-
lasst, eine gleichsam schützende Decke von harter glasiger Kohle, welche die Einwirkung
der Knochenkohle auf den Farbstoff nicht zulässt.
In den meisten Zuckerfabriken wendet man deshalb ein combinirtes Verfahren an,
indem man die Knochenkohle zuerst gähren lässt und erst nach dem Auslaugen das
Brennen vornimmt. Durch die Gährung wird alsdann der Zucker neben den andern
stickstofffreien und stickstoffhaltigen Verunreinigungen der Kohle so weit verändert, dass
der Zucker in Alkohol und schliesslich in Essigsäure übergeführt wird, welche schon an
und für sich auf die andern Substanzen lösend einwirkt. Ausserdem werden die stick-
stoffhaltigen Substanzen durch die Veränderung, welche sie während des Processes er-
fahren, in Wasser löslich gemacht.
Wiederbelebung der Knochenkohle.
327
Bei einer Klärkokle, welche zum erstenmal zum Entfärben gedient hat,
genügt es, dieselbe mit verdünnter Salzsäure zu behandeln; nach dem Aus-
waschen kann sie dann geglüht werden. Die hier abfallenden Waschwässer
sind von geringerm Belange, wenn grosse Quantitäten von "Wasser zum Aus-
waschen verwendet werden; widrigenfalls ist der Zusatz von Kalkmilch nöthig.
ehe sie zum Abfluss gelangen.
In vielen Zuckerfabriken lässt man nicht nur die bei der Gährung ge-
wonnene Kohle, sondern auch den geglühten Rückstand nur mit schwacher
Salzsäure einige Tage lang stehen, um der Kohle namentlich das aus dem
Rübensaft aufgenommeue Kaüumcarbonat zu entziehen und ihr gleichsam eine
frische und wirksame Oberfläche zu geben.
Bezüglich der Behandlung der Abfallwässer sind diese verschiedenen
Methoden der Behandlung der Klärkohle stets zu berücksichtigen (s. die Zucker-
fabrication).
Zum Glühen der Knochenkohle behufs Wiederbelebung gebraucht man
28 Fuss lange, in einem Ofen stehende Cylinder, welche oben gefüllt und unten
entleert werden. Das Feuer umgibt nur den obern 3/4 Theil der Cylinder, wäh-
rend das untere Viertel sich frei unterhalb der Ofenhöhle befindet und da beginnt,
wo sich die einzelnen Cylinder vereinigen. Ehe die Kohle dem Glühapparat über-
geben wird, trocknet man sie in den meisten Fällen vorher; dies geschieht ge-
wöhnlich auf Darrplatten, welche am obern Ende der Cylinder angebracht
sind und unter denen die Feuerluft des Glühofens durchzieht, ehe sie in den
Kamin tritt.
Die Arbeiter leiden hierbei viel durch Hitze und Staub, indem sie die sehr
feine Kohle beständig umschaufeln und sie gleichzeitig der obern Oeffnung der
Cylinder immer näher bringen müssen. Zweckmässig ist es, die Kohle mittels
eines Fülltrichters (Fig. 37 a), welcher einen Schieberboden hat, einzutragen ; ein
solcher dient zur Füllung von zwei Ausglühröhren.
Bei diesem Glühen der Knochenkohle entwickeln sich neben empyreumatischen
und stinkenden Dämpfen stets noch Kohlenoxyd, Kohlensäure, Schwefel-
wasserstoff, Cyanwasserstoff und Ammoniak; diese Gase und Dämpfe dürfen
nie in den Fabrikraum gelangen. Gewöhnlich fängt
man sie unter einem Busen auf, um sie in den
Schornstein zu leiten; aber auch dieses Verfahren
ist gänzlich unzui'eichend, weil die Arbeiter dabei
häufig mit den betreffenden Gasen und Dämpfen in
Berührung kommen, namentlich wenn ihre Ent-
wicklung, wie gewöhnlich, stossweise und in Masse
auftritt.
Nothwendig ist es, 1) die Ausglühröhren durch
den erwähnten Fülltrichter zu schliessen, 2) die
Gase und Dämpfe durch eine besondere Vorrich-
tung (Fig. 37 6) an einer obern Stelle der CyHnder
austreten zu lassen und in die Feuerung (c) zu
leiten. Die Flamme umspielt die Cylinder von
allen Seiteu und geht (beLrf) in den Schornstein
über. Der untere Theil der Cylinder, welcher in
ein Gewölbe mündet, stellt die Kühlcylinder (p)
dar, in welchen die Temperatur der Kohle so weit
sinkt, dass sie ohne Gefahr der Entzündung der
atmosphärischen Luft wieder ausgesetzt werden
kann. Ein an diesen Cylindern angebrachter
Schieber wird zeitweilig geöffnet, um die vollkom-
men ausgeglühte Kohle in offene Kasten austreten
zu lassen.
Fig. 37.
328 Kohlenstoff.
In manchen Fabriken findet sich hier ein Selbst verschluss ohne Schieber,
"der man lässt die Kohle in Kasten (/) ab. in welchen sich durch Gräbrang gewonnene
Kohlensäure befindet, am die Löschung zu bewerkstelligen und die Verbrennung des
Kohlenstoffs resp. der Knochenkohle zu verhüten. Immerhin entwickelt sich bei der
Herausnahme der Kohle viel Staub, vor welchem die Arbeiter sich soviel als möglich
durch vorgebundene Tücher oder nasse Schwämme zu schützen haben.7)
Um den ganzen Glühprocess in seinen wichtigsten Momenten nicht von derWill-
kühr eine- Arbeiter- abhängig zu machen, hat man einen Belbstständigen und leicht
regulirbaren Mechanismus zur Entleerung der Kohlencylinder erfunden.8)
Die bei der Fabrication von Stärkezucker (Traubenzucker) verwendete Kohle
wird nach derselben Methode regenerirt. Hierbei treten aber die übelriechenden Gase
und Dämpfe noch viel rascher und massenhafter als bei der Rnnkelrübenzuckerfabrication
auf. weil der Traubenzucker viel rascher in Gährung und Fäulniss übergeht : dagegen
fehlen die stickstoffhaltigen Producte.
Gewinnung der Kohle zur Benutzung als Brennmaterial.
Beim Bergbau-Betriebe unterscheidet mau im Allgemeinen den Tage-
bau und den unterirdischen Grubenbau. Fast nur letzterer kommt bei der
Kohle zur Sprache und umfasst 1) die Beseitigung der Wassermassen (Wasser-
lösung, Wasserhaltung), 2) den Grubenausbau, 3) die Beschaffung der Wege
(Fahrten) für die Mannschaft (Belegschaft) und für den Transport (Förderung) und
4) die Beschaffung frischer Luft in den Gruben (Wetterführung, Wetterlosung).9)
Die Thätigkeit der Bergleute bezieht sich 1) auf die Häuerarbeit, welche
mit grosser Anstrengung und häufig mit gebückter Stellung verbunden ist. Man
beobachtet bei den Häuern Brust- und Herzkrankheiten sowie Hernien; auch
Entzündungen der Sehnen, Aponeurosen und des Periost oder Hvdarthrus und
Hygroma kommen nicht selten vor, ganz abgesehen von den vielfachen Verletzungen.
2) Die Förderung wird entweder durch Tragen auf dem Rücken oder
Fahren in Karren (Hunden) besorgt. Die Arbeiter heissen Schlepper; man
hat zwar durch mechanische Vorrichtungen die Schlepperaibeit immer mehr er-
leichtert, dip damit verbundene Gefahr aber nicht vermindert. Es kommt hierbei
besonders die Kinderarbeit und deren gesetzliche Regelung zur Sprache
(s. S. 26). 10)
3) Die Ein- und Ausfahrt. Die Seilfahrt geschieht in Körben, Kübeln
oder Tonnen, die an eiuem Seile befestigt sind; sie ist zwar in Preussen be-
dingungsweise gestattet, im Allgemeinen aber nur in kleinen Gruben zulässig;
sogenannte Fangvorrichtungen bezwecken die Aufnahme des Förderkorbes,
wenn das Förderseil zerreissen sollte.
Die Fahrten, d.h. senkrecht stehende Leitern mit doppelten Sprossen von
Eisendraht und breiten Wangen von Eichenholz verursachen bei ihrem Gebrauche
eine grosse Ermüdung, wenn auch stellenweise Ruhebühuen angebracht sind;
diese Methode des Befahrens kommt mit vollem Rechte immer mehr ausser
Gebrauch.
Auch die Fahrkünste, d. h. durch Maschinen bewegte, abwechselnd auf-
und niedergehende Auftritte, auf denen die Bergarbeiter aus- und eingefordert
werden, haben sich nirgends bewährt, da diese Methode des Befahrens mit An-
strengung und Gefahr verbunden i>t.
Auf allen englischen und schottischen Steinkohlen- und Eisensteingrubeu
geschieht das Fahren ausschliesslich auf dem Seile resp. auf dem Förderstuhl
(Pit-cage). Diese Fahrt ist für den Arbeiter die bequemste und kommt auch auf
dem Continente immer mehr in Anwendung; die Leitung geschieht durch Draht-
seile und hölzerne Leitschieneu und wird durch die Dampfmaschinen vermittelt.
Grubenluft. 329
Der Förderstuhl ist aus Eisenblech construirt and mit einem Dache überwölbt,
um kleinere in den Schacht fallende Gegenstände von den Fahrenden abzuhalten;
in ähnlicher Weise befördert mau auch Wagen, da der Fahrschacht gleichzeitig
Förderschacht ist.
Das Niederfahren geschieht in Englaud meistens mit grosser Schnelligkeit,
so dass die Fahrenden die Empfindung des Fliegens haben und keinen Boden
unter den Füssen fühlen; in Preussen ist mit Recht diese Schnelligkeit beim
Niederfahren verboten. Unangenehmer wird die Fahrt, wenn die Maschine aus
Nachlässigkeit des Maschinisten stoss weise arbeitet.
In sanitärer Beziehung ist besonders eine zweckmässige Lage und Con-
struction der Zechhäuser wichtig, damit der von Schweiss und Wasser durch-
nässte Bergmann nicht einem schroffen Temperaturwechsel ausgesetzt wird, wenn
er die Grube verlässt. Vom Schacht aus muss daher wenigstens ein verdeckter
Gang zum Zechhause führeu; vorzuziehen ist die Einrichtung, nach welcher vom
Fahrschachte unterirdische Gänge nach geheizten uud mit Badeeinrichtungen ver-
sehenen Räumen führen, damit nach dem Baden die unterdessen getrockneten
Kleider in den Ankleidezimmern wieder in Empfang genommen werden.
In Deutschland sind die wollenen Stoffe, welche sich namentlich zum
Tragen auf blosser Haut bei Bergleuten eignen, lange nicht genug in Gebrauch,
wie dies in England der Fall ist. In den Gruben beschränkt sich bei warmer
Arbeit der ganze Anzug meist nur auf die Hose.
Die Gruhenluft. Unter den Luftarten, welche für die Bergleute gefährlich
werden können, sind zu unterscheiden: 1) die matten, leichten-schlechten,
sauerstoffarmen und stickstoffreichen Wetter. Der Stickstoff strömt
aus den Klüften mancher Gebirgsarten hervor und findet sich überall, wo der
Luft durch Oxydationsprocesse der Sauerstoff entzogen worden ist; da er specifisch
leichter ist als atmosphärische Luft, so sammelt er sich in den höher liegenden
Strecken an; das Grubenlicht nimmt in ihm eine röthliche Färbung, eine läng-
liche und schwankende Form an; der Gehalt des Sauerstoffs schwankt zwischen
15 — 20 %. Die matten Wetter sollen die Entstehung von Emphysem bei den
Bergleuten befördern.
2) Die Schwaden, schweren - schlechten Wetter, böse Wetter,
kalter Dampf, bestehen hauptsächlich aus Kohlensäure, deren Gehalt 2 — 7 %
betragen kann, bei einem Stickstoffgehalt von 80 — 83 % und einem mittlem Sauer-
stoffgehalt von 19,785%; sie kommen vorzugsweise in Steinkohlen- und Braun-
kohlengruben, seltner auf Erzbergwerken vor.11)
In einer solchen Atmosphäre wird die Flamme der Lampe klein, blauroth, ver-
löscht leicht und hüpft am Dochte auf und ab.
Bei den Arbeitern erzeugen sie Kopfschmerzen, Stiche in der Brust, Prickeln
in den Augen, Mattigkeit, einen über den ganzen Körper verbreiteten Schweiss, Angst,
Schwindel und Bewusstlosigkeit Strecken, in denen man solche Wetter vermuthet,
müssen durch eingehängte Lampen untersucht werden; man beseitigt sie durch Ein-
schütten von Kalkmilch und mechanisch durch Luftbewegung oder Einleiten von
Wasser dämpfen.
3) SchlagendeWetter, wildes Feuer, feurige Schwaden, dringen am
häufigsten aus den Steinkohlenflötzen hervor; bei der Braunkohlenförderung treten
sie selten auf. *) Siebestehen aus dem leichten Kohlenwasserstoff, welchem
*) Hier hat man aber Schwefelwasserstoff beobachtet; namentlich ist eine
Grube im Bergrevier Düren reich daran.
330 Kohlenstoff.
sehr variable, jedoch höchst geringe Mengen von schwerem Kohlenwasserstoff,
Kohlenoxyd und Kohlensäure beigemengt sein können. Die schlagenden Wetter
treten entweder unter einem knisternden Geräusche (Krebsen) oder plötzlich als
sogen. Bläser auf; sie wirken weniger direct auf die Respiration ein, da sie die
Strecken derartig anfüllen können, dass die Sicherheitslampe nicht mehr brennt,
ohne dass sie andere Krankheitszustäude als eineu gelinden Kopfschmerz erzeugen;
sie sind nur durch ihre Entzüudlichkeit und Explosivität gefährlich. Nach einer
jeden Explosion ist es der vollständige Maugel au Sauerstoff, welcher die der
Verbrennung eutgaugenen Arbeiter durch Erstickung tödtet. 12)
Findet ein sofortiges Ersticken nicht statt, fällt der Arbeiter betäubt hin, so kann
das Athmen in der sehr dichten Russ -Atmosphäre ein mechanisches Verstopfen der
Respirationswege zur Folge haben, welches den Tod bedingt.
Bezüglich der Verbrennung der Arbeiter während der Explosion ist zu bemer-
ken, dass dieselbe eine höchst energische momentane ist, wobei jedoch ein tieferes Ein-
dringen in die Haut deshalb nicht stattfindet, weil grade die Einwirkung nur augenblick-
lich ist und die Quelle der Wärme sofort verschwindet: die Haut an den freien Theilen
erscheint daher eingeschrumpft und runzlieh. Da der Sauerstoff gänzlich fehlt, so kann
ein Fortbrennen der Kleider nicht stattfinden und sind in der Regel dann meist die
Körpertheile, welche mit den Kleidungsstücken bedeckt waren, gar nicht verletzt.
Die schlagenden Wetter sind fast nur die Begleiter der sehr bitumenreicheu Stein-
kohle, weshalb hier doppelte Vorsicht anzuwenden ist und ohne die betreffenden Vor-
sichtsmassregeln resp. Sicherheitslampen nicht gearbeitet werden darf. Die Erleuchtung
mittels des elektrischen Lichtes würde für den Betrieb der Steinkohlengruben von der
grössten Wichtigkeit sein, indem dadurch eine kräftige Beleuchtung erzielt und die
Gefahr der Explosion durch Entzündung gauz beseitigt würde: leider spricht hierbei
noch der Kostenpunct mit.
Bei gut beaufsichtigten Gruben darf der Arbeiter bei der Einfahrt keiu Feuer-
zeug mitführen; seine Lampe muss durch den Steiger so verschlossen werden, dass er
sie selbst nicht öffnen resp. anzünden kann.
Vor der Einführung der Davyschen Sicherheitslampe wurden die Gruben mit
offenen Lichtern befahren und war daher ein jedes Auftreten von schlagenden Wettern
mit einer Explosion und ihren Folgen verbunden. Da die Dorische Sicherheitslampe
durch eine Explosion im Innern des Drahtgeflechts erlischt, so wird der Arbeiter auf
die nahe Gefahr aufmerksam gemacht und ihm Zeit gelassen, sich aus dem gefährlichen
Gasgemische zu entfernen
In den englischen Bergwerken ist die Da et/'' sehe Lampe im ausschliesslichen Ge-
brauche: sie hat jedoch den Üebelstand, dass der Arbeiter zum Anzünden seiner Tabaks-
pfeife die Flamme durch das Drahtnetz ziehen und auf diese Weise eine Entzündung
der schlagenden Wetter veranlassen kann, obgleich das Tabakrauchen beim unter-
irdischen Bau verboten ist; auch hat sie eine geringere Helligkeit als die mit Glas-
cylindern versehenen Lampen. Die Aufseher bedienen sich meistens der Clan ni/ sehen
Lampe, die in Westphalen unter dem Namen der Hfro/d'sehen Lampe bekannt ist;
die Ä/tfsc/e/-'sche Lampe ist in Belgien, Westphalen und Schlesien eingeführt, welche
zwischen dem Drahtkorbe und dem Oelbehälter einen starken Glaseylinder und einen
blechernen konischen Rauchfang hat; ihr nachgebildet ist die Mmard'scke Lampe. Auch
gibt es noch Lampen von Stephenson, Du Mesnil, Combes, Eloin u. s. w; alle diese
Lampen beruhen auf dem von Davy aufgestellten Principe. Es ist nur auflallend, dass
man statt der Cvlinder von Glas noch nicht solche von Glimmer in Anwendung ge-
bracht hat, da letztere dem Temperaturwechsel besser widerstehen und auch minder zer-
brechlich sind.
Die Angabe, dass der Barometerstand für die Gefahr resp. für das Verbrennen
der schlagenden Wetter massgebend sei, kann unter gewissen Umständen nicht geleugnet
werden: jedoch wird er nie vollkommene Sicherheit gewähren. Ist nämlich der Baro-
meterstand ein sehr tiefer, so wird auch die zur Beobachtung dienende Lampe erlöschen.
Vorzügliche Dienste leistet das Barometer nur dann, wenn es mit einer Lärmvorrichtung
versehen ist, die darin besteht, dass beim niedrigen Standpuncte, welchen das Baro-
meter bei schlagenden Wettern einnehmen muss, aus dem untern Theile des Barometers
Quecksilber ausfliesst, welches sich in ein an einem Waagebalken befindliches Näpfchen
ergiesst, wodurch dasselbe abwärts gedrückt wird und der entgegengesetzte Waagebalken
bei der Bewegung nach oben die galvanische Leitung zu einem Lärm- oder Glocken-
apparat schliesst; hierdurch kommen augenblicklich die miteinander communicirenden
Lärmapparate in den Strecken, im Zechenhause u. s. w- in Thätigkeit, damit nach diesem
"Wetterführung.
331
Warnungszeichen sofort die noth wendigen Vorsichtsmassregeln ergriffen werden. Selbst-
verständlich niuss das ausgeflossene Quecksilber sofort wieder ergänzt werden.
Auch das Anemometer ist ein nothwendiges Instrument zur Beurtheilung der
Witterung, da das beste Präservativ gegen mögliche Gefahren in einer hinreichenden
Verdünnung der schlagenden Wetter mit atmosphärischer Luft, d. h. in einer regel-
mässigen Ventilation der Grubenluft besteht.
Der Wetter-Indicator von Anselt
Fig. -38. besteht aus einem metallenen , gewöhn-
lieh gusseisernen Trichter, welcher mit
einer Uförmig gebogenen eisernen Röhre
versehen ist. An dem dem Trichter
entgegengesetzten freien Ende der Röhre
findet sich eine Messingfassung (Fig. 38
/>/>), in der ein kurzes Glasrohr (aa) be-
festigt ist; das Glasrohr ist oben mit
einer Messingkappe verschlossen, durch
welche eine Stellschraube geht, die an
ihrem untern Ende mit einem Kupfer-
draht versehen ist und in eine Platin-
spitze ausmündet. Man giesst nur so
viel Quecksilber in den Trichter, bis
dasselbe im Glasrohr emporsteigt und
oben zu sehen ist. Der Trichter wird nun mit einem Deckel entweder aus Wedgewood-
masse oder aus weissem sicilianisehem Marmor oder aus unglasirter Fayence ver-
schlossen. Zur völligen Dichtmachung wendet man noch Siegellack zum Verkitten an;
mittels der Stellschraube wird die Platinspitze bis auf das Niveau des Quecksilbers
niedergeschraubt. Man verbindet die Stellschraube mit dem einen Pole einer galvani-
schen Batterie, in deren Leitung ein Läutewerk eingeschaltet ist, und schliesst den Strom
durch einen zweiten Draht, welchen man um das Uförmig gebogene Rohr wickelt. Wird
dieses so vorgerichtete Instrument in eine Atmosphäre gebracht, welche Grubengas ent-
hält, so dringt letzteres rascher durch den porösen Deckel des Trichters, als die
atmosphärische Luft nach aussen entweichen kann. Dadurch wird das Quecksilber im
Trichter in seinem Niveau herabgedrückt und dem entsprechend niuss das Quecksilber
im entgegengesetzten Schenkel steigen, wodurch es dann die Platinspitze berührt und
den Strom schliesst: hierauf wird sofort das Läutewerk in Thätigkeit gesetzt. Je nach
der Stellung der Platinspitze kann man die Empfindlichkeit des Indicators steigern oder
vermindern. *)
Ventilation ( Wetterführung , Wetterlosung) der Kohl engruhen. Die Gase,
welche in schlagenden Wettern enthalten sind, entwickeln sich in manchen
angehauenen Kohlenflötzen beständig und stellen dann die sogenannten ver-
dünnten schlagenden Wetter dar. Sie sind weniger gefährlich und werden
durch eine regelrechte Ventilation leicht beseitigt; nicht selten treten jedoch diese
explosiven Gase plötzlich beim Anhauen einer Bank auf; es sind dann die Gase
in Klüfteu und Spalten des Gebirges eingeschlossen gewesen und entweichen beim
Zertrümmern der Kohle unter einem eigentümlichen pfeifenden Geräusch. Der
Häuer nennt deshalb ein solches Auftreten der Gase Bläser oder Pfeifer. Nach
G. Bischof bestand ein solcher Bläser in zwei verschiedeneu Gruben aus
leichtem Kohlenwasserstoff 83,08 — 91,36, schwerem Kohlenwasserstoff
1,88—6,32, Stickgas 14,94—2,32.
Dies Vorkommen ist das gefährlichste, indem sich der Arbeiter urplötzlich
in einer Atmosphäre von schlagenden Wettern befindet. Da man im Allgemeiuen
nicht gut vorausbestimmen kann, wo Bläser sich zeigen werden, so ist eine Be-
seitigung derselben durch Ventilation höchst schwierig und fast unmöglich. Das
*) Nach demselben Principe sind auch Indicatoren für Kohlenoxyd und Koh-
lensäure construirt worden. Letztere sind für Wein-, und Bierkeller, Theater,
Schulen u. s. w., erstere für Schlafstuben bestimmt, um Unglücksfälle durch die betreffen-
den Gase zu verhüten.
332
Kohlenstoff.
Vorkommen der Bläser lässt sich höchstens bei verworfenem Gestein oder Trüm-
m er gestern vermuthen.
Die Ventilation vor Ort, d. h. an der Stelle der Förderung, wo der Hauer
beschäftigt ist, mittels Schläuche hat ihre grossen Nachtheile, da sie den Arbeiter einer
beständigen Zugluft aussetzt, welche nothwendig heftige rheumatische Leideu zur Folge
haben muss.
Häutig sammeln sich die schlagenden Wetter in den verlassenen Stollengängen
und Fahrten au; es ist dann eine Ventilation oder ein Verschliessen mittels Wetter-
thiiren augezeigt. Bei einer Grubenbesichtigung ist besonders das Befahren des ..alten
Mannes ",<1. 1k des alten verlassenen Schachtes, mit grosser Vorsicht auszuführen und
sollte nie ohne vorgehende Ventilation geschehen.
Für Bergwerke muss wenigstens ein Luftquantum von Ü00 C.-F. pro Stunde ver-
langt werden, welches unter Umständen, namentlich beim Sprengen u s. w , noch be-
deutend zu vermehren ist. In den Strecken muss sich die Luft mit einer Geschwindig-
keit von 3— 4Fuss in der Secunde bewegen, wenn man auf einen Erfolg der Ventilation
rechnen soll.
Die Ventilation wird im Allgemeinen am besten durch gemauerte Kokswetter-
öfen ausgeführt, die einen korbähnlichen Rost haben und am obern Theile des Förder-
schachts, im sogenannten Wetterschacht, angebracht sind.*) Sie haben einen Durch-
Fig. 39.
messer von ca. 5 Fuss und eine Höhe von 10— 12Fuss; die Asche fällt auf eine schiefe
Ebene, von der sie nach der entgegengesetzten Seite des Schachtes in einen Querschlag
*) In Preussen ist auf jedem Bergwerke, wo nicht ausschliesslich Stollen oder
einfallende Strecken zur Befahrung dienen, ein von allen Puncten der Grube erreich-
barer und mit Fahrten versehener Schacht gesetzlich vorgeschrieben. Dient der Fahr-
schacht auch zu andern Zwecken (Förderung, Wetterführung), so ist er derartig abzu-
scheiden, dass die Fahrenden vor Beschädigung geschützt sind. Jede Grube sollte
aber mit zwei fahrbaren Ausgängen versehen sein, welche von allen Arbeitsstellen aus
zu erreichen sind, um bei der Unwegsamkeit des einen Schachtes sofort von dem andern
Gebrauch machen zu können.
Wetterführung. 333
sich entleert, wo sie mit Wasser gelöscht wird. Die Füllung geschieht von oben mittels
eines Trichters, während die Verbrennungs wärme in den Wetterschacht dringt und einen
lebhaften Luftzug bewirkt.
In England unterhält man in den meisten Gruben ein offenes Feuer auf einem
6 Fuss langen und breiten Roste (Fig. 39 «), dessen Gase in einen grossen Canal nach
dem Wetterschacht (6) hin abströmen und so die Luft des Fahrschachtes nach sich
ziehen. Der ganze Ofen steht in einem 6 Fuss hohen Ziegelsteingewölbe; mittels eines
besondern Querschlags (Fig. 40 <-) gelangt man zur Feuerung.13)
Bisweilen wird auch der Maschinenkamin zum Wettern benutzt; gut angelegte
Wetteröfen haben aber den Vorzug, dass sie die grösste Menge Luft in Bewegung zu
setzen vermögen. Die Schattenseiten dieser Ventilationsmethode sucht man namentlich
in der Unsicherheit und Gefährlichkeit der Wirkung bei schlagenden Wettern und beim
Gruben brancl. Solche Wetteröfen wird man aber stets nur in der obern Etage des
Förder- oder Wetterschachtes anbringen, wo die brennbaren Gase hinreichend mit
atmosphärischer Luft verdünnt sind.
Das Belgische Polizei-Reglement vom 1. März 1850, nach welchem die Anlage
von Wetteröfen in Gruben mit schlagenden Wettern verboten ist, kann nur da eine Be-
deutung haben, wo die Gruben frisch angebaut sind und der in der Strecke befindliche
Abbau vor Ort so nahe den Wetteröfen liegt, dass eine hinreichende Luftmischung mit
den schlagenden Wettern unmöglich ist.
Mechanische Ventilation durch Ventilatoren kommen mehr bei den schlechten
Wettern zur Anwendung; ihre Wirkung ist aber niemals so contimuirlick wie die der
Wetteröfen: in England benutzt man auch vielfältig die Fördermaschine gleichzeitig
zur Ventilation. Bisweilen wendet man noch die sogenannten Wetterlatten, d. h.
hölzerne viereckige Canäle an, welche im Förderschacht abwärts geführt werden, um die
frische Luft in die Grube zu leiten.
Es muss wiederholt betont werden, dass behufs Zuleitung frischer Luft besondere
Wetterscha chte stets den Vorzug verdienen, denn sie tragen zur Vertheuerung des
Grubenbaues nicht bei, da sie stets noch als Fahr- oder Förderschachte benutzt werden
können (s. S. 201).
Die Ventilation durch Pnlsion hat übrigens den Nachtheil, dass durch das Ein-
strömen von kalter Luft in die warme Grubenluft das verdampfte Wasser in Nebel-
bläschen niederfällt; diese können die Beleuchtung sehr benachtheiligen und auf die
Kleider der Grubenarbeiter so reichlich niederfallen, dass sie ganz durchnässt werden;
die einströmende Luft muss deshalb in der kältern Jahreszeit vorher in derselben Weise
erwärmt werden, wie dies in Hospitälern geschieht.
Die ältesten Einrichtungen der mechanischen Ventilation, die Kolben- und
Glockenmaschinen, sind in den neuesten Gruben durch Wetterräder verdrängt
worden Die Wetterräder oder rotirenden Kolbengebläse von Fubry und Lunielle sind
die verbreitetsten.
Von den Centrif ugalventilatoren sind die von Dinnendahl oder Hittinger,
Lambert, Gallez und Guthat sehr bekannt und unterscheiden sich nur durch die ab-
weichende Form und Stellung der Flügel. Die Guibal- und Gr<//er'schen Ventilatoren
sind in Belgien patentirt und geschlossene Ventilatoren, indem sie von einem ge-
mauerten Mantel umgeben sind, aus welchem die angesaugte Grubenluft nur an einer
Stelle durch einen Blasenhals, wie bei den Druckventilatoren , in einen kleinen Schorn-
stein entweichen kann. Der Gtiibarsche Ventilator ist von allen Ventilatoren der wirk-
samste. Das Princip der Centrifugalventilatoren beruht im Allgemeinen darauf, einer-
seits von einem Orte die schlechten Wetter weg- und andererseits frische Luft ein-
zuführen.
Die Nachtheile der Centrifugalventilatoren bestehen in der grossen Geschwindig-
keit der Umdrehungen, wodurch schnelle Abnutzung oder Brüche der Achse u. s. w.
entstehen, in dem möglichen Zerspringen oder Ausfliegen der Flügel, wodurch für die
Arbeiter tödtliche Verletzungen entstehen können, und in dem bedeutenden Kraftauf-
wande, welcher zum Betriebe dieser Maschine erforderlich ist.
Saugende Ventilatoren wirken bei den durch schlagende Wetter herbeigeführ-
ten Explosionen am kräftigsten ein und sind hier unentbehrlich, da sie auch den Nach-
schwaden (alter damp), d h. den feinen leichten Russ, am raschesten von der Be-
legungsmannschaft wegführen. Hier sind die Respirationsschläuche zum Aufsuchen
der verunglückten Mannschaft am Platze.1')
Der zu diesem Zwecke von Rourjuairol. und Dr-riayroiw construirte Apparat hat
allseitige Anerkennung gefunden, da er nicht bloss in irrespirablen Gasen, sondern auch
in Taucherglocken benutzt werden kann. Der Bergmann trägt auf seinem Rücken
einen mit Luft versehenen Regulator von Stahlblech, der mittels eines Schlauches mit
einer Luftpumpe in Verbindung steht und beständig mit frischer Luft gespeist wird;
334 Kohlenstoff.
auch kann man diesen Regulator in ähnlicher Weise mit einem Reservoir verbinden,
das mit comprimirter Luft gefüllt ist und mehrere Arbeiter mit Luft versorgen kann.
Während die Nase verschlossen ist, geht vom Munde aas ein mittels eines Mundstücks
von Kautschuk laftdichl angeschlossener Schlauch zum Regulator, welcher den Austritt der
Bxspirationslufl mittels eines Ventils gestattet; letzteres schliesst sich wieder bei jeder
Expiration. Wichtig isl noch, dass der Regulator auch eine Sicherheitslampe speist
and auf diese Weise die Beleuchtung aichl gestörl ist. Man kann diese Erfindung zu
den wichtigsten unseres Jahrhunderts zählen, da sie aoeh eine sehr vielseitige Verwen-
dung gestattet and namentlich auch die Arbeiten unter Wasser in technischer und
anitärej B iehung sehr erleichtern wird.
Beaufsichtigung der Gruben. In England sind von der Regierung Berg-
iuspectoren für die Beaufsichtigung der Gruben angestellt; ihre Zahl reicht
alicr für England und Schottland nicht aus, auch ist ihre Einwirkung keine
directe, da sie in bergpolizeilicher Beziehung keine Anordnungen zu treffen haben.
Ihre Befugniss besteht darin, dass sie bei ihren Befahrungen vorgefundene Unord-
nungen, z. B. einen mangelhaften Holzbau, eiue unzureichende Wetterführung etc.
rügen und auf die Mängel aufmerksam machen. Bei Unglücksfällen sind sie ver-
pflichtet, die Veranlassung derselben zu untersuchen, eventuell durch ihr Gut-
achten eine gerichtliche Verfolgung und Bestrafung einzuleiten.15)
Sie haben im Allgemeinen die Aufrechthaltung der gesetzlichen Vorschriften zu
überwachen. Das Gesetz vom 28. August 1 860 (Act for the regulation and inspection
tit Mines, -X. 1. 2. '■',.} enthält 15 allgemeine Vorschriften (general Rules'. welche sich auf
die Wetterung, Sicherheitslampe, die Umzäunung und Verzimmerung der Schächte, die
Oonstruction der Dampfmaschine u. s. w erstrecken. Ausserdem müssen aber noch
specielle, für jedes Bergwerk angepasste Regeln (special Rules) entworfen und von der
Staatsbehörde bestätigt werden. Der Coal Mines1 Regulation Act 1872, berück-
sichtigt hauptsächlich die Arbeit der Kinder (s. S. 26).
In Prenssen treffen neben dem Gesetze auch die Oberbergämter Anordnungen
und selbst der Revierbeamte ist befugt, bei dringender Gefahr sofort den Betrieb eines
Bergwerkes einzustellen.
Wie in England die für die einzelnen Bergwerke erlassenen und von der Behörde
genehmigten Specialvorschriften bezüglich der Wetterführung und des Gebrauchs der
Sicherheitslampe sehr genaue Bestimmungen enthalten, so sind es in Preussen die ver-
schiedenen Oberbergämter, welche die speciellen Polizeiverordnungen erlassen. So
bat das Oberbergamt zu Dortmund unterm 24. März 1846 eine besondere Instruction
über das Verhalten bei schlagenden Wettern und die Behandlung der Sicherheitslampen
für Westphalen veröffentlicht.16)
Das Berggesetz vom 24. Juni 1865 (G.-S. S. 237) verbietet in Preussen die
unterirdische Arbeit der Frauen, während die §§ 128—131 der Gewerbeordnung
vom 21. Juni 1869 im Allgemeinen für die Beschäftigung der Kinder mass-
gebend sind.
Eine Circ-Verfügung vom 28 August lw53 schrieb schon ausdrücklich vor, dass
bei einer Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in dauernd gebückter Stellung stets solche
Vorkehrungen zu treffen sind, die einer Verkrümmung des Rückgrats oder sonstigen
Nachtheilen vorzubeugen im - sind; namentlich wurde auch das „Haspelziehen"
und „Karrenlaufen" durch Circ-Verfügung vom 12. Augast 1854 für Arbeiter vor
vollendetem 16. Lebensjahre verboten. Ausnahmen sind nur bei gesundem Gruben-
baue einiger metallischer Bergwerke und !>eim Steinsalzbergwerk zu Stassfurth gestattet.
Frauenarbeit in Gruben i^t in England seit dem Jahre 1841 verboten: nur
in Belgien kann diese Unsitte noch nicht ausgerottet werden, obgleich das Gutachten
der mediemischen Academie zu Brüssel schon im Jahre 1869 auf die zahlreichen Früh-
und Fehlgeburten hingewiesen hat, welchen Frauen bei dieser Arbeit unterworfen sind.17)
Die sanitären Verhältnisse der Kohlengruhenarbeiter. Es kommen hier vor-
zugsweise drei Puncte in Betracht: 1) der Aufenthalt in den Gruben, 2) die Art
der Beschäftigung und 3) die sociale Stellung der Kohleugrubenarbeiter.
ad 1) Die Atmosphäre in den Gruben ist vorherrschend eine feucht-
warme, deren Nachtheile sich bei den Arbeitern geltend machen muss (siehe
S. 178). Die Temperatur hängt von der Tiefe der Gruben ab, wird aber durch
Kohlengrubenarbeiter. 335
die Ventilation und die dadurch beschleunigte Verdunstung des Wassers, welches
mehr oder weniger aus den Spalten der Wände sickert, stets herabgesetzt; die
höchsten Temperaturgrade können 30 — 32° C. betragen.
Die Arbeiter leben dann nicht bloss in einer warmen Luft, sondern auch unter
erhöhtem Luftdrücke, wodurch" oft die Verdunstung durch Respiration und Per-
spiration ganz bedeutend beeinträchtigt und die innere Erhitzung gefördert wird. Auf
dem vermehrten Luftdrucke und der absoluten Sättigung der Luft mit Wasserdampf
beruht der grosse Unterschied zwischen der überirdischen Arbeit im warmen Sommer
und der in der Grubenluft, ein Zustand, welcher auch in der Taucherglocke vorkommt
und bereits hervorgehoben worden ist (s. S. 190). Manche Fälle von angeblicher
Asphyxie, welche man lediglich den matten oder bösen Wettern untergeschoben hat,
werden sicher durch diese "Verhältnisse bedingt und zu einer Art von Hitzschlag zu
rechnen sein.
Bei Gewitterluft leiden bekanntlich die Grubenarbeiter am meisten, weil alsdann alle
Wetter matt werden, d. h. ohne Circulation sind, was oft in einer ungünstigen Differenz
zwischen dem spec. Gewichte der äussern und innern Luftschichten seinen Grund hat.
Wenn nämlich die äussere Luft heisser als die innere ist, so findet schliesslich ein Still-
stand der Wetterung statt, besonders wenn kein Wind vorhanden ist; tief in der Erde
vermögen dann die Bergleute durch ein starkes Oppressionsgefühl auf der Brust,
Schwere in den Gliedern und ein gesteigertes Unbehagen das Herannahen eines Ge-
witters vorherzusagen. Die Asphyxia fossorum, d.h. der durch matte oder schlechte
Wetter hervorgerufene Scheintod, kann unter diesen Verhältnissen am ehesten sich er-
eignen; erfahrungsgemäss bilden sich auch im Hochsommer in ßraunkohlengruben
vorzugsweise böse Wetter.18)
In Kohlengruben ist der Zusammenhang zwischen der Witterung und den
Explosionen statistisch nachgewiesen worden; wenn das Barometer fällt und das
Thermometer steigt, so ist die kräftigste Ventilation erforderlich, um die Ansammlung
explosiver Gase zu verhüten; beim verminderten Luftdruck wird nämlich der leichte
Kohlenwasserstoff aus den Kohlen leichter entweichen und nach den Strecken hin aus-
strömen, so dass eine grössere Ansammlung der Gase eine nothwendige Folge ist.
Die grösste Feuchtigkeit findet sich in den Braunkohlengruben, daher sich
die Arbeiter beständig in einem feuchten schwarzen Schmutze bewegen. Ist der Arbeiter
erhitzt oder trieft er von Schweiss, so wird er von dem beständigen, durch die Wetterung
veranlassten Zug, welcher in den Braunkohlengruben wegen der matten Wetter stets
erforderlich ist, höchst unangenehm berührt; rheumatische Leiden aller Art müssen die
nothwendigen Folgen dieser veränderlichen Temperatur sein.
Eine nachtheilige Einwirkung des verwesenden Holzes kann kaum ange-
nommen werden, da es nicht sehr lange stehen bleibt und beim Abbau wenigstens
zu % wieder gewonnen wird; nur wenn sich massenhafte Pilzbildung auf demselben
zeigt, kann der Kohlensäuregehalt der Luft vermehrt werden.
Die Verbrennungsproducte des Geleuchtes können um so mehr zur Verschlech-
terung der Luft beitragen, _ je schlechter das Beleuchtungsmaterial ist; ausser der
Kohlensäure ist es namentlich der Russ der Oellampen, welcher die Respiration be-
lästigt und das Schwarzspucken veranlasst. Der Versuch, Petroleum in den Gruben
als Beleuchtungsmaterial einzuführen, soll sich bewährt haben.
Am meisten wird die Grubenluft durch die üble Sitte der Grubenarbeiter, sich
ihrer Dejectionen in den Strecken zu entledigen, verdorben; an einzelnen Stellen ent-
steht deshalb ein ekelhafter Gestank, durch den die Luft gradezu verpestet wird.
Man hat diesem in sanitärer Beziehung höchst wichtigen Uebelstande noch immer nicht
die ausreichende Aufmerksamkeit geschenkt, obgleich vielfach die "Vorschrift eingeführt
ist, in den Strecken keine Dejectionen zu deponiren; nur die Durchführung solcher An-
ordnungen geschieht nicht mit der erforderlichen Strenge.
Bei epidemischen Krankheiten, namentlich bei Choleraepidemien, sind die
Choleradejectionen der zuerst Erkrankten möglicherweise nicht ohne Einfluss auf
die Verbreitung der Krankheit bei der Belegschaft. Die Beobachtungen von Rachel,
welche er im Jahre 1866 über die Cholera an der Grube „Zollverein" bei Essen gemacht
hat, liefern einen Beleg hierfür.19) Die Grube selbst stellte sich als die Quelle der Er-
krankung dar, indem die ersten Erkrankungen im Schachte selbst auftraten und. auch
späterhin die Arbeiter meist krank daraus hervorkamen. Von 600 Arbeitern erkrankten
in 5 Tagen 130 und zwar % davon in der Grube, so dass diese längere Zeit geschlossen
werden musste und erst nach erfolgter Desinfection befahren werden durfte.
Aehnliche Beobachtungen in Oberschlesien haben die Thatsache bestätigt, dass
die Zersetzungsproducte der Fäcalmassen, namentlich bei hoher Temperatur, der
Verbreitung der Cholera Vorschub leisten. Durch Einführung eines geregelten Fässer-
336 Kohlenstoff.
svstems in der Nähe des Wettersehachtes wurde man diesen Ungehörigkeiten am
sichersten vorbeugen.
Auch int ermitt irende und typhöse Fieber walten hei den Grubenarbeitern
vor; ganz besonders findet sich bei den neuen Grubenarbeitern eine grosse Disposition
zu diesen Krankheiten, bis Bie sich im Verlaute der Zeit gleichsam acclimatisirt haben, da
bekanntlich einigermassen auch «ine Gewöhnung an schädliche Einflüsse stattfinden kann.
ad 2) L>ie Art der Beschäftigung schliesst viele Nachtheile in sich;
beim Aufschliessen der Mineralien bildet sich ein von deren Natur abhängiger
Staub; so kann Quarz, Sandstein, Schieferthon u. s. w. einen mehr oder weniger
gefährlichen Staub erzeugen. Er entsteht hauptsächlich hei der Arbeit mit der
Keilhaue, bei Bohr- and Sprengarbeit; der kieselhaltige Staub ist erfahrungs-
gemäss überall der gefährlichste und sollte auch in Bergwerken durch die kräf-
tigste Ventilation unschädlich gemacht werden. In vielen Kohlengraben enthält
die Atmosphäre vorwiegend Kohlen- und Schieferstaub.
Der Kohlenstaub verursacht das sogenannte Schwarzspucken: in Braun-
kohlengruben verhindert die Feuchtigkeit die Staubbildung: Schwarzspucken kann hier
nur vom Russe des schlechten Geleuchts herrühren, obgleich in Steinkohlengruben auch
diese Ursache nicht ausgeschlossen ist. Mikroskopisch kann man ganz gut unterschei-
den, ob die Grubenarbeit oder das Geleucht die Ursache des Schwarzspnckens ist. Im
erstem Falle findet mau stets schwarze, glänzende krystalliniscbe Partikelchen, während
man im zweiten Falle schwarze Streifen oder Fäden beobachtet.
Das Schwarzspucken, von Stratton zuerst Anthracosis pulmonum ge-
nannt, entsteht durch Ansammlung von Kohlenpartikelehen in den Respirationswegen;
ist dieselbe massig, so entsteht keine besondere Krankheit, da gesunde Lungen den
Kohlenstaub täglich aaswerfen; bei schwächlichen Individuen häufen sie sich nicht
selten in den Lungenwegen an. begünstigen aber nach den Beobachtungen von Kuhhorn
uicht die Tubereulose; letztere ist überhaupt bei Kohlengrubenarbeitern verhältniss-
mässig selten.'-")
£s ist aber vollständig begründet, dass durch die vorherrschenden schädlichen
Einflüsse (Grubenatmosphäre, Staub chronische Lungenkatarrhe entstehen, welche
dann leicht zu Volumszunahme und Emphysem der Lunge mit den bekannten
asthmatischen Leiden (Miner's asthmaj führen. Mehr oder weniger ist mit
Krankheitszuständen stets das S< hwarzspucken verbunden und grade bei Kohlen-
grubenarbeitern findet man häufig bei der Section die ganz schwarze Färbung der
Lungen, welche anfangs mit sepiaartigen Flecken auftritt, aber allmählig immer allge-
meiner wird schliesslich das ganze Lungenparenchym pechschwarz erscheint,
aus dessen Einschnitten eine schwarze, die Finger färbende Flüssigkeit ausfliesst. Auch
entdeckt man bisweilen durch das Mikroskop in kleinen hanfkorngrossen Knötchen
Kohlensplitterchen. Meistens ist dabei die Oberfläche der Lunge mit hanfkorn- bis
kirschs _ äsen erweiterten Lungenbläschen besetzt, die nicht selten mit dem flüssigen
Farbstoff angefüllt sind.
Bekanntlich können geringere Grade dieser Anthracosis pulmonum das
ganze Leben hindurch bestehen, ohne dass sich auffallende Krankheitssymptome kund
geben: es gesellen sich aber Beklemmung, Dyspnoe und die übrigen Erscheinungen von
Asthma hinzu, wenn das Leiden den Eöhepunct erreicht, der Auswurf reichlich.
dankelschwarz wie Dinte wird und die mechanischen Infiltrationen Lungenemphysem
hervorgerufen haben. Die secundären, in der gestörten Blutbildung beruhenden
Zustände bleiben dann nicht aus, so dass bei gänzlich gestörter Verdauung die all-
gemeine Schwäche immer mehr zunimmt und unter hydropischen Erscheinungen der
Tod eintritt
men Grade kommen aber nicht häutig vor: überhaupt hat man bei
den deutschen Grubenarbeitern selten Gelegenheit, die Krankheitsbilder zu beobachten,
welche von englischen und belgisch) n Schriftstellern geschildert werden. In England
ist auch statistisch nachgewiesen worden, da^> von 100 gestorbenen Grubenarbeitern
53 A<-.\\ Affectionen der Brustorgane und 47 dem spezifischen Asthma erläge
Von der Anthracose ist die Pneumomelanosis wohl zu unterscheiden,
welche in einem pathologischen Processe beruht: in dem damit verbundenen Auswurfe
können ächte Pigmentzellen nachgewiesen werden: auch eine Complication von
Anthracose mit Pneumomelanosis ist nicht ausg - äsen. Hierüber muss die mikro-
skopische Untersuchung Aufschluss geben; man findet entweder Kohlensplitter oder
Pigmentzellen; die Kohle widersteht allen chemischen Einflüssen, während eigentliches
Pigment durch concentrirte Salpetersäure unter Zersetzung aufgelöst wird. Die Anthra-
Kohlengrubenarbeiter. 337
cose kann sich ferner mit Bronchitis, chronischer Pneumonie und Tuberculose com-
pliciren, wodurch das Krankheitsbild natürlich mannigfache Modifikationen erleidet.
Herzleiden sind ebenfalls vorwaltend bei Grubenarbeitern constatirt
worden; sie hängen einestheils mit den Circulationsstörungen in den Lungen und
anderntheils auch mit vielfachen rheumatischen Leiden oder zu grossen körper-
lichen Anstrengungen zusammen. Was man Anaemie der Bergleute (Olig-
aemia montana) genannt hat, wird schon von altern deutschen Schriftstellern als
Bergsucht geschildert, eine Krankheit, welche als Blutarmuth aufzufassen ist und
vorzugsweise bei Jüngern Leuten, seltner in den spätem Jahren auftritt. Dass
die ungesunde Grubenluft nebst unvollständiger Ernährung die Hauptveranlassung
dieser Krankheit ist, dürfte keinem Zweifel unterliegen; sie ist aber keine Eigen-
thümlichkeit der Kohlengruben, sondern kommt auf allen Bergwerken vor, wenn
die genannten Schädlichkeiten einwirken. Dass diese übrigens verschiedener Art
sein können, beweist der Vorfall in einer Gallerie der Kohlengruben zu Anzain,
in der sich auf eine unaufgeklärt gebliebene "Weise neben Kohlensäure Schwefel-
wasserstoff entwickelt hatte; hierdurch war ebenfalls die Entwicklung von
Oligaemie veranlasst worden.23)
Unglücksfälle ereignen sich am meisten durch Stein- und Kohlenfälle24); die
ganze Art und Gefahr der Beschäftigung muss auch nothwendig mannigfache Verletzungen
im Gefolge haben; die traumatische Blindheit ist keine seltene Krankheit unter
den Bergleuten ; schon in Folge der staubigen Atmosphäre, in der sie leben, sind sie zu
vielfachen Augenaffectionen disponirt. Rücken- und Kreuzschmerzen hängen mit
der gebückten Arbeitsstellung zusammen und wurzeln nicht selten in Entzündung der
Muskeln, Aponeurosen und des Periost der Kreuz- und Lendengegend. Hvdarthrus,
Tumor albus und Coxalgie mögen vielfach das Hinken verschulden, das in England in
den Grafschaften Derbyshire und Yorkshire unter den Kohlenarbeitern besonders häufig
sein soll.
Verkrümmungen der Füsse und Erschlaffung der Kniegelenkbänder (Genu valgum),
wie sie auch in Fabriken häufig vorkommen, bilden sich gewöhnlich bei schwächlichen
Individuen aus, wenn denselben schon in der frühesten Jagend grosse, ihre Körper-
kräfte übersteigende Anstrengungen zugemuthet werden; ebenso erklärlich ist es, dass
man bei Bergleuten überhaupt leicht Verhärtungen der Epidermis an Knie und Ellen-
bogen antrifft, da diese Körperstellen bei der Arbeit einem anhaltenden Drucke aus-
gesetzt werden.
Zu den sehr schädlichen Einflüssen gehört auch das Schiessen und Sprengen,
welches in Braunkohlengruben geschieht, um die zähen Thonmassen zu zerklüften; in
Steinkohlengruben löst man dadurch das taube Gestein oder blac band*). Beim
Sprengen im Allgemeinen darf die Besetzung nie mit eisernen Instrumenten eingeführt
werden, auch darf die Raumnadel nicht von Eisen sein; in Preussen ist ihre Construc-
tion aus Kupfer vorgeschrieben. Beim Schiessen sind es die Pulvergase, welche
in den Strecken liegen bleiben und höchst nachtheilig auf die Arbeiter einwirken
(s. Schiesspulver).
Die Braunkohlen enthalten höchst fein vertheilten Schwefelkies, der leicht
Selbstentzündung resp. Grubenbrand veranlassen kann und dann die sogenannten
Stäub er erzeugt, wobei das Verbrennen der empyreumatischen Stoffe einen unangeneh-
men Geruch _ und gleichzeitig eine heftige Reizung der Augen erzeugt; am gefährlichsten
sind aber die andern Verbrennungsproducte, wie Kohlenoxyd und Kohlensäure;
weit ausgedehnte Grubenbrände können aus dieser Ursache entstehen.
Schiessen in Braunkohlengruben ist ganz besonders beachtungswerth und muss
mit der grÖssten Vorsicht ausgeführt werden; auch der geringste Brand muss sogleich
gelöscht werden, damit nicht die gefährlichen Verbrennungsproducte die Gesundheit und
aas Leben der Arbeiter bedrohen. Jenes geschieht am sichersten durch Schliessen der
Gruben und Einwerfen von brennenden Schwefelfäden oder auch durch Isolirung der
brennenden Stellen durch Abdämmen und Ausmauern ganzer Strecken.**)
*) Blac band wird auf Eisen und Phosphorsäure bearbeitet.
**) Bituminöser Kupferschiefer, welcher im Mansfeld'schen häufig vor-
kommt, ist ebenfalls leicht zur Selbstentzündung geneigt, weil er höchst fein vertheilten
Kupfer- und Schwefelkies enthält, wodurch sehr leicht Grubenbrände ohne eine Ent-
Eulenberg, Gewerbe-Hygiene. 22
338 Kohlenstoff.
In Steinkohlengruben sind die Brände seltner und entstehen nur durch Ent-
zündung der schlagenden "Wetter. Die Arbeiter unterliegen hier den heftigsten Con-
tusionen und Verbrennungen oder der Intoxication durch die massenhaft sich bildende
Kohlensäure, wenn nicht eine mechanische Verstopfung der Luftwege durch den
Russ (den sogenannten after-damp) den Tod bedingt. Ein schwarzer, schleimig und
sandig anzufühlender, schmieriger und theerartiger Brei kann sich nämlich von der Luft-
röhre bis zu den feinsten Bronchien erstrecken und die Respirationswege völlig aus-
stopfen.S5j
Zum Bohren von Sprenglöchern in festem Gestein gebraucht mau neuer-
Steinbohrmaschinen , die mittels comprimirter Lutt getrieben werden; wenn die
I .nli gewirkl hat, lässt man sie jedesmal austreten. Da diese Maschinen grade vor Ort
wirkiii. 90 wird auf diese Weise gleichzeitig eine kräftige Wetterung erzielt und zwar
an Stellen, wo sie am notwendigsten ist.
Das Feuersetzen zum Zerklüften des Gesteins, d.h. das Erhitzen des Gesteins
und nachherige Wassersprengen geschieht niemals in Stein Kohlengruben und nur selten
in Erzgruben; es ist die älteste und schon von den Römern gebrauchte Spreng-
metbode. Das Dynamit ist neuerdings fast ausschliesslich als Sprengmittel in Gebrauch
(s. Nitroglycerin).
ad 3) Die äussern Verhältnisse der Arbeiter sind im Vergleiche
zur Stellung der Fabrikarbeiter nicht ungünstig, namentlich seitdem man ange-
fangen hat, durch zweckmässige Wohnungen, Badeeinrichtungen, Speiseanstalten,
Krankenhäuser u. s. w. das Loos derselben so viel wie möglich zu erleichtern.
Leider findet sich unter den Bergleuten häufig Trunksucht und zerrüttet ganze
Familien.
Das allgemeine Berggesetz für den preussischen Staat vom 24. Juni 1865 erstreckt
sich auf die Sicherheit der Baue, die Sicherheit des Lebens und der Gesundheit der
Arbeiter, während die Ku appschaftsvereine , welche durch das Gesetz vom
10. April löö4 in's Leben gerufen wurden, den Theilnehmern und deren Angehörigen
Unterstützung in Krankheitsfällen gewähren. Die Knappschafts - Statistik findet
sich jetzt im Stadium der Entwicklung und wird auf Grund der Reichs-Medi cinal-
Statistik hoffentlich werthvolle Ergebnisse erzielen.
Bezüglich des Schutzes der Oberfläche müssen die Fortschritte des Berg-
baues die Terrainsenkungen, Einstürze u. s. w. verhüten; genauere Bestimmungen hierüber
enthält das Berggesetz. Für die Adjacenten ist der Grubenbau insofern noch von
grosser Bedeutung, als dadurch nicht selten, wie gegenwärtig in Königshütte in Ober-
schlesien, der Yorrath an gutem Trinkwasser eine bedeutende Einbusse erleidet. Die
Wiederbenutzung resp. Reinigung der gewonnenen Stollenwässer ist fast unmöglich,
weshalb besondere Wasserleitungen nicht selten erfordert werden. Die Wassertrage
bleibt in solchen Gegenden eine sehr wichtige und bedarf im hohen Grade der öffent-
lichen Aufmerksamkeit.
Wichtig ist ferner in sanitärer Beziehung, dass die öffentlichen Wasserläufe nicht
durch Gruben- und Haldenwässer verunreinigt und für die ökonomische nnd technische
Benutzung anbrauchbar gemacht werden; es handelt sich hierbei auch namentlich
noch um eine sachgemässe Ableitung der Stollenwässer, die unter Umständen ganze
Gegenden übertluthen können.
Aufbereitung der Steinkohle. Zu der eigentlichen Aufbereitung der Kohle
rechnet man das Waschen und Verkoken. Das Waschen geschieht zur Be-
seitigung der Gangart resp. des Schwefelkieses; es ist stets mit einem Oxydations-
processe verbunden, weshalb die abfliessenden Waschwässer die Producte der
Oxydation des Schwefelkieses: schwefelsaures Eisenoxydul und freie
Schwefelsäure, enthalten. Sie können nicht zum Speisen von Dampfkesseln
verwendet werden; sie müssen jedenfalls, auch wenn sie zum Abfluss gelangen,
vorher mit Kalk abgestumpft resp. niedergeschlagen werden; dasselbe ist bezüg-
lich der gelösten Stollen wässer zu bemerken. Geschieht der Abfluss in Teiche,
Flüsse, Buche u. s. w., so ist damit stets ein Nachtheil für die Fischzucht Ver-
bindung von aussen entstehen können. In Idria sind die Grubenbrände durch die
Selbstentzündung der bituminösen Quecksilberlebererze bedingt.
Aufbereitung der Steinkohle. 339
bunden; werden Wiesen damit berieselt, so stirbt die Grasnarbe ab. Die beim
Waschen zurückbleibenden Wässer, welche schwefelkieshaltig sind, dürfen nicht
dem Verwitterungsprocesse ausgesetzt werden, weil dadurch wiederum die benach-
barten Wässer verunreinigt werden können.
Die gewaschene Kohle wird dem Verkokungsprocess unterworfen, d. h.
die Kohle wird durch hohe Temperatur ihres Gehaltes an Bitumen beraubt. Es
werden bei diesem Processe fast alle Kohlenwasserstoffe, welche in der Kohle
enthalten sind, ausgetrieben und verbrannt; jedoch wird der Gehalt an Schwefel
nicht nur nicht vermindert, sondern erhöht, weil der Schwefelkies nicht eher
verbrennt, als bis alles Bitumen verbrannt ist. Wirft man Staub von solchen
Koks auf schwach glühende Platten, so wird jedes Partikelchen von einer blauen
Schwefelflamme umgeben, ein Beweis, dass fast der ganze Schwefelgehalt der
Kohle in den Koks zurückbleibt, Durchschnittlich ergibt die Kohle, d. h. die
Fettkohle, an 30 — 401 Koks; mit der Abnahme des Bitumengehaltes steigert
sich die Ausbeute an Koks.
Diese Operation geschieht entweder in offenen Feldöfen oder in geschlossenen
Oefen. In beiden Fällen treten die Verbrennungsproducte direct in die Atmosphäre;
sie bestehen hauptsächlich aus Kohlenoxyd, Kohlensäure, Wasser und namentlich
schwefliger Säure; diese bildet sich im letzten Stadium der Verkokung, namentlich
beim Ausziehen der fertigen Koks; brenzliche Prodncte entwickeln sich bloss beim neuen
Aufgeben. Da bei diesem Processe stets eine unterdrückte Verbrennung stattfindet,
so entstehen grosse Massen von Russ; grade diese Entwicklung von Russ aus den
bituminösen Bestandteilen der Kohle verursacht nächst der schwefligen Säure die
grösste Belästigung.
Finden sich leichte und schwere Kohlenwasserstoffe unter den Dämpfen,
so sind diese Gase nur die Producte der trocknen Destillation, worauf eigentlich die
Verkokung beruht, indem man so viel wie möglich den Zutritt der atmosphärischen Luft
bei diesem Processe verhütet; Schwefelwasserstoff kann nicht auftreten, weil es
durch die schweflige Säure sogleich zersetzt wird
Ebelmen fand die Koksofengase im Mittel zusammengesetzt aus:
Kohlensäure 10,93
Kohlenoxyd 3,42
Sumpfgas 1,17
Wasserstoff 3,68
Stickstoff 80,80
100,00.
Durch die Verbrennung des Wasserstoffs im Kohlenwasserstoff wird die zur
Zersetzung der Steinkohle nöthige Hitze geliefert.
Alle sich entwickelnden Gase und Dämpfe sind mit viel atmosphärischer Luft
gemengt, wodurch sie die Gesundheit der Arbeiter fast gar nicht benachtheiligen; man
hat auch bisher bei den Arbeitern, welche bei den Koksöfen beschäftigt sind, keine
specifischen Krankheiten beobachtet. Dagegen ist die grosse Menge Rauch und Russ,
welche Koksöfen erzeugen, für die nächste Nachbarschaft eine ausserordentlich grosse
Belästigung; diese ist um so fühlbarer, wenn namentlich in der wärmeren Jahreszeit
der Rauch am Abend sich senkt und das Oeffnen von Fenstern unmöglich macht. Wenn
nun das Bedürfniss nach frischer Luft zu einer Zeit, wo man dasselbe am meisten em-
pfindet, nicht befriedigt werden kann, so ist wenigstens ein iüdirecter Schaden für die
menschliche Gesundheit nicht ausgeschlossen.
Neuerdings hat man übrigens grosse Fortschritte in der Construction der
Koksöfen gemacht und die hauptsächlichste Belästigung der Adjacenten hinweg-
geräumt. In Belgien und Frankreich hat man angefangen, die Destillationsproducte
und den Russ der Steinkohlen wieder zu gewinnen; mehr Beifall hat die Benutzung
der Gase zur Erwärmung gefunden. Beim System Smet wird die Kohle durch
2 Trichter aufgegeben; die Flamme des im Betrieb befindlichen Ofens entweicht durch
Oeffnungen am Anfange des Gewölbes, durchströmt die Wände in 2 horizontalen Canälen,
circulirt unter der Sohle in Zügen und gelangt schliesslich zum Schornstein. In Ober-
schlesien befinden sich solche Oefen im Betriebe, sind aber schon wiederum durch das
System Appolt verdrängt worden, das ebenfalls die Calcinirung im geschlossenen
Raum durch Verbrennung der aus den Kohlen entwickelten Oase bezweckt, dabei die
22*
340 Kohlenstoff.
Erwärmungstläche ganz bedeutend ausdehnt und die Flammen aller Oefen in dem sie
umgebenden Räume vereinigt. Auch das System Dulait und Coppee verhindert die
ent wicklung; letzteres vereinigt alle brennbaren Gase in einem grossen Canal
unter den Oefen, um sie zur Kesselfeuerung zu benutzen. Der Coppee-Ofen hat be-
äOnders in Belgien grosse Verbreitung gefunden, aber auch Preussen, England und
Frankreich haben die Vbrtheile desselben schon benutzt.
Für die Arbeiter bleibt jedoch das Füllen und Entleeren der Kokäöfen
noch eine sehr belästigende Arbeit, weshalb diese Operationen in neuester Zeit mittels
Maschinen ausgeführt weiden. Es ist besonders die strahlende Hitze und der glühende
Staub, wodurch mannigfacher Schaden, namentlich für die Augen, entstehen kann.
Das Loschen der Koks, welches häufig durch Begiessen mit Wasser geschieht,
ist für die Arbeiter nicht minder gefährlich, weil dadurch leicht Verbrühungen herbei-
geführt werden: auch treten dabei colossale Massen von Schwefelwasserstoff und
etwas Kohlenoxyd auf. Selbstverständlich darf schon aus dieser Ursache die Ver-
kokung nicht in der Nähe von Städten oder dicht bewohnten Räumen stattfinden.
An andern Orten werden die fertigen Koks, wenn sie aus dem Ofen kommen, in
Graben geworfen, welche man durch einen Saudversehluss hermetisch verschliesen kann ;
hier erstickt die Kohle durch die von ihr ausgehauchte Kohlensäure. Der einzige
Nachtheil besteht darin, dass die Abkühlung sehr langsam erfolgt und späterhin noch
eine Selbstentzündung eintreten kann, wenn die Abkühlung nicht vollständig erfolgt
war. Beim Oeffnen der Gruben hat sich der Arbeiter dann vor der Einwirkung des
Kohlenoxyds, der Kohlensäure und schwefligen Säure zu schützen.
Die Koks, welche mit Wasser gelöscht worden sind, enthalten neben Schwefel-
eisen noch Wasser. Letzteres wirkt nun bei der Erwärmung, z. B. bei neuer Auf-
schüttung von Koks, bei der Heizung u. s.w., in der Weise auf das Schwefeleisen, ein,
dass der Sauerstoff des Wassers das Eisen oxydirt und der Wasserstoff alsdann sich
mit dem einen Theil des Schwefels zu Schwefelwasserstoff verbindet; derselbe
ist somit nicht präexistirend, sondern wird erst gebildet.
Die häufig ausgesprochene Ansicht, dass sich im Steinkohlendunst Schwefel-
wassersto ff und schwerer Kohlenwasserstoff als Verbrennungsproducte vorfinden,
bedarf insofern einer Berichtigung, als diese Körper niemals als Verbrennungs-
producte auftreten können. Nichtsdestoweniger kann der Kohlendunst Schwefel-
wasserstoff und schweren Kohlenwasserstoff enthalten: in diesem Falle aber
ist Schwefelwasserstoff durch Einwirkung von Wasserdämpfen auf Schwefelmetalle
und der schwere Kohlenwasserstoff in Folge einer theilweise trocknen Destillation
der noch Bitumen enthaltenden Kohlen entstanden.
Diese Bildung von H2S ist besonders dann beachtungswerth, wenn Koksfeuer
zum Austrocknen neuer Gebäude benutzt werden: beim Aufschütten des frischen Brenn-
materials tritt alsdann stets etwas H2S auf, welcher sich in dem betreffenden Locale
mehr oder weniger anhäuft, den Anstrich verdirbt und überdies auf die Hausbewohner
resp. Arbeiter schädlich einwirken kann. Koks, welche in Kasten oder Gruben erstickt
sind, enthalten mehr Kohlenoxyd.
Verkokung der Brannkohle. So wie die Steinkohle, ihres Bitumens beraubt,
einen kohlenstoffreichen Rückstand, die sogenannten Koks, zurücklässt, ebenso
erhält man, wenn man die Braunkohle demselben Processe unterwirft, einen
holzkohlenähnlichen Rückstand, welchen man als Braunkohlenkoks bezeichnet.
Diese Verkohluug oder Verkokung geschieht 1) in Meilern, wie bei der Holz-
verkohlung, wobei man die Verbrenn ungs- resp. Destillationsproducte ausser Acht
lässt; 2) in geschlossenen Retortenöfen, bei welchen man diese Producte
gewinnt.
ad 1) Bei der Verkokung in Meilern treten ausser den empyreumatischen Stoffen,
welche unverbrannt entweichen, Kohlensäure, Kohlenoxyd, Methylwasserstoff
neben Ammoniak und schwefliger Säure auf. Manche sehr bitumenreiche
Braunkohle entwickelt dabei massenhaft Russ, weshalb man häufig dessen Gewinnung
damit verbindet.
Vi omöglich muss dieser Process in abgelegenen Gegenden und an Bergabhängen
vorgenommen werden, da die genannten Gase und Dämpfe, namentlich die schwef-
lige Säure und die kreosothaltigen Dämpfe, sehr nachtheilig auf die Vegetation
einwirken.
Die erdige Braunkohle wird fast nie zum Verkoken benutzt, wenn dies nicht
wegen ihres grössern Bitumengebaltes geschieht.
Verkokung der Braunkohle.
341
ad 2) Die Retortenöfen müssen direct mit Gruben in Verbindung stehen, in
welchen die abdestillirten Koks gelöscht werden. Diese verlangen nämlich eine sehr
vorsichtige Löschung, indem sie durch ihren Gehalt an fein vertheiltem Schwefelkiese
der Selbstentzündung sehr leicht unterworfen sind;, ein blosses Ersticken der Kohlen in
Gruben ist nie zulässig, da sie dabei einer Selbstentzündung unterliegen würden.
Directe Löschung mittels Wassers ist ebenso wenig anwendbar, da die verkokte Braun-
kohle eine grosse Menge Wasser aufsaugt, wodurch nicht nur die Fracht vermehrt,
sondern auch die Entzündlichkeit vermindert wird. Das Löschen niuss mittels Wasser-
dämpfe geschehen, weshalb man diesen Process das Todtdämpfen nennt: die Kohle
nimmt dabei 6 — 7 % Wasser auf, wodurch die Selbstentzündlichkeit aufgehoben wird.
Fig. 41.
Fig. 42.
Während des Todtdämpfens entwickeln sich je nach der Menge des Schwefelkieses
grössere oder geringere Mengen von Schwefelwasserstoff. Dieser Umstand ist es
grade, welcher die Vornahme dieser Operation in überwölbten Gruben nothwendig
macht; diese (Fig. 41, 42 a) sind unter den Retortenöfen (Jj) derartig angebracht, dass
sie die abdestillirten Kohlen leicht aufnehmen können.
Mittels eines eingesetzten Eisentrichters, welcher in die betreffende Oeffnung resp.
in den Canal des Gewölbes führt, werden nämlich die abdestillirten Kohlen beim Ent-
leeren aus der Retorte in das Gewölbe geschafft. Gewöhnlich haben je zwei Retorten
einen gemeinschaftlichen Trichter uud nur einen mit dem Gewölbe correspondirenden
Canal, welcher beim Löschen der Kohle jedesmal geschlossen werden niuss.*)
Der zum Loschen erfordei liehe Wasserdampf wird durch ein Rohr, dessen unteres
Ende in eine Brause mündet, auf den Boden der Grube («) geleitet. An der Seite der
Grube, welche dem Einfallloche für die abdestillirten Kohlen gegenüber liegt, führt ein
Canal (c) in den Schornstein des Retoi'tenofens, der alle während des Todtdämpfens
auftretenden Gase aufnimmt.
Bei dd finden sich Fülltrichter mit Sandverschluss zum Eingeben des Gutes in
die Retorte (b). Auf der obern Ofensohle (,e) wird das Grubengut von der Gruben-
feuchtigkeit befreit resp. getrocknet.
*) Es ist schwierig, den ganzen Hergang bildlich darzustellen, da wenigstens
3 — 4 verschiedene Durchschnitte dazu erforderlich sind.
342 Kohlenstoff.
Durch das Rohr / werden die Destillationsproducte weggeführt fs. Destillation der
Braunkohle). Die hier abströmenden uncondensirbaren Gase worden unter die Feuerung
abgeleitet. Bei g befinden sich die Füchse, durch welche die Flamme der Feuerung
ziem und die Retorte umspielt.
Verkokung des Torfs. Im Allgemeinen wird nur der schwere bitumenreiche
Baggertorf der Verkokung unterworfen; ebenso wie bei den Braunkohlen kann auch
hier wegen eines Gehaltes an Schwefelkies eine Selbstentzündung leicht eintreten. Be-
züglich der Apparate, Darstellung und abziehenden Gase gilt dasselbe, was hierüber bei
der Braunkohle gesagt worden ist.
Im Allgemeinen sind alle diese Verkokungen in der Nähe von bewohnten Ort-
schaften nicht zulässig. Bei der Meilerverkokung von Torf und Braunkohlen kann sich
der Geruch bisweilen auf 3—4 Stunden weit ausbreiten.
Verkohlnng des Holzes. Auch die Darstellung der Holzkohlen geschieht
in Meilern oder in retortenähnlichen Apparaten; bei letztern gewinnt man die
Destillationsproducte (s. Theerschwelerei und Holzessigsäurefabrication).
Beim Verkohlen in Meilern treten als Verbrennungsproducte Kohlenoxyd,
Kohlensäure, Wasser und empyreumatische Producte neben bedeutenden
Mengen von Russ auf. Das Verkohlen geschieht gewöhnlich in abgelegenen Wald-
gegenden und zwar auf der Schlagstelle: man benutzt die 1 — 5jährigen Lohstangen und
kein dickes Holz dazu. Da aber das Verkohlen, wie erwähnt, auf der Schlagstelle,
also auf einer Lichtung stattfindet, so kann, wenn nicht besondere Verhältnisse ein-
treten, die Einwirkung der Verbrennungsproducte auf die Vegetation sich nicht geltend
machen. Nichtsdestoweniger kommen Fälle vor, dass ganze Waldstrecken entlaubt
werden und zwar durch die Einwirkung der empyreumatischen Producte, des Kreosots
und der Essigsäure, wenn die Feuerung nicht sorgfältig geleitet worden ist und
bei dumpfem, nebeligem Wetter der Rauch niedergedrückt und im Walde zurück-
gehalten wird.
Der Russ kann hierbei nur von geringem Einflüsse sein, da er sehr leicht ist
und durch den leisesten Wind wieder fortgetragen wird. Es ist eine bekannte That-
sache, dass Singvögel, namentlich Nachtigallen, sich aus dem Bereiche der Kohlenmeiler
entfernen, was jedenfalls auf die nachtheilige Einwirkung der empyreumatischen Stoffe
hinweist. Die Aushauchung des Kohlenoxyds kann nur bei der grössten Unvorsichtig-
keit gefährlich einwirken, wenn sich z. B. die Arbeiter auf die Kohlenmeiler zum
Schlafen hinlegen.
Nach der Art des Holzes unterscheidet man harte und weiche Kohle, und
nach dem Grade der Verbrennung die Schwarzkohle und die Rost- oder Roth-
kohle; bei letzterer hat eine unvollständige Verkohlung stattgefunden: sie wird nur bei
der Pulverfabrication verwendet.
Transport und Lagernng der verschiedenen Arten von Kohle. Die Steiukohle
erfordert bezüglich ihres Transports insofern eine strenge Ueberwachung, als
sich hierbei manche leicht entzündliche und feuergefährliche Gase entwickeln,
ohne dass eine andere Ursache, wie Oxydation u. s. w., einwirkt; in diese
Kategorie gehören besonders die sehr bitumenreichen englischen, sächsischen und
schlesischen Kohlen. In England hat man diese Angelegenheit für so wichtig
gehalten, dass man ein besonderes Gesetz bezüglich des Transports derartiger
Kohlen erlassen hat. So ist z. B. an allen Ladeplätzen Cardiff's eine polizei-
liche Bekanntmachung ausgehängt, nach welcher die Luken eines jeden mit
Kohlen beladeneu Schiffes, so lauge dasselbe in dem dortigen Dock liegt, geöffuet
bleiben müssen und nicht eher geschlossen werden dürfen, als bis die Schiffe
die Mündung nach dem Bristolcanal zurückgelegt haben.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass manches Brandunglück auf hoher See durch die
Entwicklung dieser Gase in Folge einer Temperaturerhöhung entsteht. Gelangen die-
selben nach dem Feuerraum der Maschine, so entzünden sie sich hier und wirken
gleichsam als schlagende Wetter; so wurde noch vor einigen Jahren über die Explosion
von schlagenden Wettern am Bord eines englischen Schraubendampfers berichtet.27)
Hier kann nur eine gute Ventilation und eine Isolirimg des Kohlenlagers vom
Feuerraum einigermassen die Gefahr beseitigen.
Bei der bekannten Eigenschaft der Kohle, Gase zu verdichten, kann es nicht auf-
fallen, dass die Kohle in der Erde die bei ihrer Bildung und Zersetzung auftretenden
Tratisport der Kohlen. 343
brennbaren Gase, worunter das Sumpfgas vorwaltet, zurückgehalten hat, welche als-
dann unter einem verminderten Drucke und bei erhöhter Temperatur wieder frei werden.
Unter diesen Umständen können die ausserhalb eines Bergwerks lagernden Stein-
kohlen noch so viel Sumpfgas aushauchen, dass bei dessen Eutzündung Explosionen
entstehen.28)
Bei Braunkohle und Torf fehlen solche Gasexhalationen : die Braunkohle
entwickelt nur Kohlensäure. So hat z.B. das Lagern der Braunkohle in grössern
Quantitäten in geschlossenen Kellerräumen manchmal Veranlassung gegeben, dass Per-
sonen, welche sich unvorsichtiger Weise in solche Räume begaben, hier den Tod fanden.
Dieser Nachweis einer fortwährenden Entwicklung von Kohlensäure bei der Braun-
kohle nach ihrer Förderung ist von Varrentrapp zur Genüge erbracht worden.
Die Steinkohle sowie die Braunkohle sind zuweilen einer Selbstent-
zündung unterworfen, welche lediglich von dem in der Kohle enthaltenen und durch
den atmosphärischen Sauerstoff sich oxydirenden fein zertheilten Schwefelkies
(Wasserkies) abhängt.
Die schwefelreiche Braunkohle wird fast nie als Brennmaterial zur Heizung
benutzt, weshalb auch ein Transport derselben höchst selten stattfindet; dagegen können
sie einen Hai den br and verursachen, welcher für die umliegende Vegetation in doppel-
ter Beziehung nachtheilig werden kann, erstens durch die Verbrennung und zweitens
durch das massenhafte Auftreten der schwefligen Säure.
Beim Torf kommt die Selbstentzündung in Folge der Oxydation von Schwefel-
kies höchst selten vor, weil er im Allgemeinen wenig davon enthält: auch wird der
schwefelkieshaltige Torf nur auf Alaun und Eisenvitriol verarbeitet und niemals als
Brennmaterial benutzt.
Die Steinkohlen-Koks bieten beim Transport und Lagern nichts Besonderes
dar; die Koks von Braunkohle und Torf sind jedoch zur Selbstentzündung sehr
geneigt und dürfen niemals transportirt und gelagert werden, wenn sie nicht vorher
durch Wasserdämpfe gelöscht worden sind.
Das Lagern und der Transport der Holzkohlen bieten zunächst im ge-
pulverten Zustande eine Feuersgefahr: ihre leichte Entzündlichkeit erfordert es, dass sie
nicht in der Nähe von Feuerstellen abgelagert und auch nicht in offenen Waggons auf
Eisenbahnen transportirt werden.
Wegen des Gehalts der frischen Holzkohle an Kohlensäure und Kohlenoxyd
kann das Lagern in der Nähe von menschlichen Wohnungen zuweilen höchst gefährlich
werden. Da bekanntlich die Holzkohle in ihren eigenen verbrennungsproducten, unter
denen sich namentlich das Kohlenoxyd in bedeutender Menge vorfindet, bei der Dar-
stellung erstickt wird und die Kohle ein bedeutendes Absorptionsvermögen für Kohlenoxyd
und Kohlensäure hat, so nimmt sie sehr erhebliche Mengen dieser Gase auf. So absorbirt
1 Vol. Kohle 9,42 Vol. CO und 35 Vol. C02: ein Gemisch, welches auf 3 Vol. Kohlen-
säure 1 Vol. Kohlenoxyd enthält, wird unverändert in demselben Mischungsverhältniss
von der Kohle aufgenommen.
Hinsichtlich der Wasseraufnahme ist zu bemerken, dass die Kiefernkohle in
24 Stunden dem Gewichte nach 8,2% und die Kohle der Rothbuche 5,3 % Wasser aus
der Atmosphäre aufnimmt.
Der kohlensaure Alkaligehalt der Kohle bedingt ihre Fähigkeit, das atmosphärische
Wasser mit Begierde anzuziehen, wodurch alsdann die aufgenommenen Gase deplacirt
und ausgetrieben werden können; ist der Lagerungsraum ein feuchter Keller, so ist
dieser Austausch um so schneller eingeleitet und beendet. Es sollte deshalb nicht ge-
stattet werden, frische Meilerkohlen sofort in geschlossenen Räumen zu lagern, wenn
sie nicht vorher wochenlang an der Luft gelegen haben.29)
Das Verdrängtwerden der Gase in den frischen Holzkohlen resp. in den Braun-
kohlen- und Torf koks durch flüssiges Wasser kann somit bei Ueberschwemmungen. wenn
dasselbe in unterirdische Kohlenlagerräume dringt, grosse Gefahr herbeiführen , indem
dann ein Theil des Kohlenoxyds austritt.
Da die Koks aus Braunkohle und Torf nichts weiter als eigentliche Holzkohlen
sind, so kann bezüglich ihrer Eigenschaften zwischen ihnen und den Holzkohlen kein
Unterschied stattfinden. Es ist eine bekannte Thatsache, dass Ratten und Mäuse sich
niemals in Räumen aufhalten, wo Holzkohlen lagern, wenn sich dort auch Nahrungs-
mittel für sie vorfinden.
;^_j Kohlenstoff und Sauerstoff.
Die Verbindungen des Kohlenstoffs.
Die Verbindungen des Kohlenstoffs sind so zahlreich, dass sie einen wesent-
lichen Titeil der Chemie repräsentiren ; um eine Uebersicht derselben zu gewinnen,
dürfte es zweckmässig erscheinen, sie sämmtlich hier einer nähern Betrachtung
zu unterwerfen, gleichviel, ob sie im gewöhnlichen Leben als organische oder
anorganische bezeichnet werden. Mit Sauerstoff und Schwefel verbindet sich
bekanntlich der Kohlenstoff direct; seine Oxydationsproducte und der Schwefel-
kohlenstoff werden daher dies grosse Gebiet einleiten, um dann zu den ander-
weitigen, auf iudirectem Wege entstehenden Verbindungen überzuführen, welche
in der Regel in der organischen Chemie abgehandelt werden.
Kohlenstoff und Sauerstoff.
1) Kohlenoxyd CO kommt in der Natur höchst selten fertig gebildet Vor; der
Dampfstrum einer Solfatara auf Island soll es enthalten: auch will man es bei der
Darmrespiration des Schlanimpeizgers (Cobitis fossilis) nachgewiesen haben Bouatinyault
behauptet, dass auch die Blätter der Wasserpflanze unter Einwirkung der Sonnenstrah-
len bei der Zersetzung der Kohlensäure neben Sauerstoff Kohlenoxyd und Methylwasser-
stofl" aushauchen.30)
Bei der Maischbereitung, beim Gährungs- und Fäulnissprocess entsteht es durch
Oxydation des Kohlenstoffs der organischen Gebilde. Am häufigsten tritt es beim Ver-
brennen der Kohle unter gehemmtem Lufzutritt, bei der Reduction der Metalloxyde
mittels Kohle und bei der Reduction der Kohlensäure mittels Kohle bei sehr hoher
Temperatur (C02 + C = 2 CO), z. B. beim Hohofenprocesse auf; bei der trocknen Destil-
lation bituminöser Fossilien entsteht es als Spaltungsproduct.
Dargestellt wird Kohlenoxyd durch Zersetzung ameisensaurer oder oxalsaurer
Salze durch Schwefelsäure. Gewöhnlich benutzt man die Oxalsäure, indem man 1 G. Th.
derselben mit 6 G. Th. Schwefelsäure vermischt:
H2C204 = CO + C02 + H,0.
Zur Entfernung der gleichzeitig auftretenden Kohlensäure leitet man das sich ent-
wickelnde Gas durch eine Lösung von Kaliumhydrat.
Kohlenoxyd ist ein färb- und geruchloses, permanentes Gas, welches beim An-
zünden mit schwach bläulicher Flamme brennt. Das Wasser absorbirt wenig, eine Auf-
lösung von Kupferchlorür in Ammoniak oder Salzsäure dagegen sehr viel; im
letztem Falle bildet es mit Kupferchlorür eine bei Gegenwart von Wasser explosive Ver-
bindung. Mit Chlor und Brom verbindet es sich im Sonnenlicht direct.
Einwirkung des Kohlenoxyds auf den thierischen Organismus. Die Wirkung
des Kohlenoxyds stimmt mit der der Kohlensäure nur insofern überein, als bei
kleinem Mengen sich ebenfalls entschieden Symptome der Reizung kund geben,
welche aber weit rascher als bei der Kohlensäure in die der Lähmung
übergehen.
Zu den Symptomen der Reizung gehören: Angstgefühl, Uebelkeit, vermehrte
Respiration, beschleunigter Herzschlag, klopfende Kopfschmerzen, Betäubung,
Schwindel und Neigung zum Hinfallen, Zittern und Convulsionen. Beim Ein-
athmen grösserer Mengen kann man wie vom Blitz getroffen zu Boden stürzen
und zwar entweder unter leichten Delirien und Sinnestäuschungen oder aber,
wie es meist der Fall ist, mit voller Bewusstlosigkeit. Tritt dann keine
rasche Hilfe ein, so erfolgt Lähmung unter starker Sommolenz, Pupillen-
erweiterung, kaltem Schweisse, kalter Haut, Anästhesie, Muskelschlaffheit,
röchelnder, seufzender Respiration und verlangsamtem Herzschlage; das Leben
erlischt hierauf schnell.
Die rasche Abnahme der Körperwärme ist im Stadium der Lähmung
Kohlendampf. 345
besonders auffallend und kann bei Thieren 10 ° betragen; die Lähmung schreitet
von unten nach oben fort.
Der Kohlendunst, welcher im gewöhnlichen Leben vorzugsweise zur Vergiftung
Anlass gibt, enthält ausser dem Kohlenoxyd bei der Holzkohlenverbrennung noch
mehr oder weniger Kohlensäure. Als Mittel von 8 Analysen fanden sich 2,54%
Kohlenoxyd und 24,68% Kohlensäure;31) der Gehalt an Kohlensäure .muss stets den
Symptomencomplex modificiren. Mehre Versuche haben ergeben, dass sich beim
Holzkohlendampfe, welcher bei offenem Feuer gewonnen wurde, fast nur Kohlen-
säure und in geringem Grade Kohlenoxyd geltend machen, während bei bedecktem
Feuer bald dieWirkung des Kohlenoxyds in sehr bedeutendem Grade auftritt; die
geringen Mengen von Ammoniak sind dabei ohne Bedeutung.
Steinkohlendampf bei offenem Feuer enthält fast nur Kohlensäure; nur
beim frischen Aufgeben der Steinkohlen entwickelt sich bisweilen eine geringe Menge
Schwefelwasserstoff.32) Bei bedecktem Feuer tritt ausser dem Kohlenoxyd
und der Kohlensäure je nach den verschiedenen Kohlenarten häufig schweflige
Säure hinzu; letztere macht sich höchstens durch öfteres Aufhusten der Thiere be-
merkbar. Der Dampf kann nämlich auch arsenhaltig sein, wenn unter Umständen im
Schwefelkies der Steinkohlen Arsen vorhanden war; im Russ der Steinkohlen hat
man auch bereits Arsen nachgewiesen.33)
Der Koksdunst ist bei offenem Feuer reich an Kohlensäure Und schwefliger
Säure, so dass derselbe bei den Thieren eine heftige Bronchialreizung zu erzeugen ver-
mag; aber auch die Gegenwart von Kohlenoxyd ist hierbei nicht immer ausgeschlossen,
welches in einem Versuche am Kaninchen die heftigsten Convulsionen hervorrief. Bei
bedecktem Feuer liefert der Koksdunst noch grössere Mengen dieser Gase und
ist nach den angestellten Versuchen als der gefährlichste Kohlendampf zu
betrachten.
Beim Braunkohlendampf sind neben Kohlenoxyd noch Ammoniak und
schweflige Säure zu beachten.
In den concreten Fällen hat man bisher viel zu wenig auf die Beschaffen-
heit des Kohlendampfes Rücksicht genommen; eine ganz abweichende Wirkung
zeigen besonders die Dämpfe aus friesländischen Torfkoks. Die Erfahrung,
dass in Holland fast nie Intoxicationen durch Torf koksdämpfe vorkommen, gab
zu folgenden Versuchen Anlass:
Erster Versuch mit den Dämpfen aus friesländischen Torfkoks.
Letztere rührten aus Hoogeveen her; nachdem die Koks ausgeflammt hatten, wurden
die glühenden Kohlen in einen Ofen gebracht und die sich entwickelnden Dämpfe in den
grossen Glaskasten, in welchem ein Kaninchen sass, getrieben und zwar 20 Kolbenstösse
zu 83 C.-G, nach 5 M. und 10 M. nochmals je 20 Kolbenstösse; hierauf beschleunigte
Respiration und nach 15 M. ein vorübergehender Taumel. Nach 16 und 20 Min. je
20 Kolbenstösse; nach 24 M. Bauchlage mit ausgespreizten Hinterbeinen und sehr be-
schleunigte Respiration. Nach 40 M. waren mit 200 Kolbenstössen 6600 C.-C Dampf
eingetrieben worden; nach 45 M. zeigen sich keine andern Erscheinungen als die sehr
frequente Athmung (40 Inspir. binnen % M.). Herausgelassen hält sich das Kaninchen
nur kurze Zeit ruhig und läuft nach 5 M. wieder umher.
Zweiter Versuch. Dasselbe Kaninchen wurde nach 6 Stunden nochmals den
Dämpfen ausgesetzt: es wurden 3486 C.-C. Dampf eingetrieben, welche nur vermehrte
Respiration zur Folge hatten. Nach 35 M. Herausnahme des Thiers; es läuft sogleich
umher und bietet nichts Krankhaftes dar.
Dritter Versuch. Ein Meerschweinchen sitzt im kleinen Zinkkasten; nachdem
der Torf ausgeflammt hatte, wurden die sich entwickelnden Dämpfe in einen gläsernen
Gasometer, welcher 3l/2 Liter fasste, aspirirt; von hier aus wurden sie in den Kasten
übergetrieben. Nach 2 M. beschleunigte sich schou die Respiration, nach 6 M. 33 Inspir.
binnen l/4 M.; Putzen des Maules, Schwanken, Hinfallen, Bauchlage, Fallen auf die
rechte Seite folgen rasch aufeinander: in der Seitenlage leichte Zuckungen und Geh-
bewegungen der Extremitäten. Nach 7 M. , nach Verbrauch der 3 1/2 Liter Dampf,
Herausnahme des Meerschweinchens; es ist anaesthetisch und zeigt schwache Respi-
rationsbewegung: nach 2 M. sind die Augen wieder reizbar und der Herzschlag ist
stark; auf die Erde gesetzt, bleibt es schwankend sitzen: die wieder eingetretene
Respiration zeigt sich nach 4 M. beschleunigt; es bewegt sich beim Fortschieben nur
mit den Vorderfüssen ; nach 8 M. normale Respiration, nach 10 M. sind die Hinterbeine
noch gespreizt, es bleibt ruhig sitzen und erst nach 1 Stunde bewegt es sich wieder
ganz normal.
;;.jr, Kohlenstoff und Salierstoff.
Es ist thatsSchlich festgestellt, dass der Torfkoksdampf reich au Cyan.
ist; es lag daher auf Grund der vorstehenden Versuche die Vermutbung nahe,
dass es in einer gewissen antidotarischen Beziehung zum Kohlenoxyd stände;
es wurden deshalb die folgenden Versuche mit einem Gemisch von Cyan und
Kohlenoxyd angestellt:
Erster Versuch. In einem Gasometer befanden sieh 1 Vol. Th. Cyangas und
l Vol. Th. Kohlenoxyd; die e Mischung wurde dem Zinkkasten, in welchem ein Meer-
schweinchen sass, zugeführt; es reib! ogleich Mau] und Nase, verhält sich aber sonst
ruhig: nach 2 M., als 200 C.-C. zugeleitet worden, zittert der ganze Körper, es taumelt
und fällt auf die Seite, wobei alle Extremitäten rotirende Bewegungen, gleichsam Lauf-
bewegungen machen. Nach 3 M. vermehren sieh die Respirationen sehr bedeutend, die
Augen füllen Bich mit Thränen, es hustet häufig auf und zuckt mit den Vorder-
extremitäten. Nach 4M. befinden sich 300 C.-C. der Gasmischung, ungefähr 7Volums-
procenl derselben, im Kasten: hierauf Herausnahme des Thiers ; vollständige
Anästhesie. Respiration kaum bemerkbar; nach 2 M. sind die Augen ein wenig empfind-
lieli. starkes Jlerzklopfen, nach 3 M, beschleunigte Respiration: nach 4M. auf die Erde
gesetzt, bleibt es in der Bauchlage mit ausgespreizten Beinen; nach 5 M. zittert es
bei jeder Berührung, erholt sich aber ziemlieh rasch und bewegt sich nach 20 M.
wieder normal.
Zweiter Versuch. Das Experiment wird mit einem Gemisch von 1 V. Th.
Cyan und 2 V. Th. Kohlenoxyd wiederholt. Nach 2 M. bei 120 C.-C. Gasmischung
beschleunigt sieh die Respiration, das Thier wird unruhig und schüttelt häufig mit dem
Kopfe; nach 3 M, bei 200 C.-C. des Gasgemisches taumelt es, fällt auf die Seite und
macht rotirende Bewegungen mit allen Extremitätin ; hierauf ruhige Lage bei beschleu-
nigter Respiration. Nach 4M. verlangsamt sich die Respiration bei 220 C.-C. (ungefähr
5 Volumsprocent); das Thier wird nun in vollständiger Anästhesie bei kaum bemerk-
barer Bauchrespiration herausgenommen. Nach 2 M. geringe Reizbarkeit an den Augen,
Bewegungen mit den Vorderbeinen, beschleunigte und unregelmässige Respiration bei
starkem Herzklopfen: nach 4 M. sitzt es mit dem Vorderkörper aufrecht, nach 6 M.
natürliche Bewegungen des Kopfes, leichtes Zittern des Körpers: nach 30 M. läuft es
wieder wie vorher.
Es ist jedenfalls höchst auffallend,' dass sich in diesem Falle, grade wie
im dritten Versuche mit dem Dampfe des Torfkoks, hauptsächlich nur die
Anästhesie als Wirkung des Kohlenoxyds einstellte und zwar bei 3,5% dieses
Gases, während die stärksten Kaninchen unter gewöhnlichen Verhältnissen schon
bei 3 % Kohlenoxyd von starkeu Convulsiouen befallen werden.
Diese Thatsache ist jedenfalls höchst wichtig, bedarf aber noch weiterer
Versuche, um die Beziehung des Cyans zum Kohlenoxyd genauer zu erforschen;
so viel ist sicher, dass der Dampf aus Torfkoks der am wenigsten gefährliche
Kohlendunst ist.
Im Allgemeinen zeigen sich beim Kohleudampf aus Holz- und Stein-
kohlen wegen der reichlicher vorhandenen Kohlensäure die Zeichen der Reizung
mehr als beim reinen Kohlenoxyd. Bei Menschen ist daher in solchen
Fälleu anfangs der Kopfschmerz heftig, mit Sausen und Brausen vor den Ohren
verbunden; auch zeigen sich mehr Uebelkeit, Würgen und wirkliches Erbrechen;
ganz besonders ist die Athembeklemmuug ausgebildet, das Gefühl einer er-
drückenden, die Athmuug hemmeuden Last auf der Brust und das Gefühl der
Erstickungsnoth nebst grosser Angst werden noch im halbbetäubten Zustande
empfundeu.
Die Exaltation der psychischen Thätigkeit zeigt sich beim Kohlen-
dunst weit deutlicher ausgeprägt als beim reinen Kohlenoxyd; es ist mit Be-
stimmtheit anzunehmen, dass sie vorzugsweise durch die Kohlensäure im Kohlen-
dampf bedingt ist. Die Kranken können heftig, aufgeregt, tobsüchtig werden
und an einer vollständigen Mania transitoria leiden (s. Kohlensäure).
Kolilendampf. 347
Bei längerer oder stärkerer Einwirkung des Kohlendampfes führen klonische
und tonische Krämpfe, Contracturen einzelner Muskeln, Trismas u. s. w. unter
Cyanose und stertorösem Athmen in das Stadium der Lähmung. Treten
Störungen der Sensibilität schon vor dem Schwinden des Bewusstseins ein, so
liefern sie den sichersten Beweis, dass sehr viel Kohlensäure im Kohlendampf
vorhanden gewesen. So hat man namentlich bei Einwirkung der Gruben-
brand dämpfe schon eine Hautanästhesie beobachtet, wenn die Arbeiter
noch die Fahrtsprossen ergreifen und darauf stehen konnten. Aber auch
Störungen der Motilität, Schwäche der Muskeln oder gänzliches Unver-
mögen, sich weiter zu bewegen, zeigen sich nicht selten schon vor völliger
Aufhebung des Sensoriums.
Nachkrankheiten hat man fast nur beim Kohlendampf beobachtet; beim
reinen Kohlenoxyd zeigen sich zwar nach der Rückkehr des Bewusstseins noch
tagelang convulsivische Bewegungen des Körpers, heftiger Kopfschmerz und un-
regelmässiger Puls, auch längere Zeit noch Schwindel, Uebelkeit, Fieberanfälle
und grosse Schlafneigung bei unterbrochenem Schlafe; bleibende Störungen hat
man aber nicht wahrgenommen, vielleicht schon deshalb nicht, weil die Vergif-
tungen mit blossem Kohlenoxyd weit seltener vorkommen.
Nach der Kohlendunstvergiftung können Lähmungen einzelner Glieder,
der Sprache, der Harnblase und des Rectums zurückbleiben. Auch entzündliche
Affectionen der Respirationsorgane, Pneumonie und Pleuritis mit Exsudat-
bildung, hat man als Wirkungen des Kohlendampfes angesehen. 34)
Unter sehr vielen Versuchen gelang es nur einmal, bei einer Taube,
eine partielle Atelectase der Lunge zu erzeugen. Um alle andern Gase
auszuschliessen, wurde ein Gemisch von Kohlenoxyd und Kohlensäure
benutzt.
Eine Taube wurde einem Gasgemische von l/4% CO und %% C02 ausgesetzt,
welches nach 10 M. 10 sehr beschwerliche Respirationen hervorrief: sie verhielt sich sonst
ruhig und da sich nach 2 Stunden keine andren Erscheinungen als die der Dyspnoe ein-
stellten, wurde sie aus dem Holzkasten herausgelassen. Die Dyspnoe hielt an, nach
15 M. traten aber Convulsionen hinzu, die sich nach 20 M. mit Erbrechen -wiederholten
und nach 25 M. den Tod herbeiführten.
Section nach 6 Stunden. Hyperämie der Hirnhäute; aus den Brustmuskeln
fliesst viel flüssiges dunkelrothes Blut aus, das in dünnen Schichten dunkelkirschroth
erscheint, an der Luft aber mehr hellkirschroth wird. Trachealschleimhaut hellroth
injicirt, die Oberfläche der Lunge dunkel- und hellroth marmorirt. Die ganze rechte
Lunge sinkt unter den Wasserspiegel, erreicht aber nicht vollständig den
Boden, nur einzelne Stückchen, namentlich des obern Lappens, sinken
vollständig zu Boden: das Gewebe ist von mehr bräunlicher Farbe, knistert nicht
beim Durchschneiden und erseheint mit Ausnahme der Ränder der einzelnen Lungen-
lappen derb; aus den Durchschnittsflächen tritt eine blutige Flüssigkeit, aber kein
Blut aus; dieselbe findet sich auch in den Bronchien. Die linke Lunge ist ganz
schwimmfähig, mehr hellroth gefärbt, namentlich im Parenchym, und liefert auf der
Schnittfläche einen blutigen Schaum. Nur im rechten Herzen flüssiges Blut, Leber
und Nieren hyperämisch.
l/i % CO und 3%%' C02 versetzten eine Taube in grosse Dyspnoe, "welche bald
verschwand, als sie nach 1 Stunde ins Freie gebracht wurde. % % CO und 3% % C02
erzeugten bei einer Taube nach 4 M. allgemeine Convulsionen: bei der sofortigen Her-
ausnahme erholte sie sich nach 15 M. \% CO und Z% C02 riefen nach 1% M. bei einer
Taube die heftigsten Convulsionen hervor; herausgenommen erholt sie sich nach 20 M.
2% CO lind 2% C02 bewirkten bei einem mittelgrossen Kaninchen beschleunigte Respir.,
Koth- und Urinabgang, Schwanken bei verengter Pupille nach 8 M., Zusammensinken
nach 13 M.; bei beschleunigter Respiration (24 Inspir. binnen % M.) wird es nach 15 M.
in vollständiger Anästhesie herausgenommen. Nach 1 Stunde bleibende Restitution.
Man ersieht aus diesen Versuchen, dass eine geringe Steigerung des Gehalts
348 Kohlenstoff und Sauerstoff.
an Kohlenoxyd, ganz unabhängig von der grössern oder geringern Menge Kohlen-
säure, die charakteristischen Symptome der Kohlendunst -Vergiftung hervorruft.
Sollte vielleicht eine längere Einwirkung von kleinen Mengen dieses Gas-
gemisches für die Entstehung von Lungenaffectionen bedeutsam sein?
Die Ansicht von Klebs. dass die in den übrigen Organen nachgewiesenen
Veränderungen nirgends die Bedeutung von Entzündungsprocessen besässen und
daher auch Entzündungen der Lungen nur als zufällige Complicatiouen zu be-
trachten seien, bedürfte wohl einer Einschränkung. — Blödsinn ist schon mehr-
mals als die Folge von Kohlenoxyd- resp. Kohlendunstvergiftung beobachtet
worden. Eine Mittheilung von Simon35) scheint dafür zu sprechen, dass selbst
längere Zeit nach der Restitution Gehirnerweichung eintreten kann; da
diese Vergiftung den Process des fettigen Zerfalls in verschiedenen Organen be-
dingt, so hält es Simon für möglich, dass dies auch für die kleinern Hirn-
gefässe gelten könne, so dass in Folge der in diesen eingetretenen Veränderungen
sich später Ernährungsstörungen in Form der Erweichung einstellen.
Veränderungen, welche als parenchymatöse Entzündung, als fettige
Degeneration auftreten, finden sich in langsam verlaufenden Vergiftungsfällen
auch in den Muskeln. Nach Klebs beginnen sie im Psoas und Iliacus, in den
Adductoren des Oberschenkels und schreiten auf die Bauch- uud Brustmuskeln
fort; am spätesten oder gar nicht zeigen sie sich in den Halsmuskeln, weniger
constaut im Herzmuskel, in den Nieren, der Leber und der Milz.
An die parenchymatöse Degeneration könuen sich weiterhin interstitielle
Wucherungsprocesse und Nekrose der betreffenden Theile anschliessen ; alle diese
Veränderungen stimmen mit denjenigen überein, welche man auch bei Infections-
krankheiten, bei typhösen, puerperalen und septieämischen Processen beobachtet;
namentlich soll sich Nekrose am Pharynx uud Dickdarm in Folge der Kohlen-
duustvergiftuug ausbilden. Hierher gehört auch eine bisweilen als Folge der
Kohlendunstvergiftung vorkommende diphtheritische Ablagerung auf der
Schleimhaut des Gaumens, des Kehlkopfs, des Colon und Rectum.36)
Eine durch Lähmung der vasomotorischen Nerven herbeigeführte Atonie
der Blutgefässe, welche Klebs in erster Linie als Wirkung der Kohlendunst-
vergiftung ansieht, die aber nur als ein seeuudäres Krankheitsproduct aufzu-
fassen sein dürfte, veranlasst namentlich auch auf der Haut bei längerm Kranksein
Brand mit Blasen, Schorf und Decubitus.
Der Zucker, welcher nicht selten im Harn der durch Kohlendunst Ver-
gifteten gefunden wird, dürfte in gewissem Zusammenhange mit dem Mangel an
Sauerstoff im Kohlenoxydblut stehen.
Der Umstand, dass das Kohlenoxyd den Sauerstoff aus dem Blute,
wenigstens theilweise, austreibt, führte zu der Auffassung, dass die Kohleudunst-
wirknng in erster Linie in einer Sauerstoffentziehung und in der dadurch
bedingten Ernährungsstörung beruhe. Traube hebt unter den Wirkungen
des Kohlenoxyds noch -besonders die Erregung des Hemmungsnervensystems
des Herzens hervor, worauf er die nachträgliche Pulsverlaugsamung zurückführt,
während sich die vorhergehende Pulsbeschleunigung durch Erregung des
Centrums des vasomotorischeu Nervensystems erkläre. 37)
Das Section sresultat bei den schnell durch Kohlendunst Umgekommenen
bietet manches Charakteristische dar, welches für den untersuchenden Arzt hervorzu-
heben ist. In dieser Beziehung ist zu bemerken, dass die Verwesung langsamer als
gewöhnlich eintritt; im Winter fehlt oft nach 5—6 Tagen jede Spur derselben. Alle
Nachweis des Kohlenoxyds im Blute. 349
Todtenflecke zeichnen sich durch hellere Röthe aus und finden sich zahlreich auf dem Rücken.
Die Blutleiter in der Schädelhöhle enthalten mehr oder weniger hellrothes, dünn-
flüssiges Blut; die Gefässe der weichen Hirnhaut sind stets angefüllt, das Gehirn
zeigt aber auf den Durchschnitten nicht immer Blutpuncte. Die Gehirnhöhlen sind leer
oder enthalten etwas Serum, Plexus choroidei und die Sinus an der Basis cranii blut-
reich: die Schleimhaut der Trachea und des Larynx ist in Folge von Gefässinjectionen roth
oder bräunlich gefärbt, die feinsten Bronchien sind fast immer mit schaumigem Schleim
angefüllt; die Lungen häufig von röthlicher Färbung auf mehr oder weniger dunkel-
braunrothem Grunde: aus den Einschnitten des Parenchyms ergiesst sich flüssiges hell-
rothes Blut; auch beim Druck auf die Schnittflächen tritt oft dünnflüssiges, mit schau-
migem Schleime vermischtes Blut aus, während die untern Lungenlappen häufig die
Erscheinungen des Oedems darbieten. Das rechte Herz ist an flüssigem, hellrothem
Blute in der Regel reicher als das linke. Leber und Milz bieten oft wenig Abnormes
dar, wenn sie nicht durch das hellrothe Blut eine Farbenveränderung erleiden; dagegen
zeichnen sich die Nieren stets durch Hyperämie aus. Die grössern Unterleibsgefässe
sind mit dünnflüssigem hellrothem Blute gefüllt; das hellrothe Blut ist die
Regel; ist es dunkler gefärbt, so ist der betreffende Kohlendampf jedenfalls sehr reich
an Kohlensäure gewesen.
Ist der Tod in Folge von Holzkohlendampf erfolgt, so fehlt fast nie die
helle Röthe der Lungen und des Blutes; beim Koks dampf und häufig auch beim
Steinkohlendampf influirt schon die schweflige Säure auf die Farbe des Blutes,
welches sich dann mehr der dunklen Röthe nähert. Von der Farbe des Blutes hängt
auch die Inj ections röthe auf den Schleimhäuten der Luftwege ab, welche beim Koks-
und Steinkohlendampf oft mehr bräunlichroth ist.38)
Nachweis des Kohlenoxyds im Blute. Hierher gehört 1) das Verhalten
des Blutes vor dem Spectralapparate; ist das Blut kohlenoxydhaltig,
so werden die beiden Blutbänder durch Zusatz von Schwefelammonium
nicht verändert, während die Streifen des normalen Blutes in ein einziges breites
Band übergehen und verschwinden. Das Reductionsmittel (ausser Schwefel-
Ammonium (Hoppe-Seyler) auch Zinnchlorür oder die Stokes'sche Flüssig-
keit: Eisen vitriollös ung, Weinsäure uud Ammoniak) 39) nimmt nämlich die Streifen
des Sauerstoff- Hämoglobins weg, lässt aber die des Kohlenoxyd -Hämoglobins
unberührt. Die Streifen des Sauerstoff - Hämoglobins sind übrigens denen des
Kohlenoxyd -Hämoglobins äusserst ähnlich und unterscheiden sich nur in ihrer
Lage etwas von einander. Den Sauerstoff treibt das Kohlenoxyd nur
partiell aus.
Interessant ist das Verhalten des Kohlenoxydbluts gegen Kupferchlorür-
Chlorammonium Cu2 Cl2-f- 2 NH4C1; behandelt man das Blut mit diesem
Reagens, so verschwinden die Absorptionsstreifen vollständig. Diese Beobachtung
dürfte schon zu der Auffassung führen, dass es sich bei der Absorption des
Kohlenoxyds durch das Blut nicht um eine chemische Verbindung, sondern um
eine physicalische Aufnahme handelt. Eine weitere Stütze hierfür wird durch
die Aspiration des Kohlenoxyds aus dem Blute geliefert, ein Factum, welches
einer genauem Erörterung bedarf.
2) Die Methode, das Kohlenoxyd aus dem Blute zu aspiriren und
auf dasselbe durch Palladiumchlorür zu reagiren, beruht nur auf der Thatsache,
dass das Kohlenoxyd mit den Blutkörperchen keine chemische Verbindung
eingeht.40) Diese Auffassung ist von der Kritik jahrelang und oft in nicht sach-
gemässer Weise angegriffen worden, bis vor Kurzem Donders41) bestätigte, dass
das Blut, welches mit Kohlenoxyd gesättigt worden, dieses Gas sogar schon bei
0° C. verliert; er hebt ausdrücklich hervor, dass das Kohlenoxyd nicht nach
vorgängiger Oxydation zu Kohlensäure als solche entweiche, vielmehr enthalte
die durch das Blut getriebene Luft keine Spur von Kohlensäure, wenn letztere
350 Kohlenstoff und Sauerstoff.
vorher durch einen genügenden Strom von Kohlenoxvd vollkommen aus dem Blute
entfernt war.
Zuntz*7) hat die betreffenden Versuche mit Erfolg wiederholt, indem er das mit
Kohlenoxyd gesättigte Blut in den auf 37 — 42° C. erwärmten Recipienten der Pflüger'-
schen Pumpe brachte. Es erfolgte anfangs eine ziemlich lebhafte Gasentwicklung,
welche aber erheblich geringer war als bei normalem Blute. Nach wiederholtem
Pumpen, wobei das Blut zuletzt auf 60° C. erhitzt worden, wurde constatirt, dass das
Blut den Stokes'schen Streifen des gasfreien Hämoglobins zeigte, welcher nach Zulassung
ii Luft sofort dem des Oxy- Hämoglobins wich; keine Spur von Zersetzung des
Hämoglobins war spektroskopisch nachweisbar.
Es wurden 31,65 C.-C. Hundeblut von 1071 spec. Gew. ausgepumpt.
Bei 40° C. wurden gewonnen = 4,607 C.-C. CO (6° und 1 •"•)
„ 600 C. n ^ = o^98 n CQ
In toto = 5,605 C.-C. CO,
das ist = 17,7$ des Blutvolumens.
Warum frühere Beobachter das CO nicht aus dem Blute auspumpen konnten,
rührt, wie Zuntz richtig bemerkt und worauf wir stets hingewiesen haben, daher, dass
sie aufhörten zu pumpen, wenn die entweichenden Gasmengen minimal wurden, während
sich fast das ganze gewonnene Kohlenoxyd aus diesen minimalen Quantitäten allmählig
ansammelt.
Was nun das Reagens auf CO betrifft, so ist der Einwand, dass auch andere
Gase die Palladiumchlorürlösung schwarz färben, irrelevant, da das Gas, ehe es die
Palladiumchlorürlösung durchstreicht, vorher concentrirte Schwefelsäure und Bleiacetat-
lösung zu passiren hat, wodurch etwaige Kohlenwasserstoffe resp. Ammoniak und
Schwefelwasserstoff zurückgehalten werden.43)
Wichtiger ist der Einwurf, dass Acetylen, welches möglicherweise bei einer
unterdrückten Verbrennung auftreten kann, dieselbe Reaction auf Palladiumchlorürlösung
ausübe. Lassen die Umstände das Auftreten dieses Gases vermuthen, so unterliegt eine
vorhergehende Absorption des aus dem Blute ausgetriebenen Kohlenoxyds mittels
einer salssauren Kupferchlorürlösung keinen Schwierigkeiten. Bekanntlich wird
Acetylen nur von einer alkalischen oder ammonia kaiischen Kupferchlorür-
lösung aufgenommen. Durch Erwärmen oder Sieden der salzsauren Kupferchlorür-
lösung kann, wenn es in der obigen Weise benutzt worden, das Kohlenoxyd wieder aus-
getrieben werden; man lässt es dann durch die Palladiumchlorürlösung streichen, in
welcher es sich durch den Niederschlag von zarten, glänzenden, schwarzen Plättchen
von Palladium zu erkennen gibt, da bekanntlich Kohlenoxyd das Palladiumchlorür
zersetzt.
Das Misslingen des Nachweises von CO durch Palladiumchlorür bei geringen
Mengen dieses Gases beruht nur auf einer unzulänglichen Handhabung des Reagens;
es ist nämlich nicht hinreichend, dass das Gas bloss die Flüssigkeit durchstreicht, man
muss vielmehr dasselbe einen Liebig'schen Kaliapparat, welcher mit verdünnter ange-
säuerter Palladiumchlorürlösung angefüllt ist, passiren lassen. *)
[s1 das Kohlenoxyd nur spurweise vorhanden, so reicht auch der Kugelapparat
oicht mehr aus: man muss dann das zu untersuchende Gas in eine Absorptionsröhre
über Quecksilber bringen und mittels einer gebogenen Pipette die Palladiumchlorürlösung
in die Absorptionsröhre geben.
Selbst minimale Mengen des Gases geben sich noch durch eine schwarze, glän-
zende oder spiegelnde Oberfläche der Palladiumchlorürlösung zu erkennen, und grade
in dieser Thatsache liegt der grosse Vorzug dieser Methode.
Kupferchlorürlösung, mag sie ammoniakalisch oder salzsäurehaltig sein,
absorbirt zwar CO, ohne jedoch eine Farbeveränderung oder sonstige Reaction wahr-
nehmen zu lassen ; zum Nachweise von CO ist es daher weniger geeignet als Palladium-
chlorür.
*) Auch die richtige Darstellung des Reagens ist »sehr wichtig. Man löse ö Th.
PalladiummetaL1 in Königswasser auf und dampfe im Wasserbade bis zur Trockene ein.
Im die Salpetersäure zu zerstören, übergiesse man die trockene Masse noch einige Male
mit Salzsäure und dampfe wieder ein: man wiederhole diese Procedur so lange, bis sich
Dämpfe von Untersalpetersäure nicht mehr zeigen; die trockene Masse wird schliesslich
in 96 Th. Wasser gelöst. Die Lösung muss die Farbe eines dunkeln Madeiraweines
wenn sie zur Absorption von CO dienen soll. Für qualitative Untersuchungen
reichen grössere Verdünnungen aus: 1 C.-C. Lösung (= 1,19 Grm.) enthält ca. 0,19 Grm.
metallisches Palladium.
Nachweis des Kohlenoxyds im Blute.
351
Bezüglich der Absorptionsfähigkeit des Blutes für Kohlen oxyd wurde
noch folgender Versuch gemacht: 1500 C.-C. frisches defribinirtes Ochsenblut wurde in
einen Absorbator (Fig. 43 A) gegeben und letzterer mit der Glocke B, welche mit CO
gefüllt war, verbunden. Durch Oeffnen der Hähne F und G wurde das Blut aus dem
Absorbator in den Messcylinder H ge
Fig. 43.
lassen, dadurch aber in den Absorbator
ebenso viel CO zum Blute gebracht und
zwar bis zur Gleichstellung des Niveaus
in der Glocke (B) und im Absorbator (A),
wodurch im Manometer (M) das mit Indigo
gefärbte Wasser ebenfalls sich in's Niveau
stellte. Nun werden beide Hähne (F und
G) geschlossen. Es waren 390 C.-C. Blut
in den Messcylinder (FI) abgeflossen, also
390 C.-C. CO zum Reste des Blutes im
Absorbator getreten, wodurch sich ein Ver-
hältniss des Blutes zum CO im Verhält-
niss von ( 1500 - 390 ) : 390 = 1 110 C.-C.
Blut : 390 C.-C. CO herausstellte.
Von einer Absorption des Kohlen-
oxyds konnte anfangs nichts wahrgenom-
men werden, da die Flüssigkeit im Mano-
meter nicht nach dem Absorbator zu stieg;
wurde jetzt der Apparat geschüttelt, so
dass die Oberfläche des Blutes dem CO
gegenüber vermehrt wurde, so fand eine
Absorption statt, welches sich durch ein
Steigen der Manometerflüssigkeit nach dem
Absorbator (A) hin kund gab.
Nach einiger Zeit stellte sich jedoch
die Manometerflüssigkeit wieder in's Niveau.
Durch ein abermaliges Schütteln fand wie-
derum eine Absorption statt und die Mano-
meterflüssigkeit stellte sich ebenfalls nach
einiger Zeit wieder in's Niveau. Dieses
Steigen und Fallen der Manometerflüssig-
keit konnte 36 Stunden lang durch Schüt-
teln bewerkstelligt werden. Nach dieser
Zeit wurde die Manometerflüssigkeit nach
aussen zu gehoben , so dass sie zuletzt
überfloss.
Hieraus geht hervor, dass das Blut Komenox7d unter Deplacirung der Blutgase
absorbirt, aber alllmählig in Kohlensäure verwandelt wird, welche schliesslich das
Ueberfliessen der' Manometerflüssigkeit bedingte und als solche nachgewiesen wurde.
1200 C.-C. Blut wurden mit 600 CO zasammengegeben- Nach der Absorption
(24 Stunden) enthielten die 500 C.-C. Gas 0.187 Grm- C02- Durch Palladiumchlorür
konnte in den 500 C.-C. Luft kein Kohlenoxyd nachgewiesen werden.
Dass CO im Blute allmählig in Kohlensaure übergeht, hat zuerst Pokrowsky
experimentell nachgewiesen.*4) Dieser Process be™ht auf einer successiven Oxydation
von CO durch den absorbirten Sauerstoff und muss selbstverständlich im lebendigen
Blute rascher vor sich gehen als im todten.
Wird aber kohlenoxydhaltiges Blut binnen einer so kurzen Frist eingetrocknet,
class dem CO keine Zeit geboten wird, sich allmählig in Kohlensäure umzuwandeln und
als solche auszutreten, so bleibt CO selbst noch Monate lang _ in dem eingetrockneten
Blute unverändert erhalten, weil durch dessen Beschaffenheit dem Eindringen des
Sauerstoffs, somit dem Oxydationsprocesse, vorgebeugt wird.45)
3) Eine dritte Methode des Nachweises von CO im Blute besteht in der
Behandlung desselben mit Aetznatronflüssigkeit von 1,3 spec. Gew., wobei
sich die Haltbarkeit der rothen Farbe des Blutes documentirt.46) Während das
normale Blut hierbei eine schwarze schleimige Masse liefert, erhält man beim
Kohlenoxydblut eine geronnene Masse von rother Farbe, welche, in dünnen
Streifen auf Porcellan betrachtet, mennig- bis zinnoberroth erscheint.
Setzt man zu 2 Th. Aetznatronflüssigkeit 2% Th. Chlorcalciumflüssigkeit (1 : 3), so
352 Kohlenstoff und Sauerstoff.
entsteht beim CO-Blute eine schöne Carminröthe, beim normalen Blute eine hell-
braune bis braunrothe Farbe. 4T)
Diese Methode verliert selbstverständlich anWerth, wenn das Kohlen dunstblut die
rothe Farbe nicht in einem exquisiten Grade darbietet, was namentlich bei der gleieh-
Einwirkung von schwefliger Saure oder grosser Mengen Kohlensäure der
Fall ist.
Bei Behandlung der Folgen von Kohlenoxyd- resp. Kohlendunst Vergiftung
kann von Antidoten nicht die Rede sein. Bei Asphyktischen handelt es sich
zunächst uui die Wiederherstellung der Respiration; die Marshall-HaH'sche
oder Silvester'sehe Methode sollteu hier nie umgangen werden; man verbinde
damit unter Umständen die äussern Reizmittel, indem man von kalten Begiessungen,
Bärsten, Frottiren u. s. w. uötbigeufalls bis zur Reizung des N. phrenicus
mittels des [nductionsapparats schreitet.
Da die Elimination des Kohlen oxyds die Hauptindication bilden rauss,
so ist der grösste Werth auf die künstliche Respiration zu legen, welche eben
durch die mechanischen Manipulationen einzuleiten ist; diese Methode hat den
grossen Vortheil, dass sie sofort an Ort und Stelle auszuführen ist. Sobald die
Inspirationen beginnen, sollte man dann womöglich die Inhalation von Sauer-
stoff bewirken, um theils einer energischen Austreibung des Kohlenoxyds zu ge-
nügen, theils die Oxydation des im Blute noch vorhandenen Kohlenoxyds zu be-
fördern. In einem coucreten Falle von intensiver Intoxication waren die Erfolge
so überraschend, dass diese Methode niemals vernachlässigt werden sollte; wir
halten daher die Sauerstoff-Inhalation für ein souveränes Mittel bei dieser
Vergiftung. Als letzter Versuch bleibt die Transfusion übrig.48)
In sanitärer Beziehung sind wegen der sehr giftigen Eigenschaften
des Kohlenoxyds alle Processe, bei denen es auftritt, mit Strenge zu über-
wachen. Hierher gehören hauptsächlich diejenigen chemischen Operationen,
welche eine Erzeugung von CO zur Folge haben und wo das Gas in so geringer
Menge auftritt oder mit so vielen fremden Gasen vermischt ist, dass es als
Brennmaterial keine Verwendung finden kann.
E- i?t hier namentlich die Industrie der Phenylsäurefarben (Corallin,
Phenylroth, Phenylblau, Phenylviolett) anzuführen. Man lässt hierbei ein Gemisch von
Oxalsäure und concentrirter Schwefelsäure bei erhöhter Temperatur auf Phenylsäure
(Carbolsäure) einwirken, wobei sich stets CO entwickelt; das Gas enthält aber so viel
Kohlensäure, dass es als Brennmaterial nicht zu benutzen ist; andererseits ist aber auch
die Ableitung desselben in den freien Fabrikraum nicht zu gestatten. Man leitet es am
besten durch besondere Leitungsröhren und unter den geeigneten Sicherheitsmassregeln
unter den Rost der Feuerung.
Bei der Bereitung des Acetons aus essigsaurem Calcium oder Natrium unter
Zusatz einer geringen Menge Kalk sowie aus einer Mischung von Bleizucker und
Kalk tritt stets CO auf; es ist deshalb unzulässig, die Destillationsapparate mit der
Kühlvorrichtung so zu verbinden, dass die nicht condensirbaren Gase frei in den Fabrik-
rauin entweichen können. Das CO tritt hier oft in so bedeutender Menge auf, dass es
entzündet werden kann: ausserdem ist es stets mit Sumpfgas vermischt.
Sollen die Gase unter die Feuerung geleitet werden, so ist dies mit der grössten
ht zu bewerkstelligen, da sonst heftige Explosionen uuvermeidlich werden: es ist
dabei stets ein Gassammeikasten nebst Draht bündeln oder Sicherheitssieben im Ab-
leitongsrohre nach der Feuerung zu gebrauchen; letztere wirken wie das Drahtnetz der
Davy'schen Sicherheitslampe (s. Holzgeist).
In bewohnten Räumen stammt das Kohleuoxyd entweder vom Leucht-
gase (s. Leuchtgasfabrication), das undichten Leitungen entströmt, oder von den
Feuerungsgasen her.
^ elpeau hat 1865 zuerst eine Beobachtung von Carret über eine neue
Epidemie in Savoyen mitgetheilt, welche man als „Meningitis cerebro-spinalis,
Kohlendunst. 353
Typhus cerebralis und Febris renrittens gravis" angesehen habe, die aber nur
Intoxicationen von dem den eisernen Oefen entströmten Kohlenoxyd gewesen
wären.49)
Diese Bedingungen fehlen aber beim glühenden Ofen, bei dem ein Aus-
tritt des im Ofen gebildeten Kohlenoxyds durch das Gusseisen um so weniger
möglich ist, als hier ein kräftiges Saugen resp. ein starker Zug, also das Gegen-
theil von Druck, stattfindet; ausserdem entwickeln sich bei einem ergiebigen
Luftzuge kaum Spuren von Kohlenoxyd im Ofen.50)
Trotzdem begegnet man stets der Warnung vor glühenden Oefen als einer Quelle
von Kohlenoxyd in bewohnten Räumen; schon sehr viel Unheil würde entstanden
sein, wenn diese Auffassung begründet wäre. Bei armen Familien wird im Winter der
Ofen sehr häufig glühend erhalten, weil sie darauf angewiesen sind, ein lebhaft unter-
haltenes Feuer in ihren kleinen Verbrennungsapparaten zu behalten; aber grade bei
den ärmeren Ständen finden sich im Allgemeinen viel weniger Intoxicationen durch
Kohlenoxyd, weil sie weniger Veranlassung finden, die Feuerung zu beschränken, son-
dern bemüht sein müssen, die Störungen derselben baldigst zu heben. Nur dann kann
sich CO bilden, wenn sich Staub auf glühenden Eisenflächen ablagert; unter den ge-
wöhnlichen A7erhältnissen ist jedoch die Menge desselben so gering, dass von schädlicher
Einwirkung kaum die Rede sein kann; in Schulen, Tanzlocalen und in den meisten
Werkstätten ist dieser Umstand aber immerhin zu beachten und deshalb vor glühen-
den Oefen zu warnen.
Auch bei Luftheizungen könnte dieser Fall eintreten, wenn der Heizapparat
bei unzweckmässiger Construction bis zum Glühen erhitzt würde.
Dass Kohlenoxyd ganz bedeutende Krankheitsprocesse einleiten kann, ist hin-
reichend begründet; auch sind Kohlenoxyd -Vergiftungen mit Typhus und ähnlichen Er-
krankungen selbst ärztlicherseits verwechselt worden: es ist daher von der grössten
Wichtigkeit, diesem schädlichen Factor überall nachzuforschen und seine deletäre Wir-
kung zu verhüten. So kann z.B. bei Holzkohlenf euerung Vergiftung durch CO
in doppelter Weise stattfinden, erstens durch das während der Verbrennung gebildete
CO und zweitens durch das Entweichen des in den frisch aufgelegten Kohlen ent-
haltenen Gases.
Die qualitative Zusammensetzung des Kohlendunstes wird stets bei
ein und demselben Brennmaterial gleich sein; doch darf man selbstverständlich kein zu
grosses Gewicht auf die quantitative Zusammensetzung des Kohlendunstes legen,
weil die Mengenverhältnisse jeden Augenblick bei fortschreitender Verbrennung sich
ändern werden. Ein stärkerer oder schwächerer Luftstrom, der Feuchtigkeitsgehalt der
zuströmenden Luft, sowie die Temperatur und der Barometerstand werden die quan-
titative Zusammensetzung stets alteriren. Es ist die Beobachtung gemacht worden, dass
bei niederm Barometerstand, z. B. auf hohen Bergen, der Kohlendunst durchschnittlich
unter sonst ganz gleichen Verhältnissen kohlenoxydreicher ist.
Wird die Sauerstoffzufuhr durch ein anderes Gas, z. B. Kohlensäure, beschränkt,
so kann sich um so leichter Kohlenoxyd erzeugen, wie wir beim Verbrennen von
Holzkohlen in tiefen Brunnenschächten sehen. Wird in solchen tiefen Gruben
ein Kohlenfeuer unterhalten, so kann sich die gebildete Kohlensäure vermöge ihres
hohen spec. Gewichtes nicht aus dem Schachte erheben; sie mischt sich mit der
Atmosphäre und beeinträchtigt somit den Sauerstoffgehalt derselben. Die Verbrennung
wird nun eine minder energische sein, wodurch sich statt Kohlensäure grosse Mengen von
Kohlenoxydgas bilden. Aus diesem Grunde ist es nicht zulässig, dass sich bei Repa-
raturen von Pumpen u. s. w. die zum Erwärmen der Löthkolben dienenden Kohlenfeuer
auf dem Grunde des Brunnens befinden; hier ist nur das Löthen mit der Lampe
zu gestatten, damit Unglücksfälle verhütet werden.
Die sogenannten Grubenbrandwetter in Bergwerken kommen im All-
gemeinen nicht häufig vor, da die Verzimmerung mit Wasser gesättigt ist und
sogar in dem Falle, wenn das Holz der nassen Moderfäule verfallen ist, zwar
eine leichte Entzündbarkeit eintritt, jedoch die nothwendige Sauerstoffzufuhr
mangelt, um einen nachhaltigen Verbrennungsprocess zu unterhalten. Solche
Grubenbrände ersticken bald in sich selbst und können nur dann grössere
Dimensionen annehmen, wenn sie in der Nähe der Wetterschächte resp. bei
Eulenberg, Gewerbe-Hygiene.
354 Kohlenstoff und Sauerstoff.
neuer Zuführung von Sauerstoff entstehen; mit Schliessung der Wetteruug, d. h.
mit Absperrung der Sauerstoffzufuhr, hört der Brand auf.
In den oberschlesischen Bergwerken kommen die Grubenbrände nicht
selten vor; bekannt sind in dieser Beziehung die Fanny- und die Carolinenhütte
bei Kattowitz.
Bei der Förderung des bitumenreichen Kupferschiefers treten zuweilen
Selbstentzündungen ein, welche jedoch durch die Entwicklung von schwefliger Säure
bald erstickt werden. Die Bergleute werden hier durch dieses Gas selbst gewarnt und
bewältigen den Brand durch Abschneiden der Sauerstoffzufuhr. Dasselbe findet auch
bei Schwefelkiesgruben statt; im sogenannten „brennenden Berge" der Grube
Duttweiler bei Saarbrücken brennt es selbst über Tag am Ausgehende eines Flötzes;
aus den Spalten der Brüche brechen Wasserdämpfe hervor und an den vollständig
rothgebrannten Schieferthonen schlagen sich Salmiak und Schwefel nieder.51)
Auf die Vegetation übt Kohlenoxyd keinen schädlichen Einfluss aus; ein
Geraniumstrauch blieb einen ganzen Tag in einer Atmosphäre von CO stehen,
ohne im Geriugsten davon afficirt zu werden; sobald aber Kohlenoxyd mit
Kohlensäure vermischt wird, fangen die Pflanzen an zu kränkeln.
Verwendung des Kohienoxyds. Die aus den Hohöfen entweichenden Gichtgase
sind nach der Art des angewendeten Brennstoffs und der verschiedenen Höhe der Tem-
peratur verschiedene Gemenge von Kohlenoxyd, Wasserstoff, Kohlenwasser-
stoff, Ammoniak, Kohlensäure und Stickstoff. Sie sind so massenhaft, dass
sie zur Feuerung, namentlich als Brennmaterial bei Dampfkesseln, Schmelzöfen und
ähnlichen gewerblichen Anlagen benutzt werden. Die in dieser Beziehung angestellten
Versuche von Aubertot und Lampadius wurden vorzüglich durch den Bergrath Faber </"
F(>nr zu Wasseralfingen vervollkommnet, so dass man gegenwärtig diese Gase auch zum
Frischen und Schmelzen des Eisens in Flammenöfen, zum Rösten und zur theil weisen
Reduction der Eisensteine und zum Puddeln des Eisens u. s. w. benutzt.
Während Bunsen. Playfair und Ebelmen als Chemiker auf diesem Gebiete thätig
waren, hat sich Emil Langen um die Construction zweckmässiger Apparate zum Auf-
fangen der Gichtgase verdient gemacht (s. Eisenindustrie).
Gegenwärtig stellt man in besondern Schachtöfen, in den sog. Gasgeneratoren,
aus allen möglichen Abfällen von Holz, Kohle, Sägespänen, Torfgries u. s. w. brenn-
bare Gase (Generatorgase) dar, welche aus verschiedenen Mengen von Stick-
stoff, Kohlenoxyd, Kohlensäure und Wasserstoff bestehen und grade wie die
Gichtgase benutzt werden; man verwerthet auf diese Weise auch die geringfügigsten
Brennmaterialien.
Die «SiVwews'schen Regeneratoren mit Gasfeuerung erhalten mit jedem
Tage eine grössere Bedeutung für die Industrie. Sie stellen Kammern dar, die aus lose
aufeinander gelegten feuerfesten Ziegeln construirt sind, um die Wärme, welche in den
dem Schornstein zuströmenden Verbrennungsgasen enthalten ist, zuvor aufzufangen und
als heisse Luft für die Speisung des Feuerherdes zu verwerthen; gewöhnlich sind zwei
solcher Kammern vorhanden. Zwei andere Kammern dienen zur Vorwärmung des
Brennmaterials, welches in dem sogenannten Generator zuvor in Gas verwandelt
wird. Dieses Heizgas gelangt alsdann in die erwähnten Heizkammern, welche zur
Aufspeicherung und Abgabe der Wärme dienen.
Beim Hohofenprocesse, welcher grosse Mengen von CO entwickelt, werden die
sogenannten Gichtgase durch besondere Vorrichtungen aufgefangen und durch Canäle
nach den Benutzungsstellen hingeführt. Da diese Gase mit einer gewissen Kraft durch
die Abzüge weggeführt werden, so können undichte Stellen zur Verbreitung von CO
in den Arbeitsräumen Veranlassung geben; es sind deshalb niemals genietete Blech-
röhren, sondern stets gusseiserne oder thönerne Röhren zu benutzen. Dabei sind die
eisernen Röhren nur mittels Muffen, niemals durch Flanschen zu vereinigen, weil durch
den fortwährenden Temperaturwechsel ein Ausdehnen und Zusammenziehen des Metalls
stattfindet und dadurch undichte Stellen entstehen; auch bei Thonröhren ist diese Art
der Vereinigung vorzuziehen. Sämmtliche Leitungen dürfen sich nie unter bewohnten
Räumen oder in Kellern befinden, und zwar nicht allein wegen des möglicherweise ent-
weichenden Kohlenoxyds, sondern auch weil leicht heftige Explosionen entstehen können,
deren zerstörende Wirkung dann um so gefährlicher sein würde. — Ueber die mit dem
Betreten resp. Reinigen der Dampfkessel verbundene Gefahr von Seiten der hier auf-
tretenden Gase vergl. man Kesselstein S. 123.
Kohlenoxysulfld COS entsteht, wenn Kohlenoxyd und Schwefel durch eine
glühende Röhre geleitet werden. In chemischer Beziehung steht es zwischen Kohlensäure
Kohlenoxysulfid. 355
und Schwefelkohlenstoff. Es soll in der Thermalquelle zu Harkäny im Baranyaer-
Comitate vorkommen; es kann auch nach 71A««52) durch Zersetzung von Sulfocyankalium
mittels concentrirter Schwefelsäure dargestellt werden:
2KCNS + 2H2S04 + 2H20 = K2S04 4- (NH4)2S04 + 2 COS.
Es ist ein farbloses Gas von etwas aromatischem Gerüche, das sich an einem
kaum noch glimmenden Holzspan entzündet und zu Kohlensäure und schwefliger
Säure verbrennt; mit Basen zerlegt es sich sofort, mit Wasser allmählig in Schwe-
felwasserstoff und Kohlensäure.
Bei der Darstellung des Gases für die Versuche wurde dasselbe nach Thans An-
leitung durch 3 U förmige Röhren geleitet, wovon die erste mit feuchtem Quecksilber-
oxyd eingeriebene Baumwolle zur Absorption der Spuren von Blausäure (vielleicht auch
Ameisensäure), die zweite möglichst klein geschnittenen, nicht vulkanisirten Kautschuk
zur Absorption des vorhandenen Schwefelkohlenstoffs, und die dritte Chlorcalcium für
den Wasserdampf enthielt. Das Gas wird über Quecksilber gesammelt.
Einwirkung des Kohlenoxysulhds auf den thierischen Organismus, l) Das nach
Tharis Anleitung dargestellte Gas wird in einen Zinkkasten, in welchem eine Taube
sitzt, geleitet. Kaum ist eine Spur davon eingedrungen, als die Taube niederhockt, ihren
Kopf stark in den Nacken zurückzieht, am ganzen Körper heftig zittert und den Kopf
auf den Boden senkt; nach 40 Sekunden ist schon der Tod eingetreten.
Section sogleich. Hirnhäute wenig injicirt, bloss die Pia mater ist an der
Basis des Gehirns und an der Med. oblong, blutreich; Lungen von normaler Farbe
und nicht sehr blutreich, dagegen ist das Herz in allen Höhlen sehr stark mit flüssigem
Blute angefüllt; dasselbe ist hellroth und röthet sich an der Luft noch mehr; alle
grössern Venen sind ebenfalls blutreich. Im Zellgewebe des Halses einzelne stark an-
gefüllte Venen, die Schleimhaut der Trachea blass; die Unterleibsorgane bieten nichts
Besonderes dar, bloss im Mesenterium sind die Blutgefässe angefüllt.
2) Ein grosses Kaninchen sitzt im Zinkkasten. 30 Secunden nach dem Eintritt
des Gases beschleunigt sich die Respiration sehr bedeutend, nach 1 M. stockt sie, wäh-
rend der Kopf allmählig zu Boden sinkt, nach 2 M. sehr heftige Convulsionen und
häufiges Aufschreien, nach 3 M. vollständige Asphyxie. Bei der Herausnahme wird
das wie leblos zusammengefallene Thier frottirt und an der Luft geschwenkt, worauf
nach 1 M. einige krampfhafte Inspirationen und ein kurzes Aufschreien erfolgen ;
Pupille erweitert und der Herzschlag sehr stürmisch bei aufgehobener Respiration;
nach 2 M. ist das Auge bei Berührung ein wenig empfindlich, unregelmässiges und
rasselndes Athmen, beim Niedersetzen behält es die Bauchlage und zeigt stürmische
Athmung; nach 4 M. schwache Gehversuche mit Nachschleppen der Hinterbeine; nach
5 M. grössere Unruhe, freiere und häufigere Bewegung; nach 7 M. ist der beschleunigte
Herzschlag noch vorhanden, nach 15 M. ist kein auffallendes Symptom mehr bemerkbar;
nach 45 M. frisst das Thier wieder.
Es konnte beim ersten Versuche kaum 1 C.-C. des Gases in den Kasten ein-
gedrungen sein, als sich die Wirkung bereits kund gab; beim zweiten Versuche
handelte es sich höchstens um 3 C.-C. Die Erscheinungen bei dieser Vergiftung
erinnerten wohl an die Einwirkung von Kohlenoxyd; hiermit stimmte aber bloss
die hellrothe Farbe des Blutes überein, während die Untersuchung mittels des
Spektralapparats Anderes ergab. Ausser der sehr beschleunigten Respiration,
der erweiterten Pupille und den sehr heftigen Convulsionen fiel beim zweiten
Versuche die ausserordentlich stürmische Herzbewegung auf; auch bei der Section
der Taube zeigte sich sehr starke Anfüllung des Herzens mit flüssigem Blute als
die prägnanteste Erscheinung, so dass die lähmende Wirkung auf das Herz nicht
zu verkennen war.
Radziejewski, welcher ebenfalls mit diesem Gase experimentirt hat, hebt hervor,
dass bei einem durch dieses Gas umgekommenen Hunde das Herz, von Blut entleert,
sich nicht mehr auf elektrischen Reiz contrahirte, während sich die andern Muskeln
noch kräftig zusammenzogen. Er glaubt auf Grund der spektroskopischen Unter-
suchung annehmen zu müssen, dass COS schon während des Lebens, ohne vorher eine
Spaltung erfahren zu haben, Sauerstoffmangel auf irgend eine Weise erzeuge und zwar
in ähnlicher Weise, wie Hoppe-Seyler es von H2S nachweise. Und doch kann in der
That die Wirkung des Gases nicht mit der von H2S verglichen werden.
An sich selbst spürte Rachiejewski, wenn er kleine Mengen des Gases einathmete,
einen Druck im Kopfe, eine Neigung zum Schwindel und ein Zusammenschnüren der
23*
356 Kohlenstoff und Sauerstoff.
Brust, als ob für die Exspiration ein Hinderniss vorhanden wäre; er musste tief inspi-
riren und durch kräftige Athrnungen in freier Luft sich erholen.53)
Einstweilen bietet das Gas unleugbar theoretisches Interesse dar und fordert zu
weitern Untersuchungen auf.
2) Kohlensäureanhydrid CO.,, gewöhnliche Kohlensäure, kommt in der Natur
in freiem und gebundenem Zustande sehr verbreitet vor. Sie entsteht beim Athmungs-,
Gährungs-, Fäulniss-, Verwesungs- und Verbrennungsprocesse, so dass sie „der
Anfang vom Ende'" gen;' mit wurden ist. Aus dem Innern der Erde strömt sie nament-
lich in vulkanischen Gegenden; sehr viele Gegenden haben ihre Giftthäler, Mofetten
oder Handsgrotten. Der Kohlensäuregehalt der Luft bleibt trotz aller massenhaften
Zustimmungen dieses Gases ziemlich constant.
Nach den Untersuchungen von Roscoe zeigt selbst die Luft in der Stadt
Manchester, mit der auf dem Lande verglichen, höchst unbedeutende Unterschiede ; den
höchsten Kohlensäuregehalt fand Roscoe bei einem dichten Nebel in Manchester zu 0,050,
den geringsten zu 0,<J28 Vol.-Proc, während er 4 Meilen von Manchester im Mittel
0,0385 Vol.-Proc. und an demselben Tage in Manchester im Mittel zweier Versuche
0,039 Vol.-Proc. betrug.
Kommt die Kohlensäure in Wässern in grösserer Menge vor, so nennt man diese
bekanntlich Säuerlinge.
Sie ist das mächtigste Agens beim Verwittern der Gesteine: in Braunkohlen-
und Steinkohlenlagern fehlt sie nie; selbst wenn diese Kohlen gefördert sind, findet
wegen des fortdauernden Oxydationsprocesses eine beständige Exhalation von Kohlen-
säure statt. Da Steinkohlenlager fast stets gleichzeitig mit Salzsoolen auftreten, so findet
man in manchen Salzquellen die schöne Erscheinung der schäumenden Sprudel
(Kissingen, Nauheim ).
In Bergwerksschachten bildet sie nach dem Grade ihres Vorkommens die
„matten" oder „stillen stockenden Wetter", Namen, die in den verschiedenen Gegenden
sehr variiren. Auch in Erzgruben kommt sie vor, ferner in Ziehbrunnen, in Gruben
mit faulender Vegetation, wie denn überhaupt die verwesenden Pflanzenüberreste eine
unerschöpfliche Quelle von Kohlensäure liefern. Bei der Heizung und Beleuchtung
ist sie stets mit flüchtigen Verbrennungsproducten verbunden, die von Verunreinigungen
des brennenden Körpers herrühren.
Die Kohlensäure ist ein farbloses, blaue Pflanzensäfte röthendes Gas, welches
säuerlich riecht und schmeckt; es ist condensirbar und 1,524 mal schwerer als
atmosphärische Luft, so dass es sich aus einem Gefäss in ein anderes giessen lässt.
Bei einem Drucke von 36 Atmosphären bei 0° lässt sie sich zu einer farblosen Flüssig-
keit condensiren, welche bei aufgehobenem Drucke wieder in Gas übergeht, dabei aber
eine ganz bedeutende Kälte ( — 30°) erzeugt, so dass ein Theil derselben sich in eine
schneeartige Masse verwandelt.
Die eigentliche Kohlensäure (H2C03 = C03 -+- H20) kommt nur in Form von
Salzen vor und ist eine zweibasische Säure, welche primäre oder saure und
secundäre oder neutrale Carbonate bildet; nur die Verbindungen mit den Alkalien
sind in Wasser löslich. Man stellt sie gewöhnlich durch Zerlegen eines Carbonats mit
einer stärkern Säure dar.
Einwirkung der Kohlensänre auf den thierischen Organismus. Von einer
letalen Wirkung der Kohlensäure kann nur die Rede sein, wenn Menschen oder Thiere
grossen Mengen derselben ausgesetzt werden; so erfolgt plötzlicher Tod in alten Brunnen,
Schachten u. s. w., in denen z. B. die Kohlensäure höchstens noch mit Stickstoff vermischt
ist. Im Gegensatz hierzu ist jedoch hervorzuheben, wie leicht die Wiedergenesung er-
folgt, wenn bei Inhalationen von Kohlensäure deren Menge nur allmählig gesteigert
wird, wofern nur schliesslich wieder die Einwirkung der atmosphärischen Luft ermöglicht
ist. So ertrug eine Taube die Einwirkung von 30^ Kohlensäure, wenn ein solches
Quantum in Mengen von 10% zugeleitet wurde, noch 2 Minuten lang; am Ende des
Versuchs, welcher im Ganzen 12 Minuten lang dauerte, erhob sich die Taube rasch aus
der Bauchlage und nach 5 M. war die Restitution vollständig.51)
Die Kohlensäure, deren Bildung mit dem Lebensprocesse resp. Rückbildungs-
processe auf das innigste zusammenhängt, wird in uns verderblich einwirken, wenn
sie bei Mangel an atmosphärischem Sauerstoff an der Ausscheidung verhindert wird
und sich immer mehr im Blute anhäuft; schliesslich entsteht dann Asphyxie.
Beim normalen Respirationsprocesse beruht grade die Kohlensäureausscheidung auf
einem Austausch von Sauerstoff gegen Kohlensäure: der Sauerstoff muss
daher in hinreichenden Mengen vorhanden sein, um die Kohlensäureausscheidung zu
unterhalten. Hat sich schon in Folge der Kohlensäure-Inhalation ein asphyktischer
Zustand ausgebildet, so reicht die in dem betreffenden Räume etwa vorhandene Sauer-
Wirkung der Kohlensäure. 357
stoffmenge nicht mehr aus, das Leben zu unterhalten, wenn auch die Aufnahme des-
selben noch stattfindeu sollte.
Aus den Versuchen an Thieren geht deutlich hervor, wie rasch der atmosphärische
Sauerstoff die übermässig aufgenommene Kohlensäure wieder auszutreiben vermag, wenn
diesem Vorgange kein anderes Hinderniss entgegentritt.
Von allen Thieren vertragen die Frösche die Kohlensäure-Einwirkung am besten;
am empfindlichsten sind die Fische; man wird niemals Fische in einem Fluss^ebiete
finden, wo eine Kohlensäurequelle vorhanden ist, in einem kohlensäurereichen Wasser
sterben sie sofort; Vögel ertragen Kohlensäuremengen bis zu 2%, ehe sich die Einwir-
kung des Gases kund gibt.*)
Es ist daher auch erklärlich, warum in grossen Versammlungsorten, in Schulen55) etc.
die Kohlensäure bedeutend steigen kann, ehe die Einwirkung derselben sich manifestirt ■
ausserdem kommen indess die organischen Beimengungen hier mit in Betracht. Kohlen-
säuremengen von 1,0% sind in Theatern u. s.w. nicht selten, indem hier noch die
Producte der Beleuchtung meist hinzutreten. In der Grubenluft kann sich die Kohlen-
säuremenge bis zu 5 — 1% steigern, wobei aber das Erlöschen des Lichtes die Grenze
anzeigt, welche beim Menschen nicht ohne Lebensgefahr überschritten werden kann.
Schon 2% erzeugen Dyspnoe, Schwindel und Ohnmacht, wobei auch die Gasflammen
weniger hell brennen und das Lampenlicht leicht einen röthlichen Schein annimmt
(siehe S. 358).
Was die physiologische Wirkung der Kohlensäure betrifft, so ist zunächst
die auf die Haut hier zu erwähnen; man beobachtet anfangs eine offenbar
reizende Einwirkung, welche sich durch ein Gefühl von Wärme und Prickeln
kund gibt; die Gefässlumina contrahiren sich und die Bewegung der Blutkügel-
chen erfolgt rascher. Bei längerer Einwirkung vermindert sich aber die Sen-
sibilität der Haut und die Muskelcontractilität; es entsteht ein Gefühl, als ob
die Haut mit Spinngewebe überzogen sei; gleichzeitig erweitern sich auch die
Gefässlumina und die Blutbewegung wird eine langsame.
Beim normalen Vorgange dürfte • auch die im Blute circulirende Kohlensäure
das Agens sein, welches als Reiz auf das Athmungscentrum wirkt und die
Inspirationsbewegungen auslöst. Traube hält sie sogar für das eigentliche
Agens der Herzbewegung, indem sie auf das muskulomotorische und das regula-
torische Herznervensystem erregend wirke.56)
Eine Zunahme der Kohlensäure wird daher zunächst eine abnorme Erregung
dieser Nervencentra hervorrufen, schliesslich aber das Gegentheil, Depression und
Lähmung, zur Folge haben. Auf das Stadium der Reizung wird man daher
den höhern oder geringern Grad der Dyspnoe, das Erbrechen, eine ängstliche
Unruhe, das Trunkensein, Ohrensausen, die Kopfschmerzen und den Schwindel
zurückführen. **) Bisweilen gesellt sich eine psychische Erregung, eine Art
lustiger Trunkenheit mit hastiger Sprache und unruhigen Geberden hinzu oder
heftige klonische Krämpfe gehen bisweilen in tetanische über; selten sind Er-
scheinungen von Katalepsie.
Das Stadium der Lähmung gibt sich durch Bewusstlosigkeit, Anästhesie,
*) Es ist übrigens auch die Kohlensäurequelle von Belang; wird das Gas aus
Kreide oder verschiedenen Dolomiten entwickelt, so entsteht ein eigenthümlicher Geruch,
welcher durch einen sich gleichzeitig entwickelnden Kohlenwasserstoff bedingt ist. So
liefert auch ein Kalkstein von Kleinlinden bei Giessen eine Kohlensäure von einem
höchst unangenehmen Gerüche; leitet man sie in eine Lösung von Bleiacetat, so sehlägt
sich neben Bleicarbonat auch Schwefelblei nieder, ein Beweis, dass dieser Kalkstein
geschwefelte Kohlenwasserstoffe enthält. Es ist daher die Möglichkeit nicht
ausgeschlossen, dass auch die in der Natur vorkommende Kohlensäure solche Verun-
reinigungen enthalte.
**) Der Schwindel zeigt sich besonders häufig beim Trinken kohlensäurereicher
Mineralwässer und ist als „Brunnen- oder Badeschwindel" bekannt.
358 Kohlenstoff und Sauerstoff.
Hautkälte, kaum fühlbaren Herzschlag uud Athmungsschwäche kund, die rasch
zum Tode fährt, wenn nicht sofort für Zuleitung frischer Luft gesorgt wird.
Bei der Restitutiou bleiben aber oft noch Kopfschmerzen, Brechneigung und
Ohrensausen zurück; bei Bergleuten uud bei Arbeitern in Gährungslocalen
beobachtet man bisweilen gastrische Störungen.
Das beste Heilmittel besteht in kräftiger Inhalation des atmosphärischen
Sauerstoffs, um die überschüssige Kohlensäure auszutreiben.
Das mit Kohlensäure überladene Blut hat eine dunkle Farbe, welche aber an
der Luft durch Aufnahme von Sauerstoff wieder hellroth wird; nur allmählig wird es
durch den Verbrauch des absorbirten Sauerstoffs und die Bildung von Kohlensäure
wieder dunkel. Das mit reiner Kohlensäure gesättigte Blut zeigt im Spectralapparate
den einen Streifen des reducirten Hämoglobins; wenn das Band im Roth, also der
Streifen der sauren Hämatinlösung auftritt, so ist anzunehmen, dass durch das Experi-
ment ein Uebertreten der zur Entwicklung von Kohlensäure benutzten Schwefel- oder
Salzsäure veranlasst worden ist; in diesem Falle wird das Blut auch missfarbig.
Die sanitären Mass regeln, welche hinsichtlich der Kohlensäure nöthig
werden können, richten sich nach der verschiedenen Entwicklung derselben; man
hat im gewöhnlichen Leben und in der Technik Veranlassung genug, sich vor
diesem Gase zu schützen.
1) In Hinsicht auf die Fäulniss- und Verwesungsprocesse sind Berg-
werke, alte Ziehbrunneu, bedeckte Gruben für Kartoffeln, Runkelrüben, vegeta-
bilische Stoffe überhaupt u. s. w. wegen der dort angesammelten Kohlensäure sehr
beachtenswerth , da ein unvorsichtiges Betreten solcher Räume uicht selten den
Tod zur Folge hat.
In allen genannten Fällen muss man auf irgend eine Weise Luftbewegungen und
Luftwechsel hervorrufen oder durch Absorption die Kohlensäure entfernen, ehe man
solche Räume betritt. So sind z. B. in Brunnen das Abbrennen von Pulver, das Ein-
blasen von Wasserdämpfen oder überhaupt die mechanische Bewegung der Luft noth-
wendig, während man zur Absorption der Kohlensäure Kalkwasser in die Brunnen
schüttet oder mit Kalk gefüllte Körbe in denselben aufhängt resp. auf- und abführt.
Bei Bergwerken muss eine gründliche Ventilation dem Unglück vorbeugen;
wenn Braunkohlen in einem geschlossenen Räume gelagert werden, kann nach
Bunsen der procentische Gehalt an Kohlensäure 7,44 betragen und zwar bei 82,35 N
und 10,210. Die „matten Wetter" einer Braunkohlengrabe enthielten 2,83 °G Kohlen-
säure, 13,80 0 und 83,37 N.57)
In alten Lohgruben bildet sich neben Kohlensäure meist Schwefelwasserstoff;
in Grabgewölben ist Kohlensäure stets vorwaltend, namentlich wenn es sich um
unterirdische Grüfte handelt: nur unter Umständen kann auch Schwefelammonium
vorhanden sein, das sich dann durch das Schwarzwerden der Vergoldungen oder
Malereien der Kapellen, welche über den Grüften errichtet sind, verräth. Ueb er-
irdische Grabgewölbe sind bei hinreichendem Luftzuge in der Regel ungefährlich.58)
2) Hinsichtlich des Keimprocesses muss man a) den reinen Keim-
process, das Malzen, unterscheiden. Hier entwickelt sich in den betreffenden
Bottichen, wo das Keimen stattfindet, sowie in dem späterhin haufenförmig auf-
geschütteten Getreide beständig Kohlensäure, aber nur im erstem Falle massenhaft;
deshalb dürfen die Bierbrauer den Malzkeller nur mit grosser Vorsicht betreten.
In diesem Falle müssen die gegenüberstehenden Kellerlaken vorher geöffnet
werden: auch darf man nie unterlassen, das Vorhandensein der Kohlensäure mit einem
brennenden Lichte zu ermitteln: diese Vorsicht ist überall anzuwenden, wo man die An-
häufung von Kohlensäure zu befürchten hat. Bei welchem Procentgehalte der Luft an
C02 das Erlöschen eines brennenden Lichts geschieht, wurde durch folgendes Experi-
ment ermittelt. Die Luft, in welcher eine brennende Kerze erlosch, wurde aspirirt: das
Gas durchströmte zunächst behufs Entwässerung eine Chlorcalciumröhre und dann
eine Kalilösung in einem Liebig'schee Kaliapparat. Die C02 wurde durch das Gewicht
direct bestimmt und in Volumina umgesetzt. Beim ersten Experimente ergaben sich
2,76 Vol.-Proc, beim zweiten 2,9 Vol.-Proc. C03: das Licht erlosch somit, wenn
die Atmosphäre durchschnittlich 2,83 Vol.-Proc. C02 enthielt. Die Annahme
Kohlensäure als Verbrennungsproduct. 359
von Taylor, dass ein Licht noch in einer Atmosphäre von 10 | Kohlensäure zu brennen
vermag, dürfte hiernach zu hoch bemessen sein.
b) Der unterdrückte Keimprocess kommt bei der Darstellung der
"Weizenstärke nach der ältesten Methode, vor; dies geschieht häufig in Cysternen
oder auch in Bottichen, indem man den Weizen dem Weichprocesse unter "Wasser
unterwirft.
Bei den Cysternen niuss ein Abzug der Kohlensäure mittels Züge, Canäle u. s. w.
etablirt werden, während bei den überirdischen Bottichen wegen des überall im Fabriklocale
stattfindenden Luftzuges weniger Gefahr vorhanden ist.
3) Beim Gährungsprocesse des Weins, Biers, der Maische u. s. w. entsteht
dieselbe Gefahr der Ansammlung von Kohlensäure in den betreffenden Räumen;
in allen Gährkellern müssen deshalb vollständige Züge, welche mit dem Schorn-
steine in Verbindung stehen, angebracht werden, wenn man nicht die vorhandene
Kohlensäure zur Darstellung von Natr. bicarbon. benutzt, die sich schon wegen
des pecuniären Gewinns empfiehlt (s. Weingeist-Industrie).
4) Beim Verbrennungsprocesse hängt die Menge der entwickelten
Kohlensäure von der Zusammensetzung des angewendeten Beleuchtungs- oder
Heizmaterials ab.
Nicht unbeachtet darf man die Gaskochmaschinen lassen, da sich dabei
Kohlensäure bildet und in den Räumen verbreitet. Bei den sogenannten Gasöfen,
welche als Heizapparate benutzt werden , wird die Luft sehr trocken und unan-
genehm, selbst wenn für eine vollkommene Ableitung der Gase gesorgt wird. So ist
die Luft auch bei der Holzkohlenfeuerung viel trockner als bei der Steinkohlen-
feuerung, eine Erfahrung, welche wissenschaftlich noch nicht aufgeklärt ist.
Da sich bei der Beleuchtung die gebildete Kohlensäure in dem zu beleuchten-
den Räume verbreitet, so ist noch zu beachten, dass die Luft in unsem Wohnräumen
nicht selten durch die künstliche Beleuchtung verschlechtert werden kann; auch in
dieser Beziehung muss auf die Natur des Beleuchtungsmaterials Rücksicht genommen
werden.
Zoc/ib9) hat Leuchtgas-, Petroleum- und 0 elbeleuchtung untersucht und
ermittelt, um wie viel der Kohlensäuregehalt der Luft in einem Zimmer bei einer ge-
wissen Dauer der Beleuchtung zunahm.
Berechnet man, um einen Vergleich zu ermöglichen, die Kohlensäurezunahme bei
den drei Beleuchtungsarten auf den Raum von 100 Kubikmeter und auf eine Lichtstärke
von 10 Nornaalüammen, so ergeben sich folgende Resultate für die absolute Zunahme
des Kohlensäuregehaltes in der Luft:
15 j , Kohlensäurezunahme in Procenten für
in Stunden. Petroleum: Leuchtgas: Oel:
1 . . . . 0,0929 0,0708 0,0537
2 . . . . 0,1459 0,1342 0,1038
3 . . . . 0,1779 0,1513 0,1190
4 . . . . 0,1811 0,1562 0,1229.
Bei gleicher Lichtstärke entwickelt somit das Petroleum noch mehr C02 als
das Leuchtgas und dieses mehr als das Oel. Bei Petroleumbeleuchtung wurde schon
bei Zunahme der Kohlensäure von 0,1779 Proc. die Luft unangenehm und unbehaglich,
eine Erscheinung, welche bei gleicher Brenndauer des Leuchtgases weniger und bei Oel-
beleuchtung gar nicht bemerkbar war. Da man nicht annehmen kann, dass die Kohlen-
säure allein diese Unbehaglichkeit veranlasst, so muss man den Grund derselben in
den der Luft neben C02 sich beimischenden Producten der unvollkommenen Ver-
brennung suchen.
Vorstehende Versuche setzen die Vorzüge der guten Oelbeleuchtung ausser
Zweifel, da sie die Luft am wenigsten mit fremden Beimischungen verunreinigt.
Dass sich Petroleumbeleuchtung in letzterer Beziehung am ungünstigsten
stellt, soll nach Zoch nur eine beschränkte practische Bedeutung haben, da diese Art
von Beleuchtung bei uns wenigstens nur selten durch Brennvorrichtungen erzielt werden,
welche eine sehr intensive Lichtstärke und damit auch einen bedeutenden Verbrauch von
Leuchtmaterial bedingen. Bei minder intensiver Lichtentwicklung werden sich aber dann
an Stelle der verminderten Kohlensäure Kohlenstoff (Russ) sowie andere Producte
unvollkommener Verbrennung anhäufen.
36Q Kohlenstoff und Sauerstoff.
Anders verhält es sich mit der Gasbeleuchtung: die Unbehaglichkeit, -welche
man bei längerem Aufenthalte in mit Gas stark beleuchteten Räumen empfindet, ist
allerdings theilweise auf Rechnung der unangenehmen strahlenden Wärme zu setzen,
welche als eine unangenehme Beigabe der Gasbeleuchtung auftritt. Allein eine zweite
Quelle dieser Unbehaglichkeit ist unbedingt die auch bei guterYentilation kaum zu ver-
meidende Luftverschlechterung; für kleine Zimmer mit mangelhafter Ventilation ist daher
Grasbeleuchtung sicherlich wenig s _ et und alle Xaehtheile derselben werden sich
hier in verstärktem Grade geltend machen.
Reinheit des Beleuchtungsmaterials ist stets ein -anitätspolizeiliches Er-
forderniss: so kann ein nicht gehörig gereinigtes Leuchtgas neben Kohlensäure und
r auch noch schweflige Säure erzeugen (s. Leucht^rasfabrication).
Petroleum wird bisweilen durch Halogene, namentlich durch Chlor und Fluor
gereinigt: bleiben Reste davon im Petroleum zurück, so treten stets die Wasserstoff-
verbindungen derselben als Begleiter der Verorennungsproduete auf. Viele Petro-
leumsorten (Brennöle) kommen im Handel mv. welche aus einem Gemisch von
! . /, fFetroleumnaphtha) mit specitisch schweren Kohlen Wasserstoffen, mit sogen.
Paraffinölen bestehen und durch sogenannte kalte Behandlung mit concentrirter
Schwefelsäure gebleicht werden Findet das nachherige Waschen mit Wasser und koh-
lensauren Alkalien nicht sorgfältig statt, so bleiben die Oele stete schwefelsäurehaltig.
Diese Oele sind alsdann einestheils durch ihren Essenzgeh alt feuergefährlich und
anderntheils durch die Entwicklung von schwefliger Säure während der Ver-
brennung für die Gesundheit und die Erhaltung der Pflanzenfarben (Tapeten, Gar-
dinen u. s. w.) nachtheilig.
Neuerdings wird auch das Petroleumgas als Beleuchtungsmaterial benutzt;
man gebraucht dazu die Destillationsrückstände, welche von schweren Oelen herrühren.
E.-> bilden sieh bei der Gasificirung neben Kohlensäure vorwaltend schweflige Säure:
Schwefelwasserstoff, der in geringen Mengen auftritt, zerfällt sofort oder bei der
Verbrennung in schweflige Säure. Man würde diesen Uebelstand vermeiden, wenn das
Gas vorher mit Kalk gereinigt würde, was aber in den meisten Fällen nicht geschieht.
Vortheilhafter sind die Petroleumrückstände zu gebrauchen, welche bei der zweiten
Reinigung nach der Behandlung mit Schwefelsäure abfallen; aber auch hier entwickelt
sich beim spätem Gebrauche des Gases schweflige Säure, wenn keine Reinigung
durch Kalk stattfindet.
In grössern Localen. wo sich die Verbrennungsproducte in grossen Mengen an-
sammeln, muss man die Ventilation stets mit der Beleuchtung verbinden : diesem Zwecke
entsprechen die in England gebräuchlichen Sonnenbrenner, eine Einrichtung, bei
welcher sich die Beleuchtungsflammen in einer fangtrichterähnlichen Glasumhüllung be-
finden und die Verbrennungsproducte durch ein Rohr nach aussen abgeleitet werden.
5) Durch den Respirationsprocess der Menschen und Thiere sammelt
sich die Kohlensäure im geschlossenen Räume an, wenn nicht für eine gehörige
Ventilation gesorgt wird. Es sind Fälle genug bekannt, in welchen viele Menschen
allein dadurch umgekommen sind, dass sie in einem engen Räume die Zufuhr
der frischen Luft entbehren mussten.
Unter gewöhnlichen Wohnungsverhältnissen erneuert sich die Luft durch das
häufige Oeffnen der Thüren und Fenster hinreichend. Stets muss man dafür Sorge
tragen, dass sich hier die Luft so wenig wie möglich von den Mischungsverhältnissen der
Luft im Freien unterscheide, und nur Schwankungen zwischen 0,05 — o.io VoL-Proc.
Kohlensäure sind zulässig. Nur zu oft vergisst man, dass die beständige Zuleitung einer
frischen Luft für die Erhaltung der Gesundheit ebenso wichtig ist wie der Genuss der
Speisen und Getränke.
Schwieriger i-t es, Wohnräume, welche Tag und Nacht mit Menschen besetzt
sind, z. B. Krankenhäuser. Gefängnisse u. s. w. , stets mit einer normalen Luft zu ver-
sehen. Ausser der Kohlensäure sind es hier noch die organischen Materien, die schwefel-
haltigen Gase und flüchtigen Fettsäuren, wie Butter- und Baldriansäure, welche durch
Lunge und Haut ausgeschieden werden und einen höchst unangenehmen, muffigen
Geruch erzeugen: derselbe kann vorhanden sein, ohne dass der procentische Kohlen-
säuregehalt der Luft bedeutend vermehrt ist.
Bei der Untersuchung der Luft auf ihren Kohlensäuregehalt gibt es
nur eine Methode, welche bei möglichster Einfachheit der Apparate sehr genaue Re-
sultate ergibt. Zu dem Ende wird die zu untersuchende Luft mittels eines Aspirators,
dessen Capacität genau bekannt ist, durch ein System von Absorptionsröhren gesaugt,
wovon die erste mit gereinigter trockner Baumwolle gefüllt ist, um die Staubpartikelchen
zurückzuhalten; alsdann durchströmt sie ein genau abgewogenes Chlorcalciumrohr. Das
Die Pflanzen als Luftverbesserer. 361
Chlorcalcium muss durch Eindampfen bei 100° gewonnen sein; die Gewichtzunahme des
Chlorcalciumrohrs gibt den Wassergehalt der Luft an.
Die trockne Luft durchstreicht nun ein Gefäss mit gereinigter concen trirter
Schwefelsäure; der Gehalt an organischer Substanz gibt sich sofort durch eine
Färbung der Schwefelsäure zu erkennen. Tritt dieselbe nicht sogleich ein, so erscheint
sie jedoch augenblicklich, wenn man die Säure bis auf 100° C. erwärmt.
Schliesslich gelangt die Luft in einen Lb-lny sehen Kaliapparat, welcher mit con-
centrirter Lauge gefüllt ist Mit dem Kaliapparat ist noch ein kleines, mit geschmol-
zenem Kali gefülltes Rohr verbunden; letzteres dient dazu, um die aus dem Kaliapparat
etwa weggeführten Wasserdämpfe und die allenfalls noch nicht absorbirte Kohlensäure
zu binden. Die Gewichtszunahme des Kaliapparats und des Kalirohrs gibt den Gehalt
der Luft an Kohlensäure an.
Eine derartige Analyse kann, wenn sie Genauigkeit beanspruchen soll, nur mit
einem Quantum von 20 Liter Luft angestellt werden.
6) Bei chemischen Processen, wo kohlensaure Salze durch starke Säuren
zerlegt werden, z. B. in der Barytindustrie oder bei Präcipitation von kohlensauren
Salzen u. s. w., entwickelt sich oft Kohlensäure in sehr grosser Menge: bei der betreffen-
den Fabrication wird hiervon ausführlicher die Rede sein.
Als Luftverbesserer bezüglich der Kohlensäure sind die Phanerogame der
Pflanzenwelt zu betrachten, indem sie die Kohlensäure als Nahrungsmittel verwenden,
den Sauerstoff allmählig an die Atmosphäre abgeben und sauerstoffärmere resp. kohleu-
stoffreichereVerbindungen, als die Kohlensäure ist, in ihrem Innern erzeugen (s. S. 75).
Im Winter wirkt die Absorptionsfähigkeit des Bodens für die Kohlensäure sowie
der reichlichere Niederschlag des atmosphärischen Wassers nach ähnlicher Richtung
(s. S. 176). Die Nadelhölzer zerlegen aber auch im Winter, wenn die Vegetation ihren
Ruhepunct erreicht hat, Kohlensäure und entwickeln Sauerstoff.
Die Ansicht, dass das Schlafen in Räumen, welche mit Pflanzen angefüllt sind,
nachtheilig sei, ist unbegründet; es leben bekanntlich in grossen Treibhäusern Vögel ohne
den geringsten Nachtheil.
Viele Pflanzen üben aber während der Blüthezeit durch die Verdunstung äthe-
rischer Oele resp. durch den Blüthenduft, z. B. bei Jasminen, Seringen u. s. w., vorüber-
gehend nachtheilige Einwirkung auf manche sensible Personen aus. Vielleicht hängt
selbst die Entstehung des sogenannten Heufiebers, welches gewöhnlich zur Zeit der
Heuernte eintritt, in einzelnen Fällen mit der Verdunstung des Cumarins aus den
verschiedenen Melilotus-Arten zusammen, da Cumarin leicht Kopfschmerzen, namentlich
einen heftigen Druck in der Stirngegend erzeugt. Es ist Thatsache, dass das Schlafen
in frischem Heu häufig starken Kopfschmerz zur Folge hat.00)
Immerhin wirken Pflanzen und Bäume durch Attraction der atmosphärischen
Kohlensäure sehr günstig ein; Anpflanzungen von Bäumen und Strauchwerk in Städten
sind daher nicht genug zu empfehlen; aber auch in grössern Versammlungsräumen, in
Hospitälern, Schulen u. s. w. könnten Blattpflanzen als Luftverbesserer nützlich sein.
Chlorkohlenoxyd, Phosgengas COCLj. Davy, welcher dieses Gas durch Mischen
von Chlorgas und Kohlenoxyd darstellte, glaubte, dass zur Entstehung desselben stets
die Einwirkung von Licht nothwendig sei und nannte es deshalb Phosgengas (von
cpöü; und yivvcao); Regnault hat jedoch gezeigt, dass Sonnenlicht nicht nöthig ist, wenn
man trocknes Kohlenoxyd durch Antimonsuperchlorid leitet. Mit Wasser zerlegt
sich das farblose Gas in Kohlensäure und Salzsäure:
CO Cl2 -+- H,0 = C02 + 2 H Ol.
Hieraus geht schon hervor, dass es sich bei seiner Einwirkung auf den thie-
rischen Organismus nur um diese Gase handelt, wie auch der nachstehende Versuch
beweist, bei welchem namentlich die Kohlensäure eine vorübergehende Betäubung
bewirkte.
Einwirkung des Phosgengases auf den thierischen Organismus. Eine Taube,
welche 14 Tage vorher schon bei einem andern Versuche benutzt worden, sass im
kleinen Zinkkasten. Beim Eintritt der Dämpfe entstand sofort Husten, welcher sich
fast nach jeder Inspiration wiederholte; nach 5 M. war der Schnabel nass und die Taube
sehr unruhig; sie blieb aufrecht stehen, hatte 20 Inspirationen binnen l/4 M. und öffnete
den Schnabel bei jeder Inspiration. Weitere Veränderungen zeigten sich nicht, nur
wurde die Inspiration noch angestrengter; nach 12 M. zeigten sich binnen l/4 M.
12 krampfhafte, tiefe Inspirationen; nachdem nach 15 M. 2 Liter Gas verbraucht
worden, wurde die Taube herausgenommen. Auf die Erde gesetzt, machte sie
schwache Gehversuche; beim Versuche zu entfliehen stürzte sie mehrmals auf den
Kopf; die Respiration ist mit Pfeifen und Schleimrasseln verbunden und beschleunigt.
362 Kohlenstoff und Schwefel.
Nach 5 M. 27 Inspirationen binnen % M., das Athmen regulirt sich aber alsbald, ebenso
schwindet die Betäubung; nach 10 M. läuft das Thier wieder frei umher. Nachkrank-
heiten entstehen nicht.
Kohlenstoff und Schwefel.
Schwefelkohlenstoff CS2 wird durch Ueberleiten von Schwefeldämpfen über
glühende Kohlen dargestellt, wozu man in Laboratorien eine tubulirte Steingutretorte
benutzt. Er ist eine farblose, das Licht stark brechende Flüssigkeit, welche nicht un-
angenehm riecht, wenn sie chemisch rein ist, und bei 46° siedet; sie verbrennt mit
blauer Flamme unter Bildung von Kohlensäure und Schwefligsäureanhydrid; ihre Ent-
zündungstemperatur liegt bei 170° C. Schwefelkohlenstoff ist in Alkohol leicht, in
Wasser aber sehr schwer löslich und theilt diesem einen brennenden Geschmack mit;
für Schwefel, Phosphor, Fette, Harze, Theer, Oele, Jod, Kautschuk und Guttapercha ist
er ein gutes Lösungsmittel. Mit den meisten Schwefelmetallen geht er eigenthümliche
Verbindungen ein, wobei er die Rolle einer Säure bildet; Säuren zerlegen dieselben unter
Abscheidung eines rothbraunen Oels, der Sulfokohlensäure H2CS3, als deren Anhydrid
der Schwefelkohlenstoff zu betrachten ist.
Einwirkung von Schwefelkohlenstoff anf den thierischen Organismus. Auf den
Boden des grossen Glaskastens, in welchem sich ein starkes Kaninchen befand, wurden
3,75 Grm. Schwefelkohlenstoff geschüttet. Das Thier reibt sofort Maul und Nase unter
anhaltendem Schreien , dann Zurückziehen des Kopfes in den Nacken, Husten und sehr
beschleunigte Respiration ; nach 3 M. Thränen der Augen und kaum bemerkbare Respi-
ration; nach 6 M. Zusatz von 3,75 Grm.; hierauf erhebt sich das Thier, fällt dann lang-
sam zu Boden auf die Seite, erhebt sich aber wieder, schreit und fällt dann abermals
auf die Seite; krampfhafte Bewegungen der Extremitäten gehen in allgemeine Convulsionen
über. Nach 8 M. macht es in der Seitenlage unzählbare rotirende Bewegungen mit den
Vorderbeinen, auf welche Schreien und convulsivische Bewegungen aller Extremitäten
und starkes Zittern des Kopfes folgen; nach 10 M. bloss zitternde Bewegungen
der Vorderbeine bei verengter Pupille, dann wieder rotirende Bewegungen der Vorder-
beine und Zittern der Muskeln des Stammes; nach 12 M. bei verengter Pupille
Zittern aller Muskeln, ein kurzes Athmen und Tod. Die Temperatur des Körpers
sinkt rasch auf 18° R.
Section 14 Stunden hernach. Beim Abzieheu des Felles erscheinen alle ober-
flächlichen Venen stark mit flüssigem, ziemlich hellrothem Blute angefüllt. Die
Schädelknochen, namentlich am Hinterhaupte, mit Blut angefüllt; Dura mater massig,
Pia mater sehr blutreich; ein kleines erbsengrosses Blutgerinnsel auf den Corpora
quadrig.; die Plex. ven. spin. sehr bedeutend mit flüssigem Blute angefüllt, so dass
sich im Rückgratscanale viel Blut ansammelte; ebenso sind die Venen des Halses
reich an flüssigem Blute. Lungen hellroth mit braunrother Marmorirung, der
ganze linke untere Lungenlappen von schwarzbrauner Fai-be, knistert fast gar nicht
beim Einschneiden, schwimmt aber auf dem Wasser; auch das Parenchym ist an dieser
Stelle schwarzbraun, compact und entleert beim Einschneiden einen blutigen Schaum,
beim Zusammendrücken etwas dickflüssiges Blut; an den übrigen Stellen tritt überall
auf den Durchschnittsflächen viel Schaum aus den feinsten Bronchien und aus den
kleinern Venen geronnenes Blut hervor. Der feine weisse Schaum füllt auch alle
grössern Bronchien bis zur Luftröhre und zum Kehlkopf aus ; die ganze Trachealschleim-
haut braunroth injicirt. Das ganze Herz, besonders aber der rechte Vorhof, ist mit
schwarzem, geronnenem, anklebendem Blute angefüllt, nur wenig flüssiges, beinahe
violettrothes Blut findet sich hier. Auch die grössern Venen sind mit geronnenem Blute
angefüllt, welches sich in langen Fäden ausziehen lässt; das flüssige Blut röthet sich
lebhaft an der Luft. Nach Herausnahme der Brustorgane hatten sich etwa 4 Grm.
flüssiges Blut in der Brusthöhle angesammelt. Leber dunkelbraunroth mit muskat-
nussartiger Marmorirung, auf den Durchschnittsflächen fliesst dunkles, dickflüssiges Blut
aus; Milz blassroth, beide Nieren auffallend blutreich. Schwefelkohlenstoff konnte als
solcher im Blute nachgewiesen werden; durch das erwärmte Blut wurde Luft in eine
Lösung von Aetzkali in Alkohol getrieben, der Alkohol im Wasserbade abgeraucht und
der Rückstand mit Kupfersulfat versetzt. Es entstand ein schöner gelber Niederschlag
von xanthogensaurem Kupfer, ein Beweis, dass Schwefelkohlenstoff vorhanden
war. Ein mit den Dämpfen von Schwefelkohlenstoff versetztes Blut blieb mehrere Tage
unzersetzt.01)
Die Versuche an Thieren vermögen nicht das Krankheitsbild zu produciren,
welches sich bei den mit Schwefelkohlenstoff beschäftigten Arbeitern in ganz be-
stimmter Weise kund gibt. Es zeigt sich am meisten in den Fabriken, welche
Wirkung des Schwefelkohlenstoffs. 363
den Schwefelkohlenstoff als Extractionsrnittel für Oel benutzen; in Kautschuk-
fabriken ist die dort bisher gebräuchliche Mischung von Chlorschwefel und
Schwefelkohlenstoff im Verhältniss von 1:20 vielfach durch Petroleunibenziu
verdrängt worden; früher kamen deshalb die Schwefelkohlenstoff-Intoxicationen in
Kautschukfabriken häufiger als jetzt vor.*)
Aus den Versuchen an Thieren geht die deletäre Wirkung concentrirter
Mengen der Dämpfe auf die Nervencentren deutlich hervor, während bei Menschen
die Einwirkung der kleinen, aber täglich wiederkehrenden Mengen einen bestimm-
ten Symptomencomplex erzeugt, bei dem man häufig Stadien der Reizung und
der Depression unterscheiden kann. Im Stadium der Reizung beobachtet
man zunächst einen permauenten Kopfschmerz, der vorzüglich in der Schläfen-
gegend seinen Sitz hat und bisweilen mit Schwindel und wankendem Gange ver-
bunden ist. Nächstdem fallen die Verdauungsstörungen auf; es zeigt sich
schlechter Geschmack, Ekel vor Speisen, bisweilen ein instinctives Verlangen nach
fetten Speisen, häufig Uebelsein und wirkliches Erbrechen; letzteres erleichtert
in der Art, dass man gleich darauf wieder Speisen zu sich nehmen kann.
Auch jede Defäcation hebt für kurze Zeit die schmerzhaften Gefühle im Unter-
leibe, während die mit fötidem Gerüche abgehenden Blähungen auf das Befinden
ohne Wirkung bleiben. Eine erhöhte Empfindlichkeit der Haut äussert sich
durch Jucken und bisweilen durch ein eigentümliches Kribbeln unter den Einger-
nägeln. Das Allgemeingefühl ist verändert, eine reizbare, sehr ärgerliche
Stimmung, die keinen Widerspruch verträgt, sowie eine grosse Empfindlichkeit
gegen Geräusche mit Brausen in den Ohren machen sich entschieden geltend.
Seltner ist das Zittergefühl und Vibriren der Muskeln, welches sich bei Thieren
in prägnanter Weise zeigt.
In einer hiesigen Fabrik wurde bei einem Arbeiter eine acute Manie be-
obachtet, die sehr heftig auftrat, aber nach ein paar Tagen wieder verschwand.
Geringere Grade derselben manifestiren sich durch eine grosse Geschwätzigkeit,
lautes Wesen und ausgelassene Lustigkeit. Der Schlaf ist oft durch wüste
Träume unterbrochen oder es ist gänzliche Schlaflosigkeit vorhanden; aber in
keinem Falle wurde eine Einwirkung auf das Geschlechtssystem, die Delpech
ganz besonders betont, beobachtet. 62) Ebensowenig kamen Krämpfe, Contracturen
der Gliedmassen oder allgemeine Convulsionen, welche man in französischen
Fabriken wahrgenommen haben will, in hiesigen Werkstätten zur Beobachtung;
dagegen sind Gliederschmerzen, namentlich in den Beinen, constante Er-
scheinungen.
Die Depression beginnt meist mit einer Anästhesie der Haut, die sich
auch an der Schleimhaut der Mund- und Nasenhöhle sowie im äussern Gehörgange
*) Versuche an Thieren mit der Mischung von Schwefelkohlenstoff und Chlor-
schwefel haben ergeben, dass die Wirkung der durch Wärme entwickelten Dämpfe
sich wenig von der des blossen Schwefelkohlenstoffs unterscheidet; nur die salzsauren
Dämpfe, die hier gleichzeitig auftraten, hatten eine milchige Trübung der Hornhaut
neben erhöhter Reizung der Respirationswege hervorgerufen; deshalb reagirten auch die
ThränenfLüssigkeit und der Speichel sauer; die charakteristische Wirkung des Schwefel-
kohlenstoffs wurde im Uebrigen nicht dadurch verändert. Wenn Delpech ein Staphylom
der Hornhaut und Iris bei einem Arbeiter dem Umstände zuschrieb, dass demselben ein
Tropfen Schwefelkohlenstoff ins Auge gekommen sei, so ist diese Annahme sehr un-
wahrscheinlich. Den Arbeitern geräth oft Schwefelkohlenstoff in die Augen, ohne dass
ausser einem heftigen Brennen bleibende Folgen zurückbleiben; weit eher ist eine der-
artige Wirkung dem Chlorschwefel zuzuschreiben.
364 Kohlenstoff und Schwefel.
zeigt;*3) eju Kranker klagte namentlich über ein Gefühl, als ob die Zunge mit
einer Haut überzogen wäre.*) Ganz besonders auffallend sind aber Gedächt-
uissschwäche und Verwirrung der Gedanken, so dass auch das zunächst
Erlebte wieder vergessen wird. Dieser Zustand hielt bei einem Kranken ein
ganzes Jahr an, auch nachdem er schon längst den schädlichen Einflüssen ent-
zogen war. Ebenso ist eiue grosse Muskelschwäche, namentlich in den
obern Extremitäten, als Wirkung des Schwefelkohlenstoffs ausser Frage gestellt;
bei einem kräftigen Manne blieb die rechte Hand noch 2 Monate lang nach dem
Austritte aus der Fabrik in dem Grade gelähmt, dass er keinen Gegenstand mit
der afficirtcn Hand festhalten konnte. Parese der untern Extremitäten und der
Verlust des Vermögens zur Coordination der Bewegungen, wobei der Gang dem
eines Tabetikers ähnlich war, sind in diesem hohen Grade nur einmal beobachtet
worden/'4)
Alle nachtheiligen Folgen der Einwirkung der Dämpfe von Schwefelkohlen-
stoff werden aber stets gehoben, sobald die Schädlichkeit gemieden wird; mag
ihre Dauer sich auch oft auf Monate und Jahre erstreckt haben, bleibende Nach-
theile haben sich bisher noch niemals gezeigt.
Beachtenswert li ist ferner noch für Schwefelkohlenstoff, dass sich die Em-
pfänglichkeit für seine Einwirkung bei allen Personen steigert, welche einmal an
den Folgen derselben gelitten haben, so dass hierbei von einer Gewöhnung an
die schädlichen Einflüsse niemals die Rede sein kann.65)
Unter den verschiedenen Thieren sind Vögel, Kaninchen und Meerschweinchen
sehr empfänglich für die Dämpfe von Schwefelkonlenstoff; Frösche und Katzen werden
von denselben viel weniger nachtheilig berührt. Ratten, Mäuse und fast alle Insekten,
namentlich die Krätzmilbe, sowie Raupen können leicht durch Schwefelkohlenstoff ge-
tödtet werden : bei letztem braucht man nur mit Schwefelkohlenstoff befeuchtete Lappen
zwischen den Aesten der Bäume aufzuhängen, um sie zu betäuben. Cloez66) empfiehlt das
Mittel zur Vertilgung der Ratten und Mäuse und schlägt vor. dasselbe für diesen
Zweck in ihre Gänge zu schütten. Es ist hierbei nur zu bedenken , dass die crepirten
Thiere in den Gängen liegen bleiben und bei ihrer Verwesung möglicherweise die Luft
bewohnter Räume verderben. Varrentrapp rühmt ihn als ein Vertilgungsmittel für
die Motten.67.)
Schwefelkohlenstoff- Industrie.
Bei der Schwefelkohlenstoff-Industrie kommt es zunächst auf die
Darstellung dieses Körpers an, welche mit massenhafter Entwicklung von
Schwefelwasserstoff verbunden ist. Man gebraucht dazu eine eiserne
Retorte (Fig. 44 o), die auf einem Gittergewölbe steht und mit einem Ge-
mäuer umgeben ist, in welchem seitlich von der Retorte je ein Zug angebracht
ist. Durch das Manuloch (&) wird die Retorte mit Koks oder reinen Holzkohlen
gespeist und, wenn derselbe in mittler Rothgluth steht, durch die Memme (c) der
Schwefel eingetragen, was gewöhnlich alle 10 Minuten geschieht; das Zuschütten
der Kohle geschieht alle 12 — 24 Stunden.
Hierbei entwickeln sich viele Schwefeldämpfe; um die Einwirkung derselben auf
die Arbeiter zu vermeiden, kann man den Schwefel vorher in einem besondern Gefässe
schmelzen, um ihn mittels eines Rohrs durch die Memme (c) zufliessen zu lassen, welche
*) Bekannt ist, dass Schwefelkohlenstoff bei der äussern Application mittels Watte
eine locale Anästhesie erzeugt. Arbeiter sind deshalb einem Taubwerden oder Ein-
geschlafensein der Hände ausgesetzt, wenn sie dieselben oft in Berührung mit Schwefel-
kohlenstoff bringen. Dieser Zustand verliert sich am schnellsten, wenn man die Hände
kurze Zeit in kaltes Wasser taucht.
Schwefelkohlenstoff- Industrie.
365
mit einer dicht schliessenden Klappe versehen ist, oder man trägt den Schwefel in
Stücken durch ein bis auf den Boden der Retorte reichendes Rohr ein. Um diesen Be-
lästigungen am sichersten zu entgehen, lässt man gegenwärtig statt des starren oder
flüssigen Schwefels die Dämpfe von trocknem Schwefel eintreten.
Auch ist es zweckmässig, die Retorte durch eine Backsteinbekleidung vor der
Einwirkung des Feuers zu schützen.
Fig. A4.
In sanitärer Beziehung ist die Condensation des sich bildenden Schwefel-
kohlenstoffs und die Vernichtung der nicht condensirten Dämpfe ein sehr wichtiger
Act; namentlich ist der mit Schwefelkohlenstoffdampf gesättigte Schwe-
felwassertoff höchst übelriechend und sowohl für die Arbeiter als auch für die
Adjacenten sehr belästigend; auch noch andere, noch nicht näher untersuchte
flüchtige Körper bilden sich hierbei.
Die Dämpfe gelangen aus der Retorte zunächst in den Condensationskasten (d);
in diesem befindet sich ein blecherner Kasten, dessen Boden einige Zoll hoch mit
Wasser bedeckt ist. Die drei Scheidewände nöthigen die Dämpfe, sich schlau genförmig
fortzubewegen. Der verdichtete Schwefelkohlenstoff sinkt in dem Wasser zu Boden und
kann hier durch eine S förmig gebogene Röhre (/') abgelassen werden.
Die nicht condensirten Gase bestehen hauptsächlich aus kleinen Mengen Kohlen-
oxyd, Kohlensäure, Sumpfgas und grossen Mengen Schwefelwasserstoff.
Dieselben ziehen an der Decke des Kastens durch ein zinnernes Rohr (e), welches
schlangenförmig in einem Kühlfass liegt und in einen zweiten Kasten mündet, in dem
sich die noch mit übergerissenen Schwefelkohlenstoffdämpfe condensiren, um hier abge-
lassen zu werden, während die nicht condensirten Gase durch eine besondere Röhre an
der Decke dieses Sammelkastens (ff) ausströmen, um in die Feuerung geleitet zu werden.
In die Röhre legt man gewöhnlich Drahtbündel oder siebförmige Schieber, um die Gase
ohne Gefahr vor Explosionen verbrennen zu können. Diese Einrichtung ist nicht nöthig,
wenn die Gase, ehe sie in die Feuerung gelangen, mit Luft hinreichend vermischt
worden sind, weil dann das Zurückschlagen der Flamme nicht stattfindet. Zu dem
Ende nehme man ein Ableitungsrohr von 1 Zoll Durchmesser und leite
dasselbe zur Mündung eines 3 Zoll weiten Steingutrohrs, das vertical
in dem zur Feuerung des Schornsteins führenden Canal eingemauert ist.
Durch den Zug des Schornsteins werden alle Dämpfe und Gase kräftig weggezogen, so
dass Arbeiter und Adjacenten vor Gefahr und Belästigung geschützt sind.
Wichtig ist auch noch die Entfernung der Rückstände von Kohle und
Schwefel aus den Retorten, damit die Arbeiter nicht zu sehr der Hitze und den
Dämpfen des brennenden Schwefelkohlenstoffs ausgesetzt werden; die Entleerung der
Retorten gehört nämlich zu den grössten Uebelständen dieser Fabricatlon, da sie häufig
nothwendig und auch für die Adjacenten belästigend wird; deshalb hat Dtiss, der sich
um die Darstellung von Schwefelkohlenstoff sehr verdient gemacht hat, unten in der
Retorte einen Rost angebracht und dadurch einen freien Raum geschaffen, in welchem
sich die Rückstände von Schwefel und Kohle wie in einem Aschenfali ansammeln.
Diese Einrichtung findet sich aber selten und hat man deshalb möglichst dafür zu
sorgen, dass die Abkühlung der Retorte einigermassen erfolgt sei, bevor man zu deren
Entleerung übergeht, obgleich allerdings dadurch Zeitverlust herbeigeführt wird,
den die Fabricanten grade zu vermeiden suchen. Jedenfalls sollte deshalb den Arbeitern
3G6 Kohlenstoff und Schwefel.
Gelegenheit geboten werden, sich bei dieser Procedur in Kalkmilch getauchte Schwämme
vor Mund und Nase zu binden.
Als Gegenmittel gegen die nachtheilige Einwirkung von Schwefelkohlenstoff hat
man auch primäres Natrium- und Eisencarbonat in Lösung vorgeschlagen.
Die Reinigung des Schwefelkohlenstoffs erfolgt nach 0. Brunn am besten
durch wiederholtes Abdestilliren aus reinem Oel, wobei letzteres einen höchst wider-
wärtigen Geruch annimmt und schwefelhaltig wird, während ein so gereinigter Schwefel-
kohlenstoff geruchlos ist.'j8)
Die Aufbewahrung des Schwefelkohlenstoffs geschieht meist in Flaschen von
verzinntem Eisenblech; grössere Vorräthe gelangen in grosse cylinderförmige Behälter
von Zinkblech, welche auf Holzgestellen in isolirt gelegenen und gut ventilirten Räumen
aufgestellt werden.
Das Betriebs-Reglement für die Eisenbahnen vom 10. Juni 1870
schreibt ebenfalls für den Transport aus Zink gefertigte, durch aufgelöthete eiserne
Reifen verstärkte Gefässe vor, die ein Gewicht von höchstens 70 Pfd. enthalten dürfen ;
Gefässe von starkem Eisenblech, die gehörig vernietet und in den Nähten gut verlöthet
sind, dürfen ein Gewicht von höchstens 10 Centnern umfassen. Die erstem müssen in
geflochtenen Körben eingeschlossen sein, während Glasgefässe nur zugelassen werden,
wenn sie in Blechbüchsen mit Kleie und Sägespänen eingefüttert sind.
Es ist nothwendig, dass jede Blechflasche einen Korkstöpsel hat, der mit einem
mittels Theer bestrichenen Leinwandlappen gekappt wird.
Die technische Verwendung des Schwefelkohlenstoffs zur Extraction von Oelen,
Fetten, Harzen, Leinsamen, Mohn, Raps, Buchen, Sonnenblumen, Palmkernen,
Nüssen, Ricinussamen, Hanf, Olivenrückständen (Sanza), von Pressungen der Cacao-
masse, Putzlappen u. s. w. ist eine sehr ausgedehnte; nur die Mandeln eignen sich
nicht zu dieser Extraction, weil die zerstossene Masse verkleistert und dann das
Eindringen der Dämpfe nicht gestattet. Die verschiedeneu Pressrückstände ver-
lieren durch diese Extraction nichts von ihrem Stickstoffs resp. Nahrungsgehalt.
Die hierzu gebräuchlichen Apparate sind sehr complicirt, ohne Zeichnung nicht
verständlich und können nicht in extenso beschrieben werden; es kann sich hier nur
um die Principien, welche bei dieser Fabrication massgebend sind, handeln. Das Ver-
drängen des Oels aus den zu bearbeitenden Substanzen geschieht entweder von unten
nach oben oder umgekehrt; die Bewegung des Schwefelkohlenstoffs aus einem niedern
Gefässe in ein höheres wird durch directes Pumpen, durch Wasserdruck, durch Conden-
sation oder durch Luft Verdünnung bewirkt.
Das Abdestilliren des Schwefelkohlenstoffs aus dem extrahirten
Rückstande wird von oben nach unten, mit heisser Luft oder auch mit einem Gemisch
von Wasserdampf und Luft (namentlich bei fettigen Wollabfällen) vorgenommen,
während zum Abdestilliren des Schwefelkohlenstoffs aus der Oellösung
ausnahmslos der indirecte Dampf, d. h. mittels eines doppelten Bodens oder einer
Schlange, zuletzt der directe Dampf dient.
In sanitärer Beziehung ist als Grundsatz aufzustellen, dass sich der
Schwefelkohlenstoff stets in vollständig geschlossenen Gefässen, die nicht mittels
Röhren mit der freien Luft communiciren, befinden muss. Die Bewegung der
Flüssigkeit aus einem Gefäss in das andere geschehe stets durch Luftdruck,
niemals durch directes Pumpen; die Apparate sind so einzurichten, dass die
meisten Gefässe verdünnte Luft enthalten, damit an undichten Stellen kein
Schwefelwasserstoff austreten und nur Luft eintreten kann. Die Luft, welche
zum Zwecke der Luftverdünnung ausgetrieben wird, muss noch weiter verwerthet
werden, da sie noch Schwefelkohlenstoff enthält, so dass der ganze Gehalt an
Schwefelkohlenstoff möglichst wieder gewonnen wird und nur schwefelkohlen-
stofffreie Luft entweicht; sie darf nur nach der zu extrahirenden Sub-
stanz riechen.
Unter diesen Bedingungen wird die technische Benutzung des Schwefel-
kohlenstoffs weder den Arbeitern eine Gefahr noch den Adjacenten Belästigung
verursachen. fi9)
Kohlenstoff und Wasserstoff. 367
Nach diesen Principien ist die ß;-a««'sche Fabrik in Moabit bei Berlin eingerichtet ;
sämmtliche Gefässe sind von Eisenblech, dicht genietet und luftdicht geschlossen. Ein
grosses Reservoir dient für die Aufnahme des in Arbeit befindlichen Schwefelkohlenstoffs
( 10,000 Kilogr.), Extractionsgefässe (aufrecht stehende Cylinder) nehmen die Samen auf,
Destillirgefässe mit Kühlschlangen destilliren die concentrirte Oellösung ab, während
kleinere Reservoirs, zusammen von dem Inhalte des Hauptreservoirs, den abfüessenden
Schwefelkohlenstoff aufnehmen; eine Luftpumpe vermittelt die Bewegung der Flüssig-
keiten, da jedes Gefäss mit der Saug- und Druckseite derselben verbunden werden kann.
Zur luftdichten Beschaffenheit der Apparate muss noch eine sorgfäl-
tige Ventilation der Fabrikräume hinzukommen; wegen der specifischen
Schwere der Schwefelkohlenstoffdämpfe ist, grade wie in den Phosphorzünd-
hölzerfabriken, die Luft am Boden mittels Aspiration nach dem Souterrain
hin wegzunehmen. Am ehesten geben sich auch Schwefelkohlenstoffdämpfe in
den Werkstätten durch ein eigenthümliches Gefühl von Kälte und Schwere in
den Beinen zu erkennen, namentlich bei denjenigen Personen, welche schon früher
an den schädlichen Folgen derselben gelitten haben. Ein Bestreuen des Bodens
mit Kalk, welcher die Dämpfe absorbirt, empfiehlt sich daher auch bei der
rationellsten Einrichtung.
Die nach dieser Methode gewonnenen Extractionsrückstände können sehr
gut verwerthet werden; die Ansicht, dass das Extractionsmittel, welches sich noch in
den Rückständen befinde, Explosionen veranlassen könne, trifft nur dann zu, wenn
ätherische Mittel, z.B. Petroleumessenz, zur Extraction benutzt worden sind; beim
Schwefelkohlenstoff ist es unmöglich.
Die technische Verwendung des Schwefelkohlenstoffs zum Reinigen des Phosphors
ist bereits erwähnt worden (s. S. 263). Eine Schwefelkohlenstofflösung von Phosphor
hat man behufs Füllung von Bomben vorgeschlagen, namentlich um das Holzwerk von
Schiffen zu entzünden.
Die Benutzung des Schwefelkohlenstoffs als bewegende Kraft verdankt man einem
Deutschen, Namens Salumon, der in Baltimore in den 50ger Jahren eine Maschine von
4 Pferdekraft aufgestellt hat. Bei der Schwierigkeit, die Schwefelkohlenstoff dämpfe zu
verdichten, hat diese Idee keine weitere Verbreitung gefunden.
Die Thatsache, dass beim Verbrennen von Schwefelkohlenstoff im Stickoxydgase
ein sehr intensives Licht entsteht, hat Eugen Seil veranlasst, eine Stickstoffoxydlampe
zu construiren, welche photographische Aufnahmen unabhängig vom Sonnenlichte
gestattet.
Ueber die Benutzung von Schwefelkohlenstoff in der Kautschukfabrication siehe
Kautschuk.
Kohlenstoff und Wasserstoff.
Bei der unendlichen Anzahl von Verbindungen dieser Art erscheint es am
geeignetsten, sie nach den Kohlenstoffatomen, welche mit einander verbunden im
Molecül enthalten sind, aufeinander folgen zu lassen und zwar in der Weise, dass
zuerst alle diejenigen Stoffe, welche 1 Atom C enthalten, dann diejenigen, welche
2 Atome C enthalten u. s. w., abgehandelt werden.
In den einzelnen Gruppen werden zuerst die Kohlenwasserstoffe der
Gruppe, dann die Halogenderivate und die Sauerstoffabkömmlinge,
hierauf die schwefelhaltigen und stickstoffhaltigen Derivate beschrieben
werden und zwar vorzugsweise mit Rücksicht auf diejenigen Stoffe, welche in der
Industrie eine Rolle spielen, obgleich auch manche Verbindungen, die von wissen-
schaftlicher speciell medicinischer Bedeutung sind, nicht ausgeschlossen werden
konnten; zu diesen gehört namentlich die grosse Reihe der Anaesthetica.
368 Methylverbindungen.
Cj Grnppe.
Methylverbindungen.
Methylwasserstoff, Methan, Grubengas, Sumpfgas, leichtes Kohlenwasser-
stoffgas CH4. Dieses Gas bildet sich stets bei der Verwesung organischer Substanzen,
z. B. in Kohlenbergwerken, in Sümpfen u. s. w. Zur Zeit der Blüthe wird es von
Pflanzen ausgeschieden; bei der trocknen Destillation, namentlich bei der Darstellung
des Leuchtgases, tritt es reichlich auf.
Künstlich wird es dargestellt durch Erhitzen von Natriumacetat mit überschüssigem
Natriumhydrat:
C3H3NaOa + NaHO = Na3C03 + CH4.
Es ist ein färb-, geruch- und geschmackloses Gas , welches 8 mal schwerer als
Wasserstoff ist; es verbrennt mit blasser Flamme, mit Sauerstoff gemischt verpufft es
angezündet heftig; mit 3 — 4 Vol. Luft explodirt es nicht, mit bl/2 — 6 Vol. schwach, mit
8 — 10 Vol. am heftigsten; mit 14 Vol. Luft ist die Explosion noch möglich, mit einer
grössern Menge Luft vermischt, brennt es nur bei unmittelbarer Berührung mit der
Flamme. Die Entzündungstemperatur des Methans liegt weit höher als die des Wasser-
stoffs, Schwefelwasserstoffs und schweren Kohlenwasserstoffs.
Die Einwirkung des Methans auf den thierischen Organismus ist in
keiner Weise gesundheitsschädlich; entstehen nach der Inhalation Kopfschmerz,
Schwindel, Betäubung und ähnliche Erscheinungen, so ist es jedenfalls mit
Kohlensäure vermischt; in Kohlenbergwerken kommen derartige Gemische nicht
selten vor. Je nach dem Vorwalten der Kohlensäure werden sich dann auch
bei den Arbeitern mehr oder weniger Beschwerden einstellen, die durch blosses
Sumpfgas niemals veranlasst werden.
Kaninchen können in einer Atmosphäre von 5 % Methan 20 Minuten lang ver-
weilen, ohne dass man etwas Abnormes an ihnen bemerkt; da aber wegen der Leichtig-
keit des Gases alle Oeffnungen der Behälter, worin sich die Thiere befinden, geschlossen
werden müssen, so beschleunigt sich schliesslich die Respiration, wenn der vorhanden
gewesene Sauerstoff verbraucht worden ist; schliesslich tritt der Tod nur durch Mangel
an atmosphärischem Sauerstoff ein. Vom Blute wird das Gas nur in sehr geringen
Mengen aufgenommen; überhaupt ist das Absorptionsvermögen des Blutes den Methyl-
verbindungen gegenüber gering.
Nach Richardson sollen 70 — 80$ des Gases erforderlich sein, um einen anästhe-
tischen Schlaf zu erzeugen; bei den Versuchen an Thieren wurde diese Wirkung nicht
beobachtet. Wie wenig gefährlich dies Gas ist, hebt übrigens auch Richardson hervor, da
Thiere noch 4 — 5 Minuten nach dem Aufhören der Athmung durch künstliche Respi-
ration wieder ins Leben zurückgebracht werden konnten.1)
A. Halogen-Substitutionsproducte.
1) Ein H des Methans ist durch ein Halogen vertreten.
a) Methylchlorid, Chlormethyl CH3C1 kommt nur als Kunstproduct vor; man
stellt es durch Methylalkohol und nascirende Salzsäure dar:
CH4 0 + H Cl = CH3 Cl + Ho 0.
Ein farbloses Gas von ätherartigem Geruch und süssem Geschmack; es brennt
mit weisser, grüngefärbter Flamme zu Kohlensäure, Wasser und Salzsäure; bei
— 18° ist es noch nicht condensirbar, bei 21° siedet es.
Einwirkung von Methylchlorid auf den thierischen Organismus, l) Das Gas
wurde aus 2 Grm. methylschwefelsaurem Calcium und 1 Grm. Kochsalz dargestellt und
in die Glasglocke geleitet, in welcher ein Kaninchen sass. Sogleich sehr beschleunigte
Respiration, Husten und grosse Unruhe, Putzen des Maules und Zurückziehen des Kopfes
Methylchlorid. 369
in den Nacken. Nach 5 M. neue Zuleitung von Gas; sogleich Unruhe und stärkeres
Putzen des Mauls, schwaches Thränen der Augen, Bauchlage und Schliessen der Augen;
nach 10 M. 14 ruhige Inspir. binnen l/4 M. bei öfterm Aufhusten. Herausnahme des
Thiers: es bleibt liegen, Herzschlag und Respiration (40 Inspir.) sehr frequent; nach
8 M Putzen des Mauls und Gehversuche, die Respiration regulirt sich allmählig; nach
20 M. normale Bewegungen. Am andern Morgen ist noch ein kurzer Husten bemerk-
bar; Nachkrankheiteu entstehen nicht.
2) Das wie oben dargestellte Gas wurde zuerst in einen Aspirator geleitet, mit
Wasser gewaschen und dem kleinen Zinkkasten, in welchem eine Taube sass, zugeführt;
sogleich Blinzeln mit den Augen, nach 3 M. schläfriges Aussehen bei geschlossenen
x^ugen, nach 4 M. Anlehnen mit dem Kopfe an die Wand des Kastens, dann Bauchlage.
Nach 6 M. sind 1% Liter Gas eingeleitet; schwaches Zurückziehen des Kopfes in den
Nacken bei erweiterter Pupille, Schwanken und Umfallen bei grösster Dyspnoe. Auf
den Boden gesetzt, bleibt sie in der Bauchlage, beim Versuche zu stehen oder zu gehen
stürzt sie auf den Kopf oder schwankt beständig hin und her. Nach 1 M. steht sie
zitternd wieder aufrecht, nach 3 M. geht sie ohne Schwanken, nach 4 M. Würgen, die
Respiration ist wieder normal, nur häufiges Auf husten zeigt sich; nach 15 M. vollstän-
dige Restitution.
Wenn Richardson2) das Methylchlorid für ein Anaestheticum erklärt, so
können wir nach den Versuchen an Thieren dieser Ansicht nicht beitreten. Eine
schwache Narkose gab sich nur bei der Taube kund; die Reflexerregbarkeit blieb
aber ungestört. Beim ersten Versuche war das Gas noch mit etwas salzsauren
Dämpfen vermischt, die Reizung der Schleimhäute daher sehr bemerkbar. Beim
zweiten Versuche gelangten ungefähr 28 % des reinen Gases zur Einwirkung ;
hier gab sich die Reizung nur durch starkes Blinzeln mit den Augen kund; die
höchst beschwerliche Respiration war schliesslich nur die Folge des grösstentheils
verbrauchten Sauerstoffs, da sie sich an der freien Luft alsbald regulirte. Die
Betäubung, das Schwanken, der Schwindel und das Stürzen auf den Kopf beim
Gehen gehören jedenfalls der Wirkung des Radicals an.
Eine Lösung von Methylchlorid in Wasser soll nach Richardson schon zu
15 Grm. stark berauschend wirken.
b) MethylDromid, Brommethyl CH3Br entsteht aus Methylalkohol und nascirender
Bromwasserstoffsäure :
CH4 0 + HBr = CH3 Br + H2 0.
c) Methyljodid, Jodmethyl CH3J bildet sich auf eine ähnliche Weise, wenn nas-
cirende Jodwasserstoffsäure genommen wird:
CH40 -f- HJ = CH3 J + H20.
Beide Verbindungen stellen eine farblose Flüssigkeit von angenehmem Gerüche
dar, unterscheiden sich aber im Siedepuncte bedeutend. Jodmethyl siedet bei +43° und
Brommethyl bei +13°.
Die Wirkung der Dämpfe von Methylbromid und Methyljodid auf den thierischen
Organismus ist ähnlich der der Chlorverbindung, aber schwächer; eine ähnliche Ab-
stufung findet sich auch beim Chloroform, Bromoform und Jodoform. Im Allgemeinen
sind die Halogenverbindungen des Methyls fester als die entsprechenden Athylverbin-
dungen; aus diesem Umstände resultirt auch wahrscheinlich ihre schwächere anästhe-
sirende Wirkung.
Die Anwendung von Jod- und Brommethyl in der Anilinfarbenfabrication
beschränkt sich auf die Darstellung der blauen Farbe aus dem Anilinroth und der
grünen aus dem Anilinviolett.
2) Zwei H des Methans sind durch Cl vertreten.
Methylenchlorid CH2C12 wird durch Einwirkung von Chlor auf Methylchlorid dar-
gestellt. Die Präparate des Handels sind selten rein. Es ist eine höchst flüchtige Flüs-
sigkeit von starkem, ätherartigem Gerüche; sie siedet bei +39° und hat ein spec. Gew.
von 1,344.
Aehnlich werden Methylenhromid und Methylenjodid dargestellt.
Einwirkung von Methylenchlorid auf den thierischen Organismus, l) Ein junges
Meerschweinchen sass im Zinkkasten, in welchem ein mit 20 Tropfen Methylenchlorid
Eulenberg, Gewerbe -Hygiene. 24
370 Methylverbindungen.
angefeuchteter Leinwandstreifen aufgehängt war: das Präparat war möglichst rein, da
sein Sicdepunct bei +30° lag. Sofort blinzelt das Thier mit den Augen, schüttelt sich
und hustet: nach "2 M. schwankt es bei erweiterter Pupille, nach 3 M. fallt es und richtet
sich wieder auf, dann fällt es nochmals, bleibt liegen und athmet regelmässig in voll-
ständiger Anästhesie. Nach 8 M. Herausnahme des Thiers; Herzschlag beschleunigt,
kurzes Zittern am ganzen Körper und ein schwaches Aufschreien; nach 4M. oberfläch-
liche Respiration bei unzählbarem Herzschlage; nach V M. geringe Empfindlichkeit der
Augen und uach 8 M. bewegt es den Kopf bei aufgerichtetem Vorderkorper, während
die Hinterbeine noch gespreizt und wie Leblos daliegen. Nach 14 M. sitzt es wieder
aufrecht, beweg! sieh aber noch nicht; nach 20 M. ist der Herzschlag wieder normal,
nach 1 St. die Restitution vollständig.
2) Ein ausgewachsenes Meerschweinchen sitzt im Zinkkasten, 30 Tropfen kommen
zur Verdunstung; sofort Blinzeln mit den Augen und nach 2 M. etwas Husten: nach SM.
Schwanken und Anlehnen an die Wand da< Kastens, hierauf fällt es auf die Seite bei
etwas beschleunigter Respiration. Zusatz von 30 Tropfen; nach 4 M. nur 15 Inspir.
und nach 5 M. nur 10 Inspir. binnen % M. ; dann Herausnahme des Thiers. Nur ein
schwacher Herzschlag verräth noch Lehen, dabei ist die Pupille weit; nach 3 M. noch
3 — 4 Inspir. und nach 5 M. nur ein schwacher Herzschlag, dar nach 10 M. kaum noch
bemerkbar ist; dann erfolgt in der nächsten Minute der Tod.
Section 12 Stunden hernach. Leichenstarre stark, linke Cornea trübe und
eingefallen, Pupille erweitert; Pia mater sehr blutreich, Plex. venös, spinal,
von gewöhnlichem Blutgehalte. Die Lungen sind braunrot h und dunkelroth
gefärbt, namentlich linkerseits, ein deutliches Knistern ist nur im rechten obern Lungen-
lappen bemerkbar; hier tritt auf den DurchschnittsfMchen beim Drucke viel feiner
weisser Schaum zu Tage; in dem dunkler gefärbten und festern Parenehyni
muss man einen stärkern Druck ausüben, um aus den feinsten Bronchialästehen diesen
feinen weissen Schaum auszupressen: nur wenig flüssiges Blut ist bemerkbar. DieTracheal-
schleimhaut in der Nähe der Theilung mit einer dünnen wässrigen Blutlage bedeckt;
das Herz und die grössern Gefässe strotzen von geronnenem und flüssigem Blute;
Leber und Nieren blutreich. Das flüssige Blut ist braunroth und röthet sich an der
Luft allmählig ziemlich lebhaft; sehr viele Blutkügelchen sind ungleich und gekerbt.
Die nachtheilige Einwirkung dieses Körpers auf die Herzthätigkeit liegt auf
der Hand; beim ersten Versuche trat sie anfangs stürmisch und heftig auf, wäh-
rend der letale Ausgang beim zweiten Versuche sich durch die progressive Ab-
nahme des Herzschlages kund gab. Hiermit hängt die auffällige Anfällung des
Herzens und der grössern Gefässe mit Blut, welche bei der Section angetroffen
wurde, zweifelsohne zusammen.
Bemerkenswert ist das Fehlen aller convulsivischen Bewegungen; auch bei
Menschen kommen Muskelcontractionen nicht vor, der einzige Vortheil, welcher
diesem Anaestheticum zukommt; wegen des raschen Eintritts der Narkose hat
man es besonders bei Zahuoperationen empfohlen.3) Die Restitution erfolgt bis-
weilen rasch, häufig aber auch langsam mit Eingenommenheit des Kopfes, Ekel
und Erbrechen. Höchst wahrscheinlich erzeugte das Zersetzungsproduct, die Salz-
säure, beim zweiten Versuche die Verdichtung des Lungenparenchyms, ein Um-
stand, welcher jedenfalls die Gefährlichkeit dieses Mittels mit bedingen dürfte.
In einem Hospital zu Oxford wurde Methylenchlorid in der Weise zum
Anästhesiren benutzt, dass eine „geringe" Menge davon auf einer brennenden
Lampe verbrannt wurde; nach 2 — 3 krampfhaften Athemzügen war Patientin
schon eine Leiche; in diesem Falle musste salzsaures Gas sofort mit ein-
wirken.4)
3) Drei H des Methans sind durch Cl, Br oder J vertreten.
a) Chloroform CHC13 wird in England aus Holzgeist, in Deuschland und Amerika
aus Alkohol dargestellt. In letzterm Falle werden 10 Kilogr. Chlorkalk mit 60 Kilogr.
Wasser und 2 Kilogr. Weingeist von 0,85 spee. Gew. behandelt. Das" mit Wasser über-
destillirte Chloroform wird naöh Tren lung dei er I ■' aals destillirt. Die Einwir-
kung des Chlorkalks auf den Alkohol (C2H60) ist ziemlich verwickelt; unterscheidet
Chloroform. 371
man die -verschiedenen Stadien derselben, so bildet sich im ersten Stadium der Reaction
durch die Wirkung des Chlors auf Alkohol Acetal C6H140o (Aldehyd des Aethyläthers) :
3C2H60-fCl2==C6H1402+2HCl + H20.
Das Acetal wird alsdann durch das Chlor in dreifach gechlortes Acetal
übergeführt :
C6HU02 + 3C12 = CfiHnClaOa-f- 3HC1.
Das Trichlor acetal zerfällt unter dem Einfluss der Salzsäure in Chloral-
alkoholat und Chloräthyl:
C(iH11Cl3084-Ha = C8HCl30 . C,,H60 4- C2HäCl.
Chloral wird durch den Kalk des Chlorkalks in Chloroform und ameisen-
saures Calcium zerlegt:
2 C2HC130 + Ca(OH)2 = 2 CH Cl3 + (CH 02)2 Ca.
Durch die Gegenwart von Wasser wirkt das Chlor noch auf einen Theil des
Alkohols oxydirend ein und verwandelt diesen in Essigsäure, welche ebenfalls am
Kalke gebunden bleibt.
Bei der Darstellung des Chloroforms aus Holzgeist wird durch die bei der
Reaction entstehende Salzsäure der Methylalkohol in Methylchlorid übergeführt,
welches durch die weitere Einwirkung des Chlors in Chloroform übergeht. Am reinsten
wird Chloroform durch Erhitzen des Chloralhydrats dargestellt.
Chloroform ist eine farblose, sehr bewegliche Flüssigkeit von süsslichem Geruch
und kühlendem, zuckerartigem Geschmack; es ist schwer entzündlich und brennt mit
grün gesäumter Flamme: es siedet bei 63,5° C. und hat das spec. Gew. 1,491 bei 17° C. ; in
Wasser ist es nur sehr wenig, in Alkohol und Aether leicht löslich. Reines Chloroform
muss im Wasser niederfallen, ohne dasselbe zu trüben; geschieht letzteres, so enthält
es Alkohol oder Holzgeist. Für Jod, Schwefel, Phosphor, Fette, Harze und
Kautschuk ist es ein sehr gutes Lösungsmittel. Durch weingeistige Kalilösung wird
es in der Wärme in ameisensaures Kalium und Chlorkalium übergeführt, eine
Reaction, welche auch beim Nachweise des Chloroforms in Vergiftungsfällen benutzt
werden kann:
CHC13 + 4KHO = CHK02 + 3 KCl H- 2H,0.
Reines Chloroform muss das vorgeschriebene spec. Gewicht haben, ganz klar
sein, darf Lakmuspapier nicht röthen, mit Silbernitratlösung sich nicht trüben
(was bei freier Chlorwasserstoffsäure geschieht) und muss namentlich den vorgeschrie-
benen Siedepunct besitzen, weil es sonst mit Alkohol und andern Chloriden ver-
unreinigt ist. Reines und wasserfreies Chloroform zersetzt sich, wenn es den directen
Sonnenstrahlen ausgesetzt wird, äusserst schwierig; tritt jedoch Wasser mit in Thätig-
keit, so bildet sich stets Salzsäure und Ameisensäure. Sogar beim Verschluss
durch Kork, welcher 30 — 38^ Wasser zu absorbiren vermag, kann dies stattfinden.
Es is nicht einmal zulässig, das Standgefäss mit einer feuchten Blase zu über-
ziehen; häufiges Oeffnen der Standgefässe und häufiges Erneuern der thierischen
Membran ist daher zu vermeiden; auch die Flaschen zum Einfüllen müssen vollkommen
trocken sein.
Bei der fabrikmässigen Darstellung von Chloroform hat man in sanitärer Be-
ziehung besonders auf die Dichtigkeit der Apparate resp. die Gasexhalationen zu achten
(s. Aethylindustrie).
Die Einwirkung des Chloroforms anf den thierischen Organismus hat behufs
Anästhesirung vorzugsweise medicinisches Interesse. Die hierbei vorkommen-
den Todesfälle hat man häufig auf die schlechte Beschaffenheit des Chloroforms
geschoben, vielfach aber ohne Grund. Die häufigste Verunreinigung ist die mit
Salzsäure; bei der hierdurch bewirkten Reizung der Respirationswege wird
man aber bald veranlasst werden, das Mittel auszusetzen; ebenso verhält es sich
mit Chlorkohlenstoff und Phosgengas, wenn diese Körper im Chloroform
überhaupt enthalten sein sollten.
Nach eignen Versuchen wird das Chloroform vom Blute reichlich aufgenommen
und zwar stets auf Kosten der in ihm enthaltenen Gase, d. h. der Sauerstoff des
Blutes wird durch den Chloroformdampf deplacirt: je mehr das Blut nun mit dem
Chloroformdampf gesättigt ist, desto mehr wird es unfähig, den atmosphärischen Sauer-
stoff wieder aufzunehmen. Mit diesem Vorgange verbindet sich jedoch eine directeWirkung
des Chloroforms auf die Nervencentren, die sich zunächst in den Symptomen kurzer Er-
regung und dann der Depression äussert; je mehr letztere zunimmt, desto mehr gibt
sich die Abnahme der Herz- und Athemthätigkeit kund; es treten Cyanose, röchelnde
24*
27 2 Methylverbindungen.
Athmong und Tod durch Lähmung der centralen Nervenapparate ein. Der Obductions-
befund liefert ähnliche Erscheinungen, wi - ickung vorkommen.
Chloroform muss daher, um die Anästhesirmig 2 wirken,
mit atmosphärischem Sauerstoff vermischt werden; es reichen hierzu 3—5%
Chloroform in der Mehrzahl der Fälle aus, obgleich auch solche Mengen bisweilen schon
die Absorptionsfähigkeit des Blute.- für den Sauerstoff auf eine leb osgefährliche Weise
beeinträchtigen und eine nachtheilige Einwirkung auf .die Ni ren herbeiführen
kennen.
Als Rettungsmittel steht erfahrungsgemäss die künstliche Respira-
tion in erster Linie: stertoröses Athmen ist stets ein bedenkliches Symptom
und muss zur sofortigen Sistirnng der Inhalation auffordern. Ist <li.j beginnende
Asphyxie durch eine krampfhafte Constriction der \[. styloglossi und stylopha-
rvngei bedingt, dann kann ein kräftiges Hervorziehen der Zunge die Ge-
fahr beseitigen.
Die Application von Reizmitteln, wie das Einspritzen von kaltem Wasser in
die Nasenhöhle, das Uebergiessen mit kaltem Wasser, starkes Frottiren des Rückens
oder kräftiges Schlagen mit einem in kaltes Wasser getauchten Tuche auf Gesicht,
Brust und Rücken sind nicht zu vernachlässigen; in gefahrvollem Fällen schreite
man aber rasch zur Laryngo- oder Tracheotomie, um die künstliche Respiration
mittels eines in die Trachea eingeführten Katheters zu bewirken; nötigenfalls
könnte die Faradisirung des X. phrenicns dieses Verfahren noch unterstützen.
Der Nachweis von Chloroform im Blute lässt sieh dadurch am besten
liefern, dass man einen Luftstrom durch das Blut leitet und diesen hierauf durch ein
glühendes Glasrohr streichen lä?st. an dessen einem Ende sieh Jodkalium-Kleisterpapier
befindet. Chloroform wird hierbei in Kohle. Salzsäure uud Chlor zerlegt:
CH013 = C.HC1.2CL
Das Chlor färbt alsdann das Jodkalium-Kleisterpapier blau.
Anwendung findet das Chloroform ausser in der Medicin in der Technik bei der
Darstellung der Alkaloide und Firnisse zum Extrahiren, zum Auflösen von Phosphor,
namentlich von Guttapercha, zur Bestimmung von fetten Oelen in Samen u. s. w : bisher
sind bei diesen Arbeiten nur Fälle von leichter Narkose bekannt geworden. Die sogen.
Petroleum-Essenz hat das Chloroform fast ganz aus der Industrie verdrängt.
b) Broniofoi'lll CHBr3 stellt man dar, indem man zu einer Auflösung von 1 Th.
Kaliumhydrat in 1 Th. Methylalkohol Brom bis zur eintretenden Gelbfärbung zusetzt ;
es ist eine farblose, dem Chloroform ähnlich riechende Flüssigkeit, welche bei 12° das
spec. Gew. '2.9 hat und bei 152° siedet.
Einwirkung von Broinoform auf den thierischen Organismus. H Ein kleines
Meerschweinchen sitzt im kleinen Zinkkasten, in dessen Glitte ein mit 30 Tropfen
Bromoform befeuchteter Leinwandstreifen hängt: die Respiration wird sofort frequenter:
nach ö M. Zusatz von 30 Tropfen, Putzen des Mauls und etwas Husten: nach
7 M. Senken des Kopfes und Hinfallen mit ausgestreckten Beinen. Nach 10 M.
Herausnahme des Thiers in vollständiger Anästhesie; selbst die Aug 2 n auf
keinen Reiz, Respiration und Herzaction normal: nach 2 M. fällt es beim Aufrichten
wieder auf die Seite, nur die Vorderbeine reagiren schwach: nach 3 M. nimmt es die
sitzende Stellung wieder ein und nach ä M. bewegt es sich wieder frei und ohne allen
Taumel.
2| Ein grosses Meerschweinchen sitzt im Zinkkasten: bei 30 Tropfen sogleich
Blinzeln mit den Augen. Unruhe, Zittern. Schwanken: es fällt oft hin und richtet
sich wieder auf: nach 4 AI. Zusatz von 30 Tropfen: nach ö M. fällt es dann wieder hin
und bleibt in der Seitenlage. Nach S M. Herausnahme unter starkem Zittern d
nach 2 AI. sind die Augen noch unempfindlich; bald darauf versucht das Thier aufzu-
stehen, fällt aber wieder hin: erst nach 16 AI. i.-t die Restitution vollständig.
3) Eine Taube sitzt im Zinkkasten, in den schon 60 Tropfen Bromoform einge-
tröpfelt worden sind: nach 4 M. Taumel und Herabsinken des i\ ipfes; nach S M. bei
Zusatz von 30 Tropfen erweitert sich di^ Pupille und ihwaches Würgen ein:
nach 10 M. abermals Zusatz von 30 Tropfen, worauf sich, etwas - - -' B sspi
ration, Blinzeln mit den Augen und kurz darauf vollständige Anästhesie zeig :. N sh
15 M. Herausnahme der Taube: erst nach 4 AI. wacht sie auf, erhebt und schüttelt
sich, bricht, zittert und stürzt bei Gehversuchen auf den Kopf: nach 5 M. geht sie aber
wieder ohne Schwanken einher.
Chlorkohlenstoff. 373
Bromoform erzeugt nach diesen Versuchen eine Anästhesie, welche beider
grossen Flüchtigkeit desselben von kurzer Dauer ist und sich zu medicinischen
Zweckeu verwerthen lässt, wenn es sich nur um geringfügige Operationen,
z. B. um Zahnextractionen, handelt, Eine anämische Frau im Alter von 28 Jahren
und sensibler Constitution wurde nach der Inhalation von 20 Grm. Bromoform
binnen 10 Minuten so stark anästhesirt, dass ihr ohue alle Schmerzempfindung
ein Zahn ausgezogen werden konnte; obgleich sie während der Operation laut
weinte und wehklagte, blieb ihr doch nicht die geringste Erinnerung an die
Operation zurück. Während der Narkose traten ihr alle Erlebnisse der letzten
Zeit lebhaft vor Augen, eine Erscheinung, welche man bekanntlich auch bei der
Chloroformnarkose beobachtet.6) Bei der raschen Restitution trat nicht die ge-
ringste Beschwerde ein.
c) Jodoform CHJ3 wird erhalten, wenn man eine Lösung von 2 Th. Natriumcarbonat
in 10 Th. Wasser unter Zusatz von 1 Th. Alkohol bis auf 60 — 80° erwärmt und allinählig
1 Th. Jod einträgt.
Jodoform stellt schwefelgelbe, nach Safran riechende Krystallblättchen dar, die
sich bei einer Wärme von 100u unverändert verflüchtigen.
Die Dämpfe des Jodoforms besitzen eine schwach anästhesirende Wirkung.
Auch als Desinfectionsmittel hat Jodoform Anwendung gefunden, indem man Zeugstreifen
damit tränkte und in Krankenstuben aufhing".
Die Einwirkung beruht auf der leichten Zersetzbarkeit des Körpers, wobei sich
freies Jod ausscheidet; da sich aber letzteres rasch mit organischen Substanzen verbindet,
so ist auf eine nachhaltige Wirkung nicht zu rechnen.
4) Vier H des Methans sind durch Halogen vertreten.
Tetrachlorid, Ciilorkohlenstoff CC14 oder Zweifack-Chlorkohlen Stoff, weil er
früher die Formel CC12 hatte, als man das Atomgewicht des Kohlenstoffs = 6 annahm.
Es bildet sich durch Einwirkung von Chlor auf erwärmtes Chloroform im Sonnen-
lichte und stellt eine klare Flüssigkeit von aeth erartigem, an Chloroform erinnernden
Gerüche dar, deren Siedepunct bei 73° liegt; es wurde früher als Anaestheticum sehr
gerühmt.
Einwirkung des (lilorkolilenstoffs auf den thierisclien Organismus. 1) Eine
Taube sitzt in der Glasglocke; 20 Tropfen der Flüssigkeit werden auf den Boden ge-
tröpfelt; nach 3 M. Zittern mit den Flügeln und Aufblähen; nach 4M. grosse Unruhe,
Kothabgang und Aufschlagen mit den Flügeln; nach 5 M. Putzen der Augen und
schwankende Bewegungen; nach 8 M. fällt sie und bleibt in der Seitenlage bei verlang-
samter Respiration wie im festen Schlafe liegen. Bei der Herausnahme nach 10 M.
ist die Pupille erweitert; nach 2 M. Würgen und Erbrechen, Erheben des Kopfes, beim
Versuche aufzustehen fällt sie unter Schwanken auf die Seite oder auf den Kopf; nach
3 M. bleibt sie unter beständigem Wanken stehen; nach 4 M. dreht sie Hals und Kopf
fast ganz im Kreise herum, stürmische Herzbewegung und Brechwürgen ; nach 10 M. ist
sie anscheinend wieder hergestellt.
2) Ein grosses Kaninchen sitzt im Glaskasten ; 60 Tropfen werden auf den Boden
desselben getröpfelt: na,ch 10 M. Zusatz von 60 Tropfen, dann Schliessen der Augen,
Husten, Zurückziehen des Kopfes in den Nacken, Senken des Kopfes und nach 18 M.
Seitenlage. Nach 20 M. Herausnahme des Thiers bei verlangsamter Respiration und
Herzbewegung, der Kopf bleibt in der Seitenlaoe bei aufgerichteten Ohren, Blinzeln mit
den Augen; nach 6 M. sind die Augen bei der Berührung empfindlich, Reizung der
Nasenlöcher ohne Wirkung; nach S M. offen stehende Augen bei erweiterten Pupillen;
nach 15 M. bleibt es beim Berühren und Streichen noch unempfindlich, Herzschlag matt
und verlangsamt, kurz darauf Erheben des Kopfes, aber erst nach 25 M. schwache Geh-
versuche; vollständige Restitution nach 2 Stunden.
3) Eine Taube sitzt in der Glasglocke; 20 Tropfen werden eingetröpfelt. Nach 5 M.
starkes Erbrechen, nach ö M. BauclxTage mit niedergesenktem Kopfe bei schwerer und
verlangsamter Respiration, dann Seitenlage in Narkose. Nach 10 M. Herausnahme der
Taube; der Herzschlag ist matt und aus den Nasenlöchern fliesst Schleim; gänzliche
Anästhesie hält 3 M. lang an; unter starkem Würgen erhebt sie sich, schwankt hin und
her, bis sie nach 13 M. wieder umhergeht; Erholung nach 40 M.
Sämmtliche Kohleustoffchloride sind alsAuaesthetica zu betrachten; sie wirken
374 Methylverbindungen.
analog dem Chloroform, aber schwächer als dieses, weil sie weniger flüchtig sind,
während ihre irritirende Wirkung auf Herz- uud Lungenthätigkeit stärker ist,
alicr sehr leicht in Collapsus überführt.
Smith7), Sanson 8), Nnnneley9) und Simpson1") siud ebenfalls der
Ansicht, dass dieses Mittel eine deprimirende Wirkung auf das Herz ausübe und
daher gefährlicher als Chloroform sei; nach den Versuchen an Menschen erfolgt
auch die Erholung weit später als beim Chloroform.
In der Med i ein hat man die Kohleustoffchloride auch als Reizmittel, wie
Campher und ähnliche Mittel, benutzt.
B. Hy droxyl-Substitutionspro duete des Methans.
Ein H des Methans ist durch Hydroxyl (OH) vertreten.
Methylalkohol, Holzgeist CH3(OH) = CH40, Spiritus pyroxilicus Holzgeist
findet sich in der Natur neben Salicylsäure im Oele der Gaultheria procumbens;
.am häufigsten kommt er unter den rrodueten der trocknen Destillation von Holz, Torf,
Blätterschiefer, überhaupt bei der Zerstörung- der Holzfaser durch Hitze vor; er wurde
von Taylor zuerst im Holzessig entdeckt und wird auch jetzt noch aus demselben
dargestellt.
In reinem Zustande bildet der Hoizgeist eine wasserhelle Flüssigkeit, welche wie
Weingeist riecht und schmeckt. Mit Wasser muss er sieh in allen Verhältnissen ohne
Trübung mischen: trübl er sich, so enthält er ölige und harzige Substanzen. Er siedet
bei 65° und hat das spec. Gew. 0,814 bei 0°. Aetherische Oele löst er; durch Aetzkali
wird er soforl gebräunt, was beim Alkohol erst nach mehreren Stunden der Fall ist.
Alle Alkohole lösen Kalium und Natrium unter Wasserstoffentwicklung; Holz-
geist bildet mit Natrium Nat riummoth v lat :
CH3 OH + Na = Na 0 CH3 + Tl.
Mit concentrirter Schwefelsäure bildet er Methylschwefelsäure CH3HS04,
welche mit Metallen Salze bildet. Durch Zersetzung von methylschwefelsaurem Barium
mittels verdünnter Schwefelsäure stellt man diese Säure rein dar.
Einwirkung der Dämpfe von Methylalkohol auf den thierischen Organismus.
1) 15 Grin. Holzgeist wurden auf warmen Sand im grossen Glaskasten ausgegossen, in
welchem ein grosses Kaninchen sass. Bei der Entwicklung der Dämpfe beschleunigte
sich zuerst die Respiration und wurde dann kaum bemerkbar; ruhiges Sitzen und
starkes Putzen des Mauls; nach 2 M. plötzliches Aufspringen und starkes Putzen des
Mauls bei geringem Speicheltluss: nach 4 M. sind die Adern der Ohren stark er-
weitert: nach 7 M. Bauchlage mit übereinander gelegten Vorderbeinen; nach 10 M.
erhebt es sich, schreit mehrmals auf und sinkt mit geschlossenen Augen zusammen,
wobei der Kopf an die Glaswand angelehnt bleibt. Beim Stossen auf den Rücken mittels
eines eisernen Stabes ist nur ein leichtes Zucken der Hinterbeine bemerkbar: die Respi-
ration ist verlangsamt, nach 20 M. derselbe Zustand: dann Herausnahme des Thiers.
Als es auf die Seite gelegt wird, erhebt es den Kopf und reagirt am ganzen Ober-
körper: die Respiration vermehrt sich und nach 3 M. läuft es ohne Taumel einher.
2) Nach einer halben Stunde wurde derselbe Versuch mit demselben Erfolge
wiederholt.
3) Ein Baumwollpfropfen wurde mit 40 Tropfen Holzgeist befeuchtet, in den
Grund eines Trichters gelegt und dann der Kopf eines Kaninchens in letztern gesteckt.
Nach 5 M. Verlangsamung der Respiration: nach 7 M. Zusatz von 40 Tropfen: nach
11 M. kurzes convulsiviscb.es Zucken in den Extremitäten und nach 12 M. tiefe und
angestrengte Inspiration mit gelindem Schleimrasseln; das Thier behält die sitzende
Stellung. Zusatz von 30 Tropfen: nach 13 M. Seitenlage bei 8 Inspir. binnen l/4 M.;
wenn- der Trichter nur für einen Augenblick weggenommen wird, erhebt es sogleich
den Kopf. Nach 15 M. Zusatz von oo Tropfen; nach 20 M. bleibt es nach Wegnahme
des Trichter.-, ein paar Secnnden in der Seitenlage bei 9 tiefen und angestrengten In-
spirationen: al>bald erhellt es aber wieder den Kopf und legt ihn auf die Vorderbeine;
schon nach 3 M. läuft es davon und reibt kräftig und ohne Wanken mit den Pfoten
das Maul.
Die Dämpfe des Holzgeistes erzeugen somit bei ihrer Inhalation eine Reizung
der Schleimhaut der Nase und Luftröhre uud setzen gleichzeitig die Respirations-
thätigkeit herab. Bei fortgesetzter Inhalation entsteht eine geringe, rasch vor-
Industrie des Methylalkohols. 375
übergehende Narkose, wobei die Reflexe nicht ganz aufgehoben sind; höchstens
entsteht eine sehr schnell vorübergehende Anästhesie.
Im Allgemeinen ist der Holzgeist in seiner Einwirkung auf den Thierkörper
dem Weinalkohol ähnlich; sollten sich noch andere Symptome zeigen, so hat man
sehr auf die Reinheit des Präparats zu achten; die Handelswaare enthält nämlich
häufig Xylol, Kreosot und andere Derivate, empyreumatische Oele u. s. w., wodurch
natürlich die Wirkung sehr modificirt wird.
Der Holzgeist, welcher in der Industrie, namentlich in der ßaumwollen-
mauufactur statt des Weiugeistes als Lösungsmittel für manche Druckfarben,
besonders der Anilinfarben, benutzt wird, ist immer unrein und kann daher
durch die Verdunstung nachtheilig auf die Arbeiter einwirken, die auch tatsäch-
lich die Folgen derselben durch Eingenommenheit des Kopfes uud ein allgemeines
Unbehagen verspüren. Hier kann nur durch eine kräftige Ventilation dem
schädlicheu Eiuflusse vorgebeugt werden, da schon wegen des hohem Preises ein
reines Präparat nicht benutzt wird; wegen der Billigkeit verwendet man hier
grade Holzgeist. Dieser Umstand übt daher in vielfacher Beziehung einen nach-
theiligen Einfluss auf die sanitären Verhältnisse der Arbeiter in der Industrie aus
und zwar um so mehr, als der Holzgeist eine immer grössere Verbreitung findet.
Die Industrie des Methylalkohols oder Hoizgeistes.
Das Rohmaterial stammt stets von der trocknen Destillation des Holzes,
des Torfes oder der holzigen Braunkohle her. Wenn man die hierbei gewonnenen
Producte einige Zeit ruhig stehen lässt, so bilden sich zwei Schichten, deren obere
nebst Wasser und Essigsäure den Holzgeist enthält, während die untere aus
Theer besteht. Die wässrige Flüssigkeit zieht man ab, filtrirt sie durch Sand und
unterwirft sie in einer kupferneu Blase der fractionirten Destillation. In der
ersten Portion des Destillats ist der Holzgeist enthalten, welcher durch weiteres
Fractioniren über Aetzkalk und zur Entfernung des Ammoniaks mit wenig
Schwefelsäure gereinigt wird.
. In vielen Fabriken wird vor der Destillation mit Kalk neutralisirt; es bleibt
dann essigsaures Calcium, in Wasser gelöst, in der Blase zurück. In diesem Falle kann
man sich auch eiserner Retorten bedienen: ein Ueberschuss von Kalk verwandelt aber
den Holzgeist leicht in ein dem Aldehydharze analoges Harz; der Kalk bildet übrigens
stets harzähnliehe Niederschläge, wobei sieb die ganze Flüssigkeit, wenn man sich der
eisernen Retorten bedient, prächtig violett färbt. Dieser Farbstoff findet bei der Dar-
stellung der Alizarindinte Verwendung.
Der abgetriebene Holzgeist*) ist aber noch nicht rein uud nruss namentlich
zur uarstellung von Essenzen nochmals rectificirt werden, indem man ihn mit Chlor-
calcium sättigt, mittels Wasserdämpfe abtreibt, nochmals destillirt und ihm schliesslich
durch Kochsalz oder verwittertes Glaubersalz das Wasser entzieht.
In sanitärer Beziehung ist hierbei sehr zu beachten, dass sich bei der
ersten Trenuung des Holzgeistes von den Säuren während der Destillation sehr
unangenehm nach Kreosot, Theer u. s.w. riechende, aber auch höchst flüchtige
(ätherische) und leicht entzündliche Dämpfe entwickeln; die Kühlschlange
muss daher nothwendigerweise mit dem sogenannten Gassammeikasten
(Fig. 45) verbunden werden, um die nicht condensirten Gase und Dämpfe
mittels einer Röhre unter den erforderlichen Sicherheitsinassregeln in die
*) Will man Holzessig darstellen, so setzt man die Destillation fort und wechselt
die Vorlage; in der Blase bleibt der Theer zurück (s. Holzessig).
376
Methyl Verbindungen.
Feuerung zu leiten.*) Auch bei der weitern Rectification und der Austreibung
der empyreumatischen Stoffe aus dem Chlor-
calcium ist diese Einrichtung zu benutzen.
Die Anwendung des Holzgeistes ist ähnlich
der des Alkohols: er dient in der Technik als
gutes Lösungsmittel für viele Substanzen, namentlich
in der Firmssfabrication , bei der Darstellung der
Alkaloide und <_ranz besonders in der Anilin -
farbenfabrication und in den Baumwoll-
druckereien zum Auflösen der Farben.
Der von Dr. Baxtm<jf< in London als Heil-
mittel gegen Lungenschwindsucht empfohlene
Spiritus pyroxilicus ist seiner Formel nach
(C3HsO) höchst wahrscheinlich ein Aceton.1')
In England kommt es nicht selten vor, dass
die Arbeiter Holzgeist statt Branntwein trinken:
dasselbe i^t in Gefangenanstalten bei den Detinirtcn
der Fall, wenn sie bei industriellen Beschäftigungen mit Holzgeist in Berührung kommen.
Methyläther, Methyloxyd, Holzäther CH3OCH3 = C2HcO findet sich in der
Natur im flüchtigen Oele der Gaultheria procumbens und Spiraea ulmaria. Man stellt
ihn durch Destillation des Holzgeistes mit concentrirter Schwefelsäure dar: bei der
Fabrication im Grossen hat man dieselben \ orsichtsmassregeln wie bei den entsprechen-
den Aethylverbindungen zu beobachten. Dieser Aether ist ein gasförmiger Körper,
der mit "blassblauer Farbe brennt und bei — 16° noch nicht verdichtbar ist; Wasser
bekommt durch Aufnahme des Gases einen pfefferartigen Geschmack; in Holzgeist und
Weingeist ist das Gas viel löslicher. Mit Schwefelsäure verbindet es sich zu Schwe-
felsäure-Methyläther (Crl3).JS04 + H.20. Mit Chlor geht es drei verschiedene
Verbindungen ein, je nachdem 2, 4 oder 6 H durch Cl vertreten werdeu. Es entstehen:
1) C2H4C1,0: 2) C2H3C140; 3) C2CL.O.
Bei der Einwirknng der Dämpfe des Methyläthers anf den thierischen
Organismus kann eine rasch vorübergehende Narkose entstehen; die mit diesem
Aether beschäftigten Arbeiter leiden oft an Kopfschmerzen, Druck in der Stirn-
gegend und Schwindel; an der frischen Luft verschwinden die Beschwerden
meistens, nur bei manchen reizbaren Individuen können sie unerträglich bleiben
und zur gänzlichen Vermeidung solcher Fabrikiocale nöthigen.
Die Dämpfe bilden mit atmosphärischer Luft vermischt ein explosives
Gas, man hat daher schon dieses Umstandes wegen stets für ihre Beseitigung
aus den Arbeitsräumen Sorge zutragen.
Die Verwendung des Methyläthers findet in Fabriken von Parfümerien und
Liqueuren statt; er wird dort namentlich in seinen Verbindungen mit organischen
Säuren benutzt.
Neuerdings hat ihn Tellier zur Fabrication von Eis benutzt:12) derselbe hält ihn
bei einem Druck von 10 Atmosphären in eisernen Gefässcn vorräthig: an jedem Gefässe
befindet sich ein luftdicht schliessender Hahn. Sobald man den Methyläther austreten
lässt, verwandelt er sich augenblicklich in Dampf und absorbirt eine grosse Menge
W ä r m e.
Salpetersäure -Methyläther CH3(ON02) + 2H0 entsteht durch Einwirkung von
Salpetersäure auf Methylalkohol: er siedet bei 06° und sein Dampf explodirt schon hei
150° mit der grössten Heftigkeit. Dieser Aether heisst in der Technik Methyluitrat
und hat schon zu den furchtbarsten Explosionen Veranlassung gegeben. Man hat ihn
in neuerer Zeit benutzt, um das Methylanilinviolett in Grün zu verwandeln, wozu
man bisher Jodmethyl gebrauchte. Methylnitrat liefert bei grösserer Billigkeit eine
bedeutendere Ausbeute an schönem, wasserlöslichen Methylanilingrün oder Methylgrün.
In einer französischen Fabrik sind im Jahre 1871 bereits 20,000 Kilogramm Salpeter-
säure-Methyläther für diesen Zweck dargestellt worden.
*) In Fig. 45 ist a das Gaszuleitungsrohr; die Zwischenwand c. gestattet nur am
untern Ende die Communication der Flüssigkeit; bei d werden die Gase und Dämpfe
abgeleitet: das Siphon bei b dient zum Ablassen des Holzgeistes,
Ameisensäure. 377
Um alles Violett vom Grün abzuscheiden, wird der erhaltene Farbkörper noch
mit Chlorzink behandelt; ein solches Methylgrün stellt sehr schöne grüne Blättchen
von metallischem Glänze dar. Gelbgrüne Nuancen erhält man durch Zusatz von
Pikrinsäure.
Der Salpetersäure-Methyläther wirkt auf den thierischen Orga-
nismus in ähnlicher Weise wie Methyläther, nur irritirt er mehr die Schleim-
häute der Respiratiouswege. Schon wegen seiner explosiven Eigenschaft ist
der Fabricant grade wie beim Methyläther genöthigt, die Arbeitsräume möglichst
frei von den Dämpfen zu erhalten.
Oxydationsproduct des Methylalkohols.
Ameisensäure. Acidnm formknm CHOiOH) = CH202 kommt sowohl im
Thier- als auch im Pflanzenreiche frei vor. Im Schweisse der Menschen findet sie
sich neben Essig- und Buttersäure; das Bienen- und Wespengift soll aus freier Ameisen-
säure bestehen; auch in den Brennesseln ist sie als solche enthalten, während sie sich
in den Fichtennadeln erst in Folge eines Verwesungsprocesses bildet. TJeberhaupt
bildet sie sich als Zersetzungsproduct beim Fäulniss- und Verwesungspro cesse, ferner als
Oxydationsproduct des Stärkemehls und Zuckers, bei der Oxydation stickstoffhaltiger
organischer Substanzen sowie bei der Destillation bituminöser Fossilien.
Dargestellt wird sie durch Erwärmen und Zersetzung der Oxalsäure bei Gegen-
wart von Glycerin, wobei diese in Kohlensäure und Ameisensäure zerfällt:
C,H,04 = C02 + CH20,.
Ganz rein erhält man die Ameisensäure durch Zersetzen ihres Bleisalzes mittels
Schwefelwasserstoffs.
Die Ameisensäure ist eine farblose, ätzende Flüssigkeit, welche intensiv sauer und
stechend riecht, sehr leicht in Wasser und Alkohol löslich ist und bei 101° siedet.
Sie hat eine reducirende Wirkung, welche sich auf die Salze der edlen Metalle erstreckt;
auch Quecksilberlösung reducirt sie, wobei sie sich einfach zu Kohlensäure oxydirt:
CH202 + 0 = C02-r-H20.
Con'centrirte Schwefelsäure verwandelt sie in Wasser und Kohlenoxyd, wobei
erstere bloss durch ihre grosse Verwandtschaft zum Wasser wirkt:
CH2 02 = CO + H20.
Alle ameisensauren Salze sind inW'asser löslich, mit Ausnahme des in glänzenden,
farblosen Prismen krystallisir enden Bleisalzes.
Einwirkung der Dämpfe von Ameisensäure auf den thierischen Organismus.
In den Zinkkasten, in welchem ein Meerschweinchen sass, wurden die Dämpfe von
6 Grm. Ameisensäure, die ein spec. Gewicht von 1,15 hatte, eingeblasen. Die Reizung
der Respirationswege gab sich sofort durch Husten und starkes Reiben der Nase
kund; dabei war die Athmung sehr erschwert. Die Conjunctiva des Auges röthete
sich und sonderte reichlichen zähen Schleim ab, während die Cornea ein trübes und
milchiges Aussehen bekam. Nach lö Min. langem Aufenthalte in dem Kasten zeigten
sich keine weitern Gesundheitsstörungen, auch traten keine Nachkrankheiten ein.
Eine ähnliche Wirkung üben die Dämpfe auf die Arbeiter aus, bei ihrer
grossen Verdünnung ist sie aber meist schwächer; am meisten wird die Haut von
der flüssigen Ameisensäure afficirt, indem hier bei hinreichender Coucentratiou
Brennen, Röthe und Anschwellung erzeugt werden.
Der Metliyläther der Ameisensäure, Ameisensäure-Methyläthcr, HCOOCCHsl^
C2H402 (Substitution des Carboxyls (CO OH) durch Kohlenwasserstoffreste) repräsentirt
ganz besonders die zusammengesetzten Aether. Man stellt ihn durch Destillation von
ameisensaurem Natrium, Schwefelsäure und Holzgeist oder durch Destillation von Stärke-
mehl, Braunstein, Schwefelsäure und Holzgeist dar.
Eine wasserhelle, stechend riechende Flüssigkeit, welche sehr scharf schmeckt,
in Weingeist und Aether in jedem Verhältniss löslich ist und sich ähnlich wie der Aethyl-
äther der Ameisensäure (Formyläther, Aether formicicus) verhält, häufig auch wie dieser
zur Bereitung von künstlichen Branntweinen, besonders von Arrac, benutzt wird.
Bei der Einwirkung der Dämpfe des Methyl äthers der Ameisensäure auf den
thierischen Organismus entsteht eine kurz dauernde Narkose mit heftiger Reizuug
der Respirationswege, die hier in ebenso hohem Grade wie. bei den Dämpfen
der Ameisensäure auftritt. Bei der Sectiou der hierbei umgekommenen Thiere
378 Methylverbindungen.
findet sich eine starke Hyperämie der wichtigsten Organe und zwar in ähnlicher
Weise wie beim Tode durch Essigäther. Alle Aetherarten der organischen Säuren
wirken fast gleich; die Eingenommenheit des Kopfes ist. aber stets noch bedeutender
als bei der Inhalation der einfachen Aetherarteu. Der Tod erfolgt schliesslich nach
höchst erschwerter Respiration unter den Erscheinungen der Asphyxie.
Industrie der Ameisensäure.
Ihre Bereitung ist nach der Art und Weise der Benutzung verschieden; in
der Pharmacie, Kosmetik und bei der Darstellung von Räucheressenzen wird die
Ameisensäure durch Destillation der Ameisen gewonnen, weil es hierbei haupt-
sächlich auf die Gewinnung von Am eisen öl ankommt. Die Ameisen werden
zerquetscht und mit Wasser vermischt; den erhaltenen Brei unterwirft man unter
Zusatz von etwas Kochsalz oder Glaubersalz der Destillation, wobei man ein
Anbrennen der Masse sorgfältig zu vermeiden hat, weil das Destillat hierdurch
einen empyrenmatischen Geruch und Geschmack bekommt; man gebraucht hierzu
zinnerne Blasen und Kühlröhren. Die Rückstände gehen leicht in Fäulniss
über und veranlassen dann höchst belästigende Gerüche; man muss sie stets mit
Kalk oder Gips versetzen, um sie als Dünger zu benutzen.
Der Spiritus formicarum wird durch Auflösen von Ameisensäure in Weingeist
dargestellt.
Zur Verwendung der Ameisensäure in Färbereien werden ihre Salze direct
durch ( txvdation des Stärkemehls, der Holzfaser oder des Zuckers mitteis einer Mischung
von Braunstein und Schwefelsäure auf dem Wege der Destillation gewonnen, indem das
Destillat direct zur Darstellung der aineiseusauren Salze benutzt wird.
Es entwickelt sich hierbei so reichlich Kohlensäure, dass die Masse leichi
übersteigt und für Ableitung dieses Gases gesorgt werden muss.
Der Rückstand besteht aus schwefelsaurem Manganoxydul und organischen
Producten und kann zur Darstellung von Mangan vitriol benutzt werden. Frei darf
er nicht zum Abfluss in Canäle oder Wasserläufe gelangen, sondern der grosse Ueber-
schuss an Schwefelsäure muss vorher durch Kalk abgestumpft werden.
Dir frühere Art der Darstellung der Ameisensäure durch Oxydation des Holz-
geistes, wie bei der Scknellessigfabrication, ist durch die Entdeckung, dass sich die
Oxalsäure mittels Glvcerins zersetzt, verdrängt worden. Hierbei werden ''00 Th.
Glycerin von 20° B. mit 75 Th. Glycerin und Wasser in einer grossen, inwendig ver-
bleiten Destillirblase durch gespannte Wasserdämpfe zuerst fast iu's Sieden gebracht
und nach ca. 12 Stunden bei erhöhter Temperatur abdestillirt: dann gibt man noch ein
paar Mal 50 Th. Wasser zu und destillirt abermals.
Das gesammte Destillat sattigt man mit Natriumcarbonat und dampft ein. Das
so gewonnene ameisensaure Natrium wird mittels verdünnter Schwefelsäure zersetzt und
die ausgeschiedene Ameisensäure durch Destillation gereinigt.
Diese Methode hat den grossen Vortheil, dass sie in sanitärer Beziehung gar
kein Bedenken darbietet und das Glycerin dabei wieder gewonnen wird, weil es unver-
ändert bleibt und bloss durch Contaet zu wirken scheint.
C. Sulfo- Substitutionsproducte des Methans.
Methylniercaptan CH3(SH). Der Name Mercaptan rührt daher, weil alle Mer-
captane mit Quecksilberoxyd ein weisse Präcipitat bilden (Corpus mercurium captans).
Der Methvlmercaptan entspricht dem Methylalkohol und wird durch Destillation von
methvlschwefelsaurem Calcium mit Kaüumsulfhydrat in äquivalenten Mengen dar-
gestellt: er ist eine farblose, widerlich riechende Flüssigkeit, welche sich in Wasser wenig
löst und bei 21° siedet.
Eine technische Verwendung hat dieses Präparat noch nicht gefunden ; es wird in
Laboratorien benutzt, um die Metallderivate des Methyls darzustellen.
Die Einwirkung von Methylmercaptan anf den thierischen Organismus stimmt
vollkommen mit der des Schwefelmethyls überein, nur treten alle toxischen Er-
scheinungen noch heftiger auf. Bei der Manipulation mit diesem Körper muss
Methylamin. 379
man deshalb die höchste Vorsicht gebrauchen; in Laboratorien ist stets ein guter
Rauchfang zur Ableitung der sich bildenden Dämpfe erforderlich.
ScllWO.felmetliyl (CH3")2S wird aus dem methylschwefelsauren Calcium und Schwefel-
kalium in äquivalenten Mengen dargestellt. Eine sehr unangenehm riechende, bei 41°
siedende Flüssigkeit, welche ebenfalls nur in Laboratorien Verwendung findet.
Einwirkung von Schwefelmethyl auf den thierischen Organismus. 2 Grm.
methylschwefelsaures Calcium werden mit 1 Grm. Schwefelkalium (K3S) zur Entwick-
lung der Dämpfe benutzt; ehe diese in die Glasglocke, in welcher sich eine Taube
befindet, eindringen, werden sie über Bleihydrat geleitet, um das Auftreten von freiem
Schwefelwasserstoff zu verhüten. Eine halbe Minute nach der Ausbreitung der Dämpfe
in der Glocke blinzelt die Taube stark mit den Augen, wird sehr unruhig und stürzt
auf den Kopf mit hoch aufgerichtetem Hintertheile; Herzschlag und Respiration stocken hei
der sofortigen Herausnahme; sie taumelt hin und her, die Pupillen sind verengt, sehr
beschwerliche Respiration mit weitem OefTnen des Schnabels, rauher Stimme und kurzen
convulsivischen Zuckungen. Nach 2 M. beschleunigt sich die Respiration (25 Inspir.
binnen % M.) und das Herz schlägt sehr stark; Würgen, starkes Erbrechen und dann
Bauchlage; nach 6 M. erhebt sie sich schwankend, das Herz schlägt noch heftig; nach
7 M. geht sie unsicher einher, 10 Inspir. binnen l/4 M.; erst nach 2 Stunden ist die
Respiration wieder normal und der Ton der Stimme klar. Weiteres Unwohlsein wird
nicht bemerkt.
Die toxische Einwirkung des Schwefelmethyls geht aus diesem Versuche
deutlich hervor; die plötzliche Stockung der Herz- und Lungenthätigkeit weist
auf die directe Affection des Athmuugscentrums und der Nervenapparate im
Herzen hin; dabei ist die grosse Aehnlichkeit des Verlaufs der Vergiftung mit
der durch Schwefelwasserstoff unverkennbar, obgleich die rapide und heftige
Einwirkung jenes Körpers dafür sprechen dürfte, dass er eher als solcher und
nicht durch seine Zersetzungsproducte die Vergiftungserscheinungen hervorruft.
D. Nitrogeu-Substitutionsproducte des Methans.
Amine.
Methylamin, MetfoylamM, Methylammouiak CH3. NH2 — CH5N, bildet sich bei
der trocknen Destillation ' und bei der Fäulniss thierischer, überhaupt eiweisshaltiger
Substanzen; seine grosse Neigung, sich mit stickstoffhaltigen Substanzen zu kuppeln, ist
die Ursache, dass sich bei Fäulnissprocessen, wo Sumpfgas auftritt, diese merkwürdige
Reihe derAminbasen bildet. Sie kommen auch fertig gebildet bei Pflanzen und Thieren
vor, z. B. bei den Chenopodium-Arten, bei Fischen, bei Clupaea, bei Stinkthieren u. s. w.
Beim Erhitzen von Salmiak mit Holzgeist in einer geschlossenen Röhre bilden sich Mono-,
Di- und Trimethylamin.
Man stellt es durch Erhitzung von salzsaurem Methylamin mit Aetzkalk dar;
das Gas wird unter Quecksilber aufgefangen. Es riecht stark nach Ammoniak,
brennt mit gelber Flamme und verdichtet sich bei einigen Graden unter 0° zu einer
leicht beweglichen Flüssigkeit. Es ist von allen Gasen in Wasser am meisten löslich,
bildet mit Salzsäure weisse Nebel und mit Säuren krystallisirbare Salze. _ Die wässrige
Lösung von Methylamin ist ätzend, brennend und riecht ebenfalls ammoniakalisch.
Dimethylamin C2H7N = (CH3)2NH ist noch nicht in reinem Zustande dargestellt
worden.
Trimethylamin C3H9N = (CH3)3N findet sich im Spiritus alter anatomischen
Präparate, in den Sauerwässern der Weizenstärkemehlfabriken, im Fusssch weisse, im
Seeale cornutum, im Leberthran, in Chenopodium vulvaria, in der'Blüthe von Crataegus,
ganz besonders bei beginnender Verwesung von Boletus13) und in der Häringslake. Bei
der Destillation stickstoffhaltiger bituminöser Fossilien tritt es ebenfalls auf; dargestellt
wird es meist aus der Häringslake. Es ist eine alkalisch reagirende, nach faulen See-
fischen riechende Flüssigkeit.
Einwirkung des Triniethylamins auf den tliierisclien Organismus. Ein kleines
Kaninchen sass im kleinen Kasten: 15 Grm. kommen zur Verdunstung; dann starkes
Putzen des Mauls und nach 15 M. starke Röthung der Augen und unruhige Be-
wegungen. Nach 40 M. nochmals Verdampfung von 15 Grm.; hierauf Zurückziehen des
Kopfes in den Nacken. Nach 1 Stunde Röthung der Nasenschleimhaut und Thränen
der Augen bei der Herausnahme. Am folgenden Tage hatte sich eine vollständige
Blepharitis ausgebildet, welche nach ein paar Tagen wieder schwand.
3gO M i trj Lverbindungen.
Obgleich Trimethylamin nur gleich dem Ammoniak wirkt, so kann es doch
durch seinen unangenehmen Geruch bei manchen Menschen Ekel und Erbrechen
verursachen; seine Dämpfe reizen die Augen sehr stark und erzeugen eine
Blepharitis von kurzer Dauer; die Irritation der Schleimhaut der Respirations-
wege ist jedoch Dicht so bedeutend wie bei den Dämpfen von Ammoniak".
Wie aus dem obigen Versuche hervorgeht, hatten die Dämpfe von 30 Grm. bei
einem Kaninchen keinen bleibenden Nacht! I ;t, so das; von einei - i Wir-
kung derselben im Allgemeinen keine Rede sein kann
Dass dieser Körper das wirksame Princip in den verdorbenen Würsten, dasWurst-
gift, repräsentire, wie man behauptet hat, ist jedenfalls unrichtig. I' an das
Trimethylamin als Bestandtheil der Bärin ial iei Schw< inen eine Vergiftung her-
vorrufe] rscheint dies gla bhaft, da zahlreiche Beobachtungen der Yeterinäi
dafür sprechen.
Cyangruppe.
CNH ist die Grundverbindung, die als eine Verbindung der einwerthigen Gruppe
CN mit H betrachtet wird. CN ist die Cyangruppe, die häufig auch Cy ge-
schrieben wird
Cyanwasserstoffsäure oder Blausäure CNH = CyB kommt nicht im freien Zu-
stande m der Natur vor. Sie entsteht meist aus der Zersetzung stickstoffhaltiger
organischer Substanzen, bei den Früchten der Amygdaleen in Folge der Einwirkung des
in den Kernen enthaltenen Aniygdalins auf das Emulsin. Mit Natrium verbunden
lässl sie sich im Speichel nachwei
Dargestellt wird sie durch Destillation von Blutlaugen salz (10Tb oai Schwefel-
säure (7 Th.) und Wasser 15 20 Th.):
K4Fe(CN 6 + 3H.S04 = 2K2S04 +■ FeS04-r- 6CNH.
Die mit Wasser verdünnte Säure wird durch Chlorcalcium entwä
Blausäure ist eine farblose Flüssigkeit, welche mit weisser leuchtender Flamme
brennt, schon bei 26° siedet, somit bei einer Temperatur, di noch anter der Blut1
li gt; ie zersetzl sich leichl bei Einwirkung des Lichtes in Paracyan, Ameisen-
s :i in-" und A m m oniak:
CNH + 2H30 = CH,02 -+-NI1.,.
Unter besondern Verhältnissen erfolgt diese Zersetzung unter Temperaturerhöhung
und Gasentwicklung, gul schliessende Gefässe dadurch zertrümmert werden
können: ein ganz geringer Zusatz von Mineralsäure perhütel dieses Zerfallen für
längere Zeit.
Einwirkung der wasserfreien Blausäure auf de« thierischon Organismus. D Eine
Taube sitzt in einer Glasglocke; ein ganz kleiner Tropfen der Säure wird von oben ein-
getröpfelt; derselbe hatte kaum den Boden berührt, als sich schon Erbrechen und nach
1 % M. die heftigsten Convulsionen einsteilten. Bei di en Eerausnahme der
Taube ist sie erstarrt und athemlos; die Augen sind mit Thr füllt, die Pupillen
erweitert, Herzschlag noch deutlich, wird aber immer schwächer und unregelmäs i
bis er 'i M. nach der Herausnahme ganz aufhört. Die normale Körperwärme nimmt
erst nach einer halben Stunde ab.
Section 20 Stunden hernach. Hirnhäute namentlich in ^-v Nähe der Med.
oblong-, Plex. venös, spin. am stärksten an den drei ' Halswirbeln blutreich;
alle Muskeln hellroth; Lungen durch und durch zinnoberroth, auf den Durchschnitts
Bächen etwas flüssiges Blut; Tracheaischleimhaut besonders an der Bifurcation injicirt.
Die ganze rechte Hälfte des Herzens und der linke Vorhof strotzen von
schwarzem, geronnenem Blute. Leber von normaler braunrother Farbe, auf den
Durchschnittsflächen dunkles um Blut; das flüssige Blut röthel sich lebhaft
an der Luft.
2} Ein Kaninchen sitzt im grossen Glaskasten: ein Tropfen der Säure wird auf
den Boden gelassen. Anfangs Unruhe, abwechselnd beschleunigte und verlangsamte
Respiration; nach 1 J/, M. die heftigsten Convulsionen. Bei der sofortigen Heraus-
nahme gänzliche Erstarrung und Athenilosigkeit ; nach 30 Secunden abermals heftige
Convulsionen, Augen prominiren stark. Pupillen sind erweitert, dann krampf-
haftes Aufathmen mit starkem Schi nai l'L, M. Husten bei sehr an-
gestrengter Inspiration; nach 7 M. momentan tetanisches Ausstrecken der Hinterbeine,
nach 8M. heftiger krampfhafter Husten, der 2 M. lang anhält, dann in kürzern Pausen
wiederkehrt und mit starkem Herzklopfen und häufigem Niessen verbunden ist. Erst
nach 50 M. hört der Husten auf: auch der Herzschlag und die Respiration sind wieder
Cyanwasserstoff. 381
normal: es bleibt ruhig sitzen: nach \% Stunde bewegt es sich wieder und fängt an
zu fressen.
3) Einer Taube wurde ein Schnitt in den Oberschenkel bis auf die Muskellage
gemacht; mit einem Glasstabe, welcher flüchtig in die Blausäure getaucht worden, wurde
die Schnittwunde betupft. Nach % M. taumelnder Gang, nach 1 M. Hinstürzen, nach
1 '/» M. die heftigsten Convulsionen, welche iy2 M. laug dauern; dann ruhige Lage,
6 Inspir. binnen '4 M., kurze Zuckungen und spastische Inspir., welche, rasch abnehmen
und nach 6 M. ganz aufhören: nur das Herz macht noch ein paar Schläge: die Pupillen
sind sehr weit.
Section 2i Stunden hernach. Blutfülle in der Schädelhöhle und im Canal der
Wirbelsäule: der Hals schwanenartig gebogen: Lungen gleichmässig ziegelroth, nur
an der hintern Fläche eine schwache braune Färbung, auf dem Durchschnitte ein
feiner Schaum und einige Tropfen flüssigen Blutes: Trachealschleimhant blass, das
ganze Herz mit dickflüssigem, schwarzem Blute gefüllt: in den grössern
Venen ebenfalls dickflüssiges, dunkelkirschrothes Blut, welches an der Luft
stellenweise viel röther wird, alsbald gerinnt und in dünnen Schichten hellkirsch-
roth erscheint. Lehm* und Nieren sehr blutreich.
4) Ein ausgewachsenes Meerschweinchen sitzt im grossen Glaskasten. Blausäure
wird in einem Schälchen, in welchem sich 2 Grm. Cyankalium befinden, durch Ueber-
giessen mit Schwefelsäure entwickelt; sobald die Dämpfe auftreten, beschleunigt sich
die Respiration, das Thier wird unruhig, schwankt und stürzt unter heftigen Convul-
sionen hin, welche nach "2 M. den Tod herbeiführen.
Section 24 Stunden hernach. Starke Hyperämie in der Schädelhöhle; Lungen
blassblauroth, auf der linken Lungenspitze eine erbsengrosse Petechial-Sugil-
lation. auf den Durch schnittsÜächen überall viel weisser Schaum: die Schleimhaut
der Bronchien blass; das ganze Herz strotzt von dunkelrothem, geronnenem
Blute, das überhaupt vorwaltet; Leber und Nieren massig blutreich.
Die Blausäure wirkt zweifelsohne am raschesten ein, wenn sie dampfförmig
eingeathmet wird: je wasserfreier sie ist. desto intensiver erfolgt die Wirkung,
so dass bei Thieren Taumel, Convulsionen und rasche Stockung der Respiration
schnell den Tod einleiten. Tritt Erholung ein, so bleiben Betäubung, Dyspnoe,
starker Herzschlag sowie krampfhafter Husten noch längere Zeit zurück.
Bei Menschen entwickelt sich ein ähnliches Krankheitsbild; der Tod er-
folgt auch hier bei concentrirten Mengen der Dämpfe fast plötzlich; unter
tetanischer Erstarrung hören Respiration und Herzthätigkeit fast gleichzeitig auf.
Mit atmosphärischer Luft verdünnte Dämpfe bewirken Ohrensausen, Kopf-
schmerzen, Schwindel, üebelkeit, Taumeln, Dyspnoe, Herzklopfen und einen
trocknen, krampfhaften Husten. Diese Erscheinungen treten selbstverständlich
nach dem Grade dieser Verdünnung in verschiedener Intensität auf, werden aber
vorzugsweise in der Industrie beobachtet, wenn die Arbeiter mit blausäure-
haltigen Dämpfen in Berührung kommen. Plötzliches Hinstürzen unter Convul-
sionen erweist grösste Lebensgefahr und Rettung ist bisweilen noch möglich,
wenn die Betroffenen sofort dem gefährlichen Medium entzogen und au die frische
Luft gebracht werden können.
Bei der Section der Thiere fallen stets die strotzende Anfüllung des Herzens
mit dunklem, geronnenem Blute, das flüssige Blut, welches bald an der Luft hellroth wird,
sowie der feine Schaum in den kleinsten Bronchien auf: Ekchymosen auf der Lungen-
oberfläche zeigen sich nicht immer. Beim vierten Versuche konnte Blausäure im Blute,
in der Lunge und Leber nachgewiesen werden.
Bei Menschen hat man nach letalen Gaben ganz Aehnliches beobachtet. Der
Blutreichthum in den Lungen ist constanter als im Gehirn, dabei ist das dunkelkirsch-
rotbe Blut mit einer grossen Menge Schaumbläschen vermischt, während das Herz
mit dunklem, geronnenem und flüssigem Blute angefüllt ist. Auch hier nimmt das Blut
an der Luft eine helle Kirschröthe an; Ekchymosen trifft man hier nicht selten
an den Pleura-Säcken, am Pericardium und an der serösen Oberfläche der Leber fast in
gleicher Weise wie sie sich bei Erstickten finden. 14)
Es ist Thatsache, dass die Blausäure sehr innig am Hämoglobin haftet und
ihr Austritt aus dem Blute sehr langsam erfolgt: sie verhindert daher weit mehr
382 Methylverbindungen.
als alle andern Gifte die Wiederaufnahme des Sauerstoffs; aus dieser Ursache
erfolgt einerseits die Restitution viel langsamer und andererseits ist ihre gefähr-
liche und meist letale Wirkung dadurch mit bedingt.*) Die Blausäure besitzt
noch in höherm Grade als Kohlenoxyd die Eigenschaft, den Sauerstoff aus dem
Blute zu verdrängen.
Wird mit Blausäure gesättigtes Blut in einer Absorptionsröhre über Queck-
silber mit reinein Sauerstoff behandelt, so wird dieser nicht absorbirt, auch die Farbe
dos Blutes nicht verändert.**) Wird dagegen mit Sauerstoff gesättigtes Blut iu einer
Röhre über Quecksilber abgesperrt, so dass sich keine Luftblasen über dem Blute be-
iluden, so wird durch Zugabe von flüssiger Blausäure allmählig Gas entbunden, welches
aus Kohlensäure' und Sauerstoff besteht; letzteres waltet so weit vor, dass ein
glimmender Span darin fortglüht, wenn vorher die Kohlensäure durch Kali weg-
genommen ist.'5)
Zu diesem Verhalten der Blausäure dem Sauerstoff des Blutes gegenüber
kommt aber noch ihre directe Wirkung auf die Nervencentren, durch welche
die rasche Stockung der Respiration mit nachfolgender Herzlähmung ihre Er-
klärung findet.16) Der Sectionsbefund liefert daher auch nicht selten Erschei-
nungen, wie sie bei schnellen Erstickungen vorkommen; es bleibt sich fast
gleich, auf welche Weise das Gift vom Organismus aufgenommen worden ist; nur
zeigen die Respirationswege bei der Inhalation der Dämpfe die Zeichen einer
grössern Reizung, wie sich auch symptomatisch ein sehr heftiger, krampfhafter
Husten vorzugsweise bemerkbar macht.
Beim Nachweise der Blausäure in der Leiche ist wohl zu beachten, dass
sich auch durch den Fäulniss- und Verwesungsprocess Cy anverbindungen bilden
können. Bei Prüfung des Destillats müssen daher alle starken Oxydationsmittel ver-
mieden werden.***)
Die beste Methode, aus dem Destillate Blausäure nachzuweisen, beruht auf der
Bildung von Schwefelcyanamm un iu m beim Zusatz von Schwefelammonium, da jenes
mit einem Eisenoxydsalze eine dunkelrothe Färbung (Rhoda neisen) gibt.
Nach Schönbein1*) besitzen die Blutkügelchen die Kraft, Wasserstoffsuperoxyd
in Wasser und gewöhnlichem Sauerstoff zu zerlegen; diese Eigenschaft verliere sich,
wenn Blut mit Blausäure in Verbindung trete; ein Zusatz von Wasserstoffsuperoxyd
bräune alsdann das Blut und bringe die Absorptionsstreifen zum Versehwinden. Letztere
Erscheinung tritt aber auch ein, wenn Wasserstoffsuperoxyd oder Ozon dem normalen
Blute zugesetzt werden (s. S. 130).
Guajakpapier, mit höchst verdünnter Kupfervitriollösung angefeuchtet, soll
nach Schönbein durch blausäurehaltige Dämpfe gebläut werden. Dasselbe ist aber
auch bei Ammoniak, bei den Dämpfen der Salpetersäure, der unterchlorigen Säure, des
Jods, Broms, Ozons, bei Lösungen von verdünnter Schwefelsäure, Kaliumchromat,
Kaliumchlorat und Kaliumhypermanganat der Fall.18)
Blausäure in der Industrie.
Es kommen in der Industrie nicht selten Fälle vor, in denen sich Blausäure
entwickelt. Bei der Fabrication von Berlinerblau zeigen sich häufig blausäurehal-
tige Dämpfe (s. Berlinerblau); beim Blaufärben der wollenen Tuche wird vor-
zugsweise eine mit Schwefelsäure und etwas Alaun versetzte Auflösung von
Blutlau gen salz gebraucht, durch welche die Zeuge gezogen werden, um sie
nachher der atmosphärischen Luft oder der Einwirkung von Dämpfen auszusetzen.
*) Durch Wärme resp. Kochen kann die Blausäure noch als solche aus dem
Blute getrieben werden.
**) Mit Blausäure behandeltes Blut faull auch nicht und lässt sich in gut ver-
schlossenen Gefässen jahrelang unzersetzt aufbewahren.
***) Es ist bekannt, dass beim Nachweise von Arsen in Folge der Verkohlung der
Leber mit Salpetersäure, der Uebersättigüng mit Kali, des Trocknens und nachherigen
Verpuffens im Rückstande stets Cyankalium enthalten ist.
Blausäure in der Industrie. 383
Durch letzteres Verfahren stellt man das Bleu de France dar und man bedient
sich dazu jetzt allgemein eines Dampfkastens, in welchen man einen lang-
samen Dampf strahl einführt. Es bildet sich Ferroc van Wasserstoff säure,
welche durch den Wasserdampf zerlegt wird; auf der Faser bleibt Eisencyanür-
cyanid (Berlinerblau) zurück, während Cyanwasserstoffsäure frei wird und
durch den abgehenden Wasserdampf verdünnt in die Atmosphäre gelangt. Nimmt
man an, dass bei einem Tuche von 60 Ellen nur einige Loth Blutlaugeusalz in
wirkliche Zersetzung kommen, bedenkt man ferner, dass diese Dampfkasten un-
gefähr 6 Fuss im Geviert und 3 Fuss in der Höhe haben und dieses Dämpfen
eines Stückes Tuch 2 — 3 Stunden erfordert, so können freilich nur höchst
geringe Mengen von Cyanwasserstoffsäure in einem Zeiträume von mehreren
Stunden frei werden und noch dazu werden jene durch eine grosse Menge Wasser-
dämpfe verdünnt. Obgleich somit eine grosse Gefahr für die Arbeiter aus dieser
Procedur nicht entstehen kann, so ist es doch immer geboten, für eine Ableitung
der Dämpfe zu sorgen.
Sehr wichtig ist in sanitärer Beziehuug noch folgendes Verfahren: In der
Kattundruckerei werden zuweilen zum Blau- und Grünfärben Beizen
angewendet, bei deren Bereitung man Blutlaugensalz, Zinnsalz undKalium-
bichromat unter Zusatz von Salz- und Schwefelsäure zusammenbringt.
Während der Darstellung entwickeln sich erhebliche Mengen von Blausäure,
so dass die dabei beschäftig! en Arbeiter in Folge der Einwirkung dieser Säure
nicht selten wie todt hinstürzen. Leider vernachlässigt man in den meisten
Fabriken alle Vorsichtsmassregeln; es ist daher durchaus nothwendig, dass die
Gefässe, in welchen die Beize angefertigt wird, verschlossen bleiben und mit einem
Abzugscaual, welcher in den Rauchfang führt, versehen werden. Der Rührer,
welcher zum Mischen der Bestandtheile der Beize dient, muss durch den ge-
schlossenen Deckel geführt werden.
Neuerdings kommt im Handverkauf eine Flüssigkeit vor, welche Argentine
genannt und zur Versilberung kupferner Gefässe benutzt wird; sie ist eine Lösung
von Cyanquecksilber in Cyankalium mit einem Zusatz von feingepulverter
Kreide. Beim Verreiben dieser Flüssigkeit an der Luft bilden sich leicht Blau-
säuredämpfe, welche in einem von Martins beobachteten Falle Uebelkeit,
Kopfschmerzen, Dyspnoe und krampfhafte Hustenanfälle erzeugten. Im betreffen-
den Falle war kaum ein Kaffeelöffel Argentine verbraucht worden.19)
Cyankalium, Kaliumcyanid KCN = KCy wird rein dargestellt, indem man den
Dampf der Blausäure in eine alkoholische Kalilösung leitet.
Das Cyankalium des Handels ist stets durch kohlensaures und cyansaures Kalium
verunreinigt.
Bei der Darstellung im Grossen benutzt man ein Gemenge von Blutlaugen-
salz und Kaliumcarbonat in äquivalenten Mengen. Das Schmelzen geschieht in
gusseisernen Tiegeln und zwar so lange, bis die ganze Masse fliesst und sich ein
eingetauchter Glasstab mit einer klaren Flüssigkeit überzieht, die beim Erkalten
zu einer weissen Masse erstarrt. Man giesst dann die noch flüssige Masse von
dem Bodensätze, der aus sehr fein vertheiltem metallischem Eisen besteht, in
ein eisernes Geschirr ab, lässt sie erkalten und zerschlägt die erstarrte Masse
sofort in kleine Stücke.
Hierbei ist grosse Vorsicht nothwendig, um jede Verstäubung zu vermeiden.
Da noch ein Theil der geschmolzenen Masse im Tiegel hängen bleibt, so laugt
384 Methylverbindungen.
man denselben mit kaltem Wasser aus, filtrirt rasch und benutzt die Solution zur
Darstellung der in der Galvanotechnik gebräuchlichen Cyandoppelsalze.
Bei allen dieseu Manipulationen ist die grösste Aufmerksamkeit erforderlich;
wird Cyankalium mit Wasser behandelt, so bildet sich stets Blausäure, worauf
die betreffenden Laboranten sehr zu achten haben. Auch an der Luft zerfliesst
das Cyankalium unter Entwicklung von Blausäure und kohlensaurem Ammonium;
schon aus diesem Grunde ist dessen sorgfältigste Aufbewahrung geboten.
Uebrigens können Arbeitet- jahrelang bei der fabrikmässigen Darstellung
von Cyankalium beschäftigt sein, ohne ihre Gesundheit zu schädigen, wenn sie
aufmerksam und reinlich sind, namentlich aber sich vor Essen und Trinken im
Fabrikraum hüten und sich vor jeder Mahlzeit wenigstens die Hände waschen.20)
Das Cyankalium krystallisirt in Würfeln und ist in absolutem Alkohol fast un-
löslich, in Wasser aber sehr leicht löslich. Seine Lösung zersetzt sich schnell unter
Bildung von ameisensaurem Kalium und Ammoniak:
CNK + 2H,0 = CHK02 -f- NH3.
Eine braune amorphe Masse bleibt hierbei zurück.
Das Cyankalium entwickelt an der Luft stets einen Geruch nach Blausäure, weil
schon die atmosphärische Kohlensäure einen Theil derselben frei macht; bei Abhaltung
der Luft ist es unveränderlich und kann hierbei sogar verflüchtigt werden; sobald aber
die Luft hinzutritt, verwandelt es sich in der Hitze in cyansaures Kalium:
CNK + 0 = CNOK.
D;is käufliche Cyankalium enthält aus diesem Grunde immer cyansaures Kalium.
Mit salpetersauren oder chlorsauren Alkalien erhitzt, erzeugt es furchtbare
Explosionen.
Die Wirkung von Cyankalium auf den thierisehen Organismus ist gleich der
der Blausäure, was nicht auffallend erscheint, wenn man das Verhalten desselben
in einem Medium, welches Kohlensäure und Wasser enthält, in Betracht zieht.
Die Verbindungen der Alkalien und alkalischen Erden mit Cyan sind nämlich sehr
geneigt, in wässriger Lösung Blausäure zu entwickeln; diese Entwicklung beruht
auf einer Wasserzersetzung, bei Gegenwart von Kohlensäure bildet sich nämlich
Kaliumcarbonat, während das frei werdende Cyan mit dem Wasserstoff des
Wassers zu Blausäure zusammentritt. Da letztere wegen ihrer schwach sauren
Eigenschaft das Kaliumcarbonat nicht zu zersetzen vermag, so wird sie von der
Flüssigkeit exhalirt; daher entwickelt Cyankalium schon durch den Einfluss der
feuchten atmosphärischen Luft Blausäure.
Wird das Cyankalium per os aufgenommen, so beschleunigt die im Magen
enthaltene Säure das Zerfallen des Cyankaliums und die Entwicklung von Blau-
säure veranlasst dann die Vergiftung.
Verwendung findet Cyankalium namentlich in der Galvanoplastik wegen seiner
Eigenschaft, mit den löslichen Motallsalzen unlösliche Cyanverbindungen einzugehen
und dann mit diesen lösliche Doppelsalze, Doppelcyanide, zu bilden.
Die galvanischen Bäder bereitet man durch" Vermischung einer Metallsalz-
lösung mit einer Cyankaliumlösung (1:10). Nach dem zu erreichenden Zwecke
besteh! die _ Metallsalzlösung aus Silbersulfat, Goldchlorid oder Platinchlorid. Man fährt
mit der Mischung so lange fort, bis der entstandene Niederschlag von Cyanmetall voll-
ständig verschwunden und die Flüssigkeit durchsichtig geworden ist. Platten von dem
zu lallenden Metall taucht man in diese Flüssigkeit und bringt sie mit dem positiven
Pol der galvanischen Batterie in Verbindung. Sobald sich aus dem Bade Metall nie-
derschlägt, wird von der Platte desselben Metalls am positiven Pole ebenso viel auf-
gelöst: dadurch behält das Bad eine constante Stärke, wenn die Oberfläche der zu über-
ziehenden Stücke im ^Verhältnis* zu der der eingetauchten Platten steht (s. Cyansilber).
Bei der galvanischen Vergoldung und Versilberung treten nicht unbedeutende
Mengen von Cyan auf (s. Cyansilber), und es ist zu verwundern, dass bei dieser
Industrie nicht mehr Unglücksfälle vorkommen, denn in den Werkstätten geschieht fast
gar nichts für die Ableitung der schädlichen Gase. Glücklicherweise sind diese so
Cyanammonium. 385
stark mit atmosphärischer Luft verdünnt, dass es nicht zur Ausbildung der charak-
teristischen Symptome kommt; die Beschwerden beschränken sich meist auf ein Gefühl
von Schläfrigkeit und Abspannung. Nichtsdestoweniger sollte man doch auf eine
sorgfältigere Ventilation Bedacht nehmen, da auch geringe Nachtheile bei einer bestän-
digen Wiederkehr schliesslich schaden müssen : unbedingt ist daher ein Gasfang oder
Abzugscanal in solchen Werkstätten erforderlich.
In den photographischen Anstalten wird auf eine sehr leichtfertige Weise
mit Cyankalium manipulirt, die Flaschen mit den Auflösungen von Cyankalium stehen
fast niemals unter Verschluss , die meisten Unglücksfälle resp. Vergiftungen durch Cyan-
kalium kommen daher auch in den Familien der Photographen vor. Polizeiliche
Revisionen der photographischen Anstalten sind ebenso nothwendig wie die Visitationen
der Apotheken und Material-Handlungen; namentlich beim Betriebe mit Cyankalium in den
Material-Handlungen wird gewöhnlich zu sehr gegen alle gesetzliche Bestimmungen hin-
sichtlich des Giftverkaufs gefehlt; auch hier begegnet man in Betreff der Aufbewahrung
und Verabreichung von Cyankalium nicht selten der grössten Unvorsichtigkeit.
Photographen, welche mit einer Lösung von Cyansilber in Cyankalium viel-
fach in Berührung kommen, erleiden hartnäckige und schmerzhafte Ulcerationen an den
Händen, namentlich an den Ecken der Nägel. Gegen dieses Leiden wird ein Verband
von mit Leinöl verriebenem schwefelsaurem Eisenoxydul gerühmt; es bildet sich hierbei
Ferrocyankalium neben einer Ausscheidung von metallischem Silber.21)
Wegen seiner grossen Neigung, Sauerstoff aufzunehmen, wird Cyankalium auch
als Reductionsmittel benutzt.
In Seidenfärbereien wird Cyankalium zum Lustriren der schwarzen Seide
gebraucht, indem man dem Seifenbade, mit welchem die fertig gefärbte Seide behandelt
wird, Cyankalium zusetzt. Dies Verfahren ist besonders in der Schweiz gebräuchlich
und erfordert grosse Vorsicht, da sich hierbei natürlich blausäurehaltige Dämpfe ent-
wickeln müssen ; wenn diese auch mehr oder weniger verdünnt sind, so werden sie doch
auf die Dauer nachtheilig auf die Arbeiter einwirken. Will man das Verfahren bei-
behalten, so sorge man wenigstens für Bottiche, die mit einem Deckel geschlossen und
mit einem nach dem Schornstein führenden Abzugsrohre versehen sind.
Cyanammonium CN(NH4) wird durch Erhitzen von 1 Th. Cyankalium mit 3 Th.
Salmiak dargestellt; das Cvanammonium destillirt hierbei über. Es bildet sich im Hoh-
ofenprocesse und bei der Bereitung des Blutlaugensalzes; es krystallisirt in farblosen
Würfeln, riecht stark nach Blausäure und Ammoniak und sublimirt bei 26°; sein Dampf
ist leicht entzündlich und verbrennt unter Abscheidung von kohlensaurem Am-
monium. Bei der Auflösung in Wasser bildet sich in analoger Weise wie beim Cyan-
kalium einerseits Blausäure und andererseits Ammonium carbon. Für die Giftig-
keit von Cyanammonium sprechen folgende Versuche :
Einwirkung von Cyanammonium auf den thierischen Organismus, l) Eine Taube
sitzt in der Glasglocke; nachdem eine kaum bemerkbare Spur des Dampfes von Cyan-
ammonium in die Glocke gedrungen war, wurde die Taube sehr unruhig, athmete schnell
und blinzelte mit den Augen. Nach 1 M. Hin- und Herschwanken und dann Heraus-
nahme des Thieres; es stürzt sofort hin, erhebt sich aber wieder mit sehr beschleunig-
tem Herzschlage; nach 3 M. Gehversuche und starker Husten. Der Herzschlag ist erst
nach 30 M. wieder normal.
2) Eine Taube sitzt in der Glasglocke. Ein schwacher Dampf von erwärmtem
Cyanammonium erzeugt nach 1 M. Blinzeln mit den Augen, Schütteln, Ausstrecken des
Halses, nach \% M. allgemeine Convulsionen und Aufhören der Respiration; ein paar
Herzschläge sind noch 2 M. nach der Herausnahme bemerkbar.
Section 4 Stunden hernach. Die Hinterhauptsknochen sind blutig durchtränkt,
die Hirnhäute massig injicirt, Plex. ven. spin. mit flüssigem Blute angefüllt. Beide
Lungen zinnoberroth, stellenweise schwärzlichbraun, unter dem linken untern Lungen-
lappen ein 5 Mm. breiter schwarzer Fleck (Ekchymose), auf den Durchschnitts-
flächen überall flüssiges Blut und beim Zusammendrücken ein zinnoberrother
Schaum; Tracheaischleimhaut schwach injicirt, an der Bifurcation eine ganz dünne,
blutig-wässrige Ausscheidung. In allenHöhlen desHerzens dickflüssiges
und geronnenes Blut; dasselbe ist dunkelroth, in dünnern Schichten etwas heller.
Leber, Nieren und alle grössern Venen sind blutreich. In Lunge und Leber konnte
Blausäure nachgewiesen werden.
Da Cyanammonium -wie Cyankalium bei Berührung mit Wasser sogleich
zu einer Blausäureentwicklung Veranlassung gibt, so ist die "Wirkung beim Ein-
tritt desselben in's Blut notwendigerweise eine ähnliche. Cyanammonium wirkt
Eulenberg, Gewerbe-Hygiene. 25
38(3 M> thvlverbindungen.
deshalb mittelbar grade wie Blausäure. Der Sectionsbefund lieferte ein sehr
charakteristisches Bild für den Tod durch Blausäure, uameutlich bezüglich der
LuDgen uud des Herzeus.
Cyansilber i'N Lg. Wird ein Lösliches Silbersalz mit einem Cyanalkalimetall zu-
sammengebracht, so scheidet sich ein weisser, käsiger Niederschlag als Cyansilber
dasselbe ist unlöslich in Wasser and Säuren, dagegen leichter löslich in Aetz-
ammoniak und sehr leichl löslich in Cyanalkalimetallen.5™)
Von bedeutender Wichtigkeit ist die leicht lösliche Doppelverbindung von Cyan-
silber-Cyankalium (CNAg,CNK), welche in der Galvanoplastik zum Versilbern von
kupfernen' und Neusilber- Geräthen benutzt wird Durch den galvanischen Strom zer-
setzt sich das Cyansilber in metallisches Silber und Cyan: da aber durch den
galvanischen Strom auch stets da- Lösungsmittel, also Wasser, zerlegt wird und dem-
nach Wasserstoff auftritt, so verbindet sieh das frei gewordene Cvan mit dem nasciren-
den Wasserstoff zu Cvan wasserstoffsäure.
Cm das Cvan nicht zu verlieren, wird an demjenigen Pole, wo sich das Cvan
bildet, eine Platte von metallischem Silber eingeschoben: es wird dann für jedes
Atom Silber, welches ausgeschieden wird, ein Aequivalent Cyan frei. Dies freie Cvan
verbindet sich wieder mit einem Atom Silber, so dass bei dieser Einrichtung der
Silberbäder eine stetige Ausscheidung des Silbers stattfindet, ohne dass das Bad silber-
ärmer wird.
Es geht f. rner hieraus hervor, dass eine geringe Menge Cyansilber hinreicht,
um eine gros-e Menge von Silber zum Niederschlagen resp. in Lösung zu bringen;
der einzige Verlust an Cvan, der hier eintritt, besteht in der Entwicklung von Blau-
säure: man muss daher dem Bade in gewissen Zwischenrä Minen wiederum Cyan-
kaliuni zusetzen.
Dieser Umstand isl in sanitärer Beziehung wichtig und erfordert die not-
wendigen Vorsichtsmassregeln, um Gesundheitsbeschädigungen zu verhüten. Zu diesem
Zwecke sind die Zersetzungströge mit Deckeln zu versehen, welche durch Röhren mit
einem gut ziehenden Rauehfange in Verbindung stehen: sie dürfen aber auch deshalb
nicht offen gelassen werden, weil ausser der Entweichung der Blausäure noch ein Ver-
spritzen der silberhaltigen Lösung während des Auflösens des eingebrachten metallischen
Silbers stattfindet. Die Gegenwart der feinen Xebelbläschen, welche durch die ver-
spritzte Cyansüberlösung entstehen, entdeckt man sofort durch einen metallischen Ge-
schmack, den man in den Arbeitsräumen wahrnimmt.
Es ist in technischer Beziehung noch zu bemerken, dass bei der galvanischen
oerung die Gegenstände mittels Fäden oder Drähte, welche leitend sind, in der
Versilbert keit aufgehängt werden.
t'yau'pieeksilber. Quecksilbercyanid (CXL.Hg. Cyanquecksilber krystallisirt in
quadratischen Säulen und Pyramiden,' ist luftbeständis . löslich in 11 Th. kaltem und
2% Th. kochendem Wasser, in 5 Th. siedendem und '20 Th. kaltem Alkohol. Es schmeckt
ekelhaft metallisch und zerfällt beim Erhitzen in Quecksilber und Cyan: letzteres ent-
weicht theils und bleibt theils als Paracvan zurück. Weder ätzende Alkalien noch
Sauerstoffsäuren zerlegen es. wohl aber Wasserstoffsäuren; es bildet mit Cyanalkalien
nicht lösliche Doppelsalze. Auf den thierischen Organismus wirkt es wie freie
Blausäure ein.-3) Dargestellt wird es durch Auflösen von Quecksilberoxyd in wässriger
Blausäure und findet in der Galvanoplastik Verwendung.
Knpfercyanür Cu2Cy.. Es geht mit Cyanmetallen Doppelsalze ein und entsteht
durch Uebergiessen von Kupfercyanid mit Salzsäure.
Kupferryaiihl CuCy._. Ein grüngelbes, gernch- und geschmackloses Pulver, welches
in Wasser löslich ist und mit Cyankalium ein Doppelsalz bildet: es entsteht durch
Fällung eines Kupferoxydsalzes mit Cyankalium. Beide Verbindungen werden in der
Galvanoplastik benutzt.
Ferrocyankalhmi. gelbes Blutlaugensalz. Kalium ferroeyanatum flavum, Kalium-
eiseneyanür, K4Fe(CN)6 oder K4Cfy, hat eine grosse technische Bedeutung und wird
ausserdem für die Darstellung aller "Cyanverbindungen benutzt. Es stellt schöne gelbe
Krystalle von quadratischen Prismen dar. die 3 Molec. Krvstallwasser enthalten: ver-
flüchtigt sich letzteres bei 100°, so wird das Salz weiss, an der Luft aber mit der Auf-
nahme dieses Krvstallwassers wieder gelb.
V\ enn man eine Eisensulfatlösung oder irgend ein anderes Eisenoxydsalz mit
Cyankalium kocht, so entsteht die Verbindung von Eis ency an ür und Cyankali um:
Fe(GN)6-r--tKCX: die vierwerthige Gruppe: Fe CN)6 = Cfy heisst Ferro cyan.
Bei der Blutlaugen fabrication schmüzt man thierische Abfälle mit Eisen-
Blutlaugensalz-Industrie. 387
abfallen und roher Pottasche; da letztere stets Kaliumsulfat enthält, so wird dieses
reducirt und es bildet sich Schwefeleisen, während aus den thierischen Abfällen
Cyankalium entsteht. Beim Auslaugen der Schmelze verwandeln sich beide Körper
in Blutlaugensalz und Schwefelkalium:
FeS + 6KCN = K4Fe(CN)6 + K2S.
Das Blutlaugensalz besitzt keine giftigen Eigenschaften und kann ohne Nachtheil
genossen werden. Durch verdünnte Säuren entsteht aus dem Blutlaugensalz durch
Substitution von K durch H die Ferro Cyanwasserstoff säure H4Fe(CN)6, welche
sich an der Luft durch Bildung von Berlinerblau bläut.
Blutlaugensalz-Industrie.
Das gelbe Blutlaugensalz spielt in der Industrie eine grosse Rolle; bei der
Darstellung im Grossen glüht man thierische Substanzen, wie Hörn, Blut, Woll-
staub, Lederabschnitte u. s. w., überhaupt stickstoffhaltige Kohle, mit Pottasche
und einer grössern oder geringern Menge Eisen in eisernen Gefässen, welche
eine birnförmige Gestalt und vorn eine Mündung zur Beschickung haben. Diese
Birnen oder Muffeln werden aber sehr leicht durchlöchert, man zieht daher viel-
fach Flammenöfen vor, deren Sohle von einem gusseisernen schalartigen Kessel
gebildet wird. Man benutzt eine Schachtfeuerung; die Flamme geht über eine
Feuerbrücke bis zum Schmelzraum, der vor einem etwas tiefer liegenden und
zum Schornstein führenden Fuchs liegt, alle Verbrennungsproducte gelangen
somit direct in den Schornstein.*)
Die geglühte Masse erscheint schwarz und heisst Schmelze; man zieht sie
mit heissem Wasser aus, um die Roh- oder Blutlauge darzustellen.
Bei der Lösung der Schmelze entsteht ein löslicher und ein unlöslicher
Theil; die Lösung enthält neben Ferrocyankalium noch Kaliumsulfat,
Kaliumcarbonat, Schwefelkalium und Chlorkalium. Da die Schmelze
auch bisweilen noch freies Cyankalium enthalten kann, so hat man wenigstens
darauf zu achten, dass bei der Lösung auch Blausäure auftreten kann; wenn
auch die Menge derselben nicht bedeutend ist, so ist doch jedenfalls in dem Auf-
lösungsraume eine gehörige Ventilation erforderlich.
Nachdem das Blutlaugensalz herauskrystallisirt ist, kann die Mutterlauge so viel
Schwefelkalium enthalten, dass sich seine Bearbeitung auf unterschwefl igsaure
Salze lohnt (s. S. 158); beim Lagern an der Luft gibt es zur Entwicklung von BuS
Veranlassung. Herrscht das Chlorkalium vor, so wird dasselbe durch Abdampfen
gewonnen und bei der Glas- und Alaunfabrication verwendet.
*) Die hier auftretenden Gase und Dämpfe bestehen aus brenzlichen Producten:
Picolin, Leucolin u. s. w., nebst Kohlensäure, Kohlenoxyd, Cyan, Cyansäure, Cyan-
ammonium und vielen Wasserdämpfen. Da alle diese Producte direct in den Schorn-
stein gehen, so üben sie auf die Arbeiter keinen schädlichen Einfluss aus, verschaffen
aber den Adjacenten grosse Belästigung; Fabriken dieser Art dürfen daher nie in der
Nähe bewohnter Häuser oder in Vorstädten angelegt werden, da man bisher noc h keine
Anordnungen getroffen hat, diesen Qualm zuvor durch eine Feuerung zu leiten.
Um die Einwirkung dieser Dämpfe auf den thierischen Organismus zu prüfen,
wurde beim ersten Versuche getrocknetes Fleisch mit Kali carb. in einer Gesammt-
menge von 12 Grm. in der Glühhitze zusammengeschmolzen. Bei einem Kaninchen
traten hiernach nur starkes Blinzeln mit den Augen, Reiben des Mauls und ein Husten
ein, welcher sich ein paar Tage lang mit Schleimrasseln in den Bronchien verband; am
4. Tage war es wieder hergestellt.
Bei einem zweiten Versuche wurde Wolle, Fleisch, Hörn mit Kali carbon. in
einer Gesammtmenge von 24 Grm. geglüht; auch hier blieb es bei den oben erwähnten
Erscheinungen.
Beim dritten Versuche wurde getrocknetes Blut mit Kali carbon. geglüht; die
sich entwickelnden Dämpfe tödteten eine Taube nach 15 M. unter grösster Dyspnoe und
schwacher Narkose. Wahrscheinlich hatten hier Kohlenoxyd, Kohlensäure, Cyan-
ammonium, mit vieler Luft verdünnt, eingewirkt.
25*
388 Methylverbindungen.
Der unlösliche Theil, die Schwärze, besteht aus stickstoffhaltiger Kohle,
welche mit fein vertheiltem Schwefeleisen und löslichen und unlöslichen Cyanver-
bindungen imprägnirt ist; auch enthält sie Erdphosphate und Silicate. Lagert
sie an der Luft, so entwickelt sie neben Cyanwasserstoff noch Ammoniak; am
zweckmässigsten ist es deshalb, die Schwärze mit Erde und Dungstoffen zu versetzen,
da sie als Dünger sehr gut verwerthet werden kann.
Verwendung findet das Blutlaugensalz bei der Fabrication von weissem Schiess-
pulver und bei der Stahlbereitung als Zusatz zum Eisen; seine eigentliche Stellung
behauptet es aber in der Färberei zum Blaufärben der Wolle und Baumwolle
(s. Blausäure).
Nitroprnssid-Kalinm entsteht durch Einwirkung von Salpetersäure aufFerro-
cyanverbindungen in der Siedhitze:
K4Fe(CN)64-3HN03 = K2Fe(CN)5(NO) + 2KN03 + C03 + NH3.
Da dieser Körper auch in der Technik zur Bereitung von Fressbeizen Ein-
gang gefunden hat, also auch im Grossen dargestellt wird, so ist es nothwendig, auf
die hier auftretenden Gase aufmerksam zu machen, welche aus Kohlensäure,
Ammoniak, salpetriger Säure, Stickoxyd und wahrscheinlich auch aus
Kohlenoxyd und Blausäure bestehen; sie müssen daher stets in die Feuerung oder
in den Schornstein abgeleitet werden.
Die wichtigste Verbindung ist das Nitroprussidnatrium Na->FeCy5(NO), welches
rubinrothe, rhombische Krystalle liefert und in chemischer Beziehung als das empfind-
lichste Reagens auf Schwefel in seinen löslichen Verbindungen bekannt ist.
Ferrocj'anknpfer CuFe(CN)6 entsteht, wenn man ein unlösliches Kupfersalz mit
Ferrocyankalium versetzt, als ein braunrother, unlöslicher Niederschlag, der sich an der
Luft nicht zersetzt, nicht giftig wirkt und in den Färbereien und Druckereien auftritt,
wenn Stoffe mit Kupferbeizen bedruckt und dann durch ein Bad von gelbem Blutlaugen-
salz gezogen werden
Eng an die Blutlaugen-Industrie schliesst sich die Darstellung von Ferri-
cyankalium und Berlinerblau an.
Ferricyankalium , Kaliumeisencyanid, Gmelin's Salz, rotheg Blutlaugensalz,
KeFe^Cy^, ist eine dem Eisenoxyd entsprechende Cyanverbindung, welche durch Ein-
leiten von Chlorgas in die wässrige Lösung von gelbem Blutlaugensalz entsteht. Man
leitet das Gas so lange in die Auflösung, bis Eisenoxydsalze von derselben nicht mehr
blau gefällt werden:
2K4FeCy64-Cl = K6Fe2Cy12 + 2KCl.
Während des Abdampfens krystallisirt das Salz aus und Chlorkalium bleibt ge-
löst; da sich hierbei Salzsäure bildet, so kann sich während der Einwirkung auch
Blausäure entwickeln.
Wird die Flüssigkeit zu stark mit Chlor gesättigt, so ist die Entstehung von
Chlor cyan unvermeidlich: die Procedur muss daher jedenfalls in geschlossenen
Bottichen vorgenommen werden, aus denen Abzugsröhren das sich etws, bildende Chlor
cyan in eine Eisenvitriollösung führen (s. Chlorcyan).
Die Arbeiter schützen sich vor der Einwirkung dieser gefährlichen Dämpfe am
besten durch mit Alkohol getränkte Schwämme, welch' vor Mund und Nase gebunden
werden. Alkohol zersetzt sich nämlich mit Chlorcyan zu Urethan und Chloräthyl:
2C2H60 -f- CNC1 = C2H6C1 + C3HrN02.
Um die Bildung von Blausäure und Chlorcyan bei dieser Fabrication überhaupt
zu verhüten, ist es zweckmässig, nach der Zuleitung von Chlorgas Kaliumcarbonat
bis zur Neutralisation zuzusetzen und schliesslich die neutralisirte Lösung zur Krystal-
lisation zu bringen.
Ferricyankalium krystallisirt in hellrothen, säulenförmigen, wasserfreien
Krystallen, die leicht löslich in Wasser, unlöslich in Alkohol sind.
1° der Technik findet das Salz, wie das gelbe Blutlaugensalz, vorzugsweise zum
Blaufärben wollener Stoffe Verwendung; das Verfahren dabei stimmt mit dem oben
angeführten überein. Durch Zusatz von Schwefelsäure zum Ferricyankalium ent-
steht Ferricyanwasserstoffsäure HcF^Cy^, die sich an der Luft wie Ferrocyan-
wasserstoffsäure durch Bildung von Berlinerblau bläut.
In der Kattundruckerei dient das rothe Blutlaugensalz mit Natron- oder
Kablauge gemischt als sogenannte Fressbeize. Setzt man zur Lösung des rothen
balzes eine Eisenoxyduloxydlösung, so entsteht ein lichtblauer Niederschlag, sogenanntes
lurnbulls Blau, das dem Berlinerblau bloss dem äussern Ansehen nach ähnlich ist,
aber anders zusammengesetzt ist:
K6F2CyI2-f-3FeS04 = Fe3Fe2Cyi2 + 3K2S04.
Berlinerblaü. 3#9
Seine Darstellung ist theurer als die des Berlinerblaus und daher weniger ge-
bräuchlich.
Ferrocyaneisen, Ferrieisencyanür, Eisencyanürcyanid, Berlinerblaü, Pariserblau
(Fe3)2 [Fe|CN6)]3, entsteht, wenn man eine Lösung von gelbem Blutlaugensalz mit einer
Lösung von Eisenchlorid oder einem Eisenoxydsalz versetzt:
3K4FeCy6 + 2Fe2Cl6 = (Fe2)2 [Fe(CN)6]3 + 12 KCl.
In der Technik heisst dieses Blau neutrales Berlinerblau, Pariser- oder
Hamburgerblau. Das basische Berlinerblau erhält man bei der Anwendung
einer Eisenoxydulsalzlösung: da es einen weissen Niederschlag von Eisencyanür
enthält, so wird es erst an der Luft durch erhöhte Temperatur (Dampffarbe) oder
durch Zusatz von Oxydationsmitteln blau. Es löst sich bei Gegenwart von Blut-
laugensalz.
Das Berlinerblau des Handels ist jedoch stets ein Gemisch von neutralem
und basischem Berlinerblaü; hellere oder dunklere Töne entstehen durch Zusatz weisser
Körper, namentlich von Thonerde, Kreide u. s. w- Ein solches Berlinerblau mit
lichtem Blau wird oft Mineralblau genannt; es kommt häufig als Teig (en päte) im
Handel vor.
Pariserblau, d.h. reines Berlinerblaü, zeigt auf dem Bruche mehr oder weniger
einen Kupferglanz, ist unlöslich in Wasser und Alkohol; alkalische Lösungen, con-
centrirte Säuren und Erhitzen zersetzen es.
Das gewöhnliche Berlinerblau wird in der Regel aus dem Rohsalz der Blut-
laugensalzfabrication dargestellt, wobei man eine mit Alaun versetzte Eisenvitriol-
lÖsung als Präcipitationsmittel benutzt.
Die Schwefelsäure des Alauns dient zur Neutralisation des dem Rohsalze beige-
mengten Kaliumcarbonats. Die über dem Niederschlag stehende und Kaliumsulfat ent-
haltende Flüssigkeit wird daher entfernt; der Niederschlag enthält auch die Thonerde
des Alauns. Die weitere Oxydation erfolgt dann um so rascher an der Luft, je reicher
das Eisenvitriol an Oxydsalz ist. Nimmt man bloss Blutlaugensalz und Eisen-
vitriol, so wird der gesammte Niederschlag unter Zusatz von Salpetersäure gekocht;
man entleert dann das Ganze in einen Bottich und setzt englische Schwefel-
säure zu.
Es ist sehr zu beachten, dass bei diesem Verfahren neben salpetriger Säure
und Stickoxyd zuweilen auch Blausäure entsteht, wenn der Zusatz der Salpetersäure
ein geringer gewesen ist; man sollte daher die ganze Operation nur in geschlossenen
Bottichen vornehmen, welche mit einem Ableitungsrohre nach dem Schornstein ver-
sehen sind.
Die Gefässe sind ferner durch Röhren zu verbinden, um das freie Ausschütten zu
vermeiden; das ganze Verfahren verdient in sanitärer Beziehung alle Beachtung.
Der gewonnene Niederschlag wird gewaschen, auf ein Zeugfilter geworfen, lang-
sam getrocknet, geformt, in viereckige Stücke geschnitten und dann ausgetrocknet, wenn
man nicht die Teigform wählt.
Technische Verwendung findet das Berlinerblau als Wasser- und Oelfarbe; beim
Tapetendruck dient es als Druckfarbe, während es beim Zeugdruck und beim Färben
der Wolle durch Zersetzung von Blutlaugensalz mit Eisenoxydulsalzen gebildet wird.
Beim Färben wird deshalb die Wolle zuerst mit einer Eisenoxydullösung getränkt und
dann durch eine mit Schwefelsäure angesäuerte Ferrocyankaliumlösung gezogen, wobei
wegen des massigen Säurezusatzes nur eine höchst geringe Blausäureentwicklung
stattfindet; ausserdem kommt hier die grosse Verdünnung durch Wasser noch- in Betracht.
Die Löslichkeit des Berlinerblaus in Oxalsäure, welche bisher nur bei der
Darstellung der blauen Dinte benutzt worden, hat man auch in der Färberei verwerthet,
da hierbei das Berlinerblau nur in aufgelöster Form einwirken kann. Man stellt daher
neuerdings ein dem Sächsischblau nahestehendes Blau dadurch her, dass man die Wolle
in einer Lösung von Ferricyankalium, Zinnchlorid, Weinsäure und Oxalsäure erhitzt;
durch letztere wird dann die Auflösung des Berlinerblaus bewirkt, das aus der Zer-
setzung der gebildeten Ferricyanwasserstof fsäure entstanden ist, während der
Zusatz von Weinsäure die Farbe noch lebhafter macht. Man hat hierbei sehr auf die
abfallenden Wässer zu achten; sie dürfen nie in Schlinggruben abgelassen werden.24)
Substitution des H der Cyanwasserstoffsäure durch Halogene.
Chlorcyan, Einfach-Chlorcyan CNC1, eine farblose, bei +15° siedende Flüssig-
keit, die sich bei der Einwirkung von Chlor auf Cyanquecksilber in der Kälte bildet.
Eine Modifikation dieser Verbindung, das Dreifach-Chlorcyan C3N3C13, wird in
Krystallen erhalten, wenn man Chlor in das Einfach-Chlorcyan leitet. Ein gas-
förmiges Chlorcyan entsteht bei der Einleitung von Chlor in wässrige Blausäure;
es verdichtet sieh aber schon bei — lü° zu einer Flüssigkeit.
390 Methylverbindungen.
Chlorcyan besitzt sehr giftige Eigenschaften und erzeugt bei Thieren sofort
Taumel, Convulsionen und Stillstand der Respiration, Wirkungen, die fast gleich denen
der Blausäure sind.25)
In der Technik kann Chlorcyan bei der Fabrication von Ferricyankalium auf-
treten (s. Ferricyankalium).
Bromcyan CNBr, ein flüssiger Körper, Jodcyan CNJ, eine krystallinische Ver-
bindung, werden in analoger Weise wie Ein fach-Chlor cyan dargestellt; beide
sind giftig.
Substitution des H der Cyanwasserstoffsäure durch das ein-
werthige CN.
Cyan CN.CN = C2N2 kommt als Schwefelcvan in den Secreten fast aller Drüsen,
aber niemals frei in der Natur vor; man stellt es durch Erhitzen des Quecksilbercyanids
oder Sübercyanid* dar; es ist ein stechendes, entfernt an bittere Mandeln erinnerndes
Gas, welches sich bei — 25° zu einer wasserhellen Flüssigkeit condensiren lässt. Es
verbrennt mit violetter« Farbe zu Kohlensäure und Stickstoff. Weingeist nimmt mehr
davon auf als Wasser. In wässriger Lösung verwandelt es sich unter Wasseraufnahme
allniählig in Ammoniumoxalat:
C3N2 + 4HaO = C204(NH4)2.
Während beim Erhitzen des Quecksilbercyanids das Quecksilber sich metallisch
an den Wänden des Kolbens niederschlägt, bleibt am Boden Paracyan mit etwas
Kohle zurück, welches in der Rothgluth wieder in Cyan übergeht, ein schwarzbraunes,
abfärbendes Pulver darstellt und in feuchter Luft stets Blausäure nebst Ameisensäure
und Ammoniak entwickelt.
Einwirkung von Cyan auf den thieriselien Organismus. Ein Meerschweinchen
sitzt im Zinkkasten; das aus Cyanquecksilber entwickelte Cyan wird in eiuem Gasometer
aufgefangen und sorgfältig ausgewaschen. Beim Eindringen des Gases in den Kasten
wird das Thier unruhig, schüttelt mit dem Kopfe und hustet oft auf; nach 2 M. schwankt
es, fällt dann auf die Seite, zuckt heftig mit den Extremitäten und verfällt unter Schreien
und Urinlassen in die heftigsten Convulsionen, von denen es förmlich herumgeschlendert
wird; nach 3 M. ist die Respiration sehr verlangsamt und kaum bemerkbar, bei 6,4V ol.-
Proc. des Gases. Nach 4 M. treten noch einige leichte Zuckungen ein, dann Heraus-
nahme des Thiers. Pupillen sehr erweitert, der Körper ganz schlaff, die Augen offen
stehend; nach ein paar krampfhaften Inspirationen Stockung der Respiration; der Herz-
schlag noch 1 M. lang schwach hörbar.
Section 24 Stunden hernach. Leichenstarre gering; Hirnhäute etwas in-
jicirt, Plex. venös, spin. fast leer; die Lungen werden an der Luft hellroth auf
braunrother Marmorirung, beim Druck auf die DurchschnittsÜächen tritt überall ein
schneeweisser Schaum und dann sehr wenig wässriges Blut aus, die Schleimhaut
der Luftröhre überall blass und mit wenig klarer Flüssigkeit bedeckt. Das ganze
Herz strotzt von schwarzem geronnenem Blute.
Die Erstwirkung des Cyans besteht in einer starken Reizung der Schleim-
haut der Respirationswege und der Augen; die Dyspnoe, welche bei der In-
halation der Blausäure sofort eintritt, zeigt sich hierbei nicht, macht sich
wenigstens nicht in auffälliger Weise bemerkbar. Grössere Mengen des Gases
rufen jedoch ein convulsivisches und ein paralytisches Stadium hervor; nach der
baldigen Stockung der Respiration beobachtet man doch noch eine kurze Zeit
einige schwache Herzschläge, wie bei der Blausäurevergiftung; ebenso stimmt
der Sectionsbefund mit dem der Blausäurevergiftung vollständig überein.
Laschkeioitsck36) will bei Warmblütern auch Dyspnoe wahrgenommen haben; bei
Fröschen erzeuge Cyan Convulsionen, was bei Blausäure nicht der Fall sei. Jedenfalls
ruft Cvangas nicht so plötzlich die Vergiftungserscheinungen hervor wie Blausäure.
Einige Versuchsthiere gingen erst zu Grunde, nachdem sie der Einwirkung dieses Gases
schon 30—40 Minuten lang entzogen waren. Es ist fast sicher, dass das inhalirte Cyan
im Blute die Bildung von Blausäure veranlasst und die letale Wirkung mit dem Auf-
treten derselben beginnt. Das Verhalten des Cyans gegen alkalische Lösungen ist für
diese Auffassung beweisend, da es hierbei in Cyanalkali und cyan saures Alkali
neben andern Zersetzungsproducten verwandelt wird.
Todesfälle bei Menschen in Folge von Inhalation des Cyangases sind
noch nicht bekannt geworden. Die höchst reizende und stechende Empfindung,
Cyan in der Industrie. 391
welche das Gas sofort auf der Schleimhaut der Augen und Nase hervorruft,
nöthigt Jeden, sich demselben so schnell wie möglich zu entziehen; auch zwingt
ein kratzendes Gefühl im Halse sofort zu starkem und heftigem Aufhusten, so
dass das Eindringen des Gases in die Bronchialverzweigungen hierbei nicht so
leicht stattfinden wird, wenn man sich bald aus den betreffenden Localen ent-
fernt. Ausserdem wird auch eine grössere Menge Cyangas zur letalen Wirkung
erforderlich sein, wenn Meerschweinchen erst in einer Atmosphäre von ca. 6 Vol.-
Procent Cyangehalt umkommen.
Cyan in der Industrie.
In der Industrie tritt Cyan häufig als Nebenproduct oder als Zersetzungs-
product organischer und unorganischer stickstoffhaltiger Körper auf; werden
diese mit Alkalien geglüht, so entstehen Cyanmetalle; wirkt Salpetersäure
auf stickstoffhaltige oder stickstofffreie organische Körper ein, so bilden sich in
beiden Fällen Cyanverbindungen, in geringerm Grade aber in letzterm Falle.
Beim Verpuffen und Verbrennen kohlenstoffhaltiger organischer Substanzen mittels
salpeter saurer Salze tritt stets, wenn Kohlenstoff im Ueberschuss vorhanden
ist, eine erhebliche Menge eines Cyanmetalls auf, welches theilweise in der Asche
zurückbleibt, theilweise aber mechanisch während der Verpuffung als Rauch
fortgerissen wird. So entsteht auch während des Verbrennens von Salpeterpapier
Cyankalium neben Kohlenoxyd, Kohlensäure und Ammoniak. Im Tabak-
rauche ist ebenfalls Cyan nachgewiesen worden.
Werden stickstoffhaltige tliieriscke oder vegetabilische Substanzen der trocknen
Destillation unterworfen, so tritt stets ein gewisser Theil des Stickstoffs als Cyan
auf und zwar findet diese Bildung erst in der letzten Periode, d. h. bei der höchsten
Temperatur statt; so bilden sich bekanntlich bei der Destillation der Steinkohle, bei
der Leuchtgasbereitung Cyanverbindungen, welche bei der Reinigung an den Kalk
gebunden werden; dadurch enthält auch der sogen. Gaskalk nicht unerhebliche Mengen
von Cyan- und Schwefelcyanmetallen.
Werden stickstoffhaltige organische Substanzen für sich oder mit Chromsäure
oder mit einer Mischung von Braunstein und Schwefelsäure destillirt, so beobachtet
man stets Cyanverbindungen resp. Bittermandelöl und Blausäure.27)
Das Auftreten von Cyan neben Kohlenoxyd und Kohlensäure beim Ver-
glimmen von Torfkoks ist schon erwähnt worden (s. S. 345).
Beim Hohofenprocess findet in der Verbrennungszone über der Form durch
die lebhaft eingepresste Luft zunächst die Bildung von Kohlensäure statt, welche
durch die weissglühende Kohle zu Kohlenoxyd reducirt wird, während durch die
Feuchtigkeit der Luft gleichzeitig das Auftreten von Wasserstoff veranlasst wird. Mit
den beiden Gasen, die nach aufwärts steigen, mengt sich der Stickstoff der Luft,
welcher in der Weissgluth mit der Kohle zusammentretend Cyan bildet, das entweder
als Gas reducirend im Hohofenprocess wirkt oder aber durch die Alkalien der Kohlen-
asche oder die zugesetzten Beschickungen (Kalk u. s. w.) Veranlassung zur Bildung von
Cyanalkali- oder Cyanalkalierdmetall gibt.
Ebenso wird das Auftreten von Cyan während des Verbrennungsprocesses der
Kohle durch das Einströmen ammoniakhaltiger Luft bedingt, z. B. bei Desinfections-
öfen, in welchen übelriechende ammoniakalische Dämpfe verbrannt werden. Auf dieselbe
Weise entsteht es, wenu beim Auskochen von Knochenfett die sich bildenden
ammoniakalischen Gase unter die Feuerung geleitet werden.
Sowohl die freiwillige als auch die durch Schlag, Stoss oder Entzündung hervor-
gerufene Zersetzung aller Nitroverbindungen veranlasst die Bildung von freiem
Cyan; so tritt dasselbe z. B. beim Sprengen mittels Schiessbaumwolle oder Nitro-
glycerins in grosser Menge auf.
Die auffallendste Bildung von Cyan ist offenbar die von Bopp betrachtete, welche
dann stattfindet, wenn metallisches Rothkupfer an der Luft bei Gegenwart von
Salzsäure sich oxydirt und mit einem weisslich - grünen Ueberzuge bedeckt. Diese
grüne Masse, welche nur wenig Aehnlichkeit mit dem Grünspan hat und bedeutend
heller an Farbe als dieser ist, bestekt aus einer Misckung von basisckem Kupfercklorid
mit basischem Kupfercblorür ; letztere Mischung geht später in Kupfercyanür über;
392 Methylverbindungen.
wird nämlich dieser grüne Ueberzug vom Metall abgehoben und mit verdünnter Schwe-
felsäure destillirt, so erhält man im Destillate eine grosseMenge Blausäure. Es ist
höchst wahrscheinlich, dass der Gehalt der Luft an Ammoniak oder auch an salpetriger
Säure den Stickstoff zum Cyan liefert.
Derselbe Process entsteht bei der Darstellung des Bremergrüns; wenn zu
diesem Zwecke Rothkupferstreifen mit Kochsalzlösung oder verdünnter Salzsäure über-
gössen und der Einwirkung der Luft ausgesetzt werden, so überziehen sich dieselben
mit einer immer dicker werdenden Schicht einer basischen Chlorverbindung des Kupfers,
welche mit Wasser abgerieben und geschlemmt diese Farbe darstellt. Die Analyse einer
solchen Farbe gibt stets einen Cy angehalt zu erkennen.
Dass in der Galvanoplastik Cyan auftritt, wenn die Cyanverbindungen dem
galvanischen Strom unterworfen werden, ist schon erwähnt worden. In der Photo-
graphie tritt es in geringen Mengen auf, wenn sich das Cyanquecksilber an der Luft
zersetzt.
Glüht man gewöhnliches Schmiedeeisen in einem. Strome von Cyangas, so
verwandelt es sich in Stahl. In neuerer Zeit ist auch der Stick stoffgehalt des Stahls
nachgewiesen worden. Schon seit Jahrhunderten hat man den Cementstahl in der
Weise dargestellt, dass man das Schmiedeeisen in eisernen oder thönernen Kasten mit
einer Mischung von Pottasche, getrocknetem Blute und Hornspänen schichtete und je
nach der Härte, welche man erzielen wollte, die so beschickten Kasten 6 — 8 Stunden lang
einer strengen Weissgluthhitze aussetzte. Auch noch heute wird ein Streupulver aus
Blutlaugensalz, Kalk, Pottasche und Borax zum Härten der Klingen und Verstählen der
Hämmer benutzt Es liegt deshalb die Annahme nahe, dass bei der Cementstahl-
fabrication das Cyan eine wichtige Rolle spielt.
Cyaninethyl H3C.C-N = C2H3N, die Verbindung des Methyls (CH3) mit
dem Kohlenstoff des Cyans, wird durch Destillation von methylschwefelsaurem Kalium
mit Cyankalium erhalten und stellt eine farblose Flüssigkeit von ätherischem Gerüche
dar, die bei 77° siedet und sich mit Wasser mischen lässt.
Beim isomeren Cyanmethyl ist der Stickstoff des Cyans mit CH3 verbunden.
H3C~NC.
Einwirkung von Cyanmethyl anf den thierischen Organismns. l) 5 Grm.
methylschwefelsaures Calcium und 5 Grm. Cyankalium wurden benutzt. Sobald die
Dämpfe, nachdem sie ein Rohr mit Quecksilberoxyd passirt hatten, in die Glasglocke,
in welcher eine starke Taube sass, dringen, schüttelt diese mit dem Kopfe, blinzelt
mit den Augen und erhebt den rechten hlügel und das rechte Bein. Nach 1 M. con-
vulsivische Zuckungen, welche sofort in Tetanus übergehen, dann Zittern des Körpers
bei erweiterter Pupille. Herausnahme nach 2M ; in der 3. M. ein einmaliges Oeffnen
des Schnabels bei deutlichem, aber uuregelmässigem Herzschlage; nach 4 M. schwindet
immer mehr der Herzschlag bis zu dem bald eintretenden Tode. Die Section ver-
unglückte.
2) Eine junge Taube sass in der Glasglocke. l/% Grm. methylschwefelsaures
Calcium und 1 Grm. Cyankalium wurden benutzt. Beim Eindringen der Dämpfe grosse
Unruhe und Kothentleerung; nach 40 Secunden Hinfallen unter leichten convulsivischen
Zuckungen und nach 1 M. Herausnahme. Pupille nicht erweitert, Aufhören der Respi-
ration, leichtes Zucken in den Beinen, deutlicher, aber unregelmässiger Herzschlag, Aus-
flus» von weisslich-trüber Flüssigkeit aus dem Schnabel; nach 6 M. sind noch einzelne
Herzschläge sowie schwaches Zucken in den Zehen bemerkbar.
Section 12 Stunden hernach. Im Schnabel viel wässrige Flüssigkeit; Hirn-
häute schwach, Plex. venös, spin. stärker injicirt; in der Gegend des untersten
Halswirbels ein kleines Blutextravasat zwischen Dura mater und Wirbel. Die rechte
Lunge ganz, die linke theilweise hellziegelroth; auf allen Durchschnittsflächen
der Lunge ein reichlicher feiner weisser Schaum; die Farbe des Parenchyms
entsprach der der Oberfläche. In dem die Trachea umgebenden Zellgewebe ein ober-
flächliches Blutextravasat im Durchmesser von 5 Mm. ; die Schleimhaut der Luftröhre
ist blass; die rechte Herzhälfte und der linke Vorhof mit geronnenem und flüs-
sigem dunkelrothem Blute stark angefüllt. Leber und Nieren normal. Das Blut ist
dunkelroth und vorherrschend flüssig, an der Luft wird es hellkirschroth; Blutkügelchen
unverändert. In der Lunge und Leber konnte Cyan durch die Analyse nachgewiesen
werden.
Aus der intensiven Wirkung von Cyanmethyl, sowie aus der Symptomato-
logie der Vergiftung geht hervor, dass diese Verbindung grade so wie Blausäure
wirkt; auch der Sectionsbefund stimmt in den Hauptpuncten mit dem der
Industrie der Zündhütchen. 393
Blausäurevergiftung überein; somit gehört Cyanmethyl sicher zu den giftigsten
Körpern.28)
Technische Verwendung findet es bei der Darstellung der Phenylfarben.
Nitrocyanniethyl oder Knallsänre CN.CH.2K02 ist als eine Nitroverbindung des
Grubengases in technischer Beziehung sehr beachtenswerth; sie existirt nicht im freien
Zustande, bildet aber mit Quecksilber und Silber Salze. Unter diesen ist das knall-
sänre Quecksilber CN.CHgNC^ am wichtigsten, weil es zur Fabrication der Zünd-
hütchen benutzt wird.29)
Industrie der Zündhütchen.
Diese in sanitärer Beziehung höchst wichtige Industrie beginnt mit der
Darstellung des knallsauren Quecksilbers. Zu diesem Zwecke löst man
1 Th. Quecksilber in der Wärme in lx\% Th. Salpetersäure von 1,3 spec. Gew. auf
und giesst die Flüssigkeit allmählig in 10 Th. Alkohol; man erwärmt im Wasser-
bade so lange, bis eine Gasentwicklung bemerkbar wird, und entfernt dann
das Gefass aus dem Wasserbade. Unter Aufbrausen entwickeln sich dann höchst
gefährliche Gase und Dämpfe, uuter denen besonders hervorzuheben sind:
Blausäure, Cyanäthyl, Cyansäure neben Salpetrigsäure-Aether, sal-
petriger Säure und andern die Augen stark reizenden, aber noch nicht näher
erforschten Verbindungen. Selbst der hierbei im Rückstande gebliebene Alkohol
ist wegen seines Gehalts an Cyanäthyl mit der grössten Vorsicht zu behandeln,
weil er sonst die Arbeiter in grosse Lebensgefahr versetzen kann (s. Cyanäthyl).
Der Kolben ist stets mit einem tubulrrten Helme zu versehen, um mittels Kühlung
die grösste Menge der flüchtigen Producte zu condensiren, deren Vernichtung
sogar Schwierigkeiten bereitet; in grossen Fabriken sucht man sie in alte Kies-
gruben abzulassen. Stets muss die ganze Operation unter einem gut ziehenden
Rauchfange ausgeführt werden.
Das Knallquecksilber setzt sich in seidenglänzenden Krystallen ab, welche auf
einem feinen Leinentuch gesammelt, mit Wasser abgespült und ohne Anwendung von
Wärme getrocknet werden. Die Abfallwässer sind sauer und quecksilberhaltig;
man behandelt sie am besten mit Kalkhydrat und bringt metallisches Zinn hinzu, um
das Quecksilber metallisch auszuscheiden.
Das trockne Pulver explodirt bei einer Temperatur von 149 — 187°; bei gewöhn-
licher Temperatur zersetzt es sich durch Reiben, Stoss oder Schlag; mischt man es mit
30 % Wasser, so lässt es sich bei grosser Vorsicht mit einem hölzernen Läufer auf einer
Marmorplatte zerreiben.
Technische Anwendung findet das Knallquecksilber sowohl zum Füllen von
Zündhütchen bei Percussionsgewehren als auch zur Anfertigung der Zündspiegel bei
Zündnadelgewehren.
Die Zündhütchenfabrication darf nie in der Nähe von menschlichen
Wohnungen geduldet werden; auch die einzelnen Werkstätten müssen ganz von
einander getrennt werden, so dass verschiedene Räume für die verschiedenen
Manipulationen zu errichten sind. Die Wände müssen aus Holzwerk und der
Boden aus Gips bestehen oder mit Bleiplatten belegt sein, um jede Veranlassung
zur Reibung zu vermeiden. Eine offene Feuerung darf nicht geduldet werden;
im Winter ist nur Warmwasserheizung zulässig.
Als Material für die Hütchen wird dünnes Kupferblech benutzt; ihre Herstellung
wird durch Maschinen bewirkt, wobei ein Stosswerk die Blechscheiben ausschneidet;
gleichzeitig werden die Kapseln geformt. Die Josten'sche Maschine vermag täglich
9000 Kapseln zu Hefern.
Bei der Bereitung des Zündsalzes gebraucht man ein Gemenge von
Knallquecksilber mit Kalisalpeter und Schwefel, seltner mit chlorsaurem Kalium
oder Kohle, häufig nur mit Mehlpulver; die Zusätze, welche dazu dienen, die
394 Methylverbindungen.
Wirkung des Zersetzungsprocesses nachhaltiger zu machen, mengt man zuerst
mit schwachem Gninmiwasser mittels hölzerner Reiber auf einer Marmorplatte
und fügt schliesslich das feuchte Knallquecksilber hinzu; die Wassermenge muss
ungefähr 30£ des Knallquecksilbers betragen.
Das Körnen des Zündsatzes ist die gefährlichste Arbeit, weil hierbei schon
mit einer nicht mehr ganz feuchten Masse, die zu Explosionen geneigter ist,
manipulirt werden muss. Das betreffende Arbeitslocal muss isolirt liegen und
von der oben angegebenen Constenction sein, während der Arbeitstisch mit Woll-
zeug überzogen und mit Wachstuch bedeckt ist. Diese Bedingungen müssen bei
jeder Concessionsverleihung vorgeschrieben werden. Das Körnen wird
mittels Haarsieben bewirkt, die unten durch eine Bleiplatte einen Verschluss er-
halten und nach jedem Gebrauche durch sehr verdünnte Schwefelsäure zu
ziehen sind.
Hierauf folgt das Schütteln der gekörnten Masse in einer mit Stanniol
gefütterten Büchse, um sie consistenter zu machen.
Das Trocknen der Masse geschieht auf ausgebreitetem Papier, iu Holz-
kasten, die auf Repositorien in der Nähe eines Trockenofens aufgestellt sind. Es
ist hierbei die Vorsicht zu beachten, dass das dazu benutzte Papier mit ver-
dünnter Salzsäure behandelt werde, um jede Spur von etwa noch anhängendem
Knallquecksilber unwirksam zu machen. Die hier und beim Durchziehen der
Siebe entstehenden Waschwässer sind wegen ihres Quecksilbergehalts nach der
oben angegebenen Weise zu behandeln. Die Körner sind in Büchsen mit lackirtem
Pappendeckel aufzubewahren. 30)
Das Laden der Hütchen und das Aufspiessen eines Kupferblättchens auf das
Zündkorn geschieht gegenwärtig mittels der höchst sinnreichen Josten 'sehen Maschine
und ist die hiermit verbundene Gefahr auf ein Minimum reducirt, wenn die notwen-
dige Vorsicht dabei beobachtet wird. Selbst beim Eintritt einer Explosion ist der
Arbeiter durch seinen Stand hinter einem schmiedeeisernen Mantel geschützt. Ein
Hütchen enthält durchschnittlich 15 — 16 Mgrm. Zündmasse.
Beim Laden entsteht stets mehr oder weniger Staub; wenn die Quantität
desselben auch gering ist, so verdient doch seine Qualität die grösste Beachtung;
iu der That beobachtet man auch bei den betreffenden Arbeitern häufig ein
blasses und kachektisches Aussehen sowie mehr oder weniger Spuren einer Queck-
silberkachexie, die sich besonders am Zahnfleisch äussert. Dass hierbei das Tragen
von Masken oder Respiratoren nothwendig ist, wird besonders durch den Umstand
erhärtet, dass in einer preussischen Fabrik sogar die Knaben, welche den pressen-
den Männern 'zur Hand gingen, sowie die Mädchen, welche mit dem Sortiren der
Zündhütchen im Laderaum beschäftigt waren, Mercurialaffectionen des Zahn-
fleisches darboten. Sanitätswidrig waren in diesem Falle schon der Mangel eines
getrennten Raumes für das Sortiren sowie die Zulassung von Knaben zu einer
so gefährlichen Arbeit; höchstens dürften in einem getrennten Sortirraume junge
Personen beschäftigt werden. Frauen sollten überhaupt zu solchen Fabriken gar
nicht zugelassen werden.
In einigen Fabriken feuchtete man früher die Zündmasse mit Harzlösungen an,
um sie vor Feuchtigkeit zu schützen: eine Auflösung von Schellack in Alkohol oxydirt
aber leicht das Kupfer und zersetzt auch häufig die Zündmasse: man zieht daher in
solchen Fällen eine Auflösung von Mastix in Terpentinöl vor. Auch die fertige Waare
muss sorgfältig vor Feuchtigkeit 'geschützt werden , weil sonst das Knallquecksilber
krystallinisch austritt, wodurch seine Explosivität ganz bedeutend gesteigert wird.
Die Aufbewahrung der fertigen Waare geschieht in Schachteln, welche in mit
Tuch oder Leder ausgeschlagene Kisten gepackt werden, wobei man die Zwischenräume
Cyanursäure. . 395
mit Seegras u. s. w. ausfüllt. Der Transport ist nicht gefährlich; selbst wenn Feuer die
Kisten ergreifen sollte, erfolgt das Verbrennen ohne Explosion.
Oxydationsproducte der Blausäure.
1) Cyansäure CONH kommt bei einzelnen chemischen Operationen als Spaltungs-
product vor. Sie wird dargestellt durch Erhitzen der Cyanursäure und stellt eine unter
0° sich verdichtendes, nicht giftiges Gas dar, welches mit Wasser schnell in Kohlen-
säure und Ammoniak zerfällt:
CONH + H2 0 = CO., + NH3.
Wirkung der Cyansäure auf den ttaerischen Organismus. Das Gas, welches
durch Erhitzen von -4 Grm. reiner Cyanursäure dargestellt worden, wurde einer in der
Glasglocke sitzenden Taube zugeleitet. Es traten starkes Blinzeln mit den Augen,
starker Ausfiass aus dem Schnabel und beschleunigte Respiration mit aufgesperrtem
Schnabel ein. Nach 30 M. blieb der Zustand derselbe. Nach der Herausnahme verliert
sich die beschwerliche Respiration sofort, nur gelindes Schleimrasseln und vermehrte
Inspirationen sind noch bemerkbar, dann erholt sie sich sofort und bleibt gesund.
Cyansaures Ammonium CON(CH4) entsteht, wenn man Cyansäuregas mit
Ammoniakgas zusammenleitet: kocht man diese Verbindung mit Wasser, so zerfällt sie
in Harnstoff C0N(NH4) = CH4N,0.
Cyansäure-Methyläther CON(CH3) wird aus methylschwefelsaurem Kalium und
cyansaurem Kalium als eine flüchtige, die Augen sehr reizende Flüssigkeit erhalten.
Substitution des Sauerstoffs der Cyansäure durch Schwefel.
Sulfocyansäure, Schwefelcyanwasserstoffsäure. Rliodanwasserstoffsäure CS NE.
Sie stellt eine nach Essigsäure riechende, ölige Flüssigkeit dar, die auch sauer schmeckt.
Die destülirten Wässer der Cruciferen, namentlich von Cochlearia, Senf und Rettig
zeigen mit Eisenoxydsalzen die Reaction auf Schwefelcyanwasserstoff, indem sie dadurch
blutroth gefärbt werden. Man erhält die Säure aus methylschwefelsaurem Kalium
und Sulfocyankaliuni : die ihr entsprechenden Aether heissen Senföle. Sie zerfällt
leicht in Cyanwasserstoff und Persulf ocyansäure C2N2H2S3, ist aber unzersetzt
nicht giftig.31)
Sulfocyankalium, Rhodankalium CNSK*) entsteht durch Erhitzen von Cyan-
kalium mit Schwefel oder Schwefelmetallen:
CNK-f-S = CNSK.
Dieser Körper ist nur in grossen Dosen giftig.32)
2) Cyanursäure C303N3H3 ist ein Zersetzungsproduct der Harnsäure oder des
Harnstoffs : bei Wollbränden tritt sie in Verbindung mit Ammoniak auf. Nach Wähler
erhält man sie, wenn man Harnstoff so lange vorsichtig über seinen Schmelzpunct er-
hitzt, bis die Ammoniakbildung aufhört und derselbe sich in eine grauweisse, trockne
Masse verwandelt hat. Das Product ist unreine ammoniakhaltige Cyanursäure, welche
man durch Auflösen in Kalilauge und Zersetzen des gebildeten Salzes mittels Salzsäure
als farblose Krystalle erhält.
Es treten bei diesem Processe 3 Molec. Harnstoff zusammen und geben 3 Molec.
Ammoniak ab :
3 CO N2 H4 — 3 NH3 = C3 03 N3 H3.
Erhitzt man die aus Vogelexcrementen gewonnene Harnsäure, so erhält man ein
Gemisch von Cyansäure, Cyanursäure, cyanursaur em Ammonium und Koh-
*) Es ist hier noch des sogen. Pseudo-Schwefelcyans zu erwähnen, welches
früher als CNS aufgefasst "wurde, wahrscheinlich aber C3N3S3H ist, im Gaswasser
und Gaskalke vorkommt und clirect durch Einwirkung von Chlor oder Salpetersäure
auf eine Lösung von Rhodankalium als ein orangegelbes amorphes Pulver gewonnen
wird. Es ist nicht giftig und erzeugte, wie aus folgendem Versuche hervorgeht, eigen-
tümliche Erscheinungen:
Einer Taube wurden innerhalb 2 Tagen zwei Mal 0,25 Grm., somit im Ganzen
0,5 Grm. davon eingeflösst. In den ersten 4 Tagen verräth sie ein allgemeines Unbe-
hagen durch starkes Aufblähen und mangelnde Fresslust, wobei die Excremente gelb
gefärbt sind: nach 8 Tagen wurden letztere grün und dann blaugrün; ihre chemische
Untersuchung ergab einen Gehalt an Berliner blau, ein Beweis, dass eine Zersetzung
der Verbindung stattgefunden und durch die Gegenwart von Eisen im Thierkörper sich
Ferrocyan gebildet hatte, welches im weitern Verlaufe die Entstehung von Berlinerblau
veranlasst hatte. Die Ausscheidung von Berlinerblau hielt 8 Tage lang an , wonach sich
die Taube vollständig erholte und auch gesund blieb.
396 Methylverbindungen.
lensäure. Die Zersetzungsproducte sind ähnlich denen, welche sich bei der Fabri-
cation des Blutlaugensalzes bilden, wenn Aetzalkalien mit thierischen Substanzen zu-
sammentreten.
Direct stellt man sie durch Einwirkung von Wasser auf festes Chlorcyan dar:
03N3Cl84-3HaO = Ca08N!H84-3HCl.
Einwirkung von Cyanursänre auf den thierischen Organismus, l) 5 Gramm
Harnsäure wurden in eine Retorte gegeben, die auf ein Drahtnetz gebettet und erwärmt
wurde. Sobald die Dämpfe in die Glocke, unter der eine Taube sich befand, dringen,
beschleunigt sich die Respiration, die Taube wird unruhig, schlägt stark mit den Flügeln,
dreht den Kopf seitwärts und fällt nach 2 M. athemlos hin. Nach der Herausnahme
sind nur noch ein paar Herzschläge zu hören.
Section 3 Stunden hernach. Pupille sehr erweitert, Hals schwanenartig gebogen,
Pia mater schwach injicirt, die Hinterhauptsknochen blutig durchtränkt, in der Um-
gebung der Med. oblong, ziemlich viel flüssiges Blut; beim Durchschneiden der Brust-
muskeln fliesst dunkles flüssiges Blut aus; im Zellgewebe der Umgebung des Kehlkopfs
ein Blutextravasat im Durchmesser von 0,02 Mm. Lungen hellroth, an der Basis
etwas braunroth; an der vordem Fläche des linken obern Lungenlappens eine erbs en-
grosse Ekchymose unter der Pleura; auf den Durchschnittsflächen der Lunge
tritt beim Zusammendrücken flüssiges, schäumiges Blut hervor. Lufröhren-
schleimhaut schwach injicirt; das Herz strotzt von dickflüssigem, dunkelkirschrothem
Blute, welches an der Luft hellroth wird. Leber und Nieren blutreich. Lunge und
Leber wurden einer chemischen Untersuchung untei'worfen, indem der alkoholische Aus-
zug destillirt und das Destillat mit Kalilauge versetzt wurde. Nachdem oxydhaltiger
Eisenvitriol zugegeben, der Weingeist im Wasserbade abgedampft und der Rückstand
mit verdünnter Salzsäure übersättigt worden, schied sich sofort ein dunkelblauer Nieder-
schlag von Eisencyanürcyanid (Berlinerblau) aus, ein sicherer Beweis, dass das Blut
Blausäure, das Zersetzungsproduct der Cyanursäure, aufgenommen hatte.
2) Bei einem zweiten Versuche traten nach dem Sichtbarwerden der Dämpfe in
der Glocke bei einer Taube grosse Unruhe, Blinzeln mit den Augen, Schütteln des
ganzen Körpers und nach 2 M. Würgen und Erbrechen ein. Nach 3 M. sehr beschleu-
nigte Respiration, Hinfallen, krampfhaftes Aufschlagen mit den Flügeln, Drehen des
Halses nach der linken Seite und Aufhören der Athmung. Bei der sofortigen Heraus-
nahme zeigen sich die Augen mit Thränenflüssigkeit angefüllt und die Pupillen erweitert ;
noch 5 M. lang war ein schwacher, unregelmässiger Herzschlag bemerkbar.
Section 2 Stunden hernach. In der Umgebung der Med. oblong, mehr flüssiges
Blut als in den Gehirnhäuten. Lungen hellroth, auf ihren Durchschnittsflächen helles
flüssiges Blut; an der hintern Fläche des linken Lungenlappens vier 3 Milliin. breite
Ekchymosen unter der Pleura. Auf der Trachealschleimhaut an der Theilungsstelle
eine dünne Lage von wässrig-blutiger Flüssigkeit. Das ganze Herz strotzt von dick-
flüssigem, schwärzlich - rothem Blute, das an der Luft hellroth wird. Leber und
Nieren blutreich. In Luage und Leber konnten nur Spuren von Cyan resp. Cyan-
wasserstoff säure nachgewiesen werden.
Die Erscheinungen während des Lebens, namentlich die plötzliche Sistirung
der Respiration sowie der Sectionsbefund und die chemische Analyse, lassen es
ausser Frage gestellt, dass bei der Einwirkung der Dämpfe Cyanwasserstoff
den letalen Ausgang bedingt hat.
E. Arsenhaltige Derivate.
Arsendimethyl, Kakodyl (CH3)4As3 wird durch Destillation von trocknem Kalium-
acetat und arseniger Säure zu gleichen Theilen dargestellt. Eine höchst unangenehm
riechende Flüssigkeit, welche bei 170° siedet, an der Luft raucht und sich entzündet.
Bei langsamer Oxydation bildet sich das betreffende Oxyd.
kakodyloxyd, Alkarsin (CH3)4As.jO, ein höchst widerlich riechendes Oel, das
bei 150° siedet und das Hauptproduct bei der obigen Destillation ist.
Kakodjisäure, Diniethylarsinsänre (CH3)2As02H bildet sich bei der langsamen
Oxydation von Kakodyloxyd und stellt geruch- und geschmacklose Krystalle dar, die
bei 200° schmelzen. Nach /i>//r33) kann mau 2 — 3 Gran täglich davon nehmen; nach
10 — 20 Gran wird die Exspirationsluft eine sehr widerliche, dem Knoblauchsgeruche ähn-
liche und bei höbern Dosen noch penetranter. Ausser Pulsbeschleunigung erzeugt die
Säure Schlaflosigkeit, unangenehmes Aufstossen, Trockenheit des Mundes, Appetitmangel
und bisweilen auch Eingenommenheit des Kopfes.
Wie -die Arsensäure weniger giftig einwirkt als die arsenige Säure, so verhält es
sich ganz besonders mit der höhern Oxydationsstufe des Kakodyls, mit der Kakodyl-
Methylquecksilber. 397
säure, im Vergleiche mit Kakodyl und Kakodyloxyd, welche die "Wirkung des Arsens
in höherm Grade zu entfalten -vermögen.34)
Die Schwierigkeit, diese Verbindungen ganz rein darzustellen, machte die Aus-
führung genauerer Versuche unmöglich.
Technische Bedeutung haben diese Körper nicht und sie treten nur zufällig
bei chemischen Processen auf.35)
F. Phosphorhaltige Derivate.
Verbindungen, welche statt des Stickstoffs Phosphor enthalten, heissen Phos-
phine und entsprechen den Aminen. Sie haben noch keinen technischen Werth.
G. Verbindungen des Methyls (CH3) mit Metallen.
Methyl quecksilher (CH3)2Hg ist unter diesen Verbindungen ganz besonders wegen
seiner giftigen Eigenschaften bekannt geworden; es entsteht bei der Einwirkung von
Jodmethyl auf Natriumamalgam:
2 CH3 J -+- Na2 Hg = (CH3)2 Hg -4- 2 Na J.
Methylquecksilber wurde 1858 zuerst von Buckton als eine schwach süsslich
riechende und widerlich ätherisch schmeckende Flüssigkeit von 3,069 spec Gewicht
dargestellt, deren Siedepunct zwischen 93—96° liegt und einen Quecksilbergehalt von
87% besitzt.
Bei dem Laboranten, welcher sich 3 Monate lang mit der Darstellung desselben
beschäftigt hatte, trat zuerst Amblyopie ohne nachweisbare Veränderungen ein, dann
gesellten sich Steifigkeit der Hände, Schwerhörigkeit, grosse Schwäche, Wundsein des
Zahnfleisches, ein sehr unangenehmer Geruch des Athems und Albuminurie hinzu.
Nächtliche Delirien wechselten mit Coma am Tage ab. Auffallend war eine höchst
unregelmässige Respiration ; zwei Tage vor dem Tode ging das Gefühl zuerst theilweise,
dann am ganzen Körper verloren ; zugleich war starke Mydriasis vorhanden. Die Section
wies bedeutende Hyperämie des Gehirns und seiner Häute sowie Nephritis nach.
Bei einem andern Chemiker trat ebenfalls Amblyopie zuerst auf, gleichzeitig aber
Schwindel, TJebelkeit und Erbrechen grüner Masser>. Obgleich nach 14 Tagen Besserung
eintrat und die Beschäftigung mit Quecksilbermethyl nicht wieder aufgenommen wurde,
zeigten sich nach 6 Wochen wiederum Abnahme des Sehvermögens, Verlust des Ge-
schmacks, Unempfindlichkeit der Zunge, Speichelfli ss, Taubheit und Verlust des Gefühls
an Händen und Füssen. Nach mehreren Tagen dit ser Leiden wird der Kranke vorüber-
gehend bewusstlos mit keuchendem Athem, bis sich im Verlauf von 4 Monaten ein förm-
licher Blödsinn bei Sprach üi an gel und Taubheit entwickelt. Auch hier wurden ein
fötider Geruch und nächtliche Delirien beobachtet : Eiweiss im Harn fehlte. Unter
grosser Abmagerung hielt dieser Zustand % Jahre lang an; dann starb Patient unter
den Erscheinungen der Pneumonie.
Bei der Section fard sich die rechte Pupille weiter als die linke; Arachnoidea
im Longitudinalspalt verdickt, über dem Cerebellum etwas opak, graue Hirnsubstanz
blassroth, Nierenkapsel aühärent, Oberfläche rauh und hyperämisch, Pyramiden ent-
zündet, Rindensubstanz vergrössert, linien- und punetförmig congestionirt, Medullar-
substanz schwach ödematös, Mucosa des Nierenbeckens ent/ävndet: Schleimhaut an der
hintern Fläche der Blase ekehymosirt und entzündet. Lungenhepatisation linkerseits,
Oedem des rechten untern Lappens.36)
Die grosse Gefahr dieser Verbindungen des Methyls mit Metallen beruht in ihrem
dunstförmigen Auftreten; sie dringen daher inhalirt rasch in den Kreislauf des Blutes
und lagern das Metall in den verschiedenen Organen ab. Ausser Quecksilber sind es
noch Zink, Zinn und Blei, welche als Zinkmethyl (CH3)2Zn, Zinntetramethyl
(CH3)4Sn, Bleitetramethyl (CH3)4Pb bekannt sind und die diesen Metallen eigen-
tümliche Wirkung zeigen.
398 Aethylverbindungen.
C2 Gruppe.
Aethylverbindungen.
A. Kohlenwasserstoffe.
a) Aethylwasserstoff, Dimethyl, Aetlian CH3~CH3 oder C.H6 kommt unter den
Gasen des Petroleums und zuweilen im Leuchtgase vor. Man erhält es durch Einwir-
kung von Wasser auf Zinkäthyl:
(C2H5)2Zn + 2H20 = 2C2H6 + ZnH2 02.
Ein färb- und geruchloses Gas, welches mit schwachleuchtender Flamme brennt
und nach Riehardxon narkotisirend und anästhesirend wirken soll.1)
b) Aeihyleii, schwerer Kohlenwasserstoff, ölhildendes Gas, Elaylgas CH^CHs
= C2H4 kommt selten frei unter den feurigen Schwaden der Steinkohlenbergwerke vor;
unter den Gasen der Petroleumcjuellen fehlt es nicht, während es den wesentlichen Theil
des Leuchtgases ausmacht.
Dargestellt wird es durch Erhitzen von Aethylalkohol mit Schwefelsäure, wobei
dem erstem 1 Mol. "Wasser entzogen wird:
CH3"CH8OH = CH2=CH2 + H20.
Ein farbloses, eigenthümlich riechendes Gas, das zur vollständigen "Verbrennung
5 Vol. Sauerstoff, also 15 Vol. atmosphärischer Luft bedarf. Ein Flachbrenner con-
surnirt 5—6 C.-F. und ein Argand'scher Brenner 8—9 C.-F. pro Stunde.
Mit Chlor bildet es eine ölartige Flüssigkeit, weshalb es auch Elayl (eXatov,
Oel und äXi] Materie) genannt wird.
Einwirkung des Aethylens anf den thierischen Organismus, l ) Eine Taube
sitzt in der Glocke. Das Gas ist durch concentrirte Schwefelsäure geleitet und über
Kalk aufbewahrt worden, um es von Aetherdämpfen resp. schwefliger Säure zu reinigen.
Es wurde 1 % Gas verbraucht. Grosse Unruhe und Flugversuche beim Einleiten des
Gases; nach 2 M. Zucken mit dem rechten Beine; sie fällt mehrmals hin, erhebt sich
aber sofort wieder; Zucken im rechten und linken Beine. Nach 8 M. wird sie ruhig,
schüttelt und bläht sich. Diese Erscheinungen wiederholen sich. Nach 20 M. Heraus-
nahme bei etwas angestrengter Respiration; die Restitution tritt bald ein.
2) Eine Taube sitzt in der grossen Glasglocke. Allmählige Zuleitung von 3 %
Gas, wodurch ähnliche Erscheinungen hervorgerufen werden. Nach 25 M. Herausnahme
der Taube; sie pickt noch vielfältig zwischen den Federn, erholt sich aber rasch.
3) Eine Taube sitzt in dem grossen Glaskasten, in welchen nach und nach 16 Liter
resp. 30 % Gas eingeleitet werden. Nach 23 M. legt sie den Kopf etwas zur Seite, beim
Versuche _ aufzustehen fällt sie bei beschwerlicher Respiration hin; geringes Würgen,
convulsivisches Zucken mit den Flügeln; nach 28 M. 9 sehr tiefe und angestrengte
Inspir., die rasch abnehmen, so dass die Taube nach 30 M. ganz asphyktisch heraus-
genommen wird. Ohne eine Spur von Athembewegung bleibt der Herzschlag 1 Minute
lan°; ganz regelmässig, in der 2. Minute wird er unregelmässig, immer seltner und ist
in der 3. Minute verschwunden. Die Pupille ist erweitert und die Körperwärme nimmt
langsam ab.
Section 14 Stunden hernach. Hirnhäute hyperämisch, Lungen hellroth mit
partieller bräunlicher Marmorirung, auf den Durchschnittsüächen treten überall schwarze
Blutpuncte aus; an der untern Fläche der Lungen einige schwarzrothe Ekchymosen, die
Schleimhaut der Trachea schwach injicirt. Das Herz ist mit flüssigem Blute ange-
füllt: auch alle grössern Venen enthalten flüssiges Blut. Das dunkelbraunrothe Blut
röthet sich an der Luft lebhaft.
4) Im Glaskasten sitzt ein grosses Kaninchen, welches unter der Einwirkung von
30 nach 30 M. in Narkose verfällt, nachdem die anfangs sehr beschleunigte Inspiration
wieder regelmässig geworden war. Bei Herausnahme des Thiers ist die Pupille er-
weitert, der Bulbus unempfindlich. Nach 2 M. Versuch den Kopf zu erheben; vollstän-
dige Restitution nach 1 Stunde.
Aus den vorstehenden Versuchen geht die anästhesirende Wirkung des
Aethylens unzweifelhaft hervor; es nimmt in dieser Beziehung die erste Stelle
Acetylen. 399
unter den Aethylverbindungen ein, welche als Anaesthetica bekannt sind. Mit
atmosphärischer Luft hinreichend verdünnt, erzeugt es keinen nachhaltigen
Schaden, da es das Blut nicht der Fähigkeit zur Aufnahme des Sauerstoffs be-
raubt. Aus dem vierten Versuche geht aber hervor, dass es bei Kaninchen schon
bei 30 % der Luft beigemischt die Respiration zuerst sehr anregt, ehe die Narkose
eintritt, während dieser Procentsatz bei der Taube (dritter Versuch) Lähmung der
Athmung und Tod durch Asphyxie herbeiführte, wofür der Sectionsbefund
(Hyperämie des Herzens sowie der Lunge nebst Ekchymosen) spricht. Der vor-
handene Sauerstoff reichte somit für den Respirationsprocess nicht aus und die
deletäre Wirkung des Gases machte sich geltend. Aethylen nimmt daher in
seiner Wirkung auf den thierischen Organismus entschieden eine andere Stellung
ein als der Methylwasserstoff und gibt sich selbst bei diesem schwächsten
Anaestheticum eine eigenthümliche Beziehung zum Athmungscentrum kund.
c) Acetylen CH~ CH = C2H2 kommt fertig gebildet im Leuchtgase vor und tritt
als unvollständiges Verbrennungsproduct bei der Verbrennung kohlen- und wasserstoff-
haltiger Substanzen (Leuchtgas, Aether, Benzol) sowie bei der Fäulniss auf: auch bildet
es sich beim Durchleiten von Aether und Alkohol durch glühende Röhren.
Berthelot stellte es zuerst 1859 direct aus Kohlenstoff und Wasserstoff dar und
lieferte somit das erste Beispiel einer directen Verbindung dieser Elemente. Nach Rieth
erhält man es durch unvollkommeneVerbrennung des Leuchtgases in einem ß;/?ise»'schen
Brenner neben Kohlensäure und Kohlenoxyd: letzteres entfernt man, indem man das
Gas durch eine ammoniakalische Lösung von Kupferchlorür leitet. Es bildet sich hierbei
ein rother Niederschlag von Aeetylen-Kupfer, welches durch Hammerschläge oder
Erhitzen zur Explosion gebracht werden kann. Diese Verbindung bildet sich bekannt-
lich in kupfernen Gasleitungsröhren; werden diese durchsägt, so kann in Folge der
mittels Reibung erzeugten Wärme eine Explosion veranlasst werden.
Acetylen ist ein farbloses, mit russender Flamme brennendes und unangenehm
riechendes Gas; der Geruch erinnert an russende Gas- und Oellampen.
Wirkung des Acetylens auf den thierischen Organismus. 1) Acetylen wurde
durch partielle Verbrennung des Leuchtgases dargestellt und nach der Reinigung in
einen Gasometer und aus diesem in einen Zinkkasten geleitet, worin eine Taube sass.
Nach 10 M Schwanken, Zittern, Brechen, convulsivische Bewegungen, krampfhafte In-
spiration mit weitem Aufsperren des Schnabels und dann die heftigsten Convulsionen,
welche die Taube im Kasten herumschleuderten. Nach 11 M. Herausnahme in vollstän-
diger Asphyxie, nur ein undeutlicher Herzschlag ist wahrnehmbar : nach 30 Secunden
Aufsperren des Schnabels, Bauchlage und es beginnt eine angestrengte Respiration; nach
1 M. Gehversuche und Taumel, nach 3 M. ziemlich sicheres Gehen, nach 5 M. ist die
Respiration noch etwas beschleunigt, die Herz action sehr verstärkt ; die Erholung erfolgt
nach 15 M. Die Menge des zugeleiteten Gases entsprach 0,3 Vol.-Proc.
2) Bei 1 Vol.-Proc. des Gases verfiel ein Meerschweinchen im Zinkkasten nach
5 M. ohne vorhergehende Convulsionen in Narkose. Die Athmung sistirte bei einem
schwachen, aber regelmässigen Herzschlage, trat aber ganz allmählig wieder ein, während
die Pupille noch erweitert blieb. Nach 5 M. vollständige Restitution.
3") Ein % Fuss hoher lj ähriger Hund sass im kleinen Zinkkasten und verfiel bei
ca. 1 Vol.-Proc. des Gases nach 5 M. in vollständige Asphyxie, wobei sich der Körper wie
eine todte Masse hin und her bewegen liess. Bei hervortretenden Augen und erweiterter
Pupille ist nur ein schwacher Herzschlag hörbar. 1 M. hernach Wiederkehr der Respi-
ration, in der 3. M. Erbrechen und Bewegungen, in der 6. M. schwankendes Gehen und
nach 10 M. anscheinende Restitution. Das Thier füllte den Kasten fast vollständig aus,
so dass das zugeleitete Gas sofort inhalirt wurde.
4") Ein Meerschweinchen, welches kurz vorher durch Acetylen anästhesirt worden
war, wurde nochmals in eine Atmosphäre gebracht, welche 1,5 Vol.-Proc. des Gases
enthielt. Nach 15 M. vollständige Asphyxie bei offenstehenden Augen mit erweiterter
Pupille und kaum bemerkbarem Herzschlage, der nach 6 M. vollständig aufhörte.
Section 20 Stunden hernach. Hirnhäute und Plex. venös, spin. blutreich:
einzelne Partien der Lunge knistern nicht beim Durchschneiden, auf den Durchschnitts-
flächen zeigt sich ein blassrother Schaum; die Farbe der Lunge rothbraun, auch
die Schleimhaut der Trachea rothbraun injicirt; das rechteHerz strotzt von flüssigem
Blute, im linken findet sich viel schwarzes geronnenes Blut; auch die Unterleibsorgane
sind blutreich.
400 Aethylverbindungen.
Diese Versuche sprechen mit Bestimmtheit für die anästhesirende Wirkung
des Acetylens, welche jedoch nicht ohne Gefahr sein dürfte, wenn man dabei
die rasche Sistirung der Athmung berücksichtigt, die bei grössern Meugen des
Gases leicht einen letalen Ausgang nimmt; stets hörte die Respirationsbewegung
eher auf als die Thätigkeit des Herzens. Die heftigen Convulsionen bei der
Taube rührten wahrscheinlich noch von einem Gehalte des Gases an Kohlenoxyd
her; dieser Umstand macht es um so nothwendiger, sich vor der Einwirkung
dieses Gases zu schützen, namentlich überall da, wo es als das Product einer
unvollkommenen Verbrennung auftritt.
B. Halogenderivate des Aethans.
1) Ein H des Aethans ist durch Cl. Br oder J vertreten.
Aethylchlorid, Chloraethyl dichter Salzäther CH,-CH2C1 = C2H5C1 wird durch
Einwirkung gasförmiger Salzsäure auf Aothylalkohol als eine angenehm riechende, bei
12° siedende Flüssigkeit erhalten; lässt man Chlor auf Aethylchlorid einwirken, so
erhält man eine Reihe vou Verbindungen, von denen der Aether hydr ochloratus,
Aethers. Liq u. anaesthet. Aranii am bekanntesten ist. Derselbe stellt ein variables
Gemisch von leichtem und schwerem Salzäther neben Aethylenchlorid u. s. w. dar.
Der Spiritus chloratus-aetherius, Spiritus muriaticus aetherens,
Spiritus salis dulcis, schwerer Salzäther, ein wechselndes Gemenge von Alkohol,
Aldehyd, Chloräthyl, Chloral, Essig-Aether, wird durch Destillation von Kochsalz, Braun-
stein, Schwefelsäure und Weingeist dargestellt.
Die Einwirkung dieser verschiedenen Verbindungen in Dnnstform auf den
thierischen Organismus bietet ziemlich wenig Differenz. Aethylchlorid reizt
nach den Versuchen an Thieren alle Schleimhäute, mit denen seine Dämpfe in
Berührung kommen ; hierfür sprechen das Speicheln, das Thränen der Augen, der
Husten u. s. w. Bei jungen Katzen zeigte sich eine ganz kurze Narkose ohne
ausgesprochene Anästhesie, wenn die Dämpfe wenigstens 48 Minuten hindurch
anhaltend zur Einwirkung gelangten.
Mit Spir. mur. aeth., schwerem Salzäther, wurde ein Baum wollpfropfen
ganz angefeuchtet und in den Grund eines Trichters gebracht. Ein Kaninchen wurde
30 M. lang mit dem Maule unter wiederholter Anfeuchtung des Pfropfens in der Trichter-
mündung festgehalten. Es trat gar keine Narkose ein.
Der Liquor anaestheticus wurde früher, wie schon sein Name andeutet, als
Anaestheticum angewendet, aber mit wenig Berechtigung:' er unterscheidet sich in dieser
Beziehung nicht viel von den beiden vorhergenannten \ erbindungen. Alle drei Verbin-
dungen finden nur sehr wenig Verwendung mehr.
b) Bromäthyl CH3~CH2Br = C2H5Br wird dargestellt, indem man auf Alkohol, in
dem sich geschmolzener Phosphor befindet, Brom langsam zutröpfelt. Es ist eine farb-
lose, bei 41° siedende, in Wasser unlösliche, in Alkohol und Aether leicht lösliche
Flüssigkeit von angenehmem, ätherischem Gerüche.
Auf den Organismus soll es nach Ttimbull ähnlich wie Jodäthyl wirken, nur mit
dem Unterschiede, dass die Anästhesie noch geringer sei: Rohin will danach bei Vögeln
rasch eintretende Anästhesie beobachtet haben. Es unterliegt keinem Zweifel, dass
Bromäthyl sich ähnlich wie Jodäthyl verhält, aber in jeder Beziehung eine schwächere
"Wirkung entfaltet; es wird im Organismus wie Jodäthyl zersetzt und wirkt dann fast
wie reines Bromalkali: auch tritt es schliesslich im Harn und Schweisse als Brom-
natrium auf.
Verwendung findet es in der Anilinfarbenfabrication.
c) Aethyljodid, Jodäthyl, Jodäther CH3_CH2J = C2H5J entsteht durch Auflösen
von Jod in Alkohol unter Zugabe von Phosphor mit nachfolgender Destillation.
Zur Darstellung im Grossen gebraucht man eine gusseiserne emaillirte Blase,
welche einen doppelten Boden hat und durch Einleiten von Dampf erwärmt wird; sie
steht mit einem Kühler in Verbindung, dessen Schlangenrohr aus metallischem Kupfer
besteht. In die Lösung von Jod in Alkohol wird vorsichtig amorpher Phosphor ein-
getragen: nach 48 Stunden beginnt die Destillation einer farblosen Flüssigkeit, wobei
che Wärme 72° nicht übersteigen darf, weil Jodäthyl schon bei 72° siedet. An das
Aethylencblorid. 401
Schlangenrohr ist stets ein Gassammler zum Condensiren der sich verflüchtigenden
Dämpfe anzubringen, was schon wegen der Feuersgefahr erforderlich ist. Sonst bietet
die Fabrication kein sanitäres Bedenken dar.
Anwendung findet Jodäthyl vorzugsweise bei der Fabrication von Hoffmann's
Violett; seine Benutzung hat aber in letzterer Zeit bei den Anilinfarben sehr abge-
nommen, seitdem die Methylverbindungen die Oberhand erhalten haben.
Einwirkung des Jodäthyls auf den thierischen Organismus, l) Ein Kaninchen
sitzt in der Glocke; 20 Tropfen (= 0,50 Grm.) Jodäthyl werden erwärmt. Sobald der
Dampf in die Glocke dringt, stockt der Athem und die Nase wird feucht. Nach 4 M.
Zusatz von 60 Tropfen: Zurückziehen des Kopfes, Thränen der Augen, kurz darauf
Taumel, Bauchlage, jämmerliches Schreien und Aufsperren des Mauls. Nach 6 M. Her-
ausnahme unter Aufschreien des Thiers; Pupille in mittler Contraction, Blinzeln der
Augen, Schlaffheit der hintern Extremitäten, beschleunigter Herzschlag, Aufrichten des
Kopfes: nach 1 M 20 Inspir. binnen % M., auf die Seite gelegt, erhebt es sich rasch;
nach 9 M. vollkommene Sensibilität: nach 15 M. läuft es wieder einher; Nachkrank-
heiten entstehen nicht.
2) Eine Taube wird mit dem Kopfe in ein weites Glasrohr gesteckt, welches an
beiden Enden offen ist und in welches ein mit 20 Tropfen Jodäthyl imprägnirter Baum-
wollpfropfen eingebracht wird. Nach 2 M. beschwerte Respiration mit Oeffnen des
Schnabels, dann vollständige Anästhesie, aber deutlicher Herzschlag und regelmässige
Respiration: nach 3 M. die heftigsten Convulsionen, dann ein paarmaliges schwaches Auf-
athmen bei aufgehobenem Herzschlage; die Pupille bleibt erweitert, die natürliche Tem-
peratur noch eine halbe Stunde dieselbe; nach 1 Stunde vollständige Leichenstarre.
Section 24 Stunden hernach. Cornea trübe und eingefallen, auf der Dura
mater eine sehr dünne wässrige Blutlage, an der Med. oblong, stark injicirte Blut-
gefässe; Lungen von hellziegelrother Farbe, auf den Durchschnittsflächen des Paren-
chyms nur wenig geronnenes Blut; an der Bifurcation eine dünne Lage blutigen
Serums auf der Schleimhaut; alle grössern Blutgefässe mit geronnenem Blute ange-
füllt; die rechte Hälfte des Herzens mit flüssigem Blute angefüllt, in der linken etwas
geronnenes Blut; der Herzmuskel erscheint stark injicirt; wenig flüssiges, in der Brust-
höhle angesammeltes Blut von dunkelkirschrother Farbe, röthet sich aber an der Luft
ziemlich lebhaft.
Die Brustmuskeln wurden mit Alkohol von 85° ausgezogen, dann Aetzkali in
fester Form zugesetzt und eine halbe Stunde lang im Sieden erhalten; nach der Ab-
destillation des Alkohols wurde der Rückstand in "Wasser aufgenommen, ein Theil davon
mit Essigsäure neutralisirt und dann mit Bleizuckerlösung behandelt. Es entstand sofort
ein schöner gelber Niederschlag; derselbe wurde abfiltrirt, mit Wasser ausgesüsst
und in kochendem Wasser gelöst. Die Lösung war farblos und beim Erkalten entstan-
den schöne goldgelbe Blätter von Jodblei. Das Blut wurde ähnlich wie das
Fleisch behandelt, das Jod jedoch als Jodstärkemehl nachgewiesen., Im Harn kann
Jod nur als Jodnatrium auftreten.
Die Dämpfe von Jodäthyl üben eine höchst gefährliche Wirkung auf den
thierischen Organismus aus. Dieselbe rührt jedenfalls nicht von einer zufälligen
Verunreinigung des Präparats mit Phosphor her, wie Nunneley2) glaubt; das
zu den Versuchen benutzte Präparat war vollkommen rein und rief doch in
kurzer Zeit bei einer Taube die heftigsten Convulsionen hervor. Die dadurch
erzeugte Anästhesie war in diesem Falle der Vorbote des Todes, der durch
Lähmung der Athmung rasch eintrat. Der Vorschlag, die Inhalation der Dämpfe
als Antidot gegen Vergiftungen durch Alkaloide oder Metalle anzuwenden (Huette),
empfiehlt sich demnach nicht, abgesehen davon, dass nur Kupfer, Silber und
Thallium mit Jod unlösliche Verbindungen eingeht.
2) Zwei H des Aethans sind durch Cl, Br oder J vertreten.
a) Aethylenchlorid, Elaylclilorid, Liquor Hollaudicus, CH2CvrCH;!Cl = C2H4Cl2
bildet sich, wenn Aethylen CH:— CH2 mit Chlor im Sonnenlichte zusammentrifft. Dar-
gestellt wird es durch Einleiten von Chlor und Aethylen zu gleichen Theilen in siedendes
Antimonpentachlorid. Eine farblose, angenehm riechende Flüssigkeit, welche bei 85°
siedet und im Wasser zu Boden sinkt.
Einwirkung des Aethylenchlorids auf den thierischen Organismus. Ein kleines
Kaninchen sitzt in dem grossen Glaskasten ; 5 Grm. der Flüssigkeit wurden auf den
Enlenbercr, Gd-vvr.rbe-Fyfrieoe. 2 '5
402 Aethylverbindungen.
Boden desselben geschüttet. Nach 4 M. reibt es mit den Pfoten anhaltend das
Maul, taumelt, fallt hin, steht aber wieder auf. Zusatz von 2 Grm. der Flüssigkeit nach
i" ML; das Thier fallt wieder hin und bleibt mit Schleimrasseln in der Kehle liegen;
nach 12 M. Herausnahme des Kaninchens. Vollständige Anästhesie bei erweiterter
Pupille und gerötheter Conjunctiva: nach 5 M. reagirt das Thier wieder bei Berührung
des Auges, fallt aber nach 8 M. beim Aufstehen wieder hin. Schwache Gehversuche
nach 12 M., vollständige Restitution erst nach ö Stunden.
Aethylenchlorid wurde nach dem Aether als Anaestheticuin in Vorschlag
gebracht, hat aber als solches niemals eine grosse Verbreitung erlangt; es
reizt leicht die Luftwege und ruft bei Menschen oft hartnäckiges Erbrechen
hervor.
Eine zarte, 26jährige Frau wurde aus Irrthum statt mit Aethylidenchlorid mit
Aethylenchlorid wegen einer Zahnoperation betäubt. Die Narkose trat viel später als
bei Aethylidenchlorid ein und dauerte nur 2 Alinuten lang. Eine grosse Eingenommen-
heit des Kopfes hielt eine \ iertelstunde lang an, wozu sich dann Erbrechen gesellte,
welches sich 4 Stunden lang in Zwischenräumen von u — 10 Minuten wiederholte und
schliesslich noch 5 Stunden lang alle 15—20 Minuten eintrat. Am andern Tage war
grosse Mattigkeit vorhanden und es stellte sich bei körperlichen Bewegungen noch
LJebelsein ein.
Aethylidenchlorid CH3" CHOL oderC2H4Cl2 ist isomer dem Aethylenchlorid und
wird al- erstes Product erhalten, wenn man Chlor auf Chloräthyl einwirken Läset Es
ist eine farblose Flüssigkeit von angenehmem Gerüche, deren Siedepunct bei 60° liegt.
nttt hat 18o4 diesen Körper zuerst als Ether chlorhydrique mono-
chlorure bezeichnet: er wurde später als Chloräthyliden bekannter, aber erst in
der neuern Zeit als Anaestheticuin eingeführt. Das Aethylidenchlorid hat viele warme
Vertheidiger gefunden und namentlich in der Zahnheilkunde das Stickoxydul wieder
verdrängt, da es den Vortheil hat, binnen 1 — o Minuten eine kurze Anästhesie hervor-
zubringen, ohne die Luftwege zu reizen: auch als Anästheticum für Kinder wird es
gerühi
Bei der Anwendung dieses Mittels muss man besonders darauf achten, dass es
den richtigen Siedepunct von 60—62° hat.
b) Aethylenbromid CILBr CH2Br = C2H4Br2 entsteht beim Schütteln von
Aethylen mit Brom. Eine farblose, ätherartige Flüssigkeit, welche erst bei 0° C. zu
einer campherartigen Mas^e erstarrt und bei 129° siedet.
Technische \ erwendung hat sie noch nicht gefunden.
Einwirkung von Aethylenbromid auf den thierischen Organismus. Aethylen-
bromid wurde aus l G. Th. Aethvlensultid und 6 G. Th. Bromquecksüber (Quecksilber-
bromidj dargestellt. Die beim Erhitzen sich entwickelnden Dämpfe wurden über Queck-
silberoxyd in den Zinkkasten, in welchem eine Taube sass, geleitet. Sogleich Blinzeln
der Augen, starkes Thränen und Schütteln mit dem Kopfe, dann beschwerliche Respi-
ration, starkes Schwanken. Zurückziehen des Kopfes und die heftigsten Convulsionen.
Bei der Herausnahme nach 6 M. starkes Zittern des ganzen Körpers, Pupille etwas
erweitert. Augen sehwach opalisirt, Ausfluss von Schleim aus dem Schnabel und gleich
daran i
Section nach 2u Stunden. Ein schwaches Blutextravasat im Zellgewebe in der
- Kehlkopfs; Hirnhäute .-ehr blutreich, das Kleinhirn und die Med.
oblong, mit einer ganz dünnen Blutlage bedeckt; Plex. venös, spin. sehr stark an-
gefüllt; auf den Durchschnittsflächen der blassrothen Lungen treten einige Tropfen
Hut zu Tage: das ganze Herz strotzt von dickflüssigem, schwarz-
rothem Blute, welches an der Luft bald gerinnt: Leber und Nieren blutreich; in
allen Höhlen gibt sich ein unangenehmer Geruch nach Rettig kund.
c) Aethylenjodid CH2J^CH2J = C2H4J2 bildet sich, wenn man Aethylen und
Jod im Sonnenlicht zusammenbringt, oder wenn man Aethylensulfid mit Jodquecksilber
erhitzt: letztere.- Product enthält wahrscheinlich noch etwas Aethylensulfid.
Es krystallisirt in farblosen, schnell roth werdenden KrystaUen, welche aromatisch
riechen, gewürzartig schmecken und bei 100° sublimiren; sie sind nur in Alkohol,
er und ätherischen Uelen löslich.
Erwirkung von Aethylenjodid auf den thierischen Organismus. Aethylenjodid
wurde aus 1 Gr. fh. Aethvlensultid und 7,06 G. Th. Quecksilberjodid dargestellt: die
beim Erhitzen sich entwickelnden Dämpfe wurden in den Zinkkasten, in welchem ein Meer-
schweinchen sass, geleitet. Schon nach l M. starkes Reiben der Nase, Hinstürzen und
schwache Convulsionen in allen Extremität611. Bei der Herausnahme des Thiers nach
Gechlorte AeUiylcne. 403
2 M. stehen die Augen in Thränen, die Pupille ist sehr erweitert und der Herzschlag
hört nach ein paar krampfhaften Inspirationen unter heftigem Zittern auf.
Section 20 Stunden hernach. Hirnhäute sehr blutreich, Plex. venös, spin.
von normalem Blutgehalte; die Schleimhaut der Luftröhren schwach injicirt; die rechte
Lunge und der untere linke Lungenlappen blauroth und blutreich, an der Luft zeigen
sich einzelne röthliche Marmorirungen ; auf den Durchschnitten tritt beim Zusammen-
drücken ein feiner •weisser Schaum aus: das Parenchym knistert wenig beim Einschneiden.
Das ganze Herz ist mit schwarzrothem, dickflüssigem Blute angefüllt, welches
sich an der Luft nur schwach röthet. Leber und Nieren sind dunkel gefärbt und
sehr blutreich.
Aethylenbromid und Aethylenjodid wirken gleich gefährlich auf den
thierischen Organismus; während Aethylenjodid offenbar den Tod durch
Asphyxie erzeugt, wirkt Aethylenbromid vorzugsweise auf den Herznerven-
apparat deletär ein. Die Schleimhaut der Augen und der Respirationswege wird
durch beide Verbindungen irritirt.
Durch fortgesetzte Einwirkung von Chlor auf Aethylchlorid entstehen noch
viele Körper, welche früher Chlorkohlenstoffe genannt wurden*). Man unter-
scheidet die höher gechlorten Aethane, die bei der Behandlung mit alko-
holischer Kalilauge oder Kaliumsulfhydrat HCl abgeben und in gechlorte Aethylene
übergehen.
Einige dieser Verbindungen verdienen eine genauere Erwähnung, weil sie früher
in der Medicin und in der Farbentechnik benutzt wurden.
Tetrachloraethylen CC12=CC12=C2C14 entsteht durch Einwirkung einer wein-
geistigen Lösung von Kaliumsulfhydrat auf Perchloraethan C2 Cle unter Entweichung von
H2S und Ausscheidung von Schwefel und Chlorkalium:
CCr3-CCl3 + 2E:HS = C2Cl4 + 2KCi + H3S + S.
Der Siedepunct dieser in Wasser unlöslichen Flüssigkeit Hegt bei 124°.
Perchloraethan CC13— CC13 = C2C16 ist das Endproduct der Einwirkung von
Chlor auf Aethylchlorid und stellt rhombische Kxystalle dar, welche in Weingeist
löslich sind, bei 160° schmelzen und bei 182° sieden.
Die Einwirkung dieser Verbindungen auf den thierischen Organismus ist sehr
verschieden beurtheilt worden, weil die Präparate wegen der Schwierigkeit ihrer Dar-
stellung von sehr mannigfacher Beschaffenheit waren, daher auch ihre Wirkung sich
verschieden gestaltete.
Alle Präparate üben aber mehr oder weniger eine reizende Wirkung aus. 20 Tropfen
von Tetrachloraethylen, welche auf einem damit befeuchteten Leinwandstreifen zur
Verdunstung kamen, brachten ein im Zinkkasten sitzendes Meerschweinchen nach 12 M.
in Anästhesie, nachdem viel Speicheln, Zittern und convulsivische Zuckungen voraus-
gegangen waren. Nach 5 M. traten die ersten Zeichen der zurückgekehrten Sensibilität
am Auge ein, dann schwache Muskelbewegungen und deutlicher Rhonchus sonorus in
den Bronchien. Restitution nach 1 Stunde.
Eine Taube verfiel im Zinkkasten nach 10 M. bei der Verdampfung von 40 Tropfen
in Anästhesie, litt aber noch 2 Tage lang an Husten, Reizung der Bronchien und starkem
Herzschlage.
Von Perchloraethan wurden 0,50 Grm in einem Becherglase erwärmt, in
welches eine Taube mit dem Kopfe gebracht wurde. Sofort verlangsamt sich die Respi-
ration und nach 2 M. ist die Taube anästhetisch; man kann sie wie einen todten Körper
hin und her bewegen: Pupille sehr verengt, 8 Inspir. und 30 Herzschläge binnen ^M.;
die Körperwärme hat um 1,5° abgenommen. Nach 5 M. erhebt sie zuerst ein wenig den
Kopf; gleich darauf starkes Vibriren; nach 9 M. erhebt sie sich und fängt 2 M. später
an zu gehen. Nach 13 M. stürzt sie auf den Kopf, erhebt sich aber sofort**}; erst nach
1 Stunde scheint sie frei von Taumel zu sein, die Pupille hat wieder den normalen Durch-
messer, der Herzschlag ist aber noch stark.
Ein Meerschweinchen wird mit dem Maule in ein Becherglas gebracht, in welchem
0,5 Grm. Perchloraethan schwach erwärmt worden. Nach 3 M. sind die Glieder er-
schlafft und das Thier wird mit dem Kopfe im Glase hingelegt; die Zahl der Inspir.
*) Der eigentliche Chlorkohlenstoff CC14 ist bereits erwähnt worden (s. S. 373).
**) Dies Stürzen auf den Kopf zeigte sich auch bei einer andern Taube bei den
ersten Gehversuchen.
26*
|(l j Aethylverbindungen.
sinkt auf 6 binnen '4 M.; sie werden tiefer und seltener, bis nach 5 M. schon der Tod
bei sehr erweiterter Pupille und raBcher Abnahme der Körperwärme eingetreten ist.
Section 24 Stunden hernach. Eirnhäute sehr hyperä misch: über der Pia
mater des Kleinhirns eine dünne Lage flüssigen Blutes: Lungen schmutzig-blauroth
das Parenchym von dunkelbrauner, fast schwärzlicher Farbe und sehr reich an
Blut; am linken Unter-Lappen tritt auf den Durchschnittsflächen ein weisser Schaum
hervor; Schleimhaut der Trachea stark inücirt. Beide Vorhöfe und der rechte Ventrikel
des Herzens ganz mit geronnenem Blute angefällt. Alle Höhlen entwickelten einen
Geruch Dach Perchloraethan.
Diese Versuche fordern eicht dazu auf, diese Verbindungen als Auaesthetica
zu empfehlen. Sie haben stets eine deletäre Wirkung, namentlich wenn man
den schnellen Tod des Meerschweinchens in Folge von Apoplexie hierbei in
Betracht zieht.
Die technische Verwendung dieser Verbindungen in der Anilinfarbenfabrication
hat in der letzten Zeit sehr nachgelassen.
B. Hydroxyl-Substitutionsproducte des Aethans.
Aethylalkohol, Alkohol, Weingeist, Spiritus vini, CH3_CH3(OH)==C,H<sO,
entsteht stets als Kunstproduct bei der Gührung des Traubenzuckers, welcher hierbei in
Alkohol and Kohlensäure zerfällt:
C( 3,306 = 202^0 + 2003.
Die Einwirkung der Dämpfe von Alkohol auf den thierischen Organismus ver-
mag eine kurze Anästhesie zu erzeugen. Nachdem im grossen Glaskasten im Verlaufe
von 30 M. SO Grm Alkohol von 98° in Partien von 15 Grm. verdampft waren, empfand
ein Kaninchen zuerst einen heftigen Reiz in der Nasenhöhle, schwankte dann hin und
her, bis • s in der Seitenlage liegen bheb. Nach 55 M zeigt es beim Schütteln des
Kastens keine Reaction und hustet nur bisweilen; nach .0 M. ist die rechte Hornhaut
milchig getrübt (in Folge von Wasserentziehung) und nach 1 St. 15 M. ist die Anästhesie
vollständig. Bei der Herausnahme sind nur die Augen ein wenig empfindlich, nach
ö M.. richtet es r-icc, aber mit dem Oberkörper wieder auf und bleibt dann 3 Stunden
lang ruhig auf derselben Stell.- sitzen. Nachkrankheiten entstehen nicht; die, milchige
Trübung >U-r Hornhaut schwindet erst nach 18 Tagen.4;
Weingeistindustrie.
Die vergohrenen Fruchtsäfte und die verschiedenen Weinarten geben bei
der Destillation alkoholreiche Destillate; das Ferment ist hier immer schon
präexistirend; hei stärkeinehlreichen Samen und Knollen wird der Stärkemehl-
gehalt derselben durch Diastase (Malz) erst in Zucker verwandelt, dann die
sogenannte Maische durch Zusatz von Hefe in Gährung gebracht und durch
Destillation der veigobrenen Flüssigkeit der Alkohol gewonnen.
Je nachdem man eine Samenfrucht, einen Frucht- oder Pfianzensaft ver-
braucht hat. verbleiht dem Producte ein eigeuthümlicher Geruch und Geschmack;
man braucht nur an aus Reis und Palmensaft bereiteten Arrac, an den aus
•n der Zuckerplantagen dargestellten Rum, an Kornbranntwein u. s.w.
zu riechen, um den jeder dieser Flüssigkeiten eigeuthümlichen Geruch wahr-
zunehmen. Ebenso unterscheiden sich die Producte, welche aus Zuckerrüben und
Melassen, aus den Knollen von Kartoffeln, von Topinambur und Arumarten, aus
Kastanien und Eicheln bereitet werden.
Nach der Beschaffenheit der Rohmaterialien unterscheidet man 1) die Ver-
arbeitung von alkoholartigen Flüssigkeiten, um den bereits vorhandenen
Alkohol von jenen fremden Bestandteilen zu befreien; dies geschieht mittels
Destilliren. Das erste Destillationsproduct heisst, Lutter; die Rectificatiou des
Lutters heisst Weinen, Klären, und das hierbei zuerst übergehende Destillat
wird Vorlauf und das zuletzt übergehende Nachlauf trenannt; letzterer wird
Weingeistindustrie. 4Ö5
dem Lutter wieder zugegeben. Die starkem Sorten von Weingeist werden durch
weitere Rectification dargestellt.
In der Industrie sind jetzt allgemein die Apparate von Pistorius,
Schwarz und Gall eingeführt, mittels welcher es möglich geworden ist. aus
der Maische direct durch eine einmalige Destillation starken Weingeist von 95°
Tralles darzustellen.
Man unterscheidet bei diesen Destillirapparaten die Blase oder den Kessel für
die Aufnahme des Maischgutes, zwei Kühlapparate, von denen der eine als Recti-
ficator, der andere als Condensator für die fertigen Producte dient, und einen
Dephlegmator, welcher für die Zeidegung des Danipfgeniisehs 'Lutterdanipfes ) be-
stimmt ist. indem der aus vielem Wasser bestehende Theil sich verdichtet und in die
Blase zurückfliesst. der andere alkoholreichere Theil aber dampfförmig bleibt und in den
Kühlapparat gelangt.
Beim Sieden entstehen Dämpfe ans Alkohol und Wasser. Je nach der Ver-
mischung derselben bilden sich verschiedene Siedepuncte. da der Siedepunct des Wassers
um 21.7° C. höher liegt als der des Alkohols. Ist nun z.B. der Siedepunct von 90°
erreicht, so wird sich von dem Alkohol wegen seines niedrigeren Siedepunetes der
grösste Theil dampfförmig entwickeln, während das auf diesen Grad erhitzte Wasser nur
so viel Wasserdampf abgibt, als die Alkoholdämpfe bei ihrem Durchgänge durch das
Gemisch von Alkohol und Wasser nach dem Grade der Temperatur davon aufnehmen.
Je höher der Siedepunct steigt, desto mehr wird auch die Menge der Wasserdämpfe
zunehmen, so dass bei 100°. "beim Siedepuncte des Wassers, nur Wasser übergeht:
beim Besinne der Destillation bestehen dagegen die Dämpfe aus viel Alkohol und sehr
wenig Wasser und erst bei zunehmender Temperatur aus mehr Wasser.
" Die Hauptsache beruht daher auf d^r Beobachtung der verschiedenen Siedepuncte
verschiedener Gemische von Wasser und Alkohol und" der verschiedenen specifischen
Gewichte beider Dämpfe, sowie auf der rechtzeitigen Unterbrechung der Destillation.
Der ganze Process ist nur als eine fractionirte Destillation in der grössten Voll-
kommenheit zu betrachten und repräsentirt eine 20— SOfache Rectification.
Nach dem Gehalt an Wasser unterscheidet man Branntwein mit28°Tr., reeti-
ficirten Weingeist mit 80° Tr. und höchst rectificirten Weingeist mit 90° Tr.
Hierbei bleibt noch immer ein gewisser Antheil Wasser zurück: es ist aber nicht mög-
lich, den Weingeist durch Destillation allein ohne Zusatz wasserentziehender Substanzen
vollständig zu "entwässern, da der Siedepunct des absoluten Alkohols höher liegt als der
des wässrigen. Zur chemischen Bindung des Wassers setzt man deshalb sehliesslk-h
Aetzkalk oder entwässertes Kupfersulfat hinzu, um absoluten Alkohol von 100° Tr.
darzustellen, der bei 78,5° siedet und bei 15° das spec. Gew. 0.79 hat.
2) Die Verarbeitung zuckerhaltiger Substanzen. Hier muss zu-
nächst die Umwandlung des Zuckers in Alkohol mittels des Gährungsprocesses
erfolgen.
Letzterer wird entweder durch Selbstgährung oder durch Zusatz von Hefe bewirkt.
die entweder den Bierbrauereien entnommen oder in den Spiritusfabriken selbst cultivirt
wird. Im letztern Falle wird entweder die zuckerhaltige Flüssigkeit durch Zusatz von
Hefe in Gährung gebracht oder es wird aus Malzschrot mittels warmen Wassers eine
concentrirte zuckerhaltige Flüssigkeit hergestellt, die man mittels Hefe in Gährung_ ver-
setzt und zur Cultur der Kunsthefe dient.5) Bei Rübenmelassen ist wegen ihres
Alkaü>ehalts ein Zusatz von Schwefelsäure nöthig, während bei den Rübensäften
die Vergährung bei Gegenwart der Säure viel regelmässiger verläuft.
3) Verarbeitung stärkemehlhaltiger Substanzen. Hier muss noch
die Umwandlung des Stärkemehls in Zucker hinzukommen, um den Gährungs-
process zu ermöglichen. Dies geschieht durch Zusatz von Malz, da die in
demselben enthaltene Diastase das Stärkemehl veranlasst, Wasser aufzunehmen.
um sich in Dextrin und dann in Traubenzucker zu verwandeln (s. Trauben-
zucker).
Man nennt dies Verfahren den Maischpro eess oder das Einmaischen, wozu
man besondere Apparate, Maischbottiche, benutzt (s. Bierbrauerei). Nach beendigter
Zuckerbildung erfolgt ein rasches Abkühlen der Maische mittels besonderer Kühl-
apparate, wobei die Klärung der Würze, die in der Bierbrauerei nothwendig ist,
ganz wegfällt.
40(> Aethylverbindungen.
Als den Typus für den ganzen Brennprocess kann man die Kart off el-
und Fruchtbrennerei betrachten. In Deutschland liefern hauptsächlich die
Kartoffeln das wichtigste Rohmaterial; diese werden zuerst in die Wasch-
maschine gebracht, welche aus einem schiefliegenden Cylinder von Latten besteht,
der sich in einem mit Wasser gespeisten Troge um seine Achse bewegt. Von
hier aus gelangen die Knollen in einen aufrecht stehenden Cylinder, in das sog.
Dämpffass, in welchem dieselben durch die eingeblasenen Dämpfe eines Dampf-
kessels gar gekocht werden. Der hierbei auftretende Wasserdampf ist mit einem
höchst unangenehmen und belästigenden Geruch behaftet, er soll ein flüchtiges
narkotisches Gift enthalten, welches auf manche reizbare Constitutionen
höchst nachtheilig einwirkt; es existiren Beispiele, dass Menschen, die davon ge-
troffen worden, wie ohnmächtig hinstürzten. Wenn schon gesunde Kartoffeln eine
so unangenehme schädliche Ausdünstung beim Kochen hervorrufen, so sind diese
Dämpfe um so mehr zu beachten, wenn kranke, erfrorene oder faulende Kar-
toffeln oder im Spätwinter und Frühjahr ausgewachsene Kartoffeln zur Verwen-
dung kommen.
Die abfallenden Wässer, die sogenannten Kochwässer, bestehen grössten-
theils aus Coudensationswasser, das mit geringen Mengen des in den Kartoffeln
enthaltenen Wassers vermischt ist; sie zeichnen sich durch einen Gehalt an
Solauin aus, haben einen höchst unangenehmen, kratzenden Geschmack und
dürfen nur nach der Behandlung mit Kalk in Schlinggruben oder öffentliche
Canäle abgelassen werden, da ihr Gehalt an organischen vegetabilischen Sub-
stanzen, Gummi, Stärkemehl, Solanin u. s. w. ihre leichte Zersetzung resp.
Fäulniss bedingt.
Durch den Kalkzusatz erhält man einen flockigen Niederschlag, welcher alles
Solanin enthalt: behandelt man denselben mit verdünnter Schwefelsäure bis zur
schwach sauren Reaetion, präeipitirt das Filtrat abermals mit Kalkmilch und behandelt
den getrockneten Kalkniederschlag mit siedendem Alkohol, so schiesst beim Erkalten
das Solanin in zarten, atlasglänzenden Nadeln an.
Ein geringerer Gehalt an Solanin lässt sich in der alkoholischen Lösung
dadurch nachweisen, dass man iu einem Uhrglase einige Tropfen concentrirte
Schwefelsäure damit zusammenbringt, wodurch dann zuerst eine schöne violett-
rothe Farbe entsteht, welche sich allmählig in Orange verwandelt.
Iu der That hat man auch beim Vieh nach dem Genüsse eines solchen
solauinhaltigen Wassers Krankheitszustände, namentlich bei Kühen ein heftiges
Zittern, beobachtet.
Die Kartoffeln gelangen nun aus dem Dämpffass in einen grossen hölzernen
Trichter., welcher am untern Ende mit zwei cannelirten Quetschwalzen versehen ist und
über einen Bottich mündet. Das Quetschgut wird im Bottich mit so viel Wasser
versetzt, dass es einen dünnen Brei bildet und ungefähr die Temperatur von 60° R.
hat. Man gibt dann das geschrotete Gersten-, Roggen-, Weizen- oder Hafermalz
hinzu und bearbeitet die breiige Masse in einem flachen Kühlschiff durch starkes Rühren
und Schlagen mit gabelförmigen Schaufeln; man nennt diese Arbeit das Beschlagen
der Maische. Der Beschlag dauert nach dem Umfange der Masse %— 1% Stunden:
man benutzt gegenwärtig hierzu besondere Kühlapparate nach Sipmpiis und Liebig. Nach
Beendigung der Zuckerbildung gibt man nun so viel kaltes Wasser hinzu, dass das
Maischgut höchstens nur noch 20—22° R. hat und fügt dann Bierhefe hinzu.
Der gebildete Zucker gelangt unter starker Kohlensäureentwicklung
sofort zur Gährung; da dieselbe den Bottich leicht übersteigt und sich am Boden
des Fabriklocals ansammelt, so können die Arbeiter, z. B. beim Bücken, einer
grossen Gefahr ausgesetzt sein, wenn man nicht für die Ableitung der Kohlen-
säure sorgt. Unterlässt man überhaupt die erforderlichen Vorsichtsmassregeln,
Weingeistindustrie. 407
so haben die Arbeiter häufig von dem nachtheiligen Einfluss der Kohlensäure
zu leiden, der sich auf die Dauer in Störungen der normalen Blutbildung äussert
und einen eigenthümlichen Zustand von Oligaemie mit allgemeiner Schwäche,
Verdauungsstörungen und nervöser Reizbarkeit erzeugt.
Das vergohrene Maischgut nennt man brennwürdig; es wird dann der
Destillation unterworfen. Die Rückstände im Kessel, Phlegma, Schlempe,
Spülicht genannt, werden zur 'Viehmast benutzt; sie enthalten eine Menge von
unverändertem Stärkemehl, Dextrin, Gummi und die Salze der gebrauchten Vege-
tabilien. Wird das Spülicht sich selbst überlassen, so bilden sich in demselben leicht
Schimmelpilze neben Milch-, Butter- und Essigsäure. Wegen dieser Säuren kann
das Spülicht zum Putzen kupferner und messingener Gefässe verwendet werden; es
dürfen deshalb die Geschirre, in denen man Spülicht für die Viehfütterung aufbewahrt,
nicht aus leicht oxydirbareu Metallen, wie Blei, Zink, Kupfer oder Messing, be-
stehen. Ebensowenig zulässig ist es, dass die Abzugsröhren für die Schlempe aus diesen
Metallen angefertigt sind. Die Nichtbeachtung dieser Massregel kann Krankheit und
Tod der Thiere zur Folge haben. Noch unvorsichtiger ist es, solche Gefässe mit
Mennigfarben anzustreichen; heftige Bleikoliken bilden sich dann sichei'lich aus.
Da das Maischgut ein Oxyd des Alkohols resp. Essigsäure enthält, so ist es
leicht erklärlich, dass der Branntwein, welcher mit dieser Säure geschwängert ist und
dessen Dämpfe mittels kupferner Schlangen abgekühlt worden sind, kupferhaltig
wird; schon die blosse Farbe lässt dies leicht erkennen. Unzweifelhaft kann aber auch
bei einem geringen Gehalte an Kupfer dasselbe durch Ferrocyankalium-Papier
leicht nachgewiesen werden, indem dasselbe alsdann rothbraun gefärbt wird; es sollte
deshalb dies Reagenspapier niemals in einer Brennerei fehlen, da Kupfer fast das
einzige Metall ist, welches hier zur Sprache kommen kann. Was von andern metallischen
Verunreinigungen des Branntweins gesagt wird, entbehrt in den meisten Fällen einer
genauem Begründung und pflanzt sich, wie so vieles Andere, traditionell aus einem
Lehrbuch in das andere fort. Aller etwaige Metallgehalt des Branntweins wird über-
haupt durch die Läuterung, sowohl durch die Destillation als auch durch Filtration
über Schwarzmehl (fein gepulverte Holzkohle), beseitigt. Was man z.B. von dem
Bleigehalte des Branntweins behauptet, welcher von den bleihaltigen Löthungen und
Verzinnungen an den Kupfergefässen in Folge von Ausbesserungen herrühren soll, ist
erfahrungsgemäss gar nicht bewiesen. In der Regel sind die Kühlschlangen mit Hart-
loth, d. h. mit Messing im Feuer gelöthet; sollte selbst durch einen Säuregehalt Blei in
Lösung gehen, so müsste die Säure lediglich aus Essigsäure bestehen; nun treten aber
bekanntlich auch andere fette Säuren, wie Butter-, Baldrian-, Capron- und Caprylsäure
auf, die mit dem Blei püasterähnliche Verbindungen bilden, die in Weingeist, also auch
in verdünntem Weingeist, im Branntwein, theils schwer, theils unlöslich sind.
Ein directer Versuch, bei welchem eine Kühlschlange von Blei in Anwendung
kam, ergab erst dann einen Bleigehalt, wenn der Weingeist grösstentheils abdestillirt
war und zuletzt fast reines Wasser condensirt wurde. Das Destillat war dann opali-
sirend, milchig getrübt und zwar von Bleihydrat resp. Bleicarbonat, dessen Entstehung
die Wasserdämpfe veranlassten. Sind die Brennblasen im Innern verzinnt, was jedoch
selten vorkommt, und ist dem Zinn Blei beigemengt, so ist es nicht unmöglich, dass
die Schlempe bleihaltig wird und dann als Viehfutter schädlich einwirken kann.
Ebenso kann auch die Schlempe bei einer längern Unterbrechung des Betriebes, wenn
sich in Folge dessen in der Blase basisch essigsaures und kohlensaures Kupfer gebildet
hat, bei der ersten Beschickung kupferhaltig werden.
Im Branntwein können somit alle andern Metalle, ausser Kupfer, nur zufällig
oder aus Unvorsichtigkeit enthalten sein. Hätte z. B. ein Branntwein mit saurer
Reaction in Zinkgefässen gestanden, so würde der Zinkgehalt desselben nicht auffallend
sein. Jedenfalls ist die Anwendung von messingenen Messgeschirren, Trichtern und
Hähnen an den Branntweinfässern unzulässig und sollten dieselben strenger verboten
werden; zu Hähnen eignet sich Holz am besten und für die andern Gefässe sind nur
reines Zinn, Porcellan oder Steingut zulässig.
Ein Zusatz von gebranntem Alaun zum Branntwein, wodurch der durch Ver-
mischung mit Wasser trübe gewordene Branntwein geklärt werden soll, ist jedenfalls
unschädlich. Durch denselben erfolgt stets Wasserentziehung; gleichzeitig wird aber
auch, das Fuselöl gleichsam concentrirter und verstärkt dann den eigenthümlichen
Geschmack.
Der ungerechtfertigte und höchst gefährliche Vorschlag, durch Zusatz von
arseniger Säure den Branntwein zu entfuseln , ist wohl nirgends zur Ausführung
gekommen; ebensowenig wird man Schwefelsäure dem fertigen Branntwein zusetzen,
da dadurch ein wüster und unangenehmer Geschmack entsteht. Ein schwacher Zusatz der-
40g A. thylverbindungen.
selben vor der Rectificatiou findet nur statt, um Aetherbildung zu veranlassen. Man
hat aber dann auf die Rückstände um so mehr Sorgfalt zu nehmen, da sie ausser
der Schwefelsäure die dieselbe verunreinigenden Stoffe, Arsen, Blei u. s. w., enthalten
können. Bei den Rübenmelassen dient die Säure zur Neutralisation der alkalischen
Flüssigkeiten (s. S. 405).
Um einen weniger starken Branntwein noch ..stärker-' zu machen, wurde derselbe
früher nicht selten über scharfe Pflanzenstoffe, z. B. über Capsicum. Pfeffer, Seidelbast,
Ingwer und selbst über Hyosciamns, Stramonium und Lolch abdestillirt. Die Zusätze
der narkotischen Kräuter sind schwer zu erkennen, wohingegen die scharfen Pflanzen-
stoffe Brennen auf den Lippen und im Munde erzeugen.
Ausser den sauren Verbindungen enthält der Branntwein noch Alkohole der
höhern Kohlenstoffreihen, welche man unter den Namen: Fusel, Fuselöl
zusammenfasst: durch diese erhält das gewonnene Product den bereits erwähnten Geruch
und Geschmack. Der Repräsentant dieses Fuselöls ist das Kartoffelfuselöl, der
Amylalkohol, welcher meistens noch Propyl-, Butylalkohol u. s. w. enthält. Im
Rum findet sich Ameisensäure -Aethyläther, im Arrac Ameisensäure- und Buttersäure-
Aethvläther und im Cognac Oenanthäther, die ans Fuselöl entstehen.
Das Lagern der Branntweine hat zuweilen einen grossen Einfluss auf den Geruch
und Geschmack derselben, da nämlich die in denselben enthaltenen Säureu resp. Alkohole
allmählig diese eigentümlichen Aetherarten erzeugen. So findet man z. B. im ..alten
Klaren" neben dem eigentlichen Fuselöle des Roggens noch Essigäther, welcher offenbar
durch die Einwirkung der im Branntwein enthaltenen Essigsäure auf den Alkohol ge-
bildet worden ist Nicht selten werden durch Zusatz von Ameisensäure zum gewöhn-
lichen Branntwein oder durch Destillation desselben über Ameisen künstlicher Arrac
und Rum fabricirt (s. Am eisensäure- Methyläther S. 377 .
Künstlichen Cognac erhält man, wenn mau Palmöl, das vorher mit Kalium-
chromat und Schwefelsäure oxydirt worden, zu einem Gemisch von concentrirter
Schwefelsäure und TOproeentigeni Weingeist setzt und dann der Destillation unterwirft.
Hier bildet sich Oenanthäther. Ein solcher Branntwein kann in Folge dieses Ver-
fahrens einen Gehalt von schwefliger Säure bekommen, durch welche die kupfernen
Schlangen angegriffen werden können, so dass sich schliesslich Kupfervitriol bildet,
der jedoch im Weingeist unlöslich ist.
Rectificatiou des Spiritns. Die mit den Apparaten von Plstoriiis und Andern
gewonnene alkoholische Flüssigkeit enthält stets Beimengungen von übelriechenden
Alkoholen (Fuselöl). Der Kartoffel-, Korn-, Melassen- und Treber-Spiritus sind be-
sonders reich daran.
Die Entfernung dieser Alkohole geschieht durch fractionirte Destillation, da die
meisten dieser Alkohole bei 130—150° sieden. Man bedient sich dazu besonderer
Rectifications-Apparate von Cellier-Rlvmenthaf, Sa call? u. s. w. Man hat auch chemische
Mittel, Chlorcalcium, Kaliumchromat, Eisenchlorid u. s. w. vorgeschlagen, um die frem-
den Bestandtheile abzuscheiden, was aber nicht gelingt. Die Filtration des auf 56°
verdünnten Spiritus mittels Holzkohle hat sich bisher noch am besten bewährt.6)
Liqueure heissen weingeistige Auszüge aus Pflanzenstoffen oder Mischungen der
betreffenden ätherischen Oele mit Weingeist unter reichlichem Zusätze von Zucker und
Wasser. Bei den sogenannten Cremes folgt auf die Digestion noch die Destillation
und schliesslich die Versüssung mit Zucker: der über Wachholderbeeren destillirte
Branntwein heisst in Holland Genevre und in England Gin: letzterer unterliegt sehr
vielen Fälschungen und erhält namentlich Zusätze von scharfen Stoffen.
Ratafia heissen die Branntweine, welche man durch Vermischen von Frucht-
säften, Zucker und Weingeist erhält. Besonders beachtenswerth sind die Branntweine,
welche sich durch einen Gehalt an Blausäure auszeichnen; hierher gehören: das
einfache und doppelte Kirschwasser, welches sowohl aus Prunusarten als auch
aus Amygdaleen bereitet wird; der ungarische Zwetschenbranntwein, genannt
Slivovitz, der aus Pfirsich steinen und Blättern bereitete Persico, sowie der
Maraschino, welcher aus einer Kirschart unter Zusatz von Pfirsichblättern u. s. w.
bereitet wird.
Der Vogelbeerbranntwein aus Sorbus aucuparia enthält neben Blausäure
noch ein eigenthümliches betäubendes FermentÖl, welches sich wahrscheinlich aus dem
in den Beeren enthaltenen Sorbin (C6H.206) entwickelt. Benutzt man Kirschen, so
werden sie von den Stengeln befreit und zerquetscht: das Amygdalin befindet sich
in den Kernen und verwandelt sich durch Zersetzung in Bittermandelöl, Blausäure
und Zucker. Nachdem man die breiige Masse hat gähreu lassen, treibt man Dampf
durch dieselbe und beginnt mit der Destillation.
Bei der Destillation aller vergohrenen Flüssigkeiten, welche Blausäure enthalten,
ist wohl zu beachten, dass diese Säure flüchtiger als der Alkohol ist, sich im Beginne
der Destillation massenhaft entwickelt und bei schlechter Kühlung zum Theil gasförmig
Weingeistindustrie. 409
entweichen kann; auch ist der Vorlauf gewöhnlich mit Blausäure gesättigt. Zur Ver-
hütung yon Unglücksfällen muss man die nicht condensirten Gase und Dämpfe aus dem
Arbeitsiocale entfernen; bei Nichtbeachtung dieser Vorsichtsmassregel sind schon Todes-
fälle unter den Arbeitern vorgekommen. Zur Beseitigung der Gase dient der Gas-
sam melk asten (s. Holzgeist). Der Vorlauf muss mit der ganzen Ausbeute von
Destillationsproducten vermischt werden, weil er durch seinen reichen Gehalt an Blau-
säure, pur genossen, Vergiftungserscheinungen hervorrufen würde.
Was das Färben der Branntweine betrifft, so dürfen dazu nur unschädliche
Stoffe, wie Sandelholz, Kurkuma, Cochenille, Safflor, Karamel u. s. w. genommen
werden. Der Gebrauch von Anilinfarben ist zu verbieten, da dieselben bekanntlich
häufig noch schädliche metallische Beimengungen, namentlich A r s e n , enthalten können;
auch Naphtalinfarben, welche man neuerdings gebraucht, können unter Umständen
schädlich wirken. Die blaue Farbe wird am besten durch Indigo-Carmin und die
grüne durch eine Mischung von Blau und Safrantinctur dargestellt. Pikrinsäure
darf nicht angewendet werden, obgleich man in England einen reichlichen Gebrauch
davon macht.
Nachweis von Alkohol. Die Angabe, dass sich durch Schwefelsäure und
Kaliumbichromat am besten der Alkohol in den Organen, namentlich im Urin, durch
die Farben Veränderung von Roth in Smaragdgrün sicher nachweisen lasse, gibt zu
grossen Täuschungen Veranlassung, weil eine jede organische Substanz dieselbe Reaction
hervorruft. Das einfachste Verfahren besteht in der Destillation.7)
Verwendung des Alkohols. Auf seiner Eigenschaft, allen Substanzen Wasser zu
entziehen, beruht seine antiseptischeWirkung; er soll llVol.-Proc. atmosphärische Luft
aufnehmen und mehr Sauerstoff als Stickstoff absorbiren; schon der Sauerstoff der Luft
verwandelt ihn allmählig in Essigsäure; hierauf beruht die Schnellessigfabrication.
Wird Sauerstoff in die Alkoholflamme geblasen, so entsteht eine so grosse Hitze,
dass in der Stichflamme Platin zum Schmelzen gebracht werden kann; man erhält auf
diese Weise das für die Industrie wichtige Alkoholgebläse.
Alkohol (das arabische Wort Kohol bedeutet das „Reinste", AI ist der Artikel)
ist besonders als Lösungsmittel für ätherische Oele, Harze, Fette, Bromid, Jod und
viele Salze wichtig und für die Darstellung von chemischen Präparaten unentbehrlich.
Der zur Hälfte bis zu zwei Dritteln mit Wasser vermischte Alkohol ist als
Branntwein das verbreitetste Genussmittel. Die verschiedenen Branntweine werden
entweder direct dargestellt oder aus 80 — 85procentigem Rohspiritus gewonnen, der
rectificirt, in Sprit von 90 95% Alkoholgehalt verwandelt und dann mit den nöthigen
Zusätzen von Wasser, Zucker u. s. w. versetzt wird.
Das Lagern des Weingeistes. Der Weingeist darf in Fässern lagern, weil eine
Verdunstung durch die Dauben nicht stattfindet: nur Wasser verdunstet hierbei. Vor-
zuziehen ist stets das überirdische Lagern, um bei einem Brandunglück rascher ein-
wirken und die mit Explosionen verbundenen Gefahren vermindern zu können. Lagert
dagegen der Weingeist allein in gut gewölbten Kellern, so kann man dieselben bei
entstehendem Brande hermetisch verschliessen und auf diese Weise das Feuer löschen.
Absoluter Alkohol muss in gut verschlossenen Gefässen aufbe wahrt werden, damit
er nicht Wasser aus der Luft anzieht.
Aether, Aethyläther, Schwefeläther, Aetker snlfaricus, C2H5^0 C3H5=C4H100,
wird durch Erhitzen von Schwefelsäure (9 Th.) und Alkohol (5 Th.) von 90 % auf
135—140° dargestellt. Es entsteht zuerst Aethylschwefelsäure (C2H60 + H2S04
= C2H5HS04 + H20), welche sich mit einem zweiten Molec. Alkohol in Aether und
Schwefelsäure zersetzt:
C2H5HS04 + C2H60 = C2HrC^C2H5 + H2S04.
Die zurückbleibende Schwefelsäure kann wieder zur Zersetzung eines neuen Zu-
satzes von Alkohol benutzt werden, so dass man mit einer verhältnissmässig geringen
Menge von Schwefelsäure unbegrenzte Mengen Alkohol in Aether überzuführen vermag.
Der Aether ist eine farblose Flüssigkeit von durchdringendem Gerüche und süss-
lich brennendem Geschmack, hat bei 0° das spec. Gewicht 0,736, siedet bei 35° und
erstarrt bei — 44° zu einer weissen krystallinischen Masse. Seine Dämpfe verbrennen,
mit Sauerstoff oder Luft gemengt, unter heftiger Explosion. Mit Alkohol ist Aether
mischbar, aber 36 Th- Aether nehmen nur 1 Th. Wasser auf, während IS Th. Wasser
1 Th. Aether lösen. Für Gummiharze und eigentliche Harze ist er ein gutes Lösungs-
mittel ; von Schwefel und Phosphor löst er nur den V27 Theil. Die Lösungen von Jod
und Brom werden an der Luft leicht sauer. Chlor wirkt in der Weise auf den Aether
ein, dass es den Wasserstoff substituirt.
Wirkung des Aethyläthers auf den thieriseken Organismus. Seitdem der
Geologe und Chemiker Jackson zu Boston im Jahre 1846 seine Beobachtungen
410 Aethylverbindungen.
über die schmerzstillende Wirkung der Aetherinhalation bekannt gemacht hat,
sind hierüber unzählige Versuche und Beobachtungen veröffentlicht worden. Im
Allgemeinen ist bei der Einwirkung des Aethers das Stadium der Aufregung
länger und das der Betäubung kürzer als beim Chloroform; die Erfahrung hat
aber festgestellt, dass der Tod durch Herz- oder Athmungslähmung weniger
leicht als beim Chloroform eintritt. Wegen der geringern Flüchtigkeit des
Aethers wird derselbe auch weniger rasch aus dem Blute ausgeschieden und ist
deshalb die Schwere und Eingenommenheit des Kopfes wie nach einem starken
Rausche bei der Aetherisation sehr belästigend; diese höchst unangenehmen
Folgen haben am meisten die Bevorzugung des Chloroforms veranlasst. Der in
Frankreich empfohlene ether purifie unterscheidet sich nur durch einen ge-
ringern Wassergehalt, da sein spec. Gewicht bei +150° C. 0,725 beträgt.8)
In Werkstätten, in denen Aether zur Verwendung kommt, oder bei seiner fabrik-
gen Darstellung leiden die Arbeiter vorzugsweise an einer Eingenommenheit und
Schwere des Kopfes, die in eiuen rauschähnlichen Zustand übergehen kann. In der
Regel schwinden die Beschwerden rasch wieder an der freien Luft, kehren aber bis-
weilen sehr leicht zurück und machen dann den Aufenthalt in solchen Räumen auf die
Dauer unerträglich. Man hat hierauf zu achten uud den Arbeitern in einem solchen
Falle dringend zu rathen. die schädliche Einwirkung zu vermeiden.
Verwendung findet der Aether vorzugsweise als Auflösungsmittel harziger und
öliger Substanzen; als Extractionsmittel öliger Samen wird er dem Schwefelkohlenstoff
Concurrenz machen.
Seine Versendung muss in Flaschen von höchstens 20 Pfund geschehen, die in
Holzkasten mit Kleie oder Sägespänen umhüllt sind; dasselbe gilt vom absoluten Alkohol.
Aethyläther- Industrie.
Beim Destill iren, wozu man eiserne, inwendig verbleite Kessel von circa
1 — 2 Ohm Inhalt benutzt, werden die gebildeten Dämpfe des Wassers, Aethers
und Alkohols dadurch getrennt, dass sie durch ein senkrecht stehendes Rohr ge-
trieben werden, von welchem in verschiedenen Höhen Zweigröhren nach isolirten
Kühlapparaten hinführen, wodurch alsdann die Fractionirung stattfindet. Das
Wasser geht durch das unterste Zweigrohr nach der Kühlschlange, wohin-
gegen der Alkohol und Aether in die Höhe steigt und dort gekühlt resp. con-
densirt wird.
Der condensirte Aether fliesst sofort aus der Kühlschlange in den Recti-
fication sapparat, welcher mit Pottasche zu einem Drittel angefüllt ist und
durch die vom Rohkessel abgeführte warme Luft in Destillationshitze gehalten
wird. Aus dem Rectificator treten die Dämpfe in eine Kühlschlange, welche
durch fortwährend zuströmendes Wasser bis auf mindestens +9° Temperatur ge-
halten wird. Der fertig gebildete Aether wird in grossen Glasballons auf-
gefangen.
Ist der Alkohol im Gemische des Rohkessels zerlegt, hat man den gebildeten
Aether und das Wasser abdestillirt, so lässt man in fortwährendem dünnem Strahle
eine neue Portion Weingeist in die siedende Schwefelsäure fliessen, worauf die Aether-
bildung continuirlich stattfindet. Es ist hierbei zu beachten, 1) dass sich die Gase resp.
die aus dem Apparate tretende Luft, welche stets mit Aether geschwängert ist, nicht
im Arbeitslocal verbreiten, in welchem sich Feuerungen befinden. Es müssen deshalb
in den betreffenden Etablissements die Kühlvorrichtungen stets von den Kesseln durch
eine Mauer getrennt und erstere mit einem Gassammeikasten versehen werden: ausser-
dem sind die Feuerungen ausserhalb des Laboratoriums anzulegen; 2) dass man die
Pottaschenrückstände, welche viel schweflige Säure enthalten, auf geeignete Weise
verwerthe und nicht, wie es früher häufig geschah, in öffentliche Canäle oder Schling-
gruben abfliessen lässt; 3) dass das aus der Schwefelsäure abdestillirte Wasser, welches
mit dem sogen, schweren und leichten Wein öl imprägnirt ist, nicht in die Schling-
oruben abfliessen lässt. Dasselbe hat nämlich einen betäubenden und höchst un-
Aethyläther- Industrie. 411
angenehmen Geruch und würde in diesem Falle die benachbarten Brunnen unbrauchbar
machen können.
Fast alle zusammengesetzten Aetherarten, welche sowohl zurAethyl-, Methyl-
als auch Amylgruppe gehören, fanden bisher fast lediglich ihre Verwendung in den
Parfümerien, "in der Kosmetik und namentlich in der Liqueur- und Seifenfabrication.
Die Darstellung von Chloroform gehört insofern zur Aethylindustrie,
als man dazu mehr Alkohol als Holzgeist benutzt.
Man mischt Alkohol mit einer wässrigen Losung von Chlorkalk und unterwirft
dieses Gemisch der Destillation. Da die Einwirkung unter heftigem Aufschäumen statt-
findet, so muss die Procedur in geräumigen Destillationsgefässen vorgenommen werden.
Die Rückstände enthalten stets noch mehr oder weniger unzersetztes unterchlorig-
saures Calcium; man kann sie als Desinfectionsmittel benutzen; wegen ihres Gehalts
an Chlorcalcium sind sie sehr belästigend und können beim Ablagern sehr zum Feucht-
werden der Mauern beitragen. Wenn der Weingeist fuselölhaltig war, so sind die
Rückstände ebenfalls mit Fuselöl geschwängert. Wegen der Feuerungsanlagen und
Gasexhalationen sind dieselben Vorsichtsniassregeln wie bei der Aetherfabrication er-
forderlich.
Salpetrigsäure -Äeth er, Aethylnitrit, Aether nitrosus, C2H5N02, wird durch
Destillation eines Gemisches von Alkohol und Salpetersäure erhalten. Der Alkohol
reducirt hierbei die Salpetersäure zunächst in salpetrige Säure, welche dann auf den
noch unzersetzt gebliebenen Alkohol einwirkt.
Eine strohgelbe Flüssigkeit von ätherischem, den Borsdorf er Aepfeln ähnlichem
Gerüche und süsslichem Geschmack, welche bei +16,5° siedet und ein spec. Gew. von
0,941 hat und leicht entzündlich ist. Wegen ihrer grossen Flüchtigkeit entsteht beim
Verdunsten derselben an der Luft ein hoher Grad von Kälte.
Der Spiritus nitrico- dulcis der Pharmacopoe ist ein Gemisch von Aethyl-
nitrit mit Weingeist.
Einwirkung des Aethylnitrits anf den thierischen Organismus. Dieser Aether
erzeugt sehr rasch eine Anästhesie, welche jedoch ebenso rasch wieder verschwindet.
Er ist so flüchtig, dass er in grösserer Menge in Flaschen nicht aufbewahrt werden
kann und kommt daher meistens in Verbindung mit Alkohol zur Verwendung.
Wenn Rirhardson9) behauptet, dass das Blut durch diesen Aether chocoladenf arbig
werde, so liegt die Vermuthung nahe, dass das benutzte Präparat eine freie Säure, ent-
weder salpetrige oder Salpetersäure, enthalten hat. Bekannt ist die_ Thatsache, dass
manche Laboranten bei der Darstellung dieses Präparats eine bläuliche Gesichts-
farbe ohne alle auffallende Beschwerden bekommen, indem die kleinern Venenstämme
durch eine grössere Ausdehnung sichtbarer werden.
Verwendung findet dieser Aether als reducirendes Mittel in der Anilinfabrication,
um 'Rohanilin in Blau zu verwandeln, und zur Darstellung von Essenzen.
Salpetersäure -Aethyläther, Aether nitricus. C2H5ON02, wird durch Destillation
von Salpetersäure, Alkohol und Harnstoff dargestellt: letzterer verhütet die Bildung
von salpetriger Säure, indem er sich in gleiche Volumina Stickstoff und Kohlensäure
zerlegt. Eine angenehm riechende Flüssigkeit, welche bei 86° siedet und ein spec. Gew.
von 1,112 bei +17° hat: sie brennt mit weisser Flamme.
Einwirkung des salpetersauren Aethyläthers auf den thierischen Organismus.
Ein starkes Kaninchen wurde mit dem Vorderkopfe in einen Trichter gesteckt, in dessen
Grund ein mit dem Aether imprägnirter LeinTvandpfropfen lag. Nach 2 M. verlangsamt
sich die Respiration und wird pfeifend, nach 10 M. grosse Unruhe: nach 14 M. Zusatz
des Aethers, hierauf beschleunigte und angestrengte Respiration. Nach 15 M. abermals
Zusatz des Aethers; schwache convulsivische Bewegungen in den Vorderbeinen, die
Hinterbeine sind erschlafft, Als nach 25 M. der Kopf des Kaninchens frei gelassen
wird, lässt es denselben nur einen Augenblick auf der Seite liegen, dann erhebt es den
Kopf, steht auf und läuft davon; die Respiration regulirt sich bald und Nachkrankheiten
bilden sich nicht aus. Von einer Anästhesie konnte somit keine Rede sein.
Chambert will dagegen mit diesem Aether eine kurz dauernde Anästhesie hervor-
gerufen haben, welche nicht mit Erschlaffung, sondern mit Rigidität der Muskeln ver-
bunden war.
Verwendung findet dieser Aether zur Oxydation des Anilins in Anilinfarben-
fabriken.
Oxy dationsproducte des Alkohols.
1) Aldehyd, Acetaldehyd CH3~CHO=:02H40 kommt in der Natur nicht fertig
gebildet vor und findet sich im Rum und in Bordeaux- Weinen. Der Name Aldehyd,
412 Aethylvei'binduugen.
d. h. Alkoholdehydrogenatus rührt daher, dass man sich 2 Atoine Wasserstoff dem
Alkohol entnommen dachte und zwar durch Oxydation und Bildung von Wasser.
Aldehyd ist nämlich Alkohol minus Wasserstoff:
GH60-2H = C2H40.
Die Aldehyde gehen daher mit nascirendem Wusserstoffe wieder in ihre
Alkohole über :
C2H40 + H2 = C,H„0.
Durch die Einwirkung von wässriger Chromsäure oder einem Gemenge von
Braunstein und Schwefelsäure auf Alkohol wird Aldehyd dargestellt. Werden stickstoff-
haltige thierische Substanzen (Fibrin, Harn, Haare, Leim) auf diese Weise behandelt, so
bilden sich stets erhebliche Mengen von Aldehyden. Auch der atmosphärische Sauer-
stoff resp. das Ozon vermag den Alkohol seines Wasserstoffs zu berauben und Aldehyd
zn bilden.
Aldehyd ist eine farblose, ätherartige Flüssigkeit von erstickendem Gerüche,
welche bei 21° siedet und das spec. Gew. 0,8 hat: sie reagirt neutral, entzündet sich
leicht und brennt mit blasser Farbe. An der Luft nimmt Aldehyd Sauerstoff auf,
verbreitet dabei einen eigenthümlichen erstickenden Geruch und geht schliesslich in
Essigsäure über :
C2H40 + 0 = C2H402.
Deshalb wirken die Aldehyde auch reducirend, weil sie das grösste Bestreben
haben, sich zu den entsprechenden Säuren zu oxydiren; namentlich zersetzen sie die
Silbersalze und erzeugen einen sogen. Silberspiegel, d. h. metallisches Silber, nach-
dem die aldehydhaltige Flüssigkeit vorher mit Ammoniak schwach übersättigt worden.
Auf dieser reducirenden Wirkung des Aldehyds in alkalischer Flüssigkeit be-
ruht auch die Veränderung des Blutfarbstoffs, welche beim Vermischen von alkalischem
Blut mit Aldehyd eintritt; dadurch schwinden nämlich die Blutbänder.
Wird Aldehyd wasserfrei in gut schliessenden Gefässen aufbewahrt, so erleidet es
sehr leicht eine Molecularumwandlung, indem zwei mit ihm isomere Körper, Met-
aldehyd und Paraldehyd, entstehen.
Durch Kalium wird Aldehyd in eine gelbe harzige Masse, Aldehydharz, ver-
wandelt, wobei das benutzte Kali in das essigsaure und ameisensaure Salz übergeht.
Einwirkung des Aldehyds auf den thierischen Organismus, l) Ein Kaninchen
sitzt im kleinen Holzkasten; es werden 4 Grm. Aldehyd eingetröpfelt; sogleich grosse
Unruhe , anhaltendes Putzen des Mauls und Thränen der Augen bei unterdrückter
Respiration; nach 10 M. ruhiges Sitzen und Zurückziehen dos Kopfes. Nach 20 Min.
nochmals Einträufeln von 4 Grm. Aldehyd; hierauf wieder abwechselnd Unruhe und
stilles Verhalten, in den Nacken zurückgezogener Kopf, starkes Reiben der Nase und
Thränen der Augen. Nach 30 M. Herausnahme des Kaninchens; bei erweiterter
Pupille wird die Respiration sehr stürmisch, die Herzaction sehr beschleunigt, während
es sich ruhig verhält; in's Freie gebracht läuft es bald umher.
2) Der Kopf eines Kaninchens wird in einen Glastrichter gesteckt, in dessen
Grund ein mit 40 Tropfen Aldehyd befeuchteter Baumwollenpfropfen liegt. Es sträubt
sich gewaltig, nach 3 M. sind die Glieder schlaff und die Respiration wird unregel-
mässig: nach 5 M. beschleunigter Herzschlag und ganz unempfindliche Bulbi;
nach 6 M. auf die Erde gesetzt, bleibt es in vollständiger Seitenlage liegen , den Kopf
erhebt es aber bald, die Respiration beschleunigt sich ganz ausserordentlich; 3 M. her-
nach sind die Bulbi noch unempfindlich, während die Hinterbeine zucken, wenn
man auf den Rücken klopft; nach 5 M. erhebt es den Oberkörper und die Respiration
ist wieder normal, während der Herzschlag noch beschleunigt ist.
3) Eine Taube wird mit dem Kopfe in ein weites Glasrohr, in welchem sich ein mit
20 Tropfen Aldehyd befeuchteter Baumwollenpfropfen befindet, gesteckt. Nach 2 M. ist
der Körper erschlafft; das Thier bleibt in der Seitenlage mit aufgerichtetem Kopfe liegen-
Nach einer nochmaligen Inhalation von 2 M. langer Dauer wird die Respiration unregel.
massig und ist mit Schlei mrasseln verbunden; frei hingelegt, bleibt sie nur % M. in der
Seitenlage; alsbald erhebt sie den Kopf; nach 2 M. steht sie auf und erbricht sich; sie
schwankt nicht im Geringsten und geht grade einher; auch die Respiration regulirt
sich bald, während der Herzschlag noch einige Zeit beschleunigt bleibt.
4) Nach 40 Tropfen Aldehyd wird eine Taube binnen 3% M. ganz anästhetisch:
2 M. hernach blinzelt sie wieder mit den Augen und 3 M. später steht sie auf und
schwankt nur wenig; die anfangs beschleunigte Respiration regulirt sich bald und die
Pupille zeigt die normalen Durchmesser: nur ein einmaliges Erbrechen erfolgte.
5) Mit einer andern Taube wurde dasselbe Experiment bei Benutzung von
30 Tropfen Aldehyd gemacht. Alsbald Thränen der Augen und Respiration mit Schleim-
rasseln; nach 1 '/2 M. Zusammenziehen der Beine, krampfhaftes Aufschlagen mit den
Aldehyd. 413
Flügeln, Husten, schnelle Abnahme der Respiration, so dass nach 2 % M. bei erweiterter
Pupille Respiration und Herzschlag stille stehn.
Section nach 7 Stunden. Hirnhäute massig injicirt; die stärkste Hyperämie
in der Umgebung der Med. oblong.; die Mundhöhle ist mit dickem weissem Schleim
angefüllt; das die Trachea umgebende Zellgewebe enthält stark angefüllte Gefässe: die
Schleimhaut der Trachea schwach injicirt, kurz unterhalb der Bifurcation mit einer
dünneD Lage blutiger Flüssigkeit bedeckt- Lungen hellziegelroth, auf den Durch-
schnittsfiächen treten überall kleine Blutstropfen und beim stärkern Zusammendrücken
ein blutiger Schaum zu Tage. Im rechten Herzventrikel mehr geronnenes als
flüssiges Blut; im rechten Yorhof, in der ven. cav. inf., in allen Lungenvenen und im
linken Herzen flüssiges Blut; alles Blut ist in dicken Schichten fast schwarzroth, in
dünnern dunkelviolettroth , es gerinnt an der Luft und färbt sich im Verlaufe einer
Stunde hellroth. Leber dunkelbraunroth und wie die Nieren sehr blutreich. In allen
Organen, in der Lunge und Leber, am Gehirn und selbst an den Muskeln war ein
deutlicher Aldehyd-Geruch bemerkbar; in Lunge und Leber Hess sich mittels Lackmus-
papier eine saure Reaction nachweisen. — Leber, Lunge und Muskelfleisch wurden mit
alkalischem Wasser ausgezogen und eingedampft; als der Rückstand mit Schwefelsäure
versetzt wurde, entwickelten sich saure Dämpfe, welche wahrscheinlich Essigsäure-
dämpfe waren. Aus Mangel an Substanz konnte eine genaue Analyse nicht gemacht
werden.
Aldehyd wirkt ausserordentlich reizend auf die Schleimhäute der Nase, der
Augen, des Kehlkopfs und der ganzen Bronchialverzweiguug ein. Bei Menschen
entsteht häufig ein starkes Niessen oder ein heftiger Husten; die Arbeiter in den
Schnellessigfabriken, welche am meisten den Dämpfen des Aldehyds ausgesetzt
sind, leiden beständig an Brustcatarrh, welchen man als den Geschäftshusten zu
bezeichnen pflegt. Sensible Personen werden aber ausserdem noch von einem
Zusammenschnüren der Brust und einem Gefühl von Dyspnoe befallen, was
offenbar in dem gestörten Respirationsprocesse seinen Grund hat, da bei dem
schnellen Eindringen des Aldehyds in alle Organe überall der Sauerstoff weg-
genommen und dadurch der Respirationsprocess beeinträchtigt wird; bei fort-
gesetzter Einwirkung der Dämpfe des Aldehyds muss deshalb schliesslich Er-
stickung erfolgen.
Bei den Versuchen an Thieren fiel auch stets die progressive Abnahme
der Respiration auf; beim fünften Versuche erfolgte der Stillstand der Lungen-
und Herzthätigkeit sehr rasch, obgleich hier weniger Aldehyd als beim vierten
Versuche zur Anwendung kam; hier wurde die Taube durch das schnelle Aus-
setzen an die freie Luft gerettet.
Die Anästhesie, welche durch die Dämpfe von Aldehyd hervorgerufen
wird, fällt mit der Abnahme der Respiration zusammen und geht deshalb leicht
in Asphyxie über, worauf schon Nunneley10) mit Recht aufmerksam gemacht
hat; erstere äussert sich zunächst und vorzugsweise an den Augen; dies war
wenigstens bei Versuchen an Kaninchen der Fall.
Poggiale11) hat 1846 zuerst Aldehyd als Anaestheticum empfohlen und
schreibt diesem Mittel eine raschere und energischere Wirkung als dem Chloroform
zu; die energische Wirkung geht nur zu leicht in den asphyktischen Tod über,
wie das Section sresultat beim fünften Versuche ergeben hat.
Auch bei der Erholung der Thiere dürften die stürmische Respiration und
die beschleunigte Herzthätigkeit dafür sprechen, dass der Mangel an Sauerstoff
diese Reizerscheinungen hervorruft. Wahrscheinlich hängt auch hiermit die
Beobachtung zusammen, dass die Arbeiter in den Schnellessigfabriken
häufig an profusen Kachtsch weissen leiden, wenn man diese als eine vicariirende
Thätigkeit für den gestörten Respirationsprocess betrachten dürfte. Andererseits
nimmt aber das Aldehyd begierig Sauerstoff auf und verwandelt sich in Essig-
414 Aethylverbindungen.
säure, so dass auch dieser Umstand die Nachtschweisse mit veranlassen könnte,
da bekanntlich Essigsäure sehr die wässrige Ausscheidung der Haut befördert.
Die saure Reaction, welche man bei der Section (5. Versuch) nachweisen konnte,
rührte jedenfalls von der gebildeten Essigsäure her, so dass schliesslich noch
diese Säure bei der deletären Aldehyd-Einwirkung von Bedeutung ist.
Darstellung des Aldehyds im Grossen. Man stellt Aldehyd im Grossen durch
einfache Destillation eines Gemischs von Schwefelsäure, Braunstein und Weingeist
aus kupfernen Blasen mit zinnernen Kühlröhren dar. Das Rohproduct wird über
Kaliumcarbonat rectificirt. Die Verunreinigung mit Essigsäure, Ameisensäure
und Alkohol beeinträchtigen seine Anwendung in der Farbentechnik nicht, bei
welcher es vorzugsweise zur Darstellung von Anilinblau und Anilingrün
verwendet wird.
Die Rückstände sind stark sauer und enthalten schwefelsaures
Manganoxydul; sie müssen wie alle sauren Rückstände dieser Art behandelt
werden, indem man sie mit Kalk neutralisirt; sie sind dann als Desiufectionsmittel
zu gebrauchen.
Bei der Destillation hat man wegen der Feuersgefahr dieselben Vorsichts-
massregeln wie beim Aether zu beobachten.
Gegenwärtig wird Aldehyd auch im Grossen durch fractionirte Destillation
des sogenannten Vorlaufs des Spiritus dargestellt.
In der Technik begeguet man am meisten dem Aldehyd bei der Schnell-
essigfabrication; auch hat es in der neuern Zeit als Antisepticum Anwen-
dung gefunden, indem man die geeignete Menge in Töpfe bringt, in denen das
Fleisch aufbewahrt wird. Durch seine Verdunstung berührt es alle Theile des
Fleisches, raubt den Sauerstoff, welcher die Fäulniss einleiten könnte, und ver-
wandelt sich auf Kosten desselben in Essigsäure, welche das Fleisch durchdringt.
Aldehydauimoniak C2H7NO = C.:H40 + NH3 entsteht durch Einleitung von
Ammoniakgas in eine ätherische Lösung von Aldehyd; eine in Rhomboedern krystalli-
sirende Substanz, aus welcher durch Säuren wieder Aldehyd entsteht. Diese Verbindung
wird zur Darstellung des reinen Aldehyds benutzt; sie ist von der Härte des gewöhn-
lichen Zuckers und destillirt bei 100° unverändert über; in Wasser löst sie sich leicht,
wenig in Alkohol und am wenigsten in Aether.
Aldehyd- Ammoniak tritt bei der Bereitung von blauen Anilinfarben
aus Rohanilin auf, auch bei Behandlung eines weingeistigen Auszuges thierischer Stoffe
mit Ammoniak resp. Schwefelammonium. Es entspricht in seiner chemischen Zusammen-
setzung dem 'f aurin C2HrNS03. Mit Schwefelwasserstoff bildet es Thialdin C6H13NS2.
Einwirkung von Aldehydammoniak auf den thieriseken Organismus. Ein Meer-
schweinchen sass im kleinen Zinkkasten, in welchem 1 Grni. Aldehydammoniak ge-
schmolzen resp. verdampft wurde. Nach 2 M. starkes Putzen des Mauls: nach 8 M.
öfteres Husten und Speicheln bei unveränderter Respiration; als nach 1-4 M. der Kasten
wieder mit Dämpfen angefüllt wurde, schloss das Thier die Augen und wurde sehr
unruhig; es zeigen sich Augeuthränen, starkes Putzen, häufiges Husten, Reiben der
Ohren, grosse und beständige Unruhe mit Zurückziehen des Kopfes und sehr erschwerter
Respiration. Nach 25 M. wird das Kaninchen herausgenommen; die Motilität ist unge-
stört, indem das Thier sofort vom Stuhle auf die Erde springt; die Respiration bleibt
noch 10 M. lang beschleunigt und angestrengt: Rhonchi sind nur beim Auflegen des
Ohrs auf die Brust des Thiers hörbar; diese halten unter bisweiligem Aufhusten 36 St.
lang an. Andere Krankheiten bilden sich nicht aus.
Eine toxikologische Wirkung hat das Aldehydammoniak nicht; es wirkt
gleich dem Ammoniak stark reizend auf die Respirationsschleimhaut ein, stört
auf die Dauer den Gasaustausch und tödtet schliesslich nur in Folge von Er-
stickunsr.
Chloral. 415
Verbindungen des Aldehyds mit Halogenen.
Chloral, dreifach gechlortes Aldehyd CC13-CH0 = C2HC130, wird durch
Einleiten von Chlor in 98procentigen Alkohol dargestellt, wobei der Alkohol zunächst
in Aldehyd übergeführt und dann weiter cblorirt wird:
C2H60 + Cl2 = C2H40 + 2HC1.
C2H40+3C12=C2HC130 + 3HC1.
Chloral ist somit Aldehyd, in welchem 3 Wasserstoff durch Chlor vertreten sind.
Eine farblose, fettig anzufühlende Flüssigkeit, welche einen eigenthümlichen durch-
dringenden Geruch und einen zusammenziehenden Geschmack hat, neutral reagirt, begierig
Wasser anzieht und bei 94° siedet; wird sie mit Wasser vermischt, so erhitzt sich die
Flüssigkeit und erstarrt zu einem Haufwerk von Krystallen, zu Chloralhydrat
C2HC130 + H20, welches in vielem Wasser löslich ist. Bei der Destillation zerfällt es
wieder in Chloral und Wasser; mit wässrigen Albalien zersetzt es sich in der Wärme
in Chloroform und ameisensaures Kalium:
CC13-CH0 + KH0 = CHK02 + CHC13.
Chloral reducirt Silberlösungen; es verhält sich daher in seinen Reactionen wie
ein Aldehyd. Es wird zu Trichloressigsäure oxydirt:
CC13-CH0 + 0 = CC13-C02H oder CCl8_COOH*)
Chloral ist von Oscar Liebreich als Hypnoticum eingeführt worden12): nur in
sehr grossen Dosen, deren Anwendung nicht ohne Gefahr ist, erzeugt es Anästhesie.
Zur subcutanen Injection gebraucht man 1 — 4 C.-C. einer wässrigen Lösung von 5 Grm.
auf 10 C.-C. Als innerliche Dosis empfiehlt sich 2,5—4,0 Grm. in 15 Grm. Wasser gelöst
unter Zusatz von 15 Grm. Mucil. Gm. Mimos. oder Syr. Cort. aur.
Liebreich ist der Ansicht, dass das Chloralhydrat im Thierorganismus wenigstens
theilweise dem Alkali im Blute entsprechend in Chloroform umgewandelt werde, be-
hauptet aber nicht, dass die Wirkung des Chloralhydrats allein auf der Chloroform-
wirkung beruhe. Neuerdings neigt man sich immer mehr der Ansicht hin, dass das
Chloralhydrat als solches wirke.
Der Obductionsbefund, welcher bei einer durch 21,0 Grm. Chloralhydrat
umgekommenen Frau angetroffen wurde, ist dem beim Chloroformtode sehr ähnlich.
Beim äussern Befunde zeigten sich auf dem Rücken hellrothe Todtenflecke,
Hornhaut getrübt, Schleimhant der Lippen und des Zahnfleisches blass, höchst geringe
Fäulnisserscheinungen. Das Gehirn und seine Häute hyperämisch: die Sinus auf der
Basis cranii waren mit flüssigem, kirschbraunrothem Blute angefüllt, welches mit Luft-
blasen reichlich gemischt ausfloss; auch aus dem Wirbelsäulencanal fioss reichlich
Blut von derselben Beschaffenheit aus. Lungen hellblauroth marmorirt, beim Ein-
schneiden in die linke Lunge waren 300 Grm. Blut in die Brusthöhle geflossen; die
Schleimhaut der Respirationswege ist blass; im Herzbeutel fanden sich 90 Grm. helle
klare Flüssigkeit. Das Herz ist um V3 grösser als im Normalen, sehr platt, zusam-
mengefallen, sehr weich, welk und blutleer, nur in den Kranzgefässen gewöhnlicher
Blutgehalt: die Mitralklappe knorpelig, fast knöchern, ebenso die Valvul. semilunares
Aortae; die ausgedehnte und blutreiche Leber reichte bis zum Hüftbeinkamm, patholo-
gische Zustände, die wahrscheinlich nicht ohne Einfluss auf die Katastrophe waren.
Da das Blut angeblich sauer reagirte, so ist die Annahme wohl gestattet, dass
sich Ameisensäure in diesem Falle abgespaltet und zum tödtlichen Ausgange mit bei-
getragen hat.
Bei V er giftung durch Chloralhydrat wird Strychnin als Antidot und umgekehrt
bei Strychninvergiftung Chloralhydrat empfohlen.13)
Bei der f abrikmässigen Darstellung ist vorzugsweise darauf zu achten,
dass Chlor, welches monatelang mit Alkohol in der Hitze behandelt werden muss,
wieder zur Absorption gelangt, weil sonst die ganze Umgegend dadurch belästigt wird;
es muss daher für die gehörige Dichtigkeit der Apparate gesorgt werden.
Die Chlorentwicklung geschieht auf die gewöhnliche Weise in grossen steinernen
Kruken, welche mit den erforderlichen Tubulaturen versehen sind. Am besten benutzt
man luftige, theilweise offenstehende Schuppen für die ganze Fabrication. Das mit den
Alkoholdämpfen entweichende Chlor muss sorgfältig aufgefangen werden, was Seitens
*) Wird Chloral mit concentrirter Schwefelsäure destillirt, so wird es theilweise
zersetzt und es bildet sich ein krystallinischer Körper, Chloralid C5H2C103, welcher
bei 200° unzersetzt destillirbar ist. Diese Verbindung hat keine hypnotische Wirkung.
2,013 Grm. wurden davon einer Taube eingeflöst, worauf nach 5 M. Würgen und Er-
brechen entstand. Nach 1 Stunde erhielt sie nochmals 3 Grm. davon, ohne dass sich
bemerkenswerthe Erscheinungen einstellten.
416 Aethyl Verbindungen.
der Fabricanten auch geschieht, da sich hierbei verschiedene Chloräthyle bilden, die
noch zu benutzen sind.
Beim Verpacken des Chloralhydrats sind die betreffenden Räume mit den
Exhalationen desselben angefüllt Sie erregen anfangs Kopfschmerzen und Betäubung,
die meisten Arbeiter gewöhnen sich aber allmählig an diese Einwirkung und empfinden
sie dann in geringerm Grade; trotzdem ist eine kräftige Ventilation stets zu empfehlen.
Chloralcyanliydrat CCl:i ^CH-c^ "= c C13~ C HO + H CN oder C2HC130.CNH,
ein im tockenen Zustande sehr stabiles Präparat, welches ganz wie Blausäure, aber
sicherer als diese wirkt; es könnte daher statt derselben in der Medicin zweckmässige
Verwendung finden.14) Es wurde von Bischof und Pinner durch Kochen einer wässrigen
Lösung von Chloralhydrat mit Blausäure dargestellt.
2) Bromal, dreifach gebromtes Aldehyd, C-, HBr30, wird dargestellt, indem man
3 — 4 Th. Brom allmählig und unter Abkühlung mit 1 Th. absolutem Alkohol mischt.
Nach 10—12 Tagen destillirt man % davon ab und mischt den Rückstand mit Wasser.
Diese Mischung ergibt, in offenen Schalen der Luft ausgesetzt, das Bromalhydrat
C2HBr30 + H20, welches grosse, dem Kupfervitriol ähnliche Krystalle darstellt, die
in Wasser löslich sind. Durch Destillation mit concentrirter Schwefelsäure erhält man
das wasserfreie Bromal, ein wasserhelles Oel, welches einen durchdringenden, zu
Thränen reizenden Geruch und einen scharfen, brennenden Geschmack hat. Es siedet
über 100° und wird durch Kali in Ameisensäure und Bromoform übergeführt.
Bei der Einwirkung von Bromalhydrat auf den thierischen Organismus gibt
sich die hypnotische Wirkung in viel geringerm Grade als beim Chloralhydrat kund;
auch ist die dadurch hervorgerufene Reizung der Schleimhaut der Nase und Augen
sehr lästig.
Steinalter 15) beobachtete bei Kaninchen nach der subcutanen Injection von
0,06 — 0,17 Grm. ein ziemlich langes Reizstadium, eine deutlich ausgesprochene Anaesthesie
und eine sehr geringe Hypnose. Rabuteau fand ähnliche Erscheinungen bei Hunden.
Jodal, dreifach gejodetes Aldehyd, C,HJ30, ist noch nicht näher untersucht
worden und wird nach Aime dadurch dargestellt, dass man Alkohol, welcher mit Sal-
petersäure angesäuert worden, mit Jod zusammenbringt.
Es soll noch reizender als Bromal auf den Thierorganismus einwirken. Rabuteau
sah nach 2 Grm, welche einem Hunde per anum beigebracht worden, Anaesthesie,
dann aber Convulsionen und den Tod eintreten. Nach Guyot wirken erst 3 — 4 Grm.
letal; nur einzelne Thiere ertrugen 3,5 Grm.16)
3) Essigsäure, Acidum aceticum, CH3~COOH = C2H402, besitzt die Carboxyl-
gruppe CO OH nur einmal, sie ist daher eine einbasische Säure. Sie entsteht bei der
Gährung, Fäulniss und Verwesung, bei der trocknen Destillation holzfaserähnlicher
Substanzen und bei der Einwirkung oxydirender Agentien auf organische Körper, was
namentlich bei den ätherischen Oelen der Fall ist.
In den Pflanzen kommt die Essigsäure nie fertig gebildet, sondern ahöchstens als
Kalium- und Calciumsalz vor; auch die Canthariden enthalten Kaliumacet t.
Im Grossen wird sie durch Oxydation des Alkohols und Destillation des Holzes
dargestellt. Die absolute oder reine Essigsäure, der Eisessig, Acetum glaciale, stellt
bei niederer Temperatur farblose Blätter von durchdringendem, angenehm saurem Ge-
ruch und Geschmack dar, welcher bei 17° schmilzt. Bei gewöhnlicher Temperatur stellt
der Eisessig eine farblose, stechend riechende, die Haut sehr reizende Flüssigkeit dar,
welche an der Luft raucht, vollständig verdampft, bei 119° siedet, mit blassblauer
Flamme brennt und ein Lösungsmittel für Campher, Zucker, Gummiharz, Kleber, Gerb-
stoff, Eiweiss, Faserstoff, Blutroth, Käse und thierische Membranen ist.
Die Essigsäure greift Blei, Kupfer und Zinn nur bei Gegenwart der atmo-
sphärischen Luft an, dagegen Eisen, Kadmium und Zink ohne dieselbe.
Ihre Anwendung als Nahrungs- und Conservationsmittel, zu Desinfections-
zwecken, sowie in den Färbereien und Farbenfabriken ist eine sehr mannigfaltige.
Durch Einwirkung von Chlor auf wasserfreie Essigsäure werden nach und nach
1, 2 und o H durch Cl vertreten. Es bilden sich Monochloressigsäure CHaCl
COOH = C.>H3C10<>, Dichloressiesäure C,H2C1203 und Trichloress igsäure
C2HC1302.
Neuerdings hat man die Dichloressigsäure als äusseres Arzneimittel zum Aetzen
von Telangiektasien, Warzen, Hühneraugen, Condylomen benutzt. Man rühmt von
ihr, dass sie in die Tiefe ätze, ohne gleichzeitig die Umgebung anzugreifen; unter den
sich bald ablösenden Schorfen sollen sich gute Granulationen bilden'7)
Einwirkung der Dämpfe der Essigsäure auf den thierischen Organismus. Ein
mittolgrosses Kaninchen sitzt in der Glasglocke. 40 Tropfen Essigsäure werden in einem
Sandbade erwärmt und eingeblasen; sogleich Unruhe, Schreien, starkes Thränen der
Essigäther. 417
Augen, Husten und unregelmässige Respiration. Nach 11 M. nochmals Verdampfung
von 50 Tropfen, worauf der höchste Grad der Dyspnoe mit Zittern der Lippen entsteht.
Nach 30 M. Herausnahme des Thieres: ein weisser Streifen über beiden Hornhäuten, weisser
Schleim in den Augen winkeln und Röthung der Conjunctiva der Augen lieder, Rhonchus
sibilans und mucosus in den Bronchien, beständiges Putzen der Äugen. Am zweiten
Tage ist noch wenig Schleimrasseln in den Bronchien bemerkbar, die Athmung bleibt
beschwert, oft erfolgt Aufschreien, während die Herzschläge schwach und verlangsamt
sind; das Thier vermeidet jede Bewegung. Am dritten Tage wird das Kaninchen todt
gefunden.
Sectio n 3 Tage hernach. In der Mitte der milchig getrübten Hornhaut verläuft
ein linienbreiter, vom Epithelium entblösster Streifen: die Pia mater überall sehr
blutreich, an der hintern untern Fläche des rechten Gehirnlappens findet sich ein
4 Linien langes und 1 Linie breites, mit geronnenem Blute angefülltes Gefäss. PI ex.
venös, spin. sehr blutreich; die Schleimhaut der Trachea bis "zum Larynx braunroth,
etwas geschwollen und mit schleimiger Flüssigkeit bedeckt: hier und da finden sich
erbsengrosse Abschilferungen des Epitheliums. Lungen hellroth gefleckt auf braun-
rother Marmorirung, in welcher einzelne schwarze Puncte deutlich sichtbar sind: der
obere rechte Lungenlappen emphysematös und hellroth: auf den Durchschnittsiläehen
des Parenchyms wenig Schaum, aber fast überall geronnene Blutpartikelchen. Im
rechten Herzventrikel schwarzes, geronnenes Blut, im rechten Vorhof ein Faserstoff-
Polyp, welcher sich bis in die Arter. pulmon. hinein erstreckt. Die Leber zeichnet
sich durch eine schwarzbraune Färbung aus. Das vorgefundene dickflüssige Blut ist
dunkelbraunroth.
Die tödtlichen Fälle, welche man bei subcutanen Injectionen der Villat'schen
Lösung (Plumb. acet. 30, Cupr. sulph., Zinc. sulph. aa. 15, Acet. vin. alb. 200) beob-
achtet hat, können nur auf die Wirkung des Essigs zurückgeführt werden. Eine ähn-
liche Wirkung kann auch der sauer reagirende Liqu. ferr. sesquichlor. bei subcutanen
Injectionen hervorbringen.
Die vom Blute aufgenommenen Essigsäure -Dämpfe lieben die Alkalinität
desselben auf, erzeugen Coagulation der Albuminate und wirken lähmend auf
die Herzthätigkeit ein.
Nach den Untersuchungen von Goltz und Bobrick 1S) entsteht schon beim
Bepinseln der Haut eines Frosches mit Essigsäure oder der ihr verwandten
Wein- und Citronensäure eine Einwirkung auf die Herzbewegung, indem sie sich
verlangsamt und schliesslich stille steht. Der obige Sectionsbefund weist ent-
schieden auf eine allmählige Verlangsamung der Herzbewegung hin.
Essigsäure-Aethyläther, Essigäther, Aether aceticns, CH3~COO~C2H5= C2HäO.
C2H30 = C4HgOo wird durch die Destillation eines Gemisches von Natriumacetat,
Alkohol und Schwefelsäure dargestellt oder besser durch Destillation eines essigsauren
Salzes mit einer äquivalenten Menge von äthylschwefelsaurem Calcium oder Kalium.
Eine farblose Flüssigkeit von ätherischem Gerüche, welche bei 74° siedet, sich
unzersetzt verflüchtigt und mit gelblicher Flamme brennt.
Sie findet Verwendung zur Fabrication von Rumäther und ist bekanntlich in der
Medicin ein vielfach gebrauchtes Arzneimittel.
Einwirkung des Essigäthers auf den tkierischen Organismus. Ein kleines
Kaninchen sitzt im kleinen Zinkkasten, in welchem 15 Grm. Essigäther zur Verdunstung
kommen; sofort wird das Thier sehr unruhig und reibt beständig über die Nase: nach
6 M. 10 angestrengte Inspirationen. Nach 8 M. Zusatz von 15 Grm. Essigäther;
Schwanken, Fallen und Wiederaufstehen; nach 10 M. heftiges Schreien in der Seiten-
lage mit heiserer Stimme, erweiterter Pupille, hervorgetriebenen Augen und 11 höchst
angestrengten Inspir. binnen % M.; nach 14 M. Seitenlage mit offenen Augen. Nach
15 M. Herausnahme des Thieres. Cornea schwach getrübt, starre Augen, voll-
ständige Anästhesie: Herzschlag nicht vermehrt, aber sehr angestrengte Respiration
(11 Inspir.) mit Schleimrasseln. Nach 8 M. 6, nach 13 M. 3 tiefe Inspir. binnen l/4 M.
und nach 15 M. Aufhören der Respiration; ein langsamer, kaum hörbarer Herzschlag
hält noch 3 M. lang an.
Section 6 Stunden hernach. Die Pia mater blutreicher als die Plex. venös,
spin.; über den rechten untern Lungenlappen verlaufen 4 braune, 1-2 Linien breite
Streifen auf rosarothem Grunde: linke Lunge durchgehends rosaroth; an der untern
Fläche der untern Lungenlappen dunkelbraune, erbsengrosse Flecke (Ekchy-
mosen). Schleimhaut der Trachea hellroth injicirt und mit wenig klarer Flüssigkeit
Eulenberg, Gewerbe-Hygiene. 27
418 Aethyl Verbindungen.
bedeckt. Tm Herzen etwas geronnenes Blut. In der Brusthöhle hatten sich 4 Grm.
flüssiges, dunkelrothes Blut angesammelt, das langsam gerann und sich an der Luft nicht
röthete. In den nicht besonders blutreichen Unterleibsorganen nnd in den grössern
Venen herrschte flüssiges Blut vor.
Es ist auffallend, tlass Charnbert, Flourens und Louis aus ihren Ver-
suchen schliessen, dass die Dämpfe des Essigäthers einen sehr geringen Einfluss
auf Circulation und Respiration ausüben. Lässt man die Dämpfe bis zur
Anästhesie auf die Thiere einwirken, so tritt der Tod häufig unter progres-
siver Abnahme der Respiration ein und der Sectionsbefund liefert die Erschei-
nungen der Asphyxie.
Der Essigäther wird in geringerm Grade als der Aethyläther vom Blute
aufgenommen; es ist daher auch seine anästhesirende Wirkung eine geringere.
Essigindustrie.
a) Der Essig stellt eine sehr verdünnte Essigsäure dar; ausser dieser
enthält er aber nach der verschiedenen Bereitungsweise noch viele andere Be-
standteile, z. B. Aepfel-, Wein-, Citronen-. Milch-, Ameisen-, Baldrian-, Oxal-
und Buttersäure neben Gummi, schwefelsauren Salzen und Chloriden.
Der beste Speiseessig ist der Weinessig, welcher aus dem vergohrenen
Safte der Weine und aus den Pressungen durch eine Oxydation des Alkohols
eutsteht; ausser den Bestandtheilen der Weintraube, dem Weinstein, wenigen
Sulfaten und Chloriden, besitzt er ein angenehmes Aroma, welches ihn als Speise-
essig höchst werthvoll macht.
Der Obstessig steht dem Weinessig an Güte am nächsten, nach der Wahl des
Obstes unterscheidet man mehr als 30 verschiedene Sorten desselben. Der kräftigste
und schärfste Essig dieser Art ist der Cider- oder Aepfelessig: er enthält ausser
einer ziemlich bedeutenden Menge von Essigsäure noch Aepfelsäure, Weinsäure
und Bernsteinsäure, welche durch die weitere Zersetzung der Aepfelsäure ent-
standen ist. Auch besitzt er stets einen Gerbsäure-Gehalt und zwar in viel höherm
Grade als der Weinessig: er wird deshalb in eisernen Geschirren leicht geschwärzt.
Sein Aroma ist gering und nur dann vorwaltend, wenn ganz feine Aepfelsorten zu
seiner Darstellung benutzt werden.
Der Birnenessig zeichnet sich durch sein Aroma ganz besonders aus: derselbe
hat qualitativ dieselben Bestandteile wie der Aepfelessig; jedoch ist der Essigsäure-
gehalt bei ihm vorwaltend, die Aepfelsäure gering und die Weinsäure fehlend, auch sein
Gerbstoffgehalt ist nicht unerheblich.
Der Bieressig ist ein schlechter Essig, welcher als Speiseessig seltner zur An-
wendung kommt: er wird aus abgestandenem und sauer gewordenem Bier dargestellt,
wobei sowohl das Aroma als das Bittere des Hopfens zerstört werden. Ein bitterer Bier-
essig ist ein charakteristisches Zeichen, dass das dazu benutzte Bier mit Terra japonica
(Catechu) oder Quassia versetzt gewesen ist.
Der Honig- oder Met hessig kommt in Friesland, im südlichen Frankreich
und überhaupt in Gegenden vor, wo viel Bienenzucht getrieben wird. Er wird aus dem
sogenannten Wachswasser dargestellt, d. h. aus der letzten Abkochung der Waben,
wodurch das Wachs ausgeschieden und vom Honig getrennt wird : auch sind die
Presslinge der Waben dazu benutzt worden. Der llonigessig enthält ausser Essig-
säure wenig andere saure Bestandtheile: dagegen hat er einen Geruch, welcher an Wachs
erinnert resp. an diejenigen Pflanzen, von welchen die Bienen den Honig entnommen
haben. So besitzt z.B. der Honigessig von Languedoc bisweilen einen auffallenden
Geruch nach Kosmarin oder auch wohl nach Lavendel. Wegen seines Gehaltes an
thierischen Substanzen ist der Honigessig nicht sehr haltbar, namentlich wenn er aus
den Pressungen der Waben dargestellt worden ist.
Der Malz- und Getreideessig, der viele fremde Bestandtheile, Gummi,
Dextrin u. s. w. enthält, wird fast nur in England dargestellt, indem man gemalztes
Getreide mit stärkemehlhaltigen Substanzen (Kartoffeln) der Gährung unterwirft und
den gebildeten Alkohol durch den atmosphärischen Sauerstoff in Essigsäure überführt.
Das den Sauerstoff der Luft auf den Alkohol übertragende Ferment ist die Essig-
Essigindustrie.
419
mutter (Essigkahm), Mycoderma aceti. Enthält die alkoholische Flüssigkeit
noch Albuminate und phosphorsaure Alkalien, so vermehrt sich der Pilz sehr schnell.
Aeltere Methode der Essigfabrication. Mau lässt die Gährung in Fässern
von Eichenholz (Müttern) vor sich gehen, deren Umfang sich natürlich nach
der Grösse des Betriebes richtet. Man zieht mehrere kleine Fässer vor, die in
der Essigstube auf hölzernen Gestellen lagern; die Temperatur in derselben
liegt zwischen 25 — 30°.
Beide Böden der Fässer sind an gegenüberliegenden Stellen durchbohrt, um Ge-
legenheit zum Luftwechsel zu geben; zum Beschicken und Abziehen ist eine grössere
Oeffnung angebracht. Um die Essigbildung einzuleiten, setzt man dem Weine alten,
vorher erhitzten Essig zu und fügt erst nach 8 Tagen wieder Wein hinzu.
Bei der Darstellung von Bieressig müssen gewöhnlich noch Spiritus und Wasser
zugesetzt werden. Benutzt man Branntwein, so wird derselbe bis auf einen Gehalt
von 6 — 7 % Alkohol verdünnt und auf 35 — 40° C. erwärmt.
Die Luft in diesen Räumen ist für jeden Fremden höchst unangenehm und uner-
träglich; man muss von Zeit zu Zeit die Thüren öffnen, was schon wegen der
Zunahme der Temperatur, welche durch die gährenden Flüssigkeiten veranlasst ist,
nothwendig wird.
SchnellessigfaMcation. Die sogenannte Maische, eine Mischung von 1 Ohm
Wasser und 9 Quart Spiritus von 80 %, lässt man über Buchholzspäne in höl-
zerne Bottiche, Essigständer oder Essigbilder genannt, fliessen.
Der Zuflusstrichter hegt bei d (Fig. 46); neuerdings empfiehlt man auch den
Schaukeltrog zum Aufgeben der Flüssigkeit. Kurz unter dem hölzernen Deckel ist
ein durchlöcherter Boden; in jedem, einige Millimeter
weiten Loche hängt ein 15 Ctm. langer Baumwollfaden,
der durch ein hölzernes Pflöckchen (?) gezogen ist und
die Flüssigkeit nach unten leitet; andere Löcher mit
Glas- oder Holzröhren (6) dienen zur Abführung der
Luft. Einige Fabricanten bringen noch bei « einen mit
Leinwand bespannten Rahmen an. Ueber dem untern
Boden liegt ebenfalls ein durchlöcherter Boden, auf dem
die Buchholzspäne lagern; der mit Holzspänen ausgefüllte
Zwischenraum hat eine Reihe nach innen geneigter Löcher,
die das Ausfliessen der Flüssigkeit verhindern, aber das
Eindringen der Luft gestatten (ff). Am Siphon g fliesst
die Flüssigkeit ab.
Um den Process zu beschleunigen, findet eine sogen.
Ansäuerung statt, d. h. es wird entweder Essiggut,
welches schon einmal einen guten Essigbilder passirt hat,
oder auch fertiger Essig über die Späne gegossen, wodurch
die eigentliche Oxydation resp. Essigbildung um 2 — 3 Tage
beschleunigt wird. Hierbei findet eine bedeutende Tem-
peraturerhöhung statt, die man jedoch nicht über +30°
steigen lassen darf, wenn man nicht einen bedeutenden
Verlust an Alkohol und Aldehyd erleiden will.
Die Maische lässt man, wenn sie unten abgelaufen
ist, noch zweimal über Späne laufen, worauf fast sämmt-
licher Alkohol in Essig übergeführt wird. Wendet man,
wie es gewöhnlich geschieht, nicht fuselfreien Spiritus an,
so treten selbstredend auch die Säuren der andern Al-
kohole, z. B. bei Kartoffelspiritus die Säure des Amyl-
alkohols, also Baldriansäure, auf. Da derselbe auch Butylalkohol enthält, so wird
in dem betreffenden Fabricate auch Buttersäure nicht fehlen.
Die Fabricanten verwenden fast immer rohen Kartoffelspiritus, weil die Verbin-
dung des Alkohols mit denjeben genannten Säuren resp. den betreffenden Aetherarten
einen höchst angenehmen und obstähnlichen Geruch besitzt, wodurch der erzeugte Essig
bezüglich des Geruchs allerdings dem Obstessig gleich wird, bezüglich seiner Ver-
daulichkeit aber an Werth verliert, da manche Constitution denselben gar nicht verträgt
und sich nach dem Genüsse desselben stets unwohl befindet; dies Unwohlsein äussert
sich namentlich in mannigfachen Verdauungsbeschwerden.
Da der Essig nach dieser Methode farblos ist, so wird er gewöhnlich^ mit der
sogenannten Couleur versetzt, eine Substanz, welche man durch starkes Erhitzen von
27*
420 Aethylverbindungen.
Molasse unter einem geringen Zusätze von Natron carbonic bis zur Zerstörung des
Zuckers darstellt.
In sanitärer Beziehung ist zu bemerken, dass die aus den Essigbildern
entströmende Luft mit Essigsäure, Alkohol, Aldehyd und Essigäther ge-
schwängert ist. Lässt man sie in die Nachbarschaft entweichen, so können
dadurch sehr leicht Metallgegenstände, z. B. die Nägel der Schieferbedachung,
oxydirt resp. verdorben werden; dasselbe ist mit den bleiernen und zinkenen
Abfall- und Sammelröhren für das Regenwasser der Fall, wodurch auch letzteres
noch mit den betreffenden Metallen verunreinigt werden kann. Solche Nachtheile
sind bei grossartigen Anlagen gar nicht selten; ausserdem werden auch die Ad-
jacenten durch den anhaltenden sauren Geruch belästigt.
Diese Dämpfe könnten recht gut wieder vortheilhaft durch Abkühlung condensirt
und zum Essiggute gegeben werden. Man muss zu diesem Zwecke die Luftpfeifen,
welche am obern Ende der Fässer die Luft durchlassen, zu einem gemeinschaftlichen
Rohr (Fig. 4C e) vereinigen, welches dann die warmen Gase und Dämpfe zu einem Kühl-
apparat führt : letzterer kann mit einem Schornstein in Verbindung gebracht werden.
Auch kann man die Dämpfe in mit Kupferdrehspänen angefüllte Räume leiten, um
Grünspan zu gewinnen.
Der sogenannte Essigsprit ist Essig, welchen man dadurch erhält, dass man
zuerst die gewöhnliche Maische über den Ständer gehen lässt und nach der Umwandlung
des Alkohols in Essigsäure eine neue gleiche Quantität Alkohol zusetzt. Nachdem auch
diese zweite Portion Alkohol in dem Essigbilder durch Oxydation in Essig umgewandelt
worden ist, gibt man noch eine dritte, vierte u. s. w. gleiche Quantität Alkohol zu dem-
selben. Je nachdem nun zur Maische ein-, zwei- oder dreimal Alkohol zugesetzt worden
ist. wird das Product ein-, zwei-, drei- oder vierfacher Essigsprit genannt. Zu einem
Theil des vierfachen Essigsprits müssen drei Theile Wasser zugesetzt werden, um ge-
wöhnlichen Speiseessig daraus zu bereiten.
Bei der Darstellung des Essigsprits werden gegenwärtig statt Buchholzspäne
meistens Holzkohlen in groben Stücken benutzt. Will man Koks gebrauchen, so
müssen sie vorher mit Salzsäure behandelt und wieder sorgfältig ausgewaschen werden,
weil sie sonst zur Bildung von Schwefelwasserstoff Veranlassung geben und der Essig
selbst eisenhaltig wird, welcher dann in eichenen Fässern eine tintenartige Farbe an-
nimmt. Die Salzsäure zerlegt das in den Koks enthaltene Schwefeleisen derart, dass
clor Schwefelwasserstoff entweicht und das Eisen als Eisenehlorür ausgezogen wird. Die
Porosität der Kohle befähigt sie ganz besonders für die Absorption des Sauerstoffs.
Die Essigs pritfabrication wurde durch den grossen Bedarf Englands hervor-
gerufen, die eine Frachtreduction nothwendig machte.
Verunreinigung des Essigs. Absichtliche Verunreinigungen geschehen meistens
durch Schwefelsäure, viel seltner durch Salpetersäure und Oxalsäure. Hierbei
muss man wohl die schwefelsauren und salpetersauren Salze sowie die Oxalsäure,
welche schon ursprünglich dem Essig angehören, von demjenigen Antheil, welcher ab-
sichtlich zugesetzt worden ist, unterscheiden.
Um die Schwefelsäure nachzuweisen, giesst man 15 — 30 Th. des zu unter-
suchenden Essigs in eine Porcellanschale und setzt demselben 1 Th. weissen Candis-
zucker zu. Wird nun die Flüssigkeit im Wasserbade verdunstet, so wird die im
Essig vorhandene Schwefelsäure concentrirt: sie wirkt aber dann auf den aufgelösten
Rohrzucker ein und verkohlt denselben. Wird nun der in der Verkohlung begriffene
Rückstand auf freiem Feuer weiter erhitzt, so tritt eine Entwicklung von schwefliger
Säure ein. die sich durch braunes Bleisuperoxyd-Papier nachweisen lässt, welches
dann weiss (Bleisulfatbildung) wird.
Vermischung mit scharfen Pflanzenstoffen erkennt man am besten durch
Abdunsten des Essigs bis zur Extractconsistenz; durch den Geschmack überzeugt man
sich von der Beimischung.
Kupfer. Blei, Zink können nur im Essig, welcher aus Essigsäure bereitet worden,
vorkommen und von den Destillation sgefässen herrühren.
Schweflige Säure kann nur im concentrirten Essig (Acet. concent.), der
aus Holzessig bereitet worden, vorkommen: dieselbe gibt sich beim Zusätze von Schwefel-
wasserstoff durch eine weisse Trübung resp. Ausscheidung von Schwefel zu erkennen.
Auch wird eine Auflösung von Kaliumchromat dadurch reducirt; die rothe Farbe verwan-
delt sich in Grün.
Essigindustrie. 42 1
Darstellung von Holzessig. Dieser wird durch trockne Destillation von
Holz, Torf, Sägespänen, Krappabfällen, Pflanzenüberresten aller Art bei Abschluss
der Luft gewonnen, wobei ein Theil des Kohlenstoffs als Kohle zurückbleibt,
der übrige Theil hingegen in Gasen und Dämpfen sowohl als auch in öliger
(Theer) und wässriger Gestalt (Holzessig) auftritt.
Will man die Dämpfe und Gase nicht als Leuchtgas benutzen, so müssen sie
unter den geeigneten Sicherheitsmassregeln in die Feuerung geleitet werden , weil sie
sich sonst mit der atmosphärischen Luft zu einem explosiven Gasgemenge vermischen:
kommt man diesem mit einem brennenden oder flammenden Körper zu nahe, so tritt
sofort die heftigste Explosion ein. Ausser den brennbaren gas- und dampf-
förmigen Producten (Kohlenoxyd, Methylwasserstoff, Wasserstoff, Acetylen, Xylol,
Aethylen, Benzol, Toluol) sind es noch die Dämpfe von Aceton, Holzgeist und
Dumas in, welche hier die grosse Feuersgefahr bedingen.
Zur Destillation des Holzes bedient man sich entweder eiserner Retorten oder
stehender Cylinder von Schwarzblech, welche letztere man in einen gemauerten cylinder-
fÖrmigen Ofen bringt. Die Destillationsproducte gelangen in einen aus eisernen Röhren
bestehenden Kühlapparat, über welchen beständig kaltes Wasser fiiesst. Die eondensir-
ten Flüssigkeiten fliessen entweder in Bottiche oder in cementirte Cisternen, während die
nicht condensirten brennbaren Gase und Dämpfe durch einen Gassammeikasten in die
Feuerung geleitet werden.
Die Flüssigkeiten lässt man längere Zeit ruhig stehen, bis sich zwei Schichten
gebildet haben, von denen die obere wässrige die Essigsäure und den Holzgeist,
die untere den Theer enthält. Die wässrige Schicht wird abgezogen, durch Sand filtrirt
und in kupfernen, durch Dampfröhren geheizten Blasen der fractionirten Destillation
unterworfen. Nach Abtreibung des Holzgeistes wechselt man die Vorlage, um den
Holzessig abzudestilliren, wobei in der Blase wiederum Theer zurückbleibt.
Setzt man vor dieser Destillation Kalk behufs Neutralisation der Flüssigkeit zu
und destillirt dann erst Holzgeist ab, so kann man sich auch eiserner Retorten be-
dienen. Der gewonnene rohe Holzessig dient meist zur Darstellung von Eisenbeizen,
zum Conserviren von Holz u. s. w.
Reinigung des Holzessigs. Versetzt man erst die rohe Säure mit Kalk oder
Soda, so unterwirft man das gewonnene Salz einer Destillation mit Schwefel-
säure. Hat man Kalk benutzt, so ist das essigsaure Calcium vorher durch Natrium-
sulfat in essigsaures Natrium zu verwandeln. Man kann ersteres aber auch direct mit
Salzsäure abdestilliren , wenn man nur einen Ueberschuss derselben vermeidet; es
bleibt dann Chlorcalcium zurück. Bei der Verwendung von Soda zur Neutralisation
des Holzessigs erzielt man durch Waschen und Krystallisirenlassen der Salzmasse ein
ziemlich reines Salz- und aus diesem durch Destillation mit äquivalenten Mengen
Schwefelsäure eine ziemlich reine Essigsäure: auch kann man das erhaltene Salz
ohne Weiteres mit Schwefelsäure und Kafiumchromat destilliren, um den Rest der
empyreumatischen Riechstoffe zu zerstören. Der erhaltene Essig heisst destillirt er
Essig (Acetum destillatum) mit einem spec. Gew. von 1,010 — 1,015; setzt man
diesen einer beträchtlichen Kälte aus, so erhält man Acetum concent. oder Acid.
acet. dilut.19)
Hat man vor der Abdestillation des Holzessigs das Rohproduct schon mit
Kalk neutralisirt, so wird die ganze Masse in grossen Pfannen verdampft und
das trockne Salz durch ein stärkeres Erhitzen resp. schwaches Rösten seines
Empyreumas beraubt. Diese Procedur muss unter einem besondern Gewölbe
vorgenommen werden, um die auftretenden Dämpfe durch eine glühende Kohlen-
schicht zu leiten; geschieht dies nicht, so haben die Arbeiter viel von den
carbolsäure- und kreosothaltigen Dämpfen zu leiden und werden von heftigen
Augenentzündungen befallen, die nicht selten in Blenorrhoe übergehen.
Die weitere Bearbeitung und nachfolgende Destillation geschieht nach der
oben beschriebenen Methode. Bei der Destillation ist aber ein sehr wichtiger
Umstand zu beachten; die Schwefelsäure, welche man zur Zersetzung von
holzessigsaurem Natrium benutzt, kann nämlich Salpetersäure oder salpetrige
Säure enthalten; bildet sich dann eine Verbindung von essigsauren und salpeter-
sauren Salzen, so können bei der Glühhitze am Boden des Kessels beide Salze
422 Aethylverbindungen.
aufeinander wirken und eine heftige Explosion veranlassen, indem der Sauerstoff
der Salpetersäure auf den Kohlenwasserstoff der Essigsäure oxydirend einwirkt
und die Detonation hervorruft.
Folgender Fall einer Explosion ist höchst wahrscheinlich nur auf diese Weise
veranlasst worden.20) In einem gusseisernen Kessel eines Fabrikgebäudes befand
sich eine durch Zersetzung von holzessigsaurem Calcium mit schwefelsaurem
Natrium dargestellte holzessigsaure Natriumlösung. Die heiss filtrirte Lösung, schon
etwas abgeraucht, erfüllte den Kessel zu zwei Drittel und wurde durch einen zuver-
lässigen Arbeiter mittels eines hölzernen Spatels bewegt. Urplötzlich erfolgte ein cigen-
thümlicher, dem Kanonendonner kaum vergleichbarer Knall, welcher von einer ebenso
momentanen Feuererscheinung begleitet eine erschreckliche Wirkung äusserte. Mit dem
Kessel waren die Esse, sämmtliche Herde, die Dielen der Decke, die Thüren und
Utensilien zertrümmert. Der Knall wurde in einer Entfernung von mehr als 2 Stunden
gehört. Die Erschütterung war so heftig, dass sämmtliche Scheiben im Comptoirgebäude
sowie mehrere in dem etwa 600 Schritte davon entfernten Siechenhause zersprangen u. s.w.
Der mit Rühren beschäftigt gewesene Arbeiter wurde einige Schritte vom Kessel ent-
fernt durch ein Stück des zersprungenen Kessels erschlagen gefunden.
Verwendung findet der reine Holzessig zur Bereitung von Beizen und
Farben in der Kattundruckerei und in der Färberei sowie zur Darstellung von
Blei weiss. Zu beachten ist jedoch, dass er mit Arsenik verunreinigt sein kann,
wenn die Salzsäure oder Schwefelsäure, welche zur Zersetzung des Calciumacetats ange-
wendet worden, arsenhaltig gewesen ist.
Substitution des Wasserstoffatoms in jedem der beiden CH3Gruppen
des Aethans durch Hydroxyl (OH).
Es entsteht ein Körper mit alkoholischer Eigenschaft: CH2(OH)~ CH2(OH); solche
Körper kommen auch in der C3, C4 und C5Reihe vor und heissen Glycole.
Aethylglycol CH8(OHrCHg(OH) = C2H602, das ein 0 mehr als Alkohol ent-
hält, stellt eine färb- und geruchlose, zähe, bei 197° siedende Flüssigkeit dar.
Glycolsänre CU,(OH)~COOH=:C2H403, eine weisse, zerfliessliche Krystallmasse,
verhält sich zum Aethylglycol wie die Essigsäure zum Alkohol, bildet sich bei der
Oxydation des Aethylglycols und wird direct durch Kochen der Monochloressigsäure
mit einem Alkali neben Kochsalz erhalten:
CH, Cl~ CO OH + Na OH = CH2 ( OH)~ CO OH 4- Na Cl.
Glycocoll, Amidoglycolsänre, Glycin, Leimzucker, CH2(NH2)~COOH, entsteht
bei der Substitution des fiydroxyls in der Glycolsäure durch die Amidogruppe: eine
schwache Säure, die farblose, luftbeständige Krystalle darstellt und bei der Zersetzung
des Leims mit Schwefelsäure, aus der Hippursäure mit Salzsäure u. s. w. gewonnen wird.
Sie kommt auch in der Harnsäure und in den Gallensäuren vor.
Letztes Oxydationsproduct des Aethans, Dicarboxyl- oder Dicarbon-
säure des Aethans.
Oxalsäure CO OH- COOH = C2H204, Kleesäure, Acid. oxal., besitzt die Carb-
oxylgruppe zweimal, ist daher eine zweibasische Säure. Sie findet sich in allen Pflanzen :
die Kichererbse (Cicer arietinum) enthält sie sogar in freiem Zustande. Als saures Kalium-
salz kommt sie in den Oxalis- und Rumexarten, als Calciumsalz in der Wurzel der
Rhabarber, Tormentilla und Saponaria vor. Ihre Entstehung in der Pflanzenwelt leitet
man gewöhnlich von der Reduction der Kohlensäure her:
2C02 -f- H20 — 0 = C2H204.
Tritt sie im Thierkörper in grosser Menge auf, so bildet sie einen eigenthüm-
lichen Krankheitszustand, die Oxalurie. Im Allgemeinen ist ihr Vorkommen im Harn
von der Qualität der genossenen Nahrungs- und Genussmittel abhängig. Nach jahre-
langem Gebrauch von Rhabarber hat man nicht selten Oxalsäuren Urin und oxalsaure
Steine beobachtet. Am häufigsten begegnet man ihr nach dem Genüsse von vegetabi-
lischer Nahrung, von moussirenden Weinen und kohlensäurereichen Bieren.
Man hat nicht mit Unrecht befürchtet, dass der sog. Vegetarianismus leicht Ver-
anlassung zu einer übermässigen Ansammlung von Oxalsäure geben kann. Die sogen.
Maulbeersteine in der Harnblase und in den Nieren bestehen hauptsächlich aus
Calciumoxalat; letzteres hat man auch in Darmconcrementen, im Kröpfe, im Gallen-
blasenschleim, auf der Schleimhaut des schwangern Uterus, in der Ovarialflüssigkeit und
im Eiter gefunden; constanter soll es in den Excrementen und Gallengängen der Raupen
vorkommen.
Die Oxalsäure krystallisirt in grossen rhombischen Säulen C2H204 + 2H20. Sie
Oxalsäure. 423
schmeckt sauer, ist in 10 Th. Wasser und in 4 Th. Alkohol löslich, bei 100° verliert
sie das Krystallwasser, bei 150° sublimirt die wasserfreie Säure unverändert über; bei
noch höherer Temperatur zerfällt sie in Kohlenoxyd, Kohlensäure und Wasser. Beim
Erhitzen mit Glycerin zerfällt sie in Kohlensäure und Ameisensäure:
C2H204=C02 + CH202.
Von den Salzen der Oxalsäure sind zu nennen: das Kleesalz, saures oxal-
saures Kalium C2HK04 + H20, welches in Wasser löslich ist; das saure Oxal-
säure Ammonium C2H(NH4)04, und das Oxalsäure Calcium C2Ca04, das in
Wasser vollständig unlöslich ist.
Einwirkung der Dämpfe der Oxalsäure anf den thierischen Organismus.
1) Es werden 0,75 Grm. Oxalsäure erhitzt und die sich bildenden Dämpfe in die Glas-
glocke, worin sich eine Taube befindet, geleitet. Nach 5 Kolbenstössen binnen 2 M.
Unruhe, Schütteln des Kopfes und Husten, dann wässrige Ausscheidung aus den Nasen-
löchern. Bei neuer Zufuhr der Dämpfe nach 8 M. wiederum Unruhe, Schütteln des
Kopfs und Husten; nach 11 M. Hinfallen ohne Convulsionen. Bei der Herausnahme
bewegt sich die Taube frei, hustet aber oft. Am 2. Tage heisere Stimme ohne ein auf-
fallendes Krankheitssymptom; am 3. und 4. Tage stilles Verhalten, matter und langsamer
Herzschlag, häufiges Aufblähen, heisere Stimme und geringe Fresslust; am 5. Tage ist
der Herzschlag kaum hörbar, am 6. Tage wird sie Morgens todt gefunden.
Section 10 Stunden post mort. Hirnhäute wenig injicirt; das Zellgewebe in
der Umgebung der Trachea enthält an einzelnen Stellen ein ganz dünnes, erbsen-
und pfenniggrosses Blutextravasat. Die Schleimhaut des Larynx geschwollen, geröthet
und mit einer dünnen, croupösen Schicht bedeckt. Lungen an den Rändern
hellroth, sonst an der Oberfläche braunroth und am untern Dritttheil schwarzbraun
gefärbt; dieser Farbe entsprechend verhält sich auch das Parenchym. Die schwarz-
braunen Stellen werden im Durchmesser von lOMillim. ausgeschnitten; sie sind fest,
luftleer und sinken im Wasser unter; beim Durchschneiden tritt blutige Flüssig-
keit zu Tage. Die Pleura an der untern Fläche der Lunge trübe und verdickt. Herz
mit festem, schwarzem und geronnenem Blute ganz angefüllt. Wo da,s Blut einen
porcellanenen Teller berührt, bleiben hellrothe Flecke; kein Tropfen flüssigen Blutes
zeigt sich. Leber von schwarzbrauner Farbe, mürbe, etwas geronnenes Blut ent-
haltend. Der Kropf enthält noch Futter, ebenso der Magen.
2) Bei einem im Holzkasten sitzenden Kaninchen wurden 0,75 Grm. Oxalsäure
verbraucht. Nach 5 Kolbenstössen Unruhe, Einhalten des Athmens; nach 5 M. 6 un-
regelmässige, oberflächliche Inspirationen; nach 6 M starker Husten, aufrechte Stellung
mit zurückgezogenem Kopfe, beschwerliche Respiration, schwache Schleimabsonderung
an den Augen; nach 11 M. sinkt es aus der aufrechten Stellung allmählig zu Boden
und bleibt liegen. Nach 15 M. wird es herausgenommen; sofort beschleunigen sich
Athmung und Herzschlag; erst nach 1 Stunde fängt das Kaninchen wieder an zu
fressen ; Nachkrankheiten zeigen sich nicht.
Die Dämpfe der Oxalsäure kommen zwar in der Industrie nicht oft zur
Einwirkung, häufiger kann es aber der Staub derselben sein, welcher möglicher-
weise durch die Respirationswege direct dem Blute zugeführt wird, wenn mit
grössern Mengen dieser Säure mauipulirt wird. Thatsachen liegen vor, wonach
die Fingernägel solcher Arbeiter weiss opalisirt und brüchig werden, wenn sie
mit der Oxalsäure längere Zeit in Berührung kommen. Namentlich tritt diese
Erscheinung bei Arbeitern auf, welche sich mit Strohflechten oder Putzen der
Metalle mittels Oxalsäure beschäftigen; man hat sogar eine bläuliche Färbung
der Nägel und eine blaurothe, von einer Stauung des Blutes herrührende
Färbung der Hände beobachtet.
Wird die Oxalsäure inneren Organen auf irgend eine Weise direct zu-
geführt, so wird sich zunächst ihre saure und reizende Einwirkung entfalten. Bei
der Taube fand sich im Larynx ein croupöses Exsudat und in den Lungen eine
beginnende Hepatisation. Das Blut war vorherrschend geronnen und zeigte bei
der spektroskopischen Untersuchung das Säureband. Die Wirkung der Oxalsäure
ist hiernach analog der der übrigen Säuren; hierauf dürfte auch die Beziehung
derselben zum Herzen beruhen, welche Cyon21) als eine lähmende Einwirkung
besonders hervorhebt.
424 Aethylverbindungen.
Bei den obigen Versuchen konnte keine Spur von Convulsionen beobachtet
werden, welche sonst bekanntlich bei Herzgiften deutlich auftreten. Bei der Taube
zeigte sich eine täglich mehr abnehmende Herzthätigkeit, auch die Section bot
ein vollständig mit geronnenem Blute angefülltes Herz dar; diese Erscheinungen
konnten jedoch im beregten Falle auch mit dem gestörten Respirationsprocesse in
Verbindung gebracht werden.
Das Kaninchen blieb gesund, obgleich sicher anzunehmen ist, dass es einen nicht
unbeträchtlichen Theil der Dämpfe inhalirt hatte. Die Restitution wird dadurch ermöglicht,
dass Oxalsäure sich in Kohlensäure umsetzen kann. Wird die Säure im Verhältniss von
0,4 Gnu. in einem Liter Wasser gelöst, so geschieht dies ausserhalb des Organismus
durch den Einfluss des atmosphärischen Sauerstoffs um so leichter, wenn eine Tempe-
raturerhöhung bis zu 25° und 30° C. hinzutritt. Da im lebendigen Organismus diese
Bedingungen vorhanden sind, so unterliegt es keinem Zweifel, dass dieser Vorgang auch
bei der Aufnahme der Oxalsäure vom Blute stattfindet, wenn eben nicht so grosse
Mengen wie bei der Taube aufgenommen worden sind, dass sich ihre saure Einwirkung
geltend macht.
In ähnlicher Weise wirken nur die sauren, nicht aber die neutralen Oxalate,
welche bekanntlich in den Oxalis- und Rumexarten vielfältig genossen und im Organismus
in Carbonate umgewandelt werden.
Die Ansicht von Onsum und Almen22), dass die Oxalsäurevergiftung auf Embolie
der Lungenarterien in Folge des sich im Blute bildenden Calciumoxalats beruhe, ist unhalt-
bar, da schon der geringe Kalkgehalt im Blute diese Bildung unmöglich macht; viel
eher dürfte man annehmen, dass eine Gerinnung des Blutes in Folge der Einwirkung
der Säure Störungen in der Blutcirculation hervorrufen könnte.
Bei der Aufnahme der Oxalsäure per os hängt sehr viel davon ab, ob dabei der
Magen leer oder gefüllt war, wie sich dies aus folgenden Versuchen ergibt: Eine Taube
erhielt 0,5 Grm. Oxalsäure und nach 14 Tagen Morgens und Mittags je 0,5 Grm. nach
dargereichtem Futter. Nach 3 Wochen dieselbe Gabe in derselben Weise, so dass sie
selbst nach im Ganzen genommenen 2,5 Grm. Oxalsäure keine Krankheitserscheinungen
darbot. Zwei Tage nach der letzten Gabe erhielt sie Morgens im nüchternen Zustande
0.5 Gnu. Oxalsäure, worauf sie sich nach 5 M. heftig schüttelt, die Bauchlage einnimmt
und dann ohne alle Convulsionen und ohne auffällige Symptome nach 10 M. stirbt. Der
anfangs erregte Herzschlag erlahmte rasch, Dyspnoe fehlte aber.
Bei der Section nach 24 Stunden fiel, ausser einer geringen Hyperämie in den
Gehirnhäuten und in den Lungen, vorzugsweise das von dickflüssigem und braun-
rotheni Blute strotzende Herz auf, das Blut rÖthete sich an der Luft in ganz
dünnen Schichten etwas heller. Auch die dunkelbraunrothe Leber ist reich an solchem
Blute, welches stark sauer reagirt. In dem Zellgewebe unter der blassen Schleim-
haut des leeren Kropfes findet sich ein thalergrosser, dünner Bluterguss; der Magen ent-
hält nur ein paar kleine Steinchen: die schwach geröthete Schleimhaut des Dünndarms
ist mit einem dickschleimigen Ueberzuge versehen. Ausser der sauren Reaction des
Blutes dürfte der Herzbefund jedenfalls mit der Wirkung der Säure in Verbindung zu
bringen sein.
Meerschweinchen vertrugen 1 Grm. und Kaninchen selbst 2 Grm., ohne sichtbare
Folgen zu zeigen.
Bei Menschen hat man nach Gaben von 15 Grm. gastroenteritische Erscheinungen
mit Geschwürbildung beobachtet, welche nach 7 Tagen tödtlich wurden. 23) Eine Gabe
von 30 Grm. kann bei Menschen binnen 2 Stunden den Tod herbeiführen und bloss ein
Gefühl von Erstarrung, ein Brennen in der Herzgrube, Erbrechen von zähem Schleim
und ein frühes Schwinden des Radialpulses hervorrufen.
Unter den organischen Säuren nimmt die Oxalsäure die erste Stelle bezüglich der
giftigen Wirkung ein und ist um so beachtungs weither, als sie nebst dem sog. Kleesalz
meist durch Unvorsichtigkeit mit Bitter- oder Glaubersalz u. s. w. verwechselt und in
den Gewerben vielfach verwendet wird.
Oxalsäure-Industrie.
In sanitärer Beziehung handelt es sich bei der Darstellung der
Oxalsäure aus Melasse oder Stärkemehl durch Salpetersäure vor-
züglich vm die auftretende salpetrige Säure. Man benutzt dieselbe neuerdings
zur Schwefelsäurefabrication, weshalb man auch beide Fabricationszweige
Oxalsäure-Industrie. 425
vereinigen muss, was nicht bloss aus sanitären, sondern auch aus pecuniären
Rücksichten geboten ist.
Bei der Darstellung der Säure aus Sägemehl und Kali causticum trägt
man trocknes Sägemehl in schmelzendes Kalium- oder Natriumhydrat ein, wobei
sich neben "Wasserstoff sehr leicht fein vertheiltes Kali im Fabrikraum verbreiten
kann; hierdurch können die äussere Haut und die Augen der Arbeiter in bedenk-
lichem Grade gereizt werden, wozu auch noch eine gewisse Menge von Kreosot
und Carbolsäure, die sich hierbei entwickelt, beiträgt. Ferner veranlasst der
Stickstoffgehalt des Holzes die Bildung von Cyanverbindungen, und diese
führen bei der Abscheidung der Oxalsäure aus den Salzen zur Entwicklung von
Blausäure.
Alle diese verschiedenen Gase und Dämpfe machen es durchaus nothwendig,
dass die ganze Arbeit unter einem gut ziehenden Schlote vorgenommen werde,
um sowohl die gesundheitsschädlichen Gase und Dämpfe als auch den feuer-
gefährlichen Wasserstoff so rasch wie möglich aus dem Fabrikraume zu ent-
fernen. Zur Verhütung der Einwirkung der sich nebelartig entwickelnden kali-
haltigen Dämpfe sind unter Umständen noch besondere Schutzmasken er-
forderlich, namentlich wenn die Erhitzung sehr rasch geschieht.
Dampfförmige Oxalsäure tritt bei der Bereitung des Oxalsäuren
Eisens auf, wenn zu dessen Darstellung ein Gemisch von Eisensulfat mit saurem
oxalsaurem Kalium bei Abschluss eines lösenden Mediums zur Anwendung
kommt. Eisenoxalat vertritt gegenwärtig in der Photographie mit Vortheil
die Silbersalze.
Verwendung findet die Säure als Reinigungsmittel von kupfernen und messingenen
Gegenständen: eine Lösung von Oxalsäure ist als sog. Zuckersäure sehr gebräuchlich
und wird häufig in Specereiläden verkauft. Bei den messingenen Gefässen bringt
sie eine kupferrothe Färbung hervor, indem das Zink weggenommen und das Kupfer
auf der Oberfläche angereichert wird. Die gelösten Metalle (Zink und etwas Kupfer)
können auf diese Weise leicht in das Küchenspülicht gelangen und möglicherweise
tÖdtlich auf Thiere, welche dasselbe als Nahrungsmittel erhalten, einwirken; es ist des-
halb diese Reinigungsmethode der messingenen Kochgeschirre ganz unstatthaft.
Beim Gebrauche der sauren Oxalsäuren Salze resp. des Kleesalzes zur Vertilgung
von Rost- und Tintenflecken ist die Aufbewahrung zur Verhütung von Verwechslungen
zu beachten.
In der Färberei und bei der Strohhutfabrication wird die reine Oxalsäure
benutzt. In den Färbereien ist es schwierig, die betreffenden Waschwässer unschädlich
zu machen, da die Säure häufig mit grossen Wassermengen verdünnt vorkommt. Keines-
falls ist der Abfluss derselben in Schlinggruben gestattet, da der Kalk des Bodens
schliesslich nicht ausreichen wird, die Säure zu binden; am zweekmässigsten ist es
immer, dieselben in öffentliche Canäle resp. in Flüsse und Bäche zu leiten.
Bei der Strohhutfabrication wird das Stroh in verdünnter Oxalsäurelösung
eingeweicht; da die Wassermasse nicht sehr gross ist, so ist hier eine Präcipitation der
Säure mit Kalk leichter auszuführen.
Blaue Dinte bereitet man durch Lösung von Berlinerblau in Oxalsäure.
C. Sulfosubstitutionsproducte des Aethans.
Aethylensulfld qtt23>S = C2H4S wird dargestellt, indem man eine weingeistige
Lösung von Schwefelkalium mit Aethylenchlorid versetzt. Nach kurzer Zeit verwandelt
sich die Masse zu einem weissen Brei, welchem man Wasser zusetzt; man destillirt
den Weingeist im Wasserbade ab und wäscht den Destillationsrückstand mit Alkohol
aus. Es ist ein weisses, amorphes, in Wasser unlösliches, in Alkohol und Aether kaum
lösliches, in schmelzendem Naphtalin aber sehr leicht lösliches Pulver.
Einwirkung von Aethylensulfld auf den thierischen Organismus, l) Ein kräftiges
Kaninchen sitzt im grossen Glaskasten; 0,25 Grm. Aethylensulfld werden in einem
Kölbchen erhitzt und die Dämpfe in den Kasten eingeleitet. Sofort Putzen des Mauls,
426 Aethylvcrbindungen.
Thränen der Augen und unregelmässige Athmung; dann folgt Zurückziehen des Kopfes
in den Nacken und Anlehnen an die Wand des Kastens. Nach 9 M. nochmals Zuleitung
der Dampfe von 0,25 Grm. Aethylcnsulfid; Putzen des Mauls und Thränen der Augen
bleiben vorwaltend; nach 23 M. treten starke, aber kurze Convulsionen ein.
Herausnahme des Thieres in vollständiger Asphyxie mit starkem Herzklopfen; die
Augen starr und hervorgedrängt, Pupille sehr erweitert: nach 1 M. ein paar Inspir.,
nach 2 M. starkes Schreien und höchst beschleunigte Respiration; nach 3 M. setzt es
sich aufrecht; nach 4 M. schwache Gehversuche, schneller Herzschlag und noch sehr be-
schleunigte Respiration; nach 6 M. läuft es wieder weg und sucht dunkle Orte auf.
2) Ein starkes Kaninchen sitzt in der Glasglocke; die Dämpfe von 0,G Grm.
Aethylcnsulfid werden durch die Pumpe eingetrieben, zwei Kolbenstösse erfüllen die
Glocke mit Dampf. Nach 3 M. stockt die Respiration, nach 4M. Thränen der Augen.
Nach 6 M. bei erneuter Zufuhr der Dämpfe die heftigsteu Convulsionen; dann Heraus-
nahme des Thieres in vollständiger Asphyxie mit schwachem Herzschlage. Ein paar tiefe
Athemzüge gehen in beschleunigte Respiration über, dabei Zittern des Oberkörpers mit
tetanischem Ausstrecken der Hinterbeine und hervorstehenden Augen; nach 2 M. geringe
Empfindung in letztern, 30 Inspir. binnen l/4 M. ; nach 4 M. schwache Gehversuche;
nach G M. normales Verhalten, aber erst nach 2 St. bewegt es sich wieder frei. Nach-
krankheiten entstehen nicht.
Der Exophthalmus und die sehr heftigen Convulsionen treten in derselben
Weise wie bei der Wirkung des flüssigen Schwefelwasserstoffs auf, nur mit dem
Unterschiede, dass sich bei letzterem verengte und beim Aethylensulfld
erweiterte Pupillen zeigen.
Aetliylmercaptan CH3~ CH2(SH) = C2H6S entspricht dem Aethylalkohol und
wird durch Destillation von Aethylchlorid mit Kaliumsulfhydrat dargestellt:
C2H5C1 + KSH = C2H5(SH) + KCl.
Eine höchst unangenehm riechende Flüssigkeit, welche bei +15° siedet, wenig
löslich in Wasser, aber mit Alkohol und Aether mischbar ist.
Einwirkung des Aethylmercaptans auf den thicrischen Organismus, l) Eine
Katze sitzt im kleinen Holzkasten ; beim Eindringen der Dämpfe von 0,25 Grm. starkes
Speicheln, Thränen der Augen, grosse Unruhe, sehr beschleunigtes Athmen bei halber
Seitenlage; nach 4 M. Erbrechen und heftige convulsivische Zuckungen in den Vorder-
beinen; nach 5 M. Tetanus mit ein paar krampfhaften Inspirationen. Sofort Heraus-
nahme des Thieres bei vollständiger Asphyxie, erweiterter Pupille und schwacher
Trübung der Cornea; 1 M. nachher ein paar krampfhafte Inspirationen, die langsam an
Zahl zunehmen. Nach 7 M. sitzt sie aufrecht unter heftigem Schreien; nach 8 M. Hin-
fallen bei Gehversuchen; nach 20 M. noch Schwanken bei vornübergeneigteni Kopfe
und convulsivischen Zuckungen in den Vorderbeinen; nach 30 M. bewegt sie sich
noch nicht.
2) Dieselbe Katze wurde nach 1 Stunde nochmals in den Kasten gebracht; beim
Eintritt der Dämpfe Speicheln, schweres Athmen, Schliessen der Augen, Erbrechen und
Umfallen bei Gehversuchen; nach 3 M. Seitenlage, convulsivische Bewegung der Vorder-
beine und Asphyxie: nach 4M. ein paar krampfhafte Inspirationen, nach 7 M. Heraus-
nahme in leblosem Zustande; die Pupille ist erweitert, auf der Mitte der Cornea erbsen-
grosse weisse Flecke, die Lippen sehr blass.
Section nach 12 Stunden. Die Gefässe der Pia mater strotzen von Blut,
ebenso die Plex. ven. spin.; der rechte obere und mittlere Lungenlappen emphysematös;
die linke Lunge von schmutzigbrauner Farbe und mit einigen Ekchymosen bedeckt.
Aus den Durchschnittsflächen des braunen Parenchyms tritt viel Schaum aus, Blut-
gehalt massig: auf der schmutzigbraunen Schleimhaut der Trachea liegt etwas Schaum.
Im rechten Herzen geronnenes und etwas flüssiges, im linken Herzen nur etwas
flüssiges Blut. Die Unterleibsorgane blutreich; wenig flüssiges, braunrothes Blut, das
an der Luft gerinnt, aber leicht heller wird.
Die Wirkung von Aetliylmercaptan ist fast gleich der des Methylmercaptans;
der Sectionsbefund spricht für den Tod durch Asphyxie.
Aethylsulfid, Schwefeläthyl ^3 CH2>S oder GiR >«S' eine dem Aether ent"
sprechende, farblose, widrig nach Knoblauch riechende Flüssigkeit, welche aus äthyl-
schwefelsaurem Calcium mit Schwefelkalium dargestellt wird; sie siedet bei 73°.
Einwirkung von Aethylsulfid auf den thierischen Organismus. Ein Kaninchen
sitzt im kleinen Kasten, in welchen die Dämpfe aus IG Th. ätjiylschwefelsaurem Calcium
Sulfaldehyd. 427
und 5% Th. Schwefelkalium eingeleitet werden, nachdem sie "von ihrem Schwefelwasser-
stoffgehalt befreit worden. Sofort grosse Unruhe, nach 2 M. die heftigsten Convulsionen,
lautes Schreien, Aufsperren des Mauls, contrahirte Pupille und nach 2% M. vollständige
Asphyxie; nach 3% M. ein paar Inspirationen und nack 4M. Herausnahme des Thieres.
Das rechte Auge zeigte eine trübe Hornhaut und prominirt stark; nach einer krampf-
haften Inspiration schwindet auch der Herzschlag. Ein mit Bleiessig getränkter Fliess-
papier streifen wurde in das Maul gelegt und alsdann die künstlicke Respiration durch
Erheben des Thorax eingeleitet, worauf sich braune Flecke auf dem Papier zeigten.
Section nach 16 Stunden. Leichenstarre sehr stark; Pia mater sekr hyper-
ämisck; an der untern Fläcke der beiden Gehirnlappen in der Nähe des Kleinhirns ein
linsengrosses Blutcoagulum und ein ganz dünnes flüssiges Blutextravasat; Plex. ven.
spin. sehr blutreich; zwischen Dura mater und Wirbel ein dünnes, flüssiges Blut-
extravasat. Lungen schwarz und dunkelbraun marmorirt, mit einzelnen ziegelrotken
Flecken; aus den Durchschnitten des dunkelbraunen Parenckyms tritt flüssiges Blut und
beim Zusammendrücken feiner Schaum zu Tage, welcher die Bronchien bis zur Bifur-
cation anfüllt; die Schleimhaut der Bronchien und der Trachea ist braunroth. In
b eiden Herzhälften geronnenes, schwarzes Blut; das Blut, welches sich in der Brust-
höhle angesammelt hatte, war flüssig, von dunkelrother, fast schwärzlicher Farbe und
wurde an der Luft heller roth.
Obgleich das Aethylsulfid eine ziemlich feste Verbindung ist, welche sich
auch direct mit Metallen verbindet, so scheint es doch im Organismus einer
raschern Zersetzung zu unterliegen, da die Vergiftungserscheinungen mit der
Einwirkung von Schwefelwasserstoff übereinstimmten. Auch hier erinnert die
starke Prominenz der Augäpfel an die Wirkung von flüssigem Schwefelwasser-
stoff. Ein mit Bleiessig getränkter Streifen von Fliesspapier ergab in der Mund-
höhle des Versuchsthiers eine deutliche Schwefelwasserstoff-Reaction.
Sulfaldehyd CH3— CHS = C2H4S entspricht dem Aldehyd und bildet sich beim
Einleiten von Schwefelwasserstoff in Aldehyd. Es entsteht hierbei anfängbch ein Oel,
welches erst durch Zersetzung mittels einer Säure den Sulfaldehyd liefert. Er stellt
weisse, farblose, zwischen 40 — 50° sublimirbare Krystalle dar.
Einwirkung der Dämpfe von Sulfaldehyd auf den thierischen Organismus.
1) Eine Taube sitzt in der Glasglocke. Die Dämpfe werden mittels der Compressions-
pumpe eingetrieben; sie dringen in einer Menge von 83 C.-C. ein. Nach 1 M. Taumel,
Senken des Kopfes, Zurückziehen des Hauptes in den Nacken und starke Dyspnoe;
nach 2 M. Aufhören der Respiration; nach einem kurzen Aufschlagen der Flügel stürzt
sie leblos hin.
Section nach 3 Stunden. Pupille sehr erweitert, Hals schwanenartig gebogen,
unter der Kopfschwarte am Hinterkopfe ein dünnes Blutextravasat, schwache Hyperämie
der Hirnhäute. In dem die Trachea umgebenden Zellgewebe an mehreren Stellen
geronnenes Blut im Umfange eines Silbergroschens; aus dem eingeschnittenen linken
Brustmuskel füesst flüssiges Blut aus. Die Schleimhaut der Trachea an der Theilungs-
stelle injicirt; Lungen von hellrother Farbe, auf den Durchschnitten etwas flüssiges
Blut. Das Herz, äusserlich stark injicirt, enthält viel flüssiges und wenig ge-
ronnenes Blut von dunkelbraunrother Farbe.
2) Ein starkes Kaninchen sitzt in der Glasglocke; es wird ungefähr 1 Grm.
Einfach-Schwefelaldehyd erwärmt; zwei Kolbenstösse erfüllen die Glocke mit Dampf.
Nach 3 M. Thränen der Augen ; nach 6 M. bei neuer Anfüllung der Glocke mit Dampf
grosse Unruhe, dann Niederlegen des Kopfes auf den Boclen und die heftigsten Con-
vulsionen. Sofortige Herausnahme; vollständige Asphyxie, kurz darauf ein paar
tiefe Inspirationen, dann sehr beschleunigte Respiration unter zitternder Bewegimg des
Körpers und tetanischem Ausstrecken der Hinterbeine; nach 2 M. zieht es auf einen
äussern Reiz die Beine an sich; nach 4 M. mühsame Gehversuche, nach 6 M. wieder
normale Respiration. 1 St. lang verhält es sich ruhig, nach 2 St. läuft es wieder umher
und bleibt auch gesund.
Die heftigen Wirkungen, welche durch die Dämpfe des Sulfaldehyds her-
vorgerufen werden, stimmen fast vollständig mit der Intoxication durch Schwefel-
wasserstoff überein, obgleich derselbe nicht nachzuweisen war.
Sollte dieser Körper in der Technik eine Wichtigkeit erlangen, so ist die
Gefährlichkeit seiner Dämpfe wohl zu beachten; selbst bei der einfachen Mani-
428 Aetbylverbindungen.
pulation mit demselben empfinden manche Menschen ein höchst widerliches Ge-
fühl und Brechneigung. Höchst lästig ist auch der ekelhafte Geruch, welcher an
den Kleidern, den Händen oder den Haaren haften bleibt, wenn man sich den
Dämpfen ausgesetzt hat; bei reizbaren Naturen können schon hierdurch Kopf-
schmerzen, Uebelkeit und Erbrechen hervorgerufen werden.
Alle geschwefelten Abkömmlinge des Aethans haben bis jetzt noch keine
technische Verwendung gefunden, erfordern aber in sanitärer Beziehung, wenn
sie in Laboratorien zu wissenschaftlichen Zwecken dargestellt werden, die grösste
Vorsicht.
D. Nitrogen-Substitutionsproducte des Aethans.
Aethylamin, Aetliylammoniak , Aethyliak, C2HSNH2 = C2H7N, wird dargestellt,
indem man Jod- oder Bromäthyl in einer verschlossenen Röhre erhitzt, wobei sich zunächst
jod- und bromwasserstoffsaures Aethylamin bildet:
CaHsBr + NH8 = C8HTN.BrH.
Durch Destillation mit Kaliumhydrat wird dann BrH vom Aethylamin (C2HTN)
getrennt.
Aethylamin ist ein nie fehlender Bestandtheil der Producte der trocknen
Destillation aus bituminösen Fossilien, indem es sich hierbei durch das Zusammentreten
von Aethylen und Ammoniak im Status nasilicus bildet. Häufig tritt es als Product
der Fäulniss der Excremente und namentlich des Klebers bei der Weizenstärkemehl-
fabrication sowie beim Zusammenschmelzen der Hornsubstanz mit Alkalien auf. Es
stellt eine farblose, stark nach Ammoniak riechende und auch in ihrer Causticität dem
Ammoniak gleichstehende Flüssigkeit dar, welche mit gelber Flamme brennt, bei 19°
siedet und mit Säuren gut krystallisirende Salze bildet, unter welchen das Doppelsalz
mit Salzsäuren und Platinchlorid schöne dunkel-orangegelbe Tafeln darstellt. Man be-
nutzt dieses Verhalten zum Nachweise des Aethylamms im Leuchtgase und unter den
Gasen der trocknen Destillation überhaupt.
Die Versuche mit den Dämpfen des Aethylamins bei Thieren lieferten von der
Wirkung des Ammoniaks kaum abweichende Ergebnisse; ganz besonders wurden die
Augen der Versuchsthiere afficirt.
Man unterscheidet noch Diäthylamin (C3H5)2N, Triäthylamin (C2N5)3N,
wovon das erstere bei 57°, das letztere bei 96° siedet.
Cyanäthyl, Aethylcyaiiid, Cyamvasserstoffäther, C2H5Cy = C3H5N, wird durch
Erwärmen von Cyankalium (1 TL) mit äthylschwefelsaurem Kalium (2 Th.) dargestellt.
Die sich entwickelnden Dämpfe sind behufs Beseitigung der Blausäure über Quecksilber-
oxyd zu leiten und ist die grösste Vorsicht bei der Darstellung dieses Präparats er-
forderlich.
Eine farblose, ätherisch riechende Flüssigkeit, welche bei 97° siedet, wenig in
Wasser, in jedem Verhältniss in Alkohol und Aether löslich ist.
Einwirkung von Cyanäthyl auf den thierischen Organismus. Ein Kaninchen
sass im kleinen Kasten; 2 M. nach Einleitung der Dämpfe grosse Unruhe und starkes
Speicheln, dann Taumel, Schreien, Hinfallen und die heftigsten Convulsionen; nach 3 M.
Tetanus; zwei krampfhafte Inspir , weite Pupillen, ein schwacher und unregelmässiger
Herzschlag; 1 M. hernach ist das Thier leblos.
Section nach 20 Stunden. Hirnhäute und Plex. venös, spin. strotzen von
Blut; Lungen rosenroth, am obern Rande des rechten Lungenlappens Emphysem, auf
der untern Fläche der Lunge dunkelbraune Flecke, auf den Durchschnittsflächen etwas
flüssiges Blut und beim Zusammendrücken viel weisser Schaum; die Schleimhaut der
Trachea braunroth injicirt. Im rechten Herzen viel geronnenes und flüssiges Blut; im
linken etwas flüssiges Blut. Die Unterleibsorgane blutreich; das flüssige Blut ist
dunkelbraun, gerinnt schnell und wird nach einigen Stunden hellkirschroth. In der
Lunge und Leber konnte Cyan resp. Cyanwasserstoff nachgewiesen werden. Diese
Organe wurden mit verdünntem Weingeist extrahirt und mit Kalilauge im Ueberschuss
versetzt, da das Cyanäthyl mit Kalilauge kein Cyankalium bildet; nach Kochen mit
Eisenvitriol und Zusatz von überschüssiger Salzsäure nahm die Flüssigkeit eine grüne
Farbe an und bildete nach längerem Stehen einen dunkelblauen Niederschlag von
Berlinerblau.
Bei der Einwirkung von Cyanäthyl macht sich Cyan in seiner gefähr-
lichen und tödtlichen Wirkung geltend; der Tod erfolgt asphyktisch. Beim
Sulfcyanäthyl. 429
Sectionsbefunde fiel der feine weisse Schaum im Lungenparenchym auf, wie er
stets bei der Inhalation der Dämpfe von Blausäure und Cyan angetroffen wird;
man kann daher annehmen, dass Cyanäthyl grade wie Blausäure wirkt, wofür
auch der rasche Tod binnen drei Minuten spricht.
Verwendung findet Cyanäthyl in der Phenylfarbenfabrication.
Aetliylencyanid CoH^Cy;, wird durch Sublimation einer Mischung von Aethylen-
sulfid (2,2) und Cyanquecksilber (6,3) dargestellt. Es stellt feine weisse Nadeln von
unangenehmem Gerüche dar, die bei jeder Temperatur flüchtig, in Aether und Alkohol
löslich sind; aus der ätherischen Lösung krystallisirt die Verbindung in grossen Tafeln.
Das Product hat noch keine technische Verwendung gefunden; die Giftigkeit
seiner Dämpfe erfordert schon bei der Darstellung die grösste Vorsicht.
Einwirkung des Aethylencyanids auf den thierischen Organismus. Die Dämpfe
werden in den grossen Glaskasten, in welchem ein grosses Kaninchen sitzt, geleitet;
nach 1 M. Blinzeln und Schliessen der Augen, häufiger Husten, Hinfallen auf die Seite
und Wiederaufstehen. Nach grosser Unruhe stürzt es auf den Kopf und bleibt mit
ausgespreizten Beinen liegen; nach 2 M. allgemeine Convulsionen, Aufhören der Respi-
ration, Abgang von Koth und Urin, Pupillen in mittler Contraction. Bei der sofortigen
Herausnahme kehrt keine Spur von Respiration zurück.
Section nach 12 Stunden. Cornea sehr zusammengefallen und etwas trübe; an
einzelnen Stellen unter dem Felle dünne, silbergroschengrosse Blutextravasate. Pia
mater sehr blutreich, zwischen beiden Hemisphären am hintern Rande ein erbsen-
grosses Blutklümpchen in einem erweiterten Capillargefässe. Plex. venös, spin. fast
leer; die Venae jugul. sehr stark mit dickflüssigem, schwarzrothem Blute angefüllt; fast
die ganze Oberfläche beider Lungen ist dunkelbraun gefärbt, nur die Ränder derselben
und der rechte mittlere Lappen sind hellroth. Der äussern Farbe entspricht auch die
Farbe des Parenchyms; die dunklen Partien enthalten viel dunkles, flüssiges Blut,
während aus den feinsten Bronchialverzweigungen ein feiner weisser Schaum aus-
tritt. Die ganze Luftröhrenschleimhaut ist braunroth injicirt. Im rechten Herzen
schwarzes, geronnenes Blut, weniger im linken. Leber hellbraun und reich an dunklem,
flüssigem Blute; das dunkelrothe flüssige Blut röthet sich an der Luft sehr lebhaft.
Obgleich der Nachweis von Cyan in der Leiche nicht gelang, so sprechen
doch Symptomatologie und Leichenbefund für die stattgehabte Einwirkung von
Blausäure.
Sulfoeyanäthyl, Schwefelcyanäthyl CN. S . C2H5=C3H5NS, wird durch Destil-
lation von äthylschwefelsaurem Kalium mit Sulfcyankalium dargestellt. Es ist eine
farblose, ölartige, unangenehm nach Knoblauch riechende, pfeffermünzartig schmeckende
Flüssigkeit, welche bei 146° siedet, mit blauer Flamme brennt und sich leicht in
Alkohol löst.
Mit nascirendem "Wasserstoff zerfällt sie in Blausäure und Aethylmercaptan :
CN . S . C2H5 + H2 = CNH + C2H5SH.
Eine Verwendung hat dies Präparat in der Industrie noch nicht gefunden, ist
aber wegen seiner Giftigkeit sehr beachtenswerth.
Einwirkung von Schwefelcyanäthyl auf den thierischen Organismas. 1) Ein
Kaninchen sitzt im Holzkasten: beim Eindringen der Dämpfe Blinzeln mit den Augen,
Schliessen derselben, Urinlassen und starker Husten. Nach 2 M. grosse Unruhe des
Thieres, es fällt dann auf die Seite, erhebt sich wieder und wird convulsivisch in die
Höhe geschnellt; nach 3 M. allgemeine Convulsionen und beschwerliches Inspirireu mit
offnem Maule. Nach 4 M. Herausnahme des Thieres in vollständiger Asphyxie bei
verengter Pupille; nach einigen krampfhaften Inspirationen ist es leblos. Die Pupille
erweitert sich, zieht sich wieder zusammen und verharrt dann in mittler Contraction.
Section nach 12 Stunden. Starke Hyperämie der Hirnhäute; zwischen den
beiden Hirnhemisphären und an ihrem hintern Rande liegt ein erbsengrosses Blut-
coagulum Plex. venös, spin. massig angefüllt; Lungen schmutzig ziegelroth mit
braunen und schwarzbraunen Flecken: auf den Durchschnittsflächen des entsprechend
gefärbten Parenchyms viel flüssiges Blut und beim Zusammendrücken ein feiner
weisser Schaum, an der rechten Lungenspitze Emphysem; die Schleimhaut der
Trachea dunkelkirschroth. Im Herzen überall schwarzes geronnenes Blut; das flüssige,
dunkelbraune Blut wird an der Luft hellkirschroth. In den Lungen konnte Cyan-
wasserstoff deutlich nachgewiesen werden.
2) Nachdem der beim ersten Versuche gebrauchte Kasten 15 Minuten lang
offen gestanden hatte, wurde er geschlossen und durch eine Seitenöffnung der
430 Propylverbindungen.
Kopf einer Taube gesteckt. Schon nach '/2 M. blinzelt sie mit den Augen und geräth
in die grÖBSte Unruhe; auf die Erde gesetzt, schwankt sie, fällt hin, steht wieder auf
und bleibt dann schwankend mit beschleunigter Respiration sitzen. Nach 5 M. heftige
Erschütterung ondErbrechen, dann ruhigere Respiration; das Erbrechen wiederholt sieh
mehrmals; nach 12 M. geht sie noch unsicher einher. Die Restitution erfolgt erst nach
1 Stunde.
Schwefelcyanäthyl ist ein höchst giftiger Körper, dessen Dämpfe auch
bei Menschen schon in geringer Menge Uebelsein, Erbrechen und krampfhaftes
Zusammenschnüren der Brust erzeugen; tödtliche Vergiftungen sind durch sie
noch nicht vorgekommen. Als Zersetzuugsproduct kann nur Blausäure auftreten,
welche die sehr heftige Wirkung der Dämpfe bedingt.
C3 Gruppe.
Propylverbindungen.
A. Kohlenwassersoff e.
a) Propylwasserstoff oder Propan, CH3~CH3~CH3==C3H8, ist noch wenig er-
forscht. Alle Propylverbindungen lassen sich von demselben ableiten.
b) Propylen CH3 CH=CH3==C3H6 kommt in den leicht flüchtigen Bestandteilen
von Petroleum vor. Es bildet sich bei der trocknen Destillation und vielen Zersetzungen
stickstoffhaltiger organischer Substanzen und ist ein etwas phosphorartig riechendes,
farbloses und süsslich schmeckendes Gas.
Das Isopropylen, ebenfalls ein Gas, ist noch wenig untersucht worden.
Allyleil, CH3~C~CH= C3H4, entspricht vollkommen dem Acetylen.
B. Halogen-Substitutionsproducte des Propans.
Propylchlorid CH:f CH2~CH2C1==C3H7C1, sowie das entsprechende Propyl-
bromid und Propyljodid, haben kein technisches Interesse; sie werden aus dem Propyl-
alkohol mittels gasförmiger Salzsäure resp. Brom- und Jodwasserstoffsäure dargestellt
und sind den entsprechenden Aethylpräparaten ähnlich. Diese Aehnlichkeit macht sich
auch in ihrer Wirkung auf den thierischen Organismus geltend, nur mit dem Unter-
schiede, dass die anästhesirende Wirkung weniger, aber der Einfluss der betreffenden
Halogene stärker hervortritt.
C. Hydroxyl-Substitutionsproducte des Propans.
Propylalkohol, CH3~CH3~CH2(OH) = C3H80 kommt bei der alkoholischen
Gährung des Zuckers nur in geringer Menge vor und ist ein Bestandtheil des Fuselöls;
er riecht angenehm und siedet bei 98°.
Der Propylalkohol unterscheidet sieh bei der Einwirkung auf den thierischen
Organismus nicht wesentlich vom Aethylalkohol. Bei Menschen erzeugt er aber leichter
eine anhaltende Eingenommenheit des Kopfes und namentlich Druck in der Stirngegend.
Isopropylalkobol CH3 CH(OHpCH3 = C3H80 unterscheidet sich durch seinen
Siedepunct, der bei 84° liegt.
Oxydationsproducte des Propylalkohols.
Propylaldehyd CH3-CH,~CHO = C3H60 ist eine farblose Flüssigkeit von er-
stickendem Geruch, welche bei 46u siedet, sich sehr leicht zu Propionsäure oxydirt und
reducirend auf Silberlösung wirkt.
Propionsäure, CH3~CH2— COOH = C3H602, das zweite Oxydationsproduct, wird
künstlich durch Kochen des Cyanäthyls mit Kali dargestellt, wobei sich gleichzeitig
Ammoniak bildet:
C2 H5- CN + K H 0 + H2 0 = C2 H5 CO OK + NH3.
Aceton. 431
Sie tritt im Schlemmwasser der Weizenstärkefabriken, beim Sauerwerden des
Kleisters, bei der trocknen .Destillation von Harz, Braunkohle, Torf, bei der Fäulniss
des Blutes und Fleisches auf und zeigt sich im Fussschweisse, in der Lohbrühe der
Gerbereien, in schlechtem, durch putride Stoffe verunreinigtem Brunnenwasser und über-
haupt überall da, wo Gährungs- und Fäulnissprocesse vor sich gehen. Die Essigsäure
ist ein sehr häufiger Begleiter derselben, mit welcher sie den scharfen Geruch theilt.
Einwirkung der Propionsäure auf den tiiierisclien Organismus. Im Glaskasten,
in welchem ein 'Kaninchen sass, wurden 4 Grm. der Säure durch erwärmten Sand
verflüchtigt; es trat bloss eine unregelmässige Respiration ein. _ Nach 25 M. aber-
malige Verdunstung von 4 Grm.; dann starkes Reiben über die Nase , _ Schliessen
der *Augen, Verlangsamung der Athmung. Bei der Herausnahme des Thieres nach
1 Stunde zeigte sich auf der Cornea beider Augen eine 2 Mm. breite und 8 Mm. lange
milchige Trübung, welche am folgenden Tage wieder schwand. Die reizende Einwirkung
auf die Schleimhäute war nicht zu verkennen, liess aber keine Folgen zurück.
Propionsäure-Aether CsHsOsCgHs^CäH^Os wird durch Destillation eines Ge-
menges von einem Propionsäuren Salz mit absolutem Alkohol und Schwefelsäure dar-
gestellt. Er macht einen Theil des Aromas beim Rum aus und wird deshalb haupt-
sächlich bei der Fabrication des künstlichen Rums oder auch bei Parfümerien und
in Liqueurfabriken benutzt.
Oxydationsproducte des Isopropylalkohols.
Aceton, Essiggeist, Dimethylketon, CH3"-CO"~CH3 = C3H60, bildet sich bei der
trocknen Destillation vieler organischer Stoffe, z. B. des Torfes, des Holzes, der Braun-
kohle, des Zuckers, der Weinsäure u. s. w. und macht einen Bestandtheil des Holz-
geistes aus, welcher nicht selten 20—30 % Aceton enthält.
Aceton stellt eine wasserhelle Flüssigkeit von eigenthümlichem Gerüche dar, welche
bei 56° siedet und sich mit Wasser, Aether und Alkohol mischt. Durch Oxydation geht
es in Essig- und Ameisensäure, durch Reduction mittels Natrium amalgam in Isopropyl-
alkohol über.
Einwirkung von Aceton auf den tiiierisclien Organismus, l) Ein grosses
Kaninchen wird mit der Schnauze in einen Glastrichter gesteckt , in dessen Grunde ein
mit 40 Tropfen Aceton befeuchteter Baumwollpfropfen liegt. Nach 3 M. beschleunigt
sich die Respiration; nach 6 M. Zusatz von 40 Tropfen; hierauf beschleunigte und er-
schwerte Athmung mit Rhonchus sonorus. Nach 9 M. Zusatz von 40 Tropfen; nach
16 M. Glieder schlaff, geringe Reflexreizbarkeit, Seitenlage wie in ruhigem Schlafe. Nach
20 M. Wegnahme des '"Trichters nach Verbrauch von 160 Tropfen Aceton; vollständige
Anästhesie des Thieres; nach 1 M. ein schwaches Erheben des Kopfes bei geöffneten
Augen, obgleich es sich nach 5 M. noch wie eine todte Masse hin- und herrollen lässt ;
Respiration regelmässig. Nach 6 M. beim Klopfen auf den Rücken geringe Reflexreiz-
barkeit, Seitenlage bei wenig erhobenem Kopfe; nach 11 M. Bauchlage mit gespreizten
Hinterbeinen und halbgeöffneten Augen; nach 29 M. lässt es sich noch auf die Seite
rollen ohne alle Gegenwehr; nach 32 M. läuft es wieder.
2) 15 Grm. Aceton werden auf Sand geträufelt, der sich auf dem Boden des
grossen Glaskastens befindet, in welchem ein grosses Kaninchen sitzt. Es zeigen sich
Reiben über die Nase, unregelmässige Athmung, Ausfluss von Schleim aus den Augen
und geringes Schwanken. Nach 40 M. Zusatz von 15 Grm.; nach vielfältigem Schwanken
fällt es nach 56 M. hin und bleibt nach 60 M. wie in ruhigem Schlafe liegen. _ Als das
Thier nach 75 M. herausgenommen wird, beschleunigt sich anfangs die Respiration, aber
schon nach 3 M. steht es auf und geht umher.
Die durch Aceton hervorgerufene Anästhesie war beim ersten Versuche
ganz vollständig, jedoch nur von kurzer Dauer; nachtheilige Folgen hatte
dieselbe nicht. Eine geringe reizende Einwirkung auf die Schleimhaut des
Mundes und der Respirationsorgane war nicht zu verkennen; hierfür sprach
beim zweiten Versuche der Speichelfluss und beim ersten Versuche der deut-
liche Rhonchus sonorus in den Bronchien; beide Erscheinungen Hessen aber
sofort nach, sobald die Thiere der Einwirkung von Aceton entzogen wurden.1)
Bei der fabrikmässigen Darstellung von Aceton wird essigsaures Natrium der
trocknen Destillation unterworfen; neben, Aceton bildet sich Natriumcarbonat:
CH,-COONa CH3 ro „ ro
432 Propylverbindungen.
Auch leitet man essigsaure Dämpfe durch gusseiserne, den Retorten ähnliche
Röhren, in welchen sich Aetzkalk in schwach rothglühendem Zustande befindet,
wobei ein ganz analoger Process stattfindet. Das entstandene Calciumcarbonat
(CaC03) wird hier durch die auftretenden Wasserdämpfe wieder zerlegt und in
Aetzkalk übergeführt. Neben der Kohlensäure, die entweicht, kann sich aber
auch Kohlenoxyd bilden, wenn der Process längere Zeit mit demselben Kalk
fortgesetzt wird und durch die Einwirkung von ausgeschiedenem Kohlenstoff auf
die glühende Kohlensäure Kohlenoxyd entsteht. Tritt dieser Umstand ein, so
hört man gewöhnlich mit der Zuleitung der Essigdämpfe auf und es wird bloss
der Kalk bei gleichzeitiger Einwirkung atmosphärischer Luft der Rothglühhitze
ausgesetzt.
In sanitärer Beziehung ist hierbei zu beachten, dass bisweilen die Menge
des Kohlenoxyds sehr bedeutend sein kann. Es sind Fälle bekannt geworden, in welchen
Arbeiter hierdurch von Erbrechen, Taumel und den übrigen Erscheinungen der Kohlen -
oxydvergiftung befallen worden sind, wenn der Abzug dieses Gases in die Feuerung
versäumt wurde.
Auch ist es erforderlich, Gassammeikasten an der Mündung der Schlangen-
röhren anzubringen, um von hier aus die Gase unter den bekannten Sicherheitsmassregeln
(Einlegen von Eisendrahtbündeln oder eines Drahtgitters in das Ableitungsrohr) in die
Feuerung zu leiten, da mit der Kohlensäure und dem Kohlenoxyd stets Acetondämpfe
entweichen (cfr. S. 365).
Das Rohdestiliat wird mit Kalkmilch vermischt und rectificirt.
Verwendung findet Aceton als Auflösungsmittel für Harze, namentlich zur Dar-
stellung eines feinen Firnisses für die Photographie oder, wie namentlich in England, des
Politur- und Buchdruckerfirnisses. Firniss nennt man die Druckerschwärze (s. S.309).
Mesityloxyd*) C6H10O entsteht durch Einwirkung der gasförmigen Salzsäure oder
der concentrirten Schwefelsäure auf Aceton, wobei sich mehrere Molecüle zu einem
Molecül vereinigen und zwar unter Abspaltung von Wasser:
2C3H6O-H2O = C6H10O.
Es stellt ein farbloses, stark nach Pfefiermünz riechendes Oel dar, welches nur
in Alkohol und Aether löslich ist und bei 132° siedet.
Einwirkung von Mesityloxyd auf den thierischen Organismus, l) Ein Kaninchen
sitzt in der Glasglocke, in welche die Dämpfe des erwärmten Oels mittels der Com-
pressionspumpe eingetrieben werden. Es wird sogleich unruhig und reibt starlt über
die Nase. Nach 3, 7 und 9 M. neue Zufuhr der Dämpfe. Nach 10 M. Herausnahme
des Kaninchens; es bleibt bei offnen Augen liegen, Herzschlag ist unzählbar und die
Empfindlichkeit der Augen herabgesetzt; nach 3 M. erhebt es den Kopf, behält aber die
Bauchlage; nach 30 M. läuft es wieder umher.
2) Ein Kaninchen wurde mit dem Maul in einen Glastrichter gesteckt, in dessen
Grund ein mit 40 Tropfen Mesityloxyd angefeuchteter Baum wollpfropfen lag. Sogleich
verlangsamt sich die Respiration; nach 5 M. sind alle Glieder schlaff bei ruhiger Lage
wie im Schlafe, nur ein leises Schleimrasseln in den Bronchien ist hörbar. Nach 23 M.
noch immer derselbe Zustand; beim Wegnehmen des Trichters erhebt es sogleich den
Kopf. Es wird nun mit dem Maule im Trichter auf den Boden gelegt und bleibt ruhig
in der Seitenlage; Reflexerregbarkeit ist nicht ganz verschwunden; Respiration ruhig
und normal. Dieser Zustand hält 29 M. an; nach einem leichten Schlag auf den Rücken
läuft es dann davon und legt sich gestreckt in die Seitenlage. Es bleibt 15 M. lang wie
im Schlafe liegen, dann erhebt es sich und bleibt munter. —
In dieselbe Reihe gehören folgende Körper, welche wie Mesityloxyd dargestellt
und durch fractionirte Destillation gewonnen werden, da sie einen verschiedenen Siede-
punet haben :
Phoron C9H140 = 3C3H60 — 2H20 siedet bei 200—220°.
Mesitylen C9H12 = 3C3H60 — 3H20, ein wasserhelles Oel, welches zwischen
155 — 160° siedet (s. die aromatischen Körper).
Zu den Ketonen gehört auch Dumasin C6H10O, Essigbrenzö'l, welches bei der
Darstellung des Acetons als Nebenproduct gewonnen wird. Es ist eine farblose,
*) Was man früher Metaceton genannt hat, scheint Mesityloxyd gewesen zu
Ebenso ist vielleicht auch das Dumasin nichts anderes als Mesityloxyd.
Glycerin. 433
allmählig sich schwach gelb färbende Flüssigkeit von ätherischem Gerüche, welche in
Weingeist löslich ist und zwischen 120 — 125° siedet. Wie alle Ketone geht es mit
sauren schwefligsauren Alkalien eine Verbindung ein; auch bezüglich seiner anästhe-
sirenden Wirkung stimmt es mit den Ketonen überein.
Früher wurde es vielfach zur Auflösung von Kautschuk und Guttapercha sowie
zur Firnissdarstellung benutzt.
Einwirkung von Dumasin auf den thierischen Organismus, l) Ein kleines
Kaninchen sass in der Glasglocke, in welcher 60 Tropfen Dumasin im Sandbade zur
Verdunstung kamen. Nach 10 M. Herausnahme des Thieres in Anästhesie, die jetzt
noch 15 M. lang unverändert bleibt.
2) Ein mittelgrosses Kaninchen sitzt in der Glocke ; 30 Tropfen werden in einem
Kölbchen erwärmt und die sich entwickelnden Dämpfe eingetrieben. Nach 15 M. voll-
ständige Anästhesie, die 10 M. lang anhält; bald darauf geht das Thier noch wie be-
trunken einher.
3) Bei einer Taube trat auf diese Weise nach 6 M. vollständige Anästhesie ein,
wobei sie sich wie eine todte Masse hin und her bewegen Hess. Nach 6 M. etwas
Würgen und Erbrechen; nach 8 M. stürzt sie beim Aufstehen auf den Kopf; sie richtet
sich sofort wieder auf. Nach 30 M. vollständige Restitution.
Dumasin hat somit wie die übrigen Ketone eine anästliesirende Wirkung,
welche aber Taumel und Schwindel zurücklässt. Beachtungswerth ist aber, dass
sich sowohl beim Dumasin wie bei den übrigen Ketonen niemals eine Spur von
convulsivischer Bewegung kund gibt.*)
Oxydationsproduct des Isopropylgly cols.
Isopropylglycolsäure, gewöhnliche Milchsäure, Acidum lacticum CH3 CH (OH)~
COOH = C3fi603, kommt in freiem Zustande sowie in Form von Salzen im Thierkörper
sehr verbreitet vor; constant findet sie sich im Magensafte, sowie im Dünn- und Dick-
darminhalte; häufig zeigt sie sich als pathologisches Product, namentlich im Schweisse,
Speichel, in osteomalacischen und rhachitischen Knochen, im Blute bei Pyämie, bei
Leukämie, in eitrigen Transsudaten, im Speichel der Diabetiker und überhaupt bei
gestörtem Stoffwechsel in Folge krankhafter Blutbildung und behinderten Respirations-
processes. In der Milch entsteht sie als Spaltnngsproduct des Milchzuckers, wobei das
Casein als Ferment wirkt. Im Sauerkraut erscheint sie stets in Folge der Gährung, der
sogen. Milchsäuregährun g.
Ihre Darstellung im Grossen geschieht durch Gährenlassen des Zuckers bei
Gegenwart von faulem Käse, Kreide und Wasser, wozu man Räume mit einer Tem-
peratur von 30 — 35° bedarf. Diese Fabrication darf nie im Weichbilde der Stadt vor-
fenommen werden, da der damit verbundene widerliche Geruch die Adjacenten im
ochsten Grade belästigt.
Sie stellt eine farblose, syrupartige, mit Wasser, Alkohol und Aether mischbare
Flüssigkeit dar, welche mit Magnesium, Eisen und Zink die bekannten Salze bildet.2)
Die Fleischmilchsäure C3H603, Paramilchsäure , wird im Muskelfleisch an-
getroffen und durch Auslaugen desselben mit kaltem Wasser erhalten.
Oxydationsproduct des Propans in allen drei Kohlenstoffatomen.
Glycerin, Oelsüss, CH2(OHrCH(qHnCH2(OH)==C3H803, kommt fast in allen
Fetten und Oelen thierischen und vegetabilischen Ursprungs, namentlich im Palmöl, vor.
In geringer Menge tritt es auch bei der Zuckergährung auf; es wird gewöhnlich durch
Behandeln der Fette mit überhitzten Wasserdämpfen dargestellt. Es ist eine farblose,
syrupartige, auch bei — 40° noch nicht erstarrende, geruchlose Flüssigkeit von süssem
*) Um zu untersuchen, ob eine Chlorverbindung von Dumasin eine nach-
haltigere Wirkung ausübe, wurden 20 Tropfen einer farblosen, durch Destillation von
Dumasin mit Braunstein und Salzsäure gewonnenen Ölartigen Flüssigkeit auf Baumwolle
getröpfelt und diese in eine weite, zur Aufnahme des Kopfes einer Taube geeignete
Glasröhre gebracht. Sofort nimmt die, Respiration ab und nach 3 M. hört sie ganz auf;
2 M. lang schlägt das Herz noch schwach und ganz unregelmässig. Bei der Section
fand sich das Herz mit geronnenem Blute angefüllt, im linken Bronchus und im obern
Lappen der linken Lunge ein Extravasat von flüssigem Blute im Durchmesser von
12 Millimeter.
Auch die Chlor acetone, bei denen für Wasserstoff Chlor substituirt ist, sind
farblose Flüssigkeiten von heftigem Gerüche, die eine ähnliche Wirkung wie obige "Ver-
bindung haben.
Eulenberg, Gewerbe -Hygiene. 2o
434 Propylverbindangen.
Geschmaeke, weshalb Glycerin (yXuxos) auch Oelsüss heisst. Mit Wasserdämpfen ist es
leicht destillirbar; ohne diese destillirt es bei 275—280° nicht ohne Zersetzung. Es
zieht aus der Luft begierig Feuchtigkeit an; in Wasser und Alkohol ist es löslich, nicht
alter in Aether. Die alkalischen Erden löst es wie die meisten Zuckerarten fast
in unbegrenzten Mengen auf. Diese in Glycerin löslichen Substanzen bedingen wiederum
die Löslichkeit vieler Metalle in Glycerin; man soll daher nie kalkhaltiges Glycerin in
Blechflaschen mit bleihaltigem Loth aufbewahren.3)
Mit Schwefelsäure bildet es Glycerinschwefelsäure C3H5(OH)2HS04, welche
bei der Stearinsäureindustrie entsteht (s. Stearinsäureindustrie).
Chlorhydrine bilden sich bei der Einwirkung der Salzsäure auf Glycerin; je
nach der Dauer derselben entsteht entweder Mono chlor hydrin C3H7C10.j, Dichlor-
hydrin C3H6CLO oder Tricblorhydrin C3H.,Cl3. Letzteres soll dem Chloral
ähnlieh wirken.4)
Allylverbindungen.
Der Name dieser Verbindungen rührt von ihrem Vorkommen in den Allium-
arten her; sie stellen Alkohole dar, die sich durch ein Minus von 211 von den gewöhn-
lichen Alkoholen unterscheiden. Die zur C3 Gruppe gehörigen Verbindungen sind die
wichtigsten und leiten sich von Isopropylen CH2==CH~"CH3 her.
Allylalkohol CH2=CH~CH2OH = C3H60 bildet sich beim Erhitzen von Glycerin
mit Oxalsäure auf 100° und ist dem Aceton und Propylaldehyd isomer.
Acrolein, Aerol CH.rCII CHO = C3H40, das Aldehyd des Allylalkohols,
wird durch Erhitzen von Glycerin dargestellt, wobei Glycerin 2 Mol. Wasser abspaltet:
C3HS03 = C3H40 + 2H.,0.
Ebenso entstellt es unter Wasserentziehung durch Einwirkung von wasserfreier
Phosphorsäure, concentrirter Schwefelsäure oder von Chlorzink auf Glycerin. Im ge-
wöhnliehen Leben tritt es beim Braten der Fette und Oele in der Küche und bei ver-
löschenden Lichtern, in der Technik oft zur grossen Belästigung der Umgebung auf.
Im reinen Zustande ist es eine wasserhelle Flüssigkeit, deren Dampf die Augen
zu Thränen reizt: sie schmeckt brennend scharf, ist leichter als Wasser und siedet bei
-4-52°. Acrolein verbrennt mit heller Flamme: an der Luft verharzt es unter Bildung
von Acrylsäure C3H403, Ameisensäure und Essigsäure.
Einwirkung von Acrolein auf den thierischen Organismus. 1) In den kleinen
Kasten, in welchem eine junge Katze sass, wurden die aus 15 Grm. Glycerin und saurem
schwefelsaurem Kalium dargestellten Aeroleindämpfe geleitet. Sogleich starkes Speicheln,
Reiben über die Nase, Schliessen der Augen, Würgen, Kaubewegung, Thränen der Augen
bei angestrengter Respiration: nach 5 M. Brechen und Urinentleerung, dann starkes
Speicheln, Ausfluss von Schaum aus den Nasenlöchern, in den Nacken zurückgezogener
Kopf bei verlangsamter Athmung. Nach 40 M. noch immer starkes Speicheln, dabei
Thränen der sehr gerötheten Augen und grösste Dyspnoe; nach 1 Stunde derselbe
Zustand mit 5 Inspir. binnen % M. Bei der Herausnahme der Katze bleibt die
Dyspnoe: Bewegungen langsam, sonst ruhiges Verhalten. Am folgenden Tage 8 Inspir.
binnen % M., hörbar und keuchend, mit Schleimrasseln verbunden; Trinken und Fressen
scheinbar unmöglich Am dritten Tage derselbe Zustand, starkes Schleimrasseln in der
Nase; die Katze frisst und säuft fast Nichts, sucht nur kalte und nasse Stellen auf.
Am vierten Tage wird sie Morgens todt gefunden.
Section nach 2-4 Stunden. Hyperämie der Hirnhäute und der Plex. venös,
spin.; beide obern Lungenlappen dunkelbraun, beim Durchschneiden nicht knisternd,
im V asser untersinkend: auf den Durchschnitten treten einige Tropfen schwarzen Blutes
und aus den Bronchialästchen eiterige Flüssigkeit aus; der rechte mittlere und untere
Lungenlappen bläulich-roth; Parenchym blassroth, auf der Oberfläche Emphysem-
bildung: der linke untere Lungenlappen zinnoberroth, beim Einschneiden knisternd,
wobei ein paar dunkle Blutstropfen austreten. Die Schleimhaut der Trachea bis zum
Larynx hin mit .abgelöstem Epitheliom bedeckt; die Schleimhaut stellenweise geschwollen
und stark geröthet; auch der weiche Gaumen ist stark geröthet, aber ohne Exsudat-
bildung. In beiden Herzhälften etwas flüssiges, dunkelrothes Blut. Im Magen
wenig geronnene Milch; Leber von normaler Farbe und nicht blutreich; Milz normal,
Nieren dunkelroth. Urinblase mit hellgebem Urin gefüllt.
2) Ein mittelgrosses Kaninchen sitzt im grossen Glaskasten; 15 Grm. Glycerin
werden mit Acid. phosph. glacial. behandelt. Sobald die Dämpfe in den Kasten dringen,
reibt es heftig über die Nase, hat starkes Speicheln, abwechselnd grosse Unruhe. Nach
12 M. bleibt es in der Bauchlage mit 4 kaum bemerkbaren Inspir. binnen l/4 M. Nach
SO M. Herausnahme; Augen, Nase und Maul geröthet, anhaltende Dvspnoe; am fol-
genden Tage eine Trübung auf der rechten Hornhaut, Röthung der Conjunctiva und
Propylamin. 435
Eiterflöckchen in den innern Augenwinkeln: die Dyspnoe steigert sich. Am dritten
Tage derselbe Zustand: 10 angestrengte Inspir. binnen % M. : starkes Speicheln. Am
vierten Tage dieselbe Dyspnoe. Temperatur im Obre 2S° C. : am sechsten Tage Husten
mit Bräune-Ton; am siebenten Tage lebhaftes Fressen: der rauhe heisere Husten bleibt
bis zum 13. Tage. Am 1-L. Tage frisst es wenig und bleibt ruhig sitzen: Temperatur
25° C. Am 15. Tage stirbt es gegen Abend unter progressiver Abnahme der Respiration.
Section nach 6 Stunden. Hirnhäute und Plex. venös, spin. nicht blut-
reich: die Halsgefässe strotzen von dickem, geronnenem, schwarzem und etwas flüssigem
Blute. Lungen überall mittels eines frischen plastischen Exsudats mit der Pleura
cosfe verwachsen: beim Ablösen derselben zeigt sich eine dünne eiterige Flüssigkeit:
der rechte untere Lungenlappen bläulich-roth, fest, im Wasser unter-
sinkend, mit blassrothem, mürbem, mit den Fingern zerreibbarem Gewebe, auf dessen
Schnittflächen Eitertröpfchen hervortreten: der mittlere rechte Lungenlappen
leberfarbig, fest und im "Wasser untersinkend: der linke untere Lungenlappen
tief blauroth, mit der Pleura costal. fest verwachsen: das Gewebe von ödematöser Be-
schaffenheit, auf den Durchschnitten tritt ein weisser rahm artiger Schaum zu Tage; der
linke obere Lungenlappen von normalem Gewebe und rosenrother Farbe. Die
Schleimhaut der Trachea bis zum Larynx stark injicirt und von dunkler Röthe;
plastisches Exsudat fehlt. Rechtes Herz mit schwarzem coagulirtem Blute vollständig
angefüllt, das an den Wandungen anklebt: im linken Herzen weniger coagulirtes
und etwas flüssiges Blut. In der Brusthöhle hatte sich rothbraunes Blut angesammelt,
welches an der Luft dunkelkirsehroth wurde und gerann. Leber von normaler Be-
schaffenheit: im Magen etwas unverdautes Futter: Milz dunkelblau: Nieren weich,
nicht blutreich; in der Urinblase etwas blasser Urin. In den grössern Venen schwarzes
geronnenes Blut.
Aus diesen Versuchen geht mit Bestimmtheit hervor, dass die Dämpfe von
Acrolein eine Pleuro-Pneumonie zu erzeugen vermögen. Man wird zwar selten
in der Industrie solchen Mengen dieser Dämpfe ausgesetzt sein, dass sich dieser
erhebliche Entzündungsprocess ausbilden kann; immerhin fordert aber das
Resultat der Untersuchung in sanitärer Beziehung zur Vorsicht auf, namentlich
wenn in Stearinsäurefabriken solche Dämpfe beständig oder in grössern Mengen
auftreten. Für die Adjacenten bilden sie noch durch den höchst unangenehmen
Geruch eine Quelle grosser Belästigung.
D. Nitrogen-Substitutionsproducte des Propans.
Propylamin CH3~~ CH2-CH2|NHo) = C3H7(NH,) ist die ammoniakalisehe, dem
Aethylamin in chemischer Beziehung vollständig entsprechende Verbindung: auch seine
Dämpfe haben eine ähnliehe Wirkung wie die von Aethylamin.5)
Allylcyanid oder Cyanallyl. C3Hä— CN, entspricht dem Cyanäthyl vollkommen:
es kommt im käuflichen Senföl vor.
E. Sulfo-Substitutionsproducte des Propans.
Allylsenföl, das eigentliche Senföl, C3H5— NCS, gehört hierher und wird im
Grossen aus den schwarzen Senfsamen dargestellt, welche man durch Pressen von ihrem
Oel befreit und dann einige Tage stehen lässt. um einen Gährungsprocess einzuleiten.
Durch Destillation mit Wasser gewinnt man dann das farblose, stechend riechende Oel,
welches in Wrasser unlöslich ist.
Allylsulfid, KnoblauchÖl C6Hi0S, wird ebenfalls durch Destillation mit Wasser
aus den Zwiebeln des Knoblauchs gewonnen: eine farblose, stark nach Knoblauch
riechende Flüssigkeit.
28*
436 Butylverbindungcn.
C4 Gruppe.
Butylverbindungen.
A. Kohlenwasserstoffe.
a) Butylwasserstoff CH3 CH3 CH3 CH3==C4H10 kommt unter den Gasen des
Petroleums vor und wird künstlich durch Erhitzen von Jodäthyl mit Zink dargestellt:
2 C3H5 J + Zn = Zn J3 + C4 H10.
Ein farbloses, bei — 23° flüssig werdendes und mit stark leuchtender Flamme
brennendes Gas.1)
Isobutylwasserstoff CH3 CH~CH3 = C4H10 kommt nur als Kunstproduct vor
CH3
und entsteht neben Butj'len, wenn Butylalkohol mit Chlorzink erhitzt wird.
b) Butylen C4H8 kommt unter den flüchtigsten Bestandteilen des Petroleums
vor und bildet sich auch bei der Destillation der fetten Oele, Harze und namentlich bei
der trocknen Destillation des Kautschuks. Dargestellt wird es durch Zersetzung des
Isobutylalkohols durch Chlorzink.
ßutylen ist ein höchst flüchtiger Körper, welcher, condensirt, schon unterhalb des
Gefrierpunctes des Wassers siedet.
B. Halogenderivate des Butylwasserstoffs.
Butylchlorid CH3 CH-TCH, CH2C1 = C4H9C1 wird durch Einleiten von gas-
förmiger balzsäure in Butylalkohol dargestellt; es siedet bei 78°. Das Isobutyl-
chlorid siedet bei 70°.
Die Butyljodide werden wie die Chloride aus den vier verschiedenen Butyl-
alkoholen erhalten.
C. Hydroxyl-Substitutionsproducte des Butylwasserstoffs.
Von den beiden Butylwasserstoffen leiten sich vier Butylalkohole ab, nämlich der
normale und secundäre Butylalkohol (Siedepunct 99°), der Isobutylalkohol
und der tertiäre Butylalkohol (Siedepunct 82°); der normale CH3~~CH3~CH3
~~ CH3OH wird aus der Buttersäure erhalten (Siedepunct 116°).
>CH3
Isolmtylalkohol CH^-CH3 =C4H9(OH) kommt als Product der alkoho-
\CH3OH
lischen Gährung vor, findet sich daher auch im Rohspiritus und ist ein Bestandtheil
des Fuselöls, aus welchem er auch durch fractionirte Destillation gewonnen wird. Er
verhält sich dem gewöhnlichen Alkohol sehr ähnlich, ist jedoch mit Wasser nicht
mischbar und siedet bei 107°: sein Geruch erinnert an den des Amylalkohols.
Einwirkung des Gährnngsbntylalkohols anf den thierischen Organismus.
1) Ein grosses Kaninchen sass im grossen Glaskasten. Nach der Verdunstung von
120 Tropfen Butylalkohol beschleunigt sich nach 9 M. die Athmung bedeutend: nach
45 M. sind 300 Tropfen verdunstet, dann Reiben über die Nase, schwaches Zittern der
Ohren ; nach der Verdunstung von 500 Tropfen binnen 1 Stunde krampfhafte Bewegung
im rechten Vorderfusse, wiederholtes Reiben über die Nase: es treten keine anderweitigen
Erscheinungen ein. Nach der Verdunstung von 600 Tropfen (binnen 75 M.) Herausnahme
des Thieres, welches ohne Schwanken fortläuft.
2) Ein mit Butylalkohol angefeuchteter Baumwollpfropfen wurde in den Grund
eines Trichters gebracht und das Maul eines starken Kaninchens in die Trichtermündung
gesteckt: 20 Min. lang dauerte die Inhalation, während welcher der Baumwollpropfen
noch dreimal angefeuchtet wurde : nur eine unregelmässige Athmung und ein vermehrter
Herzschlag traten ein, aber von Betäubung keine Spur.
Frösche können in einer schwachen Lösung dieses Alkohols (1:500) leben: nur
der Herzschlag verlangsamt sich hierbei, auch die Motilität und Sensibilität nehmen
etwas ab, die Erholung erfolgt aber rasch. Schneller und heftiger wirkt eine Lösung
von 1 : 200 ein. 2)
Buttersäure. 437
Die geringe Flüchtigkeit des Butylalkohols ist die Ursache, weshalb er
weniger als Weinalkohol betäubt. Beim Menschen entstehen zuerst Husten und
später ein Kopfschrnerz von kurzer Dauer.
Oxydationsproducte des Butylalkohols.
ßtttaldehyd C4H80 leitet sich vom normalen Butylalkohol, der Isobutylaldehyd
CjHgO vom Isobutylalkohol her. Beide Aldehyde liefern bei weiterer Oxydation zwei
isomere einbasische Säuren, die bei 157° siedende Buttersäure und die ihr sehr ähn-
liche, aber bei 154° siedende Isobuttersäure.
Buttersäure CH3^CH2_CH2_COOH=CiH802 kommt als Glycerinäther (Butyrin)
in der Butter vor; auch liefern sie der Schweiss, der Muskelsaft, das Blut, der Leber-
thran, das Sauerkraut, überhaupt die eingemachten Gemüse und die Salzgurken in Folge
der Milchsäuregährung. Als verwesungs- und Fäulnissproduct vieler thierischen Sub-
stanzen tritt sie beim verdorbenen Korn, bei verwesenden Pflanzentheilen resp. Früchten
und Zwiebeln auf. Guano-Lager exhaliren beständig Buttersäure. In den stinkenden
Fussschweissen ist sie mit Baldriansäure gepaart; der stinkende Geruch des Menstrual-
blutes und der Lochien rührt häuptsächlich von Buttersäure her. Im Johanniskraut
(Ceratonia Siliqua) entwickelt sie sich als buttersaures Salz so bedeutend, dass sie durch
Destillation mit Schwefelsäure daraus gewonnen werden kann. v. Gorup-Besanez hat sie
in den Tamarinden und in den Früchten des Seifenbaums (Sapindas saponaria) nach-
gewiesen. Im Tabakrauche, beim Brennen der Kaffeebohnen, bei der Theergewinnung,
folglich bei der trocknen Destillation, findet sie sich ebenfalls.
Einwirkung der Bnttersäure auf den thierischen Organismus. Ein Meer-
schweinchen sass im Zinkkasten, in welchen die durch Erhitzen der Buttersäure ge-
bildeten Dämpfe eingeleitet wurden. Sofort grosse Unruhe, Reiben über die Nase,
Urinlassen und Husten; mit der Condensation der Dämpfe lassen diese Erscheinungen
nach, mit dem Einleiten derselben treten sie mit erneuter Heftigkeit auf und die Athmung
wird unregelmässig'. Die Hornhaut wird auf beiden Seiten weiss getrübt. Nach 15 M.,
nach Verbrauch von 12 Grin. Buttersäure, nimmt das Thier die Bauchlage mit gespreizten
Beinen an und wird dann herausgenommen. Die Respiration bleibt beschleunigt und
ist mit Schleimrasseln verbunden. An den drei folgenden Tagen vermag das Thier
weder zu fressen noch zu saufen und verhält sich sehr ruhig; die rechte Hornhaut ist
wieder klar, die linke aber noch trübe. Erst am vierten Tage ist es befähigt, Futter
zu sich zu nehmen. Am fünften Tage Cornea ganz klar, die Respiration fast ganz frei
von Schleimrasseln und die Fresslust gut. Die Restitution ist vollständig.
Wasserfreie Buttersäure wirkt stark irritirend ein; auf der Haut erzeugt sie
rothe Flecke, auf denen sich später die Epidermis kleienartig abschuppt. Aehn-
lich sind die Erscheinungen auf den Schleimhäuten, indem sie hier ebenfalls
Röthung, Schwellung und späterhin Abstossung des Epitheliums erzeugt. Die
Reizung der Mundhöhle und des weichen Gaumens beim Meerschweinchen ver-
ursachte Unvermögen zum Schlucken; sie setzte sich in geringerm Grade auf
die Bronchialschleimhaut fort. Die Trübung der Hornhaut beruhte zunächst auf
Coagulation der Albuminate. Die Buttersäure besitzt den thierischen Gebilden
gegenüber aber auch eine stark lösende Kraft, so dass sie sogar Fleischfasern,
gehacktes rohes Fleisch, gekochtes Eiweiss u. s. w. in eine syrupartige, schlüpfrige
Masse zu verwandeln vermag. Beim Meerschweinchen hatten die Dämpfe den
obern Rand beider Ohrmuscheln corrodirt; in einer Breite von 10 Millimeter
waren diese mit einem braunen Schorfe bedeckt, nach dessen Entfernung sich ein
sichtbarer Substanzverlust ergab. Gelangt sie direct in's Blut, so wirkt sie wie
jede Säure, indem sie die Alkalinität des Blutes und damit die Fähigkeit des-
selben, Kohlensäure zu binden, aufhebt; sie steht in dieser Beziehung fast auf
gleicher Stufe mit der Essigsäure.
Otto Weber3) injicirte Kaninchen 5—10 Tropfen der Säure, in Wasser
gelöst, in's Blut und beobachtete darnach heftige Krämpfe, beschleunigte Respi-
ration, Mydriasis, rasche Abnahme der Temperatur und Tod.
438 Butylverbindungen.
Bei der Darstellung der Buttersäure im Grossen unterwirft man ein
Gemenge von Rohrzucker oder Rübenzuckermelasse mit Kreide und faulendem
Käse bei 30 — 35° der Gährung. Die zuerst gebildete Milchsäure verwandelt sich
unter Wasserstoff- und Kohlensäure-Entwicklung in Buttersäure:
2C3H603 = C4Hs02 + 2C02 + 2H2.
Aus dem gebildeten buttersauren Calcium wird mittels einer starken Mineral-
säure die Buttersäure abgeschieden und noch durch Destillation und Rectification
gereinigt.
Es entsteht hierbei ein unausstehlicher, höchst widerlicher Geruch, der
theils von der Buttersäure, theils aber auch von den vielen andern Fettsäuren
und einigen, noch nicht näher gekannten, flüchtigen Substanzen herrührt.
Die gährenden Tupfe stehen in geheizten Stuben, welche die oben erwähnte
Temperatur haben müssen: täglich wird ihr Inhalt zweimal umgerührt. Einrichtungen,
um die übelriechenden Dämpfe und die feuergefähi'lichen Gase (Kohlenwasserstoffe u. s.w.)
zu entfernen, sind absolut erforderlich, obgleich in den meisten Fabriken nicht daran
gedacht wird. Zum allermindesten müssen diese Räume mit einem gut ziehenden
Schornstein in Verbindung gesetzt werden, um die Gase und Dämpfe abzuleiten.
Auch dürfen solche Anlagen niemals in Städten geduldet werden, weil die Nähe
solcher Fabriken selbst bei zweckmässigen Vorkehrungen der nächsten Nachbarschaft
grosse Belästigungen bereitet.
Die Buttersäure ist eine durchsichtige, farblose, wie Essig und alte Butter
riechende Flüssigkeit, welche mit Wasser mischbar ist, bei 157° siedet und dann ohpe
Veränderung überdestillirt. Sie ätzt die Haut gleich der stärksten Essigsäure.
Verwendung findet die Buttersäure zur Darstellung von buttersaurem
Calcium, das durchsichtige, schmelzbare, in Wasser leicht lösliche Nadeln darstellt.
Am wichtigsten ist aber ihre Benutzung in den Fabriken für Parfümerien und
Liqueure.
Bnttersänre-Methyläther C4H7(CH3)O2=C5Hj0O2 hat einen höchst eigenthüm-
lichen, angenehmen Aepfelgeruch und wird aus Buttersäure, Holzgeist und concentrirter
Schwefelsäure dargestellt.
Buttersäure-Aethj'läther C4H7(C2H5)02^C6H]202 zeichnet sich durch einen an-
genehmen Geruch nach Ananas aus und wird in England im Grossen massenhaft dar-
gestellt, indem man die Butter mit Kali verseift, die gebildete Seife in starkem Alkohol
löst und mit concentrirter Schwefelsäure destillirt. Dieser käufliche Butteräther ist
noch mit andern Aetherarten vermischt; als Ananasöl (Pine-apple oil) wird er zur
Fabrication von künstlichem Rum oder zum Aromatisiren eines limonadenähnlichen Ge-
tränks (Pine-apple-ale) benutzt.
Dicarboxylsäure in der C4Gruppe.
Bernsteinsäure CO OH- CH2— CH2— COOH = C4H604 ist in industrieller Beziehung
wichtig: sie kommt in vielen Pflanzen, im thierischen Organismus und ganz besonders
im Bernstein vor. Unter den Producten der alkoholischen Gährung des Zuckers fehlt
sie nie. Im Grossen wird sie durch Destillation des Bernsteins dargestellt.
Die Dämpfe dieser Säure reizen die Respirationswege sehr stark und erregen
einen heftigen Husten ; eine tiefere Einwirkung auf das Befinden der Thiere konnte
nicht beobachtet werden. Arbeiter, welche in den Dämpfen beschäftigt sind,
empfinden die reizende Wirkung allmählig weniger, obgleich solche mit reizbaren
Brustorganen die mit diesen Dämpfen verbundene Arbeit aufgeben müssen; in
einem concreten Falle trat ein starker Bluthusten ein.
Substitution der Wasserstoffe in den beiden CH3 der gewöhnlichen
Bernsteinsäure durch Hydroxyle.
pTT fr) tj\ — PO OTT
Aepfelsäure QH COOH = C4H605 kommt bekanntlich in allen sauren
Früchten vor und wird gewöhnlich aus dem Safte der Vogelbeeren dargestellt. Sie
stellt eine feste, an der Luft zerfliessende, bei 83° schmelzende Masse dar und verhält
sich zur Bernsteinsäure wie die Glycolsäure zur Essigsäure.
Crotonchloral. 439
Weinsäure puvßtn— pr!r)Tj = C4H606, Reclitsweinsäure, kommt vorzugsweise
in den Trauben vor und bildet sieb bei der Oxydation des Milchzuckers.
Dargestellt wird sie aus dem rohen Weinstein, welcher sich an den Wänden
der Weinfässer absetzt. Die WTeinsäure ist leicht im Wasser, schwer in Alkohol löslich.
Von ihren Salzen sind zu erwähnen:
Saures weinsaures Kalium, Weinstein, C4H5K06, ein in Wasser schwer
lösliches Salz.
Neutrales weinsaures Kalium, C4H4K206, in Wasser leicht lösliche
Krystalle.
Weinsaures Calcium C4H4Ca04, besitzt die charakteristische Eigenschaft, in
kaltem Wasser unlöslich, in kalter Kalilauge aber löslich zu sein; durch Kochen wird
es aber wieder abgeschieden.
Die Trauben säure ist nur eine Modifikation der Weinsäure.
Andere sauerstoffhaltige Verbindungen der C4Gruppe.
Crotonaldehyd C4H60 bildet sich aus dem gewöhnlichen Aldehyd (C2H40) durch
Condensation desselben und stellt eine stechend riechende, bei 105° siedende Flüssigkeit
dar. Durch Oxydation von Crotonaldehyd stellt man die Crotonsäure C4H602 dar,
eine bei 184° siedende Flüssigkeit.
Diese Verbindungen stehen zu den entsprechenden Butylverbindungen in derselben
Beziehung wie die Allylverbindungen zu den Propylkörpern.
Crotonchloral C4H3C130 ist dem Chloral analog zusammengesetzt und ist zuerst
von Krämer und Pinner durch Einleiten von Chlor in Aldehyd als ölige Flüssigkeit
dargestellt worden, die mit Wasser ein Hydrat bildet. Dieses unterscheidet sich vom
Chloralhydrat durch seine geringe Löslichkeit in Wasser und seine Krystallisation
in kleinern glänzenden Tafeln.
Eine Gabe von 4 Grm. in wässriger Lösung führt binnen 15 — 20 Minuten tiefen
Schlaf herbei, welcher mit Anästhesie des Kopfes verbunden ist. Einen nach-
theiligen Einfluss auf das Herz soll es nicht ausüben: während der Augapfel seine
■Irritabilität verloren hat, der N. Trigeminus nicht mehr auf Reize reagirt, verändert
sich der Tonus der Muskeln gar nicht. Man hat das Mittel daher vorzugsweise bei
Gesichtsneuralgie empfohlen.4)
C5 Gruppe.
Amylverbinchingen.
A. Kohlenwasserstoffe.
Es giebt drei verschiedene Amylwasserstoffe, von denen zwei im Petroleum-
äther vorkommen.
Der normale Amylwasserstoff, CH3~CH2~ CH2~CH2~CH3 = C5H,2, wird durch
Erhitzen von Jodamyl mit Zink und Wasser dargestellt. Er ist eine farblose, sehr be-
wegbehe, bei +33° siedende Flüssigkeit, welche in Wasser unlöslich ist und deren
Dampf mit weisser leuchtender Flamme brennt.
Rickardson1) Hess das Gas 20 — 25 Secunden lang einathmen und sah danach eine
kurze Bewusstlosigkeit eintreten, welche für Zahnoperationen ausreichte. Wegen der
Unlöslichkeit des Mittels tritt die Anästhesie nicht rasch ein: erst wenn die Respirations-
wege vollständig mit dem Gase angefüllt sind, macht sich die Wirkung geltend.
Amylen C5H10 bildet sich bei der Destillation des Amylalkohols mit Chlorzink.
Es ist ein klares, eigenthümlich riechendes Oel von kühlendem, adstringirendem Ge-
schmack; in Wasser ist es kaum, in Alkohol und Aether leicht löslich und brennt mit
schwach leuchtender Flamme. Sein Siedepunct liegt bei 35°.
Einwirkung von Amylen auf den thieriseken Organismus, l) Ein kleines
Kaninchen sitzt im Zinkkasten, in dem 30 Grm. Amylen verdunsten. Bald Zucken in
den Vorderbeinen, das sich nach 2 M. wiederholt; dann Reiben über die Nase: nach
10 M. Zusatz von 30 Grm. Amylen; schwacher Taumel und nach 16 M. Hinfallen mit
440 Amylverbindungen.
zittemden Lippen. Nach 30 M. Herausnahme des Thieres. das sich sofort bemüht auf-
zustehen, aber erst nach 10 M. Gehversuche macht.
2 Ein kleines Kaninchen sitzt in der Glasglocke; 190 Tropfen Amylen verdunsten;
nach 12 M. Schwanken und Hinfallen. Nach 16 M. Herausnahme des Thieres in
Anästhesie; nach 15 Secunden erhebt es alier schon den Kopf und stösst einen heisern
Schrei aus: bei Gehversuchen schwankt es und stürzt auf den Kopf. Nach 10 M bleibt
es ruhig sitzen und erholt sich allmählig.
3) Ein BaumwoUpfropfen im Grunde eines Trichters wurde mit 40 Tropfen Amylen
befeuchtet und darauf der Kopf eines Kaninchens in den Trichter gesteckt. Nach 30 See.
convulsivische Zuckungen der Extremitäten und nach 1'2 M. vollständige Erschlaffung
derselben, während die Athmung rasch und angestrengt ist. Nach 2 ML auf die Erde
belegt, bleibt es nur einen Augenblick in der Seitenlage und läuft bald davon.
4 Bei der Wiederholung dieses Versuches, der 5 M. dauerte, ist das Kaninchen
vollständig anästhetisch; nach 2 M. läuft es wieder.
Aehnliche Resultate erzielten 5 und Lohm yer*) bei ihren Versuchen an
Kaninchen: sie fanden ebenfalls die Respiration beschleunigt, laut hörbar, den Puls
frequent, wobei die Thiere heisere Schreie ausstiessen ; die anfangs leichten Zuckungen
gingen bisweilen in allgemeine Convulsionen über; letztere verschwanden beim Eintritt
der°Muskelrelaxation. Nach dem Aufhören der Inhalation schwand auch die Anästhesie:
schon nach % M. fingen die Thiere an. sich zu regen und konnten sich nach einer
weitern % M. wieder auf den Beinen halten. An der freien Luft erlangten sie ihre
Kräfte schneller.
Auch die Beobachtungen bei Menschen stimmen darin überein, dass
sich Amylen nur für eine kurze Anästhesie eignet; die Restitution ist weit
schneller und vollständiger als beim Chloroform. Snow3) entdeckte die
anästhesireude Wirkung von Amylen und zieht es namentlich auch wegen
seiner geringen reizenden Einwirkung auf die Respirationsorgane dem Chloroform
und Aether vor. Puls und Athem beschleunigen sich anfaugs bei geröthetem Ge-
sichte, während die Pupille unverändert bleibt und sich nur bei stärkerer Einwir-
kung erweitert. Die Erholung tritt so rasch ein, weil Amylen sehr flüchtig ist,
auch von "Wasser und Blut sehr wenig absorbirt wird. Tour des4) sah nach
einer 6 — 8 Minuten andauernden Anästhesie das Bewusstsein schon nach
2 — 3 Minuten zurückkehren.
Bei ein paar Todesfällen hat man hauptsächlich „ Lungenemphysem u und
im Herzen einige Unzen dunkles flüssiges Blut nebst einer blutreichen Leber, ein
andermal gar nichts Auffallendes beobachtet.
B. Halogen- Substitutiunsproducte.
Amylehlorid, CMoramyl C5HnCl, wird durch Einwirkung der gasförmigen Salz-
säure auf Amylalkohol dargestellt Eine farblose Flüssigkeit von ziemlich angenehmem
Gerüche, welche in Wasser unlöslich ist und bei 102° siedet.
Es findet bei der Darstellung der rothen Farben aus dem Anilin Verwendung.
Einwirkung von Chloramyl anf den thierisehen Organismus. Ein mittelgrosses
Kaninchen sitzt in der Glasglocke, in welche die Dämpfe von 40 Tropfen Chloramyl
eingeleitet werden. Sogleich Unruhe. Augenblinzeln, Thränen der Augen, Reiben über
die Nase. Nach oil. ist nach erneuter Verdampfung von 20 Tropfen die ganze Glocke
mit Dampf angefüllt: das Thier fällt allmählig in die Seitenlage und wird nach 11 M.
herausgenommen; es schreit heftig auf. die Pupille ist erweitert und das Auge empfind-
lich, nur die Hinterbeine sind schlaff und unempfindlich. Nach 4 M. langsame Geh-
versuche ohne Schwanken: Nachkrankheiten entstehen nicht.
Wegen seiner geringen Flüchtigkeit eignet sich das Mittel schon von vorn-
herein weniger zu Inhalationen. Snow versuchte dasselbe an sich selbst und
empfand nach der Inhalation von einer Drachme binnen 10 Minuten eine langsam
schwindende Betäubung und ein rauschähnliches Gefühl ohne alle nachtheiligen
Folgen; eine Menge, welche jedoch nach den Versuchen an Kaninchen hier keine
vollständige Narkose zu erzeugen vermag.5)
Jodamyl. 441
Jodamyl C5H,i J entsteht bei der gleichzeitigen Einwirkung von Jod und Phosphor
auf Amylalkohol. Eine farblose Flüssigkeit, welche schwerer als Wasser, in demselben
ganz unlöslich, aber in absolutem Alkohol und Aether löslich ist. Ihr Geruch ist
schwach ätherartig, ihr Geschmack brennend und ihr Siedepunct liegt bei 146°.
Sie wird in der Farbentechnik benutzt.
Einwirkung von Jodamyl auf den thierischen Organismus, l) In der Glasglocke
sass ein mittelgrosses Kaninchen. CO Tropfen Jodamyl wurden in einem Kölbchen im
Sandbade erwärmt und die weisslichen Dämpfe eingeblasen. Das Präparat war nicht
ganz rein, da sein Siedepunct nur bei +120° lag; wahrscheinlich enthielt es noch freie
Jodwasserstoffsäure. Sogleich beschleunigt sich die Respiration, krampfhaftes Auf-
sperren des Mauls und jämmerliches Schreien; abwechselnd erhebt sich das Thier und
sinkt wieder zu Boden, schreit häufig auf und athmet sehr beschwerlich; nach 9 M.
krampfhaftes Zucken, welches in sehr starkes Zittern übergeht, worauf sich das
Rückgrat tetanisch beugt und der Athem stockt. Nach der sofortigen Herausnahme
erfolgen nur noch ein paar krampfhafte Inspir.; die Pupille ist sehr verengt, die büke
Cornea schwach getrübt und die Gliederstarre sofort stark.
Section nach 20 Stunden. Die Hirnhäute sind sehr stark injicirt; zwischen
den Wirbeln und der Dura mater ein ganz oberflächliches Blutextravasat Lungen
zurückgezogen, von dunkelbrauner Farbe mit schwärzlicher Marmorirung; aus den
Durchschnitten des linken obern Lungenlappens tritt wenig Blut aus; das Parenchym
ist schwärzlich-braun: bloss am Rande der Lungenlappen eine hellrothe Marmorirung
mit Emphysembildung; die Lungenschleimhaut bis zur Trachea rothbraun injicirt. Unter
der Pleura der 6 untern Rippen linkerseits ein 4 Millim. dickes Blutextravasat von 3 Dem.
Durchmesser. Herz etwas schlaff, enthält rechts wenig flüssiges und links etwas
schwarzes geronnenes Blut. Sonst ist das Blut vorherrschend flüssig, hat eine dunkel-
kirschrothe Farbe und wird an der Luft kaum heller.
2) Ganz reines Jodamyl wird zu 12 Tropfen auf einen Baumwollpfropfen ge-
träufelt und in eine weite Röhre, welche den Kopf einer Taube aufnimmt, gesteckt.
Der Schnabel wird sogleich nass; beschleunigte Respiration und Würgen. Nach 7 M.
Zusatz von 10 Tropfen; heftige Dyspnoe, nach 15 M. vollständige Anästhesie
der Taube, die sich ohne alle Reaction hin- und herrollen lässt; Herzschlag beschleu-
nigt; nach 1 M. starkes Zittern, Husten mit rauhem Ton: nach 2 M. richtet sie
sich unter Schwanken auf; nach 3 M. geht sie schwankend wie betrunken einher, die
Athmung wird eher normal als der Herzschlag. Restitution nach 1 Stunde. ■
Das vom Organismus aufgenommene Jodamyl wird sich jedenfalls langsamer
als Jodäthyl zersetzen; alles Jod wird aber auch hier schliesslich als Jod-
natrium im Harn und Schweiss ausgeschieden.
Obgleich Jodamyl eine vollständige Anästhesie zu erzeugen vermag, so er-
scheint es doch unpassend für diesen Zweck, da es die Respirationsschleimhaut
ganz bedeutend reizt. Beim ersten Versuche betheiligte sich wohl ohne Zweifel
die vorhandene Jodwasserstoffsäure an dem letalen Ausgange. Die eigenthümliche
Wirkung der ganzen Amylreihe, Zittern und Betäubung, gab sich namentlich
beim zweiten Versuche kund.6)
C. Hydroxyl-Substitutionsproducte.
Der gewöhnliche Amylalkohol oder Gährungsamylalkohol CäH120, ein
Hauptbestandteil des Fuselöls, ist ein Product der Alkoholgährung, wenn dem
Zucker noch Stärkemehl beigemengt war. Auch soll er sich beim Nachreifen der
Früchte bilden.
Dargestellt wird er durch fractionirte Destillation des Nachlaufs bei den Brannt-
weinbrennereien, eines Gemenges von Aethyl-, Propyl-, Butyl- und Amylalkohol; der-
jenige Antheil, welcher einen Siedepunct zwischen 130 — 133° hat, stellt den reinen Amyl-
alkohol dar.
Eine farblose Flüssigkeit von brennendem Geschmacke und widerlichem, zum
Husten reizenden Gerüche, die sich schwer entzünden lässt und dann mit bläulicher
Flamme brennt. Bei — 20° erstarrt Amylalkohol zu krystallinischen Schuppen, weshalb
man in Russland den Branntwein einem hohen Kältegrad aussetzt, um ihn fuselfrei zu
machen. An der Luft verwandelt er sich in Baldrian säure.
Einwirkung der Dämpfe des Amylalkohols auf den thierischen Organismns.
1) Ein junges Kätzchen sass im Zinkkasten, in welchem 15 Grm. Amylalkohol in
heissem Sande zur Verdunstung kamen; sogleich grosse Unruhe und starkes Speicheln,
442 Amylverbindungen.
dann Schütteln des Kopfes, beständiges Kratzen am linken Ohre, Reiben über die Nase.
Nach 10 M. Schwanken, Schreien, grosse Unruhe, dann Niedersenken des Kopfes und
Zusammenfahren, sobald der Kopf den Boden berührt. Nach 55 M. sind 30 Grm.
Alkohol verdunstet; die Erscheinungen bleiben dieselben, nur ist die Athmung beschwerlich.
Nach 1 Stunde wälzt sich die Katze auf dem Boden, dann bleibt sie liegen mit
Zittern der rechten Vorderpfote. Nach 2% Stunden ist keine vollständige Narkose
eingetreten. Bei der Herausnahme verhält sich das Thier ruhig; es schreit viel, zittert
mit dem linken Vorderbeine und reibt oft über das linke Ohr; beim Gehen schwankt
es, nimmt keine Nahrung zu sich, da namentlich das Trinken erschwert zu sein scheint.
Erst nach 4 Tagen schwinden alle Erscheinungen.
2) Ein mit 40 Tropfen Amylalkohol durchfeuchteter Baumwollpfropfen wird in
einen Trichter gesteckt und das Maul eines Kaninchens in die Mündung desselben ge-
schoben. Herzklopfen, unregelmässige Athmung. Erschlaffung des Glieder nach 17 M. :
vollständige Anästhesie nach 22 M. Nach 4 M. nimmt es die Bauchlage an,
erhebt sich und läuft davon. Die Respiration regelt sich allmählig, während der Herz-
schlag noch bis zum andern Tage frequent bleibt.
AehnUche Erscheinungen beobachtete Gros1) bei Tauben und Kaninchen und hebt
unter denselben die stertoröse Respiration hervor.
Nach liabuteaii*) anästhesirt eine Lösung von 1 Grm. in 500 Grm. Wasser Frösche in
20 Minuten. Während die Herzschläge sich verlangsamten, wurde die Haut dunkel;
nach zweistündigem Aufenthalte in der Flüssigkeit erfolgte der Tod unter progressiver
Abnahme der Herzschläge.
Gros beobachtete an sich selbst nach dem Einathmen der Dämpfe eine unange-
nehme, mit Ekel verbundene Empfindung, vermehrte Schlingbewegungen mit Prickeln
und Stechen in den Augen uad der Nasenhöhle, namentlich aber einen tief sitzenden
Kopfschmerz in der Stirngegend nebst empfindlicher Schwere des Kopfes.
Es ist eine bekannte Erfahrung, dass die Dämpfe von Amylalkohol bei
jedem Menschen heftige Kopfschmerzen hervorrufen, zu denen sich leicht Er-
brechen gesellt; der Kopfschmerz ist spannend, klopfend und nie einseitig,
sondern nimmt den ganzen Vorderkopf ein. Nach der Inhalation wird der Harn
stets reich an Baldriansäure.
Die Anästhesie, welche dadurch bei Thieren hervorgerufen wird, ist von
kurzer Dauer; charakteristisch ist dabei die zitternde Bewegung der Vorder-
beine. Zittern der Hände beobachtet man bekanntlich häufig bei Menschen,
welche dem Genüsse fuselhaltiger Getränke ergeben sind.
Man nimmt, nicht mit Unrecht an, dass der Gehalt des Branntweins an
Amylalkohol eine Hauptursache des Delirium tremens bei Branntweinsäufern ist.
Beim Versuche in einer grossen Spritfabrik, den Amylalkohol als Beleuchtungs-
material zu benutzen, wurden die Arbeiter durch das sehr reichliche Auftreten
der Dämpfe dieses Körpers vielfach von einem dem Delirium tremens ver-
wandten Krankheitszustande befallen, so dass dieser Versuch ganz eingestellt
werden musste.
Ein Wirth von reizbarer Constitution verfällt jedesmal in ein Delirium acutum,
welches die grösste Aehnlichkeit mit Delirium tremens hat, wenn er sich mit dem Ab-
zapfen von Branntwein im Keller beschäftigt hat; dasselbe hält gewöhnlich einen Tag
lang an und ist mit einer lustigen Geschwätzigkeit verbunden, ganz im Gegensatz zu
der gewöhnlichen schweigsamen Natur. Das Zittern der Glieder ist weniger scharf
ausgeprägt, auch beziehen sich die Delirien nicht ausschliesslich auf Thiergestalten,
sondern charakterisiren sich durch eine grosse Ideenflucht Ausserdem ist jedesmal
ein starker Schweiss am Kopfe vorhanden. Einige Gaben Opium stellten ihn rasch
wieder her, sobald der Schlaf eintrat; er erwachte dann immer wie aus einem langen
Traume.
Auf die Dauer muss jeder Branntwein, welcher Amylalkohol enthält, die
schädlichsten Wirkungen äussern; Versuche haben ergeben, dass ein Glas Wein,
welches 20 — 30 Ctgrm. Amylalkohol enthält, schon die Wirkungen desselben
erzeugt.
Amylalkohol-Industrie. 443
Amylalkohol - Industrie.
Die Darstellung des Amylalkohols fällt grösstentheils mit der Brannt-
weinbrennerei aus Kartoffeln zusammen. Die Ansicht, dass die Schalen der
Kartoffeln die einzige Quelle des Amylalkohols während der Gährung seien, hat
sich insofern nicht bestätigt, als auch geschälte Kartoffeln während der Gährung
Fuselöl bilden. So viel steht fest, dass eine neutrale oder möglichst neutrale
Gährung die Bildung des Fuselöls begünstigt.
Da der Siedepunct des Amylalkohols bei weitem höher als der des "Wein-
alkohols ist, so wird sich das meiste Fuselöl im sogenannten Nachlaufe be-
finden. Diese Flüssigkeit ist meist durch die Gegenwart von grossen Mengen
Fuselöl milchig getrübt und scheidet sich beim ruhigen Stehen in eine wässrige
schwere und leichte ölartige Schicht ab.
In den grossen Branntweinbrennereien wird der Nachlauf in Fässern gesammelt
und das Fuselöl durch Zusatz von Kochsalz aus dieser Flüssigkeit abgeschieden;
so abgeschieden, bildet es gewöhnlich eine hellgelblich gefärbte, ölartige Flüssigkeit von
durchdringendem Fuselgeruch. Zur Abscheidung des in ihm enthaltenen Weinalkohols
wird es nochmals mit Wasser gewaschen und dann der Destillation unterworfen. Es
geht zuerst Alkohol über, dann Wasser mit Alkohol, Butyl- und Propylalkohol; zwischen
130° und 133° C. erhält man, wenn ein constanter Siedepunct eingetreten ist, wasser-
freies Fuselöl, Amylalkohol.
Ausser dem Nachlaufe liefert das zur Entfuselung des Branntweins benutzte
Schwarzmehl durch Behandeln mit Wasserdämpfen ebenfalls nicht unerhebliche
Mengen von Fuselöl. Als reines Fuselöl wird es wenig in den Handel gebracht, sondern
fast stets mit Säuren verbunden, in Form der sogenannten Fuseläther oder Amyl-
äther, zu deren Fabrication Amylalkohol in grossen Massen verwendet wird, da sich
der Consum der Fruchtäther in Conditoreien, Parfümerien, Liqueurfabriken u. s. w. mit
jedem Tage steigert.*)
Die Benutzung des Amylalkohols als Beleuchtungsmaterial hat sich, wie schon
erwähnt worden, als unzulässig herausgestellt. Schon die Beschäftigung mit Amyl-
alkohol wirkt auf die Arbeiter nachtheilig ein; viele von ihnen bekommen den charak-
teristischen, den Vorderkopf einnehmenden Schmerz, der sich mit einem Gefühl von Be-
täubung verbindet. Es sind alle Vorsichtsmassregeln zu treffen, um die Ausbreitung
der Dämpfe im Fabriklocale zu verhüten.
Verwendung findet der Amylalkohol, ausser zur Darstellung verschiedener
Aetherarten für Liqueur- und Parfüm erief ab riken, zur Erzeugung der Brom-, Jod-
und Chlorverbindungen für die Anilinfarbenfabriken, als Extractionsmittel für giftige
Alkaloide, sowie zur Fabrication der Baldriansäure u. s. w.
Amyläther, Fuseläther (C5H11)20, wird durch Einwirkung von concentrirter
Schwefelsäure auf Amylalkohol dargestellt.
Eine farblose, angenehm riechende und bei 176° siedende Flüssigkeit. Als
anästhesirendes Mittel ist dieser Aether ganz ungeeignet, namentlich schon wegen der
Nachwehen, die in heftigen Kopfschmerzen und belästigenden Exhalationen von Baldrian-
säure bestehen; selbst der Harn bekommt einen Geruch wie Katzenurin.
Zusammengesetzte Aether des Amylalkohols.
ßuttersäure- Amyläther, Ananasäther, C4H7(C5H,i)02 = C9Hls02, kommt in den
Bestandtheilen der Ananas und Quitte vor und wird künstlich durch Destillation von
Amylalkohol und Schwefelsäure mit einem buttersauren Salze dargestellt; eine klare,
ölartige, bei 176° siedende Flüssigkeit.
Baldriansänre - Amyläther, Aepfelöl, C5H9(C5Hi,)02 = C10H200o, wird durch
Destillation von Amylalkohol und Schwefelsäure mit einem baldriansauren Salze
gewonnen; eine klare, ölartige, nach Aepfeln riechende Flüssigkeit, welche bei
196° siedet.
*) Eine rumähnliche Flüssigkeit erhält man auch dadurch, dass man ge-
quellten und sauer gewordenen Weizen, der also Buttersäure, Baldriansäure u. s. w.
enthält, quetscht und zu starkem Branntwein gibt, welcher mit Schwefelsäure angesäuert
der Destillation unterworfen wird.
444 Amylverbindungen.
Ameisensäure -Aiiiyläther, CH(C5H11)02=:C6Hi2 02, wird durch Destillation von
Amylalkohol und Schwefelsäure mit einem ameisensauren Salze erhalten. Eine klare,
angenehm riechende Flüssigkeit, welche bei 116° siedet.
Essigsänre-Amyläther, Birnöl, 0^3(05^)02 = C7H1402, wird in analoger Weise
mit Benutzung eines essigsauren Salzes gewonnen. Eine farblose, ätherisch riechende
und bei 133,3° siedende Flüssigkait.
Alle diese Amyläther finden als Fruchtäther eine ausgedehnte Verwendung.
Oxalsäure-Ainylätlier, C204(C5Hn)2, kommt in verschiedenen Pflanzen, besonders
aber in den Bett- und Schildwanzen vor. Da sich letztere gern auf Himbeeren und
Erdbeeren aufhalten, so erhalten diese Früchte dadurch bisweilen einen recht unan-
genehmen Geschmack. Dieser Aether wird durch Destillation von Oxalsäure mit Fuselöl
dargestellt und ist eine klare, nach Wanzen riechende, bei 262 ° siedende Flüssigkeit.
Salpetersäure -Amyläther, CsNuN03, wird durch Destillation von Fuselöl mit
Salpetersäure bei Gegenwart von Harnstoff als eine helle, ölartige, eigenthümlich
riechende und bei 148° siedende Flüssigkeit gewonnen.
Salpetrigsänre-Amyläther. Amylnitrit, C5HnN02, wird durch gelindes Erwärmen
des Fuselöls mit Salpetersäure dargestellt. Eine wasserhelle, ölartige, nach Aepfeln
riechende Flüssigkeit, welche in Wasser wenig, in Alkohol und Aether sehr gut löslich
ist und bei 99° siedet.
Die Wirkung der Inhalation von Dämpfen der verschiedenen Amylätherarten
auf den thierischen Organismus stimmt im Allgemeinen mit der der entsprechen-
den Methyl- und Aethylätherarten überein. Bei den Amyläthern tritt aber stets
die Wirkung des Radicals in den Vordergrund; Kopfschmerzen und Zittern der
Glieder bleiben daher fast nie aus. Auch wird die Herzaction leichter erregt
und starke Congestionen zum Gehirn geben sich gewöhnlich durch Rötbung des
Gesichts kund. Bei Thieren wird die Respiration beschwerlich, stertorös und der
Tod erfolgt unter den Erscheinungen der Asphyxie, wenn die Dämpfe sehr
intensiv und anhaltend einwirken.
Eine ganz besondere Stellung nimmt der Salpetrigsäure- Amyläther, das
Amylnitrit, ein, welches in der neuern Zeit in physiologischer und therapeu-
tischer Beziehung vielfachen Untersuchungen unterworfen worden ist.9)
Oxydationsprodncte des Amylalkohols.
1) Ainylaldehyd , Valeral, C5H10O. bildet sich durch Einwirkung oxydirender
Agentien auf Amylalkohol. Eine wasserhelle Flüssigkeit, welche bei 92° siedet, unlöslich
in Wasser ist, einen durchdringenden Geruch hat und mit leuchtender, bläulich um-
säumter Flamme brennt: durch Oxydation geht sie in Baldriansäure über.
Einwirkung von Valeral auf den thierischen Organismus. Eine kleine Katze
sitzt im Zinkkasten, in welchem 2 Drachmen der Flüssigkeit zur Verdampfung kommen.
Sogleich starkes Speicheln, Reiben über die Nase, grosse Unruhe und Würgen: sie
taumelt, fällt hin, richtet sich wieder auf und wälzt sich nach 3 M. auf dem Boden;
dann beschwerliche und unregelmässige Athmung: nach 15 M. krampfhaftes Strecken,
dumpfes Schreien und vollständige Anästhesie. Das Thier lässt sich im Kasten
ohne alle Reaction hin und her rollen und wird nach 20 M. herausgenommen; kaum
hörbarer Herzschlag; 9 M. hernach schwaches Schreien : dann tritt das Athmen kräftiger
ein, zuefst wird das Auge empfindlich, das rechte Vorderbein zittert. Nach 18 M.
unter Schreien schwankendes Einhergehen: nach 2 Stunden fällt sie beim Gehen noch
oft hin : sonst verhält sie sich ruhig wie schlafend. Erst nach 3 Stunden lässt die Be-
täubung nach: den ganzen folgenden Tag tritt oft ein leises Zittern ein.
Obgleich Valeral ein kräftiges Anaestheticum ist, so eignet es sich doch
wegen seines unangenehmen Geruches und der vielen Beschwerden, welche nach
dem Inhaliren zurückbleiben, nicht zur Narkotisirung. Wenn die zum Versuche
benutzte Katze noch stundenlang nachher wie betrunken erschien, so werden
jedenfalls auch bei Menschen Schwindel, Betäubung und starke Kopfschmerzen
zurückbleiben ; auch fehlt hier die dem Radical Amyl zukommende Wirkung, das
Zittern, nicht.
Baldriansäure. 445
2) Baldriansäure, Valeriansälire, C5H10O2, ist im Pflanzenreich ziemlich verbreitet
und kommt ausser in der Baldrian- und Angalicawurzel auch in der Asa foetida, im
Splint von Sambucus niger und in den Blättern von Digitalis purpurea vor. Sie "bildet
sich bei der trocknen Destillation bituminöser Fossilien, beim Fäulniss- und Veswesungs-
process und findet sich daher namentlich beim Flachsrösten, bei der Weizenstärke-
fabrication, im Guano und in den Fäcalmassen. In Abtrittsgruben und Guanolagern
entsteht vorzugsweise das baldriansaure Ammonium.
Sie ist eine farblose, ölartige Flüssigkeit von unangenehmem Geruch und stechen-
dem Geschmack: bei 175° siedet sie unverändert über. Bekannt ist, dass viele Thiere,
namentlich die Katzen und Füchse, dem Geruch nach Baldriansäure nachgehen; aber
auch Flöhe lieben namentlich den Geruch einer Mischung von Butter- und Baldrian-
saure. 10J
Baldriansäure-Aethylätker C 5H9(C2H5)02 = C7Hu02 wird durch Destillation
eines baldriansauren Salzes mit Alkohol und Schwefelsäure dargestellt. Eine farblose,
ölartige Flüssigkeit von durchdringendem Obst- und Baldriangeruch, unlöslich in Wasser,
löslich in Aether und Alkohol. Sie findet in Parfümeriefabriken Verwendung.
Darstellung der Baldriansäure aus dem Amylalkohol im Grossen. Wie der
Weinalkohol bei der Oxydation Essigsäure gibt, so liefert der Amylalkohol
Baldriansäure. Bei der Schnellessigfabrication wurde schon erwähnt,
dass der Gehalt an Amylalkohol, welcher dem Kartoffelsprit zukommt, bei diesem
Processe in Baldriansäure übergeführt wird, so dass sich im Entstehungs-
momente dieser Säure Baldriansäure-Aethyläther bildet, welcher dem Essig
einen angenehmen Geruch und Geschmack ertheilt.
Um grosse Mengen von Baldriansäure darzustellen, verfährt man entweder in
der Weise, dass man direct Oxydationsmittel zuführt, z. B. eine Mischung von Kalium-
chromat und Schwefelsäure, oder von Manganhyperoxyd und Schwefelsäure, wodurch
dann zuerst Baldriansäure -Amyläther gebildet wird.
Diese Verbindung wird durch Behandeln mit Aetzalkalien zersetzt, während man
das ausgeschiedene Fuselöl wieder zu einer neuen Oxydation benutzt.
Die gewonnenen baldriansauren Alkalien werden dann mit_ verdünnter
Schwefelsäure zerlegt und destillirt, wodurch die Baldriansäure als eine farblose
Flüssigkeit gewonnen wird.
Die directe Oxydation mit Chromsäure oder den Gemischen von Mangansuperoxyd
ist jedoch mehr oder" weniger kostspielig, weshalb man häufig die Oxydation des Amyl-
alkohols durch den atmosphärischen Sauerstoff vorzieht. Es geschieht dies in ganz ähn-
lichen Apparaten wie bei der Schnellessigfabrication , nur mit dem Unterschiede, dass
man stets Holzkohle oder Koks statt der Hobelspäne anwendet, während das
Maischgut nicht bloss aus Alkohol und Wasser, sondern aus Alkohol, Fuselöl und
Wasser besteht.
Wenn die Maische den Ständer passirt, so tritt gleichzeitig mit der Essig -
säurebildung auch die Baldriansäurebildung ein. Nachdem die Flüssigkeit
3 — 4mal den Ständer passirt hat, wobei die Temperatur der Ständer nicht unter +30° C.
sinken darf, enthält die ablaufende Flüssigkeit fast nichts als Essigsäure, Baldrian-
säure, Fuselöl und Wasser.
Auch hier sind, wie bei der Schnellessigfabrication, die warmen abziehenden Gase
und Dämpfe, welche mit Fuselöl geschwängert sind, in der Art und Weise abzuleiten,
dass sie für die Umgebung nicht mehr schädlich einwirken können. Auch bei den
Arbeitern verursachen sie häufig Kopfschmerzen und Erbrechen, weshalb die Pfeifen
unter allen Umständen in eine gemeinschaftliche Rohre münden müssen, damit die Gase
und Dämpfe durch eine glühende Kohlenschicht dem Kamine zugeführt werden können.
Die eben erwähnte saure Flüssigkeit gibt man in grosse Fässer zur Abscheidung
des Fuselöls, zapft die klare saure Flüssigkeit ab und bringt sie in den Neutralisations-
bottich, wo sie mit kohlensaurem Natrium oder Calcium neutralisirt wird.
Hat man Natriumcarbonat angewendet, so werden die Natriumsalze bis
zur Krystallisation abgeraucht und das essigsaure Salz durch Krystallisation ge-
wonnen. Das bei weitem löslichere baldriansaure Natrium bleibt in der Mutter-
lauge: letztere wird mit einer äquivalenten Menge verdünnter Schwefelsäure versetzt
und der Destillation unterworfen, wobei im Destillate reine Baldriansäure er-
halten wird.
Hat man mit Kalk neutralisirt, so werden die Laugen ebenfalls durch Abdampfen
concentrirt, dann mit Natriumcarbonat zersetzt und die Natriumsalze durch Krystalli-
sation getrennt, um die Baldriansäure wieder aus der Mutterlauge zu gewinnen.
446 Amylverbindungen.
Eine andere Methode, Essigsaure von der Baldriansäure zu trennen,
beruht darauf, dass das Zinksalz der Essigsäure in der Wärme löslicher als in
der Kälte ist und das baldri ansäure Salz die entgegengesetzte Eigenschaft
zeigt. Zu dem Ende wird die saure Flüssigkeit des Ständers mit Zinkspänen zusammen-
gebracht, welche sieh dann unter Wasserstoffentwicklung lösen. Ausserdem bilden sich
alier hier, wenn die Zinkspäne arsenhaltig sind, arsen wasser stoffhaltige Kohlen-
wasserstoffe, auf deren Ableitung und Verbrennung man dann sorgfältig zu achten
hat; aber auch die Verbrennungsproducte sind hier durch geeignete absorbirende
Mittel (Kali, Natron, Kalk) unschädlich zu machen.
Nach der Sättigung bringt man die Flüssigkeit in kupfernen oder verzinnten
Kesseln zum Sieden, wobei sich dann fortwährend baldriansaures Zink abscheidet,
welches man mit Schaumlöffeln aus der Flüssigkeit entfernt und auf eine Abtropf-
bühne wirft.
Wenn sich zuletzt kein baldriansaures Zink mehr ausscheidet, so wird die
Lösung von essigsaurem Zink in die Krystallisationsgefässe abgelassen. Man kann
dasselbe nun entweder als solches gewinnen und in den Handel bringen oder aber das
Zinksalz wird während des Kochens im Kessel mit kohlensaurem Natrium vollständig
präeipitirt, das Zinkoxyd durch Filtration vom essigsauren Natron getrennt und zu
einer neuen Neutralisation der rohen Säure wieder benutzt.
Das essigsaure Natrium wird entweder als solches verwerthet oder mit
Schwefelsäure zur Darstellung der Essigsäure destillirt.
Das gewonnene baldri au saure Zink wird entweder direct mit Schwefelsäure
destillirt, wobei die Baldriansäure als Destillat gewonnen wird, oder aber man zer-
setzt das Zinksalz in der Siedhitze mit kohlensaurem Natrium, benutzt das gewonnene
Zinkoxyd zu einer neuen Neutralisation und scheidet aus dem baldriansauren Natrium
die Baldrian säure durch Schwefelsäure und Destillation ab.
Verwendung findet die Baldriansäure in der Färberei, bei der Darstellung der
Anilinfarben, bei der Fabrication der Fruchtäther und zur Darstellung der verschiedenen
baldriansauren Präparate.
D. Sulfo-Substitutionsproducte.
Amylsulfliydrat, Aniylmercai)tan,C5Hi.jS, wird durch Destillation von amylschwefel-
saurem Kalium mit Kaliumsulfhydrat erhalten. Eine farblose Flüssigkeit von durch-
dringendem Zwiebelgeruch, welcher an den Kleidern lange haftet. Ihr Siedepunct liegt
bei 125°.
Diese Verbindung dient nur wissenschaftlichen Zwecken; ihre physiologische
Wirkung ist ganz analog der der entsprechenden Methylverbindung.
Amylsulfid, Scliwefelamyl, Ci0H.J2S, wird durch Erhitzen von amylschwefelsaurem
Calcium und Einfach-Schwefelkalium gewonnen. Eine klare, bei 216° siedende Flüssig-
keit von sehr durchdringendem Knoblauchgeruch, die schwere Dämpfe bildet und mit
nicht leuchtender blauer Flamme unter Abgabe von Schwefelsäureanhydrid brennt.
Technische Verwendung hat diese Verbindung noch nicht gefunden.
In physiologischer Beziehung wirkt es grade wie Aethylsulfid.
Einwirkung des Amylsnlfids auf den thierischen Organismus. Ein Kaninchen
sitzt im kleinen Zinkkasten, in welchen die Dämpfe von einer Mischung von 10,25 Grm.
amylschwefelsaurem Calcium und 2,75 Grm. Schwefelkalium nach vorheriger Reinigung
eingeleitet worden. Schon nach 2 M. stürzt das Kaninchen unter den heftigsten Con-
vulsionen und mit stockender Respiration hin; die Augen treten dabei sehr stark her-
vor; nach 3 M. tetanisches Strecken des ganzen Körpers, welches mit kaum bemerkbarer
Respiration verbunden ist. Herausnahme des Thieres nach 5 M. in vollständiger
Anästhesie: erst nach 3 M. ist es möglich, 6 Inspirationen während % M. zu zählen.
Bald darauf tritt eine ruhige und tiefe Inspiration nebst regelmässigem Herzschlage ein;
Pupillen erweitert, Thränen der Augen; nach 12 M. Erheben des Kopfes, dann des
Vorderkörpers; nach 14 M. versucht es zu gehen und dreht sich dabei im Kreise
herum; erst nach 37 M. bewegt es sich von der Stelle; nach 2 Stunden läuft es wieder.
Erst nach 2 Tagen vollständige Restitution.
Aniyldisulfocaroonsänre, Xantliamylsänre , C5Hi2OCS2 = C6H12OS3, wird dar-
gestellt, indem man zunächst eine Lösung von Kali in Amylalkohol auf Schwefelkohlen-
stoff einwirken lässt, um xanthamylsaures Kalium in blassgelben Krystallen zu
erhalten. Durch Versetzung desselben mit Schwefelsäure setzt sich Xanthamylsäure
als eine blassgelbe ölartige Flüssigkeit von saurer Reaction und durchdringendem,
knoblauchartigem Gerüche ab; sie färbt die Haut gelb, brennt mit leuchtender
Flamme und wird von Wasser bald zersetzt.
Cyanamyl. 447
Die Dämpfe der Säure (0,5 Grm.) übten keinen nachtheiligen Einfluss auf den
Thierorganismus aus. Die warmen, 5 Min. lang in den Zinkkasten eingeblasenen Dämpfe
erzeugten bei einem ausgewachsenen Kaninchen ausser starkem Thränen der Augen,
Niessen, Husten und Speicheln keine andern auffallenden Erscheinungen.
Die Säure zersetzt sich in Schwefelkohlenstoff und Amylalkohol; die Zersetzungs-
producte können daher nur in grossen Mengen schädlich wirken.
Technische Verwendung findet die Säure nicht; früher wurde xanthamyl-
saures Kupferoxyduloxyd als gelbe Malerfarbe benutzt.11)
E. Nitrogen-Substitutionsproducte.
Amylaniin C5H11NH2 = C5H13N ist ein Product der Fäulniss und Gährnng sowie
der trocknen Destillation bituminöser Fossilien; auch findet es sich im Petroleum- und
Ragoontheer. In der Branntweinschlempe fehlt es selten und kann auch ein Bestand-
theil des Weins in Folge der Gähruug der Hefe sein. Die Sauerwässer der Weizen-
stärkemehlfabriken enthalten fast immer Amylamin. Man stellt es durch Zersetzung
des Cyansäure-Amyläthers oder durch Einwirkung von Ammoniak auf Bromamyl dar.
Eine klare Flüssigheit, deren Geruch ammoniakalisch ist und auch an Amyl erinnert;
sie siedet bei +95° und verbrennt mit leuchtender Flamme.
Die Dämpfe des Amylamins wirken wie die des Propylamins und Methyl-
amins, nur etwas schwächer als diese. Bei allen diesen Körpern herrscht die reizende
und caustische Wirkung vor.
Salzsaures Amylamin erzeugt nach subcutanen Injectionen von 0,05 Grm. bei
Kaninchen Temperaturabnahme und Pulsverminderung; wurde diese Dose etwas über-
schritten, so traten Convulsionen ein; nach 0,3 Grm. erfolgte der Tod. Hunde ver-
trugen aber noch 0,2 - 1,0 Grm. Bei Menschen soll nach 0,5 — 1,0 Grm. Abnahme der
Temperatur eintreten.12)
Cyanamyl C5HuCN = C6HnN wird durch Destillation von amylschwefelsaurem
Calcium mit Cyankalium in äquivalenten Mengen dargestellt; eine bewegliche, nach
Knoblauch riechende Flüssigkeit, welche bei 160° siedet und durch Einwirkung von
Wasser in Blausäure und Amylalkohol zerfällt.
Einwirkung von Cyanamyl auf den thieriselien Organismus. Die durch Erhitzen
von Cyanamyl gebildeten Dämpfe wurden in den Zinkkasten, in dem ein Kaninchen
sass, geleitet, nachdem das Cyanamyl durch Behandeln mit Quecksilber und Rectifi-
cation vorher gereinigt worden. Nach 1 M. schon starkes Speicheln und Unruhe, nach
3 M. bei sichtbaren Dämpfen starke Dyspnoe mit zurückgezogenem Kopfe; nach 5 M.
Schwanken und nach 6 M. Hinstürzen unter den heftigsten klonischen und tonischen
Krämpfen und stockender Respiration: nach 7 M. Tetanus mit Kothabgang; nach 8 M.
nur schwache Bewegungen in den Bauchmuskeln. Bei sofortiger Herausnahme des
Thieres findet sich seine Temperatur schon auf 30° C. gesunken; Pupille sehr erweitert.
Section 12 Stunden hernach. Die ausgedehnten Gefässe der Pia mater sind
an der Basis cerebri von strahlenförmig ausgetretenem Blute umgeben; Plex. venös,
spin. stark angefüllt. Lungen theils von blaurother, theils von dunkelbraunrother
Farbe; aus den Durchschnitten tritt flüssiges Blut aus. Eine dünne wässrige Blutlage
findet sich auf der Schleimhaut der Luftröhre oberhalb der Bifurcation. Im rechten
Herzen 1 TheelÖffel voll geronnenes und flüssiges Blut, im linken noch etwas Aveniger.
Leber von hellbraunrother Farbe und reich an flüssigem Blute. Das flüssige und
dunkelkirschrothe Blut gerinnt und röthet sich allmählig an der Luft bis zur hellsten
Kirschröthe mit geringer Abscheidung von Serum.
Lunge und Leber wurden auf Blausäuregehalt untersucht; zu dem Ende
wurde der wässrige Auszug dieser beiden Organe mit etwas Salzsäure bis zur schwach
sauren Reaction destillirt, das Destillat mit Kali vermischt, etwas oxydhaltiger Eisen-
vitriol zugesetzt, in der Wärme digerirt und dann mit Salzsäure versetzt, worauf sich
nach einiger Zeit ein blauer Niederschlag von Berliner blau bildete. Es war somit
Blausäure vorhanden.
Da hier die Blausäure in der Leiche chemisch nachgewiesen werden konnte
und das Cyanamyl frei davon war, so unterliegt es keinem Zweifel, dass Cyan-
amyl durch Blausäurebildung letal wirkt.
Schwefelcyanamyl C5HuCNS = C6HnNS bildet sich bei der Destillation von
amylschwefelsaurem Calcium und Schwefelcyankalium in äquivalenten Mengen als eine
Flüssigkeit von sehr starkem knoblauchartigem und betäubendem Gerüche.
Einwirkung von Schwefelcyanamyl auf den thieriselien Organismus. Ein mittel-
grosses Kaninchen sitzt im Zinkkasten; 5 Grm. amylschwefelsaures Calcium und 5 Grm.
448 Hexylverbindungen.
Sehwefeleyankalium werden destillirt und die sieh bildenden Dämpfe in den Kasten ge-
leitet. Sofort tritt Dyspnoe ein; nach 2 AI. Schwanken des Kopfes, nach 3% M. sehr
heftige klonische und tonische Krämpfe, welche eine ganze Minute anhalten; nach CM.
krampfhafte Zuckungen durch den ganzen Körper; dann Herausnahme des Thieres in
vollständiger Anästhesie. Aus der Nase ist hellrothes Blut genossen, Pupillen sehr
erweitert, Schleimrasseln in der Kehle. Nach ö M. 5 unregelmässige Inspir. bei regel-
mässigem Herzschlage: nach !) M. 15 Inspir. binnen l/4 M. bei herabhängendem Unter-
kiefer: nach 11 M. geringe Empfindlichkeil an den Augen; nach 15 M. convulsivische
Bewegungen der Beine. Nach 20 M. starkes Zittern der Augen; convulsivisches
Zucken geht in Tetanus über, wobei die linke Pupille verengert, die rechte erweitert
ist; hierauf wieder convulsivisches Zucken; die Korperwärme ist auf 20° gesunken,
beide Pupillen sind erweitert; die Respiration hört auf, das Herz schlägt noch; nach
28 M. Kälte des ganzen Körpers, Pupillen auf beiden Seiten verengt und Aufhören des
Herzschlags.
Section nach "20 Stunden. Gliederstarre sehr bedeutend; beim Abziehen des
Felles auf der innern Seite desselben viele ausgedehnte Gefässe: alle Muskeln von
blasser Farbe. Hirnhäute stark injicirt, am hintern untern Rande der beiden
Hemisphären ein erbsengrosses Blutextra vasat: die Lamina eribosa und die Nasen-
muscheln mit Blut überzogen; Plex. venös, spin. von Blut strotzend: zwischen Dura
mater und den Wirbeln ein dünnes, flüssiges Blutextravasat. Lungen von dunkel-
brauner und schwärzlicher Marmorirung, nur an den Rändern hell ziegelroth mit
partiellem Emphysem: Parenchym überall dunkelbraun roth, aus den Dui'chschnitten
fliesst überall flüssiges Blut aus, nur an einzelnen Stellen ist es mit nadelkopfgrossen Blut-
coagulationen vermischt; die feinsten Bronchialverzweigungen entleeren einen feinen
weissen Schaum; die ganze Lunge und die einzelnen Theile derselben schwimmen
auf der Oberfläche des Wassers. Die Schleimhaut von den Bronchien bis zum
Larynx hin tief braunroth gefärbt und mit einer Lage röthlichen Schaums bedeckt. Im
Herzen, namentlich im rechten, dunkles geronnenes Blut. Leber etwas mürbe. Milz
blass und Nieren blutreich. Das Blut ist vorherrschend flüssig, hat eine tief dunkel-
braune, fast schwärzliche Farbe, die an der Luft in eine helle Kirschröthe übergeht;
Serum scheidet sich nicht ab.
Blausäure konnte durch die chemische Analyse nicht mehr nachgewiesen
werden; trotzdem ist die Annahme wohl gerechtfertigt, dass der Tod in Folge der
Bildung von Blausäure erfolgt ist, wenn man berücksichtigt, dass Schwefel-
cyanamyl in Berührung mit Wasser allmählig unter Bildung von Blausäure zer-
fällt; im Thierorganismus wird dieser Vorgang jedenfalls noch rascher vor sich
gehen, auch der Sectionsbefund spricht hierfür.
Die Vergiftung ist in ihrem ganzen Verlaufe der durch Sulfocyanäthyl
sehr ähnlich; nur ist das Krampfstadium noch viel schärfer ausgebildet.
C6 Gruppe.
Hexylverbindungen.
Caproyl Wasserstoff (Hexylwasserstoff) CeH14 und Caprolen C6H12 kommen im
Petroleumäther als unangenehm riechende Flüssigkeiten vor.1)
Hydroxylderivat.
Caproylalkohol oder Hexylalkohol C6HuO kommt im Fuselöl des Weintrester-
Branntweins als eine aromatisch riechende, in Wasser unlösliche und bei 150° siedende
Flüssigkeit vor.
Oxydationsproducte.
Capronsäure C6H1202 findet sich in der Butter und sehr reichlich in einigen
Pflanzen, namentlich im Cocosnussöl, in geringer Quantität aber in jedem Fette; sie
Maimit. 449
bildetsich stets bei der Zersetzung der Eiweisskörper (grade wie Leucin (C6H]3N02)-
Sie wird durch. Verseifung des Cocosnussöls dargestellt und ist eine farblose, ölartige
Flüssigkeit, deren Geruch an Schweiss erinnert.
Citronensäure, Acidum citricum C6H8Or wird aus dem Citronensaft dargestellt
und krystallisirt als dreibasische Säure in grossen Saiden mit 1 Molec. Wasser.
Sechsatomiger Alkohol der Hexylgruppe.
Maimit C6H1406 kommt fertig gebildet in der Sellerie, in den Pilzen und Algen,
im Safte der Eschen und Linden vor. Der Saft wird an der Luft getrocknet und kommt
besonders aus Süditalien als Mannit in den Handel. In Sicilien und Calabrien ist es
vorzugsweise die Mannaasche, Ornus europaea und rotundifolia, deren Aeste und Stämme
zur Gewinnung des Saftes eingeschnitten werden.
Mannit wird durch Behandeln der reinen Manna mit heissem Alkohol dargestellt;
er krystallisirt in Prismen oder Nadeln, schmeckt süss, ist nicht gährungsfähig , kann
aber als Nebenproduct bei der Milchsäuregährung aus dem Zucker entstehen.
Wird Mannit in rauchender Salpetersäure gelöst, so liefert die Lösung, mit con-
centrirter Schwefelsäure versetzt, einen harzähnlichen, in Alkohol löslichen und aus letzterm
in Nadeln anschiessenden Körper, welcher Nitromannit C6H8(ON02)6 heisst und bei
einem Prellschlage resp. Stosse explodirt. Er schmilzt noch unter 100°, ohne zu explo-
diren; der im Jahre 1848 gemachte Versuch, die geschmolzene Masse zum Füllen von
Zündhütchen oder zur Darstellung von Zündhölzchen zu benutzen, kann unter Umstän-
den gefährlich werden, weil sich, wenn Nitromannit mit chlorsaurem Kalium in Be-
rührung kommt, Salpetersäure resp. Chlorsäure bildet, durch welche Selbstexplosionen
entstehen können.
Darstellung von Nitromannit im Grossen. Die Fabrication dieses Salpeter-
säure-Aethers hat grosse Aehnlichkeit mit der der Schiessbaum wolle; der Maunit,
welcher durch Krystallisation möglichst rein dargestellt sein muss, wird pulverisirt
und bei 100° C. vollständig getrocknet. Nach dem Erkalten löst man denselben
in rauchender Salpetersäure auf uud sucht die Erwärmung durch künstliche Ab-
kühlung zu vermeiden. Die salpetersaure Mannitlösung mischt man schnell mit
dem doppelten Volumen von 66 gradiger concentrirter kalter Schwefelsäure und
scheidet sich dann die Nitroverbindung harzartig ab. Dieses Gemisch wird
nun rasch in einem dünnen Strahle in ein 10 — 1 2 faches Volumen kalten Wassers
gegossen; die Nitroverbindung fällt dann entweder in harten Körnern oder auch
als feines sandiges Pulver nieder.
Man wäscht durch Decantiren aus, zuletzt unter Zugabe einer geringen Menge
von Natriumcarbonat; nach dem Trocknen folgt ein TJmkrystallisiren aus siedendem
Wasser oder Alkohol. Da er sich aber in der Krystallform leicht zersetzt, so schmilzt
man ihn, um ihn auf geölte Metall- oder Marmorplatten auszugiessen. Die Stücke
dürfen nur mit der Hand zerbrochen, aber nicht mit dem Hammer zerschlagen werden,
weil sie sonst leicht explodiren.
Als Sprengmasse wird Nitromannit nur geschmolzen angewendet; auch zum
Laden und Füllen von Zündhütchen wird er nur in dieser Form benutzt. Bei der
Darstellung von Zündhölzchen darf er nur unter Wasser in Porcellan- oder Holzgefässen
gerieben werden; diesem Brei werden die andern Ingredienzen, chlorsaures Kalium,
Phosphor u. s. w. zugesetzt.
In Betreff der auftretenden Gase, Dämpfe und Abflusswässer ist auf die Schiess-
baumwolle zu verweisen, weil sie bei dieser von gleicher Natur sind.
Der Nitromannit darf beim Einpacken nicht fest zusammengedrückt werden; am
besten hat sich das Einbetten desselben in trockne Sägespäne bewährt.
Viele Physiologen und Chemiker sind der Ansicht, dass Nitromannit giftige
Eigenschaften besitze, die sich besonders beim Trocknen des krystallisirten
Körpers resp. bei der Abnahme desselben von der Unterlage bemerkbar machen
sollen, da hierbei nicht bloss die Respirationsschleimhaut irritirt werde, sondern
auch Kopfschmerzen und Betäubung entständen. Diese Erscheinungen können, wenn
sie auftreten, nur von der Einwirkung der sich hierbei entwickelnden Unter-
salpetersäure herrühren. Eine mechanische Reizung der Haut kann durch
Eulenberg, Gewerbe-Hygiene. 29
450 Kohlenstoffverbindungen mit höherm Kohlenstoffgehalte.
Nitromaunit veranlasst weiden, wenn die feinen Krystallnädelchen in die Haut
dringen; sie vermögen auch als Staub iuhalirt irritirend auf die Schleimhäute
einzuwirken, was sehr zu beachten ist, da nachhaltige Krankheitszustände dadurch
entstehen können.
Bei der Ingestion wirkt Nitromaunit keinesfalls giftig ein; eine Taube erhielt
während drei Tage 0,98 Grm. Nitromaunit, ohne dass sich das geringste Zeichen
von Unwohlsein oder Unbehagen bemerkbar machte.
C7 Grnppe.
Oenanthylsänre, Oenanthsäure C7H1(0, kommt fast in allen ranzigen Fetten
vor und ist, ein farbloses, schwach riechendes, bei 219° siedendes Oel.
Ihr Aethyläther besitzt in hohem Grade das Aroma des Weins; man nimmt
deshalb an, dass der Wein diesem Aether sein Aroma verdanke.
Die andern Verbindungen in dieser Gruppe sind von geringerer Bedeutung.
C8 Grnppe.
Caprylalkohol C8H1S0 findet sich im Fuselöl des Weintrester-Branntweins, ist
eine farblose, aromatisch riechende, in Wasser unlösliche, ölartige Flüssigkeit, welche
bei 180° siedet und auf Papier einen Fettfleck erzeugt.
Caprylsäure C8H]602 kommt in der ranzigen Butter, im Schwcisse, im Käse und
bei der Fäulniss der Albuminate vor; sie krystallisirt in Blättern, riecht schweissartig,
schmilzt bei 14° und siedet bei 236°.
C9 Grnppe.
Pelargonsäure C9HiR02 kommt im Pelargoninm rosatum vor und bildet sich bei
der Oxydation der Fettsubstanzen, namentlich des Rautenöls. Sie ist im Harn, im
Schweiss und im Gehirn gefunden worden und stellt ein wasserhelles, in der Kälte er-
starrendes und bei 250° siedendes Oel dar.
Ihr Aethyläther macht einen Hauptbestandtheil des Weinfuselöls aus und
ist eine klare nach Quitten riechende Flüssigkeit. Er kommt als Quitte nessenz in
den Handel und wird in Conditoreien und Parfümerien angewandt.
C10 Grnppe.
Caprinsäure, Rutinsänre C10H20O2 findet sich in der Butter, im Cocosnussöl und
im Fuselöl des Roggen- und Rübenspiritus ; auch tritt sie bei der Oxydation der Eiweiss-
körper auf. Bei gewöhnlicher Temperatur ist sie fest, schmilzt bei 27°, hat einen
schwachen Bocksgeruch und ist in Wasser fast unlöslich.
Ihr Aldehyd ist ein Hauptbestandtheil des Rautenöls; eine unangenehm riechende,
bei 230° siedende Flüssigkeit, welche sich durch Salzsäure in eine isomere, angenehm
nach Früchten riechende Flüssigkeit verwandelt.
Folgende Verbindungen mit noch höherem Kohlenstoffgehalte verdienen wegen
ihrer technischen Wichtigkeit eine besondere Erwähnung :
Lanrinsänre, Lanrostearinsänre C12H2402 in den Lorbeerfrüchten, im Cocos-
nussöl und im Wallrath; sie schmilzt bei 44° und krystallisirt in feinglänzenden Nadeln.
Myi'istinsäure C14H2802, mit einem Schmelzpuncte bei 54°, kommt in der Muskat-
butter und im Wallrath vor: letzteres besteht aus dem Margarinsäureäther eines ein-
atomigen Alkohols, des Cetylalkohols CI6H340, und ist kein Glycerid.
Palmitinsäure CJCHa202 kommt in freiem Zustande im Palmöl und als Palmitin-
säure-Cetyläther im Wallrath, als Glycerid (Palmitin) in den meisten Fetten vor.
Was man bisher Margarinsäure genannt hat, ist ein Gemisch von Fettsäuren,
unter denen Palmitinsäure stets vorwaltet.
Oelsänre CJ8H3402 setzt als Glycerid (Olein) die meisten Fette zusammen.
Fette. 451
Stearinsäure CJ8H3602 findet sich ebenfalls als Glycerid (Stearin) in den meisten
Fetten und stellt eine in Blatteten krystallisirende, bei 29° schmelzende, in Alkohol und
Aether lösliche Substanz dar.
Cerotinsäure C27H54 02 schmilzt bei 78° und vereinigt sich mit dem Aether des
Cerotylalkohols C27H560 zu Cerotinsäure-Cerotyläther Co7Hä5(C2rHä3 02) im
chinesischen Wachs, während der Bienenwachs hauptsächlich aus dem Aether des Melis-
sylalkohols C30H62O mit der Palmitinsäure besteht.
Hiermit ist der TJebergang zu den Fetten und Oelen gegeben, die einen
höchst wichtigen Platz in der Industrie einnehmen; die Oelgewinnung, die
Talgindustrie, die Seifen- und Stearinsäurefabrication kommen hierbei
vorzugsweise zur Sprache.
Fette.
Im gewöhnlichen Leben unterscheidet man die Fette nach ihrer Consistenz
und nennt die festen Fette Talg, Butter oder Schmalz, und die flüssigen
fette Oele. Die Consistenz wird bedingt durch das Vorwalten von Olein
(Oelsäure-Glycerinäther) oder von Palmitin und Stearin (Palmitin- und
Stearinsäure -Glycerinäth er). Alle Fette stellen nämlich eiu Gemenge von
Glyceriden, d. h. Aethern der Palmitin-, Stearin- oder Oelsäure dar und be-
sitzen die charakterische Eigenschaft, durch Alkalien und alkalische Erden zer-
setzt zu werden, wobei die Fettsäure an das Alkali tritt und das Glycerin
frei wird. Dieser Hergang begründet die Seifenfabrication, deren wichtigste
Materialien die Oele, das Palmöl und der Talg sind.
Oelindustrie.
Das Gewinnen der Oele. Man erhält die Oele gewöhnlich durch Aus-
pressen oder Schlagen.
In den südlichen Ländern ist das Olivenöl ein Gegenstand der ausge-
dehntesten Industrie; dasselbe wird durch Auspressen der Früchte des Oel-
baums (Olea europaea) gewonnen. Für gemeine Oele werden die Oliven in
einem Keller einer Art von Gährung unterworfen und dann gepresst, um in der
Industrie verwendet zu werden. Oliven, welche das feinste Oel liefern,
werden in völlig reifem Zustande gesammelt und zunächst auf eine Mühle
gebracht, wo sie sammt den Kernen zerquetscht und dann ausgepresst werden.
Das durch die erste Pressung erhaltene Oel heisst Jungfernöl (Thuile vierge
surfine et fine) und dient als bestes Tafelöl.
Die Pressrückstände (Grignons) werden noch zur Gewinnung des Oels mit
siedendem Wasser behandelt, welches das Oel flüssiger macht und von seinein Eiweiss-
stoffe, der hierbei gerinnt, befreit. Diese Operation heisst das Abbrühen (echauder)
und das auf diese Weise erhaltene Oel (huile echaudee) stellt oft noch ein feines Oel
dar. Das hierbei gewonnene AbfallÖl (huile d'enfer) hat eine grünlich-gelbe Farbe und
wird in Seifensiedereien, Tuchfabriken und Türkischrothfärbereien gebraucht.
Das ausgepresste Oel wird in porösen Thonkrügen in Räumen, welche eine
Temperatur von 14—16° R. haben, aufbewahrt; hierbei bildet sich ein trüber Boden-
satz von Schleimtheilen, welcher als Oels atz (crasses) verkauft wird, während das ab-
gegossene Oel klar ist und eine sehr gute Qualität darstellt.
452 Fette.
Das Olivenöl, das als Speiseöl dient, wird häufig, um den Zoll zu umgehen,
als zu technischen Zwecken bestimmt bezeichnet: die Steuerbehörde pflegt dann Ter-
pentin- oder Rosmarinöl zuzusetzen, um es als Speiseöl unbrauchbar zu machen. Ein
solches Oel wird jedoch oft durch Erhitzen vom Terpentinöl resp. Rosmarinöl befreit und
als Speiseöl wieder in den Handel gebracht: dasselbe riecht in diesem Falle nicht,
schmeckt aber unangenehm und erregt leicht Erbrechen.
Die Sanieilölft. Die ölhaltenden Samen werden zunächst gereinigt und dann
auf Mühlen zerkleinert; die zerkleinerten Samen werden hierauf in besondern Appa-
raten, in den Samen wärmern, mittels des Dampfbades erwärmt. Das Oel ist nämlich
in den Samen mit Eiweiss und Schleim emulgirt; durch die Erhitzung des zerriebenen
Samens gerinnt das Eiweiss und tritt aus seiner emulsionsähnlichen Verbindung mit
dem Oele. während der Schleim eintrocknet, so dass das Oel flüssiger wird und leichter
bei der Pressung ablaufen kann. Zum Pressen bedient man sich vorzugsweise der
hydraulischen Pressen. Die ursprüngliche Art des Pressens geschieht mit Keil-
pr essen, wobei die Keile durch Stampfer eingetrieben werden und das bekannte
klappernde Geräusch der Oelmühlen entsteht.
Die Oelkuchen bestehen aus Eiweiss, Schleim, den Hülsen der Samen und
dienen als Yiehfutter, wenn sie nicht direct zur Düngung verwendet werden.
Die Extraction der Oele durch Schwefelkohlenstoff ist S. 366 erörtert.
Raffllliren des Oels. Die frisch ausgepressten Oele enthalten stets Schleimstoffe,
Wasser, Gummi, Harz und eiweissartige Körper: diese Substanzen beschränken nicht
die Verwendung der Oele als Nahrungsmittel, sie sind aber bei der Beleuchtung
nachtheilig und zur technischen Benutzung als Schmiermittel unbrauchbar. Im
erstem Falle verkohlen nämlich die schleimigen Theile im Dochte, verstopfen denselben
und verursachen den bekannten russigen Rauch; es wird deshalb das Oel entweder
durch langes Lagern, durch Absetzen der Stoffe oder auf künstliche Weise gereinigt
oder raffinirt.
Der beim Ablagern entstehende Absatz, das sogenannte Oeltrüb, wird bei der
Seifenfabrication benutzt und gegenwärtig nicht mehr weggeschüttet. Diese Methode
des Raffinirens durch Ablagern erreicht aber den Zweck nicht vollständig, weshalb
man gewöhnlich das Rüböl durch Zusatz von Y2 — 1% concentrirter Schwefelsäure
und gutes Mischen von seinen Unreinigkeiten befreit.
Die Säure verbindet sich mit dem Schleime und den färbenden Theilen,
welche sich in grünschwarzen Flocken ausscheiden; dieser Niederschlag wird bei der
Fabrication der schwarzen Seife benutzt. Nach 2-t Stunden giesst man bis zu 60° R.
erwärmtes Wasser hinzu und zwar in dem Verhältniss, dass es % des Umfangs vom
Oel ausmacht. Nachdem man tüchtig untereinander gerührt hat, lässt man die Mischung
an einem auf 20 — 25° R. erwärmten Orte so lange stehen, bis sich das Oel vom Wasser
geschieden hat: man zieht dann das Oel mittels Heber vom Wasser ab und bringt
es in Bottiche oder Fässer, um es der Filtration zu unterwerfen. Man setzt zu
diesem Zwecke ein Kreuz in die Bottiche ein, stellt darauf einen Weidenkorb, dessen
Boden mit Baumwolle bedeckt ist, und schüttet das Oel durch dieses Filter. Solche
Filter dürfen nie trocken werden, weil sonst durch rasche Oxydation der Oele Entzün-
dung derselben eintritt.*)
Die sauren Abflusswässer dürfen nie in Canäle oder Gruben abgelassen
werden, bevor sie nicht mit Kalk behandelt wTorden sind.
Die Reinigung des Rüböls mit Chi orzin k ist dann gefährlich, wenn das ge-
reinigte Rüböl als Nahrungsmittel verwendet wird; auch hier müssen die Abflusswässer
vorsichtig mit Kalk behandelt und hierdurch von ihrem Zinkgehalte befreit werden.
Wird das gereinigte Rüböl längere Zeit bei 200—220° Hitze erhalten, so
nimmt es Sauerstoff auf und verdickt sich. Diese Procedur dient zur Darstellung des
sogenannten Spindelöls und ist stets mit der Entwicklung von Acrolein und flüchtigen
fetten Säuren verbunden, die stets durch Einleiten in eine Feuerung unschädlich zu
machen sind.
Wird das nicht vollständig entsäuerte Oel zur Beleuchtung benutzt, so ist in
sanitärer Beziehung zu beachten, dass sich dann durch die Zersetzung der Schwefel-
säure schweflige Säure entwickelt; gebraucht man es als Maschinenöl, so greift es
die Lager an.
Für die Technik und Beleuchtung ist das Rüböl am wichtigsten; es wird aus
*) Aus der nämlichen Ursache darf beim Einölen der Wolle vor dem Spinnen diese
nicht in grossen Massen aufgehäuft liegen bleiben, weil sonst durch Oxydation des Oels
Verkohlen stattfinden kann. Auch Oel, mit Eisenoxyd gemischt, entzündet sich leicht,
wenn beide Stoffe einige Stunden zusammen liegen bleiben, was bei der jetzigen Art
der Darstellung von Kitten beachtenswert!! ist.
Firnissindustrie. 453
dem Winterraps (Brassica napus), Sommerraps (Brassica praecox") und dem Kohlraps
(Brassica campestris) dargestellt. Das aus letzterem gewonnene Oel heisst Colxa und
kommt im Handel am häufigsten vor: es ist so reich an GlycerinYerbindungen und
festen Fettsäuren, dass es bei —0° erstarrt.
Einige Oele trocknen an der Luft unter Sauerstoffaufnahme zu einer durchsich-
tigen festen Masse ein. Man nennt sie trocknende Oele, wozu hauptsächlich das
Mohn-, Lein-, Ricinus-, Hanf-, Nuss-, Sonnenblumenöl und Crotonöl gehören; sie werden
besonders zu Firnissen verwendet.
Andere Oele bleiben an der Luft unverändert; zu diesen nicht trocknenden
Oelen gehören vorzüglich das Oliven-, Palm-, Coeosnuss-, Mandel-, Rüb-, Buchkern-,
Oelrettig- und Madiaöl.
Ranzig werden die Fette, wenn sie noch Eiweisskörper enthalten, die in Gährung
übergehen, durch welche die Fettsäuren frei werden und ihren Geruch und Geschmack
dem Fette mittheilen.
Firnissindustrie.
Firniss nennnt man eine Auflösung von harzigen Stoffen in trocknenden
fetten Oelen oder in Weingeist und Terpentin, die man auf die Oberfläche
der verschiedensten Gegenstände aufträgt, um einen glänzenden Ueberzug zu
erzeugen. Man unterscheidet hiernach 1) fette oder Oelflrnisse, unter denen der
Leinölfirniss der gebräuchlichste ist.
Die Firnisskocherei beruht auf der Befähigung der trocknenden Oele
und namentlich des Leinöls, Sauerstoff aufzunehmen und dadurch ganz andere
Eigenschaften zu erlangen. Da dieser Process an der Luft zu langsam vor
sich geht, so unterstützt man ihn künstlich; man nimmt altes abgelagertes
Leinöl und setzt ihm sauerstoffreiche Metalloxyde, Mennige, Bleiglätte,
Braunstein, schwefelsaures und borsaures Manganoxydul, Zink-
oxyd u. s. v,T. zu, um die Sauerstoffaufnahme zu befördern. Diese sogenannten
Siccative finden sich theils reducirt auf dem Boden des Gefässes wieder, theils
gehen sie auch eine Saponification mit dem Oele ein, indem sie die Trennung
des Glycerins von den öl- und fettsauren Verbindungen beschleunigen.
Dabei wird ein Absatz (Firnisssatz) gebildet, welcher aus dem Ueberschuss
der zugesetzten Metalloxyde mit den ausgeschiedenen partiell reducirten Oxyden
und dem freigewordenen Glycerin besteht. Diese Verbindung gibt, wenn sich
die Temperatur beim Kochen zu hoch steigert, zur Entwicklung von Acrolein
Veranlassung. Dieser Uebelstand macht die Firnisskocherei zu einer von den
Adjacenten mit Recht sehr gefürchteten Fabrication; die Firnisssiedereien gehören
deshalb nach § 16 der Gewerbe-Ordnung vom 21. Juni 1869 zu den gewerblichen
Anlagen, welche einer besondern polizeilichen Genehmigung bedürfen.
Man vermeidet die Entwicklung von Acrolein -Dämpfen beim Kochen des
Leinölfirnisses am sichersten durch geringe und häufige Zusätze von kaltem
Wasser, wodurch sowohl die zu hohe Temperatur und die weitere Zersetzung der
Oelbestandtheile verhütet, als auch die Auflösung der Metalloxyde durch vermehrte
Sauerstoffzufuhr befördert wird.
Es ist sehr zu empfehlen, das Abkochen im Wasserbade oder überhaupt in
Bädern und nicht auf freiem Feuer zu bewirken. Beobachtet man diese
Vorsichtsmassregeln, so ist die Firnisskocherei eine Operation, welche bei
einiger Aufmerksamkeit ohne grosse Belästigung ausgeführt werden kann; sie wird
übrigens auch vielfältig ohne alle polizeiliche Erlaubmiss und auf eine möglichst
rohe Weise bewirkt.
Das Leinöl wird schon durch blosses fortgesetztes Sieden trocknend, so dass ein
4f)4 Fette.
solches gekochtes Oel schon für sich einen Firniss bildet. Auf solche Weise wird der
Buchdrucker-Firniss (s. S. 309) oder das sogenannte Kunstöl dargestellt.")
Zur Darstellung von solchen Oelfirnissen benutzt man kupferne Kessel und
setzt nur gebrannte Magnesia zu, die sich mit den schleimigen Theilen und der etwa
vorhandenen Säure verbindet. Das fertig gekochte Oel wird in zinnerne oder bleierne
Ci Sternen behufs Klärung geleitet, der sich liier bildende Bodensatz getrennt und
nieist zu schwarzen Lackirnngen benutzt.
Bei der Anlage von grossen Firnisssiedereien ist besonders die Feuersgefahr
zu berücksichtigen; das Fabrikgebäude muss stets isolirt liegen; für die Aufbewahrung
der Materialien und des fertigen Firnisses sollen ebenfalls besondere Localitäten vorhanden
sein. Die Schürlöcher der Feuerung sind ausserhalb des Arbeitsraums anzubringen.
Die Kessel, welche oft 200 — 300 Pfund Oel umfassen, bestehen zur Darstellung
von gewöhnlichem Leinölfirniss aus Eisen und Indien die Gestalt eines gewöhn-
liehen Waschkessels. In den meisten Fällen steht er auf freiem Feuer, was aber aus
\\cn oben angeführten Gründen nicht zweckmässig ist. Die Temperatur darf nur
allmäblig steigen und nur bis zum gelinden Kochen zunehmen; es bildet sich hierbei
Schaum auf der Oberfläche, der mit kupfernen Schaumlöffeln entfernt wird. Dann setzt
man die Siccative zu; werden, was noch vorwaltend geschieht, Mennige oder Blci-
glätte benutzt, so hat man die Arbeiter auf die Gefährlichkeit des Staubes auf-
merksam zu machen, da diese Materialien sehr häufig und in kleinen Portionen zuge-
schüttet werden.
Um die Belästigungen der Firnisssiedereien ganz zu vermeiden, kann
man nach C. IV, Vincent das Abkochen in einem geschlossenen kupfernen Kessel,
der von aussen mittels eines Dampfmantels geheizt wird, vornehmen. Den Verschluss
bildet ein angenieteter und mit einem Mannloch versehener Dom. Im Innern bewegt
sich ein doppeltes Rührwerk, welches das Oel in beständiger Bewegung erhält Zu
diesem Zwecke sind durch eine Stopfbüchse in der Mitte des Doms zwei verticale, con-
centrische Wellen hindurchgeführt, von denen die eine hohl ist; beide werden durch
Betrieb von aussen in drehende Bewegung gesetzt und zwar jede in anderer Richtung;
an dem im Kessel befindlichen Theile tragen sie Rührschaufeln.
Ausserdem kann durch ein Rohr von unten her gepresste Luft zur Regulirung
der Temperatur eingeleitet werden, während ein anderes Rohr, das vom obern Theile
des Kessels abgeht, die durch Zersetzung des Oels entstehenden höchst übelriechenden
Dämpfe durch ein Schlangenrohr (das zugleich das später zu siedende Oel vorwärmt)
in einen Feuerraum ableitet.
Die Siccative werden auf zweckmässige Weise mit Oel angerieben und während
des Kochens mittels eines Trichters mit Absperrhahn eingelassen; nach vierstündigem
Kochen soll der Firniss fertig sein.
Oel -Lackfirnisse. Um dem Anstriche einen grossem Glanz zu verleihen,
setzt man dem Oel firnisse verschiedene Harze zu, von denen namentlich
Copal und Bernstein vorher durch Schmelzen in eine lösliche Form gebracht
werden müssen. Hierbei werden eine Masse der verschiedensten flüchtigen Ver-
bindungen erzeugt, die für die Arbeiter im höchsten Grade belästigend sind.
Bernsteinfirniss. Bernstein und concentrirte Schwefelsäure werden gemischt
und in Glasretorten, die im Sandbade ruhen, geschmolzen. Anfangs entwickeln sich
mit schw eilig er Säure gemischte Wasserdämpfe, die in den Schornstein abzuleiten
sind; dann treten weisse Dämpfe auf, die in der Vorlage zu einer öligen Flüssigkeit
condensiren, während sich Hals und Helm der Retorte und schliesslich auch das
Destillal mit kristallinischer Bernsteinsäure als Nebenproduct anfüllen. Die ölige
Substanz wird als eine dem Copalöl ähnliche Verbindung gewonnen; aussei'dem finden
sich geringe Mengen von Essig-, Butter- und Ameisensäure vor.
Zum s ch war z en B ern steinfirn i s s werden geschmolzener Asphalt und Bernstein
mit heissem Leinöl unter Zusatz von etwas Bleiglätte und Bleizucker verwendet.
Die sehr verschiedenen Modifikationen können hier nicht aufgeführt werden; es
ist nur zu erwähnen, dass für geringere Sorten und eine wohlfeilere Lackirung auch
Pech und das durch Eindampfen von Steinkohlentheer bereitete Asphalt genommen
werden und zwar häufig unter ziemlich beträchtlichem Zusatz von Mennige und
Glätte. In sanitärer Beziehung ist nicht genug darauf aufmerksam zu machen,
dass die Arbeiter bei der Firnissfabrication auf diese Weise sehr häufig mit Blei-
*) Nach Liebig erhält man auch auf kaltem Wege einen guten Oelfirniss, wenn
man Leinöl mit Bleiessig (Plumb. subacetic.) versetzt.
Firnissindustrie.
455
Präparaten in Berührung kommen und daher auch verschiedenen Bleiintoxicationen
ausgesetzt sein können.
Bei diesen schwarzen Lacken, die häufig zum Lackiren von Wagen, Maschinen-
theilen oder grössern Gusssachen verwendet werden, haben daher auch die Lackirer
diese metallischen Zusätze zu beachten, obgleich bekanntlich auch weisse und gelbe
Lacke dargestellt werden, die bleihaltig sind. Nach Du Mesnü enthielt ein weisser
Lack 48,65 g, ein gelber 50 g und ein schwarzer 42,05 g Blei. Wenn nach dem Ueber-
zuge eines solchen Lackes auf die betreffenden Gegenstände, namentlich auf Holz, ein
kräftiges Reiben resp. Poliren stattfindet, so ist ein gefährlicher Staub unvermeidlich,
der ei'fahrungsgemäss Bleikolik und Bleilähmung zu erzeugen vermag.1)
Copalfirniss. Das Schmelzen des Copals geschieht gewöhnlich auf freiem
Feuer; es entwickelt sich bei der Destillation zuerst Wasserdampf von höchst saurer
Reaction, die von Essig- und Ameisensäure herrührt. Bei stärkerer Erwärmuno'
treten scharf riechende, schwierig zu condensirende Dämpfe nebst einem leichten
ätherischen Oele auf. Letzteres reagirt stark sauer und greift Metalle, namentlich
Kupfer an; es enthält freie Essig- und Ameisensäure, bisweilen auch Bernstein-
säure und eine ölartige scharfe Säure, welche über 200° siedet und auch bei der
Destillation des Colophoniums auftritt. Dieses ätherische Oel ist ein gutes Lösungs-
mittel für Copal, weshalb es auch für diesen Zweck gebraucht wird; es macht aber den
Firniss leicht rissig und die Ausdünstung des Anstriches ist für Menschen und nament-
lich auch für Vögel nachtheilig, weil das Oel wie Benzol Kopfschmerzen und Betäubung
hervorruft; Vögel können dadurch zu Grunde gehen. Beim weitem Erhitzen des Copals,
beim Aufblähen der Masse, werden die Dämpfe stärker und es bildet sich nun ein
leicht condensirbares Oel, welches sauerstofffrei ist, einen höchst penetranten
Geruch und Geschmack hat und bei manchen Individuen durch- den blossen Geruch
Erbrechen verursacht. Dieses sogenannte schwere Copalöl wird von Schwefelsäure
theilweise angegriffen und liefert durch Rectification ein farbloses Liquidum, welches
leichter als Wasser ist und in seiner Zusammensetzung dem Bernsteinöl gleich ist.
Mit Salpetersäure liefert es ein Harz, welches frappant nach Moschus riecht und
sogar in der Parfümerie wie das Bernsteinöl Anwendung gefunden hat.
Bei der Fabrication lässt man beide Oele zusammen und gebraucht sie als Lösungs-
mittel für Harze.
Wenn nun der Copal ganz flüssig geworden ist, hat er eine derartige Zersetzung
erlitten, dass er in fetten und ätherischen Oelen leicht löslich ist. Das eigentliche
Lösungsmittel desselben ist Terpentinöl; ein geringer Zusatz von Oelfirniss ist nöthig,
um dem Ganzen die nöthige Zähigkeit zu geben. Der geschmolzene Bernstein bedarf
dagegen mehr Leinölfirniss als Terpentinöl zu seiner Auflösung.
Flu. 47.
456
Fette.
Bei einem rationellen Verfahren geschieht das Schmelzen desCopals in einem
Sand- oder Luftbade; auf diese Weise -werden die berühmten englischen Kutschen-
lack firnisse dargestellt.
Die sich hierbei entwickelnden Dämpfe werden direct zum Auflösen von Copal
benutzt, indem man in einem Kessel (Fig. 47 a) ein zweites Kesselchen (0) auf-
hängt; ersterer hat ein Abflussrohr (/) und am obern Theile eine kleine Oeffnung (y)
zum Einführen des Probirlöffelchens. Ueber dem Kessel ist noch ein Aufsatz (c) an-
gebracht, der ebenfalls zur Aufnahme des Copals dient, unten aber einen siebförmigen
Verschluss (ä) hat und nach oben in einen Helm (e) übergeht, der mit einer Kühl-
schlange in Verbindung steht.*) Im Grunde des Kessels wird der dunkle Copal ge-
schmolzen; die dann auftretenden Dämpfe gehen durch den siebförmigen Boden des
obern Aufsatzes [d) und lösen den hier befindlichen Copal, der in Tropfen in das auf-
gehängte Kesselchen abfliesst. Der grössere Theil des Lösungsmittels verflüchtigt sich
und geht in die Kühlschlange (') über, wo Alles zur Condeusation gelangt. Die weisse
Lösung des Copals bleibt in dem aufgehängten Kesselchen zurück.
In sanitärer Beziehung ist dies Schmelzen der Harze sehr wichtig,
da sich nach der Natur derselben sehr verschiedene, aber höchst reizende
Dämpfe entwickeln. Häufig setzt man auch den verschiedenen Sorten von Copal,
dem Bernstein oder Asphalt noch Colophoniura zu, um den Schmelzprocess zu
verkürzen.
Die Reizung der Respirationsorgane kann bei manchen Arbeitern in Blut-
husten übergehen, während andere diese Beschäftigung ganz aufgeben müssen.
Ein Firnissfabricant wurde zu diesem Schritte schliesslich genöthigt, da eine
chronische Bronchitis und eine Neuralgia intercostalis den bisherigen
laugjährigen Aufenthalt im Schmelzraum fernerhin unmöglich machten. Viele
Arbeiter harren zwar aus, aber stets zum Nachtheile ihrer Gesundheit, wenn
keine Präventivmassregeln getroffen werden. Meistens findet man nur sehr
primitive Einrichtungen und höchstens einen Rauchfang über den Schmelzkesseln;
es ist aber durchaus erforderlich, dass mit einer zweckmässigen Construction der
Schmelzkessel auch eine möglichst vollständige Condensation oder Verbrennung
der Dämpfe Hand in Hand geht.
In England findet sich in einigen Fabriken folgende Einrichtung: Auf jedem
Kessel ist ein coneaver Deckel angebracht, der in der Mitte mit einer 10 Ctm. weiten
Oeffnung für das Umrühren versehen ist. Die Dämpfe sammeln
sich zwischen dem Rande des Gelasses und des Deckels, um
hier in ein gemeinschaftliches Rohr einzutreten, das mit einem
im Freien stehenden Condensator in Verbindung steht. Dieser
besteht aus 18 verticalen, untereinander communicirenden Röhren
von 3 Meter Höhe und 12 — 15 Ctm. Durchmesser; die letzte Röhre
ist mit einem Exhaustions-Schaufelventilator versehen.
Durch diese Einrichtung wird allerdings der Schmelzraum
von den Dämpfen befreit; um aber auch die Adjacenten von
ihrer belästigenden Einwirkung zu befreien , ist es noch
erforderlich, die von dem Ventilator ausgestossenen Dämpfe in
eine Feuerung zu leiten, um sie vollständig zu vernichten. Den
hierbei erforderlichen Vorsichtsmassregeln wird durch die S. 365
näher beschriebene Einrichtung genügt.
Eine zweckmässige Vorrichtung ist die durch Fig. 48 und
Fig. 49 veranschaulichte, durch welche ebenfalls Condensation der
Dämpfe und Verbrennung der nicht condensirten Dämpfe erzielt
werden. Die Achse des Rührers (Fig. 48 d) geht durch eine Stopf-
büchse und besteht aus einem hohlen Eiscncylmder, in welchem
sich ein anderer unten geschlossener Cylinder bewegt, der einige
Zoll vor seinem untersten Ende einen Ausschnitt (<•) hat; durch
diesen entsteht eine Art von Löffel. Dieser Probelöffel hat
nach unten noch ein Leistchen, welches das vollständige Aus-
Fig, 48.
*) Der Apparat ist demjenigen sehr ähnlich, der bei der Destillation ätherischer
Oele benutzt wird (s. Aetherische Oele).
Firnissindustrie.
457
ziehen desselben verhütet. Der eigentliche Rührer ist mit einer Kurbel und mit
Flügeln (ff) versehen.
Fig. 49.
Die Schnäbel der Hüte (Fig. 49 i) der Kessel («) münden in eine gemeinschaft-
liche Röhre (e), die zur Kühlschlange (/) führt. Die hier condensirten Dämpfe fliessen
nach g und sammeln sich hier an, um durch den Siphon (Ä) abzufiiessen, während die
uncondensirten Dämpfe durch das Rohr h und die Siebplatte bei J unter dem Herde
der Feuerung zur Verbrennung gelangen. Die Thür der Feuerung (6) muss selbstver-
ständlich hierbei stets geschlossen bleiben.
2) Weingeistfirnisse. Die Darstellung im Grossen geschieht in einer Destillir-
blase mit Helm und Schlangenrohr, um den während der Auflösung der Harze
sich verflüchtigenden Alkohol wieder zu gewinnen. Man erhitzt in einem Wasser-
bade und führt durch eine im Helm befindliche Stopfbüchse eine Stange mit
Flügeln, um durch Rühren die Auflösung der Harze zu unterstützen. Man
steigert nur anfangs die Temperatur bis zum Sieden des Weingeistes; dann ver-
mindert man sie etwas und hält sie unter dem Siedepunct des Alkohols. Den
abgezogenen Firniss lässt man durch ein Florsieb laufen und filtrirt ihn mittels
Fliesspapiers.
Statt Weingeist gebraucht man auch vielseitig Holzgeist. Unter den Harzen
werden vorzugsweise Schellack, Sandarach, Mastix, Damar oder Elemiharz unter
Zusatz von Colophoniuin , Campher und Lavendelöl benutzt. Die Harze werden in
klaren Stückchen ausgesucht, damit die Firnisse eine wasserhelle Farbe erhalten, dann
gepulvert und häufig mit grobem Glaspulver gemengt. Letzteres soll das Zusammen-
ballen des Harzpulvers verhindern; um es ganz fein zu erhalten, wird es noch durch
ein Haarsieb abgesiebt. Dieser Act ist in sanitärer Beziehung wichtig: geschieht er
nicht in geschlossenen Sieben, so wird der feine Glasstaub eingeathmet und erzeugt
sehr schmerzhafte Gaumen- und Mandelentzündungen. Der ganze Schlund zeigt
in den hohem Graden eine Scharlachröthe und es dauert oft Wochen lang, ehe diese
Reizung verschwunden ist.
Die Weingeistfirnisse werden durch Gummigutt gelb, durch Drachenblut und
Sandelholz roth gefärbt, um namentlich metallischen Flächen eine Goldfarbe zu ertheilen.
3) Terpentinölnrnisse. Hier geschieht meist die Auflösung im Sandbade
unter Zusatz von reinem Quarz- oder Glaspulver. Man benutzt diese Firnisse
vorzugsweise zum Ueberziehen von Karten, Kupferstichen u. s. w.
Man muss bei der Darstellung im Grossen ganz besonders für gut geschlossene
458 Fette-
Gefässe und die Condensation der Dämpfe sorgen, damit diese sich nicht im Fabrik -
raume verbreiten, weil sonst eine grosse Gefahr vor Explosion vorhanden ist.
Es ist deshalb auch geboten, alle Schürlöcher der Feuerungen wie bei den Wein-
geistfirnissen ausserhalb der Arbeitsräume anzulegen. Ein Schlangenrohr, in welchem
sich die Dämpfe bei der Auflösung verdichten, sollte ausserdem zur Bedingung bei der
Ertheilung der Erlaubniss zum Betriebe gemacht werden.
Der Asphaltlack wird fast nur durch Auflösen von Asphalt in Terpentinöl
dargestellt.
Dunkle, braune Firnisse erhält man im Allgemeinen durch Auflösen von Gummi-
lack und Colophonium; durch Zusatz von Leiriölfirniss nähern sich dann diese Firnisse
wieder mehr den hellen Firnissen.
Degras, Gerberfett.
Ein Gemisch von nicht trocknenden Oeleu und Fetten wird Degras ge-
nannt and zum Einreiben des lohgaren Leders benutzt. Mau wendet vielfältig
dazu au: huile coco, welches wahrscheinlich vom Cocosuussöl herrührt,
huile grasse, das hauptsächlich aus Paraffiuöl besteht, red oil aus Amerika,
wahrscheinlich Specköl, ganz vorzüglich aber Moellon, die Weissbrühe aus der
Sämischgerberei; da letztere eine javabraune Farbe hat, so kommt es bei den
verschiedenen Gemischen besonders auf die Herstellung dieser Farbe an.
Zusätze von aufgelöstem Kautschuk, Wachs oder Talg sind auch nicht selten,
wenn diese Substanzen grade billig zu haben sind. Das Gemenge der verschiedenen
Oele und Fette wird gewöhnlich in grossen Kesseln nur auf 22—25° R. erwärmt, um
die Mischung zu befördern, so dass in diesem Falle gar keine Belästigung zu befürchten
ist. Wendet man aber Talg oder andere Substanzen an, welche einen höhern Schmelz-
punet haben, so muss die Wärme (beim Talg bis auf 40—50° R) gesteigert werden,
in welchem Falle sich dann auch die flüchtigen Fettsäuren entwickeln, für deren
Ableitung in einen gut ziehenden Schlot man zu sorgen hat.
Es ist überhaupt erforderlich, dass der Kessel, in welchem die Mischung geschieht,
unter einem Schornsteinbusen aufgestellt ist. Die Mischung wird durch ein Sieb in
einen Bottich gelassen, in welchen Soda mit überschüssigem Kalkwasser und etwas
Moellon zugeschüttet wird, wodurch eine Verseifung entsteht. Zwei Stunden nachher
wird häufig auch noch Glycerin (auf 1000 Pfund 50 Quart) zugegossen und so lauge
gerührt, bis die Masse steif und javabraun geworden ist.
Kalk wird bloss deshalb genommen, um die Lauge caustisch zu machen; das
sich bildende Calciumcarbonat müsste eigentlich abgeschieden werden, es bleibt aber
häufig in der Masse, um sie schwerer zu machen.
Bei der Frage, ob und inwiefern die Fabrication von Degras für die
Nachbarschaft belästigend werden kann, hängt somit die Entscheidung von der
genauen Prüfung der Materialien, welche zur Verarbeitung kommen, sowie von
der Höbe der Temperatur ab, die bei der Mischung erforderlich ist. So wurde
in einem concreten Falle japanischer Thran benutzt, der schon an und für sich
bei der Aufbewahrung höchst widerliche Gerüche entwickelt und für die Adja-
centen sehr belästigend wird. Die Fabrication ist überhaupt sehr mannigfach,
da sich die Benutzung der verschiedenen Materialien nach den localen Verhält-
nissen richtet.
Talgindustrie.
Talg ist das Fett der Wiederkäuer, wovon die meisten als Hausthiere be-
kannt sind. Alle Sorten von Talg besitzen einen eigenthümlichen, unangenehmen
Geruch, welcher nach den Thieren und der von ihnen genossenen Nahrung ver-
schieden ist.
Der Talg wird gewöhnlich aus dem Fette der Eiugeweide durch Aus-
schmelzen gewonnen; man hat verschiedene Methoden desselben und je nach-
dem die eine oder andere augewendet wird, hat auch der Talg einen höhern
oder geringern Werth.
Talgindustrie. 459
1) Die älteste Methode besteht in einer Zerkleinerung und im
Ausbraten des Fettes auf freiem Feuer; hierbei ist nicht zu vermeiden,
dass der Talg gelb wird und durch empyreumatische Stoffe, welche durch zu
starke Erhitzung der stickstoffhaltigen Gewebe entstanden sind, meistens einen
höchst unangenehmen Geruch erhält.
Der Schmelzkessel ist gewöhnlich aus Kupfer, dessen Seitenwände unmittelbar
vom Mauerwerk des Ofens umgeben sind, so dass das Feuer nur den Boden desselben
berührt. Beim Ausbraten entstehen neben flüchtigen Fettsäuren die Bestand-
theile von Oleum anim. Dipp. Kaum werden sich die Dämpfe von Acrolein zeigen,
da zur Bildung desselben eine höhere Temperatur nothwendig ist, als zum Ausbraten
des Talgs angewendet wird.
Der geschmolzene Talg wird durch einen Filtrirkorb oder einen kupfernen
Durchschlag übergeschöpft, damit sich die fremden Theile absetzen. Bei den bessern
Sorten, namentlich beim Hammeltalg", schöpft man ihn in kleine hölzerne Formen, in
welchen man ihn erkalten lässt: man erhält auf diese Weise die Talgbrote oder
Talgkuchen des Handels. Der Talg aus gemischten Fetten, besonders aus Rindertalg,
wird direct in Fässer gefüllt und heisst Fasstalg.
Der rohe Talg wird beim längern Aufbewahren in Folge der Zersetzung der
Membranen, welche die Fettkügelchen umschliessen, leicht ranzig: wird derselbe zum
Lichterziehen bearbeitet, so gibt er durch die Ausdünstung der flüchtigen Fettsäuren
beim Schmelzen zu grosser Belästigung der Nachbarschaft Anlass.
Vorzugsweise wird auch der Steppen- und Krimtalg durch blosses Aus-
schmelzen über freiem Feuer dargestellt.
Aus Buenos-Ayres erhält man bisweilen ebenfalls den durch Ausschmelzen ge-
wonnenen Talg, welcher aber dort betrügerischer Weise kurz vor dem Frstarren noch
mit einer Auflösung von thierischem Leim emulgirt wird. Dadurch wird aber auch
eine gewisse Menge atmosphärischer Luft im Talg mit eingeschlossen, welche bei Gegen-
wart von Wasser die thierische Substanz zur Fäulniss bringt. Ein solcher Talg gibt
deshalb beim einschmelzen wegen der Fäulnissproducte des thierischen Leims (flüchtige
Fettsäuren, Butter-, Baldriansäure u. s. w.) einen unerträglichen Geruch; auch muss
er beim Versenden in Schiffen allein geladen werden, weil Kaffee und andere Genuss-
oder Nahrungsmittel einen widerlichen Geschmack danach bekommen.
2) Das Ausschmelzen des Talgs wird unter Zusatz von schwacher
Kochsalzlösung vorgenommen. Dies ist eine viel bessere Methode; der
Zusatz von Salz bezweckt nur eine Steigerung der Temperatur. Den ausgelassenen
Talg separirt man als sogen. Jungferntalg und werden die zurückbleibenden
thierischen Gewebe durch Ausbraten von dem noch geringen Autheil an Talg
befreit. Diese zweite Sorte von Talg heisst in manchen Gegenden Talgnach-
lauf und stellt eine viel schlechtere Qualität als die erstere dar.
Recht zweckmässig ist es, den Talg vor dem Ausschmelzen, statt zu zerschneiden,
unter Mühlsteinen zu zerquetschen oder im Stampftroge zu zerstampfen, um ihn in einen
Brei zu verwandeln, welcher bei einer geringern Hitze ausgeschmolzen werden kann,
so dass hierzu schon heisse Wasserdämpfe ausreichen. Zu diesem Zwecke umgibt man
den Schmelzkessel mit einem andern und lässt in den Zwischenraum die Wasserdämpfe
eintreten.
Diese Methode hat auch den Vortheil, dass das Talgschmelzen an und für sich
keinen unangenehmen Geruch verbreiten kann; dies ist nur dann möglich, wenn die
das Fett umschliessenden Membranen schon in Fäulniss übergegangen waren.
3) Das Ausschmelzen des Talgs geschieht durch eingeblasenen
Wasserdampf, wobei der flüssige Talg von der wässrigen leini-
haltigen Flüssigkeit getrennt und mit fein gemahlenem verknister-
tem Kochsalz behandelt wird. Diese Methode wendet man bei dem Talg,
welcher als Nahrungsmittel verwendet werden soll, an.
Der Zusatz von Kochsalz nimmt dem Talg seinen Wassergehalt, so dass letzterer
weder auf die vorhandene Leimsubstanz einwirken noch ein schnelles Ranzigwerden
des Talgs verschulden kann. Da der Leim in Salzwasser schwerer löslich ist, so wird
auch deshalb das W7asser minder befähigt, mit den thierischen leimgebenden Substanzen
Leim zu bilden.
460 Fette.
Der Wasserdampf wird aus einem mit Sicherheitsventil versehenen Dampfkessel
in dicht verschlossene Gefässe geleitet, in -welchen das Fett auf einem Roste liegt und
ans welchen das geschmolzene Fett durch einen am Boden angebrachten Hahn ab-
gelassen werden kann.
4) Das Ausschmelzen des Talgs geschieht auf freiem Feuer
oder durch eiugeblasenen Wasserdampf unter gleichzeitiger Ein-
wirkung von verdünnter Schwefelsäure. Diese Methode wendet man vor-
zugsweise au, wenn man den Talg zu industriellen Zwecken gebrauchen will;
das Fett wird hierbei nicht zu hoch erhitzt, die thierischen Häute werden
aufgelöst und die Ausbeute an Talg ist in qualitativer und quantitativer Be-
ziehung besser.
Durch diese Behandlung wird der Talg namentlich in Folge von gebildeter
Stearinsäure fester, weil die Schwefelsäure auf das im Fette enthaltene Glycerin
einwirkt.
Den gleichen Zweck erreicht man, wenn man statt der Schwefelsäure verdünnte
Kali- oder Natronlauge zusetzt.
In sanitärer Beziehung ist das Aufspeichern des Rohtalgs in Talg-
schmelzereien nicht zu gestatten, weil er durch seinen Gehalt an thierischen
stickstoffhaltigen Substanzen sehr leicht in Fäulniss übergeht und dadurch einen
unerträglichen Geruch veranlasst. Ist jedoch bei grössern Etablissements zeit-
weise die Zufuhr so bedeutend, dass sie nicht bewältigt werden kann, so ist der
Rohtalg entweder in gemauerten Gruben oder aber in Fässern mit Kochsalz zu
schichten.
Ist die Fabrication von Stearinsäure mit der Talgschmelzer ei verbunden,
so kann unbeschadet der zu erzielenden Producte der Rohtalg mit Kalkmilch bespritzt
oder aber mit zerfallenem Kalk bestäubt weiden: durch beide Zusätze wird die eingetretene
Fäulniss gehemmt und das frische Fett vor dem Eintritt dieser Zersetzung geschützt.
Die vom Fette abfliessende Salzlake darf nicht in Schlinggruben abgelassen
werden: jedoch ist ihr Abfluss in öffentliche Canäle zu gestatten.
Die Erhaltung des Rohtalgs zum Zwecke der Darstellung von Speisefetten kann
dadurch erzielt werden, dass das Fett in Bottichen mit Wasser, welchem 3—4% Sauerteig
zugegeben, überschüttet wird.
Der Sauerteig erleidet hierbei eine fortlaufende Zersetzung, schützt aber dadurch
die thierische Substanz vor der Einwirkung des Sauerstoffs. Die sich bildenden Säuren
des Sauerteigs (Essig- und Milchsäure) lösen die thierischen Membranen u. s. w. auf
und legen das Fett dadurch bloss, so dass beim nachfolgenden Ausschmelzen des Fettes
verhältnissmässig wenig Rückstand bleibt: die so benutzten Wässer müssen aber wie
gewöhnliche Mistjauche behandelt werden.
Das Ausschmelzen des Talgs ist ein in sanitärer Beziehung höchst
wichtiger Gegenstand, da es unter Umständen die grösste Belästigung veranlassen
kann; man hat sich vielfach bemüht, die damit verbundenen Nachtheile zu
beseitigen.
Früher hat man auch beim Talgschmelzen den sogen. Saigerungsprocess an-
gewendet, wobei man die Dämpfe behufs Fixirung der Fettsäuren kalkhaltige Medien
passiren liess. Diese Methode hat sich jedoch nicht bewährt, insofern die dazu noth-
wendigen Apparate bei der Darstellung im Grossen nicht handlich sind und eine sehr
leicht eintretende Verunreinigung des Fettes mit Alkalien für die Güte und Haltbarkeit
des Products nacktheilig ist.
Beim Schmelzen auf freiem Feuer muss der Kessel mit einem Deckel
sorgfältig geschlossen bleiben; letzterer muss auch mit einer Rührvorrichtung
versehen sein, welche aus einer mitten im Kessel stehenden, unten mit Schaufeln
und oben mit einer Kurbel versehenen Achse besteht.
Das sicherste Mittel, die Belästigung, welche durch die sich bildenden Dämpfe
entsteht, zu beseitigen, besteht in ihrer Verbrennung. Bei kleinem Be-
triebe genügt es, wenn man eine gusseiserne Röhre mit einer Memme des Schmelz-
kessels verbindet und bis unter den Rost der Feuerung leitet: an ihrem untern Ende
Talgindustrie. 461
hat dieselbe noch eine kleine S förmig gebogene Abflussröhre mit Wasserversehluss für
das condensirte Wasser. Selbstverständlich ist stets ein sorgfältiger Verschluss der
Aschenfalltbür nothwendig, um den Zag zu etabliren. Mehr empfiehlt sich jedoch, das
für die Ableitung der Dämpfe bestimmte Rohr in das Mauerwerk des Schornsteins
zu legen, damit sich die Wasserdämpfe möglichst wenig condensiren.
Bei grossartigen Talgschmelzereien ist es vorzuziehen, die Dämpfe "durch brennende
Kohlen eines besondern Desinfectionsofens zu leiten. Ein solcher vom Ingenieur
Foucon1) angegebener Ofen ist z.B. in einer grossen Seifensiederei, in welcher 16 Kessel
zum Ausschmelzen des Talges in Betrieb waren, eingeführt. Die Dämpfe dringen hierbei
durch Schlitzen, welche in gleichen Zwischenräumen aus feuerfesten Steinen vertical
errichtet sind, in getheilten Strahlen in ein bis zur Weissgluthhitze gebrachtes Gewölbe.
Der günstige Erfolg dieses Princips scheitert, wie in den meisten Fällen dieser Art, an
der zu starken Abkühlung der Wasserdämpfe auf ihrem Wege zum Verbrennungsofen.
Diesem Uebelstande ist dadurch abzuhelfen, dass man die Dämpfe, ehe sie in die
glühende Kohlenschicht eintreten, Röhren passiren lässt, welche mindestens bis zur
dunklen Rothgluth erhitzt sind.2)
Bei der dritten und vierten Methode wird der Wasserdampf anfangs
mit grosser Vehemenz eingeblasen, um möglichst rasch das Fett zum Ausfliessen
zu bringen. Ist die Temperatur bis auf 100° gestiegen, so entweichen die Dämpfe
uncondensirt, weshalb beim Eintritt dieser Periode nur so viel Wasserdampf zu-
zulassen ist, dass sich die Temperatur auf dieser Höhe erhält.
Anfangs, wenn die Wasserdämpfe in das kalte Fett eindringen, wird die im
Bottich und zwischen den einzelnen Fettstückchen befindliche Luft durch Wasser-
dampf verdrängt, welche nun mit den widerlichen Riechstoffen geschwängert mit
grosser Kraft entweicht und zwar so lange, bis sämmtliche Luft durch Wasser-
dampf vertreten ist.
Der Geruch ist deshalb im Anfange des Ausschmelzens sehr bedeutend und lässt
erst bei der Periode, wo das Fett 100° Temperatur erreicht hat und die Luft aus dem
Apparate verdrängt ist, merklich nach.
Auch bei dieser Procedur ist stets die Unschädlichmachung resp. Verbrennung
der mit Riechstoffen überladenen Dämpfe dringend geboten, obgleich man in den meisten
Fabriken dieser Art in diesem Puncte sehr nachlässig ist. Wird hier gleichzeitig
Schwefelsäure benutzt, so treten die übelriechenden fetten Säuren auf, wohingegen
beim Zusatz von Aetzlauge sich mehr ammoniakalische Dämpfe entwickeln.3)
Die häufigste Methode der Talgschmelzerei besteht in der neueren Zeit im
Ausschmelzen des Talgs auf freiem Feuer unter Zusatz von Schwefel-
säure. Der Schmelzkessel ist mit zwei Erahnen versehen, wovon der obere zum
Auslassen des geschmolzenen Talgs und der untere zum A. blassen des Rückstandes
dient. Um allen verschiedenen, sowohl alkalischen als sauren Producten, welche
hier auftreten können, Rechnung zu tragen, leitet mau nach Vohl4) die Dämpfe
zuerst durch Calciumhydrat, welches auf Hürden in einem Kasten lagert, während
sich die uncondensirten Gase und Dämpfe mittels einer oben im Kasten sieb-
förmig durchlöcherten Röhre in einen Behälter senken, der mit Koks gefüllt ist,
die man mit concentrirter Schwefelsäure getränkt hat. Zum Abfluss der con-
densirten Flüssigkeit ist sowohl am Kasten als am Koksthurm eine S förmig ge-
bogene Röhre angebracht. Schliesslich gelangt der Rest der etwa noch nicht
condensirten Gase und Dämpfe aus dem Koksbehälter unter den Rost der Feuerung,
wodurch zugleich der nothwendige Luftstrom im ganzen Apparat etablirt wird.
Um den Inhalt des Kessels überblicken zu können, befindet sich am obern Deckel,
am sogen. Mannloch, und in der Beschickungsthür eine Platte von Glimmer.5)
Rückstände Lei der Talgschmelzerei. Die beim Aus braten resultirenden
Rückstände heissen Grieben; man sucht sie durch starkes Auspressen von ihrem
Fettgebalte zu befreien. Sie wurden in frühem Zeiten, wenn die Erhitzung beim
402 Fette.
Ausschmelzen sehr hoch gewesen war, als Brennmaterial oder auch als Schweine-
futter verwendet; heute bilden sie in manchen Gegenden einen Handelsartikel,
welcher zur Darstellung von Schmiermitteln mittels der geeigneten Lösungsmittel
(Benzol u. s. w.) extrahirt wird.
Der hierbei resultiren.de fettfreie Rückstand kann, wenn er keine wirkliche Ver-
brennung erlitten hat, zu thierischem Leim benutzt werden. Sonst wird er entweder
zur Blutlaugensalzfabrication, zur Ammoniakbereitung, zum Cenientiren
des Stahls als stickstoffhaltige Kohle oder auch zur Darstellung von Dünger benutzt.
Die Grieben, welche bei der zweiten Methode des Ausschmelzens zurückbleiben,
werden ebenso verwendet. Bei der dritten und vierten Methode erhält man eine
wässrige Flüssigkeit, welche die thierischen Stoffe gelöst enthält und sich selbst über-
lassen höchst übelriechende und gefährliche Gase, wie Schwefelwasserstoff und
Schwefelammonium neben flüchtigen fetten Säuren, entwickelt.
Solche Flüssigkeiten dürfen weder in öffentliche Canäle noch in Schlinggruben
abgelassen werden; am besten werden sie, mit Kalk und Erde versetzt, als Düngungs-
mittel benutzt.
In Russland wird der sibirische Talg in Pansen und Seronen (Kalbsfellen)
verpackt, was für die dortigen Länder insofern noch ein besonderes sanitätspolizeiliches
Interesse hat, als dadurch die Verbreitung von ansteckenden Thierkrankheiten veranlasst
werden kann.
Das Bleichen und Härten des Talgs. Das Bleichen und Härten des Talgs,
welcher gewöhnlich von graugelber Farbe ist, beruht auf einer Sauerstoffzufuhr;
mag die Sauerstoffquelle Salpetersäure, Chromsäure oder Uebermangan-
säure sein, es wird sich stets ein Dampf entwickeln, welcher fast die ganze
Gruppe der flüchtigeu fetten Säuren enthält. Bei der Anwendung der Salpeter-
säure treten stets die Reductionsproducte derselben, Stickoxyd resp. Unter-
salpetersäure, in grosser Menge auf. Auch die Blausäure ist ein nie fehlender
Bestandtheil ; es muss deshalb diese Operation in geschlossenen Gefässen vor-
genommen werden, um die sich entwickelnden Dämpfe durch Verbrennen zu
vernichten.
Auch das Bleichen an der Luft kann, wenn es in grossem Massstabe geschieht,
auf die Nachbarschaft sehr lästig einwirken, weil sich beim ranzigen Zustande der Fette
die flüchtigen Fettsäuren in erhöhtem Grade bilden.
Am wenigsten Geruch tritt auf, wenn unterchlorigsaure Salze zum Bleichen
benutzt werden. Zu diesem Zwecke schmilzt man den Talg in einer Pottaschenlösung
(1 Th. Pottasche und 12 Th. Talg) und schüttet unter beständigem Umrühren in die
warme flüssige Talgmasse eine Chlorkalklösung (1 : 7). Schliesslich fügt man zu der
noch heissen Masse so viel mit Schwefelsäure angesäuertes Wasser (1 : 20) hinzu, dass
die Säure etwas verschlägt; man lässt dann das Ganze stehen, bis die gebleichte Masse
über der Flüssigkeit schwimmt.
Bisweilen tritt hierbei eine Verbindung von Chlor mit Glycerin (Chlorhydrin)
auf; dieselbe kann sich mit den Wasserdämpfen verflüchtigen und höchst reizend auf
die Schleimhäute der Arbeiter einwirken, weshalb die Manipulation unter einem gut
ziehenden Schlot vorzunehmen ist.
Das Härten des Talgs geschieht durch Schmelzen mit verdünnter Schwefel-
säure, mit Alaun oder mit Oxalsäure. Die beste Methode besteht jedoch
darin, dass man die flüssigen Theile des Talgs ohne Anwendung von
Pressung von den festen trennt. Da die festen krystallinischen Körper des
Talgs einen höhern Schmelzpunct als die ölartigen Substanzen haben und auch
der Erstarrungspunct bei erstem höher liegt als bei letztern, so führt man in
der Technik auf Grund dieser Eigenschaften eine Trennung der flüssigen Theile
des Talgs von den festen aus. Zu dem Ende wird der Talg in Portionen von
5 — 6000 Pfund in hölzernen Bottichen durch Wärmschlangen zum Schmelzen ge-
bracht, dann verschliesst man die Gefässe sorgfältig und lässt sie 8 — 10 Tage
laug in einem Räume stehen, dessen Temperatur 1—2° unter dem Schmelzpuuct
Wachsindustrie. 463
des Talges liegt. Bei dieser ausserordentlich langsamen Abkühlung krystallisiren
die festen Fettmassen in harten Körnern aus der flüssigen Masse heraus; sie
setzen sich am Boden und an den Wandungen des Gefässes in grossen con-
glomeratischen, blumenkohlähnlichen Massen ab. Das flüssige Fett bleibt klar in
der Mitte des Bottichs: man lässt es nun durch einen Hahn ab und schmilzt,
nachdem die Krystallmasse abgetropft ist, mit Wasser.
Die geschmolzene Krystallmasse erstarrt beim Erkalten zu krystallinischen harten
Broten, welche ohne Weiteres zur Darstellung der Stearin- (nicht Stearinsäure-) Lichter
benutzt werden können.6)
Die abgelassene ölartige Fettmasse nimmt beim vollständigen Erkalten die Con-
sistenz des Schweineschmalzes an; lässt man dieselbe jedoch sehr langsam auf einige
Grade unter ihrem Erstarrungspuncte erkalten, so erhält man eine neue Portion der
krystallinischen Fette (Stearin resp. Palmitin). Auf diese Weise wird schliesslich ein
neutrales Oel erzeugt, welches selbst bei starker Winterkälte nicht mehr gefriert; es ist
das sogen. Talgöl, welches auch unter dem Namen von Spermacetöl, Spermöl, im
Handel vorkommt und als Schmiermaterial für die zartesten und feinsten Maschinen,
für Uhren u. s. w., benutzt wird.
Das Ausschmelzen des Schweineschmalzes ist mit fast gar keinen
Unannehmlichkeiten verbunden, da das Schweinefett einen viel niedrigem Schmelz-
punct als der Talg hat; es geschieht entweder über freiem Feuer oder, wie in
Cincinnati, mittels gespannter Wasserdärapfe.
Ein betrügerischer Zusatz von Wasser während des Erstarrens des Schmalzes
bringt ein schnelleres Ranzigwerden desselben hervor; man kann dies Wasser durch
Umschmelzen und Zusatz von Kochsalz nachweisen und beseitigen.
Wachsindustrie.
Wachs wird von dem Körper der Arbeitsbienen als kleine Tröpfchen ab-
gesondert, welche alsbald in Schuppenform erhärten; es dient zum Bau der Zellen
und Vorrathskammern für den Honig. Ausserdem fliesst Wachs aus den Stämmen
vieler Pflanzen als solches aus und kommt im Mineralreich als Ueberrest der
untergegangenen Vegetabilien vor; so findet sich z. B. Wachs in der Paraffin-
kohle, welche in der Braunkohle vorkommt, und im Ozokerith (Erdwachs).
Das Bienenwachs besteht hauptsächlich aus dem Palmitinsäure-Melissyläther.
Unter den sehr verschiedenen Wachsarten ist noch zu nennen das chinesische
Wachs, das Erzeugniss eines Insects (Coccus ceriferus), welches vorzugsweise aus
Cerotinsäure-Cerotyläther besteht, sowie das japanische oder amerikanische
Wachs von unbestimmtem Ursprünge.
Die Anfertigung resp. das Giessen der Wachskerzen ist im Allgemeinen mit keiner
Gefährdung der Gesundheit verbunden; nur ist das Ausschmelzen des Wachses
in sanitärer Beziehung beachtungswerth, da verschiedene Wachsarten beim Auskochen
behufs Honiggewinnung giftige und flüchtige Stoffe aushauchen. So sollen im süd-
lichen Frankreich schon Vergiftungsfälle durch Auskochen der Waben mit Wasser
vorgekommen sein, und zwar weil die Bienenstöcke aus einer Gegend stammten, wo
viele Giftpflanzen vorkommen. Im Allgemeinen wird angenommen, dass namentlich
Solaneen Honig liefern, der beim Erhitzen eine narkotische Substanz abgibt.
Das Bleichen des Wachses geschieht auf zwei verschiedene Arten, entweder
durch Bleichen an der Atmosphäre oder auch durch chemische Agentien;
letztere Methode gibt zur Entwicklung höchst belästigender Dämpfe Veranlassung.
Bei der Anwendung von Salpetersäure werden neben Blausäure verschiedene
flüchtige Fettsäuren und andere die Augen sehr reizende, aber in ihrer Zusammensetzung
noch unbekannte Substanzen entwickelt.
Kaliumchromat und Schwefelsäure veranlassen das Auftreten verschiedener
saurer Producte, welche auch unangenehm riechen, die Schleimhäute stark reizen, an den
Kleidungsstoffen fest haften, in ihrer Zusammensetzung aber noch wenig oder gar nicht
gekannt sind.
Chlor und unterchlorigsaure Salze dürfen nur mit grosser Vorsicht an-
4(U Fette.
gewendet werden, weil überhaupt die Fette leicht Chlorverbindungen bilden, welche beim
Verbrennen Salzsäure entwickeln.
Bei der Anwendung saurer Oxydationsmittel sind auch die Waschwässer sauer
und dürfen nur nach vorhergehender Neutralisation abgelassen werden.
Das beste Verfahren besteht im Bleichen mit Ozon resp. Terpentinöl, indem
man Wachs mit Terpentinöl zusammenschmilzt, das Gemenge bändert und der Luft
aussetzt J)
Das Bleichen des Palmöls.
Das Palmöl, welches aus den Früchten verschiedener afrikanischer Palrn-
arten gewonnen wird, enthält neben Olein den Palmitinsäure-Glycerinäther, das
Palrnitin; es besitzt einen orangerothen Farbstoff, der die Verseifung stört und
deshalb beseitigt werden muss, wenn das Palmöl zur Darstellung von weissen
Seifen oder Kerzenmaterial benutzt werden soll.
Hierzu dient das sogenannte Bleichen des Palmöls, welches auf nassem
Wege mittels Oxydationsmittel oder durch Hitze bewirkt wird. Als
Oxydationsmittel benutzt man Kaliumbichromat und Schwefelsäure, oder
Braunstein und Schwefelsäure, wobei der frei werdende Sauerstoff den Farbstoff
zerstört.
Auch kann man eine Mischung von Alaun und Salpeter, in Wasser gelöst,
dem geschmolzenen Palmöl zusetzen; man mischt bis zur Emulsion und erwärmt dann
auf 100°. Es tritt hierbei ein kräftiges Aufschäumen durch den sich entwickelnden
Wasserdampf auf und die Fettmasse nimmt eine hellschwefelgelbe Farbe an; der Wasser-
dampf besitzt einen eigenthümlichen Veilchengeruch.
Das so gebleichte Palmöl erstarrt beim Erkalten zu einer krystallinischen Masse
und liefert beim Pressen ca. 10% mehr feste Fettsäuren als das auf anderm Wege ge-
bleichte Palmöl.
Soll die Bleichuug mittels dieser Substanzen beschleunigt werden, so setzt man
der obigen Mischung noch Kochsalz zu; es tritt hierbei freies Chlor resp. Königs-
wasser in Thätigkeit. Die sich nun entwickelnden Wasserdämpfe sind saurer Natur und
enthalten Salzsäure; auch tritt ein eigenthümlich bitter schmeckender Stoff auf.
Gegenwärtig wendet man fast nur die Hitze zum Bleichen an. Dies Ver-
fahren ist in England patentirt und rührt von Zier her, welcher das Palmöl
über heisse eiserne, bis auf 200 — 300° erwärmte schief liegende Platten laufen
lässt, um rasch eine so hohe Erhitzung zu erzielen.
Die Erhitzungsplatte ist in einem Abstände von 3 — 4 Zoll von einer andern Platte
überdeckt: eine längliche, schlitzähnliche Oeffnung am obersten Theil dieser Platte resp.
beim Eintluss des Oels steht mit dem Feuerungskamine in Verbindung. Es werden
dadurch die sich entwickelnden flüchtigen Producte, namentlich die Acroleindämpfe,
gezwungen, durch den Schornstein zu entweichen.
Der hierbei entstehende Nachtheil besteht darin, dass sich bisweilen die brenn-
baren flüchtigen Zersetzungsproducte entzünden, wodurch kleine Explosionen entstehen.
Der belästigende Geruch ist alsdann zwar nicht in der Fabrik, aber in einiger Entfernung
davon um so mehr wahrnehmbar; es ist deshalb die vollständige Beseitigung dieser
übelriechenden Dämpfe durch Verbrennen vorzuziehen.
Man bedient sich auch gusseiserner Kessel zum Bleichen des Palmöls und er-
hitzt ungefähr bis zu 280°; dabei verschwindet die orangerothe Farbe plötzlich und
das Oel wird fast farblos, während sich schwarze Flocken abscheiden; auch bei dieser
Methode treten Acroleindämpfe in grosser Menge auf.
Da hierbei keine Wasserbildung stattfindet, so kann man die Dämpfe in einen
besondern Sammelkastsn und von hier aus mittels des Zuges eines Schornsteins durch
die Flamme eines besondern Desinfectionsofens leiten.
Seifenindustrie.
Die Bereitung der Seifen ist eine der ältesten chemischen Processe, denn
man findet sie schon bei den ältesten Völkern Hochasiens. Schon die Aegypter
waren damit vertraut und Stellen im Jeremia (II. 22) und im Propheten
Maleachi (III. 2) scheinen ebenfalls darauf hinzuweisen; jedenfalls schreibt
Seifenindustrie. 465
Plinius die Erfindung der Seife mit Unrecht den alten Galliern zu. Trotz des
hohen Alters der Seife wurde der eigentliche Vorgang beim Seifenprocess erst
1813 durch Chevreul erkannt, indem er zuerst die Spaltung der Fette resp. die
Verseifung nachwies und die Spaltungsproducte darstellte.
Der Verseif ungsprocess zerfällt hiernach in zwei Theile: 1) in die
Darstellung der Base und 2) in die Verseifung selbst.
1) Darstellung der Base. Ausser den Alkalien, alkalischen Erden und
der concentrirten Schwefelsäure vermögen auch Blei-, Zink-, Kupferoxyd u. s. w.
die Spaltung der Fette hervorzurufen. Nicht minder kräftig wirken auch die
Schwefellebern, die man in der jüngsten Zeit in der Technik eingeführt hat,
bei denen sich jedoch der Nachtheil einer sehr starken Schwefelwasserstoffent-
wicklung ergibt.
Die wichtigste Rolle bei der Seifenfabrication spielen jedoch die ätzenden
Alkalien; ihre Lösungen nennt man Laugen und gehört ihre Darstellung zu
den wichtigsten Operationen der Seifensiederei.
In der frühesten Zeit benutzte man dazu die Asche des Brennholzes, bis man die
Darstellung der Pottasche und Soda aus den Pflanzenaschen kennen lernte: aus
diesen kohlensauren Alkalien erhält man die ätzenden Laugen, wenn man
erstem gebrannten Kalk zusetzt. Die Kohlensäure des kohlensauren Salzes tritt
an den Kalk und die klare Lösung erhält dann das freie Alkali.
Dieser Process wird den Seifensiedern sehr lästig, insofern er eine grosse Menge
grosser Gefässe und einen gewissen Aufwand von Zeit erfordert; dazu kommt auch
noch die Sorge für die Wegschaffung des dabei auftretenden Calciumcarbonats,
welches stets mit Aetzkalk und geringen Mengen von caustischen Alkalien ver-
mischt ist.
In sanitärer Beziehung ist namentlich darauf zu sehen, dass diese Massen
nur in wasserdichten oder cementirten Behältern oder Gruben aufbewahrt werden, weil
grade der Gehalt derselben an caustischen Alkalien ihr schnelles Durchsickern in den
Boden bedingen würde; hierdurch können eventuell nahe gelegene Brunnen verunreinigt
und verdorben werden, wenn ihnen ausser den Alkalien selbst die durch diese gelösten
organischen Substanzen zugeführt werden.
Bei der Concession von Seifensiedereien ist deshalb diesem Umstände stets
eine grosse Aufmerksamkeit zu widmen. Dieser Abfall kann übrigens ganz gut ver-
werthet werden, weil er in seinem Alkaligehalt ein gutes Düngungsmittel bietet, indem
er aufschliessend auf die Mineralsubstanzen des Bodens einwirkt: selbstverständlich
muss er vorher mit vegetabilischen Stoffen vermengt werden und auf Composthaufen
gestanden haben.
In neuerer Zeit werden diese caustischen Alkalien vielfach in der Form sehr
concentrirter Laugen von chemischen Fabriken geliefert, wodurch ihre höchst
lästige Fabrication für die Seifensieder wegfällt.
Zu den verschiedenen Fettarten, welche in der Seifenfabrication benutzt
werden, gehören 1) die thierischen Fette; das Ochsenfett, der Rindstalg, das
Unschlitt kommt vorzüglich aus Russland, Dänemark, Polen, Italien und Südamerika
in den Handel. Nur die geringem Sorten des Talgs werden für die Seifenfabrication
benutzt, wohingegen der "geläuterte und gebleichte Rindstalg mehr als Kerzenmaterial
Verwendung findet. Der Hammeltalg ist weisser und härter als Rindstalg: nur die
geringern Sorten desselben gelangen in die Seifenfabriken; der Hirschtaig ist die
feinste und schönste Sorte. Das Beinfett, Beinschmalz der Knochensieder, sowie
das Pferdefett werden häufig von Seifensiedern benutzt, während das Olein aus den
Stearinsäurefabriken zur Darstellung der Schmierseife gebräuchlich ist. Ist dasselbe
auf dem Wege der Destillation gewonnen worden, so enthält es stets brenzliche Producta
und Acrolein, welche sich bei der Saponification verflüchtigen und deshalb beim Kochen
der Schmierseife zu sehr unangenehm riechenden Dämpfen "Veranlassung geben:
hierdurch ist diese ganze Seifenfabrication in üblen Ruf resp. Geruch gekommen. Der
Fisch- oder Leberthran theilt in ungereinigtem Zustande der Schmierseife einen
unangenehmen Geruch mit, während er gereinigt zu theuer ist. Der "W allrath dient
vorzugsweise als gutes Kerzenmaterial. r)
2) Pflanzenöle und Pflanzenfette. Zu denselben gehören das Oliven- und
Mandelöl, das Madiaöl, das Rüböl, Hanföl, Leinöl, das Oel aus den Kernen der Sonnen-
blumen, das Erdnussöl und das Palmkemöl.
Eulenberg, Gewerbe-Hygiene. "■*
406 Fette
Das Palmöl, eine butterartige, orangegelbe Masse von veilchenartigem Gerüche,
ist ein sehr bedeutender Handelsartikel und wird in rohem Zustande bei der Schmier-
seifenfabrication, als gebleichtes zur Palmitinkerzenfabrication verwendet.
Das Cocosnussöl kommt nur bei der Darstellung der harten Seifen zur An-
wendung; sein fester Bestandtheil heisst Cocin.
2) Die Verseifung. Der Verseifangsprocess gestaltet sich, wenn Aetz-
alkalien zu Fetten treten, nach folgendem Schema:
■17 ,, I Stearinsaures! rM • . v , • ■ i >
]<ett^= ,-. i Glycerin und JNatniunhydrat:
l üelsaures J J J
n355ffiJ8535n3]3! +3NaHO geben
C3H5(CI8H3308),J ö
Stearinsaures | XT . • , ,-,, , •
n , JNatiium und Glycerin:
üelsaures J J
3C18H3503Nal ,.o H (0Tn
Das Glycerin findet sich stets in der Unter lauge.
Obgleich die Verseifbarkeit ein Hauptcharakter der fetten Substanzen ist,
so tritt die Zersetzung doch bei einigen Fetten leichter als bei andern ein.
Palmöl und Cocosnussöl enthalten die fetten Säuren theilweise schon im
freien Zustande, weshalb sie sich am leichtesten verseifen lassen; beim Talg
und Olivenöl muss die Zersetzung erst durch die Lauge hervorgerufen werden.
Noch schwieriger verseifen sich Rüb-, Lein- und Hanföl und am allerschwie-
rigsten die Fette der Amphibien.
Die Oelsäure, welche als Nebenproduct bei der Steariusäurefabrication
auftritt und dort genauer besprochen werden wird, kann sich schon mit kohlen-
sauren Alkalien verseifen; ebenso verhält es sich mit dem Colophonium,
welches vorzugsweise aus einer Harzsäure, der Pininsäure, besteht und zur
Darstellung der Harzseife dient. Da aber bei dieseu beiden Körpern das Auf-
treten von Glycerin fehlt, so kann auch hier im eigentlichen Sinne des Wortes
von keinem Verseifangsprocess die Rede sein.
Unterscheidung der Seifen. Man unterscheidet 1) die Seife nach der an-
gewendeten Base in Natron-, Kali- und Kalkseife; 2) nach der Art des gebrauchten
fettes in Talg-, Oel-, Thran-, Cocosnussölseifen u. s w.; 3) nach ihrer Con-
sistenz in harte und weiche Seifen; 4) nach ihrer technischen Darstellung in Kern-
seife, geschliffene und gefüllte Seife.
Oel- und Kaliseifen sind stets weicher als Natron- und Talgseifen. Zu den Oel-
seifen gehören die spanische, französische, alicantische und venetianische Seife. Die
härteste Seile ist die Natrontalgseife.
Alle Kaliseifen sind weicher und die Oelkaliseife ist am weichsten. Die aus
Pottasche resp. aus Kali gesottenen Seifen nennt man vorzugsweise Schmier- oder
Gelcesei l'en.
In Gegenden, wo Natron theuer ist oder nicht gut beschafft werden kann,
bereitet man "zuerst eine Kaliseife durch Kochen der Fettsubstanzen mit Aetzkalilauge.
Dieselbe würde beim Erkalten eine gallertartige Masse bilden, setzt man aber zur
heissen Seifenlösung Kochsalz zu, was man das Aussalzen der Seife nennt, so
findet ein einfaches Umsetzen statt, indem die frühere Kaliseife in Natronseife übergeht
und sich an Stelle des Kochsalzes Chlorkalium bildet:
Fettsaures Kalium und NaCl geben fettsaures Natrium und KCl.
Wird keine hinreichende Menge Kochsalz zugesetzt, so erhalt man Gemische von
Kali- und Natronseife. Die Lauge, welche unter der gebildeten Seife steht, ist die
Unterlauge, die ausser dem Chlorkalium und dem Glycerin noch etwas
Chlornatrium, Aetzkali, Aetznatron und Seife enthält.
Dampft man diese Unterlauge in eisernen Pfannen ab, so erhält man ein
Residuum, welches in frühern Zeiten als Seifensiederfluss eine grosse Rolle spielte,
da derselbe bei der Glasfabrication, bei der Darstellung von Glasuren, zum Präcipitiren
des Alaunmehls in Alaunsiedereien und zum Waschen grober Tuche vielfach benutzt
wurde. Auch zur Düngung saurer Wiesen hat man den Seifensiederfluss grade
Seifenindustrie. 4ß7
■wegen seines Gehalts an Chloralkalien benutzt; es soll hierdurch eine üppige und kräf-
tige Vegetation der Wiesenpflanzen hervorgerufen werden, -wenn man dabei mit Sach-
kenntniss verfahrt. Seitdem man in unsern Tagen namentlich in Deutschland, England
und Frankreich vorzugsweise mit Natron arbeitet, begegnet man auch dieser chlor-
kaliumhaltigen Unterlauge, mithin auch dem Seifeusiederfluss, bei weitem nicht so
häutig mehr.
Wo das Abdampfen der Unterlauge noch geschieht, hat man in sanitärer
Beziehung darauf zu achten, dass dasselbe in Kesseln mit doppeltem Boden oder
mittels Dampfheizung geschehen muss. Erfolgt nämlich in Folge einer zu hohen Hitze
ein Anbrennen des Glycerins, so entwickeln sich massenhafte A er ole in dämpfe, welche
zu den grössten Belästigungen führen. Glücklicherweise spielt hier das Interesse des
Fabrikanten mit, weil es ihm auf die Gewinnung von Glycerin ankommt; zu diesem
Zwecke darf die Hitze stets nur eine Temperatur von 106° R. erreichen.
Das Abdampfen auf freiem Feuer ist deshalb nicht bloss aus sanitätspolizeilichem,
sondern auch aus peeuniärem Interesse unzulässig. Wo diese beiden Interessen sich
begegnen, da findet man auch bekanntlich am ehesten eine Willfährigkeit der Fabricanten
in Anordnung der zweckmässigsten Massregeln.
In Frankreich ist die Fabrication der Oelseifen, in England die der Palmöl-
seifen und in Deutschland sowie im nordöstlichen Theil von Europa die der Talg-
seifen vorherrschend.
Fabrication der harten Seifen.
Man unterscheidet bei der Darstellung der harten Seifen im Allgemeinen
folgende Operationen :
1) Die eigentliche Saponification; hierunter versteht man das Kochen
und Garkochen der Seife. Da die Zerlegung eines Fettes durch Alkalien erst
allmählig geschieht, so hat sie gleichsam mehrere Stadien zu durchlaufen.
Der Seifensiedekessel besteht in seinem untern Theile aus einem runden, eisen-
blechernen Kessel mit flachem Boden, welcher direct durch das Feuer erhitzt wird. Um
aber das Ueberkochen der Seife zu vermeiden, erweitert er sich nach oben kegelförmig;
dieser Theil heisst Sturz und ist von Holzdauben oder Mauerwerk umgeben. Am
Boden verläuft durch das Mauerwerk ein Rohr mit Hahn zum Ablassen der Unterlauge,
wenn es sich um Darstellung der Talgnatronseife resp. Kernseife handelt. Man
füllt den Kessel mit der Lauge und dem Talg und kocht mehrere Stunden lang; das
Product wird ziemlich dünnflüssig und durch ausgeschiedene wasserfreie Seife trübe.
Um zu unterscheiden, ob die Trübung durch unverseiftes Fett oder Oel oder durch
ausgeschiedene wasserfreie Seife veranlasst wird, nimmt man die Probe, indem man
einige Tropfen davon in Regen- oder destillirtes Wasser fallen lässt; bei Abwesenheit
von unverbundenem Fett muss sich das Product klar lösen. Ist letzteres nicht der
Fall, so muss noch Lauge zugefügt werden.
2) Das Klar sieden. Indem man fortwährend umrührt, wird das Product
dickflüssig und wasserhell, wovon der Ausdruck: Klarsieden herrührt; die
gebildete Seife heisst jetzt Seifenleim.
Derselbe zieht lange Fäden und erstarrt in der Kälte zu einer undurchsichtigen
Masse, welche keine Lauge abscheidet. Nach dem Klarsieden wird die Seife entweder
auf den Kern gesotten, geschliffen oder gefüllt.
3) Das Sieden auf den Kern. Wird der Seifenleim iu's Sieden gebracht,
so schäumt er unter Wasserabgabe stark auf. Bei einer gewissen Concentration
der Lauge aber entweicht der Dampf mit Heftigkeit oder das Seifengut poltert
auf. Letzteres wird trübe, weil die Lauge so concentrirt geworden ist, dass sie
die Seife nicht zu lösen vermag; es ist alsdann Zeit, Probe zu nehmen, wenn
man Kernseife haben will. Wenn sich die Seife nämlich zu einem festen Span
ausdehnen lässt, dann ist die Operation beendigt und man beginnt mit dem
Ausfüllen in die Kühlbutten, welche aus Bohlen zusammengesetzte und durch
Keile zusammengehaltene Kasten darstellen. Wenn die Seife hart geworden ist,
entfernt man die Seitenwände.
Die Seife erstarrt gewöhnlich unter Abgabe einer dunkelbraunen, sämmtliches
Glycerin enthaltenden TJnterlauge. Die Seife erhält ein krystallinisches Gefüge; es
bilden sich gleichsam kleine krystallinische Kerne oder Körner darin, woher der Name
30*
468 Fette.
Kern- oder Kernseife herrührt. Bei diesem Sieden auf den Kern findet leicht ein
Anbrennen statt, weshalb man gegenwärtig den Seifenleim meist nicht mehr abdampft,
sondern durch Zusatz von Meisterlauge (der stärksten Lauge von 11° B.) die Ab-
scheidung der Seife befördert. Dies geschieht besonders in Frankreich bei der Darstellung
der Baumöl- oder Marseiller Natronseife. Man gebraucht dort vielfach eine stark
salzhaltige Lange: weil die Steuer auf Kochsalz noch ziemlich hoch ist, bezieht man
dieselbe uns den Sodafabriken, für welche der Salzpreis ermässigt worden ist.
I>;is Aussalzen mit Kochsalz, wodurch ebenfalls eine Verstärkung der Lauge
und d;is raschere Abscheiden der Seife erzielt wird, kann selten entbehrt werden, weil
sonst, die Seife missfarbig wird, wenn die Unterlauge zu stark gefärbt ist und zu lange
mit dem Seifengute in Berührung bleibt.*)
Die abfallende Lauge kann man zur Darstellung von Glycerin benutzen, das in
diesem Falle fast alle färbenden Bestandtheile enthält.
4) Das Schleifen der Seife. Das Kochsalz besitzt die merkwürdige
Eigenschaft, die neutrale Seife in fast trocknem Zustande auszuscheiden; man
setzt dasselbe daher zu, um nicht zu viel Brennmaterial behufs Abdampfung des
überflüssigen Wassers zu verschwenden. Wendet mau nun eine verdünnte Salz-
lösung beim Sieden auf den Kern an, so bleibt mehr Wasser in der Seife zurück
und man erhält die „geschliffene Seife". Sie unterscheidet sich somit von
der Kernseife nur durch einen grössern Wassergehalt.
Die Seife verliert aber dadurch die Fähigkeit zu krystallisiren und eine Mar-
morirüng anzunehmen; Die reinsten Aetzalkalien enthalten nämlich stets noch Eisen-
und Kupferoxyd, welche die Seife durch alle Stadien der Fabrication begleiten und sich
erst in der Kühlbutte abscheiden, wodurch sie die sogen. Marm orir ungen veran-
lassen. Bei einer wasserhaltigen Seife erfolgt alier ihre Erstarrung viel langsamer,
so dass die metallischen Unreinigkeiten Zeit zum Absetzen gewinnen. Bei der ächten
Kernseife begünstigt man die Marmorirung, indem man die Masse vor dem Erkalten
mit einem eisernen Stabe schlägt, was man das Kerben der Seife nennt.
Durch den häufigen Gehalt der käuflichen Soda an Schwefeleisen bilden sich bei
der Seife anfangs meistens graugrüne Marmorirungen, welche erst allmählig in roth-
braune übergehen. Künstlich marmorirt man nicht selten die geschliffenen Seifen
mittels Zinnober und Ultramarin.
In Frankreich setzt man auch häufig während des Siedens der Baumölseife
etwas Eisenvitriol zu, um besonders schöne Marmorirungen hervorzurufen; ebenso un-
schädlich ist das Marmoriren mit Colcotar, Schwärze und Mangansuperoxyd. Leider
benutzt man «aber zum Färben der harten Seifen nicht selten Bleichromat, was in
sanitärer Beziehung wohl zu beachten ist. Früher gebrauchte man auch Schwein-
furt er Grün zum Grünfärben; die grüne Farbe geht aber leicht in eine gelbliche über,
daher kommt dieses Färbemittel gegenwärtig glücklicherweise weniger zur Anwendung.
In neuester Zeit gebraucht man zum Rothfärben Anilinfarben, wobei man auf
die Möglichkeit des Arsengehaltes derselben Rücksicht zu nehmen hat. Zum Gelbfärben
der Seifen is1 das sogenannte Martiusgelb unter den verschiedensten Namen ein
Handelsartikel geworden; dasselbe kann ohne Nachtheil benutzt werden, da es in
keiner Beziehung giftige Eigenschaften besitzt.
Immerhin isl hei dem heutigen Standpuncte der Industrie auch dem Färben der
Seife stets die. gehörige Aufmerksamkeit zu widmen.
5) Das Füllen der Seife. Man hat die Erfahrung gemacht, dass man
dem mit Natronlauge bereiteten Scifenleim noch s?ets eine gewisse Menge Wasser
resp. verdünnte Lauge zusetzen kann, ohne dem Aussehen der Seife dadurch
wesentlich zu schaden. Bei der bekannten Sucht, nur wohlfeil zu kaufen, be-
nutzen die Seifenfabricanten diese Thatsache und fabriciren sehr häufig nur
„gefüllte Seifen", d. b. solche Seifen, welche nicht so weit ausgesalzen
werden, dass sich die Unterlauge vom Seifenleim abscheidet; man setzt deshalb
beim Sieden so lange verdünnte Lauge oder kalkfreies Wasser hinzu, dass sich
beim Erkalten keine Lauge ausscheidet. "
*) Diese Procedur des Aussalzens unterscheidet sich vom Aussalzen der Kali-
seife dadurch, dass hier kein Austausch von Kali gegen Natron stattfindet.
Seifenindustrie. 469
Da die Unterlauge wesentlich aus Wasser resp. verdünnter Lauge und Chlor-
alkalien besteht, so charakterisiren sich gefüllte Seifen durch ihren vermehrten
Wassergehalt.
In -wärmern Gegenden führt dieser Umstand keinen weitern Nachtheil mit sich,
als dass eine geringere Quantität Fett zur Darstellung dieser Seifen verwendet worden
ist. Im frischen Zustande erscheinen sie vollkommen hart und trocken, in kältern
Gegenden gefriert aber das Wasser, welches solche Seifen enthalten, leicht zu Eis-
klümpchen; thauen diese auf, so zeigen die Seifen auf den Durchschnittsflächen grosse
Löcher, grade wie man sie bei durchgeschnittenem Schweizerkäse beobachtet. Ganz
besonders wird Cocosnussöl zur Fabrication der gefüllten Seifen benutzt, da die
Cocosnussölseife auch bei einem bedeutenden Wassergehalt noch ziemlich hart und
trocken bleibt. In den meisten Fällen gebraucht man Cocosnussöl als Zusatz zu Palmöl
und Talg, um es damit zu verseifen.
Palmölseifen. In England ist die Verseifung des Palmöls nicht selten ein Neben-
zweig der Sodafabriken, um die Mutterlaugen, welche reich an Aetznatron und Kochsalz
sind, zu verwerthen. Nicht selten wird dem Palmöl Harz (Colophonium) zugesetzt oder
man vermischt fertige Harzseife mit der Palmölseife.
Darstellung der harten Seifen auf kaltem Wege. Diese Methode kommt
gegenwärtig nicht selten zur Anwendung. Sapo medicatus wird stets aus reinem
Mandel- oder Olivenöl mit starker Aetznatronlauge entweder in der Kälte durch Zu-
sammenrühren oder bei massiger Wärme bereitet.
Bei der Benutzung von Fetten erwärmt man durch Einleiten von Dampf bis zu
80° C, um dieselben bloss zum Schmelzen zu bringen. Die auf diese Weise bereiteten
Seifen enthalten zwar viel Wasser und einen Ueberschuss von ätzenden Alkalien, sind
aber hinreichend trocken und hart. Die Darstellung hat keine sanitären Bedenken.
Seifenessenzen sind alkoholische Seifenlösungen mit wohlriechenden Oelen;
Opodeldoc ist eine kampherhaltige Seifenessenz.
Fabrication der weichen Seifen oder Schmierseifen, Savons mous.
Unter Schmierseife versteht man eine Kaliölseife, wobei Oel und Pott-
aschenlauge zu einem Seifenleim gesotten wird, welcher nach dem Erkalten
keine feste, sondern eine weiche Masse bildet; sie stellen eigentlich nur Lösungen
von Kaliölseifen iu überschüssiger, mit dem ausgeschiedenen Glycerin gemischter
Kalilauge dar. Wegen ihrer leichtern Vertheilung auf die Stoffe, ihrer alkalischen
Beschaffenheit und leichten Löslichkeit wird sie in der Technik vorzugsweise zum
Walken, Entfetten des Tuchs und bei den meisten wollenen Stoffen benutzt. Da
bei ihrer Fabrication nach dem Klarsieden sogleich das Garkochen folgt,
welches in einer Art von Abdampfung besteht, so kann es vorkommen, dass sich
bei der Anwendung von schwachgradiger Pottasche sehr übelriechende und be-
lästigende Dämpfe entwickeln. Bei dieser Operation werden nämlich die schwer
löslichen Salze der Pottasche, z. B. Kaliumsulfat, Chlorkalium, Kalium- und
Natriumphosphat ausgeschieden; lagern sich nun die Salze am Boden des Kessels
an, so veranlassen sie hier ein Anbrennen der sich verdickenden Seife, der
Seifensieder sagt dann: „der Kessel schmaucht". Die sich dabei entwickelnden
Dämpfe haben einen höchst penetranten Geruch und bestehen. vornehmlich aus dem
Zersetzungsproduct des Glycerins, aus Acr olein.
Wird die Schmierseife aus Thran bereitet, so entwickelt sich schon beim blossen
Kochen Trimethylamin. Beim Rüböl entstehen schwefelhaltige Kohlenwasserstoffe
und beim Leinöl bildet sich ausser diesen schwefelhaltigen Verbindungen noch ein be-
stimmter Kohlenwasserstoff, welcher zwar einen unangenehmen, aber nicht pene-
tranten Geruch hat, dessen Natur noch nicht genau bekannt ist. Nach Atzbaecher ist
er ein neutraler Kohlenwasserstoff, welcher sich höchst schwierig oxydirt; keinesfalls
ist der Geruch so widerlich wie beim Versieden von Thran, Talg, Beinschmalz und
Leimfett.
Gar keine Belästigung macht das Palmöl oder das Olein desselben, wenn es
nicht durch Destillation gewonnen worden ist.
Wegen der hohen Fettpreise hat man in der neuesten Zeit alle möglichen
Surrogate benutzt. Zu diesen gehören reines Weizen- oder Kartoffel - Stärkemehl
470
Fette.
oder oradezu Roggen-, Buchweizen-, Weizenmehl und fein geriebene Kartoffeln. Diese
Substanzen werden vorher mit Lauge behandelt, wodurch eine klare, seifenleimartige
Substanz erzielt wird: ausserdem setzt man statt der gewöhnlichen Lauge noch Wasser-
glas oder Infusorienerde zu.
Dr. Vohl hat unter 38 Schmierseifenproben nur 7 reine und unverfälschte ge-
funden. Bei der schlechten Waare hat er 13,162 Wasserglas, 2,6% Kartoffelmehl, 55,3%
Kartoffelmeld und Wasserglas, 10,5 % Kartoffelmehl, Wasserglas und Infusorienerde nach-
gewiesen.
Der Fettgehalt dieser Schmierseifen sinkt auf 20—30% Fett herab, während eine
gute Seife wenigstens 40% Fett besitzen muss. Wird eine mit Wasserglas verfälschte
Schmierseife benutzt, so tritt die Kieselerde in fester Form aas, welche beim Reiben der
Wäsche mechanisch einwirkt und die Faser des Gespinnstes in bedeutendem Grade an-
greift: dieselben Folgen entstehen bei dem Zusatz der Infusorienerde.'-')
Der Stärkemehlzusatz erfordert eine Vermehrung der caustischen Lauge, welche
in freiem ätzenden Zustande bleibt und daher beim Waschen nicht nur namentlich die
Woll- und Seidenstoffe, sondern auch die Farben der Kleider angreift.
Zusatz von Harz ist wohl minder als Betrug anzusehen, da dasselbe stark
reinigende und gut schäumende Seifen liefert: auch verdeckt es den Geruch mancher
fetten Oele, namentlich des Thrans.
Sanitäre Massregeln. Seifenfabriken belästigen am meisten, wenn der
Fabrication der Seife das Talgschmelzen vorhergeht. In dieser Beziehung sind
alle Vorsichtsmassregeln zu beachten, welche bei der Talgindustrie überhaupt
zur Sprache kommen; in den meisten Seifensiedereien werden nur die präparirten
Fette gebraucht. Immerhin ist eine Seifensiederei keine angenehme Nachbar-
schaft, weshalb sie in sehr volkreichen Stadtvierteln nicht zu dulden ist. Thran-
und Seifensiedereien gehören nach § 16 der Gewerbe-Ordnung für das Deutsche
Reich zu denjenigen Anlagen, welche die Genehmigung der nach den Landes-
gesetzen zuständigeu Behörde bedürfen. Vor Errichtung derselben ist deshalb
das Concessionsverfahren einzuleiten, was als dringend noth wendig erscheint,
um vorher das Verfahren bei der
9' Fabrication kennen zu lernen, da
sich nur dann die grössern
oder geringern Belästigungen
dieser Fabriken beurtheilen
lassen. Was bezüglich der Be-
reitung der Laugen zu beachten ist,
ist schon oben (S. 465) erörtert wor-
den. Das einzige Mittel, die bei der
Seifenfabricatiou üblen Gerüche zu
vermeiden, besteht in der Ver-
brennung der sich entwickelnden
Dämpfe.
Will man dieselben direct unter
den Rost der Feuerung leiten, so muss
man stets die Vorsicht gebrauchen, dass
die zuleitenden Röhren nicht unter den
Siedepunct des Wassers abgekühlt wer-
den, weil sich sonst die Wasserdämpfe
condensiren und zu reichliche Wasser-
ausscheidung veranlassen würden. Die
betreffenden Röhren müssen deshalb
durch das Mauerwerk des Ofens ge-
leitet werden, damit sie die nothwendige
Temperatur behalten. Bei sehr grosser Anlage ist die Construction eines besondevn
Desinfectionsofens nöthig.
Stearinfäbrication. 47 1
Fig. 50 stellt eine Einrichtung zum Verbrennen der Dämpfe dar , welche
sich beim Sieden von Schmierseife als ganz vortrefflich bewährt hat und auch bei der
Fabrication der harten Seifen unter den gehörigen Modalitäten benutzt | werden kann.
a stellt einen Canal von 5 Zoll lichter Weite dar, welcher im untern Gemäuer des
Kamins angebracht ist, oben bei e mit dem hölzernen Dampffang ^1 in Verbindung
steht und nach unten unter den Rost in den Raum d mündet. Dieser Raum muss
mit einer eisernen Thür hermetisch verschlossen bleiben. Wegen dieses hermetischen
Verschlusses muss alle zur Verbrennung nothwendige atmosphärische Luft durch den
Canal a zufliessen und aus dem obern Theile des Dampffanges entnommen werden. Es
muss sich demnach ein kräftiger Luftzug über dem Siedekessel nach dem Canal a hin
etabliren, welcher alle Dämpfe mit sich unter den Rost führt; durch die Verbrennung
derselben wird jeder üble Geruch zerstört.
Besondere Arten von Seifen.
Toiletteseifen. Man gebraucht dazu gute Baumölsodaseifen, welche die Par-
fümeurs häufig selbst sorgfältig aussalzen, um jeden Gehalt an freiem Alkali oder andern
Unreinigkeiten zu beseitigen. Das Parfüm liefert man durch Zumischen der betreffenden
ätherischen Oele; seltner stellt man sie direct durch Benutzung der reinsten und
besten Materialien dar.
Die gestossenen und polirten Seifen werden auf mechanischem Wege an-
gefertigt, indem man die Seifen mittels besonderer Maschinen in Späne verwandelt, diese
mit den ätherischen Oelen übergiesst und dann die ganze Masse zwischen Walzen zu
breiten Tafeln malaxirt.
Transparentseifen erhält man, wenn man eine reine Talgseife fein schabt,
sorgfältig trocknet und dann in kochendem, starkem Spiritus auflöst, welcher wieder ab-
destillirt wird.
Medicinische Seifen. Es werden in dieser Beziehung viele kostspielige
Spielereien getrieben. Es gehören hierher die Theer-, die Jod-, die Campher-
seifen u. s.w.; die Kiesel- und Bimsteinseifen erzeugen einen mechanischen Haut-
reiz. Zu erwähnen sind noch die Glycerinseife, die Wollseife (aus Scheerwolle
und Kalilauge u. s. w.), die Fischseife (aus Fischen, Talg und Harz), die Knochen-
seife (Harzseife mit Knochen gallerte oder Calciumphosphat mit Leim und Alkali).
Unlösliche Seifen. Sie bilden sich mit Hülfe der meisten Metalloxyde und
stellen alsdann die nach dem betreffenden Metalloxyde genannten Pflaster dar; so
hat man Mangan-, Zink-, Zinn-, Blei-, Quecksilber- und Kupferseifen resp. -Pflaster.
Die Gold seife kann bei der Glanzvergoldung auf Porcellan und. die Silber-
seife als haarfärbendes Mittel gebraucht werden.
Stearinfäbrication.
Gewöhnlich geschieht die Ausscheidung von Stearin durch Auspressen
des Talges. Zu diesem Zwecke wird der Talg im Dampfbade ausgeschmolzen,
dann abgekühlt und im Erstarrungsmoment beständig umgerührt, bis die Masse
die Temperatur von 30° R. erreicht hat, welche hierauf zollhoch in einer Presse
zwischen Tüchern oder Filzen schichtweise ausgebreitet und einem allmählig
steigenden Drucke ausgesetzt wird.
Das Stearin bleibt zwischen den Tüchern zurück und wird zusammengeschmolzen;
das theils abgeflossene, theils durch Auskochen der Tücher in heissem Wasser gewonnene
Olein beträgt ungefähr 20—25% des angewendeten Talgs und kann für Seife und als
Brenn öl benutzt werden.
Eine andere Methode besteht noch darin, den schmelzenden Talg mit Terpen-
tinöl zu versetzen, wodurch aber das Stearin durch das zurückbleibende und sich ver-
harzende Terpentinöl gelb wird und nachher noch durch Kochen mit Beinkohle und
Filtriren gereinigt werden muss.
Stearin wurde zuerst von de St Uly, dem König der Stearinfabricanten , 1831 zu
Paris an der Barriere de PEtoile als Kerzenmaterial verwendet, weshalb man seine
Kerzen bougies de l'Etoile oder auch Milly's Kerzen nannte.
Neuerdings wird jedoch hauptsächlich die Stearinsäure dazu benutzt, weil ihr
Schmelzpunct höher liegt und beinahe dem des Wachses_ gleich ist; auch ist die
hierbei gewonnene Oleinsäure besser zu verwerthen, weil sie schon kalt verseift
werden kann.
Hinsichtlich der Leuchtkraft stehen die Stearinlichter ebenfalls den Stearm-
säurelichtern nach, weil bei erstem das Kerzenmaterial seinen ganzen Gehalt an
472 Ffttte-
Glycerin, welches ebenfalls zur Verbrennung kommt, noch enthält. Da dasselbe bei
seiner Zersetzung im Dochte eine gewisse Menge blasiger Kohlentheilchen ausscheidet,
so wird das Aufsaugungsvermögen des Dochtes und dadurch die Leuchtkraft beein-
trächtigt. Auf der andern Seite bietet der hohe Hydratwassergehalt des Glycerins eine
bedeutende Absorptionsquelle für die während des Brennens erzeugte Wärme; es
muss demnach der in der Flamme ausgeschiedene Kohlenstoff einen minder hohen
Hitzegrad erreichen und deshalb die Flamme minder leuchtend werden.
Auf dieselbe Weise wie der Rindertalg auf Stearin und Stearinsäure bearbeitet
wird, werden auch das Palmöl, das Cocosnussöl und das Schweineschmalz zur
Darstellung von Beleuehtungsmaterialien benutzt.
Stearinsäurefabrication.
Da die blosse mechanische Scheidung des Stearins vom Olein bezüglich der
Stearinfabrication ein ungenügendes Resultat lieferte, so ging man dazu
über, nur Stearinsäure im Grossen darzustellen, indem man zuerst durch eine
Saponification die Spaltung der Fette, d. h. die Trennung der Fettsäuren
von den Fettalkoholen bewirkte und alsdann durch Pressung die flüssigen
von den festen Fettsäuren trennte. In Deutschland wird vorzüglich der billigere
Rindstalg, in England Palmöl benutzt. Man hat mehrere Methoden, nach
welchen man das Kerzenmaterial resp. die Stearin- oder Palmatinsäure darstellt.
Man unterscheidet: 1) die Verseifung der Fette durch Kalk. Sie zerfällt
in drei Stadien: in die eigentliche Verseifung, die Zersetzung der Kalk-
seife durch Salz- oder Schwefelsäure und in die Trennung der flüssigen
und festen Fettsäuren mittels Pressung.
a) Behufs Verseifuug wird der Talg oder das Palmöl in mit Blei aus-
gefütterten hölzernen Bottichen durch eingeleitete Wasserdämpfe zum Schmelzen
gebracht und alsdann unter beständigem Umrühren mit Kalkmilch versetzt.
Das Sieden dauert G— 8 Stunden. Es entsteht eine unlösliche Kalkseife,
während Glycerin in eine wässrige Lösung übergeht, welche auch die Kalksalze der
flüchtigen übelriechenden Fettsäuren enthält: hierdurch entsteht am wenigsten Be-
lästigung für die Adjacenten, obgleich jede Stearinsäurefabrik auch bei der grössten
Sorgfalt mit mehr oder weniger Unannehmlichkeiten für die zunächst gelegenen Woh-
nungen verknüpft ist.
b) Die Zersetzung des dicken Breies von fettsaurem Calcium
mittels verdünnter Schwefelsäure oder Salzsäure erfolgt, nachdem die
Masse abgelassen worden; die Operation bezweckt die Ausscheidung der
Fettsäuren aus der Kalkseife.
Nach dem Zusätze der Schwefel- oder Salzsäure tritt sogleich die fette Säure
wegen ihrer specifischen Leichtigkeit auf die Oberfläche des Wassers, während sich
gleichzeitig Gips resp. Chlorcalcium bildet.
Diese Zerlegung geschieht gewöhnlich in denselben Bottichen, in welchen die Ver-
seifung stattgefunden hat; auch wird die Erwärmung durch den eingeleiteten Dampf
meistens noch einige Stunden fortgesetzt. Man lässt nun die Flüssigkeit einige Zeit
stehen, damit sich die geschmolzenen fetten Säuren auf der Oberfläche ansammeln
und der Gips sich zu Boden senkt. Die fetten Säuren werden dann in einen mit Blei
gefütterten Bottich abgelassen und hier einer Kochung mittels Wasserdämpfe unter
Zusatz von verdünnter Schwefel- oder Salzsäure und zuletzt einer einfachen Waschung
mit Wasser unterworfen, um sie von Kalk, Gips und Säure zu befreien.
Schliesslich giesst man die fetten Säuren in Kapseln oder Formen von Weissblech
aus, damit sie hier erstarren und krystallisiren.
Den nicht fest gewordenen Theil, welcher vorzugsweise aus Oel- und Stearinsäure
besteht, presst man in hydraulischen Pressen.
c) Behufs Trennung der festen und flüssigen Fettsäuren wird die
erstarrte Masse nun zuerst einem kalten, alsdann einem warmen Pressen
unterworfen.
Stearinsäurefabrication. 473
Das Pressen geschieht mittels hydraulischer Pressen; zum kalten Pressen
bedient man sich der gewöhnlichen hydraulischen Presse, zum warmen Pressen sind
besondere Pressen nöthig; namentlich" wendet man hohle, durch Dampf heizbare Press-
platten an.
Zur Aufsammlung der abmessenden Oelsäure dienen unter dem Presstische an-
gebrachte Sammeltrichter. Meistens folgt auf das warme Pressen noch eine Läuterung
der festen fetten Säuren durch Schmelzen in mit Blei ausgefütterten Bottichen mittels
Dampfes unter Zusatz einer sehr verdünnten Schwefel- oder Salzsäure und hierauf durch
2 — 3maliges Waschen mit sodahaltigem Wasser, um alle Säure wiederum zu entfernen.
Schliesslich wird nun die Fettsäure abermals in Blechformen ausgegossen, um sie
an Kerzenfabriken zu verkaufen, wenn die Verarbeitung derselben zu Kerzen nicht in
der Fabrik selbst erfolgt.
Das beim Pressen abgeflossene flüssige Fett ist die Oelsäure und heisst im
gewöhnlichen Leben Olein. Es enthält noch gewisse Mengen der festen Fettsäuren
aufgelöst, weshalb es als Schmieröl für Masehinentheile nicht anwendbar ist, namentlich
nicht für Messing, Glockengut, Eisen und Zink, weil die Oelsäure befähigt ist, das
•20fache ihres Volumens an Sauerstoff aus der Atmosphäre aufzunehmen und auf die
leicht oxydabeln Substanzen zu übertragen. Dagegen ist sie, wie schon erwähnt worden,
ein vortreffliches Material für Schmierseife, da sie sich augenblicklich verseift, wenn
sie mit freien oder kohlensauren Alkalien in Berührung kommt.
Das Forschen nach einem brauchbaren säurefreien Schmieröl hat die In-
dustriellen vielfach beschäftigt, da es namentlich für den regelmässigen und ungestörten
Gang der Spinnmaschinen von grosser Bedeutung und für Uhren, jmauche physicalische
Instrumente u. s. w. unentbehrlich ist.
Um nun neben Stearinsäure nicht Oelsäure, sondern neutrales Olein, d.h. ölsaures
Glycerin zu erhalten, presst man den Talg vor der Saponification ab; das auf diese
Weise gewonnene flüssige Fett ist säurefrei und ein vorzügliches Schmieröl. Die
Engländer und Amerikaner arbeiten nach dieser Methode in grossen Dimensionen. Dieses
Oel ist geruch-, geschmack- und fast farblos, kommt im Handel als Schmalz öl vor,
wird aber auch häufig fälschlich für Spermacetöl verkauft. In Cincinnati wird
namentlich das Schweineschmalz auf diese Weise bearbeitet, woher auch der Isame
Schmalzöl kommt. Das abgepresste Schweineschmalz wird der Saponification
unterworfen, die Seife durch Säuren zersetzt und in Palmitinsäure übergeführt,
welche als Kerzenmaterial verwendet wird.
Uebrigens ist zu bemerken, dass behufs Darstellung des Kerzeumaterials das
Olein resp. die Oelsäure nicht vollständig abgesondert zu werden braucht, da sowohl
Stearin als auch Stearinsäure für sich zu spröde sind, um zu Kerzen verwendet zu
werden, deshalb werden sie auch in der Regel mit 10 — 12g Wachs oder Paraffin zu-
sammengeschmolzen.
de Milly hat die Kalksaponification dadurch verbessert, dass er den Kalkzusatz
beinahe um die Hälfte verminderte und auf das Gemisch Dampf von 182 ° C, (10 Atm.
Druck) einwirken Hess; er erreicht dadurch den V ortheil, dass das Umrühren wegfällt.
2) Die Verseiftmg durch Schwefelsäure and darauf folgende Dampfdestillation.
Bei der directen Behandlung der Fette mit Schwefelsäure bildet sich Glycerin-
schwefelsäure, wobei sich die fetten Säuren ausscheiden.
Schon Achard kanute 1777 die Thatsache, dass die Fette durch concentrirte
Schwefelsäure ähnlieh wie durch Alkalien zersetzt werden, aber erst 1836 klärte Fremy
diesen Process näher auf. Zuerst wurde diese Methode im Grossen durch Gwynne im
Jahre 1840 ausgeführt. Sie hat den grossen Vortheil, dass sie bei allen Fetten, auch
bei den schlechten und unreinen, bei dem aus den Haushaltungen abfallenden, bei aus
Knochen gewonnenem Fett, bei den Rückständen aus Olivenöl, bei Abfällen aus
Schlächtereien, bei dem aus den Seifenwässern durch Schwefelsäure erhaltenen Fett,
beim Palmöl, Cocosnussöl u. s. w. Anwendung findet.
Ihr Xachtheil besteht darin, dass die Belästigung solcher Fabriken für die Adja-
centen sehr gross und niemals ganz zu vermeiden ist: auch ist die Qualität der ge-
wonnenen flüssigen Fettsäure, des Oleins, viel geringer als die des bei der Kalk-
saponification gewonnenen Oleins, weil ersteres durch die Destillatiousproducte, durch
Acrolein u. s. w., verunreinigt ist. Die Methode der Kalksaponification wird daher noch
nicht ganz in Wegfall kommen; es bleibt sogar fraglich, ob sie nicht künftig wieder in
den Vordergrund treten wird.
Bei der Verseifung mit Schwefelsäure unterscheidet man ebenfalls
drei Phasen:
a) Die Verseifung mit Schwefelsäure geschieht in der Weise, dass
474 Fette.
der Talg in mit Blei ausgefütterten Bottichen durch Wärmschlangen geschmolzen
und nach der Natur der Fette mit 5 — 15 % concentrirter Schwefelsäure ver-
mischt wird.
Gewöhnlich geht aber hierbei ein Umschmelzcn des Talgs behufs Reinigung
desselben voraus, eine Procedur, die oft viele unangenehme Gerüche entwickelt und des-
halb alle Beachtung verdient.
Die Einwirkung der Säure auf den Talg wird durch Rührvorrichtungen be-
günstigt und dauert zwischen 14 — 18 Stunden; wahrend dieser Zeit entwickeln sich
weniger flüchtige Fettsäuren als grosse Quantitäten schwefliger Säure. Ihre Ent-
stehung beruht theils auf der Einwirkung der Schwefelsäure auf die im Talg noch ent-
haltenen Unreinigkeiten (Häute u. s. w.), theils auf der Zerstörung der Glycerinschwefel-
säure durch die Wärme. Die Höhe dieser Temperatur schwankt in den verschiedenen
Fabriken von 115—177° C.
b) Das Ablassen der Glycerinschwefelsäure und das Waschen
der Fettmasse. Man kühlt die Masse einige Stunden lang ab und scheidet
die Fettmasse von dem harzigen Säureabsatz (Glycerinschwefelsäure) ab. Dieser
wird mit Wasserdämpfen und siedendem Wasser gewaschen, um von der
Schwefelsäure vollständig befreit zu werden. Diese Operation ist gewöhnlich
mit grosser Belästigung für die Adiacenten verbunden, da die flüchtigen Fett-
säuren neben schwefliger Säure in grossen Mengen auftreten und bisweilen
auch mit Spuren von Acrolein verbunden sind.
Nach der Natur des benutzten Rohmaterials ist selbstverständlich der üble Geruch
mehr oder weniger intensiv; am schlimmsten ist in dieser Beziehung der Bockstalg.
Palmöl und Cocosnussöl liefern keine unangenehmen Gerüche, kommen aber selten
rein, sondern meistens in Verbindung mit Talg zur Verwendung.
c) Die Destillation der Fettsäuren ist nothwendig, da sie bei der Ab-
scheidung mit Schwefelsäure durch harzige Substanzen verunreinigt und schwarz
gefärbt sind. Sie werden zunächst in ein Reservoir geleitet, das mit einem Mantel
umgeben ist, in welchem warmes Wasser die Temperatur der Fettsäure auf
45 — 50° C. erhält, wodurch noch Wasserreste und andere Beimischungen aus-
geschieden werden.1)
Diese geklärte Flüssigkeit wird in einer flachen Schale erhitzt und mittels
eines Rohrs in die Destillirblase abgelassen, welche in einem Sand- oder Bleibade liegt; die
Destillation erfolgt unter Mitwirkung überhitzter Wasserdämpfe von 250 — 300°.
Sobald die Temperatur der Fettsäuren auf 250° gestiegen ist, werden die Wasserdämpfe
mittels eines Rohrs eingeleitet, das in einen Kranz endigt, aus welchem der Dampf
durch viele kleine Oeffnungen in die flüssigen Fettsäuren gepresst wird.
Durch die hindurchstreichenden warmen Wasserdämpfe wird die Verflüchtigung
der Fettsäuren bewirkt, die durch ein Zwischengefäss in die Kühlschlange gelangen.
Das Zwischengefäss dient zur Aufnahme und zum Ablassen der im Anfange der Destil-
lation mit übergerissenen unreinen Theile. Die Kühlschlange darf nur so weit abgekühlt
werden, dass das Fett noch flüssig bleibt.
Aus der Kühlschlange fliessen die Fettsäuren durch eine Röhre in eine Vorlage
mit zwei Abtheilungen. Die leichtern Fettsäuren schwimmen auf der Oberfläche des
Wassers in der ersten Abtheilung, das Wasser dringt dagegen unter der Zwischenwand
hindurch in die zweite Abtheilung: mittels besonderer Hähne werden die Fettsäuren
und das Wasser abgezogen. Neuerdings hat man zu den verschiedenen Operationen statt
der Apparate von Kupfer auch solche von Schmiedeeisen benutzt.
Bei dieser Destillation tritt stets viel Acrolein auf. Ist die Fettmasse nicht
gehörig ausgewaschen worden, sind derselben noch Schwefelsäure- resp. Glycerin-
schwefelsäuretheilchen beigemengt, so entwickelt sich auch noch mehr oder weniger
schweflige Säure.
Schliesslich folgt noch ein Auswaschen der destillirten Masse mit Wasser-
dämpfen, da nur die ersten Producte direct zur Kerzenfabrication benutzt werden
können; namentlich beim Palmöl sind die ersten Producte der Destillation so fest,
dass sie keiner Pressung bedürfen; letztere wird aber bei den zuletzt übergehenden
Partien nothwendig, da sie noch flüssige und gefärbte Säuren enthalten. Die Press-
kuchen werden in Kufen mit kalkfreiem Wasser umKeschmolzen.
Stearinsäurefabrication. 475
_ Die Zersetzung der Fette mittels Schwefelsäure liefert die grösste Ausbeute an
Stearinsäure; sie wird daher trotz der grossen Belästigung noch immer beibehalten.
Beim Talg soll man 60— 66 g, beim Palmöl 75-80% und bei den Olivenölabfällen
47 — 50% Stearinsäure erhalten.
Die Destillatiousrückstände lässt man mittels eines mit einem Hahn ver-
sehenen Hebers ab, so lange sie noch flüssig sind. Ihre Consistenz hängt von der Be-
schaffenheit des verarbeiteten Rohmaterials ab und variirt zwischen einem flüssigen
Theer und dicken Extract. Ihre saure oder nicht saure Natur hängt von der Sorgfalt
ab, mit der man das Auswaschen der sauren Fette besorgt hat. Im erstem Falle be-
handelt man sie mit Calciumhydrat und benutzt sie in grossen Fabriken häufig zur Dar-
stellung von Leuchtgas; die nicht sauren Rückstände verwendet man zu Schmier-
materialien.
3) Die Zersetzung der Fette durch Einwirkung von Wasser bei erhöhtem
Drucke nnd gesteigerter Temperatur. Diese Methode wurde zuerst technisch von
Tilghmann in England im Jahre 1854 ausgeführt, obschon zu gleicher Zeit
auch Berthelot in Paris die Thatsache bekannt machte, dass das Wasser bei
einer Temperatur von 180° und einem Druck von 10 — 15 Atmosphären die
neutralen Fette in ihre Bestandteile zu spalten vermag.
Der ursprüngliche Apparat scheint nur für Versuchs-Operationen bestimmt
gewesen zu sein; später construirten Payen und Wilson einen Apparat für die
Ausführung im Grossen.
Bei diesem Verfahren werden die fetten Säuren und das Glyeerin in ge-
trennten Schichten erhalten. Nach Beendigung der Operation und auch häufig während
derselben entströmt durch das Ventil eine Menge Gase und Dämpfe, welche mit flüch-
tigen Fettsäuren und Acrolein beladen sind.
In neuerer Zeit hat man die Erfahrung gemacht, dass bei dieser Methode eine
grosse Gefahr der Explosion vorhanden ist: dieselbe soll öfter stattfinden, ohne dass
man eine Ursache dafür angeben kann. Das Zerschmettern der Apparate erfolgt ge-
wöhnlich dann, wenn die Temperatur im Kessel und demnach auch die Spannung in
demselben zu hoch gestiegen ist und man durch Oeffnen des Ventils diesem Umstände
entgegentreten will.
Höchst wahrscheinlich ist die Ursache der Explosion darin zu suchen, dass durch
den beim Oeffnen des Ventils aufgehobenen Druck die Dampferzeugung plötzlich so
massenhaft eintritt, dass das Gefäss dem Druck dieser Dämpfe nicht widerstehen kann.
Der neueste Apparat ist von Wright und Fauche construirt worden und besteht
aus zwei übereinander stehenden und durch Röhren verbundenen kupfernen Kesseln,
wovon der obere der Dampfregenerator ist und der untere zur Zersetzung der
Fette dient.
4) Die Verseifung mittels überhitzter Wasserdämpfe. Diese Methode kommt
vorzugsweise in England, gegenwärtig aber auch in Deutschland zur Ausführung,
nachdem Wilson und Gwynne die passenden Destillationsapparate dafür con-
struirt haben. Auch bei dieser Methode ist es möglich, die fetten Säuren und
das Glyeerin unzersetzt zu destilliren, wenn man die dazu nothwendige Tem-
peratur strenge innehält.
Die Temperatur der Retorten, in welchen die Destillation vor sich geht, muss
durch directe Feuerung zwischen 290 — 315° C. gebracht werden, während der durch
eine schmiedeeiserne Röhre zugeführte Dampf genau auf 315° erhitzt werden muss.
Steigt die Temperatur höher, so zersetzt sich das Fett und es tritt eine massenhafte
Entwicklung von Acrolein auf; ist sie niedriger, so erfolgt die Zersetzung des Fettes
sehr langsam. Die aus den Retorten entweichenden Dämpfe verdichten sich in einer
Kühlschlange.
5) Die Fabrication mittels Zinkchlorids. L. Krafft und Tessie du Motay
haben die Beobachtung gemacht, dass sich Chlor zink als wasserentziehendes
Mittel ebenso gut wie Schwefelsäure zur Verseifung eignet. Beim Vermischen
von neutralem Fett mit wasserfreiem Chlorzink tritt bei einer Temperatur von
150 — 200° C. eine vollständige Vermischung beider Stoffe ein. Man wäscht mit
476 Fette-
warmem Wasser aus uud unterwirft das erhaltene Fett der Destillation, wobei
sich nur wenig Acr olein bildet.
Die Waschwässer nehmen alles gebrauchte Chlorzink auf, welches durch Ab-
dampfen wieder gewonnen werden kann und muss, wenn man nicht durch ihren freien
Abfluss die verschiedensten Gefahren herbeiführen will.
Durch dies Abdampfen entstehen aber neue Kosten, weshalb diese Methode nur
in Ländern Aufnahme finden kann, in denen, wie z. B. in Australien und Südamerika,
die Schwefelsäure sehr theuer ist.
Sanitäre Massregeln. Bei der Kalksaponitication richtet sich das Auftreten
der Gerüche bloss nach der Beschaffenheit des Talgs.
Die von der Kalkseife herrührenden Wässer enthalten, je nachdem eine
Säure in Anwendung gekommen ist, Chlorcalcium neben freier Salzsäure
oder Gips neben freier Schwefelsäure; sie dürfen daher niemals ohne
Weiteres zum Abfluss gelangen, sondern müssen vorher neutralisirt werden, wenn
man nicht über einen grossen Wasserlauf gebieten kann.
Bei der Schwefelsänreverseifung ist 1) das Ausschmelzen des Talgs aus
den Fässern für die Adjacenten oft ausserordentlich belästigend, namentlich
wenn ein übelriechender Talg zur Verarbeitung gelangt. Es sind alle Vorsichts-
massregeln, welche beim Talgschmelzen bereits hervorgehoben worden sind
(Einleiten der Dämpfe in den Schornstein, Verbrennen u. s. w.), erforderlich und
bei Ertheilung einer Concession speciell vorzuschreiben.
2) Beim Zusetzen der concentrirten Schwefelsäure zum Fett ist
es sehr schwierig, die Menge der sich entwickelnden schwefligen Säure un-
schädlich zu machen.
In einigen französischen Fabriken befindet sich folgende Einrichtung. Die Zer-
setzung der Fette mit Schwefelsäure erfolgt in einem Kessel von Kupferblech oder auch
von Eisen, der mit Blei ausgeschlagen ist. Gespannte Wasserdämpfe von 100 — 115° C.
werden seitlich und unten in den den Kessel umgebenden Mantel geleitet, während das
Condensations wasser und der überschüssige Dampf durch ein am Boden des Mantels
angebrachtes Rohr abgelassen werden kann. Ueber dem Kessel befindet sich ein mit
Blei ausgeschlagener Aufsatz von Eisenblech, der mit einem Deckel versehen ist, in
welchem sich zwei Beobachtungsfenster und ein Mannloch zum Füllen des Apparats
befinden Seitlich von diesem Aufsatze führt ein weites Rohr die übel-
riechenden Gase und Dämpfe in eine Feuerung.
Bei diesem Verfahren gelangen zwar die Fettsäuren zur Verbrennung, die
schweflige Säure wird aber unverändert in den Schlot gelangen und die Adjacenten be-
lästigen. Es würde sich daher mehr empfehlen, die Dämpfe in Koksthürme zu
leiten, in denen Kalkmilch den eindringenden Dämpfen entgegenfliesst ; sie können
neben dem Schornstein angelegt und nach oben in denselben geschleift werden, um den
erforderlichen Zug zu bewirken- Die Koks können wieder zum Verbrennen benutzt
werden, wenn sich aus dem schwefligsauren Calcium allmählig Gips gebildet hat.
Will man andere Absorbentia für die schweflige Säure (s. S. 154) benutzen, so
hat man hierbei noch die abgehenden fettsauren Dämpfe in die Feuerung zu leiten,
obgleich ihre Menge bei dieser Procedur nicht bedeutend ist.
3) Die Verarbeitung der abgelassenen Glycerinschwefelsäure
auf Glycerin geschieht meist in den Stearinsäurefabriken selbst. Nach der
Ausscheidung der Schwefelsäure durch Kalk müssen die eisernen Abdampf-
pfannen beim Abdampfen des Glycerins mit einem hölzernen Kasten ver-
sehen werden, um die Dämpfe zu sammeln und mittels eines Abzugsrohrs in die
Dampfkesselfeuerung zu leiten, da sie mit sehr widerlichem Gerüche behaftet sind
und die grösste Belästigung erzeugen (s. Glycerinindustrie).
Der Schwerpunct liegt überhaupt in der Herstellung von Ein-
richtungen, die das Sammeln der auftretenden Dämpfe möglich
machen.
Stearinsänrefabrication. 477
4) "Werden die Fettsäuren in eisernen, mit Blei ausgefütterten Kasten
durch Einblasen von Wasserdämpfen gewaschen und dann nochmals mit heissem
Wasser nachgewaschen, so treten viele flüchtige Fettsäuren, schweflige
Säure und Acrolein auf.
Diese Operation ist eine der unangenehmsten und erfordert gauz besonders
Sammelkasten, welche die Dämpfe in die Feuerung leiten. Ueber die bei der Wäsche
abfallenden sauren Wässer siehe Glycerinindustrie.
5) Bei der Destillation des so behandelten Fettes mittels überhitzter
Wasserdämpfe entwickelt sich vorzugsweise Acrolein, welches in Folge der
noch vorhandenen Glycerinschwefelsäurereste stets mit schwefliger Säure ver-
bunden ist; die Verbrennung der Dämpfe ist daher auch hier angezeigt. Um dies
zu ermöglichen, müssen die Abfiussröhren, aus welchen das Destillat fliesst, sowie
das Sammelgefäss selbst mit einem gemeinschaftlichen Verschlag versehen werden,
um die Acroleindämpfe zu sammeln und zur Feuerung zu leiten."2)
Ueberall, wo ein starkes Erhitzen der Fettmassen mit Wasser stattfindet, z.B.
auch bei der dritten und vierten Methode der Stearinsäurefabrication, entsteht sehr viel
Acrolein. Es ist daher zweckmässig, sofort nach beendigtem Processe, mag man nun
nach der zweiten, dritten oder vierten Methode verfahren haben, Dampf durch die be-
treffenden Apparate zu leiten, um auf diese WTeise alle Acroleindämpfe zu entfernen
resp. zu verbrennen.
Bei der Destillation ist dies Verfahren absolut nothwendig, weil hier die Ent-
fernung des dicken, theerartigen Destillationsrückstandes entweder durch das Mannloch
oder durch Oeffnungen am Boden des Kessels, welche während der Destillation mit
Platten und Stellschrauben verschlossen sind, geschehen muss; ohne vorhergehende
Wegnahme der Acroleindämpfe würde man den Adjacenten hierbei die grössten Be-
lästigungen bereiten.
Hat der theerartige Rückstand im Kessel eine flüssige Beschaffenheit, so
kann er nach dem Erkalten durch ein Abflussrohr, einen Heber oder auch Dampfdruck
aus dem Kessel entfernt werden. Dieses Ablassen muss aber stets in geschlossenen
Gefässen, welche mit einem Sand- oder Wasserverschluss versehen sind, vorgenommen
werden.
6) Wird die abdestillirte Stearinsäure zum Schlüsse nochmals mit
Wasserdämpfen ausgewaschen, so entwickelt sich immer noch so viel Acrolein,
dass es in der angegebenen Weise in die Feuerung zu leiten ist.
7) Wenn die Stearinsäure in Tafeln gegossen, gepresst und der Läuterung
unterworfen worden ist, so wird sie noch mit Wasser unter geringem Zusatz von
Natriumcarbonat gewaschen, dann entwässert und entweder in Tafelform gebracht
oder zur Lichterfabrication benutzt. Die betr. Waschwässer sind unschädlich
Die Darstellung der Kerzen bietet kein sanitäres Interesse dar und geschieht
meistens mittels besonderer Giessmaschinen ; auch zum Abschneiden und
Poliren der Kerzen gebraucht man Maschinen. Noch ist der Umstand zu berück-
sichtigen, dass die Stearinsäurekerzen, wenn sie nicht aus gehörig gereinigtem Material
angefertigt worden sind, beim Verbrennen schweflige Säure entwickeln können.
Auch werden manche Kerzen gefärbt; Farben, wie chromsaures Blei und
Schwefelarsen zum Cclbfärben, Schweinfurter Grün zum Grünfärben oder
Zinnober zum Rothfärben sollten pohzeilich verboten werden.3)
Nach Dankworth *) soll die Gesundheit der Arbeiter in Stearinsäurefabriken durch
eine Verstaubung oder Verdunstung der Stearinsäure während der Behandlung
resp. Verkochung der Fettsäure mit Wasserdampf gefährdet werden. Diese Annahme
ist ohne Zweifel unbegründet, da die Stearinsäure nicht erheblich flüchtig ist und das
Verstauben nie in einer Höhe vorkommt, welche den Arbeitern in den gewöhnlichen
Fällen als Athmungszone dient: und sollte die Stearinsäure wirklich von den Respi-
rationswegen aufgenommen werden, so wird sie eine nachtheilige Wirkung nicht aus-
zuüben vermögen.
Viel nachtheiliger kann die schweflige Säure, namentlich wenn sie in grosser
Menge auftritt, einwirken: die sanitären Nachtheile derselben in Stearinsäurefabriken
sind noch viel zu wenig gewürdigt worden Ihr schädlicher Einfluss auf die Brust-
organe wird glücklicherweise durch die vielen W'asserdämpfe, welche in solchen
478 Fette.
Räumen stets verbreitet sind, gemildert. Ebenso verhält es sich mit dem Acrolein,
dessen reizende Einwirkung auf die Lungen nach den Versuchen au Thieren (s. S. 434)
zweifellos ist. Man findet daher auch bei den Arbeitern in Stearinsäurefabriken vor-
zugsweise die Brustcatarrhe vortreten, an deren Entwicklung übrigens auch die
grossen und zugigen Fabrikräume Schuld tragen.
Die Flüchtigkeit der Stearinsäure ist zwar auch nicht in Abrede zu stellen, sie
gibt sich aber nur in einem sehr geringen Grade kund. In einer Stearinsäurefabrik,
welche seit 15 Jahren täglich 100 Centner reine Stearinsäure darstellte, konnte nur ein
leichter Anflug davon am Dachgebälke wahrgenommen werden. Jedenfalls bedingt sie
ein rasches Oxydiren von Eisen, Kupfer, Zink und Blei, wenn diese Metalle in solcher
Weise mit ihr in Berührung kommen.
Ein nachtheiliger Einfluss der schwefligen Säure auf die Vegetation der
nächsten Umgebung fällt nicht auf; der Grund davon mag auch in ihrer grossen Ver-
dünnung mit den Wasserdämpfen und deshalb in ihrem schnellern Uebergang in Schwefel-
säure beruhen.
Die Adjacenten haben am meisten von den widerwärtigen Gerüchen zu leiden,
welche manche sensible Constitution in einer beständig krankhaften Stimmung erhalten,
auch Uebelsein, Ekel und Anorexie hervorzurufen vermögen. In Städten oder Vor-
städten sollte man solche Fabriken nie dulden und bei Ertheilung einer Concession
niemals die beständigen Belästigungen, welche solche Fabriken den Adjacenten bereiten,
aus den Augen verlieren oder gering achten Grade in solchen Fällen ist die Grenze
zwischen Belästigung und sanitärem Schaden sehr schmal und eine Trennung beider
Zustünde oft ganz unmöglich.
Hat man ein Gesuch um die Concession zur Anlage einer Stearinsäurefabrik zu
g rufen, so folgt aus dem bisher Erörterten, dass es sich hierbei um zwei wichtige
ragen handelt: 1) ist die Natur der Materialien zu berücksichtigen, die zur Ver-
wendung kommen: 2) ist die Methode der Fabrication genau zu erörtern, um die
damit verbundenen Belästigungen in jedem concreten Falle beurtheilen zu können.5)
Glycerinindustrie.
Die grosse Bedeutung, welche das Glycerin in neuester Zeit erlaugte, hat
auch verschiedene Darstellungsweisen hervorgerufen, welche sämrntlich darauf
basireü, dass man es durch Zerlegung resp. Haltung der öl- oder fettsauren Ver-
bindungen als Nebenproduct gewinnt. Seine Darstellung hängt daher auf das
innigste mit der Seifen- uud Stearinsäurefubrication zusammen.
Man hat somit zu unterscheiden die Gewinnung des Glycerins 1) bei der
Kalksaponification in den Stearinsäurefabriken. Gegenwärtig bereitet
fast nur Russland das Glycerin nach dieser Methode. Die hierbei abfallenden
Wässer, welche das Glycerin enthalten, werden mit einer sehr verdünnten Oxal-
säurelösung ihres Kalks beraubt, während das kalkfreie Filtrat zur Abscheidung
der überschüssigen Oxalsäure mit geschleramter Kreide (Calciumcarbonat) ver-
setzt wird.
Wenn kein Aufbrausen mehr stattfindet, wird die Flüssigkeit in's Sieden gebracht
und mit einigen Procenten guter Thier- oder Knochenkohle bis zur Entfärbung der
Flüssigkeit behandelt: hierauf wird die Glycerinlösung in Vacuumpfannen oder in
offenen Pfannen mittels circulirender Wasserdämpfe eingeengt.
Ein solches Glycerin kann keine schädlichen metallischen Beimengungen enthalten;
höchstens kann es aus der Knochenkohle, wenn diese nicht vollständig gereinigt war,
Kalk aufnehmen.
Auch der ganze Process liefert keine für die Arbeiter schädlichen Gase und
Dämpfe; es ist daher zu bedauern, dass diese Darstellungswcise durch die saure
Saponitication verdrängt worden ist.
2) Die Gewinnung des Glycerins in den Seifenfabriken geschieht durch
die Behandlung der Unterlauge (s. Seifenfabrication), in welcher sich das
Glycerin befindet. Man dampft diese bei 100° ein, wodurch sich schon eine
Menge Salze abscheiden; der Rest der Carbonate wird durch Salz- oder Schwefel-
säure neutralisirt.
Die gebildeten Salze scheiden sich beim spätem Eindampfen fast vollständig ab;
Glyeerinindustrie. 479
die Tom Salzrückstande getrennte syrupsdicke Flüssigkeit "wird durch Bleichen mit
Chlor oder durch Destillation mit überhitzten Wasserdämpfen gereinigt.
Zur Chlorbleiche, wobei leicht Chlor in Verbindungen zurückbleibt, gebraucht
man Chlorkalk und Schwefelsäure. Unter den Chlorderivaten fehlt nie Chlor -
hydrin und eine andere Chlorverbindung, welche sich in Flocken absetzt, einen äther-
artigen, höchst unangenehmen Geruch und einen anfangs sauren, später widrig zusam-
menziehenden Geschmack besitzt. Ein solches Glycerin darf daher in der Medicin oder
in Haushaltungen nicht benutzt werden.
3) Glyceringewinnung bei der sauren Saponification. In Stearin-
säurefabriken wird die von den Fettsäuren getrennte Glycerinschwefelsäure durch
Kochen mit überschüssigem Kalk zerlegt; es bildet sich auf der einen Seite
Gips, welcher zum Düngen zu benutzen ist, und auf der andern Seite bleibt
Glycerin neben Kalk in Wasser gelöst.
Da die Einwirkung der Schwefelsäure nicht bloss ein Spalten der fettsauren
Glycerinverbindungen veranlasst, sondern auch tiefer greifende Zerstörungen der orga-
nischen Substanzen hervorruft, so sind in dieser wässrigen Glycerinauflösung eine grosse
Menge der verschiedenartigsten Zersetzungsproducte der Fette enthalten. Auch sind die
Verunreinigungen der Schwefelsäure, namentlich Arsen, in diese Flüssigkeit mit über-
gegangen , trotzdem dass Kalk in Ueberschuss vorhanden war. Es muss deshalb das
Glycerin, nachdem die Entwässerung durch Abdampfen stattgefunden, mit überhitzten
Wasserdämpfen destillirt werden.
Diese Gewinnungsweise des Glycerins ist daher umständlicher und kostspieliger,
abgesehen davon, dass alle durch die Schwefelsäure erzeugten Zersetzungsproducte bei
der Destillation mittels überhitzter Wässerdämpfe auftreten. Zu diesen gehören besonders
Acrolein und eine Reihe flüchtiger, übelriechender und die Umgegend stark belästigen-
der Körper. Das Glycerin selbst ist weder zu medicinischen noch ökonomischen
Zwecken brauchbar; dasselbe kann zwar durch mehrmalige Destillation gereinigt werden,
steigt aber auch dadurch im Preise.
Die sauren Wässer, welche in Stearinsäurefabriken und speciell bei der be-
regten Darstellung des Glycerins entstehen, sind sehr zu beachten, da sie viel Unheil
anrichten, wenn sie frei abgelassen werden.
In ersterer Beziehung sind es die sauren Wässer, welche bei der Wäsche der
Fettsäuren entstehen und noch mehrere Setzkasten passiren müssen, um die in ihnen
etwa noch vorhandene Stearinsäure zu gewinnen. Weder diese noch die bei der Zer-
setzung der Glycerinschwefelsäure abfallenden sauren Wässer dürfen jemals ohne
Neutralisation in Schlinggruben abgelassen werden, weil sie sonst unbedingt die
benachbarten Brunnen verderben und zwar durch die Einwirkung der in ihnen
noch enthaltenen Schwefelsäure, welche den Boden durch die Bildung von Sulfaten
auflockert und hierdurch das Eindringen der Wässer in das benachbarte Erdreich
erleichtert.
Enthalten die bei der Zersetzung der Glycerinschwefelsäure entstehenden sauren
Wässer noch Reste der Glycerinschwefelsäure, so kann das Glycerin frei
werden, wenn solche Wässer beim Durchsickern durch den Boden alkalische Erden
finden. Geht das Glycerin dann durch Berührung mit faulenden Substanzen, welche
als Ferment wirken, in Gährung resp. Fäulniss über, so liefert es Zersetzungsproducte,
zu denen vorzugsweise Propionsäure gehört, welche in Berührung mit Brunnenwasser
letzteres ungeniessbar macht.
Zur Neutralisation dieser Wässer muss man sich des Calciumhydrats be-
dienen und dieselben in drei übereinanderstehenden Bottichen mit diesem Mittel im
Ueberschuss behandeln; alsdann gelangen sie zur Klärung in zwei wasserdicht ge-
mauerte Behälter und schliesslich säurefrei in eine Cisterne, aus welcher sie frei ab-
fliessen können.
In einem concreten Falle, in welchem man auf diese Neutralisation keine Rück-
sicht genommen hatte, waren mehrere Brunnen in einer Entfernung von 500—600 Fuss
auf diese Weise ganz unbrauchbar geworden.
4) Glyceringewinnung bei der Zersetzung der Fette mittels
Wasserdämpfe bei erhöhtem Drucke. Es kommt hierbei die Beschaffung
sehr kostspieliger Apparate und die grosse Gefahr des hohen Drucks zur
Sprache; ausserdem ist die Operation mit dem Auftreten von Zersetzungs-
droducten, worunter Acrolein niemals fehlt, verbunden.
In neuerer Zeit hat diese Methode auch in Deutschland Eingang gefunden, welche
480 Fette.
den grossen Vortheil hat, auf eine bequemere und zweckmäßigere Weise das Glycerin
zu gewinnen.
Das sieh hierbei bildende Glycerin bleibt nämlich in der wässrigen Flüssigkeit,
während die Fettsäuren obenauf schwimmen. Ersteres wird entweder durch Thier-
kohle oder Chlor gebleicht und alsdann abgedampft oder auch durch Destillation mit
überhitzten Wasserdämpfen von den Unreinigkeiten befreit.
Die Fettsäuren unterliegen der weitern Behandlung mittels Destillation (siehe
Stearinsä u refabrication ).
5) Eine fünfte Methode besteht in der Gewinnung von Glycerin
nach Rochleder1). Man benutzt dazu häufig fette Oele, verdorbenes Ricinusöl
oder Nossöl von Jaglans regiuni u. s. w., also ölige Abfälle. Zu dem Ende
mischt man die Oele mit Spir. vini rectificat. von 95 % und leitet durch die er-
wärmte Flüssigkeit einen Strom trocknen salzsauren Gases; die hierbei ent-
weichenden salzsauren Dämpfe sind nicht frei von andern Chlorverbindungen
resp. salzsauren Verbindungen des Glycerins und Alkohols.
Durch diese Einwirkung werden die Oele einfach zerlegt und Glycerin theils frei,
theils in gebundenem Zustande abgeschieden. Die ganze Operation ist sehr umständlich
und auch in sanitärer Beziehung nicht unbedenklich, da neben Essigsäure, Propion-
säure und den salzsauren Dämpfen noch flüchtige reizende Substanzen, namentlich
Acrolein und Chlorhydrin, hier auftreten.
Das gewonnene Glycerin kann weder in der Medicin noch in den Haushaltungen
benutzt werden, weil es in Folge der Darstellung gelöste schweflige Säure enthält,
die aümählig in Schwefelsäure übergeht.
Raffinerie des rohen Glycerins. Es gibt gegenwärtig viele Fabriken, die
sich bloss mit der Reinigung des rohen Glycerins beschäftigen, dessen hauptsäch-
lichste Verunreinigungen Kalksalze und fette Säuren sind. Man verdünnt das
Glycerin mit Wasser, setzt schwefelsaure Thonerde zu, erhitzt und decantirt; die
geklärte Flüssigkeit behandelt man nochmals mit Calciumcarbonat, filtrirt und
verdunstet bis zu 28° B. Schliesslich folgt die Filtration durch Beinschwarz, um
den letzten Rest von Farbe und Geruch zu nehmen ; um jede Spur von Kalk
zu beseitigen, ist noch die Behandlung mit Oxalsäure oder Ammouiumoxalat
erforderlich.
In der hiesigen Sckering'Bchen Fabrik wird das Rohglycerin, wenn es kalkhaltig
ist, mit Kohlensäure, und zur Austreibung der Butter säure mit überhitztem Wasser-
dampfe behandelt; man bringt es dann auf Beinschwärze und dampft es nach voll-
ständiger Entfärbung im Vacuum ein. Glycerin, welches Schwefelsäure enthält, niuss
mit kohlensaurem Barium versetzt werden.
Dieses Glycerinum depuratum enthält noch Chlor, Schwefelsäure, Fettsäure,
Kalk u. s. w. und kann nur in Seifensiedereien, in Bierbrauereien und zum Füllen von
Gasuhren benutzt werden.
Glycerinum purum destillatum wird erhalten, wenn man rohes
Glycerin in einer Destillirblase mit überhitztem Wasserdampfe übertreibt. Sind
die Wasserdämpfe zu heiss, so bildet sich Acrolein, welches das Glycerin färbt;
auch werden leicht geringe Mengen von Kalk, Chlor u. s. w. mit übergerissen.
Das gewonnene Glycerin ist meist nur für die Technik zu verwerthen. Bei
der Fabrication im Grossen wird das rohe Glycerin in starkwandigen eisernen
Blasen über freiem Feuer erhitzt und dann mit dem überhitzten Wasserdampfe
behandelt. Die Dämpfe werden in einem System senkrecht stehender eiserner
Röhren condensirt, während der nicht condensirte Theil gewöhnlich durch einen
niedrigen Schornstein in die Luft gelangt und zwar zur grossen Belästigung der
Adjacenten. Es muss daher um so mehr für die Verbrennung dieser übel-
riechenden Dämpfe (flüchtige Fettsäuren, Acrolein) Sorge getragen werden, wenn
es sich um die Anlage solcher Fabriken in der Nähe von Städten handelt.
Nitroglycerin-Industrie. 481
Die condensirte Flüssigkeit -wird durch Beinschwarz filtrirt und letzteres gewöhn-
lich mit Wasser ausgelaugt und regenerirt.
In der Destillirblase bleibt ein schwarzer, pechartiger Rückstand, welcher
nur in der Wärme flüssig ist und ab und zu, nach dem Umfange der Fabrication, ab-
gelassen wird. Auch dieser Act ist für die Umgebung sehr belästigend, wenn nicht
vorher Wasserdämpfe durch die Blase durchgetrieben und die übelriechenden Dämpfe
der Feuerung zugeleitet werden. Immerhin ist aber in sanitärer Beziehung zu empfehlen,
solche Fabrikanlagen nicht in einem Complex von Wohnhäusern zu concessioniren.
Die Verwendung des Glycerins ist so vielseitig, dass in dieser Beziehung nur
die Hauptgesichtspuncte hervorzuheben sind. Die Eigenschaft desselben, schweflige
Säure in grosser Menge aufzunehmen, sowie seine Dickflüssigkeit, welche diese Säure
vor der Einwirkung des atmosphärischen Sauerstoffs schützt, hat die Einführung von
Glycerinsulfit zum Conserviren von Wein, Bier, Früchten u. s. w. veranlasst. In
der Weinindustrie wird es Ascolin genannt.
Die grosse Verwendung, welche das Glycerin neuerdings zu den verschiedensten
Zwecken, z. B. zum Anfeuchten von Schnupftabak, als Weberschlichte für Hanf und
Flachs, als Schmiere für Uhren, zur Fabrication von aromatischen Seifen, Liqueuren,
Essenzen, sogenannten Malzextract-Bieren, zum Versüssen des Weins u. s. w. gefunden
hat, erheischt gewiss eine absolute Reinheit, wenigstens ein Freisein desselben von
schädlichen Stoffen.
Reinsch hat schon vor vielen Jahren auf einen Arsengehalt des Glycerins aufmerk-
sam gemacht. Wenn dies von vielen Chemikern auch bestritten wird, so muss man
doch die Möglichkeit dieser Thatsache zugeben, da die Fabricationsweise von Glycerin
unter Umständen eine Verunreinigung desselben durch Arsen zulässt: besonders ist die
von Rochleder angegebene Methode ganz dazu angethan, das Glycerin arsenhaltig zu
machen. Man wendet dieselbe im Allgemeinen nur höchst selten an : immerhin ist jedoch
dabei zu beachten, dass das einzuleitende salzsaure Gas durch Einwirkung concentrirter
Schwefelsäure auf absolut trocknes Kochsalz dargestellt wird : es ist dann leicht möglich,
dass bei einem Arsengehalt der Schwefelsäure sich Arsen zuerst als leicht flüchtiges
Arsenchlorid entbindet und von der alkoholischen und fetten Flüssigkeit absorbirt
wird; freilich werden sich beim Abdestilliren der Salzsäure stets nur geringe Mengen
von Arsenchlorid mit verflüchtigen, da der grösste Theil im Destillationsrückstande als
arsenige Säure zurückbleibt.
Das einzige Mittel, einen etwaigen Arsengehalt zu beseitigen, besteht in der
Destillation mit überhitzten Wasserdämpfen, eine Methode, die sich übrigens zur Ge-
winnung eines chemisch reinen Glycerins nicht empfiehlt. Jedenfalls verdient dieser
Umstand bei der weit verbreiteten Verwendung des Glycerins alle Beachtung.
Das Glycerinsulfit wird ferner zum Bleichen von Seide, Wolle, Stroh-
waaren u. s.w. benutzt; das Schwefeln in Schwefelkammern wird hierdurch ganz ersetzt:
auch in der Medicin würde es sich zur Behandlung der Krätze eignen. Eine gross-
artige Benutzung findet das Glycerin zur Fabrication von Nitroglycerin.
Nitroglycerin-Industrie.
Nitroglycerin , ölycerinsalpetersänre - Aether CH2 (0 N02) ~CH ( 0 N 02 ) ~CH2
(0N02) = C3H5(ON02)3 wurde von Sombrero 1847 entdeckt und anfangs unter
dem Namen Glonoin als Heilmittel in die Homöopathie eingeführt. Diese Be-
zeichnung wurde nach den Anfangsbuchstaben des Wortes Glycid-Oxyd-Nitrogen-
Oxygen gebildet, womit man früher Nitroglycerin bezeichnete, während man
gegenwärtig seine Entstehung in der Weise auffasst, dass die mit Sauerstoff ver-
bundenen Wasserstoffatome des Glycerins durch die der Salpetersäure angehörende
Gruppe N02 ersetzt werden.
Nitroglycerin stellt eine farblose oder schwach gelbliche, ölartige Flüssigkeit
dar, welche keinen auffallenden Geruch, aber einen süsslichen, nachher äusserst scharfen
aromatischen Geschmack hat. Sie ist fast unlöslich in Wasser und Glycerin, aber lös-
lich in fetten Oelen, Alkohol und Aether; aus der alkoholischen Lösung wird sie
durch Wasser gefällt. Man hat Nitroglycerin deshalb des Transports wegen häufig in
Holzgeist (Methylalkohol) aufgelöst, um es nachher durch Zusatz von Wasser wieder
auszuscheiden.
Das spec. Gew. beträgt bei -f-15° 1,6. Bei 160° zersetzt sich Nitroglycerin unter
Entwicklung reichlicher Dämpfe und häufig auch unter Explosion; bei höherer Tem-
peratur oder durch Schlag und Stoss explodirt es heftig. Bei ganz vorsichtiger Er-
Eulenberg, Gewerbe-Hygiene. 31
482 Fette.
wärmung verflüchtigt es sich ohne Zersetzung: sobald es aber zu kochen beginnt,
detonirt es heftig. Einige Präparate des Nitroglycerins zersetzen sich freiwillig unter
Gasentwicklung und Bildung von Oxalsäure; in gut verschlossenen Flaschen können
alsdann die sieh entwickelnden Gase einen so bedeutenden Druck auf Nitroglycerin
ausüben, dass schon ein geringer Stoss eine Explosion veranlassen kann. Je reiner das
Nitroglycerin ist, desto weniger ist diese Gefahr vorhanden.
Fabrikmässig wurde es zuerst von dem schwedischen Ingenieur Alfred Sohel im
Jahre 1862 dargestellt: auch entdeckte derselbe 1866, dass es sich mit Kieseiguhr
(Infusorienerde) vermengt am besten transportiren lässt, weil es in diesem Gemenge
weit weniger durch Schlag oder Stoss zur Explosion gelangt, auch an der Sprengkraft
nichts einbüsst, wie es bei seiner Lösung in Holzgeist der Fall ist. Diese Mischung
heisst Dynamit. Es ist zu beachten, dass eine Temperaturerhöhung auch die
Explosionsfähigkeit des Dynamits erhöht, welche bei +28° C. so hoch gesteigert ist,
dass es schon durch einen geringen Stoss oder Schlag explodirt.
Die Producte der Detonation können aus Kohlenoxyd, Kohlensäure
Stickstoff, Stickoxyd, Cyan und Cyanwasserstoff bestehen.
IS'Hote1) fand folgende procentische Zusammensetzung:
Kohlensäure . . . 45,72,
Stickoxyd .... 20,36,
Stickstoff ..... 33,92.
Dies Experiment wurde unter vermindertem Drucke angestellt und es ist wohl an-
zunehmen, dass die Menge des Stickoxyds bei Versuchen im Grossen eine viel geringere
sein wird. Die Messung des Gases ergab, dass 1 Grm. Nitroglycerin nur 284 C.-C. Gas
(bei 0° und 0,76 M. Druck) geliefert haben würde. Das bei der Detonation entstandene
Gas war farblos, bildete aber mit Quecksilber salpetersaures Quecksilberoxydul.
Immerhin müssen diese Verbrennungsproducte die Benutzung des Nitroglycerins
als Sprengmittel in unterirdischen Räumen beeinträchtigen. Auch in Bergwerken
erfordert das Auftreten der sauren Dämpfe eine kräftige Ventilation, um ihre Ein-
wirkung auf die Arbeiter so viel als möglich zu verhüten; sie verbieten auch seine
Anwendung bei Kriegsgeschossen, während es bei Sprengarbeiten unter Wasser von
unschätzbarem Werthe ist.
Mit dem Starrwerden des Nitroglycerins vermehrt sich seine Explosivität, weil sich
in einer solchen krystallinischen Masse Fläche an Fläche reibt und auch eine geringe Er-
schütterung leicht Friction und Detonation erzeugt. Die Behandlung des starren Nitro-
glycerins mit harten oder spitzen Instrumenten hat schon die grössten Unglücksfälle
hervorgerufen; Arbeiter, die nicht selten aus Unvorsichtigkeit solche Manipulationen vor-
nehmen, verschwinden in Folge der Explosion fast spurlos. Bei der Vermischung mit
Kieseiguhr wird sein Krystallisationsvermögen aufgehoben.
Einwirkung von Nitroglycerin auf den thieriselien Organismus. Es ist hier
zunächst hervorzuheben, dass Nitroglycerin nach seiner verschiedenen Darstellungsweise
auch verschiedene Eigenschaften besitzt; aus dieser Thatsache lassen sich allein die
abweichenden Auffassungen über die Wirkung von Nitroglycerin erklären.
Die Verschiedenheit der Präparate hat darin seinen Grund, dass 1, 2 oder
3 Wasserstoffatome der Hydroxyle durch den Salpetersäurerest vertreten werden können;
es kann sich Mono-, Di- und Trinitroglycerin bilden; sowohl die Stärke als auch
die Temperatur des Säuregemisches und die Zeit der Einwirkung tragen hierzu bei.
1) Es kam ein Nitroglycerin zur Anwendung, welches in der Weise dargestellt
worden war, dass 2 Vol. eiues Säuregemisches von 1 Vol. Salpetersäure und
2 Vol. Schwefelsäure mit 1 Vol. Glycerin vermischt wurden.
a) Einem ausgewachsenen Meerschweinchen wurde 1 Grm. dieses Präparats ein-
geflösst; erst nach 4 Stunden Zuckungen in den Extremitäten bei unregelmässiger
Respiration und Herzthätigkeit, nach 6 Stunden stossweiser, unregelmässiger Herzschlag
und pfeifende Respiration, leichte allgemeine Convulsionen, Abnahme der Temperatur,
zuweilen Zuckungen in den Extremitäten, nach ti\'2 Stunden kaum hörbarer Herzschlag
und starker Rhonchus sibilans in den Bronchien, Bauchlage mit ausgespreizten Beinen.
Wird es durch die convulsivischen Zuckungen auf die Seite geworfen, so nimmt es
jedesmal beim Aufhören derselben die Bauchlage wieder ein. Nach 7 Stunden bleibende
Seitenlage, nach 8 Stunden rotirende Bewegungen der Extremitäten in der Seitenlage,
die fast regelmässig 1 Minute lang dauern und 1 Minute lang aufhören, allmählig aber
schwächer werden; schliesslich bewegen sich nur die vordem Extremitäten und
die Athmung erlahmt zusehends, bis sie nach 10 Stunden ganz aufhört. Kurz vor
dem Tode floss Urin ab.
Section nach 12 Stunden. Gliederstarre massig stark; die Kopfknochen ziem-
lich blutreich, auch die Hirnhäute hyperämisch, namentlich an der Basis des Gehirns:
auf den Durchschnittsflächen dieses Organs traten einige Blutpuncte zu Tage. Plex.
Nitroglycerin-Industrie. 483
venös, spin. massig angefüllt. Lungen blassgrauroth, fast überall lufthaltig, nur das
obere Dritttheil des rechten untern Lungenlappens war braunroth und zeigte unter der
Pleura erbsengrosse Ekchymosen; das Parenchym an dieser Stelle dunkelroth und sehr
blutreich, an den übrigen Stellen trat wenig flüssiges Blut aus; Trachealschleimhaut
blass. Das ganze Herz mit schwarzem, coagulirtem Blute stark angefüllt; auch in den
grössern Blutgefässen vorherrschend geronnenes Blut. Leber und Milz nicht über-
mässig blutreich und von normalem Ansehen; die Schleimhaut des Magens schwach
gelb gefärbt; in den grössern Blutgefässen herrschte auch hier das coagulirte Blut vor.
Wenig flüssiges, dunkelbraunrothes Blut röthete sich an der Luft schnell; auch die
innere Wandung der Brust- und Bauchhöhle sowie das Muskelfleisch röthete sich leb-
haft. Die chemische Analyse vermochte weder im Magen noch in der Leber Nitro-
glycerin nachzuweisen.
b) Verf. berührte bloss mit der Zunge den feuchten Glasstöpsel, womit das Glas,
welches das vorher benutzte Präparat enthielt, verschlossen war. Der anfangs süssliche
Geschmack ging in starkes unangenehmes Brennen über; nach 10 M. entstand ein
dumpfes, unbestimmtes Gefühl im Kopfe mit Abnahme der Sehschärfe und Bedürfniss
zum Niedersetzen; kurz darauf Uebelkeit, Anwandlung von Ohnmacht und beim Ver-
suche das Fenster zu öffnen Zusammensinken, Bewusstlosigkeit, in welcher nach Mit-
theilung des anwesenden Dr. Vohl Verdrehen der Augen, Knirschen mit den Zähnen und
tetanisches Strecken des rechten Armes eintraten. Nach 3 M. kehrte das Bewusstsein
zurück, aber es blieb noch Unfähigkeit zum Stehen und starke Eingenommenheit des
Kopfes zurück ; allgemeine Erschöpfung und ein klopfender Schmerz in der Schläfengegend
hielten fast 2 Stunden lang an. Gegen Abend war keine Spur von Unwohlsein mehr
bemerkbar.
2) Ein Nitroglycerin-Präparat wurde benutzt, welches aus 33 G. Th. eines Säure-
gemisches von 1 Vol. Salpetersäure und 2 Vol. Schwefelsäure mit 7 G. Th. Glycerin
bereitet worden war. Sowohl dieses als auch das vorige Präparat stammte aus einer
Fabrik von Sprengöl her.
Eine kräftige Taube erhielt 1,5 Grm. davon. Nach 1 M. Zittern des Oberkörpers
und Würgen, nach 2 M. starkes Erbrechen, nach 3 M. Taumel, Schwindel, Neigung zum
Fallen, vor dem sie sich durch Aufschlagen mit den Flügeln zu schützen suchte; dann
beständiges Herumdrehen im Kreise mit convulsivischem Aufsehlagen des rechten
Flügels. Nach 5 M. die heftigsten Convulsionen; sie bleibt dann in der Kückenlage,
zittert am ganzen Körper und bewegt die Beine wie in einem Kreise; Pupille erweitert,
Herzschlag kaum wahrnehmbar und starker Rhonchus sonorus in den Bronchien. Nach
8 M. plötzlicher Eintritt des Todes.
Section nach 20 Stunden. Leichenstarre schwach, Pupille erweitert, Hirn-
häute vorzugsweise an der Basis cranii hyperämisch, in den Kopfknochen zerstreute
nadelkopfgrosse Flecke von geronnenem Blute; PI ex. venös, spin. massig angefüllt,
unter der Schleimhaut des Kropfes eine dünne Blutlage, die Trachealschleimhaut nur
unterhalb der Theilung geröthet Die linke Lunge sehr blutreich und an ihrer vordem
Oberfläche mit Ekchymosen bedeckt, die obere Spitze ist blutig durchtränkt; weniger
blutreich ist die rechte Lunge. Das ganze Herz ist mit viel geronnenem und etwas
dunkelrothem Blute angefüllt. Leber schwärzlichbraun und mit schwärzlich- braunrothem
Blute angefüllt; in dünnern Schichten röthete sich letzteres lebhaft an der Luft und reagirtö
auf Lackmuspapier sauer.
3) Nitroglycerin wurde aus 1 Vol. stärkster Salpetersäure und % Vol. wasser-
freiem Glycerin ohne Zusatz von Schwefelsäure dargestellt. Das mit Wasser und
mit Kaliumcarbonat ausgewaschene Präparat erstarrte nicht bei —0°, war aber sehr
explosiv.
Eine starke Taube erhielt 0,75 Grm. davon. Nach 15 M. keine objectiven
Symptome; sie erhielt dann noch 0,25 Grm, so dass sie im Ganzen 1 Grm. Nitro-
glycerin bekommen hatte. Nach 20 M. schwankender Gang und Würgen; sonst
verhielt sie sich ruhig, weder Zittern noch Krämpfe traten ein, nur der Herzschlag
nimmt ab. Nach 2% Stunden wurde sie todt gefunden; beim Aufheben der Leiche
floss viel trübe Flüssigkeit aus dem Schnabel.
Section nach 20 Stunden. Hirnhäute sehr hyperämisch, auf dem Kleinhirn
und der Med. oblong, ein ganz dünnes Blutextravasat; Plex. venös, spin. ziemlich
blutreich; unter der Schleimhaut des Kropfes viele ausgedehnte Blutgefässe; Tracheal-
schleimhaut blass. Lungen von blasser, schmutzigrother Farbe; auf den Schnittflächen
des Parenchyms tritt flüssiges, dunkles Blut zu Tage. Herz vollständig mit schwarzem,
geronnenem Blute angefüllt: Leber von normaler Farbe und reich an flüssigem,
dunklem Blute, welches deutlich sauer reagirte.
4) Nitroglycerin wurde in der Weise dargestellt, dass 1 Vol. Sal-
petersäure mit J4 Vol. wasserfreiem Glycerin unter Abkühlung gemischt,
31*
484 Fette.
dann mit 1 Vol. Schwefelsäure versetzt, mit Waaser gewaschen und mit
Kali carbonic. ausgewaschen wurde. Das Präparat erstarrte nicht bei —0°.
a) Eine starke Taube erhielt zuerst 0,5 Grm. und am folgenden Tage 1,3 Grm.
davon. An beiden Tagen bemerkte man nur ein Aufblähen des Körpers und einen
vermehrten Durst; sie wurde längere Zeit beobachtet und blieb ganz gesund.
b) Eine ganz junge und schlecht genährte Taube erhielt 2,08 Grm. von demselben
Präparate. Nach 10 M. nimmt sie die Bauchlage ein und fängt an zu würgen; dann
geht sie einher, um sich alsbald wieder hinzulegen und zu würgen; dies wechselt mehr-
mals ab. Herz- und Respirationsthätigkeit normal; bei schnellerm Gehen schwankt sie
ein wenig; erst nach 20 M. vermehrtes Herzklopfen und angestrengte Respiration in
der Bauchlage. Nach 30 M. Unvermögen aufzustehen; nach 35 M. fällt sie auf die
Seite und behält diese Lage bei aufgerichtetem Kopfe. Nach 45 M. leichte Convulsionen,
spastische Respiration mit weitem Oeffnen des Schnabels, Stillstand der Athmung unter
leichtem tetanischem Krämpfe: der Herzschlag hält noch 2 M. lang an.
Section nach 20 Stunden. Auf dem grossen und kleinen Gehirn ein erbsen-
grosses dünnes Blutextravasat; die ganze Med. oblong, ist mit einem ganz dünnen
Blutergusse umgeben; Plex. venös, spinal, stark angefüllt. Die Lungen von
blasser, schmutzig-graurother Farbe und überall sehr blutreich; das Herz mit viel
flüssigem und wenig geronnenem Blute angefüllt. Blut schwärzlich-braunroth, röthet
sich wenig an der Luft und reagirt sauer. Die Schleimhaut des Vormagens schwach
geröthet; Leber dunkelbraun und sehr blutreich, ebenso die Nieren; die Eingeweide
mit angefüllten Gefässchen überzogen.
5) 1 Vol. Salpetersäure wurde mit 2 Vol. Schwefelsäure unter Abkühlung
gemischt, dann mit % Vol. wasserfreiem Glycerin vermischt, gewaschen und mit
Kaliumcarbonat behandelt. Das Präparat erstarrte nicht bei — 0°.
Eine kräftige Taube erhielt davon 2 Grm. Nach 5 M. Würgen und Erbrechen,
wobei sie sich im Kreise bewegt; rauhes hörbares Atbmen, Würgen und Erbrechen
wiederholen sich mehrmals. Erst nach 1 Stunde angestrengte Respiration und Schwanken
nach vorn; einige Minuten nachher tetanisches Strecken und die heftigsten Convulsionen,
worauf der Tod in der Rückenlage unter Tetanus erfolgt. Der Herzschlag ist noch
1 M. lang hörbar.
Section nach 20 Stunden. Hirnhäute sehr blutreich, unter dem Kleinhirn
und in der Umgebung der Med. oblong, eine dünne Lage flüssigen dunkelrothen Bluts.
Lungen von schmutzig-graurother Farbe und überall sehr blutreich, unter dem serösen
Ueberzuge des linken untern Lungenlappens ein Bluterguss, wodurch diese ganze Partie
6chwarzroth erscheint. Das ganze Herz mit schwarzem, geronnenem und schwärzlich-
braunrothem Blute angefüllt; letzteres röthet sich unbedeutend an der Luft und
reagirt sauer.
6) 1 G. Th. Glycerin wurde mit 2 G. Th. Schwefelsäure gemischt und
dieses Gemisch in ein gleiches Volumen eines Gemenges von 1 Vol. Salpetersäure
und 2 Vol. Schwefelsäure gebracht. Das gehörig ausgewaschene Präparat erstarrte
nicht bei — 0°, war aber sehr explosiv.
Eine kräftige Taube erhielt davon 0,93 Grm. Sogleich trat Erbrechen ein; nach
5 M. Schwanken und Neigung auf die Seite zu fallen, Herumgehen im Kreise; das Er-
brechen wiederholte sich alle 2 — 3 Minuten. Nach 17 und 20 M. erschien dasselbe zum
letzten Male; dann wurden keine Krankheitssymptome mehr beobachtet.
Am folgenden Tage erhält sie 1,2 Grm. von demselben Präparate. Nach 10 M.
vermehrt sich die Respiration bei übrigens ruhigem Verhalten; nach 20 M. nimmt das
Thier die Bauchlage ein ; nach 30 M. legt es sich nach vorn auf die Brust bei merklich
beschleunigter Respiration. Nach 40 M. erst schwache Zuckungen, dann die heftigsten
Convulsionen, worauf unter einigen spastischen Inspirationen und Pupillenerweiterung
der Tod eintritt. Einige Herzschläge sind noch hörbar.
Section nach 20 Stunden. Vorn auf der linken Hirnhemisphäre und auf der
Mitte des Kleinhirns ein erbsengrosses flüssiges Blutextravasat; Hirnhäute blutreich,
besonders an der Basis des Gehirns und in der Umgebung der Med. oblong. Lungen
schmutzig-grauröthlich, unter ihrem serösen Ueberzuge stellenweise kleine Blutextra-
vasate. Das ganze Herz mit schwarzem, geronnenem Blute angefüllt; das flüssige
Blut reagirte sauer.
Es ist höchst wahrscheinlich, dass mit der höhern Nitrirung auch die
Wirkung des Nitroglycerins auf den thierischen Organismus eine gefährlichere
wird. Wenn Verf. nach seinen frühern Beobachtungen andere Ansichten über
die Giftigkeit des Nitroglycerins entwickelt hat, so war jedenfalls die besondere
Beschaffenheit des Präparats die Ursache der schwächern Wirkung.2)
Nitroglycerin-Industrie. 485
Uebrigens hat bereits Schuchardt 3) beobachtet, dass Nitroglycerin
unter Umständen bis zu 10 Tropfen von Menschen genommen werden kann,
ohne dass beunruhigende Symptome eintreten. Stegemann sah sogar nach
einer Gabe von 5 Drachmen in l1 2 Unzen Branntwein Genesung eintreten, nach-
dem bloss Brennen im Munde, Würgen, Schwindel und ein Gefühl von Lähmung
in den Gliedern einige Stunden lang gedauert hatten; nur der Kopfschmerz hielt
bis zum dritten Tage an.
Beim vierten Versuche ertrug eine Taube sogar 1,8 Grm.* Nitroglycerin und
selbst eine sehr schwache und junge Taube starb nach 2,08 Grm. desselben Präparats
erst nach 45 Min. unter leichten Convulsionen. Beim sechsten Versuche traten bei
eiuer Taube nach 0,93 Grm. Nitroglycerin nur Erbrechen und Schwindel ein, ein
Beweis, wie sehr die Beschaffenheit des Präparats die Wirkung bestimmt.
In den letalen Fällen herrschen tonische und vorzugsweise klonische Krämpfe
vor, die rasch zum Tode führen, nachdem Schwindel, Würgen und Störungen in der
Respirations- und Herzthätigkeit vorausgegangen sind. Beim Leichenbefunde
fallen die Lungenhyperämie, die Ekchymosen und selbst Blutextravasate unter
der Pleura auf; auch Hirnhämorrhagieen können vorkommen; ausserdem ist das
Blut vorwiegend geronnen.
Unzweifelhaft wird sich Nitroglycerin im Organismus bald zersetzen; unter
den Zersetzungsproducten wird Stick oxyd nie fehlen, das aber rasch weiter zu
Salpetersäure resp. Untersalpetersäure oxydirt wird. Aus diesem Vor-
gange lässt sich die Wirkung auf die Respiration und das Blut erklären, dessen
saure Reaction deutlich nachweisbar war. Zunächst aber sehen wir die dem Nitro-
glycerin eigenthümliche Wirkung auf die Nervencentren , die sich stets durch
Uebelkeit, Schwindel, Taumel, Schwinden der Sinne, Ohnmacht, Bewusstlosigkeit
und convulsivische Bewegungen kund gibt; Verf. hat das Gefühl von grösster Hin-
fälligkeit noch in frischer Erinnerung, das der totalen Bewusstlosigkeit vorherging.
Die Restitution wird nur dann möglich sein, wenn die Zersetzungsproducte des
Nitroglycerins noch keine deletäre Wirkung auf das Blut ausgeübt haben.
Einige Beobachtungen sprechen dafür, dass Nitroglycerin auch von der un-
verletzten Haut resorbirt werden kann; jedenfalls ist es nicht zulässig, dass
die Fabrikarbeiter mit der blossen Hand anhaltend mit dem Nitroglycerin in
Berührung kommen, obgleich in manchen Fabriken das Mischen der Infusorien-
erde mit Nitroglycerin in jener Weise bewirkt wird, ohne dass man nachtheilige
Folgen dieses Verfahrens beobachtet hat; bei wunden Hautstellen dürften sie aber
nicht ausbleiben.
Bei der Darstellung von Nitroglycerin im Grossen präparirt man zuerst das
Säuregemisch in einem kühl gehaltenen Mischgefäss, indem man mit 2 Vol.
Schwefelsäure von 66° B. 9 Vol. Salpetersäure von 1,49 — 1,5 specifischem Gew.
in dünnem Strahle vermischt. Von diesem Säuregemisch gibt man 35 Th. in
ein gut gekühltes Mischgefäss und lässt unter beständigem Umrühren 9 Th.
Glycerin in derselben Weise zufliessen; in der Ruhe scheidet sich das Nitro-
glycerin als eine schwach gelb gefärbte Flüssigkeit ab. Das Gemisch lässt man
nun unter Umrühren in das 10 — 20fache Volumen kalten Wassers fiiessen, wobei
sich das Nitroglycerin als eine specifisch schwerere Flüssigkeit am Boden des
Gefässes ablagert.
Die zur Darstellung you Nitroglycerin erforderlichen Apparate sind sehr ver-
schieden und fast jede Fabrik beobachtet ein anderes Verfahren; der von Rudherg in
Stockholm construirte Apparat findet sich in vielen Fabriken. 3 Gefässe für das
486
Fette.
Fig. 51.
o3o
Säuregemisch, das Glycerin und Kühlwasser stehen auf einer hohen Bank: die beiden
erstem stehen mittels einer Röhre mit einem Kasten in Verbindung, der über einem
mit Blei ausgefütterten und mit treppenartig vertheilten Fächern versehenen und von
einem Holztroge umgebenen C anale auf Rädern ruht, um hin und her bewegt werden
zu können. In den Zwischenraum zwischen dem Holztroge und dem Canale leitet man
das Kühlwasser ein; dann lässt man das Säuregemisch in den Kasten fliessen, durch
dessen Bewegung es in die verschiedenen Fächer des Canals gelangt. Nun wird
das Glycerin zugeleitet: nachdem das Gemisch den Canal passirt hat, ist die Reaction
vollendet. Man lässt die Flüssigkeit in ein tiefer stehendes Gefäss mit Wasser ab, in
welchem sich das Nitroglycerin zu Boden setzt, das schliesslich noch einer Waschung
unterworfen wird.
Alle verschiedenen Methoden kommen darin überein, dass die Temperatur auf
15—18° erhalten werden muss, da mit einer höhern Temperatur auch die Gefahr der
Explosivität steigt.
Mit keiner Fabrication ist überhaupt mehr Gefahr für Gesundheit und Leben der
Arbeiter verbunden, als mit der Darstellung von Nitroglycerin. Es kommen hierbei
1) die bei der Fabrication auftretenden Gase und Dämpfe, 2) die grosse
Giftigkeit des Präparats uud 3) die grosse Explosivität desselben in
Betracht.
Auf die Absorption der Gase und Dämpfe wird in den wenigsten Fabriken
Bedacht genommen, obgleich sie sowohl mit Rücksicht auf die Arbeiter als auch auf
die Adjacenten dringend nothwendig ist.
Folgende Einrichtung empfiehlt sich erfah-
rungsgemäss sehr: In Fig. öl stellt A ein
Mischgefäss dar, welches von Steingut ist
und in einem Kühlapparat steht; es dient
zur Darstellung des Säuregemisches und der
Nitrirung. In beiden Fällen müssen die
Gase durch das Rohr 0 in eine Reihe mit
Wasser gefüllter Woulf 'scher Flaschen ge-
— y v~j[ jj leitet werden, deren letzte mit dem Schorn-
i — — ^T- ^°~f *rr -|i stein in Verbindung steht. Noch besser ist
es, in die ersten Flaschen eine Lösung von
Natriumcarbonat zur Absorption der sal-
petersauren Dämpfe und in die nächst-
folgenden mit Bleioxyd (Glätte) bestreute
Koks zur Absorption der Untersalpeter-
säure zu bringen. Die Verbindung mit
dem Schornstein ist immer nothwendig, um
den gehörigen Luftzug zu etabliren.
Das Mischgefäss ist mit einem Deckel
hermetisch geschlossen und der Rührer (Ä')
wird in einer Stopfbüchse luftdicht auf
und ab bewegt. L h sind die zuführenden
Trichter mit S förmig gekrümmter Spitze.
Immerhin ist ein geräumiges, nur mit einem
leichten Dache und offenstehenden Luken
versehenes Fabriklocal erforderlich, weil auch
bei der grössten Vorsicht die Absorption der
sauren Gase selten ganz vollständig gelingt.
Man zieht gegenwärtig leichte, durch Erd-
wälle von allen andern Localen getrennte
Schuppen vor. * )
*) In einem concreten Falle, in welchem es sich um die Anlage einer Dynamit-
fabrik handelte , gehörten zu den vielen Opponenten auch ein Seidenfabricant und ein
Gutsbesitzer; -Ersterer besass einige Hundert Schritte von dem projectirten Fabrik-
gebäude entfernt eine Seiden- und Saminetweberei und befürchtete mit Recht die Ein-
wirkung der salpetersauren Dämpfe. Dieselben machen bekanntlich gebleichte Seide
gelb und zerstören bei der gefärbten Seide die Farbe: kein Körper oder Stoff wird von
diesen Dämpfen so leicht angegriffen wie die Seide.
Der Gutsbesitzer, dessen Waldung sich ebenfalls bis auf einige Hundert Schritt nach
der projectirten Anlage hin erstreckte, befürchtete den nachtheiligen Einfluss der salpeter-
sauren Dämpfe auf die Baumpflanzung. Wegen des geringen Betriebs dieser Fabrik war
eine solche Befürchtung nicht begründet; eher war sie bei einem andern Concessionsge-
suche berechtigt, weil in diesem Falle die Ackerfelder unmittelbar die Fabrik begrenzten.
Nitroglycerin-Industrie. 48 7
Eine fortwährende Kühlung ist namentlich bei der Nitrirung, d.h. beim Zusatz
von Glycerin, mit der grössten Sorgfalt zu beachten, weshalb das bei A7 angebrachte
Thermometer beständig beobachtet werden muss. Viele Techniker verlangen, dass nament-
lich bei der Nitrirung die Temperatur nicht über 10 — 15° steige: auch muss das Glycerin
stets in geringen Mengen zugesetzt werden, weil sonst eine momentane Zersetzung
eintreten kann, wobei die ganze MischuDg explosionsartig aus dem Gefässe ge-
schleudert wird.
Neuerdings hat Mowbray auf den Hoosac Tunnel-Works bei North-Adams in
Massachusetts einen Strom kalter und trockner Luft benutzt, um 1) mittels
desselben theils die Untersalpetersäure aus dem Säuregemisch zu verjagen, weil grade
die Untersalpetersäure leicht Explosionen veranlassen soll, 2) um die Mischung von
Glycerin mit i dem Säuregemisch damit zu bewerkstelligen und Abkühlung zu be-
wirken. Jede stärkere Erwärmung wird durch kräftigere Mischung resp. Zuleitung der
Luft und verlangsamtes Eintröpfeln von Glycerin verhütet; auch bei der spätem
Waschung lässt er noch einen Strom Luft durchstreichen.4)
Beim Versetzen des nitrirten Gemisches mit Wasser müssen grosse
Gefässe benutzt werden und darf niemals das Wasser zum Gemisch, sondern das Ge-
misch muss stets zum Wasser gesetzt werden, da im erstem Falle eine so starke Er-
hitzung stattfindet, dass ebenfalls eine explosionsartige Zersetzung und Umherschleudern
der Masse zu befürchten ist.
Bezüglich der Waschwässer ist zu beachten, dass die an Schwefel- und Sal-
ßetersäure reichen Flüssigkeiten zum Aufschliessen von Phosphoriten, also bei der
'üngerfabrication Verwendung finden können, wohingegen das zweite und dritte Wasch-
wasser erst nach geschehener Neutralisation mit Kalkmilch und Ausscheidung des ge-
bildeten Gipses zum Abfluss gelangen kann.
Das letzte Waschwasser, welchem Natriumcarbonat zur vollständigen Neutrali-
sation zugemischt worden ist, hat eine gelbliche Farbe und einen höchst bittern Geschmack,
weshalb es niemals in Schlinggruben abfliessen darf. Da solche Fabriken meistens auf
öden Flächen angelegt sind, so kann viel eher ein Abfluss in grosse abgelegene Gruben
gestattet werden: auch nicht die geringsten Mengen von Nitroverbindungen dürfen mit
den Waschwässern abgeführt werden.
Diese letzte Waschung findet in den sogen. Buttermaschinen, in hölzernen
Kasten, statt, in denen Rührer mittels eines Getriebes bewegt werden. In Amerika
lässt man die Waschwässer noch in einen grossen Bottich und von diesem aus durch
in der Erde vergrabene Fässer fliessen, in welchen sich etwa weggeschlemmtes Nitro-
glycerin ansammelt: aus dem letzten Fasse nimmt das Wasser seinen Weg in's Freie.
Hinsichtlich der Giftigkeit des Nitroglycerins sind die Arbeiter anzuhalten,
niemals während der Arbeitszeit zu essen oder zu trinken, zu schnupfen, Tabak zu
kauen und zu rauchen, um nicht durch beschmutzte Finger die Nahrungs- oder Genuss-
mittel zu verunreinigen; übrigens ist das Tabakrauchen schon wegen der Feuergefähr-
lichkeit unstatthaft.
Die Arbeiter müssen einen besondern Raum für den Wechsel der Kleider haben,
da sie wenigstens besonderer Oberkleider für die Arbeit bedürfen. Wasser und Seife
zum Reinigen der Hände vor jeder Mahlzeit muss der Fabricant liefern.
In Betreff der grossen Feuergefährlichkeit sind sehr viele Vorsichtsmass-
regeln zu beobachten. Bei der Anfertigung und Aufbewahrung von Nitroglycerin
dürfen niemals metallene Apparate benutzt werden; ganz besonders sind alle metallenen
Krahnen zu vermeiden, um das Nitroglycerin nicht der geringsten Reibung auszusetzen ;
nur Steingutgefässe mit gläsernen oder porcellanenen Krahnen sind zulässig. Recht
zweckmässig sind die bekannten Quetschhähne von Kautschuk.
Nitroglycerin muss dabei stets in einer Temperatur gehalten werden, wobei ein
Krystallisiren unmöglich ist. Das Schmelzen der krystallisirten Masse darf nie über
freiem Feuer geschehen , sondern muss stets dadurch bewerkstelligt werden , dass man
das betreffende Gefäss in ein lauwarmes Wasserbad setzt. Sehr viele Unglücksfälle
sind durch unvorsichtige Behandlung des festgewordenen Nitroglycerins entstanden,
Bei der jungen Saat oder zur Blüthezeit des Roggens und Weizeus vermag eine Nitro-
glycerinfabrik, die keine Vorsorge für die Absorption der sauren Dämpfe trifft, allerdings
schädlich einzuwirken, namentlich wenn bestimmte Strichwinde diese Dämpfe stets nach
einer bestimmten Richtung hin treiben und die Fabrik in gleicher Ebene mit den Feldern
liegt. Es müssen in solchen Fällen stets die localen Verhältnisse berücksichtigt werden,
die sich jedoch so vielseitig gestalten, dass sie unmöglich alle erörtert werden können.
In dem oben beregten Falle wurde die Concession trotz allen Widerspruchs ertheilt,
weil der Coneessionär die Einrichtungen zur Absorption der Dämpfe den erörterten
Grundsätzen gemäss nachzuweisen vermochte; es wurden auch späterhin beim Betriebe
der Fabrik keine Klagen über eine nachtheilige Einwirkung der sauren Dämpfe laut,
488 Fette-
obgleich noch bei keiner Explosion ihre wahre und eigentliche Ursache entdeckt
worden ist, weil eben die nächsten Zeugen, welche Aufklärung verschaffen könnten, nicht
mehr vorhanden sind.
So erfolgte die Explosion einer Dynamitfabrik, welche einen Vorrath von
5 — 6 Centner Nitroglycerin natte, in einer Nacht, als des Abends plötzlich starker Frost
eingetreten war, so dass die Vermuthung nahe lag, dass man das Nitroglycerin auf eine
unvorsichtige Weise erwärmt und dadurch seine Explosivität gesteigert habe.
In den Räumen, wo das Aus- und Einschütten des Nitroglycerins geschieht, muss
der Boden mit einer dicken Lage gebrannten Gipses bedeckt werden, um dadurch etwa
verschüttetes Nitroglycerin schnell aufsaugen zu lassen. _
Zu Magazinen dürfen nur leichte Schuppen mit Lehm wänden dienen, die mit
einem 1 Meter hohen Walle zu umgeben sind; noch zweckmässiger ist es, Aushöhlungen
anzulegen und mit der ausgeworfenen Erde einen Wall herzustellen.
Zum Versenden des Nitroglycerins bedient man sich in Amerika Weissblech -
kannen, welche inwendig mit Paraffin überzogen sind. Die gefüllten Gefässe werden in
hölzerne, mit Eismischungen versehene Bottiche gestellt, bis der Inhalt gefroren ist;
sie werden dann in offene hölzerne Kisten verpackt, deren Boden mit Schwamm bedeckt
ist; untereinander werden sie durch Guttapercharöhren befestigt. Im Sommer ist der
Boden mit einer Lage Eis versehen; zum Aufthauen des Nitroglycerins ist jede Kanne
mit einer entsprechenden, in der Mitte von oben nach unten gehenden Röhre versehen,
um damit 21 32° C. warmes Wasser einzulassen; zum Verschluss dient ein mit einer
Blase versehener Kork. Auf diese Weise soll auch krystallisirtes Nitroglycerin mit der
grössten Sicherheit transportirt werden können.
Darstellung des Dynamits. NoI/ePs Dynamit enthält 75—77 Th. Nitroglycerin
und 23—25 Th. Kieseiguhr; letztere wird vor der Mischung calcinirt und gesiebt. Das
Sieben ist in sanitärer Beziehung nicht gering zu achten, da der sich bildende Staub
wegen des Gehalts an Kieselsäure sehr gefährlich ist; man soll daher die Arbeiter
vor diesem Staube schützen. In der Regel wird die Masse mittels Handwalzen zerdrückt
und durch ein Drehsieb geworfen, um die grobem Kieselkörner zurück zu halten.
Die Mischung wird häufig in demselben Schuppen vorgenommen, in welchem
das sog. Buttern, die letzte Entsäuerung des Nitroglycerins, stattfindet, ein Verfall ren,
welches ganz verwerflich ist. Die Infusorienerde wird in Holzkasteii mit dem Nitroglycerin
übergössen und dann mit der blossen Hand durchknetet; vielfach bringt man das Ge-
menge noch auf Siebe von Eisendraht und reibt es mit der Hand durch das Sieb, um
noch gröbere Kieselkörner zu entfernen und ein gleichförmiges Gemenge darzustellen.
Bei der Dynamitfabrication besteht die wichtigste und niemals zu vernach-
lässigende Vorsichtsmassregel in der Trennung der verschiedenen Arbeitsräume,
die ausserdem niemals aus massivem Mauerwerk bestehen dürfen, damit beietwaigeu
Explosionen ihre Wirkung nicht dadurch noch erhöht wird. Alle Fabriklocale
müssen unterirdisch hegen, damit ihre Temperatur constant 11 — 12° C. beträgt
und keine künstliche Erwärmung nothwendig ist. Auch hier ist eine Umwallung unerläss-
lich, welche bis 4 Fuss hoch über das Dach hinausgeht; die Einschnitte des Walles resp. die
Eingänge müssen noch mit einem Vorwall versehen sein, während der überirdische
Theil der Gebäude bloss eine Holzconstruction und Pappbedachung haben darf. Die
Entfernung von Wohnungen betrage wenigstens 20 Minuten.
Wenn für gewisse Fälle eine Beleuchtung nothwendig ist, so darf dieselbe nur
von aussen bei geschlossenen Fenstern angebracht werden; im Allgemeinen ist aber die
Arbeit bei künstlichem Lichte zu vermeiden, Vorsichtsmassregeln, welche auch bei der
Fabrication des Nitroglycerins zu beachten sind.
Bei der Anfertigung der Dynamit-Patronen müssen die Arbeiter in der sogen.
Stopfkammer in besondern, durch Bretter bewirkten Abtheilungen beschäftigt werden,
um auf diese Weise ganz isolirt zu sein: auch dürfen nicht zu viele Arbeiter in derselben
Kammer beschäftigt sein, um die Anhäufung des Materials zu vermeiden. Besser
ist es, jedem Arbeiter einen besondern Stand zu geben; der jedesmalige Vorrath darf
nur für 4 Stunden Arbeitszeit und in einer besondern Schale verabreicht werden.
Grosse Füllbeutel, die den Dynamit enthalten und unter denen die Arbeiter
sitzen , sind ganz zu verwerfen, da sie leicht Unglücksfälle veranlassen.
Accor darbeiten sind nicht zulässig, weil nirgends eine Uebereilung nach-
theiliger einwirken kann als in einer Dynamitfabrik. Bei der Explosion einer solchen
Fabrik war wahrscheinlich die übereilte Arbeit die Ursache des Unglücks; sie war Abends
10 Uhr erfolgt, als die meisten Arbeiter noch beschäftigt waren. 15 Menschen wurden
zerschmettert und 2 Männer starben noch nachträglich an den Folgen der erlittenen Ver-
letzung. Die Erschütterung durch die Detonation wurde in einem Umkreise von 3 Stunden
wahrgenommen.
Ferner ist sehr darauf zu achten, dass alle metallenen Werkzeuge vermieden
Dynamit. 4§9
werden. Das Pergamentpapier für die Patronen wird über einen hölzernen Stock gerollt und
am untern Ende, welches den Stock % Zoll überragt, nach innen zu zusammengehalten.
Die Patrone wird dann mit dem Stocke in eine entsprechende messingene oder
kupferne Hübe gesteckt, der Stock herausgezogen und eine zweite etwas engere Hülse
eingeführt, um das Papier überall fest an die Wandungen des ersten Cylinders anzu-
drücken ; dann wird der Dynamit allmäklig in die Patrone eingeführt und zwar ge-
wöhnlich in der Weise, dass man den Cylinder mit dem leinenen Füllbeutel in Verbindung
bringt. Der Dynamit wird aber noch mittels eines Stempels niedergedrückt und gleichsam
eingestampft; weder dieser noch der äussere Cylinder sollte von Metall sein, damit
keine gefährliche Friction entstehe. Grade bei übereilten Arbeiten kann bei diesem
Acte der Anfüllung der Patronen leicht die Gefahr heraufbeschworen werden.5)
Alle fertigen Patronen müssen sofort aus dem Arbeitsraume entfernt und nach
dem Magazin gebracht werden; letzteres soll nie vor oder nach Sonnenuntergang be-
treten werden. Sämmtliche Gebäude sind mit Blitzableitern zu versehen
Beim Transport des Nitroglycerins resp. Dynamits sind alle Vorsichtsmass-
regeln wie bei dem des Schiesspulvers zu beobachten; er darf nicht mittels der
Eisenbahn, Post oder Dampfschiffe, sondern niuss durch besondere Fuhren geschehen.
Die Untersuchungen, welche von Bulley, Pestalozzi und Kundt behufs Ermittelung
der Gefährlichkeit des Dynamits beim Transport angestellt worden sind6), gelangen zu
dem Ergebnisse, dass die Gefahr der Explosion durch Stoss erst vorhanden sei, wenn
der Dynamit mit starker Intensität zwischen 2 metallene Körper gestossen werde;
die gewöhnlichen Stösse in Kasten beim Transport dürften kaum im Stande sein, eine
Explosion zu erzeugen; eine Selbstzersetzung des Dynamits, wie sie beim Nitroglycerin
eintreten kann, sei bis jetzt noch nicht vorgekommen.
Nach unsern eigenen Versuchen kann bestätigt werden, dass nicht fest ver-
schlossener Dynamit im Feuer nicht explodirt; er brennt aber nicht langsam fort, wie
die obigen Experimentatoren angeben, sondern zischend und mit Geräusch wie Schiess-
pulver. Auch dürfte denselben darin nicht beizustimmen sein, dass selbst bei Feuers-
bruust in Räumen, in denen Dynamit lagert, eine Explosion nicht zu fürchten sei.
„Dynamit, welcher in einem Gefäss mit einiger Widerstandsfähigkeit eingeschlossen
ist, kann im Feuer mit Kraft explodiren. "*
Wirft man ein zolldickes Stück einer Patrone in einen brennenden Ofen, so erfolgt
eine so starke Explosion, dass die Wiederholung des Experiments gefährlich erscheint.
Folgende Sätze unterliegen keinem Bedenken:
1) Völlig fest eingeschlossener Dynamit kann durch einen hinreichend starken
Stoss explodiren.
2) Offener Dynamit kann durch Stoss explodiren, wenn er sich beim Stosse
zwischen 2 sehr harten Körpern, wie Eisen, befindet; für die Explosion ist aber noth-
wendig, dass die Intensität des Stosses nicht unter eine gewisse Grenze sinkt.
3) Erfolgt der Stoss zwischen Stein und Eisen, so gelingt es nur in den seltensten
Fällen, eine Explosion hervorzurufen; erfolgt der Stoss zwischen Holz und Eisen, so
tritt in den Grenzen des Yersuchs keine Explosion ein.
4) Durch Hammerschlag auf eisernem Amboss explodirt auch die kleinste Menge;
auf einem Sandstein-, Cement- oder Holzboden gelang es nie, mit einem Hammerschlag
Explosion hervorzurufen Auf einem Stein- und Holzboden konnte sogar eine Quan-
tität Dynamit anhaltend mit einem Hammer geschlagen oder unter energischem Drücken
mit demselben oder einem andern eisernen Instrumente gerieben werden, ohne dass
Explosion erfolgte.
5) Starke electrische Funken rufen keine explosive Zersetzung des Dynamits
hervor: nur wenn durch mehrere Funken eine starke Erwärmung eintritt, geht eine
langsame, theilweise Verbrennung vor sich.
Obwohl diese Thatsachen nicht zu leugnen sind, so erscheint es doch gewagt, dem
daraus gezogenen Schlüsse beizutreten, dass Temperaturveränderung, starke Hitze, selbst
directes Feuer keine Explosionsgefahr des Dynamits bedingen, wenn letzterer nicht in
einem Räume von bedeutender Widerstandsfähigkeit fest eingeschlossen ist.
Es sind noch lange nicht alle Umstände bekannt, unter denen eine Explosion
eintreten kann, noch lange nicht sind die traurigen Fälle aufgeklärt, wodurch schou
viele Menschen zu Grunde gegangen sind. Factisch ist es, dass jede Temperaturerhöhung
des Dynamits auch seine Explosivität vermehrt, wenn er in diesem Zustande einem
Stosse ausgesetzt wird. Sowohl bei der Bereitung als auch beim Transport des Dynamits
ist die grösste Vorsicht erforderlich.
Es ist noch zu erwähnen, dass viele andere Mischungen von Nitroglycerin unter
anderm Namen vorkommen. So stellt der Lithofracteur Nitroglycerin resp. Dynamit
mit einem Zusätze von Steinkohlenpulver, Chilisalpeter und Schwefel dar. Dualin ist
eine Mischung von Nitroglycerin mit nitrirten Sägespänen: selbstverständlich verdienen
diese Fabricate gleiche Beachtung wie Dynamit.
490 Kohlehydrate.
Die Verbrcnnungsproducte des Lithofracteurs werden bei dem Gehalte an Kohle
sicher Kohlenoxyd enthalten und deshalb bei unterirdischen Arbeiten doppelte
Vorsicht erfordern.
Um den Dynamit zu entzünden, bedient man sich dreifach geladener Zünd-
hütchen, welche in die Zündpatronen so eingesetzt werden, dass ein Theil des Hütchens
noch ans dem Dynamit herausragt. Der Papierrand der Hülse wird aufgebogen und
an die Zündschnur mit Bindfaden angebunden) diese Stelle muss mit Wasser, Pech
oder Talg umgeben werden, wenn es sieh um Sprengungen unter Wasser handelt. Noch
besser sind für diesen Zweck dünne Blechpatronen, in deren Hals die Zündschnur
mit Hütchen wasserdicht eingesetzt ist.
Sprengungen mit Dynamit belästigen die Arbeiter jedenfalls weit geringer als
die mit flüssigem Nitroglycerin. Selbst in Graben, deren Ventilation keine ausreichende
ist, soll sich nach Angabe der Techniker kein bemerkenswerther Nachtheil für die
Arbeiter herausgestellt haben, was übrigens zweifelhaft erscheinen dürfte, da überall, wo
solche Sprengungen vorgenommen werden, eine kräftige Ventilation ein sanitäres Er-
forderniss ist, denn es müssen sich die Zersetzungsproducte des Nitroglycerins in einem
geschlossenen Räume stets mehr oder weniger geltend machen, weshalb die notliwendigen
Vorsichtsmässregeln nie zu vernachlässigen sind.7)
Kohlehydrate.
In der Natur gibt es zahlreiche Verbindungen von Kohlenstoff, Wasserstoff
und Sauerstoff, welche noch der Hexylgruppe angehören, sich aber dadurch
auszeichnen, dass der Wasserstoff und Sauerstoff zwar in verschiedeneu Mengen,
jedoch stets in dem Verhältnisse auftritt, in welchem diese Elemente Wasser bilden.
Der erste Repräsentant dieser Verbindung ist der Traubenzucker CfiH120,;,
aus diesem entsteht duixh Abgabe von Wasser gleichsam ein höher organisirter
Körper, der Rohrzucker Ci2H220n,
2 C6 H12 06 — H2 0 = C12 H22 On i
welcher als Anhydrid des Traubenzuckers betrachtet werden kann, während
Stärkemehl C<;Hlü0.i als zweites Anhydrid ohne alle krystallinische Structur
auftritt; schliesslich entsteht aus dem Stärkemehl die Cellulose oder Pflan-
zenfaser CgHioO,-,. Durch Zufuhr von Wasser kann man wiederum aus der
Cellulose, dem Stärkemehl und dem Rohrzucker Traubenzucker bilden.
Aelmliche Gebilde finden sich auch im thierischen Organismus: der Trauben-
zucker tritt aber hier mehr als pathologisches Product, namentlich im Harn der
Diabetiker, auf und wird bisweilen durch den Muskel zuck er, Inosit C6H12C6, ver-
treten; im Harn der Diabetiker findet sich dieser nämlich, wenn aller Traubenzucker
verschwunden ist. Inosit ist gährungsunfähig und kommt namentlich im Muskelfleisch.
im Gehirn und Lungengewebe, in der Pflanzenwelt reichlich in unreifen Leguminosen
vor; Vohl hat ihn 1856 zuerst im Safte der Bohne (Phaseolus vulgaris) aufgefunden.
Die sogenannten Amyloide im Thierorganismus sind ebenfalls pathologische Producte
und unterscheiden sich von den pflanzlichen Amyloiden durch den Stickstoffgehalt. Die
Cellulose wird durch Jod nicht blau gefärbt; versetzt man sie aber mit concentrirter
Schwefelsäure, so wird sie allmählig gelöst und durch Wasser in weissen Flocken
ausgeschieden, die durch Jod blau gefärbt werden Die so veränderte Cel lul ose nennt
man in der Chemie ebenfalls Amyloid.
Alle Kohlehydrate charakterisiren sich dadurch, dass sie mit oxydiren-
den Körpern, mit Kaliumchromat und Schwefelsäure, mit Braunstein und Schwefel-
säure Ameisensäure liefern; sie nehmen in der Industrie eine höchst wichtige
Stellung ein, da sich einerseits die Zucker- und Stärkemehlfabricatiou
Traubeuzuckerindustrie. 491
sowie die Bierbrauerei, andrerseits die Papierfabrication, die Baum-
wollen-, Flachs- und Leinenindustrie an dieselben knüpfen.
Zuckerindustrie.
A. Traubenzuckerindustrie.
Traubenzucker, Krümelzucker, Glycose C(;H1206 kommt iu der Pflanzenwelt
von der niedrigsten Flechte bis zu den am vollkommensten organisirten Pflanzen vor;
am meisten findet er sich iu den Früchten. Seine Darstellung beruhte in
frühern Zeiten auf der Ausscheidung aus dem Honig, in welchem er neben
Schleimzucker, dem nicht krystallisirbaren Fruchtzucker CöH12Ot;? vorkommt;
bei seiner grossen Bedeutung für die Industrie musste er auf billigere Weise
dargestellt werden. Man hat das Stärkemehl und die Pflanzenfaser
(Lumpen, Sägespäne u. s. w.) zur reichlichem Gewinnung dieses Zuckers benutzt,
um seine Verwendung bei der Wein- und Bierbereitung, bei der Branntwein-
und Essigfabrication sowie in den Färbereien als Reductionsmittel zu er-
möglichen.
Die Fabrication des Traubenzuckers hängt gegenwärtig mit der
Fabrication des Kartoffelstärkemehls eng zusammen.
Man hat hierzu die reine Kartoffelstärke, die Abfälle bei ihrer Fabrication oder
die geriebenen Kartoffeln selbst benutzt. Für die Weinfabrication kann nur der aus
der reinen Stärke, für die Bierfabrication auch der aus den stärkemehlhaltigen Ab-
fällen gewonnene Traubenzucker benutzt werden. Der aus Kartoffelbrei erhaltene
Zucker dient nur zur Branntwein- und Alkoholfabrication.
Die Darstellungsmethode des Traubenzuckers bleibt sich hierbei gleich, der
Unterschied besteht nur darin, dass im letztern Falle am meisten Schwefelsäure zur
Anwendung kommt.
Die Manipulationen zerfallen in 4 Hauptabtheilungen:
1) Die Gewinnung des Zuckers mittels Schwefelsäure. Grosse
verbleite Bottiche, in welchen Stärkemehl mit verdünnter Schwefelsäure zu-
sammengebracht wird, werden mittels Dämpfe erhitzt. Das Sieden dauert
zuweilen 36 Stunden und zwar unter Entwicklung sehr übelriechender Dämpfe,
da sich in Folge der Einwirkung der Schwefelsäure auf Stärkemehl resp. auf die
stärkemehlhaltigen Fasern und Schalen ein eigenthümliches Oel von ekelhaftem
Geruch bildet, welcher bei vielen Individuen Erbrechen erregt. Das Wasser,
welches damit imprägnirt ist, geht sehr rasch in Fäulniss über, darf daher
nicht in Schlinggruben abgelassen werden.
Neben dem im Deckel befindlichen Mannloch, welches Yerschliessbar ist, muss
ein Abzugsrohr für die entweichenden Dämpfe angebracht werden: man leitet sie
durch ein Schlangenrohr, das beständig abgekühlt wird, um ihre Condensation zu be-
wirken. Die condensirten Dämpfe werden mit dem Condensationswasser in einem
Canale gesammelt, aus welchem ein Abzugsrohr für die nicht condensirten
Dämpfe zum Schornstein führt; die condensirte ölige Substanz schwimmt auf
dem Condensationswasser. Der Abfluss dieser Wässer in grosse Wasserläufe ist bei
grosser Verdünnung gestattet; es ist deshalb für den Betrieb einer solchen Fabrik die
Lage an einem Flusse von der grössten Bedeutung. Lässt man die Wässer in Bäche,
Gräben oder Wasserläufe mit geringem Gefälle ab, so erzeugt sich sehr leicht die
Alge, welche als Leptomitus lacteus in der Zuckerindustrie sehr bekanntgeworden
ist; Behandlung dieser Wässer mit Kalk oder andern Desinfectionsmitteln (fiüüern'a
Mittel) ist daher absolut erforderlich, wenn sie nicht sofort zum Abfluss gelangen
können oder nur kleiue Wasserläufe zur Verfügung stehen.
2) Die Neutralisation mit Calciumcarbonat und Abscheidung
des gebildeten Gipses (Filtration). Die schwefelsaure Traubenzuckerlösung
lässt man siedend heiss in verbleite und mit einem Rührwerk versehene Präci-
492 Kohlehydrate.
pitirbottiche laufen. Man setzt geschlemmte Kreide hinzu; unter starkem Auf-
brausen scheidet sich die Schwefelsäure als Gips aus, weshalb man nur kleine
Quantitäten Kreide zusetzen darf.
Man vermeide den Zusatz von Kalkmilch (Aetzkalk), weil sich beim geringsten
Ueberschuss des Fällungsmittels ein Kalksaccharat bildet, welches Blei und andere
Metalle auflöst. Um die letzte Spur von Gips zu entfernen, digerirt man schliesslich
mit ßariumcarbonat.
Durch Decantation trennt man den klaren Syrup vom Präcipitat: letzteres
wird 2 — 3 mal mit siedendem Wasser ausgewaschen: das Waschwasser wird wieder zum
Anrühren neuer Portionen Stärkemehl benutzt.
3) Das Eindampfen des Traubenzuckersyrups. Die Dampfpfannen
communiciren mittels eines Rohrs mit den Bottichen; die aus der Zuckerlösuug
entweichenden Wasserdämpfe werden durch einen Dampfmautel in's Freie oder
in den Fabrikschornstein geleitet.
Die Verdampfung wird bis zu 33° B. der Flüssigkeit fortgesetzt. Der auf diese
Weise erhaltene flüssige Syrup, Stärkesyrup, bleibt noch einige Tage bis zur
vollständigen Ausscheidung des Gipses stehen. Die klare Flüssigkeit wird an Brauer
und Honigkuchenbäcker verkauft; für feinere Backwaaren und die Liqueur-
l'abrication ist eine nochmalige Filtration über Knochenkohle erforderlich.
Will man Traubenzucker aus dem Syrup darstellen, so verdampft man ihn im
Vacuum oder in offenen Pfannen mittels Wasserdämpfe bis zu 39° B. ein.
4) Die Krystallisation. Die Krystallisatiousgefässe, in welche der ein-
gedickte Syrup gelangt, müssen in kellerartigen Gewölben 6 — 8 Tage lang
stehen; die Krystallisation findet dann in blumenkohlartigen Wucherungen statt.
Wenn die Krystalle schon ziemlich farblos sind, so werden sie mittels hydrau-
lischer Pressen in ca. l/4 Centner schwere Würfel gebracht; eine feine Waare wird
aber vorher nochmals mit Thierkohle behandelt und umkrystallisirt, um eine vollstän-
dige Reinheit zu erzielen.
Enthält ein solcher Zucker Gips, so kann er zur Weinfabrication nicht benutzt
werden, da sich möglicherweise während der Gährung Schwefelcalciu m bilden
kann, welches zur Entwicklung von Schwefelwasserstoff Veranlassung gibt.
Der aus den Krystallisationsgefässen abfliessende Zuckersyrup wird nochmals
weiter eingedampft, um dadurch allen krystallisirbaren Zucker zu erhalten.
Die Mutterlauge (Melasse), welche schliesslich erhalten wird und fast keinen
krystallisirten Zucker mehr enthält, ist gewöhnlich mit Arsen (der gebrauchten Schwefel-
säure), Blei, Zink und Kupfer verunreinigt. Man nennt diese Melasse auch häufig mit
Unrecht Stärkesyrup. Malzersatz, und benutzt sie in Branntweinbrennereien und
Bierbrauereien {Hoff'sches Malzextract).
Syrop imponderable ist ein Syrup, welcher noch unzer setztes Dextrin
enthält und eine dichte, in Wasser leicht lösliche Masse ohne Krystallisation darstellt.
Man präparirt ihn aus viel Stärkemehl und wenig Schwefelsäure; er dient zur
Fabrication von Confitüren, eingemachten Früchten und Fruchtsyrupen.
Gekörnter Traubenzucker wird in der Weise dargestellt, dass man zur
Krystallisation offene Fässer mit siebförmig durchlöchern Böden benutzt. Diese
Oeffnungen werden mit kleinen Holzpflöcken verschlossen: man nimmt sie weg, wenn
die Flüssigkeit etwa zu zwei Drittel mit Krystallen erfüllt ist, damit der Syrup ab-
tropfen kann, der noch Dextrin enthält und bei der nächsten Operation wieder mit
Schwefelsäure gekocht wird. Die Krystalle werden in einem Luftstrome getrocknet
und bestehen aus einer Menge rhomboidaler Täfelchen; dieser Zucker ist dem Rüben-
rohrzucker sehr ähnlich und dient auch zum Verfälschen desselben.
Wird der Traubenzucker aus stärkemehlhaltiger Faser oder aus Kar-
toffelbrei dargestellt, so ist die Melasse um so schlechter und kann dann nur zur
Branntwein- oder Essigfabrication verwendet werden; dass hier die Verunreinigungen
in einem noch stärkern Grade auftreten, resultirt aus der Anwendung der grössern
Menge Schwefelsäure.
In Frankreich hat man früher Holz, Sägemehl, Holzsägespäne u. s. w. durch
Schwefelsäure in Traubenzucker übergeführt und letztern zur Darstellung von Brannt-
wein benutzt; man hat jedoch diese Methode wieder aufgegeben, weil sie umständlich
und nicht so nutzbringend wie die aus Kartoffelstärke war.
Bei der Darstellung des Traubenzuckers aus Trauben benutzt mau
Rohrzuckerindustrie. 493
den Saft der weissen Trauben, welchen man schwefelt, um ihn länger aufbe-
wahren zu können und durch Absetzen zu klären. Um einen Theil der Wein-
säure zu neutralisiren , gebraucht man Marmor oder Kreide; man erhitzt dann
den Most bis zum Sieden und iässt ihn so lange stehen, bis sich die unlöslichen
Calciumsalze abgelöst haben. Hierauf erfolgt die Klärung mit Rindsblut, das
Abschäumen und das Eindampfen bis zu 26° B.
Man giesst die ausgeschiedenen Unreinigkeiten ab, nachdem der Most einige Zeit
in Fässern abgelagert hat. Nach einem abermaligen Einkochen bis auf 34° B. erhält
man einen Syrup, welchen man als solchen verwenden kann, wenn man nicht festen
Traubenzucker daraus darstellen will. Zu dem Ende kocht man ihn noch stärker ein
und bringt ihn in Krystallisirgefässe, in welchen sich im Verlaufe von einigen Wochen
körnige Krystalle ausscheiden, welche man in Zuckerhutform bringt, damit der nicht
krystallisiren de Zucker, Schleimzucker (Chylariose, vuXcipiqv. Syrup), abgeschieden
und durch Decken mit reiner Traubenzuckerlösung verdrängt wird; auch kann man
die Krystalle zu diesem Zwecke in Centrifugalmaschinen behandeln.
Die Krystalle des Traubenzuckers enthalten I Molec. Wasser, nur beim
Umkrystallisiren aus absolutem Alkohol können sie wasserfrei erhalten werden. Der
Traubenzucker ist im Wasser weniger löslich als Rohrzucker und auch weniger süss;
die Lösung lenkt die Polarisationsebene nach rechts ab. Die beim Verdampfen der-
selben entstehenden Krystalle gehören in das rhombische System; bei 170° schmelzen sie
unter Abgabe des Wassers und es entsteht Glycosan CfiHi0Oj. Beim stärkern Glühen
verwandelt sich der Zucker in Caramel, in ein braungefärbtes Gemenge verschiedener
Verbindungen. Mit Basen geht er constante Verbindungen ein, mit Kochsalz bildet er
einen leicht krystallisirbaren Körper und mit vielen organischen Stoffen, namentlich
mit Säuren, ätherartige Verbindungen (Glucoside), welche den Glyceriden ent-
sprechen. Bei Gegenwart von Basen findet leicht eine Oxydation desselben statt und
verwandelt er namentlich eine alkalische Kupferoxydlösung in Kupferoxydul
(ZuckerprobeJ ; er ist unmittelbar gährungsfähig.
B. Kohrzuckerindustrie.
Rohrzucker C12H22 0n kommt in sehr verschiedenen Pflanzensäften, aber
ganz besonders im Zuckerrohr (Saccharum officinarum) vor, von dem er auch
den Namen Rohrzucker erhalten hat.
Verschiedene Palmen, die Melonen, Kürbisse, Maisstengel und vorzüglich der
Zucker-Ahorn, Acer saccharinum, enthalten neben Traubenzucker Rohrzucker; letzterer
wird in den südlichen Staaten von Nordamerika aus dem Zuckerrohre nur für den
häuslichen Bedarf dargestellt. Ausserdem liefern die Blüthen der Cactus, verschiedene
Allium- Arten und ganz besonders die Knollengewächse aus den Familien der Cruciferen,
die Runkelrüben, den Rohrzucker.
Er krystallisirt in wasserhellen schiefen Säulen und ist in Alkohol schwer löslich :
Zuckerlösung lenkt die Polarisation nach rechts. Bei längerer Erhitzung auf 170°
spaltet er sich in Traubenzucker und Levulosan:
C12H32On = C6H1206+C6H1005.
Bei 200° geht er in Caramel über. Mit Alkalien und alkalischen Erden ver-
bindet sich der Rohrzucker wie der Traubenzucker; durch die Hefe verwandelt er sich
zunächst in Traubenzucker und spaltet sich dann in die Producte der geistigen Gährung:
Kohlensäure und Alkohol. Ein Gemisch von Salpetersäure und Schwefelsäure führt
ihn in eine explosive Verbindung, in Nitrosaccharit, über.
Bei gelinder Wärme wird er durch Salpetersäure in Zuckersäure verwandelt:
C13H22On + 3O2 = 2C6H10O84-H2O.
Wird er damit gekocht, so geht er in Oxalsäure über:
CJ2H22011 + 902=6C2H204+5H20.
Zur technischen Darstellung des Rohrzuckers im Grossen wird hauptsächlich
das Zuckerrohr und die Zuckerrübe benutzt.
1) Rohrzucker aus dem Zuckerrohr.
Die Zuckerfabrication basirt im Allgemeinen auf dem Auspressen des
Saftes aus dem Zuckerrohr mittels eiserner Walzenpresseu und dem Klären
und Eindicken desselben.
404 Kohlehydrate.
Der Saft wird zunächst mit Kalkmilch behandelt und dann in der Siederei in
einem System von eisernen oder kupfernen Kesseln eingekocht und zwar bis zum
Krystallisationspuncte: hierauf gelangt er in die Krvstallisirbottiche. Ein falscher durch-
löcherter Boden läset es zu. dass der nicht krystallisirte Theil (Syrup oder Melasse)
abgelassen werden kann: die zurückbleibende Masse heisst Rohzucker, Moscovade
oder Puderzucker. Ein mit Thon gedeckter Rohzucker, welcher in Broten in den
Handel kommt, heisst Cassonade.
Im Handel unterscheidet man den westindischen Rohzucker (Cuba, Haiti,
Jamaica, St. Thomas. Havanna u. s. w.), den amerikanischen (Rio Janeiro, Suri-
nam u. s. w. ) und den ostindischen (Java, Manilla, Siam u. s. w.).
Die Melasse stellt eine wässrige Lösung von krystallisirbarem Zacker,
Schleimzucker, kleinen Mengen von Caramel, stickstoffhaltigen Substanzen und
Mineralsalzen in sehr wechselnden Verhältnissen dar; sie ist von dunkelroth-
brauner Farbe, süssem Geschmack und fadenziehender Beschaffenheit.
Hauptsächlich dient sie in den Colonien für die Rumbereitung und nur der
kleinere Theil davon wird wie Syrup als Nahrungsmittel benutzt.
Der R.ohzucker enthält stets ziemlich viel von dieser Melasse und ist dadurch
gelb und braun gefärbt, weshalb er einer Raffination unterworfen werden muss.
Das Raffiniren des Rohzuckers geschah früher fast nur in Europa, jetzt
aber meist schon an Ort und Stelle, wo der Zuckersaft gewonnen wird; es zerfällt
in folgende Manipulationen:
1) Das Schmelzen und Klären. Die Auflösung wird in kupfernen, mit
Dampf geheizten Pfannen vorgenommen. In einer zweiten, mit doppeltem Boden
versehenen Pfanne (Läuterpfanne) setzt man das Klärmittel zu, wozu man gegen-
wärtig hauptsächlich die Knochenkohle benutzt; früher gebrauchte man viel-
fältig defibrinirtes Ochsenblut und gleichzeitig Beinschwarz.
Die Aufbewahrung von grossen Mengen des Klärmittels in den betreffenden
Raffinerien erzeugte früher viele Belästigung für die nächste Nachbarschaft , wenn das
Blut in Fäulniss überging und dann ein^n höchst widerlichen Geruch verbreitete. Zur
Verhütung derselben ist es zweckmässig, gut geschwefelte Fässer, in die man noch etwas
wässrige schweflige Säure oder schwefligsaures Calcium gibt, für die Aufbewahrung des
Blutes zu verwenden.
Häufig wendet man noch Kohle und Blut zum Läutern an: das geronnene Blut-
eiweiss, welches die trübemachenden Bestandtheile aufnimmt, scheidet sich in diesem
Falle mit dem Kohlenpulver an der Oberfläche als ein dicker Schaum aus.
2) Das Filtriren der geklärten Zuckerlösung; 3) das Kochen des Klärsels,
•4) das Krystallisiren und Kühlen. 5) das Füllen in Formen und 6) das
Decken und Trocknen geschieht fast ganz so wie bei der Runkelrnbenzucker-
fabrication.
2) Rohrzucker aus Runkelrüben.
Obgleich der Rohrzucker in der Runkelrübe schon 1747 vom Apotheker
Marggraf in Berlin nachgewiesen und die Darstellung desselben empfohlen
worden, so dauerte es doch noch lange, ehe der Rübenzucker mit dem Colonial-
zucker eine Concurrenz eingehen konnte. Erst am Ende des vorigen Jahr-
hunderts errichtete Achard in der Niederlausitz die erste Fabrik dieser Art
und verwaltete sie auf Anordnung des Königs von Preussen mehrere Jahre lang.
Obgleich die durch Napoleon I. angeordnete Continentalsperre eine geeignete
Veranlassung gab, dieser Fabrica tion einen bedeutenden Vorschub zu leisten, so
waren doch noch viele Jahre dazu nöthig, um eine vollständigere Saftgewinnung,
eine rationelle Reinigung und schnellere Concentration des Saftes, welche eine
ergiebigere Ausbeute an krystallisirbarem Zucker bedingt, kennen zu lernen.
Viele thätige und verdienstvolle Männer sind peeuniär zu Grunde gegangen, um
Kubenzucker. 495
spätem Industriellen den Nutzen zu verschaffen und eine Fabricationsniethode
zur Ausbildung zu bringen, welche gegenwärtig der Landwirtschaft und vielen
andern Gewerben die reichste Erwerbsquelle eröffnet hat, nachdem man immer
mehr erfahren hat, dass nur eine rationelle Verbindung des landwirtschaftlichen
Betriebes mit der Fabrication den Erfolg bedingt.
Chemische Zusammensetzung der Runkelrübe. Die Stammpflanze der
Runkelrübe (Zuckerrübe, Mangold) ist die an der spanischen und portugiesischen Küste
wild wachsende Beta maritima. Man zog sie zuerst in Gärten, um die Blattstengel
als Gemüse und die rothe Varietät der Wurzeln in verschiedener Zubereitung als Nah-
rungsmittel zu geniessen; erst im Anfange unseres Jahrhunderts wurde sie Futter-
pflanze und mit der Vervollkommnung der Rüben zuckerfabrication mit jedem Tage be-
deutungsvoller als Fabricationspflanze.1)
Von dem sorgfältigen Anbau der Runkelrübe hängt ihr Ertrag an Zucker ab.1)
Die frische Rübe enthält durchschnittlich 84 % Wasser und 9 10 % Rohrzucker ohne
Trauben- oder Schleim zucker. Der Maximalgehalt betragt 13 — 14% Zucker. In
1000 Theilen sind als Mittel vieler Analysen enthalten: an Eiweiss 29,30, an
Pectin 23,50, an Zucker 98,25, an Salzen in Summa 7,87, d.h. an Kali 3,21, an
Natron 1,58, an Kalk 0,80, an Magnesia 0,43, an Eisenoxyd 0,08, an Phosphor-
säure 0,58, an Schwefelsäure 0,36, an Chlor 0,59, an Kieselsäure 0,24 und an
Wasser 841,08.
Aus dem Vorkommen von Aspara ginsäure in den Melassen und Füllmassen
hat man auf das Vorhandensein von Asparagin in den Rüben geschlossen; dadurch
lässt sich auch die Entwicklung von Ammoniak nach Zusatz von Kalk bei der Runkel-
rübenzuckerindustrie erklären, da das an sich neutrale Asparagin beim Kochen mit
Alkalien oder Kalk unter Ammoniakentwicklung in Aspara ginsäure übergeht.
Wahrscheinlich enthalten die unreifen Rüben mehr Asparagin als die reifen,
wohingegen die Samenrüben nichts mehr davon enthalten werden. Rüben, welche über-
wintert haben, scheinen statt Asparagin Asparaginsäure zu enthalten.
In der jüngsten Zeit hat Scheiblf-r ein Alkaloid: Betain C30H33N3Oj2 im Rüben-
safte entdeckt, das bei der Krystallisation des Zuckers in die Melasse übergeht.
Darstellung des Zuckers ans Rüben. Im Allgemeinen ist zu bemerken, dass
der durch Kalkzusatz von seinem Eiweissgehalt und seinen freien Säuren befreite
zuckerhaltige Saft durch Abdampfen eingedickt und der ersten Reinigung,
der Klärung oder Defäcation unterworfen wird; nach gehöriger Abschäumung
folgt alsdann die zweite Reinigung oder Filtration. Durch fortgesetztes
Kochen stellt man die Zucker- oder Füllmasse dar, woraus sich schon ein grosser
Theil des Zuckers als erstes Product krystallinisch abscheidet. Diebetreffende
Mutterlauge heisst grüner Syrup, welcher durch Abdampfen das zweite und
dritte Product liefert.
Setzen sich in der Mutterlauge, d. h. in der von den ausgeschiedenen Krystallen
ablaufenden Flüssigkeit, keine Zuckerkrystalle mehr ab, so nennt man sie Melasse
und benutzt sie zur Alkoholdarstellung.
Die verschiedenen Producte kommen als Rohzucker in den Handel, wenn sie
nicht durch Decken und Raffiniren zu Raffinade oder zu verschiedenen Melis- und
Candissorten verarbeitet werden; der Handel mit diesem Rohzucker hat in der letzten
Zeit sehr an Ausbreitung gewonnen.
Betrachtet man specieller die einzelnen Operationen, welche bei der Rüben-
zuckerfabrication vorkommen, so sind viele derselben rein mechanischer Natur
und von keinem sanitären Interesse. Hierher gehört 1) das Waschen und
Putzen der Rüben mittels Waschmaschinen, wodurch die denselben anhängende
Erde u. s. w. entfernt wird. Die Construction der betreffenden Maschinen ist ver-
schieden; die hierbei abfallenden Wässer sind unschädlich und können frei ab-
gelassen werden.
2) Das Zerreiben oder Zerschneiden der Rüben. Auch hierzu ge-
braucht mau besondere Reibrnaschinen, von denen die von Thierry und Robert
498 Kohlehydrate.
die gebräuchlichsten sind; man bezweckt dadurch ein vollständiges Zerreissen der
Zellen und eine desto ergiebigere Ausbeute an Saft.
3) Die Gewinnung des Rübensaftes. Nach vielfachen Versuchen, aus
dem Rübenbrei durch Centrifugen, nach Schützenbach durch Maceriren, nach
Robert aus den grünen Schnitzeln durch das Macerations verfahren oder durch
Diffusion mittels der sogenannten Diffuseurs den Saft zu gewinnen, ist man
wieder znm Auspressen des Rübenbreis mittels der hydraulischen Presse
zurückgekommen.
Die Press rück stände, die sogenannten Presslinge, werden gewöhnlich als
Viehfutter verwendet und deshalb in Gruben eingemacht, wo sie einer sauren Gährung
unterliegen, welche neben Schwefelwasserstoff die übelriechenden fetten Säuren und
Milchsäure erzeugt. Diese Gruben dürfen deshalb nicht in unbedeckten Räumen, in
Ställen, Kellern oder in der Nähe bewohnter Strassen angelegt werden. Viel zweck-
mässiger ist es, die Pressrü,ckstände aufgelockert mit geringen Mengen Salz zu mengen
und dann mit hydraulischen Pressen in 2 — 3 Zoll dicke Kuchen zu verwandeln, welche
wie gewöhnliches Schwarzbrot in Backöfen gebacken werden. Diese getrockneten resp.
gebackenen Presslinge halten sich jahrelang und geben für Pferde und andere Haus-
thiere ein ausgezeichnetes Viehfutter ab.
Die Presstu.ch.er müssen sorgfältig von den ihnen anklebenden vegetabilischen
Substanzen gereinigt, also mehrmals in heissem Wasser ausgewaschen werden, weil sie
sonst zur sauren Gährung Veranlassung geben. Ist der Betrieb ein grossartiger, so kann
auch die Menge des hier abfallenden Wassers eine bedeutende sein; es darf dann nicht
frei abgelassen werden, weil es durch seinen Gehalt an vegetabilischen Stoffen sehr leicht
Gährungs- resp. Fäulnis sprocesse herbeiführt.
4) Die Läuterung oder erste Reinigung des Saftes. Es wird hier-
durch die Abscheidung derjenigen Stoffe bezweckt, welche die Krystallisations-
fähigkeit des Zuckers beeinträchtigen resp. aufheben. Zuerst wird der Saft in
kupfernen Läuterungs- oder Defäcationskesseln mit doppeltem Boden bis auf
60 — 65° R. erhitzt und bei der eintretenden Coagulation des Eiweisses mit Kalk-
milch versetzt, wobei tüchtig umgerührt werden m'uss, damit eine gleichmässige
Mischung entsteht.
Dieser Zusatz führt die Abscheidung der stickstoffhaltigen Substanzen, der phos-
phorsauren Salze und die Neutralisation der vorhandenen freien Säuren herbei. Während
des Kochens entwickeln sich eigenthümliche Riechstoffe und ammoniakalische Dämpfe:
nur erstere vermögen ein empfindliches Geruchsorgan zu beleidigen, obgleich die ganze
Procedur keine bedeutende, jedenfalls keine schädliche Belästigung veranlasst.
Behufs Entkalkung des Saftes wird der Kalk durch Kohlensäure präcipitirt;
diese wird gewöhnlich zu diesem Zwecke aus Holzkohle und Koks, noch besser aus
reinen Holzkohlen dargestellt, indem man mittels einer Compressionspumpe die atmo-
sphärische Luft durch die glühenden Kohlen treibt.
Der Kindler'sche Apparat, durch welchen die Luft durch die Kohlen gesaugt wird,
hat mehr Beifall gefunden. Die Luft strömt durch ein senkrecht gestelltes Gitter und
trifft dort auf eine verhältnissmässig dünne Schicht Koks, welche sich in einer Art
von Schachtofen durch Nachsinken von oben wieder ergänzt. Das Gas streicht unter
einer Reihe von Abkühlungsgefässen und über einen Haufen von Marmor, durch welchen
die schweflige Säure aufgenommen wird, in das Waschgefäss, wird von dort durch
die Luftpumpe aufgesaugt und nach den Sättigungsapparaten gedrückt.
Statt der Konlensäure hat man noch sehr viele andere Mittel zum Entkalken des
Rübensaftes vorgeschlagen; sehr wenige davon haben sich in der Praxis bewährt.
Frickenhavs hat die Fluorwasserstoffsäur e gerühmt; aber auch Fluor magnesium
und überhaupt Fluoralkalimetalle hat man schon in Anwendung gebracht, wobei
jedoch zu bemerken ist, dass sich ein Ueberschuss des Fällungsmittels, wenn ein solcher
vorkommt, zuletzt in der Melasse vorfindet.
5) Das Abdampfen des geläuterten Saftes. Nachdem der klare Saft
von dem Calciumcarbonat, welches sich abgesetzt hat, abgelassen worden ist,
gelangt er in die Abdampfpfannen, um hier eine gewisse Concentration zu er-
halten, welche für die zweite Reinigung erforderlich ist. Durch dies erste
Zuckerindustrie. 497
Abdämpfen concentrirt man gewöhnlich den Saft nnr so weit, als sich noch
Ammoniak entwickelt.*)
Hört diese Entwicklung auf, so kann man sicher sein, dass die meisten stickstoff-
haltigen Körper zerstört sind; dann erst kann auch der Saft seinen Kalk vollständig ver-
lieren, was durch die zweite Reinigung, durch die Filtration über Kohle, beab-
sichtigt wird.
Das Abdampfen geschieht a) bei gewöhnlichem Luft drucke entweder über
freiem Feuer oder mit Hochdruckdampf oder mittels erwärmter Luft. Am bekanntesten
ist die Pfanne von Peequpur, bei welcher Wasserdämpfe von 2 — 3 Atmosphärendruck in
einem Röhrensystem circuliren;
b) bei vermindertem Luftdrucke in den sogen. Vacuumpfannen. welche
1812 zuerst von Howard eingeführt worden sind und jetzt fast allgemein zur Anwendung
kommen, da die Verdampfung hierbei leichter erfolgt und auch ein Zucker von sehr
geringer Färbung erzielt wird. Man erzeugt den luftverdünnten Raum meist mit Hülfe
der Luftpumpe, seltner durch die Toricelli'sche Leere.
Beim Gebrauch der Vacuumpfannen niuss der Saft möglichst kalkfrei sein, weil
sich sonst die Heizröhren mit einer Kalkkruste überziehen, welche das Wärmeleitungs-
vermögen beeinträchtigt und die Arbeit verlangsamt, weshalb man auch häufig schon
vor dem Abdampfen des Saftes eine Filtration des entkalkten Saftes durch Knochen-
kohle vornimmt.
6) Die zweite Reinigung des Saftes oder Klärung desselben
durch Knochenkohle. Früher gebrauchte man die Holzkohle und erst im
Jahre 1822 kam die Knochenkohle zur Anwendung, jedoch erst durch Dumont
im Jahre 1828 zur richtigen Würdigung, nachdem er die Vorzüge der grob
gepulverten Kohle kennen gelernt hatte; die gekörnte Kohle gestattet nämlich
ihre sogenannte Wiederbelebung.
Die gebrauchte Knochenkohle enthält ausser dem Farbstoffe und dem Kalk noch
Schleim und sonstige fremde Bestandteile der Zuckersäfte, weiche daraus entfernt
werden können, so dass die Kohle von Neuem wieder zu gebrauchen ist, ein Vortheil,
welcher für die Zuckerfabrication von der grössten Wichtigkeit ist (s. Wiederbelebung
der Knochenkohle S. 325).
Die Di/monf sehen Filter finden sich jetzt in allen Fabriken: man setzt auch bis-
weilen Blut zur Kohle, wenn der Saft sehr unrein ist, oder wenn man Candis und die
besten Melissorten bereiten will.
Den Rückstand benutzt man in der Regel zum Düngen; er ist unter Umständen
sehr bedeutend und disponirt sehr leicht zur Fäulniss. Bei der amtlichen Revision einer
Zuckerfabrik in Hamburg wurde die Menge eines solchen Rückstandes auf 300,000 Pfd.
geschätzt; es kann dann nicht ausbleiben, dass das Ablagern einer solchen Masse
durch Geruch und Verunreinigung des Bodens nachtheilig einwirkt.
Als Surrogat der Kohle kann man auch Hühnereiweiss benutzen (s. Candis S.500\
7) Eindicken des filtrirten Saftes (Klärsels). Nach der zweiten
Reinigung gelangt der gewöhnlich bis zu 24° B. verdampfte Saft, welcher Dick-
saft, Klärsei oder Kochkläre heisst, im Gegensatz zu seinem früheren Namen
Dünnsaft, in die Kochpfanne, um hier bis zum Eintritt der Kristallisation ver-
kocht zu werden; dies geschieht gegenwärtig stets in Vacuumpfannen. Der Siede-
meister hält sich hier beständig in einer Temperatur von 40° auf, jedoch ist der
Siederaum in der Regel luftig und hoch, daher die Hitze in demselben erträglicher.
Nach hinreichender Concentration des Saftes tritt die Krystallisation mit dem Er-
kalten desselben ein. um den hinreichenden Concentrationsgrad kennen zu lernen,
bedient man sich empirischer Zeichen, worunter die sogen. Fadenprobe am bekann-
testen ist. Man bringt nämlich einen Tropfen Klärsei auf den Daumen, zerreibt ihn
mit dem Zeigefinger, trennt die Finger und beurtheilt aus der sich dabei bildenden
Fadenlänge sowie aus der Art und Weise, wie der Faden dabei zerreisst, den Grad der
Concentration.
*) Die Ammoniakbildung in Zuckerfabriken ist so reichlich, dass sogar die
verschiedenen Condensationswässer oft deutlich danach riechen.
32
Eulenberg, Gewerbe-Hygiene.
498 Kohlehydrate.
Man unterscheidet hierbei noch das Blankkochen und das Kornkochen: bei
ersterm wird das „probehaltige"' Klärsei in grosse viereckige, niedrige, unter einem guten
Rmchfange stehende Pfannen gebracht und hier mittels eigentümlicher, rechenartiger
Rührvorriehtung bis zum fast gänzlichen Erkalten gerührt. Hier findet eine gestörte
Kristallisation des Zuckers statt, wobei das Korn des Zuckers klein, die einzelnen
Zuckerkrvställchen dagegen sehr rein von Syrup werden. Beim Kochen auf Korn
dagegen lässt man die Krystallisation statt im Kühler schon in der Vacuumpfanne ein-
treten und erhält dadurch eine grössere Menge Krystalle; dieses Verfahren wendet man
bei einer bessern Zuc.kermasse an.
8) Die Arbeit auf Rohrzucker oder Brotzucker. Es handelt sich
jetzt um die Abscheidung der Melasse von den Zuckerkrystallen und deren
Ueberführung in die Form von Rohrzucker oder von Broten. Man bringt näm-
lich den entweder blank oder auf Korn verkochten Dicksaft aus der Vacuum-
pfanne in den sogenannten Kühler, ein kupfernes Gefäss, in welchem man den
Zucker entweder allmählig erkalten lässt oder erwärmt, wenn er bei niedriger
Temperatur eingekocht worden ist.
In letzterm Falle nennt man die Gefässe Anwärmer, da sie einen doppelten
Boden besitzen und durch Dampf erwärmt werden Hat der Zucker hier die passende
Temperatur erhalten, so nimmt man die ..füllwürdige Masse'' mit einem kupfernen Schöpf-
löffel heraus und bringt sie in das Füllbecken, welches von Kupfer ist, eiserne Hand-
haben und einen breiten Ausiruss hat, um sie in die Formen zu giessen: diese Formen
bestehen jetzt allgemein aus glasirtem oder gefirnisstem Eisenblech, bisweilen auch aus
Papiermache. Nach ihrer Grösse unterscheidet man Melis-, Längs- und Bastard-
formen.
Für geringern und schwierig krystallisirenden Zucker, für den Rohzucker,
gebraucht man die grössern Formen, die Bastard formen, welche grosse Blechkisten
aarstellen: die kleinen Melisformen, Zucke.rhutfor men, benutzt man für die
bessern Sorten, für Brotzucker oder Saftmelis. Sobald die Zuckermasse gehörig
erkaltet ist, wozu gewöhnlich 24 Stunden erforderlich sind, bringt man sie auf besondere
Gestelle, unter denen sich der aus der untern Oeffnung der Formen abfliessende Syrup
in einem Gefässe ansammelt.
Die Formen stehen an einem warmen Orte (Zuckerboden), damit der Syrup
besser abfliesst; die Temperatur beträgt hier permanent 27 — 30° R. Den Syrup nennt
man ungedeckten oder grünen Syrup oder auch Rohzucker-Melasse.*)
Durch das Decken, d. h. das Auswaschen der in den Zwischenräumen der
Zuckerkrystalle zurückgebliebenen Melasse mit Ivlärsel, wird die weitere Reinigung des
Zuckers bezweckt.
Dies Decken bestand vor 30 — 40 Jahren darin, dass man, nachdem die Zucker-
hüte mit der Spitze auf die Auslauf bottiche gestellt worden waren, in den obern leeren
Theil. der ungefähr 2 Zoll tief war. eine halbflüssige dünne Thonmasse eingoss;
die Stuben, in welchen diese Manipulation vorgenommen wurde, hatten ebenfalls eine
Temperatur von 28—30° R.
Das Wasser der Thonmasse wurde allmählig an den darunter liegenden Zucker
abgegeben: es bildete sich ein ungefärbter Syrup, welcher allmählig nach der Spitze zu
sich senkte, den in der Zuckermasse enthaltenen gelben Syrup aufnahm u*nd aus der
Spitze in ein darunter stehendes Gefäss als gefärbter Syrup abfloss.
Ein einzelnes Decken dauerte gewöhnlich 8 Tage: musste der Zucker 2 — 3 mal
gedeckt werden, so waren für die Fertigstellung des Zuckers vom Tage des Siedens an
bis zur Verpackung 3 — 4 Wochen erforderlich.
Nach dem Decken kam der Melis aus den Hüten und wurde entweder sofort die
noch braune Spitze abgedreht (beste Sorte!, oder aber das Brot wurde auf seine Basis
gestellt und in einen Raum gebracht, welcher eine Temperatur von 50° R. hatte, damit
der nur wenig vorwaltende braune Syrup in der Masse zur gleichmässigen Vertheilung
kam (zweite und dritte Sorte von Melis ...
*) Die Rohzucker-Melasse wird vorzugsweise auf Alkohol verarbeitet und
ausserdem noch zur Darstellung von Kaffee-Surrogaten und der sogen. Couleur
benutzt; letztere dient als Färbemittel für Essig, Bier und selbst für verschiedene
Suppen. Wenn die in der Melasse enthaltenen Salze nicht vorher entfernt worden sind,
so erregt ein solcher Zusatz beim Genüsse der betreffenden Nahrungsmittel nicht selten
Diarrhoe.
Zuckerindustrie. 499
Man ersieht leicht, dass dieses Decken zeitraubend und für die Arbeiter höchst
ungesund war, da sie sich längere Zeit in einem sehr heissen Räume aufhalten mussten
und allen schädlichen Einflüssen einer heissen Atmosphäre ausgesetzt waren; überdies
wurde der Melis durch das Auflösen von Zucker weniger fest.
Diese Art und "Weise des Deckens wird gegenwärtig nur vereinzelt noch in
Deutschland, mehr noch in Frankreich und Spanien vorgenommen. In den meisten
Fabriken besteht das Decken in einem Verdrängungsprocesse mittels eines farblosen
Syrups; zu dem Ende wird der Melis in den Hüten mit farblosem Zuckersyrup
(Klärsei) übergössen und durch Erwärmen der Locale auf 27 — 30° R. der Syrup
zum Durchsickern gebracht, so dass der farblos aufgegebene Zuckersyrup alsdann mit
dem Farbstoff geschwängert abfliesst.
Um den letzten Rest der Feuchtigkeit aus den Broten zu entfernen, benutzt man
gegenwärtig in allen grössern Fabriken die Nutsch- oder Saugapparate, welche
aus liegenden, auf ihrer obern Seite mit trichterförmigen Oeffnungen versehenen Röhren
bestehen. In diese Oeffnungen werden die Spitzen der Formen gebracht und mittels
eines Kautschukringes luftdicht eingeschlossen; durch eine Luftpumpe wird in den
Röhren ein luftverdünnter Raum erzeugt, um den Syrup aus den Spitzen zu saugen;
der ausgesogene Syrup fliesst in die Röhren und aus diesen in ein Reservoir.
Um die Kostspieligkeit des Deckens zu vermeiden, wendet man beim Rohzucker
sowie zum Reinigen der verschiedenen Producte und Nachproducte in den meisten
Fabriken die Centrifugalmaschine an: indem man die Spitzen der Hüte nach der
Peripherie derselben hin legt, wird durch die rasche Rotation der Maschine der Syrup
nach der Spitze des Hutes gedrängt und fliesst dort mit dem Farbstoff beladen ab.
Erstes Product heisst der Zucker, welchen man durch das Kochen auf Korn
erhalten hat und wobei die Zuckermasse durch Erkalten krystallisirt ist (s. S. 498); der
dabei gewonnene Syrup wird wegen seines Gehalts an krystallisirbarem Zucker durch
Abdampfen und Erkalten auf Zucker weiter verarbeitet und heisst zweites Product;
aus diesem erhält man noch ein drittes und viertes Product.
Die beiden letztern Producte nennt man auch Nachproducte; sie stellen gelb
gefärbte geringere Zuckersorten, z.B. Farinzucker oder Bastarde dar.
Die reinsten Zuckersorten heissen Raffinade und Melis; darauf folgt der
Lumpen- oder Kochzucker.
Der von den geringern Sorten ablaufende Syrup kann nun noch als Melasse
verwerthet werden; er unterscheidet sich von der Rohzucker-Melasse, d. h vom
grünen Syrup dadurch, dass er frei von Alkalisalzen ist. Die ihm anhaftenden
fremden Bestandtheile sind grösstentheils metallischer Natur, sie stammen vom
Material der Apparate her und sind demnach verschieden; man findet fast immer
Eisen, zuweilen auch Kupfer, Blei und Zink darin. Dieser Umstand ist in
sanitärer Beziehung beachtungswerth, da man diese Raffinad-Melasse, wie sie
im Handel genannt wird, als Zusatz zu Speisen, zum Versüssen in der Kuchenbäckerei,
zur Darstellung von Liqueuren, namentlich von rumähnlichen Branntweinen, welche
man in Frankreich Tafia, auch Ratafia nennt, benutzt oder auch statt der Butter
auf Brot verwendet.
Sehr häufig geschieht es, dass man die Zuckermasse, um die Farbe zu verdecken
und eine grössere Weisse zu erzielen, mit geringen Mengen bläuender Farbstoffe, wie
Ultramarin, Berlinerblau und Indigocarmin, versetzt; die beiden letztern Substanzen
haben keine nachtheiligen Folgen beim Genuss des Zuckers, wohingegen Ultramarin
zu einer unangenehmen Entwicklung von Schwefelwasserstoff Veranlassung geben
kann, wenn der Zucker mit Fruchtsäuren in Berührung kommt oder in säuerlichem Wein
aufgelöst wird.
9) Das Zugutemachen der Brote. Wenn die Brote an ihrem Boden
ziemlich trocken geworden sind, so planirt man sie, d. h. man reinigt den Boden
mit einer Bürste oder einem Wasser.
Löschen nennt man das Herausnehmen der Brote aus ihren Formen, wenn
ihr Boden hinreichend hart geworden ist: man stösst dabei die Form gelinde
gegen einen Holzblock, den Löschblock, bis das Brot sich gelöst hat. Schliesslich
werden die Brote in Papier gewickelt, gebunden, gewogen und in den Lagerraum
gebracht.
Verfälschungen des Rübenzuckers. Um grauen Meliszucker weiss zu
machen oder zu blanchiren, setzt man bisweilen schwefelsaures Barium hinzu;
man erkennt diesen Zusatz leicht durch die unvollständige Auf löslichkeit des Zuckers
in gewöhnlichem oder mit Salzsäure angesäuertem Wasser. Die Unauflöslichkeit des
Bariumsulfats bedingt zwar seine Gefahrlosigkeit für den thierischen Organismus, recht-
32*
500 Kohlehydrate.
fertigt aber nicht die betrügerische Absicht, das Gewicht zu vermehren ; ausserdem wird
die Wirkung des Zuckers geschmälert.
Wird Baryt zur Präcipitation des Zuckers angewendet, so ist es leicht
ersichtlich, dass sowohl der Zucker als auch die Melasse noch Zuckerbaryt oder,
je nachdem man Schwefelsäure oder Kohlensäure zur Zerlegung des Zti'kerbaryts ver-
wendet hat, schwefelsaures oder kohlensaures Barium enthalten kann. Der
Gehalt an dieser alkalischen Erde ist aber so gering, dass von einer giftigen Wirkung
des Zuckerbaryts oder Bariumcarbonats nicht die Rede sein kann. Immerhin sind aber
diese Körper vom Organismus fern zu halten, da sie auf die eine oder andere Weise
Gesundheitsstörungen erzeugen können.
Eine unfreiwillige Verunreinigung kann die mit Kalk im Verhältniss von
V20 — % % sein; man setzt, der Zuckerauflösung oxalsaures Ammonium hinzu, um
den Kalk als unlösliches oxalsaures Calcium nachzuweisen, oder man verbrennt den
Zucker, worauf Calciumcarbonat in der Asche zurückbleibt.
Spuren von Blei und Kupfer kommen nicht selten im Zucker vor.
Fabrication von Candis. Der Candiszucker stellt grosse und harte Krystalle
dar und wird fast nur aus Colonial- Rohrzucker bereitet. Der pure Rüben-
zucker bildet weniger schöne Krystalle; man setzt ihn aber häufig dem Colonial-
Robrzucker zu. Es handelt sich hier um eine völlige Entfärbung des Zucker-
syrnps, wenn die Krystalle farblos sein sollen.
Je nachdem die Krystalle gelb oder braun sind, enthalten sie auch noch mehr oder
weniger Farbstoff. Dem schwarzen Candis, welchen man in Flandern Sucre de
Boerhave nennt, setzt man häufig geflissentlich gebrannten Zucker zu. Der weisse
Candis dient, weil er sehr rein und kalkfrei ist, zur Darstellung des sogen. Li q ueur,
die in der Champagnerfabrication zur Anwendung kommende Mischung von Candis in
Wein und Cognac.
Zur Darstellung dieses weissen Candis ist eine sorgfältige Klärung durch
Knochenkohle und Eiweiss nothwendig. Das klare Klärsei kocht man gewöhnlich
über freiem Feuer, bringt es in die Kühler und dann sofort in konische Krystallisir-
bottiche; diese bestehen aus verzinntem Kupfer- oder Weissblech uud sind durchlöchert
und zwar in der Weise, dass Fäden durchgezogen werden können, welche quer durch die
Bottiche in einem Abstand von einigen Zoll parallel verlaufen. Hierauf werden die
Oeffnungen mit einer fetten Thonmasse verschlossen und der probegahre Syrup ein-
Die Bottiche stehen zugerichtet in den sogenannten Candisstuben, welche bis auf
eine Temperatur von 60—7 .° C. erwärmt werden; je nach der Consistenz des Syrups
ist die Krystallisation binnen 2 3 Wochen erfolgt. Vor dem Einfüllen ist der
Heizraum schon bis auf 30° C. erwärmt; nach Verlauf von 6 — 8 Tagen beträgt
die Temperatur noch 45-50° C. Die Abkühlung erfolgt allmählig, wozu wenigstens
5—6 Tage erforderlich sind.
Ist die Krystallisation vollendet, so wird die Heizkammer geöffnet, die obere
dünne Krystallmasse durchstossen und die restirende Syrupsmasse durch Umstürzen der
Bottiche auf ein Sieb ausgegossen.
Die Bottiche bringt man zum Abtropfen und Trocknen wieder in die Heizkammer:
nach 2 Tagen nimmt man sie wieder heraus, löst von aussen die Fäden und stürzt die
Bottiche auf einer ebenen Steinplatte um. Löst sich der Candis nicht von den Wänden
der Krystallisirgefässe, so taucht man letztere einen Augenblick in heisses Wasser.
Sanitäre Verhältnisse der Arbeiter in Zuckerfabriken.
Bei der Zuckerfabrication übt alle Arbeit, welche mit grosser Hitze ver-
bunden ist, einen nachtheiligen Einfluss auf die Arbeiter aus; namentlich sind in
den Candisstuben die Arbeiter beim Aufstapelu resp. Einsetzen der Bottiche einer
feuchten und heissen Atmosphäre ausgesetzt. Es gibt Beispiele genug, dass grade
die kräftigsten Leute Candisstuben gar nicht betreten dürfen, ohne in einen ohn-
machtähnlichen Zustand zu verfallen. Die Einwirkung der Hitze und Feuchtigkeit
ist hier zwar energisch, aber nicht von so langer Dauer wie bei der Melis-
bereitung auf den Deckböden, wo die Arbeiter oft tagelang einer sehr
starken, aber weniger feuchten Hitze ausgesetzt sind.
Es wird zwar häufig von der Constitution der Arbeiter abhängen, ob sie
Zuckerindustrie. 50 ]
eine Temperatur von 28 — 30° R. mehr oder weniger gut vertragen können; auf
die Dauer muss aber eine starke Hitze, sei sie feucht oder trocken, das Krank-
heitsbild erzeugen, welches schon früher (S. 178) erörtert worden ist, wenn sich
auch nicht immer die extremen Fälle ausbilden. Dass aber auch die Svmptome
von Hitzschlag schon beobachtet worden sind, dafür sprechen die Erfah-
rungen von Swift2) und Lerick3). Krankheitserscheinungen, die in das
Gebiet des Hitzschlages gehören, würden gewiss noch häufiger beobachtet werden,
wenn man ihnen eine sorgfältigere Beachtung widmen wollte; gewöhnlich
werden sie aber von den Fabricanten geheim gehalten oder jeder andern Ursache
eher als der überaus hoch gesteigerten Hitze zugeschrieben. Arbeiter, welche
vermöge ihrer körperlichen Disposition leichter von solchen Zufällen befallen
werden, sollten den hohen Graden der Hitze gar nicht ausgesetzt werden; aber
auch Individuen, welche in dieser Beziehung weniger empfindlich sind, sollten
nicht ausschliesslich auf das Verweilen in den heissen Deck- und Candisstuben
angewiesen sein, da schon die beständige Schweisserzeugung schliesslich er-
schöpfen muss, zumal wenn nicht durch eine ausreichende Ernährung ein
Aequivalent für die gesteigerten Absonderungen geboten wird. In der Provinz
Sachsen werden häufig Frauen auf den Deckböden beschäftigt, was nicht zu
billigen ist.
Häufig suchen die Arbeiter im Genüsse von alkoholischen Getränken eine
Erholung, verfallen aber dabei sehr leicht in den Missbrauch derselben; erfahrungs-
gemäss vertragen die Arbeiter den Genuss von Branntwein bei dieser Beschäf-
tigung gar nicht, was wissenschaftlich eine hinreichende Erklärung findet, weil
die alkoholischen Getränke auf das durch die Hitze schon geschwächte Gehirn in
ähnlicher Richtung nachtheilig einwirken. Man sieht daher auch bald die Arbeiter
zu Grunde gehen, welche der Trunksucht ergeben sind. Die Arbeiter wählen
schon instinctmässig eine Mischung von Zuckerwasser und Essig oder vergohrenes
Formbadwasser, welches früher bei der Anwendung der Thonformen abfiel und
einen bedeutenden Zuckergehalt neben gebildeter Essigsäure enthielt: durch das
Trinken eines solchen sauren Wassers wird nämlich das Schwitzen erleichtert
und der Gefahr, vom Hitzschlage befallen zu werden vorgebeugt.
Es hat sich auch hierbei als eine bekannte Thatsache herausgestellt, dass
die Arbeiter, welche in solchen Piäumen eine trockne Haut behalten, viel eher
dem Hitzschlage ausgesetzt sind, unter dessen Symptomen bekanntlich eine
trockne, heisse Haut als charakteristisch hervortritt (s. S. 178); man wählt des-
halb auch schon von vornherein nur solche Arbeiter für diese Beschäftigung, welche
zum Schwitzen leicht geneigt sind.
Tritt während der Arbeit kein Schweiss ein, so müssen solche Arbeiter
sofort auf eine andere Weise beschäftigt werden; bei einigen genügt ein derartiger
Wechsel, andere aber sind nicht selten auf die Dauer ausser Stande, die Thätig-
keit in den heissen Räumen wieder aufzunehmen.
Ueberhaupt ist ein systematischer Wechsel der Arbeit in den Zucker-
fabriken durchaus erforderlicb, wenn man nicht tüchtige Kräfte hinsiechen
lassen will; leider geräth man bei solchen Vorschlägen stets mit dem pecuniären
Interesse der Fabricanten in Conflict, obgleich ihre Durchführung wohl möglich
ist, wenn die Fabricanten nur den redlichen Willen haben.
In den Candisstuben ist es nicht allein die grosse Hitze, sondern auch die
Feuchtigkeit der Luft, durch welche sich die Nachtheile häufen, da grade eine heisse
502 Kohlehydrate.
und feuchte Luft eine starke Transpiration nicht gestattet und vorzugsweise
die Bedingungen liefert, unter denen ein Hitzschlag zu Stande kommen kann
(s. S. 179).
Ausserdem kommt noch der grelle Wechsel der Temperatur hinzu, wenn
die Arbeiter aus dem heissen Raum zum Abholen der Bottiche wieder in's Freie
kommen; hierdurch können die mannigfaltigsten Hautstörungen und rheumatische
Leiden nicht ausbleiben.
Auch manche Formen von Exanthemen: Acne, Liehen, Ekzem, Erythem oder
Furunkelbildung, welche man in Zuckerfabriken häufig beobachtet hat, hängen
theilweise mit der grossen Hitze, theilweise auch höchst wahrscheinlich damit
zusammen, dass Zuckertheile in die Schweiss- und Talgdrüsen dringen und hier
Reizung und Verschwärung erzengen.
Hautreizungen dieser Art sollen vorzugsweise in der Hohlhand derjenigen
Arbeiter vorkommen, welche beim Füllbecken beschäftigt sind. Badeeinrich-
tungen sind daher in Zuckerfabriken absolut erforderlich, namentlich für die-
jenigen, welche der grossen Hitze ausgesetzt sind oder deren Hände am meisten
mit Zuckertheilchen in Berührung kommen.4)
Behandlung der Abfallwässer.
Dieser Gegenstand hat seit vielen Jahren die Aufmerksamkeit der Fabricanten
in Anspruch genommen, da sie namentlich da, wo die Fabriken nicht an einem
grossen Flusse gelegen sind, stets zu ausserordentlich vielen Beschwerden Anlass
gegeben haben. Durch ihren schnellen Uebergang in Gährung erzeugen sie
überall da, wo sie keinen hinreichenden Abfluss haben, die widerlichsten Ge-
rüche, während die im Wasser suspendirten stickstoffhaltigen resp. eiweissartigen
Bestandteile sich znuächst überall ablagern, wo ihnen eine günstige Stelle ge-
boten wird; Bäche von geringer Breite und Tiefe sowie von schwachem Gefälle
werden ganz verschlammt und allraählig mit Algen bedeckt.
Im Regierungsbezirk Merseburg ist der Fall vorgekommen, dass die Besitzerin
einer an einem solchen Bache gelegenen Mühle in Folge der starken Entwicklung von
Schwefelwasserstoff krank wurde, alles Metallgeschirr in der Mühle sich schwärzte, das
Mehl einen widrigen Geruch annahm und sogar das Mühlenrad mit fein vertheiltem
Schwefel bedeckt war, der sich durch die Oxydation des Schwefelwasserstoffs ausge-
schieden hatte.5)
Unter den Algen ist es der Leptomitus lacteus, der sich vorzugsweise
in Wässern aufhält, in denen durch den Gehalt an Pflanzeneiweiss, Pflanzenfibrin,
Gummi, Zucker u. s. w. leicht Fäulniss eintritt. In der Weistritz bei Schweid-
nitz trat er in den Abflusswässern einer Fabrik auf, welche aus Runkelrübeusyrup
Alkohol darstellte.6)
Wie in der Bierbrauerei die „Weich wässer", so sind es in der Runkelrübeu-
zuckerfabrication alle die verschiedenen Abfallwässer mit ihren organischen Be-
standteilen (Tücherwasehwässer, Säurewässer u. s. w.), die dieser Algenart einen
besonders günstigen Entwicklungsbodeu bieten.
Die Erfahrung hat bewiesen, dass diese Algenvegetation nur in fliessendeu
Bächen beobachtet wird und zwar da, wo die Abflusswässer mit reinem Fluss-
wasser zusammentreffen, weil die Algen nie in ganz fauligem Wasser zur Ent-
wicklung gelangen, sondern dazu mehr oder weniger eines sauerstoffhaltigen
Wassers bedürfen.
Wie aber die Schimmelvegetationen Schwefelwasserstoff zu absorbiren
Zuckerindustrie. 503
vermögen (s. S. 78), so scheint auch der Leptomitus im Stande zu sein, den
Schwefelwasserstoff zu zersetzen. Die Untersuchung desselben hat nämlich einen
Gehalt an Eisen ergeben; bei der Zersetzung scheidet sich Schwefeleisen
aus, welches sich höchst wahrscheinlich bei der Aufnahme des Schwefelwasser-
stoffs gebildet hat, da sich nicht annehmen lässt, dass der Gehalt an Schwefel,
der bis zu 0,2% betragen kann, in der Alge präexistirte. Man kann daher auch
dem Leptomitus lacteus nicht die Eigenschaft absprechen, auf den Schwefel-
wasserstoff zersetzend einzuwirken, wie bekanntlich auch die grüne Alge als
ein Reinigungsmittel für das Wasser betrachtet wird (s. S. 111). *)
Im gewöhnlichen Leben wird der Leptomitus „Wasserflachs'1 oder „Wasserhaar"
genannt Ehe diese "N egetationen erscheinen, wird die Oberfläche des Wassers bläulich
und irisirend, während sich auf dem Grunde ein weisslich-grauer Schleim ansammelt,
der sich in lange Fäden ausziehen lässt; der üble Geruch ist dann bedeutend und die
Entwicklung von Kohlensäure, Ammoniak und Schwefelammonium sehr
reichlich. Die ausgebildeten Algen bilden ein dichtes Convolut von sehr feinen, ge-
gliederten Eäden, die in eine schwach keulenförmige, mit körniger Masse gefüllte Spitze
endigen und sich zu dicken, zopfartigen Büscheln vereinigen. In diesem Convolut hält
sich eine grosse Menge von Infusorien auf, ein Beweis, dass in der nächsten Nähe der
Algeu keine Schwefelwasserstoffentwicklung stattfindet.
Die Alge kann nun einer zweifachen Metamorphose unterliegen; da, wo sich
nur fauliges Wasser befindet, zerfällt sie und zersetzt sich zu einer gallertartig zu-
sammengeschrumpften Masse; es tritt ein Geruch nach faulen Fischen ein, der nur durch
die Zersetzungsproducte, die verschiedenen Aminbasen, bedingt sein kann.
Je mehr aber frisches Wasser zufliesst und je mehr der stickstoffhaltige Nähr-
boden schwindet, desto mehr geht der Leptomitus in einen grünlichen Schleim über, der
sich allmählig zu chlorophyllhalti gen Algen gestaltet.
Der Fäulnissprocess, dem eiweisshaltige Gebilde unterliegen, und der Zersetzungs-
process, dem die Alge bei gänzlichem Mangel an reinem Wasser unterworfen ist, be-
dingen die Gefahr für die Gesundheit der Menschen; die Gräben und Bäche, welche
diese Zersetzungsproducte enthalten, gehören zur Kategorie der Cloaken, die zweifels-
ohne der Entwicklung von epidemischen Krankheiten "Vorschub leisten können. In der
Umgebung der Zuckerfabriken würde sich diese Thatsache noch mehr und bestimmter
geltend machen, wenn nicht glücklicherweise die sogenannte Campagne, d. h. die
eigentliche Fabricationszeit, in die kühlere Jahreszeit fiele; sie dauert in der Regel von
Mitte September bis Februar.
Auch macht sich der Nachtheil für den Menschen weniger auffällig bemerkbar.
weil es sich bei den in Zersetzung übergegangenen Algen um keinen eingeschlossenen
Raum handelt, sondern der Diffusion der Gase im Freien ein hinreichender Spielraum
gegeben ist: immerhin werden aber die Adjacenten solcher Gräben oder Bäche einer
gewissen Gefahr ausgesetzt sein, wenn die schädlichen Effiuvien in grösserer Nähe auf
sie einwirken.
Gestattet die Lage der Fabrik nicht die Ableitung der Wässer in einen grossen
Fluss, so fordert die öffentliche Gesundheitspflege die Unschädlichmachung aller mit
organischen Stoffen imprägnirten Abfallwässer, deren Quantität sich bei einzelnen grossen
Fabriken auf täglich 50,000—70,000 Kubikfuss belaufen kann.
Die Reinigung der Abfallwässer hat man früher mittels Gradir-
werke oder grosser Schlammbassins zu bewirken gesucht, auch gleichzeitig
Desinfectionsmittel, Kalk, Chlorkalk, Carbolsäure u. s. w. angewendet, bis in
neuerer Zeit das Sü vernasche Verfahren den meisten Beifall gefunden hat.
*) Dieser Vorgang ist aber noch lange nicht hinreichend erforscht und bietet ein
interessantes Gebiet weiterer Untersuchungen dar. Es sind über 1000 Arten von Algen
bekannt, welche in süssem und salzigem Wasser leben, namentlich bedecken sie im
Meere oft unendlich grosse Flächen und man hat in der Südsee Algen gefunden, welche
über 300 Fuss lang waren.
Auch in botanischer Beziehung sind die Algen noch wenig aufgeklärt, denn der
Leptomitus lacteus wird von Haüier zu den Pilzen, von K>'it:iny zu den Pilzalgen
(Mycophyceae) gerechnet. In der That nähert er sich auch wegen des Mangels an
Chlorophyll mehr den Pilzen, während sein Vorkommen im Wasser mehr für die Natur
der Algen spricht. Roth beschrieb ihn im Jahre 17S9 zuerst als Conserva lactea.
504 Kohlehydrate.
Jedes Verfahren dieser Art wird durch die Grossartigkeit der durch die
Masse der Abfallwässer bedingten Anlagen kostspielig und deshalb sind die in
einer andern Richtung unternommenen Versuche, die Abfall wässer zur Beriese-
lung zu benutzen, in sanitärer Beziehung vielversprechend, wenn die technische
Ausführung derselben auf eine sachgemässe Weise bewirkt wird.6)
Es gehören daher auch die Zuckerfabriken nicht in die Städte, sondern
stets in grossere Entfernungen von bewohnten Ortschafteu, damit man über das
zu berieselnde Ackerland ausreichend gebieten kann.
Selbstverständlich muss die Beschaffenheit des Bodens zur Berieselung ge-
eignet sein. In dieser Beziehung haben die bisherigen Versuche in der Provinz
Sachsen gute Erfolge gehabt und viele hierüber noch herrschenden Vorurtheile
beseitigt.
Ist die Berieselung aus Maugel an Terrain und wegen der ungünstigen
Boden beschaffenheit nicht ausführbar, dann soll man lieber ganz davon Abstand
nehmen. Die vielfachen Untersuchungen über Berieselung mit dem Inhalte der
Schwemmcanäle kommen auch den Zuckerfabriken zu Gute, so dass die Be-
dingungen, unter denen ein günstiges Resultat zu erwarten ist, schon mit mehr
Sicherheit aufgestellt werden können.
So viel ist sicher, dass unter günstigen Bodenverhältnissen und bei einer
zweckmässigen technischen Ausführung der Berieselung sanitäre Bedenken
nicht laut werden können. Es wird die Zeit kommen, wo auf diese Weise die
Abflusswässer den Fabricauten nicht mehr zur Schädigung, sondern nur zum
Gewinn gereichen werden.
Ist das Desinfectionsver fahren unvermeidlich, so muss sich seine ge-
nauere Ausführung nach den localen Verhältnissen richten, je nachdem das eine
oder andere Desinfectionsmittel leichter zu Gebote steht.
Aber auch die desinficirten Wässer dürfen nicht in stagnirende Gräben oder
Teiche abgelassen -werden, weil selbst bei der sorgfältigsten Desinfection nicht alle
organischen Bestandteile abgeschieden werden; diese werden stets neue Fäulniss-
processe einleiten, wenn sie nicht durch fliessendes Wasser fortgespült werden.
Ungereinigte Abfallwässer dürfen nur durch unterirdische Canalleituug in
grössere Wasserläufe mit starkem Gefälle abgeleitet werden: in kleinen
Bächen erzeugen sie erfahrungsgemäss die geschilderten Nachtheile. Eine sorgfältige
Berücksichtigung aller örtlichen Verhältnisse muss über die Zulässigkeit des freien
Abflusses entscheiden und es kann nur im öffentlichen Interesse bedauert werden,
dass die Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869 die Zuckerfabriken von denjenigen Anlagen
ausgeschlossen hat, welche einer besondern Genehmigung bedürfen. In den letzten Ver-
handlungen hierüber wurde im Reichstage eine Erheblichkeit der Uobelstände im Sinne
des § 1(3 der Gewerbeordnung leider nicht anerkannt.
Verwerthung der Eunkelrübenrohzucker-Melasse.
Die Rohzucker-Melasse, eine mehr oder weniger dickliche Flüssigkeit,
enthält folgende Bestandtheile: geringe Mengen krystallisirbaren Zuckers, grosse
Mengen von unkrystallisirbarem Zucker, ferner Caramel, Traubenzucker, Asparagiu,
Asparaginsäure, Gummi, lösliche stickstoffhaltige, starkem ehlhaltige Stoffe, eiweiss-
ähnliche Substanzen, Pektinsäure, verschiedene Färb- und Riechstoffe, Mangan,
Ammoniak, salpetersaure Salze, sämmtliche lösliche Mineralsubstanzen der Rüoen,
z. B. Chlorkalium , Chlornatrium, Chlormagnesium, Spuren von phosphorsaurem
Natrium, Gips, Magnesiumsulfat, Eisen, sowie Kupfer, Blei und Zinn von den
Gefässen herrührend.
Man sieht hieraus, dass die Benutzung der Melasse sich nur auf die Verwerthung
zweier Gruppen von den in denselben enthaltenen Körpern mit Vortheil erstrecken
Verwerthung der Melasse. 505
kann, nämlich auf die gährungsf ähigen und auf die alkalinischen, dem Acker
durch die Rübe entnommenen Mineralsubstanzen.
Dubrunfaut. hat vorgeschlagen, den in der Melasse vorhandenen Rohrzucker durch
'Bariumhydrat abzuscheiden; die Schwierigkeit, diesen Vorschlag technisch zu ver-
werthen, hat von weitern Versuchen abgehalten.
Man hat die Melasse auch als Viehfutter benutzt; sie wirkt aber leicht abführend
und soll bei tragenden Kühen leicht Abortus erzeugen.
Der aus der Rübenzuckermelasse bereitete Alkohol ist reich an Fuselöl, weshalb
er zur Darstellung von Liqueuren oder Speiseessig nicht brauchbar ist. Er wird haupt-
sächlich zur Darstellung von Essigsäure für Bleiweiss- und Bleizuckerfabriken,
zur Präparation von Firnissen, zum Ausziehen verschiedener Substanzen in chemischen
Fabriken und als Brennspiritus verwendet; auch für Aetherbereitung und andere
chemisch-technische Zwecke kann er benutzt werden. In Frankreich soll die Melasse
zur Bierbereitung Verwendung finden.
Die zuckerhaltigen, also gährungsfähigen Substanzen liefern durch die Gährung
resp. den Spaltungsprocess den Alkohol, welcher durch Destillation gewonnen werden
kann. Im Destillationsrückstande, in der Schlempe, bleibt die Mineralsubstanz der
Rübe neben den andern gährungsunfähigen Körpern zurück.
Darstellung von Alkohol aus der Melasse. Man verfährt hierbei
folgendermassen : Die Melasse wird mit einer grossen Menge Wasser verdünnt
und nun entweder direct durch Bierhefe in Gährung gebracht oder mehrere
Stunden bei Siedhitze durch eingeblasene Wasserdämpfe mit einigen Procenten
Schwefelsäure behandelt. Letzterer Process wird deshalb eingeleitet, um die
stärkemehlhaltigen Stoffe, den Rohr- und Schleimzucker durch die Einwirkung der
Säure in den nur allein gährungsfähigen Traubenzucker überzuführen.
Durch die Einwirkung der Schwefelsäure muss sich gleichzeitig eine Menge
flüchtiger Riechstoffe und flüchtiger Säuren entbinden; dabei sind alle ent-
weichenden Dämpfe mit einem höchst widrigen Rübengeruch beladen. Da sie ausserdem
Butter-, Essig- und Baldriansäure neben Salzsäure aus den Chloriden und
manchmal salpetrige Säure enthalten, so sind sie saurer Natur und kennen schäd-
lich auf die Arbeiter einwirken.
Ist bei der Darstellung des Rohzuckers Butter, wie es in einzelnem Fabriken
üblich ist, zum Bewältigen des eintretenden Schaums angewendet worden, so enthält die
Melasse noch Theile dieser Fettsubstanz, weshalb dann neben den oben genannten
Säuren auch noch Capron-, Capryl- und Pelargonsäure entstehen.
Zur Beseitigung dieses höchst ekelhaften Geruchs geschieht meist gar nichts,
obgleich es dringend geboten ist, um die Nachbarschaft vor einer grossen Belästigung zu
schützen, diese Dämpfe durch einen hölzernen Canal aus dem Bottich in die Feuerung
des Dampfkessels zu leiten.
Nach der vollständigen Bildung des Traubenzuckers stumpft man die Säure mit
Kreide ab und versetzt die dünne, zuckerhaltige Masse mit Bierhefe, wenn eine Ab-
kühlung bis auf 20—22° R. stattgefunden hat. Es tritt eine sehr stürmische Gährung
ein und da in solchen Fabriken bisweilen 10 — 12 Bottiche in der Gährung begriffen
sind, so muss die sich entwickelnde Kohlensäure abgeleitet werden; zu diesem
Zwecke sind die Bottiche mit Deckeln zu versehen, aus denen viereckige hölzerne
Kasten das Gas in einen gemeinschaftlichen Canal leiten, welcher am Boden des Ge-
bäudes liegt und im Souterrain mit Kasten, die mit gereinigter Soda beschickt sind,
in Verbindung steht. Die Kohlensäure wird hier unter Bildung von doppelt-kohlensaurem
Natrium absorbirt.
Die gegohrene Flüssigkeit wird nun durch Pumpen in das Destillirhaus gebracht
und dort in den betreffenden Apparaten auf Spiritus bearbeitet
Bei der Destillation geht zuerst ein übelriechender, wasserhaltiger Weingeist
über und zuletzt erscheint eine milchig getrübte Flüssigkeit, welche mit Butyl- Alkohol,
dem Fuselöl der Zuckermelasse, geschwängert ist. Er hat einen höchst widerlichen
Geruch; auch der damit geschwängerte Weingeist hat denselben Geruch; er kann nach
der gewöhnlichen Methode durch Läuterung mittels Holzkohle nicht ganz davon befreit
werden, weshalb auch die Verwendung dieses Rübenspiritus beschränkt bleiben muss.
Darstellung von Pottasche aus der Schlempe. Der Rückstand der
Destillation der vergohrenen Melasse, die Schlempe, enthält ausser den fäulniss-
fähigen organischen Substanzen noch organisch saure und Spuren von phosphor-
506 Kohlehydrate.
sauren Salzen und, wenn Schwefelsäure zur Anwendung kam, auch noch schwefel-
saure Salze.*)
Seitdem durch H. Varnhagen im Jahre 1840 die Darstellung von Pott-
asche aus der Schlempe bekannt geworden ist, hat letztere einen grössern
Werth erhalten. Dieser Industriezweig hatte bisher eine grosse Bedeutung, ist
aber durch die grossartige Kalisalzindustrie in Stassfurt wieder sehr in den
Hintergrund getreten.
Die Schlempe wird behufs Pottascheudarstellung abgedampft und der Rück-
stand geglüht, wobei zuletzt die sogenannte Schlempepottasche, eine Mischung
von fein zertheilter Kohle und Alkalisalzen, resultirt.
Das Abdampfen geschieht nieist in grossen flachen Reservoirs, über welche man
ein Gewölbe geschlagen hat, um unter diesem ein seitlich liegendes Feuer reverberiren
zu lassen. Es entweichen die abziehenden Dämpfe mit den Verbrennungsgasen durch
den Schlot, wobei erstere theilweise verbrennen und auch durch die schweflige Säure
des Brennmaterials theilweise desodorirt werden. Im Gewölbe ist eine Oeffnung,
durch welche man allmählig Schlempe zufliessen lässt. Die eingedickte Masse geräth
zuletzt in Brand und wird, wenn sie ganz verkohlt ist, als Schlempepottasche für
die Salpeter-, Glas-, Alaun- und Seifenfabrication in den Handel gebracht:
da sie wenig Kaliumcarbonat, aber viel Kaliumsulfat neben Chlorkalium enthält, so
taugt sie für die Seifenbildung weniger.
Beim Verkohlen entstehen Gerüche, welche an verbraunten Zucker und ver-
branntes Eiweiss erinnern. Da solche Etablissements grosse Schornsteine haben, so ge-
langen alle Dämpfe hoch in die Luft, wo sie sehr vertheilt werden, jedoch immerhin
die nächste Nachbarschaft durch ihren Geruch belästigen; in Städten und Vorstädten
ist daher diese Fabrication nicht zu dulden.
Bestandtheile der Rohpottasche. Die Rohpottasche enthält ausser
*) Die Schlempe kann nicht als Viehfutter benutzt werden, weil ihre Bestand-
theile trotz des Stickstoffgehalts nicht nahrhaft sind; auch ihr oft widerlicher Geruch
schreckt die Thiere vom Genüsse ab.
Wegen der organischen stickstoffhaltigen und stickstofffreien Substanzen ist die
Schlempe bei einer gewissen Verdünnung sehr geneigt, einer weitern Zersetzung (Fäulniss)
zu erliegen. Die dabei auftretenden Producte sind neben Mannit und Asparagin-
säure im ersten Stadium Milchsäure und in einem weitern Stadium der Fäulniss
Butter- und Baldrian säure; selbstverständlich fehlt hierbei Essigsäure nie.
Man hat sich viele Mühe gegeben, die Schlempe auf irgend eine Weise der Fäul-
niss widerstehend zu machen und die organische Substanz von der Mineralsubstanz zu
trennen. Die Hefezellen und eiweisshaltigen Substanzen, welche sie enthält, sind
kräftige Fäulnisserreger, weshalb sie, sich selbst überlassen, massenhaft Algen
(Leptomitus lacteus) erzeugt; ganz besonders ist letzteres der Fall, wenn man sie in
Bäche oder kleine Flüsse ablässt, da sie im verdünnten Zustande weit eher als im
unverdünnten fault.
Früher hat man den Zusatz von Aetzkalk empfohlen, um die organischen Be-
standtheile aus der Schlempe zu fällen. Dieses Vorfahren hat sich aber nicht bewährt:
kommt Kalk im Ueberschuss hinzu, so werden Ammoniak und Kali, wenn sie an
organische Säuren gebunden sind, frei: durch den alkalischen Ueberschuss wird aber
die Bildung von Milch- und Buttersäure begünstigt, so dass der widerliche Geruch
nach Buttersäure oft noch unerträglicher wird.
Am sichersten verhindert ein Zusatz von Carbolsäure die Fäulniss; eine
damit versetzte Schlempe kann in cementirten Gruben ohne alle Belästigung aufbewahrt
werden.
Man hat auch die Schlempe als Dünger benutzt und namentlich Ackerland
damit bewässert; sie soll sich besonders gut für drainirtes thoniges Ackerland
eignen, wobei nur zu beachten ist, dass die Röhren häufig gereinigt werden müssen, um
eine Anhäufung von gährenden Stoffen zu verhüten. Der Thon soll besonders die lös-
lichen organischen Substanzen der Schlempe absorbiren und festhalten.
Ueberhaupt ist es zweckmässig, aus der Schlempe Composthauf en mittels
thon- und mergelreicher Erden zu bilden oder vorhandene Composthaufen damit zu be-
giessen; hierzu kann man selbst die mit Carbolsäure versetzte Schlempe benutzen,
welche aber selbstverständlich dann nicht direct auf das Feld gebracht werden darf.
Yerwerthung der Melasse. 507
fein zertheilter Kohle und geringen erdigen Substanzen, wie Gips, Thon,
Calciumcarbonat und Magnesiumcarbonat, besonders kohlensaures, phosphorsaures,
schwefelsaures Kalium, Chlorkalium, zuweilen Schwefelkalium, die entsprechenden
Natriumverbindnngen neben cyansaurem Kalium und Cyankalium, welches sich
durch die Einwirkung der stickstoffhaltigen Substanzen während der Calcination
bildet. Letzteres ist die Ursache der massenhaften Ammoniakentwicklung,
wenn die Schmelze, welche die Pottasche enthält, beim Auslaugeprocesse mit
"Wasser Übergossen wird.
Ganz ähnlich wirkt auch die Einwirkung der atmosphärischen Feuchtigkeit beim
Lagern dieser Pottasche, weshalb sich in den betreffenden Lagerräumen stets ein starker
Ammoniakgeruck kund gibt. Selbst die beim Auslaugeprocesse als unlöslich
zurückgebliebenen Theile, die Sehlempekohle, enthalten stets noch etwas Cyan-
kalium, welches sich beim Lagern an der Livft grösstentheils zersetzt und als Ammoniak
und Blausäure verflüchtigt; wird mehr oder weniger davon durch Regen dem Boden
zugeführt, so wird eine baldige Zersetzung in Ammoniaksalze eintreten, welche später
in salpetrig- und salpeter saure Salze übergehen und auf diese Weise die zunächst
gelegenen Brunnen verderben können. Es ist daher ganz unangemessen, die Schlempe-
kohle frei auf den Höfen der Fabriken abzulagern, wie es meist geschieht.
Die ausgelaugte Schlempekohle wird auch schwarzer KalidÜDger
genannt, da diese Masse als Zusatz zu andern Düngungsmitteln sehr gut ver-
werthet werden kann. Ausser 4A% Kohlenstoff enthält sie noch Spuren von
kohlensaurem, kieselsaurem Kalium, Kieselsäure, schwefelsaures, phorphorsaures
Calcium, Bittererde, Thonerde und Eisenoxyd; ihr ziemlich bedeutender Kohle-
gehalt lässt auch ihre Anwendung als Desinfectionsmittel zu.
Kommt die Schlempekohle mit Säuren zusammen, so findet sofort eine Ent-
wicklung von Blausäure und Schwefelwasserstoff statt.
Reinigung der Rohpottasche. Die Lauge, welche durch Behandeln
der Rohpottasche mit Wasser erhalten wird, setzt beim Abdampfen schwefel-
saures Kalium und Chlorkalinm ab; beide Salze werden gewöhnlich ausgekrukt,
getrocknet und in Kaliumcarbonat übergeführt, wenn man sie nicht zur Alaun-
fabrication benutzt. Das Chlorkalium wird auch zur Salpeterfabrication ver-
wendet.
Wird die Mutterlauge zur Trockne eingedampft und der Rückstand geglüht, so
bildet sich das sogenannte rothe Salz, weil es durch Eisenoxyd röthlich gefärbt ist.
Durch Auslaugen dieses Salzes und Abdampfen der Lösung erhält man schliesslich die
Pottasche, ein Gemisch von kohlensaurem Kalium und Natrium, aus denen man durch
mehrmaliges Auflösen und Abdampfen die raffinirte Pottasche darstellt, welche
nur 2% Chlorkalium und schwefelsaures Kalium nebst h% kohlensaurem Natrium enthält.
Darstellung der Milch-, Butter- und Baldriansäure aus der
Melasse und Schlempe. Seitdem die Salze dieser Säuren in die Technik ein-
geführt sind, hat man die Melasse und Schlempe zur Darstellung derselben ver-
werthet. Die Schlempe kaun eben wegen ihres reichlichen Gehalts an Fäulniss-
erregern als Ferment benutzt werden, um den in der Melasse noch enthaltenen
Zucker in die genannten Säuren überzuführen.
Zu dem Ende mischt man 2 — 3 V. Th. der Schlempe mit 1 Y. Th. Melasse und
verdickt die Masse bis zu einem Brei mit Schlemmkreide. Dieses sogen. Ansetzen ge-
schieht in grossen Tonnen, welche sich in der Nähe des Dampfkessels befinden und
dadurch einer beständigen Temperatur von 30—35° B. ausgesetzt sind.
Die Masse geräth bald in Gährung unter Entwicklung von Wasserstoff resp
Kohlenwasserstoff: nach einigen Tagen muss sie umgerührt werden und binnen
kurzer Zeit erstarrt sie dann zu einer festen Masse von milchsaurem Calcium
Will man letzteres gewinnen, so wird die Masse ausgepresst und so von der Mutterlauge
befreit, welche alle Alkalien neben Mannit, unzersetztem Zucker und organischen Sub-
stanzen enthält. Man reinigt das abgepresste milchsaure Calcium durch Auflösen in
50g Kohlehydrate.
Wasser unter Zusatz von Thierkohle und Filtration; beim Erkalten krystallisirt es in
grossen blumenkohlartigen Massen aus und wird nach dem Trocknen in den Handel
gebracht.
Anwendung des milchsaureu Calciums. Man benutzt es zur Dar-
stellung von Milchsäure und diese in der Färberei zum Aetzen der Beizen
und als Bestandteil der Zahnpulver zum Reinigen der Zähne.
Zur Darstellung von Butter- und Baldriansäure wird das milchsaure
Calcium mit noch 1 V. Th. Schlempe zusammengebracht, umgerührt und wiederum
bei der erwähnten Temperatur sich selbst überlassen. Unter Entwicklung von
Wasserstoff resp. Kohlenwasserstoff verschwindet allmählig sämmtliches milch-
saures Calcium und die Flüssigkeit wird sauer; man setzt nun abermals Kreide
hinzu und nach einigen Wochen ist die Gährung vollendet.
Die Flüssigkeit enthält neben geringen Beimengungen von milchsaurem Calcium
hauptsächlich butter- und baldriansaures Calcium. Aus diesen Salzen werden
durch Destillation mit Säuren die betreffenden öligen Säuren gewonnen , welche für die
Darstellung verschiedener Aetherarten Verwendung finden.
In neuerer Zeit zieht man es vor, das gebildete milchsaure Calcium abzupressen
und die Mutterlauge auf die Alkalien durch Abdampfen und Calciniren weiter zu ver-
arbeiten; will man dann Butter- oder Baldriansäure darstelle u, so verwendet
man dazu das rohe milch^aure Calcium unter Zusatz von faulem Käse oder Fleisch
(s. Milchsäure S. 43.''»).
Selbstverständlich entwickeln sich bei diesem Processe übelriechende Gase,
welche wegen ihres bedeutenden Gehaltes an Wasserstoff und Kohlenwasser-
stoff gleichzeitig feuergefährlich sind: sie müssen deshalb unter den geeigneten Sicher-
heitsmassregelu durch Verbrennen unschädlich gemacht werden.
Die. Gührlottiche, in welchen die Masse vergährt, müssen dicht verschlossen und
in ihren Decken mit Abzugscanälen versehen werden, um die Gase unter die Feuerung
zu leiten.
C. Milchzuckerindustrie.
Milchzucker Ci2 H22 On wurde bis jetzt nur im Thierkörper aufgefunden; er
kommt in der Kuhmilch, im Blute und im Hühnereiweiss vor; alle Versuche, ihn
aus andern Substanzen darzustellen, sind bis jetzt gescheitert.
In der Schweiz wird der Milchzucker im Grossen aus den Molken, welche
bei der Käsebereitung abfallen, dargestellt. Der noch gelöste Käsestoff wird durch
verdünnte Schwefelsäure präcipitirt und filtrirt, worauf die klare Flüssigkeit vor-
sichtig abgedampft wird.
Sehr häufig kommt es vor, dass sich theils in Folge von Krankheiten der Thiere,
theils durch längeres Aufbewahren der Molken ein Theil des aufgelösten Käsestoffs
zersetzt hat, wodurch sich die ganze Reihe der Oxydationsproducte des Caseins bildet;
der Zusatz von Schwefelsäure setzt diese in Freiheit und gibt dann zur Ausbreitung
eines widrigen Geruches Veranlassung. Da die Nachbarn dadurch ausserordentlich
belästigt werden können, so ist polizeilieherseits für die Ableitung dieser höchst pene-
tranten Gerüche Sorge zu tragen.
Der Milchzucker schiesst in rhombischen Krystallen an; verdünnte Süuren ver-
wandeln ihn in Lactose CfiHj306, welche sich in iln-en Reactionen wie Traubenzucker
verhält. Gegen eine alkalische Kupferoxydlösung verhält sich der Milchzucker wie
Traubenzucker.
Durch Erwärmen mit Salpetersäure verwrndelt sich Milchzucker in Sc hie im -
säure CcH0O8, durch Kochen in Oxalsäure C2Ii204. Ein Gemisch von concentrirter
Schwefelsäure und Salpetersäure bildet mit Milchzucker Nitrolactit. In Berührung
mit zersetztem Casein wird Milchzucker in Milchsäure übergeführt.
Unter gewissen, noch nicht genau gekannten Umständen liefert Milchzucker neben
Milchsäure auch Alkohol. Die Tartareu und Kirgisen lassen nämlich die Milch der
Stuten in Thierschläuchen sauer werden und schütteln dieselben bis ein dicker Rahm an
der Oberfläche entsteht. Die Molke überlässt man dann der Gährung; das Destillat
heiset Kumys.
Stärkemeklindustrie. 509
Stä rkemehlindustrie.
Stärkemehl, Amylum, Satzraelü C6H10O5 kommt im Pflanzen- und Mineral-
reich vor, während sein Auftreten im Thierreich stets pathologisch ist. Wenn
es in einigen Ablagerungen von Torf und Braunkohlen gefunden worden ist, so
spricht dies für die vorhandenen Reste einer untergegangenen Pflanzenwelt und
liefert zugleich den Beweis, dass Stärkemehl der Fäulniss vollständig widersteht.
Im Pflanzenreich bildet es die Hauptmasse der Cotyledonen; reich daran sind die
Cerealien, die knolligen Wurzeln der Kartoffeln, die Ürchisarten (Salep), die Bataten,
die Pfeilwurzel (Arrow-Root) u s. w; ausserdem ist es ein nie fehlender Bestandtheil
aller Bäume. Das Amylum repräsentirt gleichsam das Fett der Pflanzen und wie beim
thierischen Organismus bei mangelhafter Ernährung das abgelagerte Fett verbraucht
wird, so geschieht dies auch bei den Pflanzen theils während der Ruhe der Vegetation,
theils bei der Entwicklung des neuen Keims, wobei die Ernährung auf Kosten des auf-
gespeicherten Stärkemehls stattfindet. Ein solches Schwinden und Ablagern des Stärke-
mehls findet sich besonders bei den Nadel- und Laubhölzern.
Das Stärkemehl besteht aus mikroskopischen Körnchen von verschiedener Ge-
stalt, um deren Kern sich das Mehl in concentrischen Schichten abgelagert hat. Durch
auf 72° erhitztes Wasser platzen die Hülsen der Körnchen und es entsteht eine
gelatinöse Masse, der Kleister; durch Erhitzen bis auf 160° oder durch Behandeln
mit verdünnten Säuren wird es dem Gummi ähnlich und hei 'st dann Dextrin, weil
dieses die Polarisationsebene nach rechts dreht. Mit concentrirter Salpetersäure bildet
Stärkemehl eine Verbindung, die sich auf Zusatz von Wasser ausscheidet, Xyloidin heisst
und ein Salpetersäureäther desselben ist; es ist eine explosive Verbindung und als
die erste nitrirte Substanz dargestellt worden. Chlor führt Amylum in Chloral über.
In der heissen Zone sind es die Palmen, welche in ihrem Marke sehr viel
Stärkemehl ablagern; hier wird es durch verschiedene Manipulationen (Erhitzen,
Rösten u. s. w.) zu Sago verarbeitet. Der rothe Sago ist durch starkes Rösten ent-
standen und enthält etwas Eisenoxyd.
Die Moosstärke, Lichenin C6H10C5 ist eine Varietät des Stärkemehls und stellt
eine durchsichtige, spröde, in Wasser lösliche Masse dar.
Inulin C6H,0C3 ist das Stärkemehl der Knollen der Dahlien oder Georginen, der
Wurzeln von Inula Helenium, Cichorium Intybus, Helianthus tuberosus.
Das Stärkemehl aus der wilden Kastanie wird als Sago und neuerdings auch
zur Darstellung von Spiritus benutz;-.
Paramylnm CEHI005 kommt in Infusorien vor, quillt in heissem Wasser ohne
Kleisterbildung auf und lässt sich in Zucker überführen.
Zur Darstellung von Stärkemehl benutzt man in Europa fast aus-
schliesslich Weizen, Kartoffeln und Reiss; Roggen und Gerste werden
wie Weizen behandelt.
Das in den Pflanzenzellen abgelagerte Stärkemehl wird auf eine mecha-
nische Weise ausgeschieden; die bei dieser Fabrication vorkommenden
chemischen Erscheinungen bezwecken nur eine schnellere und vollständigere
Wegschaffung der einhüllenden Substanzen, d. h. eine Aufschliessung der Zellen.
Die Hauptmanipulationen bestehen im Zerkleinern, Auswaschen oder
Auskneten des betreffenden Materials. In dem ablaufenden WTasser setzen sich
die Stärkekörnchen ab, der Bodensatz, die Stärke, wird durch Sieben gereinigt
und getrocknet.
Die Modifikationen des Verfahrens ergeben sich aus der verschiedenen Natur
des Rohmaterials.
1) Stärkefabrication aus Weizen.
Diese Fabrication ist die erste und älteste. Es gibt zwei Methoden zur
Darstellung des Weizenstärkemehls; entweder wird das von den Kleien befreite
Mehl mit Wasser bebandelt und ausgeschlemmt, oder es wird der Weizen
510 Kohlehydrate.
unvermahlen oder geschroten mit Wasser so lange in Berührung gelassen,
bis durch den eingetretenen Gährungs- resp. Füulnissprocess der Kleber
löslich geworden ist und die Hülsen durch einen schwachen Druck (Quetschmühle)
gesprengt werden können.
Die erstere Methode wild nur in Frankreich und England angewendet und
zwar dann, wenn Weizenmehl durch lange Aufbewahrung mulstig(stockig) oder schlecht
geworden ist.
Die zweite Methode ist die gebräuchlichste, obgleich sie durch die Fäulniss-
producte des Klebers eine sehr belästigende ist; ihr Product ist dagegen viel reiner als
das der erstem Methode, welche jedoch den Vortheil hat, dass der Kleber nicht ver-
loren geht, sondern gewonnen wird und als guter Zusatz zum Brote, als Viehfutter und
Klebemittel benutzt werden kann. Es ist sehr zu bedauern, dass die Weizenstärke-
fabrication in Deutschland mit dem Verluste des Klebers zusammenfällt, da hierdurch
jährlich unendlich grosse Quantitäten plastischer Nahrungsmittel verloren gehen ; viel-
fach war an manchen Orten die Mahlsteuer Veranlassung, dass man die Methode der
Maceration anwenden musste, weil bei dieser nur ungemahlener Weizen benutzt wird.
1 ) Die Methode der Maceration resp. Gährnng. Die Vorbereitung des Weizens
schliesst bei der Gährungsmethode a) das Einquellen des Weizens in sich.
Ist der Weizen ungeschrotet, so muss er je nach der Witterung 2 — 4 Wochen
in grossen Bottichen (Quellbottichen) so lange weichen, bis er zwischen den
Fingern leicht zerdrückt werden kann und die Flüssigkeit in saure Gährung über-
gegangen ist,
Das hierbei abfallende Wasser heisst Sauer- oder Quellwasser, riecht nach
altem Käse, ist von sehwach gelber Farbe, reagirt stark sauer und überzieht sich mit
einer Haut, welche mit unzähligen Pilzen wie besäet ist.
Gebraucht man geschroteten Weizen, so rührt man denselben mit Sauer-
wasser zu einem dünnen Brei au und überlässt die Masse in Bottichen ebenfalls der
Gährung.
b) Das Zerquetschen des gequollenen Weizens geschieht mittels
Mühlsteine, welche durch Dampf kraft oder Pferde getrieben werden; häufig,
namentlich in grossen Landwirth schaffen, tritt man ihn auch mit den Füssen in
Säcken (Tretsäcken) aus, wozu sich der geschrotete Weizen am besten eignet.
Das ausgequetschte Gut gelangt mit dem in ihm enthaltenen Wasser und dem
Sauerwasser in Satzbottiche; in diesen trennt sich das Wasser vom Stärkemehl und
ist selbstverständlich auch sauer; man nennt es jetzt Quetsch- oder Satzwasser,
das den grössten Theil des aufgelösten und die Fäulnissproducte des der Fäulniss schon
erlegenen Klebers enthält.
c) Das Abschlämmen des Stärkemehls geschieht in den eben erwähn-
ten Bottichen, in welche die milchige Flüssigkeit zum Absetzen des Stärkemehls
gebracht worden ist. Nachdem sie umgerührt und wieder in Ruhe gelassen
worden ist, zapft man nach einigen Tagen die gelbliche und schwach saure
Flüssigkeit ab, welche auch die organischen Säuren nebst dem aufgelösten Kleber
enthält.
Dies abgegangene Wasser nennt man Schlämm wasser. In den Bottichen liegt
zu unterst die grobe schwere, aber weisse Stärke, aus welcher vorzugsweise die
sogenannte kr ystallisirte und gebackene Stärke gemacht wird; in der Mitte
befindet sich die feinste, welche zu Patentstärke in Stängelchen verarbeitet wird, und
zu oberst die durch aufgelösten Kleber, Hülsen und andere Unreinigkeiten grau gefärbte
Stärke, welche abgenommen und später gebleicht wird.
Wenn sich die Stärke in den Bottichen als feste Masse abgelagert hat, wird sie
mit Schaufeln in mit Tüchern ausgefütterte Körbe zum Abtropfen gegeben.
d) Das Trocknen der Stärke. Nach dem Trocknen gelangt die Stärke
in den Lufttrockenraum, welcher aber im Winter künstlich erwärmt werden
mnss, damit sich die Stärke durch das Gefrieren des Wassers nicht zerklüftet.
In schwach feuchtem Zustande wird sie in die Trocken- oder Backstube
Stärkemehlindustrie. 511
gebracht und hier unter allmählig gesteigerter Temperatur bis 50—60° R. erwärmt,
wozu sich am besten Luftheizung eignet.
Die Arbeiter betreten erst den Raum, wenn er auf 24 — 30° R. abgekühlt worden
ist; der starke Staub von Stärke, welchem sie hier ausgesetzt sind, wirkt weniger nach-
teilig ein als die hohe Hitze. Hier ist Alles zu berücksichtigen, was schon über die
nachtheiligen Folgen hoher Hitzegrade gesagt worden ist (s. S. 179); es handelt sich hier
aber mehr um eine trockne als feuchte Hitze.
An den Fenstern solcher Trockenstuben, wo sich die atmosphärische Feuchtigkeit
niederschlägt, beobachtet man nicht selten Bildung von grünen Algen, ein Beweis,
dass diese auf einem stärkemehlhaltigem Nährboden gut gedeihen.
In sanitärer Beziehung ist zu beachten, dass sich, wenn die saure
Gährung in den Quellbottichen eintritt, Kohlensäure, Sumpfgas und etwas
Schwefelwasserstoff entwickeln. Die Gase enthalten die organischen flüchtigen
Säuren, die Zersetzungsproducte des Klebers, wodurch ein belästigender und für
manche Individuen auch nachtheiliger Geruch entsteht.
Damit sich diese Gase und Dämpfe nicht in dem Arbeitsraume verbreiten,
müssen die Deckel der Bottiche mit Ableitungsröhren versehen werden, damit
sie unter den Rost einer Feuerung gelangen können.
Das Sauerwasser sowie das Quetsch- und erste Schlämmwasser
sind von derselben Beschaffenheit und dürfen weder in offene Strassenrinnen
noch in öffentliche Canäle abgelassen werden, da sie in Folge einer weitern
Fäulniss des aufgelösten Klebers einen entsetzlichen Geruch erzeugen, der vor-
zugsweise durch die flüchtigen organischen Säuren und das Schwefelwasserstoffgas
bedingt ist.
Nach den Untersuchungen von Vofil besitzt der Abdampfrückstand dieser Wässer
einen Geruch nach thierischem Leim, bildet eine klebrige Masse und liefert beim Erhitzen
nach dem Verdunsten des Wassers einen unangenehmen Geruch nach verkohlenden Thier-
substanzen (Hörn oder Haaren). Die Asche des Abdampfrückstandes besteht grössten-
teils aus in Milch- und Essigsäure löslichen, phosphorsauren, alkalischen Erden und
Alkalien neben geringen Mengen von Chloriden der Alkalien, Eisenoxyd, Spuren von
Mangan und schwefelsauren Salzen.
Zum Nachweis der in diesen Wässern enthaltenen organischen Verbindungen, der
Säuren und Basen, wurde Sauer- und Sehlämmwasser mit dünner Kalkmilch neutralisirt
und der Destillation unterworfen. In dem Destillate konnten ausser Ammoniak noch
Aethylarnin, Triäthylaniin und Propylamin nachgewiessen werden. Diese flüch-
tigen organischen Basen kommen jedoch in geringer Menge vor, sind an die Säuren
gebunden und liefern deshalb geringen oder gar keinen Beitrag zu den hässlichen
Ausdünstungen.
Im Destillationsrückstande wurden a) an flüchtigen organischen
Säuren: Essig-, Propion-, Butter-, Baldrian-, Capron-, Benzoe- und
wenig Ameisensäure, b) an nicht flüchtigen Säuren: Milch-, Bernstein-
und Oxalsäure nachgewiesen. Während der Destillation entweichen Kohlensäure
und Schwefelwassertoff.
An anorganischen Säuren fanden sich Schwefel- und Phosphorsäure,
Chlorwasserstoff und geringe Mengen Kieselsäure vor.
Ausser diesen Säuren und Basen enthalten die Wässer auch noch Leucin und
den durch die Gährung veränderten und in Wasser löslich gewordenen Kleber, welcher
namentlich das Material zu einer weitern Fortsetzung des Fäulnissprocesses liefert, wes-
halb schon aus diesem Grunde das Unterbringen der Wässer in Schlinggruben nicht
zulässig ist, denn es würde daselbst eine reiche Quelle von Geruchsbelästigung ent-
stehen, abgesehen davon, dass durch die sauren und auflösenden Eigenschaften dieser
Wässer leicht eine Infiltration der benachbarten Brunnen veranlasst werden kann.
In öffentlichen Canälen würden sie ein baldiges Verschlammen veranlassen, wenn
sie mit andern kalkhaltigen Flüssigkeiten, z. B. mit dem Wasser von Weissgerbereien
und Leimsiedereien, in Berührung kämen*), da Kalkzusatz in diesen Wässern sogleich
*) Es wäre überhaupt sehr zweckmässig, dass diejenigen Gewerbe, welche kalk-
haltiges Wasser abführen, dasselbe mittels Satzgruben durch Zusatz eines kohlensauren
Alkalis zu entkalken suchten, ehe sie es in die öffentlichon Canäle ablassen.
512 Kohlehydrate.
einen schlammigen Niederschlag erzeugt : der Gertich und der weitere Fortgang der
Fäulniss würde freilich dadurch verhütet. In kleinen Bächen können sie auch die Ent-
stehung von Leptomitus lacteus veranlassen.
Der Transport des Sauerwassers aus der Fabrik, um auf dem Acker wie
Jauche zum Berieseln verwerthet zu werden, ist bei einem grossen Betriebe unaus-
führbar, weil zu grosse Kosten für den Fabrikanten entstehen würden, wenn man nur
snkt, das- oft täglich mehrere Tausend Knbikfuss Wasser zum Abfluss kommen.
Nur wenn die Fabrik über Ackerland gebietet und in unmittelbarer Nähe desselben
-. würde diese Art der Verwerthang des Saue sehr erspriesslich sein. Sonst
bleibt kein anderes Mittel übrig, als alle von der Weizenstärkefabrication abfallenden
Wäss 'hl das Sauer- als auch das Quetsch- und Schlämm wasser. mit
frischer Kalkmilch bis zur alkalischen Reaction zu versetzen, was in der Fabrik in
grossen Bottichen oder cementirten Behältern geschehen muss: der sich bald bildende
schlammige Niederschlag wird zum Abtropfen in Körbe, welche inwendig mit grobem
Packtuch bekleidet sind, gegeben.
Dieser Kalkniederschlag ist wegen seines Gehalts an phosphorsaurem
Calcium und stickstoffhaltiger organischer Substanz ein vortrefflicher Dungstoff, durch
welchen die auf die Präparatimi der Wässer verwendeten Ausgaben bezahlt werden. Vuhl
fand in 100 G. Th desselben 11,693-';, Phosphorsäure und 0,4661 % Stickstoff.
Das abfliessende Wasser ist klar, ohne Geruch und darf ohne Gefahr in
öffentliche Strassenrinnen oder Canäle abgelassen werden : mau kann es 14 Tage lang
bei einer constanten Temperatur von +23° R. sich selbst überlassen, ohne dass es in
Fäulniss übergeht.')
2) Die Methode der Stärkegewinnung ohne Gährung. Man wendet den Weizen
fein gemahlen oder geschrotet an und formt daraus mit Wasser einen gleichför-
migen Teig, welchen man einige Zeit sich selbst überlasst. Alsdann folgt das
Auswaschen des Teigs anfeinem grossen ovalen Siebe aus Drahtgitter, welches
über einem grossen Bottich aufgestellt ist.
Während Wasser in einem feinen Strahle zufliesst, drückt und wendet man be-
ständig den Teig, bis die Stärke ausgewaschen ist: man fährt so lange damit fort, bis
das Wasser nicht mehr -milchig abläuft und der Kleber als eine braune, faserige und
stark zusammenhängende Masse mit den Kleien zusammen übrig bleibt
Die bei dieser Methode abfallenden Wässer sind in sanitärer Beziehung
ebenfalls zu beachten, da sie stickstoffhaltige und stickstofffreie Bestandtheile des Weizens
gelöst enthalten, welche mit grosser Begierde atmosphärischen Sauerstoff absorbiren und
dadurch leicht in Gährung resp. Fäulniss übergehen. Frisch können diese Wässer zum
Anmachen von Viehfutter benutzt werden: will man sie zum Düngen verwenden, so
müssen sie mit Kalkmilch versetzt werden.
Die Kleien sind durch den ausgeschiedenen Kleber zusammengeballt: dieses Ge-
menge lässt sich mit Vortheil als Viehfutter benutzen, gewöhnlich sondert man jedoch
die Kleie vom Kleber ab, indem man das Gemenge in Berührung mit Wasser sieb selbst
überlasst. wodurch eine saure Gährung eintritt und der Kleber auf Kosten der gebildeten
Säure gelöst wird.
Die Kleberlösung wird nun mit Kreide oentralisirt, tiltrirt und abgedampft. Es
bildet sich hier schliesslich eine dicke, syrupsartige Flüssigkeit, welche alle Eigenschaf-
ten des thierischen Leims zeigt, nur mit dem Unterschiede, dass die Masse, einmal ge-
trocknet, höchst schwierig aufzuweichen ist. Mit ^turkekleister zusammengemischt, ist
sie ein vortreffliches Bindemittel bei Papparbeiten und übertrifft die Bindekraft des
sogenannten Buchbinderkleisters, welcher eine Mischung v<>n Leim und Stärkemehl
zu gleichen Theilen darstellt. Im Bande! kommt dieser Körper als Schusterstärke
*) Das Sauer-. Quetsch- und Schlämmwasser lä^st .-ich auf die Gewinnung
der Milch-, Butter-. Essig-. Baldriansäure u. s. w. bearbeiten.
Durch Versetzen dieser Wässer mit Kalk werden die Phosphorsäure und ein Theil
des Klebers abgeschieden. Die klare Flüssigkeit gibt beim Abdampfen eine Krystalli-
sation von milchsaurem Calcium, das auf Milchsäure bearbeitet werden kann.
Die Mutterlauge wird entweder direct mit verdünnter Schwefelsäure versetzt
und destillirt, wobei sich viel Gips abscheidet, oder man schlägt durch Soda den Kalk
nieder, gewinnt aus der geengten Salzlösung entweder durch Krystallisation zuerst das
essigsaure Natrium und verarbeitet die Mutterlauge auf Butter-, Baldriansäure u. s. w.,
oder man destillirt die Jvatronsalze direct mit Schwefelsäure und scheidet die Säuren
durch ihren Siedepunct.
Stärkefabrication. 513
vor. Auf dieselbe Weise kann auch der Inhalt der sogenannten Tretsäcke (s. S. 510)
verwendet werden.
Soll der Kleber als Nahrungsmittel benutzt werden, so bringt man die Kleien-
masse mit vielem Wasser in einem Bottich zusammen, rührt längere Zeit kräftig durch
und lässt nach einiger Zeit Ruhe die Flüssigkeit bis auf den dritten Theil abfliessen; im
Grunde derselben ist dann der grösste Theil des Klebers mit wenig Kleie abgelagert.
Man knetet die Masse unter Wasser zusammen, wodurch der Kleber sich zusammenballt
und die Kleie fahren lässt: auch kann er durch eine Auflösung von kohlensaurem
Natrium aus der Kleie ausgezogen und mittels einer Säure aus dieser Lösung gefällt
werden. In beiden Fällen kann er als Nahrungsmittel, als Zusatz zum Brote odex auch
als sogenanntes Kleberbrot bei diabetischen Kranken Verwendung finden.'
Mit Mehl und Wasser zu einem Teig geformt, ist er auch zur Fabrication von
Macaroni, Nudeln u. s. w. gebraucht worden: der frische Kleber hat nur die üble
Eigenschaft, leicht zu faulen und kann daher in diesem Zustande nicht lange aufbewahrt
und transportirt werden.
Neuerdings hat man den Kleber wie Graupe granulirt und dann getrocknet; zu
dem Ende knetet man den Kleber mit der doppelten Gewichtsmenge Mehl zusammen,
rollt den Teig in lange Streifen und formt daraus Körner, welche bei 30 — 40 ° getrocknet
und dann durch Sieben sortirt werden; indem man sie mit Mehl bestreut, verhütet man
ihr Zusammenballen. Diese „Klebergraupe'' wird als vortreffliches Nahrungsmittel
gerühmt.
Alle bei der Weizenstärkefabrication abfallenden Hülsen geben ein sehr gutes
Viehfutter und können wie die Runkelrübenpresslinge behandelt werden; nur als Pferde-
.futter taugen sie nicht, da namentlich die vom Kleber befreiten Kleien, in welchen
Magnesiumphosphat aufgeschlossen ist, bei den Pferden die Bririd-Daraisteine, die aus
phosphorsaurem Ammonium-Magnesium bestehen, erzeugen.
B. Stärkefabrication aus Kartoffeln.
Von den verschiedenen Wurzeln und Knollen ist es vorzugsweise die
Kartoffel, welche zur Stärkefabrication benutzt wird. Als Mittel von vielen
Analysen enthält die Kartoffel in 1000 Theilen an Stärkemehl 157,97,
Cellulose 65,94, Dextrin 19,39, Eiweiss 13,54, Fett 1,60, Asparagin 0,80, Ex-
träctivstoffen 9,20, Salzen 10,49, Wasser 741,52, Kali 6,50, Natron nur Spuren,
Kalk 0,27, Magnesia 0,55, Eisenoxyd 0,05, Phosphorsäure 1,86, Schwefelsäure 0,49,
Chlorkalium 0,61, Chlornatrium 0,13 und Kieselsäure 0,18.
Wegen des fehlenden Klebers in der Kartoffel ist eine andere Darstellungs-
methode als beim Weizen angezeigt; dieselbe zerfällt:
1) in das Zerreiben der Kartoffeln mittels Reibmaschinen. Man
bedient sich hierbei gewöhnlich eines Reibcylinders, wie er in den Rübenzucker-
fabriken zum Zerreiben der Rüben gebräuchlich ist.
Dem Zerreiben geht selbstverständlich ein Reinigen und Waschen der
Kartoffeln mittels mechanischer Vorrichtungen voraus. Das Zerreiben bezweckt ein Zer-
reissen der Zellen der Kartoffeln und damit ein Biossiegen des Stärkemehls, um das-
selbe durch Auswaschen und Reinigen leichter gewinnen zu können.
2) Die Abscheidung der Stärke aus dem zerriebenen Kartoffel-
brei. Dies geschieht durch Schlämmen auf Sieben oder Siebtrommeln; häufig
bedient man sich dazu mehrerer Reihen von Drahtsieben von verschiedener
Feinheit, welche über einem Bottich übereinander stehen.
In das Drahtsieb mit den weitesten Maschen gelangt zunächst der Kartoffelbrei,
während das AuswascL m durch einen beständig zutliessenclen Wasserstrahl bewirkt wird.
Die betreffenden Einrichtungen sind in den verschiedenen Fabriken verschieden
ausgeführt; recht wirksam ist eine Einrichtung, durch welche dem Siebe eine rüttelnde
Bewegung mitgetheilt wird.
3) Die Reinigung der Stärke durch Absetzenlassen. Dies geschieht
in grossen Bottichen durch Auswaschen und Durchseihen; das aus der Satz-
Eulenberg, Gewerbe -Hygiene. 33
514 Kohlehydrate.
flüssigkeit gewonnene Stärkemehl wird auf geeignete "Weise auf Seihetücher
gebracht und an der Luft getrocknet.
4) Das Trocknen in Backstuben. Um eine constante Trockenheit der
Stärke zu bewirken, wird sie in der Backstube bei einer Temperatur von 40 — 50"
behandelt.
In Frankreich steigert mau iu einem grossen gemauerten Kasten die Wärme nach
und nach bis auf 60° und sogar auf 8.0° R. Die langsame Steigerung der Hitze ist
nöthig, damit die Stärke wegen ihres hohen Wassergehalts nicht in Kleister übergeht.
Die Stärke kommt entweder im zerbröckelten Zustande als sogen. Schäfchen
oder als Stengelstärke in den Handel. Im erstem Falle lässt man die getrockneten
und zusammengebackenen Stücke zwischen Walzen gehen; zur Darstellung der St
stärke knetet man die noch feuchten Stärkekuchen mit Wasser zu einem dicken Teige
und lässt diesen mittels Maschinen durch Trichter mit vielen kleinen Oeffnuugen gehen.
Die Wasch- und Satzwässer. Dieselben sind mit den löslichen eiweisshaltigen
Stoffen der Kartoffeln geschwängert, enthalten stickstoffhaltige und stickstofffreie
Exlractivstoffe nebst den löslichen Mineralsubstanzen. Bei grosser Verdünnung
und bei warmem Wetter gehen sie leicht in Fäulniss über, weshalb die oben ge-
nannten Fäulnissproducte auch hier, aber nur in einem geringern Grade, auf-
treten; nur die Buttersäure ist in einer grossem Menge vertreten (s. S. 511).
Diese Wässer verdienen deshalb eine grössere sanitäre Berücksichtigung
als ihnen bisher zu Theil geworden ist. Jedenfalls dürfen sie nicht in Schling-
gruben abgelassen werden; kann man sie nicht auf irgend eine Weise verwerthen
oder als Duugmittel benutzen, so müssen sie ebenfalls in Bottichen oder cemen-
tirten Cistei neu mit Kalkmilch versetzt werden. J)
Behandlung der festen Rückstände. Die bei der Kartoffelstärkefabrication ab-
fallende Cellulose, welche noch stets Stärkemehl enthält, kann auf verschiedene Weise
verwerthet werden. Sie kann als Viehfutter frisch verbraucht oder in Gruben ein-
gesalzen werden: in letzterm Falle wird eine Milchsäure-Gährung eintreten unter
ihzeitiger Entwicklung von flüchtigen fetten Säuren neben Schwefelwasserstoff.
In andern Fabriken wird der Rückstand mit verdünnter Schwefelsäure behandelt,
um Traubenzucker daraus zu bereiten, welcher der Gährung unterworfen und auf
Spiritus weiter verarbeitet wird; statt der Schwefelsäure kann man auch hier geschrotetes
Malz (Dextrin) nehmen. In Frankreich, namentlich im Elsass, wird der Rückstand mit
Salz versetzt, abgepresst und in Brotform verbacken, um als Futter für Pferde und
Rindvieh zu dienen.
Das Bleichen der Stärke. Neuerdings gebraucht man zum Bleichen der grauen
Stärke aus Cerealien vielfach die Schwefelsäure. Wenn die Stärke abgenommen
worden ist, wird sie in Wasser aufgerührt und mit der Schwefelsäure versetzt; man
benutzt hierzu eine entsprechende Menge concentrirter Schwefelsäure von 06° B., die
mit dem 20— 30fächen Vol. Wasser verdünnt wird. Selbstverständlich lässt man diese
Verdünnung erst erkalten, ehe mau sie zugibt.
Man verwendet auch die Jacet/e'sche Flüssigkeit, wrelche man zuerst der imWasser
aufgerührten Stärke zusetzt, um dann die in obiger Weise verdünnte Schwefelsäure
allmählig zuzumischen.
Beim Gebrauch der Schwefelsäure ist der Umstand sehr beachtungswerth, dass,
wenn sie im rohen Zustande zur Anwendung kommt, alle Verunreinigungen derselben,
ders Blei und arsenige Säure, mit dem Stärkemehl niedergeschlagen werden.
ie hierbei resultirenden Abflusswässer schwefelsäurehaltig sind, so dürfen sie nicht
ohne vorherige Neutralisation mit Kalk in öffentliche Canäle abgelassen werden. Man
darf auch ni -sen, dass die Stärke als Nahrungs- und Genussmittel zur Anwendung
kommt und unter Umständen durch die oben genannten Verunreinigungen schädlich auf
die Gesundheit der Menschen einwirken kann. Für die Erforschung der Krankheits-
hen ist die Kenntniss solcher Vorkommnisse von Wichtigkeit.
Verfälschung der Stärke. Unter den absichtlichen betrügerischen Zusätzen zur
Stärke sind Gips, Bariumsulfat und Lenzin zu erwähnen: diese Substanzen findet
man nach der Verbrennung in der A.- he wieder.
Stärkefabrication. 515
Die feinste blaue Patentstärke ist eine mit Ultramarin gemischte Kartoffelstärke;
dieser Zusatz ist zwar nicht als eine Verfälschung zu betrachten, wird jedoch eine
solche Stärke für die Zubereitung von feinen Mehlspeisen benutzt und mit Fruchtsäften
inVerbindung gebracht, so entwickelt sich Schwefelwasserstoff, grade wie es bei dem
mit Ultramarin versetzten Zucker der Fall ist.
C. Stärkefabrication aus Reis.
In neuerer Zeit werden die geringen Reissorten und das beim Schälen des
Reises abfallende Reisklein zur Stärkemehlfabrication benutzt. Bekanntlich sind
die Reiskörner von grosser Härte und findet das Ausquellen derselben in Wasser
sehr schwierig und langsam statt; man hat deshalb Mittel in Anwendung gebracht,
durch welche die Wasseraufnahme begünstigt resp. beschleunigt und somit schliess-
lich ein Zerfallen der einzelnen Reiskörner bewerkstelligt wird.
Im Reiskorn ist das Stärkemehl mit einer eiweissähnlichen Substanz gleichsam
als Bindemittel verbunden, die aber in Säuren und Alkalien leicht löslich ist; be-
sonders sind es die organischen Säuren, die Essig-, Citronen-, Weinstein- und Oxal-
säure und von den anorganischen Säuren die Schwefelsäure, welche ein bedeutendes
Lösungsvermögen dieser Substanz gegenüber besitzen.
Die Darstellungsmethode besteht nun darin, dass man den Reis in schwach
angesäuertem Wasser aufquellen lässt; zur Ansäuerung benutzt man vorzugsweise
Essig- oder auch Schwefelsäure, die aber möglichst rein sein muss. Diese Procedur
dauert ungefähr 24 Stunden lang; dann wird der gequollene Reis mit einer schaufel-
förmigen Rührvorrichtung bewegt, wodurch sich die einzelnen Körner abreiben; die
Masse wird immer dicker und breiiger, weshalb von dem angesäuerten Wasser fort-
während zugesetzt werden muss. Nach 2 — 3 Stunden ist der Reis in einen feinen
weissen dünnen Brei verwandelt, man gibt mehr Wasser zu und decantirt.
Das Waschen findet so lange statt, als noch eine Spur von Säure zu ent-
decken ist. Man lässt nun den Brei Siebe passiren, wodurch eine graue, eigenthümlich
kleberartige Masse ausgeschieden wird; dann verfährt man wie bei den andern Dar-
stellungsmethoden.
Die bei dieser Fabrication entstehenden Abflusswässer, sei nun Essig-
oder Schwefelsäure gebraucht worden, enthalten neben Zucker noch Gummi und
stickstoffhaltige, eiweisshaltige Substanzen aufgelöst; sich selbst überlassen, gehen
sie bald in eine faulige Gährung über, wobei sich dieselben Producte wie bei der
Weizenstärkemehlfabrication ergeben, nur ist beim Reiswasser die Entwicklung
von Schwefelwasserstoff viel bedeutender. Die anzuwendenden Vorsichts-
massregeln bleiben dieselben.
In Frankreich hat man angefangen, auch aus Rosskastanien Stärkemehl zu be-
reiten, welches dem aus Getreide bereiteten gleichkommen soll.
Eine grosse Menge Sago, welche jetzt im Handel vorkommt, ist aus Kar-
toffelstärke labricirt und mit Eisenoxyd oder gebranntem Zucker gefärbt; der ächte
Sago wird auf den Molukken und Philippinen aus dem Marke der Sagopalme bereitet.
Das Verfahren des Waschens, Durchsiebens, des Absetzenlassens und Ausbreitens auf
Tücher findet auch hier statt, nur wird die feuchte Masse noch mittels Reibens durch
Metallsiebe gekörnt, wobei man die Körner auf eine heisse Kupferplatte fallen lässt;
hierdurch geht die Stärke grösstenteils in Kleister über und stellt dann die bekannten
harten Körner dar.
Dextrin-Industrie.
Dextrin CeH^Oj, Stärkegummi, Gomnie d'Asance, macht einen notwendigen
Bestandtheil des Bieres aus und bildet sich auch beim Backen des Brotes; die
Kruste des 'Gebäcks besteht grösstenteils aus Dextrin. Es bildet ein Zwischen-
glied zwischen der Stärke und dem Traubenzucker, da der Zusatz eines Malz-
auszuges (Diastase) zu Stärkemehl dasselbe bei einer Temperatur von 70u
zuerst in Dextrin und alsdann in Traubenzucker überzuführen vermag.
33*
516 Kohlehydrate.
Zu seiner Darstellung im Grossen benutzt man das Kartoffelstärkemehl,
wenn es zu technischen Zwecken Anwendung fiuden und das arabische Gummi
vertreten soll. Man beobachtet hierbei folgende Methoden:
1) Das Backen oder gelinde Rösten des Stärkemehls in grossen,
den Backöfen ähnlichen Oefen; es wird bei einer beständigen Rührvorrichtung so
lange fortgesetzt, bis das Stärkemehl in Wasser löslich geworden ist.
Wendet man Getreidestärkemehl an, so gebraucht man grosse Cylinder von
Kupfer oder Eisenblech, in welchen sich eine eiserne Achse berindet, die durch eine
Kurbel bewegt wird. Man verfährt dabei wie beim Brennen des Kaffee's; mittels einer
Trommel röstet man so lange, bis sich das Stärkemehl aufbläht und ein ähnlicher Geruch
entsteht, wie er sich beim scharf gebackenen Brot bildet.
Das Röstgummi hat jedoch meist eine gelbe oder bräunliche Farbe und ist
deshalb beim Zeugdruck nicht zu gebrauchen. Um es möglichst farblos zu erhalten,
zieht man es vor, das Stärkemehl in Kesseln mit doppeltem Boden zu behandeln; der
Zwischenraum ist mit Oel angefüllt und wird bis auf eine constante Temperatur erhitzt.
2) Das Backen der Stärke mit Salpetersäurezusatz. Durch diesen
Zusatz wird die Dextrinbildung begünstigt; man verdünnt Salpetersäure von
1,4 spec. Gew. mit Wasser (2 Kilogrm. mit 300 Liter Wasser) und setzt 3 Theilen
verdünnter Säure 10 Theile Stärke zu; man formt die Masse zu Kuchen und
trocknet sie in freier Luft, dann erhitzt man sie in Oefen bei laagsam steigender
Temperatur bis zu 80°.
Die so getrocknete Masse wird gemahlen, gesiebt und abermals bei einer Tem-
peratur von 100 — 110° geröstet; bei starkem Erhitzen bilden sich höchst reizende
empyreumatische Dämpfe, wenn ein Verkohlen der Stärke stattfindet.
In sanitärer Beziehung ist zu bemerken, dass diese Dämpfe Kohlenoxyd
und viel Untersalpetersäure enthalten, wodurch in einzelnen Fällen die Arbeiter
einer grossen Gefahr ausgesetzt werden können. Die Temperatur ist deshalb sorgfältig
zu reguliren und Einrichtungen zur Ableitung der Dämpfe dürfen nicht fehlen: können
diese nicht verbrannt werden, so müssen sie wenigstens durch hohe Schornsteine ab-
geleitet werden. Diese Dämpfe sind nämlich schwer und senken sich leicht zu Boden;
ihre Verbrennung ist deshalb stets vorzuziehen. Eine Belästigung der Nachbarschaft
ist aber bei diesem Verfahren kaum zu vermeiden : man darf daher solche Fabrikanlagen
niemals in Städten oder in der Nähe von grossen Häusercomplexen dulden.
Statt der Salpetersäure kann man auch Schwefelsäure, balzsäure oder Milchsäure
anwenden; das mit Salpetersäure dargestellte Dextrin hat aber den Vorzug, fast voll-
ständig weiss zu sein und ist daher in der Technik in jeder Weise zu benutzen-
3) Die Darstellung des Dextrins aus Malzauszug (Diastase).
Da das Dextrin hierbei in Lösung als Dextrins yrup (Gummisyrup) erhalten
wird, so hat diese Darstellung dann einen Vorzug, wenn das Dextrin in Lösung
zur Anwendung kommen soll, aber auch den A'achtheil des erschwerten Transports
und der geringern Haltbarkeit des Präparats, denn ein Theil des Stärkemehls wird
stets in Zucker übergeführt, welcher leichter eine Gährung einleitet, zumal die
Klebertheilchen des Malzes nicht abgeschieden werden können und grade hier-
durch die Gährung begünstigt wird.
Der Dextrins yrup wird vorzugsweise bei der Bierbrauerei und Obstwein-
fabrication, bei der Darstellung des künstlichen Lakritzensaftes und namentlich in den
Conditoreien zur Fabrication der Erustcarainellen, Drops u. s. w. benutzt.
In der Industrie ist das Dextrin von grosser Bedeutung und wegen seiner
Billigkeit ein Ersatzmittel des arabischen Gummi's geworden. Es findet daher \ er-
wendung in Zc-ug-Tapetendruckereien und Färbereien als Verdickungsmittel sowie beim
Appretiren und Steifen der Zeuge als Kettenschlichte; auch bei den Webereien
ersetzt die Dextrinschlichte die bisher gebräuchliche Stärkeschlichte und trägt bedeutend
zur Verbesserung der sanitären Verhältnisse iu den betreffenden Räumen bei. Man
nimmt jetzt 8 Kilogrm. Dextringummi. 12 Kilo 28 gradiges Glycerin, 1 Kilo schwefel-
saure Thonerde und 30 Kilo Wasser und erhält dadurch eine Schlichte, bei welcher die
an offenem Fenster und bei trockner Luft arbeiten können. Es dient ferner als
Gummi. 517
Mundleim, zum Glasireu von Karten und Papieren, zur Darstellung des sogenannten
englischen Pflasters und überhaupt in der Chirurgie zur Befestigung von Bandagen.
Man hat sich bei seiner Anwendung nur vor der gleichzeitigen Einwirkung von
Säuren zu hüten, weil _ es hierdurch verflüssigt und Zuckerbildung veranlasst '"wird.
Sogenanntes krystallisirtes Dextrin erhält man, wenn die wässrige Dextrinlösunc im
Wasserbau! e eingedampft wird.
Künstlicher Lakritzensaft Bei der fabrikmässigen Darstellung desselben erhitzt
man Kartoffelstärke und Luftmalz mit Wasser bis zum Sieden, um das Stärkemehl in
Dextrin und Traubenzucker zu verwandeln; man setzt dann Lakritze und Lorbeer-
blätter hinzu, lässt die syrupartige Masse durch Siebe laufen, dickt dieselbe über
freiem Feuer ein und fügt ätherisches Anisöl hinzu, wenn die gehörige Extractcon-
sistenz erreicht und die Temperatur auf 50° C. gesunken ist.
Abgesehen von der sehr bedeutenden Anstrengung während des beständigen
Rührens leiden die Arbeiter sehr von den Dämpfen des Anisöls, welche nicht bloss die
Augen heftig reizen, sondern auch nicht selten Betäubung veranlassen; Thatsache ist
es übrigens, dass solche Arbeiter niemals an Ungeziefer leiden. Die Masse wird
schliesslich durch Pressen in Cylindern mit gelochtem Boden in Form von Stäno-elchen
gebracht, die in Trockenstuben bei einer Temperatur von 60° C. getrocknet werden; die
Hitze muss so hoch sein, weil sonst leicht ein Schimmeln des Fabricats eintritt. Die
Arbeiter, welche sich mit der Abnahme der trocknen Waare beschäftigen, leiden viel
von der grossen Hitze in den Trockenräumen.
Vielfach enthält übrigens die im Handel vorkommende Lakritze gar keinen
'Lakritzensaft, weil man das Dextrin durch zugesetzten Kienruss oder gemahlene Braun-
kohle färbt und ihm eine geringe Menge Anisöl zusetzt.
Gummi.
Gummi ist dem Stärkemehl ähnlich zusammengesetzt; das arabische
Gummi und das Traganthgummi sind die beiden Repräsentanten desselben.
Ausser der Jodreaction verhält sich Gummi in chemischer Beziehung ganz wie
Stärkemehl; bei den Völkern der heissen Zone spielt es auch als Nahrungsmittel
eine bedeutende Rolle, da es unter gewissen Umständen das Stärkemehl ersetzen
kann. Bei den Erdessern soll es namentlich während der Regenzeit das Haupt-
Nahrungsmittel repräsentiren. In Europa wird es mehr bei Conditorwaaren als
Zusatz zu Caramellen u. s.w. benutzt; was man in Conditoreien Traganthwaare
nennt, ist kein Fabricat aus Gummi, sondern aus Mehl, dem man Kreide zugesetzt
hat; das Bindemittel ist eine verdünnte Auflösung von Gummi oder Stärkekleister.
Pulverisirt und trocknet man arabisches oder Traganthgummi und behandelt es
mit einem Gemisch von concentrirter Salpetersäure und Schwefelsäure, so erhält man
eine schwere sandige Substanz, welche in Wasser, Alkohol und Aether so gut wie un-
löslich ist und getrocknet durch einen Prellschlag leicht zum Explodiren gebracht werden
kann. Diese Verbindung, welche man Nitro arabin nennt, benutzt man wegen ihrer
feinkörnigen Beschaffenheit und ihrer Explosivität als Sprengpulver. Nitroarabin wird
jedoch meistens nur als Zusatz zu Zündrequisiten benutzt und besitzt in dieser Beziehung
einen grossen Vorzug, da es einer 'freiwilligen Zersetzung nur selten unterliegt.
Bezüglich der bei der Darstellung sich entwickelnden Gase und Dämpfe und der
abfallenden Wasch wässer gilt dasselbe, was bei der Schiessbaum wolle zur Sprache
kommen wird.
Die Bierbrauerei.
Das in den Cerealien enthaltene Stärkemehl spielt bei der Bierbrauerei
eine bedeutende Rolle; man sucht dasselbe zunächst durch Diastase in Trau-
benzucker überzufühen. Diastase (otaaraai?, Spaltung) ist eine dem Albumin
ähnliche und beim Keimen der Gerste entstehende Substanz. Die hierbei statt-
findende Procedur nennt man Malzen; wird nämlich die Gerste mit Wasser
eingeweicht und später auf Haufen gesetzt, so tritt in Folge der Oxydation des
Klebers eine Erwärmung ein und der Keim entwickelt sich. Bei diesem be-
ginnenden Vegetationsprocesse bildet sich in der nächsten Umgebung der Keim-
518 Kohlehydrate.
wurzel Diastase, welche bei der weitem Vegetation schwindet; deshalb wird
die gekeimte Gerste durch rasches Ausbreiten auf luftigen Trockenböden
(Luft- oder Schwelmalz) oder durch Unterstützung künstlicher Wärme
(Darrmalz) zum Trocknen gebracht und dadurch das Fortschreiten der Keimung
gehemmt, um eine Verminderung der Diastase zu verhüten.
Wird nun die getrocknete gekeimte Gerste, d. h. das Malz, auf der
Mühle geschrotet und mit Wasser von 60° R. digerirt, so wird das Stärkemehl
des Malzes durch die Einwirkung der Diastase gelöst und verflüssigt, wobei es
zuerst in Dextrin und zuletzt in Traubenzucker verwandelt wird. Es hängt
somit die mehr oder weniger vollkommene Umwandlung des Stärkemehls in
Traubenzucker hauptsächlich von der Menge der im Malze enthaltenen Diastase
ab; der ganze Malzprocess gehört deshalb zu dem wichtigsten Theile der
Bierbrauerei.
In der Bierbrauerei unterscheidet man 4 Hauptabtheilungen: 1) die Malz-
bereitung, 2) das Maischen oder die Bereitung der Bierwürze, 3) den Gährungs-
process und 4) die Aufbewahrung und Pflege des Biers.
1) Die Malzbereitung. In neuerer Zeit ist die Malzbereitung ein besonderer
Geschäftszweig geworden und es gibt grossartige Etablissements, welche Malz
von jeder Beschaffenheit, Luft-, Halbdarr-, Darr- und Farbmalz liefern. Bezüglich
der verschiedenen Cerealien wird Gersten-, Weizen- und Hafermalz fabricirt;
Luftmalz von Hafer liefert mehr Alkohol als Gerstenmalz. Man zieht im Allge-
meinen die Gerste vor, weil ihr Gehalt an Stärkemehl weniger Schwankungen
unterworfen ist als der der andern Cerealien.
Da die Gerstenasche in 100 Theilen 30 Th. Phosphorsäure, oT Th. Kieselsäure,
17 Th. Kali, 7 Th. Magnesia und 3 Th. Kalk enthält, so sind die Gerstenbiere durch
den Gehalt an phosphorsauren Salzen der Alkalien und alkalischen Erden aus-
gezeichnet, welche neben dem Traubenzucker, Dextrin, den Eiweisssubstanzen und dem
Alkohol für die Ernährung des Organismus von der grössten Bedeutung sind. Von
allen Cerealien ist die Gerste am reichsten an Phosphorsäure.
Die Malzbereitung zerfällt:
a) in das Einweichen oder Einquellen der Gerste; dieses geschieht
in grossen Bottichen (Quellbottichen) und bezweckt neben der Entfernung der
Unreinigkeiten und tauben Körner vorzugsweise ein Durchdringen der Gerste mit
Feuchtigkeit.
Das Wasser muss stets einige Zoll hoch über der Gerste stehen. Das Wasser
spielt sowohl beim Einweichen als auch beim Einmaischen und beim eigentlichen Brauen
eine grosse Rolle; im Allgemeinen zieht man weiches Quell- oder Flusswasser dem
Brunnenwasser vor: kalkreiches oder trübes Wasser muss durch Erwärmen und Ab-
setzenlassen oder Filtration gereinigt werden. Das über der Gerste stehende Wasser
nimmt allmählig eine braune Farbe an und heisst Weichwasser: nach mehrmaligem
Umrühren und Absetzenlassen wird das erste Wasser gewöhnlich nach 12 — 24 Stunden
abgelassen. Es entsteht nun die Frage, wohin soll das Weichwasser abgelassen werden ?
In keinem Puncte wird mehr gegen die Vorschriften der Sanitätspolizei gesündigt als in
diesem: in den meisten Städten wird ihm der freie Abfluss in die Strassenrinnen ge-
stattet, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, welchen üblen Geruch und welche Belästigung
ein solches Wasser oft im Gefolge hat.
Dieses Weichwasser ist nach der Anwendung der verschiedenen Cerealien ver-
schieden: am schlimmsten ist das von Hafer und Weizen und am unschuldigsten das
von Gerste: stets enthält es mehr oder weniger Gummi, Zucker, stickstoffhaltige Sub-
stanzen in Form von löslichem Legumin und Pflanzenfibrin, von den Alkalien am meisten
Kali, ausserdem Kalk, Magnesia, neben Kieselsäure, Schwefelsäure und Kohlensäure vor-
zugsweise Phosphorsäure: im frischen Weich wasser der Gerste findet sich auch Bern-
stemsäure (cf. S. 511).
Wird das Weichwasser sich selbst überlassen, so fault es schnell und es ent-
Bierbrauerei. ',\2
wickeln sich alle Substanzen, welche als Producte des Fäulnissprocesses der stickstoff-
haltigen Substanzen bekannt sind: in der wärmern Jahreszeit kann sich alsdann ein
höchst widerlicher Geruch entwickeln, durch welchen die Luft in den Strassen wahrhaft
verpestet wird, wenn namentlich Strassenrinnen mit schwachem Gefälle zum Äbfluss
benutzt werden. Es darf daher auch nicht in Schlinggruben, Cisternen oder in über-
irdischen Behältern aufbewahrt werden: lässt man es in Bäche abfliessen, so veranlasst
es die Bildung der sehr belästigenden Alge, des Leptomitus lacteus. Der Abfluss
in Canäle ist nur zu gestatten, wenn es mit Kalkwasser versetzt und der schleimige
Niederschlag entfernt worden ist: letzterer hat qualitativ dieselben Bestandtheile wie
der aus dem Sauerwasser der Stärkefabriken erhaltene Kalkniederschlag,- welcher eben-
falls reich an Phosphorsäure ist. x)
Beobachtet man beim Weichwasser die Vorsicht, dass es nicht bis zur fauligen
Zersetzung stehen bleibt, so kann es ohne Schaden und Belästigung frei abfliessen. Der
Process ist ganz derselbe wie beim W eichen des ungeschroteten Weizens in den Stärke-
mehlfabriken: es ist besonders der aus den Hülsen sich ausscheidende Kleber, welcher
zur fauligen Zersetzung Veranlassung gibt und dem Wasser die üblen Eigenschaften
mittheilt. Zur Berieselung von Aeckern und Wiesen kann es an und für sich weniger
gut benutzt werden und nur durch die Präcipitation desselben mit Kalk wird seine
Dungkraft concentrirt.
Einige Brauer haben die üble Gewohnheit, dass sie die frischen Fässer einer
Beize mit faulem Weichwasser aussetzen, indem durch die bei diesem Processe sich
bildende Essigsäure die Lohe resp. der Farbstoff des Holzes ausgezogen wird. Dieses
Wasser enthält Schwefelwasserstoff, Buttersäure und ähnliche Fettsäuren, riecht ent-
setzlich und darf unter keiner Bedingung auf die Strassen ausgegossen werden, wie es
leider noch in manchen Städten geschieht.
Das Einweichen dauert nach dem Alter der Gerste 2 — 7 Tage. Die Gerste ist
„quellreif", wenn sie sich leicht zwischen den Fingern zerdrücken lässt uüd die Hülse
sich leicht löst.
b) Das Keimen der gequellten G-erste. Nach dem Einweichen gelangt
die Gerste auf die Malztenne, wird hier in regelmässigen quadratischen Haufen
aufgeschüttet und bisweilen umgeschaufelt, um das Keimen gleichförmig ein-
zuleiten und das Erhitzen zu vermeiden. Bei diesem Wenden leiden die Arbeiter
viel vom Staube, der bei grossem Betriebe durch Exhaustoren zu entfernen ist.
Der Keim tritt als weisser Punct auf. aus welchem sich das Würzelchen
entwickelt; dann steigert man die Temperatur der Haufen dadurch, dass
man ihnen eine grössere Dicke gibt und sie nicht umschaufelt; sie muss um
6 — 10° die Temperatur der Umgebung übersteigen. Es verdunstet viel Feuch-
tigkeit, womit eine Entwicklung von Kohlensäure und Absorption von Sauer-
stoff verbunden ist.
Man empfindet dabei einen angenehmen, obstartigen Geruch: ist derselbe
widerlich und erinnert er an faulende Aepfel, so ist die Gerste schlecht gewesen oder
die Arbeiter haben beim Umschaufeln Körner zertreten und getödtet, welche dann in
Fäulniss übergehen.
Sind die Würzelchen einige Linien lang geworden, ineinander verschlungen und
gleichsam verfilzt, so muss das Keimen beendigt werden, was durch die Erniedrigung
der Temperatur resp. flacheres Ausbreiten der Gerste herbeigeführt wird.
Die Kunst des Mälzens liegt hauptsächlich darin, dass man zur gehörigen Zeit
das Keimen zu unterbrechen versteht. Die Dauer des Keimens richtet sich nach der
Jahreszeit und äussern Temperatur und schwankt zwischen 7-16 Tagen.
c) Das Trocknen und Darren der gekeimten Gerste. Die gekeimte
Gerste kommt nun auf den Schwelchboden und wird hier einem lebhaften
Luftzuge ausgesetzt, um noch mehr Feuchtigkeit zu verlieren.
Nach dem Trocknen des Malzes entfernt man die Würzelchen durch Treten
mit Holzschuhen oder mittels einer Wurfrnaschine, wobei sich wieder viel Staub
entwickelt. Man erhält auf diese Weise das Luftmalz oder Schwelchmalz,
welches sich von der gekeimten Gerste nur durch einen geringern Feuchtigkeits-
gehalt unterscheidet.
520 Kohlehydrate.
Das meiste Malz wird jetzt durch künstliche Trocknung, durch das Dörren oder
Darren entwässert: es treten hierbei ganz ähnliche Veränderungen mit dem Malze
wie mit dem Mehl beim Brotbncken ein; im Malze findet sich nämlich auch ziemlich
viel Dextrin neben einem eigentümlichen Aroma, welches wahrscheinlich ein Derivat des
löslich gemachten Klebers ist.
Das Malz darf aber nicht sogleich auf die Darre, sondern muss vorher auf den
Trockenboden gebracht werden, ehe es einer Darrhitze von 30 — 40° R. ausgesetzt wird;
eine sofortige Einwirkung einer solchen Temperatur würde das Stärkemehl im Malz in
Kleister und das Korn in eine hornartige, für das Wasser undurchdringliche Substanz
umwandeln. Fast allgemein wird jetzt nach dem Verfahren von Pitttoriua die Wärme
durch Canäle. oder blecherne Röhren in den Darrraum geführt und auf die Luft über-
tragen, welche mit dem Malze in Berührung kommt.
Neuerdings hat Overbeck eine mechani s ehe Nachdarre construirt, bei welcher
3 Darrflächen voi-handen sind: jede derselben ist aus drei um je zwei Walzen sich
ziehenden, endlosen Drahttüchern, auf deren oberer Fläche das zu darrende Malz langsam
fortgeht, zusammengestellt.
Tn sanitärer Beziehung bieten diese mechanischen Vorrichtungen viele Vor-
theile für die Arbeiter dar.
Nach der Farbe unterscheidet man noch gelbes, bernsteingelbes und
braunes Malz. Farbemalz ist "dunkelkastanienbraun und in seiner ganzen
Masse durch Röstung verändert, indem es wie Kaffee in blechernen Trommeln
über freiem Feuer präparirt wird, wobei der Zucker in Caramel übergeht; man
benutzt es deshalb in den englischen Brauereien als Couleur zum Färben
des Porters.
Im Allgemeinen wird durch das Darren der Gehalt an Dextrin im Malze
vermehrt und in demselben Verhältniss der Gehalt an Stärkemehl vermindert,
gleichzeitig die Diastase zerstört; die Vermehrung des Zuckergehaltes ist sehr
unbedeutend.
Vor 1861 unterlag die Malzfabrication in Preusseu einer Concessionirung;
gegenwärtig ist diese Bestimmung aufgehoben.
2) Das Maischen oder die Bereitung der Bierwürze. Mau unterscheidet hierbei
drei Operationen: a) das Schroten des Malzes. Das Malz, d.h. die gekeimte
getrocknete Gerste, muss geschrotet und zerkleinert werden, um gehörig extrahirt
werden zu können; die Schrot- oder Malzquetschmühlen, wodurch dies
bewirkt wird, sind den Mahlmühlen vorzuziehen.
b) Das Maischen nennt man das Ausziehen des Malzschrotes mit Wasser
und die Ueberführuug des Stärkemehls in Zucker; das Rühren geschieht dabei
entweder mittels Rührhölzer (Maischkrücken) oder auch durch besondere Rühr-
maschinen, welche durch Dampfkraft bewegt werden. Die Bearbeitung nennt
man das Beschlagen; die Flüssigkeit selbst heisst Würze.
Der ganze Maischprocess bezweckt die Ueberführung des Stärke-
mehls in Dextrin und Traubenzucker. Die betreffenden Gefässe haben einen
zweiten eingelegten Seihboden, damit die unlöslichen Rückstände zurückbleiben und die
Würze klar mittels eines Abflusshahns in ein tiefer gestelltes Gefäss (Biergrand,
Unterstock) abfliessen kann; das Wasser fliesst nicht von oben, sondern von unten
in den Maischbottich und zwar mittels eines kupfernen Rohrs (der Pfaffe), welches
vom obern Rande der Bottiche bis unter den Seihboden verläuft.
Man hat sehr verschiedene Maisch methoden, namentlich ein böhmisches,
englisches und bairisches Verfahren. Im Allgemeinen unterscheidet man a) das
Decoctionsverfahren, wobei das allmählige Auskochen des Malzes stattfindet. Dies
ist die gewöhnliche Methode; eine Modification derselben besteht darin, dass man das
Malz in verschiedenen Portionen auskocht und zum übrigen Inhalt des Maischgefässes
zurückbringt.
ß) Die Infusionsmethode. Hierbei gibt mau allmählig heisses Wasser auf,
welches man durch Pumpen absaugt und auf frisches Malz wieder zurückgibt; diese
Methode wendet man gewöhnlich bei den feinern Biersorten an.
Bierbrauerei. 521
Die Hauptsache beruht darin, dass man beim Maischen die Temperatur nur
allmählig bis auf 60 — 75° C. steigert, damit die Diastase nicht zerstört wird, sich eine
möglichst grosse Menge Dextrin und Traubenzucker bildet und kein unlösliches Stärke-
mehl zurückbleibt. Der unlösliche Rückstand, die Treber, bestehen aus Hülsen, coagu-
lirtem Eiweiss, dem etwa unveränderten Stärkemehl, den Salzen u. s. w. und liefern ein
vortreffliches Viehfutter. Gewöhnlich werden die Treber noch einmal ausgelaugt, um
alle löslichen Substanzen zu erhalten; sich selbst überlassen, gehen sie sehr rasch in
saure Gährung über.
Wegen der in der Würze noch nicht ausgeschiedenen stickstoffhaltigen Bestand-
theile kann keine Hefen- und Alkoholbildung eintreten, wohl aber entsteht in
derselben, wenn sie sich selbst überlassen bleibt, eine sauer reagirende Flüssigkeit,
welche keine Essigsäure, sondern Milchsäure enthält. Wird eine solche Würze ge-
trunken, so kann sie höchst nachtheilig einwirken und sehr heftige, sogar blutige
Diarrhoen erzeugen, weshalb sie auch als Abortivum in der Volksmedicin bekannt ist.
In manchen Ländern ist es den Brauern polizeilich verboten, solche Würze dem Publicum
zu verabreichen.
c) Das Kochen der Würze, das eigentliche Brauen, bezweckt grössere
Concentration der Flüssigkeit, Zerlegung der noch vorhandenen Diastase, Coagu-
lation eiweisshaltiger Substanzen und die Extraction des Hopfens, welcher jetzt
zugesetzt wird. Durch die Gerbsäure des Hopfens, welche die coagulirten
Proteinsubstanzen und das noch unveränderte Stärkemehl fällt, wird die Würze
geklärt.
Das Kochen geschieht in 4eckigen oder runden kupfernen Braupfannen. Das
metallische Kupfer wird beim Gebrauch derselben allmählig theils gelöst, theils abge-
nutzt, weshalb man im Biere nicht selten Spuren von Kupfer nachweisen kann; die
Menge desselben ist aber zu gering, um auf die Gesundheit der Menschen nachtheilig
einzuwirken, wenn ein solches Bier getrunken wird.
Nach dem Kochen gelangt das Bier in die Kühlschiffe, damit es sich zu der
für die Einleitung der Gährung geeigneten Temperatur abkühlt; auch ist hier der Ort,
wo sich die Gerbsäure des Hopfens mit dem Dextrin oder dem noch vorhandenen Stärke-
mehl verbindet und sich die unlöslichen harzigen Stoffe absetzen. Diesen Satz (Kühl-
geläger) lässt man von der Würze ab und gebraucht ihn als Viehfutter ; es lohnt nicht
der Mühe, ihn auf Branntwein vergähren zu lassen.
Die Kühlschiffe waren früher stets aus Holz, werden aber jetzt zweckmässiger
aus Eisen construirt, weil die Abkühlung hier rascher erfolgt. Das Eisen erhält sehr
bald einen Ueberzug von Kalksalzen und Extractivstoffen, welcher das Färben des Biers
verhindert.
Zinkene Kühlschiffe müssen jedoch vermieden werden; das Kühlgeläger kann
deutliche Mengen von Zink nachweisen; sollte es in die Würze übergehen, so wird es
von der Hefe wieder aufgenommen; da aber letztere nicht selten zum Brotbacken Ver-
wendung findet, so kann dadurch das Zink in das Brot übergehen, was immerhin zu
vermeiden ist, wenn auch seine Menge nicht beträchtlich ist. Solche Kühlschiffe
sind aber nicht bloss des Metalls wegen, sondern auch wegen der Bleilöthungen
zu verwerfen, durch welche Blei in das Kühlgeläger und in das Bier übergeführt
werden kann.
In einem concreten Falle wurden von Dr. Vohl zwei Proben Bier untersucht,
die aus einer und derselben Brauerei stammten und auch auf ganz gleiche Weise
dargestellt worden waren, nur mit dem Unterschiede, dass die helle und klare Probe
mit dem alten zinkenen Kühlschiff gekühlt wurde, während die zweite, schwach
opalescirende Probe ein neues Kühlschiff von Zink passirt hatte. Beide Biere hatten
einen reinen und erfrischenden Geschmack, nur war die schwache Trübung bei der
zweiten Probe für den Consumenten nicht empfehlend.
Die Analyse ergab bei dem klaren Biere keine fremden Bestandtheile, wohingegen
in einem Liter der zweiten Probe eine deutlich nachweisbare Spur von Zinkoxyd
gefunden wurde. In welcher Weise nun die Spur von Zinkoxyd die Trübung des Bieres
hervorgerufen, muss dahingestellt bleiben; es wäre zu wünschen, dass in dieser Hinsicht
noch mehrere Untersuchungen angestellt würden, wie es die Wichtigkeit des Gegenstandes
verdient, obgleich derselbe schon früher die Aufmerksamkeit der Chemiker in Anspruch
genommen hat, unter denen namentlich Stein in Dresden hervorzuheben ist, der bereits
nachgewiesen hat, dass die Würze, wenn auch verhältnissmässig geringe Mengen, Zink
aus den Kühlschiffen aufnimmt. Beim Gebrauch von kupfernen Braupfannen ver-
mochte er in allen Brauproducten Kupfer nachzuweisen.2)
52-2 Kohlehydrate.
Das Metalllilech zu beiden Kühlschiffen war im oben beregten Falle nicht gleich-
artig zusammengesetzt; 100 Gewichtstheile des Zinkblech.- enthielten nach Vohl:
altes Kühlschiff: neue- Kühlschiff:
Zink . .
99,4320
—
98,6400
Blei . .
0.44 u;
—
1,2800
Eisen . .
0,0130
—
0,0096
Verlust .
0,1134
mo.oooo.
—
0,0704
lUÖ.IIMOÜ.
E.- ist nicht unwahrscheinlich, dass der höher.' Bleigehalt der Legirung die Lös-
lichkeit des Zinks gefördert hat.3)
Nach -V'.vv/ /■ war in einer Bierbrauerei einmal über dem Braukessel ein Zink-
dach, ein andermal ein grosses Rohr von Zink angebracht, um die Dämpfe ab-
zuleiten; hiervon liefen grosse Mengen von condensirtem Wasser wieder in den Kessel
zurück, wodurch das Bier zinkhaltig wurde und eine Trübung des Biers entstand.4)
3) Die Gährung der Bierwürze. Erst durch die Gährung bildet sich aus
der Würze Bier. Die Würze ist nach geschehener Abkühlung zur Selbst-
gährung befähigt, wozu wahrscheinlich die in der Luft der Gährungslocale ver-
breiteten Hefepilzsporen die Veranlassung liefern, welche in der Würze ihren
passenden Boden finden, um darin zu Hefezellen ausgebildet zu werden: in
Belgien stellt man auf diese Weise einige an Milchsäure reiche Biersorten dar.
Vorherrschender Gebrauch ist jedoch, die Gährung durch Zusatz von Hefe zu
befördern, was man das Stellen nennt: man gebraucht dazu entweder Ober-
hefe, welche bei höherer Temperatur uud rascher Gährung entstanden is< und
mehr zusammenhängende Zellenketten darstellt, oder Unterhefe, welche sich
bei niedriger Temperatur und langsamer Gährung bildet und mehr aus einzelnen
abgerissenen Zellen besteht, um entweder Ober- oder Untergährung zu
erzeugen.
Die Untergährung geht nur bei kühlerer Witterung bei 7—12° R. richtig vor
sich und man BteRt damit die Lagerbiere dar, welche sich auch im Sommer in kühlen
Kellern gut halten.
Die Obergährung bedarf einer hohem Temperatur und producirt leichtere und
weniger haltbare Biere, sogenannte Schenk biere.
Jede Gährung bezweckt die Ueberführung des Zuckers in Alkohol unter
Bildung neuen Fermentes, der Hefe. Die Nachgährung, welche in geschlossenen
Räumen stattfindet, bewirkt die vollständige Ausscheidung der stickstoffhaltigen Sub-
stanzen resp. aller gebildeten Hefetheile und zwar unter gleichzeitiger Bildung von
Kohlensäure, die bekanntlich das Bier höchst schmackhaft macht.
Für die Untergährung gebraucht mau grosse offene Kufen, damit dem
Sauerstoff eine grössere Fläche geboten wird und durch die Oxydation sämmtliche
eiweisshaltige Substanzen unlöslich gemacht uud ausgeschieden werden.
Für die Obergährung benutzt man gewöhnlich Fässer: die Oxydation findet
deshalb nur unvollkommen statt und das auf diese Weise bereitete Bier ist nicht so
haltbar wie das untergährige. Die Hefe wird gewöhnlich hierbei durch das Spundloch
ausgestoßen, während sich beim untergährigeu Bier die Hefe am Boden ablagert, so
dass das Bier von derselben abgelassen wird.
Bekanntlich muss man Räume, in welchen sich gährende Flüssigkeiten befinden,
mit Vorsicht betreten: die Kohlensäure lagert sich hierbei wegen ihrer speeifischen
Schwere glücklicherweise am Boden ab, weshalb unter gewöhnlichen Verhältnissen nicht
so leicht Unglücksfälle hierbei eintreten Die Bierbrauer müssen sich vorzugsweise bei
den grossen offenen Kufen, in welchen die Untergährung stattfindet, hüten, mit dem
Oberkörper beim Bücken in die Kohlensäure-Atmosphäre zu gerathen.
In grossen Bierbrauereien muss jedenfalls für den Abzug der Kohlensäure
gesorgt werden: zu diesem Zwecke wird am Boden des Gährraums ein Canal angelegt,
welcher nach oben eine vergitterte Oeffnung bat und mit dem Hauptschornstein oder
der Malzdarre in Verbindung steht. In den meisten grossartigen Etablissements befindet
sich zwischen Canal und Schornstein ein quadratischer Raum, eine kleine Kammer, in
welcher verwittertes kohlensaures Natron auf Horden lagert; die Kohlensäure tritt am
Boden der Kammer ein und gelangt, wenn sämmtliches Natron gesättigt ist, durch eine
an der Decke der Kammer befindliche Oeffnung in den Kamin.
Bierbrauerei. 523
Die Beschäftigung mit der Hefe erzeugt bisweilen den Nagelpilz (Ony-
chomykosis) der Bierbrauer, eine eigentümliche Krankheit der Nägel, die
sich besonders an der Stelle, wo sich die Nagelsubstanz neu erzeugt, an der
Lunula zeigt. Die Bierbrauer, welche die Gährbottiche oder Fässer reinigen und
nicht selten festsitzende Hefe mit den Fingernägeln abkratzen, werden vorzugs-
weise von dieser Nagelkrankheit befallen. Beim obergährigen Bier erleidet nämlich
die nach dem Ausstossen abgesetzte Hefe während des Essigprocesses eine
weitere Zersetzung und befindet sich in der Uebergangsperiode zum Essigferment.
Diese zersetzten Hefepilze scheinen vorzugsweise die Krankheit zu erzeugen;
die Nägel werden dabei gleichsam facetteuartig in der Längsrichtung cannelirt,
während sich an der Wurzel wuchernde, mit Borken bedeckte Excrescenzen
bilden, welche den Untergang des Nagels bedingen.
Ein solcher entarteter Hefepilz kann auch auf die Barthaare übertragen
werden, wobei dieselben an ihrer Austrittsstelle krank werden, sich verfilzen und
einen dem Weichselzopf ähnlichen Krankheitszustand darstellen. In der Umgebung
des Haarschaftes bilden sich trockne Hautschrunden.
Das Heilmittel der Bierbrauer besteht in der Anwendung der Holzasche,
womit sie die kranken Theile kräftig einreiben; die Heilung erfolgt in der
Regel ziemlich rasch und nur bei grosser Vernachlässigung können weitergehende
Krankheitsprocesse entstehen.
In der Literatur finden sich wenige Beobachtungen über diese Krankheit mit-
getheilt. Wahrscheinlich gehört der von Dr. John Pumer5) beobachtete Fall hierher,
welcher einen Mann betraf, der seit 5 Jahren an einer Affection des Nagels am rechten
Zeigefinger litt; er war gleichzeitig mit Morbus Brightii behaftet, früher secundär
syphilitisch gewesen und hatte seit mehreren Jahren in einer Brauerei gearbeitet Der
Nagel war gelbbraun, mit dunklen Flecken versehen, ohne Glanz, mit deutlichen Längs-
furchen, leicht brüchig in der Längs- und Querrichtung und an seiner Wurzel geröthet
und verdickt. Die vorgefundenen, achorionähnlichen Sporen waren meist oval, hier und
da sprossentreibend und durch fortgesetzte Keimung perlenschnurähnliche Zellenreihen
bildend; die tubulären Fäden waren verästelt, mit oder ohne glänzende Körperchen;
auch der Torula ähnliche Zellen fanden sich vor.
Bekanntlich hat man ein gleichzeitiges Auftreten von Favus mit Nagelpilzen be-
obachtet, worauf zuerst W. Krause6) aufmerksam machte. Ripping7) hält die Nagelpilze
für identisch mit Achorion SchÖnleinii, ebenso E. Wagner8).
Auch Förster3), Virchow10), v Bärensprung11) und KöLn.er12) haben sich mit diesem
Gegenstande beschäftigt und ähnliche Beobachtungen gemacht; dieselben gewinnen
durch die verbürgte Thatsache, dass sich der Zersetzungspilz der Hefe vom Nagel auf
die Barthaare übertragen lässt, ein grösseres Interesse.
4) Aufbewahrung und Lagern des Biers. Man lagert das Bier in kühlen
Kellern, um die Nachgährung zu unterhalten; die mittlere Temperatur darf
hierbei niemals 10° R. übersteigen. Die Erhaltung des Bieres beruht stets auf
Abschluss der atmosphärischen Luft bei gleichzeitiger Entwicklung von Kohlen-
säure (Nachgährung). Bekanntlich schützt die Structur des Holzes nicht vor der
Einwirkung der Atmosphäre; der Austausch des in den Fassdauben enthaltenen
Bieres resp. die Verdunstung des Wassers nach aussen entspricht dem Eindringen
des atmosphärischen Sauerstoffs nach innen.
Ist die Nachgährung kräftig, ist ein gewisser Druck im Fasse entstanden, so kann
die Verdunstung des Wassers unbeschadet der Güte des Biers stattfinden, weil durch
den innern Druck das Eindringen des atmosphärischen Sauerstoffs unmöglich wird. Man
ersieht hieraus leicht, weshalb bei obergährigem Bier ein Verpichen der Fässer nicht
nothwendig ist, wohingegen nach verlaufener Nachgährung in den unverpichten Fässern
ein rasches Sauerwerden eintritt.
Beim untergährigen Bier, bei welchem die Nachgährung eine langsamere ist, wo
also deshalb eine längere Zeit zum „Reif- und Feinwerden" der Biere erfoi-dert wird,
524 Kohlehydrate.
ist das Bier viel länger dem Einflüsse des atmosphärischen Sauerstoffs ausgesetzt: die
Holzfaser ist deshalb so zu behandeln, dass sie sowohl der Verdunstung als auch dem
Eindringen des Sauerstoffs hemmend entgegentritt.
Die Präparation der Fässer, welche dies bedingt, nennt man das Verpichen
oder Pichen: selbstverständlich muss das hierzu erforderliche Pech nicht zu leicht
_. dabei aber auch nicht so zähe sein, dass ein Springen desselben beim Wechsel
der Temperatur leicht stattfindet.
Das beste Pech ist das sogenannte Saigerpech: dasselbe enthält stets etwas
Gerbstoff und ätherisch-aromatische Bestandteile und wird einfach durch Aussaigern
des rohen Harzes gewonnen. Besonders das Saigerpech der Laryxarten hat einen
aromatischen Geschmack und wird namentlich in Böhmen (Pilsen) als Brauerpech
verwendet.
Die Biermaterialien und ihre Surrogate.
Das Ziel der Brauerei ist die Verwandlung des Stärkemehls in
Alkohol. Die Hauptaufgabe besteht daher in der raschen Ueberführuug des
Stärkemehls in Traubenzucker; in normaler Weise geschieht dies, wie schon
erwähnt worden, durch den Keimprocess. Der Gedanke lag nahe, für die
Diastase ein Surrogat zu suchen; als die Einwirkung verdünnter Säuren auf
das Stärkemehl bekannt wurde und man die Säuren statt des Keimprocesses
in Anwendung brachte, wurde dieses Verfahren ein so allgemeines, dass sich die
Fabrication des Trauben- oder Stärkemehlzuckers zu einer besondern In-
dustrie ausgebildet hat. Hätte das Malzen nur allein die Zuckerbildung
resp. die Diastasebildung zu bewirken, so würde sich gegen die Verwendung
des fertigen Traubenzuckers nichts einwenden lassen; es fand sich jedoch bald,
dass bei der Bildung von Zucker und Diastase resp. Dextrin auch die phos-
phorsaureu Erden in eine lösliche Form gebracht werden, wodurch der
Xährwertk des Biers ganz bedeutend erhöht wird. Uebrigens lässt der Mangel
an solchen Verbindungen keinen sichern Schluss auf die Natur des Surrogats zu;
man kann nur behaupten, dass keine Gerste benutzt worden ist. Einen grössern
Auhaltspunct gewährt der Dextringehalt, welcher beim Gebrauch des Trauben-
zuckers viel bedeutender ist.
An und für sich kann man ein solches Verfahren, bei welchem Traubenzucker als
Syrnp oder in fester Form verwendet wird, nicht schädlich nennen; nur bezüglich
der Verunreinigungen des Traubenzuckers können dem Biere Stoffe mitgetheilt
werden, welche- theils schädlich auf den Organismus einwirken, theils ein leichteres A er-
derben des Bieres veranlassen. Eine nie fehlende Verunreinigung des Kartoffel-
oder Stärkezuckers ist z. B. der Gip s : dieser Körper ist bekanntlich nicht giftig, kann
aber durch seine Wirkung auf die Hefe Anlass zur Entstehung eines höchst gesund-
heitswidrigen Bieres geben. Es verhält sich hiermit folgendermassen:
Im Allgemeinen ist es bekannt, dass ein mit Traubenzucker dargestelltes Bier
nie fertig im Gähren wird, wie man zu sagen pflegt.*) Es ist hierbei ganz gleich-
gültig, ob Ober- oder TJntergährung eingeleitet wird: in beiden Fällen hört um
so schneller die Gährung auf, je kräftiger sie eingetreten ist. Die Ursache dieses
Umstände« ist in Folgendem zu suchen: Hat der Brauer eine solche mit Trauben-
zucker dargestellte Würze gestellt, d. h. mit Hefe versetzt, und beobachtet mau
nun die verschiedenen Veränderungen, welche die Würze erfährt, so wird auch der
geübteste Brauer keinen Unterschied zwischen der Malz-Würze und dieser finden:
die gestellte Würze wird nämlich scheinbar alle normalen Veränderungen erfahren: sie
fängt an trübe zu werden, die sich entwickelnde Kohlensäure veranlasst eine Bewegung
in derselben und die Temperatur steigert sich um 10° C. Die so normal einge-
tretene Vergährung hört jedoch plötzlich auf, das sonst rasche Klären
findet nicht statt, sondern die Trübung nimmt zu. Nachdem das Bier wieder
*) Kartoffelmehl, gekochte Kartoffeln, Reis, Stärkesyrup, Kartoffelstärke bedingen
zwar die Fähigkeit zur Nachgährung, aber einen Mangel an Ferment, weshalb die Biere
lange jung bleiben und langsam alkoholreich werden: man muss sie deshalb stets mit
Ferment (Hefe) versetzen, um sie als Lagerbier zu benutzen.
Biormaterialien. 525
eine gewisse Klarheit erreicht hat, beginnt von Neuem die Gährung; der Brauer ist
deshalb genöthigt, das Bier sofort in Fässer zu füllen und Alkohol zu-
zugeben; hierdurch findet ein rasches Klären statt, eine Nachgährung tritt ein und
man erhält ein mit Kohlensäure geschwängertes Getränk, welches dann häufig auch
durch den Gehalt an freiem Alkohol nachtheilig auf manche Constitution einwirkt.
Dieser falsche Verlauf der Gährung beruht hauptsächlich auf der Verminderung
der Löslichkeit des Gipses durch die Bildung von Alkohol in der Würze.
Durch die Alkoholbildung wird nämlich der Gips ausgeschieden, die Hefenzellen
werden damit incrustirt und auf diese Weise unwirksam, so dass die Gährung
gestört, oft sogar ganz aufgehoben wird; erst nachdem der Gips sich aus-
geschieden hat und ein neuer Theil der stickstoffhaltigen Substanz durch Oxydation
zu einem Gährungserreger geworden ist, tritt eine abermalige Gährung und
Alkoholbildung ein, welche häufig wieder mit einer Gipsausscheidung verbunden
ist. Durch directen Zusatz von Alkohol scheidet man deshalb den Gips fast voll-
ständig aus und bringt dann das Bier zur Nachgährung.
Es ist selbstverständlich, dass ein Bier, welches eine so gestörte Gährung erfahren
hat, noch eine Menge von Substanzen, wie Gummi, Dextrin u. s. w. , enthält, die
leicht der schleimigen Gährung unterliegen, auf diese Weise ein rasches Schalwerden
bedingen, aber noch leichter Digestionsstörungen herbeiführen. Der hohe Kohlensäure-
gehalt dieser Biere begünstigt ihr Schal- und Sauerwerden sehr, weil die unter
hohem Druck zurückgehaltene Kohlensäure beim Verschänken rasch entweicht und dann
auch den Antheil an Alkohol grösstentheils mit sich fortreisst.
Der Traubenzucker kann auch theilweise durch einen Absud von Queck-
wurzeln (Rad. Graminis), Mohrrüben oder Runkelrüben ersetzt werden, um
weniger Malz nöthig zu haben.
Der Zusatz von un gemalztem Getreide bezweckt einen grossem Stärkemehl-
zusatz zum Malz und eine bessere Ausnutzung der Diastase: man kann denselben nur
als eine Verbesserung und Vermehrung des Traubenzuckers in der Bierwürze ansehen;
seitdem aber die Kartoffeln das billigste Stärkemehl liefern, ist man von einem solchen
Zusatz von Getreide ganz abgekommen.
Der Zusatz von Rohrzucker zur Würze ist nicht schädlich, findet aber wegen
des Kostenpunctes wenig Anwendung. Lakritzensaft setzt man dem Biere mehr
wegen der Farbe als wegen des Zuckers zu; auch der Absud von Möhren hebt die
Farbe des Bieres.
Den sogenannten Schaum köpf erzeugt man durch Abkochungen von Kälber-
füssen und Carageen, wodurch das Bier zugleich substantieller wird; Liehen islandicus
gebraucht man nicht mehr, weil es das Bier zu herb und bitter macht. Eine Mischung
von Eisenvitriol und Alaun zur Erzeugung von Schaum ist ebenfalls unzweck-
mässig , weil das Eisen mit der Gerbsäure die bekannte Dintenfarbe bildet.
Von grosser Wichtigkeit ist der Gebrauch von Glycerin in der Bierbrauerei
geworden. Auf Anwesenheit von Glycerin in gegohrener Flüssigkeit wurde zunächst
eine sogenannte Weinverbesserung begründet*), die weiterhin zunächst zur Be-
nutzung des Glycerins beim Lagerbier führte; späterhin setzte man es zu, wenn das
gekühlte Bier auf die Gährbottiche kommt, um dadurch das Malz zu ersetzen,
denn 1 Pfund Glycerin repräsentirt wenigstens 2 Pfund Malzextract oder 3% Pfund
Darrmalz. Man nimmt an, dass Glycerin das Hopfenharz besser auflöse als der Zucker;
die Hefe würde dadurch zur Einleitung der Gährung mehr befähigt und könne, wenn
sie in genügender Menge damit versetzt sei,- jahrelang in lebensfähigem Zustande erhalten
werden. Das Bier soll überhaupt durch Glycerin vollmündig, moussirend und export-
fähig gemacht werden.
Andererseits wird dagegen behauptet, dass Glycerin an und für sich nicht gäh-
rungsfähig sei, daher auch das Malz nicht ersetzen könne, weil nur dieses (oder auch
Zucker als Aequivalent) wirkliches Bier liefere, d. h. ein Getränk, welches aus
Alkohol, Kohlensäure, Protein- und Extractivstoffen bestehe und bei seiner Production
durch geistige Gährung die Hefe als Nebenproduct liefere; der Zusatz von Glycerin
zur Würze sei daher als ein arger Missgriff zu betrachten.
Auch die Präparirung des sogen. Satzes, d. h. der Stellhefe, mit Glycerin
gewähre gar keinen V ortheil; es trete vielmehr hierbei der Uebelstand ein, dass die Hefe
zu sehr abgewässert werden müsse und daher an ihrer gährungserzeugenden Kraft ein-
büsse. Ein Zusatz von Glycerin zu der gepressten und getrockneten Hefe, welche man
*) Das Versetzen des Weins mit Glycerin nennt man Scheelisiren, welches
bereits zu Yielen Missbräuchen geführt hat, so dass es Weine gibt, die nur aus Wein-
säure, Alkohol und Glycerin bestehen. Ursprünglich bezweckte man damit ein Ver-
decken des sauren Geschmacks geringer Weinsorten, ein Verfahren, das zu ver-
werfen ist, da solche Weine unangenehme Wirkungen erzeugen.
526 Kohlehydrate.
in luftdicht verschlossenen Gelassen aufbewahrt, macht dieselbe nur dann nach Monaten
noch als Stellhefe brauchbar, wenn man vor ihrer jedesmaligen Anwendung das Glycerin
mit animoniakhaltigeni Wasser entfernt.
Nur der Zusatz von Glycerin zum fertigen Biere hat eine Bedeutung, wenn
es Bich nämlich um sehr dünne oder kranke Biere handelt, die in Folge einer zu
schnallen Hauptgährung oder einer allzulangen Nachgährung arm an Zucker und Extract
geworden sind. Glycerin verleiht solchen Bieren eine sogen. Vollmtindigkeit, aber
keine Geschmacksveredelung; auch deckt es die herbe Bitterkeit des Hopfens, die
am meisten bei jenen Bieren hervortritt, welche auf dem Lagerfasse ausgegohren haben.
Exportbiere versetzt man mit Glycerin, um wohlschmeckenden Bieren dadurch
ihren Geschmack zu bewahren, was aber nur erreicht wird, wenn die Biere beim Ver-
senden ganz hell und aus ungespundeteu Lagerfassern abgefüllt sind. Immerhin ist
aber hierbei zu berücksichtigen, dass Glycerin kein indifferentes Mittel ist und auf
manche Constitution bei häufiger Ingestion nachtheilig einwirken kann (s. Glycerin S. 4:34).
In der Kegel wird bekanntlich den Exportbiere n Alkohol zugesetzt.
Die Anwendung der adstringirenden und gerbstoffhaltigen Bitterstoffe. Die
Bitterstoffe sowie die gerbesäurehaltigen Substanzen sind im Allgemeinen anti-
septischer Natur, verlangsamen dadurch auch die Gährung und verzögern das
Eintreten der Essigbildung aus dem Alkohol. Es ist erwiesen, dass die ersten
bierähnlichen Getränke, welche der Mensch erzeugte, durch die verschiedenen
bitter- und gerbstoffhaltigen Substanzen vor der weitern Einwirkung des Sauer-
stoffs und somit vor der Essigbildung geschützt wurden. Erst in späterer Zeit
kam der Hopfen, welchen man als Narcoticum erkannte, zur Anwendung; von
jetzt an ging die Hopfenproduction mit der Bierfabrication Hand in Hand, bis
man späterhin wiederum bei Missernten und hohen Preisen des Hopfens oder
auch aus betrügerischer Absicht Surrogate desselben zu benutzen suchte.
Beim Aufsuchen der Surrogate liess man sich vorzugsweise von der bittern und
adstringirenden Eigenschaft derselben bestimmen, ohne dabei auf das ätherische Oel des
Hopfens zu achten.
Ausser der Gerbsäure ist es grade das ätherische Oel und das Hopfen-
harz, welche sich in einer höchst merkwürdigen Vereinigung im Hopfen finden, da sie
sämmtlich gährungshemmend wirken. Die Gerbsäure dient zur Klärung der Würze,
indem sie das Maizprotein, den Stoff zur Hefe niederschlägt, während das Hopfen -
harz die Hefenzellen einhüllt und dadurch ihre Wirksamkeit mässigt.*)
Um Schimmelbildung an den innern Stengeln der Deckblättchen und die Oxydation
dieses Oels zu verhüten, muss der Hopfen sorgfältig getrocknet werden, was neuerdings
in Hopfendarren geschieht, in weichen durch einen Ventilator für die Erneuerung
der Luft gesorgt wird Häufig schwefelt man ihn auch vorher, um ihn noch besser
zu conserviren t^s. S. 156)**)
Die Gerbsäure des Hopfens ist eine eisengrünende Gerbsäure und findet sich
in den Dolden, Ranken und Blättern, wohingegen das Hopfenharz das bittere Princip
enthält; eigenthümlicherweise ist es nur in Wasser leicht löslich, welches Gerbsäure,
Gummi und Zucker enthält; diese Löslichkeit verliert sich aber, wenn es vorher in
dünnern Schichten der Luft ausgesetzt gewesen ist und eine Zersetzung erlitten hat. Es
gibt kein einziges Surrogat, welches diese Bestandtheile in sich vereinigt; nur der
Hanf sieht ihm am nächsten, besitzt aber bekanntlich stärkere narkotische Eigenschaften;
das Haschisch der Orientalen wird aus demselben bereitet.
Catechu, die Terra japonica der Bierbrauer, stört zwar nicht die Gährung,
verhütet auch die Essigbildung, besitzt aber nicht das Aroma des Hopfens: trotzdem
*) Das ätherische Hopfenol findet sich in goldgelben, nierenförmigen Drüschen
unter den dachziegelähnlich übereinander liegenden Schuppen der Hopfenkätzchen. Es
enthält nach H. Wagner Yaleral, das schon an der Luft in Baldriansäure über-
zugehen vermag; alter Hopfen riecht deshalb nicht selten wie Käse, ein Geruch, der
wahrscheinlich mit von der gebildeten Baldriansäure herrührt.
**) Hat man alten Hopfen stark geschwefelt, um ihm ein frischeres Ansehen zu
geben, so kann man den Schwefel leicht nachweisen, wenn man einige Hopfenzapfen
in einen Murs/t'scheu Apparat bringt und das sich entwickelnde Gas in eine Lösung von
Nitroprussidnatrium leitet: es entsteht sogleich die bekannte purpurrothe Färbung,
wenn das Gas nur Spuren von Schwefelwasserstoff enthält.
Biermaterialien. 527
wird Catechu noch vielfältig als Hopfensurrogat benutzt. Wenn ein damit bereitetes
Bier auch nicht an und für sich als schädlich betrachtet werden kann, so wirkt es doch
bei manchen Individuen schädlich auf die Verdauung ein und soll besonders eine starke
Schleimabsonderung bewirken. Auch besitzt die hierbei gewonnene Hefe eine unerträgliche
Bitterkeit ; sie ist für die Bäckerei nicht bloss wegen des bittern Geschmacks, sondern
auch wegen der schlechten Gährung, welche sie einleitet, ganz unbrauchbar.
DieQuassia theilt zwar die üblen Eigenschaften von Catechu bezüglich der
Bildung einer bittern Hefe, sie erzeugt aber im Allgemeinen weniger Verdauungs-
störungen und nicht den pappigen Geschmack wie das Catechu-Bier. Ein geringer
Zusatz von Hopfen ist hierbei stets nöthig: weniger zweckmässig wird hierbei das
Aroma durch Salvia sclarea, Ribes nigrum, Ruta graveolens u. s. w. ersetzt.
Von Ribes werden gewöhnlich nur die jungen Triebe und Zweige genommen und in
Weingeist ausgezogen.
Ledum palustre gehört auch in die Gruppe der adstringiren den Mittel, da die
Blätter ungefähr 1% eisengrünenden Gerbstoff enthalten neben 1 — '2% gewürzhaft riechen-
dem und brennend schmeckendem Oele; es kommt auch unter dem Namen Porst,
Po r seh oder wilder Rosmarin vor. Zur Darstellung des Bockbieres soll Porst
mit Oel gekocht und mittels weissen Harzes und Sandmergels zu Kugeln geformt und
an die Brauer als Bier wachs verkauft werden.13)
Die Pikrinsäure, das Welter'sche Bitter, wird in Frankreich nicht selten
wegen ihrer intensiven Bitterkeit dem Biere zugesetzt (s. Pikrinsäure); da ihr jedes
Aroma fehlt, so kann sie um so weniger den Hopfen ersetzen und muss deshalb min-
destens mit andern aromatischen Substanzen verbunden werden.
Zum Nachweis derselben im Biere entfärbt man letzteres mit Knochenkohle
im Ueberschuss und lässt die Mischung einige Zeit stehen; die filtrirte Flüssigkeit ver-
dampft man dann im Wasserbade bis zur Syrupsconsistenz und setzt Chlorkalium
zu. Pikrinsaures Kalium scheidet sich dann in goldglänzenden Nadeln ab; legt
man seidene oder wollene Fäden in das Filtrat, so kann man die Säure auch durch ihr
Färbevermögen nachweisen.
Pflanzen mit narkotischem Principe. Bittersüss (Stip. Dulcam. von Solanum
Dulcamara) wird häufig in Holland und Frankreich als Hopfensurrogat benutzt; da es
mit gekocht wird, so entweichen hierbei die flüchtigen betäubenden Bestandtheile.
Dulcamara enthält nach P/aJf ein myrrhenartiges Balsamharz mit Benzoesäure
nebst geringen Mengen von Solanin. Das Harz wird beim Gähren durch den gebil-
deten Alkohol ausgezogen.
Auch Buchsbaumblätter von Taxus baccata haben ein narkotisches Princip,
welches sich aber während des Erhitzens mit den Wasserdämpfen verflüchtigt; ebenso
besitzt S partium scoparium ein Alkaloid mit narkotischer Eigenschaft, Spartein,
und ein Glycosid, Scoparin.
Samen und Blätter von Stechapfel, Taumellolch oder Opium,
Rad. Helleb. albi figuriren nur in den Lehrbüchern, kommen aber in Wirklichkeit,
wenigstens in Deutschland, nicht zur Anwendung; dagegen ist es sicher, dass in England
die Semina colchici aut. wegen ihres bittern Princips bisweilen benutzt werden. So
hat Böttern Fälle von Vergiftung durch Colchicin in Folge des Genusses von englischem
Ale beobachtet; vier Männer klagten nach dem Genüsse gleichzeitig über Druck im
Magen, Stirnkopfschmerz, Erbrechen und Durchfall; bei einem der Patienten bildete
sich Liehen über den ganzen Körper aus Die chemische Untersuchung des Biers ergab
Colchicin.14]
Aromatisch bittere Stoffe. Hierher gehören: die Pomeranzenschalen, Herba
Marrubii vulgaris, Wermuth, Zittwersamen, Coriander, Carclamomum, Gewürznägelchen,
Muskat und die Paradieskörner (Gran. Parad.). Sie werden wegen ihrer eigenthümlichen
Wirkung und ihres Aromas zugesetzt und statuiren keine Fälschung, sie tragen viel-
mehr zur Erhaltung des Bieres bei und zwar theils wegen ihres Gehaltes an ätherischem
Oele und theils an adstringirenden Bestandteilen.
Tannensprossen und Wachholder geben dem Biere ein starkes Aroma und
eine diuretische Wirkung; bei der Gährung geben sie aber nicht zur Bildung von
Ameisensäure "Veranlassung, wie manchmal behauptet wird. Findet sich Ameisen-
säure im Biere, so kann man annehmen, dass es auf Rumfässern gelagert hat oder ihm
absichtlich Rum zugesetzt worden ist.
Was die Kokkelskörner (Menispermum glaucum s. coeculus ) und die Nux
vomica betrifft, so kann man mit Bestimmtheit behaupten, dass sie in Deutschland
niemals als Zusatz zum Biere benutzt werden; nur in England sollen sie bisweilen noch
bei einigen starken Bieren zur Anwendung kommen. Selbstverständlich wirken dann
auch die in diesen Früchten enthaltenen Alkaloicle. Strychnin, Brucin und Pikro-
toxin mit.
528 Kohlehydrate.
Pikrotoxin (von Ttr/.po;. bitter. und to;ov. Pfeil) gehört zwar zu den Glycosiden,
über seine giftigen Eigenschaften kann aber kein Zweifel herrschen.*)
Der Genuss eines Bieres, das mit Kokkelskörnern bereitet worden ist, muss
schädlich einwirken, mag auch die Kleinheit der Gabe nicht bald auffallende Krank-
mptome erzeugen, beim längern Genüsse kann der sanitäre Nachtheil nicht
ausbleiben.
Bekannt i?t das ^ erfahren, mittels Kukkelskörner die Fische zu betäuben und zu
fangen: in Preussen dürfen daher auch Apotheker und Materialhändler die Kokkels-
körner im Handverkauf nicht verabreichen.
ReisMere. Diese haben sich durch ihren Geschmack viele Anhänger er-
worben und werden vorschriftsmässig aus •'• 6 Malz und ' ,, Reis dargestellt ;
durchschnittlich enthalten sie 3,55 Alkohol, 6,17 Gerbsäureextract und 0,08 Zucker.
Hiernach übersteigt der Alkoholgehalt den der Münchener Biere (im Mittel 3.23)
nur unbedeutend, dagegen ist der Gesammt- Extractgehalt und namentlich der
Zuckergehalt bedeutend höher.
Die Untersuchung eines Bieres kann nach zwei verschiedenen Richtungen hin
beansprucht werden. Es kann erstens von Wichtigkeit sein, die Qualität eines Bieres
*) Behufs toxicologischer Prüfung des Pikrotoxins wurde solches aus den
Kokkelskörnern dargestellt und einem Kaninchen innerlich in einer Gabe von 0,05 Grm.
beigebracht. Nach (J M. legt es sich auf den Bauch, die Respiration beschleunigt sich
ausserordentlich und einzelne Zuckungen durchfahren den Körper: Herzschlag stossweise
und beschleunigt. Nach 10 M. bleibt es liegen und lässt sich zum Fortbewegen nicht
mehr antreiben, nach 30 M. heftiger Starrkrampf, nach -iO M. wird es 9-10mal von
den heftigsten Convulsionen fusshoch in die Höhe geschnellt und verfällt dann in
Tetanus ]Sach 50 M. starker Blutabgang aus dem Maule; nach 1 Stunde
heftiger Starrkrampt, dann Rückwärtsgehen und Emprosthotonus, wobei der
Kopf nach vorn bis zu den Hinterbeinen gezogen wird; Herzschlag verlangsamt,
Knirschen mit den Zähnen und Seitenlage, in welcher krampfhaft und tief respirirt
wird, bis unter stetiger Abnahme der Respiration und Herzthätigkeit der Tod nach
1 Stunde 20 M. eintrat. Die Pupille war erweitert, ging aber nach dem Tode in mittlere
Contraction über.
Section nach 20 Stunden. Die Hirnhäute stark hyperämisch, zwischen Gross-
und Kleinhirn ein erbsengrosses Blutextra vasat; auf dem Pons und der Med. oblong,
eine dünne flüssige Blutlage, die Plex. ven spin. mit geronnenem Blute gefüllt: die
Schleimhaut der Luftröhre geröthet und mit viel röthlich gefärbtem Schaum bedeckt.
Die obern Lungenlappen braunroth marmorirt, die untern schwarzbraun gefärbt;
auf den Durchschnittsflächen tritt viel weisser Schaum zu Tage. Das ganze Herz
strotzt von geronnenem, schwarzem Blute, das mit wenig flüssigem, dunkelrothem Blute
vermischt ist: geronnenes Blut waltet überall vor, das flüssige Blut röthet sich an der
Luft. Die Sehleimhaut im Oesophagus und Magen ist normal, aus der Leber tritt
beim Einschneiden geronnenes Blut aus.
Aus diesem Versuche geht hervor, dass 0,05 Grm. Pikrotoxin ein kräftiges
Kaninchen binnen 1 Stunde 20 Minuten zu tödten vermag: die heftigsten klonischen
und tonischen Krämpfe füllen das Krankheitsbild aus, die tetanischen Zufälle walten
Jedoch vor. Als ein besonderes Symptom zeigt sich das Rückwärtsgehen des
Thieres und die bogenförmige Krümmung des Rückgrats, so dass der Kopf fast die
Hinterbeine berührte. Eigenthümlich war auch die Art des Stehens nach dem heftigen
tetanischen Anfalle: die Beine waren nämlich ganz steif gestreckt, als ob das Thier auf
Stelzen stände.
Dass Pikrotoxin hauptsächlich die Medulla oblongata erregt, hat Rober1'0)
durch sorgfältige physiologische Experimente zu beweisen vermocht. Hiermit hängt die
progressive Abnahme der Herz- und Langenthätigkeit zusammen: auch bei der Section
fiel ausser der bedeutenden Blutstauung in den Lungen das Blutextravasat an der
li< dulla oblongata und am Pons auf.
Eine Beziehung dieses Giftes zum Herzen lässt sich nicht verkennen, welche sich
während der Vergiftung durch die stürmische Anregung der Herzbewegung mit nach-
folgender Lähmung und in der Leiche durch die ausserordentliche Anfüllung des Herzens
mit Blut charakterisirt. Der starke Blutabgang aus dem Maule des Thieres hängt
jedenfalls mit den Blutstauungen in den Brustgefässen zusammen: es fand sich auch
die Schleimhaut der Luftröhre stark geröthet und mit röthlich gefärbtem Schaume
bedeckt.
Bierbrauerei. 529
bezüglich seiner Güte und Nahrhaftigkeit kennen zu lernen, während zweitens der
Nachweis bisweilen nothwendig werden kann, ob Bier als solches vorhanden ist; letztere
Frage wird gewöhnlich an die gerichtliche Chemie gestellt, wenn es sich um den Magen-
inhalt einer Leiche handelt. Aber auch bei Defraudationen verlangt die Gerichtsbehörde
bisweilen den Nachweis, ob sich im Inhalte des Phlegmas eines Brenngutes Bier vor-
findet; in diesen Fällen kann nur die Bestimmung der Bitterstoffe ein unzweifel-
haftes Urtheil gestatten.
Schwieriger ist die Untersuchung über den Werth eines Bieres, da hierbei der
Alkohol, das Dextrin, Gummi, die stickstoffhaltige Substanz, die Bitterstoffe, das
Hopfenbitter, Hopfenharz und ausserdem die phosphorsauren Salze resp. die Aschen-
bestandtheile bestimmt werden müssen; diese Aufgabe vermag nur ein geschickter
Analytiker zu lösen.
Der Ausschank des Bieres.
Beim Ausschank des Bieres hat man vorzugsweise auf die Frische, d. h. auf den
Kohlensäuregehalt zu achten. Es ist nicht zweifelhaft, dass das Zapfen am Fasse in
der ersten Zeit jedenfalls das schmackhafteste Bier ergeben wird, dass aber mit der
Zunahme der Oberfläche des Bieres im Fasse eine Vermehrung der Sauerstoffeinwirkung
stattfindet und gleichzeitig das Entweichen und Entbinden der Kohlensäure begünstigt
wird. Zur Verhütung dieser Uebelstände wurden 'sinnreich construirte Hähne sowohl
zum Abfliessen des Bieres als auch zum Verhindern des Eintretens der Luft construirt.
Um die auf den Ausschank zu verwendende Zeit zu verkürzen und gleichzeitig die
erwähnten Uebelstände zu beseitigen, wurden die Druck- resp. Bierpumpen in An-
wendung gebracht.
Ganz im Anfange dieser Bestrebungen wurde das Bier aus den im Keller lagern-
den Fässern mittels zinnerner Pumpen gewöhnlicher Construction, also mittels Säug-
pumpen in das Sohanklocal befördert. Die Verpackung des Kolbens konnte aber ohne
Anwendung von fetten Substanzen nicht dicht gehalten werden; das Bier nahm mehr
oder weniger davon auf und erhielt so einen eigentümlichen Geschmack, während
das Zinn dem Biere einen besondern Geruch und Geschmack gab. Auch waren
namentlich die sehr häufig vorkommenden Verunreinigungen des Zinns (Blei, Kupfer,
Zink, Arsen) Veranlassung, dass nach einiger Zeit der Ruhe das zuerst aufgepumpte
Bier mit diesen Metalloxyden verunreinigt war; in Belgien stellten sich vor mehreren
Jahren in Folge dieses Umstandes bei vielen Gästen einer Restauration Bleiintoxi-
cationen ein.
Ferner waren die Ventile, Hähne u. s. w. grösstenteils von Messing angefertigt,
wodurch ebenfalls Veranlassung zur Verunreinigung mit giftigen Metalloxyden gegeben
wurde. Aus diesen Gründen suchte man das wirkliche Pumpen des Bieres dadurch zu
umgehen, dass man mittels Compressionspumpen Luft in das Fass presste und so
das Bier durch einen am Boden des Fasses angebrachten Schlauch nach dem Schank-
local drückte; die Pumpen wurden dann, um einen continuirlichen Druck zu etabliren,
mit Windkesseln versehen. Diese Methode beseitigte in der That die eben erwähnten
Uebelstände, nur verursachten sie eine gleichsam raschere Vermischung des Bieres
mit dem atmosphärischen Sauerstoff, wodurch zwar die ersten zwei Drittel des Fass-
inhaltes nichts an Güte verloren, dagegen der Rest als schales, abgestandenes Bier
zu Tage trat.
Um den Sauerstoff resp. die Einwirkung desselben auf das Bier zu beseitigen und
den Gehalt an Kohlensäure dem Biere nicht allein nicht zu nehmen, sondern denselben
zu vermehren, verfiel man auf die Anwendung der Kohlensäure als Druckgas.
Das Bier wird durch Kohlensäure, welche man aus kohlensauren Salzen mittels einer
Säure in geschlossenen Gefässen entwickelt und durch einen kleinen Waschapparat
leitet, zum Schanklocale gedrückt; diese Methode lässt nichts zu wünschen übrig,_ wenn
die Kohlensäure-Darstellung mittels geeigneter Materialien geschieht. Bekanntlich ist
die im Handel vorkommende Salz- und Schwefelsäure stets arsenhaltig und es
wird bei der Salzsäure das in derselben als Arsenchlorür enthaltene Arsen durch
den kohlensauren Strom mit fortgerissen und schliesslich dem Biere mitgetheilt. Der
Arsengehalt der Schwefelsäure ist von geringerer Bedeutung; dagegen ist ihre Anwen-
dung beschränkter, weil sie im Allgemeinen minder löslichere Salze als die Salzsäure
bildet und deshalb die Gasgeneratoren häufig entleert und gereinigt werden müssen,
ausserdem auch Schwefelsäure theurer ist.
Es ist deshalb unumgänglich, dass keine gewöhnliche käufliche,
sondern arsenfreie Salzsäure zur Entwicklung der Kohlensäure ange-
wendet wird, ein Umstand, welcher in sanitärer Beziehung alle Beachtung verdient.
Eulenberg, Gewerbe-Hygiene. 34
530 Die Pflanzenfaser.
Die Pflanzenfaser.
Cellulose, Pflanzenfaser C^rl^Os stellt die Zellenwände oder gleichsam das
Skelet aller Pflanzen dar; auch in der Hüllenmembran aller Gliederthiere sowie
in der Haut der Seidenraupeu und Schlangen findet sie sich. In ziemlich reinem
Zustande kommt sie im Marke der Pflanzen und in der Baumwolle vor.
Die mannigfaltigen Cohäsionsverhältnisse des Holzes werden durch die Holzfaser
bedingt.") Chemisch reine Cellulose ist eine amorphe, mehr oder weniger weisse durch-
scheinende Masse, die erst nach der Behandlung mit concentrirter Schwefelsäure durch
Jod blau gefärbt wird.
Lässt man die Pflanzenfaser,- d. h. ungeleimtes Papier, in einer Mischung von
1 Vol. concentrirter Schwefelsäure und % Vol. Wasser einige Secunden bei einer 15°
nicht übersteigenden Temperatur liegen und wäscht sie dann mit Wasser gut ab, so
verhält sie sich wie eine thierische Haut, indem sie pergamentartig geworden ist. Hierauf
beruht die Fabrication des Pergamentpapiers.
Verdünnte Salpetersäure sowie schmelzendes Kali bilden mit der Cellulose
schliesslich Oxalsäure.
Nitrocellulose, Pyroxylhi, Schiessbaumwolle C6H7(N02)305 = C6H7N3On wird
dargestellt, indem man so viel Baumwolle in ein Gemisch von 3 Th. Schwefel-
säure von 1,84 spec. Gew. und 1 Th. Salpetersäure von 1,49 spec. Gew. eintaucht,
als die Faser aufzunehmen vermag; andere ziehen Kalisalpeter und Schwefelsäure
in entsprechenden Verhältnissen vor.
Da die Baumwolle des Handels stets Harze, Fettsubstanzen u. s. w. enthält, so
muss sie vorher durch Aufweichen in warmem Wasser und nach dem Auspressen durch
vordünnte Kalilauge von diesen fett- und harzähnlichen Substanzen befreit werden. Nach
dieser Entfettung wird sie nochmals 2 — 4mal mit reinemWasser, am besten mit dem
Condensationswasser der Dampfmaschine, ausgepresst und in mit Dampf geheizten
Cy lindern, schliesslich in Trockenkammern bei einer Temperatur von 50° getrocknet.
Erst jetzt beginnt man a) mit der Ansäuerung, indem die Baumwolle in die
Säuremischung gebracht wird, die sich in einem gusseisernen, wannenartigen Tauch-
apparat befindet: hier wird sie mit einer Schaufel bewegt und gelinde gedrückt; nach
wenigen Minuten werden die Baumwollstränge zum Abtropfen gebracht und dann
noch einige Stunden in Steinguttöpfen mit dem Säuregemiscn in einem Locale stehen
gelassen, dessen Temperatur nicht über 25° und nicht unter 5° betragen darf. Hierauf
folgt b) die Entsäuerung, welche nach vorhergehender Entfernung des Säureüber-
schusses durch wochenlanges Liegenlassen in fliessendem Wasser in Kochen mit
Pottaschenlauge, Auswaschen und Trocknen besteht, c) Der Silicirungs-
process wird durch Eintauchen der Schiessbaumwolle in eine Lösung von Natron -
Wasserglas und Trocknen an der Luft bewirkt; bei letzterm zersetzt sich das
kieselsaure Natrium und die Kieselsäure schlägt sich auf die Faser nieder.
Ein nochmaliges Auswaschen in fliessendem Wasser, Ausschleudern und Trocknen
bei 35° beschliesst diese Fabrication.
Die vielfachen freiwilligen Zersetzungen, welche bei der Schiessbaumwolle statt-
finden, scheinen höchst wahrscheinlich mit einer mangelhaften Entsäuerung oder
Reinigung derselben in Verbindung zu stehen.
*) Hier sind die Sägespäne noch besonders zu erwähnen, da sie bei ihrer Auf-
bewahrung ein sanitäres Interesse darbieten. In den Lagerräumen sammelt sich nämlich
eine grosse Menge Kohlensäure neben Butter-, Baldrian-, Ameisen- und
Propionsäure an; diese Producte entstehen aus der Zersetzung der Harze und des
Gummis im Holze, sie kommen daher vorzugsweise bei Sägespänen aus Nadel-
hölzern vor. Unter Umständen können daher solche Räume nachtheilig einwirken
u nd sollten nie in Wohnhäusern angebracht werden.
Schiessbaumwolle. 53^
Eine gute Schiessbaumwolle darf daher niemals sauer reagiren, weil sie sonst zur
Zersetzung geneigt ist; bei diesem Zersetzungsprocesse ist im Verlaufe der Jahre ein
vollständiges Zerfallen der Schiessbaumwolle in Oxalsäure und in eine gummiähnliche
Substanz ermöglicht.
Der englische Chemiker Abel hat die Schiessbaumwollindustrie ganz bedeutend
dadurch gehoben, dass er die Baumwolle in einem dem Holländer der Papierfabrication
ähnlichen Maschine zerkleinert und die weitere Reinigung durch Umherschlagen der
breiförmigen Masse in warmem Wasser mittels einer besondern Maschine (Poaching-
machine) vollendet.
Die Masse wird nach der Nitrirung in cylindrische Formen zuerst mittels ein-
facher Handpressen und dann mittels starker hydraulischer Pressen verdichtet; die ge-
presste Masse füllt man in Pergamentpapier ein und trocknet sie bei 60° auf eisernen
Platten.
Die comprimirte Schiessbaumwolle hat den Vorzug, dass sie an offener
Luft ruhig abbrennt, auf Stoss und Schlag nicht rcagirt und erst durch stark geladene
Zündhütchen zur Explosion gelangt.
Die Schiesswolle unterscheidet sich in ihrer Structur gar nicht von der Baum-
wolle; sie ist nur rauher anzufühlen und knirscht bei der Berührung, auch zeigt sie
elektrische Eigenschaften, indem die geriebenen Fasern an der trocknen Hand haften.
Bei der Bildung der Schiesswolle tritt Wasser aus und dafür ein Theil der
Salpetersäure ein :
C6H10O6 + 3HN03 = 3H20 + C6H7N3On.
Sie ist als ein Salpetersäure-Aether aufzufassen, in alkoholischem Aether
unlöslich und entspricht dem Nitroglycerin. Je nach der Menge der einwirkenden
Salpetersäure bildet sich ebenfalls Mono-, Di- und Trinitrocellulose.
Bei der Verpuffung im luftleeren Raum findet sich unter den Verbrennungs-
producten stets Stickoxyd.
Karolyi1) hat die im Vacuum entstandenen Producte mit den im lufterfüllten
Raum gebildeten verglichen, er fand:
im Vacuum
unter hohem Druck
verbrannt :
explodirt:
Kohlenoxyd . .
. . 28,55
28,95
Kohlensäure . .
. . 19,11
— 20,82
Grubengas . .
. . 11,17
- 7,24
Stickoxyd . .
. . 8,33
Stickstoff . . .
. . 8,56
12,67
Wasserdampf .
. . 21,93
25,31
Wasserstoff . .
. . —
— 3,61
98,15. — 98,18.
Karulyi nimmt an, dass bei der erhöhten Temperatur das Grubengas und der
Wasserstoff dem Stickoxyd den Sauerstoff entzögen, wodurch unter Abscheidung
von Stickstoff Kohlensäure, Kohlenoxyd und Wasser gebildet werden. Unzweifel-
haft ist es, dass sich die Verbrennungsgase nach der Zusammensetzung der Nitrocellulose
richten, in sanitärer Beziehung aber wegen ihres beständigen Gehaltes an Kohlen-
oxyd und Kohlensäure ebenso wie die Pulvergase sehr zu beachten sind; die Zer-
setzungsprocesse verlaufen übrigens nicht so einfach, wie sie der Theorie nach dar-
gestellt werden. Unter Umständen werden gewiss auch Stickoxyd, salpetrige
Säure und Cyan auftreten können, wie dies auch durch folgende Methode nach-
zuweisen ist.
Von der Gegenwart einer Cyanverbindung kann man sich nämlich leicht über-
zeugen, wenn man in einem gewöhnlichen Reagenscylinder eine kleine Menge Schiess-
wolle detoniren lässt, dann einige Tropfen verdünnter Kalilauge und verwittertes Eisen-
vitriol zugibt, durch Schütteln die Absorption der Gase begünstigt und nun mit Salz-
säure übersättigt; es tritt dann eine starke Bläuung ein und in der Ruhe scheidet sich
Berlinerblau ab
Höchst wahrscheinlich wird das Kohlenoxyd von Cyan und die Kohlensäure
von Cyanwasserstoff begleitet sein. Bei Verbrennungen im geschlossenen Räume ist
die Kohlensäure stets ein Secundärproduct und zwar entstanden durch die Einwir-
kung von Sauerstoff des Wassers auf das Kohlenoxyd bei einer sehr hohen Tem-
peratur; dieses Wasser ist nicht präexistirend, sondern ebenfalls als das Product der
wasserstoffhaltigen Verbindungen des explodirenden Körpers zu betrachten. Indem der
Sauerstoff des Wassers vom Kohlenoxyd attaquirt wird, bildet sich Kohlensäure
neben frei werdendem Wasserstoff, der entweder direct zum Stickstoff treten und
Ammoniak erzeugen oder aber die Kohlenstoffverbindung des Stickstoffs, Cyan, bilden
kann. Die Schiessbaumwolle verbrennt übrigens ohne Rauch und Rückstand.
34*
5^2 Die Pflanzenfaser.
Die Verwendung der Schiessbaumwolle für Feuerwaffen ist wegen ihrer stark
explosiven Wirkung und wegen der leichten Oxydation der Metalle durch die sauren
Vcrhrennungsproducte noch nicht gelungen. In England benutzt man sie hauptsächlich
als Sprengladung für Hohlgeschosse und Torpedos: die grosse Spannung und die Menge
der bei der Verbrennung entstehenden Gase werden eben vorzugsweise als Trieb- und
Sprengkraft benutzt. Zum Sprengen von Tunnels, Minen, Brücken, Gesteinen u s.w.
ist sie ein vortreffliches Mittel: in Minen und Bergwerken ist sie nur bei der kräf-
tigsten Ventilation zu gebrauchen, weil die Mannschaften durch die giftigen Verbrennungs-
produete in grosse Gefahr versetzt wurden. Dabei ist der Gehalt an Grubengas
insofern heachtungswerth, als das Gasgemisch entzündlich ist, wenn es mit einem
Lieht u. s. w. in Berührung kommt: man sollte daher die Schiessbaumwolle bei unter-
irdischen Anlagen als Sprengmittel nicht verwerthen.
Bei der Verpackung hat man mit Papier gefütterte Kisten benutzt, in welche die
Schiessbaumwolle nicht zu fest eingedrückt wird; man kann sie auch in Blechbüchsen
einpacken, welche man in mit gebranntem Kalk beschickten Kisten zusammenstellt. Im
Allgemeinen müssen die für den Transport des Schiesspulvers geltenden Vorschriften
auch für Schiessbaumwolle massgebend sein. Die comprimirte Schiessbaumwolle wird
für am besten transportfähig gehalten.
Collodinni C6H803(N03)2 = C6H8N209 ist die Auflösung einer höher nitrirten
Schiessbaumwolle in einem Gemisch von Alkohol und A et her: es ist ebenfalls
ein Salpetersäure- Aether, aber weniger entzündlich und verbrennt beim Entzünden
langsam.
Anwendung findet das Collodium vorzugsweise in der Photographie, wo es zum
Präpariren der zu exponirenden Platten und des photographischen Papiers ein unent-
behrliches Mittel geworden ist; auch dient es zur Darstellung leichter Ballons und als
Schutzmittel gegen das Anlaufen von Silberwaaren. In der Medicin gebraucht man es
als schützende Wunddecke oder als Einhüllungsmittel für reizende Mittel (Collodium
cantharidatum). Das sogenannte elektrische Papier ist eine Collodiumhaut.
Bei der fabrikmässigen Darstellung der Pyroxylsubstanzen ist in
sanitärer Beziehung zu bemerken, dass sich bei dem Eintauchen der Baum-
wolle in das Säuregemisch stets viel salpetrige und Untersalpetersäure
entwickeln, welche nachtheilig auf die Arbeiter einwirken können, zumal jenes
in einem Gefässe mit breiter Oberfläche unter häufigem Eindrücken vorgenommen
werden muss; am zweckmässigsten geschieht diese Procedur unter einem gut
ziehenden Schornsteinbusen, um die Dämpfe möglichst schnell aus der Athmungs-
zone der Arbeiter abzuleiten.
Beim Auspressen der Baumwolle wiederholt sich diese Entwicklung von
sauren Dämpfen ganz besonders; gewöhnlich färbt sich das Gesicht der Arbeiter
gelb und die Nasenflügel werden geröthet und wund, auch an den Händen kommen
häufig Excoriationen vor. Der Gebrauch von nicht vulcanisirten Kautschukhand-
schuhen würde hier am Platze sein.
Man sollte ausserdem den Versuch machen, die Imprägnation der Baumwolle
in gusseisernen Gefässen vorzunehmen und das innige Durchtränken
derselben mittels gusseiserner Walzen zu bewerkstelligen; der ganze
Apparat könnte in einem Glasverschlag, welcher mit einem gut ziehenden
Schornstein in Verbindung steht, aufgestellt werden.
Die Gesundheit der Arbeiter kann durch diesen Act ganz zerrüttet werden,
wenn dabei die notwendigen Präventivmassregeln ausser Acht bleiben. In
kleinern Fabriken wird diese Manipulation auf freiem Hofe vorgenommen, so dass
sich die Arbeiter bei einiger Vorsicht mehr vor den Dämpfen schützen können;
für die Adjacenten werden diese dann aber um so belästigender.
Die Waschwässer können Spuren von Pikrinsäure und Oxalsäure ent-
halten, namentlich wenn die Baumwolle noch Samenkapseln enthielt: man sollte sie nie
frei abfliessen lassen, sondern stets mit Kalkmilch versetzen, es sei denn, dass eine
grosse Menge Wassers zur Anwendung gekommen und eine hinreichende Verdünnung
Die Papierindustrie. 533
der etwaigen schädlichen Beimengungen stattgefunden hat. Dabei ist nicht zu übersehen,
dass auch beim Auswaschen aller nitrirter Körper noch eine reichliche Entwicklung von
Untersalpetersäure stattfindet, deren Einwirkung auf die Arbeiter möglichst zu
vermeiden ist.
Bei einem grossartigen Betriebe sind auch die Waschwässer, welche vom
Entfetten der Baumwolle herrühren, ohne Kalkzusatz nicht abzulassen, weil sie
sonst, wenn sie nicht in ein stark füessendes Wasser gelangen, einem Fäulnissprocesse
anheimfallen.
Bezüglich des Collodiums ist zu erwähnen, dass manche Phatographen sehr
von den Aetherdämpfen belästigt werden, welche bei Behandlung der Platten mit
Collodium entstehen. In einem eoncreten Falle konnte ein Photograph wegen beständig
wiederkehrenden Unwohlseins, namentlich wegen permanenten Kopfschmerzes und starken
Schwindels, sein Geschäft nicht mehr fortsetzen; auch war sein in einer organischen
Lungenkrankheit wurzelnder Husten ganz bedeutend schlimmer geworden; er ging
später an Tuberculose zu Grunde.
Zu den Pyroxylinsubstanzen gehören noch das Pvropapier, das zu Zünd-
spiegeln benutzt worden ist, das Sek «//.e'sche Pulver, weisses Schiess- oder Spreng-
pulver, dem nitrirte Holzsubstanz zu Grunde liegt, das Lan no.y'sche Pulver fauch
Lithofracteur genannt), welches aus Schwefel, Natronsalpeter und nitrirtem Holz, Säge-
mehl oder Kleie besteht. Das Pulver von v. üchatius enthält Nitro stärke (Xyloidin,
Pyroxani).
Wenn die Schiessbaumwolle aus Hanf dargestellt wird, so kann wegen eines
etwaigen Gehaltes mancher Hanfarten an Stärkemehl die gleichzeitige Bildung von
Xyloidin stattfinden und dadurch das Präparat höchst explosiv werden.
Die Pflanzenfaser ist das wichtigste Material für die Papierfabrication;
in industrieller Beziehung reiht sich daher die Papierindustrie zunächst hier
an, um dann den Uebergang zur Textilindustrie, zur Baumwoll- und
Leinenindustrie zu bilden.
Die Papierindustrie.
Erst im 13. und 14. Jahrhundert wurde Papier aus leinenen Lumpen
fabricirt; die erste Fabrik dieser Art soll in Nürnberg errichtet worden sein. In
Frankreich finden sich die ersten Papiermühlen im 16. Jahrhundert und erst
gegen Ende desselben bemächtigten sich die Engländer dieser Industrie. Als die
Protestanten aus Frankreich vertrieben wurden und viele derselben sich nach
Holland begaben, war es besonders die Papierfabrication, welche durch diese
Flüchtlinge bedeutend eultivirt und gehoben wurde: die Erfindung der Cylinder-
mühle, des sogenannten Holländers, liefert hierfür den sprechenden Beweis.
Schon im Jahre 1719 wies Reaumier nach, dass man Papier aus Holz fabriciren
kann, und in Deutschland begann man schon im Jahre 1756 mit der Darstellung
des Papiers aus Stroh.
Das Papierinaterial. Das wichtigste Material bilden die leinenen Lumpen,
weil sie das beste und stärkste Papier liefern; baumwollene Lumpen liefern
ein lockeres und rauhes Papier und werden deshalb mit leinenen Lumpen ver-
mischt bearbeitet. Wolle und Seidenstoffe können nicht benutzt werden^
weil ihre Fasern nicht hohl sind.. Flachs und Hanf werden ausnahmsweise
benutzt und zwar letzterer vorzugsweise zur Fabrication des Banknoten-
papiers, Werg für die Darstellung von Packpapier und Bauspapier. Aus
alten Seilen, Stricken und Tauen fabricirt man in England vielfach Tapeten-
papier. Holz und Stroh sind in neuerer Zeit die wichtigsten Surrogate der
Lumpen geworden; man unterscheidet daher die Holzzeug- und Papier zeug-
fabrication.
534 Die Pflanzenfaser.
1. Holz- und Strohzeugfabrication.
Zur Holzzeugfabrication werden verschiedene Maschinen benutzt, welche
1) die Zersetzung. 2) das Sortiren und 3) die Breierzeugung bezwecken. Ausser
diesem mechanischen Verfahren gebraucht man auch chemische Agentien,
wie kaltes und heisses Königswasser und namentlich alkalische Flüssig-
keiten.
Bei den Säuren verwendet man Steingutbehälter oder hölzerne Bottiche mit einem
Boden von Granit, bei den Alkalien geschlossene eiserne Cylinder, in deren Umhüllung
Dampf eingeleitet wird, um eine Erhitzung von 145 — 152° (8 — 10 Atmosphärendruck)
zu erzeugen. Das Bleichen geschieht durch Chlorkalk.
Einige Fabriken vereinigen mit der Zerfaserung des Holzes eine Ueberführung der
incrustirenden Materien (Gummi, Prote'instoffe) in Zucker.
Strohzengfahrication. Das zu Häcksel verschnittene Stroh wird in grossen
Eisenblechcylindern mit kalter, aus Soda und Kalk bereiteter Natronlauge aus-
gelaugt, um die incrustirende Materie möglichst zu entfernen, ohne die Kieselsäure
anzugreifen.
Das Dämpfen und Waschen des Strohs geschieht dann in Dämpfkesseln
mittels überhitzter Dämpfe, nachdem die Natronlauge abgelassen ist; es wird abwechselnd
gedämpft und warmes Wasser zugeleitet, um die Aufschliessung der Kieselsäure
zu bewirken, die sich zunächst in kieselsaures Natrium umwandelt und dann mittels
des heissen Wassers ausgewaschen wird.
Das Bleichen und Zermalmen der Strohmasse geschieht in einem
Holländer mittels Chlorkalks (s. Papierfabrication) : der Brei wird aber noch zwischen
zwei Mühlsteine behufs Zermalmung von Knoten, Aehren u. s. w. geleitet, ehe er ent-
weder als solcher in den Handel kommt oder direct auf Papier verarbeitet wird.
Einige Fabriken behandeln das Stroh wie das Holzzeug mit kaltem oder
heissem Königswasser, worauf dann Waschen, Mahlen, abermaliges Waschen und
Bleichen folgen.1)
Bei dieser Fabrication haben die Waschwässer ein besonderes sanitätspolizei-
liches Interesse, da sie bei der Behandlung mit Säuren stets sauer reagiren und bei
der Benutzung der Natronlauge sehr kalkhaltig sind und in Folge des Bleichens meist
auch Chlorverbindungen enthalten: ihr freier Abfluss in kleine Bäche» tödtet alle
Fische und macht das Wasser zu öconomischen oder technischen Zwecken unbrauchbar.
Dabei sind die Abfallwässer blau, grün oder grau und färben sämmtliches Wasser in
kleinen Flüssen; in stehenden Gräben oder in Wasserläufen mit schwachem Gefälle geben
sie auch wegen des Gehaltes an organischen Bestandteilen nicht selten zu Fäulniss-
processen Anlass.
In einem concreten Falle Hess eine Papierfabrik, die Stroh und Holz verarbeitete,
alle Abfallwässer frei in einen kleinen Bach fliessen, so dass alle Fische zu Grunde
gingen. 1 Kubikmeter des Bachwassers enthielt in Grammen
Chlor: Schwefelsäure: Kalk: Magnesia: Organ. Stoffe:
oberhalb der Papierfabrik 24,S1 Spuren 72,0 7.2 128,0
an der Fabrik . . , . . 227,2 182,4 173,0 13,6 387,0
unterhalb der Fabrik . 347,9 31,6 103.04 13,6^ 5904,0.
Noch weiter von der Fabrik entfernt war das Wasser bereits von fauliger Be-
schaffenheit.
Klärbassins sind hier zunächst erforderlich, damit sich die Hauptmasse von
Alkalien und Farbstoffen absetzt: die alkalischen Rückstände können zwar durch Ein-
dampfen wieder gewonnen werden, die meisten Fabricanten befassen sich aber ungern
mit diesem Verfahren.2)
Saure Wässer müssen jedenfalls neutralisirt werden, ehe sie mit vielem Wasser
verdünnt zum Abfluss gelangen. Es ist leicht ersichtlich, dass solche Fabrikanlagen nur
in die Nähe grosser Wasserläufe gehören, um im Abfluss ihrer Wässer weniger be-
hindert zu sein (s. Bleichen der Papiermasse).
2. Papierzeugfabrication.
Die Abfälle von gewebten Stoffen, die Lumpen, Hadern oder Stratzen,
stellen stets das gebräuchlichste Papiermaterial dar, weshalb auch der Lumpen-
handel eng mit der Papierindustrie verknüpft ist.
Die Papierindustrie. 585
Dass durch alte Lumpen ansteckende Krankheiten, namentlich Krätze und
Pocken verschleppt werden können, ist nicht unwahrscheinlich, positive Thatsachen
hierüber liegen aber nicht vor. Seitens der Polizei lassen sich hierbei keine besondern
Massregeln ergreifen: als ein Schutzmittel gegen mögliche Ansteckungen bei der Be-
handlung der Lumpen ist das Besprengen derselben mit Terpentinöl empfohlen
worden. Bei epidemischem Auftreten der Pocken könnten übrigens von einzelnen
Polizeibehörden nötigenfalls solche Massnahmen angeordnet werden und zwar um so
eher, als dieses Verfahren leicht auszuführen ist und der Verwerthung des Materials
keinen Schaden bereitet.
Auch bezüglich der Verbreitung von Krätze durch alte Lumpen sollte dieses
einfache Mittel häufiger angewendet werden, da bekanntlich Terpentinöl nicht nur den
Sarcoptes scabiei tödtet, sondern auch auf die meisten andern Insecten tödtlich einwirkt.
Das Lagern der Lampen. Dieses darf nur in trocknen und luftigen Blumen ge-
schehen, auch sollte stets erst die polizeiliche Erlaubniss dazu nachgesucht werden,
da Lumpenlager für die Nachbarschaft durch die Heranziehung von Ungeziefer jeder
Art lästig werden. Feuchte Räume und Keller dürfen als Lagerplätze nicht geduldet
werden, weil Lumpen vor jeder Nässe geschützt werden müssen; feuchte Lumpen ent-
wickeln nämlich übelriechende Zersetzungsproducte und zwar unter Wärmeentwicklung,
welche sich bis zur Entzündung steigern kann. Da auf diese Weise feuchte Lumpen
sogar Brand erzeugen können, so ist Grund genug vorhanden, den Lumpenlagern eine
polizeiliche Ueberwachung zu widmen; die Räume müssen so luftig und trocken sein,
dass feuchte Lumpen alsbald zum Austrocknen gelangen können.
Das Sortiren der Lampen wird schon von den Sammlern und Händlern vor-
genommen, geschieht aber mit grösserer Sorgfalt in den Papierfabriken; dasselbe ist
stets mehr oder weniger mit Entwicklung von Staub verbunden, weshalb bisweilen
chronische Augenentzündungen als Folgen dieser Beschäftigung auftreten.
Auf das Sortiren folgt das Verpacken, wobei die Lumpen oft mit den Füssen
getreten werden und eine bedeutende Staub -Atmosphäre veranlassen. Beim Entleeren
der Säcke und Ballen in den Papierfabriken wiederholt sich dieser Staub, welcher über-
haupt als der nachtheiligste Factor hierbei zu betrachten ist.
Hier ist das Sortiren als ein Vorbereitungsact für die eigentliche Papierfabrication
zu betrachten, da es sich darum handelt, die baumwollenen, wollenen, seidenen, ge-
färbten u. s. w- Lumpen von den leinenen zu trennen, alle möglichen Unreinigkeiten weg-
zuschaffen und Nähte und Säume wegzuschneiden. Nach den Hauptgattungen des dar-
zustellenden Papiers sondert man nun die Sorten der Lumpen; grosse und luftige
Räume sind für diese Beschäftigung absolut erforderlich und bei grossem Betriebe mit
einem Exhaustor zu versehen.
A. Präparation der Lumpen für die Papierfabrication. Die Lumpen erfordern
besonders bei der Darstellung von weissem Papier eine sorgfältige Präparation. Man
unterscheidet 1) das Zerschneiden derselben, welches mittels besonderer Maschinen,
Lumpenschneider, geschieht.
2) Zur mechanischen Reinigung und Auflockerung der zerschnittenen
Lumpen dient der sogen. Lumpen-Wolf, der viel Staub aufwirbelt und die Arbeiter
erheblich belästigen kann. Exhaustoren sind auch hier am Platze und es müssen
sowohl für das Wolfen als für das darauf folgende Sieben besondere Locale benutzt
werden.
Das Sieben geschieht in horizontal liegenden Trommeln, deren Seitenflächen aus
Drahtgitter bestehen, durch welches die Unreinigkeiten herausgeworfen werden. Die
Trommel muss unbedingt mit einem hölzernen Kasten umgeben sein, aus welchem ein
hölzerner Schlauch in's Freie führt, obgleich auch hier die Mitwirkung eines Exhaustors
vorzuziehen ist, um den Staub durch kräftigern Luftzug fortzuführen; die betreffenden
Einrichtungen können noch so verschieden sein, wenn nur diesem Umstände Rechnung
getragen wird.
3) Die nasse Reinigung der Lumpen ist dem Beuchen der Leinwand oder
Baumwolle sehr ähnlich und geschieht mittels Wasserdämpfe in cylinderartigen Gefässen
oder in Bottichen mit einem zweiten durchlöcherten Boden.
Feine und weisse Lumpen wei'den vorher in einer Lösung von Pottasche oder
gereinigter Soda, grobe, ungebleichte und farbige Lumpen in Holzaschenlauge und
Kalkmilch und das gröbste Material nur in Kalkmilch eingeweicht.
Beigemengte wollene und seidene Lappen werden durch die Alkalien zerstört:
es färbt sich die Masse unter Entwicklung von ammoniakalischen und übel-
riechenden Dämpfen roth.
Die schwach alkalischen Waschwässer dürfen niemals in Schlinggruben,
sondern müssen in Abflusscanäle oder fliessendes Wasser abgelassen werden.
535 Die Pflanzenfaser.
Statt des Beuchen s wandte man früher das Faulen oder Maceriren der
Lumpen an, um ihre Umwandlung in Halbzeug vorzubereiten, sowie die Farben
zu zerstören und einen gewissen Grad von Bleichung hervorzurufen. Zu diesem
Zwecke weichte man die zerschnittenen Lumpen in Bottichen (Faulbütten) mit so viel
Wasser ein, dass sie ganz davon durchtränkt wurden: man stampfte sie fest zusammen
und Hess sie mehrere Tage in einem bis zu 19 — 21° C. erwärmten Räume stehen. Es
entstand ein Fäulniss- und Gährungsprocess, in Folge dessen sich die gefaulten
Lumpen zwar schneller und leichter bearbeiten Hessen, dagegen war das daraus an-
gefertigte Papier weniger fest und bedurfte späterhin einer stärkern Leimung.
Wendet man dieses Verfahren bei groben und ungebleichten Lumpen an,
so müssen sie ein paarmal während dieses Processes umgekehrt werden, um eine zu
grosse Erwärmung zu verhüten, wodurch eine erhebliche Belästigung für die Arbeiter
entstehen kann.
Die Fäulniss wä ss er enthalten die flüchtigen Fettsäuren und je nach der
Färbung der Lumpen auch giftige Metalloxyde, weshalb sie unter allen Umständen mit
Kalk versetzt werden müssen, ehe man sie frei abfliessen lässt.
B. Fabrikation des Halbzeugs (Defilage). Die Zerkleinerung der zerschnittenen
und gereinigten Lumpen zu feinen Fasern geschieht in der Papiermühle (Geschirr)
und zwar entweder nach der deutschen oder holländischen Methode, von denen
die erstere fast gar nicht mehr vorkommt Das Stampf- oder Hammergeschirr
besteht hierbei aus Stampfern oder Hämmern, die sich abwechselnd auf- und abbewegen.
Die holländische Stoss- oder Walzenmühle ist fast überall eingeführt und
besteht aus einem 3 Meter langen und 1 Y2 Meter breiten Troge von Holz, Stein oder von
Eisen, das innen cementirt ist; eine senkrechte, nach der Längsachse laufende Zwischen-
wand theilt diesen Raum in zwei Hälften und hat oben und unten einen freien Raum
für die Circulation des Papierzeugs. Auf dieser Zwischenwand und einer Seitenwand
des Troges ruht eine aus Holz oder Gusseisen angefertigte und mit Schneiden
besetzte Trommel, unter welcher sich der sogenannte, ebenfalls mit Schneiden besetzte
Kropf befindet. Der Halbzeugholländer dient zur Zerfaserung der Lumpen und
liefert das Halbzeug.
Das Bleichen des Halbzeugs. Bei der Fabrication des weissen Papiers ist
das Bleichen nicht zu umgehen; benutzt man Chlor gas, so breitet man das Halbzeug
in hölzernen Kasten mit durchlöcherten Brettern aus. Aus Ziegeln construirte Bottiche
müssen mit Cement verputzt und mit Leinöl oder Steinkohlentheer getränkt werden.
Nach beendigter Zuleitung des Chlors und hinreichender Einwirkung des Gases darf
man die betreffenden Behälter erst öffnen, nachdem das überschüssige Gas in den
Schornstein abgeleitet worden ist (s. S. 49).
Im Rückstande bleibt nur wenig Salzsäure nebst den Metalloxyden, die
etwa noch in den Lumpen vorhanden gewesen sind; von ihrer Beschaffenheit hängt es
ab, ob man den Abfluss dieses Rückstandes in fliessendes Wasser gestatten darf. Kalk-
milch ist in der Regel das geeignetste Mittel, um die schädlichen Substanzen aus-
zuscheiden: in grossen Fabriken kann sogar die Ausscheidung von Blei und Kupfer
nutzbringend sein.
Beim Bleichen mit Chlorwasser schüttet man das Chlorwasser in hölzerne
ausgepichte Bottiche auf das feuchte und locker gezupfte Halbzeug, deckt das Gefäss
sorgfältig zu, rührt bisweilen um und lässt das Wasser nach 4 — 5 Stunden ab.
Die Abflusswässer sind wie beim Bleichen mit Chlorgas zu behandeln; hat
man aber noch nachträglich zur Abscheidung der Metalloxyde ein schwaches Schwefel-
säurebad benutzt, so ist stets ein Kalkzusatz nothwendig.
Die ganze Methode ist für die Arbeiter sehr belästigend, wenn sie in offenen
Bottichen geschieht; diese sind daher stets mit Einrichtungen zur Ableitung des nicht
absorbirten Gases zu versehen Auch muss das Bereitungsgefäss für Chlorwasser mit
einem Rohr behufs Zuleitung eines Dampfstrahls versehen sein, der das Chlorwasser in
den Bleichbottich überführt, weil der hydrostatische Druck zur vollständigen Anfüllung
desselben nicht ausreicht; mit dem Bereitungsgefässe stehen oft 5-6 Bleichbottiche in
Verbindung.
Das Bleichen mit Chlorkalklösung geschieht bisweilen schon im Halb-
Holländer, namentlich bei den gröbern Papiersorten, da bei diesen stets etwas Kalk
zurückbleibt. In diesem Falle setzt man die Chlorkalklösung den Lumpen im Halbzeug-
holländer 1 Stunde lang zu und „verschlägt" den Holländer, d. h. man hebt den Wasser-
wechsel, den Abfluss des schmutzigen und den Zufluss des reinen Wassers für diese
Zeit auf. Da aber das Metall des Holländers durch die Chlorkalklösung leicht ange-
griffen wird, so ist hier das Bleichen mit einer alkalischen Flüssigkeit, z. B. mit Eau de
Javelle, vorzuziehen.
Setzt man der Chlorkalklösung Schwefelsäure zu, um die Chlorentwicklung
Die Papierindustrie. 537
zu beschleunigen , so kann der sich bildende Gips durch Auswaschen entfernt werden,
wenn er nicht absichtlich zum Beschweren des Papiers erzeugt worden ist.
Diese in mancher Beziehung höchst lästigen Waschwässer lassen sich ganz gut
verwerthen, wenn man sie mit Glaubersalz versetzt, weil sich dadurch ein krystal-
linischer Gips bildet, welcher zum Satiniren des Papiers, namentlich in Tapetenfabriken,
benutzt werden kann, da er dem Papier einen atlasähnlichen Ueberzug verleiht. Das
hierbei abfallende Wasser enthält nur Kochsalz; benutzt man Essigsäure oder
Kohlensäure zur Entwicklung von Chlor aus dem Chlorkalk, so bildet sich im erstem
Falle ein lösliches, im zweiten ein unlösliches Calciumsalz. Wird die Kohlensäure
zu diesem Zwecke aus Koks entwickelt, so tritt auch gleichzeitig schweflige Säure
auf, die zuerst saures schwefligsaures, nachher schwefelsaures Calcium nebst freier
Schwefelsäure bildet. Häufig ist das Mürbewerden des fertigen Papiers, welches ge-
wöhnlich dem Chlor zugeschrieben wird, nur durch die aus den Koks entwickelte
schweflige Säure bedingt.
Nach dem Chloriren müssen die gebleichten Zeuge mit Natriumsulfit anti-
chlorirt werden.
C. Fabrication des Ganzzeuges (Raffinage). Nach einem sorgfältigen Anti-
chloriren und Waschen des Halbzeugs mittels besonderer Waschtrommeln gelangt
dieses auf den Ganzzeugholländer, der mit mehr Schneiden besetzt ist, dem Kröpfe
näher steht und sich schneller bewegt, um das Ganzzeug, den feinen Papierbrei,
zu verarbeiten; man lässt diesen in Kasten mit Drahtböden laufen, presst ihn aus und
trocknet mittels Centrifugen.
Man pflegt im Ganzzeugholländer dem Papierzeuge mineralische Substanzen von
weisser Farbe zuzusetzen, um dem unvollkommen gebleichten Zeuge eine bessere Weisse
zu geben, oder auch um das absolute Gewicht des Papiers zu erhöhen; der letztere
Grund ist gegenwärtig bei den Fabricanten häufig massgebend.
Zu diesen Substanzen gehören: weisser Thon, Lenzin, Kaolin, unge-
brannter Gips oder selbst Zinkweiss, Bariumsulfat und Bleisulfat; man
nennt sie chemische Bleichmittel. Um auch den schwächsten gelblichen Schein
zu tilgen und dem Papier einen bläulichen Schimmer zu geben, setzt man dem
Ganzzeuge oft Smalte, Ultramarin, Indigo oder Berlinerblau zu.
P apier zusatz. Unter Papierzusatz versteht man verschiedene Papiersorten,
welche dem Ganzzeuge zugesetzt werden; bei den feinsten Papieren können benutzte
Papiere derselben Gattung zugesetzt werden, nachdem sie vorher durch ein Säure- oder
Chlorbad gegangen sind, um die Dinte zu zerstören.
Bei geringern Papiersorten, namentlich bei weissen ungeleimten Sorten,
werden auch farbige Papiere oder weisse Tapeten zugesetzt. Es kann deshalb nicht
auffallen, dass grade die bessern Sorten der ungeleimten Papiere, die sogen. Filtrir-
papiere, bisweilen Metalloxyde enthalten, weil grade die bessern Glanzpapiere und
Tapeten ihre Farben den Metalloxydfarben verdanken, wohingegen die geringern
Tapetensorten, welche nur den grauen ungeleimten Papieren zugesetzt werden, grössten-
theils mit unschädlichen Erd- oder Ockerfarben bedruckt werden.
Je nach der Verwendung der weissen Filtrirpapiere können deshalb auch schäd-
liche Einflüsse veranlasst werden; filtrirt man z. B. Fruchtsäfte, Zuckerlösungen u. s. w.
durch solche Papiere, so können dieselben mit den betreffenden giftigen Substanzen ver-
unreinigt werden; weniger wird dies der Fall beim Filtriren des Kaffee's oder anderer
neutraler Flüssigkeiten sein.
Das Leimen des Ganzzeuges. Das sogenannte „Leimen in der Bütte"
oder „in der Masse" geschieht mittels Harzleims. Für gewöhnliche halbfeine
Schreibpapiere nimmt man Fichtenharz, für geringes Schreib- und Packpapier
Colophonium; das Harz löst man in verdünnter Aetzkali- oder Natronlauge und ver-
mischt es mit dem Ganzzeuge im Holländer. Der ganzen Masse setzt man so viel
Alaun hinzu, dass die Harzseife zersetzt wird (Bildung von pininsaurer Thonerde) ;
wenn das Papier auf die Trockenwalze kommt, schmilzt die Harzseife hinein, so dass
es für Wasser nicht mehr durchdringlich ist.
Es leuchtet ein, dass die Leimung des Papier zeug es eine viel vollkommenere
und innigere ist als die des Papierblattes, die man das „Leimen nach der
Bütte", d. h. nach dem Trocknen des Handpapiers nennt und mittels thierischen
Leims vornimmt.3)
Bei der Harzseifebereitung entwickeln sich mehr oder weniger Terpentinöl-
dämpfe, welche für die Bienen ein Anziehungsmittel sind; sie sammeln sich daher bei
dieser Procedur in Menge im Fabriklocale an.
D. Fabrication des Papierblattes. Das fertige breiartige Ganzzeug wird nun
entweder zu Hand- oder Maschine npapier fabricirt.
egg Die Pflanzenfaser.
Hand- oder Büttenpapier. Dieses Papier wird durch Handformen geschöpft;
gewöhnlich lässi mau das Ganzzeug aus dem Holländer direct in die Schöpfbütte
fliessen, wo es durch Umrühren mit vielem Wasser einen verdünnten milchartigen Brei
bildet, den der Schöpfer, d.h. der mit dem Schöpfen beschäftigte Arbeiter, auf
eine Drahtsiebform bringt, durch welche der grössere Theil des Wassers abfliesst,
während die Fäscrchen des Ganzzeuges zurückbleiben und einen zusammenhängenden
Bogen bilden.
Der „Kautscher" lässt zunächst die geschöpfte Form etwas abtropfen, legt sie
auf einen Filz, ein locker gewebtes Wollenzeug, und entfernt durch sanftes Drücken
den weichen Bogen von der Form. Die ersten Papierbogen bedeckt er wieder mit einem
Filz und fährt auf diese Weise schichtweise fort.
Dann folgt das erste Pressen zwischen den Filzen, das Pressen im befilzten
Pauscht, und nach Wegnahme der Filze das zweite Pressen, das Pressen im weissen
Pauscht (franz Porse, Stoss-Papier). Das Trocknen geschieht auf Trockenböden.
Leimen des Papiers. Das auf diese Weise erhaltene Papier ist weich und wird
nur als Druck-, Filtrir-, Lösch- und weiches Packpapier gebraucht Schreib-
und Zeichenpapier muss mm geleimt werden, wenn dies nicht schon „in der Bütte"
geschehen ist, worauf Trocknen, Pressen und Glätten folgen.
Masehinenpapier, Papier ohne Ende. Bei der Fabrication desselben fliesst das
Ganzzeug auf ein Drahtsieb ohne Ende, welches sich in beständiger Bewegung befindet,
ein Verfahren, durch welches bedeutend an Zeit gewonnen wird.
Hier bewirkt die Maschine Alles, was sonst der Arbeiter mit der Hand ver-
richtete. Nachdem das Ganzzeug durch den Knotenfänger von etwaigen Knoten be-
iVeit und durch den Regulator auf die Form, ein langes, in sich selbst zurück-
kehrendes Metalldrahtgewebe, gebracht worden, bewegt sich dieselbe über Walzen,
durch deren Umdrehung eine gleichmässige Bewegung des Ganzzeugs in der Längs-
richtung erzielt wird, während es durch eine horizontale Hin- und Herbewegung
der Form, wie beim Schöpfen, auch in der Richtung der Breite geschüttelt wird
(Fourf/ri/iirr'sche Maschine).
Behufs Exhaustion des Papierzeuges hat man vielfach rotirende und Glocken-
pumpen angewendet; gegenwärtig wird häufig ein Saugapparat von Kau/mann
hierzu benutzt.
Das entwässerte und verdichtete Papierblatt geht nun seinen Weg ohne Form
weiter und kommt zunächst auf ein endloses Filztuch, dasselbe lockere Wollenzeug,
welches der Kautscher beim Büttenbetriebe gebraucht. Das Filztuch bringt das Papier-
blatt nach der Nasspresse, einem Walzwerk, welches die Entwässerung durch Aus-
pressen vollendet.
Die Trockenpresse bezweckt die Entfernung der letzten Wasserreste
durch Trocknen auf grossen, durch direct einströmenden Dampf geheizten Trommeln.
Bei der Trockenpresse entwickeln sich sehr viele Wasserdämpfe, welche nicht
bloss die Arbeiter belästigen, sondern auch mit der Zeit das Fabriklocal schädigen
können: es ist deshalb nothwendig, die Wasserdämpfe durch Ventilatoren oder Exhaustoren
wegzuschaffen, zu welchem Zwecke über den Trockenwalzen stets ein entsprechender
Fang anzubringen ist.
Zum Satiniren des Papiers gebraucht man Glatt walzen, zur Zertheilung
desselben in der Längs- und Breitenrichtung Schneidescheiben.
Zur Darstellung der grobem Papiersorten, des Pack- und Tapeten-
papiers u. s. w., benutzt man eine anders construirte Maschine, welche Cylinder-
m aschine genannt wird; nach ihrem Erfinder heisst sie auch die Dickinson'sche
Maschine und besteht hauptsächlich aus einem mit Drahtsieb überzogenen, horizontal
liegenden und sich um seine Achse drehenden Cylinder, welcher somit die Form walze
darstellt.
Ausser den genannten Wasserdämpfen beim Trocknen machen sich bei der Fabri-
cation des Papierblattes keine sanitären Gesichtspuncte geltend, nur ist bei dem beständig
nassen Boden das Auflegen von Holzgittern erforderlich.
Pappe oder Pappendeckel. Die geschöpfte oder geformte Pappe wird wie
das Büttenpapier, aber aus geringern Materialien, unter Zusatz von Thon oder Kreide
dargestellt. Die beste Sorte stellt die Glanzpappe dar, welche in der Bütte geleimt
wird; sie liefert die sogenannten Press späne, welche bei der Tuchfabrication und in
den Buchdruckereien zum Pressen und Glätten benutzt werden.
Zur Fabrication der Steinpappe benutzt man Ganzzeug, Leimlösung, gepul-
vertes Cement, Thon, Kreide oder Barytweiss.
Eine besondere Papiermasse ist das Papiermache; man bereitet hierzu aus
altem Papier durch Kochen mit Wasser und unter Zusatz von Sand, Thon, Kreide oder
Schwerspath einen Teig, den man auspresst, mit einem Klebemittel versetzt und in geölte
Die Papierindustrie. 539
Formen drückt; die dargestellten Gegenstände werden nach dem Trockneu broncirt,
bemalt oder lackirt, wobei die bei diesen Manipulationen erforderlichen Vorsichts-
massregeln zu berücksichtigen sind (s. Bronciren und Lackiren).
Unter den besondern Arten von Papier ist das Cartonpapier, eine feinere
Sorte von Pappe, welche man zu Papparbeit (Cartonnage) gebraucht, hervorzuheben;
man versetzt das Ganzzeug im Holländer mit Thon, Gips, Kreide, Schwerspath u. s. w.
Aus diesem Papier wird auch das sogenannte Kreidepapier (Papier-porcelaine) für
Steinabdrücke, Spielkarten, Visiten- und Adresskarten u. s. w. angefertigt. Der Grund
dieser Papiere wird gewöhnlich durch Thon oder Blanc-fixe gebildet, wohingegen die
Lasur mit Zink- oder Bleiwe iss unter Zusatz der geeigneten Klebemittel mittels einer
Bürste aufgetragen wird. Die Glätte erhält das Papier dadurch, dass man es mit einer
polirten Kupfer- oder Stahlplatte durch 2 "Walzen gehen lässt.
Wegen des Metallgehaltes dieser Papiere hat man darauf zu achten, dass kleine
Kinder sie nicht in den Mund nehmen und daran kauen, wodurch manche Krank-
heitszustände veranlasst werden können. Noch gefährlicher ist in dieser Beziehung das
sogenannte Krystallmoire-Papier, welches eine dicke Lage von krystallisirtem
Bleizucker enthält, die sehr leicht abspringt: dasselbe wird auch für Visitenkarten be-
nutzt, seine Darstellung sollte aber polizeilich verboten werden.
Das Pergamentpapier oder vegetabilisches Pergament hat in neuerer
Zeit immer grössere Verbreitung gefunden, nachdem der Engländer Gainr>s die Ein-
wirkung von Schwefelsäure (auch von Chlorzink) auf die Cellulose zuerst technisch ver-
werthet hat.4)
Das Glaspapier vertritt die Fischhaut und den Schachtelhalm beim Schleifen.
Man bestreicht Papier mit heissem Leimwasser, siebt das sehr fein geriebene Glaspulver
darauf, behandelt es mit einer hölzernen "Walze, trocknet und versieht es schliesslich noch
mit einem Anstrich von Leimwasser.
Geschieht diese Arbeit aus freier Hand, so entsteht dadurch in Folge des ein-
geathmeten Glaspulvers häufig eine hartnäckige Angina faucium oder tonsillaris, welche
nicht selten auch noch längere Zeit nach eingestellter Arbeit fortdauert. Uns sind Fälle
von bedeutender Intensität und Hartnäckigkeit bekannt geworden; zur Vermeidung
dieser nachtheiligen Folgen muss das Reiben uud Sieben des Glaspulvers stets in ge-
schlossenen Trommeln vorgenommen werden.
Zu den medicinischen Papieren gehören das Phenylpapier, das Senfpapier,
das Harzpapier u. s. w.5)
In Betreff der Papier wasche, bei welcher das Papierzeug mit einem feinen
Ueberzuge von Leinen- oder Baumwollzeug versehen wird, ist nur zu bemerken, dass
früher die Papierkragen mit Bleiweiss geglättet wurden, ein Verfahren, das natürlich
ganz zu verwerfen ist: gegenwärtig gebraucht man mehr Schwerspath hierzu.6)
Das Färben des Papiers. Das Färben des Papiers geschieht auf mecha-
nische und chemische "Weise. Beim mechanischen Färben vermischt man
schon das Ganzzeug bei der Papierfabrication mit den betreffenden Farben; solche
Papiere nennt man auch im Zeug gefärbte Papiere. Die geringern Sorten
der auf diese Weise gefärbten Papiere benutzt man zum Einpacken des Zuckers,
der Nähnadeln, vieler Genussmittel, z. B. des Cichorienkaffee's , der Kaffeesurro-
gate, des Schnupftabaks u. s.w. Zu den feinern Sorten gehören die gefärbten
Postpapier-Briefbogen.
Was die verschiedenen Farben betrifft, so gebraucht man für Blau
Smalte, Ultramarin, Berlinerblau, Bremergrün oder Bremerblau, Indigo-
carmin u. s. w., für Gelb fertiges Chromgelb oder essigsaures Bleioxyd mit
Kaliumbichromat, gelben Ocker, gelbes Ultramarin; für Grün Schweinfurter-,
Neuwieder-, Papageigrün, Berlinerblau mit Chromgelb; für Braun rohe und
gebrannte Umbra; für Roth natürlichen rothen oder gebrannten gelben Ocker,
in Ammoniak gelöste Fernambuk- und Krapplacke, seltner wegen ihrer Schwere
Mennige oder Zinnober; für Schwarz Kienruss, Rebenschwarz, Beinschwarz; für
Violett Blauholzextract. In neuerer Zeit hat man auch die verschiedenen Anilin-
farben in Lösung dem Ganzzeug zugesetzt.
Es leuchtet ein, dass in sanitätspohzeilicker Beziehung bei dieser Fabrication
die Abflusswässer alle Aufmerksamkeit verdienen, wenn giftige Metalloxyde dabei
540 Die Pflanzenfaser.
zur Anwendung kommen; sie dürfen dann nie frei abfliessen, sondern müssen
entweder wieder für die Papierfabrication oder anderweitig verwerthet werden. Können
sie wegen Verunreinigung nicht weiter benutzt werden , so muss man wenigstens die
betreffenden Metalloxyde entfernen, ehe man die Wässer abfliessen lässt; in den meisten
Fällen wird Kalkmilch hierzu ausreichen.
Ueberhaupt bilden die Abflusswässer bei der Papierfabrication den wichtigsten
Gegenstand der sanitätspolizeilichen Ueberwachung, wenn es sich um die Einleitung
derselben in Bäche und kleine Flüsse handelt.
Feinere Papiersorten färbt man durchgehends auf chemische Weise.
Man gebraucht dazu 1) eine Lösung von sogenannten Saftfarben, welche mehr
oder weniger in Wasser löslich, aber nicht decken, sondern durchscheinend (lasirend)
sind, weshalb sie auch Lasurfarben heissen. Man wählt hierzu dünnes Papier
und zieht dasselbe durch die Farbenbrühe; man lässt dann abtropfen und hängt
zum Trocknen auf. Für Rosaroth, namentlich für die Darstellung der künstlichen
Rosenblätter, gebraucht man reines Safflor'roth, für Blau und Violett eine Indigo-
lösung, Orseille, Lackmustinctur, obgleich blaues und violettes Blumenpapier selten
als durchscheinendes Papier angewendet wird. Für Grün ist eine Indigosolution
mit Pikrinsäure oder auch Safranabkochung, namentlich für die Darstellung
künstlicher Blumenblätter, sehr gebräuchlich.
2) Man mischt anorganische Farben, sogenannte Deckfarben oder Körper-
farben, mit einer klebrigen Flüssigkeit zusammen und streicht das Papier mit diesem
Gemisch an; das Papier muss geleimt sein.
Zur Darstellung einfarbiger Papiere reibt man die Farben mit Leimwasser
bis zur Syrupsdicke zusammen; für Weiss wählt man Bleiweiss, Schwerspath,
seltner Zink weiss, weil dasselbe einen gelblichen Ton annimmt; für Gelb oder
Orange neutrales oder basisches Chromblei und Pikrinsäure; für Roth Mennige,
Chromzinnober oder A ntimonzinnober; für Rosa und Purpur Krapp- und
Fernambuklack; für Grün leider noch immer vorzugsweise Seh wein fürt er grün;
für Blau Berlinerblau; für Bronco gemengte Lacke aus Blau-, Roth- oder
Gelbholz; für Schwarz und Grau Frankfurter Schwarz, Kienruss u. s. w.
Den feinsten Ultramarin und Carmin benutzt man für feine Papiere, welche
meist matt in den Handel kommen und grade hierdurch einen besondern Werth erhalten;
solche Farben werden mit möglichst wenig Leim aufgetragen.
Zur Darstellung der geflammten Papiere wird die aufgetragene Farbe im
feuchten Zustande mit einer mit Leder überzogenen Walze derart überfahren, dass die
Farbe an einzelnen Stellen zusammengeschoben und an andern weggewischt wird. Auch
die Bildung des marmorirten Papiers hängt mit der Art des Auftragens der Farbe
zusammen.
Die Ultramarin- und Carminpapiere werden, wenn sie für die Blumen -
fabrication benutzt werden, auf beiden Seiten angestrichen; da diese Papiere
matt bleiben, so werden sie nach dem Trocknen vielfach gebürstet und, da die Farbe
mit wenig Leim versetzt wird, nur gelinde gepresst. Bei dem Bürsten ist auf die
Natur der benutzten Farben sehr zu achten; es können besonders bei diesen Mani-
pulationen Gesundheitsschädigungen der Arbeiter vorkommen, sie sind daher ganz be-
sonders zu überwachen.
Um den Papieren einen matten Glanz zu verleihen, werden sie zwischen glatten
Zinkblechen geschichtet und zwischen zwei stark beschwerte eiserne Walzen geführt.
Um eigentliche Glanzpapiere zu erhalten, werden sie mit Glättstein behandelt,
was gewöhnlich mit der Hand geschieht, ein gut polirter Achat ist dabei an einer
elastischen Stange befestigt.
Die sogenannten Kattun papiere werden wie beim Kattundruck mit Handformen
dargestellt; für feinere Papiere gebraucht man den Steindruck zu Verzierungen mit
Broncepulvcr, Blattsilber oder Blattgold.
Um gepresste Papiere zu erhalten, lässt man gut geglättetes einfarbiges
Papier zwischen einer stark vertieften gravirten Messingwalze und einem beweglichen
Lager aus einer Bleilegirung durchgehen.
Der Gebrauch der bunten Papiere bedarf insofern einer sanitätspolizeilichen
Ueberwachung, als sie häufig zur Verpackung von Genussmitteln benutzt werden; sind
zu ihrer Darstellung giftige Metalloxyde angewendet worden, so können Fälle
eintreten, in denen sich ihre schädliche Wirkung kundgibt. Nur wenige Staaten haben
Verbote wegen des Gebrauchs solcher mit giftigen Metalloxyden gefärbten Papiere er-
lassen. Mit Recht warnt das Würtemberger Ministerium unterm 26. April 1863 vor
dem Gebrauch des Cichorienkaffees, welcher in mit giftiger orangegelber (Bleichromat),
rother (Mennige) oder grüner (Arsen) Farbe gefärbtem Ümschlagpapier verpackt ist, da
bei der hygroskopischen Beschaffenheit dieses Kaffee's giftige Farbstoffe des Umschlage-
Die Tapetenfabrication. 541
papiers aufgelöst werden und in den Kaffee übergehen können: nicht selten wird auch
bei ärmern Leuten die Verpackung selbst mit gekocht, um jeden Verlust zu vermeiden.
Mit demselben Hechte und aus gleichem Grunde hat das Baierische Mini-
sterium in mehreren Erlassen (14. December 1858, 18. März und 30. November 1859)
die Anwendung von mit giftigen Farbstoffen gefärbten papiernen Hüllen der Kaffee-
Surrogate von Seiten der Fabricanten wie im Handverkauf verboten.
Bei den Kaffee-Surrogaten kommt es häufig vor, dass durch das Anziehen
der atmosphärischen Feuchtigkeit die Verpackung feucht und sogar nass wird, wodurch
namentlich die Mennige bei Lichtein flu ss oxydirend auf die organische Substanz ein-
wirken, indem auf der eioen Seite Bleioxyd gebildet wird und auf der andern Seite
organische Säuren entstehen, welche mit dem Bleioxyd mehr oder weniger in Wasser
lösliche Salze bilden.
Beim Verpacken von Schnupftabak in solchen bunten Papieren tritt diese
Einwirkung noch schleuniger hervor und ist mehr in die Augen springend.
Noch gewissenloser verfahren die Conditoren mit der Verwendung der schäd-
lichen bunten Papiere, indem sie Kuchen und Torten nicht selten mit künstlichen
Blumen verzieren, deren Stengelblätter aus grünem, arsenhaltigem Papier dargestellt
sind: ebenso werden die Enveloppes für Knallbonbons und Caramellen sehr häufig;
aus arsenhaltigem, grünem Papier verfertigt, während das orangefarbige und gelbe
Papier nebst den verschiedenen Nuancen häufig Bleioxyd, Zinkoxyd und Chrom-
säure enthält.
Ein solcher Gebrauch dieser Papiere ist deshalb bedenklieh, weil Kinder häufig
sich nicht bloss mit dem Inhalte dieser Umhüllungen begnügen, sondern gewöhnlich
auch die Umhüllung selbst in den Mund nehmen und daran saugen.
Bunte Papiere werden gegenwärtig massenhaft zur Darstellung von Gardinen,
Vorhängen u s w. verwendet; sind die Farben gehörig befestigt und nicht giftiger Natur,
so ist ihr Gebrauch unbedenklich.
Die Tapetenfabrication
Die Tapetenfabrication besteht in der Anfertigung bedruckter Papiere,
welche in Stücken (Rollen) dargestellt werden; mau kann dazu nur Maschinen-
papier gebrauchen, dessen Qualität sich nach dem Werthe der darzustellenden
Tapeten richtet, Die Anwendung des Papiers zu Tapeten sollen die Engländer
in China und Japan kennen gelernt haben. Manchester ist gegenwärtig noch
der Hauptsitz der Tapetenfabrication, obgleich auch Frankreich sehr zu ihrer
Hebung beigetragen hat; Leroy benutzte bereits 1843 eine Druckmaschine
mit gravirten Walzen. Die Hauptarbeiten bestehen dabei im Grundiren und
Aufdrucken der Farbenmuster.
Grundiren. Da die Farbe des Papiers meist grau ist, so kann sie fast
nie als Grundfarbe benutzt werden; man grundirt daher zuerst, d. h. man gibt
dem Papier eine andere Grundfarbe, indem man das Papier auf einem laugen
Tisch ausbreitet und die Farbe mit breiten Bürsten aufträgt,
Um eine gleichmässige Fläche zu erhalten, sind dabei gewöhnlich mehrere Arbeiter
beschäftigt. Die bessern Tapeten erhalten vorher einen Anstrich von lauwarmem Leim-
wasser, werden dann auf Stangen getrocknet und zwischen Glättwalzen gestreckt. Um
den Tapeten einen glänzenden Grund zu geben, setzt man der Grundfarbe
Satinirfarbe, d. h. Lenzin, Kalkthonerde oder auch fein niedergeschlagenen Gips zu;
nach dem Trocknen werden die Tapeten in die Satinirmaschine gebracht, bei
der statt der Walze eine flache Bürste mit kurzen, steifen Borsten aufgestreutes
Talkpulver verreibt, durch welches das Papier gleichsam gewichst wird.
Die Arbeiter sind dabei gewöhnlich von Kopf bis zu Fuss von weissem Staube
bedeckt: derselbe kann nur dann schädlich einwirken, wenn die Grundfarbe aus
giftigen Metalloxyden besteht, da sich bei dieser Procedur stets Partikelchen abreiben,
welche sich mit dem weissen Staub vereinigen und durch Ablagerung auf den verschie-
denen Schleimhäuten nach dem Grade ihrer Giftigkeit einwirken.
Schon von diesem Gesichtspuncte aus sind bei der Tapetenfabrication alle giftigen
Metalloxyde zu vermeiden, da jedenfalls die Arbeiter zunächst deren schädlichen Einfluss
erfahren müssen.
In grössern Fabriken vereinigt man die Satinirmaschine mit einer Grundir-
maschine, wobei das Papier mit einer Bürstenwalze, welche sich in einem Farbtroge
bewegt, angestrichen und dann auf Walzen getrocknet wird.
542 Die Pflanzenfaser.
Satinirte Tapeten nennt man auch Glanztapeten im Gegensatz zu den
billigern oder matten Tapeten.
Das Drucken. Das Drucken geschieht jetzt fast allgemein wie bei der
Kattundruckerei mittels der Walzendruckmaschine, obgleich bei den feinern
Tapeten, namentlich beim Gold- und Silberdruck sowie bei den veloutirten Tapeten,
der Handdruck uicht entbehrt werden kann.
Das Drucken involvirt an und für sich keine Schädlichkeit und erfordert nur
beim Gebrauch der giftigen Metalloxyde die nothwendige Vorsicht. In grössern Tapeten-
fabriken werden auch die Farben bereitet: da alle Farben eine gehörige Deckkraft be-
sitzen müssen, so erhalten alle flüssigen Farben einen Zusatz, welcher sie undurch-
scheinend (deckend) macht; meist wendet man Abkochungen von Farbhölzern an,
welchen man im siedenden Zustande Alaun zusetzt, um den Farbstoff zu binden und
zu fällen.
Die Saft- oder Lackfarben werden noch mit Lenzin oder Weizenstärke ver-
setzt, um ihnen mehr ..Körper" zu geben; die zugesetzten Leimlösungen dienen nur als
Bindemittel, um die Farben beim Trocknen festzuhalten und ihr Abstauben so viel als
möglich zu verhüten. Die natürlichen Erdfarben werden geschlämmt und mit heissem
Leimwasser angemacht.
Die chemischen Fabriken liefern die Farben häufig im breiartigen, nassen
Zustande (en päte), um ihre grössere Zertheilung zu ermöglichen. Schädlich resp.
möglichst zu vermeiden sind für Grün die arsenikalischen Kupfersalze, für Gelb und
Orange Schwefelarsen (Realgar, Operment), Mennige, neutrales chromsaures Bleioxyd,
chromsaures Zinkoxyd; für Blau Kupferoxydhydrat und die basischen Kupfersalze, für
Roth arsenige Säure mit Farbstoffen, wie Kugellack, Florentinerlack u. s. w. •
Als weniger schädliche Farben lassen sich in der Tapetendruckerei ganz gut fol-
gende verwenden: für Grün Pikrinsäure mit Indigocarmin, phosphorsaures Chromoxyd,
Kobaltoxyd, Zinkoxyd: für Orange Schwefelantimon, für Gelb chromsaures Barium,
und für Roth der ganz unschädliche Fernambuk, Krapp und das arsenfreie Anilinroth.
Besondere Arten von Tapeten, l) Veloutirte Tapeten (Wolltapeten, Sammet-
tapeten). Man gebraucht dazu die Scherwolle der Tuchfabriken, welche einen
besondern Handelsartikel ausmacht. Viele Fabricanten färben die weisse Scherwolle
nach gründlicher Reinigung und Bleichung selbst; sie wird dann getrocknet und in einer
Art von grosser Kaffeemühle fein gemahlen: durch feine Siebe sortirt man das Pulver
nach der verschiedenen Feinheit. In Frankreich wird die Veloutirwolle in besondern
Fabriken bereitet und an die Tapetenfabricanten verkauft.
Das Veloutiren mit präparirter Baumwolle und Federfasern verdient alle
Beachtung, da der hierbei entstehende Staub wegen seiner scharfen und spitzigen Fasern
auf die Arbeiter schädüch einwirkt, indem sich die Federfäserchen fast gar nicht zu Boden
senken, sondern bei der geringsten Veranlassung aufwirbeln. Handelt es sich um
gefärbte Scherwolle, so ist auch die benutzte Farbe zu beachten, da erfahrungs-
gemäss auch auf diese Weise sehr differente Farbstoffe auf die Tapeten gelangen
können (s. Scherwolle).
Behufs Application derVeloutirwolle durchlaufen die mit einem Klebfirniss bedruckten
Tapeten einen geschlossenen Kasten, dessen Boden und Decken mit Pergament oder
feinem Leder trommelartig überzogen sind. Die in dem Kasten befindliche "V eloutirwolle
wird durch Schlagen des Bodens und Deckels mit elastischen Stäbchen durch die
Vibration und Luftbewegung im Kasten suspendirt erhalten; sobald nun die bedruckten
Stellen der Tapete mit diesem feinen Staub in Berührung kommen, klebt letzterer fest
an. Wird diese Procedur mit einiger Aufmerksamkeit ausgeführt, so kann sie den
Arbeitern keinen Nachtheil bereiten: nur in einigen Fabriken wird später die nicht fest
haftende Wolle durch Ausklopfen der Tapeten im Fabrikraume entfernt und hierdurch
eine belästigende Staubatmosphäre erzeugt. Ist diese Manipulation nothwendig, so muss
sie in einem besondern Räume unter zweckmässiger Ventilation vorgenommen werden.
Ganz verboten sollte folgendes Verfahren sein, welches vor noch nicht langer Zeit
nicht selten ausgeführt wurde. Um nämlich die Veloutirwolle brillant grün zu färben,
imprägnirte man sie zuerst mit einem Klebmittel und schüttelte sie dann in Trommeln
mit Schweiufurter Grün; durch ein nachfolgendes Sieben wurde dann die nicht
haftende Farbe von der gefärbten Wolle getrennt. Es ist sehr einleuchtend, dass der
Staub, welcher hier nothwendig entstehen musste, auf die Arbeiter den verderblichsten
Einfluss ausübte, besonders auch deshalb, weil das Sieben gewöhnlich ohne jede Beach-
tung der nothwendigen Vorsichtsmassregeln geschah.
Vergoldete und versilberte Tapeten. Das Vergolden und Versilbern
geschieht auf eine ähnliche Weise wie das Veloutiren, nur dass die verschiedenen Metall-
Die Baumwollindustrie. 543
pulver statt der Veloutirwolle hier zur Anwendung kommen. Geschieht diese Procedur,
wie oben angegeben worden ist, in geschlossenen Kasten, so ist kein Nachtheil davon
für die Arbeiter zu fürchten , widrigenfalls die aufzupudernden Substanzen nach ihrer
verschiedenen Qualität schädlich einwirken.
Beim eigentlichen Vergolden und Versilbern druckt man auch mit steifem Oel-
firniss, legt die betreffenden Gold- oder Silberblättchen auf, trocknet und beseitigt das
überflüssige Gold oder Silber mittels eines Pinsels oder einer Bürste, wobei ein gefähr-
licher Staub entsteht.
3) Gefirnisste Tapeten erhalten einen einfachen Ueberzug mit einem in
ätherischem Oele gelösten Harze. —
Die Baumwollindustrie.
Die Baumwoll-Manufactur ist am grossartigsten in England vertreten;
im Jahre 1861 beschäftigte England schon weit über 600,000 Menschen in
dieser Industrie. Ihm nahe steht Frankreich, welches jedoch jetzt den Haupt-
sitz dieser Manufactur (Elsass) verloren hat.
Baumwolle ist ein faseriger Stoff, welcher in den Samenkapseln mehrerer
zu den Gossypium-Arten gehörender Baumwollpflanzen die Samen einhüllt.
Schon beim Herausnehmen der Baumwolle aus den Samenkapseln sortirt
man sie nach den unreifen, reifen und überreifen Stücken. Die Absonderung
der Samen, das Egreniren, geschieht durch Walzmaschinen, welche nur Baum-
wolle durchlassen und den Samen zurückwerfen; um sie in eine handliche Form
zum Versenden zu bringen, wird sie mittels hydraulischer oder Schraubenpressen
stark zusammengedrückt; die Ballen versieht man mit eisernen Reifen.1)
Die Baumwollspinnerei umfasst folgende Operationen, mit denen stets
mehr oder weniger Staubbildung verbunden ist:
1) Die Reinigung und Auflockerung der rohen Baumwolle, um
alle Unreinigkeiten, Sand, Erde, kurze Baumwollfäserchen u. s. w. aus ihr zu
entfernen und die Fasern von einander zu lösen.
Früher geschah dies durch Schlagen mit Stäbchen aus freier Hand, was gegen-
wärtig höchstens nur noch bei den feinsten Sorten geschieht; in Ostindien bedient man
sich bisweilen des Fachbogens (s. Hutmacherei). Allgemein ist der "Wolf ( Devil,
Teufel, Opener, Oeffner) eingeführt, der übrigens verschieden construirt ist. Die
Maschinen sind den Holländern ähnlich, da die Baumwolle durch die Bewegung von
mit stählernen Stiften oder Zähnen besetzten Trommeln ausein andergezo^en und auf-
gelockert wird, wodurch alle Unreinigkeiten herausgeschleudert werden.
Wenn man das Dämpfen der Baumwolle mit dem Wolfen verbindet, so leitet
man einen Dampfstrahl zwischen die Trommel und ihren Mantel, oder die Baumwolle
wird vom Wolf ab auf ein Tuch ohne Ende geworfen und sammt letzterm durch einen
Dampfkasten geleitet.
Wo die Fabrication das Dämpfen zulässt, ist es jedenfalls der beste Schutz
gegen die schädliche Einwirkung des feinen Faserstaubes; leider ist dies Mittel aber
nicht überall ausführbar, da bei dieser Operation mehr Unreinigkeiten in der Baum-
wolle verbleiben.
Da das Wolfen nachtheilig auf die Respirationswege wirkt, so müssen in jeder
Fabrik die nothwennigen Präventivmassregeln getroffen werden. So ist es erforderlich,
dass man an der Stelle des Wolfs, wo die Baumwolle hervortritt, einen schlauchförmigen
Canal, einen sogen. Elevator, anbringt, in welchem die Baumwolle von einem Tuche
ohne Ende aufgenommen und elevirt wird. Der Schlauch steigt aufwärts und mündet
in eine grosse Kammer, aus welcher an einer dieser Einmündung entgegengesetzten
Stelle ein engerer Schlauch zur Maschine zurückführt, wo der betreffende Arbeiter die
Baumwolle in Empfang nimmt. Indem nun der Luftzug, der durch die schnelle Drehung
der Trommel entsteht und nöthigenfalls durch einen Ventilator unterstützt wird, über
die Oberfläche der Baumwolle streicht, reisst er die zarten Fäserchen und den Staub
derselben mit sich fort, lässt aber die Unreinigkeiten als den schwerern Theil in die
Kammer, wo der Luftstrom wegen des grössern Raums abnimmt, fallen; hier muss man
den Baumwollstaub von Zeit zu Zeit wegnehmen, um ihn noch anderweitig zu ver-
werthen.
544 Die Pflanzenfaser.
Der oben erwähnte Elevator kann auch aus einem Elevationsrohr bestehen,
welches aus Drahtsieben verfertigt ist und in einem weiten hölzernen Canal liegt, der
hermetisch verschlossen ist und mit einem wirksamen Exhaustor in Verbindung steht.
Die. Baumwolle, welche den "Wolf passirt hat, gelangt in das Innere des Elevations-
rohrs, wird dort durch den sich aufwärts bewegenden Luftstrom fortgeschoben, wo die
feinen zerrissenen Fasern und TJnreinigkeiten durch die Siebwandungen fallen und hier
ebenfalls durch den Luftstrom langsam aufwärts getrieben werden, um in mehreren
hintereinander angebrachten Kasten (Säcken), welche mit dem äussern Canale in Ver-
bindung stehen, abgelagert zu werden. Die geläuterte Baumwolle gelangt schliesslich
in einen grossen Gangkasten: die abfallenden Baumwollfasern werden zur Papier-
fabrication benutzt.
Der Wolf eignet sich besonders für grobe und sehr unreine Baumwolle; es
ersetzt ihn vielfach die Flock- oder Schlagmaschine (Batteur), deren wesent-
liche Einrichtung in zwei an einer horizontalen Achse befestigten und mit ihr sich
sehr schnell umdrehenden, eisernen, rahmenartigen Flügeln (Schläger) besteht; diese
befinden sich in einem geschlossenen Kasten und reissen die Fasern der Baumwolle
durch den Schlag und den durch die Bewegung erzeugten Luftstrom auseinander. Der
Staub fällt entweder durch einen unter den Schlägern angebrachten Rost (Rechen)
oder wird mittels eines Ventilators, welcher die Luftströmung vermehrt, fortgerissen
und in einen abgeschlossenen Raum weitergeführt.
Man unterscheidet zwei Arten von Schlagmaschinen; die Putzmaschine
befreit die aus dem Wolf kommende Baumwolle von ihren gröbsten TJnreinigkeiten,
während die Wattir-, Wickel- oder Aufbreitmaschine, welche nur einen Schläger
bat, die so vorbereitete Baumwolle schon zu einer zusammenhängenden Fläche (Watte,
Fell, Pelz) für die Kratzmaschine bearbeitet.
2) Das Krempeln oder Kratzen bereitet die Baumwollfasern zum Spinnen
vor und bringt sie in parallele Lagen.2)
Die Krempeln der Kratz- oder Streichmaschinen bestehen aus sehr vielen
Kupferdrahtspitzen, welche eine eigenthümliche Biegung haben und in dickem Leder
befestigt sind.
Man unterscheidet Vorkrempeln, Vorkratzen, Grobkanten und Fein-
kratzen. Die Vorkratze bearbeitet die Baumwolle zu einer WTatte oder einem
Band und besteht aus einer Trommel, auf deren Mantelfläche die Krempeln oder Kratzen-
blätter aufgenagelt sind; gleichzeitig wird das entstandene schleierartige Vliess
auf einer hölzernen Walze aufgewunden.
Bei der Feinkratze besteht der Kratzen beschlag aus feinern und näher
zusammenstehenden Drahthäkcheu ; das auf derselben erzeugte Vliess wird entweder
wieder als Watte aufgewunden oder man lässt es durch einen Blechtrichter gehen, damit
es als ein schmäleres Band zusammengefasst wird.
Auch beim Kratzen fällt noch immer Wollstaub ab, welcher theils aus den
ursprünglich vorhanden gewesenen feinen Fäserchen besteht, theils aber auch beim
Kratzen selbst durch das Zerreissen der längern Haare entsteht. Man unterscheidet
noch Trommelabfall (Trommelwolle) und Deckelabfall (Deckel wolle), welcher an den
Kratzen hängen bleibt, sowie den Baumwollstaub auf dem Boden unter der Maschine;
man vermischt diese Abfälle mit anderer Baumwolle und verspinnt sie zu grobem Garn.
3) Das Strecken bezweckt eine grössere Gleichförmigkeit der Bänder und
eine gleichmässigere Lagerung der einzelnen Fasern.
Die hierzu nothwendige Streckmaschine besteht aus Riffclwalzen, über welche
entsprechende glatte Walzen laufen; der hierbei entstehende Abfall ist gering.
4) Das Vorspinnen erzielt eine allmählige Ausdehnung und Verfeinerung
des Bandes.
Je nachdem man eine bleibende oder eine nur vorübergehende Drehung
macht, gebraucht man auch verschiedene Maschinen. Für feine und sehr feine
Garne zerfällt das Vorspinnen in drei, vier und fünf verschiedene Operationen, wobei
die in Gebrauch kommenden Spindelbänke Vorflyer, Grobflyer, Feinflyer, Doppel-
feinflyer heissen, die eine bleibende Drehung bewirkeu, während die Röhren- und
Eklipsmaschinen eine vorübergehende Drehung erzeugen.
5) Das Feinspinnen. Durch dieses wird das Feingespinnst (Garn,
Twist) erzeugt, indem das Vorgespinnst wiederum mittels Streckwalzen möglichst
fein ausgezogen und möglichst stark gedreht wird.
Baumwollindustrie. 545
Man kann die Maschinenspinnerei nicht erwähnen, ohne dabei des Erfinders der
Spinnmaschine, des Engländers Arkwright, als eines grossen Wohlthäters der Menschheit
zu gedenken.
Um einen Einblick in den Mechanismus der Spinnmaschine zu erhalten, muss
man sich den Hergang beim Spinnen mit der Hand vergegenwärtigen; wie bei der
Seilerei ein abwechselndes Drehen und Aufwinden (Spindel und Handrad)
und beim Spinnen ein gleichzeitiges Drehen und Aufwinden stattfindet, so
stimmt unter den Spinnmaschinen die Mulemaschine mit der Seilerei die ältere
Water- oder Drosselspinnmaschine mit dem Spinnen auf dem Spinnrad überein.
Diese beiden Spinnmaschinen sind aus der Jenny- und Cylinderm aschine
hervorgegangen, so dass man gegenwärtig 4 Hauptspinnmaschinen unterscheidet:
1) Die_ Jennymaschine, nach der Tochter ihres Erfinders Härgraves (1763)
benannt, arbeitet mit abwechselnder Erzeugung und Aufwicklung des Fadens; das
Ausziehen, Drehen und Aufwickeln des Fadens geschieht durch das Aus- und Einfahren
des Spindelwagens, der für dieses System charakteristisch ist. Diese Maschine
wird nur noch einzeln zum Spinnen der gekrempelten Schafwolle, in der Baumwoll-
spinnerei fast gar nicht mehr gebraucht.
2) Die Cylindermaschine unterscheidet sich von der Jennymaschine dadurch,
dass die Presse oder Klemme, durch welche der Faden zeitweilig festgehalten wird,
wegfällt, da die Walzen selbst bei ihrem Stillstehen die auszustreckenden Bänder hin-
reichend festhalten; sie wird ausschliesslich für gekrempelte Schafwolle, für die Fabri-
cation von Streichgarn benutzt.
3) Die Watermaschine hat ihren Namen dadurch erhalten, dass sie um das
•Jahr 1769 die erste durch Wasserkraft betriebene Maschine darstellte; sie dient zur
Darstellung von stärker gedrehten Garnen (Watertwist), von Kettengarnen aus Kamm-
wolle, von Nähgarn und allen Gespinnsten aus Flachs, Hanf oder Werg. Diese Maschine
ist von viel einfacherer Construction, da der Mechanismus der besondern Spul-
bewegung, d.h. der Spindel wagen, wegfällt; sie bearbeitet nur Vorgespinnst
und wird auch bei derWoll-, Flachs- und Seidenspinnerei benutzt.
4) Die Mulemaschine, auch Mulejenny genannt, ist nach dem Worte Mule
(Maulesel, Bastard) benannt worden, weil sie als ein Bastard zu betrachten ist, da bei
ihr das Streckwalzwerk von der Watermaschine und der Spindelwagen von der
Jennymaschine entlehnt wurde.
Wird der Spindelwagen vom Spinner in Bewegung gesetzt, so heisst die Maschine
Handmule; benutzt man dazu Wasser- oder Dampfkraft, so heisst sie Selfactor
(Selfacting mule, Selbstspinner). Der Selfactor ist gegenwärtig in den meisten
grössern Fabriken eingeführt. Da diese Maschine vorzugsweise für die Bearbeitung
feiner und leicht gedrehter Garne benutzt wird, so wird derselben nur Vor-
gespinnst, was entweder ungedreht oder schwach gedreht ist, überliefert.
Unter Muletwist versteht man ein lockeres, wenig gedrehtes Garn, während
Watertwist als ein stärker gedrehtes Garn hauptsächlich als Kettengarn be-
nutzt wird.
Die Abgänge beim Vor- und Feinspinnen. Sie stellen Stücke von abge-
rissenen Fäden dar; die harten Fäden, die vom Feinspinnen herrühren, ballt man
in Klümpchen zusammen und gebraucht sie statt Lappen zum Putzen der Maschinen
oder auch bei der Papierfabrication; man darf sie wegen der Gefahr einer Selbst-
entzündung im Fabriklocal nicht in grosser Menge aufstapeln. Die weichen Fäden
beim Vorspinnen benutzt man zur Wattendarstellung.
Haspeln, Sortiren und Verpacken der Garne sind rein mechanischer
Natur. Die Garn-Appretur besteht im Dämpfen, Abstreifen der Knötchen
und im Sengen mittels einer Gasflamme. Der Sengapparat ist mit einem Ventilator
versehen, welcher namentlich durch den Luftstrom die Direction der Flamme bewirkt
und daher für den Fabricanten unentbehrlich ist, glücklicherweise aber auch den Abzug
der Verbrennungsgase bewirkt; einen Luftstrom durch das Oeffnen der Thüren und
Fenster zu etabliren, ist nicht statthaft, weil die Flamme dabei zitternd und flatternd
und deshalb die Sicherheit der Operation gefährdet wird. Es ist nicht abzuleugnen,
dass in manchen Fällen die entwickelten gasförmigen Producte in qualitative* Beziehung
schädlich einwirken können; jedoch ist zu bedenken, dass sie wegen ihrer grossen Ver-
dünnung um so weniger zu begründeten Befürchtungen Veranlassung geben können, als
mittels des Ventilators für ihre Wegführung gesorgt wird.
Das Stärken der Garne geschieht durch Tränken in gekochter Stärke und
das Lustriren besteht im Auftragen von Traganthschleim, Quittenkern schleim u. s.w.
mit der Bürste.
Gezwirntes Baumwollgarn; dasselbe wird zum Nähen, Stricken und
Sticken benutzt. Behufs Zwirnens werden 2, 3 bis 8 einfache Spinnfäden in entgegen-
Eulenberg, Gewerbe-Hygiene. 35
5-JG Die Pflanzenfaser.
gesetzter Richtung wie beim Spinnen zusammengedreht; früher gebrauchte man
besondere Zwirnmühlen dazu, gegenwärtig geschieht das Zwirnen auf Water- und
Mulemaschinen, nur werden hier statt der Streckwalzen einfache Speisewalzen
eingesetzt.
Färben der Garne. Selten wird die Baumwolle als Zeug gefärbt; im Allge-
meinen bedarf dieselbe einer kräftigen Beize eind ist schwieriger acht zu färben als
Wolle (s. Beizen und Färberei).
Das Erschweren der baumwollenen Garne hat ein sanitätspolizeiliches Interesse;
bei dunkeln Farbennüancen gebraucht man dazu vielfältig Seh wefelquecksilber;
dieser Körper wird dadurch auf den Stoff niedergeschlagen, dass man denselben durch
eine Auflösung von salpetersaurem oder schwefelsaurem Quecksilberoxydul zieht und
dann ein Kochsalzbad passiren lässt, wodurch sich auf den Stoff Quecksilber-
chlor ür niederschlägt. Zuletzt zieht man den Stoff durch ein Schwefelleberbad.
Bei braunen Farben wendet man jedoch diese Methode nicht an, sondern man
wählt den Sublimat, lässt den ausgewrungenen Stoff ein Kalkmilchbad passiren und
bringt ihn zuletzt in eine Auflösung von Schwefelleber.
Noch billiger wird der Zweck des Erschwerens durch Bleisalze erreicht, weshalb
sie auch noch häufiger zur Anwendung kommen. Zu dem Ende giesst man Regen-
wasser auf krystallisirten Bleizucker, lügt Bleiglätte hinzu und lässt nach Umrühren
mehrere Tage stehen, worauf die klare Flüssigkeit, basisch essigsaures Blei, abgegossen
wird; in diese legt man das Garn mehrere Stunden lang hinein, wringt es hierauf sehr
gut aus und bringt es dann in eine kalte Schwefelleberlösung. In letzterer wird es
umgezogen, sehr gut ausgewrungen nnd dann gespült, worauf man die Operation
wiederholt. Den schwarzen Niederschlag, welcher sich allmählig in dem Geiäss mit
Schwefelleberlösung ansammelt, bewahrt man auf: er enthält im erstem Falle Schwefel-
quecksilber und im zweiten Schwefelblei; nach dem Auswaschen kann man ersteres iD
Königswasser und letzteres in starker Salpetersäure auflösen.
Beide Methoden sind in Banitätspolizeilicher Beziehung als höchst schädliche zu
bt zeichnen und zwar vorzugsweise deshalb, weil nicht die ganze Menge des Metall-
salzes in das entsprechende Schwefelmetall verwandelt wird, sondern sich nur eine Um-
hüllung der giftigen Substanz mit der entsprechenden Schwefelverbindung bildet.
Ausserdem findet keine Verbindung des Faserstoffs mit dem Quecksilber- resp. Bleisalze
statt, weshalb beim Reiben des Zeuges die Erschwerung staubförmig abfällt; der Stoff
wird also mit der schädlichen Substanz gleichsam nur übertüncht.
Beim Erschweren mit einem Quecksilbersalze besteht der Staub entweder aus
Calomel oder Quecksilberoxvd, das nur mit einer dünnen Haut von Schwefel-
quecksilber überzogen ist; beim Erschweren mit dem Bleisalz besteht er aus Bleisulfat,
welches ebenfalls nur mit einer sehr dünnen Schicht von Schwefelblei umgeben ist.
Bei hellen Farben gebraucht man Zinnoxyd resp. Pinksalz zum Erschweren, das
man in möglichst wenig kaltem "Wasser auflöst und zum Garn gibt; dies wird hierauf
ausgewrungen und in Ammoniakflüssigkeit gebracht. Nach dem Spülen wiederholt man
die Procedur, bis man die hinreichende Erschwerung erzielt hat; wegen der minder
giftigen Eigenschaft des Salzes ist diese Procedur weniger gefährlich.
Für dunkelblaue Garne benutzt man eine schwach angesäuerte Cha-
mäleonlösung, durch welche man das Garn so lange durchzieht, bis es mehr oder
weniger braun und zugleich schwerer geworden ist; dann färbt man es in der Küpe
blau aus.
Für dunkelbraune und schwarze Garne eignet sich insofern Chamäleon
am besten, als man mit der Erschwerung auch die Farbe erhält; überdies schliesst die
Verwendung von Chamäleon keine Gefahr in sich.
Das Weben. Die Vereinigung der Fäden zu Geweben, die Weberei, ist aus dem
Flechten mit der Hand hervorgegangen : allmählig bildete sich der einfache nnd com-
plicirte Handwebstuhl aus, bis in der neuesten Zeit der JaeguanTBche und Maschinen-
webstuhl einen hohen Grad von Vollkommenheit erreichte.
Bekanntlich unterscheidet man in jedem Gewebe die darin vorkommenden Fäden
in Kette und Einschlag (Schuss). Bei jedem Einschuss wird der oben und unten
liegende Theil der Kettenfäden in das Ober- und Unterfach unterschieden; je nach der
Reihenfolge, in welcher die Kettenfäden in diesen Fächern vertheilt sind, entstehen die
zahllosen Modifikationen der Gewebe.
Das Kettengarn wird gespült, geschert, aufgebäumt und entweder vor dem Auf-
bäumen oder auf dem Stuhl geschlichtet: man unterscheidet Hand- und Maschinen-
oder Kraftstühle. Der Kraftwebstuhl (Powerloom) ist seit 1822 in England in
der Baumwollindustrie im allgemeinen Gebrauch: die Haupt Verbesserung des-
selben geschah durch Horrocke in Stockport, später durch Sharp und Robert in
Manchester. Gegenwärtig wird er auch zum Weben vou Leinwand, Wolle und
Die Baumwollindustrie. 547
Seide verwendet und hat einen totalen Unischwung in der ganzen Weberei hervor-
gerufen.
Die geschlichtete Baumwolle kann zur Schimmelbildung und zur Ent-
wicklung von Propionsäure Veranlassung geben, wenn sie in einem warmen und
feuchten Räume aufgespeichert oder verarbeitet wird. Zum Schlichten gebraucht man
bekanntlich einen aus Mehl oder Stärke bereiteten Kleister, dem man bisweilen etwas
Leim und auch Talg oder Glycerin zusetzt. Beim Aufeinanderlegen solcher Garne
können durch die Zersetzung der Schlichte und Bildung von Pilzen schwarze und gelbe
Flecke auf dem Baumwollgarn entstehen; bleibt ein solches Gespinnst längere Zeit in
einem feuchten Räume aufeinander liegen, so „verstirbt" es, d. h. es fault:
Grade durch die Zersetzung der Schlichte bildet sich in den Arbeitsstuben der
Handweberei nicht selten eine sehr schlechte Luft aus; um die Fäulniss zu ver-
hüten, hat man den Zusatz von Carbolsäure empfohlen. Am besten ist die Glycerin-
schlichte aus Dextrin (8 Th.), 28grädigem Glycerin (12), schwefelsaurer Thonerde (1)
und Wasser (30); bei einer solchen Schlichte ist es den Webern gestattet, bei offnen
Fenstern und trockner Luft zu arbeiten.3)
Appretur der Baumwollzenge. Bei der Appretur der Baumwollzeuge wieder-
holen sich die meisten Operationen, welche schon bei der Appretur des Baumwoll-
garns (Twist) erörtert worden sind. Es ist zu erwähnen: 1) das Sengen mittels
einer Menge kleiner Gasflämmchen oder einer glühenden Metallplatte. Die letztere
Methode ist die altere und wird gegenwärtig hauptsächlich beim Baumwollsammet
noch gebraucht; man benutzt dazu eine halbkreisförmig gebogene Eisenplatte, welche
durch ein unmittelbar darunter brennendes Feuer zur dunklen Rothgluth erhitzt wird;
über derselben ist ein Schlot für den Abzug der unangenehm riechenden Verbrennungs-
producte angebracht. Das Zeug wird durch Rollen sehr schnell über den glühenden
Cylinder geführt.
2) Das Scheren geschah früher nur bei Wollgeweben, weil hier das Sengen
unzulässig ist. Bei der grossen Vervollkommnung der Scherm|aschine benutzt man
sie auch beim Kattun und bei der Leinwand ; bei Baumwollgeweben folgt das Scheren
gewöhnlich am Ende der Bleichoperationen und wird dann mit einem vorherigen Sengen
verbunden.
3) Das Rauhen geschieht beim Barchent; man gebraucht dazu Karden oder feine
Eisendrahtkratzen.
4) Das Aufbürsten nimmt man beim baumwollenen Sammet vor.
5) Das Entschlichten und Beuchen. Früher beseitigte man den zum
Schlichten benutzten Kleister durch Gährung und weichte zu diesem Zwecke die Stoffe
in Wasser von 40 — 60° C.; indem man sie der bald eintretenden Gährung überliess,
entwickelte sich dabei stets ein sehr übler Geruch. Durch die gleichzeitig eintretende
Schimmelbildung erlitt auch die Waare selbst nicht selten Schaden; nur beim Musselin
ist die Gährung noch gebräuchlich. Man beseitigt gegenwärtig die Fette viel besser
durch das Kochen der Stoffe mit alkalischer Lösung und nachfolgendes Aus-
waschen; ausser Aetzkali und Pottasche kann man auch Harzseifen gebrauchen (siehe
Chlor S. 46).
Beim Beuchen ist vorzugsweise die Menge von Wasserdämpfen in den
Arbeitslocalen zu berücksichtigen; ihre Entfernung ist schwierig und am besten durch
einen Exhaustor zu bewirken. Die Abfallwässer sind sehr verdünnt und können in
den meisten Fällen in Canäle oder grössere Wasserläufe frei abgelassen werden.
6) Das Bleichen geschieht vorzugsweise mittels der Chlorbleiche (s. Chlor-
bleiche S. 49). Zum Auswaschen dienen sinnreich construirte Wasserräder, zum
Trocknen Centrifuge;;! und geheizte Dampfcylinder-
Das Stärken, Mangeln und Kalandern bezweckt Hebung des äussern An-
sehens der Zeuge.
Das Erschweren, der Baumwollzenge. Man erschwert die Baumwollzeuge, um
sie dem Leinen ähnlicher zu machen, weshalb es vorzüglich bei lockern Geweben oder
bei Spitzen geschieht. Aus dieser Procedur kann den Arbeitern ein sanitärer
Schaden erwachsen und selbst bei der Benutzung der betreffenden Zeuge wird ihr
schädlicher Einfluss m<iht ausbleiben. Die Arbeiter verweilen mit den Händen längere
oder kürzere Zeit in einer concentrirten Bleiessiglösung; auch schlägt sich beim Durch-
ziehen des Zeugs dui -:;h das schwefelsaure resp. kohlensaure Natriumbad beständig
schwefelsaures resp. kohlensaures Blei auf ihre Hände nieder. Bei der Unvorsichtigkeit,
womit diese gewöhnlich zu Werke gehen, können leicht Bleitheilchen auf die Mund-
schleimhaut übertrage]! werden, ausserdem vermag eine längere Berührung der Haut
mit denselben für mar die Individuen ebenfalls schädliche Folgen herbeizuführen; es ist
auch keine seltene Eriährung, dass solche Arbeiter an Bleikolik leiden, _ nothwendig
ist es daher, dass sie sich vorher die Arme und Hände einölen und vor jedem Essen
eine gehörige Reinigui ; vornehmen.4)
35*
548 Die Pflanzenfaser.
Die Wasch wässer und Bäder von schwefelsaurem oder kohlensaurem Natrium
dürfen nicht frei abgelassen werden, da sie die betreffenden Bleisalze enthalten; man
lässt letztere erst absetzen und trennt sie durch Decantiren von der Flüssigkeit. Die
ausgenutzte Bleiessiglösung muss erst mit kohlensaurem oder schwefelsaurem Natrium
präcipitirt und dann decantirt worden.
Selbst das Tragen der mit Blei erschwerten Stoffe erscheint bedenklich, da
schwefelsaures und kohlensaures Blei sich in saurem Schweiss lösen kann*): die
schwefelhaltigen Verbindungen in letzterm zersetzen sich und liefern Schwefelwasser-
stoff, der schwaiv.es Schwefelblei erzeug! und daher die Spitzen schwärzt. Für
Nähterinuen, welche sich mit dein Zurechtmachen solcher Stoffe beschäftigen, kann das
Stäuben derselben ebenfalls Nachtheile bringen.
Am häufigsten werden ächte Spitzen, die durch das Tragen schmutzig ge-
worden sind, dem Erschweren unterworfen, da sie nicht gewaschen oder gebleicht werden
können.
Das Erehweren mit Baryt ist weniger gefährlich. Zum Bade nimmt man Chlor-
barium und zum Präcipitiren kohlensaures oder schwefelsaures Natrium: es bleibt
also kohlensaures oder schwefelsaures Barium zurück, Salze, welche jedenfalls durch
Decantiren entfernt werden müssen, ehe man die Wässer abfliessen lässt.
Beim Tragen solcher Stoffe ist das Bariumsulfat wegen seiner Unlöslichkeit von
keiner Bedeutung: das Bariumcarbonat ist schon mehr differenter Natur**).
Wichtig ist noch der Umstand, dass alle feinern Gewebe durch das Erschweren
eine erhöhte Feuergefährlichkeit erhalten; hierzu tragen alle Farben bei, welche
als Basen Metalloxyde enthalten Zu diesen gehören namentlich die Bleisalze, die
chromsauren Salze, in geringem! Grade Kupfersalze, arsenigsaures Kupfer,
Eisensalze und Zinn Verbindungen.
Die als Tarlatane bezeichneten Stoffe, bei welchen arsenigsaures Kupfer
gewöhnlich nur mittels eines Kleisters aufgetragen wird, verstauben leicht und haben
dadurch schon zu manchen Vergiftungs-Erscheinungen Veranlassung gegeben: vielfach
leiden namentlich die Nähterinnen bei der Bearbeitung an Hautreizungen. Kommen
diese Stoffe mit Feuer in Berührung, so brennen sie wie Zunder fort; als Schutz
gegen die leichte Entzündliehkeit solcher Kleider hat man das Durchtränken derselben
mit einer Lösung von phosphorsaurem und molybdänsaurem Ammonium oder von
wolframsaurem Natrium empfohlen: besser würde es jedenfalls sein, wenn man die
oben als schädlich bezeichneten Metallfarben durch Erdfarben und Pflanzenpigmente
ersetzen wollte, aber trotz des polizeilichen Verbotes tauchen die arsenhaltigen
Tarlatane beständig wieder auf.
Sanitäre Verhältnisse der Arbeiter in Baumwollfabriken.
Man hat das Einathmen des feinen Staubes bei der Reinigung und Bear-
arbeitung der Baumwolle als eine höchst wichtige Krankheitsursache aufgestellt
und das häufige Vorkommen der Lungenschwindsucht bei den betreffenden
Arbeitern hiermit in Verbindung gebracht; Mareska und Heymann5) be-
haupten, unter den Arbeitern in den Baumwollfabriken zu Gent mehr Schwind-
süchtige als bei andern Handwerkern beobachtet zu haben. Dass der Baum-
wollstaub Tuberculose zu erzeugen vermag, ist noch nicht mit Bestimmtheit
nachgewiesen worden, während es unzweifelhaft ist, dass mit Tuberculose
Behaftete nicht in die Baumwollfabriken gehören, da sich hier die Krankheit
unbedingt rascher entwickeln wird.
Auf die verschiedenen Manipulationen, bei welchen Staub entsteht, ist bereits
aufmerksam gemacht worden: unter ihnen verdient die Beschäftigung am Wolf
und an der Schlagmaschine am meisten Beachtung. Exhaustoren sind die
souveränsten Mittel, um dem nachtheiligen Einflüsse auf die Arbeiter vorzubeugen und
ersetzen vollständig die verschiedenen vorgeschlagenen Respiratoren, obgleich es
immer noch Schwierigkeiten unterliegt, die Atmosphäre staubfrei zu erhalten. Es muss
daher in allen derartigen Arbeitsräumen die grösste Reinlichkeit herrschen: EinÖlungen
<\c> Fussbodens, die ein tägliches feuchtes Aufwischen gestatten und die Anhäufung des
*) Schwefelsaures Blei ist in ammoniakalischen und organisch sauren Flüssigkeiten,
kohlensaures Blei nur in letztern löslich.
**) Bariumcarbonat wirkt auf kleiner'' Thiere, wie Mäuse u. s. w., giftig ein.
Die Baumwollindustrie. 549
Staubes verhüten, sind sehr wichtig, da häufig das Aufwirbeln des abgelagerten Staubes
ebenso schädlich einwirkt wie der sich neu bildende.
Die von Coetsem6) aufgestellte Pneumonie der Baumwollarbeiter kann
nicht als ein specifischer Krankheitsprocess aufgefasst werden: dass der Baumwoll-
staub die Respirationswege reizt und besonders bei den neu eintretenden Arbeitern stets
mehr oder weniger Husten erzeugt, unterliegt keinem Zweifel; die Baumwollfasern
dringen aber fast nie bis in die feinern Bronchialverzweigungen vor, sondern werden
mit den Sputis ausgeworfen, ohne sich in den Respirationswegen bleibend abzulagern.
Für krankhafte Brustorgane wird freilich eine beständige Wiederkehr dieser reizenden
Einflüsse nicht ohne Folgen bleiben, weshalb Individuen dieser Art stets vor Beschäf-
tigungen in Baumwollfabriken zu warnen sind: auch soll das häufige Vorkommen
von chronischem Brustkatarrh, von Emphysem, Augenentzündungen u. s. w. nicht in
Abrede gestellt werden; diese Krankheitszustände kommen aber in höherm oder gerino-erm
Grade in jeder Staubatmosphäre vor. Ausserdem ist überhaupt die Baumwollmanu-
factur für jugendliche Personen nicht zu empfehlen, da die Entbehrung der frischen
Luft und die frühzeitige Beschäftigung mit Arbeiten, die den Körper zwar wenig an-
strengen, aber in seiner gleichmässigen Entwicklung stören, immerhin als schädliche
Factoren zu betrachten sind; leider wählt man häufig grade die schwächlichen Knaben
und Mädchen für die Beschäftigung in der Baumwollmanufactur aus. Den Schilde-
rungen des Elends, welches namentlich in industriereichen Gegenden vorkommt, sind
vorzugsweise die Verarmung, die Schwächlichkeit der Generation, das frühe Heirathen
und frühzeitige Heranziehen der jugendlichen Personen zur Arbeit zu Grunde gelegt
worden. Diese Momente kehren aber bei jeder andern Industrie mehr oder weniger
wieder und wurzeln in socialen Gebrechen, die stets sorgfältig von den unmittelbaren
Einflüssen der Fabriken zu unterscheiden sind. Blutarmuth, Bleichsucht, Digestions-
störungen, Scrofeln, Lungentubereulose, die verschiedenen Hautleiden u. s.w. sind Krank-
heiten, die meist mit schlechten Nahrungsmitteln, ungesunden Wohnungen und mit der
ganzen Lebensweise der Arbeiterclasse zusammenhängen. Vortrefflich haben sich daher
auch die Speiseanstalten in den Fabriken bewährt, in denen gegen eine billigere Ver-
gütung Speisen an die Arbeiter verabreicht werden, eine Einrichtung, die zu den wich-
tigsten Präservativmassregien gehört, da eine ausreichende Ernährung das bewährteste Mittel
ist, um erwähnten Schädlichkeiten widerstehen zu können. Dazu kommt auch die bessere
Zubereitung der Speisen, die weniger Verdauungsstörungen aufkommen lässt, denn es ist
sicher, dass bei der Arbeiterclasse diese Leiden vielfältig durch die Unerfahrenheit der
Frauen in Haus- und Küchen-Angelegenheiten mit bedingt werden. Vollends wird die
leibliche Pflege zur Nebensache, wenn Fabrikarbeiterinnen gleichzeitig die häuslichen
Geschäfte verrichten sollen: wer lange Jahre mitten im Getriebe der Textilindustrie
gestanden hat, wird den Einfiuss des Hauses in sanitärer Beziehung für ebenso wichtig
halten wie den der Fabrik und ordentliche Frauen für die wichtigste Stütze der Wohl-
fahrt der arbeitenden Classe erklären.
Für Spinnereien hat mau gegenwärtig in den meisten Fabriken luftige
Räume, die bei zweckmässiger Bedachung (Shade -Dächer) gehörig ventilirt
werden können und daher bei einiger Aufmerksamkeit sanitäre Nachtheile kaum
aufkommen lassen; ausserdem ist die Arbeit nicht mehr anstrengend, da die
Maschinen die körperliche Kraft ersetzen.
Auch die Weberei verliert durch die mechanischen Webstühle immer mehr
ihren schädlichen Einfiuss; nur bei den Handstühlen, die noch im Kleingewerbe
benutzt werden, ist namentlich die schlechte Beleuchtung mit Gesund-
heits- Schädigungen verbunden. Die qualmende Oellampe verschwindet zwar
seit der Einführung von Petroleum, aber die Benutzung von billigem und
schlechtem Petroleum sowie von schlecht construirten Lampen führt oft zu
ähnlichen Nachtheilen. Wenn übrigens Michaelis 7) für die sächsischen
Weber ca. 38, für die schlesischen ca. 36% Jahre als Durchschnittszahl
für die Lebensdauer aufstellt, so dürfte diese Zahl im Grossen und Ganzen
nicht ganz der Wirklichkeit entsprechen, obwohl die meisten Weber sich
selten einer kräftigen Gesundheit erfreuen, wenn sie den mit dem Handstuhl
verbundenen Schädlichkeiten ausgesetzt sind. Verfasser hat am meisten Ver-
dauungsstörungen bei Webern beobachtet, die mit der sitzenden Lebensweise
550 Die Pflanzenfaser.
und dem Drucke auf das Epigastrium iu Verbindung stehen; dem nachtheiligen
Einflüsse der Schlichte kann durch eine zweckmässigem Zusammensetzung
vorgebeugt werden (s. S. 547). In Betreff der Jacquard'schen Stühle vergl.
man „Blei".
In der Färberei ist der häufige Gebrauch von arseniksaurem Natrium
als Beize hervorzuheben, welches die Gesundheit der Arbeiter gefährden kann,
vorzugsweise aber die Berücksichtigung den Abflusswässern zuzuwenden
erheischt; dasselbe gilt vom Sublimat, wenn derselbe zur Verwendung kommt
(m. vergl. auch Blutlaugensalz S. 387). Die Anilinfarben können nur durch
etwaigen Arsen- oder Quecksilbergehalt schädlich wirken.
In den Druckereien ist es die Benutzung von Methylalkohol (s. S. 375)
und von Terpentinöl (s. dieses) als Auflösungsmittel für Farben, deren Aus-
dünstungen die Reinheit der Luft in den betreffenden Arbeitsräumen beein-
trächtigen; auch hier kann nur eine kräftige Exhaustion den Nachtheilen
vorbeugen.
Die Festsetzung eines bestimmten Kubikraums Luft pro Kopf ist nur mit grosser
Schwierigkeit ausführbar, da die Anzahl der Arbeiter in manchen Räumen nicht immer
dieselbe ist; immerhin müssen die Looale um so geräumiger sein, je mehr die Fabrication
mit Staubbildung oder nachtheiligen Gerüchen verbunden ist. In Spinnsälen sind nur
wenige Arbeiter beschäftigt, da schon die Aufstellung der Apparate einen grossen Raum
einnimmt; es ist daher unschwer, 2000 — 3000 Kubikfuss Luftraum pro Kopf zu schaffen,
in allen übrigen Räumen werden aber 800 — 1000 Kubikfuss vollkommen ausreichen,
wenn eine zweckmässige Ventilation hinzukommt, die durch die Grösse des Raumes oft
gar nicht ersetzt werden kann.8)
Das Spitzenjklöppeln und Posamentirgewerbe zählen meistens zur
Hansindustrie; bei ersterm sind es die Art der Arbeit, der Mangel an frischer
Luft, der karge Verdieust und daher die schlechte Ernährung, deren Einwirkung
auf das körperliche Gedeihen in nachtheiligster Weise hervortreten.
Leinenindustrie.
Zur Gespinnstfaser werden ausser der Nessel, dem chinesischen Grase,
dem Cocosbast, der Jute u. s.w. vorzugsweise Flachs und Hanf benutzt; die
beiden letztern bedürfen einer besondern Vorbereitung, um die Faser zum Spinnen
tauglich zu machen.
Der Flachs rührt von der Leinpflanze (Linum usitatissimum) her, die
nach der Reifung der Samen ausgezogen und getrocknet wird; dann folgt das
Riffeln mittels des Riffelkamms oder eines Walzwerks, um die Samenkapseln
abzusondern. Um die in dem Rohflachse enthaltene harzige Substanz aus dem
Baste zu entfernen, wendet man meist einen Gährungs- oder Fäulniss-
process, das sogen. Rotten an.
Man unterscheidet 1) die Thaurotte, bei der am wenigsten übelriechende Zer-
setzungsproducte auftreten, da die Leinpflanze auf Feldern ausgebreitet und der Ein-
wirkung der Luft ausgesetzt wird.
2) Bei der Teichrotte wird die Leinpflanze in Bündel gebunden und unter dem
Wasserspiegel gehalten; zuerst färbt sich das Wasser schmutzig, bis nach mehreren
Tagen die ganze Reihe der Fäulnissgase mit ihren widerlichen Gerüchen auftritt;
hierdurch können bei einem grossartigen Betriebe ganze Gegenden benachtheiligt und
zu einem Depot intermittirender Fieber gemacht werden. Das abfallende Wasser
enthält Nitrate und Nitrite, alle Phosphorsäure und die Alkalien der Pflanze; es gibt
daher ein gutes Düngmittel ab. Um es zu benutzen, muss man viereckige, mit
Steinen ausgemauerte und wasserdichte Gruben (Rottgruben) anlegen, in diese
durch einen Canal das Rottwasser zunächst ableiten und dann auf Wiesen,
Aecker u. s. w. ablassen. Lässt man dieses Wasser in Bäche laufen, so wird es
Die Leinenindustrie 551
dieselben zu ökonomischen oder technischen Zwecken ganz unbrauchbar machen und
die Fischzucht vernichten. Nur solche Teiche kann man zum Rotten benutzen, die
keine Fische enthalten: der Krebs erleidet jedoch keinen Schaden dadurch.
3) Die Flussrotte darf aus den angeführten Gründen nach dem Gesetze vom
28. Februar 1843 nur nach eingeholter polizeilicher Erlaubniss benutzt werden.
4) Bei der gemischten Rotte entfernt man die Pflanze aus dem Wasser, ehe der
üble Geruch eintritt, und wendet dann die Thaurotte an.
Die Anlage von Röstgruben in der Xähe von Wohnungen sollte nicht allein wegen
des üblen Geruchs, sondern auch wegen der leichten A'erunreinigung der benachbarten
Brunnen verboten werden: selbst in der Nähe von gangbaren Wegen sollte man sie
nicht dulden. Die Fäulnissproducte vermögen jedenfalls Contagien zu fördern und daher
der Ausbreitung von Epidemien Vorschub zu leisten.
5) Die Kastenrotte geschieht in Bottichen, die in Räumen mit einer Temperatur
von 23 — 23° R. stehen, mit reinem Wasser oder mit Wasser gefüllt sind, dem man
faulende Substanzen, z. B. aufgesehlemmte Bierhefe. Blutserum oder, um besonders
weissen Flachs zu erzielen, entbutterte Milch oder Quark zugesetzt hat.
Die Fäulnissgase müssen sorgfältig in eine Feuerung geleitet werden , widrigen-
falls das Betreten dieser Räume für die Arbeiter gefährlich werden kann, da Schwefel-
ammonium fast nie fehlen wird.
Die Abfallwässer müssen stets mit Kalk versetzt werden, ehe man ihren Ab-
fluss gestattet.
Das Snh er, k' sehe oder amerikanische Verfahren unterscheidet sich nur
dadurch, dass das Wasser durch Wasserdämpfe von 26—32° C. erwärmt wird.
Die Heiss wasserrotte nach Buchanan und die Dampfrotte nach Watt haben
sich nicht bewährt.
Die Rotte mit verdünnter Schwefelsäure {% %) nach Gaultier de Clanbry
oder das Kochen in Laugen mit und ohne Zusatz von Seife erfordert eine grosse
Aufmerksamkeit. Auch liier bedürfen die Abfallwässer der gehörigen Beachtung:
werden sie bei der erstem Methode auch behufs Xeutralisirung mit Kalk behandelt, so
dürfen sie doch nicht in stehende Gräben oder Teiche abgelassen werden, weil durch
den Kalk nicht alle organischen Substanzen präeipitirt werden. Die laugenhaltigen
Wässer können zum Begiessen von Composthauf en oder beim Gehalt an Seife zur
Wiedergewinnung derselben verwendet werden.
Der gerottete Flachs wird gewaschen und entweder an der Luft oder
in Darrhätten getrocknet; dann folgt das Brechen, wozu man die Handbreche
oder Flachsbrechmaschine benutzt, um die holzige Substanz (Schabe) zu zer-
brechen.
Zur vollständigen Entfernung der Schabe dient das Schwingen und Ribben:
der hier abfallende Theil heisst Werg, Hede.
Beim Hecheln werden die bisher gewonnenen Fäden noch gespalten; die
hierzu dienenden Hechelmaschinen sind den Krempelmaschinen ähnlich. Hierbei fällt
noch mit Schäbetheilen verunreinigtes Werg ab und es müssen in Betreff der Staubbildung'
ähnliche Vorkehrungen wie beim Wolfen u. s. w. der Baumwolle getroffen werden.
Weniger Staub fällt bei dem nun folgenden Bürsten mittels der mit Borsten
besetzten hölzernen Walze ab: das schliessliche Kochen geschieht mit Pottaschen-
lösung oder mit einer Mischung von Seife und Lauge nach der oben erwähnten
Methode. Die Abfallwässer sind wie die Beuehwässer zu behandeln*).
Beim Flachs- oder Leinenspinnen kann in industrieller Beziehung nur von
der Maschinenspinnerei die Rede sein**). Die Manipulationen sind dieselben wie bei
der Baumwollspinnerei, indem der gehechelte Flachs zuerst gestreckt, duplirt und
vorgesponnen wird. Beim Feinspinnen, welches auf Watermaschinen geschieht, unter-
scheidet man das Trockenspinnen, das Halbnassspinnen mit kaltem Wasser und
das eigentliche Xassspinnen, das am gebräuchlichsten ist: das Yorgespinnst wird
hierbei durch heisses Wasser geleitet und dadurch erweicht, ehe es zwischen die
Streckwalzen gelangt. Die betreffenden Garne verderben aber leicht und müssen
möglichst bald von "den Spulen abgehaspelt und getrocknet werden; auch die betreffen-
den Wässer faulen wegen ihres Gehalts an organischen Substanzen sehr rasch und
müssen deshalb nach den früher entwickelten Gesichtspuneten behandelt werden.
*) Die Waldwolle ist ein faseriger Stoff, der durch Auskochen und Zertheilen
der Kiefernadeln erhalten wird, wobei die oben erwähnten Yorsichtsmassregelnin
Betreff der Abfallwässer zu beobachten sind. Sie wird mit Baumwolle verarbeitet; im
rohen Zustande dient sie als Polstermaterial und Papierzeug.
**) Werg wird wie Flachs gesponnen.
552 Die Pflanzenfaser,
"Das Haspeln und Sortiren des Leinengarns ist rein mechanischer Natur
und mit kaum bemerkenswerthem Staube verbunden.
Besondere Arten von leinenen Zeugen. Bei der halbbauniwollenen Lein-
wand besteht die Kette aus Baumwollgarn und der Einschuss aus Flachsgarn. Zur
Unterscheidung der verschiedenen Garne benutzt man das Mikroskop und die chemische
Probe mit concentrirter Schwefelsäure, die bekanntlich nur die Baumwolle auflöst;
man darf dieselbe aber nur eine Minute lang einwirken lassen, weil sonst auch die
Leinenfaden mürbe werden.
Der Damast und der Zwillich werden auf Jacquard-Stühlen gewebt. Beim
Battist geschah früher zum grossen Naehtheile der Arbeiter das Weben in feuchten
Kellern, um das Zerreissen der zarten Fäden zu verhüten; gegenwärtig braucht man
eine schwache Auflösung von Chlor calci um zum Befeuchten des Gespinnstes.
Leinene Gaze sind florartig gewebte Zeuge. Zu Segeltuch wird meist Hanf,
zu Sack- und Packleinen Hanf und Werg benutzt.
Bei der Appretur der leineneu Zeuge sind besonders die Abfallwässer sehr
zu beachten, da sie wegen ihres Gehalts an organischen Substanzen sehr leicht in
Fäulniss übergehen.
Die Beuchwässer (s. S. 46) können auf 1000 Theile Wasser 1,5—1,8, bisweilen
aber auch 25 — 30 feste Bestandtheile enthalten ; bei einer so bedeutenden Concentration
würde sich das Abdampfen derselben empfehlen, um die Lauge resp. Pottasche wieder
zu gewinnen.
In den Abfallwässern bei der Chlor bleiche konnten in einem concreten
Falle auf 1000 Theile Wasser 3 Theile feste Bestandtheile nachgewiesen werden.
Das Erschweren mit Blei geschieht nicht selten auch bei leinenen Spitzen
(siehe S. 547).
Die sanitären Verhältnisse der Arbeiter in der Leinenindustrie.
Die sanitären Verhältnisse der Arbeiter stimmen mit denen in der Baum-
wollindustrie überein. Der Lemenfaser- Staub ist, abgesehen von andern zu-
fälligen Unreinigkeiten, in seiner Wirkung dem Baumwollstaub ähnlich, wenn
auch das einzelne Flachsfäserchen nicht die Weichheit und Elasticität wie die
Baumwollfaser besitzt. Von einer Einlagerung des Flachsstaubes in die Luugen
liegt keine glaubwürdige Beobachtung vor, obgleich bei den Arbeitern, die in
grossen Fabriken beschäftigt sind, durch die stauberzeugenden Manipulationen
Reizuugen der Respirationswege erzeugt werden, wenn keine Präventivmassregeln
zur Anwendung kommen. Tuberculose kommt aber bei denselben nicht häufiger
als bei andern Arbeitern vor, wenn nicht Armuth und schlechte Ernährung schon
den Keim derselben geliefert oder frühzeitige Beschäftigung am Spulrad die ganze
Körperentwicklung gestört hat.
Ob bei den Flachsarbeitern im Anfange der Beschäftigung relativ häufig
acute Pneumonieeu vorkommen, wie man behauptet hat1), müssen noch weitere
Beobachtungen entscheiden. Handelt es sich um Flachsarbeiter im Kleingewerbe,
so kann Verf. dieser Annahme keinesfalls zustimmen, da hier die meisten Arbeiten
im Freien oder in luftigen Schuppen vorgenommen werden und die Intensität des
Staubes nicht so bedeutend ist wie in Fabrikräumen ohne Ventilation. Letztere
ist hier ebenso nothwendig wie in der Baumwollindustrie und würden die bezüg-
lichen Vorkehrungen auch in der Flachsindustrie die wichtigsten sanitären Nach-
theile beseitigen.
In den Spinnsälen ist die Ventilation wegeu der leicht eintretenden üblen
Gerüche absolut erforderlich, da diese beim Nassspinnen am meisten Gesund-
heitsstörungen zu erzeugen vermögen, namentlich wenn gleichzeitig eine permanent
erhöhte Temperatur hinzukommt.
Purdon2) hat bei Arbeiterinnen, welche die Spulen von den Maschinen ent-
fernen, letztere putzen und einölen, papulöse und pustulöse Hautausschläge
Die Thierfaser. 553
beobachtet, die sicherlich, nur in vernachlässigter Hautreinigung ihren Grund
hatten, da sie sich namentlich am Vorderarm zuerst als schwarze, den Mün-
dungen der Schweissdrüsen entsprechende Puncte zeigten, die mit verhärtetem,
schwarz gefärbtem Secret verstopft sind und dann Verschwärungen veranlassen
(siehe S. 373).
Die Wichtigkeit von Badeeinrichtungen für die arbeitende Classe kann
nicht oft genug hervorgehoben werden, wenn man berücksichtigt, wie sehr die
Hautcultur das allgemeine Wohlsein kräftigt und viele Krankheiten verhütet.
Bei den Webern treten die Nachtheile des Kleingewerbes zu Tage, wenn
Maschinenstühle nicht zur Verfügung stehen.
Für die Adjacenten ist besonders die Behandlung der Beuchwässer von
Bedeutung und es müssen hier, wenn der Betrieb ein ausgedehnter ist, ähnliche
Vorkehrungen wie bei den Abfallwässern der Wollfabriken getroffen werden.
Die Thierfaser.
Obgleich Wolle und Seide ihrer chemischen Constitution nach nicht
hierher, sondern zu den Proteinstoffen gehören, so schliessen sie sich doch in
industrieller Beziehung der Pflanzenfaser insofern an, als sie zur Textil-
industrie gehören und bei ihrer technischen Verarbeituag übereinstimmende
Operationen vorkommen; um daher eine Gesammtübersicht der Textilindustrie
zu liefern, sollen sie hier näher erörtert werden.
Wollindustrie.
Unter Wolle versteht man im gewöhnlichen Leben die haarige Bedeckung
des Schafes, deren Beschaffenheit sich nach den verschiedenen Schafracen richtet
(Kaschmirwolle, Alpaca wolle, Vigognewolle, Kämelwolle u. s. w.). Ausser dem
Hornstoff (Keratin) enthält sie besonders ein flüssiges Fett, welches ihre
Elasticität bedingt, und eine Menge von Secreten, die man im Allgemeinen
Wollschweiss nennt.1)
Nach der Maceration der Wolle in warmem Wasser findst man in diesem
Chlorkalium, das Kaliumsalz einer Fettsäure, Kaliumcarbonat, Calciumoxalat,
Baldriansäure und freies, unverseiftes Fett. Manche Wollsorte, z. B. die austra-
lische Wolle, kann nur im Seh weisse versendet werden; es herrscht alsdann
auf den Transportschiffen ein widerlicher Geruch nach ranzigem Fett und
Ammoniak, der zwar vor Insectenfrass schützt, aber auf die Schiffsmannschaft
nachtheilig einwirken kann.
Präparation der Wolle für den Handel. Man unterscheidet 1) die Pelz-
wäsche, 2) die Schur und 3) das Sortiren der Wolle; letztere Beschäftigung
ist sehr ungesund und namentlich für Brustkranke schädlich. Der meiste Staub ent-
wickelt sich beim Klopfen und Schlagen der aufeinander gelegten Vliesse; es sollte
dies nie im allgemeinen Arbeitsraume, sondern nur unter freistehenden Schuppen
stattfinden. Bei einer langjährigen Behandlung der Wollsortirer hat Verf. vorzugsweise
Brustaffectionen und bei tuberculoser Anlage rasche Fortschritte der Schwindsucht beob-
554 ^ie Thißifaser.
achtet, so dass sich beim Wollstaube dieselben Erfahrungen wie beim Baumwoll-
staube wiederholen. Uebertragungen von Thierkrankheiten, namentlich von Milzkrauk-
heit, auf Wollsortirer sind bis jetzt noch nicht nachgewiesen worden.
Verarbeitung der Wolle. Je nachdem man Streichwolle (Kratz- oder
Tuchwolle) für die Stoffe mit filzartiger Oberfläche oder Kammwolle (lange Wolle)
für glatte, nicht gewalkte Wollzeuge mit sichtbarem Faden des Gewebes zu behandeln
hat, unterscheidet man verschiedene Operationen.
A. Verarbeitung der Streicliwolle zu Streichgarn. 1) Das Waschen der
Wolle bezweckt das Entschweissen oder Entfetten der Wolle, wozu man Soda,
weiche Seife oder gcfaulten Menschenharn (Ammoniumcarbonat) gebraucht*).
2) Das Färben der Wolle geschieht nur mit haltbaren Farben.
3) Das Wolfen wird zur Reinigung und zum Entwirren der Haare vorge-
nommen; der entstehende Staub ist immer bedeutend genug, um Vorsichtsmassregeln
eintreten zu lassen**).
4) Zum Einfetten der Wolle gebraucht man Baumöl, Erdnussöl oder Oelsäure
(Olein), bei grobem Sorten Rüböl oder Thran; man muss hier das Zusammenhäufen der
eingefetteten Wolle wegen der Feuersgefahr verhüten (s. S. 352).
5) Das Krempeln, 6) das Vorspinnen, 7) das Feinspinnen, 8) das
Haspeln geschieht ähnlich wie bei der Baumwolle.
Die Tncbweberei hat durch die Einführung der Maschinenwebstühle einen be-
deutenden Umschwung erlitten, so dass kleinere Fabriken nicht mehr der Concurrenz
mit grossem gewachsen sind. Das vom Webstuhl genommene Tuch heisst Lode, den
man durch Noppen von den Unreinigkeiten (Knoten, Enden) befreit. Dann folgt das
Waschen und Walken, wozu man jetzt Walkwalzen gebraucht: das Wasser wird
mit gefaultem Urin, Walkerde, Schmierseife oder bei feinern Tuchen mit Talg- oder
Oelseife versetzt. Der Lode heisst nun Tuch, das aufgerahmt und dann dem
Rauhen und Scheren unterworfen wird; bei letzterm fällt ein feiner Wollstaub, die
sogenannte Scherwolle ab, welche in der Tapetenfabrication und bei der Anfertigung
von Spielwaaren u. s. w. verwendet wird. Besondere Vorrichtungen zum Ansammeln
dieses Wollstaubes bestehen nicht: unter den bestehenden Verhältnissen ist sogar
jeder Zug in den Arbeitsräumen zu vermeiden, damit derselbe nicht aufgewirbelt wird.
Beim Decantiren oder Netzen des Tuches werden heisse Wasserdämpfe in das
Innere einer kupfernen, in einem geschlossenen Räume befindlichen Walze geleitet, die
in ihrem Mantel viele kleine Löcher hat, über welchen das Tuch gespannt wird. Das
Bürsten und Pressen beschliesst die Tuchfabrication
Zu den besondern Arten der tuchartigen Gewebe gehören der Flanell,
der Kasimir, der Flaus, Calmuck, Düffel, Buckski n, Doeskin u. s. w.
B. Bearbeitung der Kammwolle zu Kammgarn. Hier ist das Auskämmen
oder Kämmen der Wolle mittels der Hand oder besonderer, bisher noch complicirter
Maschinen (von Heilmann^ Lister, Donnistkorpe) hervorzuheben, welches die Entfernung
der kleinern Fasern und die parallele Anordnung der langen Haare bezweckt; auch
hierbei entsteht noch mehr oder weniger Staub. Das gekämmte Garn wird dann
gestreckt und gesponnen, wobei man sich der bei der Baumwollindustrie gebräuch-
lichen Maschinen bedient: diese unterscheiden sich nur in unwesentlichen Puncten von
einander.
Halbkammgarn, Strickgarn, Sayet erfordert kein Kämmen, sondern nur
ein Kratzen: die Fäden bestehen daher aus langen und kurzen Haaren.
Zu den glatten Stoffen zählt besonders der Bombasin, der dem Scheren,
Sengen und Pressen unterliegt; hierher gehört auch der Wollstramin und Woll-
musselin.
Zu den geköperten oder croisirten Stoffen, die sich von den glatten
Geweben dadurch unterscheiden, dass die Einschlagfäden durch mehrere Kettenfäden
bedeckt werden, ehe sie wieder die Kette bedecken, rechnet man die Merinos,
Thibets u. s. w.
*) Das Entschweissen der Wolle ist gegenwärtig ein besonderer Industrie-
zweig geworden : da sich die Behandlung der betreffenden Abfallwässer nicht wesentlich
von der der Walkwässer unterscheidet, so findet sich das Nähere hierüber bei der Be-
sprechung der Abfallwässer der Tuchfabriken. Das Entschweissen entspricht dem Beuchen.
**) Die sogen. Rauf- oder Gerberwolle, welche in Gerbereien durch Kalk von
den Fellen entfernt wird, muss vor der Fabrikwäsche gewolft werden; der sich ent-
wickelnde Staub ist wegen seines Gehalts an Kalktheuchen für die Augeu und Brust-
organe besonders gefährlich und bedarf der Mitwirkung kräftiger Exhaustoren.
Die Wollindustrie. 555
Shawls, Plaids u. s. w. werden aus Kammgarn allein oder unter geringem
Zusätze von Baumwolle fabricirt. Die Grundlage zu den gewebten Tapeten, den
Gobelins, _ legte _ 14.46 Gilles Gobelin, ein Schönfärber aus Rheims, obgleich schon
800 n. Chr. in christlichen Kirchen ähnliche Fabricate vorgekommen sein sollen. We^en
der Anfertigung von Teppichen waren schon die alten Städte Pergamus', Tyrus,
Sidon und Babylon berühmt; diese Manufactur bietet in sanitärer Beziehung nichts
Bemerkenswerthes dar.
Zu den sammetartigen Stoffen aus Wollgarn gehört der Möbelsammet
(siehe Seide.)
Die Kunst- oder Lumpenwolle.
Die Bearbeitung der wollenen Lumpen hat sich zu einer grossartigen
Industrie ausgedehnt. Man zerreisst und zerkratzt hierbei Wollluinpeu, gewinnt
dabei den Wollspinnstoff und verarbeitet ihn mit neuer Schafwolle zu Garn und
Geweben. Man unterscheidet hierbei die sogenannte Mungo, welche aus den
Lumpen von gewalkten Wollstoffen gewonnen wird, und die Shoddy von ge-
strickten und gewirkten Waaren und andern losen Stoffen aus langer Wolle.
Das Sortiren der Lumpen ist hierbei ein wichtiger Act; es müssen besonders
die nichtwollenen Stoffe herausgesucht werden, weil sonst die aus Lumpenwolle dar-
gestellten Zeuge beim Färben die Farbe ungleich annehmen. Beim Zerschneiden
werden die Nähte herausgezogen und noch übersehene baumwollene Stoffe entfernt;
dann folgt bei halbwollenen Zeugen das Beizen. Die Stoffe ruhen auf einem
Eisenbahnwagen, dessen Boden aus Draht besteht, um in einen geschlossenen Raum ge-
fahren zu werden, in den man salzsaures, aus heisser Salzsäure entwickeltes Gas
leitet, um die baumwollenen Fäden mürbe zu machen; der Raum muss stets wie bei
Schwefelkammern mittels eines Abzugsrohrs mit dem Schornstein in Verbindung ge-
bracht werden, um das schädliche Gas zu entfernen, ehe die Arbeiter denselben wieder
betreten .
Hierauf folgt gewöhnlich das Waschen in einer nach dem Princip der Holländer
der Papierfabriken construirten Maschine, damit die Lumpen schon hier theilweise zer-
rissen und aufgelockert werden ; man trocknet sie durch Centrifugen und auf
Gitterrahmen.
Die vollständige Zerreissung erfolgt nun mit Hülfe eines Wolfs, des Lumpen -
wolfs (Shaker), bei dem die Trommel in einem Kasten angebracht und mit Tausenden
von 28 Millim. langen, hervorstehenden Stahlzähnen auf ihrer Mantelfläche besetzt ist;
hierbei entwickelt sich sehr viel Staub, der mittels eines Abzugs- Canals abgesogen
werden muss.
Bei den halbwollenen Zeugen sind noch ein paar Riffelwalzen angebracht,
wodurch die Lumpentheilchen etwas gedehnt oder gestreckt werden, was die wollenen
Fäden vermöge ihrer Elasticität aushalten, die schon mürbe gemachten Baumwollfäden
zerreissen aber dabei und erzeugen einen bedeutenden Faserstaub, dessen Entfernung
durchaus geboten ist.
Da die betreffenden Abfälle noch zu Papierzeug verwendet werden können, so
nehmen viele Fabricanten schon aus pecuniärem Interesse mehr Rücksicht auf deren
Aufspeicherung mittels Exhaustoren.
Die Mungowolle wird sogleich vom Lumpenwolf weg in Ballen verpackt und
versendet, wenn sie nicht an Ort und Stelle weiter verarbeitet wird. Die Shoddy-
wolle wird mit Oel eingefettet und droussirt, d. h. auf einer gewöhnlichen Vor-
kratze noch weiter behandelt, indem man sie mit neuer Wolle versetzt und vorzugs-
weise auf Einschussgarn verspinnt.
Die sanitären Verhältnisse der Arbeiter in Wollfabriken.
Die erste Präparatiou der rohen Wolle, das Sortiren, ist schon mit Staub-
bildung verbunden; auch das Wolfen bezweckt bei der rohen Wolle nicht bloss
ein Entwirren der aus vielen einzelnen Haaren bestehenden Flocken, sondern
auch die Entfernung von Kletten, Stroh, Holz und sonstigen Unreinigkeiten. Zum
Schutz der Arbeiter könnten sehr gut die beim Wolfen der Baumwolle einge-
führten Elevatoren benutzt werden, um namentlich den Hauptschmutz gleichzeitig
aus dem Fabriklocal zu entfernen. Um so leichter würden auch die feinen
556 Die Thierfaser.
Härchen weggeführt, mit denen die Arbeiter häufig von Kopf bis zu Fuss bedeckt
sind, wenn alle Vorsichtsmassregeln dieser Art fehlen; gelangen diese in die
Respirationswege, so werden sie jedenfalls eine Reizung der Schleimhäute hervor-
rufen, aber mit den Sputis wieder entfernt werden.
Es liegen keine sichern Thatsaehen vor, dass diese'r Wollstaub tiefer in das
Lungenparenchym einzudringen vermag, wenn auch zugegeben werden muss, dass jeder
Staub dieser Art acute Katarrhe leicht in chronische überzuführen vermag. Weiterhin
können sich unter ungünstigen Umständen asthmatische Beschwerden ausbilden, aber
sicher nicht als directe Folge des Wollstaubs; es müssen andere Schädlichkeiten und
die ganze Ungunst der Arbeiterverhältnisse hinzutreten, um ein solches Krankheitsbild
hervorzurufen.
Verfasser muss nach seinen langjährigen Erfahrungen in Wollfabriken entschieden
in Abrede stellen, dass der Wollstaub eine specifische Lungenkrankheit zu erzeugen
yennag; nichtsdestoweniger ist er ein schädliches, andere Leiden der Respirationswege
verschlimmerndes Moment, und jeder Fabricant sollte es für eine heilige Pflicht erachten,
Uebelstände zu entfernen, die auf geschwächte und weniger widerstandsfähige Con-
stitutionen nur verderblich einwirken können, wenn sich auch die Folgen nicht sofort
offenbaren.
Das Einfetten der Wolle soll die Wollhaare für das Kratzen und
Spinnen elastischer machen und das Hängenbleiben derselben am Beschlag der
Kratze verhüten; durch diesen Umstand wird auch die Staubbildung bei dem
mechanischen Processe bedeutend vermindert, obgleich die Ausbreitung des
Staubes im Fabrikiocale nicht ganz zu vermeiden ist. Dieser Staub senkt sich
aber leichter zu Boden und entfernt sich daher schneller aus der Athmungszone
der Arbeiter; sicher erzeugt er bei Weitem nicht die bedeutende Reizung der
Schleimhäute wie der trockne Staub beim Wolfen.
Beim Scheren der Tuche, das jetzt allgemein mittels der Schermaschine
ausgeführt wird, fängt man den dabei abfallenden Staub, Scherwollstaub, sorg-
fältig auf, da er einen besondern Industriezweig repräsentirt. Es fehlen aber in den
meisten Fabriken zweckmässige Einrichtungen zur Gewinnung dieses Staubes, da er
grösstentheils auf den Boden fällt und später zusammengekehrt wird; es kann
dann nicht ausbleiben, dass er bei jeder Luftbewegung aufwirbelt und sich in dem
Fabrikraum mehr oder weniger verbreitet. Man sollte daher diesem Gegenstande
grössere Sorgfalt widmen, um die Scherräume besser ventiliren zu können; nur ihre
Grösse und Ausdehnung ersetzt einigermassen die fehlende Ventilation.
In vielen Fabriken beschäftigen sich vorzugsweise Mädchen mit dem Scheren, die
sich nicht durch eine körperliche Entwicklung auszeichnen, aber auch nicht durch be-
sondere Brustleiden auffallen; Verf. hat hauptsächlich chloro-anämische Zustände bei
Schererinnen angetroffen.
Bei der Präparation des Scherstaubes (s. S. 542) ist ausser dem Auf-
kochen mit Seifenwasser, dem Schwefeln, Färben, Auspressen und Trocknen
nochmals das Mahlen auf Mühlen in sanitärer Beziehung hervorzuheben. Das
Mahlgut wird durch Beutelmaschinen in gröbere und feinere Sollen sortirt; es sind
hierzu geschlossene Apparate erforderlich, um den nachtheiligen Einfluss dieses
Staubes zu verhüten, der grade wegen seiner grossen Feinheit nachtheiliger als jeder
andere Staub in der Wollindustrie einwirkt.
In den Räumen, in denen das Einfetten der Wolle geschieht, ist ein
auffallender Oeldunst bemerkbar, der nur insofern schädlich einwirkt, als er
die Reinheit der Luft beeinträchtigt und daher besonders anfangs jugendliche
Personen nachtheilig berührt*). Bei Mädchen gibt der Aufenthalt namentlich Anlass
zur schlechten Blutbildung, entwickelt aber keine specifischen Krankheiten. Da alle
Oele und Fette begierig den Sauerstoff aufnehmen, so ist dieser Umstand ganz
besonders beachtungswerth und erfordert eine kräftige Ventilation. Die gebildeten
Fettsäuren sind aber sehr wenig flüchtig, namentlich ist die Oelsäure unzersetzt
*) Der Geruch ist ähnbch demjenigen, der durch den sogen. Buchdrucker-
fixnise erzeugt wird und von demselben sauitäreu Nachtheile begleitet ist.
Die Wollindustrie. 557
gar nicht flüchtig; sie werden daher keine besondere Einwirkung ausüben (siehe
Stearinsäure S. 477). Immerhin ist es aber möglich, dass schon der Geruch
manche empfindliche Personen, die auch im Arbeiterstande vorkommen, in eine
krankhafte Stimmung versetzt, namentlich wenn ein übelriechender Thran ver-
wendet wird; keinesfalls kann aber der Oeldunst wohlthätig wirken oder, wie
Thomson2) glaubt, ein Präservativ gegen epidemische Krankheiten abgeben.
Dem Oelgeruche begegnet man in geringerm Grade in den Spinnsälen,
in denen aber oft eine erhöhte Temperatur von 20 — 25° C. als ein schädlicherer
Factor auftritt, wenn den Räumen die neuere zweckmässigere Construction fehlt
(s. Baumwollspinnerei).
Bei einzelnen Spinnmaschinen ist der Spinner genöthigt, die Maschine
mit dem linken Knie zurückzustossen, wodurch sich häufig eine Verdickung der
Epidermis bildet, die keine weitern Folgen hat und an den sogen. Exercirknorpel
erinnert.
Die Walker sind meist kräftige Leute und erkranken verhältnissmässig
am wenigsten; der Geruch des faulen Harns ist durch die Verdünnung mit
Seifenwasser unbedeutend, während die Alkalinität des Wassers niemals so
steigt, dass es Wundsein der Finger zu erzeugen vermag. Verf. hat Walker
niemals an Hautleiden irgend einer Art behandelt; überhaupt kommen Exantheme,
selbst die Krätze, nicht häufiger als bei andern Arbeitern vor.
Die Rauher leiden häufig an wunden Fingern, wenn sie sich an den
Rauhkarden (Distelköpfe von Dipsacus fullonum) oder an den Kard eisen,
zwischen denen die Stiele der Karden festgehalten werden, verletzen. Ganz be-
sonders findet man aber bei ihnen wegen des beständigen Stehens sehr stark
entwickelte Varicen oder varicöse Geschwüre; auch Rheumatismus in allen
Formen ist wegen der Nässe, der sie ausgesetzt sind, sowie wegen des kühlen,
oft zugigen Arbeitsraums eine häufig vorkommende Krankheit.
Das Noppen strengt die Augen sehr an und kann bei vorhandener An-
lage zu Kurzsichtigkeit führen, die Disposition selbst natürlich nicht erzeugen.
Beim Decatiren ist es die feuchte und warme Luft, die häufig schwächend
auf die Arbeiter einwirkt. Alle Decatirer haben eine blasse Gesichtsfarbe und
kränkeln oft; unter den verschiedenen Leiden walten Störungen von Assimilation
und Blutbildung vor; Wechsel der Arbeit ist oft das einzige Rettungsmittel.
Die Abfallwässer in Tuchfabriken.
Die Menge der Abfallwässer ist oft sehr bedeutend, namentlich wenn die
Wollwäsche mit der Woll- und Stückfärberei verbunden ist. Bei lang-
samem Abflüsse gehen sie häufig in Zersetzung über und erzeugen dann die
grössten Belästigungen; gelangen sie in kleine Wasserläufe oder stagnirende
Gräben, so geben sie mindestens zu bedeutender Schlammbildung Anlass;
treten aber solche Wässer bei starkem Regen auf benachbarte Wiesen aus, so
verderben sie erfahrungsgemäss allen Graswuchs. Wird die Tuchfabrication
in Ortschaften, die an keinem grössern Flusse liegen, betrieben, so häufen sich
die Klagen und haben immer mehr die Fabricanten genöthigt, die geeigneten
Vorkehrungen zu treffen.
Die wichtigsten Abfallwässer entstehen 1) beim Waschen der rohen Wolle,
2) beim Walken und 3) beim Ausfärben der Wolle und der betreffenden
Gewebe.
558 Die Thierfaser.
1) Das Waschen der Wolle ist ein sehr wichtiger Act geworden und wird
auf sehr verschiedene Weise ausgeführt. In den Tuchfabriken der Mark Bran-
denburg hat man bisher geräumige Kessel benutzt, in welche die lose Wolle von
einem sackartigen Netze umgeben eingetaucht und mit der Reinigungsflüssigkeit
(Soda, Seife, vermischt mit Urin) in der Siedhitze behandelt wird; hierauf wird
die Wolle durch Waschmaschinen ausgespült.
Gegenwärtig benutzt man die sogen. Leviatans, aus mehreren Abtheilungen
bestehende und mit Walzen versehene Apparate, in welchen die Wolle nacheinander
mit den Reinigungsflüssigkeiten und zuletzt mit reinem Wasser oder auch mittels Spül-
m aschinen gewaschen wird.
Sollen die Waschwässer verwerthet werden, so sind andere Einrich-
tungen erforderlich. In Belgien, namentlich in Verviers, kommt die rohe Wolle
zuerst in ein trichterförmiges, eisernes, mit einem durchlöcherten Boden versehenes
Gefäss und wird mit heissem Wasser Übergossen, um den löslichen Schweiss, d. h. die
Kaliseife, als eine braune Brühe zu erhalten: diese wird bis zur Consistenz der
Schmierseife eingedampft und in Pottaschenfabriken durch Verbrennen auf Pottasche
verarbeitet. Die Wolle gelangt dann in die Leviatans und wird hier mit verdünnter
Pottaschenlauge gewaschen und mit reinem Wasser gespült: letztere Abfall wässer fliessen
direct in den Fluss Wega ab.
Andere Fabriken geben den eisernen Kasten eine ovale Form und weichen die
Wolle unter Dampfzuleitung in verdünnter Pottaschenlauge ein; nach starker
Aaspressung zwischen Walzen wird sie den Wasch- und Spülmaschinen übergeben.
Man setzt dieses Verfahren so lange fort, bis die Pottaschenlauge behufs Abdampfens
eine hinreichende Concentration erhalten hat.
Die Wraschwässer aus den Leviatans können auch in gemauerte Bassins ab-
felassen und daselbst mit verdünnter Seh wefelsäure versetzt werden, um die noch vor-
andene Kaliseife unter .Abscheidung von Fettsäuren und Bildung von Kaliumsulfat,
welches im Wasser gelöst bleibt, zu zersetzen. Die geklärte Flüssigkeit kann frei
abgelassen werden, während der schmierige Rückstand wegen seines Kaligehalts als
Dungmittel noch Werth hat.
Man benutzt hierzu die Schwefelsäure, die von der Carbonisation der WTolle her-
rührt: durch diesen Process werden nämlich die Kletten aus der W'olle entfernt, indem
man die Wolle mit einer verdünnten Schwefelsäure imprägnirt und dann einer Temperatur
von 80 — 100" C. aussetzt. Die Kletten werden hierdurch ohne Beschädigung der Wolle
so mürbe und zerreiblich, dass sie durch besondere Maschinen in Verbindung mit Ven-
tilation leicht von der Wolle entfernt werden können 3)
In einzelnen Streichgarnspinnereien in der Rheinprovinz wird die Wolle
sofort mit Seifenlauge eingeweicht, ausgepresst und gewaschen. Die braune
Seh weissflüssigkeit wird aber nicht eingedampft, sondern in grossen eisernen
Pfannen mit Schwefelsäure versetzt und erwärmt, um sowohl die Kaliseife der Wolle,
als auch die zum W7aschen der Wolle zugesetzte Seife unter Abscheidung der Fett-
säuren zu zersetzen: letztere schwimmen auf der Flüssigkeit und werden abgeschöpft.
Die sauer reagirende Lauge lässt man meist in Schlinggruben ab, wobei es aber
sehr auf den Grad der Acidität dieser Lauge ankommt, da es einer genauen Prüfung
bedarf, ob nicht durch solche saure Wässer die benachbarten Brunnen verdorben
werden können (s. Glycerinindustrie S. 479). Die erhaltenen schmutzigen Fettsäuren
bilden eine braune, dickflüssige Masse, welche als Wagenschmiere, als Zusatz zum
Degras u. s. w. benutzt wird (s. S. 458).
In Belgien und Rheinpreussen gibt es besondere Etablissements, welche sich bloss
mit dem Waschen der rohen Wolle beschäftigen.4)
Pottaschendarstellung. Grossartige Tuchfabriken stellen meist aus der Lauge,
mit welcher die rohe Wolle behandelt worden, die Pottasche dar. Die ausgelaugte
wässrige Lösung wird dann zuerst mit Pottaschenlösung und Kaliseife gewaschen
und nachher mit Wasser gespült: während man das Spülwasser abfliessen lässt, ge-
langen sämmtliche concentrirte und verdünnte Laugen in grosse unterirdische Bassins,
um aus diesen in die Abdampfpfannen gepumpt zu werden. Die erste Lauge, welche
in den Auslauge-Apparateu gewonnen wird, setzt einen unlöslichen Schmutz ab, der aus-
geschöpft und als Dünger verkauft wird.
Das Zugutemachen der Laugen geschieht in zwei nebeneinander gebauten
Flammenöfen. Sie gelangen durch ein Zuflussrohr (Fig. 53 o) in einen gewöhnlichen
Flammenofen (Fig. 52 u. 53 >//), dessen Abdampfraum durch die Zunge ,</ (Fig. 52) in zwei
gleiche Theile ( A und B) getheilt ist; die Zunge y geht so weit herunter, dass sie
10 Centimeter tief in die Lauge eintaucht. Indem der Exhaustor [e) in Thätigkeit
Die Wollindustrie.
559
gesetzt wird, durchstreichen die von der Feuerung (F) kommenden heissen Feuergase
die Lauge Von der Abtheilung B aus gelangen die Feuergase mit den Wasserdämpfen
(durch bbb Fig. 53) in den Canal G (Fig. 52) und aus diesem in den senkrechten Canal d,
in welchen oben das Saugrohr des Exbaustors mündet.
Nachdem in A und ß die Lauge bis zur Syrupsconsistenz eingedampft ist, wird
sie sofort nach dem Calcinirraum H gebracht und hier bis zur vollständigen Trockne
eingedampft Die Gase und Dämpfe gelangen durch aaa in die Esse g. r>ach Entfer-
nung des Wassers (in H Fig. 53) fängt die Masse wegen ihres hohes Fettgehaltes an zu
brennen, weshalb von diesem Moment an die sich entwickelnden heissen Verbrennungs-
gase durch i nach A und B geleitet und daselbst in Gemeinschaft mit den Feuerungs-
gasen zum Abdampfen der dünnen Laugen gebraucht werden.
ig. L>J.
Fig. 53.
Hort in H die Verbrennung auf, so wird die glühende Masse durch q q entfernt
und in eineD viereckigen gemauerten Behälter gebracht, in welchem sie binnen einiger
Wochen vollständig ausglimmt. Im ausgebrannten Zustande sieht sie wie hart gewor-
dener Mörtel aus und bildet so die rohe Passante, welche in der Fabrik wieder zur
Wäsche benutzt wird.
Eine so grossartige Anlage eignet sich nicht für kleinere Fabricanten; dieselben
können aber ein Consortium bilden, um ihre Abfallwässer mit Nutzen zu verwenden.
In Brügge wird in einer Fabrik, welche täglich 16,000 — 20,000 Pfund Wolle verarbeitet
dies Verfahren mit gutem pecuniärem Erfolge ausgeübt.5)
Diese Fabrication ist aber mit vielen üblen Gerüchen verbunden, namentlich ent-
stehen eine Masse von Acroleindämpfen im Calcinirraum. Sowohl diese als die beim
Abdampfen en stehenden Dämpfe sollten schliesslich statt in die Esse in die Feuerung
eines Desinfectionsofens geleitet werdendes liesse sich hierzu ebenfalls der Exhaustor
verwerthen. Die ganze Anlage gehört ausserdem nicht in die Städte, da sie stets den
Adjacenten sehr lästig wird.
2) Die Walk wässer und die ersten Spülwässer enthalten ausser Seife
sämmtliche lösliche Substanzen, welche die Tuche bei der Färberei und Weberei
aufgenommen haben, auch sind ihnen noch mehr oder weniger Wollfasern
beigemengt; ihre Farbe hängt von der Farbe der gewalkten Tuche ab. Bleiben
sie sich selbst überlassen, so tritt eine starke Reaction und eine Zersetzung der-
selben ein, wobei eine Entwicklung von ammoniakalischen und andern unan-
genehm riechenden Gasen entsteht (s. S. 232).
Diese Abfallwässer haben namentlich bei Fabriken, welche nicht an fliessendem
Wasser oder höchstens an kleinen Wasserläufen liegen, Nothzustände hervorgerufen,
welche unter allen Umständen Abhülfe erheischten. Dies ist z. B. in den Fabriken des
5(iO Die Thierfaser.
Regierungsbezirks Frankfurt a. d. 0. der Fall gewesen: auch die Wurm zu Aachen, in
•welche alle Wasch- und Walkwässer bisher flössen, steht in dieser Beziehung in üblem
Rufe, da ihr Wasser oft dintenartige Beschaffenheit hatte und die 'widerlichsten
Effluvien, wobei sich besonders Schwefelwasserstoff bemerkbar machte, aushauchte. In
Aachen hat man deshalb auch angefangen, diese Walkwässer zu Gute zu machen und
zwar wie bei der Stearinsäurefabrication entweder mittels des Säureverfahrens oder
des Kalkverfahrens: das erstere findet nicht in den Fabriken statt, sondern das
r wird hier in Fässern oder hölzernen Kasten aufgefangen und durch Schwefelsäure
zersetzt Die hierdurch abgeschiedene schwarze Masse von Fettsäuren wird abgeschöpft
und in Fässern nach den Stearinsäurefabriken behufs weiterer Bearbeitung gefahren,
die schmutzige, salzhaltige Flüssigkeit jedoch in den Fluss abgelassen.
Letztere Methode unterliegt noch einem grossen Bedenken, da die Flüssigkeit
stark sauer reagirt (s. Stearinsäurefabrication) und das Flusswasser für wirtschaftliche
Zwecke anbrauchbar machen kann: der freie Abfluss darf deshalb nur geschehen,
wenn man einen Fluss mit starker Strömung benutzen kann.
In jeder Beziehung zweckmässiger ist das Kalkverfahren oder die Kalk-
saponification; in einer Fabrik zu Aachen ist folgendes Verfahren eingeführt, das
sich auch für viele andere Ali fall wässer von ähnlicher Beschaffenheit eignet und daher
eine genauere Beschreibung gestattet. Die Walkwässer fliessen zunächst in ein gemauertes
Sammelbassin, aus welchem sie durch eine Abflussrinne in ein tiefer gelegenes Bassin
abgelassen werden; in die Abflussrinne fliesst Kalkmilch in dünnem Strahle zu. Der
Boden des Zersetzungsbehälters besteht aus drei Lagen Ziegelsteinen, von denen die
unterste platt liegt, die mittlei'e auf die Kante gestellt und die obere wieder platt gelegt
ist: bei den beiden untern Lagen sind die Steine einfach aneinander gelegt, während
die obere Lage mit einfachem Mörtel gemauert ist. In der einen Ecke des Zersetzungs-
behälters ist eine mit Löchern versehene Bretterwand angebracht, deren Oeffnungen
anfangs mit Holzstöpseln verschlossen sind, welche in dem Masse, als die Kalkseife sich
i klaren Flüssigkeit absetzt, von oben nach unten entfernt werden, so dass letztere
durch eine am Boden angebrachte Oeffhuug in einen Canal abfliesst. Durch das Ein-
strömen der Kalkmilch in das in einem dicken Strahle abfliessende Walkwasser findet
eine innige Mischung der beiden Flüssigkeiten und dadurch eine momentane Abscheidung
der Kalkseife statt. Dieser Process geht so rasch vor sich, dass schon nach 2 Stunden
die klare Lauge aus der obern Oeffnung abgelassen werden kann. Das Abflusswasser
enthält nur geringe Mengen organischer Stoffe und freies Alkali, ist aber fast gar nicht
gefärbt. Nach ein paar Tagen ist auf dem Boden ein fester Schlamm zurückgeblieben,
welcher durch Eintrocknen, ähnlich dem nassen Thon, unzählige feine Risse bekommt,
welche sich stetig erweitern und der nassen Kalkseife Gelegenheit bieten, die zurück-
gehaltene Lauge durch diese abfliessen zu lassen, von wo aus dieselbe dann von dem porösen
Boden des Behälters aufgenommen und entfernt wird.
Die zurückgebliebene Kalkseife wird dann ausgestochen und unter einem Dache
auf Brettergestellen getrocknet. In diesem Zustande stellt sie eine schieferfarbige, mehr
oder weniger fette Masse dar und besteht aus 60—70% Fettsäure, 18 — 20 % Kalk und
Eisenoxyd neben andern Unreinigkeiten; sie findet in Privat-Gasanstalten eine gute
Verwendung. Wegen Behandlung der Walkwässer für sich vergl. man S. 232; 6)
es ist aber ausser Frage gestellt, dass auch die Wollschweiss wässer durch die
Kalksaponification zu Gute resp. unschädlich gemacht werden können. In den Fabriken,
in welchen die rohe Wolle gewaschen wird, würde es sich daher empfehlen, die
Seh weiss wässer gleichzeitig mit den, Walk wässern zu verarbeiten. Es würde
dadurch schon in Bezug auf die Reinerhaltung der Bäche, Flüsse u. s. w. ein grosser
Vortheil erzielt: absolut nothwendig bleibt aber in sanitärer Beziehung ein solches
^ erfahren, wenn die Tuchfabriken nicht an einem ergiebigen Wasserlaufe liegen.
3) Die Abfallwässer beim Ausfärben der Wolle oder der be-
treffenden Gewebe können in denjenigen Fabriken, in welchen die Wolle ge-
waschen und gefärbt wird, oder mit denen eine Stückfärberei verbunden ist,
ebenfalls mit den Walkwässern vermischt und dann der Kalksaponification
unterworfen werden.
In der Regel werden bis jetzt die Abflusswässer der Färbereien unge-
reinigt in die Flüsse abgelassen; sie enthalten, wie bei jedem andern Färbereibetriebe,
Reste von Beizen und Pigmenten, welche sich sowohl in den abgebrauchten Flotten be-
finden als auch an den in die Waschmaschine gelangenden Geweben oder losen Wollen
haften. Alle diese Wässer sind meist intensiv gefärbt und stark verunreinigt, daher ihr
freier Abfluss um so mehr einem Bedenken unterliegt, wenn man nicht über ein fliessendes
\\ aBser mit hinreichendem Gefälle gebieten kann.
Seidenindustrie. 561
Durch Kalkzusatz entsteht unter Klärung des Wassers ein Niederschlag,
■welcher, wie in allen Färbereien, die Oxyde der gelösten Metallsalze enthält.
Der Niederschlag bildet sich aber höchst langsam; es ist diese Methode daher in der prak-
tischen Ausführung allerdings sehr lästig und bisher auch in pecuniärer Beziehung nicht
lohnend. Man hat aber in allen Färbereien noch zu wenig Versuche in dieser Rich-
tung angestellt und sich nur mit dem freien Abfliessenlassen begnügt: letzteres führt
aber auf die Dauer zu den grössten Unzuträglichkeiten, die sich auch bei vielen Seiden-
f ärb er eien herausgestellt haben. Die verschiedenen Färbereien verhalten sich in diesem
Puncte ziemlich gleich.
Können diese Wässer nur in langen Canälen in einen Fluss abgelassen werden,
so geben sie um so mehr zu belästigenden ATerschlammungen der Canäle Veranlassung,
je länger der Lauf der Canäle ist: nur ein starkes Gefälle und eine grossartige Spüluno-'
wie sie kaum ausführbar ist, könnte diesen Nachtheil verhüten. 7)
Die Anlage von Klärbassins ist in solchen Verhältnissen nothwendig, damit
sich die grösste Menge der in den Farbwässern suspendirten Stoffe zuvor ablagern, ehe
sie in die Canäle abgelassen werden. Sind aber einmal Klärbassins vorhanden so
würde das unternehmen durch einen Kalkzusatz nicht viel kostspieliger, jedenfalls 'aber
der grosse Vortheil erreicht, dass die Abfallwässer noch vollkommen geklärt würden
während der Niederschlag wenigstens als Dungmittel Verwerthung finden könnte.8)
In sanitärer Beziehung kann daher bei allen Färbereien die Anlage von
Klärbassins unter Zusatz von Kalk nur auf das dringendste empfohlen werden, wenn
der freie und directe Abfluss in einen grossen Fluss nicht möglieh ist. In einio-en
Gegenden hilft man sich in der Weise, dass nur während der Nacht der flüssige Inhalt
der Klärbassins in Bäche abgelassen wird, um wenigstens während des Tages die ander-
weitige Verwerthung des Bachwassers nicht zu hindern.
Stehen einer Färberei Ländereien zur Verfügung, so ist die Benutzung der Klär-
wässer zur Berieselung der Aecker, Wiesen u. s. w. ganz besonders ins Auge zu
fassen; nach den in der Lmgebung von Berlin gemachten Erfahrungen scheint sich diese
Methode zu bewähren (s. S. 217).
Seidenindustrie.
Seide ist ein zarter weisser oder gelblicher Faden, der aus Fibroin
besteht und einen in kochendem Wasser löslichen Ueberzug hat (Seidengummi,
Seidenleim oder Bast); dieser wird von der Seidenraupe (Bombyx mori) aus-
geschieden, um sich zu verpuppen. Die eingesponnene Raupe sammt dem Gespinnst
heisst Cocon*); die Cocons sind eiförmig, ungefähr Wi Zoll lang und weiss
oder gelb gefärbt.
Die Seidenraupen bedürfen zu ihrer Entwicklung ganz besonders einer
reinen Luft; unreine Luft ist ihr Tod. Die Ausdünstung der gesunden Raupe
erinnert an den Geruch der Rinde des Maulbeerbaums, wenn dieselbe einige
Minuten lang siedendem Wasser ausgesetzt wird. Faulende Raupen verursachen
dagegen einen vollständigen Leichengeruch, so dass Lösungen von Chlorkalk in
den Zuchtsaal aufgestellt werden müssen, um den Aufenthalt erträglich zu machen,
obgleich die noch lebenden Raupen sehr darunter leiden und namentlich die
Fresslust verlieren.
Werden die Cocons zur Gewinnung der Seide verwendet, so darf man die Ent-
wicklung zum Schmetterling nicht abwarten, weil durch das Ausschlüpfen desselben die
Fadenwindungen des Cocons durchbrochen werden und der Zusammenhang der Fäden
*) Fibroin Cj5H23Nä06 und Seidenleim (Sericin) C15H2jiN50g sind sich in
ihrer Zusammensetzung sehr ähnlich und stehen in einem ähnlichen Verhältnisse zu ein-
ander wie Coriin zur Bindegewebsfaser.
Eulenberg, Gsvrerbe-Hygiene. 36
562 Thierfaser.
verloren geht (durchbissene Cocons); deshalb ist überall das Verfahren eingeführt, die
Cocons zu tödten; dies geschieht im Backofen oder mittels Wasserdämpfe. Sollen
die so getödteten Cocons als Handelswaare dienen, so müssen sie einer Trocknung bei
100° ausgesetzt werden, damit das abgestorbene Thier nicht in Fäulniss übergeht. Man
benutzt dazu Dampfapparate, "wobei sich bei der ersten Einwirkung der Dämpfe
Schwefelammonium und flüchtige Fettsäuren entwickeln, die abgeleitet werden
müssen.
Neuerdings wendet man als Tödtungsmittel Kamp her an, der sich auch beim
Versenden der Cocons empfehlen soll.
Bei der Zubereitung der Seide, d. h. bei der Ueberführung der Cocons in Fäden,
unterscheidet man mehrere Operationen:
1) Das Sortiren der Cocons. Die fehlerhaften, zum Abhaspeln nicht ge-
eigneten, schimmlich gewordenen oder von Insecten angefressenen, sowie „durchbissene"4
Cocons werden hierbei ausgesucht.
2) Das Einweichen der Cocons bezweckt die Erweichung ihres leim-
artigen Ueberzugs; man gebraucht dazu bis zu 70° und 75° R. erhitztes Wasser, um
den gummiähnlichen Klebstoff, welchen das Thier zum Aneinanderheften der Fäden
benutzt, aufzulösen und den Anfang des Fadens finden zu lassen. Dieses Wasser kann
lange gebraucht werden ; wird es aber endlich dadurch verunreinigt, dass offene Cocons
ihre Puppen (Chrysaliden) haben ausfallen lassen, so wird die ganze Brühe zum Be-
giessen von Blumen und Gemüsen benutzt, da sie wegen ihres Gehalts an organischen
Stoffen (Gummi, Farbstoff, stickstoffhaltige Substanz) rasch in Fäulniss übergeht und
düngend wirkt.
Bisweilen übergiesst man die Cocons in Bottichen mit lauwarmem WT asser und
setzt sie einige Tage dem Sonnenschein aus, um eine Gährung einzuleiten, die man
bisweilen durch Zusatz von Harn unterstützt. Das abfallende Wasser ist gleich der
Mistjauche und muss wie diese behandelt werden.
3) Das Schlagen der Cocons. Man gebraucht dazu weiche Reiser von
Birkenkraut, womit sanfte Stösse auf die im Wasser befindlichen Cocons ausgeführt
werden. Hierdurch wird vorzüglich die an den Cocons hängende Flockseide (ver-
wirrte und knotige Seidenfäden) entfernt; zur Absonderung derselben müssen die
Hasplerinnen die Cocons häufig mit den Händen in warmem Wasser bearbeiten,
weshalb sie letztere häufig in einem zur Seite stehenden Gefässe mit kaltem Wasser
abkühlen. Dieser beständige Wechsel von Kälte und Wärme ist zweifelsohne die
Ursache, weshalb Hasplerinnen sehr häufig an Panaritien leiden: nicht selten werden
auch die Finger mit Bläschen bedeckt, die bisweilen in Pusteln oder Blasen übergehen
(mal de vers ou de bassine)1). Kommt dazu noch die Hitze des Ofens und der Wasser-
dampf, die solche Seiden-Haspelanstalten erfüllen, so vereinigen sich viele Umstände,
durch welche die Gesundheit dieser Arbeiterinnen sehr gefährdet wird. Solche Locale
müssen deshalb geräumig, luftig und hoch sein: auch muss der Fussboden, weil viel
Wasser verspritzt wird, mit Steinplatten oder guten Ziegelsteinen belegt sein. Wo das
Klima, wie in Italien, es gestattet, sind die offenen, nur aus Standpfeilern und einem
Dache bestehenden Schuppen am passendsten.
4) Das Haspeln oder Spinnen der Seide besteht darin, dass der Faden
von dem Cocon wie von einem Knäuel abgewickelt und auf einem Haspel aufge-
wunden wird.
Die von den Cocons abgehaspelte Seide heisst rohe Seide, Rohseide, Grez-
seide (nach dem Italienischen Grezza benannt). Ein Cocon liefert 0,15-0,25 Grm.
Rohseide.*)
Ist der Cocon abgehaspelt, so erscheint die Puppe, welche die Hasplerin in ein
Becken legt. Diese Puppen liefern, wenn sie faulen, alle Producte des faulenden
Fleisches; sie müsseu daher bald mit Kalk überschüttet, vergraben oder einem Dünger-
haufen übergeben werden, wenn sie nicht zur Ammoniakbereitung dienen sollen.
5) Das Entschälen der Seide. Die abgehaspelte Seide muss zunächst von
ihrem Üeberzuge, vom Seidenleim, welcher an der Luft durch die Veränderung des
*) Beim Abhaspeln der Cocons ist die Benutzung der Dampfkraft ein grosser
Fortschritt, da bei steter Erneuerung des Wassers kein Geruch hierbei auftritt und die
Arbeit sehr erleichtert wird. Limit in Como hat einen Apparat construirt, der auf der
abwechselnden und combinirten Thätigkeit des Wassers und des Dampfes beruht, indem
hierzu bestimmte Hähne abwechselnd geöffnet werden. Nachdem die Cocons mit Wasser
durchdrungen sind, treibt der Dampf dasselbe wieder aus, bedingt ihr Schwimmen auf
der Oberfläche des Wassers und erleichtert das Abhaspeln. Der grösste Vortheil besteht
in der gleichmässigen Einwirkung des Dampfes; auch erfolgt Kochen und Degummire n
in dem mit Dampf gemischten Wasser.
Seidenindustrie. 563
Fibroins entstanden ist, befreit werden, um ihr mehr Glätte und Weichheit zu ertheilen.
Man unterscheidet hierbei das Deguinniiren, wobei man die Seide in einer Oelseifen-
lösung aufhängt und so lange hin und her bewegt, bis sie von ihrem firnissartigen
Ueberzuge befreit ist. Hierbei tritt ein sehr unangenehmer Geruch auf; auch die Ab-
fallwässer müssen wie Beuchwässer behandelt werden; der ganze Process ist nänilich
ein Beuchen.
Hierauf folgt ein nochmaliges Kochen in einem Seifenbade und das Bleichen
mittels schwefliger Säure.
Das Zwirnen der Seide und das Titriren, d. h. die Bestimmung des Fein-
gehalts der Seide, sind unschädliche mechanische Manipulationen.
Das Conditioniren der Seide hat ein sanitäres Interesse, obgleich es nur die
Bestimmung des Wassergehalts der Seide bezweckt, da bekanntlich sowohl die rohe als
auch die gezwirnte Seide hygroskopisch ist und viel Feuchtigkeit aus der Luft
aufnimmt: man hat deshalb schon längst das Verfahren des Conditionirens ein-
geführt, wobei man in eignen, meistens unter öffentlicher Aufsicht stehenden Anstalten,
in Seidenconditionen, die Seide auf einen bestimmten Grad von Trockenheit bringt.
Das Trocknen geschieht mittels Wasserdämpfe bei 100° C. in kupfernen Kasten
mit doppelten Wänden. Während des Erhitzens gehen die verschiedenen absorbirten
Gase, Riechstoffe u. s. w. ab und die Abzugsröhren der Trockenkasten für die aus der
Seide sich entwickelnden Wasserdämpfe u. s. w. werden von einer eigeuthümlichen fett-
artigen Substanz incrustirt, welche in kurzer Zeit das Rothkupfer angreift und aus flüch-
tigen, noch nicht genau bekannten, die Augen stark reizenden Säuren besteht. Bisweilen
sollen selbst gefährliche Krankheiten durch die von der Seide absorbirten und in den
Trockenkästen wieder abgegebenen Stoffe herbeigeführt werden; namentlich erzeugte
in einem concreten Falle Seide aus der Levante auf diese Weise einen sehr complicirten
Krankheitsprocess , bei dem höchst wahrscheinlich die Mitwirkung von Contagien be-
schuldigt werden konnte. Die berühmtesten Trockenanstalten finden sich in Mailand,
Marseille, Elberfeld und Crefeld.2)
0) Das Färben der Seide ist weit einfacher als das der Pflanzenfaser, weil
sie die meisten Farben ohne Beize aufnimmt; meistens wird gleichzeitig eine Gewichts-
vermehrung bezweckt, welche gegenwärtig den grossartigsten Massstab angenommen hat
und besonders beim Schwarzfärben auf öO — 50, ja 100% gesteigert werden kann.
Auch findet hierbei bisweilen eine Präcipitation von Blei- und Barytsalzen
auf die Faser statt. In einem Falle konnten 18 % Blei in der schwarzen Nähseide nach-
gewiesen werden, was grade bei der Nähseide nicht gleichgültig sein kann, da dieselbe
bekanntlich in den Mund genommen, zerkaut oder selbst verschluckt wird.
Benutzung von Seidenabfällen resp. Bereitung von Floretseide. Alle Abfälle
beim Sortiren der Cocons, die Flockseide, welche beim Schlagen der Cocons, das
grobe Gewirre, welches beim ersten Eiuspinnen der Raupen entsteht, die durch-
bissenen Cocons u. s. w. begreift man unter dem Namen Flor et- oder Flock-
seide (Chappe, Strazza).3)
Man unterscheidet bei ihrer Zubereitung das Reinigen und Auflockern, das
Krempeln oder Kämmen und das Spinnen, dieselben Manipulationen, die bei der
Wolle und Baumwolle vorkommen, aber keinen gefährlichen Staub erzeugen, obgleich
die Ansichten hierüber nicht übereinstimmen. Wenn die französischen Autoren die
Folgen des Reinigens und Aufiockerns (Cardage) mit düstern Farben schildern, so ist
es weniger der Staub, als der häufig ungesunde, feuchte und kellerartige Arbeitsraum,
durch den manche Gesundheits- Schädigungen der Arbeiter entstehen. Jetzt begegnet
man meist luftigen Räumen, in denen der Seidenstaub um so weniger eine nach-
theilige Einwirkung ausüben kann, als die Schlag- und Krempelmaschine bei
zweckmässiger Construction die Arbeiter mehr schützt. Dass er der gefährlichste Staub
sei, wie namentlich Picardi) behauptet, wird von den meisten Beobachtern mit Recht
bestritten; die Schwindsucht unter den Seidenarbeitern, namentbch den Seidenwebern,
hängt mit andern Schädlichkeiten zusammen.
Seidenweberei. Auch bei der Fabrication der Seidenzeuge kommen im Wesent-
lichen dieselben Manipulationen wie bei der Fabrication der baumwollenen, wollenen
und leinenen Gewebe vor; der Hauptunterschied besteht darin, dass die schwereren
Seidenstoffe, wie sie vom Webstuhle kommen, fertige Waaren sind und nur noch einer
einfachen Pressung bedürfen. Nur die leichtern Sorten, wie Atlas, Taffet u. s.w., erhalten,
um mehr Ansehen zu bekommen, noch eine Appretur durch Gummi ren und Cylin-
driren; auch Sammet, unter dem man im Allgemeinen Zeuge mit einer haarartigen
Oberfläche versteht, wird bisweilen auf der Kehrseite gummirt.
36*
564 Thierfaser.
Das Gummiren geschah früher in der Weise, dass man die Stoffe mittels eines
in Traganthlösung getauchten Schwammes überstrich und in sehr stark erhitzten Räumen,
in den sogenannten Gummirstuben, trocknete. Die Arbeiter litten hierbei sehr von
der feuchten und heissen Luft.
Gegenwärtig geschieht das Gummiren vorzugsweise bei ganz leichten Stoffen
und namentlich bei Bändern in der Weise, dass das Zeug durch eine Gummilösung
und sodann über eine erhitzte Rolle läuft. Bisweilen rollt man das Zeug von einer
hölzernen Walze auf die andere und streicht es hierbei an, während sich zwischen
beiden Walzen ein kleiner Rollwagen mit llolzkohlenfeuer oder Gasflämmchen bewegt.
Im erstem Falle darf die Procedur nur in einem grossen luftigen Räume vorgenommen
werden, die aber überhaupt meist nur bei schlechter Arbeit des Webers erforderlich ist.
Zur Unterscheidung der verschiedenen Fasern des Gewebes wendet
man die chemische und mikroskopische Probe an. Durch Kochen mit Kalilauge unter-
scheidet mau zunächst die thielischen Fasern von den pflanzlichen, indem sich erstere
(Seide, Wolle, Alpaca) darin auflösen, letztere (Flachs, Hanf, Baumwolle) aber nicht.
Salpetersäure von 1,2 — 1,3 spec. Gew färbt Wolle und Seide gelb, Baumwolle und
Leinen nicht; eine wässrige Lösung von Pikrinsäure färbt nur Wolle und Seide gelb,
nicht die Pflanzenfaser. Ivupferoxyd- Ammoniak mit Ueberschuss von Ammoniak
löst zuerst die Seide, dann die Baumwolle, aber nicht die Wolle. Nitroprussid-
natrium erzeugt in einer Lösung von Wolle in Kalilauge eine violette Färbung wegen
ihres Schwefelalkaligehaltes, wohingegen eine Lösung von reiner Seide in Kalilauge
durch dasselbe Reagens nicht verändert wird.
Unter dem Mikroskop charakterisirt sich die Baumwolle durch ihre platte,
bandförmige Beschaffenheit, die Wolle durch die dachziegelförmig angeordneten Ober-
hautschuppen; die Seidenfaser erscheint ganz rund, glatt, ohne Innenhöhle, die
Leinen las er walzenförmig mit einer schmalen Innenhöhle, welche oft nur als Längs-
linie auftritt. Diese Unterscheidungszeichen sind bei der Prüfung des betreffenden
Staub es wichtig.5)
Die sanitären Verhältnisse der Seidenarbeiter.
Von einer Einwirkung des Seidenstau bes kann kaum die Rede sein, da
er bei der Bearbeitung der rohen Seide nur in geringer Menge auftritt und
keinesfalls erhebliche Reizungen der Brustorgane erzeugt. Mehr Staub entsteht
beim Ausklopfen und Ausdrehen der erschwerten Seide; es sind dann die
trocknen Farbstoffe, die den Staub erzeugen, dessen Natur sich natürlich nach
den zur Verwendung gekommenen Substanzen richtet. Hat man Bleipräparate
hierzu benutzt, so wird sich der Staub in nachtheiliger Weise geltend machen
können und liegt die Vermuthung nahe, dass man bei den auseinander gehenden
Ansichten über die Bedeutung des Seidenstaubs keinen strengen Unterschied
zwischen den verschiedenen Staubarten gemacht hat.
Die gesundheitsschädlichen Momente bei der Behandlung der Cocons werden
gegenwärtig durch zweckmässigere Einrichtungen, sowie durch Benutzung von
Maschinen sehr vermindert, so dass auch das schon besprochene Handleiden der
Hasplerinnen immer mehr schwinden wird.
Von grösserer sanitärer Bedeutung bleibt die Seidenweberei, die hier
noch besonders hervorzuheben ist, da der Handstuhl in der Hausindustrie zur Zeit
noch vorwaltet und mit vielen sanitären Nachtheilen verknüpft ist. Die Kör-
perstellung, die der Arbeiter dabei beobachten muss, sowie die Anstrengungen,
die hierbei unvermeidlich sind, erzeugen Krankheitszustände, die sich hier in
mannigfachen Circulationsstörungen, in Hämorrhoiden, Varicen u. s. w. kund
geben und häufig mit Verdauungsbeschwerden verbunden sind, die nicht allein
Folgen des einseitigen Druckes auf die epigastrische Gegend sind, sondern auch
häufig durch die Lebensweise, unzweckmüssige Ernährung, schlechte Luft und
ungesunde Wohnungen mit bedingt werden. Mangelhafte Beleuchtung und
die Einwirkuug greller Farben erzeugen nicht selten Augenleiden verschiedener
Beizen. 565
Art, während bei den meisten Webern in Folge unzweckmässiger künstlicher
Beleuchtung selten das „Schwarzspucken" vermisst wird.*)*
In manchen Gegenden beschäftigen sich auch jugendliche weibliche Personen
mit der Seidenweberei, eine Sitte, die körperliches und sociales Unheil erzeugt,
da sie das Mädchen frühzeitig aus seiner eigentlichen Berufsstellung in abnorme
Verhältnisse versetzt. Nirgends treten überhaupt die socialen Gebrechen greller
hervor als in der Seidenweberei.6)
In der Seidenfärberei sind unter den zur Verwendung kommenden Farb-
körpern vorzugsweise die Chrompräparate und Pikrinsäure zu nennen;
höchst selten werden aber Fälle von irgend einer nachtheiligen Einwirkung der-
selben bekannt, weil die grosse Verdünnung mit "Wasser den hinreichenden
Schutz gewährt, wenn bei den verschiedenen Manipulationen nur einigermassen
vorsichtig verfahren wird. Anilinfarben können hier nur durch Arsen- oder
Quecksilbergehalt schädlich werden; in den seidenen Stoffen lassen sich aber nur
höchst geringe Mengen dieser Verbindungen nachweisen. Bei der Appretur
sind die beständig warmen Räume nicht ohne Einfiuss auf die Gesundheit der
Arbeiter.
Allgemeines über Beizen, Zengdruck und Färberei.
Beizen und Zeugdruck.
Die Pflanzen- und Thierfaser besitzen die Eigenschaft, mit verschiedenen
Metalloxyden unlösliche Verbindungen einzugehen oder dieselben gleichsam zu
absorbiren. Dieser Vorgang nimmt in der Textilindustrie einen wichtigen
Platz ein und heisst Färben. Damit aber der aufgelöste Faserstoff mit der
Faser eine unlösliche Verbindung eingeht, bedarf diese meist einer Beize.
Die Lösung solcher Metall oxyde, die an und für sich keine Farbstoffe sind,
aber zu der Thier- und Pflanzenfaser sowohl als auch zu einem Farbenpigment in ver-
wandtschaftlicher Beziehung stehen, heisst Beize oder Mordant. Das Gewebe wird
dadurch befähigt, Farbstoffe aufzunehmen und die unlöslichen Verbindungen in sich zu
erzeugen; die Beizen dienen daher zur Fixirung der Farben. Je nachdem der
Farbstoff mit den verschiedenen Metalloxyden verschieden gefärbte Niederschläge
erzeugt, wird selbstverständlich auch das Gewebe eine verschiedene Färbung annehmen.
Vorzugsweise werden Alaun, Thonerdesalze, essigsaures Eisen, Zinksalze,
Gerbsäure, in der Türkischrothfärberei Oele und bei Anilinfarben Albumin und
Casein als Beizen benutzt.
Die Zeugdruckerei ist nur eine Örtliche Färberei und ganz besonders in
der Baumwollindustrie vertreten. Seit undenklichen Zeiten ist der Calicot als
Druckkattun bekannt, der von einem Orte in Malabar so benannt wird. Man erzielt
beim Zeugdruck farbige Muster auf weissem oder anders gefärbtem Zeuge oder weisse
Figuren auf farbigem Grunde.
Die zur Anwendung kommenden Farben heissen: 1) Tafel-, Application s-
oder Schilderfarben, wenn sie direct auf das Zeug aufgetragen werden, z. B. die
Eisenfarben, das Berlinerblau, der Krapplack, derindig und die Cochenille;
2) <üe Kessel- oder Krappfarben erzeugt man durch Eintauchen des Zeuges in die
Farbenbrühe (Flotte); hierher gehören: der Krapp, das Blauholz, der Wau,
die Cochenille, der Sumach u. s. w.
Beim Drucken unterscheidet man vier Methoden: 1) Man druckt Farbe und
Beizen zusammen auf und fixirt die Farbe durch Aufhängen und Lüften.
Dies ist der eigentliche Tafeldruck, wobei die Applicationsfarben in gelöstem oder
in ungelöstem Zustande aufgedruckt werden.
Viele Tafelfarben werden auf Baumwollgeweben durch das sogenannte Dämpfen
fixirt und heller gemacht, wobei viele noch unbekannte Zersetzungs-Erscheinungen vor-
kommen. Die dadurch fixirten und veränderten Farben heissen Dampf färben, bei
*) Ueber den Jacq «arischen Webestuhl vergl. man „Blei".
56ß Pflanzen- und Thierfaser.
denen die Zinnbeizen eine grosse Rolle spielen. Das Dämpfen geschieht in der
Weise, dass man die#Waare über Rollen in einem gut verschlossenen und mit einem
falschen Boden versehenen Holzbottich aufhängt, in welchem von unten mittels eines
Rohrs die Dämpfe eingeleitet werden.
2) Man bringt nur die verdickte Beize auf diejenigen Stellen des
Zeuges auf, welche Farben erhalten sollen, und zieht dann das Zeug
durch die Farbenflotte, wozu man bei der Baumwolle nur Krapp gebraucht, wes-
halb man das ganze Verfahren auch Kessel- oder Krappfarbendruck oder das
Färben aus dem Kessel nennt.
Die Baumwollzeuge werden mit der verdickten Beize bedruckt und in
Trockenkammern getrocknet; hierauf folgt das Kuhkothbad oder das sogenannte
Kuhkothen, ein Verfahren, welches die Kattundruckerei gegen Ende des vorigen
Jahrhunderts der Türkischrothfärberei (siehe diese) entlehnt hat; es bezweckt die
Entfernung des Verdickungsmittels und der überschüssigen Beize sowie die Fixirung
des Musters.
Statt des Kuhkothbades benutzt man sehr häufig, namentlich in der Schweiz,
zur Darstellung der rothen Tücher arseniksaures Natrium, das man in einzelnen
Fabriken mit Kreide abstumpft, so dass neben einem Alkalisalz ein fein vertheiltes
arseniksaures Calcium zur Anwendung kommt. Der Vorschlag von Mercer, ein
Gemisch von tertiärem phosphorsaurem Calcium und phosphorsaurem Natrium als
Kuhkothsalz (Sal ä bouse) zu gebrauchen, hat noch zu wenig Anklang gefunden.*)
3) Man färbt das ganze Zeug mit Ausnahme derjenigen Stellen,
welche weiss bleiben oder eine andere Farbe erhalten sollen. Zu dem Ende
bedeckt man diese Stellen mit einer Substanz (Reservage, Deckpappe, Auf-
spar ungspappe), welche zum Farbstoff der Flotte keine Verwandtschaft hat, oder
man druckt eine Substanz auf, welche die Aufnahme der Farbe verhindert, z. B. Wachs,
Talg, Pfeifenthon oder auch chemische Mittel, welche die Bildung von Farben an den
betreffenden Stellen verhindern, z. B. unterschwefligsaure Salze beim Gebrauch von
Eisenbeizen oder Kupfervitriol bei Indigküpen.
4) Man färbt das Zeug gleichmässig aus und nimmt auf denjenigen
Stellen, die anders gefärbt werden sollen, die Farbe wieder weg,
indem man daselbst chemisch wirkende Agentien (Aetzbeizen, Fress-
beizen, entfärbende Beizen) anbringt Man unterscheidet hierbei das Aetzen
der Beize und der Farbe. Das Aetzen der Beize hat den Zweck, das gebeizte Zeug
stellenweise von der Beize zu befreien; es gehören viele Säuren hierher, wie Oxal-,
Citronen-, Wein-, Milch-, Kieselfluor- und Arsensäure, sowie das Zinkchlorid.
Beim Aetzen oder Zerstören der Farbe, bei der eigentlichen Enlevage,
lässt man Chromsäure, unterchlorige Säure, Chlorkalk, Chromsäure, übermangansaures
Kalium, Salpetersäure u. s. w. auf die Stellen der Muster einwirken , so dass der Farb-
stoff oxydirt und zerstört wird.
Beim Bandanasdruck werden Muster schablonenartig in Bleiplatten aus-
geschnitten, mit der bleichenden Flüssigkeit (Schwefelsäure und Chlorkalk) begossen,
oben und unten auf einen Stoss krapproth gefärbten Zeuges gelegt und gepresst.
Beim Bedrucken der Leinwand handelt es sich vorzüglich um die Darstellung
von indigblauen Tüchern mit hellblauen oder weissen Figuren.
Beim Bedrucken der wollenen Waaren benutzt man hauptsächlich den Tafel-
druck und als Beize das Zinnchlorid: man fixirt die Farben durch Dämpfen (siehe
Ferrocyankalium). Beim Golgas- und Berilldruck presst man zwischen Platten
oder mittels Formen.
Das Bedrucken der seidenen Stoffe stimmt in der Hauptsache mit der Baum-
wolldruckerei überein. Beim Mandarinendruck ätzt man mit Pikrin- oder Sal-
petersäure den mit Indig gefärbten Grund.
Die Technik des Drückens ist durch Ch. Taylor und Tlmmas Walker durch
Einführung der Plattendruckmaschine, später durch Watt und Perrot sehr vervoll-
kommnet worden: die von letzterm construirte Druckmaschine heisst Perrotine.
Die neuesten Walzen- oder Rouleauxdruckmaschinen arbeiten mit vertieften
Formen, welche in kupfernen Cylindern eingravirt sind.
*) Beim Anilinfarbendruck gebraucht man als Beize Hühnereiweiss oder
durch Terpentinöl gebleichtes Blutalbumin. In englischen und elsässischen Fabriken
wird jetzt fast durchgängig Albumin durch Glycerinarsenik und essigsaure
Thonerde ersetzt. Im Meter sind 2 — 3 Grm. arseniksaure Thonerde enthalten. In
violetten Grundfarben werden verschiedene weisse Muster aufgedruckt, namentlich auf
Kattun und Battist. Nach dem Bedrucken folgt die Appretur; durch Einlegen in
Wasser soll sich der ganze Arsengehalt auflösen: man hat daher die Abfallwässer
zu beachten.
Färberei. 567
Färberei.
Bei der Färberei sind dieselben Gesichtspuncte wie bei der Zeug-
druckerei massgebend; viele Manipulationen beruhen aber nur auf Empirie.
Das Blaufärhen kommt in der Woll- und Baumwollindustrie viel-
fältig vor; man benutzt dazu namentlich in der "Wollfärberei die Indig-
küpe, das Berlinerblau und das Blauholz.
Man unterscheidet verschiedene Indigküpen: 1) die warm? Küpe. Bei der
Waidküpe dierit ein Zusatz von Waid, Krapp und Kleie zunächst zur Erzeugung
einer Gährung, um Indigo in Indigweiss zu reduciren*). Es entstehen hierbei
ammoniakalische Dämpfe, da der Waid einer langsamen Fäulniss unterliegt,
-während Krapp und Kleie zuerst Milchsäure- und dann Buttersäuregährung
erzeugen, -weshalb zur Bindung der Buttersäure Kalk zugesetzt wird, damit Ammoniak,
das Lösungsmittel des Indigweisses, nicht neutralisirt wird.
Grosse und luftige Räume sind zur Aufstellung der Küpen absolut erforder-
lich, um die Luft möglichst rein zu erhalten: die Waidküpe dient zum Färben der
Streich-wolle und des Tuches
2) Die kalte Küpe. Die Vitriolküpe wird aus Indig, Eisensulfat, Kalk (Kali
oder Natron) bereitet, bei welcher unter Wasserzersetzung Eisenoxydul oxydirt und
Indigo zu Indig weiss reducirt -wird: sie dient vorzugsweise zum Färben der baum-
wollenen und leinenen Stoffe.
Bei der Harnküpe ist das aus dem faulenden Harn entstandene Ammonium-
carbonat das Lösungsmittel für Indigweiss: Wolle und Leinen wird damit gefärbt.
Die Arsen- oder Opermentküpe wird mehr in der Zeugdruckerei benutzt
und durch Verdickung einer Lösung von Operment und Indigo in Kalilauge mittels
Gummi dargestellt. Da die Bildung" von arsensaurem und unterschwefligsaurem Kalium
unter Wasserstoffentwicklung stattfindet, so ist auch hier der Wasserstoff das Reduetions-
mittel für Indigo. Selbstverständlich ist hierbei in sanitärer Beziehung die grÖsste
Sorgfalt noth wendig, da sich auch leicht Arsenwasserstoff bilden kann: die Ge-
fässe müssen daher'einen guten Verschluss haben und mit einem Ableitungsrohr nach
dem Schornstein versehen sein.
Die Zinnküpe (Indigo, metallisches Zinn und Aetznatron) und die Zucker-
küpe (Milch- oder Stärkezucker neben Alkalien) kommen ebenfalls fast nur in der
Zeugdruckerei vor.
Ausser dem Indigo ist das Berlinerblau in der Wollfärberei am gebräuch-
lichsten (s. Ferrocyankalium S. 388}. Für geringere wollene und baumwollene Waaren
gebraucht man auch Campecheholz (Blauholz), das man abkocht und mit Alaun.
Weinstein und Kupfersulfat versetzt: im Handel kommt auch Blauholzextraet
vor**). Beim baumwollenen Garn dient häufig eine Lösung von Kupferoxyd in
Ammoniak als blaue Farbe.
*) In den Indigofera-Arten. Isatis tinctoria (Waid), Polygonum tinctorum u. s. w.
ist ein Chromogen, Indican, enthalten, das als glucosidartiger Stoff durch Gährung in
Zucker und Indigweiss zerfällt, welches an der Luft wieder in Indigblau übergeht.
**) Bei Hölzern muss auf besondern Mühlen ein Zerkleinern vorausgehen. Die
Natur des Staubes, der sich hierbei entwickelt, richtet sich natürlich nach den Bestand-
teilen des Rohmaterials; Sandelholz soll am meisten zum Husten reizen. Fast nie
werden aber auf Mühlen' Sehutzmassregeln, die oft sehr nothwendig sind, angewendet.
Beim Abdampfen der Abkochungen ist die Verflüchtigung etwa giftiger Dämpfe
zu berücksichtigen; so entwickelt sich z.B. bei der Darstellung des Quassiaextracts
im Grossen Quassiakampher. der sich während des Abdampfens mit den Wasser-
dämpfen verflüchtigt und narkotische Eigenschaften äussert. Hiermit hängt, nebenbei
bemerkt, die Wirkung des Quassia-Ffiegenpapiers zusammen, welches übrigens
häufig auch arsenhaltig ist.
"Wird Catechu in Europa durch Extraction mit siedendem Wasser und durch
Behandeln mit Schwefelsäure einer Reinigung unterworfen, so entwickeln sich eigen-
thümliche Riechstoffe mit narkotisirender Wirkung.
Die holzigen Rückstände bei der Farbholzextraction werden nach dem
Trocknen als Brennmaterial oder zur Darstellung von Essigsäure benutzt.
Die Pflanzenüberreste bei der Benutzung von frischen Pflanzentheilen g_ehen
sehr leicht in Fäulniss über und müssen stets mit Kalk Tersetzt werden, um die übel-
568 Färberei.
In der Seidenfärberei haben das Anilinblau nnd Anilinviolet die
Orseille verdrängt, die in Teigform in den Handel kommt, getrocknet, gemahlen und
gebeutelt aber Persico oder Cudbeard genannt wird.*)
Zum Gelbfärben der Wolle werden der Wau (Reseda luteola), das Gelb holz
(gelbes Brasilienholz), das als Cubaextract in den Handel kommt, die Avignon-
körner von Rliamnus tinetoria und die Pikrinsäure benutzt; bei der Baumwolle
verwendet man ausser den genannten Stoffen namentlich noch die Quercitronrinde
(von Quercus tinetoria), Orlean und die Gelbbeeren, während in der Seiden-
färberei vorzüglich Wad und die Pikrinsäure die gelben Pigmente liefern.
Beim Rothfärben nimmt bei der Wolle und Baumwolle der Krapp eine
hervorragende Stelle ein. **)
Zur Darstellung des Türkischroths oder Adrianopolroths ist der Krapp
schon seit Jahrhunderten benutzt worden und zwar auf ganz empirische Weise, da
über die Theorie dieser Färberei auch jetzt noch nicht die Ansichten übereinstimmen.
Man unterscheidet hierbei vier Operationen :
1) Das Beizen des Garns mit Oel geschieht in dem sogen. Kuhkothbade,
einer- Mischung von Banrem Olivenöl, Pottasche, Schafkothund Wasser, und
in dem Weiss- oder Hauptölbade, einer Mischung von Olivenöl, Pottasche und
riechenden Gase und Dämpfe zu zerstören. Ueberreste verschiedener Giftpflanzen
exhaliren auch narkotisirende Dämpfe: durch Kalkzusatz bildet sich Ammoniak
und der Fäulnissprocess schreitet ohne weitere Belästigung fort.
*) Orcein ist der Hauptbestandteil der Orseille, eine schwache Säure, die aus
dem Zersetzungsproducte (Orcin) vieler Flechtenarten (Roccella. Evernia, Parmelia)
mittels Ammoniak dargestellt wird. Die Flechten werden gesiebt, gewaschen und
mit Mühlsteinen gemahlen. In den Mühlen waltet ein höchst feiner, Alles durch-
dringender Staub, dem die Arbeiter vollständig ausgesetzt sind: eine speeifisch nachtheilige
Wirkung hat er nicht, denn viele Arbeiter bleiben in dieser Staubatmosphäre anscheinend
gesund. Die gemahlene Masse wird in muldenförmigen Holzkasten mit gefaultem
Urin behandelt: dieser könnte gut durch wässriges Ammoniak ersetzt werden. Man
verschliesst die Kasten und setzt nach einigen Tagen Aetzkalk zu. um ein Freiwerden
des Ammoniaks im Urin, namentlich die Extraction der Chromogene und ihre Spaltung
in Orcem zu bewirken.
Nicht selten setzt man Arsen und Alaun zu. um angeblich die Gährung zu
massigen, wahrscheinlich auch um der Farbe mehr Ton zu geben. Nach beendigter
Reaction lässt man die Teigmasse noch mehrere Wochen in den Kasten liegen, um sie
als Paste in den Handel zu bringen.
Die Orseille wird in der Wollfärberei mit Weinsäure, in der Seidenfärber e
mit Salzsäure gelöst.
**) Krapp, die Wurzel der Färberröthe (Rubia tinetorum), war schon den
Griechen und Römern bekannt: sie enthält ein Glycosid (Ruberythrinsäure). welche
mit Fermenten behandelt in Zucker und Ali zarin zerfällt. Alizarin ist eine
schwache Säure und verbindet sich in der Türkischrothfärberei mit der T hon erde zu
einer unlöslichen Verbindung, die in der Pflanzenfaser selbst entsteht: an der Luft
oxydirt es sich zu Purpurin.
Auf den Krapp mühlen sind die Arbeiter in Krapps taub eingehüllt, ohne
dass ihre Gesundheit dadurch benachtheiligt wird. Reizender wirkt der Staub des
holländischen Krapps, der in einem Ofen vollständig gedörrt wird, ehe er auf die
Mühlen kommt, während namentlich der elsässer Krapp in besondern Trocken-
häusern bloss getrocknet wird. Krappblumen bereitet man durch Auswaschen und
Gährenlassen des gemahlenen Krapps; aus den Krapprückständen stellt man Garanceux
grade wie Gar an ein dar.
Als Krapp-Präparate kommen im Handel das Garancin und die Krapp-
blumen vor. Die Darstellung von Garancin (Krappkohle, Charbon sulfurique)
beruht auf der Einwirkung heisser verdünnter Schwefel-äure auf Krapp, um den
Zucker und einige durch Schwefelsäure löslich gewordene Körper zu entfernen:
Krapp-Spiritus kann aus diesem gährungsfähigen Zucker gewonnen werden. Bei der
Garancinfabrication unterscheidet man a) das Kochen des Krapps mit ver-
dünnter Schwefelsäure, wozu man gewöhnlich die Kammersäure benutzt, b) das
Auswaschen von Garancin, c) das Auspressen, d) das Trocknen in Trocken-
räumen bei einer Temperatur von 50-60° C. Beim spätem Mahlen, Beuteln und
Verpacken ist es der Staub, welcher die Arbeiter sehr belästigen kann, wenn er auch
nicht speeifisch einzuwirken vermag. Ausserdem sind die Was^hwässer wegen ihres
Gehaltes an Kammersäure sehr beachtenswerth : sie dürfen daher niemals frei abge-
lassen, sondern müssen vorher mit Kalk oder Eisenabfällen versetzt werden.
Färberei. 5 QQ
Wasser. Hierdurch wird die Baumwollfaser höchst wahrscheinlich animalisirt (siehe
Albumin).
2) Zum Galliren (Schmacken, Sumachen) dient eine Abkochung von Galläpfeln
oderSuniach; die gallirte Baumwolle wird alsdann in einer Alaunlösung, welche mit
Natrium carbonat neutralisirt worden, bearbeitet, getrocknet und nochmals in der Alaun-
lösung bearbeitet. Die Verbindung von ölsaurer und gerb saurer Thonerde,
welche bei diesem Processe entsteht, befördert jedenfalls noch die Fixirung der Krapp-
farbstoffe auf die Baumwollfaser.
Hierauf folgt 3) das Ausfärben oder Krappen mit einer Abkochung von
Krapp; 4) das Schönen durch Erhitzen mit Seifenlösung, Zinnchlorür und
Salpetersäure.
In der Seidenfärberei werden vorzugsweise Fuchsin, weniger Safflor,
Orseille und Cochenille*) benutzt.
Zu Theerfarbstoffen hat ebenfalls die Wolle eine grosse Verwandtschaft; sie
kommen hierbei in allen verschiedenen Arten zur Verwendung.
Zum (Jrünfärben gebraucht man die Verbindung von Gelb und Blau. Man färbt
die Wolle zuerst blau, siedet sie mit Weinstein und Alaun und benutzt dann eine
Farbeflotte von Gelbholz oder Wau. Anilingrün dient zur Seidenfärberei;
Catechu liefert mit Eisenoxydsalzen schöne grüne Niederschläge und lebhaft grüne
Muster auf Leinen und Kattun. Bei der Baumwolle benutzt man die Vitriolküpe
und Quercitron.
Beim Schwarzfärben gelangen die baumwollenen Gewebe zuerst in die Vitriol-
küpe, dann in eine Beize von holzessigsaurem Eisen und zuletzt in eine Farbenbrühe von
Galläpfeln und Blauholz. Aechtes Wollschwarz wird durch Brenz- oder
Pyrocatechusäure dargestellt; das Extract von Sumach wird zum Schwarzfärben
von Seide und Wolle benutzt. Die wollenen Tücher bringt man zuerst in die
Waidküpe; nach dem Auswaschen werden sie in einem Bade von Sumach und
Blauholz gekocht und schliesslich mit Eisensulfat oder holzessigsaurem Eisen versetzt.
Aehnlich ist das Verfahren in der Seidenfärberei; das Schwerschwarz wird hier
häufig durch ein gerbsäurehaltiges Bad von Knoppernextract erzeugt, durch welches
man die Seide zieht und dann mit Eisensalzen ausfärbt; man beabsichtigt hierdurch
ein Erschweren der Seide, welches mit der Eigenschaft der Gerbstoffe, sich mit
der thierischen Substanz innig zu vereinigen, zusammenhängt.**)
Mit Anilinschwarz färbt man gegenwärtig Seide und Baumwolle, letztere
bedarf aber bei allen Anilinfarben einer besondern Beize (Tannin in Alkohol) (oder
des Animalisirens durch Albumin und Casein (s. Albumin und Casein).1)
*) Cochenille besteht aus den getödteten, getrockneten Weibchen von Coccus
cacti; ihr Farbstoff heisst Carm in säure, der beim Kochen mit verdünnten Säuren in
Carminroth zerfällt. Die Präparate aus der Cochenille heissen Carminlacke und
werden durch Präcipitiren des Farbstoffs mittels Thonerdehydrats dargestellt ; ein
Zusatz von Zinnchlorid führt die Farbe mehr in's Scharlachrothe über. Metallische
Abfallwässer kommen hierbei nicht vor, da man schon aus pecuniärem Interesse die
Zinnsalze wieder gewinnt. Diese Lacke werden übrigens meist zum Abstreichen
benutzt. Zur Fabrication der Kugellacke benutzt man Rothholz, ein Collectivnamen
für Fernambuk (Brasilienholz) und Sapanholz. Alle Lacke enthalten oft
Arsen und sollten nie zum Färben von Genussmitteln gebraucht werden.
Safflor besteht aus den getrockneten Bl amenblättern von Carthamus tinctorius
und kann auf Seide und Baumwolle ohne Beize als blasskirschrothe Farbe
aufgefärbt werden.
**) In der Färberei hat man die Gerbstoffe für das praktische Bedürfniss nach
ihrem Verhalten gegen Eisensalze eingetheilt, da die einen diese schwarzblau und die
andern grün falten. Man hat deshalb in der Technik seit langer Zeit eisenbläuende
(Galläpfel, Sumach u. s. w.) und eisengrünende Gerbstoffe (Catechu, Kino, Tannen-
rinde u. s w.) unterschieden, obgleich diese Eintheilung wissenschaftlich nicht begründet
werden kann.
570 Thierhäute.
Thierhäute.
Die Thierfaser bildet den Uebergang zu den Thierhäuten, deren Präparation
zu Leder Gerben, Beizen und Färben erfordert. Die Gerberei ist, insofern die
Gerbemittel in die Poren der Haut eindringen und die einzelnen Fasern umgeben,
eigentlicb Färberei.
Es sind schon mehrere Farbstoffe erwähnt worden, die ätherartige Ver-
bindungen von gährungsfähigem Zucker mit andern Körpern enthalten und
Glucoside genannt werden; sie zerfallen in Zucker und in ihren zweiten Be-
standteil, wenn sie mit Säuren und Alkalien behandelt werden und schliessen
sich somit an die Kohlehydrate an. Zu den Glucosiden gehören auch die
Gerbsäuren, die sich in den Gerbstoffen befinden und die Eigentümlichkeit
besitzen, dass sie Eiweiss- und Leimlösungen fällen, mit thierischen Häuten
zusammengebracht, Leder geben und deshalb ausser in der Färberei nament-
lich in der Lohgerberei zur Anwendung kommen, obgleich der Process der
Gerberei vielfältig nur als ein physicalischer Vorgang betrachtet wird; besonders
ist Knapp der Ansicht, dass sich Leder nur dadurch von der Haut unterscheidet,
dass die Fasern beim Trocknen nicht mehr zusammenkleben. Uebrigens unter-
liegt es keinem Zweifel, dass die Gerbstoffe auch als fäulnisswidrige Substanzen
wirken.1)
Zu den Gerbstoffen gehören 1) die Galläpfel, die durch den Stich der
Gallwespe (Cynips gallae tinctoriae) an den Blättern von Quer, infect. entstehen;
Eichgalläpfel kommen auf verschiedenen Eicharten vor; chinesische Gall-
äpfel stellen walzenförmige Anschwellungen dar, die sich auf einer Rhusart bilden.
2) Die Knoppern bilden sich beim Stich eines der Gallwespe verwandten
Insects (Cynips quercus calycis) in dem Kelch gewisser Eichenarten.
3) Der Sumach, Schmack, besteht aus den zerriebenen Blättern und
Blattstielen verschiedener Rhusarten (Rhus coriaria und cotinus); er dient beson-
ders zur Bereitung von Saffian, von feinem Oberleder und feinen Pelz-
waaren. Beim Eindampfen eines wässrigen Auszugs verflüchtigen sich reizende
Bestandtheile, welche bei den Arbeitern Schwellung des Gesichts erzeugen können ;
Aufschläge von Essig lindern die Schwellung am besten. Der Staub des Extracts
(Sumach-Gummi) erzeugt auf der Haut Blasen.
Beim Gerben der Felle zu Saffian unterliegt der Sumach vorher einem
Gährungsprocesse, wobei das scharfe Princip verloren geht; deshalb werden auch die
Arbeiter bei der Anwendung eines solches Sumachs nicht belästigt.
Im Handel kommt der Sumach fein pulverisirt in Zwillich-Säcken verpackt
vor; ist die Verpackung mangelhaft, so leiden die Arbeiter beim Tragen der
Säcke in Folge des einwirkenden Staubes fast stets an erysipelatösen Haut-
reizungen, die sich oft weit ausdehnen können.
4) Die Eichenrinde spielt als Lohe in der Gerberei eine grosse Rolle.
5) Dividivi oder Libidibi sind braunrothe, rauhe, etwa 2 Zoll lange
Schoten von Caesalpina coriaria in Südamerika. 6) Catechu und Kino.
Gerberei. 57 \
Gerberei.
Nach der verschiedenen Behandlung der Häute unterscheidet man a) die
Lohgerberei, b) die Weissgerberei und c) die Sämischgerberei.
A. Lohgerbern.
Dem eigentlichen Lohgerben gehen mehrere Processe vorher, welche die
Haut zur Aufnahme des Gerbstoffs befähigen.
1) Das Einweichen der Häute geschieht namentlich bei gesalzenen und ge-
trockneten Häuten und zwar durch längeres Liegenlassen in Wasser; gebraucht man
dazu fliessendes Wasser, so ist zu beachten, dass die dabei entstehenden Fäulniss-
producte nachtheilig auf die Fischzucht wirken, besonders in kleinen Bächen mit geringer
Strömung. Geschieht dies Einweichen bei trocknen Häuten in Bottichen, so nehmen
die sogen. Weichwässer einen höchst widerlichen Geruch an und dürfen niemals frei
abgelassen werden; ein Zusatz von Kalk in Klärbottichen ist absolut noth wendig;
höchstens können sie unvermischt zur Anfeuchtung der verbrauchten Lohe benutzt
werden, wenn aus dieser sogenannte Lohkuchen angefertigt werden.
2) Das Reinigen der Fleischseite geschieht auf dem Schabebaum. Die
Abfälle dürfen nicht lange frei liegen bleiben, damit sie nicht in Fäulniss gerathen; sie
müssen sofort gekalkt werden, wenn sie als Leimgut in den Handel kommen sollen.
Hierauf gelangen die Häute nochmals zum Auswaschen oder auch zum Walken in
Bottiche.
3) Das Reinigen der Haar- und Narbenseite oder das Abhaaren. Um
die Epidermis mit den Haaren vollständig zu entfernen, bedarf es einiger vorbereitender
Operationen und zwar der Kälkung oder des Schwitzens.
a) Behufs der Kälkung gebraucht man Aescher, d.h. mit Kalkmilch gefüllte
Bottiche, wobei der Kalk wahrscheinlich mit der Fettsubstanz eine Kalkseife
bildet; dieses Kalken wendet man gewöhnlich für leichtere Ledersorten an.
b) Das Schwitzen findet bei dicken, für Sohlenleder bestimmten Häuten
statt und besteht in einer von selbst erfolgenden Gährung (Schwitzen); es geschieht
in sogenannten Schwitzkammern oder auch in Kasten (Schwitzkasten), welche
durch Einbetten in Pferdemist und Lohe bis zu einer bestimmten Temperatur erwärmt
und längere Zeit auf derselben erhalten werden. Es entwickeln sich alle Producte der
Fäulniss thierischer Substanzen vom Schwefelammonium an bis zu den flüchtigen
Fettsäuren und den Aminbaisen.
Das Betreten der Schwitzkammern muss stets mit der gehörigen Vorsicht ge-
schehen und soll man sich so bald als möglich aus denselben entfernen. In den
Schwitzkammern wird durch directe Feuerung oder frei einströmende Wasserdämpfe
eine Temperatur von 30—50° C. erzeugt; in manchen Städten sind sie in tiefen Kellern
angebracht, wo die Lufterneuerung sehr schwierig zu bewerkstelligen ist; die ganze
Procedur ist dann noch mit weit grössern sanitären Nachtheilen verbunden.
Die Deckel der Versatzgruben oder Schwitzkasten kann man mit einem Kalk-
wasserverschluss versehen, um wenigstens während des „Schwitzens" den Austritt
der Gase zu verhüten, namentlich wenn die Behälter an einem massig warmen und
geschlossenen Orte aufgestellt sind.
Man sollte niemals versäumen, die Häute auf der Fleischseite, ehe sie zum
Schwitzen gelangen, mit Kochsalz einzureiben oder mit etwas Holzessig oder Carbol-
säure zu tränken, um die Fäulniss nur auf den notwendigsten Grad zu beschränken.
Ganz besonders ist beim Oeffnen der Versatz- oder Schwitzkasten die grösste
Vorsicht nöthig, damit die Arbeiter nicht direct von den entweichende^ Gasen getroffen
werden; sogar Todesfälle können die Folgen dieser Unvorsichtigkeit sein. Selbst beim
nachträglichen Reinigen solcher Kammern oder Kasten sollte man durch Einleiten von
Wasserdämpfen oder wenigstens durch Einschütten von Wasser alle schädlichen Gase
entfernen, ehe man den Arbeitern den Zutritt gestattet. Schwitzkammern,
welche man durch einströmende Wasserdämpfe erwärmt, haben deshalb den grössten
Vorzug, weil sich mit der Condensation der Wasserdämpfe auch die schädlichen Gase
und Dämpfe niederschlagen.
Nachdem die Häute dem Abpälen unterworfen, d. h. auch von den Haaren be-
freit sind, heisseD sie Blossen.
4) Das Schwellen oder Treiben der Blossen bezweckt eine vollständige
Auflockerung des Hautgewebes, um das Eindringen des Gerbstoffs beim nachfolgenden
Gerben zu ermöglichen. Die rothe Schwellbeize, d.h. alte, durch Essig-, Butter-
572 Thierhäute.
Propionsäure sauer gewordene Lohbrühe, wird bei den für Sohlenleder bestimmten
Häuten benutzt.
Die weisse Seh wellbeize, welche man durch saure Gährung von Gerstenbrot
oder Weizenkleie darstellt, enthält hauptsächlich Milchsäure neben Butter- und Propion-
säure und dient zur Wegschaffung des den Häuten aus dem Aescher anhaftenden Kalk's.
In einigen Gegenden benutzt man hierzu auch die Excremente von Hühnern, Tauben
und Hunden, welche man in Wasser aufweicht. Die sich bildenden Ammoniumsalze
werden bei Gegenwart eines Ferment > oder einer überschüssigen alkalischen Basis in
Salpetersäure verwandelt, die mit dem Kalke ein lösliches Salz bildet, ein Ver-
fahren, welches den Adjacenten die grösste Belästigung bereitet und mit höchst übel-
riechenden Abfallwässern verbunden ist.
Neuerdinga hat man auch verdünnte Schwefelsäure (1 : 15000) zum Schwellen
vorgeschlagen; die beschleunigte Wirkuug findet aber hierbei nur auf Kosten der Güte
des Leders statt.
Nach der hinreichenden Schwellung gelangen die Blossen in eine schwache
Lohbrühe, in das Farbwasser, womit der Gerbeprocess beginnt.
Das Gerben der gesclnvellten Blossen besteht in einer Sättigung derselben mit
Gerbstoff und wird nach 2 Methoden ausgeführt:
1) Das Einsetzen in Gruben. Man bringt die Häute in abwechselnden
Schichten mit Lohe in viereckige, mit eichenen Bohlen wasserdicht hergestellte Gruben
oder auch in runde Bottiche von hinreichender Grösse; die Dauer der Einwirkung des
Gerbstoffs richtet sich nach der Natur der Häute und variirt zwischen 2 Monaten und
2 Jahren.
2) Das Gerben in der Loh brühe geschieht vorzugsweise bei schwächern
Häuten, welche man in Lohbrühen von progressiv zunehmender Stärke bringt.
Die sogenannte Schnellgerberei geht von dem Princip aus, das Eindringen
der Lohbrühe in die Häute so viel als möglich zu befördern, wozu man z. B. die Cir-
culation der Gerbflüssigkeit, den hydrostatischen Druck, den luftverdünnten Raum, den
mechanischen Druck u. s w. benutzt hat.
In sanitärer Beziehung ist der Umstand zu beachten, dass man sich sehr
vor der Berührung der sauren Lohbrühe mit den Aeschern zu hüten hat, wenn zum
Kalken Gaskalk benutzt worden ist, weil sich in diesem Falle die gefährlichsten Gase,
Schwefelwasserstoff, Blausäure und Kohlensäure, entwickeln. Mehrere hier-
durch veranlasste Todesfälle in einer Lohgerberei zu Berlin gaben zu einer Verfügung des
Ministeriums für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten vom 9. Juli 1856 "Veran-
lassung, in der auf die grosse Gefahr, welche durch die Vermischung der sauren
Lohbrühen mit Gaskalk entsteht, aufmerksam gemacht wird.
Saffian, Maroquin oder türkisches Leder wird aus den Häuten von
Böcken, Ziegen, Schafen und Kälbern dargestellt. Zum Gerben gebraucht man nur
Sumach, mit welchem man zwei zu einem Beutel zusammengenähte Felle theilweise
füllt: diese werden in einer warmen Sumachbrühe aufgehängt und bewegt. Hierbei
entwickeln jsich eigentümliche, betäubend wirkende flüchtige Körper neben
vielen Wasserdämpfen, welchen die Arbeiter stundenlang ausgesetzt sind; es ist daher
absolut nothwendig, dass diese Arbeit unter einem gut ziehenden Rauchfang vor-
genommen wird.
Die verschiedenen Gerbstoffe bedingen die verschiedenen Arten von Leder, wie
Corduanleder (Rhus cotinus), das sich vom Saffian durch grössere Stärke und natür-
liche Narbe unterscheidet, dänisches Leder { Weidenarten) Juchten (Birken- und
Fichtenrinde).
Das Znrichten des lohgaren Leders. Unter den verschiedenen Manipulationen,
(Hämmern, Falzen. Schlichten, Krispein), die sich nach der Beschaffenheit des Leders
richten, ist noch das Einfetten, Schmieren, Tränken mit Leberthran, Talg und
Degras (Gerberfett) zu erwähnen, das gewöhnlich mit den noch nassen gegerbten
Häuten vorgenommen wird.
Das Färben geschieht vorzugsweise bei den Saffianen, und zwar nach 2 Methoden:
a) Das Färben aus dem Troge wird bei den ächten, aus Ziegenfellen
dargestellten Saffianeu (Maroquins) in der Weise vorgenommen, dass man die
gegerbten Felle, mit der Aussenseite nach innen, der ganzen Länge nach zusammenlegt
und in einem Bade von 60° C. hin und her bewegt. Man benutzt zum Rothfärben
meist Kermesbeeren.
b) Das Färben mit der Bürste geschieht bei den un ächten, aus Schaf-
fellen dargestellten Saffianen und zwar mittels Pflanzen- und Metallfarben.
Für das Juchtenleder benutzt man in Russland zum Rothfärben eine Ab-
kochung von Sandelholz und Fernambuk, zum Grünfärben Kupferhammerschlag;
für das Schwarz färben des gewöhnlichen Schuhleders dient frische Lohbrühe in
Eisenbrühe und etwas Kupfervitriol.
"Weissgerberei. 573
Lackirtes Leder. Auf lohgares, nicht eingefettetes, auf Holzrahmen aus-
gespanntes Leder wird ein schwarzer, dickflüssiger Lackfirniss aufgetragen; in einem
bis zu 50° C. erhitzten Räume muss derselbe so dünnflüssig werden, dass er sich auf
dem Leder gleichmässig ausbreitet und eintrocknet. Für farbige lackirte Lacke ge-
braucht man dünnflüssige Lacke und einen geringern Hitzegrad; die Arbeiter brauchen
aber in den Heizräumen nicht lange zu verweilen.
B. Die Weissgerberei.
Bei der "Weissgerberei, welche sich mit der Darstellung des weiss-
garen Leders beschäftigt, sind dieselben Vorarbeiten wie bei der Lohgerberei
erforderlich. Man gebraucht dazu die Hammel-, Schaf-, Ziegen- und Leimfelle,
seltner Kalbs- und Rehhäute; sie werden statt mit Gerbstoff mit Alaun gar
gemacht, indem die Leimsubstanz durch die Aufnahme der Thonerdesalze vor
Fäulniss geschützt wird.
Man unterscheidet drei verschiedene Arten der Weissgerberei: 1) Die gemeine
Weissgerberei. Sie beschäftigt sich mit der Verarbeitung der Hammel-, Schaf- und
Ziegenfelle; werden sie dem Gerber mit der Wolle überliefert, so handelt es sich vor-
züglich um den Gewinn der letztern, der sogenannten Gerber- oder Raufwolle.
Das Einweichen, die Reinigung der Fleischseite und das Enthaaren
geschieht wie bei der Lohgerberei.
Die mit Wolle noch versehenen Häute werden geschwödelt oder geschwedelt,
d. h. auf der Fleischseite mit Kalkbrei bestrichen; die Felle werden dann mit der
Fleischseite nach innen zusammengefaltet und in einem Bottich so lange aufeinander
geschichtet gehalten, bis die Wolle los geht.
Meist verbindet man den Kalk mit Schwefelarsenik (Operment), eine Ver-
bindung, welche das Rhusma der Orientalen darstellt und die Bildung von Schwefel-
calcium-Schwefelarsen veranlasst; gewöhnlich werden 30 Pfund Kalk abgelöscht
und mit 2 Pfd. Auripigment vermischt.
Statt Rhusma wird gegenwärtig Einfach-Schwefelcalcium vorgezogen,
welches man durch Glühen von Gips und Kohle erhält; auch das durch Einleiten von
Schwefelwasserstoff in Kalkmilch dargestellte Schwefelwasserstoff-Schwefel-
calcium eignet sich hierzu. Neuerdings wird der Gaskalk wieder zum Enthaaren
vorgezogen; er muss aber wegen seines häufig hohen Gehaltes an Cyanverbindungen,
welche schon durch die Einwirkung der atmosphärischen Kohlensäure Blausäure ent-
wickeln, mit der grössten Vorsicht behandelt werden; um so mehr werden sich
Schwefelwasserstoff und Blausäure entwickeln, wenn er mit Alaunlösung oder
andern sauren Flüssigkeiten in Berührung kommen sollte.
Behandlung im Aescher. Die enthaarten Felle, d.h. die Blossen, werden
dann im Aescher behufs vollständiger Entfernung des Fettes behandelt; gewöhnlich
gebraucht man die sogenannten faulen Aescher, welche in Folge des häufigen Ge-
brauchs reich an thierischen, in Fäulniss übergegangenen Substanzen und deshalb
ammoniakreich sind. Es kommt daher häufig noch ein Verfahren vor, welches für
die Nachbarschaft höchst belästigend ist; man benutzt nämlich Hundekoth, der in
einer Grube mit Wasser dem Fäulnissprocess anheimfällt, bis die Flüssigkeit gelbbraun
wird, Ammoniakbildung stattfindet und alle Zeichen einer hochgradigen Fäulniss
vorhanden sind. In diese Brühe gelangen alsdann die Blossen, um die Beseitigung
aller Weichtheile zu befördern und zu beschleunigen; in kleinen Gerbereien wird täglich
wenigstens ein gewöhnlicher Eimer voll Hundekoth benutzt. Die Abfallwässer haben
einen entsetzlichen Geruch und dürfen niemals direct und ebensowenig in Schlinggruben
abgelassen werden. Gerbereien dieser Art sollten nie in Städten oder Vorstädten ge-
duldet werden.
Zum gänzlichen Entkalken dienen das Schwellen, d. h. die Benutzung einer
Kleienbeize, sowie das Auswasche u.
Das Gerben findet in einer Brühe von Alaun, Kochsalz und warmem
Wasser statt. Um essigsaure Thonerde einwirken zu lassen, gebraucht man bis-
weilen auch Alaun und Bleizucker, wobei das abfallende Bleisulfat zu beachten
ist; durch die nachfolgende Appretur (Stellen, d. h. Recken nebst Glätten) erhält man
Weissleder, das als Schuhfutter benutzt wird.
2) Die ungarische Weissgerberei. Man gebraucht dazu dicke Ochsen- und
Büffelhäute oder schwächere Kuh- und Pferdehäute, je nachdem man starkes Pferde-
geschirr, wie namentlich in Frankreich, oder nur Riemen u. s. w. daraus bereiten will.
Die Manipulationen sind im Allgemeinen dieselben, nur geschieht das Enthaaren
574 Thierhäute.
stets mittels des Putzmessers. Nach dem Stellen oder Recken werden sie häufig mit
Talg getränkt.
3) Die französische oder Erlanger Weissgerberei. Sie befasst sich
vorzüglich mit der Darstellung des weissgaren Handschuhleders ; für die feinsten Sorten
dienen die Felle der ganz jungen Ziegen, für geringere die Felle der Lämmer, zu
Schuhwaaren die Felle junger Kälber, zum Waschleder Hirsch- und Gemsefelle.
Die Vorbereitungsarbeiten unterscheiden sich nicht von den oben angeführten,
dagegen besteht der Gerbebrei aus einer eigenthümlichen Mischung von Weizenmehl,
Alaun, Kochsalz und Eidotter oder Olivenöl; nicht selten setzt man bei feinem Glace-
handschuhleder noch Urin hinzu (s. S. 233).
In den Oelemulsionen werden die Felle häufig durch Treten gewalkt, wenn man
hierzu nicht Walzen benutzt. Die übrigen Proceduren (Glätten, Appretiren) wieder-
holen sich auch hier.
Das Färben des weissgaren Handschuhleders geschieht meist auf der
Narbenseite und zwar mit vegetabilischen und mineralischen Farbstoffen, wie Orleans,
Berberis, Quercitron, Indigo, Farbhölzern, Anilinfarben, Eisen- und Kupferoxyd, nach-
dem sie vorher gewaschen und mit Urin behandelt worden sind.
C. Die Sämisch- oder Oelgerberei.
Die Sämischgerberei ist die ursprünglichste Form der Gerberei und
findet sich schon bei sehr uncultivirten Völkern; die Häute werden hierbei mit
Fett oder Thran bearbeitet, welches sich auf eine eigenthümliche Weise mit der
Hantfaser verbindet. Da sich ein auf diese Weise dargestelltes Leder waschen lässt,
so nennt man es auch Waschleder. Man gebraucht fast alle Felle, speciell
aber die Häute von Hirschen, Rehen, Hammeln, Schafen, Kälbern dazu; selbst
die Ochsenhäute werden in dieser Weise behandelt, wenn man daraus Riemen,
Koppeln oder Bandeliers für das Militär fabriciren will.
Die vorbereitenden Arbeiten sind dieselben wie beim alaungaren Leder,
nur mit dem Unterschiede, dass beim Enthaaren gleichzeitig die Narbe mit einem
stumpfen Messer auf dem Streichbaum „abgestossen" wird.
Dann gelangen sie in die Kleienbeize, in die Walke und in die Wärm-
kammer, in welcher durch die Oxydation des Öels eine Art Gährung eintritt, indem
sich die Fette in die entsprechenden Säuren und in Glycerin abspalten. Die letztere
Behandlung nennt man in der Technik das ,, Färben in der Braut".
Zur Entfernung des mechanisch beigemengten Oels werden die Felle mit einer
Lösung von Pottasche oder mit Walkererde behandelt; die abfliessende Brühe ist
die Weissbrühe, Gerber fett, Degras und dient zum Bleichen des sämischgaren
Leders. In einigen Gerbereien versetzt man die ölige Brühe mit Schwefelsäure, um das
Fett wieder zu gewinnen; in diesem Falle dürfen die sauren Abfallwässer nicht frei
abfliessen.
Pergament. Zur Darstellung des Pergaments benutzt man hauptsächlich die
Häute des Esels, des Kalbes, Schafes, Schweines u. s. w., welche, wie beim alaungaren
Leder, bis zur Kleienbeize vorbereitet, dann ausgespannt und gehörig ausgestrichen
werden. Pergament stellt somit eigentlich nur die getrocknete Haut der Thiere dar und
unterscheidet sich vom Leder entschieden dadurch, dass es nicht gegerbt ist.
Nach der verschiedenen Verwendung erhält das Pergament noch eine besondere
Zubereitung durch Einreiben von Kreidepulver. Das Oelpergament erhält einen An-
strich von Oelfirniss und Blei weiss, ein Umstand, der für die Arbeiter und für die
spätere Benutzung zu beachten ist.
Künstiches Chagrain, Shagreen. Das orientalische ächte Chagrain
wurde ursprünglich aus der Haut des Haifisches dargestellt; jetzt benutzt man auch
Pferde- und Eselhäute. Zum Grünfärben gebraucht man in der Regel Kupferfarben.
Künstliches Leder wird aus Baumwollgespinnsten, Leinöl, Baryt, Asphalt,
Bienenwachs, Kork u. s. w. bereitet. Boulinikon ist ein Deckenstoff aus Leder, VVoll-
abfällen und Haaren; Linoleum und Kam ptulikon sind ähnliche künstliche Producte.
Die Pelzgerberei stellt eine unvollständige Weissgerberei dar und bezweckt, die
feinen Poren, in welchen die Haarwurzeln stecken, zu verengern, um dadurch das Aus-
fallen der Haare zu verhüten.
Die vorbereitenden Acte bestehen in einem sorgfältigen Waschen der Felle
mit Seifenwasser und reinem Wasser. Nach dem Trocknen folgt das Einschmalzen,
d. h. das Einreiben der Fleischseite mit Butter, Oel oder Schmalz; dann gelangen sie in die
Trampeltonne oder in eine Walke; in ersterer werden sie mit Füssen getreten.
Sämischgerberei. 575
Die Schwellbeize besteht aus Mehl, Schrot oder Kleie, Sauerteig und Wasser;
bei der hierbei entstehenden sauren Gährung entwickelt sich viel Milchsäure, man
kann daher auch direct saure Milch einwirken lassen.
Nach der Reinigung von Fleisch- und Schmutztheilen folgt das Gerben, wozu
man Kochsalz und Alaun benutzt.
Das Läutern der Felle bezweckt die vollständige Entfernung des Fettes und
aller Unreinigkniten. Die mit der Haarseite nach aussen gekehrten Bälge werden
mittels kleiner Stöckchen geklopft, gewaschen u. s. w. und dann in den Tret- oder
Wärmstock gebracht, eine mehrere Fuss hohe Tonne, deren Boden einen kupfernen, auf
Füssen ruhenden und mittels glühender Kohlen erwärmten Kessel darstellt.
Hier werden die mit Sägespänen aus Acajouholz, Kleien, Häcksel, Heusamen u. s. w.
auf ihrer Haarseite bestreuten Felle mit blossen Füssen derart bearbeitet, dass die Pelz-
waaren eine beständig circulirende Bewegung machen. Diese Beschäftigung ist eine
höchst ungesunde, da der mit feinen Haarpartikelchen gemischte Staub eine stark
reizende Wirkung auf die rlespirationsschlelmhaut ausübt Man wendet daher vorzugs-
weise die Läutertonnen an, eine cylindrische Trommel, die von unten mittels glühen-
der Kohlen erwärmt und langsam umgedreht wird; da sich auch hierbei viel Staub
entwickelt, so muss die Trommel in einem geschlossenen Räume stehen. Der Rest des
Läuterpulvers wird noch durch Ausklopfen und Auskämmen weggeschafft, wobei aber-
mals ein schädlicher Staub entsteht. Schliesslich wird die Fleischseite auf der Gerber-
bank ausgestrichen oder auch mit Bimstein abgerieben.
Bezüglich der für Natur aliencabinette zu verwendenden Thierbälge ist noch
zu erwähnen, dass sie schon an Ort und Stelle der Jagd mit Arsenikseife bestrichen
werden, weshalb man sich beim Aus- und Einpacken vor dem arsenhaltigen Staub
hüten muss (s. S. 296).
Färben der Pelzwaaren. Dasselbe hat ein sanitäres Interesse, wenn
metallische Mittel dazu gebraucht werden. So werden z. B. die sogen. Astrachan-
Pelze, welche von jungen oder neugebornen Ziegen herstammen, immer in schwarzer
Farbe geliefert, weshalb die weissen und gefleckten Felle schwarz gefärbt werden
müssen. Holzfarben sind dazu nicht ziüässig, weil dieselben auch die Haut schwarz
färben würden; deshalb muss der Schwefelgehalt der Haare zur Färbung benutzt werden.
Zu diesem Zwecke wird die Haarsubstanz mit einer alkalischen Bleioxydlösung zu-
sammengebracht, damit sich eine Schwefelleber bildet, welche durch das Bleioxyd zersetzt
wird, wobei sich schwarzes Schwefelblei in die Haarsubstanz niederschlägt; die Haut
wird dadurch nicht gefärbt. Solche Pelze haben einen unerträglichen Geruch und sind
häufig mit einem bleioxydhaltigen Staube behaftet, welchen man gern im Pelze
lässt, um ihn vor Motten zu schützen.
Um Zobel-, Marder-, Fuchs-, Biber- und Otternfelle dunkler und
dadurch werthvoller zumachen, werden sie zuerst mit einer Kalklösung mittels einer
Bürste überstrichen. Nach dem Trocknen folgt auf diese Beize ein Anstrich von einer
Mischung von Eisenvitriol, Salmiak, Spiessglanz, Silberglätte, Grünspan, Operment,
Kochsalz und Buchenasche, nachdem diese Ingredienzen in kochendem Wasser aufgelöst
worden sind. Die gelbliche Auflösung trägt man wiederholt auf, damit die Haar-
spitzen mehrere Stunden laug damit bedeckt bleiben.
Nach dem Trocknen folgt ein Anstrich mit einer Lösung von Galläpfelpulver und
Eisenvitriol, hierauf mit einer scharfen Aschenlauge unter Zusatz von etwas Kalk. Die
Felle werden alsdann getrocknet, mit Weizenkleie bestreut, sorgfältig ausgeklopft, ge-
kämmt und gebürstet. Die letztere Procedur erfordert grosse Vorsicht wegen des
metallischen Staub es, welcher sich hierbei entwickeln kann, wenn das Aus-
waschen nicht sorgfältig geschehen ist; jedenfalls müssen sich die Arbeiter dabei mit
einem Tuche oder Schwamm Nase und Mund bedecken.
Um Kaninchenfellen eine zobelähnliche Farbe zu geben, wendet man
das sogenannte Grünbad an, welches aus Eisenvitriol, Grünspan, Kupferasche und
Urin besteht, sowie einen Anstrich mit einer Auflösung von Galläpfel und Eisenvitriol.
Nach dem Trocknen wird wieder mit Kleien, Bürsten und Kämmen gereinigt, wobei der
sich entwickelnde Staub sehr zu beachten ist.
Das Pelzfärben wird in Russland und Deutschland, vorzüglich in Wien,
Leipzig und Hamburg betrieben; auch die Chinesen stehen im Rufe guter Pelzfärber.
Die sanitären Verhältnisse der Arbeiter in Gerbereien.
Betrachtet man zunächst die Loh- und gewöhnliche Weissgerberei,
so hat man vielfach behauptet, dass die üblen Gerüche keinen schädlichen Ein-
fluss auf die Arbeiter ausüben, weil die Macht der Gewohnheit die Wirkung
576 Thier häute.
abschwäche. Dieser Auffassung ist aber nur mit grosser Einschränkung beizu-
treten, obgleich nicht Alles schädlich ist, was übel riecht; man muss vielmehr erst
die Quelle des üblen Geruches zu erforschen suchen, um über die Schädlichkeit
oder Unschädlichkeit desselben ein Urtheil fällen zu können. Alle Aminbasen
z. B. verbreiten einen höchst widerlichen Geruch, ohne dass hiermit stets eine
grosse Gefahr verbunden ist, namentlich wenn es sich nicht um geschlossene
Räume handelt. Die eigentlichen Fäulnissgase aber, unter denen besonders
Schwefelammonium hervorzuheben ist, wirken um so verderblicher ein, wenn
sie in einem mehr oder weniger geschlossenen Räume vorkommen: deshalb sind
grade die Schwitzkammern oder Schwitzkasten in sanitärer Beziehung weit
mehr zu beachten als jede andere Beschäftigung im Freien oder in luftigen Räumen,
wo der Zutritt der frischen Luft die Fäulnissgerüche bedeutend vermindert.
Wenn man den Lohgeruch für Leute mit tuberculöser Anlage für heilsam
erklärt hat, so ist einerseits zu beachten, dass auf die Arbeiter noch vieles
Andere als der Lohgeruch einwirkt, während es andererseits erwiesen ist, dass
Gerber gar nicht selten Opfer der Tuberculose werden. Nach den statistischen
Angaben von Beaugrand2) kamen unter 171 Krankheitsfällen bei Lohgerbern 11,
bei Weissgerbern 12 und bei Lederzubereitern 28 Fälle von echter Lungen-
schwindsucht vor. Nun ist aber der Begriff „Lederzubereiter" ein sehr weiter;
rechnet man zu denselben auch die Pelzgerber, so ist das Vorkommen der
Lungenschwindsucht unter denselben nicht auffallend, weil die ganze Art dieser
Beschäftigung mit den nachtheiligsten Einflüssen auf die Respirationsorgane ver-
bunden ist und zwar um so mehr, als fast gar keine Vorsichtsmassregeln zum
Schutze der Arbeiter hierbei zur Anwendung kommen. Bei statistischen Er-
hebungen ist daher eine genaue Kenntniss der Art der Beschäftigung erforderlich,
um auch ihre Einwirkung auf den Organismus beurtheilen zu können; die Ein-
sicht in die Fabricationsmethode ist ebenso wichtig wie die in die Krankheits-
listen, um ein endgültiges Urtheil zu erlangen.
Es gibt bekanntlich viele kräftige Arbeiter in den Gerbereien*), weil über-
haupt nur mit Körperkräften ausgerüstete Personen dieses Gewerbe wählen und
weil andererseits die körperlichen Bewegungen und der vielfache Aufenthalt in
freier Luft auch die Kräfte hebt, wenn eine hinreichende Ernährung dazu kommt.
Die Beschäftigung am Schabebaum ist keine anstrengende und der dabei
stattfindende Druck auf die Unterleibsorgane kann bei einiger Vorsicht vermieden
werden. Grössere Kraft erfordert das Falzen, Schlichten, Krispein, Bimsen
und Pantoffeln, Manipulationen, die zur Appretur des Leders gehören.
Lunel8) hat zwei Krankheitsformen beschrieben, die den Gerbern eigen-
thümlich sein sollen und eine auffallende Benennung haben; mit „Finger-
cholera" werden Blutunterlaufungen an verschiedenen Stellen der Finger
bezeichnet, die später in Geschwüre übergehen, während bei der „Nachtigall"
ein kleines Loch am Rande der Pulpa der Finger entsteht und Blutströpfchen
aus den Capillargefässen der ergriffeneu Finger sickern; dieses Uebel soll sehr
schmerzhaft sein und zur zeitweiligen Unterbrechung der Arbeit nöthigen.
Bekaunt ist es, dass namentlich Arbeiter, welche sich mit dem Rhusma
beschäftigen, vielfach an Excoriationen und Geschwüren der Finger leiden; aber
auch die Beschäftigung mit Kalk kann hierzu Anlass geben.
*) Shakespeare nimmt bekanntlich mit poetischer Licenz an, dass sie sich selbst
im Grabe länger erhalten als Andere (s. Hamlet, 5. Act).
Gerberei. 577
Ausser den durch Gas kalk möglicherweise entstehenden gefährlichen Gasen4)
sind auch die narkotisirenden Dämpfe bei den Abkochungen von Sumach. zu
berücksichtigen: dazu kommt der metallische Staub bei der Präparation der
gefärbten Pelzwaaren, so dass in der Gerberei sehr verschiedene Factoren zu
berücksichtigen sind, welche die Gesundheit der Arbeiter gefährden können.
Selten ereignet es sich, dass die Gerber an Pustula maligna leiden.')
Dagegen ist die Präparation des weissgaren Leder mit Urin, welche dem
Färben vorhergeht, noch als eine höchst ungesunde Beschäftigung hervorzuheben,
da eine entsetzliche Atmosphäre in den Arbeitsräumen herrscht, die um so nach-
theiliger einwirken muss, als man namentlich während der kältern Jahreszeit
Nichts für die Erneuerung der Luft thut (s. S. 233).
Die festen und flüssigen Abgänge der Gerbereien.
Alle Gerbereien sind für die Adjacenten belästigend und sollten daher stets
aus den Städten verbannt werden, da auch bei den besten Einrichtungen üble
Gerüche nicht ganz zu vermeiden sind. Selbst das Spülen der Felle in Flüssen
und in öffentlichen Wasserläufen sollte verboten werden; es ist für diesen Zweck
ein Spül-Bassin einzurichten, dessen Sohle mindestens 1 Meter unter der
Sohle des Flusses liegen und durch eine feste Scheidewand vom Flusse getrennt
sein muss. Die benutzten "Wässer dürfen erst nach Versetzen mit Kalk und Ab-
setzenlassen wieder abfliessen.
Die festen Abgänge bestehen aus den verschiedenen thierischen Abfällen,
die vom Schabebaum, von den mit Kalk gekalkten, geschwitzten oder geweichten
Häuten, ferner von dem Bodensatz der Kalkgruben und von der Lohe herrühren;
sie sind für die Leimfabrication oder als Dung- und Brennmaterial verwerthbar,
während die Hörner bekanntlich in die Knopf- und Kammfabriken wandern.6)
Die Reste in den Gaskalkgrubeu müssen abgefahren und noch mit Aetzkalk
versetzt werden, um den Schwefel als Oxysulfid zu binden und das Cyan resp.
den Stickstoff in Ammoniak überzuführen.
Die flüssigen Abgänge bestehen vorzugsweise aus den Einweich wässern,
aus dem flüssigen Theile der Kalkgruben, den ausgenutzten Lohbrühen und den
arsenikalischen Abfallwässern der Weissgerbereien.
Die Einweich wässer können bei Bearbeitung der Lohabgänge zu Loh-
kuchen zum Anfeuchten mit benutzt werden.
Die einfachen Kalkwässer sind noch mit Resten von Haaren und Wolle
verunreinigt; ihr Abfiuss in stehende Gräben ist aber ohne Absetzenlassen nicht
zu gestatten. Als Hauptbedingung muss überhaupt bei den Concessionsver-
leihungen die Anlage von wasserdichten Klärbassins vorgeschrieben werden,
da ohne diese die mannigfachsten Belästigungen durch Gerbereien nicht zu
beseitigen sind.
Die flüssigen Abgänge beim Gaskalk müssen vor dem Ablassen aus den
oben angeführten Gründen ebenfalls mit Aetzkalk versetzt werden. Der flüssige
Inhalt der faulen Aescher, Kleien- und Hundekothbäder der Weiss-
gerbereien sollte mit Chlorkalk oder mit roher Manganlauge, wenn solche
billig zu beziehen ist, versetzt werden. Ueberall liegt der Schwerpunct bei
dem Ablassen der fauligen Wässer in dem vorhergehenden Ansammeln
in wasserdichten Gruben, Versetzen mit einem Desinfectionsmittel und
Eülenberg, Ge-sverbs-Hygiene. ° '
578 Thierhäute.
Absetzenlassen, ehe der freie Abfluss stattfindet. Diese Gesichtspuncte sind
stets zu beachten, wenn man den Grundsätzen der öffentlichen Gesundheitspflege
gerecht werden will.
Die verbrauchten Lohbrühen dürfen nie in offenen Rinnsteinen ab-
fliessen, auch nicht währeud der Nacht wie durch einzelne Polizei- Verordnungen
zugelassen wird; ihre Ableitung rauss in geschlossenen Röhren geschehen, um
schliesslich in Stadtcanäle oder in grössere Wasserläufe abzufliessen. In kleinern
Bächen werden sie die Fischzucht zerstören und in stagnirenden Gräben Fäulniss-
processe herbeiführen. Zur Verhütung solcher Uebelstände müssen sie auf irgend
eine Weise vorher gereinigt resp. einer Filtration durch Sand oder poröse Erde
unterworfen oder mit Kalk behandelt werden.
Gerber, die auf dem flachen Lande wohnen, würden wohl thun, sämmt-
liche Abflusswässer zu sammeln und zur Berieselung der A eck er zu
benutzen, da sie wegen ihres Gehaltes an stickstoffhaltigen Substanzen weit mehr
Dungwerth als ein concentrirtes Canalwasser enthalten; diesen aus der Gerberei
für die Landwirtschaft entstehenden Vortheil hat man bisher noch nirgends
hinreichend gewürdigt, während durch die Verschleuderung dieser Abfälle ein
grosses Capital verloren geht.
Die Abfallwässer beim Rhusma. die sich beim Abwaschen der ge-
schwödelten Felle auf der Waschbank erzeugen, veranlassen zunächst die Ent-
wicklung von Schwefelwasserstoff; es bleibt Einfach-Schwefelarsen
(AsS3) zurück, das aber durch Aufnahme von Sauerstoff in unterschweflige
Säure und arsenige Säure verwandelt wird. Es tritt auch noch die im
Operment stets frei vorhandene arsenige Säure hinzu; diese verbindet sich zwar
mit dem Kalk zu unlöslichem arsenigsaurem Calcium, letzteres gelangt aber
bei Gegenwart von Ammoniak, welches in den fauligen Flüssigkeiten niemals
fehlt, wieder in Lösung. Es ist hier die Versetzung mit Eisensalzen not-
wendig, damit sich unlösliches arsenigsaures Eisen bildet; erst dann ist ihr
Abfluss in Wasserläufe mit hinreichender Strömung gestattet.
Das Conserviren der thierischen Häute.
Bleibt die frische thierische Haut sich selbst überlassen, so schrumpft sie zu
einer trocknen Masse ein, welche bei geringer Wasserzufuhr wieder aufquillt und
in die ursprüngliche Form zurückkehrt.
Das Aufbewahren resp. das Conserviren der thierischen Häute bildet einen be-
deutenden Industriezweig.
Aufbewahrung durch Einsalzen. Die frischen Häute werden häufig durch Ein-
pökeln oder Salzen präparirt, damit sie ohne Zersetzung transportabel sind und
später gegerbt werden können: dies geschieht vorzugsweise in Buenos Ayres mit den
Büffelhäuten.
Diese Häute werden vorher theilweise enthaart, mit Salz eingerieben und in
Gruben gelegt, wobei aber oft widerliche Ausdünstungen entstehen: sie werden später
getrocknet und kommen als gesalzene Wildhäute in den Handel.
Das Lagern der gesalzenen Häute erfordert eine grosse Aufmerksamkeit,
weil sie alle Mauern feucht machen, auch den Salpeterfrass erzeugen und daher
Gebäude zerstören : auf Kellergewölben dürfen sie daher niemals lagern.
Anfbewahren der Häute durch Trocknen. Dies geschieht beim Schlachtvieh und
bei den kleinern \ iehsorten von Buenos -Ayres. Die Häute unterliegen mancherlei
Störungen durch Insecten, was bei den gesalzenen nicht der Fall ist: so werden sie
z. B. von den Larven verschiedener Speckkäfer nicht allein angefressen, sondern auch
durchbohrt. Es ist der Fall vorgekommen, dass man sie deshalb mit einer Auflösung
von arseniger Säure behandelt hat, wodurch aber bei Allen, die mit solchen Häuten in
Berührung kamen, schmerzhafte Geschwüre entstanden.
Thierische Abfälle. 579
Das Trocknen der Häute kann die grösste Belästigung bereiten; diese entsteht
1) dureh die Verpestung der Luft in Folge der faulenden Weichtheile; bei regnerischen
Tagen oder wenn die Häute faltig aufgehängt werden, macht sich der Geruch am meisten
bemerkbar; 2) ist es die Ansammlung unzähliger Schmeisüiegen, welche die Nachbar-
schaft überfluthet. Diese beiden Uebelstände verbieten das Trocknen der frischen Häute
in Städten.
Man würde die Belästigung um Vieles vermindern, wenn man die Fleischseite
der Häute zuvor mit einer Lösung von Chlorkalk und Kochsalz oder mit Theer-
wasser, Carbolsäure u. s w. behandelte.
Thierische Abfälle.
Die Verwerthung der thierischen Abfälle repräsentirt sehr bedeutende In-
dustriezweige, die sich zunächst der Gerberei anschliessen und sich über die
verschiedensten Substanzen erstrecken, deren Sammlung und Aufbewahrung meist
im Kleinhandel betrieben wird.
Nachdem bereits das Haar des Schafes u. s. w., die Wolle, in der Textil-
industrie einen Platz gefunden hat, verdient noch das Haar der übrigen Thiere
eine besondere Erörterung.
Das Haar und seine Bearbeitung.
Die Borsten der Schweine, d. h. schlechte, dicke und steife Haare, werden
durch Sortiren, Kochen, Schwefeln und Waschen mit Seifenwasser
für verschiedene Zwecke präparirt.
Es kommen hier die allgemeinen, die Beseitigung des Staubes, der Wasserdämpfe,
der schwefligen Säure und die Abfallwässer betreffenden Gesichtspuncte zur Geltung.
Die Bürstenbinder leiden am meisten- vom Staube beim sogen. Kämmen
der Borsten und beim Abstutzen des Borstensatzes.
Thierkrankheiten werden erfahrungsgemäss durch Borsten weniger als durch
Pferdehaare übertragen; namentlich ist es der bei Pferden vorkommende Milzbrand,
der nicht selten in Form der Pustula mabgna bei den betreffenden Arbeitern beob-
achtet wird.
Zur Zubereitung der Pferdehaare gehört das Kämmen, Aufrollen und
Kochen, um sie elastischer zumachen; bei letzterm entsteht ein unangenehmer Dampf,
der abgeleitet werden muss, zum wenigsten ist ein guter Rauchfang über dem Kessel
erforderlich, der mit einer gut ziehenden Esse zu verbinden ist.
Beim Färben der Haare ist das Schwarzfärben zu beachten, das mittels
Blei glätte geschieht, die in Trögen mit Kalkmilch schwach erwärmt wird. Die klare
Brühe, die sich hierbei bildet, dient als Farbenbad: das Blei setzt sich in den Haaren
als Schwefelblei ab. Es liegen Beobachtungen vor, nach denen es sehr wahrschein-
lich ist, dass namentlich so gefärbte Pferdehaare bei den Arbeitern, die sich mit
ihrer Verwendung zu Polstern, Matratzen u. s. w. beschäftigen, Bleiintoxicationen
erzeugen können.1)
Tapezierer, Sattler und Kürschner vertreten die Gewerbe, bei denen sich
stets bei der Bearbeitung der Haare Staub entwickelt; ganz_ besonders leiden aber die
Sattler bei den Kuhhaaren und der Gerberwolle (s. S. 554).
Hasen-, Kaninchen- und Biberhaare sind besonders geeignet, einen Filz
zu bilden und deshalb für die Hutfabrication von grosser Bedeutung. Das Haar
bedarf hierzu mannigfacher Präparationen.
Das Haarsclmeiden. Die betreffenden Felle werden zuerst mit einem sägeartigen
Messer, mit dem Ritzer, behandelt, um alle Unreinigkeiten zu zerreiben, und dann
ausgeklopft; dies kann im Freien geschehen und verursacht dann weniger Be-
37*
580 Thierische Abfälle.
lästigung als das eigentliche Haarschneiden, das nur in geschlossenen Räumen vor-
genommen wird.*) Der Balg wird hierbei „gestutzt und gespitzt", d. h. das Borsten-
haar (langes, steifes Haar) wird mit der Scheere gleich lang mit dem Grundhaar
(feineres Flaumhaar) gemacht. Der hier entstehende Haarstaub verdient sorgfältige
Beachtung; er wird zwar nicht bis in die feinsten Bronchialvcrzweigungen inhalirt,
sondern erreicht höchstens den Kehlkopf und die Luftröhre, wo er aber haften bleibt,
erzeugt er eine bedeutende Reizung. Treten Lungenaffectionen auf, so hat man es
noch mit andern Ursachen zu thun, die in ihren Wirkungen von der Beschaffenheit des
Staubes abhängen. Von unorganischen Bestandtheilen kommen hier in der Regel nur
erdiger Schmutz und mannigfaltige Unreinigkeiten vor. Die Arbeiter können sich durch
Vorbinden eines Tuches vor Mund und Nase hinreichend schützen; meist sind sie aber
zu indolent, um sich dieser Mühe zu unterziehen: ihr bleiches und kachectisches Aus-
sehen hängt vielfach mit ihrem Aufenthalt in Räumen zusammen, denen die belebende
Einwirkung einer frischen Luft fehlt.
Zum Beizen der Haare benutzt man Scheidewasser, metallisches Queck-
silber und Sublimat, dem man bisweilen noch arsenige Säure zusetzt. Die Beize
hiess früher Secret, weil man ihre Zusammensetzung sehr geheim hielt; bei ihrer Dar
Stellung entwickelt sich viel Untersalpetersäure, was wohl zu beachten ist- Man
applicirt die Beize mit einer Bürste auf die Felle und trocknet sie in Trockenstuben bei
einer Temperatur von 50° C, deren Einwirkung bei der Beurtheilung der sanitären
Verhältnisse der Haarschneider sehr in Betracht kommt. Folgt aber auf die Beize das
Klopfen und Bürsten der Felle, so entwickelt sich ein giftiger Staub von Queck-
silbersalzen resp. arseniger Säure; es können sich dann bei unvorsichtigem Ver-
halten der Arbeiter die verschiedenen Grade des Mercurialismus, Affectionen der
Brustorgane, Verdauungsstörungen, Zittern der Glieder, Geschwüre an den Händen,
feschwollenes, blutendes Zahnfleisch u. s. w., beziehentlich neben den charakteristischen
olgen der arsenigen Säure ausbilden. Die hierdurch herbeigeführten Schädigungen
der Gesundheit bedingen hauptsächlich die schwächliche Körperbeschaffenheit der Haar-
schneider; wenn irgendwo, so können grade durch diesen metallischen Staub Lungen-
affectionen erzeugt werden. Die Fabricanten sollten verpflichtet werden, die Arbeiter
vor diesem gefährlichen Staube zu schützen und Jeden sofort zu entlassen, der sich
nicht den vorgeschriebenen Schutzmassregeln unterwirft.
Das eigentliche Enthaaren geschieht dann mittels einer convexen, an beiden
Seiten scharfen Klinge, wobei sich wieder ein feiner Haarstaub entwickelt, der aber
unter Umständen noch mit metallischem Staube vermengt sein kann. Das enthaarte
Fell gelangt in die Leimsiederei.
Dass Haar schneid er vielseitigen Gefahren ausgesetzt sind, geht aus dem
Gesagten hervor; bei Unaufmerksamkeit und Geringschätzung der einwirkenden Schäd-
lichkeiten wird ihre mittlere Lebensdauer kaum 40 Jahre betragen.
In Paris hat man für die Haarschneider die Bedingung aufgestellt, dass das Secret
nicht in der Fabrik selbst angefertigt wird, die Abfälle nicht verbrannt, die Quecksilber-
Rückstände gehörig beachtet, die Räume für das Enthaaren sorgfältig ventilirt und eine
regelmässige und sorgfältige Entfernung der Abfälle bewirkt werden.
Für die Behandlung der Felle mit Secret hat man gegenwärtig eine zweckmässige
Maschine construirt, die den Arbeitern sowohl hier als beim Ausklopfen der gebeizten
Felle mehr Schutz gewährt. Zweckmässiger würde es sein, das Secret ganz zu ver-
bannen; die Wirkung desselben kann man durch eine Mischung von Stärke oder
Gummi mit Wasser und Salpetersäure erzielen, wobei man nur auf die Besei-
tigung der sich entwickelnden Dämpfe von Untersalpetersäure zu achten hat.
Das Hutmacher- Gewerbe.
Mehrere nachtheilige Einflüsse kommen hier vor, die noch mit der Behand-
lung des Haares in Zusammenhang stehen. Es gehört hierher:
1) das Fachen, welches das Haar auflockert, die gröbsten Borstenhaare und
den ihnen noch anhängenden, von der Beize herrührenden Staub ausscheidet.
*) Die Haarkräusler, Perrückenmacher, Friseure, die sich mit dem
menschlichen Haare beschäftigen, das ebenfalls durch Kochen, Waschen u. s.w. präparirt
wird, sind keinem bedeutenden Staube mehr ausgesetzt, seitdem das Pudern aus der
Mode gekommen ist. Wenn Patissier eine Uebertragbarkeit der Krätze oder des Kopf-
grindes mittels der Haare der damit Behafteten für möglich hält, so möchte es schwer
fallen, hierfür bestimmte Thatsachen vorzubringen.
Hutmacher- Gewerbe. 581
Ein bestimmtes Quantum Haare wird auf den Werktisch — die Fachtafel —
gebracht, durch deren enge Zwischenräume der Staub hindurchfällt. Jedenfalls müssen
die Arbeiter auch hierbei Mund- und Nasenhöhle schützen, da der Staub zwar nicht
bedeutend ist, aber durch den etwaigen Quecksilbergehalt schädlich einwirken kann. Das
hierzu nothwendige Instrument ist der bekannte Fachbogen, welcher die Haare in
einem durch einen Schirm abgegrenzten Raum in die Höhe schnellt*).
2) Die eigentliche Verfilzung. Sie beginnt mit der Anwendung des Fach-
siebes, mit dem man nach allen Richtungen hin über die Haare reibt, um eine
zusammenhängende Fläche zu erhalten; durch fortgesetztes Drücken unter Be-
sprengung mit Wasser vervollständigt man das Filzen.
3) Das Walken wird in grossen kupfernen Kesseln vorgenommen, die an
ihrer obern Mündung mit den Walktafeln, d. h. breiten hölzernen, schrägen
Bohlen versehen sind, auf welchen der Filz mittels des Rollholzes zu einer kegel-
förmigen Mütze bearbeitet wird. Das Wasser wird fast siedend heiss gehalten,
mit Bier- oder Weinhefe, Essigsäure, Schwefelsäure oder Lauge versetzt.
4) Das Formen ist die Fortsetzung des Walkens, eine Beschäftigung, bei
welcher die Arbeiter beständig der Hitze und den Wasserdämpfen ausgesetzt
sind, abgesehen von der mehr oder weniger reizenden Einwirkung der Beize,
welche Excoriationen der Hände zu bewirken vermag.
Unbedingt ist über dem Walkkessel ein Rauchfang anzubringen und mit einer
gut ziehenden Esse zu verbinden.
Das Walkwasser darf keinesfalls in Schlinggruben abgelassen werden, da
es noch Spuren von Quecksilber oder Arsen, welche vom Secret herrühren, enthalten
kann; ohne Gefahr darf es zum freien Abflüsse gelangen, da die metallischen Bestand-
teile so geringe sind, dass sie in fliessendem Wasser nicht schaden können.
Zum Scnwarzfärben der Hüte gebraucht man Campecheholz, Sumach, Eisen-
vitriol, Weingeist, Kalichromat und Grünspan; letzterer wirkt wahrscheinlich als Beize,
während der Weinstein das Braunwerden des färbenden Eisen-Niederschlags verhindern
soll. Man setzt die Hüte während des Färbens mehrmals der freien Luft aus, um eine
höhere Oxydation des gefällten Eisens zu bewirken und nennt dieses Verfahren das
Auslüften.
Die kupferhaltigen Abflusswässer können wegen ihrer grossen Verdünnung
unbeschadet in öffentliche Canäle abfliessen.
Nach dem Färben folgt das Auswaschen und Trocknen. Als Steife zur
Erhaltung der Form benutzt man eine Auflösung von Schellack in Weingeist; schliess-
lich folgt das Zurichten und Staffiren.
Die Grundlage der Seidenhüte ist gewöhnlicher Pappdeckel oder ein mit Leim-
und Schellacklösung gesteifter Filz aus Lammwolle oder Kamelhaaren; der Ueberzug
besteht aus Seiden-Felbel.
Imitationsfarbe auf Filzhüten. Unter diesem Namen hat man neuerdings
für die vielfach gebrauchten kleinen Filzhüte ein anderes Verfahren beim Färben ein-
geführt; die Hüte werden, nachdem sie auf Stumpen gewalkt sind, getrocknet, in
warmem Wasser eingeweicht, ausgewalkt und dann mit einer Auflösung von Zink-,
Kupfervitriol und Kaliumbichromat in der Siedhitze gebeizt; sie gelangen dann
in ein Farbebad von Gelbholz oder Orseille oder in eine Mischung von beiden;
nach dem Färben walkt man sie erst fertig.
Bei diesem Verfahren ist es nicht zweifelhaft, dass die vom Beizmittel herrühren-
den metallischen Gifte nicht mit der Haarsubstanz verbunden, sondern nur lose in den
Filz eingewalkt sind. Beim Fertigmachen der Hüte, beim Bügeln, Steifen u. s. w. ist
deshalb ein Verstauben derselben wohl möglich und die Arbeiter müssen vor dem Ein-
athmen dieses Staubes gewarnt werden.
Auch der Abfluss der Beize und des Färbebades ist wohl zu berücksichtigen, damit
er nicht in Schlinggruben geräth und die benachbarten Brunnen gefährdet. x)
*) Bisweilen werden auch Gerberhaare gefacht, wenn man aus denselben ein
grobes Filztuch anfertigen will; hier ist der Staub entschieden mit feinen Kalk-
theilchen vermengt. Wolle und Kuhhaare pflegt man in einer Trommel zu
mischen, die sich um eine horizontale Achse bewegt.
582 Thierische Abfälle.
Federn.
Hinsichtlich der Vogelfedern unterscheidet man 1) die Bettfedern; man
benutzt dazu die Deckfedern und Flaumen der Gänse.
Man trocknet die eingesammelten Federn an der Sonne oder in einem geheizten
Zimmer, lockert sie durch Schlagen mit leichten Stäbchen auf und reinigt sie dadurch
gleichzeitig vom Schmutze.
Diese Arbeit hat eine starke Staubentwicklung zur Folge und sollte mit mehr
Vorsicht als bisher betrieben werden; zum wenigsten sollten dabei Mund und Nase durch
vorgebundene Tücher geschützt werden.
Werden die Federn nicht vollständig getrocknet, so geht die in den Kiehlen be-
findliche Feuchtigkeit in Fäulniss über und verursacht einen üblen Geruch, welcher sich
den Schlafstuben mittheilt und in denselben eine sehr schlechte Atmosphäre erzeugt;
man kann diesen Geruch dadurch vertreiben, dass man die Federn dämpft, auf Netzen
trocknet und mit Stäbehen klopft.
Die Eiderdunen, die sehr elastischen und leichten Flaumen oder Daunen der
Eiderente oder Eidergans (Anas molissima), reinigt man durch Klopfen mit Stäbchen,
durch Fachen mit dem Fachbogen oder durch Erwärmen und Umrühren in einem im
"Wasserbade aufgehängten Kessel, wobei sich viel Staub entwickelt, weshalb man luftige
und weite Räume für diese Procedur wählen muss.
In sanitärer Beziehung sind die Bettfedern und das Bettzeug sehr
wichtig, da sie fixe Contagien und die Brutstätte von lästigen Insecten beher-
bergen können. Bei Krätze, bei der Pockenkrankheit, beim Typhus, bei der
Ruhr und Cholera sollte man das gebrauchte Bettzeug stets einer Hitze von
100° C. aussetzen oder einem sorgfältigen Waschen unterwerfen, eine Vorsichts-
massregel, welche selten mit der erforderlichen Aufmerksamkeit ausgeführt wird.
Die Bettfedern werden gewöhnlich in den sogen. Bettfeder-Reinigungs-
anstalten gereinigt, indem man sie in einem trommeiförmigen und geschlossenen Siebe
den Wasserdämpfen aussetzt, welche durch die hohle, mit schlitzförmigen Oeffnungen ver-
sehene Achse der Trommel eindringen.
Es kann sich hier ein sehr unangenehmer Geruch nach Schweiss namentlich bei
den Federn entwickeln, welche von den Betten der Kranken, die an chronischen Krank-
heiten, Zehrfieber u. s. w. gelitten haben, herrühren. Eine Einrichtung zum Ableiten
der Wasserdämpfe in den Schornstein ist nothwendig; condensiren sich nämlich dieDämpfe
zu Wasser, so geht dies rasch in Fäulniss über und setzt eine schleimige Masse ab.
Bei acuten contagiösen Krankheiten ist es zweckmässig, das Bettzeug noch der Ein-
wirkung der schwefligen Säure auszusetzen (s. unterschweflige Säure S. 158). Werth-
lose Gegenstände, Seegras, Stroh u. s w. müssen selbstverständlich vernichtet werden.1)
Kein Geschäft erfordert eine sorgfältigere Controle als der Trödelhandel mit
altem Bettzeug oder Kleidern. Die Trödler sollten verpflichtet werden, alle diese
Gegenstände einer Desinfection resp. einem Räuchern, Ausdämpfen oder Auskochen zu
unterwerfen.
Um eine annähernde Gewissheit über die stattgefundene Desinfection zu erhalten
und gleichzeitig eine kräftigere Wirkung der Wasserdämpfe zu erzielen, ist ein Zusatz
von Terpentinöl zum kochenden Wasser zu empfehlen, da hierdurch den Gegen-
ständen ein Geruch nach Terpentin mitgetheilt wird. In jeder grössern Stadt müsste
eine öffentliche Desinfectionsanstalt unter polizeilicher Controle stehen, in der alle fin-
den Trödelhandel bestimmten Bekleidungsgegenstände oder Bettzeuge zu desinficiren
und mit einem Stempel zu versehen wären, welcher das Datum der ausgeführten Des-
infection trüge; ohne diesen Stempel müssten die erwähnten Gegenstände vom Handel
ausgeschlossen bleiben.
Nach dem § 56 der Gewerbe-Ordnung vom 21. Juni 1869 sind vom An- und
Verkauf im Umherziehen „gebrauchte Kleider und Betten" ausgeschlossen. Als
Erläuterung hierzu erging die Circ.-Verf. der Ministerien für Handel u. s. w. und der
geistlichen u. s. w. Angelegenheiten vom 20. August 1873 (Dr. Achenbach, I. V. Sydow),
nach welcher gemäss eines Beschlusses des Bundesraths unter „gebrauchten Betten"
auch Theile gebrauchter Betten und insbesondei-e gebrauchte Bettfedern zu ver-
stehen sind. Bei Ertheilung von Legitimationsscheinen zum Handel mit Bettfedern soll
daher künftig eine Fassung gewählt werden, welche den Handel mit gebrauchten Bett-
federn ausschliesst.
Horngebilde. 583
Der § 35 der Gewerbe-Ordnung bestimmt ferner, dass der Handel mit gebrauchten
Kleidern, gebrauchten Betten oder gebrauchter Wäsche demjenigen untersagt werde,
welcher wegen aus Gewinnsucht begangener Vergehen oder Verbrechen gegen das Eigen-
thum bestraft .worden ist.2)
2) Die Präparation der Schreibfedern (Sortiren, Putzen, Ziehen, Härten
und Binden) schliesst keine Gefährdung der Gesundheit in sich
3) Bei der Präparation der Schmuckfedern, z.B. der Strauss-, Reiher-,
Pfau-, Hahnen- und Fasanenfedern u. s. w., welches im Reinigen und Entfetten durch
Seifenwasser, im Bleichen mittels Schwefeln und im Färben besteht, sind bei umfang-
reichem Betriebe die Wasch- und Farbewässer, sowie die Schwefeldämpfe zu berück-
sichtigen.
Horngebilde.
Die Horngebilde haben dieselben Bestandteile wie die Haargebilde
und bestehen aus Proteinkörpern mit grossem Schwefelgehalt, nur ist der
Fettgehalt der Hornsubstanz ein geringerer; wird diese Wasserdämpfen von 100°
ausgesetzt, so wird sie weich, plastisch und lässt sich nach Belieben biegen,
pressen und sogar zusammensch weissen.
Bei der Einwirkung der Hitze treten grössere oder geringere Mengen von
Ammoniak und Schwefelammonium auf; steigert sich dieselbe über 150—180°, so
wird das Hörn weich wie Kautschuk und bei noch höherer Wärme findet ein Schmelzen
ohne Zersetzung statt.
Vorbereitung der rohen Hörner zn Drechslerarbeiten nnd zur Kammfabrication.
1) Das Entkernen Alle Thierhörner, besonders die von jungen Thieren, enthalten
einen innern, markigen, bisweilen auch blutreichen Kern. Behufs Entfernung desselben
werden die Hörner in Wasser, dem man bisweilen noch Blut oder Urin zusetzt, der
Maceration unterworfen, wozu stets hermetisch verschlossene Behälter zu benutzen
sind, die man mittels eines Rohrs mit einer gut ziehenden Esse oder bei grösserm Be-
triebe mit einer Feuerung in Verbindung bringt, da starke Gasentwicklung mit widerlichem
Gerüche auftritt.
Das Macerationswasser wird gewöhnlich mehrmals gebraucht, bis es schliess-
lich so stark mit Leimtheilen geschwängert ist, dass die Fäulniss verlangsamt wird; es
muss dann abgelassen, mit Erde und Kalk versetzt und als Dungmittel benutzt werden.
Die ausgelösten Kerne können bei der Knochenbrennerei resp. Salmiakbereitung
Verwendung finden. Die ganze Procedur sollte in Städten nicht geduldet werden.
2) Das Waschen der Hörner. Die macerirten Hörner werden mit frischem
Wasser, unter Zusatz von saurer Lohbrühe, gewaschen. Die Abfallwässer können in
Canäle abfiiessen.
Aufbewahrung und Transport der Hörner, Hufe u. s.w. Das Aufbe-
wahren der frischen Hufe und der nicht entkernten Hörner verdient dieselbe Beachtung
wie das Knochenlagern. Bei Epizootieen muss dieser Handel polizeilich geregelt
werden; sie dürfen im frischen Zustande aus Gegenden, wo Thierseuchen herrschen,
gar nicht exportirt werden. Der Handel mit trocknen Hörnern ist in keiner Beziehung
gefährlich und selbst bei herrschender Rinderpest frei; auch das Lagern derselben
verursacht nur einen unbedeutenden Geruch, welcher entfernt an denjenigen erinnert,
der sich in Lagerräumen von gesalzenen Thierkäuten entwickelt. Ganz trockne Hufe
haben dieselbe Bedeutung.
Hornplätterei nennt man die weitere Bearbeitung des Horns. Die Sendungen
der Hörner aus Mexico bestehen gegenwärtig fast nur aus entkernten Hörnern; zur
Präparation des Horns gehören daher auf dem Continent in der Regel folgende
Operationen: Das Einweichen in heissem Wasser ist zwar mit einem unange-
nehmen Geruch verbunden, der aber bei geschlossenen und mit einem Rauchfange ver-
bundenen Gefässen wenig belästigend ist; widerlicher ist derselbe^ wenn hierzu verdünnte
Ammoniakflüssigkeit oder gefaulter Urin benutzt wird, namentlich wenn, wie es meist
der Fall ist, die Flüssigkeit immer wieder benutzt wird.
Die Macerationswasser unterscheiden sich ihrer Qualität nach nicht von den
beim Entkernen abfallenden: sie müssen ebenfalls in cementirten Gruben mit Kalk
versetzt werden, um sie als Dünger verwerthen zu können; für die Gemüse- und Blumen-
zucht sind sie besonders geschätzt.1)
Das Aufschlitzen oder Schneiden des Horns geschiebt mit rothglühendem
Eisen und sollte nur unter einem Rauchfang geschehen, um die hierbei entstehenden
unangenehmen Gerüche rasch aus dem Arbeitsraume zu entfernen.
Das kalte Pressen geschieht bei 30° C.; das hierbei abfallende Wasser ist eine
584 Thierische Abfälle.
ziemlich concentrirte Leimlösung, welche leicht fault und in die Kategorie der Weich-
wässer gehört.
Das Warmpressen oder Formiren folgt hierauf bei 100° C; die hierzu not-
wendigen Kupferplatten werden mit Fett eingerieben, der üble Geruch steigert sich
daher noch durch die Aeroleindänipfe; hohe und luftige Werkstätten sind hierbei un-
umgänglich nothwendig
Zum Färben der Hornwaaren behufs Imitation von Schildpatt bedient man sich
eines Breies von Stärkemehl und Salpetersäure: auch wird das Hörn mit sal-
petrigsauren Alkalien bespritzt oder gezeichnet, getrocknet und dann in eine
Atmosphäre von starker Essigsäure gebracht, wodurch salpetrige Säure frei
wird, welche auf das Hörn färbend einwirkt. Bei der Benutzung von salpetersaurem
Quecksilberoxydul tritt das Metalloxyd mit in Thätigkeit.
Zum Schwarz färben des Horns gebraucht man einen Brei von Kalk,
Mennige und Wasser; es bildet sich unauflösliches Schwefelblei, welches das Hörn
wie das Haar ganz durchdringt. Meistens werden die Pfeifenspitzen aus diesem ge-
schwärzten Hörn präparirt: das in ihnen enthaltene Schwefelblei verwandelt sich
allmählig in Bleisulfat; dieses ist allerdings in den Salzen des Speichels löslich, seine
Menge ist aber so gering, dass von einer Schädigung der Gesundheit hierbei kaum die
Rede sein kann; dagegen ist die Manipulation mit dem Färbemittel zu berücksichtigen.
Um Hörn perlmutterähnlich zu machen, behandelt man es mit Bleinitrat
und Salzsäure; es bildet sich dann krystallinisches Chlorblei in der Hornsubstanz :
dasselbe ist im Speichel leicht löslich und verdient in dieser Beziehung das Präparat
alle Beachtung.
Parkesin ist ein Surrogat für Hörn, Elfenbein u. s. w. und besteht aus einem
Gemenge von Thonerde, Zinkoxvd, Berlinerblau, Schwärze und Collodium.
Bei der Präparation des Fischbeins (Whale-bone, Baieine), der Substanz der
Wallfischbarten, kommen dieselben Manipulationen und sanitären Erfordernisse wie bei
der Hornplätterei zur Geltung. Büffelhorn wird bisweilen statt des Fischbeins beim
Besetzen der Corsets gebraucht.
Der H ornstaub verdient in sanitärer Beziehung wegen seiner Verwandtschaft
mit dem Conchiolin (s. Perlmutterstaub) alle Beachtung und darf daher nicht als
indifferent betrachtet werden (s. S. 197).
Darmsaitenfabrication.
Die Darmsaiten (Catgut) sind zusammengedrehte und getrocknete Schaf-
därme. Die ganz frischen Därme werden gereinigt und mit Wasser macerirt, das
häufig erneuert oder auch mit Chlorkalk, Chlornatrium oder unterchlorig-
saurem Natrium versetzt wird.
Durch Abschaben wird dann die äussere Membran entfernt, die abgezogenen
Därme gelangen nochmals in frisches Wasser und nach abermaligem Abschaben für
einige Stunden in eine alkalische Lauge. Die Behandlung mit der Lauge wiederholt
man bis zur vollständigen Reinigung der Därme, um sie dann den anderweitigen Mani-
pulationen, dem Ausrecken, Glätten oder auch dem Schwefeln zu unterwerfen.
Sorgt man für baldige Beseitigung der Abfälle, so hat diese Fabrication keine
grosse Belästigung zur Folge, namentlich wenn nur frisches Material bearbeitet wird.1)
Leimindustrie.
Wird eine thierische Haut längere Zeit der Einwirkung von siedendem
Wasser ausgesetzt, so wird sie in demselben löslich und bildet eine Gallerte
resp. den thierischen Leim. Es entwickeln sich bei diesem Process stets
Schwefelwasserstoff und Ammoniak resp. Schwefelammonium, nament-
lich beim Kochen alter Häute, die der Luft längere Zeit ausgesetzt gewesen
sind. Frische Häute veranlassen bei diesem Processe nie einen belästigenden •
Geruch, da die Menge des sich hierbei entwickelnden Schwefelwasserstoffs eine
sehr geringe ist*).
*) Bekanntlich entwickelt sich auch bei der Bereitung der Bouillon durch Ab-
kochen des frischen Rindfleisches stets etwas Schwefelwasserstoff.
Leimindustrie. fß,h
Die wichtigsten leimgebenden Gebilde sind die Haut, die Sehnen, das Zellgewebe,
die Knochensubstanz, das Hirschhorn u. s. w. Die erhaltenen Producte unterscheiden
sich jedoch durch ein verschiedenes Klebvermögen; geringer ist dasselbe beim Knorpel-
leim (Chondrin) als beim Knochen- oder Haut leim "(Glutin).
Die Gallerte (Gelatine), welche man durch das Verdampfen der Auflösung
dieser Gebilde erhält, ist nach dem Austrocknen durchsichtig und spröde und wird beim
Kochen mit Wasser löslich. Der eigentliche Leim ist die durch Austrocknen der
Gallerte entstandene Substanz, deren Lösung beim Erkalten wieder zu einer Gallerte
gesteht.
Fabrikation des Lederleims. Man gebraucht hierzu die thierischen Abfälle, das
sogenannte Leimgut, welche aus den Roth , Weiss- und Sämischgerbereien stammen.
Man unterscheidet folgende Manipulationen:
1) Das Kalken des Leimgutes. Die thierischen Abfälle müssen vor der Abkochung
von allen fleischigen und blutigen Theilen und namentlich vom Fett gereinigt werden.
Mit diesem bildet der Kalk eine unlösliche Kalkseife, die beim spätern Sieden auf die
Oberfläche tritt und Leim fett genannt wird. Das Leimfett exhalirt an der Luft bestän-
dig Ammoniak und die flüchtigen Fettsäuren: es ist deshalb nothwendio', grössere Yor-
räthe davon mit Kalk zu bestreuen. Will man die thierischen Abfälle für die Leim-
fabrication längere Zeit aufbewahren, so müssen sie in Kalk äschern mit Kalkmilch
behandelt werden.
Beim Kalken nicht mehr frischer thierischer Hänte entsteht stets ein unangenehmer
Geruch nach Schwefelammonium oder Ammoniak. Die kalkhaltigen Mace-
rationswässer enthalten besonders buttersaures, baldriansaures undpropion-
saures Calcium, Verbindungen, welche durch die Kohlensäure der Luft zersetzt werden.
Die Wässer können direct mit Erde gemischt als Dungmittel benutzt werden: wo aber
eine Anhäufung dieser Abgänge stattfindet, müssen sie mindestens mit Chlorkalk be-
handelt werden, um das Freiwerden der flüchtigen Fettsäuren zu verhüten.
2) Das Auswaschen des gekalkten Leimguts. Es kann in fliessendem Wasser
geschehen, wenn die Flüsse hinreichend gross sind. Gebraucht man hierzu Bottiche, so
verdienen die abfallenden Spülwässer eine ganz besondere Beachtung, da sie mehr
oder weniger die eben erwähnten Substanzen enthalten. Fliessen sie in Rinnsteine ab,
so erzeugen sie die grösste Belästigung, während sie in Stadteanälen leicht VerscL'lam-
mungen erzeugen, wenn nicht eine kräftige Spülung diese verhütet. In einem eoneieten
Falle betrug der Gehalt der thierischen Substanz in einem solchen Spülwasser l,-50g
(bei 100° C. getrocknet). Um die Spülwässer ohne alle Belästigung oder Beschädigung
in Rinnen oder Canäle abfliessen lassen zu können, empfiehlt Vohl 1) Schlammkasten
zum Absetzen des Kalkes, und 2) Behandeln der klaren Flüssigkeit mit gebrauch-
ter Lohe. Das ausgewaschene Gut wird an der Luft zum Trocknen ausgebreitet
und an die Leimsieder verkauft.1)
Die Aufbewahrung des Leimgutes in Ballen darf nur in trocknen Raumes:
geschehen; in feuchten Lagerräumen entsteht ein widerwärtiger Modergeruch, der für die
Umgebung sehr belästigend werden kann; auch finden sich massenhaft Speckkäfer
und Speckkäferlarven ein, die nach dem Aufräumen solcher Lager die Nachbarschaft
überschwemmen und allen wollenen Stoffen gefährlich werden.
Beim Auf- und Abladen der Ballen vermag der kalkhaltige Staub alle Schleim-
häute heftig zu reizen: reicht hier ein vor Nase und Mund gebundenes Tuch als
Schutzmittel nicht aus, so ist das Ueberhängen eines feuchten Schleiers über das Gesicht
sehr zu empfehlen.*)
3) Das Versieden des Leimgutes. Das getrocknete Leimgut muss vor dem
Kochen stets in Wasser eingeweicht, d. h. macerirt und später nochmals getrocknet
werden. Die Macerationswässer enthalten keine Fäulnissproducte; nur wenig Kalk und
können ohne Nachtheil in öffentliche Canäle abgelassen werden.
*) Viele Gerbereien speichern das Leimgut selbst auf, um es zeitweise zur
Leimsiederei zu benutzen: in der Regel sind aber die betreffenden Abfälle schon in
Fäulniss übergegangen und ist deshalb zur Minderung der üblen Gerüche ein Zusatz von
schwefligsaurem Calcium zu empfehlen. Noch weit widerlichere Gerüche entstehen
bei der Verwendung der aussortirten gesalzenen Büffelhäute. Cm das Salz aus ihnen
zu entfernen, werden sie in cementirten Gruben unter Wasser gesetzt; ist dies geschehen,
so entwickeln die Häute in der wärmern Jahreszeit die ganze Reihe der Fäulnissgase,
so dass dies Verfahren niemals in der Nähe von Wohnungen stattfinden darf. — Die
Macerationswässer dürfen nur nach vorhergehender Versetzung mit Kalk abgelassen
werden, weil bei ihrem freien Abflüsse selbst in grösseren Flüssen die Fische überall
verschwinden, wo jene sich ausbreiten. Die ganze Procedur macht den widerlichsten
Eindruck.
585 Thierische Abfälle.
Das Leim sieden geschieht vorzugsweise nach der altern Methode in kupfernen
Kesseln mit flachem Boden, wobei sich stets in Folge der Einwirkung des Kalks auf die
sti< k-toffhaltigen Gebilde Ammoniak resp. Schwefelammonium entwickelt, jedoch
nicht in einem belästigenden Grade.
Um das Anbrennen des Leimgutes resp. die Entwicklung von empyreumatisehen
Dämpfen zn verhüten, muss der Leimkessel auf seinem Boden ein Drahtsieb oder ein
Weidengeflecht haben, auf welches man zuerst eine Lage Stroh und dann dos Leimgut
schichtet. Das sicherste Mittel zur Verhütung des Anbrennens besteht in der Benutzung
der Wasser dämpfe.2)
Beim Versieden der Büffelhäute muss man zur Beseitigung des Fettes in
kurzen Intervallen kleine Mengen frischer Kalkmilch zusetzen, um das Leim fett resp.
die Kalkseife zu bilden, welche man abschäumt. Während dieses Zusatzes von Kalk-
milch entbindet sich massenhaft Ammoniak resp. Schwefelammonium und zwar
in Folge der Zersetzung der Fäulnissproducte thierischer Häute; bei enthaarten
Häuten ist dies weniger der Fall. Alle diese Gase müssen unter den geeigneten Vor-
siehtsmassregeln unter den Rost der Feuerung geleitet werden, um dadurch die grosse
Belästigung für die Nachbarschaft und die Nachtheile für die Gesundheit der Arbeiter
am sichersten zu verhüten.*)
Wenn die Leimlösung die Probe hält, d. h. wenn eine kleine Probe davon auf
kaltem Wasser zu einer Gallerte gesteht, so wird sie in die Leimkufen, d. h. in mit
Bleiblech gefütterte Bottiche gebracht, in welchen die Lösung durch Absetzenlassen
geklärt wird.
Nach dem Formen und Zerschneiden der Blöcke folgt das Trocknen des Leims
oder die Ueberführung der Gallerte in Leim; dasselbe gehört zu den schwierigsten
Acten der Leimfabrication. hat aber keine sanitäre Bedeutung.3)
Verschiedene Arten des Lederleims. Der aus den Hautabfällen bereitete Leim
heisst Lederleim im Gegensatz zum Knochenleim aus Knochen und dem Fisch -
leim aus der Schwimmblase der Fische. Der mit Zucker versetzte Lederleim heisst
Mundleim, wenn derselbe vorher mittels Thierkohle entfärbt worden ist
Der Pergamentleim aus den Abfällen der Pergamentbereitung ist ein sehr
Bindemittel für Versrolder und dient auch zum Anmachen von Wasserfarben bei
der Malerei. Wegen des flüssigen Leims siehe salpetrige Säure S. 244.
Der elastische Leim entsteht durch Zusatz von Glycerin zum gewöhnlichen
Leim Das wichtigste Surrogat des Leims ist der Caseinleim, der durch Auflösen
von Casein in gesättigter Boraxlösung erhalten wird (s. Casein).
Die Knochen und ihre Verwerthung.
Die Knochen sind für die Technik von der grössteu Bedeutung, da sie auf
die vielfältigste Weise verwendet werden. Zunächst hat das Lagern der
Knochen ein sauitäres Interesse.
1) Die Knochenlager. Lagerräume von Knochen bedingen die grösste Un-
annehmlichkeit für die Adjacenten; lagern sie in trocknen Räumen, so findet ein
Austrocknen statt und zwar auf Kosten des verdunstenden Wassers, welches im
Knorpel des Knochens und den ihm meist noch anhängenden Weichtheilen enthalten
ist. Das entweichende Wasser ist stets mehr oder weniger mit den flüchtigen
Riechstoffen der verwesenden Weichtheile geschwängert; hat das Trocknen einen
gewissen Abschluss erhalten, so hört die Exhalation auffallender Riechstoffe auf
und nur die einfachen Zersetzungsproducte, Wasser. Kohlensäure und
*) Unzulässig ist auch die Darstellung von Leim in den Tapetenfabriken,
wenn dazu, wie es gewöhnlieh der Fall ist. die Abfälle von Schlächtereien und Ger-
bereien ohne allen Zusatz von Kalk genommen werden. Der Geruch bei einem solchen
Leimsieden ist ganz entsetzlieh und kann für die nächste Nachbarschaft durch die Ent-
wicklung der flüchtigen Fettsäuren u. s. w. zur grössten Qual werden. Selbst der aus
solchen "faulenden Substanzen dargestellte Leim besitzt einen unerträglichen Geruch, der
den Tapeten, bei denen ein solcher Leim benutzt worden ist, innig anhaftet. Solche
Tapeten sind besonders in feuchten Stuben einer Verwesung unterworfen, wobei sich
Propionsäure bildet, welche einen höchst unangenehmen, muffigen Geruch verbreitet,
der erst nach Jahren schwindet.
Knochenleim. 587
Ammoniak, treten dann auf, sind aber meist mit einem Modergeruche ver-
bunden.
Alle Knochenlager sollten unter polizeilicher Aufsicht stehen und nur an solchen
Stellen errichtet werden, welche die Polizei nach stattgefundener Prüfung für zweck-
mässig erachtet hat. Jeder Lagerraum muss trocken, dem Luftzuge ausgesetzt und so
gelegen sein, dass er der nächsten Nachbarschaft keine Belästigung verschafft. Keller
sollten zum Lagern von Knochen gar nicht benutzt werden, wahrend Sammler und An-
käufer von Knochen nur solche aufbewahren dürfen, welche gereinigt und so viel als
möglich von allen Weichtheilen befreit sind.1)
Bleiben die Lagerräume ganz verschlossen und entbehren sie jeder Ventilation, so
kann der in denselben vorhandene Sauerstoff zur Verwesung der organischen Stoffe
ganz verbraucht werden, wofür alsdann ein gleiches Volumen Kohlensäure an die
Atmosphäre abgegeben wird, welche mit dem restirenden Stickstoff vermischt eine zum
Athmen völlig untaugliche Atmosphäre bildet, so dass Personen, welche solche Räume
zuerst betreten, bewusstlos hinstürzen und an Erstickung sterben, wenn sie nicht rasch
diesen gefährlichen Gasen entzogen werden. So fehlt es nicht an Beispielen, dass
sich auch in Schiffen, in welchen Knochen transportirt werden, eine sehr kohlensäure-
reiche Atmosphäre ansammelt, welche auf die Schiffer einen schädlichen Einfluss aus-
zuüben vermag.
Das Bestreuen der Knochen oder der betreffenden Lagerräume mit Chlorkalk
ruft zwar eine günstige Wirkung bezüglich der belästigenden Gerüche hervor, die Ein-
wirkung des Chlors auf die leimgebende Substanz hat aber die Entstehung eines eigen-
thümlich riechenden Körpers zur Folge, welcher auch dem aus solchen Knochen dar-
gestellten Leim anhaftet. Diese Bestreuungen sind nur dann zulässig, wenn die Knochen
als Dungmittel benutzt werden.
Das zweckmässigste Mittel würde sein, alle Knochen, mögen sie frisch oder alt
sein, mit Kalkmilch zu behandeln, ehe sie auf Lager kommen. Man könnte die
Knochen in Körbe bringen und diese in Kalkmilch tauchen. Durch dieses einfache und
leicht ausführbare Mittel würde man am sichersten jeden belästigenden Geruch vermeiden
und die spätere Verwerthung der Knochen in keiner Weise stören.*)
2) Darstellung des Knochenleims. Der Knochenleim entsteht aus dem
Knochenknorpel und macht etwa den dritten Theil vom Gewichte der Knochen
aus. Um die Knochen vollständig auszunutzen, geht der Gewinnung von Knochen-
leim die Entfettung der Knochen voraus. Zu diesem Zwecke werden die
Knochen in einem eisernen Kessel stark ausgekocht, weshalb man diese Procedur
auch das Knochensieden nennt.
Die Knochensiedereien werden bezüglich ihrer Belästigung für die Nachbarschaft
verschieden beurtheilt. Man darf hierbei nicht übersehen, dass häufig auch Knochen -
lager mit der Knochensiederei verbunden sind und manche andere Nebenbeschäftigungen
oft belästigender einwirken als die Knochensiedereien, die dazu gegenwärtig unter
den § 16 der Gewerbe-Ordnung für das Deutsche Reich gehören und deshalb einer be-
sondern Concession bedürfen.
Auch kommt es häufig vor, dass Knopfdrechsler sich mit dem Knochensieden
beschäftigen und dann besonders die Kieferknochen grösserer Thiere zuvor einem
Macerationsverfahren unterwerfen. Werden nun die macerirten Knochen gesotten,
so entwickelt sich ein sehr unangenehmer Geruch, indem neben Schwefelammonium
wiederum dia flüchtigen Fettsäuren und andere widerliche Riechstoffe auftreten;
mit Recht kann man eine solche Knochensiederei für sehr belästigend erklären.
Am wenigsten Geruch entsteht beim Sieden der Knochen von Schafen, Hammeln.
Rehen oder Antilopen, namentlich wenn das Auskochen, wie gewöhnlich, unter Zusatz
einer geringen Menge von Natr. carbon. geschieht.
Hier sowohl als beim Auskochen älterer Knochen genügt es, die beim Kochen
sich entwickelnden Dämpfe mittels eines Schlotes in den Kamin zu führen : beim Sieden
der macerirten Knochen müssen sie aber in eine Feuerung geleitet und verbrannt
werden. Es sind nach der Grösse der Etablissements die verschiedenen Einrich-
tungen erforderlich, welche beim Talgschmelzen und bei der Seifensiederei besprochen
worden sind.
Die gallertartigen Auskochwässer oder Siedewässer dürfen niemals in die
Strassenrinnen, wie es so häufig geschieht, abgelassen werden, da sie ausserordentlich
*) In Paris müssen die Lumpensammler die Knochen in starke Leinwandsäcke
legen, welche in den gehörig ventilirten Niederlagen aufzubewahren sind.
588 Thierische Abfalle.
leicht in Fäulniss übergehen und einen widerlicher Geruch verbreiten; man kann sie
als Dungmittel benutzen, wenn man sie mit Kalk vermischt: setzt man ihnen verdünnte
Schwefelsäure zu, so können sie bei der Düngerfabrication zum Aufschliessen der
Phosphorite benutzt werden (s. Darstellung des gedämpften Knochenmehls).
Das beim Sieden auf der Oberfläche dieses Wassers sich ansammelnde Knochen-
fett oder Knochenöl, wie man es gewöhnlich nennt, wird abgeschöpft und besteht
grösstenteils aus unveränderten Glycerinverbindungen, die gute Schmiermittel
darstellen.
Der Knopfdrechsler muss nach dem Sieden die Knochen trocknen. Die Procedur
kann ebenfalls belästigend werden, wenn bei feuchtem Wetter und niederer Temperatur
die leimgebenden Gebilde, die im Knochen noch enthalten sind, in Fäulniss übergehen;
dies Trocknen muss auf luftigen und hohen Speichern geschehen. Zu beachten ist,
dass die flüchtigen Riechstoffe sich leicht auf Viehfutter (Heu, Stroh u. s. w.) übertragen
und auch wollenen Zeugen sehr adhäriren.*)
Die Extraction der entfetteten Knochen mittels Salzsäure. Man wählt
hierzu gewöhnlieh die schlechten und zum Knopfdrechseln nicht brauchbaren Knochen,
die man in hölzernen Bottichen einer Salzsäure von 7° B. aussetzt. 2)
Die Gelatine bleibt in Form des Knochens zurück, wohingegen das Calcium-
phosphat in salzsaure Lösung übergegangen ist.
Die Ueberführung der Gelatine in Leim geschieht mittels Wasserdämpfe;
das Formen und Trocknen geschieht wie beim Lederleim.
Der Knochenleim kommt gegenwärtig unter dem Namen Patentleim im
Handel vor und hat ein milchiges Ansehen, das von den in ihm zurückgebliebenen
Theilen des Calciumphosphats herrührt. Absichtlich erzeugt man bisweilen diese
milchige Trübung, wenn man dem Knochenleim Blei weiss u. s. w. beimischt, Zusätze,
die wohl zu berücksichtigen sind, wenn man den Knochenleim als sogen. Bouillon-
tafeln zur Bereitung von Bouillon benutzt.
3) Die Verarbeitung der Knochen für gewerbliche oder Kunstgegenstände.
Das erste Entfetten der Knochen geschieht nach der gewöhnlichen Weise des
Knochensiedens. Hierauf folgt das Sortiren und die vollständige Ent-
fettung mittels erhitzten Terpentinöls oder Benzols.
Die Dämpfe müssen mit Rücksicht auf die Arbeiter und die Feuersgefahr wieder
gewonnen werden. Die Knochen werden zu diesem Zwecke mit einem kräftigen Wasser-
dampfstrom ausgedämpft, wobei das Lösungsmittel durch Condensation der entweichen-
den Dämpfe gewonnen wird; schliesslich bringt man die Knochen auf die Rasenbleiche.
Das Färben der Knochen beruht hauptsächlich nur auf dem Färben der in
den Knochen enthaltenen stickstoffhaltigen Substanz: sogenannte Metallbeizen,
welche schon an und für sich eine Färbung geben, werden vorzugsweise gebraucht; so
färbt salpetersaures Quecksilberoxydul braun und schwarzbraun, salpeter-
saures Silber graubraun und schwarz, Goldchlorid purpur. Auch Pikrinsäure
und namentlich die schlechten Sorten der Anilinfarben dienen als Färbemittel.
4) Benutzung der Knochenabfälle znr Darstellung von Superphosphat. Man
benutzt hierzu alle schlechtem Knochen, die Abfälle bei der Knopffabrication u.s.w.
und verfährt dabei nach zwei Methoden.
1) Beim sauren Aufschliessen werden die Knochen gemahlen, mit verdünnter
Schwefelsäure besprengt, in luftigen Schuppen auf Haufen gesetzt und oft umge-
schaufelt. Es entwickeln sich hierbei geringe Mengen von Salzsäure und sehr wenig
Schwefelwasserstoff, das Verfahren ist aber nicht belästigend und wird häufig
Seitens der Landwirthe selbst ausgeführt. Bei diesem Processe entsteht aus dem
tertiären Calciumphosphat Ca3(P04)2 Gips und saures (primäres) Calcium-
phospbat Ca(H,P04)2.
2) Das sogenannte Dämpfen der Knochen geschieht in aufrecht stehenden
Cylindern (Digestoren) mit falschem Boden, in welche die Knochen gebracht werden.
Ein unten eingeleiteter Dampfstrahl von 3% — 6 Atmosphärendruck wirkt mehrere
*) Es ist hier noch die Knochensiederei behufs Darstellung anatomischer
Skelete zu erwähnen, da hier ein vollständiger Fäulnissprocess dem Kochen voraus-
gehen muss und Vorkehrungen zur Vernichtung der riechenden Gase nothwendig sind;
ein Kalkzusatz würde das Aussehen der Knochen benachtheiligen, dagegen hat sich
ein Zusatz von Kleie, reinem Weingeist oder Aepfelwein bewährt, wobei saure
Reaction eintritt und Schwefelammonium nicht auftreten kann.
Poudrette-Fabrication. 539
Stunden lang auf die Knochen ein; anfangs lässt man die noch vorhandene atmosphä-
rische Luft durch ein Sicherheitsventil austreten, wobei höchst unangenehme und die
Adjacenten im höchsten Grade belästigende Dämpfe auftreten.
Es ist absolut nothwendig, das Ventil mit einer Haube zu versehen, die mittels
eines Rohrs mit der Feuerung des Dampfkessels zu verbinden ist, um die höchst übel-
riechenden Dämpfe zu verbrennen. (S.Talg- und Seifensiederei.) Nach geschehenem
Abblasen wird das Ventil geschlossen und die Knochen bleiben den gespannten Dämpfen
ausgesetzt; die Cylinder sind daher wegen des hohen Druckes wie Dampfkessel zu
revidiren.
Werden nach beendigtem Dämpfen die überflüssigen Dämpfe abgelassen, so ist
dasselbe Verfahren zu beobachten. Die unter dem falschen Boden angesammelte
Flüssigkeit ist eine übelriechende Leimauflösung, auf der nach dem Erkalten ein
Fett von talgartiger Beschaffenheit, aber widerlichem Geruch schwimmt, das in Seifen-
siedereien noch zu verwerthen ist.
Das Trocknen der gedämpften Knochen verbreitet weit über die Fabrik
hinaus einen unangenehmen Geruch, wenn bloss die Zugluft hierzu benutzt wird; man
sollte daher die künstliche Erwärmung vorschreiben, um die mit widerlichen Riech-
stoffen beladene Luft durch Feuer vernichten zu können. Nach dem Trocknen folgen
das Stampfen, Mahlen und Sieben der Knochen, die leicht zerfallen, da ihnen das
Bindemehl fehlt. Der hierbei entstehende Staub ist belästigend genug, jedoch erfah-
rungsgemäss nicht mit nachtheiliger Wirkung auf das Lungengewebe verbunden. Aus
diesem gedämpften Knochenmehl wird durch Behandeln mit Schwefelsäure Super -
phosphat (gedämpftes Knochenmehl) dargestellt. Behandelt man die abfallende
Leimlösung mit Schwefelsäure*) und benutzt dieses Gemisch zum Aufschliessen,
so erhält man das ammoniakalische Superphosphat, welches auch Guano-
Superphosphat genannt und oft noch mit Ammoniumsulfat vermischt wird.
Es finden sich bei diesem Verfahren noch vielfache Modiücationen, bei denen aber
in sanitärer Beziehung der Schwerpunct stets auf der Vernichtun g der wider-
lichen Gase und Dämpfe beruht So setzt man z.B. häufig den Knochen noch die
Abfälle von Fellen, altes Leimgut, Hörn, Wolle u. s. w. zu und dämpft die
ganze Masse in Digestoren mittels Wasserdämpfe, um Dungstoffe zu gewinnen. Die
abfallende Brühe muss unter allen Umständen als Dungmittel benutzt und sofort in
wasserdichten und geschlossenen Behältern mit Kalk versetzt werden, wenn sie nicht
sofort verwerthet wird.
Die feste Masse wird in Darrräumen oder in grossen Pfannen getrocknet,
deren Temperatur niemals die Temperatur des Wassers übersteigen darf. Nach dem
Trocknen folgt das Zerkleinern und das Vermischen mit Schwefelsäure auf
Mühlen.
DerHöhepunct aller widerlichen Gerüche findet sich überhaupt bei dieser Fabrication ;
in allen Räumen müssen daher Vorkehrungen zur Ableitung der auftretenden Dämpfe
getroffen werden; man kann sie entweder durch Schwefelsäure mittels Exhaustoren
oder in eine Feuerung mittels einer gut ziehenden Esse wegführen. Geschieht das
Trocknen in Pfannen, so müssen diese entweder unter einem gemauerten Gewölbe liegen
oder mit einem Bleichmantel versehen sein, um die Dämpfe zu sammeln, abzuleiten und
zu vernichten. Die Ableitung in einen Schlot wird niemals die entsetzliche Belästigung
für die Adjacenten verhüten, namentlich wenn die Fabrik in der jRicktung der nach
bewohnten Orten, Häusercomplesen u. s. w. Avehenden Strichwinde liegt; selbst Entfer-
nungen von 20—30 Minuten dürfen dann die genannten Massregeln nicht über-
flüssig machen.
Bei der Concessions-Ertheilung ist auch die Aufbewahrung des Rohmate-
rials in trocknem Zustande vorzuschreiben.
Die Poudrette-Fabrication.
Unter Poudrette-Fabrication versteht man die Gewinnung des Düngers
in fester Form aus den menschlichen Excrementen. Ihre Bearbeitung besteht
*) Dieses Mischen muss unter einem gut ziehenden Schlot geschehen, da sich
hierbei noch übelriechende Dämpfe von Fettsäuren entwickeln. Bei der Darstellung des
einfachen Superphosphats lassen die Fabricanten die Leimlösung in geschlossene
Behälter fliessen, um sie später mittels Fässer auf die Aecker zu transportiren; das
Zu- und Abfliessen muss hierbei nicht in Rinnen, sondern in geschlossenen Röhren
geschehen. Es ist nothwendig, die Leimlösung sofort mit Kalk zu versetzen, um die
üblen Gerüche zu vermindern; bei den Abfällen der mit Schwefelsäure versetzten Leim-
lösung muss dies unbedingt geschehen.
590 Thierische Abfälle.
1) in der Desinfection der Excremente, durch welche nicht bloss der
Geruch möglichst aufgehoben, sondern auch das Ammoniak gebunden werden soll.
Man verwendet hierzu die Humussubstanzen, Torf, Braunkohlen, ge-
brauchte Lohe u. s. \v., die den grossen Vortheil haben, dass sie die Fäcalmassen schon
theilweise austrocknen. Die Holzkohle hat jedoch mehr eine desodorirende als des-
inficirende Wirkung: ihr Gehalt an kohlensauren Alkalien beschleunigt die Spaltung des
Harnstoffs und veranlasst daher die Entwicklung von Ammoniak. Die Torf-, Braun-
kohlen- und Steinkohlenasche zeichnet sich durch ihren Gehalt an schwefelsauren Erden
(Gips,
Unter den erdigen Desinfectionsmitteln resp. Mineralsubstanzen steht
in erster Linie der Gips, dessen Schwefelsäure das Ammoniak bindet, während die
Kohlensäure des Ammoniumcarbonats an den Kalk tritt; seine Porosität bedingt eine
starke Absorption de? Sauerstoffs, so dass die Ammoniumsalze rascher in Salpeter-
säure übergeführt werden.
Der Mergel zeichnet sich durch einen Gehalt an Eisenoxydhydrat aus,
welches Ammoniak bindet; ebenso verhält es sich mit dem Lehm, Ziegelmehl und
jedem eisenschüssigen Thon, Substanzen, die somit bei der künstüchen Dünger-
bereitung nicht bloss zur Vermehrung der Quantität dienen.
Zu den Mineralsubstanzen gehört besonders Phosphorit oder Phospho-
calcit (ein Gemenge von Dolomit und Osteolith), Osteolith (Calciurnphosphat), Natro-
nit [ Calciumsulfat und Natriumsulfat) u. s.w., die aber zuvor aufgeschlossen werden
müssen. Das Eisen ist überhaupt nur als Oxydhydrat und Mangan als Oxyduloxyd-
hydrat brauchbar, wenn der präparirte Dünger direct verwerthet werden soll.
Unter den Mineralsäuren wird Schwefelsäure namentlich bei der Behand-
lung der flüssigen Excremente benutzt. Anfangs entwickelt sich hierbei ein höchst
übelriechendes Gemenge von Kohlensäure, Schwefelwasserstoff, Buttersäure
und Baldriansäure u. s. w.. das in eine Feuerung geleitet werden muss; hier sind die
sogenannten Desinfectionsöfen recht am Platze. Die präcipitirte Masse wird
häufig mit Mergel, Torf u. s. w. versetzt und in Ziegelform gepresst.
2) Beim Pressen des Düngers muss die abfallende Flüssigkeit als
Dünger benutzt werden, während die Dungziegelsteine wie die Feldziegelsteine in
grossen Schuppen getrocknet werden.
3) Das Trocknen der Dungziegel ist in sanitärer Beziehung ein wich-
tiger Act, da die Trockenanstalten einen höchst widerlichen Geruch verbreiten.
Um diesen Geruch einigermassen zu vermindern, kann man die aus der Presse
kommenden Ziegel sogleich mit Gipsmehl bestreuen. Am sichersten würde es sein,
auch hier die Darr- oder Trocken räume künstlich zu erwärmen, die entweichenden
Gase aber in der S. 589 gedachten Weise zu behandeln. Neuerdings werden solche
Steine zum Verbrennen benutzt; man kann dazu vorzugsweise Torf als Constituens
und Theer, rohe Carbolsäure u. s. w. als desinficirende Mittel wählen1).
In einigen Fabriken wird der Dünger nicht gepresst, sondern das Gemenge so
lange mit den absorbirenden Substanzen versetzt, bis seine Consistenz ein leichtes
Trocknen zulasst, um den sogenannten Streu düng er darzustellen*).
Abdeckerei oder die Beseitigung der Thier-Cadaver.
Die Abdeckereien gehören nach dem § 26 der Gewerbe- Ordnung vom
21. Juni 1869 zu den Anlagen, zu deren Errichtung die Genehmigung der nach
*) Es ist hier noch des reinen Mineraldüngers zu erwähnen, dessen Fabrication
in der letzten Zeit immer wichtiger geworden ist. Man benutzt hierzu namentlich die
schon genannten Mineralien (Phosphorit, Usteolith u. s w.), welche durch Feuer unter
Anwendung von Alkalien, besonders Chloralkalien, aufgeschlossen werden. Das
Chlor wird hierbei meist als Salzsäure ausgetrieben, während die Kieselsäure der
te an die Alkalien tritt. Beim Aufschliessen der Sulfate tritt schweflige Sänre
auf und bei wirkliehen Coprolithen (urweltlichen Excrementenj verflüchtigen sich mit
Ifluorwasserstofi geschwängerte Gase. Selbst bei gebrannten Knochen wird
bei Anwendung von Schwelelsäure sämmtliches Fluor als Kieselfluor ausgeschieden.
Man hat daher jedenfalls für den Abzug der Gase zu sorgen; ihre Condensation ist
weniger erforderlich, wenn die Fabriken, wie gewöhnlich, entlernt von Wohnungen liegen.
Der Kalidünger (Kalialaun] ist für manche Zwecke unentbehrlich: nicht minder
wichtig sind Ammoniumsulfat und Chilisalpeter als stickstoffhaltige Dungstoffe.
Abdeckerei. 591
den Landesgesetzen zuständigen Behörde erforderlich ist. Man kann sie über-
haupt in die Kategorie der Poudrette- und Dungpulver-Fabriken bringen, da bei
der gewerblichen Ausnutzung der Thiercadaver Knochensiederei, Talgschmelzeu,
Leimsiedrei, Knochenbrennerei u. s. w. vorkommen und jeder einzelne dieser indu-
striellen Zweige schon eine Menge von Belästigungen in sich schliesst.
Bei der Anlage der Abdeckereien hat man daher Folgendes zu berücksichtigen:
1) Bei der Auswahl des Platzes hat man zunächst auf eine hinreichende Ent-
fernung von menschlichen AVohnungen zu achten. Das Mass dieser Entfernung muss
sich nach den lpcalen Verhältnissen, nach der Lage des Platzes, nach der herrschenden
Windrichtung u. s. w. richten; auch frequentirte Landstrassen dürfen nicht in der Nähe
liegen, während die ganze Abdeckerei mit einer zweckmässigen Einfriedigung zu ver-
sehen ist.1)
2) Alle für die technische Benutzung der Thiercadaver erforderlichen Räume
müssen sachgemäss eingerichtet sein.
3) Jede Abdeckerei muss mit mehreren Hundezwingern versehen sein, wenn
es geboten sein sollte, der "Wuth verdächtige Hunde zu beobachten; dieselben sind be-
sonders für Abdeckereien in der Nähe grosser Städte erforderlich.
Für die Rinderpest gilt die Instruction vom 26. Mai 1869, welche die strengsten
Desinfectionsmassregeln vorschreibt.
Trichinöse Schweine können zur Gewinnung des Fettes verwerthet werden,
wenn das betreffende Fleisch mit oder ohne Znsatz von Schwefelsäure kalt eingeweicht
und dann stark ausgekocht wird. Die Benutzung des ohne Säure gewonnenen Fettes zu
häuslichen Zwecken dürfte nicht bedenklich sein2): der Rest kann als Dungmittel benutzt
werden, während der technischen Verwerthung der Knochen nichts im Wege steht*).
5) Alle Thiere dürfen nur auf einem bestimmten Wasenplatze ver-
scharrt werden.
In mehreren Regierungsbezirken bestehen mit Recht besondere Verordnungen,
welche jede Gemeinde verpflichten, einen Wasenplatz oder Schindanger einzu-
richten, dessen Entfernung von W7ohnungen und besuchten Wegen mindestens 600 Schritt
betragen muss; benachbarte Gemeinden können sich aber eines gemeinschaftlichen Wasen-
platzes bedienen.
Einzelgruben sind stets zu verbieten, weil sie in der Regel schon nach ein paar
Jahren geöffnet werden, um die Knochen an die Knochenhändler zu verkaufen, ohne
dass Rücksicht darauf genommen wird, ob die Weichtheile auch hinreichend geschwunden
sind. — In Gegenden, wo der Milzbrand endozootisch, ist ein Gemeinde- Schindanger
absolut erforderlich, da nur ein solcher einer polizeilichen Controle unterworfen
werden kann.
Der Transport der an Seuchen gefallenen Thiere sollte stets in einem geschlos-
senen Karren, wobei ein Durchsickern von Blut oder Jauche unmöglich ist, geschehen.
Besonders eignen sich hierzu Kastenwagen; bestreut man dabei die Cadaver der an
ansteckenden Krankheiten gefallenen Thiere noch mit Chlorkalk, so braucht man den
Transport nicht, wie einzelne Regierungen vorschreiben, bloss des Nachts vornehmen
zu lassen.
7) Die Verwerthung der Cadaver. Durch die polizeiliche Bestimmung, alle
an ansteckenden Krankheiten gefallene Cadaver sogleich vorschriftsmässig zu ver-
scharren, fällt schon die Möglichkeit weg, das Fleisch von solchen Thieren zum Füttern
von Hunden, Schweinen oder Geflügel zu benutzen. Aber auch faules Fleisch von
Thieren, welche aus anderen Ursachen der Abdeckerei überwiesen worden sind, sollte
nicht zum Füttern von Hausthieren benutzt werden, da es wohl unzweifelhaft ist, dass
das Fleisch solcher Thiere, in rohem Zustande genossen, auch schädliche Wirkungen
äussern kann. 3)
Die gefallenen Thiere bergen einen bedeutenden Werth für die Industrie. V> enn
man bedenkt, welche bedeutende Menge von werthvollen stickstoffhaltigen Substanzen
*) Zenker hält die Abdeckereien für die gefährlichste Trichinen quelle, weil hier
ganz besonders Gelegenheit zur Infection durch Verschlucken von mit dem Kothe an-
derer Schweine abgegangenen Darmtrichinen und Embryonen, sowie durch das Fressen
trichinigen Fleisches anderer Schweine gegeben sei. — Auch die Ratten bekämen ihre
Trichinen nur aus dem Fleische anderer trichiniger Thiere, weil das Schwein der eigent-
liche und ursprüngliche Trichinenträger sei. Er hält es daher für eine dringende sani-
tätspolizeiliche Massregel, dass den Abdeckern das Halten, Füttern und Schlachten von
Schweinen, sowohl für den Verkauf als für den eigenen Bedarf, auf das Strengste ver-
boten werde. Nur in Oesterreich existirt in Folge des Staatsministerial - Erlasses vom
10. Mai 1866 ein solches "Verbot.
*
592 Gemenge von Kohlenwasserstoffen.
durch das Verscharren für die Industrie verloren gehen, so sollte man die Mittel, wo-
durch i auch an Seuchen gefallene Thiere verwerthet werden können, viel mehr in An-
: ung l'iingen. Man kann hierzu zwei Methoden, die Maceration und trockne
D< B tillation benutzen. Bei der Maceration behandelt man den ganzen, nicht zer-
kleir .orten Cadaver mit siedenden Wasserdämpfen mit oder ohne Zusatz von Schwefel-
■ e oder caostischer Lauge resp. Kalk. Diese Procedur geschieht in hölzernen, mit
Blei ausgefütterten Gelassen, welche so gross sind, dass sie 1 — 2 Cadaver der grössten
Sorte aufzunehmen vermögen. Man erhält in ähnlicher Weise wie beim Knochendämpfen
d:ifi Fett und den Leim, während die Knochen weiter verarbeitet werden; es sind aber
h;i(T in erhöhtem Grade die erwähnten Vorsichtsmassregeln zu beachten.
Bei der trocknen Destillation benutzt man einen von Purion construirten
£ ipparat, der aus einem Destillationsapparate und mehreren Con densations-
a jp paraten besteht, um die Producte der trocknen Destillation und als Rückstand die
Itnierkohle zu gewinnen. Diese Methode empfiehlt sich vorzugsweise, da sie selbst
1 )ei an Rinderpest zu Grunde gegangenen Thieren angewendet werden kann: bei ihrer
5 lorgfältigen Ausführung sind die Belästigungen auf ein Minimum reducirt.
Gemenge von Kohlenwasserstoffen.
Zu der Gruppe, welche Gemenge von Kohlenwasserstoffen darstellen, gehören
Photogen, Paraffin und Petroleum. Wir knüpfen hiermit wieder an
Früheres an und betreten ein Gebiet, das namentlich durch die Gewinnung von
Theer und seihen Producten eine höchst wichtige Stellung einnimmt und andere
umfangsreiche Industriezweige einleitet.
Wir beginnen mit der Photogen- oder Mineralölfabrication, die fast
ausschliesslich der Provinz Sachsen angehört und mit der Paraffindarstellung
Hand in Hand geht. Das Photogen hat seit 1860 mit der Einführung von
Petroleum eine bedeutende Concurrenz erfahren und wird die weitere Ent-
wicklung jener Industrie vorzugsweise von der Paraffindarstellung abhängig
bleiben. —
Photogen.
Photogen, Mineralöl, Sckieferöl, ist dem Petroleum sehr nahe verwandt;
während letzteres von der Natur in unbegrenzter Menge geliefert wird, muss
Photogen erst durch die trockne Destillation mehrerer fossiler Substanzen
erhalten werden; zu diesen gehören das Bitumen, der bituminöse Schiefer,
der Blätterschiefer (Papierkohle), namentlich der rheinische Blätter-
schiefer (Shiste bitumineux), der sich aber wegen seines reichen Gehaltes
an Schwefelkies und Schwefelarsenik weniger für die Fabrication eignet,
der Posidonienschiefer, die Bogheadkohle, die Braunkohle (Schweel-
kohle) in der Provinz Sachsen und der Torf.
In Deutschland haben Wagemann und Vohl die Photogenindustrie be-
gründet und sehr viele Rohmaterialien auf ihre Ausbeute an Theer untersucht.
Die trockne Destillation, der Scliweelprocess, wird in liegenden oder vorzugs-
weise in stehenden Retorten ausgeführt. Neuerdings benutzt man umfangreiche
Retorten unter Mitwirkung von überhitz ten Wasser dämpfen und condensirt die ent-
weichenden Gase durch Abkühlung mit Wasser. Als Rohmaterial werden gegenwärtig
fast nur die Boghead- und Cannelkohlen, sowie die sächsische Braunkohle.
benutzt.1)
Photogen. 593
Der Braailkohlentheer ist eine gelblich-braune, butterartige Masse und stellt ein
Gemisch von verschiedenen Kohlenwasserstoffen der Methylreihe, Harze,
Carbolsäure, Kreosot, schwefel- und stickstoffhaltigen Verbindungen dar.
Die Entwässerung des Theers geschieht in unterirdischen Bassins mittels einer
Dampfschlange: der wasserfreie Theer wird dann in die Destillirgefässe gepumpt. Die
bei der Entwässerung auftretenden Gase und Dämpfe: Schwefelammonium,
Schwefelcyanwasserstoff, Pyrrolbasen, Kreosot und Carbolsäure, müssen
unter den notwendigen Sicherheitsmassregeln durch eine Feuerung vernichtet werden.
Die Destillation des entwässerten Theers nimmt man in grossen gusseisernen
Kesseln auf freiem Feuer vor, wobei nur ihr Boden vor der Stichflamme zu schützen
ist. Es gehen zuerst die Gase ( Schwefelwasserstoff und Schwefelammonium),
zwischen 100° und 250° die leichtesten Oele, die sogen. Essenzen (Benzin), über.
Bei 250° siedet der Theer, womit der eigentliche Destillationsprocess beginnt.
Das Destillat wird in das Rohöl und in die Rohparaffinmasse geschieden.
Durch den reichen Gehalt an Paraffin erstarrt die Masse schon bei gewöhnlicher Tem-
peratur: sobald sich dies bei einer genommenen Probe zeigt, wird das nächstfolgende
Destillat als Rohparaffinmasse gesondert, Es handelt sich dann um die Reinigung
des Rohöls und des Rohparaffins, während das Residuum in der Destillirblase
harte Koks, die zur Feuerung benutzt werden können, darstellt.
Reinigung der Rohparaffinmasse*). Um die Paraffinmasse besonders vom Brand-
harze zu befreien, wird sie in grossen, an der Innenseite mit Blei bekleideten, in der
Mitte mit einem Abflussrohr versehenen, schwach conischen Gefässen mit 3 — b% eng-
lischer Schwefelsäure behandelt. Es bildet sich hierbei eine grosse Menge schwef-
liger Säure, wenn die Temperatur nicht niedrig genug gehalten wird : zur Vermeidung
dieses Uebelstandes darf sie nur unter +22° G, wenige Grade über dem Erstarrungs-
f)uncte der Masse, liegen. Die Mischung geschieht mittels eines durch eine Dampf-
uftpumpe eingeleiteten Luftstroms. Nach dem Ablassen des neu gebildeten Säure-
harzes folgt Auswaschen mit heissem und sodahaltigem Wasser unter Mithülfe des
Luftstroms. Dann scheidet man durch Destillation die leichtern Oele ab, die dem
Rohöle zugesetzt werden, und bringt das übrige Destillat in die Kry stallirgefässe,
prismatische, eisenblecherne Kasten, die in Kellerräumen bei einer Temperatur von
7—10° stehen.
Nachdem das auskrystallisirte Paraffin noch dreimal gepresst und zweimal mit
Benzin, dem Destillate der Rohöle, rectificirt worden ist, wird es zur Entfernung des
letztern nochmals eingeschmolzen und mit gespannten Wasserdämpfen behandelt. Es
ist nothwendig, dass das Benzin wieder condensirt wird, was übrigens der Fabricant
schon in eigenem Interesse thut.2)
Wird Paraffin sofort zur Kerzenfabrication benutzt, so ist seine Klärung
durch Beinschwarz nicht nothwendig: sonst findet es noch vielfältige Verwendung
zum Tränken von Papier und Holz, in Spiel waarenfabriken zur Darstellung des wachs-
artigen Ueberzugs der Puppenköpfe, in Zündhölzerfabriken u. s. w.
Reinigung der Rohöle Das Rohöl wird zuerst mit Natronlauge innig gemischt,
um ausser Kreosot das Brandharz, die Carbolsäure und einen Theil des Schwefels aus-
zuscheiden. Es werden hierdurch Schwefelammonium, die Pyrrolbasen, Am-
moniak u. s. w. frei gemacht, wodurch die Arbeiter im höchsten Grade belästigt werden,
wenn man nicht für eine sorgfältige Ableitung dieser Dämpfe Sorge trägt.
Nach dem Absetzenlassen und derWegnahme des sogen. Kreosotnatrons folgt
das Auswaschen und ein inniges Mischen mit Schwef elsäure,_ wobei die oben er-
wähnten Gase und Dämpfe neben schwefliger Säure Avieder frei werden. Nach aber-
maligem Auswaschen wird die Masse über festem Natron rectificirt: das zuerst über-
gehende Oel hat ein spec. Gew. von 0,805—0,810, welches mit directem Wasserdampfe
in eine Destillirblase abgeblasen wird, um das schon erwähnte Benzin von 0,770— 0,790
spec. Gew. zu erhalten. Der Rückstand wird mit Hülfe des Feuers abgetrieben und
dem Solaröl zugesetzt, dem Destillate von 0,825—^,830 spec. Gew. In einigen Fabriken
werden auch Oele von 0,810—0,820 dargestellt, die man vorzugsweise Photogen nennt,
Zuletzt geht ein schweres Oel (Paraffinöl, Schmieröl von 0,850-0,900 spec. Gew.)
über, das oft in geringer Menge dem leichtern Oele wieder zugesetzt wird. Eigent-
liches Maschinenöl oder Paraffinöl (Vulcanöl) wird das beim Auspressen des
Paraffins gewonnene Oel genannt, das ebenfalls mit Natronlauge und Schwefelsäure behan-
delt wird. Bei dieser Mischung bilden -sich ammo niakalische resp. schwefligsaure
*) Paraffin (Parum affinis) wurde 1830 von Reichenbach im Holzessig entdeckt,
In der Natur kommt es im Ozokerit vor.
Eulenberg, Gewerbe -Hygiene. 38
f>94 Gemenge von Kohlenwasserstoffen.
Dampfe, die bei geschlossenen Gefässen jedenfalls abzuleiten sind: auch sind die
sauren Abfallwässer zu beachten.
Das Kreosotnatron wird auf Kreosot und Carbolsäure bearbeitet;
der schwarze und noch zähe Rückstand in der Destillirblase heisst Goudron, wenn er
duroli Einkochen spröde geworden ist. Asphalt.
Sanitäre Verhältnisse der Arbeiter in Mineralölfabriken.
In sanitärer Beziehung ist zu beachten, dass die Arbeiter in den
Mineralölfabriken vorzugsweise an der sogen. Theerkrätze leideu, einer Haut-
affection, welche sich nach der Widerstandsfähigkeit des Hautorgans verschieden-
artig gestaltet; sie kann mit einer einfachen Acne beginnen, sich aber bis zu
einer angewöhnlichen Vergrösseruug der Knötchen ausdehnen; es sind die
Glandulae sebaceae, welche zunächst afficirt werden, indem auf ihnen kleine Krusten
entstehen, die bei Vernachlässigung zusammenfliessen und Borken erzeugen. Beim
Beginne der Krankheit kann man deutlich beobachten, wie sich die theerartige
Masse au den einzelnen Glandulae sebareae ablagert, zuerst kleine schwarze
Puncte bildet und allmählig kleine Pusteln und Krusten hervorruft. In andern
Fällen bildet sich eine Art von Psoriasis aus, die eine an Ichthyosis erinnernde
Schuppeubildung zur Folge haben kann. Die Affectiou gibt sich ursprünglich an
den obern Extremitäten kund, welche mit den Theerölen zunächst in Berührung
kommen; nur durch die zufällige Berührung der Genitalien mit den schmutzigen
Händen ist die Debertragung dieser Kraukheit auf das Scrotum erklärlich. Wenn
nach den Beobachtungen von Volkmann in der Klinik zu Halle sogar Haut-
carcinome am Scrotum vorgekommen sind, so ist diese Kraukheit durch die
gröbste Vernachlässigung und eiuen hohen Grad von Unreinüchkeit veranlasst
worden. So hat Volkmann auch einmal ein Cancroid des Augenliedes behandelt,
welches höchst wahrscheinlich aus denselben schädlichen Einflüssen entstanden
war.'1) Stets wird es Kreosot und namentlich die Carbolsäure sein, welche den
Theergebilden noch auhaften und in Folge der Manipulationen mit denselben die
Hautaffection bedingen. Auch bei der Paraffinfabrication ist es nicht das
Paraffin, welches als Krankheitsursache zu beschuldigen ist; es sind vielmehr
auch hier die ausgepresstHn Theeröle, die durch ihren Gehalt an Carbolsäure
die Krankheit erzeugen.
Jener Hoden krebs ist dem Schornsteinfegerkrebse nahe verwandt; er wird
bekanntlich durch den Russ, d. h. durch die in demselben enthaltene Carbolsäure
hervorgerufen (man vergl. Russ).
In keiner Werkstatt ist die Sorge für strengste Reinlichkeit notwendiger
als in den Mineralölfabriken und überhaupt bei den Manipulationen mit den
verschiedeneu Theersorteu.4) Die Herstellung von Badeeinrichtungen ist daher
hier ein unumgängliches Erforderniss. denn durch regelmässige Reinigung der Haut
würde allen diesen Krankheiten am sichersten vorzubeugen sein. Es ist sehr zu
beklagen, dass grade in Deutschland in dieser Beziehung am wenigsten für das
Wohl der Arbeiter Sorge getragen wird. Auch die Einwirkung der schwef-
ligen Säure ist in diesen Fabriken zu beachten, da sie unter Umständen, wie
schon erwähnt worden, in grosser Menge auftreten kann; nicht minder ist die
Gefahr vor Explosionen stets im Auge zu behalten.
Petroleum= 595
Petroleum, Erdöl, Steinöl.
Die bekanntesten Fundorte von Petroleum sind das Kaspische Meer, Rangun
in Hinterindien, Pensylvanien, Canada und die Walachei. Das rohe Petroleum ist
seinem äussern Ausehen nach sehr verschieden, bald von Butterconsistenz und
braun, bald bierbraun und dünnflüssig. Die meisten Rohöle entwickeln schon
bei gewöhnlicher Temperatur brennbare Dämpfe und sind deshalb sehr feuer-
gefährlich. Der flüchtigste Kohlenwasserstoff unter den Gasen ist Butyl Wasser-
stoff, der bei 0° siedet; dann folgt der Amyl-, Gapron-, Oenanthyl-,
Capryl-, Pelargon- und Caprinwasserstoff bis zu den Kohlenwasser-
stoffen, die bei 180 — 182° sieden. Die schweren Oele haben einen Siedepunct
zwischen 236—240°.
Rectification des Petroleums. Diese geschieht hauptsächlich an den Bezugs-
quellen und in Deutschland gegenwärtig fast nur in Hamburg". Das r affin irte
Petroleum ist dem Solaröl sehr ähnlich und wird hauptsächlich zu Beleuchtungs- und
Heizungszwecken verwendet.
Die Rectification beginnt in der Regel mit der fractionirten Destillation
in grossen eisernen Kesseln auf freiem Feuer. Es entbinden sich hierbei Schwefel-
ammonium, Sumpfgas, Aethylen und Kohlensäure, Gase, die stets unter den
nothwendigen Vorsichtsmassregeln in die Feuerung zu leiten sind.
Das erste Destillat (Essenz) hat ein spec. Gew. von 0,50 0,80, das zweite,
das rectificirte Petroleum, geht zwischen 130 — 200° C. über und wird bis zum
Erstarren der Masse gewonnen: das dritte Prodnct siedet bei 330° C. und wird bis
zum Trockenwerden aufgefangen. Setzt man die Destillation bis zum Trocknen fort, so
bildet sich Leuchtgas und Koks bleiben zurück.
Jedes Fractionirungsproduct oder das ganze Destillat wird mit Natronlauge
behandelt, um die Essig- und Buttersäure, die Carbolsäure, das Kreosot und die Harze
zu binden. Es entwickelt sich hierbei viel Ammoniak, das in den Schlot abzuleiten
ist. während beim Zumischen der Schwefelsäure, welche die Pyrrolbasen u. s. w.
bindet und die schwefelhaltigen und harzartigen Körper zersetzt, viel schweflige Säure
auftritt, die ebenfalls abzuleiten ist.
Bei dem Auswaschen dürfen die sauren Abfallwässer nicht frei abüiessen,
sondern müssen mit Kalk versetzt werden.
Um das Petroleum gänzlich von der Essenz zu befreien, muss es noch mit
Wasserdämpfen behandelt werden. Die Menge von Paraffin ist so gering, dass sich
seine Gewinnung nicht lohnt.
Ausser der Essenz unterscheidet man unter den sehr flüchtigen Körpern noch
Cymogen, ein gasförmiges Product, welches mittels der Compressionspumpe ver-
dichtet werden kann und bei 0° siedet; es ist wahrscheinlich identisch mit Butyl-
wa ss er stoff.
Rhigolen nennt man den Körper, welcher bei 18,3° C. siedet; Gazolen benutzt
man zum Carburiren des Leuchtgases: diese Benennungen kommen aber mehr im
Handel als in der Wissenschaft vor. So hat man auch "der rectificirten Essenz
nach ihrer Flüchtigkeit, d. h. nach ihrem Siedepunct und spec. Gew., verschiedene Be-
nennungen beigelegt, wobei namentlich die Art der Benutzung massgebend gewesen ist.
So unterscheidet man im Handel folgende Destillationsproducte:
1) Petroleum-Aether (auch wohl Kerosolen, Rhigolen, Sharewoodoil
genannt) von einem Siedepuncte bei 40—70° C. und dem spec. Gew. 0,65-0,66, der
namentlich als Lösungsmittel für Kautschuk und Harze dient.
2) Gasoline (auch Canadol genannt) siedet bei 70— 90° C, hat ein spec. Gew.
von 0,66—0,69 und dient zur Extraction von Oelsamen, zur Wollentfettung und Leucht-
gasfabrication.
3) Benzin siedet bei 80-110° G, hat ein spec. Gew. von 0,69—0,70 und dient
vorzugsweise als Fleckwasser zum Reinigen seidener Stoffe in Rcinigungs- Anstalten:
man nennt es auch Petroleumbenzin zum Unterschiede von dem im Steinkohlentheer
enthaltenen Benzol C6H6. x)
4) Ligroin siedet bei 80—120°, hat ein spec. Gew. von 0,71—0,73 und kann
in besondern Lampen, den sogen. Ligroinlampen, verbrannt werden.
5) Putz öl, dessen Siedepunct bei 120—170° C. liegt und dessen spec. bew.
0,72—0,75 beträgt, dient zum Putzen von Maschinentheilen und als Surrogat von
Terpentinöl.
38*
596 Gemenge von Kohlenwasserstoff« n.
6) Das raffinirte Petroleum heisst auch Petrosolaröl oder Kerosen.
Alle Rectifieations- Anstalten für Petroleum bedürfen einer besondern
Concession: abgesehen von den damit verbundenen Gerüchen ist es auch die Feuergefähr-
lichkeit, welche diese FabricatioB in Stadt« bewohnten Orten nicht zulassen darf.
In England bestimmte eine Parlaments Acte von 1862 für Liverpool, dass die Entfernung
von Wohngebäuden wenigstens 75 Fuss betragen müsse: es ist aber höchst bedenklich,
für eine solche Entfernung ein bestimmtes Mass festzusetzen, da viele örtliche Verhält-
nisse eine weit grössere erfordern. Anstalten dieser Art dürfen z.B. nicht in der Nähe
von Canälen and Flüssen liegen, damit das brennende Oel, welches auf dem Wasser
schwimmt, nicht weiter fortgetrieben zur Ausdehnung von Keuersbrüusten beitrage: sie
gehören in jeder Beziehung in die Kategorie der Pulvermühlen.
Beim Transport der Fässer für rohes Petroleum müssen diese von aussen mit
Oelfirniss unter Zusatz von Lenzin und an der Innenseite mit flüssigem, schwarzem Pech
oder Wasserglas angestrichen werden (cfr. Betriebs -Reglement für Eiseubahnen vom
10. Juni 1870 wegen des Transports von Petroleum und Petroleum-Naphta [Ligroin]).
Bei der Aufbewahrung des rohen Petroleums hat sich das Theerho f syste in
bewährt; der Theerhof muss ganz isolirt von der Stadt liegen und zur Aufbewahrung
sämmtlicher feuergefährlicher Substanzen dienen Der Stadt dürfen nur solche Flüssig-
keiten zugeführt werden, die unter 30° R. keine feuergefährlichen Gase und Dämpfe
entwickeln: von denjenigen feuergefährlichen vVaaren, die erst über 30° R. entzündliche
Gase entwickeln, dürfen nur in Quantitäten von 3 Centnern (= 1 Baral) auf Lager ge-
halten werden.
Ausser dem Rohpetroleum, der Harzessenz (Pinolin), dem Terpentinöl,
den leichten Steinkohlentheerö I en, Benzol u. s. w. gehört besonders die
Petroleumessenz zu den feuergefährlichen Waaren.2)
Die Wirknng der Essenz auf den thierischen Organismus ist nach ihrer Be-
schaffenheit verschieden: das erste Destillat von Rohpetroleum aus Canada, welches
reich an geschwefelten Kohlenwasserstoffen ist. erzeugte während der Ver-
dunstung von nur 1" Tropfen in dem grossen Glaskasten bei einem Kaninchen nach
10 M. die heftigsten tonischen und klonischen Krämpfe: selbst nach der sofortigen
Herausnahme trat mehrmals ein heftiger tetanischer Krampfein, welcher bei einem andern
Kaninchen sofort letal endete.
Bei der Section fielen hinter beiden Bulbi ein dünnes Blntextravasat, besonders
aber die starke Anfüllung des ganzen Herzens mit geronnenem Blute, die brnunrothe,
hyperämische Lunge und ein blutiger Sehleim auf öev Trachealsehleimhaut auf.
Dagegen vermochten die Dämpfe von 1,5 Grm. Essenz aus Wallachischem
Petroleum eine junge Katze erst nach 25 M. in einen anästhetischen Zustand zu
versetzen, der aber mit convulsivischem Zittern begleitet war. 15 M. nach dem Versuche
vermag sich das Thier zwar wieder aufzurichten, verharrt aber in einem Zustande von Be-
täubung, in welchem es nach 3 Stunden unter heftigem Tetanus hinstürzt und stirbt.
Hier fiel bei der Section die Anfüllung des übrigens schlaffen Herzens mit
flüssigem und wenig geronnenem Blute auf, dagegen erschienen die Lungen hellroth
und emphysematös.3)
Die Arbeiter in den Petroleum-Raffinerien werden besonders von
der Einwirkung der Essenz ergriffen, wenn sie in die Bottiche steigen, um
etwaige Destillationsrückstände herauszunehmen; nach den Erfahrungen des Ver-
fassers stürzen sie dann wie betäubt hin, bekommen ein bleiches Gesicht, livide
Lippen, einen schwachen, kaum hörbaren Herzschlag, respiriren langsam mit
schwachem Schleimrasselu, bisweilen durchfahren auch convulsivische Zuckuugen
den Körper, wie- dies auch bei den Versuchstieren der Fall ist. Die
Asphyxie geht unfehlbar in den Tod über, wenn der Betroffene nicht sofort
dem gefährlichen Medium entzogen wird; an der Luft äussern Wasserbe-
spritzungen, Reiben und ähnliche Reizmittel meist bald ihre belebende Wirkung
auf Respiration und Herzthiitigkeit. Sind die Verunglückten ihrer Glieder und
Muskeln wieder mächtig, so geberden sie sieh oft wie Betrunkene, indem sie
wild um sich schlagen, grunzen oder laut aufschreien; kommen sie mehr zum
Bewusstsein, so stosseu sie Alles von sich, um sich der Ruhe und dem starken
Schlafbedürfnisse ergeben zu können. Bei dein Erwachen zeigen sich dann noch
mehr oder weniger Sehwindel und Ohreusauseu, ganz dieselben Erscheinungen,
Kreosot. 597
welche gewöhnlich auch dem asphyktischen Zustande vorangehen; dabei bleibt noch
längere Zeit ein Geruch und Geschmack nach der Essenz zurück.
Selbstverständlich sind auch hier die Vergiftungs-Erscheinungen mit ihren Folgen
mehr oder minder heftig, je nach der Natur der verschiedenen Essenzen. Wo nur
geschwefelte Kohlenwasserstoffe auftreten und sich geltend machen, da soll man
die grösste Vorsicht gebrauchen, weil jede Unvorsichtigkeit mit dem Tode bestraft wird;
die Wirkung ist oft blitzschnell und jede Hülfe machtlos, wenn sie nicht sehr schnell
zur Anwendung kommt. Wie vielseitig die Verwendung der Essenz ist, geht aus den
oben erwähnten Körpern, die aus derselben gewonnen werden, hervor.
Die Aufbewahrung der Essenzen darf nur in gut verschlossenen Weissblechflaschen
geschehen, damit die flüchtigen Gase den Lagerraum nicht erfüllen, der übrigens nie
mit einem offnen Lichte, sondern höchstens mit einer Davy 'sehen Sicherheitslampe be-
treten werden darf.
Raffinirtes Petroleum. In England und America wird das Petroleum selten so
vollständig raffinirt wie auf dem Festlande: deshalb siedet das Englische Petroleum oft
bei 125° C. (100° R. ) und ist wegen seines Gehaltes an flüchtigen Kohlenwasser-
stoffen sehr entzündlich, obgleich in America und England gesetzlich keine Oele in den
Handel gebracht werden dürfen, die bei 100° F. (38° C. oder 3u° R. ) brennbare Gase
entwickeln. Ein gut gereinigtes Petroleum soll erst bei 200° C. (160° R.) sieden; in
einem solchen Zustande ist es auch nicht feuergefährlich und kann daher in grösseren
Quantitäten in Städten abgelagert werden; nur dürfen die Fässer keine Verdunstung
nach aussen zulassen. Für den Detailverkauf muss es in kleinern Blechgefässen auf-
bewahrt werden und darf der Vorrath 30 Pfund in den Verkaufslocalen nicht übersteigen.4)
Als Regel kann man aufstellen, dass der Entflammungspunct eines
gut raffinirten Petroleums über 43° C. liegt. Neuerdings setzt man aber häufig
absichtlich Essenzen zu schweren Oelen, um aus letztern grössern peeuniären Gewinn
zu ziehen; dann kann eine Entzündung je nach der Menge dieses Zusatzes schon bei
30° C, ja sogar bei 23° C. eintreten. Wenn man dadurch ein dem reinen Petroleum
annäherndes speeif. Gewicht erzielt, so wird diesem jedoch der normale Siedepunct
nicht entsprechen; es kommen im Handel Petroleumsorten vor, die 25 — 41% Essenz
enthalten, deren spec. Gew. 0,790 beträgt und deren Siedepunct bei 170 — 175° C. liegt.
Indem die gewöhnlichen Lampen nicht diesen Verhältnissen entsprechend construirt sind,
weil die schweren Oele einer reichlichem Sauerstoffzufuhr bedürfen, so wird der Licht-
effect hierdurch sehr gemindert; aber auch Explosionen können eintreten, wenn das
Gasgemisch durch die Wärme ausgedehnt wird, durch den Zug des Cylinders in die
Flamme geräth und hier explodirt (s. S. 360).
Um das Petroleum auf seinen Gehalt an leichten Kohlenwasserstoffen zu prüfen,
fülle man ein graduirtes Reagensglas mit dem zu prüfenden Oele, schliesse das offene
Ende mit dem Finger und stülpe es in ein Gefäss mit Wasser um, dessen Temperatur
zwischen 43 — 44° C. betragen muss. Entwickeln sich hierbei flüchtige Gase, so werden
sie sich im obern Theile des Glases ansammeln und eine entsprechende Verdrängung
des Oels aus dem Glase bewirken.
Kreosot.
Kreosot wird aus dem Buchholzentheer erhalten, besteht aus Kreosol C8H10O2
und Guajacol C7H802 und gehört eigentlich zur Toluol-Reihe, findet aber in in-
dustrieller Beziehung hier einen geeigneteren Platz.
Einwirkung der Dämpfe von Kreosot auf den thierischen Organismus, l) Einem
Kaninchen, das in der Glasglocke sitzt, werden die Dämpfe von 20 Tropfen Kreosot
zugeleitet. Unter grosser Unruhe und starkem Augenthränen fällt es nach 7 Min. auf
die Seite und zittert am ganzen Körper. Die Hornhaut ist weisslich getrübt und die
Augen stehen hervor; ein weisslicher Schleim fliesst aus dem Maule und den Augen.
Nach 15 M. Herausnahme in Narkose bei sehr verminderter Reflexerregbarkeit; einzelne
Zuckungen durchfahren den Körper; jede Zuckung schnellt auch das Herz gegen die
Brustwand; röchelndes Athmen, Temperatur fast normal, Pupillen in mittler Co ntraction.
Nach 30 M. stockt plötzlich die Respiration; während flüssiges Blut aus der Nase fliesst,
tritt der Tod ein.
Section nach 12 Stunden. Hirnhäute hyperämisch; an der Basis des Gehirns
war jedes Gefässchen der weichen Hirnhaut strahlenförmig von ausgetretenem Blute ein-
gefasst. Lungen blauroth gefärbt; im rechten untern Lungenlappen einzelne geron-
nene Blutklümpchen; die Ränder der Lungen emphyseniatös : die Schleimhaut der Luft-
röhre rothbraun und mit einer dünnen Lage flüssigen Blutes bedeckt. Der rechte Vorhof
Gemenge von Kohlenwasserstoffen.
des Herzens mit schwarzem, geronnenem Blnte angefüllt, im rechten und linken Ven-
trikel ein halber Theelöffel voll flüssiges Blut; aberall herrschte Bonst das geronnene Blut
vor. Die Harnblase ist mit schwärzlich gefärbtem Urin angefüllt. In allen Höhlen
war der Geruch nach Kreosot deutlich.
2) Ein starke.- Meerschweinchen wurde oO M. lang den Dämpfen, die wiederholt
den Zinkkasten ganz anfüllten, ausgesetzt E> zeigten sich starker anhaltender Husten,
eine angestrengte Respiration, Zuckungen, Taumel, dann Bauchlage mit gespreizten hin-
tern Extremitäten. Das Schleimrasseln in den Bronchien hielt mehrere Tage lang an,
das Thier verhielt sich einige Zeit ruhig, erholte sich aber vollständig.
Merkwürdig ist der unterschied in der Wirkung von Kreosot -Dämpfen auf
verschiedene Thiere. Unter den Krankheite -Symptomen sind die Erscheinungen
der Irritation, das Thränen der Augen, das Speicheln, der starke Husten, das
angestrengte und röchelnde Athmen, ferner die Zuckungen und die krampfhafte
Berzbewegung hervorzuheben. Die Trübung der Hornhaut entsteht durch die
Goagulation der Albuminate; eine eigentliche Augeneutzüudung wird nicht durch
die Kreosot-Dämpfe veranlasst: wo sie auftritt, kann man auf die Gegenwart von
Carbolsäure schliessen (s. Phenol). Auch bei Vergiftungen durch Ingestion von
Kreosot hat man ausser den entzündlichen Contactwirkungen auf den Schleim-
häuten des Mundes. Schlundes u. s. w. noch Speichelfluss, Kopfschmerz, Schwindel
und Bewusstlosigkeit, gestörte Respiration und starken Husten mit schau-
migem Auswurf beobachtet; dabei war der Urin schwärzlich gefärbt, eine
Erscheinung, die sich bei dem durch Dämpfe umgekommenen Kaninchen sehr
deutlich zeigte. Die Einwirkung des Kreosots auf das Blnt macht sich auch durch
das Geronnensein desselben in der Leiche und durch die Enstehung von Blut-
austretungeu bemerkbar. Hiermit verbindet sich die bestimmt ausgesprochene
Wirkung auf die Nervencentren; es steht daher soviel fest, dass man in der
Industrie alle Ursache hat, sich vor den auftretenden Kreosot -Dämpfen zu
schützen.
Die Darstellung von Kreosot hängt mit der Theerschwelerei zusammen, indem
man durch trockne Destillation des Buchenholzes zunächst den Holztheer*) gewinnt.
wozu man sich in Russland und Schweden der sog. Thermokessel bedient (s. S. 421).
Durch Behandeln des schweren Theeröls mit Natronlauge entsteht Kreosotnatron,
das durch Schwefelsäure zersetzt wird, wobei neben kreosothaltigen Dämpfen Schwefel-
wasserstoff und Kohlensäure auftreten: diese Gase und Dämpfe sind sorgfältig
abzuleiten.1)
Leuchtgas.
Die trockne Destillation der Steinkohle liefert einen deutlichen
Beweis, wie sehr der Grad der Wärme die Zersetzungsproducte der organischen
Substanz beeiuflusst und wie mit der Steigerung der Zersetzungstemperatur
immer einfachere Zersetzungsproducte auftreteu. Wird die Steinkohle langsam
einer erhöhten Temperatur ausgesetzt, so erhält mau eine Menge flüssiger
Kohlenwasserstoffe, welche zu den Methylverbindungen gehören. Es
treten ferner feste Kohlenwasserstoffe auf, welche zur Gruppe des Paraffins
zu zähleu siud. während die stickstoffhaltigen Verbindungen die Picolin- und
Pvrrolbasen bilden. Gleichzeitig werden aber auch besonders zu Ende der
*) Der Holztheer wird wegen seines Gehaltes an Kreosot besonders in Schiffs-
räumen als Desinfektionsmittel benutzt, indem man glühende Ketten in Theer taucht,
um dadurch Theerdämpfe zu entwickeln. Dieses rohe Verfahren hat schon häufig
Schiffsbrände mit ihmi schrecklichen Folgen veranlasst, da sich der Theer hierbei leicht
entzündet und auch die mit Theerdampf geschwängerte Luft in den verschiedenen
Räumen zur Detonation gelangen kann: man sollte dalier endlich dieser Methode Ein-
halt thuu und sie gänzlich verbieten.
Leuchtgas. 599
Destillation Sumpfgas, Aethylen, Kohlenoxyd, Wasserstoff, Kohlen-
säure neben Cyan, Ammoniak und Schwefelwasserstoff auftreten. An-
ders gestaltet sich der Hergang, wenn die Kohle sofort in rothglühende Re-
torten gegeben wird; man erhält zwar ganz ähnliche Körper, dieselben gehören
aber einer ganz andern Gruppe an. Die flüssigen Kohlenwasserstoffe
zählen zur Benzol-Gruppe und Naphthalin tritt als fester Kohlenwasserstoff
auf, während sich unter den Gasen Leuchtgas in grosser Menge zeigt, bis bei
Beendigung der Operation ausser Kohlenoxyd und Ammoniak hauptsächlich
Wasserstoff gebildet wird.
Bei derLeuchtgasfabrication sucht man möglichst die flüssigen und festen
Kohlenwasserstoffe zu beseitigen und dafür die gasförmigen zu gewinnen und zu
vermehren.
Die wichtigsten Operationen bei der Leuchtgasfabrication sind:
1) Die Destillation. Sie geschieht in gusseisernen oder gegenwärtig fast allge-
mein in thönernen Retorten von verschiedener Form, die eines liegenden D wird vielfach
verwendet: die Heizung erfolgt von aussen. Auf die Retorte wird ein eisernes M u n d -
stück geschraubt und sorgfältig verkittet; dasselbe befindet sich ausserhalb der Feue-
rung und hat nach oben ein Abzugsrohr, auf welches ein gusseisernes Rohr (Auf-
steigerohr) zur Leitung des Gases in die Vorlage aufgesetzt wird. Die Vorlage
(Hydraulik, Trommel) ist ein weites gusseisernes, horizontal liegendes Rohr, welches
gewöhnlich cylindrisch ist und über eine ganze Ofenreihe hin verläuft. In diese Vor-
lage münden die Aufsteigeröhren aller Retorten unter Wasserverschluss, um alles Gas
von der Retorte abzusperren.
2) Die Condensation der aus der Vorlage entweichenden flüchtigen Destillations-
producte wird mittels einer Reihe verticaler, untereinander verbundener Röhren, die auf
einem eisernen viereckigen Kasten stehen, bewirkt. Durch ein am Kasten angebrachtes
Rohr gelangt die condensirte Flüssigkeit, Theer und Gaswasser, in gut eementirte
Cisternen, in welchen sich der Theer zu Boden senkt und das angesammelte Gas- oder
Ammoniakwasser zeitweilig abgelassen wird.
Nach der Condensation lässt man das Gas noch auf eine zweckmässige Weise
durch senkrechte, mit Koksstücken angefüllte Cylinder streichen; man nennt dieselben
Kokscondensatoren, Schrubber (Scrubber) oder Wascher. Hier setzen sich
noch viele mit den Gasen fortgerissene Theertheilchen ab, während andererseits den-
selben schon hier ein Theil des Schwefelwasserstoffs resp. Schwefelammoniums entzogen
wird. Mittels des sogenannten Schaukeltroges fliesst von oben beständig Wasser auf
die Koks, das unten aufgesammelt wird. Statt dieser Vorrichtung nimmt man bisweilen
auch eine Waschung des Gases in Mischapparaten vor; in beiden Fällen muss man
stets für die Ansammlung des gebrauchten Wassers in wasserdichten Reservoirs Sorge
tragen.
Bisweilen schaltet man noch zwischen den Condensatoren und dem eigentlichen
Reinigungsapparat einen Exhaustor oder Aspirator ein, wozu man vorzüglich den
Glocken-Exkaustor oder eine Art von hydraulischer Luftpumpe benutzt. Es
soll dadurch der Druck in den Retorten vermieden werden, damit das Gas durch die
Poren und Risse derselben nicht entweiche; um indess zu verhüten, dass neben dem er-
zeugten Gase auch die Verbrennungsgase durch etwaige Retoi'tenrisse mit angesaugt
werden, dienen die sogenannten Regulatoren, die bei richtigem Stande des Mano-
meters im Saugrohre die Thätigkeit des ganzen Apparates überwachen.
3) Die Reinigung des Leuchtgases bezweckt die Wegnahme derjenigen Bestand-
teile desselben, welche seinen Gebrauch benachtheiligen resp. seine Leuchtkraft beein-
trächtigen oder aber beim Verbrennen giftige Producte liefern. Man muss beim Leucht-
gase unterscheiden: a) die leuchtenden Bestandtheile oder Lichtgeber, welche
aus Gasen (Acetylen, Aethylen) und Dämpfen (Benzol, Naphthalin, Propylen, Buty-
len u.s.w.) bestehen: b) die verdünnen den Bestandtheile (Wasserstoff, Methyl-
wasserstoff, Kohlenoxyd); c) die verunreinigenden Bestandtheile (Kohlensäure,
Ammoniak, Cyan, Schwefelcyan , Schwefelwasserstoff, geschwefelte Kohlenwasserstoffe,
Stickstoff).
Unter allen Umständen muss das Leuchtgas frei von Schwefelverbindungen
sein, weil sie bei der Verbrennung die Entwicklung der schwefligen Säure be-
dingen, welche hauptsächlich der Gesundheit nachtheilig ist und ausserdem auch auf
gefärbte Stoffe, Pflanzen u. s. w. schädliche Einwirkungen ausübt.
Der Schwefel ist grösstentheils in Form von Schwefelwasserstoff resp.
f:QO Gemenge von Kohlenwasserstoffen.
Schwefelammonium und geschwefelten Kohlenwasserstoffen im rohen
Leuchtgase enthalten. Durch Behandlung desselben mit Kalk wird die Wegnahme des
Schwefelammoniums, der Kohlensäure und des Cyans erreicht: dagegen werden
die geschwefelten Kohlenwaserstoffe nur zum geringsten Theil zerlegt; man
soll sich daher hauptsächlich solcher Kohlen zur Lcuchtgasfabrication bedienen, die mög-
lichst arm an Schwefelkies sind. Man hat auch empfohlen, das Gas zunächst über bis
zu 260 -3/5° C. erhitzten Thon zu leiten, um die schwefelhaltigen Verbindungen zu
zerlegen; das hierdurch gebildete Schwefelwasserstoffgas würde dann vom Kalke
absorbirt. Das Calciumhydrat wird auf Hürden ausgebreitet, die man in luft-
dicht verschlossenen, eisernen Kasten einsetzt, in welche das Leuchtgas eindringt; es
nimmt die S chwefclverb indungen unter Bildung von Einfach-Schwefelcalcium
(Calciumsultid), die Cyan Verbindungen unter Bildung von Cyancalcium resp.
Schwefelcyancalcium und die Kohlensäure unter Bildung von Calciumcar-
bonat auf.
Ammoniak geht mit Calciumhydrat keine Verbindung ein und ist ihm höchstens
mechanisch beigemengt; deshalb darf es bei einem ordentlichen Betriebe nur im freien
Zustande in den Reinigungskasten vorhanden sein, was bei Gegenwart von über-
schüssigem Kalk ermöglicht wird.
Schwefelammonium tritt nur unter besondern Umständen auf, wenn nämlich
der Kalk gesättigt ist und den Schwefelwasserstoff nicht mehr zu binden vermag; bei
überschüssigem Kalk wird man weder Schwefelammonium noch Schwefelwasserstoff-
Schwefelcalcium antreffen.
Sobald dieser Gas kalk mit der atmosphärischen Luft in Berührung kommt,
wird zuerst Cyanwasserstoff resp. Schwef elcyanwasserstoff frei, weil der
überschüssige Kalk sowie Cyan- und Schwefelcyancalcium die Kohlensäure der atmo-
sphärischen Luft absorbiren und hiedurch die Zersetzung der entsprechenden Verbindungen
veranlasst wird. Die Hauptbestandtheile des Gaskalks bleiben Schwefelcalcium,
Schwefelcyancalcium und Calciumcarbonat neben Calciumhydrat und carbolsaurem
Calcium; durch die Oxydation an der Luft verwandelt sich aber das Schwefelcalcium in
unterschwefligsaures, schwefligsaures und schliesslich in schwefelsaures Calcium.
Der üble Geruch des Gaskalks rührt hauptsächlich von der ihm beigemengten
Carbolsäure und der Butter- und Baldriansäuro, auch möglicherweise von dem
freiwerdenden Schwefelwasserstoff her. Die Arbeiter, welche sich mit dem Reinigen
und Entleeren dieser Kasten beschäftigen, leiden häufig an Augenentzündungen,
welche durch die Einwirkung des reizenden Staubes und der Carbolsäure veranlasst
werden. Sehr zweckmässig ist es, dass sich dieselben bei diesem Geschäfte das Ge-
sicht mit einem nassen Schleier behängen: die Feuchtigkeit absorbirt die Gase dann
vollständig. Weder Kalk noch Kalkmilch, die zur Reinigung des Leuchtgases gedient
haben, dürfen in uncementirten Gruben aufbewahrt werden. Ebenso wenig ist die Abfuhr
des Gaskalks in Flüsse zulässig, weil die Fische dadurch zu Grunde gehen; selbst das
einfache Lagern an der frischen Luft ist für die nächste Nachbarschaft sehr belästigend.
Das beste Mittel, den Gaskalk unschädlich zu machen, besteht im Versetzen desselben
mit Eisensalzen; auch hat man ihn in Flammenöfen calcinirt, bis er grösstentheils
in Gips übergegangen ist, in neuerer Zeit durch Behandeln mit calcinirter Soda zur
Darstellung von untersch wefligsauren Salzen und Cyanver bindnngen benuzt.
Als Dungmittel kann der Gaskalk nur dann gebraucht werden, wenn er so
lange an der Luft gelagert hat, dass sich sämmtliche Schwefelmetalle in schwefelsaure
Salze verwandelt haben. Im Allgemeinen darf man aber den Gaskalk nicht mit Sub-
stanzen vermischen, welche einer raschen Verwesung unterworfen werden sollen, da er
durch schnelle Sauerstoff- Absorption die verwesbare Substanz vor der Verwesung schützt
und demnach die Bildung von Ammoniak aus der düngenden Substanz verlangsamt.
Als Reinigungsmittel des Gases ist Kalk und Eisenvitriol vorzuziehen;
ein Gemisch von Sägespänen, Kalk, Eisen- oder Mangansalzen kann durch Aus-
breiten an der Luft wieder regcnerirt werden; aus dieser Ursache ist das Laming'sche
Mittel sehr beliebt geworden. Man mengt 3 Aeq. Kalk mit 1 Aeq. Eisenchlorid und
erhält dann bei Gegenwart von Wasser Chlorcalcium und Eisenoxydhydrat. Bei
der Einwirkung des Leuchtgases verbinden sich die Kohlensäure und das Ammoniak
mit dem Chlorcalcium zu Calciumcarbonat und Chlorammonium, während der
Schwefelwasserstoff mit dem Eisenoxydhydrat Wasser, Schwefel und Schwefel-
eisen liefert.
Bei einem grossen Betriebe bedarf man zum Regeneriren eines besondern, die
Kosten vermehrenden Raumes; besser eignet sich das Verfahren für kleinere Anstalten,
wenn man die Oberfläche des Retortenofens zum Trocknen benutzen kann. J)
Aufsammlang des Gases. Aus dem Reinigungsapparat gelangt das Gas in den
sogen. Gasometer, in die bekannte cylindrische Trommel von Eisenblech, welche in
Wasser umgestürzt ist. In sanitärer Beziehung ist hier ganz besonders darauf zu
Leuchtgas.
601
achten, dass die ausgemauerten Cisternen vollkommen wasserdicht sind, damit das mit
Carbolsäure und Theersubstanzen geschwängerte Wasser nicht in den Boden dringt und
die benachbarten Brunnen verdirbt, Die Erfahrung liefert hinreichende Belege dafür
dass auf diese Weise das Trinkwasser für lange Zeit verdorben werden kann.
Die Verkeilung des Gases , welche vom Gasbehälter aus durch eiserne Röhren
bewirkt wird, hat ein bedeutendes sanitäres Interesse. Es ist hierbei zu berück-
sichtigen: 1) das richtige Verhältniss zwischen den Dimensionen der
Röhren und der Menge des Gases, welche sie durchlassen sollen; 2) der dichte
Verschluss der Röhren, 3) die mögliche Verstopfung der Röhren durch
Naphtalin, 4) die Beschaffenheit des Bodens, in den die Röhren o-eleat
werden.
Wo Sand vorherrscht, ist das Einschlemmen der Röhren in Thon und Lehm
unerlässlich ; entströmt das Leuchtgas auf seiner Wanderung den Röhren so kann es
nicht bloss in die Brunnen, sondern auch erfahrungsgemäss in menschliche Wohnungen
eindringen. Beim Eindringen in die Brunnen kann sich das Gas über dem Wasser
schichten und für die Arbeiter, welche sich in dem Brunnenschacht beschäftigen, höchst
verderblich werden.
Humöse Substanzen absorbiren Kohlenoxyd leicht, die Vegetation leidet daher
vorzüglich in Folge der Imprägnation des Bodens mit Kohlenoxyd resp. Ammoniak und
Phenol. Grössere Bäume lassen diesen nachtheiligen Einüuss durch Abblättern und
allmähliges Absterben erkennen2); niemals tödtet das Leuchtgas in erster Linie die
Blumen und Blätter der Pflanzen.*)
Für die Leitung des Gases in Wohnungen sind jetzt fast allgemein Bleiröhren
eingeführt; kupferne Röhren sind zu verwerfen, weil sich in ihnen Acetylen mit
seinen bekannten explosiven Eigenschaften ansammeln kann. Die besten Röhren sind
die aus Schmiedeeisen dargestellten, wenn man sie vorher im Innern geölt hat;
Röhren von Zink passen nicht, weil sich das Oxyd desselben in ammoniakalischer
Flüssigkeit löst; Zinnröhren sind zu theuer. Bei den Bleiröhren ist zu beachten,
dass man dieselben, wenn sie im Kalkverputz liegen, nicht durch Einklopfen von
Nägeln beschädige; auf diese Weise sind bereits langsam entstehende Leuchtgas-
Vergiftungen verursacht worden. Auch Ratten können solche Röhren , wenn sie unter
dem Fussboden verlaufen, anfressen; von der Holzwespe (Sirex juvencus und gigas) ist
es bekannt, dass sie sogar Bleiplatten durchzubeissen vermag.
Vermischt sich das Leuchtgas in Wohnungen mit atmosphärischer Luft, so
müssen wenigstens 6 — 1% Gas in ein Local eingeströmt sein, um ein explosives Gemenge
zu erzeugen. Mischungen von 1 Vol. Leuchtgas mit 10—16 Vol. atmosphärischer Luft
erzeugen die stärksten Explosionen.
Gewöhnlich gibt sich schon ein Austritt von 0,5 % Leuchtgas durch den Geruch
zu erkennen, obgleich man sich hierauf allein nicht verlassen kann, da Fälle vorge-
kommen sind, dass Leuchtgas, welches auf seiner Wanderung durch einen lockern Sand-
boden seine Riechstoffe ein gebüsst hatte, in Folge besonderer Verhältnisse in Wohnungen
eingedrungen ist und bei verschiedenen Insassen derselben lebensgefährliche Vergiftungen
erzeugt hat, ehe die Ursache derselben entdeckt wurden.
Die Erscheinungen der Vergiftungen durch Leuchtgas stimmen im Allgemeinen
mit denen der Kohlenoxyd -Vergiftungen überein. Das Krankheitsbild kann nur
durch die Beschaffenheit des Leuchtgases modificirt werden; je unreiner dasselbe
ist, je reicher es namentlich an geschwefelten Kohlenwasserstoffen ist,
desto rascher tritt auch der Tod ein. In der Regel bedingt aber Kohlenoxyd
nebst mehr oder weniger Kohlensäure und Ammoniak die Entstehung und
den Ablauf der Vergiftung.
*) Versuche, welche der hiesige Magistrat hat anstellen lassen, ergaben, dass
schon eine Menge von 25 Kubikfuss Leuchtgas, täglich auf 576 Kubikfuss Boden ver-
theilt, die Wurzelspitzen der Bäume, welche mit ihm in Berührung kommen,
tödtet; je fester der Boden, desto früher tritt die Folge davon ein. Die Kugelakazie,
der Götterbaum u. s. w. zeigen sich hierbei viel empfindlicher als die Birke und der
Ahorn. Am schädlichsten offenbart sich die Wirkung während der Wachstbumsperiode
der Bäume und weniger während des Winters. Man hat vorgeschlagen, die Gasleitungs-
röhren in weite Röhren einzulegen, welche nach aussen münden und in den Candekber-
pfählen bis zu den Brennern hinausgeführt werden; am sichersten ist es, stets für die
grösste Dichtigkeit der Röhren Sorge zu tragen.
(]Q2 Gemenge von Kohlenwasserstoffen.
Von diesen Beimengungen hängt beim Sectionsbefunde namentlich die Farbe der
Lungen und des Blutes ab, so dass sieh die verschiedenen Angaben über dieselben
hierdurch erklären lassen. Je mehr Kohlenoxyd bei einer Vergiftung vorgewaltet
hat, desto lebhafter ist die rothe Farbe der Lungen und des Blutes; man beobachtet
dann die helle Kirsehröthe, das Zinnoberroth oder das Rosaroth der Lunge
auf dunkelbraunem Grunde: die Farbe der Lunge und übrigen Organe sowie der
Schleimhäute der Respirationswege hängt von der Blutfarbe ab.3|
Beim Leuchtgase bleiben die gefährlichsten Fälle der Vergiftungen diejenigen,
welche in den Häusern vorkommen, wo aller Gasconsum fehlt und nur in Folge von
Ausdünstungen geborstener Gasleitungen in den Strassen das Leuchtgas in die Häuser
gedrungen ist. Merkwürdige Ereignisse dieser Art, die selbst von Aerzten verkannt und
für typhöse Erkrankungen erklärt wurden, hat v. Pettenkofer mitgetheilt. *)
Solche Vergiftungen ereignen sich meist im Erdgeschoss, welches aber mehr als
'20 Fuss von der Ausströmungsstätte selbst entfernt liegen kann: dass sie fast nur
im Winter vorkommen, erklärt sich v. Pettenkofer aus dem Zuge, welchen das Haus in
der Grundluft, in der sein Fundament ruht, dadurch verursacht, dass es im Innern
wärmer ist als die äussere Luft, so dass es wie ein geheizter Kamin auf seine Umgebung
wirkt. Diese Thatsache beweist immerhin, dass man alle Ursache hat, für die Reinheit
des Untergrundes zu sorgeu, obgleich im vorliegenden Falle doch auch der Druck, der
von dem Gasometer aus auf die Fortführung des Gases mächtig einwirkt, sehr in An-
schlag zu bringen ist: hierdurch werden Verhältnisse geschaffen, wie sie gewöhnlich nicht
vorkommen.
Bei der Benutzung des Leuchtgases für Wohnungen vermisst man in der
Regel die erforderliche Vorsicht, so dass man in der That über die Seltenheit der
dadurch herbeigeführten Unglücksfälle erstaunen muss, unter denen übrigens Explosionen
durch das in Wohnräumen angesammelte Gas schreckliche Folgen haben können. Als
Hauptregel muss 1) gelten, dass der Haupthahn der Röhrenleitung während der Nacht
stets geschlossen bleibt; 2) öffne man ihn beim Gebrauche des Gases nur so weit
als nöthig ist, um die erforderliche Menge desselben durchzulassen , 3) verschliesse man
sofort den Haupthahn, wenn die Brenner gelöscht werden; 4) betrete mau niemals
mit einem brennenden Lichte einen Raum, in welchem man die Ansamm-
lung von Leuchtgas befürchtet, zunächst sorge man hier für eine gehörige Lüftung
durch Oeffnen der Thüren und Fenster.5)
Nachweis des Leuchtgases in bewohnten Räumen. Das Leuchtgas gibt sich
durch seine Verunreinigung zu erkennen; man aspirire die Luft und leite sie durch
absoluten, mit Ammoniak gesättigten Alkohol, dem man eine coneentrirte wässrige
Lösung von Bleiacetat im Verhältniss von 10:20 zusetzt; ein gelbrother, später
brauner Niederschlag beweist das Vorhandensein von Schwefelverbindungen*), ein
weisser Niederschlag zeigt Kohlensäure an. Bei einer heissen Auflösung von Blei-
oxyd in Kalilauge bildet sich ein Niederschlag von schwarzem Schwefelblei. Durch
Palladiumchlorür und Kupferehlorür weist man unter den geeigneten Vorsichtsmaß-
regeln das Kohlenoxyd nach.
Lässt man die leuchtgashaltige Luft über einen mit einer Lösung von salpeter-
saurem Quecksilberoxydul getränkten Fliesspapierstreifen strömen, so wird der-
selbe beim Vorhandensein von Ammoniak braun bis schwarz: ein Tropfen Salzsäure
hebt die Schwärze auf, indem sich Calomel bildet.0)
Verbrennungsproducte des Leuchtgases res», seiner Verunreinigungen. Am
schädlichsten wirkt in dieser Beziehung stets die schweflige Säure ein; leideu
Pflanzen in Zimmern, in welchen Leuchtgas benutzt wird, so kann es nur diese Säure sein,
die hier zerstörend wirkt. Aber aitch in sanitärer Beziehung sollte man für die Dar-
stellung des Leuchtgases nur solche Kohlen gebrauchen» welche am wenigsten Schwefel-
kies enthalten, da es, wie aus dem Vorhergehenden erhellt, sehr schwierig ist, das
Leuchtgas gänzlich von Schwefelverbindungen zu befreien und es diese nur siud, welche
beim Verbrennen schweflige Säure liefern. Man sollte überhaupt diesem Gegenstande
eine grössere Aufmerksamkeit widmen, da es stets von der grössten Wichtigkeit ist, die
Atmosphäre, welche wir einathmen, unter allen Umständen rein zu erhalten, und dies
namentlich im Winter in geschlossenen Räumen. Bekannt ist es übrigens, dass das
verbrennende Leuchtgas weniger Kohlensäure producirt als Petroleum (s. S. 359).
Verschiedene Arten von Lenchtgas. Seitdem Lord Dundonaid im Jahre 1787
zuerst das Steinkohlengas zur Beleuchtung benutzt und der Schotte Murdqch im
Jahre 1739 den ersten Apparat zur Beleuchtung mit Steinkohleugas construirt hat, ist
*) Der Schwefel verbindet sich mit den Kohlenwasserstoffen zu geschwefelten
Kohlenwasserstoffen, die häufig mit Seh wefel kohlen stoff verwechselt werden.
Steinkohlentheer-Benutzung. 603
es unser Jahrhundert gewesen, welches diese Beleuchtungsmethode fast zum Allgemeingut
aller civilisirten Völker gemacht hat.
le Bon hat aber schon 1799 mittels der trocknen Destillation des Holzes und
Philipp Taylor 1815 durch Oelgas Leuchtgas dargestellt; ausserdem benutzt man jetzt
hierzu die verschiedensten Substanzen, z.B. Harze und Fette, die Kalkseife Öel-
kuchen, YVeintrester und sogar die Fäcalmassen.7)
Zu den verwerth baren Nebenproducten der Leuchtgas fabrication gehört
ausser dem Gaskalke (s. S. 573 u. 600), dem Ammoniak wasser (s. S.-223) und den
Koks Vorzüglich der Steinkohlentheer, der auch als solcher eine vielfache An-'
wendung findet.8)
Darstellung der Dachpappe oder des Dachfilzes mittels Steinkohlentheers.
Benutzt man dazu bereits entwässerten Theer, so hat diese Fabrication
für die Adjacenten ein weit geringeres Bedenken; in der Regel lässt man aber
in solchen Fabriken die Entwässerung des Theers vorhergehen. Beim
Kochen desselben entwickeln sich dann die leichten Theeröle (Benzol),
Carbolsäure, Naphtalin, Schwefelammonium und Schwefelcyan-
ammonium; die Condensation dieser Gase und Dämpfe ist sowohl
wegen der Feuersgefahr als auch wegen der Belästigung der Adjacenten und
der Beschädigung der Vegetation zur Blüthezeit erforderlich. Bei der Verleihung
der Concession muss diese Condensation vorgeschrieben werden; zweckmässig
ist auch die Tränkung des Holzwerks mit Alaunmutterlauge, um die Ab-
sorption dieser Dämpfe zu verhüten; auch ist die Feuerung stets ausserhalb
des Fabrikraums anzulegen.
Der Kessel ist mit einer Haube zu versehen, um die sich entwickelnden Dämpfe
durch ein Abzugsrohr nach einer Kühlschlange zu leiten. Erst wenn der Theer bis
auf 40 — 50° C. abgekühlt ist, zieht man die Pappe durch, indem man sie an einer
Rolle auf einem hölzernen, in den Kessel gestellten Block befestigt; mittels Walzen
wird dann die Pappe über eine Art von Bühne gezogen, während man durch ein Sieb
Sand auf die nasse Pappe streut; so bestreut, wird sie schliesslich zu einer grossen
Rolle aufgewunden. Da sich bei dieser Procedur stets noch Dämpfe von Cai'bolsäure
entwickeln, so ist es zweckmässig, über der Bühne einen Windfang herzustellen, der mit
dem Schornstein in Verbindung steht.
Zur Darstellung der Steinpappe bläst man mittels Ventilatoren oder ge-
schlossener Röhren Kalkstaub auf; da das Kalkpulver die Basen des Theers frei
macht, so macht sich noch ein unangenehmer Geruch hierbei bemerkbar. Geschieht das
Aufstreuen mit der Hand, so entwickelt sich ein für die Arbeiter schädlicher Staub.
Das Imprägniren des Holzes mittels Steinkohlentheers.
Dies Verfahren hat alle übrigen Methoden, z. B. das Burnettiren mit Chlor-
zink,'das Kyanisiren mit Quecksilberchlorid u. s. w., verdrängt. Die Hölzer
werden zuvor bei gleichzeitiger Erwärmung durch Auspumpen des Wassers und
der Luft beraubt; indem diese in grossen liegenden Eiseublechcylindern, die
einen Druck von 5 — 6 Atmosphären aushalten können, lagern, wird die Evacuation
durch eine Doppelpumpe bewirkt, welche durch eine besondere Dampfmaschine
bewegt wird; die Verdüunung geschieht bis zu einem viertel Zoll Differenz
Barometerstand. Während dieser Operation fiiesst das loh- und gummihaltige
Wasser durch besondere Röhren ab, dessen Entfernung eine Hauptbedinguug für
die Conservirung der Hölzer ist.
Nach der Entwässerung lässt man mit Wasserdampf erwärmten Theer aus einer
unter dem Cylinder liegenden Theercisterne durch die Steigröhren aufsteigen: das
Holz wird dann bis auf 1—1 % Zoll Tiefe von warmem Theer durchdrungen.
Das Eindringen des Theers hängt von dem hervorgerufenen Vacumn und dein
hernach erfolgenden Drucke ab; um es zu befördern, mischt man den Theer mit
The er öl von hohem Carbolsäuregehalt. Beim Vorwärmen dieser Mischung treten
reichliche Dämpfe von Carbolsäure und Naphtalin auf, die durch einen sorg-
ft04 Gemenge von Kohlenwasserstoffen.
fältigen Verschluss der Cisterne und durch besondere, nach dem Schornstein des Dampf-
kessels führende Ganäle unschädlich gemacht werden müssen. Geschielit dies nicht, so
setzt man die Arbeiter vielfachen Leiden aus, welche hier offenbar durch die Dämpfe
der Carbolsäure entstehen und sich in chronischen Augenentzündungen äussern.
In einer solchen Anstalt litt namentlich ein Arbeiter an chronischer Hornhautentzündung,
die offenbar durch die Einwirkung der Dämpfe der Carbolsäure herbeigeführt worden;
denn eine Besserung dieses Leidens trat erst ein, nachdem die Fabrik Einrichtungen zur
Ableitung dieser Dämpfe getroffen hatte.
Auch machte sich hier die „Theerkrätze" geltend, wiederum ein Beweis, dass unter
den Bestandteilen des Theers es namentlich die Carbolsäure ist, welche durch directe
Berührung mit der Haut dieses Leiden erzeugt. In Imprägniranstalten dieser Art sollte
es daher niemals an Badeeinricbtungen fehlen.
Gewinnung der leichten und schweren Theeröle durch Reotification
des Steinkohlentheers.
Der vorbereitende Act der Rectification besteht in einer Entwässerung
des Theers, die hier durch ruhiges Stehenlassen des Theers oder mittels eines
Dampfstrahls bewirkt wird. Für die Rectification benutzt man verschiedene
Apparate, die sich wesentlich nur in der Form unterscheiden. In England ver-
wendet man vielfach cylindrische, stehende Blasen, in Deutschland ans
Eisenblech angefertigte Retorten, die den Dampfkesseln ähnlich sind und auf
einem Feuergewölbe ruhen.
Die Feuergase circuliren in Canälen um die Kessel; auch über denselben befindet
sich Mauerwerk, so dass nur das Mannloch und das Abzugsrohr für die Gase und
Dämpfe nach oben hervorragen. Der Theer wird am Boden des Kessels durch ein
horizontal verlaufendes Rohr abgelassen. In sanitärer Beziehung ruht der Schwer-
punet aller Einrichtungen in der Condensation der Gase und Dämpfe und zwar
mittels einer mit dem Abzugsrohr in Verbindung stehenden Kühlvorrichtung. Letztere
wird zweckmässig aus im Zickzack verlaufenden gusseisernen Röhren dargestellt,
deren Köpfe behufs Reinigung abgenommen werden können: man sollte hiermit die in
Leuchtgasfabriken gebräuchlichen Schrubber verbinden, wenn nicht meist die Kosten
der Einrichtung gescheut würden. Zum wenigsten muss ein Gassammeikasten schon
wegen der Feuergefährlichkeit polizeilich vorgeschrieben werden. In einigen Fabriken
wird auf das aus dem Kühltroge heraustretende Ausflussrohr ein Rohr aufgesetzt, um
die uncondensirten belästigenden und gefährlichen Gase über das Dach des Destil-
lationsraumes hinaus zu führen.
Die Rectification besteht in einer fractiouirten Destillation, da es hierbei
auf die Gewinnung mannigfacher Producte von verschiedenem Schmelzpuncte
ankommt; in allen Producten sind aber Phenol, Anilin und Homologe ent-
halten. Man unterscheidet:
1) die Vorlanföle, welche erst bei 100° mit Wasserdämpfen übergehen,
2) die leichten Oele, Leichtöle, die als Oele der ersten Fractionirung namentlich
Benzol, Toluol, Cumol und Xylol enthalten und hier als die Repräsentanten der
aromatischen Körper hauptsächlich zu berücksichtigen sind.
3) Die schweren Theeröle, Schweröle, Kreosotöle (heavy oils) sind die Pro-
ducte der zweiten Fractionirung und bestehen aus öligen, flüssigen Kohlen-
wasserstoffen, Naphtalin, Phenol, Kreosot und Anthracen; sie stellen
eine butterartige Masse dar, wenn sich in der Kälte Naphtalin und Anthracen
ausscheiden; will man Schmieröl und Anthracen aus ihnen gewinnen, so
unterwirft man sie der Destillation.
Das erste Destillat wird so lange aufgefangen, bis eine Probe beim Erkalten
Naphtalin ausscheidet; es dient wegen seines Gehaltes an Phenol namentlich zum lm-
prägniren der Hölzer. Bleibt das Destillat flüssig, so wird es als flüssiges
Schmieröl besonders aufgefangen: nimmt dann das Destillat eine breiige Consistenz
an, so wird es als grünes Schmierfett (green-grease) wegen seines Gehaltes an
Anthracen (20%) zur Anthracendarstellung benutzt (s. Anthracen). Der Rückstand
Rectification des Steinkohlentheers. (>05
im Kessel besteht je Dach der Dauer der Destillation entweder aus weichem oder
hartem Pech (Asphalt)*).
Die Leichtöle werden noch weiter rectificirt, um die für die Theerfarben-
fabrication wichtigen Producte zu erhalten. Das erste Destillat heisst in der
Technik rohe Naphta, wenn die Destillation ohne vorhergehende Reinigung statt-
gefunden hat; man zieht es aber vor. die Leichtöle noch vor der Rectification
(gewöhnlich zusammen mit den Vorlaufölen) von ihrem Gehalte an Phenol
durch Behandeln mit Natronlauge und Schwefelsäure zu befreien**). Auch dies
Destillat heisst bei einem spec. Gew. von 0.91 — 0,93 noch rohe Naphta***).
Es wird nun die Vorlage gewechselt, denn was jetzt überdestillirt. enthält
schon Naphtalin und dient andern, später zu besprechenden Zwecken.
Die rohe Naphta wird dann einer nochmaligen Destillation unterworfen,
um das Endproduct, das Benzol, zu erhalten; man bedient sich hierbei allgemein
des Dampfes, aber verschiedener Einrichtungen, die jedoch in dem Bestreben
gipfeln müssen, die flüchtigen Destillationsproducte auf das sorgfältigste zu con-
densiren. Der flüchtige Theil, welcher zwischen 100 — 105° übergeht, ist das
Benzol des Handels; da es ausser seinen Homologen, Toluol, Xylol u. s. w.,
auch schwefelhaltige Körper enthält, so wird es noch mit concentrirter Schwefel-
säure so lauge behandelt, bis das Benzol beim Schütteln mit kalter concentrirter
Säure farblos bleibt. Nach gehörigem Auswaschen wird dann nochmals mit ein-
gesenktem Thermometer destillirt und man fängt erst das, was zwischen 80° und
88° übergeht, besonders auf; durch Wiederholung dieses Verfahrens erhält man
ein Benzol, dessen Siedepunct zwischen 81 — 82° liegt.1)
*) Der Asphalt (s. S. 594) wird, wenn er zu Briquettes Verwendung findet,
erwärmt und mit Kohleu-, Koks-, Torfklein u. s. w. vermengt, wobei sich höchstens Dämpfe
von Naphtalin und Ammoniak erzengen können: durch besondere, den Ziegel-
maschinen ähnliche Apparate formt man aus der Masse Steine. Häufiger wird die
Verkokung des harten und weichen Pechs in Retorten oder Muffelöfen vorge-
nommen: letztere haben in der, Mitte des Ofengewölbes eine runde Oeffnung zum Be-
schicken des Ofens: ein Rauchfang über der Arbeitsthür ist durch einen unterirdischen
Zugcanal mit der Feuerung verbunden, um den am Schlüsse der Destillation aus den
ArbeitsöflhuDgen strömenden Rauch abzuführen. Die Arbeiter müssen sich trotzdem
durch Vorbinden von feuchten Schwämmen vor Mund und Nase vor dem glühenden
Staube schützen, wenn sie die noch glühenden Koks aus den Oefen ziehen; werden die
Koks mit Wasser gelöscht, so treten viele Wasserdämpfe auf (s. S.340). Ein besonderes
Rohr dient zum Abführen der zn condensirend en Dämpfe und setzt sich mittels eines
langen Eisenrohrs zur Kühlschlange fort, an welcher ein Zweigrohr die nicht conden-
sirten Dämpfe unter den nothwendigen Vorsichtsmassregeln in die Feuerung führt.
Das erhaltene Pro du et wird für die Anthracenindustrie benutzt. Ebenso gewinnt
man Rohanthracen durch die Destillation des weichen Pechs, die unter Mit-
benutzung von überhitztem Wasserdampf in eisernen Blasen vorgenommen wird.
**) Die bei dieser Reinigung auftretenden Gase und Dämpfe verhalten sich ceteris
paribus ähnlich wie bei den analogen Processen der Raffination des Petroleums und der
Mineralölfabriken (s. S. 593 u. 595).
***) Bei dieser Destillation bedeckt sich die Mündung des Sehlangenrohrs_ bisweilen
mit blumenkohlartigen Wucherungen, die hauptsächlich aus krystallisirtem Wasser be-
stehen, weil sich das äussere Ende des Schlangenrohrs bei der beträchtlichen "Verdunstung
oft bis auf —2 — 3° C. abkühlt. Es sind schon die heftigsten Explosionen entstanden.
wenn man des Abends unvorsichtigerweise mit einem offnen Lichte den Gang der
Destillation beobachtete: daher sind auch hier Gassammeikasten unter allen Um-
ständen mit dem Sehlangenrohr in Verbindung zu bringen.
HOrt Die aromatischen Körper.
Die aromatischen Körper.
Mit den aromatischen Körperu nahern wir uns wieder den Fettkörpern,
mit denen sie vieles Gemeinsame haben, während sie sieh im Allgemeinen durch
einen grossem Kohlenstoffgehalt auszeichnen. Das erste Glied in dieser Reihe ist
Benzol ('„ Hi;. das als der Ausgangspunct der Theerfarhenindustrie zu be-
trachten ist. Um es von allen andern Kohlenwasserstoffen zu befreien, wird es
( iner Temperatur von — 10° ausgesetzt; es schiesst dann in farrenkrautähnlichen
Blättern an und kann vou seinen Beimengungen, die nicht erstarren, durch
Pressung leicht getrennt werden. Man erhält es auch durch die trockne Destil-
lation vou benzoesaurem Natrium mit einem Alkali:
C6H5~CO ONa 4- Na HO = C«He ■+■ Na,C03.
Benzol .stellt eine wasserhelle Flüssigkeit dar, welche schon hei 0° erstarrt und
i ' wieder flüssig wird; löslich ist es in Holzgeist, Alkohol und Aether, in der
Wärme lös! es Schwefel, Jod und Phosphor auf. Es ist leicht entzündlich und brennt
mit heller, stark russender Flamme: bei der Aufbewahrung und beim Transport sind
deshalb die erforderlichen Vorsichtsmassregeln zu beobachten.
In den Theerfabriken unterscheidet mau l) sehr leichtes Benzol von einem
Siedepuncl zwischen 80—95.°, 2) leichtes Benzol vou einem Siedepunct zwischen
100- 120°, 3) schweres Benzol von einem Siedepunct zwischen 210—220° C. und
4) das schwerste zwischen 222 230° C.
Einwirkung des Benzols auf den thierischen Organismus, i) Mit 30 Tropfen
des sehr leichten Benzols wird ein Baumwollpfropfen befeuchtet, der im Grunde eines
Den Trichters Liegt; als ein Kaninchen mit dem Kopfe in die Trichtermündung
gehalten wird, tritt Dach 1 M. ein starkes Zittern ein, das bald in allgemeine Convul-
sionen mit lautem Schreien übergeht. Nach 2 M., als das Kaninchen frei auf den
Buden gelegt wurde, halten dieselben Doch 30Sec. an, dann folgen tetanisehes Strecken
der Hinterbeine, Zittern des Kopfes, starker Speichelt] uss und sehr unregelmässiges
Athmen. Nach 5 M. läuft es wieder einher und bleibt gesund
2) Eine grosse Katze wurde im grossen Glaskasten 10 M. lang den Dämpfen von
Benzol ausgesetzt; unter starkem Speicheln, vermehrter Respiration. Taumeln und Hin-
fallen richtet sie sieh wieder auf unter convulsivischem Zittern in der rechten Vorder-
pfote. 20 M. nachher stürzt sie nach Verbrauch von 2 Grm. hin: als sie nun mit dem
Kopfe der freien Luft ausgesetzt wurde, sprang sie auf und setzte über eine 5 Fuss
hone Mauer.
Bei Menschen erzeugen die Dämpfe ebenfalls Taumel, Eingenommenheit des
Kopfes, Ohrensausen, Zittern, convulsivische Zuckungen, Dyspnoe und schliesslich
Anästhesie. Die unaugeuehmen Nebenwirkungen verhindern aber die Anwendung
dieses Körpers als Anaestheticum.
Als Benzol noch als sogenanntes Fleckwasser, namentlich zum Waschen
der Handschuhe, verwendet wurde, beobachtete man namentlich bei Frauen
ausser den genannten Symptomen bei höhern Graden der Afficirung sogar den
hysterischen Zuckungen und Krämpfen ähnliche Erscheinungen. Im Organismus
wird Benzol verändert und tritt im Harn als Benzoesäure auf; gegenwärtig
wird es fast überall in der Technik durch das Petroleumbenzin ersetzt.*)
Man konnte vermuthen däss Aethylbenzol C6Hs(C2H5) = C8H10, welches
bei 133° siedet und mit den Xylolen isomer ist (s. diese), eine stärkere anästhesirende
Wirknt □ wurde: die Versuche haben jedoch diese Annahmen nicht bestätigt.
Tauben fallen nach der Verdampfung von 20 Tropfen unter Würgen und Taumel hin
und lassen sieh wie eine todte Masse bin und her bewegen, obwohl Blinzeln mit den
^.ugen noch bemerkbar ist: Taumel und Erbrechen bleiben noch 20 — 30 Min. lang
zurück. Dieser Körper wirkt aber nicht giftig ein. da eine Taube sich nach drei-
maliger Wiederholung des Versuchs vollständig erholte.
Nitrobenzol. 607
Nitrogruppe des Benzols.
Nitrobenzol, Nitrobenzin C6H5.N02, Mirbanöl, wird durch Einwirkung von
rauchender Salpetersäure auf Benzol erhalten. Es ist eine gelbliche Flüssigkeit, welche
bei —3° in Nadeln _ krystallisirt und zwischen 205—210° siedet. Dem Benzol ent-
sprechend unterscheidet man im Handel 3 Sorten von Nitrobenzol: 1) leichtes,
welches zwischen 205 — 210° siedet, bei gewöhnlicher Temperatur verdampft und vor-
zugsweise Mirbanöl genannt wird, 2) schweres, das zwischen 210--2200 siedet,
3) sehr schweres, welches zwischen 222—235° siedet; letzteres wird vorzugsweise
auf Anilin resp. Anilinblau verarbeitet.
Einwirkung der Dämpfe von Nitrobenzol auf den thierischen Organismus.
1) Im grossen Glaskasten, in dem eine grosse Katze sass, kamen 15 Grm. Nitro-
benzol in warmem Sande zur Verdunstung: es trat sehr starkes Speicheln neben be-
schwerlichem und vermehrtem Athmen ein. Als nach 30 M. der Kasten wegen Zusatzes
von 15 Grm. Nitrobenzol aufgehoben wurde, entfloh die Katze; in den Kasten zurück-
gebracht, verfiel sie wieder in starkes Speicheln unter Thränen der Augen; Taumel,
Hinfallen und Wiederaufstehen wechseln beständig, bis sie nach 40 M. bei grosser
Dyspnoe liegen bleibt und nach 1 St. 40 M. unter progressiver Erlahmung der Respi-
ration stirbt.
Section 15 Stunden hernach. Cornea leicht getrübt, Hirnhäute und Plex.
venös, spin. reich an dickflüssigem, dunklem Blute; beide Lungen leberfarbig, aus
den schwarzbraunen Durchschnitten tritt schwarzes, mit weissem Schaum vermischtes
Blut aus. Die Schleimhaut ist von den feinsten Bronchien .bis zum Larynx hin roth-
braun gefärbt und mit einem feinen Schaum bedeckt, die Ränder von blassrotker,
emphysematöser Beschaffenheit. Die linke Herzhälfte ganz mit dickflüssigem,
schwarzem Blute angefüllt: 12 Grm. von ähnlicher Beschaffenheit hatten sich in der
Brusthöhle angesammelt; in der Bauchhöhle nichts Auffallendes. Die Harnblase enthielt
8 Grm. klaren Urin, in dem sich kein Anilin nachweisen Hess. Das Blut war vor-
herrschend dickflüssig, dunkelroth und wurde auch an der Luft nicht heller. In den
verschiedenen Höhlen war ein deutlicher Geruch nach bittern Mandeln bemerkbar.
2"> Eine junge Katze zeigt nach der Verdampfung von 14 Grm. Nitrobenzol ganz
ähnliche Erscheinungen: als sie nach 35 M. auf die Erde gesetzt wird, geht sie taumelnd
einher, fällt oft auf die linke Seite, erhebt sich aber jedesmal wieder. 20 M. nach dem
Versuche verhält sie sich ruhig; am andern Morgen wird sie in vollständiger Starre
angetroffen.
Bei der Section fällt die Anfüllung des ganzen Herzens mit theils flüssigem,
theils geronnenem, dunkelkirschrotheni Blute auf. Die Lungen sind zusammengefallen,
von heiler Farbe, nur der rechte untere Lappen ist dunkelbraunroth; das Parenchym ist
nicht blutreich und die Schleimhäute sind blass.
Hiernach müssen die Dämpfe schon ziemlich concentrirt einwirken, um
einen letalen Ausgang herbeizuführen, dem stets eine starke Dyspnoe vorher-
geht, die auch Charvet bei einem Hunde nach Verdampfung von 10 Grm. Nitro-
benzol beobachtet hat.
Charakteristisch sind der Taumel und der schlafsüchtige Zustand, während
eine ausgebildete Anästhesie fehlt. Uebrigens entfalten die Dämpfe eine schnellere
Wirkung als innerlich gereichte Gaben, ein Umstand, der grade für die Fabrik-
arbeiter von Wichtigkeit ist, indem diese durch die Beschmutzung ihrer Kleider
mit Nitrobenzol Anlass geben, dass sie sich in einer beständigen Atmosphäre der
Dämpfe dieses Körpers befinden. Letheby hat einen Fall von Vergiftung mit-
getheilt, die sich auf diese Ursache zurückführen Hess.*)
Bei der Ingestion von Nitrobenzol ist der Krankheitsverlauf oft von langer Dauer,
wie sich aus folgendem Versuche ergibt. Ein mittelgrosser Bastard von Windspiel
erhielt 15 Grm. Nitrobenzol; kurz darauf trat starkes Speicheln ein und nach 30 M
zeigten sich convulsivische Zuckungen und Zittern. 2 Stunden hernach wurde die Gabe
wiederholt, ebenso nach 5 und 8 Stunden, so dass die ganze Menge 60 Grm. betrug,
ohne dass andere Symptome als das starke Speicheln eintraten. Am folgenden Tage
entwickelt der Hund eine bedeutende Fresslust, mit den Faeces geht ein langer Band-
wurm ab; dann tritt Erbrechen mit Speicheln, beschleunigtem Herzschlage, erschwertem
*) Streeter (Med. Times p. 625 1854) behandelte ein Kind, das nach dem Genuss
von nach Nitrobenzol riechendem Sago in soporösen Schlaf verfiel.
(308 Die aromatischen Körper.
Athmen, tetanischen Krämpfen bei erweiterter Pupille ein. Der beschleunigte Herz-
schlag, Zittern der Beine oder des ganzen Körpers, Heulen, Stöhnen, starke Dyspnoe,
rotirende Bewegungen der Extremitäten in der Seitenlage, Abgang blutiger Faeces,
tetanisches Strecken der Extremitäten, grosser Durst, Hinfallen beim Versuche auf-
zustehen, Zunahme der Parese, Zuckungen der Gesichtsmuskeln u. s. w. setzten ein Krank-
heitsbild zusammen, das S Tage lang fast unverändert blieb; als die Temperatur unter
der Zunge allmählig auf 25° gefallen und der Herzschlag stundenlang kaum hörbar war,
trat schliesslich der Tod ein.
Bei der Section (2 Stunden nachher) findet sich im Kehlkopf eine schaumige
Flüssigkeit, die Schleimhaut der Trachea ist ohne Injectionsröthe, die Lungen sind von
sehmutzigrother Farbe, enthalten auf der Oberfläche emphy sein atöse Erhabenheiten
und zeigen auf den Durchschnitten dunkelrothes, flüssiges Blut; das ganze Herz strotzt
von dickflüssigem, schwarzem Blute; ausserdem bemerkt man auch an den Hirnhäuten
eine starke Blutfülle. Die Schleimhaut des ganzen Ti'act. intest, ist mit einer intensiv
gellten Schleimlage bedeckt, in welcher sich durch die Analyse Pikrinsäure
nachweisen lässt, die hier nur als Spaltungsproduct aus dem Nitrobenzol entstehen
konnte.'"') Nach Wegnahme der Schleimlage erscheint die Schleimhaut stark injicirt und
hier und da mit Ekchymosen besetzt. Im klaren Urin1), in der Leber und Lunge
konnte Anilin nachgewiessen werden**). Die übrigen Unterleibsorgane boten nichts
Auffallendes dar, nur waren alle grössern Venen mit dunklem, dickflüssigem Blute an-
gefüllt. Bei der Spcctralanalyse traten bei einer Blutverdünnung von 1 : 80 die normalen
Blutbänder auf.2)
Die Vergiftung bei Menschen stimmt in den meisten Puncten hiermit überein,
nur mit dem Unterschiede, dass hier Cyanose zu den ersten und auffallendsten
Symptomen gehört; die Lippen werden bald blau und Schaum tritt vor den Mund,
sonst verbinden sich auch beim Menschen Dyspnoe, oberflächliche stertorose Athmung
und Sinken der Temperatur mit sehr schwachem Herzschlage und kaum wahrnehm-
baren Herztönen. Die Glieder sind gänzlich erschlafft wie bei der Chloroformnarkose,
oder Trismus, Tetanus, selbst Manie sprechen für die schwere Affection der Nerven -
centren, die schliesslich die Herzlähmung mit bedingt, während die Stauung und Störung
der Circulation sich schon frühzeitig durch das Auftreten der Cyanose kund geben/1)
Die Hülfeleistung bei Vergiftungen besteht bei der Ingestion des Giftes am
besten in der schnellen Darreichung eines Brechmittels, da erfahrungsgemäss ein heftiges
spontanes Erbrechen die Wiederherstellung sehr begünstigt. Am schädlichsten sind
ätherische Mittel, da sie die Ueberführung des Nitrobenzols in das Blut befördern4). Am
nützlichsten dürften in allen Fällen kochsalzhaltige Arzneien sein, weil sie den
Salzgehalt des Blutes vermehren und dadurch die Ausscheidung des aufgenommenen
Nitrobenzols begünstigen, denn Nitrobenzol wird von salzhaltigen wässrigen Flüssigkeiten
nicht in erheblicher Menge aufgenommen.
Bei der Fahrkation von Nitrobenzol benutzt man fast allgemein den
Perkin 'sehen Apparat, der aus einer Reihe gusseiserner, kessel- oder cylinder-
förmiger, mit Rührern versehener Mischgefässe besteht; jeder Rührer wird durch
ein konisches Rad von einer Welle aus bewegt und geht durch eine auf dem
Deckel angegossene Büchse, die durch eine Flüssigkeit, gewöhnlich durch Nitro-
benzol, abgeschlossen wird, während eine metallene, glockenartige Kappe durch
Verschraubung dicht an der Rührstange anliegt und mit der untern, offenen
Partie in diese Flüssigkeit eintaucht. Ausserdem finden sich Oeffnungen im
Deckel für die Zufuhr der Materialien und Ableitung der Gase. Die Oeffnung
für das Benzol, das jetzt allgemein zuerst eingeschüttet wird, hat einen Deckel-
verschluss; die Säure***) lässt man allmählig zufliessen und zwar mittels eines
*) Auch bei Menschen beobachtet man während einer lang dauernden Vergiftung
bisweilen ein Gelbwerden der Haut und Conj unetiva, bei der Section eine
gelbe Färbung der Leber oder eine fast gelbe Färbung des Herzmuskels , eine Er-
scheinung, die sich auf das Auftreten der Pikrinsäure zurückführen lassen dürfte.
**) Schon am 5. Tage der Vergiftung reagirte der abgegangene Urin deutlich auf
Anilin. Bekanntlich hat Letheby zuerst auf diese Umwandlung des Nitrobenzols im
Organismus aufmerksam gemacht; seine geringe Menge kann aber nicht, wie Lelheby
meint, die convulsivischen und paretischen Erscheinungen bei der Vergiftung bedingen.
"*) Wird rauchende Salpetersäure genommen, so treten die Dämpfe von
Untersalpetersäure auf; bei einem Gemisch von Sal petersäure und Schwefel-
Carbolsäure. 609
nach Art der Weiter' sehen Sicherheitsröhre gebogenen Glasrohrs, damit die
Flüssigkeit als Absperrungsmittel dient.
Je sorgfältiger die Fabrication geleitet wird, desto weniger machen sich saure
Dämpfe bemerkbar, ein Punct, der nicht bloss in technischer, sondern auch in sani-
tärer Beziehung von der grössten Wichtigkeit ist. Man kann das Glasrohr aach
zweckmässig mit einem Hahn versehen, um den Zufiuss der Säure zu reguliren. Durch
ein besonderes Rohr gehen die sauren und benzollialtigen Dämpfe in ein Abkühlgefäss.
In einigen Fabriken wird auch das Mischgefäss durch Wasser gekühlt, das aus kleinen
Oeffnungen einer Rohrleitung fliesst. Am Boden des Mischgefässes befindet sich eine
canalförmige Oeffnung zum Ablassen seines Inhaltes; die zuerst abgehende Säure ist
braungelb, riecht nach Nitrobenzol und wird in besondern Glasballons aufgefangen*).
Dann geht benzolhaltiges Nitrofeesizol ab, das in hölzernen Bottichen mit Rührvorrich-
tungen mit Wasser gewaschen und schliesslich noch in eiserne Cylinder mit Abzugsrohr
und Kühlfass abgelassen wird, in denen man einen kräftigen Dampfstrom einwirken
lässt, der das noch ungebundene Benzol mit sich fortführt und sorgfältig zu condensiren
ist. Der als*Condensationswasser zurückgebliebene Dampf sammelt sich über dem Nitro-
benzol an; beide Flüssigkeiten werden durch besondere Hähne abgelassen.
Sehr beachtungswerth sind die Waschwässer , welche beim Auswaschen des
Nitrobenzols resultiren; ausser Salpetersäure können sie Pikrinsäure, Oxal-
säure, Blausäure und Benzoesäure nebst einer gelb färbenden, noch nicht be-
kannten Substanz enthalten. Sie dürfen niemals in Senkgruben abgelassen werden, da
sie auf diese Weise die benachbarten Brunnen gänzlich verderben; in einem concreten
Falle entstand aus diesem, entschieden nachgewiesenen Umstände ein kostspieliger Pro-
cess. Ihr Abfluss in Schwemm can äle dürfte gestattet werden, da ihr Gehalt an den
genannten Säuren auf faulige Substanzen günstig einwirkt. Würde man sie mit Kalk
versetzen, so würden sich die entsprechenden Calciumsalze ergeben und die Gefährlich-
keit aller genannten Verbindungen sehr gemindert werden; dann könnte ihr freier Abfluss
in Canäle überhaupt gar keinem Bedenken unterliegen.
Verwendung findet Nitrobenzol vorzugsweise bei der Fabrication von Anilin;
auch als Mittel zum Parfümiren bei der Seifenfabrication oder zur Verfälschung von
Ol. amygd aeth. wird es benutzt: diese ist leicht durch Ueberführung des Nitrobenzols in
Anilin resp. in eine färbende Verbindung nachzuweisen. Am gefährlichsten ist seine
Verwendung zur Darstellung von Persico-Liqueuren; auch minutiöse Mengen
können hier unter Umständen gefährlich werden und zwar um so eher, weil der Alkohol
die Ueberführung des Nitrobenzols in das Blut begünstigt. Nitrobenzol ist schon häufig
mit Liqueur verwechselt und in dieser Meinung getrunken worden5). Es liegen hier-
über genug Beispiele vor und es ist dringend geboten, dem sogenannten Mirbanöl,
welches in den Gewerben und in der Technik eine so wichtige Stellung einnimmt, eine
grössere sanisätspolizeiliche Aufmerksamkeit zu widmen.
1) Hydroxylderivate des Benzols, Phenole.
Hydroxylbenzol, Phenol, Phenylsänre, Carbolsänre, Acidum carbolicuin C6H5(OH)
kommt vorzugsweise im Steinkohlentheer vor und hiess früher Phenylsäure (von
cpai'vdco, ich erleuchte), weil sie namentlich bei der Gasbereitung aus Steinkohlen auf-
tritt. Castoreurn soll seinen eigenthümlichen Geruch der Carbolsäure verdanken. Städeler
wies sie im Menschen-, Kuh- und Pferdeharn nach; sie bildet sich bei der Destillation
des Holzes, der Chinasäure, der bituminösen Fossilien und des Benzoeharzes. Bei der
Destillation der Salicylsäure mit Kalk entsteht sie neben Kohlensäure:
C7H603 oder C,H4(OH)C02H === CfiH5(OH) + C02.
Phenol ist somit als ein Monoxybenzol, d. h. als ein Benzol C6H6 anzusehen, m
welchem ein H durch Hydroxyl OH vertreten ist. Es röthet Lackmuspapier nicht und
säure bilden sich mehr salpetrige und salpetersaure Dämpfe; in letzterm Falle
muss stets die Mischung zuvor in geschlossenen Gefässen geschehen, widrigenfalls
die Arbeiter den schädlichen Dämpfen stark ausgesetzt werden.
*) Da diese Säure stets noch Salpetersäure enthält, so wird sie m vielen
Fabriken durch Abdampfen concentrirt, um für die Salpetersäurefabrication
benutzt zu werden, da diese in den meisten Nitrobenzolfabriken als ein Nebenzweig
betrieben wird. Geschieht das Abdampfen in offenen Pfannen, so hat es für die Adja-
centen die grösste Belästigung zur Folge. In einem concreten Falle, der zu einem lang-
wierigen Process Anlass gab, konnte diese Procedur als die Hauptursache der Be-
schwerden der Adjacenten'über eine Nitrobenzolfabrik betrachtet werden. Der Geruch
nach Bittermandelöl ist stets an eine solche Fabrik gebunden und niemals ganz zu
heben, er verursacht aber den Adjacenten keine Nachtheile.
Eulenberg, Gewerbe-Hygiene. 3J
(\]Q Aromatische Körper.
macht auf Papier Fettflecke, welche allmählig verschwinden. Es ist in jedem Verhält-
oi88 in Alkohol und Aethcr Löslich und löst selbst-Fette sehr gut; es färbt auch Eisen-
oxydlösungen violett und einen mit Salzsäure befeuchteten Fichtenspan im
Sonnenlicht blau Mit vielen animalischen Substanzen geht es eine Verbindung ein und
coagulirt namentlich das Eiweiss. worauf seine fäulnisswidrige Eigenschaft und gross-
artige Anwendung als Desinfectionsmittel beruht.
Einwirkung der Dämpfe der Carbol säure auf den thierischen Organismus.
1) 5 Grni. Phenol werden in einem Kölbchi n erwärmt und in die Glasglocke ge-
leitet, anter welcher ein Kaninchen sitzt- Es zeigen sich sofort Thränen der Augen,
Reizung der Nasenschleimhaut, Röthung der Conjunctiva, zitternde Bewegung des Mauls,
dann starkes Zittern des Kopfes und des ganzen Körpers. Nach 13 M. prominiren die
Augen, die Pupille verengt sieh und unter convulsiva sehen Zuckungen Fällt das Thier
auf die Seite. Bei seiner Herausnahme nach 15 M. haiton diese Zuckungen noch an. die
Hornhaut ist weisslich; 3 M. nachher erfolgt auch der Herzschlag stossweise und un-
regelmässig; s ^1 später tritt der Tod unter progressiver Abnahme der Athmung ein.
Section "24 Stunden hernach. Hirnhäute sehr hyperämisch, auf den Corp.
quadrig. lagert ein 4 Linien langes und 1 Linie breites Blutklümpchen und in der Um-
gegen.d der Medull. oblong, ein durchsichtiges, flüssiges Blutextravasat. Lungen blass-
roth. emphys* der hintern Fläche dunkelbraun marmorirt. auf den Durch-
schnitten ein röthlicher Schaum, vermischt mit Blutklümpchen. Die rechte Herzhälfte
strotzt von schwarzem, geronnenem Blute: wenig flüssiges Blut, das sieh vorrindet, röthet
sich an der Luft mehr. Der Urin wird klar angetroffen.
2) Ein mittelgrosses Kaninehen sitzt im grossen Glaskasten, in dem eine Schale
mit 60 Grm. Phenol stand. Nach 3 Stunden erscheint die Conjunctiva auf beiden Seiten
geröthet, geschwollen und mit Schleim bedeckt, die linke Hornhaut trübe, erodirt, die
rechte weiss und undurchsichtig. Nach 5 Stunden wird das Thier herausgelassen. Am
andern Morgen (20 Standen nach dem Einlassen des Thiers in den Kasten} sind beide
Augen mit blutigem Schleim verklebt: beim Oeffnen derselben quillt eine eitrige Flüssig-
keit hervor. Die rechte Cornea ist weniger weiss, das Allgemeinbefinden anscheinend
nicht gestört: vorgehaltenes Futter frisst das Kaninchen. Nach 2 Tagen mussten die
Augen noch aufgeweicht werden, da die Conjunctiva noch 'geröthet und mit eitrigem
Schleim bedeckt ist. Das Epitheliom der Hornhaut schuppt sich ab; nach 7 Tagen ist
die linke Hornhaut wieder klar. Am linken untern Augenliede ist ein Ectropium ent-
standen, das nach häufigen Waschungen 15 Tage nachher wieder verschwunden ist: die
Restitution ist dann vollständig.
Kämpfer fand, dass Insecten durch Phenoldämpfe binnen 10 — 12 Minuten zu
Grunde gingen: Mäuse und Ratten starben in etwTa l'/2 Stunden unter Betäubung und
Convulsionen.6)
Der zweite Versuch soil besonders die nachteilige Wirkung der Carbol-
sätire auf die Augen darthun und auf die Noth wendigkeit hinweisen, die Arbeiter
mehr vor diesen nachtheiligen Einflüssen zu schützen, deren Folgen sich gar nicht
selten in acuter und chronischer Entzündung der Conjunctiva und
Cornea kuud geben. Obgleich erst eine bedeutende Conceutration der Dämpfe
Lebensgefahr bedingen kann, so vermögen doch auch kleinere Mengen nachtheilig
zu wirken, wenn diese wiederholt auftreten. Dies ist z. B. in Färbereien und
Druckereien der Fall, wenn die essigsauren Beizen nicht in geschlossenen
Gefässen stehen, sondern beständig Carbolsäure exhaliren. Manipnliren die Ar-
beiter mit solchen phenolhaltigen Flüssigkeiten, so entstehen an den Händen oder
durch Uebertragnng an andern Körperstellen dieselben Hautausschläge, wie
sie bei der Russbereitung (s. S. 323) oder in Photogenfabriken (s. S. 594)
vorkommen.
Bei der Behandlung der Krätze mit Carbolsäure sind schon mehrmals
Todesfälle vorgekommen; wird sie hierbei, wie es gewöhnlich geschieht, vorher
erwärmt, so gelangt sie auf zwei Wegen in das Blut, erstlich als Dampf durch
die Respirationswege und zweitens durch Resorption von der Haut aus. Es
können dann erfahrungsgemäss alle charakteristischen Erscheinungen der Carbol-
säure-Vergiftung: Kopfschmerzen, Schwindel, Betäubung, gestörtes Be-
wusstsein, spasmodische, unregelmässige Respiration, frequenter,
Carbolsäure. Q\\
schwacher Puls und zunehmender Collapsus u. s. w., auftreten. Das Zit-
tern und die Zuckungen zeigen sich bei der Inhalation der Dämpfe in dem-
selben Grade wie bei den subcutanen Injectionen.7)
Je grösser die Gaben sind, die bei der Ingestion plötzlich zur Einwirkung
gelangen, desto lebensgefährlicher werden sich natürlich die Erscheinungen ge-
stalten; dann weisen, z. B. bei Gaben von 20—30 Grm., tiefe Inspirationen,
kurze krampfhafte Exspirationen, ein Sinken der Temperatur um halbe und ganze
Grade, sowie ein beschleunigter und unregelmässiger Puls sofort auf die Affec-
tion der Athmung und Herzthätigkeit hin. s) Bei noch grössern Gaben von 100 bis
150 Grm. erfolgt nach wenigen Minuten ein bewusstloses Hinstürzen unter Con-
vulsionen, das Athmen wird schwer, Schaum tritt vor den Mund und schon nach
Verlauf einer Stunde kann bei oberflächlicher und schneller Respiration, bei sehr
kleinem und unzählbarem Pulse der Tod eintreten.9)
Die Erscheinungen werden durch die Affection der Nervencentren
bedingt; die Carbolsäurekrämpfe sind unregelmässig und klonisch; die teta-
nische Form kommt höchst selten vor. Sie sind von der Affection des Rücken-
marks abhängig, indem zuerst die Reflexerregbarkeit vermehrt, später aber die
excitomorische Eigenschaft des Rückenmarks vernichtet wird. 10) Die örtlichen
Erscheinungen auf der Digestionsschleimhaut, weissliche Färbungen, Aetzungen,
gallertartige Erweichung oder auch Verhärtungen und lederartige Beschaffenheit
des Magens Rängen von der Grösse der aufgenommenen Dosen ab.
Bei den Sectionen der Thiere fielen Blutextravasate in der ScliädelhÖhle, die
Hyperämie der Hirnhäute und namentlich die Anfüllung des Herzens mit schwarzem,
geronnenem Blute auf.11! Bei Menschen geht die Hyperämie in der Schädelhöhle mit
den Erscheinungen des Stickflusses Hand in Hand, während das Herz oft erschlafft und
mit d unkelschwarzem Blute gefüllt erscheint.
Um die Carbolsäure in der Leiche nachzuweisen, verdampft man die be-
treffende Substanz unter Zusatz von überschüssiger Schwefelsäure im Wasserbade,
wodurch Phenylschwefelsäure entsteht, welche mit Eisenoxydsalzen eine
purpurrüthe und mit Alkalien eine carmoisinrothe Farbe erzeugt. Versetzt man das
Destillat oder die betreffende Substanz nach Landolt mit Bromwasser, so schlägt sich
ein weisses Präcipitat von Tribromphenol nieder: behandelt man dasselbe mit Na-
triumamalgam, so entsteht Carbolsäure, welche durch Destillation zu gewinnen ist.
Die schädliche Einwirkung der Caroolsäure auf die Pflanzen gibt sich durch
Coagulation der eiweisshaltigen Substanz, Verstopfung der Capillaren und schliessliches
Absterben der ganzen Pflanze kund, ein Hergang, welcher mit der physiologischen Ein-
wirkung der Carbolsäure auf den Thierorganismus grosse Aehnlichkeit hat.
Die Darstellung der Carbolsäure im Grossen aus Steinkohlen- und Braunkohlen-
theer knüpft sich an die Thatsache an, dass ihr Siedepunct zwischen 183° und 184°
liegt; sie findet sich daher vorzugsweise in den schweren und leichten Oelen,
welche bei der Rectification des Theers auftreten. Da die Carbolsäure ausserdem noch
die Eigenschaft besitzt, sich mit alkalischen Basen zu verbinden, so benutzt man diese,
um sie von den indifferenten Kohlenwasserstoffen zu trennen. Durch die Behandlung
mit Natronlauge entsteht Natriumphenylat (C6H5ONa\ das durch Schwefelsäure zersetzt
wird, um die Carbolsäure als dunkle, ölartige Flüssigkeit auszuscheiden. Man hat so
viel als möglich für die Ableitung der hier auftretenden Gase und Dämpfe Sorge zu
tragen, da sie stets Phenol enthalten.
Das auf diese Weise erhaltene sogenannte rohe Kreosotöl, welches ausser
Phenol noch Kreosot und ölige Kohlenwasserstoffe enthält, wird der fractionirten
Destillation unterworfen, wobei zuerst die flüchtigen Kohlenwasserstoffe mit
Wasserdämpfen übergehen: man scheidet diese vom eigentlichen Destillat ab und
benutzt sie später anderweitig. Während der Destillation entwickeln sich viele
höchst übelriechende Zersetzungsproducte, die unter den geeigneten Sicherheitsmassregeln
unter die Feuerung zu leiten sind.
Das eigentliche Phenol wird in passende Gefässe gefüllt und an einem kühlen
Orte der Krystallisation überlassen. Es stellt im reinen Zustande farblose lange IS, adeln
von eigentümlichem Gerüche und ätzendem Geschmack dar, welche bei 35° schmelzen
39*
ßJ2 Lromatiscl Körper.
und bei is-i° sieden. Die Anwendnng der Carholsiiure isl als DesinJfectionsmittel, für
Fleisch, Holz, Tauwerk, für die Darstellung der Farbstoffe,
namentlich von Pikrinsäure, Corallin u. s. w., von der grössten Wichtigkeit geworden.12)
Phenolfarben.
Rosolsäure steht dem Phenol am nächsten und wurde von Range im Rück-
stände bei der Destillation des rohen Phenols entdeckt; sie stellt eine harzartige,
rothbraune, in Alkohol und Aether, in Wasser aber wenig lösliche Masse dar.
die mit alkalischen Erden prächtig gefärbte Salze bildet. Man stellt sie aus Phenol,
Oxalsäure und Schwefelsäure dar. welche 4 — 5 Stunden lang in einer Retorte auf
140-150° C. erhitzl werden, und betrachl - Phenol, dasO aufgenommen hat.*)
Bei der Fabrication treten Kohlenoxyd und Kohlensäure in gri
Mengen auf: die Gase sind mit den Dämpfen des Phenols geschwängert und n
sorgfältig abgeleitel werden. Nach volle Eteaction -wird die Mischung in kaltes
ihüttet und unter Erneuerung des Was irt, l>i- aller Phenol-
geruch verschwunden and eine | iwarzbraune M. sse entstanden ist, die
zu einem festen Harze erstarrt A ■ . I*. - VN thält noch Schwefelsäure und
Phenylschwefelsäure und wird mit Kalkmilch behandelt. E- schlagen sich Gips
und Calciumoxalat nieder: nach der Filtration wird die Flüssigkeit bis zur Syrnpsdicke
eingedampft und mit Salzsäure versetzt, wobei sich noch K - □ • mit schönen Nuancen
ausscheidet, Die hierbei abfallenden Wässer enthalten Chlorcalcium und Salz-
säure: auch riechen sie noch nach Phenol und dürfen nur in grössere Flüsse frei ab-
gelassen werden.
Isäure i-t eine unschädliche Substanz, die in Doscu von 1 Grm.
schweinchen ohne Schaden erreicht werden kann: nur ihre Verunreinigung mit Phenol
bedingt nachtheilige Wirkungen.
Verwendung findet die Rosolsäure zur Darstellung ehr K »solsäure-Lösung,
welche wie Lackmustinctur benutzt wird, sowie besonders des Corallins. Rothes Corallin
(Paeonin) und Azulin sind Derivate der Rosolsäure. Corallin nennt man die
Rosolsäure. die entweder mit Ammoniak oder andern Alkalien behandelt und durch
Salzsäure gefällt ist. Einen durch Magnesia dargestellten Corallin -Lack benutzt man
im Canton Glarus zum Färben der rothen türkischen Fez: die Farbe ist prachtvoll,
aber nicht acht Tm reinen Zustande ist Corallin ganz ungiftig, denu Kaninchen er-
fahren nach Gaben von 1 Grm nicht die geringste Gesundheitsstörung; auch hier
kann nur eine Verunreinigung mit Phenol oder auch mit Anilin schädlich wirken.
Bildung von Anilin i?t bei der Behandlung der Rosolsäure mit Ammoniak bei erhöhter
Temperatur nicht unmöglich, wenn die Rosolsäure noch Phenol enthielt: auch ist nicht
zu vergessen, das? zur Befestigung von Corallin auf Wolle häufig das arsenigsaure
Natrium als Beize benutzt wird.13)
Corallinjrcll) (Anrini wird in gleicher Weise dargestellt, nur beobachtet man eine
- hiedene Temperatur und Dauer der Einwirkung.
Azulin, ein schöner blauer Farbstoff, entsteht beim Erhitzen eines Gemisches
von Anilin mit Corallin oder Rosolsäure. wird aber fast gar nicht mehr benutzt.
Fe-dn ist ein rother Farbstoff, der zur Classe der von kten rothen
Phenolfarben (Phtaleinel gehört und durch Einwirkung von Brom auf Flnoresce'iu
entsteht, welches ein Product der Reaction von Phtalsäure auf Resorcin ist. Diese
neuen Phenolfarben sehen einer grossen Zukunft entgegen.
Phenylgelb wird nach Fol durch Erhitzen von Carbolsäure mit gepulverter
Arsensäure bis zu 100—125° in einem offnen eisernen Kessel unter häufigem Um-
rühren erhalten. Man erhält eine X- ' . sse, aus der durch Behandeln mit Essig-
säure und Kochsalz der Farbstoff niederfällt, der für sich gelb färbt: wird er mit
Bariumcarbonat gekocht und mit Schwefelsäure zersetzt, so liefern die entstandenen
braunrothen Blättchen mit alkalischen Erden röthlich gefärbte Salze, die Wolle
und Seide in den verschiedensten Nuancen färben.
Die Darstellung ist mit mancher Gefahr verknüpft, während der Farbstoff selbst
mit Arsenverbindungen und nl gern Phenol verunreinigt sein kann.
Phenylbraun wird durch Vermischen von Phenol mit Salpeter -Schwefelsäure
) Um Phenoldämpfe in einem Räume nachzuweisen, braucht man daher die Luft
nur durch Schwefelsäure zu leiten: man setzt Oxalsäure zu und erwärmt auf 118 bis
120° C. Durch Verdünnen der dunkelrothen Flüssigkeit mit Wasser uDd Uebersättigen
mit Natriumcarbonat erhält man Rosolsäure.
Pikrinsäure. gi o
bei fortdauernder Abkühlung dargestellt; es entwickeln sich hierbei sehr viele salpeter-
saure Dämpfe, die man ableiten muss. Die Farbe ist sehr acht, färbt Wolle und
Seide ohne Beize und wirkt nicht schädlich auf den thierischen Organismus ein.
Nitroproducte des Phenols.
Mtrophenylsänren bilden sich, wenn 1, 2 oder 3 H im Phenol durch die Gruppe NO„
substituirt werden, als krystallisirende Körper; unter denselben ist in technischer Be-
ziehung das Trinitrophenol oder die Pikrinsäure am wichtigsten. Concentrin Salpeter-
säure wirkt so heftig auf Phenol ein, dass jeder Tropfen davon, welchen man in Phenol
fallen lässt, ein Geräusch erzeugt, als wenn glühendes Eisen in Wasser eingetaucht würde.
Pikrinsäure. Triuitrophenol C6H3(N03)3(OH) bildet sieh bei der Einwirkuno- der
Salpetersäure auf verschiedene organische Körper, namentlich auf die meisten Pflanzen -
extractiystoffe, auf Cumarin, das Alkaloid aus Asperula odorata, auf Phoridzin die
kristallinische Substanz aus der Wurzel des Apfelbaums und mehrerer Prunnsarten auf
Indigo, Perubalsam und verschiedene Harze, auch auf Seide und Wolle, vorzugsweise
aber auf Phenol.
Die Pikrinsäure krystallisirt in hellgelben, stark glänzenden Schuppen, schmeckt
intensiv bitter und röthet Lackmuspapier; sie ist löslich in Wasser/ Aether con-
centrirter Schwefel- und Salpetersäure und wirkt wie Phenol ahtiseptisch. Bei s'tarker
Erhitzung zersetzt sie sich in Stickoxyd, Wasser, Kohlensäure und Blausäure
unter vielem Kohlenrückstand; ihre Salze sind sehr explosiv.
Einwirkung der Pikrinsäure auf den thierischen Organismus, i) Eine Taube
wurde den Dämpfen der Säure ausgesetzt, indem 0,5 Grm. davon erwärmt und mittels der
Compressionspumpe in den kleinen Zinkkasten geleitet wurden. Nach 35 M. waren 14 mit
den Dämpfen geschwängerte Liter Luft verbraucht; es traten nur Unruhe, Blinzeln mit
den Augen. Husten, Würgen und Erbrechen ein; die Taube erholte sich vollständig.
2) Ein Meerschweinchen bekam nach Einleitung von 14 Liter dieser Luft
einen heftigen Husten und Thränen der Augen, blieb aber, nach 30 M. herausgenommen
gesund.
3) Es werden 0,5 Grm. Pikrinsäure bis zum Schmelzen erhitzt und die sich ent-
wickelnden Dämpfe direct in den Zinkkasten eingeblasen. Es entsteht ein heftiger
Husten, das Meerschweinchen reibt stark über die Nase, speichelt und athmet angestrengt
und unregelmässig. Nach 20 M. herausgelassen, bleiben Athem und Herzschlag unregel-
mässig, jedoch fehlt jede convulsivische Bewegung. Nach 2% St. wird es in sitzender
Stellung totlt gefunden.
Section nach IS Stunden. Corticalsubstanz des Gehirns schwach weinroth
gefärbt; die Lungen von schwärzlich-braunrother Farbe, beim Einschneiden tritt
flüssiges, dunkelrothes Blut aus: Schleimhaut schwach geröthet. Das ganze Herz ist
mit schwarzem, geronnenem Blute angefüllt, nur im rechten Vorhofe findet sich etwas
dickflüssiges Blut; Ekchymosen zeigen sich auf dem rechten M. iliacus; alle Unterleibs-
organe sind blutreich.
4 Einem Meerschweinchen wurde 1 C.-C einer gesättigten wässrigen Pikrin-
säurelösung subcutan injicirt. In den ersten S Tagen färbte sich nur die Conjunctiva
beider Bulbi gelb; erst am 10. Tage verhielt es sich ruhig, athmete langsam bei kaum
wahrnehmbarem Herzschlage. Am 12. Tage wurde es todt gefunden.
Section 24 Stunden nachher. Auch hier zeigte sich besonders das Herz in
allen Höhlen mit dunklem, geronnenem und wenig flüssigem Blute angefüllt.
5) Einem starken Meerschweinchen wurden 0,2 Grm. Pikrinsäure beigebracht; in
der ersten Stunde zeigten sich leichte Zuckungen in den Extremitäten, in der zweiten
beschleunigte Respiration und vermehrter Herzschlag; in der dritten Stunde tritt unter
progressiver Abnahme der Athmung und der Herzthätigkeit der Tod ein.
Section nach 16 Stunden. Lungen dunkelblauroth, beim Einschneiden treten
Blut und ein feiner weisser Schaum aus; Schleimhaut schwach geröthet. Das Herz
strotzt von geronnenem Blute Eine gelbe Färbung war nur an der innern Seite des
Felles zu bemerken. Die Analyse konnte Pikrinsäure in der Leber und im Harn
nachweisen.
6) Einer Taube wurde 1 C.-C. gesättigte wässrige Lösung der Pikrinsäure ein-
geflösst. Nach 24 Stunden zeigt sich ein starkes Jucken, welches das Thier durch be-
ständiges Picken zwischen den Federn zu erkennen gibt und 5 Tage lang anhält: die
Taube bleibt dann gesund.
7) Einer Taube werden 0,1 Grm. Pikrinsäure, in Wasser gelöst, eingeflösst: nach
1 Stunde convulsivisches Schlagen mit den Flügeln und Zurückziehen des Kopfes in den
Nacken; l/4 Stunde hernach AVürgen und die heftigsten Convulsionen; diese wiederholen
sich häufig unter sehr besehleunrgter und unregelmässiger Athmung; nach 3l/2 Stunden
allgemeiner Tetanus, der l/2 Stunde hernach zum Tode führt.
ß|4 Aromatische Körper.
Section 20 Stunden nachher. In der Gegend der Med oblong, unter der Dura
niater ein dünnes Blutextravasat im Durchmesser eines Centimeters: auf der Oberfläche
der linken Lunge streifige Blutextravasate , auf den Durchschnitten kloine Blut -
klümpchen; im Herzen viel geronnenes und wenig dickflüssiges Blut; an einzelnen
Stellen der Schleimhaut des Dünndarms Ekchymosen. Nach 4 Tagen war der Cadaver
wie eingetrocknet und bot keine Spur von Fäulniss dar.
Die Pikrinsäure macht sich in ihrer Einwirkung auf den thierischen
Organismus zunächst als Säure geltend, wie schon aus dem vorherrschenden Ge-
ronnensein des Blutes in der Leiche hervorgeht; dazu kommt aber noch ihre ent-
schiedene Einwirkung auf das Herz; ob diese sich direct auf die Herzganglien
erstreckt, ist noch nicht bestimmt bewiesen, obgleich Berthold Benecke u) und
Pariset1-') dieser Ansicht zu huldigen scheinen; die directe Einwirkung auf das
regulatorische Centrum ist wahrscheinlicher. Das starke Hautjucken, das meistens
bei Menschen entsteht, wenn die Pikrinsäure Icterus erzeugt, gab sich auch ent-
schieden an der Taube im 6. Versuche kund. Die Convulsionen, die bei der Taube
beim 7. Versuche entstanden, wird man angezwungen auf das Radical, Phenoi,
zurückführen können, so dass sich jedenfalls bei grossen Gaben der Pikrinsäure
die Wirkung auf die Centralorgane geltend macht. Aber auch bei kleinen Gaben
kann schliesslich, wenn sie wiederholt zur Einwirkung gelangen, der deletäre Ein-
fluss auf den Organismus nicht ausbleiben.
Fabrication der Pikrinsäure. Man stellt sie im Grossen dar, indem man
Carbolsäure mit gewöhnlicher Salpetersäure in Glasretorten in der Siedhitze
behandelt; hier tritt neben der salpetrigen Säure auch Blausäure auf. Ist
die Salpetersäure chlorhaltig gewesen, so bildet sich auch Chlorpikrin; alle
Dämpfe sind deshalb durch Absorptionsmittel zu beseitigen oder noch besser
unter die Feuerung zu leiten.
Ist die überschüssige Salpetersäure bis zu einem gewissen Grade abdestillirt, so
lässt man erkalten, wobei die Pikrinsäure, gemischt mit der gleichzeitig gebildeten
Oxalsäure, herauskrystallisirt. Die so gewonnene Säure wird zur Ausscheidung der
Oxalsäure mit Kalkmilch behandelt und durch Umkrvstallisiren gereinigt.
Bei dem Auflösen der Säure wird Wasserdampf zum Erwärmen in die Flüssigkeit
getrieben: die mit Pikrinsäure geschwängerten VVasserdämpfe sind mit Sorgfalt aus
dem Fabriklocal zu entfernen. Die zuletzt zurückbleibende Mutterlauge kann zur Ge-
winnung der Pikrinsäure mit Kaliumcarbonat versetzt werden, wodurch sich das schwer
lösliche pikr in saure Kalium bildet.
Alle A bfallwässer werden zweckmässig mit Kalk versetzt, ehe sie zum Ab-
tluss gelangen, da sie noch freie Säuren enthalten können.
Eine andere Methode der Darstellung im Grassen beruht auf dem Be-
handeln von Lederabfällen mit gewöhnlicher Salpetersäure von 40°. Man gebraucht
dazu Retorten von Steingut oder Glas; es wird hierbei ein geringer Ueberschuss von
Lederabfällen genommen, so dass nichts von der Salpetersäure in der Retorte zurück-
bleibt. Der Rückstand wird mit siedendem Wasser erschöpft; beim Erkalten krystallisirt
dann die Pikrinsäure sehr rein aus.
Die Mutterlauge liefert Bernsteinsäure und Oxalsäure; erstere rührt von
den Fetten, womit das Leder behandelt worden ist, her. Die bei diesem Processe sich
bildenden Gase und flüchtiges Körper sind: Kohlensäure, salpetrige Säure,
Blausäure, die flüchtigen Fettsäuren, Butter-. Baldriansäure u. s. w. Der
bei dieser Fabrication entstehende üble Geruch i^t sehr belästigend; abgesehen davon,
dass solche Fabriken nicht in Städten concessiomrt werden dürfen, müssen diese flüch-
tigen Körper mittels Laugen von Kalium- und Natriumcarbonat absorbirt werden;
dieselben bearbeitet man auf die Gewinnung der Fettsäuren, wohingegen alle nicht
absorbirten Gase in eine Feuerung geleitet werden müssen.
Beim Umkrvstallisiren der Pikrinsäure mittels Wasserdämpfe ist das Ver-
mögen der Säure, sich mit Wasserdämpfen zu verflüchtigen, in sanitärer Beziehung
sehr beachtungswertls, da bei andauernder Einwirkung dieser Dämpfe die Schädlichkeit
derselben sich unzweifelhaft kundgeben muss. Die betreffenden Arbeiter erhalten bald
eine mit Pikrinsäure imprägnirte Epidermis, wodurch sie an den unbedeckten Haut-
stellen lebhaft zeisiggelb erscheinen; durch Waschen mit Seife tritt eine pomeranzen-
gelbe Färbung ein, die erst allmählig schwindet.
Pikrinsäure. (515
Die Intensität der Bitterkeit der Pikrinsäure gibt sich besonders noch dadurch
kund, dass man beim Betreten einer solchen Fabrik alsbald einen bittern Geschmack
empfindet, welcher durch die feinen, in der Atmosphäre verbreiteten Partikelchen der-
selben bedingt ist. Die Arbeiter werden hierdurch insofern belästigt, als alle Speisen
und Getränke diesen bittern Beigeschmack erhalten und ihr Wohlgeschmack dadurch
verloren geht: es bildet sich schon dadurch allmählig eine Appetitlosigkeit mit ihren
weitern nachtheiligen Folgen aus.
Hauptanforderungen an solche Fabriken sind daher Condensation aller Dämpfe,
das strengste Verbot, _ in den Fabrikräumen Speisen und Getränke zu gemessen,
Wechsel der Arbeitskleider, die Darreichung von Seife zum jedesmaligen Reinigen der
Hände vor jeder Mahlzeit und eine vollständige Badeeinrichtung
Werden diese Vorsichtsmassregeln nicht beachtet, so ergibt sich meist von selbst
ein häufiger Wechsel des Arbeitspersonals in solchen Fabriken, weil die Nachtheile der-
selben sich zu deutlich kund geben; andrerseits macht sich aber auch hier wie überall
oft die bekannte Gleichgültigkeit der Arbeiter bemerkbar, indem sie die schädlichen
Einflüsse in der Regel für bedeutungslos halten. Der Fabiücant muss daher mit grösster
Strenge auf die Durchführung der vorgeschriebenen Präveutivmassregeln dringen, wenn
er das Wohl seiner Arbeiter im Auge behalten will.
Bei zufälliger Vergiftung durch Pikrinsäure steht ein kräftiges Emeticum in
erster Linie; dann lasse man fieissig mit Kaliumbicarbonat versetztes Wasser trinken,
um die noch vorhandene Pikrinsäure in eine schwer lösliche Form überzuführen.
Natriumcarbonat ist stets zu vermeiden, weil dies eine leicht lösliche Verbindung mit
der Pikrinsäure eingeht.
Dass man bisher noch wenig Versiftungsfälle durch Pikrinsäure beobachtet hat,
wenn sie als Hopfensurrogat dem Biere zugesetzt wird (s. S 527), mag darin
seinen Grund haben,, dass die grosse Bitterkeit und der starke Geschmack nur kleine
Zusätze duldet: selbst wenn bedeutende Quantitäten eines solchen Bieres genossen
werden, ist die Gesammtmasse der darin enthaltenen Pikrinsäure nicht hinreichend, um
einen ernstlichen Krankheitszustand hervorzurufen: GhevaUler und Lassalgne in Paris
constatirten aber, dass der Genuss eines solchen Bieres Unwohlsein hervorzurufen vermag.
Setzt man die Pikrinsäure zu Branntweinen uud Liqueuren, so benutzt
man ihre Verbindung mit Natron oder Kalk, weil diese Salze dem Fabricat eine viel
schönere, mehr dunkelgoldgelbe Farbe verleihen und der Branntwein einen viel reinern
bittern Geschmack annimmt Wegen ihres hohem Gehaltes an Pikrinsäure können
solche Liqueure aber auch leichter schädlich einwirken; sie werden bisweilen als Mittel
gegen Trichinose öffentlich feilgeboten; hierdurch wird bekanntlich gegen die gesetz-
lichen Bestimmungen Verstössen , da die Pikrinsäure und ihre Salze jedenfalls zu den
sehr differenten Arzneimitteln gehören, deren Verkauf nur den Apothekern zusteht.16)
In der Liqueurfabrication hat man auch eine Verbindung der Pikrinsäure mit
Aethyl- und Amylalkohol benutzt: diese losen Verbindungen haben einen eigen-
thümlich aromatisch-bittern Geschmack und Geruch, sind aber in sanitärer Beziehung
ganz zu verwerfen. Zur Darstellung derselben behandelt man eine Lösung der Pikrin-
säure in den betreffenden wasserfreien Alkoholen mit wasserfreiem, salzsaurem Gase;
die Verbindung scheidet sich dann ölartig ab und wird mit Wasser und Matri um carbonat
gewaschen.
Die technische Verwendung der Pikrinsäure ist vielseitig, namentlich zum
Färben von Seide und Wolle für sich oder in Verbindung mit Indigo oder Anilinblau
zum Grünfärben. In der Kunstwäscherei dient sie häufig zum Auffärben gelber
Stoffe und in der künstlichen Blumenfabrication in Verbindung mit Indigo zur Dar-
stellung der grünen Farbe. Hierbei ist stets die ausgenutzte Farbenflotte zu beachten,
da sie niemals in Schlinggrnben abzulassen ist: wegen ihrer grossen Verdünnung ist ihr
freier Abfluss in Canäle'gestattet. Erst nach langer Zeit zerfällt die Säure in Kohlen-
säure, Ammoniak resp. salpetrige und Salpetersäure neben Wasser. Gelangt sie in
den Boden, so geht ihre Zersetzung sehr langsam vor sich: bei etwaiger Brunnen-
verunreinigung gibt glücklicherweise ihr bitterer Geschmack ein leichtes Erkennungs-
mittel ab.
Häufiger gebraucht man die pikrin sauren Salze zum Färben der Kleidungs-
stücke, deren Feuergefährlichkeit dadurch sehr bedeutend gesteigert wird; so enthält
namentlich der citron engelbe Tarlatan häufig als Pigment das basisch pikrinsaure
Calcium oder pikrinsaures Blei; fängt derselbe Feuer, so verbrennt er wie Zunder fort
und an Löschen ist kaum zu denken. Unglücksfälle dieser Art kommen hauptsächlich
bei Theatervorstellungen vor.
Zur Darstellung VOM Sprenginitteln kann nur reine Pikrinsäure benutzt
werden, da sonst die Mischung Wasser aus der Atmosphäre anzieht uud dadurch in
ihrer Wirkung beeinträchtigt wird; meist werden aber nur die pikrinsauren Salze_ ver-
wendet, deren Darstellung wegen ihrer grossen Explosivität eine strenge sanitäts-
ß]Q Aromatische Korper.
polizeiliche Uebcrwaehung erfordert. Noch in neuerer Zeit hat eine derartige Explosion
in Paris ganze Häusercomplexe zerstört und viele Menschen getödtet; das Unglück war
wahrscheinlich nur durch eine zufällige Erschütterung einer Kiste, welche eine Mischung
von pikrinsanrem Kalium und Salpeter enthielt, entstanden.
Von den pikrinsaurem Salzen sind das pikrinsaure Kalium, Natrium und
Blei hervorzuheben. Pikrinsaures Blei und Kupfer werden in Frankreich zu Zünd-
raketen, ersteres bisweilen auch zur Darstellung der Zündhölzchen benutzt.
Die Fabrication von pikrinsaurem Natrium C. 11_. (N< >2 :;< >N wird durch
Neutralisation der Pikrinsäure mit Natriumearbonat und Abdampfen der Lauge bewerk-
stelligt In ähnlicher Weise wird das pikrinsaure Kalium C6H2(NOä)3OK und
Calcium fabricirt und als gelbes Pulver erhalten.
Das pikrinsaure Kalium ist fast unlöslich in kaltem Wasser; es wird des-
halb mit destillirtem Wasser gereinigt, nach dem Abtropfen auf Tücher ausgebreitet
und in Trockenkammern getrocknet: mit dem Grad" der-Trockenheit steigert sich seine
Explosivität.
Pikrin sau res Blei ist ein basisches Salz, stellt ein orangerot lies Pulver dar
und wird durch Präcipitation von Bleiessig mittels einer Lösung von pikrinsaurem
Natrium erhalten. Das Salz ist in Wasser unlöslich und noch explosiver als die pikrin-
sauren Alkalien: letztere kommen im Handel bisweilen unter den Namen: Pikringelb,
Anilingelb oder auch Martiusgelb vor. Da diese willkürliche Nomeuclatur schon
viel Unglück herbeigeführt hat, indem man hierdurch zu geringerer Vorsicht veranlasst
wurde, so hat in Preussen ein Erlass de.- Eandelsministers vom 28. Juli 1865
das Publicum darauf aufmerksam gemacht, dass die Pikrinsäure in der Regel aus
kleinen schwefelgelben Krystallen und die Pikrinfarbstoffe, welche Alkalien ent-
halten, aus einem feinen Pulver von etwa? dunklerer Farbe bestehen.
Das sicherste Kriterium liefert die chemische Prüfung; Pikrinsäure ist nämlich in
reinem Zustande leicht löslich in Alkohol, die pikrinsauren Alkalien sind dagegen ent-
weder gar nicht oder schwer Löslich in Alkohol. Löst man die Verbindung unter Zusatz
von überschüssiger Salz- und Schwefelsäure in siedendem Walser auf und versetzt die
Lösung mit dem ö— • Gfachen Vol. Wasser, so bleibt bei reiner Pikrinsäure die Flüssig-
keit klar: bei Gegenwart einer alkalischen Basis scheidet sich dieselbe krystaüinisch aus.
Ein Schiesspulver wird gegenwärtig aus 54 Th pikrinsaurem Ammonium und
46 Th. Salpeter dargestellt: dasselbe gibt noch einmal so viel Gas als das gewöhnliche
Pulver, es bleibt nur Kaliumcarbonat zurück; beim Verbrennen entsteht aber wenig Rauch
und Geruch, es würde sich daher für die Lust leite] werkerei . namentlich in Theatern.
sehr empfehlen. Die eigentliche Natur der hierbei auftretenden Gas,' ist jedoch noch
unbekannt.
Sehr zu beachten sind dagegen die Verbrennungsproducte eines Pulvers aus
25 Th. pikrinsaurem Ammonium, 67 Th. Bariumnitrat und 8 Th. Schwefel: dasselbe
verbrennt langsam mit heller Flamme und grünem Reflex,
Chlorpikrin. Nitroehloroform CC13N02 bildet -ich bei verschiedenen Oxydations-
und Chlorirungsprocessen , ■/.. B. bei der Einwirkung von unterchloriger Säure, von
Königswasser oder einer Mischung v ure und chlorsaurem Kalium auf
organische Substanzen. Dargestellt wird es durch Destillation von Pikrinsäure
und Chlorkalk, wobei es mit den Wasserdämpfen überdestilürt: vom Wasser getrennt.
•wird es über kohlensauren Alkalien oder alkalischen Erden rectificirt.
Chlorpikriu ist eine farblose, ölartige Flüssigkeit von einem fürchterlich
stechenden Gerüche, die bis 150° ohne Zersetzung erhitzt werden kann.
Einwirkung der Dämpfe von Chlorpikrin auf den thierischen Organismus Ein
ausgewachsenes Meerschweinchen sitzt im Zinkkasten, in dem ein mit 5 Tropfen Chlor-
pikriu angefeuchteter Leinwandstreifen hängt. Sofort traten Thränen der Augen, starkes
Reiben über die Nase, häutiger Husten und beklommenes Athmen ein. Nach S M.
Zusatz vcu 5 Tropfen Chlorpikriu: dann eonvulsivische Erschütterungen des ganzen
Körpers, nach 9 M. Hinfallen und nach 12 M Aufhören der Respiration. Nach 13 M.
Herausnahme des Thieres, bei dem noch 2 Min. lang ein unregelmässiger Herzschlag-
bemerkbar ist.
Section uach 20 Stunden. Von der trüben Hornhaut lässt sich das Epithelium
abreiben, die Conjunctiva ist stark geröthet: auf deu Durchschnitten der schwarz-bläu-
lichen Lunge viel wässriger, röthlich-weisser Schaum und Blutklümpchen; das Parenchym
schwarzbraun und mit Feuchtigkeit durchtränkt; die Schleimhaut braunroth und bis
zum Larynx mit wässrigem Schaum bedeckt Das Herz strotzt von geronnenem,
dunklem, dickflüssigem Blute. Der Tod war hier offenbar in Folge von Lungen-
ödem erfolgt.
Beim Menschen erzeugt das Riechen an Chlorpikrin ein höchst schmerz-
haftes Stechen in der Nase und Stirnhöhle, wobei sich der Schmerz wie ein Blitz
Pikraminsäure. g]7
nach dem Hinterhaupte zieht; Thränen und Brennen der Augen können sich bis
zur Entzündung derselben steigern, während Hasten und starkes Kratzen im Halse
nöthigen, sich möglichst rasch den Dämpfen zu entziehen.
Auf der äussern Haut erzeugt Chlörpikrin Wunden, die mit Brandwunden
zweiten Grades die grösste Aehalichkeit haben. Weil dieser Körper einen
niedrigen Siedepunct (112°) hat und sich sehr schlecht verdichten lässt, sich
auch nicht mit Alkalien oder Säuren verbindet, so ist seine Vernichtung durch
Feuer das einzige Mittel, um die Arbeiter vor grossem Schaden zu bewahren.
Amidocleri vat der Pikrinsäure.
Pikraniinsäure , Dinitroamidophenol C(-.H2(N02)2(NH2)OH, entsteht durch Ein-
wirkung schwacher Reduetionsmittel ( Schwefelammonium) auf Pikrinsäure; stärkere
Reduetionsmittel (Zinn und Salzsäure) erzeugen mit derselben Triamidophenol.
Pikrainill C6H2'NH2)3OH. Sie kryställisirt in Rhomboedern, schmeckt sehr bitter und
schmilzt bei 160°; unter ihren Zersetzungsproducten findet sich stets Blausäure.
Einwirkung von Pikraminsäure auf den thierischen Organismus, l) Einem
starken Kaninchen wurden 2 C.-C. der gesättigten Lösung subcutan injicirt; in den
ersten zwei Tagen machte sich nichts Auffälliges bemerkbar: am dritten Tage (60 St.
nach dem Versuche) wurde es todt gefunden.
Section nach 24 Stunden. Lungen hellroth und blutleer; das ganze Herz ist
mit geronnenem und dickflüssigem, dunkelrothem Blute angefüllt. Der Auszug der bei
100° getrockneten Leber mit Alkohol ergab beim Versetzen mit Essigsäure im Ueber-
schuss ein braunes Gerinnsel; das saure Filtrat färbte gebleichte resp. entschälte Seide
amaranthroth; die Farbe ging in einer ammoniakhaltigen Atmosphäre in ein helles
Gelbbraun über, ein Beweis, dass sich die Pikraminsäure unverändert in der Leber ab-
gelagert hatte.
2) Einer Taube wurde dieselbe Menge eingeflösst; am 2. und 3. Tage pickte sie
beständig mit dem Schnabel zwischen die Federn; dies Hautjucken verlor sich am 5. Tage,
ohne dass sich sonstige Erscheinungen einstellten.
3) Einer Taube wurden im Verlaufe von 6 Tagen in Dosen von 0,1 — 0,2 Grm. im
Ganzen 0,9 Grm. Pikraminsäure eingeflösst. 3 Stunden nach der letzten Gabe zeigten
sich Schwanken, Würgen; starkes Schüttein und Convulsionen; letztere wiederholen sich
in der heftigsten Weise, bis sie schliesslich in tetanischem Krämpfe auf dem Rücken
liegen bleibt; 8 Stunden nach der letzten Gabe erfolgt der Tod.
Section nach 20 Stunden. Hirnhäute massig blutreich: auf den Durchschnitten
der normal gefärbten Lunge Biutklümpchen: das ganze Herz strotzt von dick-
flüssigem, duukelrothem Blute. Die chemische Analyse der Leber ergab Pikrin-
säure; der Organismus vermag somit Pikraminsäure in Pikrinsäure umzuwandeln,
grade wie bei der Zersetzung der Pikraminsäure durch Hefe Oxalsäure und Pikrin-
säure entstehen; nur konnte erstere bei der Taube nicht nachgewiesen werden.
Bringt man den Thieren, namentlich den Tauben, sogleich grössere Gaben bei,
so treten meist Erbrechen und Diarrhoe ein, wodurch die Säure unverändert aus-
geschieden wird.
Zur Darstellung der Pikraminsäure im Grossen werden die bei der Pikrin-
säure-Fabrication abfallenden Mutterlaugen benutzt. Nach der Neutralisation setzt
man Schwefelammonium im Ueberschuss zu: nach der Abfiltration des Schwefels
wird das Ammoniumsalz durch Schwefelsäure zerlegt, damit sich die Pikraminsäure als
rothes Pulver abscheidet. Das Präcipitiren muss in geschlossenen Gefässen geschehen,
weil sich hierbei H2S entwickelt.
Die zurückbleibende Flüssigkeit enthält noch Pikraminsäure nebst Pikrinsäure und
darf deshalb nicht in Schlinggruben abgelassen werden.
Anwendung findet die Pik r am in säure" vorzugsweise beim Färben der Seide,
Wolle und Baumwolle, da sie mit Basen schön gefärbte Salze bildet. Bei ihrer
Application auf diese Stoffe gebraucht man neben Eisen und Kupfer auch arsenik-
saures Natrium, worauf man bei solchen Stoffen wohl zu achten hat. Neuerdings
ist sie neben Pikrinsäure ein beliebter Zusatz zum Papierzeuge geworden, um demselben
eine gelbe oder pomeranzengelbe Farbe zu geben.
"Die pikranünsauren Salze explodiren durch Schlag oder Stoss, es ist deshalb
beim Verpacken und Versenden derselben gleiche Vorsicht wie bei den pikrinsaureu
Salzen zu beachten.
613 Aromatische Körper.
2) Dihydroxylderi vate des Benzols.
Es gehören hierher 3 Isomere: Hyilrocuhion , Brenzeatodiin (Oxypliensänre,
DioxybenZOl) und Resorcin C6H4(OH)a = CsHG0;, wovon der letztere Körper höchst
wahrscheinlich für die Farbentechnik einmal von grosser Bedeutung werden wird, wenn
eine billige Darstellung desselben aus Phenol bekannt geworden sein wird. Resorcin
stellt krystallisirte Tafeln dar, welche sich an der Luft rasch rotli färben Wssetsky
hat bereits durch Einwirkung der salpetrigen Säure auf Resorcin gefärbte Azovcr-
bindungen erhalten, welche sich durch Glanz und Schönheit auszeichnen und mit den
Derivaten des Anilins wetteifern (m. vergl. S. 612 und 1523).
Aus dein Hydrochinon entsteht durch Oxydation Chinon C,; H4 <>._,, welches als
der Typus vieler Verbindungen hier zu erwähnen ist: es besitzt giftige Eigenschaften.
Unter den Nitroproducten ist Trinitrorcsorcin , Oxypikrinsäure , Stypiininsäure
CfiH3(NO.j)30:j — Cf,H3N308 hervorzuheben.17) Diese Säure heisst aucli künstliches Bitter,
künstlicher Gerbstoff des Fernambukholzes und entsteht durch Einwirkung von Salpeter-
säure auf Schleim- oder Gummiharze (Asa foetid., Galbanum, Amnioniacum) und die
wässrigen Extracte von Sandel- und Fernambukholz. Sie bildet Blättchen oder ein
weisses Pulver von schwach zusammenziehendem Geschmacke; die Lösung färbt die Haut
gelb, wirkt aber nicht giftig. Tauben vertragen 1 Grm. der Säure und 2 Grm. oxy-
pikrinsaures Kalium, wenn diese Gaben auf 2 Tage vertheilt werden; unter den
objeetiven Erscheinungen konnte nur ein Gelbwerden der Excremente beobachtet werden.
3) Trihydroxylderivate. des Benzols.
PyrOgallllSSäare C,, 11,(0 H)3 = CcHG03 wird beim Erhitzen von Gallussäure im
Oelbade bei 210-220° erhalten:
C6H2(GH)3 . CO OH = CGH3(OHi3 + C03.
Darstellung. Sie geschieht am besten durch trockne Destillation der chinesischen
Galläpfel. Man erhält aus dem wässrigen Destillate durch Eindampfen und Be-
handeln mit Blutkohle weisse glänzende, bei 115° schmelzende und bei 210° siedende
Blättchen, welche in Wasser löslich sind und sehr bitter schmecken. Durch ihre grosse
Neigung, Sauerstoff aufzunehmen, namentlich bei Gegenwart von Alkalien, gehört
sie zu den stärksten Reductionsmitteln: die sich hierbei bildenden Endproducte sind
Oxalsäure und Essigsäure. Obgleich die Pyrogallussäure nicht sauer reagirt, so bildet
sie doch mit Metallen salzhaltige Verbindungen; sie färbt Eisenoxydulsalze indigblau,
Eisenoxydsalze tiefgrün.
Einwirkung der Pyrogallussäure auf den thierisclien Organismus, l) Einem
Meerschweinchen von mittler Grösse wurden 1,5 Grm. Pyrogallussäurelösung eingeflösst.
Nach 30 M. Zittern, nach 45 M. Hinfallen mit rotirenden Bewegungen der Vorderbeine,
die nach 90 M. durch heftige Zuckungen unterbrochen werden; nach 2 St. Nachlass;
dann progressive Abnahme der Temperatur, Respiration und Herzthätigkeit; ruhiger
Tod nach 3_ St. 40. M.
Section nach 20 Stunden. Pupillen in mittlerm Durchmesser, Hirnhäute hyper-
ämiscli, Gehirn schmutzigroth gefärbt: die Lungen von schwärzlich-rother Farbe, auf
dem rechten untern Lappen nadelknopfgrosse Ekchymosen, das Parenchym vielfach
Schwarzroth und weniger lufthaltig, auf den Durchschnitten etwas flüssiges Blut und
feiner weisser Schaum. Das ganze Herz strotzt von flüssigem, schwarzrothem Blute;
die blutreiche Leber ist schwarzbraun gefärbt. Blut, Muskeln und die übrigen Organe
waren schwärzlich gefärbt, während der Cadaver, der 3 Tage lang in einer geheizten
Stube liegen blieb, noch keine Fäulnisserscheinungen darbot.
2) Eine Taube, die 0,22 Grm. wasserfreie Pyrogallussäure erhielt, erbricht, stürzt
hin, bekommt schwache Zuckungen und stirbt nach 3 Stunden unter progressiver Ab-
nahme der Respiration und Herzthätigkeit
Bei der Section, 5 Stunden hernach, zeigt sich auf beiden Hemisphären zwischen
Schädel und Dura mater ein 2 Linien breites, schwarzes, geronnenes Blutextravasat:
das kleine Gehirn umspült ein dünnflüssiges, flaches Blutextravasat. Die grauröthlichen
Lungen sind unter der Pleura mit schwarzen Längsstreifen versehen, während die
hintere Fläche ganz schwarz erscheint. Flüssiges schwarzes Blut tritt aus den Durch-
schnitten: das ganze Herz ist mit dickflüssigem, schwarzem Blute angefüllt; die blut-
reiche Leber ist schwarz gefärbt.
3) Der kleine Zinkkasten wurde mit den Dämpfen der Säure angefüllt; eine
Taube blieb in demselben 30 M. lang und wurde anfangs von starker Dyspnoe und
hierauf von Würgen und Erbrechen befallen. Herausgenommen, schwankt sie und fällt
10 M. nachher hin, richtet sich aber wieder auf; 3 Stunden später fällt sie unter
Anilin.
619
Zuckungen hin, die in starkes Zittern übergingen; unter zunehmendem Collapsus stirbt
sie nach 6 Stunden.
Bei der Section, 12 Stunden nachher, zeigt sich in der ümcebuno- der Med
oblong, ein flaches, flüssiges Blutextravasat; der übrige Befund stimmt mit° dem beim
2. Versuche überein.
Personne18) hat zuerst auf die giftige Eigenschaft der Pyrogallussäure auf-
merksam gemacht und gefunden, dass Hunde nach einer Gabe von 2—4 Gramm
unter Erbrechen, Hinfälligkeit, Zittern, Sinken der Temperatur und Dyspnoe, also
unter ähnlichen Erscheinungen wie den oben beschriebeneu, sterben. Er ist der An-
sicht, dass die Säure gleich dem Phosphor durch Sauerstoffentziehung wirke und
dadurch Asphyxie erzeuge; unzweifelhaft geht der Tod von der Lunge und dem
Herzen ans. Da die Säure bei Gegenwart von freien oder kohlensauren Alkalien
den Sauerstoff mit der grössten Begierde anzieht, so ist es ebenso wenig zu be-
zweifeln, dass sie diese Eigenschaft auch bei der Einwirkung auf den thierischen
Organismus geltend macht, namentlich wenn sie als Dampf eingeathmet wird;
dass aber auch die Nerven centren mit iu den Wirkungsbereich der Säure
hineingezogen werden, dafür sprechen sowohl die heftigen Convulsionen als auch
der Sectionsbefund.19)
Anwendung findet die Pyrogallussäure am meisten in der Photographie als
Reductionsmittel, in der Kosmetik als Haarfärbemittel; ihrer Verwendung in der
Färberei ist der hohe Preis noch hinderlich. In der Analyse wird sie zur quan-
titativen Bestimmung von Sauerstoff benutzt.
Amidoderivat des Benzols.
Amidobenzol , Anilin CÜH5. NH2= Cf.H7N wird in der Technik gewöhnlich
Anilöl genannt und stellt ein Gemenge von Anilin mit mehreren Toluidinen dar. Keines
Anilin ist eine gelblich gefärbte Flüssigkeit von schwach aromatischem Gerüche, die bei
einem spec Gew. von 1,02 bei 1S5° siedet: sie ist in Alkohol leicht löslich und verharzt
an der Luft durch Sauerstoffaufnahme. Anilin entsteht durch Reduction des Nitrobenzols:
C6H5N02 + 3H3 = C6H5 . NH2 -f- 2H20.
Fritzsrhe wählte den Namen .Anilin"*, weil er es zuerst aus Indigo (Indigofera
Anil) dargestellt hat. Es bildet als schwache Base mit Säuren Salze, von denen das
schwefelsaure (2C6H7N . H2S041, das salz saure (C6H7N . HCl), das salpeter saure
(C6H7N.HNCy und das Oxalsäure Anilin (2CfiH7N . C2H204) in der Technik am
häufigsten vorkommen.
Mit Zink-, Zinn- und Quecksilbersalzen geht es eigenthümliche Verbindungen ein,
z.B. ZnCl . 2C6H7N.: man nennt sie Metallanilide und betrachtet sie als Additionssalze
des Anilins Eine Lösung von unterchlorigsauren Alkalien (Chlorkalk) färbt auch
die geringste Spur von Anilin violett: Chromsäure oder eine Mischung von Kalium-
chromat und Schwefelsaure erzeugen ähnliche Färbungen, indem in Folge eines Oxyda-
tionsprocesses Anilinfarbstoffe entstehen, deren Natur mit der Zusammensetzung
des angewendeten Anilins wechselt
Einwirkung von Anilin auf den thierischen Organismus. 1) Eine Taube wird
im Zinkkasten fast anhaltend 15 Minuten lang den dichten Dämpfen von Anilin
ausgesetzt, welche aus einem erwärmten Kölbchen, das käufliches Anilin enthält, in den
Kasten geblasen werden. Blinzeln mit den Augen, Unruhe, Schütteln, angestrengtes
Athmen treten bald ein: nach 9 M. sinkt sie zusammen und bleibt in einer nach
vornüber geneigten Stellung sitzen. 6 M. hernach auf den Boden gesetzt, stürzt sie
beim Versuche zu gehen kopfüber: der Taumel lässt bald nach, die Herzaction ist sehr
vermehrt und Erbrechen zeigt sich; nach 2 Stunden läuft sie wieder einher. Am fol-
genden Morgen liegt sie auf der Seite unter Zuckungen und iibrillärem Zittern aller
Muskeln des" Stammes, die allmählig nachlassen, bis IS Stunden nach dem Versuche der
Tod erfolgt.
Section S Stunden hernach. Pia mater nur stellenweise blutreich: Lungen von
normaler Farbe, enthalten etwas dickflüssiges, dunkles Blut: das ganze Herz strotzt
von dunklem, flüssigem Blute: übrigens nichts Besonderes. In Lunge und Leber konnte
deutlich Anilin nachgewiesen werden.
2) Ein ausgewachsenes Meerschweinchen wurde in derselben Weise den Ayiilin-
dämpfen ausgesetzt. Starkes Reiben über die Nase, Husten, Thränen der Augen, Zittern
i ;•_)() Aromatische Körper.
des ganzen Körpers, convulBivische Zuckungen machen das Thier nach 30 M. unfähig,
afrecht zu erhalten: die Respiration wird beschwerlich und unregelinässig. Bei
der Eerausnahme nach 42 M. ist der ganze Körper erschlafft, die Pupille erweitert, die
Zuckungen wechseln mit Zittern der B in ab, bis sich schliesslich der ganze Körper in
vibrirender Bev findet; es wird unter allmähliger Abnahme der Respiration
s. Stunden nach dem Versuche todt
B<-i der Section, 10 Stunden hernach, ist die Pia mater sehr blutreich, nur der
rechte untere Lungenlappen ist braunroth und zeigt auf den Durchschnitten etwas
blutigen Schaum mit geronnenen Blutpartikelehen; das ganze BLerz ist rollständig mit
schwarzem, geronnenem Blute ausgefüllt. Lunge und Leber ergaben einen deutlichen
Anilingehalt: /.um Nachweise desselben wurden di.- < 'rgane erkleinert and ni'.t durch
Salzsäure !. dann das Filtrat mit Aetzkali übersättigt
und der Destillation unterworfen; das Destillat gab mit Chlorkalk und mit Chromsäure
sofort eine starke Reaction auf Anilin.
3 Einem grossen Kaninchen wurden .'''.»Tropfen reinen Anilins eingeflösst;
nach lö Min sind beschleunigtes Athmen und ein starkes Muskelzittern bemerkbar;
nach - Stunden Lähmung der Hinterbeine und momentan die heftigsten Convulsionen.
Unter röchelndem Athmen und 'Wiederholung der Convulsionen Tod nach 5 Stunden.
Section 36 Stunden hernach. Der untere und mittlere Lungenlappen ist
schwarzbraun und zeigt auf den Durchschnitten weissen Schaum, der linke obere Lappen
i.-t emphysematös ; das Herz ist mit geronnenem, schwarzem Blute und Faserstoff-
gerinnsel angefüllt; die Harnblase enthält viel Urin, welcher deutlich auf Anilin
reagirte.
4) Einem mittelgrossen Kaninchen wurden 12Tropfen käuflichen Anilins subcutan
injicirt; nur beschleunigtes Athmen und Nachschleppen der Hinterbeine traten ein. Am
ue Injection von 24 , Symptome; 7 Stunden
nachher sprang es von einer 2 Fu« hohen Anhöhe auf den Buden. Am folgenden Tage
wurde es Ni _ unter zunehmender Abnahme der Respiration immer hinfälliger
und starb 36 Stunden nach der zweiten Injection.
Die Section liefert ein sehr ähnliches Resultat, namentlich in Bezug auf den
Befund im Herzen.
5 Einem grossen Bastard-Hunde wurden 8 Grm. Anilin eingeflösst; schon nach
20 M. fällt er hin, nach 45 M. sind die Hinterbeine -wie gelähmt: Stöhnen, Zittern,
roth ende B . sehr mühsames Athmen unter bellendem Stöhnen, Abnahme der
Temperatur sind die vorherrschenden Erscheinungen. Nach 4 Stunden Opisthotonus,
dann allgemeine Convulsionen, starke Zuckungen der Augenlieder und Gesichtsmuskeln
mit convulsivischem Zusammenschlagen der Kiefer. Speicheln, Sinken der Temperatur
bis auf o0° C.. erloschene Reaction. Nach 10 Stunden Aufhören der krampfhaften
apingen, unter sehr unregelmässigem Athmen und starkem Speicheln. Tod nach
I l Stunden.
Bei der Section. 20 Stunden hernach, i.-t der Blutreichthum der Pia mater
beachtenswert]!; auch die Plex. ven. spin. strotzen von Blut: auf den Durchschnitten
der schmul n Lunge viel Schaum und dunkles, flüssiges Blut; das Herz und
die. grössern Venen mit schwarzem, dickflüssigem und geronnenem Blute angefüllt. Im
Urin konnte deutlich Anilin nachgewiesen weiden
Was zunächst die Wirkung der Anilindänipfe betrifft, so ergeben die
Versuche, dass sie mir in sehr eoncentrirtem Zustande eine Lebensgefahr be-
dingen. Aehnliche Erfahrungen hat man auch in Anilinfabriken bei den Arbeitern
gemacht, wenn sie plötzlich den Anilindämpfen, die sich beim Oeffnen der
Destillirblasen entwickeln, ausgesetzt waren. Allgemeine Schwache, grosse Be-
täubung, heftiger Kopfschmerz, beklommenes, erschwertes Athmen, kaum fühl-
barer Puls, sehr schwacher Herzschlag, Kälte der Glieder und eine cyanotische
Färbung der Haut*), selbst Zittern und Zuckungen iu den Extremitäten
sind die aus der Erfahrung gewonnenen Symptome, die unter Umständen einen
sehr beunruhigenden Charakter annehmen können, -wenn nicht sofort die erfor-
derliche Hülfe zur Hand ist.
Ein glaubwürdiger Fall von der letalen Wirkung der Anilindämpfe bei
*) In den höhern Graden erscheinen die Venen der Hand und der Ohrläppchen
wie mit Farbstoffen injicirt.
Anilin. 6*21
Arbeitern ist bis jetzt noch nicht vorgekommen ; zudem hat man in Anilinfabriken
auch das Auftreten der Dämpfe von Nitrohenzol zu berücksichtigen, so dass es
oft schwierig ist, die eigentliche Ursache der Erkrankungen zu erforschen.20)
Die gelbe Färbung des Tannenholzes in Anilinfabriken ist ein deutlicher
Beweis, dass sich hier stets Anilindämpfe entwickeln; man muss aber zugeben,
dass diese Färbung auch bei der geringsten Spur derselben stattfindet, so dass
sich aus jdieser Thatsache allein niemals von vornherein auf Unzuträglichkeiten
bei der Fabrication schliessen lässt. Immerhin muss die Natur der Dämpfe zu
dem Bestreben, sie möglichst sorgfältig zu condensiren, auffordern, was der
Fabricant übrigens auch aus pecuuiärem Interesse nicht unterlassen wird. Auch
in Anilinfabrikeu wiederholt sich die Erscheinung, dass manche Arbeiter ganz
besonders empfindlich gegen Äniliudämpfe sind und genöthigt werden, solche
Fabriken zu verlassen.
"Vergiftungen durch Ingestion von Anilin können natürlich nur durch
Zufälligkeiten oder Versehen entstehen. Die Symptomatologie unterscheidet sich in
den -wesentlichen Puncten nicht von der Vergiftung durch die Dämpfe, nur
tritt dabei die Affection der N er vencentren rascher auf. Wie aus den Ver-
suchen an Thieren hervorgeht, können sich das Zittern und die Zuckungen zu den
heftigsten klonischen und tonischen Krämpfen steigern. Die paretischen Erschei-
nungen treten anfangs mit Hyperaesthcsie auf, gehen aber bei letalem Ausgange in
vollständige Lähmuug über. Die Störungen der Motilität und Sensibilität können bei
Fabrikarbeitern nur "dann einen chronischen Charakter annehmen und zwar monatelang
dauern, wenn sie längere Zeit in einem erhöhten Grade den Anilindämpfen ausgesetzt
gewesen sind. Dies sind aber höchst seltne Fälle, die nur beim Beginne dieser Fabri-
cation vorgekommen sind, als man mit der Schädlichkeit der Dämpfe noch weniger ver-
traut war: gegenwärtig können nur Fahrlässigkeit der Fabricanten oder Unvor-
sichtigkeit der Arbeiter solche Folgen verschulden. Meist bleibt es in den
schlimmsten Fällen bei dem Zittern der Hände und den Zuckungen einzelner Muskel-
bündel, ganz analog den Erscheinungen bei den Thierversuchen. 2I)
Der letale Ausgang ist stets durch eine progressive Abnahme der Respiration
und Herzthätigkeit gekennzeichnet: auch der wichtigste Befund bei den Sectionen
besteht in einer auffallenden Anfüllung des Herzens mit geronnenem Blute, womit sich
Stauungen in der Lunge, Emphysem oder ein höherer und geringerer Grad von Blut-
reichthum in den Hirnhäuten verbinden. In Uebereinstimmung hiermit findet sich in den
Vergiftungsfällen bei Menschen und Thieren stets ein kaum fühlbarer Puls und eine sehr
schwache Iderzbewegung, Erscheinungen, die sich im Hinblick auf den gesammten Sympto-
mencomplex auf die Affection der nervösen Centralorgane zurückführen lassen. a )
Was die Wirkung der Anilinsalze betrifft, so erzeugte die subcutane injection
von 1,5.5 Grm. schwefelsaurem Anilin bei einem jungen Hunde Würgen und mehr-
maliges Erbrechen bei stark contrahirter Pupille, nach 4 Stunden starkes Zittern und
nach 5 St. Zuckungen in den Extremitäten: dann trat Restitution ein. Am folgenden
Tage wurden ihm 2,5 Grm. desselben Präparats eingeflösst, welches nur starkes Speicheln
erzengte. Am 3. Tage hatten 1,25 Grm. nur Erbrechen zur Folge.
Bei Fröschen brinet eine subcutane Injection von 0,05—0,01 Grm. Schwäche in
den Hinterbeinen, erweiterte Pupille, fihrilläre Zuckungen und unregelmäßige Respi-
ration hervor. Grössere Gaben bewirken Lähmung der Hinterbeine, Stillstand der
Respiratiou und des Herzens in diastole.
Nach subcutaner Injection von 0,4 Grm. essigsaurem Anilin folgten bei einem
Kaninchen Zittern des ganzen Körpers und Parese der hintern Extremitäten. JSach
4 Stunden konnte Anilin im Harn nachgewiesen werden. Am folgenden Tage noch
Diarrhoe und Hinfälligkeit bemerkbar; dann Restitution.
Eine subcutane Injection von 0,4 Grm. salzsaurem Allilili bewirkte nach 1 Stunde
allgemeines Zittern, nach 2 Stunden Zuckungen in den hintern Extremitäten, dann
allgemeine Parese; das Kaninchen vermochte nicht mehr aufzustehen. Am andern läge,
36 Stunden nachher, Anilin im Urin bei scheinbarer Restitution: dann, 80 Stunden nacli
dem Versuche, starb es unter progressiver Abnahme der Respiration.
Bei der Sectio n fand sich die rechte Lunge auf den UmfaDg einer starken
Wallnuss collabirt und blutleer, die rechte Herzhälfte mit flüssigem, die linke
mit geronnenem Blute angefüllt. In der Brust hatten sich 4 Grm. flussigen, braun-
rothen Blutes angesammelt: Corticalsubstanz der Nieren sehr blutreich, die Harnblase
mit hellem Urin angefüllt, in dem Anilin nicht mehr nachgewiesen werden konnte.
022 Aromatische Korper.
Bei einem starken Bunde erzengte die Ingestion von 4 Grm-. salzsanrem Anilin nur
Schleimerbrechen; 4 Grm von saurem salzsanrem Anilin hatten mehrmaliges Erbrechen
zur Folge, wodurch wahrscheinlich der grössere Theil des Salzes mit entleert wurde.
Das schwefelsaure Anilin ist im Ganzen am wenigsten giftig und zwar
deshalb, weil es eine feste Verbindung ist, die weit schwieriger als essigsaures
und salzsaures Anilin zerfällt. Das leichtere Zerfallen dieser Salze begünstigt
daher auch ein vollständigeres Uebergeben des Anilins in's Blut, das bekanntlich
bei der subcutanen Injection viel leichter als bei der Ingestiou erfolgt. Die
äussere Application von salzsanrem Anilin vermag erfabrungsgemäss schon
eine vollständige Auilinvergiftung zu erzeugen.23)
Bei der Darstellung von Anilin im Grossen gebraucht man zur Reduction
Essigsäure, hauptsächlich aber Salzsäure und Eisen. .Man bringt das Gemisch
in eine kupferne, mit einem Rührwerk versebene Blase und verscbliesst dieselbe mit
einem Deckel, durch den man eine bis auf den Boden reichende Trichterröhre
führt. Zur Erwärmung benutzt man Dampf in einem Schlangeurohr.
Während das Nitrobenzol durch den Trichter in die Blase fliesst, setzt man das
Rührwerk in Bewegung; eine wässrige Flüssigkeit mit Oeltropfen destillirt zuerst über.
Da diese noch Anilinsalze der angewendeten Säure und unzersetztes Nitrobenzol enthalt, so
wird sie wieder zurückgegossen : dann wird der bei 175 - 190° übergehende Theil besondei's
aufgenommen.
An der Reduction des Nitrobenzols betheiligen sich der Wasserstoff und das
Eisenoxydulsalz, es bleiben daher in der Blase Eisenoxydhydrat neben wenig
salzsaurem und freiem Anilin zurück, vermischt mit einer harzigen Masse.
Bei Anwendung gespannter Wasserdämpfe erhält man eine grössere Aus-
beute und ein reineres Product; die Zusammensetzung des Rohanilins richtet sich
übrigens nach der Natur des benutzten Benzols resp. Nitrobenzols: stets stellt das
Anilöl ein Gemenge von Anilin und Toluidin u s.w. dar.
Das Conde nsationswasser, das bei Anwendung von gespannten Wasser-
dämpfen abfallt, ist stets anilinh altig ; Kochsalz und Glaubersalz scheiden zwar
aus demselben das Anilin aus, aber nicht so vollständig wie eine Chlorkalklösung,
durch welche ein dem Manvanilin ähnliches Anilinharz gewonnen wird. Erst nach
einer solchen Behandlung darf das Abfallwasser abgelassen werden.
Der Rückstand in der Destillirblase besteht bei Anwendung von Eisen und
Essigsäure aus Eisenacetat, Eisenoxydhydrat, Eisenoxyduloxyd und metal-
lischem Eisen; man kann denselben zur Darstellung von Eisenbeizen und Eisen -
salzen benutzen oder durch Glühen in geschlossenen Gefässen regeneriren. Niemals
darf er im Freien lagern, da er, wenn er durch Wind aufgewirbelt wird, die Adjacenten
auf mannigfache Weise belästigen oder die Vegetation beschädigen kann.
In sanitärer Beziehung ist stets das Hauptaugenmerk auf die (Konden-
sation der Anilindämpfe zu richten; selbst beim Füllen oder Umfüllen der Flaschen
müssen sich die Arbeiter vor dem verdampfenden Anilin schützen; auch eine an-
scheinend geringfügige Einwirkung macht sich schliesslich um so mehr geltend, je häufiger
sie eintritt.
Aniline, bei denen ein oder beide Amido Wasserstoffe durch Kohlen-
wasserstoffreste vertreten sind.
Methylanilin C6H6.NH(CH3) und Dimethylanilin C?HS . N(CH3)2 wurden bisher
durch Digestion von Anilin mit Jodmethyl gewonnen. Wegen des hohen Preises der
Jodverbindungen lässt man gegenwärtig Holzgeist (oder Alkohol) unter Mitwirkung
hoher Temperaturen auf salzsaures Anilin einwirken, um salzsaures Methylanilin
darzustellen :
C6H5NH2 . HCl + CH3OH = C6H5NH (CH3) . H Cl + ILO.
Die entsprechenden Aethylaniline werden in der Farbentechnik nicht benutzt.
Sämmtliche Verbindungen sind dem Anilin ähnliche Flüssigkeiten und bilden mit Säuren
krystallisirbare Salze: auch ihre Einwirkung auf den thierischen Organismus
ist dem Anilin analog. So bekam eine Taube nach einer Gabe von 0,67 Grm. Aethyl-
anilin schon nach 5 M. Erbrechen, verfiel aber nach 5 Stunden in die heftigsten Con-
vulsionen, die sich mehrmals wiederholten: ein schwankender Gang blieb, der Schwindel
und die Unfähigkeit zu stehen nahmen gleichzeitig mit einem immer schwächer
werdenden Herzschlage zu, bis der Tod am 4. Tage eintrat. Bei der Section fiel be-
Toluol. 623
sonders die Anfüllung des ganzen Herzens mit stark coagulirtem, schwarzem Blute
auf. Die Oberfläche der Med. oblong, war mit einem ganz flachen, flüssigen Blut-
extravasate bedeckt.
Substitution des Amido Wasserstoffs durch den Benzolrest.
Diphenylamin C6H5(C6H5)NH wird durch Erhitzen von salzsaurem Anilin mit
dem doppelten seines Gewichts Anilin in einem Papinischen Topfe erhalten. Das
Handelsproduet enthält noch Ditoluylaniin und Phenoltoluylamin: sowohl
Diphenylamin als auch seine Salze werden durch Salpetersäure blau." durch Salzsäure
tiefblau gefärbt. Durch Einwirkung von Holzgeist auf salzsaures Diphenvlamin
bei 250-300° entsteht Metliyliliphenylainin C,;H5(CH3i(C6H5)N, das mit Salpetersäure
einen purpurrothen Farbstoff liefert. Durch Oxydation oder Reduction gewinnt
man aus ihm blaue, -violette und braune Farbstoffe.
Substitution von 2 H im Benzol durch die Amidogruppe.
Diamidobenzol oder Phenylenilianiin CgH^NHAj = C6HSN2 wird erhalten, wenn
Binitrobenzol oder Nitranilin mit Eisen und Essigsäure behandelt wird; ein basischer,
krystallisirbarer, bei 140° schmelzender und bei 267° siedender Körper, welcher mit
Mineralsäuren Plienyleiulianiinsalze bildet. Bei der Darstellung von Phenylbraun
kommt Phenylendiamin zur Verwendung (s. S (312): es liefert mit Salpetersäure
einen Nitrokörper C6H7(N02)N....
Verbindungen von zwei Benzolresten durch zwei Stickstoffatome.
Die AzoverMndnngen stellen eine Reihe intermediärer Verbindungen dar, die
zwischen Nitrobenzol und Amidobenzol liegen; sie werden entweder durch theil weise
Reduction des Nitrobenzols oder durch Oxydation des Amidobenzols dargestellt. Nur
wenige dieser Körper haben bisher in der Farbenindustrie Verwendung gefunden.
Azoxybenzol Cl:>H!0N.,0 entsteht durch Kochen von Nitrobenzol mit alkoholischem
Kali, Azobenzol C12H10N bei der Destillation dieser Körper.
Verbindung des Benzolrestes mit zwei durch doppelte Bindung unter
sich vereinigten Stickstoffatomen.
Unter den Diazoverbindungen ist besonders das salpetersaure Diazobenzol
C6H5— N— N— N03 bekannt, das durch Einwirkung von salpetriger Säure auf salpeter-
saures Anilin entsteht. Alle Diazoverbindungen zerfallen beim Erwärmen ihrer wässrigen
Lösung in gasförmig entweichenden Stickstoff und Phenol und wirken giftig.24)
Da sich Toluidin zu salpetriger Säure ähnlich wie Anilin verhält, so benuzt man
in der Industrie schweres Anilöl mit einem reichen Gehalte an Toluidin. um die
Safraninsalze, schöne rothe Farbstoffe, Zugewinnen. Anilin und Toluidin werden zu
diesem Zwecke durch salpetrige Säure in Amidoazobenz ol und Amidoazotoluo 1
übergeführt: auf diese Azoverbindungen lässt man Kaliumbichromat (früher auch
Arsensäure) einwirken. Die Base, Safranin C21H20N.i liefert schwefelsaure, salzsaure,
salpetersaure und pikrinsaure Salze. 25)
Toluol.
Methylbenzol, Toluol C6ßV CH3 = C7HS ist ein steter Begleiter von Benzol;
es wurde zuerst bei der Destillation des Toluharzes dargestellt, wovon sein
Name herrührt, Toluol ist eine farblose Flüssigkeit, die bei 111° siedet.
Seine Wirkung auf den thieriseken Organismus ist ähnlich der von Benzol: bei
15 Grm. Toluol, die auf erwärmtem Sande im grossen Kasten verdampften, entstanden
bei einem mittelgrossen Hunde grosse Unruhe, Augeuthränen , heftiges Schreien, con-
vulsivische Zuckungen und Zittern des ganzen Körpers. Nach 10 M. in's Freie gebracht,
fällt das Thier auf die Seite und bleibt ganz erschlafft bei contrahirter Pupille liegen.
Nach 3 M. versucht es zu gehen, fällt aber auf die Seite: der Schwindel und die Be-
täubung lassen nach 12 M. nach; die Restitution ist bald vollständig.
Dargestellt wird Toluol bei der Rectification des Steinkohlentheers. indem
man die zwischen 100 — 120° übergebenden Antheile auffängt, mit concentrirter
Schwefelsäure behandelt und nochmals rectiflcirt.
{\24 Aromatische Korper.
Cli lorder i v a te des Toluol >.
Benzylchlorid, Chlorbenzy] CfiH5CH2Cl = C7HrC] wird fabrikmässig dargestellt,
man Chlor in siedendes Toluol leitet. Man bedient sich dazu eines mit einem
Rückflusskühler und einer Destillircondensationsröhre versehenen Apparates. An der
Oeffnung des erstem isl ein Rohr anzubringen, welches in eine Flasche mii kalt
gehaltenem Wasser taucht, um hier die übergehenden Dämpfe zu condensiren. Fast
reines Chlorbenzy] ist das Destillat zwischen IT: 176°, das eine (arblose Flüssigkeit
ii. die mii alkoholischem Ammoniak AmidoderWate des Toluols, nämlich
Benzylamin * ,,T1 ^ 'fT.Nll.. neben Dibenzylamin (C6HSCH2)2NB und Tribenzylamin
(C6H5CH2)3N liefert. Lässt man Chlorbenzy! bei 160° unter Druck auf Methylrosani
I i n ( Anilinvioletl einwirken, so bildet sieh ein benzilirtes Violett.
Die Benzylmethylanilin -Violette sp enwärtig eii Rolle, da sie die
für Färl tuch bei G gewissen Menge Säure
aui der animalischen Faser bef< >tigl werden zu können, dir Glanz der Farbe
dabei verloren geht.
Nitroderivate des Toluols.
Man unii" be, bei denen die Nitrogruppe N02 in den
getreten ist. Das flüssige, nach Bittermandelöl riechende und bei '-'2:;"
de Nitrotolaol C6H4N02CH3 = = C7H7N02 ist gewöhnlich mit dem Nitrobenzol
vermischt. Die beiden andern Nitrotoluole haben einen verschiedenen Siedepunct.
Eydroxylderivate des Toluols.
Hill
Zu den Monohydroxylderivaten gehören die Kressole 0,jH4 ,;,n. welche
das <>H im Benzolkern enthalten and sieh wie Phenole verhalten, auch mit diesen aus
i\i~n schweren Theerölen erhalten werden. Victoriagelb "der Anilinorange ist ein rothe.s
Dinitrokressolsalz, das als gell technisch verwerthel wird.
Hierher gehört auch der Benzylalkohol, der das OH in der Seitenkette CH3 hat
= C6H5 CH. (0H|. Durch Oxydation wird er in Benzylaldehyd und Benzoesäure
eführt. Letztere wird übri misch aus dem Kuhharn dargestellt und findet
in <\vv Theerfarbenindustrie, bei Anfertigung von Tabakssaucen und zur Befestigung
ner Beizen Verwendung. Ein Dihydroxylderivat des Toluols ist das
Orcin C6H3(OH)(OH)CH3 -ehe' S 368 . sowie der Salicylalkohol C7H80,,, der
durch oxydirende Agent Salicylaldehyd und Sal icyl säure CrH603 übergeführt
wird. Letztere wird jetzt fabrikmässig nach Ko/fie durch Einwirkung von Kohlan-
säure auf Xatnuinjilionvlat dargestellt; sie ba1 sich rasch einen Ruf als desinficirendes
Mittel erworben und ist wegen ihrer Geruch- und Geschmacklosigkeit in manchen Fällen
der Carbolsäure vorzuziehen, wenngleich letztere als fäulnisswidnge Substanz stets noch
ihr«- Stellung behaupten wird.1)
Amidod erivate des Toluols.
\ ertritt die Amidogruppe das H im Benzolkern, so entstehen die Tolilidine. ■während
sie heim Benzylamin in der Seitenkette liegt. Mau stellt Toluidin C6H4 (NH2) CH3 =
C7H9N2 im Grossen gewöhnlich durch Reduction des Nitrotoluols mittels fein ver-
1 Eisens und der Essigsäure oder Salzsäure dar. Das krystallirte Product wird
durch Aufnehmen in Petroleumessenz gereinigt, da sieh das Toluidin in derselben voll-
lig Inst, wählend harzartige Körper und flüssige Basen ungelöst bleiben.
Es ist auf die Feuergefährlichkeit und die schädliche Einwirkung der Dämpfe von
der Petroleumessenz hierbei zu achten: das Auflösen muss deshalb stets in geschlos-
senen G( fassen geschehen.
Je nach der Beschaffenheit des benutzten Nitrotoluols erhält man auch verschie-
dene Modificattonen des Toluidins. So liefert das bei gewöhnlicher Temperatur feste
Nitrotoluol auch -. aus wasserhaltigem Weingeist in ziemlich grossen Blättchen
herauskrystallisirendes Toluidin, welches bei 40° schmilzt und bei 198° siedet.
Psendotolnidine nennt man die aus den beiden flüssigen Nitrotoluolen er-
haltenen flüssigen Toluidine; man gebraucht zu ihrer Darstellung in der Regel eben-
falls Reductionsmittel.
Das Pseudotoluidin ist eine farblose, bei 198° siedende Flüssigkeit, dessen
Salze leichter krystallisiren als die entsprechenden Anilinsalze. Mit Schwefelsäure und
Kaliumchromat wird es blau, mit Chlorkalk und Salzsäure violett gefärbt, liefert aber
erst mit dem doppelten Gewicht Anilin vermischt das Anilinroth.
Anüinfarbenindustrie. 625
Einwirkung des Tolnidins auf den thierischen Organismus. 1) Einem Kaninchen
■wurde 1 CC flüssiges Toluidin subcutan injicirt. Nach einer Stunde Bauchlage mit zu
Boden gesenktem Kopfe, die es nur beim Vorwärtsschieben verlässt; dieser Zustand
von Betäubung hält 10 Stunden lang an, dann bleibt das Thier gesund.
2) Einem Kaninchen wurden 0,5 Grm. krystallisirten Toluidins eingeflösst; anfangs
schien die Fresslust vermindert zu sein; andere Erscheinungen traten nicht ein.
3) Eine grosse Taube sitzt im Glaskasten; 40 Tropfen von flüssigem. Toluidin werden
erhitzt und eingeblasen; nach 5 M. Verdampfung von 20 Tropfen. Nach 10 M. geringes
Schwanken und erschwerte Respiration ; nachdem noch die Dämpfe von 30 Tropfen ein-
geleitet worden, erfolgt mehrmaliges Erbrechen; es bleibt bei der schwankenden Be-
wegung und unregelmässigen Respiration. Nach 30 M. herausgenommen, stürzt sie beim
Gehen, richtet sich aber wieder auf und bekommt starkes Würgen und Erbrechen; dann
verhält sie sich ruhig, verschmäht aber das Futter nicht, was am folgenden Tage der
Fall ist. Am 3. Tage anscheinende Erholung, am 4. Tage spät Abends Tod unter klo-
nischen und tonischen Krämpfen.
Section nach 24 Stunden. Hirnhäute wenig blutreich; Langen hellroth, auf
den Durchschnitten wenig flüssiges Blut. Das ganze Herz ist mit schwarzem, zu ein-
zelnen Strängen coagulirtem Blute vollständig angefüllt; lange coagulirte Stränge lassen
sich aus den einzelnen Venen herausziehen. Der Kropf ist mit Wicken angefüllt.
Die Erscheinungen sprechen für die Aehnlichkeit der Wirkung von Tolui-
din mit der von Anilin; die Dämpfe des erstem vermögen aber schon in einem
weniger concentrirten Zustande einen letalen Ausgang herbeizuführen. So ent-
spricht auch das Aethyltoluidin *) in seiner Wirkung auf den Thierorganismus
dem Aethylanilin, entfaltet dieselbe aber ebenfalls rascher (s. S. 622).
0,646 Grm. von durch Erhitzen von Toluidin und Jodäthyl dargestelltem Aethyl-
toluidin C9H]3N werden einer Taube eingeflösst. Nach 2 M. treten häufiges Erbrechen,
nach 7 M. Schwanken mit Neigung zum Rückwärtsfallen, aber erst nach 1% Stunden
ein betäubter Zustand ein. Am folgenden Tage noch schwankendes Gehen bei anfangs
beschleunigtem, dann verlangsamtem Athmen; Nachmittags Convulsionen und 15 M.
nach Eintritt derselben Tod unter Tetanus.
Section nach 24 Stunden. Ein durchsichtiges, dünnes Blutextravasat umgibt
die Medull. oblong, und einen Theil des Kleinhirns. Auf den Durchschnitten der hell-
rothen Lungen etwas flüssiges Blut, das ganze Herz ist aber mit dickflüssigem und
geronnenem Blute angefüllt.
Die Anilinfarbenindustrie.
Die Amidoderivate des Toluols haben für einen der grossartigsten Industrie-
zweige der Gegenwart, für die Anilinfarbenfabrication, die grösste Bedeu-
tung; das Rohmaterial besteht, wie aus dem Vorhergehenden ersichtlich ist, aus
Benzol und Anilinöl. In England waren es Perkin (1856), A. W. Hofmann
(1858 und 1863), Medloch (1860), Nicholson (1862) und Lightfoot (1863),
in Frankreich Verguin (1859), Bechamp (1860), Girard und de Laire
(1860), deren Namen sich eng an diese Industrie knüpfen, während in Deutsch-
land der verdienstvolle Runge eigentlich 'die Grundlage für alle weiteren Ent-
deckungen geschaffen hat.2)
Die bedeutendsten Anilin- und Anilinfarbenfabriken finden sich in Offen-
bach, Bieberich, Höchst bei Frankfurt a. M., Mannheim, Barmen, Elberfeid und
Crefeld. Der Werth der Gesammtfabrication belief sich im Jahre 1872 bereits auf
10 Millionen Thaler.
Durch die theuren Jodpreise wurde Jodviolett durch Methylanilinviolett
verdrängt. Weitere Fortschritte in der Industrie werden es hoffentlich möglich
machen, dass die Arsensäure, welche bisher in der Anilinfarbenfabrication eine
so grosse Verwendung gefunden und bloss in Deutschland jährlich Rückstände
*) Aethyltoluidin liefert ebensowenig wie Aethylanilin Farben.
Eulenberg, Gewerbe-Hygiene. 40
626 Aromatische Körper.
von 30,000 Cent, arseniger Säure geliefert hat, in ihrer Anwendung immer mehr
beschränkt wird. Da die Darstellung von Anilinroth auf einem Oxydations-
processe beruht, so bot unter den verschiedenen oxydirenden Mitteln die Arsen-
säure bisher in technischer Beziehung viele Vortheile dar.
Die Anilinfarben stellen eine Reihe zusammengesetzter Amidoderivate des
Toluols dar, welche den Benzolrest noch enthalten und durch Aufnahme von
Sauerstoff die Base des rothen Farbstoffs, das Anilinroth, Rosanilin,
Fuchsin, liefern. Aus einem Gemisch von Anilin und Toluidin stellt man
diese Base am besten dar:
C6H5(NH2) + 2C6H4(NH2)CH3 + 30 = C2oHwN3 + 3H20
Co0H19N3 ist = C6H4 ( xh-cJhJ[chJ) )^H (Anüinroth)
Erst die Salze des Rosanilins liefern die prächtigen rothen Farbstoffe. Die
erhaltenen Producte werden durch Behandlung mit Oxydations- oder Reductions-
mitteln wiederum iu andere Farben übergeführt. Unter den vielen, kaum sämmt-
lich namhaft zu machenden Anilinfarben nehmen das Anilinroth, Anilin vio-
lett und Anilinblau die wichtigste Stelle ein.
Anilinroth.
Anilinroth C2uHu,N3 hat noch eine Menge anderer Namen, von denen in der
Industrie Fuchsin am gebräuchlichsten und von der Firma Renard und Franc
in Lyon wegen der Aehnlichkeit des Roths mit der Fuchsiablüthe eingeführt
worden ist. A. W. Hofmann stellte es zuerst durch Einwirkung von Chlor-
kohlenstoff (CC14) in zugeschmolzenen Röhren bei einer Temperatur von 170,° bis
180° dar und nannte es Rosanilin, ein Name, welcher unter den Chemikern
allgemein angenommen worden ist.
Verguin hat zuerst die Ho/mann'seh.e Entdeckung durch Benutzung von -wasser-
freien Metallchloriden verwertket. Medloch, Nicholson, birard und de Laire machten vor-
zugsweise von der Arsensäure Gebrauch, ein Verfahren, welches sich bis jetzt noch
wegen der Billigkeit der Darstellung und der reichlichen Ausbeute erhält (35 — 38^).
Die Benutzung der Arsensäure hat jedoch in sanitärer Beziehung grosse Nach-
theile für die Arbeiter im Gefolge und ihr Rückstand, die arsenige Säure, führte zu
den grössten Belästigungen der Fabricanten, da die Wegschaffung resp. Wiederbenutzung
derselben äusserst schwierig blieb.
A. Fuchsindarstellung mittels Arsensäure. Die hierzu gebräuchliche Arsen -
säure kommt im Handel als eine syrupsdicke, wasserhaltige vor; durchschnittlich
werden cc. auf 2 Mol. Anilin 1 Mol. wasserfreie Arsensäure und 5 Mol. Wasser
genommen, wobei das Anilin stets eine gewisse Menge Toluidin enthalten muss.
Die Fabrication zerfällt in mehrere Stadien:
1) Darstellung der Schmelze. Das Gemenge von Anilinöl und Arsensäure
wird in eisernen Retorten einer 190° nicht übersteigenden Erhitzung ungefähr
8 — 10 Stunden lang unterworfen.
Die eiserne Retorte ist cylindrisch, hat in der Mitte einen Rührer, welcher durch
die Dampfmaschine in Bewegung gesetzt wird. Am Deckel befinden sich ferner eine
Röhre zum Einlassen von heissem Wasser, ein Mannloch zum Eintragen des Gemenges
und zum Reinigen des Apparates, ein Sicherheitsventil, eine Oeffnung zum Einsetzen
des Thermometers und ein Hals zum Abführen der Dämpfe.
Am untern Theile der Retorte ist eine weite Ablaufröhre mit einem Hahn an-
gebracht, um das Herausnehmen der Rohschmelze zu umgehen, eine Manipulation,
welche früher für die Arbeiter höchst gefährlich war, da aus dem geöffneten Gefässe
stets Anilindämpfe aufsteigen und höchst nachtheilig einwirken.
Anilinroth. 627
In sanitärer Beziehung empfiehlt es sich, den Kühlapparat, in welchen der Hals
der Retorte verläuft, ausserhalb des Kesselraums aufzustellen, denn hier gelangt Anilin
leicht zur Verdunstung, welches die am Apparate beschäftigten Arbeiter sehr benach-
teiligen kann.
Da_ stets Wasser- und Anilindämpfe übergehen und sich condensiren, so
wird Anilin durch Kochsalz-Zusatz vom Wasser getrennt.
Die hier abfallenden Wässer dürfen niemals in Senkgruben abgelassen werden; in
Canälen mit starker Spülung oder in fliessenden Wässern schaden sie wegen der Ver-
dünnung nicht. Nachdem das Uebergeken von Anilin aufgehört hat, wird noch Wasser-
dampf eingelassen, um allen Anilindampf fortzureissen, wobei aber ganz besonders
die Placirung des Kühlapparats ausserhalb des Fabrikraumes erforderlich ist, damit die
abgehenden Wasserdämpfe durch ein Rohr über das Dach des Fabriklocals hinaus ge-
leitet werden Schliesslich wird heisses Wasser in die Schmelze gebracht, um nach
einiger Zeit die flüssige Masse abzulassen und durch Blechrinnen in geeignete Behälter
zu leiten; statt Blechrinnen sollten aber hierzu stets Röhren verwendet werden.
In kleinern Fabriken sind noch gusseiserne, eingemauerte Kessel mit aufge-
schraubten Deckeln gebräuchlich, wobei ein Arbeiter mit einer Kurbel den Rührer in
Bewegung setzt: der Hauptnachtheil besteht hier darin, dass die Arbeiter dann auch
die Rohschmelze aus dem Apparat herausschöpfen müssen. Die Rohschmelze erstarrt
bald und wird nachher pulverisirt. Abgesehen davon, dass die Arbeiter durch die
Berührung mit der Rohschmelze Geschwüre an den Händen und allgemeine Hautaus-
schläge bekommen und den Anilindämpfen in hohem Grade ausgesetzt sind, ist es
namentlich der mit dem Pulverisiren verbundene Staub, welcher für diese höchst
nachtheilige Folgen haben kann. Die Erscheinungen der vollständigen Arsenvergiftung
können hierbei auftreten, und man kann kühn behaupten, dass das Pulverisiren der
Rohschmelze immer den gefährlichsten Act in der Anilinfarbenfabrication in
sich schloss.
In sanitärer Beziehung ist es in solchen Fällen geboten, die Mahlapparate in einem
vollkommen abgeschlossenen Räume aufzustellen, so dass der die Kurbel drehende Arbeiter
ausserhalb desselben seinen Stand nehmen kann, um der Einwirkung dieses Staubes
nicht ausgesetzt zu sein; aber auch dann erfordert es noch die Vorsicht, vor Mund und
Nase Schwämme zu binden. Geboten ist ohnehin dieser Schutz beim Betreten des Mahl-
raumes lind beim Herausnehmen des Mahlgutes.
2) Das Ausziehen des Farbstoffs aus der Rohsclimelze. Die Rohschmelze be-
steht aus arsensaurem Rosanilin, aus freier arseniger und Arsensäure,
sowie aus Rückständen, welche man in der Technik „harzige Materien" zu
nennen pflegt.
In England pflegte man früher die Rohschmelze mit Wasser auszukochen, die
heisse Flüssigkeit von dem harzartigen Rückstande zu trennen und dann der Krystal-
lisation zu überlassen; die Mutterlauge wurde hierauf noch weiter auf Farbstoffe
bearbeitet*). Gegenwärtig wird meist die breiige Rohschmelze noch durch einen
Dampfstrom 5 Stunden lang ausgekocht. Das Wasser ist in der Regel mit etwas
Salzsäure angesäuert.
Nachdem die Flüssigkeit von der harzartigen Materie durch Filtration mittels
auf Rahmen gespannter Wolltücher befreit worden, wird sie in Reservoirs von Eisen-
blech abgelassen. Nun setzt man Kochsalz im Ueberschuss hinzu, um die Rosanilin-
Palze vollständiger in salzsaure zu verwandeln, und erhält die Lösung durch Dampf
^Bewegung, wobei auf die entstehenden Dämpfe, die Arsenchlorür enthalten können,
wohl zu achten ist; es müssen daher jedenfalls hierzu geschlossene Gefässe genommen
und die Dämpfe abgeleitet werden**).
Das salzsaure Rosanilin ist in der concentrirten Kochsalzlösung fast unlöslich
und setzt sich an der Oberfläche der Flüssigkeit ab, während arsenigsaures und
arsensanres Natrium gelöst bleiben. Durch längeres Absetzenlassen in grossen Reser-
voirs gewinnt man den Farbstoff.
*) Man versetzte die Mutterlauge mit Kalkmilch, um einen Theil der Arsen-
säure und arsenigen Säure zu fällen; der Niederschlag der Kalksalze wurde noch mit
Essigsäure behandelt, um den Farbstoff auszuziehen. Der auskrystallisirte Farbstoff war
arsensaures Rosanilin, das auf Grün, Violett, Blau verarbeitet, aber auch viel-
fach direct zum Rothfärben benutzt wurde; in Folge dessen kamen die vielfach
angeklagten rothen wollenen Zeuge in den Handel.
**) Früher benutzte man concentrirte kochende Salzsäure, wobei sich eine
grosse Menge Arsenchlorür zum grössten Nachtheil der Arbeiter entwickelte. Dieser
Act war eine Hauptveranlassung der früher viel häufiger vorkommenden Arsenvergiftungen.
40*
528 Aromatische Körper.
8) Reinigung des Farbstoffs. Der von der Oberfläche der Mutterlauge vorher
abgenommene und gesammelte Farbstoff wird durch heisses Wasser abgewaschen
und gelangt dann häufig schon in den Verkehr; besser ist es aber, die Rei-
nigung resp. die Beseitigung des Kochsalzes und namentlich der Arsenverbin-
dungen durch Umkrystalliren zu vervollständigen.
Anilinroth, Rosanilin. Fuchsin ist im freien Zustande als Base farblos. Ihre
Salze mit 1 Aequivalent Säure (HCl! liefern die rothen Farben, die mit 3 Aequiva-
lenten Säure die gelbbraunen. Die Base ist im Alkohol leichter löslich als in Wasser, in
Aether vollständig unlöslich. Die Lösung färbt sich an der Luft rosa- und endlich tief-
roth. Die sauren Salze sind löslicher als die Salze mit 1 Aequiv. Säure.
In Deutschland nennt man besonders das salzsaure und schwefelsaure
Rosanilin, in England das essigsaure Rosanilin: Fuchsin. Das salzsaure Salz
bildet cantharidengrüne Blättchen mit schönem, metallischem Glänze und löst sich
in Alkohol mit schöner rother Farbe auf, während die Salze mit 3 Aeq. Säure gelb-
braun gefärbt sind.
Je nach der Darstellung erhält man entweder ein Rosanilinsalz oder die freie
Base; letztere versetzt man dann mit Salzsäure, Pikrinsäure, Chromsäure, Oxalsäure,
Salpetersäure, Gerbsäure u. s. w.
Behandlnng der arsenhaltigen Langen. Dieser Gegenstand hat zu den viel-
fachsten Untersuchungen Veranlassung gegeben, aber noch zu keinem befriedi-
genden Ergebnisse geführt. Mag man die Mutterlaugen zu verwerthen oder auf
irgend eine Weise unschädlich zu machen suchen, an jedes Verfahren knüpfen
sich für den Fabricanten mehr oder weniger kostspielige Einrichtungen.
Man hat bisher die Rückstände mit Kalk im Ueberschuss gefällt, um aus den
gelösten arsenikalischen Natriumverbindungen unlösliches arsenigsaures und arsen-
sanres Calcium zu erhalten. Hierbei begegnet man aber dem unglücklichen Umstände,
dass der Kalk nur bei Abwesenheit von Ammoniumsalzen arsenige und Arsenik -
säure als basisches unlösliches Salz fällt: da aber diese Wässer stets ammoniakalisch
sind, so wird auch die Löslichkeit dieser Arsenite und Arseniate begünstigt.
Schon zweckmässiger würde es sein, statt Kalk Dolomit zu nehmen, um bei
Gegenwart der Ammoniumsalze die arsenige und Arseniksäure vollständig zu binden
und zwar erstere als Calcium- und Magnesiumsalz und letztere als arsensaures
Ammonium -Magnesium. Diese Salze sind unter diesen Verhältnissen so gut wie
unlöslich, so dass man den Rückstand in Flüsse mit hinreichender Strömung abfliessen
lassen könnte. Kleinere Bäche würden sich jedoch schou deshalb hierzu nicht eignen, weil
diese Mutterlaugen noch tief violettroth gefärbt sind, auf lange Strecken hin kleine Wasser-
läufe färben und das betreffende Wasser für ökonomische Zwecke unbrauchbar machen.
In Anilinfarbenfabriken am Oberrhem und am Main lässt man die mit Kochsalz
und Kalk behufs Abscheidung des Farbstoffs resp. Bindung des Arsens behandelten Ab-
lallwässer schon seit 1862 in den Rhein resp. Main fliessen. Dieses Verfahren soll angeb-
lich weder das öffentliche, noch private Interesse geschädigt haben, obgleich die stark roth
gefärbten Wässer einer Fuchsini'abrik, die nicht selten täglich über 60 Ctr. Arsensäure
verbraucht, selbstverständlich noch namhafte Quantitäten Arsen enthalten müssen. Jeden-
falls sollte man in diesen Fällen den Abfluss nur während der Nacht gestatten, damit die
Verunreinigung der Flüsse durch die Farbstoffe wenigstens zu einer Zeit geschieht, wo das
Wasser nicht zu häuslichen oder wirthschaftlichen Zwecken benutzt wird. Man w ill
selbst im Main bei einer Breite von 150 — 200 Meter und einer durchschnittlichen Tiefe
von 1,5 Meter keinen Nachtheil für die Fischzucht bemerkt haben. In Basel hat man
berechnet, dass auch bei niedrigem Wasserstande täglich 4,200,000 Kubikfuss unter der
dortigen Rheinbrücke vorbeifliessen ; würden nun in den verschiedenen Fabriken auch
täglich 500 Kilogr Arseniksäure verwendet werden, so würde die Menge derselben
allerdings im Vergleiche mit dem vielen Wasser des Rheins eine geringe sein, nament-
lich wenn die Fabrikwässer sofort in die Strömung geleitet werden.
Trotzdem ist das Verfahren nicht zu billigen, da es eine Verunreinigung der Flüsse
zur Folge hat, deren Tragweite man nie genau zu ermessen vermag. Vom sanitären
Standpuncte aus muss man für die Reinerhaltung der Flüsse Sorge tragen und unter
allen Umständen den Abfluss dieser Effluvien ohne Zusatz von Kalk verhüten, da ihr
Arsengehalt bis 18 Grm. pro Liter betragen kann.3)
Erfolgt das Abdampfen der Abfall wässer nur bis zu einer gewissen Concen-
tration, so muss die arsenikalische Brühe mittels einer Druckpumpe nach einem be-
sondern Gebäude geleitet werden, in dem das Abdampfen mittels directer Feuerung
Anilinroth. 529
oder durch die Feuergase der Dampfkessel in grossen bedeckten Pfannen bezw. Flammen-
öfen geschieht und zwar in der Regel unter geringem Zusatz von Kalk, weil sich bei
grössern Mengen desselben ein schwer zu beseitigender Rückstand bilden soll. Wird aber
die Flüssigkeit nicht auf diese Weise neutral gemacht, so müssen zweifelsohne mit
den Wasserdämpfen Arsenverbindungen (Arsenchlorür) fortgerissen werden, obgleich
viele Fabricanten diese Thatsache nicht zugeben wollen.
Man sollte bei jedem Abdampfen die Anlage von Condensationscanälen vor-
schreiben, die sich an den Ofen anschliessen und zum Ablagern des etwa mit übero-eris-
senen Arsens dienen, ehe die Dämpfe in deu Schornstein gelangen.
Zur Speicherung der Abfallwässer dienen grosse verschliessbare, besonders
gelegene und mit Cement verputzte Bassins, an denen eiu Ueberlaufrohr anzubringen
ist, falls unvorhergesehene Umstände eine starke Anhäufung dieser Rückstände veran-
lassen sollten. Das Abflussrohr muss direct mit den Bassins in Verbindung stehen
und bis zur Mitte eines Stromes geleitet werden, wenn die Örtlichen Verhältnisse den
AbÜuss der Wässer gestatten sollten, nachdem sie mit Kalk oder Dolomit behandelt
worden sind.
Beim Abdampfen behufs Wiedergewinnung der arsenigen Säure sind die
grössten Vorsichtsmassregeln erforderlich (s. S. 295). *)
Die Einrichtung der Fabriken zur Darstellung von Fuchsin mittels Arsen-
säure ist im Allgemeinen durch die Circular -Verfügung des Ministeriums für Handel
und Gewerbe vom 10. Juni 1865 vorgeschrieben worden. 5) Hauptsächlich müssen die
Fussböden vollständig wasserdicht sein; Rinnsteine oder ähnliche Abzüge dürfen nirgends
vorhanden sein, die Schwellsteine sind auf 15 Ctm. Höhe anzulegen; die vorgeschrie-
bene Cementbekleidung des untern Theils der Wände kann auch ein Theeranstrich auf
Manneshöhe ersetzen. Das sogenannte Kochlocal muss stets getrennt liegen und mit
keinem andern Räume in Verbindung stehen. Die Arseniksäure muss in besondern Räumen
mit den betreffenden Geräthen aufbewahrt werden; über die Verwendung derselben ist
ein Giftbuch zu führen (s S. 296).
Bearbeitung des harzartigen Rückstandes der Fucnsinbereitung. Dieser Rückstand
besteht aus einem Gemisch von violetten und gelben Farbstoffen neben varia-
blen Mengen von arsenigsaurem und arseniksaurem Rosanilin und freier arseniger und
Arsensäure; ist das Fuchsin mit Kochsalz gefällt worden, so sind sie stark roth gefärbt.
Man behandelt sie häufig mit verdünnter siedender Aetznatronlauge, um die
Farbstoffe zu gewinnen und die Arsenverbindungen und Arsensäuren so viel als mög-
lich zu beseitigen. Leider werden dann die entstandenen Natriumarseniate und Natrium-
arsenite wieder meist zum Kuhkothbade benutzt. Auch die Waschwässer sind arsenhaltig.
Der ausgewaschene Rückstand besteht aus humusartigen Substanzen und basischen
Farbstoffen. Die getrocknete Masse wird von manchen Fabricanten bei 100° in Anilin
aufgelöst, wobei das Auftreten von Anilin dämpfen zu berücksichtigen ist; es müssen
daher jedenfalls geschlossene Gefässe gebraucht werden. Bei der Filtration dieser
Lösung bleibt die humusartige Substanz auf dem Filter. Durch Sättigung des Filtrats
mit Salz- oder Essigsäure erhält man eine Base, Violanilin, deren Salze Seide und Wolle
blauschwarz färben. Hierauf wird durch Kochsalz Jlauvanilin erhalten, dessen Salze
WTolle und Seide blauviolett färben Aus der nun übrig gebliebenen Lösung wird
durch Uebersättigung mit einem Alkali Anilin ausgeschieden und mittels eines Dampf-
stroms in eine Retorte überdestillirt Der Rückstand ist Ckrysotoluidin, dessen Salze
gelb färben.
Die erwähnten Basen und Salze sind aber meistens noch arsenhaltig und daher bei
ihrer Anwendung in den Färbereien mit Vorsicht zu gebrauchen. Gegenwärtig werden
die harzigen Rückstände in reinem Zustande dargestellt und die betreffenden Farben anders
benannt; so hat man Grenadin zum Braunfärben, Georgin zum Gelb- oder Orange-
färben, das Orseilliu oder Anilingranat. das Xanthin, das Wienerbrauu u. s. w. in den
Handel gebracht. Durch Reductionsmittel gewinnt man Bisiuarkbraun und Uiselagelb.
Viele Fabricanten ziehen den mit Kalk präcipirten Farbstoff auch häufig mit
schwefliger Säure aus; letztere wird durch Kochen verjagt und dann der Farb-
stoff, welcher selbstverständlich arsenhaltig bleibt, zum Färben und Malen benutzt.
Die abfallende Flüssigkeit, welche das arsenigsaure und arseniksaure Calcium enthält,
wird eingedampft und als Ersatz des Kuhkothbades in der Kattundruckerei gebraucht.
Aus dieser Ursache sind vor noch nicht langer Zeit die vielen arsenikalischen Kattun-
drucksachen in den Verkehr gekommen, während der auf diese Weise billig gewon-
nene, aber arsenhaltige Farbstoff auch zum Bemalen von Kinderspielsachen und
hundert andern werthlosen Gegenständen benutzt wird.
B. Conpier'sches Verfahren zur Darstellung von Fuchsin. Co upier hat
bisher reines Anilin mit Nitrotoluol, käufliches Anilin mit gewöhnlichem Nitro-
(330 Aromatische Körper.
berjzol, auch Nitrotoluol mit Toluidin oder endlich Nitroxylol mit Xylidin unter
Zusatz von Eisenchlorid und Salzsäure verwendet. Bei der fabrikmässigen Dar-
stellung wird eins der genannten Gemische in einem emaillirten Eiseugefässe bis
auf 200° erwärmt.
Man erwärmt so lange, bis eine Probe der Schmelze in der Wärme dickflüssig
ist, bei Abkühlung aber rasch zu einem starren, spröden Klumpen, ähnlich der Fuchsin-
schmelze, erstarrt. Die feste Masse wird gemahlen, mit Wasser ausgekocht und aus der
Lösung der Farbstoff durch Sodalösung ausgefällt. Die Reinigung durch Wiederauf-
lösen und Krystallisiren erfolgt wie beim Fuchsin.
Die Entwicklung von Anilindämpfen ist zwar auch hier nicht ganz zu vermeiden,
wie man sich in Fabriken dieser Art leicht überzeugen kann; grosse Fabrikräume
sind jedoch geeignet, diese Nachtheile bedeutend zu vermindern. Sonst fehlen alle
andern schädlichen Einflüsse und das Verfahren ist einfach und reinlich: auch die
Abfallwässer sind unschädlich und enthalten bei einem rationellen Betriebe nur etwas
Kochsalz, welches sich bei der Behandlung der sauren Schmelze mit Soda bildet.
Beim Mahlen der Schmelze sind aber auch hier die oben erwähnten Vor-
sichtsmassregeln zu beachten, wenn man es auch nicht mit arsenikalischem Staube zu
thun hat: es ist immerhin möglich, dass vom Rohmaterial noch unzersetzte Stoffe vor-
handen sind, welche sich dem Staube mittheilen können.6)
C. Nicholson'sclies Verfahren. Man nimmt bei der Bereitung des Fuchsins auf
3 G. Th. käufliches Anilin 1 G. Th. Salpetersäure von 1,42 spec. Gew., 1 G. Th.
Salzsäure von 1,16 spec. Gew. und lässt das Ganze auf 175 — 205n C. erhitzen.
D. Fabrication von Anilinroth (Fuchsin) mittels Quecksilbersalze. Mau
benutzt dazu vorzugsweise salpetersaures Quecksilberoxydul; das Queck-
silber findet sich grösstentheils in der Schmelze in metallischem Zustande
wieder.
Ein grosser Theil davon verflüchtigt sich aber auch während der Fabrication und
ist dieselbe in sanitärer Beziehung mit vielen Gefahren verbunden, indem das
Product nicht immer quecksilberfrei ist. Diese Methode kommt gegenwärtig nur selten
noch zur Ausführung, erfordert aber stets grosse Vorsicht.
Das Anilinroth kann bei sorgfältiger Fabrication quecksilberfrei sein, denn
theoretisch ist nachgewiesen, dass beim Zusatz äquivalenter Mengen von Chloriden zum
Anilin Quecksilber ausgeschieden werden muss; in der Praxis ist jedoch dieses Resultat
fast nie zu erreichen.
Reductionsprod uete des Rosanilins.
Leilkanilin C20H2iN3 entsteht durch Einwirkung von nascirendem Wasserstoffe
auf Rosanilin, wobei letzteres ein Molecül Wasserstoff aufnimmt. Stellt man in die an-
gesäuerte Lösung von salzsaurem Rosanilin l Fuchsin' ein Stück Zink, so tritt eine Ent-
färbung ein unter Bildung einer gelben, harzartigen Masse, welche in Wasser zu
Pulver gerieben, filtrirt und in schwacher Salzsäure gelöst wird: diese Base bildet
mit 3 Aequiv. Säure ungefärbte Salze. Leukanilin verhält sich somit zu Ros-
anilin wie Tndigweiss zu Indigblau. Durande hat dieses Verhalten als Enlevage oder
Reservage für Anilinroth benutzt.
Oxydationsproducte des Rosanilins.
Hierher gehört das Geranosin oder Anilinponceau, welches durch Einwirkung
von Wasserstoffsuperoxyd auf Rosanilin erhalten wird.
Scharlach wird durch Kochen von essigsaurem Rosanilin mit salpetersaurem
Blei dargestellt.
Anilin violett.
Substituirt man die drei mit dem Stickstoff verbundenen Wasserstoffe des
Rosanilins durch Kohlenwasserstoffe, so erhält man basische Körper, deren Salze
die Violette liefern. Mau unterscheidet methylirte, äthylirte und phe-
nylirte Violette.
Anilinblau. ß3J
1) Triaethylrosanilin C20H16(C2Hä)3N3 bildet mit 2 Molecülen Salzsäure das im
Handel vorkommende Hofmann's Violett (Aethylrosanilm, Dahlia, Primula).
Zu seiner Darstellung benutzt man eine Mischung von Rosanilin, Alkohol, Aethyl-
jodid und Aetznatron, welche man in eine kupferne Blase mit für Dampfheizung ein-
gerichtetem Doppelboden bringt; sie steht mit einem Kühler, dessen Schlangenrohr5 aus
Kupfer im Kühlfass liegt, in Verbindung. Die Dämpfe des übergehenden Alkohols und
des Aethyljodids werden wieder aufgenommen und condensirt; es ist dabei sehr zweck-
mässig, wenn das Schlangenrohr in einen Gassammler übergeht, um namentlich die
Dämpfe des Jodäthyls aus dem Fabriklocal entfernt zu halten.
Das Product, jodwasserstoffsaures Triäthylrosanilin C20H16(C2H5)3N3-r- 2HJ,
wird nach geschehenem Abdestilliren des noch frei vorhandenen Weingeistes und
Aethyljodids mit Natriumhydrat behandelt, um die Base frei zu machen. Das Jod-
alkalimetall wird dann durch Auskochen entfernt und diejenige Säure zugesetzt, deren
Salze man darstellen will.
2) Trimethylrosanilin C20H16(CH3)3N3 wird auf dieselbe Weise dargestellt; statt
Aethyljodid wird zu der erwähnten Mischung Methyljodid zugesetzt; auch die-
selben Vorsichtsmassregeln sind dabei zu beobachten.
In neuerer Zeit umgeht man den Gebrauch der Jodverbindungen und lässt auf
eine Mischung von 80 Methylalkohol und 100 salzsaurem Anilin in einem
Papinischen Digestor eine Hitze von 200° einwirken. Das hierdurch entstehende
Product besteht vorzugsweise aus Trimethylphenylaninioniuinchlorid neben chlor-
wasserstoffsaurem Monomethylanilin; ersteres wird bei der Destillation in
Methylchlorid und Dimethylanilin zerlegt:
C6H5(CH3)3 . N Cl = C6H5(CH3)2N + CH,C1.
Bei der Rectification des Dimethylanilins benutzt man Alles, was zwischen
190—210° übergeht.
Um das Dimethylanilin in Metliylviolett zu verwandeln, wird es mit Kupfer-
chlorid oder einem anderen Kupfersalze vermischt, mit einem quarzhaltigen Sande
zerrührt und auf Porcellanschalen einer Wärme von 70° ausgesetzt. Hierauf trennt
man die Kupferverbindungen durch wässriges Ammoniak und zieht aus dem bronce-
ähnlich gefärbten Sande den Farbstoff mit Salzsäure oder Weingeist aus; durch Zusatz
von Natriumhydrat wird schliesslich aus der salzsauren Lösung der violette Farb-
stoff präcipitirt.
Das Blauviolett stellt eine goldgelbe Substanz dar, welche sich in Alkohol mit
blauvioletter Farbe löst. Es gibt ausserdem noch ein methylirtes Roth violett; je nach
der Mischung der benutzten Materialien schwankt die Farbennüance.
In sanitärer Beziehung ist bei der Benutzung von Methyljodid stets sorg-
fältig auf die Condensation der Dämpfe desselben zu achten.
3) Triplienylrosanilin C2oH16(C6H5)3N3, phenylirtes Violett, wird durch Erhitzen
eines Rosanilinsalzes mit Anilin dargestellt. Der hierzu gebräuchliche Apparat und das
Verfahren wird bei der Fabrication von phenylirtem Blau beschrieben werden. Die
Darstellungsweise beider Farbstoffe unterscheidet sich nur darin, dass für die Ge-
winnung von Violett eine geringere Menge von Anilin genommen und der Schmelz-
process abgekürzt wird. Die Repräsentanten dieses Violetts sind das rothe und blaue
Kaiserviolett.
Die betreffenden Basen bestehen aus einem Gemenge von Mono-, Di- und Tri-
plienylrosanilin.
Pei'kin's Violett, Mauve'iu, Allilein, wird durch Einwirkung oxydirender Mittel,
speciell von Kaliumbichrom at auf toluidinhaltiges Anilin erhalten; es wird bisweilen
auch Arsensäure benutzt. Nach der Wahl dieser Agentien richten sich auch die in
sanitärer Beziehung nothwendigen Massregeln.
Der violette Farbstoff ist in der Technik als Mauve, das salz saure Salz des
Mauve'iu s C27H24N4, bekannt.
Anilinblau.
Für die Darstellung der rein blauen Salze dient 1) das Triphenyl-
rosanilin C2oH16(C6H5)3N3. Rosanilinsalze werden mit Anilin und in der
Regel noch mit einer schwachen organischen Säure (Essigsäure, Benzoesäure)
zusammen erwärmt.
Bei der Fabrication im Grossen unterscheidet man wie bei der. Fuchsin-
gewinnung a) die Darstellung der Schmelze. Man gebraucht dazu mehrere guss-
632 Aromatische Körper.
eiserne, emaillirte Töpfe, welche in einem gemeinschaftlichen Oel- oder Paraffin-
bade sitzen, mit Rührvorrichtung und einem nach einem Kühler führenden Ab-
zugsrohr versehen sind.
Der Deckel ist aufgeschraubt und der Rührer steckt in einer Stopfbüchse. Zum
Entnehmen der Proben dient eine andere mit einem Holzpfropf versehene Oeffnung; ein
knieförmiges Rohr zur Ableitung der Dämpfe führt von jedem Topfe aus zu einem
wagerechten Rohr, welches mit dem Schlangenrohr im Kühlfasse verbunden ist; das
Schlangenrohr ist notwendigerweise mit einem Gassammler in Verbindung zusetzen,
um die Verbreitung der Anilindämpfe im Fabriklocale zu verhüten.
Nach beendigtem Processe wird der Digestor mittels eines Krahus aus dem Bade
herausgenommen und sein Inhalt ausgegossen, eine Procedur, die jedenfalls unter einem
gut ziehenden Rauchfange vorzunehmen ist, um die Arbeiter so viel als möglich vor
den Dämpfen zu schützen.7)
b) Ausziehen des gebildeten blanen Farbstoffs aus der Schmelze. Je nach
der Art von Blau, welches man gewinnen will, beobachtet man ein ver-
schiedenes Verfahren.
Das unmittelbare Blau erhält man durch einfaches Auswaschen der Schmelze
mit Salzsäure, das gereinigte Blau durch eine vorhergehende Lösung der Schmelze
in Alkohol, das Lichtblau durch Zusatz einer alkoholischen Aetznatronlösung zur
Schmelze, das in Wasser lösliche Anilinblau durch Einwirkung der Schwefel-
säure auf Anilinblau.*)
Je nach der Menge der benutzten Schwefelsäure entstehen Mono-, Di-, Tri-
Tetrasulfosäure: gegenwärtig stellt man fast ausschliesslich Triphenylrosanilinmono-
sulfosäure und Triphenylrosanilindisulfosäure dar, welche man mit Aetz-
natron behandelt. Die betreffenden Farben sollen acht sein
Die Base Triphen ylrosanil in stellt eine weisse geronnene Masse dar, welche
durch Waschen und Trocknen an der Luft blau und durch Erhitzen braun wird. Mit
1 Aequiv. Salzsäure wird das im Handel als Allilinblail vorkommende salzsaure Tri-
phenylrosanilin dargestellt, ein blaubraunes, kaum krystalliniscb.es Pulver, das in Wasser
und Aether unlöslich, in Alkohol mit blauer Farbe schwer löslich ist.
Manche Fabricanten bewirken die Verbindung in offeneu Gefässen und veranlassen
dadurch grosse Belästigung für die Arbeiter und Adjacenten.
2) Tritoluylrosanilin. Tolnidinblan C^Hje^CyHg)^ entsteht in analoger Weise
wie das Triphenylrosanilin, wenn man nach A. II'. Hofmnnn essigsaures Rosanilin auf
das doppelte Gewicht Toluidin bei 130—150° einwirken lässt. Die drei mit dem Stick-
stoff verbundenen Wasserstoffe des Rosanilins werden hier durch 3 Molecüle Toluyl
ersetzt.8)
3) Diphenylaminblan (s. Diphenylamin S. 623).
Grüne Farbstoffe.
Man unterscheidet 3 Sorten von Grün: 1) Aldehydgrün, Usebe'sches Grün,
wird aus dem Aldehydblau dargestellt, welches man durch Einwirkung von
Aldehyd auf eine saure schwefelsaure Rosanilinlösung gewinnt.
Man löst das Aldehydblau in Wasser auf und versetzt es mit gelöstem unter-
schwefligsaurem Natrium. Nach kurzem Kochen filtrirt man den schwefelhaltigen
Niederschlag von der grünen Lösung ab; letztere kann zum Färben benutzt werden.
In sanitärer Beziehung ist hierbei das massenhafte Auftreten von schwef-
liger Säure bei der Zersetzung von unterschwefligsaurem Natrium zu beachten. Die
Wasch wässer sind bei ihrem Gehalt an Schwefelsäure nicht beliebig abzulassen.
Festes Aldehyd grün erhält man als amorphes Pulver durch Behandeln der
frünen Lösung mit Zinkchlorür und Sodalösung; das präeipitirte Grün ist ein
inklack.
2) Jodgrün, Jodmethylgrün , Hofmann's Grün, Anilingrün; sein Name rührt
*) Conpier's Blau wird aus den Rückständen bei der Fabrication von Anilin-
blau erhalten; es hat in der Wollfärberei eine grosse Verbreitung gefunden und soll
hier den Indigo ersetzen.
Grüne Farbstoffe. 633
von seiner Darstellung aus Hofniann's Violett, aus Triaethyl- oder Triinethyl-
rosanilin und Jodmethyl her. Es stellt eine Verbindung von TriinethylrosaDÜin
mit 2 Molecülen Jodmethyl dar, so dass Jodgrün als Methylviolett plus 2 Molecüle
Jodmethyl zu betrachten ist.
Darstellung. Man erhitzt eine alkoholische Lösung von Violett mit Jodäthyl
und setzt dann wässriges Natriumhydrat hinzu. Nach dem Auswaschen der ätzenden
Alkalien und des Jodnatriums wird der gesammelte Rückstand nochmals mit viel
Wasser ausgekocht und die filtrirte Lösung mit Pikrinsäure versetzt; es bildet sich
pikrinsaures Grün.
Dieses Verfahren hat in neuerer Zeit einige Modificationen erfahren; immerhin
sind aber die letzten Waschwässer wegen ihres Gehaltes an Pikrinsäure zu be-
achten, während aus dem ersten Waschwasser das Jodnatrium durch Kupfer-
und Eisenvitriol wieder zu gewinnen ist.
Nach dem Verfahren von A. W. Bojmann wird ein Gemisch von essigsaurem
Rosanilin, Jodmethyl und Methylalkohol in einem Digestor im Wasserbade
erhitzt. Dadurch werden die Farbstoffe im Methylalkohol gelöst, während die flüchtigen
Producte, essigsaurer Methyläther und freier Methyläther, beim Oeffnen des
Gefässes und bei fortgesetzter Erwärmung ausgetrieben werden.
Es ist absolut erforderlich, dass diese Aetherdämpfe abgeleitet werden, da ihre
Condensation nicht möglich ist; bei Verbreitung im Fabrikiocale bedingen sie nicht
bloss eine grosse Feuersgefahr, sondern bedrohen auch die Gesundheit der Arbeiter 9)
Der breiförmige Rückstand im Digestor wird in siedendes Wasser gegossen; das
noch nicht im Grün übergegangene Violett bleibt ungelöst und wird durch Kochsalz
und etwas Soda ausgefällt.
Durch Auswaschen und Lösung in absolutem Alkohol erhält man Jodgrün als das
Dijodmethylat des Triniethylrosanilins C20H16(CH3)3N3. (CH3J)2 + H20. Die wasser-
freie Verbindung ist schwer rein zu erhalten.
Das pikrin saure Salz wird durch Fällen der Jodverbindung mit einer wäss-
rigen Lösung von Pikrinsäure erhalten. Der Niederschlag ist dunkelgrün, in
Wasser fast unlöslich, in absolutem Alkohol schwer löslich; beim Auswaschen desselben
sind die Waschwässer wegen ihres Pikrinsäuregehaltes wiederum zu beachten.
3) Methylgrün. Jodmethyl kann nach der Entdeckung von Baubigny
durch Salpetersäure-Methyläther (Methylnitrat CH3NO3) ersetzt werden;
lässt man diesen Aetber auf Methylanilinviolett einwirken, so erhält man
eine reiche Ausbeute an wasserlöslichem Methylanilingriin.
Hierbei wird nicht alles Violett in Grün verwandelt; um ersteres abzuscheiden,
bedient man sich des Chlorzinks unter Zusatz von Natriumhydrat; das präcipitirte
Zinkoxydhydrat bildet mit dem Violett einen unlöslichen Lack. Die filtrirte und ein-
gedampfte Flüssigkeit liefert beim Erkalten goldgrüne Blättchen eines Doppelsalzes von
Chlorzink und salzsaurem Methylgrün. Um Seide damit zu färben, bedarf
man nur eines leichten Seifenbades, bei Baumwolle einer Beize von Tannin oder
Albumin, bei Wolle eines Bades von unterschwefligsaurem Natrium, das man mit
Schwefelsäure ansäuert; der sich auf die Faser niederschlagende Schwefel befähigt sie,
die Farbe zu fixiren.
Bei der Fabrication ist für die sorgfältigste Ableitung der Dämpfe zu sorgen, da
das Methylnitrat schon bei 150° sehr heftig explodirt. Dass übrigens bei Vorsicht
ohne Gefahr mit diesem Körper manipulirt werden kann, beweist die Fabrik von Poirricr
zu St. Denis, in der in den Jahren 1.S71— 1873 bereits 20,000 Kilogrm. Methylnitrat ohne
einen Unglücksfall verwendet worden sind. Bezüglich der Feuersgefahr sind die Vor-
sichtsmassregeln ebenso streng wie in Pulvermühlen oder Nitroglycerinfabriken durch-
zuführen, namentlich darf man niemals mit einem brennenden Lichte in das Fabriklocal
treten und alle Feuerungen sind ausserhalb desselben zu verlegen.10)
Gelbe Farbstoffe.
Wenn die harzigen Rückstände bei der Fuchsinbereitung (s. S. 629) einige
Zeit lang einem Dampfstrome ausgesetzt werden, so wird Chrysanilin gelöst,
welches sich vorzugsweise bei der Einwirkung der Arsensäure auf toluidin-
haltiges Anilin bildet.
§34 Aromatische Körper.
Setzt man der Lösung Salpetersäure hinzu, so schlägt sich das schwer lösliche
salpetersaure Chrysa nil i p nieder. Durch Zusatz von Ammoniak zu dem in
siedendem Wasser gelösten Salze erhält man Chrysanilin C20H17N3 als ein gelbes
Pulver, welches in Wasser unlöslich, in Alkohol und Aether leiclit löslich ist und
2 Atome Wasserstoff weniger als Rosanilin enthält.
Diese Base bildet sehr charakteristische Salze mit 1 oder 2 Aequival. Säure; zu
denselben gehört ausser dem salpetersauren auch noch das zweifach salzsanre Salz ;
letzteres heisst auch Anilingelb, Anilinorange oder Phosphin. Diese Salze färben Seide
und Wolle ohne Beize schön goldgelb; sie krystallisiren in schönen rubinrothen
Nadeln.
Bei der Darstellung sind in gesundheitlicher Beziehung die Laugen zu beachten,
welche stark arsenikalisch sind: auch Chrysanilin ist selten arsenfrei. Als Anilingelb
kommt auch das Oxalsäure Salz einer Base im Handel vor, welche als ein krystal-
linischer gelber Niederschlag auftritt, wenn das Anilingelb des Handels in Salzsäure
gelöst und die Lösung mit Ammoniak übersättigt wird.
Zinalin Ci0H19N203 entsteht nach Max Vogel durch Einwirken von salpetriger
Säure auf gelöste Rosanilinsalze als eine rothe Masse, welche beim Zerreiben ein
zinnoberrothes, in Wasser mit gelber Farbe lösliches Pulver liefert.
Bei der Darstellung ist die Explosivität des Products zu beachten; es färbt in
alkoholischer, mit etwas Ammoniak versetzter Lösung Seide und Wolle in schönen
orangefarbigen Nuancen; mit Indigocarmin färbt es grün.
Braune Farbstoffe.
Man stellt das Braun aus Rosanilin oder aus den Rückständen der Fuchsin-
bereitung durch reducirende Mittel oder durch Einwirkung eines Anilinsalzes
auf Fuchsin in höherer Temperatur dar.
Beim Gebrauche der Fuchsinmutterlauge können die Farben leicht arsen-
haltig sein und ist daher in dieser Beziehung auch das Braun zu beachten. So stellt
man namentlich Lenkanilin durch Kochen der Fuchsinmutterlaugen mit Zinkpulver
dar; das Leukanilin schlägt sich auf das Zink nieder und wird vom Alkohol auf-
genommen; es wird mit Seh wef elkupfer gemengt und zum Braundrucken benutzt.
Die Bildung von Leukanilin ist überhaupt der Ausgangspunct für die Darstellung ver-
schiedener Präparate dieser Farbstoffe.
Phenylenbraun wird dargestellt, indem man die neutrale Lösung von salz-
saurem Dihniiflobenzol allmählig mit der neutralen Lösung eines salpetrigsauren
Salzes versetzt: es bildet sich eine dunkelrothe krystallinische Masse, welche nach
der Behandlung mit Salzsäure und Ammoniak eine braune krystallinische Masse
liefert. Diese besteht aus drei verschiedenen Basen, von denen die in Wasser lösliche
Tl'iazoamidobenzol ist; sie bildet mit Salzsäure ein zweisäuriges Salz und schlägt sich
als rothbrauner krystallinischer Körper nieder (s. Diamidobenzol S. 623).
B. Kupp und Höh, Gnehm haben durch Einwirkung von Salpetersäure auf
Diphenylamin Hexanitrodiplienvlaillin (C6H2(N02)3)3ISIH dargestellt, eine Base, die sehr
schön krystallisirte, in Wasser, Ammoniak- und Barytlösung lösliche Salze bildet; diese
färben Wolle und Seide in prachtvollen, dichromatischen, rothbraunen Nuancen.
Die Darstellung ist aber für die Arbeiter sehr gefährlich, weil die Manipulation mit diesem
Product eine sehr ätzende, auf der Haut Blasen erzeugende Einwirkung zur Folge hat.
Auch unter den Namen: Marron und Siena kommen im Handel aus Anilin ab-
geleitete braune Farbstoffe vor.
Schwarze Farbstoffe.
Das Anilinschwarz entsteht durch langsame Oxydation von Anilin und wird
vorzugsweise zum Drucken der baumwollenen Zeuge benutzt. Die wichtigsten
Materialien dazu sind: salzsaures Anilin, Kupfersalze oder Ferricyan-
ammonium nebst einer organischen Säure. Da die Zeuge später durch ein
Bad von Kaliumbichromat gezogen werden, so sind hauptsächlich die Wasch-
wässer hierbei zu beachten. Die Seide wird vorher mit Schwefelsäure oder
Kaliumbichromat gebeizt und dann in einer Lösung von oxalsaurem Anilin gefärbt.
Zur Darstellung von Anilinschwarz als Massenfarbe werden nach Cöupier
Anilin, Nitrobenzol, Salzsäure, Eisenfeile, gepulvertes Kupfer auf 160—200° erhitzt; die
Graue Farbstoffe. 635
erhaltenen Farbstoffe löst man in Schwefelsäure. Die hiermit gefärbten Garne oder Zeugo
werden durch ein Bad von unterschwefligsaurem Natrium gezogen.
Ein Anilinschwarz des Handels besteht aus essigsaurem Kupfer und
salzsaurem Anilin; wird überhaupt salzsaures Anilin mit Kupferchlorid und chlor-
saurem Kalium versetzt, so entsteht zunächst ein grüner Niederschlag, welcher an der
Luft durch höhere Oxydation schwarz wird. £s scheint übrigens der Zusatz von
Kupfersalzen zur Erzeugung von Schwarz nicht unbedingt nöthig zu sein.
Graue Farbstoffe.
Anilingran hat man durch Reduction von Mau v ein mittels Aldehyds
dargestellt.
Bei allen Versuchen, eine solche Farbe darzustellen, spielt Aldeh}rd als
Reductionsmittel eine Rolle. Eine allgemeine Verbreitung hat bis jetzt Anilin<Tau
noch nicht gefunden.
Einwirkung der Anilinfarben anf den tliierisclien Organismus. Die reinen
Basen, Rosanilin, Leukanilin, Cbrysanilin, sowie das Trimethylrosanilin und
Triaethylrosanilin, wirken als solche nicht giftig, wofür zahlreiche eigene und
fremde Erfahrungen sprechen. Färbungen der Mundschleimhaut und der ab-
gehenden Excremente sind die einzigen objectiven Erscheinungen bei den beiden
letztern; auch die mono- und disubstituirten Rosaniline, wie Methyl- und Di-
methylrosanilin, verhalten sich indifferent.
Triphenylrosanilin ist nur bei längerm Fortgebrauche nicht ohne schäd-
liche Wirkung; Einzelgaben von 0,15 — 0,20 Grm. schaden selbst kleinern Thieren
nichts; sind aber die Basen nicht gehörig ausgewaschen und mehr oder weniger
mit den zu ihrer Darstellung benutzten Metallen oder Oxydationsmitteln verun-
reinigt, so können die betreffenden Vergiftungen nicht ausbleiben. Selbst der
Staub, welcher sich beim Verpacken solcher Farben bildet, wird bei den damit
beschäftigten Arbeitern Krankheiten erzeugen können.
Es ist eine häufig gemachte Erfahrung, dass mit Fuchsin gefärbte Flanell-
jacken Erythem und Ekzem auf der Haut erzeugen, wenn das benutzte Fuchsin
arsenhaltig war. Bei dem vielfältigen Gebrauche der in den Anilinfarbenfabriken
abfallenden arsenikalischen Verbindungen zum Beizen oder Aviviren können
gewisse Quantitäten Arsen niedergeschlagen werden, welche auf den Zeugen
haften bleiben.11) Es ist durch hinreichende Beispiele nachgewiesen worden, dass
man selbst Bonbons und Drops mit solchen arsenikalischen Abfällen gefärbt
hat. Die damit gefärbten Phosphorzündhölzchen, Papiere u. s. w. lassen schon
beim Verbrennen den Arsengehalt durch knoblauchartigen Geruch erkennen.
Der Gebrauch von Anilinfarben zum Färben von Liqueuren, Conditor-
waaren und ähnlichen Genussmitteln sollte gänzlich verboten werden, da man
bezüglich der Reinheit derselben nie ganz sicher sein kann. Die Rosanilinsalze
können, abgesehen von der arsenikalischen Verbindung, auch durch ihren Gehalt
an Pikrinsäure, Oxalsäure u. s. w. schädliche Wirkungen äussern.
Freies Anilin können die Anilinfarben enthalten, wenn sie in Teigform
(en päte) oder in alkoholischer Lösung im Handel vorkommen; solche, welche in
trocknem und krystallinischem Zustande verkauft werden, sind frei von unge-
bundenem Anilin.
Die Gesundheits-Verhältnisse der Arbeiter in Anilinfabriken im Allgemeinen.
Die richtige Würdigung und Beurtheilung der in solchen Fabriken auf-
tretenden Krankheiten stösst in mancher Beziehung auf grosse Schwierigkeiten;
g36 Aromatische Körper.
als Anhaltspuuct dient zunächst in jedem concreten Falle die Beantwortung
folgender Fragen:
1) Erzeugen die betreffenden Fabriken nur Anilin? Verwenden sie dazu
vou andern Fabriken bezogenes Nitrobenzol? Oder stellen sie letzteres selbst dar?
Nach welcher Methode wird die Nitrirung des Benzols und die Reduction des
Nitrobenzols vorgenomraeu ?
2) Hat man es nur mit Anilinfarbenfabriken zu thuu, welche das fertige
Anilin beziehen und aus diesem die Farben darstellen? Welche Farben werden
vorzugsweise dargestellt? Welche Methoden kommen dabei zur Anweuduug?
Ist mau hierüber zur Gewissheit gelangt, so kann man erst der Beurtheilung
der vorhandenen Verhältnisse näher treten; aber auch diese können sich wiederum
so vielseitig gestalten, dass es der sorgfältigsten Prüfung bedarf, um in einem
concreten Falle die Ursache der etwaigen Gesundheits- Schädigung aufzufinden.
Ueberblickt man nur die Mannigfaltigkeit der verschiedenen Farben, so erhellt
hinreichend, wie gross und vielseitig das Gebiet der chemischen Thätigkeit
hierbei ist.
In den Anilinfarbenfabriken ist die Anwendung der Arsensäure bei
der Fuchsinbereitung bisher fast allgemein gewesen; hier ist es nicht bloss der
arsenikalische Staub, sondern auth der arsenikalische Dampf, welcher
sich während des Oxydationsprocesses durch Arsensäure bildet und bei Ver-
nachlässigung der erforderlichen Vorsichtsmassregeln höchst nachtheilig auf die
Fabrikarbeiter einwirkt. Wo die Rohschmelze noch pulverisirt wird, ist diese
Gefahr, wie aus dem früher Erörterten hervorgeht, am grössten; vesiculöse,
pustulöse Hautausschläge, Furunkeln oder runde, abgegränzte, mit
callösen Rändern versehene Geschwüre an den Extremitäten, am
Scrotum u. s. w. entstehen durch den directen Contact der Haut mit Arsen.
In Frankreich hat namentlich Charvet12) auch vielfache gastrische Störungen,
Uebelkeit, Cardialgie, Kolik, Verstopfung und Diarrhoe beobachtet, Erscheinungen,
die jedenfalls auf die Ingestion von Arsen hinweisen. Dagegen dürften Störungen
der Motilität und Sensibilität, die bisweilen in den spätem Perioden dieser Krank-
heiten auftreten, mehr der Einwirkung der Anilindämpfe zuzuschreiben sein, ob-
gleich nur die sorgfältigste Beurtheilung des concreten Falles einen bestimmtem
Aufschluss hierüber geben kann. Im Allgemeinen haben die Arbeiter kein
gesundes Aussehen, die Gesichtsfarbe ist meist gelblich-grau, das Auge matt
und das Gefühl der vollen Kraft fehlt. Die Lungen leiden nicht, findet
man aber Abnormitäten der Herzthätigkeit, die entweder schon früher
bestanden haben oder während der Arbeit entstanden sind, so sollte man diese
Patienten sofort entlassen, da sich solche Krankheitszustände unter den Ein-
flüssen der Anilinfabriken gewiss verschlimmern. Intensive Schädigungen der Ge-
sundheit wird man selten entdecken, wenn es sich nicht um metallische Ver-
giftungen handelt; trotzdem ist den rosigen Schilderungen über die Gesundheits-
verhältnisse der Arbeiter in Fabriken, die kein Arsen oder Quecksilber gebrauchen,
nicht beizutreten; Anilin bleibt ein höchst differenter Körper, der auch durch
seine Dämpfe zwar langsam, aber mit Sicherheit nachtheilig einwirkt, wenn
das Verweilen unter den schädlichen Verhältnissen nicht zeitweilig unter-
brochen wird.
Nun treten aber noch die verschiedenen andern verderblichen Momente
hinzu; so sind die Zersetzungsproducte z. B. des salzsauren Anilins, wie Chlor
Sanitäre Verhältnisse in Anilinfabriken. 637
und Salzsäure, die anderweitig auftretenden schwefligsauren, salzsauren, salpetrig-
und salpetersauren Dämpfe, ferner die flüchtigen Kohlenwasserstoffe, Jod- und
Bromwasserstoff, die Dämpfe von Aethyl- und Methyljodid, von verschiedenen
Aetherarten, Methylnitrat u. s.w. ii sanitärer Beziehung von grosser Bedeutung.
Dazu können mehrere Substanzen gleichzeitig einwirken, so dass häufig ein sehr
complicirtes Krankheitsbild entstehen muss. Alle alkoholischen und ätherischen
Dämpfe begünstigen die Aufnahme der Anilindämpfe; mau hat daher längst
schon die Beobachtung gemacht, dass Branntweintrinkeu auf alle Arbeiter aus-
nehmend schädlich einwirkt.
In Fabriken, wo Quecksilberchlorid noch zur Anwendung kommt, sind die
Quecksilberdämpfe und die Manipulationen mit -dem restirenden metallischen
Quecksilber häufig als Krankheitsursachen zu betrachten. Es gibt übrigens fast
kein wichtiges Metall und kein wichtiges Salz, das man nicht schon in
den Bereich der Theerfarbenfabrication hineingezogen hat, so dass auch dieser
Umstand den hinreichenden Beweis liefert, welche Menge von schädlichen Ein-
flüssen sich hier vereinigt und wie leicht eine unvorsichtige Handhabung der
zur Fabrication nothwendigen Körper von nachtheiligen Folgen begleitet ist.13)
Es sind daher in Anilinfarbenfabriken die verschiedensten, namentlich die bei
den Metallen noch zu erörternden Präventivmassregeln zu treffen, die hier zur
Vermeidung von Wiederholungen nicht speciell hervorgehoben werden können.
Auch der Staub beim Zerkleinern der verschiedenen Schmelzen muss hier noch-
mals nachdrücklich hervorgehoben werden, um die Aufgabe, welche dort der
öffentlichen Gesundheitspflege anheimfällt, in ihrer grossen Wichtigkeit darzu-
stellen und zur weitern Erforschung dieses bedeutsamen Gebietes anzuregen.
Die wichtigste Präventivmassregel in Anilinfarbenfabriken besteht immer
in der Condensation oder unschädlichen Ableitung aller gesundheits-
schädlichen Gase und Dämpfe aus dem Fabriklocale ; wo dies im vollen Sinne
des Wortes nicht möglich ist, muss die luftige und freie Einrichtung des Fabrik-
locals mit hinreichender Ventilation als Correctiv eintreten. Die „unschädliche"
Ableitung bezieht sich auf die nächste Umgebung der Fabrik, ebenso mit Rücksicht
auf die Menschen wie auf die Vegetation, denn Arsen- und Quecksilberdämpfe
dürfen auch nicht ohne Weiteres durch den Schornstein abgelassen werden. Ist
diese nicht ganz zu umgehen, so muss diesem Umstände wenigstens beim Reinigen
des Schornsteins Rechnung getragen werden. Der widerlich süsse Geruch, den
alle Anilinfarbenfabriken verbreiten, ist für die Anwohner sehr belästigend, aber
nicht zu vermeiden; die betreffenden Fabriken sollten daher schon aus dieser
Ursache nicht innerhalb der Städte, Ortschaften u. s. w. zugelassen werden.
In gut organisirten Fabriken ist für die Beobachtung der Reinlichkeit durch
Badeeinrichtungen gesorgt, welche hier ebenso nothwendig wie in Bleiweiss-
fabriken sind. Besondere Räume zum Einnehmen der Mahlzeiten sind unter allen
Umständen erforderlich; immer notwendiger wird die Einrichtung einer Menage
für die Arbeiter, um ihnen für einen entsprechenden Preis bessere Kost zu ver-
schaffen und dadurch ihre Widerstandsfähigkeit gegen vielerlei schädliche Einflüsse
zu heben. Ebenso wichtig ist ein Wechsel der Kleidung, welcher in besondern,
von der Fabrik getrennten Räumen vorzunehmen ist; eine solche Einrichtung
erfordert zwar einigen Geldaufwand, bedenkt man aber, wie sehr die Kleidungs-
stücke von den verschiedenen Gerüchen imprägnirt sind und auch auf die Familie
eine Rückwirkung äussern, so sollte man wenigstens für einen gewissen Theil
638 Aromatische Körper.
der Axbeiter diesen Wechsel einführen; gleichzeitig wird auch der Sinn für Rein-
lichkeit dadurch gestärkt. u)
Ein Wechsel der Arbeit kanu manchen Krankheiten vorbeugen und würde
es namentlich erforderlich sein, die Beschäftigung an den Digestoren und Kesseln,
wobei sich die auilinhaltigen Dämpfe besonders bemerkbar machen, zeitweilig
mit andern Arbeiten zu vertauschen.
Xylol.
Xylol, Dimethylbenzol (',;li4(CH3U^ Csllic kommt ebenfalls im Steiukohlentheer
vor. Dio Xylole sind ölartig tliessende, farblose Flüssigkeiten, sieden bei c. 1-iO0 und
treten gemeinschaftlich mit Benzol und Toluol auf. Es sind drei isomere Diinethyl-
benzole bekannt.
Einwirkung von gewöhnlichem Xylol ( Dimethylbenzol ) auf den thierischen Or-
ganismus. Ein ausgewachsenes Kaninchen aass im grossen Glaskasten, in welchem
15 Grm. Xylol auf heissera Sande verdampften. Unter grosser Unruhe, Schreien und
beschleunigter Respiration fällt es nach 8 Minuten unter rotirenden Bewegungen der
Beine auf die Seite. Nach 15 Minuten Herausnahme des Thiers in vollständiger
Anästhesie. Er^t nach 50 M. zeigen sich einige Zuckungen am Thorax, nachdem es bis
dahin auf keinen Reiz reagirt hatte: in eine sitzende Stellung gebracht, fällt es auf die
Seite. Nach einer Stunde schwache Gehversuche unter starkem Schwanken; Temperatur
im äussern Gehörgange 35° C. Nach 90 M. deutliche Reflexerregbarkeit am Auge. Am
folgenden Tage fällt es beim Gehen oft auf die Seite; am dritten Tage stirbt es in
einem tetanischen Anfalle.
Section 6 Stunden nachher. Hirnhäute nur an der Basis cerebr. blutreich; die
Plex. venös, mit geronnenem Blute angefüllt. Lungen dunkelbraun marmorirt: die
beiden untern Lappen sind braunschwarz und mit Blut durchtränkt: an ihrer Ober-
fläche findet sich unter dem Brustfell eine dünne Lage schwarzen, geronnenen Blutes; an
der Bifurcation ein ganz dünnes, flüssiges Blutextravasat. Die rechte Herzhälfte
strotzt von schwarzem, geronnenem Blute, auf dem Muse, iliac. lagert rechts und links
schwarzes, geronnenes Blut im Umfange eines Thalers. Der Tod war offenbar in Folge
von Lungenapoplexie erfolgt.
Xylidin C6H3(CH3)2NH2 ist der gemeinschaftliche Name für eine Menge isomerer
Amidoxylole. die bisher noch nicht getrennt sind, und entsteht durch Reductionsmittel
aus Nitroxylol. Es stellt eine ölige, bei 216° siedende Flüssigkeit dar, welche an der
Luft Sauerstoff aufnimmt, dadurch braunroth wird und verharzt. Es theilt mit Anilin
die meisten chemischen Eigenschaften: auch auf den thierischen Organismus wirkt
es in ähnlicher Weise ein; nur fehlen beim Xylidin die allgemeinen Krämpfe.
Einwirkung von Xylidin auf den thierischen Organismus. ') Eine Taube erhielt
0,50 Grm. davon: starkes Schwanken und Hinstürzen nach 5 M. Sie bleibt in der Seiten-
laue wie in ruhigem Schlafe: beschleunigter Herzschlag bei etwas erschwertem Athmen
und verengter Pupille. Dieser Zustand hält 2% Stunden an; die Taube ist reactionslos,
die Pupille erweitert, die Respiration vermehrt: nach 4 Stunden unregelmässiges Athmen,
das immer mehr abnimmt, bis nach 5 Stunden 5 M. der Tod eintritt.
Section 15 Stunden hernach. Auf dem Kleinhirn ein flüssiges Blutextravasat
von 1 Ctm. Breite. Lungen hellroth, auf den Durchschnitten flüssiges Blut; das ganze
Herz ist mit schwarzem, geronnenem Blute angefüllt Leber auffallend blutreich.
2) Ein starkes Kaninchen erhielt im Verlaufe einer Stunde 2 Grm. und, da nach
6 Stunden keine Wirkung eintrat, 2,9 Grm.; erst jetzt sinkt es allmählig in die Seiten-
lage. Bei Gehversuchen schleppt es die Hinterbeine nach, fällt aber in die Seitenlage
zurück und bleibt schliesslich liegen. Nach 3 Stunden Zittern der Beine und des ganzen
Körpers; nach 6 Stunden sehr beschleunigte Respiration und nach 16 Stunden Tod unter
tiefen Inspirationen.
Section nach 20 Stunden. Ueber den Corp. quadrig. ein erbsengrosses Blut-
extravasat. Lungen blassroth, der rechte mittlere Lappen blutig infiltrirt, das Herz
ganz mit schwarzem, geronnenem Blute angefüllt.
3) Sehr dichte Dämpfe von Xylidin erzeugten bei einer Taube nur starken
Taumel.*)
*) Schwefelsaures Xylidin C6H3(CH3)2NH2 -+■ S03H wirkt ähnlich. Eine
starke Taube starb nach der Ingestion von 0,665 Grm. binnen 12 Stunden und zwar
ebenfalls ohne Krämpfe. Eine junge Taube erlag während derselben Zeit einer Gabe
Cumol. 639
Oxydationsproduete der Xylole.
Bei der Behandlung der Xylole mit Oxydationsmitteln wird das Methyl in
Carboxyl (COOH) oxydirt. Je nach der Intensität der Oxydation bildet sich entweder
/ CTT / CO OTT
Toluylsäure C6H4 ( COOH ocler P^a^s^ure CgH4 ( COOH- Mai1 unterscneidet drei
somere Toluylsäuren, welche der Benzoesäure ähnlich krystalliren und sich durch
den Schmelzpunct vorzugsweise unterscheiden. Ebenso sind drei isomere Phtalsäuren
bekannt. Die eigentliche Phtalsäure C8H604 wird aus dem Naphtalin mittels Oxy-
dation durch Chlor gewonnen und heisst deshalb auch wohl Naphtalinsäure. Ihr
Entdecker, Laurent, hatte aber schon nachgewiesen, dass sie dem Typus der NaphtaTm-
reihe nicht mehr angehörte, weshalb er durch Weglassung der beiden ersten Buchstaben
die Minderheit an Kohlenstoff bezeichnen wollte. Bei der Einwirkung der Salpetersäure
auf Alizarin und Purpurin, die beiden Krappfarbstoffe, entsteht sie ebenfalls. (M. vergl.
die Darstellung im Grossen bei Naphtalin.)
Einwirkung von wasserfreier Phtalsäure anf den thierischen Organismus. Eine
Taube, welche im kleinen Zinkkasten den Dämpfen der erhitzten wasserfreien Phtalsäure
ausgesetzt wurde, verfiel in einen starken Husten mit Dyspnoe. Nach der Herausnahme
(nach 15 M.) hielten Rasselgeräusche in der Kehle und beschwerliches Athmen die Hälfte
des Tages noch an. Am andern Tage ist die Athmung normal.
Beim Menschen erzeugen die Dämpfe der Phtalsäure ein stechendes Gefühl
in der Nase, vermehrte Schleimabsonderung und reizen stark zum Husten; ihre
Wirkung ist in dieser Beziehung sehr ähnlich den Dämpfen der Benzoe- und
Bemsteinsäure.
Cumol.
Cumol oder Propylbenzol C6HS(C3H71 wird aus der Cu min säure dargestellt.
Pse-'documol ist ein im Steinkohlentheer vorkommendes Trilliethylbenzol C6H3(CH3V
Einwirkung von Pseudocnmol auf den thierischen Organismus. Im kleinen Holz-
kasten, in dem ein junges Kätzchen sitzt, verdampfen 30 Grm. Pseudocumol auf heissem
Sande in einer Schale. Bald zeigen sich Speicheln, Unruhe, Zittern, Taumel und öfteres
Hinfallen; dann Seitenlage mit rotirenden Bewegungen der Extremitäten. Nach 11 M.
vollständige Anästhesie. Bei der Herausnahme des Kätzchens nach 30 M. war die Tem-
peratur auf 35° C. gesunken: zeitweilig wiederholen sich die rotirenden Bewegungen
der Extremitäten. Nach 15 M. stürzt es bei Gehversuchen auf den Kopf und macht
einen förmlichen Purzelbaum; erst 30 M. nachher bleibt es aufrecht sitzen. Nach drei
Stunden nimmt es wieder Futter zu sich und bleibt dann gesund.
Die Wirkung ist somit ähnlich der von Xylol, jedoch weniger intensiv und
gefährlich, obgleich die Anästhesie eben so vollständig wie bei Xylol war.
Cumidin, Amidocumol C6H2(CH3)3NH2=C9HUNH2 wird aus dem Nitrocumol
C9Hn(N02) in derselben Weise wie Anilin aus dem Nitrobenzol dargestellt. Die ge-
wonnene Base wird in das Oxalsäure Salz übergeführt und mit Kalilauge zerlegt. Es
ist eine ölartige, farblose Flüssigkeit, welche in der Kälte zu Tafeln erstarrt und an der
Luft allmählig dunkelroth wird.
Einwirkung von Cumidin auf den thierischen Organismus. Einer ausgewachsenen
Taube wurden 0,36 Grm. Cumidin eingeflösst; sie schwankt sofort, stürzt auf den Kopf
und bleibt in der Seitenlage wie im Schlafe liegen, während der Herzschlag sich bei
erschwertem Athmen beschleunigt. Nach 25 M. vollständige Anästhesie, nach 50 M.
Abnahme der Respiration bis zum Tode nach 60 M. Noch 1% M. lang bewegt sich das
Herz. Section nach 1 Stunde. Seitlich vom Sinus longitud. der Dura mater zeigt sich
ein dünnes, 1 Ctm. breites Extravasat von dünnflüssigem Blute; unter der Schleimhaut
des Kropfes ein thalergrosses, ganz dünnes Blutextravasat. Lungen hellroth, ziemlich
blutreich; das Herz strotzt von schwarzem, geronnenem Blute.
Die üebereinstimmung des Krankheitsbildes mit dem von Xylidin geht aus
dem Versuche hinreichend hervor.
von 0,33 Grm. Dagegen wurden einem mittelgrossen Kaninchen binnen zwei Tagen
1,5 Grm. ohne Nachtheil eingeflösst. T ,
Aethylxylidin entspricht vollständig dem Aethyltoluidin. Eine starke laube
starb nach 0,48 Grm. binnen 22 Stunden in soporösem Zustande. Em mittelgrosses
Kaninchen erhielt binnen zwei Tagen 4,7 Grm. und starb am dritten Tage ebeniaüs
in Sopor.
f,40 Naphtalin.
Cymol.
Cymol«1 sind Für die Industrie der Theerfarbcn ebenso wenig wie Cumol von Be-
deutung. Das Cymol, welches im Steinkohlentheer enthalten ist, gehört zu den Tetra-
mcthylbenzolen "C6H2(CH3)4. In seiner Wirkung auf den thierischen Organismus
verhalt es sieh wie Cumol. Seine Dämpfe erzeugten, als lö Grm. davon im grossen
Glaskasten verdampften, bei einem jungen Kätzchen nach 30 M. eine ziemlich vollstän-
dige Anästhesie, der grosse Unruhe, Zittern, Zuckungen und rotirende Bewegungen der
Extremitäten vorhergingen; letztere hielten auch an der frischen Luft an: Taumel und
Hinstürzen zeigten sich noch 20 M. hernach. — Am andern Morgen ist die Restitution
vollständig. * )
Cymidin. Amidocymol C6H(CH3)4NH.j wird durch Reduction aus Nitrocymol als
ein gelbliches, fast geruchloses Oel erhalten.
Einwirkung von Cymidin auf den Ihierischen Organismus. Einer Taube wurden
0,40 Grm. eingeflösst. Nach 10 Minuten schwankt sie; nach 15 M. nimmt sie unter
starkem Würgen die Bauchlage ein. Nach 30 M. liegt sie auf der Seite wie im tiefen
Schlafe, der nur bisweilen durch Würgen, Erbrechen und tiefes Inspiriren unterbrochen
wird. Nach 4 Stunden tritt der Tod nach mehrstündiger Agone ein.
Section ;"> Stunden nachher. Das Kleinhirn ist mit einem sehr dünnen, flüssigen
Blutextravasat überzogen; Lungen hellroth und dunkelbraun marmorirt, auf den Durch-
schnitten viel flüssiges, dunkelrothes Blut. Das ganze Herz mit flüssigem, schwarz-
rothem Blute angefüllt, das sich kaum bemerkbar an der Luft röthet.
Auch aus diesem Versuche erhellt, wie sehr die verschiedenen Amidoderivate
der aromatischen Kohlenwasserstoffe in ihrer Wirkung auf den thierischen Organis-
mus übereinstimmen.
Naphtalin.
Naphtalin C[0H8 wird bei der Rectification des Steinkohlentheers gewonnen (siehe
S. <>04) und ist überhaupt ein häufig auftretendes Product der trocknen Destillation or-
ganischer Körper, wenn dieselbe bei sehr hoher Temperatur stattfindet. Auch bildet es
sich bei der Zersetzung des Leuchtgases in hoher Temperatur, des Alkohols und der
Essigsäure in glühenden Röhren. Es stellt im gereinigten Zustande farblose, fettglän-
zende Blättchen dar, die nach Styrax riechen, scharf aromatisch schmecken und bei 218°
sieden. Mit Schwefelsäure bildet es bei niederer Temperatur et Xaphtalinsulfo-
sänre Cj0H7S03H, bei höherer ß Xapktalinsulfosäure, die verschiedene Eigenschaften
besitzen.
Einwirkung der Dämpfe von Naphtalin auf den thierischen Organismus. Ein
junges Kaninchen wurde in den grossen Glaskasten gebracht, in welchem 4 Grm.
chemisch reines Naphtalin verdampften. Sogleich zeigte sich Putzen der Schnauze,
Ausfluss von Speichel und Thronen der Augen: diese Erscheinungen verloren sich all-
mählig bei ungestörter Fresslust. Das Thier blieb 3 Tage in dem Kasten, in dessen
Mitte sich eine 1 Zoll weite schlotähnliche Oeffnung befand; in's Freie gelassen, bleibt
es gesund und zeigt gar keine Nachkrankheiten.
Bei den Arbeitern erzeugen die Dämpfe bisweilen Augenentzündungen,
namentlich Conjunctivitis, neben Husten und drückendem Kopfschmerz in der
Stirngegend; alle Erscheinungen lassen jedoch in der Regel nach, wenn man sich
den Dämpfen entzieht. Bei der Destillation resp. Rectification der Pressrück-
irtände sind die Arbeiter oft tagelang diesen Dämpfen ausgesetzt, so dass sich
das sublimirte Naphtalin in den Augenbrauen, im Barte und auf dem ganzen
*) Thymol C10H14O, ein Bestandteil des Thymianöls, ist das Phenol des a Cymols
und hier zu erwähnen, weil man sich bemüht hat, dasselbe in grössern Mengen aus dem
Theer zu gewinnen und als Desinfectionsmittel practisch zu verwerthen.
Naphtalin. 641
Gesicht ablagert, ohne dass ein sichtbarer Nachtheil dadurch entsteht. Nur bei
einzelnen Arbeitern halten Kopfschmerzen und ein Gefühl von Betäubung längere
Zeit an.
Dann namentlich treten diese Nachtheile ein, wenn das Naphtalin mit Alkalien
und Säuren behandelt wird, weil sich hier flüchtige Basen, vorzüglich Picolin, mit ent-
wickeln. Bei der Destillation kann man die Naphtalindämpfe ganz gut vermeiden wenn
man sie durch kalte Röhren leitet, wobei das Naphtalin als Sublimat abgeschieden wird.
Naphtalin ist zwar bei jeder Temperatur flüchtig; die reizende Einwirkuno- der
Dämpfe macht sich aber erst bei höherer Temperatur geltend; deshalb fiel°auch
das Experiment mit dem Kaninchen negativ aus.
Durch die therapeutische Benutzung des Naphtalins wird der Beweis geliefert,
dass Naphtalin in einer Gabe von 4 Grm. ohne alle nachtheilige Wirkung genommen
werden kann; am ehesten werden Verdauung und Appetit dadurch gestört. Tauben,
denen Gaben von 0,5 Grm. davon eingeflösst werden, bekommen nur Erbrechen, ohne
dass Nachkrankheiten entstehen.
Bei der Darstellung von Naphtalin im Grossen werden die schweren
Th.eröle benutzt, die so reich an Naphtalin sind, dass sie beim Erkalten
erstarren.
Man entfernt das Oel durch Centrifugen und hydraulische Pressen. Die Press-
kuchen werden durch circulirenden Wasserdampf geschmolzen und mit Natronlauge
und Schwefelsäure behandelt. Nach gründlichem Auswaschen und mehrmaliger
Behandlung mit Natronlauge folgt die Destillation über freiem Feuer, wobei die
Condensatoren (tonnenartige Gelasse) die Temperatur des geschmolzenen Naphtalins
haben müssen. Die hier austretenden Dämpfe leitet man in kaltgehaltene Röhren, damit
sich Naphtalin ausscheidet.
Bei der Behandlung mit Natronlauge treten noch Theerbasen und beim Zu-
sätze der Schwefelsäure schweflige Säure auf, weshalb man geschlossene Gefässe
benutzen muss; ebenso hat man bei der letzten Behandlung mit Natronlauge für die
Ableitung der hier noch auftretenden leichten Kohlenwasserstoffe zu sorgen.
Rectification des rohen Naphtalins. Dieselbe geschieht in derselben
Weise durch Behandeln mit Lauge und Schwefelsäure mit nachfolgender Destillation.
Sie bildet bisweilen einen besondern Industriezweig und bedarf dann einer beson-
dern Concessions-Verleihung. Die Fabrication ist wegen der vielfachen Emanationen und
der grossen Feuersgefahr in Städten nicht zu dulden. Man hat besonders darauf zu
achten, dass das Rohproduct in einem besondern Räume und niemals im Destillations -
raume lagert und dass ferner für die Condensation der Dämpfe die betreffenden Ein-
richtungen vorhanden sind. Die Methode, das Naphtalin in siedendem Benzol aufzulösen
und dadurch zu reinigen, ist noch viel feuergefährlicher, da das Benzol noch lange dem
krystalliniscken Naphtalin anhaftet, allmählig verdunstet und die Lagerräume mit seinen
Dämpfen so anfüllt, dass sie niemals mit einem brennenden Lichte betreten werden
dürfen.
Die Verwendung von Naphtalin in der Technik hat bis jetzt nur eine beschränkte
Ausdehnung erlangt; man stellt rothe, violette und namentlich gelbe Farben
aus demselben dar. Naphtalin als solches wird besonders in England als Schmierfett
benutzt, kann aber auch wie Kampher zum Schutz der Kleider und Pelze vor Motten-
frass gebraucht werden.
Chlorderivate des Naphtalins.
Chlor und Brom können den Wasserstoff im Naphtalin verdrängen und seine
Stelle einnehmen. Napktalindichlorid CI0H8C12 und Dichlornaphtalin CJ0H6CL> gehören
zu diesen Verbindungen ; das letzte Product der Einwirkung von Chlor auf Naphtalin ist
Tetrachlornaphtalin C]0H4C14. Es übt keine giftigen Wirkungen auf den thie-
rischen Organismus aus; seine Dämpfe reizen die Schleimhaut der Nase, der Augen
und der Respirationswege zwar bedeutend, lassen aber keine Nachkrankheiten zurück.
Eine Taube wurde in der Glasglocke 15 M. lang den Dämpfen ausgesetzt, die aus 2 Grm.
entwickelt wurden: es zeigten sich nur starkes Blinzeln mit den Augen, flüssiger Nasen-
ausfluss und Husten; herausgelassen, springt sie sofort herum und bleibt gesund.
Hydroxylderivate des Naphtalins.
Naphtol C10H7(OH) entsteht beim Schmelzen der Naphtalinsulfosäuren mit Kalium-
hydrat. Je nach der Anwendung der verschiedenen Naphtalinsulfosäuren erhält man
Eulenberg, Gewerbe-Hygiene. 41
642 Naphtalin.
a und [3 Naphtole von verschiedenem Schmelzpuncte, die vollkommen den Phenolen
entsprechen. Sie werden jetzt auch im Grossen dargestellt.
Dinitronaphtol C^H^NO^O ist hier zu erwähnen, weil es als Naphtalingelb
(s. dieses) in der Färberei vielfache Verwendung findet.
Chinonderivate des Naphtalins.
Naplltochinon C10H6O2 entspricht dem Chinon und stellt goldgelbe Nadeln dar.
Bekannter ist Dichlornaphtochinon C)0H4Cl2O2, das sich in heisser alkoholischer Kalilauge
carmoisinroth auflöst und hierbei in Chlofoxynaphtalinsäure C,0H4C1(OH)02, sowie
in Naphtazarin Clt,H4(OH)202 übergeht, indem sich Chlor gegen Hydroxyl austauscht.
Die Darstellung von Chlornaphtalinsäure geschieht durch Behandeln des Naphta-
lins in der Killte mit chlorsaurem Kalium und Salzsäure; der ausgepresste Rück-
stand wird mit Salpetersäure versetzt, wobei sich eine Menge Dämpfe von Unter-
salpetersäure entwickeln, die sorgfältig abzuleiten sind. Man erhält ein krystallinisches
gelbe s Pulver, das in heissem Wasser löslich ist und nicht gebeizte Wolle intensiv
roth färbt. Auf den thierischen Organismus wirkt es nicht nachtheilig ein,
da einem Kaninchen 1 CC einer gesättigten Lösung ohne allen Nachtheil subcutan in-
jicirt werden konnte.
Nitroderivate des Naphtalins.
Nitronaphtalin C1oH7(NO)3 stellt schwefelgelbe, bei 43° schmelzende Krystalle dar.
Ausser Dinitronaphtalin und seinen zwei Isomeren gibt es noch Tri- und Tetra-
nitro naphtalin C10H4(NO2)4, welche viel höhere Schmelzpuncte haben. Diese Nitro-
verbindungen werden zur Darstellung von Naphtylamin benutzt.
Nitronaphtalin erzeugte als Dampf bei einer jungen Taube Taumel und Neigung
zum Rückwärtsfallen. Nach 7 M. fällt sie rückwärts, richtet sich aber wieder auf, was
sich mehrmals wiederholt; dabei pfeifendes und beschleunigtes Athmen. Bei der Heraus-
nahme, nach 15 M, stürzt sie beim Gehen kopfüber, erholt sich aber nach 2 Stunden
vollständig; nur ihre Stimme bleibt 8 Tage lang tiefer als sonst.
Einem Kaninchen wurde 1 Grm. , einer Taube 0,5 Grm. Nitronaphtalin ohne
Wirkung eingeflÖsst; nur erfolgte bei letzterer ein einmaliges Erbrechen. Di- und
Tri nitronaphtalin haben wegen ihrer Unlöslichkeit in Wasser noch schwächere
Wirkung.
Reductionsproducte des Dinitronaphtalins.
Dioxynapbtachinon (Naphtazarin) C10H4(OH2)O2 ist dem Alizarin analog con-
stituirt und wird dargestellt, indem man Portionen von Dinitronaphtalin abwechselnd
mit kleinen Mengen Zink in erhitzte concentrirte Schwefelsäure einträgt. Der er-
haltene Farbstoff färbt mit Aluminiumacetat gebeizte Baumwolle röthlich violett,
hat aber noch wenig technische Verwendung gefunden. Cyankalium bildet mit Di-
nitronaphtalin ein Kaliumsalz von stark kupferglänzendem Aussehen.
Amidoderivate des Naphtalins.
Die Amidonaphtaline entstehen durch Reduction der Nitronaphtaline. Bei der
Darstellung im Grossen verfährt man wie bei der Anilinfabrication ; je nach der
Anwendung der verschiedenen Nitronaphtaline erhält man Amidonaphtalin (Naphtylamin)
C10H7NH2, Di- und Triamidonaphtalin C10H5(NH2)3.
Amidonaphtalin krystallishrt in feinen weissen Nadeln, welche bei 50 ° schmelzen,
bei 300° sieden; es riecht unangenehm und schmeckt scharf und bitter. Mit den
meisten Säuren bildet es krystallisirbare, in Wasser lösliche Salze, welche mit Oxyda-
tionsmitteln einen azurblauen Niederschlag liefern, der sehr bald purpurfarbig wird.
Einwirkung von Naphtylamin auf den thierischen Organismus, l) Die aus
l Grm. erwärmten Naphtylamins entstehenden Dämpfe werden in den Zinkkasten ge-
leitet, in dem eine grosse Taube sitzt. Es entstehen Unruhe, Husten, Nasswerden des
Schnabels, angestrengtes und unregelmässiges Athmen; nach 7 M. mehrmaliges Er-
brechen. Nach 1"> M. herausgenommen, stürzt sie beim Fortlaufen kopfüber; die Be-
täubung lässt aber bald nach und bloss der Husten hält noch einige Zeit an.
2) Derselbe Versuch erzeugte bei einem grossen Meerschweinchen ganz dieselben
Erscheinungen. Die Dämpfe sind schwer und lagern sich rasch ab, weshalb die Ein-
wirkung jedesmal bei frischer Einleitung deutlich zu Tage tritt.
Ganz anders gestaltet sich das Bild bei der Ingestion dieses Körpers. Einer
Taube wurde 0,5 Grm. Naphtylamin eingeflösst; nach 5 M. Erbrechen, Betäubung
Naphtalin - Industrie. 643
und Hinfallen; sie erhebt sich schwankend, stürzt aber nach 7 M. ohne Krämpfe hin.
Nach 10 M. liegt sie wie im tiefen Schlafe und verbleibt in demselben 11 Stunden; nur
beim Aufheben Öffnet sie die Augen und zieht beim Kneifen der Beine diese an. Nach
12 Stunden Abnahme der Respiration und des Herzschlags, die fortschreitend bei voll-
ständiger Reactionslosigkeit erlahmen. Nach 13 Stunden erfolgt unter krampfhaften In-
spirationen der Tod.
Section nach 20 Stunden. Einzelne Gefässe der Pia mater auf dem Kleinhirn
auffallend erweitert, die Med. oblong, mit einem durchsichtigen Blutextravasat über-
zogen. Im Zellgewebe unter der Schleimhaut des Kropfes ein oberflächliches dunkles
Blutextravasat. Lungen zusammengefallen, braunroth, nur einzelne geronnene Blut-
klümpchen treten auf den Durchschnitten zu Tage. Das ganze Herz ist vollständig
mit geronnenem Blute angefüllt. Nur die Leber enthält dickflüssiges Blut.
Bei einem Kaninchen brachten 0,75 Grm. Amidon aphtalin nur einen Zustand von
Betäubung hervor: selbst 2 Grm. am folgenden Tage hatten keine nachtheiligere Wirkung.
Für grössere Warmblüter ist daher dieser Körper weniger giftig; nur bei Tauben wirkt
er ähnlich wie Anilin.
Bei den Arbeitern vermag der widerliche Geruch der Dämpfe Uebelsein,
Erbrechen und Anorexie zu erzeugen; die Erscheinungen lassen aber nach Besei-
tigung der Ursache bald nach; nur bei längerer Einwirkung der Dämpfe bleiben
Kopfweh und Betäubung neben Reizung der Bronchien längere oder kürzere Zeit
zurück.
Aetliylnaphtylainin C12H13N wird in Laboratorien in analoger Weise wie die ent-
sprechende Anilin- und Toluidinverbindung dargestellt: eine ölartige Flüssigkeit, welche
leichter als Wasser ist und sich rasch färbt: ihre Lösungen in Alkohol und Aether
zeigen eine prächtige Fluorescenz.
Die Einwirkung dieses Körpers auf den thierischen Organismus ist ähnlich
der des Naphtylamins, grade wie sich Aethylanilin und Aethyltoluidin dem Anilin und
Toluidin gegenüber verhalten.
Naphtalin- Industrie.
Im Grossen werden die Chlorverbindungen des Naphtalins darge-
stellt, wozu man eine Mischung von chlorsaurem Kalium und Salzsäure
benutzt. Der Rückstand wird durch Pressen von den flüssigen Chlorverbindungen
des Naphtalins getrennt; der Pressrückstand, die krystallinische Verbindung,
enthält vorzugsweise Naphtalindichlorid. Man hat hierbei die Arbeiter vor der
Einwirkung der salzsauren Dämpfe zu schützen; der chemische Process muss
daher in geschlossenen Apparaten vor sich gehen.
Die Fabrication der Phtal säure geschieht noch häufig durch die Einwirkung der
Salpetersäure auf Naphtalindichlorid, wobei sich neben den Dämpfen der
Untersalpetersäure auch die von Chlor und Salzsäure entwickeln. Enthielt
das Naphtalin noch Carbolsäure, so können sich auch die Dämpfe von Di- und Tri-
chlorphenylsäure sowie von Chlorpikrin hinzugesellen; es liegt daher die drin-
gende Veranlassung vor, die Arbeiter vor diesen Dämpfen zu schützen.
Gegenwärtig lässt man zur Darstellung von Phtalsäure hauptsächlich Kali um -
bichromat und Schwefelsäure auf Naphtalin einwirken, wobei man ebenfalls nur
geschlossene Apparate benutzen darf, da namentlich die Zersetzungsproducte des Naphta-
lins und der gebildeten Phtalsäure auftreten. Bei der Auflösung des erhaltenen Pro-
ducts entwickelt sich viel Kohlensäure neben den Dämpfen der Phtalsäure.
Bei der Uebersättigung dieser Flüssigkeit mit Natriumcarbonat schlägt sich
Chromoxyd nieder und man erhält nach einiger Zeit eine röthlich gefärbte Flüssigkeit,
welche mit Schwefel- oder Salzsäure einen carmoisinrothen Niederschlag (Carmin-
naphta, Naphtilcarmin) bildet.*)
Die vom Carminnaphta abfiltrirte Flüssigkeit wird im Wasserbade abgedampft ; es
scheidet sich zuerst Natriumsulfat aus; dann lagern sich die glänzenden Blättchen
der Phtalsäure C8He04 ab.
*) Carminnaphta bildet mit Alkalien gelbrothe, in Wasser lösliche Verbin-
dungen, die Seide und Wolle ohne Beize orange oder violett färben.
41*
(344 Anthracen.
Phtalsäure ist Benzoesäure plus Kohlensäure C7H602 -+• C02 = C8H604; die
Deberfuhrung der Phtalsäure in Benzoesäure hat übrigens noch keine technische Wichtig-
keit erlangt.
Aus phtalsaurem Calcium erhält man bei einer Temperatur von 330 — 350°
benzoesaures Calcium.
Naphtalinfarben. Alle Oxydations- und Reductionsmittel wirken auf Naphtyl-
amin iu analoger Weise wie auf Anilin ein. Es gibt übrigens nur zwei Fabriken,
welche Magdalaroth in geringer Menge fabriciren. Naplitalingelb ist neben
Phtalsäure das einzige Product aus Naphtalin, welches in grösserem Massstabe
dargestellt wird, obgleich sich nur 3 Fabriken (1 in England und 2 in Deutschland)
mit der Fabrication dieser Farbe beschäftigen.
Naphtamein nennt man einen violettbläulichen Farbstoff, welcher durch
Einwirkung von Oxydationsmitteln (Eisenchlorid, Chromsäure, Quecksilberchlorid u. s. w.)
auf ein Naphtylaminsalz erhalten wird.
Naphtylaminviolett entsteht, wenn man salpetrige Säure auf Naphtylamin ein-
wirken lässt und das Product mit Oxydationsmitteln : Arsensäure, Zinnchlorid, Quecksilber-
nitrat u. s. w., behandelt.
Naphtvlaniinroth (Magdalaroth, Hofmann's Naphtalinroth) ist dem Rosanilin
insofern ähnlich als nicht die freie Basis, sondern die Verbindung derselben den Farb-
stoff liefert. Im Grossen wird es durch Einwirkung von salpetrigsauren Salzen auf
Naphtvlaminsalze dargestellt. Die salpetrigsauren Salze werden in der Fabrik
gewonnen, indem man die sauren Dämpfe in grosse Behälter leitet, in denen Lauge
diesen entgegen rieselt. Der Farbstoff empfiehlt sich nur für helle Tinten und für den
Druck, soll aber sehr haltbar sein.
Naplitalingelb (Martiusgelb, Manchestergelb, Dinitronaphtol) wird durch
Kochen von salpetrigsaurem Naphtylamin mit einer Lösung von salpetrigsaurem
Kalium gewonnen; es entwickelt sich viel Stickstoff während der Einwirkung. Der
sich in gelben Krystallen ausscheidende Farbstoff wird durch Auflösen in Ammoniak
goreinigt. Das Ammoniumsalz wird durch Chlorcalcium in das Calciums alz Ci0H5(NO2)2
CaO + 3Aq. verwandelt. Reine Dinitronaphtolsalze sind nicht explosiv; die Explosivität
rührt nur von zufälligen Verunreinigungen her.1)
Anthracen.
Anthracen C14H,0 krystallish't in glänzend weissen Blättchen mit bläulichvioletter
Fluorescenz, welche bei 213° schmelzen und bei 3G0° sieden; ein Verdampfen tritt aber
schon unter dem Schmelzpunct ein. Die Dämpfe des Anthracens riechen unangenehm
and wirken wie die des Naphthalins reizend auf die Respirationswege ein. In Alkohol
und Aether ist es schwer, in siedendem Benzol sehr leicht löslich.
Zur Darstellung von Anthracen wird vorzugsweise das bei der Rectification des
Steinkohlentheers gewonnene grüne Schmierfett (s. S. 604) benutzt.*) Man lässt
dasselbe einige Zeit an einem kalten Orte stehen, um die Ausscheidung von Anthracen
zu befördern, filtrirt die Masse durch eine Filterpresse und wäscht die durch Ausschleu-
dern getrocknete Masse mit Benzol oder Petroleumessenz aus, um den Antheil an
Naphtalin oder Phenol zu beseitigen. Durch nochmaliges Auschleudern und Schmelzen
erhält man schliesslich eine paraffinartige, grünlich-weisse Masse von krystal-
linischem Bruche. Durch Sublimation derselben stellt man das reine Anthracen
in kleinen, weissen Blättchen dar.
Die Anthracenfabrication ist stets mehr oder weniger mit Belästigungen für
die Umgebung verbunden. Da sie nach der Gewerbeordnung vom 21. Juli 1869
einem Concessionsverfahren unterliegt, so ist sie niemals in Städten oder dicht
bevölkerten Vorstädten zu dulden, namentlich wenn es sich um eine gleichzeitige
Destillation oder Verkokung des Pechs handelt.
*) Man gebraucht auch das harte und weiche Pech, das aber ein weniger reines
Anthracen geben soll (s. die Anmerk. auf S. 605).
Alizarin-Industrie. 645
Bei der Reinigung des Rohanthracens sind es die Dämpfe der
Petroleumessenz oder des Benzols, welche sich sowohl wegen der Feuers-
gefahr als auch wegen der schädlichen Einwirkung auf die Arbeiter im Fabriklocal
nicht verbreiten dürfen. Man sorge daher stets für dicht geschlossene Gefässe
und eine vollständige Condensation der Dämpfe.
Chinonderivate des Benzols.
Anthrachinon C14H802 wird durch Kochen von Anthracen mit Salpeter-
säure oder durch Behandeln von Kaliumbichroniat und Schwefelsäure erhalten.
Es stellt rothgelbe bis weissliche Krystalle dar, welche bei 276° schmelzen und von
concentrirter Schwefelsäure mit röthlich-gelber Farbe in der Kälte gelöst werden.
Erwärmt man die Lösung stark und lange, so bildet sich Mono- und Disulfantliracllinon-
säure C14H602. 2S03H: wird letztere mit Natriumhydrat geschmolzen, so bildet
sich Dioxyanthrachinon oder Alizarin C14H6(OH)2 02==C14H804, indem die beiden
Säurereste (S03H) durch zwei Hydroxyle (OH) ersetzt werden.
Alizarin -Industrie.
Die technische Darstellung des Alizarins zerfällt gegenwärtig 1) in die
Oxydation des Anthracens in Antrachinon; die meisten Fabricanten ge-
brauchen dazu Kaliumbichromat und Schwefelsäure uud lassen die Mischung
mehrere Stunden lang in irdenen oder metallenen, inwendig emaillirten G-efässen
kochen; 2) in der Behandlung des Anthracens mit rauchender Schwefelsäure,
um es in Disulfanthrachinonsäure zu verwandeln; 3) in die Ueberführung
dieser Säure in das entsprechende Natriunisalz, indem die Disulfanthrachinon-
säure mit überschüssigem Natriumhydrat behandelt und zur Trockne ein-
gedampft wird; 4) in das Schmelzen des disulfanthrachinonsauren
Natriums mit Natriumhydrat.
In technischer Beziehung ist die letztere Operation der wichtigste Act, weil bei
zu starker Erhitzung; das Alizarin in Benzoesäure übergeführt resp. zerstört wird, und
bei zu schwacher Erhitzung das Alizarin im intermediären Uebergangsstadium verbleibt,
indem Sulfoxyanthrachinon C14H602J oq -er entsteht.
Die Schmelze wird in heissem Wasser gelöst, filtrirt und mit verdünnter
Schwefelsäure übersättigt. Unter Entwicklung von schwefliger Säure und Kohlen-
säure schlägt sich Alizarin in bräunlich-gelben Flocken nieder; diese werden auf
einem Filtrum gesammelt und mit kaltem Wasser gewaschen*).
Die Alizarinindustrie bietet in sanitärer Beziehung keine grossen Be-
denken dar. Bedient man sich der Salpetersäure als Oxydationsmittel, so hat man
für die Beseitigung der salpetrigsauren Dämpfe zu sorgen; ausserdem erzeugen sich
keine nachtheiligen Gase und Dämpfe. Die Menge der schwefligen Säure beim
Auswaschen der Schmelze richtet sich natürlich nach dem Umfange der Production: es
hängen daher auch die zu treffenden Vorsichtsmassregeln hiervon ab, niemals dürfen
sich aber diese Gase im Fabrikiocale ansammeln.
Die Waschwässer sind sehr reich an schwefelsauren Chromsalzen, die
man bei einem geregelten Betriebe zur Darstellung des Chromalauns oder zur
Regeneration von Kaliumchromat benutzen wird; ihr freier Abfluss oder Versickern
ist nicht zu gestatten. Ob die Wässer, welche bei der Lösung der Schmelze entstehen und
namentlich Natriumsulfit enthalten, zum Abfluss gelangen können, muss nach den ört-
lichen Verhältnissen beurtheilt werden; in kleinern Wasserläufen, welche zu ökonomischen
Zwecken benutzt werden, würden sie entschieden nachtheilig einwirken. Ebenso verhält
es sich mit den durch Farbstoffe verunreinigten Wässern, welche nur in grössere Wasser-
läufe mit hinreichender Strömung ohne Nachtheil abgelassen werden dürfen, widrigenfalls
sie einer Klärung zu unterwerfen sind.
*) In der Fabrik zu Höchst wird Anthracen mit Kaliumbichromat und Salpeter-
säure gekocht. Das entstandene Anthrachinon bleibt in der Salpetersäure gelöst und
zwar als Mononitroanthrachinon C14Hr(N02)02. Durch Zusatz von Wasser schlägt
sich ein gelbes Präcipitat nieder; dann folgt der Zusatz der rauchenden Schwefelsäure
und die weitere, oben erwähnte Behandlung.
646 Picolinbasen.
Stets ist es für den Betrieb einer solchen Fabrik ausserordentlich nützlich, wenn
sie an einem bedeut3nden Flusse liegt, über hinreichende Wassermengen gebieten kann
und in dem Ablassen der hinreichend verdünnten Abfallwässer nicht behindert ist.
Das rohe Ali zarin wird zur Beseitigung von Anthrachinon mit Natron-
lauge und das Alizarinnatron mit verdünnter Schwefelsäure behandelt, um
das Alizarin wieder auszuscheiden. Die betreffenden Waschwässer liefern daher
Natri umsulfat.
Das ausgewaschene Alizarin wird noch in einem Pulverisirapparat feucht ver-
theilt, damit es eine ziemlich dünne, gelbe bis bräunliche Paste darstellt, welche nur
in Gläsern oder dichten hölzernen Fässchen verpackt werden darf; sie enthält in der
Regel 10 — 15 ?„ trocknes Alizarin.
Im Handel unterscheidet man Alizarin mit Gelbstich für Rothfärbereien
und Druckereien, und das Alizarin mit Blaustich für violette und Lila-
Farben, welches die Krappblumen ersetzt.
Durch Sublimation erhält man das trockne Alizarin, welches in tiefrothen
oder orangefarbenen Nadeln krystallisirt, mit verdünnter Aetznatronlauge eine schöne
blauviolette Lösung liefert und mit Thonerde und Eisenoxyd unlösliche Ver-
bindungen eingeht. Zum Färben wird in der Regel nur die Paste benutzt.1)
Purpurill ist ein oxydirtes Alizarin oder vielmehr ein Anthrachinon, in
welchem 3H durch 3 Hydroxvle vertreten sind:
[HO
c14h5oJho = cuh8o5.
Iho
Anthrapnrpni'ill C14H805 hat dieselbe Zusammensetzung wie Purpurin und ist
ein zweites Isomer des eigentlichen Krapppurpurins (s. Krapp S. 568). Es färbt die
verschiedenen Beizen ebenso seifenächt wie Alizarin. Bei seiner Darstellung im
Grossen löst man die Alizarinpaste in verdünntem Natriumcarbonat auf und
schüttelt das Filtrat mit Thonerdehy drat . das sich mit dem Alizarin zu unlöslichem
Alizarinlack verbindet, während Anthrap urpurin gelöst bleibt und durch mehr-
fache Präcipitationen gereinigt wird. In einem Tiegel sublimirt man es in gelbröthlichen
Blättchen, die in kohlensauren Alkalien purpurroth, in caustischen Alkalien violett
gelöst werden*).
Picolinbasen.
Mit Picolinbasen bezeichnet man eine Reihe stickstoffhaltiger Körper, welche
wie Anilin und seine Homologene zusammengesetzt sind, sich jedoch wesentlich
von ihnen unterscheiden, während sie in der Einwirkung auf den thie-
rischen Organismus wiederum eine nahe Verwandtschaft vermuthen lassen.
Pyridin C5H5N ist das niedrigste Glied mit 5 Kohlenstoffen in dieser Reihe.
Picolin C6H7N hat dieselbe Zusammensetzung wie Anilin und kommt wie die
übrigen Basen im Steinkohlentheer und im Ol. anim. üippelii vor: es bildet sich bei
der trocknen Destillation des Leims, des Fleisches, der Haare, des Horns u. s. w., daher
auch bei der Fabrication des Blutlaugensalzes, ferner bei der Destillation der Bi'auu-
kohle und der Blätterschiefer.
Picolin stellt ein farbloses Oel dar, welches bei 133° siedet und wie Tabaks-
schmergel riecht, der picolinhaltig, aber nicht nikotinhaltig ist, wie häufig ange-
nommen wird.1)
*) Als Anhang zu den Farbstoffen ist hier noch Murexid C8H8Ne06 zu erwähnen,
welches durch die Anilinfarben verdrängt worden ist. Im Handel kommt es in Teigform
vor, heisst auch Purpurcarmin und ist das Ammo niumsalz der Purpursäure; man
fewinnt es aus der Harnsäure. Beim Färben wird meist eine Sublimatlösung zum
ixiren der Farbe benutzt, ein in sanitärer Beziehung zu beachtender Umstand.
Picolinbasen. 647
Einwirkung von Picolin auf den thierischen Organismus, l) Ein junges
Kaninchen sitzt im Glaskasten, in -welchem 3,8 Grm. Picolin verdunsten. Die Dämpfe
erzeugen selbst nach einem 6 stündigen Aufenthalte nur Reizung der Nasenschleimhaut
und der Conjunctiva sowie starkes Speicheln.
2) 5 Grm. Picolin werden in einem Körbchen erhitzt; die sich entwickelnden
Dämpfe werden in den Zinkkasten, in welchem eine starke Taube sitzt, geleitet. Ab-
gesehen von der Irritation der Augen wird das Athmen nach 6 M. beschwerlich, nach
vielem Schwanken fällt sie nach 20 M. hin. Herausgenommen, bleibt sie in der Seiten-
lage unter Dyspnoe, Husten und Rhonchus sibilans. 12 M. hernach hört die stetig
abnehmende Respiration ganz auf.
Section nach 20 Stunden. Hirnhäute blutreich; Lungen hell- und braunroth
marmorirt, auf den Durchschnitten blutiger Schaum und geronnenes Blut; die Luft-
röhrenschleimhaut hier und da mit zähem Schleim bedeckt. Die rechte Herzhälfte
strotzt von schwarzem, geronnenem Blute; im linken Ventrikel etwas flüssiges Blut.
3) Nach einer subcutanen Injection von 30 Tropfen Picolin tritt bei der Taube
des 1. Versuchs nach 2 M. stürmisches und unregelmässiges Athmen ein; sie
sinkt allmählig zusammen nach 26 M.; dann folgen convulsivische Zuckungen nach 45 M.
Unter stetig abnehmender Respiration stirbt sie nach 2 Stunden.
Bei der Section findet sich ein 3 Linien langes und 1 Linie breites Blutcoagulum
am hintern Rande der linken Hemisphäre unter der Dura mater. Sonst stimmt der
Befund mit dem beim 2. Versuche überein, nur zeigt sich noch Emphysem der Lunge
und ein dünnes Blutextravasat auf der Luftröhrenschleimhaut.
Zufällige Vergiftungen durch Tabaksschinergel haben eine auffallende Ueber-
einstimmung mit den obigen Thier -Versuchen. So beobachtete Deutsch1) in
einem solchen Falle den Eintritt von Würgen, Schwindel, Ohnmacht, Bewusst-
losigkeit, convulsivischen Zuckungen und stürmischem Athmen mit Klanglosig-
keit der Stimme, die sich bis zur Aphonie steigerte.
Wer sich den Dämpfen von Picolin aussetzt, wird ebenfalls bald Kopf-
schmerzen, Schwindel, starkes Uebelsein und beklommenes Athmen empfinden.
Auch haftet der unangenehme Geruch lange allen wollenen Kleidungsstücken oder
den Haaren an und unterhält das Unwohlsein, wenn man nicht in der Lage ist,
die Kleider bald zu wechseln und sich zu reinigen.
Lutidin C7H9N ist isomer mit To luidin und ein beständiger Begleiter von Picolin;
es wird daher auch aus demselben Rohmaterial, welches zur -Darstellung von Picolin dient,
fewonnen; die Trennung geschieht durch fractionirte Destillation. Es stellt eine ölige
'Lässigkeit dar, welche leichter als Wasser ist und bei 154° siedet: seine Einwirkung
auf den thierischen Organismus ist ähnlich der des Picolin.
Collidin C8HUN ist isomer mit Xylidin und ebenfalls ein steter Begleiter von
Picolin; es kommt auch im Tabaksrauche vor und ist eine farblose Flüssigkeit, die
zwischen 176 — 180° siedet.
Parvolin CgH13N ist isomer mit Cumidin und kommt in Begleitung obiger
Basen vor; es siedet bei 260°, hat einen durchdringenden, höchst unangenehmen Geruch
und wird in der Industrie noch nicht benutzt. Es wirkt, wie alle Basen dieser Art, bei
der subcutanen Injection oder Ingestion sehr gefährlich auf den thierischen Organismus
ein. Wird es mit defibrinirtem Ochsenblut vermischt, so tritt die eigentümliche Er-
scheinung ein, dass fast alle Blutkügelchen schwinden; nur einzelne, eckig verzogene
bleiben zurück.2)
Chinolin C9H7N ist eine farblose Flüssigkeit, deren Geruch an bittere Mandeln
erinnert; mit Amyljodür vermischt liefert es einen purpurblauen Farbstoff, Cyanin.
Einwirkung von Chinolin auf den thierischen Organismus. Ein junges Kaninchen
kauert nach einer subcutanen Injection von 1 C.-C. Chinolin bald zusammen, 30 M.
nachher verlangsamt sich die Herzthätigkeit und die Körperwärme sinkt; nach 1 St.
sind die vordem Extremitäten gelähmt, worauf es bald unter schwachen Zuckungen todt
hinstürzt.
Section nach 20 Stunden. Zwischen beiden Hemisphären nach hinten unter
der Dura mater ein nadelknopfgrosses Blutextravasat; Lungen hellroth und zusammen-
gefallen; der rechte Ventrikel und Vorhof des Herzens mit schwarzem, geronnenem Blute
angefüllt; das übrige Blut ist mehr dünnflüssig und hellroth.
Die grosse Aehnlichkeit in der Wirkung dieser Base mit der der ganzen Picolinreihe
(54S Aetherische Oele.
geht hieraus hervor. In der Technik strebt man darnach, Chinolin namentlich für die
Farbendarstellung zu verwerthen.
Ausser Lepidin C10H9N und Cryptidin CnHuN, welche ebenfalls im Steinkoklen-
theer vorkommen, ist noch Pyrrol C,HäN zu erwähnen: es ist durch seine Reaction auf
einen mit Salzsäure befeuchteten Fichtenspan bekannt, der sich sofort purpurroth
färbt. Man kann aus ihm einen rothen Farbstoff, Pyrrolrotll Ci8HuN8Q, gewinnen.
Die Dämpfe von Pyrrol wirken stark reizend auf die Respirationswege ein
and trüben nach den an Thieren angestellten Versuchen die Cornea derselben.
Kampher.
Kanipher C10Hlt;O wird durch Sublimation der Blätter und Zweige des
Kampherbauins erhalten; die rohe, bräunliche Masse wird in London und Paris
durch Sublimation raffinirt. Die bekannte weisse Masse von brennendem Ge-
schmack schmilzt bei 175°; durch wassereutziehende Mittel verwandelt sich Kampher
unter Bildung von Toluol, Xylol und Pseudocumol in Methylpropylbenzol, das
eigentliche Gymol C1(jHu.
Die Kampherdämpfe übten auf Kaninchen keinen bleibenden Nachtheil aus; bei
der Ingestion von grossen Kamphergaben entstehen beim Menschen tonische und
klonische Krämpfe, Cyanose und verminderte Sensibüität der Haut bei enger
Pupille, sehr schwachem und ungleichem Pulse. Die Restitution erfolgt durch starke
Seh weissbildung.1)
Aetherische Oele.
Aetherische Oele nennt man eiue Menge von in Pflanzen vorkommenden
Stoffen, welche die Zusammensetzung C10Hlt; haben. Unter ihnen ist besonders
Terpentinöl Ci0H16 hervorzuheben. Die zur Gattung Piuus, Abies, Larix u. s. w.
gehörenden Bäume liefern nach Einschnitten in ihre Rinde einen dicken Saft,
Terpentin, ein Gemisch von Harz und Terpentinöl. Letzteres erhält mau
durch Destillation; der Rückstand (Terebinthina coeta) wird durch
Schmelzen entwässert und stellt dann das Colophonium dar*).
An der Luft verharzt Terpentinöl durch Sauerstoffaufnahme und zeigt dann alle
Reactionen von Ozon.
Terpentinöl wird nach den verschiedenen Bezugsquellen als gemeines oder
französisches (Pinus silvestris), als venetianisches (Pinus Larix), als ungarisches
oder kar patisches 'Pinus cembra) u. s. w. unterschieden. Das französische Ter-
pentinöl dreht die Polarisationsebene nach links, das englische nach rechts.
Einwirkung des französischen Terpentinöls auf den thierischen Organismus.
1) 100 Tropfen werden in einem Sandbade erwärmt und die Dämpfe in die Glasglocke,
in welcher ein kleines Kaninchen sitzt, geleitet. Sogleich treten grosse Unruhe, .Messen,
*) Durch Destillation von Colophonium erhält man als erstes Product Essig-,
Ameisen- und Buttersäure und dann ein ätherisches Oel (Essenz, Harzessenz),
welches wie Terpentinöl verharzt. Nach der abdestillirten Essenz gehen schwere Oele
'Retinöle, Codöle) über, welche mit feinem Kalkpulver versetzt und alsWagen-
schmiere benutzt werden. Im letzten Stadium der Destillation sind sie mit Kreosot
überladen und erzeugen bei unvorsichtigen Manipulationen eine sehr starke Hautreizung.
Die durch Destillation des amerikanischen Harzes, eines Gemenges ausge-
schmolzener Harze verschiedener Pinusarten, erhaltene Harzessenz hat Vohl Pinolin
genannt; sie hat ähnbehe Eigenschaften wie das Terpentinöl. Für Kaninchen ist Pinolin
ein schwaches Anaestheticum ohne alle schlimmere Nebenwirkung.
Terpentinöl. 649
und stossweises Athmen ein; nach 4 M. Taumeln und die heftigsten Convulsionen. Nach
der Herausnahme, 1 M. später, bleiben noch tonisches und klonisches Strecken der
Beine, urregelmässiges Athmen, lautes Jammern und starkes Herzklopfen. Erst nach
24 M. macht das Thier Gehversuche (bei erweiterter Pupille); es dauert noch 2 Stunden,
bis es sich freier bewegt. Am 2. Tage ist die Respiration noch beschleunigt, am 3. Tage
Restitution.
2) Ein starkes Kaninchen sitzt im grossen Glaskasten, in welchem 200 Tropfen
Terpentinöl in warmem Sande verdunsten; sogleich starker Husten, grosse Unruhe,
Thränen der Augen und baldiges Zusammensinken. Nach 5 M. Zusatz von 100 Tropfen;
mehrmaliges Hinfallen und Wiederaufstehen. Nach 13 M. Zusatz von 100 Tropfen; dann
heftige Convulsionen mit hervorstehenden Augen, die mit rotirenden Bewegungen der
Vorderbeine abwechseln und mit Schreien verbunden sind. Nach 16 Min. Heraus-
nahme des Thieres, das wieder in klonische und tonische Krämpfe verfällt und 2 M.
hernach stirbt.
Bei der Section zeigten sich eine starke Hyperämie der Hirnhäute, ein
erbsengrosses Extravasat von geronnenem Blute auf der Oberfläche des rechten Hirn-
lappens, blutige Infiltration des linken untern Lungenlappens, eine starke Anfüllung des
Herzens mit geronnenem und flüssigem Blute und eine auffallende Hyperämie der
Nieren-Rinde.
Die "Wirkung des Terpentinöls erklärt sich aus seiner chemischen Beschaffen-
heit; als Kohlenwasserstoff entfaltet es die vielen Kohlenwasserstoffen eigenthüni-
liche "Wirkung auf die Nervencentren; beim französischen Terpentinöl ist dies
in erhöhtem Grade der Fall, da seine Dämpfe ähnlich wie die des rohen
Petroleums die heftigsten Convulsionen erzeugen. Ausserdem reizen die Dämpfe
die Respirations- und die uropoetischen Organe und zwar in ähnlicher Weise, wie
dies bei der Ingestion des Terpentinöls geschieht.1)
Empfindliche Constitutionen, namentlich Frauen, werden schon durch den
Geruch afficirt, bekommen dadurch Kopfschmerzen, Schwindel, Uebelkeit und
sogar Ohnmachtszufälle*).
Bei der vielfachen Anwendung von Terpentinöl hat man auf die Wirkung
seiner Dämpfe wohl zu achten; gebraucht man es als Präservativ in Zündholz-
fabriken, so sollte man jedenfalls das französische Oel vermeiden (s. Phosphor).
Verwendung findet das Terpentinöl als Zusatz zu Firnissen und zum Anrühren
vieler Farbstoffe, z.B. in der Porcellanmalerei. Venetianisches Terpentin ist ein
wesentlicher Bestandtheil des Siegellacks, der ausserdem noch aus Schellack,
Colophonium, Kreide und den färbenden Bestandtheilen besteht.
In sanitärer Beziehung ist hauptsächlich auf die Beschaffenheit der färben-
den Be standtheile des Siegellacks zu achten. Leicht reducirbare oxydhaltige
Metalle, wie Mennige, Bleiglätte u. s. w., erzeugen ein missfarbiges Product, daher hat
sich der beständigere Zinnober eingebürgert, obgleich sich beim Verbrennen Queck-
silberdämpfe und schweflige Säure entwickeln. Chromsaure Salze (chrom-
saures Blei zum Rothfärben, chromsaures Zink zum Gelbfärben, borsaures Chrom
zum Grün färben) sind weniger schädlich, weil sie ihren Sauerstoff für die Verbrennung
hergeben und dadurch selbst vor Verbrennung geschützt werden.
Wie Zinnober ist auch Schwefelarsen und Schweinfurter Grün zu ver-
meiden. Die geringern Sorten sind unbedenklich, weil Colcothar zu Braun und Roth,
Ocker zu Gelb, Grünerde zu Grün genommen werden.2)
Die Toilettensiegellacke bestehen aus Benzoeharz, Schellack und Styrax
unter Zusatz von Terpentinöl. Bei der Anfertigung entstehen sehr viele Dämpfe von
Benzoesäure und Terpentinöl, die zum Schutze der Arbeiter abgeleitet werden müssen.
Beim Lagern des Terpentins wird im Allgemeinen zu wenig Vorsicht gebraucht.
Das Lagern in Fässern sollte verboten werden ; am besten würden sich Reservoirs von
Schwarzblech hierzu eignen, welche in überwölbten Räumen aufgestellt, überirdisch
mittels Trichter und eiserner Röhren anzufüllen sind. Auch das Füllen kleinerer Ge-
binde aus dem Reservoir muss durch überirdisch aufgestellte Pumpen geschehen.
Fichtenöl, Kienöl kommt in den Fichtennadeln vor und wird durch Destillation
derselben mit Wasser dargestellt. Eine dünnflüssige, gelblich-grüne Flüssigkeit, deren
*) Bekannt ist es, dass der starke Duft wohlriechender Blumen oft ähnliche Zufälle
hervorruft.
650
Kautschuk.
Geruch an Lavendelöl erinnert und welche schwach sauer reagirt; die saure Reaction
.in Ameisensäure herrühren Sein Siedepunct ist ungefähr dem des Terpen-
tinöls gleich; sein Hauptbestandteil ist ein dem Terpentinöl homologer Kohlenwasser-
stoff. l>i<" Dämpfe dieses Geis wirken hauptsächlich reizend anfalle Schleimhäute
ein, namentlich auf die der Respirationswege.
Olenm Cadini, Cade-Oel, 01 empyreumat. Jnniperi wird durch Schwelen des
Holzes von Juniperus-Arten, namentlich von Juniperus phoenicea, erhalten. Es enthalt
ebenfalls einen dem Terpentinöl homologen Kohlenwasserstoff und könnte man es des-
halb brenzliches Terpentinöl nennen.
Die Dämpfe von 3.75 Grm. des Oels versetzten ein mittelgrosses Kaninchen, das
in der Glasglocke sass, nach 36 M. in eine unvollständige Anästhesie, nachdem Husten,
Thränen der Augen, starkes Reiben über die Nase und Taumel vorhergegangen waren:
erst nach 25 M. macht es unter starkem Sehwanken Gehversuche.
Von ähnlicher Zusammensetzung wie das Terpentinöl sind noch Citronenöl,
B e r g am o tt öl , Pomeranzenöl, Copaivaöl, R o s m ar in 6 1, C u b e b e n ö 1 , Bern-
steinöl, Lavendelöl und Wachholderbeeröl.
Die Dämpfe von Zimmetöl, Kümmelöl, Anisöl, Tanacetöl, Gewürz-
nelkenöl u.s.w. erzeugten nur Husten. Reizung der Sehleimhaut der Nase und der
Augen, aber keine charakteristischen Erscheinungen.
Darstellung der ätherischen Oele. Sie geschieht 1) durch Auspressen,
wenn die Pflanzentheile das Oel reichlich enthalten, wie dies z. B. bei den
Citronen-, Pomeranzen- und Apfelsinenschalen der Fall ist; 2) durch Digestion
der frischen Blüthen mit fetten Oelen oder Fetten, z. B. bei Jasminen, Veilchen,
Hyacintheu; dies Verfahren übt man namentlich im südlichen Frankreich aus;
3) durch Destillation der Samen, der ein einfaches Knirschen vorhergeht,
wenn die Oele schon fertig gebildet im Samen sind.
Andere Samen, z. B. Senfsamen, bittere Mandeln, Kirschkerne u. s. w.,
bedürfen einer Digestion mit lauem Wasser, weil sich erst bei Gegenwart von Wasser
durch Einwirkung einer stickstoffhaltigen Substanz auf einen stickstofffreien resp.
schwefelhaltigen Körper das Oel bildet. So entsteht das bittere Mandelöl erst durch
die Einwirkung von Emulsiu auf Amygdalin.
Die Destillation geschieht im Allgemeinen mittels Wasserdampfes ; weil vor
dem Beginn der eigentlichen Destillation die Wasserdämpfe mit deu Gasen und Dämpfen
der ätherischen Substanzen vermengt aus der Kühlschlangenmündung heraustreten, so
ist die Aufstellung eines Gassammeikastens durchaus nothwendig, namentlich wenn
es sich um blausäure- oder schwefelhaltige (Senf, Löffelkraut, Meerrettig) Dämpfe
handelt. Die Wasserdämpfe gehen durch ein Sieb, auf dem das Material liegt, in ein
höher gelegenes kupfernes, inwendig verzinntes Gefäss, das mit der Kühlschlange ver-
bunden ist" Der S. -455 abgebildete Apparat eignet sich mit Weglassung des Kesselchens
sehr gut hierzu.
Die abdestillirteu Pflanzen- oder Samenrückstände müssen mit Kalk bestreut
werden, weil sie sehr schnell in Fäulniss übergehen: nur Wermuth und Schafgarbe
machen hiervon eine Ausnahme.
Kautschuk.
Kautschuk ist in dem Milchsaft vieler Pflanzen (Siphouia elastica und
brasil. , Ficus iudica u. s. w.) enthalten, mit den Harzen verwandt und stellt
einen Kohlenwasserstoff dar, für den man die Formel CSH7 angenommen hat.
Bei 180 — 200° beginnt Kautschuk zu schmelzen; bei der trocknen Destillation liefert
er theerartige Producte, aus denen man brennbare Gase und solche von der Zu-
sammensetzung des Terpentinöls (Eupion, Kautscheen, Butyleu) durch fractionirte
Destillatiou darstellen kann. Es gibt sehr verschiedene Kautsch uksorteu.
Kautschukfabrication. ß5]
Kautschukfabrication. Zunächst muss der rohe Kautschuk einer Reiniguno-
unterworfen werden, die häufig durch Einweichen in warmem Wasser geschieht und
dann für die Anwohner höchst belästigend ist, da sich hierbei ein widerlicher Geruch
verbreitet. Em Zusatz von Chlorkalk vermag ohne Schädigung des Kautschuks
am ehesten die Belästigung zu vermindern. Beim amerikanischen Kautschuk kocht man
den Kautschuk in Waschfässern durch Wasserdampf und zerschneidet ihn <deichzeitio-
mittels eines herumlaufenden Kreismessers. Der ostindische Kautschuk- wird aufWTalz^
werken oder in Holländern gereinigt.
Behufs Wiedervereinigung des gewaschenen Kautschuks gebraucht man
eine Art von Wolf, der aber immer mehr von den Walzwerken verdrängt wird.
Das Vulcanisiren oder Incorporiren des Kautschuks mit Schwefel verleiht
demselben die Fähigkeit, auch bei grosser Kälte elastisch zu bleiben.1)
Man vulcanisirt nach verschiedenen Methoden. Nur für bestimmte Waaren (Ballons)
taucht man noch den Kautschuk in Blattform in eine kalte Mischung von Schwefel-
kohlenstoff und Chlor schwefel; nach dem Herausnehmen folgt eine rasche Trock-
nung in einem trocknen Luftstrom. Diese Procedur muss in luftigen, frei stehenden
Schuppen ausgeführt werden ; sie afficirt aber oft die Arbeiterinnen, die man häufig für
diese Beschäftigung bestimmt. Glücklicherweise geschieht die Arbeit nur zeitweilig, sollte
aber nei mit den Händen, sondern mit Hülfe zweckmässiger Handhaben geschehen, um
den entweichenden Dämpfen so wenig als möglich nahe zu treten (s. S. 366).
Nach Gerard wird Kautschuk mehrere Stunden lang unter ca. 4 Atmosphären-
druck in eine auf 140° C. erwärmte Lösung von Fünffach-Schwefelkalium gelegt;
Auswaschen in Wasser und Trocknen beschliesst diese jetzt häufig angewandte Methode.2)
Seitdem man aber, namentlich für geringere Sorten, statt Schwefel Kermes,
Zinkweiss und Schwefel, Schwefel und Pfeifenthon, Schwefelblei und
unterschwefligsaures Blei u. s. w. nimmt, um gleichzeitig die Masse zu erschweren,
benutzt man statt der frühern Knetmaschine mehr Walzen, die bisweilen auch durch
hineingeleiteten Dampf erwärmt werden. Die hier stattfindende Staubbildung macht
die Arbeit zu einer der ungesundesten Beschäftigungen, denn die Arbeiter sind dabei
beständig in Staub gehüllt, wenn sie die zu incorporirenden Körper aufstreuen. Je
nach der Beschaffenheit derselben ist dann auch der Staub mehr oder minder gefähr-
lich; wenn irgendwo, so sind bei diesem Acte Schutzmassregeln nothwendig. Wenn
Exhaustoren nicht anzubringen sind, dann müssen die Arbeiter Mund und Nase durch
vorgebundene Tücher oder feuchte Schleier schützen; letztere sind vorzuziehen, weil in
den Arbeitsräumen ein ziemlich hoher Wärmegrad herrscht.
Das Entschwefeln des vulcanisirten Kautschuks geschieht, um den
überschüssigen Schwefel zu entfernen, weil der vulcanisirte Kautschuk an der
Luft häufig in Folge eines Oxydationsprocesses brüchig wird.
Man nennt diese Operation auch Beizen und bewirkt sie durch Kochen der
meist fertigen Kautschukwaaren in Kali- oder Natronlauge; es bildet sich Sehwefel-
leber, die zu massenhafter Entwicklung von Schwefelwasserstoffgas Anlass geben
kann. In einem concreten Falle war an einem der Fabrik gegenüber gelegenen Hause
der Bleiweiss-Anstrieh geschwärzt und die Rinder litten beständig an Husten und Augen-
entzündungen, Erwachsene wurden von Uebelkeit, Erbrechen und Kopfschmerzen be-
fallen, Krankheitszustände, die factisch mit dem Auftreten des Schwefelwasserstoffs in
ursachlichem Zusammenhange standen.
Mit Bleioxyd versetztes Kautschuk kocht man in einer solchen alkalischen Lauge,
um es durch Bildung von Schwefelblei schwarz zu färben.
Unter hornisirtem oder gehärtetem Kautschuk versteht man sehr stark
vulcanisirten und noch mit Kreide, Schwerspath, Gips u. s. w. erschwerten Kautschuk,
der einer Hitze von 135° ausgesetzt wird. Der Kautschuk wird vorher in Wasser von
45 — 50° C. eingeweicht, in einem Holländer zerrissen und dann zwischen Walzen mit
den Incorporationsmitteln wieder vereinigt.
Das gebräuchlichste Auflösungsmittel für Kautschuk ist jetzt Petroleum-
benzin; nur zur Darstellung des Kautschukfirnisses benutzt man Benzol
allein oder mit einem Zusatz von Terpentinöl.
Der durch die Lösungsmittel erweichte Kautschuk wird zwischen kleinen Walzen
bearbeitet; diese bewegen sich in Trögen, die sich über einem eisernen, durch Wasser-
dämpfe erhitzten Kasten befinden. Dieser dick- oder dünnflüssige Firniss wird besonders
zur Herstellung wasserdichter Gewebe benutzt. Man muss über dem ganzen Apparat
einen Bleehtrichter zum Absaugen der Dämpfe anbringen; am besten würde derselbe
ß52 Gutta-Percha.
mit einem Exhaustor zu verbinden sein: jedenfalls ist die Ableitung der Dämpfe in
den Schornstein erforderlich, da sonst die Arbeiter unter der Einwirkung der Dämpfe
ernstlich an ihrer Gesundheit geschädigt werden.3)
Die Fabrication von Röhren, Schläuchen, Bällen. Puppen, Fäden,
elastischen Geweben, Gummischuhen u. s. w. sind mechanische Manipulationen.
Wichtiger ist noch das Auftragen des Kautschukfirnisses auf Gewebe, das
zwar auch mittels Walzen bewerkstelligt wird, aber stets mit der Entwicklung der
Dämpfe von Benzol resp. Terpentinöl verbunden ist: es muss daher diese Arbeit in sehr
gut gelüfteten Räumen vorgenommen werden. Guibal und Cuminge haben einen Apparat
construirt. mittels dessen das Benzol resp. Terpentinöl einerseits rasch verdampft, andrer-
seits mittels einer Condensationsvorriehtung wieder gewonnen wird. Die mit Kautschuk-
masse bestrichenen Zeugstreifen liegen auf einem durch Wasserdämpfe erhitzten Blech-
kasten : über der Stelle, an der die Verflüchtigung der ätherischen Oele stattfindet, sind
dachförmig construirte Blechüächen angebracht, die von aussen durch eine Regenbrause
gekühlt werden. An der kalten Innenfläche des Daches condensiren sich die Dämpfe
und sammeln sich in einem gemeinschaftlichen Behälter.4)
Dieses Ziel, die ätherischen Dämpfe wieder zu gewinnen, hat man zwar schon
früher aus pecuniärem Interesse verfolgt, aber noch nicht vollständig erreicht ; die Sorge
für das Wohl der Arbeiter sollte eine desto stärkere Triebfeder sein, um weitere "Ver-
suche in dieser Richtung zu machen. Wichtig ist in dieser Beziehung die Thatsache,
dass, wenn man die mit den ätherischen Dämpfen geschwängerte Luft gleichzeitig mit
Wasserdampf von 100° C. durch lange Kühlschlangen leitet, das Lösungsmittel mit dem
r abgeschieden resp. condensirt wird. Man könnte für diesen Fall durch
Exhaustoren die ätherischen Dämpfe aus dem Arbeitsraume in einen Behälter absaugen,
in welchen man einen Dampfstrahl in der Weise einleitet, dass dieser den ätherischen
Luftstrom kreuzt und dadurch eine innigere Mischung der Dämpfe untereinander
bewirkt; dies Gemisch würde dann in einer langen Kühlschlange condensirt, aus
welcher die condensirte Flüssigkeit in ein Gefäss abfliesst, in welchem sie mittels eines
Hebers abgeschieden wird.
Beider Bearbeitung der einzelnen Gegenstände, welche noch mit den
ätherischen Flüssigkeiten mehr oder weniger durchtränkt sind, kann man den Arbeits-
tisch mit einer Glasdecke versehen, die vorn zum Durchführen der Hände der Arbeiter
offen ist und sich hinten an einen Schornstein anlehnt, der gleich unterhalb der Glas-
decke eine Oeffnung zum Abzug der Dämpfe hat (s. S. 269).
Ausser der Vermeidung der Staubbildung bleibt die Ableitung oder (Kon-
densation der ätherischen Dämpfe in sanitärer Beziehung die wichtigste Auf-
gabe in den Kautschukfabriken.5)
Anfertigung künstlicher Schleifsteine. Quarzsand, gepulverter Feuerstein und
andere harte Substanzen werden zunächst für sich pulverisirt, wobei auf die schädliche
Staubbildung aufmerksam zu machen ist. Der vulcanisirte Kautschuk wird vorher
durch Theer oder Theeröle in der Hitze aufgelöst und dann diesen Substanzen zu-
gemischt; man erhitzt die Masse in einem mit einem Eisenblechhelm versehenen Schmelz-
kessel bis auf 220 — 230° C. : hierauf folgt das Formen in Scheiben mittels Walzen, über
die sich ein eisenblecherner Mantel wölbt, um auch hier wie beim Schmelzen die sich
entwickelnden Dämpfe abzuleiten. Die Scheiben werden in Cylindern mit doppelter
Wandung Wasserdämpfen von 153° ausgesetzt, d. h. gebrannt. Ausser den Dämpfen
der Theeröle entwickelt sich hier auch Schwefelwasserstoff; man darf sie wie beim
Schmelzen nur unter den geeigneten Vorsichtsmassregeln in die Feuerung leiten; ihre
Ableitung in die Esse kann feuergefährlich werden. Unter Umständen würde auch die
Condensation der Dämpfe behufs Gewinnen der Theeröle sich lohnen.
Gutta-Percha.
Gutta-Percha ist der Milchsaft eines Baumes aus der Familie der Sapo-
taceen (Isonandra Gutta) und besteht nach Payen aus Gutta, Albane und
Fluavile. Gutta ist der Hauptbestandteil, während Gutta-Percha als ein Gemisch
dieser 3 Stoffe zu betrachten ist.
Proteinkörper. 653
Behufs Reinigung der rohen Gutta -Percha wird sie zuerst durch Maschinen
zerrissen und dann mit Wasserdämpfen und siedendem Wasser behandelt, worauf die
Auswalzung in Bänder, Riemen u. s. w. folgt. Man vulcanisirt sie häufiger mit unter -
schwefligsaurem Blei oder Zink als mit Schwefel und verarbeitet sie wie Kautschuk zu
den verschiedensten Gegenständen. Ihre wichtigste Anwendung findet sie, wegen Nicht-
leitung der Elektricität, für Isolirung der Telegraphendrähte.
Proteinkörper.
Die Protei iikör per enthalten ausser dem Kohlenstoff, Wasserstoff und
Sauerstoff noch Stickstoff und Schwefel; wegen ihres Gehaltes an Ei weiss
charakterisiren sie sich durch leichte Zersetzbarkeit im feuchten Zustande, wobei
sich sehr viele Zersetzungsproducte entwickeln, welche grösstentheils schon bei
vielen Vorgängen dieser Art, z. B. bei der Fäulniss der thierischen Abfälle u. s. w.,
zur Sprache gekommen sind. Wir betrachten sie hier nur in ihrer Beziehung
zur Industrie, namentlich zur Färberei.
Die wichtigsten Vertreter der Protein- oder Eiweisskörper sind Albumin,
Casein und Fibrin. Sie werden durch Ger-b säure in Lösungen gefällt, während
concentrirte Essigsäure, Alkalien, Alkohol und eine Wärme von 60 — 70° sie in eine
unlösliche Modifikation überführen.
Die Beziehungen der Eiweisskörper zu einem wichtigen Theile der Industrie,
zur Färberei, beruhen auf der Thatsache, dass stickstoffhaltige Substanzen leichter zu
färben sind als stickstofffreie. So färbt sich Seide und Wolle leichter, als Baumwolle
und Leinen.
Man fand im Casein und Albumin Stoffe, welche ohne Zersetzung in Lösung
gebracht und aus dieser Lösung durch irgend eine Säure wieder unverändert präcipitirt
werden können.
Dieses Imprägniren der Stoffe mit Albumin und Casein heisst das Animalisiren
derselben; dadurch entstand nun auch die fabrikmässige Darstellung von Albumin und
Casein und namentlich in Frankreich und England wurde dieser Industriezweig in
grosser Ausdehnung betrieben.
Darstellung von Albumin. Statt des kostspieligen Hühnereiweisses musste
das Blut der Säugethiere für die meisten Fälle eine Quelle des Albumins
werden; ursprünglich wurde das Blutfibrin während der Fäulniss in Albumin
übergeführt, weil man die Fäulniss des Blutes als ein die Albuminbildung be-
förderndes Mittel ansah; man manipulirte daher vielfach mit faulem Blute, wodurch
die ganze Fabrication in üblen Ruf gekommen ist; natürlich erzeugten die Zer-
setzungsproducte einen widerlichen Geruch.
Gegenwärtig sind die Albuminfabriken meistens mit den öffentlichen Schlacht-
häusern verbunden und beziehen das Blut direct aus denselben, um es sofort in zinkenen
Schalen aufzufangen und der Filtration zu unterwerfen. Früher setzte man etwas Alaun
oder Glaubersalz hinzu; gegenwärtig schüttet man das Blut in einen runden Behälter
mit Siebboden, durch welchen zunächst blutiges Serum in die untere, etwas trichter-
förmig gestaltete Abtheilung gelangt; diese hat in der Mitte ein schiebbares Röhrchen
mitKautschukverschluss , das an der obern Spitze durchlöchert ist und nachdem Grade
der Klärung immer tiefer geschoben wird, bis es in das Niveau des blutigen Serums
fekommen ist. Das erhaltene Serum wird abgedampft; geschieht dies sofort nach der
iltration, so ist die ganze Procedur ohne Belästigung: diese tritt erst ein, wenn es sich
um älteres Serum handelt , das beim Abdampfen dann die verschiedenen Fäulnissgase
fahren lässt.
Natur-Albumin ist mit Terpentinöl gepeitscht worden, wobei das entstehende
Ozon bleichend, conservirend und klärend einwirkt. Nach ruhigem Stehenlassen scheidet
sich das mit einem schmierigen Fett vermischte Terpentinöl ab.
Patent-Albumin ist vor der Behandlung mit Terpentinöl noch mit den ent-
sprechenden Mengen von englischer Schwefelsäure und concentrirter Essigsäure ver-
mischt worden.1)
654 Casein.
Die Blutrückstände müssen bis zu einem gewissen Grade soiort eingetrocknet
werden; man benutzt sie in der Blutlaugensalzindustrie und zur Darstellung der
Thierkohle, oder trocknet sie unter geeigneten Zusätzen an der Luft, um sie bei der
Poudrette-Fabrication zu verwerthen.
Oeffentliche Schlachthäuser sind in grössern Städten nicht zu ent-
hehren, um die mit der Verwerthung der Abfälle (Albumindarstellung, Talg-
schmelzen, Knochensieden u. s. w.) verbundene Industrie hier zu conccntriren und
ganz besonders die Durchführung einer Fleischbeschau zu ermöglichen.2)
Das Gesetz vom 18. März 1868 gestattet den Schlächtern, wenn die zum Schlacht-
betriebe dienenden Gebäude ihrer Bestimmung entzogen werden, einen Schadenersatz
hierfür; aus unbegründeter Furcht vor diesen Kosten zögern noch viele Städte mit der
Fertigstellung dieser durch die öffentliche Gesundheitspflege gebotenen Anstalten. Be-
rücksichtigt man die vielen sanitätspolizeilichen Einrichtungen, die mit öffentlichen
Schlachthäusern verbunden werden können , so liegt ihre grosse Bedeutung klar vor
Augen. So kann ein Viehhof zur Aufnahme des Viehes behufs thierärztlicher Unter-
suchung dienen, während Stallungen die Trennung des kranken und gesunden Viehs
bewirken.
Für Grossvieh sind grosse Schlachtkammern erforderlich, während zum
Schlachten von Hammeln und Kälbern mehrere gruppenweise aneinander gereihte und
durch bedeckte Gänge von einander getrennte, kleinere Schlachtkammern herzustellen sind.
Ein asphaltirter, etwas abschüssiger Boden nebst reichlichster Bespülung erleichtert den
Abfluss der unreinen Flüssigkeiten: am besten ist deshalb die Lage an einem grossen
Flusse oder in der Nähe von Schwemmcanälen. Feste, unverwerthbare Abfälle gelangen
in cementirte Gruben und werden sofort mit Desinfectionsmitteln behandelt*).
Für die Aufbewahrung des Fleisches ist eine tunnelartige Construction eines
Eiskellers am zweckniässigsten, um auf Eisenbahnschienen das Fleisch, in Waggons
aufgehängt, auf der einen Seite ein- und auf der andern Seite herauszufahren; eiserne
Thüren verschliessen den Aus- und Eingang.
Das Local für die Kaidaunenwäsche kann mit dem für die Albumin-
bereitung in Verbindung stehen.
Schweineschlächtereien sind von den übrigen Schlachträumen zu trennen
und erfordern besondere Einrichtungen zum Vorräthighalten von warmem Wasser: ge-
trennte Räume für die mikroskopische Untersuchung sind ebenfalls erforderlich. Für
Pferdeschlächtereien sind besondere Polizei-Verordnungen nöthig.3)
Darstellung von Casein. Der Käsestofi der geronnenen Milch wird von der
Molke getrennt, gepresst, mit einer verdünnten Lösung von Natriumcarbonat auf-
gelöst und dann wieder mit Salzsäure niedergeschlagen, bis alles Fett aus-
geschieden ist.
Nach der Pressung und mehrmaligem Auswaschen mit Wasser folgt zuletzt das
Trocknen in Trockenstuben.
Die Abfallwässer gehen wegen ihres Gehaltes an Casein leicht in Fäulniss
über: sie müssen daher stets mit Kalk versetzt werden.
Käsebereitung. Bei der Käsebereitung im Grossen sind besonders die Ab-
presswässer, welche beim sogen. Garmachen der Käse durch das Salzen
entsteheu, zu berücksichtigen, da sie wegen ihres Gehaltes an Fettsäuren sehr
übel riechen; sie sind daher bald mit Kalk zu versetzen.
In den Lagerkellern muss für eine ausreichende Ventilation gesorgt werden:
sie dürfen nicht in dej Nähe von Wohnräumen angelegt werden, da sich neben Schwefel-
wasserstoff resp. Schwefelammonium die flüchtigen Fettsäuren entwickeln und einen wider-
lichen Geruch verbreiten, wie er sich in allen Käselagern vorfindet.
Der grüne Kräuterkäse ist häutig mit Kupfer gefärbt. Sehr wichtig sind die
Enveloppen dos Käses, da man häufig bleihaltiges Staniol hierzu wählt: auch
Zinn allein wird vom Käse angegriffen resp. aufgenommen, weil hier ammoniakalische
Ausdünstungen stattfinden, durch welche Zinn sehr leicht oxydirt wird.
*) Bei Schlächtereien in Privathäusern muss mit der grössten Strenge die
sorgfältigste Desinfection aller Abfälle und die wasserdichte Herstellung des Bodens in
den Schlachträumen angeordnet werden.
Alkaloide. 655
Alkaloide.
Alkaloide werden auch organische Basen genannt, weil sie alle einen
basischen Charakter haben; meist sind sie in Wasser unlöslich, dagegen in Säuren
löslich und bilden damit Salze. Es sollen hier nur die für die Industrie
wichtigsten Alkaloide betrachtet werden.
Chinin C20H94N2O2; seine Darstellung im Grossen ist seit 50 Jahren in
Deutschland eingeführt und, wenn man von der directen Extraction durch Benzin
absieht, ziemlich dieselbe geblieben.
Der erste Act besteht in sorgfältigem Pulverisiren der Rinde auf besondern
Mühlen und zwar in feuchtem Zustande, weil die Rinde wegen ihrer spröden Beschaffen-
heit sonst wegspringen und starken Staub entwickeln würde.
Obgleich man aus pecuniärem Interesse "Verluste durch Staubbüdung zu ver-
meiden sucht, so steht es doch thatsächlich fest, dass die mit dem Mahlen beschäftigten
Arbeiter bisweilen an bestimmten Formen von Wechselfiebern leiden. Die Empirie
hat im Spiritus cochlearis, der theelöffelweise kurz vor dem Froste zu nehmen ist,
ein bewährtes Mittel gefunden. Ausserdem vermag aber der Staub auch reizend auf
die Schleimhaut der Augen und Nase einzuwirken; es würde sich deshalb auch hier
das Vorbinden eines feuchten Schleiers vor das Gesicht empfehlen.
Das feine Pulver wird mit Schwefelsäure unter Mitwirkung indirecter
Wasserdämpfe behandelt, um die china- und gerbsauren Salze zu zerlegen. Die
Chinasäure geht mit den Basen in Lösung, die mit Kalkmilch übersättigt wird, um
die Alkaloide und Harze zu fällen, während die Chinasäure_ an Kalk gebunden
bleibt. Das Präcipitat wird mit Wasser und Weingeist der Destillation unterworfen;
es bleibt eine aus den Harzen und Alkaloiden bestehende Schicht zurück, die mit
heisser Schwefelsäure behandelt wird; die ersten, die Alkaloide enthaltenden Auszüge
werden noch mit Blutkohle behandelt und mit Natriumcarbonat neutralisirt. Beim Er-
kalten scheiden sich Chinin und Cinchonin aus; das übrig bleibende Harz kommt
im Handel als Chinoidin oder Chinaharz vor.
Die einzelnen Klumpen der Alkaloide, welche sich nach dem Trocknen gebildet
haben, müssen durch ein leises Reiben zwischen den Händen in ein lockeres Pulver
gebracht werden. Diese Operation ist für die Arbeiter die gefährlichste; die feinen
Nadeln dringen nämlich in die Haut und rufen eine entzündliche Reizung hervor, so
dass Hände und Gesicht oft schmerzhaft anschwellen und selbst intermittirende Frost-
anfälle entstehen. Dass die feinen Krystallnädelehen in die Haut dringen, ist durch
genauere Untersuchung nachgewiessen worden.
Die örtliche Reizung wird am sichersten und raschesten durch Waschen mit der
oben erwähnten Flüssigkeit, welche die Chinasäure enthält, gehoben.
Morphin C17N19N03 wird im Grossen dargestellt, indem man das in feine
Stücke zerschnittene Opium mit kaltem Wasser auszieht und den wässrigen Aus-
zug durch Wasserdämpfe unter Zusatz von Marmor abdampft.
Die vorhandenen Säuren neutralisiren den Kalk; die entweichende Kohlensäure
reisst viele flüchtigen Bestandteile mit sich fort, die bei den Arbeitern eigentümliche
Zuckungen und Vibriren verschiedener Muskelpartien, namentlich an den entblössten
Theilen der Arme und des Gesichts erzeugen können, wenn grössere Mengen Opium
bearbeitet werden*). Eine sorgfältige Ableitung dieser Gase und Dämpfe ist durchaus
nothwendig**).
*) Das Schmelzen des Opiums in den Factoreien geschieht meist noch auf freiem
Feuer, wobei narkotische, die Arbeiter betäubende Dämpfe entstehen. Selbst die
Mannschaft auf Schiffen, welche Opium verladen haben, werden nicht selten von .Be-
täubung und Zittern befallen; man will die Beobachtung gemacht haben, dass die be-
treffenden Matrosen dann viel weniger von der Seekrankheit befallen werden.
**) Die Arbeiter pflegen bei diesen Affectionen den verdünnten Tabaksschmergel
als Heilmittel zu nehmen.
ßtjß Tabaksindustrie.
Das syrupsartige Extract wird in kaltem Wasser gelöst, filtrirt, wieder ein-
gedampft und dann mit einer concentrirten Chlorcalciumlösung versetzt, um zunächst
Mekon säure als mekonsaures Calcium auszuscheiden. In dem Rückstande bildet sich
bei längerem Stehenlassen eine Krystallmasse, die ein Doppelsalz von salzsaurem
Morphin und Codein enthält; man Löst es in Weingeist, and setzt der Lösung
Ammoniak hinzu, um sämmtliches Morphin mit dem gebildeten Salmiak nieder-
zuschlagen, wahrend Codein gelöst bleibt.
Beim Kochen dieser alkoholischen Lösung mit Thierkohlc soll sich ein eigen-
tümlicher flüchtiger Körper entwickeln, welcher bei allen Arbeitern auf die Dauer von
lagen einen unregelmässigen Herzschlag erzeugt; da der Geuuss von Kaffee
den Zustand verschlimmern soll, so hat man es hier nicht mit einem narkotischen
Körper zu thun.
Strychnin C21H22N2O2 und Britein C23H28N204 finden sich in den Kräheu-
augen (Samen von Strychnos nux vomica), in der falschen Angusturarinde, in
den Samen von Strychnos Ignatii u. s. w.
Die Darstellung dieser Alkaloide beruht auf einem Ausziehen der be-
treffenden Piknzentheile mit Alkohol und Behandeln des alkoholischen Auszuges mit
Magnesia usta, wodurch das Strychnin gefällt und das Brucin in Lösung bleibt.
In sanitärer Beziehung ist zu beachten, dass das Pulverisiren des Roh-
materials mit der grössten Vorsicht geschehen muss; es sind dazu nur geschlossene,
sogen. Knirschmühlen zu gebrauchen. Dann ist der Rückstand bei der alkoholischen
Extraction zu berücksichtigen, da er stets noch geringe Mengen von Strychnin und
Brucin enthält. Drittens sind die Waschwässer des brucinhaltigen Präcipitats, sowie
der bei der Extraction mit Alkohol resultirende magnesiahaltige Rückstand mit grosser
Vorsicht zu behandeln; letztem Rückstand unterwirft man sammt den ausgezogenen
Pflanzenüberresten am besten einer Verbrennung. Die Pflanzenüberreste können bei
einem grossartigen Betriebe sehr bedeutend sein, da im besten Falle aus 1 Kilogrm.
Rohmaterial nur ö Grni. Basen in Summa erhalten werden. WTill man diese Rückstände
behufs Wiedergewinnung des Alkohols einer Destillation unterwerfen, so ist der ge-
wonnene Alkohol nur bei einer neuen Strychnin- oder Brucinbereitung verwendbar ,_ da
er giftige Eigenschaft besitzt. So wurde in einem concreten Falle ein solcher Spiritus
bei der Chininfabrication benutzt und ein Präparat dargestellt, welches alle Erschei-
nungen einer Strychninvergiftung hervorrief.
Alle Waschwässer dürfen niemals in öffentliche Canäle oder Schlinggruben
abgelassen werden, da im letztern Falle eine Vergiftung der benachbarten Brunnen ver-
anlasst werden kann; glücklicherweise macht sich auch die geringste Spur davon durch
einen intensiv bittern Geschmack bemerkbar. In Flüssen und Teichen wirken sie sehr
verderblich auf Fische ein; sie sind stets mit der entsprechenden Menge Chlorkalk und
Salzsäure zu versetzen, um das hierbei entstehende Chlor einwirken zu lassen (s. S. 45).
Die Verwendung des Strychnins zum Vertilgen schädlicher Thiere, besonders
die Benutzung des sogen. Giftweizens, ist nicht ohne Bedenken; wird derselbe auf
freiem Felde ausgestreut, so können auch andere Thiere, z.B. Rebhühner u. s. w , zu
Grunde gehen. Man sollte überhaupt Strychnin in der Kammerjägerei nicht gestatten.
Vielfach ist auch die Frage aufgeworfen worden, ob die durch Strychnin ver-
gifteten Thiere, z. B. Feldhühner u. s. w. , beim spätem Genüsse schädlich auf den
menschlichen Organismus einzuwirken vermögen. Zunächst möchte hier die Quantität
des Giftes mitsprechen, welches sich jedenfalls durch den sehr bittern Geschmack auch
bei einem geringen Gehalte bemerkbar machen wird; gewiss ist, dass das etwa vor-
handene Strychnin durch die Zubereitung der Thiere nicht zerstört wird.
Nicotin C10H14N2 wird durch Behandeln der Tabaksblätter mit verdünnter
Schwefelsäure gewonnen und stellt eine Base dar, während Nicotianin, der
Tabakskampher, eine flüchtige, fettartige Substanz ist, die den angenehmen
Geruch des Tabaks bedingen soll. '
Tabaksindustrie.
Nicotiana Tab a cum (Virginischer Tabak) ist die am häufigsten eultivirte
Tabakspflanze; den Pfälzer Tabak liefert Nicotiana macrophylla (Maryland-Tabak);
Nicotiana rustica wird in Deutschland nur noch wenig angebaut.
Das Tabaksblatt bedarf stets einer Präparation, die in einer Gährung besteht,
um die eiweisshaltigen Bestandtheile zu entfernen und eigenthümliche Fuselöle zur Ent-
Schnupftabak. 657
wicklung zu bringen. Die Blätter werden zu diesem Zwecke auf Haufen zusammen-
gelegt, bis sie sich im Innern erhitzen und Wasserdämpfe entwickeln, d.h. schwitzen.
Hierauf folgt das Trocknen der einzelnen Blätter an Schnüren; mehrere Blätter werden
dann zu einer Docke zusammengebunden und in grosse Fässer gepresst, bis wieder
Erwärmung eintritt; zeigt sich diese nicht mehr, nachdem man Besprengen mit Salz-
wasser und Austrocknen mehrmals wiederholt hat, so trocknet man vollständig aus und
sortirt die Blätter. Nach dem Entrippen folgt das Sauciren oder Beizen, das
aber hauptsächlich einen Gegenstand der Schnupftabakfabrication ausmacht.
Nur die schlechtem Sorten von Rauchtabak werden gebeizt oder saucirt, um
ihnen einen andern Geschmack zu geben und dadurch fremde Sorten ( Portorico,
Varinas u. s. w.) nachzuahmen. Um die Blätter schneller zu trocknen, werden sie nach
Art des Mälzens auf einem Eisendrahtgitter, das auf einem Ofen liegt, gedarrt, um
ihnen den grossen Theil der narkotischen Bestandtheile und den knellernden Geruch zu
entziehen. Gleichzeitig erhalten die Blätter dadurch ein krauses Ansehen, um aus den-
selben den sogen. Krull- oder Kraustabak zu bereiten.
Das Zerschneiden des Rauchtabaks geschieht nach vorhergehender An-
feuchtung auf der Schneidebank, wozu man meist Dampfkraft benutzt. Nach
dem Trocknen in den Trockencylindern und Sieben folgt das Verpacken in die
Pakete für den Verkauf.
Der Rolltabak ist unzerschnittener Tabak, der wie in der Seilspinnerei
gesponnen wird; man wählt wie bei den Cigarren die Einlage und das Deck-
blatt, die massig angefeuchtet werden. Den Schluss der Cigarrenfabrication bildet
gegenwärtig ein künstliches Pressen.
Beim Tabaksrauch gelangt das Nicotin wegen seiner Flüchtigkeit und leichten
Zersetzbarkeit nicht zur Wirkung; man kann fast mit Bestimmtheit annehmen, dass
Nicotin bei der hohen Temperatur, der es beim Rauchen ausgesetzt ist, eine Zersetzung
erleidet, deren Endproducte zur Gruppe der Picolinbasen gehören (s. S. 646); diese
sind es, die überhaupt vorzugsweise im Tabaksrauche zur Geltung kommen und zwar
neben geringen Mengen von Kohlenoxyd, Schwefel- und Cyanwasserstoff resp.
Schwefel- und Cyanammonium1). Unzweifelhaft wird sich aber Nicotin bei den
Gährungsprocessen und selbst noch beim Darren entwickeln; es müssen daher
alle Räume, in welchen diese Manipulationen stattfinden, möglichst sorgfältig ventilirt
werden, um die narkotischen Einflüsse zu verhüten, die sich durch Schwindel, Betäubung
und ohnmachtähnliche Zufälle äussern können, aber an der freien Luft schnell ver-
schwinden. In dieser Beziehung sind solche Tabaksblätter zu den Giften zu zählen.2)
Der Schnupftabak wird aus Karotten oder Blättern bereitet; erstere
werden auf besondern Maschinen aus gebeizten Tabaksblättern als längliche,
eiförmige, stark gepresste Körper dargestellt. Die Saucen sollen den Schnupf-
tabak reizender und wohlriechender machen; man benutzt vorzugsweise Salmiak,
Pottasche, Kochsalz, Tamarinden, Weinstein, Cassia, Violen wurzel u. s. w.; die
Saucen können sauer, neutral oder leicht alkalisch sein.3)
Das Zerkleinern geschieht durch Rapiren auf Stampf- oder Mahlmühlen,
während das Sieben die Trennung in gröbere und feinere Sorten bewirkt. Häufig
lässt man noch eine zweite Gährung folgen, die hauptsächlich eine Verminderung
des Nicotingehaltes und die TJeberführung der stickstoffhaltigen Substanzen in
Humuskörper bezweckt. In guten Schnupftabaken lassen sich höchstens 0,06 % Nicotin
nachweisen; kaum Spuren davon enthält der Kautabak, dessen Blätter -man mit
Tamarinden, Wein, Syrup u s. w. saucirt, zu dünnen Rollen oder kleinen Päckchen,
d. h. Primchen, spinnt und mit Eisenvitriol färbt.
Die Verpackung der Schnupftabake in bleihaltigen Folien ist durch
Erlass der Ministerien der Justiz, für Handel und der geistlichen Angelegenheiten
vom 2. März 1865 verboten worden, nachdem traurige Folgen von Bleivergiftungen
den Schaden aufgedeckt haben, welchen in denselben verpackte Schnupftabake her-
vorrufen. 4)
Die sanitären Verhältnisse der Tabaksarbeiter sind sehr verschieden beurtheilt
worden, während, wie überall, auch hier die Wahrheit in der Mitte liegt. Scheidet
man alle nachtheiligen Einflüsse ausserhalb der Fabrik, wie z. B. unregelmässige
Lebensweise, Trunksucht u. s. w., aus, so zeigt auch die Tabaksindustrie, dass sich
Eulenberg, Gewerbe-Hygiene. 42
658 Tabak.
viele Arbeiter einer guten Gesundheit erfreuen, nicht häufiger an Respirations-
organen erkranken als andere, dem Staube ausgesetzte Fabrikarbeiter, selbst
häufig die mittlere Lebensdauer übersteigen.1') Auch muss man von den
vielen schwächlichen jungen Leuten absehen, die oft mit Vorliebe in diese
Fabriken geschickt werden, weil es dort mehrere nicht anstrengende Beschäf-
tigungen gibt. Scrophulöse Arbeiter mit phthisischem Bau gehören aber am
wenigsten in die Tabaksfabriken und die Erfahrung zeigt täglich, dass die
Krankheitsanlage unter den Fabrik-Einflüssen viel leichter zur vollständigen Ent-
wicklung gelangt. Der Tabaksstaub zeigt sich namentlich beim Trocknen,
Rapiren und Sieben und jeder an diese Atmosphäre nicht Gewöhnte wird
anfangs sehr unangenehm davon berührt. Es fehlt aber noch an bestimmten
Thatsachen, die für eine Einlagerung dieses Staubes in das Lungengewebc
sprechen.
Zenker fi) hat erst bei zwei Arbeitern einer Tabaksfabrik in den Lungen tabak-
braune Flecke gefunden, die mit feinkörnigen Einlagerungen in's Alveolargewcbe ver-
bunden waren ; dabei waren die Lungen atrophisch und grade an den atrophischen
Stellen am stärksten gefärbt. Diese Fälle stehen aber noch zu isolirt da, um die
Tabakslunge klinisch festzustellen ; Thatsache ist es nur, dass die mit dem Rapiren
beschäftigten Arbeiter häufig braune Sputa haben, wenn sie an Bronchialkatarrhen leiden,
was im Anfange ihrer Beschäftigung oft der Fall ist. Zweifelsohne müssen diese
Einwirkungen Arbeiter mit reizbaren Brustorganen viel nachhaltiger treffen und daher
auch schlimmere Folgen herbeiführen ; die Fabrikärzte sollten keine Gelegenheit vorüber-
gehen lassen, um ihre Warnung rechtzeitig zur Geltung zu bringen. Wo die häusliche
Noth die Fortsetzung der Arbeit gebot, hat Verf. nicht selten einen raschen Verlauf der
Phthisis beobachtet; wer aber die Anlage zu dieser Krankheit nicht schon vor dem Eintritt
in die Fabrik besass, wird sie sich sicher niemals durch die Einflüsse derselben allein
erwerben.
Immerhin ist eine sorgfältige Ventilation und Reinlichkeit in den Arbeitsräumen
ein Haupterforderniss, um die Gesundheit der Arbeiter zu erhalten; es sollte in dieser
Beziehung mehr geschehen und es würde eine Hauptaufgabe der Fabrikinspectoren sein,
diesem Gegenstande die grösste Aufmerksamkeit zu widmen. Dem jugendlichen Alter
schaden allerdings Einflüsse, welche die Reinheit der Luft beeinträchtigen, am meisten,
aber kein Lebensalter geht ganz ungestraft an ihnen vorüber, nur tritt der Schaden nicht
immer bald zu Tage.
Die Rapirmühlen, bei denen Sägeblätter die Tabake zerkleinern, stehen
meist frei und ohne Mantelbekleidung, anstatt dass durch geschlossene Kasten die
Ausbreitung des Staubes verhütet werden sollte. Noch mehr Staub wirkt auf den
Arbeiter ein, wenn er sich der Rapirmesser bedient, die nach Art der gewöhn-
lichen Wiegemesser construirt sind. Am feinsten ist der Staub, wenn der Schnupf-
tabak schliesslich mittels grosser Mühlsteine gemahlen wird; geschlossene
Kugelapparate würden denselben technischen Vortheil gewähren. Die sanitären
Nachtheile würden immer mehr beseitigt werden, wenn man in den Tabaks-
fabriken dem zeitgemässen Fortschritte der Industrie mehr huldigen wollte.
Starke Gerüche nebst Staub treten bei den sogen. Trockencylindern
auf, die durch Wasserdämpfe in ihren Wandungen geheizt werden und im Iunern
mit einem Schaufelwerk versehen sind, um sowohl den zerschnittenen Tabak zu
bearbeiten als auch ein feines Sieb vorwärts zu schieben, durch welches der Staub
abgeschieden wird.
Ein zweckmässiger Exhaustor würde hier Staub und die verschiedenen
Dämpfe beseitigen und selbst die starke Hitze in diesen Räumen mindern, während
man in den meisten Fabriken den Staub noch auf allen Gegenständen und den
Kleidern der Arbeiter abgelagert findet. Wirkte der Tabaksstaub specifisch
schädlich ein, so hätten sich bei der bisherigen Vernachlässigung aller Vorsichts-
Silicium. 659
massregeln die Folgen weit bestimmter und viel häufiger zeigen müssen; man
kann ihn im Allgemeinen als vegetabilischen Staub in die Kategorie des Krapp-,
Flechten-, Holzstaubes u. s. w. bringen;7) nur der Staub des Schnupftabaks und
des saucirten Rauchtabaks ist in Folge des Beizens viel reizender, kann
daher nach der Beschaffenheit der Beize die Schleimhäute mehr oder weniger
irritiren.
Werden Krankheitszustände, Augenentzün düngen, entzündliche Affectionen der
Respirationsorgane dadurch hervorgerufen, so muss die Beurtheilung des concreten Falles
und die Fabricationsmetkode Aufschluss über die ätiologischen Momente geben. Jeden-
falls werden dann noch andere Ursachen als der eigentliche Tabaksstaub einwirken,
namentlich 'wenn man noch die vielfachen Zusätze von mehr oder weniger
differenten Substanzen zum Schnupftabak (Kohlenpulver, Kienruss u.s.w.)
berücksichtigt. Solche fremdartige Einflüsse sind streng von der Einwirkung des eigent-
lichen Tabaksstaubes zu sondern.
Bei der Tabaksdarre können mit den Wasserdämpfen am leichtesten die
narkotischen Bestandtheile mit fortgerissen werden; eine Ableitung der Dämpfe
ist aber leicht zu bewerkstelligen und sollte zum Wohle der Arbeiter nie ver-
säumt werden. Beim eigentlichen Gährungsprocesse, dem die Tabaksblätter
unterliegen, ist nur dann die Gefahr zu verhüten, wenn für denselben vor-
schriftsmässig grössere, offene, auch von den Arbeitsräumen getrennte Locale
vorhanden sind und durch Exhaustoren die schädlichen Emanationen beseitigt
werden. 8)
Silicium, Si.
Wir verlassen die organischen Körper und wenden uns wieder den
anorganischen zu, unter denen zunächst noch der den Metalloiden angehörende
Kiesel (Silicium) zu erwähnen ist, der zwar nicht frei in der Natur, aber in
seiner Verbindung mit Sauerstoff als Kieselsäureanhydrid sehr häufig vor-
kommt, denn kieselsaure Salze (Silicate) fehlen fast in keinem Gebirge und in
keinem Ackerboden.
Das Silicinm ist ein amorphes Pulver und stellt mit Wasserstoff Siliciumwasser-
Stoff SiH4 dar, der in unreinem Zustande an der Luft sofort explodirt.
Kieselsäure Si(OH)4 kann wegen ihrer grossen Neigung, Anhydrid zu bilden,
nicht rein dargestellt werden. Der gallertartige Niederschlag, den man durch Zersetzung
des Natriumsilicats mit Salzsäure erhält, ist ein Gemenge von Kieselsäure und Kiesel-
säureanhydrid.
Kieselsäureanhydrid Si02 findet sich im Bergkrystall, Quarz, Feuerstein,
Achat, Chalcedon, Chrysopras und in der Infusorienerde. In der Pflanzen-
welt lagert sich das Anhydrid vorzugsweise in den Equisetumarten, in den Knoten des
Bambusrohrs, im Roggen-, Weizen- und Gerstenstroh sowie in den Hüllen der Legu-
minosen und Cerealien ab.
Die Darstellung der Kieselsäure aus dem Kieseiguhr geschieht für die Glas-
fabrication; man unterwirft zu diesem Zwecke die Infusorienerde in Kesseln
oder Retortenöfen der Calcination; sind die erstem nicht geschlossen, so reissen
die entweichenden Wasserdämpfe eine Menge Infusorienerde mit sich fort, da bei
diesem Processe eine dem kochenden Wasser ähnliche Bewegung in der Masse
erfolgt.
42*
I
660 Silicium.
Es muss daher im Deckel solcher Kessel ein Ableitungsrohr angebracht
■werden, um diesen schädlichen Dampf in den Schlot überzuführen. Bei den Retorten
entwickelt sieh bei der Herausnahme des Caleinirgutes ein erheblicher Staub, der mit
Salzsäuren Dämpfen verbanden sein kann, wenn die Infusorienerde vom Meereswasser
bespült worden ist.
Die Arbeiter müssen sich hierbei unbedingt mit Respiratoren versehen, da dieser
Staub höchst gefährlich einwirkt und Lungenkrankheiten zur Folge hat. Da die
Arbeiter häufig harte, kuglige, in eitrigen Schleim eingehüllte Knötchen auswerfen, so
flegt man in Böhmen diese Krankheit „Erbsenkrankheit" zu nennen: sie ist der Vor-
äufer von Phthisis, die durch Abmagerung, hektisches Fieber, Naehtsehweisse u. s. w.
schliesslich den Tod herbeiführt, und kann als Prototyp der Kiesellunge betrachtet
werden, denn die Wasserdämpfe fahren den gefährlichen Staub sehr leicht in die
Respirationsweg« und setzen ihn in die Alveolen des Lungenparenchyms ab.
Diese Krankheit wiederholt sich bekanntlich überall, wo kieselerdehaltiger Staub
(Quarz. Feuerstein, Thon, Thonschiefer, Granit) von den Respirationswegen aufgenommen
wird. Trotz der auf der Hand liegenden Gefahr und trotz der vielen Opfer bei den
Steinhauern, den Arbeitern in Porcellan-, Glas- und Cementfabriken u. s. w.,
herück-iehtigt man die Verhütung dieser Einflüsse noch lange nicht sorgfältig genug.1)
Kieselfluorwasserstoffsäure, Kieselflusssäure H2SiF6 oder 2HF + SiF4 ist nur
in wässriger Lösung bekannt und zeichnet sich durch die Eigenschaft aus, mit
Kalium und Barium eine schwer lösliche Verbindung einzugehen; man benutzt
dieselbe daher, um Kalium vom Natrium und Magnesium zu trennen.
Die Darstellung im Grossen ist von Tessie >Ju Motay2) versucht worden, indem er
ein Gemenge von Fl ussspath (Fluor calcium Ca F.,.), Kieselerde, Thon und Kohle
in grossen Schachtöfen zu verbrennen sucht; die Kohle wirkt reducirend auf die Kiesel-
säure und die grössere Menge des im Fluorcalcium enthaltenen Fluors wird als Fluor-
silicium SiF4 gewonnen, das neben Stickstoff, Kohlenoxyd und Kohlensäure gasförmig
entweicht*).
Die Gase werden an der Gicht gesammelt und in Condensationskasten geleitet,
in denen Fluorsilicium durch Wasser in Kieselsäure, die sich am Boden ablagert, und
in Kieselfluor Wasserstoff zersetzt wird:
3SiF4 + 4H20 = Si(OH)4 + 2H2SiF6.3)
Die Schlacken bestehen aus Calciumsilicat und noch unzersetztem Flussspath.
Die Fabrication ist aber erst im Entstehen, bedarf noch sehr der Vervollkommnung und
belästigt einstweilen die Anwohner in hohem Grade.
Verwendung findet die Kieselfluss säure zur Darstellung von Kieselfluor-
kalium aus dem Chlorkalium in Stassfurt; es bleibt hierbei eine der zugesetzten Kiesel-
flnsssäure entsprechende Menge Salzsäure zurück, die wie der Rückstand der Blanc
iixe-Fabrication zu behandeln ist (s. diese).
Um das Kieselfluorkalium in eaustisches Alkali zu verwandeln, wird es in Glas-
retorten erhitzt: das entweichende Fluorsilicium wird durch Wasser zersetzt, während
das restirende Fluorkalium KF durch Aetzkalk in Fluorcalcium übergeführt wird,
welches weiter zu verschiedenen Zwecken verwerthet wird.
Die Kieselflusssäure ist auch bei der Fabrication von künstlichem Mineral-
dünger zum Aufschliessen von Knochen, Phosphoriten, Sombreriten (Phosphor-
säure, Kalk und Thonerde von der Insel Sombrero) oder von Rondondophosphat
(Thonerde, Phosphor säure, etwas Eisen aus Westindien) in Gebrauch.
Für das Entkalken des Zuckers in Zuckerfabriken ist ihr hoher Preis noch
hinderlich: zum Ersatz der Borsäure in der Thonwaarenindustrie, zum Kuhkothbade
in der Färberei und zur Zeugdruckerei, zum Weisssieden der Nadeln in Nadelfabriken,
zur Erzeugung einer schönen Patina auf Messing, Bronze, Zink u. s. w. empfiehlt sie
sich sehr.
Zum Präcipitiren von suspendirten oder gelösten Stickstoffverbindungen in Cloaken-
Aüssigkeiten u s. w. kann mau Kieselflusssäure, Fluorsilicium, Chlorsilicinm u. s. w. be-
nutzen. Man nennt das Präzipitat, das aus der Siliciumverbindung und den stickstoff-
haltigen Körpern besteht, Silicoid und verwendet es zur Darstellung von Ammonium-
salzen.4)
*) Die gewöhnliche Darstellung von Fluorsilicium s. S. 69.
Glasindustrie. 661
Glasindustrie.
Das Glas stellt durch Schmelzen erhaltene Silicate, d. h. Verbindungen
der Kieselsäure mit verschiedenen Basen dar. Bisweilen wird die Kieselsäure
auch durch Borsäure vertreten.
Die wichtigsten Rohmaterialien sind folgende: 1) Kieselerde in Form von
Quarz, Sand, Feuerstein und namentlich Infusorienerde. Da der Sand eisen-
frei sein niuss, so wird das Eisen durch Digestion mit wässriger Salzsäure als Eisen-
chlorür FaCl2 + 4H20 aus demselben entfernt. Je feiner das Glas werden soll, mit desto
grösserer Sorgfalt muss der Sand oder die Infusorienerde präparirt werden; es gehört
dazu das Ausglühen, um das Mahlen und spätere Schmelzen zu erleichtern. Das
Glühen geschient in langen Gewölben, wobei die Arbeiter der Hitze und dem Staube
ausgesetzt sind, der durch das häufige Umschaufeln entsteht; diese Beschäftigung ist
eine der ungesundesten bei der ganzen Glasfabrication und sollte einer strengen Beauf-
sichtigung unterliegen, um den Arbeitern mehr Schutz als bisher zu gewähren.
2) Kali kommt in Form von Pottasche und Natron hauptsächlich als Natrium-
sulfat zur Verwendung.
3) Der Kalk muss für feine Gläser eisenfrei sein; man benutzt den gepochten
Kalkstein oder geschlemmte Kreide. Ein gewöhnlicher Glassatz besteht aus Sand, Kalk-
stein, Natriumsulfat und Kohle; indem letztere die Schwefelsäure zu schwefliger
Säure reducirt, verwandelt sie sich in Kohlenoxyd, das entstandene Natrium-
sulfit wird durch die Kieselsäure zersetzt und schweflige Säure entweicht. Da
das rohe Natriumsulfat meist Kochsalz enthält, entwickelt sich auch Chlorwasser-
stoffsäure. Alle diese Gase gehen mit den Feuerungsgasen ab, belästigen deshalb
die Arbeiter nicht, können aber die Vegetation, namentlich zur Blüthezeit, schädigen;
die Lage der Glashütten ist daher bei der Ertheilung von Concessionen wohl zu erwägen,
um spätem Klagen der Anwohner vorzubeugen.
4) Mennige Pb304 stellt dieBleioxyd-Silicate dar, wird schwieliger als Blei-
glätte zu metallischem Blei reducirt und deshalb dieser vorgezogen; das Glas erhält
durch Blei ein hohes spec. Gew- und ein höheres Lichtbrechungs vermögen (Krystallglas,
Flintglas).
5) Zink kommt als Zinkweiss und Wismnth als Wismuthoxyd oder Bism. subnitr.
zur Anwendung.
Auf die Mischung der Rohmaterialien legte man früher wenig Werth; in
neuerer Zeit sorgt man mehr für ein Feinmahlen und Pulverisiren; jeder einzelne
Bestandtheil wird auf einer Mühle gemahlen. Beim Mahlen sollte stets eine An-
feuchtung durch Wasser stattfinden, während beim Sieben jedenfalls geschlos-
sene Apparate erforderlich sind. Beim Mischen entsteht aber wiederum ein
grosser Staub, dessen gefährliche Einwirkung wegen seines Gehaltes an Sand,
Quarz u. s. w. niemals zu unterschätzen ist; gewöhnlich wird eine Schaufel voll
von jeder einzelnen Substanz auf dem Boden eines hölzernen Kastens oder auf
einem aus Steinplatten bestehenden Fussboden ausgebreitet und die zur Schmelzung
erforderliche Masse auf diese Weise zu einem Haufen vereinigt, den man durch
Umschaufeln sorgfältig vermischt. Das Gemenge gelangt dann behufs inniger
Mischung in einen Mischapparat, der aus einem hölzernen Kasten besteht,
in welchem eine hölzerne, mit Pflöcken versehene Walze bewegt wird; zum Ein-
schütten benutzt man einen Holztrichter, während durch Oeffnen einer Klappe
am Boden des Kastens das Mahlgut direct in ein transportables Gefäss fällt,
an dessen Stelle zur Verminderung des Staubes ein Füllkasten mit verschieb-
barem Deckel vorzuziehen ist (s. S. 162).
Als Entfärbungsmittel dient 1) der Braunstein in kleinen Mengen; in grossem
bildet er ein Mangansilicat, das violett färbt; kommt aber dann das grün färbende
Eisenoxydulsilicat (im Sande) hinzu, so heben sich Grün und Violett als Complementär-
farben; auch Nickel-, Antimon- oder Zinkoxyd werden benutzt.
2) Die arsenige Säure kommt gegenwärtig seltner, aber immer dann zur
Anwendung, wenn die Glasmasse vollkommen geschmolzen ist, in welche man ein Stück
dieser Säure bis auf den Boden des Hafens mittels einer eisernen Stange hinabdrückt;
662 Silicium.
sie wirkt auf die Kohle und das Eisenoxydul oxydirend ein, während sie zu Arsen
reducirt wird und sich als Metall verflüchtigt:
Ass08 -+- 3 0 = 2 As 4- 3 CO,
As203 + 6FeO = 2 As -+- 3Fe203.
Arsenige Säure und Kobalt werden nur in einigen Fabriken in grössern
Quantitäten beim Hohl- und Tafelglas verwendet, wenn aus demselben Uhr- und
Brillengläser dargestellt werden. Beim Verbrauch von Arsen sind wie bei den oben
genannten Gemengen mehr die Nachbarn als die Arbeiter zu berücksichtigen, da
sich Arsen mit den Feuerungsgasen verflüchtigt. In der Nähe der Fabriken bemerkt
man oft weniger die Einwirkung auf die Vegetation als in einiger Entfernung davon,
obgleich auch namentlich vom Arsen ein Tlieil im Russ der Schornsteine zurückbleibt;
beim Reinigen derselben ist daher auch auf diese arsenikalische Beimischung zu achten,
wenn keine Flugstaubkammern verwendet worden sind (s. S. 2f)3). Diese oder ähnliche
Vorrichtungen sollten aber bei einer reichlichen Verwendung der arsenigen Säure nie
ausser Acht gelassen werden.5)
3) Der Salpeter (Chilisalpeter) wirkt wie arsenige Säure; ebenso der Baryt-
salp e t e r.
4) Mennige wirkt durch Abgabe des Sauerstoffs, welcher vorhandene organische
Substanzen verbrennt, als Entfärbungsmittel.
Das Schmelzen des Glassatzes geschieht in den sogen Hafen, welche auf der
Glashütte aus schwer schmelzbarem Thon und gepulverten Chamottesteinen
fabricirt werden. Hierbei entstehen dieselben Nachtheile wie in den Porcellanfabriken,
da der beim Zerkleinern der Chamottemasse entstehende Staub seine nachtheilige Wir-
kung auf die Respirationsorgane der Arbeiter geltend macht (s. Porcellanfabrik).
Die geformten Hafen werden getrocknet, gebrannt und glasirt. Die Form der
Hafen ist verschieden: cylindrisch ist sie bei der Holz- und Gasfeuerung, hauben-
förmig bei der Steinkohlenfeuerung und bei der Fabrication des bleihaltigen Glases.
Die Schmelz- oder Werköfen sind in der Regel stehende Flammenöfen; der
viereckige oder runde Schmelzraum ist überwölbt und liegt oberhalb des Feuerraums;
die Hafen stehen auf der sogen. Bank und werden durch die Flamme ei'hitzt. Neben-
öfen, die um den Hauptofen gruppirt sind, dienen zum Vorwärmen, Trocknen, Ab-
kühlen der fertigen Waaren u s. w.
Der Siemens'sche continuirlich wirkende Wannenofen mit Regene-
rativfeuerung scheint rasch Eingang zu finden und alle andern Oefen nach und
nach zu verdrängen; dieser Ofen wirkt so kräftig, dass selbst bleihaltiges Glas in
demselben geschmolzen werden kann.
Die verschiedenen Glasarten. Man unterscheidet 1) bleifreies Glas, zu dem
das grüne Flaschenglas, das halbweisse oder weisse Hohlglas (für hohle
Gefässe), das Krystallglas, das Tafelglas (Fensterglas, Spiegelglas) u. s. w.
gehören; die Materialien bestehen gewöhnlich aus Sand, Soda und Calcium-
carbonat und zwar entweder in rohem oder in gereinigtem Zustande, je nachdem
man ein ordinäres oder sehr weisses Glas darstellen will; 2) bleihaltiges Glas
(Krystall- und Flintglas, Kronglas*, Strass, Email) j8) 3) gefärbte Gläser.7)
In sanitärer Beziehung ist stets das Hauptgewicht auf Mischung, Zer-
kleinern u.s.w. der verschiedenen Bestandtheile zu legen, unter denen der Kiesel-
erdestaub stets eine die Gesundheit gefährdende Stellung einnimmt. Das Ver-
mischen der bleihaltigen Ingredienzen (Mennige, Bleiglätte) sollte ganz be-
sonders nur in geschlossenen Apparaten vorgenommen werden, um Bleiintoxi-
cationen der Arbeiter zu verhüten; wenn diese die sogen. Glassätze in hölzernen
Kasten zum Ofen bringen und mit eisernen Schaufeln eintragen, so sollten sie mit
Strenge angehalten werden, Mund und Nase zu verbinden, da bei diesen Mani-
pulationen Staubbildung nie völlig zu vermeiden ist. Bedenkt man, dass das
*) In England nennt man auch das Mondglas Kronglas; Mondglas ist aber
Fensterglas, welches nur wegen seiner Form diesen Namen erhalten hat und einer
besondern mechanischen Manipulation zu seiner Darstellung bedarf. In dieselbe Kategorie
gehört auch das Walzenglas; durch Aufschneiden eines gläsernen Cylinders oder einer
Walze und das Strecken der geöffneten Walze stellt man eine Glastafel dar; deshalb
heisst es auch Tafelglas.
Glasindustrie. 663
Flintglas zum Drittel seines Gewichts aus Bleioxyd bestellt und zu optischem
Glase nach Bontemps ein Glassatz von je 100 Th. weissen Sandes und Mennige
und nur 30 Th. calcinirter Soda genommen wird, so geht hieraus die Gefährlich-
keit des Staubes hinreichend hervor. Beim Schmelzen des Bleiglases ent-
stehen stets Bleidämpfe.
Die haubenförmigen Oeffnungen der Hafen sehliessen sich an die Arbeits-
löcher an: ein einzelner Hafen steht auf einer hohen Bank und ist rings vom Feuer
umgeben, das auf zweiseitlichen Rosten brennt, zu denen mehrere kurze Schornsteine
gehören, aus denen häufig die Flammen herausschlagen. Die Beschickung erfolgt in
einzelnen Sätzen und die Oeffnungen werden erst beim Aufhören der Gasentwicklung
geschlossen. In der Regel münden die Schornsteine unter einem Mantel, der aber zur
Condensation der massenhaft auftretenden Dämpfe wenig geeignet ist: noth wendig miisste
der Blechmantel mit einer Flugstaubkammer oder mit langen, in den Fabrikschornstein
mündenden Canälen in Verbindung stehen, um die Ausbreitung dieser Dämpfe in die
nächste Umgebung zu verhüten, während vor der Arbeitsöffnung ein Fang die hier
austretenden Dämpfe unter den Blechmantel führen und die Arbeiter schützen würde.
Der Strass ist ein bleireiches Kaliumsilicat und dient zur Darstellung der
künstlichen Edelsteine, indem man ihn mit färbenden Metalloxyden zusammenbringt. So
erfordert z. B. der Smaragd einen Zusatz von Kupferoxyd und Chromoxyd, Saphir
einen Zusatz von Smalte u. s.w. Auch hier ist das Pulverisiren der verschiedenen
Metalloxyde in sanitärer Beziehung zu würdigen.
Email ist eine durch Zinnoxyd undurchsichtig gemachte Glasmasse*). Nachdem
eine Legirung von Blei und Zinn geglüht, pulverisirt und geschlämmt worden, wird
das gebildete zinnsaure Blei mit einer Glasmasse gefrittet, d.h. bis zur angehenden
Schmelzung erhitzt (s. Eisernes Kochgeschirr).
Das Färben der Gläser geschieht selten in der ganzen Masse, weil sie dadurch
meist undurchsichtig werden.
Ueberfangen des Glases nennt man ein Ueberziehen des farblosen Glases mit
einer dünnen Schicht des gefärbten Glases und zwar entweder nur von aussen oder
zwischen zwei Schichten.
Für achtes Rubinglas wird Goldpurpur, für Gelb werden Antimonglas, Chlor-
silber und Uranoxyd, für Blau Kobaltoxyd, Mangan oxyd, für Schwarz Eisenoxydul
oder ein Gemenge von Kupferoxyd, Braunstein und Kobaltoxydul genommen.
Bei der Glasmalerei trägt man gefärbte Glasflüsse in fein zerriebenem Zustande
auf eine Glasfläche auf und schmilzt sie bei massiger Hitze ein. Da die Metalloxyde
sowohl als die Glasflüsse höchst fein pulverisirt werden müssen, so darf diese Manipu-
lation wegen des gefährlichen Staubes nur in geschlossenen Apparaten vorgenommen
werden.8)
Glasperlen. Die Venetianer Perlen werden aus Emailglas dargestellt: die hohlen
oder geblasenen Perlen überzieht man inwendig mit der Perlenessenz, die aus den
Schuppen des Weissfisches (Cyprinus alburnus) bereitet wird; die massenhafte Anhäufung
von Fischen (ca. 20,000 Fische sind zu 1 Pfund Essenz erforderlich) gibt zu höchst un-
angenehmen Gerüchen Anlass. Die Schuppen müssen sofort mit Kalk versetzt werden,
um sie als Dungmittel zu benutzen.9)
Sanitäre Verhältnisse der Glasarbeiter.
Unter den Manipulationen dieses Berufes gehört das Glasblasen zu
den anstrengendsten und ungesundesten Arbeiten. Die strahlende Hitze und die
profusen Schweisse einerseits, die luftigen und zugigen Räume andrerseits bedingen
Extreme, unter deren Einfiuss auch der kräftigste Körper sich erschöpfen muss;
kommt dazu noch die Anstrengung des Blasens mit der „Pfeife" und das
Schwingen des Glases auf der Schwinggrube, so vereinigen sich so viele die
ganze Kraft des Körpers in Anspruch nehmende Momente, wie sie kaum in einer
andern gewerblichen Thätigkeit vorkommen. Hier können nur kräftige Ernäh-
rung, massige Arbeitszeit, Pflege des Körpers durch Bäder und Vermeiden aller
*) Auch arsenige Säure, Chlorsilber, namentlich Calciumphosphat und Blanc fixe,
machen das Glas undurchsichtig.
664 Zinu-
Excesse die Gesundheit erhalten; dabei muss namentlich für sehr geräumige, aber
möglichst zugfreie Arbeitsräume vor den Glasöfen gesorgt werden.
Beim Giessen des Glases zu Spiegelplatten sind es vorzugsweise die
strahlende Hitze und die körperliche Anstrengung, welche nachtheilig einwirken;
nachdem die flüssige Masse in den grossen Schmelzhafen tüchtig umgerührt, auch
die „Galle" (die auf der Oberfläche sich ausscheidenden Theile von Natriumsulfat)
abgeschöpft worden ist, wird das flüssige Glas in kleine Hafen, sog. Wannen,
umgefüllt und in diesen zum Giesstische gefahren*).
Zum Schleifen und Poliren wird gepochter Feuerstein und Colcothar
(Englisch -Roth, s. Eisen) unter Zusatz von Wasser gebraucht. Der Schleif-
schlamm enthält eine Menge Glaspartikelchen, da durch das Schleifen die Glas-
tafeln beinahe um die Hälfte verdünnt werden. Auch beim Schleifen des
Krystallglases, der Uhren- und Brillengläser wird das Schleifpulver mit
Wasser befeuchtet, so dass hierbei kein Staub nachtheilig einwirken kann. Die
Uhrengläser werden aus Hohlglas, die Brillengläser aus Tafelglas meist mit
Maschinen ausgeschnitten; die Glasstaubbildung ist so unbedeutend, dass hierbei
noch kein Nachtheil nachgewiesen worden ist.
Wiederholt sind aber hier die verschiedenen Staubarten, die beim
Pulverisiren und Mischen der Rohmaterialien entstehen, als die grössten
sanitären Nachtheile hervorzuheben; ihre Verhütung muss die beständige Aufgabe
der öffentlichen Hygiene und das unermüdliche Bestreben der Techniker bleiben.
Wasserglas.
Das Wasserglas is ein Alkali Silicat, das in Wasser löslich ist und an der
Luft nicht zerfliesst. In der Industrie ist es ein Schutzmittel gegen Feuersgefahr,
wenn Gegenstände aus Holz, Leinwand u. s. w. damit überzogen werden; auch
schützt es das Holz gegen Schwamm und Würmerfrass.
Zu seiner Darstellung werden Quarzsand, Kohle und Pottasche (Kaliwasser-
glas) oder Natron (Natronwasserglas) zunächst fein gepulvert und ist hierbei der
gefährliche Staub grade wie in der Glasindustrie zu beachten. Das Gemenge wird
feschmolzen und abermals gepulvert, worauf das Kochen in Wasser folgt. Die Lösung
eisst präparirtes Wasserglas und kommt im Handel als 33 — 36grädig vor, wenn
in 100 G. Th. Wasser 33 — 36 G. Th. festen Wasserglases enthalten sind: sie kann mit
Thon, Kreide, Knochenerde, Glaspulver, Flussspath u. s. w. versetzt werden und erhält
dadurch verschiedene Eigenschaften (s. Schmierseife).10)
Zinn, Sn.
Zinn kommt im Sande der Flüsse (Cornwallis, auf Malacca, Insel Banca)
als Zinnstein SnOä oder seltner als Zinnkies mit Sauerstoff und Schwefel auf
Gängen vor.
Zinn ist weich, hämmerbar und sehr dehnbar (Zinnfolie, Stanniol); bei
200° ist es spröde und lässt sich pulvern, bei 280° schmilzt es, ohne flüchtig zu sein;
heisse Salzsäure löst das Metall unter Entwicklung von Wasserstoff, Aetzalkalien lösen
es unter Bildung von Zinnoxyd resp. Zinnsäure auf.
*) Künftig werden gewiss die Siemens'scken Wannenöfen diese Arbeit erleichtern.
Zinnindustrie.
665
Gewinnung des Metalls. Vorzugsweise wird der Zinnstein verhüttet; 1) die
Gangart wird durch Schlämmen von den Erzstücken befreit; der sich in den Abfall-
wässern niederschlagende zinnsteinhaltige Schlamm (Schlich) wird oft mit Bleiglanz-
schlich vermengt, um ihn als Glasurgut in den Fayencefabriken zu verwenden; 2) das
Rösten bezweckt die Entfernung des Schwefels und Arsens, wenn die Erze Schwefel-
verbindungen von Eisen und Kupfer (Kiese) enthalten, sowie die Ueberführung dieser
Metalle in Oxyde. Mag dieser Process in Schachtöfen (Sachsen, Böhmen) oder in
Flammenöfen (England) vor sich gehen, stets müssen Gestübbekammern und Canäle
zwischen diesen und dem Hauptkamin angelegt werden, um die Condensation der gif-
tigen Gase und Dämpfe zu bewirken; was sich hier condensirt und niederschlägt
(Gekrätz, Gesckur), besteht meist aus arseniger Säure, Wismuthoxyd , Zinnoxyd,
Quecksilber, Zink und Blei.
3) Die Reduction des Zinnsteins durch Schmelzen mit Kohle geschieht in
modificirten Schachtöfen (Tiegel-, Sumpf-, Spuröfen) unter Mithülfe eines Gebläses; das
reducirte Metall fliesst mit den Schlacken zuerst in den Vorherd, wo das Metall von
den Schlacken getrennt wird, und dann nach einem tiefer gelegenen Theil des Herdes,
in den Stichherd, um es hier als Rohmetall abzustechen. Es treten hier noch die-
selben Dämpfe wie beim Rösten auf; die Oefen müssen deshalb überkuppelt werden,
um die Condensation derselben bewirken zu können.
4) Das Reinigen und Pauschen ist ein Umschmelzen des Metalls und beruht auf
einer Saigerung des geschmolzenen Metalls durch eine glühende Kohlenschicht, um die
beigemengten Metalle zu entfernen, die sich als Härtlinge oder Saigerkörner (Le-
girungen von Eisen, Zinn, Arsen, Kupfer und namentlich Wolfram) absetzen.
Fig. 53.
Zinnindustrie.
In grossartigem Massstabe wird das Zinn zum Verzinnen der Eisen-
bleche benutzt (s. S. 288).
Man taucht hierbei 1) die Bleche in verdünnte Salz-
oder Schwefelsäure in einem offnen Schuppen unter einem
Rauchfange und bringt sie in Reverberiröfen , um durch
Einwirkung der Säure die Oxydschuppen zu beseitigen.
Der grösste Theil der hierbei auftretenden schädlichen
Gase (Kohlen-, Schwefel-, Arsenwasserstoff)
entweicht mit den Verbrennungsgasen durch den Schlot.
Nach dem Abscheuern der Bleche mit Sand oder Draht-
bürsten taucht man sie 2) mehrmals in geschmolzenen
Talg, dann in geschmolzenes, mit Talg bedecktes Zinn und
schliesslich in ein Bad von reinem, geschmolzenem Zinn.
In Folge der bedeutenden Erhitzung bilden sich viele be-
lästigende Acrole'indämpf e; die Schmelzkessel müssen
daher unter einem gut ziehenden Schlot stehen.
Eine hierzu passende Einrichtung hat D'Arcet an-
gegeben (Fig. 53), die sich überall empfiehlt, wenn es sich
um eine rasche Entfernung schädlicher Gase aus dem
Fabrikraum handelt. Der vortheil besteht darin, dass
der Schornsteinmantel (a) nach vorn recht tief herabtritt und
der für die Feuerung bestimmte Schornstein (c) sich mit
der gemeinschaftlichen Esse (b) vereinigt. Das Gitterwerk
(/) des Aschenkastens (d) liegt im Niveau des Fuss-
bodens; g ist der Schmelzkessel.
Das Verzinnen der Stecknadeln und ähnlicher
messingener Gegenstände geschieht durch Kochen in einem
verzinnten Kessel mittels Zinnkörner und einer Auflösung
von Cremor Tartari.
Zum Verzinnen der Ess- und Kochgeschirre bedarf man eines möglichst
reinen Zinns; diesem in sanitärer Beziehung höchst wichtigen Umstände wird
viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, namentlich in den Staaten, die keine
gesetzlichen Bestimmungen über den zulässigen Zusatz von Blei zu Zinn
bei Legirungen erlassen haben.
Die Anfertigung der Legirungen von Zinn und Blei für öffentliche Masse,
Ess- und Trinkgeschirre, hat Frankreich durch das Gesetz vom 10. Juni 1839 ge-
666 zinn-
regelt und den Gehalt an Zinn bei der Fabrication der Legirungen auf 0,835 festgesetzt,
den Fabricanten jedoeh eine gewisse Toleranz von 0,015 bei der Anfertigung gestattet,
weil beim Schmelzen und Ablassen der Metalle ein Theil des leichter schmelzbaren
Zinns heraussaigern und dadurch das ursprünglich gewählte Verhältniss der Metalle
leicht verändert werden kann, so dass das für die Anfertigung der Zinnmasse bestimmte
Metall nicht weniger als 0,82 reines Zinn und nicht mehr als 0,18 Blei ent-
halten soll:2) hingegen beschränkte die Stadt Paris durch eine Polizei- Verordnung vom
23. Februar 1853 den zulässigen Bleigehalt auf 10%.
Oest er reich gestattet auch nur 1,'10Blei (10 Th. Blei und 100 Th. Zinn): in Sachsen
war dies seit dem 17. Jahrhundert der Fall, es hat aber durch Verordnung vom 25. Aug. 1874
den von der Kaiscrl. Normal-Ei chungs-Commission festgesetzten Satz von 5/c Zinn (83,3%)
und V6 Blei (16,7%) ädoptirt. Die gesetzliche Regelung dieses Gegenstandes für das
Deutsche Reich ist aber im Hinblick auf die grosse Gefahr, die aus der Willkür bei der
Anfertigung der Zinnlegirung erwächst, dringend zu erwarten, nachdem sich die §§ 324
u. 326 des Strafgesetzbuches als völlig unwirksam erwiesen haben: übrigens entsprechen sie
auch den Grundsätzen der öffentlichen Gesundheitspflege nicht, nach denen man nicht
erst den Schaden abwarten, sondern demselben vorbeugen soll.3)
Ganz reines Zinn kommt freilich im Handel selten vor, am reinsten ist noch
das Banco- oder Blockzinn; man hat aber auch in dieser Beziehung eine gewisse
Toleranz geübt und ein Zinn, welches 1 — 2 Th. fremder Metalle auf 100 Th. enthält,
noch für zulässig erklärt. In Deutschland herrscht auch bei den bessern Zinngiessern
in dieser Beziehung viel Willkür; Engelzinn mit 84% Zinn wird nur ausnahmsweise
benutzt, Kronzinn (70%) wird in der Regel schon für gut bezeichnet, während aus
Spiegelzinn (Zinn und Blei zu gleichen Theilen) vielfältig die gewöhnlichen Kaffee-
und Esslöffel angefertigt werden.
Conipositionsmetall, englisches Metall, heisst eine Legirung von Zinn mit wenig
Kupfer, Antimon und Wismuth; auch Britannia-Metall besteht häufig aus Zinn,
Antimon und etwas Kupfer. In Lüdenscheid wählt man hierzu 90% Zinn und 10% einer
Mischung von Kupfer und Antimon. Alle diese Legirungen werden sehr häufig zur
Fabrication von Theekannen, Löffeln und den verschiedensten Gerätschaften benutzt.
In frühern Zeiten gebrauchte man in England niemals Blei zum Härten des Zinns,
sondern stets Wismuth: wegen seines grössern Preises trat es aber in den Hintergrund
und wurde dann Zinn mit Antimon und andern Metallen legirt. Gegenwärtig trifft man
englisches Metall an, welches ebenfalls Zusätze von Blei neben Kupfer und Antimon
enthält, so dass dasselbe jedenfalls nicht mit Säuren in Berührung kommen darf.
Auch in Deutschland ist Antimon wegen seines billigen Preises mit Zinn legirt
worden; es kommen aber auch Löffel vor, welche gar kein Zinn enthalten, sondern nur aus
20 Th. Antimon und 80 Th. Blei oder 30 Th. Antimon und 70 Th. Blei be-
stehen. Ein solches Fabricat gibt sich schon durch eine bedeutendere Schwere, grössere
Biegsamkeit ohne Knirschen, dunklere Farbe und ein Abfärben auf Papier zu erkennen;
ein paar Tropfen Essig mit demselben in Berührung gebracht, nehmen bald einen
süssen und zusammenziehenden Geschmack an.
Um billige Fabricate zu liefern, hat man auch altes Schriftmetall mit alten
zinnernen Geräthen legirt, so dass gegenwärtig die bedenklichste Willkür bei dieser
Fabrication herrscht. Die Gefahr ist um so grösser, weil die schädlichen Legirungen
in den wenigsten Fällen sofort ihre Wirkung auf die Gesundheit der Menschen entfalten,
sondern das Gift im Organismus erst allmählig aufspeichern.
Sehr nachtheilige Folgen kann eine schlechte Legirung auch bei den Kinder-
spielzeugen haben, da bei diesen ein Gehalt von 50 Th. Blei auf 50 Th. Zinn gar nicht
zu den Seltenheiten gehört. Auch der zum Einpacken von Nahrungs- und Genussmitteln
zur Anwendung kommende Stanniol enthält nicht selten 60 — 80% Blei (s. Blei).
Früher war man der Ansicht, dass Zinn in der Legirung mit Blei vor der
Oxydation geschützt bleibe; Proust und Vauquelin glaubten sogar noch, dass Weinessig
Blei in einer Legirung von 17 -18% Bleigehalt nicht angreife. Es ist aber ausser Frage
gestellt, dass sich bei Einwirkung von Säuren auf Zinnlegirungen sowohl Zinn als Blei auf-
lösen; besonders hat Pleischl*) experimentell festgestellt, dass mit der Zunahme von Blei
in solchen Legirungen auch mehr Blei aufgelöst wird, wenn Essig auf dieselben einwirkt.
Andere Untersuchungen haben ergeben, dass nach der 24stündigen Einwirkung
des stärksten im Handel vorkommenden Essigs auf die metallische Wandfläche eines
',2-Liter-Masses bei einem Gehalte desselben an
91,3% Zinn und 8,7% Blei ein Quantum von 39 Mgrm. Zinn und
85,5 % „ „ 14,5 % „ „ „ „ 40 „ ;, „
816^ 184^ 44
al1,J/0 11 5) Jur 'o •>•> ■)•> 11 11 " 11 11 11
77 fi 4> ii ii 22,3 % „ „ „ „ 41 „ „ „
73,4% „ „ 22,6% „ „ „_ „ 38 „
aufgelöst wird (s. Circ. 24 der Normal-Eichuugs-Commission vom 30. Juni 1873).
3 Mgrm.
Blei,
6 „
ii
10 „
n
10 „
n
12 „
Zinnindustrie. 667
Aus dieser exacten Analyse ergibt sich, dass ein Gehalt von 1/10 Blei für Zinn-
legirungen den "Vorzug verdient und auch der Fabrication derselben kein Hinderniss
entgegenstellt.5)
Die Benutzung der Zinngeräthe für die Aufbewahrung und Bereitung von
Genuss- und Nahrungsmitteln erfordert die sorgfältigste TJeberwachung derselben Seitens
der Polizeibehörde. So hat Reichfit6) über die Einwirkung von Kochsalz auf Zinn-
legirungen ausführliche Analysen angestellt und gefunden, dass, wenn z. B. eine gewöhn-
liche Kochsalzlösung in einem zinnernen Gefässe nur 1 Stunde lang stehen gelassen wird, die
Analyse 0,311% Blei = 0,420% Bleichlorür ergab. In den Zinnmassen findet am
leichtesten in den kleinen Spalten und Rissen eine Oxydation von Blei statt, wenn sie
mit Essig in Berührung kommen: in Frankreich ist deshalb den Spezereihändlern ver-
boten worden, Zinnmasse zum Vermessen von Es sie zu verwenden.
Die in ihrer Aetiologie lange dunkel gebliebene „Coliqne Seche", die am häufigsten
auf Schiffen vorkommt, kann in den meisten Fällen auf das Trinkwasser geschoben
werden, das in Gefässen von bleihaltiger Zinnlegirung desrillirt worden ist; über die
Ursache dieser Krankheit kann nicht der geringste Zweifel herrschen, wenn zu den
Kolikanfällen schliesslich die Lähmung der Streckmuskeln des Vorderarms
hinzutritt r)-
Kohlensäurehaltiges Wasser kann sehr leicht bleihaltig wei-den, wenn die
Röhren oder Stöpsel der Siphons aus einer schlechten Zinnlegirung bestehen. Als vor
mehreren Jahren Legirungen von Blei und Zinn als patentirtes Surrogat der Korke für
Weinflaschen, Gefässe u. s. w in den Handel kamen, fanden sich häufig die weinigen
Flüssigkeiten, eingemachte Früchte u. s.w. bleihaltig.
Bei der Anfertigung der Zinnmasse und Zinngeschirre gibt man bei einer
geregelten Fabrication den Gehalt an Zinn an und nennt diese Legirungen 2-, 3-, 4-
oder 5 pfundiges Zinn, d. h. werden gleiche Theile von Zinn und Blei zusammen-
geschmolzen, so heisst die Legirung 2pfündiges Zinn, Spfündig bei 2 Pfd. Zinn und
1 Pfd. Blei und 6pfündig bei 5 Pfd. Zinn und 1 Pfd. Blei: letztere Legirung ist das
3stemplige Zinn: aus 32 Pfd. Zinn und 1 Pfd. Blei besteht das 4stemplige Zinn.
Zum Verzinnen von neuen messingenen oder kupfernen Geschirren
benutzt man nur in den bessern Werkstätten 6 — 7pfündiges Zinn: die meisten Klempner
.bedienen sich bei der Wiederherstellung abgenutzter Verzinnungen sogar des Schnell-
loths (Zinn- oder Weissloths), das aus einer Legirung von 1,5 — 2 Th. Blei und 1 Th.
Zinn besteht*). Dass eine schlechte Verzinnung viel häufiger, als man vermuthet.
Bleiintoxicationen zu erzeugen vermag, ist nicht im Geringsten zu bezweifeln, da Blei
überall, wo es mit sauren oder salzigen Speisen zusammenkommt, aufgenommen wird.8)
Unächtes Blattsilber besteht aus Zinn und Zink und wird vielfältig zum Ver-
packen von Genuss- und Nahrungsmitteln benutzt: kommt dasselbe mit Kochsalz
zusammen, so wird sich stets Chlorzink bilden, so dass auf vielfältige Weise Ge-
sundheitsstörungen hierdurch veranlasst werden können.
Musivgold. Zinnsalüd SnS2. Zinnhronze, wird im Grossen dargestellt, indem man
ein aus 12 Th. Zinn und 6 Th. Quecksilber bestehendes Amalgam pulverisirt und mit
6 Th. Salmiak und 6 Th. Schwefel innig mischt: man erhitzt die Mischung in einem
langhalsigen Kolben bis zur Rothgluth. Das Verfahren verdient in sanitärer Beziehung
die grösste Beachtung, da sich die gefährlichsten Dämpfe hierbei entwickeln.
Die Sublimation darf niemals offen in Laboratorien, sondern nur unter gut
ziehenden Rauchfängen vorgenommen werden; besser ist es jedoch, sämmtliche Kolben
in ein gemeinschaftliches weites Glasrohr münden zu lassen, welches wenigstens 5 — 6 Fuss
lang, etwas abgeneigt ist und in eine grosse Woulfsche Flasche einmündet: letztere
setzt man noch mittels eines besondern Rohrs mit einem gut ziehenden Kamin in Ver-
bindung. Es werden hierbei Dämpfe von Schwefelquecksilber (Zinnober),
metallischem Quecksilber, namentlich von sublimathaltigem Calomel, von
Zinnchlorür und Zinnchlorid verdichtet. Die gewonnene Masse kann auf Sublimat
verarbeitet und das Zinn später durch Mercurius vivus ausgefällt werden.
Man verwendet das Musivgold zur unächten Vergoldung auf Holz, Pappe, Papier-
mache, Messing, Kupfer, Gips, wobei es mit Eiweiss aufgetragen wird: das Ganze erhält
schliesslich einen Ueberzug von durchsichtigem Lack.
In der neuern Zeit haben die Bronzepulver resp. Bronzefarben dem Musiv-
golde grosse Concurrenz gemacht; das Musivgold besitzt aber den grossen Vortheü, dass
*) Das gewöhnliche Loth (Strengloth) für schwer schmelzbare Metalle,
Weissblech u. s.w. besteht aus gleichen Theilen Blei und Zinn: es ist Regel, dass
die zum Löthen zu verwendenden Legirungen einen niedrigem Schmelzpunct haben als
die Metalle, welche verbunden werden sollen; alle Lothe haben daher ein sanitäres
Interesse.
668 Titan.
es weder von concentrirter Salz- noch Schwefelsäure aufgelöst wird; es ist daher noch
nicht ganz zu entbehren.
Zinnchlorür (Stannochlorür) SnCk, Stannum chloratum, wird durch Auflösen von
Zinn in Salzsäure dargestellt; durch den atmosphärischen Sauerstoff verwandelt es sich
in Zinnoxychlorid SnCl4 + SnO. Es wirkt deshalb auch als Reductionsmittel und dient
als solches in den Färbereien, für welche es im Grossen dargestellt wird: es heisst
dann Zinnsalz. Auch zur Präparation von Lackfarben ist es vielfältig in Gebrauch.
Zinnclllorid (Stannichlorid) SnCl4, Spiritus fumans Libavii, entsteht als wasser-
helle, an der Luft rauchende Flüssigkeit durch Ueberleiten von Chlor über erwärmtes
Zinn oder Zinnchlorür; durch Vermischen mit einem Dritttheil seines Gewichts Wasser
erstarrt es zu einer krystallinischen Masse (Butyrum stanni).
Dieses wasserhaltige Zinnchlorid bildet mit Chlorammonium das sogen. Pinksalz
(vom englischen Worte Pink [Nelke] herrührend) SnCl4 + 2NH4C1, welches an der Luft
nicht veränderlich und daher handlicher ist; es dient in der Färberei als Beizmittel.
Das reine Zinnehlorid wird in Anilinfabriken benutzt. Zur Darstellung
des rothen Saffians werden die vorbereiteten Felle in eine Beize gelegt, welche aus
Zinnchlorid, Alaun und Weinstein oder auch aus Zinnsalzen besteht.
Als Physik, Composition, kommt das sog. salpetersaure Zinn in den Färbereien
vor, welches durch Auflösen von Zinn in Königswasser bereitet wird und Zinnchlorid
neben Zinnchlorür enthält.
Zinnsaures Natrium, Natriumstannat Na2 Sn03 ist als sogen. Präparirsalz
in der Kattun dr uckerei bekannt.
Bei der Goldleisten- und Goldrahmenfabrication gebraucht man Zinnfolien und
Goldfirniss, der aus einer Spirituosen Auflösung von Schellack, Mastix, Sandarach,
Gummigutt, Curcuma, Alkanna und Drachenblut besteht. Da das Holz vorher mit einer
Leimlösung getränkt wird, so heisst das Verfahren auch Leimversilberung; nur
der gelbe Firniss verleiht der Zinnfolie die Goldfarbe. Die Chinesen benutzen zu
Vergoldungen an Möbeln, lackirten Holzarbeiten u. s. w. nur Zinn, das auf diese Weise
gefärbt resp. lackirt ist. Man gebraucht in neuerer Zeit auch Anilinfarben,
Corallin, Martiusgelb und Pikrinsäure hierzu. Gefärbtes Zinn kommt auch
im Handel vor.
Titan, Ti.
Titan kommt als Titansänreanhydrid (Anatas, Rutil, ßrookit), ferner in Ver-
bindung mit Eisen und Sauerstoff als Titaneisen vor.
Seine wichtigste Verbindung ist die Titansäure Ti(OH)4. Künstlich dar-
gestellt ist es ein weisses Pulver, welches auf den thierischen Organismus keine
giftigen Wirkungen ausübt. Eine Taube erhielt davon 0,9 Grm., ohne im Geringsten
alterirt zu werden; C. G. Gmelin gab einem Hunde 30 Grm., ohne eine Wirkung zu
beobachten.1)
Es ist noch zu erwähnen, dass die metallisch glänzenden, kupferrothen Würfel,
welche sich in Hohöfen, in denen titanhaltige Eisenerze verschmolzen werden, finden und
zuerst von Wollaslon beobachtet worden sind, eine Doppelvei'bindung von Cyantitan
und Stickstofftitan Ti5N4C darstellen.
Kalium. 6(39
Metalle.
Kalium, K
Kalium kommt nur in Form von Salzen in der Natur vor, namentlich als
Chlorid in den Ablagerungen zu Stassfurth und im Meereswasser. Bei gewöhn-
licher Temperatur ist das Metall eine wachsweiche Masse mit Metallglanz auf der
Schnittfläche.
Seine Darstellung im Grossen geschieht durch Reduction eines Gemenges von
Kaliumcarbonat mit Kohle, das durch Glühen von Weinstein erhalten und unter Zusatz
von Holzkohle in Retorten der Weissgluth ausgesetzt wird; sobald die Reduction be-
ginnt, wird mittels eines Flintenlaufs eine kupferne Vorlage vorgelegt. Eine Verbindung
von Kohlenoxy-cl -Kalium verstopft leicht den Retortenhals; durchstossen nun die
Arbeiter mit einem Draht die Verstopfung, so müssen sie sich vor dem leicht bis
zum Mündungsrohr stürzenden Kalium schützen und deshalb die Handhabe des Drahts
mit einem Pappdeckel schirmartig versehen. Die Vorlage enthält Petroleum zur Auf-
nahme von Kalium und ist stets mit einem Ableitungsrohr für die auftretenden
Dämpfe von Petroleum und Kohlenoxyd-Kalium zu versehen, widrigenfalls die Arbeiter
von Erbrechen und Betäubung befallen werden können.
Das rohe Kalium wird noch durch Schmelzen und Pressen unter Petroleum ge-
reinigt und stets unter diesem aufbewahrt.
Unter seinen Verbindungen ist die mit Salpetersäure und Kohlensäure in
technischer Beziehung am wichtigsten.
Pottasche.
Die älteste Methode der Darstellung von Pottasche (Kaliumcarbonat)
ist die aus der Holzasche; sie findet hauptsächlich in Russland, Schweden und
Amerika statt, da dort der Reichthum an Waldungen das Mittel liefert. Man
unterscheidet das Einäschern, die Laugerei, Siederei und das Calciniren.
Bei der Darstellung der Pottasche aus Kalisalzen, namentlich aus Chlor-
kalium, bedient man sich desselben Verfahrens wie bei der Sodafabrication. Das Chlor-
kalium wird durch Schwefelsäure in Kaliumsulfat übergeführt, wobei viel Salz-
säure auftritt. Die Reduction des Kaliumsulfats geschieht mittels Kohle und Kreide
in Calciniröfen. Beim Auslaugen geht das gebildete Kaliumcarbonat in Lösung über,
während der Rückstand aus Schwefelcalcium CaS besteht (s. Sodaprocess).
Die Darstellung der Pottasche aus Schlempekohle s. S. 506, die aus
dem Wollschweiss S. 558.
Salpeterindustrie.
Früher vermischte man leicht faulende, stickstoffhaltige Substanzen mit
kalk- und kalihaltiger Erde und bildete hieraus pyramidale Haivfen; auch begoss
man sie häufig mit Mistjauche, Blut u. s. w., um den Fäulnissprocess zu beschleu-
nigen und Ammoniakbildung hervorzurufen (Salpeterplantagen). Die Gegen-
670 Kalium.
wart einer alkalischen Base befördert die weitere Oxydation von Ammoniak zu
salpetriger resp. Salpetersäure.
Um die in der Rohlauge enthaltenen salpetersauren Salze des Kalks und
der Magnesia in Kaliumnitrat zu verwandeln, setzte man Pottas.che (Kalium-
earbonat) oder Chlorkalium hinzu (Brechen der Rohlauge); hierauf folgte das
Versieden und Raffiniren der Rohlauge, um die Chlorverbindungen und andere
Verunreinigungen auszuscheiden.
Die Salpeterplantagen hatten viele sanitäre Nachtheile im Gefolge und
führten Zustände herbei, die man gegenwärtig in sanitärem Interesse so viel als möglich
zu vermeiden sucht: sie sind daher auch ganz verdrängt worden, seitdem der Salpeter
aus Xatriumnitrat (Chilisalpeter) und dem in den Abraumsalzen von Stassfurt enthaltenen
Clilorkaliuiii dargestellt wird:
NaN03 + KCl = KN03 + NaCl.
Das sich ausscheidende Kochsalz wird durch Krücken aus der Lauge entfernt
und zum Abtropfen gebracht.
Die grossartigste Verwendung findet der Salpeter in der Pulverfabrication.
Schiesspulver.
Das Schiesspulver ist ein explosives Gemisch von Kohle, Salpeter*)
und Schwefel; wahrscheinlich hat man schon Jahrtausende v. Chr. in Hochasien
ähnliche Zusammensetzungen gekannt, die Erfindung des Schiesspulvers und seine
Benutzung zu Kriegszwecken datirt sich aber erst aus dem 14. Jahrhundert.
Die Zusammensetzung der verschiedenen Pulversorten und Sprengpulver ist
sehr variabel; überall gilt aber als Hauptbedingung, dass der Salpeter frei von Chlor-
verbindungen und Natriumnitrat sei, um ein Feuehtwerden des Pulvers zu verhüten.
Als Schwefel darf nur Stangen schwefel, der frei von schwefliger Säure ist, gewählt
werden. Zur Darstellung der Kohle wählt man häufig das Faulbaumholz oder auch
Weiden-, Pappel-, Linden- und Kastanienholz; die mittels überhitzter Wasser-
dämpfe dargestellte Kohle soll sich durch hohe Entzündlichkeit auszeichnen.
Gegenwärtig pulverisirt man die Materialien in einer Operation oder, was
vorzuziehen ist, für sich allein auf Stampf- oder Walzmühlen (Kollermühlen) oder
in besondern, inwendig mit Leder überzogenen Pulverisirtrommeln. Das Mengen
geschieht in Trommeln oder auf Walzmühlen, das An feuchten mit Wasser in hölzernen
Kasten, das Dichten durch ein Walzwerk oder eine hydraulische Presse.
Zum Körnen gebraucht man Siebe ( Lefevi f-'sche Körnmaschine), während das
Poliren in Trommeln stattfindet, wobei sich die Körner durch Aneinanderreihen glätten:
da durch das Reiben Wärme hervorgerufen wird, so ist diese Procedur nicht gefahrlos.
Das Trocknen findet an der Luft oder in Trockenräumen durch warme Ofenluft oder
Wasserdampf statt. Das Ausstanben, d. h. die Entfernung des Pulverstaubes, geschieht
in Säcken, die an Flügeln befestigt werden, welche schraubenförmig an einer Welle an-
gebracht sind; bei der Umdrehung der Welle dringt der Staub durch den Sack und
wird gegen eine Wand von Leinwand geschleudert, die vor der Maschine aufgestellt ist;
man sammelt den Staub, um ihn anderweitig zu verwerthen. Das Sortiren bezweckt
die Trennung des Pulvers in Geschütz- und Gewehrpulver und das Mengen eine möglichst
gleichförmige Beschaffenheit des Pulvers.
Das Verpacken des Pulvers geschieht in allen deutschen Staatsfabriken in der
Weise, dass man es zuerst in Säcke schüttet und diese in die Pulvertonnen hineinsetzt;
man bindet die Säcke zu und schlägt die Tonnen mit hölzernen Hämmern zu.
Pnlvemiühlen müssen selbstverständlich in einsamen Gegenden liegen und mög-
lichst von einem Erdwall umgeben sein; Anzünden von Feuer darf nur in einer Ent-
fernung von 100 Meter und selbst das Rauchen nur in einer Entfernung von 20 Meter
stattfinden. Die Arbeiter erhalten eine vorschriftsmässige Bekleidung mit Knöpfen von
Holz oder Hörn und Schuhe ohne Nägel; selbst in den Taschen darf nichts Metallisches
aufbewahrt werden. Der Fabrikraum darf nicht mit Licht betreten werden, auf dem
Fussboden und auf den Geräthschaften muss durch Kehren. Abstäuben u s.w. die grösste
Reinlichkeit hergestellt werden. Alle eisernen Geräthschaften sind zu vermeiden: wo
Metall nothwendig ist, darf nur Kupfer gewählt werden.
*) Versuche, Salpeter durch chlorsaures Kali zu ersetzen, z. B im weissen
Pulver von Augendre, das aus chlorsaurem Kali, Rohrzucker und Blutlaugensalz be-
steht, haben sich nicht bewährt.
Schiesspuher. 671
Pulvermagazine werden aus Stein oder besser aus Holz gebaut und mit einem
leichten Dache bekleidet; trockne Lage ist Haupterforderniss, nächstdem Umgebung
von einem Graben und Erdwalle. Die Telegraphenlinie muss wenigstens 100 Meter
davon entfernt liegen; eine in der Nähe gelegene unterirdische Leitung muss mit einem
Blitzableiter versehen sein.
Auch Pulvermagazine dürfen nur mit Filzschuhen betreten werden ; hat man aus-
nahmsweise Licht nöthig, so bedient man sich hierzu besonders constrüirter Laternen.
Beim Transporte sind dieselben Vorsichtsmassregeln wie beim Nitroglycerin
oder rohen Petroleum nothwendig; fast in jedem Lande bestehen hierüber besondere
Vorschriften ; in America hat man für den Transport auf Eisenbahnen besondere Wagen
von dickem Kesselblech construirt.
Fenerwerkssätze, die sich schwerer entzünden und langsamer abbrennen, dienen
meist als Leuchtsätze (Leuchtkugeln), Triebsätze (Raketen) und Brandsätze.
Die Grundniengungen bestehen meist aus Schiesspulver oder aus Salpeter-
schwefel (3 Th. Salpeter und 1 Th. Schwefel) oder aus dem grauen Satz (Salpeter-
schwefel und Mehlsatz).
Unter Anfeuernng versteht man ein Gemenge von Pulver und Spiritus, das zur
Herstellung mehrerer Zündvorrichtungen dient; ein mit Anfeuerung imprägnirtes und
mit Mehlpulver bestreutes Baumwollzeug stellt z.B. eine Zündschnur dar.
In der Kunst- und Lustf euerwerkerei erzeugen Zusätze von Salzen die ver-
schiedenen Farben, z. B Strontian Roth, Natronsalpeter Gelb, Barytsalpeter Grün,
Kupfercarbonat Blau.
In den Laboratorien müssen dieselben A'orsichtsmassregeln wie in Pulver-
mühlen gelten; alle eisernen Werkzeuge sind zu vermeiden, nur die Raketenbohrer
können aus Stahl oder Eisen angefertigt werden. Kommt chlorsaures Kalium zur
Verwendung, so muss der Boden mit wollenen Decken belegt und vor Beginn der Arbeit
mit Wasser besprengt werden; alles Verstaubte ist mit der grössten Vorsicht zu-
sammenzukehren. Frisch gebrannte Holzkohle darf zu Feuerwerkssätzen nicht ver-
wendet werden.
Beim Verkaufe ist wie beim Schiesspulver zu verfahren; der Verkäufer darf aber in
seinem Hause nur höchstens 20 Pfd. Pulver oder zündbarer Salze in gut verschlossenen
Kisten vorräthig halten; Körper, die zur Selbstentzündung geneigt sind, dürfen sich
nur kurz vor dem Gebrauche im Laboratorium befinden.
Verbrennungsproduete des Pulvers. Die ersten Untersuchungen hierüber
stammen von Gay-Lussac und Chevreuil; dazu kamen die genauem Analysen
von Bunsen und Schischkoff a), Link2) und Kärolyi3); letzterer suchte die
Verschiedenheit der Verbrennungsproducte in der Zusammensetzung
des Pulvers, während Vignoti4) am meisten Gewicht auf die Verbrennungs-
temperatur legte und Fedorow5) mit Recht in der Höhe des Drucks, unter
welchem die Verpuffung stattfindet, den wichtigsten Einfluss auf das Resultat
erblickte. Hiernach erfolgt mit der Vergrößerung der Ladung und der Erhöhung
des Druckes bei der Verbrennung auch eine grössere Zersetzung des Pulvers,
indem der Rückstand an Schwefelkalium und Kaliumcarbonat vermehrt,
an unterschwefligsaurem und schwefelsaurem Kalium aber vermindert
erscheint.6)
Im Pulverrückstaild eines Jagdpulvers (Salpeter 78,99%, Schwefel 9,84%,
Kohle 11,17%) fanden Bimsen und Sc/uschkoff schwefelsaures Kalium (56,62%),
kohlensaures Kalium (27,82%), untersch wefligsaures Kalium (7,57%), Salpeter
(5,19%), Kaliumhydrat (1,26%), Schwefelkalium (1,06 %), Kohle (0,97%), Schwefel-
cyankaliuni (0,86%) und Schwefel (Spuren).
Die Pulvergase bestanden aus Kohlensäure (52,67%), Stickstoff (41,12%),
Kohlenoxyd (3,88%), Wasserstoff (1,21%), Schwefelwasserstoff (0,60%) und
Sauerstoff (0,52%).
Der Salpeter liefert den Sauerstoff und das Auftreten des freien Sauerstoffs
anter den Pulvergasen erklärt sich Bunsen dadurch, dass der salpeterhaltige Rückstand
noch kleine Mengen Sauerstoff während des Erkaltens ausgebe. Auch der Stickstoff
stammt vom Salpeter her, der eine bedeutende Einwirkung auf die Expansion der
Pulvergase ausübt, weil er nicht coercibel ist.
Schwefelwasserstoff kann nur secundär auftreten und zwar höchst wahr-
scheinlich durch Einwirkung der Kohlensäure auf Schwefelkalium, namentlich wenn
672 Kalium.
dieses im Rauche fein suspendirt ist : es geben daher auch in der Regel nur die frischen
Pulvergase eine Reaetion auf Schwefelwasserstoff, dessen Menge aber immer gering
bleibt und um so unbedeutender sein muss, je kleiner die Menge des vorhandenen
Schwefelkaliums ist, je niedriger also der Druck war. unter dem die Verpuffung
stattgefunden hat.
Was Kohlenoxyd und Kohlensäure betrifft, so verbrennt hei Kanonen- und
Sprengpulver die Kohle fast nur zu Kohlenoxyd, weil dasselbe einen grössern
Gehalt an Kohle und Schwefel besitzt:
2 K N08 4- S 4- 6C = 6 CO 4- K, S 4- N2.
Musketen- und Jagdpulver enthält dagegen weniger Kohle: der Sauerstoff
des Salpeters reicht daher aus. alle Kohle zu Kohlensäure zu verbrennen:
2 K N08 4- S + 3C = 3CO... 4- K8S 4- Na.
Die Menge des Salpeters muss ebenfalls Verschiedenheiten in den Producten
bedingen: so erhielt i\ Kärolyi beim österreichischen Gewehr pulver, das aus
77,15 , Salpeter, 8,63'; Schwefel und 1427% Kohle besteht, an Kohlensäure
48,90%, an Kohlenoxyd 5,18%, während das österreichische Geschützpulver,
welches nur 73,79% Salpeter, aber 12,80% Schwefel und nur 13,39% Kohle enthält,
42.74; Kohlensäure und 10,19% Kohlenoxyd erzeugte, weil der Salpeter nicht aus-
reichenden Sauerstoff zur vollständigem Verbrennung der Kohle lieferte. Die Menge des
Schwefelwasserstoffs betrug im erstem Falle 0,37% und im zweiten 0,86 %.7)
Die Pulvergase sind somit höchst variable Gemenge, deren Mischungs- Ver-
hältnisse von sehr verschiedenen Bedingungen abhängen: sie haben das grÖsste sanitäre
Interesse, wenn sie in geschlossenen Räumen, in Bergwerken oder Minen, auf-
treten; da sie namentlich beim Minenkriege vorkommen und ein bestimmtes Krank-
heitsbild erzeugen, so hat man dasselbe Minenkrankheit genannt. Die schon früher
vom Verf. aufgestellte Ansicht, dass es sich hierbei meist um Kohlenoxyd handelt, ist
durch die umfassenden Untersuchungen über die Erkrankungen durch Minengase bei der
Graudenzer Mineurübung im August 1873 vollständig bestätigt worden. ?) Was den
Schwefelwasserstoff betrifft, so kann derselbe schon deshalb hier nicht in grösserer
Menge vorkommen, weil der Druck, unter dem die Verpuffung in Minen erfolgt, höchst
gering ist und dalier auch die Menge des sich bildenden Schwefelkaliums entsprechend
gering sein muss; es wird daher auch unter gewöhnlichen Verhältnissen bei der Ent-
stehung der Minenkrankheit nicht betheiligt sein.
Die Symptomatologie der Minenkrankheit wird sich selbstverständ-
lich nach der Natur uud Menge der auftretenden Gase richten; vorwaltend ist
es aber stets die Einwirkung des Kohlenoxyds, welche sich fast in allen Fällen
durch den Schmerz in der Stirngegend, die Betäubung, Sausen und Brausen vor
den Ohren ankündigt. Bei einzelnen Arbeitern bleibt es bei dieser mit taumeln-
dem Gange verbundenen Eingenommenheit des Kopfes, andere stürzen aber hin,
verlieren Bewusstsein und Sensibilität und zeigen reactionslose Pupille, beschleu-
nigten Puls und gestörte Respiration.
Ebenso tritt nicht selten ein Anfall von Krämpfen ein, welche den epilep-
tischen sehr ähnlich sind oder in tetanische übergehen, während die Respiration
röchelnd und die Haut kühl wird. Andere verfallen in einen Zustand von
Exaltation und geberden sich wüthend wie Betrunkene, wobei der Seh weiss in
grossen Tropfen rinnt; in letzterm Falle kann man sicher auf einen grössern oder
geringern Gehalt der Pulvergase an Kohlensäure schliessen, so dass das ganze
Krankheitsbild in seinen Hauptzügen mit der Kohlendunstvergiftung über-
einstimmt. 9)
Prophylactische Massregeln Poleck10), der mit Unrecht in der Kohlensäure die
Ursache der Minenkrankheit sucht, schlägt vor, die Pulverkammer einer Quetsch-
mine mit Kalkhydrat zu umgeben, um die Kohlensäure zu absorbiren*). Die
Absorptionsfähigkeit des Erdbodens für Gase ist unverkennbar und als die Ursache zu
betrachten, aus welcher die Folgen der Pulvergase nicht überall in gleich hohem Grade
*) Wenn der Vertheidiger einer Festung an einer der Gallerie des Feindes zunächst
gelegenen Stelle durch die Explosion hauptsächlich die feindliche Gallerie zu zerstören,
l. h. zu quetschen sucht, so spricht man von Quetschminen.
Natrium. 673
verderblich einwirken ; der Vorschlag kann aber schon deshalb keinen Erfolg versprechen,
weil mit der Kohlensäure noch nicht das Kohlenoxyd beseitigt ist.
Scheidemann11) empfiehlt einen Respirator, dessen Mundstück an einem Gummi-
schlauch befestigt ist, welcher mit zwei Büchsen in Verbindung steht, deren eine
mit Kalkmilch, die andere mit Kupferchlorürlösung imprägnirte Schwämme enthält.
Diese Einrichtung dürfte bei den oft massenhaft auftretenden Gasen kaum einen Erfolg
erzielen; auf mehr Nutzen kann man beim Apparate von Rouquai/?-ol- Denayrouze
rechnen (s. S. 333), namentlich wenn es sich um Rettungsversuche handelt.
Nur eine ergiebige Ventilation der Gallerien vermag einen Effect zu erzielen
und zwar eine Ventilation durch Exhaustion. Eine andere Art der Ventilation ist
nicht geeignet, die schädlichen Dämpfe direct zu entfernen und in gleichem Masse die
frische Luft einströmen zulassen. So würde namentlich die Ventilation durch Pulsion,
welche häufig vorgeschlagen wird, bei trocknem Erdrauch einen grossen Staub erzeugen
und viel langsamer den Austritt der Dämpfe bewirken. Alles fordert zum raschen
Handeln auf; es muss daher auch die schleunigste Exhaustion eintreten und um
so kräftiger, je länger und complicirter die Gallerien sind. Hieraus folgt, dass die
Ventilatoren zweckmässig construirt sein und, was die Hauptsache ist, . durch
LocomoMleil in Bewegung gesetzt werden müssen, weil Menschenkräfte hierzu nicht
ausreichen. Da durch Schläuche die Verbindung mit den Locomobilen hergestellt
werden kann, so ist es auch möglich, die Aufstellung derselben den Kriegszwecken
gemäss anzuordnen.
In Betreff der Behandlung von Unglücksfällen s. S. 352.
Natrium, Na.
Natrium kommt in der Natur wie das Kalium nur in Verbindungen vor,
namentlich in unbegrenzten Mengen als Natriumchlorid im Meereswasser, in
Salzsoolen und als Steinsalz.
Die Darstellung des Metalls im Grossen geschieht wie die des Kaliums; auch
sind dieselben Vorsichtsmassregeln hierbei zu beachten. Auch seine Eigenschaften
weichen von denen des Kaliums kaum ab, nur erfolgt seine Oxydation an der Luft
weniger lebhaft. Seine wichtigste Verbindung ist die mit Chlor und Kohlensäure.1)
Kochsalz.
Gewinnung von Kochsalz, Natriumchlorid, Chlornatrium NaCl. Man unter-
scheidet 1) die Gewinnung des Kochsalzes in seinem natürlichen
festen Zustande. Der wichtigste Salz-Bergbau findet sich in Galizien, Tyrol,
zu Stassfurt bei Magdeburg und zu Norwich in England. Ist das Steinsalz
frei von fremden Beimengungen, so wird es bergmännisch gefördert.
Die anstrengendste Arbeit fällt hierbei den Salzhäuern zu, die in unbequemer
Körperstellung mächtige Blöcke aushauen und fortwälzen. Dabei reizt der Salzstaub
alle Hautpartien, mit denen er in Berührung kommt; es bilden sich ekzematöse Haut-
eruptionen, bisweilen auch leichte Fälle von Conjunctivitis aus. Viele grosse Salzstücke
werden in Wieliczka noch auf dem Rücken getragen oder auf Lagerhölzern fortgerollt.
Nicht selten treten auch die Nachtheile der Sprengungen wie in andern Bergwerken
hinzu: auch kommt im sogen. Knistersalz ein aus Kohlenwasserstoffen bestehendes,
entzündliches Gas vor, welches sich bei der Auflösung in Wasser unter leichten
Detonationen bemerkbar macht; ist seine Menge bedeutend, so kann es sogar in ver-
dichtetem Zustande als Petroleum auftreten.
Auch das Abraumsalz in Stassfurt enthält Sumpfgas und Wasserstoff, die
beim Loshauen häufig in die Gruben ausströmen. Das Salz besteht vorzugsweise aus
dem Doppelsalze von Chlorkalium und Chlormagnesium (Carnallit) neben Kaliumsulfat,
Chlorcalcium u. s. w., kann aber leicht gewonnen werden.
Eulenberg, Gewerbe -Hygiene. 43
674 Natrium,
2) Gewinnung des Kochsalzes aus seinen Lösungen. Aus dem
Meereswasser gewinnt man das Kochsalz in den sog. Salzgärten durch Ver-
dunstung. Die natürlichen Soolquellen werden durch das Gradiren angerei-
chert, indem das salzhaltige Wasser in feinen Tröpfchen über Schlehdorn-
bündel (Prunus spinosus) herabrieselt, an denen sich die schwer löslichen Salze,
Magnesium- und Calciumcarbonat neben Eisen- und Manganoxydul, absetzen
(Dornstein).
Mit dem hierbei verdunstenden Wasser werden auch Salzpartikelchen fort-
gerissen und eine weitere Folge der Verdunstung ist das reichliche Auftreten von
Ozon: aus diesem Grunde hat man die Gradirlnft als Heilmittel für manche Krank-
heiten angesehen.2) Weit untergeordneter ist die etwaige Beimengung von Brom- oder
Jodsalzen und kann von einer Einwirkung derselben nicht die Rede sein. Das Auf-
treten von Salzsäure ist nicht bewiesen, da sie nicht durch Einwirkung der atmosphä-
rischen Kohlensäure auf Chlorcalcium, noch weniger durch Zersetzung von Chlormagne-
sium entstehen kann: schon das Calciumcarbonat im Dornstein würde das Auftreten
von freier Salzsäure unmöglich machen. Nicht die Salzsäure, sondern die Salzkrystalle
zerklüften das Holzwerk, namentlich beim Stillliegen des Gradirwerkes. Die Gradire r
sind erfahrungsgemäss gesunde Leute.
Das Sieden geschieht in Siedepfannen von zusammengenieteten Eisenblech-
platten. Zur Verhütung des Röstens dieser Pfannen bringt man bisweilen den
sogen. Zinkschutz an. indem man iu die Ecken derselben Zink eingiesst oder
dasselbe als Streifen in die Metfugen einlegt. Siersch hat nachgewiesen, dass
das versoffene Salz hierdurch mit Chlorzinknatrium vermengt wird; dies Ver-
fahren sollte daher polizeilich verboten werden. 3)
Bewirkt man die Verdampfung bis zur Ausscheidung eines braunen, aus Calcium-
und Natriumsulfat bestehenden Schlammes, so nennt man diesen Process ..Stören".
Beginnt die Ausscheidung des Kochsalzes in kleinen Krystallen auf der Oberfläche, die
später auf den Boden sinken, so heisst dies „Soggen". *) Das ausgeschiedene Salz
wird mittels der -Seh wimmkrücken"1 herausgehoben; man lässt es abtropfen und
trocknet es in besondern Kammern. Die Arbeit des Siedens ist daher wegen des Aus-
krückens des Salzes eine anstrengende: ausserdem ist der Arbeiter der Hitze des Herdes
und der Trockenkammer ausgesetzt. Im Siedehause übersteigt die Temperatur kaum 25° C.,
aber der Gehalt au Wasserdämpfen ist sehr bedeutend: auch enthalten diese Chlor-
kalium. Chlornatrium, Chlormagnesium. Chlorcalcium und selbst bisweilen Brommagne-
sium. Nach Heine findet man selbst in dem aus der Esse entweichenden Dampf (B ro-
den. Brieden) noch Soolenbestandtheile. In 10,000 G. Th. Hessen sich z.B. 9,41 bis
12,41 Chlornatrium und 6.00 Chlorkalium nachweisen. Selbst Spuren von Salzsäure, die
durch Zersetzung von Chlorcalcium und Chlormagnesium entsteht, können im Suddampfe
vorkommen: grössere Mengen derselben können nur auftreten, wenn die Soole bei On-
dichtheit der Pfannen direct in's Feuer fliesst.**) Die Suddämpfe sind mit so viel
Wasser vermischt, dass eine Einwirkung ihrer Bestandtheile auf die Arbeiter kaum je
angenommen werden kann.
Die herrschenden Krankheiten bei den Siedern bestehen in Rheumatismus
unter allen Formen und in verschiedenen Katarrhen, wie man sie aber auch bei
andern Arbeitern als Folge von schroffem Temperaturwechsel antrifft. Schon wegen
der anstrengenden Arbeit wählt man keine schwächlichen Leute zu Siedern; haben
sie eine ihrer körperlichen Anstrengung angemessene Ernährung, so können sie
ein hohes Alter erreichen, wie man in Kreuznach und auf andern Salinen beob-
achtet hat. Immerhin soll man aber für eine sorgfältige Ableitung der Suddämpfe
Sorge tragen, indem man zweckmässige Brodemfänge mit hinreichend hohen
Schornsteinen verbindet. Die auf Seite 665 beschriebene Einrichtung würde sich
*) Die Kruste, welche beim Stören auf dem Pfannenboden anbrennt, heisst
Hungerstein, die beim Soggen anbrennende Kruste Salz stein oder Pfannenstein.
** ) Es ist daher erklärlich, dass man bisweilen einen schädlichen Einfluss der Sa-
linen auf die Vegetation beobachtete; unter allen Umständen sind hohe Schornsteine
bei Salinen anzulegen.
Sodaindustrie. 675
ganz vorzüglich in analoger Weise auch für die Beseitigung der Suddämpfe
eignen. Arbeiter aber, welche die Einflüsse des Sudhauses nicht ertragen und
dies durch Abmagerung, grosse Hinfälligkeit und namentlich durch profuse
Nachtschweisse kundgeben, soll man entfernen.
Schützen sich die Sieder nicht hinreichend vor der Nässe des Bodens, so
können sie leicht Risse und Schrunden an den Fusssohlen bekommen.
Bei der Aufbewahrung des Kochsalzes in Salzmagazinen rauss man seinen Gehalt
an hygroskopischen Salzen berücksichtigen und nöthigenfalls die Umfassungsmauern mit
einem schützenden Ueberzuge von Cement versehen. Unter den Metallen greift Koch-
salz Eisen, Zink, Blei, Kupfer und Silber am meisten an. Man unterscheidet
Viehsalz als ein unreines Salz mit Eisenoxyd und Wermuthpulver, Fabriksalz enthält
Eisen- und Mangansalze neben Glaubersalz, Dungsalz wird mit Asche und Kohle
gemengt. Tafelsalz ist ausgewaschenes und mit Soda behandeltes Salz, um Chlorcal-
cium und Chlormagnesium auszuscheiden; betrügerischerweise wird es oft stark mit Soda
versetzt; früher hat man es sogar mit Zinnober rosaroth, mit Kupfersalzen grün
und mit Kaliumchromat gelb, gefärbt.
Sodaindustrie.
Die künstliche Darstellung von Soda wurde indirect durch Napoleon I.
veranlasst, nachdem sich in Folge der Continentalsperre der Preis der natürlichen
Soda so hoch gesteigert hatte, dass man an einen künstlichen Ersatz denken musste.
Die natürliche Soda findet sich in Natronseen oder wittert aus der Erde: die ägyp-
tische Soda heisst Tro-Na, woraus der Name Natron entstanden ist, die süd- ,
amerikanische: Urao, und die ungarische: Szek. Die künstliche Darstel-
lung rührt von Leblanc (1793) her und ist fast unverändert geblieben. Man
unterscheidet hierbei: 1) die Darstellung von Natriumsulfat aus Kochsalz und
Schwefelsäure. Die hierbei auftretende Salzsäure hat zu allen Zeiten grosse
Belästigung verursacht und erst seit Verbesserung der Sulfatöfen ist die Conden-
sation der salzsauren Gase eine vollständigere geworden (s. S. 52). 4)
Die bessern Sulfatöfen bezwecken gleichzeitig die Sulfatbildung und die Cal-
cination und bestehen aus einer eisernen, mit einem eisernen Deckel bedeckten
Muffel, neben welcher der Calcinirraum liegt. In der Decke der Muffel befindet
sich ein Rohr, welches mittels eines Canals mit den Condensationsvorrichtungen in Ver-
bindung steht. Die Feuergase der seitlich und tiefer gelegenen Feuerung passiren die
über und unter der Pfanne gelegenen Züge und gelangen in den Schornstein.
In England ist die Condensation von 93,% der erzeugten Salzsäure gesetzlich
vorgeschrieben, obgleich auch dort noch Belästigungen der Adjacenten vorkommen. Zur
Condensation der Dämpfe gebraucht man 1) thönerne, den W ou //'sehen Flaschen
ähnlich construirte Gefässe (Bonbonnes), von denen die letzten mit Kalkmilch
oder Bariumcarbonat (Witherit) angefüllt werden, um die letzten Reste der Säure zu
absorbiren. Dies Verfahren eignet sich nur für kleine Fabriken. 2) Untereinander ver-
bundene Sandsteintröge und 3) die Gossage' sehen Koksthürme, die in England
am gebräuchlichsten sind und sich am meisten bewähren, wenn die Gase hinreichend
abgekühlt in die Thürme dringen. Man benutzt deshalb Röhrenleitungen, die Uförmig
auf- und absteigend angelegt werden, oder führt, z. B. in Stolberg bei Aachen, die Gase
in Bonbonnes und dann erst in die Koksthürme, die aus Abtheilungen bestehen, damit
die Gase in der einen Abtheilung aufsteigen, ausserhalb des Thurmes in einem Rohr
abwärts gehen, in der zweiten wieder aufwärts steigen und dann schliesslich als con-
densirte Salzsäure in die Bonbonnes zurücküiessen, um hier durch die darüber ziehen-
den Dämpfe noch angereichert zu werden. Die letzten Gefässe stehen mit dem Schorn-
stein in Verbindung. In andern Fabriken findet man zwei mit einander verbundene
Koksthürme.
Eine zweite Bedingung für eine gute Condensation ist eine möglichst grosse
Berührungsfläche zwischen Wasser und Gasen. Man bedient sich deshalb mit
Vortheil des Segner'' scheu Wasserrades, um das Wasser gleichmässig den Gasen entgegen
43*
f)76 Natrium.
zu führen, [n England benutzt man zu diesem Zwecke noch einen besondern Waschthurm
(Flushing tower), am hier den Gasen den letzten Antheil der Säure zu nehmen.*)
2) Die Umwandlung des Xatriuinsulfats in Soda geschieht iu dem mit der
Muffel durch einen Canal verbundenen, seitlich mit Arbeitslöchern versehenen
Calcinirraum, in dessen Decke sich ebenfalls ein Rohr befinden sollte, nm die
hier anfangs noch auftretenden sauren Gase wenigstens direct den Koksthürmen
zuzuführen. Die Feuerung liegt an der der Muffel entgegengesetzten Seite, die
Züge für die Feuerungsgase verlaufen über und unter der Sohle und hängen mit
dem unterirdischen Canal zusammen, der auch die Feuerungsgase des Pfannen-
raums aufnimmt.
Nachdem das Natriumsulfat in den Calcinirraum hineingekrückt und hier mit
einem Gemenge von Calciumcarbonat und Kohle vermischt worden ist. wird unter
beständigem Umknicken so lange gefeuert. Ins das auftretende Kohlenoxyd mit blauer
Farbe brennt: dann bringt man das Product in Blechkasten zum Erkalten. Bei diesem
Processe wird das Natriumsulfat zu Schwefelnatrium reducirt und ein Theil des
Calciumcarbonats in Calcium oxyd übergeführt, wobei Kohlensäure entweicht.
Na2S04 -f- 2 C = Na., S + 2 CO.,
CaC03 + C = CaÖ + 2 C03.
Die graubraune Masse wird zerkleinert und mit Wasser von 30 — .'35° C. ausgezogen:
es entsteht hierdurch unlösliches Calciumoxysulfid und lösliches (neutrales oder
seeundäres) N a t r i u m c a r b 0 n a t :
Na3S + CaO + Ca C03 = NaaC03 + CaO . Ca S. **)
3) Die Reinigung der Rohsoda geschieht durch Abdampfen und eine noch-
malige Calcination; dann wird die calcinirte gereinigte Soda gemahlen und
gesiebt.
Bei der krystallisirten Soda unterlasst man die Calcination und bringt die
Auflösung zur Krystallisation. Natrum bicarbonicum (primäres oder saures Na-
triumearbonat) NaHC03 wird durch Ueberleiten von Kohlensäure über das neutrale Car-
bonat erhalten. ***)
Die Rückstände der Sodafabrik bestehen ausser dem Schwefelcalcium und
Calciumoxyd noch aus Schwefelnatrium, Schwefeleisen, Thonerde,
Sand, Kohle u. s. w. und geben in frischem Zustande auf Haufen gesetzt zur
Entwicklung von Schwefelwasserstoff Anlass. Durch die Eiuwirkung der
atmosphärischen Kohlensäure entstehen mannigfache Reactionen, die ein Glühen
der Haufen zur Folge haben, so dass der Schwefel in vielen blauen Fläminchen
verbrennt und dann beim freien Lagern ganzen Ortschaften die grösste Belästi-
gung bereitet. •')
*) In England ist man noch fortwährend bemüht, die Dt acon'sche Methode, die
Salzsäure direct in Chlor umzuwandeln, auch für die Sodafabrication nutzbringend zu
machen.
**) Viele Chemiker nehmen gegenwärtig an, dass die rohe Soda kein Calciumoxy-
sulfid enthält, wie man bisher allgemein annahm, sondern nur ein Gemenge von Na-
tri umearbonat, Schwefelcalcium und freiem Kalk darstellt
***) Unter den vielen Methoden der Sodafabrication, von denen aber keine das
Lei/awe'sche Verfahren beseitigt hat, ist nur noch die vielfach erörterte Darstellung aus
in wässrigem Ammoniak gelöstem Kochsalz und Kohlensäure zu erwähnen. Es
bildet sich hierbei Xatriumhicarbonat, das entweder als solches in den Handel kommt
oder durch schwaches Calciniren in Natriumcarbonat verwandelt wird. Als Rückstand
verbleibt Chlorcalcium und Calcium hydrat: die chlorammoniumhaltige
Flüssigkeit wird nämlich in geschlossenen eisernen Gefässen mit Calcuimhydrat unter
ziemlich hohen Druck gebracht, um das sich entbindende Ammoniakgas zu conden-
siren oder direct wieder zur Kochsalzlösung zu leiten. Die Darstellung hat nichts Be-
denkliches in sanitärer Beziehung; nur der Rückstand von Chlorcalcium ist lästig und
bei dem ziemlich hohen Drucke, dem die Gefässe ausgesetzt werden, sind die geeigneten
Vorsichtsmassregeln erforderlich.
Sodaindustrie. (377
Durch weitern Oxydationsprocess verwandelt sich zunächst das Schwefeleisen in
Eisenoxydhydrat und freien Schwefel. Schwefelnatrium und S chwefel calci um
gehen theilweise durch die atmosphärische Kohlensäure in Carbonate über, oxydiren sich
aber grösstontheils zu unterschwefligsaurem, schwefligsaurem und schwefel-
saurem Calcium resp. Natrium. Ein kleiner Theil von schwefelsaurem Calcium
(Gips) geht mit dem Natriumcarbonat in Natriumsulfat und Calciumcarbonat über. Am
constantesten findet sich unterschwefligsaures Natrium vor. Der ausgeschiedene
Schwefel wird von dem noch vorhandenen Calcium- oder Natriumsulfid aufae-
nommen und es entstehen Polysulfide, die bei weiterer Oxydation wieder in Gips
und Schwefel zerfallen. Ein vollständig durchsetzter Haufen besteht nach lanoer Zeit
aus Gips, Calciumcarbonat, Aetzkalk, unterschwefligsaurem Natrium
Natriumsulfat, Thonerde und Kalksilicaten. Werden die Rückstände nicht ver-
werthet, so muss unter allen Umständen eine zweckmässige Lagerung derselben
unter bedeckten Schuppen und auf wasserdichtem Boden stattfinden, um" die Masse vor
Feuchtigkeit und Regen zu schützen und das Auslaufen der stark alkalischen Flüssigkeit
zu verhüten, welche Brunnen, Bäche und jede Vegetation verdirbt. Die Bemühungen,
die Rückstände zweckmässig zu verwerthen, haben zu verschiedenen Resultaten ge-
führt. Man hat sie zur Darstellung von unterschwefligsauren Salzen, zur Fabrication
von Backsteinen oder im Verein mit den Kiesabbränden der Schwefelsäurefabrication
zur Darstellung von Ziegeln oder als Wege- oder Strassenbaumaterial benutzt.6)
Nach den Erfahrungen von Prof. E. Varrentrapp erhitzt sich der nasse frische Schlamm
gar nicht oder unbedeutend, wenn er zu letzterm Zwecke fest gestampft wird.7) Die
Zersetzung schreitet langsam immer weiter und der Regen dringt nur wenig ein. Das
über und durch die Masse fliessende Wasser ist aber reich an aufgelöstem Schwefel-
calcium und den niedrigen Oxydationsstufen des Schwefels und Calciums: zugleich ist
die Lösung mit Gips gesättigt. Diese üblen Vorkommnisse bleiben bei der Verwendung
der Rückstände zur Herstellung fester Fusswege und zum Unterbau von Chausseen nicht
aus. Als Unterlage von macadamisirten Strassen erzeugen sie leicht Ausdehnung und
Aufhebung der festen Beschaffenheit der Unterlage des Schottens in Folge der Krystal-
lisation des Gipses, welcher sich unter Einwirkung von Luft und Feuchtigkeit bildet;
der Steinschlag wird gehoben und hat kein zusammenhängendes Bett mehr. Diese Auf-
lockerungen sind nicht auszubessern, sondern die ganze Strasse muss alsdann neu gebaut
werden. Varrentrapp kann die Rückstände höchstens zur Strassendammbildung
empfehlen, verwirft sie aber zur Ausfüllung von Terrain, welches später Häuser tragen
soll; es fände hierbei ein stetes Heben des Grundes statt, so dass das Haus selbst ge-
hoben und beschädigt werden könne. Läge die Masse unter der Sohle des Kellers, so
würde sich ein Geruch nach Schwefelwasserstoff bemerkbar machen, da die niedrigen
Oxydationsstufen nie fehlten. In einem Keller, unter dessen Fussboden Sodaschlamm
festgestampft war, zerbrach eine Salzsäureflasche; man bemerkte bald den furchtbaren
Geruch und ein Arbeiter, der unbedacht eintrat, erstickte. Ein Licht würde eine grosse
Explosion hervorgebracht haben.*)
Schwefelgewinnung aus den Rückständen. Nach sehr vielen und mühsamen
Versuchen benutzt man gegenwärtig besonders drei Methoden, die jedoch sämmt-
lich auf der Oxydation der Rückstände durch die Luft und der Darstel-
lung löslicher Polysulfide, Hyposulfite und Sulfite des Calciums resp.
Natriums beruhen. Als letztes Nebenprqduct wird ebenfalls bei allen Methoden
eine neutrale Chlorcalciumlösung erhalten, deren Verwerthung resp. Besei-
tigung jedoch nicht selten Schwierigkeiten bereitet.
1) P. IV. Hofmann8) laugt die oxydirten Rückstände aus und bringt sie mit ge-
klärter saurer Manganlösung zusammen. Durch den Gehalt der letztern an Salz-
säure, freiem Chlor und Eisenchlorid zersetzen sich die Schwefellaugen unter
Schwefelausscheidung. Das sich entwickelnde Schwefelwasserstoffgas leitet
man durch eine Holzfeuerung, um die sich bildende schweflige Säure für andere
Laugen zu benutzen und das Calciumpolysulfid unter Schwefelausscheidung
in Calciumhyposulfit zu verwandeln, das man mit Natriumsulfat versetzt, um Na-
triumhyp osulfit zu gewinnen. Die zurückbleibenden neutralen Manganbrühen werden
noch anderweitig verwerthet.
*) Manche Schlacken von Eisenschmelzen verhalten sich trotz ihres gla-
sigen Ansehens wie Sodaschlamm, da sie Schwefelwasserstoff entwickeln und dabei all-
mählig zu Pulver zerfallen.
ßyg Natrium.
2) Max Schaffner9) construirtc zwei vollständig geschlossene und durch Rohren mit
einander verbundene Zersetzungsgefässe von Gusseisen oder Stein, die mit den ausge-
laugten oxydirten Rückständen gefüllt werden. Nach Zusatz von Salzsäure entwickelt
sich aus den Polysulfiden Schwefelwasserstoff, später aus den Hyposulfiten
schweflige Säure: letztere wird in das zweite Zersetzungsgefäss geleitet, wo sie die
Polysulfide unter Schwefelabscheidung in Hyposulfite verwandelt.
Die aus dem ersten Gefässe abgezogene Lauge besteht aus einer neutralen Chlor-
calciumlösung, in der sich ein unreiner Schwefel allmählig absetzt. Nun setzt
man Salzsäure zu der mit schwefliger Saure schon behandelten Lösung, um die Hypo-
sulfite unter Schwefelabscheidung und Entwicklung von schwelliger Säure zu
zersetzen, während letztere in das erste mit frischer Lauge angefüllte Gefäss geleitet
wird, um Polysulfide unter Abscheidung von Schwefel wieder in Hyposulfite zu
verwandeln. Schwefelwasserstoff tritt nur bei dem ersten Zusatz von Salzsäure auf, der
bei starker Entwicklung abgelassen wird; die schweflige Säure wird von dem einen
Zersetzungsgefäss in das aridere übergeführt, wozu man gegen Ende der Operation
heissen Wasserdampf benutzt.
Der arsenige Schwefel wird in gusseisernen, mit Rührwerk versehenen Kesseln
unter Zusatz von Kalkmilch mittels Wasserdampfes von l3/4 Atmosphären Spannung ge-
schmolzen. Das überschüssige Calcium hydrat verwandelt sich in Calciumsulfid und
dieses mit dem Arsensulfid in Calciumsulfoarsenit. Während Gips in der wässrigen
Flüssigkeit suspendirt ist, wird der angesammelte Schwefel abgelassen und in Formen
gegossen.
Die Schaff in') ''sehe Methode wird in den meisten Fabriken, die Reinigung
des arsenhaltigen Schwefels gegenwärtig in allen Fabriken nach dem beschriebenen Ver-
fahren ausgeführt.
3) Mond10) befördert die Oxydation der Lauge durch Einpressen von Luft mittels
eines Ventilators. In Folge der Erhitzung (bis 9-4° C.) entwickeln sich viele Wasser-
dämpfe, die meist Schwefelwasserstoff mit fortführen, namentlich wenn die Soda-
rückstände arm an Aetzkalk sind. In einem concreten Falle lagen die Auslaugekasten
im Freien und verursachten hierdurch den Adjacenten die grösste Belästigung. Die
Entwicklung dieser unangenehmen Gase hört erst auf, wenn die Oxydation bis zu einem
gewissen Grade fortgeschritten ist.
Die Präcipation in einem mit Blei ausgefütterten Bottich geschieht ebenfalls durch
Salzsäure; zur Ableitung der Gase ist er mit einem zum Schornstein führenden Ab-
leitungsrohr sowie mit einer Stopfbüchse zur Aufnahme eines Rührwerks versehen.
Eingeleiteter Wasserdampf muss die Temperatur auf 40 — 60° C. erhalten. Nur bei
einem richtigen Verhältnisse der Hyposulfite zu den Polysulfiden (1:2) soll sich kein
Schwefelwasserstoff entwickeln; meistens werden aber die einen oder andern vorwalten,
es wird daher fast immer entweder Schwefelwasserstoff oder schweflige Säure auftreten.
In einigen Fabriken lässt man die Lauge nur bis auf x/3 der ganzen Bottichhöhe
in die Absatzkasten ablaufen, indem man den Rest bei einem neuen Zusatz der Lauge
benutzt, um durch die vorhandene schweflige Säure den auftretenden Schwefel-
wasserstoff zu zersetzen. In den Absatzkasten schlägt sich der Schwefel nieder;
die restirende Lauge ist Chlore alei um.
Eine sehr gute Uebersicht der verschiedenen Methoden der technischen Ver-
werthung dieser Rückstände hat Tiemann geliefert.11)
Verwendung findet die Soda in sehr vielen Fällen, namentlich zur Herstellung der
Aetzlaugen, in Glasfabriken, in Bleichereien, Färbereien, Zeugdruckereien, zum Waschen
der Wolle und Seide, bei sehr vielen chemischen Proceduren und zur Darstellung kohlen-
saurer Wässer.*)
Die sanitären Verhältnisse der Arbeiter gestalten sich bei dem Leblanc-
schen Sodaprocesse bei einiger Aufmerksamkeit nicht ungünstig. Es kommt hier-
bei zunächst die bedeutend hohe Temperatur bei der Bedienung der Oefeu
während des Umkrückens in Betracht, wenn man nicht über Sodaöfen mit
Drehscheiben verfügen kann, bei denen eine Maschine das Umknicken be-
sorgt. Uebrigens wird aber gewöhnlich durch die sehr geräumigen und luftigen
Locale die Hitze abgeschwächt, so dass der Aufenthalt in denselben keines-
*) Bei der Darstellung künstlicher Mineralwässer ist im Allgemeinen
in sanitärer Beziehung auf die Reinheit der Kohlensäure, die Regelung des Druckes
in den Condensatoren mittels des Manometers, die Verwendung von Rothkupfer zu den
Blasen und das geeignete Metall zur Röhrenleitung zu achten. Die Verzinnung der
Gefässe und Röhren ist überhaupt zu vermeiden, da sie sich leicht abreibt.
Sodaindustrie. 679
wegs unangenehm ist und man nur beim Oeffnen der Feuerthür die strahlende
Hitze empfindet. Nur in engen Räumen triefen die Arbeiter oft von Schweiss.
Staubbildung findet sich beim Zerkleinern der Kohle und des Kalk-
steins, wozu man die Zerkleinerungs- und Brechmaschinen benutzt, während das
Sulfat zwischen cannelirten Walzen pulverisirt wird. In den wenigsten Fabriken
beachtet man diese Manipulationen in ihrer sanitären Bedeutung; man findet daher
auch fast nie Einrichtungen zum Schutze der Arbeiter, obgleich der Kohlen- und
Kalkstaub dieselben erfordern, wenn ein wirkliches Pulverisiren der Mate-
rialien stattfindet. Glücklicherweise zieht man es gegenwärtig vor, dieselben in
Stücken zu verbrauchen, so dass die Brechmaschinen ausreichen und weniger
Staub auftritt. Das Sulfat ist nur insofern noch zu beachten, als es bei der
Herausnahme aus dem Ofen noch immer Salzsäure aushaucht; deshalb verdienen
die combinirten Sodaöfen den Vorzug, bei denen das Sulfat sofort in den Calcinir-
raum übergekrückt wird.
Von den Gasen werden die Arbeiter nicht belästigt, da das Kohlenoxyd
beim Reductionsprocess in der ganzen Masse in blauen Flämmchen verbrennt.
Die Salzsäure vermag nur die Anwohner und die Vegetation zu schädigen,
wenn ihre Condensation unvollständig ist (s. S. 52).
Beim Mahlen der Rohsoda sehen die Arbeiter wie mit Mehl bepudert
aus, ohne dass man eine Schädigung ihrer Gesundheit hierbei beobachtet; den-
noch ist es nicht als zulässig zu beträchten, die Arbeiter einer solchen Staub-
atraosphäre tagelang auszusetzen, indem jedenfalls der normale Athmungsprocess
beeinträchtigt wird.
Bei der Gewinnung von Schwefel aus den Rückständen ist das
auftretende Schwefel wasserst off gas stets zu berücksichtigen. Ehe man mit
dieser Fabricationsmethode vertraut war, ist es häufig vorgekommen, dass die
Arbeiter vou bedenklichen Anfällen betroffen wurden, obgleich ausserordentlich
selten über Todesfälle hierbei berichtet worden ist. Werden die Apparate undicht
und athmen die Arbeiter grosse Mengen des Gases ein, so stürzen sie wie todt
hin. Seitdem der Betrieb sorgfältiger, der Verschluss der Apparate vollständiger
geworden ist und der auftretende Schwefelwasserstoff sachgemäss behandelt
wird, kommen auch Gesundheitsschädigungen dieser Art weniger vor.
Die Beseitigung des Chlorcalciums ist in Bezug auf die Brunnen und
die Vegetation beachtungswerth; das Ablassen der Lauge in alte Brunnen-
schachte ist uicht zu gestatten, da auf diese Weise meist die Brunnen benach-
teiligt werden. Ein zu hartes Wasser, das hierdurch entsteht, erzeugt leicht
Diarrhoe und Verdauungsstörungen und ist für manche häusliche Zwecke,
z. B. beim Abkochen der Leguminosen, ohne vorhergehenden Zusatz von Natrum
carbon. gar nicht zu gebrauchen.
Kommt die Lauge mit der Vegetation in Berührung, so bleibt kein Halm
grün. Als sie in einem concreten Falle zur Besprengung einer Chaussee benutzt
wurde, verdarben bald die angrenzenden Bäume und das Gras in den Gräben
sah wie verbrannt aus. Die Verwerthung der Lauge ist noch sehr beschränkt
(s. Gips).
680 [Silber.
Silber Ag.
Silber kommt zwar gediegen, aber viel häufiger mit Schwefel, Blei, Arsen, Kupfer,
Antimon, Gold gemengt vor. Hornsilber (Peru, Mexico, Freiberg) ist Chlorsilber,
Silberglanz Schwefelsilber, Weissgültigerz und Rothgültigerz sind Verbin-
dungen des Silbers mit verschiedenen Metallen.
Gewinnung des Silbers ans den Erzen. Man unterscheidet 1) die Amalga-
mation mit Quecksilber bei ärmeren oder sehr kupferhalt igen Erzen, die das
Silber als Schwefelsilber enthalten.
Nach der sachgeinässen Aufbereitung der Erze unterwirft man sie dem Rösteu,
bei dem schweflige Säure, Antimonoxyd, arsenige Säure und Bleioxyd vor-
zugsweise entweichen. Das Kupfer wird theilweiso durch den Verwitterungsprocess ent-
fernt und der Rückstand mit Kochsalz gemischt und einer abermaligen Röstung unter-
worfen. Das gepochte Röstgut wird mit Eisengranalien in Kufen mit Wasser
versetzt, um das Chlorsilber zu reduciren.
2AgCl + Fe = 2Ag + FeCl2.
Den feinen metallischen Brei bringt man mit Quecksilber zusammen: das ent-
standene und gewaschene Amalgam wird in ledernen Beuteln einer Pressung unter-
worfen, um das überschüssige Quecksilber* zu entfernen. Das Quecksilber wird im
Glockenofen abgetrieben und die zurückbleibende schwammige Silbermasse (Teller-
silber) unter einer Decke von Borax geschmolzen, um noch Kupfer, Antimon, Wis-
muth u. s. w. zu entfernen (s. Quecksilber).
Diese Methode wurde früher vorzugsweise von den Spaniern in Peru und Mexico
auf die roheste Weise ausgeführt, bei welcher Menschen und Thiere erkrankten.
2) Die Extractionsiuethode zerfällt in das Angustin'sche Verfahren, das auf
der Löslichkeit des Chlorsilbers in concentrirter Kochsalzlösung sowie auf der
Eigenschaft des Kupfers beruht, das gelöste Silber niederzuschlagen, und in die Zier-
vogel'sche Methode, welche sich auf die verschiedenen Löslichkeitsverhältnisse der
Silber- und Kupfersulfate stützt
3) Die Gewinnung des Silbers aus silberhaltigen Kupfer- und Blei-
erzen durch Abtreiben beruht auf der Oxydation der unedlen Metalle bei einer
Temperatur, welche die edlen Metalle unverändert lässt. Man gewinnt hierbei das sog
Blicksilber und das Blei als Gold- und Silberglätte.
4) Das Entsilbern des Bleies nach Pattinson gründet sich auf die Erfah-
rung, dass sich beim Erkalten des in eisernen Kesseln geschmolzenen, silberhaltigen
Bleies kleine Krys'talle absetzen, die ärmer an Silber sind als die ursprüngliche Legi-
rung und mittels eines durchlöcherten Löffels abgeschöpft werden, während der flüssig
gebliebene Theil hierdurch angereichert wird.
5) Die Extraction des Silbers aus dem Blei in Form einer Zinklegi-
rnng nach Parkes. Beim Abkühlen der geschmolzenen Legirung scheidet sich die
schwierig schmelzbare, silberhaltige Zinklegirung (Zinkschaum) aus: wird diese, mit
verdünnter Salzsäure behandelt, so bilden sich unlösliches Chlorsilber und lös-
liches Chlorzink.1)
Die Saigerung der silberreichen Kupfererze ist nicht mehr gebräuch-
lich. Häufig ist im Harze die Silberextractiou durch Schwefelsäure
bei silber- und antimonhaltigem Blei.
Sanitäre Verhältnisse bei der Silbergewinnung.
Bei der Gewinnung der Silbererze sind die Stollenwässer wegen
ihres Gehaltes an Kupfer, Arsen, Ziuk und Eisen bergmännisch zu behandeln
(s. Kupfer). Beim Ausklaubeu resp. bei der Handscheidung uud dem
trocknen Pochen kann der Staub die erwähnten Metalle enthalten; Spuren
Silbergewinnung. 681
von Quecksilber finden sieb bisweilen bei ungarischen Erzen. Da die Arbeit im
Winter in geschlossenen Räumen stattfindet, so muss Mund- und Nasenöffhung
unter allen Umständen mit einer schützenden Hülle versehen werden. — Wegen
Schlämmen und Rösten der Erze s. Kupfer. Das Sieben der gerösteten
Erze geschieht in hölzernen Kasten, in denen sich zwei Eisendrahtsiebe wechsels-
weise in entgegengesetzter Richtung bewegen. Hierauf folgt das Mahlen auf
Kollermühlen, die unter der Siebkammer liegen; man sollte das Mahlgut stets
anfeuchten. Beim Rösten mit Kochsalz werden Kupfer, Arsen, Zink und
Antimon als Chlorverbindungen neben salzsauren Dämpfen ausgetrieben;
man muss sie mittels Wasserdämpfe in die Ableitungscanäle oder in mit Beriese-
lung versehene Koksthürme ableiten. Beim Waschen des Amalgams sind die
Abfallwässer als quecksilberhaltig wohl zu beachten, während bei der Pressung
desselben das Verspritzen von Quecksilber zu vermeiden ist.
Die Trennung des Quecksilbers vom Silberamalgam im Glockenofen ist
ohne Gefahr, da sich das Quecksilber im Wasser condensirt (s. Quecksilber). Bei
der Augustin 'sehen und Zi er vogel' sehen Methode enthalten die Waschwässer
Kupfer, Zink uud Eisen (s. Cementkupfer).
Beim Abtreiben des Bleies auf Silber sind die entstehenden Dämpfe
stets bleihaltig, werden aber grösstentheils unter dem Hute des Abtreibherdes
zurückgehalten und nur ein Theil derselben findet einen Abzug durch die sogen.
Glättgasse, wo die heisse abfiiessende Glätte Bleidämpfe aushaucht. Kräftig
wirkende Rauchfänge über der Glättgasse würden sich immerhin empfehlen, wenn
auch die eigentliche Arbeiterstelle der Glättgasse gegenüber liegt, die in einem
separirten und luftigen Räume zu dem Glättkasten führt; in letzterem erstarrt dann
die Glätte zu einem grossen Block. Obgleich sie nur so weit zertrümmert wird, dass
sie sich in Fässern verpacken lässt, so ist doch der hier auftretende Staub wohl
zu beachten. Am meisten leiden die Arbeiter aber bei dem Abtreiben während
des Beobachtens des „Silberblickes" durch die Sehluken in dem Hute des
Herdes*), weil ihnen beim Oeffnen derselben jedesmal ein metallischer Qualm
entgegenströmt, vor dem sie sich sehr sorgfältig durch Verschluss der Mund- und
Nasenhöhle hüten müssen.
Beim Pattin so niren entwickeln sich keine Bleidämpfe, während bei der
Extraction des Silbers durch Zink sehr sorgfältig auf das etwaige Auftreten
von Arsenwasserstoff zu achten ist (s. S. 288). Wird das hierbei abfallende
Blei mit Kochsalz gemengt, so tritt Chlorzink auf, das stets durch Einströmen-
lassen eines Dampfstrahls in die Abzugscanäle condensirt werden muss; die
chlorzinkhaltige Flüssigkeit ist mit Calciumhydrat zu versetzen, damit sich unlös-
liches basisches Chlorzink bildet, ünterlässt man diese Vorsicht, so zerstört
Chlorzink die Mauern des Schornsteins, weil sich das flüssige Chlorzink mit
dem Kalk des Mörtels zu Zinkcarbonat und Chlorcalcium umsetzt. Wo
das Saigern noch stattfindet, hat man auf die Dämpfe von Zink, Antimon, Blei,
Arsen und schwefliger Säure zu achten, wenn sie auch hier in geringer Menge
auftreten; jedenfalls hat man aber die entsprechenden Niederschläge beim Rei-
nigen der mit den Reverberiröfen in Verbindung stehenden Luftcanäle zu
berücksichtigen.
") Unter Blicken des Silbers versteht man das Entstehen und Schwinden
einer dünnen Schicht von Bleiglätte, welche das Silber noch überzieht.
682 Silber.
Silberindustrie.
Silber- und Blei-Iudustrie fallen meist zusammen. Deutschland,
Belgien und Oesterreich liefern die bedeutenderen silber- und bleiproducirenden
Hüttenwerke. Vorzugsweise sind es die prenssiscben Hütten des Oberharzes, die
Künigl. Friedrichshütte bei Tarnowitz in Oberschlesien, die fiscalische Hütte bei
Freiberg, die Einser Blei- und Silberwerke, der Mechernicher Bergwerks-Actieu-
Vereia bei Commern in der Rheinprovinz, die Stoiberger und rheinisch-nassauische
Gesellschaft, die österreichischen Hütten, namentlich die zu Präcbram, welche sich
durch Silber- und Bleiproduction auszeichnen.
Die Bearbeitung des metallischen Silbers findet vorzüglich in Münzen und
Ciselirwerkstätten statt, während das Versilbern am häufigsten in Bronze-
waarenfabriken (Iserlohn, Pforzheim u. s. w.) vorkommt.2)
Silberlegirnngen. Die Dehnbarkeit des Silbers ist bekannt; es schmilzt bei
1000° und nimmt hierbei Sauerstoff auf, den es aber beim Erkalten unter Aufbrausen
wieder fahren lässt. was man bei der Silbergewinnung Spratzen nennt. Heisse con-
centrirte Schwefelsäure löst es unter Entwicklung von schwefliger Säure auf.
Silber legirt sich mit den meisten bekannten Metallen: am häutigsten sind die
Legirungen mit Kupfer und Gold: sämmtliche silberne Münzen sind kupf erhaltig,
damit sie nicht zu schnell abgenutzt werden. Die Menge des Silbers nennt man den
Feingehalt: zu seiner Ermittelung dient der Probirstein (Kieselschiefer), das
Titrirverfahren und die Probe durch Cupellation: letztere geschieht durch den
Treibprocess, der in sanitärer Beziehung zu beachten ist, da manche Goldarbeiter oder
Münzbeamten ihre Gesundheit dadurch zerrütten, dass sie sich vor den Bleidämpfen
nicht ausreichend schützen.
Gefässe, die aus Legirungen von Kupfer und Silber für die Haushaltung an-
gefertigt werden, dürfen nicht mit Säuren in Berührung kommen, da hierbei stets das
Kupfer angegriffen wird.
Das Versilbern, d. h. das Ueberziehen der Metalle mit Silber. Man benutzt
hierzu 1 ) das Platiren oder die Feuerversilberang von Kupfer oder Messing. Die
metallischen Gegenstände werden von der Oxydschicht befreit, d.h. gebeizt, mit einer
Lösung von salpetersaurem Quecksilber angequickt und mit Silberamalgam (1 Th.
Silber, 8 Th. Quecksilber) bestrichen: man reibt dann kräftig mit einer Metallbürste und
verflüchtigt das Quecksilber über freiem Kohlenfeuer. In Folge des Anquickens bildet
sich Kupferoxyd, das die Oberfläche schwärzt und durch eine Beize von Weinstein,
Kochsalz und Alaun weggenommen oder bisweilen mittels einer Metallbürste abge-
rieben wird, die auch bei Gegenständen, welche sich schlecht verquicken lassen, vor dieser
Procedur zur Anwendung kommt.
Eiserne Gegenstände müssen vorher verk upfert. d.h. mit einem kochenden
Bade von Quecksilber, Kupfervitriol, Salzsäure und Wasser behandelt werden.
Die grossartigsten Platiranstalten finden sich in Pforzheim und Iserlohn
und verdienen eine sanitätspolizeiliche Ueberwachung. Schon beim Gebrauch der Metall-
bürste kann sich ein metallischer Staub bilden; am gefährlichsten ist aber die
Verdampfung von Quecksilber, da manche Fabriken wöchentlich 20 — 30 Pfund davon
gebrauchen. In Frankreich dampft man die amalgamirten Gegenstände in geschlos-
senen Treibmuffeln ab, welche mit einem Abzugscanale und Condensations Vorrichtungen
versehen sind, die mit dem Kamine in Verbindung stehen. Selbst beim Reinigen solcher
Kamine muss man noch die etwaige Verunreinigung des Russes mit Quecksilber berück-
sichtigen. Unterlässt man die nothwendigen Vorsichtsmassregeln, so leiden die Arbeiter
an Mercurialintoxication; sie verlieren namentlich leicht die Zähne und werden
von der sogen. Hüttenkrätze befallen.
2) Bei der kalten Versilberung reibt man die Metalle mit einem Gemenge von
Chlorsilber, Kochsalz, Schlämmkreide und Pottasche ein; nach dem Abspülen
trocknet man mit weichem Leder ab.
Die Arbeiter bekommen hierbei leicht Vereiterungen an der Nagelwurzel mit Ver-
lust des Nagels, welche durch das im Kochsalz aufgelöste Chlorsilber hervorgerufen
werden; das beste Mittel besteht im Gebrauche von Lohbädern.2)
3) Beim Silbersud gebraucht man eine siedende Lösung von Weinstein, Kochsalz
und Chlorsilber: das Silber wird reducirt und auf das Metall niedergeschlagen. Man
polirt mit dem Polirachat, die Versilberung bleibt aber matt und wird fast nur bei ge-
ringern Scheidemünzen benutzt.
Silberindustrie. 683
4) Beim Weisssieden werden Legirungen von Kupfer und Silber in gelöstem Alaun
und Kochsalz mit etwas Salpeter gesotten; das Kupfer löst sich auf und eine silber-
reichere Oberfläche bildet sich, weil das Silber auf derselben metallisch stehen bleibt.
Bei diesem Verfahren, das die Silberschmiede anwenden, sind die Abfallwässer wegen
ihres Kupfcrgehaltes zu berücksichtigen.
5) Galvanische Versilberung s. Cyankalium S. 383, Versilberung durch Ar gen-
tine s. S. 383. & &
Als Spiegelbeleg (s. Quecksilber) kann man statt des Zinnamalgams eine dünue
Silberschicht benutzen, indem man eine Lösung von Arg. nitric. in Ammoniak durch
verschiedene Mittel, z. B. durch Kalium -Natrium -Tartrat, alkalische Traubenzucker-
lösung u. s. w. reducirt. Die schädlichen Quecksilberdämpfe fallen hierbei weg und es
ist nur zu wünschen, dass dieses Verfahren allgemein Eingang fände. Die versilberte
Fläche wird schliesslich mit einem aus Mennige bereiteten, schnell trocknenden Oel-
anstrich überstrichen.
Bei der Photographie bilden die Silbersalze, namentlich Brom-, Chlor- und
Jodsilber, die Basis der Bilder. Auch gehören hierher die Verbindungen von Gold,
Chrom, Uran und überhaupt die leicht reducirbaren Körper.
Die Silber Verbindungen gehen durch die Einwirkung des Lichtes aus der
violetten Farbe allmählig in die schwarze über, was auch bei den übrigen Salzen in
dünnen Schichten der Fall ist.
Um die Hervorrufung der Bilder zu beschleunigen, benutzt man Eisen -
oxydulsalze, Tannin, Pyrogallussäure und die Zinnsalze, welche durch ihre
Verwandtschaft zum Sauerstoff die Metallsalze zersetzen. Um nun das durch Licht
und reducirende Substanzen hervorgerufene Bild zu fixiren, müssen die Salze, welche'
durch das Licht zersetzt werden, von den Stellen entfernt werden, die in den positiven
Bildern die hellen und in den negativen die dunklen Partien darstellen; man
gebraucht hierzu vorzugsweise eine Lösung von Cyankalium oder unterschweflig-
saurem Natrium.3)
Zur Darstellung der positiven Bilder, auf welchen die Lichter und Schatten
der Natur entsprechen, dient das Daguerreotypverfahren und die Positiv-Col-
1 o d i u m - M e t h o d e.
Bei der Dagnerreotypie setzt man eine versilberte Kupferplatte zuerst Jod- und
Bromdämpfen aus und bringt sie in die Camera obscura. Das Bild erscheint erst
nach der Behandlung der Platte mit Quecksilb er dämpf en *), indem diese sich auf
den Theilen der Platte ablagern, welche durch das Licht geschwärzt sind und daher die
Lichtpartien des Bildes repräsentiren; die unzersetzt gebliebenen Theile der Silbersalze
werden durch Eintauchen der Platte in eine Lösung von unterschwefligsaurem Natrium
beseitigt; schliesslich überzieht man das Bild mit einer schwachen Goldschicht (Gold-
chloridlösung), um es permanent zu machen.
Das Collodiuniverfahren bezweckt die Erzeugung einer dünnen, gleichmässigen
Schicht von Jod- und Bromsilber auf Glas oder Papier; zur Jodirung des
Collodiums gebraucht man Jodammonium, Bromammonium, seltner Jodnatrium.
Je nachdem man positive oder negative Bilder (bei denen Licht- und
Schattentheile sowie die Stellung der Gegenstände umgekehrt wie in der Natur sind)
darstellen will, ist das Collodium verschieden concentrirt und die Jodirung in
anderer Weise zusammengesetzt.
Die verschiedenen Operationen bestehen in der Reinigung der Glasplatten, dem
Aufgiessen des Collodiums, dem Empfindlichmachen im aus Silbernitrat bestehenden
Silberbade, in der Beleuchtung und in der Entwicklung des Bildes. Die Entwicklungs-
flüssigkeit besteht aus Eisenvitriol und Pyrogallussäure. Zum Fixiren gebraucht
man meist unterschwefligsaures Natrium. Zum Schutz der leicht verletzbaren
Collodiumschicht dient ein Firniss aus Damargummi in Benzol (s. Collodium).
Es wird hier genügen, auf die allgemeinen Principien der Daguerreotypie und
Photographie hingewiesen zu haben; letztere hat sich zu einer besondern Wissenschaft
ausgebildet und noch sehr verschiedene Körper in ihren Bereich gezogen, in sanitärer
Beziehung sind aber die oben genannten die wichtigsten.
Auf die Photolithographie, Photographie und Photogalvanographie ist hier nur
aufmerksam zu machen.
*) Gewöhnlich wird das Quecksilber in einer eisernen Schale auf 60 — 70° durch
eine Spirituslampe erwärmt, während die aus der Camera obscura gebrachte Platte sofort
auf die Quecksilberschale aufgestellt wird. Bei den ganz unvorsichtigen Manipulationen
hat Verfasser früher viele Fälle der verschiedensten Formen von Mercurialismus ent-
stehen sehen, da nichts zur Ableitung und Condensation der Quecksilberdämpfe geschah.
Die Nachtheile sind doppelt gross, wenn das Quecksilber später durch Pressen mittels
eines weichen Leders gereinigt wird.
C;84 Calcium.
Calcium, Ca.
Die Verbindungen des Calciums finden sich überall in der Natur; als
Kalkstein, Marmor, Kreide, Kalkspat!), Kalktuff, Kalksinter, Aragon it
ist die Verbindung mit Kohlensäure, das Calciumcarbonat, bekannt. Zum
Calciumsuifat gehören der Gips und Alabaster, zum Calciumphosphat
Apatit und Phosphorit; als Calciumfluorid kommt der Flussspath vor.
Die Kreidefelsen bestehen fast nur aus den Schalen der Infusorien; ausserdem
enthalten die meisten Silicate Kalk; in der Asche der Pflanzen findet sich
kohlensaures, phosphorsaures und schwefelsaures Calcium, während im Thi er-
reich vorzugsweise das Skelett aus phosphorsaurem und kohlensaurem Calcium
besteht,
Pcrlinutterdrechslerei. In industrieller Beziehung ist die harte, silber-
glänzende Schale der Perlmuschel und mehrerer Austernarten hervorzuheben.
Die mechanische Bearbeitung geschieht durch Sägen, Feilen, Bohren auf der
Drehbank u. s. w., während die Politur durch Feinschleifen mit Bimsteinpulver
und Tripel, den man anfangs mit Leinöl, schliesslich mit ein wenig Schwefelsäure
anfeuchtet, bewirkt wird. Der Perlmutterstaub besteht aus Calciumcarbonat
(93,551) und Couchioliu (5,57*); letzteres gehört der innern Schicht der Perl-
mutter-Schale an und hat sich nach den Untersuchungen von Englisch ') und
Gussenbauer 2) als eine Krankheitsursache für die Perlmutterdrechsler
herausgestellt, indem es mit dem Perlmutterstaub in das Lungengewebe eindringt
und sich hier in kleinen, disseminirten Herden ansammelt, da es eine für die
Körperflüssigkeiten unlösliche Substanz ist. Bei laugdauernder Inhalation können
Veränderungen im Lungengewebe entstehen; es soll aber auch in den
Kreislauf gelangen, sich namentlich in den Markcapillareu der Knochen ansammeln,
die Capillareu in den Diaphysenenden embolisiren und so zum Infarct führen; von
da soll sich eine umschriebene Osteomyelitis, Ostitis und Periostitis ent-
wickeln und so das Krankheitsbild hervorrufen, das sich vorzugsweise bei Perl-
mutterdrechslern findet, die in engen und mit Perlmutterstaub angefüllten Localeu
arbeiten.
Bei Hunden, die dem Staube ausgesetzt wurden, fanden sich im Lungenparenchym
Stecknadelkopf- bis hanfkorngrosse, eingekapselte Herde desStaubes; es liegt daher die
Notwendigkeit vor, dem Perlmutterstaube die grösste Aufmerksamkeit zu schenken
und die geeigneten Präventivmassregeln zu treffen, die vorzüglich auf die Herstellung
luftiger Arbeitsräume und einer ergiebigen Ventilation durch Schlote, Exhaustoren u. s.w.
oder wenigstens auf Schutz der Mund- und Nasenhöhle hinzielen müssen.
Kalkbrennerei.
Calciumoxyd, gebrannter Kalk, Aetzkalk, Calcaria usta CaO wird durch
Glühen des Kalksteins (Calciumcarbonats) dargestellt und stellt eine weisse,
amorphe Masse dar, welche ätzend wirkt, alkalisch reagirt und durch die stärkste
Hitze nicht geschmolzen wird; durch Anziehen der atmosphärischen Kohlensäure
verwandelt sie sich wieder in Calciumcarbonat CaC03 (Calcaria carbonica).
Kalkbrennnerei 685
In der Industrie wird zum Kalkbrennen vorzugsweise der in ganzen Gebirgs-
massen vorkommende Kalkstein benutzt, welcher aber meistens init organischen Ueber-
resten vermischt ist.
Man unterscheidet Mergelkalk, Muschelkalk (Rüdersdorf bei Berlin),
magern Kalk, welcher Dolomit, also Magnesiumoxyd enthält; Todtgebrannt heisst
der nicht gieichmässig gebrannte oder noch Silicate enthaltende Kalk.
Das Kalkbrennen geschieht in Meilern und Gruben nach Art' der Meilerver-
kohlung oder in Feldöfen, die wie die Feldziegelöfen mit Zündgassen versehen sind-
Die geschlossenen Oefen a) mit periodischem Betriebe sind cylindrisch oder
eiförmig und haben entweder ein aus grössern Kalksteinen gebildetes Gewölbe, auf
welches die übrigen Kalksteine geschüttet werden, oder man schichtet abwechselnd
Brennmaterial und Kalksteine; b) Oefen mit continnirlichem Betriebe sind entweder
trichterförmige Oefen mit schichtweiser Beschickung oder die Oefen haben eine seitliche
Feuerung mit einem Rost und stellen einen Schacht mit einer Gicht zum Eintragen
der Kalksteine dar. Bei den Kalköfen zu Rüdersdorf ist der Schacht noch mit
einer Futtermauer von feuerfesten Steinen und diese noch mit einer zweiten Mauer
umgeben. *)
In sanitätspolizeilicher Beziehung ist zu bemerken, dass die Kalk-
öfen zu den Anlagen gehören, die einer besondern Concession bedürfen. Die
Menge der sich entwickelnden Kohlensäure ist sehr gross; für jeden Centuer
Kalkstein erhält man 44 Pfd. Kohlensäure; eine Beimengung von schwefliger
Säure kann vom Brennmaterial herrühren. Der Grad der Belästigung hängt von
der Construction der Oefen ab; bei Meilern zieht der Rauch, namentlich bei
feuchtem Wetter, mehr am Boden hin; aber auch die Kalköfen müssen so an-
gelegt werden, dass die Kohlensäure bei den durchschnittlich herrschenden Strich-
winden nicht auf Pflanzungen hingetrieben wird. Am meisten kann die Vegetation
bei Windstille leiden, denn der Luftstrom, der sich vom Ofen aus etablirt, ist
nicht kräftig und es wird die Kohlensäure nur bis zur Abkühlung in die Höhe
getrieben. Ist nun die Luft wenig bewegt, so fällt sie schon in geringer Ent-
fernung vom Ofen auf die Flur nieder; eine gelblich-grüne Farbe der Blätter
zeigt dann den Einfluss der Kohlensäure an; eine sehr feuchte und bewegte Luft
vermindert den schädlichen Einfluss beträchtlich. Das beste Mittel ist ein
Ueberwölben der Oefen mit gleichzeitiger Einrichtung eines Kamins,
um die Adjacenten wie auch die Vegetation zu schützen; übrigens ist ein übler
Geruch des Rauches nicht zu vermeiden, wenn der Kalkstein reich an organischen
Bestandteilen ist.
Die Arbeiter haben sich beim Ausziehen des Kalks auch vor Verbrennungen
durch glühenden Kalkstaub zu hüten. Die Kalkasche, d. h. der beim Ausziehen
entstehende feine, mit der Asche des Brennmaterials vermischte Kalkstaub,
kann die Arbeiter sehr schädigen, wenn sie hierbei nicht vorsichtig sind; auch
darf dieser Staub nicht im Freien auf Haufen gesetzt werden, da er, durch Wind
auf die Felder getrieben, der Vegetation schadet; soll er als Dünger benutzt
werden, so muss er sofort mit Wasser besprengt, mit Erde bedeckt oder auf
Composthaufen gesetzt werden.3)
*) In Russland sind auf dem Deckengewölbe der geschlossenen Oefen Dampfkessel
angebracht, welche beständig einen Strom von Wasser dampf in den Ofen treiben,
wodurch der Betrieb gefördert wird. In Deutschland wendet man den Wasserclampt
an, um namentlich für Rübenzuckerfabriken reine Kohlensäure zu erzeugen.
Auch die Gasfeuerung nach den Vorschlägen von Sirme»n verspricht viele Vor-
theile, während der ursprünglich als Ziegelofen construirte Ringofen von Hoffmann und
Licht schon seit einigen Jahren mit Nutzen auch zum Kalkbrennen benutzt wird. In
einigen Gegenden verwerthet man die von Töpfer- oder geschlossenen Ziegclöfen ab-
strömende Wärme zum Kalkbrennen.
686 Calcium.
Beim Lagern und Transport des gebrannten Kalks ist Schutz vor Feuch-
tigkeit die notwendigste Bedingung.
Die Anwendung des Aetzkalks ist eine so vielfältige, dass die vielen Vorgänge in
der Industrie, in denen er unentbehrlich ist, nicht speciell aufzuführen sind. Ausser
seiner basischen Eigenschaft in chemischer Beziehung ist hier noch seine Benutzung zur
Bereitung von Mörtel hervorzuheben. Der gebrannte Kalk wird zunächst mit Wasser
übergössen. Der gelöschte Kalk (Calciumhydrat Ca (OH)..) stellt eine weisse Masse dar,
die in kaltem Wasser weit löslicher ist als in warmem. Das Löschen geschieht
in Holzkasten, aus denen der Kalk in mit Brettern ausgekleidete Gruben fliesst: diese
müssen zur Verhütung von Unglücksfällen u. s. w. stets sorgfältig bedeckt werden. Das
Löschen selbst ist bei einiger Vorsicht ein ungefährlicher Act; Staubbildung kann nur
bei der Manipulation mit dem trocknen gebrannten Kalk entstehen*).
Vermischt man den gelöschten Kalk mit Sand, so bildet er damit Mörtel;
seine Erhärtung zu Luftmörtel hängt mit der Umwandlung des Kalkhydrats in
Calciumcarbonat durch die atmosphärische Kohlensäure zusammen.
Hydraulischer Kalk (Wasserkaik). Kalksteine, die Alumininmsilieate enthalten,
liefern nach dem Brennen, d.h. nach Aufschliessung der Kieselsäure, hydraulischen Kalk,
der unter Wasser erhärtet. Die Erhärtung hängt hauptsächlich davon ab, dass Wasser
zu Hydrat gebunden wird, und beruht im Wesentlichen auf der Entstehung von
Silicaten und Aluminaten.4)
In der Natur finden sich Producte, welche schon aufgeschlossene Kieselsäure enthalten,
z.B. Trass, Puzzolane, Santorinerde, die man durch Vermischen mit gebranntem
Kalk zur Darstellung von künstlichem hydraulischem Kalke benutzt. Solche Zusätze zum
gebrannten Kalke nennt man Cemente, die in natürliche (Trass u. s. w.) und künst-
liche zerfallen; zu letztern gehören Ziegelmehl, gebranntes Töpfergeschirr, die Asche von
Stein- und Braunkohle, der Rückstand bei der Alaunfabrication aus Alaunschiefer, Porcellan-
kapselscherben, Schlacken u. s. w., die durch Glühen in Cemente verwandelt werden.
Der Trass wird terrassenförmig gestochen, woher auch der Name Tarass,
Trass herrührt. Trassmühlen sind wie die Gipsmühlen Kollermühlen, bei denen
zwei aufrecht gehende Steine den fein gekörnten Trass liefern. Der hierbei entstehende
Staub ist durch seinen Gehalt an Kieselsäure neben Eisenoxyd, Thonerde, Kalkerde,
Magnesia u. s. w. um so beachtungswerther, als hierbei eine Benetzung nicht stattfinden
kann; man sollte polizeilicherseits für Präventivmassregeln sorgen, da die Folgen dieses
Staubes sich früher oder später geltend machen müssen.
Cementindustrie.
Die Cementindustrie hat in der jüngsten Zeit eine grosse Ausdehnung
gewonnen. Man kann bei dieser Fabrication 3 Methoden unterscheiden: 1) die
Gewinnung des hydraulischen Kalks aus natürlichen hydraulischen
Kalksteinen (Romancemente).
Früher benutzte man hierzu ausschliesslich die an der englischen und Ostseeküste
vorkommenden thonigen Kalksteinnieren (Schepeysteine), die aus Calciumcarbonat,
Kieselsäure, Thonerde, Magnesia u. s. w. bestehen; gegenwärtig gebraucht man auch
mehrere Mergelarten. Da das erhaltene Product der Puzzolanerde sehr ähnlich ist,
so wurde es von Parkes römisches Cement, Romancement genannt. Das Brennen
resp. Aufschliessen der Kieselsäure geschieht in Schachtöfen mit continuirlichem Betriebe,
wobei man die Kalksteine abwechselnd mit dem Brennmaterial schichtet.
Da der Romancement als feines Pulver, in Fässern verpackt, in den Handel
kommt, so folgt nach dem Brennen das Mahlen, Pulverisiren und Beuteln. Die
beiden letztern Manipulationen müssen unfehlbar in geschlossenen Apparaten geschehen.
2) Hydraulischer Kalk durch Vermischen von gebranntem Kalk
mit natürlichen oder künstlichen Cementen.
3) Hydraulischer Kalk aus ungebranntem Kalk und Thon.
Aspdin in Leeds nannte das Product wegen seiner graublauen Steinfarbe, die
*) Die Wärmeentwicklung beim Löschen beruht auf dem Freiwerden der latenten
Wärme des Wassers, weil dasselbe aus dem flüssigen Zustande in den festen übergeht.
Wird frisch gebrannter Kalk mit geringen Mengen von Wasser Übergossen, so kann sich
die Wärme im Innern bis zur Rothgluth steigern. Mittels eines entsprechenden Gefässes
mit doppelten Wänden kann mau diese Wärme z. B. bei Luftschifffahrten u. s.w. benutzen,
um warme Getränke zu bereiten oder Eier zu kochen.
Gipsbrennerei. 687
der Farbe des in England als Baustein gebräuchlichen Portlandsteins ähnlich ist,
Portlandcement.
Trotz der grossen Verschiedenheit in der Fabrication wird doch überall Kreide
oder Kalk mit Thon und häufig auch mit Sand in fein gemahlenem Zustande an-
gewendet, was in sanitärer Beziehung am wichtigsten ist, da die Schädlichkeit des
Staubes nicht oft genug betont werden kann. Die Kreide wird bisweilen geschlämmt,
aber der Thon stets fein pulverisirt.
Bei Verwendung des Kalks lässt man denselben nach dem Brennen erst in Mehl-
kalk zerfallen, um ihn fein pulverisiren zu können. Die gebrannten Steine werden ge-
wöhnlich nicht pulverisirt, aber gemahlen, und sieht der sogen. Portlandcement wie
Bimstein aus. Gebraucht man den Flussthon oder Thonschlamm, der sich an den
Mündungen grosser Flüsse oder Bäche absetzt, so ist noch darauf zu achten, dass sich
beim Verbrennen desselben unangenehm riechende Gase: Kohlenwasserstoffe und
Schwefelwasserstoff neben Kohlenoxyd entwickeln, die wie die Gichtgase eines
Hohofens aufgefangen und in eine Feuerung geleitet werden müssen. Der ganze Process
gleicht der trocknen Destillation des bituminösen Liasschiefers der Juraformation. Sonst
tritt bei der Cementindustrie hauptsächlich Kohlensäure auf.5)
Gipsbrennerei.
Gips, Calciumsulfat CaS04 kommt in der Natur in derben Massen in wasser-
freiem Zustande als Anhydrit vor. Krystallisirter Gips enthält 2 Molec. H20
(Marienglas, Frauenglas, Alabaster, Gipsstein) und löst sich am besten bei + 35 °,
mit steigender Temperatur nimmt aber die Löslichkeit ab; durch Erhitzung auf
110° verliert er sein Krystallwasser (gebrannter Gips, SSparkalk, Calcaria
sulf urica usta), trifft er aber mit Wasser zusammen, so nimmt er das Krystall-
wasser wieder auf, erstarrt dabei und wird deshalb zu Gipsverbänden, Abgüssen,
Ornamenten u. s. w. geeignet; ein über 204° erhitzter Gips verliert diese Eigen-
schaft und heisst dann todtgebrannt.
Das Gipsbrennen geschieht in Gipsöfen, die den Kalköfen ähnlich sind; bei den
primitivsten werden die Gewölbe aus grössern Gipsstücken construirt. Schachtöfen
mit periodischem Betriebe -sind die häufigsten; oft werden auch abfallende
Feuerungen, z.B. die aus Koksöfen abziehende Feuerluft, benutzt. Gips für feinere Ver-
wendungen wird in eisernen Kesseln oder in Backöfen gebrannt. Im Allgemeinen hat
das Gipsbrennen wegen der geringen Temperatur, die hierbei erforderlich ist, kein
sanitätspolizeiliches Bedenken, nur der Staub beim Mahlen und Pulverisiren des Gipses
sollte mehr als bisher berücksichtigt werden.
Die Verwendung des Gipses zum Giessen und zu Abdrücken ist bekanntlich
mannigfach. Um den Gips zu härten, ihm ein marmorähnliches Aussehen zu geben
und ihn dadurch zur Darstellung von architectonischen Verzierungen geeignet zu machen
(Stuck, Gipsmarmor), wird derselbe mit Leimwasser, dem man häufig etwas
Zinkvitriol zusetzt, angerührt; man kann auch eine Alaunlösung (Marmorcement)
oder eine Boraxlösung (Pariancement) nehmen; den aufgetragenen und getrockneten
Gips schleift man dann mit Bimstein ab und polirt schliesslich mit Tripel und Lein-
wandballen.6) Der feine Staub, welcher sich hierbei bildet, ist für die Respirations-
wege um so schädlicher, wenn man den Gips noch durch Zusätze, wie Russ, Colcothar,
Indig, Mennige u. s. w. gefärbt hat. Auf diese schädlichen Einwirkungen achtet man im
gewöhnlichen Leben viel zu wenig, obgleich schon das blasse Aussehen der meisten
Stuckarbeiter darauf hinweist, dass ihre Beschäftigung manche Nachtheile in sich schliesst.
Das Encaustiren der Gipsabgüsse geschieht durch Erwärmen derselben
auf 80° und Eintauchen in geschmolzene Stearinsäure oder geschmolzenes Paraffin.
Als Pearl hardening oder Annalin kommt im Handel ein aus Chlorcalcium-
lauge mit Schwefelsäure dargestellter Gips vor, der in Papierfabriken als Zusatz zum
Ganzzeug dient.*) Sehr zu beachten ist die desinficirende Wirkung des Gipses.7)
*) Die Chlorcalciumlösung, die bisher nur als eine Last betrachtet wurde,
findet auf diese Weise eine sehr zweckmässige Verwendung.
ߣg Strontium.
Strontium, Si\
Strontium kommt in der Natur im Coelestin als Sulfat, im Strontianit
als Carbonat vor. Der Name rührt von dem Dorfe Strontian in Argyleshire in
England her, weil es dort zuerst aufgefunden worden ist.
Strontiuniiiitrat Sr(N03)2 ist deshalb bemerkenswerth, weil es in Verbindung mit
chlorsaurem Kalium, Schwefel, Sehwefelantimon, Mastix und Kohle zur Darstellung von
Rothfeucr in der Feuerwerkerei benutzt wird.
Bei der Mischung der Ingredienzen des Rothfeuers muss mit der grössten Vor-
sicht verfahren und das chlorsaure Kalium vorher für sich allein pulverisirt werden. Die
Mischung darf nicht in grossem Quantitäten aufbewahrt, sondern muss für den jedes-
maligen Bedarf zusammengesetzt werden, da sie höchst explosiv ist und schon durch
Reibungen u. s. w. entzündet werden kann. Die Dämpfe, welche beim Vorbronnen
entstehen, riechen unangenehm und sind schon wegen ihres Gehalts an schwefliger
Säure nachtheilig: man sollte die Mischung in Theatern und geschlossenen Räumen
gar nicht anwenden.
Eine geruchlos abbrennende Mischung soll man durch Zusammenschmelzen von
i\a Th. Str onl ium n it rat und 1 Th. Schellack erhalten. Als Verbrennungsproduct
tritt hierbei Strontium carbonat auf.
Barium, Ba.
Barinra kommt in der Natur als Carbonat (Witherit) und als Sulfat
(Schwerspath) vor. Der Schwerspath gehört vorzugsweise den deutsehen Ge-
birgen au, kommt aber auch vielfältig in Frankreich vor; er wird auf besondern
Mühlen gemahlen und mit Wasser geschlämmt. Er dient als Zusatz zum Blei-
weiss, vielfach auch zum Mehl; im letztern Falle vermindert er die Nährkraft
des Brotes und stört jedenfalls die Verdauung, wenn er auch wegen seiner Un-
löslichkeit nicht als Gift wirkt. Ein solches Verfahren ist ein strafbarer Betrug.1)
Barytindustrie.
Blanc fixe ist künstlich dargestellter Schwerspath und wird durch Zersetzung
von Chlorbarium mittels Schwefelsäure gewonnen; das Präcipitat kommt im
Handel in Teigform vor. Die zurückbleibende Flüssigkeit enthält Salzsäure von
6° B. und darf daher nicht frei abgelassen werden.
In einem concreten Falle führte der Abzugscan al unter einem Wohnhause hin;
nach mehreren Jahren war der Mörtel des Fundaments so zerstört worden, dass ein
theilweiser Einsturz des Hauses erfolgte, der viele Menschen in Lebensgefahr brachte.
Man muss das Abfallwasser durch getheerte hölzerne Rinnen in steinerne Kasten leiten
und mit Kalk versetzen, um Chlor calci u m zu erzeugen, das nur in grössere Flüsse
abzuleiten ist, wenn es nicht anderweitig verwerthet wird.
Verwendung findet das Blanc fixe als Ersatz des Bleiweisses; in Papierfabriken
und Tapetenfabriken vortritt es das Lenzin.
Chlorharium, Bariumchlorid BaCl2, ein krystallinisches und iu zwei Theileu
Wasser lösliches Salz, ist der Ausgangspunct für die Darstellung der übrigen
Barytindustrie. ßgg
Bariumverbindungen. Man gewinnt es durch Auflösen von Bariumcarbonat
in Salzsäure oder durch Glühen des Schwerspaths mit Kohle in einem
Schachtofen, indem das entstandene Schwefelbarium (BaS04 + 4 C =BaS
+ 4CO) mit Salzsäure zersetzt wird.
Die Entwicklung von Schwefelwasserstoff ist hierbei so massenhaft, dass seine
Ableitung in den Schornstein die Adjaeenten im höchsten Grade belästigt; er muss stets
durch Feuer zerstört werden. Man hat auch den Versuch gemacht, das Verbrennungs-
product, die schweflige Säure, durch Schwefelwasserstoff bei Gegenwart von Wasser zu
zersetzen; die Ausführung im Grossen hat sich aber nicht bewährt.
Die Mutterlauge, Clllorbarium, enthält auch noch Eisen, Arsen, Kupfer, Blei und
muss deshalb mit kleinen Mengen Schwefelbarium versetzt werden, um alle Metalle als
Schwefelmetalle zu fällen.
Kuhlmann versetzt Schwefelbarium mit der durch sauren Kalk abgestumpften
Manganlauge der Chlorkalkfabriken (Manganchlorür) und behandelt das Gemisch
in Flammenöfen, um neben Schwefelmangan das leicht lösliche Chlorbarium zu
erzeugen :
Ba S + Mn Cl2 = BaCl2 -4- Mn S.
Da die Sohle der Oefen durch die Lauge sehr angegriffen wird, so umgehen
einige Fabriken das Glühen der Masse und laugen zuerst das aus dem Schwerspath
erhaltene Schwefelbarium aus, wobei lösliches Bariumsulfhydrat und Barium-
hydrat entsteht, während neben andern unlöslichen Verbindungen namentlich noch
Bariumcarbonat zu Boden fällt. Mit der Lösung wird die abgestumpfte Manganlauge
bis zur schwach sauren Reaction in einem Zersetzungsbottiche unter langsamem Zufliessen
in Berührung gebracht, um den hier auftretenden Schwefelwasserstoff nicht plötz-
lich massenhaft zur Entwicklung zu bringen. Der Zersetzungsbottich muss unter allen
Umständen mit einem dicht schliessenden Deckel versehen- sein, aus dessen Mitte sich
ein hölzerner Canal erhebt, der sich rechtwinklig nach einem gemauerten, zur Dampf-
kesselfeuerung führenden Canal abzweigt. An dieser Uebergangsstelle befindet sich ein
Schieber, um nach dem Aufhören der Entwicklung von H2S den Canal zu verschliessen.
Es ist hier wegen der starken Entwicklung von Schwefelwasserstoff grosse Vorsicht
nöthig; um ihn vollständig zu entfernen, ist es zweckmässig, am Schlüsse der Zersetzung
noch einen Dampfstrom durch den Bottich zu leiten. Das gewonnene Chlorbarium
wird ausgelaugt und häufig auf Blanc fixe (Barytweiss) bearbeitet.1)
Verwendung findet Chlorbarium als solches vielfältig zur Verhütung des
Kesselsteins und in der Wollfärberei zur Darstellung von indigblauschwefel-
saurem Barium.
Barinmnitrat, salpetersanres Barium Ba(N03)2 wird direct aus Bariumcarbonat
mit Salpetersäure oder durch Zersetzung von Schwefelbarium mittels dieser Säure
dargestellt. Es dient zur Darstellung des Grünfeuers in der Lustfeuerwerkerei oder
von Casseler Grün; im letztern Falle schmilzt man es mit Braunstein oder Kalium-
manganat zusammen.
Bariumhydrat, Aetzbaryt Ba( OH)2 entsteht durch Glühen von Bariumcarbonat und
Darüberleiten von Wasserdämpfen, Bariumoxyd BaO durch Glühen von Bariumnitrat
und Kohle, wobei sich viele Dämpfe von Untersalpetersäure entwickeln; die Tiegel
müssen hier unter einem gut ziehenden Schornsteinbusen stehen (s. S. 665).
Man hat Aetzbaryt in Zuckerfabriken statt des Kalks (s. S. 496) und in Glas-
fabriken an Stelle von Bleioxyd, Natron oder Kalk zu benutzen versucht. In fran-
zösischen Glasfabriken wird der Baryt in Form von Schwerspath verwendet; er soll
ein leicht schmelzbares Glas darstellen.2)
Magnesium, Mg.
Magnesium kommt in Verbindung mit Chlor in den Soolen, im Meeres-
wasser, im Stassfurter Abraumsalze, mit Schwefelsäure im Kiserit und in
Mineralwässern, mit Calciumcarbonat in ganzen Gebirgszügen als Dolomit
und als Silicat vorzugsweise im Talk, Speckstein und Meerschaum vor.
Eulenberg, Gewerbe-Hygiene. 44
690 Zink-
Das Magnesiumnietall ist wogen seiner technischen Verwertoung in der letzten
Zeit hantig dargestellt worden. Man gewinnt es ähnlich wie das Aluminium durch
Glühen einer Magnesiumverbindung (Magnesiumchlorid) mit Natrium.
In sanitärer Beziehung ist die Darstellung ungefährlich, wenn man von der
Handhabung des Knallgasgebläses, welches hierbei zur Anwendung kommt, absieht; es
müssen die höchsten llitzegrade einwirken.
Das Metall ist BÜberweiss, stark glänzend, wird aber an der Luft allmählig matt:
es kann gefeilt, gehämmert, zu Blech verwalzt und zu Draht ausgezogen werden.
Sein Schmelz] urnet ist fast gleich dem des Zinks: in der Rothgluth verbrennt es
mit stark glänzendem Licht, dessen Intensität die einer Kerzenflamme um mehr als das
oOOfache übertrifft, wenn die Verbrennung im Sauerstoffgase stattfindet. J)
Zink, Zn.
Zink logt sich beim Schmelzen zackenformig an, sein Name soll daher von
. Zinken u, „Zacken" herrühren. In alten Werken heisst Zink Spiauter oder
Spialter (engl. Spelter); die Griechen und Römer kannten nur Galmei
(Zinksilicat, Kieselziukerz, Kieselgalmei). Ausserdem kommt Zink noch als Zink-
spath (Zinkcarbonat) und namentlich als Zinkblende (Ziuksulfid) vor.
Einwirkung <les Zinks auf den thierischen Organismus. In der Industrie kann
es sich nur um die Einwirkung der Zinkdämpfe resp. des Zinkoxyds handeln, da
die beim Schmelzen des Zinks sich entwickelnden Dämpfe bekanntlich an der Luft sofort
oxydirt werden und schon den Alten als Lana philosophica bekannt waren.
Als Prototyp der Wirkung der Zinkoxyddämpfe kann man folgende Beobachtung
betrachten: Ein Apothekerlehrling hatte aus Unvorsichtigkeit bei der Bereitung von
Zinkoxyd das ganze Laboratorium mit Zinkoxyddämpfen augefüllt: es traten an dem-
selben 'Tage Beklemmung der Brust, Schwindel. Kopfschmerz, nach einer
schlaflosen Nacht am andern Morgen Husten, Erbrechen und Steifigkeit in
allen Gliedern ein. Am dritten Tage zeigten sich ein starker Kupfergeschmack
im Munde, Speichelfluss, Magendrücken und ein so starker Schwindel, dass
Patient nicht aufbleiben konnte. Nach starken Ausleerungen durch Laxantien wurden die
Zufälle gelinder, es stellte sich dann Fieber ein; nach der darauf folgenden Transpi-
ration war die Krankheit gänzlich gehoben.1)
Die Wirkung schwindet in der Regel schnell, wenn die Ursache aufhört.
Bleiben Krankheitserscheinungen, wie Parese des Gesichts oder der Extremitäten,
zurück, so bat mau es jedenfalls mit der Wirkung der Bleidämpfe zu thun;
treten heftige choleraartige Erscheinungen auf, so wird man mit Recht die gleich-
zeitige Einwirkung arsenikalischer Dämpfe beschuldigen können; sehr hart-
näckiges Erbrechen wird die Beimeugung von Kadmiumdämpfen ver-
muthen lassen.. Solche Complicationen können namentlich bei der industriellen
Fabrication vorkommen und liefern den Beweis, wie vorsichtig man in der Auf-
stellung ätiologischer Momente sein muss.2)
Bei der Ingestion des reinen Zinc. oxyd. alb. können grosse Quantitäten ein-
verleibt werden, ohne dass ein letaler Ausgang erfolgt. Verf. hatte zur Zeit, als Zinc.
oxyd. alb. als Heilmittel gegen die Epilepsie im Schwünge war. mehrmals Gelegenheit,
seine deletäre Wirkung auf die Verdauungsorgane und die Blutbildung zu beobachten:
die Erscheinungen schwanden jedoch nach dem Aussetzen des Mittels und bei sach-
gemässer Bebandlung, selbst wenn bereits hydropische Erscheinungen und Marasmus
eingetreten waren.3 Es ist daher auch nicht zu verwundern, dass man häufig in den Zink-
oxydfabriken die Arbeiter von Kopf bis zu Fuss mit Zinkoxydstaub bedeckt findet,
ohne dass sich nachtheilige Einwirkungen sogleich kund geben. Das Zinkoxyd wird
wegen seiner Unlöslichkeit in Wasser und Chloralkalimetallen nicht von der unverletzten
Haut aus resorbirt; für die Respirationsorgane dürfte aber der Staub um so mehr zu
beachten sein, als Michaelis*) wenigstens einigemal bei Thierversuchen selbst nach der
Ingestion von Zinkblumen den Miliartuberkeln ähnliche Granulationen in den Lungen
Gewinnung von Zink. 69 X
beobachtete, die unter dem Mikroskope „Exsudatkugeln"' darstellten, nach der chemischen
Untersuchung aber deutlich Zinkspuren enthielten. Um wie Adel leichter wird aber
der Zinkstaub von den Respirationswegen aus aufgenommen werden!
Husten, kurzer Athem und Bluthusten können erfahrungsgeinäss
sowohl nach der Ingestion des Zinkoxyds als nach der Einathmung der Zink-
dämpfe entstehen. Die Natur bestrebt sich allerdings, das abgelagerte Zink wieder
auszuscheiden und zwar vornehmlich durch vermehrte Hauttranspiration
und ausserdem durch Harn- und Gallenabsonderung; immerhin bleibt Zink-
oxyd ein Metallgift, das bei längerer Ingestion hydraulische Zustände zu be-
dingen vermag.
Hinsichtlich der Einwirkung von Zinkoxyd auf die Pflanzen hat schon Alex.
Braun beobachtet, dass Pflanzen auf galnieihaltigeni Boden wachsen und Zinkoxyd auf-
nehmen, ohne in ihrer Entwicklung gehemmt zu werden. Nach den Untersuchungen
von M. Freytag findet sich der grössere Antheil davon in den Blättern und Stamm-
theilen, der geringste in den Samen, welche ganz normal keimen und auch ohne Nach-
theil genossen werden können. Der Procentgehalt der Asche der verschiedenen Pflanzen
variirt zwischen % — 1 %; hiernach soll Zinkoxyd von den Pflanzen als ein indifferenter
Körper aufgenommen und in ihren Theilen abgelagert werden, ohne einen
nachtheiligen Einfluss auf ihren Keimungs- und Wachsthumsprocess aus-
zuüben.5)
Anders Verhaltes sich freilich mit Zinksalzlösungen; eine Lösung des Zink-
sulfats von kaum VsoS beschädigt schon die Pflanzen. Zinksalzlösungen, die durch
den Boden filtriren, werden derart zersetzt, dass die in Wasser unlöslichen Zinkverbin-
dungen in demselben zurückbleiben: für eine Ackererde betrug die Grenze der Ab-
sorption von Zinkoxycl und Zinksulfat zwischen 0,021 und 0,024 ?0' der Ercle.
Hüttenmännische Gewinnung von Zink. Zinkhütten liegen meist in einsamen
Gegenden, um den Schadenersatz zu vermeiden, zu dem namentlich die nach-
theilige Einwirkung der schwefligen Säure auf die Vegetation beim Rösten der
Zinkblende Anlass gibt,
Man unterscheidet folgende Operationen: 1) Die Aufbereitung der Zinkerze,
welche die Entfernung der Gangart bezweckt; hierzu wird nach der Handscheidung
das gepochte Erz in Trommeln gewaschen und sortirt. Die Abfallwässer werden
durch hölzerne Gräben und Teiche geleitet, um noch einzelne Erztheilchen (den
Schlich) zu gewinnen: diese Wässer enthalten neben Zinksulfat häufig noch Blei
und Kupfer.
2) Das Rösten des Gahneis bewirkt die Entfernung des "Wassers und der
Kohlensäure iu Schachtöfen oder beim Erzklein in Flammenöfen mit Röstherden.
3) Beim Rösten der Zinkblende entweicht der Schwefel als schweflige Säure
nebst Dämpfen von Blei, Zink, Arsen und bisweilen auch von Antimon.
4) Beim Beschicken der Retorten mit gerösteten Zinkerzen werden letztere
zuvor mit den Zuschlagsmitteln (Kalkstein und Steinkohle oder Kokskleie) vermischt.
Zur Blende setzt man immer, zum Galmei nur zuweilen Kalk hinzu, und zwar im
erstem Falle zur Bindung des Schwefels und im letztern zur Bindung der kieselsauren
Verbindungen. Die Verkleinerung geschieht bis zur Grösse einer Erbse oder Hasel-
nuss; nur bei der belgischen Destillationsmethode werden die gerösteten Erze pul-
verisirt und gesiebt, wobei sich ein gefährlicher Staub entwickelt.
5) Die Reduction und Destillation des Zinks in geschlossenen Destillations-
gefässen. Es entwickelt sich hierbei ziemlich viel Kohlenoxyd:
ZnO+.C = Zn + CO.
Ganz besonders treten hierbei stets mehr oder weniger Zinkdämpfe auf,
welche zu Zinkoxyd verbrennen und nie ganz zu vermeiden sind, da die Lutirungen
an den Vorlagen der Destillationsgefässe nicht vollständig dicht gemacht werden
können. Man bemerkt deshalb fast immer bei der Destillation die bläulich-weisse
Farbe des brennenden Zinks, welche einen grünlichen Schein annimmt, wenn
gleichzeitig Thallium verbrennt, ein Umstand, der bei der Gefährlichkeit der Thallium-
dämpfe zu der grössten Vorsicht auffordern sollte.
Man unterscheidet: a) die englische oder absteigende Destillation in Tiegeln,
(destillatio per descensum), die auf einem Herde wie die Glashafen rund um die Feuerung
stehen; in eine Oeffnung am Boden der Tiegel ist ein feuerfestes Rohr eingekittet, das
in ein eisernes Verlängerungsrohr mündet, aus welchem das Zink über einem mit
Wasser angefüllten Gefäss abtropft. Nur anfangs entwickelt sich Kohlenoxyd, das
44*
692 Zink-
angezündet wird: zeigt sich die bläulich-weisse Farbe vom brennenden Zink, so lässt
man das Rohr in das Wasser tauchen. Diese Methode ist somit in sanitärer Be-
ziehung eine sehr gute, aber in peeuniärer Beziehung nicht vortheilhaft
b) Die Destillation in Retorten zerfällt nach der Art ihrer Gruppi rung in
den Oefen sowie in Bezug auf Heizung und Beschickung in die schlesische und
belgische Methode.
a. Die schlesische Methode findet sich vorzugsweise in Oberschlesien, aber auch
in Belgien, in Stolberg bei Aachen und in Westphalen. Die aus feuerfestem Thon be-
reiteten Muffeln sind ungefähr 1 Meter lang und 0,5 Meter hoch, stehen in einem
gewölbten Ofen wie die Glashafen auf Bänken zu beiden Seiten einer Rostfeuerung; an
der vordem Seite haben sie zwei Oeffnungen (Fig. 54 a und 6), von denen die untere
während der Destillation
Fig. 54. mit einer Platte verschlos-
sen ist und nach derselben
zur Herausnahme des
Destillations - Rückstandes
dient An die Oeffnung 6
lehnt sich ein knieförmiger
Ansatz an, an dessen vor-
dem Seite bei c die Muffel
beschickt wird. Auch diese
Oeffnung wird während der
Destillation stets geschlos-
sen: ausserdem bringt man
hier meist noch einen blechernen Cylinder oder Kasten an, der vorn einen rohrartigen
Ansatz hat. damit sich beim Verbrennen der Zinkdämpfe nur eine kleine Flamme bilden
kann. Die condensirten Zinkdämpfe füessen bei d in Tropfen ab und sammeln sich in
einem gemeinschaftlichen Canal an.
Die Fugen, aus denen die Zinkflammen mit dem verbrennendemKohlenoxyd her-
ausschlagen, schliessen sich allmählig mit Zinkoxyd. Ofenbruch heisst das Zinkoxyd,
das sich im Ofen selbst gebildet hat.
ß. Die belgische Methode wird zur Reduction des Galmei und der Zinkblende
benutzt. Zur Destillation dienen cylindrische Thouröhren von 1 Meter Länge und
18 Ctm. Weite, die vorn offen sind: in diese Mündung wird ein kegelförmiges, iruss-
eisernes Ansetzrohr (Yorstoss) gesteckt und auf dieses noch eine Röhre von Eisen-
blech (Allonge, Yorstecktute) geschoben : letztere läuft in eine Spitze aus und dient
hauptsächlich zum Ansammeln der Zinkdämpfe, während der grösste Theil derselben
sich in dem Yorstoss zu flüssigem Zink verdichtet. Zeitweilig (alle 6 Stunden) wird
das Metall ausgegossen, nachdem man das Unreine (Zinkoxyd) ausgeschieden hat.
Die Röhren liegen in grosser Anzahl in mehreren Reihen in grossen Schachtöfen
übereinander und zwar nach hinten auf vorspringenden Steinen und nach vorn auf einem
ähnlichen Gesimse. Die Rostfeuerung liegt unter der untersten Rohrlage.
Sanitäre Massregeln bei der Zinkverhüttung.
Bei der Anfbereitnng der Erze ist die Staubbildung nicht erheblich, daher
in sanitärer Beziehung von geringerer Wichtigkeit. Dagegen sind die von den
Stossherden herrührenden Waschwässer sehr zu beachten, da sie stets zink-
haltig sind und auch häufig neben dem durch Oxydation des Schwefelzinks ent-
standenen Zinksulfat noch Blei und Kupfer enthalten; sie dürfen daher auch nach
der sorgfältigsten Klärung nicht in fischreiche Bäche oder Teiche abgelassen werden,
da sie nie von allen Metalltheiichen befreit werden können. Bei wasserreichen
Bächen findet zwar eine hinreichende Verdünnung statt, aber die Fische gehen
dennoch hierbei meist zu Grunde. In einem concreten Falle konnte in 1 Liter
eines solchen Wassers, das an der Einflussstelle in einen Bach aufgefangen worden,
noch deutlich Zinksulfat nachgewiessen werden. Am zweckmässigsten ist es,
das Wasser nach der Abklärung wieder zum Waschprocess zu benutzen. Die
Arbeiter leiden bei der nassen Aufbereitung vielfach an rheumatischen Be-
schwerden, wenn es ihnen an einer entsprechenden Kleidung mangelt.
Der Röstprocess ist beim Galmei sehr einfach, bei der Zinkblende aber
Gewinnung von Zink. 693
wegen des Auftretens der schwefligen Säure längst der Gegenstand vielfacher
Untersuchungen gewesen; ihre Menge ist sehr bedeutend, sie fällt grösstentheils
als Schwefelsäure nieder und richtet als solche vielfachen Schaden an und
zwar häufig mehr in einiger Entfernung von der Fabrik als in ihrer nächsten
Nähe, wenn die Dämpfe durch die Luftströmung weiter getrieben werden. Nach
Vohl zeigten die Brassica-Arten manchmal brandige Flecke mit einem erheblichen
Zinkgehalte (wahrscheinlich Zinksulfat), während das Heu nach dem Einäschern
in den Aschenbestandtheilen Zink- und Bleigehalt ergab. Auch das in der
Nähe solcher Hütten aufgefangene Regenwasser kann Zinksulfat enthalten;
Peltzer fand zu Stolberg sogar im Schlamme eines Regenwassers Blei in ver-
hältnissmässig bedeutender Quantität. Sowohl für die Adjacenten als auch für
die Pflanzenwelt bleibt daher die schweflige Säure stets ein sehr beachtungs-
werther Factor; die öffentliche Fürsorge hat sich deshalb vorzugsweise mit ihrer
Condensation oder Verwerthung zu beschäftigen.
Die Condensation hat man durch horizontal geschleifte Canäle zwischen Rost-
herd und Schornstein zu erzielen gesucht; vor ihrem Eintritt in den Schornstein schlägt
dann noch eine Regentraufe die Dämpfe vollständig nieder. Der sich hierbei ablagernde
Schlamm ist reich an Zinksulfat und enthält auch Zinkmetall.
Bei den gewöhnlichen Flammen Öfen sind solche Einrichtungen nebst Flugstaub-
kammern absolut erforderlich, um den Verwüstungen durch die Säuredämpfe einiger-
massen entgegenzutreten. Nachdem schon Rübe den Versuch gemacht hatte, arme Zink-
erde mittels der schwefligen Säure zu verhütten, hat man zunächst in Freiburg begonnen,
mit Hülfe der Gersten höf er' sehen Schüttöfen die schweflige Säure behufs Schwefel-
säure-Darstellung zu benutzen. Hasenclever und Hclbig haben zu diesem Zwecke
ihren Schwefelkiesofen in der Weise modificirt, dass das in den Trichter gefüllte Erz
auf eine mit 43° geneigte Fläche gelangt, die von 50 zu 50 Centimeter Scheidewände
mit seitlichen Oeffnungen hat, damit die aus der Muffel aufsteigende schweflige Säure auf
einem langen Wege die Erze bestreicht. Von der schiefen Ebene gelangt nämlich das
Erz mittels einer Walze in eine horizontale Muffel, in welcher es von einem Arbeiter
ausgebreitet wird und wo es durch eine Oeffnung auf die Sohle eines Flammenherdes
fällt. Die schweflige Säure, welche sich hier entwickelt, geht mit den Feuerungs-
gasen verloren, während die Gase der Muffel, die von den Feuergasen des Flammen-
herdes umspült wird, den oben bezeichneten Weg nehmen, hier angereichert werden und
gleichzeitig eine Vorröstung der Erze bewirken. Die Gase der Muffel und
der geneigten Ebene werden zur Schwef elsäurefabrication benutzt. Der ganze
Ofen ist 30 Fuss hoch. Von den in der Fabrik Rhenania abzurostenden Blenden von
25 % Schwefelgehalt gelangen 18% schweflige Säure in die Kammern, während 6% in die
Luft entweichen und 1 % im Röstgut bleibt. 6)
Es ist ausser Frage gestellt, dass das in Rede stehende Verfahren viele Vortheile
gewährt; man darf aber auch die Rücksicht auf die Arbeiter dabei nicht ausser Acht
lassen; es müsste namentlich dem Arbeiter, der das Erz in der Muffel ausbreitet, ein
ausreichender Schutz vor der Einwirkung der schwefligen Säure gewährt werden.
Das Pulverisiren und Mischen der gerösteten Erze mit den Reductionsmitteln
erzeugt einen Staub, der nach der Beschaffenheit der Erze sehr schädlich ein-
wirken kann, namentlich wenn es sich um eine bleiglanzhaltige Zinkblende
handelt. Er kann auch beim Verwehen für die nächste Vegetation sehr nach-
theilig werden, namentlich durch Bildung von Zinksulfat, weil die feine Ver-
keilung dem atmosphärischen Sauerstoff eine grosse Oberfläche bietet; dass
Hühner, Tauben u. s. w. in der Nähe solcher Hütten zu Grunde gehen, mag in
diesem Umstände hauptsächlich begründet sein.
Bei der Destillation des Zinkes sind gewöhnlich an der Arbeits Öffnung Rauch-
fänge für die Wegführung der Zinkdämpfe angebracht, jedoch ohne besohdern
Nutzen. Alle Lutirungen der Retorten lassen stets die brennenden Zinkdämpfe
durch und können keinen Schutz gewähren. Man hat aber auch noch viel
zu wenig Versuche gemacht, um grade die bei der Destillation auftretenden
694 Zink.
Dämpfe zu condensiren, wenn man die englische Methode ausnimmt. Thatsäeh-
lich haben auch die bei der Destillation beschäftigten Arbeiter stets ein kachek-
tisches Aussehen, da zeitweilig aussei Zinkdämpfen sicher auch noch Dämpfe von
Arsen, Kadmium und Thallium auftreten werden. Ximmt die weisse Farbe
des brennenden Zinks einen gräulichen Schein an. so kann man fast mit
Sicherheit darauf rechnen, dass auch Thallium mit verbrennt. Manche Arbeiter
werden auch bisweilen von heftigem Erbrechen befallen, ein sicherer Beweis, dass
in einem solchen Falle Zinkdämpfe eingewirkt haben; man sollte überhaupt auf
die Condensation aller dieser Dämpfe weit mehr Bedacht nehmen.
Eine zweckmässige Vorrichtung könnt.' bei der schlesischen Methode darin bestehen,
dass man den Ansatz der Trommel mit einem senkrechten Rohre verbände, welches in
einen Wa'sserverschluss, d. h. in eine sog. Hydraulik (s. Leuchtgasbereitung, S. 599),
mündete: das sich entwickelnde Kohlenoxyd Hesse sich von hier aus in die Feuerung
leiten. Bei der belgischen Methode könnte ein grosser Fang über sämmtlichen Röhren
von Wirkung sein, wenn derselbe mit einer kräftigen Esse oder einem Exhaußtor in
Verbindung stände, obgleich die Arbeiter bei dem häutigen Herausnehmen des Zinks
immer noch viel mit den Dämpfen desselben in Berührung kommen. Beim Sprengen
oder Durchfliessen der Muffeln entweichen die Zinkdämpfe bisweilen massenhaft
in den Fabrikraum und die Arbeiter werden dann auch der strahlenden Hitze ausgesetzt,
wenn sie die weissglühenden Muffeln ausziehen und neue einsetzen : sie müssen dann nie
nasse Tücher zum Einwickeln der Hände benutzen, weil in Folge der Hitze Ver-
brühungen dadurch herbeigeführt werden.
Zinkstauli. Zinkgrail {Poussiere) besteht aus metallischem Zinkstaub und
Zinkoxyd und sammelt sich bei der belgischen Methode hauptsächlich in den Vor-
stecktuten an. Er wird entweder auf Zink verarbeitet oder zur Darstellung der Indig-
küpe in der Baumwollfärberei benutzt; auch als Anstrichfarbe für Eisen soll er sich
empfehlen.
Die Siemens'' sehe Regenerativfeuerung bei der Destillation kann als ein
grosser technischer Fortschritt bezeichnet werden und ist namentlich in Westphalen und
in der Rheinprovinz bereits zur Ausführung gekommen. Die Zinköfen stehen zwischen
den Generatoren und Regeneratoren.
Der Retorteill'ückstaud (Residus) enthält meist Schwefelcalcium, kieselsaures
Calcium, geringe Mengen Calciumoxysulfid und zinkhaltige resp. silberhaltige Schlacken;
letztere werden nach umständen weiter verarbeitet.
Beim Umschmelzen resp. Zusammenschmelzen des rohen Zinks können sich arse-
nikalisehe Dämpfe entwickeln, weil der Vertlüchtigungspunet von Arsen unter dem
Schmelzpuncte des Zinks liegt; es ist daher ein guter Rauchfang erforderlich, wenn man
nicht durch einen geringen Zusatz von Salpeter oder Pottasche den Arseugehalt
bindet. Da auch der Zinks taub hier zur Verwendung kommt, so sind zunächst redu-
cirende Körper, z.B. Harz, Talg u. s. w. , zuzusetzen; erst nach dieser Reduction darf
der Zusatz von Salpeter geschehen, weil er sonst oxydirend auf das fein vertheilte Zink
wirkt. Es darf nur arsensaures Kalium resp. Natrium als schlackenartige Verbindung
zurückbleiben. In der Regel beobachtet man dieses Verfahren nur bei einem hohen
Arsengehalt des Zinks, weil es sonst spröde und nicht walzbar bleiben würde.
Zinkindustrie.
Zink ist bei gewöhnlicher Temperatur zähe, bei 100° streckbar, bei 200°
pulverisirbar und bei 400° schmelzbar; es destillirt bei der Weissgluth, wird es
über den Schmelzpunct erhitzt, so verbrennt es mit bläulich-weisser Farbe zu
Zinkoxyd.
Als Metall wird das Zink zu Blechen, Drähten und namentlich zum
Zinkguss verarbeitet. Bei der Bedachung mit Zinkblech oxydirt sich das
Metall; die sich bildende Schicht schützt das darunter liegende Metall vor dem
Einfluss der Atmosphäre. Enthält der Regen aber Ammoniuranitrat, so kann
das aufgefangene Regenwasser zinkhaltig sein.
In München waren nach Pettenkofer an einem Zinkdach binnen 27 Jahren 8,4 Grm.
pro Quadratfuss oxydirt worden, von denen jedenfalls die Hälfte durch den Regen fort-
geführt worden war. Wird beim Eindecken ein bleihaltiges Loth benutzt, so kann
Zinkindustrie. C)do
das erste aufgefangene Regenwasser auch bleihaltig sein. Am meisten wirken die
Dämpfe der Essigsäure, der organischen Säuren (bei Guanolagern), der Salz-
säure und schwefligen Säure nachtheilig auf die Zinkbedachung ein.
In zinkenen Gefässen hält sich die Milch länger, weil die gebildete Milch-
säure sich mit dem gleichzeitig gebildeten Zinkoxyd zu einem schwer löslichen Zinksatz
(C3H503)2Zn-f- 3H20) verbindet und der Käsestoff nicht coagulirt: trotzdem hat man
allen Grund, eine solche Aufbewahrungsweise zu vermeiden. Auch die Zinkbehälter
zum Aufbewahren von Trinkwasser, die man in Berlin noch häufig findet, sind gänz-
lich zu verwerfen; r) je reicher das Wasser an Chlornatrium und je ärmer es an Cal-
ciumcarbonat ist, desto mehr Zink wird gelöst. Der schützende Anstrich ist absolut
erforderlich: er darf nur aus Ockerfarbe oder Asphaltlack bestehen. Im Allgemeinen
sollte man aber Zink zur Anfertigung von Gefässen, die der Aufbewahrung oder Zu-
bereitung von Genuss- oder Nahrungsmitteln dienen, nie benutzen.
Beim Zillkgass entwickeln sich weniger metallische Dämpfe, weil das Metall bloss
bis zum Schmelzpunct erhitzt und durch eine Fett- oder Kohlenschicht vor der Oxyda-
tion geschützt wird: man hat jedoch die etwa hier auftretenden arsenikalischen Dämpfe
zu beachten. Die beim Zinkguss beschäftigten Arbeiter bieten in der Regel keine be-
stimmten Leiden dar, haben aber häufig eine ungesunde Gesichtsfarbe und leiden vor-
zugsweise an Verdauungsstörungen. Man sollte das Schmelzen stets unter einem gut
ziehenden Rauchfange vornehmen; auch hier empfiehlt sich die S. 665 beschriebene Ein-
richtung ganz besonders. In grossartiger Weise wird der Zinkguss in Berlin betrieben.
Zum Walzen des Zinks gebraucht man grosse durch Dampfkraft bewegte Walzen.
Die Abfälle werden meist in diesen Fabriken wieder zusammengeschmolzen; das sich
hierbei auf der Oberfläche bildende Zink grau (Gemisch von metallischem Zink und
Zinkoxyd'* wird gesammelt, pulverisirt und gesiebt und zwar fast immer ohne die
geringste Rücksicht auf die Staubbildung, welche hier jedenfalls Beachtung verdient.
Das Verzinken des Eisens geschieht auf galvanischem Wege; man benutzt dazu
eine Auflösung von Zinksulfat.
Zinkweiss-Fabrication. Zinkoxyd oder Zinkweiss ZnO ist ein weisses Pulver,
das beim Erhitzen gelb, beim Erkalten aber wieder weiss wird; es ist unschmelz-
bar und unlöslich in Wasser, aber in Säuren leicht löslich.
Die Fabrication von Zinkweiss geschieht bisweilen schon auf den Hütten
durch einen combinirten Reductions- und Oxydationsprocess; vorzugsweise benutzt
man aber das metallische Zink, auf dessen Reinheit man zu achten hat, da Kad-
mium, Blei, Schwefel und Eisen dem Präparate stets einen Stich in's Gelb-
liche geben.
Man bringt Zinkblöcke in bis zur Weissgluth erhitzte Retorten; das Zink ver-
wandelt sich in Dampf und trifft als solcher am Ausgange der Retorte mit erhitzter
Luft zusammen, um als Zinkoxyd durch den Luftstrom in sogen. Kühlkammern geleitet
zu werden, auf deren trichterförmigem Boden es sich absetzt. Die Abzugsöffnung in
der letzten Kammer ist mit einem Drahtgewebe versehen und steht mit dem Schornstein
in Verbindung.
Die Einrichtung dieser Kammern ist sehr verschieden; in Belgien benutzt man
trichterförmig gestaltete Recipienten von Eisen, in Oberschlesien von mit Alaun und
Wasserglas getränkten Brettern, die mittels weiter Röhren untereinander verbunden und
am Ausgange des Trichters mit Leinwandbeuteln zum Auffangen des Zinkweisses ver-
sehen sind, aus denen es auf Fässer abgezogen wird.
Das in den ersten Recipienten angesammelte Zinkweiss wird geschlämmt, um
es von dem beigemengten metallischen Zink (Zinkstauli) zu reinigen; dann folgt das
Trockn en, Pulverisiren, Sieben resp. Sortiren und Verpacken. Die drei letztem
Manipulationen sind wegen der Staubentwicklung bei dieser Industrie am meisten zu
beachten. Es wiederholen sich hier die beständig wiederkehrenden sanitären Erforder-
nisse, die entweder in der Beschaffung geschlossener Apparate oder in dem den Arbei-
tern zu gewährenden Schutz durch Respiratoren, Vorbinden von Tüchern vor Nase und
Mund u. s. w. oder auch in der Herstellung von Exhaustoren bestehen. Jedenfalls sollte
der Gleichgültigkeit gegen Gefahren in solchen Fabriken, der man überall begegnet, ein
Ziel gesetzt werden.
Verwendung findet das Zinkweiss zum Anstrich statt des Bleiweisses, erfordert
zwar trocknende Oele, hat jedoch den Vorzug, dass es durch Schwefelwasserstoff nicht
geschwärzt wird; in der Zeug druck er ei wird es mit Albumin fixirt, am meisten aber
bei Lackirarbeiten gebraucht, weil der Anstrich so hart wird, dass er sich poliren
lässt. Wie Zeuge werden auch Papiere, Karten u. s. w. damit gefärbt; auch dient es
(396 Kadmium.
zum Entfärben des Glases und zum Poliren optischer Glaser: künstlicher Meerschaum
besteht ans Zinkweiss, Magnesia usta und Casein- Ammoniak.
Unt.r den Zinkpräparaten hat das Chlorzink, Zinkchlorid ZnCU, Zincum chlo-
ratum, noch eine technische Wichtigkeit, da es früher zum Imprägniren von Eisenbahn-
schwellen vielfach benutzt wurde. Man kann ganze Bäume binnen wenigen Stunden
damit tödten, wenn man dieselben anbohrt und einen mit der Chlorzinklösung verbun-
denen Schlauch in das Bohrloch einschiebt.8)
In sanitärer Beziehung ist sein Auftreten beim Löthen zu beachten; be-
streicht man beim Zinklöthen das Blech zunächst mit Salzsäure und lässt dann den
heissen Löthkolben einwirken, so kann sich Chlorzink bei grossartigen Arbeiten in einer
solchen Menge entwickeln, dass es die Schleimhäute der Nase und Augen heftig reizt
und Blenorrhoen mit ätzender Absonderung erzeugt. Ist das Zink arsenhaltig, so
kann sich auch Arsenwasserstoff entwickeln.
Bei Messillglöthung bringt mau bisweilen Chlorzink direct mit Salmiak zusammen;
es entwickeln sich dann neben Chlorzinkdämpfen Kupferchlorürdäm pfe resp.
Arsenchlorür, wenn das Messing arsenhaltig war. Auch bei Weissblecharbeiten
benutzt man Chlorzink zum Löthen. (
Mit Zink oxyd bildet Chlorzink basische Chloride; einige dieser Verbindungen
werden steinhart und auch in der Zahnheilkunde als Kitt benutzt.
Zinkchromat. ehronisaures Zink ZnCr04 findet als gelbe Farbe in der Kattun-
druckerei Verwendung: als Zinkgelb kommt auch ein basisches Zinkchromat im
Handel vor.
Das Mahlen des getrockneten Niederschlags muss beim Zinkgelb unter den not-
wendigen Vorsichtsmassregeln geschehen.
Zinkgrün, Rilllliann'sehes Grün, ist ein durch Fällung eines Gemenges von Zink-
sulfat und Kobaltoxydullösung mit Natriumcarbonat entstehender Niederschlag,
welchen man auswäscht," trocknet und glüht. Es ist eine schöne und ungefährliche
Farbe. 9)
Zinksulfat, weisser Vitriol ZnS04-r-7H20 sollte als Desinfectionsmittel nur eine
sehr beschränkte Anwendung finden, da es in Schlinggruben leicht die benachbarten
Brunnen verderben kann. Tränkt man Leinwand mit Zinksalzen, so kann sich ein
Theil des Oxyds als basisches Salz mit der Cellulose verbinden und die Leinwand zink-
oxydhaltig machen.
Phenolsulfesaures Zink, Zincum sulfophenilicum (C6H5S04)2Zn + 7H20
wird als Aetz- und Desinfectionsmittel benutzt.
Kadmium, Ed.
Kadmium kommt nie gediegen und auch nur in geringer Menge in den
Zinkerzen vor. Der Name rührt von xaSftfo her, womit die Griechen Galmei be-
zeichneten. Im Galmei kommt es als Oxyd und in der Zinkblende als Schwefel-
verbindung vor. Da es leichter als Zink destillirt, so wird es auf den Zinkhütten
bei der Destillation der zuerst übergehenden Theile gewonnen und alsdann durch
Destillation gereinigt. Der zuerst in den Vorstössen sich absetzende Zinkrauch
(Zinkstaub) ist häufig bräunlich gefärbt wegen seines Kadmiumgehalts, der
5 — 6 Procent betragen kann. Iu Deutschland wird es vorzugsweise in Ober-
schlesien dargestellt. x)
Die technische Anwendung des Kadmiums ist nicht umfangreich; vorzugsweise
wird es zu Metalllegirungen benutzt; so besteht IVood's Metalllegirung aus Blei,
Kadmium, Zinn und 'Wismuth. Auch in der Zahnheilkunde wurde früher ein Kadmium-
Amalgam benutzt. Schwefelkadmium kommt en päte in den Handel und dient
zum Gelb färben der Toiletteseifen oder auch als Malerfarbe.
Kadmiumsalze wirken mehr oder minder giftig ein; Manne2) beobachtete nach
seinen Versuchen an Thieren Schwindel, Erbrechen, Durchfall, Verlangsamung der Cir-
culation und Respiration, Kräfteverfall, Bewusstlosigkeit und Krämpfe als die hervor-
stechendsten Symptome. Bei Injectionen ins Gefässsystem starben starke Hunde nach
0,03 Grm- eines Kadmiumsalzes: zu subcutanen Injectionen niusste die zwei- bis drei-
Blei. 697
fache Menge genommen werden, um gleiche Wirkungen zu erzeugen. Bei Kaninchen
wirken 0,30 — 0,60 Grm. bei Einführung in den Magen letal.
Nach eigenen Versuchen war die Wirkung nach der Verwendung der verschie-
denen Salze eine verschiedene. Einer Taube wurde eine wässrige Lösung von 0,5 Grm
Bromkadmium eingeflösst; sofort fiel sie ohne alle Convulsionen todt hin.' Nach
0,5 Grm. Chlorkadmium trat bei einer Taube 3 Min. nach der Ingestion ein ange-
strengtes Athmen ein; sie vermochte dann nicht mehr zu stehen und selbst beim Sitzen
lehnte sie sich an einen Gegenstand an. Nach 5 M. hörte Respiration und Herzthätig-
keit auf; 1 M. nachher zeigten sich noch leichte Convulsionen.
0,25 Grm. Kadmiumsulfat erzeugte bei einer Taube nach 30 Min. Erbrechen
und nach 2 Stunden Diarrhoe; die Fresslust schwand, die Abmagerung war sichtbar
und 8 Tage nachher wurde sie todt gefunden.
Eine andere Taube erhielt ebenfalls 0,25 Grm. Kadmiumsulfat. Das genossene
Futter wurde meist ausgebrochen und die Ausleerungen waren wässrig. Ohne andere
auffallende Symptome wurde die Taube mit jedem Tage hinfälliger und magerer, bis sie
am 14. Tage todt gefunden wurde.
Bei derSection zeigte sich in allen Fällen ein von dunklem, dickflüssigem
und geronnenem Blute strotzendes Herz, während namentlich Gehirn und
Lungen eher von blasser Farbe waren. Beim letzten Versuche konnte Kadmium in der
Leber nachgewiesen werden; nachdem dieselbe mit Salpetersäure gekocht worden,
wurde mit Kali caust. übersättigt, eingedampft und verpufft, der Rückstand dann in
Wasser gelöst, filtrirt, mit Salzsäure gekocht und mit H2S behandelt. Der entstandene
gelbe Niederschlag war in Ammoniumcarbonat unlöslich und feuerbeständig.
Blei, Pb.
Blei gehört zu den sehr verbreiteten und am längsten bekannten Metallen.
Plinivs unterschied zuerst Plumbum nigrum (Blei) von Plumbum candid oder album,
d. h. Zinn. Blei kommt meist als Bleiglanz, mit Schwefel, im Weissbleierz als
Carbonat, im Grünbleierz als Phosphat, im Rothbleierz als Chromat und im Gelb-
bleierz als Molybdat vor. In Commern (Rheinprovinz) ist das Bleicarbonat mit
Bleiglanz, Kobalt, Kupfer, Antimon und Arsen im Sande eingesprengt. Bleierde
nennt man im Allgemeinen alles mulmig gewordene Blei, welches durch Schlämmen von
der Gangart befreit wird.
Einwirkung von Blei und seinen Verbindungen auf den thierischen Organismus.
In der Industrie sind es besonders die Hüttenarbeiter, die Bearbeiter
des Bleies, die Anstreicher, Lackirer, Maler, Vergolder, Goldarbeiter,
Rothgiesser, Farbenreiber, Emailleure, die Glaser und Glasschleifer?
Grundirer, Kattundrucker, Färber, Coloristen, die Schriftgiesser,
Schriftschleifer, Notenstecher, Schriftsetzer, Schrotgiesser, Töpfer,
Fayencefabricanten, Bronzirer, die Papiertapetenfabricanten u. s. w.,
welche leicht von Bleiintoxicationen befallen werden.
Wenn das metallische Blei in Folge häufiger Manipulationen mit dem-
selben Krankheiten erzeugt, so ist hierbei jedenfalls die Hautthätigkeit mit in An-
schlag zu bringen, insofern die wässrige Absonderung der Haut Oxydation und
Auflösung des Metalls begünstigt.1)
In der Mehrzahl der Fälle in der Industrie ist es indessen der metal-
lische Staub oder der Staub von Bleiverbindungen (Bleiweiss, Mennige),
welcher durch Inhalation dem Organismus einverleibt wird; der Bleidampf ist
ebenfalls ein Oxydationsproduct des Metalls und bewirkt am leichtesten eine In-
toxication, da er auf dem Wege der Respirationsorgane rasch in's Blut gelangt.
Nach HeubePs Versuchen an Hunden nimmt das Knochengewebe eine grössere
Quantität des Bleies als andere Organe auf; hierauf folgen nach der Menge des Blei-
698 Blei-
gehalts die Nieren und die Leber, die Centraltheile des Nervensystems: das
Rückenmark und das Gehirn, sodann die Muskeln, das Herz und die Lungen.-)
Mit Beubel kann man eine besondere Affinität des Bleies zum Nervensystem
annehmen: die meisten Symptome, welche bei einer Bleiintoxication auftreten, können
auch in der That unschwer auf Läsionen des Nervensystems zurückgeführt werden.
Zu diesen Aflectionoii peripherischer, sensibler und motorischer Nerven gehören namentlich
die Bleiarthralgie, die Bleikolik, die Bleiparalysen, die Anaesthesia satur-
nina und Blei c mit ra c t ur e n . Leiden, die mit und ohne Bleidyskrasie verlaufen.
Die Annahme liegt nahe, dass gewisse Körperstellen oder Organe, zu denen höchst
wahrscheinlich das Knochengewebe, die Leber und Nieren gehören, das Blei län-
Zeit aufzuspeichern vermögen, ohne dass dadurch eine bemerkenswerthe Störung
Function dieser Organe eintritt. Aus diesem Umstände lassen sich allein die nicht
len Recidive der Bleivergiftung erklären, ohne dass von aussen her neue Quantitäten
des Giftes aufgenommen worden sind. Im Magen bilden die Bleisalze Bleioxyd-
Albumin ate und gehen als solche in das Blut über, und doch ist aus den Untersuchun-
gen von fl ich, dass sich wenigstens im Blute der vergifteten Thiere stets
nur sehr geringe Mengen von Blei nachweisen lassen. Hiermit stimmen die Untersuchungen
von Tiedemann, Gmelin, Lassaigne, Chevaüier und Andern überein, welche im Blute der
an Bleivergiftung gestorbenen Menschen stets entweder nur Spuren von Blei oder auch
gar kein Blei chemisch nachweisen konnten. Das vom Blute aufgenommene Blei
geht somit in die Organe und Gewebe des Körpers über und bildet mit
den organischen Körpertheilen schwer lösliche Verbindungen. Hieraus
sich die grosse Schwierigkeit oder Unmöglichkeit, manche durch das Blei hervor-
gerufene Leiden zu heilen, erklären; Blei, Quecksilber und Arsen sind in dieser
Beziehung drei Gifte von gleicher Gefährlichkeit.
Mit Bleidvskrasie, Saturnismus chronicus, bezeichnet man den Krank-
heitszustand, der durch das Eindringen relativ kleiner, aber oft wiederholter Blei-
mengen in den Organismus entsteht; er gibt sich oft weniger durch locale
Anomalien als durch »Störungen der Digestiousorgane, des Blut- und Nervensystems
kund. Zum Symptomencomplex dieserBleidyskrasie gehört eine schmutzig-gelbe
Färbung der Haut; bisweilen tritt auch eine Art von Icterus auf, namentlich
wenn Bleiacetat per os aufgenommen worden ist. Häufig kommt der schiefer-
grane Rand am Zahufleisch vor, der nur ein paar Millimeter breit ist; bei fort-
schreitender Krankheit kann sich aber die Färbung dem ganzen Zahnfleisch mit-
theilen. Sie entsteht dadurch, dass Bleialbuminat mit dem am Zahnfleisch bei
unreinlichem Verhalten aus Speiseresten sich entwickelnden Schwefelwasserstoff
Schwefelblei bildet; daher beobachtet man diesen Bleirand des Zahnfleisches
zuweilen, ohne dass sich anderweitige Erscheinungen der Bleiintoxication kund-
geben: ausserdem kann er auch aus andern Ursachen entstehen. 3)
Charakteristisch sind ferner für die schweren, in der Industrie aber nur zufällig vor-
kommenden Fälle von Vergiftung nicht bloss ein foetider Mundgeruch, sondern auch
ein übler und für die Umgebung höchst widerlicher Geruch, der von dem ganzen
Körper dieser Kranken ausgeht, ferner der metallische Geschmack. Uebelkeit, Erbrechen,
die schwarz gefärbten, schaafkothähnliehen. höchst stinkenden Stuhlentleerungen, der
sparsame, dunkel gefärbte Harn b sstem Durste; alle Secretionen sind mehr oder
weniger vermindert. Im Gebiete der Circulation fällt der kleine und langsame Puls
auf, während in den Venen Stauungen und Ausdehnung der Wandungen beobachtet
werden. Bei fortgesetzter Einwirkung des Giftes wird dann auch das Nervensystem
ergriffen.
Die Läsion des Nervensystems kennzeichnet sich durch Ohrensausen, Schwindel,
Schwäche der Musculatur. schwankenden Gang, Zittern, Depression des Gemüths und
Geistes, sogar durch Delirien und Irrsein. Nur bei fortgesetzter Ingestion des Giftes
wird diese deletäre Affection des Nervensystems beobachtet, mit welcher sich dann die
grösste Abmagerung verbindet, so dass die Kranken einem Gerippe gleichen. Die Tabes
saturnina oder Bleiabzehrung führt bei trockner, gerötheter ZuDge, starkem Durst
unter hy dropischen Erscheinungen, Decubitus oder hypostatischen Lungenentzündungen
zum Tode. Der Sectionsbefund liefert selten einen charakteristischen Befund; geringe
Hyperämien der Gehirnhäute. Serum in den Ventrikeln, blutiges Serum in der Brust-
höhle, schlaffes und wenig Blut enthaltendes Herz, blutleere Lungen und dünnflüssiges
Blut zeigen sich vorherrschend. Die Leber erscheint nicht immer atrophisch, sondern
Wirkung des Bleies. ß99
bisweilen, namentlich nach Bleiacetat, sehr ausgedehnt und den Magen bedeckend,
die Gallenblase mit dunkler Galle angefüllt, die Sehleimhaut des Magens mit schwarzem
Schleim bedeckt nebst schwachen Erosionen im Magengrunde. Es kommt hierbei auf
die Art der Aufnahme, die Natur und Menge der Bleiverbindung an, welche ein-
gewirkt hat. Bei grösseren Mengen kann post mortem die Diagnose durch den che-
mischen Nachweis des Bleies sichergestellt werden. 4)
Bleikolik ist die häufigste Form der Erkrankung in der Industrie. Im
Jacobshospital zu Leipzig kamen im Verlauf von 10 Jahren unter 142 Blei-
erkraukungen 77 Fälle von Bleikolik vor. 5) Charakteristisch für dieselben ist die
Verminderung der Schmerzen durch starken Druck, die Contraction der Darm-
muskeln und das Eiugezogensein des Leibes; seltner ist der Leib normal oder
aufgetrieben. Diese Kolik hat bekanntlich viele Namen erhalten; die Mal er -
kolik, die Töpferkolik, die Kolik von Poitou, die Hüttenkatze, die
Bergsucht u. s. w. sind nur als Bleikolik aufzufassen. Am häufigsten wird sie
durch Blei weiss erzengt, daher auch Anstreicher und Arbeiter in den Blei-
weissfabriken das grösste Contingent hierzu liefern. Ausser der hartnäckigen
Verstopfung, welche häufiger auftritt als Diarrhoe, und den sehr heftigen, aber
nicht lange dauernden Paroxysmen .der Schmerzen, zu denen sich bisweilen Deli-
rien, sogar allgemeine Convulsionen gesellen, ist besonders der langsame Puls
und die beschleunigte Respiration mit kurzen, abgebrochenen Inspirationen hervor-
zuheben.
In Paris kommt die Bleikolik am häufigsten in den heissen Jahreszeiten vor,
womit auch die Beobachtungen in Deutschland übereinstimmen; sie kann sich
fast mit allen andern Formen von Bleiintoxication verbinden. 6)
Die saturnine Arthralgie tritt ebenfalls anfallsweise auf; die afficirten Nerven
entbehren der Erregbarkeit nicht. Die Schmerzen sind oft reissend, stechend, bohrend
und haben meistens in den Flexoren ihren Sitz.
Die Arthralgie zeigt sich selten allein, häufig aber in Verbindung mit Blei-
dyskr asie. Im Leipziger Jacobs-Hospital kamen unter 75Eällen von Arthralgie nur 7 ohne
Complication vor; 56 davon waren mit Kolik, 5 mit Lähmung und 7 mit Encephalopathie
verbunden. Am häufigsten soll diese Krankheitsform bei Mennigarbeitern vor-
kommen , obgleich sich hierüber nichts Bestimmtes feststellen lässt , da auch die Consti-
tution und die Krankheitsanlage die Form der Erkrankung mitbedingen werden. Sie
kommt auch bei Schriftsetzern vor; in den höhern Graden kann sie sich auf alle Ex-
tremitäten erstrecken; im Allgemeinen nimmt sie die Muskelpartien der Extremi-
täten, bisweilen nur Nacken und Lendenmuskeln ein und ist daher mehr Myalgie als
Arthralgie.7)
Bleianästhesie kann oberflächlich und tiefer gelegene Nerven ergreifen. Blei-
con-tracturen zeigen sich vornehmlich am Ellenbogen- und Handgelenk.
Bleilähmungen sind meist Theilerscheinungen der Bleidyskrasie; sehr häufig
werden nur einzelne Muskelgruppen von der Lähmung befallen, namentlich sind
es die Strecker der obern Extremitäten, welche zuerst die Symptome der
Lähmung darbieten. Das Leiden kann sich von den Extensoren und Supina-
toren am Vorderarme auf den M. Triceps und Deltoideus fortpflanzen, aber auch
die Ober- und Unterschenkel können von diesem Leiden ergriffen werden, so
dass bei zunehmendem Uebel alles Gehen unmöglich ist. Die Erregbarkeit der.
afficirten Nerven ist verschwunden und selbst starke Reize vermögen keine Er-
regung mehr hervorzurufen. Man will in einigen Fällen die elektrische Con-
tractibilität noch früher beeinträchtigt gefunden haben als das willkürliche Bewe-
gungsvermögen.
Bisweilen geht der Lähmung Muskelzittern voraus, welches mit dem
Mercurial- Zittern Aehnlichkeit hat; auch kann sich der Tremor mit Paralyse
und Anaesthesie compliciren.
700 Blei-
Der Portier eines Kirchhofes zu Bordeaux pflegte die Ueberreste aller hölzernen
Grabkreuze, welche meistens mit bleihaltigen Farben angestrichen waren, als Heizmaterial
zu benutzen: der Kamin rauchte viel und liess den Rauch in's Zimmer zurücktreten.
Allmählig wurde er von Paralyse der Extenso reu der rechten obern Extremität,
namentlich des Vorderarms, befallen, wozu sich Kolikschmerzen gesellten: die Flexions-
bewegungen blieben unversehrt; die Lähmung der Finger nahm so zu, dass das Schreiben
unmöglich wurde. Erst nach Entdeckung der Krankheitsursache trat ein Stillstand und
später auch Besserung des Leidens ein.8)
Die Paralysen treten nicht selten gleichzeitig mit Kolik, Zittern,
Anästhesie, Arthralgie und Muskelatrophie auf, unter 19 Fällen im
Leipziger Hospital kamen nur 6 reine Fälle vor; 4mal waren alle Extremitäten,
2mal die linken obern und untern, lOmal die obern und 22mal die untern
ergriffen; sehr selten bildet die Paralyse die erste Erkrankung. Amaurosis
beobachtet man ebenso selten als selbstständige Krankheit.
Ein 34jähriger Mann hatte 3 Tage hindurch in einem Keller die metallischen Ab-
talle in einer Bleiweissfabrik aufzuräumen gehabt und wurde danach von Kopfschmerzen,
rechtseitiger Ciliarneuralgie und dann von Nebelsehen befallen : auch Leib- und Muskel-
schmerzen gesellten sich hinzu. Am rechten Auge war die Sehschärfe bis auf '/3 gesunken,
das Sehfeld aber nicht eingeengt; die Arterien zeigten sich normal, die Venen etwas
erweitert und von Blut strotzend.9)
Auch nach Gebrauch von bleihaltigem Schnupftabak beobachtet man bis-
weilen eine auf die M. deltoidei und die Extensoren beschränkte Bleilähmung.10)
Gesichtslähmungen entwickeln sich vorzugsweise nach dem Gebrauch
von bleihaltigen kosmetischen Mitteln und bleiben oft locale Leiden.11)
Bleieklampsie tritt als ein eklamptischer oder epileptischer Anfall auf
und kann sich namentlich den heftigen B!eikoliken hinzugesellen; sie ist eine
besondere Form der En cephalopathia saturnina.
Heubel sah bei vergifteten Hunden eklamptische und epileptische Erscheinungen,
die einzigen Formen der saturninen Gehirnaffection. welche stets unter schwerem
Coma mit intercurrenten eklamptischen Convulsionen auftreten. In beiden Fällen Hessen
sich die Symptome am ehesten auf eine durch Gehirnödem bedingte capilläre
Anämie des Gehirns zurückführen.
Traube und Rosenstein haben auf die grosse Aehnlichkeit der saturninen Eklampsie
mit den Erscheinungen der sogenannten urämischen Intoxication aufmerksam
gemacht.12)
Encephalopathia saturnina nennt man im Allgemeinen die Bleivergiftung
mit bestimmten Gehirnaffectionen, mit Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, veränderter
Gemüthsstiramung, Abnahme des Gedächtnisses, des Gesichts, Schwindel, ver-
schiedenen Formen der Geistesstörung, Delirien, Manie oder auch Melancholie;
in grössern Irrenanstalten begegnet man nicht selten diesem Krank-
heitszustande auch als Folge der gewerblichen Beschäftigung mit Blei.
Zu den tiefen, durch Blei bewirkten Gesundheitsstörungen gehören noch die
Caries und Nekrose, eine Krankheitsform, welche als Bleiaffection nicht so auffallend
erscheint, wenn man sich erinnert, dass das vom Organismus aufgenommene Blei vor-
zugsweise in den Knochen abgelagert sein soll 13)
Dass die Krankheit am häufigsten am Oberkiefer auftritt, hat seinen natur-
gemässen Grund in dem Umstände, dass alles Blei, welches per os aufgenommen wird,
zunächst mit der Mundschleimhaut in Berührung kommen muss.
Der Speichel ist zwar ein geeignetes Auflösungsmittel für Bleioxyd und die
meisten Bleisalze, wirkt aber viel Bleistaub auf die Arbeiter ein, so kann derselbe
auch am Zahnfleisch haften bleiben, was durch die Bildung des schiefergrauen
Randes am Zahnfleisch nachgewiesen wird, um dann bei stets erneuter Zufuhr in
den zunächst gelegenen Knochen abgelagert zu werden
Auch auf der Nasenschleimhaut kann eine solche Ablagerung oder theilweise
Lösung des Giftes stattfinden. Gelangen die Bleitheile tiefer in die Bronchien, so
sind die Störungen im Bereiche der Athmungs Organe nicht ausgeschlossen.14)
Bekanntlich hat man auch eine Aphonia saturnina angenommen; selbst bei
Gewinnung von Blei. 701
Pferden in Bleiweissfabriken sollen Leiden der Athmungsorgane vorkommen; Gurlt,
Hertwig und Günther wollen sogar Atrophie und Entfärbung der Aeste des N. recurrens
bei solchen Pferden beobachtet haben.
Es gibt kein gefährlicheres und in der Industrie mehr verbreitetes Metall
als das Blei; seine Gefährlichkeit beruht vorzüglich in dem Umstände, dass
seine Wirkung nicht sofort eintritt, sondern sich meist erst bemerkbar macht,
wenn es schon längere Zeit im Organismus verweilt hat; deshalb werden häufig
die Vorsichtsmassregeln unterlassen, die unter allen Umständen geboten erscheinen,
mag das Blei als metallischer Staub, als Bleioxyd oder Bleisalz vom Organismus
aufgenommen werden.
Die meisten Erkrankungen liefern die Bleiweiss- und die Mennige-
Fabriken, weil hier häufig in grossartigem Massstabe gearbeitet und dann nicht
die Vorsicht und Aufmerksamkeit beobachtet wird, welche die Gefährlichkeit des
Fabricats verlangt. Verf. kannte einen Fabricanten, der ein Decennium lang tage-
lang in seiner Bleiweissfabrik verweilte und schliesslich der Bleiwirkung erlag,
ohne dass er selbst jemals eine Arbeit dort verrichtet hatte; der Bleiweissstaub,
dem man dort auf jedem Schritt begegnete, war die unmerkliche Veranlassung
seiner allmähligen Erkrankung gewesen.
Weil aber der Arbeiter mit keinem Gifte mehr in Berührung kommt als
mit Blei, so hat die öffentliche Gesundheitspflege die dringendste Aufgabe, nicht
nur auf die gefährlichen Folgen dieses Giftes hinzuweisen, sondern auch Schutz-
massregeln anzuordnen, die mit Strenge durchzuführen sind.15)
Hüttenmännische Gewinnung von Blei. Das meiste Blei wird aus Bleiglanz
dargestellt, der durch Handscheidung zerkleinert, gepocht und geschlämmt
wird. Die Abfallwässer enthalten stets den Bleischlamm oder Schlich,
der häufig noch zur Glasur des Töpferzeuges benutzt wird.
Um das Metall zu gewinnen, benutzt man 1) die Niederschlagsarbeit oder
den Eisen-Rednctionsprocess und zwar hauptsächlich bei quarzreichen Erzen, indem
sich das Eisen mit dem Schwefel des Bleies verbindet:
PbS + Fe = FeS + Pb.
Die Erze werden mit Eisengranalien in Gebläse-Schachtöfen geschmolzen;
man nennt diese Sumpföfen, wenn der Sammelraum für die geschmolzenen Erze
(Sumpf) ausserhalb des Ofens liegt. Da schweflige Säure, arsenige Säure,
Blei-, Zink-, Thallium- und Antimonoxyd-Dämpfe hierbei auftreten, so sind
zur Condensation derselben stets Flugstaubkammern anzulegen; ihr Inhalt
(Gestübbe, Gekrätze) enthält daher stets eine staubartige, aus den genannten
Metallen bestehende Masse, welche sich beim Herausnehmen leicht entzündet und zu-
sammensickert. Die früher erstarrenden Schlacken, die aus Bleistein (Schwefeleisen,
Schwefelblei und Schwefelkupfer) oder Bleierzschlacken (ein Gemenge von ver-
schiedenen Silicaten) bestehen, werden abgezogen, ehe man das geschmolzene Blei aus
dem Sumpfe durch einen Canal abfiiessen lässt.
2) Der Rost- und Schmelzprocess wird bei quarzarmem Bleiglanz in Flammen-
öfen mit in der Mitte vertieftem Herde (Tümpelherd) ausgeführt, um das
Bleisulfid unter Entwicklung von schwefliger Säure theils in Bleioxyd
und theils in Bleisulfat zu verwandeln:
PbS+30 = PbO-f-S02 und PbS + 40 = PbS04.
Die Sauerstoffverbindungen des Bleies wirken im weitern Verlaufe des Processes
auf das noch unzersetzte Bleisulfid ein, so dass wiederum schweflige Säure
entweicht und metallisches Blei zurückbleibt:
2PbO + PbS = 3Pb + S02 und PbS04 + PbS = 2Pb + 2(S02).
702 Blei.
Das Erz wird fein geschlämmt und als Schlich bearbeitet. Das geschmolzene Erz
wird in der Mitte des Herdes, am Tümpel, durch das Stichloch in den Vortiegel ab-
gelassen: auch hier gehen aeben der schwefligen Säure die obengenannten metallischen
Dämpfe ab. Auf dem II erde bleiben in dem gerösteten Erze noch Bleisulfat, Bleioxyd
und ßleisulfid zurück, die im Schachtofen vollständig reducirt werden. In Frankreich
verbindet man meist den Rost- und Reductionsprocess, namentlich bei quarzfreiem
Bleiglanze.
Auch verhüttet man den Bleiglanz unter Mitwirkung von Wasser bei
Glühhitze, indem man durch einen Tropfapparat beständig Wasser auf den Herd ab-
(liessen lässt. Der Sauerstoff des Wassers bildet Bleioxyd und der Wasserstoff mit
dem Schwefel ILS. Man hat hierbei nur mit Sorgfalt auf die Beseitigung oder Ver-
werthung des Schwefelwasserstoffs zu achten.
Bleihaltigen Sand oder Bleierde, die Bleicarbonat enthalten, behandelt man
mit Salzsäure und fällt aus der chlorbleihaltigen Lauge das Blei durch Aetz-
kalk, so dass einerseits Chlorcalciu in, andrerseits Bleihydrat Pb(OH)a entsteht-
Di'y gesammelte und getrocknete Niederschlag wird in Retorten durch Theerdämpfe
reducirt, wobei Salzsäure, die von dem gleichzeitig gebildeten und im Präcipitat ent-
haltenen Bleioxyehlorid (PbCL + PbO) herrührt, und Kohlenoxyd entweichen; letz-
teres muss verbrannt und die Salzsäure condensirt werden.
Sanitäre Massregeln bei der Verhüttung des Bleies.
Beim Gewinnen und Scheiden der Erze ist der Staub im Allgemeinen
unerheblich, in höhenri Grade bei der Handscheidnng oder beim Ausklauben; es
ist hierbei um so grössere Vorsicht nöthig, wenn das Erz arsen- oder antimon-
haltig ist (Bleischweif). Das Pochen geschieht stets unter Mithülfe von Wasser;
beim Schlämmen enthalten die Wässer stets Bleisulfid und Bleisulfat
suspendirt. Schlämmteiche dürfen daher niemals mit Flüssen oder Bächen direct
in Verbindung stehen, namentlich müssen sie hinreichend gross sein, um die Ab-
lagerung der Metalltheile zu begünstigen.
Beim Verhütten der Erze treten mit schwefliger Säure, Kohlensäure,
Kohlenoxyd stets die Dämpfe der verschiedenen Metalle auf. Die Benutzung
der schwefligen Säure zur Seh wefelsäure-Fabrication wird sich auch
hier bewähren; in Freiberg hat man schon angefangen, Bleierze von 25 — 30 %
Blei mit Zusatz von kiesigen Erzen oder auch von geröstetem Erz in den
Schüttöfen abzurosten (s. S. 164 und 693). Der Bleidampf oder Bleirauch ist
meist bleioxydhaltiger Dampf; Bleisulfid, Bleisulfat und Bleicarbonat
sind zwar vollständig fix, sie werden aber häufig mit den Dämpfen fortgerissen.
Alle Schmelzöfen müssen daher mit Condensationsapparaten versehen sein. Die
Flugstaubkammern (s. S. 293), die man gegenwärtig weniger gross als sonst,
aber in grösserer Anzahl anlegt, werden in der Regel direct hinter der Feuerung
augebracht; stets muss aber der Ein- und Austritt der Gase und Dämpfe in dem
First der Kammern stattfinden, damit sich in ihrem untern Theile die Luft in
Ruhe befindet und dadurch das Absetzen des Staubes erleichtert wird. Auf
diese Kammern müssen häufig noch Gift fange oder Absorptionscanäle
folgen, welche wieder durch kleinere, aber mit vielen Abtheilungen (Zwischen-
wänden) versehene Kammern unterbrochen werden. In England gibt es Leitungen
dieser Art, welche oft eine Ausdehnung von 10 — 15 Kilometer, eine Höhe von
2 Meter und eine Breite von 1,5 Meter haben; die dazwischen liegenden Con-
densatoren sind ca. 3 — 4 Meter lang, 1,5 Meter breit und 3,5 Meter hoch. Aus
solchen Zügen sind in England im Verlauf eines Jahres schon 80,000 K. Blei
gewonnen worden; ausser diesem Gewinne wird aber auch der Hauptzweck der
Einrichtung, Schutz des Culturlandes, erreicht; je länger die Züge sind, desto
kräftiger muss auch der Zug des mit denselben verbundenen Schornsteins
Bleiindustrie. 703
sein, dessen Wirkung häufig noch durch eine besondere Feuerung zu ver-
stärken ist.
Bei der Entfernung des Flugstaubes, Giftmehls oder Hüttenrauchs
müssen die Arbeiter alle Vorsichtsniassregeln gebrauchen; derselbe kann in Folge
der Oxydation oder Aufnahme von Kohlensäure Bleisulfat oder Bleicarbonat
neben Arsen, Zink, Thallium oder auch bisweilen neben Molybdänblei, Tellur u. s. w.
enthalten. Eine Hauptregel ist es, dass die Arbeiter erst nach vollständiger Ab-
kühlung der Kammern diese betreten.
Ganz besonders wird die Condensation der Bleidämpfe durch Wasser
begünstigt. Zu diesem Zwecke wird durch eine Dampfmaschine eine mit
diagonalen Schaufeln besetzte verticale Scheibe, welche halb in Wasser läuft, in
einem cylindrischen Räume gedreht; es entsteht dadurch die Wirkung eines
Exhaustors und die mit Bleioxyd beladenen Rauchgase kommen gleichzeitig mit
dem Wasser in innigste Berührung. Das Wasser fliesst am Ende des Cyfinders,
der mit dem Schornstein in Verbindung steht, in seitliche Bassins zur Ablagerung
des Bleioxyds, während frisches Wasser zufliesst; diese grosse Menge von Wasser
ist aber schwer zu bekämpfen und daher ein Uebelstand.
Da das Wasser bei der hohen Temperatur sofort als Dampf auftritt, so ist
es jedenfalls weit einfacher, die Condensation durch Einblasen von Wasser-
dämpfen zu erzielen. Das Verfahren des belgischen Ingenieurs Fallize ver-
dient deshalb den grössten Beifall, der den Ofenrauch direct mit Wasserdampf
mischt und das Ganze in einer Art von Koksthurm einem künstlichen Regen
aussetzt, durch den die Condensation aller Dämpfe möglichst vollständig erfolgt;
jedenfalls versprechen die in dieser Richtung eingeschlagenen Versuche grossen
Erfolg. 16)
Bleiindustrie.
Die weiche und dehnbare Beschaffenheit macht das Blei für sehr ver-
schiedene Gewerbe brauchbar; dabei schmilzt es schon bei 325° und kann in
der Weissgluth überdestillirt werden. Das geschmolzene Blei überzieht sich stets
mit einer grauen Asche (Bleiasche), die wahrscheinlich aus Suboxyd besteht.
Man unterscheidet Jungfernblei (reinstes Blei), Werkblei, das noch Silber
neben Kupfer, Ziük u. s.w. enthält und zum Entsilbern benutzt wird; Hartblei
ist ein unreines, an Antimon und Arsen reiches Blei.
Bearbeitung des metallischen Bleies. Man stellt Block-, Tafel- und Walzblei
dar; ersteres wird auf den Hütten durch Giessen des geschmolzenen Bleies in Block-
form gewonnen. Die Tafeln und Platten werden sehr wenig durch Giessen, meist
durch Walzen dargestellt. Beim Giessen fällt das Blei auf eine Sandunterlage; ist
der Sand feucht, so macht das verdunstende Wasser im Blei Blasen, die explosions-
artig zerplatzen und das Blei herumschleudern; man muss daher stets für trocknen Sand
sorgen.
Beim Walzen haben sich die Arbeiter nur vor Verletzungen zu hüten; es ist
fast immer mit dem Pressen der Bleiröhren verbunden; dies geschieht durch den Druck
einer hydraulischen Presse, weiche das Blei in einem Cylinder gegen einen Conus
andrückt, der mit einem keilförmigen Eisen bis auf die ringförmige Dicke des anzu-
fertigenden Rohrs geschlossen ist. Ein sanitärer Nachtheil ist mit dem vorhergehenden
Schmelzen nicht verbunden, da dies nicht bis zur Oxydation stattfindet; die Ober-
fläche des schmelzenden Bleies hat einen geringen Umfang und wird ausserdem noch
mit Fett u. s. w. zur Verhütung der Oxydation bedeckt.
Beim gewalzten Blei interessiren uns am meisten die Bleifolien, da sie noch
immer häufig zum Verpacken von Nahrungs- und Genussmitteln, von Käse, Würsten,
Chocolade, Kaffeesurrogaten und namentlich von Schnupftabak u. s. w. benutzt werden;
704 Blei.
beim letztern sind es besonders die sauren oder salzigen Saucen, welche die Oxydation
einleiten und auch die Löslichkeit des gebildeten Bleioxyds bedingen; bei Käse sind es
die Ammoniumsalze und bei den Würsten ist es das Kochsalz, wodurch die Oxydation
des Bleies befördert wird (s. bleihaltige Zinnfolien).
Man stellt auch Bleifolien dar, die mit dünnen Zinnfolien belegt und
zusammen ausgewalzt werden; sie bekommen leicht Risse und wirken dann ebenso
nachtheilig wie die Bleifolien ein.
Bei Anwendung der Bleiplatten zur Bedachung ur.d zur Darstellung der Abzugs-
röhren der Dächer ist besonders der Bleigehalt des aufgefangenen Regen wassers zu be-
rücksichtigen.17) Gewalzte Bleiplatten oxydiren sich sehr rasch an der Luft und über-
ziehen sich mit einer weissen Haut (Bleihydrat oder Bleicarbonat). Aus solchen Blei-
platten construirte Gefässe sollte man nie zur Aufbewahrung von Wasser benutzen und
alle schützende innern Ueberzüge sind nicht zuverlässig Man hat besonders Phosphor-
blei dazu benutzt, indem man Phosphor in Schwefelwasserstoff löst und die
Lösung mit dem Innern der Gefässe bis zur Verdunstung des Phosphors in Be-
rührung bringt; das sich bildende Phosphorblei ist zwar selbst unlöslich und widersteht
auch energisch der Oxydation, trotzdem hat sich diese Methode nicht bewährt.
Bringt man die Gefässe mit Schwefelalkalien zusammen, so bildet sich Bleis ulfid,
welches sich aber allmäldig in Bleisulfat verwandelt; elastische Firnisse, ein Ueber-
zug mit Paraffin oder Mastixfirniss 18), werden nur kurze Zeit schützen. Es entstehen
hierbei stets kleine Haarrisse, welche dem Sauerstoff den Zutritt zum Blei gestatten;
deshalb ist auch das Verzinnen von Blei stets zu vermeiden, weil schon die ungleich-
artige Ausdehnung beider Metalle beim Temperaturwechsel das Abschilfern des Ueber-
zugs und ein Blosslegen des Bleies bewirkt*).
Für Verwendung der Bleiröhren zu Wasserleitungen hat man stets das
Verbalten des Bleies zum Wasser zu berücksichtigen.1'') Der Gehalt des Wassers
an Sauerstoff und Kohlensäure bedingt zunächst die Bildung von Bleihydrat,
das schwer löslich ist, und von Bleicarbonat, das zu Boden sinkt; ganz be-
sonders rasch geht dieser Process bei der Einwirkung von Wasserdämpfen
vor sich. Es entsteht dann weiter die Frage: welche Zusammensetzung hat das
Wasser? Je reicher das Wasser an feuerbeständigen Salzen ist, desto
weniger wird die Oxydation des Bleies begünstigt; bekanntlich löst Regen-
wasser das Blei viel leichter auf als Brunnenwasser, weil es ärmer an Salzen
ist und dem destillirten Wasser am nächsten steht. Bilden die vorhandenen
Salze aber unlösliche Bleiniederschläge auf der innern Fläche der Blei-
röhren, so werden diese vor weiterer Oxydation geschützt und die Einwirkung
des Wassers hört auf (s. S. 121).
Eine Decke von Carbonat, Sulfat oder Phosphat schützt am meisten; kommen
aber Chloride hinzu, die zersetzend auf diese einwirken, so hört der Schutz auf.
Natriumphosphat und Ammoniumsulfat zersetzen zwar das Bleicarbonat, das
sich bildende Bleiphosphat und Bleisulfat wirken aber wiederum schützend
ein, da namentlich Bleisulfat unlöslich in Wasser ist.
Salpetrig- oder salpetersaures Calcium werden mehr oder weniger
Bleinitrate bilden, die in Wasser leicht löslich sind. Ganz besonders greifen
organische Substanzen (Zucker, Pfianzensäfte, Humussäuren u. s. w.) das Blei
stark an; ist die organische Substanz stickstoffhaltig, so kann sich Ammoniak
bilden, das als solches oder später als Nitrit das Blei angreift. Die Ursachen,
aus welchen Blei von Wasser angegriffen wird, sind daher hauptsächlich in seinem
Gehalte an Luft, Chloriden, Nitriten, Nitraten und organischen Sub-
stanzen zu suchen**).
*) Man sollte überhaupt Blei so wenig als möglich mit andern Metallen in Be-
rührung bringen.
**) Bleihaltiges Wasser wird am besten durch Filtration mit Knochenkohle
oder Kalkstein gereinigt.
Bleiindustrie. 705
Es ist sehr zu berücksichtigen, dass mit Veränderung der Bestandteile des
Wassers auch die Möglichkeit der Aufnahme des Bleies eintreten kann. Rohren,
welche früher bleifreies Wasser lieferten, konneD nach der Speisung mit anders zusammen-
gesetztem Wasser demselben Blei zuführen; gebrauchte Röhren müssen bei einer neuen
Verwendung stets durch Essigsäure und nachfolgendes Ausspülen mit Sodalösung von
der Oxydschicht befreit werden. 19)
Es ist somit leicht ersichtlich, dass eine Menge von Ursachen bei Wasser-
leitungen durch bleierne Röhren, beim Aufbewahren von Wasser in
bleiernen Gefässen oder beim Destilliren des Wassers in bleihaltigen
Zinn blasen einwirken können, welche die Löslichkeit des Bleies einleiten und be-
günstigen. Abgesehen von einer Menge sehr charakteristischer Vergiftungsfälle, die
auf diese Weise veranlasst worden sind, gibt es aber noch viele Krankheitszitstände.
die im Verborgenen schleichend in ihren ätiologischen Verhältnissen kaum je aufgeklärt
werden; grade aus letzterer Ursache sollte man stets mit der grÖssten Strenge über alle
Geräthe und Utensilien wachen, die bleihaltig sind*).
Zu Legirungen wird vorzüglich Blei mit Zinn benutzt (s. Zinn).
Schrotfabrication. Man stellt die Schrotkörner aus geschmolzenem Blei her, das
man durch eine Art von Sieben aus einer gewissen Höhe in Wasser fallen lässt. Diese
Zertheilung des Bleies zu runden Körnern wird durch einen geringen Zusatz von Arsen
bewirkt. Je nach dem ursprünglichen Arsengehalt des Bleies setzt man 0,3—0,8 %
Arsen zu und zwar entweder als Schwefelarsen oder als arsenige Säure: in
letzterm Falle muss das geschmolzene Blei mit einer Kohlenstaubschicht bedeckt werden,
um seine Verflüchtigung zu verhüten, weil bis zur Rothgluth erhitzt wird. Die Menge
des Arsens darf nicht zu gross sein, weil sonst die Rundung der Körner nicht erfolgt/
Das Wasser, in welches die Körner fallen, enthält stets mehr oder weniger Arsen neben
Blei und muss in wasserdichten Behältern gesammelt und saehgemäss behandelt werden,
ehe es zum Abfluss gelangt: ganz polizeiwidrig ist es, für diese Fabrication alte
Brunnen zu benutzen, weil die benachbarten Brunnen auf solche Weise vergiftet werden
können.
Die aus dem Wasser genommenen Körner werden getrocknet, mit Graphit in
sogen. Scheuertonnen polirt und schliesslich durch Sieben sortirt. Nur in England be-
nutzt man bisweilen statt Graphit Quecksilber oder Zinnamalgam, um die Körner glän-
zend weiss zu machen, eine Methode, die keinen technischen Vortheil und nur sanitäre
Bedenken in sich schliesst.
Bekanntlich spült man W'ein- und Bierflaschen mit Schrotkörnern aus; [die
Fälle sind nun nicht selten, dass zurückgebliebene Schrotkörner die betreffenden Ge-
tränke vergiftet haben; man sollte daher bei diesem A7erfahren vorsichtiger sein.
An den Jacquard'schen Webstühlen werden die Gegengewichte aus Blei an-
gefertigt, welche durch Reiben stets etwas vom Metall abgeben: der feine Metallstaub
oxydirt sich leicht und möglicherweise werden die Weber grade wie die Setzer in
Druckereien dadurch Bleiintoxicationen ausgesetzt, dass sie die mit Blei resp. Bleioxyd
beschmutzten Finger mit Speisen oder mit der Mundschleimhaut in Berührung bringen.
Man sollte diese Bleistäbe jedenfalls mit heisser Schwefelleberlösung behandeln, damit
sich Schwefelblei bilde: noch mehr würden sich Stäbchen oder Kugeln von Baryt-
glas eignen. Dass man überhaupt die Manipulation mit metallischem Blei zu be-
achten hat, beweist Folgendes: Bei der Garnfabrication benutzt man eine kleine
bleierne Handhabe, zwischen der das abzuschneidende Garn mit der linken Hand gefasst
wird, während die rechte die Schere führt. In Sheffield pflegen die Arbeiter meist den
Nagel am Daumen für diese Arbeit lang wachsen zu lassen; man will nun die Beobach-
tung gemacht haben, dass sich in solchen Fällen, vielleicht durch die Ansammlung des
Bleistaubes unter dem Fingernagel, am Daumen leicht Bleineuralgien ausbilden.
Jedenfalls liefern solche Beispiele eine Illustration zu der Thatsache, dass Blei selbst bei
einer örtlich beschränkten Aufnahme auf die Dauer nicht unschädlich bleibt und stets
seine giftigen charakteristischen Eigenschaften entwickelt, auf welchen Wegen es auch
in den Organismus eindringen mag.20)
Das Zerkleinern des Bleies zur Darstellung von Bleiweiss geschieht in Trommeln
oder Röhren, die mit Schnelligkeit um ihre Achsen gedreht werden. Bei der Bildung
von Blei schlämm sind die Abfallwässer zu beachten, da sie stets bleihaltig sind und
ohne Filtration (Kalkstein, Kohle) nicht abgelassen werden sollten.
Zu den technisch wichtigsten Bleiverbindungen gehört ausser der Bleiweiss-
fabrication noch die Fabrication der Glätte und Mennige.
*) Man vergl. die Bierpumpen (S. 529), die W^asserpumpen (S. 121): man denke
an die Siphons für kohlensaure Wässer, deren obere Kapseln oder Röhren ganz von
Blei oder von einer schlechten Bleilegirung hergestellt werden. Die Erfahrung hat
auch vielfache, hierdurch bewirkte Vergiftungen nachgewiesen.
Eulenberg, Gewerbe-Hygiene. 40
706 Blei.
Darstellung der Bleiverbindungen.
1) Industrie der Glätte und Mennige.
Bleioxyd PbO, das bei der Gewinnung des Silbers auf dem Treibherde
entsteht, heisst Silberglätte und stellt ein hellgelbes, schweres Pulver dar, das
sich in der Hitze vorübergehend roth färbt. In der Rothglühhitze schmilzt
letzteres und erstarrt dann zu einer röthlichen, schuppigen Masse, zur Glätte; in
der "Weissgluth verflüchtigt sich das Oxyd vollständig. Ist die Glätte röthlich
gefärbt und stammt sie vom Abtreiben goldhaltiger Erze, so heisst sie Goldglätte.
Ein Bleioxyd, welches sehr fein zertheilt, nicht vorher geschmolzen und weniger
krystallinisch ist als Glätte, heisst Massicot und eignet sich am besten für die
Darstellung der Mennige.
Mennige. Mininni Pb304 oder 2 (PbO) + PbOo, eine Verbindung von Bleioxyd
mit Bleisuperoxyd*), kommt nur sparsam frei in der Natur vor und wird
fabrikmässig dargestellt.
Die Darstellung im Grossen geschieht durch Erhitzen von Bleioxyd (von Silber-
glätte auf Bleihütten ) bis zur Dunkelrothgluth, dem ein langsames "Erkalten folgt.
Führt man die Fabrication in Bleiweissfabriken zur Verwerthung von verdorbenen
Partien des Fabricats oder von Rückständen des metallischen Bleies aus, so geht die
Calcination oder Oxydation der Materialien voraus, und zwar bei einer Temperatur,
die unter dem Schmelzpuncte des Oxyds liegt, um zunächst Massicot zu gewinnen.
Die Calcination geschieht in Calci nir Öfen, deren Sohle eine schwache Neigung
nach der Mitte zu hat, während die eigentlichen Mennigöfen eine von hinten nach
vorn geneigte Sohle haben; beide Oefen gleichen einem gewöhnlichen Backofen.
Beim Calciniren verflüchtigt sich leicht Bleioxyd und es entsteht namentlich
beim Umkrücken ein für die Arbeiter gefährlicher Staub; es müssen daher auch beim
Calciniren die beim Mennigofen zu erwähnenden Vorsichtsmassregeln beachtet werden.
Auch die Glätte, welche im Handel meist in halb geschmolzenem Zustande vor-
kommt, erheischt noch Vorarbeiten, die im Mahlen mit aufrechtstehenden Läufern, im
Schlämmen, im Trocknen und Beuteln bestehen. Erst die fein pulverisirte Glätte resp.
das Massicot wird im Mennigofen unter beständigem Umkrücken einem Reverberir-
feuer ausgesetzt, um die Mennige darzustellen.
Diese Fabrication wird meist in roher Weise ohne alle Beachtung der sich ver-
flüchtigenden Bleidämpfe ausgeführt. Bei einem ordnungsmässigen Betriebe muss in
der Tiefe des Ofens ein Canal in eine durch eine Scheidewand getrennte Flugstaub-
kammer führen; zwischen dieser und dem Schornstein befindet sich noch eine kleine
Condensationskammer, in welche zeitweilig Wasserdampf zum Niederschlagen
der Bleidämpfe eingeblasen wird**).
Sanitäre Verhältnisse bei der Fabrication der Mennige.
Die mit Mennige bedeckten und roth gefärbten Dächer der Anwohner von
Mennigfabriken liefern häufig den augenscheinlichen Beweis für die Verflüchtigung
der Bleidämpfe.
Das Mahlen der Glätte ist am ungefährlichsten, da hierbei ein Anfeuchten
mit Wasser stattfinden kann. Die Schlämmwässer sind kupfer- und blei-
*) Bleisaperoxyd PbOa wird durch Behandeln der Mennige mit verdünnter
Salpetersäure dargestellt:
Pb804 + 4HN03 = 2 Pb(NO,),+ Pb02 + 211,0.
Es bildet mit Basen, namentlich mit Kalk, bleisaure Salze (Haarfärbemittel) und
ist meist ein Bestandtheil der phosphorfreien Zündhölzchen.
**) In England und Frankreich wird Massicot in Töpfen, die in Oefen eingesetzt
sind, geglüht und man lässt es bei festem Verschluss des Ofens langsam erkalten. Hier
entwickelt sich beim Füllen und Ausleeren der Töpfe viel Staub.
Bleiverbindungen. 7Q7
halt ig und gehen nach dem Absetzenlassen der verwertbaren Metalloxyde wieder
in den Schlämmprocess zurück.
Das Trocknen der Glätte geschieht auf den Oefen, von wo aus sie
mittels eines Trichters direct in den Reverberirofen abzulassen ist, wenn das
Beuteln derselben nicht stattfindet, welches wenigstens nicht immer erforderlich
ist; geschieht es, so sind alle Vorsichtsmassregeln wie beim Beuteln der Mennige
um so notwendiger, als der Staub der Glätte im Ganzen leichter löslich als der
der Mennige ist.
Beim Oxydationsprocesse ist über der Beschickungsthür ein Schlot mit
dem Schornstein in Verbindung zu setzen, um das Austreten des Bleistaubes in
den Fabrikraum zu verhüten. Das Mischen und Urnkrücken wird erleichtert, wenn
der "Wenderechen mit Rädern versehen ist; auch kann die Führstange desselben
mittels einer entsprechenden Einrichtung an die Dampfmaschine angehängt werden.
Die Flugstaubkammer darf nie direct mit dem Schornstein in Verbindung
stehen, weil sonst die bleihaltigen Dämpfe leicht mit den Feuerungsgasen in
die Atmosphäre abziehen; sie wirken auf die Vegetation dadurch nachtheilig
ein, dass sie die Oberfläche der Pflanzen überziehen und ihre Verdunstung
mechanisch hemmen. Bilden sich allmählig Bleisalze, so dringen diese in die
Pflanzen ein und bringen sie zum Absterben. Indem sich die Dächer der nächsten
Häuser mit Bleistaub überziehen, wird auch das Regenwasser gefährdet und zu
ökonomischen Zwecken unbrauchbar. Die Mennige gibt bei Lichteinwirkung und
bei Gegenwart organischer Substanzen (Staub) an letztere den Sauerstoff ab; es
können dann unter Umständen lösliche Salze entstehen.
Das Beuteln der fertigen Mennige soll nie, wie es meist geschieht,
frei im Fabriklocale geschehen, es gehören dazu besondere Räume; sind diese
nicht vorhanden, so errichte man wenigstens einen Bretterverschlag mit über-
einander gefalzten Wänden; die Falzen sind ausserdem mit Leinwand oder Filzen
zu verkleben, da der metallische Staub sehr leicht durch die Ritzen dringt.
Der Pulverisir-Apparat muss von aussen mittels einer Kurbel in Be-
wegung gesetzt und der Raum nicht eher betreten werden, bis aller Staub
sich abgelagert hat, worüber man sich durch kleine Beobachtungsfenster Gewiss-
heit verschafft. Der Kasten, in welchem sich das Pulver ansammelt, kann auch
in der Wand des Bretterverschlags liegen, damit man den Raum nach dem
Beuteln gar nicht zu betreten braucht. Vorzuziehen ist stets ein geschlossenes
Walzensystem (s. Bleiweissfabrication S. 710).
Die Verpackung der Mennige geschieht in Fässern, die mit Papier verklebt sind.
Bei allen diesen Manipulationen ist Staubentwicklung unvermeidlich; es müssen daher
die Arbeiter Schwämme vor Mund und Nase binden und ganz dieselben Vorsichts-
massregeln wie in Bleiweissfabriken mit Strenge beobachten.
Verwendung findet die Mennige vielfältig zum Anstrich, namentlich der See-
schiffe, so dass Bleivergiftungen bei den Matrosen, die sich hiermit beschäftigen,
gar nicht selten sind. Leichtsinniger Weise werden auch die Bottiche zur Aufbewahrung
der Maische in Brauereien bisweilen mit Mennige angestrichen, so dass das Erkranken
und Hinsterben des Viehes, dem eine solche Maische zum Futter dient, nicht ver-
wundern kann.
Zum Färben der Rosshaare wird meist Mennige oder Bleiglätte mit Kalk-
milch erwärmt, um das Eiltrat als Färbemittel zu benutzen (s. S. 070).
Massicot-Mennige sind frei von Kupfer und dienen zu pharmaceutischen Zwecken.
Die reinste Mennige heisst auch Pariser Roth. Die Glätte-Mennige wird speciell
zur Glasfabrication, zum Anstrich und zur Darstellung der Kitte < für Dampfleitungs-
röhren, Glasröhren u. s. w. benutzt. Es geschieht oft, dass man beim Montiren oder
Dislociren von alten Dampfmaschinen die eisernen Ringe durch Glühen von der
45*
708 Blei.
Mennige- und Hanf-Umhüllung befreit und zwar in einer tragbaren Esse. Die Arbeiter
haben alle Ursache, sich vor den hierbei auftretenden Dämpfen von Blei und Bleioxyd
zu hüten, namentlich wenn diese Procedur nicht im Freien geschieht; Bleivergif-
tungen sind dann nicht selten Folgen der sich ansammelnden Dämpfe.
2) Bleiweiss-Industrie.
Bleiearbonat PbCO^ kommt in der Natur als Weissbleierz vor; das
künstlich dargestellte Bleiweiss, Schieferweiss, Kremserweiss, Cerussa, (Plnmbum
hydrieo-earbonicum) ist ein Gemenge von Carbonat mit Bleihydrat: 2PbC03
-f-H2PbOo; es ist in Essigsäure und kohlensäurehaltigem "Wasser sowie in Kali-
und Natronlauge löslieh.
Bei sämmtlicheu Methoden der Darstellung, deren es viele gibt, erzeugt
man zuerst Bleiessig (Plumbum subaceticum), der durch Kohlensäure
zerlegt wird.
Die wichtigsten Methoden sind folgende:
1) Die holländische Methode. Man bringt essigsaure Dämpfe (Abfälle von
schlechtem E.-.~iu. Wein, saurem Bier u. s. w.) mit metallischem Blei zusammen, das ge-
wöhnlich in spiralförmigen Platten in einem glasirten Topfe auf einem Ansätze ruht,
damit es nicht direct mit der auf dem Boden befindlichen Essigquelle in Berührung
kommt. Die Kohlensäure und "Wärme werden durch Pferdemist. Lohe, Säge-
späne u. s. w. geliefert. Suli-tanzen, die in viereckig gemauerten Räumen (Logen) für
die Aufnahme der mit einer Bleiplatte bedeckten Töpfe vertheilt werden: die Töpfe
werden schliesslich mit Brettern und einer Lage Mist bedeckt.
Durch die Einwirkung der Essigsäure bildet sich zuerst Bleiaeetat (Bleizueker,
Plutnl). aeetieum Pb(C2H302)2-|--3H20), der sich durch Aufnahme von 2 Molee. Blei-
oxvd in Bleiessig (Aeetum plumbicum) verwandelt und folgende Verbindung darstellt:
Pb(C2H302)2-4-2PbO.
Durch den Einzutritt der Kohlejnsäure entsteht dann aus dem Bleiessig
Bleiearbonat und Bleihvdrat neben Essigsäure:
Pb(C2H302)2 + 2PbO + 2C02 + 2H20 = 2PbC03 + Pb(OH;2+ 2CoH402.
Die frei gewordene Essigsäure (C2H4021 greift dann wieder eine neue Portion
metallischen Bleies an. damit derselbe Process sich stets wiederholt, bis nach ein paar
Monaten sämmtliehes Blei fast vollständig in Bleiweiss umgewandelt ist.
Die Bleispiralen werden durch Aufrollen in Stücke zertheilt und die mit Blei-
weiss überzogenen Deckplatten durch Hin- und Herbiegen (Brechen) vom Ueber-
zuge befreit, während das noch unzersetzte metallische Blei durch Handscheidung ge-
sondert wird: dann folgt das trockne Mahlen*) und Schlämmen des Schiefer-
weis ses, wobei die Wässer so lange als möglich wieder benutzt werden. Das durch
die feinste Schlämmung erhaltene Bleiweiss heisst Kremserweiss, Silberweiss,
Blanc d'Argent. Das Trocknen des geschlämmten Bleiweisses geschieht in tiegel-
ähnlichen, porösen Thonformen.
2) Die deutsche oder österreichische Methode ist eine Modification dieses Ver-
fahrens, wobei man in grossen Kammern Bleiplatten auffängt oder auf Etagen auflegt,
während sich die essigsauren Dämpfe aus Töpfen mit concentrirter Essigsäure ent-
wickeln, wenn sie nicht mit der aus Holzkohlen u. s w. dargestellten Kohlensäure direct
von aussen eingeleitet werden. Modificationen dieser Art kommen noch vielfältig vor,
während das aite holländische Verfahren noch immer seine Anhänger findet.
3) Beim französischen oder Thenard'schen Verfahren wird Bleiglätte mit Essig
in Bleiessig übergeführt und die Flüssigkeit in geeigneten Apparaten mit Kohlen-
säure, die man häufig direct aus Kalköfen zuführt, behandelt.
Das Präzipitat (Bleiweiss) wird durch Filtration gewonnen, gewaschen und
getrocknet. Die fremden Metalle, Eisen, Zink und Kupfer, bleiben in den Wasch-
wässern und müssen aus denselben präeipitirt werden.
4) Beim englischen Verfahren mengt man die aus kupferfreiem Blei gewonnene
Bleiglätte mit einer Lösung von Bleiaeetat zu einem feuchten Pulver oder bringt
die Masse in Fässer, die sich langsam um eine Achse drehen und die Kohlensäure
aufnehmen.
*) Feuchtes Mahlen soll die kleinen Bleipartikelchen mit abmahlen, so dass
sie in das Bleiweiss übergehen und ihm einen Stich in's Graue geben.
Bleiweiss-Industrie. 709
5) Payen benutzt das in Kattundruckereien in grosser Menge abfallende Blei-
sulfat, indem er es mit Ammonium- oder Natriumcarbonat zersetzt, um Bleicar-
bonat zu erhalten, welches er mit 1% Bleiessig zusammenreibt, formt und trocknet.
Sanitäre Verhältnisse bei der Bleiweissfabrication.
Die holländische Methode ist noch immer am weitesten verbreitet und
bedingt doch die meisten Nachtheile; das dabei gewonnene Bleiweiss heisst
Schiefe rweiss, es hängt den spiralförmigen Platten an und wird beim Auf-
wickeln derselben angesammelt. Da es noch feucht ist, so ist die Staubbildung
sehr gering; mehr wirkt der noch vorhandene Bleiessig als eine die Haut
spröde und rissig machende Substanz ein, wodurch die Resorption von Blei-
salzen begünstigt werden kann; die Arbeiter müssen sich deshalb die Hände durch
Fetteinreibungen sorgfältig schützen.
Das sogenannte Brechen der Platten darf nur mittels cannelirter Walzen
geschehen; obgleich auch hier ein eigentliches Verstauben noch nicht stattfinden
kann, so ist es doch vorzuziehen, dieses Walzen nicht allein in einem besondern
Baume vorzunehmen, sondern das ganze Walzensystem in einem geschlossenen.
Kasten anzubringen. Die metallischen Rückstände fallen hierbei in einen unter-
irdischen Bebälter, werden hier angefeuchtet und später eingeschmolzen, während
das erhaltene RohMeiweiss dem Mahl- und Schlämmprocesse unterworfen wird;
bei letzterm ist den Arbeitern wiederum die Fetteinreibung als Präservativ zu empfeh-
len, weil die Wässer basische Bleisalze neben Bleizucker enthalten. Man kann sie
mit Kaliumchromat zur Darstellung von Chromgelb oder mit Glaubersalz be-
handeln; vorzuziehen ist der Zusatz von Eisen, um alles Blei und Kupfer in
metallischem Zustande zu gewinnen, ehe man ihren Abfluss gestattet. Auch die
schwächsten bleihaltigen WTässer sollte man nicht dem Zufalle preisgeben, da sich
auf die mannigfaltigste Weise ihre schädliche Einwirkung auf Menschen und
Thiere kund geben kann; übrigens machen die Schlämmwässer einen langen
Kreislauf, da sie so lange als möglich immer wieder von neuem benutzt werden.
Wird das geschlämmte Bleiweiss gepresst, so ist ebenso sehr das beim
Auswaschen der Presstücher abfallende Wasser zu berücksichtigen, wie es noch
in weit höherm Grade beim Auslaugen und Beizen der Setztöpfe geboten ist.
Werden die abfallenden Scherben gepocht und gemahlen, um wegen ihres
Bleigebalts als Zuschlag zur Glasur des Töpfergeschirrs benutzt zu werden, so
ergibt sich hieraus eine meist kaum beachtete Ursache von bedeutenden
Schädigungen der Gesundheit, wenn in der gewohnten Weise nicht die geringste
Rücksicht auf die Staubbildung genommen wird.
Häufig wird statt des Bleiweisses in Hutform ein fein pulverisirtes Bleiweiss
verlangt. Das Mahlen und Pulverisiren des Bleiweisses gehört zu den ge-
fährlichsten Operationen, da sie durch die Staubbildung am ehesten zu Blei-
iutoxicationen Anlass geben. In manchen Fabriken herrscht in dieser Beziehung
noch das roheste Verfahren, denn gar nicht selten kann man noch beobachten,
wie die Klumpen von Bleiweiss mit einem Hammer zerschlagen, die zerkleinerten
Stücke in Körben gesammelt und unter Staubwolken in den Trichter der Mühle
geworfen werden. Kein Wunder, dass unter solchen Umstanden die Arbeiter
erkranken !
Bei allen Methoden ist diese Procedur in sanitärer Beziehung die wichtigste
und kann nicht sorgfältig genug beachtet werden. Sie beginnt mit dem Mahlen
710 Blei.
des Rohbleiweisses auf Kollermühlen, bei welchem Schutz der Athmungs-
öffnungen absolut erforderlich ist. so lange dies rohe Verfahren noch im Gebrauche
steht; überhaupt sollte man keine Mühlen mehr benutzen, sondern sich eines
Walzensystems bedienen, das aus Walzenpaaren besteht, die von oben nach
unten immer näher gestellt sind, hierdurch jeden beliebigen Grad von Feinheit bewir-
ken und sich in einem hermetisch geschlossenen Kasten befinden. Sind die Walzen
zweckmässig construirt, so kann auch das fertige Bleiweiss so fein pulverisirt
werden, dass ein weiteres Sieben unnöthig ist. Sollte trotzdem ein Beuteln und
Sieben erforderlich sein, so ist die Einrichtung so zu treffen, dass das unterste
Walzenpaar das pulverisirte Bleiweiss sofort in die Siebe fallen lässt, die
ebenfalls in eiuem geschlossenen Räume entweder kreisförmig bewegt oder ge-
schüttelt werden. Der ganze Kasten ist noch mit einem Gehäuse zu umgeben,
welches mit einem Exhaustor in Verbindung gesetzt werden kann.
Der Sammelkasten für das pulverisirte resp. gesiebte Bleiweiss
muss nach der Packkammer hin münden, damit jeder Transport so viel als
möglich vermieden wird.
Bei allen Concessions-Verleihungen von Bleiweissfabriken ist ganz besonders
darauf zu sehen, ob zweckmässige Einrichtungen zur Verhütung der Staubentwick-
lung vorhanden sind, widrigenfalls alle Präservativ-Massregeln illusorisch bleiben.
Beim Verpacken werden die Bleiweisshütchen mit Papier umwickelt und die
Fässer mit Papier umkleidet. Ganz besonders ist letzteres beim Verpacken des Pulvers
erforderlich, das übrigens stets unter Befeuchtung eingestampft wird. Der Faekraum
muss ganz abgesondert liegen und es haben sich die Arbeiter hierbei mit Wasser an-
gefeuchtete Schwämme vor Nase und Mund zu binden, eine Vorsichtsmassregel, die
überall mit Strenge durchzuführen ist, wo die Manipulation mit dem trocknen Fabricate
nicht zu umgehen ist und kein vollständig abgeschlossener Raum vor der Einwirkung
des Staubes schützt.
Die Darstellung des Bleiweisses in Teigform ist überall vorzuziehen und
sollte polizeilich vorgeschrieben werden; die Fabricanten ziehen aber das pul-
verisirte Bleiweiss vor, weil sie dasselbe noch mit Schwerspath u. s. w. vermischen.
Das Bleiweiss in Teigform ist ein mit Leinöl abgeriebenes Bleiweiss und
kann in dieser Form sofort zu jedem Anstriche benutzt werden; es überhebt
daher den Anstreicher und alle übrigen Handwerker, die Bleiweiss zu gewerblichen
Zwecken gebrauchen, der Gefahr der Staubbildung beim Verreiben auf dem
Reibstein, durch welches in den Gewerben sehr viele Bleikrankheiten herbei-
geführt werden.
Um die Teigform zu erhalten, braucht das Bleiweiss nicht getrocknet zu
werden; nach dem Schlämmen wird es im halbtrocknen Zustande in kleine Tröge
gebracht und mit Lein- und Mohnöl vermischt, um dann zwischen Cylindern oder
einem Walzwerk verrieben, vermischt und in die geeignete Form gebracht zu
werden. Das Wasser wird durch das Oel so vollständig aus dem Bleiweiss aus-
getrieben, wie es durch das Trocknen nur geschehen kann. Dies Verfahren hat
daher nicht hoch genug zu schätzende Vortheile und macht viele, auch bei der
grössten Vorsicht bedenkliche Operationen ganz überflüssig, von denen nament-
lich das Trocknen und das Herausnehmen des Bleiweisses aus den Töpfen sowie
das Pulverisiren, Sieben und Verpacken in Fässern nochmals hervorzuheben sind.
Man hat daher allen Grund, dies Verfahren vom sanitären Standpuncte aus auf
das dringendste zu empfehlen und den pecuniären Vortheil der Fabricanten nicht
höher als das Wohl der Arbeiter zu stellen.
Bleiweiss-Industrie. 71 \
Es gibt in den verschiedenen Fabriken noch sehr mannigfache, in Kleinigkeiten
abweichende Methoden, die hier nicht erwähnt werden können; die aufgestellten Ge-
sichtspuncte sind jedoch bei allen Bleiweissfabriken massgebend und sollten zum Heil
der Arbeiter immer mehr zur Geltung kommen.
Das französische und englische Verfahren hat wegen der feuchten Be-
arbeitung weniger sanitäre Bedenken und erfordert nur Vorsicht und Reinlichkeit.
Der Boden des Fabrikraums sollte stets cementirt sein, damit man ihn
häufig durch Anfeuchten reinigen kann. Man mag dem Wasser noch etwas Chlor-
calcium zusetzen, umden Boden länger feucht zu erhalten; häufig ist der überall
abgelagerte Bleiweissstaub ebenso schädlich wie der sich neu bildende.
Daher ist überhaupt die grösste Reinlichkeit geboten, die sich auch auf die Arbeiter
erstrecken soll; sie müssen beim Antritt und "Verlassen der Arbeit die Kleider
wechseln, wozu ausserhalb der Fabrik in der Wohnung des Thürhüters ein beson-
derer Raum herzustellen ist. Hier ist eine Tafel mit den besondern Verhaltungsregeln
aufzuhängen, um die Arbeiter mit der Giftigkeit des Stoffes, seiner Wirkung und den
wichtigsten Gesundheitsstörungen, die durch Aufnahme des Bleies entstehen, bekannt
zu machen.
Für Arbeiter, welche die Fabrik nicht verlassen, muss ein besonderes
Esszimmer eingerichtet werden. Der Genuss von Speisen und Getränken in
einem der Fabrikräume ist mit der grössten Strenge zu verbieten; auch der
Genuss von Branntwein, das Rauchen und Schnupfen darf nicht stattfinden,
da diese Genüsse nach der Erfahrung aller Fabricanten die Entwicklung der Blei-
Erkrankung begünstigen. Das Tragen von Barten ist ebenso sehr abzurathen, damit
sich der Staub nicht in den Haaren nahe den Athmungsöffnungen ablagert.
Unter den Präservativ-Mitteln wird der reichliche Genuss von Milch
empfohlen; der Genuss fettiger Speisen wird in allen Werkstätten mit
metallischen Giften gerühmt; Jodkalium ist als Präservativ nicht anzurathen.
Die vielfach missbrauchte „Schwefelsäure-Limonade" empfiehlt sich auf die
Dauer gar nicht, obgleich manche Fabricanten glauben, genug gethan zu haben,
wenn sie diese den Arbeitern reichlich zur Verfügung stellen. Weit mehr sind
unterschwefligsaures Natrium innerlich und als Mundwasser sowie kleine
Gaben von Schwefel in Pastillenform vorzuziehen, die jedenfalls längere Zeit
ohne Nachtheil benutzt werden können, obgleich nie zu vergessen ist, dass der
höchste Grad der Reinlichkeit und Verhütung von Bleiweissstaub die zuver-
lässigsten Schutzmassregeln sind. Bade-Einrichtungen dürfen daher niemals
in Bleiweissfabriken fehlen; regelmässige Bäder müssen den Arbeitern mit Strenge
vorgeschrieben sein; auch Ausspülen des Mundes und sorgfältiges Waschen
der Hände vor jeder Mahlzeit ist nie zu versäumen. Ausserdem ist eine be-
ständige ärztliche Beaufsichtigung der Bleiweissfabriken geboten, damit der erste
Anfang einer Bleivergiftung sogleich zur Behandlung kommt; auch regelmässige
Untersuchungen der Arbeiter, namentlich in Bezug auf das Zahnfleisch, müssen
vorgenommen werden. Arbeiter, die besonders empfänglich für Bleikrankheiten
sind, müssen entlassen werden.
Verwendung des Bleiweisses. Im Handel kommt fast kein Bleiweiss vor, das
nicht mit Schwerspath vermischt ist. Benutzt wird es zur Darstellung von weissen
Lacken, zum Erschweren der ächten Spitzen, zum Bleichen der Strohhüte
und ganz besonders zum Anstrich.21) Zuweilen dient es auch als Flussmittel beim
Krystallglas , zum Glasiren und zu Schmelzfarben, gar nicht selten zum Glätten des
Papiers, namentlich des Kartenpapiers zu Visitenkarten, Bei der Papierwäsche ist
es durch Blancfixe verdrängt worden22); nur in Frankreich ist man bemüht gewesen,
es auch beim Anstrich durch Zinkweiss zu ersetzen. Zum Anreiben des Bleiweisses
wird fast ausschliesslich Lein- und Mohnölfirniss benutzt; die Bleiweissölfarbe hat den
Vorzug, dass sie an der Luft schnell austrocknet. Im Grossen vermischt man zuerst
das Bleiweiss mit Terpentinöl oder Harzessenz, wenn man einen ganz weissen Lack
erzeugen will, und setzt dann nachträglich Leinöl zu, um ein Mahlen folgen zu lassen;
meist reibt man dann schliesslich die Farbe noch auf dem Reibstein ab.
712
Blei.
3) Andere in der Industrie vorkommende Bleiverbindungen.
Bleiacetat, Bleizucker, Plnmbnm aceticnm Pb(C2H302)2 wird im Grossen durch
Auflösen von Bleiglätte in Essig und Krystallisirenlassen dargestellt. Das Salz
krystallisirt mit 3 Molec. Wasser. Die Arbeiter haben sich hierbei vor der Einwirkung
des Staubes der Glätte zu hüten. Beim Abschaufeln der Krystalle müssen sie nicht
wunde Finger mit denselben in Berührung bringen, da jede Wunde hierdurch bedeu-
tend gereizt wird; Fetteinreibungen der Hände sind auch hier zu empfehlen.
Der Fussboden der Fabrik muss asphaltirt sein, damit die verschütteten Laugen
nicht in den Boden dringen. Grösste Reinlichkeit muss überall herrschen; vor jeder
Mahlzeit müssen sich die Arbeiter die Hände waschen und überhaupt die bei der Blei-
weissfabrication erwähnten Vorsichtsmassregeln beobachten.
Die Mutterlauge enthält die Verunreinigungen der Glätte, namentlich Kupfer,
und wird in der Farbentechnik benutzt.
Verwendung findet der Bleizucker bei der Darstellung von essigsauren Salzen,
von Tapetenfarben, zu Beizen in der Färberei, zum Tränken von Feuerlunten u. s. w
Bleiessig, Liqu. Plumbi subacetici, Acetum plumbicnm Pb(C2H302)2 + 2PbO
ist schon bei der Bleiweissfabrication erwähnt worden und wird in Laboratorien aus
Bleizucker, Glätte und Wasser dargestellt. Er dient in der Färberei zur Darstellung
von Qrange und in der Kattundruckerei in Verbindung mit Bleioxyd als Mordante
orange, wenn das gefärbte oder gedruckte Zeug durch Bäder von chromsaurem Blei
gezogen wird.
Bleinitrat Pb(N03)2 wird durch Auflösen von Blei in verdünnter Salpetersäure
gewonnen und in Druckereien als Beize zur Darstellung gelber und orangerother
Muster auf indigoblauen, wollenen Tischdecken benutzt. Indem es mit Alaun und etwas
Kochsalz vermischt in Pappe aufgedruckt wird, entwickelt sich Salpetersäure, die
auf Indigo einwirkend die gelb färbende Pikrinsäure erzeugt. Die Waschwässer sind
bleihaltig. Auch bei der Anfertigung des falschen Schildpatts kommt es zur Ver-
wendung.
Neapelgelb, antimonsanres Blei, wird durch massiges Glühen von Tart. stib.,
Bleinitrat und Kochsalz mit nachfolgendem Auslaugen mittels Wassers dargestellt.
Antimongelb ist ein Gemenge von antimonsaurem Blei mit basischem
Chlorblei.
Jodblei PbJ2 wird zum Bedrucken von Stoffen benutzt.
Casselergelb (Mineral-, Pariser-, Tariner- oder Veronesergelb) ist PbCl2 . 7PbO
(Bleioxychlorid) und wird aus Bleiglätte und Salmiak dargestellt.
Pattinson'scbes Bleiweiss ist Bleioxychlorid PbCl2.PbO, das durch Be-
handeln einer heissen Lösung von Chlorblei mit Kalkwasser erhalten wird:
2PbCl2 + CaO = PbCl2.PbO + CaCl2.
Bleicblorid, Chlorblei PbCl2 kommt in der Natur als Hornblende vor und wird
im Grossen durch Schmelzen von 10 Th. Bleioxyd mit 1 Th. Salmiak dargestellt, wobei
sich nicht unerhebliche Mengen von Bleioxyd und Chlorblei verflüchtigen, die sorg-
fältig zu condensiren sind; nimmt man Bleiglanz statt Glätte, so tritt viel Schwefel-
wasserstoff auf.
Bleisulfat PbS04 bildet sich in den Färbereien als Nebeuproduct bei der Dar-
stellung von essigsauren Thonbeizen aus Bleiacetat und schwefelsaurer Thonerde.
Cyanblei PbCy2 dient zur galvanischen Verbleiung von Eisenblechen und kommt
hier in Form von Kaliumbleicyanid in Anwendung.
Schwefelblei PbS kommt in der Natur als Blei glänz vor und wird künstlich
durch Fällung einer Bleilösung mit Schwefelwasserstoff dargestellt. Es wird am
häufigsten zur Darstellung der Töpferglasur benutzt; auch als Streusand begegnet
man ihm.
Rliodanblei Pb(CNS)2 wird durch Versetzen von Bleiacetat mit einer Lösung von
Rhodankalium dargestellt und wie Cyanblei benutzt.
Auf den tllierischen Organismus wirkt es nicht giftig ein. Ein Kaninchen erhielt
0,5 Grm. davon; erst am 6. Tage verrieth das Thier etwas Unwohlsein, legte sich häufig
auf den Bauch und streckte die Hinterfüsse aus, wobei sich der Herzschlag etwas ver-
stärkt zeigte. Nach einigen Stunden wurde es wieder munter und blieb nach einer
längern Beobachtung ganz gesund. Wahrscheinlich zersetzt sich die Verbindung und es
bleibt unlösliches Schwefelblei zurück; Rhodanblei ist somit die einzige Blei Ver-
bindung, der die Wirkung des Bleies auf den thierischen Organismus abgeht.
Kupfer. 713
Kupfer, Cu.
Kupfer ist seit den ältesten Zeiten bekannt und soll der Name: Cuprum von der
Insel Cypern herrühren, welche den Griechen und Römern das meiste Kupfer lieferte.
Es kommt gediegen im krystallisirten Zustande vor, als Oxydul im Rothkupfererz, als
basisches Carbonat im Malachit, als Kupfersulfür im Kupferglanz, gleichzeitig mit Eisen-
sulfid im Kupferkies und Buntkupfererz.
Kupferschiefer ist ein bituminöser Mergelschiefer und die Fahlerze sind Ver-
bindungen des Kupfers mit Schwefel, Arsen und Antimon. Atakamit (Kupferoxyd und
Chlorkupfer) aus Chili wird in England verhüttet und kam früher häufig in Pulverform
als Arsenillo nach Europa zum Gebrauch als Streusand. Wegen seines Arsengehalts
ist er beachtungswerth.
Das Kupfer ist gelbroth, zälie und sehr dehnbar und überzieht sich an feuchter
Luft mit einer grüneu Schicht (basisches Kupfercarbonat, Grünspan): erst bei Hellroth-
gluth schmilzt es. Von Säuren wird es bei gewöhnlicher Temperatur nur beim Zu-
tritt der Luft angegriffen, Salpetersäure und Königswasser ausgenommen; es dürfen
deshalb Speisen, welche nicht säurefrei sind, nie längere Zeit in kupfernen Gefässen
aufbewahrt werden. Von Cyankalium wird Kupfer unter Wasserstoffentwicklung', von-
Salpetersäure unter Bildung von Stickoxyd gelost und von concentrirter
Schwefelsäure unter Abgabe von schwefliger Säure in Sulfat übergeführt.
Hüttenmännische Gewinnung von Kupfer. Die Gewinnung des Kupfers aus
den verschiedenen Erzen kann auf nassem und trocknem Wege geschehen.
Das Verfahren hierbei ist aber wiederum verschieden, je nachdem man es mit
oxydirten oder geschwefelten Erzen zu thun hat. Auf dem Continent
werden die Processe fast überall in Schachtöfen, in England aber in Flam-
menöfen ausgeführt; darnach unterscheidet man wiederum die ältere con-
tinentale und die neueste englische Methode.
A. Gewinnung des Kupfers aus oxydirten Erzen. Dieselbe findet selten
statt, da diese Kupfererze fast immer zum Niederschmelzen der geschwefelten
Erze benutzt werden.
Die Gewinnung beruht in einer einfachen Reduction der Erze mit Kohle unter
Zuschlag von reichen Schlacken und Kalkstein; es geschieht dies in niedrigen
Schachtöfen (Krumm Öfen), die mit einem Vorherd, Tiegel und einem kräftigen Ge-
bläse versehen sind. Nach Wegnahme der Schlacke wird der erstarrte Metallkuchen als
Rosettenkupfer in den Handel gebracht oder in Blöcken (Blockkupfer) ge-
schmolzen.
B. Gewinnung des Kupfers aus den geschwefelten Erzen, namentlich aus
Kupferkiesen. 1) Die Röstung (Oxydation), welche nach der Handscheidung
und dem Pochen folgt, bezweckt neben der Entfernung von Antimon und
Arsen die Umwandlung des Schwefeleisens in Eisenoxyd.
Seltner geschieht das Rösten in Haufen (Röststadeln), meist in Schacht-
oder Flammenöfen; nur beim Kupferschiefer sind wegen seines Gehaltes an Bitumen
geschlossene Retortenöfen nothwendig.
2) Das Schmelzen des Röstgutes heisst das Rohschmelzen (Suluschmelzen)
und geschieht in niedrigen Schachtöfen (Sumpföfen) unter Zusatz von Kohle und
Zuschlägen (Silicaten), um das Eisenoxyd in den geschmolzenen Silicaten
unter Bildung von Schlacke zu lösen und vom Kupfersulfid zu trennen, welches
mit dem metallischen Kupfer den Roh- oder Kupferstein bildet.
Die durch das Rösten nicht vollständig ausgetriebenen Arsen- und Antimon-
verbindungen bilden eine Speise, das Königskupfer (Arsenkönig), welches auf
den Boden niedersinkt, weil es schwerer als der Ronstein ist.
714 Kupfer.
3) Das Rösten des Kupfersteins bezweckt die weitere Ueberfübrung des
Scbwefelkupfers in metallisches Kupfer.
Durch die Oxydation eines Theils des Kupfers zu Oxyd wird der andere Theil
des Schwefelkupfers" wieder in metallisches Kupfer unter Entweichen von schwefliger
Säure vorwandelt:
CuS + 2CuO = SO;i + 4Cu.
4) Die Concentrationsarbeit. Enthalten die Erze viel Bleiglauz, Zinkbleude
und Fahlerz, so röstet man den Kupferstein nicht vollständig ab.
Man schmilzt die unvollkommen geröstete Masse tvSpurrost) in einem Schacht-
ofen unter Zusatz von Schlacken zum sogen. Spurstein (Concentrationssteiu ), der
etwa 60% Kupfer enthalten kann.
5) Durch weitere Oxydation resp. Röstung erhält man aus dem Spur- resp.
Kupferstein Sehwarzknpfer i Rohkupfer, Gelbkupfer), das neben 70— 95 'i Kupfer
immer noch Eisen. Arsen, Antimon, Silber, Zinn u. s. w. enthält.
6) Das Garmachen ( Raffiniren ) auf dem Gar- oder Rosettenherde be-
zweckt die Entfernung der fremden Metalle aus dem Schwarzkupfer, um das
Garknpfer zu gewinnen.
Es wird hierzu ein starkes Gebläse benutzt: Schwefel und Arsen entweichen als
schweflige und arsenige Säure, Antimon als Antimonoxyd. Die Schlacke
(Garschlacke, Garkrätze) besteht aus Kupferoxyd, Kieselsäure, Eisen, Blei u. s.w.
Die grossartigsten Kupferwerke sind in England, namentlich zu Swansea, Staf-
fordshire und Liverpool. Die englische Methode ist wegen der Bearbeitung der
verschiedenen Erzsorten sehr cornplicirt, obgleich auch ihr die oben entwickelten Ge-
sichtspuncte zu Grunde liegen/1}
C. Gewinnung des Kupfers anf nassem Wege l Cenientation). Auch hierin gibt
es verschiedene Methoden, die jedoch sämmtlich dahin streben, aus armen, kupfer-
kieshaltigen Erzen, die wegen der grossen Menge von Gangart nicht auf trocknem
Wege verhüttet werden können, Kupfervitriol resp. Kupfer zu gewinnen.
Man bringt häufig die Erze in abwechselnden Schichten mit Stroh in grosse
Bottiche, in denen sie beständig mit Wasser berieselt werden: sie sind wie die
Essigbilder bei der Schnellessigfabrication mit einem doppelten Boden versehen, um
dem Sauerstoff ungehinderten Zutritt zu verschaffen.
Die abfliessenden WTässer werden in einen grossen Sumpf mit möglichst undurch-
lässigem Untergrunde geleitet, in dem sich aller Kupferschlamm absetzt, nachdem
sie durch viele, mit Guss- oder altem Schmiedeeisen versehene Cementgruben geflossen
sind. Der getrocknete Kupferschlamm wird entweder für sich geschmolzen oder
dem Kupferstein zugesetzt: gesundheitliche Nachtheile treten hierbei nicht auf, wenn
man das Eindringen der Flüssigkeiten in den Boden und die Verunreinigung von nahe
gelegenen Brunnen verhütet.3)
Sanitäre Massregeln bei der Verhüttung des Kupfers.
Beim Handscheiden resp. Pochen entwickelt sich kein gefährlicher Staub, da
die Erze stets nass und feucht sind, wenn sie aus der Grube kommen.
Beim Schlämmen sind die abfallenden WTässer wegen ihres Gehaltes an
feinen Erztbeilchen, an Kupfer- und Eisensulfat, sogar unter Umständen an
arseniger Säure sehr zu beachten, so dass ihr directer Abfluss in kleine Bäche,
die häuslichen Zwecken dienen, niemals zu gestatten ist. Benutzt man stets
dasselbe Wasser zum Schlämmprocesse, so kann es so reich an Kupfersulfat
werden, dass sich seine Gewinnung lohnt.3)
Beim Rösten tritt vorzugsweise schweflige Säure auf, während die
weissen Dämpfe, die sich wie eine grosse Wolke ablagern, hauptsächlich von
Zink-, Blei- und Arsendämpfen herrühren; in England, namentlich in
Cornwallis, soll sich auch Flusssäure unter diesen Dämpfen finden.
Verhüttung des Kupfers. 7^5
Der sogen. Knpferranch hat stets zu gerechten Klagen Anlass gegeben, da
er überall nur zu deutliche Sparen hinterlässt und sich als ein Feind aller
Vegetation kund gibt.
Den Gedanken, die metallischen Dämpfe durch Wasserberieselang niederzuschlagen
hat John Vican 4) bei der Kupferverhüttung schon vor langen Jahren zu verwirklichen
gesucht, indem er einen lang gestreckten, horizontalen Canal herstellte, welcher durch
Kaminern unterbrochen wird, in denen ein System von durchlöcherten Röhren beständig
von einem hochstehenden Reservoir gespeist wird; sein Ausgang steht mit einer kräf-
tigen Esse in Verbindung. Der Canal zieht sich durch die ganze Hütte, während
sich_ die Verdichtungskammern zwischen Hütte und Esse befinden und durch
verticale Scheidewände so getheilt werden, dass diese wechseis weise vom Deckoewölbe
etwas abstehen und in jeden Zwischenraum der Wasserregen fällt. Der in die Esse
tretende Rauch soll fast nur schweflige Säure enthalten; der sich im Canal ab-
setzende Schlamm ist mit schwefliger Säure und Schwefelsäure durchtränkt,
die sich mit den Metallen verbinden. Aus demselben kann mittels metallischen Eisens
Cementkupfer gewonnen werden.
Koch und Moldenhaver haben Kokstllürme empfohlen, in denen eine Berieselung
durch Sodalösung die schweflige Säure binden soll; wo mehr Schwefelsäure
auftritt, z.B. bei Röstherden mit Gebläse, empfiehlt es sich, die Koksthürme mit Kalk-
steinen zu füllen und diese mit Wasser zu berieseln. Der Versuch, hier die schweflige
Säure für die Sc'kwefelsäure-Fabrication zu gewinnen, ist bereits mit Benutzung der
Oefen von Gerstenhö/er, Stete/eld, Perret und Hasenclever (s. S. 164 u. 693) gemacht worden.5)
Beim Ausziehen des gerösteten Erzes leiden die Arbeiter sehr von
der Einwirkung der Dämpfe, die, wie schon erwähnt worden, nach der Natur
der Erze neben der schwefligen Säure Blei, Zink, Kupfer, Arsen und
Antimon enthalten können. Auch ist der Erdstaub sehr heiss und glühend, so
dass sie zur Verhütung von Augen Verletzungen Glimmerbrillen tragen müssen,
während die metallischen Dämpfe Schutz der Respirationswege gebieten.
Dieselben Vorsichtsmassregeln sind beim Abkratzen des sogen. Ofen-
bruchs erforderlich, das zwar selten und dann nur geschieht, wenn der Ofen
wegen irgend einer Abnutzung abkühlen muss.
Krankheiten, welche bei der Verhüttung des Kupfers vorkommen, weiden
in den meisten Fällen weit eher durch Blei, Arsen und Antimon als durch
Kupfer hervorgerufen. Das Krankheitsbild kann sich mannigfach gestalten,
je nachdem die eine oder andere Schädlichkeit in verschiedenem Grade eingewirkt
hat; es ist deshalb unmöglich, eine Symptomatologie der Krankheiten, welche hier
vorkommen können, erschöpfend zu entwerfen.
Die sogen. Knpferkranklieit beobachtet man mehr bei der Bearbeitung des
Kupfers und seiner Legirungen als beim Hüttenprocess. Bei verschluckten
Kupfermünzen, welche monatelang im Digestionsapparat verbleiben, hat man zwar
manche Störungen der Verdauung (Erbrechen, Magenkrampf, Obstipation abwech-
selnd mit Diarrhoe), aber keine bleibende Beschädigung der Gesundheit wahr-
genommen, da die Beschwerden mit der Entfernung der Ursache weichen.
Bei Hunden erzeugt bekanntlich auch sehr fein vertheiltes Kupfer (Limatura
Cupri) in Gaben von 3 — 15 Grm. keine Vergiftung. Bei Bandwurmcuren werden er-
fahrungsgemäss oft grosse Mengen dieses Arzneimittels genommen.
Die „Kupferkrankheit", welche beim Schmelzen des Kupfers durch die Dämpfe
und bei der Verarbeitung des Kupfers durch den Staub entsteht, indem dadurch dem
Organismus eine Menge Kupfertheilchen zugeführt werden, kann lange Zeit bestehen,
ohne dass tiefere Störungen der verschiedenen Functionen beobachtet werden. Das
Gesicht, die Haare, Augen und Zähne können dabei allmählig eine grüne oder
gelbgrünliche Färbung annehmen, selbst im Blut, Urin, in der Galle und im Speichel
lässt sich Kupfer nachweisen, wenn die Aufnahme der feinsten Kupfertheilchen lange
Zeit erfolgt. Entzieht man solche Personen zeitig den schädlichen Einflüssen, so werden
die Kupfertheilchen wieder ausgeschieden und die Gesundheit kann vollständig wieder
hergestellt werden. Geschieht dies nicht, so kann der Verfall des Organismus nicht
716 Kupfer.
ausbleiben, da Kupfer kein normaler Bestandtheil desselben ist und schliesslich durch
die Störungen der Verdauung und Blutbildung Abmagerung, Entkräftung, Anämie,
Gremüths Verstimmung, Asthma uud hydropische Erscheinungen erzeugt werden. Bei
zweckmässiger Behandlung und beim Fehlen anderweitiger Complieationen ist aber selbst
in diesem Zustande noch Heilung möglich, sollte die allgemeine Erschöpfung nicht schon
allzu grosse Fortschritte gemacht haben.6)
Eine solche Kupferdyskrasie soll sich besonders dadurch charakterisiren,
dass mau am Zahnfleisch einen purpurrothen Saum bemerkt, welcher bei der
Bleidyskrasie bekanntlich schiefergrau ist. Asthma ist nicht dieser Krankheit
eigen thümlich; ist es vorhaudeu, so wird es mit hydropischen Erscheinungen,
speciell mit beginnendem Hydrothorax, als den schlimmsten Folgen des aufge-
nommeneu Metalls, in Verbindung stehen.
Man hat auch eine Kupferkolik angenommen: sie soll sich bei gastrischen
Erscheinungen (Uebelkeit, Erbrechen, Aufstossen, Druck im Magen) vorzugsweise durch
ziehende Schmerzen im Leibe und Neigung zu Diarrhoe charakterisiren und durch
letztere sich namentlich von der Bleikolik unterscheiden. Die Schmerzen sollen
intermittiren, nicht fixirt sein und nach jedem Anfall derselben soll Durchfall (20 bis
30 mal täglich) eintreten und zwar mit Abgang von grünlichen, mit Blut durchsetzten
Massen. Wenn ferner noch Fieber, quälender Durst, Unruhe, Schlaflosigkeit und Angst-
gefühl die Differentialdiagnose von Bleikolik begründen sollen, so kann man trotzdem
behaupten, dass solche Wirkungen nicht im Gebiete des metallischen Kupfers
liegen. In solchen Fällen wird man es ganz gewiss mit Kupfersalzen oder mit der
gleichzeitigen Einwirkung anderer Metalle zu thun haben.
Ebensowenig kann von Kupferlähmung die Rede sein; die grosse Verwirrung,
welche in diesem Gebiete der Toxikologie herrscht, rührt von ungenauen Beobachtungen
und unzureichender Unterscheidung der ätiologischen Momente her.
Als Antidot gegen metallisches Kupfer dürfte Limatura ferri sehr zu empfehlen
sein, da sie als feinstes Eisenpulver das Kupfer galvanisch fällt und letzteres auf diese
Weise leichter eliminirt werden kann.
Von der giftigen Wirkung der Kupfer verbin düngen kann hier nicht
weiter die Rede sein, da diese nicht in Abrede zu stellen ist: freilich erzeugt erfahrungs-
gemäss selbst Kupfervitriol, in häutigen Gaben als Emeticum gereicht, keinen bleiben-
den Nachtheil.
Die Kupferverhüttung kann somit nur durch die Menge fremder Metalle,
welche hier stets mit dem Kupfer vereinigt sind, einen nachteiligen Einfluss auf die
Arbeiter ausüben.
Kupferindustrie.
Verwendung und Bearbeitung des metallischen Kupfers. Geräthe von
Kupfer für Haushaltungen sind niemals zu empfehlen; Kochgeschirre
von Rothkupfer in Hospitälern u. s. w. erfordern die grösste Aufmerksamkeit
und Reinlichkeit, damit nicht Reste von Speisen unter Einwirkung des atmo-
sphärischen Sauerstoffs Oxydationsprocesse hervorrufen.
Kupferne Kühlapparate in Branntweinbrennereien geben häufig Anlass
zu Kupfergehalt in Spirituosen Flüssigkeiten: namentlich befördern die Fuselöle und
ätherischen Oele sehr leicht die Oxydation des Kupfers Bekanntlich sind Oleum
Cajeputi, Menth, pip., Melissae, Tanaceti u. s w. fast stets kupf erhaltig*).
Selbstverständlich wirken alle Säuren oxydirend auf Kupfer ein, selbst Honig
greift bei Gegenwart von atmosphärischer Luft Kupfer an; auch sein Gehalt an
organischen Säuren befördert die Oxydation desselben. Rohrzucker besitzt diese
Eigenschaft nicht und es sind deshalb bei der Rohrzuckerfabrication kupferne Gefässe
ohne Gefahr verwendbar.7)
Durch Walzen stellt man die Platten und Bleche, durch Ziehen den Kupfer-
draht dar.
Um kupferne Gegenstände vor der Ein wirkung des atmosphärischen
Sauerstoffs zu schützen, überzieht man sie mit einer fremden Substanz. Man ge-
braucht hierzu fette Firnisse (von Copal, Terpentinöl und Leinölfirniss), besonders
aber Ueberzüge von andern Metallen.
*) Olivenöl ist das beste Reagens auf Kupfer und entzieht namentlich allen
Branntweinen den Kupfergehalt am sichersten.
Kupferindustrie. 717
Das Verzinnen des Knpfers ist eine sehr gebräuchliche und wichtige Manipulation,
bei der es namentlich auf die Reinheit des Zinns ankommt (s. S. 665). Bei der sogen,
heissen Verzinnung, die bei Haushaltungs- Geschirren vorgenommen -wird, werden
Zinn und Salmiak in das erhitzte Gefäss hineingeworfen, nachdem die zu verzinnende
Fläche vorher mit Schwefelsäure gebeizt und mit Sand gescheuert worden. Durch die
Salmiakdämpfe wird die Oxydation des Zinns verhütet und das etwa vorhandene unlös-
liche Kupferoxyd in lösliches Chlorkupfer verwandelt. Die nasse Verzinnung
geschieht auf galvanischem Wege. Zum Verzinken dient in Salmiaklösung erhitztes Zink.
Die Versilberung des Knpfers findet meist nach der französischen Methode statt,
indem man die Waare zuerst verzinnt, dann dünne Silberplättchen mit Draht darauf
befestigt, Kolophonium und Salmiak dazwischen streut und das Ganze bis zum Schmelzen
des Zinns glüht. Dies Verfahren ist mehr beim Versilbern von Eisen für Pferde- und
Wagengeschirr gebräuchlich (s. S. 682).
Legirungen des Knpfers. Unter diesen sind 1) die Legirungen von Kupfer
und Zink, d. h. die verschiedenen Arten von Messing für die Industrie am wich-
tigsten. Sie besitzen Eigenschaften, welche von denen der ursprünglichen Metalle
abweichen; auch erhält man nach den mannigfachen Mischungs-Verhältnissen
von Kupfer und Zink Legirungen von verschiedenen Eigenschaften. Hiermit
hängt ferner der verschiedene Einfluss der Legirungen auf den thierischen
Organismus zusammen, wenn sie als feiner Metallstaub eingeathmet werden:
Die Leichtigkeit, mit der sich Messing bearbeiten lässt, hat die Verwendung
desselben allmählig zu einem grossartigen Betriebe gestaltet und eine Messing-
industrie geschaffen, welche besonders in den Städten Berlin, Fürth, Nürnberg,
Pforzheim, Lüdenscheid und Iserlohn ihre Stätten hat.
Durch Berücksichtigung der wechselnden Procentverhältnisse gewinnt man
gleichzeitig den sichersten Anhaltspunct für die sanitäre Beurtheilung der
beim Schmelzen und Giessen auftretenden metallischen Dämpfe.
Unter den vielfachen Arten von Messing sind hervorzuheben : a) der
Rothmessing oder Rothgnss, der 80 und mehr Procent Kupfer, aber niemals
weniger davon enthält. Man rechnet hierher den Pinchbeck (Tombak), eine
dunkelgoldfarbige Legirung, Orce'ide, eine dem 14karätigen Golde sehr ähnliche
und zu Ornamenten, Beschlägen u. s. w. geeignete Legirung, den eigentlichen
Tombak oder Rothgnss, eine zu den meisten Schmucksachen benutzte Legirung.*)
Das Bronzepulver enthält noch etwas mehr Kupfer als Tombak; für helle
Nuancen nimmt man 83 Th. Kupfer und 17 Th. Zink, für rothe 90—94 Th. Kupfer
und 6 — 10 Th. Zink, für Kupferroth reines Kupfer.
Blattgold erhält man durch Ausschlagen des gewalzten Messingblechs. Schawine
oder Seh ab in heisst der Abfall der Metallschlägerei, der als Schawinebronze bereits
seit 1750 zuerst in Fürth von dem Maurer Andreas Huber fein zerrieben, als Metallpulver
verkauft und zur Darstellung der Bronzefarben verwendet wurde.
Zur Herstellung der verschiedenen Bronzefarben durch Anlauffarben gehört
das Sieben des fein geriebenen Pulvers und das Erhitzen desselben mit Oel, Talg oder
*) Kleine Luxusgegenstände, z.B. Knöpfe, werden aus Blechen dargestellt, die
oft vorher vergoldet werden. Obgleich meist die galvanische Vergoldung üblich
ist, so findet doch auch noch die Feuervergoldung mittels Goldamalgams statt, die
hier in sanitärer Beziehung zu erwähnen ist, da sie grosse Vorsicht erfordert (s. Gold).
Auch die heisse Versilberung wird namentlich in Knopffabriken noch durch
Auftragen von Silberamalgam und nachfolgendes Abrauchen des Quecksilbers aus-
geführt (s. S. 682).
Oxydirte Kn öpfe nennt man solche, die auf galvanischem Wege mit einem
Bleiüberzuge versehen werden. Auf galvanischem Wege stellt man auch die Metallo-
ehrome, Niederschläge mit irisirenden Farben, dar.
718 Kupfer.
Paraffin*': sie haben beim Lackiren in der Wachsleinwand-, Tapeten-
fabr ieatio n. in der Buchbinderei, Steindruckerei, zum Bronziren von
Gips, bei Metallguss waaren tu s. w. eine grOBsaiüge Verwendung gefunden.
Der Bronzestaab ist wegen seines geringem Gehaltes an Zink nicht so ge-
fährlich wie man gewöhnlich annimmt: auch die Erfahrung zeigt, dass. wenn nichts
anderes als der Bronzestaub auf die Arbeiter einwirkt, specifische Krauk-
heitsprocesse nicht so leicht entstehen: immerhin sind aber die Arbeiter vor dem Staube
zu schützen und es sollte namentlich das Reiben und Sieben der Bronze nur in
geschlossenen Apparaten vorgenommen werden, denn es handelt sich stets um einen
metallischen Staub, der sich unter dem Mikroskop als ein Couvolut der feinsten Blättchen
darstellt. Wird aber das Zerkleinern, wie es jetzt häufig geschieht, mittels einer Kratz-
bürste vorgenommen, so findet man mehr eckig geformte Partikelchen, die. von den
Respirationswegen aufgenommen, jedenfalls eine grössere Reizung derselben zu erzeugen
vermögen, so dass bei der Beurtheilung der Schädlichkeit des Bronzestaubes auch seine
Form zu berücksichtigen ist.1
Aerztliche Revisionen solcher Fabriken sowie der Arbeiter sind daher stet> ge-
boten, um Nachtheile in ihren ersten Anfängen rechtzeitig zu beseitigen. Neben
Arbeitern, die bereits weit die mittlere Lebensdauer überschritten haben und sich bei
ihrer Beschäftigung leidlich befunden haben, trifft man auch solche mit kachektischem
Aussehen, die vielfach an Störungen der Digestion und Blutbildung leiden.
Die genauere Beurtheilung eines jeden concreten Falles muss darüber entscheiden,
ob die Art der Beschäftigung oder andere Einflüsse nachtheilig eingewirkt haben: es
ist höchst schwierig, die mannigfaltigen Ursachen, die in solchen Fabriken zur Geltung
kommen, für alle Fälle von vornherein richtig zu beurtheilen. Dies geht aus der
folgenden Betrachtung deutlich hervor.
Die Application der Bronzefarhen erfordert nach der Natur der zu bronziren-
den Gegenstände noch bestimmte Vorbereitungen, welche ebenfalls von sanitärer
Bedeutung sind. Dieselben schliessen eine Procedur ein, welche man das Lackiren
nennt**); dasselbe erfordert als Hauptbediuguug. dass die zu lackireuden Gegen-
stände dem Lack resp. den Farben eine Fläche darbieten, auf weicher diese Sub-
stanzen festhaften können.
Zu dem Ende muss die Oberfläche der Gegenstände 1) rauh gemacht werden,
was bei grobem Metall. ■/.. B. beim Eisenguss. durch Beizen mittels Säuren, beim Weiss-
blech durch Abbürsten mit Metallbürsten geschieht:
2) es wird eine Z wischenschicht. welche bezüglich des zu lackirenden Gegen-
standes und des Lackes das erforderliche Bindungsvermögen besitzt, auf die verschie-
denen Objecte applicirt; man nennt dies das Grundiren, was besonders bei Holz
oder Stein mittels Kreide, Gips, Mennige, Bleiweiss, Chromgelb u. .-. w.
geschieht.
Bei der Benutzung der Bleiverbindungen haben die Arbeiter sich ganz be-
sonders vor dem gefährlichen Staube zu schützen: die Fälle sind nicht selten, dass auf
diese Weise bei den Lackirern die verschiedensten Bleikrankheiten herbei-
geführt werden.9)
Nach dem Grundiren wird die Oberfläche geglättet und polirt, indem man
sie mit Bimstein, Glaspapier oder Schachtelholz "abschleift und zuletzt mit Trippel
polirt, wobei wiederum auf die Natur des sich hier bildenden Staubes die grösste Rück-
sicht zu nehmen ist.***)
3) Bei nicht metallischen Gegenständen werden die Bronzefarben aufgetragen
*) Anlauffarben, die violett, orange, goldgelb, knpferroth oder grün erscheinen,
entstehen durch Erhitzen des Bronzepulvers: sie sind stets aus Fettsubstanz, Sauer-
stoff und Kupfer, oder aus einer Legirung von Kupfer mit Zink zusammengesetzt:
eigentlichen Farbstoff enthalten sie nie.
**) Unter Lackiren versteht man im Allgemeinen das Ueberziehen von Holz-,
Blech- und andern Arbeiten mit Lackfirniss (s. t)ellaekfirnisse S. 454); derselbe wird
mit einem Pinsel aufgetragen, getrocknet und 3 — -4 mal, nach Bedarf wiederholt auf-
gestrichen:_ der Ueberzug wird "mit Bimst'in abgerieben I Staubbildung) und dann mit
Stärke poüi't.
***) Beim Lackiren von Weissblech findet ein Grundiren besonders statt, wenn
man mit Lackfarben arbeiten will und der Metallglanz nicht durchgesehen werden
darf: das spätere Abschleifen des Grundes fällt dann weg.
Kupferindustrie. 719
und zwar entweder mit einem schnell trocknenden Oel oder schon mit dem Lackfirniss
gemischt. Nach dem Trocknen findet ein abermaliges Glätten und Poliren statt,
wobei sich wiederum Staub, aber in geringerm Grade entwickelt; alsdann wird der
eigentliche Glanzfirniss aufgetragen und zwar in einer sehr dünnen Schicht, welche
aber durch wiederholtes Auftragen schliesslich spiegelglänzend wird.
Der Glanz- oder Goldfirniss (s. S. 868) wird nach Bedürfniss dargestellt, je
nachdem man bestimmte Farbennüancen erzielen will.
Beim Metalllackiren, z. B. beim Lackiren des Gusseisens zu Ofen-
verzierungen, geschieht diese Arbeit theils kalt, theils heiss. Der erste Ueberzug wird
gewöhnlich kalt aufgetragen und dann die Waare in den Lackirofen gebracht, in
welchem sich noch ein gewisser Theil des Harzlösungsmittels verflüchtigt. Hierauf wird
ein neuer Ueberzug von Firniss auf die noch erhitzte Waare applicirt: sobald derselbe
so weit im Ofen eingetrocknet ist, dass er noch klebt, werden behufs Bronzirens die
Bronzefarben mittels eines Pinsels oder Staubbeutels aufgetragen.
Dieser Act verdient wegen der Staubbildung jedenfalls alle Beachtung, wenn
es sieh auch im Allgemeinen um einen hauptsächlich aus Kupfer bestehenden Staub
handelt; einige Vorsicht bei der Behandlung der Bronzefarben kann den mit dieser Beschäf-
tigung verbundenen Uebelstand bedeutend mindern. Diese Procedur sollte nämlich niemals
in dem allgemeinen Fabrikraum, sondern in besondern, nur für dieselbe bestimmten
Räumen vorgenommen werden, um nicht die ganze Atmosphäre mit diesem Staube zu
imprägnireu. Eine Ventilation durch Exhaustion würde hier ganz besonders am Platze
sein und die sanitären Verhältnisse der Arbeiter ganz bedeutend heben.
Nach dem vollständigen Austrocknen im Ofen lässt man die Waare
erkalten und überzieht sie in der Regel mit einem farblosen Glanzfirniss, wenn man
nicht besondere Farbennüancen hervorrufen will. Den Firniss lässt man zuerst an der
freien Luft und zuletzt im Lackirofen vollständig, aber langsam austrocknen*).
Die Dämpfe, welche beim Lackiren auftreten, sind für die Arbeiter und die
nächste Umgebung sehr lästig und ausserdem feuergefährlich, jedoch in einem
geringern Grade als bei den eigentlichen Lackirfabriken für Weissblech. Immer-
hin sind die Dämpfe von verdunstendem Terpentin oder Harzlösungen für manche
Arbeiter sehr belästigend und erzeugen nicht selten heftige Kopfschmerzen: manche
Arbeiter werden davon in einem höhern Grade betroffen. Jedenfalls müssen die Trocken-
öfen mit den zweckmässigen Einrichtungen zur Ableitung dieser Dämpfe in's Freie ver-
sehen sein. Zweifelsohne bietet dieser Umstand in sanitärer Beziehung kein ganz
untergeordnetes Moment dar und zwar um so eher, als jedenfalls die Reinheit der Luft
dadurch Abbruch erleidet.
b) Gelbgnss oder gelber Messing. Die verschiedene Composition der Legirung
richtet sich danach, ob man es zur Verarbeitung unter Walze und Hammer, zu Schiffs-
beschlägen oder zum Drahtziehen, zum Schmieden, zum Messingschlag- oder Hartloth
( d. h. zum Löthen von Schmiedeeisen, Stahl und Kupfer) benutzen will. Es heisst auch
Mnntzmetall, weil es im Jahre 1432 durch den Engländer Muntz zuerst dargestellt und
zum Bekleiden der Schiffe gebraucht wurde: es enthält gewöhnlich 4ß% Zink und man
kann es kalt und warm walzen.
c) Weissmessing, das eigentliche Messing, hat einen durchschnittlichen Ge-
halt von 2,0% Zink; derselbe kann aber zwischen 24 — 45^ wechseln. Je reiner die Grund-
stoffe sind, desto grösser ist die Weichheit und Zähigkeit des Messings _( Tafel-
messing) und lässt sich stampfen, walzen, hämmern und in Drähte ziehen; je grösser
der Zinngehalt ist, desto mehr nähert sich die Farbe der blassgelben oder silberweissen.
Zur Fabrication von Knöpfen, Leuchtern, Theekannen u. s. w. gebraucht man das
Bathmetall aus 55 Th. Kupfer und 45 Th. Zink: das Knopfnietall enthält sogar 80 Th.
Zink und 20 Th. Kupfer.
Ein geringer Zusatz von Blei gibt dem Metall eine grössere Härte (Guss- und
Drehmessing), erfordert aber auch beim Guss eine grössere Vorsicht.
*) Will man einen glänzenden, wässrigen Ueberzug hervorrufen, so wendet man,
um eine billige Waare darzustellen, eine Auflösung von Kaliharzseife an (s. S. 470).
Diese Flüssigkeit besitzt die Eigenschaft, beim Trocknen _ einen fest haftenden, glänzen-
den Ueberzug herzustellen, welcher aber ziemlich löslich in Wasser ist. Bei den
meisten gefärbten Spielsachen, besonders bei den aus Holz dargestellten, kommt
diese Harzseife als Bindungs- und Glanzmittel zur Verwendung: da wegen ihrer
leichten Löslichkeit auch die giftigen Farben blossgelegt und abgewaschen werden,
so gewährt dieser Firniss nicht die geringste Sicherheit vor der Einwirkung der
Gifte. Ein besserer Ueberzug würde eine Lösung von Ca sein in Borax sein, welcher
aber theurer ist und deshalb vermieden wird.
720 Kupfer.
Fabrieation von Messing. Die älteste Methode, die chinesische, bestand
darin, dass man Kupfer- und Zinkerze in Schachtöfen zusammenreducirte; das
fabricirte Messing führte im Handel den Namen Pakfong. Erst gegen Ende des
vorigen Jahrhunderts fing man an, metallisches Zink und Kupfer in den sogen.
Messingöfen zu schmelzen; diese sind gewöhnlich eiförmig, 5 Fuss hoch und
3 — 3% Fuss breit. Die Schmelztiegel stehen auf einem gemauerten und durch-
brochenen Gewölbe, durch dessen Oeffuung die Flamme durchschlägt; bei gross-
artigem Betriebe fassen die häufig aus Graphit gefertigten Tiegel 30 — 40 Pfund
Legirung.
Zink, Kupfer und Kohlenstaub müssen in wechselnden Schichten
eingetragen werden. Trotz der Kohlendecke verbrennt Zink während des
Schmelzens mit weissbläulicher Flamme zu Zinkoxyd; der Zinkverlust beträgt
durchschnittlich wenigstens 3 %, was in sanitärer Beziehung besonders zu
beachten ist.
Die Messingöfen gleichen in Iserlohn Kaminen, welche vorn mit Thüren zu ver-
schliessen sind und deren oberer Theil von einem 6 Fuss hohen Blechmantel ge-
bildet wird. Nach C. Bischoff10) soll sich der grösste Theil des Zinkoxyds schon inner-
halb des Blechmantels niederschlagen : 3 Fuss über dem Blechmantel betrug die mit
Russ gemischte Menge 15% und nahm bis zur Höhe des Schornsteins immer mehr ab.
Nur in einem einzigen Falle enthielt der in der Nähe der Fabriken auf Pflanzen nieder-
geschlagene Staub Spuren von Zinkoxyd. Schädliche Einwirkungen auf die nächste
Umgebung könnten hiernach nur auf den Russ geschoben werden; dieser Russ wird
zweifelsohne stets zinkoxydhaltig und daher in sanitätspolizeilicher Beziehung zu beachten
sein. Abgesehen davon, dass der beim Reinigen solcher Essen gewonnene Russ nicht an
jedem beliebigen Platze abgelagert werden darf, sollte ganz besonders auf die Höhe
der Schlote mehr Rücksicht genommen werden, welche in den meisten Fällen viel zu
niedrig und daher ohne Wirkung sind. Ausserdem ist zu verhüten, dass sich die
Arbeiter nicht unnöthiger Weise den metallischen Dämpfen aussetzen, was häufig in der
Weise geschieht, dass sie die Tiegel mit der Schmelze vor sich auf den Boden stellen,
mit Stäben letztere einstossen und die emporsteigenden warmen Dämpfe in grosser Menge
einathmen, anstatt dies Geschäft unter einem gut ziehenden Schlote vorzunehmen.*)
Was die Schädlichkeit der Zinkdämpfe für die Arbeiter anbetrifft, so ist Bischoff
der Ansicht, dass dieselben nicht hiervon afficirt würden, selbst wenn sie sich in einer
dicken Wolke von Zinkdämpfen befänden.
Nach allen vorliegenden Erfahrungen kann aber nicht bestritten werden, dass um
so eher Gesundheitsstörungen eintreten werden, je mehr Messingdämpfe auftreten. Auch
ist zu berücksichtigen, dass in kleinern Fabriken häufig altes Messing und die ver-
schiedensten Abfälle von ungewisser Zusammensetzung benutzt werden.
Ferner ist es eine unbestrittene Erfahrung, dass bei Messinggiessern häufig eine
Krankheit auftritt, welche als eine Folge der einwirkenden Zinkdämpfe betrachtet und
deshalb Zinkfieber genannt wird. Mit mehr Recht verdient die Krankheit den Namen
Messingfieber, denn es ist sehr zu betonen, dass dies charakteristische Leiden nur bei
den Giessern vorkommt, welche sich mit dem Messingguss beschäftigen; die reinen
Zinkdämpfe erzeugen zwar ein in mancher Beziehung ähnliches Leiden (s. S. 690),
dieses beginnt aber nie mit dem eigenthümlichen Frostanfall, welcher das Messing-
fieber kennzeichnet.
Einige Modificationen abgerechnet, hat man das Messingfieber in Deutschland,
Frankreich und England unter fast gleichen Erscheinungen beobachtet. Greenhow11) sah
die Krankheit bei den Arbeitern in Birmingham, Wolverhampton und Sheffield; Verf.
hatte oft Gelegenheit, die Krankheit in einer grossen Gefangenanstalt zu beobachten. Die
Anfälle treten meist gegen Abend oder Nachmittags ein, wenn die Arbeiter sich den
Tag über mit Giessen beschäftigt haben: Druck in den Hypochondrien, Widerwillen
gegen Essen, Uebelkeit oder auch Erbrechen bezeichnen den Anfang dieses Leidens.
Seltner sind kolikartige Schmerzen und reissende Zahnschmerzen: häufiger tritt dagegen
ein fixer Kopfschmerz in der Schläfengegend ein, zu welchem sich ein Gefühl von
allgemeiner Zerschlagenheit mit Gliederschmerzen hinzugesellt. Das Frösteln zeigt sich
zuerst unter der Form von Horripilationen zwischen den Schulterblättern mit leichtem
Zittern, steigert sich aber immer mehr zu einem heftigen Frostanfall wie im Kältestadium
*) Zur Hervorrufung eines kräftigen Zuges könnte die Einrichtung der auf S. 665
von D'Arcet angegebenen Anlage ähnlich sein.
Kupferindustrie. 721
der Intermittens. Der Frost kann 1, 2, selbst 3 Stunden lang anhalten, in der Regel
dauert er aber 20—30 Minuten; hierauf folgt ein nicht stark ausgeprägtes Hitzestadium,
welches alsbald in einen profusen Schweiss übergeht, wobei sich der Körper sehr
heiss anfühlt. Am andern Morgen sind alle beunruhigenden Symptome verschwunden
und der Kranke fühlt nur eine Mattigkeit, die ihn aber selten hindert, seine Arbeit
wieder aufzunehmen. Nicht immer zeigt sich ein anfangs trockner, kiteelnder Husten,
welcher sich später mit einem Auswurf von zähem Schleim verbindet. Der ganze
Krankheitsanfall ist zwar kurz, kann sich aber oft wiederholen, bei manchen Arbeitern
sogar im Verlaufe von einigen Wochen.
Bei trübem Wetter, wenn der Abzug der Dämpfe gehindert ist, oder wenn un-
günstige Winde ihn in den Fabrikraum zurücktreten lassen, zeigt sich natürlich die
Krankheit häufiger: auch hat man die Beobachtung gemacht, dass Arbeiter, die sich
nur zeitweilig in der Giesserei aufhalten, leichter von der Krankheit befallen werden
als alte Giesser, welche beständig mit dem Messingguss beschäftigt sind. Excesse in
der Lebensweise oder auch eine bestimmte Krankheitsanlage begünstigen die Disposition
zur Krankheit.
Die kleinen Modifikationen mögen von dem grössern oder geringern Gehalte an
Zink in der Leginmg und von der Beimischung anderer metallischer Dämpfe herrühren.
Bekanntlich ist Arsen ein steter Begleiter von Zink und ist es nicht bloss möglich,
sondern wahrscheinlich, dass in gewissen Fällen das Krankheitsbild durch die bei-
gemengten arsenikalischen Dämpfe Veränderungen erleiden kann; bedeutend kann
aber die Menge derselben schon aus dem Grunde nicht sein, weil sonst die Restitution
nicht so bald erfolgen würde.
In sanitärer Beziehung wird es sich sehr empfehlen, beim Einschmelzen
von alten Metalllegirungen. deren Compositum unbekannt ist, durch Zusatz von
leicht schmelzenden Silicaten, Fluoriden oder Boraten eine leichtflüssige
Schlacke zu erzeugen, um die metallischen Dämpfe möglichst aufzunehmen. Die
abfallenden Schlacken können* sehr gut bei der Glasfabrication verwendet werden
und eine Entschädigung für diesen Zusatz liefern; man würde also durch diese
sanitäre Massregel auch dem kaufmännischen Interesse nicht in nachtheiliger
Weise zu nahe treten.
Immerhin wird das Hauptgewicht auf ein luftiges, mit zweckmässigen
Einrichtungen für das Abziehen des Rauches versehenes Local zu legen sein, da
es ausser Frage gestellt ist, dass die Krankheit um so gewisser auftritt, je enger
das Arbeitslocal ist, je mehr es sich mit den Messingdämpfen anhäuft und je
weniger für eine Ventilation gesorgt wird. Es ist höchst tadelnswerth, wie sehr
man bei dieser Industrie noch alle sanitären Vorsichtsmassregeln vernachlässigt
und die Arbeiter diesen schädlichen Dämpfen preisgibt.
In Zinkhütten kann die Krankheit schon deshalb nicht auftreten, weil in
dem zu verarbeitenden Metalle verhältnissmässig sehr wenig Kupfer enthalten ist
und nach allen vorliegenden Erfahrungen nur die Dämpfe der Legirung von
Zink und Kupfer, welche das eigentliche Messing darstellt, als die wirkliche
Krankheitsursache beschuldigt werden können.
Das Giessen der Metalle in Formen. Es ist hier der geeignetste Ort, über_ das
Giessen der Metalle eine allgemeine Uebersicht zu liefern, zumal Messing,
Bronze, Neusilber, Zink, Blei, Zinnlegirungen ausser dem Gusseisen, Silber
und Gold am meisten zum Giessen benutzt werden.
Das Material für die (russfornien. d. h. für den hohlen, auszufüllenden Raum, be-
steht bei eisernen Gegenständen aus Sand und Lehm, zuweilen auch aus Eisen,
bei Messing. Neusilber, Bronze ebenfalls aus Sand und Lehm, bei kleinen Figuren
und Statuen "von Bronze aus Sand, Lehm, Gips, Ziegelmehl, beim Giessen
von Glocken aus Lehm oder zuweilen aus Sand. Für leicht schmelzbare Metalle
benutzt man Formen von Eisen, Messing, Blei, Gips, Sandstein, Schiefer, zuweilen
auch von Holz. Dabei unterscheidet man bleibende oder feste und verlorene
Formen: letztere müssen für jedes Gussstück neu gemacht werden.
Die (tussmodelle bestehen meist aus Holz, bei Kunstgiessereien aus Thon, Lehm,
Eulenberg, Ge^verbe-Hygiene. 46
722 Kupfer.
Ziegelmehl oder zur Darstellung vieler Gegenstände, z.B. von Kugeln, Töpfen, Orna-
menten, aus Metall: sie i-tiinnien mit der Gestalt des gewünschten Gussstücks möglichst
aberein. Vorzugsweise gebraucht man Schalen-, Sand-. Kasten- und Lehmguss:
die Verschiedenheit des Verfahrens hierbei bietet auch verschiedene sanitäre Interessen dar.
Unter Schalenzuss (Poterie) versteht man das Giessen von Eisen in eisernen
Formen. Bei allen hohlen Gegenständen gebraucht man sogen. Kerne, durch die man
im Innern des Gussstückes einen leeren Raum zu erhalten sucht.
Herd- oder Sandguss nennt man das Giessen grösserer Gegenstände von Guss-
eisen in offenen Sandformen; der Sand muss so viel Thon enthalten, dass er, mit
Wasser angefeuchtet, sich ballen lässt. Auf dem Boden der Fabrik bildet man entweder
in dieser sogen. Masse oder in nassem Sande durch Eindrücken des Modells die
Formhöhlung.
Die Anfertigung der Formen für offenen Guss nach einem gegebenen Modell
gehört zu den schwierigsten Geschäften beim Giessen : man stellt auf diese Weise vor-
zugsweise eiserne Platten, Roste für Kellerlöcher, Gitter, Gewichte, Ambosse, schwere
Hämmer u. s. w. dar.
Zum Kasten^uss sind Formkasten oder Laden erforderlich, die mit Sand gefüllt
werden und aus zwei aufeinanderliegenden Rahmen bestehen. Man drückt das Modell
bis zur Hälfte in den Sand des untern Rahmens, setzt den zweiten Rahmen darauf und
füllt auch diesen mit Sand: dann hebt man vorsichtig den obern Rahmen ab, nimmt
das Modell weg und fügt die Rahmen, deren Construction das Herausfallen des Sandes
beim Aufheben verhütet, wieder zusammen. Die erforderlichen Gussöffnungen werden
meist im Sande des obern Kastens angebracht, indem man hölzerne Pflöcke aufsetzt,
welche man, nachdem der Kasten mit Sand ausgefüllt ist, wieder herauszieht. Wind-
löcher erzeugt man auf dieselbe Weise für das Austreten der Luft (s. Eisengiesserei).
Beim Formen von massiven Gegenständen in Sand müssen die Wände
der Formhöhle vor dem Gusse mit dem Scheidungspulver (feinem Sande,
Kohle, Russ oder Stärkemehl) stets sorgfältig bestreut werden, damit das Metall
nicht an der Formmasse kleben bleibt.
In den Eisengiessereien stellt man in Kasten die conischen Räder, Schrauben-
spindeln, Eisenbahnräder, in der Messing- oder Bronzegiesserei die Büsten,
Statuen u. s. w. dar. Zum Guss von Polsternägeln benutzt man eine sehr sinn-
reiche Form, desgleichen für den Guss der Fingerhüte.
Zum Formen von Gas- und Wasserleitungsröhren verwendet man ein
zinnernes, eisernes oder messingenes Modell.
Lehmformen werden durch Modelliren oder Streichen mit einer Schablone
dargestellt. Alle Lehmformen müssen vorsichtig getrocknet oder auch zuweilen hart
gebrannt werden und zwar mit Kohlenfeuer in besondern Trockenkammern. Die
Lehmformen für Geschütz- und Glockenguss werden mit Pferdemist und Kuhhaaren
vermischt: gelangt das geschmolzene Metall in die Form, dann entwickeln sich höchst
übelriechende und nicht ganz indifferente Gase und Dämpfe. Man unter-
scheidet bei Lehmformen den Kern, den Mantel und das Modell.
Was die Apparate zum Schmelzen der Metalle betrifft, so bedient man sich zum
Schmelzen von Zink, Messing, Neusilber und Bronze der Tiegel, zum Schmelzen von
Eisen der Schmelzöfen, zum Schmelzen der leicht schmelzbaren Metalle (Blei, Zinn,
Schriftmetall), eiserner Löffel und Töpfe.
Flammenöfen benutzt man zum Gusse von Kanonen, von Bildsäulen und
Thurmglocken von Bronze; sie sind wie die ReverberirÖfen construirt. Der Schacht-
oder Kupolöfen bedient man sich zum Schmelzen von Gusseisen (s. Eisengiesserei).
In sanitärer Beziehung ist zu bemerken, dass die Giesser von dem
starken Staube bei der Darstellung der Gussformen sehr viel leiden. Der
traurige Zustand derselben veranlasste schon vor 20 Jahren die französische
Regierung, eine Commission zu berufen, welche die nähern Verhältnisse zu
prüfen hatte; Tardieu hat als Berichterstatter vorzugsweise die Werkstätten von
Kupfer- und Bronzegiessern geschildert.12)
Die Arbeiter litten an Asthma, Brustkatarrh und allen möglichen Brust-
affectionen; selbst ein Fabricant sah sich zu folgendem Geständniss genöthigt:
„dans notre profession nous sommes tous un peu poussif!^ Die meisten Arbeiter
klagten zwar nicht über bestimmte Krankheiten, aber die schweren Leiden offen-
barten sich um so sicherer nach Verlauf einiger Jahre.
Höchstens vergehen 10 Jahre nach dem Eintritt in diese Arbeit, bis sich
Kupferindustrie. 723
die Wirkung derselben geltend macht, und grade in diesem Umstände liegt das
Verderbliche aller Staubatmosphären. Weil der schädliche Einfluss nicht
sofort in die Erscheinung tritt, wird er auch von den Arbeitern wenig beachtet;
erst muss das Leiden einen gewissen Höhepunct erreicht haben, ehe die Arbeiter
und Fabricanten an die Gefährlichkeit der verschiedenen Staubarten denken. Mit
einer einfachen Brustbeklemmung beginnend, schreitet das Uebel unaufhaltsam
weiter, namentlich wenn noch eine ungeregelte Lebensweise oder Uebermass von
Spirituosen hinzutreten, bis schliesslich jede geringe Bewegung die Kurzathmig-
keit im höchsten Grade steigert; die Athmungsnoth hält an und unter grosser
Abmagerung und heftigen Beschwerden schreitet die Krankheit ihrem letalen
Ausgange entgegen.
Nach den von Tardieu mitgetheilten Krankheitsfällen hat die Krankheit
der Giesser die grösste Aehnlichkeit mit der Anthracosis pulmonum der
Kohlenbergarbeiter. Es ist daher auch die Annahme gerechtfertigt, dass es
weniger der Sand als der Kohlenstaub ist, welcher die Hauptursache der ver-
schiedenen Brustaffectionen ist. Tardieu räth deshalb in präservativer Beziehung
an, Stärkemehl stets an Stelle der Kohle als Streupulver zu benutzen; in allen
Etablissements, wo dasselbe eingeführt worden sei, habe sich ein bedeutender
Nachlass der Brustaffectionen gezeigt. Ausserdem muss jedoch eine zweckdienliche
Ventilation der Fabrikräume hinzukommen, damit die Ausbreitung der metallischen
Dämpfe in denselben verhütet wird.
Der Kohlenstaub ist nur die eine nachtheilige Seite dieses Gewerbes, hinzu
gesellen sich meist noch die metallischen Dämpfe, die nach der verschiedenen
Darstellung der Legirungen variiren und daher auch verschiedene Krankheits-
processe zu erzeugen vermögen, unter denen sich das „ Messing fieber" durch die
auffallendsten Erscheinungen kundgibt, während die Blei-, Arsen-, Antimon-
dämpfe u. s. w. meist nur schleichend den Organismus zerrütten; so figuriren
Giesser in den Morbiditätslisten nicht selten als mit Saturnismus behaftet.
Die öffentliche Gesundheitspflege hat daher die doppelte Aufgabe, in allen
Giessereien für die Beseitigung resp. Condensation der metallischen
Dämpfe Sorge zu tragen und auch das Auftreten des Kohlenstaubes so
viel als möglich zu verhüten.
Beizen und Gelbbrennen des Messings. Der Guss erfordert noch mehrere
Manipulationen, um der Waare das gehörige Ansehen zu geben oder, wie bei
Bronze- und Messingwaaren, eine andere Färbung zu verschaffen. Das
Verfahren, welches bei Bronzewaaren zur Anwendung kommt, unterscheidet
sich von dem bei Messingwaaren nur darin, dass man hierbei noch bisweilen
essigsaure und salzsaure Dämpfe einwirken lässt oder kleinere Gegenstände
mit Sauerwasser u. s. w. behandelt, um die Antik -Bronze oder Patina zu
imitiren.
Beim Beizen veranlassen die hierzu erforderlichen Mineralsäuren die Entwicklung
schädlicher Dämpfe; namentlich tritt hier bei der Verwendung der Salpetersäure
eine grosse Menge salpetriger und Untersalpetersäure auf, die durch kraftig
ziehende Schlote aus dem Beizlocale entfernt werden müssen. Diese Beizlocale oder
Beizhänser zerstören wegen dieser ihnen entströmenden Dämpfe leicht die gesammte
Vegetation der nächsten Umgebung; es ist daher ihre Anlage und Situation wohl zu
prüfen, ehe die Concession zum Betriebe ertheilt wird. Auch ihre innere Einrichtung
sollte einer sanitätspolizeilichen Controle unterliegen, um die Arbeiter durch eine kräf-
tige Ventilation vor den Gefahren, welchen sie hier ausgesetzt sind, so viel als möglich
zu schützen.
46*
724 Kupfer.
Man unterscheidet bei den verschiedenen Proceduren a) das Pökeln, welches die
Beseitigung des vorhandenen Kupferoxyds bezweckt. Die ausgeglühten Sachen bringt man
noch heiss in ein Gemisch von Schwefelsäure und Wasser, spült sie ab und taucht
sie dann in Salpetersäure, bis sie gelb und blank erscheinen: häufig gebraucht man
auch sogleich mit Wasser verdünnte Salpetersäure.
Der Pökel wird allmählig so reich au Kupfer- und Zinksalzen . dass dieselben
herauskrystallisiren und als blauer Vitriol in Färbereien benutzt werden. Nicht sehr
concentrirten Pökel lässt man in einigen Gegenden frei abfliessen, was niemals gestattet
werden sollte, da er Brunnen vergiften und alle Vegetation zerstören kann: stets sollte
man das Kupfer aus demselben durch metallisches Zink als Cementkupfer gewinnen.
Der Rückstand kann zu Zinkvitriol eingedampft werden.
b) Das Verbrennen. Aus dem Pökel kommen die Platten in die Bl ankbeize, in
welcher sie vorgebrannt werden. Sie besteht aus Schwefelsäure, Salpetersäure,
etwas Kochsalz oder Salzsäure; bisweilen setzt man auch etwas Urin, stets aber
Russ hinzu, wodurch die Entwicklung von salpetriger und Untersalpetersäure
ganz bedeutend vermehrt wird: Sägemehl, Theer oder Schnupftabak haben dieselbe
Wirkung.
c) Das Sieden oder Mattiren. Die Mattbeize wird heiss angewendet und besteht
aus Salpetersäure, Schwefelsäure und in Salpetersäure gelöstem Zink.
Indem sich das Metall mit einem milchigen Schaume überzieht, entwickelt sich wieder
viel salpetrige Säure, wobei das Metall ein graugelbes, mattes Ansehen bekommt;
wahrscheinlich bildet sich auf der Oberfläche des Metalls hierdurch Kupferoxyd mit
vielem Zinkoxyd von graugelblicher bis schwärzlicher Farbe. In einigen Fabriken ge-
braucht man auch Salpetersäure mit Wasser oder die bereits erwähnte Mischung
von Salpetersäure, Schwefelsäure und Kochsalz.
d) Das Beizen soll die dunkelgraugelbe Oxydschicht entfernen; man benutzt zu
dem Ende concentrirte oder nur wenig verdünnte Salpetersäure.
Das Verfahren ist nur in grossen Umrissen angedeutet worden, um den Arzt auf
die wichtigsten Momente, welche hierbei in sanitärer Beziehung zur Sprache kommen,
aufmerksam zu machen.
Auch die salpetersauren Dämpfe gehören zu den Giften, welche nicht
sofort ihre deletäre Wirkung äussern, aber bei stetiger Einwirkung sicher den
Organismus zerrütten.13) Es kommt daher vorzüglich darauf an, die Beizgefässe unter
einem Schlot aufzustellen, welcher bei einem kräftigen Zuge die Verbreitung der
Dämpfe im Fabrikraume verhütet; dabei muss der Schlot ausreichend hoch sein,
damit auch die Anwohner nicht von diesen schädlichen Dämpfen getroffen werden.
Der bei der Weissblech -Verzinnung empfohlene Schlot würde auch hier den Zweck
am vollkommensten erreichen.
2) Bronzeartiges Messing, d. li. Legirungen ans Kupfer und Zink mit Bei-
mengungen von Zinn. Hierher gehört der französische Tombak für Gewehr-
beschläge, die goldäbnliche Bronze zu Schmucksachen und die moderne
Bronze oder Statuenbronze.
Die Gegenstände bedecken sich mit der Zeit mit einer grünen Schicht (Antik-
bronze, Patina): durch Bildung von Schwefelkupfer werden sie schwarz. Die
meiste Bronze ist eine Verbindung von Tombak mit 2—3$ Zinn; der Zinkgehalt
kann zwischen 10$ und 82$ schwanken: der Bleigehalt ist häufig zufällig und daher
meist sehr gering; ein Gehalt von 1 % Blei soll die Flüssigkeit der Legirung befördern
und wird deshalb bisweilen absichtlich zugesetzt.
Beim Giessen der Statuen ist zu bemerken, dass sich während des eigentlichen
Gusses das ganze Giesshaus mit einem zum Husten reizenden, kratzenden, weisslichen
Rauch, welcher wesentlich Zinkoxyd enthält, anfüllt (s. Zinkdämpfe). Wenn die Form
nicht vollständig trocken gewesen ist und das glühende Metall mit Wasserdämpfen in
Berührung kommt, können auch sehr leicht Explosionen erfolgen.
3) Lagermetalle, oder Legirungen aus Kupfer mit ziemlich viel
Zink und Zinn sowie untergeordneten Beimengungen anderer Metalle.
Die Legirungen dieser Art finden fast sämmtlich in der Maschinenconstruction
Anwendung, wovon der Name: Lagermetall, herrührt.
Kupferinclustrie. 725
Die noch schone Goldfarbe der zweiten Gruppe geht hier bei grosserm Zusätze
von Zinn in das Graue oder Weisse über. Der Zusatz von Zink vermehrt die Härte
und Festigkeit: am meisten wird diese Legirung bei der Construction von Locomotiven
und Dampfmaschinen benutzt.
4) Aechte Bronze oder Zinnbrouze. Es sind Legirungen von Kupfer und
Zinn, welche zum Guss von Glocken, Kanonen, Metallspiegel, Münzen und
Medaillen benutzt werden; hierher gehört vorzüglich die Antikbronze der Alten.
Der Zinn geh alt macht das Kupfer fester, härter und spröder; Zusatz von Blei
macht, wie schon erwähnt worden, die Bronze leichtflüssiger, zäher und dehn-
barer, befördert aber auch die Oxydation.
Das beste Glockenmetall besteht gewöhnlich aus 85 % Kupfer und \h% Zinn,
aber auch in andern Proportionen. Als Ersatz der Bronze hat man auch Spiegel-
eisen und neuerdings in Bochum Gussstahl zum Glockengiessen in Anwendung
gebracht.
Beim Geschützguss wird zuerst Kupfer resp. altes Geschütz geschmolzen und
dann Zinn unter Umrühren zugesetzt, wobei sich stets nicht unerhebliche Mengen von
Zinnoxyddämpfen entwickeln; gewöhnlich steigt der Zinngehalt von 8 — 10%.
Spiegelmetall zur Anfertigung von Metallspiegeln erfordert einen grössern
Zinnzusatz, wodurch hellere Farbe und grössere Politurfähigkeit erzeugt wird.
Wenn das Kupfer geschmolzen und das Zinn unter Umrühren zugesetzt ist, wird die
Masse durch Ausgiessen in kaltes Wasser granulirt, dann abermals geschmolzen und
kurz vor dem Gusse mit Arsenik versetzt; die Menge des letztern beträgt ungefähr
1—2%. Wenn sich schon beim Schmelzen von Zinnmetall Spuren von Arsen ent-
wickeln, so ist bei diesem absichtlichen Zusätze von Arsenik ganz besonders auf die
arsenikalischen Dämpfe Rücksicht zu nehmen.
Bei der Anfertigung der Medaillenbronze schmilzt man die Masse in Tiegeln
schnell ein und formt sie in Sandformen.
Vorzugsweise gebraucht man che Bronze zu Bijouterien, Schmucksachen über-
haupt und für zu vergoldende Waaren.14)
Die Fabrication der Bronzewaaren gehört zu den ältesten Industriezweigen,
wofür die grosse Menge von Bronzegegenständen aus den frühesten Zeiten spricht;
späterhin wurde die Bronze fast ausschliesslich zu Geschützen benutzt, bis nament-
lich die Fortschritte in der Beleuchtungskunst auch dieser Industrie einen
bedeutenden Aufschwung gegeben haben, wie die Fabrication von Lampen,
Krön- und Wandleuchtern beweisen.
Verfolgt man diese wichtige Industrie in den verschiedenen Stadien der
Fabrication, so ergibt sich, dass schon die Ausarbeitung der Modelle eine besondere
Sorgfalt erfordert. D~ie Formen werden aus feuchtem Sande angefertigt und in Wärm-
öfen 12 — 2-4 Stunden lang getrocknet. Die beim Gnss entstandenen Unregelmässigkeiten
werden mit Feile und Meissel oder bei runden Gegenständen auf der Drehbank beseitigt;
dann folgt beim regelmässigen Aufeinanderfolgen der verschiedenen Manipulationen die
Lüflmng der zusammengehörigen Theile, das Verputzen der Löthstellen und das Beizen,
um das auf der Oberfläche entstandene Oxyd zu beseitigen. Theile, welche ' glänzend
erscheinen sollen, werden polirt; um das Dunkelwerden der Bronze aber zu verhüten,
werden die Gegenstände lackirt. d. h. mit einem feinen, durchsichtigen Firniss
überzogen, um sie gegen den Emfluss der Luft zu schützen. Bisweilen erzeugt man
absichtlich durch einen dunkeln Lack eine braungrüne Farbe; namentlich müssen die
aus Zink angefertigten Theile entweder durch einen solchen Lack oder durch Ver-
golden mittels Bronzefarben gefärbt werden.
Berlin besitzt gegenwärtig -± der grössten Fabriken dieser Art, in welchen in der
letzten Zeit ungefähr 1500 Arbeiter beschäftigt wurden; die meisten für neue Theater
bestimmten Colossal-Kronleuchter sind aus Berliner Fabriken hervorgegangen.
Die mechanische Behandlung der Messing- oder Bronzewaaren geschieht wie
bei fast allen Metallen durch Schmieden, Walzen und Ausziehen. Ausser den
Messing- und Bronzeblechen sind besonders die messingenen Drähte von
grosser industrieller Wichtigkeit.
Unter Metalldraht überhaupt versteht man ein durch Ziehen, Walzen oder
Pressen entstandenes Stück Metall von grosser Länge und geringer Dicke. Die genauere
726 Kupfer.
Beschreibung der Darstellung gehört der Mechanik an und es sei hier nur erwähnt,
dass in Iserlohn ausser den vielen Schmucksachen vorzugsweise Panzerharnische
und in Limburg Drahtgewebe aus Messingdraht dargestellt werden. Das letztere
wird zu sehr vielen häuslichen Gegenständen verwendet, leider aber auch mit dem unver-
meidlichen Schweinfurtergrün angestrichen. Käseglocken, Schränke, Wiegen u. s. w.
von solchem Drahtgewebe kommen nicht selten vor. da die schädliche Farbe leicht ab-
springt, so sind alle Hausgeräthe dieser Art gänzlich zu verwerfen.
Auch die Stecknadelfabrication gehört hierher; sie zerfällt 1) in die Anfertigung
des Schaftes aus Messingdraht, der zur Erlangung der nötLigen Steifigkeit durch die
entsprechenden Löcher eines Zieheiseus mehrmals gezogen und dadurch gehärtet
wird. Zum Graderichten dient das sogen. Richtholz; dann wird der Draht mit der
Schrotschere in die Länge der zu verfertigenden Nadeln geschnitten Zum An-
spitzen wird kein Schleifstein, sondern eine scheibenförmige Feile, der Spitzring,
gebraucht, der von Eisen, an der Peripherie aber verstählt und feilen artig gehauen
ist; zum Glätten der Spitze benutzt man einen King mit feinenn Hiebe. Dieses
Anspitzen und Glätten ist in sanitärer Beziehung ebenso wichtig wie das
Schleifen der Nähnadeln, da sich hierbei ein feiner Messingstaub ent-
wickelt, der ebenso wie der Stein- und Stahlstanb beim Schleifen der
Nähnadeln auf die geeignete Weise aus der Athmungszone der Arbeiter
zu entfernen ist und dieselben Einrichtungen erfordert (s. Schleifen der
Nähnadeln). .... , „ .
2) Die Verfertigung der Kiipfe geschieht aus spiralförmig gewundenem Drahte,
3) das Änköpfen mittels eines kleinen Fallwerkes, der Wippe: andere Methoden, z.B.
das Angiessen der Köpfe mittels einer Legirnng von Blei und Antimon, haben noch
wenig Anklang gefunden. 4) Das Verzinnender Stecknadeln ist schon S. G50 beschrieben
worden.
5) Legirungen von Kupfer, Zink und Nickel: Nensilber. Neusilber stellt
eigentlich Messing mit einem Zusatz von ' G bis « 3 Nickel dar. Das chinesische
Pakfong oder Paktoug, d. h. Weisskupfer, wurde wahrscheinlich schon aus
Nickelerzen mit Kupfer und Zink zusammengeschmolzen. In Suhl wurden
bereits 1740 die Gewehrkolben zur Verzierung mit Neusilber beschlagen.
Die erste Fabrik in Berlin im Jahre 1824 war die der Gebrüder Hennsger;
Geitner in Schneeberg brachte dieselbe Waare aber schon 1821 als Argentan in
den Handel.
Von sauren Flüssigkeiten wird es weniger als Messing und etwas mehr als
12löthiges Silber angegriffen: sein sehr geringer Gehalt an Arsen (0,4 %) ist beim Ge-
brauchender daraus angefertigten Tischgeräthschaften von keinem Belang, obgleich im
Königreich Sachsen früher deshalb ein Verbot seiner Verwendung ergangen ist.
Mehr" Vorsicht dürfte beim Schmelzen des Metalls für die Arbeiter nothwendig
werden und es ist dringend erforderlich, für einen guten Abzug der metallischen Dämpfe
zu sorgen, obgleich man einen Theil dos Kupfers mit dem Nickel meist unter einer
Kohlendecke schmilzt und dann Zink zugibt; oder man schichtet die Metalle abwechselnd
■m 10—15 Pfund fassenden Tiegeln und gibt zuletzt eine Decke Kohlenstaub auf.
Alfenide, Christophelmetall. Argyroide . Argyropkan sind galvanisch versilberte
Neusilberarten.' Man hat auch Neusilberarten zu Glockenmetall, Zapfenlagern, Spiegeln,
Refiectoren u. s. w. verwendet, bei welchen das Zink durch Zinn vertreten ist.
Xensilberschlagloth ist Neusilber mit mehr oder weniger Zink, Alpakasilber und
Pernsilber sind Neusilberarten mit einem Gehalt an Silber.
Ausserdem setzt man unter Umständen dem Kupfer, ausser Zink und Nickel, auch
Blei oder Kobalt, Eisen, Mangan und Chrom zu.
6) Legirungen des Kupfers mit edeln Metallen, Mnzinetalle. Zur Anfertigung
der Münzen wird Gold oder Silber nach dem geltenden Mün^fusse mit Kupfer
legirt. Die Metalle werden unter einer Decke von Kohlen geschmolzen und in
gusseisernen Formen zu 15 Zoll langen und 3—4 Linien dicken Platten (Zainen)
ausgegossen; diese werden im Streckwerke zu Münzschienen von der vorge-
schriebenen Dicke ausgewalzt und auf der Ausstückelungsmaschine in der
vorgeschriebenen runden Form ausgeschnitten.
Diese Scheiben werden ) u stirt. d.h. ihrem Gewichte nach sorgfältig berichtigt, dann
feingesotten resp. gebeizt und zwar in sehr verdünnter Schwefelsäure; aus der
Kupferverbindungen. 727
Flüssigkeit wird bei Kupfermünzen der Kupfervitriol gewonnen. Nach dem Sieden
werden die runden Scheiben nochmals justirt und dann mittels Prägewerke gerändelt
und geprägt.
Beim Golde heisst die Legirung Karatirung. Bei der rothen Karatirung
besteht der Zusatz aus Kupfer,_ bei der weissen aus Silber. Ein Zusatz von Palladium
zu Kupfer und Gold macht die Legirung weisser, grade wie Platin und Zinn.
Legirungen aus Platin und Kupfer sind dem Golde sehr ähnlich; sie eignen
sich vortrefflich zu Metallspiegeln für optische Instrumente. Zu Schreibfedern,
die nicht rosten, gebraucht man eine Legirung von Platin, Silber und Kupfer.
7) Legirungen des Kupfers mit vorherrschendem Gehalt an Zink, Zinn, Eisen
oder Antimon: Weisses Lagermetall. Diese Legirungen werden hauptsächlich
zu Achsenlagern verwendet. Hierher gehört auch das bereits erwähnte Britannia-
Metall (s. S.666), eine Legirung mit vorherrschendem Zinn; das Kupfer soll in der
Regel nicht über h% betragen, obgleich sich in neuerer Zeit wenig Zuverlässiges
über die Composition solcher Legirungen sagen lässt.
Britannia-Metall wird namentlich zu Tisch- und Speisegeräthen aller Art be-
nutzt, wobei man von dem Gedanken ausging, das Zinn durch andere Metalle, besonders
durch Antimon, härter, politurfähiger und klingender zu machen. Im Allgemeinen stehen
die Britannia-Gefässe auf gleicher Stufe mit den zinnernen; sie laufen an der Luft nicht
leicht an; gegen Pfianzensäuren, z- B. Essig, verhalten sie sich wie reines Zinn, wenn
eben Antimon nicht vorherrscht oder Zusätze von Blei und Zink fehlen.
Letternmetall muss leicht schmelzbar sein; man legirt deshalb 80 Th. Blei,
20 Th. Antimon und nur höchstens % %_ Kupfer; die Legirung wird durch das Kupfer
etwas geschmeidiger. Auch ist eine Legirung von Zink, Zinn, Blei und Kupfer be-
sonders für Stereotypen beliebt.15)
Kupferverbindungen.
Kupferchlorür Cu2Cl2 ist hier zu erwähnen, weil es zur Darstellung von
Sauerstoff im Grossen benutzt wird. Man behandelt Kupferspäne oder Kupfer-
blech an der Luft mit Salzsäure und erhält eine dunkelbraungrüne Flüssigkeit,
die verdampft wird, um Kupferchlorid C11CI2 zu erhalten. Bei Erhitzung des-
selben geht zuerst Wasser, dann Chlor über und es bleibt Kupferchlorür
zurück, das an der Luft in Kupferoxychlorid CuCl2.CuO verwandelt wird;
erhitzt man dieses bis zu 400°, so entweicht der aufgenommene Sauerstoff und
es entsteht wieder Kupferchlorür, welches dann demselben Processe dient.
Kupferclllorid CuCl2 wird nach Deacon zur Gewinnung von Chlor benutzt (s. S.44);
es ist leicht löslich nnd bildet mit Chlorammonium und Chlorkalium Doppelsalze. Die
Tinctura antimiasmatica Köchlini ist Kupferchlorid-Chlorammonium. Als Des-
infectionsmittel verbrennt man Kupferchlorid in alkoholischer Lösung auf Lampen.
Kupfersulfat, Kupfervitriol CuS04-f-5fl20 wird im Grossen durch Rösten von
Schwefelkupfer oder Eindampfen der Grubenwässer dargestellt, die bei der Verwitterung
der Kupferkiese entstehen; da letztere auch Schwefeleisen enthalten, so entsteht stets
Eisenvitriol neben Kupfervitriol; diese gemischten Vitriole heissen Goslaer-,
Salzburger- oder Cyprischer "Vitriol.
Bei der Affinirung des Silbers, d. h. bei der Scheidung des Silbers von
Gold, Kupfer u. s. w. in Münzwerkstätten, wird das goldhaltige Silber durch Schwefel-
säure in Silbersulfat übergeführt, welches bei der Behandlung mit Kupfer unter Ent-
stehung von Kupfersulfat metallisch ausgeschieden wird. In ähnlicher Weise liefert
auch das Ziervogefsche Verfahren (s. S. 680) bei der Silbergewinnung Kupfervitriol
als Handelswaare.
Verwendung findet Kupfervitriol in der Färberei und Farbentechnik, namentlich
beim Schwarzfärben des wollnen Garns und Tuchs. Die weisse Res er vage für
Walzendruck besteht hauptsächlich aus Grünspan oder Kupfervitriol. In betrügerischer
Weise wird Kupfervitriol auch dem Weizenmehl (s. S. 88) zugesetzt. Die Behandlung
des zum Säen bestimmten Weizens zum Schutze gegen Insectenfrass u. s. w. ist nur
dann schädlich, wenn ein solcher Weizen zum Mahlen oder Backen benutzt wird.
Kupferacetat, essigsaures Kupfer. Alle organisch-sauren Kupfersalze haben eine
lebhaft grüne Farbe; man nennt sie deshalb im gewöhnlichen Leben Grünspan. Das
728 Quecksilber.
neutrale, essigsaure Kupfer heisst krystallisirter oder destillirter Grünspan
Cu(C2H302)2 + H20; er wird dargestellt, indem man Kupfertafeln mit Wcintrebern in
Fässern schichtet, -wobei der Alkohol zu Essigsäure oxydirt wird. In Schweden und
Grenoble schichtet man das Kupfer mit in Essig getränkten Filzlappen.
Der gemeine basische Grünspan kommt im Handel als hellblauer oder
französischer (2Cu(C2H302)2 + Cut )) oder als grünlicher (Cu(C2H302)2
+ CuO) vor.
Verwendung findet Grünspan bei der Darstellung der Tapeten- und Malerfarben
sowie der Essigsäure; der Grünspan-Staub wirkt auf alle Schleimhäute reizend ein.16)
Kupferfarben. Verschiedene Farben, z. B. Bergblan, Brannschweigerblan,
Bremerblau, enthalten Kupferhydrat; werden die Kupfersalze mit kohlen-
sauren Alkalien gefällt, so nenut man den Niederschlag von basischem
Kupfercarbonat Bremer-, Braun Schweiger-, Mineral- oder Neuwiedergrün.
Wird metallisches Kupfer mit Kochsalz oder Salmiak behandelt, so bildet
sich ein schöner hellgrüner Niederschlag von basischem Kupferchlorid | [Cupfer-
oxychlorid); diese Farbe ist haltbarer, aber nur als Wasserfarbe zu benutzen, da sie
bei Gegenwart von Oel Ölsäure Verbindungen eingeht und sich verändert.
Leider kommen alle diese Farben auch in Verbindung mit Arsen im Handel vor,
so dass man sich auf die Nomenclatur dieser Farben nicht verlassen darf (s. Arsen).
Kupfernitrat Cu(N03)8+6H20 entsteht, wenn man eine Auflösung von Kupfer
in Salpetersäure bei niedriger Temperatur abdampft; bei erhöhter Temperatur krystallisirt
das Salz mit 3 H20. In der Färberei wird es beim Färben mit Anilinschwarz benutzt.
Zinnsaures Kupfer entsteht als prächtiger grüner Niederschlag, wenn man eine
Kupferoxydlösung mit einer Losung von Zinn in Königswasser mischt und
dann mit Natronlauge präeipitirt; sie ersetzt vollständig das Seh weinf u rtergr ün
und ist in sanitärer Beziehung mit keiner Gefahr in der Anwendung verbunden.
Quecksilber, Hg.
Quecksilber gehört zu den seltner vorkommenden Metallen; meistens findet es sich
eingesprengt und in Höhlungen im Thonschiefer und Sandstein, z. B zu Almaden in Spanien
und Idria in Krain u. s. w. In neuerer Zeit liefert auch Californien Quecksilber.
Qnecksilberhorncrz ist Quecksilberehlorür; sein häufigstes Vorkommen ist die
Verbindung mit Schwefel als Zinnober (Quecksilbersulfid), welcher mit Erde oder, wie
zu Idria, mit Bitumen vermischt ist; im letztern Falle heisst die Verbindung Lebererz.
Quecksilber ist das einzige bei gewöhnlicher Temperatur flüssige Metall, welches
erst bei —40° fest wird und bei 360° siedet; es verflüchtigt sich aber bei jeder
Temperatur und dehnt sich bei der Wärme ziemlich stark aus.
Im Mittelalter wurde Mercurius für einen hypothetischen Bestandteil aller Körper
erklärt; der Ausspruch von Paracelsus: ,. dass der Mensch aus Sulphure, Säle und
Mercurio gleich den Metallen seinen Ursprung nehme," hängt hiermit zusammen.
Wirkung der Quecksilberdänipfe anf den thierischen Organismus, l ) Ein
Kaninchen sass im grossen Glaskasten: am 1 , 2., 3. und 4. Tage wurden im warmen
Sande binnen 2 Stunden 2 Grm. Quecksilber verdampft: am 6. und 7. Tage Verdampfung
von 1,5 Grm. Am 15. Tage war noch keine Veränderung im Befinden des Thieres ein-
getreten. Es wurden alsdann 5 Grm. Quecksilber in einer Retorte erhitzt und die sich
entwickelnden Dämpfe in den obern Theil des Kastens eingeblasen und zwar in Pausen
von 10 Minuten. Erst G Tage nachher zeigt sich das Zahnfleisch geröthet und ge-
schwollen, wobei das Fressen aufgehoben ist; auch die Au gen -Bindehaut ist etwas
geschwollen und geröthet. Dieser Zustand verlor sich in den nächsten Tagen, worauf
das Befinden ungestört blieb.
2) Ein Kaninchen sass im kleinen Kasten; 20 Grm. Quecksilber wurden ver-
dampft und die Dämpfe eingeleitet. Am andern Tage Röthung der Bindehaut und
Schleimansammlung im innern Augen -Winkel. Zwei Tage nachher wurden 10 Grm.
und darauf nach zwei Tagen binnen % Stunden wiederum 10 Grm. Quecksilber ver-
dampft. Es wurde keine auffallende Veränderung im Befinden bemerkt; zwei Tage
Physiologische Wirkung des Quecksilbers. 729
nachher wurde das Kaninchen Morgens iu sitzender Stellung todt gefunden. Die Unter-
suchung der Mundhöhle ergab nur ein blasses Zahnfleisch.
Section Nachmittags. Leichenstarre erheblich ; die Conjunctiva des linken Auges
stark gerothet. Beim Abziehen des Felles zeigen sich die oberflächlichen Venen sehr
angefüllt; auch die Schädelknochen sind mit Blut imprägnirt. Die Hirnhäute stark
injicirt und dadurch dunkel gefärbt: ein dünnes, geronnen es Blutextravasat über-
zieht die untere Fläche der beiden Hemisphären, soweit sie das Kleinhirn bedecken.
Die Injection der Yenen an der Basis des Gehirns sehr bedeutend, die Gehirnmasse
etwas weicher als gewöhnlich: der Boden der linken Orbita ist mit fest°eronnenem
schwarzem Blutextravasat bedeckt. Die Lungen von gewöhnlicher Ausdehnung'
hellrother Farbe mit braunrothen Marmorirungen; das Parenchyrn nirgends fest: drückt
man eine mit Salpetersäure angefeuchtete Kupfermünze auf einzelne Lun°enpartien, so
tritt eine deutliche Yerquickung zu Tage. Quecksilberkügelchen konnten in den Ver-
zweigungen der Bronchien nicht aufgefunden werden. Aus den Durchschnittsflächen
fliesst wenig dickflüssiges und dunkelrothes Blut. In den grössern Yenen und in allen
Herzhöhlen geronnenes, schwarzes Blut; die Schleimhaut der Trachea und selbst der
kleinsten Bronchien ist braunroth injicirt; die sehr blutreiche Leber ist dunkelbraun.
Aus diesen Versuchen ergibt sich, dass die Quecksilberdämpfe bei kleinern
Thieren nur bei wiederholter und intensiver Einwirkung einen letalen Ausgang
herbeiführen; dass die Dämpfe in das Lungengewebe eindringen, kann nicht
mehr dem geringsten Zweifel unterliegen. Den Nachweis von eingelagerten Queck-
silberkügelchen, der bei obigem Versuche nicht gelang, hat v. Bärensprung
beigebracht. x) Bei drei Versuchen wurden Kaninchen längere Zeit den Dämpfen
kochenden Quecksilbers ausgesetzt; bei der Section fanden sich zahlreiche linsen-
bis stecknadelkopfgrosse Hyperämien und einige rothe und graue Flecke, in
welchen das Lungengewebe hepatisirt war. Als Kern mehrerer solcher Hvper-
ämien und Hepatisationen konnten Quecksilberkügelchen mittels des Mikroskops
nachgewiessen werden; auch im Bronchialschleim zeigten sich dieselben. In Betreff
der Injection der Schleimhaut der Luftröhren und der Bronchien sowie des Ge-
ronnenseins des Blutes stimmte der Befund vollständig mit den oben erwähnten
Beobachtungen überein.
In der Industrie sind es fast immer die Quecksilberdämpfe, welche
die Intoxication herbeiführeu und bei der leichten Verdunstung dieses Metalls
fast bei jeder Temperatur auftreten. Merget2) behauptet sogar, dass sie noch
bei 44° C. unter Null stattfinde, auch schreibt er den Dämpfen ein bedeutendes
Diffusionsvermögen zu, da man solche vom Boden bis zur Decke eines Raumes
nachweisen könne, wenn z. B. Quecksilber bei verhältnissmässig kleiner Oberfläche
verdampfe*).
Die Symptome des sogenannten gewerblichen Mercurialismus beziehen
sich hauptsächlich auf die gastrischen Organe und das Nervensystem.
Digestionsstörungen bleiben selten aus; mit dem. verminderten Appetit zeigt
sich namentlich Widerwillen gegen Fleischspeisen und zu dem schlechten metal-
lischen Geschmack und der belegten Zunge gesellen sich häufig Magendruck. Auf-
stossen und Uebelkeit. Bei zunehmender Krankheit kommt es zum Erbrechen
und zu Durchfällen, während Speichelfiuss und die Erscheinungen der Stoma-
titis mercurialis stets um so mehr in den Vordergrund treten, je mehr der
Organismus Quecksilber aufgenommen hat. Nur die schlimmsten und ganz ver-
*) Dass auch bei Inunctionscuren die Quecksilberdämpfe auf die Mundschleim-
haut einwirken und zur Erzeugung von Stomatitis beitragen werden, darf wohl als
gewiss angenommen werden, namentlich wenn kleine Räume, hohe Temperatur u. s. w.
die Verdunstung des Metalls begünstigen. Kussmaul vergleicht mit Recht die Räume in
manchen Hospitälern, die jahrelang und ohne Unterbrechung zu Schmiercuren benutzt
werden, mit den Belegräumen der Spiegelfabriken.
730 Quecksilber.
nachlässigten Fälle können zu Brand der Weichtheile oder gar Necrose der
Kieferknochen führen. 3)
Angina mercurialis kann sich mit Stomatitis compliciren und beweist
immer einen höhern Grad der Intoxication. Dass Conjunctivitis durch Queck-
silberdämpfe erzeugt werden kann, ergeben die Versuche an Thieren mit Be-
stimmtheit.
Auf der Haut bildet sich bisweilen das Ekzema mercuriale; ausserdem
beobachtet man eine Neigung zum Seh weisse, namentlich zu starken Nacht-
schweissen, ein Symptom, das der Wirkung des Quecksilbers zuverlässig
angehört.
Kussmaul legt auch auf die Häufigkeit der Lungenschwindsucht bei Queck-
silberarbeitern Gewicht; wenn man auch eine besoudei'e Affinität der Quecksilberdämpfe
zu den Lungen nicht annnehmen kann, so ist es doch als Thatsache festzuhalten , dass
sich die in grösserer Menge eingeathmeten Quecksilberdämpfe im Lungengewebe zu
metallischen Kügelchen wieder condensiren und jedenfalls zunächst irritirend einwirken
können. Ebenso bedeutend ist aber auch die durch den Mercurialismus herbeigeführte
Schwächung des ganzen Organismus; es geben sich daher auch bei Sectionen die
Folgen vorzugsweise als ödematöse Schwellungen und Blutstauungen in den Lungen zu
erkennen. So viel steht aber fest, dass man Arbeiter mit tuberculöser Anlage von jeder
Beschäftigung abhalten soll, die mit der Entwicklung von Quecksilberdämpfen ver-
bunden ist *).
Die deutlich ausgesprochene Beziehung des Mercurs zum Nervensystem
gibt sich ganz besonders im gewerblichen Mercurialismus kund und zwar zunächst
als Zittern, Tremor mercurialis. Man trifft die Krankheit am häufigsten bei
Spiegelbelegern, Verfertigern von physikalischen Instrumenten und
Vergoldern.
Eine 20jährige Barometermacherin hatte schon im Jahre 1869 Mercurialzittern
und Salivation; das Kind, welches sie damals säugte, bekam ebenfalls Zittern. Während
einer 3 monatlichen Schwangerschaft sistirte dann das Zittern, stellte sich aber, nach-
dem Patientin abortirt hatte, wieder ein. Als sie abermals schwanger geworden war,
hörte das Zittern wieder auf, kam aber nach der Entbindung im November 1871 wieder.
Das Zittern war so heftig, dass Patientin gar nicht gehen konnte; auch der Kopf und
die Zunge waren sehr stark afficirt und das Sprechen lallend; gleichzeitig war starke
Stomatitis vorhanden. Auf eine elektrische Behandlung trat eine bedeutende Besserung
ein, das Zittern kehrte aber nach einiger Zeit verstärkt wieder, so dass sie sich im
Juli 1872 abermals der elektrischen Behandlung unterziehen musste, die nach 8 Wochen
einen guten Erfolg hatte 4)
Das Zittern wird in der Weise gewöhnlich eingeleitet, dass sich die
Muskeln der Hände und Arme dem Einfluss des Willens entziehen und die
Kranken unfähig zu jeder Manipulation werden. Während des Schlafes hört das
Zittern auf, es kann aber noch jahrelang fortdauern, wenn schon die übrigen
Erscheinungen des Mercurialismus gehoben sind; bisweilen tritt es anfalls weise
wie ein Schüttelfrost des Wechselfiebers auf und kann anhaltend ausgedehnte
Muskelgruppeu ergreifen.
Das mercurielle Stammeln (Psellismus mercurialis) hat dieselbe Bedeu-
tung wie das Zittern der Muskeln der Extremitäten.
Allgemeine Convulsionen kommen beim Mercurialismus nicht vor; höchstens
sind epileptiforme Schwindelanfälle constatirt; diese sowie die Ohnmachtsanfälle,
ängstlichen Träume, Ohrensausen u. s.w. sind zum Theil wohl auch als Folgen der tiefen
Ernährungsstörung aufzufassen.
Apoplexia mercurialis kann nach den Thier -Versuchen nicht in Abrede
gestellt werden; auch die thatsächlichen Erfahrungen, nach welchen nicht
*) Die fettige Degeneration der Leber, Milz oder Nieren kommt wohl nur bei
Sublimat-Einwirkung vor.
Physiologische Wirkung des Quecksilbers. 731
bloss Quecksilberarbeiter bisweilen apoplektisch sterben, sondern auch der
Missbrauch der Inunctionscuren diesen Ausgang herbeizuführen vermag, sprechen
für ihr Vorkommen.
ünbehülflichkeit der Beine, der unsichere und schwankende Gang bei
eingebogenen Knieen und stark gespreizten Beinen kommt selten vor; wo diese
Erscheinung auftritt, da ist das Vermögen, bei geschlossenen Augen zu stehen
und zu gehen, noch vorhanden; hierin ist ein Unterschied von Tabes dorsalis
nahe gelegt. Vollständige Paralyse ohne Zittern einzelner Extremitäten zeigt sich
sehr selten.
Auch gibt es keine bestimmte Form von Psychose, die dem Mercurialis-
mus eigenthümlich wäre; eine geistige Abstumpfung und Verstimmung
kann die übrigen Nervensyinptonie begleiten. Ganz besonders ist aber noch der
nachtheilige Eiufiuss der Arbeit in Spiegelbelegräumen u. s. w. für schwangere
Frauen hervorzuheben; alle Erfahrungen stimmen darin überein, dass sie leicht
abortiren und todte Kinder gebären. Nach den in Fürth gemachten Beobach-
tungen leiden auch die Kinder solcher Belegerinnen an Zittern, ein Umstand, der
dadurch erklärt werden kann, dass an den Kleidern dieser Arbeiterinnen noch
die Quecksilberdämpfe haften, die dann auf die Säuglinge einwirken. Es werden
aber auch Fälle von angeborenem Zittern mitgetheilt.
Wie der Organismus stets ein Bestreben zeigt, das ihm Fremdartige wieder aus-
zustossen, so zeigt es sich auch beim Quecksilber; es sind die verschiedenen Excretions-
organe, die Speicheldrüsen, die Leber, die Nieren, die Schleimhaut des Magens und des
tractus intestinalis, welche diese Ausscheidung vermitteln. Andrerseits ist aber zu berück-
sichtigen, dass das Quecksilber wegen seiner Verbindung mit den Eiweissstoffen stets
längere oder kürzere Zeit im Körper zurückgehalten werden kann und nach Veits An-
sicht wahrscheinlich erst mit der allmähligen Oxydation dieser Eiweissstoffe aus dem
Organismus wieder ausgeschieden wird ä) \ iele Thatsachen sprechen dafür, dass auf
diese Weise das resorbirte Metall längere Zeit im Körper verweilen und zu Recidiven
führen kann, ohne dass eine neue Aufnahme von Mercur stattgefunden hat, grade so wie
es sich beim Saturnismus chronicus yerhält.
Nach Riederer's Untersuchungen über die Vertheilung des Quecksilbers im Orga-
nismus enthalten die Muskeln nächst der Leber die grösste Menge des resorbirten
Quecksilbers. Bei einem Hunde nämlich, der im Laufe von 31 Tagen 2,789 Grni.
Calomel in 87 Dosen erhalten hatte, wurde in den untersuchten Substanzen etwa 94%
der eingeführten Quecksilbermengen wiedergefunden: es waren im Kothe "2, LI 7ö Grm.,
im Harn 0.0550 Grm. Schwefelquecksilbc-r enthalten: im Gehirn, Herzen, in den Lungen,
in der Milz, im Pancreas, in den Nieren, Hoden, im Penis, die zusammen ein Gewicht
von 335 Grm. hatten, konnten 0,0090, in der Leber, die ein Gewicht von 213 Grm.
hatte, 0,0140, in den Muskeln, die 2432 Grm. schwer waren, aber 0,0114 Grm. Schwefel-
quecksilber nachgewiesen werden. Die Menge des Quecksilbers in der Leber war
somit relativ am grössten, in den Muskeln nur gering, während der grösste Theil des
dargereichten Quecksilbers mit dem Koth abgegangen war.6)
WTas die Einwirkung der Quecksiloerdämpie auf die Vegetation betrifft, so ist
bei der Bearbeitung der Quecksilbererze ganz besonders die schweflige Säure mit in
Anschlag zu bringen. Die Quecksilberdämpfe verbreiten sich wegen ihrer speeifiseken
Schwere nicht auf einen grossen Umkreis und werden daher der Vegetation weniger
schädlich als die schweflige Säure: treffen aber die metallischen Dämpfe direct die
Vegetation, so ist ihr Einfluss ein sehr verderblicher, wie Versuche von Priest/*!/ und
Boussingault ergeben haben. Die Blätter der Pflanzen bekommen unter einer Glasglocke,
in welcher sich etwas Quecksilber in einer Schale befindet, bereits nach 24 Stunden
schwarze Flecke und die Pflanze selbst fängt an zu welken; nach längerer Zeit werden
die Blätter ganz schwarz und die Pflanze stirbt ab.
Die "Wässer, welche aus der Nähe der Gruben und Hütten kommen und mehr
oder weniger quecksilberhaltig sind, bedürfen einer ganz besondern sanitätspolizeilichen
Ueberwacnung; kein Vieh darf in der Nähe von solchen Gruben oder Hütten weiden,
um nicht durch jenes Wasser vergiftet zu werden: fliesst letzteres in fischreiche Bäche,
so geht alle Fischzucht zu Grunde; wird es zur Berieselung von Wiesen benutzt, so stirbt
alle Vegetation ab.
In Krain sistirt der Gruben- und Hüttenverkehr im Sommer, indem die Arbeiter
732 Quecksilber.
sich mit der Bestellung der Aecker beschäftigen und erst im Winter wieder die
Grubenarbeit aufnehmen. Ein solcher durch örtliche Verhältnisse bedingter Wechsel
hat aber sein Gutes, weil im Sommer durch die grössere Verdampfung des Quecksilbers
der sanitäre Nachtheil ein grösserer sein würde. Ausserdem ist zu beachten, dass sich
das Kammersystem im Allgemeinen nicht empfiehlt und für die nächste Umgebung
weit nachtheiliger wirkt als das Retortensystem. Der Glockenofen ist nur noch
wenig verbreitet, aber weniger mit jenen Nachtheilen verbunden. Am schädlichsten
ist das Rösten in Stadeln und sollte als die roheste und gefährlichste Methode ganz
verboten werden.
Hüttenmännische Gewinnung des Quecksilbers. Die ältesten Quecksilber- Berg-
werke sind die spanischen, welche schon 300 Jahre v.Chr. bekannt waren; nach Plinivs
sollen aber die Griechen schon 700 Jahre v. Chr. Zinnober aus Spanien geholt haben,
welches in spätem Zeiten als Minium nach Rom gebracht wurde.
Die Gebrüder Fvgger, die Rothschilds des 16. Jahrhunderts, übernahmen die
Pacht der spanischen Bergwerke, gaben aber den Betrieb wieder auf, da sie den ge-
stellten Bedingungen nicht nachkommen konnten. Die Regierung übernahm hierauf die
Verwaltung, bis 1831 das Rothschild, sehe Haus eintrat und gegenwärtig Eigenthümer der
Bergwerke geworden ist.
Bei der Aufbereitung der Erze handelt es sich zunächst um die Abscheidung der
begleitenden Bergart. Die Handscheidung , das Klauben, Nasspochen und Verwaschen
zur Darstellung von Schlich oder Graupen gehört zu den vorbereitenden Arbeiten. Da
sich in den Gruben auch gediegenes Quecksilber vorfindet, so sind die Grubenwässer
fast stets quecksilberhaltig.
Zur Ausscheidung des Quecksilbers aus dem Zinnober hat man
zwei Methoden: die Destillation und das Rösten.
1) Die Destillation des Zinnobers unter Zusatz von Kalk oder metallischem
Eisen geschieht in irdenen oder gusseisernen Retorten; das Quecksilber geht
in Dämpfen über und Calciumsulfid resp. Eisensulfid bleibt zurück.
Man benutzt hierzu am besten Retorten, wie sie in Gasbereitungsanstalten ge-
bräuchlich sind. Der Rost hat drei Reihen Feuerlöcher, sogen. Füchse, welche zur
Heizung dienen. Alle Retorten werden durch ein gemeinschaftliches Gewölbe, in
welches alle Füchse einmünden, geschlossen, wobei jede einzelne Retorte noch mit einem
Mantelgewölbe umgeben ist; von dem gemeinschaftlichen Gewölbe aus führt ein Zug zu
dem Kamine.
Die Retorten sind mit schräg abwärts geneigten und in Wasser tauchenden Röhren
versehen. Die Gase, welche durch das Wasser kollern, bestehen aus Kohlenoxyd,
verschiedenen Kohlenwasserstoffen, schwefliger Säure und empyreuma-
tischen Stoffen.
Die Abzugsröhren der Retorten sind an der Austrittsstelle mit zwei Ansätzen
versehen, welche dazu dienen, um mittels eines Eisendrahtes diese Röhren von dem
abgesetzten Quecksilberschwarz (Stupp) nach der horizontalen und verticalen Rich-
tung reinigen zu können.
Das überdestillirte Quecksilber gelangt aus diesen Sammelröhren in eine
Vorlage, welche gewöhnlich in einem abgeschlossenen Räume steht, um das Verschütten
des Metalls zu verhüten; sie ist mit einem hölzernen Troge umgeben und nimmt be-
ständig zufiiessendes kaltes Wasser auf. Nach lOstündiger Feuerung entleert man den
Rückstand der Retorte in ein mit Wasser gefülltes Thonbecken.
Das Destillat, der Inhalt der Vorlage, wird gewaschen, wobei das metallische
Quecksilber, theils als homogene Masse, theils als Stupp zu Boden sinkt. Stupp besteht
aus schwefelsaurem Quecksilberoxydul, amorphem Zinnober und fein ver-
theiltem Quecksilber. Die Quecksilberkügelchen sind nämlich mit einer dünnen
Schicht von Bitumen umhüllt und deshalb am ZusammenÜiessen verhindert.
Man behandelt Stupp (Quecksilberschwarz) mit verdünnter Salzsäure oder
alkalischen Laugen, wodurch das Bitumen weggenommen wird und das Quecksilber
zusammenfliesst.
2) Das Rösten in Schachtöfen. Hierbei unterscheidet man a) Schachtöfen
mit unterbrochenem Betriebe. Die Schachtöfen sind 10 Fuss hoch, 4»/2 Fuss breit
und haben ungefähr in der Mitte ein mit vielen Oeffnungen versehenes Gewölbe,
auf welches man durch seitliche und verschliessbare Oeffnungen das Erz aufgibt.
Die Feuerung geschieht gewöhnlich durch Holz. Der Ofenschacht ist durch
Canäle mit Aludeln, in denen die Condensation der Dämpfe stattfindet, verbunden; diese
sind 18 Zoll lange, birnförmige, an beiden Seiten offene Thongefässe, deren vorderes
Gewinnung von Quecksilber. 733
schmaleres Ende in das breitere untere Ende des nächstfolgenden Gefässes gesteckt und
mit Thon lutirt wird. Sie liegen in mehreren Reihen auf dem nach der Mitte zu ge-
neigten, etwa 30 Fuss langen Aludelplan. um schliesslich in eine Condensationskammer
zu münden, in der sich die noch uncondensirten Dämpfe niederschlagen. Am tiefsten
Puncte des Plans fliesst der grösste Theil des Quecksilbers in eine senkrecht auf-
gestellte Aludel und gelangt von hier durch eine Rinne in steinerne Behälter.
Bei diesem Verfahren geht viel Quecksilber verloren, da die einmal erwärmten
Aludeln und Condensationskammern sich schlecht abkühlen: an jedem dritten Tage
räumt man den Rückstand des Ofens und beschickt von Neuem. Die ganze Procedur
ist sehr mühsam und für die Arbeiter höchst ungesund: der Thon zum Lutiren reisst
leicht und lässt, trotzdem er mit Pferdemist vermischt ist, durch die feinen Ritze leicht
Quecksilberdämpfe austreten.
Am häufigsten findet sich diese Gewinuungs weise des Quecksilbers zu Almaden
in Spanien, weshalb sie auch die spanische Methode genannt wird: sie ist jedoch
eine der unvorteilhaftesten und unvollkommensten Methoden.
b) Schachtöfen mit continuirlichem Betriebe. Hier wird das Erz in Schacht-
öfen continuirlich geröstet. Der Ofen seh acht ist durch zwei gewölbte Bogen
in 3 Abtheilungen (für Erz in Stücken, zerkleinertes Erz und Rückstände) getheilt,
welche durch seitliche Oeffnungen beschickt und nachher vermauert werden.
Die Quecksilberdämpfe gelangen in Verdichtungskammern, von denen die
letzte den Rauchfang bildet und im Innern mit sägeartigen Ansätzen versehen ist;- die
Wände sind mit Asphalt stark überzogen. Kaltes Wasser, welches durch eine thönerne
Röhre zufliesst, hält die Wände nass, wodurch die schweflige Säure grösstentheils
condensirt wird. Die Berieselung geschieht stets nur in der letzten Kammer: dieses
Wasser ist sehr giftiger Natur, da es Quecksilbersalze, metallisches Quecksilber, Arsen,
bisweilen auch Selen enthält. Die Kammern enthalten Oeffnungen zum Abüuss des
Quecksilbers in Recipienten, von wo es durch Rinnen in einen Wasserbehälter gelangt.
Dieses Verfahren findet sich vorzugsweise in Idria. Das Quecksilberschwarz
(Stupp) setzt sich an den Wänden der Condensationskammern fest und wird im
feuchten Zustande oder auch unter Zusatz von Pottasche durch Krücken und Kneten vom
metallischen Quecksilber befreit.
Das Rosten mit continuirlichem Betriebe hat schon insofern einen grossem Vor-
theil, als die Arbeiter nicht so häufig und direct mit den Dämpfen bei der Räumung
des Ofens in Berührung kommen; vorzugsweise werden aber gröbere und reichhaltigere
Erze mit 3—4% Quecksilber auf diese Weise verhüttet.
Gegenwärtig wird hauptsächlich ein runder Ofenschacht von 33 Fuss Höhe und
3 — 4 Fuss Breite, in welchem das Erz mit dem Brennmaterial geschichtet wird, benutzt;
er ist mit einem Aufgebetrichter versehen, während am tiefsten Puncte ein schräg liegender
Rost über einer Schienenbahn liegt, auf welcher man mittels Kasten das abgeröstete Erz
wegführt.
Im obern Dritttheil des Ofens treten seitlich die Quecksilberdämpfe durch eine
mit einem Schieber zu regulirende Oeffnung in 4 Condensationskammern, welche
oben mit eisernen Kasten geschlossen sind und als Abdampfpfannen zur Gewinnung
des in den Quecksilberwaschwässern enthaltenen Ammoniumsulfats dienen. Man legt
gewöhnlich Eisen- und Zinkspäne hinein, um das Quecksilber zu gewinnen. Die letzte
Kammer dient auch hier als Esse und wird mit Wasser berieselt.7)
c) Das Rösten in Flammenöfen. Dies Verfahren dient zur Verhüttung des
armen Erzkleins. Der flache Herd ist aus Ziegeln construirt und hat an seinem
obern Ende eine Oeffnung zum Einlassen des Schliches.
Das Erz wird zuerst in die hinterste und allmählig in die erste Abtheilung des
Ofens gebracht, um nicht plötzlich einer zu starken Hitze ausgesetzt zu werden. Die
Quecksilberdämpfe gelangen durch eine Vorkammer in gusseiserne Condensations-
r Öhren, die beständig mit kaltem Wasser berieselt werden. An diese Röhren schliessen
sich die Condensationskammern an, in denen die Dämpfe mittels eines Canals aus
der untern Abtheilung in die obere und von hier aus wieder rückwärts durch ein
anderes System von Condensationsröhren in eine zweite Vorkammer gelangen, welche
mit einem in mehrere Abtheilungen getheilten Schlot in Verbindung steht.8)
Das Quecksilberschwarz aus den Röhren und Condensationskammern wird
nach dem oben angegebenen Verfahren behandelt.
Auch Schlich und Erzklein werden in Flammenöfen zugute gemacht: in
Böhmen bringt man sie auf thönernen oder gusseisernen Schüsseln (Casetten) in einen
Schachtofen, den man Glockenofen nennt, weil er aus einer eisernen, in Wasser tauchenden
784 Quecksilber.
Glocke besteht, so dass die Quecksilberdampfe niederfallen und sich in einem mit Wasser
gefällten Behälter verdichten Mau beschickt den Zinnober mit Hammerschlag oder Kalk,
während dio Glocke durch Steinkohlen in'a Glühen gebracht wird: man bringt deren
bisweilen 6 in einem Schachtofen an.
d) Das Rösten in Stadeln, d.h. in viereckig gemauerten Behältern, geschieht
nur noch in Ungarn und Tyrol bei quecksilberhaltigen Fahlerzen, wo die Queck-
silbergewinnung ein Nebenproduct ist. Das Verfahren ist für die Umgegend sehr
gefährlich, da das Quecksilber dabei meist verloren geht.
Sanitäre Massregeln bei der Verhüttung des Quecksilbers.
Beim Fördern und bei der Aufbereitung der Erze in den Gruben kommt der
Quecksilberdampf viel weniger vor, weil die ganze Erdmasse fast immer mit
Wasser durchtränkt ist; nur die directe Berührung des Arbeiters mit dem etwa
vorhandenen metallischen Quecksilber steigert die Gefahr. Die Luft in den Queck-
silber-Bergwerken ist aber wegen der häufigen schlechten und matten Wetter stets
höchst ungesund und verlangt die kräftigste Ventilation.
Brände in den Quecksilberbranderzgruben (Idria) können durchschlagende
Wetter entstehen, welche durch ihre Entzündung den weitern Brand des Bitumens
zur Folge haben; sie können aber auch durch directe Entzündung des Bitumens
veranlasst werden. Das Holzwerk ist gewöhnlich nass und kann in diesem Zu-
stande dem Brande keine Nahrung bieten.
Alle Brände dieser Art sind mit einer enormen Entwicklung von Quecksilber-
dumpfen und schwefliger Säure verbunden. Bekanntlich wurde 18C3 zu Idria in
Folge der Entzündung des Quecksilberbranderzes eine ganze. 1300 Mann starke Knapp-
schaft derart vergiftet, dass 900 Mann zeitlebens an den Folgen dieser Vergiftung, an
Muskelzittern, litten und arbeitsunfähig blieben, während 400 Mann zwar wiederher-
gestellt wurden, jedoch niemals wieder ihre frühere Kraft erhielten. 9)
- Die Grubenwässer und alle Wässer, welche bei der Aufbereitung der Erze
benutzt werden, sind quecksilberhaltig. Von der Verwendung der Grubenwässer zum
Trinken kann keine Rede sein, da dies niemals geschieht: aber auch ihr Abfluss in
Bäche und Flüsse ist gänzlich unstatthaft, da alle Fische dadurch getödtet werden und
die ökonomische Benutzung eines solchen fliessenden Wassers unmöglich wird. Noch
weniger dürfen die Grubenwässer zum Löschen des abdcstillirten Erzes benutzt werden.
Das Klauben, Pochen und Sortiren der Erze ist bei einem Gehalte an
metallischem Quecksilber für die Arbeiter höchst gefährlich und muss dabei die
grösste Vorsicht beobachtet werden. Reinlichkeit Bäder und Wechsel der Kleider
nach vollendeter Arbeit sind sowohl in der Grube als bei der Bearbeitung der
Erze absolut erforderlich.
Schon in früheren Jahren hat man in Spanien die Beobachtung gemacht, dass die
freien Arbeiter bis zum herangerückten Alter gesund blieben, während die Sträflinge,
welche ihre Kleidung nicht wechseln konnten und in der Grube selbst ihre Nahrung zu
sich nahmen, an allen Symptomen der Mercurial-Dyskrasie litten.
Zu Neu-Almaden in Californien leiden sogar die Maulthiere, welche den
Transport der Quecksilbererze von der Grube nach den Hütten besorgen, oft an
Speiehelfluss. Man nimmt an, dass durchschnittlich im Jahre wenigstens 20—30 Stück
davon für jeden Schacht in Folge der eingeathmeten Quecksilberdämpfe zu Grunde gehen.
Um die Arbeiter vor dem Einathmen des Quecksilberdampfes zu schützen,
dürfte sich das Vorbinden von Schwämmen, welche an ihrer äussern Seite mit
einem Ueberzug von fein vertheiltem metallischem Zinn (Zinnschlamm) versehen
sind, ganz vortrefflich eignen, indem sich dadurch Zinnamalgam bildet. Auch
Respiratoren könnten auf die Weise construirt werden, damit die einzuathmende
Luft vorher Zinnfolien oder auch Goldplättchen passirt.
Tabaksrauchen und Tabakskauen könnten zwar dadurch von Nutzen sein, dass
Sanitäre Verhältnisse bei den Hüttenarbeitern. 735
hierdurch die Speichelabsonderung vermehrt und Veranlassung zum Ausspucken der
aufgenommenen Quecksilbertheilchen gegeben wird, andrerseits ist jedoch mit dem Tabaks-
rauchen auch ein verstärktes Inspiriren verbunden; dieses ist deshalb entschieden ab-
zurathen. Tabakschnupfen empfiehlt sich schon deshalb nicht, weil die Hände mit
dem gefährlichen Schmutze stets verunreinigt sind.
Das Mischen der Erze mit Kalk und Eisen rauss ebenfalls mit grosser Vor-
sicht geschehen, weil durch den sich bildenden Staub die metallischen Theile mit
fortgeführt werden.
Im Allgemeinen sind die Grubenarbeiter weniger dem Mercurialismus aus-
gesetzt als die Hüttenarbeiter, welche namentlich beim Rösten der Erze auf
vielfältige Weise mit den Quecksilberdämpfen in Berührung kommen und sich nur bei
grösster Vorsicht vor der Inhalation derselben schützen können.
Die Destillation, die mittels eiserner Retorten geschieht, setzt den
Arbeiter beim Laden derselben und beim Ausziehen des abdestillirten Erzes am
meisten in Gefahr.
Das Laden und Entladen der Retorten muss mittels eiserner Laden, welche
sich auf eisernen Schienen und Rollen bewegen, geschehen, da hierdurch die Arbeit
beschleunigt und daher auch der Arbeiter mehr geschützt wird. Der Verschluss der
Retorten geschieht durch eiserne, mit Lehm verschmierte Deckel und Stellschrauben,
grade wie bei der Darstellung des Leuchtgases im Grossen. Die während der Destillation
auftretenden Dämpfe und Gase müssen durch eine gute Kühlung, d. h. durch beständigen
Wasserzufluss conclensirt werden; die uncondensirten Gase: Kohlenoxyd, Kohlen-
wasserstoff u. s. w., sind in die Feuerung zu leiten. In dem Falle, dass das Erz sehr
bitumenreich war, müssen die betreffenden Vorsichtsmassregeln bezüglich der Explosion
berücksichtigt werden.
Bei dieser Destillation werden jedenfalls am wenigsten schädliche Gase in die Atmo-
sphäre abgeführt, indem das Quecksilber vollständig condensirt wird, der Schwefel
in gebundener Form sich im Rückstand befindet und die uncondensirbaren brennbaren
Gase in die Feuerung geleitet und zerstört werden. Diese Methode verdient deshalb in
sanitärer Beziehung die meiste Berücksichtigung und um so mehr eine allgemeine Ein-
führung, als sie unter geringen Modifikationen sowohl bei armen als bei reichen Erzen
angewendet werden kann.
Bei allen andern Methoden geht sämmtlicher Schwefel als schweflige
Säure über, welche entweder mit Quecksilberdämpfen in die Atmosphäre tritt oder
nur theilweise gewonnen wird.
Die Verwendung der schwefligen Säure zur Schwefelsäure-Fabrication hat
sich hier nicht bewährt, weil der nie fehlende Quecksilbergehalt die Bleikammern durch
Amalgamation rasch zerstört. Die condensirte schweflige Säure könnte aber zum
Bleichen von Seide und Wolle benutzt werden; auch dürfte die Absorption der
schwefligen Säure mittels Sodarückstände zweckmässig sein, weil hierdurch das
Quecksilber als Schwefelquecksilber gebunden und unterschwefligsaures
Calcium erzeugt würde.
Aus den Aufgebetrichtern ist die Entwicklung der Quecksilberdämpfe sehr unbe-
deutend, da kalte Luft in den Trichter hineinströmt, wodurch die schweren Quecksilber-
dämpfe mehr nach den Condensationsvorrichtungen hingeführt werden; dagegen tritt
hier nicht selten schweflige Säure auf.
Beim Kammersystem dürfen die Kammern behufs Räumung nur dann betreten
werden, wenn sie vollständig abgekühlt sind; jedenfalls ist ein vorhergehendes Be-
sprengen der Kammern sehr noth wendig, um alle Staubbildung so viel als möglich zu
verhüten. Immerhin müssen aber die Arbeiter noch die grösste persönliche Vorsicht
gebrauchen und sich der oben erwähnten Schwämme bedienen; überhaupt müssen hier
alle Vorsichtsmassregeln beobachtet werden, welche bei Blei und Bleiweiss erwähnt
worden sind.
In Spanien sind die Verdichtungskammern, in welche die Aludeln ein-
münden, mit einem Fenster versehen, durch welches die Arbeiter von Zeit zu Zeit ein-
steigen, um das Quecksilber herauszunehmen; während des Brandes ist das Fenster
geschlossen. Am mühsamsten ist das Auskehren der Verdichtungskammern; die
Arbeiter gebrauchen oft mehrere Stunden, um die Mauern mit Besen von dem anhängen-
den Metallstaub zu reinigen. Zur Vermeidung von Mercurialintoxicationen ist hier die
grösste Vorsicht nöthig.
Bezüglich der Destillationsrückstände ist zu bemerken , dass dieselben bei _ der
Retortendestillation, neben der Gangart aus dem Muttergestein, aus Schwefelcalcium
736 Quecksilber.
oder Schwefeleisen bestehen: sie werden fast überall auf die Halden gestürzt, wo
sie im erstem Falle der Oxydation unterliegen und zur Entwicklung von HiS neben
Gipsbildung Veranlassung geben. Sie können wie die Sodarückstände behandelt
werden.
Im zweiten Falle veranlasst das Schwefeleisen durch Oxydation die Bildung
von schwefelsaurem Eisen ox yd ul: letzteres kann mit dem Regen abgeführt
werden und leicht zur Verunreinigung der Brunnen u. s.w. beitragen, weshalb eine
zweckmässige Speicherung hierbei nothwendig ist.
Die bei den andern Methoden abfallenden Rückstände sind von geringerer Be-
deutung und nur dann, wenn die Gangart eisenhaltig ist, kann sich durch Oxydation
ebenfalls Eisenvitriol bilden.
Das aus den nassen Erzen condensirte Wasser sowie das Beriese lungs-
wasser hat man in der Weise zu verwertheü gesucht, dass man es mit Eisen oder Zink
zusammenbringt, wodurch Eisen- oder Zinkvitriol gewonnen wird und das metallische
Quecksilber sich ausscheidet. Arsenwasserstoff entwickelt sich aber hierbei fast
immer, da dieses Wasser meist Arsen enthält: diese Procedur muss daher im Freien
und mit der nöthigen Vorsicht vorgenommen werden.
Beim Waschen des Destillats ist zu berücksichtigen, dass die dabei abfallenden
Wässer stets quecksilberhaltig sind: auch müssen sich die Arbeiter Arme und Hände
mit Fett einreiben, um der Haut einen hinreichenden Schutz zu gewähren.
Die Verpackung des Quecksilbers geschieht in drei verschiedenen Formen, ent-
weder in eisernen Flaschen oder in ledernen Beuteln, welche noch in schweren hölzernen
Kisten besonders verpackt werden, oder endlich in Bambusröhren.
Die Verpackung in ledernen Beuteln ist die schlechteste, besonders beim über-
seeischen Transport*); bei Avarie können nämlich die Beutel leicht faulen, so dass das
Quecksilber in den Schiffsraum ausläuft und die ganze Mannschaft vergiftet. So ist
namentlich das Schicksal bekannt, welches die Mannschaft des Kriegsschiffes „Triumph"
betraf, die 1810 aus einem bei Cadix gescheiterten Schiffe, welches mit Quecksilber
beladen war, 130 Kisten Quecksilber rettete und dieselben an Bord brachte Als das
Metall aus den verfaulten Lederbeutelu ausfloss und in den mit faulem Wasser ge-
füllten Schiffsraum drang, bekamen binnen 3 Wochen 200 Mann Speichelfluss, Mund-
geschwüre, Verdauungsstörungen und paretische Erscheinungen; alles Vieh
an Bord, wie Schafe, Ziegen, Schweine. Geflügel u. s. w. gingen zu Grunde.
Um den Nachweis der Quecksilber -Verdampfung zu liefern, darf man nur ein
Goldblättchen oder ein mit Jodkalium oder Schwefelalkali getränktes Papier über einer
Quecksilberfläche aufhängen, wo sich alsdann im ersten Falle Goldamalgam mit
gelber Farl>e, im zweiten Queeksilberjodür mit grünlicher und im dritten Falle Queck-
silber sulfid mit schwarzer Farbe bilden wird
Quecksilber- Industrie.
Das Quecksilber wird iu der Technik hauptsächlich als Lösungsmittel an-
gewendet. Auf der Eigenschaft des Quecksilbers. Metalle ohne Veränderung auf-
zulösen und sie iu der Hitze unverändert zurückzulassen, beruht vorzugsweise
die Anwendung desselben zur Gewinnung des Goldes und Silbers durch Anial-
gamation. Eine der ausgedehntesten Anwendungen ist die zu Zinnaiualgam, welches
zum Belegen der Spiegel benutzt wird.
In den Spiegelfabriken geschieht das Amalgamiren auf einer marmornen
Tischplatte, welche an allen Seiten mit Rinnen und an einer Ecke mit einem Loche ver-
sehen ist, welches zu einem, das abfliessende Quecksilber aufnehmenden Schlauch führt,
der direct mit einem geschlossenen Holzgefäss in Verbindung steht, damit kein Ver-
spritzen des Quecksilbers eintreten kann. Der Tisch, worauf die Platte liegt, kann ver-
möge seiner Construction aus der senkrechten Lage in eine schiefe gebracht werden.
Die Zinnfolie wird platt auf die marmorne Platte ausgebreitet, deren äussere
Ränder mit Glasstreifen, die mit Wachs aufgeklebt sind, umlegt werden; hierauf wird
so viel Quecksilber auf die Folie gegossen, dass sein Niveau etwas die Glasstreifen über-
ragt. Das zu belegende Spiegelglas ist nun so auf das Quecksilber aufzulegen, dass
sich weder Luft noch Unreimgkeiten dazwischen lagern können. Es wird daher das
Spiegelglas mit warm gehaltenen leinenen Tüchern sorgfältig gereinigt, vor der Einschiebe-
Kürschner, welche später solche Beutel bearbeiten, können dadurch noch Mer-
curial-Affectionen erleiden.
Quecksilber -Industrie. 737
stelle ein auf Leinwand befestigter Streifen weissen Papiers ausgebreitet, auf den Glas-
streifen zu beiden Seiten befestigt und dann das Spiegelglas über diesen und das Queck-
silber hinweg in der Weise geschoben, dass ein Theil des Quecksilbers, namentlich die
sogenannte Oxydhaut, dadurch verdrängt wird. Ist die Procedur gelungen, so werden
die Glasstreifen weggenommen, das Spiegelglas mit eisernen, unten mit Filz belegten
Gewichten beschwert und 12 Stunden in horizontaler Lage gelassen; hierauf wird die
Tischplatte etwas nach vorn geneigt.
Ist der Beleg hinreichend fest geworden, so wird das Spiegelglas beinah senk-
recht mit einer Ecke so auf den mit Papier belegten Boden gestellt, dass es mit
zusammengehäuften Abfällen von Zinnfolie in Berührung kommt; hierdurch soll der Ab-
fiuss des letzten Restes von Quecksilber bewirkt und dies von den Stanniolabfällen auf-
genommen werden.
Durch das Abpressen des überschüssigen Quecksilbers kann leicht ein
"Verschütten und Verspritzen desselben in den Arbeitsraum veranlasst werden und muss
daher mit Sorgfalt hierbei verfahren werden. Das vom Belegtische abgeflossene und
wieder angesammelte Quecksilber wird nämlich in vielen Fabriken mittels Pressens
durch Woll- oder Leinenzeug gereinigt, eine Manipulation, die äusserst schädlich auf
die Arbeiter einwirken kann und nur als ein ganz rohes Verfahren zu bezeichnen ist,
welches viel zweckmässiger durch den Gebrauch eines gläsernen und mit einem gläsernen
Hahn versehenen Scheidetrichters ersetzt werden kann; dadurch kann auch das Reinigen
resp. das schädliche Ausklopfen der Seih- oder Presstücher in Wegfall kommen.
Der Boden des Arbeitsraums muss mit eingefalzten Dielen versehen oder
macadamisirt sein, damit sich kein Quecksilber zwischen den Ritzen ansammeln
kann. Auch beim Reinigen des Bodens kann man sich der Abfälle von Zinn-
folien bedienen, um das Quecksilber zu binden; selbst zur bleibenden Bedeckung des
Bodens wären solche Abfälle oder Zinnasche zweckmässig. Erfahrungsgemäss sind
die Arbeiter, welche das verschüttete Metall zusammenkehren, am meisten dem Mer-
curialismus ausgesetzt.
Pappenheim10) räth die Bestreuung des Bodens mit Schwefel an, welches schon früher
in grösserer Ausdehnung von Prof. G. G. Stokes empfohlen worden ist; dieser hält es
nämlich für nützlich, dass die Arbeiter nur Kleider tragen, die mit Schwefel imprägnirt
sind; es würde nach seiner Ansicht genügen, diese, zumal wenn sie aus Wollstoffen be-
stehen, mit Schwefelblumen einzureiben oder sie in die Lösung einer höhern Schwefel-
verbindung eines Alkalimetalls und dann in eine gehörig verdünnte Säure zu tauchen,
um den Schwefel in den Stoffen niederzuschlagen; schliesslich soll mit Wasser alles
Lösliche entfernt werden. Mund und Nase sind dabei mit einem lockern, schwefelhaltigen
Tuche zu bedecken.
v. Schrötter empfiehlt in solchen Räumen eine mit Jod gesättigte Jodkalium-
lösung in flachen Schalen aufzustellen, während neuerdings Claude11) in der Pariser
Academie der Wissenschaften berichtete, dass in der Spiegelmanufactur zu Chauny
keine Quecksilbervergiftung mehr vorgekommen sei, seitdem man die Fussböden in
den Werkstätten nach Beendigung der Arbeit mit Ammoniaklösung besprengt habe.
Merge.t empfiehlt das Ausstreuen von Chlorkalk auf den Boden der Zimmer
und öftere Waschungen der Arbeiter mit chlorkalkhaltigem Wasser. Wenn hierbei die
Bildung von Calomel erzielt werden soll, so muss auch der Bedeutung dieses Präparats
Rechnung getragen werden, da es ebenfalls schädliche Folgen erzeugen kann.
Immerhin wird die höchste Sorgfalt auf Reinhaltung des Bodens und Vermeidung
von Staub zu legen sein; der Arbeitsraum darf daher nie zu andern Zwecken, _z. B.
zum Verpacken u. s.w., benutzt werden, da jeder Schmutzstaub auch die Quecksilber-
dämpfe weiter fortträgt. Der Kehricht, welcher mit Quecksilberpartikelchen vermengt
ist, muss besonders aufbewahrt werden; es ist aber stets vorzuziehen, nur mittels
Zinnasche oder Schwefel das Kehren zu bewirken oder vor dem Kehren den Boden
mit Ammoniaklösung zu besprengen; letzteres hat noch den besondern Vortheil, dass
die Feuchtigkeit das Aufwirbeln von Staub verhütet.
Eine kräftige Ventilation ist für solche Räume nicht zweckmässig, weil durch ge-
steigerte Luftströmung auch eine vermehrte Verdunstung des Quecksilbers herbeigeführt
wird; dagegen würde die mechanische Exhaustion hier den grössten Effect erzielen ;
in grossen Etablissements sollte dieselbe nie ausser Acht gelassen werden. Man hat
auch für eine gleichmässige und möglichst niedrige Temperatur (im Winter höchstens
17—18° C.) zu sorgen; strahlende Wärme von Oefen und grosse Leitungen von Ofen-
röhren vermeide man ganz besonders, um nicht die Verdunstung des Quecksilbers zu be-
fördern resp. die Ablagerung des Quecksilberstaubes zu begünstigen ; man wende nurWand-
öfen an, die von aussen geheizt werden. Für den Sommer ist die Lage der Arbeits-
räume nach Norden absolut erforderlich, nicht allein wegen der Temperatur, sondern
auch zur Vermeidung des Reflexes, welchen die Sonnenstrahlen hervorrufen würden.
Eulenberg, Gewerbe-Hygiene. 47
738 Quecksilber.
Während clor Arbeit müssen die Arbeiter lange leinene Ueberwürfe, welche bis
zum Halse hin dicht zugeknöpft sind, tragen, um die eignen wollenen Kleider vor dem
Einnisten de? Quecksüberdampfes zu schützen. Es ist daher auch zweckmässiger, dass
sie keine Voll- oder Schnurbärte tragen, um dem Quecksilberdampfe keine dem Ein-
athmen günstige Ablagerungsstelle zu bieten. Sowohl für Männer als auch für Frauen ist
eine leichte, aus Papier hergestellte Kopfbedeckung zu empfehlen, um den Quecksüber-
dampf thunlichst von den Haaren fern zu halten, da diese zur Aufnahme des Metalls
vorzugsweise geeignet sind.
Die grösste Gefahr beruht nach allen Erfahrungen grade in den mit Quecksilber-
dampf imprägnirten Kleidungsstücken und ist daher auch auf eine häufige Reinigung
der Arbeitskleider in der Weise zu dringen, dass sie zuerst durch ein Bad von Schwefel-
leber und nachher durch ein schwach angesäuertes Bad gezogen werden. Auch ihre
eignen Kleidungsstücke haben die Arbeiter so zu wählen, dass sie häufig dieser Behand-
lungsweise unterworfen werden können.
Wie im Allgemeinen, so ist auch bei der Beschäftigung mit gefährlichen
Metallen wiederholt die grösste Reinlichkeit als eine Hauptbedingung zur Erhaltung der
Gesundheit hervorzuheben. Spiegelarbeiter müssen deshalb häufig Schwefelbäder
nehmen, um auch die geringsten Ueberreste von angesammeltem Quecksilberstaub zu
beseitigen: diesen dürfen sie weder am Körper, noch in den Kleidungsstücken herum-
tragen, um nicht ausserhalb der Fabrik ebenso, gefährdet zu sein wie in den Arbeits-
räumen. Im Ganzen dürfte die erstere Art der Vergiftung ebenso sehr zu beachten sein
wie die letztere.
Fabricanten. welche auf das Wohl ihrer Arbeiter bedacht sind, haben allen diesen
Verhältnissen grosse Aufmerksamkeit zu widmen. Im Allgemeinen kann man behaupten,
dass aus den verschiedenen technischen Manipulationen, welche mit dieser Fabrication
verbunden sind, weniger Gefahr als aus dem Abpressen, dem Verschütten und
Verspritzen des Quecksilbers erwächst, da ein solches frei im Arbeitsraum ver-
teiltes Quecksilber vermöge seiner grossen Oberfläche die hauptsächlichste Quelle der
Quecksilber -Atmosphäre darstellt. Wird die Destillation des Quecksilbers in
solchen Fabriken vorgenommen, so sind die bei dieser Operation bereits hervor-
gehobenen Vorsichtsmassregeln zu beobachten.
Selbstverständlich darf in den Arbeitsräumen niemals gegessen oder getrunken
werden; auch ist ein Wechsel mit den Arbeitern erforderlich, während manche
Individuen vermöge einer besondern Disposition zu Quecksilbervergiftungen oder mit
Rücksicht auf ihre schwächliche Constitution zu solchen Arbeiten gar nicht zuzulassen
sind. Dass bei Manchen eine grössere individuelle Widerstandskraft gegen Quecksilber-
einwirkung vorkommt, kann durchaus nicht geleugnet werden, ebensowenig wie das
Gegentheil: namentlich findet sich bisweilen bei Frauen die grösste Disposition zu
solchen Erkrankungen. Aus diesem Grunde muss man es für erforderlich erachten, die
Spiegelfabrication stets einer ärztlichen Ueberwachung zu unterwerfen, um die nicht
hierzu geeigneten Constitutionen frühzeitig fern zu halten. Auch beim jedesmaligen Ver-
lassen des Arbeit slocals zu den Essenszeiten ist eine gründliche Reinigung und namentlich
ein sorgfältiges Ausspülen des Mundes nothwendig.
Als die wichtigsten Affectionen der Spiegelbeleger treten Digestionsstörungen
und das Zittern auf. Im Allgemeinen sind jüngere Leute disponirter als ältere: sie
sollten ebenso wenig wie Frauen zu dieser Arbeit zugelassen werden.
Es ist zu bedauern, dass der Silberbeleg (s. Silber) noch so wenig Eingang
gefunden hat. obgleich er bei grössern Spiegeln billiger als der Quecksilberbeleg her-
gestellt werden kann.
Exhalation von Quecksilberdampf kann noch vorkommen bei der Telegraphie.
wo die Verbindungsdrähte grösstentheils in mit Quecksilber gefüllte Näpfchen ein-
getaucht sind. Durch Verschütten des Quecksilbers in den Arbeitsraum oder durch
"Verdunsten aus den Näpfchen, welche sich bisweilen erwärmen, können schädliche Queck-
silberdämpfe entstehen.
Die bei galvanischen Batterien verquickten Zinkelemente, die Reibzeuge der
Elektrisirmaschinen, das Conserviren der Insecten mittels metallischen Quecksilbers u. s. w.
sind ebenfalls in Bezug auf sensible Individuen beachtungswerth.
Wichtig ist noch das Auskochen der Baroilieterrühren : wenn dieselben hierbei
springen und ihren Inhalt in das Kohlenfeuer ergiessen. kann leicht eine Quecksilberver-
giftung vorkommen, die bei Barometermachern nicht selten als Tremor mercurialis auftritt.
Zur Bestimmung des Schwerpunctes der Hohlgeschosse wird ein Quecksilberbad
benutzt: auch hierbei kann durch die Verdunstung und die verschiedenen Manipulationen
eine nachtheilige Quecksilber -Einwirkung vorkommen. Ebenso sehr sind die Queck-
silberwannen in chemischen Laboratorien zu beachten.
In neuerer Zeit wendet man leicht flüssige Legirnngen von Zinn, Blei, Wismuth
und Quecksilber zur Fabrication der sogenannten Spiegelkugeln an. Es wird die
Quecksilber -Verbindungen. 739
geschmolzene Legirung in die betreffenden Glaskugeln gegossen und alsdann so stark
erhitzt, dass das Quecksilber zur Verdampfung gelangt. Eine gefährliche Einwirkung
kann hierbei nicht stattfinden, weil die Menge des Quecksilbers gering ist und ausserdem
in der Kugel bleibt, um sich beim Erkalten derselben auf der Metalloberfläche wieder
niederzuschlagen.
Eine Zahnplombe, welche aus Zinnkadmiumamalgam besteht, ist ungefährlich,
weil diese Verbindung das Quecksilber sehr fest gebunden hält; auch ist in dieser
Composition die Menge des darin enthaltenen Quecksilbers gering.
Quecksilber -Verbindungen.
Quecksilberoxyd HgO, Mercurius praecipitatus raher, ist wegen seiner Dar-
stellung im Grossen zu erwähnen; benutzt man nämlich eine chlorhaltige
Salpetersäure zur Darstellung des Quecksilbernitrats, so bilden sich
später beim Erhitzen dieser Verbindung mit metallischem Quecksilber leicht
Sublimatdämpfe.
Ein Kaninchen, welches diesen Dämpfen ausgesetzt wurde, erlag denselben binnen
2 Stunden. Die Section bot ein ausgebildetes Lungenödem dar, indem die Luftwege
mit einem weissen Schaum vollständig angefüllt waren (s. Sublimat). Man hat daher
alle Ursache, bei technischen Vorgängen dieser Art Vorsicht anzuwenden.
Quecksilberchlorür Hg2Cl2, Calomel, Hydragyrum mercuticnm mite, wird im
Grossen durch Sublimation dargestellt; derselben geht das Verreiben von
Sublimat und Quecksilber voraus, das nur in geschlossenen, rotirenden
Trommeln ausgeführt werden, darf.
Das Erwärmen des Gemenges in einem langhalsigen Glaskolben im Sandbade
muss wenigstens unter einem gut ziehenden Rauchfange geschehen, da sich hierbei stets
Dämpfe von Quecksilber und Sublimat entwickeln. Bisweilen nimmt man überhitzte
Wasserdämpfe zu Hülfe; dann mündet der Schnabel einer Retorte von Steingut in einen
aus Brettern construirten Abkühlungsraum und ist hierbei doppelte Vorsicht wegen der
zu conden sirenden Quecksilberdämpfe nothwendig. Das Pulverisiren des sublimirten
Calomels geschieht unter Alkohol, um den beigemengten Sublimat zu entfernen.
Bei der Darstellung auf nassem Wege wird ein lösliches Mercurosalz mit
einem löslichen Chlormetall präcipitirt Es bildet sich hierbei stets Sublimat und
es dürfen daher die Abfallwässer nicht frei abgelassen werden.
Quecksilberchlorid HgClo, Sublimat, Hydrargyrum bichloratnm corrosivum,
krystallisirt in rhombischen Prismen, die bei 270° schmelzen, sich in 3 Th.
kochenden Wassers und 21j2 Th. kalten Alkohols lösen.
Einwirkung der Sublimatdämpfe auf den thierischen Organismus. Die Dämpfe,
welche durch Erhitzen von 0,09 Sublimat entstanden, wurden in den Glaskasten geleitet,-
in dem ein mittelgrosses Kaninchen sass. Die Krankheits - Symptome bestanden nur in
Augenblinzeln, wässrigem Ausfluss aus der Nase, häufigem Husten, Speicheln und Zu-
rückziehen des Kopfes in den Nacken. Eine halbe Stunde nach dem Beginne des Ver-
suchs stürzt eine Menge Schaum aus der Nase, blutiger Urin geht ab und die
Respiration verlangsamt sich. Etwas Auffälliges zeigt sich nicht mehr, aber 1 Stunde
nach dem Versuche stirbt das Thier.
Section 12 Stunden nachher. Hirnhäute und Plex.ven. spin. blutreich,
ebenso die weichen, schwärzlich-braun marmorirten Lungen, die viel weissen Schaum
enthalten, der auch die Bronchien und die Luftröhre erfüllt, deren Schleimhaut mit einer
dünnen Blutschicht bedeckt ist. In allen Herzhöhlen schwarzes, dickflüssiges Blut;
in der Brusthöhle 10 Grm. blutiger Flüssigkeit.
Aus diesem Versuche geht die gefährliche Wirkung der Sublimat-
dämpfe auf die Lunge hinreichend hervor, man sollte sie daher nie gering
achten, wie es in der Industrie nicht selten geschieht; ausserdem spricht
der blutige Urin für die Dissolution des Blutes, welche Wirkung des Queck-
silbers ist.
47*
74(3 Quecksilber.
Dargestellt wird Sublimat auf trocknem Wege durch Sublimation eines Gemisches
von Mercurisulfat mit Kochsalz in birnförmigen Gefässen, die in einem Sandbade
stehen und mit losen Kreidcstöpseln verschlossen werden.
Es gibt keine chemische Operation, die so nachtheilig auf die Gesundheit der
Arbeiter einzuwirken vermag wie diese Sublimation, wenn man nicht für gründliche
Beseitigung der sich entwickelnden Sublimatdämpfe Sorge trägt. Haben sich die
Dämpfe im Fabriklocale condensirt, so geben sie noch nachträglich zu sanitären
Nachtheilen Anlass: so wurde z. B. ein solches Local, in welchem ein Galeerenofen mit
32 Sublimirkolben stand, nach einem Stillstand der Fabrication von 14 Tagen aus-
gekehrt; zwei Tage nachher wurde der Arbeiter, der dies Geschäft besorgt hatte, von
starkem Speichelfluss befallen.
Ohne einen kräftigen Rauchfang, unter dem der ganze Apparat steht, sollte man
diese Fabrication nicht erlauben. Noch mehr empfiehlt es sich, das ganze Sandbad durch
einen pyramidal zulaufenden und in ein Rohr endigenden Kasten von Holz einzuschliessen
und das Rohr in eine Condensations-Vori'iehtung münden zu lassen.
Die Darstellung auf nassem Wege durch Auflösen des Quecksilbers in Königs-
wasser wird im Grossen nicht ausgeführt.
Quecksilhersnlfid HgS wird entweder direct aus den Erzen oder auf künst-
lichem Wege dargestellt; es ist nur in Königswasser löslich und verbrennt an der
Luft zu schwefliger Säure und metallischem Quecksilber.
1) Die Darstellung des Zinnobers aus den Erzen geschieht nur am Fundorte
der letztern. Auf das Schlämmen, welches immer quecksilberhaltiges Wasser liefert, da
das Erz fast nie frei von metallischem Quecksilber ist, folgt die Digestion mit ver-
dünnter Salpetersäure behufs Entfernung des Ockers und Thons. Das Erz wird nun
zerkleinert und wiederum dem Schlämmprocesse unterworfen, um den Zinnober
auszuspülen. Die bessere Sorte heisst Carminzinnober; die letzte Schlämmung liefert
den schlechtesten Zinnober, die Zinnoberasche. Alle Schlämmwässer sind queck-
silberhaltig und hiernach zu behandeln.
Nach einer andern Methode wird das Erz gepocht, mit alaunhaltigem Wasser
gewaschen, pulverisirt und mit Pech zusammengeschmolzen; die erhaltene Masse wird
in lauwarmem Wasser geknetet, um den Zinnober zu gewinnen.
2) Künstliche Darstellung des Zinnobers auf trocknem Wege. Sie besteht
a) in der Zusannnenschmelzung von Schwefel und Quecksilber in gusseisernen Ge-
fässen unter beständigem Umrühren bis zur Entzündung des Schwefels. Es entwickelt
sich daher sehr viel schweflige Säure, welche um so mehr nachtheilig einwirken kann,
als die Procedur in geschlossenen Gefässen nicht ausführbar ist: die Gefässe müssen
unbedingt unter einem sehr kräftigen Rauchfange stehen, der mit einer vor der Esse
gelegenen Gestübbekammer zu versehen ist.
Das Zerreiben der schwarzen Masse von Schwefelquecksilber erfordert eine
ebenso grosse Vorsicht, da dieses noch metallisches Quecksilber enthält; der Staub kann
bei den Arbeitern Salivation und Zittern erzeugen. Man sollte daher die Masse
erkalten lassen und unter Wasser in geschlossenen Gefässen zerkleinern.
b) Die Sublimation des Schwefelquecksilbers in Glaskolben bezweckt die Ueber-
führung des amorphen Schwefelquecksilbers in krystallinisches. Zuerst entwickelt sich
Schwefelwasserstoff, was die Arbeiter Rauchen (Furaer) nennen; dann treten
noch Schwefeldämpfe auf, welche sich entzünden. Es können aber auch durch Ver-
brennen geringer Mengen von Zinnober Quecksilber dämpfe entstehen; war der
Schwefel arsenhaltig, so ist auch arsenige Säure nicht ausgeschlossen.
Der sublimirte Zinnober wird auf Mühlen auf nassem Wege pulverisirt und
geschlämmt; die Schlämm wässer enthalten noch immer etwas Quecksilber. Die Sublimir-
gefässe werden zertrümmert, um den Zinnober durch Abkratzen zu entfernen, die Glas-
scherben in gusseisernen Röhren erhitzt, um den Rest von Zinnober resp. Quecksilber
zu verflüchtigen. Die Dämpfe gelangen in ein irdenes Gefäss, das einem umgestürzten
Trichter (Haube) mit umgebogenem Rande gleicht und oben in ein Rohr ausmündet,
das mit einer gut ziehenden Esse in Verbindung steht, um die schweflige Säure und
etwaige Quecksilberdämpfe abzuleiten, während sich die Wände der kühl gehaltenen Haube
mit Zinnober beschlagen. Metallisches Quecksilber kann sich an dem umgebogenen Rande
ansammeln.1-')
3) Künstliche Darstellung des Zinnobers auf nassem Wege. Sie besteht a) in
einer innigen Mischung von metallischem Quecksilber und Schwefelblumen in einem
Trommelapparate, wobei man eine zu starke Erhitzung vermeiden muss, weil sonst
leicht Explosionen entstehen.
Zinnober. 741
b) Das erhaltene Schwefelqnecksilber wird mit Pottasche zu einem Brei an-
gerührt und im Sandbade zum Sieden gebracht; es entwickelt sich hierbei sehr viel
Schwefelwasserstoff, der unschädlich gemacht werden muss, weil sonst die Arbeiter
gefährdet sind. Die gelbe, klare Flüssigkeit besteht aus Schwefelquecksilber-
Schwefelkalium. Man sollte sie mit einer Säure versetzen, um das Schwefel-
quecksilber zu gewinnen; nur ist hierbei auf die starke Entwicklung -von Schwefel-
wasserstoff gebührende Rücksicht zu nehmen.
Der mit Wasser gewaschene Zinnober wird noch mit verdünnter Salpeter-
säure mittels eines Rührwerks gewaschen, um die Schwefelverbindungen zu zerstören;
da sich hierbei ebenfalls noch Schwefelwasserstoff entwickelt, so muss dieser Act
in einem geschlossenen Gefässe mit Ableitungsrohr vor sich gehen. Das säurehaltige
"Waschwasser wird meist noch salpetersaures Quecksilberoxydul enthalten.
Bei grossen Etablissements könnte man dasselbe über Zinkspäne rieseln lassen, ehe
es zum Abüuss gelangt. Unter Abscheidung von metallischem Quecksilber würde
sich Zinknitrat bilden, das zur Fabrication von Zinkchromat, der gelben Malerfarbe,
benutzt werden kann.
Anwendung des Zinnobers. Der Benutzung desselben als Malerfarbe steht in
sanitärer Beziehung nichts entgegen; den Zinnober aber zum Färben von eingemachten
Früchten, Conserven, Oblaten u. s. w. zu benutzen, hat insofern grosse Bedenken, als er
häufig mit Mennige und Chromzinnober verfälscht wird. Den Zusatz der Mennige
erkennt man leicht durch das Braun werden des Zinnobers, wenn man ihn mit Sal-
petersäure behandelt, wodurch sich Bleisuperoxyd bildet. Das Chrom weist man
nach, indem man verdünnte Salzsäure aufgibt, wobei man eine gelbe Lösung erhält,
welche durch Zusatz von Weingeist und Kochen lebhaft smaragdgrün wird.
Reiner Zinnober ist in Natriumsulfhydrat und überhaupt in Schwefel-
alkalien vollkommen löslich; er wird hierbei missfarbig, wenn ihm Mennige oder
chromsaures Bleioxyd beigemischt ist.
Siegellack, Wachslichter, Cigarettenpapier u. s. w. mit Zinnober zu
färben, ist gänzlich unzulässig, weil sich beim Verbrennen sicher Dämpfe von metal-
lischem Quecksilber und schwefliger Säure entwickeln. Man kann den Beweis
für diese Thatsache leicht führen, wenn man die Verbrennungsproducte durch einen
Trichter, welcher Baumwolle enthält, aufsaugen lässt. Dieser Umstand ist wegen des
täglichen und vielfachen Gebrauchs von mit Zinnober versetztem Siegellack in ver-
schiedenen Bureaus von der grössten Bedeutung und es unterliegt keinem Zweifel, dass
die Luft in denselben durch die schädlichen Verbrennungsproducte verdorben und
die Gesundheit mancher Beamten, wenn auch nur allmählig, dadurch gefährdet
werden kann.
Der gewöhnliche rothe Siegellack enthält ausser Schellack, Terpentin, Kreide,
Gips und Zinnober häufig noch Zink- und Barytweiss; solche Zusätze sollen nicht
bloss die Masse erschweren, sondern auch das schnelle Abtropfen des Siegellacks ver-
mindern, sind aber in sanitärer Beziehung nicht unbedenklich.
In Persien ist nach Poläk die Inhalation von Zinnoberdämpfen in der
Weise eingeführt, dass dem angefeuchteten Narghile -Tabak ein mit Catechu, China,
Mucilago Gm. arab. u. s. w. vermengter Trochiscus von Zinnober zugesetzt und diese
Pfeife 1 — 2mal geraucht wird; der Dampf wird eingeathmet und nach einigem Verbleiben
durch Mund und Nase ausgestossen ; nach 8 — lOmaligem Einathmen tritt eine massige
Stomatitis ein, worauf ausgesetzt wird; während der Cur wird der Mund häufig aus-
gewaschen.
Auch allgemeine Räucherungen bei entkleidetem Körper, verbundenen Augen und
einer um den Hals befestigten Decke werden eine gewisse Zeit lang 2mal täglich vor-
genommen, wobei, unter Mitgebrauch von Holztränken und Dampfbädern, keine
tiefern Einwirkungen auf den Organismus eintreten sollen.
In Persien will man nach der Inhalation der Zinnoberdämpfe bloss Stomatitis
beobachtet haben; ob hier die gleichzeitig auftretende schweflige Säure die Wirkung der
metallischen Quecksilberdämpfe beeinüusst, mag dahingestellt bleiben; Thatsache_ ist es,
dass diese therapeutische Benutzung der Dämpfe dort seit langer Zeit eingeführt ist und
wahrscheinlich deshalb bloss eine Mundaffection hervorruft, weil die Dämpfe thunlichst
wieder ausgestossen werden.
Versuche an Kaninchen mit den Zinnoberdämpfen fielen negativ aus, weil letztere
rasch zu Boden fallen und dadurch die Einwirkung verloren geht.
Quecksilbersulfat, Mercurisulfat HgS04 wird durch Erhitzen von Quecksilber
mit überschüssiger, concentrirter Schwefelsäure als ein weisses Pulver erhalten, welches
durch Wasser in ein gelbes, basisches Salz, Turpetum minerale HgS044-2HgO,
zerfällt. Es findet bisweilen noch bei der Vergoldung oder Versilberung, beim sogen.
Platiren, Verwendung.
742 Quecksilber.
Quecksilberoxydulnitrat, Mercnronitrat Hg2(N03)24-2H20 kommt frei in der
Natur in Johann-Georgenstadt vor. Künstlich wird das Salz durch Auflösen von über-
schüssigem Quecksilber in Salpetersäure dargestellt. Es bildet farblose Krystalle, die in
Wasser nicht rollständig löslich sind: in einer Lösung von salpetersäurehaltigein Wasser
oxydirt es sich allmählig zu Mercurinitrat. Zur Verhütung der Oxydation setzt man
zur Lösung Quecksilber.
Die Lösung findet Verwendung zum Färben des Horns, zum Aetzen der
Metalle, zum Zerstören von Indigo resp. zum Gelbfärben feiner Woll-
waaren, ganz besonders in der Hntfabrication zum Beizen der Hasenhaare.
(|neeksilberoxydnitiat. Meronrinitrat Hg(N03)2 ist in Auflösung als Liquor
Bellostii bekannt, der in der Medicin zum Aetzen benutzt wird. Nach einer Beob-
achtung von Vidal13) wurde dieser Liquor aus Versehen bei einer schwächlichen 26jährigen
Frau statt eines verordneten Liniments eingerieben. Ein braunrother Schorf mit schmerz-
hafter Schwellung der Umgebung, ein choleraartiger Zustand mit geschwollener Mund-
sehleimhaut und blutendem Zahnfleisch waren die Folgen, die am 9. Tage den Tod herbei-
führten. Bei der Section fanden sich auf der Schleimhaut des ganzen Tractus intest.
Ekchymosen und in der Leber konnte durch die chemische Untersuchung ziemlich viel
Quecksilber nachgewiesen werden.
Quecksilbersulfooyanid. Rhodamiueoksilbor Hg CXS,,. wird durch Fällen eines
löslichen Quecksilbersalzes mit Schwefelcyankalium dargestellt. Ein schwach gelbliches
Pulver, welches, an der Luft angezündet, eine leichte, -chaumige Masse liefert, welche das
(JOOfache Volumen der ursprünglichen Substanz liefert und aus Schwefelquecksilber
und Cvan vor bin d u ngen besteht. Die Verbrennungsproducte bestehen aus Queck-
silberdämpfen und schwefliger Säure.
Einwirkung von Rhoilanqiieeksilber auf den tkierisohen Organismus. Einer
Taube wurden 0,0 Grm. chemisch reinen Rhodanquecksilbers beigebracht. Auffallende
Krankheitserscheinungen zeigen sich nicht: 10 Stunden hernach bläht sie sich nur auf
und vermeidet das Futter: nach 40 Stunden wird sie todt gefunden, ohne dass Krämpfe
vorhergingen.
Section nach 20 Stunden. Gehirn blass, nur am Hinterhaupt eine starke Blut-
anhäufung; Plex. veno.-,, spin. vou gewöhnlichem Blutgehalte: Kropf ganz leer, die
Schleimhaut der Luftrohre blass. Lungen von frischer Röthe, welche an der Luft noch
etwas heller wird: auf den Dui'chschnittsflächen etwas dickflüssiges Blut und mehrere
geronnene Blutklümpchen. Das ganze Herz ist mit schwarzem, geronnenem
Blute angefüllt, bloss im rechten Vorhof und in der Ven. cav. inf. etwas dickflüssiges
Blut, welches an der Luft stellenweise sehr hellroth wird. Leber weich, von braun-
rother Farbe, ziemlich reich an geronnenem und dickflüssigem Blute: Nieren blass
und muskatnussartig gefärbt. Alle Därme sind mit stark injicirten Gefässen durchzogen;
sie enthalten einen gelben und gelbgrünlichen Schleim.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass Queksilbersulfo-cyanid im Thierorganismus
in Schwefel- und Cyanqnecksilber zerfällt, wodurch seine giftige Wirkung
erklärlich wird.
Anwendnng findet Rhodanquecksilber zu Spielereien, indem man beim
Abbrennen der entstehenden Masse allerlei Figuren bildet: hierher gehören die Pharao-
schlangen, die Hinterlader u. s. w. Diese Spielereien verdienen nicht bloss wegen der
sich entwickelnden schädlichen Dämpfe eine sanitäre Beachtung, sondern auch wegen
des giftigen Präparat.- eine polizeiliche Ueberwachung: ihr Verkauf sollte gar nicht
gestattet werden.14)
Eisen, Fe.
Das Eisen kommt gediegen fast nur in den Meteorolithen nebst kleinen Bei-
mengungen von Nickel, Chrom und Kobalt vor. Wegen seiner leichten Oxydirbarkeit
findet es sich in mannigfaltigen Verbindungen: mit Sauerstoff als Eisenoxyd Fe203 im
Eisenglanz, Rotheisen, als Hydrat und Oxyd Fe2(OH)6 + Fe203 im Brauneisen-
stein, als Eisenoxydoxydul FeO.Fe-203 im Magneteisen, mit Kohlensäure FeC03
im Spatheisenstein und in einer kugelig -traubigen Varietät im Sphärosideri t,
mit Phosphorsäure im Raseneisenstein, mit Schwefel als Bisulfid im Schwefel-
kies, mit Arsen im Arsenkies und mit Kupfer und Schwefel im Buntkupfererz.
Eisen. 74g
Nie fehlt Eiseri in der Ackererde sowie im Thier- und Pflanzenreich; wie der Kalk für
das feste Gerüst der meisten Thiere und Pflanzen nothwendig ist, so erfordern die
circulirenden Flüssigkeiten der beiden Reiche Eisen. Die Eisenarmuth der Pflanzen
charakterisirt sich in ähnlicher "Weise wie die Chlorosis oder Anämie der Menschen.
Hüttenmännische Gewinnung des Eisens. In einigen Bergwerken, namentlich
in den saarbrückischen und englischen, findet sich das Eisen als Zwischenlager
zwischen dem Kohlenthonschiefer und der Kohle als sogen. Blackband- selbst-
redend treten hier bei der Förderung alle die schädlichen und gefährlichen Gase
auf, welche im Allgemeinen bei der Steinkohlenförderuug vorhanden sind. Zu
denselben gehören: Sumpfgas, Aethylen (ölbildeudes Gas), Acetylen,
Kohlenoxyd, Kohlensäure, Spuren von Schwefelwassersoff und
flüchtige Kohlenwasserstoffe; sie stellen Gemische dar, welche theils
zusammen, theils isolirt vorkommen. Hauptsächlich dürfte unter Umständen
Acetylen, welches vielfach als Sumpfgas angesehen worden ist, vertreten sein;
seine Einwirkung auf das kupferhaltige Drahtgeflecht der Davy 'sehen Lampe
mag zur Entstehung von Esplosionen schon Anlass gegeben haben. Explosive
Gasgemische detonir n durch Schlag oder Stoss, entzünden in ihrem Gefolge die
brennbaren Gase und rufen auf diese Weise Explosionen hervor; ein Stückchen
Kohle, welches gegen das Netz der Lampe anprallt, kann auf diese Weise schon
Explosionen veranlassen. Sonst kommen nur die sogenannten schlechten,
Kohlensäure enthaltenden Wetter bei Rotheisenstein und Brauneisen-
stein vor; nach Umständen ist daher eine kräftige Ventilation erforderlich.
Von den am meisten zu verhüttenden Erzen sind zu erwähnen: die verschiedenen
natürlichen Eisenoxyde, Eisenoxyduloxyde und kohlensaures Eisenoxydul,
welches mit vielem Thon gemengt den Thoneisenstein bildet.
Beim Thoneisenstein wird es zuweilen nothwendig, durch einen Poch- oder
Schlämmprocess die anhaftenden, speeifisch leichtern Thontheilchen von dem
schwerern Erze zu sondern. Da er nie frei von Schwefeleisen ist, so enthalten die
Schlämmwässer den durch Oxydation entstandenen Eisenvitriol und wirken dadurch
verderblich auf Fische ein, wenn sie direct in Bäche oder Teiche abfliessen. Ebenso
wenig ist das Berieseln der Wiesen mit diesem Schlämmwasser gestattet; ganz besonders
dürfen auch Wasserläufe, welche zu industriellen Zwecken, zur Papierfabrication , zu
Färbereien, Gerbereien, Bleichereien u. s.w. benutzt werden, mit einem solchen Schlämm-
wasser nicht in Berührung kommen.
In den meisten Fällen genügt die Anlage von Schlammabsatzteichen; in
denselben wird durch die grosse Oberfläche, welche man dem Sauerstoff darbietet, das
aufgelöste Ferrosulfat in Ferrisulfat verwandelt; dieses Salz bleibt durch seine
äusserst feine Zertheilung lange im Wrasser suspendirt; stürmische Witterung, Regen u. s.w.
verhindert das Niederfallen dieses Körpers fast gänzlich. Es sind deshalb immer mehrere
derartige Teiche in Anwendung zu bringen, um desto sicherer das Wasser von seinem
Gehalt an Eisen und Schwefelsäure gänzlich zu befreien, damit es wieder zum Speisen
der Dampfkessel, zu neuen Schlämmprocessen und andern technischen Zwecken benutzt
werden kann.
Der Schlamm dieser Setzteiche ist nicht selten arsenhaltig; immer enthält er
Schwefelsäure in gebundenem Zustande. Er wird geschlämmt als Ocker benutzt;
gebrannt liefert er eine der gebrannten Terra sienna ähnliche Farbe; zur Verhüttung
eignet er sich nicht, weil er zu viele Schlacken erzeugt.
A. Darstellung des Gusseisens.
Beim eigentlichen Verhüttungs- resp. Rednctionsprocesse kommen drei ver-
schiedene Stadien in Betracht: 1) das Erhitzen resp. Austreiben des Wassers und
der Kohlensäure, 2) die Rednction, 3) die Kohlenzufuhr resp. die Aufnahme des
Kohlenstoffs zur Verflüssigung des Metalls.
Hohofenprocess (Eisenreductionsprocess). In seiner ursprünglichen Form schliesst
er alle drei verschiedenen Vorgänge in sich, d. h. die neu aufgegebenen Erze werden
744
Eisen.
zuerst durch die abströmende Wärme so weit erhitzt, dass sie das Wasser sowohl als
auch die Kohlensäure grösstentheils abgeben. Beim weitern Niedergehen der Schicht
kommen die Erze bis zur Schicht der lebhaften Rothgluth, wo sie mit Kohlenoxyd
und freiem Kohlenstoff zusammentretend reducirt werden.
In dieser Schicht muss für ein Verglasen resp. Verschlacken der Gang- oder
Bergart Sorge getragen werden, d. h. hat das Erz grosse Mengen von Thon und wenig
Kieselsäure, so muss man noch Kalk und Kieselerde zusetzen, damit ein Verglasen
stattfinden kann; ist der Thon kieselerdehaltig, so wird bloss Kalk zugesetzt. Diese
Zusätze nennt man Zuschläge, welche insofern von grosser Bedeutung sind, als sie
einestheils das glühende Eisen vor der Gebläseluft, d. h. vor Oxydation schützen und
andererseits die Schmelzbarkeit der Gangart befördern, da diese, meist aus Sand oder
Thon bestehend, nur als eine die Erze verunreinigende, unschmelzbare Masse auftritt.
Dieser Process der Schlackenbildung ist daher bei der Eisen-Ausbeute von
grosser Wichtigkeit und erfordert für jede Ofencampagne ein genaues Studium Ist die
Schlacke zu strengflüssig, so bleiben grosse Massen von metallischem Eisen darin ein-
geschlossen; ist sie zu leichtflüssig, so gelangt zuweilen Berg- oder Gangart in das
Gestell des Ofens und veranlasst die sogen. Saubildung, d. h. ein Festwerden von
schlecht gekohltem Eisen im Gestell.
Nachdem das metallische Eisen sich von der Schlacke getrennt hat, gelangt es in
den heissesten Theil des Ofens, wo es mit Kohlenstoff in Berührung letztern aufnimmt
und sich als Kohlenstoff-Roheisen oder Gusseisen im sogenannten Tümpel an-
sammelt. Im Tümpel muss noch so viel Schlacke vorhanden sein, dass das Eisen
bedeckt ist, da dieses sonst durch die Zufuhr der Gebläseluft verbrennen würde.
Zur Erläuterung dient Fig. 55; der Hohofen von kegelförmiger Gestalt wird von
einem starken Gemäuer, Raufmauer A B umgeben; sein innerer Theil heisst Kern-
schacht, die Abtheilung desselben von L nach C heisst Schacht und von D nach E
Rost. Der schmalere Raum bei
„ ■ _.-.- F heisst Gestell mit dem Eisen-
kasten (?, in welchen das ge-
schmolzene Roheisen fliesst; im
Gestell liegen die 2 Oeffnungen
einander gegenüber, welche zur
Aufnahme der Düsen des Ge-
bläses H dienen; man bedient
sich gewöhnlich des Cylinder-
gebläses. Das Gestell führt auf
den Vor her d, welcher durch
den Wallstein J begrenzt ist;
K ist die Gichtbrücke und L
die Gicht. Am Wallstein findet
sich eine Spalte, die Abstich-
öffnung, durch welche das ge-
schmolzene Eisen mit der Schlacke
abgelassen wird; während des
Schmelzprocesses ist sie mit Thon
verstopft.
Die verschiedenen chemi-
schen Processe im Hohofen pflegt
man in 5 verschiedene Zonen ein-
zuthcilen : 1) in die Vorwärm-
zone (Fig. 55 1—2) bei 400°,
2) in die Reductionszone von
2—3 bei 1000—1260°, 3) die
Kohlungszone von 3—4 bei
1600—1700°, 4) die Schmelz-
zone von 4—5 bei 1800—2000°,
5) die Verbrennungszone von
5 — 6 bei 2000—2600° C.
In der Kohlungszone
nimmt das Eisen die Kohle auf
und es entsteht stahlartiges Eisen, welches aber erst in der Schmelzungszone durch
Sättigung mit Kohle in Gusseisen übergeht. Die Verbrennungszone heisst auch
Oxydationszone, weil hier die Gebläseluft mit den weissglühenden Kohlen Kohlen-
säure bildet, welche jedoch auf ihrem Wege durch die höher liegenden Kohlenschichten
wiederum zu Kohlenoxyd reducirt wird.
Beim Hohofenprocess treten folgende Gase auf: 1) Wasser und Kohlensäure,
Eisengiesserei. 745
welche meist von den Zuschlägen herrühren; 2) erst in der Reductionsschicht entsteht
Kohlensäure durch die Einwirkung des Kohlenoxyds auf die Oxyde des Eisens,
Wasser als Product des wasserstoffhaltigen Brennmaterials, Ammoniak als Wasser-
stoffverbindung des Stickstoffs, welcher im glühenden Zustande mit wasserstoffhaltigem
Brennmaterial zusammentrifft; 3) in der stärksten Weissgluth, wo kein Reductionsprocess
mehr stattfindet, veranlasst der Stickstoffgehalt des Gebläses in sehr hoher Temperatur
auch die Bildung von Cyan, welches, in die Reductionsschicht gelangend, insofern
wieder kräftig reducirend wirkt, als der Kohlenstoff desselben unter Entweichung von
Stickstoff Sauerstoff aufnimmt; ausserdem entsteht Cyanwasserstoffsäure die sich
mit den vorhandenen Alkalien und Erden zu Cyanmetallen vereinigt, welche wiederum
an einer andern Stelle der Zersetzung anheimfallen.
Selbstverständlich werden jedoch alle diese reducirenden Gase, wie Kohlenoxyd
und Cyan, nicht gänzlich verbraucht und kommen deshalb in den abströmenden Gasen
des Hohofens, in den sogen. Gichtgasen vor. Die Benutzung derselben als Heizmaterial
stützt sich auf den hohen Gehalt an Kohlenoxyd.
Ausser Ammoniak fehlt selten schweflige Säure, welche vom Brennmaterial
und vom Schwefelkiese der Erze herrührt.
Neuerdings hat man in Oberschlesien die Beobachtung gemacht, dass die Gicht-
gase auch Bleidämpfe enthalten können, wenn die zu verhüttenden Erze bleihaltig
sind; Bleivergiftungen sind schon als Folgen der Einwirkung dieser Dämpfe auf-
getreten. In solchen Fällen haben die Arbeiter doppelte Vorsicht nothwendig, um sich
nicht den Gasen und Dämpfen auszusetzen.1)
Für das Auffangen der (;ase hat man verschiedene Einrichtungen getroffen; viel-
fach hat man am untern Gestell eine ringförmige, mit einem Abzugskamin versehene
Umwölbung angebracht. Nach dem patentirten verfahren von Emil Langen werden die
Gichtgase an der Gicht aufgefangen, indem ein gusseiserner Deckel den Sammelraum
abschliesst, aus welchem ein Rohr die Gase nach dem Orte ihrer Verwendung, sei es
zum Schmelzen und Frischen des Eisens, sei es zum Erwärmen der Gebläseluft u. s. w.,
ableitet. Der Deckel ruht auf einer Art von Schlot, in welchem eine beliebige Anzahl
von Oeffnungen zum Einschütten der Beschickung angebracht ist; auch befindet sich an
dem Gasableitungsrohr ein Sicherheitsventil, welches ausserdem zur Ableitung der
Gase dient, wenn sie augenblicklich keine Verwerthung finden.2)
Unglücksfälle, welche sich beim Hohofenprocess ereignen, entstehen am
häufigsten durch das Entweichen des Kohlenoxyds in Folge von Rissen des Ofens oder
Undichtwerden der Ableitungsröhren für die Gichtgase.
Bisweilen nimmt man den Rost- und Reductionsprocess auf der Grube,
d. h. bei der Förderung der Eisenerze vor, um namentlich die Kosten des Transports
zu sparen. Gurlt reducirt die Erze in der Weise, dass er beim Glühen derselben die
Verbrennungsproducte von Braunkohle oder grünem Holze darüber leitet. Es wird
dadurch nicht allein das Erz reducirt, sondern auch mit feinvertheiltem Kohlenstoff
imprägnirt; es entwickelt sich hierbei viel Kohlensäure. Der ganze Process darf nur
in unbewohnten Gegenden stattfinden.
Nach dem Gehalte des Eisens an Kohle unterscheidet man Roh- oder
Gusseisen, Stab- oder Schmiedeeisen und Stahl. Der Kohlengehalt
des Gusseisens schwankt zwischen 2,5 — 5,9 % und bedingt hauptsächlich die
Fähigkeit desselben, sich in geschmolzenem Zustande in Formen giessen zu
lassen; es dient daher vorzugsweise zur Darstellung der Eisengusswaaren.
Man unterscheidet weisses Gusseisen, welches durch rasches Abkühlen
Kohlenstoff chemisch gebunden enthält ; ist es reich an Mangan, so bleibt es auch beim
langsamen Erkalten weiss und heisst wegen seines grossblättrigen, krystallinischen
Gefüges Spiegeleisen. Das graue Gusseisen enthält noch 1,3-3,7$ Kohlenstoff
in ungebundenem Zustande, der in feinen Blättern (Graphit) zwischen den Eisen-
molecülen lagert.
Eisengiesserei.
Die Herstellung von Eisengusswaaren kann direct mit dem Hohofen-
process verbunden werden, wenn es sich nicht um Maschinentheile handelt; meist
zieht man es aber vor, das Eisenschmelzen in Tiegeln oder für grössere
Gegenstände in Schachtöfen, in den sogen. Kupolöfen, vorzunehmen, die
in der Regel 5 — 6eckige, 3 — 6 Meter hohe Oefen darstellen, aus feuerfesten Steinen
746 Eisen.
gemauert und von einem gusseisernen Mantel umgeben sind. Der Boden besteht
aus festgestampftem Sande mit schiefer Oberfläche, die nach der sogen. Abstich-
öffnung zuläuft; an der entgegengesetzten Seite derselben befindet sich eine
Oeffnung zur Einführung der Düse des Gebläses. Durch die Gicht trägt man
das Roheisen uud das Brennmaterial (Koks) ein.
Kriijnr hat den Kupolofen wesentlich durch einen Vorherd verbessert, der nur
das geschmolzene Eisen aufnimmt, ohne dass dieses mit den Koks in Berührung bleibt:
man kann das geschmolzene Eisen direct in die Formen ablassen.
Die von den Oefen ausgehenden Gase und Dämpfe müssen nach dem Schorn-
stein der Dampfmaschine oder durch eine besondere Flugstaubkammer abgeleitet werden,
weil sonst die nächste Nachbarschaft durch die Asche der Koks und die feinen Eisen-
tbeilchen, welche durch die Gebläseluft mit fortgeführt werden, sehr belästigt wird. Am
zweckmässigsten fängt man die Gichtgase und den Staub unter einem Busen auf,
der mit einer Flugstaubkammer in Verbindung gebracht wird. Der Zug kann
durch den Schornstein der Dampfmaschine in hinreichendem Grade vermittelt
werden.
Bei völliger Vernachlässigung solcher Vorsichtsmassregeln kann der Vegetation
grosser Schaden zugefügt werden. In einem concreten Falle wurde ein Roggenfeld von
einem bedeutenden Umfange durch solche Dämpfe eines Kupolofens gänzlich zerstört;
die zarten Blattflachen waren mit runden, braunen, rostfarbigen Puncten wie besät; viele
confluirten, andere erschienen perforirt, wenn man sie mittels der Loupe untersuchte. Die
Obstbäume und Weinstöcke, welche in gleicher Linie standen, waren nur an den Spitzen
und Rändern der Blätter und in geringerm Grade beschädigt, da sie bereits härter und
weniger empfindlich waren.
Diese Veränderungen an den zarten Blättern des Roggens* wurden theils durch
das metallische Eisen bewirkt, welches sich zuerst in Oxydul und dann in Ox}-d
verwandelte, theils auch durch die schweflige Säure des Brennmaterials (Koks). Das
so gebildete Eisensalz, welches sich auf den Blättern bei feuchtem Wetter löste, blieb
beim Verdunsten des Lösungsmittels auf den Blättern zurück und wirkte nun corrosiv
ein. Durch die Behandlung der Flecke auf den eingetrockneten Blättern mit Kalium-
eiseneyanür entstand Berlinerblau, ein Beweis für die Gegenwart eines löslichen
Eisensalzes.
Durch die Einführung der (iasilammenüfeii, welche in Spandau und Lüttich zum
Geschützgusse im Gebrauche sind, fallen die Nachtheile dieser schädlichen Staubbildung
weg; sie können mit und ohne Sipmens'scke Regenerativfeuerung benutzt werden.
Bei der Eisengiesserei sind in sanitärer und technischer Beziehung dieselbeu
Gesichtspuncte wie beim Kupfer- und Bronzeguss massgebend (s. S. 721).
Den Sandguss benutzt man vorzüglich zur Darstellung von Gittern, Stäben,
Platten, Pfeilern u s. w. Sind in diese Formen Buchstabenzeiehnungen durch Holz
eingelegt, so geschieht es nicht selten, dass sich an den Luftlöchern brennbare Gase:
Konlenoxyd, Wasserstoff oder Kohlenwasserstoffgase, als Zersetzungsproducte
des Bolzes entwickeln, welche mit grosser Heftigkeit den Luftlöchern entströmen und
sich beim weitern Füllen der Formen mit flüssigem Gusseisen unter Explosion ent-
zünden. Durch den brennenden Gasstrahl können sich die in der Nähe beschäftigten
Arbeiter eine gefährliche Verbrennung zuziehen: die Vorsicht gebietet es daher, die
Luftlöcher mit aufrecht stehenden, wenigstens 2 Meter hohen Röhren zu versehen, damit
sich die etwa entstehende Flamme über die Köpfe der Arbeiter hinweg ausbreiten kann.
Die Einführung der Formen von Sand und Lehm statt der flolzmodelle ist
ein wesentlicher Fortschritt in der Giesserei. Seit der allgemeinen Verbreitung des
Leuchtgases hat auch die Röhrenformerei ganz bedeutend an Ausdehnung ge-
wonnen, namentlich seitdem man den stehenden Guss in getrockneten Formen
statt des liegenden Gusses eingeführt hat, der zugleich den grossen Vortheil bietet,
dass die beim Giessen entstehenden Gase und Dämpfe rascher nach oben abziehen und
die Arbeiter weniger schädigen. Das Einstampfen des Formsandes durch Maschinen
ist ein ebenso wichtiger Fortschritt.3)
Der Lehmguss kommt beim Giessen von grossen Kesseln, topfartigen Ge-
lassen u. s. w. zur Anwendung. Man bildet wie beim Kupferguss Formen aus gesiebtem,
angefeuchtetem und mit Pferdemist durchknetetem Lehm: sie werden in Trockenöfen resp.
Trockengewölben getrocknet, in kellerähnlichen Räumen, wo die Heizung mittels Koks in
offenen Herden geschieht. Arbeiter, welche unvorsichtiger Weise auf solchen Gewölben
schlafen, können sich durch die Verbrennungsproducte einer Intoxication aussetzen.
Trotz des vorsichtigen Trocknens kann es sich ereignen, dass die Formen noch
Feuchtigkeit enthalten: bei der hohen Temperatur erzeugt sich dann beim Guss Wasser-
Schmiede-^ oder Stabeisen. 747
stoff, welcher eine Explosion erzeugen kann, wenn er mit der atmosphärischen Luft
vermischt Knallgas bildet, ein Umstand, worauf wohl zu achten ist.
KuHStguSS ist ebenfalls Lehmguss; SchalengiiSS (Poterie) für feinere Luxusgegen-
stände erfordert sehr häufig messingene Formen. Die weitern Manipulationen, welche
mit den gegossenen Gegenständen noch vorgenommen werden, sind mechanischer Natur ;
nur hinsichtlich des sogen. Verputzens der Gusswaaren ist noch besonders zu be-
merken, dass da, wo Nähte und Zapfen der Eingüsse sich befinden, das Abmeisseln
mittels des Kaltmeissels geschieht; die Arbeiter haben daher ihre Augen durch Glimmer-
brillen vor Eisensplittern zu schützen.
B. Darstellung des Schmiede- oder Stabeisens durch Frischen oder Puddeln.
Durch Entkohlung des leicht schmelzbaren Gusseisens erhält man
das fast unschmelzbare Schmiedeeisen. Der Process, durch welchen das Roh-
eisen in Schmiedeeisen verwandelt wird, heisst der Frischprocess und
bezweckt die Entfernung der grössten Mengen von Kohlenstoff und der übrigen
fremden Körper des Guss- oder Roheisens durch Oxydation.
Man unterscheidet: l) die Handscheidung oder den deutschen Frischprocess,
welcher darauf beruht, dass durch die Gebläseluft fortwährend Kohlenstoff aus dem
Roheisen zu Kohlensäure verbrannt wird und schliesslich durch die Schläge des Auf-
werfhammers alle Schlackentheile aus dem glühenden Eisen ausgepresst werden;
2) das Frischen in Flammenöfen oder der Puddlingsprocess, wobei das zu entkohlende
Eisen in einem Flammenofeu, mit Eisenschlacken versetzt, bis zum Erweichen erhitzt
und beständig umgerührt (gepuddelt) wird. Der Sauerstoff des Eisenoxyduloxyds
verbindet sich mit dem Kohlenstoff zu Kohlenoxyd, welches in blauen Flämmchen auf
dem breiigen Eisen verbrennt.
Die Flammenöfen sind Reverberiröfen mit einem Gewölbe aus feuerfesten
Steinen; der Arbeitsherd liegt in der Mitte zwischen dem Feuerherd und dem
Schornstein und besteht aus einer eisernen Platte, auf welcher eine dicke Schicht von
Sand oder Schlacken ruht.
Nach dem Puddeln wird das Eisen unter dem Stirnhammer oder durch ein
Quetschwerk von den Schlacken befreit.4)
In sanitärer Beziehung ist hier nur die grosse Hitze zu berücksichtigen,
welcher die Arbeiter sich aussetzen müssen. Die Erkältungskrankheiten, Rheuma-
tismen usw., an welchen sie vorzugsweise leiden, finden in dem schroffen Temperatur-
wechsel einen hinreichenden Grund.
Das Schmiedeeisen, das kohlenfreieste Eisen, ist hellgrau, enthält einen Kohlen-
gehalt von l/4 — % % und ausserdem noch eine unbestimmte Menge von Schwefel,
Phosphor, Silicium, Kupfer, Zink u. s. w. ; es lässt sich sehr gut poliren, ist sehr dehn-
bar und zähe, eignet sich daher ganz besonders zur Erzeugung von Drähten und zur
Blechfabl'ication auf Walzwerken; sehr wichtig ist in neuerer Zeit die Anfertigung
von Drahtseilen geworden. Durch das Walzen bekommt Schmiedeeisen ein faseriges,
durch Hämmern ein körn iges Gefüge; bekannt ist es, dass auch starke und häufige
Erschütterungen, wie solche bei Hängebrücken und Eisenbahnachsen vorkommen, den
faserigen Zustand in den körnigen überzuführen vermögen, wodurch Brüche viel leichter
stattfinden, eine Möglichkeit, die zur Verhütung von Unglücksfällen nicht zu unter-
schätzen ist.
C. Bereitung des Stahls.
Nach den verschiedenen Darstellungsweisen sind folgende Stahlsorten zu
unterscheiden:
1) Der Roh- oder Schmelzstahl , welcher durch theilweise Eutkohluug des
Roheisens entsteht, wird nach der Art der Entkohlung verschieden benannt.
a) Roh- oder Frischstahl wird in Oesterreich, in Thüringen, im Regierungsbezirk
Arnsberg und im Siegen'schen aus Spatheisenstein durch allmähliges Verbrennen des
Kohlenstoffs, durch Frischen, erhalten. Der Process stimmt im Ganzen mit dem
Frischen des Eisens überein; man heizt mit Holzkohlen.
b) Der Puddelstahl wird durch den Puddlingsprocess mit Steinkohlen dar-
gestellt und liefert das Material für die Gussstahlfabrication. Die Bearbeitung unter-
scheidet sich fast gar nicht vom Eisen puddeln.
748 Eisen.
c) Der Bessemerstahl. Das flüssige Roheisen wird aus dem Hohofen in birn-
förmige, von Eisenblech angefertigte und mit feuerfestem Thon gefütterte Gefässe
i !o ii v ertor) abgelassen: im Boden des Convertors wird gegenwärtig durch 70 bis
80 enge Oeffnungen Luft in das geschmolzene Eisen eingeblasen und zwar in einer
solches Richtung, dass die Masse in eine drehende Bewegung geräth; dadurch wird
das Aufbrausen und Umherspritzen des Eisens verhütet, welches bei der frühern
Methode sehr belästigend und gefährlich war. Die Beimengungen (Phosphor, Silicium,
Schwefel, Kohle) des Metalls verbrennen mit Flammen und Funkensprühen. Die aus
dein Convertor aufsteigende Flamme muss durch den Spectralapparat so lange beob-
achtet werden, bis das für den Kohlenstoff charakteristische Spectrum schwindet; dann
wird der flüssige Stahl in Formen abgegossen.
Die Menge der sich beim ßtsspmer'schen Processe entwickelnden Gase ist nicht
so bedeutend wie beim Hohofenprocess; bisher werden sie noch Dicht zur Feuerung
benutzt. Bei grosser Unachtsamkeit der Arbeiter können auch hier töcltliche Fälle ein-
treten; es sind dem Verf. zwei tödtliche Vergiftungen durch Einwirkung der hier auf-
tretenden Gase bekannt geworden.
2) Cement- oder Brennstahl. Bei der Fabrication im Grossen bringt man
Schmiedeeisenstäbe in thönerne Kasten, welche das sogenannte Cementpulver
(Kohlenklein, Holzasche und Kochsalz), enthalten und glüht sie in Flammenöfen.
Die 4 — 5 Meter laugen Kasten schliessen sich an die Seitenwände au, wo sich
die Thüren zum Füllen der Kasten und zum Probenehmen befinden. Das Feuern
muss bis zur "Weissglühhitze gesteigert werden.
Nach einer andern Methode bestreut man das bis zu einer bestimmten Tem-
peratur erhitzte Eisen mit kohlen- und stickstoffhaltigen Bestandteilen (Hornspänen,
Lumpenwolle, Blutlaugensalz u. s. w.) mehrmals, um dem Eisen Kohle und Stickstoff
mitzutheilen (s. S. 392).
Diese Methode wendet man namentlich bei den Gewehr laufen vor geschehener
Bohrung an. Sie ist nicht nur für die Umgebung durch die unangenehmen Gerüche
belustigend, sondern auch für die Arbeiter gefährlich, weil beim Zustreuen der Kohle
leicht Kohlenoxyd in den Arbeitsraum strömt und erfahrungsgemäss Vergiftungen
hervorruft, wenn man nicht für gehörige Ableitung der Gase sorgt; übrigens ist dies leicht
durch einen gut ziehenden, mit der Esse in Verbindung stehenden Fang über der
Arbeitsthür zu bewerkstelligen.
Nach dem Glühen folgt bei den Stäben behufs inniger Vertheilung des Kohlen-
stoffs das Zusammenschweissen. Die Gewehrläufe werden gefräst und dann
gebohrt.
Bei der Stahlfabrication im Kleinen, z.B. bei Grobschmieden, Schlos-
sern und namentlich Uhrmachern u. s.w., durch welche Trieben, Achsen, Werkzeugen
zum Schneiden der Schrauben u. s. w. eine harte Oberfläche ertheilt werden soll,
werden vorher die Gegenstände durch Schmieden und Feilen in die nothwendige
Form gebracht und dann in Schichten zwischen Pulver von Holzkohle oder Thierkohle
oder auch von Hörn-, Hufenabfällen u. s w. in eiserne Kasten gelegt, die sorgfältig
verschlossen und lutirt werden. Diese werden in einem Schmiedefeuer einige Stunden
lang einer starken Glühhitze ausgesetzt; durch die Verbindung des Kohlenstoffs mit
dem Eisen erzeugt sich bloss an der Oberfläche des letztern eine dünne Schicht Stahl.
Schliesslich wird der Kasten in kaltes Wasser geworfen, um den Stahl zu härten.
3) Der sogen. Glisentistahl entsteht durch Zusammenschmelzen von Roh-
eisen (Spiegeleisen) und Schmiedeeisen.
Rafiiniren des Stahls. Um die Ungleichheit im Gefüge des Stahls aufzuheben,
die beigemengten fremden Stoffe zu entfernen und den Stahl zur Anfertigung von In-
strumenten u. s. w. geeignet zu machen, muss er (Bessemerstahl ausgenommen) raffinirt
werden.
Das eigentliche Raffiniren, Gerben oder Läutern besteht im Ausschmieden
des Rohstahls unter Hämmern , die von einer mechanischen Kraft getrieben werden,
zu Platten (Reckhämmer): diese werden im rothglühenden Zustande in kaltem Wasser
gehärtet und in Stücke gebrochen ; mehrere derselben vereinigt man zu Bündeln (Zange),
die in der Weissglühhitze zusammengeschweisst und wieder ausgedehnt werden.
Durch Umschmelzen des Stahls erhält man den gegossenen Stahl oder
(liussstahl, der gegenwärtig eine bedeutende Stellung in der Industrie einnimmt. Das
Schmelzen kleiner Stücke von Roh-, Puddel- oder Cementstahl oder auch von Stab-
und Gusseisen geschieht in Tiegeln von reinem Pfeifenthon, die mit Stahlbrocken gefüllt
auf den Rost des Tiegelofens gestellt, mit einem Deckel versehen, lutirt und mit
Stahl- und Eisenindustrie. 749
glühenden Koks umgeben werden; ein stark ziehender Schornstein unterhält eine inten-
sive Verbrennung. Der geschmolzene Stahl wird in eiserne Formen gegossen. Setzt
man während des Schmelzens etwas Silber oder Wolfram (% %) zu, so erhält man
den durch eine grössere Härte sich auszeichnenden Silber- oder Wolft'äiustalil.
Wegen seiner Härte und Federkraft ist der indische Wootzstalil und Damaseener-
stahl berühmt; es sind Mischungen von Stahl und Eisen, die künstlich dargestellt
werden können
Stahl- und Eisenindustrie.
Der Stahl steht im Allgemeinen in der Mitte zwischen Guss- und Schmiede-
eisen; bei den weichen Sorten enthält er 0,75 — \% Kohlenstoff, bei den harten
bisweilen 1,75 g, meist aber selten mehr als 1,25 g. Durch die Eigenschaft, sich
härten zu lassen, zeichnet er sich vor allen andern Metallen aus. Das Härten
geschieht durch plötzliches Abkühlen und Pressen zwischen metallenen Platten
und ist nothwendig bei der Anfertigung verschiedener Werkzeuge, die zum
Schneiden, Sägen, Feilen, Hobeln, Bohren u. s. w. dienen, sowie bei der Darstellung
von Gegenständen, die sich beim Gebrauche wenig abnutzen dürfen.*)
Gehärteter Stahl kann übrigens ohne weitere Bearbeitung nicht benutzt werden,
weil er beim Hämmern u. s. w. wie Glas springen würde; er eignet sich nur zum
Schleifen. Diese grosse Brüchigkeit verliert der Stahl durch das sog. Anlassen, d. h.
eine langsame Erwärmung Ton 220 — 325° C, ohne etwas von seiner Härte einzubüssen.
Die aus Stahl anzufertigenden Gegenstände unterliegen dieser Behandlung, namentlich
Federn und Sägen, weniger Rasirmesser und Meissel.
Der geschliffene und polirte Stahl verändert beim Anlassen seine Farbe
vom Hell-, Stroh- und Dunkelgelb zum Purpur- und Carmoisinroth, Veilchen-, Dunkel-
und Hellblau. Wird rothglühender Stahl in Holzkohlenpulver gelegt und in diesem
langsam abgekühlt, so bleibt er weich wie Eisen und kann wie dieses gefeilt, gebohrt
und gehobelt werden.
Der Stahl schmilzt wegen seines Kohlenstoffgehaltes leichter als Schmiede-
eisen, aber schwerer als Gusseisen; er bedarf einer Temperatur von 1700 — 1800° C.
zum Schmelzen. Beim Eintritt der Weissglühhitze wird der Stahl weich wie
Stabeisen und ist dann zum Schmieden und Schweissen geeignet.
Bei allen diesen Arbeiten ist in sanitärer Beziehung die strahlende
Wärme zu beachten, welcher die Arbeiter ausgesetzt sind (s. S. 182); auch gibt
das starke Geräusch bei der Anfertigung von grössern Werkzeugen oft Anlass zur
Entstehung von Schwerhörigkeit. Das Tragen von Baumwolle in den Ohren
ist sowohl in dieser Beziehung als auch zur Vermeidung des Eindringens von
Staub in den äussern Gehörgang zweckmässig; um die Augen vor der Gluth des
Feuers oder Verletzungen zu schützen, sind wiederholt die Glimmerbrillen zu
empfehlen. Dass bei so schweren Arbeiten auch Verletzungen mancher Art vor-
kommen, ist selbstverständlich; kommen dazu noch die körperlichen Ueberan-
strengungen oder die einseitige Anstrengung einzelner Muskelgruppen, so vereinigt
sich eine Summe von Gesundheits- Schädigungen, der man fast bei allen Eisen-
arbeitern begegnet.
Das Schmieden. Die. meisten Metalle besitzen Schmiedbarkeit _ und Dehnbarkeit,
nur erfordern die einen Metalle eine höhere Temperatur hierzu als die andern. Eisen
und Stahl können nur in glühendem Zustande geschmiedet werden. Beim Schmieden
wird die Formveränderung der Metalle durch Schlagen mit Hämmernbewirkt; diese
werden in Bewegung gesetzt entweder durch die Muskelkraft der Arbeiter oder durch
eine rotirende Achse (Schwanz-, Brust- und Stirnhämmer), durch Dampf
(Dampfhämmer), durch Treten (Tritt- oder Stampfhämmer) oder durch An-
wendung sich umdrehender Rollen oder Scheiben (Reibungshämmer). Der
*) Zur Anfertigung von Achsen, Eisenbahnschienen, Stäben für Eisen-
bahnbrücken u. s. w. kann nur der ungehärtete Stahl benutzt werden, weil er
sich durch einen hohen Grad von Festigkeit auszeichnet.
750 Eisen.
Amboss dient den zu bearbeitenden • Metallen als Stütze und leistet den Hammer-
schlägen Widerstand; bei den grössern Hämmern ist die damit verbundene Erschütterung
des Erdbodens für die Adjacenten sehr belästigend und erfordert zweckmässige Schutz-
massregeln.
Bei kleinern Dimensionen reicht ein Block von Eichenholz (Ambossstock) aus,
der im Boden befestigt wird und aus dem Boden noch hervorragt. Auch kann man
ans Dauben von Holz eine Kufe ohne Boden construiren, welche man in den Grund
setzt und mit grobem Sande oder Kieselsteinen ausfüllt: auf diese Lage kommt zunächst
ein Stück Holz und auf dieses der Amboss. Bei sehr grossen Hämmern wird eine be-
sondere Stelle für den Amboss vertieft, ausgemauert und mit einem kleinen Wall um-
geben, um dadurch die Fortpflanzung der Erschütterung zu verhüten.
Die Feuerherde dienen zum Glühen der Metalle und stellen gewöhnliche
Schmiedeherde oder Flammen- oder Schweissöfen dar.
Als verschiedene Arten des Schmiedens unterscheidet man das Ausstrecken
eines Stabes in die Länge, das Stauchen, welches ein Zusammendrücken des Stückes
der Länge nach bezweckt, das Biegen, das Ansetzen, wobei mittels des Schrotmeissels
eine tiefe Kerbe eingeschlagen wird, das Durchschlagen oder Dornen von Löchern,
das Schmieden in eine Spitze (Nagelschmieden) und das Schweissen, welches zwei
oder mehrere Stücke Eisen oder Stahl zu einem Stück vereinigt.
In sanitärer Beziehung wiederholen sich bei allen diesen Beschäftigungen
die körperliche Anstrengung, die strahlende Hitze, der schroffe Ternperaturwechsel
und die leichte Beschädigung der Augen. Bei Schmieden und Schlossern
haudelt es sich am einen groben Eisenstaub, der nicht eingeathmet wird; auch
der Kohlenstaub ist nicht beträchtlich, da bekanntlich die Kohlen auf dem Feuer-
herde beständig mit Wasser besprengt weiden Specifische Staubkrankheiten
können bei diesen Arbeitern selten nachgewiesen werden, wenn sie nicht noch
andern, Staub bedingenden Schädlichkeiten ausgesetzt sind. Die Werkstätte
selbst ist zwar niemals frei von Staub, wie es bei allen mit Schmutz verbundenen
Beschäftigungen der Fall ist; eine sorgfältigere Reinigung und häufiges Ausfegeu
der Werkstätten würde daher manchen Xachtheilen vorbeugen; gleichzeitig müsste
auch den Arbeitern Gelegenheit zur Reinigung ihres Körpers gegeben werden. Die
ergiebigste Benutzung von Bädern ist das beste Schutzmittel zur Erhal-
tung der Gesundheit der Eisenarbeiter. Die Gewerbe-Statistik hat noch nicht
die Vollkommenheit erreicht, welche zu Schlussfolgerungen berechtigen. Auch ist
hierbei stets die ursprüngliche Krankheitsanlage zu berücksichtigen, welche die
Entstehung mancher Leiden mit bedingt; so sind z. B. varicöse Anschwellungen
an den uutern Extremitäten bei Schmieden und Schlossern gar nicht selten,
manche bleiben jedoch erfahrungsgemäss trotz jahrelanger Beschäftigung frei davon.
Herzkrankheiten können die Folgen der körperlichen Anstrengung sein, wenn
sich Arbeiter mit schlaffer Musculatur und reizbarem Gefässsystem den Ueberan-
strengungen aussetzen. Bei allen Stahl- und Eisenarbeitern sollte man daher von
vornherein die richtige Auswahl treffen; es ist Sache der Fabrikärzte, namentlich
junge Leute, deren Constitution und Krankheitsaulage Bedenken erregen, von
solchen anstrengendeu Arbeiten fern zu halten. Kräftige Constitutionen werden
dagegen bei einer guten Ernährung und einem verständigen Lebenswandel durch
das Schmiede- und Schlossergewerbe au ihrer Gesundheit nicht beeinträchtigt und
in ihrem Lebensalter nicht verkürzt. Dies gilt auch von den Grob- und Huf-
schmieden, von den Schwertfegern oder Waffenschmieden.
2) Das Walzen. Ein Eisen walz werk besteht in der Regel aus zwei sogen.
Walzstrassen, von denen eine für die Fabrikation der Bleche, die andere für die
von Stab-, Band- und Rundeisen dient. Die Arbeiter haben sich hierbei nur vor
mechanischen Verletzungen zu hüten.
3) Das Drahtziehen. Man schmiedet aus Eisen oder Stahl viereckige Stäbe
oder walzt das glühende Eisen rund bis zu einer gewissen Dicke. Zum Ziehen
Ausarbeitung von Eisen und Stahl. 751
des Drahtes benutzt man überall das Zieheisen und die Ziehbank. Rundgewalztes
Eisen (Drahteisen) wird fast ausschliesslich auf Leier- und Trommelbänken zu
Draht gezogen; besondere sanitäre Nachtheile treten weder beim Walzen noch beim
Drahtziehen auf.
Das Ziehen von eisernen Röhren oder hohler eiserner Stäbe im Allgemeinen
für Locomotiv- und Dampfkessel u. s. w. geschieht mittels eines eisernen oder stählernen
Kerns (Dorn).
Ausarbeitung der Metalle. Die hier zur Sprache kommenden Manipulationen
gehören zwar hauptsächlich der mechanischen Technologie an, sie bedürfen
aber einer kurzen Besprechung, weil grade die Ausarbeitung von Eisen und
Stahl in sehr viele Fabricationszweige hineingreift, die, wie z. ß. die Uhr-
macherei, Gewehrfabrication u. s. w., hier nicht speciell behandelt werden
können, in denen aber doch mehr oder weniger mechanische Vorgänge folgender
Art vorkommen:
1) Das Verbessern der äussern Gestalt wird bei eisernen Gegenständen durch
Drehen auf der Drehbank erzielt*). Hierbei bilden sich oft die Augen verletzende
Eisen splitter, vor denen sich die Arbeiter durch Brillen schützen müssen.
Zum Schraubenschneiden sind besondere Apparate erforderlich; zum Hobeln
gebraucht man Hobelmaschinen.
Das Feilen bezweckt das Glätten von unregelmässigen Metallstücken, die sich
Aveder zum Abdrehen noch Abhobeln eignen. Bei kleinern und kurzen Gegenständen
ersetzen die Feilmaschinen die Feilen, was fast in allen Metallwerkstätten der Fall
ist. Feilenhauer beschäftigen sich mit der Anfertigung der Feilen; die Arbeit ist an
und für sich nicht schädlich, nur häufig mit körperlicher Anstrengung verbunden. Die
meisten Eisenarbeiter sind aber roh wie das Metall, das sie bearbeiten, und auf die Erhal-
tung ihrer Gesundheit nicht bedacht. Auch ist noch eine Manipulation, die hierbei vor-
kommt, mit Gefahr verbunden; ist nämlich schon eine Seite der Feile geschärft, so
muss diese auf eine weichere Unterlage gelegt werden, wenn das Schärfen der andern
Seite stattfinden soll: in England sowie in Deutschland wählt man dazu ein Lager
von Blei oder ein Gemenge von Sand und Bleiglanz oder zerkleinertem Blei und
Zinn. Der hierbei auftretende Bleistaub gibt nicht selten zu Bleivergiftungen
Anlass, die sich erfahrungsgemäss als Koliken, Neuralgien und Lähmungen der Exten-
soren der Arme äussern können. Da während der Arbeit die linke Hand, welche den
Meissel hält, auf dem Bleilager ruht und auf demselben den Meissel fortschiebt, so kann
der Staub sehr leicht eingeathmet oder mit den Fingern dem Munde zugeführt werden,
wenn erstere, wie es häufig geschieht, mit Speichel benetzt werden. Die Ausbildung
dieser Feilenhauerkrankheit (File-cutters disease) ist daher leicht erklärlich,
namentlich wenn auch das Mittagsmahl in den staubigen Arbeitsräumen verzehrt wird.
Die Prophylaxis beruht in den Vorsichtsmassregeln, welche auch in Bleiweissfabriken
und bei andern Bleiarbeiten erforderlich sind; am sichersten würde aber eine zweck -
mässigere Unterlage für die zu bearbeitenden Feilen diese Krankheit verhüten. Auch
findet man nicht bei allen Feilenhauern diese Methode, grade Blei als Lager zu
benutzen; jedenfalls ist es möglich, auf anderm "Wege den beabsichtigten Zweck zu
erreichen. Ziel und Streben der öffentlichen Gesundheitspflege muss es aber bleiben,
mit Ausdauer sanitären Nachtheilen solcher Art entgegen zu wirken, namentlich wenn
sie in überlieferten Vorurtheilen wurzeln.5)
Das Schleifen der Metalle ist bei harten Metallen, die von der Feile nicht an-
gegriffen werden, erforderlich; sie müssen daher längs der Oberfläche harter Steine
(Schleifsteine) gerieben werden. Durch Wetzen oder Schärfen auf Steinen
bewegt man die Gegenstände selbst und schleift auf diese Weise Messer, Gravir-
und Hobeleisen u. s. w. Bei grössern Gegenständen, bei Ambossen, Beilen,
Sägen, Gewehrläufen, Säbeln, Bajonneten u. s. w. werden die Schleifsteine mit
grosser Geschwindigkeit umgedreht und die Gegenstände gegen ihre Oberfläche an-
gedrückt, was auch bei kleinern Gegenständen, z.B. bei Federmessern, Scheren,
Nadeln und Stahlfedern geschieht, um ihnen neben einer schneidenden oder scharfen
Kante zugleich eine glatte und schöne Oberfläche zu geben; im letztern Falle bewegen sich
*) Durch das Guillochiren (von GuUlot erfunden) werden auf ebenen Flächen
excentrische Kreise, elliptische oder wellenförmige Linien eingeschnitten, z. B. auf den
Platten zum Drucken von Papiergeld, auf der Rückseite der Taschenuhrgehäuse, somit
mehr auf weicherm Metall.
752
Ei
die Schleifsteine sehr rasch, beim Nadelschlcifen machen sie oft in 1 Miuute 3-4000 Um-
drehungen.
In den Schleifmühlen variirt die Grösse der Steine von 2,5—3 Meter und
drehen sich dieselben natürlich um so langsamer, je grösser sie sind. Das Schleifen
hat schon längst die öffentliche Aufmerksamkeit erregt, da der hierbei abfallende feine
Metallstaub einen so entschieden nachteiligen Einfluss auf die Lungen der Arbeiter
ausübt, dass die Folgen noch viel eher als bei den Steinhauern eintreten müssen, da es
sich hier um eiuen feinen Stein- und Eisenstaub handelt. In diesem Jahrhundert
hat man endlich angefangen, auf Schutzmassregeln Bedacht zu nehmen: die Erfahrung
und der Versuch haben bewiesen, dass das Ziel, Schutz der Arbeiter, zu erreichen ist.
Man muss hierbei das Nassschleifen und Trockenschleifen unterscheiden.
Das Nassschleifen geschieht gewöhnlich bei grössern Gegenständen, namentlich bei
den verschiedensten Werkzeugen, unter Zufluss von Wasser und würde deshalb an
und für sich nicht schädlich sein, wenn nicht auch zeitweilig das Schärfen der
Mühlsteine hinzukäme, welches im trocknen Zustande geschieht und daher Staub
erzeugt. Stets werden aber auf trocknen Steinen spitzige Drähte, Näh-, Strick-
und Stecknadeln geschliffen.
Die meisten Schutzmassregeln stimmen darin überein, dass man den Stein mit
einem Kasten umgibt und diesen mit einem Exhaustor in Verbindung setzt, während au
einer geeigneten Stelle des Kastens nur eine möglichst kleine Arbeitsöffnung bleibt.
Nass- und Trocken schleifen findet am besten auf besondern Schleifmühlen statt.
Die Schleifsteine für Nassschleifen hängen in gemauerten, möglichst engen Gruben
mit sehr schräger Sohle, an deren höher gelegenem Ende sich ein Ventilationscanal
anschliesst; der Fussbodenbeleg bildet in der Regel die obere Decke dieses Canals, während
der untere Theil der Grubensohle mit einem nach aussen mündenden Abflusscanal
für das Schleifwasser verbunden ist. Beim Nassschleifen ist die Verbindung
mit dem Ventilator geschlossen und der Abflusscanal offen; soll aber der Schleifstein
geschärft werden, so ist die Verbindung mit dem Ventilator wieder herzustellen und
der Abflusscanal abzuschliessen.
_ Für das Trockenschleifen ist ein apartes System von Schleifsteinen vorzuziehen ;
die Einrichtung ist hinsichtlich der Gruben und des Ventilationscanals dieselbe, nur
setzt sich letzterer nach dem Arbeiter zu in eine Rinne über den Fussboden hinaus
fort, damit sämmtlicher Staub der absaugenden Wirkung des Ventilators ausgesetzt ist.
Der Abflusscanal fällt natürlich weg.
Beim Nassschleifen kommt es auch auf eine zweckmässige Methode der An-
feuchtung der Schleifsteine an, damit sich nicht Wasserlachen im Fabrikraum bilden
und der Arbeiter vor zu grosser Feuchtigkeit geschützt bleibt. Am besten hat sich die
Berieselung des Steins mittels eines durchlöcherten, horizontalen und der Breite des
Steins entsprechenden Rohrs bewährt.6)
Da beim Nassschleifen auch gewöhnlich grössere und schwere Gegenstände
geschliffen werden, so ist die körperliche Anstrengung nicht gering; man lehnt
die Stücke gegen ein Brett und drückt dies mit dem Knie gegen den Schleifstein,
wobei sich der Schleifer mit dem Rücken gegen einen festen Gegenstand anstemmen
muss. Schlimmer ist die Gewohnheit der Arbeiter, sich mit dem ganzen Gewicht ihres
Körpers vornüber auf den zu schleifenden Gegenstand zu legen, um dadurch die Arbeit
zu beschleunigen und mehr Lohn zu verdienen ; sie können aber den grössern
Verdienst nur auf Kosten ihrer Gesundheit erreichen, daher diese Stellung durchaus zu
tadeln ist.
Bei der Nadelschleiferei, bei welcher stets trocken geschliffen wird, sind die
nämlichen Grundsätze massgebend. Fig. 56 stellt eine Umhüllung des Schleifsteins mit
Weissblech dar, die in einen Canal übergeht, an dessen Ende ein Exhaustor in Thätig-
keit ist. Gegenwärtig sind die Schleif-
Fig, 5 6. apparate aber sehr vervollkommnet worden ;
nirgends hat sich aber der Ersatz des Ven-
tilators durch eine kräftige Esse bewährt.
Macht das Schleifsystem die Anwendung
eines Ventilators nothwendig, so kann man
sich nur von der absaugenden Wirkung
desselben einen Erfolg versprechen, mögen
die Stellung der Schleifsteine zu einander
oder die ganze Einrichtung auch noch so
verschieden sein. Das System, bei dem
die Mühlsteine durch walzenförmige, mit Feilenhieben versehene Scheiben
von Stahl ersetzt sind, macht die Absaugung des Staubes unnöthig, indem die Nadeln
unter die Walze auf einer Fläche von Stahl vertheilt werden und der Mechanismus so
eingerichtet ist, dass die Maschine aufhört zu arbeiten, wenn die Nadeln fertig sind.
Schleif er krankheit. 753
Sie hat den Vortheil, dass sie die Erhitzung der Nadeln vermindert, fast keinen Abfall und
deshalb auch kaum Staub aufkommen lässt; aber auch die Gefahr vor dem Zerspringen
der Schleifsteine verschwindet mit dieser Einrichtung; aus dieser Ursache war man
früher genöthigt, die Schleifsteine noch besonders zu befestigen oder die Arbeiter durch
eine gusseiserne Platte, die man zwischen dem Schleifstein und der Arbeitsstelle auf-
stellte, zu schützen.7)
Die erwähnte Einrichtung hat nur den Nachtheil, dass ihre Leistungen wegen der
langsamem Bewegung der Walzen denen der Schleifsteine noch nicht gleichkommen;
zweifelsohne sind aber noch grössere Vervollkommnungen zu erwarten, wenn man diese
Wege weiter verfolgt, da sich auf allen andern Gebieten der Technik das Walzensystem
Bahn gebrochen hat.*)
Bei den Stecknadeln von Messing oder Kupfer hat man wegen der leich-
tern Behandlung dieser Metalle noch grössere Erfolge bei dem Schleifprocesse erlangt.
Die sogenannten amerikanischen Maschinen stellen diese Nadeln vollständig her; sie
nehmen den auf der Spule aufgewickelten Messingdraht ab, theilen, schleifen und ver-
sehen ihn auch mit dem Kopfe, so dass die Nadel fertig aus dieser Maschine hervor-
geht. Zum Schleifen dienen die erwähnten walzenartigen, mit Feilenhieben versehenen
und in einem geschlossenen Kasten befindlichen Scheiben, in welchem sich der
metallische Staub ansammelt, der hierbei wegen der weichern Beschaffenheit des zu
bearbeitenden Metalls stets auftritt.**)
Eine Morbiditäts- und Mortalitäts - Statistik der Schleifer in grösserm Um-
fange gibt es noch nicht, obgleich die Erfahrung längst über die Gefährlichkeit
des Schleifstaubes entschieden hat.8)
Die Schleiferkrankheit, in Sheffield Grinder 's Asthma genannnt, ist
namentlich durch Holland9) einer genauem Untersuchung unterworfen und
als Staubinhalationskrankheit aufgefasst worden; freilich deutet schon der
Name „Asthma" auf die Vielseitigkeit des Leidens hin, welches auch in der That
nach der Constitution und der Krankheitsanlage unter mannigfaltigen Erschei-
nungen auftritt, grade wie es sich mit dem Asthma der Kohlengruben-
arbeiter verhält. Von den einfachsten, erbsengrossen Ablagerungen des Schleif-
staubes in kleinen circumscripten Herden bis zur wirklichen Vomica-Bildung findet
man bei den Sectionen die verschiedensten Uebergangsformen. Seltner zeigt sich
ein mit der Anthracosis pulmonum übereinstimmender Befund; genauere patho-
logische Untersuchungen hierüber fehlen noch und nur die schwarze, das Lungen-
gewebe durchdringende Flüssigkeit beweist die Analogie; ausserdem sind vorzugs-
weise die Bronchialdrüsen in eine schwarze und mit eingelagertem Schleifstaube
versehene Masse verwandelt.
Die verursachten Reizungen der Luftwege können jahrelang bestehen und
nur mit Husten begleitet sein, wofern gut constituirte Individuen dem Schleif-
staube ausgesetzt sind; handelt es sich aber um junge Leute mit phthisischem
Thorax und kümmerlicher Entwicklung, so geht die Zerstörung der Lunge
weit rascher vor sich, bis der Tod unter colliquativen Erscheinungen eintritt.
Diese Affection der Lunge wird eingeleitet durch Einlagerung des Schleif-
*) Die Fabrication der Nähnadeln umfasst im Allgemeinen 1) das Abschneiden
und Richten des Eisen- oder Stahldrahts, welcher von den Drahtziehereien geliefert
wird; 2) das Schleifen, 3) das Poncen der Furchen oder Gruben der Augen
mittels der Durchstossmaschine; 4) das Blankmachen, 5) das Härten durch Glühen,
6) das Scheuern auf einer der gewöhnlichen Mang -Rolle ähnlichen Scheue rmühle;
7) das Sortiren, 8) das Verpacken, 9) häufig noch das Poliren und Bruniren,
obgleich ersteres eigentlich nur ein Schleifen darstellt.
**) Die Stecknadeln werden vielfältig mit einem gläsernen Kopfe versehen; diese
Arbeit wird meist von Frauen und Mädchen ausgeführt, die nicht selten in einem
schlecht ventilirten Räume nahe an Gasflammen sitzen, um das Glas zu schmelzen und
die Köpfe zu bilden. Man sollte auch hier für eine kräftige Ventilation sorgen.
Eulenberg, Gewerbe -Hygiene. 48
754 Eisen.
staubes iu das Lungengewebe, grade wie es sich bei deu Steinhauern und den
Arbeitern in Porcellanfabriken u. s. w. verhält, denn in allen diesen Fällen findet
man als Folgeu des fortschreitenden Verschwärungsprocesses mehr oder weniger
den Auswurf von erbsengrossen, festen und in Eiter gehüllten Concrementen
(s. S. 660), der jahrelang von derselben Beschaffenheit bleiben kann, bis er
schliesslich in profuse, eitrige, grünliche oder auch schwär/liehe Sputa übergeht,
die meist mit der Bildung von Hohlräumen im Lungenparenchym in Ver-
bindung stellen.
Nach der verschiedenen Entwicklung und den Ausgängen der Krankheit
muss sich natürlich auch ihre Symptomatologie richten. Es ist hierbei nur
bemerkenswerth und charakteristisch für das durch Schleifstaub erzeugte Lungen-
leiden, dass oft alle Erscheinungen ganz in den Hintergrund treten, wenn der
betreffende Arbeiter das Schleifen aufgibt und eiue gesundere Beschäftigung
wählt; nach jahrelangem Stillstande der Krankheit kann aber diese mit erneuter
Heftigkeit erwachen, wenn die frühere Schädlichkeit wieder einwirkt. Charak-
teristisch ist ferner eiue schon früh eintretende Kurzathmigkeit mit Husten,
eiu Symptom, das hauptsächlich die Veranlassung war, dass man die Krankheit im
Allgemeinen als Asthma aufgefasst hat. Die Mittel sind jetzt vorhanden, um
diesen tödtlichen Erkrankungen ganz vorzubeugen; möchten sie fernerhin nur
noch ein historisches Interesse darbieten ! —
2) Die Darstellung hohler Löcher oder Räume wird durch verschiedene Arten
von Bohrer oder Bohrgewinden , durch Bohren auf der Drehbank, durch Bohr-
maschinen bewirkt; die letztern werden durch Dampfkraft in Bewegung gesetzt. Es
fallen hierbei grössere Eisensplitter ab, die nur den Augen schädlich werden können.
Beim Bohren in Schmiedeeisen und Stahl entwickelt sich aber eine bedeutende
Warme, die ein fortwährendes Begiessen des Bohrers mit Wasser, Oel oder Seifenlauge
erfordert. Beim Bohren von Kanonen oder Gewehr laufen bedient sich der Arbeiter,
namentlich bei den letztern, eines qualmenden Lichtes, um die Bohrung zu beobachten;
man sollte hier stets für eine zweckmässige Beleuchtung sorgen, um die Arbeiter nicht
den Nachtheilen des Russes auszusetzen. Einen Bohrer, den man Senker, Aus-
recker oder Fräser nennt, benutzt man, wenn man ein Bohrloch an seiner Mündung
erweitern will.
Das Durchstossen oder Lochen dient zur Darstellung von Scheiben oder Platten
für Knöpfe, Münzen, von Augen in den Nähnadeln, von Rädern, Zeigern für Uhren u. s.w.
3) Die Zertlieilnng der Metalle geschieht durch Sägen und die Schere: vielfach
im Gebrauche sind ^die Kreissägen (namentlich in der Holzschneiderei) und die
Kreisscheren.10)
4) Beim Biegen der Metalle kommt das Anstreiben, Ausklopfen und Stangen vor,
namentlich beim Klempner, Kupfer-, Gold- und Silberschmied.
5) Das Verbinden der Stücke wird durch Nieten und Lüthen (s. S. 667) bewirkt.
G) Zum Fertigmachen und Verschönern gehören folgende Proceduren. Zum Rei-
nigen der Oberfläche der Metalle dient das Schahmesser oder der Schaber, wobei mehr
oder weniger Metallstaub entsteht.
Ausser dem Schleifen auf Steinen dient das Schleifen mit Bimstein, Schachtel-
halm, Glas- oder Metallpulver oder mittels kreisförmig bewegter Scheiben von Holz,
deren Ränder mit Smirgel oder andern Polirmitteln u. s.w. eingerieben werden. Diese
Operation ist daher schon ein Poliren, obgleich das eigentliche Poliren durch den
Pulirstalil bewirkt wird. Metallstaub fällt bei eisernen Gegenständen in weit geringerer
Menge ab, obgleich beim Poliren von Silbersachen doch die Thatsache ausser Frage
steht, dass hier stets mehr oder weniger metallische Theilchen abfallen (s. Literatur No. 2
bei Silber); in ähnlicher Weise wird es sich bei den Messingsorten verhalten. Weit wich-
tiger sind jedenfalls die hei ersterer Methode zur Anwendung kommenden Polirmittel,
von deren Natur die Schädlichkeit des Staubes abhängig ist; auch der vielfach benutzte
Smirgel ist keineswegs indifferent, da er stets Kieselsäure und Eisen enthält,
Durch Oraviren und Aetzen erzeugt man Verzierungen; das Bruniren (s. S. 310)
bezweckt, die Eisenwaaren, namentlich die Gewehrläufe, mit einer dünnen Oxydschicht
zu versehen, den Metallglanz der Oberfläche zu beseitigen oder den damascirten
Läufen ein schönes Ansehen zugeben; ausser Antimonchlorid zieht man auch eine
Emailliren der Gusswaaren. 755
Subliniatlö^sung oder eine verdünnte Salz- und Salpetersäurelösung in An-
wendung. Nach dem Abwaschen und Reinigen der Läufe wird mit dem Polirstahl
polirt oder auch ein Schellackfirniss aufgetragen.
In Betreff des Ueberziehens der Metalle mit andern Metallen s. Gold,
Silber und Zinn. Das Verkupfern geschieht hauptsächlich bei Eisen und Stahl.
Ausser den Firnissen wird vorzugsweise Email (Glasmasse) zum Bedecken
metallener Oberflächen benutzt.
Das Emailliren der Gusswaaren. Die leichte Oxydirbarkeit des Eisens macht
es in vielen Fällen wünschenswert!], die Gefässe mit einer schützenden Decke zu
versehen, welche wenigstens den schwachen Säuren widerstehen kann. Beim
Glasiren ist Folgendes zu beachten: 1) niuss das Eisen eine rein metallische
Oberfläche haben, 2) muss die Glasur einen niedrigem Schmelzpunct als das
Gusseisen haben und sich innig mit der Metallfläche verbinden, 3) dürfen die
Ausdehnungscoefficienten der beiden Substanzen, des Eisens und der Glasur, nicht
zu weit auseinanderliegen, da sonst bei raschem Temperaturwechsel ein Reissen
der Glasur stattfindet; dadurch kommt die Flüssigkeit mit dem metallischen
Eisen in Berührung und kaun hier ein Oxydiren bedingen, in Folge dessen dann
die Glasur abgestossen wird; 4) darf bei Kochgeschirren die Glasur keine
schädlichen Bestandtheile, namentlich kein Blei enthalten, welches sich in
verdünnten Säuren löst und dadurch der Gesundheit schädlich wird.
Durch das Putzen resp. Beizen des Gnsseisens müssen die Gussgegenstände zuerst
von dem anhängenden Formsand u. s.w. mechanisch befreit werden. Nachdem alle Un-
ebenheiten weggenieisselt worden sind, kommen verdünnte Säuren, Schwefel- und Salz-
säure als Beize zur Anwendung; hierbei findet eine Entwicklung von Wasserstoff
resp. Kohlenwasserstoff statt, welcher stets mit unerheblichen Mengen von Schwefel-
und Arsenwasserstoff verbunden ist, weil, wenn auch das Eisen arsenfrei ist, die
rohen Säuren stets arsenhaltig sind.
Nach der Beize wird durch Schleifen mit scharfem Sande und nachherigem
S mir g ein der blossgelegte Kohlenstoff weggeschafft, eine Manipulation, die wegen der
Staubbildung um so beachtungswerther ist, als sie meist ohne Anfeuchtung geschieht.
Man schwenkt dann die Gefässe mit einer Lösung von Natrium carbonat- oder Wasser-
glaslösung, um das Anhaften des Emails beim Einbrennen zu befördern. Dieses wird
nach dem Trocknen durch Schwenken aufgetragen, worauf das Erhitzen der Gefässe
in Muffelöfen folgt; hierbei entweicht unter Blasenaufwerfen Kohlensäure und Koh-
lenoxyd; erst nach Aufhören dieser Erscheinung setzt man die Gefässe der vollstän-
digen Schmelzhitze aus. Ist eine gleichmässige Oberfläche entstanden, so folgt ein
vorsichtiges Abkühlen in Kühlöfen, um Haarrisse im Email zu vermeiden, die man leicht
erkennt, wenn man das Email zuerst mit angesäuertem Wasser und dann nach dem Ausspülen
mit Wasser in einer verdünnten Lösung von Ferrocyankalium behandelt; es geben
sich dann die Haarrisse als dunkelblaue Linien (Bildung von Berlinerblau) zu erkennen.
Unter den metallischen Glasuren ist die bleifreie Zinnglasur von reinem
Zinnoxyd unter Zusatz von Borax, Feldspath, Flussspath und Soda die beste, da sie
den Säuren am kräftigsten widersteht, selbst für Pumpenröhren in sauren Grubenwässern
geeignet und auch weniger dem Reissen unterworfen ist.
Zinkhaltiges Email zersetzt sich leicht und ist deshalb zu verwerfen: blei-
haltiges Email ist im Allgemeinen in sanitärer Beziehung als schädlich zu betrachten,
obgleich es noch häufig, namentlich bei den belgischen Gusseisenwaaren, vorkommt,
welche sich äusserlich wegen ihrer schönen blauen Glasivr auszeichnen und daher viel-
fach im Verkehr vorkommen. Es gibt Gefässe dieser Art, in welchen sich nach ein-
stündigem Kochen mit 1 Liter Essig, der nur o% Essigsäure enthält, löMgrm. Blei auf-
lösen. Jedes Email ist aber stets zu verwerfen, bei welchem ein Essig mit &% Essig-
säure Blei nachzuweisen vermag: dies geschieht am zuverlässigsten durch Einleitung von
Schwefelwasserstoff in die saure Lösung. Enthält das Email Phosphorsäure, so rührt
diese von der Knochenasche her: statt dieser benutzt man nicht selten die arsenige
Säure, weil sie billiger, leichtflüssiger ist und das sogenannte Spiegelweiss erzeugt;
gewöhnlich wird sie erst mit der F ritte, d. h. mit einer glasartigen, dem gewöhnlichen
Krystallglase ähnlichen Masse zusammengeschmolzen, wobei die Arbeiter von den
arsenikalischen Dämpfen ausserordentlich zu leiden haben; in einzelnen Fällen hat Verf.
dadurch die Entstehung von Arsenintoxicationen beobachtet. Seltner verbindet
sich das Arsen mit dem Blei zu arsensaurem Blei.
48*
•756 Eisen.
Das Email der Eisengusswaaren verdient dieselbe sanitäre Berücksich-
tigung wie das Zinngeschirr und die Verzinnung; es bedarf ebenso sehr
einer gesetzlichen Regelung, um der willkürlichen Benutzung der Bleipräparate
ein Ende zu machen; aber auch in diesem Falle befürchtet man, die Industrie
d. h. das Interesse der Fabricanten zu schädigen und bedenkt nicht, dass Hun-
derte von Menschen durch diese ungerechtfertigte Rücksichtnahme Gesundheits-
störungen erleiden. Verf. hat sich vielfach mit diesem Gegenstande beschäftigt
und den nachtheiligen Einfluss solcher Emailen nachgewiesen. Das schlechteste
Email wird durch Zusammenschmelzen von Kali- oder Natronglas mit Blei-
glätte und Knochenasche dargestellt.
Eine solche Emailmasse enthielt in 100 Th. :
Kieselsäure 43,48,
Bleioxvd 39,12
Phosphorsäure (an Bleioxyd gebunden) . 3,51
Phosphorsaures Calcium 2,61
Kali 4,91
Natron 6,37
100,00.
Ein solches Email springt beim Gebrauche in Küchen leicht ab, das Bleioxyd wird
dadurch blossgelegt und löst sich dann um so leichter in sauren Flüssigkeiten auf.
Der Vortheil der Bleiglätte besteht nur in dem leichtern Schmelzen und in der
Ersparung des Brennmaterials; gegen einen solchen pecuniären Vortheil soll und darf
aber nicht die öffentliche Gesundheit zurückstehen.11)
Das beste Email für Eisen ist Quarz, Soda, Borax, Magnesia oder
borsaures Calcium und Magnesium nebst Thon; benutzt man Wasserglas,
so überzieht man zuerst die Gefässe mit demselben, brennt dann ein, bestreut die
Fläche mit Kieselsäure und brennt abermals ein, um ein unangreifbares Email zu
erhalten.12)
Beim Braten dürfen emaillirte Kochgeschirre niemals verwendet werden; zu
häuslichen Zwecken, z. B. bei Bratpfannen von Eisenblech, genügt ein dünner Fettüber-
zug, wie er sich durch den Gebrauch von selbst bildet. Bei grossen Wasserbehältern
für technische Zwecke kann Eisen nicht unvortheilhaft mit Theer überzogen werden.
Eisenverbindungen.
Eisenoxyd Fe203 kommt in der Natur als Eisenglanz, Rotheisenstein,
Blutstein, rother Glaskopf vor. Künstlich stellt man es durch Glühen des Eisen-
oxydhydrats dar; bei der Darstellung der rauchenden Schwefelsäure aus dem Eisen-
sulfat bildet es den Rückstand in der Retorte und heisst Caput mortuum oder
Colcothar; bei der Darstellung der schwefligen Säure aus Schwefelkies bleibt es als
sogenannter Ofenbrand zurück. Es findet eine grosse Verwendung in der Technik;
so gebraucht man das gepulverte, krystallisirte Eisenoxyd als Polirmittel in der Stahl-
industrie (Blutstein, Englischroth, rother Smirgel, Schleifroth), ferner als
Schleifmittel bei den Patent -Streichriemen und zum Poliren der Spiegel. Das
amorphe Eisenoxyd dient zur Darstellung von Farben und Kitten (Patentmastix, Eisen-
mastix), zum Anstrich als Schutz gegen Rost, in der Porcellan- und Glasmalerei zur
Darstellung von farbigen Glasuren. Eisen oxydhydrat Fe2(OH)6 ist das bekannte
Antidot von Arsen.
Durch Verstauben von Eisenoxyd bei den erwähnten Gewerben können Staub-
krankheiten, d.h. chronische Lungenleiden, entstehen. Zenker13) hat die durch Eisen-
staub entstehende Lungenkrankheit Siderosis pulmonum (acorjpo;, Eisen) genannt
und sie zuerst bei einer 31jährigen Arbeiterin beobachtet, welche 7 Jahre in einer
Fabrik beschäftigt war, in welcher Büchelchen von rothem Fliesspapier für Blatt-
gold angefertigt wurden. Man gebraucht aber hierzu nicht Englischroth, sondern den
gewöhnlichen Röthel, welcher wegen seines Thongehalts glättet und nur 5— 6% Eisen-
oxyd enthält. Dies Glätten ist nothwendig, damit ein Anhängen des Goldes verhütet
wird; man wählt grade diese rothe Farbe, weil dadurch das Gold nicht beeinträchtigt
wird. Die Arbeit des Glättens wird gewöhnlich durch Walzwerke vorgenommen. In
dem von Zenker beobachteten und unter hektischen Erscheinungen tödtlich gewordenen
Falle zeigte sich eine intensiv ziegelrothe Färbung des Lungengewebes und in beiden
Aluminium. 757
Lungen nadelknopf- bis erbsengrosse, rundliche, derbe, gelblich-graue Knoten mit ziegel-
rothen Flecken durchsprengt; überall fanden sich grössere und kleinere, unregelmässig
buchtige Cavernen mit zerklüfteten Wänden und mit bröckliger, graugelber und ziegel-
farbiger Masse erfüllt. Auch die Innenfläche der feinen Bronchien bot ziegelrothe Flecke
dar; nirgends wurden frische Tuberkeln gefunden.
Zenker fasst die Knoten als lobuläre, interstitielle Pneumonie auf. In 1000 Th.
Lunge fand Gorup-Besanez 14,5 Th. Eisenoxyd; das Gesammtgewicht der Lunge betrug
ca. 1500 Grm und die darin enthaltene Masse Eisenoxyd 21 — 22 Grm.
Bei einem 39jährigen Spiegelglas-Polirer, welcher 25 Jahre lang Polirer gewesen,
seit dem 25. Lebensjahre beständig gehustet, in seinem 37. Lebensjahre an Pneumonie
und Pleuritis gelitten und seit dieser Zeit beständig gekränkelt hatte, fand Zenker bei
der Section ausser grauen Miliartuberkeln in beiden Lungen das zwischenliegende Ge-
webe mit ockerbraunen Zeichnungen und die Bronchial- und Trachealdrüsen mit Ocker -
flecken durchsetzt. Auch im Centrum der grauen Tuberkeln zeigten sich hier und da
Eisenkörner.
Da das Poliren des Spiegelglases zwar durch Englischroth ausgeführt
wird, aber stets nass geschieht, so ist der Sectionsbefund höchst auffallend. Immerhin
ist dieser Eisenstaub um so beachtungswerther, als er nach den vorliegenden Erfah-
rungen keine Immunität gegen Lungentuberkeln gewährt, wie dies von der Kohle be-
hauptet wird.
Eisenoxyduloxyd FeO.Fe0203 kommt in der Natur als Magneteisen vor und
ist der hauptsächlichste Bestandtheil des Hammerschlags. So sind auch die grossen,
aus den "Walzwerken hervorgehenden Eisenbleche meistens mit einem Ueberzuge von
Eisenoxyduloxyd bedeckt; um sie davon zu befreien, müssen sie mit Sandsteinstücken
abgerieben werden ; hierbei erzeugt sich viel Eisenstaub, welcher ebenfalls Lungenkrank-
heiten hervorzurufen vermag. Merkel1*) hat einen Krankheitsfall dieser Art bei einem
56i ährigen Arbeiter beobachtet, welcher an einer chronischen Pneumonie litt und grau-
schwarze, eitrige Sputa auswarf, in denen sich mikroskopisch kleine, schwarze, theils
freie, theils in Zellen eingeschlossene Eisenpartikelchen erkennen Hessen.
Eisensulfat, Ferrosulfat, Eisenvitriol, Grüner Vitriol FeS04-r-7H20 wird im
Grossen durch Verwitterung des Schwefelkieses, sehr häufig aber als Nebenproduct
erhalten, z. B. bei der Alaunindustrie, bei der Gewinnung des Zinns aus den Ab-
fällen des Weissblechs u. s. w. Die Darstellung der Zinnbeize fällt mit der der essig-
sauren Eisenbeize zusammen. Die Weissbleche werden zunächst unter Einwirkung von
indirectem Dampfe in verdünnter Schwefelsäure gelöst; das hierbei abfallende Zinn
dient zur Gewinnung der Zinnbeize, während die Flüssigkeit, das Eisensulfat , mit
holzessigsaurem Calcium versetzt wird; es schlägt sich Gips nieder und das
essigsaure Eisen bleibt in Lösung.
Diese Fabrication bietet ein sanitäres Interesse dar und ist für die Adja-
centen belästigend, wenn man die bei der Auflösung des Blechs auftretenden Gase
(übelriechende Kohlenwasserstoffe, Schwefelwasserstoff und auch Arsen-
wasserstoff, wenn mit arsenikalischen, grünen Kupferfarben versehene Bleche benutzt
werden) nicht in eine Feuerung leitet.15)
Verwendung findet die essigsaure Eisenbeize in den Wollfärbereien.
Aluminium, AI.
Aluminium ist ebenso verbreitet wie Eisen und kommt am meisten als Silicat,
als kieselsaure Thonerde und in Gemeinschaft mit andern Metallsilicaten vor. Zu
seinen Sauerstoffverbindungen gehören der Rubin, Saphir, Korund und Smirgel,
zu der Fluorverbindung der Kryolith und der Topas.
Die technische Darstellung des Metalls erfolgt durch Glühen von Aluminium -
chlorid-Natriumchlorid mit Natrium. Man erhält als Nebenproduct nur Kochsalz.
Die Arbeiter haben besonders von der strahlenden Hitze zu leiden; sonst bilden
sich keine schädlichen Dämpfe und der ganze Process verläuft rasch.
Verwendung hat das Aluminium bisher nur zur Anfertigung von Denkmünzen,
Preismedaillen und Schmucksachen gefunden. Unter den verschiedenen Legirungen ist
nur die Aluminiumbronze (90 Th. Kupfer und 10 Th. Aluminium) hervorzuheben,
welche eine schöne goldgelbe Farbe hat und eine ausgedehntere Anwendbarkeit verspricht.
Für die Industrie ist der Alaun und der Thon am wichtigsten.
758 Aluminium.
Alaunindustrie.
Der Alann, Kaliuiualuminiumalann Al2 (SO^ -f- K2 S04 + 24H20 wird auf
verschiedene Weise im Grossen dargestellt.
1) Kryolith wird in der Nähe von Kopenhagen und Hamburg (Harburg)
verarbeitet, weil dort das Mineral leichter zu beziehen ist.
2) Alaunstein oder Alunit, der aus Kaliumalaun und Thonerde-
hydrat besteht, benutzt man im Kirchenstaat und Ungarn.
3) Alaun schiefer findet sich besonders in Deutschland, z. B. in der Ober-
lausitz, im Mansfeld'scheu, namentlich in der Rheinprovinz, nnd liefert den meisten
Alaun. Zu den Alaunerzen rechnet man a) den Alannschiefer, welcher einen
mit Braunkohle, Thon und Schwefelkies gemengten Schiefer darstellt;
b) die Alannerde ist ärmer an Kieselsäure und reicher an kohligen Bestand-
teilen.
Man unterscheidet bei dieser Fabrication mehrere Processe: 1) die Erzeugung
von schwefelsaurer Thonerde a) durch Verwitternlassen an der Luft. Gewöhnlich
benutzt man dazu die Alaun er de und setzt sie in kleinern oder grössern Haufen zu-
sammen. Durch die Oxydation geht Schwefelkies (FeS3) schliesslich in Eisen-
sulfat FeS04 und Schwefelsäure über; letztere dient zur Zersetzung des
Aluminiumsilicats, des Thons und bildet schwefelsaure Thonerde (Alu-
miniumsulfat) A13(S04)S + 18H20.
Man bringt die Alaunerze auf einen thonbestampften und gewöhnlich hoch ge-
legenen Platz, welchen man mit einem Gerinne zur Aufnahme der sogen, wilden Lauge
umgibt. Zweckmässig ist es, die Haufen auf irgend eine Weise zu bedachen; in Folge
des Oxydation sprocesses erhitzen und entzünden sich die Haufen oft von selbst, so dass
Schwefel zu schwefliger Säure verbrennt. Der ganze Process wird durch das
Rösten befördert.
b) Dem Röstprocess werden namentlich die dichtem Alaunschiefer und in
der Rheinprovinz auch die dichtem Alaun erden unterworfen, nachdem der Ver-
witterungsprocess vorhergegangen ist Man versetzt die Haufen mit so viel Brenn-
material, als zur Entzündung nothwendig ist.
Beim Röstprocesse ist es nicht zu vermeiden, dass sich die schweflige
Säure mit den Yerbrennungsproducten der organischen Substanzen in der
nächsten Umgebung ausbreitet und für die benachbarten Ortschaften eine Quelle höchst
unangenehmer Eindrücke wird. Es hält sehr schwer, diese Belästigungen vollständig zu
beseitigen, da die Haufen gewöhnlich ziemlich entfernt von der Fabrik und zwar, wenn
es ausführbar ist, auf Anhöhen liegen; die Dämpfe verbreiten sich daher auf eine Ent-
fernung von 30 — 40 Minuten und müssen diejenigen Ortschaften vorzugsweise leiden,
welche im Strichwinde liegen.
Die schweflige Säure übt wegen ihrer grossen Verdünnung keinen bemerk-
baren nachtheiligen Einfluss auf die Vegetation aus, nur in der nächsten Nähe der
Halden leidet das kleine Buschwerk am meisten durch Hitze; die Säure ist aber stets
mit den Verbrennungsproducten der organischen Körper und daher mit unangenehmen
Riechstoffen verbunden. Ableitungen der Dämpfe in das Feuer des Dampfschornsteins
würden wegen der Entfernung der Halden sehr lange Canäle und daher grosse Kosten
erfordern. Am zweckmässigsten ist es, die Rösthalden mit Erdwällen zu umgeben, um
zunächst die herrschenden Winde abzuhalten; dann legt man von einem Erdwall zum
andern Bretter, welche mit Mutterlauge getränkt werden; auf die Bretter häuft man
Reisbündel, welche man mit ausgelaugtem Erz bestreut. Durch die Aufnahme der
schwefligen Säure verwandelt sich dasselbe zuerst in schwefligsaure und allmählig
in. schwefelsaure Thonerde. Der Betrieb sistirt vom Ende December bis Ende
März und beginnt erst bei wärmerer Witterung, grade zu einer Zeit, wo der Genuss
der frischen Luft durch die Nähe der Rösthalden sehr beeinträchtigt werden kann.
2) Das Auslaugen der verwitterten oder gerösteten Alaunerze. Dasselbe
geschieht in gemauerten Cisternen, welche gewöhnlich terrassenförmig angelegt sind.
Gips, kohlensaure Erden, Ferrisulfat und Ferrosulfat scheiden sich aus,
während Aluminiumsulfat wegen seiner Leichtlöslichkeit stets gelöst bleibt; Ferro-
sulfat ist meist so reichlich vorhanden, dass es zu Gute gemacht werden kann.
3) Durch Eindampfen in Pfannen befördert man die Concentration der Lauge.
Thonwaaren. 759
4) Durch Zusatz von Kaliumsulfat zur heissen Mutterlauge gewinnt man
Kaliumaluminmmalaun (A12(S04)3 + K2S04 + 24H20), durch Zusatz eines entsprechen-
den Natrium- oder Ammoniumsalzes Natriumalaun (AL(SOA + NaSO. -I- 24ELO") oder
Ammoniumalaun (Al2(S04)3-f (NH4)8S04 + 24H80).
Der Alaun schlägt sich als krystallinisches Pulver, als Alaunmehl nieder, das
durch Waschen und Umkrystallisiren in den krystallisirten Alaun des Handels
übergeführt wird.
Bei der ganzen Fabrikation sind es nur der Verwitterungs- und der Röst-
rocess, welche mit Rücksicht auf die Nachbarschaft einer sanitätspolizeilichen Ueber-
wachung bedürfen.
Fictilindustrie.
Verbindungen der Kieselsäure mit der Thonerde (Aluminiumoxyd
A1203), Aluniiniumsilicate, kommen in grosser Verbreitung vor. Eine sehr wichtige
Verbindung dieser Art ist Kaolin und Thon, welche beide durch Zersetzung des
Feldspaths entstanden sind; letzterer ist entweder Kalifeldspath (Orthoklas)
oder Natronfeldspath (Albit), also eine Doppelverbindung von Aluminiumsilicat
mit Kalium- oder Natriumsilicat. Porcellanthon ist reines Kaolin (Al2(Si03)3
+ H4AI2O5) und dient in Verbindung mit Feldspath zur Darstellung des Por-
c eil ans. Durch eine geringere, nicht bis zur Weissgluth gesteigerte Hitze erhält
man eine mehr poröse Masse, Fayence.
Nach der Beschaffenheit und Bearbeitung der Materialien unterscheidet man
bei der Fictilindustrie Thonwaaren und Steinwaaren; beide zerfallen wieder in
unglasirte und glasirte Waaren.
A. Thonwaaren.
Die Töpferkunst oder Keramik gehört zu den ältesten Gewerben, da
die Töpferscheibe in den frühesten Urkunden vorkommt und den Assyriern und
Babyloniern schon bekannt war.1)
I. Die unglasirten Thonwaaren. Hierher gehören die gewöhnlichen und
feuerfesten Ziegel, die Terra cotta, die Thonpfeifen, der Alcarrazas, die lackirten
Siderolithe.
Ziegelfabrication. Das hierzu gebräuchliche Material ist sehr verschieden. Je
mehr die verschiedeneu Thonarten dem Feuer widerstehen können, desto geeigneter sind
sie für die Ziegelfabrication; je reicher dieselben aber an Calciumcarbonat sind, desto
mehr nimmt auch ihre Festigkeit ab, da ein kalkhaltiger Thon nach dem Brennen
Wasser anzieht.
Den ausgegrabenen Thon lässt man längere Zeit an der Luft liegen, setzt
ihn auch gern dem Frost ans, damit er beim Aufthauen um so mehr aufgelockert wird.
Dies Einsumpfen des Thons in Gruben bezweckt ein Weichwerden des Thons und
das Durchtreten eine Mischung desselben, sowie die Entfernung von harten Körpern,
z. B. Kieselgerölle und Kalknieren. Diese Arbeit wird aber gegenwärtig meist durch
Maschinen verrichtet; dadurch ist ein grosser sanitärer Nachtheil in Wegfall ge-
kommen, da diese Arbeit zu den sehr anstrengenden gehörte und auch am leichtesten
zu Erkältungskrankheiten Veranlassung gab, abgesehen von der Erschöpfung der Kräfte,
die damit verbunden war.
Ein Schlämmen geschieht nur beim sandreichen Thon. Das Streichen
oder Formen mit der Hand wird vielfältig schon durch Maschinenarbeit ersetzt. Das
Brennen in Feldöfen oder Meilern schwindet immer mehr, weil man beim grössern
Consum auch zweckmässigere Einrichtungen einführen musste; gebraucht man Steinkohle
als Brennmaterial bei den Feldziegeleien, was vorzugsweise der Fall ist, so wechselt eine
Schicht der eingesetzten Steine mit einer Schicht Kohle; die in den Feuercanälen be-
findlichen Steinkohlen werden angezündet, so dass sich das Feuer allmählig auf den
gauzen Ofen ausdehnt. Der ganze Meiler wird mit einer Schicht Lehm bedeckt, während
seitliche Luftlöcher dazu dienen, die Feuerung zu reguliren. Die Nachbarschaft eines
solchen Feldofens ist belästigend, weil die Verbrennungsgase häufig einen sehr unan-
genehmen Geruch haben; die schweflige Säure kann als Verbrennungsproduct
760 Aluminium.
übrigens nur zur Zeit der Blüthe der Cerealien und Obstbäume schaden. Glücklicher-
weise werden zu dieser Jahreszeit die Ziegelöfen fast niemals angezündet; hierin liegt auch
der Grund, weshalb Klagen über Entschädigungen fast nie laut werden, denn späterhin
wird die Vegetation weniger nachtheilig berührt. Kurz nach dem Anzünden des Ofens
treten ausser der schwefligen Säure noch Kohlensäure, Kohlenoxyd, sowie die
Producte der trocknen Destillation der Kohle und des Thons, Sumpfgas, schwerer
Kohlenwasserstoff und Ammoniak auf; enthält der Thon fein zertheilten Schwe-
felkies, so ist die Menge der schwefligen Säure ganz bedeutend. Chlorwasser-
stoffsäure und Schwefelsäure können im letzten Stadium der Verbrennung in
Folge der Zersetzung der Chloride und Sulfate der Alkalien durch die Kiesel-
säure der kieselsauren Thonerde entstehen und wenigstens theilweise als Dampf ent-
weichen.2)
Die Ziegelbrennöfen haben ebenfalls eine verschiedene Construction, je nach-
dem man Holz oder Steinkohlen als Brennmaterial benutzt. Unter den continuir-
lichen Brennöfen hat der ringförmige Zicgelofen von Hoff mann und Licht eine
grosse Verbreitung gefunden; sein Vortheil beruht in der möglichst vollständigen Aus-
nutzung des Brennmaterials.
Die sanitären Verhältnisse bei den Ziegeleien sind in Bezug auf die
damit verbundene grosse körperliche Anstrengung nicht günstig, namentlich wenn
die meiste Arbeit noch in der Handarbeit besteht. Die Feuchtigkeit des Bodens,
die Erhitzung bei der Arbeit, die Accordarbeit und die nicht immer ausreichende
Ernährung vereinigen sich, um entweder den Grund zu fieberhaften Erkrankungen
(Intermitteus, Ruhr, Rheumatismus acutus u. s. w.) zu legen oder frühzeitige Er-
schöpfung der Kräfte herbeizuführen. Seitdem die Maschinen die übermässigen
Anstrengungen der Arbeiter übernehmen, ist zwar in mancher Beziehung die
Stellung derselben eine bessere geworden, immerhin ist jedoch die Art der Arbeit,
die Einwirkung des Witterung -Wechsels, das Wohnen in schlechten Hütten ge-
eignet, die Constitution zu zerrütten. Schmerzhaftigkeit der Handwurzelgelenke,
Varicen und Hernien finden sich nicht selten als äussere Uebel, welche hier in
den Vordergrund treten.
Einer besondern sanitätspolizeilichen Ueberwachung bedürfen die Abtrage-
jungen, welche die geformten Steine nach dem Trockengerüste tragen; sind sie
erst 10 — 11 oder 12 Jahre alt, so kann die mit dieser Arbeit verbundene An-
strengung nicht ohne die nachtheiligsten Folgen bleiben; es sollte daher nicht
gestattet werden, Knaben unter 14 Jahren zu dieser Arbeit zuzulassen, es sei
denn, dass ein ärztliches Zeugniss ihre Leistungsfähigkeit ausweist.3)
Dachziegelbrennerei. Bei der Fabrication der Dachziegel darf kein schlechter
Thon genommen werden; man bedient sich zum Mengen desselben gewöhnlich der
Thonmühlen. Um den Dachziegeln eine graue, fast schwärzliche Farbe zu geben,
lässt man grüne Erlenzweige in Brennöfen zur Zeit der grössten Gluth verbrennen, um
einen starken Rauch zu erzeugen und den Absatz der Kohle in die poröse Ziegelmasse
zu bezwecken.
Hohlziegeln und Drainröhren werden mittels Maschinen dargestellt.
Feuerfeste Steine, Chamottesteine. Man benutzt dazu einen Thon, der reich an
Kieselerde und Thon, aber arm an Kalk, Eisenoxydul und Alkalien ist. Häufig ver-
mischt man auch den Thon mit gebranntem Thon (Chamotte), mit Sand, Kohle und
Koks, wobei das trockne Zerkleinern sehr zu beachten ist. Hierher gehören auch die
verschiedenen Schmelztiegel, die Graphittiegel, die englischen Tiegel u. s. w.
Terra cotta-Waaren sind Gegenstände von gelb- oder rothgebranntem Thon, die
in Gipsformen dargestellt und in Fayence-Oefen hart gebrannt werden.
Pfeifenthon dient zur Darstellung der thönernen Pfeifen. Beim Glätten der
geformten Pfeifen, das durch einen Achat oder Feuerstein bewirkt wird, entsteht ein
feiner, sehr beachtenswerther Staub.
Pastellstifte werden aus Pfeifenthon mit verschiedenen Deckfarben unter Zu-
satz von Schellackfirniss und Traganthschleim dargestellt. Die Hauptsache beruht hier-
bei in sorgfältigem Mahlen der Bestandtheile in Breiform auf besondern Mühlen; zu
bedenken ist dabei, dass auch giftige Farben, wie Auripigment, Bleiweiss u. s. w.
benutzt werden.
Thonwaaren.
761
Alcarrazas sind sehr poröse Kühlkrüge, die ihren flüssigen Inhalt aussickern
lassen, wodurch eine starke Abkühlung entsteht.
Ferrolitll oder Siderolith sind nur Thonwaaren, die namentlich in Böhmen
fabricirt werden; statt der Glasur haben sie einen gefärbten oder bronzirten Firniss-
uberzug Meist stellt man Luxusgegenstände, Blumenvasen, Leuchter, Becher Frucht-
korbe^ Schreibzeuge u. s.w. dar. Bernsteinfimiss dient zum Anrühren der Farben
und Bronze, während mit Terpentinöl oder Leinöl verdünnt wird. Das Auftragen Ge-
schieht mittels eines Pinsels und wird die Waare in Muffeln bis zur Verdunstung der
ätherischen Dämpfe gebrannt. ö
Die sanitären Massnahmen haben das Auftreten der ätherischen Dämpfe den
Gebrauch der verschiedenen Farben und Bronzen zu berücksichtigen.
IL Die glasirten Thonwaaren 1) mit durchsichtiger Glasur a) auf
rechlichem oder gelblichem Thongrunde. Hierher gehört das gewöhnliche
Töpfergeschirr, welches wegen seines vielseitigen Gebrauchs um so mehr Beach-
tung verdient, als die Glasur desselben trotz aller Warnungen noch immer blei-
haltig dargestellt wird. Es wird meist der gewöhnliche Töpferthon und
Thonmergel dazu benutzt; obgleich derselbe vielfach verbreitet ist, so sind es
doch bestimmte Gegenden, welche sich mit dieser Fabrication vorzugsweise be-
schäftigen. Der gemeine Töpferthon wird gewöhnlich für die Weiss-
töpferei benutzt, während das Bunzlauer und Waldenburger Geschirr
aus feuerbeständigem Thon dargestellt und zur Brauntöpferei gerechnet wird.
Ist der Thon zu fett, so wird er noch mit Sand, Feuerstein, Kreide oder Chamotte
vermischt. Um eine gleichmässige Masse zu erzielen, muss dieselbe längere Zeit in
einer Grube eingeweicht und namentlich während des Winters dem Froste ausgesetzt
werden. Das Mengen des Thons geschieht noch vielseitig durch Treten mit den Füssen
eine sehr anstrengende und durch die Feuchtigkeit leicht Rheumatismen bedingende
Arbeit; trotzdem wird diese Methode noch immer dem Umschaufeln oder dem Mahlen
in Thonmühlen vorgezogen.
Die Waaren werden auf den bekannten Töpferscheiben geformt; dann folgt das
Trocknen und Brennen meist mit Glasur. Zum Brennen bedient man sich der sogen.
Casseler Oefen; die Flamme des Feuerherdes liegt seitlich und schlägt durch die
Oeffnungen der Seiten wand, welche aus losen, nicht gebrannten Mauersteinen besteht,
auf die in einem langen, dunklen Seitenraum aufgestellten Waaren. Beim Einsetzen
derselben kommt das qualmende Petroleumlicht mit in Betracht, das namentlich an
dunklen Tagen hierbei benutzt werden muss; Schwarzspucken ist nicht selten die
Folge des eingeathmeten Kusses.
Glasiren. Das hauptsächlichste Material zur Glasur der Töpferwaaren ist
der Bleiglanz (Bleisulfid PbS), welcher auf einer Handmühle mit Steinen fein
gemahlen und mit Lehm (Thon und Sand) gemengt wird. Schon dieser Act ist
in sanitärer Beziehung wichtig, weil jede Vorsicht dabei ausser Acht gelassen
und an die Verhütung der Staubbildung kaum gedacht wird; ein Anfeuchten
würde hier ganz zulässig sein und vielen Gefahren vorbeugen.
Das Glasiren geschieht durch Eintauchen, Begiessen oder Bestäuben,
wenn die Waare lufttrocken ist. Die Methode des Eintauchens empfiehlt sich
in sanitärer Beziehung nicht, weil die Arbeiter ihre Hände beständig mit der
bleihaltigen Glasurbrühe in Berührung bringen; es ist übrigens bei Töpferwaaren
nicht gebräuchlich.
Das Bestäuben ist noch gefährlicher, indem man hierbei das Bleiglanz-
pulver über das frisch geformte Geschirr beutelt, wodurch sehr viel Blei staub
erzeugt wird.
Das Glasiren durch Begiessen schliesst für die Arbeiter noch die geringste
Gefahr in sich, wenn sie nicht unnöthigerweise mit der Glasurbrühe in Berührung
kommen. Beim Glasiren sind überhaupt alle Vorsichtsmassregeln wie in Blei-
weissfabriken zu treffen.
7ß2 Aluminium.
Beim Brennen der Geschirre fiudet ein Rösten des Bleiglanzes statt; der
Schwefel entweicht als schweflige Säure und zwar oft in belästigender Weise;
das entstandene Bleioxyd bildet mit der Kieselsäure und der Thonerde ein Blei-
Aluininiumsilicat, welches nur bei sehr sorgfältiger Darstellung in den
im täglichen Leben vorkommenden Säuren, namentlich im Essig, nicht löslich ist.
In den meistern Glasuren fiudet sich aber noch auflösliches Bleioxyd,
welches vom Essig leicht aufgenommen wird, zumal wenn die Glasur Risse oder
Sprünge bekommen hat. Aus dieser Ursache verdienen die Töpferwaaren die
grösste#sauitäre Beachtung.
Der Einwand, dass ein vollständiges Brennen der Waaren solche Gefahren be-
seitigen würde, ist zwar richtig; wer liefert aber dem Käufer derselben die Garantie,
ieses geschehen ist? Die vielfachen Vorschläge, bleifreie Glasuren herzustellen.
sind fruchtlos geblieben, obgleich sich Wasserglas, namentlich im Verein mit borsanrem
Calcium, ganz vorzüglich hierzu eignen würde. Der Hauptgrund liegt darin, dass man
eine möglichst leichtflüssige Glasur herzustellen sucht, weil dies Thongeschirr wegen
der Leichtschmelzbarkeit seiner Masse nur ein schwaches Feuer braucht und man die
Productionskosten durch eine Glasur, welche schwieriger als Blei schmilzt und über-
haupt nicht so leichtflüssig wie die Ma.-se ist, nicht vermehren will.4)
Da noch kein Staat die Anwendung der Bleiglasur bei den Töpferwaaren ver-
boten hat und man in dieser Beziehung jeder Gefahr ausgesetzt ist, so sollte man
wenigstens in den Haushaltungen das gemeine Top fergeschirr erst dann benutzen,
wenn man dasselbe mit Essig behandelt hat, um das auflösliche Bleioxyd zu entfernen.
b) Als Thonwaareu mit durchsichtiger Glasur auf weissem Grunde
sind die sogen. Wedg wo od -Waaren zu betrachten.
Sie kamen zuerst als „Earthware" in den Handel; ihre Glasur ist in der
Regel weit besser eingebrannt als beim gemeinen Töpfergeschirr, aber nicht in allen
Fällen zuverlässig, namentlich bei den deutschen Waaren.
2) Glasirte Thonwaaren mit undurchsichtiger Glasur. Die Fayence,
das englische Steingut, hat den Namen von der Stadt Faenza im Kirchenstaate er-
halten, wo die Fabrication der Fayence-Gefässe ganz besonders im Schwünge war.
Die Thonwaaren, welche hierher zu rechnen sind, bestehen aus einer porösen,
erdigen, an der Zunge hängenden, undurchsichtigen und wenig
klingenden Masse; sie werden aus plastischem Thon (feuerfestem Thon) oder
aus einem Genienge von diesem und gemeinem Töpferthone (Walkererde) ange-
fertigt, aber nicht bis zu hoher Weissgluth erhitzt. Wegen der porösen Beschaffen-
heit bedürfen sie einer Glasur, wenn sie zu Geschirren verarbeitet werden.
Die feine Fayence. Halhporcellan. besteht in der Hauptsache aus plastischem
Thon mit Zusatz von gemahlenem Quarz oder Feuerstein, Kaolin oder Feldspath. Die
Masse wird fast weiss gebrannt und erhält eine durchsichtige Glasur.
Die gemeine emaillirte Fayence besteht aus einem Gemenge von Töpfer-
thon oder plastischem Thon , Kalkmergel oder Quarz und Quarzsand. Der Gehalt der
Masse an Calciumcarbonat ist charakteristisch; die gargebrannte Fayence braust
nämlich, mit Säuren übergössen, auf. Ihr Gefüge ist locker und erdig, durch den Eisen-
oxydgehalt aber stark gelb gefärbt; sie bedarf daher einer undurchsichtigen
Glasur, eines Emails, dessen Bestandtheile zwar varriiren, aber neben Feuerstein,
Schwerspath, Alkalien (Soda), Borax und Thonerde stets aus Zinnoxyd und Bleioxyd
(Bleiweiss, Bleiglätte. Mennige) bestehen. Sie werden zu einem Glase geschmolzen, sehr
fein gemahlen und zu einem dünnen Brei angerührt.
Die Manipulationen mit den Bleipräparaten erfordern stets die nothwendigen
Vorsichtsmassregeln; sie repräsentiren in der Fictil-Industrie noch immer in sanitärer
Beziehung den gefährlichsteil Act, da das Vermischen stets einen gefährlichen metallischen
Staub erzeugt, wenn auch das spätere Mahlen bei gehöriger Anfeuchtung stattfindet.
Die allgemeine Einführung des Calciumborats würde einen sanitären Fortschritt be-
zeichnen.
Das Brennen der Waaren geschieht wie beim Porcellan in Kapseln: der erste
Brand ist aber, umgekehrt wie beim Porcellan, der stärkste. Die hartgebrannte Fayence
wird dann mit der Glasur durch Eintauchen überzogen und zum zweiten Male nur
schwach gebrannt.
Steinwaaren. 7(53
Das Bemalen der Fayence geschieht wie beim Porcellan mit dem Pinsel, jedoch
in weit einfacherer Weise. Für rosen- und purpurrothe Färbungen ist in England jetzt
allgemein die Pink-colour (Nelkenfarbe) eingeführt, deren wesentlicher Bestandteil die
Zinnsäure ist, welcher Kreide, Kaliumchromat, Kieselerde und Thonerde
zugesetzt wird; das färbende Princip ist das aus der Chromsäure durch Reduction
während des Glühens entstandene Chromoxydul.
Die Flowingcolours stellen die bekannten blauen Zeichnungen auf den grossen
Waschgefässen,_ Tellern, Geschirren u."s. w. vor, welche gegenwärtig viel im Handel ver-
breitet sind. Hierzu gebraucht man eine Kobaltoxydulzeichnung, welche aufgedruckt
wird; alsdann wird glasirt und in Kapseln glatt gebrannt, wobei man in Tiegeln
Chloride aufstellt, die sich verflüchtigen und das blaue Kobaltchlorür CaCl3 er-
zeugen. Ein solcher metallischer Anflug heisst Lüster; so unterscheidet man auch
Gold-, Silber-, Platin-, Blei- und Kupferlüster.
Um den Gefässen äusserlich und innerlich einen gefärbten Ueberzug zu geben,
bedient man sich eines Breies von fettem Thon und färbenden Metalloxyden; den auf
denselben applicirten Abdruck von Zeichnungen bestäubt man mit fein pulverisirten
Farben, deren Natur und Beschaffenheit man sehr zu berücksichtigen hat.
B. Steinwaaren.
I. Unglasirte Steinwaaren. Hierher gehören: 1) die weissen Waaren:
Porcellanbiscuit, Parian, Lithophanien; 2) die farbigen Steinoiassen: Chro-
molithe, Mosaikplatten, Fliesen von Mettlach und Minton.
H. Glasirte Steinwaaren. 1) Glasirte Steinwaaren mit gefärbter
Glasur, Mauerfliesen. Diese Industrie stammt ursprünglich aus Holland;
man benutzt dazu den gewöhnlichen Pfeifenthon, welcher wie die Porcellan-
erde behandelt wird.
Die Glasur wird aus Sand, Soda, Zinn- und Bleiasche dargestellt; nach
dem Stampfen, Pulverisiren und Schlämmen des Glases geschieht das Glasiren durch
Begiessen und ein zweites Brennen. Zum Bemalen, das diesem Brennen vorausgeht,
gebraucht man Antimonoxyd. Die bunten Ofenkacheln werden iu ähnlicher Weise
behandelt.
2) Glasirte Steinwaaren durch Glasuranflug. Das gemeine Stein-
zeng besteht aus einem Gemenge von plastischem Thon, Sand und gemahlenen
Scherben von gebranntem Steinzeug.
Auch hier wiederholen sich die schon oft erwähnten Processe, z.B. das Durch-
einanderkneten des Thons, welches jetzt meist mit Erdmaschinen geschieht, aber
auch bei dieser Industrie vor noch nicht vielen Jahren durch Treten mit den Füssen
bewirkt wurde, so dass die Arbeiter oft tagelang im nassen Thonschlamm herumwateten.
Das FormPn auf der Drehscheibe ist an einzelnen Orten noch mit einer unnatürlichen,
die Bauchorgane übermässig zusammenpressenden Stellung verbunden, so dass Ob-
stipationen und Digestionsstör im gen in solchen Fällen häufig auftreten. Geschieht
das Trocknen in besondern Trockenräumen, so ist es keineswegs bedenklich, wohl aber,
wenn beim Hausbetrieb jeder Wohnraum dazu benutzt und mit dem feuchten, unan-
genehmen Erdgeruch erfüllt wird, während sich im Sommer ein starker Staub ent-
wickelt, der sich überall ablagert und leicht aufgewirbelt wird. Als Folge des inhalirten,
aus kieselsaurer Thonerde bestehenden Staubes entwickelt sich auch hier die ganze
Reihe von Brustleiden, die bei Schleifern, Steinhauern u. s. w. entsteht. Acute ent-
zündliche Leiden und chronisches Emphysem, Lungenblutungen und
Lungenschwindsucht beobachtet man beim Betriebe der Kannenbäckerei ebenso
oft wie bei den Arbeitern in Porcellanfabriken , da gleiche Ursachen obwalten.
Einer eigentlichen Glasur bedarf das Steinzeug nicht, da beim Brennen eine "Ver-
glasung eintritt; um der Waare aber ein besseres Ansehen zu geben, wendet man das
Glasiren durch Verflüchtigung an, indem man gegen das Ende des Brandes
Kochsalz in den Brennofen wirft. In dem Gewölbe des Hegenden Ofens befinden sich
mehrere Oeffnungen, durch welche dies Einwerfen geschieht.
Das Kochsalz wird bei Gegenwart von Wasser durch die Kieselsäure in
Salzsäure und Natrium zersetzt; letzteres verbindet sich mit der Kieselsäure. Die
Glasur besteht somit aus kieselsaurem Thonerde-Natrium und ist in jeder Be-
ziehung ungefährlich. Die Manipulation hat aber an und für sich ein sanitäres Interesse;
76 4 Aluminium.
die Salzsäure entwickelt sich nämlich in den meisten Fällen ganz frei und verbreitet
sich durch die offenen Gebäude, in welcher die ungenügend geschlossenen Oefen liegen,
oder durch die niedrigen Schornsteine in die nächste Umgebung, wo sie namentlich bei
feuchter und trüber Witterung am Boden lagert und nicht nur für die Menschen be-
lästigend ist, sondern auch auf die Vegetation höchst schädlich einwirkt; dies ist beson-
ders zur Blüthezeit der Obstbäume der Fall. Wirkten in dieser Periode die salz-
sauren Dämpfe ein, so wird jede Hoffnung auf Ernte vernichtet und die schönste
Blüthenpracht geht zu Grunde. Bei Cerealien ist zur Zeit der Blüthe dasselbe Schicksal
zu erwarten; die Körnerentwicklung bleibt ganz aus. Nach dem Einbringen des Koch-
salzes verschliesst man zwar die Oeffnungen des Ofens einige Zeit lang; in der Regel
geschieht dies aber auf eine so unvollständige Weise, dass der Verflüchtigung der salz-
sauren Dämpfe dadurch kein Hinderniss entgegengesetzt wird. Es ist absolut erforder-
lich, hohe Schornsteine zu errichten, damit die sauren Gase mehr verdünnt in
eine höhere Luftschicht gelangen; um so nothwendiger wird dies sein, wenn man nach
dem Eintragen des Kochsalzes Birkenrinde in das Feuer wirft, um durch die russigen
Verbrennungsgase verschiedene kastanienbraune oder graubraune Färbungen der Glasur
zu erzielen.5)
3) Glasirte Steinwaaren mit durchsichtiger, ungefärbter Glasur.
Hierher gehört das eigentliche Porcellan und das weiche Fritt- und Knochen-
porcellan. Porcellan unterscheidet sich von der Steinmasse nur durch die
weisse Farbe und durch einen geringern Gehalt an Eisenoxydul und Natron.
Hartes Porcellan. Es stellt eine klingende Masse dar und besteht aus Kaolin,
dem Flussmittel, (welches in Berlin aus Felds path, in Frankreich und Belgien
aus weissem Sande und Gips besteht), und der Glasur. Die Zubereitung
der Porcellanmasse gehört zu den technisch wichtigsten Acten und hat auch
ein sanitäres Interesse, denn die Flussmittel müssen zerkleinert werden;
ausserdem wird der Sand in einem besondern Ofen geglüht, wobei alle bei der
Glasfabrication bereits erwähnten Nachtheile eintreten.
Bei der Verwendung des Feldspaths erzeugt sich Staub, wenn er zwischen
Walzen grob pulverisirt wird; das Mahlen geschieht auf Mühlen unter Mitwirkung von
Wasser. Aehnlich wird der Sand und Gips gemahlen; auch das Vermischen der
Materialien geschieht im breiigen Zustande in grossen Kufen.
Das Trocknen der breiartigen Masse des Feldspaths und Kaolins geschieht nach
dem Abmessen, Mengen und sorgfältigen Umrühren im Sommer an der Luft, im
Winter durch Wärme, Absorption oder verdünnte Luft; das Pressen wird in
hänfenen Säcken durch Hebelpressen bewirkt.
Das Faulenlassen oder Rotten der Masse, das in grossen Behältern in Kellern
vorgenommen wird, wird belästigend, wenn unreines, an organischen Bestandtheilen
reiches Wasser benutzt wird, das dann bei einem Gehalt an Gips Veranlassung zur
Entwicklung von Schwefelwasserstoff gibt. Nach den vorliegenden Erfahrungen
ist aber die Menge desselben nicht bedeutend und wirkt nicht nachtheilig auf die
Arbeiter ein; nur beim Ablassen dieses Wassers ist darauf Bedacht zu nehmen, dass es
sich nicht in Schlinggruben ansammelt.
Hierauf folgt das Trocknen, Spalten der Masse in Späne und Zusammen -
kneten zu Ballen. Das Formen der Porcellanmasse wird durch die Töpferscheibo
oder besondere Formen von Gips, Messing oder Kupfer bewirkt. Auf das Trocknen
und Verglühen der geformten Porcellanmasse folgt das Glasiren.
Die Porcellanglasur gehört zu den Erdglasuren, zu denen man leicht
schmelzbare Sätze: Kieselerde, Thonerde und Alkalien, oder ein Gemisch von
Kaolin, Quarzmehl, Gips und pulverisirten Porcellanscherben benutzt.
Das Glasiren geschieht durch Eintauchen (s. Töpfergeschirr) der schwach
gebrannten oder verglühten Porcellanmasse in die mit Wasser gemahlene Glasur-
brühe, welche die Consistenz einer Kalkmilch hat; wenn der Ueberzug getrocknet
ist, muss der Glasirer die noch vorhandenen Unebenheiten mittels eines Pinsels
ausgleichen. Dieser einfache Process ist erfahrungsgemäss für die
Arbeiter höchst gefährlich, weil sich hierbei ein feiner Staub bildet, der
durch seinen Gehalt an Silicaten höchst verderblich für die Respirationswege
Steinwaaren. 7(35
ist. Nicht selten werden Glasirer, welche mit kräftigster Constitution diese Arbeit
beginnen, nach einigen Jahren von der Lungenschwindsucht hinweggerafft; man
sollte daher diese Arbeit niemals ohne vor Nase und Mund gebundene Schwämme
verrichten lassen und mit der grössten Strenge diese Massregel zur Durchführung
bringen. Die Gleichgültigkeit der Arbeiter darf nie die Fabricanten bestimmen,
von strengen Massregeln Abstand zu nehmen; Jeder, der sich nicht den sanitären
Anforderungen fügt, muss aus der Arbeit entlassen werden. Es ist Aufgabe der
Fabrikärzte und Fabrikinspectoren, diesem anscheinend geringfügigen Acte die
grösste Sorgfalt zu widmen und auf Abhülfe der sanitären Schäden hinzuwirken.
Die Folgen des eingeathmeten Thonstaubes hat man bekanntlich mit
Aluminosis pulmonum bezeichnet; dieser Name entspricht nicht ganz der
Sache, da es weniger die Thonerde, das Aluminiumoxyd, ist, welche die Krank-
heit erzeugt als die Kieselsäure, die überall, in welcher Form sie auch
auftreten mag, ihre bestimmten Opfer fordert, wenn man dem Ein-
dringen derselben in die Respirationswege keinen Damm entgegensetzt.
Beim eigentlichen Brennen werden die geformten Gegenstände durch Kapseln
oder Casetten vor der Verunreinigung durch Flugasche u. s. w. geschützt und ausser-
dem noch auf einer Platte von Kapselmasse (Pumpse) placirt*).
Das Brennen des Porcellans geschieht in aus feuerfesten Steinen angefertigten
Porcellanöfen, die schon seit anderthalb Jahrhunderten dieselbe cylindrische, mit 3 Ge-
wölben und einem Schornstein versehene Gestalt haben. Statt des frühern Holzfeuers
bedient man sich gegenwärtig an vielen Orten des Leuchtgases zur Feuerung. Nach
dem Verglühen oder Vorfeuer folgt das Scharffener oder Glattbrennen der glasirten
Porcellanmasse.
Porcellannialerei. Die meisten Porcellanfarben sind Muffelfarben, d. h. sie
werden auf die Glasur aufgetragen und in einer Muffel im sogenannten Muffelofen
besonders eingebrannt. Scharffeuerfarben (Uran-, Kobalt-, Chrom-, Mangan-, Eisen-
und Titanoxyd) trägt man unter der Glasur auf und verschmilzt sie mit derselben.
Schmelz färben erhalten erst nach dem Zusammenschmelzen mit dem Flussmittel
(Kieselsäure, Borsäure, Bleioxyd) ihre Farbe; die Frittefarben bedürfen eines vorher-
gehenden Frittens, d.h. eines unvollständigen Schmelzens.
In sanitärer Beziehung ist noch zu erwähnen, dass alle Farben mit Ter-
S entin- und Lavendelöl aufgetragen werden; die Arbeitsräume sind mit dem Dunst dieser
»ele beständig angefüllt (s. Terpentinöl S. 648).
Die Vergoldung von Porcellan geschieht auf der Glasur. Königswasser
dient zur Lösung des Goldes, wobei die sich entwickelnden Chlordämpfe wohl zu
beachten sind. Bei einem Chemiker, der an grauem Staar litt und sich viele Jahre lang
mit dieser Lösung beschäftigt hatte, lag es nahe, die langsame Entstehung dieses Leidens
auf seine langjährige Beschäftigung zurückzuführen. Das Gold wird aus seiner Lösung
durch salpetersaures Quecksilberoxydul oder Oxalsäure gefällt und das Präcipitat mit
dem Flussmittel (Bismuth. subnitr.) innig gemischt (s. Vergoldung).
Frittenporcellan, weiches Porcellan. Das französische oder eigentliche
Frittenporcellan wird aus Fritte (einer glasartigen Masse), Mergel und Kreide
ohne Zusatz von Kaolin bereitet und mit bleihaltiger Glasur versehen. Die
Materialien werden zwar als feiner Brei gemahlen, dann aber getrocknet und abermals
pulverisirt, wobei ein gefährlicher Staub auftritt. Das trpckne Pulverisiren könnte ver-
mieden werden, da die Masse doch später mit Seifen- oder Leimwasser versetzt wird.
Das Glasiren geschieht durch Begiessen nach dem Garbrennen in Kapseln. Der
Bleigehalt der Glasur ist durch eine Auflösung von Schwefelleber leicht nach-
zuweisen.
Zum englischen Porcellan benutzt man Thon, Feuerstein und Knochenasche.
Die Glasur ist ebenfalls bleihaltig und wird nach dem Garbrennen der Masse durch
Eintauchen aufgetragen. Da das Porcellan leicht rissig wird und die Risse die Blei-
theile der Glasur biossiegen, so kann sich der Bleigehalt den Flüssigkeiten, welche in
den betreffenden Gefässen aufbewahrt werden, leicht mittheilen.
*) Die Kapseln sind hier in sanitärer Beziehung hervorzuheben, da sie aus
feuerfestem Thon und zerkleinerten Kapselscherben bereitet werden. Auch
diese Manipulation verdient wegen der Staubbildung weit mehr Aufmerksamkeit, als ihr
bisher gewidmet worden, da es sich um die Einathmung der gefährlichen Silicate handelt.
7ß(^ Aluminium.
Ultramarin - Industrie.
Früher wurde die bekannte schöne Farbe, das Ultramarin, aus dem in
der Natur frei vorkommenden Lasurstein (Lapis Lazuli) dargestellt, bis man
durch die Forschungen über die chemische Zusammensetzung dieses Naturproducts
auch die künstliche Darstellung von Ultramarin kenuen lernte; indessen herrscht
auch gegenwärtig noch bei keiner Fabrication mehr Geheimnisskräruerei als in
deu Ultramarinfabriken.
Im Ganzen unterscheidet man 3 Methoden der Darstellung: 1) das Sulfat-
Ultramin wird aus Kaolin, Natriumsulfat und Kohle dargestellt.
Die Materialien werden kräftigst durcheinander gemischt und dann in kleine
Bafen ron feuerfestem Thon gebracht, welche ähnlich wie die kleinen Porcellanöfen
construirt sind. Man steigert die Temperatur bis zur hellen Rothglühhitze.
Bei diesem I' ntwickelt sich in Folge clor Zersetzung «los Natriumsulfats
viel Kohlensäure, da das ^atriumsulfat durch die Kohle unter Bildung von Kohlen-
säure zu Schwefelnatrium Na3S reducirt wird:
Na3SC4 + 2C= Na2S + 2C03.
Im Hafen bleibt eine graue bis gelbgrüne gesinterte Masse, welche wieder ab-
gewässert wird, bis >\-a± Ultramarin eine lockere, poröse Masse, darstellt, welche auf
Mühlen bis zur grössten Feinheit gemahlen wird. Fast niemals werden in Fabriken
hierbei Vorsichtsmassregeln beobachtet und die Arbeiter sind in vollem Masse diesem
verderblichen Staube ausgesetzt, welcher nach seiner Beschaffenheit dem Staube in den
Porcellanfabriken sehr analog ist.
Das Pulver wird nochmals gewaschen und dann getrocknet; hiermit ist aber
dieser Process noch . nicht beendigt, sondern das trockne Pulver wird in besondern
Mühlen nochmals gemahlen und gesiebt, wobei dieselben Nachtheile auftreten, wenn man
den Arbeitern keinen Schutz gewährt. Das erhaltene Product heisst grünes Ultramarin,
wird für sich nur als Tüncherfarbe benutzt und kann die Concurrenz mit den Kupfer-
farben nicht bestehen. Um das grüne Ultramarin in das blaue überzuführen , wird es
mit Schwefel vermischt und bei niedriger Temperatur geröstet.
Dieses Röstverfahren wird jetzt fast allgemein in kleinen, über einem Feuer-
raum eingemauerten Cylindern ausgeführt: Oeffnungen an denselben dienen zum Ein-
tragen des Schwefels. Die Cylinder sind mit einer Flügelwelle verschen, deren Axc in
einer Oeffnung an der vordem und hintern Seite der Cylinder ruht. Durch das Drehen
der Flügelwelle soll eine gleichmässige Erhitzung des eingetragenen grünen Ultramarins
bewirkt werden.
Das Zugeben des Schwefels ist ein für die Arbeiter höchst nachtheiliger Act,
da sie der vollen Einwirkung der schwefligen Säure ausgesetzt sind; man setzt ge-
wöhnlich so lange Schwefel zu, bis das Product die gewünschte blaue" Farbe zeigt.
Unter allen Umständen ist über den Cylindern ein Schornsteinbusen anzubringen,
der mit einer kräftig ziehenden Esse in Verbindung steht; ebenso gut würde ein
Exhaustor wirken, wenn die Verbindung mit der Esse nicht zu ermöglichen wäre. Um
aber nicht die ganze Masse der schwefligen Säure nach aussen zu verjagen, müssten in
den ableitenden Canälen geeignete Absorbentien für die schweflige Säure lagern, welche
nach den örtlichen Verhältnissen auszuwählen sind. Liegt die Fabrik in einer Gegend,
wo Alaunschiefer leicht zu beziehen ist, so ist dieser das geeignetste Absorptionsmittel.
Eine Combination mit einer Schwefelsäure-Fabrik würde eine sehr zweckmässige
Verwerthung der schwefligen Säure herbeiführen, obgleich in dieser Richtung kaum
ausreichende Versuche angestellt worden sind: niemals darf man aber die schweflige
Säure ohne Weiteres entweichen lassen.
Durch das Auswässern des fertigen Ultramarins gehen Natriumsulfat und
Eisenoxyd in die Wasehwässer über, welche in grössere Wasserläufe abgelassen
werden können. Das ausgewaschene Ultramarin wird auf Mühlen mit Läufern
präparirt und dann noch geschlämmt, wobei man gewöhnlich Porcellanerde zusetzt, um
die verschiedenen Farbennüanceu zu erzielen; auch die Schlämmwässer werden noch
in besondere Bottiche abgelassen, um die verschiedenen Farben zu sortiren. Auf das
Pressen der breiigen Ultramarinmasse folgen Trocknen und Sieben; letzteres
darf nur in geschlossenen Apparaten geschehen.
2) Das Soda-Ultramarin wird aus Kaolin, Soda, Kohle und Schwefel
bereitet, wozu einige Fabricanten auch noch Natriumsulfat und Kolophonium
setzen. Das Product ist etwas dunkler gefärbt als das Sulfat -Ultramarin.
Chrom. 767
Man gebraucht zum Erhitzen des Gemenges in der Regel Flammenöfen, wobei
schon die grösste Menge in "Dltramarinblau übergeht, welches in Muffeln mit Schwefel
abgebrannt wird: auch hierbei sind die oben erwähnten Yorsichtsmassregeln erforderlich.
3) Das Kieselerde-Ultramarin charakterisirt sich durch eine eigen-
thümlich röthliche Färbung und ist Soda-Ultramarin, welchem bei der
Darstellung fein pulverisirte Kieselerde zugesetzt worden ist*).
Alle ultramarine enthalten Schwefel, Thonerde, Eisenoxyd, Calcium-
oxyd, Natriumoxyd. Schwefel, Schwefelsäure und Kieselsäure.
Das Fitrainarm ist ein im Wasser unlösliches, lasurblaues Pulver, welches von
alkalischen Langen nicht angegriffen, durch Säuren und sauer reagirende Salze aber
unter Schwefelwasserstoff-Entwicklung und Abscheidung von Schwefel entfärbt
wird. Nur das Kieselerde-Fltramarin widersteht dem Alaun.
Die Verwendung des Ultramarins ist sehr mannigfach. Beim Malen und Tünchen
auf Kalkgrnnd ist es unentbehrlich und eine sehr beliebte Farbe beim Tapeten druck,
beim Drucken überhaupt und in der Buntpapierfabrication. Zum Bläuen des Zuckers
(s. Zucker), der Papiermasse, der Wäsche, der Stärke und des Kerzenmaterials ist es
allgemein bekannt.
Da Ultramarin an und für sich keine schädlichen Bestandtheile enthält, so ist
seine weit verbreitete Anwendung nicht mit Gefahr verbunden. Beim Zucker erzeugt
es nur. wenn derselbe mit irgend einer organischen Säure zusammentrifft, die höchst un-
angenehme Entwicklung von Schwefelwasserstoff, wodurch z.B. der Genuss- von Compot
oder "Weinbowlen u. s. w. sehr benachtheiligt wird.
Chrom, Cr.
Das Chrom kommt in der Natur nur in Verbindung mit Sauerstoff und andern
Metalloxvden vor. Als eine dem Magneteisenstein entsprechende Verbindung ist der
Chromeisenstein Fe0.0203 bekannt, der im Banat, in Norwegen, Griechenland und
namentlich zu Jekaterinburg (Kasan) vorkommt. Der Name rührt von yrjtöaa her,
weil seine Verbindungen schöne Farben liefern.
Man stellt das Metall entweder durch Reduction des Chromoxyds mittels
Kohle oder durch Glühen von Chromchlorid mit überschüssigem Zink unter einer
schützenden Decke dar. Durch Behandeln mit Salpetersäure wird es vom Zink befreit
und bildet dann ein hellgraues, krystalhnisches Pulver.
Das reine Metall ist von silberweisser Farbe und stimmt in seinem chemischen
Verhalten vielfach mit dem Eisen überein.
Bei der Einwirkung der Chromverbindnngen auf den thierischen Organismus
handelt es sich meist um die Chromate. Eigentliche Vergiftungen durch Ingestion
derselben kommen bloss als Unglücksfälle vor und selbst diese sind nur spärlich in der
Literatur vertreten. Versuche an Thieren hat Gn-^lin1) gemacht und gefunden, dass
Kaliumchromat weit stärker einwirkt als Chr omchlorür CrCl3. 49 Gr. des letztern
brachten, in den Magen eines Kaninchens eingespritzt, keine Wirkung hervor, während
30 Gran Kaliumchromat bei Kaninchen nach 1%— 2 Stunden unter Diarrhoe den
Tod herbeiführten. Ein kleiner Hund bekam nach 30 Gran Kaliumchromat nur
mehrmaliges Erbrechen und selbst ein Kaninchen blieb nach 12 Gran gesund.
Einem mittelgrossen Hunde wurden 30 Gran Kaliumchromat in das Fnterhaut-
zellgewebe gebracht : er verlor die Fresslust, magerte ab und bekam nach 6 Tagen ein
trocknes Exanthem auf dem Rücken mit stellenweisem Ausfallen der Haare: Erbrechen
und Diarrhoe stellten sich nicht ein. .
Kaliumbichromat wirkt intensiver als Kaliumchromat und erzeugt bei
Menschen Magen- und Darmreizungen, die Durchfall mit Tenesmus, schwärzlichen oder
blutigen Abgang und der Cholera asiatica ähnliche Erscheinungen zur Folge haben.
Erfahrungssem äss vermögen Gaben von 0,3 Grm. Kaliumbichromat schon ^ ergiftungs-
erscheinungen hervorzurufen: ein Esslöffel voll Kaliumchromat wirkt unter heftigem
Durchfall erst binnen 12 Stunden letal.2) In allen Fällen von Vergiftung waren heftiges
*) Neuerdings stellt man auch ein violettes und rothes Ultramarin dar.
768 Chrom.
Erbrechen und eine profuse Diarrhoe die vorherrschenden Krankheitserscheinungen,
welche besonders an die Wirkung von Arsen und Sublimat erinnerten. Der Sections-
befund ist nicht prägnant: man findet höchstens partielle Röthung, Schwellung oder
Erweichung der Schleimhaut des Magens und des übrigen Tractus intestinalis. Wie die
das Nervensystem lähmende Wirkung der Chromate zu erklären ist, bedarf noch
weiterer Forschungen.
Bekannter ist die reizende Wirkung der Chromate auf die Haut und die Schleim-
haut der Nase, der man namentlich in der Technik bei der Fabrication von Kalium-
bichromat und Kaliumchromat sowie in Färbereien beim Gebrauch der Auflösungen
begegnet. Concentrirte Laugen vermögen auch bei Färbern Erythem und Geschwüre
der Haut zu erzeugen (s. S. 769).
Chromindustrie.
Die wichtigste Verbindung von Chrom ist für die Industrie das chromsaure
Kalium.
Kaliumchromat, gelbes chromsanres Kalium K2Cr04 stellt gelbe, rhombische
Krystalle dar, ist isomorph mit dem Kaliumsulfat, in 2 — 4 Tb. Wasser löslich,
und verwandelt sich, wenn seine Lösung mit Schwefel- oder Salpetersäure
versetzt wird, in Kaliumbichromat.
Kaliumbichromat, Kaliumpyrochromat, rothes chromsanres Kalium K2Cr207
bildet den Ausgangspunct zur Darstellung aller Chromverbindungen, obgleich es
zunächst aus dem Kaliumchromat erhalten wird. Bei der Fabrication im
Grossen wird der Chromeisenstein mit Pottasche und Kalk geglüht, um
das Chromoxyd in Kaliumchromat überzuführen; dieses ist wegen seiner
Leichtlöslichkeit in Wasser schwierig zu reinigen und muss deshalb in der
Fabrik in das saure Salz verwandelt werden, welches in kaltem Wasser schwerer
löslich ist und daher leicht durch Umkrystallisiren gereinigt werden kann.
Die Darstellnng im Grossen geschieht in folgenden Phasen: l) Pulverisiren und
Mischen des Chromerzes. Wegen der grossen Härte des Erzes muss dasselbe zunächst
durch Glühen und Ablöschen in Wasser zerklüftet resp. mürbe gemacht werden. Hierauf
folgt das Zerkleinern im Pochwerk, das Sieben und Mischen mit den Oxydations-
mitteln*). Es bildet sich ein Staub von den alkalischen Zuschlägen (Pottasche, Kalk)
und dem Chromeisenstein.
2) Erste und zweite Calcination geschieht in Tiegeln oder in Calcinir- und
Flammenöfen unter beständigem Umknicken. Nach dem Erkalten der calcinirten
Masse folgt jedesmal auch das Zerkleinern, Sieben und Mischen mit den Oxydations-
mitteln **).
3) Das Auslangen geschieht in grossen eisernen oder hölzernen, mit Blei aus-
gefütterten Bottichen. Die gelbe Lauge enthält ausser Kaliumchromat*"*) noch
kohlensaure und kieselsaure Salze neben Aetzalkalien und Erztheilchen; letztere
werden beim Calciniren wieder verwendet. Neuerdings setzt man Kaliumsulfat
hinzu, um unter Ausscheidung von Kohlensäure, Kieselsäure u. s.w. Calciumsulfat zu
erhalten, und dann erst eine hinreichende Menge Schwefelsäure. Nach dem Erkalten
schlägt sich Kaliumbichromat nieder, das durch Umkrystallisiren gereinigt wird. Die
Mutterlauge wird häufig zum Durchrieseln der gerösteten Erze benutzt.
*) In einigen englischen Fabriken wird der Chromeisenstein nach dem Zerstampfen
und Vermählen fein gesiebt und in Cylindern, die sich um eine diagonale Achse drehen,
sorgfältig mit Kali-Kalk gemischt.
**) Das mehrmalige Pulverisiren und Mischen mit den Oxydationsmitteln findet
namentlich in den grössern englischen Fabriken nicht mehr statt; man lässt eine
oxydirende Flamme auf das Gemenge einwirken, indem die Flamme mittels Dampf-
strahlen auf den Herd niedergeblasen wird. Durch diese vollkommenere Einrichtung
wird der Act für das Pulverisiren abgekürzt und somit ein grosser sanitärer Vortheil
erreicht.
***) Will man das neutrale gelbe Kaliumchromat gewinnen, so setzt man
zur Lauge Holzessig zu, um namentlich Thonerde und Kieselerde zu fällen. Nach
Trennung des Präcipitats dampft man ein.
Chromat-Fabriken. 759
Sanitäre Verhältnisse in den Chromat-Fabriken.
Die Chromindustrie ist hauptsächlich in Glasgow vertreten; im Jahre 1868
gab es im Ganzen nur 6 Fabriken dieser Art, die sich auf Schottland, Frankreich,
Russland, Norwegen und Amerika vertheilten.
Das Pulverisiren und Mischen der Erze mit den Zuschlägen sowie des
Calcinirgutes bleiben in sanitärer Beziehung die Hauptsache, wenn auch die
Darstellungsweise sehr vielen Modificationen unterliegt.
Der Chromeisenstein ist zwar chemisch indifferent, vermag aber auch
als Staub an und für sich nachtheilig einzuwirken, wenn die Arbeiter demselben
anhaltend ausgesetzt bleiben; er wird in dieser Beziehung von gleicher Be-
deutung wie der Eisenoxydstaub sein. Die bisherigen Erfahrungen sprechen
zwar nicht für eine sehr deletäre Wirkung dieses Staubes, trotzdem ist es nicht
gestattet, denselben als wirkungslos hinzustellen, wenn man sich die Siderosis
pulmonum vergegenwärtigt; bekannt ist es, dass die Arbeiter beim Chrom-
staube bisweilen einen eisenartigen Geschmack empfinden.
Wenn das Pulverisiren und Sieben des Calcinirgutes vorgenommen
wird, so steigert sich die Gefahr, weil dem Staube schon Chromat beigemischt
ist. Die Hände und das Gesicht werden nicht bloss gelb gefärbt, sondern die
Haut schält sich förmlich ab; namentlich werden die verschiedenen Schleimhäute
stark gereizt, da sich der Staub vorzugsweise an feuchten Stellen festsetzt. Indem
sich dann die chromsauren und Alkali-Salze lösen, erzeugen sie eine förmliche
Aetzung, aus welcher schliesslich Geschwüre entstehen; sie bilden sich vorzüglich
auf der Nasenscheidewand aus, woselbst sie häufig eine Perforation herbei-
führen. Diese Einwirkung ist nicht auffallend und kann auch wohl kaum als
eine specifische Einwirkung des Kaliumbichromats aufgefasst werden. Bedenkt
man nämlich, dass sich die Nasenscbleimhaut für die Aufnahme des Staubes am
meisten eignet, auch eine ziemlich bedeutende Fläche hierfür darbietet, so muss
der hier angesammelte Staub eines Gemenges von Chromat und Aetzalkalien bei
der vorhandenen Feuchtigkeit um so mehr seine ätzende Wirkung äussern, als er
in der Regel hier längere Zeit abgelagert bleibt und namentlich bei den Arbeitern
nicht durch sorgfältiges Reinigen der Nase entfernt wird; das Tragen von Barten
ist deshalb unzweckmässig, weil sich der Staub hier festsetzt und somit leichter
in die Respirationsöffnungen gelangt. Die anfängliche, durch den Staub hervor-
gerufene Reizung der Nasenschleimhaut hat Niesen, eine wässrige und später
dickliche und selbst blutige Absonderung zur Folge. Man will die Beobachtung
gemacht haben, dass Arbeiter, welche Tabakschnupfer sind, von den Leiden der
Nasenscheidewand frei bleiben. Jedenfalls müssen der Durchbohrung der Nasen-
scheidewand Pusteln und Geschwürsbildung vorhergehen, wie dies auch an
andern Stellen der Fall ist, wo Feuchtigkeit mit dem Staube zusammentritt,
z. B. am äussern Gehörgange oder an der Caruncula lacrymalis.
Aus den neuern Mittheilungen von A. Delpech und Hillair -et3) geht hervor, dass
namentlich auch bei Arbeitern, welche sich mit Sieben des Sehweinfurter Grüns beschäftigt
hatten, ein ähnliches Leiden der Nasenschleimhaut beobachtet worden ist. Bei Chrom-
Arbeitern ist das Leiden indess häufiger; bisweilen geht ihm Nasenbluten, seltner ein
scharfer, beissender Schmerz voraus. Vermischt sich der Nasenausfluss mit härtlichen
Krusten, so deutet dies Symptom schon darauf hin, dass der ulceröse Process in Per-
foration übergegangen ist; von der Grosse eines Hanfsamenkorns kann sie sich bis
zur Zerstörung der ganzen Nasen Scheidewand ausdehnen, obgleich sie in der Regel
Eulenberg, Gewerbe-Hygiene. 49
77Q Chrom.
nur einen Durchmesser -von 1,5 — 2 Ctm. behält und mehr von rundlicher als von ovaler
Form erscheint. Charakteristisch für diesen Verschwärungsprocess ist der Mangel eines
üblen Geruchs, welcher sich bekanntlich bei Ozaenen auf eine sehr unangenehme Weise
bemerkbar macht: auch behält die Nase stets ihre Form.
Die Geschwüre, welche auf der Haut entstehen, haben denselben zerstörenden
Charakter: ans Papeln oder Ekzemabiäschen entstehend, dringen sie schnell in die Tiefe
ein, behalten alier meist glatte Ränder und sehen wie ausgemeisselt aus. Bei Vernach-
lässigung können sie bis auf die Knochen dringen, indem sich der Schorf beständig ab-
und den Substanzverlust herbeiführt.
Auf der Rachenschleimhaut sollen sich bisweilen Geschwüre bilden, die den syphi-
litischen ähnlich sind. Dass der Chromstaub auch bei der Inhalation bedeutende Reizung
hervorrufen muss, ist leicht erklärlich; man hat daher auch Bronchitis mit ihren
Folgezuständen beobachtet. Ferner wird ein bestimmter, mit grosser Hinfälligkeit ver-
bundener Kopfschmerz als Leiden der Chromarbeiter geschildert, über den dem Verf.
eigene Beobachtungen fehlen. Auch eine gelbe Färbung der Cornea kommt bis-
weilen vor, die sich in eine grüne verwandelt, wenn die Chromsäure zu Chromoxyd
reducirt wird.
Das Pochen, Sieben und Mischen sollte sowohl beim Chromerz als
auch hauptsächlich beim Calcinirgute stets nur in abgeschlossenen Apparaten
vorgenommen werden; es sind hierzu dieselben Einrichtungen erforderlich, die
sich auch für Bleiweiss- und Mennige -Fabriken empfehlen. Ganz besonders
würde ein geregeltes Walzensystem oder eine dem Trommel- Apparate ähnliche
Einrichtung die grössten sanitären Vortheile gewähren und die gefährliche »Staub-
bildung gar nicht aufkommen lassen. Es kann hier nur wiederholt auf die bereits
beim Bleiweiss erörterten Vorsichtsmassregeln verwiesen werden (s. S. 710).
Bei der Calcination entweichen keine nachtheiligen Dämpfe durch die
Esse, wenn dieselbe in Tiegeln vorgenommen wird, weil sie hierbei eine glühende
Koblenschicht, in welcher die Tiegel stehen, passiren müssen. Dagegen ist
wiederum das Füllen und Einsetzen der Tiegel in den Schachtofen sowie ihr
Herausnehmen und Entleeren mit Gefahr verbunden. Die beste Vorsicht besteht
hier im Schutz der Mund- und Nasenhöhle durch vorgebundene Tücher.
Bei der Calcination in Reverberir- oder Calciniröfen muss die
Masse beständig umgekrückt werden und ist hierbei, namentlich im Anfange,
ein Verstauben unvermeidlich. Die Arbeitsöffnungen müssen wie bei den Mennig-
öfen mit einem Fang versehen sein. Der Staub gelangt, wenn keine Flugstaub-
kammern vorhanden sind, in's Freie, und lagert sich, da er ziemlich schwer
ist, in der nächsten Umgebung ab; Hunde und Katzen, die in der Nähe leben,
können deshalb mit Geschwüren der Pfoten behaftet werden. Das Piegenwasser
kann dadurch verdorben und die Vegetation vernichtet werden. Selbst wenn
Flugstaubkammern vorhanden sind, dürfen solche Calciniröfen nicht in der
nächsten Nähe von Wohnungen geduldet werden; sie sind nur in wenig bewohuten
Gegenden zu concessioniren.
Der norwegische Chromeisenstein enthält bisweilen auch Arsen, welches
sich aber bei der Calcination nicht verflüchtigt, sondern in Arsensäure übergeführt
wird; diese findet sich zuletzt in der Mutterlauge als arsen saures Alkali wieder.
Bei dem Versetzen der Rohlauge mit Säuren entwickeln sich Kohlensäure
und Chlor: letzteres rührt von den Oxydationsmitteln her, welche stets mit Chloriden
verunreinigt sind. Salpetrige Säure tritt auf, wenn die Lauge von Kaliumchromat
nach dem vorherrschenden Verfahren direct mit Salpetersäure versetzt worden ist.
Die Bottiche sind jedenfalls mit einem Deckel zu verschliessen, aus welchem ein Ab-
zugsrohr für die Gase und Dämpfe nach dem Calciniröfen zu leiten ist.
L'as Abdampfen geschieht theils in gusseisernen, verbleiten Kesseln auf freiem
Feuer theils in verbleiten Bottichen mittels circulirender Wasserdämpfe. In beiden
Fällen wird während des heftigen Siedens immer ein kleiner Theil der Laugen als
Nebelbläschen in die Atmosphäre fortgeführt; man beobachtet daher auch nicht selten
bei den an der Auslaugerei beschäftigten Arbeitern die Perforation der Nasenscheide-
Chromfarben. 77 \
wand, häufiger aber äussere Geschwüre. Es müssen deshalb die Dämpfe mittels be-
sonderer Vorkehrungen unschädlich gemacht werden; die Einrichtung, die sich bei der
Seifenfabrication bewährt hat, reicht hier aus.
Das Ablassen der Langen aus den Krystallirgefässen geschieht mittels Heber,
weil die Wandungen der Bottiche mit Krystallisationen dick bekleidet sind und dadurch
das Ablassen durch Hähne unmöglich wird. Diese Heber dürfen nie mit dem Munde
angesaugt werden; sie_ müssen so eingerichtet sein, dass sie nicht ablaufen, sondern
nach der Schliessung eines Hahns gefüllt bleiben; auch wendet man die sog. Becher-
heber an.
Es sind durch Unvorsichtigkeit bei dieser Manipulation schon Vergiftungsfälle
vorgekommen, wenn die Lauge beim Ansaugen der Heber plötzlich in den Schlund ge-
räth und verschluckt wird.4)
Das Auskeilen der Salzkrystalle ist von geringer Bedeutung; Staub kann hier
nicht vorkommen, da die Masse noch Wasser enthält. Ein Verspritzen der Krystalle
ist nur bei der grössten Ungeschicklichkeit möglich. Schlagen und Klopfen ist schon
wegen der Verbleiung der Gefässe nicht zulässig; man bedient sich dazu hölzerner
Spatel, durch welche man die Masse von oben nach unten abkeilt. Damit der Arbeiter
hierbei nicht den Boden betritt, steht er in einem hängenden Korbe, da die Bottiche
häufig eine Höhe von 4 Meter und einen Durchmesser von 2 Meter haben.
Beim Herausnehmen der Krystalle werden die Bottiche umgelegt, um das Salz
mit hölzernen Schaufeln herauszuschaffen und auf Abtropf bühnen zu bringen. Bei Un-
vorsichtigkeit kann hier ein Benetzen der Hände und Vorderarme ebenfalls Geschwüre
zur Folge haben; bilden sich diese an den Geschlechtstheilen aus, so kann dies nur
durch Uebertragen der Flüssigkeit mittels schmutziger Finger geschehen. Die Mutter-
lauge übt noch eine reizende Einwirkung auf die Haut aus, da sie neben Eisen, Blei
und Arsen noch Chromsäure enthält.
Das Trocknen des Salzes geschieht in Trockenkammern und das Verpacken
in Fässern, die inwendig mit Papier zu verkleben sind und beim Transport nicht
gleichzeitig mit Nahrungs- oder Genussmitteln verladen werden dürfen.
Verwerthung des Rückstandes. Die ausgelaugten Calcinationsrückstände
enthalten stets chromsaure Salze, welche beim Lagern im Freien durch Regen wasser
ausgewaschen werden können; es sollte dies nie stattfinden, um die mannigfachen schäd-
lichen Folgen, die hieraus entstehen können, zu verhüten Man kann sie verwerthen,
wenn man sie auf Mühlen zerkleinert, mit Zuckermelasse versetzt und ausglüht. Die
Chromsäure wird hierdurch zu Chromoxyd reducirt, das im gepulverten Zustande als
Polirmittel, zur Anfertigung von Streichriemen und zum Anstrich von Eisen und Stahl
benutzt werden kann.
Um aus den Mutterlangen Chromoxyd zu gewinnen, versetzt man sie mit
Schwefel, Holzkohle oder Kienruss, dampft ein, trocknet und glüht die trockne Masse
in Muffeln. Nach dem Erkalten der zusammengesinterten Masse laugt man sie aus;
dann mahlt, schlämmt und trocknet man sie wieder. Am schlimmsten ist hier die reich-
liche Menge von schwefliger Säure, die beim Glühen in denMuffeln auftritt und
daher sachgemäss zu behandeln ist. Die Abflusswässer sind mit Kalk zu behandeln.
Die Verwendung des Kaliumbichromats in der Färberei und Druckerei ist schon
häufig erwähnt worden. Sie begann mit seiner Einführung als Aetzbeize auf Türkisch-
roth und hat seit den zwanziger Jahren immer mehr an Ausdehnung gewonnen. Be-
schränkter ist seine Benutzung als Politur bei der Tischlerei in Verbindung mit
Catechu, welches hierbei einer Oxydation unterliegt. Man sollte aber bei seiner Ver-
wenduug in der Hausindustrie mehr Rücksicht auf seine giftige Beschaffenheit nehmen
und die beim Gift verkaufe geltenden Bestimmungen auch auf Kaliumbichromat an-
wenden, um jeden Missbrauch mit diesem sehr differenten Körper zu verhüten.
Die Chromfarben.
Die meisten Chromverbindungen sind für die Färberei, Porcellan- und
Glasmalerei, für den Kattun- und Leinendruck, den Tapetendruck,
die Buntpapierfabrication und die Farbentechnik von der grössten
Wichtigkeit.
Chromoxyd C203 wird durch Glühen des Chromhydrats G,(OH)6 oder kalium-
bichromats erhalten und ist als Polirmittel durch den Smirgel verdrängt worden. Mit
Fernambukholz bildet es ein schönes Blau schwarz, welches m der Vvoütarberei und
in den Dintenfabriken dargestellt wird. Mit der Pflanzenfaser verbindet es sicJi wie
Thonerde und Eisenoxyd.
49*
772 Chrom.
Für die eigentliche Farbentechnik ist das Chromhydrat weit -wichtiger,
da es bei verschiedenen Arten von Grün zur Verwendung kommt. Pannetier's Grün,
das von Guignet näher untersucht wurde, wird durch Calciniren von Kalium-
bi Chromat und Borsäure dargestellt; letztere ist aber hierbei unwesentlich, da ein
Chromoxydhydrat von der Formel: 2Cr203.3H20 dieselben Eigenschaften besitzt.
Aehnlich ist Mittler'* Grün, während Matthien- Plessy 's Grün neben Chromoxyd noch
Phosphorsäure enthält: Arnandon's Grün wird durch Erhitzen von Ammoniumphosphat
und Kaliumbichromat und Salvetat' s Grün (Türkisgrün) durch Mischung von Thenard's
Blau mit Chromoxyd erhalten.
Kaisergrün entsteht beim Versetzen eines Chromsalzes mit gewöhnlichem Natrium-
phosphat; wird der Niederschlag geglüht, so heisst die Farbe neues Chromatgrün, welches
das bchweinfurtergrün zu ersetzen vermag und namentlich in der Porcellan- und Glas-
malerei benutzt wird.
Ckromsänre ist nur als Chromsänreanhydrid Cr03 bekannt und bildet sich, wenn
Kaliumbichromat mit Schwefelsäure zersetzt wird:
K2Cr207 -4- H2 S04 = K2 S04 + H2 0 + 2 Cr 03.
Sie ist hier nur als das wichtigste Oxydationsmittel zu erwähnen und wird namentlich
zum Bleichen verschiedener Oele (Leinöl, Palmöl, Petroleum u. s. w.) benutzt, welche
man mit Kaliumbichromat und verdünnter Schwefelsäure behandelt (s. auch Alizarin,
Seite 645).
Neuerdings stellt man Clironilehn aus einer Gelatinelösung mit Kaliumbichromat
dar, der bei Einwirkung des Sonnenlichts für Wasser unlöslich und unaufquellbar wird,
während die Chromsäure einer Reduction unterliegt.
Unter den chromsauren Salzen, die alle mehr oder weniger giftig sind,
werden hauptsächlich Blei-, Zink- und Wisniuthchromat in der Kattun- und Leinen-
druckerei benutzt. Das wichsigste Präparat ist das Bleickroniat, ehromsanres Blei,
Chromgelb PbCr04, das auch in der Natur als Rothbleierz vorkommt.
Bei der Leinendr ucker ei wendet man zum Aufdrucken entweder Bleisulfat
oder Bleiacetat an, indem man diese Salze mit Verdickungsmitteln (Pappe) zusammen-
mengt. Nach dem Drucken werden sie dann durch ein Bad von Kaliumbichromat
gezogen, wobei das Bleichromat auf das Zeug niedergeschlagen wird, ohne dass eine
innige Verbindung mit der Faser stattfindet. Aus diesem Grunde sind diese gelben
Muster auch leicht dem Bleichen resp. Verschwinden unterworfen: schon durch Reiben
werden sie von dem Stoffe entfernt.
Alle Wasch- und Spülwässer enthalten stets Kaliumchromat in Lösung
und dürfen daher niemals in Schlinggruben abgelassen werden. Nur bei grosser Ver-
dünnung ist ihr Abfluss in Wasserläufe gestattet, widrigenfalls sie auf die Fischzucht
nachtheilig einwirken.
Zur Darstellung von orangefarbigen Mustern sind zwei Methoden gebräuch-
lich. Man druckt ein basisches Bleisalz (Mordant) auf und zieht das Muster durch
ein chromsaures Bad, oder man druckt das Bleichromat auf und zieht die so gefärbten
Stoffe durch eine erwärmte Kalklösung, wobei basisches Bleichromat (Chromroth)
zurückbleibt: im letztern Falle enthalten die Wässer chromsaures Calcium (Calcium-
chromat) ; sie sind immer beachtungswerth.
In sanitärer Beziehung ist zu bedenken, dass die basischen Bleichroma te
dadurch nachtheilig wirken können, dass sie beim Tragen der Stoffe durch den sauer
reagirenden Schweiss in Chromate verwandelt werden; hierbei tritt das überschüssige
Blei als organisch- saures Salz auf, welches, falls es auf der Haut sitzen bleibt, möglicher-
weise absorbirt wird.
Auch haben alle mit Bleichromat gedruckten Stoffe den Nachtheil, dass sie leicht
entzündlich sind und ausserordentlich rasch fortbrennen. Die sogen. Zunderlunten
verdanken nur der Imprägnation mit Bleichromat ihre Eigenschaft, rasch Feuer zu
fangen und fortzuglimmen, wobei sich übrigens stets Bleidämpfe entwickeln.
Bei der Fabrication der Zunderlunten kann sich beim x\bhaspcln der Zünd-
schnüren so viel Bleistaub entwickeln, dass Bleivergiftungen entstehen.5)
Für Reibzündhölzchen benutzt man bisweilen eine Verbindung von Blei-
bichromat mit Kaliumchlorat (s. S. 272).
Das Chromgelb wird leider auch noch häufig zum Färben von Genuss- oder
Nahrungsmitteln benutzt. Bei der WTurstbereit ung werden die Gedärme nicht selten
statt durch Curcuma durch Bleichromat gelb gefärbt. Vor nicht langer Zeit war in der
Rheinprovinz das Grünfärben der Kaffeebohnen mittels folgender Mischung ein sehr
gebräuchliches Verfahren: man wählte ein Gemenge von 15 % Berlinerblau, 35% Blei-
chromat neben 35% Gips, Thonerde oder ähnlichen Körpern, um die passende Farbe
hervorzurufen.
Die sogenannten Chromgrüne werden häufig durch Vermischen des Chrom-
gelbs mit Berlin er blau dargestellt; obgleich diese Grüne wenig haltbar sind, namentlich
Chromfarben. 773
beim Tapetendruck, und sich meist nur zum Oelfr.rbenanstrich verwenden lassen, so
war die oben genannte Composition dennoch zur künstlichen Darstellung der Cherbon-
Kaffeebohnen so gut gewählt, dass nur Sachkenner den Betrug entdecken konnten.6)
Das Färben der Lebkuchen, Brezeln und Conditorwaaren geschieht bisweilen
mit Chromgelb. Noch in der neuesten Zeit sind zwei tödtliche Vergiftungen durch
Chromgelb bei einem l^und einem 3 Jahre alten Knaben beobachtet worden, die
von den aus Traganthgummi und Bleichromat dargestellten Verzierungen eines Kuchens
genossen hatten. Die Gabe von ca. 0,01 Grm. Bleichromat war für jeden der beiden
Knaben von letaler Wirkung.7)
Auch zum Imprägniren von Papier dient Chromgelb. Ein gelbes Papier dieser
Art wird häufig als Enveloppe für Kaffeesurrogate, Conditorwaaren, Tafelsalz u. s. w.
verwendet; im letztern Falle bildet sich bei feuchter Luft leicht Chlorblei, was man
an der Entfärbung des betreffenden Papiers wahrnimmt. Gefährlich sind auch die
gelben Farbsteine von Chromgelb in den Malkasten für Kinder.8)
Chromzinnober, Chronirotll PbCr04 + Pb(OH)2 ist ein basisches Bleichromat
und bildet sich beim Eintragen von Bleichromat in schmelzenden Salpeter. Auf nassem
Wege erhält man es durch Fällen einer Lösung von Bleiacetat mit Kaliumbichromat-
lösung unter Zusatz von Kaliunihydrat.
Chromorange ist ein Gemisch von Chromgelb und Chromroth.
Zinkcbromat hat in jüngster Zeit das Bleichromat beim Drucken häufig ersetzt.
Seine geringere Haltbarkeit empfiehlt dasselbe jedoch nicht für die Industrie, während
Wismuthchromat nur zum Drucken feinerer Stoffe zu benutzen ist. Man druckt
auch hierbei das entprechende Salz auf und zieht alsdann die Stoffe durch ein chrom-
saures Bad. Die Abflusswässer haben dieselbe Bedeutung wie bei der Darstellung
von Bleichromat.
Fermnichroniat , chromsaures Eisen FeCr04 entsteht beim Zusammenbringen
eines Eisenoxydsalzes mit Kaliumbichromat als dunkelrothe Flüssigkeit, welche in der
Schwarzfärberei beim Färben der Seide, Wolle, Baumwolle bei gleichzeitiger Mit-
wirkung von Holzfarben benutzt wird. Seiner Verwendung als Desinfectionsmittel ist
der hohe Preis hinderlich, obgleich es wegen seiner oxydirenden Eigenschaft sehr
gerühmt wird.
Versetzt man neutrales Eisenchlorid mit einer gesättigten Lösung von Kalium-
bichromat, so erhält man einen feurig gelben Niederschlag (basisch chrom-
saures Eisen), der sich ganz vorzüglich zum Wasserglasanstrich und als
Aquarellfarbe eignet. Mit Ultramarin liefert diese Farbe sogen. Sideringelb, ein
schönes Grün.
Das eigentliche Chromaventurin, ein dunkelgrün gefärbtes Glas, in welchem
hellgrüne Flitter von abgeschiedenem Chromoxyd vertheilt sind, wird durch Zusatz von
Kaliumbichromat zum gewöhnlichen Glassatze erhalten.
Silberchromat, chromsaures Silber Ag2Cr04 bildet sich als dunkel rother
Niederschlag, wenn eine Silberlösung mit Kaliumchromat versetzt wird. Wird dieser
mit Chlornatrium geglüht, so bildet sich eine Doppelverbindung von Chlorsilber und
Chromchlorid, welche feuerbeständig ist, den Glasflüssen eine grüne Färbung
ertheilt, die bei auffallendem Lichte intensiv zinnoberroth reflectirt. Auch kann sie
zur Darstellung eines aventurinähnlichen Glases und zur Färbung des Strasses
benutzt werden.
Quecksilberchromat Hg2Cr04 wird im Grossen durch Versetzen eines löslichen
Quecksilberoxydulsalzes mit Kaliumbichromat als ein schöner zinnoberrother Nie-
derschlag erhalten, der in der Porcellanmalerei Verwendung findet. Die Wasch-
wässer enthalten Chromsäure und Quecksilberoxyd und dürfen daher niemals frei ab-
gelassen werden.
Vermischt man die genannten Lösungen in der Siedhitze und säuert mit Salpeter-
säure an, so erhält man einen krystallinischen Niederschlag, der mit verdicktem Ter-
pentinöl vermischt direct in der Porcellanmalerei und zwar zur Darstellung von grünen,
rauhen Blättern benutzt wird. Indem sich nämlich das Quecksilber verflüchtigt,
zieht sich gleichsam jedes Krystallschüppchen zusammen und bildet einen eigenthüm-
lichen chagrinartigen Ueberzug. Die Manipulation mit dieser Verbindung erfordert alle
Vorsicht. Beim Muffelbrande müssen die Quecksilberdämpfe vorsichtig abgeleitet
werden, während das Quecksilber, welches in den bei der Bereitung des Salzes abfallen-
den Wässern enthalten ist, durch Zink metallisch auszuscheiden ist. Die Chromsäure
bleibt als lösliches Salz in der Lösung und kann wieder benutzt werden.
Chromsalze werden bei der Zeugdruckerei sehr häufig in der Weise benutzt,
dass man das Chromoxyd durch ein phosphorsaures, kieselsaures oder auch ein
arsenig- und arsensaures Salz niederschlägt. Da die beiden letztern Verbindungen den
schönsten Farbenton besitzen, so kommen sie noch vielfältig zur Anwendung. Zu dem
774 Mangan.
Ende werden die mit Chromoxyd gebeizten Stoffe in der Hitze mit arsenig- oder
arsensaurem Natrium so länge behandelt, bis man den gewünschten Farbenton
erhält. Derartige Stoffe haben nicht bloss in der Faser Arsenik, sondern letzteres haftet
auch noch äusserlich an.
Um dasselbe Grün auf den Stoffen hervorzurufen, wird bisweilen direct mit
Kaliumbichromat unter Mitwirkung von arseniger Säure gedruckt.
Die beim Färben abfallenden Wässer enthalten neben der arsenigen Säure
auch Arsen säure. Die Stoffe selbst erzeugen bei Nähterinnen Reizungen der Hände,
welche sich in kleinen, frieselähnlichen Bläschen oder Wundwerden zwischen den
Fingern äussern. Wegen dieser Wirkung der grünen Farbe hat man oft die Anwesen-
heit von Schweinfurtergrün vermuthet, obgleich das Chromgrün sich schon an und
für sich durch eine mehr dunkle Nuance auszeichnet und grade deshalb meist die Ver-
muthung gar nicht aufkommen lässt, dass man es hier mit der reizenden Einwirkung
von Arsen zu thun hat.
Calcininchromat CaCr04. Wenn man Caleiumhydrat mit Kaliumbichromat kocht,
so erhält man die basische Verbindung (CaCr04 + Ca(OH)2), ein schöner gelber, in
Wasser unlöslicher Niederschlag, der Stefnbülller Gelb heisst und als Deckfarbe im Handel
vorkommt. Behandelt man denselben mit einer Lösung von Kupfersulfat, so entsteht
ein lebhaft grüner Niederschlag, der dem Schweinfurtergrün sehr ähnlich ist. Die
hier abfallenden Wässer enthalten im erstem Falle Kaliumchromat und im letztern Falle
Kupferchromat.
Cliroinclllorid Cr2ClG wird durch Glühen eines Gemenges von Chromoxyd und
Kohle in einem Chlorstrom erhalten. Es wird in der Buntpapierfabrication als
violette Farbe benutzt.
Barimiichromat BaCr04 entsteht durch Zusatz einer Lösung von Kaliumchromat
zu einer Bariumsalzlösung als lichtgelber Niederschlag, welcher im Handel als gelbes
Ultramarin vorkommt und mit gewöhnlichem Ultramarin vermischt beim Tapeten-
druck benutzt wird.
Chromsulfat Cr,(S04,)3+ 18H20 bildet blaue Krystalle, welche durch Auflösen
von Chromhydrat in concentrirter Schwefelsäure entstehen.
Kalininchromsulfat, Chromalann Cr2(S04)3-f- K2S04 -f- '24H20 entsteht, wenn man
zu einer mit Schwefelsäure versetzten Lösung von Kaliumchromat eine oxydable Sub-
stanz, z.B. Alkohol, zusetzt. Es bilden sich tief violette Octaeder, die sich in Wasser
mit violettblauer Farbe lösen. Man nennt diese Verbindung Chromalaun, weil die
Thonerde durch Chrom vertreten wird. Man unterscheidet Kalium-, Natrium- und
Ammonium-Chromalaun, wovon der erstere am wichtigsten ist, da er in der
Färberei zu Grün, Schwarz und andern Farben benutzt wird; auch dient er als Beize
oder zum Anfertigen wasserdichter, wollener Stoffe. Die Verbindung mit Kochsalz wird
zur Darstellung von chromgarem Leder gebraucht.9)
Mangan.
Mangan kommt zwar in grosser Verbreitung, aber nur in beschränkter Menge
vor. Brannstein (Pyrolusit), die am häufigsten vorkommende und technisch wichtigste
Verbindung, ist Mangansuperoxyd Mn02; als Manganoxyduloxyd Mn304 tritt
Hansmannit, als Manganoxyd Mn203 Brannit auf ; Manganit ist Manganoxydhydrat
H2Mn204, unterscheidet sich somit vom gewöhnlichen Manganoxydhydrat oder
Mang'anihydrat Mn2(OH)6 durch einen geringern Wassergehalt. Ausserdem ist
noch Manganspath MnC03 und Manganblende MnS zu erwähnen.
Das Metall wird aus seinen Verbindungen hauptsächlich durch Reduction mittels
Kohle dargestellt; seine Verwendung ist aber sehr beschränkt. Man benutzt es zu
Legirungen mit Kupfer, Zinn und Zink. Kupf ermanganlegirungen sollen sich
wie Kupferzinnlegirungen, und die Kupfer-Mangan-Zinklegirungen wie Neusilber
verhalten. Bekannt ist auch der Zusatz von Mangan zum Gussstahl, welches denselben
noch werthvoller machen soll.
Manganverbindungen. 775
Manganverbindungen,
Mangansnperoxyd Mq02, Braunstein, ist für die Technik bei der Darstellung
von Chlor und Salzsäure unentbehrlich. Die colossalen Mengen von Mangan--
chlorür MnCl2, die hierbei abfallen, hat man schon seit längerer Zeit zur
Regeneration des Braunsteins zu verwerthen gesucht.
Die Weldorfsche Methode scheint die meiste Aussicht auf Erfolg zu haben, nach
welcher aus den Manganlaugen zunächst Eisenoxyd, Thonerde und Schwefelsäure
durch Calciumcarbonat niedergeschlagen werden. Durch weitere Behandlung der
abgegossenen klaren Flüssigkeit mit Kalkmilch, einem Dampf- und Luftstrom erhält
man eine Verbindung von Kalk und Mangansuperoxyd (Calciummanganit), die für
die Chlorentwicklung wieder zu benutzen ist, aber viel Salzsäure hierzu bedarf. In
England ist man noch immer mit der Verbesserung dieses Verfahrens beschäftigt. Man
hat auch die mit Kalk behandelten Manganlaugen mit Erfolg für die Glasfabri-
cation wieder nutzbar zu machen gesucht.
Ein aus den Manganlaugen durch Fällen mit einem Alkali carbonat als grünes
Pulver erhaltenes Mangancarbonat MnC03 wird als Anstrichfarbe in der Glasmalerei
und zur Darstellung der violetten Glasflüsse benutzt.
Hat man das Chlor aus Kochsalz, Schwefelsäure und Braunstein dargestellt, so
findet sich im Rückstande ausser Manganchlorür noch Natriumsulfa-t mit einem
Ueberschuss an Schwefelsäure. Man kann diesen Rückstand eindampfen, schwach
calciniren und mit Wasser auslaugen; die Lauge enthält dann Manganosulfat MnS04
neben Natriumsulfat. Letzteres gewinnt man durch Krystallisation, während man
das Manganosulfat in Mangan borat überführen kann, um es als ein vortreffliches
Siccativ in der Firnisskocherei zu benutzen. Behandelt man Manganosulfat mit Kali,
so erhält man Manganoxydhydrat, welches beim Bisterbraunfärben Ver-
wendung findet.1)
Manganchlorür ist als solches fast nie zum Desinficiren zu gebrauchen,
weil die freie Salzsäure sehr nachtheilig auf den Mörtel der Abtrittsgruben und Canäle
einwirkt. In solchen Fällen ist stets eine vorhergehende Abstumpfung mit Kalk
erforderlich.
Uehermangansanres Kalium, Kalium hypermanganicum KMn04 ist in tech-
nischer, chemischer und sanitärer Beziehung eine sehr wichtige Verbindung. Für
technische Zwecke kann es dargestellt werden, indem man Natriumhydrat
(Natriumhydroxyd) und Kalisalpeter (statt des theuren Kaliumchlorats)
schmilzt und in die Schmelze allmählig erhitzten Braunstein einträgt.
Verwendung findet es jetzt in der Technik zum Bleichen von sämisch gegerbtem
Leder, von Baumwolle, Leinen, Hanf, Seide, Wolle u. s.w. Man löst übermangan-
saures Kalium und Manganosulfat zu gleichen Theilen in lauwarmem Wasser
auf. Man lässt die Stoffe so lange in demselben liegen, bis sie sich braun (mit Man-
ganoxyd) überzogen haben; dann kommen sie in ein verdünntes Schwefelsäure-Bad (1 : 25),
wobei sich wieder Manganosulfat unter Freiwerden von bleichendem Sauerstoff
bildet; auch im ersten Bade wird schon Sauerstoff frei. Schliesslich folgt ein Spül-
und Seifenbad unter Zusatz von etwas Salmiakgeist. Die Zeuge leiden bei dieser Bleich-
methode am wenigsten.2)
Uebermangansaures Kalium ist ein vortreffliches Desinfectionsmittel und
mit Unrecht durch die Carbolsäure verdrängt worden.3)
Nickel, Ni.
Nickel findet sich in der Natur gediegen nur im Meteoreisen und kommt
sonst wie Kobalt in Verbindung mit vielen Metallen, namentlich mit Arsen und
Schwefel als Nickelglanz, mit Arsen als Kupfer- oder Arseniknickel, mit Schwefel
als Haarkies vor. Kupfernickel soll dem Metall den Namen gegeben haben, das
776 Nickel.
wie Kupfer aussah, aber keine Ausbeute an Kupfer gab und daher mit diesem in der
niedersächsischen Volkssprache für gemeine Frauenzimmer gebräuchlichen Scheltworte
belegt wurde.
Nickel ist silberweiss mit einem Stich in's Graue, stark glänzend, sehr hart,
dehnbar, strengflüssig, erst in der Weissgluth schmelzbar, magnetisch und bleibt an der
Luft unverändert. In Salz- und Schwefelsäure ist es schwer, in Salpersäure leicht löslich.
Bei der Wirkung von Nickel auf den thierischen Organismus kann nur von
seinen Verbindungen die Rede sein. Nach Gmelin1) erfolgte bei einem Hunde mittlerer
Grösse nach Ingestion von 10 Gran Nickelsulfat NiS04 mehrmaliges Erbrechen;
auch 20 Gran hatten keine andere Wirkung. Bei einem Kaninchen übten 10 Gran
keinen EinÜuss auf das Befinden aus, dagegen führte die Ingestion von 20 Gran am
andern Morgen den Tod unter Convulsionen herbei.
30 Gran trocknen Nickelsulfats, in das Unterhautzellgewebe eines kräftigen
Hundes gebracht, blieben ohne Wirkung. Nickel gehört somit zu den unschädlichen
Metallen.
1) Hüttenmännische Behandlung der Nickel- und Kobalterze. Beide Erze werden
meist gemeinschaftlich behandelt; sie erfordern wie die Kupfererze ein Concentrations-
sclimelzen, um die Metalle allmählig anzureichern. Bei Erzen, die Nickel als
Schwefelmetall enthalten, z B. bei mit Nickelerzen imprägnirtem Magnetkies oder
Schwefelkies, schmilzt man zuerst mit reducirenden Mitteln, schwefelt Nickel und
Eisen und nennt das Product Stein. Bei Erzen, die neben Nickel vorzugsweise Arsen
enthalten, wählt man als Zuschlag Arsen und zwar meist in Form von Arsenkies;
das Product heisst dann Speise.
a) Concentrationsschmelzen auf Stein. Man röstet die Erze theilweise ab,
um Eisen und Nickel zu oxydiren und schmilzt dann mit kieselerdereichen Zu-
schlägen. Das Eisenoxyd verschlackt sich und das oxydirte Nickel sammelt sich im
Stein als reducirtes Metall an; bei gleichzeitig vorhandenem Kupfer concentrirt sich das-
selbe ebenfalls im Stein. Den Rost- und Reductionsprocess wiederholt man oft, bis man
schliesslich den rohen, eisenhaltigen Stein mit feinem Schwerspath und Quarz ein-
schmilzt. Es entsteht Schwefelbarium, welches dem noch vorhandenen oxydirten
Nickel und Kupfer seinen Schwefel abgibt und als Baryt mit dem Quarz und Eisen
verschlackt wird.
b) Concentrationsschmelzen auf Speise. Die hauptsächlich aus Nickel,
Arsen und Eisen bestehenden Erze werden einer theil weisen Röstung unterworfen,
um den grössten Theil des Arsens auszuscheiden. Das Röstgut wird mit reducirenden
Mitteingeschmolzen, um das Eisen in die Schlacke überzuführen, das oxydirte Nickel
zu Metall und die vorhandenen arsensauren Salze zu Arsenmetallen (Speise) zu
reduciren. Wegen der grossen Verwandtschaft des Metalls zu Arsen sammelt sich
dasselbe immer mehr in der Speise an, je öfter man diesen Process wiederholt; auch
gibt man zur vollkommnern Entfernung des Eisens Zuschläge von Schwerspath und
Quarz zu.
2) Gewinnung des metallischen Nickels, a) Gewinnung auf trocknem Wege.
Man benutzt hierzu gewöhnlich die Nickel speise, indem man sie unter Wasser klein
stampft und mit Schwefel mengt und erhitzt, wobei sich Seh wefelnickeL bildet
und Kupfer als Schwefelkupfer ausgeschieden wird. Indem letzteres auf der Nickel-
speise schwimmt, verhindert es theilweise die Verflüchtigung von Schwefelarsen; die
Speise wird dann nochmals unter Anfeuchtung fein gepulvert und in Röstöfen durch
Sublimation von Arsen befreit. Um alles Arsen zu entfernen, kann ein wiederholtes
Erhitzen mit Schwefel erforderlich werden; schliesslich entsteht Nickelsulfat, das
beim Glühen die Schwefelsäure fahren lässt, als Oxyd zurückbleibt und dann noch mit
Kohle reducirt wird.
b) Nickelgewinnung auf nassem Wege. Diese Methode variirt sehr nach
der Zusammensetzung der Erze und es existirt kein für alle Fälle massgebendes Verfahren.
Hauptsächlich kommen folgende Operationen vor: 1) Auflösen des Röstgutes in Salz-
säure, 2) Ausfällen des Eisens durch Kalk oder Soda nach vorhergehender Oxydation
durch Chlor oder Chlorkalk, wenn das Eisen als Chlorür oder Oxydul in Lösung war;
3) Ausfällen des Kupfers durch Schwefelwasserstoff, ein in sanitärer Beziehung sehr
wichtiger Act, der zur grössten Vorsicht auffordert und neuerdings durch den ursprüng-
lich für die Ausfällung des Arsens aus der Schwefelsäure construirten Fällthurm von
Gerstenhöfer eine viel grössere Sicherheit für die Arbeiter darbietet. Der Thurm ist
hydraulisch verschlossen und die Lösung fällt tropfenweise in eine Atmosphäre von
Schwefelwasserstoff herab, der am obern und untern Theile des Thurms in einem be-
sondern Apparat entwickelt wird, in welchen auch der in der kupferfreien Lösung auf-
gelöste Schwefelwasserstoff durch Erhitzen derselben mittels Wasserdampf' s wieder zurück-
Verhüttung der Nickel- und Kobalterze. 777
getrieben wird. 4) Ausfällen des Kobalts als Sesquioxyd Co203 durch Chlorkalk.
5) Ausfällen des Nickels als Nickeloxydhydrat Ni2(ÖH)6 durch Kalkmilch; 6) Glühen
des Niederschlags, um wasserfreies Nickeloxyd Ni203 zu erhalten; 7) Reduction des
vom Kalke und Gipse gereinigten Nickeloxyds durch Glühen mit Kohle.2)
In Deutschland werden namentlich in Iserlohn, auf dem Blaufarbenwerkconsortium
zu Oberschlema und Pfannenstiel bei Schneeberg sowie auf der Victoriahütte bei Naum-
burg am Bober Nickel- und Kobalterze zu Nickelmetall, Nickelkupferlegirungen,
Nickel- und Kobaltbarren sowie zu Kobaltoxyd verarbeitet. Häufig wird auch nickel-
und kobalthaltige Speise als Nebenproduct an Nickelwerke abgesetzt.
Ausser in Schweden und Norwegen finden sich namentlich in Ungarn reiche
Nickel- und Kobalterze.
Sanitäre Verhältnisse bei der Verhüttung der Nickel- und Kobalterze.
Wenn man berücksichtigt, dass die Kobalt- und Nickelerze das Haupt-
material für die Gewinnung des Arsens liefern (Arsenkies ausgenommen), so
muss bei der Verhüttung auch auf diesen Hauptbestandtheil ein grosses Gewicht
gelegt werden; es existirt kein Kobalt- oder Nickelerz, welches nicht Arsen in
chemischer Verbindung oder als Beimengung enthält. Die ganze Kobalt- und
Nickelindustrie ist daher von diesem giftigen Metall begleitet; weder der
nasse noch trockne "Weg zur Gewinnung des Metalls ist ohne das Auftreten von
Arsen einzuschlagen. Hierauf beruht die sanitäre Bedeutung dieses Verfahrens ;
mag man auch in den verschiedenen Darstellungsweisen noch so sehr variiren, dem
Arsen wird man dabei überall begegnen. Stets ist daher bei der Nickelindustrie
die Gefährlichkeit des Staubes sowie die Beschaffenheit der Abfallwässer
in's Auge zu fassen.
So lange die Erze im Gestein eingeschlossen sind, können sie keiner Oxydation
unterliegen ; diese tritt aber sofort ein, sobald sie im feuchten Zustande dem Ein-
flüsse des atmosphärischen Sauerstoffs unterliegen. Beim Arsen bildet sich stets
arsenige Säure, welche entweder frei auftritt oder aber mit den Oxyden derjenigen
Metalle sich verbindet, mit welchen das Arsen verbunden vorkommt.
Die Handscheidung mit dem damit verbundenen Staube tritt dann stets
als der erste, gefährliche Act auf. Der arsenikalische Erzstaub gelangt auf den
Respiration s wegen leicht in den Organismus und da hier Feuchtigkeit, Sauerstoff
und Wärme vereinigt sind, so bildet sich rasch arsenige Säure, welche dann
ihre weitere Wirkung entfalten wird.
Bei den Scheid- oder Klaub jungen können sich die Erscheinungen der
Vergiftung um so eher zeigen, wenn die Arbeit zur Winterszeit in den Scheide-
baracken und überhaupt Handarbeit stattfindet.
Das Pochen und Schlämmen der Erze wirkt auf die Beschaffenheit der
Abflusswässer ein; gewöhnlich enthalten sie mechanisch mitgeführte Erze
und sind nicht selten fast gesättigt mit arseniger Säure. Die Stollenwässer
sind nur bei neuen Gruben unschädlich; sie werden aber nach einer längern Be-
triebszeit arsenikalisch, wenn das blossgelegte Erz mit Wasser und Sauerstoff in
Berührung kommt und hierdurch die Oxydation des Arsens bedingt wird.
Leider besitzt man noch keine hinreichenden Mittel, die Schlämm- und
Stollenwässer unschädlich zu machen; gefährlich bleibt es immer, sie in kleine
Wasserläufe abzulassen; es droht dadurch nicht allein der Fischzucht, sondern
auch den Thieren des Feldes, denen es als Tränke dient, Gefahr. Wo es der
Raum und die Gegend gestatten, sind so umfangreiche Klärbottiche als möglich
anzulegen, um alle unlöslichen Substanzen thunlichst zurückzuhalten.
778 Nickel.
Sehr gefährlich sind auch die aufgestürzten Halden, welche häufig
jahrelang der Verwitterung preisgegeben werden, um das Erz mürbe zu machen.
In solchem Falle werden die arsenikalischeu Verwitterungsproducte durch das
Regenwasser auf weite Strecken fortgeführt; häufig tritt bei dieseu Halden ein
rother Beschlag, die Kobaltblüthe, auf.
Wenn diesen Verhältnissen oft nur höchst schwierig Abhülfe zu verschaffen
ist, so lässt sich aber um so mehr dem Scheidpersonal die gehörige Aufmerk-
samkeit widmen. Vor Allem muss dasselbe dazu geuöthigt werden, während der
Arbeit Schwämme vor den Mund zu biuden und das Essen während der Arbeit
bei schmutzigen Händen zu vermeiden. Ein Wechsel der Kleidungsstücke nach
der Arbeit muss den Arbeitern auf allen Arsenhütten ermöglicht werden; auch
soll ihnen stets die Gelegenheit geboten werden, sich nach der Arbeit reinigen
zu können.
Das Rösten findet meist iu liegenden thönernen Retorten statt; bei diesem
Processe ist für die Arbeiter das Aufgeben der Erze, das Umknicken und das
Ausziehen des Rüstgutes beachtungswerth und zwar sowohl wegen des Staubes als
der auftretenden Dämpfe. Schon beim Aufgeben der Erze treten arseuikalische
Dämpfe auf und werden die Arbeiter am meisten von denselben afficirt, wenn
die Beschickung durch Einschaufeln geschieht. Man bedient sich am besten
hierzu der Füllladeu, deren ßodenfläche dem Boden der Retorte entspricht;
wenn sie iu den Röstraum eingeschoben sind, zieht man den verschiebbaren
Boden aus und hebt den Kasteu über das Röstgut weg.
Beim Umknicken müssen die Krückstaugen durch Oeffnnugen iu den
Deckeln, welche vorn die Retorten verschliessen, eingeführt werden, damit
möglichst weuig Dämpfe iu den Fabrikraum eintreten; deshalb ist auch das
Ausziehen der Erze gefährlich, weil sich dann hauptsächlich die arseuikalischen
Dämpfe entwickeln. Um die Arbeiter möglichst vor diesen zu schützen, ist ein
gut ziehender Ranchfang über den Mündungen der Retorten anzubringen. Das
Röstgut muss man sofort in eiserne Kasten ablassen; die hierbei beschäftigten
Arbeiter leiden vielfach an Geschwüren der Arme und Hände. Immerhin müssen
sie sich durch Vorbinden von Schwämmen vor Mund und Nase schützen; der
reichliche Geuuss von Speck und fettigen Speisen wird allgemein bei Arbeiten
mit Arsen für ein Präservativ gehalten. Der Hauptschutz muss stets darin be-
stehen, dass man die schädlichen Dämpfe aus dem Bereiche der Arbeiter ent-
fernt; es müssen daher hinreichend lange Condensatious-Cauäle, die mit der
hinteru Ausmündung der Retorten in Verbindung steheu. den Abzug der Dämpfe
bewirken. Die meist gleichzeitig auftretende schweflige Säure erschwert die
Condensation der arsenikalischeu Dämpfe sehr, weil diese durch die schweflige
Säure erfahruugsgemäss lange suspendirt gehalten werden. Ausser den Absorp-
tionsmitteln für diese Säure würde sich noch mehr eine regelmässige Beriese-
lung iu einzelnen Condensations-Kammern empfehlen.
Bei der Nickelgewinnung aus der Nickelspeise auf trocknem
Wege sind namentlich beim Rösten die erwähnten Vorsichtsmassregeln zu be-
achten. In einer Fabrik in der Provinz Sachsen führt aus jedem Röstofen ein
gemauerter Coudensationscaual in horizontaler Richtung nach einem 22,6 Meter
hohen und 0,18 Meter weiten Schornstein, der im Ganzen 8 Condensationsröhren
aufnimmt. Bei sorgfältiger Leitung der Feueruug und Regelung der Zuglöcher
sollen keine Dämpfe in den Fabrikraum treten. Ueber der Mündung jeder
Nickelind astrie. 770
Retorte ist ein geräumiger Fang von Eisenblech angebracht, der mit einem
15 Meter hohen Schornstein von Eisenblech communicirt. Obgleich auf diese
Weise die beim Ausnehmen des Röstgutes auftretenden Dämpfe frei in die
Atmosphäre treten, so sollen doch angeblich keine nachtheiligen Einwirkungen
auf die zunächst gelegenen Gärten, Wiesen und Aecker beobachtet worden sein;
nur die Bienenzucht soll dort ganz eingegangen sein, eine Erfahrung, die auf
allen Arsenhütten gemacht worden ist. Jedenfalls gebietet die Vorsicht, die
Fangkappen über den Retorten mittels gemauerter Züge mit den Condensations-
Canälen und dem Hauptschornstein in Verbindung zu setzen; je zahlreicher die
Retorten sind, desto länger müssen auch die Condensations-Canäle sein und
nötigenfalls mit Condensationskammern versehen werden.
Ganz besondere Beachtung verdienen auch die beim Kleinmachen der
Nickelspeise abfallenden Wässer; sie dürfen weder frei noch in Schlinggruben
abgelassen werden, sie müssen vielmehr aufgespeichert und mit Eisenvitriol
und Kalk versetzt werden, bevor sie zum Abfluss gelangen.
Bei der Nickelgew*nnung auf nassem Wege ist die Fällung des
Kupfers durch Schwefelwasserstoff in sanitärer Beziehung am wichtigsten. Wird
der Gerstenhöfer'sche Fällthurm sachgemäss behandelt, so kann man der
Beschädigung der Arbeiter und der Belästigung der Adjacenten vorbeugen. 3)
Ausserdem hat man bei den verschiedenen chemischen Processen den Abfall-
wässern die sorgfältigste Aufmerksamkeit zu widmen, wenn sie arsenhaltig
sind; sie müssen dann in oben angegebener Weise behandelt werden.
Nickelindustrie. Nickel gewinnt immer mehr an Werth, da es manche Legirungen
darstellt, welche den Säuren und dem atmosphärischen Sauerstoff widerstehen. Bis vor
einem Decennium diente es vorzugsweise zur Darstellung von Neusilber (Nickel,
Kupfer und Zink). Die Versuche, Gusseisen für Geschützguss durch Nickelzusatz zu
verbessern, haben noch keinen Erfolg gehabt; Legirungen von Nickel, Antimon und
Zinn werden aber hoffentlich der Legirung von Blei und Zinn starke Concurrenz
machen, da eine solche Legirung für die Anfertigung vieler Gegenstände sich weit
besser eignet als Zinn und Blei. Nickel und Kupfer für das Prägen von Scheide-
münzen zu benutzen, bietet viele Vortheile dar.
Einen grossartigen Umschwung hat aber die Vernickelung von Eisen oder
Stahl genommen; die verschiedensten Gegenstände, Handgriffe an Thüren, Koch-
geschirre , Verzierungen an Oefen u. s. w. werden auf galvanischem Wege vernickelt,
nachdem Amerika den Anstoss dazu gegeben hat. Man löst kupfer- und arsenfreies
Nickel in Schwefelsäure und fügt die Lösung zu einer Lösung von Ammoniumsulfat,
wobei das Nickel als Nickelammoniumsulfat präcipitirt wird. Durch Auswaschen und
Neutralisiren des Niederschlags mit Ammoniak erhält man ein neutrales Ammonium-
doppelsalz, das als Vernickelungsbad dient.
Kobalt, Co.
Kobalt kommt nie gediegen, sondern meist mit Arsen als Speiskobalt (Sacheen,
Böhmen, Spanien) und mit Schwefel und Arsen als Glanzkobalt (Schweden, Nor-
wegen) vor. Kobaltkies ist Kobaltsulfürsulfid mit Eisensulfid (Schweden, Westphalen)
und Kobaltblüthe arseniges und arsensaures Kobalt. Manganhaltiges Kobalterz kommt
in der Lausitz vor und wird zur Gewinnung von Nickel und Kobalt in der Weise
benutzt, dass man zunächst die Erze in verschlossenen Bottichen mit Salzsäure
behandelt und das sich entwickelnde Chlor gleichzeitig zur Chlor kalk fabrication
benutzt. Die rückständige Lauge enthält Mangan, Eisen, Kobalt, Nickel und Kupfer.
780 Kobalt.
Letzteres wird durcb Sc'iwefelcaleiuni resp. Schwefelwasserstoff herausgefällt: die hier-
von getrennte Flüssigkeit wird mit bo viel Kalk versetzt, dass sie noch etwas sauer
reagirt Dadurch wird Eisen gefällt, während Mangan, Nickel und Kobalt durch
KrystaUisation getrennt werden: es ist dies ein ganz neuer und höchst wichtiger
Industriezweig.
D - Fast weisse und dehnbare Kobalt-Metall findet noch keine Verwendung.
Die Einwirkung von Kobalt auf den thierisehen Organismus bedarf noch einer
genauem Prüfung. Gmelin1) sah nach der Ingeslion von (»Gran (0,36 Grm.) Kobalt-
Sulfat bei einem Kaninchen keine Wirkung: erst 30 Gran (2 Grm.) hatten am folgenden
Tage den Tod zur Folge.
Kobaltchlorür erzeugte in einer Gabe von 10 Gran (0,6 Grm.) bei einem Hunde
mittlerer Grösse nur einige Mal Erbrechen; dasselbe war auch bei einem Hunde der
Fall, dem 24 Gran (1,5 Grm.) trocknen Kobaltchlorürs in das Unterhautzellgewebe
gebracht wurde.
Siegen2) will dagegen gefunden haben, dass Kobaltnitrat und Kobaltchlorür,
die arsenfrei waren, bei einem Frosche in einer Gabe von 0.01 Gr.n. in einer halben
Stunde und bei einem kräftigen Kaninchen in einer Menge von 0,3 Grm. wahrscheinlich
durch Lähmung der Herzmusculatur tödtlich einwirkten. Jedenfalls gehört Kobalt nicht
zu den sehr giftigen Metallen, wenn es arsenfrei ist.
Kobaltverbindungen.
Kohaltsilioat (Kali -Kobaltoxydul -Silicat CoO, 2Si03 + KO, 2SiO, nach
Ludwig) ist in industrieller Beziehung die wichtigste Verbindung, heisst
Smalte und wird durch Zusammenschmelzen von Kobaltoxyd mit farblosem Glase
dargestellt. Sie wird zum Bläuen von Papier und namentlich bei der Glas- und
Porcellaumalerei benutzt. Kobalterze, namentlich Glanzkobalt und Speis-
kobalt, sind schon im 16. Jahrhuudert zum Blaufarben der Glasmasse benutzt
worden. Zuverlässig hat sich um die Jahre 1550 — 1560 Christian Schürer,
ein böhmischer Glasmacher, hiermit beschäftigt; er brachte wenigstens zuerst ein
blaugefärbtes Glas in den Handel. Aus Sachsen ging dieser Industriezweig nach
Holland, dann nach Zafra, einem Orte der spanischen Provinz Estremadura.
Der Name Zaffer, Kobalt-Zaffer, welcher kieselsaure Kobaltoxydul -Verbin-
dungen bezeichnete, mag daher rühren: später benannte man so das Rohmaterial
zum Bläuen, nämlich das geröstete und mit Sand gemischte Kobalterz. Der Name
Saflor, Kobaltsaflor ist lrrthümlich aus Zaffer entstanden.
Die Darstellung der Smalte geschieht auf den sogen. Blaufarbwerken. Die
ten Kobalterze, welche hauptsächlich aus Kobaltoxyd, Kobaltoxydul, Arsen und
Nickel besteben, werden gepocht und gesiebt und heissen dann Zaffer; sie werden mit
Sand und Puttasche gemischt und zusammengeschmolzen. Die Blaufarböfen sind den
gewöhnlichen Glasöfen ganz gleich, indem rund um das Feuer die Hafen auf einer
Herdbank stehen: die Feuerung geschieht durch Holz. Während des Schmelzens ent-
weicht ausser der Kohlensäure, die sich aus der frittenden Masse entbindet, eine Menge
arsenikalischer Dämpfe und schweflige Säure.
Das Kobalt verbindet sich mit dem Glasfluss und stellt die Smalte dar, während
die übrigen fremden Metalle, namentlich Nickel und Eisen, unoxydirt bleiben und in
den Hafen zusammenschmelzen. Diese geschmolzene Metallmasse wird durch die
Speisgasse abgelassen: sie stellt die sogen. Kobalt- oder Nickelspeise dar, welche
von weiss-röthlicher, metallglänzender Farbe ist, 49— 52g Nickel enthalten kann und
daher hauptsächlich zur Gewinnung des Nickels benutzt wird (s. Nickelindustrie).
Das Sortiren des blauen Glasflusses geschieht durch Pulverisiren, Schlämmen
und den Gebrauch verschiedener Siebapparate. Die Schmelze wird nämlich sofort ab-
gelöscht, wodurch das erhaltene Glas mürbe wird und zerfällt. Je feiner das Pulver
ist, desto heller ist die Farbe. Die gröbsten Theile wurden früher als Streusand benutzt.
Seit der Darstellung des künstlichen Ultrarnarins werden die Blaufarbwerke mehr
zur Gewinnung des Nickels als der Smalte benutzt; nur Holland ist das einzige
Land, in welchem die Smalte noch viel Verwendung findet.
In sanitärer Beziehung ist zu bemerken, dass das Pulverisiren des
gerösteten Erzes sehr leicht einen gefährlichen Staub veranlassen kann, welcher
auch beim Vermischen der betreffenden Ingredienzen entsteht. Die Augenlieder
Kobaltfarben. 781
werden hierbei am meisten afficirt und würden sich die Arbeiter am besten durch
Masken von FJorseide schützen, wenn keine geschlossenen Siebapparate zur Ver-
fügung stehen; letztere sollten aber nie fehlen, da sie auch beim schliesslichen
Sieben des Röstgutes erforderlich sind.
Beim Schmelzen resp. Fritten und Schmelzen der Mischung ziehen die
arsenikalischen Dämpfe und schweflige Säure mit den Feuergasen ab
und es ist höchst schwierig, hierbei eine Condensation derselben zu bewirken.
In den meisten Fällen scheut man auch die hieraus erwachsenden Kosten, so
dass sich die schädlichen Dämpfe in der nächsten Umgegend verbreiten und die
Vegetation im Umkreise von mehreren Stunden vernichten. Aus diesem Grunde
sind aber auch Blaufarbwerke nur in sterilen Gegenden anzulegen und durchaus
nicht in der Nähe von bewohnten Ortschaften zu dulden.
Das Ablöschen des Kobaltgutes, d. h. der Smalte, das Vermählen
derselben unter Wasser, sowie schliesslich das Schlämmen der gemahlenen
Smalte erzeugen bisweilen arsenikalische Abfallwässer, deren Ab fiuss dann
in vorschriftsmässiger Weise (s. S. 779) zu regeln ist. Dies ist aber nur dann
erforderlich, wenn die Smalte speishaltig ist, was jedoch nicht im Interesse der
Fabricanten liegt und daher nur selten vorkommt.
Die Kobalt- oder Nickelspeise entwickelt beim Ablassen stets giftige
Dämpfe von arseniger Säure und Arsen; diese Procedur muss deshalb stets unter
einem gut ziehenden Rauchfange stattfinden.
Kobaltfarben.
Roseokobaltchlorid. Für die Darstellung von Zinkgrün, Rinmann's Grün benutzt
man jetzt eine andere Methode, indem man dazu Roseokobaltchlorid verwendet.
Die braune Lösung von Kobaltchlorür in Ammoniak wird an der Luft allmählig
roth; kocht man sie mit überschüssiger Salzsäure, so scheidet sich ein rothes Pulver,
Parpurkobaltclllorid CoCl3.5NH3, aus. Setzt man zu der genannten Lösung kalte
Salzsäure, so wird ein ziegelr othes Pulver gefällt, das Roseokobaltchlorid oder Chlor-
roseokobaltiak C0CI3. 5NH3 + H20 heisst; wird dieses Pulver mit Zinkweiss ver-
mischt und bei schwacher Rothgluth erhitzt, so lange noch Chlorzinkdämpfe entweichen,
so erhält man ein sehr gut deckendes Grün.
Kobaltoxyd. Die Benutzung des Kobaltoxyds Co203 zur Sauerstoffentwicklung
s. S. 71. Wird Kobaltoxyd mit Zinkweiss erhitzt, so erhält man den grünen
Zinnober. Für sich allein wird es wie Kobaltoxydul in der Porcellan- und Glasmalerei
benutzt. Ein schönes Violett für Papier- und Zeugdruck wird durch Glühen des sal-
petersauren Kobaltoxyduls erhalten. Kobaltgelb erhält man durch Vermischen einer
Kobaltoxydullösung mit Kaliumnitrit.
Kobaltultramarin, Tkenard's Blau, ist ein Kobaltoxydul-Aluminat, welches
dargestellt wird, indem man eine Lösung von Alaun und einem Kobaltoxydulsalze mit
Natriumphosphat oder Natriumcarbonat fällt, das Präcipitat auswäscht, trocknet und
glüht. Die Farbe ist zwar luft- und feuerbeständig, erscheint aber beim Lampenlicht
schmutzig -violett. Letztere Eigenschaft besitzt nicht das zinnsaure KobaltO^y» nl
Sn03.CoO, welches, mit Zinnsäure und Gips gemengt, das sogenannte Coeruleuin
darstellt.
Kobaltchlorür CoCk, welches man durch Auflösen von Kobalt oxydul CoO
in Salzsäure erhält, dienten Auflösung als sympathetische Dinte. Schreibt man
nämlich damit auf Papier, so schwindet die Schrift zu einer hellrosarothen Farbe, er-
wärmt man aber das Papier auf 120 -150°, so wird die Schrift lebhaft blau.
782 Thallium.
Thallium, Tl.
Thallium kommt nicht frei in der Natur, sondern hauptsächlich in Begleitung
von Schwefel- und Kupferkies vor: Crookea entdeckte es zuerst (1861) im Bleikammer-
sehlamm einer Schwefelsäurefabrik am Harze. Es ist namentlich der Schlamm der
Schwefelsäurefabriken, welche thalliunihaltige Pyrite [Eisenkies] bearbeiten, aus welchem
es auch jetzt noch häufig dargestellt wird.
Das Metall ist zinnweiss, weich und überhaupt dem Blei ähnlich; es schmilzt bei
285° und destillirt in der Weissgluth: an der Luft oxydirt es sich bald; die Oxydschicht
ist im Wasser leicht löslich. Alle seine Verbindungen färben die Flamme intensiv
grün und wirken auf den thierischen Organismus höchst giftig ein und zwar wegen
ihrer Leichtlöslichkeit noch bedeutender als die betreffenden Bleisalze.
Die Verbindungen des Thalliums sind mit denen des Bleies in chemischer und
physiologischer Beziehung sehr ähnlich: im Allgemeinen werden sie aber noch für
giftiger gehalten, wie sich auch aus Versuchen an Thieren ergeben hat, die unter Zittern
und Lähnnrngserscheinungen zu Grunde gehen. Ein kleiner Hund wird durch i Grm.
Thalliumcarbonat binnen wenigen Stunden getödtet.1) Der Chemiker Sti eckt r hat in
Folge jahrelanger Beschäftigung mit Thallium seine Gesundheit ganz zerrüttet und
wahrscheinlich seinen frühen Tod herbeigeführt.
Technische Verwendung hat das Thallium bis jetzt fast nur in der Glasfabrication
gefunden: das Thalliumglas zeichnet sich durch das grösste specifische Gewicht aus.2)
Ein prachtvolles Grünfeuer bildet sich aus einer Mischung von chlorsaurem
Thallium, Calorael und Harz. Die Dämpfe, welche hierbei entstehen, sind aber sehr
gefährlich und gestatten die allgemeine Anwendung dieses Feuersatzes nicht.
Mit Thalliumoxydul getränktes Papier ist ein sehr empfindliches Reagens
auf Ozon, wie Schönbein gefunden hat.
Gold, Aur.
Gold kommt meist gediegen vor und findet sich im Sande fast aller grössern
Flüsse. Es wird nur von Königswasser zu Goldchlorid gelöst.
(iewinnung von Gold. Beim goldführenden Sande bedarf es nur eines
Schlämmens mittels besonders construirter Apparate, um das Gold zu gewinnen. Der
goldführende Quarz wird geglüht, durch Wasser abgeschreckt und dann wie der
Goldsand behandelt.
Der goldhaltige Schlämmschlich ist nicht frei von Eisenverbindungen und
wird deshalb in den sogen. Quick- oder Goldmühlen mit Quecksilber behandelt. Das
hierdurch entstandene Goldquecksilber (Amalgam) wird durch Auspressen in
ledernen Beuteln vom überschüssigen Quecksilber befreit und in Glockenöfen geglüht,
um das Gold als sogen. Tellergold zu gewinnen.
Die A malgamation, die auch bei goldreichen Erzen im Gebrauche ist, erfordert
stets eine grosse Aufmerksamkeit, um Mercurialaffectionen zu verhüten.
Die Flintränkungsarbeit wird bei goldhaltigen Schwefelmetallen nothwendig
und besteht in Rösten und Schmelzen, um das Gold zu concentriren; dann wird es mit
Bleiglätte zusammengeschmolzen, während das Blei auf dem Treibherde oder in Muffeln
wieder abgetrieben wird. Man hat hier auf eine sorgfältige Ableitung der auftretenden
Bleidämpfe zu achten, um die hier oft vorkommenden Bleivergiftungen zu verhüten.
Die Ext r actio n mit Chlor w asser geschieht bei sehr goldarmen Erzen,
namentlich bei Arsenikabbränden. Das entstandene Goldchlorid AuCl3 wird mit
Schwefelwasserstoff behandelt, um das Gold niederzuschlagen.
Im Deutschen Reiche wurde im Jahre 1870 eine Menge von 411 Pfund Gold
gewonnen und zwar meist als Nebenproduct der Blei-, Silber- und Kupferhütten. Die
Goldindustrie. 783
Bleientsilberung durch Zink gestattet jetzt mehr als sonst die Gewinnung von Gold auf
Bleihütten.
Goldscheidnng. Da das Gold stets Silber enthält, so wendet man zur Trennung
des Silbers vorzugsweise zwei Methoden an: 1) Die Affinirung besteht in der Be-
handlung des Metallkorns mit concentrirter Schwefelsäure, welche das Silber
unter Entwicklung von schwefliger Säure auflöst; letztere tritt so reichlich auf, dass
sie verwerthet oder jedenfalls unschädlich gemacht werden muss. Das präcipitirte
Gold wird ausgewaschen und unter einer Borasdecke eingeschmolzen, das erhaltene
Silbersulfat mit Kochsalz gefällt und das präcipitirte Chlorsilber mit Soda in
Graphit reducirt.
21 Das Scheiden durch die Quart oder die Quartation. Diese Bezeich-
nung rührt von der frühern Annahme her, dass Silber dreimal mehr als Gold vorhanden
sein müsse, wenn die Scheidung auf nassem "Wege zu Stande komme. Gegenwärtig
schmilzt man den Regulus mit so viel Silber zusammen, dass das Gold nur % der
Legirung beträgt. Man walzt letztere aus und behandelt sie mit chlorfreier Sal-
petersäure, wobei viel salpetrige Säure auftritt, die abgeleitet werden muss. Das
in Streifenform zurückbleibende Gold wird noch mit Borax eingeschmolzen.
Goldindustrie.
Legirungen des Goldes. Das Gold geht fast mit allen Metallen, Eisen aus-
genommen, Legirungen ein. Um ihm eine grössere Härte zugeben, wird es mit Kupfer
und Silber legirt, wobei keine nachtheiligen Einflüsse auf die Gesundheit der Arbeiter
stattfinden. Um den Gehalt einer Goldlegirung zu bezeichnen, gebraucht man das Wort
karätig;' man theilt ein halbes Pfund oder eine Mark in 24 Karate und den Karat in
12 Grän ein; unter 14karätigem Gold ist eine Legirung von 14 Th. Gold und 10 Th.
Kupfer zu verstehen.
Das Probiren des Goldes, d. h. die Bestimmung des Goldes, geschieht durch
Kupellation, indem man dem goldhaltigen Korn je nach seiner Farbe ein bestimmtes
Gewicht an Silber und ungefähr die lOfache Menge an Blei zusetzt und das Ganze
zusammenschmilzt. Nach dem Abtreiben wird das silberhaltige Korn ausgeplattet und
mit Salpetersäure degerirt. Das Gold, welches zurückbleibt, wäscht man ab, trocknet,
glüht und wägt es.
In sanitärer Beziehung sind hier die Bleidämpfe sehr zu beachten, da sie
leicht Bleiaff ectionen bei Goldarbeitern bedingen.
Das Färben des Goldes besteht darin, dass man die aus kupferlegirtem_ Golde
angefertigten Waaren, um ihnen ein schöneres Ansehen zu geben, glüht und in eine
Beize von verdünnter Salpetersäure bringt, welche das Kupfer von der Oberfläche
auflöst und reines Gold blosslegt. Dann folgt das Abkochen im Absud oder in der
Goldfarbe, einer Mischung von Kochsalz, Salpeter und Salzsäure; das hierbei sich
bildende freie Chlor löst zwar etwas Gold auf, dasselbe schlägt sich aber als sehr feine
Schicht auf der Oberfläche wieder nieder.
Die Goldschlägerei bringt das Gold auf mechanische Weise durch blosses
Hämmern zur grossen Vertheilung. Man behandelt auf dieselbe Weise die Blätter von
Bronze, Silber, Platin und Aluminium (s. S. 717) und schlägt sie zwischen Pergament
oder bei grösserer Feinheit zwischen dem Epithelium des Blinddarms des Ochsen (Gold-
schlägerhäutchen). Gesammelt werden sie in Form von Büchelchen zwischen mit Bolus
geglättetem Papier.1)
Der Abfall heisst Gekrätz, Krätze, Schawine; wird letztere eingeschmolzen
(s. S. 253), so benutzt man sie auch als Goldbronze (Maler-, Muschelgold). Statt
des Einschmelzens kann man auch die Extraction mit Chlorwasser anwenden (s. S. 782).
Das Blattgold benutzt man wie die Bronze zum Vergolden von Holz, Stein,
Eisen u. s. w„ wobei in sanitärer Beziehung zu beachten ist, ob man zum Grundiren
Bleiweiss und Firniss, oder Leim und Kreide benutzt.
Die Vergoldung auf chemischem Wege findet in derselben Weise wie das
Versilbern (s. S. 682) statt. Auch hier ist bei Legirungen von Kupfer, bei .Neu-
silber u. s.w. die Reinheit der metallischen Oberfläche die erste Bedingung: erst nach
der Beize folgt die Application des Goldamalgams. Bei der Abtreibung des Queck-
silbers ist der Condensation der metallischen Dämpfe die erforderliche Aulmerksamkeit
zu widmen: beim Mangel derselben tritt bekanntlich bei Vergoldern naung Zittern
der Glieder als Folge der Quecksilber -Vergiftung ein.
Für Malerei auf Glas und Porcellan wird Gold in Königswasser gelöst; die
Lösung verdünnt man mit vielem Wasser, trennt zuerst das ausgeschiedene Silber clurcn
Filtration und präcipitirt das Gold durch salpetersaures Quecksilberoxydul, wobei sicü
784 Platin.
Quecksilberchlorid bildet, das in der Lösung bleibt. Letztere ist deshalb mit Vor-
sicht zu behandeln und durch Zink zu Gute zu machen, um das Quecksilber
metallisch auszuscheiden. Der braungelbe Niederschlag von Gold wird abgewaschen
und mit Wismut ho xyd und Rosmarinöl auf Glasplatten abgerieben. Die Arbeits-
räume sind gewöhnlich mit den ätherischen Dämpfen erfüllt und erfordern daher eine
kräftige Lüftung.
Nach dem Auftragen und Trocknen des Goldniederschlags erfolgt das Ein-
brennen in Muffeln und das Poliren mit dem Polirachat.
Die Vergoldung von Gläsern auf nassem Wege beruht auf der Reduction des
Goldes mittels Traubenzuckers. Zur Darstellung von Spiegeln ist jedoch dieses Ver-
fahren nicht zu empfehlen, da das Licht roth reflectirt wird.
Goldpurpnr ist ein durch Zersetzung von Goldchloridlösung mit Zinn-
chlorürlösung entstandener purpurfarbiger Niederschlag, der ebenfalls in der Glas-
und Porcellanmalerei verwendet wird und früher Purpur des Cassius genannt wurde.
Fixirsalz für photographische Zwecke entsteht durch Zusatz von Natriumhypo-
sulfit zu einer verdünnten Goldchloridlösung und ist demnach unterschwefligsaures
Goldoxydul-Natrium 3Na2S203 + Au2S203 + 4H30.2)
Platin, Pt.
Platin kommt stets in Verbindung mit Palladium, Iridium, Rhodium,
Osmium und Ruthenium vor, die deshalb auch Platinmetalle genannt werden.
Die Gewinnung des Metalls aus den Erzen erfolgt vorzugsweise auf nassem
Wege, indem diese in Königswasser gelöst werden; die Lösung wird eingedampft und
mit einer Lösung von Salmiak versetzt. Es bildet sich eine unlösliche Doppelverbin-
dung: Platinchlorid-Ammoniumchlorid PtCL, -f- 2NH4C1, welche durch Glühen
zu metallischem Platin reducirt wird. In neuerer Zeit schmilzt man auch die Erze in
kleinen Oefen aus gebranntem Kalk mittels des Knallgasgebläses.
Platin ist nur in Königswasser löslich und deshalb zur Anfertigung von Ab-
rauchschalen für Schwefelsäure - Fabriken sehr geeignet. In grossartigem Massstabe
wird Platin fast nur in London und Paris verarbeitet.
Eine vielseitige Verwendung findet Platin jetzt zur Verplatinirung von
Metallen, Porcellan, Glas u. s. w. In der Porcellanmalerei dient es namentlich
als Scharffeuerfarbe und zur Darstellung der Lüsterfarben, mit denen man
Porcellan, Fayence und feines Steinzeug verziert.
Die Leichtigkeit, mit welcher Platin auf Glas übertragen werden kann, lässt noch
auf eine mannigfache Benutzung dieses Metalls für technische Zwecke hoffen. Platin-
spiegel sollen sogar die Metallspiegel ersetzen ; man braucht hierzu nur mit Lavendelöl
zusammengeriebenes Platin chlorid mit dem Pinsel auf das Spiegelglas aufzutragen,
den Ueberzug zu trocknen und in einer Muffel einzubrennen.
Legirungen von Platin mit Stahl, Silber und Kupfer sind schon für die
Technik benutzt worden. Eine Legirung von Platin und Iridium zeichnet sich
namentlich durch Härte und Unlöslichkeit, eine solche von Platin und Kupfer durch
grosse Aehnlichkeit mit Gold aus.
Platinschwarz oder Platinmohr ist ein aus den Lösungen von Platinchlorid
gefälltes, Platinsehwamni durch Glühen des Platinsalmiaks PtCl4 + 2NH4C1 erhal-
tenes Platin von grosser Feinheit und Zertheilung.
Nach Gmelin1) riefen 10 Gran Platin salmiak, in 1 Unze Wasser suspendirt in
den Magen eines Kaninchens gespritzt, nach 8 Stunden Diarrhoe hervor; am andern
Morgen wurde es todt gefunden. Die Section ergab Entzündung des Magens und
Darms. — Ein Hund mittlerer Grösse verfiel nach der Ingestion von 20 Gran nur in
heftiges Erbrechen, erholte sich aber am andern Tage vollständig. Nach einer subcutanen
Application von 12 Gran zeigten sich keine Symptome.
Palladium. Iridium. Osmium. 7§5
Palladium, Pd.
Palladium hat in der Industrie nur eine sehr beschränkte Verwendung Da es
nicht von Schwefelwasserstoff geschwärzt wird, so dient es zur Darstellung von Scalen
und Kreiseintheilungen bei astronomischen Instrumenten.
Legirangen von Palladium, Silber, Gold und Kupfer werden als Zapfen-
lager in Uhren oder auch zum Ersatz des Goldes in der Zahntechnik benutzt. Das
mit Wasserstoff beladene Palladium hält bekanntlich Graham für eine Legirung von
Palladium mit metallischem Wasserstoff — Hydrogenium.
Palladiunichlorür PdCl2, das beste Reagens auf Kohlenoxyd, bewirkt nach Gmelin
nach einer Ingestion von 10 Gran bei Hunden Erbrechen und Durchfall; Kaninchen
sollen in Folge von Magenentzündung zu Grunde gehen.1)
Iridium, Ir.
Iridium ist fast ausschliesslich in der Porcellanmalerei in Gebrauch ; es liefert eine
schöne schwarze und graue Farbe.
Nach Gmelin sind die schwer löslichen Iridiumsalze unwirksam, die leicht lös-
lichen wirken ähnlich wie die Palladiumverbindungen.1)
Osmium, Os.
Osmium kommt meist schon mit Iridium legirt in der Natur vor oder wird aus
den goldhaltigen Osmium-Iridium-Erzen dargestellt. Die Legirung zeichnet sich dadurch
aus, dass sie nicht magnetisch, nicht oxydirbar und unbiegsam ist; man hat sie daher
zur Darstellung der Zapfen, auf denen die Nadeln der Schiffscompasse ruhen, empfohlen.
Osmiumverbindungen.
Osmiumoxyd Os02 und Osmiumsesuuioxyd Os203 werden dadurch dargestellt,
dass man die entsprechenden Chlorverbindungen (Osmiumchlorür OsCl2 und
Osmium chlorid OsCl3) mit Kalilauge versetzt; es schlagen sich dann die Oxyde als
schwarze Pulver nieder.
Gmelin fand, dass die Osmiumoxydlösung bei Hunden starkes Erbrechen hervor-
rief; er ist jedoch der Ansicht, dass das Osmiumoxyd vom Magen aus nicht in sehr hohem
Grade giftig sei, weil mit den flüssigen Excrementen schwarze Flocken abgingen, die
reducirtes Osmium zu sein schienen. Bekannt sei es, dass Osmiumoxyd durch
thierische Substanzen reducirt werde; dies reducirte Osmium könne dann die ganze
innere Fläche des Tractus intest, überziehen und hauptsächlich hierdurch die Ernährung
stören.
Bei einem kräftigen Hunde wurden Morgens 15 Drachmen Osmiumoxydlosung
(= 1,325 Gran metallisches Osmium) in die Vena jugularis injicirt; nach mehrmaligem
Erbrechen erfolgte der Tod unter leichten Convulsionen 1 Stunde hernach. Bei der
Section fanden sich die Lungen stark aufgetrieben, blass, mit rothen Flecken besetzt;
die Bronchialverzweigungen und die ganze Luftröhre waren mit einem dicken , schnee-
weissen Schleim erfüllt, der die Consistenz von Seifenschaum hatte. Das Herz zog
sich auf Reize nur schwach zusammen.1)
Weit entschiedener hat sich die giftige Wirkung der Osmiumsäure heraus-
gestellt.
Eulenberg, Gewerbe-Hygiene. 00
786 Molybdän.
Osmiumsänre H20s04 ist in freiem Zustande nicht bekannt; von den Salzen
kommt das osminmsanre Kalinill K20s04-f- 2H20 am häufigsten vor und kann wie die
Osmiumoxydlösung in der Mikroskopie zur Schwärzung der anatomischen Präparate
benutzt werden.
Die Osmiumsäure besitzt giftige Eigenschaften; schon Vauquelin, Ber-
zelins und Wähler heben ihre irritirende Wirkung auf die Respirationsorgane, Augen
und die Haut hervor, womit alle Chemiker übereinstimmen, die sich mit ihrer Dar-
stellung beschäftigten. Auch Fremy, der Entdecker der Osmiumsäure, spricht von ihren
giftigen Eigenschaften. Sie hat einen unangenehmen, an Chlor und Jod erinnernden
Geruch, einen stechenden Geschmack und ist namentlich sehr flüchtig: wegen letzterer
Eigenschaft erfordert sie die grösstc Vorsicht bei den Manipulationen mit derselben.
Ein von Raymond2) mitgetheilter Unglücksfall, der sich im Laboratorium von DevUle
ereignet hat, wird als Beweis hierfür angeführt; dabei kam während der chemischen
Operationen Schwefelammonium als Gegenmittel zur Anwendung. Bei dem bis dahin
gesund gewesenen 30jährigen Manne konnte eine schleichende Pneumonie mit Tendenz
zu Gangrän nachgewiesen werden: die ganze linke Lunge war in eine verdichtete
Masse verwandelt, die an einzelnen Stellen zur Cavernenbüdung neigte. Die Nieren
befanden sich im zweiten Stadium der Bright'schen Krankheit, während sich an der
grossen Magencurvatur Blut-Austretungen von Handgrösse zeigten. Personne vermochte
aber die Osmiumsäure nirgends mehr chemisch nachzuweisen.
Der Verstorbene hatte sich bei der Darstellung des Normalmetermasses seit dem
December 1873 viel mit Osmium beschäftigt, welches er mit salpetersaurem Barium in
osmiumsaures Barium überführte, während letzteres mit Salpetersäure behandelt wurde.
Zuerst zeigten sich Augenschmerzen ohne Störung der Sehkraft, unruhiger, ängst-
licher Schlaf und im Februar 1874 ein röthlicher Hautausschlag an den Händen und
im Gesicht; hierauf folgten heftige Kopfschmerzen, Verdauungsbeschwerden, Koliken,
Diarrhoe mit blutigen Entleerungen. Vor seinem Eintritt in das Hospital, am 15. April 1874,
traten Brechneigung ohne Erbrechen und Husten ein, zu dem sich Schüttelfrost und
Atembeschwerden gesellten. Bei seiner Aufnahme hatte er eine Temperatur von 40,6°
und bot die Erscheinungen einer Bronchitis und linksseitigen Pneumonie dar, welches
durch die Section bestätigt wurde. Die Hände und der Vorderarm bedeckten sich mit
einem papulösen Exanthem, die Papeln erschienen von verschiedener Grösse, von röth-
lich-brauner Farbe und hatten eine Abschuppung der Epidermis zur Folge. Die
Temperatur blieb auf 40° und im Urin liess sich deutlich Eiweissgehalt nachweisen;
20 Tage nach der Aufnahme in's Hospital trat der Tod ein.
Inwieweit in diesem Falle das Antidot und vielleicht die Dämpfe der Sal-
petersäure oder auch die K rankheit s- Anlage mit eingewirkt haben, lässt sich
natürlich nicht mehr ermessen.
Ueberosmiumsäureanhyurid Os04 entsteht beim Erhitzen von Osmium im Sauer-
stoffstrom und krystallisirt in langen farblosen Prismen. Diese Säure hat ebenfalls einen
stechenden und durchdringenden Geruch, der an Chlor Schwefel erinnert; ihre
Dämpfe reizen ebenfalls im höchsten Grade.
Molybdän, Mo.
Molybdän kommt in der Natur als Molybdänglanz (MoS2) und Gelbbleierz
(Bleimolybdat PbMo04) vor.
Molybdänwassei'Stoff Mo IL entsteht durch Einwirkung von verdünnter Salzsäure
auf Molybdänkalium und ist ein farbloses, geruch- und geschmackloses Gas; es übt
keine giftige Wirkung auf den Thier-Organismus aus.1)
Molybdänsälire H2Mo04 wurde einer Taube in einer Menge von 1 Grm. ein-
geflösst, ohne dass auffällige Erscheinungen eintraten.
Gmelin fand, dass 30 Gran molybdänsaures Ammonium bei einem starken
Kaninchen erst am :;. Tage Convulsionen erzengten, auf die '4 Stunde hernach der Tod
eintrat. Es ist fraglich, ob das Präparat auch ganz rein war.-)
In der Industrie, namentlich beim Seiden- und Baumwoll-Zeugdruck, finden die
Molybdänvei bindungen nur eine beschränkte Anwendung.
Das Molybdänblan besteht aus molybdänsaurem Molybdänoxyd; mit Pikrinsäure
kann es zum Grün färben benutzt werden.
Wolfram. 737
Wolfram, W.
Wolfram findet sich in der Natur als Wolfram (wolframsaures Eisen), als
Scheelit (wolfram saures Calcium) und Scheelbleierz (wolframsaures Blei). Wolfram-
erze finden sich in Sachsen, Böhmen, im Harz, in England, Frankreich und Schweden.
Das Metall geht mit Eisen eine harte Legirung ein; der Wolframstahl enthält
2 % Wolfram und besitzt einen grossen Vorzug vor dem gewöhnlichen Stahl.1)
Wolframsänre H,W04 stellt ein gelbes Pulver dar, welches durch Zusatz von Sal-
petersäure zur heissen Lösung eines wolframsauren Salzes erhalten wird.
Einwirkung der Wolframsäure auf den tliicrischen Organismus. Nach der In-
gestion von 0,9 Grm. Wolframsäure bemerkte man bei einer kräftigen Taube am 2. Tage
einen Zustand von Betäubung, der sich durch schläfriges Wesen und Schwanken kund
gab. Dabei zeigten sich Ausfluss einer trüben Flüssigkeit aus dem Schnabel, wässrige
Kothentleerung und unregelmässiger, zeitweilig vermehrter Herzschlag. Während sich
die Respiration verlangsamt, sinkt die Körperwärme um 1 Grad; das Thier vermag sich
nicht mehr auf den Beinen zu halten. Am 3. Tage zittert der ganze Körper unter
schwachen Zuckungen, die Pupille erweitert sich und reagirt schwach-; die Taube
bleibt dann in der Seitenlage und wird am Morgen des 4. Tages in der Leichenstarre
gefunden.
Sectio n. Das Gehirn und seine Häute sind nicht blutreich, ebenso wenig die
Plex. venös, spinal.; der Kropf enthält nur ein paar Wicken. Die Lungen sind blass
und nicht blutreich, dagegen strotzt das ganze Herz von flüssigem, kirsch-
rothem Blute. Die Schleimhaut des Magens ist dunkelgrün, die des Duodenums und
Leerdarms mit dunkelblauem Schleim bedeckt.
Beim Sectionsbefunde fiel am meisten das von Blut strotzende Herz auf, während
unter den Krankheitserscheinungen die verminderte Fresslust, die Verlangsamung der
Respiration und die herabgesetzte Körperwärme hervorzuheben sind.
v. Hasselt und Gmelln beobachteten bei Hunden nach der Ingestion von 1 Dr.
wolframsaurem Ammonium keine Wirkung. Bei einem Hunde mittler Grösse
bewirkte nach Gmelin eine Gabe von 40 Gran wolframsaurem Natrium nur ein
einmaliges Erbrechen; ein Kaninchen starb bei 40 Gran desselben Präparats nach
3 Stunden unter Convulsionen. TJebrigens konnten Hunden selbst Gaben von 10 Gran
ohne Nachtheil in das Gefässsystem eingespritzt werden, so dass man berechtigt ist,
Wolfram nicht zu den sehr giftigen Metallen zu rechnen.2)
In der Technik gebraucht man die Wolframbronze (wolframsaures Natrium
mit wolframsaurem Wolframoxyd) beim Tapetendruck, zum Anstreichen der Metalle, zur
Darstellung des Glanzpapiers ; das Salz hat aber nicht denselben Werth wie die Metall-
bronze-Farben. Ausserdem gibt es ein neues Mineralgelb (Wolframsäure), ein
braunes Wolf ramoxyd (W 02), ein neues Mineralblau (wolframsaures Wolfram-
oxyd W205). Wolframsaures Chrom und wolframsaures Kupfer kommen bei
der Fabrication von Anilinschwarz zur Verwendung; ausserdem liefert die Wolfram-
säure mit Nickel und Chrom eine grüne, mit Kobalt eine violette, mit Zinn
eine indigblaue Farbe.
Unter den Salzen ist das wolframsänre Ammonium das wichtigste; man stellt
es dar, indem man Wolframsäure in Aetzammoniak löst und abdampft, wobei das Salz
in weissen, glänzenden Nadeln anschiesst. Man wendet die Losung dieses Salzes zum
Durchtränken von weiblichen Kleidungsstücken an, um dieselben schwer entzündlich zu
machen; übrigens kann man dieses Salz vortheilhaft durch Ammoniumsulfat und Am-
moniumphosphat ersetzen.
Nach Sacc benutzt man das wolframsaure Barium bei Aquarell- und Oel-
malerei sowie bei der Chromolithographie anstatt des Bleiweisses als weisse Deckfarbe
mit gutem Erfolge.
Wolframsaures Natrium, das erste Product bei der Verarbeitung der Wolf ramerze,
dient in der Färberei statt der Zinnsalze und zur Fabrication von Dinte. Wolfram-
säure verbindet sich mit allen Prote'inkörpern zu unlöslichen Verbindungen, die sich in
alkalisch reagirenden Flüssigkeiten lösen; diese Eigenschaft ist in der Technik zur Dar-
stellung eines künstlichen Albumins benutzt worden. Frisch gefälltes Wolframsäure-
hydrat besitzt eine stark entfärbende Kraft.
Setzt man nach Sonnensckem zu Leim Wolframsäure oder wolframsaures Natrium
und dann Salzsäure hinzu, so bildet sich bei 30— 40° eine so elastische Verbindung von
50*
788 UraD-
Wolframsäure und Leim, dass sie sich zu dünnen Platten ausziehen lässt. Das Gerben
mit Natriumwolfrainiat hat sich nicht bewährt, weil das Leder zu hart wird.
Durch Behandlung von Natriumwolframiat mit Phosphorsäure erhält man nach
Scheibler die Natriumsalze von zwei Pbosphorwolfranisänren: die Säuren selbst haben
sich als ausgezeichnete Reagentien auf orgauische Basen bewährt.3)
Uran, U.
Uran findet sich in der Natur hauptsächlich als Uranpecherz (Uranoxydoxydul
U308=2U03 + UO,).1)
In Betreff der Einwirkung der Uranverbindungen auf den thierisehen Orga-
nismus ergab sich, dass eine Taube nach der Ingestion von 0,9 Grm. UranoxydU203
gar kein Unwohlsein verrieth.
Gmelin hat nach 15 Gran salpetersaurem Uran *) bei einem Hunde gar keine
Störung im Befinden desselben beobachtet. Nach der Ingestion von 24 Gran Uran-
chlorid starb ein Kaninchen 52 Stunden hernach und fanden sich im Magen Erschei-
nungen einer heftigen Entzündung.2) Leconte will die Ausbildung der letztern bei kleinern
Thieren und selbst bei grössern Hunden nach Gaben von 0,5—1 Grm. beobachtet haben.
Wenn aber eine Taube, die bekanntlich zu den empfindlichsten Thieren gehört, nach
unsern Beobachtungen selbst bei 0,9 Grm. ganz gesund blieb, so dürfte bei den hiermit
nicht im Einklänge stehenden Versuchen die Reinheit der Präparate zu bezweifeln sein.
Bei der hüttenmännischen Gewinnung der Uranverbindungen aus dem Uran-
pecherz treten viele schädliche Gase und Dämpfe auf, namentlich wenn das Erz in
Reverberir- oder gewöhnlichen Calciniröfen geröstet wird. Ausser Wasser und
empvreumatischen Stoffen entweichen arsenige, schweflige Säure, Quecksilber-,
Blei- und Antimonoxyddämpfe neben geringen Mengen von Zink-, Blei- und
Thalliumdämpfen: es" sind daher Condensation svorrichtungen hierbei erfor-
derlich. Nach dem Rösten folgen das Pochen und die Behandlung mit Königswasser,
wobei viel Chlor und Untersalpetersäure entweichen. Zu Joachimsthal in
Böhmen glüht man die Erze nach dem Rösten mit Soda und Salpeter und laugt sie
mit heissem Wasser und Schwefelsäure aus.
Durch Uebersättigung mit Soda stellt man die U ranoxyd-Natronlö sung dar
und erhält durch deren Behandlung mit Kalium-, Natrium- und Ammoniumhydrat
gelbe Fällungen, welche im Handel nach den verschiedenen Nüancirungen verschiedene
Namen bekommen. Zu Joachimsthal beschäftigt man sich vorzugsweise mit der Dar-
stellung folgender Präparate:
Urailgelb (Kaliumuranat K2U207 -f- 3H20) erhält man, wenn die mit Kalium-
carbonat bereitete Uranlösung mit Kaliumhydrat gefällt wird.
Urangelb, licht- und orangefarbig, wird aus der Sodalösung mit Schwefel-
säure resp. Natriumhydrat gefällt: glüht man den Niederschlag, so erhält man die
hochorangefarbige Nüancirung.
Uranoxvdhydrat (Uranoxyd-Ammoniak) wird erhalten, wenn man die Uransalz-
lösung mit Salmiak oder Ammoniumsolfat kocht.3
Uranoxydul ÜOa stellt man durch Glühen des Hydrats bei Luftabschluss dar.
Verwendung finden die Uranpräparate in der Glasfabrication zum Färben des
Glases, in der Porcellanmalerei und Photographie.
*) Nach der modernen Chemie entsteht durch Auflösen von Uranoxyd in Salpeter-
säure salpeter sau res Uranyl U02(N03)2 -+- 6H20.
ScMussbetrachtung. 789
Schlussbetrachtung.
Nachdem die mannigfachen Vorgänge in der Industrie, welche die Gesund-
heit der Arbeiter zu schädigen vermögen, im Specielien dargelegt worden sind,
bleibt noch übrig, einige allgemeine, das Wohl der Arbeiter betreffende Gesichts-
puncte zu beleuchten. Es gehören hierher: die innere Einrichtung der
Fabriken, die Arbeitsdauer, die Unterrichts- udfi Bildungsmittel, die
Wohnungs-Verhältnisse und die Anstalten zur Fürsorge für erkrankte
Arbeiter.
Die innere Einrichtung der Fabriken. Wenn der Grundsatz: Sorge für eine
reine Luft, an der Spitze aller sanitären Bestrebungen steht, so muss auch die
innere Einrichtung der Fabriken zur Verwirklichung desselben beitragen. Das
Besondere der Einrichtung hängt natürlich von der Art der Fabrication ab, eine
allgemeine Berücksichtigung kann aber die Sorge für Licht und Luft finden.
Es müssen daher bei allen nach der Gewerbe- Ordnung vom 21. Juli 1869 con-
cessionspflichtigen Anstalten die Grösse des Grundstücks, die Entfernung desselben
vom benachbarten Grundstücke, die Lage, Bauart und Ausdehnung der Betriebs-
stätte stets mit Rücksicht auf die genannten Erfordernisse geprüft werden. Der
Umfang der Arbeitsräume muss der Anzahl der Arbeiter entsprechen, das
Tageslicht ist durch Herstellung grosser Fenster zugänglich zu machen und
die Erneuerung der Luft durch eine hinreichende Grösse, Anzahl und zweck-
mässige Lage der Fenster so viel als möglich zu begünstigen. Die Höhe der
Arbeitsräume hängt von der Art der Beschäftigung ab; eine Höhe von 3,5 Meter
ist aber als das Minimum zu betrachten, welches durchschnittlich unter allen Um-
ständen zu verlangen ist. Spinnereien, Färbereien, Beuch- und Wasch-
anstalten u. s. w. verlangen aber schon wegen der erhöhten Temperatur, die
dort vorherrschend ist, viel höhere Räume; sie müssen um so höher sein, je
grösser der Betrieb und je umfänglicher die Aufstellung der Maschinen ist. Bei
allem Maschinenbetrieb ist so viel Raum zu erfordern, dass die gefährlicheren
Maschinenteile hinreichend mit Schutzvorrichtungen versehen werden können
und die Bewegung der Arbeiter frei und ungehindert bleibt. Eine offene Dach-
first ist für viele Arbeiten sehr zweckmässig und um so mehr zu empfehlen, je
mehr sich Dampf oder Staub in den Betriebsstätten entwickelt. Der Dachfirst ist
dann mit der hinreichenden Anzahl von Luken zu versehen, um die Wirkung
derselben nach der Richtung der Winde beliebig reguliren zu können.
790 Schlussbetrachtimg.
Die Ventilations-Einrichtungeu sollten weit mehr als bisher in Gebrauch
gezogen und bei allen Arbeiten mit starker Staubbildung polizeilich vorgeschrieben*
werden. In den meisten Fabriken liefert die vorhandene Dampfmaschine den
hierzu erforderlichen Motor; man gehe nur einen Schritt weiter und bringe mit
dem Motor den für die Verhältnisse geeigneten Ventilator in Verbindung, um
viele Leiden zu verhüten und die Arbeitskräfte zu erhalten. Wegen der hohen
Wichtigkeit dieses Gegenstandes werden wir auf denselben noch einmal zurück-
kommen und die vielfachen Mittel und Wege zur Erreichung des anzustrebenden
Zieles berühren.
Staub, differente Gase und Dämpfe bleiben die grüssten Feinde der
menschlichen Gesundheit, wo sie auch auftreten mögen. "Wenn in Krankenhäusern
eine unreine Luft das Blut der Pfleglinge zu alteriren im Stande ist, so muss
solches natürlich auch in Betriebsstätten in ähnlicher Weise stattfinden, wenn eine
mannigfach verunreinigte Luft beständig auf die Arbeiter einwirkt. Ein bestimmtes
Luftquantum aber für jeden Arbeiter pro Stunde festzusetzen, unterliegt in der
Praxis vielen Schwierigkeiten, obgleich man vom theoretischen Standpuncte aus
in gewöhnlichen Fabriken eine ventilatorische Zufuhr von 60 Kubikmeter Luft und
in solchen mit schädlichen Dämpfen u. s. w. eine Menge von 100 Kubikmeter pro
Kopf und Stunde für nothwendig erklärt hat. Die Lufterneuerung muss jedenfalls
um so ergiebiger sein, je mehr die Fabrication mit Staub, schädlichen Gasen und
Dämpfen verbunden und je grösser die Anzahl der Arbeiter ist, die in einem
bestimmten Räume thätig ist. Unter gewöhnlichen Verhältnissen kann man
übrigens die Regel aufstellen, für jeden Arbeiter wenigstens einen Luftcubus von
15 — 20 Kubikmeter festzusetzen, um hiernach im hygienischen Interesse der Zahl
der Arbeiter entsprechend den Umfang der Arbeitsräume zu bemessen (s. S. 550).
Die Lufterneuerung muss mit der Sorge für allgemeine Reinlichkeit
Hand in Hand gehen und in der ganzen Einrichtung der Fabrik eine Unter-
stützung finden. Die Wände der Räume müssen deshalb, wenn es die Fabrication
gestattet, mit Mörtel verputzt und mit einem Kalkanstrich versehen werden;
letzterer ist wenigstens einmal jährlich zu erneuern. Der Fussboden ist, wo
es thunlich erscheint, aus Fliesen, Klinkern oder guten Ziegelsteinen u. s. w. her-
zustellen, um das Scheuern, Aufwischen u. s. w. desselben zu erleichtern und die
Ansammlung des Staubes zu verhüten. Er muss cementirt oder mit Steinplatten
belegt werden, wenn dem Eindringen schädlicher Flüssigkeiten u. s. w. vorgebeugt
werden soll; es darf daher auch nicht au wasserdichten Rinnen oder Rohrleitungen
fehlen; sogen. Schlinggruben sind um so weniger zulässig, wenn es sich um
differente Abfallwässer handelt; Flüssigkeiten, die aufzuspeichern oder mit Prä-
cipitations- resp. Desinfectionsmitteln zu behandeln sind, dürfen nur in cementirte,
isolirt gelegene und gehörig bedeckte Absatzgruben abgelassen werden.
Die Treppen der Fabrik sind in einem Treppenhause anzubringen und
aus Stein, Cement u. s. w. zu construiren. um die Reinlichkeit besser handhaben
zu können. Corridore wird man schon des Raumersparnisses wegen vermeiden.
Besondere Räume für die verschiedenen Mahlzeiten und den Wechsel der
Kleidung sind um so unerlässlicher, je gefährlicher die Stoffe sind, mit denen der
Arbeiter sich beschäftigen muss. Badeeinrichtungen müssen zum Inventar
einer jeden grössern Fabrik gehören.
Die Arbeiter in grossen Etablissements sind in sanitärer Beziehung immerhin
in einer bessern Lage als die im Kleingewerbe, da sich dieses noch viel zu
Arbeitsdauer. 791
sehr der Controle entzieht und in keinem Lande die Gesetzgebung hinreichende
Anhaltspuncte liefert, um hier den sanitären Nachtheilen entschieden entgegen
zu treten.
Die Arheitsdauer. Grade bei den vielseitigen Verhandlungen über die Arbeit s-
dauer hat man stets mehr die Grossindustrie als das Kleingewerbe berücksich-
tigen können, weil nur erstere eine ausreichende Beaufsichtigung ermöglicht.
England ist namentlich oft das Land gewesen, in welchem die Interessen der
Arbeitgeber mit denen der Arbeiter in Confüct geriethen und erst lange Kämpfe
mit der Selbstsucht der Humanität den Sieg verschafften. Mag auch dort
noch mancher Schaden fortwuchern und das Gesetz häufig illusorisch machen*),
immerhin hat England den Anstoss zu Reformbewegungen auf dem Gebiete der
öffentlichen Gesundheitspflege gegeben. Kaum ist das Gesetz vom 10. August 1872
(35 u. 36. Vict. 8. 79) erlassen worden, nach welchem der Inspector sowohl über
jeden schädlichen und gesundheitswidrigen Gewerbe- und Fabriksbetrieb innerhalb
seines Districtes als auch über alle Contraventionen gegen die bezüglichen Ver-
ordnungen Bericht zu erstatten hat, als schon neue Verhandlungen das Gesetz
vom Jahre 1874 (37 u. 38. Vict. Cap. 44) geschaffen haben, welches mit dem
1. Januar 1876 in Wirksamkeit getreten ist. Auf Grund dieses Gesetzes sind die
frühern Bestimmungen theilweise ergänzt, theilweise geregelt worden und beziehen
sich fast ausschliesslich auf die vom Gesetze geschützten Personen, somit 1) auf
Kinder, d.h. Unerwachsene unter 14 Jahren, 2) auf junge Leute, d.h. Un-
erwachsene von 14 Jahren bis unter 18 Jahren und 3) auf Frauen von 18 Jahren
und darüber. Diese Bestimmungen lauten folgendermassen:
Niemand unter 18 Jahren darf in einer Fabrik beschäftigt werden, ehe sein
Name in ein öffentliches Register eingetragen ist. Jede Person unter 18 Jahren muss
ein ärztliches Attest über das Alter beibringen; die betreffenden Aerzte sind von dem
Inspector zu ernennen. Ein ärztliches Attest, dem er hinsichtlich der Angabe des
Alters keinen Glauben schenkt, kann er für ungültig erklären. Kein Kind unter
10 Jahren darf in einer Fabrik beschäftigt werden.
Die Tageszeit für die Beschäftigung der Kinder, Unerwachsenen und Frauen sollen
die Stunden zwischen 6 Uhr Morgens und 6 Uhr Abends oder zwischen 7 Uhr Morgens
und 7 Uhr Abends sein. In beiden Fällen dürfen sie nicht länger als 4% Stunden hinter-
einander ohne Unterbrechung von einer halben Stunde für eine Mahlzeit beschäftigt
■werden; an jedem Tage sollen 2 Stunden für alle Mahlzeiten zusammen gewährt werden
und zwar mindestens 1 Stunde vor 3 Uhr Nachmittags; die eigentliche Arbeits-
dauer ist somit auf 10 Stunden für die geschützten Personen festgesetzt. Ein
Kind, -welches des Vormittags in Schichtarbeit beschäftigt gewesen ist, darf Nach-
mittags nach 1 Uhr nicht mehr arbeiten; geschieht die Schichtarbeit an abwechseln-
den Tagen, so darf ein Kind gleich Unerwachsenen und Frauen beschäftigt werden,
aber niemals an zwei aufeinanderfolgenden Tagen. An Samstagen dürfen überhaupt
Kinder, Un erwachsene und Frauen nicht später als bis Nachmittags 2 Uhr beschäftigt
werden.
Die Frist für die Beschäftigung der geschützten Personen darf nur nach
schriftlicher Meldung beim Inspector geändert werden. Keine derselben darf während
der für die Mahlzeiten gelassenen Frist in irgend einem Räume der Fabrik beschäftigt
werden oder sich nur aufhalten, widrigenfalls sie als ungesetzlich beschäftigt an-
gesehen wird.
Am Eingange einer jeden Fabrik muss folgende Bekanntmachung ange-
schlagen werden: 1) Name und Adresse des Inspectors und des Subinspectors,
2) Name und Adresse des Arztes, welcher die Zeugnisse für die Fabrik ausstellt,
*) In dem halben Jahre vou Ende October bis Ende April 1875 wurden 1003 Fälle
von Verletzung der Fabrik- und Werkstättengesetze durch die Iospectoren verfolgt. An
Strafen sind insgesammt 658 Pfd. Sterl. bezahlt worden. Die meisten Straffälle bezogen
sich auf Kinder ohne Schulatteste und Beschäftigung der Kinder und Frauen bei
Nachtarbeit.
792 Schlussbetrachtung.
3) Bezeichnung derjenigen Uhr, nach welcher die Arbeitsstunden in der Fabrik regulirt
werden: diese Uhr muss eine öffentliche und vom Inspector gebilligte sein. 4) An-
gabe der Stunden, während deren Kinder, Unerwachsene und Frauen in der Fabrik
beschäftigt werden; 5) die Tageszeiten und Fristen für die Mahlzeiten, 6) die Art der
Beschäftigung von Kindern, ob schichtweise je am Morgen und am Nachmittage oder
an abwechselnden Tagen.
Im Wesentlichen stimmen somit die aufgestellten Grundsätze mit den bereits
S. 25 u. s. w. erörterten Bestimmungen überein. l)
Unterrichts- und BildnngsniitteL Die neuern englischen Bestimmungen haben
auch den Schulbesuch für die Fabrikkinder geregelt; die Eltern sind jetzt verpflichtet,
jedes Kind unter 14 Jahren, welches in einer Fabrik beschäftigt ist, zum Schulbesuche
anzuhalten, wofern nicht ein Kind von mindestens 13 Jahren von einer dazu ermächtigten
Person ein Zcugniss beibringt, dass es die vorschriftsmässigen Kenntnisse im Lesen,
Schreiben und Rechnen besitzt. Bei Tagesschichtarbeiten müssen die Kinder an jedem
Tage, wo sie nicht arbeiten, 5 Stunden die Schule besuchen (Samstag ausgenommen).
Der Besitzer einer Fabrik muss dem Inspector auf Verlangen ein Zeugniss über den
Schulbesuch der verflossenen Woche vorzeigen. Für den Schulunterricht, welchen der
Besitzer bezahlt, darf nur der zwölfte Theil des Lohnes abgezogen werden.2)
Ueber die grosse Bedeutung des Schulbesuchs und dessen nachhaltigen Ein-
fluss auf die ganze Gesittung der Arbeiter können nur übereinstimmende Urtheile
laut werden. Auch in England ist dies stets anerkannt worden, aber es hat
dort eines langen Kampfes mit alten Vorurtheilen bedurft, ehe man den Schul-
zwang siegreich durchgeführt hat. Auch jetzt noch müssen die englischen Fabrik -
inspectoren die Erfahrung machen, dass manche Eltern ihre Kinder nur als Mittel
zum Erwerbe betrachten und den Schulunterricht zu umgehen suchen. Ueberall
gibt sich die Wahrnehmung kund, dass Arbeiter, die Schulkenntnisse zeigen,
fleissiger, sittsamer und ordnungsliebender sind, auch sich bereitwilliger den be-
stehenden, ihr leibliches Wohl befördernden Anordnungen fügen, während sich
Gleichgültigkeit oder Widerstreben gegen die Vorschriften der Fabrikordnung am
häufigsten mit Rohheit uud Unwissenheit paaren. Mit guten Schulkennt-
nissen vereinigt sich viel häufiger ein Sinn für das Schöne, für Naturgenuss,
Gesang, Musik und bessere Gesellschaft; es befestigt sich die sittliche und religiöse
Grundlage, welche den Charakter veredelt und auch das selbstständige Denken
fördert. Verständiges Nachdenken wird den Arbeiter am sichersten leiteu und
ihn überzeugen, dass er stets die gesundheitlichen Gefahren seines Standes zu
beachten hat. Nicht um ein Anhäufen von Kenntnissen handelt es sich beim
Arbeiter, sondern nur um eine in der Volksschule erworbene Grundlage der
Geistesentwicklung, auf welcher er seine weitere geistige und sittliche Ausbildung
zu fördern vermag. Volksbibliotheken und Arbeiterbildungsvereine sind
daher wichtige Hebel zur Hebung des Arbeiterstaudes und die geeigneten Mittel,
um die Kluft zwischen Fabricanten und Arbeitern zu überbrücken. In solcher
Weise hat die „Ligne de l'enseignement de France" ihre Thätigkeit begonnen,
indem ältere Bürger als Lehrer der Jüngern auftreten und öffentliche Vorlesungen,
Lehrcurse, Abendgesellschaften u. s.w. die wohlthätigsten Anregungsmittel liefern.
Wohnungen der Fabrikarbeiter. Die grossen, dichtbevölkerten Städte sind
es besonders, welche den Arbeitern den Besitz einer gesunden Wohnung immer
mehr erschweren, da die hohen Miethpreise sie nöthigen, sich auf den kleinsten
Raum zu beschränken; von einer Trennung der Wohn- und Schlafräume ist selten
die Rede; schlechte Wohnungen bilden daher auch am häufigsten Krankheitsherde
und wirken dann um so verderblicher ein, je mehr schlechte Ernährung und
Pflege des Körpers hinzutreten; epidemische Krankheiten finden erfahrungsgemäss
den günstigsten Boden beim Zusammenwirken solcher Verhältnisse.
Arbeiterwohnungen. 793
In schlechten "Wohnungen geht auch häufig der Sinn für Sittlichkeit zu
Grunde, denn wo die verschiedensten Altersclassen zusammengedrängt sind, ver-
liert sich das Schamgefühl, es entstehen Sittenlosigkeit und Verwahrlosung.
Will man die Gesittung eines Volkes heben, so muss man auch die
Verbesserung seines leibli eben Wohles zu fördern suchen.
Die Wohnungsfrage hat somit eine grosse Bedeutung und übt einen wich-
tigen Einfluss auf das körperliche und geistige Wohl der Menschen aus. Den
ersten Anstoss zu Reformbewegungen auf diesem Gebiete hat ebenfalls England
gegeben, nachdem durch die Verherungen, welche die Cholera unter der ärmeren
Bevölkerung angerichtet hatte, die grössten Uebelstände und eine gänzliche Ver-
nachlässigung der öffentlichen Gesundheitspflege aufgedeckt wurden.
Auch in Deutschland und andern Ländern mussten erst allgemeine Noth-
stände die Wichtigkeit sanitätspolizeilicher Ueberwachung der Wohnungsverhält-
nisse der armem Bevölkerung vor Augen führen.
Prinz Albert, der verstorbene Gemahl der Königin Victoria, hat ein Musterhaus
auf eigene Kosten erbauen lassen, um ein practisches Beispiel zu liefern, -wie solche
Häuser gebaut werden sollten.3) Wir wollen hierbei von den einzelnen Einrichtungen,
welche durch die klimatischen Verhältnisse, Sitten und Gebräuche geboten werden,
absehen und nur den wichtigsten Umstand erwähnen, dass alle überirdischen Theile des
Gebäudes aus Hohlziegeln angefertigt sind: hierbei ist darauf Rücksicht genommen
worden, dass sich in den Umfassungsmauern regelmässige, vertieale Canäle bilden.
Man erspart dadurch im Winter Brennmaterial und gewinnt im Sommer kühle Räume.
Bringt man an diesen Canälen an geeigneten Stellen Oeffnungen an, so erzielt man
eine Ventilation, welche auch jede Feuchtigkeit aus den Mauern in Folge der raschen
Verdunstung verdrängt und auf diese Weise das Gebäude vollkommen trocken erhält.
Statt der Balkenlage sind Gewölbe angebracht, welche nach dem System der Topf-
gewölbe ebenfalls aus Hohlziegeln bestehen. Hierdurch wird bei "Feuersgefahr den
Bewohnern eine grössere Sicherheit geboten: auch werden die einzelnen Familien vor
dem Geräusch der nächsten Nachbarschaft, Kindergeschrei u. s. w. geschützt.
Diese ganze Bauart schliesst so viele ausserordentliche Vortheile in sich, dass sie
auch für Casernen, Schulen und kleinere Hospitäler zu empfehlen ist.
Das Cottage-System, nach welchem jedes Wohnhaus nur zweistöckig und rechts
und links von einer Gartenanlage umgeben ist, liefert das Hauptmittel, um der natürlichen
Ventilation einen ausreichenden Spielraum zu gewähren. In den industriereichen Gegen-
den von Westphalen und Oberschlesien hat dieses System nach dem Muster von England
schon viel Verbreitung gefunden.*)
In den Vereinigten Staaten ist man mit manchen hygienischen Einrichtungen schneller
vorgegangen als in Europa: man sorgt dort nicht bloss für Wohnhäuser, sondern auch
für Pensionen, Bibliotheken u. s. w. Die Pacific Mills, ein sehr bedeutendes Etablissement
in Lawrence (Massachusetts), halten z. B. viele Wohnhäuser, welche den Arbeitern für
einen massigen Preis verpachtet werden. Baut sich ein Arbeiter selbst ein Haus, so
erhält er von den Banken gegen Hypothek die halbe Bausumme geliehen. Für Unver-
heiratete ist durch Logirhä us er gesorgt, von denen die einen für männliche, andere
für weibliche Arbeiter bestimmt sind; ein grosser Speisesaal und ein Versammlungs-
local gewähren ausserhalb der Arbeit einen angenehmen Aufenthalt, während grossartige
Bibliotheken für geistige Nahrung sorgen.
Ländliche Arbeiterwohnungen leiden wenigstens in Deutschland noch
an grossen Mängeln; kalte, nasse, tiefer als die Strasse gelegene Wohn- und
Schlafstuben, kleine Fenster, schlechte Feuerung und jeder Mangel au Ventilation
vereinigen sich hier, um den vielgepriesenen Landaufenthalt nur in seinen sanitären
Xachtheilen kennen zu lernen. In Preussen hat sich zwar die öffentliche Fürsorge
auch auf die ländlichen Arbeiterwohnungen erstreckte) Gleichgültigkeit, Fest-
halten am Bestehenden und Beschränktheit erschweren aber die Fortschritte in
dieser Richtung ungemein. Auch hier sollte jede Familie streng geschieden
von der andern sein, besondere Wohn- und Wirthschaftsräume besitzen. Die
Einzelwohnung schliesst überall die grössten Vortheile in sieb, wie die
794 Schlussbetrachtung.
ursprüngliche altgernianische Einrichtung war, aber die zunehmende Verteuerung
des Bodens und die Vermehrung der Bevölkerung hat dieses System immer mehr
iu den Hintergrund gedrängt.
Der Billigkeit wegen sind bisher stets mehrere Familien Bewohner eines Hauses;
freilich kann man auch hierbei durch zweckmässige Anordnung den Wohnräumen
grosse Vorl heile verschaffen; um die Reinlichkeit beobachten zu können, inuss jede
Wohnung einen doppelten Ausgang haben ; der Fronteingang führt vom Flur grade in
die Küche, welche mit dem Hofe zu verbinden ist; Wohnstube und Kammer liegen
seitlich vom Flur. Auf diese Weise können 4 Familien in einem Hause untergebracht
werden; da es aber eine geringe Tiefe hat, so lässt es sich im Winter schwieriger heizen;
Hohlwände würden diesen Nachtheil beseitigen.
Mustergiltig sind in dieser Beziehung die in England angelegten Arbeiter- Colonien
der bemittelten Gutsherren (Gentlemen farmers), wo durchschnittlich 2 Familien in einem
zweistöckigen Hause wohnen.
Die Fürsorge für erkrankte Arbeiter. Ausser einer sachgemässen ärzt-
lichen Behandlung, die hierbei stets in den Vordergrund zu stellen isi, kommt
die nicht minder wichtige Frage über die Anlage der Krankenanstalten
zur Sprache. Die Lage, der Boden und die Construction der Kranken-
anstalten sind namentlich in Betreff der Beschaffung zuträglicher Luft
so wichtig, dass sie einer eingehenden Erörterung bedürfen. Uebrigens kommen
die hier massgebenden Gesichtspuncte auch für die Reinerhaltung der Luft in den
Werkstätten zur vollen Geltung, da sich die bezüglichen hygienischen Ziele
unter den verschiedensten Verhältnissen begegnen.
Zunächst soll selbstverständlich auch ein Arbeiter-Krankenhaus nie in
einem Complex von Häusern oder zwischen und in engen Strassen liegen; eine
erhöhte Lage ist bezüglich der Anlage der Abzugscauäle vonVortheil; bei der Wahl der
Himmelsrichtung zieht man im Allgemeinen die nach Süd-Osten vor. Der Boden
darf nicht feucht und muss frei von hohem Grundwasser oder putriden Zersetzungs-
stoffen sein; ein felsiger Untergrund oder ein Lager von Sand und Kies mit einer
Unterlage von Mergel ist sehr geeignet. Bei der Wahl des Baumaterials sehe
man vorzugsweise auf die Durchlässigkeit desselben, um der Diffusion der Gase
kein Hinderniss entgegen zu setzen ; gebrannte Ziegeln und Saudsteine sind wegen
ihrer Porosität am gebräuchlichsten.
In Betreff des Grundrisses ist gegenwärtig von dem einfach- oder
mehrfach gekuppelten Viereck sowie von der Hufeisenform keine Rede
mehr. Ein einziger Tract, welcher nach allen Richtungen frei steht, ist für
kleinere Kraukenhäuser am zweckmässigsten.G)
Beim ursprünglichen Pavillon- oder Blocksystem wird eine Anzahl
kleinerer Gebäude mit einander verbunden und der ganze Complex in einzelne
Flügel (Pavillons) aufgelöst, welche, iu Radien, Parallelen oder Linien gruppirt,
durch Höfe getrennt und nur durch einen ebenerdigen Corridor verbunden sind.
Dieses System ist in seiner jetzigen Vervollkommnung das herrschende geworden,
indem jeder Pavillon für sich ein getrenntes kleines Krankenhaus darstellt und
die Zwischenräume zwischen den einzelneu Pavillons hinreichend grosse, freie
und möglichst bewachsene Plätze darstellen. Indem ein jeder Pavillon mit einer
doppelten, einander gegenüber liegenden Fensterreihe und sein Dach-
first mit stellbaren Klappfenstern versehen ist, sind für die wärmere Jahreszeit
alle Bedingungen einer natürlichen Ventilation gegeben.
Das Pavillon-System hat den grossen Vortheil, dass niemals eine zu
grosse Masse von Kranken zusammengehäuft wird, da in der Regel nur ein
Krankenhäuser. 795
Saal zur ebenen Erde liegt und nur bei nicht contagiösen Krankheiten höchstens
noch ein Saal in der ersten Etage hinzukommt. Jeder Saal wird nur mit 12
oder höchstens 24 Kranken belegt.
Ansteckende Kranke werden in einem besondern Pavillon untergebracht.
Der Pavillonbau ermöglicht somit eine Krankenzerstrenung, welche erfahrungs-
gemäss den günstigsten Einfluss auf den Verlauf der Krankheiten ausübt, während
sich viele Nachtheile in den mehrstöckigen, kasernenartigen Krankenhäusern ver-
einigen.
Bei der innern Einrichtung sind hinreichend hohe Säle schon durch den
ganzen Baustiel gegeben. Die Fenster müssen möglichst hoch sein und möglichst
tief am Fussboden liegen, um die natürliche Ventilation zur vollen Geltung zu bringen.
Sehr zweckmässig ist es, jedes Fenster in zwei Theile zu theilen, wobei man'dem obersten
Theil mittels einer Kurbel eine solche schräge Stellung nach dem Innern des Saales
geben kann, dass der Luftstrom nach der Decke geführt wird. Bei Doppelfenstern legt
sich hierbei das äussere Fenster an seinem untern Ende nach aussen, wodurch der Luft-
strom noch mehr gebrochen wird, indem beide Fenster eine parallele Stellung in
schräger Richtung einnehmen und die Richtung des Luftstroms von aussen und unten
nach oben und innen gehen muss.
Für den Winter würden auch Glasjalousien in den obern Scheiben sich sehr
gut eignen. Ver senkungs-Schiebfenster sind leider ganz ausser Mode gekommen,
obgleich man hierbei durch eine Versenkung von oben nach unten jede beliebige, der
Jahreszeit entsprechende Oeffnung herstellen kann. Da für die Versenkung ein Hohl-
raum in der Mauer erforderlich ist, so erzielt man hierdurch gleichzeitig den grossen
Vortheil einer isolirenden Luftschicht und zwar an der Fensterwand, wo sonst die Ab-
kühlung gewöhnlich am unangenehmsten empfunden wird.
Corridore in der Mitte zweier Zimmerreihen sind unter allen Um-
ständen zu verwerfen.
Das Pavillon-System schliefst grundsätzlich alle Corridore aus. Auch behaupten die
Bautecbniker, dass alle Corridore eine Raumverschwendung in sich schliessen, wodurch
ausserdem die Baukosten sehr gesteigert würden, so dass das Pavillon-System auch
durch Billigkeit sich auszeichne.
In einem kalten Klima werden jedoch Corridor-Krankenhäuser namentlich
für nicht contagiöse Krankheiten nicht ganz zu vermeiden sein, weil bei rauher und
kalter Witterung schon ein gewöhnliches Wohngebäude für gesunde Menschen, welches
bei freier Lage 2 gegenüberliegende Fensterreihen besitzt, viele Unzuträglichkeiten mit
sich führt. Jeder Corridor soll wo möglich nach dem Hofe oder besser nach einem
Garten zu gelegen sein, auch mittels nach innen gelegener Fenster mit den Kranken-
sälen in Verbindung stehen, um sie für die Ventilation benutzen zu können. Wird der
Corridor geheizt, so lassen sich ausserdem noch an beiden Enden behufs Ventilation
thurmartige Glaslaternen anbringen, welche zwei Dächer haben, zwischen denen die
frische Luft einströmt, um sich in den Thurm zu ergiessen.
Ob man für den Luftraum eines Bettes 30" Kubikmeter (1000 Kubikfuss") oder
60 Kubikmeter fordern soll, hängt von der Xatur der Krankheiten ab. Unter gewöhn-
lichen Verhältnissen wird bei sorgfältiger Reinlichkeit und Luftversorgung das Minder-
mass ausreichen und zwar bei der Höhe eines Saales von 4,5 Meter (15 Fuss).
Bei der Construction der Säle hat man darauf zu achten, dass ihre Länge
viel mehr betragen soll als die Breite und die Fenster natürlich stets an der Längs-
wand anzubringen sind. Den Oelanstrich der Wände zieht man dem_ Kalken vor,
weil ersterer abgewaschen werden kann. Fussboden von Mettlaeher Fliesen haben
sich sehr gut bewährt.
In Betreff der Wasserversorgung, Ventilation, Heizung und der Aborte vergleiche
man die bezüglichen Artikel. Küche, Waschanstalt, Leichenhaus u. s. w. müssen in
besondern Gebäuden Hegen.
Baracken sind einstöckige, hölzerne Pavillons mit First -Ventilation, deren
höchst erfolgreiche Verwendung sich in dem letzten deutsch-französischen Kriege glänzend
herausgestellt hat, nachdem bereits im Krimkriege und im amerikanischen Bürgerkriege
von den „Hospitalzelten" ein ergiebiger Gebrauch gemacht worden. Ganz besonders
hat der frühere Kriegsminister der V ereinigten Staaten, Stanton, die Errichtung von
Barackenspitälern angeregt. Eine beliebige" Anzahl von Baracken wurden nach dem
Pavillonsystem so zusammengestellt, dass sie 30 Fuss_ von einander standen und ent-
weder zwei eonvergirende Linien oder strahlenförmig einen Kreis, eine Ellipse oder ein
Oblongum bildeten. Statt sie aber, wie früher, mit einander durch gedeckte, zu beiden
796
Schlussbetrachtung.
Seiten offene Gänge zu verbinden, werden sie jetzt auf Grund besserer Erfahrungen von
einander getrennt.
Der Haupterfolg bei der Krankenbehandlung liegt in der ergiebigsten spontanen
Ventilation und man ist immer mehr zu der Ueberzeugung gelangt, dass die Einrich-
tungen, welche aus dem Schrecken des Krieges entstanden, auch im Frieden als muster-
gültig zu betrachten sind. Und so ist es schon dazu gekommen, dass gegenwärtig ein
Unterschied zwischen Pavillon und Baracke kaum noch besteht, indem auch der Pavillon
bereits eine First-Ventilation erhalten hat und der Corridor ganz verschwunden ist. Ein
wesentlicher Unterschied besteht nur noch darin, dass bei den Pavillons die Aussen-
und Zwischenwände von Ziegeln ausgeführt sind, um auch für kältere Jahreszeiten be-
nutzt werden zu können, während die aus Holz construirten Baracken sich ganz
besonders für die wärmere Jahreszeit eignen, im Winter aber nur aus Noth in Gebrauch
kommen und dann in Anbetracht unserer klimatischen Verhältnisse mit besondern Ein-
richtungen zum Schutze gegen die Einflüsse der Kälte versehen werden müssen.
Einstweilen scheint das Pavillonsystem mit Dachfirst-Ventilation eine
höchst beachtungs werthe Art der Kranken-Unterbringung zu gewähren.
Das Pavillon- System hat auch die Ventilationsmethode vereinfacht. Vom
Puisionssystem ist man bei Krankenhäusern in der neuern Zeit fast ganz zurück-
gekommen: die erste Einrichtung dieser Art befand sich im Hospital Lariboisiere, in
welchem sie von Grouvelle und Farcot nebst Dampfheizung mit Wasseröfen von Laurena
eingeführt wordeu ist (s. Fig. j~).
Fig. 57.
JJMJSM.^«. ~~,«^.».^^^>>.re^.-^.~^~^.-.~~»-l«<-'^~J*«^^ ss
Im Souterrain wird ein Centrifugalventilator (a) durch eine Dampfmaschine in
rang gesetzt: derselbe zieht die Luft aus einem Luftschacht und treibt sie in
eine Blechroitre (6), aus der sie bei h mittels kleiner Röhren*) durch den W
*) Die Methode, die eintretende oder einzutreibende frische Luft auf grossen
Flächen durch viele, aber kleine Oeffnungen zu leiten, ist in der Poren Ventilation
vertreten, die durch Reid (Illustration of the Theory and Practice of Ventilation with
remarkes on warming. London 1S44) eingeführt worden ist, für welche in neuerer Zeit
namentlich der Arehiteet Schorrath Propaganda macht. Dass sie in mancher Beziehung
auch für die Fabriken mit Nutzen Verwendung findet, ist schon S. 201 gezeigt worden:
ebensogut könnte sie für Eisenbahn Waggons und Schiffsräume nutzbar gemacht
werden.
Versammlungslocale.
797
Fig. 58.
ofen tritt und durch, die hier spiralförmig gewundenen Dampfröhren erwärmt wird (<?).
Bei hohen Kältegraden wird die einzubringende Luft noch in einem besondern Räume
durch Dampfheizung vorgewärmt. Angeblich strömen bei diesem System pro Kopf und
Stunde 88—132 Kubikmeter Luft ein, während kaum die Hälfte durch die Evacuations-
canäle (cl) austreten soll: diese haben an der Decke und am Fussboden Oeffnungen (»),
und münden im Dachraume in einen gemeinschaftlichen Schlot, der die verdorbene
Luft fortführt.
Dieses System hat wenig Nachahmung gefunden; nur in Betreff des Luftschachtes
ist noch zu erwähnen, dass man bisweilen an demselben, wie bei den Kaminen, eine
drehbare Klappe in der Art anbringt, dass
stets die Einströmungsstelle für die Luft
dem Strichwinde entgegensteht (s. Fig. 58);
der Regen schlägt auf die schiefen Ebenen
in der "Windrose ( b b) und füesst auf der
untern Ebene in einer Rinne durch einen
Trichter (r) nach aussen (d) ab.
Das Pulsionssystem kann sich nur
in Verbindung mit einer kräftigen
Aspiration wirksam erweisen und
zwar aus dem Grunde, weil man den
Nachweis nicht zu liefern vermag, ob
die verdorbene Luft auch proportional
der eingetriebenen verdrängt worden
ist. Auch unterliegt die Erwärmung
der einzutreibenden Luft vielen Schwie-
rigkeiten, da es nicht ausreicht, die Luft
bloss auf einen bestimmten Grad zu
erwärmen, man muss vielmehr die Tem-
peratur derselben nach den Jahreszeiten
beliebig zu erwärmen im Stande sein;
man hat daher zur Construction einer
Mischkammer seine Zuflucht nehmen
müssen, in welche man nach Bedürfuiss
mittels eines Registers aus der Luftkammer kalte Luft zu der aus der Heiz-
kammer tretenden Luft zuströmen lässt.7) Die Luft muss wenigstens auf 25—30° C.
erwärmt werden, da sie auf ihrer Wanderung mehr oder weniger an Wärme ein-
büsst; ihre Eintrittsgeschwindigkeit soll nur zwischen 0,5 — 1 Meter pro Secunde
schwanken, weil dann am wenigsten Belästigung entsteht, — kurz, die ganze Ein-
richtung ist sehr umständlich und erfordert die sorgfältigste Ueberwachung eines
Sachverständigen. Da sich die Luft auf diese Weise in langgestreckten Gebäuden
gleichmässiger vertheilen lässt, so ist die Pnlsionsmethode auch nur in grossen
Versammlungslocalen und in Theatern zur Anwendung gekommen, um die frische
Luft den einzelnen Sitzen zuzuführen. Von anderer Seite ist sie zwar auch für
alle Hospitäler empfohlen worden, weil man dadurch den Yortheil zu erreichen
hofft, nur kleinere, weniger hohe und deshalb weniger kostspielige Säle nöthig
zu haben; die Erfahrung hat jedoch noch nicht hierüber entschieden. Nur so
viel steht fest, dass das Pulsionssystem hauptsächlich da am Platze ist, wo es
sich nur um die Zuführung frischer, aber nicht vorher erwärmter Luft handelt;
dies kann namentlich dann der Fall sein, wenn in Werkstätten (s. S. 201) oder
in grossen Localen schon durch Beleuchtung oder Ansammlung vieler Menschen
hohe Temperaturgrade vorherrschen.
Nachdem durch ein Decret des Kaisers Napoleon HI. vom 29. August 1862
798
Schlussbetrachtung.
ein Comite superieur zur Prüfung sämmtlicher Hospitalfragen berufen worden ist,
dessen Vorsitzender der General Morin war, hat man sich bezüglich der Kranken-
anstalten immer mehr für das Aspirationssystem ausgesprochen, welches nicht minder
in der Industrie mit Benutzung der absaugenden Ventilatoren eine höchst
wichtige Stelle einnimmt.
Die Aspiration mittels absaugender Ventilatoren hat man in Hospitälern
mit Unrecht wenig benatzt; ein Beispiel dieser Art findet sich im grossen Krankenhause zu
Kopenhagen. Die Menge der pro Kopf und Stunde abgesogenen Luft beträgt ca. 77 Kubik-
meter, während in der Nacht mittels der Zugsteinesse nur 10 Kubikmeter entfernt
werden. Von der sehr gutin Atmosphäre, welche während des Tages in den Kranken-
sälen herrscht, hat sieh Verf. selbst überzeugt. Meist wendet man nur den sog. Lock-
kamin an. eine eiserne, in der Mitte des Sehnrnsteins liegende Röhre, welche mit den
Evacuationscanälen in Verbindung steht und in Folge der Temperaturdifferenz absaugend
wirkt. Die Einrichtung für die Industrie s. S. 199.
Bei der lleiss wasserheiz nng hat man nach dem Duvui/-L>:ötar>c,sch.en System
auf dem Dachraum in der Saugesse einen Wasserofen (Fig. 50 </) aufgestellt, der mit dem
Wasserofen im Saale (aa, oo) verbunden ist und die Aspiration (Appel en haut) bewirkt.
Die Evacnationscanäle für die verdorbene Luft (rr) haben ebenfalls an der Decke und
am Fassboden eine Oeffhung, eine Einrichtung, die im Allgemeinen Beifall verdient, da
man nach Umständen, namentlich bei zunehmender Hitze oder stärker besetzten Räumen,
die an der Decke gelegenen Austrittsöffnungen in Wirksamkeit setzen muss. Die
Luft ei nführungsc anale (/>/>) münden unter den Fenstern und sind mit dem Canale
verbunden, in welchem die Heisswasserröhren liegen, so dass hier die kalte Luft im
Winter vorgewärmt wird.
Fig. 5.9.
Im neuen Hospital im Friedrichshain zu Berlin, das nach dem Pavillonsystem
erbaut ist. besteht die Wasserheizung im Mitteldrucksystem (s. S. 101). In einem
langgestreckten Canal im Souterrain liegen die Heizröhren, welche die kühle Luft er-
wärmen, die aus dem in der Mitte eines Rasenplatzes gelegenen Luftschacht mittels
eines (Janais diesen zugeführt wird. Die auf diese Weise erwärmte Luft tritt nun durch
eine in der Mitte des Bodens belegene quadratische, mit einem Gitterwerk versehene
Oeftnung in den Saal: ausserdem steigen die Heizröhren, diese Oeffniing zunächst umgebend,
in den Saal auf und gruppiren sich an den Wänden desselben, so dass sich die Heizflächen
am Boden und an den Wänden vertheilen. wodurch eine gleichmässigere Ausbreitung der
Wärme, namentlich aber auch die Erwärmung des Fussbodens erzielt wird. Die Heiz-
röhren sind bis zum obern Saale fortgeleitet, in dem sie ebenfalls an den Wänden auf-
gestellt sind und zur Erwärmung dienen: hier fehlt aber die Zuleitung der frischen Luft.
Die Absaugung der verdorbenen L u f t wird durch einen in der Mitte des
Saales aufgestellten eisenblechernen Schlot bewirkt, welcher am Fusse einen seitlichen
Evacuations -Pavillon.
799
Ausschnitt hat, mit Gasflammen versehen ist und nach oben unter der Decke zum
Hauptaspirator führt, welcher auch die Evacuationscanäle aufnimmt, die zwischen
den Fenstern liegen und mit Gitterwerk verschlossen sind.
Der Hauptaspirator ist ein eiserner Schlot, dessen Luftbewegung durch einen
ßö'Ä/n'schen Indicator (s. S. 802) controlirt wird und in dem Schornstein für die Wasser-
heizung liegt.
Bei der Luftheizung in andern Räumen ist der die frische Luft zur Heizkammer
führende Canal ebenfalls mit Klappen oder Schiebern versehen, um den Eintritt der Luft
nach Belieben zu reguliren. Da die warme Luft erfahrungsgemäss nach rechts und
links nur höchstens 15 Meter weit horizontal geleitet werden kann, so kann eine solche
Centralheizung für grössere Complexe von Räumen nicht benutzt werden; es sind
daher nach der Grösse und Zahl der zu heizenden Räume stets mehrere Heizkammern
erforderlich, wenn eine zweckmässige Wirkung erzielt werden soll.8)
Einen sogen. Evacuations-Pavillon haben Gropius und Schmieden
für das Krankenhaus Bethanien in Berlin construirt, der sich bis jetzt nach den
vorliegenden Erfahrungen sehr bewährt hat und für kleinere Hospitäler mit
12 — 18 — 24 Betten sehr zu empfehlen ist. Nach den hierbei beobachteten Ge-
sichtspuneten werden neuerdings nach einer gefälligen Mittheilung von Gropius
das Krankenhaus in Wiesbaden und das Militairlazareth zu Tempelhof bei Berlin
erbaut. Die Einrichtung empfiehlt sich ganz besonders für mit Fabriken oder
Bergwerken verbundene Krankenanstalten; eine specielle Beschreibung derselben
halten wir deshalb für zweckmässig und erforderlich.
Die Aussenwände sind in einer Stärke von zwei Steinen in Ziegeln und die
Zwischenwände theils einen Stein, theils 5 Zoll stark in Ziegeln mit Cement gemauert
und verputzt; es ist somit die Fachwerk-Construction aus sanitären Gründen vermieden.
Fig. 60.
Die Unterkellerung fehlt und ist das Gebäude über der Erdfläche mit einem
steinernen Fussboden von Mettlacher Fliesen versehen. Auf einem flachen Klinker-
800
Schlussbetrachtung.
pflaster siud kleine Pfeiler aus je zwei Ziegeln errichtet, die wiederum mit flachen
Ziegeln überdeckt sind, auf denen die Mettlacher Fliesen in einer Cementkleidung
ruhen. Um einer Stagnation der isolirenden Luftschicht vorzubeugen, sind zur Verbin-
dung derselben mit der äussern Luft in den Aussen wänden Canäle angelegt, die
in die äussere Fensterlaibung münden und dort mit Drahtgittern verschlossen sind.
Der Fussboden von Mettlacher Fliesen hat sich in jeder Beziehung bewährt; er
nimmt keine Feuchtigkeit auf und kann täglich durch Scheuern und Abwischen ge-
reinigt werden: er hat sich auch gar nicht als zu kalt erwiesen.
Die Ventilation erfolgt im Sommer durch die geöffneten Fenster und den
offenen Dachfirst, der mit doppelten Klappen zu versehen ist. Das Dach ist ein
sogen. Holz-Cement-Dach nach Bäusier'scaer Methode. Ein Dachhoden fehlt zwar,
jedoch findet rieh ein für die ungehemmte Luftcirculation genügender Zwischenraum vor
(s. Fig. 60, die den Querschnitt eine.- Saales mit 12 Betten darstellt). In den Bade-
Cabinetten, den Theeküchen und den Closets, welche sämmtlich von den Krankensälen
durch eine bis zur Decke reichende feste Mauer, unter sich aber durch niedrige, 2% Zoll
starke, in Ccment gemauerte Wände getrennt sind, geschieht die "Ventilation im Sommer
und Winter mittels eines in der Mitte des Gebäudes befindlichen Sauge-Schorn-
steins (Lockkamin), der durch die Feuerung des Badeofens erwärmt wird. Auf diese
Weise kann die Luft aus diesen Räumen nicht in den Saal zurücktreten.
Im Winl er wird die Ventilation bei geschlossenem Dachfirst in den grössern
Sälen durch die Heizapparate vermittelt. Zu diesem Zwecke sind in jedem Saale zwei
Koks-Oefen aufgestellt, von denen jeder mit zwei Blechmänteln so umgeben ist,
dass die Zwischenräume je 2 Zoll betragen. Diese Blechmäntel nehmen die strahlende
Wärme der gusseisernen, mit Chamotte gefütterten Oefen zunächst auf und geben
dieselben theils nach aussen direct an die Luft des Saales, theils an die von unten
nach oben zwischen den Blechmänteln durchstreichende Luft ab.
Fig. 61.
Der eine der beiden Oefen (/> in Fig. 61, welche den Längsschnitt des Saales
darstellt) saugt nämlich durch einen unter dem Fussboden hinlaufenden und bei A durch
die Isolirschicht B in den Saal mündenden Canal von aussen her frische knlte Luft an,
während der andere Ofen (C), dessen Blechmäntel nicht bis zum Fussboden hinabreichen,
Natürliche Ventilation. gQ]_
Äie.,Luft des Saales durch Circulation derselben zwischen den Blechcylindern erwärmt
Beide (Men geben ihren Rauch in ein zwischen ihnen befindliches Rauchrohr (E) ab'
welches mit einem Mantel von Eisenblech umgeben ist, der oben weit über das Dach
hinausragt und zwischen dessen unterer Kante und dem Fussboden sich eine Lücke
von 1 huss Hohe befindet Es entsteht auf diese Weise ein stark erwärmter
Evacuationsschlot, der die Luft des Saales am Fussboden durch jene Lücke auf-
nimmt und durch seine obere Oeffnung aus dem Saale fortführt. Bei geringer Kälte
reicht die Heizung mit dem Ofen D vollkommen aus*). Die Baukosten betrugen für
Bethanien ca. 600 Thlr. pro Bett. °
Das System der Ventilation durch Benutzung der natürlichen Tem-
peratur-Differenzen und natürlichen Luftströmung nach Böhm in Wien
ist hier noch zu erwähnen; Verf. hat es aus eigener Anschauung in München
und Wien in seiner erfolgreichen Wirkung kennen gelernt; sein Wesen beruht
nur in der Benutzung der Temperatur-Differenz im Innern eines Gebäudes
und im Freien sowie der Strömung der Luft im Freien. Es bedarf nur
einer sachgemässen Beaufsichtigung, die aber leicht zu erlernen ist und um so
wirksamere Erfolge erzielt, je mehr man die vorhandenen Verhältnisse zu berück-
sichtigen versteht.
Das System kann zwar auch einem alten Gebäude angepasst werden, zweck-
mässiger ist es aber, dasselbe schon von vornherein dem Bauplane zu Grunde
zu legen.
Es sind zur Ausführung des Systems in den Scheidemauern des Gebäudes
verticale Canäle anzulegen, welche vom Fussboden bis über den Dachfirst des Ge-
bäudes reichen und am Fussboden sowie unter der Decke mit durch Jalousien und
Klappen verschliessbaren Oeffnungen versehen sind. Diese Canäle heissen Dachcanäle
(Fig. 62 C J D). Ausserdem werden in den beiden gegenüberliegenden Hauptmauern
oder Haupt- und Mittelmauern Etagencanäle angelegt, welche nur die Höhe des zu
ventilirenden Raumes (H G F) einnehmen, sich unten nach innen und aussen (67 E F),
oben aber nur nach innen (H) öffnen und wie die Dachcanäle verschliessbar sind (die
Figur 62 liefert einen Längsschnitt durch den Dach- und Etagencanal).
Die Etagencanäle einer Seite sollen die gleiche Summe der Querschnitte wie
die Dachcanäle haben; um aber die Richtung und Kraft der Strömung in den Canälen
leicht zu übersehen, ist in denselben ein Anemometer mit einem Zifferblatt, das in
dem zu ventilirenden Räume sichtbar ist («/), eingesetzt. Je nach dem Ausschlagen des
Zeigers dieses Indicators nach rechts oder links erfährt man, ob in einem geöffneten
Canäle eine Strömung nach oben oder unten, stärker oder schwächer stattfindet.
Bei der Handhabung des Apparates muss man die Heizperiode und die
wärmere Jahreszeit unterscheiden.
A. Während der Heizperiode sind 1) die Etagencanäle im Allgemeinen
und jedenfalls bei niedriger Temperatur im Freien ausser Wirksamkeit zu setzen,
d. h. mit der Klappe E wird die untere Zimmeröffnung (G) geschlossen; auch die
Aussenöffnung des Etagencanals (F) ist zu schliessen und nur bei schönen Tagen im
Frühjahr und im Herbst kann der Einlass der frischen Luft durch geringes Oeffnen der
Aussenöffnung (F) mittels des Schiebers p unterstützt werden.
2) Die frische Luft ist durch den Mantelofen (s. S. 183) einzuführen. Der
Mantel ist aus Backsteinen mit Lehmmörtel gemauert und mit einer oben offenen, abheb-
baren Blechkuppel bedeckt. In das Innere des Mantels führen zwei Oeffnungen, a und e,
von denen die eine (<*) den Mantel mit dem Zimmer verbindet, die andere (e) an der Ein-
mündungsstelle des die frische Luft zuführenden Canals b liegt. Soll nun die frische
Luft in den Mantel des Ofens eingeführt werden, so wird a, die aus dem Zimmer iu
den Mantel führende Oeffnung, geschlossen und die Einströmungsklappe e für den Luft-
canal b den Umständen nach mehr oder weniger geöffnet; sie bleibt häufig für längere
Perioden eingestellt (s. Fig. 62 e und b). B (Fig. 63) ist die Stellleiste an der Front-
seite des Ofens, an welcher die Schnur eingehängt wird, welche die Klappe e bewegt.
*) Diese Art der Heizung mit Zuführung von frischer Luft würde sich auch für
manche Schuliocale trefflich eignen.
Eulenberg, Gewerbe-Hygiene. 51
802
Schlussbctrachtung.
3) Die Zimmerluft ist durch die Dachcanäle abzuführen und zwar bei
A (Fig. 63) über dem Fussboden. Zu diesem Behuf« ist die obere Oeffmmg des Canals
durch die Klappe C zu schliessen und mitttels des Zeigers der Regulirungsscheibe (£>)
die Drosselklappe 0 im Dachcanal nach Bedürfniss zu reguliren. Liegt die Drossel-
klappe horizontal, so ist der Canal geschlossen und der Zeiger vertical nach oben ge-
richtet. Bei der Bewegung des Zeigers nach rechts wird der Canal immer mehr geöffnet;
diese Bewegung hört auf, wenn die Klappe vertical steht.
Fig. 62.
B. Luftwechsel während der wärmeren Jahreszeit (Fig. 62 u. 63). Man
hat zu dieser Zeit Folgendes zu beachten:
1) Die Drehthüre am Mantelofen (a) ist so zu stellen, dass die Zimmeröffnung
des Mantels offen ist:
2) die obere Oeffnung des Dachcanals (C) ist offen zu halten:
3) Mittels des Schiebers (p) ist die Aussenöffnung des Etagencanals (F) mit
Rücksicht auf die Temperatur im Freien und die Luftströmung, aber stets nur so weit
zu öffnen, dass die bei der obern Oeffnung des Etagencanals (fi) eintretende Luft keine
Belästigung verursacht.
4) Die untere Zimmer Öffnung des Etagencanals (G) soll nur dann geöffnet
werden, wenn der Zeiger des Indicators (J) nach rechts ausschlägt, also ein Ab-
fliessen der Luft aus dem Saale in's Freie anzeigt.
Natürliche Ventilation.
803
Sobald frische Luft m belästigender Weise durch diese Oeffnung (G) in den Saal
dringt, niuss sie mittels der Klappe E geschlossen werden. Im hohen Sommer kann
das Eindringen der frischen Luft durch den Etagencanal durch Oeffnen der obern
Fenster noch befordert werden, während sich die Wirkung der Dachcanäle durch
eingesetzte Gasflammen verstärken lässt*). Mit der Quaste / wird die Klappe E, mit der
Quaste m die Jalousiethür bei H gehandhabt.
Fig. 63.
Die Möglichkeit, auf die verschiedene Tageszeit, die Windrichtung, die Er-
wärmung der einen oder andern Umfassungsmauer durch die Sonne u. s. w.
Rücksicht zu nehmen und den Ab- und Zufluss der Luft durch den Indicator zu
controliren, empfiehlt diese Einrichtung ebenso wie die geringe Kostspieligkeit der
ganzen Anlage. Auch ist der Vortheil, welchen die in den Mauern befindlichen
Hohlräume gewähren, hoch anzuschlagen, obgleich nicht in Abrede zu stellen ist,
dass die Strömung in den Canälen nicht regelmässig und manchen Zufälligkeiten
unterworfen ist; man kann sie aber immerhin durch Stellung der Klappen und
Schieber reguliren, was bei einer aufmerksamen Leitung des Ganzen niemals
*) Im jüdischen Krankenhause zu Wien kann auch nach Bedürfniss ein absaugender
Ventilator in Wirksamkeit gesetzt und namentlich mit den chirurgischen Krankensälen
verbunden werden.
51*
804
Schlussbetrachtung.
gering zu achten ist Die Lufterneuerung beträgt pro Bett und .Stunde 50 bis
80 Kubikmeter, kann aber nötigenfalls bis zu ca. 150 Kubikmeter vermehrt
werden. Hospitäler für gewöhnliche Kranke erfordern aber bekanntlich in der
Regel nicht mehr als 60 — 70 Kubikmeter Luft pro Stunde. In technischer
Beziehung ist die vollkommen isolirte Ventilation eines jeden Saales nicht minder
wichtig, da hierdurch eine völlige Decentralisation ermöglicht und den wich-
tigsten Anforderungen der Aerzte Rechnung getragen wird.
Nicht bloss für Krankenanstalten, sondern auch für Fabrik-Säle, bei denen es
auf eine regelmässige Lufterueuerung ankommt, ist die ganze Einrichtung empfeh-
lenswerth und zwar für erstere um so mehr, als auch die Heizuug eine zweck-
mässige ist und selbst bei einer Kälte von — 12. 5° bis 20° C. noch eine Zimmer-
temperatur von 4-18.5° bis 4-23,5° C. erreicht werden kann. Wenn sogar im
Gebärhause zu Wien die in den Sälen circulirende Luft nach dem Zeugniss von
Braun allen hygienischen Anforderungen entsprach, so kann die Einrichtung
unter Umständen auch für viele Werkstätten in Betracht kommen.
Eine Heiz nngs-Vorrichtung, die für kleinere Hospitäler, für Schul räume
und namentlich auch für manche mit Riechstoffen überfüllte Arbeitsrä ume passt,
die verdorbene Luft auf die kräftigste Weiße absaugt und sich in gleicher "Weise durch
Zweckmässigkeit und die Annehmlichkeit auszeichnet, dass der Fassboden erwärmt wird,
ist die durch Fig. Hl näher erläuterte: sie lässt sich aber nur zu ebener Erde anbringen.
Fig. 64.
Fig 65.
Der Feuerkasten (Fig. 64 a) enthält vier kreuzartig zusammengesetzte Roste
(Fig. 65 b b b b). Die zu den Feuerräumen gehörenden Thüreu sind wie der ganze Feuer-
kasten inwendig mit Chamottesteinen bekleidet. Bei c wird die Stubenluft abgesaugt.
Die Einströmungsstellen sind mit einem feinen Gitterwerk versehen. Die Luft gelangt
zunächst in den Aschenfall e und von da durch den Rost b zum Brennmaterial «: die
heisse Feuerluft steigt nun 2j in den Mantelofen /, welcher aus geschlagenem Eisenblech
Ventilation. 30 5
besteht, und dringt dann 3) in die gusseisernc Zugröhre fi, welche oben mit einer
kleinen Platte zum Schutze gegen Schmutz, Russ u. s. w. versehen ist. Die Zugröhre
setzt sich in eine Röhre fort, welche unter dem Fussboden verläuft und hier mit einer
durchbrochenen Platte oder mit Gitterwerk bedeckt ist; man führt sie nach Belieben
weiter und schliesslich in den Kamin. 4) Der Aschenfall e geht durch das Keller-
gewölbe thurmähnlich nieder, weshalb die Aufstellung des Ofens nur ■ im Erdgeschoss
möglich ist. Am Boden des Kellers befindet sich eine zu verschliessende Thür zum
Ausbringen der Asche; Öffnet man sie, so wird ein bedeutender Zug uud grosse Hitze
erzielt. Nach Bedürfniss gebraucht man 1, 2 oder alle i Heizräume : soll ein Rost nicht
benutzt werden, so wird er mit einem einzuschiebenden Blech bedeckt. Bleibt die Thür
im Keller verschlossen, so wirkt der Ofen als kräftigster Aspirator.
Bei jeder Ventilation sind die Querschnitte der Oeffnungen für den
Ein- und Austritt der Luft nach bautechnischen Grundsätzen zu bestimmen,
obgleich sich niemals eine Regel, wenn sie auch auf mathematischem Wege als
richtig bewiesen ist, mit Strenge festhalten lässt, sonst müsste man in der Praxis
nicht beständig zu Schiebern und Drosselklappen seine Zuflucht nehmen, um
nach den verschiedenen günstigen oder ungünstigen Verhältnissen, insbesondere
nach der Windrichtung, die Ein- und Austrittsöffnung der Canäle zu verengern
oder zu erweitern. Immerhin darf aus naheliegenden Gründen der Querschnitt
nicht zu klein gewählt werden.
Die Stelle, an welcher diese Oeffnungen für die abzuleitende Luft
anzubringen sind, richtet sich nach den localen Umständen. Im Winter kühlt
sich bei unsern baulichen Verhältnissen die warme Luft in der Stube beständig
an den Wänden ab, so dass man in der Nähe der Fenster stets vorzugsweise
abwärtsgehende Luftströmungen wahrnimmt; es ist nicht selten, dass die
Differenz zwischen der Temperatur am Boden und an der Decke 8 — 10° C. beträgt.
Der Vortheil der Ho hl wände besteht grade in der geringem Abkühlung der
Zimmerluft, obgleich bei unserer Bauart die verschiedenen Temperaturdifferenzen
zwischen der äussern Luft und der Zimmerluft stets verschiedene Luftströmungen
erzeugen. Um diese Verschiedenheiten zu controliren, ist der in den Canälen an-
gebrachte Böhm'sche Indicator ein vorzügliches Mittel. Stets ist es daher vor-
zuziehen, die Evacuationsöffnungen an der Decke und am Fussboden an-
zubringen, um nach dem Ueberwiegen der auf- oder abwärtsgehenden Luftströ-
mungen die eine oder die andere Oeffnung benutzen zu können. Während der
Heizperiode ist vorherrschend die Abzugsöffnung am Fussboden für die Ab-
leitung der schlechten Luft zu benutzen; fast bei allen Ventilations-Einrichtungen
wird daher auch diese Stelle gewählt, namentlich wenn ein Kranken- oder
Fabrik -Saal isolirt liegt, dünne Mauern hat und der Einwirkung der Kälte sehr
ausgesetzt ist.
Nur in Localen oder Fabriken, in denen viele Menschen versammelt sind,
oder viele Gasflammen brennen, ist die Decke die geeignete Ausströmungsstelle
für die verdorbene und heisse Luft (s. S. 201).
Die Einführung der frischen und reinen Luft kann während des Winters
nur in der Nähe der Heizkörper geschehen, sei es, dass sie zwischen den Mantel
eines Ofens oder in die Heizkammer einer Centralheizung geführt wird. Letzteres
muss auch bei der Pulsionsmethode geschehen, während hier die Eintrittsstelle
der in der Heizkammer erwärmten Luft so gewählt werden muss, dass sie
sich möglichst nahe der Athmungszone, in Kopfhöhe, ausbreitet. Jede bewegte
Luft wird aber nicht angenehm empfunden, es ist daher Regel, die eintretende
Luft wenigstens durch ein Gitterwerk zu vertheilen. Je grösser die Fläche
ist, auf welcher sie sich ausbreitet, desto weniger wird die Einströmimg der Luft
§06 Schlussbetrachtung.
wahrgenommen. Die Porenventilation, nach welcher die eingetriebene Luft
zunächst in einen Hohlraum der Wand tritt und dann durch Schlitze, kleine
Oeffnungen oder poröse Zeuge austritt, hat daher zweifelsohne gewisse Vorzüge;
ihr Nachtheil besteht nur darin, dass die einzutreibende Luft mehr Hinder-
nisse findet und einen desto kräftiger wirkeuden Motor verlangt. Vergleichende
und unter fast gleichen Verhältnissen angestellte Versuche haben auch ergeben,
dass bei der Bekleidung der Austrittsöffnungen 213,9 Kubikmeter Luft
pro Stunde und bei einem canalartigen Ausgange 517,9 Kubikmeter Luft pro
Stunde eingetrieben wurden; dabei breitet sich die eingetriebene Luft im erstem Falle
nicht horizontal aus, sondern steigt sofort in die Höhe.9) Hohe Räume passen daher
nicht für die strenge Durchführung der Porenventilation; da sie ausserdem
nur beim Pulsions -System wirksam ist, so spricht auch jedenfalls in sehr vielen
Fällen der Kostenpunct mit, während jedes System, welches sich durch Ein-
fachheit auszeichnet, von vornherein den Vorzug verdient. Je mehr überhaupt
die natürliche Ventilation mit benutzt werden kann, desto sicherer ist auch die
Wirkung, vorausgesetzt, dass überall in den Räumen Reinlichkeit herrscht.
Schliesslich gipfeln die wichtigsten sanitären Bestrebungen in der Reinerhaltung
der Luft und in der Beseitigung aller schädlichen Einflüsse, welche der natur-
gemässen Eiuwirkung dieses Lebenselements störend entgegen treten. Auch in
der Gewerbe-Hygiene tritt dies Bedürfniss als unabweisbar in den Vorder-
grund; wohin man auch seinen Blick in der vielgestaltigen Industrie richten mag,
überall ist die reine Luft in den Werkstätten die erste Bedingung für die Wohl-
fahrt der Arbeiter. Die Natur bietet den nie versiegenden Born und es ist unsere
Aufgabe, die Hindernisse zu bewältigen, welche den vollen Genuss dieser Himmels-
gabe schmälern.
Nachweis der Literatur nebst Erläuterungen
&'
Einleitung (S. 1—37).
1) Zachariae: Vierzig Bücher vom Staate, 1. Bd. S. 558, Stuttgart 1820.
2) Stein, Lorenz: Die innere Verwaltung. Stuttgart 1867. S. 2.
3) Frank, J. P.: System einer medicinischen Polizei. 1. Bd. 1784. S. 6.
4) Ausführliches hierüber findet sich in Finkelnburg's öffentlicher Gesundheitspflege
Englands nach ihrer geschichtlichen Entwicklung und gegenwärtigen Organisation.
Bonn 1874.
5) Keane, David: The Nuisance Removal Act for England. London 1860. p. 73.
Smith, Toulmin: Practical proceedings for the reniova 1 of Nuisances ofhealth and
safety and for the execution of Drainage works etc. Third Editi oir. London 1861.
6) Ladrey, C: Les etablissements industriels et l'hygiene publique. Paris 18G7.
Die neueste Classification findet sich deutsch abgedruckt in: Die deutsche
Literatur von 1851 — 1867 über öffentliche Gesundheitspflege zuuächst in
lechnischer Beziehung: nebst einigen Mittheilungen aus der englischen und fran-
zösischen Literatur und einer Uebersicht englischer Patente über Cloakenwesen,
Desinfection und Verwerthung der Abfallstoffe. München, Fleischmann's Buch-
handlung, 1868.
Levieux hat in Annal. d'hyg. . publ., Oct. 1873, eine Uebersicht der sanitären
Verordnungen in Frankreich ( Institution d'hygiene et de salubrite en France)
geliefert.
7) Eine Vorlage über das gesammte Sanitätswesen in den Niederlanden ist im
Jahre 1872 erschienen: Verslag van den Koning van de Bevindingen en Hande-
lingen van het Geneeskundig Staatstoezigt in het Jaar 1871. Gravenhage 1872.
Man vergleiche auch noch: Das Medicinalwesen im Königreich der Niederlande.
Im Haag bei M. J. Visser 1870.
8) v. Vivenot in der Deutschen Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege.
1. Bd., 4. Heft. S. 577.
9) Eulenberg, Hermann: Das Medicinalwesen in Preussen. Berlin 1874. S. 116.
10) Hoff mann, CR.: Civil- u. Medicinalwesen im Königreich Baiern (Landshut 1S63,
2 Bände) enthält nur die Bestimmungen bis zum Jahre 1862.
11) In Schau enstein's Handbuch der öffentlichen Gesundheitspflege in Oesterreich
(Wien 1863) sind die Anlagen S 234 aufgeführt. — Die Organisation des
Sanitätsdienstes ist in Oesterreich durch das Gesetz vom 30. April 1870 ge-
regelt worden (s. Dr. Mach er 's Handb. der neuesten Kaiserl. Oesterr. Sanitäts-
Gesetze und Verordnungen, 4. Bd. vom Jahre 1S67 bis Ende 1870. Graz 1872).
12) Engel: Zur Statistik der Dampfkessel und Dampfmaschinen in allen Ländern der
Erde. Berlin 1874.
12) Born, W.: Die Selbstverwaltung der Patentrechte und Dampfkessel-Revisionen durch
die Industriellen. Berlin 1865.
14) Lewy, E.: Die Arbeitszeit in den Fabriken vom sanitären Standpuncte.
Wien 1874.
15) Coronel, S.: Gezondheitsleer, togepast op de Fabrieknyrerheid. Amsterdam 1S63.
16) v. Plener, Ernst: Die englische Fabrikgesetzgebung. Wien 1871. S. 95 u. 111.
17) Göttisheim: Die Kinder- u. Frauenarbeit in englischen Fabriken (in der Deutschen
Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege, 1. Bd., S. 85, 1869).
Blondel: Le travail des enfants et des femmes dans les manufactures,
Paris 1875.
SOS Einleitung.
18) v. Plener, loc. cit. S. 43.
19) Sismondi: Nouveaux principes d'economie politique. Tom 1. p. 353.
20J Rapport Bur l'etat physique et murale des ouvriers employes dane les fabriques de
soie, de coton et de iaine.
M. Villerme: Tableau de l'etat physique et moral des ouvriers employes dans
les manufactures de coton, de lainc et de soie. Paris 1840.
Villerme betont 3 Hauptnachtheile: 1) das gemeinschaftliche Arbeiten beider
Geschlechter, 2) die zu lange Arbeitsdauer für Kinder. 3) das Geldverleihen Seitens
der Meister an junge Arbeiter unter dem Namen des Vorschusses auf den Lohn.
20) Um die Vorsichtsmassregeln zur Verhütung der Unglücksfälle durch Maschinen
kennen zu lernen, gibt nachstehendes Werk die beste Anleitung: Association pour
prevenir les accidents de la machine fondee sous les auspices de la Societe in-
dustrielle de Mulhouse et continuee avec le concours de son comite de niecanique.
Compte rendu de la premiere periode triannale, accompagne de 25 planches
L867-— 1870. Mulhouse, imprimerie veuve Boden & Co., 1870.
21) Mareska et Heymann: Enquete sur le travail et la condition physique et morale
des ouvriers employes dans des manufactures de Coton ä Gand. Gand 1845.
Considerant, N.: Du travail des enfants dans les manufactures et dans les
ateliers de la petite industrie. Bruxelles et Leipsic 1863.
22) .Ausführliche Mittheilungen hierüber finden sich in: Resultats de l'enquete ouverte
pour les officiers du corps des mines sur la Situation des ouvriers dans les
mines et les mines metallurgiques de la Belgique en exeeution de la cir-
culaire adressee le 3 novembre 18(38 2^ar le ministre des travaux publics aux inge-
nieurs en chef des mines. Bruxelles 1869.
23) Frantz, Adolf: Die Beschäftigung der Frauen und Mädchen beim Bergbau unter
Tage. Beuthen 1869.
Kapport sur l'enquete fait au nom de l'academie royale de Belgique par la com-
mission chargee a etudier la question de Temploi des femmes dans les travaux
Souterrains des mines. Bruxelles 1868. Der Bericht, welcher im Auszuge in
Engel's Zeitschrift des Königl. Preuss. Statist. Bureaus ISO!». No. 1, 2, 3., S. 06
mitgetheilt ist, weist namentlich die zahlreichen Früh- und Fehlgeburten bei
ßergarbeiterinnen nach und drängt auf eine gesetzliche Abhülfe des in Belgien
herrschenden Uelielstandes.
211 Neumann, F. J.: Die Deutsche Fabrikgesetzgebung. Jena 1873. Die Schrift
berücksichtigt hauptsächlich die Fabrikgesetzgebung in der Schweiz.
Hirt, Ludwig: Die gewerbliche Thätigkeit der Frauen vom hygienischen Stand-
puncte aus. Breslau u. Leipzig 1873.
25) Böh inert. V.: Beiträge zur Fabrikgesetzgebung. Zürich 1868.
— — Arbeiterverhältnisse und Fabrikeinrichtungen der Schweiz. 2 Bände.
Zürich 1874.
Ein beachtungswerthes und gemüthvolles Schriftchen hat Pfarrer Dr. Bernhard
Becker verfasst: Ein Wort über die Fabrikindustrie (Basel 1858), welches
eine reiche Erfahrung über den Eintluss der Fabrikindustrie auf Land und Volk
liefert.
26) ßöhmert, V.: Beiträge zur Fabrikgesetzgebung, Zürich 1868, p. 105 — 108.
27) v. Plener, 1. c. S 112.
28) An die Spitze dieser Literatur ist das classische Werk von Brentano zu stellen.
Brentano, Lujo : Die Arbeitergilden der Gegenwart. 1. Bd. Zur Kritik der
englischen Gewerbevereine, 2. Bd., Leipzig 1871 u. 1872.
29) Veitmeyer: Die Vorarbeiten zu einer künft. Wasserversorgung der Stadt Berlin.
■1 Tide. Berlin 1871 u. 1875.
30) Simon, Max: Hygiene du corps et de Päme, ou conseils sur la direction
physique et morale de la vie adresses aux ouvriers des villes et des campagnes.
Paris 1S53.
31 1 Jones, Theodor: Every man Ins own landlord. or how to buy a house with
its own rent. London 1863. Deutsch: Jedermann Hauseigenthümer. Das be-
währteste System englischer Baugenossenschaften für deutsche Verhältnisse bearbeitet
und in seiner Brauchbarkeit für Arbeiter, Genossenschaften jeder Art nachge-
wiesen. Mit einer Einleitung von L. Sonnemann. Herausgegeben von Dr.
F. A. Lange. Duisburg 1865.
Die Wohnungsfrage ist mit Berücksichtigung des Systems der begränzten Gesell-
schaften in dem Sinne erörtert worden, dass Häuser von den Arbeitern auf eigne
Rechnung gebaut werden können.
v. Plener, Eduard: Englische Baugenossenschaften. Wien 1873.
Rolla Rouse, Esq.: Building Societies and Borrowers. London 1874.
Wasserstoff und Chlor. gQ9
32) «ri?in 9raf zur LiPPe-Weissenfeld: Die Ernährung des Volkes. Leipzig 1866
Moleschott: Lehre der Nahrungsmittel. 3. Aufl. Erlangen 1 851.
— Physiologie der Nahrungsmittel. 2. Aufl. Giessen 1859.
Oesterlen: Handbuch der Hygiene etc. 3. Aufl. Tübingen 1876.
33) Morgenstern, Lina: Die Berliner Volksküchen. 3. Aufl. Berlin 1870.
34) Fläxl, August: Die Productivgenossenschaft und ihre Stellung zur socialen Fra<*e
Gekrönte Preisschrift. München 1872 ö '
35) Eulenberg's Medicinalwesen S. 57.
36) Coronel, 1. c. S. 183-231.
37) Die „Ligne de l'enseignemeiit en France" beschäftigt sich mit dem Unterricht der
arbeitenden Classe und ist hauptsächlich vom Elsass aus angeregt worden. Man
vergl. Mace, Jean: Morale en action. Mouvement de propagande inf.ellectuelle
en Alsace. Paris 1865.
Wasserstoff (S. 38—41).
1) Eulenberg; Herrn.: Die Lehre von den schädlichen und giftigen Gasen. Braun-
schweig 1865, S. 16.
Bei Löthungen hat man auf die Anwesenheit von Arsenwasserstoff zu
achten; man leite deshalb das Gas vor seiner Verwendung durch eine Lösung von
Kupfer sulfat.
Chlor (S. 41-53).
1) Eulenberg: Die Lehre von den schädlichen und giftigen Gasen, S. 208.
2) Cameron, Death from inhalation of chlorine. Dubl. Jour. 49. Febr. 1870.
3) In Fabriken und chemischen Laboratorien beobachtet man am häufigsten die
reizende Einwirkung von Chlor auf die Respirationswege. Ein Chemiker fand in
einem Laboratorium eine wohl verschlossene, anscheinend leere Flasche von
2- 3 Liter Umfang; er öffnete sie und wollte sich davon überzeugen, ob sie irgend
etwas durch den Geruch Erkennbares enthielte; er athmete hierbei unglücklicher-
weise kräftig eine starke Quantität Chlorgas ein. Es entstand sofort eine brennende
Hitze, welche sich von der Nasenhöhle bis zur Kehle fortpflanzte; hierauf folgte
ein Gefühl von Beklemmung und Zusammenschnüren der Brust nebst trocknem
Husten, der 3 Tage lang Tag und Nacht anhielt. Nach 2 Tagen trat ein starker
Schnupfen nebst Thränenfluss und Röthung der Conjunctiva auf und erst am
4. Tage wurde der Husten lockerer, obgleich Erscheinungen von Bronchitis noch
eine Woche lang anhielten. Noch lange blieb der Kehlkopf so empfindlich, dass
der geringste Staub oder Wind einen heftigen, fast bis zur Erstickung sich
steigernden Hustenanfall hervorrief. Die Stimme blieb ganz unverändert, auch
zeigte sich keine Spur von Fieber, aber der allgemeine Zustand war in den ersten
Stunden nach dem Unfall sehr beängstigend und die geringste Bewegung rief eine
unerträgliche Brustbeklemmung hervor (s. Les aeeidents dans les laboratoires de
chimie par J. A. Thelmier (Tholomier). Paris 1866, p. 29).
4) Falk, F., in der Vierteljahrsschrift für gerichtl. Medicin und öffentl. Sanitäts-
wesen. Herausg. von H. Eulen berg. Berlin bei Hirschwald, 1872,. Bd. XVI. S. 6.
Hirt, Ludwig: Die Gasinhalationskrankheiten, Breslau u. Lcij^zig 1873, S. 96.
Ueber die Contact -Wirkung des Chlors auf die Gewebe vergl. man Bryk in
Virchow's Archiv, 18. Bd.
5) Deacon, Henry: On Deacon's method of obtaining chlorine, illustrating some
principles of chemical dynamics. Chem. soc. Journ. 1872, 725.
6) Pati ssier: Die Krankheiten der Künstler und Handwerker. Nach Ramazzini.
Ilmenau 1823, S. 272.
7) Bobrik: Acida et vegetabilia et mineralia, qualem vim atque effectum habeant
in motum cordis experimentis demonstratur. Dissert. inaug. Königsberg 1863.
Nager, Gustav, im Archiv für Heilkunde (13. Jahrg., 2. u. 3. Heft, 1872) hat bei
einer Vergiftung durch Salzsäure ausser Perforationsstellen im Magen auch die
Bronchien bis in die feinsten Verzweigungen stark katarrhalisch afficirt gefunden.
8) Schubarth: Die sauren Gase, welche Schwefelsäure- und Sodafabriken verbreiten.
Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des Gewerbefleisses in Preussen, 1857,
5. 135. Dingler's Journ., Bd. 145, S. 374-427. Man vgl. die Sodafabrication.
Durch die Verbesserung der Sulfatöfen ist es allein möglich geworden, eine
vollkommenere Condensation der salzsauren Gase zu erzielen. In Belgien
wurden früher enorme Quantitäten dieses Gases in die Atmosphäre getrieben,
so dass von allen Seiten die grössten Beschwerden laut wurden und eine wahre
Revolution gegen die Sodafabriken ausbrach, da man den Ausbruch von Cholera
und Typhus der Einwirkung dieser Dämpfe zuschrieb. Nur der verderbliche
Einfluss auf die Vegetation konnte nicht abgeleugnet werden; in Betreff der
810 Brom. Jod und Fluor.
Empfindlichkeit der Bäume und Sträucher gegen die Säure folgten auf die Weiss-
buche der Haselstrauch, die Eiche, Birke, der Ahorn, die Winde, die Ulme, Linde,
Esche, Pappel, der Weinstock, die Obstbäume und zuletzt der Himbeerstrauch, der
Hopfen und die Erle.
9) Christel: Ueber die Einwirkung von Säuren-Dämpfen auf die Vegetation. Arch.
f. Pharmac. 1871, p. 252. Vierteljahrsschrift für gerichtl. Medicin u. s. w., 17. Bd.
S. 404, 1872.
Brom und Jod ( S. 53—68).
1) Journal de Med. de Bruxelles. Juillet, 58, 1867.
2) Durch unglückliches Verschütten von Brom oder zufälliges Zerbrechen der mit
Brom gefüllten Flaschen können höchst gefährliche und schmerzhafte Verbrennungen
entstehen, wenn die Körpertheile von Brom getroffen werden.
Thelmier theilt einen Unglücksfall bei einem jungen Chemiker mit, der beim
Auftröpfeln von Brom auf Phosphor unvorsichtig war. Das Bromgefäss zersprang,
das Brom floss über und eine 3 Meter hohe Flamme erhob sich, die zwar bald
wieder erlosch, aber das Laboratorium mit einem erstickenden Dampf erfüllte.
Kehlkopf und Schlund waren wie gelähmt; fast athemlos und halb ohnmächtig
ging er in den Hof hinunter, nachdem er vorher den Kopf einige Secunden
unter einen Strahl kalten Wassers gehalten, aber vergeblich versucht hatte, einige
Tropfen Wassers zu trinken; nur einen unarticulirten Laut vermochte er aus-
zustossen. Bald kamen drei Freunde hinzu, welche vom Dampfe weniger belästigt
waren, und standen ihm bei. Man bemerkte dann, dass Stirn, Augenlieder, Nase,
mit einem Worte das ganze Gesicht von Brom corrodirt waren: nur die Augen
waren unversehrt geblieben. Die linke Hand und die untere Hälfte des Vorderarms
waren vom Brom schrecklich verbrannt; Kleider, Schuhe u. s.w. waren vom Brom
durchnässt. Die Berührung des durchtränkten Stoffes hatte auf dem linken Beine
eine ziemlich tiefe, 15 Ctm. grosse Wunde erzeugt. Am folgenden Tage verfiel er
in einen fieberhaften Zustand, welcher ihn 5 Wochen lang an's Bett fesselte.
3) Steinauer in Virchow's Archiv, Bd. 59, 1873, p. 65.
4) Man hat neuerdings eine Verbindung von Brom und Kampher in die Medicin ein-
geführt, welche durch Erhitzung dieser beiden Körper in geschlossenen Ge-
lassen dargestellt wird, wobei neben Bromwasserstoff ein krystallinischer Körper,
Bromkampher CJ0Hi5BiO, entsteht. Da Kampher die Formel CJ0HJ6O hat, so
ist ein Molec. Brom an Stelle eines H getreten. Der Bromkampher soll als
Hypnoticum (3 Grm. auf 24 Stunden) nützlich sein.
5) Bär bin (im Journ. Cbim. med.. Juin 1856 und in Schmidt's Jahrb., 92. Bd., S. 44)
wurde erst am dritten Tage nach der Einwirkung der Joddämpfe von Ermüdung,
Fieber, Schwere im Kopfe befallen, Erscheinungen, welche sich am vierten Tage
vermehrten und dann mit einem Husten verbanden, welcher 14 Tage lang anhielt.
B. hatte sich bei der Darstellung von Eisenjodür, welches durch Erwärmen von
Eisenfeile mit Wasser und Jod dargestellt wird, den Joddämpfen zu sehr aus-
gesetzt. Hier sind dieselben Vorsichtsmassregeln wie bei der Darstellung von
Eisenbromür erforderlich. Bemerkenswerth ist es, dass die Joddämpfe bei
Menschen häufig nicht sofort ihre Wirkung äussern; andrerseits sind manche
Individuen für Joddämpfe besonders empfänglich, wie aus Chevallier's Note sur
les influences de l'Jode et Bromure (Annal. d'hyg. publ., Janv., 27. Bd , p. 313, 1842)
hervorgeht. Manche Arbeiter sind bei massiger Lebensweise jahrelang in Jod-
fabriken ohne allen Nachtheil beschäftigt, während solche, welche den Spirituosis
ergeben sind, die Arbeit verlassen müssen. Diese Erfahrung stimmt mit den in
Bromfabriken gemachten Beobachtungen vollständig überein.
6) Michel, F., in Wagner's Jahresbericht 1867, p. 194.
Amtlicher Bericht über die Wiener Ausstellung im Jahre 1873. 16. Heft.
HI. Gruppe: Chemische Industrie. Von Prof. Dr. A.W. Hofmann in Berlin.
Braunschweig 1875. Chlor. Brom, Jod, Fluor von Dr. Ernst Mylius in Ludwigs-
hagen, S 107, nebst Anmerkungen des Herausgebers.
Fluor (S. 68—71).
1) Fluorkalium soll dem Schmelz der Zähne Härte und Dauer verleihen, somit vor
Caries schützen, so dass Fluorkalium zum Schmelz in derselben Beziehung steht,
wie Eisen zum Blut und die Phosphate zu den Knochen. Man hat daher auch schon
Fluorpastillen in den Arzneischatz eingeführt, welche besonders für Kinder während
des Zahnens oder für schwangere Frauen empfohlen werden.
Sauerstoff. Q\\
2) Rabuteau^ Etüde experim. sur les effets physiol. des fluorrures et des composes
nietall. en generale. Paris 1872.
Die Verbrennungen durch Flusssäure stimmen mit den durch Brom darin über-
ein, dass sie stets mit einem heftigen Fieber verbunden sind. Folgender Fall
ereignete sich in einem Laboratorium zu Paris und ist von Thelmier (I.e. S. 15)
mitgetheilt worden: Ein Chemiker setzte seine Hand unvorsichtigerweise den
dicken Dämpfen der Flusssäure aus und zog sich dadurch eine Brandwunde
zweiten Grades zu. Dieser anscheinend wenig gefährlichen Affection folgten be-
unruhigende Symptome; die Entzündung verbreitete sich von der Rückenfläche
der Hand, welche zuerst mit den ätzenden Dämpfen in Berührung gekommen
war, bis zum Vorderarm und dann bis zum Oberarm. Am Abend stellte sich ein
Fieber mit leichten Delirien ein und die Schmerzen hielten 7 Tage lang an,
welche nur einer energischen, antiphlogistischen Behandlung wichen. Nur langsam
besserten sich die Erscheinungen, aber die vollständige Genesung Hess noch einen
Monat lang auf sich warten.
Nach eigenen Beobachtungen können wir den Eintritt eines sehr heftigen Fiebers
bei solchen Verbrennungen bestätigen, welches sich bei einem sehr kräftigen
Manne entwickelte, der an diese Eigenschaft der Flusssäure nicht glauben wollte
und deshalb aus Uebermuth ein paar Finger in dieselbe eintauchte.
3) Sitzung der Path. societ. of London vom 21. Jan. 1872. Allgem. medic. Central-
zeitung, 29. St., 1873.
4) Die Verwerthung der Flusssäure als Aetzmittel hat durch das Sandblasver-
fahren von B. 0. Tilghmann eine bedeutende Einschränkung erlitten. Der mit
Heftigkeit auf die Glasfläche geschleuderte Sandstrahl erzeugt dieselbe Wirkung
wie das Aetz verfahren. Der Sandstrahl wird entweder durch bewegte Luft oder
durch einen Dampfstrahl in Thätigkeit gesetzt. Der Dampfstrahl durchströmt eine
Hülse von etwa 10 Mm. Bohrung, in deren Achse sich das etwa 3,7 Mm. weite
Sandzuführungsrohr befindet. Die Gewalt des durchströmenden Dampfes reisst
den Sand aus dem innern Rohr heraus und schleudert ihn auf die zu ätzende
Fläche. Da elastische oder zähe Körper der reibenden Gewalt des Sandes viel be-
deutender widerstehen, so kann man Schablonen von Kautschuk, Schmiede-
eisen u. s w. verwenden, um die den Schablonen entsprechende Figuren zu ätzen.
Auf diese Weise hat die Flusssäure eine Concurrenz erfahren, die in sanitärer und
technischer Beziehung grosse Vortheile bietet; man wird sich der Säure höchstens
nur noch bei Messinstrumenten zur Darstellung von zarten und feinen Zeichnungen
bedienen. Ausser Glas werden nämlich auch Granit, Marmor, Sandstein, selbst
Korund vom Sandstein corrodirt; durch das Sandgebläse kann daher ein bedeu-
tender Theil der gesundheitsschädlichen Arbeiten mittels des Meiseis in Wegfall
kommen.
Auch in der Photographie lässt sich beim Copiren der Negativen auf Glas-
platten das Sandgebläse verwerthen. Da hierbei die Glasplatten mit der zur Dar-
stellung der sogen. Kohlebilder dienenden Chromsäure -Lösung überzogen sind,
so bilden nach dem Abwaschen der belichteten Platte die Partien des Leimüber-
zuges, welche hierbei stehen bleiben, eine Schablone, wodurch die Behandlung der
entblössten Stellen des Glases mittels des Sandstrahles ermöglicht wird. Man vergl.
Dr. Mylius 1. c. S. 141.
Sauerstoff (S. 71—99).
1) Fleitmann (Annal. d. Chem. u. Pharm., Bd. 134, S. 64) hat die von Mitscherlich
hervorgehobene Thatsache, dass verschiedene Metalloxyde, wie Mangansuper-
oxyd, Eisenoxydhydrat, Kupferoxyd u. s. w., zu einer Chlorkalklösung gesetzt, eine
reichliche Sauerstoffentwicklung veranlassen, wieder aufgenommen und das frisch
bereitete Kobaltsesquioxyd hierzu benutzt. Er empfiehlt eine concentrirte, durch
Filtriren und Absetzen geklärte Chlorkalklösung mit 0,1— 0,5 % ihres Gehaltes an
Kobaltsesquioxyd auf 70—80° zu erwärmen. Ein Zusatz von einigen erbsengrossen
Stückchen Paraffin zur Chlorkalklösung überhebt der Mühe, eine klare Chlorkalk-
lösung darzustellen und verhindert durch die Bildung einer dünnen Oelschicht auf
der Oberfläche das Schlämmen, welches bei dieser Operation oft belästigend
eintritt.
Die Methode, eine dicke Kalkmilch mit Chlor zu behandeln, rührt von
A. Winkler (Journ. f. pract. Chemie, Bd. 98, S. 340) her.
2) Philipps, Joseph: Der Sauerstoff, Vorkommen, Darstellung und Benutzung des-
selben zu Beleuchtungszwecken u. s- w. Berlin 1871.
3) Regnault und Reiset in Annal. de chimie et phys. Tome XXVI. p. 399, 1849.
8 ] 2 Sauerstoff.
4) Müller im Sitzungsberichte der Kaiserl. Acad. d Wissensch. zu Wien, Bd. 33.
5) Reid: Essay sur la nature et le traitement de la phthisie pulmonaire, Paris 1792.
6) Deraarquai: Versuch einer medicinischen Pneumatologie. Deutsch von Oscar
Reyher. Leipzig und Heidelberg 1867, p 233
7) Nach Oscar Brefeld (Untersuclmngen über Alkoholgährung im Sitzungsber. der
physik.-incdic. Gesellsch. in Würzburg für 1873, p. 22) bedarf die Alkohol-Hefe
wie alle Pflanzen zu ihrer vegativen Entwicklung und Vermehrung der Einwirkung
des freien Sauerstoffs. Die nicht wachsende, vom Zutritt des freien Sauerstoffs
abgeschlossene, lebende Hefezelle erregt in Zuckerlösung alkoholische Gährung.
Die Gährung ist hier der Ausdruck eines abnormalen, unvollkommenen Lebens-
processes, bei welchem die zur Ernährung der Hefe notwendigen Stoffe (Zucker,
stickstoffhaltige, mineralische Bestandtheile und freier Sauerstoff) nicht alle gleich-
zeitig und harmonisch zum Wachsthujn der Hefe zusammenwirken.
8) De Bary: Schimmel und Hefe 2. Aufl., Berlin 1874 In der Sammlung wissen-
schaftlicher Vorträge. Man findet hier eine Erörterung der Hallier'schen An-
sichten über Hefe und Schimmelbildung.
Man vergl. auch Karsten: Die Fäulniss und Ansteckung. Schaffhausen 1872.
Colin, Ferdinand: Ueber Bakterien, die kleinsten lebenden Wesen Berlin 1873.
In der Sammlung der wissenschaftl. Vorträge.
9) Liebermeister: Ueber die Ursachen der volkskraukheiten. Basel 1865. S. 36.
10) Appert: Le livre de tous les menages, ou l'art de conserver etc. Paris 1830.
Willaumer: De conserver alimentaires nouveau procede dans la Meurthe.
Paris 1850.
Das A pp er t'sche Verfahren bleibt noch immer der Ausgangspunct aller neuern
Versuche auf dem Gebiete der Conserven, welche immer mehr an Bedeutung ge-
winnen und ganz besonders auch der Militairverwaltung im Kriege grosse Vortheile
versprechen. Neuerdings ist das Australische Büchsenfleisch ein grosser
Industriezweig geworden, hat aber in Deutschland noch wenig Eingang gefunden.
Crosse und Blackwell in London vertreten die Conservenindustrie in einem
grossartigen Massstabe; sie versenden eingemachte Fleischpasteten (Potted meats),
Saucen, conservirte Suppen, Salm und sonstige Fischspeisen, deren Absatz durch
die Kriegsmarine, die Handelsflotte und die Garnisonen in den Colonien u. s. w.
hinreichend gesichert ist, so dass „das Zeitalter der Blechbüchsen" (The age of
Tin) immer näher rückt. Um übrigens den Metall- oder Blechgeschmack, welchen
die Büchsen den conservirten Gemüsen oft ertheilen, zu vermeiden, fängt man an,
Gläser statt der Büchsen für diesen Zweck einzuführen, seitdem ihr hermetischer
Verschluss weniger Schwierigkeiten darbietet.
In Mainz ist aus Mitteln des Reichs die erste grosse Fabrik für Militaircon-
serven errichtet.
Das Jones'sche Verfahren ist in Dingler's Polyt. Journ. CCX. p. 319 genauer
beschrieben.
Man vergl. den Bericht über die Wiener Weltausstellung im Jahre 1873. Drittes
Heft, IV. Gruppe: Nahrungs- und Genussmittel als Erzeugnisse der Industrie
von Prof. Dr. Carl Eugen Thiel in Darmstadt. Braunschweig 1874.
11) May et im Journ. de chim. et phys., 1851, p. 42.
12) Neuerdings ist das Wasserglas zur Conservirung der Eier vorgeschlagen worden;
sie sollen mit einer 30 % haltigen Wasserglaslösung behandelt werden. Da sie auf
der Oberfläche schwimmen, so sind sie öfter unterzutauchen; nach 10 Minuten
werden sie auf einem hölzernen Rost getrocknet. Sie erhalten durch diese Be-
handlung einen glänzenden, luftdichten Üeberzug.
13) Lucas, Eduard: Kurze Anleitung zum Obstdörren, 3. Aufl. Ravensburg 1869.
Getrocknete und comprimirte Gemüse haben in Frankreich, namentlich in der
Armee und Marine, grosse Verbreitung gefunden.
14) Das Verfahren von Krön ig ist im Polyt. Notizblatt 29, p. 198 beschrieben.
Die Kunst, die Speisen in Därmen aufzubewahren, hat sich bekanntlich auch bei
der im letzten Kriege vielfach besprochenen Erbsen wur st bewährt, eine Methode,
welche noch weiter zu verfolgen ist und grosse Vortheile verspricht.
Ausführliche Belehrung über Wurstbereitung gewährt L. F. Dronne: Charcuterie
ancienne et moderne. Paris 1869
15) Man vergl. Hirschberg, H.: Ueber die Conservirung der Milch durch Borsäure
im Archiv d. Pharmac. CC. p 45 und Chemisch. Centralblatt, S 498, 1872.
Ponziau, A. L.: Le Laiterie. Art de traiter le lait, de fabriquer le beurre et les
prineipaux fromages francais et etrangers. Paris 1872.
16) Das Waschen des Getreides bezweckt den durch langes Lagern in schlecht
ventilirten Magazinen oder in Schiffsräumen erlangten schimmlichen Geruch des-
selben wegzuschaffen. Man gebraucht dazu eine 6— 7malige Waschung und zwar
Ozon. g]3
abwechselnd, ein alkalisch gemachtes, pures Wasser, eine Chlorkalk enthaltende
Losung, reines Wasser, mit Salzsäure angesäuertes Wasser und schliesslich wieder
reines Wasser; das Trocknen geschieht mittels Centrifugalmaschinen und in heissen
Kammern.
17) Unter andern Autoren erwähnt Taylor ein solches Vorkomnmiss, welches in
Frankreich sich ereignet und die Erkrankung mehrerer Familien- veranlasst hatte
Die Nachforschungen ergaben, dass Risse an den Mühlensteinen mit Bleikitt
verstopft und mit Gips überdeckt^ waren. Der Gips war abgefallen und das Blei-
salz, welches abbröckelte, war mit vermählen worden und so unter das Mehl ge-
rathen. (Taylors Gifte. Uebersetzt von Seydeler. 2. Bd. S. 434. Cöln 1863.)
18) Horsford nimmt 3 Th. weisse, gewaschene Knochenasche, behandelt dieselbe mit
2,4 Th. Schwefelsäure, aus welcher man durch Verdünnen mit 10 Th. Wasser das
etwa vorhandene Blei entfernt hat, um Calciumphosphat (Ca(H2P04),j zu erhalten,
welches noch J/s des Kalkes der Knochen enthält. Nach Entfernung des Gipses
wird die Flüssigkeit zur Honigdicke eingedampft und nach dem Erkalten 1 Th.
Stärke beliebiger Sorte zugesetzt, wodurch eine bröcklige Masse entsteht, die bei
gelinder Wärme ein weisses, trocknes Pulver liefert. Auf 3 Th. Phosphat wird
nun 1 Th. Natriumbicarbonat zugesetzt. Man bereitet aus beliebigem Mehl einen
Teig, salzt denselben und setzt vom Backpulver eine entsprechende Menge zu,
mengt gut und backt das Brot auf die gewöhnliche Weise; die hierbei ent-
weichende Kohlensäure macht das Brot locker und leicht. Ein Zusatz von Kalium-
bicarbonat statt Natriumbicarbonat soll das Brot noch wohlschmeckender machen
und sprechen hier nur die höhern Kosten mit.
Man kann daher nach Liebig auch durch ein Gemenge von Natriumbicarbonat
und Chlorkalium im Verhältnisse von 2 : 1 das Kaliumbicarbonat ersetzen. Da
das Brot für einige Zeit die Fleischnahrung ersetzen kann, so ist es namentlich
für Armeen im Felde von grossem Werthe; im letzten amerikanischen Kriege hat
es bereits grosse Dienste geleistet. Auch kann man das Brot durch geeignete
Zusätze noch nahrhafter machen. (The Theory and Art of Bread making. A new
Process without the use of ferment. By Prof. E. N. Horsford.)
19) Eulenberg und Vohl: Ueber Brotvergiftung in Vierteljahrssch. f. gerichtl. Med.
Bd. XII. S. 322. 1870.
20) Meyer, Gustav: Ueber die Nährfähigkeit verschiedener Brotsorten in der Zeitschr.
für Biologie, 1. Heft 1871. Die bezüglichen Versuche fielen zu Gunsten des ge-
wöhnlichen Roggenbrotes aus.
Ozon (S. 90-99).
21) v. Gorup-Besanez in den Annalen der Chemie und Pharmacie. Februar- und
März-Heft 1872.
22) Lender: Deutsche Klinik, 1872, No. 19 u. s. w.
23) Oldling hat im Monit. scientif. 1873 No. 376, p. 319 eine ausführliche Geschichte
des Ozons geliefert.
Man vergl. ferner History of Ozone, Proceedings of the Royal Institut. 1872.
Zu beachten ist ferner: Beilud, Guisseppe: Süll' Ozono, note e reüexioni.
Trato 1869.
Houzeau und Renard (Monit. scient. 1873, No. 376, p. 340) benutzten con-
centrirtes Ozon zum Studium der organischen Verbindungen, wobei angeblich
ein neuer Körper (Ozobenzin) entstand.
24) Carius im Bericht der Deutschen ehem. Gesellsch. zu Berlin Juli-Heft 1872.
25) Schwartzenbach in den Verhandlungen der physik.-medic. Gesellsch. zu Würz-
burg. 1. Bd. p. 322.
26) Hacker, Adalbert: Ueber den Einfluss ozonisirter Luft auf die Athmung warm-
blutiger Thiere. Riga 1863.
27) Dewar und Mac Kendrick in Roy. Soc. Edinb. Proc. Session 1873—1874.
28) Rosenthal, J.: Die Athembewegungen und ihre Beziehungen zum Nervus vagus.
Berlin 1862.
29) Huizinga im Centralblatt der medic. Wissensch. No. 21, 1867.
30) Kühne und Scholz in Virchow's Archiv, 33 Bd., S. 96—111.
Lewison eod. loc. 36. Bd. S. 15.
31) Pokrowski, eod. loc. 36. Bd. S. 482-501.
32) Hammerschmidt: Das Ozon und seine Wichtigkeit im Haushalte der Natur
und des menschlichen Körpers. Wien 1873-
33) Dr. Wenzel: Ueber die Marschfieber in ihrer ursächüchen Beziehung während
des Hafenbaues im Jadegebiete von 1858—1859. Prag 1870.
34) Werner Siemens hat in Poggend. Annal. CIL 120 die lnductionsröhren beschrieben.
814 Wasser.
Wasser (S. 99-131).
1) Henneberg, Rudolf, im Communalblatt der Stadt Berlin, No. 26, 1870.
Mehrere Arten von Wasser- und Dampfheizungen sind im 15. Heft des
Amtlichen Berichts über die Wiener Weltausstellung von Seelhorst S. 309 be-
schrieben. Braunschweig 1874
2) Salisburv: On the cause of intermittens and remittens fevers etc. Americ. Journ.
of Med. Science, Jan. 1867, p. 51.
3) Wood, eod. loc. 1868, p. 333— 352.
4) Frankland in Dingler's polyfc Journ., 184. Bd., p. 166, 1867.
— über Trinkwasser im Amtlichen Bericht über die Wiener Ausstellung',
16. Heft, 1875, S. 47.
5) Reincke in der Vierteljahrsschrift für gerichtl. Medicin u. öffentl. Sanitätswesen,
XXII Bd , 1875, S. 127.'
6) Tiemann hat eine Reihe genauer Versuche ZUr Bestimmung der Salpetersäure
im Wasser angestellt (Zeitschr. der Berl. ehem. Gesellsch. 1873, 1034).
7) Fischer, Ferdinand: Das Trinkwasser, seine Beschaffenheit, Untersuchung und
Reinigung. Hannover 1873.
8) Fleck: Erster Jahresbericht der chem Centralstelle für die öffentl. Gesundheits-
pflege, 1872, S. 27.
— Journ. für prakt. Chemie, Bd. 4, 1871, S. 364.
9) Vohl: Ueber die Anwendung alkalischer Silberlösungen zum Nachweise organischer
Stoffe im Wasser. Archiv d. Pharmac, 4. Heft, 1874.
10) Prestel: Der Boden, das Klima und die Witterung von Ostfriesland. Emden 1871.
11) Lebert, Hermann: Aetiologie und Statistik des Rückfalltvphus und des Fleck-
typhus Leipzig 1870.
12) Virchow's Archiv 1860 S. 242 und 1862 S. 453.
13) Reichardt: Grundlagen zur Beurtheilung des Trinkwassers. 2. Aufl. Jena 1872.
Kübel, Wilhelm : Anleitung zur Untersuchung von Wasser, welches zu gewerb-
lichen und häuslichen Zwecken benutzt werden soll. 2. verm. Aufl. von Dr. Ferd.
Tiemann. Braunschweig 1874.
O'Brien Mahony: The presence of organie matter in potable water always
deleterious to health, to which is added the modern analvsis. Second edition.
Dublin 1869.
14) Falkland classificirt die Trinkwässer folgendermassen: 1) Regenwasser (ver-
dachtig), 2) Bergland -Tagewässer aus kalkigen und nicht kalkigen Schichten
(meistens gutes Wasser), 3) Tagewässer von eultivirtem Lande aus kalkigen und
nicht kalkigen Schichten (häufig verdächtig), 4) Flachbrunnenwässer (gefährliches
Wasser), 5) Tiefbrunnenwässer aus kalkigen und nicht kalkigen Schichten, 6) Quell-
wasser aus kalkigen und nicht kalkigen Schichten (5 und 6 meist gutes Wasser).
Das Wasser der Flachbrunnen rechnet F. zu den gefährlichen, ganz einerlei,
aus welcher geologischen Formation sie schöpfen, namentlich wenn sie sich in der
Nähe von Sielen, Senkgruben u. s. w. befinden. In vielen Fällen habe sich der
Ausbruch epidemischer Krankheiten in Städten und Dörfern auf die Benutzung
solchen W7assers zurückführen lassen. Quell- und Tiefbrunnenwasser zieht er
selbst dem Bergland-Tagewasser vor.
15) Virchow: Reinigung und Entwässerung Berlins. Berlin 1873.
16) Ballard: Med. Times and Gaz. Nov. 26. 611. 1870, eod. loc. May 24. p. 550, 1873.
17) Lebert, loc. cit. (No. 11).
18) Nach Falkland ist die Wirksamkeit eines Kohlenfilters nach 4 Monaten er-
schöpft: er hält die Filtration durch eine 2 Meter dicke Schicht gewöhnlichen
porösen Bodens für wirksamer als die Sandfiltration, wenn das Durchmessen nach
je 6 Stunden unterbrochen und der Luft Zutritt zu den Poren des Bodens gestattet
wird (1. c. p. 72, 73).
19) Bolley's Handbuch d. chemischen Technologie, 7. Bd., Braunschweig 1862, S. 71.
20) Falkland spricht überall den tiefen Brunnen und Quellen das W7ort, zu denen
sich das WTasser erst durch das langsame natürliche Hindurchsickern durch dicke
Schichten von Gestein und Erde seinen Weg bahnen müsste Hier käme die
kräftig oxydirende Wirkung des porösen und durchlüfteten Bodens auf die im
Wasser gelöste organische Materie zur vollen Geltung (1 c. p. 56).
Die Sitte, filtrirtes Wasser nochmals mittels Kohlenfilter in den Haushaltungen
zu behandeln, verdient immerhin Beifall. In Bezug auf die Entfernung organischer
Substanzen ist erfahrungsgemäss ganz besonders der sogen. Eisenschwamm zu
empfehlen Man stellt ihn durch Reduction von Haematit mit Kohle bei mög-
lichst niedriger Temperatur dar und hat in neuerer Zeit Filtrirapparate mittels
desselben construirt.
Schwefel. 815
"Wird ein mit Fäcals toffen verunreinigtes Wasser dieser chemisch en Reinigung
unterworfen, so hält Frankland es noch nicht für bewiesen, dass ein solches
Wasser auch die Fähigkeit verloren habe, epidemische Krankheiten zu verbreiten.
21) Roth, Ludwig: Die Kesselsteinbildung imd die Mittel zur Verhütung derselben.
Berlin 1872.
DeHaen über radicale Beseitigung d. Kesselsteins in Dingler's Journ. CCVII1. p.271.
22) Foussagrives in Annal. d'hyg. publ. etc., Avril 1865, p. 257.
23) Virchow-Hirsch's Jahresbericht 1866, I. 282, 1868, I. 293.
24) Fuhrmann: Beiträge zur Verpflegung mit Wasser an Bord von Kriegsschiffen.
Beiheft zum Marine -Verordnungsblatt No. 11, Berlin 1874. Hier findet sich auch
die Abbildung und Erklärung des Normandy'schen Apparates.
Auch Bolley hat mehrere Apparate für die Destillation des Seewassers ab-
gebildet.
25) Möller: Ueber die Methode zur Ermittelung der Feuchtigkeit in Gebäuden, in
Pappenheim's Monatsschrift f. Sanitätsp., I. Jahrg. 1860, S. 337.
Erismann in der Zeitschrift für Biologie, XL Bd., S. 1 — 78, 1875.
26) Die Behauptung, dass säurefreies H20:3 längere Zeit unzersetzt bliebe, ist noch
nicht ganz sicher gestellt. Die meisten Präparate enthalten Salpetersäure in
kleinen Mengen.
Wasserstoffsuperoxyd ist nicht bloss ein mächtiges Oxydationsmittel, sondern
auch ein Reductionsmittel, indem es Jod in Jodwasserstoffsäure überführt (J-f H202
= 2HJ + 02), aus Silberoxyd metallisches Silber ausscheidet und Braunstein zu
Mangan oxydul reducirt:
Ag2 0 + H2 02 = Ag2 + H2 0 + 02,
Mn02 + H,02 = MnO + H20 + 02.
Bei diesen Reactionen treten stets 2 Atome Sauerstoff zu einem Molec. zusammen.
Bisweilen wirkt H202 gleichzeitig oxydirend und reducirend ein. Die redu-
cirende und oxydirende Wirkung des Wasserstoffsuperoxyds spielt beim Bleichen
die eigentliche Rolle, grade wie schweflige Säure und Zinkstaub als Reductionsmittel,
Chlor und Ozon als Oxydationsmittel den Bleichprocess vermitteln. Die Entfärbung
durch H202 erfolgt nur langsamer als durch Chlor.
Tessie du Motay und Marechal schlugen H202 zum Bleichen der Gewebe
vor und zwar in der Weise, dass dieselben nach der Bleiche mit übermangansaurem
Kalium in eine Lösung von H202 getaucht werden sollten.
Dass Wassersuperoxyd Haare und Federn bleicht, ist sicher. In England wird
es zum Rothfärben der Haare als golden hair water oder Auricome vielfach
verwendet.
In technischen Kreisen zweifelt man nicht daran, dass Wasserstoffsuperoxyd mit
Ausschluss des Lichtes dem Bleichprocesse dienen kann, was von grosser Bedeu-
tung sein würde, da z. B. die Ozonbleiche des Elfenbeins nur bei starkem
Sonnenlichte im Sommer vorgenommen werden kann.
Oppenheim im Amtl Bericht der Wiener Ausstellung, 16 Heft, S. 41.
27) Assmuth, J. : Ueber die Einwirkung von Wasserstoffsup. auf d. physiol. Verbr.
Dorpat 1864.
28) Stöhr im Arch. f klin. Med., 3. Bd. 5. Heft S. 421.
Schwefel (S. 135-173).
1) Barbaglia, Angelo: Die Schwefelindustrie Siciliens (im Amtlichen Bericht der
Wiener Ausstellung, S. 144).
2) Bouisson: Ophthalmie produite par le soufrage de la vigne in den Annal. d'hyg.
publ. 1863, p. 469.
3) Der Apparat von Thomas und die Fabricationsmethode ist in Payen's Handb.
der techn. Chemie (übers, von Stohmann u. Engler, Stuttgart 1872, S. 122) abge-
bildet und beschrieben.
4) Die Thatsache, dass Schwefelwasserstoff nicht zu den spec. leichten Gasen gehört,
ist in manchen Fällen von Bedeutung (s. Vierteljahrsschr. f. ger. Medic. 1876, 4. Heft).
5) Eulenberg 's Lehre u. s. w., S. 262.
6) Falck und Amelung: Deutsche Klinik 1864, S. 39— 41, 1865 No. 17—33.
7) Schaffner, Max, in den Verhandlungen der physik.-medic. Gesellsch. in Würzburg
1869, p. 179-183 In dem mitgetheilten Falle stellten sich 3 Wochen lang Tob-
suchtsanfälle ein.
8) Arch. für Anatomie und Phys. von Reichert und Dubois-Reymond, 1865, S. 659.
9) Med. Centralbl. 1863, No. 28. Med. ehem. Unters., Berlin 1866, 1. Heft S. 151.
10) Eulenberg's Lebre u. s. w., 1. c. S. 272.
11) Eulenberg's Lehre u. s. w., S. 460 u. 507.
816 Schwefel.
12) Chevallier hat zwei Fälle von tödtlicher Einwirkung der schwefligen Säure auf
Arbeiter mitgetheilt (s. Effets d*acide sulfureux sur les vegetaux in Annal. d'hyg.
publ , Oct. 1863, S. 408).
TJeber den Einfluss der schwefligen Säure auf die Vegetation vergl. man
noch Julius Schröder ( Landwirthschaftl. Versuchsstation XV., p. 321, Wagner's
Jahresber. 1874, S. 277).
Die Hauptursache des naclitheiligen Einflusses von S02 soll in der Depression
der normalen Wasserverdunstung liegen. Nadelhölzer werden im Allgemeinen
weniger als Laubhölzer afficirt, weil die Blattfläche eines Nadelholzes weniger
schweflige Säure aufnimmt als die von Laubholz. Die Aufnahme von S02 konnte
bei Laub- und Nadelholz nachgewiessen werden, wenn die betreffenden Zweige in
einer Luft verweilten, die nicht mehr als V5000 ihres Volumens an schwefliger
Säure enthielt. Licht, hohe Temperatur und trockne Luft begünstigen ihre Auf-
nahme und beeinträchtigen am stärksten die Verdunstung.
Stöckhardt '.Ceutralblatt für Agriculturchemie 1872, p. 15, Wagner's Jahresber.
1874, S. 178) hat nachgewiesen, dass der Nachtheil des Hütten- und Stein-
kohlenrauches auf die Vegetation ausschliesslich seinem Gehalte an S02 zu-
zuschreiben ist.
Eine Entfernung von 630 Metern scheint auch die empfindlichste Vegetation
gegen die Wirkung der Rauchmassen zu schützen, wenn die Schornsteine wenigstens
25 Meter hoch sind. Stöckhardt hält Nadelhölzer für empfindlicher gegen S02
als Laubhölzer und zwar in folgender Reihe: Tanne, Fichte, Kiefer und Lärche.
Von Laubhölzern sind Weissdorn, Weissbuche, Birke und Obstbäume am empfind-
lichsten; ihnen folgen Haselnuss, Rosskastanie, Eiche, Rothbuche, Esche, Linde
und Ahorn. Die Pappel soll sich am widerstandsfähigsten zeigen, was wir nach
eignen Beobachtungen nicht bestätigen können, während St. ausser dieser auch die
Erle und Eberesche für am meisten geschützt hält. In den durch S02 getödteten
oder corrodirten Pflanzentheilen konnte S02 nicht, wohl aber eine grössere Menge
von Schwefelsäure nachgewiesen werden.
Zu erwähnen ist hier der Vorschlag von Todd, die Röstgase der Pyrite
und die Rauchgase dadurch zu verwerthen, dass man diese Gase unter Schichten
von Kohle oder Koks führt, welche durch abgehende Wärme erhitzt werden. Die
Kohlensäure verwandele sich dann in Kohlenoxyd, welches als Heizmaterial
diene, und die schweflige Säure liefere ausser Kohlenoxyd noch Schwefel,
der in einem Kühlapparat condensirt werden könne.
13) Asphyxie accidentelle par des fumigations sulfureuses. Journ. de chim. med., Janv ,
g47 : Jahresber. von Virchow-Hirsch I. 1867, S. 419
irt: Gasinhalations- Krankheiten, S. 75. Breslau u. Leipzig 1873.
15) Würtembergisches Corresp -Blatt No. 48, 1852.
16) Ausführliches über die Verwendung der schwefligen Säure findet sich bei
De war: On the application of sulphurous aeid. gaseous and liquid to the pro-
vention and eure of diseases. Second edit. Edinb. 1868.
Pairman: The great sulphure eure brought to the test and workings of the new
curative machine proposed for human lungs and windpipes. Edinb. 1868.
17) Die Zeichnung ist dem Payen'schen Werke (S. 232) entnommen.
18) Winkler, C. A.: Untersuchungen über die chemischen Vorgänge in den Gay-
Lussac'schen Condensationsapparaten der Schwefelsäurefabriken. Freiberg 1867.
Winkler sieht die Bleikammerkrystalle für eine Vereinigung von Schwefel-
säurehydrat mit salpetriger Säure an. Untersalpetersäure bilde in Be-
rührung mit feuchter schwefliger Säure nitrose Schwefelsäure in festem,
krystallisirtem Zustande. Salpetrige und schweflige Säure gäben, falls
Feuchtigkeit zugegen sei, bei ihrem Zusammentreffen Schwefelsäurehydrat
und entweichendes Stickoxyd gas.
19) Die beiden Figuren sind dem Werke von Friedrich Bode: Beiträge zur Theorie
und Praxis der Schwefelsäureproduction (Berlin bei Oppenheim, 1872) entnommen.
Bezüglich der Schwefelsäurefabrication ist noch beachtenswerth:
Smith, Henry Arthur: The chemistry of sulphurid and manufacture. Lond. 1873.
Deutsche Ausgabe von Friedr. Bode unter dem Titel: Die Chemie der Schwefel-
säurefabrication. Freiberg 1874.
Schwarzenberg, Philipp: Technologie der chemischen Präparate. Braun-
schweig 1865.
20) Der Ofen von II äsen clever und Heibig ist beschrieben in der Zeitschrift des
Vereins deutscher Ingenieure 1870, S. 706, sowie in Dingler's polytechn. Journ.
1871, erste Hälfte.
21) Eine ausführliche Beschreibung dieses Ofens findet sich in der Berg- und Hütten-
männischen Zeitung 1871, No. 5.
Selen und Tellur. 817
Bei den ursprünglichen Perret'schen Oefen wurde das Erz von einer Etage zur
andern mit der Hand geknickt, wodurch viele Arbeit entstand. Die neuern Oefen
haben eine Höhe von 2 Meter und 4 Reihen Platten übereinander, auf denen der
Kies vollständig abbrennt, ohne dass man ihn von oben nach unten zu schieben
braucht.
Maletras hat nach diesen Principien einen Ofen construirt, in welchem Fein-
kiese ohne Stückkies und ohne Kohlenfeuerung abgeröstet werden. Es sind aber
schwefelreiche Kiese von 46—48% Schwefel erforderlich, wenn das Resultat
günstig sein soll.
Aus diesen vielfachen Ofenconstructionen ersieht man, dass kein Ofen allen
Zwecken dienen kann und man daher von der Natur der Kiese auch die Con-
struction der Oefen abhängig machen muss. In der Nähe von Berlin sind Oefen
von Maletras im Betriebe. Ueber den Walter'schen Ofen s. Wagner's Jahresber.
1874, S. 246.
22) Bei fehlerhaften Pumpen kann in Folge des Druckes ein Platzen derselben erfolgen,
wodurch schon bedeutende Verletzungen und "Verbrennungen der Arbeiter ent-
standen sind. Es ist daher Pflicht der Fabricanten, alle Pump Vorrichtungen einer
öftern und sorgfältigen Revision zu unterwerfen, um ein Unglück dieser Art zu
verhüten.
23) Lunge hat in Dingler's polytechn. Journ. (CCI. p. 341) eine genaue Beschreibung
des Glover'schen Thurmes geliefert. Man vergl. hierüber auch Fr. Vorster in
Dingler's Journ., 203. Bd., p. 204. Wagner's Jahresber. f. 1875, S. 341, 355, 358 u s.w.
Wie der Gay-Lussac'sche Thurm sich an die Bleikammer anschliesst, so ist
der Glover'sche Thurm zwischen Kammern und Brenner eingeschaltet; man kann
ihn als Denitrir- und Concentrationsthurm bezeichnen. Seine Hauptaufgabe
besteht aber im Concentriren der Kammersäure durch die Hitze der aus dem
Brenner kommenden schwefligen Säure und in dem Denitriren der aus dem
Gay-Lussae'schen Thurm ausfliessenden nitro sen Schwefelsäure, obgleich der
erstere Zweck vollständiger als der letztere erreicht werden soll, weil viele Stick-
stoffverbindungen angeblich zu Stickstoff reducirt werden.
24) Ueber den Transport der concentrirten Schwefelsäure in Dinglers Journ. 1874, S.518.
Ueber Reinigung der Schwefelsäure von Arsen mittels Schwefelwasserstoffs
nach Gerstenhöfer s. Wagner's Jahresber. 1874, S. 259; ferner S. 237.
Selen (S. 173—174).
1) Eulenberg's Lehre u. s.w., S. 455.
Tellur (S. 174).
1) Eulenberg: Die Lehre u. s. w. S. 463.
2) Gmelin, C. G. : Versuche über die Wirkung von Baryt, Strontian u. s. w.
Tübingen 1824, S. 43.
Stickstoff und seine Verbindungen (S. 174—255).
1) Boussingault hat die Untersuchungen über die Kohlensäure im Boden angeregt.
v. Pettenkofer: Die Luft im Boden oder Grundluft (in den Vorlesungen in
Beziehung der Luft zu Kleidung, Wohnung und Boden. Braunschw. 1872).
— Zeitschr. f. Biologie VIT S. 395, 1871, u. IX. S. 250, 1873.
Fleck: Zweiter und dritter Jahresbericht der ehem. Centralstelle f. Öflentl. Gesund-
heitspflege in Dresden. Dresden 1873 u 1874.
Staebe, C. L.: Boden-Ventilation als Schutzmassregel wider Cholera und Typhus.
Herausgeg. von Paul Niemeyer, Magdeburg 1873.
Staebe geht von der Erwägung aus, dass Epidemien von Cholera, Typhus u. s. w.
dadurch zu "verhüten sind, dass man unaufhörlich grosse Mengen frischer, reiner
Luft in den Boden leitet, die verdrängte Luft aber an einem vom Menschenverkehr
entfernt gelegenen Puncte zum Abfluss in die Atmosphäre bringt. Zu diesem
Zwecke empfiehlt er, die Keller unter den Wohnräumen 12 Zoll hoch auszugraben
und sämmtliche in den Kellerwänden liegende Schornsteine des Hauses bis zu
dieser Tiefe hinabzuführen, gegen den Grund durch dichtes Mauerwerk abzu-
schliessen und mit jenem 12 Zoll hohen Räume durch eine ebenso hohe seitliche
Oeffnung in Communication zu setzen. Danach sei der 12 Zoll hohe Hohlraum
über Eisenbahnschienen zuzuwölben, mit einer Betonschicht zu belegen und die
nunmehr gewölbte Kellersohle zu planiren. Damit der Hohlraum rem erhalten
werde, ist beim Fegen der Schornsteine in die Reimgungsthüren ein Schutzblech
einzufügen. Man könne auch besondere Canäle aufmauern, welche über der Kei-
Eulenberg, Gewerbe-Hygiene. 3"
818 Stickstoff und seine Verbindungen.
nigungsthür in die nicht hinunter geführten Schornsteine münden und im Hohl-
raum ebenso wie die letztern mit seitlichen Oeffnungen versehen sind.
Vogt, Adolf: Trinkwasser oder Bodengase. Eine Streitschrift zur Beleuchtung
der Tagesfragen über die Entstehung des Typhus und dessen Bekämpfung.
Basel 1874.
Fodor: Experiment. Unters, über Boden und Bodengase. Vierteljahrsschrift für
öffentl. Gesundheitspflege VII. S 205. 1875.
Pfeiffer: Ueber Bodenwärme und Infectionskrankheiten. Berl. Klin. Wochenschr.
IX. Jahrg., S. 15. Port im Bayer, ärztl. Intelligenzblatt XXII. 9.
2) Festschr. f. d. Versamml. deutscher Naturforscher in Rostock. Tägliche Beobach-
tungen von Franz Schulze. Rostock 1871.
3) Schmid, Ernst Erhard: Grundriss der Meteorologie. Leipzig 1862.
Dove, H W.: Die Witterungsverhältnisse in Berlin. 2 Aufl. Berlin 1858. Eine
sehr praktische Schrift.
Smith, Rob. Angus: Air and Rain, the beginnings of a chemical Climatologie.
London 1872.
4) Man vergl. die Versuche von Seitz (Deutsche Klinik 1865, No. 41).
5) Obernier, F.: Der Hitzschlag, Insolatio — Coup de Chaleur — Sun-stroke. Nach
neuen Beobachtungen und ausgedehnten Versuchen. Bonn 1867.
Passauer (Vierteljahrsschrift für gerichtl. Medicin u. s. w., VI. Bd., 2. Heft 1867)
hält den Hitzschlag für eine Infectionskrankheit.
Arndt, Rudolf: Zur Pathologie des Hitzschlages (in Virchow's Archiv, 64. Bd.,
1875, S. 15).
6) New-York Journ., New Ser. XIII., p. 45, 1854.
7) v. Pettenkofer: Ueber das Verhalten der Luft zum Wohnhause des Menschen
(p. 50 in der cit. Vorles.).
8) Möller: Ueber die Methoden zur Ermittelung der Feuchtigkeit in Gebäuden.
(Pappenheim's Monatsschr. für ex. Forsch, im Gebiete d. Sanitätspolizei, I. Jahrg.
Berlin 1860, S. 337).
9) Lehnert in der Vierteljahrsschr für gerichtl Medicin u. s. w., 8. Bd., S. 261, 1868.
Bresler, 1. c. 6. Bd. 2. Heft 1854.
Der § 89 der Bau-Polizei-Ordnung für Berlin und Umgegend vom 21. April 1853
schreibt vor, dass Kellergeschosse nur dann zu Wohnungen eingerichtet werden
dürfen, wenn deren Fussböden mindestens einen Fuss über dem höchsten Wasser-
stande, deren Decke aber wenigstens 3 Fuss über dem Niveau der Strasse liegen.
Auch müssen die Mauern und Fussböden solcher Wohnungen gegen das Eindringen
und Aufsteigen der Erdfeuchtigkeit geschützt werden.
Nach der neuesten Zählung gibt es in Berlin 22,000 Kellerwohnungen, die, zu je
75 Thlr Jahresrente gerechnet, einen jährlichen Ertrag von 1,650,000 Thlr. bringen.
Schlechte Kellerwohnungen sind allerdings mit höchst schädlichen Einflüssen
verbunden; Kellerwohnungen sind aber nicht gänzlich zu verwerfen, sondern bedürfen
mehr als jede andere Wohnung bei der ganzen Anlage einer sanitätspolizeilichen
Ueberwaehung. Ein Haupterforderniss ist die gewissenhafte Beachtung einer alle
Umstände berücksichtigenden Bau-Polizei-Ordnung, denn Verstösse gegen eine
sachgemässe Bauconstruction können bei Kellerwohnungen nicht wieder gut gemacht
werden, sie machen ihre sanitären Nachtheile auf die Insassen permanent geltend.
10) Bei den Kasematten ist es auch noch die mangelhafte Einwirkung des Lichtes,
welche als ein sanitärer Nachtheil zu betrachten ist. Man kann hier zwar ent-
gegnen, dass in Bergwerken Kinder geboren und erzogen werden, ehe sie das
Tageslicht erblicken; diese Ausnahme berechtigt aber noch nicht dazu, die wohl-
tätige Wirkung des Lichtes gering zu achten. Pas Licht ist ein Belebungs-
mittel für das Nervensystem und für die harmonische Function der physiologischen
Processe erforderlich. Man vergl. die interessante Schrift von Forbes, Winslow:
Light, its influence on lit'e and health. London 1867.
Moleschott: Licht und Leben. Eine Rede. Frankfurt 1856.
11) Anders verhält es sich bei den Heizern auf Eisenbahnen und den Locomotiv-
führern, welche schon wegen der bedeutenden Luftströmung den höhern Hitze-
graden weniger ausgesetzt sind. Erfahrungsgemäss sind auch die Locomotiv-
beamten eher Krankheiten ausgesetzt, welche auf die in stehender Stellung zu
ertragenden Erschütterungen zu beziehen sind, wie Steifigkeit in den Gelenken und
Gelenkkrankheiten überhaupt. Was aber die Wärme des Heizapparates betrifft,
von welcher das Locomotivpersonal getroffen wird , so schwankte bei den auf
5 Locomotiven angestellten Wärmemessungen eine \% Fuss vom hintern Kessel-
umfange entfernte Quecksilbersäule je nach dem Einflüsse des Windes zwischen
24,5° und 30,5° R. , während die Wärme der atmosphärischen Luft 16° R. im
Schatten betrug. Eine belästigende Wärmestrahlung verbreitet sich bei jeder
Warme Luft. g;[C)
Oeffnung der Feuerthür und wird nur von den Heizern empfunden. Wichtiger ist
der Umstand, dass sehr ungleiche Temperaturgrade oft den Körper treffen; während
die Erhitzung der untern Körperhälfte, namentlich der Fusssohlen, unerträglich
werden kann, wird der obere Theil des Körpers ebenso oft dem abkühlenden
Winae ausgesetzt. Trotzdem hat die bisherige Eisenbahn-Statistik noch nicht ein
vorzugsweises Erkranken der Locomotivbeamten nachgewiesen.' Sehr lehrreiche
Andeutungen hierüber finden sich in der Schrift: „Zum Eisenbahn-Medicinalwesen.
Von einem Hannoverschen Eisenbahnarzte. Celle 1863."
Es ist hier besonders auf v. Weber's Vorschlag: an jeder Bahnlinie Wannen-
und Dampfbäder zur reichlichen Benutzung für das Maschinen- und Fahrper-
sonal anzulegen, aufmerksam zu machen, ein Vorschlag, dem wir aus voller Ueber-
zeugung beitreten, da neben Reinerhaltung des Körpers die belebende Wirkung
des Bades als das beste Mittel zur Förderung einer normalen Hautthätigkeit erachtet
werden muss.
v. Weber, M.: Die Gefährdungen des Personals beim Maschinen- und Fahr-
dienst der Eisenbahnen. Leipzig 1862.
Soule: Praktische Bemerkungen über die Krankheiten, welche bei Eisenbahn-
beamten vorkommen. Deutsch von Gustav BÖ gel. Leipzig 1866.
Verf. hat keine besondern Krankheiten bei den Locomotivführern, Maschinisten
und Heizern auffinden können; namentlich vermisste er bei denselben Leiden der
Nervencentren, welche angeblich ebenfalls durch die schwankende Bewegung
der Maschine entstehen sollen.
Die Statistik der Eisenbahnbeamten ist erst im Entstehen. Cfr. Flinzer:
Die Krankheit's-Statistik der Eisenbahnbeamten (Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Medic.
23. Bd., S. 355, 1875), Lent ( Correspondenzblatt des' Nieders. Vereins f. öffentl.
Gesundheitspflege, Bd. IV., No. 4, 5, 6, S. 64, 1875).
Anders verhält es sich mit den Maschinisten auf Dampfschiffen, die ent-
schieden grössern Extremen in der Temperatur ausgesetzt sind, wenn die geeig-
neten Schutzmassregeln fehlen. Diese bestehen gegenwärtig auf allen grössern
Dampfschiffen in Ventilationsschloten aus Blech oder Leinwand, die nach dem
Winde zu stellen sind und eine bedeutende Menge frischer und kühler Luft dem
Maschinenräume und namentlich dem Heizraume zuführen; nur in tropischen
Gegenden wird diese Einrichtung nicht ausreichen: s. Senftleben (Vierteljahrsschr.
25. Bd. 1876).
12) Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Medicin, Bd. XVIL, S. 119, 1860.
13) In der Seidenindustrie sind die Trocken'stuben gegenwärtig fast ganz in Weg-
fall gekommen (s. S. 564). Für viele technische Zwecke sind sie aber noch unent-
behrlich und werden am zweckmässigsten in der Weise construirt, dass von einem
im Souterrain gelegenen Centralfeuerherd die Feuergase in Canälen oder Röhren
aufwärts ziehen, in einem Röhrensystem sich vertheilen und unten in das Rauch-
rohr zurückkehren. Für Arbeiter, welche in solchen Räumen länger verweilen
müssen, gibt es kein vortrefflicheres Mittel, als der Gebrauch von kalten Regen-
bädern, Brausen und Douchen. Die Einrichtung derselben ist so einfach,
dass sie sehr leicht und ohne grössere Kosten fertig gestellt werden können; man
sollte sie den Arbeitern überall, wo excessive Temperaturgrade auf dieselben ein-
wirken, zur Verfügung stellen, da sie den Körper erfrischen und gegen die Hitze
widerstandsfähiger machen.
Was die Luftheizung in Wohnräumen und Schulen betrifft, so wird ihr Werth
noch vielfältig bestritten. Da die Schulen oft der Schauplatz der bezüglichen Ver-
suche gewesen sind, so erklärt es sich, dass grade viele Lehrer entschiedene
Gegner dieses Systems geworden sind. Viele Nachtheile sind jedenfalls _ auf eine
unzweckmässige Anlage zurückzuführen, namentlich wenn sie sich als die Folgen
einer übermässigen Erhitzung der Luft oder der Zuführung von Kohlenstaub u. s.w.
kund geben. Schwierig ist die Erwärmung des Fussbodens und die Herstellung
einer gleichmässigen Erwärmung mehrerer Stockwerke, denn es ereignet sich nicht
selten, dass zu ebener Erde eine unzureichende Erwärmung und im ersten Stocke
eine unerträgliche Hitze vorwaltet. Man zieht es daher neuerdings vor, nur ein-
zelne Räume mit einer Centralheizung zu versehen, woraus aber natürlich grössere
Kosten erwachsen, die man bei Schulen u. s. w. im Allgemeinen zu scheuen pflegt.
Die stärkere Bewegung der Luft bedingt notwendigerweise eine kräftigere
Ventilation, aber gleichzeitig grössere Trockenheit der Luft; auch die Temperatur-
differenz im geheizten Räume ist jedenfalls auffallend, sie kann in horizontaler
Richtung 2° C., in verticaler vom' Boden bis zur Decke 12° betragen. Man hat
grade diesen Umstand als die Ursache mancher Erkrankungen, z. B- von Hals-
affectionen, Kopf- und Brustschmerzen, angesehen, obgleich Zuverlässiges hierüber
noch nicht vorliegt.
52*
820 Stickstoff und seine Verbindungen.
Kammerer (Untersuchungen über die Luft in Schulzimmern bei Luft- und
Ofenheizung. Bayer. Industrie- u. Gewerbe-Blatt VII., G u. 7, 1875) hat die Frage:
ob die Heizeinriehtungen und die Ventilation in dem mit Luftheizung nach Rein-
hard t'schem Systeme versehenen Gebäude der Winterbaugewerkschule zu Nürn-
berg den heutigen Ansprüchen der Technik und Hygiene vollkommen genügen, in
jeder Beziehung bejaht und die Luftheizung bei einer guten Anlage für zuträglicher
als die Ofenheizung erklärt: kein anderes, bis jetzt erprobtes Heizsystem liefere
in Bezug auf gleichzeitige Erwärmung und Ventilation, auf zuträglichen
Feuchtigkeitsgehalt der Luft, Einfachheit der Anlage und Unter-
haltung bessere Resultate.
K. hat besonders den Gehalt an Kohlensäure als Massstab benutzt und bei
Luftheizung im Mittel 0,17575 Volumprocent (auf 6° und 760° Mm. Baro-
meterstand berechnet), bei Ofenheizung im Mittel 0,26084 Volumprocent
wählend der Unterrichtszeit im Lehrzimmer gefunden.
Während der Unterrichtszeit ohne Gasbeleuchtung enthielt die Luft in den Lehr-
zimmern der erwähnten Schule im Durchschnitt 0,14276 Volumprocent Kohlen-
säure bei der Luftheizung.
Der Gesammtmittelwerth aller Kohlensäurebestimmungen während der Unter-
richtszeit mit und ohne Gasbeleuchtung belief sich bei Luftheizung auf
0,1753 Volumprocent, bei Ofenheizung auf 0,26014 Volumprocent.
Bei Luftheizung bewegte sich die einströmeude Heizluft im Mittel während
1 Secunde 3,050 Meter, die abziehende Luft 1,893 Meter.
Was den Feuchtigkeitsgehalt der Luft betrifft, so ergaben sich beiLuft-
heizung als Gesammtmittelwerth bei allen Beobachtungen 60,95% relativer
Feuchtigkeit, bei Ofenheizung 69,21%: bei Luftheizung 10,3% absoluter
Feuchtigkeit und bei Ofenheizung 9,17%.
Es wird somit durch das Experiment bewiesen, dass die Luftheizung trocknend
wirkt, was in der stärkern Luftbewegung und der hierdurch bedingten raschen Weg-
führung der wässrigen Ausscheidungen seinen Grund haben mag. Es gibt nun Fälle, in
denen sich diese Trockenheit auf eine unangenehme Weise bemerkbar macht: man
kann zwar hierauf erwiedern, dass dann die Schuld nur an der Einrichtung oder
an einer unzweokmässigen Leitung der Feuerung liegt. Gibt man dies zu, so folgt
aber weiter, dass die Luftheizung im Allgemeinen einer weit sachverständigeren
Ueberwachung bedarf als die Ofenheizung, wenn sie ihrem Zweck vollständig
entsprechen soll. In Schulen wird dies um so nothwendiger sein, weil es sich
hier nur um eine vorübergehende Heizung von kürzerer Dauer handelt, während
welcher alle Bedingungen zur Erreichung einer angenehmen Wärme noch schwieriger
zu erfüllen sind.
Gut construirte Oefen können weit leichter nach dem jeweiligen Bedürfnisse
gehandhabt werden und eignen sich namentlich für Volks-Schulen weit besser.
14) Deber eine choleraartige Erkrankung nach dem Genüsse von Fruchteis hat
Cheval Her berichtet (s. Espece de cholera morbus cause par des glaces im Bull,
de l'Acad. de med. 23., p. 717). Jahresbericht von Virchow- Hirsch, I. Bd., S. 458
bis 459, 1868
Ueber Vanilleeis-Vergiftung vergl. man noch
Maurer im Arch. f. klin. Medicin, IX., p. 303, 1872.
Rosenthal, L., in Berl. klin. Wochenschr. No. 10, S. 115, 1874.
Ferber im Archiv der Heilkunde, 3. u. 4. Heft, S. 362, 1874.
15) Meidinger, Heinrich: Die Fortschritte in der künstlichen Erzeugung von Kälte
und Eis. Amtl. Bericht über die Wiener Ausstellung, 16. Heft, S 74.
Die W indhausen'sche Maschine ist in Wagner's Jahresber. für techn. Chemie
(1870, S. 542) beschrieben.
16) Rose, Edmund: Die Mechanik des Hüftgelenkes. (Separat-Abdruck aus Reichert's
u du Bois-Reymond's Anh.. .luhrg. 1865, Heft 5.)
17) Meyer-Ahrens : Die Bergkrankheit. Leipzig 1854.
18) Schlaginweit in Koner's Zeitschr. f. Erdkunde (Berlin 1866, Bd. 1. 4. Heft, S. 332):
Ueber den Einfluss der Höhen auf die menschliche Gesundheit.
19) Compt. rend. 1. Juillet 1872. Ferner loc. eod. 17. Juillet 1871, 946, 1874.
Bert gibt den Rath, 45- <•"> % O. und 55—25$ N. den Luftschiffern mitzugeben.
20) Ein Opfer der verdünnten Luft und des verminderten Luftdruckes sind in der
jüngsten Zeit die Lnftschiffer Oroce-Spinelli und Sivel geworden. Eine aus-
reichende Benutzung von Sauerstoff würde wahrscheinlich diesem Unglücke vor-
gebeugt haben. Die Höhe von 7000— 7400 Meter kann man als diejenige bezeichnen,
bis zu der unsere Atmosphäre noch athembar ist. Die Höhe, welche der Ballon
der genannten Luftechiffer erreichte, betrug nahezu 8600 Meter. Neben der Ver-
dünnung mag auch vielleicht die Trockenheit der Luft mit eingewirkt haben.
Atmosphärische Luft. 321
21) Man vergl. Guerard in Annal. d'hyg. publ. 1860, S. 279.
Freund in der Wiener medic. Presse No. 11, 1866.
Panum in Pflüger' s Arch. f. Phys. 1868, S. 125.
v. Vivenot: Zur Kenntniss der physiolog. Wirkung der comprimirten Luft.
Erlangen 1868.
— — Ueber den Einfluss des verstärkten und verminderten Luftdruckes.
Wien 1865.
G. v Liebig: Ueber das Athmen unter erhöhtem Luftdrucke. Zeitschrift für
Biologie, Bd. 1, 1869.
Jourdanet, D.: Influence de la pression de l'air sur la vie de l'homme. Climats
d'altitude et climats de montagne. 2 vol. gr. in-8, avec cartes et pl. Paris,
G. Masson 1875.
22) Arch. f. Ohrenheilk., I., 4. Heft, p. 269—283, 1864.
23) Annal. d'hyg. publ, Oct. 1866, p. 289.
24) Pol et Watelle in Annal. d'hyg. publ. 1854, S. 241.
25) Friedberg, Herrn.: Ueber die Rücksichten der öffentlichen Gesundheitspflege
auf das Arbeiten in comprimirter Luft. Separat- Abdruck aus den Verhandlungen
des Vereins für Beförderung des Gewerbefleisses. Berlin 1872.
26) Foley: Du travail dans l'air comprime, etude medicale, hygienique et biologique.
Paris 1863. Annal. d'hyg. publ, Janv. 1864; S. 214.
27) Die bezüglichen Beobachtungen auf preussischen Bergwerken finden sich in der
Zeitschr. f. Berg-, Hütten- u. Salinenwesen, Bd. 4 S. 255, 1857, Bd. 8 S. 43 u. 152,
1860, Bd. 17 S. 385, 1869.
In Compt. rend. T. XIII. p. 884 sind die ersten Versuche des Ingenieurs Triger,
welche ein unter durchsickerndem Sande liegendes Kohlenlager bebaubar zu machen
bezweckten, mitgetheilt worden.
28) Jede Stadt und jedes Land hat einen besondern Staub. Man vergl.:
Lichtenstein, Eduard: Zur Strassen-Hygiene in der Berliner klin. Wochenschr.
No. 45, 46 u. s. w., 1874.
Archiv der Deutschen Medicinal- Gesetzgebung von Müller und Ziurek,
11. Bd., 1858.
Sonnenkalb: Der Strassenstaub in Leipzig 1861.
Chrastina: Der Strassenstaub in Wien als gesundheitsschädliche Potenz.
Oesterr. Zeitschr. f. prakt. Aerzte, VI., 45, 1861.
Süss, Eduard: Ueber den Staub Wiens in den Schriften des Vereins zur Ver-
breitung naturw. Kenntnisse in Wien. IV. Jahrg. 1863 — 64. Wien 1865.
Ein Hauptbestandteil des Wiener Strassenstaubes besteht aus s über weissen
Glimmerblättchen, die von dem zum Schutt (Beschotterung) der Strassen
benutzten Sandstein herrühren.
Tissandier: Der Staub von Paris und Umgegend. Compt. rend., Tome 78,
No. 12, Mars 1874.
•Unger, Franz: Mikroskopische Untersuchungen des atmosphärischen Staubes
von Graz. Sitzungsber. der K. K. Academie d. Wissensch. zu Wien im Nov. 1849.
Wien 1849.
Tyndall: Ueber Nebel und Staub (Roy. Instit. 1870 vom 21. Jan. Naturforscher
No. 13, 1870).
Wild: Ueber den Staubgehalt der Luft in Poggend. Annal. IV. V., 1868.
Dellmann (Vorträge über neuere Forschung. Kreutznach 1870) behandelt den
atmosphärischen Staub, Rauch und Höhenrauch.
Ueber die Luft in Fabrikstädten und namentlich ihren Gehalt an Schwefel-
säure, Salzsäure u. s. w. conf. Dr. A. Smith, 1 c. No. 3.
Brit. med. Journ., Juni 1870. Quart. Journ. of Microscop., Jan. 1869.
Sidebothar (Industrie -Blätter No. 13, 1872) hat über die Abgänge von den
Schienen und Räderspeichen bei Eisenbahnfahrten Beobachtungen gemacht. Da
viele dieser Eisentheilchen magnetisch waren, so schlägt er für Reisende in Gegen-
den von bedeutender Eisenindustrie das Tragen magnetischer Eisenbahnbrillen und
eines magnetischen Respirators vor!
29) Ehrenberg, C. G.: Monatsbericht der Academie der Wissensch., Jan. 1871, S. 3.
— Uebersicht der seit 1847 fortgesetzten Untersuchungen über das von der
Atmosphäre unsichtbar getragene, reiche organische Leben. Berlin 1871.
30) Co hn, Ferdin.: Unsichtbare Feinde in der Luft. Ein Vortrag. Tagesblätter der
47. Vers, der Deutschen Naturf. u. Aerzte in Breslau vom 18. bis 24. Sept. 1874,
p. 138, Breslau 1874. ■ , _„ .
Richter, E. H. : Ueber das Vorkommen krank machender Schmarotzer-Pilze m
der Atmosphäre (Schmidt's Jahrb., Oct. 1871).
822 Stickstoff und seine Verbindungen.
31) Caslin: Shut your inouth. 4. Ed., Lond. 1869. Deutsch von Flachs: Geschlos-
sener Mund hält gesund. Leipzig 1870.
32) Oppenheimer, Z.: Ueber den Einfluss des Klimas auf den Menschen. Sammlung
gemeinverständlicher wissenschaftl. Vorträge, Berlin 1867, S 35.
33) Melloni. Macedoinal: La Thermochrate ou la coloration calorifique. Frem. part.
Naples 1830.
34) Graf v. Rumford: Abhandlungen über die Wärme. Weimar 1805, S. 318.
Kleinere Schriften, 2. Bd. 2. Abth., 1800, S. 290.
351 Krieger in der Zeitschr. f. Biologie. 5 Bd. 4. Heft 1869.
36) Coulier im Journ. de physiol. Tom. 1, 1859.
Levy: Traite d'hyg; priv. et publ. (11. T, 4. Edit. 1862, p. 202).
Falk, Friedrich: Ueber die hygienische Bedeutung des Wassergehaltes der At-
mosphäre im Arch. f. path. Anat , 62. Bd., 1875.
37) Zeitschr. f. Biologie, 1. Bd. S. 180, 1865.
38) Hoppe, J.: Die leinene und baumwollene Bekleidung der Menschen. Magde-
burg 1851.
39) Annal d'hyg. et publ., XII Bd., p. 54, 1834.
Stark hat namentlich auch bezüglich der Farbe der Zeuge experimentell fest-
gestellt , dass schwarze Stoffe hygroskopischer als weisse sind und neben Wärme .
und Licht ebenso leicht flüchtige und riechende Stoffe aufnehmen, so dass bei der
Krankenpflege und bei Reisen in ungesunden Gegenden schwarze Kleidungsstücke
zu vermeiden sind.
40) v. Pettenkofer: Beziehungen der Luft zur Kleidung in den cit. Vorlesungen.
Ueber militärische Bekleidung ist zu vergl.:
Parkes: A manual of practicale Hygiene. Third edit. London 1869.
Roth und Lex: Handbuch der Militair-Hygiene. Berlin 1871 — 75.
41) Einzelne Regierungen haben besondere Anweisungen zum Schutze der in gewerb-
lichen Anlagen beschäftigten Arbeiter publicirt. Ausführlich ist eine solche Be-
kanntmachung Seitens der Regierung zu Düsseldorf im 45. Stück des Amtsblattes
vom October 1874 mitgetheilt.
42) Möllinger, Carl: Handbuch der zweckmässigen Systeme der Abtritts-Senkgruben
und Siebanlagen. Höxter 1867.
Eine ausführliche Beschreibung der Saug-Druckpumpen findet sich bei Salviati
Röder und Eichhorn: Die Abfuhr und Verwerthung der Dungstoffe u. s. w .'
Berlin 1865.
43) Laurin, Philipp: Entfernung und Verwerthung von Abortstoffen u. s.w. Prag 1869.
Pieper, Carl: Schwemmcanäle oder Abfuhr. Dresden 1869.
Knauff und Esser: Deutsche Viertel) ahrsschr. f. öffentl. Gesundheitspfl., IV. Bd.
2. Heft, S. 316, 1872.
Ranke, H.: Bericht über die Anwendung des Liernur'schen Systems in Prag.
München 1870.
44) Eigenbrodt: Die Städtereinigung. Darmstadt u. Leipzig 1868.
45) Darstellung des Müller- Schür'schen Systems zur Abfuhr menschlicher Excremente.
Stettin 1865.
Müller, Alex.: Ueber landwirtschaftliche Verwerthung der Faeces. Erdmauu's
Journ. f. prakt. Chemie, Bd. 88, p. 226, 1862.
46) Bockendahl, J.: Das Erd-, Gruben-, Eimer- und modificirte Wasser-Closet in
England. Nach dem Public Health Report für 1869. Kiel 1871.
Moule: On the System of earth sewage. Journal of the societ. of arts.
May 15, 1863.
Schwarz und Limer: Ueber das Fass-Abortsystem der Stadt Graz. Dingler's
polyt. Journ., p. 487, 1867.
Schauenstein, Adolf: Die Abfuhr der Auswurfstoffe und die Gesundheits-
verhältnisse in Graz. Deutsche Viert elj ahrsschr. f. off. Gesundheitspfl., Bd. "\ III.,
Heft 2, 1876.
47) Die neuern Bemühungen, aus den in desinficirtem Zustande abgefahrenen Excre-
menten Bre nnmaterial darzustellen, rühren vom Oberlehrer Dr. Petri in Berlin
her (s. Allgem. polyt. Zeitschr. 1874, p. 1868., — Deutsche Industriezeitung 1874,
p. 284, — Dingler's polyt. Journ., 213. Bd., p. 258). Die hierzu erforderliche Ein-
richtung der Aborte besteht im Trommelsystem. Die Trommel besteht aus
emaillirtem Topfeisen, ist 47 Ctm. hoch, 40 Ctm. im Lichten weit und umfasst auf
jeder Seite 5 Aborte. Die in die Aborte entleerten Excremente werden durch eine
gezahnte Welle von Schmiedeeisen mittels einer Kurbel in Bewegung gesetzt, nach-
dem vorher die Petri'sche Desinfectionsmasse in die Trommel geschüttet ist, welche
bis zur Anfüllung der Trommel ausreicht.
Unterhalb jeder Trommel befindet sich eine hebelartige Vorrichtung, welche einen
Sewage. g23
Schieber seitlich schiebt, damit die geruchlosen, moorartigen Fäcalmassen in ein
darunter m einer Grube aufgestelltes Petroleumfass fallen, dessen Deckel nach der
Füllung mit einem Schraubenverschluss versehen wird.
Die geruchlose Fäcalmasse wird schliesslich in eine doppelte Schnecke gebracht,
welche mittels eines durch 2 Pferdekräfte in Thätigkeit gesetztes Göpelwerk die-
selbe zu Fäcalsteinen formt und dabei immer zwei gleichzeitig herausbefördert.
In einer Stunde liefert die Maschine 750 Fäcalsteine.
Die von der hiesigen Militair-Verwaltung angestellte Prüfung hat ergeben , dass
die Fäcalsteine höhern Brennwerth als Torf haben und die dabei ge-
wonnene Asche 7% Kali, 8 % Phosphorsäure und 10-12% Kalk enthält; sie ist daher
als ein gutes Dungmittel zu benutzen, cf. Deutsche Vieiteljahrsschrift für öffentl.
Gesundheitspflege, S. 495 u. 747, 1875.
48) On the sewering of towns and draining of houses. Journ. of the societv of arts
March 21, 1862. J
49) Bürkli-Ziegler: Die Wasserversorgung der Stadt Zürich. Winterthur 1872.
Bürkli, A.: Anlage und Organisation städtischer Wasserversorgung. Zürich 1867.
50) — Ueber Anlage städtischer Abzugscanäle und Behandlung der Abfallstoffe in
Städten. Zürich 1866.
Was die Construction der Schwemmcanäle betrifft, so hat man in Berlin nur
für die Hauptcanäle grosse gemauerte Gewölbe errichtet. Die seitlichen Zuflüsse
werden durch kräftige Thonröhren vermittelt.
51) Bekannt ist es, dass die Fische den frischen Fäcalien mit Begierde nachgehen;
nur die faulen Stoffe sind für sie gefährlich. Ausserdem sind es aber die Abfälle
der chemischen Fabriken, welche unter Umständen höchst verderblich auf die
Fische einwirken.
Frankland im Amtl. Berichte der Wiener Ausstellung, S. 71.
52) First, second and third Report of Commissioners to inquire in to the best Means
of preventing the Pollution of Rivers. London.
Reinigung und Entwässerung Berlins. Von 1870—1874. Berlin bei Hirschwald.
Virchow: Reinigung und Entwässerung Berlins. Generalbericht. Berlin 1873.
53) Ger ardin: Alteration, corruption et assainissement des rivieres. Annal. d'hyg.
publ., T. XLIH, p. 5 u. 261, 1875.
54) Die Ergebnisse der Clark 'sehen, Lenk'schen und Sillar'schen Verfahren finden
sich in Reinigung und Entwässerung Berlins.
55) Zu den Schattenseiten der Berieselung gehört noch der Umstand, dass ein hin-
reichend grosses Gebiet von Aeckern und Feldern zu Gebote stehen muss, um
eben den nothwendigen Wechsel in der Berieselung eintreten lassen zu können.
In England rechnet man durchschnittlich auf 63 Einwohner 1 Morgen Rieselland,
während man in Berlin mit 1 Morgen für 200 Einwohner auszukommen glaubt.
Wichtig bleibt es, auch für die vorschriftsmässige Ableitung des Rieselwassers
Sorge zu tragen. In einem concreten Falle wurde dasselbe in Festungsgräben ab-
feleitet, in denen es durch weitere Zersetzung wegen mangelnden Abflusses der
äulniss unterlag und sanitätspolizeiliche Bedenken hervorrief. Der von der
Regierung verklagte Magistrat führte aus, dass in den qu. Festungsgraben schon
seit längerer Zeit wildes Tageswasser geflossen sei. Die Gerichtsbehörde bestritt
aber, dass dem Magistrat hieraus das Recht erwachse, die Rieselwässer in den
Festungsgraben einzuführen. Nach dem Ausspruch der Gerichtsbehörde hat der
Kläger nur von der im § 102 Tit. 8. Th. I. des Allgem. Landrechts bisher keinen
Gebrauch gemacht, vielmehr den Uebertritt des Wassers von den Nachbargrund-
stücken nur geschehen lassen; es könne hieraus allein der verklagte Magistrat den
Besitz eines Rechtes für sich überhaupt nicht herleiten. Bestehe aber ein solches
Recht — wie aus der Existenz von zwei Feldgräben als Vorfluthgräben anzunehmen
sei — , so könne sich dasselbe nach den gesetzlichen Bestimmungen (§ 102 u. s. w.
I. c, Vorfluth-Edict vom 15. November 1811, Gesetz vom 28. Februar 1843 und
II. Mai 1853) immer nur erstrecken entweder auf das Regen- und Schnee-
wasser, welches vom Himmel auf das verklagte Grundstück falle oder auf das
in dem letztern stehende Wasser (Teiche und stehende Seen), welches, weil es
immer vorhanden, von unterirdischen Zuflüssen herrühren müsse (conf. Ent-
scheidungen des Ober- Tribunals, Bd. 36, S. 40). Nicht aber sei ohne vorgängige
Constituirung die Existenz eines dinglichen Rechts, speciell einer Servitut
— wie das Recht vom verklagten Magistrate genannt wird — denkbar, Inhalts
deren der verklagte Magistrat befugt sei, sich von fremden, künstlich seinem
Grundstücke zugeführten Flüssigkeiten zu entledigen. Mögen diese
Flüssigkeiten ihre Beschaffenheit durch Bodeninfiltration verändern,
wie sie wollen, immer bleiben sie wegen Mangels des natürlichen
Zusammenhanges mit dem Grundstücke ausserhalb der Grenzen der
824 Stickstoff und seine Verbindungen
in den vorcitirten gesetzliehen Vorschriften behandelten Fällen,
namentlich ausserhalb der Existenz einer nothwendigen oder Legal-
servitut.
Der Magistrat suchte zu beweisen, dass der Sandboden des Dünenterrains fast
überall mit einem rothbraunen Stoffe, dem sogen. Fuchssande, imprägnirt sei,
welcher eine der Braunkohle ähnlich zusammengesetzte, stark eisenhaltige Humus-
substanz sei. Durch diese rothbraunflockige Substanz werde das qu. Rieselwasser
getrübt, enthalte aber keine Residua des Sielwassers.
Gegneriseherseits wurde die Qualität des filtrirten Rieselwassers bestritten und
das Vorhandensein des sogen. Fuchssandes für bedeutungslos erklärt, indem der-
selbe das Wasser nur mit etwas Eisenoxyd würde färben können, dasselbe aber
sonst frei von organischen Stoffen sein müsse, was nicht der Fall sei.
Das Gericht entschied zu Gunsten des Klägers.
Ganz besonders wichtig ist auch ein passender und das Wasser aufsaugender
Boden, damit so wenig als möglich Wasser zum Abtluss gelangt; ein mit Lehm
oder Mergel gemischter Sandboden eignet sich am besten dazu.
Sehr praktische Fingerzeige liefert in dieser Beziehung:
Fegebeutel: Die Canalwasser-(Sewage-) Bewässerung in Deutschland. Danzig 1874.
— Die Canalwasser- (Sewage-) Bewässerung. Danzig 1870. Man vergl. ferner
Varrentrapp: Die Entwässerung der Städte. Berlin.
Eine gute Uebersicht der bezüglichen Bestrebungen enthält:
v. Sommaruga: Die Städte -Reinigungs- Systeme in ihrer land- und volkswirth-
schaftlichen Bedeutung. Halle 1874.
56) In Lübeck ist z. B. die Canalisation und Abfuhr mit einander verbunden. Für
letztere dienen transportable Gefässe, während die Canäle aus gradeliegenden
Strecken von 50 — 60 Meter Lauge zusammengesetzt sind und vielfältig aus glasirten
Thonröhren bestehen. Bei etwaigen Verstopfungen eines Hauptsieles reinigt man
mittels einer durchziehenden Kette, weshalb Canäle in grader Linie erforderlich
sind. Die Verbindung der einzelnen Strecken erfolgt durch sog. Einsteigeschachte,
die sich auch bei jeder Einmündung durch eine Nebenstrasse und bei jeder Verände-
rung des Gefälles befinden. Sie sind 86 Centimeter (3 Kubikfuss) weite, aus Form-
steinen in Cement gemauerte Brunnen, deren Sohle mit Keilsteinen halbkreisförmig
nach demselben Halbmesser wie die einmündenden Thonröhren gewölbt ist. Diese
Einsteigeschachte werden unter dem Pflaster mit einer glockenförmigen, gusseisernen
Kappe geschlossen, in welcher sich oben eine im Niveau des Pflasters liegende,
40 Centimeter weite, viereckige Einsteigeklappe befindet; ihre Oberfläche ist mit
Asphalt ausgegossen. Die Abfallröhren der Dachrinnen und die Strassenrinnen
münden unmittelbar in die Sielen. Da kein Schmutzwasser auf die Strasse ge-
gossen werden darf, so müssen alle Häuser durch Privatsiele einen Anschluss
haben. Die Hauptröhren sind 15—18 engl. Zoll weit, die Zweigröhren 5 Zoll. Die
Mündung des Siels in das Flussbett wird durch verzimmerte, etwa 3 Meter lange
viereckige Kasten von eichenen Bohlen vermittelt, welche durch die Quaimauern
hindurchgehen und beständig im Wasser liegen.
57 1 Lefeldt: Der gegenwärtige Stand der Abfuhr- u. Canalisationsfrage. Berlin 1872.
58) Egen, P. N. C: Der Haarrauch. Ursprung. Erscheinung u. s.w. desselb. Essen 1835.
Prestel in der Oesterr. Zeitschr. f. Meteorologie, Bd. III, No. 13. S. 323, 1868.
59) Eulenberg: Die Lehre von den schädlichen u. s. w. Gasen, S. 191.
60) Preyer (Die Blutkrystalle, Jena 1871, S. 83) hat hierüber ebenfalls Versuche an-
gestellt.
61) Potain in Gaz. de hop. No. 18, 1862.
Christen sah den Tod eintreten, nachdem 50— 60 Grm. Salmiakgeist aus Versehen
verschluckt worden. Auch hier zeigten sich nach 1% Stunden profuser Schweiss,
mühsame Athmung und geschwollene Zunge. Die mit Schleim angefüllten
Bronchien Hessen einen suffocatorischen Katarrh befürchten . welcher beim Aus-
flusse einer grossen Menge weissen Schaums aus dem Munde und unter stetiger
Zunahme der asphvktischen Erscheinungen nach 3% Stunden letal wurde (Journ.
de Chim. medic. 5."ser. Juillet 1869, S. 309).
61) Harless in Henle's und Pfeuffer's Zeitschr. f. ration. Medic, Bd. 12, Heft 1 u. 2.
S. 68, 1861.
Abeking, Jenaische Zeitung. S. 213, 1859.
63) Das Ammonium carbonat ist vorzugsweise in Beziehung zur Uraemie geprüft
worden. S. Rosenstein (Virchow's Archiv, 56. Bd., 3. Heft) sah nach subcutaner
Einspritzung von Ammoniumcarbonat bei Fröschen. Kaninchen und Hunden epi-
leptiforme Krämpfe eintreten, welche er für Krämpfe cerebraler Natur hält, da sie
nicht auftreten, wenn Gehirn und Rückenmark getrennt ist. Die Krämpfe seien
nicht reflectorisch, da sie glatte Muskelfasern verschonten. Die Elimination des
Ammoniak. g25
Giftes erfolge in geringer Menge durch die Lungenschleimhaut, mehr durch die
Haut und die Nieren ; die chemische Umsetzung des Ammoniaks in Nitrate finde
innerhalb der Blutmasse statt.
64) Nach einer Beobachtung von Castan leitete ein Techniker eine Carre'sche Eis-
maschine_ und blieb dabei dem Gasstrome 5-10 Minuten lang ausgesetzt. Sofort
zeigten sich Angst- und Constrictionsgefühl im Epigastrium, Brennen in der Kehle,
Schwindel, Hustenanfälle und Erbrechen. Bei kleinem, frequentem Pulse, jedoch
normaler Temperatur erschien das Gesicht blass, collabirt und der Körper mit
Schweiss bedeckt; zugleich starker Speichelfluss bei stark gerötheter Mund- und
Rachenschleimhaut. Auscultation und Percussion der Brust ergab nichts Abnormes.
Nach einhüllenden und krampfstillenden Mitteln hielt die Besserung bis zum 4. Tage
an, an welchem Erstickungssymptome ein Emeticum erforderten. Am 8. Tacre
kehrte der Erstickungsanfall in geringerm Grade zurück; Patient genass dann voll-
ständig. Schmidt's Jahrb. 1872, L, S. 30.
65) Eulenberg: Die Lehre u. s.w., S. 527.
Der Desinfectionsofen ist ein kleiner Schachtofen, welcher auf einem Gewölbe
steht und nach oben schlotähnlich ausläuft. Unter den Rost der Feuerung führt
ein mit einem Schieber versehenes Rohr die Gase oder Dämpfe ein. In der Mitte
des Gewölbes, 1 Meter unterhalb der Eintrittsstelle dieses Rohrs, beginnt ein Cylinder
von 2 Meter Höhe, welcher nach unten durch den Aschenfall vollständig geschlossen
werden muss, damit der Zug der Gase in die Feuerung nicht gestört wird; seitlich
hat der Cylinder noch eine Schiebethür, um etwa festsitzende Asche loszustossen.
66) Seidel, M.: Ammoniak und Ammoniaksalze im Amtl. Bericht über-die Wiener
Ausstellung, S. 192, 16. Heft.
67) Die Carre'sche Eismaschine, welche in der letztern Zeit grosse Verbreitung gefunden
hat, findet sich genau beschrieben in Dingler's polytechn. Journ., 168. Bd., S. 171.
Man vergl. auch:
Tellier: L'ammoniaque dans 1'industrie. Paris, J. Rothschild, 1867.
68) A.W. Hofmann, Viertel]' ahrsschr. f. gerichtl. Medicin, 18. Bd., S. 318, 1873.
69) Eulenberg: Die Lehre u. s. w., S. 304. Bei den wiederbelebten Cloakenfegern
zeigt sich meist ein gedunsenes, bläulich-rothes Gesicht mit cyanotischer Färbung
der Lippen, Ohren und Nägel; die Respiration ist schnarchend, frequent, mit
Rhonch. sibil. und sonor, verbunden. Das Sensorium bleibt noch einige Tage lang
eingenommen, Fragen werden daher nur langsam und zögernd beantwortet. Zu
gesteigerter Pulsfrequenz kann sich leicht eine geringe Erhöhung der Temperatur
gesellen.
70) Hemmer, M.: Experiment. Studien über die Wirkung faulender Stoffe auf den
thier. Organismus. München 1866.
Schweninger, F.: Ueber die Wirkung faulender Stoffe auf den thier. Organism.
Bayer. Intelligenzbl. No. 42-47, 1866.
Hunt, William: Ein Beitrag zur Lehre von der Blutvergiftung. Loc. eod.
No. 29, 1868.
Finkeinburg, Viertelj ahrsschr. f. gerichtl. Media, 20. Bd., S. 301, 1874.
Blumenstock, loc. eod. 18. Bd. S. 295, 1873.
Siegfried, loc. eod. 21. Bd. S. 338, 1874.
Erismann (Zeitschr. f. Biol., XL Bd. 11. Heft 1875, S. 207—254) fand, dass eine
mittelgrosse Abtrittsgrube, die 18 Kubikmeter Excremente enthält, auch bei äusserst
geringer Luftbewegung an der Oberfläche binnen 24 Stunden 18792,7 Liter oder
in runder Zahl 18,79 Kubikmeter = 20,681 Kilogramm unathembare oder direct
schädliche Gase an die Atmosphäre abgibt. Letztere bestanden aus
Kohlensäure 11,144 Kilogr.
Ammoniak 2,040 „
Schwefelwasserstoff 0,033 „
Kohlenwasserstoffe, Fettsäure . . 7,464 „
135 Grm. Excremente nehmen täglich 13,85 Kilogr. Sauerstoff aus der Luft auf.
71) Mech. Magaz. 307, Nov. 1866. Dingler's polytechn. Journ., 183 Bd., S. 397.
72) Davy: Chemische und physiolog. Untersuchungen über das oxydirte Stickgas und
das Athmen in demselben. Aus dem Engl, übersetzt. 2 Theile. Lemgo 1812-1814.
Seiner Begeisterung über die durch das Gas erzeugten gehobenen Gefühle gab
Davy in folgenden Worten Ausdruck: „Nichts existirt als der Gedanke! Aus
Empfindung. Vorstellung, Vergnügen und Schmerz besteht das Weltall!"
73) Noch heute steht das Colton'sche zahnärztliche Institut in New-York sehr im Rufe.
v. Haurowitz (Das Militair-Sanitätswesen der Vereinigten Staaten während des
letzten Krieges u. s. w., Stuttgart 1866) fand daselbst in einem Buche, in welches
die Patienten ihre Bemerkungen eintragen, folgende Stellen : „Das Lachgas ist kein
humbug, aber der Zahnschmerz ist es dadurch geworden." — „Ich habe nie eine
826 Phosphor.
angenehmere Empfindung gehabt, als während Herr Colton mir vier Zähne
ausriss. "
74) Hermann, Ludimar, in Reichert's Archiv für Physiol. u. Anat., p. 520, 1864.
— Lehrbuch der experimentellen Toxicologie, p. 245. Berlin 1874.
75) Grohnwald, Carl: Das Stickstoffoxydul als Anaestheticum. Berlin 1872.
Ueber einen Todesfall während der Narcose berichtet Brit. Journ. of dent. scienc.
Febr. 1873.
Auch v. Nussbaum beobachtete einen Todesfall bei einem Trinker. Bei der
Section fanden sich die Blutkörperchen zerstört und in eine schmierige Lackfarbe
aufgelöst (Bericht des II Congresses der Deutschen Gesellsch. f. Chirurg., 1873).
Stickstoffoxydul erzeugt sehr leicht Cyanose, die stets Gefahr verkündet; ver-
schwindet sie nicht bald, wird der Anästhesirte sogar tief dunkel cyanotisch, so
stockt die Respiration bald und der Tod ist die unausbleibliche Folge. Herz-
kranke dürfen Stickoxydul niemals als Anaestheticum benutzen.
76) Eulenberg: Die Lehre u. s. w., S 247.
77) Brereton will bei einem in Folge von Pneumonie entstandenen Lungenabscess die
Dämpfe von Salpetersäure mit Erfolg angewendet haben. (Schmidts Jahrbücher,
S. 10, 1835.)
78) Preyer: Die Blutkrystalle. Jena 1871.
79) In den statistischen Nachweisungen figuriren die Kupferstecher und Litho-
graphen häufig als Brustkranke.
80) Die Verbindung NOC1 heisst Nitr osylchlori d. Sie soll sich nach T bilden
(Chem. News, 1874, 29, No. 752: Wagner's Jahresber. für ehern. Technol., S. 362,
Jahrg 1874) nach folgender Gleichung bilden:
HN03 + 3HC1 = N0C1 + C12 + 2H20.
Phosphor (S. 255—282).
1) v. Bibra und Geist: Die Krankheiten der Arbeiter in Phosphorzündholzfabriken.
Erlangen 1847.
Albrecht, E.: Die Krankheiten an der Wurzelhaut der Zähne. Berlin 1860.
Thiersch: Die Phosphornekrose der Kieferknochen. (Arch. d. Heilk., 9. Jahrg.,
1. Heft, S. 71. Leipzig 1868.)
2) Gaz. hebdom. de Med. 29, p. 461, 1868. l'Union medic. No. 86, p. 97, 1868.
3) L'Union medic. No. 74 u. 75, 1868. Jahresber. v. Virchow-Hirsch, I., 814, 1868.
4) Wegner: Der Einfluss des Phosphors auf den Organismus. Virchow's Arch. für
path. Anatomie, 55. Bd , 1. u. 2. Heft, 1872.
5) Am meisten sind in letzterer Zeit noch aus Wien Fälle von Kiefernekrose mit-
getheilt worden. Man vergl die Berichte über die K. K Krankenanstalt Rudolph-
Stiftung für die Jahre 1872 und 1873. Wien 1873 u. 1874
6) Fleck, Hugo: Die Fabrication chemischer Producte und thierischer Abfälle.
Braunschw. 1862. 2. Bandes 2. Gruppe von Bolley's Handb. d. chem. Technologie.
7) Causse hat im Bullet de l'Acad. XIX., Sept. 1854, Versuche über die Unschäd-
lichkeit des amorphen Phosphors mitgetheilt.
8) Nach Coignet in Lyon wird der weisse Phosphor direct, ohne Anwendung der
beiden Bäder, in einem gusseisernen Kessel erhitzt und zwar mittels Koksfeuerung.
Die Temperatur wird durch 4 Thermometer, die im Deckel des Kessels stecken,
beobachtet: in der Mitte des Kessels dient ein Rohr zur Ableitung der Gase
(s. Payen's Lehrb. d. Technol , deutsche Ausg., S. 399).
9) Bellini: Della fabbrica di fiammiferi di Rimini. Firenze 1867. Virchow-Hirsch's
Jahresber. 1867, L, 430.
10) Jettel, Wlad.: Die Zündwaaren-Fabrication in ihrer gegenwärtigen Ausbildung.
Braunschweig 1871.
Freitag, Josef: Die Zündwaaren-Fabrication. Wien, Pest, Leipzig 1876.
11) Nach Freycinet (Traite d'assainissement industriel. Paris 1870) werden in einer
Fabrik in der Nähe von Antwerpen die getrennten Räume für die Schwefel-
schmelzung, die Anfertigung der Zündmasse, das Tunken, für das
Trocknen, die Anfüllung der Büchsen und für das Expeditionszimmer
mittels eines grossen centralen Schornsteins von 2 Meter Durchmesser und
36 Meter Höhe ventilirt. Derselbe dient der Dampfkesselfeuerung und kann
nöthigenfalls auch noch mit einer besondern Feuerung versehen werden.
Den zwei aneinanderstossenden Seiten jedes Raumes entlang läuft aussen herum
ein unterirdischer gemauerter Canal von 0,60 im Quadrat, der in den Schornstein
mündet. Im Innern dieser Räume stehen Oeffnungen in der Mauer mit diesem
Zuge in Verbindung. In dem Räume für die Anfertigung der Zündmasse
befindet sich ausserdem noch ein breiter und niedriger Rauchfang, dessen Saug-
Phosphor. 007
Wirkung durch den kleinen Schmelzherd verstärkt wird. Das Tunken geschieht
sehr rasch und die Rahinen werden sofort auf die Trockenbänke gebracht. Im
Trockenraum sind zwei Seiten entlang 18 Bänke aufgestellt, die je 3 Meter
Sef?' £ ^6ter H°he ^ 1'80 Meter Breite haben- Sie communiciren mittels
3facher Oeänungen am Boden mit dem Ventilationszug und stehen mit der
äussern Luit mittels eines über das Dach hinausreichenden Schlotes in Verbindung
Erwärmt werden sie mit Dampfröhren, die unter dem Fussboden aufgestellt sind;
ausserhalb dieses Raumes gelegene Klappen regeln nach Bedürfniss die Wärme
Vor jeder Reihe der Trockenbänke befindet sich eine kleine Eisenbahn, welche vom
Schmelzraume kommt und zum Expeditionszimmer geht. Sobald die Rahmen auf
die Trockenbänke aufgestellt sind, werden die eisernen Thüren des Trockenraums
geschlossen.
Unter den Tischen, auf denen die Holzbüchsen gefüllt werden, sind ebenfalls die
Aspirations-Mündungen angebracht.
Diese Ventilations - Methode ist einfach, sehr wirksam und nicht kostspielig in
der Anlage.
Bei Verbrennungen mit Phosphor soll das sofortige Waschen mit Eau de
Javelle, in welcher Magnesia suspendirt ist, in 5 Minuten den Schmerz beseitigen.
12) In einem solchen Buche sind Vor- und Zuname, Alter, Wohnort sowie der Tag
des Ein- und Austritts jedes Arbeiters enthalten. Der Arzt, welchem die Ueber-
wachung des Gesundheitszustandes übertragen ist, hat die Ausführung der Vorsichts -
massregeln zu controliren und sowohl die Arbeiter als auch die Besitzer auf vor-
gefundene Mängel aufmerksam zu machen. Noch zweckmässiger würde es sein,
keinen Arbeiter zuzulassen, ehe er von einem Arzte auf seinen Gesundheitszustand
untersucht worden ist. Ausserdem ist dem Kreis- oder Bezirks-Physikus der Ein-
tritt in die Fabrik jeder Zeit zu gestatten, damit dieser sich von der nachhaltigen
Befolgung der vorgeschriebenen Anordnungen überzeuge. Man vergl. Eulen-
berg: Das Medicinalwesen in Preussen, S. 118.
13) Köhler, Hermann: lieber Werth und Bedeutung des sauerstoffhaltigen Terpen-
tinöls für die Therapie der acuten Phosphor-Vergiftung. Halle 1872.
Nur sauerstoffhaltiges, nicht chemisch reines und frisches Terpentinöl ist
anzuwenden. Bei der eigentlichen Phosphorvergiftung wirkt es zweifach: einmal,
indem es den Phosphor in phosphorige Säure überführt, und zum andernmal,
indem es mit dieser die unschädliche terpentinphosphorige Säure bildet.
Terpentinöl wird auch zum Besprengen der Fussboden in den Arbeitsräumen
benutzt oder in offenen Schalen hingestellt.
14) Eulenberg und Vohl: Die Kohle als Desinfectionsmittel und Antidot. Viertel-
jahrsschr. für gerichtl. Medicin, XIII. Bd., 1870. Dingler's polyt Journ., Bd. 198,
S. 435, 1870.
Im Allgemeinen ist aber zu bemerken, dass man nicht einen allzugrossen Werth
auf Antidote lege und nicht im Vertrauen auf diese zur Vernachlässigung der
hygienischen Massregeln verleitet werde.
Beim Phosphor dampf ist ausserdem noch zu berücksichtigen, dass er sich
auch in den Kleidern festsetzen und von hier aus noch nachträglich einwirken
kann. Die Hauptsache bleibt daher stets die möglichst schnelle Beseitigung
resp. Vernichtung des auftretenden Dampfes.
Thiernesse und Casse (Annal. de la Societ. de Med. de Gand, 5 Livraison du
Vol. 42, 1875; Allg. medic. Central-Zeitung No. 55, 1875) empfehlen bei Phosphor-
vergiftung Einspritzung von Sauerstoff in die Venen. Bei einem Thiere von
5-8 Kilogramm wurden 150 — 200 Cm. Sauerstoff und bei grössern Thieren bis zu
500 und 800 Cm. für nothwendig erachtet, um die Phosphorwirkung zu paralysiren.
15) Man kann annehmen, dass der Phosphor durchschnittlich 1/50% Arsen enthält.
Es ist hier noch der von Porte (Necrose phosphoree, These, Paris 1869) aus-
gesprochenen, aber nicht begründeten Ansicht zu erwähnen , dass nämlich nach
Beschäftigung mit arsenhaltigen Gegenständen, z. B. mit bunten Papieren u. s. w.,
Nekrosen entstehen können.
16) Die bisherigen Versuche, Zündhölzer mit dem amorphen Phosphor in der Brand-
masse herzustellen, haben durch die Firma H. Hochstätter in Langen bei
Frankfurt a. M. einen Abschluss gefunden. Dieselben lassen nach v. Schrotter,
dem Berichterstatter über die Wiener Ausstellung, nichts mehr zu wünschen
übrig, da sie sich an beliebigen Reibflächen, sogar an einer solchen von Tuch ent-
zünden, ganz ruhig, geräuschlos, ohne Spritzer, fast ohne Rauch und Geruch ab-
brennen und selten versagen.
Die Zündmasse besteht aus giftfreien Stoffen und erfordert einen weit höhern
Wärmegrad zur Entzündung als die der gewöhnlichen Phosphormasse; die
Hölzchen sind in Stearin oder Paraffin getränkt und ihre Köpfchen widerstehen
32S Phosphor.
vollständig der Feuchtigkeit: auch stellt sich der Preis der neuen giftfreien Masse
billiger als der der bisherigen Phosphor-Minium-Masse. Auf diese Weise wäre
alle öffentliche Gefahr, die sich bisher an die Phosphor Zündhölzer knüpfte,
vollständig beseitigt und ein ausserordentlicher Fortschritt in der Hygiene an-
gebahnt.
Dabei genügen 15 Grm. Züudmasse mit einem Gehalte von 7 % Phosphor für
1000 Hölzchen, während früher wenigstens 31 Grm. einer Masse von nahezu gleichem
Phosphorgehalte erforderlich waren.
17) Eulenberg's Medicinalwesen. S. 121.
Eine Fabrik, in welcher mit gewöhnlichem Phosphor gearbeitet wird, bedarf
keiner wesentlichen Veränderungen, um auch die Fabrieation mit amorphem Phos-
phor vorzunehmen.
IS) Nach C. Liebig soll folgende Miv'hung eine gute phosphorfreie Zündmasse liefern:
Schwefelantimon 8 Th.. Kaliumchlorat 16 Th., Mennige 10 Th., Kaliumbichromat
1 Th.. Nitromannit 8 Th.. Glas 4 Th., Arab. Gummi 5 Th. Ihre Bereitung wird
stets mit Gefahr verbunden sein.
Vielfach hat sich Wie den hold mit der Darstellung phosphorfreier Zündhölzer
beschäftigt (s. Wagner^ Jahresber., S. 622, 1861).
19) Ueber die Darstellung des flüssigen Phosphorwasserstoffs cfr. A. W. Hofmann
im Bericht der Deutsch, ehem. Gesellsch. 1874, p. 531. Diugler's polvtechn. Journ.,
210 Bd.. p. 156.
20) Eulenberg: Die Lehre u. s. w., p. 428.
21) Brenner stellte in der Sitzung des Allgemeinen Vereins St. Petersburger Aerzte
vom 8 Dec. 1864 (St. Petersburger Medic. Zeitschr. 186."), 4. Heft) einen Patienten
vor. der an Ataxia muscularis litt. Derselbe war ein 28jähriger Pharmaceut, der
sich bisher stets wohl befunden hatte. Vor 4% Jahren begab er sich nach Tiflis
und war dort 2'/2 Jahre lang ausschliesslich mit der Bereitung der unterphos-
phorigsauren Salze beschäftigt und zwar in einem schlecht ventilirten Locale.
Nach ^monatlicher Beschäftigung zeigten sich im Sehfelde flimmernde Puncte, die
sich ra.-eh vergrösserten und in 4 Wochen das Fixiren der Gegenstände, namentlich
Lesen unmöglich machten. Zugleich entwickelte sich eine Diarrhoe und beide
Erscheinungen dauerten 9 Monate, worauf sie nach ärztlicher Behandlung nach-
liessen. Eine Schwäche und Unsicherheit in den Armmuskeln, die sich ebenfalls
im ersten Jahre ausbildete und namentlich beim Schreiben lästig wurde, schwand
jedoch nicht, sondern steigerte sich noch im zweiten Jahre und es gesellte sich
auch eine Unsicherheit der Ünterextremitäten hinzu mit intercurrenten schiessenden
Schmerzen in denselben und im Unterleibe, so dass der Gang ein sehr schwankender
wurde. Auffallend war auch ein frühzeitiges Zerbröckeln der Zähne,
sowohl der gesunden als auch der cariösen. Kopfschmerz, Schwindel,
Anästhesie, Empfindlichkeit der Rückenwirbel, Störungen der Geisteskräfte u. s. w.
fehlten. Nach den Extremitäten zeigte sich die Ataxie zunächst in den Muskeln,
welche der Artieulation der Sprache vorstehen: ein weit grösserer Willensimpuls war
nothwendig, um ein gewünschtes Wort zu stammeln; auch die Schluckbewegungen
wurden etwas schwieriger.
In ätiologischer Beziehung war keine andere Veranlassung als die langdauernde
Einwirkung von Phosphor Wasserstoff zu finden, wobei Arsendämpfe aus-
geschlossen waren. Der Kranke machte ganz den Eindruck eines Ataktischen: er
stand mit gespreizten Beinen : coordinirte Bewegungen, Gehen waren bei geschlos-
senen Augen unmöglich. Patient gerieth sogleich in Schwanken und stürzte hin.
Dies war auch der Fall, wenn dem Patienten starke Convexiläser vor die Augen
gehalten wurden: dabei war im motorischen Apparate die. elektrische Er-
regungsfähigkeit ^ehr erhöht, die Contractionen waren schleudernd, durch anta-
gonistische Muskelwirkungen weder moderirt, noch durch synergische unterstützt.
Muskelatrophie fehlte: der N. opticus war sehr reizbar, nicht allein durch Reizung
des Trigeminus von der Backe aus, sondern auch vorn untern Winkel der Scapula
und vom Oberarm aus Hessen sich durch Reflex optische Erscheinungen hervorrufen.
Der constante Strom, auf den sehr erregbaren N. hypoglossus am grossen
Zungenbein applicirt. rief eine vollkommene Schluckbewegung hervor. Die elek-
trische Behandlung wirkte wohlthätig auf das Sprechen und die Oberextremitäten
ein, aber gar nicht auf die Unterextremitäten, da das Schwanken bei geschlossenen
Augen blieb. Man vergl. hiermit das durch phosphorige Säure entstandene, von
Huss mitgetheilte Krankheitsbild.)
22) Die von Huss (Chronische Alkoholkrankheiten oder Alcoholismus chronicus. Aus
dem Schwedischen von van dem Busch, 1852, p. 248— 251) beobachteten Folgen
der inhalirten Phosphordämpfe, welche bei der Entzündung einer grossen Menge
Phosphor entstanden und somit wesentlich phosphorige Säure enthielten,
Phosphor. 829
stimmen in vielen Puncten mit dem Brenner'schen Falle überein, in welchem die
Einwirkung des Phosphorwasserstoffs ein deutliches Spinalleiden erzeugte.
Der Huss'sche Fall betrifft einen 36jährigen Mann, welcher bei dem Versuche,
den in Brand gerathenen Phosphor zu löschen, so viel Phosphordämpfe einathmete,
dass er unter dem Gefühl der Erstickung ohnmächtig wurde. Dann folgte ein
Gefühl von Schwäche im Rücken und in den Extremitäten, Zittern bei jeder
Anstrengung und gleichzeitig ein Gefühl von Kriechen und Jucken unter der Haut.
Auf die anfängliche Geilheit folgte nach 6 Monaten Impotenz; dabei war der Gang
schwankend und unsicher, die Kniee knickten ein und Zittern der Hände und
Arme zeigten sich beim Versuche, sie anzustrengen, während bei ruhiger Lage
Zuckungen in allen Muskeln entstanden. Anästhesie oder Empfindlichkeit des Rück-
grats fehlte, aber der Kranke war so schwach, dass er sich weder aufrichten, noch
aufgerichtet sitzen bleiben konnte. Brust- und Unterleibsorgane, sowie die Sinnes-
organe functionirten normal, nur die Sprache blieb bei ungestörten Geisteskräften
stammelnd. Pat. lebte bei zunehmender Lähmung noch 3— 4 Jahre.
Was die Einwirkung des Phosphors auf den Geschlechtstrieb betrifft, _ so _ beob-
achtete auch Bellini in der grossen Phosphorreibhölzerfabrik zu Rimini, in der
300—400 Arbeiter (darunter 6/8-7U Frauen) beschäftigt sind, bei denjenigen, welche
mit der Anfertigung der Zündmasse und mit dem Eintauchen beschäftigt waren,
starke Aufregung des Geschlechtstriebes, aber mit incompleten Erectionen: bei
Frauen war keine Einwirkung auf den Geschlechtstrieb wahrnehmbar. Sonst konnten
die im Sommer häufig vorkommenden Verdauungsstörungen (Kolikenr Durchfall)
nicht auf die Beschäftigung geschoben werden, da sie auch bei der übrigen Be-
völkerung vorkamen; im Winter waren Männer und Frauen zu Bronchialkatarrh
und Rheuma geneigt.
Dass auch der Phosphordampf Reizungen der Brustorgane zu erzeugen
vermag, ist sicher. Ein Fall von Lungenentzündung wird in der Med. Gaz.,
Vol. 39, p. 210, mitgetheilt, Dupasquier wollte sogar den Phosphordämpfen
nur eine reizende Einwirkung auf die Bronchialschleimhaut zuschreiben,
welche er aber mit Unrecht auf den zufälligen Gehalt des Phosphors an Arsenik
bezieht (Journ. de Pharm., Oct. 1846, 284; Annal. d'hyg. publ., Oct. 1846; Gaz.
med., Dec. 5. 1846, 946).
Es ist mit höchster Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass sich die Wirkung aui
die Brustorgane um so mehr äussert, je mehr der Phosphordampf phosphorige
Säure enthält (m. vergl. ■ phosphorige Säure, S. 278). Ueberhaupt ist die Aehn-
lichkeit zwischen der Vergiftung durch Phosphor, phosphorige Säure und Phosphor-
wasserstoff in den Hauptzügen niemals zu verkennen.
Es ist hier noch die Thatsache hervorzuheben, dass sich in dem Kleingewerbe
die Nachtheile des Phosphors bei weitem seltner als in der Grossindustrie kund
geben. Die Ursache dieser Erscheinung liegt auf der Hand; bei der Grossindustrie
ist es die Masse des zu verarbeitenden Materials, welche eine derselben entsprechende
Menge nachtheiliger Dämpfe entwickelt und daher die grössere Gefahr bedingt.
23) Munk und Leyden: Die acute Phosphorvergiftung. Berlin 1865.
Ueber die Aufnahme des Phosphors in Substanz vergl. man
v. Bamberger: Würzb. medic Zeitschr., VII. Jahrg., S- 41.
Vohl in Berl. klin. Wochenschr. No. 32 u. 33, 1865.
Husemann und Harme in den Nachricht, v. d. K. Gesellsch. d. Wissensch. in
Göttingen, Mai 9., No. 12, 1866. . . .
Ueber ' den Phosphor in physiol., klinisch, u. therap. Beziehung schrieb Lecorcne
im Arch. de Physiol. n, p. 488, 1869; über das Verhältniss des Stickstoüs zur
Phosphorsäure im Urin Zuelzer im 66. Bd. von Virchow's Archiv. ,
24) Scheibler benutzt reine käufliche Superphosphate zur Darstellung der Phospor-
säure. Das Verfahren ist in Dingler's Journ., 221. Bd , p. 27o mitgetheilt.
Arsen (S. 282-305).
1) Arsen äussert als Metalloid nach den bisherigen Erfahrungen keine giftigen Eigen-
schaften. . ,
2) Fester Arsenwasserstoff As4H2 entsteht aus Arsenverbindungen mittels
nascirenden Wasserstoffs bei Gegenwart von Salpetersäure, worauf bei chemischen
Untersuchungen sehr zu achten ist. Dieser Körper stellt ein rothbraunes, 10 der
Hitze sich zersetzendes Pulver dar.
3) Eulenberg: Die Lehre u. s.w., S. 402. .
4) Trost: Vergiftung durch Arsenwasserstoff bei der technischen Gewinnung des
Silbers. Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Medicin, XVIII. Bd., S. 269, 1873.
Der Rath, den Thelmier gibt: in einer Atmosphäre, wo man Arsenwasserston
830 Arsen.
erzeuge, gleichzeitig Chlor zu entwickeln, ist sehr bedenklich. Allerdings wird
Arsenwasserstoff zersetzt, aber das sich bildende Arsenchlorid ist ebenso giftig.
5) Ueber das Verhalten des Arsen Wasserstoffs dem Blute gegenüber vergl. man:
Rabuteau in Gaz. de Paris 18, 1873.
Koschlakoff und Bogomoloff im Centralblatt der medicinischen Wissensch.,
S. 627, 1868. _
6) Nach einer Mittheilung des Chemikers Herrn C lassen wurde in den Leichen der
in der Nähe von Aachen durch Arsenwasserstoff umgekommenen Arbeiter Arsen
in Lunge und Leber nach der Sonnen sehe in'schen Methode nachgewiesen.
7) v. Jäger, Georg: Die Wirkung des Arsens auf Pflanzen, Stuttgart 1864, S. 27,
eine diesen Gegenstand sehr eingehend behandelnde Schrift.
8) Fleck, Hugo, Zeitschr. f. BioL, 3. Heft, 1872: Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Medic,
XVIII. Bd, S. 391, 1873.
9) Kletzinski in der Wiener Wochenschr. No. 43 u. 44, 1859.
Dr. Müller in Augsburg, eod. loc. No. 18, 19, 20.
Dr. Fabian in Dingler's Journ., S 21, 1860.
Die Fälle von Vergiftungen durch Tapeten mit arsenikalischen Farben sind so
ausser Frage gestellt, dass es der speciellen Aufführung dei'selben nicht mehr
bedarf. In den oben angeführten Abhandlungen ist der Nachweis der Vergiftung
auf die überzeugendste Weise vor Augen geführt, während allerdings viele Beob-
achtungen nur auf Vermuthungen und Wahrscheinlichkeiten beruhen,
cf. Kirchgässer: Der nachtheilige Einfluss arsenhaltiger grüner Tapeten. Viertel-
jahrsschr. f. gerichtl. Medic, 19. Bd , S. 96, 1868.
10) Eulenberg: Die Lehre u. s. w., S. 410.
11) Ueber die durch arsenige Säure bewirkte Beschränkung des Stoffwechsels haben
Schmidt und Bret Schneider, Schmidt und Stürzwage (Moleschott's Unter-
suchungen z. Naturl. VI. 146 o. 283), sowie Lolliot (Etüde physiol. de Arsene.
These, Paris 1868) genaue Versuche angestellt. In derselben Richtung lieferte
Cunze (Zeitschr. f. rat. Medic, 27. Bd , S. 33) Beiträge und hat besonders Tem-
peraturabnahme nach kleinen Arsendosen beobachtet, während Saikowsky
(Virchow's Arch. 34. Bd., S. 73) danach eine vermehrte Fettanhäufung namentlich
in der Leiter und in den Nieren nachwiess und zwar in Uebereinstimmung mit
den Versuchen, in welchen Thiere, die mit kleinen Gaben Arsen gefüttert wurden,
bedeutende Fettzunahme zeigten. In letzterer Beziehung scheint es nicht auf die
Präparate anzukommen: so fütterte Roussin Kaninchen mit Calciumarseniat und
sah sie nach kurzer Zeit fett werden (Journ. de pharm, et chim., T. 43, p. 102).
Schon im vorigen Jahrhundert war den Pferdehändlern bekannt, dass man
Pferde mit kleinen Gaben von arseniger Säure fett machen kann. Viele Bewohner
von Steyermark sind bekanntlich Arsenesser und bringen es allmählig durch Ge-
wohnheit dahin, 1 — 2 mal wöchentlich 4 — 5 Gran arsenige Säure zu nehmen, um
grössere Anstrengungen und namentlich das Bergesteigen besser ertragen zu
können. Bekannt ist aber auch, dass sie später, wie die Säufer an den Brannt-
wein, sklavisch an den Genuss von Arsen gefesselt sind und Viele an asthma-
tischen Leiden zu Grunde gehen.
Man vergl. C Gähtgens (Centralblatt der medic. Wissensch., No, 32, 1875)
über den Einfluss toxischer Gaben von Arsensäure ( in Form der Natriumverbin-
dung) auf den Eiweissumsatz im Thierkörper.
Kosel. Albrecht: Zur Kenntniss der Arsenwirkungen. Arch. f. experiment. Path.
Pharm, V Bd.. 1. u. 2. Heft, 1875, S. 128.
Schon Hahneinann, Harless und Brodie beobachteten nach kleinen Gaben
eine Anregung der Herzthätigkeit, nach grössern aber Lähmung des Herzens
und der Nervencentren, eine Erfahrung, die neuerdings von Sklarek
(Arch. f. Anat. u. Physiol. 1866, S. 481) durch Versuche an Fröschen und Säuge-
thieren bestätigt wurde. Die Wirkung auf die Nervencentren (Gehirn und Rücken-
mark) scheinen mehr die Folgen von Circulationsstörungen zu sein, obgleich
Sklarek auch eine directe Einwirkung auf das Rückenmark, namentlich auf dessen
hintere graue Substanz, annimmt: das Rückenmark würde in der Leitung der
sensiblen Eindrücke zu den motorischen Nerven gestört. Neuerdings vertritt jedoch
Unterb erger (Archiv für experiment. Pathol., (I., 89) die Ansicht, dass Arsen
vorzugsweise auf die Unterleibsgefässe wirke, wie aus der Stauung der Unterleibs-
organe hervorgehe, die ihrerseits die Verminderung der Herzenergie zur
Folge habe.
Ablagerungen von Arsen in der Leber und Milz kommen auch vor, der Orga-
nismus zeigt aber eine entschiedene Tendenz, das aufgenommene Arsen vorzugs-
weise durch den Urin und Speichel zu eliminiren; nachhaltige Störungen bleiben
daher nicht zurück, wenn überhaupt Arsen nicht in letalen Gaben aufgenommen
Arsen. §31
worden ist. Bei grossen, innerlich genommenen Gaben ist die Magenschleim-
haut meistens striemen- und punctfÖrmig geröthet und mit einem glasigen oder
blutig gefärbtem Schleim bedeckt; bisweilen ist sie geschwollen und sammetartig
geröthet. Wo sich Körnchen der arsenigen Säure abgelagert haben, finden sich
Arrosionen oder Schichten geronnenen Blutes; wirkliche Ulcerationen sind höchst
selten; bisweilen fehlen aber alle Erscheinungen von localer Reizung.
Beachten swerth ist noch der Umstand, dass unter Umständen die arsenige
Säure als Schwefelarsen gefunden wird. (cf. Dr. J. U. Lerch, Prager Viertel-
jahrsschr., Jahrg. V., 1848, Bd. III, S. 50). Bei Leichen, die nach Monaten und
Jahren exhumirt werden, muss man diese Erscheinung sehr beachten.
Bekannt ist die Eigenschaft der arsenigen Säure, Leichen zu mumificiren; sie
verhindert übrigens nicht die Pilzbildung, sondern befördert sogar gewisse Pilz-
wucherungen. Nach den Untersuchungen von Fleck (Benzoesäure, Carbolsäure,
Salicylsäure, Zimmetsäure, vgl. Unters, zur Feststellung des Werthes der Salicyl-
säure als Desinfectionsmittel, München 1875) stimmt Arsen in dieser Beziehung
mit den von ihm geprüften Säuren überein, welche ebenfalls die Nahrung der
Schimmelpilze nicht consumiren. Die arsenige Säure scheint aber in Flüssigkeiten
das Auftreten von Bacterien und Vibrionen zu verhüten.
12) Man vergl. die Nickelindustrie, S. 776. Zu bemerken ist noch, dass nachLolliot
bei mit Arsen langsam vergifteten Hunden erythematöse Eruptionen in der
Nähe der Gelenke, an den Ohren und an andern Körperstellen mit Ausfallen
der Haare, auch Conjunctivitis mit Thränenfluss und Photophobie auftreten.
13) Jäger hebt noch besonders hervor, dass das Eisenoxydhydrat bei Pflanzen nicht
als Gegengift, wie beim Menschen, zu betrachten ist, indem es die Wirkung der
Vergiftung, auch wenn sich diese kaum kund gegeben hat, nicht zu heben vermag,
denn eine Pflanze scheidet niemals die aufgenommene arsenige Säure aus. Mancher
Boden wird aber wahrscheinlich schon wegen seines Eisengehaltes die Wirkung
derselben vermindern oder aufheben.
Man vgl. ferner v. Gorup-Besanez: Ueber das Verhalten der vegetirenden
Pflanzen und der Ackererde gegen Metallgifte, in den Annal. der Chemie und
Pharmac, Bd. 127, Heft 2, p. 243. Er gelangt zu dem Resultate, dass Pflanzen
aus einem Boden, welcher Arsenik und Quecksilber in inniger Mischung ent-
hält, von diesen Metallen nichts oder nur geringe Spuren aufnehmen
Was das Verhalten der Ackererde gegen arsenige Säure betrifft, so zeigte
sich, dass von 250 Mgrm. arseniger Säure 213 Mgr., d.h. 85,2%, durch die hierzu
benutzte Ackererde von Erlangen unabsorbirt hindurchgegangen waren.
14) Wolff, Reinhold: Der Brand des Getreides, seine Ursachen und seine Verhütung.
Halle 1874.
15) Ueber die Nachtheile der Hüttenwerke im Allgemeinen vergl.
Langendorff in Henke's Zeitschr. f. Staatsarzneik., 37. Jahrg., 1857.
Trebuchet: Code administ. des etabl danger., insalub. ou incommod. Paris 1832.
Auf Arsenhütten befinden sich stets besondere Instructionen, die nur leider
nicht immer mit Strenge durchgeführt werden. Wir erwähnen hier nur die all-
gemeinen Schutzmassregeln, welche überall bei giftigen Dämpfen noth-
wendig sind und bei den einzelnen Operationen noch häufig zur Sprache kommen.
Die Gruben- und Werkvorsteher müsseD zunächst Sorge tragen, dass so
wenig als möglich arsenikalische Dämpfe in den Fabrikraum zurücktreten und
nirgends abgelagerter Arsenstaub liegen bleibt. Ueberall ist eine besondere Vor-
sicht beim Ausräumen der Giftfänge nöthig; je gefährlicher überhaupt eine
Arbeit ist, desto eher muss ein Wechsel der Arbeiter eintreten.
Die Gruben- und Werkarbeiter sollen stets bei der Arbeit ihre Stellung
so wählen, dass sie nicht direct den gefährlichen Dämpfen ausgesetzt werden; in
dieser Beziehung äussert sich noch vielfach ein unverzeihlicher Leichtsinn.
Was die 'Condensation der Dämpfe betrifft, so ist zu betonen, dass die
Wasserberieselung für die Dämpfe der arsenigen Säure kein ausreichendes
Verfahren ist, da letztere bekanntlich dem Wasser gegenüber unbenetzbar ist. Für
diese Dämpfe ist die Fortleitung durch Wasserdämpfe und die Conden-
sation durch Abkühlung die einzige wirksame Methode, weil sich dann die
arsenige Säure mit den Wasserdämpfen niederschlägt und sammeln lässt. Es ist that-
sächlich erwiesen, dass die Dämpfe von arseniger Säure durch eineWasserberiese-
lung hindurch gehen, während dies bei allen andern Dämpfen nicht der Fall ist.
Ueberall, wo gefährliche metallische Dämpfe auftreten, wird empirisch _ als
Nahrung der Genuss von Milch, schleimigen Getränken überhaupt und fettigen
Speisen empfohlen. Der Schwerpnnct liegt aber in der genauen ärztlichen Unter-
suchung der Arbeiter und in der Verpflichtung der Arbeiter, bei jedem durch die
metallischen Dämpfe bedingten Erkranken ärztliche Hülfe aufzusuchen.
832 Arsen.
Ueber Arsengewinnung aus den Rückständen der Anilinfarbenfabriken
cf. Beyer: Bericht über die Verwaltung und den Stand des Medicinal- und
Yeterinärwesens des Regierungsbezirks Düsseldorf, Oberhausen 1874, S. 35.
Die durch den Reductionsprocess aus der Arsensäure entstandene arsenige
Säure ist meist als arsenigsaures Natrium vorhanden, da Kochsalz zur
Präcipitation des Farbstoffs in den meisten Anilinfarbenfabriken benutzt wird. Man
setzt Kalk hinzu, um eine weniger lösliche Verbindung von arsenigsaurem
Calcium zu erhalten, dem aber noch immer mehr oder weniger arsen saures
Calcium beigemischt ist.
16) In naturhistorischen Cabinetten wird vielfältig folgende Seife benutzt: Arsen.
alb. 180,0, Sap. Hisp. 120,0, Calcar. ust 45,0, Kali carb. dep. 30,0, Aq. ferv. 360,0Grm.
Delpech (Annal. d'hyg. publ, p. 314, 1870) hat eine Arsenvergiftung mitgetheilt,
welche durch Aufenthalt in Zimmern entstanden war, in denen sich mittels Arsens
ausgestopfte Thiere befanden.
17) Eulenberg: Das Medicinalwesen. S. 101. Auch gegen Krätze hat man folgende
Mischung empfohlen: Acid. arsen. 0,05 Grm., Kali carb. 1,0, Spir. vin. rect. 10,0,
Aq. foet. 100,0. Täglich 2 mal erwärmt anzuwenden. (Allg. med. Centralzeitung,
08. St., 1874).
18) Eulenberg, eod. loc. S. 97.
19) Kletzinsky über Scheel'sches Grün als Wandfarbe. Pappenheim's Monatsschr.
1860, S. 84."
20) Eulenberg: Ueber arsenhaltige rothe Tapeten. Pappenheim's Monatsschr.,
1. Heft, 1860.
— Medicinalwesen, S. 98, 99, 100.
Draper: Ueber arsenhaltige Farben. Chem. News 1872, No. 660 u. s.w.
Johnson, Georg: Ueber häufig vorkommende Quellen von Arsenvergiftung. Publ.
Health., p. 193, 1874. Schmidt's Jahrb., 165. Bd., S. 128, 1875.
Chevallier, M. (Annal. d'hyg. publ., Janv. 1874) und
v. Linprun (Bayer ärztl. Intelligen zbl. No. 9, S 81, 1869) schrieben über die
Arsenvergiftung durch Kinderspielzeuge.
Tödtliche Vergiftungen durch den Gebrauch von giftigen Farbsteinen in den
Kindermalkasten haben wir mehrmals kennen gelernt.
21) Eulenberg: Das Medicinalwesen, S. 100.
22) Holm in Gefle (Deutsche Klinik No. 31, 1874) beobachtete nach dem Gebrauche
eines grünen Lampenschirms Kopfschmerzen, Frostschauder, gastrische Symptome,
Abmagerung, Kräfteabnahme, gelbliche Haut, Schlaflosigkeit, Müdigkeit, Muth-
losigkeit, Zittern und Abnahme des Gedächtnisses.
Zuntz (Berl. klin. Wochenschr. No. 43, 1S75) hat einen ähnlichen Fall beobachtet,
in dem Uebelkeit, Appetitlosigkeit und Eingenommenheit des Kopfes vorwalteten.
Binz macht bei dieser Gelegenheit auf ein Reagens aufmerksam, das sich zum
Nachweis von Arsen sehr gut eigne. Man übergiesst ein Stückchen der zu unter-
suchenden Substanz mit Salzsäure, fügt einige Krystallc von Zinnchlorür
hinzu und erwärmt : Arsen schlägt sich dann als eine schwarzbraune Masse
(metallisches Arsen) unter Bildung von Zinnchlorid nieder. Selbstverständlich muss
Salzsäure und Zinnchlorür ganz frei von Arsen sein.
Biggs (Lancet., Jan. 1860) beobachtete beim Gebrauch solcher Schirme Speichel-
fluss und Mundgesehwürc. Erscheinungen, die übrigens mehr auf Quecksilberdämpfe
hinweisen.
23) In Italien hat man sich zuerst mit der Darstellung der künstlichen Blumen be-
schäftigt und bis zum Mittelalter besassen die Frauenklöster gleichsam das Monopol
der Anfertigung, da man sie vorzugsweise zum Ausschmücken der Altäre benutzte.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts begann man zuerst in Lyon mit der Fabrication
und von dorther gelangte dieselbe nach Paris, wo sie anfangs auch nur in Klöstern
betrieben wurde. In Deutschland war es besonders die sächsisch-böhmische Grenze,
wo dieser Erwerbszweig sich im Anfange dieses Jahrhunderts entwickelte, aber
sich mehr mit der erobern Waare befasste.
Ausser dem gewöhnlichen Papiere liefern Jaquenottes, Mull, Sammet, sogen,
englisches Leder das Material: zu den schönsten Blumen wird Papier de Chine
benutzt, das aus dem Marke einer in China wachsenden Pflanze dargestellt wird.
Paris, neuerdings auch Berlin und München, vertreten hauptsächlich diese
Fabrication: in Paris waren schon vor 15 Jahren 150,000 „Fleuristes" beschäftigt.
Wegen der sanitären Nachtheile, die sich bei dieser Fabrication immer entschie-
dener herausstellten, wurde 1859 eine Commission berufen und mit der Prüfung
dieser Industrie beauftragt. Boussinaiault, Chevallier, Bouchardat und
Vernois waren Mitglieder derselben. Es wurden folgende hygienische Massregeln
für nothwendig erklärt:
Arsen 833
1) Das Gemenge von arsenikalisehem Grün und Stärkemehl oder ähnlichen
Substanzen ist mittels eines hölzernen oder metallenen Spatels in einem Gefässe
zu bearbeiten und zuzubereiten: dasselbe ist mit einem Deekel zu versehen, dessen
Mitte Raum für die Aufnahme des Rührers lässt.
2) Die Application des Teigs auf das Zeug geschieht mittels einer Bürste, die
einen wenigstens 4 Centim. hohen Holzrücken hat, und benutzt man dabei lange
lederne Handschuhe.
3) Das Klopfen des Zeugs geschieht in der Weise, dass es vorher in ein
Stück starker Leinewand eingewickelt wird.
4) Das Trocknen des Zeugs geschieht auf Rahmen, dessen Drahtstifte 6 Ctm.
von einander stehen. Die Arbeiter müssen sich vor jeder Verwundung an diesen
Drähten hüten, weil die kleinste Verletzung durch die Verunreinigung mit dem
Farbstoffe einen bösartigen Character annehmen kann.
5) Dann folgt das Falten auf weiten Rollen, um das Abblättern zu verhüten:
durch den Kalander (Glättrolle) wird der Farbstoff mehr imprägnirt und das Zeug
geglättet.
6) Eine Benetzung des Bodens des Arbeitsraumes und sorgfältige Entfernung
der Abfälle rnuss täglich stattfinden.
Die Arbeiter müssen sich die Hände mit Talkpulver einreiben und sie nach
der Arbeit mit angesäuertem Wasser abwaschen.
Zu berücksichtigen ist noch besonders das Auseinanderdrehen der in Packeten
befindlichen Blätter und das Ausschneiden der Blätter mittels eines Locheisens, da
sich hierbei viel Staub entwickelt. Diese Procedur sollte nur auf Tischen mit
weissem Papier ausgeführt werden, auf welchem sich der Staub ansammelt und
entfernt werden kann. Staubbildung ist sehr leicht möglich, da der Stärkezusatz
zur Farbe die Brüchigkeit bedingt. Zweckmässig würde hierbei der Gebrauch
einer Maske oder eines Respirators sein: wenigstens sollte man vor Mund und Nase
Schwämme binden. Cyankalium kommt sehr selten zur Verwendung.
Alle Vorsichtsmassregeln sind im höchsten Grade erforderlich, wenn noch das
Bepudern mit arsenikalischen Kupferfarben stattfindet. Die Hautaffectionen be-
stehen in Bläschen, Papeln und Pusteln wie bei der Hüttenkrätze Das Krösen
oder Krausmachen geschieht mit einem Brenneisen.
Ausführlich hatVernois (Ann. d'hyg. publ. Oct. 1859) diesen Gegenstand behandelt.
Pappenheim: Ueber Fabrication und Consumtion künstlicher Blumen (in der
Monatsschr. f, Sanitätspolizei, 1. Jahrg 1860, S. 453 — 462).
Beaugrand: Les differentes sortes d'aeeidents causees par les verts arsenicaux
employes dans l'industrie. Gaz. des höpitaux 1859.
F ollin: Sur l'eruption papulo-ulcereuse qu'on observe chez les ouvriers qui
manient le vert de Schweinfurt Arch. gener. de Med. 1857.
Es ist im höchsten Grade zu bedauern, dass überall noch das Schweinfurter
Grün seine Herrschaft ausübt, obgleich es nicht an Farben fehlt, die ihm den
Rang streitig machen, abgesehen davon, dass man das Grün auch durch Mischen
von Gelb (Pikrinsäure, Chromgelb) und Blau (Ultramarin, Thenard's Blau u. s.w.)
darstellen kann. Nur die Billigkeit und der Glanz des arsenikalischen Grüns ge-
währen der Fabrication bedeutende Vorzüge.
24) Stohmann in Muspratt's Techn. Chemie, 1. Bd., S. 671, 1865.
25) Die Arsen sulfide werden hauptsächlich in Andreasberg in Sachsen dargestellt und
nach Frankreich und China exportirt, wo sie zur Darstellung von gelben Farben
benutzt werden. Seit dem letzten französischen Kriege werden sie auch in Frank-
reich bei St. Denis fabricirt.
Eine ausführliche Arbeit über Schwefelverbindungen des Arsens hat A. Gehlis
geliefert (s. Annal. de chim. et de phys. XXX., p. 114, Dingler's Journ. CCXL, p. 23,
Wagner's Jahresber. pro 1874, S. 191).
Speciell über die Fabrication von Realgar vergl. man
Kerl, Bruno: Grundriss der Metallhüttenkunde, 1873, p 336.
Hierher gehört auch die Schwefelarsen-Gewinnung bei der Behandlung der
Kammersäure mittels Schwefelwasserstoffes: es entsteht hierbei stets Arsen-
trisulfid. Bei grossartigem Betriebe benutzt man Fällthürme nach Gersten-
höfe r, in welchen man mittels Schaukeltrögen die Schwefelsäure über Quarzstücke
rieseln lässt: gleichzeitig strömt von unten Schwefelwasserstoff in den Thnrm uud
zwar der langsam nieder tropfen den Schwefelsäure entgegen.
Das Verfahren hat kein sanitäres Bedenken, wenn mit der erforderlichen Vorsicht
die Darstellnno; und Leitung des Gases erfolgt. Ein Entweichen von bchweiel-
wasserstoffgas findet hierbei nicht statt, weil es im Thurme vollständig zersetzt wird.
Bode: Die Reinigung der Schwefelsäure von Arsen auf den Kgl. Sachs. Hütten-
werken b. Freiberg. Dingler's Journ. CCXIII. p.25. Wagner's Jahresber. 18(4, S.2o9.
Eulenberg, Ge-sverbe -Hygiene. Oo
834 Antimon.
Antimon (S. 305-312).
1) Sehr häufig werden die Beobachtungen von Lohmeier über Vergiftungen durch
Spiessglanzdäm p fe (Casper's Woehensehr. f. d. ges. Heilk., No. 17 u. 18, 1840)
erwähnt. Unter den verschiedenen Symptomen wird auch duukelrothcr und
sogar blutiger Urin angeführt: diese Thatsaclie spricht aber ganz besonders für
die Mitwirkung der Dämpfe von arseniger Säure, da das Symptom ausschliesslich
diesem Gifte zuzuschreiben sein dürfte: keinesfalls gehört blutiger Urin in den
Wirkungskreis von Antimonoxyd. Ebenso gehört ein pustulöser Ausschlag
an den Genitalien oder am Halse mehr der reizenden Einwirkung der arsenigeu
Säure als dem Antimonoxyd an. Die chemische Untersuchung des Urins würde
hier wahrscheinlich allen Zweifel beseitigt haben.
Lohmeier eitirt namentlich zwei Fälle, in denen die Darstellung von Antimon -
chlorid Hautreizung und Pusteln bei den Laboranten hervorgerufen hatte; hier
kann man mit Bestimmtheit die Mitwirkung von arseniger Säure resp. Arsen-
chlorid annehmen. Ebenso weisen die andern Symptome: stechender, bohrender
Kopfschmerz, ängstliche Träume, Zuckungen in den Gliedern, Rückenschmerzen
mit Erschlaffung und Abspannung mehr auf Arsen als auf Antimon hin.
2) Ein solcher Staub bestand in einem speeiellen Falle aus metallischem Blei und
nur ein paar Procenten Antimon. In der betreffenden Setzerei war aber in den
letzten 10 Jahren kein Fall von Blcikrankheit vorgekommen.
3) Nach v. Holsbeck (Journ. de Med. de Bruxelles 1858, im Auszuge in den Annal.
d'hyg. publ., T. XV., 1864) sollen 25 % der Setzer der Lungenschwindsucht unter-
liegen. Schon Chevallier (Annal. d'hyg. publ.. T« XIII. 1835 hat dieser Auf-
fassung widersprochen und namentlich unter den Druckern vorzugsweise ganz ge-
sunde Leute angetroffen, wenn sie sich eines ordentlichen Lebens befleissigten
Wir können dasselbe behaupten, halten aber dafür, dass Leute mit tuberculöser
Anlage das Setzergeschäft vermeiden sollten, weil die Einwirkung einer mangelhaft
ventilirten Luft leicht nachtheilige Folgen herbeiführen kann. Es mag sein, da?s
viele Brustschwache das Setzergeschäft wählen, da es nicht mit körperlichen An-
strengungen verbunden ist: dadurch werden sie freilich die Zahl der Lungen-
schwindsüchtigen in diesem Gewerbe vermehren können. Constatirt ist, dass sich
wenige Setzer durch kräftige Körperentwicklung auszeichnen; auch beobachtet
man bei ihnen bisweilen den blauen Rand am Zahnfleische, aber ohne alle ander-
weitige Symptome einer Bleierkrankung.
Stumpf, P. R.: Berufskrankheiten der Schriftgiesser und Buchdrucker mit be-
sonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Leipzig. Arch. d. Heilk. 1875, S. 471.
Nach Stumpf sollen Giesser am meisten erkranken, da sie sich täglich der
Dampfatmosphäre des Schriftgutes aussetzen, während sich die Schleifer bei einiger
Vorsicht mehr schützen könnten. Das Letztere lässt sich aber auch von den
Giessern behaupten und kann Verf. nach seinen Beobachtungen kein auffallend
häufigeres Vorkommen von Bleivergiftung bei Giessern annehmen.
Bei Setzern will Stumpf im \\ inter bei geschlossenen Fenstern und mangel-
hafter Ventilation mehr Erkrankungen beobachtet haben, eine Erfahrung, die
nicht zu bestreiten ist.
Die Störungen der Verdauungs- und Respirationsorgane bei Druckern und
Giessern kommen in gleicher Weise auch bei andern Arbeitern vor.
4) de Neufville, W. C: Lebensdauer und Todesursachen 22 verschiedener Stände
und Gewerbe. Frankfurt 1855. p. 85—87.
5) Die Druckerschwärze wird in den Druckereien Firniss genannt und besteht
vorzugsweise aus Russ und Leinöl nebst einem Zusatz von weisser Seife oder
auch von Kolophonium. Der Geruch stammt vorzugsweise vom Oel und Russ her,
der bekanntlich auch den frischen Druckbogen anhaftet.
In der Gaz. des hopit. No. 25, 1866, hat Mar misse mitgetheilt, dass sich
ein Redaeteur beim Lesen der frischen Abzüge eine Bleikolik zugezogen habe,
eine Behauptung, die ganz unbegründet ist und den Beweis liefert, wie leichtfertig
man in der Bourtheilung der Krankheitsursachen sein kann.
Zu bemerken ist noch, dass man durch den Zusatz von Berlinerblau und
Indigo den braunen Schimmer der Schwärze aufzuheben sucht. Nichtiger ist
die Thatsaclie, dass man zur Erzeugung farbiger Buchstaben Chromgelb.
Zinnober, Grünspan und Mennige benutzt. Auch Greenhow (Medic.
Times, I.. 1864) berichtet, dass Metallpulver für bestimmte Zwecke auf feuchte
Druckerplatten gestreut oder auf eigens dazu präparirtes Papier aufgetragen wird.
Er will in solchen Fällen bei Druckern schwarze Indurationen der Lunge
(Melanose) beobachtet haben, welche man auch bei Farbenreihern antrifit.
Die gewöhnliche Druckerschwärze wird mittels der von Lord Stanhope er-
Wismuth, Bor, Kohlenstoff. 835
fundenen Auftrag- resp. Arbeitswalze applicirt; diese erhält einen Ueberzug
von elastischer, aus Glycerin und Gelatine dargestellter Masse.
6) Eulenberg's Lehre u. s. w., S. 425.
7) Schwefelantimon kommt in vielen Feuerwerkssätzen vor.
Wismuth (S. 312-314).
1) Valenciennes, A.: Beiträge zur Metallurgie des Wismuths. Annal. de chim.
phys., 1874, L, p. 397; Wagner's Jahresber. 1874, S. 202.
Bor (S. 314—315).
1) Tiemann, Ferdin.: Bor und seine Verbindungen. Amtl. Bericht über die Wiener
Ausstellung, 16 Heft, S. 322.
Kohlenstoff (S. 316—367).
1) Gegenwärtig ist der Deflector von Windhausen und Büssing in Braun-
schweig viel in Gebrauch.
Wolpert hat einen Rauch- und Luftsauger, Vogt (s. 1. c.) einen Ventilationshut
construirt. Auf dem hiesigen Rathbause befindet sich ein von Dorn angegebener
Schornstein- Aufsatz.
Muyschel: Ueber Schornstein-Aufsätze in der Deutsch. Bauzeitg., 7. April 1870,
No. 14, S. 113. Hier findet sich die betreffende Literatur zusammengestellt.
2) Otto Braun hat einen Apparat construirt, um allen Rauch, alle Dämpfe und Gase
aufzufangen und unschädlich zu machen.
3) Rossignon in Compt. rend., Avril 1842, S. 613.
4) Jeder Kohlenstaub vermag die Anthracosis pulmonum hervorzurufen; der von
Traube 1860 beobachtete Fall betraf grade einen Holzkohlenarbeiter, obgleich im
Allgemeinen die Holzkohle weniger intensive Krankheitszustände hervorruft als die
Steinkohle. Noch weniger gefährlich erweist sich Graphit, dessen Staub in den
Bleistiftfabriken, Giessereien, in der Fictilindustrie u s.w. vorkommt, jedoch nach
den bisherigen Erfahrungen keine bedenklichen Krankheitszustände zur Folge hat.
5) Man muss bei dem Gebrauch dieser Respiratoren auf die Oxydationsproducte auf-
merksam sein ; in einer Schwefelwasserstoff- Atmosphäre wird sich z. B. schweflige
Säure bilden, die dann nachtheilig einwirken könnte. Diese Respiratoren bedürfen
daher einer häufigen Regeneration resp. eines erneuten Ausglühens.
6) Man benutzt gewöhnlich Natriumearbonat (Sodalaugen), um den Gips in Calcium-
carbonat umzuwandeln und Natriumsulfat zu bilden, das in Wasser löslich ist und
durch Waschen entfernt wird. Das Säuern dient dann noch zur Entfernung des
Calciumcarbonats.
Nach dem Eisfeld'schen Verfahren kocht man die Kohle nach der Gährung
und Waschung mit den bei der Zuckerfabrication gewonnenen ammoniaka-
lischen Condensationswässern, um den Gips zu zerlegen und das Auslaugen
mit Soda dadurch zu umgehen: gleichzeitig wird hierdurch auch ein Theil des
Calciumcarbonats entfernt.
Bisweilen unterlässt man auch die Behandlung der Kohle mit Soda; dann ist
. .„ cylir--
oiebboden liegen, unter dem die Wasserdämpfe eindringen, um oben wieder zu
entweichen Je nach der Lage der Fabrik kann das freie Ablassen dieser Dämpfe
für die Adjacenten lästig werden, so dass locale Verhältnisse die Condensation
derselben gebieten können.
Uebrigens folgen die genannten Operationen nicht immer in der aufgeführten
Reihenfolge, da jede Fabrik ihre besondern Methoden hat.
Stets bleibt der Waschprocess ein sehr wichtiger Act, zu dessen Ausfuhrung
besondere Waschmaschinen construirt worden sind; so sind die Maschinen von
Klusemann und Cönner sehr gebräuchlich.
7) Der Glühprocess bezweckt vorzugsweise die vollständige Entfernung der noch vor-
handenen Reste von organischer Substanz. Man hat hierzu sehr verschiedene
Oefen construirt, von denen der von Schatten eingeführte der gebräuchlichste
und dem im Texte abgebildeten Ofen ähnlich ist. Eine Hauptaufgabe bleibt
hierbei, mag der Ofen construirt sein wie er will, dass die Gase und Dampfe in
die Feuerung geleitet und hier vollständig verbrannt werden, da sonst der ganze
Process zu einem sehr belästigenden und höchst unangenehmen werden kann, unter
welchem nicht bloss die Arbeiter, sondern auch die Adjacenten zu leiden haben.
8) Emil Langen in Dingler's Journ., Bd. 182, Heft 4, S. 459, 1866.
Walkhoff (eod. loc. S. 329) hat auch eine selbstständige Knochenkohlendarre
53*
836 Kohlenstoff.
für Zuckerfabriken construirt, welche in einer conischen und um ihre Achse sich
drehenden Blechtrommel besteht, in deren engern Theil die Kohle mittels einer
kleinen Schnecke gleichmässig eingeführt wird, worauf sie von selbst dem weitern
Ende der Trommel zufällt. Die Erhitzung geschieht von aussen entweder durch
abfallende oder directe Feuerung. In den meisten Fällen beschränkt man sich noch
auf die Darr platten. Dieses Trocknen soll die Kohle vorher von der Haupt-
menge des anhaftenden Wassers befreien, ehe sie dem Glühprocesse ausgesetzt wird.
9) Herold: Der Bergbau im Steinkohlengebirge Englands und Schottlands in
v. CarnalFs Zeitschr. f. Berg- u. Hüttenk., HI. Bd., S. 63, 1856.
Nöggerath, Max: Ueber Steinkohlenbergbau des Staates in Saarbrücken in der
Zeitschr. f. Bau- u. Hüttenwesen, III. Bd., S. 193, 1856.
Hartmann, C. Fr. Aug.: Berg- n. Hütten- Ingenieur. Die Fortschritte des
Steinkohlen- Bergbaues in der neuesten Zeit oder der heutige Standpunet der
Aufsuchung, Gewinnung u. Förderung der mineralischen Brennstoffe. Mit 11 lithogr.
Longfoliotafeln. Berlin, Springer 1859.
Lottner, H: Leitfaden zur Berghaukunde. Nach den in der Kgl. Berg-Aeademie
zu Berlin gehaltenen Vorlesungen. Nach dessen Tode und in dessen Auftrage
bearbeitet von Dr. Albert Sello. 2. Aufl. Berlin 1873.
Burat, Amadee: Das Material des Braunkohlenbergbaues. Deutsche Bearbeitung
von Dr. Carl Hartmann. Brüssel u. Leipzig 1861.
Green well, G. C.: A Practical Treatise on Mine Engineering. See. edit. Newcastle,
London 1870. Ein praktisches Werk, welches in jeder Beziehung zu empfehlen ist.
10) Die Häuerarbeit ist die anstrengendste und veranlasst am meisten die Anthracosis
pulmonum. In neuerer Zeit hat man bei denselben auch Nj'stagmus beobachtet
und die Ursache dieses Augenzitterns auf Uebermüdung der M. rect. super, geschoben.
Nur in seltnen und schlimmem Fällen findet man Paralyse oder Gewebsdegeneration,
noch seltner eine Complication mit Herzklopfen und profusen Schweissen. Taylor
in Nottingham hat die Krankheit ziemlich häufig bei Kohlengrubenarbeitern beob-
achtet und schiebt die Ursache ebenfalls auf die Ueberanstrengung der Augen-
muskeln, die aus dem Bestreben, bei unvollkommenem Lichte deutlich zu sehen.
entstehe, während Andere den nachtheiligen Umstand betonen, dass die Arbeiter
liegend mit beständig in die Höhe gerichteten Augen ihrer Beschäftigung obliegen.
Die Krankheit tritt nur bei Erwachsenen auf und ist heilbar: Wechsel der Be-
schäftigung und Aufenthalt in guter Beleuchtung waren die Heilmittel, cf. Lancet,
12. Juni 1855, 27. Nov. 1875. Berl. klin. Wochenschr. No. 32 1875. Deutsche med.
Wochenschr. No. 13 1876.
Den Häuern stehen in Bezug auf die sanitären Nachtheile die Schlepper am
nächsten; sie laden die aufgeladenen Steine auf und schieben sie in den Galerien
auf kleinen Wagen fort, wobei namentlich die Anstrengungen der Brustmuskeln
bei gebückter Stellung leicht Anlass zu Herzkrankheiten geben : diese Stellung ver-
anlasst auch das Genu valgum, besonders wenn jugendliche Personen schon zu
dieser Beschäftigung herangezogen werden.
11) In Frankreich versteht man unter Mofettes oder Mouffettes im Allgemeinen böse
"Wetter, welche Stickstoff und Kohlensäure enthalten.
In einigen Braunkohlen kommen nach Kolbo (Journ. f. prakt. Chemie 1872,
Bd.V., S. 19) Kohlensäure, Kohlenoxyd, Stickstoff und Sauerstoff vor. Es wurden
böhmische Patent -Braunkohlen und eine erdige Braunkohle geringerer Qualität
untersucht. Es ergab sich folgende Zusammensetzung:
CO, CO
DItj-v. • v u ui 1 89/6 1,80
n Böhmische Kohle .... \> ±0 300
3) Erdige Braunkohle . . . 83'99 L04
Ammoniak in der Luft der Kohlenbergwerke rührt bloss von den Pferdeställen
her und kommt im Allgemeinen nur in geringen Mengen vor.
12) Mit feu grison, feu sauvage bezeichnet man in Frankreich die schlagenden Wetter.
Nach jeder Explosion füllt sich die Atmosphäre mit den Verbrennungsproducten,
d.h. mit einem fein vertheilten Kohlenstoff an, den man Schwaden, Nach-
sehwaden. After damp nennt (s. S. 338). eonf. Bourguet in Gaz. de Hop.
142. Bd., 1876.
Wehrle behauptet, dass die gewöhnliche Grubenlampe bei 16';, Sauerstoff, ein
Talglicht bei 18$ und ein Argand'scher Brenner bei \\"„ Sauerstoff noch brenne.
Eine Luft von 20,6';, Sauerstoff muss als schlecht und eine von 20,5'£ als gefährlich
bezeichnet werden. Der normale Gehalt kann mit 20,9 % Sauerstoff bezeichnet
werden, cf. Taylor: Ueber Verhütung der Explosion durch Ventilation in Sanit.
Record, IV. 85, 1875.
13) In England benutzt man Roste von 9—25 Fuss Länge und 6—8 Fuss Breite. Ueber
N
O
8,03
0,51
14,15
0,45
19,91
0,65
Berg-Polizei -Verordnung. §37
die Construction dieser Oefen conf. die Zeitschr. f. Berg- u. Hüttenkunde X Bd
2. Heft, S. 41, 1862.
14) Ein Ventilator muss während 1 Secunde 10 Kubikmeter Luft aus jedem Schachte
absaugen. Die Heftigkeit dieser Wirkung macht aber viel Zug in den Galerien
und führt leicht rheumatische Leiden oder entzündliche Brustaffectionen herbei;
hauptsächlich aus dieser Ursache zieht man unter gewöhnlichen Verhältnissen die
ruhige und constante Wirkung der Wetteröfen vor.
Bluhme: Bericht über einige neuere namentlich in Belgien übliche Wettermaschinen
in der Zeitschr. f. Berg- u. Hüttenk., XIII. Bd., S. 187, 1865.
15) Ueber die Entwicklung der Englischen Bergwerks-Gesetzgebung in Brassei't's und
Achenbach's Zeitschr. f. Bergwesen, 1. Bd., S. 186.
In Preussen haben mehrere Oberbergämter allgemeine Berg-Polizei-Ver-
ordnungen erlassen, welche die Sicherung der Oberfläche der Grubenbaue be-
zwecken und die bei der Förderung, Fahrung, Wetterführung und Beleuch-
tung, sowie bei der Häuer arbeit nothwendigen Vorsichtsmassregeln erörtern.
Die neueste Instruction dieser Art ist Seitens des Königl. Oberbergamtes zu Halle
unter dem 15. Juli 1873 ergangen und mit dem 1. Januar 1874 in Kraft getreten:
Allgemeine Berg-Polizei -Verordnung
für den Verwaltungsbezirk des Königl. Oberbergamts zu Halle a. S.
Auf Grund der §§ 196 und 197 des Allgemeinen Berggesetzes vom 24. Juni 1865
verordnet das unterzeichnete Oberbergamt für den ganzen Umfang seines Verwal-
tungsbezirks, was folgt:
I. Sicherung der Oberfläche. § 1. Beim Bergwerksbetrieb müssen zur
Sicherung von Eisenbahnen, Chausseen, Communicationswegen jeder Art, Canälen,
Flüssen, Bächen, Gebäuden u. s w. Sicherheitspfeiler von angemessener Stärke stehen
gelassen werden, sofern die zu schützenden Anlagen nicht nach gütlichem Ueber-
einkommen verlegt oder die Flüsse und Bäche nicht in Gefluther gefasst werden.
§ 2. DieDurchorterung dieser Sicherheitspfeiler ist nur mit ausdrücklicher schrift-
licher Erlaubniss des Revierbeamten und unter Beobachtung der von Letzterem vor-
geschriebenen Sicherheitsmassregeln gestattet.
§ 3. Das Ausrauben und Schwächen dieser Sicherheitspfeiler ist verboten.
§ 4. Bei dauernder Einstellung eines unterirdisch betriebenen Bergwerks müssen
geeignete Vorkehrungen getroffen werden, um die Oberfläche dauernd sicher zu
stellen. Der Vertreter des Bergwerks ist für Ausführung dieser Bestimmung ver-
antwortlich.
§ 5. Tagebaue sind auf den Seiten sowohl der in als der ausser Betrieb befind-
lichen Abraumstösse mit einer mindestens 1 Meter hohen Wehre oder einem min-
destens 0,6 Meter tiefen und auf der Sohle gleich breiten Graben mit Dammaufwurf
auf der dem Tagebau zugekehrten Seite zu versehen.
§ 6. In gleicher .Weise sind die Feldestheile, in welchen Tagebrüche in Folge
des Bergbaues vorhanden oder zu besorgen sind, abzusperren. Das Verbot des
Betretens solcher abgesperrten Flächen ist durch Warnungstafeln ersichtlich zu
machen.
§ 7. Grenzt ein Weg, ein öffentlicher Platz oder ein zum Wohnen eingerichtetes
Gebäude an einen solchen Feldestheil oder an einen Tagebau, so ist längs des
Weges, Platzes oder Gebäudes eine mindestens 1 Meter hohe, hinreichend starke
Barriere anzubringen.
H Sicherung der Grubenbaue. §8. In Tagebauen darf die Höhe der
Abraumsstrossen nicht über 6 Meter, die der Kohlenstrossen nicht über 10 Meter,
die Breite beider aber nicht unter 3 Meter betragen. Doch ist es gestattet, sowohl
das Deckgebirge als auch die Kohle in je einer Strosse zu gewinnen, wenn für
ersteres eine Böschung von nicht über 55 Grad und für letztere von nicht über
65 Grad Neigung innegehalten wird.
§ 9. Sämmtliche unterirdische Grubenbaue müssen bei ungenügender Festigkeit
des Gebirges dauerhaft verzimmert, ausgemauert oder sonst wie sichergestellt und,
so lange sie benutzt werden, in sicherem Zustande unterhalten werden. Der Ver-
treter des Bergwerks ist für Ausführung dieser Bestimmung verantwortlich, wenn
der Betriebsführer nachzuweisen vermag, dass ihm die dazu erforderlichen Mittel
verweigert worden sind.
§ 10. In Grubenräumen, welche zur Communication zwischen den Arbeits-
puncten und der Tagesoberfläche benutzt werden, insbesondere in Schächten,
Querschlägen, Haupt- und Tagesstrecken, ist der Einbau von mit Kreosotöl ge-
tränkten Hölzern verboten. Auf Kreosotnatrium und diesem ähnliche Präparate
bezieht sich das Verbot nicht.
§ 11. Die Braunkohle darf bei unterirdischem Abbau nur bis zu einer Mächtig-
£38 Kohlenstoff.
keit von 5 Meter auf einmal gewonnen werden. Zur Betreibung eines Baues mit
grösseren Bruchhöhen bedarf es der schriftlichen Erlaubniss des Revierbeamten.
§ 12 Bei dem Betriebe von Grubenbauen, in deren Nahe Standwasser, böse
Wetter oder wasserreiches Gebirge bekannt oder zu vermuthen sind, muss durch
Vorbohrungen oder andere zweckentsprechende Sii'herungsmassregeln der Gefahr
eines plötzlichen Wasserdurehbruehs vorgebeugt werden. In diesen Fällen müssen
besondere Bohrtabellen geführt werden, in welchen die Zahl, Stellung und Tiefe
der Bohrlöcher, sowie deren Ergebniss (Wasserergiebigkeit, Beschaffenheit der
ausströmenden Wetter und des durchbohrten Gebirges u. s w.) täglich einzu-
tragen sind.
§ 13. Alle Oeffnungen und Zugänge der Schächte, Gesenke, Bremsberge, Brems-
schächte, Rolllöcher und Ueberhanen unter und über Tage sind derartig abzu-
sperren, dass Niemand ohne eigene Schuld in dieselben hinabstürzen kann.
§ 14. Münden solche Grubenbaue direct in eine Förderstrecke ein, so ist die
Befahrung der letzteren durch geeignete Vorrichtungen (Unibruchsort, Verschlag
u. s w.) sicher zu stellen.
§ 15. Gezähstücke, Holz, Steine und andere lose Gegenstände dürfen nur in
solcher Entfernung von Schächten und Gesenken niedergelegt und geduldet werden,
dass ein Hinabfallen derselben in letztere nicht erfolgen kann.
III. Förderung a) in Schächten und Gesenken. §16. Beim Abteufen
von Schächten und Gesenken mit dem Haspel dürfen nur starke, mit Fängern,
eisernen Vorsteckern und bei einer Teufe von mehr als 40 Metern mit einer kräf-
tigen Bremsvorrichtung versehene Haspel benutzt werden. Das Haspelgeviere ist
stets auf Rüsthölzer zu verlagern.
§ 17. Findet beim Abteufen die Forderung mittels Dampf kraft statt, so muss
an der Seilkorbachse eine kräftige Bremsvorrichtung derartig angebracht sein,
dass der Maschinenwärter dieselbe, ohne seinen Stand zu verlassen, leicht und sicher
handhabeu kann.
§ 18. Beim Abteufen sind nur fehlerfreie und vorher erprobte Seile zu benutzen;
auch ist deren Verbindung mit dem Fördergefäss so herzustellen, dass eine zufällige
Lösung derselben nicht stattfinden kann.
§ 19. Beim Abteufen dürfen die Fördergefässe nur bis zu einer Hand breit
unter dem Rande gefüllt werden.
§ 20. Beim Abteufen müssen die zur Ein- und Ausförderung gelangenden
Materialien, wie Gezähstücke, Holz u. s. w., mit Heftstricken an das Seil befestigt
werden.
§21. Allen Haspelvorrichtungen, die zur Förderung benutzt werden, muss eine
solche Einrichtung gegeben werden, dass das Fördern sowie das Abziehen und Ein-
hängen der Fördergefässe ohne Gefahr für die Arbeiter erfolgen kann.
§ 22. Bei regelmässiger Förderung mittels Maschinen ist ein selbstthätiger Ver-
schluss der Schachtmündung, z. B. durch Fallgittei-, anzubringen.
§ 23. An den Anschlagspuncten ist nöthigenfalls durch Umbruchsörter eine
solche Einrichtung zu treffen, dass Niemand genöthigt ist, unter den Förderschacht
zu treten oder ihn zu durchschreiten.
§ 24. Die An- und Abschlagspuncte der Schächte sind während der Förderung
durch besondere, dauernd angebrachte Lampen erleuchtet zu erhalten.
§ 25. Das Betreten der Fördertrümmer während der Förderung ist verboten.
§26. In Förderschächten, welche eine solche Teufe besitzen, dass die gegen-
seitige Verständigung der Arbeiter an den Anschlagspuncten und an der Hänge-
bank durch Zurufen nicht deutlich erfolgen kann, müssen Signalvorrichtungen vor-
handen sein, welche gestatten, zwischen den einzelnen Anschlagspuncten unterein-
ander und mit der Hängebank Zeichen zu wechseln. Tafeln, auf welchen die Be-
deutung der von dem Betriebsführer festgestellten Signale erklärt ist, sind in der
Maschinenstube, an der Schachthängebank und an den Anschlagspuncten anzu-
bringen.
b) in Bremsbergen, Bremsschächten. §27. In Bremsbergen und Brems-
schächten sind, sofern eine gegenseitige Verständigung der Arbeiter durch Zurufen
nicht deutlich erfolgen kann, Signalvorrichtungen anzubringen, die gestatten, von
jedem Anschlagspuncte aus Zeichen nach oben und unten zu geben.
§ 28. Vor dem gehenden Zeuge der Bremswerke muss ein hinreichend starker
Lattenverschlag angebracht sein, der den Seilen allein einen Durchgang gestattet.
§29. Die Bremswerke müssen mit einer selbstwirkendeu, d.h. einer solchen
Bremsvorrichtung versehen sein, die gelüftet werden muss, wenn der Bremskorb
umgehen soll, sonst aber geschlossen ist.
§ 30. Der Stand des Abbremsers ist so einzurichten, dass derselbe ohne Gefahr
und in bequemer Stellung seine Arbeit verrichten kann.
Berg -Polizei -Verordnung. 339
§ 31- Im Falle die Förderleute das Abbremsen der Fördergefässe selbst be-
sorgen sollen, muss die Bremsvorrichtung von jedem Anschlagspuncte aus leicht
und so gehandhabt werden können, dass der Fördermann nicht genöthigt ist, in
den Bremsberg oder Bremsschacht selbst zu treten.
§ 32 Während des Ganges des Bremswerkes darf Niemand unter den Brems-
berg oder Bremsschacht treten
c) über Tage und in Strecken. § 33. Im Tagebau darf der Arbeiter beim
Füllen der Fördergefässe seine Stellung nicht zwischen Arbeitsstoss und Förder-
gefäss nehmen.
§ 34. Beim Füllen der Fördergefässe in einem Bruchbau muss der Fördermann
eine solche Stellung einnehmen, dass er durch Zimmerung gehörig gesichert ist,
auch ihm zur Flucht der erforderliche Raum frei bleibt.
§ 35. Laufbrücken zur Förderung sind mit einem festen Bodenbelag und bei
einer Höhe von mehr als 3 Meter an beiden Seiten mit einem festen Geländer zu
versehen.
§ 36. In Fahr- und Förderstrecken, deren Sohle unter Wasser steht, muss
Tragewerk vorhanden sein.
§ 37. Auf Schienenbahnen mit einer solchen Neigung, dass die Fördergefässe
auf denselben sich von selbst fortbewegen, müssen letztere gebremst werden
können. Findet die Förderung in Zügen statt, so müssen in jedem Zug so viele
mit Bremsen versehene Fördergefässe' eingestellt werden, dass derselbe jederzeit
mit Sicherheit zum Stehen gebracht werden kann.
§ 38. In Strecken, in denen Förderung mittels Maschinen stattfindet, ist eine
Signalvorrichtung anzubringen, die gestattet, von jedem beliebigen Puncte derselben
dem Maschinenwärter Zeichen zu geben.
rV. Fahrung a) im Allgemeinen und in Schächten. §39. Jede selbst-
ständig für sich betriebene unterirdische Anlage eines Braunkohlen- oder Alaun-
bergwerks muss mit zwei fahrbaren Ausgängen nach der Erdoberfläche versehen
sein, die von allen Puncten des Grubengebäudes ohne Gefahr erreichbar sein
müssen; sind es Schächte, so muss mindestens einer den Vorschriften der §§ 41, 42
und 43 genügen.
§ 40. Auf allen übrigen unterirdisch bauenden Bergwerken, in welchen die Be-
fahrung nicht ausschliesslich durch Stollen oder einfallende Strecken stattfindet,
muss mindestens ein von allen Puncten des Grubengebäudes ohne Gefahr erreich-
barer, mit Fahrten versehener Schacht vorhanden sein. Wo bei Tiefbauen durch
das Aufgehen der Wasser in der tiefsten Sohle eine Abschliessung des Fahr-
schachtes von den Grubenbauen eintreten kann, muss zur Sicherheit der Arbeiter
ein zweiter Zugang zu dem Fahrschachte mindestens 4 Meter oberhalb der tiefsten
Sohle vorhanden sein.
§ 41. Bildet derselbe nur eine Abtheilung eines auch zu andern Zwecken
des Betriebes dienenden Schachtes, so ist derselbe nach der Seite der Förder-Ab-
theilung hin vollständig, nach der Seite der übrigen Abtheilungen hin aber
wenigstens derartig zu verschlagen, dass Niemand durch die Zwischenräume den
Kopf hindurchstecken kann. Diese Vorschrift findet für Schächte bis zu 10 Meter
Teufe keine Anwendung, doch ist hier das Fahren während der Förderung ver-
boten.
§ 42. In den Fahrschächten über 10 Meter Teufe und über 70 Grad Neigung
müssen Ruhebühnen angebracht sein, die bei saigeren Schächten nicht über 8 Meter
von einander entfernt sein dürfen. Die Fahrten sind dabei nicht steiler als mit
80 Grad Neigung zu stellen und müssen die Bühnlöcher decken.
§ 43. Sämmtliche Fahrten müssen hinlänglich stark construirt und dauerhaft
befestigt sein, sowie in gutem Zustande erhalten werden. An der Hängebank sowie
an jeder Ruhebühne müssen entweder die Fahrten wenigstens 1 Meter hervorstehen
oder feste Handgriffe angebracht sein.
§44. Die Benutzung des Seiles, sowie die Anwendung einer Fahrkunst zum
Ein- und Ausfahren der Belegschaft bedarf der Erlaubniss des Oberbergamts,
welches die Bedingungen und "Sicherheitsmassregeln nach Vernehmung des Ver-
treters des Bergwerks festsetzt.
§45. Von dieser Erlaubniss darf erst Gebrauch gemacht werden, wenn die
Ausführung der Bedingungen und Sicherheitsmassregeln an Ort und Stelle geprüft
und die Benutzung der Seilfahrt bezw. Fahrkunst für zulässig erklärt worden ist.
§ 46. Auf allen Bergwerken, woselbst das Fahren auf der Fahrkunst oder am
Seil' nicht erlaubt ist, muss die Ein- und Ausfahrt in den dazu bestimmten Fahr-
schächten bewirkt werden. Das Befahren anderer Sehächte oder Schacht-Abthei-
lungen ist nur den Aufsichtsbeamten und denjenigen Personen gestattet, die von
dem Betriebsführer mit der Revision oder Reparatur derselben beauftragt sind.
340 Kohlenstoff.
§ 47. Beim Fahren von Schächten ist das Mitführen von Gezäh verboten.
b) in Bremsbergen, Bremsschächten und Rolllöchern. §48. Alle in
Betrieb stehenden Bremsberge, Bremsschächte und Rülllöcher, die für mehr als
einen Betriebspunct vorgerichtet sind, müssen besondere Fahr-Ueberhauen oder
Fahr-Abtheilungen und zwar nötigenfalls zwei besitzen, so dass die Arbeiter nicht
gezwungen sind, in den Förder-Abtheilungen oder durch dieselben zu fahren, um
vor ihre Arbeit zu gelangen.
§ 49. Die Fahrschächte oder Fahrabtheilungen , die sich in den Bremsbergen,
Bremsschächten oder Rolllöchern selbst befinden, sind gegen die Förderabtheilung
hin sicher zu verschlagen.
§ 50. Die Fahrüberhauen sind möglichst bequem herzustellen und stets in fahr-
barem Zustande zu erhalten.
§ 51. Das Befahren der Förderabtheilungen der Bremsberge, Bremsschächte und
Rolllöcher ist nur den mit ihrer Revision oder Reparatur beauftragten Personen,
sowie den Aufsichtsbeamten gestattet.
§ 52. Vor einer solchen Befahrung muss die Bremse stillgesetzt sein und darf
nur auf ein bestimmtes Signal wieder geöffnet werden.
c) in Strecken mit maschineller Förderung. §53. Das Fahren in
horizontalen oder flachgeneigten Strecken, in welchen Förderung mittels Maschinen
stattfindet, ist während der Förderung nur den dabei beschäftigten Arbeitern und
den Aufsichtsbeamten gestattet.
V. Wetterführung und Beleuchtung. § 54. Bei allen Bergwerken muss
für ausreichenden Wetterwechsel derartig gesorgt sein, dass sämmtliche in Betrieb
stehende Arbeitspuncte und die zu befahrenden Strecken unter gewöhnlichen Um-
ständen sich in einem zur Arbeit und Befahrung tauglichen Zustande befinden.
§ 55. Die erforderlichen Angaben über Wetterführung sowie sämmtliche Aende-
derungen des einmal aufgestellten Wetter s)-stenis sind in die Betriebspläne auf-
zunehmen.
§ 56. Alle Grubenbaue, insbesondere Schächte, Geseuke und Gesenkbaue, welche
nicht mit andern, frische Wetter führenden Bauen in Verbindung stehen, müssen
vor dem jedesmaligen Anfahren der Belegschaft von einem Aufsichtsbeamten oder
einem zuverlässigen Arbeiter auf das Vorhandensein stickender Wetter mit einem
brennenden Lichte untersucht werden. Das Betreten solcher Baue vor der Unter-
suchung ist den Arbeitern verboten. Zeigen sich stickende Wetter, so darf das
Einfahren erst nach deren vollständiger Beseitigung gestattet werden.
§ 57 Alle Zugänge nicht belegter Grubenräume, in welchen das Vorhandensein
böser Wetter irgend einer Art zu besorgen ist, müssen derartig abgesperrt werden,
dass Niemand ohne Oeffnung des Abschlusses dieselben betreten kann. Vor der
Wiederbelegung derselben muss die Gefahrlosigkeit von dem Betriebsführer oder
einem durch den letztern zu bestimmenden Grubenbeamten durch geeignete Unter-
suchung festgestellt werden.
§ 58. Das unbefugte Betreten nicht belegter und in geeigneter Weise abge-
sperrter Grubenräume ist verboten.
§ 59. Das Kesseln (Einhängen von Gefässen mit brennenden Stoffen zum Zweck
der Wettercirculation) ist verboten.
§ 00. Auf Stein- und Braunkohlen- sowie Alaunbergwerken ist die Anlage von
Wetteröfen oder Wetterherden unter Tage nur gestattet, wenn der ausziehende
Schacht vollständig in festem Gestein oder in Mauerung steht.
§ 61. Auf jedem Steinkohlenbergwerke sind, so lange sich schlagende Wetter
nicht gezeigt haben, mindestens zwei brauchbare Sicherheitslampen vorräthig zu
halten.
§ 62. Der Betriebsführer hat das erste Auftreten schlagender Wetter sofort dem
Revierbeamten anzuzeigen.
§ 63. Die auf Bergwerken mit schlagenden Wettern zu beobachtenden besondern
Massregeln werden durch besondere \erordnungen von dem Oberbergamte vor-
geschrieben werden.
§ 64. Es ist verboten, in Grubenräumen, die nicht durch Tageslicht oder fest
angebrachte Beleuchtung erhellt werden, ohne Grubeulicht zu fahren.
§ 65. In unterirdischen Grubenräumen muss, soweit nicht durch besondere Ver-
ordnung (§ 63) etwas Anderes bestimmt wird, jeder Arbeiter und Aufsichtsbeamte
ein Feuerzeug zum Anzünden des Grubenlichts bei sich führen.
VI. Häuerarbeiten, a) Schiessarbeit. 1. Allgemeine Vorschriften.
§. 66. Jeder Aufbewahrungsraum für Sprengstoffvorräthe ist so zu verschliessen,
dass derselbe von Unbefugten nicht ohne Anwendung von Gewalt geöffnet werden
kann. An der Aussenseite des Verschlusses sind in leicht erkennbarer Weise die
Worte: „Warnung! Sprengmittel!" anzubringen.
Berg -Polizei -Verordnung. 841
§ 67. Die Aufbewahrungsräume der Sprengstoffvorräthe über Tage müssen von
bewohnten Räumen, Eisenbahnen, Chausseen und Communalwegen mindestens
150 Meter entfernt sein. Aufbewahrungsräume unter Tage müssen von den
nächsten Fahr- oder Förderstrecken und Schächten mindestens 50 Meter entfernt
und seitlich der Zugangsstrecken hergestellt sein. Sind sie zur Aufnahme von
Dynamit oder andern aus Sprengöl dargestellten Sprengstoffen bestimmt, so darf
ihre Temperatur nicht unter +8° C. (+6%° R.) und nicht über 50° C. (40° R.)
betragen.
§ 68. Zündhütchen und sonstige Zündstoffe dürfen weder unverschlossen, noch
in denselben Räumen mit den Sprengstoffen aufbewahrt werden.
§ 69. Räume, in denen Sprengstoffe aufbewahrt werden, dürfen nicht mit
offenem Lichte betreten werden. Das Tabakrauchen in denselben ist untersagt.
§ 70. Sprengstoffe dürfen in der Kauenstube weder aufbewahrt noch in die Nähe
offener Feuer, geheizter Herde oder Oefen gebracht werden.
§ 71. Die Sprengmaterialien (Spreng- und Zündstoffe) müssen in einer ange-
messenen Entfernung vom Arbeitspuncte an einem sicheren und trocknen Orte auf-
bewahrt werden.
§ 72. Beim Fertigen der Patronen, beim Besetzen und Wegthun der Bohrlöcher
ist das Tabakrauchen verboten.
§ 73. Vor dem Anzünden eines jeden Schusses ist den in der Nähe befindlichen
Arbeitern durch den lauten Ruf: „es brennt!" Kenntniss zu geben.
§ 74. Der Betriebsführer hat in angemessener Entfernung von den Orten, wo
geschossen wird, eine Stelle anzuweisen und nöthigenfalls herzurichten, an welcher
die Arbeiter vor den Wirkungen der Schüsse gesichert sind.
§ 75. Beim Versagen eines Schusses darf der Ort nicht vor Ablauf von 10 Minuten
nach dem Anzünden betreten werden.
§ 76. Das Ausbohren oder YVegthun von Schüssen, welche einmal versagt haben,
ist untersagt. Bei Anwendung von Spreu gölpräparaten ist auch das Tieferbohren
stehen gebliebener Pfeifen verboten.
§ 77. In jeder Kameradschaft, welche Schiessarbeit betreibt, muss mindestens
ein Häuer (Kameradschaftsführer, Ortsältester, Drittelführer u. s.w.) sich befinden,
der mit dieser Arbeit vollkommen vertraut und zuverlässig, und welcher in der
Arbeiterliste ausdrücklieh als solcher zu bezeichnen ist. Ihm liegt die Verpflichtung
ob, die Ausführung der für die Schiessarbeit bestehenden Vorschriften zu über-
wachen und es haben die übrigen Mitarbeiter seinen Befehlen unweigerlich Folge
zu leisten.
Ausserdem gelten noch folgende Vorschriften:
2. Beim Gebrauch von Sprengölpräparaten. §78. Die Verwendung
reinen Sprengöls auf den Bergwerken ist verboten.
§ 79. Die Anschaffung von Dynamit und andern Sprengölpräparaten ist nur
den Berg werksbesitzern oder deren Beauftragten gestattet. Sie dürfen diese Stoffe
nur von dem Fabricanten oder von polizeilich concessionirten und überwachten
Niederlagen kaufen. Dem Revierbeamten ist auf Verlangen der Nachweis hierüber
zu führen.
§ 80. Diese Stoffe dürfen nicht anders als in Patronen bezogen werden. Eine
Umarbeitung der letztern darf nur unter Aufsicht eines vom Betriebsführer hierzu
bestimmten Aufsehers und nur in Räumen erfolgen, welche mit andern Grubeu-
gebäuden nicht im Zusammenhange stehen.
§ 81. Sprengölpräparate dürfen nur in den von der Fabrik gelieferten Behält-
nissen aufbewahrt werden.
§ 82. Gefrorene Sprengölpräparate dürfen nicht mit festen Körpern bearbeitet
und nicht zum Sprengen gebraucht werden: sie sind in diesem Zustande nicht aus-
zugeben, sondern vorher" aufzuthauen. Das Aufthauen darf nur in Gefässen mit
lauwarmem Wasser geschehen, in welchem die Sprengstoffe mit letzterem nicht in
Berührung treten (Nobel'scher Topf). Um ein Gefrieren der Patronen nach der
Ausgabe zu vermeiden, sind dieselben von dem Arbeiter unter der Kleidung dicht
am Körper zu tragen.
§ 83. Sprengölpräparate, welche sich zu zersetzen beginnen (was durch stechen-
den Geruch oder Entwicklung rothbrauner Dämpfe zu erkennen ist), dürfen zur
Schiessarbeit nicht verwendet werden. Sie müssen unter Aufsicht eines Gruben-
beamten oder Aufsehers im offenen Feuer verbrannt werden.
§ 84. Behältnisse, welche zur Aufbewahrung von Sprengölpräparaten gedient
haben, müssen sofort nach ihrer Entleerung im offenen Feuer im Freien unter
Aufsicht verbrannt werden.
§ 85. Sprengölpräparate dürfen nicht mit festen oder leicht explochrbaren
und feuergefährlichen Stoffen gleichzeitig in demselben Fördergefässe transportirt
842 Kohlenstoff.
werden. Sie dürfen auf letzterem nur in verschlossenen, mit lockeren Massen
(Sägespänen, Heu, Stroh u. s. w.) ausgefütterten Holzkästen bewegt werden. Die
Förderung der Sprengölpräparate im Schachte darf nicht ohne vorherige Benach-
richtigung des Maschinenwärters und des Anschlägers im Füllorte erfolgen. Ersterer
darf nicht schnell fordern und das Fördergefäss nicht hart aufsetzen lassen: letz-
terer muss dasselbe von der Förderschale vorsichtig abziehen und darf die Spreng-
stoffe nur von den dazu bestimmten Personen aus den Gefässen entnehmen lassen.
§ 86. Die Verausgabung dieser Stoffe darf nur durch Steiger oder andere
technische Aufseher an die Kameradschaftsführer (§ 77) erfolgen. Keinem der-
selben darf mehr als der Bedarf der Kameradschaft für eine Schicht übergeben
werden.
§ 87. Die in einer Schicht nicht zur Verwendung gekommenen Sprengstoffe und
die zum Transport derselben benutzten Behältnisse müssen nach der Schicht dem
ausgebenden Beamten zurückgegeben werden.
§ 88. Die ( Schlag-) Zündpatronen dürfen nicht in Vorrath gehalten werden,
sondern müssen erst vor ihrer unmittelbaren Verwendung durch Einbringung der
mit dem Zündhütchen versehenen Zündschnur fertig gestellt werden.
§ 89. Das Fertigstellen der Bohrlöcher zum Wegthun durch Einführung der
Schlagpatrone und das Wegthnn der Schüsse selbst darf nur durch die dazu be-
stimmten Personen (§§ 77 und 86) erfolgen.
3. Beim Gebrauch des gewöhnlichen Sprengpulvers und der diesem
in den Eigenschaften ähnlichen Sprengstoffe. § 90. Gewöhnliches
Sprengpulver und diesem in den Eigenschaften ähnliche Sprengstoffe müssen in
einem mit festem Verschlusse versehenen ledernen Beutel oder in einer verschlos-
senen metallenen Büchse mitgeführt werden. Ebenso sind die zu dieser Schiess-
arbeit erforderlichen Zündstoffe (Zündhalme, Raketchen u. s w.) in Büchsen oder
Kapseln zu verwahren.
§91. Das Schiessen ohne Patronen ist verboten; zu letztern darf nur entweder
gut geleimtes Papier oder ein anderer solcher Stoff, der nicht fortglimmt, ver-
wendet werden.
§ 92. Als Besatzmaterial sind nur Lettennudeln oder milde Gesteinsarten, welche
keine Funken reissen, zu benutzen.
§ 93 Die Anwendung eiserner Schiess- oder Räumnadeln ist unbedingt unter-
sagt, ebenso die Anwendung von Zündschwamm oder faulem Bolz zur Entzündung
des Zündstoffs.
§ 94. Bereits besetzte, aber erst später anzuzündende Bohrlöcher sind durch
hölzerne Pflöcke, welche in die Räumnadellöcher gesteckt und mit Letten ver-
strichen werden, zu sichern.
b) Sonstige Arbeiten. §95. Das Unterschrämen rolliger Massen im Tagebau
ist verboten.
§ 96. Bei allen Schrämarbeiten müssen die verschrämten Stösse durch Ver-
spreizung oder durch Stehenlassen kleiner Pfeiler im Schräme hinreichend gegen
ein vorzeitiges Niedergehen gesichert werden. In Tagebauen, woselbst sich diese
Sicherheitsmassregeln nicht ausführen lassen, muss während des Schrämeus ein
zuverlässiger Mann augestellt werden, der von oben beobachtet, ob „es aufmacht"
oder sich sonst Anzeichen bemerken lassen, dass nicht ferner geschrämt werden
darf. Auf seinen Warnungsruf haben die Arbeiter die unterschrämte Strosse sofort
zn verlassen.
§ 97. Auf den unterirdischen Kohlenbergwerken darf das Rauben der Zim-
merung und das Werfen eines Bruches nur unter Aufsicht und Leitung eines
Grubenbeamten oder eines zuverlässigen, mit dieser Arbeit vertrauten Häuers aus-
geführt werden.
VII. Maschinen. §98. Alle Arbeiter, welche ihre Beschäftigung in die Nähe
umgehender Maschinentheile führt, dürfen nur solche Kleider tragen, deren Theile
sich dem Körper eng anschliessen.
§ 99. Die gehenden Maschinentheile sind, soweit sich in ihrer Nähe Menschen
bewegen müssen, mit einer Vergitterung derartig zu umgeben, dass durch sie eine
Verunglückung ohne Verschulden des Betroffenen nicht herbeigeführt werden kann.
§ 100. Der unbefugte Zutritt in die Kesselhäuser und Maschinenräume ist ver-
boten. An den Eingangsthüren der betreffenden Räume ist eine Warnungstafel
anzuschlagen.
VIII Arbeiter. § 101. Bei Arbeiten unter Tage dürfen weibliche Arbeiter
nicht beschäftigt werden.
§ 102. Vor vollendetem sechszehnten Lebensjahre dürfen jugendliche Arbeiter
weder mit Haspelziehen, noch mit Karrenlaufen auf ansteigenden Bahnen beschäf-
tigt werden.
Berg-Polizei-Verordnung. 843
§ 103. In der Häuerarbeit unerfahrene Arbeiter dürfen bei dieser nicht allein
angelegt werden.
§ 104. Auf jedem in Betrieb befindlichen Bergwerke müssen Einrichtungen be-
stehen, welche es ermöglichen, die auf derselben angefahrene Mannschaft nach Zahl
und Person jederzeit genau zu ermitteln. Der Vertreter des Bergwerks hat die
Art dieser Einrichtung und die zur Handhabung derselben erforderlichen Pflichten
der Grubenbeamten und Arbeiter mittels Aushanges in der Zechenstube öffentlich
bekannt zu machen.
§ 105. Die Grubenbeamten und Arbeiter sind verpflichtet, die Vorschriften der
in § 104 bezeichneten Bekanntmachung genau zu befolgen.
§ 106. Jeder belegte Arbeitspunct ( beim Kupferschieferbergbau jeder Streb-
Hügel) mnss in jeder Schicht mindestens einmal von einem Aufsichtsbeamten be-
fahren werden. Bei Arbeitspuncten, an welchen nur ein Mann arbeitet, ist Vor-
sorge zu treffen, dass ausserdem mindestens einmal in der Schicht Jemand nach
ihm sieht.
§ 107. Auf jeder selbstständig für sich betriebenen Anlage eines Bergwerks
muss eine heizbare, der Stärke der Belegschaft entsprechend grosse Kauenstube
vorhanden sein, in der sich die Arbeiter ausruhen und ankleiden können.
§ 108. Ein die §§ 3, 15, 19, 20, 25, 32, 33, 34, 37, 46, 47, 51, 52, 53, 56, 58,
64 — 107 einschliesslich, 114, 120 und 123 umfassender Auszug dieser Polizei -Ver-
ordnung ist in der Kauenstube auszuhängen und überdies mindestens vierteljährlich
einmal durch Vorlesen zur Kenntniss der Belegschaft zu bringen. Auf Braun-
kohlen- und Alaunbergwerken können die §§ 66 — 94 einschliesslich von dem Vor-
lesen ausgeschlossen werden.
IX. Markseheiderwesen. §109. Die Markscheiderarbeiten dürfen, soweit
die Ausführung derselben nicht durch die Berggesetzgebung ausdrücklich auch
den Feldmessern gestattet ist, nur von Personen verrichtet werden, welche nach
vorgängiger Prüfung als Markscheider von einem Preuss. Oberbergamte concessionirt
worden sind.
§ 110. Die concessionirten Markscheider sind dafür verantwortlich, dass die auf
Ausführung der Markscheiderarbeiten bezüglichen Bestimmungen der Allgemeinen
Vorschriften des Handelsministers für die Markscheider im Preussischen Staate vom
21. December 1871 und unsere Geschäfts- Anweisung für die concessionirten Mark-
scheider vom 15. August 1872, sowie die künftig darüber ergehenden Vorschriften
beachtet werden.
§ 111. Für jedes Bergwerk ist eine Orientirungslinie von einem angemessen zu
wählenden und zu fixirenden Standpuncte aus durch Kirchthürme oder ähnliche
unverrückbare Gegenstände festzulegen. Der Vertreter des Bergwerks ist für Aus-
führung dieser Bestimmung verantwortlich. Mit Genehmigung des Oberbergamtes
kann eine solche Orientirungslinie auch für eine Gruppe von Bergwerken Gültig-
keit haben.
§ 112. Der Betriebsführer ist für die Erhaltung und nötigenfalls Neufestlegung
der Festpuncte dieser Orientirungslinie verantwortlich. Ist eine Gruppe von Berg-
werken nur im Besitze einer Orientirungslinie, so ist derjenige Betriebsführer, in
dessen Grubenfeld die Festpuncte der Orientirungslinie sich befinden, für Erhaltung
derselben verantwortlich.
§ 113. Der Betriebsführer ist für Erhaltung der von dem Markscheider bei
seinen Zügen unter und über Tage geschlagenen Zeichen verantwortlich.
§ 114. Das Verrücken und Beschädigen von Markscheiderzeichen ist verboten.
§115. Die regelmässige Nachtragung der Grubenbilder muss erfolgen: a) bei
unterirdisch bauenden Erzbergwerken mit einer jährlichen Förderung von weniger
als 60,000 Centner und bei allen Bergwerken mit Tagebau in Zeitabschnitten von
längstens drei Jahren, b) bei Stein- und Braunkohlen- sowie Alaunbergwerken mit
einer jährlichen Förderung von weniger als 60,000 Hectoliter und bei allen Stein-
salzbergwerken in Zeitabschnitten von längstens zwei Jahren, c) bei allen übrigen
Bergwerken in Zeitabschnitten von längstens einem Jahre. Bei jeder Nachtragung
muss auch das amtliche Exemplar des Grubenbildes nachgetragen werden.
§116 Die Aufnahme der Baue und die Nachtragung beider Exemplare des
Grubenbildes hat sich stets über das ganze Grubengebäude bis zu den dermaligen
Orts- und Betriebspuncten, so »de über die ganze im Bereiche des Baufeldes ge-
legene Tagessituation auszudehnen.
§ 117. Unverzüglich und unabhängig von den im § 15 für die Nachtragung der
Grubenbilder festgesetzten Fristen müssen 1) alle Gebäude (die einzelnen Wohn-
häuser mit Bezeichnung des Namens des derzeitigen Besitzers), alle Wasserläufe
und Wasserbehälter, alle Eisenbahnen, Chausseen, Communal- und andere grossere
Wege, welche im Bereiche des Baufeldes belegen sind, 2) alle Gegenstände der
844 Kohlenstoff.
Tagessituation, zu deren Schutz besondere polizeiliche Anordnungen zu treffen sind,
3) alle Betriebspuncte, bei deren Fortgang der Durchbruch von Standwassern oder
bösen Wettern u. s.w. oder der Eintritt einer ähnlichen Gefahr bezüglich der im
§ 196 des allgemeinen Berggesetztes bezeichneten Gegenstände zu besorgen ist,
4| alle Markscheiden, sowie alle durch Polizei-Verordnungen oder durch besondere
Anordnung bestimmte Bau- und Sicherheitspfeiler Grenzen auf das Grubenbild
und zwar, soweit dies thunlich, auf die sämmtlichen Grundrisse und Profile auf-
getragen werden.
$ 118 Alle Betriebe, mit denen voraussichtlich Sicherheitspfeiler-Grenzen an-
gefahren oder alte Baue und Wassersäcke gelöst werden sollen, dürfen nur nach
markscheiderischer Angabe aufgefahren werden.
§ 119. Wenn auf einem Bergwerke der Betrieb vorläufig oder definitiv einge-
stellt wird, so rauss jedesmal vorher die vollständige Nachtragung der beiden
Exemplare des Grubenbildes erfolgen. Der Vertreter des Bergwerks ist für Aus-
führung dieser Bestimmung verantwortlich.
X. Schlussbestimmungen. § 120. Niemand darf die zur Sicherheit der
Baue und des Lebens der Arbeiter, sowie zum Schutz der Oberfläche, insbesondere
die zur Wetterversorgung, zur Erleuchtung, zum Signalisiren und Bremsen ge-
troffenen Einrichtungen beschädigen oder solche ohne ausdrückliche Anweisung
oder Erlaubniss des Betriebsführers oder seines Stellvertreters abändern, versetzen
oder unbrauchbar machen.
§ 121. Die gegenwärtige Verordnung tritt am 1. Januar 1874 in Kraft. Mit
diesem Zeitpuncte treten die sämmtlichen für den ganzen Oberbergamtsbezirk oder
für Theile desselben gültigen Bergpolizei -Verordnungen ausser Kraft. Die für
einzelne Bergwerke ergangenen bergpolizeilichen Bestimmungen und Anordnungen
bleiben hiervon unberührt.
§ 122. Zur Ausführung der in den §§ 39, 40 Absatz 2, 41, 42, 48, 67 und 111
vorgeschriebenen Einrichtungen wird die Frist von einem Jahre, vom Tage des
Inkrafttretens dieser Verordnung ab gerechnet, bewilligt.
§ 123. Uebertretungen der gegenwärtigen Verordnung werden, sofern nicht in
Folge anderer /strafgesetzlicher Vorschriften höhere Strafen verwirkt sind, auf
Grund des § 208 des Gesetzes vom 24. Juni 1865 mit Geldbuße bis zu fünfzig
Thalern bestraft. Für die Ausführung der nach derselben auf dem Bergwerke zu
treffenden sicherheitspolizeilichen Einrichtungen und betrieblichen Vorschriften ist
sofern darin nicht anders bestimmt ist, nach §76 des Allgemeinen Berggesetzes
insbesondere der Betriebsführer verantwortlich, wegen Uebertretung der übrigen
Vorschriften aber jeder Zuwiderhandelnde strafbar.
Halle, 15. Juli 1874. Königliches Oberbergamt.
Es ist hier noch eines Umstandes zu erwähnen, der für die Anwohner der
Kohlenbergwerke sehr belästigend werden kann. Der Haldenbrand auf Kohlen-
zechen hat nämlich insofern ein sanitätspolizeiliches Interesse, als die Halden oft
ein Terrain von 30 Morgen bedecken: sie bestehen aus Kohlenschiefer und Berg-
gestein, welche beim Gewinn der Kohle ausgebrochen werden. Die in denselben
befindlichen Kohlentheile reichen hin, um das ganze Gestein in's^ Glühen zu
bringen. Stösst man in eine brennende Halde, so stellt sie sich wie ein glühender
Haufen von Brennmaterial dar; es bildet sich ein unangenehmer Geruch wie beim
Brande der Ziegelöfen, der sich weit ausdehnen kann. Schweflige Säure ist
meist wegen des beigemengten Schwefelkieses vorhanden. Im Innern der Halden
bilden sich oft die Producte der unvollkommenen Verbrennung (Kohlenoxyd) und
dringen dann durch Risse und Spalten aus; selbst die Producte der trocknen
Destillation können entstehen und zwar in den Spalten und Löchern bei 'gänz-
lichem Abschluss der atmosphärischen Luft. Es treten dann die dem Leuchtgase
verwandten Kohlenwasserstoffe auf. welche durch Spalten und Risse ihren Ausgang
in die Keller der benachbarten Wohnungen finden können. Unglücksfälle, die
mit dem Tode endigen, können um so eher eintreten, je näher sie den Halden
liegen : letztere dürfen daher nur mit Rücksicht auf die schon bestehenden Häuser
ausgedehnt werden, während die Concession zur Neuanlage von Häusern zu be-
schränken und nur mit Rücksicht auf die vorhandenen Verhältnisse zu ertheilen
ist, was mit Strenge zu beachten ist, da die Neigung bekanntlich vorwaltet,_ sich
in der Nähe von Halden nach Massgabe des neu entstandenen Geschäftsbetriebes
anzubauen.
Den Haldenbrand durch gestampften Lehm zu ersticken, hat sein Bedenken, da
die Gase sich dann leichter unterirdisch ausdehnen: das beste Mittel besteht in
der Herstellung eines raschen Luftzuges, in der Anlage von Canälen zum Durch-
Krankheiten der Bergleute. 345
strömen der Luft und in der Errichtung eines mit diesen in Verbindung zu setzen-
ic\ vi u t Kamins, l™ die Gase und Dämpfe den höhern Luftschichten zuzuleiten.
16) Zeitschr. f. Berg- u. Huttenk., 1. Bd., S. 154, 1854.
17) Die sehr interessanten Verhandlungen über diesen Gegenstand finden sich in fol-
genden bchnften:
Kuborn: Rapport sur l'enquete faite au nom de l'Academie royale de medecine
en Belgique, par la commission chargee d'etudier la question de l'emploi des
iemmes dans les travaux souterrams des mines. Bullet. dAcad. de med de Bete
No. 10, 1868. &"
— Discussion de rapport de la commission, qui a ete chargee de l'examen des
questions relatives a l'admission des femmes dans les travaux souterrains Bullet
de PAcad. de med. de Belg. No. 1, 2, 3, 5, 7, 8, 10, 1869.
Die materiellen Interessen haben bisher noch über die Gründe der Wissenschaft
den Sieg davongetragen.
Man hat bisher die Frauen und Mädchen in Belgischen Bergwerken 1) zum
Schleppen der Kohlen oder Steine (trainage), 2) zum Ausfüllen von Löchern während
der Nacht (remblayage des tailles), 3) zum Schaufeln (montage) der abgebauten
Kohlen auf die Streckenbahn, 4) zum Zügeln oder Bremsen (maniement des freins)
5) zum Haspeln (manoeuvre des treuils), 6) zur Pumpenbedienung und 7) zur
Ventilation bei den Vorrichtungsarbeiten benutzt.
In ähnlicher Weise werden Kinder von 12—16 Jahren beschäftigt, namentlich für
die drei zuerst genannten Arbeiten.
Auch in England gebraucht man diese noch zum Wagenschmieren, Bremsen,
Weichenstellen und ZugführeD beim Wagentransport. Zum Schleppen werden jetzt
dort vorzugsweise Pony's verwendet.
Es sind oft genug und in drastischen Farben die üblen Folgen bei den frühen
Anstrengungen jugendlicher Personen in Bergwerken geschildert worden. Hemmung
der Entwicklung und frühzeitige Erschöpfung der Lebenskräfte begründen ein
frühes Siechthum, während durch die Frauenarbeit das Familienleben in jeder Be-
ziehung auf die nachtheiligste Weise beeinflusst wird.
18) Schirmer: Die Krankheiten der Bergleute in den Grünberger Braunkohlengruben.
Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Med., X. Bd. 2. Heft, 1856.
19) Rachel: Quem vim fodinae carbonum fossilium in valetudinem et vitam operariorum
exterant Dissert. inaug., Berol. 1867. Jahresber. 1867, S. 556.
20) Kuhborn: Du role pathogenique des poussieres charbonneuses dans les organes
respiratoires des ouvriers mineurs. Bullet, de l'Acad. de medec. de Belgique
No. 1, 4. 1864.
Boens: Note sur la valeur des crachats noirs et sur les effets de la poussiere chez
les houilleurs. Ibid. No. 11, 1862.
21) Es ist eine unzweifelhafte Thatsache, dass man bei manchen Kohlenarbeitern
Anthracosis pulmonum erst durch die Section entdeckt, die während des Lebens
keine Symptome eines Lungenleidens dargeboten haben, ein Beweis, dass unter den
verschiedenen Staubarten der Kohlenstaub unter Umständen die Lungen wenig
lädirt, so dass man beträchtliche Einlagerungen desselben antrifft, ohne dass sich
immer Gewebsstörungen damit verbinden. Wenn man diese Thatsache auch nicht
als Regel aufstellen kann, so ist dadurch doch ausser Frage gestellt, dass bei den
Staubinhalationskrankheiten die Art des Staubes den höhern oder geringern
Grad der Gefährlichkeit bedingt (s. Siderosis, Chalicosis pulmonum). Je nach der
Ausdehnung der Anthracosis finden sich die Kohlentheilcben entweder spärlich oder
massenhaft in allen Theilen, in den Bronchien, Alveolen, im Parenchym der Lungen
und selbst in den Bronchialdrüsen. Die Ausstossung der fremden Partikelchen
erfolgt um so weniger, je mehr die Flimmerbewegung auf der Bronchial-
schleimhaut sich verringert und der durch die Kohle bewirkte Reiz nicht mehr
empfunden wird.
Die Kohlenpartikelchen geben sich als dunkelschwarze Körnchen von verschie-
dener Dimension oder als Plättchen von unregelmässiger, meist polygonaler Gestalt
zu erkennen. Sie vermögen zweifelsohne in die Wand der Lungen-Alveolen und
in das interstitielle Gewebe zu dringen; theils bleiben sie hier liegen, theils finden
sie durch die Lymphgefässe einen Weg nach den Bronchialdrüsen. Auch bei
bedeutenden Depots der Kohle vermisst man meistens Verdichtungen des inter-
stitiellen Gewebes oder entzündliche Processe, wodurch sich wiederum ganz be-
sonders die weniger schädliche Wirkung des Kohlenstaubes documentirt, während
bekanntlich Kiesel-, Ei senstaub u. s. w. leicht zu Ulcerationen, Verdichtungen,
Tuberculose oder Phthise führen. Fast alle Beobachtungen stimmen darin überein,
dass der Kohlenstaub bei Tuberculose sogar günstig wirke.
Nur höchst selten kommen als die höchsten Grade der Anthracosis Lungen-
846 Kohlenstoff.
cavernenvor, welche Seit mann (Arch. f. klin. Med. 3. Heft, 1866) in sächsischen
Kohlengruben bei Arbeitern höhern Alters theils für sich, theils mit Miliartuberkeln,
bedeutendem Lungenemphysem und Herzleiden complicirt angetroffen hat. Schon
Brockmann (die metallurg. Krankh. des Oberharzes. Osterode 1851) hat ahnliche
Zustände beschrieben, die bei englischen, belgischen und französischen Kohlen-
arbeitcrn ebenfalls in den letzten Stadien der Anthracosis beobachtet worden sind.
Diese Cavernen können entweder als die Folgen einer cireumscripten Pneumonie oder,
was jedenfalls weit häufiger ist und näher liegt, als ein theilweiser Mortifications-
process des Lungengewebes aufgefasst werden. Für letztern spricht auch die
Beschaffenheit der Wände solcher Cavernen, da sie stets ungleich, oft buchtig, wie
zernagt, mit Parenchymfetzen und oblitirirten Gefässen bedeckt erscheinen. Der
Inhalt der Cavernen ist meistens eine dintenartige Flüssigkeit, welcher selten Eiter
beigemischt ist. Das Parcnchym der Umgebung ist lufthaltig oder luftleer, viel
seltner aber verdichtet. Schon das Vorkommen dieses Processes im höhern Alter
spricht dafür, dass eine geraume Zeit zur Ausbildung desselben gehört.
Dass sich übrigens auch in jünaern Jahren unter Umständen Miliartu ber kein
zur Anthracosis gesellen können, beweist der von Leuthold aus der Traube'scheii
Klinik mitgetheilte Fall (Berl. klin. Wochenschr. 1866, No. 3).
Namentlich haben die Untersuchungen von Traube (Deutsche Klinik No. 49, 50,
1860) und Zenker (Deutsches Archiv f. klin. Medic, Bd. 1, S. 116) den positiven
Beweis geliefert, dass die Kohlenpartikelchen nicht nur in das interstitielle Lungen-
parenchym, sondern auch in die Bronchialdrüson gelangen können.
Speciell zu erwähnen sind noch: Vi IIa r et: Cas rare d'Anthracosis. Paris 1862,
sowie eine Beobachtung von Mannkopf aus der Frerichs'schen Klinik (Berl. klin.
Wochenschr. No. 8, 1864).
Rosenthal, M.: Untersuchungen und Beobachtungen über Einwirkung pulver-
förmiger Substanzen auf den menschlichen Organismus. Jahresber. der Gesellsch.
der Aerzte in Wien, XL S. 97-112, 1866.
Kussmaul, A.: Die Aschenbestandtheile der Lungen- und Bronchialdrüsen nach
Analysen von Dr. C. W. Schmidt. Archiv f. klin. Med, IL, S. 89-115, 1866.
Slavjansky: Experimentelle Beiträge zur Pneumoconiosenlehre. Virchow's Arch.
III., 2. 1869.
Ueber die Krankheiten der Kohlengrubenarbeiter handeln :
Küpper: Krankheiten und Gefahren, welche den Bergmann in den Steinkohlen-
gruben betreffen. Rhein. -westphäl. Corresp.-Bl. No. 17 - 22, 1845.
Cox, W. J. : Krankheiten der Kohlenarbeiter und ihre Ursachen. Journ. of publ.
health, March 1857.
Fossion: Bericht über die Krankheiten der Arbeiter in den Steinkohlengruben.
Ballet, de l'Acad. de med. de Belgique, 8. 1859.
Märten: Die Schädlichkeiten und Krankheiten, denen die Kohlengrubenarbeiter
ausgesetzt sind. Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Med , XVI. Bd., 2. Heft, S. 264, 1859.
Ueber die Statistik der Brustaffectioncn bei Kohlengrubenarbeitern vgl. man
Hirt: Die Staubinhalationskrankheiten, Breslau 1871, S. 151.
Ueber die Gesundheitsverhältnisse der Arbeiter in den Bergwerken von Corn-
wallis schrieb Barham (Brit. Med. Journ, Oct. 21., S. 480, 1871). Er fand bei
83 Bergleuten 54, welche an Miner's Asthma litten. Er bestätigt die Thatsache,
dass es sich selten um Tuberculose bei den Grubenarbeitern handelt.
Fast alle Beobachter stimmen aber darin überein, dass Rheumatismen, entzünd-
liche Krankheiten, Katarrhe und Digestionsleiden mit Ernährungsstörungen bei den
Kohlengrubenarbeitern vorwalten.
22) Lavet, Alexandre: Hygiene des professions et des industries. Paris 1875, S 347,
Art. Houilleurs.
Die Ursachen der schlimmem Fälle, die in England und namentlich in Belgien
beobachtet worden sind, dürften zweifacher Art sein: erstens hängt es sehr von
der Natur und Beschaffenheit der Kohle ab, ob sich mehr oder weniger Staub
entwickelt; so ist die Kohle namentlich in dem rheinisch- westphälischen Gebiete
fester und härter, sie erzeugt daher weniger den feinen Staub wie die belgische
Kohle. Zweitens kommt es sehr auf den Bau der Strecken an, ob sie die hin-
reichende Höhe haben und das Stehen der Arbeiter gestatten, während diese überall
viel eher den Staub inhaliren müssen, wo sie knieend oder sogar liegend die Arbeit
verrichten.
23) Eulenberg: Die Lehre u. s.w., S. 276.
24) Kein Stand ist wohl mehr den verschiedensten Unglücksfällen ausgesetzt als der
der Bergleute Genauere Angaben über die Ereignisse in den englischen Kohlen-
gruben finden sich in den Annal. des mines 1864 und 1868; die Zeitschrift für
Hüttenkunde berichtet regelmässig über die auf preussischen Kohlengruben vor-
Kohlengase. g47
gekommenen Unglücksfälle. Fractaren der Extremitäten und des Schädels sind
unter den Verletzungen am häufigsten. lieber Todesfälle in Kohlengruben s. Sanit
Record, IIL, Dec. 1875.
25) Keckeis (Wiener Wochenschr. No. 35 n. 36. 1860) hat eine ausführliche Beschrei-
bung der Folgen bei Explosionen schlagender Wetter geliefert
In Bezug auf die äussern Verhältnisse sind namentlich die bessern Wohnungs-
~\ erhältnisse der Bergleute hervorzuheben. Man vgl.: Die Einrichtungen zum Besten
der Arbeiter auf den Bergwerken Preussens. 1. Bd. 1875, 2. Bd. 1876. Berlin bei
Ernst & Korn. Die Herausgabe erfolgt im Auftrage des Randeisministeriums.
Im 2. Bande finden sich in ausführlicher Weise durch Abbildungen die Anstalten
zur Kranken- und Gesundheitspflege, die Anstalten zur Invaliden-, Wittwen- und
Waisenversorgung anschaulich gemacht. Auch einzelne bergmännische Co-
lonien, Bergarbeiterhäuser, Schlafhäuser und Speiseanstalten, Bade-
und Waschanstalten, die namentlich in Westphalen, in der Rheinprovinz, am
Harz und in der Provinz Brandenburg errichtet worden sind, finden hier eine aus-
führliche Beschreibung. Ebenso sind" die Einrichtungen zur Hebung des
geistigen Wohls: Schulhäuser. Betsäle, Industrie- und Kleinkinderschulen,
Pröbefsche Kindergärten, ein Lese-, Unterrichts- und Vereinigungshaus
in Saarbrücken, ein Gesellschafts- und Vergnügungshans nebst Consumverein auf
der Zeche Hannibal bei Dahlhausen vertreten.
Wer die Special- Studien verfolgen will, hat hier eine reiche Fundquelle und ge-
winnt die Ueberzeugung, dass die segensreichsten Anfänge für geistige und körper-
liche Hebung der Arbeiterclasse schon eine kräftige Grundlage gewonnen haben.
26") Hiltrop in der Zeitschr. des Königl. Statist. Bureau's. 4 — 6, 1869.
27) Ausland 1867, S. 864.
28) So ereignete sich im März 1868 in Belgien bei Charleroi auf einem mit fetten
Steinkohlen beladenen Schiffe ein solcher Fall. Die Frau des Schiffers versuchte
in der Cajüte Morgens früh mit einem Streichhölzchen Licht zu machen, hatte aber
kaum eine Flamme damit erzielt, als die Cajüte durch eine Explosion auseinander-
flog und kein Nagel an derselben sitzen blieb. Das Gesicht der Frau war eine
Brandwunde, jedoch blieben die Augen erhalten: ein kleiner Sohn in der Cajüte
erhielt eine grosse Aerbrennung am Beine: beide wurden wieder hergestellt.
Zweifelsohne hatten sich die von den Steinkohlen ausgehauchten und aus dem
Schiffsräume ausgetretenen Gase Nachts in der dicht verschlossenen Kammer stark
angesammelt und am Feuer des Streichhölzchens entzündet. Von eingeschlossenen
Räumen, in denen fette Steinkohlen lagern, hat man daher Licht und Feuer entfernt
zu halten.
Nach den Untersuchungen von Ernst v. Meyer (Journ. f. prakt. Chemie, Bd.V,
S. 407) sind in einigen englischen Steinkohlen bis zu 89,61 % Grubengase enthalten,
während das Maximum der Kohlensäure 20,8% beträgt, der Stickstoffgehalt von
9,61-85.65 und der Sauerstoffgehalt zwischen 0,19 — 5,65 schwankt.
Beim Transporte der Steinkohlen auf Seeschiffen tritt der unangenehme Umstand
ein, dass der Kohlenstaub nicht nur die Schiffsmannschaft belästigt und ihren
Körper mit Staub bedeckt, sondern auch die Nahrungsmittel sind vor demselben
kaum zu schützen, so dass in den amerikanischen Seestädten, namentlich in King-
ston in Jamaica, die Ansicht verbreitet ist, dass die Hautthätigkeit der Matrosen
dadurch gestört und die Verdaulichkeit der Speisen beeinträchtigt würden. Manche
Aerzte versteigen sich zu der nicht begründeten Ansicht, dass die Entstehung
des gelben Fiebers auf Kohlenschiffen begünstigt würde. Es ist hieraus wenig-
stens ersichtlich, dass der Aufenthalt auf solchen Schiffen mit nachtheiligen Ein-
flüssen verbunden sein kann, deren Ursachen aber nur in den bereits erörterten
Verhältnissen zu suchen sind.
29) Fälle sind bekannt geworden, in denen die Nichtbeachtung dieser Vorsicht
grosses Unglück veranlasst hat. Landleute, welche frische Holzkohlen in die Stadt
gebracht und in einem kellerartigen Gewölbe abgelagert hatten, konnten an dem-
selben Tage nicht wieder nach Hanse zurückkehren: sie schlugen deshalb aus
Sparsamkeit in diesem Lagerraum ihr Nachtquartier auf. Am andern Morgen fand
man in Folge des aus den Holzkohlen ausgetretenen Kohlenoxyds 2 Menschen und
1 Pferd todt.
Experimentell kann nachgewiesen werden, dass sogar Holzkohlen, die längere
Zeit an der Luft gelagert hatten, noch Kohlenoxyd abgeben können. So wurde
ein Glaskolben vom Umfange einer starken Faust mit zerstossenen Buchholzkohlen,
die schon längere Zeit an der Luft gelagert hatten, angefüllt und erwärmt. Die
austretenden Gase wurden in den kleinen Zinkkasten geleitet, in welchem sich eine
Taube befand. Nach 16 Min. steigt zunächst die Respiration, die Taube hockt
zusammen und verfällt in die heftigsten Convulsionen. 2 Min. hernach wird
§48 Kohlenstoff.
die Taube in einem asphyktischen Zustande herausgenommen, aus welchem sie sieh
nach 4 M. erholt.
Eine Analyse der Gase ergab einen Gehalt von 00% Kohlensäure und 10%
Kohlen oxyd nebst Spuren von Stickstoff.
Eine andere Portion Kohle wurde in einem graduirten Rohre mit kochendem
Wasser behandelt, wodurch hauptsächlich die Kohlensäure, weniger das Kohlen-
oxyd ausgetrieben wurde 1 Kubikzoll Kohle ergab L,25 Kubikzoll Gas bei 0° und
28 Z. Barometerstand: die mit kochendem "Wasser behandelte Holzkohle ist jedoch
noch nicht gasfrei, sondern enthält noch Kohlenoxyd. Wird nämlich eine solche
Kohle bei gelinder Wärme getrocknet und dann in einer Retorte bei Luftabschluss
erwärmt, so tritt reines Kohlenoxyd auf. Ganz ähnlich verhält sich das Bein-
schwarz und die Thierkohle.
30) Compt. rend. 18. No* 1863.
31) Eulenberg's Lehre u. s w., S. 108.
32) Im Steinkohlendampf kann unter gewöhnlichen Verhältnissen niemals Schwefel-
wasserstoff vorkommen. Wenn Siebenhaar dies annimmt (Siebenhaar und
Lehmann. Die Kohlendunstvergiftung, Dresden 1808, so ist diese Auffassung
nach den thatsächlichen Verhältnissen zu modificiren.
33) Leber den Arsengehalt der Steinkohlen vergl. man Bädeker in Pappenheim's
Beiträgen u. s. w., -4. Heft. 1862, S. 52.
34) Friedberg (Die Vergiftung durch Kohlenduust, Berlin 1866, S 92—100) beschreibt
einen solchen Fall.
35) Griesinger's Arch. f. Psychiatrie, 1. Bd. 2. Heft, S. 263.
36) Virchow's Arch., 32. Bd., S. 471-517, 1865.
37) Gesammelte Abhandl. No. 2, S. 440. Berlin 1871.
38) Eulenberg's Lehre u. s. w., S. 137.
39) Philos. Magaz., Vol. 28, Nov. 1864, p. 391.
Hübner" s Zeitschr. f. Chemie, 1860. 1. 43 47. Centralbl. f. d. medic. Wissensch.,
No 15, 1865.
40) Eulenberg's Lehre u. ?. w.. p. 5] u 52 Verf. hat hier zuerst die Ansicht, dass
Kohlenoxyd keine chemische Verbindung mit dem Blute im gewöhnlichen Sinne
des Wortes eingehe, durch das Experiment erhärtet Das deutlich vor Augen
liegende Ergebniss wurde aber als irrthümlieh bezeichnet, bis der Physiologe
Donders dasselbe zur Geltung brachte.
41) Donders: Der Chemismus der Athmung ein Dissociationsprocess. PfiügeFs Arch.
f. Phys., V. Bd , S. 24.
42) Zuntz, eod. loc. 5. Bd. S. 584.
Gamgee im Journ. of anat. and phys., IL Bd., p. 372. Jahresber. 1867, S. 446.
43) Hünefeld: Die Blutprobe vor Gericht und das Kohlenoxyd-Blut in Bezug auf die
Asphyxie durch Kohlendunst. Leipzig 1875.
H. "übersieht, dass im Leuchtgase neben Kohlenoxyd auch Acetylen selten fehlt
und wie dieses eine Reaction auf Palladiumchlorür ausübt.
Jäderholm, Axel: Die gerichtlich-medicinische Diagnose der Kohlenoxydvergif-
tung. Deutsche Original-Ausg. Mit einem Vorworte von Husemann. Berlin 1876.
Eine gründliche, auf Experimenten beruhende Untersuchung.
44) Virchow's Arch , 30. Bd., S. 555.
45) Eulen berg: Ueber die forensische Bedeutung des eingetrockneten Kohlenoxyd-
Blutes. Berl. klin. Wochenschr. No. 22, 1866.
46) Hoppe-Seyler in Virchow's Arch, XIII. Bd. S. 104.
47) Eulenberg's Lehre u. s.w., S. 47.
48) Verhandlungen der Berl. medic. Gesellsch., 3. Heft 1867, S. 301 Deutsche Klinik
No. 14, 1867.
Hüter: Ein durch Transfusion geheilter schwerer Fall von Kohlenoxydvergiftung.
Berl. klin. Wochenschr. No. 28, 1870.
49) Decaisne (Gaz. des höp. No 26, 1868) behandelte eine arme, aus 5 Personen be-
stehende Familie, welche ein 5 Meter langes, 4 Meter breites und niedriges Zimmer
bewohnte. Dieses wurde fast immer von einem bis zum Rothglühen erhitzten
Ofen erwärmt. Vater uud Mutter klagten schon seit einigen Tagen über Kopf-
schmerz und Schwindel, die Frau hatte auch einigemale gebrochen, während die
beiden Kinder an Betäubung, brennendem Kopfe, Ohrensausen und Prostation der
Kräfte litten. Die Stube wurde unter Darreichung der entsprechenden Mittel ge-
lüftet. Zehn Tage später, als die Leute den Rath des Arztes, den Ofen nicht mehr
zum Glühen zu erhitzen, nicht befolgt hatten, constatirte Decaisne die entschie-
densten Typhus- Symptome: Bauchschmerz, Diarrhoe, Meteorismus u. s. w. Die
Kranken genasen zwar, aber die Reconvalescenz war sehr langwierig.
Kohlensäure. §49
Auch dieser Fall -wird häufig als Beweis dafür angeführt, dass Kohlenoxyd
durch einen glühenden Ofen diffundire. Kohlendunst mag hier immerhin einge-
wirkt haben, da bekanntlich eine chronische Kohlendunstvergiftung typhöse Krank-
heitserscheinungen vorzutäuschen vermag, jedenfalls war aber ihre Ursache irgend
anderswo und nicht in dem glühenden Ofen zu suchen.
50) St. Ciaire Deyille (Compt. rend., 56. u. 57. Bd., p. 729 resp. 965, 1863) hat über
das Zerfallen der Kohlensäure folgenden Versuch angestellt: Wenn er reine
Kohlensäure mit einer Geschwindigkeit von 783 Liter in der Stunde durch eine
auf etwa 1300° erhitzte, mit Porcellanstücken gefüllte Porcellanröhre leitete, so
bekam er ein Gasgemisch, das nicht vollständig von Kalilauge absorbirbar war.
"Von diesen 783 Liter, welche gleich 7830 C.-C. sind, erhielt er pro Stunde im
Maximum 30 C.-C. eines Gases, von welchem dem Volumen nach in 100 Vol.-Th.
enthalten waren: 30 O, 62,3 CO und 7,7 N. Somit gaben 7830 C.-C. Kohlensäure in
einer Stunde nur 0,8 Volumprocent Kohlenoxyd und zwar unter den günstigsten
Verhältnissen, die gewiss nicht bei einem glühenden Ofen vorkommen können.
Man bedenkt ferner nicht, dass Kohlensäure nur bei Gegenwart vieler bis zur
Hellrothgluth erhitzter Kohlen zu Kohlenoxyd reducirt werden kann; ebenso
muss das Eisen nicht bis zur Dunkelrothhitze, sondern stets bis zur Hellroth-
gluth erhitzt werden, ehe es für Kohlenoxyd durchlässig wird. Es ist daher
unerklärlich, dass man einer Erscheinung, die nur unter ganz andern Verhältnissen
möglich ist, mit dem Auftreten intensiver Krankheitsprocesse in ursächliche Ver-
bindung bringt. Morin (Compt. rend. 66. No.2, 1868) hat zur Verbreitung der letztern
Ansicht beigetragen. Boissiere (Compt. rend. LXVI. No. 8, 1868) und Coulier
(Jahresb. I. 453, 1868) bestreiten dagegen ebenfalls die Möglichkeit desDurckdringens
von Kohlenoxyd durch einen glühenden eisernen Ofen. Immerhin hat man das
Glühendwerden der Oefen zu verhüten, da beim Ablagern von organischem Staube
mehr oder weniger Kohlenoxyd als Verbrennungsproduct auftreten kann. Oefen mit
Chamottebekleidung oder solche, welche namentlich rund um den Feuerkasten mit
zahlreichen aufgegossenen Kippen versehen sind, gestatten ein Glühendwerden nicht.
51) Nöggerath, Max, in der Zeitschr. f. Berg- u. Hüttenk., III. Bd., S. 193, 1856.
52) Annal- f. Chem. u. Pharmac, 5. Suppl.-Bd., 236. 1868.
53) Radziej ewski (Arch. f. path. Anat., 53. Bd., S. 370) glaubte in dieser Verbindung
ein Anaestheticum zu entdecken. Wir gingen von derselben Auffassung aus und
stellten hauptsächlich zur Feststellung derselben die Versuche an. Unrichtig ist
jedenfalls die Ansicht von Schwalbe (Beiträge zur Kenntniss der Malariakrank-
heiten, Zürich 1869), dass Kohlenoxysulfid zu den Gasarten gehöre, welche bei
Malaria auftreten.
54) Eulenberg's Lehre u. s. w., S. 58,
55) Ueber den Kohlensäuregehalt in Schulen sind schon viele Untersuchungen ange-
stellt worden.
Oertel: Ueber die Anhäufung der Kohlensäure in der Luft bewohnter Räume
(Kunst- u. Gewerbeblatt d. polyt. Vereins f. d. Königr. Bayern, VIII. u. IX. Heft
1869, S. 450) liefert folgende Uebersicht. Als Normalmass wurden 1,0—1.5 ATol.-Th.
Kohlensäure auf 1000 Vol.-Th. angenommen (Andere nehmen 0.2 Yolumprocente
= 2,0 auf 1000 VoL-Th. an). Es ergab sich:
in zwei Krankenhäusern {a'ooo
in einem Gebärhause 2,236
in zwei Pfründneranstalten . . . . 1 3070
in zwei Polizeigefängnissen ->'612
in Strafhäusern il'864
in der Protest. Schule |5677
in der Waisenschule 2,006
1 . P • (2,295
in zwei Gymnasien ig ggg
• P ] 2/784
in zwei Casernen |4 958
• A r I3'621
in zwei andern Casernen 4 297
in der Hauptwache 5,366
in Privatwohnungen 1,560.
Eulenberg, Gewerbe-Hygiene. 54
§50 KohleD stoff.
Pettenkofer (München) fand
in einem Wohnzimmer . . . 0,0600 Kohlensäure in Vol.-Proc.
in einem vollen Auditorium . 0.32 „ „ „
in einem Kneipzimmer . . . 0,49 „ „ ,,
in einem stark gefüllten Schul-
zimmer 0,72 „ „ „
Roscoe (London):
in einem Casernenzimmer . . 0,12—0,14 „ „ „
in einem Schulzimmer . . . 0,24— 0,33 „ „ „
in einem gefüllten Theater . . 0,264-0,321 „ ,' „
Breiting (Basel):
in einem mit 64 Kindern besetzten
Schulzimmer im Mittel .... 0,592 „ „ „
Dorn er (Hamburg):
in einer Mädchenschule mit
37 Kindern 0,1303-0,5051 „ „ „
56) Traube: Gesammelte Abhandlungen zur Phys. und Pathol., I. S. 336.
57) Gasometrisehe Unters., Braunschweig 1857, S. 89.
58) Eulenberg's Lehre u. s. w., S. 306.
Schwefelainmonium kann in unterirdischen Gewölben nur auftreten, wenn der
Fäulnissprocess noch nicht vollendet ist. So kann sich auch beim Auswerfen von
Gräbern auf einem Kirchhofe, wenn derselbe noch viele unzersetzte Leichname
enthält, Schwefelammonium entwickeln. Man vgl. Guerard in Annal. d'hyg.
publ., T. 23, 1840.
Fälle dieser Art gehören jedoch zu den grössten Seltenheiten und können nur
bei gänzlich vernachlässigtem Begräbnissturnus vorkommen.
59) v. Gorup-Besanez im Journ. f. Gasbeleuchtung 1867, S. 401. Arch. d. Pharm.,
1868, 185. Bd., 3. Heft, S. 265.
60) Phöbus: Der typische Frühsommer-Katarrh od. das sog. Heufieber. Giessen 1862.
Binz in Virchow's Arch., 46. Bd., p. 100. Berl. klin. Wochenschr. 1869, S. 135.
Luhe im Deutschen Arch. f. klin. Med, 14. Bd., S. 426, 1874.
Pirrie, W.: On hayasthma, hayfever or summerfever. Medic. Times and Gaz.,
Juli 6, 1867.
61) Es schliesst sich hier eine Verbindung an, welche Zeise 1822 zuerst dargestellt
und Xanthogensäure des Aethyls, Aethyloxyd-Sulfocarbonat genannt
hat; man kann ihr die Formel CaHL OH 4- CS2 ,= C3H6OS2 geben. Sie wird dar-
gestellt, indem man Tinct. Kaiina mit Schwefelkohlenstoff zusammenbringt, das
auskrystallisirte Kalisalz durch Umkrystallisiren reinigt und dann mit verdünnter
Salz- oder Schwefelsäure zerlegt. Die ölig abgeschiedene Säure wird durch einen
Scheidetrichter von der Salzlösung getrennt. Die farblose Flüssigkeit riecht stark
und unangenehm, schmeckt schwach sauer und nachher bittersüss; sie brennt mit
blauer Farbe und zerlegt sich, bis 24° erwärmt, bei Gegenwart von Wasser in
Alkohol und H2S.
Man hat das betreffende Kupfersalz als gelbe Malerfarbe in Vorschlag ge-
bracht; wegen seiner leichten Zersetzbarkeit empfiehlt es sich aber nicht.
Es wurden folgende Versuche mit der Xanthogensäure gemacht: 1) Die
Dämpfe wurden aus 15 Grm. trocknem, xanthogensaurem Kalium entwickelt und
durch eine Vorlage mit Kautschuk und Bleiacetat behufs Absorption von Schwefel-
kohlenstoff und Schwefelwasserstoff in die Glasglocke geleitet, in welcher ein
mittelgrosses Kaninchen sass. Sogleich grosse Unruhe, Thräncn der Augen, nach
5 M. Schwanken, Zittern des ganzen Körpers, nach 9 M. convulsivische Zuckungen,
bisweilen Aufschreien und dann Zusammensinken. Nach 15 M Herausnahme des
Thieres. Pupille erweitert, unzählbarer Herzschlag, erschwerte Respiration und
fehlende Reaction bei äussern Reizen. Nach 12 M. kehlt die Empfindlichkeit der
Augen zuerst zurück, dann Niesen nach 19 M., allmähliges Erheben des Kopfes
und nach 30 M. noch Unfähigkeit sich zu erheben. Häufig zeigt sich noch Zittern,
bis nach 1 Stunde die Restitution vollständig ist.
2) Ein Tropfen der Säure wurde mit Wasser vermischt in die Glocke geblasen,
in welcher eine Taube sass. Sofort Blinzeln mit den Augen, Unruhe, Bauchlage,
nach 6 M. Hinfallen auf die Seite bei angestrengter Respiration. Nach 8 M. her-
ausgenommen, zeigt sie beschleunigte Athmung, sie taumelt und fällt oft hin,
bleibt dann auf dem Bauche liegen, schüttelt sich heftig und macht nach 5 M. nur
langsame Gehversuche.
Die Xanthogensäure wirkt stark reizend auf die Schleimhäute ein und führt einen
anästhetischen Zustand herbei, welcher nebst den übrigen Symptomen lebhaft an
Schwefelkohlenstoff erinnert.
Methylverbindungen. 851
Die Verbindung: Kaliumsulfocarbonat (sulfocarbon saures Kalium, Schwefel-
kohlenstoff-Schwefelkalium) CS3K2 hat durch Dumas als Mittel gegen die Reb-
laus (Phylloxera) eine grosse Wichtigkeit erlangt Man streut das Salz auf den
Erdboden um die Reben; wird es durch den Regen den Wurzeln zugeführt, so
tödtet es die hauptsächlich an der Wurzel sitzende Reblaus. Da sich hierbei aber
auch der für die Pflanzen schädliche Schwefelwasserstoff entwickelt, so haben
Zoll er und Grete (Berichte der Deutschen ehem. Gesellsch. 1875, p. 802, 955)
xanthogensaures Kalium CS2.C2H5OK empfohlen, welches in wässriger
Losung nur Schwefelkohlenstoff entwickelt. Noch billger stellt sich das Amyl-
xanthogenat CsHjjKOSa (xanthamylsaures Kalium), welches man erhält,
wenn man concentrirte Kalilauge mit Amylalkohol statt mit Alkohol schüttelt
und Schwefelkohlenstoff zumischt (s. S. 446). Wird das Salz für sich oder noch
besser mit Superphosphat dem Boden zugeführt, so entwickelt es ebenfalls bei vor-
handener Feuchtigkeit Schwefelkohlenstoff.
62) Delpech: Memoire sur les aeeidents, que developpe chez les ouvrieres en cautch.
l'inhal. du sulfure de carb. en vapeur. Paris 1856.
L'TJnion med. No. 66 1856.
Tavera, de l'intoxication par le sulfure de carbone. Paris 1865.
Tavera beobachtete einen Fall von anhaltender Sehstörung mit beginnender
Atrophie des N. opticus, der nach unserer Ansicht nicht mit Schwefelkohlenstoff-
Vergiftung zusammenhängt.
Gallard: L'ünion med. No. 22, 23, 24, 1866.
Bergeron und Levy (Gaz. de hopit. No. 111, 1864) heben besonders eine voll-
ständige Anästhesie der Cornea als Wirkung des Schwefelkohlenstoffs hervor.
Eulenberg: Die Lehre u. s.w., S. 393 u. 532.
63) Bernhardt (Berl klin. Wochenschr. No. 2 1871) beobachtete die Krankheit bei
einem 22jährigen Mädchen, die seit 6 Wochen in einer Kautschukfabrik gearbeitet
hatte. Ausser der Gedächtnissschwäche und den Digestionsstörungen fand er an
allen Stellen der Haut Anästhesie und Analgasie. Nach dem Verschwinden
der Anästhesie trat das bei Thieren charakteristische Zittern und Vibriren im
Körper ein, welches nach 2 Tagen wieder aufhörte.
64) Flies (Berliner klinische Wochenschrift No. 32, 1866) hat diesen Fall ausführlich
beschrieben.
65) Otto Braun im Amtl. Ber. der Wiener Ausstellung, S. 267, 16. Heft.
66) Compt. rend., 63. Bd., p. 85.
67) Mittheilungen des Gewerbe-Vereins des Herzogth. Braunschweig, 1865, p. 3.
68) Zweifelsohne ist der unangenehme Geruch des Schwefelkohlenstoffs von dem ihm
anhaftenden Schwefelwasserstoff abhängig. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die
verschiedenen Angaben über die physiologische Wirkung des Schwefelkohlenstoffs
nicht selten mit der Wirkung der Reste von Schwefelwasserstoff in Verbindung
stehen.
69) Braun, 1. c, liefert die genauere Beschreibung seines Apparates.
Ausführlich sind die verschiedenen Apparate in Payen's Lehrb. d. techn. Chemie
(deutsche Ausg.) I. Bd. S. 157 mitgetheilt.
Methylverbindungen (S. 368— 397).
1) Eulenberg: Die Lehre u. s.w., S. 18.
Richardson in Med. Times and Gaz., Sept. and Oct. 1871. On the physiol.
action of the org. hydrides.
2) Med. Times and Gaz., Oct. 19. p. 423, Nov. 2. p. 429, 1867.
3) Holländer in der Berl. klin. Wochenschr. No. 49, 1867, No. 11, 1868.
Tourdes und Hepp (in Gaz. de Strassb. p. 25, 1868) wollen convulsivische Er-
schütterungen bei der Anwendung dieses Mittels gefunden haben. Es ist hier
stets die Frage erlaubt, ob das Präparat rein gewesen; dasselbe soll beim An-
zünden rasch erloschen sein; reines Methylenchlorid verbrennt aber nur mittels
eines Dochtes und zwar mit grün gesäumter und Salzsäure verbreitender Flamme.
Es wird auch vielfältig Methyl-Bichlorid, Chloromethyl, genannt. Bei
Menschen soll die Narcose stets am Kopfe beginnen und erst später der übrige
Körper anästhetisch werden.
Das Mittel hat durchaus keinen Vorzug vor dem Chloroform (cf. Nussbaum,
Handb. d. allgem. u. spec. Chirurg., redig. von Pitha und Billroth, Bd. 1,
St. 2, S. 584). .
Die Gefahr aller Anaesthetica liegt nach Nussbaum dann, dass die im Ex-
citationsstadium erzeugte Muskelspannung oft die Luftwege ganz verschliesst oder
dass die Lähmung der Gefühls- und Bewegungsnerven sich auf die Muskeln des
54*
$52 Methylverbindungen.
Herzens und der Respiration ausdehnt. Das Unglück ist stets die Folge einer
unvorsichtigen oder unglücklichen Steigerung der beabsichtigten normalenWirkung.
Spencer Wells (Diseases of the ovaries, London 1872, S. 339) will nur aus-
nahmsweise beim Methylcnchlorid Würgen, Brechen und Katzenjammer beobachtet
haben.
Sänger (Berl. klin. Wochenschr. No. 38, 1<S74) fand Würgen und Erbrechen gleich
dlt bei Chloroform and Methylenchlorid; er rühmt letzteres mehr als Anaestheticum,
weniger als Narcoticum.
I) Brit. med. Jonrn., Sept. 16. 1871.
Ferner eod. loc , Öct. 23., p. 436, 1869, ein Fall, in welchem selbst bei sorgfältiger
Anwendung der Tod eintrat.
5) Sabarth: Das Chloroform. Würzburg 186(5.
6) M. vgl. Rabuteau: Note sur trois anaesthetiques nouveaux, le bromoform, le bromal
et l'jodal (Gaz. hebdom. No.43, p. 681, 1869, Jahresber. 1869,1.345); er beobachtete
eine kurze Narcose, die er als eine der Chloroformwirkung ähnliche beschreibt.
7) Smith im Lancet, June 1867. Jahresber. 1., p. 455, 1867.
8) Brit. med. Journ., Sept., p. 200, 1807.
'.>) eod. loc, Juni 10 , p. 685, 1807. Jahresber. I., p. 455, 1807.
10) Med. Times, Dec. 1800. Jahresber. 1860, p. 318.
11) Pulmonary consumption succesfully treated with naphta. London 1845.
In England pflegt man alle Flüssigkeiten, welche sich durch Flüchtigkeit und
Brennbarkeit cnarakterisiren, im Allgemeinen als Naphta zu bezeichnen.
12) Dingler's Journ. CC11I. p. 191.
[:'<) In WittBtein's Vierteljahrsschr. XX. 3. S. 429 sind die bezüglichen Untersuchungen
von Karsten mitgetheilt.
II) Frank in der Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Med., IX. Bd., p. 179, 1868.
Mit Recht macht Frank darauf aufmerksam, dass das Vorkommen der Schaum-
bläschen im Lungenparenchym nicht als ein zufälliges oder vereinzeltes Symptom
der Blausäurevergiftung zu betrachten ist.
In Betreff der Ekchymosen vergl. man:
Siegel im Archiv für Heilkunde, IX. Bd., p. 332, 1868. Arch. gener., Mai,
1». 529, 1868.
15) Man vergl. Gaethgens's Unters, über mit Blausäure behandeltes Blut in Bezug
auf Sauerstoffaufnahme, Sauerstoffabgabe und Kohlensäurebildung in Hoppe-Seyler's
med. -ehem. Unters., 3. Heft, p. 325.
Eine Eigenthümlichkeit beim Sectionsbefunde besteht namentlich in der Umwand-
lung der Blutfarbe an der Luft; alles Blut, welches zuerst braunroth oder selbst
dunkelroth erscheint, geht alsbald in eine auffallende helle Kirschröthe über. Nur
in denjenigen Fällen, in denen grosse Mengen der Blausäure eingewirkt haben,
zeigt das Blut sofort bei der Section eine Röthe, die dem Kohlenoxydblut sehr
ähnlich ist.
conf. Eulenberg: Die Lehre u. s. w., p. 49. In Betreff der Aminbasen siehe
Selige, A.: Einige Versuche über Trimethylamin. Diss. inaug., Göttingen 1875.
Gaethgens: Ueber die Wirkung des Neurins und Trimethylamins. Dorpater
med, Zeitschr. IV. 2. p. 185.
Buchheim, E. : De trimethylamino aliisque ejusdem generis corporibus. Dor-
pat 1854.
Kussmaul: Verhandl. d. Heidelb. Naturf. Ver. 1857, 18. Dujardin-Beaumetz,
S. 857, No. 12.
Die verschiedenen Aminbasen zeigen im Allgemeinen bei subcutaner Appli-
cation und Injection in die Gefässe eine dem Ammoniumcarbonat ähnliche Wirkung.
I0J Nach Preyer (Die Blausäure, I. Th., Bonn 1868, p. 35— 79) erfolgt der Tod durch
Blausäure in der Weise, dass eine Lähmung des N. vagus und des respiratorischen
Centralorgans und weiterhin in Folge der aufgehobenen Respiration Lähmung des
Herzens eintrete.
Nach Knie (Arch. f. experiment. Pathol., IL 129) zeichnet sich Blausäure vor-
züglich durch die Wirkung auf das centrale Nervensystem aus; aus dieser
Quelle entsprängen die Störungen der Respiration und Circulation; der N. vagus
sei hierbei nicht betheiligt und das Atropin kein Gegengift.
Kollicker (Virchow's Arch., 10. Bd. p. 272) schloss aus Versuchen an Fröschen,
dass die Blausäure zuerst das Gehirn und dann das Rückenmark lähme.
Rabuteau et Massul im Journ. de Pharm, et Chim., Avril 1872, p. 311.
17) Verhandl. d. Naturf. Gesellsch. zu Basel, IV. ßd. S. 767.
Bnchner's Repert. XVI. Bd., p. 605, 1867.
Voit (Zeitschr. f. Biol., 10. Bd., S. 304, 1868) erkennt zwar die Reaction als Reagens
an, dieselbe lasse aber unter gewöhnlichen Verhältnissen schon nach 3 Tagen nach.
Methylverbindungen. 853
18) Greiner in Dingler's polyt. Journ., 192. Bd., p. 167, 1869.
Lelaigne im Journ. pharm, p. 107, 1868.
19) Aerztl. Intelligenzbl. p. 135, 1872.
20) In der Sehering'schen chemischen Fabrik zu Berliu besorgt ein Arbeiter schon
über 10 Jahre lang diese Fabrication und ist während dieser Zeit noch niemals
erkrankt.
21) van der Werde in Philad. med. and surg. Reporter XVIII. No. 6. p. 116, 1868.
Schmidfs Jahrb. 1868 p. 164.
22) Nach Taylor's Ausspruch (Die Gifte, in deutscher Uebersetzung von Seydeler,
Com 1863, p. 207) soll Cyansilber noch nicht Änlass zu Vergiftungen gcgebon
haben, obgleich er dasselbe doch für eine schädliche Substanz erklärt. Nunnel ey
will dagegen durch Versuche an Thieren gefunden haben, dass es ebenso wie
Blausäure wirke, nur in schwächerem Grade (Prov. Transact. N. S. 3. 86).
23) Manche Autoren behaupten, dass Quecksilbercyanid mehr die Symptome der
Quecksilberwirkung entfalte. Pelikan setzt es jedoch in die Reihe von Cyan-
kaliuni und Cyanammonium. Auch Bernard (sur les substances toxiques, Paris
1857, p. 66—103) nimmt an, dass es bei der innern Aufnahme durch den sauern
Magensaft zersetzt werde und wie Blausäure wirke. Wird es erhitzt, so lässt
es Cyan fahren und zeigt dann sicher alle Wirkungen der Blausäure. Auch
die Untersuchungen von Tolmatscheff (Einige Bemerkungen über die Wirkung
von Cyanquecksilber in Hoppe-Seyler's med.-chem. Unters., 2. Heft, p. 279) sprechen
dafür, dass es wie Blausäure wirkt.
24) Dies Verfahren beruht auf der Bildung von Ferricyanwasserstoffsäure,
welche sich in ähnlicher Weise wie Ferrocyanwasserstoffsäure (s. S. 387 u. 388)
zersetzt und zwar so, dass Blausäure frei wird und Eisencyanürcyanid
(Berlinerblau) auf der Faser zurückbleibt und von der Oxalsäure gelöst wird. Die
Bildung des sog. Bleu de France beruht ebenfalls nur auf der Zersetzung der
Ferro- oder Ferricyanwasserstoffsäure an der Luft. Man gebraucht dazu keine
Beize, sondern zieht die Zeuge durch eine Auflösung von Ferro- oder Ferricyan-
kalium, Alaun und Schwefelsäure in Wasser und setzt sie der atmosphärischen
Luft oder dem Danipfbade aus.
Besonders wird die Seide auf diese Weise gefärbt; bei der Wolle gebraucht
man mehr das gewöhnliche im Texte angegebene Verfahren.
Ueber Blutlaugenfabrication und Berlinerblau-Darstellung vgl- man Fleck: Die
Fabrication ehem. Producte aus thier. Abfällen, p. 6 u. 53.
25) Eulenberg's Lehre u. s.w., p. 467.
26) Arch. f. Anat. u. Physiol. 1868, p. 649.
27) Schlieper in den Annal. der Pharmac. u. Chemie, 59. Bd. 1. Heft.
Guckelberger, eod. loc. 54. Bd. p. 39.
Keller, eod. loc. 72. Bd. p. 91.
28) Husemann (Handb. der Toxikol. p. 714) führt an, dass Cyanmethyl nach
Pelikan's Experimenten erst in Dosen von 1 Grm. und darüber Convulsionen
und Tod herbeiführten. Die Dämpfe dieser Verbindung wirken jedenfalls schon
in geringer Concentration tödtlich ein.
29) Knallsilber wird in ähnlicher Weise wie Knallquecksilber dargestellt und besitzt
auch fast dieselben Eigenschaften. Beim Filtriren und Trocknen ist nament-
lich wegen der sehr grossen Explosivität die grösste Vorsicht nöthig. Beim
Umrühren benutze man nur Stäbe von Holz und beim Aufnehmen des getrock-
neten Pulvers nur Kartenblätter. Bei einer Erhitzung von 130° tritt Explosion
ein. Bisher wird es nur in Knallbonbons benutzt und in sehr geringer Menge
auf einem Pergamentstreifen befestigt, der mittels eines andern, mit rauher Fläche
versehenen Streifens beim Auseinanderziehen gerieben wird, wodurch die Explosion
entsteht.
30) v. Meyer, Eduard: Die Explosivkörper und die Feuerwerkerei. Braunschweig
1874, p. 88.
31) Sulfocyansäure verhält sich ziemlich ähnlich wie Sulfocyankalium; erst grossere
Gaben erzeugen Symptome von Blausäurevergiftung. In der Cyangruppe sind
diese beiden Körper am wenigsten giftig, natürlich Ferro cyan ausgenommen, bei
welchem von einer giftigen Beschaffenheit gar nicht die Rede sein kann.
32) Dubreuil et Legros (Compt. rend., T. 64, p. 1256, 1867) behaupten, dass subcutane
Injectionen von Sulfocyankalium bei Thieren eine locale Paralyse der Muskeln,
später tonische, mit klonischen untermischte Krämpfe erzeugen, die auch bei
directer Application auf das Gehirn entständen. Die Einbringung grosser Gaben
in den tract. intestin. rufe allgemeine Paralyse und letale tetanische Erscheinungen
hervor.
854 Aethylverbindungen.
Nach Setschenow (Virchow's Arch., 14. Bd. p. 35G, 1858) verfallen auch Frösche
in tetanische, seltener in klonische Bewegungen.
33) Deutsch. Arch. f Hin. Medic, 1. Bd. 2. Heft 1865.
34) Schmidt und Cliomal (Molesohott's Unters. VI. 122) behaupten, das Kakodyl-
säure und Kakodyloxyd nur locale Reizungen hervorrufen. Nach Lebahn (Dissert.
inaug, Rostock 18G8. Jahresber. 1868, I. 316) starben Kaninchen nach subcutanen
Injectionen von 0,5 — 0,75 Grm. der Säure binnen 23 resp. 29 Stunden. Alle Er-
scheinungen (Muskelschwäche, Uuempfindlichkeit der Pupille, Diarrhoe) deuten auf
die Aehnlichkeit der Wirkung mit der von Arsen hin; mau kann aber annehmen,
dass Arsen wenigstens um das Dreifache stärker einwirkt.
35) Unter den antimonhaltigen Derivaten ist noch Trimethylstibin (CH3)3Sb zu
erwähnen.
36 j Edwards, G. N, in St. Barthol. Hosp. Rep. I. 141, IT. 211. Schmidt' s Jahrb. 1866,
p. 27. Jahresber. von Wiggers, Göttingen 1867.
Aethylverbindungen (S. 398—430).
1) Richardson in Med. Times and Gaz., Sept. 27, 30, Oct. 7. 1871.
2) Nunneley, Edinb. med. and surg. Journ., Oct. 1849.
3) Liebreich und v. Langenbeck in Berl. klin. Wochenschr. No. 31, 33, 1870.
Steffen (eod. loc. No. 6 1872) hält bei Kindern 3 — 4 Grm. behufs Hervorrufung
der Narcose für ausreichend.
4) Die vielfachen Untersuchungen, welche in neuerer Zeit über die physiologische
Wirkung des Alkohols angestellt worden sind, können hier nicht in extenso ver-
folgt werden. Man vergl.:
Lallemand, Perrin et Duroy: Du röle de l'alcohol et des anaesthetiques dans
l'organisme. Paris 1860.
Schulin us im Arch. f. Heilk., p. 97, 1866.
Suleynski: Ueber die Wirkung des Alkohols, Chloroforms und Aethers auf den
thier. Organismus, Dorpat 1866.
Bouvier, Cuny: Alkoholstudien. Centralbl. f. d. med. Wissensch. No. 51, p. 801.
— Pharmakolog. Studien über den Alkohol. Berlin 1872.
Die abkühlende Wirkung von Alkohol in kleinen Dosen negiren:
Rabow in der Berl. klin. Wochenschr. No. 22 p. 257, 1871.
Obernier, Arch. f. d. ges. Physiol., II. 494.
Es ist wohl unzweifelhaft, dass der aufgenommene Alkohol nicht bloss im Blute,
sondern auch in den Geweben und Organen, namentlich im Gehirn und in der
Leber, vertheilt ist. Seine Umwandlung in Aldehyd resp. Essigsäm-e erfolgt keines-
wegs so schnell, wie man bisher angenommen hatte.
Die Wirkungen, welche Alkohol im Organismus auf die Nervencentren ausübt,
gehören ihm als solchem an und treten nur weniger intensiv auf als bei den ihm
verwandten Mitteln, wie Aether und die Aethylverbindungen.
Die Verlangsamung des Stoffwechsels durch Alkohol, namentlich die verminderte
Ausscheidung von Kohlensäure und Harnstoff, hat schon Vierordt (Physiol. der
Athmung, Carlsruhe 1845) nachgewiesen.
In Bezug auf chronischen Alkoholismus ist auf Magn. Huss: Chronische
Alkoholskrankheit u. s. w. zu verweisen.
Vorherrschend ist beim Leichenbefunde bekanntlich die fettige Degeneration der
Muskeln, namentlich des Herzmuskels und der Leber. Die Ausdehnungen der Gefässe
in den Häuten führen dann schliesslich auch zur Exsudation, zur Pachymeningitis.
Rüge, Virchow's Arch. 49. Bd. p. 252.
Ebstein (eod. loc. 55. Bd. p. 469, 1872) fand Ekchymosen und hämorrhagische
Erosionen in der Magenschleimhaut.
Man vergl. noch:
Heinrich: Ein seltner Leichenbefund bei Alkoholvergiftung. Vierteljahrsschrift
IX. Bd. p. 359, 1868.
Mitscherlich: Todesfall durch Alkoholvergiftung. Virchow's Arch. Bd. 38 2. Heft
S. 309, 1867.
5) Die Kunsthefe wird besonders in Brennereien, seltner in Bierbrauereien in
grösserem Massstabe dargestellt und zwar mittels besonderer Flüssigkeiten, in
denen ein Zusatz der Mutterhefe nur zur Einleitung der Gährung dient. Dies
Verfahren hat den Nachtheil, dass die ursprünglich erzeugte Mutterhefe, wenn
sie zu lange mit der Luft in Berührung bleibt, leicht zur Essig- und Milchsäure-
bildung Veranlassung gibt. Die Mutterhefe muss daher sorgfältig vor der Ein-
wirkung der Luft geschützt und behutsam abgekühlt werden, indem man sie in
mit Eiswasser gefüllte Gefässe stellt.
Aethylverbindungen. §55
Presshefe heisst die durch Pressen von der Hauptmasse ihres "Wassers, durch
Decantiren und Auswaschen von Verunreinigungen befreite Hefe. Die aus-
gewaschene Hefe wird noch mit 15— 30% Stärke versetzt, in Säcke gefüllt und
nochmals gepresst. Die betr. Arbeiter leiden oft an Eingenommenheit des Kopfes.
G) Zum_Entfuseln des Branntweins gebraucht man meist Chlorkalk; man muss
dabei sehr vorsichtig verfahren, weil sich sonst seine chlorosirende und oxydirende
Wirkung auf den Alkohol überträgt. % — 1 p. Mille Zusatz darf nicht überstiegen
werden.
Von Salpetersäure ist entschieden abzurathen, weil sie die Gefässe angreift.
Die T hier kohle wird wegen ihres hohen Preises leider sehr wenig gebraucht,
obgleich sie am besten wirkt.
7) Kuyper hat bei der Section eines Dienstmädchens noch 22 Stunden nach dem
Ertrinken im Gehirn Alkohol nachgewiesen, wobei es sich um die Frage handelte,
ob die Ertrunkene im berauschten Zustande in's Wasser gekommen war; schon
bei der Section war ein deutlicher Geruch nachgewiesen worden. Magen und
Mageninhalt wurden mit Natr. earbon. neutralisirt, die Retorte im Wasserbade er-
hitzt und zunächst 22 C.-C. überdestillirt, welche 14,8 Alkohol enthielten; dann
wurden in einem Oelbade bei 120° C. noch 5 Destillate gewonnen. Für 618 C.-C.
der gesammten Destillate aus Magen und Mageninhalt berechnet Kuyper 22,1 C.-C.
Alkohol.
In gleicher Weise wurde das Gehirn einer 7 maligen Destillation unterworfen.
Die Gesammtmenge von 7 Destillationen zusammen berechnete sich .auf 2,76 C.-C.
Es konnten sogar einige Tropfen, die ganz gut brannten, isolirt gesammelt werden.
Um Alkohol im Blute oder in einem Organe nachzuweisen, wird der be-
treffende Antheil im Chlorcalciumbade vorschriftsmässig abdestillirt und das
bei guter Kühlung erhaltene Destillat unter Zusatz von Chlorcalcium sorgfältigst
rectificirt. Das zweite Destillat wird nun entweder mit einer mit Schwefelsäure
angesäuerten Kaliumchromatlösung der Destillation bei guter Kühlung unter-
worfen, oder man lässt die Dämpfe des zweiten Destillats ein senkrechtes Rohr
passiren, welches mit Bimstein gefüllt ist, der vorher mit einer Chromsäure-
losung durchtränkt worden ist. Die Dämpfe werden dann mittels einer guten
Kühlung condensirt. In beiden Fällen wird bei Anwesenheit von Alkohol eine
aldehy dhaltige Flüssigkeit gewonnen, welche nun mit Ammoniak und Silber-
nitrat_ bei Erwärmeng im Wasserbade den bekannten Silberspiegel liefert.
8) Rawitz (Wiener med. "Wochenschr. No. 13, 1866) ist als eifriger Vertheidiger der
Aetherisation aufgetreten. ,
9) Richardson (Brit. and foreign. med. chirg. Rev. 59. p. 259, 1867, Jahresber. I.,
p. 456, 1867) hält die Wirkung des Aethylnitrits für analog mit der des Amyl-
nitrits. Schon nach der Inhalation von 1 Gran soll es Kopfschmerz, beschleunig-
ten Herzschlag und etwas Cyanose erzeugen. 15 Tropfen, in 1 Cubikfuss Luft
verdampft, sollen Thiere sofort tödten, wobei Synkoptisches Bewusstsein und
Sensibilität bis zum Tode fortdauerten. Der schnelle Eintritt des Todes lässt die
Reinheit des Präparats bezweifeln, wie schon aus der angeblichen Wirkung auf
das Blut geschlossen werden dürfte. Dagegen ist die Cyanose ein ganz
charakteristisches Symptom der Wirkung dieses Gases und beruht in einer Er-
weiterung der kleinern Venenäste, während beim Aniylnitrit eine Erwei-
terung der kleinen Arterien beobachtet wird (s. Aniylnitrit). Gefäss-
ektasien sind übrigens schon der Alkoholeinwirkung eigenthümlich , welche be-
kanntlich im Gesichte alter Säufer auftreten und sich auch durch verschiedene
Hämorrhoidalleiden (Blasenhämorrhoiden u. s. w.) kund geben.
10) Lancet, Sept. 28., 1867.
11) Edinb. Journ., Oct. 1847.
12) Liebreich, Oscar: Das Chloralhydrat, ein neues Hypnoticum und Anästheticum,
3. Aufl., Berlin 1871.
Feltz et Ritter (de l'action du chloral sur le sang, Compt. rend. 79. Bd. p. 324
bis 328, 1874) fanden bei Injection von Chlorallösung (1 : 5) in die Venen der
Hunde, dass die Blutkörperchen ihre Elasticität verlieren und das Plasma sich
roth färbt. Namentlich bestätigen sie aber, dass das Blut nicht im Stande ist,
so viel Sauerstoff aufzunehmen wie in normalen Verhältnissen,
grade wie es sich beim Chloroform verhält. In der Exspirationsluft fanden sie
Chloral.
Die sehr ausführliche Literatur über Chloralhydrat findet sich in Liebreich's
Monographie.
Neuerdings hat man auch Chloralhydrat als antiseptisches Mittel beim
Aufbewahren von Fleisch, von Albumin in den Kattundruckereien und von
Leimgallerte benutzt. Namentlich soll es sich beim Albumin empfehlen; man
§5G Propylverbindangen.
löst zuerst Clilorhydrat auf und bringt das Albumin in diese Losung. Man geht
von der Ansicht aus, dass es nach der Zersetzung in Chloroform und Ameisen-
säure die beim Beginn der Fäulniss stickstoffhaltiger Substanzen eintretende
Alkalescenz neutralisire, während das freiwerdende Chloroform den Sauerstoff ab-
halte und die Vibrionen tüdte.
13) Levinstein in Vierteljahrssehr. f. gerichtl. Med. 20. Bd. p. 227, 1874.
14) — im Centralbl. f. med. Wissenseh.
15) Stcinauer in Virchow's Arch., 50. Bd., p. 235, 1870.
Dougall: On Bromatic Hydrate. Glasgow med. Journ., Nov. 1870, p. 34.
IG) Rabuteau in Gaz. hebd. de med. 43, p. 681, 1869. Jahresber. 1., p. 345, 18G9.
Bromal und Jodal spalten sich, analog dem Chloral, in alkalischer Lösung in
ameisensaures Kalium und in Bromoform resp. Jodoform.
Nach Guyot (Journ. de chim. et med., Decbr., p. 750, 1871, Jahresber. I. p. 337
1871) erhöht Jodal zunächst die Sensibilität, wirkt dann aber hypnotisch und
anästhetisch. Die Restitution ist vollständig. 1 — 2 Grm. bewirken vollständige
Anästhesie, 3— 4 Grm. wirken letal; junge Kaninchen können schon durch 2 Grm.,
Katzen durch 2% Grm. zu Grunde gehen.
17) Urner, Fr. Alb.: Ueber die Chloressigsäure als Aetzmittel. Dissert Bonn 18G8.
L8l Bobrik. 1. c.
19) Bei der fabrikmässigen Reinigung des rohen Holzessigs hat man einen neuen korn-
blauen Farbstoff, Coerulignon, gefunden.
20) Journ. f. prakt. Chemie 1848 No. 11.
21) Cyon, Arch. f. Anat. u. Phvsiol. 18GG p. 196-203.
221 Ylrehow's Arch., 28. Bd. p. 233.
23) Lancet, Sept. 28. 18G7.
Propylverbindungen (S. 430— 436).
1) Acetonaemie nennt man einen Krankheitszustand, der mit einer spontanen Ent-
wicklung von Aceton im Organismus verbunden sein soll. Man nimmt an , dass
sie durch Gährung organischer Stoffe, besonders des Traubenzuckers, entstehe und
am spec. Gerüche der ausgeathmeten Luft erkennbar sei. Man will Acetonaemie
in fieberhaften Krankheiten, bei Blattern, beim Scharlach, Typhus oder auch beim
Diabetes, bei organischen und krebsartigen Leiden des Magens beobachtet haben.
Im Harne könne sie leicht durch Schwefelsäure und Kochsalz nachgewiesen werden
(s. Cantani in Gaz. des höp. No. 27 1866).
Berti: Un cas d'empoisement par l'acetone chez une diabetique. Centralbl. der
med. Wissensch. No. 13, 1875.
Kussmaul hat bereits Versuche mit subcutanen Injectionen von Aceton und den
Inhalationen seiner Dämpfe angestellt; er konnte nur Betäubung und keine voll-
ständige Anästhesie damit erzeugen. (Deutsches Archiv f. klin. Medic, 1. Bd.)
In therapeutischer Beziehung vergl. man:
Dr. Christian Aug. Becker: Das Aceton, der geheime Weingeist der Adepten,
Spiritus vini Lulliani s. philosophici. 2 Ausg., Mühlhausen 1867.
2) Die Milchsäure löst ähnlich wie Buttersäure die organische Faser auf. Preyer
(Centralbl. f. d. medic. Wissensch. No. 35, 1875) hat milchsaures Natrium als
Schlafmittel empfohlen. Die betreffenden Prüfungen dieses Mittels hat Mendel
angestellt und in der Deutsch, med. Wochenschr. No. 17 1876 mitgetheilt. Lothar
Meyer will mit der reinen Milchsäure gleiche Erfolge erzielt haben (Virchow's
Arch., 66. Bd. 1. Heft, p. 120).
3) Ueber die physiologische Wirkung des reinen Glycerins sind die Acten noch nicht
geschlossen. Auf manche Organismen scheint es wenig oder gar keine Wirkung
zu haben, während Versuche an Thieren ergeben haben, dass Glycerin keineswegs
zu den indifferenten Körpern gehört. Vorzugsweise scheint sich seine wasser-
entziehende Eigenschaft geltend zu machen, welche auf die Lebensthätigkeit
der in seinen Wirkungskreis fallenden Gewebe nachtheilig einzuwirken vermag.
Hiermit mag auch die capilläre Circulationsstörung in Verbindung stehen,
welche man nach der äussern Application von Glycerin bei Fröschen beobachtet.
Die Eigenschaft des Glycerins, für die Fäulnisserreger ein tödtliches Gift zu
sein, darf nicht unerwähnt bleiben. Mit Glycerin vermischtes Blut hält sich
monatelang unverändert, ohne dass sich Monaden oder Mikrokokken in demselben
entwickeln.
Saviotti im Centralbl. f. medic. Wissensch. 1870 No 10 p. 148.
Hoppe, Ferdin. : Ueber die physiol. Wirkung des Glycerins nach Versuchen an
Fröschen. Inaug.-Dissert. Greifswald 1873.
Amylverbindungen. 857
4) Hermann: Experiment. Toxikologie, p. 277.
Die Inhalation der Dämpfe von Trichlorhydrin soll eine Chloroform ähnliche
Wirkung äussern. Ein Tropfen bewirkt nach 'Romensky (Arch. f. d. gesammte
Physiolog., V., 565) bei Fröschen Verlust der Reflexe; bei Kaninchen erzeugten
0,5 — 1 Grm. nach 5 M. Schlaf mit Reflexdepression.
5) Cerasi: Ueber die therapeutische Wirkung des Propylamins. " (Allgem. medic
Zeitg. No. 56,_ 1875. The Lond. medic. Record. No. 106, 1875.) Das Mittel ist be-
kanntlich bei rheumatischen Leiden vielfach empfohlen worden. Es wird von
1 Grm. bis 3 und 5 Grm. in Aq. Menth, pip. 120 Grm, 2stündl. ein Esslöffel voll
gereicht. Virchow's Jahresber. 1873, I. 385. Schweiz. Corresp.-Bl. No. 4, p. 99.
Berl. klin. Wochenschr. No. 42 1875.
Butylverbindungen (S. 436— 439).
1) Butylwasserstoff erzeugt nach Richards on Narcose und Anästhesie und soll bei
längerer Einwirkung an Stickstoffoxydul erinnern, da schliesslich Zuckungen ein-
treten. Med. Times and Gaz., Sept. 23, 30, Oct. 7, 1871.
2) Rabuteau: Ueber die Wirkung des Aethyl-, Butyl- und Amylalkohols. l'Union
No. 90, 91, 1870. Schmidt's Jahrb. Bd. 149 p. 263.
3) Deutsche Klinik No. 50 1864.
4) Liebreich, Brit. med. Journ., Dec. 20. 1873. Schmidt's Jahrb. p. 161, 1874.
Bouchut (Gaz. de höp. 141, 1874) zieht das Crotonchloral dem Chloral vor, weil
es weniger scharf und widrig schmecke; er empfiehlt es in allen Fällen, in welchen
man die reizende Wirkung des Chlorais auf den Magen zu fürchten habe.
Nach neuern Untersuchungen von Pinner (Berichte d. Deutschen ehem. Gesellsch.
in Berlin 1875, S. 1561) ist Crotonchloral als Butylchloral C4H5C130 aufzufassen.
Amylverbindungen (S. 439—448).
1) Richards on in Med. Times and Gaz., Sept. 23, 30, Oct. 7, 1871.
2) Deutsche Klinik 1857 No. 20.
3) Lancet, 1856, IL No. 26.
4) Gaz. hebdom. 1857, No. 10.
5) Med. Times 1857, 9. May.
6) Richardson beobachtete ebenfalls die anästhesirende Wirkung von Jodamyl. Med.
Times 1865, No. 796.
7) Cross: Action de l'alcohol amylique et methyl. sur l'organisme. These. Strass-
bourg 1863.
8) Rabuteau, 1. c.
9) Dr. Robert Pick: Ueber das Amylnitrit und seine therapeutische Anwendung.
Berlin 1874.
Filehne (Pflüger's Arch., Bd. 9, p. 470 u. s.w.) sucht zu beweisen, dass bei der
Einwirkung von Amylnitrit das Gefässnerven-Centrum ergriffen wird.
Charakteristisch ist die durch Amylnitrit bewirkte Erweiterung der kleinen
Arterien und Capillaren, welche sich besonders gut in der Schwimmhaut der
Frösche, welche Amylnitrit eingeathmet haben, beobachten lässt (s. Droz in Arch.
de physiol. norm, et pathol. 1873, p. 457—504, Centralbl. No. 13, 1874, p. 20S).
Die ausführliche Literatur ist in Herrn ann's experimenteller Toxikologie mit-
getheilt.
Das Radical Amyl besitzt überhaupt die Eigenschaft, Congestionen zum Gehirn
in Folge von Erschlaffung der Gefässe zu erzeugen.
10) Tröpfelt man ein paar Tropfen der genannten Mischung auf einen kleinen Baum-
wollpfropfen, den man in ein kleines, aus zwei aufeinander geschraubten Theilen
bestehendes und an beiden Köpfchen mit einer nach aussen trichterförmig
erweiterten Oeffnung versehenes Büchschen bringt, so kriechen die Insecten. wenn
man dasselbe mittels eines Bandes am Halse trägt, hinein und sterben in Folge
der Betäubung.
11) conf. die Note 61 S. 362.
Xanthamylsaures Kalium ist gleich dem amylxanthogensauren Kalium und
wurde zuerst von O. L. Erdmann und Krutzsch (Journ. f. prakt. Chemie,
36. Bd. p.4) dargestellt. Es ist zu bemerken, dass die Dämpfe der Xanthogensäure
leichter Anästhesie bei den Thieren erzeugen als die der Xauthamylsäure, welche
jedenfalls grössere Mengen erfordert, um diese Wirkung hervorzurufen.
12) Dujardin-Beaumetz (Sitzungsber. d. Pariser Acad., Dec. 1873. Centralbl. der
med. Wissensch. No. 1 1874. Jahresber. I., p. 385, 1873).
858 Talgin dusfirie.
H e x y 1 V 6 rh i n d u n g c n ( S. 448 -4.')1 ).
1) Richardson behauptet vom Caprylwasserstoff (Hoxylen), dass er in unan-
genehmer Weise in den Dosen des Chloroforms anästhesirend wirk«1: das Stadium
der Excitation sei lang und oft mit Erbrechen verbunden, die Restitution erfolge
aber in 3 -4 Minuten (Med. Times and Gaz., Sept. (Jet. 1871). Aus der Beschrei-
bung geht nicht deutlich hervor, ob dieser Kohlenwasserstoff zur C6 oder C8Gru]>i>e
gehört, obgleich nicht daran zu zweifeln ist . dass alle diese Kohlenwasserstoffe
theils narcotisirende, theils anästhesirende Wirkungen besitzen.
Firnissindustrie (S. 153 458).
1) Annal. d'hyg. publ. 1874 p. 135
/um Lackkochen hat Feichtinger (Bayer, [ndustrie- u. Gewerbebl. 1872,
p. 18, Dingler's polyt. Journ. (,'('111. p. 318) eine Einrichtung empfohlen, die in
grössern Lederfabriken Englands und Deutschlands eingeführt ist. Ein grösserer
Kessel dient zum Kochen des Leinöls und i.-t mir zu zwei Drittel des Raumes
angefüllt. Das Feuer darf den Kessel nur bis zum Stande des Oels in demselben
erreichen; seitlich ist er mit einer Schnauze versehen, durch welchen das allenfalls
iiberfliessende Oel in einen zweiten kleinern, etwas tiefer stellenden und nicht ge-
heizten Kessel abfliessen kann. Auf den gn^sen Kessel kommt wahrend des Kochens
ein Hut mit einem Beobachtungsthürchen. Letzterer verlängert sieh in ein Rohr,
welches die Dämpfe und Gase in einen Kamin ableitet, in welchem ein kleines
Feuer aus Reiz. Kehle u. s. w. unterhalten wird und zwar zur Verbrennung der
Gase und Dämpfe sowie zur Verstärkung des Zuges.
Zweckmässig würde es sein, in der Ausmündungsstelle d<\s Rohrs in den Kamin
ein Eisendrahtnetz oder ein Eisenbündel anzubringen, um das Zurückschlagen der
verbrennenden Dämpfe zu verhüten.
liier sind auch noch die Wachstuchfabriken zu erwähnen, in denen Lack-
Überzüge über Zeuge gemacht werden. Bei dieser Industrie ist besonders die
Feuergefährlichkeit zu beachten. Die Schmelzkessel dürfen nicht mit dem offenen
Feuer in Berührung kommen; es ist überhaupt geboten, dass letzteres von aussen
bedient wird. Auch müssen die Kessel geschlossen und mit einem Abzugsrohr in
der oben erörterten Weise versehen sein.
Sowohl das Aufstreichen der Lacke als auch das Trocknen der gestrichenen Zeuge
entwickeln sehr unangenehme Gerüche; diese Fabriken dürfen daher in Städten
nicht geduldet werden.
Andes, L. E.: Die Lack- und Firnissfabrication. Wien 1874
Talgindustrie (S. L58 -463).
1) Die Abbildung dieser Vorrichtung findet sich in:
Eulenberg's Lehre u.s.w., p. 525. Dingler's polyt. Journ. 1861, '2. Februarheft.
Thran siedereien stehen auf gleicher Stufe mit der Talgschmelzerei, da bei
diesen aus dem Fischspeck Thran gewonnen wird Es sind daher hier dieselben
Vorsichtsmassregeln erforderlich.
2) Nach diesem Princip halten Lookwood und Everett einen Apparat zum
Talgschmelzen construirt, der aus dem Aussclimelzkessel und einem Ver-
brennungsofen für die sich entwickelnden Gase und Dämpfe besteht Der Kessel
oder Digestor besteht aus einem dampfdichten cylindrischen Behälter von
Kesselblech, welcher mit einem Mantel zum Einleiten der Wasserdämpf e
umgeben ist; seine Füllung geschieht durch ein Mannloch und das Ausziehen der
Rückstände am untern Ende des Kessels. Das flüssige Fett wird mittels einer
um einen Drehring drehbaren Röhre ausgeschöpft. Durch ein besonderes
Rohr entweichen die Dämpfe nach dem Argand-Ofen, wie die Erfinder den
Verbrennungs- Apparat benennen: hier ourchziehen die Dämpfe zunächst ein
erhitztes Röhrensystem und treten unten durch vier im Kreise symmetrisch
angeordnete Brenner aus, wo sie, mit atmosphärischer Luft gemischt, entzündet
und verbrannt werden. Die Verbrennungsgase steigen aufwärts, bestreichen das
Röhrensystem und entweichen durch den Kamin.
Will man die Rückstände als Futter verwenden, so trocknet man sie im Kessel
bei schwach angeheiztem Verbrennungsapparat über Nacht.
Beim Ausschmelzen des Fettes soll die Dampfspannung im Kesselmantel
4 Atmosphären nicht übersteigen , während im Digestor ein Druck von
Wachsindustrie und Seifenfabrication 859
2% Atmosphären ausreicht. Es liegen günstige Zeugnisse über die Wirksamkeit
des Apparates vor, der sich durch die gänzliche Zerstörung der übelriechenden
Dampfe und seine Sicherheit gegen Explosion auszeichnet, da die Fettmasse im
Digestor nur allmählig in's Schmelzen geräth. Die Abbildung, die nur ein klares
-Büd von dieser Einrichtung liefern kann, findet sich in Dinglefs Journ. CCX11I
p. 493 und Wagner's Jahresber. 1874, p. 965.
3) viel zu wenig ist das "Verfahren, mittels einer verdünnten Lösung von Aetz-
natron das rohe Fett zu behandeln, berücksichtigt worden, da hierbei die übel-
riechenden fetten Säuren gebunden werden, auch eine Temperatur über 100° nicht
erforderlich ist. Schliesslich wird die Masse noch einer einfachen Waschung
unterworfen.
4) In Dinglers Journ. 1870, 198. Bd. p. 29 abgebildet und beschrieben.
5j Benutzt man Kessel mit Doppelboden oder Dampfheizung, die das Rühren
während des Schmelzens nicht erforderlich machen und den grossen Yortheil haben,
dass kein Anbrennen der Masse stattfinden kann, so lässt sich über den Kesseln
ein Siebboden anbringen, der einige Zoll hoch mit Kohle und Kalk bedeckt ist.
Die sich entwickelnden Gase und Dämpfe dringen durch diese Schicht und werden
auf solche Weise desinficirt. Bei jeder neuen Beschickung des Kessels muss aber
auch die Desinfectionsschicht erneuert werden, was lästig ist und den Betrieb stört.
Das Verbrennen der Dämpfe verspricht stets den sichersten Erfolg.
In einigen französischen Fabriken hat auch die Condensation der Dämpfe
mittels Wassers einen guten Erfolg gehabt. Aus dem hermetisch -geschlossenen
Sudgefässe werden die Dämpfe mittels eines U förmigen Rohrs in den sog Con-
densator geleitet, der zum Dritttheil mit Wasser gefüllt ist, welches nach Bedarf
erneuert wird. Man kann hierzu auch ein grosses Fass benutzen, dasselbe mit
Wasser füllen und in dieses das Ableitungsrohr senken. Ein trichterförmiger,
aufgeschraubter Hut ist mit einem Rohr versehen, welches die uncondensirten
Dämpfe in einen Feuerherd leitet; wo dieses aus dem Hute austritt, ist noch eine
Brause angebracht, um hier noch einen Theil der nicht condensirten Dämpfe
niederzuschlagen.
6) Die gewöhnlichen Talglichter oder Uns chlittkerzen werden meistens in
Formen gegossen, die aus einer Legirung von Blei und Zinn bestehen.
Gezogene Kerzen werden durch häufiges Eintauchen der Dochte in geschmol-
zenen Talg dargestellt.
Wachsindustrie (S. 463—464).
1) Beim Bleichprocesse wird das Terpentinöl durch ein nachfolgendes Umschmelzen
wieder entfernt.
Die Wachskerzen werden durch Angiessen oder Anschütten dargestellt,
indem man die aufgehängten Dochte mittels eines Löffels von oben her mit ge-
schmolzenem Wachse begiesst.
Wachsstöcke werden durch Ziehen oder Pressen, Christbaumlichter nur
durch Ziehen angefertigt; bei Altarkerzen umwickelt man den Docht mit einem
Wachsbande.
Verfälschungen des Wachses mit Fichtenharz, Talg und namentlich Paraffin
sind nicht selten.
Seifenfabrication (S. 464-471).
1) Bei der Verleihung von Concessionen ist vorzüglich auch auf die Aufspeicherung
des Rohmaterials zu achten, da Nachlässigkeit hierbei zu den meisten Belästigungen
Anlass gibt. In vielen Fällen ist die Mitbenutzung der Carbol säure zum Be-
sprengen des Bodens oder des Materials sehr zu empfehlen. Auch die rohe
Salicylsäure ist hier am Platze.
Man vergl. Buchner, E.: Gutachten, die Ausübung der Seifensiederei u. s. w.
betreffend. ° Bayer, ärztl. Intelligenzbl. No. 46, p. 563.
2) Vohl hat die Beobachtung gemacht, dass die mit einer solchen Seife gewaschene
Charpie bei ihrem Gebrauehe als Verbandmittel höchst reizend auf Wunden ein-
wirkt (s. Dingler's Journ., Bd. 204, Heft 1, 53. üeber die Kali- oder Schmier-
seifen, ihre Verfälschungen und die daraus beim Gebrauche entstehenden Nach-
theile).
SCO Stearin säure fabrication.
Stearinsäurefabrication (S. 472—478).
1) Die schwarze Masse in den Fettsäuren rührt von den theil weise carbonisirten
Eiweissholftern her, die in den Fettsäuren schwimmen, weil sie dasselbe specifische
Gewicht wie die Fettsäuren haben. Die Schwierigkeit, welcher die Spaltung der
neutralen Fette im Allgemeinen unterliegt, beruht auf der Gegenwart dieses Zell-
gewebes, welches als eine sehr dünne Membran die Fettkügelchen einhüllt und aus
Albuminaten, leimgebendem Gewebe, Faserstoff u. s. w. besteht. Durch den Zusatz
von Schwefelsäure coagulirt das Eiweiss und erschwert die Einwirkung derselben,
während sich diese Gewebestoffe bei der Saponification mit Kalk lösen und nach
der Zersetzung der Kalkseife im Gipse wieder finden.
Bock sieht in der Behandlung der Fettmasse mit Schwefelsäure nur eine vor-
läufige Operation, welche die nachfolgende Zersetzung der Fette möglich mache,
indem sie das Zellgewebe entwässere, verkohle und porös mache. Die eigent-
liche Zersetzung beginne erst unter der Einwirkung des überhitzten
Wasserdampfes; sowohl hierbei als auch bei Anwendung von heissem Wasser
unter hohem Drucke (s. S. 475) werde die Zersetzung des Zellgewebes durch die
Wärme bewirkt, indem durch diese die Hüllen desorganisirt würden, da sich
Eiweiss in Wasser bei 150° löse.
Bock wendet hiernach drei Operationen an: 1) rationelle Säuerung, um das
Zellgewebe zu carbonisiren und durchdringlich zu machen; 2) Spaltung der ihrer
Hüllen beraubten Fette durch verdünnte Säuren; ein grosser Fehler bestehe
in einem zu reichlichen Zusätze von Säure: 3) Entfernung der gebräunten und
das Fett schwarz färbenden Hüllen durch Kochen mit Kaliumpermanganat und
nachheriges Auswaschen. Auf diese Weise würden die Säuren weiss gewonnen
und das Glycerin sei tadellos (s. Ber. d. Deutsch, ehem. Gesellsch. 1875, p. G98,
Wagner's Jahresber. 1873, p. 871, 1875 p. 969).
2) Bei der Destillation der rohen Fettsäuren mit überhitztem Wasserdampfe entstehen
nach Cahours und Demarcay Kohlenwasserstoffe, nämlich Hexyl-, Heptyl-,
Octyl-, Nonyl-, Decyl- und Undecylwasserstoff. (Ber. d. Deutsch, ehem. Gesellsch.
1875, p. 987.)
Acrolein tritt um so weniger auf, je sorgfältiger die Fabrication geleitet wird:
immerhin erfordert die Destillation Vorsichtsmassregeln, um die mit ihr verbun-
deneu Belästigungen möglichst zu mindern.
In einigen französischen Fabriken hat man nach Freycinet (1. c. p. 289) die
Einrichtung getroffen, dass sich das Kühlrohr an seinem untern Ende in zwei
Arme theilt; der eine untere Arm führt das Destillat zu einem Gefäss mit Wasser-
verschluss, 'während der obere Arm zu einem Wasserbehälter steigt, in welchem
sich die uncondensirten Dämpfe condensiren; was hier nicht condensirt wird,
gelangt in eine Feuerung oder in diejenige Partie des Schornsteins, wo die
Temperatur für die Verbrennung noch ausreicht
3) Zum Färben der verschiedenen Kerzen benutzt man noch häufig Metallfarben;
nach Vohl für Roth ausser Alkanna und Drachenblut Zinnober und Mennige,
für Gelb ausser Curcuma auch Bleichromat, Schwefelarsen (Königsgelb), Zink-
chromat, für Grün Schweinfurter Grün, stearin saures Kupfer und grünen
Zinnober (eine Mischung von Bleichromat und Berlinerblau).
Besonders wirken Zinnober und Mennige durch ihre Verbrennungsproducte
schädlich ein. Beim Bleichromat entwickelt sich Bleioxyd, während die Chrom-
säure als Chromoxyd in der Dochtasche zurückbleibt. Beim Schwefelarsen
treten schweflige und arsenige Säure, beim Schweinfurter Grün arsenige Säure
auf; reines stearin saures Kupfer bleibt als reines Kupfer auf dem Dochte
zurück (s. Vohl: Ueber die Unzulässigkeit der Anwendung von Metallfarben zum
Färben der Stearin-, Wachs-, Paraffin- und Wallrath-Lichter. Dingler's polytechn.
Journ. 1865).
Macfarlane (On the poisoneus agents in coloured tapers. Glasg. med. Journ.
p. 215, Jahresber. 1875 I. p. 618) fand in den rothen Wachsstöcken pro Stück
0,28'— 0,5 Grm. Zinnober, in den grünen 0,55 Grm. Arsen.
4) Dingler's polyt. Journ., 187. Bd. 1. Heft.
5) Bei den verschiedenen Fabrications-Methoden kommt es auch sehr auf die richtige
Ausführung derselben an. Bei der Verseifung durch Schwefelsäure ist noch-
mals hervorzuheben, dass im Allgemeinen ein zu reichlicher Zusatz von Schwefel-
säure und eine zu starke Erhitzung die Bildung von Acrolein resp. schwefliger
Säure vermehrt. In Frankreich hat man schon längst die Erfahrung gemacht, dass
3% Schwefelsäure vollkommen ausreichen. Auch ist es zweckmässig, den Talg vor-
her in höher gestellten Kufen zum Schmelzen zu bringen und durch Röhren die
Nitroglycerinindustrie. gßl
Schwefelsäure allmäh lig zufliessen zu lassen, anstatt diese der gesammten Fett-
masse auf einmal zuzusetzen. Man erzielt dadurch den Vortheil, dass sich die
schweflige Säure nicht plötzlich und massenhaft entwickelt, deshalb auch leichter
abgeleitet werden kann.
Ausserdem ist eine grosse Reinlichkeit ganz besonders in den Stearinsäurefabriken
erforderlich; man vermeide soviel als möglich das Verschütten der Fettsäuren, um
den Boden rein zu erhalten; durch Bestreuen des Bodens mit Sägemehl werden
alle fettige Substanzen am schnellsten und sichersten absörbirt. •
Beim Pressen sorge mau ganz besonders für eine sorgfältige Ansammlung der
Flüssigkeiten und leite dieselben sofort durch Rinnen resp. Röhren in einen zweck-
mässig, am besten unterirdisch gelegenen Raum.
Glycerinindustrie (S. 478—481).
1) Annal. d. Chemie u. Pharm., 59. Bd. p. 260.
Nitroglycerinindustrie (S. 481—490).
1) Dingler's Journ., 202. Bd. p. 540.
2) Berl. klin. Wochenschr. No. 24 1865.
Es ist jetzt ausser Frage gestellt, dass unter den im Grossen dargestellten
Präparaten neben dem Trinitroproducte auch Mono- und Binitroglycerin
vorkommen. Trinitroglycerin C3H5(ON02)3 verlangt 18,5 % Stickstoff,
während uuter deu im Handel vorkommenden Sprengölen der Stickstoffgehalt
zwischen 13,7$ und 16,6% schwankt. Beckerheim: Mittheilungen über Gegen-
stände des Artill.- u. Geniewesens, Wien 1871. Wagner's Jahresber. 1875, p. 530.
3) Die von Schuchardt in der Zeitschr. f. prakt. Heilkunde (1866, 1. Heft, S. 41)
veröffentlichte Mittheilung rührt eigentlich von Ivar Onsum (Nork Magaz. 1865,
Heft D her, der auf Demme's Beobachtung hinweist, cf. Husemann in Schmidts
Jahrb.' 1867, No. 6, S. 344.
4) Das Nähere über diese Fabrications-Methode findet sich in Dingler's polyt. Journ.,
208. Bd. p. 184. Chem. Centralbl. 1873, p. 494.
5) Capitaine (Dingler's Journ., 206. Bd. p. 34) lieferte eine ausführliche Schilderung
der Dynamit-Fabrication.
Bender: Geschichte und Anwendung der Dynamite im Arch. d. Pharmac, 3. Hft.
p. 506, 1875.
6) Schweiz, polyt. Zeitschr., Bd. XIV. p. 89, 1869.
Dynamit hat eine sehr verschiedene Zusammensetzung und kommt daher immer
mehr unter verschiedenen Namen vor. Balistit besteht aus Nitroglycerin, Salpeter,
Kleie und Ziegelmehl; statt der Infusorienerde nimmt man auch Kandanit
(Kieselerdehydrat). Auch enthält Dynamit häufig noch einen Zusatz von Schwer-
spath neben Kohlenpulver. Neuerdings setzt man noch Paraffin oder Naph-
talin zu, um das Gemisch weniger hygroskopisch zu machen. Auch Kalium-
chlor at fehlt nicht in einzelnen Compositionen, während eine unter dem Namen
Lignose in den Handel gebrachte Verbindung wahrscheinlich aus Holzfaser und
Nitroglycerin besteht: sie soll den Vortheil haben, dass sie durch Berührung mit
offenem Feuer nicht, durch Reibung oder Schlag aber nur schwer explodirt.
Noch ist zu erwähnen, dass eine Lösung von Natriumsulfhydrat nach
BÖttger in der Siedhitze ein gutes Lösungsmittel für Trinitrocellulose ist.
7) v. Meyer: Die Explosivkörper u. s. w., p. 69.
Mahler, J.: Die moderne Sprengtechnik, Wien 1873.
Trauzl, Isidor: Dynamite, ihre ökonomische Bedeutung u. Gefährlichkeit. Wien,
Lehmann & WTentzel.
Holmes: Ueber Torpedo-Minen in Dingler's Journ. CCA.V. p. 2o9.
Traubenzuckerindustrie (S. 491—493).
Bei dem grossartigen Verbrauche von Traubenzucker ist der Nachweis des-
selben in Weinen besonders wichtig, da bekanntlich Weine vorzugsweise mit
Traubenzucker gallisirt werden. Neubauer (Berichte der Deutschen ehem.
Gesellsch. 1875, p. 285) fand, dass lOprocentige Lösungen von Traubenzucker des
Handels, welche 18 * Wasser enthielten, eine stärkere Rechtsdrehung der Pola-
risationsebene zeigten als Lösungen von reinem, trocknem Traubenzucker. Diese
Substanz ist kein Dextrin, sondern ein zwischen Dextrin und Zucker liegendes
Zwischenglied, welches der Gährung widersteht. Man erhält dies Präparat durch
Vergährenlassen einer lOprocentigen Lösung von Traubenzucker unter Zusatz von
Hefe: nach der Filtration und Abdampfung bleibt ein brauner Syrup von wider-
862 Rübenzuckerindustrie.
lichem Geschmack zurück, welcher sich durch die starke Rechtsdrehung aus-
zeichnet.
Im Traubenmost ist der Zucker theils als Dextrose, theils als Levulose
enthalten; letztere zeichnet sich durch ein stärkeres Moleculardrehungsvermögen
nach links aus.
Nach der Vergährung der Traubenmoste resultirt ein Wein, dessen Drehungsver-
mögen nahezu 0 ist oder höchstens +0,1 bis 0,3° rechts beträgt, während der er-
wähnte Traubenzuckersyrup eine Rechtsdrehung von +8,4° besitzt. Edle Aus-
leseweine lenkten die Polarisationsebene um — 2,4 bis 7° nach links ab.
Der aus Rohrzucker erhaltene Invertzucker, der mit dem im Traubensafte
enthaltenen Zucker identisch ist, polarisirt zwar auch links, derselbe wird aber
wegen seines höhern Preises selten zum Gallisiren benutzt; man kann daher mit
höchster Wahrscheinlichkeit behaupten, dass rechts polarisirende Weine unbedingt
verdächtig sind. Wenn aber ein theurer Wein links polarisirt, so ist dabei nicht
ausgeschlossen, dass demselben durch Hefe invertirter Rohrzucker beigemengt ist,
worauf Wartha nachträglich aufmerksam gemacht hat (Ber. der Deutsch, ehem.
Gesellsch. 1875, 1515).
Rübenzuckerindustrie (S. 494—508).
1) Fühling: Der praktische Rübenbauer. Bonn 1860.
2) Swift in New-York. Journ. of med., Vol. II. 1854.
3) L er ick, Americ. Journ. of med. scienc, Jan. 1859.
4) Walkhoff, Louis: Der praktische Runkelrübenfabricant u. Raffinadeur. 2. Thl.
4. Aufl. Braunschw. 1872.
Stammer, K. : Lehrbuch der Zuckerfabrication. Braunschweig 1874.
— Die Zuckerfabrication. 3. Thl. von Birnbaum's Lehrb. der rationell. Praxis
der landwirthschaftl. Gewerbe. 7. Aufl. von Dr. F. Jul. Otto's Lehrb. der land-
wirthschaftl. Gewerbe. Braunschweig 1875.
Für die Saftgewinnung und das Scheidungsverfahren gibt es sehr verschiedene
Methoden; stets bleibt aber ein Schlamm zurück, welcher noch Saft enthält und
daher noch zu verwerthen ist. Früher füllte man ihn in Beutel und brachte diese
in die hydraulische Presse, jetzt benutzt man allgemein die Filterpresse hierzu,
welche ursprünglich in England zur Entwässerung des Thons in Porcellanfabriken
gebräuchlich war. Die verschiedenen Arten derselben stimmen darin überein, dass
man in schmalen Kasten filtrirende Flächen anbringt. Man versieht z. B. die
massive Kastenwand mit Cannelirungen und belegt diese mit einem durchlöcherten
und mit Leinwand überzogenen Blech; der ausgepresste Saft fliesst dann in den
Cannelirungen herab und an einem verschliessbaren Hahn aus dem Kasten. Man
hat auch in die Cannelirung der einen Seite des Kastens Wasser unter starkem
Drucke gebracht, um ein Auswaschen des Schlammes zu bewirken. Dieses Ver-
fahren hat jedoch keinen Beifall gefunden, nach unserer Erfahrung in einem con-
creten Falle auch eine Explosion des ganzen Apparats erzeugt.
5) Wolff in der Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Medicin, 19. Bd. 1873.
Ueber die Menge von Schwefelwasserstoff, die sich aus den organischen Orga-
nismen entwickelt, vergl. man Polytechn. Notizbl. 22, 175. Man kann oft in den
Wasserläufen eine dicke schwarze Schicht Schwefeleisen und unter dieser einen
weissen Schwefelüberzug beobachten, cf. Kuntz in der Vierteljahrsschr. f. ger.
Media, 9. Bd., S. 185, 1868.
6) Göppertim Jahresber. der schles. Gesellsch. f. vaterl Cultur 1852, p. 60.
7) Man muss folgende Abfall was ser unterscheiden: Die Condensationswässer
enthalten Spuren von Ammoniak und Zucker, haben beim Verlassen der Fabrik
eine Temperatur von 40—50° C. und kühlen sich beim Durchgange durch die
Canäle meist auf 10—15° ab. Man sollte sie zur Speisung von Kesseln, wie es
bisweilen geschieht, nicht benutzen; weit besser eignen sie sich zum Waschen der
Knochenkohle. Man kann sie zu diesem Zwecke über flache Bühnen oder über
kaskadenartige Gerüste wie bei Gradirwerken laufen lassen, was auch dann vor-
zuziehen ist, wenn sie direct in kleinere Wasserströme abgelassen werden.
Ueber das Quantum Wasser, welches Zuckerfabriken nöthig haben, kann man
sich einen Begriff machen, wenn man bedenkt, dass eine Zuckerfabrik von
massigem Betriebe wenigstens 70 Liter Wasser für die Minute, 8400 Liter für den
Arbeitstag von 20 Stunden und 12 Millionen 600,000 Liter für 150 Tage oder eine
ömonatliche Campagne verwenden muss. D«r vierte Theil dieses Wassers wird
in Dampfform in die Luft getrieben und Dreiviertel meist den Wasserläufen wieder
zugeführt. Die Dampfheizung der Läuterungskessel und der Verdampfungsapparate
(S. 496) liefert das Condensationswässer, welches frei abttiessen kann, wenn
dessen Temperatur den localen Verhältnissen entsprechend geregelt wird.
Rübenzuckerindustrie 863
Die Rübenwaschwässer enthalten Schmutz, erdige Bestandteile u. s. w. und
sind daher an und für sich nicht gährungsfähig. Man reinigt sie am besten durch
Absetzenlassen in besondern Bassins und hält durch ein Gitterwerk beim
Ablassen derselben den Schlamm u. s. w. zurück. Man muss den Grundsatz fest-
halten, dass ein systemloses Vermischen der verschiedenen Abfallwässer zu den
grdssten Schwierigkeiten führt: je sorgfältiger man die einzelnen Abfallwässer
einer besondern und getrennten Behandlung unterwirft, desto eher gelangt man zu
einem befriedigenden Ergebnisse.
Sehr beachtungswerth sind die Presstuchwässer wegen ihres Gehalts an
organischen Substanzen (Stärkemehl, Eiweiss) und geben in stehenden Wässern
daher am ehesten zur Entstehung von Leptomitus lacteus Veranlassung.
Diese Wässer durch chemische Agentien zu reinigen, ist sehr schwierig: es hat
auch das Süvern'sche Verfahren nicht der Erwartung entsprochen, weil es nicht
alle organischen Bestandteile zurückhält und daher auch den Eintritt der Gährung
nicht verhütet, wenn die Wässer nicht in Wasserläufe mit ausreichender Strömung
abgelassen werden können. Der Erdboden würde auch hier das beste Absorptions-
mittel liefern, wenn die Fabrik über das geeignete Terrain gebieten kann. Man
hat bei der Berieselung auch schon die Erfahrung gemacht, dass sich besonders
die Bebauung mit kräftigen Gewächsen, z. B. mit Mais, empfiehlt und sollte man
nie unterlassen, die Versuche in dieser Richtung fortzusetzen, um wenigstens die
Presstuchwässer in dieser Weise zu benutzen.
Am meisten Schwierigkeiten bieten die Sauerwässer, d. h. die bei der
Regenerirung der Klärkohle entstehenden Abfallwässer dar, da sie noch Salzsäure
und alle stickstoffhaltigen organischen Stoffe der Rübe enthalten, welche durch
die Knochenkohle abgeschieden und dieser durch Gährung wieder entzogen sind.
Diese Wässer befinden sich noch in Gährung, entwickeln sehr unangenehme Dünste
und vermögen fliessendes Wasser auf weite Strecken hin zu verderben. Beim
Mangel eines hinreichend grossen Wasserlaufes hat man sie auf verschiedene Weise
zu beseitigen gesucht. In Gegenden, wo Braunkohle als Brennmaterial dient,
hat man diese mit den Sauerwässern benetzt, um sie durch Verbrennen zu ver-
nichten. Dieses Mittel wird aber höchstens in kleinern Fabriken ausreichen; wo
es zur Verwendung gekommen ist, soll es sich bewährt haben.
Man hat auch die AT er sumpf ung der Sauerwässer auf Ackerflächen oder
in Gruben vorgeschlagen. Dieselben auf diese Weise sich selbst zu überlassen und
nur den sich absetzenden Schlamm als Dünger abzufahren, würde nur dort unbe-
denklich sein, wo sich in der Nähe keine Brunnen und Wohnungen befinden; je
grösser eine solche Fläche ist, desto eher vermag sie die Salubrität einer Gegend
zu gefährden, denn zum wenigsten würde sie Zustände herbeiführen, welche m den
mit Flachs-Rotten versehenen Gegenden vorkommen.
Wo Braunkohlenfeuerung eingeführt ist, hat man auch die Wässer mit der
Braunkohlenasche der Kohlenfeuerung einzudicken gesucht, um zunächst die etwa
vorherrschende Säure zu neutralisiren und auf diese Weise aus der Mischung der
Asche mit den organischen Substanzen einen guten Dünger zu erhalten.
Gute Erfolge würde die Ableitung des versickerten Wassers mittels
Drainage versprechen, da es auf diese Weise wenigstens von so klarer Be-
schaffenheit aufgefangen werden kann, dass es sich für die Fabrik wieder ver-
wevthen lässt. Für alle Fälle, in welchen es an Land für die systematische Be-
rieselung fehlt, würde diese Methode am ehesten in's Auge zu fassen sein.
Man sieht hieraus deutlich, wie sehr es auf die örtlichen Verhältnisse ankommt,
welche Methode ausführbar und empfehlenswert!! erscheint.
Das Verfahren bei der Regenerirung der Knochenkohle mag noeh so ver-
schieden sein, die betreffenden Abfallwässer werden stets sehr reich an organischen
Stoffen sein.
Stc
I. 1870)
273, loc. eod.
Stärkefabrication (S. 509—515).
Einen Einfluss auf die Fischzucht können die Abfallwässer nur haben wenn sie
in Teichen oder kleinen Seen in Fäulniss übergehen. Ohne Nachtheil blieben die
Wässer, welche durch einen 1 Kilometer langen Graben m einen 20 Morgen grossen
See geleitet wurden. In einem andern Falle wurden die Abfallwasser durch einen
Graben von 630 Meter Länge und 2 Meter Breite in ein 10 Quadratruthen weites,
abgeschlossenes Wasserbassin abgelassen. Der im Graben sich absetzende bcnlamm
konnte zur Düngung benutzt werden; in der Nähe machte sich aber ein übler
864 Bierbrauerei.
Geruch bemerkbar. Eine andere Fabrik leitete die "Wässer in einen Mühlenteich;
der mit abgeführte Schaum machte räch noch eine halbe Meile bemerkbar, während
sich an den öfern des Baches Leptomitus lactens entwickelt hatte, ein Beweis,
dass man diesen Abfallwässern alle Sorgfalt zuzuwenden hat.
Unzuträglichkeiten entstehen dadurch, dass die Bereitung der Kartoffel-
stärke im § 16 der Gewerbe- Ordnung vom 21. Juni 1869 ausgeschlossen i-t und
daher keiner besondern Concession bedarf.
Die Abfallwasser der Stärkefabriken eignen sich vorzugsweise zur Berieselung.
Bierbrauerei (S. 517—529).
ll Flinzer in der Vierteljahrsschr. f. gerichÜ. Medic, 7. Bd. p. 122, 1867, 8. Bd.
p. 356, 1868.
_' i Stein in der Zeitschr. f. Medic, Chir. u. Geburtsh. von Küchenmeister u. Ploss,
Leipz. 1865, IV. Bd. p. 133.
3) Dingler's Journ.. Bd. CCVII, p. 511.
4) Nessle r im polytechn. NotizbL, 29. Bd. p. 56.
5) DubL Journ., Nov., p. 353, 18
61 Zeitschr. f. prakt Medic, 3. Reihe, 11. p. 30.
Ti Ripping, eod. loc. XXUX p. 133, 1864. Deutsche Klinik No.38, 1?
iich. !. Heilt, VI. p.92, 1864.
'.'i Förster, Spec. path. Anat 1854 p.
lOJ Virchow's Arch., EX. 18
111 Annal. d. Charite, X. 1862.
121 Virchow's Arch., XXII. p. 411.
131 Höche in Vierteljahrsschr. f. ger. Medic, XL Bd. p. 140 1869.
Dieffeuba.li. eod. b.c. XXI. Bd. 1875, p. 182.
Mair, A : Das Bier und dessen Untersuchungen auf Gehalt und Fälschungen.
München 1864
Wittstein: Beiträge zur Untersuchung der Biere. Arch. d. Pharmac. 1875, VI.
]■. 25. Chem. Centralbl. 1875, p. 754.
Die sog. Biercouleur wird durch Brennen des Trauben- oder Kartoffelstärke-
zuckers bereitet.
Paste ur's Bieres de la revanche nationale sind noch als Zeichen der Zeit zu er-
wähnen : sie werden durch Gährung bereitet, die bei völligem Abschluss der Luft
vor sich gehen soll.
14i Arneric Journ. of med. scienc, Jan. 1859. Virchöw-Hirsch's Jahresber. von 1874,
1. Th., p.
15) Röber im Arch. f. Anat. u. PhysioL, I.Heft 1869.
Köhler: Toxikol. Studien über'Pikrotoxin. Berl. klin. Wochenschr. No. 47, 1867.
Blas: Sur la recherche de la pikrotoxine dans la biere. Journ. de chim. med. VI.
p. 396, 1870. Jahresber. 1871, L, ] .
Depaire: Rapport sur l'emploi de la coque du Levant dans la fabrication de la
biere. Bullet, de l'Acad. de med. de Belgique No. 10, p. 889. Jahresber. 1868,
I.. p 458.
Der Gebrauch der Kokkelskörner in der Bierbrauerei soll Malz und Hopfen
sparen; auch soll sich das Bier besser halten und nicht so leicht gähren. Ihre
Verwendung sollte aber yiolizeilicherseits verboten werden.
Ein neuer Bitterstoff ist aus Amerika unter dem Namen Chiretta eingeführt
worden, der von Ophelia Chirayta abstammt. Als Absinthin kommt ein Prä-
parat aus Wermuth im Handel vor.
Die Thatsache ist bekannt, dass das Hopfenbitter aus seinen Lösungen durch
basisch essigsaures Blei grösstenteils gefällt wird. Ein Bier, welches nach
einer solchen Behandlung noch bitter schmeckt, muss somit Bitterstoffe enthalten,
die nicht vom Hopfen herstammen. Ausführlich handelt hierüber Siegfried
in Büchner'» Repert. 1875, "24. Bd., p. 412.
Bei der Untersuchung der Biere ist stets die Menge der in der Asche des Bier-
rückstandes enthaltenen Phosphorsäure von ganz besondei-er Wichtigkeit, da
sie allein Aufschluss über die Substituirung von Melasse an Steile von Malz ge-
währt, wenn nicht die Phosphate etwa nachträglich hinzugesetzt worden sind. In
dieser Richtung untersuchte Goppelsröder mehrere Baseler Biere (Dingler's
polytechn. Journ., "207. Bd. p. 32S, Chem. Centralbl. 1875, p. 679).
Schiessbaum wolle (S. 530 — 533).
1) Journ. f. prakt. Chemie, 91. Bd. p. 129. Wagner's Jahresber. 1874, p. 434.
Baumwollindustrie. gß5
Papier- und Tapetenfabrication (S. 533—543).
1) Weber, Rud.: Die Papierindustrie. Elfte Gruppe des amtl. Ber. über die Wiener
Ausstellung 1873. Braunschw. 1874.
Den Holzstoff hat man bei feinen Concept- und Druckpapieren schon bis zu
75 1, bei feinen Kanzlei- und Briefpapieren bis zu 50^; zugesetzt, obgleich er im
Allgemeinen mehr für Zeitungspapier benutzt -wird.
Espartogras wird in England benutzt; auch aus der Brennessel, Maulbeer-
baumrinde und dem Kartoffelkraut hat man geringere Papiersorten dargestellt.
2) Man vergl. die Darstellung der Pottasche aus den Abfallwässern der Tuch-
fabriken.
Die alkalischen Laugen bei der Papierbreidarstellung lassen sich behufs
Wiedergewinnung der Alkalien eindampfen und glühen. Da das Holz- und Stroh-
zeug immer häufiger benutzt wird, so sind die meisten Abfallwässer auch
reich an organischen Stoffen; man kann sie daher auch als Dungmittel oder selbst
zur Darstellung von Leuchtgas benutzen (s. die Ber. der Deutsch, ehem. Gesellsch
1872 p. 543 u. 652, 1873 p. 762 u. 1422, 1875 p. 273).
3) In manchen Papier- und Tapetenfabriken wird der thierische Leim dargestellt,
was wohl zu beachten ist, da aus dieser Fabrication vielfache Belästigungen ent-
stehen können.
4) Die Verwendung des Pergamentpapiers ist sehr vielseitig: namentlich kann es auch
die Därme ersetzen und bei der Wurstbereitung gebraucht werden. Da es sich
mit Anilinfarben färben lässt, so wird es zu den mannigfaltigsten Buchbinder-
arbeiten benutzt.
5) Auch die Metallpapiere sind noch zu erwähnen; sie sind mit dünnen Metall-
blättern belegte Papiere und stellen einen besondern Industriezweig dar, der be-
sonders in München und Augsburg vertreten ist; sie werden vorzugsweise zu
Decorationen benutzt.
6) Die sogen. Papierwäsche stellt Imitationen von Gegenständen aus Zeugstoffen
dar und hat bereits grosse Verbreitung gefunden; namentlich zeichnen sich die
aus Papier dargestellten Gardinen durch grosse Schönheit aus. Die Berliner
A. & C. Kaufmann'sche Fabrik leistet in diesem Zweige Ausserordentliches. In
sanitärer Beziehung ist hier Alles, was bei den Farben und beim Zeugdruck
zur Sprache kommt, zu berücksichtigen, conf. S. 711 No. 22.
Baumwollindustrie (S. 543—550).
1) Grothe, Herrn.: Technologie der Gespinnstfasern. Vollständiges Handbuch der
Spinnerei, Wirkerei und Appretur. 2 Thle. Berlin 1875.
2) Lohren, A.: Die Kämm-Maschine für Wolle, Baumwolle, Flachs und Seide. Mit
einem Atlas in Fol. Stuttgart 1875.
3) Um das Austrocknen des Garns zu verhüten, waren die Weber früher genöthigt,
die Arbeitsräume verschlossen zu halten; es sammelte sich daher stets eine
schlechte Luft an, die um so schädlicher einwirkte, wenn die Schlichte in Gährung
überging.
4) Wunde Stellen an den Händen werden durch eine Bleiessiglösung ganz bedeutend
verschlimmert.
5) Enquete sur le travail et la condition physique et morale des ouvriers empl. dans
les manufactures de coton ä Gand. Gand 1845.
6) Coetsemin Annal. de Med. belg., Juillet 1836.
Es kommt auch sehr auf die Beschaffenheit der Baumwolle an, die verarbeitet
wird. Den schlimmsten Ruf geniesst in dieser Beziehung die ostindische
Baumwolle, die in Fabriken im Elsass und in der Rheinprovinz, _ vorzugsweise aber
auch in der Schweiz vorkommt. Die ägyptische und amerikanische Baum-
wolle hat mehr lange und weiche Fasern und erzeugt einen weniger unangenehmen
Staub. Am belästigendsten ist der Staub stets bei der Reinigungsmaschine,
während er bei der Krämpelmaschine, bei dem sogen. Cardiren, in weit
gerin germ Grade auftritt.
7) Ueber den Einfluss einiger Industriezweige auf den Gesundheitszustand. Em Bei-
trag zur öffentlichen Gesundheitspflege und zur Lösung der xlrbeiterlrage.
Leipzig 1866.
8) Näheres hierüber findet sich in Schuler: Die glarinerische Baumwollindustneund
ihr Einfluss auf die Gesundheit der Arbeiter. Deutsche Vierteljahrsscbr. f. offentl.
Gesundheitspflege, 4. Bd. p. 90, 1872.
Eulenberg, Gewerbe-Hygiene. 00
86(3 Leinenindustrie.
Zu den die Luft verunreinigenden Dämpfen rechnet Schuler besonders die der
Essigsäure, welche von den Beizen (essigs. Thonerde und holzessigs. Eisen)
herrühren. Er hält sie für die Ursachen mancher Hautleiden, namentlich der
Ekzeme und mit Recht auch mancher Leiden der Respirationsorgane (man vergl.
Schnellessigfabrication ).
Die Ab fall wässer in den Baumwollfabriken rühren hauptsächlich von dem
Entschlichten und Beuchen her; sie sind bei weitem nicht so reich an organischen
Stoffen wie die Abfallwässer in den Wollfabiiken , obgleich sie in der Qualität
ziemlich übereinstimmen. Durchschnittlich sind in 1 Liter enthalten: gelöst
42,4 Mgrm. organ. Kohlenstoff, 2,99 Mgrm. organ. Stickstoff, 1,25 Mgrm. Ammoniak,
4,0 Mgrm. Gesammt-Stickstoff, 48,6 Mgrm. Chlor, 0.34 Mgrm. Arsen; suspendirt:
190 Mgrm. organ. Stoffe. Wegen der häufigen Benutzung von arsensaurem
Natrium als Beize sind die Wässer gegenwärtig wegen ihres Arsengehaltes be-
sonders beachtungswerth.
lieber die mechanischen Schädlichkeiten in der Textilindustrie vgl. man:
Association pour prevenir les accidents des machines. Compt. rend. de la premiere
annee 1867— 1868. Mulhouse 1868. Die Uebersetzung dieses Berichts mit den Fort-
setzungen finden sich in den Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des Ge-
werbeneisses in Preussen.
Für Schutzvorrichtungen bei den verschiedenen Walzen, bei den Schlagmaschinen
und besonders bei den Transmissionen wird in Preusseu Seitens der Fabrik-
inspectoren hinreichend Sorge getragen.
Es ist selbstverständlich, dass Arbeiter, die bei Maschinen mit schnellen Um-
drehungen beschäftigt sind, nur eng anschliessende Kleider tragen müssen, wie die
Mädchen und Frauen sich hüten müssen, mit flatternden Haaren in den Bereich
der Maschinen zu kommen.
Bei den Schützen (Weber -Schiffchen) der Handwebestühle kommt es vor, dass
dieselben von der Schützenbahn herab in die Kette laufen oder auch den Weber
selbst treffen. Interessante Untersuchungen hierüber und die Mittel zur Abhülfe
hat Karmarsch (Mitth. d. Hannov. Gewerbever. 1854, 1. Heft. Dingleris Journ.,
153. Bd. 1854, S. 4171 geliefert.
Dass schon die Erschütterungen, welche durch grössere Maschinen erzeugt
werden, namentlich auf das weibliche Arbeiterpersonal nachtheilig einwirken sollen,
ist nicht bewiesen.
Sehr zu beachten sind die Centrifugen, bei denen Sicherheitsmassregeln bei
etwaigen Zersprengungen nothwendig sind (s. S. 19).
Leinenindustrie (S. 550—553).
1) Hirt: Die Staubkrankheiten, I. p. 176.
2) Lancet H., 21. Nov. 1874. Schmidt's Jahrb. 1875, p. 133.
Die verschiedenen Schmiermittel stammen meist aus den Photogen- und
Petroleum-Fabriken her. Dass sie auch die Reinheit der Luft in vielfältiger Be-
ziehung schädigen, ist zweifellos; Arbeiter, welche sich mit dem Schmieren be-
schäftigen und demgemäss auch von Schmutz und Oel zu glänzen pflegen, ver-
breiten schon eine Atmosphäre, die für jeden Andern höchst unangenehm ist. Nach
der Beschaffenheit der gebrauchten Schmiermittel ist natürlich auch der Geruch
verschieden. Das Schmieröl, welches man neuerdings Vulcanöl getauft hat, wird
bei der Rectification des Photogens gewonnen und eignet sich nur für schwere
Maschinen, die weniger in engen iabrikräumen aufgestellt sind. Der Geruch
kann daher nicht sehr nachtheilig einwirken.
Was die Abfallwässer betrifft, so ist noch zu bemerken, dass die Rott-
wässer besonders reich an Buttersäure und übelriechenden Gasen sind; der
Gehalt an Propion- und Essigsäure ist geringer. Als Dungmittel in Form
der Berieselung finden sie die beste Verwendung, da namentlich der hohe Gehalt
der Lein- und Hanffaser an Ei weiss Stoffen eine grosse Menge von aufgelöstem
Stickstoff bedingt. In einem Liter Röstwasser sollen 3872 Mgrm. Buttersäure,
6140 Mgrm. gelöste Stoffe und unter diesen 663 Mgrm. Stickstoff vorkommen
(s. Dingler's Journ. 1875, Bd. 216, p. 88).
Ganz ähnlich verhalten sich auch die Wässer beim Nassspinnen und nament-
lich die Beuchwässer, welche eine grosse Tendenz zur Fäulniss haben und auf irgend
eine Weise zu verwerthen sind, wenn man keine Gelegenheit hat, sie in grosse
Wasserläufe abzulassen. Müssen sie aufgespeichert werden, so ist ihre Versetzung
mit Kalk in erster Linie erforderlich.
Wollindustrie. 867
Wollindustrie (S. 553—561).
1) Ueber Wollfett s. Ernst Schulze und Ulrich im Bericht der Deutschen ehem.
Gesellsch. 1874, S. 570.
Der Wollschweiss besteht aus den Kaliseifen der Oel- und Stearinsäuren, mit
wenig Essig-, Baldrian-, Phosphorsäure, Ammoniumsalzen u. s. w. Die Woll-
schweissasche enthält hauptsächlich Kaliumcarbonat. Die Rohwolle kann
über 20 % Wollschweiss und ausser Schmutz noch 10—15 % Wollfett enthalten.
Schon bei der Schafwäsche geht ein bedeutender Dungwerth verloren, da die Ab-
fallwässer reich an Stickstoffverbindungen sind.
2) Edinb. med. Journ., June 1858.
3) Itard und Lecoup haben zuerst auf das Verfahren, die Wolle auf chemischem
Wege zu reinigen, hingewiesen; es umfasst 1) das Einlegen der rohen oder ver-
webten Wolle in Schwefelsäure von 3 — 4° B., 2) das Ausschleudern in Centrifugen
und 3) das Trocknen bei einer Temperatur von 100°.
4) Kraut (Deutsche Industriezeitung 1874 p. 308, Wagner's Jahresber. 1874, p. 417)
lässt zur Gewinnung der Wollschweisspottasche die Wolle in gewöhnlichen
Wollmaschinen mit warmem Wasser waschen, dem Pottasche zugesetzt worden ist.
Die Waschwässer dampft man zur Trockne ein und erhitzt sie auf dem Herde
eines Flammenofens. Der Rückstand enthält die zum Waschen verwendete Pott-
asche und auch das in der Wolle vorhanden gewesene Kali zum grössten Theile
in Form von Pottasche.
Daudenart und Verbert (Wagner's Jahresb. p. 851, 1874) wollen die Abfallwässer
der Wollwäschereien mit Aetzbarytlösung präeipitiren , die klare Lösung dann
abdampfen und den Rückstand calciniren, wobei Pottasche und etwas Chlorkalium
erhalten wird. Das erste Präcipitat, welches die Fettsäuren enthält, soll mit Salz-
säure zu ihrer Abscheidung behandelt werden. Die Chlorbariumlösung wird mit
Magnesiahydrat versetzt und in die Mischung Kohlensäure so lange eingeleitet, bis
aller Baryt gefällt ist. Das Bariumcarbonat wird mittels Kohle calcinirt und
in Aetzbaryt wieder übergeführt.
5) Die entwickelten Ausführungen sind dem Reisebericht von den Prof. Landolt und
Stahlschmidt entnommen, der sich in den Acten des Kgl. Handelsministeriums
befindet, nachdem die Genannten auf Anlass des Herrn Handelsministers eine
Rundreise durch die bedeutendsten Fabriken von Belgien und Rheinland gemacht
hatten. Später ist die Arbeit in den Verhandlungen des Vereins zur Beförderung
des Gewerbefleisses in Preussen (Jahrg. 1874, p. 216} erschienen. M. s. auch Polyt.
Centralbl. 39, 371. 1875, Chem/ Centralbl., p. 25, 1875, Wagner's Jahresber. 1874.
6) Chlorcalcium kann ebenso gut wie Aetzkalk benutzt werden; die Auswahl
richtet sich nach den localen Verhältnissen.
Die Abfallwässer vom Walken und Spülen der Tuche sind gewöhnlich
stark gefärbt und eignen sich wegen ihres Gehaltes an Oel aus der Spinnerei, an
Seife u. s. w. ganz besonders zu der Kalksaponification.
Das erwähnte, zu Aachen stattfindende Verfahren hat Schwamborn in Dmgleris
Journ. (Bd. 216, p. 517, 1875) genau beschrieben. Ein Sammelbassin von 150p.-C.
Inhalt ist in der Regel bei einem Verbrauche von 1000 Kilogramm Seife binnen
14 Tagen gefüllt.
Man hat berechnet, dass in Europa jährlich etwa 500,000 Tonnen (1 Tonne ist
= 1000 Kilogrm.) verwalkt werden, die etwa 100,000 Tonnen Kalkseife, einen Werth
von 18 Millionen Mark, ergeben würden. Man vergl. Fischer, Ferdinand: Die
Verwerthung der städtischen u. Industrie-Abfallstoffe, Leipzig 1875. Hier (S. 142)
ist auch eine genaue Analyse der Wässer nach der Schafwäsche, der Abfallwässer
einer Wollwäscherei, Flanellwäsche, Wolldecken fabrik und Teppichfabrik mitgetheilt.
Durchschnittlich enthielten die Abfallwässer aus 15 Wollfabriken in 1 Lit. 647,8 Mgrm.
organ. Kohlenstoff, 103,8 Mgrm. organ. Stickstoff, 116,47 Mgrm. Ammoniak, 0.4Mgrm.
Stickstoff als Nitrat und Nitrit, 200,1 Mgrm. Gesammt-Stickstoff, 219,4 Mgrm. Chlor
und 0,11 Mgrm. Arsen gelöst, 3724 Mgrm. organ. Stoffe suspendirt.
7) Färbereien, die oft stundenweit von einem grossen Flusse entfernt liegen, sind
nicht selten zur Errichtung von sehr langen Canälen genÖthigt. Bisweilen leitet
man, z. B. in Basel, die Abfallwässer erst unterhalb der bewohnten Stadtviertel in
den Rhein ein, um hierdurch den Bewohnern derselben die ökonomische Benutzung
des Wassers nicht zu erschweren. Man rechnet hierbei auf eine sehr rasche Ver-
theilung der Unreinigkeiten , so dass für die tiefer gelegenen Ortschaften weniger
Nachtheil hierdurch entsteht. . ,
Ueber das Genauere bei diesem Verfahren vergl. man Musterzeitung JNo. 24 und
Chem. Centralbl. No. 19 u. 20 1875.
55*
gßg Beizen, Druckerei und Färberei.
Specielle Anweisung über die Technik der Tuchweberei ertheilt:
Stommel, Cuno : Das Ganze der Weberei des Tuch- und Buckskinfabricanten.
Braunschweig 1876.
Seidenindustrie (S. 561-565).
1) Potton: Recherches et observations sur le mal de vers ou de bassines chez les
fileuses de cocons de vers ä soie. (Annal. d'hyg. publ. 1853, T. 49.)
Melchior i: La Malattie delle mani delle trattore da seta observata in Novi. Annal.
univers. di med. Milano, T. 160, 1857. Wenn dieser Autor das Seifen wasser
als Ursache der Handaffection beschuldigt, so dürfte ihm hierin nicht beizustimmen
sein; ebensowenig trägt die Beschaffenheit der Puppen die Schuld. Seit der Be-
nutzung der Dampfkraft sind diese Leiden überhaupt immer_ seltener geworden.
Man vergl. auch Thouvenin: De l'influence que l'industrie exerce sur la sante
des professions dans les grands centres manufacturiers de l'industrie de la soie.
(Annal. d'hyg. publ, Juill. 1846). Die Schilderungen der frühern Verhältnisse der
Seidenarbeiter treffen aber gegenwältig nicht mehr zu, seitdem auch in der Seiden-
indnstrie die betreffenden Maschinen vervollkommnet sind und die Arbeiter von
mannigfachen nachtheiligen Einflüssen befreit haben.
Die Abfallwässer in den Seidenfabriken sind, wenn man die Behandlung der
Cocons berücksichtigt, im Allgemeinen den beim Beuchen der Baumwolle und
Leinwand vorkommenden ähnlich, enthalten aber kein Chlor aufgelöst, sondern haupt-
sächlich organ. Kohlenstoff und Stickstoff neben geringen Mengen von Ammoniak.
In einem Liter befinden sich durchschnittlich 15 Mgrm. organ. Kohlenstoff, 1,5 Mgrm.
organ. Stickstoff und etwa 0,3 Mgrm. Ammoniak; je mehr sie aber nach dem
neuern Verfahren mit Wasser verdünnt werden, desto geringere Belästigung ver-
anlassen sie. Der sanitäre Nachtheil entsteht hauptsächlich dann, wenn man die
Waschwässer sich selbst überlässt und einem höchst widrigen Fäulnissprocesse
preisgibt; sehr häufig können sie, wenn sie nicht zu sehr verdünnt sind, zu einer
Berieselung der Aecker benutzt werden.
Wegen Behandlung der Abfallwässer der Seidenfärbereien s. Färberei.
2) Egen°: Ueber Conditioniren. Verhandl. d. Vereins z. Beförderung d. Gewerbefl. in
Preussen 1840, 2., 3. u. 6. Lief.
3) Mit der Floretseide verarbeitet man auch abgetragene seidene Stoffe oder Lumpen,
welche nach dem bei der Kunstwolle erwähnten Verfahren behandelt werden,
obgleich diese Fabrication noch nicht die Bedeutung der Shoddy - Manufactur er-
langt hat.
4) Picard: De l'Hygiene des ouvriers employ. dans les filatures. (Annal. d'hyg.
publ., Oct. 1863, p. 258.)
5) Schlesinger, Robert: Mikroskopische Unters, der Gespinnstfaser im rohen und
gefärbten Zustande. Zürich 1873.
6) Blümlein: Die Sammet- und Seidenstoff-Weberei in ihrem Einfluss auf den
Körper und den Geisteszustand der Weber. Viertel) ahrsschr. f. gerichtl. Medicin,
XV. Bd., 1. u. 2. Heft 1859.
Beizen, Druckerei und Färberei (S. 565 — 569).
1) Spirk, A.: Praktisches Handbuch der Färberei und Druckerei. Berlin 1869.
Schützenberger, M. P.: Die Farbstoffe, insbesondere deren Berücksichtigung
in ihrer Anwendung in der Färberei und Druckerei. Autoris. deutsche Ausgabe.
Bearbeitet von Hermann Schröder. 2 Thle. Berlin 1869.
Bezüglich der Abfallwässer, die speciell der Baumwoll- und Seidenfärberei
angehören, ist noch auf den Gehalt an Arsen- und Phosphorsäure aufmerksam
zu machen.
Es empfiehlt sich hierbei ein Mischen mit Eisen- und Mangansalzen mit
darauf folgender Präcipitation durch Kalk. Bei einem rationellen Betriebe kann
man auch die von den Indigoküpen und Chrombädern herrührenden Farb-
fiüssigkeiten verwerthen, ehe man sie abfliessen lässt. Das Nähere hierüber findet
sich in Dingler's polyt. Journ. 1836 Bd. 59, p. 236, 1837 Bd. 65 p. 441, 1844 Bd. 91,
p. 223: in den Ber. der Deutschen ehem. Gesellsch. 1873, 1273. Ueber^die Ver-
wendung der benutzten Farbhölzer zur Papierfabrication ist eod. loc. 1872, 542 u.
742 die Rede
conf. Eulenberg: Ueber schädliche rothe Farben. Preuss. Vereinszeitung No. 5
u. 6, 1861.
Gerberei. ggcj
Gerberei (S. 570—579).
1) Reimer, A.: Studien zur wissenschaftl. Begründung der Gerberei. Dincler's nolvt
Journ, 205. Bd., p. 143, 248, 357 u. 457. ° F ' '
Lietzmann: Die Herstellung des Leders in ihren ehem. u. physikal. Vonjän°-en
Bonn 1870. & ° "
Gegenwärtig scheint man nach dem Vorschlage von Knapp mehr Gebrauch von
einer Eisenoxydlösung zu machen, deren chemische und physikalische Be-
schaffenheit den Gesetzen entsprechen soll, welche die Umwandlung der Haut in
Leder bedingen. Das damit in einem Zeiträume von 8 Tagen hergestellte Leder
scheint allen Anforderungen zu entsprechen, welche man an ein gutes lohgares
Leder zu stellen berechtigt ist.
2) Beangrand: Etudes sur les malad, des artisans. Rech, histor. et stat. sur les
malad, des ouvriers, qui prepar. les peaux en gen. et sur Celles des tanneurs en
partic. Paris 1862.
3) Es ist nicht hervorgehoben worden, mit welchen Arbeiten sich die erkrankten
Gerber beschäftigt haben; am ehesten kann die Berührung mit Rhusma solche
Affectionen veranlassen.
Man vergl. noch Ziurek: Zur Revision der Gerbereien in der Vierteliahrsschr.
f. ger. Med, 11. Bd. p. 175, 1869.
Richter: Ueber den Nachtheil der Gerbereien auf die menschl. Gesundheit, loc.
eod. 9. Bd. 1856.
4) In den Schwitzkammern können die Gerber von Schwindel und Ohnmacht befallen
werden, Erscheinungen, die mehr oder weniger auf die Wirkung von Schwefel-
ammonium zu beziehen sind. Aehnlichen Emanationen können sich die Arbeiter
aussetzen, welche sich in den Gruben beschäftigen; man sollte daher alle Weich-
kufen oder Kalkäscher niemals in geschlossenen Räumen unterbringen und stets
dieselben einige Zeit offen stehen lassen, ehe man zur Entleerung ihres Inhaltes
schreitet.
Bekanntlich ist die Luft überall, wo thierische Substanzen dem Eäulnissprocesse
unterliegen, ozonarm (s. Leimbereitung); in Gerbereien ist dies besonders der Fall.
Welchen Einfluss dieser Umstand auf die menschliche Gesundheit ausübt, ist noch
nicht sieher festgestellt: jedenfalls ist hierbei die individuelle Constitution zu be-
rücksichtigen; Individuen mit reizbaren RespirationsorganeD mögen sich unter solchen
Verhältnissen oft wohl befinden, weshalb Gerbereien früher in dem Rufe standen,
dass sie wohlthätig auf „Schwindsüchtige" einwirkten. Man trifft übrigens nicht
selten auch unter Gerbern Schwindsüchtige an und bedarf es stets der genauesten
Untersuchung, um den Einfluss des Gewerbes auf die verschiedenen Constitutionen
richtig ermessen zu können.
Kaum sollte man glauben, dass auch bei Gerbern Bleikoliken vorkommen,
und doch ist dies der Fall, wenn z. B. Weissgerber zur Ausarbeitung des
Leders Bleiweiss (Kremser weiss) gebrauchen, oder wenn Handschuhmacher
zu ähnlichen Zwecken kieselsaure Bittererde benutzen, die oft 33 % Bleiweiss
enthalten kann. Auf diese Weise können bei diesen Gewerben alle Erscheinungen
des chronischen Saturnismus (Gesichts- und Gehörschwäche, Anämie und Atrophie,
Gelenkschmerzen und heftige Koliken) auftreten.
Im Kleingewerbe werden nicht selten loh- und weissgare Leder in Räumen ge-
trocknet, die auch noch zu andern Beschäftigungen verwendet werden; es können
sich dann die verschiedensten, vom Einfetten u. s. w. herrührenden Ausdünstungen
nachtheilig geltend machen. In sanitärer Beziehung sind daher in Gerbereien von
allen übrigen Werkstätten getrennte Trockenstuben von grosser Bedeutung. So
muss auch der Boden der Werkstätten, in welchen das Reinigen der Häute vor-
genommen wird, wasserdicht resp. asphaltirt und mit einem abschüssigen Boden
versehen sein, damit alle fauligen Flüssigkeiten rasch zum Abüuss gelangen. Zum
Desinficiren der verschiedenen Abfälle lässt sich die Süvern'sche Flüssigkeit
(10 Th. gelöschter Kalk, 1% Th. Theer, 1% Th. Chlormagnesium) benutzen.
5) Je strenger die bestehenden Gesetze über die bei ansteckenden Thierkrankheiten
zu ergreifenden Massregeln beachtet werden, je weniger sind die Gerber den Ge-
fahren vor übertragbaren Thierkrankheiten ausgesetzt ; schon die frühzeitige Be-
handlung der Thierhäute durch Einweichen und Kalken vermindert diese Gefahr.
Conserviren der thierischen Häute (S. 578 — 579).
In neuerer Zeit hat man statt der Carbolsäure die rohe Salicylsäure benutzt,
um mit derselben die Fleischseite der Häute zu behandeln. Die Häute sollen
dadurch gleichsam gegerbt werden: sicher wird auf diese Weise der Fäulnissprocess
aufgehalten und der widrige Geruch vermieden.
70 Thierische Abfälle.
Das Haar (S. 579—580).
1) Hitzig, Eduard: Studien über Bleivergiftung, Berlin 1868, p. 31.
Das Hutmacher-Gewerbe (S. 580—581).
1) Lewy: Die Gewerbekrankheiten der Hutmacher. Wiener Wochenschr. No. 25, 1869.
Hillairet: Note sur un nouveau moyen de preparer sans mercure les poils de
lievre et de lapin destines ä la fabrication des chapeaux de feutre: extraits d'un
memoire sur l'intoxication mercurielle professionelle. Rapport. Bullet, de l'acad.
de med. No. 38, p. 1082. Jahresber. I. p. 479, 1872.
Federn (S. 582— 583).
1) Petruschky: Ueber Desinfectionsanstalten. Militairärztl. Zeitung, 3. Heft 1873,
Vierteljahrsschr. f. ger. Med., XIX. Bd. 1873, p. 200. Die beschriebenen Einrich-
tungen haben sich sehr gut bewährt und sind besonders da angebracht, wo es
sich darum handelt, den ganzen Körper zu reinigen und zu desinficiren, sowie die
einzigen Kleider der Betreffenden zu desinficiren. Es wurden zu diesem
Zwecke Wasser-Brause-Vorrichtungen hergestellt, deren Temperatur je
nach Stärke der Heizung resp. der Zuleitung von kaltem Wasser regulirt werden
konnte.
2) Ein Kescript des Ministers für Handel u. s. w., den Trödel -Handel betreffend,
erging unter dem 22. Mai 1870 und lautet:
„In den in Folge der Circ- Verfügung vom 10. September v. Js. erstatteten Be-
richten — die 'Beaufsichtigung des Trödel -Gewerbes betreffend — ist von einer
Anzahl von Behörden das Bedürfniss zum Erlass besonderer Controlvorschriften
verneint worden. Mit Rücksicht hierauf halte ich eine gleichmässige Regelung des
in Rede stehenden Gegenstandes für den ganzen Umfang der Monarchie nicht für
angemessen. Es bleibt demzufolge das Gewerbe der Trödler da, wo nach dem
Ermessen der Königl. Regierung auch ohne specielle Controlmassregeln ein die
Sicherheit des Eigenthums und die Gesundheit des Publicums gefährdender Ge-
schäftsbetrieb nicht zu befürchten steht, in Zukunft nur denjenigen Beschränkungen
unterworfen, welche durch die Gewerbe-Ordnung vom 21. Juni v. J. selbst vor-
geschrieben sind. Wo jedoch nach den besondern Verhältnissen eines Bezirks
oder einzelner Theile desselben die Nothwendigkeit hervortreten sollte, an Stelle
der bisher geltenden, durch die Gewerbe-Ordnung für aufgehoben zu erachtenden
polizeilichen Bestimmungen besondere Vorschriften über die Ausübung dieses Ge-
werbebetriebes, namentlich über die Führung von Geschäftsbüchern und die Hand-
habung der polizeilichen Controle, zu erlassen, ist die Regelung dieser Verhältnisse
nach Massgabe der hierneben angeschlossenen Verordnung zu bewirken , welche
unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die von mir nach Massgabe des § 38 der
Gewerbe -Ordnung vom 21. Juni v. J. gegebenen Vorschriften zu erlassen und
auf Grund des Gesetzes über die Polizei -Verwaltungen vom 11. März 1850 zu
publiciren ist."
Nach Lage der Gesetzgebung kann somit auf dem Polizei-Verordnungswege noch
Vieles erreicht werden, was zum Schutze der öffentlichen Gesundheit erforderlich
ist; der Schwerpunct liegt in der polizeilichen Controle.
Horngebilde (S. 583—584).
1) Das Einweichen der entkernten Hörner sollte im Bereiche grosser Städte nicht
geduldet werden, da es der grössten Aufmerksamkeit bedarf, um die Anwohner vor
einer grossen Belästigung zu schützen.
Darmsaitenfabrication (S. 584).
Bei der Concessions -Verleihung muss dem Concessionär zur Bedingung gemacht
werden, nur frisches Material zu verarbeiten und die Abfallwässer in wasserdichten
Gruben unter Zusatz von Kalk u. s. w. aufzubewahren , wenn ihr directer Ablauf
in grosse Wasserläufe nicht möglich ist.
Leimindustrie (S. 584—586).
1) Bei der Bearbeitung der thierischen Abfälle ist eine ganz besondere Aufmerksam-
keit auf die Speicherung des Rohmaterials in zweckmässig eingerichteten
und mit den passenden Desinfectionsmitteln versehenen Lagerräumen zu richten.
Das Abfliessenlassen der Spülwässer in die Strassenrinnen veranlasst die
Abdeckerei. §7}
grössten Belästigungen und macht die betreffenden Strassen fast unbewohnbar,
obgleich man noch grosse Städte antrifft, in denen solche Missstände ganze Stadt-
viertel verpesten
2) Wendet der Leimsieder diese Vorsichtsmassregel nicht an, so muss er jedenfalls
den Siedekessel mit einem Abzugsrohre versehen, welches die Dämpfe in einen
gut ziehenden Schornstein führt.
3) Becker: Sind Leimsiedereien der Gesundheit der Arbeiter nachtheilig? Viertel-
jahrsschr. f. gerichtl. Med. 1857, p. 234.
Diese Frage ist a priori kaum zu beantworten. Es ist schon hervorgehoben
worden, dass bei allen Fäulnissprocessen in der Luft Ozon nicht nachzuweisen ist ;
Schönbein hat gefunden, dass eine stark ozonisirte Luft durch eine Leimlösung
sofort ihres Ozongehaltes beraubt wird. Becker zieht hieraus den Schluss,
dass die Leimsiederei vor Brustaffectionen schütze, da Ozon nachtheilig auf die
Respirationsorgane wirke und namentlich Katarrhe erzeuge. Es gilt daher das bei
der Gerberei über die Wirkung des Ozons Gesagte auch in Betreff der Leimsiederei
sowie der Knochensiederei.
Auch Verf. hat sowohl Leimsieder als Knochensieder stets die sanitäre Seite
ihres Gewerbes rühmen hören. Wirklich ist ihm ein Fall bekannt geworden, der
einen schwächlichen, von Aerzten für ,, tuberculös " anerkannten Arbeiter betraf;
nach zwei Jahren fand Verf. ihn als einen rothwangigen, wohlgenährten Knochen-
sieder wieder, der gar nicht mehr über Brustleiden klagte. Hier mögen neben
der ozonärmern Luft auch die beständigen Wasserdämpfe wohlthätig eingewirkt
haben, da das zu verarbeitende Material meist frisch war.
In einigen Städten, namentlich in Merseburg im Jahre 1850, will man auch die
Beobachtung gemacht haben, dass die Leimsiederviertel am wenigsten Cholerafälle
darboten; jedoch ist auf solche statistische Beweisführung nicht viel zu geben,
wenn man dabei nicht alle Verhältnisse mit grosser Sorgfalt berücksichtigt. Nur
darüber kann kein Zweifel obwalten, dass sowohl Gerbereien als Leimsiedereien den
Anwohnern die grösste Belästigung bereiten können.
Die Knochen und ihre Verwerthung (S. 586 — 589).
1) Bisweilen wird durch Polizei -Verordnungen die Menge der in Städten aufzube-
wahrenden Knochen vorgeschrieben, eine Massregel, die nichl zu controliren und
deshalb unzweckmässig ist. Es sollte vielmehr jedesmal die polizeiliche Erlaubniss
zur Errichtung von Knochenlagern nachzusuchen sein, damit der Polizeibehörde
die Prüfung der Zweckmässigkeit der Anlagen überlassen bleibt.
2) Das hierbei abfallende Chlorcalcium darf nicht in Schlinggruben abgelassen
werden; mit vielem Wasser verdünnt, kann es zum Abfluss gelangen, da seine
Menge nicht bedeutend ist.
Poudrette-Fabrication (S. 589—590).
1) Man vergl. das Petri'sche Verfahren S. 822.
Abdeckerei (S. 590-592).
1) Alle Abdeckereien sind in möglichst entlegenen Gegenden anzulegen. Die Höhe
der Einfriedigung muss wenigstens 2,5 Meter betragen und mit einer Baumpflan-
zung, grünen Hecken u. s. w. versehen sein.
2) Nach dem durch Verfügung des Ministers der geistlichen u. s. w. Angelegenheiten
vom 18. Januar 1876 mitgetheilten Gutachten der Wissenschaftl. Deputation für das
Medicinalwesen ( Berl. klin. Wochenschr. No. 6, 1876) kann das ausgeschmolzene
Fett (Schmalz) völlig frei gegeben werden, also auch für den Gebrauch als mensch-
liches Nahrungsmittel; es bedarf dazu gar keines Zusatzes, weder der Schwefel-
säure noch eines andern Mittels. Das Ausschmelzen oder Ausbraten ist dem Aus-
kochen vorzuziehen, da höhere Hitzegrade dabei auf das Fleisch und Fettgewebe
einwirken. Ebenso unterliegt es keinem Bedenken, anderweitige Verwendungen der
trichinösen Schweine zur technischen Verarbeitung zuzulassen, z.B. zurSeifen-
und Leimbereitung. Die Verwendung der Borsten und der Haut bringt nicht die
o-eringste Gefahr mit sich. Wo zweckmässige Anstalten zur chemischen Verarbei-
tung *d.es ganzen Thieres bestehen, da ist es in jeder Beziehung ungleich besser, die
Schweine ganz und gar in die Fabrik zu hefern und verarbeiten zu lassen, als sie
zu vergraben, auch wenn sie vorher gekocht sind; denn erfahrungsgeniäss wird
das Kochen häufig nicht lange genug fortgesetzt und das Vergraben schützt trotz
872 Photogen.
des Bedeckens mit Kalk nickt ganz vor unterirdischen fleischfressenden Thieren.
Jedenfalls wäre das Verbrennen dem Vergraben bei weitem vorzuziehen.
3) Man will besonders nie Beobachtung gemacht haben, dass Hühner, welche mit
faulem Fleisch gefüttert werden, höchst widerlich riechende Eier legen.
Photogen (S. 592-594).
1) Bei Benutzung der liegenden Retorten findet sich eine ähnliche Einrichtung, wie
sie S. 341 abgebildet worden ist. Der vordere Verschluss der Retorte durch einen
Deckel und ihre Verbindung mit dem Sammelrohr findet sich auch in Photogen-
fabriken; es liegen 10—20 solcher Retorten in einem Ofen. Von dem Sammel-
kasten aus streichen die Gase durch ein System von Eisenblechröhren, die auch
bei der Destillation des Steinkohlentheers (s. diese) im Gebrauche sind, um ihre
weitere Condensation zu bewirken. Ein besonderes Ausgangsrohr dient zur Ab-
leitung der nicht condensirten Gase. Die Füllung der Retorten geschieht durch
Hineinwerfen der Kohle in die vordere Oeffnung bei gleichzeitigem "\ erschlusse
eines hintern Abschlussventils, das den Eintritt der atmosphärischen Luft in das
Sammelrohr verhüten und somit der Gefahr einer Explosion vorbeugen soll. Die
Kohle muss den Boden der Retorte stets gleichmässig bedenken. Die Arbeiter
leiden hier viel von der Hitze beim Aufgeben der Kohle
Besser sind in dieser Beziehung die stehenden Retorten, obgleich auch hier
Explosionen vorkommen können, wenn sich die Kohlengase mit der zu ihrer
Explosion hinreichenden Menge atmosphärischer Luft vermengen. Die stehenden
Retorten sind verticale, gusseiserne Cylinder und im Innern mit einem
System von vertical übereinander liegenden Ringen versehen, die eine glocken-
förmige, nach aussen schräg abfallende Wandung haben und theilweise an einer
durcbf den Cvlinder gehenden Mittelachse mittels Stegen befestigt, theilweise durch
an der Innenseite ihrer "Wandung angebrachte Knaggen übereinander geschichtet
sind. Durch diese Glocken entsteht somit ein zweiter cylindrischer Raum, welcher
mittels der zwischen ihnen befindlichen Lücken mit der zwischen Glocken- und
Cylinderwandung befindlichen Luftschicht — Schweelschicht — in Verbindung
steht. Nach unten läuft der Cvlinder in einen Conus aus, der mit einem
cylindrischen Kasten (Schieber kästen) in Verbindung steht. Dieser Kasten ist
durch einen Schieber nach oben von dem Conus abgeschlossen und kann
durch einen zweiten Schieber nach unten entleert werden Oben ist der Cylinder
mit einem Glockenhute versehen, auf den die Kohle aufgegeben wird, damit sie
zwischen Cylinder- und Glockenwand hinabrutscht. Zweckmässig ist es,
den Cylinder mit einem Chamottemantel zu umgeben, der nicht bloss die Haltbar-
keit sichert, sondern auch die Arbeiter vor der strahlenden Hitze schützt.
Feuer züge, die rund um den Cylinder verlaufen und mit einer unten und seit-
lich gelegenen Feuerung verbunden sind, erhitzen die Cylinderwände bis zur Roth-
gluth: die sich entwickelnden Gase treten zunächst in den Raum innerhalb der
Glocke und dann durch zwei seitlich gelegene Abzugsrohre in einen Sammelkasten
behufs Condensation. Die Koks sammeln sich im Conus des Cy linders an und
werden zeitweilig in den Schieber kästen abgelassen. Diese Manipulation ist
der wichtigste Act und ist es sehr zweckmässig, das untere Ausgangsrohr des
Cvlinders durch eine Drosselklapp e abzuschliessen, damit nicht die im Schieber-
kästen befindliche atmosphärische Luft in das Sammelrohr steigt und eine Explosion
veranlasst. Um so leichter ist dies der Fall, wenn unter Mithülfe eines Exhaustors
die Gase in das Sammelrohr abgesaugt werden. Wirklich sind auch die meisten
Fälle von Explosionen auf das Eindringen der atmosphärischen Luft zurück-
zuführen ; eine Hauptaufgabe besteht daher auch darin, das Abrutschen der Kohle
durch ein rechtzeitiges Nachschütten frischer Kohlen regelmässig zu be-
wirken, um den Eintritt der atmosphärischen Luft zu verhüten. Auch empfiehlt
sich eine mechanische Vorrichtung, durch welche der Koksabzieher im Stande
ist, vom Schieberkasten aus mittels einer Kette, die über eine Rolle läuft, den
Hebearm der Drosselklappe auf und ab zu bewegen und somit selbst ein-
zustellen. Diese wichtige Arbeit kann auf diese Weise prompter ausgeführt
werden, als wenn ein besonderer Arbeiter die Drosselklappe zu bedienen hat.
In sanitärer und technischer Beziehung verdient die Einführung der über-
hitzten Wasserdämpfe noch mehr Empfehlung, durch welche die Kohlen in
einer umfangsreichen Retorte geschweelt werden, während die Condensation durch
Wasserkühlung erfolgt.
2) Das Verfahren bei der Condensation des Benzins geschieht nach den allgemeinen
Grundsätzen, bedingt aber auch die Feuergefährlichkeit solcher Fabriken. Trennung
der verschiedenen Arbeitsräume ist daher das erste Erforderniss ; ferner müssen
Petroleum.
873
sammthche Gasflammen oder Lampen mit einem Glaskasten versehen werden. Dies
ist auch im Retortenhause nothwendig, weil immerhin noch Kohlengase aus
den Leitungsröhren in Folge zufälliger Undichtheiten entweichen können. Daher
ist auch Holzwerk im Retortenhause zu vermeiden; das in alten Fabriken noch
vorhandene Holz ist mit Wasserglas anzustreichen.
2) Volkmann in der Sammlung von Vorträgen, 1875.
4) Die Reinlichkeit muss sich namentlich auch auf den Fussboden erstrecken, der
am besten zu asphaltiren ist, um ihn häufig mit Wasser abzuspülen.
Petroleum (S. 595—597).
1) Bei der chemischen Wäsche ist gegenwärtig Petroleumbenzin fast ausschliess-
lich im Gebrauche; diese umfasst 1) das Sortiren der Gegenstände nach Art des
Gewebes, 2) das Bürsten des Gegenstandes auf einem mit Marmorplatten bedeckten
Tische mit Benzin, 3) das Einbringen in die Waschmaschine, welche aus einer
äussern feststehenden und innern beweglichen liegenden Trommel besteht;
letztere ist aus von einander abstehenden Latten construirt und mit verschliessbaren
Einfallthüren versehen. In die äussere Trommel füllt man das Benzin so ein, dass
es einige Zoll hoch in der innern Lattentrommel einsteigt; dann bringt man die
vorbereiteten Waschstücke in die Lattentrommel und setzt diese in langsame Um-
drehung; 4) das Ausspülen in frischem, reinem Benzin; 5) das Trocknen mittels der
Schleudermaschine; 6) das Trocknen in einer stark geheizten und gut ventilirten
Trockenstube. Hierauf wird das Zeug appretirt und detachirt.
Das mit Fett und Schmutz beladene Benzin wird in grossen Reservoirs gesammelt,
mit Schwefelsäure vermischt, dann stehen gelassen, vom Bodensatz abgezogen
und in kupfernen Destillirgefässen destillirt. In den Fabrikräumen ist der Geruch
nach Benzin sehr verbreitet und berührt den aus freier Luft Eintretenden unan-
genehm. Die meisten Arbeiter gewöhnen sich an denselben, obgleich auch manche
Arbeiterin genÖthigt ist, diese Beschäftigung zu verlassen, namentlich wenn ein
anhaltender Kopfschmerz und eine wüste Eingenommenheit des Kopfes den Auf-
enthalt in solchen Räumen unerträglich macht. Nur die kräftigste Ventilation ist
im Stande, den Geruch einigermassen zu massigen; jedenfalls sind sehr hohe Werk-
stätten nothwendig. (cf. S. 879, No. 9.)
2) Beim Transport des rohen, nicht rectificirten Petroleums sind alle Vorsichtsmass-
regeln wie beim Transport des Pulvers und Nitroglycerins zu beobachten. Es
darf nur auf besondern Schiffen ohne alle Feuerung verladen werden; diese
Schiffe müssen mindestens 200 Schritte entfernt von andern Fahrzeugen oder be-
wohnten Gebäuden anlegen; die Polizeibehörde weist einen bestimmten Liegeplatz
an und bestimmt die Frist, innerhalb welcher die Löschung der Petroleumladung
zu erfolgen hat, sowie den Lagerraum.
Auf Eisenbahnen sollte Rohpetroleum gar nicht zugelassen werden; höchstens
dürfen besondere Waggons von Güterzügen, die nicht mit Laternen versehen sind,
benutzt werden. Während des Ausladens darf kein Licht oder Feuer in der Nähe
sein, auch kein Tabak geraucht werden. Fuhrwerke, die mit Rohpetroleum beladen
sind, müssen unter beständiger Aufsicht gehalten werden.
Die schrecklichen Unglücksfälle, die in neuerer Zeit auf Dampfschiffen durch
Einladen von feuergefährlichen Substanzen (Benzol, Nitroglycerin) entstanden sind,
sollte endlich zur strengsten Controle in dieser Beziehung Anlass geben.
3) cf. Felix in der Deutsch. Vierteljahrsschr. f. öffentl. Gesundheitspfl., Bd. IV. 1872.
4) Auf Grund eines Circ. -Erlasses des Ministers für Handel u. s. w. und des Innern
vom 14. December 1869 sind Seitens der Regierungen Polizei- Verordnungen erlassen
worden, die nicht mehr als 30 Pfund Petroleum in den Verkaufslocalen zulassen :
es wird diese Bestimmung aber selten aufrecht erhalten.
Vorräthe bis zu 500 Pfund können in den mit den Verkaufslocalen in Ver-
bindung stehenden Kellern oder zur Ebene gelegenen Speicherräumen lagern, wenn
diese gehörig ventilirt sind und keine Abflüsse nach aussen haben. Der Fussboden
des zur Aufbewahrung des Petroleums oder Photogens dienenden Theils muss
aber mit einer 8 Ctm. hohen Sandschicht bedeckt sein, die mit einer aus feuer-
festem Material hergestellten Umfassung zu umschliessen ist; der Raum zwischen
dieser und den Lagerfässern muss % Meter breit sein.
Vorräthe über 500 Pfund bis zu 25 Centnern dürfen nur in feuersichern,
gewölbten, von Holz construirten freien Räumen lagern, in deren Mitte eine Senk-
grube liegt, nach welcher der Boden nach allen Seiten hinfällt. Die eisernen
Thüren sind wenigstens 16 Ctm. über dem Fussboden anzulegen und die Fenster
mit durch Eisenblech verkleideten Laden zu versehen. Künstliche Beleuchtung ist
nur von aussen anzubringen.
874 Leuchtgas.
Mengen über "25 Centner sind wenigstens 150 Meter weit von andern Bau-
lichkeiten unter den obigen Bedingungen so anzulegen, dass sie von allen Seiten
mit Löschgeräthen befahren wei'den können.
Kreosot (3. 597—598).
1) Das Buchholztheerkreosot, das vorzugsweise aus Kreosol und Guajacol
besteht, unterscheidet sich wesentlich vom Steinkohlentheerkreosot, welches
wc-ni_r Kreosol, Guajacol und Brenzcatechin. dagegen hauptsächlich Phenol
enthält.
Unter den letzten Producten der Destillation des Buchholztheers erhält mau
eine farblose, kreosotartig riechende und bei 270° siedende Flüssigkeit, die sich
durch Zusatz von Kaliumbicbxomat bräunt und bald darauf violettschillernde
Kry stalle absetzt. Diese sind identisch mit dem von Liebermann benannten
Coerulignon. ein Körper, der im rohen Holzessig angetroffen wird. Durch
Reduction erhält man nach Lieb ermann aus demselben Hydro coerulignon.
Coerulignon ist identisch mit einem Körper, den v. Reichenbach Cedriret
fCc-di-uni Holzessig, rete Netz ) genannt und aus dem Tbeeröle isolirt hat. Man
hat Coerulignon zum Zeugdruck benutzt.
Leuchtgas (S. 59S- 603).
1) Das Regenerationsverfahren ist, in grossartigem Massstabe ausgeführt, für die An-
wohner oft sehr belästigend, weil der Schwefelgehalt der Masse bei stärkerer Er-
hitzung Anlas? zur Entwicklung von schwefliger Säure gibt. Benutzt man beson-
dere Trockenräume, so darf man die Masse nicht auf Haufen schütten, sondern
muss sie möglichst gleichmässig ausbreiten : dabei stelle man eine Verbindung mit
dem Schornstein her, um die etwa auftretende schweflige Säure mit den Rauchgasen
abzuleiten.
Eine andere Belästigung für die Anwohner entsteht leicht bei einer unzweck-
mässigen Behandlung der Aufsteigeröhren, wenn sich die Theerproducte an-
gesammelt haben und dem Durchgange des Gases hinderlich sind: sucht man die-
selben nämlich durch Einführen von glühenden Staugen wieder frei zu machen,
so entwickelt sich ein höchst unangenehmer Qualm, der überall Russ ablagert und
in vielfacher Beziehung den Anwohnern zur Qual wird. Dieses sog. .Ausbrennen-
ist auch mit Feuersgefahr verbunden und sollte gar nicht geduldet werden. Man
soll die Aufsteigeröhren stets nur auf mechanischem Wege durch Auskratzen u. s. w.
reinigen.
2) Böhm im Chem. Centralbl. No. 48 1873.
3) Eulenberg's Lehre u. s.w., S. 159.
•4) Die Beziehung der Luft zur WohnuDg u s.w., p. 87.
Aehnliche Beobachtungen haben gemacht: deChaumont (Lancet, 25.0ct. 1873),
Jacobs (Berliner klin. Woehensehr. No. 27 1874), Taylor (Edinb. med. Journ.,
July 17. 1874).
Leber die Erlaubniss zur Benutzung der Chausseen und öffentlichen Strassen
zum Einlegen von Röhren handelt ein Erlass des Ministers für Handel u. s.w. vom
4. März 1857. Ueber sonstige Bedingungen vergl. man auch Ministerialbl. 1856,
5. 72-97.
5) Diehl und Jelgen: Gasbeleuchtung und Gasverbrennung. Iserlohn 1S72.
Der hydrostatisch-galvanische Gas-Anzünder von Klinke rfues (Journ. f. Gas-
beleuchtung 1872, p. 9) ist zu complicirt, um Eingang zu finden. Mehr Beifall
findet der pneumatisch-elektrische Entzündungsapparat von B eau (Deutsche Indust.-
Zeitung 1875 p. 473, Wagners Jahresber. 1874 p. 1097).
Gl Ammoniak im Leuchtgase ist besonders in Seidenfabriken sehr nachtheilig,
da es alle seidene Stoffe angreift.
7i Sindermann (Deutsche Industriezeitung 1875, p. 157) hat Leuchtgas aus Fäcal-
massen dargestellt, wobei das Tonnensystem erforderlich ist. Eine an Calcium-
phosphat reiche Kohle bleibt, während* Ammoniakwasser, Fett und Theer ge-
wonnen wird. Das Verfahren scheint aber nach Troschel (Journ. f. Gasbeleucht.
1^75. p. 510) nicht rentabel zu sein, da die Qualität des Gases nicht die des
Steinkohlengases erreicht, auch der Preis desselben wegen der grössern Anlagen
weit höher ist.
Darwin (Ber. der Deutsch, chem. Ges. 1S75. p. 169) mengt den durch Fällen
von Cloakenflüssigkeit mit Kalk erhaltenen Niederschlag mit Petroleum und ver-
arbeitet ihn auf Lenchtgas.
Bekanntlich werden die Rückstände beim Raffiniren des Petroleums zur Gas-
Leuchtgas. 375
erzeugung benutzt. Die hierzu erforderlichen Apparate haben Hirzel und
Riedinger angegeben.
Das Petroleumgas eignet sich sehr gut zur Erhöhung der Leuchtkraft eines
gerin gwerthigen Gases. Schon S. 360 ist von den bei der Gasificirung auftretenden
Gasen die Rede gewesen; es genüge daher, hier nochmals auf die Notwendigkeit,
das Gas mit Kalk zu reinigen, hinzuweisen, obgleich die Benutzung des Petroleum-
gases noch nicht sehr verbreitet ist. Auch soll man sorgfältig darauf achten, dass
die Retorten erst nach dem vollständigen Erkalten entleert werden, widrigen-
falls höchst belästigende Gerüche entstehen. Der Gasometer darf niemals mit
der Feuerung in einem Räume liegen; am allerwenigsten darf man unterirdisch über-
wölbte Räume wählen. Auch die für den Gasometer bestimmten Cisternen müssen
ganz wasserdicht sein, damit nahe gelegene Brunnen nicht verdorben werden.
8) Jede trockne Destillation ist im Allgemeinen mehr oder weniger mit Belästigung
für die Nachbarschaft verbunden. Ausser dem Ausbrennen der Aufsteigeröhren
ist auch das Ablöschen der Koks (s. S. 340) zu erwähnen, welches niemals in
der Nähe bewohnter Häuser vorgenommen werden sollte.
Häufig wird das Ammoniakwasser in den Leuchtgasfabriken selbst bearbeitet;
dann sind auch hier die bereits erwähnten Vorsichtsmassregeln (s. S. 227) anzu-
wenden. Der Gaskalk darf niemals im Fabriklocal, namentlich nicht im Retorten-
hause, aufgespeichert werden; es sind stets besondere Räume mit wasserdichtem
Fussboden hierzu erforderlich. Beim Lagern im Freien kann er durch den Regen
ausgelaugt werden und dann leicht Anlass zum Verderben der benachbarten Brunnen
geben.
Auch der Gasometer sollte in einem besondern, gut ventilirten Gebäude liegen,
um namentlich die Einwirkung des Frostes auf das Gaswasser zu verhüten; ebenso
muss der für den Gasometer bestimmte Raum von allen Seiten zugängig sein,
damit bei einem Brandunglück die Löschapparate zweckmässig aufgestellt werden
können. Das betreffende Gebäude darf des Abends nur mit der Davy 'sehen
Sicherheitslampe betreten werden, die auch in allen übrigen Räumen zu verwenden
ist, in denen man das Auftreten von Leuchtgas zu befürchten hat; es ist dabei
stets das grösste Gewicht auf die vollständige Condensation der Gase und Dämpfe
sowie auf die möglichste Dichtigkeit der Destillationsapparate zu legen, was auch
durch die Rücksicht auf das Wohl der Arbeiter erfordert wird, um Unglücksfälle
durch Gasvergiftung zu verhüten. Meist ist namentlich das Retortenhaus so ge-
räumig, dass von einer nachtheiligen Einwirkung der Hitze oder des Staubes auf
die Arbeiter kaum die Rede sein kann.
Rectification des Steinkohlentheers (S. 604— 605).
1) Lunge: Destillation und Verarbeitung des Steinkohlentheers. Braunschw. 1867.
Manouvriez: Malad, et hyg. des ouvr. travaill. ä la fabric. de, houille et de brai-
Annal. d'hyg. publ. 1876, p. 459.
Die aromatischen Körper (S. 606 — 623).
1) Die Umwandlung von Nitrobenzol in Anilin durch den thierischen Organismus
wird von manchen Autoren (Guttmann) in Abrede gestellt, kann aber durch
das Experiment nachgewiesen werden. Wie es scheint, ist dies bei Vergiftungen,
die einen raschen letalen Ausgang haben, weniger möglich als bei solchen von
längerer Dauer.
Die Spaltung von Nitrobenzol in Pikrinsäure gab sich schon durch die höchst
auffallende gelbe Färbung der Schleimhaut des ganzen tractus intestin. kund und
wurde wahrscheinlich durch den langsamen Verlauf der Vergiftung mit bedingt.
2) Starkow: Zur Toxikologie der Benzingruppen in Virchow's Arch. 1871, p. 464.
3) Die Literatur über Vergiftungen durch Nitrobenzol ist sehr reich; man vergl.
namentlich: Schenk (Viertel] ahrsschr. f. gerichtl. Medic. 1866, p. 374), Lehmann
(loc eod. 1870, 1. Heft), Kreuser (Würtemb. medic. Correspondenzbl. No. 36,
Bd. 37, p. 207), Riefkohl (Deutsche Klinik No. 18, p. 49, 1868), Bruglechner
(Bayer, ärztl. Intelligenzbl. XXII. 1. 1875).
4) Der Branntweingenuss muss deshalb in allen Fabriken, m denen Nitrobenzol
fabricirt oder verwendet wird, streng verboten werden. Erfahr ungsgemäss hat
sich derselbe auch überall als schädlich herausgestellt.
5) Heibig (Deutsche Militairärztl. Zeitung 1, p. 36, 1873) berichtet über 18 Soldaten,
die aus Versehen Nitrobenzol statt Branntwein getrunken hatten, cf. Schumacher
u. Spängier (Wiener Wochenschr. No. 12, p. 230, 1875). Jüdell: Die Vergiftung
durch Blausäure und Nitrobenzol in forens. Beziehung u. s. w., Erlangen 1876.
876 Die aromatischen Körper.
G) Americ. Journ. of med. scienc, July 1865.
Ti Machin in Med. Times and Gaz, March 7, p. 220, 1868; Jahresber. I., p. 339, 18G8.
Köhler im Würtcuib. medic. Correspondenzbl. No. G u. 7, 1872.
Hoppe-Seyler im Arch. f. d. ges. Phys. 1872, p. 470.
8) Berl. klin. Wochenschr. vom 22. Dec. 1873.
Hoffmann, W.: Beiträge zur physiologischen Wirkung der Carbolsäure. Dissert.
Dorpat 1866.
9) So theilt Schwarz (Vierteljahrsschr. f. ger. Medic, 19. Bd., p. 329, 1873) einen
Vergiftungsfall mit, iu dem statt Carlsbader Wasser Carbolsäure getrunken wurde.
Jeffreys und Hainworth in Med. Times and Gaz. 1871, No. 1085. Centralbl.
f. med. Wisseusch. No. 33, 1871.
10) Bert u. Jolyet, Gaz. med. de Paris No. IG — 19 1872. Schmidt's Jahrb., 1G1. Bd.,
No. 3, p. 236.
Salkowski im Arch. f. d. ges- Physiol., V. Bd. p. 335, 1872.
11) Ueber die Wirkung der Carbolsäure bei verschiedenen Thieren vergl. man
Husemann, Deutsche Klinik No. 32 — 46, 1871. Derselbe empfiehlt Calcaria
saccharata als Antidot, ein Mittel, welches höchst widerlich schmeckt und leicht
Erbrechen erregt.
Neumann, Isidor, in der Wiener med. Wochenschr. No. 35, 1867.
12) Ausführlich handelt hierüber Lemaire: De l'acide phenique, de son action, etc.
Paris 1863.
13) Genaueres über die Einwirkung der Phenolfarben berichten Eulenberg und
Vohl: Ueber den schädlichen Einfluss der Theerfarben. "Vierteljahrsschr. f. ger.
Med., XII. Bd. p. 300, 1869.
Ueber verschiedene Ansichten hinsichtlich der Wirkung des Corallins vergl. man
Tardieu (Annal. d'hyg. publ., Avril 18G9), welcher 8 Fälle mittheilte, in denen
durch das Tragen von mit Corallin gefärbten Strümpfen ein Bläschenausschlag an den
Füssen entstand. Da die Versuche an Thieren die Giftigkeit dieses Corallins heraus-
stellten, so war das Präparat jedenfalls unrein.
Laudrin, Bourgongnon und Guyot erklären das reine Corallin ebenfalls für
angiftig. Compt. rend., T. 68, No. 26, 69, p. 388.
Hinsichtlich des Eosins ist zu erwähnen, dass man schon mit der Darstellung
desselben im Grossen begonnen hat. Die Phthalsäure wird zunächst in der
Fabrik dargestellt (s. S. 648) und das Resorcin (s. S. 618) durch Schmelzen von
Harzen, namentlich Galbaumharz, mit Kaliumhydrat gewonnen. Seine Darstellung
aus Phenol unterliegt noch vielen Schwierigkeiten und werden die ersten Ver-
suche noch mit Geldopfern verknüpft sein. Es lässt sich noch nichts Bestimmtes
aber die sanitäre Seite dieser Fabrication sagen.
Von dem Phenylbraun ist noch das Phenylen- oder Bismarckbr aun zu
unterscheiden, das sich bei Einwirkung von salpetriger Säure auf salz saures
Diamidobenzol bildet (s. S. 623 u 634).
14) Beneke, Berthold, im Centralbl. f. d. med. Wissensch. No. 4, 18G5.
15) Pariset: Propriete therap. de l'acide picrique et special de son emploie comme
succedane du sulfate de quinine. These. Paris 1868.
Pariset beobachtete bei Fröschen, die schon durch 1 Ctgrm. in wenigen Stuuden
getödtet wurden, ein Aufhören der Herzschläge vor dem Erlöschen der Mo-
tilität und Sensibilität. Pikratisation nennt er den Zustand, der sich durch
Nierenreizung, einen orangegelb bis blutroth gefärbten Urin, Verminderung der
Urinsecretion, einen Pseudoicterus auszeichnet und sich nach der Grösse der Gabe
(ca. 5 Ctgrm., 1 Decgrm., 1% — 2 Decgrm.) in 14, 8, 5 oder 2—3 Tagen aus-
bilden kann.
Aeltere Beobachtungen über die Giftigkeit der Pikrinsäure rühren von Rapp
und Föhr her: Dissert. de effect. ven. mat.-amar. Weltheri. Tübingen 1827. Sie
fanden, dass Hunde durch 10 Gran in 1 — 2 Stunden zu Grunde gingen.
Seitz (Deutsche Klinik No. 40, 1855) und Erb (Die Pikrinsäure, Würzburg 1865)
haben mehr die Pikrinsäuren Alkalien berücksichtigt. Nach letzterm Beobachter
vertrugen Kaninchen von pikrinsaurem Kalium 1 Gran (0,06 Grm.) längere Zeit
ohne Nachtheil, während sie bei einer Dosis von 0,18 Grm. durch Inanition zu
Grunde gingen. 0,5 — 0,6 Grm. tödteten die Kaninchen binnen 24 Stunden. Kräftige
Menschen können längere Zeit 0,5 — 0,9 Grm. ohne Schaden nehmen, während
Kinder nach 0,5 Grm. in Erbrechen, Appetitlosigkeit und Mattigkeit verfallen.
Beneke nahm selbst 0,9 Grm. pikrinsaures Kalium binnen 11 Tagen und litt
dann an Kolikschmerzen und reichlicher Diarrhoe. Als er später binnen 6 Tagen
7,50 Grm. mit Opium genommen hatte, bildete sich am 5. und 6. Tage ein voll-
ständiger Icterus aus, zu dem sich starkes Hautjucken und das Gefühl höchster
Ermüdung gesellte, so dass von weitern Versuchen Abstand genommen werden
Anilin. gyy
musste. In dem dunkelbraunen, fast schwarzbraunen Urin konnte keine Pikrin-
säure nachgewiesen werden.
Bei der fabrikniässigen Darstellung der Pikrinsäure ist immerhin auf die Un-
schädlichmachung der Dämpfe die grösste Sorgfalt zu verwenden, da ausser der
salpetrigen Säure, stets die mit den Wasserdämpfen sich verflüchtigende
Pikrinsäure in Betracht kommt, worauf wiederholt aufmerksam zu machen ist.
Was die Condensation der Dämpfe betrifft, so gilt in diesem Puncte überall
das bei der Salpetersäure (S. 251— 252) Hervorgehobene. Je grösser der Fabrik-
betrieb ist, desto sorgfältiger hat man daher auch die Absorption resp. Con-
densation der Dämpfe im Auge zu behalten, zu welchem Zwecke sich, wie bei
der Salpetersäure, ganz besonders Vorlagen von Steingut in Form der
Wo ulf sehen Flaschen eignen. Auch sind die Glasretorten immer mehr den
Retorten von Steingut gewichen, so dass letztere gegenwärtig bei der für die
Technik zu verwendenden Pikrinsäure fast ausschliesslich benutzt werden. Zur
Erhitzung bedient man sich statt der directen Feuerung mehr des Wasserbades.
16) Ferrand: Falsification de la biere par l'acide picrique im Journ. de chim. med.,
Fev., p. 85. Jahresber. I. p. 340, 1868.
17) Annal. d. Chem. u. Pharmac , 58. Bd. p. 244, 1871.
18) Per sonne in Compt. rend. 740, 1869.
19) Jüdell, G.: Ueber das Verhalten der Pyrogallussäure im Organismus in Hoppe
Seyler's med.-chem. Unters, 3. Heft p. 419, Berlin 1868.
20) So werden Respirationsbeschwerden, namentlich Katarrhe, bald auf Anilin-, bald
auf Nitrobenzoldämpfe zurückgeführt. Beide Arten von Dämpfen entfalten aber
keine auffallenden Symptome von Reizung der Respirationswege; nur Brust-
beklemmung ohne Husten gehört zu den charakteristischen Symptomen der
Anilindämpfe, während Nitrobenzoldämpfe nur in den schwersten Fällen
Dyspnoe erzeugen.
Wo Reizungen der Brustorgane auftreten, muss man ganz besonders die Fabri-
cation der Salpetersäure, wenn diese in Nitrobenzolfabriken selbst dargestellt wird,
im Auge behalten. So konnte in einem concreten Falle das Eintreten von Asthma,
an welchem ein in der Nähe einer Nitrobenzol- resp. Anilinfabrik wohnender Mann
litt, weit eher mit den bei der Fabrication der Salpetersäure sich sehr stark ent-
wickelnden salpetrigsauren Dämpfen in Verbindung gebracht werden, als mit der
Fabrication von Nitrobenzol, obgleich auch hierbei die mögliche Verflüchtigung
der salpetrigsauren und salpetersauren Dämpfe im Fabrikraum sehr zu berück-
sichtigen ist (s. S. 609). Im letztern Falle werden aber mehr die Arbeiter als die
Adjacenten geschädigt.
Häufig wird auch der von Macken zie (Med. Times and Gaz., March 1862,
Schmidt's Jahrb., 114. Bd. p. 300) veröffentlichte Fall als ein Beitrag zu der schäd-
lichen Wirkung der Anilindämpfe betrachtet. Der betreffende, in halber Be-
wusstlosigkeit vorgefundene 18jährige Arbeiter hatte zwar in einer Anilinfabrik
gearbeitet, aber seine Kleider und sein Körper roehen stark nach Benzol, so dass
die Annahme einer schädlichen Einwirkung der Benzoldämpfe viel näher liegt.
Diese Fälle sollen nur zur Illustration der Thatsache dienen, wie vorsichtig man
in der Beurtheilung der Schädlichkeiten von gewerblichen Einflüssen sein muss
und wie sorgfältig der Arzt die Wirkung der verschiedenen Agentien, die hier zur
Einwirkung gelangen, von einander halten muss.
21) Ueber die Wirkung von Anilin vergl. man: Schuchardt in Virchow's Archiv,
20. Bd., 5. u. 6. Heft 1861; Ollivier und Bergeron im Journ. de Physiol. 1863,
p. 368; Knaggs in Med. Times, Juni 7. 1864; Daendliker im Jahresber. des
Cantons Zürich 1862, p. 118: K reu s er im Correspondenzbl. f. gem. Arb., Juh 1864:
Turnbull in Annal. de Therap. 1863; Letheby in Brit. and For. med. chim.
rev., Oct. 1863: Sonnenkalb: Anilin und Anilinfarben. Leipzig 1864.
22) Ueber die Wirkung von Anilin auf die Circulation hat Hirt (Die gewerblichen
Vergiftungen. Leipzig 1875, p. 91. 3. Th. der Krankheiten der Arbeiter) spedelle
Versuche an Thieren angestellt.
23) Laillier: Vergiftung mit salzsaurem Anilin (L'Union 67, 1873). Es waren Com-
pressen, getränkt mit ca. 50 Grm. Lösung von 10%, auf den mit Psoriasis behaf-
teten Vorderarm gelegt worden. Es entstanden darnach Erbrechen, Incontinenz
der Blase, choleraähnliches Aussehen ohne Diarrhoe und sehr stark ausgeprägte
Cyanose.
24) Jaffe (Berl. klin. Wochenschr. No. 21 1873, Archiv f. esperiment. Pathol. lb<4,
Bd. 11, p. 6) hat das salpetersaure Diazobenzol bei Kaninchen geprüft.
0,03—0,5 Grm. tödteten nach einer subcutanen Iniection unter allen Erscheinungen
der Asphyxie mit terminalen allgemeinen Convulsionen. Die Todesursache sucht
er in reichlicher Gas- resp. Stickstoff entwicklung im Herzen und in den Gelassen.
878
Toluol.
Es fragt sich aber, ob nicht Phenol einen grössern Antheil an der "Wirkung hat.
Salpetersanres Diazobenzol heisst auch Knallanilin, da es durch Erwärmen
noch leichter als Knallquecksilber explodiren soll.
25) Safranin wird auch A nilinrosa oder Anilinpink genannt. Seine sämmtlichen
Salze charakterisiren sich dadurch, dass sich die rothbraune Farbe durch
Schwefelsäure in eine violette verwandelt, die mit der Vermehrung der Säure
tiefblau wird, um dann in Dunkelgrün und Lichtgrün überzugehen. Mauvein
kann man für phenylirtes Safranin halten, dessen Formel C27H04N4 als gleich
C8iH19(C6H5)N4 zu betrachten ist.
Toluol (S. 603-638).
1) Kolbe im Journ. f. prakt. Chemie, Bd. 10, p. 89, 1874.
v. Heiden in der Deutschen Vierteljahrsschr. f. öffentl. Gesundheitspfl., 6. Bd.,
3. Heft 1874, p.539
Phenol und Kohlensäure C6H5(OH) -+- C03 ist = C6H4(OH)C02H od. CrH603,
d. h. Salicylsäure.
Nach Kolbe löst man in käuflicher starker Natronlauge so viel krystallisirtes
Phenol, dass Natron und Phenol sich gradezu absättigen. Nach dem Eindampfen
erhitzt man die resultirende teigige Masse bis zur staubigen Trockne. Das ent-
standene Product (Phenolnatrium C,;H5ONa) wird in einer metallenen Retorte
mittels eines Oelbades langsam unter beständiger Einleitung von trockner Kohlen-
säure bis auf 180° erhitzt. Bei dem chemischen Vorgange wird die Hälfte des
Phenols unter Bildung von salicvlsaurem Natrium regenerirt:
•2C6HsONa + C02 = C6H4(ONa)C02Na + C6H5OH.
Auf Zusatz von Salzsäure wird die Salicylsäure frei, welche durch Um-
krvstallisiren gereinigt wird. Sie ist in kaltem Wasser schwer, in heissem ziem-
lich leicht löslich und bildet als Methylätlier den Hauptbestandteil des Winter-
greenöls (Oel aus Gaultheria procumbens). Sie ist eigentlich eine einbasische
Säure, aber zugleich ein Phenol und vereinigt sich daher mit einer starken Base.
Bei der Destillation mit Kalk zerfällt sie wieder in Kalk und Kohlensäure.
Die der Salicylsäure nahestehende Benzoesäure gewinnt immer grössere
technische Bedeutung und wird in grossen Mengen aus dem Rinderharn dargestellt.
Auf die Verkohlung und die Behandlung mit Schwefelsäure folgt die Sublimation,
Proceduren, welche in sehr gut geschlossenen Apparaten stattfinden müssen. Trotz-
dem ist eine Belästigung für die Anwohner nicht zu vermeiden und sollte die
Fabrication gleich der Blutlaugensalzfabrication nur an einsamen, von menschlichen
Wohnungen entfernt liegenden Orten gestattet werden.
2) GirardetdeLaire: Traite des derives de la houille applicables ä la produetion
des matieres colorantes. Avec 12 planches gravees ä 1 echelle representant les
appareils employes ä la fabrication. Paris 1873.
Wurtz: Progres de Tindust. des matieres colorantes artific Paris 1876.
Ueber die giftigen Eigenschaften der Anilinfarben s. Bergmann in Prag. Viertel-
jahrsschr., p. 109 1865.
3) Die grössten Schwierigkeiten bereiten die Arsenrückstände der Auilinfarbenfabriken
Eine Untersuchung derselben aus 6 Fabriken ergab folgendes Resultat:
-fci
-s "£ -'
'3 '", ~
gjo
Enthält Arsenverbin-
■3
M
a
F— 1
'-
Aussehen.
"So u J3 s "—
-§2 «
0 c3 tc
düngen
gelöste
Arsen-
ungelöste
Arsen-
Zu-
sammen
~-
S p a
g«
säure
säure
1
roth mit rÖthlichem
Bodensatz . .
neutr. —
20Grm
1,66
4,07
5,73
2
blaugrüu m. grünem
1 nicht be-
Bodensatz . .
sauer 1 7,3
1,H„
0,1
f stimmt.
—
3
dunkelgrün m. wenig
Bodensatz . .
sauer 20,0
6,2 „
0,26
dito.
—
4
gelblich mit reichl.
1 schw.
} nicht
Bodensatz . .
(sauer
(best.
60,0 „
2,7
0,9
3,6
5
braun mit wenig
1 nicht be-
Bodensatz . .
sauer
52,4
6,4 „
18,0
[ stimmt.
—
6
tiefroth mit reich-
1 iichem Bodensatz
sauer
26,6
56,0 „
7,4
4,8
12,2
Anilinfarben. 379
Den durchschnittlichen Gehalt der Effiuvien an Arsen kann man auf \% fest-
setzen. Es entsteht nun die schwierige Frage: welcher Behandlung sollen dieselben
unterworfen werden ? Das hierbei bisher beobachtete Verfahren variirt sehr; viele
Fabriken, die an grössern Flüssen, z.B. am Rhein und Main, liegen, haben schon
seit Decennien den directen Abfluss in die Wasserläufe bewirkt, ohne dass bis
jetzt ein nachweisbarer Schaden daraus erwachsen ist; wenigstens sind noch nie-
mals Vergiftungen durch den Genuss von Rhein- und Mainwasser bekannt ge-
worden, wobei aber immerhin andere, weniger in die Augen fallende Gesundheits-
schädigungen vorgekommen sein können.
Die Ursache dieser auffallenden Erscheinung ist nur in dem Eisengehalt der
Flüsse_ zu suchen; es bildet sich bald Arseneisen, welches sich wegen seiner
Unlöslichkeit niederschlägt. Erfahrungsgeniäss findet man stets im Schlamm der
genannten Flüsse Arseneisen.
Im Regierungsbezirke Düsseldorf, in welchem sehr bedeutende Anilinfabriken
im Betriebe sind, ist der directe Abfluss der arsenhaltigen Abfallwässer nicht ge-
stattet; sie müssen in wasserdichten Reservoirs aufgespeichert und unter Kalk-
zusatz eingedampft werden.
Mit welchen Schwierigkeiten dies Verfahren verbunden ist, geht aus der That-
sache hervor, dass in grossen Fabriken jährlich 1000 Centner arsenige Säure ver-
braucht werden. Von 130—150,000 Liter täglicher Abfallwässer sind wenigstens
30 — 50,000 Liter arsenikalische Laugen.
Es würde immer einem grossen Bedenken unterliegen, diese ganze Masse den
Flüssen zu überliefern; unter allen Umständen sind deshalb Sammelbassins
zur Aufnahme der arsenikalischen Laugen geboten. Durch Zusatz von
Kochsalz könnte man noch viel Farbstoff gewinnen; man scheut aber die hierauf
zu verwendende Arbeit. Man begnügt sich daher meist mit dem Kalkzusatz,
sammelt den Niederschlag und lässt die überstehenden Flüssigkeiten abfliessen.
In mehreren Fabriken am Oberrhein werden angeblich die arsenikalischen
Kalkniederschläge nach Holland versandt und in das Meer versenkt. Wer
vermag aber dieses Verfahren zu controliren? Die nach der Behandlung mit Kalk
zurückgebliebenen Flüssigkeiten werden immer noch arsenhaltig sein. Ob ihr
freier Abfluss keine Gefahr in sich schliesst, kann nur mit Berücksichtigung der
localen Verhältnisse, namentlich der Grösse des Wasserlaufes, welcher sie aufzu-
nehmen hat, beurtheilt werden. Im Hinblick auf die oben angeführte Thatsacke,
dass sich bald unlösliches Arseneisen bilden wird, braucht man in diesem
Puncte nicht gar zu ängstlich zu sein, namentlich wenn es sich um einen Strom,
wie der Rhein ist, handelt, dessen tägliche Wassermenge auf ca. 5000 Hill. Kubik-
fuss geschützt werden kann.
Im Regierungsbezirk Düsseldorf haben die Fabricanten ein Consortium gebildet,
welches für die Regeneration der arsenikalischen Rückstände eine besondere Fabrik
errichtet hat. Wegen des hierbei zu beobachtenden Verfahrens s. S. 295.
4) Price (Ber. der Deutsch, ehem. Gesellsch. 1874, p. 1028) schlägt zur Wieder-
gewinnung der Arsensäure statt des Kalkes Ammoniakflüssigkeit vor, um
durch Abdestilliren des Ammoniaks zunächst die arsenige Säure wieder zu ge-
winnen und diese dann in bekannter Weise in Arsensäure überzuführen.
5) Eulenberg's Medicinalwesen, p. 119.
6) Die erste Fabrik dieser Art wurde in Deutschland von der Firma Meister, Lucius
u. Brüning zu Höchst a. M. errichtet.
7) Es würde jedenfalls wünschenswerther sein, wenn statt des umständlichen Um-
stürzens des Digestors sein Inhalt am Boden durch ein Rohr abgelassen werden
könnte.
8) Bei der Fabrication von Anilin blau treten weniger sanitäre Bedenken auf, Tveil
als Rohmaterial hauptsächlich das durch den Fabricationsprocess von der größten
Menge des Arsens befreite Fuchsin neben den genannten nicht gefährlichen
Chemikalien zur Anwendung kommt. In einem Kilogramm der violetten
Masse können übrigens noch 0,47 Grm. arsenige Säure enthalten sein. Die beim
Anilinblau entstehenden sehr farbigen Abgänge können nur durch Ableitung be-
seitigt werden, da sie oft täglich, wie beim Fuchsin, ca. 150,000 Liter betragen.
Sammelbassins sind nothwendig, wenn bei kleinern Flüssen der Abfluss nur
während der Nacht stattfinden muss. Kalkzusatz schlägt noch einen Theil des
Farbstoffes nieder.
Göttisheim: Anilinfarbenfabrication. Deutsche Vierteljahrsschr.,5. hä. 4.Hett, 187d.
9) Unter den verschiedenen Chemikalien stehen die ätherischen Mittel m ihrer
Wirkung auf den Organismus gewiss in erster Reihe. Man sollte sie weit mehr
als bisher beachten; wenn sie auch nicht lebensgefährlich einwirken, so ist doch
die immer wiederkehrende Einwirkung nicht ohne Einfluss auf das Wohlbefinden.
880 Kohlenwasserstoffe.
Es können mehr oder weniger ähnliche Zustände entstehen, welche man auch bei
der missbräuchlichen Vorwendung von Aether, Chloroform u. s. w. beobachtet:
namentlich macht sich unter denselben die Abnahme des Gedächtnisses bemerkbar.
10) Unter den Aethern nimmt das Methylnitrat in technischer Beziehung eine
wichtige Stelle ein. Glücklicherweise kommt die Sorge für die Feuersgefahr auch
den Arbeitern zu Gute, da zur Verhütung derselben die sorgfältigste Condensation
der Dämpfe stattfinden muss.
11) Die Menge des Arsens im Fuchsin schwankt sehr und zwar von 0,25—6,5 und
sogar 10 %. Die damit gefärbten Zeuge enthalten aber durchschnittlich wenig
Arsen. Springmühl (Musterzeitg. No. 11, 1872) konnte in 1 Quadratfnss Wolle
etwa 0.0001 Grm. Arsen nachweisen. Etwas Bestimmtes lässt sich aber hierüber
nicht feststellen, wenigstens lehrt die Erfahrung, dass eine reizbare Haut von
solchen Stoffen sehr irritirt werden kann Man hat neuerdings in violett gefärbten
Batistroben aus Elsass'schen Fabriken so bedeutende Mengen Arsen gefunden,
dass man bei ihrer Bearbeitung nicht bloss Entzündung der Haut und Ausschläge,
sondern auch Uebelkeit. Magen- und Leibschmerzen u. s. w. beobachtet hat (Pharm.
Centralhalle, 16. 344, 1875).
12) Annal. d'hyg. publ., Oct, T.XX. p. 281, 1863.
13) Es ist hier noch zu erwähnen, dass bei der Bearbeitung der harzigen Rück-
stände noch vielfache chemische Processe vorkommen, die hier wegen ihrer
Complicirtheit nicht mitgetheilt werden können. Ein Farbstoff, welchen man
Inulin nennt, da er in vielen Fällen wie Indigo benutzt werden kann, wird am
häufigsten durch Einwirkung von Schwefelsäure auf diese Rückstände gewonnen.
14) In manchen Fabriken besteht die Einrichtung, dass den Arbeitern vorn geschlos-
sene Unterhosen geliefert werden, um das unnöthige Betasten der Genitalien zu
verhüten und bei Befriedigung eines Bedürfnisses zur vorhergehenden Reinigung
der Hände zu nöthigen.
Es ist hier hervorzuheben, dass Cichorienfabriken denselben unangenehmen
süsslichen Geruch wie die Anilinfarbenfabriken verbreiten, da beim Rösten der
Wurzeln ausser den Producten der Caramelisirung auch die dem Anilin
homologe Basen, Picolin. Lutidin u s. w., auftreten. Dabei schlagen sich die
Dämpfe" auf allen Gegenständen mit gelber Farbe nieder und selbst das von den
Dächern abüiessende Wasser färbt sich braun: man sollte daher solche Fabriken
in Städten nicht dulden. Bei der Verpackung der Cichorien werden häufig mit
schädlichen Metalloxyden gefärbte Papiere verwendet.
Thymol (S. 640).
Lewin, L. : Thvmol als antiseptisches und antifermentatives Mittel. Med. Centralbl.
1875. p. 324. Chem. Centralbl. 1875, p. 359.
Die Versuche ergeben, dass Thymol zu den besten Antisepticis zu rechnen ist.
In technischer Beziehung ist hier nur zu erwähnen, dass ein geringer Zusatz von
Thymol zu Leim- oder Gummilösungen die Fäulniss für 4 — 5 Monate und noch
länger absolut aufhebt.
Ueber die Wirkung der Desinfectionsmittel im Allgemeinen vergl. man
noch Erismann in der Zeitschr. f. Biol. XL, p. 207.
Naphtalin (S. 640-644).
1) Ballö: Das Naphthalin und seine Derivate in Beziehung zur Technik u. Wissen-
schaft dargestellt. Braunschweig 1870.
Anthracen ( S. 644—646).
1) Auerbach. G. : Die Anthracenfabrication und seine Derivate. Berlin 1873.
Picolinbasen (S. 646—648).
1) Deutsch in der Preuss. Vereinszeitung 1851 No. 8.
cf. Vohl u Eulenberg in der Vierteljahrsschr. f. ger. Med., XV. Bd. 1871, p. 249.
Kamp her (S. 648).
1) Journ. f. Kinderkrankheiten von Hildebrandt u. Behrend, 23. Jahrgg. 1865,
9. u. 10. Heft.
Aetherische Oele (S. 648-650).
1) Ueber die Wirkung der Terpentinöldämpfe schrieben: Liersch (Vierteljahrsschr.
Kautschuk. Tabaksindustrie. 881
f. ger. Med., 23. Bd., p. 232, 1862), Chevallier (Annal. d'hyg. publ., p. 95, 1863),
Hirt (Die Gasinhalations-Krankheiten, p. 174).
_ Unter den verschiedenen Terpentinölsorten entwickelt das französische Terpen-
tinöl jedenfalls die intensivste .Virkung. Die mitgetheilten Versuche bezweckten
vorzüglich diesen Nachweis. Ausserdem spielt aber beim Terpentinöl die Idio-
synkrasie eine grosse Rolle; namentlich sind es sehr empfindliche, sog. hysterische
Frauen, welche durch die Dämpfe des Terpentinöls sehr afficirt werden : meist sind
es Frauen, die überhaupt keine starken Gerüche, auch keine Wohlgerüche ver-
tragen. Es sind grade die Kohlenwasserstoffe, welche auf die Nervencentren
solcher Individuen eine aussergewöhnliche Wirkung äussern.
Unzweifelhaft irritiren die Dämpfe die verschiedenen Schleimhäute: Augenent-
zündungen, Kratzen im Halse und Hustenreiz können die Folgen sein. Es ist mög-
lich, dass hierbei schon die reizende Wirkung von Ozon betheiligt ist (s. S. 827).
Unbegründet ist aber die Annahme, dass bei einem terpentinhaltigen Bleianstrich
auch Bleitheilchen mit fortgerissen werden.
2) Blei weiss wird niemals zu weissem Siegellack genommen, da sich beim Ver-
brennen Bleioxyd bilden würde, welches die Masse gelb färbt.
Kautschuk (S. 650—652).
1) Lüdersdorf: Das Auflösen und Wiederherstellen des Federharzes zur Darstellung
luft- und wasserdichter Gegenstände. Berlin 1832. Von Lüdersdorf rührt die
erste Idee des Vulcanisirens her.
2) Neuerdings setzt man die incorporirten Gegenstände nur heissen Wasser-
dämpfen aus, da die Lösungen von Schwefelkalium den Arbeitern zu grosse Be-
lästigungen bereiten.
Das Incorporiren mit Zinkweiss, namentlich bei den Kinderspielzeugen, ver-
dient noch alle Beachtung, abgesehen von den schädlichen Farben, welche man
hierbei benutzt. Die Kautschuk- Saughütchen enthielten früher stets Zink und
Bleiweiss: Verf. vermochte in einem Falle 13,5% Bleiweiss nachzuweisen (siehe
Eulen berg in Pappenheim's Monatsschr., 3. Heft 1862, S. 33 u. 35, 1861 2. Heft
S 114; Preuss. Vereinszeitung No 18, 1862).
3) Die Wirkungen des Schwefelkohlenstoffs in Kautschukfabriken machen sich weniger
geltend, seitdem Petroleumbenzin vorherrschend gebraucht wird: Zustände, welche
Delpech geschildert hat, kommen fast gar nicht mehr vor.
A. Delpech: Memoire sur les accidents que developpe chez les ouvriers^ en
caoutchouc l'inhalation du sulfure de carbone en vapeur: travail presente ä
l'Academie de medecine. Paris 1856. (conf. Annal. d'hyg. publ. 1863.)
4) Payen's Lehrb. d. techn. Chemie, S. 196.
5) Die Verwendung des Kautschuks ist so mannigfaltig, dass die Gegenstände, die
aus demselben angefertigt werden, kaum namhaft zu machen sind.
Proteinkörper (S. 653—654).
1) Camp über Albumindarstellung in Dingler's polyt. Journ., 204. Bd., p. 56.
2) Risch, Theodor: Ueber Schlachthäuser und Viehmärkte Berlin 1866.
Pauli: Ueber Schlachthäuser in der Viertel] ahrsschr. f. gerichtl. Medic, 20. Bd.,
S. 339, 1874.
3) Eulenberg's Medicinalwesen, S. 236.
Tabaksindustrie (S. 657 — 659).
1) Vohl u. Eulenberg: Ueber Tabaksrauch in toxikol. Beziehung. Viert eljahrsschr.
f. gerichtl. Medic, XV. Bd., 1871, p. 249. Picolin, Collidin, Pyridin und
Parvolin konnten im Tabaksrauche als Basen nachgewiesen werden: sie bedingen
mit höchster Wahrscheinlichkeit die krank machende Wirkung des Tabakrauchens.
Bei dem Tabaksrauch aus Pfälzer Tabak, der \% Nicotin enthielt, konnte keine
Spur von Nicotin nachgewiesen werden. Unter den Gasen traten Kohlensäure.
Cyan- und Schwefelwasserstoff auf, während in den nicht verdichtbaren
Gasen des Tabakrauches ausser Sauerstoff und Stickstoff noch Sumpfgas und
Kohlenoxyd angetroffen wurden.
Letzteres Gas hat auch Krause (Dingler's polyt. Journ., 213. Bd., P- 490) nach-
gewiesen; er fand durchschnittlich 9,3Volumproc. Kohlenoxyd und l2,2\olumproc.
Kohlensäure: er schreibt daher die üblen Folgen der ersten Rauehstudien den
Wirkungen des Kohlenoxyds zu, eine Annahme, die noch nicht bewiesen ist.
Eulenberg, Gewerbe-Hygiene. 5b
882 Tabaksindustrie.
Heubel (Centralbl. f. d. niedic. Wissensch., Oct. 5. 1871) behauptet, im Tabaks-
rauch Nicotin direct nachgewiesen zu haben. Wir können in dieser Beziehung
nur auf unsere mit Sorgfalt angestellten Versuche verweisen.
2) Die Aufbewahrung der Tabaksblätter verdient daher alle Beachtung. Die be-
treffenden Lagerräume müssen luftig und geräumig sein : Arbeiten in denselben
sind nur zu gestatten, nachdem Thür und Fenster einige Zeit vorher geöffnet
worden sind.
3) Saucen können auch durch die metallenen Gefässe, in denen sie bereitet werden,
Bisen, Kupfer, Zinn oder Blei enthalten: in frühem Zeiten war sogar eine Mischung
von Alaun und Blei zuck er gebräuchlich, um die hierbei frei werdende Essig-
-iuire als Beize zu benutzen.
Die schwarze Farbe des Schnupftabaks erhöht man bisweilen durch einen
Zusatz von Kohlenpulver, Kienruss, Braunkohlenpulver u. s. w. Der Spaniol ver-
dankt sein Aussehen einer feinen rothen Ockererde: man hat aber auch Schwefel-
arsen, Mennige und Zinnober in demselben nachgewiesen.
4) Eulenberg's Medicinalwesen, S. 91. Ueber die nachtheiligen Folgen dieser Ver-
packung haben geschrieben:
Meyer, Moritz, in Virchow's Arch. 1857, p. 209.
Reumont in der Berl. klin. Wochenschr. 1865, No. 28.
Flinzer in der Vierteljahrsschr. f. ger. Med., 9. Bd., S. 175, 1868.
Garrod (Pharmac. Centralh. 1873, S. 12) beobachtete noch in neuerer Zeit nach
dem Genuss eines solchen bleihaltigen Schnupftabaks Schwund der Muskeln der
Arme und Schultern, sowie eine Atrophie der Beugemuskeln.
Es kann auch vorkommen, dass man im Schnupftabak Massicot findet, was
nur dadurch zu erklären ist, dass man beim Plombiren des Tabaks die Plombage
mittels Bleidrähte an die Karotten bindet und beim Rapieren diese mit ver-
kleinert.
5) Die sanitäre Seite der Tabaksfabriken wird sehr verschieden beurtheilt, was um
so auffallender ist, als die grosse Zahl der Arbeiter ein hinreichendes Beobachtungs-
material liefert. Im Jahre 1^74 bestanden bloss im Grossherzogthum Baden
227 Fabriken mit 11,581 Arbeitern.
Ein Hauptnachtheil beruht in dem zu frühzeitigen Eintreten jugendlicher Arbeiter,
worauf namentlich Kostial (Statist, med. Studien über die Sanit -Verhältnisse der
weibl. Bevölkerung in der K. K. Cigarrenfabrik in Iglau imWochenblatt der Gesellsch.
der Aerzte in Wien No. 34 — 41, 186S) hinweist. Dort treten Arbeiterinnen in
der Regel schon mit dem 13. Lebensjahre in die Arbeit ein; dabei wohnt ein Theil
derselben auf dem Lande und muss längere oder kürzere Wege nach der Stadt
zurücklegen. Von 100 frisch eingetretenen Mädchen erkrankten im Alter von
12—16 Jahren 72 in den ersten 6 Monaten: die Krankheiten bestanden in Hirn-
congestionen, Neurosen verschiedener Art, Präcordialangst, Palpitationen, anämischen
Erscheinungen, Reizungen des Magens und Darmcanals, allgemeiner Mattigkeit und
Schlaflosigkeit: seltner zeigten sich Reizungen der Respirationswege.
Es ist nicht bemerkt worden, bei welcher Art von Beschäftigung die eben genannten
Erscheinungen eintraten : es soll aber bei den betreffenden Kranken Nicotin im
Harne nachgewiesen worden sein, ein Beweis, dass es sich um Nicotin- Vergiftung
handelte, deren Vorkommen in den Tabaksfabriken somit nicht in Abrede gestellt
werden kann.
Bei den Cigarrenspinnern zeigt sich nicht selten eine dem Schreibekrampf
analoge Affection der rechten Hand und des rechten Vorderarms nebst Anästhesie
der Finger: seltner tritt Steifheit und Verkrümmung der Finger hinzu. Es hat
sich ergeben, dass die Arbeiterinnen leichter afficirt werden, wenn sie nüchtern
zur Arbeit kommen, eine Erfahrung, welche nicht nur bei der Einwirkung
narkotischer, sondeim auch ätherischer Dämpfe als sicher- angenommen werden
kann. Wöchnerinnen sollten stets erst 6 Wochen nach der Entbindung in die
Fabriken wieder eintreten.
Obgleich die Verbesserung der Arbeitsräume, die Einführung besserer Arbeits-
maschinen, gesundere Wohnungsverhältnisse, Kranken- und Unterstützungscassen,
Consumvereine u. s. w. auch wohlthätig auf die Arbeiter in Tabaksfabriken ein-
wirkt haben, so lässt sich doch nicht leugnen, dass die Ausdünstung des
Tabaks mehr in's Gewicht fällt als der Tabaksstaub. Schwindel und Ein-
ommenheit des Kopfes sind bei mangelhafter Ventilation und beim Trocknen
der Einlagen zu den Cigarrcn im Arbeitsraum keine seltnen Erscheinungen. Noch
hlimmer sind die Folgen, wenn der noch feuchte Tabak in mit Deckeln ver-
sehenen vcrsehliessbaren Kasten aufbewahrt wird und letztere von den Arbei-
terinnen als Sitze benutzt werden: öffnet man diese nun, um den Tabak heraus-
zunehmen, so füllen sich die Arbeitsräume mit den schädlichen Dünsten, die um
Silicium. ggg
so eher Gesundheitsbeschädigungen und namentlich eine schlechte Blutbildun" zur
Folge haben, je weniger eine regelmässige Luftzufuhr stattfindet,
In der Industrie findet sich oft eine Menge schädlicher Einflüsse, die nur aus
einem traditionellen Schlendrian herstammen und mit leichter Mühe beseitigt
werden könnten, wenn die Fabricanten nur auf die Bedeutung derselben aufmerS-
sam gemacht und aus ihrer Gleichgültigkeit aufgerüttelt würden. So würde auch
in den Tabaksfabriken mancher sanitäre Vortheil schon erreicht werden, wenn aus
den Arbeitsräumen alles TTnnöthige entfernt, das zu verarbeitende Material nicht
in zu grosser Menge angehäuft, jeder Arbeitsraum in den Pausen gründlich ge-
lüftet und gekehrt würde.
In Hamburg ist in neuerer Zeit die Cigarrenfabrication fast ganz in die Form
der Hausindustrie übergegangen, welche" ihre Licht- und Schattenseite hat: sehr
häufig tritt hier der Mangel luftiger und der iNachtheil beschränkter Arbeitsräume
auf. Ausserdem ist grade bei den Cigarren- und Tabaksarbeitern das Leben ausser-
halb der Fabrik zu beachten; sie stehen im Allgemeinen nicht im besten Rufe:
auch die Arbeiterinnen werden leicht zur Putz- und Vergnügungssucht verleitet,
weil sie einen verhältnissmässig hohen Lohn ohne grosse Anstrengungen verdienen.
Der Missstand, dass Arbeiter beiderlei Geschlechts in denselben Arbeitsräumen
und an demselben Arbeitsstück arbeiten, ist auf die Moraktät nicht ohne Einfluss.
6) Zenker im Tagebl. der 40. Versamml. Deutscher Naturf. u. Aerzte in Hannover
1865, Nö. 5, p. 66.
Der b r a un e Auswurf könnte auch von den Färbungsmitteln ( Kohle, Braunkohle etc.)
des Tabaks herrühren : wo diese gebräuchlich sind, da ist ihre Betheiligung an dem
Zustandekommen der beschriebenen Brustaffection nicht auszuschliessen.
7) Selbstverständlich ist hier nur von einem Tabaksstaub die Rede, welcher von den
Blättern herrührt, die den Gährungsprocess schon durchgemacht haben.
8) Man vergl. Schwalbe: Der Tabak in sanitätspoliz. Beziehung. Viertel] ahrsschr.
f. gerichtl. Medicin 1867, S. 105.
Jolly: Etudes medicales sur le tabac. Paris 1865.
Silicium (S. 659-660).
1) Die Einlagerung von Kieselstaub in die Lungen ist von Meinel in einer
Inaugural-Dissertation als Chalicosis pulmonum (Kiesellunge von ya\i<; kleiner Stein')
bezeichnet worden. Es treten dabei massenhafte kleine, schwärzliche Knötchen in
der Lunge auf, die als die Folgen einer chronischen Reizung und nicht eines
tuberculösen Processes aufzufassen sind, da sie vorwiegend aus einem faserigen
Bindegewebe bestehen. In wenigen Fällen gelang es, im Centrum der Knötchen
scharfkantige, eckige, den Kieselerdekörnchen ähnliche Körperchen aufzufinden:
dabei ergab die chemische Analyse einen Gehalt von 30,71 % Kieselsäure in der
Asche der Lungensubstanz und von 41,08 % in der Asche der Bronchiallappen.
In normalen Lungen erhielt F. Riegel (Deutsches Archiv f. klin. Media, XV.,
p. 214) bei Kindern 4,1 %, bei einem 47jährigen Tagelöhner 13,39 %, bei einer
69jährigen Köchin 16,69 %, dagegen bei einem an Pneumatothorax gestorbenen Stein-
hauer 41,38—58,38 % Kieselsäure.
Man vergl. auch die interessanten experimentellen Untersuchungen über Kiesel-
staubinhalation von Adolf von Ins im Arch. f. experiment. Pathol. u. Pharmac,
5. Bd., p. 169, 1876.
Die Steinhauerarbeit fordert trotz aller Warnungen stets ihre Opfer: es wird
nicht eher besser in dieser Beziehung, als bis bestimmte polizeiliche Vor-
schriften die Anwendung der Schutzmassregeln gebieten werden. Der Stein-
hauer selbst verachtet dieselben entweder aus Unkenntniss der Gefahr, welcher er
sich täglich aussetzt, oder aus einem falschen Ehrgefühl, welches das Gespötte seiner
Mitarbeiter befürchtet. ATerf. hat (Pappenheim's Monatsschr., 4. Heft, 1862, p. 56)
in dem Zeiträume von 1845 bis 1861 die Mortalitätsliste über 3199 Steinhauer ge-
prüft und gefunden, dass mit Ausnahme von 8 Fällen alle übrigen an Phthisis
tuberculosis zu Grunde gegangen waren. Eclatanter lässt sich die mit diesem
Gewerbe verbundene Gefahr kaum nachweisen. Eine vom Verf. empfohlene Ein-
richtung dürfte sich schon wegen ihrer Einfachheit sehr empfehlen. Man bildet
ein einfaches Drahtgestell in Form einer Maske mit einem vordem, rundlich aus-
gebuchteten Drahtbügel und überzieht das Ganze mit einem Siebflor. Die Be-
festigung geschieht mittels kleiner Schlingen an den Ohren, so dass. das Gesicht
bis unter die Augen wie mit einem Helmgitter bedeckt ist. Vor dem Gebrauche
wischt man mit einem feuchten Schwämme über die äussere Fläche des Florsiebes,
damit auch der feinste Staub zwischen den sehr feinen Maschen des Gewebes hängen
bleibt. Nach der Menge des anklebenden Staubes richtet sich selbstverständlich
56*
884 Silicium.
die Wiederholung der Reinigung, die durch einfaches Anklopfen der Maske be-
werkstelligt wird. Man ersiebt dann, welche Masse von Staub sich auf diese
Weise ansammelt und wie sehr derselbe bei der Inhalation Lungenkrankheiten
begünstigen muss. Das höchste Alter unter den Verstorbenen betrug 60 Jahre,
wahrend sich die durchschnittliche Lebensdauer auf 37 Jahre erstreckte.
Dieses Resultat ist um so zuverlässiger, weil es sich um ein ganz streng abge-
schlossenes Gewerbe handelte, in dem meistens sogar der Sohn seinem Vater folgte
und andere Einflüsse jeder Art fern blieben.
Die Steinschleiferei unterscheidet sich von der Steinhauerei dadurch sehr
bedeutend, dass die Schleif- und Polirmittel meist angefeuchtet werden. Zum
Schleifen von Diamant gebraucht man Scheiben von weichem Stahl und Eisen
und Diamantpulver, das mit etwas ßrennöl angefeuchtet ist. Bei den übrigen
Edelsteinen wendet mau Scheiben von Kupfer oder Blei an, die an der Peri-
pherie mit Oel und Schleifpulver bestrichen werden.
Aehnlich verhält es sich beim Steinschneiden, d.h. beim Graviren der Pet-
schaften, wobei der Stein zuerst auf einer Glastafel mit etwas Smirgel matt ge-
schliffen und dann auf der Schleifmaschine behandelt wird , um mittels feiner
Instrumente, die mit Oel und Smirgel bestrichen werden, die Gravirung vor-
zunehmen.
Die Achatschleiferei in der Nahegegend ist wegen ihres grossen Betriebes
besonders zu erwähnen; sie hatte früher sehr viele sanitäre Nachtheile, namentlich
in Bezug auf Stellung und Haltung der Arbeiter während des Schleifens, das
übrigens meist feucht geschieht. Wo trocknes Schleifen nothwendig wird, da
ist auch die Mithülfe eines Ventilators dringend angezeigt.
2) Biedermann, Rudolf: Siliciumverbindungen. 16. Heft der Wiener Ausstellung,
S. 287 n.316.
Als Silicat kommt auch Cer vor, welches sich gleichzeitig mit zwei andern
Metallen (Lanthan und Didym) in seltnen schwedischen Mineralien, namentlich
im Cerit, vorfindet.
Sonnenschein hat im Ceroxydoxydul ein vorzügliches Reagens auf Strychnin
entdeckt. Das Ceroxalat wird in Dosen von 0,05 — 0,12 Grm. täglich als ein
vorzügliches Mittel gegen das Erbrechen der schwangeren Frauen gerühmt, conf.
Julius Philipp: Seltne Metalle, im 20. Heft der Wiener Ausstellung, S. 1014.
3) Siliciumfluorid SiF4 ist ein Gas, welches ähnlich dem salzsauren Gase sehr
leizend auf die Respirationswege einwirkt. In der Technik tritt es beim Aetzen
der Gläser mittels Flusssäure auf (s. S 71). Da es mit Wasser sofort in
Kieselsäure und Kicselfluorwasserstoffsä ure (3SiF4 + 4HaO = Si(OH)4
+ 2H.i!SiF6) zerfällt, so sind auch die Zersetzungsproducte sehr zu berücksichtigen.
4) Biedermann, I.e. S. 320.
5) Bädeker (Pappenheim's Monatsschr., 2. Heft 1861, S. 180) hat ausführliche Unter-
suchungen über den Verbleib des Arsens bei der Glasfabrication angestellt. Ein
Theil des Arsens bleibt im Glase; in der nächsten Umgebung der Glashütte, im
Hüttenstaube und in den Ofenansätzen fand sich Arsen theils als arsenige Säure,
theils als Arsensäure.
6) Zu den bleihaltigen Gläsern gehört auch das Mousselinglas , auf welchem mittels
einer Patrone Muster durch Auftragen einer Schicht von Bleiglasstaub dar-
gestellt werden. Das spätere Abbürsten erzeugt einen gefährlichen Staub, der sich
noch in einem höhern Grade ausbildet, wenn man die Glasscheiben in einen Kasten
einsetzt, in welchem man Staub von Bleiglassatz erzeugt. Beobachten die Arbeiter
nicht die grösste Vorsicht hierbei, so sind Bleiintoxicationen unvermeidlich (siehe
Du Mesnil in Annal. dhyg. publ , Avril 1865 und Janv. 1866.
7) In der jüngsten Zeit macht auch das Hartglas, Vulcanglas, Verre malleable,
viel Aufsehen. Die Härtung der Glasmasse beruht auf einer physikalischen Ver-
änderung: man erhitzt das Glas bis zur Weissgluth, taugt es dann rasch in um
3 — 400° weniger erhitztes Fett und lässt es in demselben abkühlen: es verliert
die Härtung , wenn es wieder erhitzt und nach der gewöhnlichen Methode
langsam abgekühlt wird. Roger de la Bastie, ein französischer Edelmann,
hat diese Entdeckung gemacht.
8) Die Glasmalerei in ihrer Anwendung auf den Profanhau von Dr. H. O. Separat-
Abdruck aus der deutschen Kunstzeitung „Die Dioscureu". Berlin 1874.
0) Benrath: Die Glasfabrication. Braunschweig 1*7").
10) Das Natriumsilicat besitzt antiseptische Eigenschaften, da es Mikrophyten und
Mikrozoen tödtet. Schon 1834 hat es Ganal zu Injectioiien behufs Conservirung
von menschlichen Leichnamen benutzt; es dient wie Gips zu Bandagen und wirkt
wie Carbolsäure als desinficirendes Mittel bei Wunden.
Zinn. 885
Zinn (S. 664-668).
1) Annal d'hyg. publ , Juillet 1842, p. 310.
2) Bulletin des lois, p. 486. Dieser Procentsatz rührt von Vauquelin her, welcher
durch seinen EinÜuss und grossen Ruf als Chemiker diesem Satze gleichsam eine
dogmatische Bedeutung verschaffte.
3) Eichordnung für den Norddeutschen Bund vom 16. Juli 1869. 2te Ausgabe von
F. W. 0. Müller. Berlin bei Decker 1872.
4) Pleischl im Sitzungsber. der Wiener Acad. d. Wissensch. XLIII. p. 555. Dingler's
polyt. Journ. CLXI\ . p. 200. Blei wird aus einer Lösung durch Zinn metallisch
niedergeschlagen^ nicht aber Zinn aus seiner Lösung durch Blei. Das Blei wird
in Legirungen mit Zinn niemals gegen die auflösende Einwirkung von selbst sehr
verdünnter Essigsäure durch das Zinn geschützt, wie früher angenommen wurde.
In der Regel wird bei einem grössern Bleigehalt der Legirung auch mehr Blei
gelöst. Die durch 24stündige Einwirkung verdünnter Essigsäure erlittenen Ge-
wichtsverluste waren im Mittel von 9 Versuchen folgende:
Ostindisches Zinn 0,80 %
Sächsisches Zinn 0,94%
Böhmisches Zinn 1,28 %
99 Zinn und 1 Blei 1,08 %
98 „ „ 2 „ 1,27% -
97 „ „ 3 „ 1,283%
90 „ „ 10 „ 1,255%
80 „ „ 20 „ 1,222%
70 „ „ 30 „ 1,39%
5) Hiermit stimmen auch die Untersuchungen von Roussin in den Annal. d hyg.
publ., Janv. 1866, und von Gobley, loc. eod., Janv. 1869, überein.
6) Reich elt: Ueber das Verhalten von Blei und Zinn und deren Legiruug zu Koch-
salz (Kunst- u Gewerbcbl. des polyt. Vereins f. d. Königr. Bayern, Heft XI. u. XII.
1863). Bei der Einwirkung des Kochsalzes auf solche Legirungen ist es nicht mü-
der Antheil von Blei, welcher sich auflöst, sondern auch der, welcher sich in
Osychlorid und Bleicarbonat verwandelt und in dieser Form in den mensch-
lichen Organismus gelangen kann.
Jeannel, J.: Ueber die Wirkung der flüssigen Nahrungs"'- und Arzneimittel auf
bleihaltige Zinngefässe Bullet, de Therap. LXXVII. p. 410, 1874.
7) Viele Fälle, welche für die schädliche Wirkung der bleireichen Zinnlegirungen
sprechen, finden sieh in den Annal. d'hyg. publ., 1834 p. 360, 1844 p. 350—356.
Man vergl. ferner Lefevre in Compt rend., 26. Nov. 1860, Faber im Würtemb.
Correspondenzbl. No. 23, S. 185, 1867; K er seh in der Pharmac. Centralhalle
1873, S. 199
In den französischen Militärhospitälern dürfen keine Zinngeräthe benutzt werden,
bevor sie auf ihren etwaigen Bleigehalt geprüft worden sind (Journ. de chim. med.
p. 269, 1869). Seit dem Anfange des vorigen Jahrhunderts war ein Zusatz von
7 % Blei die Regel, bis man allmählig ganz willkürlich verfuhr und alle sanitäre
Rücksicht ausser Acht Hess.
8) Eine bleihaltige Zinnlegirung macht sich auch bei der Verzinn ung geltend;
selten gewährt sie einen wirklichen Schutz, denn ihr Gehalt an Blei erzeugt
häufig mehr Nachtheil als die etwaige Einwirkung des Messings, welches man in
der Regel mit dieser angeblich schützenden Decke überzieht. Van der Werde
(Med. and surg. Rep., Febr. 8., p. 116) beobachtete bei einem 4jährigen Kinde eine
Vergiftung unter den Erscheinungen von Glottiskrampf, Eklampsie und Erbrechen,
welche durch den Genuss von Aepfeln entstanden war, die in einer verzinnten,
d. h mit Zinn und Blei dünn überzogenenen Kanne aufbewahrt waren.
Cheva liier berichtet über Bleikoliken, die durch den Genuss von Wasser ent-
standen waren, welches in schlecht verzinnten Gefässen aufbewahrt worden war
(Annal. d'hyg. publ. 1859, S. 304).
Titan (S 668).
1) Gmelin, C. G.: Versuche u. s. w., S. 46.
Schiesspulver (S. 670—673).
1) Poggendorffs Annal, Bd. 103, S. 335.
2) Annal der Chemie u Pharmac, Bd. 109, p. 59. Dingler's polytechn. Journ.,
Bd. 152, p. 72.
886 Natrium.
3) Poggendorff's Annal., Bd. 118, p. 552. Dingler's polyt Journ , Bd. 168, p. 158.
4| De l'analyse des producta de la eombustion de la poudre. Paris 1866.
5} Zeitschr. f. Chemie, Bd. 12, p. 12, und Wagner's Jahresber. 1870, p. 248.
6) Upmann, J. : Das Schiesspulver, dessen Geschichte, Fabrication u. s. w. Braun-
schweig 1874.
7) Nobel und Abel (Compt. rend. 1874, p. 160, Dingler's polyt. Journ. 1875, p. 123)
schliessen aus ihren vorläufigen Untersuchungen, dass die Menge des Kohlen -
oxyds viel beträchtlicher sei, als bisher angenommen worden ist; auch die Menge
des Kaliumcarbonats sei bedeutender, alsBunsen angenommen habe; dagegen
betrage das Maximalquantum von Kaliunisulfat weit weniger. Kaliumsulfid
trete nie in grosser Menge auf, aber im Allgemeinen doch in grösserer, als
Bunsen angenommen habe. Das unterschwefligsaure Kalium wechsele in
quantitativer Beziehung sehr; ebenso sei die Menge des Schwefels sehr verschieden.
Ueber die andern gasförmigen und festen Producte lasse sich nichts Bestimmtes
sagen.
8) Commissarischer Berieht über die Erkrankungen durch Minengase bei der Grau-
denzer Minenübung im August 1S73. Berlin 1875. Die Minengase ergaben an
Kohlensäure 0,07-2,70%, an Kohlenoxyd 0,01 — 0,48%, an Sauerstoff
20,78-17,86%. Schwefelwasserstoff konnte nur in 2 Kolben mit Sicherheit
nachgewiesen werden.
9) Eulenberg's Lehre u. s.w., S. 129.
Ueber Minen gase schrieben:
Josephsohn in der Preuss. Militainirztl. Zeitschr. 1861, No. 1.
Rawitz, eod. loc. 1862, No. 11. Evers, eod. loc. 1875, 1. Heft.
Cabasse in Gaz. des höp., p. 460, 1867.
10) Polek, Theodor: Ueber die chemische Zusammensetzung der Minengase. Arch.
f. d. Offiz. des Kgl. Preuss. Artillerie- u. Jäger-Corps, Bd. 59, 2. Heft, p. 172.
— Dr. Scheidemann und die Wissenschaft! Kritik. Berlin 1867.
11) Vierteljahrsschr. f gerichtl. Medio., V. Bd., 2. Heft 1866.
Natrium (S. 673-679).
1) Man benutzt das Natriummetall auch zu einer gefährlichen Spielerei, indem man
es in sogen. Feuer pillen auf dem Wasser zerplatzen lässt.
2) Lender in der Deutschen Klinik No. 19, 1872.
3) Zeitschr. f. Chemie, 16 Heft, 1867, p. 512. Göttingen.
Ueber die Gesundheitsverhältnisse der Salinenarbeiter s. Hirt in der Wiener
med. Wochenschr. No. 88, 89, 1867. Cammerer, eod. loc. No. 8, 1868. Traut-
wein in der Vierteljaljrsschr. f. ger. Med, Bd. 8, p. 17, 1855.
4) Ueber die Condensation der sauren Dämpfe von Dr. Angus Smith. Aus dem
Engl, von Dr. Tiemann. 20. Heft der Wiener Ausstellung, S. 495.
5) Werden die Rückstände nicht bald verwcrthet, so dürfen sie niemals angehäuft,
sondern müssen in dünnen Schichten ausgebreitet werden, damit sich der
durch die Luft eingeleitete Oxydationsprocess allmählig und ohne starke Gasent-
wicklung vollzieht. Zweckmässig ist es, sie mit Substanzen zu versetzen, welche
die etwa frei auftretenden Gase absorbiren; hierzu eignet sich ganz besonders
das in den Kiesabbränden der Schwefelsäurefabriken vorhandene Eisenoxyd.
Auch das Bedecken dieser Rückstände mit Erde und feinem Kies empfiehlt
sich, vorausgesetzt, dass man nicht eher eine neue Schicht von Rückständen auf-
trägt, als bis der Oxydationsprocess in der vorhergehenden Schicht unter der Be-
deckungsmasse sich wenigstens nahezu vollendet hat.
6) Dingler's polytechu. Journ. CXVIII., p. 420.
7) Deutsche Vierteljahrsschr. f. offen tl. Gesuudheitspfl 1874, p. 408.
8) Wagner 's Jahresber., S. 240, 1865.
9) Wagners Jahresber. 1868, S. 185, 1869, S. 193.
10) Cheiu. Centralbl. 1868, 1064. Wagners Jahresber. 1871, S. 276.
11) Wiener Ausstellung, 20. Heft, S. 469.
Silber (S. 680—683).
1) Wedding: Ueber Entsilberung des Werkbleies durch Zink. Zeitschr. f. d. Berg-
u. Hüttenwesen 1871, p. 159 — 171.
Zeiler und Herbst: Entsilberung des Werkbleies zu Call in d. Eitel, eod. loc.
1871, p. 422. Polytechn. Centralbl. 1871, p. 589.
Die Silberproduction ist in den letzten Jahren durch den Import von mexika-
nischen und peruanischen Erzen sehr gehoben worden.
Calcium. ggy
Das Augustin 'sehe Verfahren hatte schon das Amalgamationsverfahren fast
ganz verdrängt, während in neuerer Zeit die Zie rvogel'sche Methode vorzugs-
weise zur Ausführung gelaugt.
2) Auf eine besondere Hautfärbung bei Silberpolirerinnen hat Ollivier
(Gaz. med. de Paris, 1872, 20., Medic.-chirurg. Rundschau, 1. Bd., 3. Heft, 1873)
aufmerksam gemacht und sie unter Umständen in forensischer Beziehung für
wichtig erklärt, um die Identität eines Individuums festzustellen. Bei einer Frau,
die 50 Jahre lang dies Geschäft betrieben hatte, waren Gesicht und Vorderarme
blassbläulich gefärbt: am linken Vorderarm fanden sich eine Menge kleiner blauer
Flecke von 1—2 Millim. Durchmesser. Da die Schleimhaut der Wangen und des
Zahnfleisches keine Flecke zeigte und der linke Vorderarm, der am meisten auf
dem mit Silberstaub bestreuten Tische auflag, vorzugsweise verfärbt war, so liegt
die Annahme einer einfachen mechanischen Einwirkung nahe.
3) Bekanntlich kommen in den Familien der Photographeu gar nicht selten zufällige
Vergiftungen durch Cyankalium vor.
Calcium (S. 684—687).
1) Wiener medic. Wochenschr. No. 43—48, 1870.
2) Arch. f. klin. Chirurg., 18. Bd., 4. Heft, 1875.
3) In Betreff des Kalkstaubes ist stets zu beachten, dsss er um so eher in die
natürlichen Oeffnungen des Körpers eintritt, je feiner er ist (cf. die Anmerkung
auf S. 648). Beim Pulverisiren und Sieben des Kalkes kann sich dann eine sehr
schmerzhafte Angina faucium ausbilden, die sich unter Umständen bis auf die tuba
Eustachiana fortpflanzt und eine vorübergehende Taubheit veranlasst. Da der Staub
in Wasser löslich ist, so wird er sich nicht in das Lungengewebe ablagern: selten
setzt sich die Reizung weiter auf den Kehlkopf oder die Luftröhre fort. Häufig
tritt ein eigenthümliches Reissen der Haut ein, wenn der Staub sich auf derselben
ablagert; da er nämlich mit dem Hautfett eine Verseifung eingeht, so verliert
diese ihre natürliche Geschmeidigkeit und Schrunden oder Risse sind die Folgen.
Das Waschen mit saurer Milch oder der Brühe des Sauerkrauts ist ein bekanntes
und probates Hausmittel gegen dieses Leiden.
Um das Einathmen des Kalkstaubes zu verhüten, dienen in Essig getauchte
Schwämme. Das beste Präservativmittel muss stets in der Benutzung geschlos-
sener Pulverisir- und Siebapparate bestehen; ganz besonders müssen die-
selben auch bei dem Pulverisiren des Chlorkalks zur Anwendung kommen.
4) In Betreff der Theorien dieses Processes s. Friedrich Knapp: Mörtel u. Cement
im 20. Heft der Wiener Ausstellung, S. 566.
5) Der grösste sanitäre Nachtheil tritt bei der Cementindustrie auf, wenn das Mahlen
und Pulverisiren ohne alle Controle und Vorsicht von den Arbeitern ausgeführt
wird. Die Gegenwart von Silicaten im Staube verleiht dem letztern von vorn-
herein einen gefährlichen Charakter und es ist unverantwortlich, wenn die Arbeiter
nicht selten tagelang in Staubwolken zubringen müssen. Es gilt hier mehr oder
weniger Alles, was schon von der Gefährlichkeit des Kieselerdestaubes gesagt
worden ist.
6) Selenitmörtel (Scott's selenitic mortar), der aus Kalk und Gips bereitet wird, soll
doppelt so viel Sand als der gewöhnliche Kalk binden.
7) Die Gipsung (plätrage) des Weins geschieht besonders in Frankreich, nament-
lich bei Tresterweinen, um eine grössere Ausbeute, ein schnelleres Niederschlagen
der Hefe und eine lebhaftere Farbe zu erzeugen. Diese „vins plätres" erzeugen
leicht Diarrhoe, weil sich Kaliumsulfat, unlöslicher weinsteinsaurer Kalk und freie
Weinsäure bildet (s. Chevallier in Annal. d'hyg. publ., Janv. 1876).
Die desinficirende Wirkung des Gipses lässt sich in mancherlei Weise ver-
werthen: es genüge hier, nur in Beziehung zur Düngung auf dies ausgezeichnete
Mittel aufmerksam zu machen.
Wird in der Nähe von Städten Gemüse- und Blumenzucht betrieben, so ent-
stehen oft grosse Belästigungen, wenn der Dünger, speciell menschliche Excre-
mente, in der Nähe von Promenaden und öffentlichen Wegen abgelagert weiden.
So muss namentlich zur Düngung der Brunnenkresse ein Material verwendet
werden, das durch mehrjähriges Lagern vollständig verrottet ist und sich in eine
leicht zerreibliche, lockere Masse verwandelt hat; dieser vorbereitete Dünger wird
ganz fein zerkleinert und in die Gräben der Brunnenkresse-Kolturen geworfen und
dient mit seinen durch den Verwesungsprocess zum grössten Theil leicht löslich
gewordenen Bestandteilen zur Ernährung dieser Pflanzern Dünger, der mit
grössern Mengen von Erde versetzt ist, eignet sich nicht zu diesem Zweck,
da derselbe mit seinen erdigen Theilen die Gräben verschlämmt und an den
Barium 'ndustrie.
Blättern der Brunnenkresse anhaftet; Composthaufen lassen sich deshalb hier
nicht anlegen. Dagegen hat sich hier der Gips als ein ausgezeichnetes Desinfec-
tionsmittel bewährt, das auch als Dungsubstanz der Brunnenkresse nützlich ist;
den Werth des Düngers vermehrt er nämlich durch Amruoniakbindung und
Beeinflussung des Gährungsvorganges (s. König u. Kiesow, Landwirthschaftl.
Jahrb. IL 107).
Auf eine Fuhre von ungefähr "20 Centner Dünger müsste beim Abladen ungefähr
1 Centner Gips zugemischt werden und ein Bedecken des Düngers mit einer ganz
leichten Decke, die aus 1 Th. Gips und 1 Th. Erde besteht, stattfinden: mit geringen
Kosten würde dann ein doppelter Zweck erreicht, indem mit der Hebung der
Gartencnltur die grössten Belästigungen beseitigt werden, die sonst jedem Freunde
der Natur den Genuss derselben in empfindlicher Weise trüben.
Barium (S. 688).
1) Der grosse Missbrauch, der in dieser Beziehung mit Schwerspath getrieben wird,
ist noch niemals gehörig berücksichtigt worden; wir ergreifen daher diese Ge-
legenheit, recht nachdrücklich auf dies gewissenlose Verfahren aufmerksam zu
machen.
Bariumindustrie (S. 688—689).
1) Das Barytweiss wird sehr häufig auch als Nebenproduct gewonnen, conf. Eulen-
berg in Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Med., 2. Heft, 25. Ba., 1876.
2) Biedermann: Ueber Barium. 20. Heft der Wiener Ausstellung, S. 516.
Bariumhydrat Ba;OH)2 nimmt doppelt so viel Sauerstoff auf, wenn nach
schwachem Glühen atmosphärische Lult oder Sauerstoff über dasselbe geleitet
wird; es entsteht dann Bariumsuperoxyd Ba02 (s. S. 129).
Ueber die Wirkung von Chlorbarium conf. Wolf in Casper's Wochenschr.
No. 37, 1850, über die Wirkung der Barytsalze Onsum in virchow's Archiv,
Bd 28, p. 233, 1863, Cyon im Arch. f. Anat. u. Phys., 2 Heft 1866, p. 196.
Die löslichen Barytsalze erzeugen Coagulationen des Blutes in den Herzventrikeln;
Onsum sucht deshalb das Weten der Vergiftung in Verstopfung der Lungen-
arterienzweige, aber mit Unrecht, wie Cyon nachgewiesen hat. Die Wirkung der
löslichen Bariumsalze auf Hirn und Rückenmark hat schon Gmelin (1. c. S. 15)
nachgenommen: Cyon stimmt dieser Annahme zu, hebt aber auch die deletäre
Wirkung auf das Herz hervor.
Chlorbarium und Bariumcarbonat können entschieden als giftige Präparate
angenommen werden.
Magnesium (S. 689—690).
1) Für die Technik wird ein künstliches Gemenge von Magnesia und Calciumcarbonat
benutzt.
Auch gebrannte Magnesia liefert mit einer Lösung von Chlormagnesium eine
erhärtende weisse Masse, die mit einem Pinsel auf das Mauerwerk aufgetragen
werden kann. Diese Verbindung (Magnesiumoxychlorid) soll chemisch gebundenes
Wasser enthalten. Albolith wird eine solche Mischung genannt, wenn man die-
selbe noch mit amorpher Kieselerde versetzt und als breiige Masse zum Anstreichen
von Gips, Holz u. s. w. benutzt.
Zink (S. 690-696).
1) Rust's Magazin, XXI. Bd., S. 563.
Die von Botkin und Popoff (Berl. klin. Wochenschr. No. 5, 1873) mitgetheilte
Beobachtung betrifft nicht die reinen Zinkdämpfe; es handelt sich hier vielmehr
um Messingdämpfe.
2) Wenn die langjährige Einwirkung der Zinkdämpfe auch Lähmungen zur Folge
hat, so kann man wohl mit ziemlicher Sicherheit auf eine Betheiligung von Blei-
dämpfen schliessen.
3) Busse (Casper's Wochenschr. 1837, No. 19) rettete noch einen Knaben, nachdem
derselbe 3246 Gran Zinkblumen gegen Epilepsie genommen hatte.
4) Michaelis: Ueber die physiolog. Wirkung des Zinkoxyds im Arch. f. physiolog.
Heilk , Jahrg. X. 1851, p. 127.
5) Pharmac. Centralhalle No. 8, 1871, S. 77.
Blei. 889
6) Die Abbildung des Hasen clever 'sehen Ofens findet sich in Wagner's Jahresber.
1873, p. 331, die betreffende Abhandlung in der Zeitschrift des Vereins Deutscher
Ingenieure, 1872, S. 705.
Man ist überhaupt sehr bemüht, die Zinköfen in jeder Beziehung zu verbessern;
man vergl. in dieser Beziehung Thum's Ofen zur Verhüttung der Zinkblende in
Wagner's Jahresber. 1874, p. 170. Ausserdem haben die Siemens'sche Regene-
rativfeuerung und die Gasfeuerung von ßoetius den günstigsten Einfluss auf die
Zinkverhüttung ausgeübt, so dass mit den Fortschritten der technischen Einrich-
tung auch die Belästigung für die Adjacenten sehr gemindert worden ist.
7) Ziurek (Vierteljahrsschr. für gerichtl. Medicin 1867, Bd. 6, p. 356) fand in einem
Liter "Wasser, welches in einem nicht angestrichenen Zinkreservoir aufbewahrt
gewesen, 1,0104 Grm Zink, obgleich der Kochsalzgehalt im Wasser nur 0,0740 im
Liter betrug.
8) Chlor zink wird jetzt häufig: statt der Carbolsäure in Schiffsräumen als des-
inficirendes Mittel benutzt. Leber Chlorzinkvergiftung s. Honseil in der
Berl. klin. Wochenschr. No. 18, 19, 1866.
9) Das Zinkgrün wird auf den sächsischen Blaufarbwerken in vier Nuancen dar-
gestellt und kommt auch unter dem Namen Sächsisch-Grün, Gellertsgrün,
Ultramaringrün im Handel vor. Das Sächsisch-Grün ist eine Verbindung
von Kobalt mit Zink, Chlormagnesium und Spuren von Eisen; es eignet sich gut
zum Tapeten- und Papierfarbendruck, zum Anstreichen der Kinderspielwaaren und
als Farbstein in Malerkasten für Kinder. Man erkennt die Farbe durch Schwefel-
ammonium, das anfangs eine hellbraune, dann allmählig eine schwarzbraune
Verfärbung erzeugt. Schwefelwasserstoff wirkt nicht auf die Farbe ein. Man
hat nur dafür zu sorgen, dass das gebrauchte Kobalt arsenfrei ist. Günther in
Pappenheim's Monatsschr. 1860, I. Jahrg., p. 329-337. (s. Kobalt.)
Kadmium (S. 696-697).
1) In Oberschlesien wurde im Jahre 1872 eine Menge von 2839 Pfd. erzeugt.
Eine Legirung von Kadmium mit Blei, Zinn und Wismuth heisst Wood's
Metalllegir ung und dient nur als Metallkitt. Schwefelkadmium wird als
felbe Malerfarbe und in der Lustfeuerwerkerei zur Erzeugung eines blauen
euers benutzt
2) Zeitschr. f. ration. Medic. XXIX. I. 1867.
Blei (S. 697-712).
1) Dass die Haut Bleiverbindungen aufnimmt, wird durch die schädlichen Folgen der
bleihaltigen Haarfärbemittel bewiesen.
2) Pathogenese u. Symptomatologie der chron. Bleivergiftung, Berlin 1871, p. 66.
Man vergl. auch Gussero w in Virchow's Arch., 21. Bd., S. 413; Hitzig: Studien
über Bleivergiftung. Berlin 1868.
3) Färbungen des Zahnfleisches können bekanntlich auch bei der Ingestion von
Höllenstein, Eisen und beim Gebrauche kohlenhaltiger Zahnpulver entstehen. Aber
auch bei Bleiarbeitern bleibt bisweilen der schiefergraue Rand des Zahnfleisches
ein locales Symptom und man kann nicht behaupten, dass er sich stets nur in
Folge der Ausscheidung des Metalls durch die Speicheldrüsen bildet.
4) Bei der Schilderung dieses Krankheitsbildes hatte Verf. die von Schniewind
(Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Medic. u. s. w., XXI. Bd., S. 277, 1862) beschriebenen
Fall im Auge, welcher ihm wegen der genauen Bekanntschaft mit dem Verstorbenen
ein besonderes Interesse darbot. Solche mehr acut verlaufende Fälle werden
hauptsächlich durch Ingestion von Bleiacetat hervorgerufen.
Viele Vergiftungen, die zum chronischen Saturnismus gehören, verlaufen
schleichend und bleiben oft in ätiologischer Beziehung dunkel, wenn es nicht zu
eclatanten Lähmungen kommt, denn gar nicht selten bleibt es bei den Digestions-
störungen, ohne Affectionen des Nervensystems, namentlich wenn nur sehr kleine
Mengen von Blei einwirken, z. B. beim Gebrauch von bleihaltigen oder schlecht
verzinnten Gefässen, von irdenen Töpfen mit bleihaltiger Glasur oder von Eisen-
geschirr mit bleihaltigem Email.
Kussmaul und Maier (Deutsch. Arch. f. klin. Med., 9. Bd., 3. Heft, p.285, 1872)
haben eine ausführliche Beschreibung des chronischen Saturnismus geliefert und
einen sehr beachtungswerthen Fall geschildert, der einen 35jährigen Arbeiter
betraf, welcher sich länger als 20 Jahre mit Bleifarben beschäftigt hatte. Er litt
seit vielen Jahren an chronischem Saturnismus, war aber niemals von Lähmung
oder Nervenaffectionen befallen worden. Die Symptome der Vergiftung bestanden
in blassgelber Hautfarbe, Abmagerung, Dyspepsie, Verstopfung und Leibweh, das
§90 Blei
sich nur zweimal in der letzten Zeit seines Lebens zu Kolikanfällen mit Dysurie
und Pulsverlangsamung gesteigert hatte; er starb im zweiten Anfalle, in
welchem es zum Erbrechen reichlicher, gallig gefärbter Massen (bei vorhandenem
Icterus] und zu profusem Durchfall kam.
5) Tietz. (Jh. F. Lnaug.-Dissert., Leipzig 1809. Die Beobachtungen erstrecken sich
auf den Zeitraum von 1852 — 1862.
G) Chevallier: Recherohes sur les causes de la maladie de la colique de plomb. chez
les ouvriers, qui preparent la ceruse. Annal. d'hyg. publ., T. XV., p. 183G. Ferner
Adeluii et Chevallier, loc. eod. 1838, T. XIX.
7) Ren au t. J ; De lintoxication saturnine chronique. Paris 1875. Eine mono-
graphische Arbeit mit vollständigem Literaturverzeichnisse.
8) Marinisse, Gaz. des hopit. No. "25, 1866. Der mitgetheilte Fall von Paralyse in
Folge langjährigen Lesens von frischen Druckbogen klinvt unglaublich.
9) Samelsohn, Monatsbl. f. Augenheilk., XL, p. 246, 1873.
Ueber R 'tinitis albuminosa bei Bleivergiftungen vergl. Rau im Arch. f. Ophthal.,
I. 2. p. 205, 1855, in Schmidt's Jahrb., Bd. 133, p. 116, u. Bd. 143, p. G7.
10) Es gibt aber auch Fälle, in denen diese Lähmungen in Begleitung von Saturnismus
chronicus verlaufen.
11) Cousins 'Med. Times, Sept. IG, 18G4) beschreibt einen solchen Fall von Gesichts-
lähmung
12 1 Virehow- Arch.. 39. Bd.. p. 1 u. 174.
L3j Lewy bat unter 1186 Bleikranken lömal Caries und Necrose am Oberkiefer,
4mal am Vorderarm. 2mal am Oberschenkel, lmal an den Rippen und am Brust-
hein beobachtet (s. Die Berufskrankh. d. Bleiarbeiter, Wien 1873, S. Gl. Oesterr.
Zeitechr F. prafct Heilk., XVI. G 1870.
14) Asthma saturnintim chronicum kommt im Allgemeinen selten vor. Lewy
(1. c. S. 43: will es unter 1186 Bleikranken nur 21mal beobachtet haben. Bleistaub
wird immerhin in den Re.-pirationswegen reizend einwirken, er kann aber hier auf
die Dauer nicht abgelagert bleiben, da der Kochsalzgehalt der organischen Flüssig-
keiten stets mehr oder weniger verändernd auf das Metall einwirken wird ; ausser-
dem hat das Blei die geringste Affinität zu den Lungen. Die Lungenschwind-
sucht bei Buchdruckern, Setzern oder Giessern hat man bekanntlich auch
auf das Einathmen des Bleistaubes geschoben: da aber bei Bleiweiss- und Mennig-
arbeitern entschieden die Lungenschwindsucht am wenigsten vorherrscht, obgleich
hier der Bleistaub in den meisten Fällen jedenfalls reichlicher als bei irgend einem
andern Gewerbe auftritt, so wird dadurch der Beweis geliefert, dass namentlich
in Buchdruekereien noch andere schädliche Momente mit eüiwirken.
15) Paul, Constantin, (These inaugurale, Paris 1861) hat besonders darauf aufmerk-
sam gemaelit. dass Frauen, die sich mit Bleiarbeiten beschäftigen, häufig abortiren.
Blei wirkt in dieser Beziehung ebenso nachtheilig wie Quecksilber.
Ausserd< m begegnet man aber im täglichen Leben tausendfach den Gefahren der
Bleivergiftung. Wertheimer (Deutsch. Arch , I. 2., p. 222, 18G5) hebt besonders
die Falle hervor, in denen Kinder durch Lecken von Muschelfarben, durch Kauen
von Visitenkarten u. s. w. in Bleikolik verfielen. Bei den Gewerben lassen sich
nicht alle Möglichkeiten, unter denen die Arbeiter mit Bleipräparaten in Berührung
kommen können, angeben. Eine sehr reichliche Casuistik liefert Tanquerel des
Plauches: Traite des maladies de plomb ou saturnines. Paris 1839.
In historischer uud industrieller Beziehung sind die von Stockhausen bei den
Hüttenarbeitern in Goslar gemachten Erfahrungen ganz besonders hervorzuheben,
da sie die Literatur über Gewerbekrankheiten begründen. Das Werk führt den
Titel: De lithargyrii fnmo nexio, morbifico ejusque metallico frequentiori morbo,
vulgo dicto .. Hüttenkatze", Goslar 1556.
16) Percy's Metallurgie. Uebersetzt von Knapp. Wedding und Rammeisberg.
3. Bd.: Metallurgie des Bleies von Rammeis berg. Braunschweig 1872, p. 31G.
Am mei-ten Blei wird auf den S. 682 erwähnten Hütten gewonnen. Wie bei
allen technischen Vorgängen, so haben sich auch in neuerer Zeit bei der Blei-
gewinnung mit bessern technischen Einrichtungen auch die sanitären Vortheile
günstiger gestaltet. So sind namentlich die Oefen bei der Niederschlagsarbeit sehr
verbessert worden. Aus dem Rachette-Ofen, einem länglichen, viereckigen,
nach oben sich erweiternden und gichten weise zu beschickenden Ofen ist nach der
Modification von Käst der Ruudschachtofen entstanden, bei welchem sich
weniger Flugstaub bildet und Blei weit weniger durch Verdunstung verloren geht,
weil "die Gase langsamer aufsteigen und die Gicht vollkommen kalt bleibt. Die
Schmelzer sind daher vor den Bleidämpfen und der strahlenden Hitze mehr
geschützt, namentlich wenn kräftige Exhaustoren uud zweckmässige Condensations-
canäle hinzukommen. In Freiberg umfassen die Condeusations-Vorrichtuugen eine
. Kupfer. 891
Ausdehnung von 16,582 Cubikm., ohne die hierzu gehörigen Schwefelsäure -
fabriken. Die verminderte Entschädigung an die Forst- und Landwirtschaft,
sowie die Wiedergewinnung von werthvollem Flugstaube haben die Erbauungs-
kosten vollständig gedeckt.
Eine neue Reinigungsniethode des Bleies nach Payen und Roux wird
Natronmetallurgie genannt und besteht im Schmelzen des Bleies mit caustischer
Soda und einer geringen Menge Salpeter. Die Schlacke wird auf Arsen und
Antimon, welche an Natron gebunden sind, verarbeitet.
Die Bloihütte zu Call in d. Eifel raffln irt das Blei durch Zusatz von chlorhaltigem
Salpeter.
17) Clemens (Viertel] ahrsschr. f. gerichtl. Med. u. s.w., 4. Bd. 1853, p. 177) berichtet
über eine Bleivergiftung, welche durch Exhalation warmer Metallflächen bei einem
jungen Manne in der Weise entstanden sein soll, dass derselbe sich Abends auf
die durch die Sonnenstrahlen erwärmten Bleiplatten eines Balkons oder auch
Mittags mit dem Gesicht nach den Bleiplatten gekehrt auszustrecken pflegte.
18) Pappenheim: Die bleiernen Utensilien für das Hausgebrauchswasser, Berlin
1868, S. 128.
19) In neuerer Zeit werden Bleiröhren angefertigt, die inwendig einen zinnernen
Mantel haben, so dass Flüssigkeiten nur mit dem Zinn in Berührung kommen
können, wobei es allerdings auch auf die Reinheit des Zinns ankommt.
20) Frank-Smith, William, in Lancet, 22. May 1869.
21) E. Meyer (L'Union, 76. 1868) beobachtete bei einem Mädchen, welches sich mit
diesem Bleichen der Brüsseler Spitzen beschäftigt hatte, rechtsseitige Hemiplegie
mit Diplopie und Strabismus; es bildete sich allmählig eine Atrophie beider
N. optici aus. Bei einer Schwester dieser Kranken trat Neuritis des N. opticus
ein, welche wieder gehoben- wurde. In einem dritten Falle entstand Morb. Bricht.
Ebenso gefährlich kann das Bleichen der Strohhüte mittels Bleisalze werden,
nachdem sie vorher behufs Entziehung des Fettes in einer Auflösung von Ammo-
niumcarbonat oder Aetzammoniak eingeweicht und gebürstet worden sind.
22) van der Weyde: Nachtheilige Einwirkung der Papierkragen. Med. and surg.
Report. 18., I, 1868.
Kupfer (S. 713—728).
1) Die Fortschritte in der Schmelzung der Kupfererze bestehen in besserer Wind-
vertheilung und in der Anwendung erhitzter und gepresster Gebläseluft. Auch auf
Kupferhütten ist der Rundofen statt der früheren Schachtöfen eingeführt. Beim
Garmachen und Raffiniren des Kupfers benutzt man vielfach Wasserdampf,
indem man auf das einschmelzende und mit Wasser bespritzte Schwarzkupfer
Gebläseluft einwirken lässt, oder man bewirkt das Schmelzen mittels einer aus
Leuchtgas and Sauerstoff erzeugten Flamme.
2) Der nasse Weg oder das Extractionsverfahren hat namentlich in England
bei Kupfererzen eine grosse Verbreitung gefunden. Auch hat man durch
Theilung der Arbeit den Zweck zu befördern gesucht, indem die chemischen
Fabriken die beim Rösten abfallende schweflige Säure zur Schwefelsäurefabrication
benutzen, die Kupferwerke das Kupfer extrahiren und die Eisenhütten die
eisenreichen Rückstände in Hohöfen verwerthen. Geschwefelte Erze rostet man
für sich oder mit Schwefelkies, um Kupfersulfat zu erzeugen; die oxydirten
Erze werden jetzt mehr einem chlorirenden Rösten in Röstöfen mit Drehherd
unterworfen, wodurch auch die Arbeiter mehr geschützt werden. Die entweichen-
den sauren, etwas kupferhaltigen Dämpfe condensirt man und laugt sie mit
Kalkmilch zur Abscheidung von Eisenoxyd und arsensaurem Eisen aus; zum
Präcipitiren des Kupfers gebraucht man statt der Eisenabfälle auch Schwefel-
wasserstoff. In Deutschland hat man schon längst, namentlich in Linz und
Braubach a. Rh., die Kupfergewinnung auf nassem Wege ausgeführt.
3) In Betreff der Erzaufbereitung ist hier noch im Allgemeinen zu bemerken,
dass die Fortschritte in der Maschinenkunde auch auf diesen Zweig des Hütten-
wesens einen bedeutenden Einfluss ausgeübt haben, so dass viele Handarbeiten
jetzt mittels Maschinen verrichtet werden. Die speciellen Erörterungen über deren
Construction würden hier zu weit führen; es genüge daher die Bemerkung, dass
zum Setzen von Schlich und Graupen sogen. Mittelkornsetzmaschmen, zum
Waschen der Erze Harzer Setzsiebe mit Doppeltrundherden und hit-
tinger'sche Stossherde vielfach im Gebrauche sind.
4) Dumas: Handb. d. angew. Chemie, 3. Bd., p. 671, 4.Bd p. ,181.
5 Man kann zu diesem Zwecke die Erze in Stück- und Schlichform rosten, hur
erstere benutzt man aber noch vielfältig die nach oben sich erweiternden Schacht-
892 Kupfer.
Öfen (Kilns), während sich für Schlich und Erzklein die im Texte genannten Oefen
vorzugsweise eignen. Wo die schweflige Säure zu sehr verdünnt oder mit den
Feuerungsgasen vermischt ist, muss man sich mit den Koksthürmen begnügen.
G) Bekannt'liehfhaben manche Thiere, z.B. Helix pomata, Unio pictonnm, Limatus
Cyclops, Kupfer im Blute. Wenn man dies auch vom Menschen behauptet hat,
so beruht diese Annahme auf Täuschung oder irrthümlicher Analyse.
Lossen (Journ. f. prakt. Chemie, 96. Bd., p. 460) hat besonders darauf aufmerk-
sam gemacht, dass der Kupfergehalt der Aschen bei derartigen Untersuchungen
von den beim Einäschern benutzten kupfernen oder messingenen Gegenständen
herrühren kann. Man vergl. Blasius in der Zeitschrift f. ration. Medic , 3. R ,
26. Bd.. p. 240—268. Bergeron et l'Höte in Compt. rend., 80. Bd., p. 268— 270.
7) Reines metallisches Kupfer wirkt nicht als Gift: je leichter aber seine Verbin-
dungen in Wasser löslich sind, desto leichter erfolgt auch eine Einwirkung auf
den Organismus, die sich vorzugsweise durch Erbrechen und Diarrhoe kund gibt.
Der Grünspan und ähnliche saure Salze geben am ehesten Anlass zu solchen
Zufällen, wenn solche Verbindungen in kupfernen Gefässen durch die Einwirkung
ihres Inhaltes auf dieselben unter Mitwirkung der atmosphärischen Luft ent-
standen sind.
In dieser Beziehung ist aber zu beachten, dass ein benutzter, im Innern mit
Fett überzogener gusseiserner Topf Kupfersalze entweder gar nicht oder nur
sehr langsam zerlegt, so dass auf diese Weise eine Kupferlösung ziemlich lange
unverändert und unzersetzt bleiben kann. Diese Thatsache kann oft von grosser
Tragweite sein; so hatten sich z. B nach Tardieu im Jahre 1830 zwei Sachver-
ständige darüber auszusprechen, ob eine fette Suppe, in welcher man ein Kupfer-
salz gefunden hatte, mit letzterm während ihrer Zubereitung in dem betreffenden
eisernen Topfe versetzt, oder ob erst nach dem Ausgiessen der Suppe aus dem
Topfe das Kupfersalz zugesetzt worden sei. Indem sich die Sachverständigen auf
die rasche Fällung des Kupfers aus seinen Lösungen durch metallisches Eisen,
sowie darauf stützten, dass jeder rothe Ueberzug auf der Innenwand des Kessels
fehlte, entschieden sie sich für die zweite Ansicht, deren Begründung aber, wie aus
dem Obigen hervorgeht, noch einer nähern Untersuchung des betr. Topfes bedurfte.
Galippe, L. M. V.: Etüde toxicologique sur le cuivre et ses composes. Paris 1876.
SJ Nürnberg und Fürth sind noch immer der Hauptsitz der Blattmetall- und
Bronzefarbenfabrication. Die Fabrication besteht vielfältig noch in Hand-
arbeit, wenn man von dem Walzen absieht; namentlich ist das stundenlange
Schlagen mit schweren Hämmern als eine sehr anstrengende Arbeit zu betrachten,
da die zu einem Bande ausgewalzte Legirung noch weiter ausgeschlagen werden
muss. Ausschlagen und Ausglühen wechseln einigemal, wobei zur Entfernung
des Glühspans auch die Beize mit Schwefelsäure, das Waschen, das Blank-
sieden in Weinsteinlösung und das Bürsten zur Anwendung kommen. Dann
folgt das Zerschneiden des Bandes und weiteres Strecken mit dem Hammer.
Mittels des Quetsch- oder Lothhammers werden die Quadrate (Lothe) ausge-
schnitten, die dann von den Handscblägern noch weiter verdünnt werden, um
schliesslich zwischen den aus der innern Haut von Rindsdärmen angefertigten
Goldschlägerhäutchen auf einem aus dolomitischem Kalkstein angefertigten Amboss
noch weiter ausgeplattet zu werden. Um das Ankleben der Blättchen zu verhüten,
stäubt man dieselben mit Gips, dem sogen. Braun Die Arbeiterinnen, die sich
ausschliesslich hiermit beschäftigen, heissen Einlegerinnen. Je nach der Natur
des Verstaubungsmittels, welches hier zur Anwendung kommt, können nachtheilige
Folgen für die Brustorgane entstehen. Man gebraucht hier im Allgemeinen viel
zu wenig Vorsicht, weil eben das Mittel werthloser ist als das zu verarbeitende
Metall, dessen Abfall sehr sorgfältig wieder gewonnen wird. Die Blättchen aus
achtem Gold und Silber werden auf dieselbe Weise behandelt.
Den Abfall bei dieser Blattmetallfabrication nennt man Schawin oder Schabin;
bei dem starken Verbrauch der Broncefarben wird auch das Metall selbst zu
Schabin verarbeitet. Das Pulverisiren des Schabins geschieht auf besonders con-
struirten Mühlen, auf denen die kleinen Blättchen noch weiter zerrissen werden.
Das Sortiren bewirkt man durch Schlämmen oder durch einen in einen geschlos-
senen, mit Kästchen umgebenen Cylinder eintretenden Luftstrom, der in der
Weise sortirt, dass er den feinsten Metallstaub am höchsten hebt und daher in das
höchste Kästchen fallen lässt. Eine gröbere Sorte heisst Brocat, die durch Stampf-
werke hergestellt wird.
Die auf diese Weise erhaltenen Broncefarben zeichnen sich dadurch aus, dass
die feinen Staubtheilchen die Blattform haben, welche grade den Glanz dieser
Farben bedingt. Kein anderes Verfahren hat bisher dies Ziel erreicht. Die Zer-
kleinerung auf der Fraismaschine erzeugt namentlich die eckigen oder
Kupfer. 893
rundlichen Körner, da die ausgewalzten und durch Hammerwerk dünn ge-
schlagenen Blätter mittels einer Kratzbürste durch ein Eisendrahtnetz getrieben
und dann mit einer Reibmaschine behandelt werden. (Seelhorst in Nürnberg:
Wiener Weltausstellung, 15. Heft, 1874, S. 354).
Diese Methode wird übrigens gegenwärtig auch in England ausgeführt. Die
Darstellung des Metallpulvers mittels Amalgamation ist stets mit sanitären Nach-
theilen verbunden. Sowohl in technischer als in sanitärer Beziehung ist daa
chemische Verfahren, das Kupferoxyd in Schuppenform zu reduciren, vorzuziehen.
Bekanntlich pflegen Bronzirer, Gürtler, wie alle übrigen Arbeiter, die
metallischem Staube oder metallischen Dämpfen ausgesetzt sind, reichlich Speck
uud Fett zu gemessen, weil man in den fetten Speisen gleichsam ein Einhüllungs-
mittel für die metallischen Partikelchen erblickt. Hierbei ist aber zu beachten,
dass Kupfer durch Oleosa leichter aufgelöst wird; es ist daher auch nicht zweck-
mässig, bei Kupferaufnahme Oleosa als Laxantia zu empfehlen.
9) Man vergl. S. 455. Nach dem Trocknen der Farben wird mit Glanzpapier noch-
mals geglättet und sind die hiermit beschäftigten Arbeiter mehr den Bleiintoxi-
cationen ausgesetzt als diejenigen, welche nach dieser Procedur unter Anfeuchtung
mit Bimstein glätten. Ausserdem trägt auch die meist gänzlich vernachlässigte
Ventilation in den Werkstätten zur Vergrösserung dieser Nachtheile bei.
10) Bischoff, Carl: Das Kupfer und seine Legirung, Berlin 1865, S. 149.
11) Greenhow: On brass-founder's ague. Med. chir. Transa.ct XXVII. 1862, p. 177.
Als Krankheit der Messinggiesser wird das Leiden genauer bezeichnet, während
die Franzosen es im Allgemeinen Courbature ou fievre des fondeurs nennen, womit
aber auf die Ursache der Krankheit nicht genauer hingewiesen wird. conf. Annal.
d'hyg. pabl., Oct. 1863, p. 467.
Schnitzer, Media Zeitung vom Verein f. Preussen, No. 25, 1862.
Hirt: Die Gasinhalations-Krankheiten, S. 165. Breslau 1873.
12) Tardieu, A.: Etüde hygienique sur la profession de Mouleur en cuivre pour
servir ä l'histoire des professions exposees aux poussieres inorganiques. Paris 1855.
Separ.-Abclr. aus Annal. d'hyg. publ. 1854, T. IL, 1. part.
Üeber die anthrakolog. Pneumokoniose der Kupferformer' vgl. m. noch A.Proust
im Arch. gener., 27. Bd., p 148, 1876.
13) Es ist hier auf einen durch salpetersaure Dämpfe herbeigeführten Todesfall^ bei
einem Arbeiter, den Tardieu und Roussin (Annal. d'hyg. publ. 1875, p. 34oj
beschrieben haben, hinzuweisen. Das Lungengewebe war an einzelnen Stellen
erweicht und hatte ein geleeartiges Aussehen. Saure Reaction wurde durch Lack-
muspapier, und durch die Analyse die Gegenwart von Natr. nitric. nachgewiesen.
Neuerdings sind die Dämpfe von Untersalpetersäure als Desinfektionsmittel
in Hospitälern und auf Seeschiffen vielfach empfohlen worden. Verf. kann sich
auf Grund von Versuchen und vielseitiger Erfahrung mit dieser Empfehlung nicht
befreunden und muss diese Dämpfe nach wie vor für recht schädliche erklären.
14) Talmigoldwaaren, z.B. Ohrringe, Uhrketten u. s. w., aus mit Goldblech be-
legten Kupfer-, Tombak- und Messingplatten angefertigt, die zu Blech ausgewalzt
und zu Draht ausgezogen werden, enthalten \% Gold als Decke und sind recht
dauerhaft.
Unter leonischen Waaren oder Drähten versteht man Fabncate aus ver-
silberten und vergoldeten Kupferdrähten und sogen. Plätten, d. h. bandartig
plattgewalzten Drähten ; man benutzt sie für Theater- und Maskencostüme, Militär
effecten u. s. w. Die Fabricate nennt man Bouillon und Cannetillen.
Phosphorbronze wird durch geringen Zusatz von Phosphor zur Bronze dar-
o-estellt und ist dem roth karatirten Golde ähnlich: sowohl zu Schmuck und
Decorationssachen als zu Statuen, Kanonen u.s.w. wird es verwendet Phosplior-
kupfer enthält in der Regel »/, % Phosphor. Der Zusatz von Phosphor macht den
Guss von Kupfer und Eisen leichtflüssiger.
15) Die Legirungen sind so vielfach, dass sie nicht sämmtlich namhaft gemacht werden
können. , ..,''.'■, • i • -, i„
16) Pechelier et Saintpierre: 1/etude sur Thygiene des ouvners eniploye* a la
fabrication du verdet. Paris 1861.
Saintpierre im Monit. scient. 186o, 831. Wagners Jahresber. lbbb. p. 4(b.
In den französischen Fabriken hat man die Beobachtung gemacht, dass der
Grünspanstaub nur wie jeder andere Staub die Schleimhaut der Augen und der
Respirationswege reize; auch ist es Thatsache, dass Hühner die \\ eintre.ter, die
zur Fabrication des Grünspans gedient haben, ohne Nachtheil verzehren.
894 Quecksilber.
Quecksilber ( S. 728—74-:)
1) Journ. f. prakt. Chemie, 50. Bd., S. 20, 1850.
"_' i Merget im Journ. de Med. et de Chim., Janv. 1872. Wittstein's Vierteljahrsschr.
f. prakt. Pharmac, 22 Bd., S. 258, 1873.
3) Kussmaul: Untersuchungen über den constitut. Mercurialismus und sein Verhält-
niss zur constit- Syph. Würzburg 1861.
4) Bericht des K K. Allgem. Krankenhauses zu Wien im Jahre 1872. Wien 1873.
Schon Vigier hat gegen Tremor mercurialis Zincum phosphoratum
empfohlen. Neuerdings hat es Gueneau de Mussy (Lancet, 5. Febr. 1876) mit
sehr gutem Erfolge angewendet und zwar in zwei Pillen von je 0,004 Grm. pro
die. Eine zweitägige Verabreichung dieses Medicaments soll das Leiden, welches
seit 6 Wochen bestand, ganz gehoben haben.
Nöthigenfalls kann man bis zu 6 Pillen derselben Dosis pro die steigen. Das
Mittel soll eine < onstantere Wirkung als der reine Phosphor entfalten. Angeblich
hat es auch bei einer chronischen Arsenvergiftung günstig gewirkt, die mit
lähmungsartigen Erscheinungen in den Extremitäten verbunden war und einen
Arbeiter betraf, welcher in einer Anilinroth -Fabrik gearbeitet hatte.
5) Voit: Phvsiol.-chem. Unters. Augsburg 1857.
6) Büchners Neues Repert. f. Pharmac, Bd. XVII, S. 257, 1868.
7) Im Venetianischen zu Vallalta kommen arme Erze mit nur 0,5^ Quecksilber vor,
die, mit Holzkohlenpulver und Thon zu Ziegeln geformt, in Schachtöfen verhüttet
werden.
8) In Idria sind die etagenformigen Schachtöfen fast ganz ausser Gebrauch gekommen.
Die horizontalen Flammenöfen nach Alberti benutzt man hauptsächlich für Schlich
aus ärmern Erzen, obgleich letztere auch in Schachtöfen wie in Vallalta verhüttet
werden, namentlich seit der Einführung der nach Exeu construirten Oefen, bei
welchen die Condensatkm der Quecksilberdämpfe auf eine zweckmässige Weise in
auf- und absteigenden Röhren erfolgt (s. Rammeisberg in den Schriften der
Wiener Weltausstellung, 20. Heft, S 918).
0) Der Brand in Idria ist beschrieben in T. G. Krünitz: Oekonomisch-technolog.
Encvclon.. Bd. 119., Art.: Quecksilber.
10) Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des Gewerbefleisses in Preussen, 1869,
S. 33 u. 106.
11) Sitzungsber. der Acad. d. Wissensch , 66. Bd., Oct. 1872.
12) In Idria benutzt man zur Bildung von Schwefelquecksilber einen Trommel-
apparat und bewirkt die Sublimation in eisernen Kolben mit Helm und Vorlage
von Thon. Man hat hierbei für eine dichte Lutirung und vollständige Conden-
sation der Dämpfe zu sorgen.
13) Gaz. de hopit., Juillet 1864.
14) Eulenberg in der Berl. klin. Wochenschr. No. 46, p 460, 1865.
Eisen (S. 742-757).
1) In Oberschlesien sind die mulmigen Brauneisenerze so reich an Zink und Blei,
dass sie als Nebenproducte gewonnen werden können und zwar das Zink aus
dem mit den Gichtgasen abgeführten Zinkstaub, sowie aus dem Zinkschwamm, der
sich an den Wänden des Ofens ansetzt. Um das Blei zu erhalten, wird der
„Bodenstein" mit engen Canälen hergestellt, aus denen das Blei tropfenweise
hervorquillt. Serlo im Amtl. Ber. der Wiener Ausstell., 1. Heft 1874, S. 60.
Es ist hier auch noch die Schlackenwolle oder Glaswolle zu erwähnen,
welche ein Gemisch aller erdigen Theile der Erze darstellt. Sie zeichnet sich
durch ein sehr geringes Leitungsvermögen für die Wärme aus : man benutzt sie
besonders zu Isolirschichten.
2l Eine Verbesserung der Hohöfen besteht in der Erweiterung und Erhöhung der-
selben, in der Erhitzung der Gebläseluft und in der Herstellung kräftiger Gebläse.
Die Winderhitzungsapparate sind verschieden construirt. Die Ableitung der Gicht-
g - se stets mittels eines besondern Gichtverschlusses mehr aus der Mitte
des Ofens bewirkt werden: das Brennmaterial wird daher ausschliesslich in die
Mitte des Ofens und das Erz an den Rand desselben gegeben.
3) Ledebur in der Deutschen Industriezeitung 1874, S. 313. Wagner's Jahres-
bericht 1874, S. 45.
4) Die Einführung der rotirenden Puddelöfen und der Regenerativ- Gussstahl-
schmelzöfen nach Siemens -Martin bezeichnet einen bedeutenden Fortschritt im
Puddelprocesse. Gurlt im amtl. Bericht der Wiener Ausst. 20 Heft, S. 757.
Eisen. 895
5) Es ist hier noch hervorzuheben, dass die Feilenhauer beim Haubbefcriebe, was
z.B. in Remscheid der Fall ist, gar nicht an Bleiintoxication leidea. Verf hatte
früher zehn Jahre lang Gelegenheit, viele Feilenhauer in dortiger Gegend zu be-
handeln, ohne Erkrankungen dieser Art zu beobachten. Neuere Erkundigungen
bei dortigen Collegen haben dasselbe Ergebniss geliefert Das .Verfahren besteht
darin, dass m einer der Breite der Feile entsprechenden Rinne des Ambosses eine
germge_ Menge geschmolzenen Bleies gegossen wird; nach dem Erkalten des-
selben wird_ die betreffende Seite der Feile in die noch weiche Bleirnasse einge-
drückt. Feine Bleitheilchen setzen sich in die gehauenen Rinnen und werden
später durch Bürsten entfernt. Trotzdem ist die Abnutzung der Blei platte sehr
gering und kann eine solche wenigstens zehn Tage lang benutzt werden; je grösser
aber die Feilen sind, desto breiter muss natürlich auch die Bleiunterlage sein:
immerhin kann aber bei der beschriebenen Methode das Auflegen der Hand auf
die Bleirinne vermieden werden. Das Härten der Feilen geschieht in grösseren
Werkstätten, und. zwar in der Weise, dass die Feilen bis zu dem Toi Sprunge, wo
die Schärfen beginnen, in geschmolzenes Blei gesteckt werden. In weissglühendem
Zustande werden sie dann in Oel getaucht, wodurch sie schnell erkalten. Diese
Arbeit kommt wöchentlich höchstens zweimal vor und dauert nur kurze Zeit;
nachtheilige Einwirkungen von Bleidämpfen hat man bisher auch hierbei nicht
beobachtet. Es bestätigt sich somit die bereits S. 703 erwähnte Thatsache, dass
beim Schmelzen des Bleies kein sanitärer Nachtheil entsteht, wenn ea dabei zu
keiner Oxydation kommt.
Uebrigens ist das eigentliche Feilenhauen schon wegen des anhaltenden Sitzens
und der nach vorn gebogenen Körperstellung nachtheilig, wozu auch häufig noch
ein übermässiger Branntweingenuss kommt, da die Arbeit eine einträgliche ist.
6) Krumme hat im Correspondenzbl. des Niederrh. Vereins f öffentl. Gesundheitspfl.
(No.7, 8, 9, 1875) die Schleiferei von Goldenberg & Comp, in Zornhoff bei Zabern
beschrieben.
M. vergl auch: Systeme de Ventilation applique aux meules et polissoirs des
usines de Goldenberg & Comp, au Zornhofi pres Saverne. Extrait du 19. vol. de
la public indust. etc. de M. Armengaud aine. Paris 1870.
7) Die Regierung zu Aachen hat bereits unter dem 2. Februar 1857 eine Polizeiver-
ordnung erlassen, nach welcher jeder Schleifstein mit einer aus starkem Eisen
bestehenden Schutzvorkehrung zu versehen ist, welche verhindert, dass ein ab-
springendes Stück des Schleifsteines in den Arbeitsraum fliege. Ausserdem muss
in jedem Schleifiocale eine Vorrichtung bestehen, welche die Verbreitung des beim
Schleifen entstehenden feinen Metall- und Steinstaubes in den inneren Raum des
Locales verhütet.
Die Nähnadelfabriken zu Aachen datiren aus dem 16. Jahrhundert zurück; die
ersten Maschinen zur Nähnadelfabrication wurden in Burtseheid bei Aachen ein-
geführt; Iserlohn und Altena vertreten gegenwärtig die westphälische Nadel-
fabrication. Preussen zählt 34, Bayern 30 Nadelfabriken, in denen zusammen
4000 Arbeiter beschäftigt sind.
8) Krumme theilt (1. c.) einige statistische Notizen über die Altersverliälinisse der
Schleifer in Remscheid mit:
a) in dem Alter von 15 — 24 Jahren incl. befanden sich 88
b) „ „ „ „ 26—34 „ ,, „ „ 52
c) „ „ „ „ 36—44 „ „ „ „ 38
d) „ „ „ „ 45—54
e) „ „ „ „ 55—64
f) „ „ „ » 65—74
Summa : 196
Ueber 40 Jahre alt sind überhaupt nur 24 geworden, über 50 Jahre 10, über
60 Jahre 3. Von den letzteren betrieben zwei das Schleifen nur wenig.
Auch in England hat man den tödtlichen Ausgang in der Regel vor Eintritt des
40. Lebensjahres bei der Schleiferkrankheit beobachtet, die auch vielseit.j, Schleifer-
faule- (gfinder's rot) genannt wird. Sie stimmt im Allgemeinen am meisten mit
der Schwindsucht der Steinmetzer (Stone-cutter's consumptiou, überein, die
sich in allen Ländern wiederholt, in denen ohne Vorsichtsmassrege'n hartes Stein-
material bearbeitet wird. So sind es in Frankreich ganz besonders die dort vor-
kommenden Mühlsteine, deren Bearbeitung die Meisten noch vor dem 40. Lebens-
iahr hin wegrafft.
J Hinsichtlich der Schleiferkrankhe.it ist noch hervorzuheben, dass dieselhe vor
dem Jahre 1786 noch unbekannt war und sich erst mit der Vergrösserung der
Fabriken, sowie der Ueberfüllung der Werkstätten mit Arbeitern immer mehr
896 Eisen.
bemerkbar machte, während früher die Fabriken mehr auf dem flachen Lande
zerstreut, auch kleiner waren und namentlich den Wechsel der Arbeit noch ge-
statteten.
!)) Holland, Disease of the lungs from mechanical causes and inquiries into the
condition of the artisan exposed to the inhalation of dust. London 1843.
— Inhalation gritty and metallis particles. Monthly Journ. Novbr. 18415.
Jordan, Die Krankheiten der Arbeiter in Stahlfabriken. Viertel] ahrsschr. f. ger.
Media, 23. Bd., S. 13(5, 1863.
Hirt, Die Staubinhalation s-Krankheiten. S. 73 etc. Breslau 1871.
10) Bei der Holzbearbeitung nehmen die Dampfsägemühlen eine wichtige
Stellung ein. Man benutzt dazu Kreis-, Band-, Fournirsägen etc., je nach-
dem man Latten, Stämme oder Blätter herstellen will. Findet die Arbeit in ge-
schlossenem Räume statt, so ist der Holzstaub immer beachtungswerth, wenn
er auch keine specifische Schädlichkeit enthält und bisher besondere Leiden der
Brustorgane bei Sägemüllern nicht beachtet worden sind. Immerhin wird aber die
Reinheit der Luft in geschlossenem Räume dadurch beeinträchtigt und bleibt
es fraglich, ob nicht dadurch die Entstehung von Katarrhen, Bronchitis und Em-
physem begünstigt wird. Würde mit der Dampfmaschine ein Exhaustor in Ver-
bindung gebracht, so könnte man die in den Werkstätten sich ansammelnden
Staubwolken leicht verhüten. Der Abfall, das Sägemehl, ist in technischer Be-
ziehung wichtig geworden: man benutzt es zur Darstellung von Spiritus, Oxal-
säure, zum Reinigen des Leuchtgases, zur Cementation des Eisens und zur Her-
stellung künstlichen Holzes, welches man zu Ornamenten benutzt, indem
durch Zusammenmischen des Sägemehls mit Leim, Leinöl, Firniss, Kreide, Thon etc.
zunächst ein Teig gebildet und dieser in Formen von Metall, Schwefel, gebranntem
Gips u s. w. gedrückt wird.
Zu erwähnen ist auch das Biegen des Holzes, wozu man in den Fabriken
Maschinen benutzt Beim Hausbetriebe werden die Hölzer hierzu durch Ein-
weichen vorbereitet; namentlich werden die frischen Stäbe, welche zu Tonnen-
reifen dienen, einer Maceration unterworfen. Wird diese Procedur in engen
Strassen grosser Städte vorgenommen, so soll hierdurch die Entstehung von
Malariafieber leicht begünstigt werden (s. Martineau: De Pinsalubrite des
tonnelleries a St. Pierre. (Martinique): Annal. d'hyg. publ., p. 320, 1869.).
Die Bearbeitung der Oberfläche des Holzes wird durch Hobeln, Raspeln,
Pressen, Ziehen u. s w. bewirkt. Zum Verschönern dient das Schleifen
und Schaben (Staubbildung), das Beizen, das Bohnen, Poliren, Lackiren,
Vergolden und Versilbern.
11) Eulenberg: Ueber emaillirte gusseiserne Kochgeschirre. Preuss. Vereinszeitung
No. 16 1862, No. 40 1863. Dingler's polyt, Journ. 1864, S. 449.
Ziurek, Deutsche Industriezeitung 1871, No. 48, p. 478.
12) Zur Darstellung von bleifreiem Email schmilzt man zuerst Kieselsäure und Soda
und lässt die flüssige Masse in Wasser auslaufen. Dieses Glas wird nochmals in
Tiegeln unter Znsatz von Borax, Magnesia, Soda, Thon und Kieselerde geschmolzen
und als Email benutzt, s. Dingler's polyt. Journ., Bd. 103, S. 369, 1847.
Vor nicht langer Zeit war die Gräflich Einsiedel'sche Eisengiesserei in Lauch-
hammer die einzige, welche metallfreies Email lieferte; in neuerer Zeit sind auch
die Eisenhütte zu Gleiwitz, die Marienhütte zu Kotzenau, die Wilhelmshütte in
Sprottau und die Eisenhütte bei Thale hinzugekommen.
13) Zenker in Deutsches Arch., II. Bd , 1 Heft 1866.
14) Merkel, eod. loc. VIII. Bd., p. 206, 1871.
15) Eulen berg: Die Lehre u. s. w, S. 419.
Aluminium (S. 757—765).
1) J. B. Dornbusch: Die Kunstgilde der Töpfer in der abteilichen Stadt Siegburg
und ihre Fabricate. Mit Berücksichtigung von andern bedeutenden rheinischen
Töpferniederlassungen. Ein Beitrag zur Geschichte des Kunsthandwerks am Rhein.
Mit 36 lithogr. Abbild, u. 3 Taf. Köln, J. M. Heberle, 1873.
2) Vohl: Die Gase und Dämpfe, welche sich bei den hier zu Lande üblichen Feld-
ziegeln entwickeln. Dinglers polyt Journ., 178. Bd., 4. Heft, S. 296.
3) Heise: Die Krankheiten der Arbeiter in den Ziegelsteinfabriken. Viertel jahrsschr.
f. gerichtl. Medic, 17. Bd., S. 20, 1860.
4) Die Bleiglasur der Töpfeigeschirre stammt aus dem 16.- 17. Jahrhundert: aber
erst im Jahre 1794 machte Ebell auf den sanitären Nachtheil derselben aufmerksam.
Seit dieser Zeit sind namentlich aus Frankreich viele Fälle von Vergiftungen in
Folge des Gebrauchs dieses Töpfergeschirrs mitgetheilt worden, da man dort einen
Ultramarin und Chrom. 397
künstlichen Wein (Piquette) in denselben mittels Zuckersyrups, Essigs und eines
Aufgusses von Blättern des Weinstocks, des Pfirsichbaums, der Johannisbeeren
und des Flieders darzustellen pflegt, wobei sich ein Gährungsprocess bildet (conf.
Chevallier (Annal. d'hyg. publ, Avril 1859, p. 308).
Zur Darstellung der Bleiglasur nimmt man gewöhnlich Bleiglanz, Glätte, Mennige
oder Bleiweiss und Thon (kieselsaure Thonerde); nur wenn alles Bleioxyd durch
die Kieselsäure gebunden wird, ist diese Verbindung unschädlich, da sie von den
gewöhnlichen, in den Haushaltungen gebräuchlichen "Säuren nicht angegriffen wird.
In diesem Falle muss aber das Bleioxyd in einem äquivalenten Verhältniss zur
Kieselsäure vorhanden sein; man muss daher ganz genau den Kieselsäuregehalt in
den Ingredienzen (Thon, Lehm, Sand) kennen und dabei eine solche Temperatur
beim Brennen beobachten, dass die chemische Verbindung, d.h. die Bildung des
Bleisilicats, erfolgen kann. Bei der gewöhnlichen Fabrication verlässt man sich
aber nur auf empyrische Manipulationen und beachtet nichts weniger als die oben
erwähnten Bedingungen Aus dieser Ursache bleibt die Bleiglasur des Töpfer-
geschirres in sanitärer Beziehung stets gefährlich. Eine intensive Vergiftung dieser
Art hat in neuerer Zeit Swederus (Deutsche Klinik No. 42, 1873) mitgetheilt,
während Hohnbaum in Henke's Zeitschr. f. Staatsarzneikunde 1872 über die Ver-
giftung einer ganzen Familie durch die Bleiglasur von Töpfergeschirr berichtet hat.
Ebell's Schrat: Die Bleiglasur der irdenen Küchengeschirre als eine unerkannte
Ursache vieler Krankheiten, erschien zu Hannover.
Genaue chemische Untersuchungen über die Bleiglasur hat Dr. Emil Erlen-
meyer (Mittheilungen f. d. Gewerbeverein in Nassau, 1856, No. 19, 20, 59. Polyt.
Centralbl., p. 675, 1857) angestellt. Erlenmeyer macht darauf aufmerksam, dass
viele Töpfer die schlechte Sitte haben, Bruchstellen oder Stellen, wo keine Glasur
sitzt, je nach der Farbe mit einem Brei von Bleiglanz oder Bleiglätte anzu-
streichen, damit solche dem Käufer nicht so leicht auffallen.
Innhäuser hat die betreffenden Arbeiten über Bleiglasur und Bleiintoxication in
der Wiener Medicin. Presse (No. 25 u. s. w. 1871) zusammengestellt.
5) Wilbrand: Einige Bemerkungen über Gewerbekrankheiten der Steinzeug-Arbeiter
und ihre Ursachen. Vierteljahrsschr. f. ger. Medic. u. s. w., S. 124, 24. Bd., 1876.
Ultramarin-Industrie (S. 766).
Man unterscheidet in der Technik kieselarmes Ultramarin (Sulfat- und
Soda -Ultramarin) und kieselreiches Ultramarin. Je nachdem man die eine
oder andere Sorte darstellt, benutzt man auch häufig ein besonderes Ofensystem.
Man zieht für kieselarmes Ultramarin noch häufig die Tiegel vor, für kieselreiches
Ultramarin sind aber ausschliesslich Muffelöfen mit cylin drischer Form in Gebrauch.
Im Allgemeinen soll nach dem Urtheil der Techniker die Menge des zugesetzten
Schwefels über den notbwendigen Verbrauch hinausgehen, welcher daher auch
theils im Ofen verdampft, theils zu schwefliger Säure verbrennt und daher verloren
geht. Ueber die Bindungsweise des Schwefels, sowie über die chemische Con-
stitution der Ultramarinverbindungen sind die Ansichten noch sehr schwankend
und hat deshalb der Verein deutscher Ultramarinfabricanten einen Preis für die
beste Arbeit hierüber ausgesetzt. In sanitärer Beziehung würde die Lösung dieser
Frage von grosser Bedeutung sein, wenn namentlich die Menge der schwefligen
Säure vermindert werden könnte; ihr nachtheiliger Einfluss auf die Vegetation in
der Umgebung dieser Fabriken gibt sich nicht immer in prägnanter Weise kund,
conf. Reinhold Hoff mann im Amtlichen Bericht der Wiener Weltausstellung,
20. Heft, S. 678.
Chrom (S. 768—773).
1) Gmelin, I.e. S. 22.
2) Neese, N., Pharmac. Zeitschr. f. Russl., No. 7, 1862. Die Vergiftung betraf den
Prof. Parochow zu Charkow.
Schrader: Kaliumbichromat als Abortivum. Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Medic,
V. Bd. S. 113, 1866.
Als Antidote gelten die Alkalien, welche die Bildung des neutralen Kalium-
chromats veranlassen.
3) Annal d'hyg. publ., Janv. et Mars 1876. Die erste Abhandlung erschien loc. eod.,
T. 21," S. 18, 1869.
4) Brit. med. rev., T. 28, Oct. 1861.
5) Lancereaux, Annal. d'hyg- publ., S. 339, 1875.
6) Arch. d. Pharm., 81. Bd., 2te Reihe, 1855.
Eulenberg, Gewerbe -Hygiene. Ol
398 Mangan, Nickel, Kobalt, Molybdän.
7} v. Linstow in der Yierteliahrsschr. f. gericbtl. Med., 20. Bd., S. 60, 1874.
8) Das gelbe Papier wird, erfahrungsgemäss häufig als Enveloppe für Brustcaramellen
benutzt; ein derartiger Beutel kann 0,294 Chromblei enthalten.
9) Uppenkamp, Julius: Leber Chromverbindungen. Wiener Weltausstellung,
20. Heft, S. 723.
Mangan (S. 774—775).
1) Man hat auch Braunstein und. künstlieh dargestelltes Mangansuperoxyd, als An-
btrichfarben benutzt. Mangan- oder Nürnberger-Violett wird durch Schmelzen
von Manganoxyd mit Phosphorsäure und Abkochen der resultirten Masse mit
Ammoniumcarbonat erhalten (s. Bendix im 20. Heft, S. 849 des Amtl. Ber. über
die Wiener Ausstellung).
2) T es sie du Motay und Marechal stellen zu diesem Zwecke übermangansaures
Natrium im Grossen dar, indem sie mangansaures Natrium mit einer Lösung von
Magnesiumsulfat, Chlormagnesium und Chlorcalcium versetzen, wobei gleichzeitig
M an gan superoxydhydrat gefällt wird:
3NaJMn04 + 2MgS04 + 3H20 = 2NaMn04 + 2Na2S04 + 2HoMg02 + H2Mn03.
3) Kühne (Verhau dl. des Vereins z. Beförd. des Gewerbefleisses in Preussen 1866,
S. 116 u. 171) nennt Eisenchamäleon eine Verbindung von Eisensulfat und über-
mangansaurem Natrium, welche ganz besonders den Leichengeruch an den Händen
nach Sectionen rasch beseitigt.
Nickel (S. 775-779).
1) Gmelin, 1. c. S 70.
2) Künzel: Nickel und Kobalt. Wiener Weltausstellung. 20. Heft, S. 859.
3) In Betreff des Gerstenhöfer'schen Fällthurmes s. S. 833.
Kobalt (S. 779-781).
1) Gmelin, 1. c. S. 75.
2) Siegen, Medic. Centralbl. No. 57, 1873.
Thallium (S. 782).
1) Paulet im Arch. gener., p. 507, 1863. Lamy in Gaz des höp , p. 104. 1863.
Grandeau in Robin's Journ. de Panat, p. 378, 1864. Rabuteau in Gaz. hebd.
de med., 18., p. 293. Letzterer hält das Thallium für ein Muskel- und Herzgift.
2) Thallium legirt sich mit Magnesium sehr gut und lässt sich zu Drähten und
Bändern verarbeiten. Die Legirung verbrennt weniger lebhaft als Magnesium.
Wi ?muth-Thalliumglas wird für optische Instrumente und zur Darstellung
der Pierres de Strass benutzt.
Gold (S. 782-7S4).
1) Die Goldschlägerei ist eine sehr anstrengende Arbeit und wird ohne Mithülfe von
Maschinen ausgeführt (s. S. 892).
2) Natriumgoldchlorid AuCl3 + NaCl + 2H20 (Auro-natrium chloratum) dient
in der Photographie zur Tonung der Papierbilder.
Knallgold wird durch Uebergiessen von Goldoxyd mit Ammoniak dargestellt.
Der gewöhnliche Goldlack für Metallwaaren besteht aus einer Schellacklösung
mit Pikrinsäure und krystallisirter Borsäure.
1) Gmelin, I.e. S. 66.
1) Gmelin, I.e. S. 63.
Palladium (S. 785).
Iridium ( S. 785).
Osmium (S. 785).
1) Gmelin. 1. c. S. 50 und 52.
2) Gaz. de Paris, 28, 1874.
Molybdän (S. 786).
1) Gmelin, 1. c. S. 47.
2 ) Eulenberg's Lehre u. s. w., S. 47i..
Wolfram und Uran.
899
Wolfram (S. 787-788.
1) Der Wolframstahl wird zur Anfertigung von Magneten benutzt.
2) Gmehn, 1. c. S. 40 - 41.
3) Philipp im 20. Heft der Wiener Ausstellung, S. 745. Schwefelwolfram ist wie
Graphit zu gebrauchen.
Uran (S. 788).
1) In den Uranerzen von Joachimsthal findet sich Vanadin, das auch in manchen
Eisen- und Kupferschlacken, sowie in Eisenerzen enthalten ist. Dasselbe liefert
mit Chrom eine schöne Farbe; aus vanadinsaurem Ammonium, Pyrogallussäure und
arabischem Gummi nebst Regenwasser wird auch eine Schreibtinte bereitet
2) Gmelin, 1. c. S. 79.
3) Uranhydrat, welches als gelber Körper auftritt, die Eigenschaft einer Base und
Säure hat, ist als Uranylhydrat U02(OH)2 aufzufassen. Das Uranhydrat
welches ein brauner Niederschlag ist, hat die Formel U(OH)4. In technischer
Beziehung vergl. man Patera im 20. Heft der Wiener Ausstellung, S. 836.
Schlussbetrachtung (S. 789—806).
1) Die Gleichstellung der weiblichen Arbeiterinnen mit den geschützten Personen ist
als ein zeitgemässer Fortschritt zu betrachten und sollte auch in Deutschland zur
baldigen Nachahmung auffordern (s. Die Ergebnisse der über die Frauen- und
Kinderarbeit in den Fabriken auf Beschluss des Bundesraths angestellten Er-
hebungen, zusammengestellt im Reichskanzler-Amt. Berlin 1876, Druck der Königl.
Geh. Ober-Hofbuchdruckerei, S. 41).
Die Initiative zu eingehenden Erhebungen über die Beurtheilung der Angemessen-
heit und Notwendigkeit eines gesetzlichen Schutzes der in Fabriken beschäftigten
Frauen und Minderjährigen gegen sonntägliche Arbeit und gegen über-
mässige Beschäftigung an den Werktagen ist vom Reichstage in der
Sitzung vom 30. April 1873 ausgegangen und zwar auf Grund mehrfacher, während
der Sessionen von 1872 und 1873 eingegangener Petitionen. Es hat sich heraus-
gestellt, dass in Preussen etwa 3%mal so viel Männer wie Frauen beschäftigt
sind, in Bayern und Würtemberg ist die Zahl der männlichen und weiblichen
Arbeiter fast gleich gross, in Sachsen sind etwa um die Hälfte mehr Männer als
Frauen beschäftigt; in Hessen übersteigt die Zahl der Arbeiter die der Arbeite-
rinnen um etwa 15% in Baden umgekehrt die Zahl der Arbeiterinnen die der
Arbeiter um etwa 10 %.
Die tägliche Arbeitszeit der Arbeiterinnen ist sehr verschieden und
meistens noch dem Ermessen der Fabricanten anheimgegeben. Meist beginnt sie
im Winter um 6 oder 7 Uhr und endet Abends um dieselbe Zeit; im Sommer be-
ginnt sie nicht selten früher. Die Arbeitspausen umfassen durchschnittlich
1% — 2 Stunden, die wirkliche Arbeitszeit beträgt daher durchschnittlich
10 — 11 Stunden täglich; nur in der Textilindustrie dehnt sie sich nicht selten auf
13 Stunden aus.
Man kann annehmen, dass die Verwendung der Frauen zu Fabrikarbeit noch
im Steigen begriffen ist, namentlich ist man bei der Cigarrenfabrication zu
dieser Annahme berechtigt, auch bei denjenigen Industriezweigen, welche zum
Maschinenbetriebe übergegangen sind, hat man mehr weibliche Arbeitskräfte heran-
gezogen.
Nachts- und Sonntags arbeit der Arbeiterinnen kommt namentlich in Preussen
am häufigsten in der Thonwaaren- und Glasindustrie, in der Papier-
industrie, in der Rübenzuckerfabrication und besonders in der Textil-
industrie vor. Häufig hängt diese Arbeit wie in allen andern Staaten von den
lebhaften Geschäftszeiten und bisweilen auch von der Art des Betriebes ab.
Gesonderte Räume für Arbeiterinnen finden sich in einzelnen Gegenden in
den Papierfabriken, am seltensten im Hüttenbetriebe, während in der
Textilindustrie sehr verschiedene A'erhältnisse obwalten und in manchen In-
dustriezweigen eine gemeinsame Arbeit oft durch die Eigenthümlichkeit des Be-
triebes geboten wird. Am häufigsten scheinen männliche und weibliche Arbeiter
an denselben Arbeits- und Maschinenstücken in der Thon-, Porcellan- und
Glaswaarenfabrication, in Tabaks- und Cigarrenf abriken sowie in der
Fabrication von Zündwaaren beschäftigt zu sein. Die vereinte Thätigkeit bildet
in der sog. Veredelungsindustrie (Bleichereien, Färbereien, Appretur-
anstalten und Druckereien) die Regel.
Die Verhältnisse hinsichtlich der zu Gunsteu der Arbeiterinnen getroffenen
900 Schlussbetrachtung.
besondern Veranstaltungen, -wie Einrichtung von An- und Auskleideräumen, Wasch-
und Baderäumen, Schlafanstalten, Logirhäusern, Koch-, Speise- und ähnlichen
Anstalten stellen sich noch nicht vortheilhaft heraus. Besondere An- und Aus-
kleidezimmer finden sich regelmässig nur in Zündwaarenfabriken. In den
Rübenzuckerfabriken, in denen Nachtarbeit üblich ist, finden sich auch mitunter
Schlafanstalten und Logirhäuser; Sonntags-Nachmittagsschulen , gemeinsame Näh-
uncl Strickschulen kommen nur vereinzelt vor.
Vor und nach der Niederkunft haben die Frauen in den meisten Fabriken
keine andere Erleichterung, als dass ihnen der Platz zum Wiedereintritt offen ge-
lassen wird. Nur in einigen chemischen Fabriken im Regierungsbezirk Breslau
wird den Frauen die Einstellung der Arbeit zwei Monate vor ihrer Entbindung
zur Pflicht gemacht (s. S. 30). Der Kreis Iserlohn zeichnet sich durch die Rück-
sicht aus, die er den Frauen widmet; hier beginnt die Frauenarbeit erst um 9 Uhr
und die Arbeitspause kann von 11—2 Uhr dauern. _ Auch in andern Gegenden
Deutschlands gibt sich namentlich in der Textilindustrie die Fürsorge dadurch kund,
dass die Arbeiterinnen die Arbeit früher verlassen oder später mit derselben beginnen
dürfen, namentlich wenn sie in Accord arbeiten. Eine gänzliche Entfernung der
Frauen aus den Fabriken ist nicht zulässig, da manche Arbeiten eine Fingerfertig-
keit erfordern, die den Arbeitern meist abgeht; man halte sie nur von solchen
Arbeiten fern, die überhaupt dem weiblichen Organismus nicht angemessen sind
und denselben einer grössern Gefahr aussetzen. Dies gilt namentlich von
schwangeren und stillenden Frauen, die mit keinen giftigen Farben, keinen
Bleipräparaten, keinen Phosphor- und Quecksilberdämpfen in Berührung kommen
dürfen (s. Hirt: Die gewerbliche Thätigkeit der Frauen vom hygienischen Stand-
puncte aus. Breslau u. Leipzig 1873).
Von der grössten Wichtigkeit ist die Sorge für die kleinen Kinder der Frauen.
Als unentbehrlich für Fabrikorte sind die Krippen (creches) oder Säuglings-
Bewahr -Anstalten zu betrachten; sie verdienen eine allseitige Unterstützung
und ist ihr segensreicher Zweck nicht hoch genug anzuschlagen; es ist zu bedauern,
dass die vom Reichskanzler-Amt angestellten Erhebungen diesen Gegenstand nicht
berühren. Wir unterlassen nicht, diese höchst wichtige und namentlich auch auf
die Verminderung der Kindersterblichkeit hinzielende Einrichtung als eine wahre
Humanitäts-Anstalt dringend zu empfehlen (s. Eulenberg's Medicinalwesen, S. 60.)
Verbreiteter sind die Kinderbewahranstalten und Kindergärten für
2 -4 jährige Kinder, deren Nutzen sich auch indirect auf die Mütter erstreckt,
insofern diese dadurch schon mehr genöthigt werden, die Kinder in einem rein-
lichen Zustande diesen Anstalten zu überweisen und sich selbst an Ordnung zu
gewöhnen.
Was die jugendlichen Arbeiter betrifft, so haben die Erhebungen ergeben,
dass in Preussen 47,500, in Bayern 5600, in Sachsen 17,000, in Würtemberg 3000
junge Leute von 12—16 Jahren in Fabriken beschäftigt sind. Die meisten sind in
der Textilindustrie, in den Berg- und Hüttenwerken, in Tabak- und Cigarren-
fabriken beschäftigt, Die jugendlichen Arbeiter bilden ungefähr den zehnten Theil
der in Fabriken beschäftigten Arbeiter.
Die gesetzlichen Bestimmungen (s. S. 30) über die Arbeitszeit kommen im
Deutschen Reiche noch lange nicht zur gleichmässigen Ausführung; die meisten
Zuwiderhandlungen kommen in Glasfabriken vor und überhaupt in denjenigen
Fabriken, in welchen die jugendlichen Arbeiter den erwachsenen Arbeitern zur
Hand gehen, wie in Eisen- und Zinkhütten, Spielwaarenfabriken, Spin-
nereien, Ziegeleien, Papier- und Cigarrenfabriken, eine Erfahrung, die
sich auch in andern industriereichen Ländern, namentlich in England, wiederholt.
Wegen Beaufsichtigung der Fabriken beginnt in Preussen eine neue Aera
durch den grössern, den Fabrikinspectoren bewilligten Wirkungskreis. Hier muss
die Erfahrung darüber noch entscheiden, wie sich überhaupt das Verhältniss der
Fabrikinspectoren zu den Behörden zu gestalten hat und namentlich wie weit die
Befugniss derselben den Industriellen gegenüber gehen soll. Die Beaufsichtigung
der jugendlichen Arbeiter, welcher die bestehenden Bestimmungen zu Grunde liegen,
ist leicht zu handhaben; die Schwierigkeit entsteht erst bei den hygienischen
Fragen, deren Erledigung nicht in allen Fällen als eine Aufgabe der Fabrik-
inspectoren zu betrachten ist. Hier muss die Medicinalbehörde das ergänzende
Glied sein und dürfte man von diesem Gesichtspuncte aus der Thätigkeit eines
Kreisausschusses, wenn zu seinen Mitgliedern Aerzte und Techniker gehören, eine
günstige Prognose stellen. Hoffen wir daher, dass die Geschäfte des Kreisaus-
schusses bezüglich der gewerbepolizeilichen Angelegenheiten (nach § 135 V. der
Kreisordnung) dieses wichtige und dem Bedürfnisse der Zeit entsprechende Ziel
anstreben werden; der Fabrikinspector könnte dann immerhin als die geeignete
Schlussbetrachtung. 9Q1
Persönlichkeit zu betrachten sein, welcher die etwaigen üebelstände aufzusuchen
und zu constatiren hat, um dann nach genauer Feststellung der Thatsachen mit
der zuständigen Behörde das Weitere wegen Abhülfe der üebelstände zu ver-
handeln.
2) Die Schulhygiene kann wegen ihres grossen Gebietes hier nicht speciell erörtert
werden In Bezug auf Reinheit der Luft, Heizung und Ventilation sind die be-
treffenden Artikel zu vergleichen.
3) Roberts, Henry: Das Musterhaus u. s.w. Deutsch von Busse. Potsdam 1852.
4) leid, H. S.: "Geber die Ergebnisse, die sich von der Ausführung des Gesetzes
über die Arbeiter- Wohnungen erwarten lassen. The Sanitary Record, Oct, 30. 1875.
Das betreffende Gesetz, „Artisans Dwellings Act 1875", bezweckt die Verbesserung
der Arbeiterwohnungen in grossen Städten und verfolgt somit eine sehr schwierige
Aufgabe. Yeld hebt besonders den nachtheiligen Einfluss schlechter Wohnung auf das
leibliche und geistige Wohl hervor. In dieser Beziehung vgl. man besonders noch
Etienne-Laspeyeres: Der Einfluss der Wohnung auf die Sittlichkeit. Eine
moralstatistische Studie über die arbeitenden Classen der Stadt Paris. Berlin 1869.
Abbildungen von Arbeit er Wohnungen im Regierungsbez. Düsseldorf finden sieh bei
Beyer: Bericht über die Verwaltung und den Stand des Medicinal- u. Veterinär-
wesens im Regierungsbezirk Düsseldorf. Oberhausen 1874.
— Die Fabrikindustrie des Regierungsbezirks Düsseldorf vom Standpuncte der
Gesundheitspflege. Oberhausen 1876.
5) Thaer: Geber ländliche Arbeiterwohnungen. 15. Heft der Deutschen Zeit- und
Streitfragen. Berlin.
Richter, Langsdorff und von der Goltz: Die Lage der ländlichen Arbeiter
im Deutschen Reiche. Berlin 1875.
von der Goltz und Kintzel: Ländliche Arbeiterwohnungen. Königsberg 1865.
6) Allgemeine Gesichtspuncte erörtern:
Horkv: Studien über Krankenanstalten, deren bauliche Anlage und Ausführung.
Wien 1860.
Plage: Studien über Krankenhäuser. Berlin 1873.
Esse: Die Krankenhäuser, ihre Einrichtung und Verwaltung, 2. Aufl. Berlin 1868.
Oppert: Die Einrichtung der Krankenhäuser. Berlin 1S59"
Degen, Ludw-: Der Bau der Krankenhäuser mit besonderer Berücksichtigung der
Ventilation und Heizung. München 1862.
Die neuern Anschauungen finden sich in folgenden Schriften :
Virchow: Ueber Lazarethe und Baracken. Berlin 1871.
Waring, Ed. John: Hüttenhospitäler, ihre Zwecke, Vorzüge und Einrichtung. Mit
einem Nachtrage von Dr. W. Menke. Berlin 1872.
Steinberg: Kriegslazarethe und Baracken. Berlin 1872.
Sander, Friedrich: "Geber Geschichte, Statistik, Bau und Einrichtung der Kranken-
häuser. Köln 1875.
7) Man denke sich ein Quadrat, welches in zwei Hälften getheilt ist: die eine Hälfte
stellt die Heizkammer für die Aufstellung der Heizkörper dar. die andere Hälfte
besteht aus zwei Theilen, aus der Luft- und Mischkammer. In die Luftkammer
wird die äussere Luft mittels eines Canals geführt, damit sie von hier aus direct
in die Heiz kämm er gelangt. Die hier erwärmte Luft wird mittels eines Ven-
tilators durch die Mischkammer in den betreffenden Saal getrieben. Die Misch-
kammer steht mit der Luftkammer mittels eines Schiebers in Verbindung. Steigt
die Temperatur zu hoch, so lässt man kalte Luft aus der Luftkammer direct
in die Mischkammer eintreten. Es ist somit erforderlich, dass ein Sachverstän-
diger das Thermometer in der Mischkammer beständig beobachtet, um die Tem-
peratur dem Bedürfnisse entsprechend zu regeln.
8) Degen, Ludwig: Praktisches Handbuch für Einrichtungen der Ventilation und
Heizung von öffentlichen und Privatgebäuden. München 1869. Das Werk basirt
auf den von Morin gewonnenen Resultaten und berücksichtigt auch mehrere Ein-
richtungen, welche in der Industrie zu verwenden sind.
Wolpert: Die Principien der Ventilation und Heizung. Braunschweig 1860.
9) Die bezüglichen Versuche sind in der gynäkologischen Klinik zu Bonn von Sachver-
ständigen angestellt worden.
Alphabetisches Sachregister.
A.
Seite
Seite
Aethylamiu.
428.
A-B-C-Process bei der Behandlung
Aethylamnioniak.
428.
der Fäcalien.
~ 213.
Aethylaniline.
622.
Abdeckereien.
590. 591.
Aethylbenzol
606.
Abfälle, industrielle 207
504.
534. 539.
Aethylehlorid.
400.
0-32.
557. 868.
Aethylcyanid s. Cyanäthyl.
— thierische
57'. ».
Aethylen.
398.
AVilagerungscanäle.
20G. 2-7
Aethylenbromid.
102.
Abraumsalz in Stassfort.
670. 673.
Aethylenchlorid.
401
402.
Absinthin.
864.
Aethylen Cyanid.
42'.).
Abtreiben auf den Treibherden.
680.
Aethylenjodid.
402
403.
Abtrittsüüssigkeiten.
235.
Aethyl schwefelsaure.
409.
Abtrittegruben s. Gruben.
Aethylensulfid.
425.
Aeetaldehyd.
411.
Aethylglycol.
422.
Aceton.
352.
421. 431.
Aethyliak.
428.
naemie.
856.
Aethylidenchlorid.
402.
Acetnm.
421.
Aethyljodid.
400.
Aeetum plumbicum.
708. 712.
Aethylmercaptan.
426.
Acetylen.
399
Aethylnaphtylamin.
643.
Achat.
659.
Aethylnitrit.
411.
Achatschleiferei.
884.
Aethvloxyd-Sulfocarbonat.
850.
Acidum aceticum.
416.
Aethvlrosanilin.
631.
— carbolicum.
609.
Aethyl sulfid.
426.
— chloro-nitrosum.
254.
Aethyltoluidin.
625.
— citricum.
449.
Aethyl Verbindungen.
Aethylwasserstoff.
398.
— formicum.
377.
398.
— muriatic. s. hydrochloratum.
50.
Aetzbeizen.
50
566.
— lacticum.
433.
Aetzbaryt.
Aetzkalk
689.
— nitricum.
247.
684
686.
— nitricum fumans.
247.
Alaun.
119
758.
— oxalieum.
422.
Alaunerze.
758.
phosphoric.
Alaunindustrie.
758.
— sulfuricum.
159.
Alaunschiefer.
758.
Acrol.
434.
Alaunstein.
758.
Acrolein. 434.
475.
477. 478.
Albit.
759.
Acrylsäure.
434.
Albolith.
888.
Adrianopelroth.
568.
Albumin. 497
. 500. 566.
653.
Aepfelöl.
443.
Alcarrazas.
761.
Aep feisäure.
438.
Aldehyd.
411. 412
414.
Aescher.
571. 573.
— dreifach gebromtes u.
gejodetes
416.
Aethan.
398.
— dreifach gechlortes
415.
Aether.
409.
Aldehydammoniak.
414
— aceticus.
417.
Aldehydgrün.
632.
— nitricus.
411.
Alfenide.
726.
— nitrosus.
411.
Algarothpulver
310.
— sulfuricus.
409.
Alizarin im Krapp.
568.
Aethyläther.
409. 410.
Alizarindinte.
375.
Aethylalkohol.
404
Alizarinindustrie.
645.
Alkalien.
Arbeit.
903
Alkalien, chlorsaure u. unterchlorig-
Seite
Amylxanthogenat.
Seite
851.
saure
133.
Ananasäther.
443
— unterschwef ligsaure, techn.
wendung derselben.
Ver-
158.
387.
Anemometer.
Anilein.
33L
631.
Alkaloide.
655.
Anilin.
619.
Alkarsin.
396.
— essigsaures
621.
Alkohol.
404.
— salzsaures
621.
— Lagern desselben.
409.
— ■ schwefelsaures
621.
— Nachweis desselben.
409.
Anilinblau.
631.
632 879.
Allylalkohol.
434.
Anilinfabriken.
635.
Allylcyanid.
435.
Anilinfarben, Einwirk. ders.
auf den
Allylen
430.
thier. Organismus.
635.
Allylsenföl.
435.
Anilinfarbendruck.
566.
Allylsulfid.
435.
Anilinfarbenindustrie.
625.
Alpakasilber.
726.
Anilingelb.
634.
Altarkerzen.
859.
Anilingranat.
629.
Aluminium.
757.
Anilin grau.
635.
Aluminiumbronze.
757.
Anilingrün.
632.
Aluminiumsilicate.
759.
Anilinöl.
619.
Alunit.
758.
Anilinorange.
624. 634.
Ameisensäure.
377.
378.
Anilinpink.
878.
— -Aethyläther.
— -Amyläther.
372.
Anilinponceau.
630.
444.
Anilinrosa.
878.
— -Methyläther.
327.
Anilinroth.
626. 628.
Amidobenzol.
619.
— Arsengehalt desselben.
880.
Amidocymol s. Cymidin.
— arsenfreies (Rubin)
629.
Amidoglycolsäure.
422.
— Behandlung d. arsenhall
j. Laugen. 628.
Amido n aphtalin.
642.
— Coupier'sches Verfahren
zur
Dar-
Ammoniakindustrie.
223.
Stellung von
629.
Ammonium, cyansaures
395.
— Darst. dess. mittels Arsensäure. 626.
— kohlensaures
230.
— — — m. Quecksilbers
alze. 630.
— anderthalb kohlensaures
223.
230.
— Nicholson'sches Verfahren.
630.
— wolframsaures
787.
Anilinschwarz.
569. 634.
Ammoniumalaun.
759.
Anilin violett.
630.
Ammoniumamalgam.
221.
Animalisiren.
569. 653.
Ammoniumbisulfid.
235.
Anlagen, gewerbliche
19. i
10. 21. 22.
Ammoniumcarbonat.
229.
Anlauffarben.
718.
Ammoniumchlorid.
224.
231.
Anstreicher.
697.
Ammouiumhydrosulfid.
234.
Anthracen.
644.
Ammonium-Magnesium, arsensaures
302.
Anthraehinon
645.
Ammonium-Magnes., phosphorsaures
232.
Anthracit
316. 317.
Ammoniumsalze, Darstellung derselb.
Anthracosis pulmonum.
336. 723.
aus Harn.
223.
Anthrapurpurin.
646.
Ammoniumsesquicarbonat.
Ammoniumsulfat. 224. 227.
230.
Antichlor.
46
. 158. 537.
228.
229.
Antikbronze.
724. 725.
— Darstellung aus Gaswässern
227.
Antimon.
305. 306.
Ammoniumsulf hydrat.
234.
— Legirungen desselben.
307. 308.
Ammoniumsulfid.
233.
Antimongelb.
712.
Ammoniumtersulfid.
235.
Antimonoxyd.
306. 311.
Amygdalin.
408.
— antimonsaures
312.
Amyläther.
443
444.
— -Kalium, weinsaures
311.
Amylaldehyd.
444.
Antimonoxysulfid.
312.
Amylalkohol. 408. 441.
442.
443.
Antimonpentachlörid.
310.
Amylamin.
447.
Antimonpentasulfid
31-2.
Amylchlorid.
440.
Antimonsäure.
306. 311.
Amyldisulfocarbonsäure.
446
447.
Antimontrichlorid.
310.
Amylen.
439
.440.
Antimontrisulfid.
310. 312.
Amylmercaptan.
446.
Antimonwasserstoff.
309.
Amylnitrit.
444
857.
Antimonzinnober. 145. 158.
307
. 310. 312.
Amyloide.
490.
Antozon.
91.
Amylsulfhydrat.
Amylsulfid.
446.
446.
Apatit.
Applicationsfarben.
684.
565.
Amylum.
509.
Aqua regia.
254.
Amyl verbindun gen .
439.
Aragonit.
684.
Amylwasserstoff.
439
595.
Arbeit, Accordarbeiten.
23.
904
Arbeit. — Bergblau.
Seite
Arbeit
— Art und Dauer ders. 23. 791. 899.
— der Frauen 24. 791. 890. 900.
— der Kinder 24. 25. 791. 900.
— Tag- und Nachtarbeiten. 22. 896.
— unterirdische, d. Kinder i. England. 26.
Arbeiter, dei-, ausserhalb der Fabrik. 33.
— Fürsorge für erkrankte 794.
— Wohnungen ders. 34. 792. 793. 901.
Arbeiter-Genossenschaften. 35.
Arbeitsdauer. > 791. 899.
Arbeitseinstellungen (strikes)." 23.
Arbeitszeit, tägliche. 30. 899.
Argentine. 383.
Argyroide. 726.
Argyrophan. 726.
Arnandon's Grün. 772.
Aromatische Körper. 606.
Arrac. 408.
Arsen. 282.
— Einwirk, der Dämpfe dess. 283.
— Industrie dess. 284.
— techn. Verwendung dess. 286.
Arsenbisulfid. 302.
Arsenbromid. 289. 305.
Arsenchlorid. 288.
Arsendimethyl. 396.
Arsen glänz. 283.
Arseniate (arseniksaure Salze). 301.
Arsenige Säure (Arsenigsäureanhydrid) 290.
— Ausstopfen d. Thierbälge mit ders. 296.
— bei der Glasfabrication. 296. 884.
— bei der Viehwäsche. 296.
— Einwirk, der Dämpfe ders. auf den
Organismus. 290.
— Einwirk, der Dämpfe ders. auf die
Pflanzen. 292. 293.
— Wiedergewinnung ders. aus den
Anilinfarbenrückständen. 295.
Arsenigsaures u. essigsaures Kupfer. 297.
Arsenik, weisser 290.
Arsenikalische Laugen in Anilinfarben-
fabriken. 879.
Arsenikblüthe. 282. 290.
Arsenjodid. 290.
Arsenite, arsenigsaure Salze. 297.
Arsenkies. 138. 282. 742.
Arsenküpe. 567.
Arsenkupfer. 283.
Arsenmenl, Sublimation dess. 294.
Arsennickel. 775.
Arsenpentasulfid. 303. 304.
Arsenphosphid. 304. 305.
Arsenrubin. 302.
Arsenrückstände in den Anilinfarben-
fabriken. 295. 878.
Arsensäure. 300. 301.
Arsensäureanhydrid. 300.
Arsentrisulfid. 139. 303.
Arsenwasserstoff. 263. 266. 286. 287.736.809.
Ascolin. 481.
Asparaginsäure. 495.
Asphalt. 594. 605.
Asphaltlack. 458.
Aspirationsmethode. 198.
Seite
Assemblee Constituante. 6.
Association for Prevention of Steam-
Boiler Explosions. 19.
Asthma saturninum. 890.
Atakamit. 713.
Atmosphäre, zufällige Bestandtheile
derselben. 190. 191.
Aufsparungspappe. 566.
Augendre's weisses Pulver. 134. 670.
Auricome. 815.
Aurin. 612.
Auripigment. 282.
Avignonkörner. 568.
Azoverbindungen. 623.
Azulin. 612.
B.
Backkohle.
Backöfen.
Backpulver nach Liebig u. Horsford.
Baggertorf.
Baldriansäure. 445. 446. 507. 526.
— -Aethyläther.
— -Amyläther.
Balistit
Bandanasdruck.
Banknotenpapier.
Baracken.
Barium.
Bariumcarbonat.
Bariumchlorid.
Bariumchromat. •
Bariumhydrat.
Bariumnitrat.
Bariumoxyd.
Bariumsuperoxyd.
Bajonette.
Barytsalze.
Barytweiss.
Bathmetall.
Baumwolle, verschiedene Arten ders.
— Reinigen ders.
— Spinnen ders.
Baumwollfabriken, sanit. Verhältn. der
Arbeiter.
Baumwollfärberei. 569.
Baumwollindustrie. 543-
Baumwollzeuge. 49.
— Appretur u. Erschweren ders.
Bauspapier.
Beinschwarz.
Beizen in der Textilindustrie.
Beizhäuser in der Kupferindustrie.
316.
87.
87.
317.
614.
445.
443.
861.
566.
896.
533.
795.
688.
888.
688.
774.
689. 888.
689.
689.
888.
751.
888.
689. 888.
719.
865.
543.
544.
Bekleidung.
Beleuchtungskunst.
Benzin aus Petroleum.
Benzoesäure.
Benzol.
Benzylamin.
Benzylchlorid.
Benzylmethylanilin- Violett.
Berg- u. Brückenbau.
Bergblau.
191-
595.
624.
548.
868.
■548.
547.
547.
533.
316.
565.
723.
-196.
725.
873.
878.
606.
624.
624.
624.
187.
728.
Berggesetz. — Braunkohlengruben.
905
Seite
Berggesetz v. 24. Juni 1865.
334.
Bergkrystall.
659.
Berg-Polizei- Verordnung.
837.
Bergsucht der Bergleute.
337.
Bergwerke, Ventilation ders.
201.
Bergwerksgruben, Beaufsichtig, ders.
Berieselung d. Aecker m. Canalwasser
334.
. 214.
— — — na. industrieller
L
Abfällen. 216. 561
863.
Berlinerblau. 389. 395. 499. 537
567.
— technische Verwendung dess.
389.
Bernstein firniss.
454.
Bernsteinsäure. 438
614.
Berylldruck.
566.
Beschwerdebuch, öffentl, in Amerika
14.
Bessemerstahl.
748.
Betain.
495.
Bettfedern, Reinigungsanstalt.
582.
— Handel mit denselben.
583.
Bettzeug.
582.
Beuchwässer. 46. 48.
552,
Bezirks-Gesundheitsräthe in Italien.
13.
Biberfelle.
575.
Bienenwachs.
463.
Bier.
523.
— Aufbewahrung u Lagern dess.
523.
— Ausschank dess.
529.
— Untersuchung dess. 526
528.
Bierbrauerei.
517.
Biercouleur. 498.
864.
Bieressig.
418.
Biermaterialien u. ihre Surrogate.
524.
Bierpumpen.
529.
Bierwachs.
527.
Bierwürze. 520-
-522.
Bilschwasser s. Kielwasser.
Binitroglycerin.
861.
Birnenessig.
418.
Birnöl.
444.
Bismarckbraun. 629. 634.
876.
Bismuthum subnitricum.
314.
Bittererde, kieselsaure
869.
Blac band.
337.
Blanc fixe. 688. 689.
888.
Blattgold.
717.
Blattmetall fabrication.
892.
Blattsilber, unächtes
667.
Bläser in Bergwerken.
330.
Blätterkohle.
316.
Blätterschiefer (Papierkohle).
592.
— rheinischer
592.
Blaufärben.
567.
Blauholz. 567.
569.
Blausäure.
380.
— in der Industrie. 243. 244. 259-
260.
261. 382. 462.
600.
Blauviolett.
631.
Blechf abrication .
747.
Blei.
697.
— antimonsaures 312.
712.
— unterschwefligsaures 159.
273.
Bleiacetat. 712.
889.
Bleicarbonat. 697.
708.
Bleichen mit Schwefel.
141.
— mit Schwefelwasserstoff
145.
Bleichflüssigkeit.
Bleichlorid.
Bleichromat.
Bleidyskrasie.
Bleierde. 697.
Bleiessig. 708.
Bleifolien.
Bleiglanz. 697. 702.
Bleiglasur der Töpferwaaren. 761.
Bleiindustrie.
— Legirungen von Blei.
— Verhüttung von Blei.
Bleiintoxicationen. 308. 697.
B 1 eikammerkrystalle.
Bleinitrat. 50.
Bleioxyd.
Bleirauch.
Bleiröhren, Darstellung und Ver-
wendung ders. 121. 703.
Bleistiftf abrication .
Bleisulfat.
Bleisuperoxyd. 130. 154.
Bleitetramethyl.
Bleiweiss, Darstellung dess.
— Pattinson'sches
— in der Weissgerberei.
Bleiweissfabrication in sanit.Beziehung.
Bleizucker. 708.
Blende.
Bleu de France.
Blockblei.
Blossen, geschwellte
— Schwellen oder Treiben ders.
Blumenfabrication, künstliehe
Blutalbumin.
Blutlaugensalz, Industrie dess.
— gelbes
— rothes
Blutkohle.
Blutstein.
Boards of Health (local and general).
Bockbier.
Bodencultur. 219.
Bogheadkohle.
Bonbonnes.
Bor.
Borax.
Boraxglas.
Boronatrocalcit.
Borsäure.
Borsten der Schweine.
Bouillon (Kupferindustrie).
Boulinikon.
Brackwässer. 108.
Branntweine.
— Färben ders.
Brasilienholz.
Brauerpech.
Brauneisenstein.
Braun it.
Braunkohle. 316.
— Halden brand bei der
— Verkokung ders.
Braunkohlendunst.
Braunkohlengruben .
Seite
46.
712.
772.
698.
702.
712.
703.
761.
897.
703.
705.
701.
869.
816.
712.
706.
702.
704.
316.
712.
706.
397.
708.
712.
869.
709.
712.
135.
853.
703.
572.
571.
299.
566.
387.
386.
388.
316.
756.
6. 7.
527.
221.
592.
675.
314.
315.
315.
315.
314.
579.
893.
574.
141.
405.
409.
569.
524.
742.
774.
592.
343.
340.
345.
337.
906
Braunkohlentheer. — Ceroxalat.
298.
774.
297. 298.
666.
53. 54.
G3
Braunkohlentheer
Braunschweigerblau.
Braun seh weigergrün.
Braunstein.
Brauntöpferei.
Braupfannen.
Bremerblau.
Bremergrün.
Brennstahl.
Brenzcatechin.
Briefcouverts, grüne
Briquettes.
Britannia-Metall.
Brocat.
Brom.
Bromal.
Bromäthyl.
Bromcyan.
Bromindustrie.
Bromjod.
Bromkalium.
Bromkampfer.
Brommethyl.
Bromoform.
Bromsalze, Vorkommen dei
Bromwasserstoff.
Bronze, ächte
— goldähnbche
Bronzefarben.
— Fabrication ders.
Bronzepulver.
Bronzewaaren.
Bronziren.
Brotbacken.
Brotzucker.
Brucin.
Bruniren.
Brunnen.
— artesische
Brunnenschachte.
Brunnenwasser s. Trinkwasser.
Buchbiuderkleister.
Buchdrucker, sanitäre Verhältu. ders
Buchholztheer.
Büchsenfleisch, australisches
310.
Büffelhäute
Buntkupfererz.
Bunzlauer Geschirr
Butaldehyd.
Büttenpapier.
Butter.
Buttersäure.
— -Aethyläther.
— -Amyläther.
— -Methyläther.
Buttermaschinen.
Butylalkohol, Gährungs-
Butylchloral.
Butylchlorid.
Butylen.
Butyl Wasserstoff.
Butylverbindungen.
Butyljodid.
585.
713.
437. 438. 507.
408.
436. 595.
Seite
593.
728.
728.
775.
761.
521.
728.
728.
748.
618.
299
605.
727.
892.
810.
416.
400
390.
. 64.
62.
68.
810.
369.
372.
68.
56.
725.
724.
718.
892.
717.
725.
893.
87.
498.
656.
754.
113.
115.
353.
512.
308.
874.
812.
586.
714.
761.
437.
538.
451.
614.
438.
443.
438.
487.
436.
857.
436.
436.
857.
436.
436.
Cade-Oel s. Oleum Cadini.
Cadaver, Verwerthung ders.
Calcaria usta s. Calciumoxyd.
591.
Calcium.
684
— arsensaures
301'
— baldriansaures u. buttersaures
438
508'
— chlorsaures
4.7
— milchsaures
508.
512'
— unterphosphorigsaures
277"
Calciumborat.
762-
Calciumcarbonat.
684'
Calciumchromat.
774'
Calciumfluorid.
684-
Calciumhydrat. 43. 45.
600.
676.
686-
Calciummetaphosphat.
261-
Calciumoxyd.
676.
684*
Calciumphosphat.
260.
265.
684"
Calciumpyrophosphat.
261-
Calciumsulfat.
684.
687-
Calciumsulfit.
158-
Calomel.
739-
Canadol.
595-
Canalinhalt, Wegschaffung dess.
208-
Canalisation.
207-
Candis, Fabrication dess.
500-
Cannetillen.
893-
Caprinsäure.
450-
Caprolen.
448-
Capronsäure
448-
Capronwasserstoff.
595-
Caproylalkohol.
448.
Caproyl Wasserstoff.
Caprylalkohol.
448.
450-
Caprylsäure.
450-
Capryl Wasserstoff.
595.
Caramel.
493
880.
Carbolsäure. 609.
610
611
612.
Carminlacke.
569.
Carminnaphta.
643.
Carminroth.
569.
Carminsäure.
569.
Caseün.
653
654.
Case'inleim.
586.
Casselergelb.
312
712.
Casselergriin.
Cassonade.
689.
494.
Catechu in der Bierbrauerei.
526.
— in der Färberei.
567.
— in der Gerberei.
570.
Cedriret.
874.
Cellulose.
530.
Cement.
686.
Cementindustrie.
686.
Cementpulver z. Darst. d. Cementstahls
748.
Cementstahl.
748.
Central-Gesundheitsamt.
6.
Centi-ifugalmaschinen.
19.
Centrifugalventilatoren.
333.
Cetylalkohol.
450.
Cer.
884.
Cerotinsäure.
451.
— -Cerotyläther.
451.
Ceroxalat.
884.
Chagrain. — Crotonaldehyd.
907
Chagrain, künstliches
Chalcedon.
Chamottesteine.
Chassepotpatronen.
Chinin.
Chinolin.
Chinon.
Chiretta.
Chlor, Darstellung dess. 41
— Einwirkung a. d. thier. Organism.
Chloracetone.
Chloraethyl.
Chloraethyliden.
Chloral. 371.
Chlor alcyanhydrat.
Chlorammonium s. Ammoniumchlorid.
Chloramyl.
Chlorbarium. 688. 689.
Chlorbenzol.
Chlorblei.
Chlorbleiche, Verfahren dabei. 46. 48.
Chlorbrom.
Chlorcalcium. 45. 232. 676. 678. 688.
Chlorcyan.
Chlorhydrine. 434. 462.
Chlorige Säure.
Chlorindustrie.
Chlorjod; 61
Chlorkalium.
Chlorkalkfabrication. 43. 45.
Chlorkohlenstoff.
Chlorkohlenoxyd.
Chlorkupferlampe.
Chlormethyl s. Methylchlorid.
Chlornaphtalinsäure.
Chlornatrium.
Chloroform. 370. 371.
ChloromethyL
Chloroxynaphtalinsäure.
Chlorpikrin.
Chlorroseokobaltiak.
Chlorsaure Alkalien, Industrie ders.
Chlorsäure.
— -Chlorigsäureanhydrid.
Chloruntersalpetersäure.
Chlorwasserstoffsäure. 50. 51
Einwirk, ders. auf die Vegetation.
Chlorzink. 696.
Christoflearbeit s. Alfenide.
Christoflemetall.
Chrom.
— Industrie dess.
Chromalaun. 645.
Chromatgrün.
Chromaventurin.
Chromchlorid.
Chromeisenstein.
Chromfabriken, sanit. Verh. ders. 769.
— Verwerthung der Rückstände.
Chromfarben.
Chromgelb. 772.
Chromgrün.
Chromhydrat.
Chromleim .
Chrom orange.
Seite
574.
659.
760.
134.
655.
647.
618.
684.
, 44.
41.
433.
400.
402.
415.
416.
440.
888.
624
712.
552.
57.
867.
389.
480.
131.
43.
. 62.
670.
887.
373.
361.
97.
642.
673.
372.
851.
642.
616.
781.
133.
132.
131.
254.
52.
53.
889.
726.
767.
768.
774.
772.
773.
774.
767.
770.
771.
771.
773.
772.
772.
772.
773.
Seite
Chromoxyd. 771.
Chromroth. 773.
Chromsalze. 773. 774.
Chrom sau res Eisen. 773.
Chrom saures Silber. 773.
Chromsäure. 772.
Chromsäureanhydrid. 772.
Chromsulfat. 774.
Chromzinnober. 773.
Chrysanilin. 633. 634.
Chrysopas. 659.
Chrysotoluidin. 629.
Chylariose. 493.
Cichorienfabriken. 880.
Cigarettenpapier. 741.
Cigarrenfabriken. 253 860.
Citronensäure. 449.
Clark'sches Verfahren bei den Faecal. 213.
Cloakengase 236. 237. 825.
Coal Mines Regulation Act. 8. 26. 334.
Cochenille. 569.
Cocons. 561.
Cocosnussöl. 466.
Codöle. 648.
Coeruleum. 781.
Coerulignon. 856. 874.
Cognac, künstlicher 408
Colchicum- Samen i. d. Bierbrauerei. 527.
Colcothar oder Caput mortuum. 756.
Colique seche. 125. 667.
Collidin. 647.
Collodium. 532.
Collodiuniverfahren. 682.
Colophonium. 456. 648. 766.
Coloristen. 697.
Colxa. 453.
Comite consultatif d'hyg. de France. 12.
Comites locaux de salubrite i. Belgien. 13.
Commissions de sante (Belgien). 13.
Composition. 668.
Compositionsmetalle. 666.
Composthaufen. 206. 218. 506.
Compressionspumpen beim Bieraus-
schank. 729.
Concessionsverfahren. 16. 17.
Conchiolin. 584. 684.
Condensationswässer in den Zucker-
fabriken. 862.
Conditioniren der Seide. 563.
Conservenindustrie. 80. 812.
Consumvereine. 35.
Contagium animatum. 79.
Copalfiruiss. 455.
Coprolithen. 590.
Corallin, rothes 612.
Corallingelb (Aurin). 612.
Corallinlack. 612.
Corduanleder. 572.
Cottage-System. 793.
Coupier'sches Verfahren b. d. Fuchsin-
darstellung. 629.
Coupier's Blau. 632.
Creches. 900.
Creme. ^OS.
Crotonaldehyd. 439.
908
Crotonchloral. — Eisenbromid.
Seite
Crotonchloral. 439. 857.
Crotonsäure. 439.
Cryp tidin. 648.
Cubaextract. 568.
Cudbear. 568.
Cumidin. 639.
Cumol. 639.
Cvan. 67. 386. 390.
— in den Knochen. 259.
Cvanäthvl. 428.
Cyanallyl. _ 435.
Cyanammonium. 385. 387.
Cyanamyl. 447.
Cyanblei. 712.
Cyangruppe. 380.
Cyankalium. 383. 384.
Cyanmethyl. 392. 393. 853.
Cyanquecksilber. 386.
Cyansäure. 387. 395.
— -Methyläther. 395.
Cyansaures Ammonium. 395.
Cyansilber. 386.
Cyanursäure. 395. 396.
Cyanwasserstoffäther. 428.
Cyanwasserstoffsäure s. Blausäure. 380.
Cvlindermaschine. 545.
Cymidin. 640.
Cymol. 640.
D.
Dachpappe, Darstellung ders. 603.
Dachziegelbrennerei. 760.
Daguerreotvpie. 683.
Dahlia. 631.
Damar. 457.
Damascenerstahl. 749.
Dampffarben. 565.
Dampfheizung. 100.
Dampfkessel, Gesetze bei der Anlage
derselben. 17. 18.
Dampfsägemühlen. 896.
D'Arcet'sche Methode bei den Ab-
trittsgruben. 202.
Darmsaitenfabrication. 584. 870.
Decatirer. 557.
Deckpappe. 566.
Defilage. 536.
Deflector. 835.
Degras. 458. 574.
Dejectionen, Wegschaffung ders. 202.
Denitrificateur. 170.
Derochage. 252.
Desinfectionsmittel bei Abtritten. 236
— im Allgemeinen. 880.
Dextrin. 509. 515. 864.
— Darstellung dess. 516.
Dextrinsyrup. 516.
Dextrose. 862.
Diamant. 316.
Diamantbor. 314.
Diamidobenzol, salpetersaures 623.
Diamidonaphtalin. 642.
Diastase. 517.
Diazoverbindungen. 623.
Seite
Diazobenzol, salpetersaures 877.
Dibenzylamin. 624.
Dichlornaphtalin. 641.
Dichlornaphtochinon. 642.
Didyni. 884.
Diffuseurs. 496.
Dimethyl. 398.
Dimethylketon. 431.
Dimethylamin. 379.
Dimethylanilin. 622. 631.
Dimethylarsinsäure. 396.
Dimethylbenzol. 638.
Dinitronaphtol. 642.
Dinitroamidophenol. 617.
Dinte, blaue 425.
— sympathetische 781.
üioxyanthrachinon. 645.
Dioxybenzol. 618.
Dioxynaphtochinon. 642.
Diphenylamin, salzsaures 623.
Diphenylaminblau. 632.
Disulfanthrachinonsäure. 645.
Dividivi. 570.
Diviseurs. 203.
Dochte der Stearinkerzen. 282.
— Tränken ders. 282.
Döbereiner'sches Essiglämpchen. 97.
Dolomit. 213. 232. 628. 689.
Doppelschwärze in d. Buchdruckerei. 324.
Drahtgeflechte mit Arsengrün. 298.
Drähte, eiserne 747.
— messingene 725.
Drahtseile. 747.
Drahtziehen. 750.
Drucker, Krankheiten ders. 308.
Druckerschwärze. 309.
Drumond'sches Licht. 40.
Dualin. ■ 489.
Dumasin. 432. 433.
Düngerarten, besondere 220. 221.
Dungstoffe. 219. 220.
Dungziegel, Trocknen ders. 590.
Dynamitfabrication. 488.
Eau de Javelle. 133.
— de Labarraque. 133.
Ebur ustum. 316.
Ehegräben. 202.
Elemiharz. 457.
Eichenrinde als Lohe. 570.
Eichgalläpfel. 570.
Eiderduneo. 582.
Eimersystem. 205.
Einlegerinnen in Blattmetallfabriken. 892.
Eisen. 742.
— Ausarbeiten dess. 751.
— Hüttenmännische Gewinnung dess. 743.
— Schmieden dess. 749.
Eisenbahnbeamte, Statistik ders. 819.
Eisenbeizen. 253. 757.
Eisenbisulfid. 161.
Eisenblech, Verbleien u. Verzinnen dess. 40.
Eisenbromid. 65.
Eisenbromür. — Fixirsalz.
909
Eisenbromür.
Eisenbromürbromid
Eisenchamäleon.
Eisencyanürcyanid.
Eisengiesserei.
Eisenglanz.
Eisenindustrie.
Eisenjodür.
Eisenkitt.
Eisenocker.
Eisenoxyd.
Seite
810.
65.
898.
389.
745. 746.
742. 756.
749—751.
810.
141.
174.
756.
Eisenoxydlösung in der Gerberei. 869.
Eisenoxyduloxyd. 757.
Eisenschwamm. 814.
Eisenstaub. 197.
Eisensulfat. 757.
Eisensulfid s. Schwefelkies. 138.
Eisenvitriol. 757.
Elaylchlorid. 401.
Elaylgas. 398.
Elevatoren. 83. 543.
Elfenbeinbleiche. 49. 98.
Email. 663. 755. 756.
— bleifreies. 896.
Englischroth. 756.
Enlevage. 566.
Entfuseln des Branntweins. 853.
Entgolden. 252.
Eosm. 612. 876.
Erdeloset. 205.
Erdglasuren. 764.
Erdöl. 595.
Erhärtungen der Oele und Fette. 243.
Erzaufbereitung. 891.
Espartogras. 86o.
Essig. 420.
Essigäther. 417.
Essigbrenzöl. 432.
Essiggeist. 431.
Essigindustrie. 418—420.
Essigmutter. 418.
Essigsäure. 416.
— Einwirk. a. d. thier. Organism. 416. 417.
Essigsäure-Aethyläther. 417.
— -Amyläther. 444.
Essigsprit. r 420.
Ether chlorhydrique monochlorure. 402.
Excremente, thier., Aufstapelung ders. 218.
— — Wegschaffung ders . 217. 218.
Exportbiere. 526.
Extractionsverfahren beim Kupfer
891.
Fabrikarbeiter, Wohnungen ders. 792.
Fabriken, chemische, Beaufsichtigung
ders. in England. _ 8-
— Beaufsichtigung der Fabriken im
Allgemeinen. "00.
— Begriff der ehem. Fabriken. 14.
— Classification der Fabriken. 16.
— Concessions-Ertheilung ders. 15.
— Innere Einrichtg. d. Fabriken. 789. 790.
— Nachtheile der ehem. Fabriken für
die Flüsse. -09.
Seile
Fabrikinspectoren. 8. 31. 900.
— Wirksamkeit ders. i. cl. Schweiz. 31.32.
— — in England. 33.
Fachbogen. 543. 581.
Factory Act Exclusion Act. 9.
Factory Act Extension Act. 27.
Factory and Workshops Act. 27.
Fäcalien, Aufspeicherung ders. 205.
— Filtrations- u. Präcipittsverfahren 212.
— Transport ders. 206.
— Verbrennen ders. 822.
Fäcalsteine. 823.
Fahlerze. 283.
Fahrten in den Bergwerken. 328.
Fahrkünste in Bergwerken. 328.
Fällthurm nach Gerstenhöfer. 779. 833.
Fangvorrichtungen. 328.
Farbkasten für Kinder. 298.
Färben a. d. Kessel. 566.
Färber. 697.
Färbereien. 14. 560. 567—569.
Farinzucker. 499.
Fässersystem s. Tonnensystem.
Fäulniss u. Fäulnissgase. 76. 237.
Fayence. 759. 762. 763.
Federn. 582.
Feilenhauerkrankheit. 751. 860. 895.
Feinspinnen i. d. Baumwollindustrie. 544.
Feldspath. 759. 764.
Felle. 580.
— Abhaaren ders. i. d. Lohgerberei. 571.
— Enthaaren ders. b. Haarschneiden. 580.
— Läutern ders. 575.
Fernambuk. 569.
Ferricyankalium. 388.
Ferricyanwasserstoffsäure. 389. 853.
Ferrieisencyanür. 389.
Ferrocyaneisen. 389.
Ferrocyankalium. 386.
Ferrocyankupfer. 388.
Ferrocyanwasserstoffsäure. 387.
Ferrolith. 761.
Ferro sulfat. 757.
Ferrumchromat. 773.
Fette. 451.
— verschiedene Arten von 465.
Feuer, wildes, in Bergwerken. 329.
Feuerfeste Steine. 89.
Feuerlöschdosen nach Bucher. 760.
Feuersetzen in Bergwerken. 338.
Feuerstein. 659.
Feuerungsanlagen. 318.
Feuerwerkssätze. 671.
Fibrin. 653.
Fibroin. °61.
Fichtenöl. 649.
Fictilindustrie. 9> 7o9.
Filterpresse. 86'--
Filtrationsverfahren. 2r_.
Filz, Walken dess. ^ 581.
Firnissindustrie. 453 — 457.
Fischbein. ?84.
Fischleim. ^°6.
Fischguano.
Fixirsalz.
784.
910
Flachs.
Glucoside.
Seite
Flachs. 533. 550.
— gerotteter 551.
Flaehtnüllerei. 83.
Flasebenlack, grüner 299.
FlatterrusB. 321.
Flechtenarten. ■I>';.
Fleischmilchsäure. 433.
Fliegenpapier. 296. 567.
Fliegenstein. 282. 286.
Fliesen von Hettlach. 763.
Flockmaschine. 544.
Floretseide.
Flüsse. Verunreinigung ders. 208. 211;
Flugstaulikammer. 167.
Fluor. Vorkommen dess. 88.
Fluorescein. 612.
Fluorwasserstoff. 68. 259.
Fluorwasserstoffsäure. 69. 811.
— Techn. Verwendung ders. 71. 496.
Flusswasser, Filtration dess. 119.
Flusssäure. 68.
Flussspath. 68. 684.
Förderstuhl. 328.
Fournirsägen. 396.
Fressbeizen. 50. 566.
Frischen des Eisens in Flammenöfen. 747.
Friseure. 580.
Frittenporcellan. 765.
Fruchtäther. 444.
Fruchtbrennerei. 406.
Frühjahrsbleiche. 131.
Fuchsfelle 575.
Fuchsin s. Anilinroth.
Füllöfen. 318.
Fuseläther. 443.
Fuselöl. 408. 443.
G.
Gährung.
Gährungsprocess beim Flachs.
Galläpfel.
Galliren.
Gallisiren der Weine.
Galmei.
Ganzzeug, Fabrication dess.
— -Holländer.
— Leimen dess. in der Bütte
Garancin.
Garne, baumwollene, s. Banmwoll
Industrie.
Garnelen.
Gas, Ölbildendes
Gasgeneratoren.
Gaskalk. 395.
Gaskohle.
Gas-Montgolfier.
Gasoline.
Gasometer.
Gassammeikasten.
Gaultheria procumbens, Oel ders
Gay-Lussac'sche Koksthürme.
Gazolen.
Gelbbeeren.
Gelbbleierz.
76
600.
174.
600.
1 1.
550.
570.
569.
861.
690.
537.
537.
537.
568.
220.
354.
875.
316.
39.
595.
B75.
375.
374.
169.
595.
568.
697.
Seite
Gelbfärben. 568.
Gellertsgrün. 889.
Genevre. 408.
Georgin. 629;
Geranosin. 630.
Gerber. 578.
Gerbereien, die festen u. flüssigen Ab-
gänge ders. 571. 577.
— Sanit. Verhältnisse der Arbeiter. 575.
— Wegschaffung der Abfälle. 216;
Gerberfett. 458. 574.
Gerberhaare. 581.
Gerberwolle. 573.
Gerbstoffe, eisenbläuende u. eisengrün. 569;
Gerichts-Medicin, Thätigkeit ders. 5.
Gesundheits - Gesetz in New - York ,
Thätigkeit dess. 13. 14.
Gesundheitspflege, öffentliche, Um-
fang ders. 2. 4.
— Entwicklung ders. 13.
— in Amerika 13.
— in Belgien. 12.
— in Holland u. Italien. 13.
Gesundheitsrath. Geh.. Thätigkeit dess. 6. 7.
Gesundheitsräthe in Frankreich. 12.
Gesundheitswesen, öffentliches, Auf-
gabe dess. 4.
Getreide. 82.^83.
Gewebe, tuchartige 554.
Gewehrläufe. 748. 751.
Gewerbe- Gerichte in Frankreich. 36.
Gewerbe-Hygiene, Notwendigkeit ders. 5.
Gewerbeordnung f. d. Deutsche Reich,
Inhalt ders.
— in Bezug auf die Beschäftigung
der Kinder in Fabriken.
Gichtgase.
Giessen der Metalle.
Gifthütten.
Giftkammern.
Giftmehl.
Gin.
Gips. 684. 688. 887
Gipsmarmor.
Gipsung des Weins.
Giselagelb.
Glanzkobalt.
Glanzruss.
Glas, bleifreies u. bleihaltiges.
— gefärbtes
Glasarbeiter, sanit. Verhältnisse ders.
Glaser.
Glasindustrie. 661
Glasiren der Thonwaaren.
Glasmalerei.
Glasperlen.
Glassätze.
Glasschleifer.
Glasur der Steinwaaren.
Glaswolle.
Glätte.
Glisentistahl.
Glockenmetall.
Glover'scher Thurm..
Glucoside.
354.
321.
14.
30.
745.
721.
293.
284. 294.
290. 294.
408.
892.
687.
887.
698.
779.
323.
662.
662.
663.
697.
663.
761.
783.
663.
662.
763.
894.
706.
748.
725.
817.
570.
663.
170.
Glyceride. — Holländer.
911
Glyceride.
Glycerin. 433.
— in der Bierbraiterei.
— Industrie dess.
— öl saures
— Raffiniren des rohen
— Verwendung dess.
Glycerinarsenik.
Glycerinsalpetersäure-Aether.
Glycerinschwefelsäure. 434. 474. 476.
GlyceriD sulfit.
Glycin.
Glycole.
Glycocoll.
Glycolsäure.
Glycosan.
Glycose s. Traubenzucker.
Gmelin's Salz.
Gobelins.
Gold.
— Färben dess.
— Legirungen dess.
Goldamalgam.
Goldarbeiter. 697.
Goldbronze.
Goldfirniss.
Goldglätte.
Goldlack.
Goldleistenfabrication.
Goldpurpur.
Goldrahmenfabrication.
Goldscheidewasser.
Goldscheidung.
Goldschlägerei.
Goldschwefel.
Goldwaaren, Anreicherung ders. 252.
Golgasdruck.
Gomnie d'Asance s. Dextrin.
Goudron.
Gradiren der Soolquellen.
Graphit.
— in der Papierfabrication.
Grauspiessglanz. 305.
Grenadin.
Griffel mit arsenigs. Kupferfarben.
Grignons.
Grouvelle's Bleichflüssigkeit.
Gruben, ausgemauerte
— Entleerung ders. nach Liernur.
Grubenbrandwetter.
Grubengas.
Grubenluft in Kohlenbergwerken.
Grubensystem bei der Aufbewahrung
der Dejectionen.
Grüner Vitriol.
Grünfärben.
Grünfeuer.
Grünspan.
Grundbleierz.
Grundirer.
Grundwasserfrage.
Guajacol.
Guano. 220. 221.
Gürtler.
Guillochiren.
423.
597.
222.
Seite
451.
856.
525.
478.
473.
486.
481.
566.
481.
479.
481.
422.
422.
422.
422.
493.
388.
555.
782.
783.
783.
783.
783.
783.
668.
706.
784.
668.
253.
783.
783.
312
893.
566.
594.
674.
316.
316.
312.
629.
298.
451.
133.
202.
203.
353.
368.
329.
203.
757.
569.
689.
727.
697.
697.
117.
874.
232.
893.
751.
Seite
Gummi.
517.
Gusseisen, Darstellung dess.
743.
Gussstahl.
748.
Gusswaaren, Emailliren ders.
755.
Gutta-Percha.
652.
H.
Haare, Fachen ders.
580.
— Schneiden und Beizen ders.
579.
580.
Haar kies.
775.
Haarkräusler.
580.
Haarrauch s. Höhenrauch.
Haarschneider.
580.
Haarstaub.
580.
Häuer in Bergwerken.
328.
836.
Häute, thierische, Aufbewahren
ders.
durch Einsalzen.
578.
— — — durch Trocknen.
578.
Hahnemann's "Weinprobe.
145.
Halbporcellan.
762.
Halbwollene Zeuge.
555.
Halbzeug, Bleichen dess.
536.
— - Fabrication dess.
536.
— -Holländer.
536.
Haldenbrand auf Kohlenzechen.
844.
Hamburgerblau.
389.
Handgespinnst.
47.
Handpapier.
538.
Handschuhfabrication.
233.
Handschuhleder, Färben dess.
574.
Handschuhmacher.
869.
Handwerker-Genossenschaften.
36.
Hanf.
533.
550.
Hartglas.
884.
Harnküpe.
567.
Harz, amerikanisches
648.
Harzessenz.
596.
648.
Harzseife. _ 298
466.
537.
Hausmannit.
774.
Hausschwamm.
78.
Hauswasser s. Küchenwasser.
Haut, Absorptionsfähigkeit ders.
195.
— Wärmeverlust ders. durch Ver-
dunstung.
194.
Hefe.
522.
— Ober- u. Unterhefe.
522.
— Stellen der
522.
Heisswasserheizung.
100
102.
Heizer auf Eisenbahnen.
818.
— auf Dampfschiffen.
819.
Heizkammer.
901.
Herdguss.
72-2.
Heufieber.
361.
850.
Hexanitrodiphenylamin.
634.
Hexylalkohol.
448.
Hexylwasserstoff.
448.
860.
Hochdruckheizungen.
100.
Hochmüllerei.
83. !
Höhenraiich.
219.
Hofmann's Grün.
632.
Hofmann's Naphtalinroth.
641.
Hofmann's Violett.
631.
Hohofenprocess.
743.
Holländer in der Papierfabrication.
536.
912
Holz. — Kalk.
Holz. Biegen dess.
— Imprägniren dess. mit Theer.
— künstliches
Holzäther.
Holzbearbeitung.
Holzessig, Darstell, des». 375. 421.
Holzfeuerung.
Holzgeist. 374.
Holzkohle.
— Darstellg.. Lagerg u. Transp. ders
— Verwendung ders.
Holzkohlendampf.
Holzkohlenfeuerung.
Holzkohlengase.
Holzstaub.
Holzzeugfabrieation.
Holzwespen.
Honigessig.
Hopfen. Schwefeln dess.
Hopfenöl, ätherisches
Hopfensurrogate.
Hopperboy.
Horngebilde.
Hornplätterei.
Hornstaub.
Hornwaaren.
Hörner, Entkernen ders.
— Waschen ders.
Hüttenkrätze in der Arsenindustrie.
Hüttenrauch. 250.
Hundezwinger.
Hungerstein.
Hutmacher. "252. 580.
Hydragvrum muriaticum mite.
Hydrochinon.
Hydrocoerulignon.
Hydrothionsäure.
Hydroxygengaslicht.
Hydroxylbenzol.
Hypophosphite.
Hyposulfite. 158.
197.
156.
197.
■233
Seite
896.
603.
896.
376.
896.
422.
318.
375.
316.
342.
325.
345.
353.
343.
896.
534.
168.
418.
526.
526.
615.
83.
583.
583.
584.
584
583.
583.
285.
831.
591.
674.
581.
739.
618.
874.
141.
41.
609.
277.
677.
Jacquard'sche Webstühle. 550. 705.
Jauchedüugung. 220.
Jennymaschine. 545.
Indican 567.
Indigblau. 537. 567.
Indigweiss. 567.
Inductionsröhren, Siemens'sche 99.
Infusorien des Wassers. 111.
Infusorienerde. 650.
Inulin. 509. 880.
Inosit. 490.
Invertzucker. 862.
Jod, Darstellung, Eigensch. dess. 58. 60.
Jodal. 416.
Jodamyl, Einwirk. a. d. thier. Orj
Jodäther.
JodäthyL, Verwendung dess
Jodblei.
Jodcyan.
Jodgrün.
Jochiidustrie.
gan.
441.
400.
400. 401.
712.
67. 390.
632. 633.
63.
6eite
Jodkalium. 68.
Jodmethyl. 369.
Jodmethylgrün. 632.
Jodoform. 373.
Jodsalze. Vorkommen ders. 68.
Jodwasserstoff. Darstellung dess. 60.
Jodwasserstoffsäure. 60. 61.
Iridium. 785.
Isobutyaldehyd. 437.
Isobutylalkohol. 436.
Isobutylwasserstoff. 436.
Isopropylalkohol. 430.
Isopropylen. 430.
Isopropvlglycolsäure. 433.
Juchtenleder. 572.
Jungfernblei. 703.
Jungfernöl. 451.
Jungferntalg. 459.
Jute. 550.
Kadmium. 696.
Kadmiumsalze. 696.
Kaffee-Surrogate. 498.
Kaisergrün. 298. 727.
Kaiserviolett, ruthes u. blaues 631.
Kakodyl. 396.
Kakodyloxyd. 396.
Kakodylsäure. 396.
Kali chloricum s Kaliumchlorat.
Kalidünger. 590.
Kaliseife. 466.
Kalisalpeter. 67. 669.
Kalium. 669.
— amylxanthogensaures 857.
— arsenigsaures 244. 297.
— arsensaures 301.
— chlorsaures 272.
— ferrocyanatum flavurn 386.
— pikrinsaures 273.
— überchlorsaures 135.
— übermangansaures 775.
— weinsaures 439.
— xanthamylsaures 857.
— xanthogensaures 857.
Kaliumalaun. 759.
Kaliumaluminiumalaun. 758. 759.
Kaliumarsenit. 297.
Kaliumbichromat. 272. 273. 768.
Kaliumbromid. 68.
Kaliumcarbonat. 669.
Kaliumchlorat. 133. 134. 272.
Kaliumchromat. 645. 768.
Kaliumchromsulfat. 774.
Kaliumcyanid s. Cyankalium.
Kaliurueisencyanid. 388.
Kaliumeisencyanür. 386.
Kaliumhvperchlorat. 135.
Kalium hvpermanganicum. 775.
Kaliumjodid. 68.
Kaliumpyrochromat. 768.
Kaliumsulfarseniat. 303.
Kaliumsulfocarbonat. 851.
Kalk, gebrannter 43. 684.
Kalk. — Kohlengruben.
913
312
650.
181.
307.
Kalk.
— gelöschter. 43.
— hydraulischer.
Kalkbrennerei. 684.
Kalksinter.
Kalkspath.
Kalkstaub. 685.
Kalkstein.
Kalktuff.
Kammersäure.
Kamm f abrication .
Kammgarn.
Kammwolle.
Kampher.
Kamptulikon.
Kaninchenfelle.
Kandanit.
Kaolin.
Karatirung.
Kartoffelbrennerei.
Kartoffeln, faulende
Kasematten.
Käsebereitung im Grossen.
Kastenguss.
Kattundruckereien. 50. 212.
Kautschuk.
Kellerwohnungen. 129.
Kelp.
Keramik.
Kermes minerale.
Kerosen.
Kerosolen.
Kerzen, gezogene
— Färben ders.
Kesselfarben.
Kesselstein.
Kielwasser.
Kienruss.
— leichter und schwerer
Kienöl s. Fichtenöl.
Kiese.
Kiesel.
Kieselfluorwasserstoffsäure. 259.
Kieselflusssäure.
Kieseiguhr.
Kieselsäure.
Kieselsäureanhydrid.
Kieselstaub.
Küns. 162.
Kinderarbeit. 24
— in Belgien.
— in Bergwerken.
— in Frankreich.
— in Preussen.
— in der Schweiz.
— unterirdische
Kinderarbeitsbücher (livrets).
Kinderbewahranstalten.
Kindergärten.
Kinderspielzeuge mit arsenikal. Grün.
Kino.
Kirchbergergrün.
Kirschwasser.
Kiserit.
Kitte.
Eulenberg, Gewerbe-Hygiene.
122. 123. 124,
321.
686.
686.
685.
684.
689.
887.
684.
684.
171.
583.
554.
554.
648.
574.
575.
861.
759.
727.
406.
79.
818.
654.
722.
422.
651.
818.
58.
759.
312.
596.
595.
859.
860.
565.
354.
109.
316.
322.
135.
659.
660.
660.
659.
659.
659.
883.
892.
25.
29.
328.
29.
30.
30.
26.
29.
900.
900.
298.
570.
298.
408.
689.
452.
8eite
Klären des Lutters. 404.
Klärsei. 497.
Kleber als Nahrungsmittel. 513.
Klebergraupe. 513.
Kleesäure. 422.
Kleesalz. 423.
Knallanilin. 878.
Knallbonbons. 853.
Knallgasgebläse. 40.
Knallgold. 898.
Knallquecksilber.
Knallsäure.
Knallsilber.
Knappschaftsvereine.
Knoblauch öl.
Knochen, Lagern ders.
— Bleichen ders.
— Dämpfen ders.
— Verarbeitung ders.
— Verbrennen ders. in Schachtöfen. 258.
Knochenabfälle zur Darstellung von
Superphosphat.
Knochenasche, Bearbeitung ders. 259,
Knochenkohle.
— zum Entfärben u. z. Desinfection
— Wiederbelebung ders. 325
Knochenlager.
Knochenleim.
Knochenöl.
Knochensiedereien.
Knochenstaub.
Knopfdrechsler.
Knöpfe, oxydirte
Knopffabriken.
Knopfmetalle.
Knoppern.
Kobalt.
Kobaltblüthe.
Kobaltchlorür.
Kobalterz, manganhaltiges
Kobaltgelb.
Kobaltoxyd.
Kobaltoxydul, zinnsaures
Kobaltsaflor.
Kobaltsilicat.
Kobaltultramarin.
Kobalt-Zaffer.
Kochsalz. 673.
Kohle, als Antidot des Phosphors
— Anwend. ders. als Reductionsmittel
bei metallurgischen Processen. _
— Benutzung ders. als Brennmaterial
— zur Entfärbung u. Desinfection.
— Gewinnung ders.
— platinirte
— Transport und Lagerung ders.
— Verwendung ders. als Farbe.
Kohlehydrate.
Kohlenbergwerke, Beschäftigung der
393. 878.
393.
853.
36.
435.
586.
49.
588. 589.
588.
265.
316.
324.
326. 327.
586.
586. 587.
588.
587.
197.
587.
717.
717.
719.
569. 570.
779. 780.
779.
781.
779.
781.
781.
781.
780.
780.
781.
780.
674. 675.
271.
28.
324.
328.
325.
342.
321.
490.
Frauenbund Kinder. 26
— Einrichtung in dens.
— Luftbeschaffenheit ders.
Kohlendunstvergiftung.
— Behandlung ders.
Kohlengruben, Beaufsichtigung ders.
58
328.
328.
180.
34i;.
352.
334.
914
Kohlengruben. — Leder.
Seite
Kohlengruben.
— versch. Ventilationen in dens. 331. 333.
Kohlengrubenarbeiter. 336.
— äussere Verhältnisse ders. 338.
— Krankheiten ders. 336.
— sanitäre Verhältnisse ders. 334.
Kohlendunst. 345.
Kohlenfilter. 814.
Kohlenoxyd. 344.
— Absorptionsfähigk. d. Blutes für 351.
— Behandl. d. Vergiftungen durch 352.
— Nachweis dess. im Blute. 349.
— Verwendung dess. 354.
— in Wohnräumen. 352.
Kohlenoxysulfid. 354. 355. 849.
Kohlensäure in der Luft. 176.
Kohlensäureanhydrid, gewöhnliche
Kohlensäure. 356.
— Ansamml. ders. in geschlossenen
Räumen. 360.
— beim Keimprocesse. 358.
— in den Schulen. 849.
— alsVerbrennungsproduct. 359.
— beim Verwesungsprocesse. 358.
Kohlenstoff. 316.
Kohlenwasserstoff, leichter 368.
— schwerer 398.
Kohlenwasserstoffe. 860.
— geschwefelte 596. 597.
Kokkelskörner in der Bierbrauerei. 527.
Koks. 316.
— Ablöschen ders. 340. 875.
Koksdunst. 345.
Koksöfen, Construction ders. 339.
Koksofengase. 339.
Koksthürme, nach Gay-Lussac. 169.
— nach Glover. 170.
— nach Gossage. 675.
Kolben- und Glockenmaschinen in Berg-
werken. 333.
Königsgelb. 303.
Königswasser. 254.
Korbmacherei. 140.
Korund. 757.
Kraftwebestuhl (powerloon). 546.
Krankenhäuser. 794.
— Ventilationseinrichtung. 796. 806.
Krapp. 568.
Krappblumen. 568.
Krappfärberei. 50.
Krappfarben. 565.
Krappfarbendruck. 566.
Krappkohle. 568.
Krapplack. 565.
Krappmühlen. 568.
Krappstaub. 568.
Kratz- oder Streichmaschine. 544.
Krätze, zu Gute machen ders. 253. 783.
Kreissägen. 754. 896.
Krempeln oder Kratzen d. Baumwolle. 544
Kressole. 624.
Krippen (creches).
Krümelzucker.
Kryolith. 68. 757.
Küchenwässer, Wegschaffung ders.
Kühlapparate b. d. Weingeistindustrie.
— in Branntweinbrennereien.
Kühlschiff in der Brauerei.
Kühlstöcke in der Müllerei.
Küpe, kalte
— warme
Kürschner. 579.
Kugellacke.
Kuhhaare.
Kuhkothbad.
Kuhkothsalz.
Kumys.
Kunstwolle.
Kupfer.
— Industrie dess.
— Legirungen dess.
— sanitäre Massregeln bei der Ver-
hüttung.
— Versilbern dess.
— Verzinnen dess.
Kupfer, stearinsaures.
— zinnsaures.
Kupferacetat.
Kupferchlorid. 44
Knpferchlorür. 44
Kupfercyanid.
Kupfercyanür. 67
Kupferfarben, verschiedene
Kupferiodür.
Kupferkrankheit.
Kupfermanganlegirungen.
Kupfernickel.
Kupfernitrat.
Kupferoxychlorid.
Kupferoxyduloxyd, xanthamylsaures
Kupferschiefer, bituminöser 337. 354,
Kupfersulfat s. Kupfervitriol.
Kupfervitriol. 44. 714
Kupolöfen. 722
283.
Seite
874.
900.
491.
758.
206.
405.
716.
521.
83.
567.
567.
736.
569.
581.
566.
566.
508.
555.
713.
716.
717.
714.
717.
717.
860.
728.
727.
727.
727.
386.
386.
728.
67.
715.
774.
775.
728.
44.
447.
713.
727.
745.
Krempeln der Seide.
Kremserweiss s. Bleiweiss.
Kreosol.
Kreosot.
Kreosotnatron.
597.
563.
597.
598.
594.
Lachgas. 240.
Lackfirniss. 454.
Lackirer. 455. 697.
Lackkochen. 858.
Lactose. 508.
Lagermetall, weisses <27.
Lagermetalle. 724.
Lakritzensaft, künstlicher 517.
Laming'sches Pulver. 600.
Lampenschirme, mit Schweinfurter-
grün gefärbte 298. 832.
Lampenruss. 321.
Lannoy'sches Pulver. 533.
Lanthan. 884.
Laurinsäure. 450.
Laurostearinsäure. 450.
Läutertonnen in der Sämischgerberei. 575.
Leder, Färben dess. 572.
Leder. — Mauve.
915
Leder, dänisches
— künstliches
— lackirtes
— lohgares
Lederleim. 585.
Legirungen von Antimon.
— von Zinn und Blei. 665.
Lehmgus s.
Leim, elastischer
— flüssiger
— thierischer 462. 584.
Leimgut. 571.
— Kalken und Versieden dess.
Leimindustrie.
Leimversilberung.
Leimzucker s. Glycocoll.
Leinenindustrie.
— Beuchwässer in der 46. 217.
— Besondere Arten von leinenen
Zeugen.
— sanit. Verhältnisse der Arbeiter.
Leinwand, verstockte
Leonische Waaren.
Leptidin.
Leptomitus lacteus.
Letternmetall.
Leuchtgas.
— Einfluss dess. auf die Vegetation.
— Reinigung dess.
— Verbrennungsproducte dess.
— Vergiftung durch dass.
— verschiedene Arten dess.
— Vertheilung dess.
Leuchtgasfabrication.
— aus Fäcalien.
Leukanilin. 630.
Levulosan.
Levulose.
Leviatans.
Libidibi.
Lichenin.
Liernur'sches System.
Lignose.
Ligro'in.
Linoleum.
Liqueure.
Liquor ammonii caust.
— anaesthetic.
— Hollandicus.
Lithofracteur.
Lithophanien.
Local Governement Act. 9.
L o comotivf ühr er .
Lohgerberei.
Lohkuchen.
Loth (Strengloth).
Löthen der Metalle. 40. 282.
Lüsterfarben. 763.
Luft, atmosphärische
— Kohlensäuregehalt ders.
— "Wasserstoffgehalt ders.
— zufällige Bestandtheile ders.
Luft, comprimirte
— feuchte und kühle
— feuchte und warme
Seite
8eite
572.
Luft.
574.
— trockne und heisse
182.
573.
— trockne und kalte
184.
572.
— verdünnte
186.
586.
Luftheizung. 183.
353.
819.
307.
— Heckmann'scher Apparat.
184.
666.
— Kelhng'sches System.
184.
722.
Luft- u. Wasserheizung, combinirte
102.
586.
Luftkammer.
901.
244.
Lumpen.
535.
865.
— Lagern ders.
535.
585.
— ■ Präparation f. d. Papierfabrication.
535.
585.
— Sortiren ders.
535.
584.
Lumpenbleiche.
Lutidin.
90.
668.
647.
Lutter.
404.
550.
552.
M.
552.
Magdalaroth.
644.
552-
Magnesium.
689.
78.
• — arsensaures
302.
893.
Magnesiummetall.
690.
648.
Magnesiumoxychlorid.
888.
491.
Magneteisen.
742
757.
727.
Mahlen des Getreides.
83.
598.
Maischbottiche.
405.
601.
Maischen.
405
520.
599.
Maischmethoden in der Bierbrauerei.
520.
602.
Malachit.
154
713.
601.
Malaria.
108.
602.
Malergold.
783.
601.
Malz, bernsteingelbes
520.
599.
— braunes
520.
874.
— gelbes
520.
634.
Malzbereitung.
518.
493.
Malzen.
517.
862.
Malzessig.
418.
558.
Malzquetschmühle.
Manchestergelb.
520.
570.
644.
509.
Mandarinen druck.
566.
203.
Mangari.
774.
860.
Manganblende.
774.
595.
Manganit.
774.
574.
Manganlaugen.
65.
408.
Manganspath.
774.
221.
Mangansuperoxyd.
775.
400.
Mangansuperoxydhydrat.
898.
401.
Manganviolett.
898.
489.
Mannit.
449.
763.
Maraschino.
408.
. 10.
Marderfelle.
575.
818.
Margarinsäure.
450.
571.
Marmor.
684.
571.
Marmorcement.
687.
667.
Maroquin.
572.
809.
Marron.
634.
784.
Martiusgelb. 468
644
668.
176.
Maschinenöl.
593.
176.
Maschinenpapier.
538.
177.
Massicot.
706.
190.
Mastix.
457.
186.
Matthieu-Plessy's Grün.
772.
180.
Mauvanilin.
622
. 629.
178.
Mauve.
631.
58 ■
916
Mauvein. — Naphtilcarmin.
Seite
Mauveln. 631. 878.
Medaillenbronze. 725.
Meerschaum. 689.
Meerwasser, Destillation dess. 125.
— Normandy'scher Destillations-
apparat. 126.
Mehl, Behandlung u. Verpackung dess. 86.
— Verfälschen dess. 88.
Mehlsorten, gemischte 89.
Mehrfach-Schwefelammonium. 239.
Melasse. 494. 495. 498. 499. 504.
Melis. 499.
Mennige. 706. 707. 860.
— Fabrication ders. 706.
Mercurinitrat s. Quecksilberoxydnitrat.
Mercuronitrat s. Quecksilberoxydulnitrat.
Mergel, bituminöser 316.
Mesitylen. 432.
Mesityloxyd. 432.
Messing, bronzeartiges 724.
— Beizen und Gelbbrennen dess. 723.
— gelbes 719.
Messingfieber. 720. 893.
Messinggiesser. 893.
Messinglöthung. 696.
Messingöfen. 720.
Messingstaub. 726.
Metaceton. 432.
Metall, englisches 666.
Metalldraht. 725.
Metalle, Ausarbeitung ders. 751.
— Biegen ders. 750. 754.
— Giessen u. Schmelzen ders. 721. 722.
— Schleifen ders. 751.
— Verschönern u. Zertheilung ders. 754.
Metalllackiren. 719.
Metalloide. 38.
Metallpapiere. 865.
Metapnosphorsäure. 280.
Metarsensäure. 300.
Methan. 368.
Methyläther. 376.
Methylalkohol. 374.
Methylamid. 379.
Methylamin. 379.
Methylammoniak. 379.
Methylanilin, salzsaures 622.
Methylanilingrün. 376. 633.
Methylbenzol. 623.
Methyl-Bichlorid. 851.
Methylbromid. 369.
Methylchlorid. 368.
Methyldiphenylamin. 623.
Methylenbromid. 369.
Methylenchlorid. 369.
Methvlenjodid. 369.
Methylgrün. 376. 633.
Methyljodid. 369.
Methylirtes Rothviolet. 631.
Methylmercaptan. 378.
Methyloxyd. 376.
Methylquecksilber. 397.
Methylschwefelsäure. 374.
Methylverbindungen. 368.
Methylviolett. 631.
Seite
Methylwasserstoff. 368.
Milchsäure. 433. 512. 856.
Milchsäuregährung. 77.
Milchzuckerindustrie. 508.
Militärzündnadelpatrone. 134.
Milly's Kerzen. 471.
Minengase. 886.
Minenkrankheit. 672.
Miner's asthma. 336.
Mineralblau. 389.
Mineraldünger. 590.
Mineralgelb. 712.
Mineralgrün. 297. 728.
Mineralkermes. 307.
Mineralöl. 592.
Mineralölfabriken. 594.
Mineralwässer, künstliche 678.
Mirbanöl. 607. 609.
Mischkammer bei Centralheizungen. 901.
Mitisgrön. 298.
Mitteldruckheizung. 101.
Mittlers Grün. 772.
Moellon. 458.
Molybdän. 786.
Molybdänblau. 786.
Molybdänsäure. 786.
Molybdänwasserstoff. 786.
Mononitroglycerin. 861.
Monoxybenzol. 609.
Moorbrennen. 219.
Moortorf. 317.
Moosstärke. 509.
Morast. 108.
Mordant s. Beize. 565.
Morphin. 655.
Mosaikplattcn. 763.
Moscovade. 494.
Mouselinglas. 884.
Mühlensystem. 83. 84.
Münzmetalle. 726.
Mulemaschine. 545.
Mundleim. 586.
Mungowolle. 555.
Muntzmetall. 719.
Murexid. 646.
Muschelgold. 783.
Musivgold. 667.
Muskelzucker. 490.
Myristinsäure. 450.
N.
Nachgährung des Bieres. 522. 523.
Nachtsarbeit. 899.
Nadelpapier. 316.
Nadelschleiferei. 752.
Nähnadeln, Fabrication ders. 753.
Nagelpilz der Bierbrauer. 523.
Naphtalin. 317. 640. 641. 861.
Naphtalindichlorid. 641. 643.
Naphtalingelb. 642. 644.
Naphtalin roth. 644.
Naphtamein. 644.
Naphtazarin. 642.
Naphtilcarmin. 643.
Naphtoehinon. — Ozobenzin.
917
611. 624.
675.
Naphtochinon.
Naphtol.
Naphtylamin.
Naphtylaminroth.
Naphtylamin violett.
Nassspinnen in der Leinenindustrie
Natrium, arsensaures
— arsenigsaures, in der Färberei.
— metaphosphorsaures
— milchsaures
— pyrophosphorsaures
— salicylsaures
— wolframsaures
Natriumalaun.
Natriumarsenit in der Färberei.
Natriumborat.
Natriumchlorid.
Natrium go ldchlorid .
Natriummethylat.
Natriumphenylat.
Natriumphosphat.
Natriumsilicat.
Natriumsulfantimoniat.
Natriumsulfat b. Sodaproeess
Natronfeldspath.
Natronit.
Natronmetallurgie.
Natronseife. 466.
Neapelgelb.
Nebelbilder.
Nessel als Gespinnstfaser.
Neugrün.
Neusilber.
Neusilberschlagloth.
Neu-wiedergrün. 298.
Nicbolson'sches Verfahren bei der Dar-
stellung von Fuchsin.
Nickel.
— Behandlung der Nickel- und
Kobalterze.
— Gewinnung des metall. Nickels.
Nickelglanz.
Nickelindustrie.
Nicotin.
Niederdruckwasserheizung.
Nitriren.
Nitroarabin.
Nitrobenzol. 607.
Nitrocellulose.
Nitrochloroform.
Nitrocyanmethyl.
Nitroglycerinindustrie.
— Darstellung im Grossen.
Nitroglycerinsalpetersäureäther.
Nitrolactit.
Nitrolignit.
Nitromannit.
Nitr ophen ylsäure.
Nitroprussid-Kalium.
Nitroprussidnatrium. 156.
Nitrosaccharit.
Nitrostärke.
Nitrosylchlorid.
Nitrotoluol.
Noppen der Tuche.
Seite
642.
641.
642.
644.
644.
866.
302.
299.
280.
856.
280.
878.
787.
759.
299.
315.
673.
898.
374.
878.
280.
884.
312.
676.
759.
590.
891.
468.
712.
41.
550.
298.
726.
726.
728.
630.
775.
776.
776.
775.
779.
656.
101.
245.
517.
608.
530.
616.
393.
481.
485.
481.
508.
245.
449.
613.
388.
526.
493.
533.
826.
624.
557.
Seite
Nordhäuser Schwefelsäure. 172.
Nuisances Removal Act. 7.
Nürnberger Violett. 898.
Nystagmus bei Grubenarbeiten. 836.
0.
Obergährung. 522.
Obergesundheitsrath in Italien. 13.
Oblaten, grüne 299.
Obstessig. 418.
Oelbildendes Gas s. Aethylen.
Oele, ätherische
— flüssige, fette
— Pflanzenöle.
— Raffiniren ders.
— Samenöle.
— trocknende.
Oelgerberei.
Oelindustrie.
Oel-Lackfirnisse.
Oelkuchen.
Oelsäure.
Oelseife.
Oelsüss.
Oeltrüb.
Oenanthäther.
Oenanthylsäure, Oenanthsäure.
Ofenröhren, Klappen u. Schieber ders
Ofenschirme, grüner Anstrich ders. 298.
Oidium Tuckeri. 136.
Olein. 473.
Oleum animale Dipp. 459.
Oleum Cadini. 650.
Oleum empyreumaticum Juniperi. 650.
Oligaemia montana. 337.
Olivenöl. 451.
Onychomykosis der Bierbrauer. 523.
Operment. 303. 573.
Opermentküpe. 567.
Orce'ide (Messingarten). 717.
Orcein. 568.
648. 650.
451.
465.
452.
452.
453.
574.
451.
454.
452.
450. 473.
466.
433.
452.
408.
450.
318.
Orcin. 568. 624.
Ordres in Council. 7.
Orlean. 568.
Orseille. 568. 569.
Orseillin. 629.
Orthoklas. 759.
Orts-Gesundheitsrath (Local Board of
Health). 6.
Osmium. 785.
Osmiumoxyd. 785.
Osmiumsäure. 786.
Osmiumsesquioxyd. 785.
Osteolith. 590.
Otternfelle. 575.
Oxalsäure. 422. 614.
— Wirkung ders. 423.
— Industrie ders. 243. 424.
— Verwendung ders. 425.
Oxalsäure-Amyläther. 444.
Oxyphensäure. 618.
Oxypikrinsäure. 618.
Ozobenzin. 813.
918
Ozokerit — Phosphorsäureanhydrit.
Seite
Ozokerit.
202. 463.
593.
Ozon.
90. 91
. 92.
— in der Iudustrie.
98.
— in sanitärer
Bezi
ehung.
96.
Ozonbleiche.
815.
Ozonträger.
97.
p.
Packpapier.
533
538
Paeonin.
612
Pakfong.
726
Paktong.
726
Palladium.
785
Palladiumchlorür.
785
Palmella.
107
111
Palmitin.
464
Palmitiii-Kerzenfabrication.
466
Palmitinsäure.
450
473
Palmitinsäure-Cetyläther.
450
Palmöl, Bleichen dess.
464
Palmölseifen.
469.
Pannetier's Grün.
315.
772.
Papageis;rün.
298
Papier, Hand- oder Büttenpapier
538
— besondere Arten von
539
— Färben des Papiers.
539.
Papierbleiche.
90
Papierindustrie.
533
Papierkohle.
592.
Papier-mache.
538
Papiermaterial.
533.
Papierzeugfabrication.
46
534
Papierwäsche.
865
Pappe oder Pappendeckel.
538
Paraffin. 317.
593.
861.
Paraffinkohle.
316.
Paraffin- oder Maschinenöl.
593
Paraffinöle im Petroleum.
360.
Paramyluru.
509
Parasitentheorie.
79. I
Parian.
763.
Pariancement.
687
Pariserblau.
389
Parisergelb.
712
Pariserroth.
707
Parkesin.
584
Parvolin.
647
Passante.
559
Pastellstifte.
760
Patentleim.
588
Patina.
724
Pattinson'sches Bleiweiss.
712
Pattinson'sche Methode bei der Silber-
gewinnung.
680
Pavillon-System.
796
Pech, hartes
605
— weiches
605
Pelargonsäure. '
450.
505
Pelzfärben.
575.
Pelzgerberei.
574
Pelzwaaren, Färben ders.
575.
Pentathionsäure.
155.
Perchloraethan.
403
Seite
Pergament. 574.
Pergamentleim. 586.
Pergamentpapier. 530. 539.
Perkin's "Violett. 631.
Perlmutterdrechslerei. 684.
Perrotine. 566.
Persico als Farbstoff. 568.
Persico (Liqueur). 408. 609.
Personen, junge, im Sinne des Gesetzes. 26.
— geschützte 791.
Perusilber. 726.
Petroleum, raffinirtes 597.
— Aufbewahrung u. Transport dess. 873..
— Rectification dess. 595.
— Verbrennungsproducte dess. 360.
Petroleumäther. 595.
Petroleumbenzin. 593. 595.
Petroleumessenz. 360. 596.
— Aufbewahrung ders. 597.
— Verwendung ders. 597.
Petroleumgas. 360. 875.
Petrosolaröl. 596.
Pfannenstein. 674.
Pfeif enthon. 760.
Pferdehaare. 579.
Pflanzenfaser. 530.
Phenol. 609.
Phenolfarben. 352. 612. 876.
Phenolnatrium. 611. 878.
Phenylbraun. 612. 876.
Phenylenbraun. 623. 634. 876.
Phenylendiamin. 623.
Phenylgelb. 612.
Phenylroth. 352.
Phenylsäure. 609.
Phlegma bei der Branntweinbrennerei. 407.
Phoron. 432.
Phos°;eiigas. 361.
Phosphin. 634.
Phosphite. 278.
Phosphocalcit. 590-
Phosphor. 255.
— Aufbewahrung dess. 264.
— Destillation dess. 261.
— Formen dess. 264.
— Reinigung dess. 263.
— rother, amorpher, Darstellung dess. 265.
— — — Reinigung dess. 266-
— weisser, Verwendung dess. 266.
Phosphorbronze. 893.
Phosphordämpfe. 255. 256. 267.
Phosphordijodid. 276.
Phosphordyskrasie. 257.
Phosphorige Säure. 278.
Phosphorigsäureanhydrid. 278.
Phosphorindustrie. 258.
Phosphorit. 590. 684.
Phosphorkupfer. 893.
Phosphorpentabromid. 276.
Phosphorpentachlorid. 275. 276.
Phosphornekrose. 256. 257.
— Vorkommen ders. 264.
Phosphorsäure. 280.
— Industrie ders. 281.
Phosphorsäureanhydrid. 280.
Phosphorstre
chhölz
Seite
st. — ■ Quecksilber.
919
Seite
Phosphorstreichhölzer,
Fabrication
Presshefe.
855.
ders.
267-
-270.
Pressrückstände des Olivenöls.
451.
— schwedische
272.
Presstuchwässer in Zuckerfabriken. 496. 863.
Phosphortribromid.
276.
277.
Productiv-Genossenschaften.
36.
Phosphortrichlorid.
275.
Propan.
430.
Phosphortrijodid.
276.
Propionsäure.
430. 431.
Phosphorwasserstoff.
261. 262. 263.
266.
Propionsäure- Aether.
431.
273.
274.
Propylaldehyd.
430.
Phosphorwolfram säuren
788.
Propylalkohol.
408. 430.
Photogalvanographie.
683.
Propylamin.
435.
Photogen.
592.
Propylbenzol.
639.
— Fabrication dess.
872.
Propylbromid.
430.
Photographie.
683.
Propylchlorid.
430.
Photoglyphie.
683.
Propylen.
430.
Photolithographie.
683.
Propyljodid.
430.
Phtalein.
612.
Propylverbindungen.
430.
Phtalsäure, Einwirk, der wasserfreien
Propylwasserstoff.
430.
auf den thier. Or(
^anismus.
639.
Proteinkörper.
653.
— Fabrication ders.
643.
Provinzial-Gesundheitsräthe in Italien. 13.
Physik (Composition).
668.
Primula.
631.
Picolin.
646.
647.
Privy-Council, Thätigkeit dess. '
6. 7.
Pierres de Strass.
898.
Pseudocumol.
639.
Pikramin.
617.
Ps eudo schwef elcy an .
395.
Pikraminsäure.
617.
Pseudotoluidine.
624.
Pikratisation.
876.
Puddelöfen, rotirende
894.
Pikrinsäure.
609. 613.
615.
Puddlingsprocess.
747.
— in der Bierbrauerei
527.
615.
Puderzucker.
494.
— als Sprengmittel.
615.
Pulsionsmethode.
201. 796.
Pikrotoxin in der Bierbrauerei.
528.
Pulvermagazine.
671.
Pilzdachkammer in der
Arsenindustrie.
284.
Pulvermühlen.
670.
Pilze, Entstehung ders.
78.
Pumpen, Construction ders.
121. 122.
Pinchbeck.
717.
Purpur des Cassius.
784.
Pininsäure.
466.
Purpurcarmin.
646.
Pink-colour.
763.
Purpurin im Krapp.
568.
Pinolin.
596
648.
Purpurin (oxydrrtes Alizarin).
646.
Piquette.
897.
Purpurkobaltehlorid.
781.
Plaids.
555.
Putzöl.
595.
Platin.
784.
Puzzolane.
686.
— Legirungen dess.
784.
Pyroarsensäure.
301.
Platinmohr.
784.
Pyrophosphate.
280.
Platinschwamm.
784.
Pyrophosphorsäure.
280.
Platinschwarz.
784.
Pyridin.
646.
Plumb. aceticum.
708
712.
Pyrite.
138. 161.
Plumb. subaceticum.
708
712.
Pyrogallussäure. 618
619. 683.
Pneumomelanosis.
336.
Pyrolignit.
245.
Porcellan, hartes
764.
Pyropapier.
533.
— weiches
765.
Pyrophosphorsäure.
280.
— Halbporcellan.
762.
Pyroxam.
533.
Porcellanbiscuit.
763.
Pyroxylin.
530.
Porcellanglasur.
764.
Pyroxylinsubstanzen.
533.
Porcellanmalerei.
765
783.
Pyrrol.
228. 648.
Porcellanthon.
759.
Pyrrolroth.
648.
Porcellan- Walz en stuhl
von Wegmann.
84.
Porenventilation.
806.
a
Portlandcement.
687.
Posamentirgewerbe.
550.
Quartation.
783.
Posidonienschiefer.
316.
Quarz.
659.
Poterie.
722.
Quarzstaub.
197.
Pottasche, Darstellung
ders. aus Kali-
Quassia in der Bierbrauerei.
527.
salzen.
669.
Qu assia-Fliegenp apier .
567.
Pottaschen darstellung
in den Tuch-
Quassiakampker.
567.
fabriken.
558.
Quecksilber.
728.
Poudrette-Fabrication.
589.
— Gewinnung von
732—734.
Präcipitationsverfahren
Präparirsalz.
bei Faecalien
212.
668.
— — sanitäre Massregelo bei
— knallsaures
ders. 734.
393.
920
Quecksilberchlorid. — Salpetersäure.
Seite
Quecksilberchlorid. 739.
Quecksilberchlorür. 739.
Quecksilberchromat. 773.
Quecksilbercyanid. 386. 853.
Quecksilberhornerz. 728.
Quecksilberindustrie. 736.
Quecksilberoxyd. 739.
Quecksilberoxydnitrat. 739. 742.
Quecksilberoxydulnitrat. 244. 742.
Quecksilberschwarz (Stupp). 732.
Quecksilbersulfat. 741.
Quecksilbersulfid. 728. 740.
Quecksilbersulfocyanid. 742.
Quercitronrinde. 568.
Quickwasser. 252.
Quittenessenz. 450.
Rachette-Oefen.
Rapirrnühlen. 657.
Raps.
Rasenbleiche. 46. 47. 90.
Raseneisenstein.
Ratafia. 408.
Rauchverzehrung.
Raufwolle s. Gerberwolle.
Rauher.
Rauschgelb. 139.
Rauschroth.
Realgar.
Regeneratoren, Siemens'sche, mit Gas-
feuerung.
Reinigungsmaschinen für Getreide.
Reisbiere.
Reisfelder.
Reissblei.
Reisstärkernekl.
Reservage i. d. Färberei u. Druckerei.
566.
Resorcin.
Respirationsschläuche.
Retinole.
Rhigolen.
Rhodanblei.
Rhodankalium.
Rhodauquecksilber.
Rhodan wasserstoffsäure.
Rhusma in der Weissgerberei. 291.
Rinmann'sches Grün. 696.
Rohöle bei der Theerdestillation.
Röhrenöfen bei der Schwefelsäure-
fabrication.
Rohparaffin
Rohrzucker.
— aus Runkelrüben.
— aus dem Zuckerrohr.
Rohrzuckerindustrie.
Rohzucker.
Rolltabak.
Romancement.
Rosanilin. 626.
Roseokobaltchlorid.
Rosolsäure.
890.
658.
453.
130.
742.
499.
319.
557.
303.
303.
282.
354.
83.
528.
108.
316.
515.
253.
727.
618.
333.
648.
595.
712.
395.
742.
395.
573.
781.
593.
162.
593.
490.
494.
493.
493.
494.
657.
686.
628.
781.
612.
Seite
Rossschwefel. 139.
Roste, Construction ders. 318.
Röstöfen nach Stetefeld. 167.
— nach Olivier und Perret. 166
Rostpapier. 316.
Rothbleierz. 697.
Rotheisenstein. 742. 756
Rothgiltigerze. 283.
Rothguss. 717.
Rothholz. 569.
Rothkupfer. 714.
Rothkupfererz. 713.
Rothmessing. 717.
Rothspiessglanz. 312.
Rothviolett, methylirtes 631.
Rotte der Leinpflanze. 550.
— Fluss- und Kastenrotte. 551.
— Teich- und Thaurotte. 550.
Rottwässer. 866.
Rouleauxdruckmaschine. 566.
Rouille s. Eisenbeize.
Ruberythrinsäure. 568.
Rubin. 757.
Rubin oder arsenfreies Fuchsin s.
Anilinroth.
Rübenwaschwässer. 863.
Ruhmkorff'scher Apparat. 94. 99.
Rum. 408. 443. 494.
Rundschachtöfen. 890. 891.
Ruakelrübenrohrzucker. 494.
Runkelrübenrohzucker-Melasse. 498. 504.
— Darstellung d. Alkohols aus ders. 505.
— Darstellung der Milch-, Butter- u.
Baldriansäure aus ders. 507.
Runkelrübenzuckerfabrication. 494. 499.
Russ, Arten dess. 321. 323.
— Bereitung dess. 321.
— Verpackung dess. 323.
Russkammern 321.
Rutinsäure. 450.
s.
Säbeln. 751.
Sächsisch-Grün. 889.
Sägen. 751.
Sägemehl. 425. 896.
— technische Benutzung dess. 896.
Sägespäne. 530.
Sämischgerberei. 574.
Saffian, Färben dess. 572.
Safflor in der Färberei. 569.
Safranin. 623. 878.
— phenylirtes 878.
Safraninsalze. 623.
Saft- oder Lackfarben. 542.
Sago. 509. 515.
Salicylsäure. 624. 869. 878.
Sahnenarbeiter. 886.
Salmiak, Fabrication dess. 230.
Salmiakgeist. 221. 227.
— techn. Verwendung dess. 227.
Salpeterindustrie. 669.
Salpeterpapier. 391.
Salpetersäure, Darstellung ders. 247. 250.
Salpetersäure.. — Schwefelblei.
921
Salpetersäure.
— Verwend. ders. in der Industrie.
— rothe, rauchende
Salpetersäure-Aethyläther.
— -Amyläther.
Salpetersäureindustrie.
Salpetersäure-Methyläther.
Salpetrige Säure.
— in der Industrie.
Salpetrigsäure-Aether. 411.
Salpetrigsäure-Amyläther 444.
Salvetat's Grün.
Salzäther, leichter
Salzhäuer.
Salzsäure.
Salzsieder.
Sandarach (Arsenschwefel)
— (Harz).
Sandblasverfahren.
Sandelholz.
Sandguss.
Sandkohle.
Sandsteinstaub.
Sanitäts-Commisionen in Preussen.
Sanitätätspolizei.
— gewerbliche
Santorinerde.
Sapanholz.
Saphir.
Sattler.
Satzmehl.
Sauerstoff. 71
— Abschluss dess. 80
— in der Luft.
— Quellen dess.
Sauerwässer bei der Stärkefabrication.
— in den Zuckerfabriken.
Saugdruckpumpen zum Entleeren der
Gruben.
Säuglings-Bewahranstalten.
Sayet.
Schabebaum in der Lohgerberei.
Schabe.
Schäfchen- oder Stengelstärke.
Schälmühlen.
Schalenguss.
Scharlach (Anilinroth).
Schawine.
Schawinebronze.
Scheel'sches Grün.
Scheelbleierz.
Scheelisiren des Weins.
Scheelit.
Scheerwolleb. d.Tapetenfabrication. 542,
Schellack.
Scherbenkobalt.
Scherwollstaub.
Schichtarbeiten.
Schteferöl.
Schieferweiss.
Schiessbaumwolle. 245.
— comprimirte
— Verbrennungsproducte ders.
— Verwendung ders. in Minen und
Bergwerken.
Seite
252.
247.
411.
444.
250.
376.
242.
243.
855.
855.
772.
400.
673.
50.
674.
302.
457.
811.
567.
722.
316.
197.
12.
39.
5.
686.
569.
757.
579.
509.
. 72.
82.
176.
75.
511.
863.
204.
900.
554.
571.
551.
514.
85.
722.
630.
892.
717.
297.
787.
525.
787.
556.
457.
282.
556.
791.
592.
708.
530.
531.
531.
532.
Schiessen in Bergwerken.
Schiesspulver. 316.
— Fabrication dess.
— Verbrennungsproducte.
Schiettinger'sche Maschine.
Schiffein des Bodens.
Schiffs z wieback .
Schilderfarben.
Schimmelbildung.
Schindanger.
Schlachthäuser.
Schlackenwolle.
Schleiferfäule.
Schleiferkrankheit. 197. 753. 879.
Schleifsteine, künstliche
S chleimgährung.
Schleimhefe.
Schleimsäure.
Schleimzucker.
Schlempe. 407. 5
Schlempekohle.
Schlempepottasche. 505.
Schlepper in Bergwerken.
Schlich- oder Schüttöfen.
Schlichten.
Schlippe'sches Salz.
Schmalz.
Schmiede und Schlosser.
Schmiedeeisen.
Schmieden des Eisens und Stahls.
Schmierfett, grünes (green-grease).
Schmiermittel. 452.
Schmierseife. 469.
Schmuckfedern.
Schneewasser.
Schnellbleiche.
Schnellessigfabrieation.
Schnellgerbereien.
Schnupftabak.
Schornsteine, Construction ders. 318.
Schreibfedern.
Schrotf abrication .
Schütten der Nadelhölzer.
Schüttofen nach Gerstenhöfer.
— nach Hasenclever und Heibig.
Schultze'sches Pulver.
Schusterstärke
Schwaden s. Wetter.
Schwarzfärben.
Schwarzkupfer.
Schwarzmehl. 325.
Schwarzspucken. 324. 336.
Schwefel.
— Reinigen dess. 138.
— Verwendung dess. 140.
Schwefeläther.
Schwefeläthyl.
Schwefelammonium.
Einfach
— Mehrfach
Schwefelamyl.
Schwefelantimon.
— Reduction u.
Schwefelarsen.
Schwefelblei.
234.
306.
Röstung dess. 306.
833.
Seite
337.
670.
670
671.
203.
219.
86.
565.
78.
591.
654.
894.
895.
895.
652.
77.
78.
508.
493.
505.
507.
506.
328.
164.
547.
312.
451.
750.
747.
749.
604.
473.
473.
583.
191.
46.
419.
572.
657.
319.
583.
705.
153.
165.
166.
533.
512.
569.
714.
407.
761.
138.
139.
141.
409.
426.
239.
233.
235.
446.
307.
307.
860.
712.
922
Schwefelblumen. — Sonnenbrenner.
Schwefelblumen.
Seite
139. 140.
Schwefelcalcium-Schwefelantimon. 312.
— -Schwefelarsen. 573.
Schwefelchlorid. 148.
Schwefelchlorür. 146.
Schwefelcyanäthyl. 429.
Schwefelcvanamyl. 447.
Schwefelcyanwasserstoffsäure. 395.
Schwefelkies. 138. 161. 742.
— zur Darstell, des Schwefels. 137. 138.
— zur Darst. der Schwefelsäure. 161.
Schwefelkiesöfen nach Gerstenhöfer. 164.
— nach Hasenclever und Heibig
Olivier und Perret.
— nach Maletras und Walter.
Schwefeln.
Schwefelkohlenstoff.
Schwefelmethyl.
Schwefelmilch.
Schwefelöfen.
Schwefelquecksilber.
Schwefelquellen.
Schwefelsäure, englische
— Fabrication ders.
— rauchende
— Transport ders.
Schwefelsäureanhydrid.
Schwefelsäureindustrie.
Schwefelwasserstoff.
flüssiger
geschwefelter
140
263
155.
362.
166.
817.
156.
366.
379.
140.
139.
740.
141.
159.
159.
172.
173.
160.
161.
141. 259. 329.
261. 263.
145.
145.
Schwefelwa=serstoff-Schwefelamnionium234.
Schwefelwasserstoff-Schwefelcalcium. 573.
Schweflige Säure. 149.
— Einwirkung ders. auf die Vege-
tation. 153. 816.
— Technische Verwendung ders. 155.
— Unschädlichmachung ders. 154.
Schwefligsaure Salze. 157. 158. 307.
Schweine, trichinöse, 591. 871.
Schweineschmalz, Ausschmelzen dess. 463.
Schweinfurter Grün. 297. 860.
Schweissen des Stahls. 749.
Schweelprocess beim Blätterschiefer. 872.
Schwellbeize, rothe 571.
— weisse 572.
Schwemmcanäle. 207. 208.
Schweröle (heavy oils). 604.
Schwerspath. 499. 688. 861.
Schwitzkammern oder Schwitzkasten
in der Lohgerberei. 571.
Secretage in der Hutmacherei. 253.
Seide. ' 562.
— Bleichen ders. 49.
— Entschälen ders. 562.
— Erschweren ders. 569.
Seidenabfälle. 563.
Seidenarbeiter. 564.
Seidenfabriken, Abfallwässer ders. 217. 868.
Seidenfärbereien. 565. 568. 569. 868.
Seidengummi. 561.
Seidenhüte. 581.
Seidenindustrie. 561.
Seidenleim. 561.
Seidenraupe. 561.
Seite
Seidenweberei. 563.
Seifen. Aussalzen ders. 466.
— besondere Arten von 471.
— Färben ders. 468.
— gefüllte 468.
— geschliffene 468.
— harte 467.
— weiche 469.
Seifenfabriken. 470.
Seifenleim. 467.
Seifensiederfluss. 466.
Seilfahrt in Gruben. 328.
Selen. 173.
Selenige Säure. 173.
Selenitmörtel. 887.
Selen Wasserstoff. 173.
Selfactor. 545.
Senföl. 485.
Senkgruben. 202.
Separatoren. 203.
Sericin. 561.
Setzer in Buchdruckereien. 308.
— Krankheiten ders. 308.
Setzsiebe. 891.
Sewage. 208.
Shagreen. 574.
Shaker (Lumpenwolfj. 555.
Sharewoodoil. 595.
Shawls. 555.
Shiste bitumineux. 592.
Shoddvwolle. 555.
Sicherheitslampe in Bergwerken nach
Davy, Herold, Müseier u. s. w. 330.
Sicherheitszündmasse. 272.
Sideringelb. 773.
Siderolith. 761.
Siderosis pulmonum. 197. 756.
Siegellack. 649. 741.
Siena. 634.
Silber, Extra ctionsmethode nach
Augustin und Ziervogel. 680.
— Gewinnung aus Blei durch Zink 288.
nach Parkes und Pattinson. 680.
Silberchromat. 773.
Silberglätte. 706.
Silberlegirung. 682.
Silberpolirerinnen. 887.
Silberstahl. 749.
Silbersud. 683.
Silicium. 659.
Siliciumfluorid. 884.
Sillar'sches Verfahren bei der Des-
infection. 213.
Sinterkohle. 316.
Skelete, anatomische, Darstellung ders. 588.
Slivovitz. 408.
Smalte. 537. 780.
Smirgel. 757.
Soda, Behandlung der Rückstände. 676.
— Schwefelgewinnung aus dens. 677.
Sodaindustrie. 675.
Solanin im Weingeist. 406.
Sokröl. 593.
Solfataren. 135.
Sonnenbrenner. 360.
Sonntag
sarbeit
— Tafelblei.
923
Seite
Seite
Sonntagsarbeit.
899.
Steinstaub.
97.
Sorbin.
408.
Steinwaaren, glasirte und unglasirte
763.
Spatheiserstein.
742.
Stellhefe.
525.
Speckstein.
689.
Steppentalg.
459.
Speiskobalt.
283.
779.
Stibio-Kali tartaricum.
311.
Spermacetöl.
463.
Stibium s. Antimon.
Spermöl.
463.
Stibium sulfuratum aurantiacum.
312.
Sphärosiderit.
742.
Stichtorf.
317.
Sphagnum- Arten.
106.
Stickstoff.
174-
-176.
Spialter.
690.
Stickstoffoxyd.
241.
Spiauter.
690.
Stickstoffoxyduh
240.
Spiegelbeleger.
730.
Stickstofftitan.
668.
Spiegelfabriken.
736.
Stollen wässer.
50.
Spiegelkugel.
738.
Stomatitis mercurialis.
729.
Spindelöl.
452.
Stossherde.
891.
Spinnereien. 544.
551.
557.
Strahlkies.
138.
Spinnmaschinen.
545.
557.
Strass.
663.
Spiritus muriatico aetherens.
400.
Strassenbau.
207.
Spiritus pyroxilieus.
Spiritus, Rectification dess.
374.
Strassenpflaster.
207.
408.
Strassenstaub.
821.
Spitzen, leinene, Erschweren ders.
552.
Streichgarn und Streichwolle. "
554.
Spitzenklöppeln.
550.
Streichgarnspinnereien.
558.
Sprenglöcher, Bohren ders.
338.
Streudünger.
590.
Spülicht bei der Branntweinbrennerei.
407.
Strickgarn.
554.
Stabeisen.
747.
Strikes.
23.
Stahlfed8rn.
751.
Strohbleichen.
49.
Stärke, Bleichen ders.
514.
Strohhüte, Bleichen ders.
891.
— Verfälschen ders.
514.
Strohhutfabrication.
425.
Stärkefabrication aus Kartoffeln.
513.
Strohzeugfabrication.
534.
Stärkefabrication aus Reis.
515.
Strontium.
688.
— aus Rosskastanien.
515.
Struvitkrystalle.
203.
— aus Weizen.
509.
Strychnin.
656.
Stärkegummi.
515.
Stuck- oder Stufföfen.
163.
Stärkemehl.
490
509.
Styphninsäure.
Sublimat.
618.
Stärkesyrup.
492.
739
740.
Stahl, gehärteter
749.
Süvern'sches Verfahren. 213
863
869.
— Raffiniren dess.
748.
Sulfaldehyd.
427.
Stahlbereitung.
747.
Sulfantimonite.
312.
Stahlfabrication im Kleinen.
748.
Sulfite s. Schwefligsaure Salze.
Stahlindustrie.
749.
Sulfocyanäthyl.
429
. 448.
Stangenschwefel.
139
141.
Sulfocyankalium.
395
853.
Stanniol s. Zinnfolien.
Sulfocyansäure.
395.
Staub in den Fabriken.
197.
Sulu schmelzen.
713.
Staubinhalationskrankheiten.
753
845.
Sumach.
569
. 570.
Stearinf abrication .
471.
Sumachen.
569.
Stearinlichter.
463.
Sumpf.
107.
Stearinsäure.
451.
— regenerirter und todter
108.
— Fabrication ders.
477.
Sumpfgas.
368.
Stearinsäurelichter, grün gefärbte
298.
Sumpfgase.
106.
Stecknadelfabrication.
726.
Sumpfwasser.
106.
— von Messing oder Kupfer.
753.
Superphosphat
588.
Steinbühlergelb .
774.
— ammoniakalisches.
589.
Steingut, englisches
762.
— Guanosuperphosphat.
589.
Steinhauer arb eit.
883.
Syrop imponderable.
492.
Steinkohle.
316.
Syrup, grüner
498.
— Aufbereitung ders.
338.
— Gase in dens.
343
847.
T.
Steink ohlen dampf.
345.
Steinkohlenfeuerung.
318.
Tabaksarbeiter.
657.
Steink ohlenthe er.
603
874.
Tabaksindustrie.
656.
Steinmetzer.
895.
Tabaksrauch.
887.
Steinpappe.
538.
— Kohlenoxyd in demselben.
887.
Steinschärf -Maschinen.
85.
Tabakssaucen.
657.
Steinschneiden.
884.
Tabaksstaub.
197
658.
Steinschleiferei.
884.
Tafelblei.
703.
924
Tafelfarbeu. — Unterehlorigsaure Alkalien.
Seite
Seite
Tafelfarben.
565.
Topas.
757.
Talg.
458.
Torf.
316
317.
— Bleichen dess.
252
462.
— Bildung dess.
106.
— Fasstalg.
459.
— Verkokung dess.
219
342.
— Krinim- u. Steppentalg.
459.
Torf koksdämpfe.
340.
Talgbrote.
459.
Traganthgummi.
517.
Talgindustrie.
458.
Traganthverzierungen,
grüne
298.
Talglichter.
859.
Traganthwaare.
517.
Talgnachlauf.
459.
Trampeltonne.
574.
Talgöl.
463.
Transparentseifen.
471.
Talgschmelzen.
458
858.
Trass.
686.
Talgseifen.
Talk.
466.
Traubenkrankheit.
136.
689.
Traubenmost.
156.
862.
Talnrigoldwaaren.
S93.
Traubensäure.
439.
Tannin.
569
683.
Traubenzucker.
490. 491.
5U5
861.
Tapeten, besondere Arten ders.
542.
— gekörnter
492.
— mit giftigem Grün.
298.
— in der Bierbrauerei.
524.
Tapetenfabrication.
541.
Traubenzuckersyrup.
492.
Tapezierer.
579.
Tremor mercurialis.
780.
894.
Tarlatan, grün gefärbter
299.
548.
Triaethvlrosanilin, Jodwasserstoffs.
631.
Tartarus stibiatus.
311.
Triamiclonaphtalin.
642.
Tauchzündhölzer.
135.
Tribenzylamin.
624
Teiche.
106.
Trichinöse Schweine, s
Schweine.
Tellur.
174.
Trieulorhydrin.
434.
857.
Tellurige Säure.
174.
Trimethylamin.
379. 852.
Tellurwasserstoff.
174.
Trimethylphenylammoniumchlorid.
631.
Teppiche.
555.
Trimethylrosanilin.
631.
Terpentinöl.
648.
Trimethylstibin.
854.
— als Antidot des Phosphors.
271.
Trinitrocellulose.
861.
Terpentinphosphorige Säure.
827.
Trinitroglycerin.
861.
Terpentinölfirnisse.
457.
Trinitrophenol.
613.
Terra- cotta-Waaren.
760.
Trinitroresorcin.
618.
Terra iaponica, C. d. Bierbrau.
Tetrachloräthylen.
526.
Trinkwasser.
109.
403.
— Analyse dess.
109-
-111.
Tetrachlorid.
373.
— Bestandteile dess.
109-
-112.
Tetraehlornaphtalin.
641.
— Reinigung dess
118.
Tetrathionsäure.
155.
Triphenylrosanilin.
631.
Textilindustrie.
9.
— salzsaures
632.
Thallium.
782.
Trithionsäure.
155.
Thalliumoxydulhydrat.
91.
782.
Tritoluylrosanilin.
632.
Thalliumpapier.
91.
Trockenstuben.
819.
869.
Theer. Destillation dess.
593.
Trödelhandel, Controle dess.
582.
Theerhof.
596.
Tropfschwefel.
138.
Theerkrätze.
594.
Tuchfabriken.
557
558.
870.
Theeröle, leichte und schwere
604.
Tuchweberei.
554.
Thenard's Blau.
781.
Türkischroth, Darstellung dess.
568.
Thierfaser.
553.
Türkischrothfärberei.
50.
566.
Thierhäute.
570
Turinergelb.
712.
Thierkohle.
316.
Turpetum minerale.
741.
Thon.
759.
Tusche, chinesische
323.
Thonerde, essigsaure
573
721.
Typengiessen.
308.
— kieselsaure
757.
759
Thonerdestaub.
197.
u.
Thonwaaren.
759.
Thransiedereien.
858.
Uchatius'sches Pulver.
533.
Thymol.
640
880.
Ueberarbeitssystem.
29.
Titan.
668.
Ueberchlorsäure.
132
Titansäureanhydrid.
668.
Ueberosmiumsäureanhy
irid.
786.
Toiletteseifen.
471.
Ultramarin, gelbes
774.
Toluidin.
624.
— kieselarmes und kieselreiches
897.
Toluidinblau.
632.
Ultramaringrün.
889.
Toluol.
623
Ultramarinindustrie.
153.
766.
Toluylsäure.
639.
Unschlittkerzen.
850.
Tombak.
717.
Unterchlorige Säure.
131.
Tonnensystem.
204
Unterchlorigsaure Alkalien.
133.
462.
Unterchlorsäure. — Wein.
925
Unterchlor säure. 131.
Untergährimg.
Unterphosphorige Säure.
Unterphosphorigsaure Salze. 275.
Untersalpetersäure. 157. 244. 245.
Unterschweflige Säure.
Unterschwefligsaure Alkalien resp.
Salze. 158.
Unterstützungsvereine.
Uran,
Urangelb.
Uranoxydhydrat.
Uranoxydoxydul.
Uranylhydrat.
Usebe'sches Grün.
444.
445.
198.
196.
201.
332.
Vacnumpfannen.
Valeral.
Valeriansäure s. Baldriansäure.
Vanadin.
Varec.
Ventilation in Bergwerken.
— Aspirationsmethode
— nach Böhm.
— natürliche oder spontane
— Principien der
— Pulsionsmethode.
— vor Ort in Bergwerken.
Verbleien des Eisenblechs.
Veredelungsindustrie.
Vergolden. 252. 717.
Vergolder.
Verkokungsprocess.
Verkupfern.
Vernickelung von Eisen und Stahl.
Veronesergelb.
Verplatinirung.
Verre malleable.
Verseifung der Fette durch Kalk.
— dnrch Schwefelsäure.
— durch überhitzte Wasserdämpfe.
— durch Zinkchlorid.
Verseifungsprocess.
Versickerungsgruben, Schädlichk. ders,
Versilbern durch Platiren.
— galvanisches 383.
— der Phosphorzündhölzchen.
Verwaltungs-Medicin.
Verzinken des Kupfers.
Verzinnen.
Victoriagelb.
Viehhof.
Viehställe.
Violanilin.
Violett, phenylirtes
Vitriol, weisser, s. Zinksulfat.
Vogelbeerbranntwein.
Volksküchen.
Vorlauf und Nachlauf.
Vorspinnen bei der Baumwollindustrie.
Vulcanglas.
Vulcanisiren des Kautschuks. 141.
Vulcanöl.
Seite
132.
522.
277.
277.
893.
158.
307.
36.
788.
788.
788.
788.
899.
632.
494.
526.
526.
890.
58.
331.
798.
801.
796.
196.
796.
333.
288.
899.
783.
783.
339.
755.
779.
712.
784.
884.
472.
473.
475.
475.
466.
116.
682.
683.
145.
5.
717.
288.
624.
654.
232.
629.
631.
408.
34.
404.
544.
884.
651.
593.
232.
559.
w.
Waaren, leonische
Wachs, amerikanisches
— Ausschmelzen dess.
— Bleichen dess.
— japanesisches
— Verfälschungen dess.
Wachskerzen.
Wachslichter.
Wachsstöcke. oqö oko
Wadistuchfabriken. ^
Wärmefortführung.
Wärmeleitung.
Wärmestrahlung.
Wärmeverlust.
^JdcKe' chemische, mittels Benzins.
Waidküpe,
Waldwoll^
Walken dei, Tuche.
Walker.
Walkwässer.
WalzHei.
Walze) des Bleies.
— de) Eisens.
Walzeriruckmaschine.
Warmwasserheizung.
Waschphwämme, Bleichen ders.
Wasenjatz.
Wasser.
— Ahjest
— Krjtallisationswasser.
— mei.a,nische Aufsaugung des
— Q\ und Flusswasser.
— Keimung mittels Filtration.
_ £e?]Png und Darstellung des
IruWassers a. d. Meereswasser
duriDestillation.
— SunWgser.
Triri und Brunnenwasser.
— versfedene Arten von Wasser
und ta Zusammenstellung.
— Wandung u. Wandlung dess. 103
WasserbL
Wasserclfc.
W asser daif.
— in deLuft.
Wassergl^
— zum jsiren
WasserheiU
Hochffittel- u. Niederdruck-
101.
Seite
893.
463.
463.
463.
463.
859.
859.
741.
860.
858.
193.
193.
193.
194.
873.
567.
567.
551.
554.
557.
867.
703.
703.
750.
566.
102.
49.
591.
99.
104.
104.
126.
105.
119.
125.
106.
109.
105.
,104.
316.
208.
99.
176.
664.
762.
100.
heizu
Wasserkie
Wasseröfe
Wasserpil:
Wassersto
— in derjustrie.
WasserstofLr0xyd
— in derjhmk
Wasserstoffes ulfid
Watermasc'
Wau.
Wedgwood^n.
Wein, Verfing dess.
100,
91.
101.
138.
101.
111.
38.
39.
129.
130.
145.
545.
568.
762.
861.
926
Weingährung — Zinnchlorid.
Weingährung.
Weingeist.
— Färben dess.
— rectificirter
— Lagern dess.
— Rectification dess.
Weingeistfirnisse.
W ein geistindn strie.
Weinsäure.
Weinstein.
Weissblech, Lackiren dess.
Weissbleierz.
Weissgerber.
Weissgerberei, französische
— gemeine
— ungarische
Weisskupfer.
Weissmessing. -51
Werg.
Welther's Bitter. ,
Werkstätten, Reinerhaltung da mn
in dens.
_ Reinerhaltung der Luft aussei -
halb ders. ..■.<,
— "Ventilation ders.
Werkstättengesetz.
Wetter, böse
— leichte, schlechte
— matte
_ schwere, schlechte
_ sauerstoffarme u. stickstoffreüe
Ventilation.
schlagende
Wetterführung s.
Wetter-Indicator.
Wetterklappe.
Wetterlatten.
Wetterlosung s. Ventilation.
Wetterräder in Bergwerken.
Wetterschächte.
Wichsfabrication.
Wienerbraun.
Wienergrün.
Windhaube. „.
Windhausen'sche Maschine tiüis
erzeugung.
Wismuth.
Wismuthchlorid.
Wismuthchromat.
Wismuthglanz.
Wismuthindustrie.
Wismuthlegirungen.
Wismuthocker.
Wismuthoxychlorid.
W ismuth-T hal liumglas.
Witherit.
Wohnungen, feuchte
— der Arbeiter.
Wolfen.
Wolfram.
Wolframbronze.
Wolframstahl.
WTolframsäure.
Wollbleiche.
Wolle.
— Carbonisiren ders
$29.
201,
Seite
77.
404.
409.
405.
409.
408.
457.
404.
439.
469.
718.
697.
869.
574.
573.
573.
726.
719.
876.
527.
196.
201.
199.
28.
329.
329.
329.
329.
329.
330.
331.
201.
333.
333.
332.
261.
629.
298.
319.
820.
312.
314.
772.
312.
313.
314.
312.
314.
128.
34. 792.
543.
181.
901.
554.
787.
787.
749.
787.
49.
553.
558.
Wolle, Entschweissen ders.
— sanitäre Verhältnisse der Arbeiter
in den Fabriken.
— Waschen ders.
W7ollfabriken, Abfallwässer ders. 217.
Wollfärberei.
Wollindustrie.
Wollschweiss
Wollschweiss-Pottasche.
Wollspinnerei.
Wuod's Metalllegirung.
Wootzstahl.
Workshop Regulation Act.
Xanthamylsäure.
Xanthogensäure.
Xanthin.
Xyloidin.
Xvlidin.
Xylol.
560.
553.
Seite
554.
555.
558.
557.
568.
553.
867.
867.
554.
696.
748.
28.
446.
850.
629.
509. 533.
638.
638.
z.
Zaffer
Zechhäuser.
Zehnstunden-Gesetz.
Zeugdruck mit grüner Farbe.
— in der Textilindustrie.
Zeugküpe.
Ziegelfabrication.
Ziervogel'sche Methode bei der Silber-
gewinnung.
Zinalin.
Zincum phosphoratum.
Zincum sulfophenylicum.
Zink. 690.
— Hüttenmännische Gewin. von 153.
— phenolsulfosaures
Zinkblende.
Zinkbronze.
Zinkchlorid.
Zinkchromat. 696.
Zinkfieber.
Zinkgelb.
Zink grau.
Zinkgrün. 696. 781.
Zinkguss.
Zinkmethyl.
Zinknitrat
Zinkoxyd.
Zinkreservoir.
Zinkschwamm.
Zinkspath.
Zinkstaub.
Zinksulfat. 695.
Zinkweise, Fabrication dess.
Zinn.
— Industrie dess.
— Legirungen dess. 665.
— salpetersaures
Zinnbeize, Darstellung ders.
Zinnbronze. 667.
Zinnchlorid.
780.
329.
25.
299.
565.
567.
759.
329.
634.
894.
696.
694.
691.
696.
690.
724.
696.
773.
720.
696.
694.
889.
695.
397.
741.
695.
695.
894.
690.
694.
696.
695.
664.
665.
666.
668.
757.
725.
668.
Zinnchlorür. — Zymotische Krankheiten.
927
Seite
Zinnchlorür.
668.
Zinnfolien.
664.
666.
668.
Zinnkies.
664.
Zinnküpe.
567.
Zinnober.
728.
740.
860.
— grüner
781.
860.
Zinnoberasche.
740.
Zinnoberdämpfe.
741.
Zinnoxychlorid.
668.
Zinnsaures Kupfer.
728.
Zinnstein.
664.
Zinnsulfid.
667.
Zinntetramethyl.
397.
Zobelfelle.
575.
Zuckerfabriken.
500.
Seite
— Behandlung der Abfallwässer. 502.
— sanitäre Verhältnisse d. Arbeiter. 500.
Zuckerhutformen. 498.
Zuckerindustrie. 491.
Znckerkohle. 316.
Zuckerküpe. 567.
Zuckersäure. 425.
Zündhölzer, giftfreie 827.
— Metallisiren ders. 273.
— phosphorfreie 134. 273.
— schwedische 272.
— Sicherheitszündhölzer. 272.
Zündhütchenfabrication. 393.
Zündspiegelsätze. 134.
Zymotische Krankheiten. 79.
Druck von R. BOLL, Berlin, Mittelstr. 29.
Errata.
Seite 17, Alin. 6 von oben lese man: in Bewegung befindliche statt in Bewegung sich
befindliche.
„ 79, .. 2 „ „ ,. _ Parasitentheorie statt Parasitenthiere.
„ 117 in der 14. Zeile v. oben lese man: den Verunreinigungen statt der Ver-
unreinigung.
„ 135, Alin. 3 von oben lese man: (KC104) statt (RC104).
„ 136, in der 4. Zeile von unten lese man Oidium Tuckeri statt Oidium Tuckeni.
„ 164, Alin. 2 von unten und S. 166, Alin. 2 von oben lese man Gerstenhöfer statt
Gerstendörfer.
„ 256, „ 2 von oben: enthält statt enthielt.
„ 276, „ 3 „ „ lese man Phosphorpentabromid statt Phosphorpeuta-
bromid.
„ 280, „ 7 von unten pyrophosphor saures Natrium statt pyrophosphorigsaures.
„ 282, in der vorletzten Zeile lese man As203 statt Asj03.
„ 325, Alin. 3 von unten lese man 4) statt d).
„ 338, ist am Schlüsse von Alin. 4 zu setzen: 26).
„ 504, in der 5. Zeile von oben ist 7) statt 8) zu lesen.
„ 556, Alin. 4 von unten Berylldruck statt Berilldruck.
„ 568, in der 3. Zeile von oben: Cudbear statt Cudbeard.
„ — in der S. Zeile von oben: Waid statt Wad.
„ 623, Alin. 4 von oben: Phenylenbraun statt Phenylbraun.
„ — in der nächstfolgenden Zeile (s. S. 634) statt (s. S. 612).
„ 642, Alin. 6 von unten lese man Dioxynaphtochinon statt Dioxynaphtachinon.
„ 739, Alin. 5 lese man Hydrargyrum muriaticum statt mercuticum.
RA787
Eu5
Eulenberg I876
Handbuch der gewerbe-hygiene
auf experimenteller grundlage.